Kapitel 2
Schwingungsgrößen –
Empfindungsgrößen
Im Sinn der physikalischen Akustik besteht der Schall aus mechanischen Schwingungen
(von 16 bis 20.000 Hz), die sich in festen, flüssigen oder gasförmigen Stoffen ausbreiten
können. Schwingungen sind Hin- und Her- oder Auf- und Abbewegungen um eine Mit-
tellage, im Gegensatz zu fortschreitenden Bewegungen (Translation; z.B. ein Apfel, der
vom Baum fällt, führt eine fortschreitende Bewegung, keine Schwingung aus).
y
ŷ
ŷ m
y (t1)
(t1)
t
t
1
Die Sinusschwingung ist die einfachste aller periodischen Schwingungen. Sie enthält
nur eine einzige Frequenz, die Grundfrequenz. Alle anderen periodischen Schwingungen
enthalten auch ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz; siehe Kap. 3.
Periodische Schwingungen sind solche, bei denen sich die Kurvenform immer wieder-
holt (Hörbeispiel 1: Periodische Schwingungen).
Die Schwingungsdauer ist die Zeit, in der eine volle Schwingung (eine Periode) aus-
geführt wird.
Der physikalische Begriff der Schwingungsdauer ist nicht zu verwechseln mit dem musi-
kalischen Begriff der Tondauer (z.B. Viertelnote).
Die Frequenz ist die Anzahl der Schwingungen (Perioden) pro Sekunde, gemessen in
Hz = Hertz (nach dem Physiker Heinrich Hertz 1857–1894).
1 kHz = 1000 Hz; 1 MHz = 1000 kHz.
Zwischen Schwingungsdauer und Frequenz besteht folgender Zusammenhang:
1 T = Schwingungsdauer in Sekunden (s)
T =
f f = Frequenz in Hz (= 1s )
Beispiel:
Der Stimmton a1 hat die Frequenz
f = 440 Hz
Seine Schwingungsdauer beträgt:
1 1
T = = Sekunde
f 440
Feder-Masse System
Aus physikalischer Sichtweise lässt sich das Federpendel aus Abb. 2.3 wie folgt beschrei-
ben:
Bei Auslenkung x der Masse aus der Ruhelage (x = 0) wirkt die Rückstellkraft Fk der
Feder entgegengerichtet auf die Masse. Fk der Feder ist proportional zur materialab-
hängigen Federkonstante k sowie zur Auslenkung x. Bei freier Schwingung ohne äußere
Einwirkung und unter Vernachlässigung der Reibung entspricht diese Kraft dem Produkt
von Masse m und Beschleunigung a [Wei14]:
Fges = Fk (2.1)
m · a = −k · x (2.2)
Die Beschleunigung kann auch als zweite Ableitung der Auslenkung nach der Zeit ange-
schrieben werden:
mẍ + kx = 0 (2.3)
d2
mit ẍ = dt2
x(t) und x = x(t).
Als Lösung dieser Differentialgleichung entsteht eine harmonische, also sinus- bzw. cosi-
nusförmige Schwingung mit der Kreisfrequenz ω = 2πf sowie beliebigem Phasenwinkel
(zeitliche Verschiebung) ϕ0 :
−ω 2 mx + kx = 0 (2.5)
s
k
ω0 = (2.6)
m
und somit
s
ωo 1 k
f0 = = (2.7)
2π 2π m
Ein schwingungsfähiges System mit einem Freiheitsgrad kann also, sobald es einmal
angeregt und dann sich selbst überlassen wird, nur mit einer Frequenz f0 , der sog.
Eigenfrequenz schwingen.
Wenn ein fester, flüssiger oder gasförmiger Körper mit einer Frequenz von 16 bis 20.000 Hz
schwingt, so wird diese Schwingung als Ton hörbar. Nur periodische Schwingungen er-
geben Töne.
Die Hörbarkeit der Schwingungen hängt von den Eigenschaften des menschlichen Gehörs
ab:
Die obere Hörgrenze sinkt mit dem Alter. Nur Kinder erreichen die obere Hörgrenze
von 20.000 Hz. In jedem weiteren Lebensjahrzehnt nimmt die Hörgrenze um ca. 1.000 Hz
ab (Mit 20 Jahren liegt die Hörgrenze nur mehr bei 18.000 Hz, usw.).
Die untere Hörgrenze ist keine scharfe Grenze; es ist viel mehr bei einer von 16 Hz
aufsteigenden Frequenz ein allmählicher Übergang von Flattern oder Schnarren (bei dem
man noch die einzelnen Schwingungen verfolgen kann) bis zur eigentlichen Tonempfin-
dung zu beobachten.
Ultraschall (20 kHz bis 1000 MHz) hat mechanische Wirkungen (Emulsionsbildung,
Reinigung von Kleinteilen), chemische Wirkungen (Bildung von H2 O2 ) und biologische
Wirkungen.
Zahlreiche Anwendungen beruhen auf der Entfernungsmessung durch Ultraschall:
Orientierungssinn der Fledermaus, Echolot, zerstörungsfreie Materialprüfungen, Unter-
suchungen des menschlichen Körpers (Ultraschall statt Röntgen).
Infraschall (0,01 – 16 Hz) kommt vor in U-Bahntunnels, bei Brandung, bei Erdbeben,
auf Triebwerksprüfständen, bei Presslufthämmern.
Wirkungen auf den menschlichen Körper können sein: Übelkeit, bei längerer und stärkerer
Einwirkung Leiden der Blutgefäße u. Gelenke, Kreislaufstörungen.
Diese mechanischen Schwingungen sind nicht zu verwechseln mit elektromagnetischen
Schwingungen in diesem Frequenzbereich.
Die genannten Grenzen beziehen sich auf den Hörbereich des Menschen. Bei Tieren sind
die Hörgrenzen teilweise stark unterschiedlich (siehe Tab. 2.1).
Tier Hörbereich
Fledermaus 2000 – 110.000 Hz
Huhn 125 – 2.000 Hz
Katze 45 – 64.000 Hz
Kuh 23 – 35.000 Hz
Hund 67 – 45.000 Hz
Elefant 16 – 12.000 Hz
Meerschweinchen 54 – 50.000 Hz
Igel 250 – 45.000 Hz
Pferd 55 – 33.500 Hz
Frettchen 16 – 44.000 Hz
Maus 1000 – 91.000 Hz
Kaninchen 360 – 42.000 Hz
Ratte 200 – 76.000 Hz
Schaf 100 – 30.000 Hz
Belugawal 1.000 – 123.000 Hz
Goldfisch 20 – 3.000 Hz
Ochsenfrosch 100 – 3.000 Hz
Laubfrosch 50 – 4.000 Hz
Kanarienvogel 250 – 8.000 Hz
Eule 200 – 12.000 Hz
Thunfisch 50 – 1.100 Hz
Häufig wird für das musikalische Intervall der Oktave, besonders in ganz tiefer und hoher
Lage, ein Frequenzverhältnis größer als 2 (z.B. 1010 Hz : 500 Hz) für richtig empfun-
den. Beim Klavierstimmen wird dieser Zusammenhang durch die sogenannte Streckung
berücksichtigt.
1. von der Lautstärke: Unterhalb von ca. 1 kHz (c3 ) wird ein (Sinus-)Ton als umso
tiefer empfunden, je lauter er erklingt. Oberhalb von ca. 1 kHz wiederum steigt
die empfundene Tonhöhe mit der Lautstärke. Im Bereich von 1 kHz ist die Ton-
höhenempfindung unabhängig von der Lautstärke. (siehe Abb. 2.5)
2. von der Klangfarbe: Die empfundene Klanghöhe hängt auch von der Klangfarbe
ab. Da die meisten Musikinstrumente viele Teiltöne haben, ist der Sinuston als
Stimmton nicht gut geeignet!
Periodendauer
Die Elongation ist der jeweilige (augenblickliche) Abstand von der Mittellage.
Die Amplitude ist die größte Elongation.
Die Amplitude ist ein Maß für die Lautstärke, jedoch nur bei gleicher Frequenz!
Zwei Schwingungen mit der gleichen Amplitude, aber verschiedener Frequenz sind (außer
im Sonderfall) nicht gleich laut; erstens, weil die höheren Frequenzen energiereicher
sind und zweitens, weil das Gehör im mittleren Frequenzbereich (1000 – 5000 Hz) viel
empfindlicher als im hohen und besonders im tiefen Bereich ist. Ausführlich wird dieser
Zusammenhang in Kap. 6 behandelt.
Abbildung 2.7: Verschiedene Schwingungsformen mit gleicher Frequenz: Das a1 (440 Hz),
gespielt von verschiedenen Instrumenten. T beschreibt eine Periode. [HA09]
In Kap. 3 wird gezeigt, dass sich alle Schwingungsformen von periodischen Schwingungen
aus Sinusschwingungen mit ganzzahligen Vielfachen der Grundfrequenz (z.B. 100, 200,
300, 400 Hz) zusammensetzen lassen.
Dieses Spektrum (= Anzahl und Stärke dieser Sinusschwingungen) ist viel besser als
die Schwingungsform geeignet, um Zusammenhänge mit der Klangfarbe zu untersuchen.
Ein Beispiel um die Bestimmungsgrößen (Parameter) der Schwingung (Frequenz, Am-
plitude, Schwingungsform) zu verdeutlichen, sei anhand des Vibratos gezeigt:
Das Vibrato ist eine langsame periodische Änderung (etwa 4–8 mal pro Sekunde) ei-
ner oder mehrerer Parameter einer Schwingung und dient zur Ausdruckssteigerung, zur
Erzielung eines volleren, reicheren Klanges.
Amplitudenvibrato,
auch Tremolo genannt
(Vibraphon, Flöte)
Frequenzvibrato
(Blechbläser, Streicher)
Klangfarbenvibrato
(Blechbläser, Mundhar-
monika)
Häufig kommen die Vibratoarten kombiniert vor, z.B. Frequenzvibrato mit leichtem
Klangfarbenvibrato bei Blechbläsern oder Saxophon (Hörbeispiel 2).
In Abb. 2.8 ist aus Gründen der besseren Darstellung die Schwingungsfrequenz gegenüber
der Vibratofrequenz viel zu niedrig angenommen.
Besteht bei zwei Schwingungen ein zeitlicher Unterschied zwischen ihren entsprechenden
Nulldurchgängen, so spricht man von einer Phasendifferenz.
Der Phasenwinkel wird in Winkelgraden oder in Sekunden gemessen.
Gleichphasig sind zwei Schwingungen gleicher Frequenz, wenn die Phasendifferenz null
Grad beträgt.
Gegenphasig sind zwei Schwingungen gleicher Frequenz, wenn die Phasendifferenz 180°
beträgt.
Die Phasenlage hat Bedeutung bei der Überlagerung von Schwingungen (Interferenz,
siehe Kap. 10), in der Musik insbesondere beim Leslie-Effekt, Phasing, bei Lautsprechern,
in der Raumakustik usw.
Bei solchen Schwingungen ist keine sich wiederholende Kurvenform mehr festzustellen.
Sie entstehen, wenn sich Sinusschwingungen mit nicht ganzzahligen Frequenzverhält-
nissen überlagern,
z.B. 100, 157, 238, 567 Hz ergeben Frequenzverhältnisse
von 1 : 1,57 : 2,38 : 5,67 d.h. keine ganzen Zahlen.
Das angeführte Beispiel würde ein sog. Tongemisch (z.B. bei Glocken) ergeben. Kommen
noch sehr viel mehr Sinusschwingungen in engem Frequenzabstand vor, so ergibt das ein
Geräusch.
Orgelpfeifen, bei der Flöte mit konischer Bohrung in hoher Lage oder beim Pfeifen
vor.
In tiefer Lage hat er ein sehr schwaches Volumen, in mittlerer Lage klingt er dünn
und farblos; er ist deshalb als Instrumentalklang im allgemeinen nicht erwünscht,
allerdings mit zwei wesentlichen Ausnahmen:
1. Für Instrumente die viele Klangfarben haben (z.B. Pfeifenorgel, Elektronische
Orgel, Synthesizer) bedeutet er eine zusätzliche Klangkategorie.
2. Für diese Instrumente bietet er auch die Möglichkeit, Klangspektren nach
eigenen Vorstellungen durch Teiltöne (harmonisch oder unharmonisch) zu-
sammenzusetzen.
Klang: In der Akustik wird ein einstimmiger Instrumentalton als Klang bezeichnet. Er
enthält außer dem Grundton noch Obertöne (mit ganzzahligen Frequenzverhält-
nissen zum Grundton), z.B. Klarinettenklang, Trompetenklang. (Hörbeispiel 3)
Tongemische: treten auf bei der Glocke, bei Röhrenglocken, beim Gong, beim Tamtam.
Je dichter die unharmonischen (= nicht ganzzahligen) Teiltöne beim Tongemisch
liegen, desto geräuschähnlicher wird es. Ein zart angeschlagenes Becken ergibt
noch ein Tongemisch, wird es stärker angeschlagen, so treten zusätzliche unhar-
monische Teiltöne auf, und es entsteht ein Geräusch. (Hörbeispiel 4)
Geräusche: treten auf bei Becken, Trommeln, aber auch als Begleitgeräusch bei Blas-
und Saiteninstrumenten.
Außerdem sind Geräusche auch in der Sprache als Zischlaute (f, sch, s, ch) ent-
halten. (Hörbeispiel 5)
Ein sehr kurzer Schwingungsverlauf wird als Knall, Knack oder Impuls bezeich-
net. Je kürzer dieser Knack ist, umso weniger genau kann man seine Tonhöhe
feststellen. (Hörbeispiel 6)
Knacke werden erzeugt von Kastagnetten, Claves, Händeklatschen, Trommelschlä-
gen, aber auch in der Sprache bei den Explosivlauten p, b, t, k.
Lärm: ist kein exakter physikalischer Begriff, sondern eine sehr subjektive Empfindung:
Lärm ist störender Schall. Dieser störende Schall muss nicht Geräusch sein, auch
Musik kann stören, und auch Schall geringer Stärke kann stören.
Um ein Maß zum Zweck der Lärmbekämpfung zu finden, wurden die Auswirkungen
des Lärms auf den menschlichen Organismus untersucht. Dauernder Schall von 85
bis 90 Phon (siehe Kap. 6) kann schon zu Ohrschädigungen und Lärmschwerhö-
rigkeit führen.
„Professionelle Musiker tragen ein um 57 Prozent erhöhtes Risiko einer Tinnituser-
krankung und leiden im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung fast viermal häufiger
an Hörschäden.“ [Hil14]
Literatur
[HA09] David Martin Howard und Jamie Angus. Acoustics and Psychoacoustics 4th
Edition. 4th. Oxford: Focal Press, 2009.
[Hal91] D.E. Hall. Musical Acoustics. Physics Series. Brooks/Cole Publishing Com-
pany, 1991. url: https://books.google.at/books?id=aLa7AAAAIAAJ.
[Hel13] Hermann v. Helmholtz. Die Lehre von den Tonempfindungen, als physiologi-
sche Grundlage für die Theorie der Musik. 4. Auflage. Braunschweig: Friedrich
Vieweg und Sohn, 1913.
[Hil14] Arne Hillienhof. „Studie: Hörschäden bei Musikern“. In: Dtsch Arztebl Inter-
national 111.27-28 (2014), S. 59. url: http://www.aerzteblatt.de/
int/article.asp?id=160976.
[Moo95] Brian C. J. Moore, Hrsg. Hearing. Academic Press, 1995.
[Sta76] W. Stauder. Einführung in die Akustik. Taschenbücher zur Musikwissenschaft.
Heinrichshofen’s Verlag, 1976. url: https://books.google.at/books?
id=N04KAQAAIAAJ.
[Wei14] Stefan Weinzierl, Hrsg. Akustische Grundlagen der Musik. Laaber Verlag,
2014.