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Lichtreligion
Mit Weihnachten ins neue Jahr
(Impulse der Gegenwart 3)
Dr. Friedrich Rittelmeyer 253

Meine Straße
Gedicht. Rudolf Fuchte 257

Lichtstätten und Lichtträger


Rudolf Meyer 258

KMB
Die Heiligen Drei Könige und die Runenweisheit
Dr. Erwin Schühle 261

Gesicht
Gedicht. Hanns Schmitz 263

Vom Backen
Gedanken zu den zwölf heiligen Nächten
Ilse Burckhardt 264

Neujahrsnacht (1936)
Gedicht. Emma Andrae 267

Skandinavische Reise
Lic. Emil Bock 267

Schwedische Weihnachtssitte
Roderich Stintzing 272

Die Zeit im Buch


Sehnsucht aus dem Protestantismus heraus
Kurt von Wistinghausen 275
Karl Thylmann: Mensch und Werk Hermann von Skerst 276

Fragen und Antworten


Warum haben Sie Ihre Erneuerungskräfte der evangelischen
Kirche entzogen und Ihr Erneuerungswerk nicht innerhalb
der evangelischen Kirche selbst durchgeführt? 277
Haben Sie Anschluß an die Succession? Wenn Sie- diesen
Anschluß nicht haben: worauf gründen Sie Ihr Recht, das
MeBopfer zu halten? 277

Religiöse Zeugnisse
Aus: „Die Grundlage des nennzehnten Jahrhunderts“ von
Houston Stewart Chamberlain 278
Aus: „Münchhausen“ von Karl Immermann 278
Aus: „Die Günderode“ von Bettina von Arnim 278
Aus Albert Steffen „Merkbuch“ - 279

Blik nach Rußland:


Kaukasischer Gral Kurt von Wistinghausen 279
Anti-Christfest in Rußland 279
Christgeburt in Rußland 280
Die Christengemeinschaft
Diese Zeitschrift dient der religiösen Erneuerung der Gegen-
wart aus dem Geist eines sakramentalen Christentums, das
durch die Christengemeinschaft vertreten wird. Sie erscheint am
Anfang jedes Monats in Stuttgart und wird herausgegeben von
Dr. Friedrich Rittelmeyer
14. Jahrgang 10 Januar 1938

Lichtreligion
Mit Weihnachten ins neue Jahr

(Impulse der Gegenwart 3)

Friedrich Rittelmeyer

Eine Lichtreligion besonderer Art war es, die unter den Urvölkern unsres Erdteils lebte. Sie ver-
band den Menschen mit der Natur, die Natur mit dem Menschen, weit, frei, geistig. Je mehr diese
Vergangenheit in den Gesichtskreis der Gegenwart tritt, um so mehr regt sich in irgendwelcher Tiefe
die Sehnsucht nach einer ähnlichen religiösen Heimat. Über diese Sehnsucht soll man nicht hinweg-
gehen. Man soll sie heilig halten und ihr zur Erfüllung helfen.
Aber wir können nicht in- die vergangenen Jahrtausende zurück. Dies ist heute wohl fast allgemein
eingesehen. Wir können nur vorwärts. Nicht mit Verneinung unserer Geschichte, sondern mit Weiter-
führung. Jede andere Einstellung würde sich schwer rächen.

Weissagungin Weihnachtsliedern

Wie sehr die Zukunft schon in der Gegenwart, ja in der Vergangenheit uns anblickt, dafür fehlen
gewöhnlich nur die Augen. Man kann zum Beispiel sagen, daß sich das ureigene Weihnachtserleben
des deutschen Volkes Ausdruck gegeben hat in zwei Weihnachtsversen, die beide fast zu gleicher Zeit
entstanden sind im Beginn der Neuzeit, der eine im katholischen, der andre im evangelischen Lebens-
bereich. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts findet sich in rheinischen und pfälzischen Gesangbüchern
zuerst das Lied:
Es ist ein Ros entsprungen Und hat ein Blümlein bracht
Aus einer Wurzel zart, Mitten im kalten Winter
Als uns die Alten sungen, Wohl zu der halben Nacht.
Von Jesse kam die Art,

Was alles um diese zarten Verse spielt, kann man gar nicht in Worte fassen. Baldurzauber weht
aus ihnen. „Und hat ein Blümlein bracht.“ „Die Alten“ kommen herbei. Reines Menschentum erblüht
in „Marie der reinen Magd“. Und die altuordische Mitternacht, Mutternacht, „modra necht“, schaut in
froher Verwunderung dem Frühling zu, der sich da „mitten“ in ihr entfaltet. Hier in diesem Vers
begrüßt Baldur Christus. Einem tiefen Wesenstrieb des deutschen Dichters gemäß wird hier Christus
von der Natur aus erlebt, als neue Natur, als höhere Natur. —

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Ganz anders und doch tief ähnlich erklingt in demselben Jahrhundert der Vers Luthers:

Das ewig Licht geht da herein,


Gibt der Welt ein’ neuen Schein.
Es leucht’ wohl mitten in der Nacht
Und uns des Lichtes Rinder macht.

Wieder die „modra necht“! Aus welchen Tiefen ist das aufgestiegen? — Bedeutsam ist aber gerade
auch die Verschiedenheit der beiden Weihnachtsverse. Dort offenbart sich mehr das deutsche Gemüt,
hier mehr der deutsche Geist. Dort wird eine ferne Vergangenheit erlöst, bier wird eine ungeborene
Zukunft geahnt. Dort regt sich aus dem edelsten Katholizismus heraus die Sehnsucht nach Natur-
christentum, hier aus dem besten Protestantismus heraus die Sehnsucht nach Geistchristentum.
Hat in demselben ahnungsreichen Jahrhundert Albrecht Dürer als der eine Sohn dieser Volksart
sein naturverbundenes Marienleben gemalt, so fast gleichezitig, als der andre Sohn dieser Volksart,
Matthias Grünewald sein lichtstrablendes Bild des Auferstandenen.

Der Mysterienhintergrund

Wie ist es gekommen, daß Luther in den schlichten vier Zeilen dieses Weihnachtsliedes den ganzen
Gang der alten Mysterien-Einweihung beschrieben hat? Belehrung, Läuterung, Erleuchtung, Vereini-
gung: das war der heilige Weg, auf dem die strebenden Menschen durch viele Jahrhunderte empor-
geführt wurden zum göttlichen Leben.
„Das ewig Licht geht da herein“. — Alle alten Religionen, von Indien über Ägypten und Griechen-
land bis in den europäischen Norden, schauten ehrfurchtsvoll und erwartungsvoll zum Licht empor.
Auch der ferne Osten bis nach Japan und der ferne Westen bis nach Mexiko hin: hinter dem ver-
gänglichen Licht suchten sie alle „das ewig Licht“. Nun hören sie die große „Belehrung“, die größte
Belehrung aller Zeiten: Das ewig Licht „geht da herein“. Undogmatisch und weltallgroß wird die
Erfüllung ausgesprochen. Wo ist größerer Weltinhalt in volkstümlicherer Form verkündigt worden?
„Gibt der Welt ein neuen Schein“. — Die „Läuterung“ hebt an. Die Läuterung nicht nur des ein-
zelnen „Mysten“, sondern der ganzen Erde, „daß auch sie einst Sonne werde“. Das Licht opfert sich
an die Welt. Die Welt opfert sich an das Licht.
„Es leucht” wohl mitten in der Nacht“. — Da ist die wahre „Erleuchtung“. In jede Nacht der
Erde hat Christus sein Licht hineingesandt. Folgen wir dem Gang der sieben Zeichen im Johannes-
evangelium. Die Verwandlung des Wassers in Wein, die Heilung des kranken Knaben, die Aufrich-
tung des Gichtbrüchigen, die Speisung der Fünftausend, das Wandeln auf dem Meer, die Blinden-
heilung, die Auferweckung des Lazarus: alle sieben Nächte, in denen die Erdenmenschen leben, werden
von:der Christussonne erleuchtet: Erdenstofflichkeit, Krankheit, Sünde, Not, Furcht, Finsternis, Tod.
„Und uns des Lichtes Kinder macht“. — Das ist die wesenhafte „Vereinigung“. Das Licht wird.
Mensch. Der Mensch wird Licht. Aus dem göttlichen Urlicht ist der Mensch geboren. In das göttliche
Urlicht wird er nun, wach geworden und frei geworden, zurückgeholt. Das wird uns auch sprachlich
semalt durch die lichten i: „Des Lichtes Kinder“. So hat Luther uns auch die Weihnachtsbotschaft
verkündet in lauter aufblitzenden i-Lichtern, Eilen und Verweilen, strebendes Sehnen und strahlen-
des Erfüllen in poesievoller Prosa malend: „Ihr werdet finden das Kindlein in Windeln gewickelt und
im einer Krippe liegend“.
Woher hat Luther diese Mysterienberührung? Stieg es aus dem eignen Innern empor? War er
selbst einmal dabei? Jubelt in ihm auch persönlich die erfüllte Vergangenheit? Oder fand der Mensch
md Dichter in ihm von selbst den organischen Gang, den alle Wahrheit und besonders die höchste
Vahrkeit jederzeit im Geist des Menschen nimmt? Oder beides?

=s
Europäische Geistesgeschichte

Werden sich Religion, Wissenschaft, Kunst je wieder zusammenfinden und zusammenwirken — wie
einst in vergangenen Kulturen?
Anders als im farbenreichen Süden erlebte der Nordländer die Sonne. Sie war ihm auch Natur-
weckerin, aber in den langen Wintern erlebte seine Seele sie vor allem als Geistkünderin. Wohl
wartete der Nordländer im Frühjahr auf die lebenspendende Wärme des Himmeklichts, wie der
Ägypter auf das segnende Strömen des Wassers. Aber der Nordländer wurde doch mehr im Geist
gehalten als der Südländer. Und als er in die Geschichte eintrat, da hatte sich das tausendjährige
Sonnen-erleben verwandelt in ein gewaltiges Geist-sehnen. Mit der Kraft eines Urtriebs wacht es
jetzt auf, geweckt und genährt durch das Sehnen nach der Sonne, und trägt die ganze mitteleuro-
päische Geistesgeschichte.
„Das Licht scheint in der Finsternis.“ In Goethe wurde dies Wissenschaft, als er seine Farben-
lehre schrieb. Vielleicht ist Goethe nicht nur der Herold einer Einzelwahrheit, die noch ihre Zukunft
hat, sondern der Prophet alles letzten wissenschaftlichen Erkennens. Nach dem Licht, wie es sich in
der Finsternis offenbart, sucht alle Wissenschaft. — In Rembrandt, dem Niederländer, wurde es
Kunst, als er dem Spiel von Schein und Schatten mit unbeirrbarem Künstlerdrang nachspürte. Und
vielleicht ist auch alle Kunst nichts anderes als das Aufblitzen des Lichtes in der Finsternis. — In
Luther aber ahnte es sich in die Religion hinein, als er seinen Weihnachtsvers dichtete. Denn erst
eine Ahnung war es. Nur wenn eine Religion so weltengroß und geistesfrei ist wie dieser Luthervers,
werden sich Wissenschaft und Kunst wieder mit ihr versöhnen.
„Das Licht scheint in der Finsternis“...

Das Lichtevangelium

Schon lange wartet das Johannesevangelium auf die Menschheit. Das „Licht-Evangelium“ der Zu-
kunft ist es noch viel wirklicher, als wir es heute schon erleben können.
„Das Licht scheint in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht aufgenommen.“ Dies Wort
‚wird zu Anbeginn über die Menschengeschichte geschrieben. Langsam schließt sich dann der Vorhang
wieder über der Lichtwelt, die sich für einen Augenblick hat schauen lassen (1, 5).
Dann beginnt unten auf der Erde das Christusleben. Dreimal blitzt es auf aus seinem Wort: „Ich
bin das Licht der Welt!“ (8,12; 9,5; 12,46). In jede Finsternis sendet dies Licht seinen Sieg.
Und am Schluß, ehe Christus scheidet, exfolgt sein letzter“Anruf an die Menschheit. „Wandelt als
Menschen, die das Licht haben, damit nicht Finsternis euch verschlinge. Wer in der Finsternis wandelt,
weiß nicht, wohin ihn der Weg führt. Als Menschen, die das Licht haben, verbindet euer Leben mit
dem Licht, dann werdet ihr Söhne des Lichtes werden!“ (12, 35 und 36) — Der große Kampf des
Lichtes mit der Finsternis, den die Perser ahnend erlebten, den die Griechen hochgemut feierten, den
die Germanen ehrfürchtig anschauten, ist siegreich entschieden. Christus wirbt Lichtsöhne.
Das Lichthafte, das hinter allen Worten im Johannesevangelium lebt, wird immer stärker als die
Sonnensubstanz einer neuen Welt empfunden werden. Man wird sie schauen. Man wird sich an ihr
nähren. Man wird sich durch sie verwandeln. —
Auch die andern Evangelien sprechen von der Lichtwerdung. Sie nennen es „Verklärung“. Als
Ausbrechen des inneren Glanzes wurde sie von den Jüngern geschaut auf dem „Verklärungsberg“, als
ihre Geistesaugen einmal erwachten. So von Paulus vor Damaskus. So von Johannes auf Patmos.
Aber nicht nur Christus ist Licht. Auf einen Lichtsohn deutet er selbst. „Er war ein brennendes und
scheinendes Licht“, sagt er von Johannes. Wir haben ein solches Wort sicherlich nicht nur als schönes
Bild zu verstehen, sondern als Ausdruck einer geschauten Wirklichkeit.
Von seiner Verklärung spricht Christus als von dem Ziel seines Erdenwirkens (13,31; 17,1). Und
von dieser Verklärung spricht er auch als von dem Ziel der ganzen Menschengeschichte (17, 24). Dies
gilt es klar zu durchschauen: In allertiefster Verborgenheit lebt der göttliche Vater; was immer man

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über ihn sagen mag, er ist immer noch „dahinter“ und „darüber“. Das folgt einfach daraus, daß nichts
Geschaffenes den Schöpfer zu fassen vermag. Aber sein „Abglanz“ ist da. Der ist das Nächste nach
ihm und das Höchste außer ihm. Und dies ist Christus. Es kann nichts Höheres geben für alles Ge-
schaffene, als diesen Abglanz in sich aufzunehmen. „Ich will, daß,sie meine Herrlichkeit schauen!“
Dies ist unsre höchste Heimat: seine Herrlichkeit. Von ihr kann jeder etwas schauen, schon auf
Erden, und keiner kann Höheres schauen, auch im Himmel. „Wir sahen seine Herrlichkeit.“ Der
Gottmensch ist der Menschengott. Aus ihm wird alles höchste Menschenwerden. Aus ihm empfangen
wir — uns selbst.
So können wir das Johannesevangelium in unsre Gegenwartssprache übersetzen. Da ist nichts von
„semitischem Minderwertigkeitsgefühl“. Nichts von „starrer Dogmatik“. Nur eine Erfahrung. Und
eine Erfüllung.
Voller Würde und Größe ist auch das letzte Gebet Christi: „Vater, verkläre mich mit der Klarheit,
die ich bei dir hatte, ehe denn die Welt war!“ (17, 5). In unsrem Mund müßte dies Gebet lauten: Ver-
kläre mich mit der Klarheit, die ich in dir hatte, ehe ich ins Dasein trat, wie ich noch als Gedanke in
dir lebte, als Wunsch in dir entstand, als Zukunftstat aus dir wurde! |
Dies Gebet könnte unser Nachtgebet werden, ehe wir uns an die Sterne verteilen. Es könnte unser |
Morgengebet werden, wenn wir ins Licht hinein erwachen. Es könnte unser Tagesgebet werden, so oft
wir am Tag in unser wahres Ich eintreten wollen.
So werden die wahren Söhne des Lichts. In drei Stufen steigen sie empor: das Licht haben, dem
Licht sich verbinden, das Licht werden. „Dieweil ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr des
Lichtes Söhne werdet“ (12,36).
„Dieses redete Jesus und ging hinweg und verbarg sich vor ihnen.“

Neues Wissen und Werden

Was sagt dazu die Physik? — Wir betrachteten hier das Licht nicht als physikalische Wellen-
bewegung, sondern als göttlichen Gedanken, als göttliche Kundgebung. Aber es gibt auch eine Wissen-
schaft, die „Geisteswissenschaft“, die davon zu erzählen weiß, daß alle Materie im Grund ver-
‚dichtetes Licht ist. Da wird das Licht angesehen als etwas Fein-Substantielles, nicht als ein Schwin-
gungszustand. Vielleicht ist die heutige Naturwissenschaft, die von den Stößen der Strahlen zu reden
begonnen hat, dieser Anschauung nicht mehr so fern wie die Wissenschaft vor zwanzig Jahren.
Welche moralische Wirkung von solcher Anschauung ausgehen könnte — in einer Zeit, wo neue
Moral dringend nottut — darauf mag Christian Morgenstern hindeuten, wenn er in seinem „Lied für
ein zukünftiges Gesangbuch studierender Jugend“ vom Liebesmut spricht:

„.. Auch dem Bösewicht,


der uns widerstrebet:
Er auch ward gewebet
einst aus Licht.“

Und für sein eignes Sein spricht Christian Morgenstern den letzten Wunsch aus:

„Daß es zuletzt, von goldner Fülle ganz


Durchströmt, als wie ein Geisterbauwerk stände,
Gleich einer geistdurchleuchteten Monstranz.“

Wan könnte also wohl von einer Geschichte des Lichtes selbst sprechen, von einem Weg, den es im
Menschen selbst zurücklegt: Geburt, Fall, Auferstehung aus dem Geist.
Denke man, was man wolle — es gibt keine neue Dogmatik. Aber in uns lebt ein Lichtkeim, der
sur vom Lichte lebt. Ihm gilt es Nahrung zuzuführen. Ihm gilt im höchsten Sinn der Aufruf:
_Yrmkt. o Augen, was die Wimper hält, von dem gold’nen Überfluß der Welt!“

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Wir versuchen in stillen Stunden, den ganzen Raum, den wir einnehmen. mit Licht zmusfüllen.
Wir machen es dem Diamanten nach, der auch am dunklen Ort alle verborgen
en Lichtstrahlem m sch
sammelt, so daß man sich wundert, wieviel Licht doch noch da ist. Wir
lernen jede audı ner leise
Unwahrheit als einen Flecken auf unsrem Lichtgewand zu empfinden, jede
selbsisüchtig aufsteigende
Regung wie einen Rauch aus der Tiefe in unsrem Lichtreich zu erleben, jede lieblose Stunde als
Verfinsterung unsres Daseins zu erfühlen. Freie Lichtsöhne wollen wir werden.
Und wenn Christes
uns dazu helfen kann ...! Dazu eben wollte er helfen. Dazu eben ist
er gekommen. „Ich bin als
Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der sich mir verbindet, nicht in der
Finsternis bleibe
(12, 46).
.
Wer kann gegen diese „Lichtreligion“ sagen, daß sie den Menschen entwürdigt oder entmündigt,
daß sie ihn nicht aufs Höchste erhebt?
Lichtkinder nach innen, Lichtkünder nach außen. Kommt das deutsche Wort „Kind“ von „kün-
den“? Dann hat der Sprachgenius auf eine tiefste Wahrheit hingedeutet. Kinder künden. „Ihrer ist
das Himmelreich.“ Und Lichtkinder allein sind Lichtkünder.
Was wir sagen wollen, hat aus urtiefem nordischen Lebensgefühl die schwedische Dichterin
Selma Lagerlöf in einer Legende ausgesprochen. Sie schildert einen Ritter,
der aus Ehrgeiz und
Ritterlust das Kreuz genommen hat. Da er der erste war, der die Mauer Jerusalems erstiegen, darf
er als der erste seine Kerze entzünden am heiligen Grab. Allmählich wird in seiner Seele ein Ent-
schluß geweckt. Dies Licht will er heimbringen in seine Vaterstadt. So wird nun sein
einziges Sinnen,
daß ihm dies Licht nicht wieder erlösche. Immer neue Kerzen zündet er an ibm an, um das Licht
der heiligen Kerze weiterzupflanzen. Vielerlei Ungemach und Gefahr hat er zu bestehen, um das
zarte Licht am Leben zu erhalten. Als er schließlich in der Heimat ankommt, ist aus dem rauhen
Ritter ein neuer Mensch geworden: mild, gerecht, gütig. Nichts weiter war dazu
nötig gewesen als
der Entschluß, diesem Licht die Treue zu halten und es gegen alle Gefahr zu schützen.

Das ist, im Dichterbild, der rechte Gang von Weihnachten ins neue Jahr,
die Lichtwerdung des
Menschen — die wahre Lichtreligion. —

Meine Straße
Rudolf Fuchte

Der Ereignisse Raum


Schneidet meines Daseins schmale Zeile:
Auf schwankem Steige schreit’ ich durch Unendlichkeiten.
Ich stürze nicht —
Begleiter ist mir Notwendigkeit
Voran mir schreitend — — und zu meinen Seiten
Zieh’n Haß und Liebe;
Haß — zu meiner Linken — mit des Schwertes Schneide
Den Weg mir weitend;
Meine Rechte weich berührend
Gleitet die Liebe — ihrer Strahlen Leuchten
Bereitet den Pfad mir, Dornen und Steine zu meiden. — —
An allen Ufern drängen sich i
Die wallenden Nebel der Ereignisse —
Herangerissen und hinweggestoßen —
Gestalten sich —
Und bilden einen wogenden Bogen
Durch den ich meine klare Straße komm’ gezogen.

257
Lichtstätten und Lichtträger
Rudolf Meyer

umherirrt, so
Wenn ein Schiff auf offener See vom Sturme verschlagen ist und ziellos im Nebel
das durch den Nebel
kann ihm ein Leuchtturm die Rettung bedeuten. Es fährt dem Lichte entgegen,
zu erreichen vermag...
strahlt, und findet die Richtung wieder, in welcher es den bergenden Hafen
haben, der im Erden-
Eine ähnliche Empfindung mag den Menschen der alten Zeiten überkommen
Tempelstätte
dunkel nach dem Sinn und Ziel seines Lebens suchte, wenn er die Pforten. einer heiligen
die Mysterienstätten des
durchschreiten durfte. Leuchttürme für die ziellos irrenden Seelen wollten
Sie gaben dem Kulturwirken eine
Altertums sein. Sie strahlten Weisheit in das Leben der Völker ein.
innere Richtung, um die Erden-Zivilisation im Sinne einer planvollen Menschheitsführung zu lenken.
Tempelstätten, die das wirkliche Erweckungsgeheimnis noch kannten, wußten Antwort auf jene Fragen
zu: geben, die um das Rätsel des Menschen kreisten. Sie lehrten noch, „von wannen er kommt und
wohin er fährt“ — d.h. seinen göttlichen Ursprung und seine ewige Bestimmung. Eine solche Weis-
Ephesus gewesen. Von dieser
heitsstätte ist z.B durch viele Jahrhunderte der vorchristlichen Zeit
„Leuchter“ besaß. In der Hochblüte der griechischen
Stadt konnte man mit Recht sagen, daß sie einen
der „sieben Weltwunde r“ ihr eigen nennen dürfe. Dies war
Kultur rühmte man an ihr, daß sie eines
die spendende Mutter verehrt
der Tempel der jungfräulichen Göttin Artemis, die aber zugleich als
die Schüler der Weisheit. Sie stillte den Erkenntnisdurst.
ward. Denn an ihren Brüsten nährten sich
den neuen Gott verkündigt , ist jener Artemistempel
Als Paulus nach Ephesus kommt und dort
errichtet worden, und im Kunsthandwerk wird noch
längst verbrannt. Zwar ist er äußerlich wieder
Göttin wach erhalten. Wir kennen aus der Apostelgeschichte die
die Erinnerung an die jungfräuliche
it des Apostels in Aufruhr
Erzählung von dem Silberschmied, welcher die Stadt gegen die Wirksamke
die Gassen erschallen läßt: „Groß ist die Artemis (oder Diana) der
bringt und den alten Ruf durch
Ephesier!“
der Jünger des Herrn,
Über Ephesus liegt. der Traum einer großen Vergangenheit, als Johannes,
Weisheit, die dort ge-
seine Wirksamkeit in diese Stadt verlegt*. Die Bilder der alten kosmischen
weiter. Trauer über die
pflegt werden, weben gleichsam noch in den Seelengründen der Menschen
erkunft mag die Ge-
versunkene Götterherrlichkeit und sehnsuchtsvolle Erwartung der Götterwied
Hintergrunde müssen wir die priesterlicke Wirksamkeit des
müter durchzogen haben. Auf diesem
Johannes sehen lernen. Die Überlieferung sagt, daß er bis gegen das Ende des ersten Jahrhunderts
den Menschen oftmals erscheinen,
in jener Stadt geweilt und dort seinen Tod erwartet habe. Es mochte
der uralten Mysterientempel
als erstehe mit seinem apostolischen Walten die Kraft und Herrlichkeit
seines Herrn gestanden,
unter ihnen in reinerer Gestalt wieder. Trug dieser, der unter dem Kreuze
nicht das Geheimnis der Todesüberwindung mit sich über die Erde dahin?
cht erstanden
Mochten die Göttertempel in Trümmer sinken: ihre edle Schönheit und ihr Weisheitsli
wandelten! Sie erbauten im
in Menschen neu, die als Zeugen der Auferstehung durch die Länder
n „Leuchter“ an. Sie
Geiste die heiligen Tempel wieder. Sie zündeten aufs neue die längst erloschene
strahlten ewige Ziele in Menschenh erzen hinein,
standen selber wie Leuchttürme im Zeitengewoge und
die im Dunkel der Erde nach einer Wegrichtung suchten...
die Christen-
Johannes, der Jünger des Auferstandenen, ist auf die Insel Patmos verbannt, während
des jungen Geisteslebe ns zu vernichten droht.
verfolgung unter Domitian (um das Jahr 95) die Blüte
der Gewalt der Cäsaren-
Da schaut Johannes von seiner Insel nach Asien hinüber; zitternd unter
ulturen der vergangene n Jahrtausende. Sieben
Edikte liegt Asia da, die Urmutter aller Weisheitsk
einstmals das Licht der Mysterientempel geleuchtet hatte und denen er die neue
Städte, in welchen
an dem Küstenstrich des
@Senbarung hatte bringen dürfen, liegen vor dem Blicke des Sehers dort
Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelph ia und Laodica.
k’einasiatischen Gebiets: Ephesus,
von Emil Bock in seinem
= Findrucksvoll ist dieses Wirken des alten „Priesters“, des Johannes in Ephesus
über das Urehristen tum dargestellt : „Gaesaren und Apostel“.
1=r erschienenen Buche
Sie leuchten! Für das Geistesauge eines Johannes strahlen solche Stätten weithin, weithin ihr
gnadevolles Geisteslicht über die Erde aus. Stätten, in welchen das wahre Wissen vom Ursprung und
Ziel der Menschheit gepflegt wird, machen gleichsam die Atmosphäre der Erde lichter und wärmer.
Gleicht nicht die Küste Asiens einem Opfertische, zu welchem sich einstmals noch in heiliger Vor-
zeit Götter herabneigen mochten? — Nun aber ist dieses Küstenland wiederum zum Altare geworden.
Über ihm erstrahlt ein siebenfältiges Licht, das von jenen sieben christlichen Gemeinden ausgeht.
Und mitten zwischen den sieben Leuchtern, da wandelt das Bildnis dessen, der zugleich der Menschen-
sobn und der Gottessohn ist; der da starb — aber den Tod überwand, um fortan in strahlender Geist-
gestalt mit der Erdenmenschheit weiterzuleben. Und Geistessicherheit zieht in die Seele des
Jüugers ein, da er solches schauen darf. Er weiß: die Geschicke der Erdenmenschheit ruhen in der
Hand dessen, der vom Tode erstand. Die Erde ist nicht ein Spielball dämonisch-blinder Gewalten. Ihr
heiliges Weltenziel ist verbürgt durch den, der in der Nacht des Abschieds zu den Seinen sprechen
konnte: „Ich habe die Welt überwunden.“
Von diesen Überwindungsgeheimnissen spricht die Apokalypse des Johannes; sie enthüllt, wie die
Ernte des Ewigen dem Untergang des vergänglichen Daseins entrungen wird.
*

Das Bild des Altars, zu dem wir uns hinwenden, um die Menschenweihehandlung zu feiern, kann
uns zum Gleichnis jenes Geistbildes von Patmos werden. Der Opfertisch; darüber die sieben Leuchter
sich entzündend; hinter ihnen aufsteigend das Bildnis des Gottes, der Menschengestalt angenommen —
das ist der Nachglanz der apokalyptischen Schau in schlichten Erdenabbildern. Durch diese Bildgestalten
können wir uns dem Geiste des Utchristentums johanneischer Prägung nahen. Das Licht, das sich im
Erdendunkel einst entzündete, als sich jene urchristlichen Gemeinden in opfernder Hingabe der
Herzen dem auferstandenen Christus verbanden, will sich immer aufs neue entfachen und wachsend
fortzeugen, wo Seelen sich zum Christusopfer um gereinigte Altäre versammeln. Denn jene sieben Ge-
meinden stellen das Urbild alles christlichen Gemeindelebens dar. Sie enthalten, dem Grundcharakter
nach, die Mannigfaltigkeit christlichen Strebens: in ihren Idealen und Tugenden, aber auch in ihren’
Abirrungsmöglichkeiten.
Von den Sendschreiben an diese sieben Gemeinden, die der greise Priester Johannes im Auftrage
des Christus selbst an die „Engel“ — d.h. an die geistige Lenkung der Gemeinden richtet, ist das
zweite in seiner Kürze und ermutigenden Sprachkraft stets als besonders eindrucksvoll empfunden
worden. Es enthält jenes Christuswort der Apokalypse, das vielleicht von allen Worten der Offen-
barung des Johannes am bekanntesten geworden ist: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die
Krone des Lebens geben.“
Gerade diese Gemeinde zu Smyrna ist uns aus der urchristlichen Überlieferung durch ihren
Märtyrergeist ruhmvoll bekannt geworden. Das heldenhafte Bekennertum ihres Bischofs Polykarp
spricht aus einem noch erhaltenen Briefe, den er an die Philipper gerichtet hat. Die Geschichte seines
Martyriums, dazu ein Lobpreis, den er vor seinem F euertode, nachdem man ihn „wie ein Brand-
opfer“ angebunden hatte, noch gesprochen haben soll, ist aufgezeichnet worden. Wir wissen von ihm,
daß er selbst noch den greisen Apostel Johannes kennengelernt und seine Unterweisung genossen hat.
Vielleicht war er bereits der Leiter der Gemeinde zu Smyrna, als jenes Sendschreiben des Apokalyp-
tikers an sie erging. Dann würde sich an seinem Leben und Sterben gerade erwiesen haben, wie die
apokalyptischen Weisheitsworte reiche Frucht trugen. Es ist wie ein Sinnbild, daß der Name „Poly-
karpos“ bedeutet: „der viele Frucht trägt“. Es scheint, als habe „der Engel der Gemeinde“ zu Smyrna
in ihm irdische Gestalt angenommen.
Nicht nur Gemeinden können geistig leuchten und ihr Licht in die Zeitenfinsternis hineinstrahlen
lassen, — auch einzelne Menschen vermögen Träger und Spender des Geisteslichts zu werden. Wenn
z.B. ein Mensch in seinem Geiste Gedanken zu bilden vermag, die nicht nur das Vergängliche er-
fassen, sondern über den Tod hinaus den Formenwandel, die Auferstehung der Gestalt zu begreifen
imstande sind — ja, wenn der Mensch in allem Dasein rings um ihn nicht nur das Gewordene und

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be-
deshalb Exstarrte erkennt, sondern die Werdemöglichkeiten, den Zukunftskeim zu verspüren
wird selbst eine aktive,
ginnt: dann leben in seinem Denken ideal-schaffende Kräfte. Das Denken
Geisteskraft. Es wirkt bereits hier schon mit an der Auferstehung alles Daseins!
zukunftbahnende
Ein Haupt, in dem solche Gedanken gedacht werden, die immerfort im Sinnendasein schon den
man
Tod überwinden, strahlt gewißlich schöpferisch-wirkendes Licht aus. Menschen, um deren Haupt
. In jenen Zeiten waren die
solche Ausstrahlungen wahrnahm, empfand man als geistige Kronenträger
hellseherischen Fähigkeiten noch nicht gar so selten. Man bemerkte noch hier und da, wie sich um
den Kopf einzelner Menschen solche lebendige Kronen woben. Es war ein heimliches Königtum, das
sich jenen Persönlichkeiten mitteilte, die vielleicht im schlichtesten Erdenkleide, aber mit der „Krone
des Lebens“ geschmückt, durch die Menge gingen; vielleicht nur von gauz Wenigen erkannt und geehrt.
als
Später pflegte man diese Krone (oder wie man auch übersetzen kann: diesen Kranz) des Lebens
Strahlenkranz um das Haupt der Apostel und Geisteszeuge n darzustellen. Der traditionelle „Heiligen-
schein“ ist innerhalb der religiösen Malerei noch ein Nachklang jenes früheren Erlebens. Doch spürt
man schon in der mittelalterlichen Kunst, daß immer seltener noch ein wirkliches Geistwahrnehmen
da
hinter solcher Darstellungsweise steht. Aber auch bei Menschen unserer Tage regt sich hier und
schon wieder der Sinn für solche intimeren Ausstrahlun gen des Menschenwes ens. Christian Morgen-
stern hat in seinem Buche „Einkehr“ den Vers veröffentlicht:

Jeder trägt, so fühlt ich schon als Knabe,


um sein Haupt ein unsichtbares Glänzen —

Hier ahnt der Blick des Knaben, der in jedem Menschen die höchsten Werdemöglichkeiten ehr-
Erden-
furchtsvoll erspürt, sie gleichsam gläubig voraussichtet, das heimliche Königtum, zu dem alle
sind. Es ist ein verhaltener Glanz, der nur bei einzelnen schon zur vollen Ent-
brüder vorbestimmt
bindung und Ausstrahlung auf Erden kommt. nn
Und diese lebendige Krone nimmt die menschliche Seele mit, wern sie durch den Tod der irdisch-
vergänglichen Form gehen muß. Sie tritt als Lichtiräger in das andere Reich ein, wenn sie die Treue
nach
zum ‘Geiste bis in den Tod hinein besiegelt hat. Deshalb fährt das apokalyptische Sendschreiben
jenem Worte fort: „Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer überwindet,
dem soll kein Leid geschehen von dem anderen Tode.“ Diese Verheißung wird also mit der heim-
des
lichen Krone verbunden. Der „andereTod“, der die Menschenseele bedroht, wenn sie sich dem Tode
geworden sind.
Leibes entrungen ‚hat, soll keine Macht haben über jene, die der Lichtkrone teilhaftig
Die Vorstellung von der Macht des „zweiten Todes‘ ist eine der grundlegenden Anschauungen des
Urchristentums. Die ganze antike Welt war um die Zeitenwende herum von der Stimmung ergriffen,
be-
daß das Dasein nach dem Tode eine tiefe Verdunkelung für das Bewußtsein des Seelenwesens
Frage; sondern wie sie
deute. Nicht, ob die Seele überhaupt fortlebe, war für die damalige Zeit die
könne. — Wie finde ich das
dem Dunkel des „Hades“ (germanisch gesprochen: der „Hel“) entrinnen
man die bange
Geisteslicht, das mir in der Finsternis des Seelendaseins leuchten kann? so empfand
die christliche Ver-
Frage, die sich mit dem Rätsel des Todes verknüpfte. Und darin bestand gerade
kündigung: Christus, der Herr des Lebens, ist selbst in das „Reich der Schatten“, in die Todestiefen
binabgestiegen, um die Macht des Todes für das Fortleben der Seele zu brechen. Den „ersten“ Tod

— welcher der Tod des Leibes’ist — muß jeder Mensch als sein Erdenschicksal durchleiden. Der
Christus hat ilin selber auf sich genommen; er hat ihn am Kreuze auf Golgatha bejaht. Den „anderen“
Tod — der auch noch die Seele des Menschen ergreifen und verfinstern möchte — hat er über-
wunden. Alle aber, die um die „Krone des Lebens“ auf Erden gerungen haben, werden als Leuch-
eintreten. Sie werden zugleich als Lichtkämpfer, als Lichtspeuder unter
tende in die Todeswelten
Schatten-
denen erscheinen, die noch als Tote vom Dunkel umfangen sind und der Erleuchtung im
reiche bedürfen. \
n er-
Das Sendschreiben an die Gemeinde zu Smyrna möchte eine solche Schar von Todbesieger
einschaft, die sich schon hier während des Erdenlebens
wecken. Es wendet sich an eine Menschengem
wird ge-
für eine todüberdauernde Aufgabe vorbereitet. Eine heroische Erziehung zur Geistestreue

260
fordert, um aus solchen Seelen eine Gemeinschaft von Lichtboten für das Totenreich heranzubilden.
Sie werden in einem besonderen Sinne: Helfer der Auferstehung.
Damit rühren wir an einen der großen Geistesimpulse des Christentums,
wie er sich in der einen
jener urchristlich-johanneischen Gemeinden zu spiegeln vermochte. Wir
finden ihn später in charak-
teristischen Geistesbewegungen und heroischen Geisteskämpfern wieder. Zum
Beispiel trägt das
Manichäertum (in seiner echten Gestalt) noch viel von diesem Geiste in sich.
In unserer Zeit hat ein Dichter, der durch sein Leben für den Geist und durch sein christ-erfülltes
Sterben diesen heldischen Zug des Christentums darzustellen versuchte, in einigen
Strophen aus seiner
letzten Lebenszeit jenes Ringen um die Lichtkrone, um den „Kranz des Lebens“
auszusprechen ver-
mocht. Es ist der gleiche, den wir schon nannten: Christian Mor genster
n. Es scheint, als wolle
der Geist des Urchristentums in seinen Worten auferstehen; als wolle der Geist von „Smyrna“
sprechen:
„aß den Helden in deiner Seele nicht sterben!“ Alle andern Kränze bleiben zurücke,
Welkst du hin wie die Blume, der Baum im Herbst, — schwinden hin wie die Glieder, die sie bedecken...
höre nimmer doch auf, um den Kranz zu werben! Dieser bleibt dir allein auf der großen Brücke —

hält dir droben die Geisterstirn noch umschlossen:


und dereinst, wenn du wieder hinabgestiegen,
wirst du geh’n, wie von heiligem Schein umflossen.

KMB
Die Heiligen Drei Könige und die Runenweisheit
ErwinSchühle

An den Weihnachtsaltären der Christengemeinschaft stehen die Worte der Verkündigung an die
Hirten: Geoffenbart sei Gott in den Höhen und Frieden auf Erden den Menschen, die eines guten
Willens sind. Darüber leuchten in goldenen Lettern die Initialen der Heiligen Drei Könige: KMB —
Kaspar Melchior Balthasar. Weisheit der Könige und Herzensinnigkeit der Hirten haben das Kind
in der Krippe gefunden. Erkenntnislicht und Seelenwärme vereinen sich im Weihnachtsgeschehen.
Was wäre der Mensch ohne die starken Gefühle des Herzens, was ohne die königliche Kraft des
Denkens! In Menschenseelen die Liebe des Herzens und das Licht des Denkens zu wecken und zu
vermählen, das ist das hohe Ziel des Christentums.
Das traditionelle Christentum steht in der Gegenwart weithin in Verteidigungsstellung gegen die
Anstürme einer Zeit, welche die Pforten vorchristlicher Weisheit geöffnet hat. Die ganze Tragik ent-
hüllt sich in der schmerzlichen Einsicht, daß der Weisheitsurquell des Christentums nicht mehr ge-
sehen wird. Es wird nicht die Brücke zwischen vorchristlicher Weisheit und christlicher Wahrheit
gefunden. Das Evangelienwort bleibt unverstanden: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen
bin,
das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“
Nicht allein das Gesetz und die Propheten: auch Sehnsucht und Prophetie der anderen Völker. Das
Christentum ist die Erfüllung. Die Weisen aus dem Morgenland sprechen es aus. Sie ziehen zur
Krippe. Dort finden sie erfüllt, was Mythologien und Kulte ihrer Länder verkündigten.
Bis in unser Jahrhundert herein sprechen Volksbräuche von der Verschmelzung vorchristlich
er und
christlicher Weisheit. So das KMB, das sich auf alte Sitten gründet. In vielen Gegenden werden jetzt
noch in der Weihnachtszeit über den Türen und Toren auf das Gebälk die drei Königsinitialen ge-
schrieben. Sie werden als Zeichen des Segens für Mensch, Tier und Früchte der Felder empfunden.
Vieles deutet darauf hin, daß es sich hierbei um einen uralten, schon in vorchristlichen Zeiten
geübten
Brauch handelt. Die christliche Sitte hat ihm einen neuen Sinn gegeben. Wir wagen den Versuch,
seinen vorchxistlichen Ursprung aufzusuchen.

261
Es gibt einen altuordischen Spruch, mit dem die Sommerzeit abgeschlossen und die Winterzeit be-
gonnen wurde. Der Spruch von Atlakvida, der lautet: \

bei der südlich geseukten Sonne und Sigtyrs Berg,


bei dem Roß des Ruhebettes und dem Ringe Ulls.

Dieser magische Spruch ist zugleich, wie Hermann Wirth schildert, die Formel des Runenkalenders,
mit welcher der Winter anhebt. In beiden Runenreihen, der kurzen altnordischen mit den 16 Zeichen
und der langen germanischen mit den zweimal 12 Zeichen ist sie enthalten. Zur Zeit der Winter-
sonnenwende naht sich der Sonnenauf- und -untergangspunkt dem Süden. Die Sonne selber senkt
ihren Sonnenlaufbogen dem Südhorizonte zu. Mit heiligen Empfindungen müssen die Seelen der
nordischen Völker in der Mittwinterzeit, in der Zeit der modranecht, der Mutternacht, nach Süden
und Südosten zum Sonnenaufgangspunkte geschaut haben. Seltsamerweise sahen sie dabei in die
Weltrichtungen hin, in denen in Wirklichkeit dann die Christgeburt sich vollzog. Vielleicht schlum-
mert hier noch manch tiefes, in geographische Rätsel hineinführendes Geheimnis und wartet auf
seine Entdeckung. In der frühchristlichen Zeit war das Bild der südlich gesenkten Sonne noch ein
viel gebrauchtes Predigtmotiv. Es war das Symbol für Christus, den sonnenhaften Gottessohn, der
sich auf die Erde senkte und doch im Himmel blieb.
In der Mitte des Winterspruches, im Einklang mit den beiden Runenreihen, tritt uns die Rune B
entgegen. Ursprünglich stand sie an der Wintersonnwendstelle des Runenkalenders. Sie ist die Rune
für den Laut b. Auch Berg-Rune wird sie genannt. Das Mysterium der Geburt ist mit ihr verbunden.
Bergrunen zu schneiden, rät die Edda, bei der Geburt eines Kindes. In der Mitternachtsstunde des
Jahres wollen sich Geistgeburten vollziehen. Im Seeleninnern der Menschen und im Innern der Erde.
Die Lebenskräfte der Erde haben sich mit der sinkenden Sonne des Jahres nach innen gezogen. Was
im Frühjahr und Sommer nach außen drang und die ganzen Schöpfungswunder in der Fülle des
Lebens erzeugte, lebt im Winter im Innern der Erde. In den Externsteinen wurden die Winterkulte im
Inneren der Felsenberge vollzogen. Im Sommer auf den Felsenhöhen. Die Erde selbst ist zum heiligen
Berge geworden, der zur Winterszeit die Schöpferkräfte des kosmischen Lebens als Geistkeime birgt.
Die winterliche Erde ist wie ein mächtiger Ruf, die Innenseite des Daseins zu suchen. Ins Innere der
Natur zu dringen. Den Geist in der Natur zu suchen und zu entbinden, ist das hohe königliche Ziel
des Menschen. Darinnen findet er das Königtum der menschlichen Erkenntnis und des heilig mensch-
lichen Tuns. Damit mag es zusammenhängen, daß man in alten Zeiten die Könige im Inneren der
Berge suchte. Man fühlte sie verbunden mit den Geistgeheimnissen der Erde. Wer das Geistige der
Erde zu erkennen und zu entbinden sucht, darf sich eins wissen mit dem echten Königtum, dem
Sinn
Repräsentanten der edelsten Ziele des Volkes. Das gehört mit hinzu zu dem recht verstandenen
der Sage von Barbarossa im Kyffhäuser, von dem schlafenden Kaiser im Wolsberg bei Siegburg, von
den aliteu Königen Schwedens im Berg Valholl.
in ganz
Der Rune B folgt im Winterspruch und in der langen Runenreihe die Rune M. Ursprünglich,
Die Rune des leuchtenden
frühen Zeiten, war sie das Zeichen des Lautes m. Sie ist die Wasserrune.
Licht der Lande einzog. Zugleich ist sie die Roß-Rune. Es ist bekannt, daß in der
Sees, in den das
Noch heute werden in manchen
Zeit der Wintersonnenwende feierliche Pferdeopfer vollzogen wurden.
(„am Pferdesteffen“), halb
Gegenden der Schweiz am zweiten Weihnachtsfeiertag, dem Stephanstag
geübt. Die ganze ger-
rituelle, auf Pferdeopfer hindeutende, halb heilkundige Pferdegebräuche
anschließen. Das Pferd wurde in
manische Kultur ist durchzogen mit Riten, die sich an heilige Rosse
langgestreckten, stark
Kultzusammenhängen als heiliges Sinnbild erlebt. In den Pferden mit ihren
Ausdruck für die mensch-
geformten Stirnen empfand man innerhalb der Tierwelt den bildhaften
Sage vom trojanischen Pferde, die Bilder der Offen-
liche Denkkraft. Darauf deutet die griechische
andere Pferdemotive hin. Ein
barung des Johannes von den apokalyptischen Reitern und viele
in den Gedanken lebt. Kalt und nüchtern
feineres Empfinden weiß, wie der Mensch im Winter mehr
Menschen, der sich in dieser Jahreszeit
ist die Natur in ihrer Erstorbenheit geworden. Ein Bild des
droht ihm dabei die Gefahr, allzu ver-
in der kühlen, nüchternen Region seines Hauptes erlebt. Es

262.
ständig zu werden und der Unrast und
Nervosität sich jagender Gedanken zu verfallen. Lernt aber
der Mensch, sein Denken göttlichen Geistinhalten in betender Opfergebärde
die Gedankenkraft. Sie wird zu einem hinzugeben, so erstarkt
Ruhequell für den Menschen. Königliche
ergießt sich in die Seele. Die weisen Ruhe und Sicherheit
Könige brachten dem Kind ihre Opfer
Opfer führt letzten Endes ins Chaos gaben dar. Weisheit ohne
. Aus dem Opfer geborene Weish
strömenden Quellen des Geistlichtes. eit geleitet zu den ruhig
Zu dem leuchtenden See, in dem das
Der M-Rune schließt sich endlich in Licht der Lande lebt.
den Runenreihen die Mensch-Rune
kann nach den Forschungen Wirths als Pf oder Y an. Statt ihrer
gebräuchliche Wechselform auch die Ka-R
Rune F ist wohl die Urform für das une F stehen. (Die
spätere Schriftzeichen F.) Es gibt in
in denen dargestellt ist, wie aus dem Norw egen Felszeichnungen,
Haupt Gottes oder des Menschen Y
der Ka-Rune steigt. Darin ist das der Sonnenjahrkreis mit
wunderbare Motiy ausgesprochen:
Der Mensch, der Ka geht zur Winterso „Gott schafft durch Denken“,
nnenwende aus dem Haupt Gottes,
hervor. Das Wissen um dem Denken der Gottheit
das Denken Gottes, um die Weltordnung ist
des Menschen. die größte Kraft und Stärke
„Denkrunen brauche, willst du stärkerer Sinnesart sein
spricht die Walküre Sigdrifa — als ein anderer Mann“ —
Brynbild zu Sigurd. Die Ka-Rune, die schon in Ägypten
Rolle spielte als Hieroglyphe der Lebenskraft
eine große
des Menschen auch jenseits
des Todes, führt in einem
angelsächsischen Runenlied den Name
n Kien, d.i. Fackel, Leuchter. „Jed
Feuer kund.“ Eint sich das Denken des em Lebenden ist sie im
Menschen mit dem Denken der Gotth
Feuer der starken Kraft lebendigen Denk eit, so wacht in ihm das
ens auf. Das menschliche Denken wird
lichen Lichte leuchtende zu einer im gött-
n Fackel, die das Weltdunkel erhellt. Im Denken ersteht die Kraft
königlich starken Geistführertums. eines
Die drei Runen BMK. künden von
dem Weg des Menschen, der mit dem
lebendig verbunden sich in der opfer Geist der Natur noch
nd-betenden Hingabe seiner Gedanken
liche übt. Darin findet er kräf te an das Gött-
Stärke, Leben und Licht der Gedanken.
Es kam die große Wendenacht, die
Zeit der Weltenwende. Die drei Runenzei
chen wenden sich um und werden zum chris
Das lebendige Denken ist sich im Christentu tlichen K M B,
m seiner Ziele bewußt. Es ergreift sich selber
mysterium und findet von neuem den Zugan im Opfer-
g zu dem Geistgeheimnis der Erde. Natur
Mensch und Welt, Erde
und Geist,
und Himmel vereinen sich wieder in echtem christlichem Weisheitsstreben.
Ein angelsächsisches Runenkästchen, gefunden zu Auzon, bildet eine vielsagende Szene ab. Auf
der einen Seite ist aus der germanischen
Mythologie Wieland der Schmied dargestellt, rechts daneben
die Heiligen Drei Könige, die das Kind anbeten.
Rinssum am Rande stehen Runen. Neben dem
der wie ein Sonnenrad gebildet ist, schwebt Stern,
ein Runentäfelchen zu Häupten der Könige.
Runenweisheit klingt zusammen mit der Weish Die alte
eit der Könige. Sie findet ihre Erfüllung
Mysterium des Kindes, das in der Weltweihen in dem
acht geboren ist. Dort suchen die Könige opfer
anbetend den Lichtquell nd und
neuer Weisheit. —

Gesicht
Hanns Schmitz
Da dein Gesicht
und keinem Geheimnis verschwistert
im Spiegel der abendlichen Sonne von irdischer Art und Bedingnis.
sanft wie ein Waldbach
‚Geformt aus den Kräften des Himmels,
dahinfließt
beseelt durch das Wesen der Liebe,
und im letzten Strahl des Lichts
erweist sich’s lebendig vor mir.
aus aller Festigung heraustritt,
Ich neige in Demut mein Herz
springt für die Kürze einer Sekunde
und künde — wissender nun —,
ein andres Bild mich an, aus deinem Bild mir erschlossen,
Gesicht von unendlicher Klarheit,
den Willen der ewigen Götter.
dem Leuchten entnommen

263
voller Weise auch heute noch als hoher kirchlicher Feier- ber, dem zweiten Feiertag, sein Martyrium erlitt. Der
tag in Ehren gehalten wird. In der dunklen Morgen- Knecht Staffan aber kat zu tun wit einer uralten Volks-
frühe gehen an diesem Morgen vielerorten die „Stern- sitte, nach der die Knechte an diesem Morgen in der
knaben“ um. Sie sind gekleidet in weiße Gewänder und Dunkelheit ihre Pferde an einer Quelle tränken sollten,
Mützen und tragen vor sich eine Leuchte aus Papier die nach Norden rinnt. Es liegt eine eigentümliche Ver-
in Gestalt eines großen Sternes. Es ist der Stern, der bundenheit mit den elementarischen Kräften der Erde
den drei Weisen auf ihrer Wanderung voranleuchtete. in diesem Brauche, die Pferde, die das dynamische
Dazu singen sie eine alte Weise, die „Staffanvisa“. Sie Element im Leben des nordischen Bauern verkörpern,
handelt von dem Knechte Staffan, der in der winter- die Tiere, mit denen er pflügt und fährt und reitet, in
lichen Morgenfrühe seine Foblen zur Tränke führt, dieser Morgenfrühe nach der Wende aus dem erneuerten
während am Himmel noch die Sterne funkeln. Diese Wasser der Erdentiefe zu tränken. — Der Trettondag
Weise gehört freilich ursprünglich einem andern Tage beschließt den Reigen und bildet zugleich den Auftakt zu
zu, dem Tage des heiligen Stephanus, der am 26. Dezem- etwas Neuem: der Alltag des neuen Jahres hat begonnen.

Die Zeit im Buch


Sehnsucht aus dem Protestantismus heraus
die Wichtigkeit von Kultus und Sakrament erkannt. Das
Abseits der Kirchenkämpfe und der konfessionellen persönliche Trost- oder Feierwort versagte gegenüber
Sprechweise erhebt sich die Stimme eines evangelischen den letztlich ernsten Situationen in der Seelsorge. „Wir
Pfarrers, der als ehemaliger Kriegsteilnehmer und wollen nicht Plappern wie die Heiden“, sagte ein
moderner Mensch durch große innere Widerstände seinen sterbender Bauer zu gutgemeinten Trostworten. Das ge-
Weg zum Christentum gefunden hat und aus dem bis- prägte, liturgische Wort und die kultische Tat dagegen
herigen Kirchentum zu einer neuen „urchristlichen‘ Ge- (die er in evangelischer Form handhabte) wirkten und
stalt der Religion führen will. In menschlich ansprechen- erlösten. —
den „Briefen an einen jungen Freund“ (der das Chri- Wir führen aus dem Büchlein noch einige bezeich-
stentum glaubt verlassen zu müssen) schildert Paul nende Stellen an:
Schütz, „Warum ich noch ein Christ bin“ (Verlag Hans „Die ganze Ungläubigkeit unserer Theologie kommt
von Hugo und Schlotheim, Berlin 1937). Es ist ein per- hier zutage. Nämlich darin, daß sie nur vom Geist und
sönlicher Weg, aus dem Leben und Beruf eines Land- vom Wort redet, die an sich nichts sind, als der Schein-
pfarrers heraus, nicht von der Wissenschaft her. Das leib Gottes. Wo doch das Evangelium darin besteht: daß
Sterben einzeluer alter Bauern hat ihn zunächst von die Grenze überschritten und das Wort Fleisch ward...
der Wirklichkeit einer höheren Christuswelt überzeugt. Das charismatische Leben ist nicht der Geist, der bei
Er nahm wahr, wie da „im dunklen Fleische“, sich selbst heilig ist, sondern der ausgegossene
mitten in
Schmerz und Not ein Seelenlicht aufleuchtete, das nicht Geist.“ \
aus Geist und Wesen der Sterbenden allein stammte. „Wie scheinen alle Organe in uns erstorben zu sein,
Ein neues, übergreifendes Bewußtsein brach sich Bahn um solchen Wundern nachzuspüren... Wo in solchem
— von oben, nicht von unten aus menschlichem Geist Geschlecht wieder das Ahnen erwacht und sich gar zum
entflammt. Schütz nennt das Erfülltsein der Menschen- Sehnen erhebt, da hat der creator spiritus sein Schöpfer-
seele mit dem Christuslichtt — um heute abgegriffene werk an uns Krüppeln schon wieder begonnen.“
Ausdrücke zu vermeiden — das „Charisma“. Der „Ja, wir können uns für Gott entscheiden... Zuuns
charismatische, der be-gnadete Mensch allein ist für ihn kommenabermußerselbst. Diesem Kommen-
Zeuge der Gegenwart Christi und der Wirklichkeit des den aber gegenüber heißt es heute, im Tor die Wache
Christentums. Das Charisma ist unabhängig von Bildung zu’beziehen. Darum gibt Christus im Evangelium immer
und Intellekt des Menschen. Doch ergreift es ihn nicht und immer wieder den Befehl: Wachet! Seid auf der
ohne sein persönliches Zutun. Er muß vielmehr seine Huil...“
Persönlichkeit ausbilden und auch den andern zum Eigen- „Hier erschließt sich wieder der ursprüngliche Sinn
wesen helfen. „Denn wie in Christus, so wird Gott der Bergpredigt. Sie ist nicht eine neue Übermoral, die
immer nur in der Person offenbar. Wenn wir einander den Menschen in unauflösbare Konflikte hineinstürzt.
aber nicht mehr als Personen“ (sondern nur als moderne Sie ist die Beschreibung des charismatischen Lebens des
Massenmenschen) „sehen, so fehlt Gott sozusagen der Christen. Denken Sie daran, wie sie beginnt mit der
Leib, an dem er Gestalt für uns wird. Wir entziehen Preisung des Bettlers um den Heiligen Geist!“ (Über
dem ewigen Wort heute das Fleisch.“ diese Seite der Bergpredigt hat Emil Bock in seinen
Ebenfalls durch Leben und Sterben seiner noch aus „Beiträgen zum Verständnis des Evangeliums“ an Rudolf
den Kräften der Natur lebenden Bauern hat Paul Schütz Steiners Deutung anknüpfend ausführlich geschrieben.)

275
N
Die Erde kıt da: Charisma der Keimung emp- Recht Thylmanns geistige Deutung des Krieges an den
fmmgem ...” „Sehen Sie, das ist unser christlicher Glau- Anfang. Da neigt sich das Antlitz eines Verblichenen
ben, daß der Anbruch da ist. Daß Gott selbst, Gott leib- über die Schulter des Kämpfenden: Auge und Mund des
lich, geschichtlich, faktisch in dem Manne Christüs diese Gefallenen sind geschlossen. Aber im Auge des Kämpfen-
Erde berührt habe, und daß es nun da kein Aufhalten den flammt sein Feuer auf, sein Atem reißt den
mehr gebe, daß sie mit unwiderstehlicher Gewalt in die Kämpfer zu todesmutiger Tat. Darunter der Spruch:
große Verwandlung hineingerissen wird.“ „Wir verlieren keinen Streiter — unsere Toten helfen
Heute fangen wir an, „mit neuer Inbrunst wieder auf weiter.“
das zu schauen, was vor dem Protestantisch- oder Oder ein anderer Holzschnitt: „Verwundeter“. Auf
Katholischsein lag. Man kann auch sagen, was nach ihm gleichgiltigem „Bürger“-Steige wandelt eine gebückte
kommt“. Gestalt. Auf den Krückstock gestützt, setzt sie langsam
Schütz erkennt, „daß das Charisma Kraft der Gemein- Schritt vor Schritt, aber welch ein Vorwurf ist sie für
schaftschöpfung ist“. „Schon das ist ein Akt erster Ge- alle bürgerliche Gemächlichkeit!
meinschaftsstiftung, jenes Aufleuchten des Christus- „Michael“: „Man sieht auf diesem Bilde eine Hügel-
antlitzes, in dem der eine der Erglänzende und der landschaft mit Soldatengräbern. Über den Gräbern
andre der Erkennende ist. Der aber einmal vom Strahl breitet sich eine Wolke aus. Über der Wolke in formen-
Berührte bleibt nicht mehr, der er war... Wie auch dem und hellstrahlendem Lichte steht Michael. Er hat
dieser Erdstern nicht mehr derselbe ist, einmal leiblich nicht den Drachen unter sich, dessen Darstellung oft
vom Gotte berührt, sei er auch immer wie er wolle.“ die Majestät seiner Gestalt gefährdet hat, sonderu nur
Wie wir in dieser Zeitschrift im Jahre 1929 einmal die Wolke und das Gräberfeld. In der einen Hand hält
berichteten, war Lie. Dr. Schütz Mitherausgeber der Zeit- er ein Schwert, in der anderen einen Friedenszweig,
schrift „Orient und Oceident“ . Seine Beziehung zum öst- beide sehr ruhig, nach oben. Michael kämpft hier mit
lichen Christentum und der Berdjajewschen Religions- keiner Waffe, sondern allein mit dem Blick. Seiner Ge-
philosophie macht seine vom bisherigen Protestantismus stalt ist abzuspüren, daß der Künstler über den Gräbern
weit abführenden Erkenntnisse verständlich. die Auferstehung, über dem Dunkel das Licht, über dem
Zugleich begegnen uns hier (indirekt oder auch direkt) Weseulosen das Wesen, über dem Haß die Liebe, über
Einsichten aus der Geisteswissenschaft, wie sie (unter dem Ungeist den Geist waltend erfahren hat.“
anderen) die Begründung der Christengemeinschaft er- In einem zweiten Abschnitt zieht das kurze, in seinem
möglicht haben und seitdem in ihrem vollen organischen Abschluß so gedrängte Leben Karl Thylmanns an uns
Zusammenhang, nicht nur als Ahnungen und Wünsche, vorüber. Menschlich besonders schön, gerade in ihrer
unter uns leben — wenn auch von andern Ausgangs- Zurückhaltung, ist die Schilderung seiner Schicksalsver-
punkten her und in andre Worte gefaßt. Die Christen- bundenheit mit seiner Frau. „Mit dgm Augenblick, da
gemeinschaft ist ja ihrerseits gerade entstanden aus dem die Beziehung zu seiner Frau für Karl Thylmann wesent-
„mit neuer Inbrunst auf dasjenige schauen, was nach lich wird, setzt der eigentliche Aufschwung seines Geistes
dem Protestantisch- und Katholischsein kommt“. Nur ein. Und nun beschreibt er eine unerhört großartige
einige Stichworte: „Inwärtige“ (wie Schütz sagt) Er- Linie, zusammengedrängt in die wenigen Jahre bis zu
neuerung; das menschliche Ich als Träger eines höheren seinem frühen Tode und offensichtlich auf dieser seiner
Ich; Sinn und Notwendigkeit des Kultus; Überwindung fast gefährlich kühnen Bahn getragen und gehalten von
des Konfessionellen; Christus der Kommende... seiner Lebensgefährtin.“
Kurt von Wistinghausen Der dritte und längste Absatz ist dann der Deutung
des künstlerischen Entwickelungsweges gewidmet. Dr.
Karl Thylmann Bernhard Martin prägt dafür den treffeuden Satz:
„Hatte er sich zuerst aus der Welt des Traumes in die
Karl Thylmann: Mensch und Werk. Heraus- Welt der äußeren Wirklichkeit zu kämpfen, so kämpfte
gegeben und eingeleitet von Bernhard Martin. er sich im Fortgange aus der Welt der äußeren in die
(Bärenreiter-Verlag Kassel-Wilhelmshöhe) Welt der geistigen Wirklichkeit hinein.“ Diese aber, so
Wetterleuchten aus Schicksal-tragen- können wir sagen, zuckt lichtvoll aus jeder Kerbe seines
der Zeit, so könnte man auch das Lebenswerk Karl Holzschnitzmessers, und das weiche Holz wird zum Aus-
Thylmanns nennen. Denn es ist hervorgebrochen, sieg- druck eisenhaften Willens.
haft, aus dem ganzmenschlichen Ringen mit dem Schick- Eine Handschriftprobe, die kleine Auswahl aus Karl
sal von 1914. Und es redet eine eherne Sprache. Ver- Thylmanns Briefen und die reiche Bildbeigabe (darunter
kündigung ist sein innerstes Wesen. Es legt Zeugnis auch einige bisher wenig bekannte Abbildungen) machen
davon ab, daß der deutsche Geist doch sieghaft ge- das vorliegende Buch zu einer dankenswerten Gesamt-
blieben ist trotz äußeren Unterliegens. darstellung vom Leben und Werk des Frühvollendeten.
Der einführende Text von Bernhard Martin stellt mit Hermann von Skerst

276
Fragen und Antworten
Warum haben Sie Ihre Erneuerungs- bei diesem Entgegenkommen seinerseits müsse ich ihm
kräfte der evangelischen Kirche ent- ehrlich sagen, selbst wenn man seinen Vorschlag ernstlich
zogen und Ihr Erneuerungswerk nicht erwägen wolle, so würden in kurzer Zeit diese Pfarrer
innerhalb der evangelischen Kirche den alten Gottesdienst gar nicht mehr halten können,
selbstdurchgeführt? weil er ihnen kultisch unmöglich würde, und sie würden
Keine Frage ist öfter an uns gestellt worden. Aber mit
, uns eine viele stärkere Verbindung haben als mit
in der evangelischen Kirche hätten wir schon darum ihrem Kirchenregiment. Nachdenklich ging er fort.
nicht beginnen können, weil im Urpriesterkreis Prote- Heute wird übrigens die Frage schon viel, viel seltener
Stanten und Katholiken sich zusammengefunden hatten. gestellt als vor Jahren. Die Tatsachen haben für uns
Hätten die Katholiken erst evangelisch werden und sich gesprochen.
auf die Bekenntnisschriften verpflichten sollen? Hätten
wir das überkonfessionelle Wesen unsrer Gemeinschaft, Haben Sie Anschluß an die Succession?
das in den Anfangstatsachen unsrer Bewegung bereits Wenn Sie diesen Anschluß nicht haben:
so glücklich gegeben war, erst künstlich wieder ab- woraufgründen Sie Ihr Recht, das MeB-
schaffen sollen? opfer zu halten?
Doch abgesehen davon: ‚wie viele unsrer Mitarbeiter, Diese Frage ist ebenso die typisch-katholische Frage
selbst soweit sie aus dem Protestantismus kamen, hätten wie die vorangehende Frage die typisch-protestantische
sich auf die Bekenntnisschriften verpflichten können Frage ist. Darauf antworten wir: Es ist heute nicht
oder wollen? Aus den alten Kirchen wollten sie ja schwer, den Anschluß an die Succession zu erhalten.
gerade heraus. Sie hatten an ihnen die große Ent- Melanchthon hat sich seinerzeit auf dem Augsburger
täuschung erlebt, und nur durch Unehrlichkeit hätten Reichstag 1530 vergeblich bemüht, einen Bischof zu
sie sich ihnen verbinden können. finden, der einem evangelischen Bischof das Weiherecht
Aber selbst wenn sie es getan hätten: wie wäre es ge- übertragen hätte. In unseren Tagen aber hat sowohl die
sangen? Von Pfarrkonferenz zu Pfarrkonferenz wären liberal-katholische Kirche Leadbeaters wie die Hoch-
sie geschleppt worden, wären in Vorträgen und Bro- kirche Heilers ohne allzu große Schwierigkeit den An-
schüren zergliedert und zerfasert worden, hätten statt schluß an den Successionsstrom gefunden.
nach vorwärts immer nach rückwärts kämpfen. müssen, Wir haben diesen Weg von Anfang : an mit vollem
gegen die alten Menschen, gegen die alten An- Bewußtsein abgelehnt.
schauungen, gegen die alten Gewohnheiten. Und zu Für uns wäre es eine Unehrlichkeit gewesen, uns das
einer entschlossenen Erprobung unserer Erneuerungs- Recht von irgendwelcher katholischer Seite geben zu
kräfte wäre es gar nicht gekommen. lassen für etwas, was doch über den Katholizismus
Vor allem die Menschenweihehandlung: hätte sie den hinausführen sollte.
Martergang durch die Gutachten der Konsistorien und Aber nicht nur unehrlich wäre es uns erschienen, auch
Synoden antreten sollen, ehe sie überhaupt ins Leben unzeitgemäß. Heute ist das Ich der Menschen im Begriff,
trat? Davor mußten wir sie gerade bewahren. Nie hätten sich so frei und stark zu fühlen, daß es der Stütze durch
Menschen erfahren, was man an der Menschenweihe- die Vergangenheit, das heißt: durch die Tradition und
handlung haben kann, wenn die evangelischen Kirchen- Autorität weniger und weniger bedarf. Das Ich der
regierungen eingeschaltet gewesen wären. Jetzt aber ist eigentlichen Gegenwartsmenschen erlebt die Größe der
doch einstweilen ein Kern von Menschen da, der bereit Menschenweihehandlung und ihren Segen nicht, weil sie
ist, für die Menschenweihehandlung alles zu opfern. im Zusammenhang mit irgendwelcher Geschichte steht,
Auf die zahlreichen Fragen habe ich mich schließlich sondern es fühlt den Zusammenhang mit der Geschichte,
gewöhnt zu antworten: Nennt mir irgendeine Kixche, in weil es die Größe und den Segen der Menschenweihe-
der wir völlig unbehelligt die Menschenweihehandlung handlung selbst erlebt. Darum sehen wir geradezu eine
auf unsre Art feiern können, dann wollen wir weiter- Schwäche des eigenen Zusammenhangs mit der göttlichen
reden! Damit war regelmäßig das Gespräch zu Ende. Welt überall dort, wo das Argument der Succession
Einmal, in den Anfangsjahren, besuchte mich der heute noch stärkeren Eindruck macht. Das gilt auch,
Vizepräsident einer Landeskirche und erzählte mir, er wenu die Kirchen, die schwedische Kirche, die englische
habe mehrere Pfarrer in seiner Kirche, die gern bei uns Kirche, die orientalischen Kirchen über die Successions-
mittäten. Er würde ihnen von sich aus freistellen, die frage in Diskussionen eintreten.
Menschenweihehandlung innerhalb der evangelischen Selbst für unser eigenes Priesterbewußtsein wäre es
Kirche völlig nach unsrer Art zu halten, wenn sie für in keiner Weise eine Bekräftigung gewesen, wenn wir
die andern Gemeindeglieder auch den evangelischen wüßten: der Successionsstrom geht auch durch uns hin-
Gottesdienst weiterhielten. Ich erwiderte ihm damals, durch. Unser eigenes priesterliches Selbstgefühl können

277
wir im Grund nur darauf gründen, daß wir selbst die „Aber Sie nehmen doch auch Ihre Priester auf in
Christusnähe erfahren und den Christusauftrag empfangen einen neuen Weihestrom!“ Gewiß, nur bedeutet der
haben. Wäre dies nicht der Fall, so würde uns aller Zu- Empfang unsrer Weihe nicht den Zusammenhang
sammenhang mit der Successionskette nicht beruhigen. mit einer äußerlichen Tradition, auch nicht das persönliche
Ja, man kann noch mehr sagen: die katholische An- Vertrauen zu den Erlebnissen der Begründer, sondern
schauung von der Succession entspricht einem Zeitalter, das Bekenntnis zur Menschenweihehandlung selbst, zu
das vor allem auf den Erdenwandel des Jesus Christus ihrer Weihewelt, ihrem Lebensstrom und Heilwillen, in
zu schauen hatte, das durch das Irdische und sinnlich den man lebendig eingefügt wird, durch freiwilligen An-
Wahrnehmbare hindurch Christus finden sollte. Je mehr schluß an seine geschichtlichen Träger.
eine Zeit heraufkommt, für die das unmittelbare Nahe- Daß der Zusammenhang mit der Geschichte und der
sein Christi eine Wirklichkeit ist, eine lebendige Gegen- Erdentat Christi in voller Lebendigkeit erhalten bleibt,
wart, ja die lebendigste Gegenwart, um so mehr wird ja erst wieder recht lebendig wird, dafür sorgt gerade
unsre Betrachtungsart als die naturgemäße, dem neuen die Menschenweihehandlung selbst. Sie ist ja für uns
Zeitalter entsprechende erkannt werden. Sie ist selbst eine unmittelbare, immer neu lebendige Fortsetzung des
schon der Anfang dieser neuen Zeit. Mysteriums von Golgatha.

Religiöse Zeugnisse
Aus: und Austern emanzipieren? Nein. Heißt’s: Die Erde soll
„Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ ihm nur das Mistbeet sein, in dem er sich seine Gemüse
zieht? Nein. — Sondern mit den Blitzen seines Geistes
von Houston Stewart Chamberlain
will er die Erde durchdringen, daß sie geistschwanger
° (14. Auflage, 1. Hälfte, Seite 206): werde, und will sich an ihr eine Freundin seiner besten
„Nun wird ein Mann geboren und lebt ein Leben, Stunden, eine ernste und doch heitere Gefährtin seiner
durch welches die Auffassung von der sittlichen Bedeu- reifsten und männlichsten Jahre gewinnen...
tung des Menschen, die gesamte „moralische Welt- Also eine neue Entdeckung tut der Religion gut, wenn
anschauung“ eine völlige Umwandlung erleiden — wo- das dritte Weltalter anbrechen soll. Wie, wenn es aber-
durch zugleich das Verhältnis des Individuums zu sich mals etwas von einem heiteren Paganismus annähme?...,
selbst, sein Verhältnis zu anderen und sein Verhältnis das wird das neue Christentum sein, welches mit der
zur umgebenden Natur eine früher ungeahnte Beleuch- Krippe zu Bethlehem im Busen der Gläubigen beginnt
tung erfahren muß, so daß alle Handiungsmotive und und in dessen letzten andächtigen Minuten die jüngste
Ideale, alle Herzensbegehr und Hoffnung nunmehr um- Offenbarung feiert. Die Erleber dieser neuen Konfession
zugestalten und von Grund aus neu aufzubauen sind! (denn Lippen werden nicht oft sie zu bekennen ver-
Und man glaubt, das könne das Werk einiger Jahr- mögend sein, weil dieses Dogma über das Wort hinaus-
hunderte sein? ...Ich für mein Teil glaube es nicht. geht) werden zugleich Katholiken sein und Protestanten
Ich glaube vielmehr, daß wir noch fern, sehr fern von und Quäker und Ketzer. Anfangs wird die Gemeinde
dem Moment sind, wo die umbildende Macht der Er- klein sein und verachtet, oder des abscheulichsten In-
scheinung Christi sich in ihrem vollen Umfang auf die differentismus bezichtigt, uach und nach wird sie sich
gesittete Menschheit geltend machen wird. Sollten unsere ausbreiten und zuletzt die allgemeine Kirche werden.
Kirchen in ihrer bisherigen Gestalt auch zugrunde gehen, Die Stiftung dieser Kirche wird nicht von dem
die christliche Idee wird nur um so machtvoller hervor- Willen der einzelnen abhängen. Unbewußt, durch
treten... Das Christentum geht noch auf Kinderfüßen, schwere, vielleicht furchtbare Ereignisse wird der Geist
kaum dämmert seine Mannesreife unserem blöden Blicke. Gottes sein unwiderstehliches Nötigungsrecht ausüben. —
Wer weiß, ob nicht ein Tag kommt, wo man die blutige Aber so ausgeweitet, in diesem erschlossenen Bewußt-
Kirchengeschichte der ersten 18 christlichen Jahrhunderte sein, wird der Mensch erst würdig sein, von der Erde
als die Geschichte der bösen Kinderkrankheiten des auf neue Weise Besitz zu nehmen. Dann wird sie ihm
Christentums betrachtet?“ Kränze bieten, deren Duft und Glanz noch niemand
ahnet...“
Aus:
„Münchhausen“
von Karl Immermann (1839) Ans: „Die Günderode“
von Bettina von Arnim (1840; S. 21):
„soviel ist richtig: der Tod und der Himmel sind
zurückgewichen in den Hintergrund der Gedanken, und „Eine Verbindung mit Verstorbenen kann statthaben,
auf. der Erde will derMensch wieder menschlich heimisch insofern sie nicht aufgehört haben, mit uns zu harmo-
werden. Heißt das: er will das Fleisch bei Champagner nieren. Es kommt nur darauf an, diese Verbindung ge-

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wahr zu werden; sie wirken nicht durch Aug und Ohr, man den Menschen, bei denen er ist (und das ist bei
sondern durch das Organ, durch das allein eine Ver- allen, gemäß seinem Worte), den Sinn für ihn öffnet, das
bindung mit ihnen möglich ist: durch den inneren Sinn; heißt so denkt, spricht und handelt, daß man ihnen
auf ihn wirken sie unmittelbar. Dieser-innere Sinn, das das Bewußtsein dessen, was ist: Der Christusgegenwart,
tiefste und feinste Seelenorgan, ist bei fast allen Men- verschafft. Es müssen Mittel gesucht und angewandt
schen unentwickelt und nur dem Keime nach da... werden, diese offenbar zu machen.
Wessen Geistesgabe Licht auffängt, der sieht dem andern *
unsichtbare Dinge. Aus diesem innern Sinn sind die
Religionen hervorgegangen und so manche Apokalypse Welch bedeutsamer Unterschied, ob du Christus
alter und neuer Zeit.“ bittest, zu einem Menschen zu gehen, der dir leidend
oder gefährdet erscheint, oder ob du weißt, daß er schon
Aus: bei ihm ist, und daß das Notwendige darin besteht,
Albert Steffen „Merkbuch“ (1937) selbst so zu wirken, daß er sich dieser Anwesenheit des
Christus bewußt wird. Man lernt das Wesen des Christus
(Verlag für Schöne Wissenschaften)
in seiner unaussprechlichen Liebe erst erkennen, wenn
Ich denke darüber nach, was es heißt, daß Christus man ihn bei allen möglichen Menschen, Glücklichen und
für alle Menschen gestorben und auferstanden ist, und Unglücklichen, Begabteun und Unbegabten, Gesunden und
wie es kommt, daß so wenige in ihrem Leben an diese Kranken, Gerechten und Ungerechten, Christen und
allgemein verkündete Lehre sich halten. Wie ist es mög- Heiden, selbst bei Wahnsinnigen anwesend weiß, ohne
lich, daß eine Wahrheit überall verbreitet und doch daß sie es selber zu wissen brauchen. Eben sie zu diesem
kaum verwirklicht wird? Wissen zu bringen, das ist die Aufgabe, damit jeder
Es gibt viele Menschen, die an Christus glauben, und sich entscheide, ob er für oder gegen Christus ist. Wer
beten, daß Ungläubige sich bekehren. Eine Art des Ge- aber nicht wüßte, wie dies anzufangen wäre, der sollte
betes besteht dariu, daß man Christus bittet, er möge sich umschauen, wo über das Wesen des Christus .ge-
zu diesen gehen, um ihnen zu helfen. Aber, was da ge- sprochen wird, und wenn ihm der Glaube, der ver-
betet wird, hat sich bereits erfüllt. Es kann sich seit kündet, nicht genügt, so müßte er sich dort vergewissern,
dem Mysterium von Golgatha nur darum handeln, daß wo von Christus-Erkenntnis die Rede ist.

Blick nach Rußland


Heiligen Gral, ein heimlicher Orden um die Schale. In
Kaukasischer Gral Jahrhunderten ging die Schale von Hütern zu neuen
In seinem neuesten Roman „Die Hüter des Grals“ Hütern über. Ein Herz lag in der Schale: die Sonne
(Eugen Diederichs, Jena) berichtet GrigolRobakidse Georgiens. Die Gralsbüter schützten die heimatliche
von einer Georgischen Gralssage, die eine interessante Erde.“
Parallele zur abendländischen darstellt und — nad Soweit die nach Robakidse überlieferte Legende. Über
Robakidse — vom Mittelalter her bis in die Gegenwart das Buch selbst wollen wir hier kein Urteil abgeben. Nur
unter Vertretern des georgischen Bergvolkes lebendig so viel sei gesagt, daß darin nicht alles als „sonnenhaft“
geblieben ist. und gralsgemäß überzeugt, was Robakidse so bezeichnet.
„Am Rande des Abgrundes stehen die letzten Ritter Das rein christliche Geist-Element tritt zurück zugunsten
mit ihrem Gefolge, die lieber sterben wollen als sich eines an Magie grenzenden Okkultismus. — Es wird
dem Feinde unterwerfen. Als Reliquie tragen sie mit unsere Leser interessieren, daß der Verfasser eine Stelle
sich das Kreuz der Heiligen Nino, aus einem Rebstock aus dem altindischen Atharvaveda zitiert, und zwar nach
geschnitten und mit ihren Haaren verknotet. Im Augen- der Übersetzung unseres verstorbenen Mitarbeiters Pro-
blick des letzten Entschlusses der Männer, sich in den fessor Dr. Hermann Beckh. („Der Hymnus an die Erde“
Abgrund zu stürzen, berührt zufällig ein kleines weinen- S. 28.) Kurt von Wistinghausen
des Mädchen das Kreuz — und siehe: am verdorrten
Anti-Christfest in Rußland
Holz blühen Weinreben auf; schon reifen Trauben
golden an ihren Rauken. Da ergreift die Verzweifelten Einem uns übersandten Zeitungsausschnitt — bitte
in ihrer Verzückung eine übermenschliche Gewalt. Nun immer Quelle genau angeben! — entnehmen wir Fol-
sind sie unbesiegbar... Die Ritter sammelten den Saft gendes:
der Wundertraube in eine Schale, wie Joseph von Ari- „Die Abschaffung und Entheiligang der christlichen
mathia die auf Golgatha vergossenen Blutstropfen des Feste war eine der ersten Taten der russomarxistischen
Heilandes. Sie brachten die Schale heim und bewahrten Gotteshasser. Nun hat, wie über Riga gemeldet wird, die
sie in einem Heiligtum auf. So bildete sich, wie beim GPU angeordnet, daß über die Weihnachtsfesttage alles

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Kirchengeläute zu unterbleiben habe. Auch die Abhal- alles beim Alten. Kommt das denn der anti
tung von Christbaumfeiern in den Kirchen und die Be- religiösen Propaganda zugute? Das treibt die Religiösem
schenkung von Kindern und Erwachsenen ist untersagt. nach innen, das gereicht nicht zu unserem Nutzen. Wenn
Am Heiligen Abend finden in Moskau und Leningrad ein Pope seiner Gemeinde beraubt wird, so bedentet
sog. ‚Gottlosenkarnevale‘ statt, die unter der Parole das nicht, daß er aufhört, Pope zu sein. Er verwandelt
stehen: ‚Gottlose Weihnachten auf Eis und Schnee‘ und sich in einen „Wanderpopen“. Er reist mit seinem ganzen
an denen überall die Militärkapellen teilnehmen wer- primitiven Inventar in den Dörfern umher, vollzieht
den. Dafür hat man in dem Bestreben, mit der Vernich- religiöse Riten, liest Gebete, tauft die Kinder. Solch
tung der Kirche auch christliches Brauchtum im Volke ein Wanderpope ist zuweilen gefähr-
durch Verweltlichung umzudeuten, in der Lubjansk- licher als der, welcher die Obliegen-
passage (Moskau), wie der ‚Wetschernaja Moskwa* mit- heiteneines Kultusdienersaneinembe-
teilte, einen Bazar für Neujahrstannenschmuck eröffnet. stimmten Ort erfüllt.“
‚Unter den Neuheiten fallen Tanks, Geschütze, Panzer- Sind es nun allein die Vertreter der ältesten Gene-
autos und Fallschirme aus Glas besonders auf... - ration, die noch zur Kirche halten? „Ich will schon nicht
Tannen aus den Wäldern zu holen und sie als Christ- davon sprechen, daß die Greise und Greisinnen in die
bäume zu schmücken und mit Kerzenlichtern zu be- Kirche Kinder mitnehmen. Dort, wo es religiöse Leute
hängen, ist längst streng verboten. Aber ‚Neujahrs- gibt, werden die Kinder im religiösen Geiste erzogen. Es
tanuen‘, das ist etwas anderes und noch dazu, wenn sie ist Tatsache, daß in vielen Kirchenchören Pioniere mit-
mit so kriegerischen Symbolen behängt werden. Diese singen. Fabrikschüler sind Mitglieder von Kirchenchören.*
‚Neujahrstannen‘, unter denen politische Propagandavor- „Wie sieht die gegenwärtige religiöse Organisation
träge gehalten werden sollen, müssen die christbaum- aus? Nach annähernder Schätzung bestehen im Lande
gewöhnte Bevölkerung herbeilocken, damit man ihre nicht weniger als 30.000 kirchliche Organisationen. Wo-
Psyche, besonders die der Jugend, militarisieren kann, rin besteht eine solche kirchliche Organisation? Das ist
so wie es Kriegskommissär Genosse Woroschilow ange- vor allem eine registrierte Kirche und die sogenannten
ordnet hat. So tritt an die Stelle des weihnachtlichen „Zwanzigergruppen“: um im Sowjet als religiöse Gemein-
Friedensfestes der Christenbeit die Neujahrsorgie einer schaft registriert zu werden, muß man eine Liste mit
wüsten Kriegshetze — und dies im Reiche jenes Mar- mindestens 20 Namen, Mitgliedern dieser Gemeinschaft,
zismus, der sich einst den Völkern als ihr Befreier von einreichen. Wenn sie einen einfachen arithmetischen
Krieg und Militarismus angepriesen hat.“ Überschlag machen und zusammenzählen, daß es bei uns
30 000 religiöse Gemeinschaften gibt (es gibt aber derer
Christgeburt in Rußland um vieles mehr, weil viele nichtregistrierte bestehen),
Der bolschewistische Kampf gegen das Christentum, zu jeder aber mindestens 20 Menschen gehören, so wer-
der jetzt zur Verhaftung der letzten beiden protestanti- den Sie mindestens gegen eine Million an kirchlichem
schen Pfarrer und des letzten römisch-katholischen aktiven Bestand errechnen können.“
Bischofs geführt hat, ist doch nicht so erfolgreich, wie „Unter welchen Schichten werben die Popen ihre An-
der „Verband der kämpfenden Gottlosen“ wünscht. känger an? Welchen Bestand weisen die Gläubigen auf?
Unser Zeuge ist unverdächtig. Es ist Jaroslawski, der Das sind nicht nur Menschen, die soeben aus dem Dorfe
Vorsitzende dieses Verbandes selbst, der am 10. April gekommen sind. Da ist z.B. die Kirche (Preobraschen-
des vergangenen Jahres in einer großen Werbeversamm- skaja) der Tichonanhänger in Irkutsk (Ostsibirien). Im
lung nach dem „Antireligiosnik“ 1937, Nr. 6 (abgedruckt ganzen weist die Gemeinde 911 Gläubige auf, davon
im „Monatsblatt der Russischen Bruderhilfe“) be- 866 Frauen, 40% von ihnen sind Arbeiterinnen, die übri-
richtet hat: gen Hausfrauen, Hausangestellte, sonstige Angestellte,
In Zeiten der Dürre wendeten sich Leute, die vorker d.h. fast alle sind sie Mitglieder der Gewerkschaften.
nichts von der Kirche wissen wollten, an den Priester Somit werben die Popen und Sektierer unter den Arbei-
und nähmen an den Bittgottesdiensten auf dem Felde tern nicht nur die einfache Masse der Gläubigen an,
teil. Oder: Es gebe Gegenden, wo kein Priester und sondern sie bereiten aus ihnen auch die führenden
keine Kirche mehr anzutreffen sei. Dennoch würden hier Kerntruppen der Kirche.“ —
die Kinder getauft. „Es trifft ein Wanderpope in einer Selbst wenn Jaroslawski um der Propaganda willen
Sowjetwirtschaft ein, in der sich keine Kirche befindet, ein wenig übertreiben sollte — Tatsache ist: es gibt in
und vollzieht die Taufe an allen im Laufe von mehreren Rußland eine Kirche des Martyriums. Sie ist der eigent-
Jahren geborenen Kindern...“ „Man schloß die liche Gegner des Bolschewismus. In ihr vollzieht sich — so
Kirchen, aber im wesentlichen blieb möchten wir annehmen — eine geheime Christgeburt.
Manuskripte kann (außer wenn Rück-
Bezugspreise und Postscheckkonten nebenstehend, — Für unyverlangt eingesandte
Schriftleiter: Dr. Friedrich Rittelmeyer, Stuttgart 13. Für die
Porto beiliegt) eine Gewähr nicht übernommen werden. gilt Anzeigenpreisliste Nr. 4.
Anzeigen verantwortlich: Ernst Rathgeber, Stuttgart. D.A. IV. Vj. 1937: 7366. Zur Zeit
Verlag Urachhaus, Stuttgart 33.
Druck: Hoffmannsche Buchäruckerei Felix Krais, Stuttgart. Verlag:

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