Sie sind auf Seite 1von 350

Christina Fischer-Kienberger

Kommunikation im Krankenhaus
Kommunikation und Zusammenarbeit von Ärzten und diplomierten
Gesundheits- und Krankenpflegern im Krankenhausalltag

DISSERTATION
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktorin der Philosophie

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung
(Klagenfurt, Graz, Wien)

Betreuer und Begutachter


Ao. Univ.-Prof. i.R. Dr. Ewald Krainz
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Institut für Organisationsentwicklung, Gruppendynamik und
Interventionsforschung

Begutachterin
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Carina Paul-Horn
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt
Institut für Organisationsentwicklung, Gruppendynamik und
Interventionsforschung

Klagenfurt, Juni 2018


Inhaltsverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung ............................................................................................... 6

Kurzzusammenfassung .................................................................................................. 7

Abstract ........................................................................................................................... 8

Abbildungsverzeichnis ................................................................................................... 9

1. Gedanken zum Thema und persönlicher Zugang ..............................................10

2. Einleitung ..............................................................................................................13

Ausgangslage und Problemstellung ........................................................................16

Aktualität des Themas ............................................................................................20

Forschungsziel und Forschungsfrage .....................................................................22

Aufbau der Arbeit ....................................................................................................24

3. Theoretische Grundlagen ....................................................................................26

Organisation Krankenhaus .....................................................................................26

3.1.1. Organisationsformen von Krankenhäusern ...............................................32

3.1.2. Spezielle Berufsgruppen im Krankenhaus ................................................36

3.1.3. Kommunikationsstrukturen, Hierarchie und Funktionen ............................49

3.1.4. Zusammenfassende Betrachtung .............................................................51

Kommunikation als Gegenstand der Wissenschaft .................................................52

3.2.1. Vierseitigkeit von Nachrichten ...................................................................58

3.2.2. Selbstwert, Kongruenz und die Macht der Worte ......................................68

2
3.2.3. Kommunikationsstile – Persönlichkeits- und Beziehungsdynamik .............75

3.2.4. Kommunikationsaxiome ............................................................................89

3.2.5. Faktoren für eine moderne und gelungene Kommunikation ......................94

3.2.6. Zusammenfassende Betrachtung .............................................................97

Gruppendynamik ....................................................................................................98

3.3.1. Grundlagen der Gruppendynamik .............................................................98

3.3.2. Gruppen in Organisationen .....................................................................109

3.3.3. Zusammenfassende Betrachtung ...........................................................129

Konflikte................................................................................................................131

3.4.1. Kommunikation und Emotionen in Konflikten ..........................................136

3.4.2. Konfliktmorphologie ................................................................................142

3.4.3. Konflikteskalation und Konfliktlösung ......................................................174

3.4.4. Konflikte im Krankenhaus .......................................................................182

3.4.5. Zusammenfassende Betrachtung ...........................................................185

4. Empirie ................................................................................................................187

Interventionsforschung in Theorie und Praxis .......................................................189

4.1.1. Qualitatives Interview ..............................................................................193

4.1.2. Rückkoppelung .......................................................................................199

Qualitative Inhaltsanalyse .....................................................................................201

4.2.1. Strukturierende Inhaltsanalyse................................................................204

4.2.2. Zusammenfassende Inhaltsanalyse ........................................................206

5. Forschungsergebnisse ......................................................................................210

Darstellung der Organisationsstruktur und der Interviewpartner ............................211

Darstellung der Ergebnisse nach relevanten Themenschwerpunkten ...................215

5.2.1. Bedeutung von Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern...............215

3
5.2.2. Konflikte und der Umgang mit Konflikten ................................................239

5.2.3. Stress im Rahmen der Kommunikation ...................................................242

5.2.4. Informelle Kommunikation, Visite und Kommunikation ............................245

6. Rückkoppelungen...............................................................................................248

Ergebnisse der ersten Rückkoppelung .................................................................250

6.1.1. Allgemeines zur Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern .............251

6.1.2. Konflikte..................................................................................................253

Ergebnisse der zweiten Rückkoppelung ...............................................................262

6.2.1. Kommunikation innerhalb beider Berufsgruppen.....................................262

6.2.2. Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern .......................................263

6.2.3. Konflikte, Fehler, Schwächen und Kritik ..................................................264

6.2.4. Geschlechtsunterschiede in der Kommunikation.....................................272

6.2.5. Kollegiale Führung ..................................................................................273

7. Interpretation der Ergebnisse nach Themenschwerpunkten ..........................274

Berufsmotivation und Habitus ...............................................................................274

Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern .....................................................281

7.2.1. Kommunikation innerhalb der Berufsgruppe der Ärzte ............................288

7.2.2. Kommunikation innerhalb der Berufsgruppe der Pflege ..........................291

Konflikte im Krankenhaus .....................................................................................296

7.3.1. Geschlecht und Hierarchie in den Berufsgruppen ...................................306

7.3.2. Faktor Stress im Krankenhaus ................................................................313

7.3.3. Akademisierungsprozess der Pflege .......................................................317

Vorstellung einer gelungenen Kommunikation ......................................................319

4
8. Zusammenfassende Darstellung .......................................................................326

9. Kritische Würdigung und Ausblick ...................................................................336

10. Literaturverzeichnis ............................................................................................340

Artikel ............................................................................................................................349

Internet ..........................................................................................................................350

5
Eidesstattliche Erklärung

Ich, Christina Fischer-Kienberger, versichere an Eides statt, dass ich die eingereichte
wissenschaftliche Arbeit selbstständig verfasst und andere als die angegebenen Hilfsmittel
nicht benutzt habe. Die während des Arbeitsvorganges von dritter Seite erfahrene
Unterstützung, einschließlich signifikanter Betreuungshinweise, vollständig offengelegt und
die Inhalte, die ich aus Werken Dritter oder eigenen Werken wortwörtlich oder sinngemäß
übernommen, in geeigneter Form gekennzeichnet und den Ursprung der Information durch
möglichst exakte Quellenangaben mit Fußnoten ersichtlich gemacht habe.

Die Arbeit wurde bisher weder im Inland noch im Ausland einer Prüfungsbehörde vorgelegt.
Bei der Weitergabe der Exemplare (z.B. in gebundener, gedruckter oder digitaler Form)
dieser wissenschaftlichen Arbeit stelle ich sicher, dass diese mit der eingereichten digitalen
Version übereinstimmen. Mir ist zudem bekannt, dass die digitale Version zur
Plagiatskontrolle herangezogen wird.

Ich bin mir bewusst, dass eine tatsachenwidrige Erklärung rechtliche Folgen haben wird.

St. Urban, 19.06.2018 Christina Fischer-Kienberger (e.h.)

6
Kurzzusammenfassung

Ziel der Arbeit ist es, die Kommunikation innerhalb und zwischen Ärzten und diplomierten
Gesundheits- und Krankenpflegefachkräften im Krankenhausalltag einer privaten Klinik
darzustellen und folglich die Ergebnisse in ein interpretatives Abbild zu bringen. Der
theoretische Zugang erstreckt sich über differenzierte Betrachtungsweisen, beginnend mit
der Organisation Krankenhaus, folgend der Kommunikation als Wissenschaft
(einschließlich der Kommunikationspsychologie), bis hin zu den Themen Konflikte und
Gruppendynamik. Abgehandelt wird der theoretische Input unter den Aspekten, die für das
Forschungsvorhaben als relevant erscheinen. Die interpretativen Ergebnisse leiten sich aus
einer qualitativen Forschung ab. Es wurden fünfzehn Interviews und zwei
Rückkoppelungsveranstaltungen durchgeführt. Die Daten sind jeweils elektronisch
aufgenommen, transkribiert und einer entsprechenden Auswertemethodik zugeführt
worden. Nach einer hinreichenden Ergebnisdarstellung erfährt der Leser eine
abschließende Interpretation, welche die Erkenntnisse bezugnehmend auf die
Einflussfaktoren im Rahmen der Kommunikation zwischen Ärzten und diplomierten
Gesundheits- und Krankenpflegefachkräften im Krankenhausalltag und die Auswirkung auf
die Organisationsentwicklung darstellt.

Schlüsselwörter: Kommunikation, Organisation, Krankenhaus, diplomierte


Pflegefachkräfte, Ärzte, Gruppendynamik, Intervention, Konflikte

7
Abstract

The goal of this thesis is to illustrate the communication between doctors and qualified
nurses on a daily routine in a private hospital and consequently offer an interpretation of the
findings. The theoretical approach covers differentiated approaches, starting with the
organization of a hospital, communication as a science including communication
psychology up to the topic of conflict and group dynamics, treated under the aspects which
are relevant for this research project. The interpretative findings are derived from qualitative
research. Therefore, fifteen interviews and two feedback meetings were conducted. The
data was electronically recorded, transcribed and evaluated. After a presentation of the
results, the reader is offered a final interpretation which illustrates the findings according to
the influencing factors within the context of communication between doctors and qualified
nurses on a daily routine and the effects on organizational development.

Key Words: communication, organization, hospital, qualified nurses, physicians, group


dynamics, intervention, conflicts

8
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Sender und Empfänger ................................................................................59
Abbildung 2 Verhaltenskreuz ...........................................................................................66
Abbildung 3 Entwicklungsquadrat ....................................................................................73
Abbildung 4 Grundposen der acht Stile ............................................................................76
Abbildung 5 Rangdynamik .............................................................................................107
Abbildung 6 Hierarchische Kommunikationsstruktur und Gruppenkommunikation .........109
Abbildung 7 Doppelmitgliedschaften und ihre Kommunikationsstruktur .........................111
Abbildung 8 Strukturebenen...........................................................................................115
Abbildung 9 Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun ..............................................134
Abbildung 10 Drei Ebenen der Kommunikation – rational-emotional-sozial....................136
Abbildung 11 Wahrheit – oberes und unteres Pferd .......................................................139
Abbildung 12 Vierte Person trifft auf Dreiergruppe .........................................................157
Abbildung 13 Das Ordnungsprinzip................................................................................172
Abbildung 14 Schema qualitativer Forschung ................................................................188
Abbildung 15 Forschungskreislauf .................................................................................191
Abbildung 16 Allgemeines Ablaufmodell der strukturierenden Inhaltsanalyse ................205
Abbildung 17 Allgemeines Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse ........207
Abbildung 18 Materialreduzierung durch Zusammenfassung .........................................208

9
1. Gedanken zum Thema und persönlicher
Zugang

„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort.


Dort treffen wir uns.“
(Rumî)

Das persönliche Ausbildungs- und Arbeitsumfeld ist seit der Reifeprüfung an einem
Gymnasium das öffentliche Krankenhaus – zuerst im Ausbildungskontext, später als
Arbeitgeber. Mehr als zwanzig Jahre in einem Krankenhaus zu arbeiten, eröffnet den
Denkprozess, wie sich das Miteinander in der Organisation Krankenhaus gestaltet und es
ergeben sich Fragen, die nicht nur mit Alltagswissen beantwortet werden wollen, sondern
auch über Forschungsprozesse. Daher entstand aus Alltagsfragen ein
Forschungsvorhaben.

Nach der Matura war es das Ziel, eine möglichst strukturierte und ortsnahe Ausbildung im
Gesundheitswesen zu absolvieren. Dies tat ich an der medizinisch-technischen-Akademie
(heute Fachhochschule für Biomedizinische Analytik). Nach einigen Jahren der
Berufstätigkeit, Familiengründung und zwei berufsbegleitenden Studien wuchs mein
Interesse an den handelnden Berufsgruppen im Krankenhaus und zudem entwickelte ich
ein allgemeines Interesse für die Funktionsweisen von Organisationen – im Speziellen das
Krankenhaus betreffend. Das gemeinsame Studieren mit vorwiegend diplomierten
Gesundheits- und Krankenpflegefachkräften und vereinzelt Ärzten intensivierte mein
Interesse, da aus Gesprächen immer wieder vernehmbar wurde, dass es (wie wohl überall
in Organisationen) alltägliche Herausforderungen und Konflikte gab bzw. gibt. Speziell
entwickelte ich allerdings Interesse an der Kommunikation, die sich zwischen Ärzten und
diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegern zeigte, im Zuge derer ich zum Teil selbst
im Rahmen der Labortätigkeit Asymmetrien, Abhängigkeiten und Unterschiedlichkeiten
wahrnehmen konnte. So wurde aus meinen Alltagsbeobachtungen und –fragen bzw.
Vermutungen, die für eine Forschung im Sinne der Interventionsforschung als geeignet
erschienen, eine Dissertation. Bestimmte Vorannahmen stammen einerseits direkt aus der
Praxis, anderseits aus dem theoretischen Zugang. Es handelt sich hierbei um
Einflussfaktoren wie Berufssozialisation, individuelles und gruppenspezifisches
Kommunikationsverhalten, Konflikte, unterschiedliche Ziele, Akademisierung, Hierarchie
und die Komplexität einer Organisation.

Kommunikationsverhalten ist bis zur „persönlichen Lerngrenze“ erlern- und trainierbar und
daher auch im professionellen Kontext des Krankenhauses, insbesondere mit Fokus auf

10
die genannten Berufsgruppen, als eine zentrale Kernkompetenz seitens des
Berufsgesetzes zu betrachten. Der soziale Prozess der Kommunikation ist einerseits durch
Banalität geprägt, denn es werden Informationen von A nach B übertragen, und
andererseits zeichnet er sich durch Komplexität aus. Komplexität in dem Sinne, WAS und
WIE und unter welchen Rahmenbedingungen Kommunikation stattfindet. Darüber hinaus
kommt noch hinzu, WER spricht und ob ein gegenseitiges Verständnis hergestellt werden
kann. Dort, wo Menschen ihren Werten nachgehen und sie diese mit sich, ihrem Handeln
und ihrer Umwelt wiederholt abstimmen müssen, eingebettet in die Komplexität von
Organisation, Hierarchie und Gruppe, führt das unabwendbar zu Missverständnissen,
Widersprüchen und (aporetischen und grundsätzlichen) Konflikten. Daher sollen die
Herausforderungen in der vorliegenden Arbeit im Krankenhausalltag identifiziert, abgebildet
und interpretiert, die Zusammenhänge verstehbar gemacht und eine Anregung zum
vermehrten übergreifenden Denken generiert werden. Wobei der Begriff gelungene
Kommunikation – notabene – einem subjektiven Empfinden unterliegt und Theorien und
Modelle sowie auch die Interpretation lediglich Ansätze dazu liefern können.

An dieser Stelle müssen die Begrifflichkeiten „Medizin“ und „Pflege“ geklärt werden,
insbesondere für das Verständnis beim Lesen der vorliegenden Arbeit. Mit „Medizin“ sind
Ärzte bzw. Humanmediziner gemeint. Für die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege
wird einerseits die korrekte Berufsbezeichnung zu lesen sein, aber der leichteren
Formulierung zuträglich gemacht, wird vermehrt „Pflege bzw. Pflegefachkräfte“ oder
„diplomierte Pflege“ formuliert sein. Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in dieser
Dissertation auch die maskuline Sprachform verwendet. Dies impliziert keine
Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll lediglich einer sprachlichen
Vereinfachung dienlich sein. In Ausnahmefällen werden, weil es die Forschungsergebnisse
erfordern, die entsprechenden Geschlechter z.B. Ärztin oder Pflegerin benannt sein, da es
sich im konkreten Fall um eine weibliche Person handelt. Für die Abstraktionsebene im
Interpretationsteil wurde dieses Vorgehen beibehalten. Es wurde bewusst auf ein
Abkürzungsverzeichnis verzichtet, da es sich um wenige Abkürzungen handelt, die im
Zusammenhang stets erstmalig angeführt sind und im Anschluss abgekürzt werden.
Kommen sie an exponierten Stellen vor, erfolgt eine neuerliche vollständige Bezeichnung.

Mein persönlicher Dank gilt Herrn ao. Univ.-Prof.i.R. Dr. Ewald Krainz, der mir diesen
Werdegang durch die Bereitschaft zur Betreuungsübernahme überhaupt erst ermöglicht
hat. Nach der Bewilligung und dem stattgegebenen positiven Bescheid hat eine spannende
Reise begonnen, die Herr Dr. Ewald Krainz begleitet hat, der für mich in vielen Bereichen
seines Tuns ein Vorbild ist, wenngleich für mich der Weg nicht immer einfach war. Die Reise
hat nicht nur mein Wissen erweitert, sondern auch meine Persönlichkeitsentwicklung positiv

11
beeinflusst, wobei die Trainingsgruppe ein sehr aufschlussreiches Lernen und Begegnen
war. Zudem gilt mein Dank der Zweitbegutachterin ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Carina Paul-
Horn, die den wichtigen Teil der Zweitbetreuung übernommen hat und auch für Fragen und
Auskünfte ihre Bereitschaft zeigte. Außerdem gilt ein besonderer Dank der Klinikleitung
sowie den Interviewpartnern, denn ohne deren Befürwortung und Bereitschaft wäre ein
Forschungsvorhaben von Beginn an nicht möglich bzw. mit Widerständen behaftet
gewesen. Weiterer aufrichtiger und inniger Dank gilt meiner Familie, speziell meinem Mann
Gerald und unserer gemeinsamen Tochter Maxima, die stets an meiner Seite gestanden,
meinen Weg begleitet und beharrlich an mich geglaubt haben – auch wenn es wiederholt
Herausforderungen im Zuge des Zeitmanagements gegeben hat. Ein aufrichtiger Dank
ergeht auch an meine Kollegen in der Arbeit und an die Führungskräfte, die dafür gesorgt
haben, dass ich meinen Weg ohne Hindernisse bezüglich Dienstplangestaltung gehen
konnte. Zusätzliche Stärkung und Ermutigung für den Weg habe ich auch von meinen vielen
Wegbegleitern erhalten, die zum Teil von Beginn an oder partiell den Weg mit mir durch
das Forschungsvorhaben gegangen sind. Seien es Reflexionsschleifen, unzählige
fachliche und philosophische Diskussionen, die wir geführt haben, oder der kollegiale
Austausch mit Kollegen aus Medizin und Pflege. Jeden Einzelnen werde und kann ich hier
nicht anführen, es sind zu viele. Allerdings werden diejenigen, die den folgenden Satz lesen,
wissen, dass sie gemeint sind: Ich danke euch allen von ganzem Herzen. Ihr alle wisst, wie
der Weg war.

Nach der „Forschungsreise“ stellt die Dissertation einen Wissenschaftsbeitrag im Rahmen


der Interventionsforschung dar und ich darf bereits hier festhalten, dass die Wege für die
Reflexion der Akteure und Organisationen nun offenstehen: Das Gesundheitswesen steht
im Umbruch und die interpretativen Gedanken unterliegen einer mehrheitlichen Dialektik,
die das Thema begleiten und damit auf eine bestimmte Komplexität hinweisen.

Christina Fischer-Kienberger

12
2. Einleitung

In Krankenanstalten agieren rund um den Patienten verschiedene Berufsgruppen und das


jeweilige Standesethos nimmt Einfluss auf die gesamten Arbeitsprozesse1, die höchst
arbeitsteilig sind. Darin enthalten sind Überschneidungen und/oder Schnitt- bzw.
Nahtstellen in den Handlungsweisen und Tätigkeitsfeldern, die Kommunikation und
Kooperation zugunsten der Zusammenarbeit mit dem Fokus auf den Patienten erfordern.

Kommunikation als Prozess erscheint einerseits banal, ist anderseits unvermeidlich und
setzt daher voraus, dass jeder kommunizieren kann bzw. muss, weil Kommunikation
omnipräsent ist. Denn der Kommunikation über Kommunikation geht ein kommunikativer
Prozess voran, dem ein weiterer kommunikativer Prozess folgt. Damit wird bereits
eingehend klar, dass Kommunikationsprozesse nicht ausschließlich durch Banalität (jeder
kann es), sondern auch durch Komplexität gekennzeichnet sind. Die meisten Menschen
scheinen eine konkrete Vorstellung von gelungener und konstruktiver Kommunikation zu
haben und weder mit Lösungen, Ideen noch Empfehlungen sparsam umzugehen. Es drängt
sich daher bereits an dieser Stelle die Frage auf, ob Banalität mit gleichzeitiger Komplexität
für jeden einfach so zu bewältigen ist und was dazu an Wissen und Reflexionsfähigkeit auf
individueller, zwischenmenschlicher und systemischer Ebene vorhanden sein muss.

Wenn in dieser Arbeit von mangelnder oder unzureichender Kommunikation innerhalb der
Berufsgruppen von Medizin und Pflege in Gesundheitseinrichtungen gesprochen oder
darüber diskutiert wird, hat diese ihren Ursprung möglicherweise in den hierarchischen
Strukturen, die bereits in den Ausbildungen zu den einzelnen Berufsbildern entstehen oder
aber auch in den Persönlichkeitsstrukturen der jeweiligen Gesprächspartner und deren
Berufssozialisation oder in unklarer Aufgabenverteilung. Beide Berufsgruppen werden
mehr und mehr zu Spezialisten ausgebildet und das Interesse liegt vorwiegend im eigenen
fachlichen Aufgabenbereich sowie in den Fachkompetenzen. Der Akademisierungsprozess
der Pflege, die neuen Berufsgruppen in der Pflege sowie Servicekräfte auf den Abteilungen,
die drastische Reduktion von Turnusärzten und weitere Einsparungsmaßnahmen machen
die Wegbeschreitung gelingender Kommunikation bzw. Zusammenarbeit in Zukunft nicht
einfacher. Der höchst arbeitsteilige Prozess rund um Patienten wird noch mehr
Koordinations-, Kooperations- und Kommunikationsgeschick erfordern. Ist dies nicht der
Fall, wird professionsübergreifendes Handeln mehr und mehr zur Belastung und Fehler sind

1 Vgl. Körtner 2004: 17

13
unvermeidbar. Eine konträre Entwicklung, die aus Sicht der Patientensicherheit bedenklich
erscheint.

Mitarbeiter in Gesundheitseinrichtungen befinden sich nun in einer anderen Ausgangslage


als noch vor einigen Jahren. Patienten und Organisationen fordern Interdisziplinarität,
Schnelligkeit und Kompetenz. Es gilt, innerhalb der (kurzen) Krankenhausaufenthalte
mittels Kommunikation, Zusammenarbeit und Behandlung im multiprofessionellen Team
einen qualitäts- und kundenorientierten Behandlungsprozess zu vollbringen. Es ist jedoch
fraglich, ob die sehr einschneidenden Veränderungen den Anforderungen in Zukunft
standhalten können. Kommunikation als Kernkompetenz neben der fachlichen Kompetenz
ist und wird daher zu einem entscheidenden Faktor für Akteure im Gesundheitswesen.

Mit der gegenständlichen Thematik „Kommunikation im Krankenhaus“ soll ein Anreiz zum
(eigenen) Umdenken gesetzt werden. Der Aufruf nach mehr Kooperation und
Kommunikation wird bereits mit unterschiedlichen Aufforderungen in diese Richtung
unterstrichen. Daher soll das Forschungsvorhaben sowohl für Mediziner und diplomierte
Pflegekräfte als auch für Führungskräfte und Mitarbeiter der Organisationsentwicklung in
Gesundheitseinrichtungen, die sich der Herausforderung stellen, festgefahrene Strukturen
genauer zu betrachten und den Entwicklungen einen Abbruch zugestehen, von Interesse
sein. Im Vordergrund steht in diesem Kontext ein offener und ehrlicher Austausch zwischen
den Berufsgruppen. Herausragende Rollen spielen dabei aber auch Gesetzgeber und
Ausbildungsstätten, denn Unterschiede in Bezug auf Verantwortlichkeiten und
Anordnungen von Ärzten gegenüber den Pflegekräften sind auf das Gesetz und deren
Ausbildungshintergrund zurückzuführen. Einen weiteren Paradigmenwechsel stellen neue
zum Teil bereits tragende Strukturen dar, wo auch Anordnungen von der diplomierten
Pflege an untergeordnete Pflegekräfte erteilt werden – auch das wird zu einer
Herausforderung für die bestehenden Abläufe und muss erst als neuer Habitus etabliert
werden – in Anbetracht dessen, dass das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz erst 1997
in Kraft getreten ist und kaum 20 Jahre später eine sehr einschneidende Novellierung
erfahren hat.

In den einzelnen Berufsgruppen ergeben sich individuelle Einstellungen im


Behandlungsprozess. Daraus leiten sich unterschiedliche Handlungsweisen ab, die den
einzelnen Berufsgruppen als wichtig und notwendig erscheinen.2 Strukturen in
Organisationen geben allerdings vor, wer mit wem zu interagieren hat. So gibt die
Organisation das Interaktionsmuster vor und damit auch die Ordnung der Kommunikation.
In diesem Kontext kann es zur Verwechslung von Kommunikation mit Information kommen

2 Vgl. Körtner 2004: 46

14
– beides ist im Krankenhaus notwendig. Hierarchische Strukturen reagieren empfindlich auf
Abweichungen im vorgegebenen Interaktionsmuster. Wird der Dienstweg nicht eingehalten,
führt das unweigerlich zu Problemen, die entweder von oben herab (top-down) oder von
unten nach oben (bottom-up) auftreten können. Die Kommunikation, die zusätzlich noch
informell und durcheinander stattfindet, kann für die gesamte Organisation zu einer
Herausforderung werden, wobei die formelle Kommunikation einen vorgegebenen Weg hat
– die informelle Kommunikation nicht. Es muss daher dafür Sorge getragen werden, dass
im Zuge der formellen Kommunikation relevante Themen angesprochen werden, um die
informelle Komponente in einem verträglichen Rahmen zu halten. Was aber als relevant
erachtet wird, ist für die Führung oft schwer zu erkennen.3

Zur Hierarchie gesellen sich ständige Veränderungen, denen die einzelnen Professionen
im Gesundheitswesen ausgesetzt sind und an die sie sich anpassen müssen. Hinzu kommt
aktuell der Professionalisierungsprozess der Pflege, der nach wie vor von Intransparenz,
mangelnder Anschlussfähigkeit und Fragmentierung geprägt ist.4 In den 1980er Jahren
wurde die Pflegeausbildung in Deutschland akademisiert sowie professionalisiert und die
Ausbildung auf Hochschulniveau angehoben, damit die Pflege eine wissenschaftliche
Fundierung ihres Berufes erfährt.5 Der Akademisierungsprozess ist daher auch in
Österreich kein Novum. Allerdings gab es bisher stets eine klare Rollenverteilung und ein
Rollenbild. Die Entwicklung hat gezeigt, dass durch die scharfen gesetzlichen
Grenzziehungen die Betonung auf den Grenzen liegt und nicht auf Kooperation und
Optimierung der Zusammenarbeit. Die Einführung der Pflegewissenschaften führt zwar zur
Akademisierung der Pflege, doch daraus kann keine Konkurrenz für den Arzt entstehen,
denn die Studieninhalte sind strikt pflegebezogen, sodass aus dem Wissen weder
Konkurrenz noch bessere/andere Kooperation entstehen kann – oder anders gesagt:
„evidence based nursing“ gleicht nicht „evidence based medicine“6, denn die Pflege
reflektiert ihr Handeln auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem
pflegerischen, aber nicht medizinischen Kontext.7

Um das Ziel einer kooperativen und konstruktiven Zusammenarbeit und damit die
Patientenbehandlung bestmöglich zu erfüllen, ist die Zusammenarbeit und der Austausch
ein unumgänglicher Weg, der durch vorgegebene formelle Strukturen und Regeln

3 Vgl. Krainz 2011: 129-130


4 Vgl. Pundt 2006: 7-8
5 Vgl. Kälble 2013: 1127
6 Vgl. Schmeck-Lindenau 2010: 170
7 Vgl. Kälble 2013: 1131

15
gekennzeichnet ist, allerdings auch stark durch individuelles Kommunikations-, Arbeits- und
Konfliktverhalten geprägt wird.

Kommunikation als sozialer Prozess, in dem Informationen bewusst oder unbewusst


ausgetauscht werden, kann in der vorliegenden Arbeit durchaus unter dem Aspekt der
Informationsweitergabe verstanden werden, aber vielmehr geht es darum, die
Kommunikation zwischen Ärzten und diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegern und
deren Wirken aufeinander zu beschreiben. „Kommunikation ist ein zentraler Bestandteil,
aber auch ein probates Instrument in jedem Krankenhaus.“8

Ausgangslage und Problemstellung

Mitarbeiter in Krankenanstalten sind starken emotionalen Belastungen ausgesetzt. Das


Arbeiten mit Kranken bedeutet, eine Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden, ohne
die Empathiefähigkeit zu verlieren, die in den Berufen gegenüber den Patienten erforderlich
ist9 und gleichzeitig spielen Angehörige, Teamarbeit, Kooperation und damit die gesamten
Interaktionen eine Rolle.

Diese Balance zu finden, ist Teil der professionellen Handlungsfähigkeit. Die


Anforderungen an die einzelnen Akteure steigen und führen zu Herausforderungen. In
Organisationen führen Einsparungsmaßnahmen und Veränderungsprozesse zu
Überlastungen und Fluktuation, da Zusatzaufgaben an die Kernaufgaben übertragen
werden. Zeitgleich wird eine Versorgung bei möglichst hoher oder zumindest
gleichbleibender Qualität gefordert. Hier die Balance zu finden, ist nicht nur reine
Privatsache, sondern liegt ebenso in der Verantwortung der Organisationen, welche
beispielsweise mit Maßnahmen wie Supervision, Coaching, Metakommunikation sowie
Reflexion dem Nachlassen des professionellen Sinngefühls entgegenwirken10 müss(t)en.

Der Blick in Organisationen zeigt, dass sie nicht immer das sind, was sie zu sein vorgeben.
Führungskräfte im medizinischen Bereich sind Experten ihres Faches. Gleichzeitig wird
angenommen, dass diese Experten als Führungskraft, neben dem Fachwissen, auch
Managementfähigkeiten und Führungsqualität aufweisen und diese einsetzen.11

Die Zusammenarbeit der Berufsgruppen ist im Krankenhausalltag mehrfach schwierig. Die


Professionalisierungsbestrebungen der diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger

8 Baller, Schaller 2017: 5


9 Vgl. Krainz 2011: 115
10 Vgl. Krainz 2011: 115-116
11 Vgl. Krainz 2011: 121-122

16
ergeben Abgrenzungsprobleme zur Medizin. Auch die Parallelhierarchien in den
Berufsgruppen machen Kooperation nicht einfacher. Mediziner orientieren sich vermehrt
nach außen (Fachspezialisierungen, Karriere usw.) und die Ziele innerhalb der
Organisation nehmen eine eher untergeordnete Rolle ein. Es entstehen berufs- und
zuständigkeitsübergreifende Konflikte, weil ein Anerkennungsbestreben im eigenen
professionellen Bezugsrahmen vorherrscht. Um langfristig Gesundheitsorganisationen zu
sichern, müssen Gemeinsamkeiten in der innerbetrieblichen Kooperation und
Entscheidungsfindung herausgearbeitet werden.12 Zu bedenken ist, dass die Delegation
ärztlicher Tätigkeiten an die Pflege keine Konkurrenz für Mediziner, aber auch keine reine
Substitution darstellt. Wichtiger erscheint in diesem Zusammenhang eine klare
Kommunikationsstruktur zwischen den medizinischen Berufen, um den wirtschaftlichen
Optimierungsprozessen und optimalen Versorgungsnotwendigkeiten entgegenzukommen.
Nicht zu unterschätzen ist das Entstehen neuer Berufsgruppen in der Pflege, die von der
Servicekraft (sie ist nicht pflegezugehörig – spielt aber im Ablauf eine Rolle) bis hin zur
diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege reichen. In diesem Kontext darf nicht
unerwähnt bleiben, dass überdies zwei andere Berufsgruppen zwischengeschaltet werden
bzw. sind, welche die Kommunikationsstrukturen nicht unbedingt erleichtern. Zudem wird
das Akademisierungsbestreben von ärztlicher Seite als wenig notwendig empfunden.13
Darüber hinaus kommt die Novellierung des Gesetzes der Gesundheits- und Krankenpflege
in Österreich aus dem Jahr 2016. Neben den bisherigen Akademisierungsbestrebungen im
Bereich Management und Pflegewissenschaft kommt hinzu, dass die diplomierte
Gesundheits- und Pflegefachkraft nun im tertiären Bildungssektor auf
Fachhochschulniveau ausgebildet wird und mit dem akademischen Grad „Bachelor“
abschließt. Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegekräfte fühlen sich nach wie vor in
ihrer Leistung zu wenig von Ärzten anerkannt. „Pflegekräfte fühlen sich häufig in ihrer
Leistung durch die Ärzte zu wenig anerkannt.“14

Die Anerkennungsthematik ist in beiden Berufsgruppen präsent, denn junge Ärzte müssen
oft auf die Erfahrungen der Pflegekräfte zurückgreifen und beide Berufsgruppen haben mit
dem jeweiligen Gegenüber aus den Berufsgruppen unterschiedliche, positive oder
negative, Erfahrungen gemacht, die die weitere Zusammenarbeit prägen.15

12 Vgl. Offermanns 2006: 43


13 Vgl. Schmeck-Lindenau 2010: 170-172
14 Kursawe, Guggenberger 2013: 4
15 Vgl. Kursawe, Guggenberger 2013: 4; vgl. Hibbeler 2011: A2140

17
Nicht geordnete Befunde oder nicht weggeräumtes Kaffeegeschirr sind Symptome im
Konfliktgeschehen, die aber noch nicht den Kernkonflikt darstellen. Über Banalitäten
werden dann Grundkonflikte ausagiert, die grundsätzlich auf fehlende
(zwischenmenschliche) Kommunikation oder unzureichende Aufgabenverteilungen
zurückzuführen sind. Es gibt zur Thematik viel subjektives Alltagswissen, aber exakt für
dieses Themengebiet wenige empirische Daten.16 Arbeitspsychologische Angaben aus
einer großangelegten Studie im Jahr 2008 von Bartholomeyczik und anderen ergaben, dass
„[…] Ärzte ihre Arbeitsstrukturen als die vorrangigen ansehen und die der Pflegenden an
ihre Prioritäten anzupassen seien.“17 Zu dem gesellen sich Delegationsprinzip und
Arbeitsverdichtung und dies betrifft vor allem „[…] die Delegation von Aufgaben teurerer
Berufsgruppen an die billigeren, vor allem von den Ärzten an die Pflegenden […]. Sie
konnten offenbar Aufgaben leichter delegieren, während die Pflegenden angaben, dass das
für sie im Wesentlichen unverändert geblieben war. Das bedeutet, dass bei allgemein
steigender Arbeitsverdichtung, Ärzte Aufgaben weitergeben konnten und zwar an die
Pflegenden, während diese kaum etwas abgeben konnten. Gleichzeitig aber wurden
Ärztestellen ausgebaut […] und Pflegestellen abgebaut. Die Arbeit für die Pflegenden
verdichtet sich unter diesen Strukturbedingungen noch mehr als die der Ärzte.“18

In Organisationen geht es nicht nur um bestimmte Regeln, die Ziele und Zwecke verfolgen,
sondern sie geben eine Erwartung vor, wie sich die Menschen darin zu verhalten haben.
Der Mensch ist bestrebt, Organisationen nach bestimmten Vorstellungen zu optimieren und
Frustration entsteht, wenn nicht alle Mitglieder in gleicher Weise mit- und umgestalten
können. In der soziologischen Systemtheorie bestehen soziale Systeme nicht nur aus
Personen, sondern auch aus den darin vorhandenen Kommunikationen. Jedes System hat
dafür eigene Regeln und Muster, die zu beachten sind.19 Die Organisation ist daher als
Handlungsspielraum für das Kompetenzspektrum der einzelnen Professionen zu sehen,
um Gesundheitseinrichtungen zukunftsorientiert und erfolgreich lenken zu können. Es
erscheint den Verantwortlichen daher nach wie vor sinnvoll, Kompetenzen zu bündeln.20

Veränderungen von Organisationen sind auch Reaktionen auf veränderte


Umweltbedingungen. Im öffentlichen Gesundheitsbereich, wo Konkurrenz bislang nicht
sonderlich präsent war, geschehen Anpassungsprozesse eher träge.
Organisationsentwicklung bedeutet, sich nach außen und innen, möglichst zeitgleich, zu

16 Vgl. Hibbeler 2011: A2140


17 Bartholomeyczik et al. 2008: 57
18 Bartholomeyczik et al. 2008: 57
19 Vgl. Grossmann, Scala 2011: 31
20 Vgl. Rosenthal, Wagner 2004: Vorwort

18
verändern. Organisationen verfügen zumeist über das notwendige Wissen für
Veränderungen. Im Gegensatz dazu erkennen sie eigene Ressourcen schwer und können
diese demzufolge nicht vollständig nutzen. Diese Verknüpfung ermöglicht allerdings erst
Organisationsentwicklung. Es erscheint dazu sinnvoll, Experten hinzuzuziehen, um den
Akteuren im Organisationsentwicklungsprozess durch andere Kooperationen neue Wege
zu eröffnen. Um gesunde, seien es physische oder psychische, Bedingungen in
Organisationen schaffen zu können, werden die innere Entwicklungsdynamik und das
Verhältnis von Organisationen zueinander als Wissensbasis benötigt.21

Die Kommunikation zwischen Ärzten und diplomierten Gesundheits- und


Krankenpflegefachkräften braucht ein Klima der Offenheit, in dem ein Austausch stattfinden
kann, der es ermöglicht, deren beider fachliche Kompetenzen zu bündeln. Kenntnisse, die
letztendlich dem gesamten Behandlungsprozess dienlich sind.22 Allerdings wird dies durch
kurze Liegedauern (wenig Zeit für einen formal eingerichteten Prozess) und den
vorwiegenden Fokus auf eine grundsätzlich diagnostisch-therapeutische Behandlung
erschwert.

Die Kritik am Kommunikationsprozess geht aus Sicht der Pflege in Richtung fehlende oder
unzureichende Absprachen. Die Mediziner sehen die Absprachen als klar und beklagen
fehlendes Verständnis für ihre Arbeitsbelastung. Darüber hinaus sind es
Missverständnisse, welche im Kommunikationsprozess als schwierig angesehen werden.
Fehlende Absprachen und Missverständnisse beeinflussen den Arbeitsprozess negativ –
so der Grundtenor der Pflege. Eher ist ein ständiger Zeitmangel der Grund für eine
reduzierte Kommunikation der Ärzte, was von der Pflege wiederum als ein Fehlen von
Absprachen wahrgenommen wird.23

„Eine offene Kommunikation [...] ist dabei der Schlüssel. Allerdings ist es
unabdingbar, dass der Mediziner diesen Prozess aktiv steuert. Die Kontrolle über
den medizinischen Prozess muss dabei ebenso in den Händen des Mediziners
bleiben wie die Steuerung des Kommunikationsprozesses.“24

Endet der Abschnitt „Ausgangslage und Problemstellung“ mit diesem angeführten Zitat und
den vorangegangenen Beschreibungen aus dem Krankenhausalltag, wird damit deutlich
gemacht, dass die Dissertation und die darin enthaltene empirische Forschung als sinnvoll
erachtet werden darf, um die Kommunikation und Zusammenarbeit der Berufsgruppen und

21 Vgl. Grossmann, Scala 2011: 15-21


22 Vgl. Kursawe, Guggenberger 2013: 4
23 Vgl. Kursawe, Guggenberger 2013: 4-5
24 Kursawe, Guggenberger 2013: 4

19
die darin wirkenden Einflussfaktoren zu untersuchen und im Anschluss die
Zusammenhänge darzulegen und diese zu interpretieren.

Eigene Beobachtungen aus dem Krankenhausalltag bekräftigen die Notwendigkeit der


vorliegenden Untersuchung. Unzählige Zusammenkünfte und Situationen, die im Erleben
der Autorin vorgekommen sind, sollen damit nicht nur subjektives Empfinden bleiben,
sondern über die Forschungstätigkeit auch fundierte Antworten liefern. So zum Beispiel die
eigenen Abhängigkeiten von Ärzten im Laboralltag und die Beobachtung von
Kommunikationsgewohnheiten bei Besprechungen, in denen wer mit wem spricht an
Bedeutung gewinnt – wobei es nicht nur die hierarchische Ordnung ist, sondern auch die
Zugehörigkeit zur Berufsgruppe eine entscheidende Rolle spielt. Damit kann auf die
Aktualität des Themas übergeleitet werden, da diese Beobachtungen nach wie vor gegeben
sind.

Aktualität des Themas

Die Zusammenarbeit von Medizin und Pflege im Krankenhaus ist geprägt durch das
individuelle Verhalten und die Kompetenzen der einzelnen Berufsgruppen. In der
vorliegenden Arbeit ist das zentrale Thema die zwischenmenschliche Kommunikation im
Krankenhaus, im Speziellen zwischen den Berufsgruppen Medizin und Pflege. Dabei geht
es weniger darum, eine professionelle Unternehmenskommunikation zu untersuchen.
Wobei dieser Aspekt sicherlich nicht unbedeutend ist und höchstwahrscheinlich auch in
enger Verbindung damit steht. Zum dauerhaft interessanten Thema wird die vorliegende
Arbeit durch den derzeitigen Paradigmenwechsel in den Gesundheitsberufen. Dazu
gehören die Akademisierungsprozesse im Pflegebereich, die zeitgleich zu einer Einführung
neuer Berufsgruppen führen, aber auch der Ärztemangel, der sich weiter abzeichnet,
gepaart mit dem demographischen Wandel, im Zuge dessen Überalterung und
Multimorbidität unaufhaltbar sind. So ist das Thema abgeklärt und gegenwärtig zugleich.

Für das sich im Wandel befindliche Gesundheitswesen ist Kommunikation eine


Schlüsselkompetenz, um team- und patientenorientierte Ziele verfolgen zu können. Der
Patient wird zunehmend zum Kunden. Der Paradigmenwechsel muss auch begleitet
werden und es braucht dazu die Förderung und Forderung sozialer Kompetenzen. Die
fachliche Kompetenz mit fehlender Sozialkompetenz führt zu Abwanderung der Patienten,
aber auch der Mitarbeiter.25 Das gilt vor allem für den privaten Bereich, aber auch öffentliche
Krankenhäuser können darauf nicht verzichten. Zumal es dort ebenso Qualitätskriterien und

25 Vgl. Schaller, Baller 2007: 1175

20
Stellen für Patientenanliegen und Beschwerden gibt, die eine fehlende soziale oder
„weiche“ Kompetenz feststellen.

Der Ausbildungskontext von Ärzten ist wenig darauf ausgerichtet, die angehenden Ärzte
auf Teamkommunikation vorzubereiten.26 Ein Turnusarzt erklärt zum Thema
Kommunikation im Studium: „Ich möchte sagen, drei Viertel waren für mich als Arzt
vielleicht zu theoretisch, zu sehr in die Psychologie gehend und zu wenig für unser
Berufsbild, aber ein Viertel war wirklich Schulung.“27 Die Recherche in Curricula der
Humanmedizin ergibt, dass es im Jahr 2017/18 modulartige Themenblöcke zur
Ärztekommunikation gibt, laut Beschreibung geht es hier hauptsächlich um die Arzt-
Patienten-Kommunikation und nicht um Teamkommunikation. Die Gesundheits- und
Krankenpflege hat im Ausbildungsplan Kommunikation und Konfliktmanagement sowie
Supervision ausgewiesen, allerdings ist das Curriculum der Bachelor Nurse nahezu frei von
Kommunikationslehrveranstaltungen und zur Gänze frei von Gruppendynamik. Ob dies in
Zukunft weitere Auswirkungen haben wird, ist eine ernstzunehmende Frage, da
Sozialkompetenz neben der Fachkompetenz (in sozialen Berufen) einen nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf das Miteinander hat.

Fehlender Teamgeist, sprachliche Unzulänglichkeiten, stressbedingte Informationslücken


sowie das fehlende Können, konstruktives Feedback zu erteilen, sind Beispiele von
Kommunikationsproblemen, die im Krankenhaus zu (fatalen) Zwischenfällen führen
können.28 Daher ist es eine Notwendigkeit, sich dem Thema Kommunikation zwischen den
Berufsgruppen im Krankenhaus zu widmen, um die Problematik und die beeinflussenden
Faktoren aufzuzeigen und das Reflexionsvermögen der Individuen, aber auch der
Organisation anzuregen.

Krankenhäuser und deren Akteure sind immer wieder Gegenstand medialer


Aufmerksamkeit. Damit entfallen auch Zuschreibungen auf die Berufsgruppen der Medizin
und Pflege. Derzeit fokussiert sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Personalmangel
in Medizin und Pflege und die Novellierungen aus dem Jahr 2016 des Gesundheits- und
Krankenpflegegesetzes mit den darin enthaltenen Änderungen. Der Umstieg der
Gesundheits- und Krankenpflegeschulen auf das tertiäre Bildungsniveau ist immer wieder
Thema und zum Teil in Österreich bereits umgesetzt. Die Möglichkeit für Pflegefachkräfte
Pflegewissenschaften und Pflegemanagement zu studieren, führte dazu, dass
Gesundheits- und Krankenpflegefachkräfte in Österreich seit einigen Jahren akademische

26 Vgl. Schaller, Baller 2007: 1175


27 IP 9, Z: 186-188
28 Vgl. Schaller, Baller 2007: 1715

21
Titel erwerben. Im Ausland ist eine akademische Laufbahn der Pflege bereits seit vielen
Jahren möglich, wo auch die basalen Ausbildungszugänge anders aufgebaut sind.

Die alten Denkmuster über Mediziner als „Götter in Weiß“ und die „helfende, devote
Schwester“ bröckeln, zumindest öffentlich, sind aber als Klischees nach wie vor
gesamtgesellschaftlich vorhanden. Es werden Krankenhausserien und -filme produziert,
die dafür Sorge tragen, bestimmte Bilder und Zuschreibungen aufrechtzuerhalten. Der
Fernsehdoktor und die Schwester nehmen bestimmte Rollenbilder ein, selten ist etwas nicht
machbar und wenn dies ausnahmsweise doch der Fall sein sollte, geschieht im letzten
Moment noch ein Wunder. Nur wenige Serien greifen auch das Bild von Trauer,
Hilflosigkeit, Überforderung und Wirtschaftlichkeit auf.

Die Akademisierung der diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege bringt durchaus


eine Professionalisierung bezüglich der Pflegewissenschaft mit sich, aber es bleibt fraglich,
inwiefern das vertiefende Wissen Einfluss auf die Zusammenarbeit haben wird. Das
Berufsgesetz der beiden Berufsgruppen nimmt darüber hinaus Einfluss auf das
Kommunikationsverhalten, da es nach wie vor eine Anordnungs- und
Durchführungsverantwortung gibt. Genau geregelte Tätigkeitsbereiche geben Orientierung,
wer was zu machen hat, aber es gibt auch übergreifende Tätigkeitsfelder, die Probleme in
der Zusammenarbeit und Kooperationsleistung darstellen. Die Kombination aus Gesetz,
Hierarchie und Gruppe beeinflusst sowohl Kommunikation als auch Entwicklung der
Organisation. Es kommen darin Widersprüche vor, welche es zu erkennen und bearbeiten
gilt.

Forschungsziel und Forschungsfrage

Die Arbeit nimmt Bezug auf die Kommunikationsgewohnheiten im inter- und


intradisziplinären Bereich von Ärzten und diplomierten Gesundheits- und
Krankenpflegefachkräften. Während des Forschungsprozesses hat die Aktualität des
Themas nicht nachgelassen, da es besonders in dieser Zeit zu Veränderungen gekommen
ist, welche den derzeitigen Ergebnissen und Erkenntnissen noch mehr Bedeutung
zukommen lassen.

Das Hauptaugenmerk dieser Forschung liegt auf der Erarbeitung der Frage: „Welche
Faktoren beeinflussen die Kommunikation im Krankenhaus zwischen den Berufsgruppen
Medizin und Pflege und welche Auswirkungen haben diese auf die
Organisationsentwicklung?“

22
Der wissenschaftliche Nutzen liegt darin, sich dem Thema zu widmen, indem die
Aufmerksamkeit dahingehend geleitet wird, dass die Kommunikation auf formeller und
informeller Ebene in einem Krankenhaus bedeutsam ist. Speziell auch deswegen, da sie
eine entscheidende Kernkompetenz beider Berufsgruppen darstellt. Aber die
Verantwortlichen von Politik, Bildung und Organisation müssen in ihre strategischen
Überlegungen mit einbeziehen, dass Abänderungen auf Gesetzeswegen und
Ausbildungsveränderungen zwar notwendig sind, um den Wandel im Gesundheitswesen
bewältigen zu können, aber es sollten auch Konsequenzen und Tragweite dieser Prozesse
beachtet werden. Das Einführen neuer Berufsgruppen im Pflegebereich wird nicht
ausreichen, um beispielsweise das bisherige Kommunikationsverhalten zu ändern. Im
Gegenteil gewinnt die Situation sogar an Komplexität in der Hierarchie und damit folglich
auch in der Kommunikation. Dadurch erfährt Kommunikation mehr arbeitsteilige Prozesse
mit mehr Schnittstellen, die ohnehin neuralgische Punkte in Organisationen darstellen. Der
zusätzliche Akademisierungsprozess der diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege in
der basalen Ausbildung auf Fachhochschulniveau wird ebenso Einfluss nehmen, da ein
äußerliches Ungleichgewicht für eine nebeneinander agierende Berufsgruppe entstehen
wird. Verhandlungspotential wird es künftig in der Anerkennung als Akademiker
bezugnehmend auf die Entlohnung und in der künftigen Tätigkeitsverteilung im
Krankenhaus geben. Welche Faktoren zusätzlich wirken, werden die
Forschungsergebnisse zeigen, daher auch die oben angeführte Vermutung, dass die
Thematik an Bedeutung einen Zugewinn zu verzeichnen haben wird.

Aufgabe der Dissertation ist es demnach, die Kommunikationsstrukturen bzw. die Wirkung
der Kommunikation als sozialen Prozess zwischen und innerhalb der Berufsgruppen im
Krankenhaus darzulegen und Faktoren zu identifizieren, welche die Kommunikation
beeinflussen. Zeitgleich sollen Auswirkungen auf die Organisationsentwicklung aufgezeigt
werden, welche dem gesamten Veränderungsprozess, dem Auflösen von Idealbildern von
Ärzten und Pflegefachkräften und den neuen Ausbildungsreformen beider Berufsgruppen
auch im organisatorischen Kontext nachkommen müssen. Die vorliegende Dissertation soll
einerseits einen Forschungsbeitrag im Rahmen der Wissenschaft und anderseiseits auch
einen Beitrag für die Akteure im System und die Gesamtgesellschaft leisten. Das
Forschungsvorhaben unterliegt nicht dem Anspruch, ein Kommunikations- oder
Organisationskonzept vorstellen zu wollen, sondern will durch bewusstes Reflektieren die
Selbstwirksamkeit der Handelnden und der Krankenhausorganisation stärken. Dies könnte
sich darüber hinaus positiv auf weitere Krankenorganisationen auswirken.

Für den Forschungsprozess wurden fünfzehn Personen aus Medizin und Pflege zur
Kommunikation anhand eines strukturierten Interviewleitfadens befragt, die Daten

23
ausgewertet und in zwei Rückkoppelungen diskutiert. Die erhaltenen Ergebnisse wurden
anschließend einer Auswertung und Interpretation unterzogen.

Diese Arbeit bietet insgesamt ein zusammenhängendes Verständnis, welches sich durch
die Untersuchung im Miteinander der Berufsgruppen für dieses Forschungsvorhaben
abbilden lässt und welches anzuregen vermag, daraus neue und innovative Wege für die
Organisation Krankenhaus abzuleiten, wie sich beide Berufsgruppen künftig im Zuge ihrer
zu erbringenden Kooperationsleistung verständigen werden.

Aufbau der Arbeit

Nach der Einleitung, die dem Leser einen Überblick verschaffen sollte, ist die Arbeit in
mehrere übergeordnete Themen gegliedert. Beginnend mit dem theoretischen Zugang
folgen die Forschungsergebnisse mit anschließendem Interpretationsteil. Den Abschluss
bilden eine Zusammenfassung, eine kritische Würdigung und ein Ausblick zum Thema. Der
theoretische Teil (Kapitel 3) ist, geleitet von der Forschungsfrage, in verschiedene
Unterthemen gegliedert und beginnt mit dem Abschnitt „Organisation Krankenhaus“
(Kapitel 3 – Abschnitt 3.1.), in welchem die Organisationsformen dargestellt sind, die
Berufsgruppen der Ärzte und diplomierten Gesundheits- und Pflegefachkräfte beschrieben
sowie die Kommunikationsstrukturen in einem Krankenhaus erläutert werden. Der
Abschnitt „Kommunikation als Gegenstand der Wissenschaft“ (Kapitel 3 – Abschnitt 3.2.)
ist eine Einführung in die Kommunikationswissenschaften und vereinzelte
Kommunikationsmodelle, wobei die Modelle von Schulz von Thun im Fokus stehen. Das
Kommunikationsquadrat, welches für ausreichend bekannt gehalten wird, ist in Kürze
beschrieben, weiters erfahren die Kommunikationsstile und deren Wirkung, die mitunter
ursächlich für zwischenmenschliche Kommunikationsprobleme sind, eine genauere
Abhandlung. Zudem beinhaltet das Kapitel Ansätze von Paul Watzlawick, Virginia Satir und
Eric Berne. Nach der zwischenmenschlichen Kommunikation, sei es die reine
Informationsweitergabe oder Kommunikation, bei der es um Vergemeinschaftung geht und
damit im Alltag in Organisationen auch Konfliktursachen hervorbringt, widmet sich der
theoretische Teil anschließend dem Thema „Gruppendynamik“ (Kapitel 3 – Abschnitt 3.3.),
deren Wirkung in Organisationen nicht zu unterschätzen ist. Hier erfahren Themen wie
phasenförmige Entwicklung und Spannungsfelder, die sich in homogenen und heterogenen
Gruppen ergeben, eine theoretische Abhandlung sowie die Gruppe in Organisationen.
Zuletzt wird aus theoretischer Sicht das Thema „Konflikte“ (Kapitel 3 – Abschnitt 3.4.)
erörtert. Organisationsdynamiken bzw. Prozesse in Organisationen, individuelles
Kommunikationsverhalten und gruppendynamische Phänomene führen zu Konflikten,

24
daher mündet der theoretische Teil in dieser umfassenden Thematik rund um Konflikte und
Konfliktmanagement, wo dem Leser Autoren wie Gerhard Schwarz, Friedrich Glasl, Peter
Heintel sowie Ewald E. Krainz und deren Erkenntnisse begegnen werden. Schwarz, Heintel
und Krainz erläutern jeweils auch die Zusammenhänge von Gruppen in Organisationen,
Hierarchien und Konflikten, die bereits in den vorherigen Abschnitten immer wieder
aufkommen. Mit den Erkenntnissen unter anderem von Glasl und den genannten Autoren
wird die Notwendigkeit von Konfliktfähigkeit und -festigkeit, die gerade in
anthroposophischen Einrichtungen bedeutend erscheinen, hervorgehoben.

Dem Kapitel 3 folgt ein weiteres theoretisches Kapitel mit Fokus auf die empirische Analyse
mit dem Titel „Empirie“ (Kapitel 4). Es stellt den theoretischen Zugang zur empirischen
Vorgehensweise vor. Hier geht es um die angewandte Interventionsforschung im
Allgemeinen, die theoretischen Aspekte rund um das qualitative Interview, die
Rückkoppelung und die Auswertungsmethoden.

Das Kapitel „Forschungsergebnisse“ (Kapitel 5) präsentiert eine detaillierte


Zusammenfassung der gesamten Ergebnisse aus den Interviews. Gegliedert sind die
Forschungsergebnisse nach relevanten Themenbereichen und den daraus resultierenden
forschungsrelevanten Fragen, aus denen in der Folge die Hypothesen für die
Rückkoppelungen generiert wurden. Diese Hypothesen wurden in den
Rückkoppelungsveranstaltungen zur Diskussion gebracht, woraus sich eine zusätzliche
Ergebnispräsentation mit der Überschrift „Die Rückkoppelungen“ (Kapitel 6) ableiten lässt.
Dieses Kapitel ist in „Ergebnisse der ersten Rückkoppelung“ (Kapitel 6 – Abschnitt 6.1.) und
in „Ergebnisse der zweiten Rückkoppelung“ (Kapitel 6 – Abschnitt 6.2.) unterteilt. Nach den
Forschungsergebnissen aus den Interviews und den Rückkoppelungen folgt das Kapitel
der „Interpretation der Ergebnisse“ (Kapitel 7), wo die Ergebnisse eine Interpretation (nach
Themenschwerpunkten) erfahren.

Den Abschluss der Arbeit bildet eine „Zusammenfassende Darstellung“ (Kapitel 8), in der
eine verdichtete Darstellung des Forschungsvorhabens die Dissertation schließt. Die
„Kritische Würdigung mit Ausblick“ (Kapitel 9) schafft einen Reflexionsbogen und stellt eine
Anregung für zukunftsweisende Themen dar, in welcher Art und Weise vertiefende
Möglichkeiten offenstehen und wo es sinnvoll erscheint, mit einem weiteren oder überhaupt
weiteren Forschungsvorhaben anzuschließen. In Kapitel 10 ist die verwendete Literatur in
einem „Literaturverzeichnis“ angeführt. Die gesamten Ergebnisse liegen als Audio- bzw.
Transkriptionsdateien bei der Autorin und dem Erstbetreuer auf.

25
3. Theoretische Grundlagen

In den theoretischen Grundlagen werden die Themen Organisation, Kommunikation als


Wissenschaft, Konflikte und Gruppendynamik in Bezug auf das Thema Kommunikation im
Krankenhaus als Abriss und Basiswissen herausgearbeitet. Der theoretische Teil stellt eine
übergeordnete Relevanz für das Forschungsvorhaben und die daran anschließende
Interpretation dar.

Organisation Krankenhaus

Von der Geburt bis zum Tod haben Menschen es grundsätzlich mit Organisationen zu tun.29
In der Regel machen es Geburten, Unfälle und Erkrankungen notwendig, ein Krankenhaus
aufzusuchen. Ärzte und Pflegefachkräfte sind hier unter anderem die Hauptakteure (es gibt
auch andere, wesentlich am Prozess beteiligte Fachkräfte), die sich während eines
Krankenhausaufenthaltes intensiv mit Patienten auseinandersetzen und am arbeitsteiligen
Prozess der Behandlung maßgeblich beteiligt sind. Daher spielen auch deren
Kommunikationsgewohnheiten und -verhalten sowie die gegenseitige Wirkung aufeinander
eine Rolle.

Ein Krankenhaus ist nicht zwingend „gesund“ – ein Paradoxon, mit dem klargemacht wird,
dass es organisationsseitig „interne Krankheiten“ gibt, die beispielsweise für die
Kommunikationsstrukturen oder die Führungsaufgaben Herausforderungen darstellen. So
sind zum Beispiel Führungskräfte in Krankenhäusern in der Regel fachkompetent (gerade
ärztliche Führungskräfte zeichnen sich durch ihre fachliche Expertise aus), aber nicht
gleichzeitig führungskompetent.30 Durchdachte Abläufe und führungsgewandte Experten,
die ein Verständnis für Führung und Gruppen entwickeln, sind daher an Schnittstellen
Voraussetzung, damit Kommunikation und Kooperation gelingen.

„Organisationen sind nicht von einer einheitlichen Rationalität geprägt. Stattdessen


bilden sich an verschiedenen Stellen der Organisation Subsysteme aus, die ihre
jeweils eigene Rationalität entwickeln. Infolgedessen verfügt jede Berufsgruppe […]
und jede Abteilung über eigene Interessen und Ziele, Denk- und Sichtweisen,

29 Vgl. Kühl 2011: 9


30 Vgl. Krainz 2011: 120-121

26
Problemwahrnehmungen und Lösungswege, die aus ihrer Sicht selbstverständlich
erscheinen.“31

Wissenschaften und Theorien gehen auf den Organisationsbegriff ein. Beschrieben werden
Organisationen mithilfe von Metaphern – zum Teil technisch und zum Teil biologisch –,
womit sich unterschiedliche Problemfelder eröffnen, die mit dem Begriff Organisation in
Verbindung gebracht werden – einerseits zu technisch, anderseits zu „lebendig“.32 Die
Verwendung des Begriffes ist allerdings oft wenig reflektiert, da er auch in diesem Kontext
in zweierlei Hinsicht betrachtet wird. Zum einen als ganzes System und zum anderen im
Rahmen des Organisierens von Unternehmen.33 Werden in Organisationen zur
Prozessregelung falsche Metaphern herangezogen, rufen diese falsche Bilder in den
Vorstellungen der Mitarbeiter hervor und es ist mit der Verwendung der Metaphern mehr
Schaden als Nutzen gestiftet.34

Die Erwartung an eine Organisation ist ein effizienter Ablauf, der durch Arbeitsteilung und
das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter geprägt ist. Damit werden auch Regeln für die
Aufgaben und die Informationsweitergabe erstellt, die einen Eingriff in das Verhalten der
einzelnen Mitarbeiter bedeuten, die dadurch eine mehr oder weniger große Einschränkung
ihres persönlichen Verhaltens erfahren.35 Dies gilt auch für die Berufsgruppen in einem
Krankenhaus, deren Ziel es ist, medizinisch und pflegerisch zu diagnostizieren, zu kurieren
und zu begleiten. Ihr arbeitsteiliger Prozess ist zugunsten des Patienten sichergestellt.

Kühl gibt drei wesentliche Merkmale von Organisationen an: Mitgliedschaft, Zweck und
Hierarchie. Ganz im Gegenteil zur äußeren Umwelt, die größtenteils nach Inklusion strebt,
handelt die Organisation auch dadurch, Mitgliedschaften zu verteilen oder zu verwehren
bzw. zu entscheiden, wer die zuerkannte Mitgliedschaft behalten darf. Sollte sich jemand
nicht an die Regeln und Normen der Organisation halten, droht der Ausschluss. Ein
weiteres zentrales Merkmal einer Organisation ist der Zweck, mit dem Güter, Produkte oder
Dienstleistungen produziert oder erbracht werden. Das letzte Merkmal stellt schließlich die
Hierarchie dar, welche in Organisationen nach wie vor eine wesentliche Rolle spielt, da sie
ein Strukturierungselement ist. Obwohl in weiten Teilen der Gesellschaft für das Abschaffen
von Hierarchien gesorgt wurde, sind diese doch weiterhin in Wirtschaft, Wissenschaft,
Politik und Kunst verortet geblieben.36 Das Krankenhaus ist ebenfalls hierarchisch

31 Schwarz 2016: 43
32 Vgl. Krainz 2011: 122
33 Vgl. Schreyögg 2008: 4
34 Vgl. Krainz, Paul-Horn 2009: 37
35 Vgl. Schreyögg 2008: 15
36 Vgl. Kühl 2011: 17-21

27
aufgebaut. Unter der kollegialen Führung, die sich aus Medizin, Pflege und Verwaltung
zusammensetzt, gibt es innerhalb der Berufsgruppen hierarchische Strukturen. Zwischen
den Berufsgruppen der Mediziner und Pflegefachkräfte drängt sich, neben der Hierarchie,
die Anordnungs- und Durchführungsverantwortung. Unterschiedliche Wahrnehmungen in
Abstimmungs-, Entscheidungs- und Anordnungsnotwendigkeiten sind daher
Alltagsrealitäten, die es zu bewältigen gibt.

Neben den drei Merkmalen wird zwischen formaler und informaler Organisation
unterschieden. Formaler Organisation liegen formale Regeln zugrunde, welche als
Erwartungen der Organisation an ihre Mitglieder interpretiert werden können. Es wird
erwartet, dass sich alle Mitglieder an die Regeln halten und ein spezielles Verhalten zeigen.
Dies sorgt für Struktur, Begrenzung des Handlungsrepertoires sowie klare Anweisungen.
Die Dichte dieser Regeln variiert (im Zeitverlauf) innerhalb von Organisationen.
Charakterisiert werden diese Regeln nach Gutenberg durch die Unterscheidung in
generelle und fallweise Regeln. Generelle Regeln legen dauerhaft fest, wie gewisse immer
wiederkehrende Aufgaben zu lösen sind, während die fallweisen Regeln (Ad-hoc-
Regelungen) Bezug auf den speziellen und individuellen Einzelfall nehmen. Es sind die
generellen Regeln, die der Organisation Struktur geben und Verhaltensweisen kalkulierbar
machen. Daher werden diese auch als „Routine“ bezeichnet. Allerdings dürfen diese
Regeln nicht überhandnehmen. Schreyögg weist auf die Gefahr einer Überstrukturierung
hin, vor allem sollen keine generellen Regeln für jene Tatbestände erzwungen werden, die
sich ständig verändern. Neben diesen offiziellen Regeln gibt es informelle Regeln, Normen
und Werte. Dies betrifft auch eigene informelle Kommunikationswege, Hierarchien und
Sanktionen. Diese komplementäre Seite hat Einfluss auf die Organisation.37 Der
Unterschied zwischen formeller und informeller Kommunikation ist ein Aspekt, der nicht
unwesentlichen Einfluss auf das Tun der Akteure in einer Organisation hat. Eine
Organisation hat in jedem Fall dafür zu sorgen, dass die relevanten Themen, die nicht nur
rationaler Natur, sondern auch emotional behaftet sind, im formalen Rahmen besprochen
werden können. Andernfalls erwächst im informellen Rahmen eine Gegenmacht. Ein
Ausgleich für eine funktionierende Kommunikationsdynamik in einer Organisation ist die
positive Bilanzierung zwischen formeller und informeller Kommunikation.38

An dieser Stelle wird ein historischer Abriss der Entwicklung von Krankenhäusern
angeführt, da Medizin und Pflege unterschiedliche Entwicklungen erlebt haben, die

37 Vgl. Schreyögg 2016: 15-19


38 Vgl. Krainz 2011: 131-132

28
(vermutlich) noch heute Einfluss auf das Verhalten von Mitarbeitern im Krankenhaus haben
(könnten).

Das 19. Jahrhundert erweist sich dabei bis dato als prägendes Jahrhundert. Die moderne
Medizin entwickelte sich mit den geistigen und sozialen Prozessen der damaligen Zeit. Um
die Mitte des 19. Jahrhunderts begannen sich viele Disziplinen an der Naturwissenschaft
(Physik, Biologie und Chemie) und deren Methoden zu orientieren. So wurde auf
wissenschaftlicher Grundlage ein neues Verständnis von Medizin und Pflege erarbeitet. Vor
allem der Einsatz chemischer Methoden sorgte für Aufklärung körperlicher Vorgänge.
Ebenfalls gelangen Durchbrüche im Bereich der Pharmakologie. Die hier beginnenden
Entwicklungen führten binnen weniger Jahrzehnte zur Grundlage eines vollkommen neuen
Weltbilds der Medizin und dies erklärte die wissenschaftliche Medizin selbst zur
Naturwissenschaft. Mit ihrer Hilfe gelang es, Volksseuchen und Infektionskrankheiten
einzudämmen. Ebenfalls entwickelten sich die Einzelfächer der Medizin, was zwangsläufig
zu einer Veränderung des Verständnisses für Krankenhäuser und infolgedessen zu
Modernisierung sowie Professionalisierung führte.39 Dieser Prozess dauert bis heute an.
Spezialisierungen nehmen weiter zu – bereits an dieser Stelle wird darauf hingewiesen,
dass Ärzte nach dem Abschluss des Studiums der Humanmedizin eine neunmonatige
Basisausbildung absolvieren müssen und dann bereits eine Facharztausbildung anstreben
können, ohne – wie früher üblich – den dreijährigen Turnus anzuschließen. Damit entsteht
eine Lücke, weil somit nicht jeder Arzt auch ein Allgemeinmediziner ist bzw. wird. Auch die
Pflege erlebt seit Jahren Spezialisierungen, die allerdings nach dem Allgemeindiplom
angeschlossen werden. Dazu zählen beispielsweise Sonderausbildungen in der
Intensivmedizin oder im operativen Bereich, die teilweise für die Tätigkeit als Pflegekraft in
einem bestimmten Bereich per Gesetz erforderlich sind.

Betrachtet man nun die Geschichte der Pflege als Pendant zu jener der Medizin, so ergibt
es sich, dass erste Ansätze der Pflege bereits zur Zeit der Christianisierung stattfanden:
der Dienst am Nächsten, am Schwachen. Durch die Herausbildung von Universitäten im
Mittelalter und der Möglichkeit, dort Medizin zu studieren, wurden Pflege und Medizin
voneinander getrennt. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges wurde Pflege zum ersten Mal
entgeltlich ausgeführt. Das Personal (bezeichnenderweise „Wärter“ genannt) besaß aber
kaum Wissen über pflegerische Tätigkeiten, sondern überwachte die zu pflegenden
Menschen. Im 19. Jahrhundert formierten sich sogenannte „Mutterhäuser“, welche die
ersten Ausbildungsstätten für Pflege darstellten. Um 1906 konnte man schließlich eine

39 Vgl. Seidler, Leven 2003: 179-199

29
Prüfung zur Krankenpflegeperson absolvieren. Im Laufe der Zeit etablierte sich die Pflege
als wissenschaftliche Disziplin und es kam in einem steigenden Maß zur
40
Professionalisierung , die sich in den letzten Jahren in Österreich durch unterschiedliche
Studiengänge institutionalisierte und mit der Grundausbildung für die diplomierte
Gesundheits- und Krankenpflege in den tertiären Bildungsbereich übergeht.
Spezialisierungen als vertiefende Studiengänge sind in Planung.

Als Ergänzung soll hier angemerkt werden, dass es im Zuge der Sozialgeschichte zu einer
Verberuflichung pflegerischer Leistungen kam, die davor im häuslichen Kontext
stattfanden. Die Bildung des Pflegeberufs begann als eine Ausbildung mit anschließender
bezahlter Tätigkeit. Dies geschah in der industrialisierten Gesellschaft, die zunehmend
häusliche Bereiche wie Pflege und Erziehung vergesellschaftete. Solange die
außerfamiliäre Pflege von kirchlichen und caritativen Organisationen übernommen wurde,
solange gab es keinen Bedarf für einen eigenen Beruf. Durch die vielen europäischen
Kriege im 19. Jahrhundert wurde die Notwendigkeit eines eigenen, effektiven
Sanitätswesens deutlich. Aber auch im Zuge der pflegerischen Ausbildung gab die
Kriegskrankenpflege wichtige Anstöße. Bald begannen sich auch Bürgerrevolutionen und
Frauenbewegungen durchzusetzen. Frauen wollten einen Beruf ausüben und es gab einen
Bedarf an Pflege und pflegerischen Tätigkeiten, die dem weiblichen Geschlecht
zugeschrieben wurden. Einen weiteren wichtigen Einflussfaktor stellt die Herausbildung
bzw. die Professionalisierung von Gesundheitswesen und Medizin im 19. Jahrhundert dar,
weil Kranke nicht nur wegen Kriegen, sondern auch wegen Bevölkerungszuwachs,
Massenelend und Volkskrankheiten außerhäuslich versorgt werden mussten.41 Werden an
dieser Stelle die historischen Hintergründe verglichen, zeigt sich eine unterschiedliche
Berufssozialisation, die scheinbar bis heute in das Verhalten der Berufsgruppe einwirkt. Die
Pflege wirkt weiter eher untergeordnet und dienend, was durch die gesetzlichen
Grundlagen der Anordnungs- und Durchführungsverantwortung gefestigt wird.

Wird nun die Organisation Krankenhaus näher betrachtet, zeigt sich, dass neben
Mitgliedschaft, Hierarchie und Zweck auch der Kommunikation eine wichtige Funktion
zukommt. Im Krankenhaus ist die Bedeutung gelingender Kommunikation deshalb
hervorzuheben, weil die Arbeit zwischen Menschen am Menschen stattfindet. Empathische
und situative Kommunikation ist gefordert. Vor allem das direkte Gespräch bleibt weiterhin
ein Element im Sozialsystem Krankenhaus, auf welches nicht verzichtet werden kann.
Kommunikation ist entscheidend, weil der Austausch von Informationen zum Gestalten der

40 Vgl. Wagner 2010: 24-25


41 Vgl. Seidl, Steppe 1996: 18-30

30
verschiedensten Arbeitsabläufe unabdingbar ist. Über Kommunikationsprozesse schaffen
die Mitarbeiter eine Wirklichkeit, über die sie ihr Handeln ausrichten. Die interne
Kommunikation erfolgt prinzipiell nach klaren Regeln und strukturierten Abläufen, muss
aber des Weiteren in formale und informale Kommunikation unterteilt werden. Interne
formelle Kommunikation ist die offizielle Seite im Unternehmen, wobei es sich hier um
geplante und strukturierende Prozesse, die durch Transparenz, Dauerhaftigkeit und
Unabhängigkeit von Personen gekennzeichnet sind, handelt. Für eine Optimierung von
Abläufen, Effizienz und Effektivität soll mit formeller Kommunikation gesorgt werden. Klare
und transparente Strukturen halten Unternehmen zusammen, allerdings sollte eine
Überstrukturierung vermieden werden, da sie Schnelligkeit und Kreativität der Mitarbeiter
hemmt. Der formellen steht die informelle Kommunikation gegenüber. Sie ist
gekennzeichnet durch das Fehlen von Regeln und vorgegebenen Formen. Meist macht die
informelle Kommunikation den weitaus größeren Teil des Kommunizierens von Mitarbeitern
aus. Ihr Entstehen ist in den häufigsten Fällen durch eine bestimmte Situation geprägt, auf
welche die Mitarbeiter reagieren. Informelle Kommunikation lässt sich weder nachprüfen
noch verfolgen, weshalb sie bezüglich Verbindlichkeiten oder Handlungsgrundlagen keinen
Wert vorzuweisen hat. Diese Art des Kommunizierens birgt die Gefahr, sich störend und
schädigend auszuwirken. Auf der anderen Seite stärkt sie Beziehungsaufbau, Austausch
und fördert Zusammenarbeit.42

Zur Hierarchie im Krankenhaus ist hinzuzufügen, dass sie hier vor allem zur
Komplexitätsreduktion eingesetzt wird. Das gesamte Konstrukt Krankenhaus unterteilt sich
in mehrere Subsysteme und verschiedenste Berufsgruppen, die kontinuierlich
zusammenarbeiten.43 Es ist zu verstehen, „[…] dass Organisationen nur dann zielgerichtet
funktionieren und erhalten bleiben, wenn für alle Beteiligten klare Fixpunkte zur
Orientierung erkennbar sind.“44 Im Zuge des Organisierens einer hierarchischen Struktur
im Krankenhaus müssen auch Direktionsrechte bzw. Weisungsbefugnisse angesprochen
werden. Hierbei geht es vor allem um die Trennung von fachbezogenen und
disziplinarischen Weisungsrechten. Denn das Direktionsrecht bezieht sich nicht auf
fachliche Kompetenz, sondern auf die Regelung von Arbeitszeit, Pausenregelungen,
Urlaub usw. Hierbei darf sich der Arbeitgeber selbstverständlich nur innerhalb eines durch
Verträge vorgegebenen Rahmens bewegen. Ein Beispiel zur Unterscheidung dienstlicher
und fachlicher Weisungen wäre folgendes: Ein Arzt darf Pflegefachkräften gewisse

42 Vgl. Korn 2013: 137-141


43 Vgl. Goepfert 2013: 142
44 Goepfert 2013: 142

31
Aufgaben zuweisen, wenn es die fachliche Komponente betrifft
(Anordnungsverantwortung). Er dürfte aber nicht den Dienstplan des Pflegepersonals
gestalten.45

3.1.1. Organisationsformen von Krankenhäusern


Je nach Betrachtungsweise lassen sich verschiedene Organisationsformen von
Krankenanstalten anhand unterschiedlicher Kriterien differenzieren. Im folgenden Kapitel
wird auf die einzelnen Ausprägungsformen der Organisation des Unternehmens
Krankenhaus hinsichtlich der verschiedenen Leistungsbereiche, der Aufbauorganisation
und anschließend bezugnehmend auf den jeweiligen Anstaltszweck eingegangen. Des
Weiteren werden die Organisationsformen anhand der Versorgungsart sowie in
Abhängigkeit von den jeweiligen Rechtsträgern dargestellt. Ausgehend von diesen äußeren
Faktoren, gestalten sich Organisation und Struktur der einzelnen Krankenanstalten
unterschiedlich. Allen Organisationsformen gemein ist jedoch die grundsätzliche Einteilung
der inneren Organisation in die Leistungsbereiche „primär“, „sekundär“ und „tertiär“. Da
dieses Darstellungsmodell auf jede Organisationsform von Krankenanstalten angewendet
werden kann, wird zunächst auf dieses eingegangen.

Die Darstellung der inneren Organisation in Form eines primären, sekundären und tertiären
Leistungsbereichs verdeutlicht die hausintern erbrachten Leistungen in Abhängigkeit zur
Nähe zu den Patienten. Der primäre Leistungsbereich umfasst dabei ausnahmslos die
Pflege und die medizinische Behandlung, die in unmittelbarer Nähe zu Patienten ausgeführt
werden, weshalb diese ihre direkten Ansprechpartner im pflegerischen und medizinischen
Personal sehen. Die Tatsache, dass sich Patienten hauptsächlich auf bestimmten
Pflegestationen und Fachabteilungen aufhalten, verstärkt dieses Empfinden zusätzlich.
Diagnostik und andere Funktionsbereiche erleben Patienten in der Regel als durchaus
wichtig und unbedingt notwendig, stufen ihren Kontakt mit diesen Bereichen jedoch eher
als punktuell und kurzzeitig ein, weshalb diese zum sekundären Leistungsbereich
zusammengefasst werden. Der tertiäre Bereich ist durch seine geringste Patientennähe
gekennzeichnet und verfolgt die Aufgabe, das Funktionieren des primären und sekundären
Leistungsbereichs zu ermöglichen und in weiterer Folge zu unterstützen. Während die
administrative Aufnahme, die Speiseversorgung und der Reinigungsdienst noch geringen
Kontakt zu den Patienten aufweisen, besteht beispielsweise in den Bereichen Verwaltung,
Energieversorgung oder Werkstatt kein Patientenkontakt. Im Zuge der durchaus simplen

45 Vgl. Goepfert 2013: 142-143

32
Darstellung der Krankenhausorganisation ist zu erwähnen, dass die unterschiedlichen
Leistungen innerhalb eines Krankenhauses nicht eindeutig voneinander getrennt betrachtet
werden können und es häufig (notwendige) Überschneidungen gibt.46

Die Organisationsform einer Krankenanstalt hängt maßgeblich von der jeweiligen


Aufbauorganisation und der damit einhergehenden inneren und äußeren Struktur
zusammen. Unterschieden wird dabei zwischen dem traditionellen Dreierdirektorium, der
singulären und pluralen Führungsspitze, der Holdinggesellschaft sowie dem
Krankenhausverbund und dem Kommunalunternehmen. Die Forschung wird in einer Klinik,
die einer Management Gesellschaft zugeordnet ist und am Standort mit einem
Dreierdirektorium sowie als Betriebs GmbH und CoKG geführt wird, angesiedelt. Aufgrund
der Rechtsform besteht diese Klinik aus kaufmännischer Leitung, medizinischer Leitung,
Pflegedirektion und Verwaltungsleitung.

Das Dreierdirektorium, bestehend aus einem medizinischen Direktorium, einem


Pflegedirektorium und einer kaufmännischen Direktion, stellt die traditionelle
Aufbauorganisation in Krankenhäusern dar. Dem medizinischen Direktorium sind die
einzelnen Chefärzte (Primariate) der medizinischen Fachabteilungen unterstellt. Diese
wiederum sind Ober- und Fachärzten und in weiterer Folge Assistenzärzten übergeordnet.
Der Pflegedirektion sind die Abteilungsleitungen (Oberschwestern) und Stationsleitungen
unterstellt. Für einige Felder des sekundären Leistungsbereichs wie Labor oder Radiologie
gibt es keine eindeutige Eingliederung. Sie werden entweder der medizinischen oder der
pflegerischen Direktion zugeordnet. Die Verwaltungsdirektion, als Teil der Dreierdirektion,
ist für die Bereiche Administration, Facility Management, IT, Einkauf und Verpflegung
zuständig und hat somit die ökonomische Gesamtverantwortung inne. Immer häufiger ist
dem Dreierdirektorium eine Geschäftsführung übergeordnet.47

Das Modell der singulären Führungsspitze in Krankenanstalten löst zunehmend dieses


traditionelle Dreierdirektorium als oberste Instanz der Führungsebene ab. In den meisten
Fällen übernimmt die singuläre Führung eine Person in der Rolle der Geschäftsführung,
des Vorstandes oder des Klinikdirektors. Dabei stammt die singuläre Führung häufig aus
dem kaufmännischen Bereich und verfügt über eine hohe Expertise der
Gesundheitsökonomie. Hinsichtlich fachlicher Fragen im Bereich Medizin und Pflege
stehen der singulären Führung die untergeordneten Direktorien dieser beiden Disziplinen
zur Verfügung.48

46 Vgl. Kühlem 2013: 93-95


47 Vgl. Bothe 2013: 127-128
48 Vgl. Bothe 2013: 129

33
Eine sogenannte plurale Führungsspitze besteht hingegen aus mehreren Personen in der
Funktion als Geschäftsführung oder Vorstand, welche eine gemeinsame
Krankenhausleitung bilden. Dabei wird zwischen dem Direktorial- und dem Kollegialprinzip
unterschieden. Beim Direktorialprinzip hat ein Mitglied innerhalb der Geschäftsführung das
alleinige Entscheidungsrecht (z.B. Vorstandsvorsitz). Im Gegensatz dazu ist das
Kollegialprinzip durch eine gemeinschaftliche Entscheidungsfindung in Form eines
Mehrheitsbeschlusses oder Einstimmigkeit gekennzeichnet.49

Weitere Organisationsformen von Krankenhäusern sind Holdinggesellschaften, welche


insbesondere bei Klinikketten anzutreffen sind. Ähnlich der Holdinggesellschaften sind
Krankenhausverbünde, Krankenhäuser als Kommunalunternehmen und Ordensspitäler.50

Hinsichtlich des Anstaltszwecks werden Krankenhäuser in sogenannte Allgemeine


Krankenanstalten, Sonderkrankenanstalten, Pflegeanstalten für chronisch Kranke,
Sanatorien und selbstständige Ambulatorien unterteilt und verfügen je nach Ausrichtung
über eine andere Zusammensetzung an Leistungsangeboten.

Allgemeine Krankenanstalten werden der gesamten Bevölkerung, unabhängig von der Art
der ärztlichen Betreuung, des Geschlechts und des Alters, zur Verfügung gestellt. Die
Intention von Sonderkrankenanstalten hingegen liegt in der Untersuchung und Behandlung
von Patienten gewisser Altersstufen, mit bestimmten Erkrankungen oder für bestimmte
Zwecke. Pflegeanstalten für chronisch Kranke sind speziell auf die ärztliche Betreuung und
besondere Pflege dieser Patientengruppe ausgerichtet. Sanatorien sind Krankenanstalten,
die über eine besondere Ausstattung verfügen, um höheren Ansprüchen in der
Unterbringung und Verpflegung gerecht zu werden. Einrichtungen, welche als
selbstständige Ambulatorien bezeichnet werden, sind organisatorisch selbstständig. Sie
dienen der Untersuchung und Behandlung von Patienten, welche keine direkte
Anstaltspflege benötigen.51

Grundsätzlich wird zwischen öffentlichen, privaten, geistlichen sowie von


Sozialversicherungsträgern geführten Krankenhäusern unterschieden, wobei
Überschneidungen hinsichtlich der Rechtslage nicht auszuschließen sind. In Österreich ist
die stationäre Versorgung zum größten Teil öffentlich organisiert. Dies beinhaltet jedoch
auch die Organisation durch privat-gemeinnützige Eigentümer, welche teilweise über
Öffentlichkeitsrechte verfügen. Die Erbringung stationärer Gesundheitsleistungen in

49 Vgl. Bothe 2013: 129-130


50 Vgl. Bothe 2013: 129-130
51 Vgl. Pöttler 2012: 103-105

34
Österreich wird zum Großteil ausgehend von privatrechtlich geführten öffentlichen
Krankenanstalten, von privat-gemeinnützigen Krankenanstalten (die zum Teil dem
Öffentlichkeitsrecht unterliegen) sowie von privaten Krankenanstalten mit
Gewinnorientierung erbracht.52

Sogenannte öffentliche Krankenhäuser werden durch das Öffentlichkeitsrecht geregelt und


unterliegen daher einem Versorgungs- und Aufnahmegebot: Sie sind dazu verpflichtet,
Kranke beziehungsweise Verletzte zu behandeln. Darüber hinaus ist die gesetzlich
vorgeschriebene Subvention von öffentlichen Einrichtungen der Gesundheitsversorgung
mit laufendem Betrieb Bestandteil des Öffentlichkeitsrechtes der Krankenanstalten. 53
Öffentliche Krankenanstalten haben die Vorgaben des jeweiligen
Landeskrankenanstaltenplans zu erfüllen und müssen gewährleisten können, dass ihr
Bestehen und in weiterer Folge ihr zweckmäßiger Betrieb gesichert sind. Die allgemeine
Versorgungsfunktion muss im öffentlichen Interesse liegen und gemeinnützige Zwecke
verfolgen. Ein Krankenhaus ist demnach als gemeinnützig zu bezeichnen, wenn keine
Gewinnerzielung verfolgt wird, Aufnahmebedürftige nach Maßgabe der
Krankenhauseinrichtungen ohne Ausnahme aufgenommen werden und die Art der
Unterbringung und Versorgung ausschließlich vom jeweiligen Gesundheitszustand
abhängig gemacht wird. Weiters bedingt Gemeinnützigkeit die Unterbringung, Behandlung,
Pflege und Verköstigung von Pfleglingen, bis es aufgrund ihres Gesundheitszustandes
nicht mehr erforderlich ist. Ebenso darf die Bettenanzahl der Sonderklasse innerhalb
gemeinnütziger Krankenanstalten maximal ein Viertel der gesamten Betten für die
Anstaltspflege ausmachen. Als Rechtsträger öffentlicher Krankenanstalten kommen
beispielsweise Bund, Bundesland, Gemeinde und sonstige Körperschaften öffentlichen
Rechts infrage. Auch Stiftungen, öffentliche Fonds sowie einzelne oder Vereinigungen von
juristischen Personen sind mögliche Rechtsträger öffentlicher Krankenanstalten, solange
diese stets öffentlich zugänglich sind.54

Auch Krankenhäuser, bei deren Rechtsträger es sich um Sozialversicherungsträger


handelt, beispielsweise Unfallkrankenhäuser, haben einen öffentlichen Versorgungsauftrag
und werden entsprechend steuer- und beitragsfinanziert.55

Im Gegensatz zu öffentlich geführten stationären Einrichtungen besitzen private,


gewinnorientierte Eigentümer von Krankenanstalten das Recht, Aufnahmen abzulehnen,

52 Vgl. Hofmarcher, Rack 2006: 136-137


53 Vgl. Hofmarcher, Rack 2006: 136-137
54 Vgl. Pöttler 2012: 116-117
55 Vgl. Pöttler 2012: 116

35
da sie dem Öffentlichkeitsrecht nicht unterliegen.56 Stattdessen greift das bürgerliche Recht.
Ebenso sind sie nicht verpflichtet, eine durchgehende und ständige Versorgung ärztlicher
Dienste anzubieten. Lediglich eine sofortige Erreichbarkeit des ärztlichen Personals ist
notwendig. Darüber hinaus ist es privaten Krankenanstalten erlaubt, alle systemisierten
Betten für die Sonderklasse zur Verfügung zu stellen. Zudem sind sie grundsätzlich
Belegspitäler und können durch private juristische Personen verwaltet und betrieben
werden.57

3.1.2. Spezielle Berufsgruppen im Krankenhaus


Bezugnehmend auf die unterschiedlichen Leistungsbereiche innerhalb des Unternehmens
Krankenhaus werden im Folgenden die Berufsbilder der Berufsgruppen der diplomierten
Pflege und der Ärzte erläutert sowie der Bereich der Verwaltung erwähnt. Des Weiteren
wird auf die jeweiligen gesetzlichen Rahmenbedingungen eingegangen. Sie sind hier nicht
unwesentlich, da die Anordnung seitens der Ärzte ein scheinbar wiederkehrendes
„Problemfeld“ in der Kommunikation darstellt. In der Pflege zeigen sich momentan, durch
neu geschaffene Berufsgruppen, Umstellungen zwischen diesen und veränderte
Ausbildungen im tertiären Bildungssektor, gravierende Veränderungen in der eigenen
Anordnungspflicht sowie Verantwortungsdurchführung und -übergabe.

3.1.2.1. Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege

Aufgrund der mit 1. September 2016 in Kraft getretenen Novelle des Gesundheits- und
Krankenpflegegesetzes (GuKG) kommt es zu Veränderungen bei der Bezeichnung des
Pflegepersonals und deren Kompetenzen. Dieses Kapitel widmet sich daher der
Gegenüberstellung der bis vor kurzem noch gültigen Version des GuKG und der aktuellsten
Novelle dieser Rechtsvorschrift. Dabei werden jene Abschnitte, welche nach wie vor gültig
sind, und jene, die im Zuge der Novelle aktualisiert wurden, aufgezeigt.

Das GuKG legt unter anderem fest, welche grundsätzlichen Berufspflichten und
gesetzlichen Rahmenbedingungen für Angehörige der Gesundheits- und
Krankenpflegeberufe gelten. Neben den sogenannten allgemeinen Berufspflichten zählen
auch Pflegedokumentation, Verschwiegenheit, Auskunftserteilung sowie Anzeige- und

56 Vgl. Hofmarcher, Rack 2006: 136-137


57 Vgl. Pöttler 2012: 117-118

36
Meldepflicht hierzu. Die Berufspflichten haben sich in den gesetzlichen Neuerungen nicht
geändert.58

Die Gruppe der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe umfasste bisher den gehobenen
Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege und die Pflegehilfe.59 Im Rahmen der
gesetzlichen Neuerung wurde die Pflegehilfe durch die neu geschaffenen Berufsgruppen
„Pflegeassistenz“ und „Pflegefachassistenz“ ersetzt, der gehobene Dienst der
Gesundheits- und Krankenpflege bleibt weiterhin bestehen.60

Angehörige der Berufsgruppe der diplomierten Pflege tragen die Berufsbezeichnung


„Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger“.61 Zu den pflegerischen Kernkompetenzen
zählen die eigenverantwortliche Erhebung des Pflegebedarfs sowie die Beurteilung der
Pflegeabhängigkeit von Patienten. Darüber hinaus sind Diagnostik, Planung, Organisation,
Durchführung, Kontrolle und Evaluation aller pflegerischen Maßnahmen im Rahmen des
Pflegeprozesses Teil der Kernkompetenzen. Des Weiteren sind Angehörige des
gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege dazu verpflichtet, Prävention,
Gesundheitsförderung und -beratung sowie Forschung im Bereich der Pflege zu betreiben.
Zu den Kernkompetenzen zählen auch die Delegation, Subdelegation und Aufsicht, jedoch
stets unter Abwägung des Komplexitäts-, Stabilitäts- und Spezialisierungsgrades der
jeweiligen Pflegesituation. In diesem Sinne ist der gehobene Dienst für Gesundheits- und
Krankenpflege dazu berechtigt, Unterstützungskräfte anzuleiten und zu überwachen und
Personen, die eine Sozialbetreuung, Personenbetreuung oder persönliche Assistenz
ausführen sowie Pflichtpraktikanten anzuleiten, zu unterweisen und begleitend zu
kontrollieren. Ebenso sind sie zur Anleitung, Begleitung und Beurteilung von
Auszubildenden befugt.62, 63

Bei Auftreten eines Notfalls in Abwesenheit des ärztlichen Personals sind Diplomierte
Gesundheits- und Krankenpfleger für die unverzügliche Verständigung einer ärztlichen
Fachkraft zuständig. Bis zum Eintreffen dieser ist der gehobene Dienst zur
eigenverantwortlichen Durchführung lebensrettender Sofortmaßnahmen verpflichtet. Diese

58 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §§4–9


59 Vgl. Bundesgesetzblatt 1997a: §1
60 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §1
61 Vgl. Bundesgesetzblatt 1997a: §2
62 Vgl. Bundesgesetzblatt 1997a: §14
63 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §14

37
Maßnahmen umfassen Herzdruckmassage, Beatmung, Durchführung der Defibrillation und
Sauerstoffverabreichung.64, 65

Im Bereich der medizinischen Diagnostik und Therapie umfassen die Kompetenzen dieser
Berufsgruppe die eigenverantwortliche Durchführung medizinisch-diagnostischer und
medizinisch-therapeutischer Maßnahmen nach ärztlicher Anordnung. Die Anordnung durch
das ärztliche Personal erfolgt dabei schriftlich und muss nach Ausführung durch Angehörige
der Gesundheits- und Krankenpflege dokumentiert werden. Eine mündliche ärztliche
Anordnung ist möglich, sollte die Dringlichkeit der Situation dies erfordern oder die
Anordnung bei unmittelbarer Anwesenheit des ärztlichen Personals erfolgen.
Voraussetzung ist jedoch eine sichergestellte Eindeutigkeit und Zweifelsfreiheit der
Anordnung. Zu den Kompetenzen zählen außerdem die Verabreichung von Arzneimitteln,
inklusive Zytostatika und Kontrastmittel, die Blutabnahme, das Legen und Entfernen von
periphervenösen Verweilkanülen und von transnasalen und transoralen Magensonden.
Auch die Verabreichung von subkutanen Injektionen von Arzneimitteln zur
Blutgerinnungshemmung und von subkutanen Insulininjektionen fällt in diesen
Kompetenzbereich. Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegern ist es erlaubt, nach
Maßgabe ärztlicher Anordnung, einzelne ärztliche Tätigkeiten an Personen der
Pflegeassistenz, Desinfektions-, Ordinations- und Operationsassistenz oder an
Auszubildende in Gesundheitsberufen weiter zu übertragen. Solch eine Delegationsform
setzt jedoch voraus, dass die ärztliche Anordnung dem Tätigkeitsbereich des
Gesundheitsberufs, an welchen weiter übertragen wird, entspricht. Es muss also
sichergestellt werden, dass die benötigten Fähigkeiten zur Durchführung der Tätigkeiten
vorhanden sind. Außerdem verpflichten sich diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger
im Falle einer Weiterübertragung zur Aufsicht über die übertragenen Tätigkeiten und sie
müssen darüber hinaus auf die Möglichkeit der Ablehnung der übertragenen ärztlichen
Anordnung separat hinweisen.66, 67

Im GuKG werden die Kompetenzen für Angehörige des gehobenen Dienstes für
Gesundheits- und Krankenpflege auch im Rahmen der Arbeit im multiprofessionellen Team
festgelegt. Dabei wird die pflegerische Expertise als Teil des multiprofessionellen
Versorgungsteams bei der Zusammenarbeit mit anderen Berufen angesprochen. Diese
beinhaltet beispielsweise Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten und Unfällen sowie

64 Vgl. Bundesgesetzblatt 1997a: §14a


65 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §14a
66 Vgl. Bundesgesetzblatt 1997a: §15
67 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §15

38
zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit, die Gesundheitsberatung und die ethische
Entscheidungsfindung. Des Weiteren wird in diesem Zusammenhang auch von der
Expertise im Bereich des Aufnahme- und Entlassungsmanagements und der Koordination
des Behandlungsprozesses gesprochen. Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegern
obliegt im Rahmen ihres Kompetenzbereichs im multiprofessionellen Versorgungsteam ein
Vorschlags- und Mitwirkungsrecht sowie die Durchführungsverantwortung für alle
pflegerischen Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang von ihnen gesetzt werden. In
allen bisher genannten Punkten gibt es keine Änderungen im Rahmen der Novelle des
GuKGs, es gelten daher dieselben gesetzlichen Rahmenbedingungen wie bisher.68, 69

Eine Neuerung, welche erstmals in der Novelle vom 1. September 2016 erscheint, regelt
die Weiterverordnung von Medizinprodukten. Diplomierte Gesundheits- und
Krankenpfleger sind demnach dazu berechtigt, bestimmte, vom ärztlichen Personal
verordnete Medizinprodukte weiter zu verordnen. Hierzu ist der gehobene Dienst der
Gesundheits- und Krankenpflege nach ärztlicher Maßgabe solange befugt, bis sich die
jeweilige Patientensituation verändert hat und somit die Weiterverordnung der
Medizinprodukte eingestellt werden muss, die Rückmeldung an das ärztliche Personal
erforderlich ist oder die ärztliche Anordnung geändert wird. Die verordneten
Medizinprodukte abzuändern, ist dem gehobenen Dienst für Gesundheits- und
Krankenpflege untersagt, lehnen sie die Weiterverordnung ab oder stellen diese ein, so
muss das anordnende ärztliche Personal darüber verständigt werden.70

3.1.2.2. Pflegeassistenz (vorm. Pflegehilfe) und Pflegefachassistenz

Seit dem 1. September 2016 bestehen innerhalb der Gruppe der Pflegeberufe die
sogenannte „Pflegeassistenz“ und „Pflegefachassistenz“, welche die Pflegehilfe ablösen
und wie diese die Unterstützung des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und
Krankenpflege und Ärzte zur Aufgabe haben. Grundsätzlich übernehmen beide
Pflegeassistenzberufe die Durchführung von Tätigkeiten im Rahmen verschiedener Pflege-
und Behandlungssituationen bei Menschen aller Altersstufen, Versorgungsformen und -
stufen. Voraussetzung für die Durchführung ist die vorangegangene Beurteilung der
Situation durch Angehörige des gehobenen Dienstes im Rahmen des Pflegeprozesses.
Hinsichtlich der medizinischen Diagnostik und Therapie sind sie zur Durchführung von

68 Vgl. Bundesgesetzblatt 1997: §16


69 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §16
70 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §15a

39
Maßnahmen befugt, die entweder von Ärzten oder diplomierten Gesundheits- und
Krankenpflegern (weiter-)übertragen worden sind.71

Der Tätigkeitsbereich der Pflegeassistenz umfasst neben der Durchführung von und
Mitwirkung an übertragenen Pflegemaßnahmen auch das Handeln bei Notfällen sowie die
Mitarbeit bei Diagnostik und Therapie. Während sich die verpflichtende Vorgehensweise
der Pflegeassistenz bei Notfällen nicht von jener der (früheren) Pflegehilfe unterscheidet,
bestehen bei den übrigen Tätigkeitsbereichen einige Unterschiede zu dieser.72 Die
Pflegemaßnahmen beinhalten die Mitwirkung beim Pflegeassessment, die Durchführung
der vom diplomierten Pflegepersonal übertragenen Pflegemaßnahmen entsprechend ihres
Qualifikationsprofils und die Beobachtung des Gesundheitszustandes von Patienten.
Darüber hinaus umfassen die Pflegemaßnahmen deren Information, Kommunikation und
Begleitung sowie die Mitwirkung an der praktischen Pflegeassistenzausbildung. All diese
Pflegemaßnahmen dürfen ausschließlich nach Anordnung und unter Aufsicht des
gehobenen Dienstes der Gesundheits- und Krankenpflege von der Pflegeassistenz
ausgeführt werden.73 Im Rahmen der Mitwirkung bei Diagnostik und Therapie ist die
Pflegeassistenz ebenso wie die bisherige Pflegehilfe zur Anwendung unterschiedlicher
Maßnahmen befugt. Die Verabreichung von Arzneimitteln, welche lokal, transdermal sowie
über den Gastrointestinal- oder Respirationstrakt verabreicht werden, ist ebenso Teil des
Tätigkeitsfeldes der Pflegeassistenz wie die Verabreichung von Insulininjektionen und
subkutanen Injektionen zur Blutgerinnungshemmung sowie die Blutentnahme aus der Vene
bei Erwachsenen. Hinzu kommen die Mitwirkung bei standardisierten Untersuchungen von
Blut, Harn oder Stuhl sowie die Blutentnahme aus der Kapillare im Zuge von
Schnelltestverfahren oder der patientennahen Labordiagnostik. Des Weiteren beschreibt
die Novelle des GuKG in diesem Zusammenhang die Durchführung von Mikro- und
Einmalklisterien, die Wundversorgung, inklusive Verbands-, Wickel- und Bandagenanlage
sowie die Sondenernährung bei liegenden Magensonden. Außerdem ist die
Pflegeassistenz dazu berechtigt, bei stabilen Pflegesituationen das Absaugen aus den
oberen Atemwegen sowie dem Tracheostoma durchzuführen und medizinische
Basisdaten, wie beispielsweise Puls, Blutdruck, Atmung, Temperatur und
Bewusstseinslage, zu erheben und überwachen.74 Im Bereich der Blutentnahme und der
Verabreichung von Injektionen ist eine begleitende Kontrolle in regelmäßigen und schriftlich

71 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §82


72 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §83
73 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §83 (2)
74 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §83 (4)

40
festgelegten Intervallen möglich, sofern die Anordnung durch das diplomierte
Pflegepersonal oder das ärztliche Personal schriftlich erfolgt und eine entsprechende
Dokumentation gewährleistet ist.75

Der Tätigkeitsbereich der in der aktuellen Novelle des GuKG erstmals beschriebenen
Pflegefachassistenz beinhaltet, neben dem Handeln in Notfällen, die eigenverantwortliche
Durchführung von Aufgaben der Pflegeassistenz hinsichtlich der Bereiche
„Pflegemaßnahmen“ und „Mitwirkung bei Diagnostik und Therapie“, welche ihnen entweder
von Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege oder vom
ärztlichen Personal übertragen wurden. Diese beiden Tätigkeitsbereiche, die sowohl die
Pflegeassistenz als auch die Pflegefachassistenz innehaben, unterscheiden sich, bis auf
die Eigenverantwortlichkeit bei der Durchführung durch letztere, inhaltlich nicht
voneinander. Im Gegensatz zur Pflegeassistenz ist die Pflegefachassistenz jedoch darüber
hinaus dazu befugt, Auszubildende der Pflegeassistenzberufe anzuleiten und zu
unterweisen, solange eine vorangegangene Anordnung durch den gehobenen Dienst der
Gesundheits- und Krankenpflege erfolgt.76

Weitere Tätigkeiten, zu denen die Pflegefachassistenz im Gegensatz zur Pflegeassistenz


befugt ist, umfassen den Ab- und Anschluss von laufenden Infusionen bei liegenden
periphervenösen Gefäßzugängen sowie die Aufrechterhaltung derer Durchlässigkeit und
unter Umständen die Entfernung dieser. Ausgenommen ist hierbei das Hantieren mit
Zytostatika und Transfusionen mit Blutbestandteilen oder Vollblut.77

Sowohl bei der Pflegeassistenz als auch bei der -fachassistenz hat die Durchführung von
Tätigkeiten im Bereich der Mitwirkung bei Diagnostik und Therapie in einzelnen Fällen nach
Maßgabe schriftlicher ärztlicher Anordnung zu erfolgen. Entspricht eine bestimmte
Handlung dem Tätigkeitsbereich der Pflegeassistenz bzw. -fachassistenz, so sind
Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege gegebenenfalls
dazu befugt, diese nach Maßgabe ärztlicher Anordnung weiter zu übertragen. Damit sind
die Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit der Weiterübertragung von Tätigkeiten
durch das diplomierte Pflegepersonal die gleichen, unabhängig davon, ob es sich um die
Pflegehilfe oder die Pflegeassistenz bzw. -fachassistenz handelt.78, 79

75 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §83 (5)


76 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §83a (1)
77 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §83a (2)
78 Vgl. Bundesgesetzblatt 1997a: §84
79 Vgl. Bundesgesetzblatt 2016: §83a

41
Diese neuen Berufsgruppen sind für die vorliegende Arbeit wenig bis gar nicht relevant,
werden aber für den Ausblick interessant, denn die Einführung einer neuen Berufsgruppe
führt in den bestehenden Strukturen von Berufsgruppen und Hierarchien innerhalb der
Pflege zu neuen Abhängigkeiten und damit zu Kommunikationsmustern – sei es als
Interaktion oder reine Informationsweitergabe –, die die Komplexität im System erhöhen.

3.1.2.3. Zuschreibungen an das Berufsbild der diplomierten Gesundheits- und


Krankenpflege

Das Berufsbild der Krankenpflege wird mit Aufopferung, ständiger Verfügbarkeit, dem
Gedanken es allen Patienten recht zu machen und der starken Orientierung an der
ärztlichen Hierarchie assoziiert. Tragende Elemente in deren Berufsethik sind die
Zuwendung zum Patienten und die damit einhergehenden Aufgaben, daher haben Pfleger
es ständig mit einer Ausbalancierung von Nähe und Distanz zu tun. Die dienende Haltung,
die der Pflege zugeschrieben wird, hat sowohl in der Hierarchie der Pflege als auch in der
Hierarchie der Medizin und der Organisation Vorteile, zumal sie auch den größten
personellen Anteil in einem Krankenhaus ausmacht. Durch den hohen Anteil an
Pflegepersonal ergibt sich eine tatsächliche Nähe zu den Patienten und eine hohe
Kommunikationsbereitschaft bzw. ein hohes unvermeidbares Kommunikationsaufkommen.
Geht es jedoch um das Ansehen der beiden Berufsgruppen, so steht nach wie vor der Arzt
an erster Stelle. Bei hohem Kommunikations- und Pflegeaufkommen führt das zu
Frustrationen und Enttäuschungen bis hin zu Aggression gegenüber Ärzten.
Belastungsfaktoren des Pflegeberufs sind der Umgang mit Sterben und Tod, fachliche
Mängel, fehlende Unterstützung, das Arbeitspensum, Informationsmängel und/oder
Konflikte mit Ärzten oder anderen (therapeutischen) Berufsgruppen sowie fehlende
Anerkennung und geringe Karrieremöglichkeiten. Zu leiden haben Pflegefachkräfte unter
ihrer Rolle als Vermittler, die mit rechtlicher oder fachlicher Eingrenzung unweigerlich zu
Konflikten führt. Folgen dieser Belastungen sind häufig ein Ansuchen um
Teilzeitbeschäftigung, Stations- und oder Berufswechsel, Karenzierung und
80
Ausweichversuche in die Verwaltungsebene und/oder Akademisierung.

Dieses Bild der Pflege scheint sich nach wie vor manifestiert zu haben, wenn nicht bewusst,
dann unbewusst. Versuche der Veränderung wie zum Beispiel der
Akademisierungsprozess werden stetig gemacht, doch deren Gelingen hängt auch an
gesamtgesellschaftlichen Bildern sowie an Gesetzmäßigkeiten, die ein bestimmtes
Rollenbild vorgeben.

80 Vgl. Scholz 1999: 68-71

42
3.1.2.4. Akademisierung der diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege

Wie sich bereits im historischen Abriss über die Institution Krankenhaus abzeichnet, wurde
außerhäusliche Pflege vor allem ab dem 18. und 19. Jahrhundert verstärkt nachgefragt.
Dies zog eine Professionalisierung nach sich. Als treibende Gründe sind Fortschritt,
Industrie und Kriege zu nennen. Die hohen körperlichen und psychischen Anstrengungen,
die diese neue Berufung mit sich brachte, betraf allen voran Frauen, da sie für die Ausübung
dieses Berufs idealisiert wurden. Trotz all der ideologischen Hingabe und Bemühung um
Qualifizierung und Professionalisierung kam es erst im Jahre 1957 zum
81
Krankenpflegegesetz, welches zum ersten Mal eine dreijährige Ausbildung vorsah.

Was bedeutet in diesem Zuge der Begriff der Profession? Reichen eine Ausbildung und
eine bezahlte Berufstätigkeit aus, um von einer Profession zu sprechen? Sind die Begriffe
Professionalisierung und Profession gleichzusetzen? Professionen folgen einer eigenen
Handlungslogik, heben sich von den restlichen Berufen ab und zeichnen sich vor allem
durch Fallbezogenheit und Prozesshaftigkeit aus. Zu den drei klassischen Professionen
zählen Jura, Medizin und Theologie. Weitere Merkmale dieser professionalisierten Berufe
sind, dass sie weder instrumentell arbeiten noch produzieren. Prinzipiell würde diese
Definition aus der Berufssoziologie und den Sozialwissenschaften auf die Pflege zutreffen,
allerdings spricht man im Zuge der Pflege- und Gesundheitsberufe nach wie vor von einer
Professionalisierung, aber nicht davon, dass dieser Prozess bereits abgeschlossen wäre
und die Pflege zu den professionalisierten Berufen zählen würde.82 Im Zuge einer
Professionalisierung der Pflege- und Gesundheitsberufe kann es aber nicht ausschließlich
darum gehen, die „großen“ Professionen nachzuahmen. Wesentlich bedeutender ist es,
Reflexivität als treibenden Motor der Professionalisierung zu verstehen. Es gilt, Wissen
gezielt und gekonnt einzusetzen und Professionswissen in den Mittelpunkt der
Diskussionen zu stellen. Wissen kann durch viele differenzierte Wege den Akteuren
vermittelt werden. Beispielsweise durch Lernprozesse, Klienteninteraktionen,
Alltagswissen, Berufswissen und ähnliches. Es ist relevant, über dieses Wissen, seine
Erzeugung, Präsentation und Verwendung im Rahmen der Professionalisierung zu
verfügen, weil Wissen als Ressource und Voraussetzung für Handlungen dient. Es wird von
Professionswissen und Professionalität geschrieben, obwohl die Pflege und
gesundheitsbezogene Dienste nicht unter Profession gehandelt werden. Als mögliche
Lösung wird zwischen Profession und Professionalität differenziert. Dann findet
Professionalität sich in vielen Berufen, die keiner Profession angehören. Die Wissensbasis,

81 Vgl. Brown 1995: 15-17


82 Vgl. Pundt 2006: 24-26

43
die Professionalität erst möglich macht, ist zeit- und situationsbezogen. Die Handelnden
sind stets angehalten, neue Situationen hinsichtlich des Falles und an das eigene Wissen
angepasst zu agieren und zu reagieren. Das bedeutet, Wissen gekonnt und gezielt in der
Situation einsetzen zu können.83

Bereits in den 1990er Jahren etablierte sich in den USA Professionalisierung in Form einer
Akademisierung der Pflege. Die Erfahrungen in den USA haben gezeigt, dass die
Akademisierung bzw. Verwissenschaftlichung der Pflege ein herausforderndes Feld
darstellt. An einer Reihe von Universitäten und Fachhochschulen wurden bereits früh
Studiengänge eingeführt, um die Akademisierung der Pflege in Richtung
Pflegewissenschaft voranzutreiben. Eine der wichtigsten Fragen im Laufe dieses
Prozesses war es, wie man pflegerisches Wissen universalisieren und systematisieren
könnte. Somit bezogen sich Fragen der Entwicklung nicht nur auf den Ausführungs-,
sondern auch den Theorieaspekt der Pflege. Durch die qualitativ bessere Ausbildung
zeichnete sich in den USA bald ein Trend zur Höherqualifizierung ab. Dennoch ergab sich
im Laufe der 90er Jahre ein komplexes Ausbildungsbild, da es nicht nur theoretische,
sondern auch praktische Ausbildungen gab. Dies ist nur verständlich, da Pflege trotz aller
Verwissenschaftlichung vor allem die praktische Ausführung innehat. Diese Fertigkeiten
galten quasi fortan an als Basisqualifikation, auf welche die unterschiedlichsten Studien
aufgebaut wurden. Es wurde möglich, verschiedenste Bachelor-, Master- oder
Doktorstudienprogramme zu absolvieren. Einige Studiengänge sorgten mit ihrer
Orientierung an der Medizin allerdings dafür, dass es in der Pflege zu einer
„Vernaturwissenschaftlichung“ bzw. „Medizinalisierung“ kam. Man orientierte sich noch
weiter an Krankheit und ordnete sich wiederum der Medizin unter. Auf der anderen Seite
gab es aber auch Programme wie „Clinical Nurse Specialist“, welche vor allem die „face-to-
face“-Interaktion mit den Patienten in den Vordergrund stellten und enormen Wert auf
patientenorientierte Pflegekonzepte legten. In den darauffolgenden Jahren wurden die
Studienprogramme immer wieder überarbeitet und weiterentwickelt, um den geringen
Stand pflegerischen Wissens aufzubessern und die Pflege nicht „nur“ zur Medizin zu
machen. Was kann man nun aus den Erfahrungen der USA in den deutschsprachigen
Raum übertragen? Zunächst ist festzuhalten, dass sich eine steigende Qualifikation bzw.
Akademisierung nicht nur auf ein paar ausgewählte Bereiche der Pflege beschränken darf
(wie zum Beispiel Leitung und Management), sondern alle Bereiche der Pflege zu betreffen
hat. Denn nur durch eine Ausdifferenzierung von Studienangeboten ist eine Aufwertung der
Pflege zu erreichen. Vor allem führt der Weg zu einer autonomen Profession Pflege nicht

83 Vgl. Pundt 2006: 31-33

44
über Vernaturwissenschaftlichung und Medizinialisierung. Ständiger Diskurs, Reagieren
auf Diskurs und Realität, Kreativität sowie harte Arbeit sind die Eckpfeiler der
Professionalisierung. Neben dieser fachlichen Qualifizierung ist zu beachten, dass die
Studenten auch darauf vorbereitet werden müssen, die geforderten Änderungen in der
Realität umzusetzen. Sie sind die „change agents“, welche die theoretische
Professionalisierung in die Praxis mitbringen und diese dadurch umschreiben. Überdies
haben die Erfahrungen aus Amerika veranschaulicht, dass es nicht nur um eine
Akademisierung von Ausbildungen geht, sondern um das Etablieren einer eigenen
Pflegewissenschaft.84

Die Frage, ob eine Akademisierung nun Konkurrenz oder Kooperation mit anderen
Berufsgruppen bedeutet, soll im Folgenden in Kürze angeführt werden.

Die traditionellen Berufsbilder von Ärzten und diplomierten Gesundheits- und


Krankenpflegern waren vor der Gesetzgebung von 1997 „der Mann in der Medizin“, der das
abstrakte Wissen der Medizin patientengerecht aufbereitete und „die unterwürfige Frau in
der Pflege“, die als Gehilfin des Arztes bei der Anwendung der Medizin am Patienten galt.
In den letzten Jahrzehnten wurde das Berufsbild der Pflege zur vermehrten
Selbstständigkeit hingeführt und scharfe Grenzen zwischen ärztlichen und pflegerischen
Tätigkeiten gezogen, ohne gleichzeitig auf die Optimierung und Kooperation in der
Zusammenarbeit der beiden Berufsbilder zu achten. Im Kern bleiben Inhalte der
Akademisierung im Pflegebereich inhaltlich pflegebezogen, sodass weder eine verbesserte
Kooperation noch Konkurrenz gegenüber der Medizin entstehen kann. Allenfalls
organisatorische Fähigkeiten werden ausgebaut. Auch die erweiterte Übernahme ärztlicher
Tätigkeiten (aufgrund des Ärztemangels) unterliegen weiter dem Delegations- und werden
nicht zum Substitutionsprinzip. Daher erscheint die Frage wichtiger, welche
Kommunikationsstrukturen notwendig werden, um die Kooperation zwischen den
Berufsgruppen zu fördern.85 Ob dafür allein Akademisierungsprozesse, die auf den
Grundlagen des Grundsatzes von „evidence based nursing“ beruhen, ausreichen, bleibt
fraglich und es gilt, dies im Forschungsvorhaben zu ergründen.

3.1.2.5. Ärzte

Die Ausführung medizinischer Tätigkeiten obliegt Ärzten, wobei diese allgemeine


Berufsbezeichnung sowohl für „Ärzte für Allgemeinmedizin“, „approbierte Ärzte“,

84 Vgl. Moers, Schaeffer 2008: 135-157


85 Vgl. Schmeck-Lindenau 2010: 170-172

45
„Fachärzte“ und „Turnusärzte“ gilt.86 Dabei wird der ärztliche Beruf im Rahmen des
Ärztegesetzes (ÄrzteG) als die Summe von Tätigkeiten, welche auf medizinisch-
wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und unmittelbar am Menschen oder mittelbar
für den Menschen ausgeübt werden, definiert. Hierzu zählen vorwiegend Untersuchungen
hinsichtlich körperlicher und psychischer Erkrankungen oder Störungen sowie
Behinderungen, Missbildungen oder Anomalien krankhafter Natur sowie die
entsprechenden Behandlungen. In weiterer Folge umfasst die Ausübung des ärztlichen
Berufs die Vorbeugung von Erkrankungen, die Durchführung operativer Eingriffe,
einschließlich der Entnahme und Infusion von Blut, sowie die Vornahme von
Leichenöffnungen. Außerdem umfasst dieses Berufsbild neben der Verordnung von
Heilbehelfen, medizinisch-diagnostischen Hilfsmitteln und Heilmitteln auch die Geburtshilfe
sowie die Durchführung von Maßnahmen zur medizinischen Fortpflanzungshilfe.87

Abgesehen von Turnusärzten ist für Ärzte für Allgemeinmedizin, approbierte Ärzte und
Fachärzte die selbstständige Berufsausübung vorgesehen. Turnusärzten, die sich in der
Ausbildung befinden, ist es lediglich erlaubt, ärztliche Tätigkeiten unselbstständig und unter
Anleitung und Aufsicht von ausbildenden Ärzten auszuführen. Jedoch ist es Turnusärzten
erlaubt, vorübergehend auch ohne Aufsicht tätig zu werden, sofern während des Turnus
bereits eine hinreichende Ausbildung im jeweiligen Sonderfach stattgefunden hat und die
entsprechenden Kenntnisse vorhanden sind. Die Möglichkeit eines Tätigwerdens ohne
Aufsicht ist nur zulässig, wenn die jeweiligen krankenanstaltsrechtlichen
Organisationsvorschriften keine fortdauernde Anwesenheit von fachärztlichem Personal
vorschreiben.88

Bezugnehmend auf das Handeln bei drohender Lebensgefahr dürfen Ärzte die
Durchführung lebensrettender Sofortmaßnahmen nicht verweigern.89 Darüber hinaus
zählen auch Dokumentation und Auskunft zu den Pflichten dieser Berufsgruppe.90

Eine Übertragung ärztlicher Tätigkeiten an Angehörige anderer Gesundheits- und


Krankenpflegeberufe oder an sich in Ausbildung zu Gesundheitsberufen befindliche
Personen ist im Einzelfall zulässig. Die Verantwortung liegt jedoch auch in diesem Fall beim
anordnenden ärztlichen Personal.91

86 Vgl. Bundesgesetzblatt 1998: §1


87 Vgl. Bundesgesetzblatt 1998: §2
88 Vgl. Bundesgesetzblatt 1998: §3
89 Vgl. Bundesgesetzblatt 1998: §48
90 Vgl. Bundesgesetzblatt 1998: §51
91 Vgl. Bundesgesetzblatt 1998: §49 (3)

46
Studenten der Medizin sind dazu befugt, Anamnesen, einfache physikalische
Krankenuntersuchungen, Blutabnahmen aus der Vene sowie intramuskuläre und
subkutane Injektionen unselbstständig auszuüben, sofern diese gesundheitlich dazu
geeignet und vertrauenswürdig sind und die Anleitung und Aufsicht durch die anordnenden
Ärzte gesichert ist. In Einzelfällen ist eine Vertretung des anordnenden ärztlichen Personals
durch Turnusärzte gestattet. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Abteilungsleitung mittels
einer schriftlichen Bescheinigung bestätigt, dass diese über die jeweiligen Kenntnisse und
Fähigkeiten verfügen.92

3.1.2.6. Zuschreibungen an das Berufsbild der Ärzte

Ärzten wurde lange eine soziale Sonderstellung nachgesagt und einhergehend wurde ihre
Kommunikationsfähigkeit als herausragend beurteilt. Daraus entstand ein tradiertes
ärztliches Berufsbild, deren Akteure speziellen Belastungen ausgesetzt sind, die
Auswirkungen auf deren eigenen physischen und psychosozialen Zustand und folglich
auch auf die Interaktion in ihrem unmittelbaren Umfeld haben. Daraus ergeben sich
ärztliche Anpassungs- und Abwehrmechanismen inklusive eventueller kommunikativer
Fehlentwicklungen. Der Arztberuf gilt noch als gut angesehener Beruf. Allerdings dürfen
negative Faktoren nicht außer Acht gelassen werden. Es liegt nach wie vor ein
mythologisches Denken vor, dass der Arzt ein Alleskönner sein soll und/oder sich in einer
ständig aufopfernden Haltung und überdurchschnittlichen moralischen Vorstellung im Alltag
einbringt. Schwäche, Krankheit und Unsicherheit sollen möglichst nicht gezeigt werden.
Diese Ansicht gepaart mit dem tatsächlichen Wunsch des Helfens und großem Wissen führt
folglich bei Ärzten zur Selbstüberschätzung. Bei Scheitern und/oder der unzureichenden
Vorbereitung im Studium auf den Alltag führt das bei Medizinern zu Frustrationen und
Erschöpfungszuständen.93 Belastungsfaktoren für Ärzte sind Zeitdruck, hohe und lange
Konzentration, schneller und häufiger Entscheidungszwang, Arbeitsspitzen, Umgang mit
schwer erkrankten Menschen, Personalmangel, unqualifiziertes Pflegepersonal und/oder
organisatorische Belange sowie Versagensängste. Diese Faktoren lassen sich aus
Supervisionen und Balintgruppen ableiten und verifizieren, dass es sie im Alltag gibt.94 Der
Idealisierungsgedanke ist im Alltag sehr schnell „ent-idealisiert“. Der Arzt bewegt sich auch
in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz. Das sind
hochemotionale Situationen, die auch für Ärzte schwierig sein können, denn sie wissen

92 Vgl. Bundesgesetzblatt 1998: § 49 (4,5)


93 Vgl. Scholz 1999: 39-41
94 Vgl. Scholz 1999: 42-43

47
stets, trotz ihres geschworenen Eides, dass sie Krankheiten und Tod nicht immer
bewältigen können und auch selbst einer ständigen Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind.95

In den Forschungsdaten lassen sich ähnliche Faktoren identifizieren, die in der Folge auch
zu Konflikten führen. Nachdem diese Erkenntnisse bereits 1999 verschriftlicht worden sind
und sich bis 2012 bzw. selbst 2016 wenig bis gar nicht verändert haben, bezeugt das einmal
mehr die Aktualität des Themas.

3.1.2.7. Verwaltungsbereich

Die Verwaltung innerhalb des Unternehmens Krankenhaus umfasst alle administrativen


Bereiche. Dazu zählen beispielsweise Personal- und Rechtsabteilungen sowie Qualitäts-
und Entlassungsmanagement.96 Abhängig von der Art des Krankenhausträgers oder
Eigentümers und der jeweiligen Struktur der Einrichtung wird die Krankenhausleitung als
Management bezeichnet. Üblicherweise wird die Leitung in den meisten Krankenhäusern
nach wie vor durch eine sogenannte kollegiale Führung repräsentiert, welche die
Pflegeleitung, die medizinische Leitung und die Verwaltungsleitung umfasst. Hinzu kommt
in vielen Fällen eine weitere Leitungsebene in Form einer Geschäftsführung, die der
kollegialen Führung überstellt ist.97

Wie auch in Pflege und Medizin ist der administrative Bereich an eine Vielzahl von
gesetzlichen Verordnungen gebunden. Beispielsweise gelten für die Patientenverrechnung
vorgeschriebene Kodierungsrichtlinien, welche an die Krankenkassen übermittelt werden
müssen.98

In einem Krankenhaus gibt es, wie bereits eingangs erwähnt, den Verwaltungsbereich. Dem
administrativen Bereich sind beispielsweise Buchhaltung, Controlling, Leistungserfassung
und Patientenabrechnung sowie Einkauf, IT-Service und Öffentlichkeitsarbeit zugehörig.
Darüber hinaus gibt es rund um Ärzte und diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege
andere Berufsgruppen, die am Behandlungsprozess von Patienten beteiligt sind. Auf eine
detaillierte Beschreibung wird zugunsten anderer, dem Forschungsvorhaben
zuträglicheren, Themen verzichtet.

95 Vgl. Menschik-Bendele 2011: 7-8


96 Vgl. Kühlem 2013: 105
97 Vgl. Kühlem 2013: 106
98 Vgl. Kühlem 2013: 105

48
3.1.3. Kommunikationsstrukturen, Hierarchie und Funktionen
Interne Kommunikation findet immer dann statt, wenn sich Angehörige einer Organisation
untereinander austauschen. Denn auch in einem Unternehmen kann man nicht nicht
kommunizieren. Seit den 1980er Jahren spricht man der internen
Unternehmenskommunikation die Verantwortung zu, ein Steuerungsinstrument zu sein.99

„Die interne Unternehmenskommunikation ist eine Unternehmensfunktion, die, in


der Regel team-, abteilungs- und bereichsübergreifend, mittels zentral bewusst
organisierter Kommunikationsmaßnahmen das Unternehmen bei der Erreichung
seiner Ziele unterstützt.“100

Verwendet werden zum Zweck der Steuerung der internen Kommunikation Instrumente wie
Poster, Flyer, Mitarbeiterzeitschriften und/oder Intranet. Diese bildet somit das Gegenstück
zur Kommunikation des Unternehmens nach außen. Eine funktionierende interne
Unternehmenskommunikation wird umso bedeutender, je komplexer Unternehmen
organisiert sind. Durch drei Aufgabentypen trägt sie wesentlich zum Funktionieren der
Organisation bei: (1) Vermittlung von organisatorischen Informationen, (2) Unterstützung
der unverfälschten Verbreitung von Informationen über die Hierarchieebenen hinweg und
(3) Unterstützungsleistung bei der Gestaltung und Aufrechterhaltung von
Unternehmensidentität und -kultur. Damit fällt der internen Kommunikation nicht nur die
Aufgabe zu, den Informationsfluss zu fördern, sondern auch aus diesem jene Informationen
herauszufiltern, welche relevant für die Verfolgung und Erreichung der Unternehmensziele
sind101, sie beinhaltet aber nicht die Bedeutung von Kommunikation im Sinne der
Vergemeinschaftung bzw. Konversation.102

In Organisationen gibt es ein universales Ordnungsprinzip – die bereits oben angeführte


Hierarchie. Man erkennt dies auch in den Organigrammen von Organisationen, in denen
die verschiedenen Abteilungen, Führung, Personal usw., dargestellt werden. Oft kommt es
hierbei zu Missverständnissen, denn statt Funktionen („Job Discriptions“) zu vergeben,
finden sich in Organigrammen häufig Namen. Leistung und Intelligenz einer Organisation
ergeben sich aber aus der Distanzierung von Personen. Werden Funktionen definiert, kann
nachbesetzt werden. So sorgen Organisationen auch bei Ausfällen für ihr „Überleben“.
Selbst bei einem Ausfall der ersten Führungsreihe rückt die zweite nach. Die Interessen der

99 Vgl. Brandstätter, Grootz, Ullrich 2016: 2


100 Brandstätter, Grootz, Ullrich 2016: 2
101 Vgl. Brandstädter, Grootz, Ullrich 2016: 2-6
102 Vgl. Krainz 2011: 130

49
Organisationen müssen also nicht mit den darin arbeitenden Menschen konform gehen. Sie
sind zwar nach wie vor Menschen, hauptsächlich aber Arbeitskräfte in ihren Funktionen.
Organisationen wollen funktionieren und Menschen liefern die Kraft, welche gebündelt,
strukturiert und koordiniert wird, um zur Erreichung der Organisationsziele zur Verfügung
zu stehen.103

Hierarchie ist die Grundvoraussetzung, damit Organisationen funktionieren und stabil


bleiben. Hierarchie gilt als „Heilige Ordnung“, was auf die Götterverehrung vergangener
und aktueller Kulturen Rekurs nimmt. Unter anderem waren kirchliche Orden einige der
frühesten Organisationen.104 Hierarchie strukturiert soziale Beziehungen und
Organisationen sind soziale Systeme – die darin ablaufenden Prozesse somit
„soziomorph“. Die Interaktionen zu untersuchen, gehört ebenso zur Organisationsdiagnose
wie die Eckdaten der Betriebswirtschaft und Ökonomie. D.h. die Interaktionen, die in einer
Organisation (nicht) stattfinden, die (nicht) gelingen und entweder routiniert oder
konfliktbehaftet sind, machen eine Organisation insgesamt erst aus. Interaktionen sind die
Verbindungen zwischen Menschen und Organisation, die in der herkömmlichen
Betrachtung oft fehlen und so unterschieden werden müssen, dass zum einen Mensch und
Interaktion und zum anderen Interaktion und Organisation zu betrachten sind. Die
Organisation ist die Bühne, die Interaktionen sind die Aufführungen (oft im wahrsten Sinne
des Wortes), die auf der Bühne gespielt werden. Damit bestimmen die Interaktionen das
Funktionieren der Organisation und daher bestehen Organisationen nicht aus Menschen
per se, sondern aus deren darin entstandenen Interaktionen, in denen Menschen mehr oder
weniger wirken (sich entfalten, sich fühlen usw.). Diese Sicht auf Organisationen führt zu
einem Paradigmenwechsel von der Individualpsychologie (Mensch in der Organisation) hin
zur Gruppen- und Organisationsdynamik.105

Die beschriebenen Interaktionen sind jedoch nicht ohne Voraussetzungen: Interaktionen


werden durch Strukturen geschaffen und schaffen ihrerseits Strukturen. Die Hierarchie gibt
vor, wer mit wem interagiert. In der Regel sind es Kommunikationsformen „bottom-up“ oder
„top-down“. Abweichungen von diesen Formen sind meist nicht erwünscht und werden
gegebenenfalls sogar sanktioniert und als Akt der Rebellion betrachtet (und möglicherweise
als solcher genutzt).

Oft wird Kommunikation in Organisationen als reiner Austausch von Informationen


(miss)verstanden. Trotzdem kann ein Stattfinden von Kreuz- und Querkommunikationen

103 Vgl. Krainz 2011: 123-125


104 Vgl. Krainz 2011: 125-126
105 Vgl. Krainz 2011: 128-129

50
nicht verhindert werden – auch wenn diese nicht systematisch stattfinden. Die nicht offiziell
vorgesehene (also informelle) Kommunikation kann zum Problem werden, wenn man
Emotionales oder „brennende Themen“ nicht in die offizielle Kommunikation mitaufnimmt –
tut man dies, dient informelle Kommunikation eher einem Verarbeitungsprozess und stellt
keine Gefahr dar. Die praktischen Vorteile der Hierarchie und der darin enthaltenen
Kommunikationsformen „bottom-up“ und „top-down“ liegen in der Ordnung selbst, aber
auch in der Kontrollmöglichkeit von Vorgängen. Traditionell folgt Management dem Vorbild
sogenannter „Command-and-Control“-Systemen aus dem Militär. Aufträge werden verteilt,
ihre Ausführung kontrolliert und bei Missachtung oder Nichterfüllen folgen Sanktionen.

Bei einem Notfall fehlt Zeit für Diskussionen oder Verhandlungen. Daher erfordern
diese besonderen Situationen geeignete Maßnahmen. Die Kommunikation ist auf ein
Mindestmaß eingeschränkt. Es gilt, schnell und präzise zu reagieren, was nur mittels
Kommandos funktioniert. Häufig geht es im Training für Notfallsituationen kollegial zu,
während Kommunikation in echten Notfällen über Hierarchie und Kommandos funktioniert.
Nach dem Notfall folgt ein Abflachen der hierarchischen Spannung. Zum Problem wird dies,
wenn die übernommene Anordnungskommunikation verstärkt in routinierten
Handlungsmustern zum Einsatz kommt, selbst wenn es keinen Notfall gibt. Daraus
legitimieren sich alltägliche Situationen, die dann zu unwidersprochenen Anordnungen
durch Ärzte führen.106

Anordnung und Hierarchie werden daher in Alltagssituationen stärker genutzt als nötig (evtl.
Relikte, die ein divenhaftes Verhalten entschuldigen – siehe dazu oben „Heilige Ordnung“
und Göttlichkeit). Das Muster überträgt sich und ruft ein künstliches Gefälle zur eigentlich
nicht existenten Hierarchie zwischen Medizin und Pflege hervor. Daraus ergibt sich, dass
die Mitsprache der Pflege im Rahmen des Behandlungsprozesses, welche gesetzlich
vorgegeben ist, oft zu wenig Platz findet.

3.1.4. Zusammenfassende Betrachtung


In diesem Kapitel wurden theoretische Grundlagen von Organisationen behandelt, die
spezifischen Berufsgruppen im Krankenhaus, deren Tätigkeitsbereiche und
Zuschreibungen sowie unterschiedliche Organisationsformen von Krankenhäusern
beschrieben. Organisationen definieren sich über Mitgliedschaft, Zweck und Hierarchie.
Geht man davon aus, dass Ärzte und diplomierte Gesundheits- und Pflegefachkräfte eine
gewährte Mitgliedschaft (Arbeitsvertrag) erhalten, erfüllen sie den Zweck über getätigte

106 Vgl. Krainz 2011: 129-134

51
Dienstleistungen in unterschiedlichen Aufgabenbereichen. Als strukturdeterminierend gilt
die Hierarchie, die in den jeweiligen Berufsgruppen bestehend ist und damit formelle
Kommunikationswege vorgibt. Doch wie etablieren sich informelle Wege, wenn formelle als
unzureichend wahrgenommen werden? Zusätzlich kommen noch die
Anordnungsverantwortung der Ärzte sowie die Durchführungsverantwortung der Pflege
hinzu, die eine formale Querkommunikation darstellen Diese sorgen formal für ein
Abhängigkeitsverhältnis und informell für Unstimmigkeiten, wenn Tätigkeitsbereiche keine
formelle Regelung (Routine) erfahren. Zudem führen unterschiedliche
Berufssozialisationen zu noch existenten Relikten im Verhalten einzelner Ärzte und Pfleger.
Auch der fortschreitende Akademisierungsprozess entspricht in der Zusammenarbeit von
Medizin und Pflege weiterhin eher dem Delegations- als dem Substitutionsprinzip. Wie
wirken sich diese Verhaltensweisen einzelner Ärzte noch aus? Welche Rolle spielt die
Hierarchie in einer Organisation in Bezug auf die Kommunikation? Ab wann kann von
Gleichwertigkeit bei Ärzten und Pflegepersonen im arbeitsteiligen Behandlungsprozess am
Patienten ausgegangen werden bzw. wird es diese überhaupt geben?

Kommunikation als Gegenstand der Wissenschaft

Kommunikation – Banalität vs. Komplexität? Kommunikationsregeln sind eine conditio sine


qua non im zwischenmenschlichen Zusammensein und in der Gesellschaftsordnung, die
von Beginn des Lebens erlernt werden, obwohl Menschen sich dieser Regeln kaum
bewusst sind.107 Nur allzu oft wird die Kommunikation in den Kontext der reinen
Nachrichtenübermittlung gerückt108, damit wird ihre Komplexität reduziert bzw. eine
bestimmte Einfachheit suggeriert.

„Da es sich […] um wesentlich komplexere, zwischenmenschliche Interaktionen


handelt, die auch durch äußere Umstände, aktuelle und tradierte Gefühle,
Erwartungen, Befürchtungen, und Beziehungen gefärbt sind, ergeben sich bei
jedem Informationsaustausch sehr differenzierte Bedeutungen und Wirkungen.“109

Menschen kommunizieren, um etwas über sich mitzuteilen und einen bestimmten Eindruck
zu vermitteln. In der Psychologie gibt es zwei Phänomene, die über die Theorie gut erörtert
wurden. Zum einen Self Disclosure (Selbstöffnung, Selbsteinbringung und
Selbstenthüllung) und zum anderen Impression Management (Eindruckssteuerung).

107 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 13


108 Vgl. Krainz, Paul-Horn 2009: 31
109 Scholz 1999: 25

52
Es gibt kaum Kommunikation, in der die Gesprächspartner nicht auch Mitteilungen
über sich selbst machen. Die Mitteilung persönlicher Informationen ist ein wichtiger
Beweggrund, um an Kommunikation überhaupt teilzunehmen. Self Disclosure ist jede
Information, die jemand über sich selbst mit einer anderen Person teilt. Innerhalb von Self
Disclosure kann zwischen kognitiver (Äußerung von Gedanken, Überzeugungen und/oder
Fantasien) und affektiver (Äußerung von Emotionen und Bedürfnissen) Form unterschieden
werden. Es ist jenes Phänomen, welches beschreibt, dass in der Kommunikation immer
Aussagen über die eigene Person gemacht werden. Somit ist die Self Disclosure Grund
und Merkmal für interpersonale Kommunikation und erfüllt in Kommunikationssituationen
unterschiedliche Funktionen. Zudem ist hier anzumerken, dass sie den Gehalt der Situation
und die soziale Wirklichkeit der Kommunikationspartner bestimmt. Mit Impression
Management wollen Menschen beeindrucken sowie beeinflussen – unbewusst und
bewusst.110

Die Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegefachkräften scheint sich ebenso


(un)bewusst über deren Self Disclosure und Impression Management zu vollziehen. Einen
tieferen Einblick gibt später der Abriss des Kommunikationsquadrates von Schulz von Thun
(insbesondere die Selbstoffenbarungs- und Appellseite).

Kommunikationswissenschaften werden teilweise als unterentwickelte oder deprivilegierte


Wissenschaften bezeichnet. Im Gegensatz dazu werden Physik oder
Wirtschaftswissenschaft als entwickelt bezeichnet, weil sie ein „[…] eigenes System von
Dimensionen“111 elaborieren. Der Kommunikationswissenschaft fehlt ein solches
Dimensionssystem wie Quantifizierung über ein Skalenniveau, das mit bestimmten
Einheiten beziffert werden kann. Versuche, Kommunikation zu dimensionieren, sind
gescheitert, da nicht alle kommunikativen Phänomene erfasst werden können.

Die Kommunikation weist zwei spezifische Besonderheiten auf: die


Unvermeidlichkeit aller Kommunikation und die „Aschenputtelfunktion“ (Kommunikation gilt
als billiges Mittel der Verständigung, wobei das gesamte Handeln aus dem kommunikativen
Handeln resultiert).112

„Die Kommunikationswissenschaft ist eine Wissenschaft, die – im Gegensatz zu


allen anderen Wissenschaften – das Funktionieren dessen, was sie erklären will,
bereits voraussetzt, sie ist selbstreferenziell strukturiert.“113

110 Vgl. Frindte 2001: 64-69


111 Merten 2007: 49
112 Vgl. Merten 2007: 49-50
113 Merten 2007: 50

53
Das zeigt, dass die Kommunikationswissenschaft eine Art Metawissenschaft ist, die Vor-
und Nachteile auf theoretischer und methodischer Ebene mit sich bringt. Theorien sind so
zu konstruieren, dass sie der Selbstreferenz entsprechen und es auf methodischer Ebene
eine Notwendigkeit ist, dass eine kommunikative Wirklichkeit nur dann abgebildet werden
kann, wenn wieder Kommunikation initiiert wird.114

Insgesamt ist das Wort Kommunikation etymologisch eine latinisierte Form griechischer
Wörter, die „Verbindung“, „Verkehr“ oder „Mitteilung“ bedeuten.115 Das lateinische Wort
heißt „communicatio“ und bedeutet übersetzt „Mitteilung“, „Unterredung“.116

Das Ergebnis, die Kommunikationswissenschaften mittels des Inventariums der


Wissenschaftstheorie zu definieren, ist eher entmutigend bzw. defizitär. Die Defizite können
aber auch dazu führen, dass die Probleme zu einer produktiven Diskussion überleiten, die
Merten in fünf Punkten erörtert:

1. Kommunikation ist ein flüchtiger Prozess, hinterlässt keine Spuren und macht daher
auf analytischer Ebene Schwierigkeiten.
2. Wenn Kommunikationsprozesse beschrieben werden wollen, setzen sie das, was
sie erklären sollen, nämlich Kommunikation, voraus.
3. Metaphern wie Transfer, Austausch oder Mitteilung enthalten Annahmen über
Kommunikation. Sie führen Widersprüche und haben sich empirisch als falsch
erwiesen.
4. Die Beschreibung des Kommunikationsprozesses kann weder am Kommunikator
noch an der Aussage festgemacht werden.
5. Die Analyse von Kommunikationsprozessen widersetzt sich logischen Prüfungen,
weil diese Prozesse selbstreferente Strukturen aufweisen und noch am Rezipienten
festgemacht werden.

Kommunikation ist etwas Alltägliches, Allgegenwärtiges und Selbstverständliches. Erst


Störungen in der Kommunikation veranlassen zu einer Analyse ihrer Funktionen und
Folgen. Herausfordernd in der Erforschung von Kommunikationsprozessen sind deren
Flüchtigkeit und Interdisziplinarität. Die Flüchtigkeit macht es schwierig, Kommunikation zu
analysieren und Interdisziplinarität ist nach wie vor mit dem Beigeschmack der
Unwissenschaftlichkeit gefärbt. Dazu Thayer:

114 Vgl. Merten 2007: 50


115 Vgl. Merten 2007: 77
116 Vgl. www.duden.de

54
„Ein so allgegenwärtiges Phänomen wie Kommunikation jedoch, das so viele
traditionelle Grenzen sprengt, verflacht: jederzeit willkommen als Gemeinplatz, aber
heimatlos, für jeden und für keinen da, ein uneheliches Kind so vieler Disziplinen,
muß (sic!) Kommunikation mit ihrer eigenen Unbestimmtheit eins werden. Ihre
Universalität macht zugleich auch ihre Dubiosität aus.“117

Die Kommunikationsforschung ist mit der Besonderheit behaftet, dass Kommunikation zum
einen alltäglich und damit als nahezu banal zu bezeichnen ist, weswegen sie lange nicht
Gegenstand der Wissenschaft wurde. Andererseits wurde sie, durch die Relevanz von
Kommunikation als Teilsystem der Gesellschaft, bedeutend. Bei der informellen
Kommunikation handelt es sich um den einfachsten Kommunikationsprozess, der durch
„Profanität, Universalität, Flüchtigkeit, Relationalität und Unvermeidbarkeit“ beschrieben
werden kann und ist damit theoretischen und methodischen Problemen in der Gesamtheit
der Kommunikationswissenschaften ausgesetzt.118

„Profanität“ bedeutet, dass Kommunikationsprozesse immer und von jedem mit einem
geringen Aufwand begonnen werden können. Damit ist Kommunikation eine einfache und
gewohnte Alltagserscheinung. Sie wurde zu einem scheinbar problemlos funktionierenden,
alltäglichen Prozess, der keiner wissenschaftlichen Analyse bedarf. Doch gerade, weil
Kommunikation einfach und leicht einzusetzen ist, wird sie zur Herausforderung. Hinzu
gesellt sich, dass sich jeder immer in der Lage und ausreichend kompetent sieht, um über
Kommunikation zu kommunizieren. Hier ist festzustellen, dass das Kommunizieren zu
einem Thema (über einen Inhalt) etwas Anderes ist als das Kommunizieren über
Kommunikation (Metakommunikation). Daraus resultierte im Feld der
Kommunikationsforschung, dass sie vorerst von Merksätzen, Formeln, Erklärungen des
Phänomens und Hausrezepten begleitet war. Die „Universalität“ zeigt, dass Kommunikation
in alle Bereiche des menschlichen Daseins hineinreicht. Daher machten es sich
unterschiedliche Disziplinen zur Aufgabe, Kommunikationsprozesse theoretisch
abzuhandeln und ihren disziplinären Anspruch einfließen zu lassen. Damit entbrannte ein
Streit um Kompetenzen und Zuständigkeiten. So entstanden Psychologien, Soziologien,
Philosophien und Sozialpsychologien, deren Erkenntnisse bis heute interdisziplinär nicht zu
einer Theorie zusammengefasst wurden. Es ergibt daher nach wie vor Sinn, Vertreter der
einzelnen Disziplinen diskutieren zu lassen. Die „Flüchtigkeit“ von Kommunikation
behindert die Analyse dieser. Ein Kommunikationswissenschaftler kann Kommunikation
weder wiegen noch anderweitig messen. Er kann Kommunikation nicht in eine

117 Merten 1977: 80


118 Vgl. Merten 2007: 13-15

55
mathematische Formel einbetten (oder sie in chemische Elemente zersetzen). Ein
Kommunikationswissenschaftler kommt zu seiner Analyse stets rechtzeitig zu spät und
muss sie immer im Nachhinein vornehmen, wozu er paradoxerweise wieder neue
Kommunikationsprozesse initiiert. „Relationalität“ bedeutet, dass der
Kommunikationsprozess nicht festzumachen ist, sondern als spezifische Relation zwischen
Kommunikatoren, Rezipienten und anderen Einflussgrößen konstituiert ist. Kommunikation
ist keine objektive, sondern eine relationale Größe, die als Prozess nicht statisch, sondern
dynamisch verstanden werden muss. Die letzte der fünf Eigenschaften von Kommunikation
ist die „Unvermeidbarkeit“. Sie deutet an, dass bei einmal begonnenen
Kommunikationsprozessen keine Negation mehr möglich ist. In anwendungsbezogenen
Wissenschaften können Beschränkungen eingeführt werden, die Ausnahmen neben dem
Regelfall zulassen. Kommunikation weist im Gegensatz dazu keine Ausnahmen auf, denn
im Falle des Nicht-Kommunizieren-Wollens muss wieder kommuniziert werden.

Schon diese fünf Eigenschaften von Kommunikation lassen die Vermutung zu, dass
die Analyse von Kommunikation die Forschung vor außergewöhnliche Anforderungen stellt
und damit anregt, möglichst viele visuelle und verbale Modelle zu kreieren, wobei stets ein
konsequenter Versuch gemacht wird, das stetige Durcheinander in eine Ordnung zu
bringen und etwas zu objektivieren, was kein Objekt enthält. Daher wird das Prinzip der
Kausalität zu Hilfe genommen. So wird ein Versuch gestartet, eine temporale Struktur und
Ordnung in den Kommunikationsprozess zu legen – angelehnt an die Reiz-Reaktions-
Vorstellungen der Psychologie. Durch die Angabe von Ursache und Wirkung wird dem
Prozess diese temporale Struktur verliehen. Angenommen wird, dass der Kommunikator
eine Aussage macht, welche auf einen Rezipienten trifft und dort die von dem
Kommunikator angedachte Wirkung erzielt. Dieses Erklärungsmodell ist zwar bis heute
gültig, aber umstritten. Eher sind es reflexive Effekte wie zum Beispiel Spiegelungs-Effekt
und/oder Bumerang-Effekt, die eine komplexere und systematischere Struktur erfordern
und damit anstelle der Kausalität die Reflexivität stellen.119 Eines ist jedoch festzuhalten:

„Die Annahme, dass Kommunikation ein banaler, einfach zu erklärender Prozess


sei, muss zu Gunsten der Einsicht aufgegeben werden, dass Kommunikation ein
(sic!) hochkomplexer Prozess darstellt, dessen Analyse ganz neue Theorien und
Methoden erfordert.“120

In Anbetracht dieser Herausforderungen eignen sich partielle Erkenntnisse der


Systemtheorie für die Analyse. Die Systemtheorie ist seit 1947 bekannt und wurde von

119 Vgl. Merten 2007: 15-19


120 Merten 2007: 18

56
Norbert Wiener und seinem Forscherkreis für die Steuerung technischer Prozesse
entwickelt. Dieser bezeichnete sie als Kybernetik. Interessanter wurde diese Theorie mit
der Erkenntnis, dass sie sich nicht nur zur Steuerung technischer, sondern auch zur
Beschreibung organischer Prozesse heranziehen lässt. Es wurde die Möglichkeit erkannt,
die Prozesse nicht mehr kausal, sondern reflexiv zu analysieren. Damit wurde das duale
Prinzip von wahr/falsch durch die mehrwertige Logik erweitert bzw. ersetzt.121 Das
Kennzeichen der Systemtheorie ist die „[…] Betonung der wechselseitigen Beziehungen
eines Ganzen zu seinen Teilen und […] die sich daraus ergebende Möglichkeit, diese
Beziehungen rekursiv zu strukturieren.“122

Der Begriff Kommunikation hält insgesamt in unterschiedlichen Disziplinen Einzug und ist
unverzichtbar.

„Kommunikation hält Gesellschaften zusammen und ist das Wesen aller


Organisationen. Kommunikation fördert die Behandlung von Konflikten und das
Finden von Entscheidungen, Kommunikation stiftet Konsens und leistet soziale
Kontrolle, Kommunikation ist Vehikel aller Kultur und Medium des Austausches –
kurz um: Kommunikation erscheint unverzichtbar.“123

Diese Aussagen oder Hypothesen sind nicht theoriegeleitet, sondern viel eher Ausdruck
der Hilflosigkeit bezüglich einer Definition von Kommunikation, verpackt in Metaphern. Die
angenommene Einfachheit der Kommunikation war der Wissenschaft nicht förderlich. Viel
mehr erschwert die Vielzahl an Phänomenen das Bilden einer großen „Theorie der
Kommunikation“. Somit bleibt der Begriff Kommunikation stets heterogen,
„unterschiedlichsten Disziplinen verpflichtet“ und durch Unklarheiten und Widersprüche
geprägt. Daher ist es notwendig, unterschiedliche Modelle und Ansätze miteinander zu
vergleichen und zu verbinden.124

„Kommunikation ist ein sozialer Prozess, in dessen Verlauf sich die beteiligten
Personen wechselseitig zur Konstruktion von Wirklichkeit anregen.“125

Eine Kommunikationsgesellschaft ist ein Versuch, jene Zustände und Prozesse zu


beschreiben, in denen wir uns bewegen.126 Kommunikationspsychologen untersuchen das

121 Vgl. Merten 2007: 82-83


122 Merten 2007: 83
123 Merten 1977: 8-9
124 Vgl. Merten 1977: 8
125 Frindte 2001: 17
126 Vgl. Frindte 2001: 9

57
wechselseitige Anregen von Menschen in unterschiedlichen sozialen Systemen zur
Erschaffung von Konstruktionen und Wirklichkeiten. Zum einen kann das eine verbale oder
nonverbale Anregung im Zwischenmenschlichen sein, sei es in Zweierbeziehungen, in
Gruppen oder Organisationen, zum anderen aber auch die Folgen und Prozesse medialer
(massenmedialer) oder interkultureller Anregung betreffen. Die
Kommunikationspsychologie beschäftigt sich mit Strukturen, Prozessen und deren
Resultaten in der Kommunikation.127 Kommunizieren Menschen miteinander, so treten sie
in eine wechselseitige Beziehung – von Angesicht zu Angesicht oder über Medien. Der
wechselseitige Austausch kann formell oder informell sein bzw. nonverbal und/oder verbal.
Wenn Menschen kommunizieren, regen sie sich gegenseitig dazu an, Bilder, Vorstellungen
und Konstruktionen über die Wirklichkeit zu erzeugen. Auch wenn sich diese Faktoren nicht
decken und Kommunikationspartner aneinander vorbeireden, ist das Kommunikation.
Insgesamt trägt Kommunikation die Merkmale, dass kommunikatives Geschehen ein
sozialer Prozess ist und entstandene Wirklichkeitskonstruktionen in der Regel Ergebnisse
oder Voraussetzungen für weiteres kommunikatives Geschehen sind.128

Kommunikationsmodelle eröffnen unterschiedliche Perspektiven, kommunikative Vorgänge


zu betrachten. Kommunikation als ein Grundbedürfnis des Menschen verdeutlicht nicht nur
aus subjektiver Wahrnehmung, sondern auch aus einer objektiven Haltung heraus die
Notwendigkeit der Kommunikationsforschung. Insbesondere in den pflegerischen
Tätigkeiten ist eine Kooperation zwischen Pflege und Patienten ohne nonverbale oder
verbale Kommunikation unmöglich. Umso wichtiger scheint es, diese Prozesse zu
verstehen, um für eine reflektierte und kompetente Kommunikation im Krankenhausalltag
zu sorgen.129 Ein hinreichend bekanntes Modell ist das Nachrichtenquadrat von Schulz von
Thun und andere Erkenntnisse seiner Arbeit in der Kommunikationspsychologie. Im
Krankenhaus ist die Sach- und Appellebene vordergründig, obwohl die Beziehungsebene
die zwischenmenschliche Kommunikation in hohem Maße beeinflusst.

3.2.1. Vierseitigkeit von Nachrichten


„Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“130

Schulz von Thun, inspiriert durch Karl Bühlers Organon-Modell (Symbol, Symptom und
Appell) und Gedanken von Trainingskursteilnehmern, entwickelte das bekannte

127 Vgl. Frindte 2001: 22–23


128 Vgl. Frindte 2001: 17
129 Vgl. Elzer, Sciborski 2007: 19
130 Buber 2012: 15

58
Nachrichtenquadrat. Die Vierseitigkeit des Kommunikationsquadrates suggeriert die
prinzipielle Gleichrangigkeit aller vier Seiten. Der Alltag allerdings präsentiert sich in
Überbetonungen einzelner Aspekte des Sendens und Empfangens. Das Quadrat stellt eine
Möglichkeit zur Verbesserung der zwischenmenschlichen Kommunikation dar, wobei es
sich nicht um Sprachkosmetik, sondern um „seelische Realität“ handelt. Schulz von Thun
tritt für die Reflexionsfähigkeit am Individuum, im Miteinander und der gesellschaftlichen
Bedingungen ein, wobei die Verbindung die Voraussetzung für eine gelungene
Kommunikation ist.131

Abbildung 1 Sender und Empfänger132

Auch die Berufsgruppen der Medizin und Pflege sind täglich mit Senden und Empfangen
(gezwungenermaßen) beschäftigt und Sende- bzw. Empfangsfehler sind nicht
auszuschließen. Die Vierseitigkeit nimmt im Sach- und Appellaspekt überhand und die
Kommunikationsstile der Berufsgruppen scheinen sich zu unterscheiden.

Auf der Sachseite sind zwei Aspekte hervorzuheben. Einerseits die Sachlichkeit und
andererseits die Verständlichkeit. Sachlichkeit ist dann gegeben, „[…] wenn die
Verständigung auf der Sachebene weiterkommt, ohne dass die Begleitbotschaften auf den
anderen drei Seiten der Nachricht störend die Oberhand gewinnen.“133 Um eine sachliche
Auseinandersetzung zu fördern, gibt es zwei Strategien, die sich voneinander
unterscheiden. Zum einen die Aufforderung zur Disziplin, auf sachlicher Ebene zu bleiben.
Wobei das als Notlösung gilt, da „[…] eine engagierte, kreative Sachlichkeit den Aufwind
positiver zwischenmenschlicher Beziehungen […]“134 benötigt und sich die Impulse der
Unsachlichkeit nicht verschweigen lassen, zumal andernfalls schein-sachlich diskutiert

131 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 11-23


132 Schulz von Thun 2014a: 33
133 Schulz von Thun 2014a: 148
134 Schulz von Thun 2014a: 149

59
wird. Die zweite Strategie ist der Mut zur Metakommunikation inklusive Betonung der
Selbstoffenbarungs- und Beziehungsseite. „Störungen haben Vorrang“135, so Ruth Cohn.
Störungen sind Botschaften bzw. Reaktionen, die deutlich machen, dass in diesem Moment
etwas nicht stimmt und wahrgenommen werden sollte. Das Wort Störung verursacht
negative Assoziationen, die laut Cohn sowohl positiv als auch negativ gesehen werden
können. Die Störung ruft in jedem Fall eine Ablenkung hervor, die verhindert an einer Sache
konstruktiv zu arbeiten oder sie zu diskutieren. Die Sachlichkeit in den Vorerdgrund zu
rücken, lässt den Eindruck entstehen, Zeit zu sparen. Erst mit zunehmender Erfahrung,
Störungen den Vorrang zu geben, wird klar, dass diese nicht nur Fakten zum Prozess der
Gesprächsführung, sondern auch Fakten zur Sache liefern.136

„Die heimliche Dauer-Überfrachtung der Sachseite mit unbearbeiteten Anteilen aus


dem Bereich der Selbstoffenbarung und Beziehung kostet langfristig nicht nur mehr
Zeit, sondern auch mehr seelisches Energie; die investierte Zeit zur Entfrachtung
gibt es mit Zins und Zinseszins zurück.“137

Das Aussprechen der eigenen inneren Vorgänge ist für Menschen keine erlernte
Kommunikationsart. Es bedarf Übung und Mut, die unterentwickelten Bereiche der
Persönlichkeit wahrzunehmen und wachsen zu lassen. Das birgt die Gefahr, wieder in eine
Schein-Sachebene einzusteigen und/oder das Risiko einer Überhandnahme der
Aufarbeitung von Selbstoffenbarungs- und Beziehungsthemen – besonders dann, wenn
lange Zeit die Sache im Vordergrund gestanden ist. Der zweite Aspekt ist die
Verständlichkeit. Menschen hören auf, sich zu informieren, wenn die Verständlichkeit fehlt,
was Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl birgt.138 Verständlichkeit ist „[…] eine
Eigenschaft von Informationstexten, die in vier Bereiche zerfällt. […] Sie heißen:
Einfachheit, Gliederung – Ordnung, Kürze – Prägnanz und zusätzliche Stimulanz.“139 In der
zwischenmenschlichen Kommunikation im Krankenhaus spielt Sachlichkeit gerade in der
Informationsweitergabe eine besondere Rolle. Die Überlagerung der Beziehungsseite führt
dazu, dass in vielen Fällen eine konstruktive Kommunikation verhindert wird, wenn der
Beziehungs- den Sachaspekt überschattet. Auch wenn der Sender noch so bemüht ist,
sachlich zu senden.

135 Cohn in Schulz von Thun 2014a: 150; vgl. Schulz von Thun 2014a: 147-150
136 Vgl. Langmaack 2011: 136-137
137 Schulz von Thun 2014a: 152
138 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 160-161
139 Schulz von Thun 2014a: 161

60
Die Selbstoffenbarungsseite schwingt mit jeder Information eines Senders mit. Dabei
handelt es sich sowohl um eine „gewollte Selbstdarstellung“ als auch um eine „unfreiwillige
Selbstenthüllung“.140 Sobald eine Person etwas von sich gibt, gibt sie etwas von sich – ein
unvermeidbarer Prozess. Selbstoffenbarung macht Angst. Sie hat mit individueller
(kindlicher) Sozialisation zu tun und fordert einen entsprechenden Umgang mit der oft
einhergehenden Selbstoffenbarungsangst.141 Diesbezügliche Abwehrtechniken
verbrauchen Energien, die anderenorts fehlen. Um sich der eigenen
Selbstoffenbarungsangst zu stellen und zu anderen Personen Zugang zu finden, braucht
die Einzelperson zunächst eine Selbstoffenbarung vor sich selbst (Selbsterkenntnis).142 In
der Gesamtgesellschaft und in Organisationen bedeutet „offen“ zu sein, die persönliche
Selbstoffenbarungsseite „zur Schau“ zu stellen. Häufig greifen die Menschen aus Angst auf
Selbstdarstellung oder -verbergung bzw. Imponier- und Fassadentechniken sowie
Selbstverkleinerung als Verhalten zurück. Der Sender investiert Energie, um sich von seiner
besten Seite zu präsentieren. Dazu werden auch Botschaften unter dem Deckmantel der
Sachlichkeit getätigt, deren Hauptaugenmerk aber auf der Selbstoffenbarungsseite liegt.143
In der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegefachkräften kommt es zu
Selbstdarstellung, Imponiergehabe, Fassadentechnik und Selbstverkleinerung, um
entweder den eigenen Status zu heben oder eventuelle Defizite zu verbergen.

Die zum Teil selbst auferlegte Notwendigkeit des Versteckens kann dauerhaft zu
Spannungen führen, kostet psychische Kraft und geht stets mit einer latenten Ängstlichkeit
vor Entlarvung einher. Das kann als seelisch „unhygienisch“ bezeichnet werden und birgt
das Risiko, die körperliche und geistige Gesundheit aufs Spiel zu setzen.144

Um nach außen stimmig zu kommunizieren, bedarf es einer persönlichen inneren Klarheit.


Authentizität oder Kongruenz bedeutet, dass eine Person sich nach außen so gibt, wie ihr
innerlich zumute ist. Unter Kongruenz beschreibt Schulz von Thun nach Carl Rogers die
Übereinstimmung zwischen dem inneren Erleben, dem Bewusstsein und der daraus
resultierenden Kommunikation.145 Je kongruenter ein Sender ist, desto klarer ist seine
Kommunikation für den Empfänger. Die Verzerrung und Verleugnung von inneren
Erlebnissen (führt nicht nur zu Neurosen, sondern) ist inkongruent. Im Rahmen von gelebter

140 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 29


141 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 109
142 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 110
143 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 117-128
144 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 129-130
145 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 130-131

61
Kongruenz oder Authentizität geht es allerdings nicht darum, einfach alles zu artikulieren,
was in einem vorgeht. Vielmehr geht es um „selektive Authentizität“, die einer Situation
zuträglich ist und zur Stimmigkeit beiträgt.146 Stimmigkeit liegt dann vor, wenn eine „[…]
Übereinstimmung mit der Wahrheit der Gesamtsituation, zu der neben meiner inneren
Verfassung und meiner Zielsetzung auch der Charakter der Beziehung (auch Rollen-
Beziehungen), die innere Verfassung des Empfängers und die Forderungen der Lage
gehören.“147

Authentizität ist lernbar. Der Lernprozess enthält einerseits das Verhältnis zu sich selbst
und andererseits das Verhältnis zur Umwelt. Authentizität setzt ein Mindestmaß an
Selbstwertgefühl auf individueller Ebene voraus. Es geht darum, dass das Individuum in
der Lage ist, sich mit sich selbst auszusöhnen, persönliche Schwächen zu akzeptieren und
Perfektion nicht zum Maß aller Dinge zu machen. Auf der Ebene der Institutionen kann es
schwer werden, Authentizität zu entwickeln, da Institutionen in der Regel auf Rivalität
aufbauen (siehe dazu mehr im Abschnitt Konflikte und die Bedeutung von Rivalität in
4.2.2.). Damit können sie zur Brutstätte für Selbstoffenbarungsangst werden. So kann es
sein, dass in einem Kommunikationstraining empfohlene Authentizität und demnach ein
kooperativer Umgangsstil als schwer in den Alltag übertragbar bewertet werden.148 Auf
individueller Ebene sind es beispielsweise Selbsterfahrungsgruppen, in welchen
Gruppenmitglieder lernen, sich selbst zu offenbaren und auch Gefühle zu verbalisieren.
Dem Individuum ist es nur möglich, sein Selbstwertgefühl zu stärken bzw. zu korrigieren,
wenn er die Erfahrung machen kann, wie er von anderen Mitmenschen anerkannt und
angenommen wird.149 Der Authentizität zuträglich ist ein dementsprechender
Kommunikationsstil:

1. Das Sprechen in der Ich-Form anstatt in der Wir-Form. Nach Cohns sind
Verallgemeinerungen einem Versteckspiel ähnlich. Der Sprechende übernimmt mit der
Wir-Form nicht die gesamte Verantwortung für das, was er sagt, sondern verbirgt sich
hinter einer öffentlichen Meinung. Per Ich zu sprechen, ist geeignet, die volle
Verantwortung zu übernehmen und Projektionen zu vermeiden.150 Vermieden wird das
Ich, damit die Aufmerksamkeit nicht auf die sprechende Person gelegt wird.151

146 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 132-137


147 Schulz von Thun 2014a: 137
148 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 140-142
149 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 142-143
150 Vgl. Cohn 2016: 124
151 Vgl. Satir 2014b: 80-82

62
2. Die Wahl einer authentischen und selektiven Kommunikation durch das Bewusstwerden
der eigenen Gedanken und Gefühle. Wird jemand gezwungen, etwas zu sagen bzw.
sieht sich gezwungen, so fehlt die persönliche und bewährte Überprüfung und
persönliches Handeln wird blockiert. Die eigenen Werte werden z.B. aufgrund einer
unreflektierten Gruppennorm missachtet. Authentische und selektive Kommunikation
schafft Vertrauen und fördert Verständnis.152

Satir versucht Möglichkeiten zu zeigen, jene Aspekte herauszuarbeiten, die der


Einzelperson im Rahmen der Kommunikation zuträglich sind. Selbstoffenbarung hängt mit
dem Erkennen der eigenen inneren Person und den damit verbundenen Gefühlen
zusammen. Dies gilt auch für die Berufsgruppen Medizin und Pflege. Sie unterliegen
aufgrund sich ändernder gesetzlicher Bestimmungen ständigen Veränderungen und
Anpassungsprozessen (Tätigkeitsverschiebungen, Ausbildungsveränderungen usw.). Für
die Zwischenmenschlichkeit braucht es daher Ansätze, die zum einen über die eigene
Person gesteuert werden und zum anderen über die Interaktion deutlich und klar werden.
Dazu werden nun – zum Teil metaphorische – Aspekte Satirs angeführt, wie sich die
Berufsgruppen auf Veränderung auf individuellen Ebenen einlassen und die Wirkung ihrer
Interaktionen beeinflussen können.

Satir betont die Einzigartigkeit von Menschen und bezeichnet jeden Menschen als
individuellen und unverwechselbaren Fingerabdruck. Der Mensch strebt danach,
Unterschiede zu verbergen, da er grundsätzlich davon ausgeht, dass fehlende
Übereinstimmung Probleme schafft. Damit nützt er nur die Hälfte des Potentials der
persönlichen Entwicklungsfähigkeit. Auch der Umgang mit sich selbst ist ähnlich gestaltet.
Menschen tragen Anteile in sich, die sie als vertraut und weniger vertraut wahrnehmen.153
Jedes Zusammentreffen mit Menschen hat eine emotionale Färbung.154 Unangenehme
Gefühle führen zu innerlicher Unruhe. Mitunter gelingt es Menschen nicht mehr, eigene
Gefühle wahrzunehmen, sie vermeiden alles Unangenehme. Dieses Verhalten entspricht
einem „emotionalen Gefängnis“.155

Im Alltag ist die Umgebung nicht immer frei wählbar und es gibt Situationen, die der
Einzelne wenig bis gar nicht beeinflussen kann. Im Zuge dessen kommt die Frage auf, wie
sich der Umgang damit gestaltet. Die Bedeutung, die der Situation beigemessen wird,

152 Vgl. Cohn 2016: 125


153 Vgl. Satir 2014a: 9-13
154 Vgl. Goleman 2008: 25
155 Vgl. Satir 2014a: 41

63
bestimmt dabei maßgeblich das Verhalten.156 Neues kann immer erst dann kennengelernt
werden, wenn der Einzelne seine Überzeugungen infrage zu stellen lernt. Einerseits führt
das zu Angst und andererseits wird persönliches Wachstum sichergestellt.157
Voraussetzung dafür ist, dass Herausforderungen und Konflikte einen Teil des Lebens
darstellen. Je mehr ein Mensch sich der eigenen Gefühlslage bewusst wird, desto eher
gelangt er zur Selbstbestimmtheit158, denn vorgefertigte Gedanken und Überzeugungen
üben Einfluss auf menschliches Handeln aus159:

„Gedanken beeinflussen unsere Gefühle, Gedanken und Gefühle beeinflussen


unseren Körper, Körper und Sinne beeinflussen unsere Gedanken und Gefühle.“160

Es ist für den Einzelnen stets ein Risiko, sich Unbekanntem und Neuem auszusetzen,
weshalb damit Unsicherheit und daraus resultierende Angst einhergehen. Das Erhalten des
Status quo und die Unlust Vertrautes zu verlassen (zur Wahrung der Sicherheit) sind starke
Antreiber, im Alten zu verharren. Persönliche Entwicklung findet allerdings nur dann statt,
wenn das emotionale Chaos überwunden wird. Dieser Prozess verläuft in Phasen, zuerst
jene der Aufregung und Angst, anschließend die Phase der Verwirrung und zuletzt die
Integration des Neuen.161

„Es könnte interessant sein, die Ursache von Streitigkeiten in Andersartigkeit zu


sehen und Andersartigkeit als natürliche Konsequenz von Vielfalt. Die Vielfalt gehört
zum Menschsein dazu. So verstanden bräuchten wir weniger zu kämpfen und
könnten uns mehr darum bemühen, Andersartigkeiten als Ergänzungen zu
sehen.“162

Somit liegt in jeder neuen Begegnung, die Möglichkeit zu entdecken. Menschen bieten
einander die Gelegenheit, neue Sichtweisen zu erlangen, den eigenen persönlichen
Handlungsspielraum zu vergrößern und den Prozess des individuellen Sortierens,
Veränderns, Hinzufügens und Loslassens voranzutreiben.163 Auch unterschiedliche
Berufsgruppen im Krankenhaus können von den Sichtweisen anderer profitieren. In dieser
Auseinandersetzung zeigen Menschen, wie sie zueinander stehen und bestimmen damit

156 Vgl. Satir 2014a: 43


157 Vgl. Satir 2014a: 46-47
158 Vgl. Satir 2014a: 57-58
159 Vgl. Satir 2014a: 61
160 Satir 2014a: 64
161 Vgl. Satir 2014a: 68-73
162 Satir 2014a: 95
163 Vgl. Satir 2014a: 96-98

64
ihre Beziehungsebene. Zudem kann in jeder Veränderung organisatorischer Prozesse
Potential liegen.

Die Beziehungsseite bildet ab, wie Menschen zueinander stehen und was sie voneinander
halten.164 Auf der Beziehungsseite der Kommunikation liegt das Hauptaugenmerk auf dem
Wie. Dazu zählen auch Tonfall, Mimik, Gestik, Körperhaltung und andere nichtsprachliche
Begleitsignale. Zwischenmenschliche Kommunikation rund um den Sachinhalt richtet sich
an den Verstand des Empfängers, Beziehungsbotschaften machen betroffen. Da der
Sachinhalt ohne die Beziehungsebene nicht übermittelbar ist, entsteht beim Empfänger
persönliche Betroffenheit. Ein starkes „Ohrenmerk“ auf der Beziehungsseite fördert das
Hören im Wie und nicht im Was, wobei der Vorgang nicht bewusst sein muss. Diese Seite
des Kommunikationsquadrates hat insofern Auswirkungen, als dass sie sich langfristig auf
das Selbstkonzept des Empfängers auswirkt und nicht nur im Moment Wirkung zeigt.165

Um die Beziehungsseite des Kommunikationsquadrates vollständig zu verstehen, ist eine


Unterscheidung zwischen Du- (so bist du meiner Ansicht nach) und Wir-Botschaft (so
stehen wir zueinander) zu vollziehen.166 Zur Erfassung der Beziehungsseite können zwei
Instrumente herangezogen werden. Zum einen das Verhaltenskreuz (z.B. Tausch und
Tausch in Schulz von Thun) und die Transaktionale Analyse.167

Das Verhaltenskreuz stellt dar, wie Menschen behandelt werden. Dies zeigt sich in
Lenkung/Bevormundung vs. Einräumen von Entscheidungsfreiheiten sowie Wertschätzung
vs. Geringschätzung (siehe Abbildung 2). In der Abbildung wird gezeigt, dass der Umgang
des Senders mit dem Empfänger ein Kontinuum ist; es gibt zahlreiche Mischformen und
tendenzielle Richtungen.168 Anzumerken ist, dass es verschiedene Ursachen in der
individuellen und tief verwurzelten Gesamtpersönlichkeitsstruktur geben kann.

Ein starkes Minderwertigkeitsgefühl kann z.B. mit Entwertung (zur Selbsterhöhung)


kompensiert werden.169

Die Einordnung des Kommunikationsverhaltens ist grundsätzlich in beiden Berufsgruppe in


allen Abstufungen und Kombinationen möglich. Wobei die gegebenen Strukturen eine mehr
oder minder starke Lenkung vorgeben, die in Richtung Wertschätzung verträglicher für
Kommunikationspartner ist und in Richtung Geringschätzung zu Konflikten führt.

164 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 30


165 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 180-181
166 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 182-183
167 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 184
168 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 188
169 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 191

65
Lenkung/Bevormundung

Geringschätzung Wertschätzung

Einräumen von Entscheidungsfreiheit

Abbildung 2 Verhaltenskreuz170

Neben dem Verhaltenskreuz lässt sich die Kommunikation über die Transaktionsanalyse
betrachten. „Die Transaktionsanalyse geht davon aus, dass in jedem von uns drei
Persönlichkeitsinstanzen vorhanden sind und sich […] zu Worte melden können: Das
Eltern-Ich, das Kindheits-Ich und das Erwachsenen-Ich.“171 Diese werden auch als
exteropsychische, archäopsychische und neopsychische Ich-Zustände bezeichnet.172 Sie
sind in jedem Individuum vorhanden und korrespondieren in der Regel; können aber auch
im Widerspruch zueinander stehen. Mit Hilfe der Transaktionsanalyse können
kommunikative Vorgänge in unterschiedlichen Konstellationen beschrieben werden – je
nach dem, welcher Ich-Zustand zum Zug kommt und wie die Reaktion ausfällt. Solange die
Kommunikation als Komplementär-Transaktion verläuft, ist dies dem
Kommunikationsprozess zuträglich. Erst Überkreuz-Transaktionen stören die
Kommunikation. Insgesamt beschreibt Berne neun mögliche Sozialinteraktionen.173

Auf der Beziehungsseite zeigt sich, wie ein Sender den Empfänger sieht. Dem Sender muss
bewusst sein, dass dies seine eigene Wahrnehmung ist, wobei es sich meist um eine

170 In Anlehnung an Schulz von Thun 2014a: 189


171 Schulz von Thun 2014a: 195
172 Vgl. Berne 2015: 29-30
173 Vgl. Berne 2015: 36-42

66
unvollständige Vorstellung darüber handelt, wie das Gegenüber ist, denkt und handelt.
Menschliche Wahrnehmung selektiert nicht nur, sondern sorgt auch für Ergänzungen – sie
besteht also nicht nur aus Gesehenem, sondern auch aus der Interpretation dessen.
Mechanismen wie Projektion (eigene Gefühle und Impulse werden auf das Gegenüber
gespiegelt und dort erkannt), Übertragung (nicht eigene, sondern fremde Seelenanteile
eines Dritten werden auf das Gegenüber projiziert) und unrepräsentativer Kontakt (das
Gegenüber wird nur einseitig und unvollständig wahrgenommen, z.B. nur in bestimmten
Situationen) wirken dabei stark.174 Daraus resultieren vier mögliche Reaktionen des
Empfängers:

1. Akzeptieren (Empfänger stimmt Sender zu)


2. Durchgehen lassen (weder Zustimmung noch Ablehnung der Botschaft)
3. Zurückweisen (Zurückweisung des Senders und seiner Botschaft)
4. Ignorieren (= Entwertung): Empfänger verweigert Reaktion auf Sender175

Sender und Empfänger können unendlich viele Arten von Beziehungen zueinander
aufbauen. Es gibt drei Grundarten von Beziehungen: symmetrisch (beide Partner zeigen
dem anderen das gleiche Verhalten), komplementär (Verhalten von A und B sind
unterschiedlich und ergänzen sich) und metakomplementär (einmal hat A die Oberhand,
einmal B).176

Die Komplexität der Beziehungsseite birgt selbsterklärend das Potential für zahllose
Konflikte. Obwohl Beziehungsstörungen in der Kommunikation mit zwei (oder mehr)
Partnern alltäglich sind, fällt es schwer, damit angemessen umzugehen. Statt der
produktiven Bearbeitung eines Konflikts beherrschen Pseudo-Harmonie, verdeckter Hass
oder Nörgelei die Situationen. Beziehungsstörungen auf der Sachebene auszutragen, und
umgekehrt, führt ebenso zu Störungen in der Kommunikation.177

Wenn jemand eine Nachricht sendet, möchte er auch etwas bewirken und damit haben
Nachrichten eine Funktion. Ein Sender möchte in irgendeiner Art auf den Empfänger
Einfluss nehmen oder ihn zu etwas veranlassen. Wird die Appellseite unter Einbeziehung
der anderen Seiten funktionalisiert, so kann jeder Appell auch manipulativ eingesetzt
werden.178 In einer beabsichtigt konstruktiven Kommunikation steht die Seite für einen

174 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 201-205


175 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 206-207
176 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 209
177 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 229
178 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 32

67
„wirkungsvollen Einfluss“. Es wird zwischen Ausdrucks- und Wirkungsfunktion
unterschieden, wobei Kommunikation eine ständige Suche nach einem Kompromiss
zwischen beiden darstellt. Im Ausdruck wird – unter Zuhilfenahme der anderen drei Seiten
– versucht zu beschreiben, wie die Situation gerade ist. Im Rahmen der Wirkungsfunktion
wird versucht, eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Die Appellseite zielt auf diesen
Wirkungsaspekt ab.179 Es wird zwischen erfolglosen, heimlichen/verdeckten, paradoxen
und offenen Appellen unterschieden, die alle für sich eigene Problematiken aufweisen.
Erfolglose Appelle bleiben – oft zum Erstaunen des Senders – tatsächlich erfolglos oder
erzeugen Widerstand.180 Verdeckte Appelle versetzen den Empfänger in eine emotionale
Stimmung, die diesen eher bereit macht, zu reagieren. Der verdeckte Appell ist eine
Strategie, bei der eine doppelte Zielsetzung vorhanden ist: etwas erreichen und nicht
entdeckt zu werden. Solche verdeckten Appelle können auch unbewusst vonstattengehen.
Dabei handelt es sich nicht um Lügen und Manipulation, sondern eventuell um ein erlerntes
Verhalten.181 Paradoxe Appelle appellieren in die Gegenrichtung, in die ein Empfänger
manövriert werden soll und sind dabei wirksam.182 Offene Appelle sind ein direkter
Ausdruck von Wunsch und Aufforderung(en), während verdeckte und paradoxe Appelle die
wahre Absicht des Senders verschleiern. Werden offene Appelle vermieden, stecken
beispielsweise Selbstoffenbarungsangst, Angst vor Zurückweisung, die Frage, ob es dem
Gegenüber zumutbar ist oder eine Vermeidung von Verantwortung dahinter.183 Die
Kommunikation im Behandlungsprozess ist mitunter vom Appellcharakter geprägt, da es
durchwegs um Anordnungen geht, die von einer Durchführung abhängig sind. Dies betrifft
sowohl die Kommunikation von Ärzten Pflegefachkräften gegenüber als auch jene von
Ärzten oder Pflegefachkräften gegenüber Patienten. Stets wollen sie zu etwas veranlassen
und dies duldet wenig Widerstand.

3.2.2. Selbstwert, Kongruenz und die Macht der Worte


„Wenn Menschen die Wahl haben, die Welt zu verzerren, um mit sich selbst
zufrieden sein zu können, oder sie realistisch darzustellen, entscheiden sie sich
oft für Ersteres.“184

179 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 242-246


180 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 248
181 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 257-259
182 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 277-283
183 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 286-290
184 Aronson, Wilson, Akert 2014: 15

68
Die Berufsgruppen von Medizin und Pflege sind im Alltag auf Kommunikation angewiesen
und es gilt, Herausforderungen zu bewältigen, die auf Selbstwert,
Kommunikationsgewohnheiten und sprachlichen Inhalt zurückzuführen sind.

In Kontakt mit anderen Menschen zu treten, ist eine Möglichkeit, um sich menschlichen
Problemen, Herausforderungen und/oder Sorgen zu stellen. Es ist die Chance, eine
Auseinandersetzung zu erfahren und sich darin angemessen mitzuteilen. Satir plädiert für
eine Kommunikation, welche die eigene Integrität und Selbstachtung fördert und dadurch
Beziehungen gelingen lässt. Die Annahmen über den jeweils anderen ergeben ein
Kommunikationsmuster, von dem Satir annimmt, dass es antrainiert ist.185 Wenn ein
Kommunikationsmuster erlernbar ist, kann auch ein anderes erlernt werden. Jedes hat
jeweils eine eigene Wirkung auf das Gegenüber. Bestimmen negative Gedanken einen
Dialog, sinkt die Selbstachtung sich selbst und anderen gegenüber.186 Satir definiert
Selbstwert als zentrales Moment für das Leben eines jeden Menschen. Sie stellt die
Annahme auf, dass der größte Teil menschlicher Probleme auf einen zu niedrigen
Selbstwert zurückzuführen ist. Sie beschreibt Selbstwert als die Fähigkeit, die eigene
Person zu schätzen und mit ihr respektvoll zu kommunizieren bzw. umzugehen. Satir
erkennt einen Zusammenhang zwischen der Höhe des eigenen Selbstwerts und der Art der
Interaktion mit Problemen und anderen Menschen. Besonders betont wird hier die
Unterscheidung zwischen temporärem und chronischem Selbstwerttief. Ein hohes
Selbstwertgefühl wird durch Offenheit gegenüber Veränderungen, Ehrlichkeit,
Verantwortungsbewusstsein, Empathie, Liebe und Kompetenz beschrieben. Besitzt ein
Mensch hingegen einen niedrigen Selbstwert, so lebt er in ständiger Erwartung von
Geringschätzung und Abwertung durch andere. Typisch ist in diesem Zusammenhang
auch, dass unerwünschte Gefühle verleugnet werden, anstatt sich ihnen zu stellen.187

Ehrlichkeit ist das Kernstück einer Begegnung. Satir nennt den ehrlichen Umgang mit
Gefühlen Kongruenz.188 In ihr spiegeln die eigenen Worte exakt das wider, was im Moment
gefühlt wird und entsprechen so auch dem Ausdruck von Körper, Gesichtsausdruck und
Verhalten. Alle inneren Teile eines Menschen stehen miteinander in Beziehung, es wird
nichts ausgeklammert und es wirkt glaubwürdig. Wird kongruent kommuniziert, vergrößert
sich die eigene Selbstachtung und die der Anderen. Satir führt dazu ein kreisförmiges
Modell an, dessen einzelne Faktoren einander bedingen und im Rahmen von

185 Vgl. Satir 2014b: 15-18


186 Vgl. Satir 2014b: 19-21
187 Vgl. Plate 2015: 34
188 Vgl. Satir 2014b: 28

69
Veränderungen im persönlichen Verhalten herangezogen werden. Es handelt sich hierbei
um Selbstachtung (Wie geht es mir mit mir als Person?), Kommunikation (Wie formuliere
ich verständlich das, was ich sagen möchte?), Regeln (Was empfinde ich emotional, sind
es echte Gefühle, die ich fühle?) und Risikobereitschaft (Wie verhalte ich mich, wenn Neues
auf mich zukommt?). Satir vergleicht die vier Faktoren metaphorisch mit einem Mobile – es
braucht einen ständigen Ausgleich zwischen ihnen. Je mehr die Faktoren aufeinander
abgestimmt sind, desto feinfühliger, kreativer und echter können Kontakte von Menschen
hergestellt werden.189

„Menschen, die sich nicht kongruent fühlen, werden ihre Beziehungen als
Machtspiele oder Spiele um Gewinn und Verlust führen und damit wenig
Gelegenheit haben, wirklich gute Beziehungen aufzunehmen.“190

Satir beschreibt vier Kommunikationsarten, die sich insbesondere dann zeigen, wenn
Menschen unter Stress stehen und gleichzeitig ihr Selbstwertgefühl aus dem Gleichgewicht
gekommen ist. Sie lauten: Beschwichtigen, Anklagen, Rationalisieren und Ablenken.
Menschen mit wenig Selbstwertgefühl nehmen das, was an sie herangetragen wird, als
Referenz an, sich zu definieren. Sie beschreiben sich als inkompetent, hilflos, besorgt und
ängstlich.191

In der zwischenmenschlichen Kommunikation spielt auch Fantasie eine Rolle. Fantasien


und eigene Erfahrungen beschäftigen Menschen mitunter so sehr, dass daraus eine eigene
Wirklichkeit entsteht. Menschen neigen dazu, das zu machen, was sie einmal gelernt
haben.192 Eine zentrale Frage stellt sich: „Dient meine Vergangenheit dazu, meine
Gegenwart zu erhellen oder zu vergiften?“193 Indem Kommunikationsverhalten gestaltbar
bleibt, gestaltet sich auch die Zukunft.194

Jeder Mensch hat alle Voraussetzungen, die einen guten menschlichen Kontakt
ermöglichen, auch wenn diese Voraussetzungen nicht von allen ausgeschöpft werden.
Jedes Wissen und das Bewusstsein sind bei jedem Menschen ausbaufähig. Zu lernen,
einen guten Kontakt herzustellen, ist ähnlich wie das Lernen einer neuen Sportart. Zuerst
interessiert man sich für die Regeln. Die neue Sportart wird mit Begeisterung begonnen.
Man macht sich mit dem Neuen vertraut und/oder sucht sich einen Lehrer oder andere

189 Vgl. Satir 2014b: 30-31


190 Satir 2014b: 32
191 Vgl. Satir 2014b: 32-35
192 Vgl. Satir 2014b: 55-58
193 Satir 2014b: 58
194 Vgl. Satir 2014b: 55-57

70
Menschen, welche die (relevanten) Fähigkeiten bereits besitzen und es werden
Gelegenheiten zur Beobachtung der angestrebten Tätigkeit gesucht. Schließlich ist Übung
nötig, um das zu Erlernende zu einer Fertigkeit zu entwickeln. Wie bei jeder Form des
Lernens kann es sein, dass man sich anfangs unbeholfen fühlt. Das Neue fühlt sich
befremdlich an. Es kommt selten vor, dass Menschen in der Kindheit die Fähigkeiten
erlangen, ausreichenden Kontakt zu sich und anderen herzustellen. In der Regel müssen
die meisten Menschen viel Neues dazu lernen und Altes ersetzen, wenn es darum geht,
ihre „menschlichen Werkzeuge“ (sehen, berühren, hören, atmen) zur Aufnahme eines
befriedigenden Kontaktes zu benützen.195

Die gesprochene Sprache ist unter anderem ein Mittel der Kommunikation. Worte können
nicht isoliert gesehen werden, sondern werden in ihrer Gesamtheit wahrgenommen. Sie
werden als Ergebnis eines ganzen Prozesses ausgesprochen, der sich zuvor im
menschlichen Körper, unter anderem auch im Denken und Fühlen, vollzogen hat.
Insgesamt ist das Sprechen physiologisch gesehen ein sehr komplizierter Prozess.
Kommunikationsauslöser können aus zwei Bereichen stammen: aus dem Inneren oder als
Antwort auf etwas, das außen geschieht. Worte sind machtvoll in ihrer Wirkung und
Achtsamkeit bezüglich ihrer Verwendung fördert eine gelungene Kommunikation. Wörter
wie „ich“, „du“, „sie“, „es“, „aber“, „ja“, „nein“, „immer“, „niemals“, „sollte“ sind jene, deren
Einsatz wohlüberlegt sein sollte, um Missverständnisse zu vermeiden. Da Kommunizieren
eine Gewohnheitssache ist, wird vielfach nicht mehr wahrgenommen, was gesprochen wird.
Das Sprechen ist jedoch von solcher Bedeutung, dass es zu einer sinnvollen Aufgabe wird,
Sprache mit Bedacht und Bewusstsein einzusetzen.196 Ähnlich verhält es sich mit dem
Gebrauch von „sozusagen“ – der Sender wird damit seiner Verwendung nicht haftbar, denn
er hat es nicht wirklich gesagt und der Hörer kann das Gehörte leichter annehmen, da es
nicht eindeutig ist. Damit eröffnet sich ein Möglichkeitsraum197, in dem sich weder Sender
noch Hörer festlegen. Folge davon sind Missverständnisse bis hin zu Konflikten.

Gelungene Kommunikation zeichnet sich unter anderem im Bewusstsein von


Gemeinsamkeiten und Unterschieden aus. Wenn sich Menschen darauf beschränken, nur
Gemeinsamkeiten zu schätzen, verringern sie ihre Wachstumsmöglichkeiten und
vergrößern die Chance auf Langeweile und Destruktion.198 Satir sagt: „Wir begegnen uns
natürlicherweise in unseren Gemeinsamkeiten und wachsen an unseren Unterschieden.

195 Vgl. Satir 2014b: 68-74


196 Vgl. Satir 2014b: 78-80
197 Vgl. Krainz, Paul-Horn 2009: 35
198 Vgl. Satir 2014b: 59-64

71
Der Schlüssel zum richtigen Umgang mit Gleichheit und Verschiedenheit ist Verständnis.
Und um damit eine glückliche Lebenssinfonie zu spielen, bedarf es kongruenter
Kommunikation.“199

Wie sich Menschen geben und zwischenmenschliche Beziehungen gestalten, beeinflusst


alle Arten von Beziehungen – sowohl privat als auch beruflich. Im beruflichen Kontext
stehen die Beziehungen auf einer „[…] institutionellen Bühne, die in komplexer und
verwirrender Weise von gegensätzlichen Momenten bestimmt“200 ist. Es handelt sich um
Gegensätze bzw. um eine Dialektik wie Kooperation und Konkurrenz, Hierarchie und
Kollegialität, Selbst- und Fremdbestimmung, Transparenz und Intransparenz, die
Kommunikationsfähigkeiten und Persönlichkeit vom Individuum erfordern. Schulz von Thun
formulierte bereits 1981 in den ersten Ausgaben seiner Werke die erforderliche
Veränderung im Kommunikationsverhalten von beispielsweise Ärzten gegenüber Patienten
und/oder Pädagogen gegenüber Auszubildenden. Grund dafür ist das Verschwinden der
traditionellen Arbeitsteilung und das Bilden neuer Formen von partnerschaftlichen
Beziehungen, die alte Rollenbilder infrage stellen.201 Im Rahmen der
Kommunikationspsychologie geht es darum, die inneren Voraussetzungen für einen Dialog
zu erweitern, wobei die Kommunikationspsychologie selbst die Notwendigkeit hierfür
teilweise revidiert. Denn es ist nicht nur Aufgabe dieser Disziplin, Kommunikationsvorgänge
zu erklären, sondern sie soll auch dazu beitragen, diese zu gestalten. Klassische
Schlüsselkompetenzen aus der kommunikativen Psychologie sind Ich-Botschaften, aktives
Zuhören, die Trennung von Sach- und Beziehungsebene, das Einsetzen von
Metakommunikation und Feedback u.a. mit dem Fokus der „Situationsadäquatheit“. Nicht
jede Situation fordert alle dieser Elemente. Kommunikativ kompetent ist der Mensch dann,
wenn er diese Basisfähigkeiten nicht nur beherrscht, sondern auch weiß, wann sie
einzusetzen sind.202

Im folgenden Abschnitt 3.2.3. werden verschiedene Kommunikationsstile in ihrem


psychologischen Kontext nach Schulz von Thun erörtert. Der Blick auf das
Zwischenmenschliche zeigt den Weg von der Kommunikation zur Interaktion. Das lässt sich
in einem Kreislauf abbilden, welcher aufgrund der Eskalationstendenz auch Teufelskreis
genannt wird. Beschäftigten sich Ausführungen bisher vorrangig mit individuellen Aspekten,
soll der Fokus nun auf systempsychologischen Aspekten liegen. In den Teufelskreisen

199 Satir 2014b: 64


200 Schulz von Thun 2014b: 11
201 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 11-12
202 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 13-15

72
verbergen sich oft zusätzlich verdeckte Kreisläufe. Werden diese nicht erkannt, so kann
das Durchbrechen des Teufelskreises besonders schwierig werden.203 Bevor die
Kommunikationsstile vorgestellt werden, wird das Werte- und Entwicklungsquadrat
angeführt, da sowohl das Nachrichtenqadrat als auch Teufelskreis und das Werte- und
Entwicklungsquadrat im Rahmen der Kommunikationsstile ihre Bedeutung haben.

Das Werte- und Entwicklungsquadrat beschreibt, dass kommunikative Gewohnheiten und


Werte der Persönlichkeit von dialektischer Struktur sind.204 Dieses
kommunikationspsychologische Werkzeug stellt eine Anleitung zum dialektischen Denken
dar. Ausgangspunkt war das Wertequadrat nach Helwig, welches aber um den
Entwicklungsaspekt erweitert wurde.205

„Um den dialektisch strukturierten Daseinsforderungen zu entsprechen, kann jeder


Wert (jede Tugend, jedes Leitprinzip, jedes Persönlichkeitsmerkmal) nur dann zu
einer konstruktiven Wirkung gelangen, wenn er sich in ausgehaltener Spannung zu
einem positiven Gegenwert, einer ‚Schwestertugend‘ befindet.“206

Das Aushalten von Spannung kann auch als Balance verstanden werden. Ohne diese
Balance entartet die Tugend und wird zu einem negativen Wert; einer entwertenden
Übertreibung. In einem Wertequadrat werden die beiden positiven Gegenwerte oben und
ihre negativen Extremwerte unten eingetragen.207

Abbildung 3 Entwicklungsquadrat208

203 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 31-32; 40-42


204 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 18-19
205 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 43
206 Schulz von Thun 2014b: 43
207 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 43-44
208 Schulz von Thun 2014b: 45

73
Dadurch entstehen vier verschiedene Beziehungen, die das Verhältnis der Tugenden
zueinander charakterisieren:

1. Positives Spannungsverhältnis (1 auf 2)


2. Konträre Gegensätze (1 auf 4)
3. Entwertende Übertreibung (1 auf 3)
4. Verbindung zweier Unwerte (3 auf 4)

Es geht im Wertequadrat nicht um Fixpunkte, die dem „entweder-oder-Prinzip“ unterliegen,


sondern um das Herstellen einer dynamischen Balance, die bei Betrachtung des Modells
klarer erscheinen soll.209 Es gibt grundlegende Wertequadrate, welche für die
zwischenmenschliche Kommunikation beleuchtet werden müssen. Eines befasst sich mit
den Themen Wahrhaftigkeit und Wirkungsbewusstsein. Wenn man Authentizität nicht mit
ihrem positiven Gegenspieler Wirkungsbewusstsein paart, so entgleist sie zu einer naiven
Unverblümtheit. Diese äußert sich durch grobschichtige Offenheit, welche nicht nur
schonungslos, sondern auch verletzend sein kann. Dem gegenüber steht jene manipulative
Fassadenhaftigkeit, welche einen wahren Kern vermissen lässt und nur auf seine Wirkung
fokussiert ist.

Das Quadrat rund um die Polarisierung zwischen Liebe (Akzeptanz) und Kampf
(Konfrontation) bildet die Akzeptanz des Gegenübers, bei gleichzeitigem Eingehen des
Risikos, verletzt zu werden, sich zu öffnen und in seine Welt einzufühlen, ab. Was aber
nicht fehlen darf, ist die Bereitschaft zur Konfrontation, Konflikte anzusprechen und
auszutragen. So entsteht ein „liebender Kampf“, in welchem das Streiten für eine
Verbindung und kein Auseinanderdriften sorgt. Diesen positiven Polen stehen die
sogenannte Friedhöflichkeit (Harmonie wird mit allen Mitteln suggeriert, bloß keine
Probleme ansprechen) und feind-selige Zerfleischung gegenüber (siehe dazu Abschnitt
Konflikte 3.4.). Wird das Wertequadrat im Alltag berücksichtigt, ermöglicht es dem
Anwender die Erweiterung um den Entwicklungsaspekt, persönliche
Entwicklungstendenzen und -linien abzulesen, die für den Sender im Rahmen der
persönlichen Kommunikation erstrebenswert sind.210

Die Werte- und Entwicklungsquadrate können auch dazu dienen, Polarisierungen in


Gruppendiskussionen aufzudecken. Häufig geschieht es, dass in solchen Fällen
Schwestertugenden miteinander in Streit geraten. Dann sehen sich Betroffene am oberen
Ende – sie vertreten den „besseren“ Wert –, während der Konfliktgegner an die untere Linie

209 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 44-45


210 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 51-56

74
des Quadrats geschoben wird. Der Konfliktgegner sieht die Pole genau umgedreht, was zu
einem kommunikationstechnischen Durcheinander führt, da sich Sach- und
Beziehungsebenen vermischen. Als Berater ist es sinnvoll, diese Dynamik offenzulegen
und aufzuzeigen, dass jede Partei wertvolle Prinzipien vertritt, welche nun in eine positive
Balance gebracht werden müssen.211

3.2.3. Kommunikationsstile – Persönlichkeits- und Beziehungsdynamik


Die acht Kommunikations- oder Interaktionsstile (bedürftig-abhängig, helfend, selbst-los,
aggressiv-entwertend, sich beweisend, bestimmend-kontrollierend, distanziert und
mittelungsfreudig-dramatisierend) können nicht strikt voneinander getrennt werden;
vielmehr sind alle in jedem Menschen vorhanden. So ergibt sich ein für jeden Menschen
charakteristisches Gemisch aus allen acht Stilen – dominant sind meistens mindestens
zwei, die sich aus Gefühlen, Bedürfnissen, Stimmungen und Absichten zusammensetzen
und in der Kommunikation – sowohl verbal als auch nonverbal – zum Ausdruck kommen.
Alle Stile sind im Menschen angelegt und können situativ ausgelöst werden. Sprachliche
Ambivalenzen sind durchaus der Regelfall, andere Kombinationen der Stile ergeben
wiederum eine stimmige oder eindeutige Kommunikation.212 Die Kommunikationsstile
werden an dieser Stelle als „normal-menschliches Verhalten“ und nicht als pathologisch
betrachtet. Schulz von Thun, beeinflusst von Autoren wie Berne, Satir, Riemann u.a.,
beschreibt folgende acht Stile.213

In Abbildung 4 sind an dieser Stelle die acht Kommunikationsstile zur bildlichen Darstellung
angeführt, um auch die Posen, die Schulz von Thun darstellen möchte, zu
veranschaulichen.

211 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 60-62


212 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 65
213 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 68

75
Abbildung 4 Grundposen der acht Stile214

1. Der bedürftig-abhängige Stil

Der Weg zum Erwachsenen ist durch Ablösungsprozesse gekennzeichnet. Beim


Erwachsenen ist das Schutzbedürfnis unterschiedlich stark ausgeprägt und abhängig vom
eigenen Zugeständnis, Hilfe anzunehmen. Nimmt das Schutz- und Hilfebedürfnis zu und
verfällt in ein chronisches Bedürfnis, so hat dies Auswirkungen auf die Kommunikation. Die
von Babys natürlich vorhandene Ausstrahlung, einen Hilfe- und Pflegeinstinkt auszulösen,
wird von einem Kommunikationsstil abgelöst, der sich als hilflos und überfordert – sowohl
verbal als auch nonverbal – äußert. Der nonverbale Aspekt löst bei der Umwelt das
Bedürfnis nach einer Handlung aus, welchem nur schwer widerstanden werden kann. Der
verbale Aspekt kann von der Bitte bis zur absoluten Forderung reichen. Das gezeigte
Kontaktmuster hängt mit bestimmten Urerfahrungen in der Kindheit zusammen.215 Das
seelische Axiom, hier als frühkindlich entstandene Urbotschaften zu verstehen, lautet hier:

„Ich bin schwach und hilflos – allein bin ich dem Leben nicht gewachsen!“216

Strategien und Bewältigungsmuster werden aufgrund festgefahrener Axiome gelebt und in


den seltensten Fällen kritisch betrachtet. Aufgrund des Verhaltens in diesem
Kommunikationsstil kommt es zum Phänomen der selbsterfüllenden Prophezeiung. Zur

214 Schulz von Thun 2014b: 16


215 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 69-70
216 Schulz von Thun 2014b: 71

76
Korrektur dieses Verhaltens kommt es selten, da der Betroffene im Rahmen der
angewandten Strategien und Bewältigungsmuster eine Erfahrungswelt schafft, die ihn in
diesem Verhalten bestätigt. Grund für die Bedürftigkeit und Abhängigkeit ist ein Mangel an
Selbstvertrauen. Überbehütung und/oder Entlastung oder Entmutigung eines Menschen im
Heranwachsen können zu diesem Verhaltens- bzw. Kommunikationsstil führen.217

Welche Gefahr aus einer Überbehütung noch hervorgeht, erörtert Riemann, wenn er
lebensgeschichtliche Aspekte in Zusammenhang mit depressiven Persönlichkeiten stellt.
Die Mutter-Kind-Beziehung ist die tiefste Wurzel des menschlichen Selbstbewusstseins.
Riemann betont die Befriedigung und Gewährleistung der kindlichen Bedürfnisse,
allerdings darf es im Zuge dessen nicht zur Verwöhnung des Kindes und zum
Festklammern kommen. Diese Ungeschicklichkeit im Umgang mit dem Leben führt dazu,
dass die heranwachsenden Menschen passiv werden und sich immer mehr in eine
Abhängigkeit manövrieren (lassen). Jegliche Selbstentfaltung und Entwicklung zu einem
eigenen, starken Ich wird im Keim erstickt. Menschen verharren in ihrer Passivität und wenn
sie in der Welt nicht die gewohnte mütterliche Verwöhnung erfahren, sind sie schnell
versucht, sich in ihrer Enttäuschung zu vergraben und in Depression zu verfallen.218

Gleichzeitig kann auch Vernachlässigung bzw. eine früh übernommene Verantwortung


Grund für die Entwicklung dieses Kommunikationsstils sein. Allerdings können auch
einschneidende Erlebnisse im Jugend- und auch noch im Erwachsenenalter bzw. im
Berufsleben dazu führen, dass sich der bedürftig-abhängige Stil entwickelt. Ein Beispiel ist
das überlieferte Rollenbild der Frau und die damit verbundene Konnotation des schwachen
Geschlechts. Männer und Frauen sind zeitlebens mit den Rollenbildern vertraut und auch
daraus kann sich unter anderem ein hilflos-bedürftiger Stil entwickeln.219

Unter dem Aspekt des Nachrichtenquadrates betrachtet, liegt die ausgesandte


Hilfsbedürftigkeit in der Selbstoffenbarung („Ich schaff es nicht alleine mit meinen
schwachen Kräften!“). Auf Beziehungsebene eröffnet der Sprecher, dass er den Empfänger
für stark und kompetent hält. Das erweckt beim Empfänger Aufwertung und den Eindruck,
gebraucht zu werden. Auf der Appellseite signalisiert der Sprecher (direkt oder verdeckt),
dass sein Gegenüber ihn unterstützen und beschützen solle.220

Die Macht des hilflos-bedürftigen Kommunikationsstils liegt im emotionalen Einfluss, dem


sich der Empfänger schwer zu entziehen wagt. Allzu schnell wird dann der Helfer zum

217 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 71-72


218 Vgl. Riemann 2013: 88-91
219 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 72-73
220 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 74-75

77
Verantwortungsträger. Dieses Gefüge und Zusammenspiel in der Kommunikation soll nun
durch die systemische Brille betrachtet werden. Die Interaktion wirft die Frage auf, ob diese
Kommunikationsart auch ein gegenseitiges Verführungssystem darstellen könnte. Jegliche
Interaktion ist ein Wechselspiel von zwei oder mehreren Personen, worin eine
Beziehungsdynamik entsteht, in der es allen Beteiligten erst ermöglicht wird, sich in einer
bestimmten Art und Weise zu verhalten. Voraussetzung dafür ist, dass die Beteiligten diese
Art des Verhaltens ermöglichen bzw. zulassen. Im Rahmen der Fürsorglichkeit treffen zwei
Menschen aufeinander, die sich wie Pole anziehen. Einer der Kontaktpartner zeigt die
zugewandte Seite, seine persönliche Schwäche bleibt im Hintergrund. Der Andere zeigt
sich schwach, bedürftig und abhängig und tritt mit dieser Seite in Kontakt, wobei er seine
Stärke nicht zeigt. So stehen sich Helfer und Schützling gegenüber. Damit entsteht hier ein
klassischer Teufelskreis. Der Helfer fühlt sich in seinen Kompetenzen angesprochen und
gestärkt, zeigt sich dadurch fürsorglich und übernimmt die Verantwortung. Das stärkt das
Gegenüber in seiner Schwäche und Hilflosigkeit. Anfänglich scheint es, als ob sich die
Partner perfekt ergänzen, doch zunehmend zeigen sich Entwicklungsrückstände. Die Ich-
Schwäche verursacht Schmerz und aufsteigende Wut richtet sich alsbald gegen den Helfer.

Ein weiterer Teufelskreis entsteht, wenn sich der Kommunikationspartner vom


Bedürftig-Abhängigen abgrenzt. Damit fühlt sich dieser einsam, alleine und verstärkt
daraufhin seine Anstrengungen, um Hilfe zu erfahren. Diese verstärkte Anstrengung erhöht
die Ablehnung beim Kommunikationspartner – meist aus Angst, völlig vereinnahmt zu
werden – und damit steigt die Abhängigkeit und Anstrengung um die Gunst des Anderen.
Beide Teufelskreise können in ein und derselben Beziehung existieren. 221

Der bedürftig-abhängige Stil ist nicht ausschließlich negativ zu betrachten. Aktiv um Hilfe
zu bitten, ist für manche keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Herausforderung, im
festen Glauben, alles selbst machen zu können. Eine weitere Fähigkeit ist das Jammern.
Erfolgt es im Übermaß, bindet es Energien und entführt zur Hilflosigkeit, doch im
gelegentlichen und maßvollen Jammern kann auch eine Entlastung entstehen. Obwohl an
dieser Stelle die Würdigung dieses Kommunikationsstils erfolgt ist, ist es dennoch sinnvoll,
über Entwicklungsmöglichkeiten zu sprechen, da Arbeitsbeziehungen und die daraus
resultierende Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt werden.

Unter dem Aspekt des Entwicklungsquadrates betrachtet, braucht die Bedürftigkeit


bzw. die Opferhaltung eine Förderung der Autonomie und des
Verantwortungsbewusstseins. Hier gilt es, Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass jeder
selbst Veränderung herbeiführen kann. Beispielsweise weicht die Veränderung der

221 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 76-79

78
Sprache die Konservierung und Stabilisierung der gewohnten fremdbestimmten und
passiven Sprache auf und führt zu mehr Lebendigkeit. Überdies empfiehlt es sich, die Art
des Fragestils zu verändern, indem konkrete statt globale bzw. offene statt verdeckte
Fragen gestellt werden. Empfänger können dem Hilfesuchenden ebenso Autonomie
überlassen, indem Fragen zum Nachdenken gestellt werden. Damit behält dieser die
Verantwortung für sein Tun und der Helfer verliert sein Ansehen als Helfer nicht, sondern
bringt ihn dazu, sich selbst zu helfen.222

2. Der helfende Stil

Der helfende Stil ist dem bedürftig-abhängigen Stil komplementär und zieht diesen beim
Gegenüber an. Die Grundpose zeigt, der Andere brauche sich nicht zu sorgen, er ist ganz
für ihn da – und sei es auch bis zur Erschöpfung. Die eigenen Leistungsgrenzen werden
nicht gewahrt, sondern vehement überschritten. Der helfende Stil strahlt nach außen Stärke
und Kraft aus, die eigene Hilfsbedürftigkeit ist fast zur Gänze ausgeschaltet. Dem
Kommunikationspartner offenbart der Sender Stärke und Belastbarkeit, die der
Hilfsbedürftige sofort annimmt (Selbstoffenbarung). Auf der Beziehungsebene stehen
Zuhören und Verständnis im Vordergrund und fördern und fordern die Hilfebedürftigkeit des
Gegenübers, da dieser als hilfsbedürftig gesehen wird. Auf der Appellseite werden
Empfehlungen abgegeben, ohne eigene Wünsche oder Bedürfnisse zu formulieren.223 Das
seelische Axiom des helfenden Stils lautet:

„Für mich ist es eine Katastrophe, schwach (rastlos, traurig, verzweifelt) und
bedürftig zu sein!“224

Der helfende Stil bildet ein starkes Über-Ich aus. Die eigenen Bedürfnisse geraten in den
Hintergrund und die eigene gewünschte Fürsorglichkeit kommt anderen zugute. Der Preis
dafür ist Anerkennung. Der Stil kommt bei Frauen und Männern gleichermaßen vor. Frauen
sind allerdings eher in der Lage, über seelische Vorgänge zu sprechen und etwas dafür zu
tun, dass das „hungrige Kind“ auch gefüttert wird, indem es Fürsorge und Unterstützung
bekommt. Die Sucht des Helfens lässt die Helfer oft zu Suchtmittel als Ersatz für
Geborgenheit und Unterstützung greifen, ohne dass es kommuniziert werden muss. Erst
Krankheiten lassen den Helfer darniederliegen, nicht selten wieder mit starker
medikamentöser Substitution, um schnell wieder Helfer sein zu können.225 Der Stil – wenn

222 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 80-87


223 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 87-88
224 Schulz von Thun 2014b: 89
225 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 91-96

79
er überhandnimmt – geht über in das Helfer-Syndrom. Unter Syndrom versteht man eine
Kombination auftretender Merkmale, die einen krankhaften Prozess ausmachen. Dies
geschieht umso leichter, je mehr Betroffene mit den eigenen hilfsbedürftigen Bestandteilen
in Konflikt stehen.226 Das Helfer-Syndrom ist meist in einem zu hohen Ich-Ideal verortet.
Häufig kombiniert mit einer recht starren Lebensform und dem Zurückstellen eigener
Entwicklung zum Wohle der Mitmenschen der Betroffenen. Oft geschieht dies automatisch,
sodass dem Helfer seine orale und narzisstische Bedürftigkeit nicht bewusst ist. Er kann
eigene Wünsche kaum zum Ausdruck bringen. Stattdessen werden diese Wünsche
gebündelt und dann als Vorwurf gegen die undankbare Umwelt missbraucht. Indirekt
werden solche Wünsche in bereits erwähntem Suchtverhalten oder psychischen
Krankheiten (wie Depressionen, Burn-Out usw.) ausgedrückt, um die Hilfe einzuklagen, die
sie sich wünschen.227

Im Zusammenspiel – und damit systemisch betrachtet – mit der Erkrankung steht, dass der
Helfer zum Förderer der Erkrankung und sogenannter „Symptompfleger“ wird, da er stets
Hilfe anbietet und dem Hilfesuchenden die Chance – wenn sie auch schmerzhaft ist –
verwehrt, die dringend benötigte Selbstständigkeit aufzubringen. In der gesunden
Interaktionsdynamik geht es um die Polarisierung des helfenden und bedürftig-abhängigen
Stils, bei dem der dort beschriebene Kreislauf erweitert werden muss. In ihm steckt ein
innerer Kreislauf, der mit Enttäuschung und Kränkung sowie mit Aggression und Sabotage
zu tun hat. Der Bedürftige erfährt in der Erleichterung über die Hilfe auch eine Kränkung.
Der Helfer baut über die Hilfe seinen eigenen Selbstwert auf und das führt zu einem
ambivalenten Verhältnis. Rat und Unterstützung fallen daher auf unfruchtbaren Boden. Der
Helfer kommt noch mehr in das Bemühen, dem Anderen zu helfen, der Boden bleibt aber
weiterhin unfruchtbar und das wiederum führt helferseitig zu Ärger bis hin zur Aggression.
Da er aber die Verantwortung übernommen hat, sieht er sich noch mehr bemüßigt zu helfen.
Frustration, Ärger und Aggression werden nun zwischen den Zeilen spürbar. Ein Rat wird
zum Rat-Schlag und der Empfänger wird – in den eigenen Augen – zum Versager. Der
Kreislauf von Unterstützung und Dankbarkeit mischt sich unterschwellig mit Mitleid, Zorn
und Rache. Dem wirkt nur das Aufbringen von Verständnis und Ermutigung, ausgehend
vom Helfer gegenüber dem Ratsuchenden, entgegen.228

226 Vgl. Schmidbauer 2015: 12-13


227 Vgl. Schmidbauer 2015: 25-26
228 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 96-100

80
3. Der selbst-lose Stil

Der selbst-lose Stil ist dem helfenden Stil ähnlich. Der Selbstlose positioniert sich, im
Vergleich zum Helfer, aber nicht souverän, sondern unterwürfig und zeigt sich durchwegs
bedeutungs- und wertlos. Die Kompensation erfolgt über das Helfen und den
unermüdlichen Einsatz für andere. Das seelische Axiom lautet beim selbst-losen Stil daher:

„Ich selbst bin unwichtig – nur im Einsatz für dich und für andere kann ich zu etwas
nütze sein!“229

Der Stil enthält die Angst vor der Selbstwerdung und lässt sich auf ein Selbstwertgefühl
zurückführen, welches sich in der frühkindlichen Phase nicht bzw. kaum entwickeln durfte.
Die Instrumentalisierung, sich für andere hin- und aufzugeben, wird in den späteren
Lebensphasen als Trennungsangst erkennbar. Anerkennung oder ein Wahrgenommen-
werden erfolgen ausschließlich über den ständigen Einsatz für andere Menschen. Frauen
aus früheren Generationen und Kinder der Mittelschicht wiesen diesen Stil häufiger als die
Männer dieser Zeit auf.

Die Grundbotschaft im Kommunikationsquadrat lautet auf Beziehungsebene, dass


nur der Andere das Maß aller Dinge ist und seine Schwächen tunlichst übersehen oder
beschwichtigt werden. Auf Seite der Selbstkundgabe gibt der Selbstlose zu verstehen, dass
er ein unwichtiger Mensch ist, der nichts kann und sich ständig in der Entwertung befindet.
Er würde seine eigenen Probleme nie ansprechen – allerdings aus dem Grund, den
Anderen nicht zu belasten und nicht in den Mittelpunkt zu geraten. Sollte der Fall eintreten,
so beschwichtigt der Selbstlose und zieht sich alsbald zurück. Er blendet alle Anteile in sich
aus, die den Anderen enttäuschen, verletzen oder ärgerlich machen könnten, daher ist auch
der Appell an seine Mitmenschen, dass ihm gesagt wird, wie das Verhalten gerne gesehen
wird. Die ankommende Nachricht empfängt der Selbstlose in einem negativen
Beziehungsbild, was seine Selbstentwertung nährt. Zudem hört er mit einem
außergewöhnlich ausgeprägten Appellohr, um den Erwartungen anderer zu entsprechen
und reagiert nicht auf sein Inneres, sondern ist völlig auf Außen fokussiert.230

In Gruppen steht der Selbs-lose nicht zu seiner Meinung und hält diese solange wie möglich
zurück. Wenn er zu Wort kommt, geht er eher in den Modus der Bestätigung der Meinungen
anderer über. Menschen, die sich gerne sprechen hören, haben mit dem Selbstlosen eine
gelungene Bestätigung, wobei der Selbstlose oft auch wahrnimmt, dass Spannungen im
Raum stehen, die er aber niemals ansprechen würde und wenn er etwas anspricht, dann

229 Schulz von Thun 2014b: 109


230 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 109-112

81
nur im schwammigen Stil, um sein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis zu befriedigen. Das
Verhalten ist konfliktscheu und aggressionshemmend. Grund dafür ist die aufkommende
Trennungsangst, daher nimmt er viel auf sich, um andere zu entlasten. Die Umgebung des
Selbstlosen ist gefühlsmäßig „gefangen“. Denn wer würde sich einem nie böse werdenden
Menschen, der stets „lieb und nett“ ist und allen alles recht macht, nicht verpflichtet fühlen?
Das Freimachen gestaltet sich auch für die Mitmenschen schwierig.231

Unter systemischem Blickwinkel ergeben zwei aufeinandertreffende Menschen, die jeweils


ihre unterwürfige bzw. ihre grandiose Seite als kontaktangewandte Seite zeigen, eine
Kooperation, die es ihnen erlaubt, ihre anderen Persönlichkeitsanteile zu verbergen.
Zunächst entsteht für diese Beziehung Stabilität und die Kommunikationspartner erfreuen
sich an ihrem Kreislauf. Doch auch diese Kooperation kann in einem Teufelskreis enden.
Die anfängliche Zufriedenheit beider kippt, je mehr sich der Partner nach einem vollwertigen
Gesprächspartner sehnt. Er ist genervt und beginnt sich zu distanzieren, was den
Selbstlosen schmerzt, da seine Trennungs- und Verlustängste ihn so vereinnahmen, dass
er noch unterwürfiger in seinem Verhalten wird. Beim Partner verursacht die Unterwürfigkeit
Schuldgefühle, die sich weiter von Verachtung bis zum Ekel entwickeln können. Demnach
wird auch sein Verhalten gegenüber dem Selbstlosen feindselig und ekelhaft. Der
Selbstlose erträgt sein Martyrium und hält sich an seiner moralischen Überlegenheit fest.
Am Ende einer Kooperation stehen sich ein „selbstloser Engel“ und ein „mieser Teufel“
gegenüber. Einem Außenstehenden lädt dieser Kreislauf ein, dem „selbstlosen Engel“ zu
helfen und den „miesen Teufel“ zu verurteilen. Bei der Rettung muss allerdings mit
Widerstand beider Partner gerechnet werden.232 In einem gesunden Ausmaß kann dieser
Kommunikationsstil segensreich sein, denn er bildet das Grundelement der Humanität ab.
Er zeigt, dass das eigene Dasein nicht immer vorrangig und eine Verwirklichung auch im
Dienst für die Menschen möglich ist. Aus diesen Überlegungen lässt sich ein Werte- und
Entwicklungsquadrat zwischen den positiven Polen Selbstbeachtung/ Selbstbehauptung
und Hingabe sowie den negativen Gegenspielern Herrschaftssucht/ Egozentrik und
Preisgabe, selbstloses Aufopfern zeichnen. Die Balance zwischen Selbstachtung und
Hingabe zu wahren, ist ein notwendiges menschliches Polarisieren. Die Pole bedingen sich
gegenseitig. Wer seine Gefühle wahrnehmen und sich abgrenzen kann, der kann auch auf
andere Menschen zugehen und sich in ihre Welten einfühlen. Solange sich beide Seiten im
dialogischen Austausch befinden, besteht auch keine Gefahr, dass die Betonung der
Selbstachtung zu einem Egotrip verkommt. Mangelnde Hingabe für das Gemeinwohl

231 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 113-116


232 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 117-121

82
entsteht nicht aus zu viel Selbstwert, sondern aus zu wenig. Der Weg zum Gemeinwohl
führt also nur über die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins.233 Die
Polarisierung zwischen Selbstachtung und Hingabe schließt auch die Fähigkeit zu Konflikt
und Aggression ein. Allerdings erlaubt sich der Selbstlose das Gefühl von Wut und
Aggression nicht, da er den harmonisierenden Teil des Gespräches übernimmt. Häufig
wandelt sich so Aggression in Depression um. Im Zuge dessen kommt es zu
Selbstvorwürfen. Der Selbstlose muss also den Aspekt des Kampfes in sich ausbilden, um
produktiv mit seiner Wut umzugehen.234

4. Der aggressiv-entwertende Stil

Der aggressiv-entwertende Stil ist dem Selbstlosen entgegengesetzt. Er verherrlicht nach


oben und verachtet nach unten. Bildet sich der aggressiv-entwertende Stil als
kontaktzugewandte Seite ab, so werden offene oder versteckte Botschaften gesendet, die
das Gegenüber klein, schuldig und wertlos erscheinen lassen. Er sucht nach dem
Fehlerhaften und behandelt das Gegenüber geringschätzend und entwertend. In der
Selbstdarstellung ist er stark und unverletzlich, in der Beziehungsbotschaft herabwürdigend
und er appelliert, dass der Andere klein beigeben soll. Der aggressiv-entwertende Stil hört
auf der Beziehungsseite jeglichen Widerstand, in Einzelpersonen und in Gruppen. Richtet
sich der Widerstand gegen Einzelpersonen, dann im Besonderen gegen jene, die
Schmerzliches in der eigenen Lebensgeschichte erfahren haben. Das feindselige
Entgegentreten führt automatisch zu einer kritischen Beziehung. Die Feindseligkeit
(und/oder Bösartigkeit) wurzelt in einer sehr verletzten und verzweifelten Innenseite des
Senders. Es ist anzunehmen, dass in der Kindheit Grunderfahrungen einer gleichwertigen
Koexistenz fehlten. Diese Erfahrungen lassen beim aggressiv-entwertenden Stil folgendes
Axiom entstehen235:

„Ich bin nicht in Ordnung, mache erbärmlich alles falsch. Wehe, jemand merkt es!
Dann werde ich untergebuttert und gnadenlos verachtet!“236

Der aggressiv-entwertende Stil versucht durch die eigene Selbstaufwertung, das


Gegenüber herabzusetzen, was nach Adler als „Selbstentwertungstendenz“ beschrieben
wird. Durch Projektion nimmt der Aggressiv-Entwertende die eigenen ablehnenden Teile
beim Anderen verstärkt wahr und bekämpft diese beim Gegenüber, um mit sich selbst
selbstwertschonend umzugehen.

233 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 121-124


234 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 133-134
235 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 135-139
236 Schulz von Thun 2014b: 139

83
Diese Strickmuster zu erkennen, kann nicht nur im privaten, sondern auch im
beruflichen Bereich hilfreich sein. Denn dort dienen sie dazu, Konkurrenten auszuhebeln
oder einzuschüchtern. Frauen beispielsweise leiden unter diesen Techniken ihrer
männlichen Kollegen. Oftmals fallen diese Methoden subtil aus, zum Beispiel in Form von
Unterbrechungen, mangelndem Blickkontakt und resonanzlosem Überspringen von
Gesprächsbeiträgen. Abwehr gelingt nur, wenn man sich nicht unterbrechen lässt und auf
sachliche Reaktionen besteht. Eine Metakommunikation sollte jedoch nicht ohne günstige
Vorzeichen durchgeführt werden, da ansonsten der Trugschluss entstehen könnte, Frauen
wären empfindlich, unsachlich und müssten nicht ernst genommen werden.237

Aus der systemischen Betrachtungsweise heraus ist der aggressiv-entwertende Stil meist
durch Mitspieler bedingt, die diesen ankurbeln, es mit sich geschehen lassen oder beides
in Wechselwirkung. Daher verläuft der Teufelskreis in diesem Stil entweder komplementär
oder symmetrisch. Der komplementäre Teufelskreis wurde bereits im Zuge des selbstlosen
Stils erörtert. Interessant mutet der symmetrische an, da hier die Herabsetzung auf
Gegenseitigkeit zurückzuführen ist. Dieser Kreislauf bedingt, dass Gewalt tendenziell
eskaliert, wobei die Grenzen zwischen kommunikativer und körperlicher Verletzung
fließend sein können.238

5. Der sich beweisende Stil

Der sich beweisende Stil gilt der Selbstwertsicherung, die nicht mit der Herabsetzung
anderer einhergeht, sondern mit der Anstrengung, sich selbst zu positionieren. Die
Grundpose beruft sich daher auf den Ausruf, dass der Sender fehlerfrei ist, wozu sich das
dazugehörige seelische Axiom ableiten lässt:

„Ich selbst bin nicht (liebens)wert – nur in dem Maße, wie ich gut bin, verdiene ich
Liebe und Anerkennung.“239

Der Sprecher ist bemüht, möglichst viel Kompetenz auszustrahlen, um so eine gute
Wirkung auf andere zu erzielen. Die Botschaft der Grundpose wird umso lauter geäußert,
je stärker Betroffene die eigenen Selbstzweifel in deren Umfeld gespiegelt sehen. Das
Begehen von Fehlern wird als Versagen gewertet und soll tunlichst vermieden werden. Wird
die Grundbotschaft mit dem Nachrichtenquadrat beleuchtet, so zeigt sich über die
Selbstoffenbarung, dass der Sender fehlerfrei ist, über die Beziehung nimmt er an, dass er

237 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 141--145


238 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 152
239 Schulz von Thun 2014b: 183

84
ständig beurteilt wird und unterliegt daher dem permanenten Stress, sich fehlerfrei zu
zeigen und über die Appellseite will er anerkannt werden.

Leistung bestimmt den Selbstwert, während das Damoklesschwert der Niederlage


ständig darüber schwebt. Der Ursprung solcher Kommunikationsstile liegt oft darin, dass
Ermutigung dazu geführt hat, nur die beste Seite zu zeigen, um Anerkennung zu erfahren.
Damit steht nur die Leistung, das Gute, das Perfekte im Fokus. Der Sender befindet sich in
einem Extrem der Spannung – geplagt von Ängsten, zur Ruhe zu kommen, durchschnittlich
oder nicht perfekt zu sein. Hinter einer scheinbar glänzenden Fassade kann sich also
bereits einsetzender Zerfall verstecken.

Systemisch betrachtet ist der Kommunikationsstil in einem Kreislauf gefangen, der


die Beweisnot immer wieder aufs Neue entfacht. Ein symmetrischer Teufelskreis entsteht
durch Beziehungen mit Menschen, die ebenfalls hohe Ansprüche stellen. Gegenseitiges
Anspornen mit immer höher werdenden, teils realitätsfernen Ansprüchen ist die Folge. Dem
kann nur begegnet werden, wenn Fehler eingestanden und Zweifel sowie Schwächen
artikuliert werden. Ein komplementärer Kreislauf entsteht, wenn der Beweisende an
Menschen gerät, deren Anerkennung er einfordert und diese emotional abstoßend
reagieren. Rechtfertigungen und permanente Erklärungen sind die Folge, um die eigenen
Selbstzweifel zu bearbeiten und noch größere Anstrengungen werden unternommen, um
die Fehlerfreiheit unter Beweis zu stellen. Es handelt sich also um einen
Kommunikationsstil, der allzu leicht in einem Workaholic-Tun endet.240 Ableitend vom
Wertequadrat braucht dieser Kommunikationsstil ein gesundes Verständnis seiner
Kompetenzen, um das fassadenhafte Imponieren nicht künstlich aufrechterhalten zu
müssen.241

6. Der bestimmend-kontrollierende Stil

Menschen, bei denen dieser Kommunikationsstil vorherrscht, streben nach Kontrolle,


Korrektur und Lenkung. Daher lautet die Grundpose: „Das macht man so und nicht anders!“
Es geht darum, die eigenen Werte und Vorstellungen vehement durchsetzen zu wollen. Die
größte Angst gilt hier dem Kontrollverlust und dem Chaos. Jeglicher Ablauf muss geplant
und geordnet sein. Das seelische Axiom lautet242:

240 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 181-193


241 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 196-197
242 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 201

85
„Ich bin voll von chaotischen, sündhaften, unvernünftigen Impulsen – nur wenn ich
mich an strenge Regeln halte, kann ich mich in der Gewalt haben und ein
anständiger Mensch bleiben.“243

Unter dem Aspekt des Nachrichtenquadrates ergibt sich, dass über die Selbstoffenbarung
gezeigt wird, was richtig und falsch ist. Die Beziehungsseite lässt den Anderen spüren, dass
das Gegenüber nicht in der Lage ist, dieses und jenes (richtig) zu tun und daher folgt der
Appell, dass etwas nur in einer bestimmten Art und Weise gemacht werden kann.

Die Angst vor Chaos und Kontrollverlust führt oft zu einem unwirschen Reagieren bis
hin zum Zorn gegenüber jedem, der nicht genauso viel Wert auf Ordnung und Struktur legt.
Im Gegensatz zum entwertenden Stil liegt das Bestreben nicht in Herabwürdigung, sondern
das Verhalten geschieht aus Hingabe zur Ordnung und soll ein entsprechendes
Umerziehen des Gegenübers zur Folge haben. Daher sind Appelle, im Sinne der
Verhaltenskorrektur, in diesem Kommunikationsstil besonders stark ausgeprägt.
Persönliche Wünsche werden nicht in Ich-Botschaften, sondern normativ geäußert.

Kombiniert wird der bestimmende Stil häufig entweder mit starker Autorität und
Nachdruck oder mit dem helfenden Stil (was zu einem die Hilfe aufdrängenden Stil entarten
kann). Oft offenbart sich bei einem Menschen, der andere ständig formen und leiten muss,
dass er Angst hat, sich selbst nicht unter Kontrolle zu haben. Dies kann auf zu viel Zwang,
Strenge und starre Vorstellungen der Erziehungspersonen in der Kindheit zurückgehen.

Der systemische Blickwinkel offenbart offene und verdeckte Anteile von


Teufelskreisen, die sich in einer Ambivalenz zwischen Erleichterung und Empörung der
Gesprächspartner zeigen. Positiv anzumerken ist, dass Bestimmtheit und Verlässlichkeit
anderen Menschen Halt geben.244 Der Kommunikationsstil als Merkmal von
Führungsqualität zeigt sich in der Balance im Wertquadrat zwischen Struktur und Planung
und Flexibilität im Prozess.245

7. Der sich distanzierende Stil

Im Zuge dieser Kommunikationsart will der Sender sein Gegenüber auf Distanz halten. Die
Grenzen verlaufen großräumig und werden geschützt und verteidigt, um für den benötigten
Abstand zu sorgen. Daraus ergibt sich folgende Grundpose: „Die Klugheit gebietet, die
Sache nüchtern und ohne Emotionen von einer höheren Warte aus […]“ 246 zu betrachten.

243 Schulz von Thun 2014b: 207


244 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 201-210
245 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 215; 223
246 Schulz von Thun 2014b: 228

86
Den distanziert Kommunizierenden umgibt oft eine Atmosphäre der Gefühllosigkeit und
Kühle, da er sich unpersönlich und förmlich gibt. Oft wird in dieses Verhalten auch Arroganz
hineininterpretiert. Der Distanzierte charakterisiert sich durch Rationalität, Vernunft und das
überwiegende Sprechen aus dem Erwachsenen-Ich. Der Sicherheitsabstand wird beim
Distanzierten aber nicht nur gegenüber Außenstehenden wirksam, sondern betrifft ihn auch
selbst. Er schließt jene inneren Teile ab, in denen sich unerwünschte und störende Gefühle
regen. Diese Ersparnis von Gefühlen äußert sich in der Sprache durch Abstraktionen,
Vermeidung von Ich-Botschaften, Generalisierungen und Substantivierungen. Damit wird
versucht, eine sensible Gefühlswelt im Inneren vor der Außenwelt zu schützen. Aus Sicht
des Nachrichtenquadrats liegt eine starke Ausprägung auf der Sachebene mit Zahlen,
Daten und Fakten vor, während Selbstoffenbarungs- und Beziehungsebene nur schwach
ausgebildet sind. Zu guter Letzt fordert er auf Appellebene Distanz.

Dass vor allem Männer Gebrauch von diesem Stil machen, liegt an der traditionellen
Arbeitsteilung der Geschlechter, in welcher der Anspruch an die Männer, rollenmäßige
Distanz zu wahren, hoch ist. Gefühle wirken in der Arbeitswelt der Männer unprofessionell
und Persönliches muss außen vor gelassen werden. Währenddessen sind Frauen häufig
für die Kindererziehung und das Wohlergehen der Familie zuständig, was mit Nähe, Liebe
und Herzlichkeit geschieht. Dies alles wurzelt bereits in unterschiedlicher Erziehung und
den verschiedenen Erfahrungen einer Mutter-Kind-Beziehung von Mädchen und Jungen
(gleich- vs. gegengeschlechtliche Bindung). Um den daraus entstehenden Anforderungen
gerecht zu werden, wird man dazu gezwungen, seine Gefühlswelt abzuschotten.247 Das
seelische Axiom lautet hier:

„Wenn ich mich öffne und jemand (sic!) ganz an mich heranlasse, begebe ich mich
in große Gefahr: Ich könnte in eine solche Abhängigkeit geraten, dass ich jeder
Verletzung preisgegeben bin und mich selbst in der Gefangenschaft der
Verschmelzung verliere.“248

Dieser Glaubenssatz wird auch wirksam, wenn Vernachlässigung oder Überbehütung in


der Kindheit vorgekommen sind – beides führt später zum Vermeiden von
zwischenmenschlicher Nähe. Positiv kann sich der Stil insofern äußern, indem die Angst
vor Abhängigkeit den Träger dieses Stils zur Unabhängigkeit befähigt.

Unter systemischem Blickwinkel eröffnen sich zwei typische Dynamiken: Im Zuge


der ersten entfernt sich der Distanzierte immer weiter von seinen Mitmenschen. Dieses

247 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 226-232


248 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 233

87
Verhalten führt dazu, dass die Mitmenschen dem Distanzierten suggerieren, er sei anders
und gehöre nicht dazu. Diese Atmosphäre des Nicht-Willkommen-seins führt wiederum zu
Distanzierung und Rückzug, ein Teufelskreis entsteht. Die zweite Dynamik ist jene von
Nähe und Distanz. Zwischen diesen beiden Polen offenbart sich ein Spannungsfeld dieser
unterschiedlichen menschlichen Bedürfnisse.249 Dieser Kommunikationsstil benötigt
innerhalb des Wertequadrates eine Balance zwischen Authentizität und Rollenverständnis,
was weder in Distanzlosigkeit noch Unnahbarkeit verfallen soll.250

8. Der mitteilungsfreudig-dramatisierende Stil

Dem distanzierenden und kontrollierenden Stil ist der mitteilungsfreudig-dramatisierende


Stil komplementär. Das Bestreben des Senders liegt darin, das Leben nicht zu verpassen,
im Mittelpunkt zu stehen, intensive Emotionalität zu leben und den Tag zu nutzen. Der
Grund für die starke Ausprägung auf Seite der Selbstkundgabe findet sich im seelischen
Axiom:

„Ich bin unwichtig. Wie mir wirklich zumute ist, interessiert niemanden. Nur wenn ich
mich geschickt oder mit starken Mitteln in den Vordergrund spiele, werde ich
beachtet.“251

Betrachtet man den mittelungsfreudigen-dramatisierenden Stil aus Perspektive des


Nachrichtenquadrats zeigt sich auf der Selbstoffenbarungsseite Präsenz, auf der
Beziehungsseite, dass jeder, der zuhört, willkommen ist und mit dem Appell, dass sich die
Empfänger dem Sender zuwenden und die Selbstdarstellung wahrnehmen sollten.252

Die Ursprünge solch eines Stils finden sich oft in der (Kindheits-)Erfahrung, dass
Beachtung erst dann erfolgt, wenn man sich lautstark zu Wort meldet. Darin rührt dann die
Angst, vergessen und nicht beachtet zu werden. Wenn Träger dieses Stils jedoch nicht die
Aufmerksamkeit ihres Gegenübers erregen wollen, sondern die eigene und das Gegenüber
lediglich als Echo oder Spiegel verwenden, wird die Gesamtkommunikation komplexer.

Dieser Kommunikationsstil wird zudem von einer gewissen Unechtheit begleitet und
trägt den Beigeschmack des Übertreibens und Inszenierens von Gefühlen. Aber nicht nur
die Intensität der Gefühle kann hier verfehlt werden, sondern auch ihre Qualität. Häufig führt
dieser Kommunikationsstil dazu, dass Gespräche tendenziell eher monologisch als

249 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 233-241


250 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 257
251 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 272-274; Schulz von Thun 2014b: 277
252 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 276-277

88
dialogisch ablaufen. Denn das liebste Thema ist dem Mitteilungsbedürftigen er selbst –
egal, ob ihm dies bewusst ist oder nicht.253

Aus systemischer Sicht kann es zu einem harmonischen Kreislauf kommen, wenn der eine
Gesprächspartner nach jemanden Ausschau hält, der Lebendigkeit ausstrahlt. Umgekehrt
kann der Gesprächspartner aber von der Lebendigkeit genervt sein, der Andere hebt sich
dann noch mehr hervor und es folgt der Rückzug des Einen. Oftmals entsteht eine
Mischung der Kreisläufe, die beiden Gesprächspartnern wenig zuträglich ist.254 Aus Sicht
des Wertequadrates braucht dieser Stil eine Balance auf dem Kontinuum
Mitteilungsfreudigkeit und Zurückhaltung, ohne in Redseligkeit oder Verschlossenheit zu
verfallen.255

3.2.4. Kommunikationsaxiome
Mit Pragmatik setzen Watzlawick et al. voraus, dass im Rahmen der Kommunikation jede
Nachricht ein „semantisches Übereinkommen“ hat. Sie machen den Versuch, die Begriffe
Syntaktik, Semantik und Pragmatik zu trennen, was jedoch praktisch nicht immer möglich
ist, da eine wechselseitige Abhängigkeit besteht. „Kommunikation“ wird in den Forschungen
von Watzlawick et al. synonym zu „Verhalten“ betrachtet: „[…] alles Verhalten ist
Kommunikation, und jede Kommunikation[…] beeinflusst Verhalten.“256 Es geht
grundlegend um die „Sender-Empfänger-Beziehung“, die im Fokus der Untersuchung
liegt.257

Das Einbringen der Kybernetik hat eine entscheidende Änderung mit sich gebracht, denn
die lineare und progressive Betrachtung hat wichtige Aspekte außen vor gelassen.
Rückkoppelung oder Feedback machen es möglich, eine Kausalkette so darzustellen, dass
der Endpunkt der Kette wieder auf den Anfang der Kette Wirkung zeigt. Es entsteht ein
zirkuläres System. Zwischenmenschliche Systeme, zu denen beispielsweise Gruppen
zählen, können als Rückkoppelungskreise angesehen werden. Jedes Verhalten eines
Gruppenmitglieds beeinflusst das der anderen und das der anderen wiederum das
individuelle Gruppenmitglied. Je nachdem, ob eine Rückkoppelung positiv oder negativ ist,
entsteht eine amplifizierende oder absorbierende Homöostase.258

253 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 277-281


254 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 284-286
255 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 287
256 Watzlawick et al. 2003: 23
257 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 19–23
258 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 29–33

89
Ashbys Homöostat (selbstgebaute Maschine, die auf Umwelteinflüsse reagiert) besteht aus
vier gleichartigen, selbstregulierenden Teilsystemen, die untereinander verbunden sind.
Jegliche Störung eines Teilsystems beeinflusst die anderen Teilsysteme. Keines generiert
Stabilität, ohne einen stabilen Zustand des anderen Teilsystems zu erreichen. In natürlichen
Organismen bleiben einmal gefundene Anpassungen erhalten und müssen nicht wieder
gesucht werden. Der Zusammenhang mit der Pragmatik in der Kommunikation besteht nun
darin, dass die Fähigkeit der Speicherung einer einmal getätigten Anpassung mit einer
hohen Wahrscheinlichkeit eine Änderung der Verhaltensabläufe mit sich bringt. In
Homöostasen folgen die Anpassungen regellos. Im zwischenmenschlichen Kontext kann
davon ausgegangen werden, dass bestimmte Verhaltensformen häufiger auftreten. Dies
wird auch als stochastischer Prozess bezeichnet. Stochastische Prozesse haben
Redundanzen, die in diesem Zusammenhang auch als Struktur bezeichnet werden. Die
Redundanz in der Pragmatik ist wenig erforscht, denn zumeist ist die Wirkung des Senders
auf den Empfänger untersucht worden und nicht die Wechselwirkung bzw. der Einfluss, den
der Empfänger auf den Sender haben kann oder der gemeinsame Kontext, der Einfluss auf
die Personen hat und umgekehrt. Watzlawick et al. gehen davon aus, dass syntaktische
und semantische Regelverletzungen weniger störend sind als Verhalten, das
widersprüchlich zum Kontext ist und damit eine pragmatische Regel verletzt. Diese Regel
wird in normaler Kommunikation befolgt und in gestörter Kommunikation gebrochen. Der
Mensch ist verwoben in die Kommunikation und sogar das Ich-Bewusstsein hängt von
Kommunikation ab. Um sich selbst zu verstehen, braucht es jemand anderen, der einen
versteht und damit jemand von anderen verstanden wird, muss er den Anderen
verstehen.259 Watzlawick et al. formulieren fünf Axiome, die für die Autoren zu den
Eigenschaften der Kommunikation zählen. Wenn auch Watzlawick et. al keinen Anspruch
auf Vollständigkeit erheben, wird betont, dass sich eine hohe praktische Nützlichkeit
ableiten lässt:

1. Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren


2. Inhalts- und Beziehungsaspekte in der Kommunikation
3. Die Interpunktion von Ereignisfolgen
4. Digitale und analoge Kommunikation
5. Symmetrische und komplementäre Interaktion260

259 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 34-39


260 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 50-61

90
Die axiomatischen Eigenschaften von Kommunikation weisen unterschiedliche Wirkungen
in der kommunikativen Interaktion auf. Im Besonderen soll hier in Kürze herausgearbeitet
werden, wie die vorgestellten Prinzipien der menschlichen Kommunikation zu Störungen
führen können.261

Möchte ein Gesprächspartner eine Kontaktaufnahme vermeiden, so tut er das, indem er


sich aus zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen heraushält bzw. zurückzieht.
Allerdings ist die Präsenz einer Person selbst eine Art Kommunikation, daher ist es für jeden
Menschen unmöglich, nicht zu kommunizieren, sobald er sich in der Situation befindet.262

Zu Störungen auf dem Gebiet der Inhalts- und Beziehungsebene kommt es, wenn
Probleme auf Sach- statt auf Beziehungsebene diskutiert werden. Durch das Fehlen des
Einverständnisses der inhaltlichen Ebene kann die Beziehung gefährdet werden.263

Die Interpunktion von Ereignisfolgen führt zu Konflikten, wenn widersprüchliche,


problematische Interpunktionen in der Kommunikation auftreten. Konflikte in Beziehungen
treten auf, wenn einer oder beide Partner annehmen, dass der jeweils andere Partner über
dieselbe Information verfügt wie er selbst und eine Konfliktsituation, die auf
Missverständnissen beruht, entsteht. Zudem nimmt jeder Mensch pro Sekunde ca. 10 000
verschiedene Umgebungsmerkmale wahr und selektiert diese. Dabei treten
interindividuelle Unterschiede auf. Viele Menschen vermuten, dass es nur eine – die eigene
– Wirklichkeit gibt. Folgende Aspekte sind außerdem relevant:

Ursache und Wirkung: Den Konflikten in der zwischenmenschlichen Kommunikation


ist gemeinsam, dass es widersprüchliche Annahmen der Partner bezüglich Ursache und
Wirkung eines Konfliktes gibt. Eine Interaktion zwischen Partnern ist kreisförmig und jedes
Verhalten der beiden ist sowohl Ursache als auch Wirkung eines Konflikts.

Selbsterfüllende Prophezeiung: Hierbei handelt es sich um Verhaltensweisen, die


einem anderen unbewusst aufgezwungen werden. Wenn jemand zum Beispiel der Meinung
ist, dass er von niemanden respektiert wird, verhält er sich dementsprechend und wird nicht
respektiert – was die anfangs gestellte Vermutung bestätigt. Es bleibt zu betonten, dass
jedes Verhalten eines Menschen bestimmte Reaktionen anderer Menschen hervorruft.
Solche Abläufe zeigen „Interpunktionsprobleme“ auf. Ein Betroffener sieht sein Verhalten
ausschließlich als Reaktion auf das der anderen Menschen.264

261 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 72


262 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 72-77
263 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 77-89
264 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 92-96

91
Es kann zu Fehlern in den Übersetzungen zwischen digitaler und analoger Kommunikation
kommen. Analoge Kommunikation ist antithetisch, d. h. sie führt zu verschiedenen und oft
miteinander unvereinbaren Digitalisierungen. Für den Sender ist es nicht einfach, digitale
Entsprechungen für analoge Nachrichten zu finden. Oft entstehen zwischenmenschliche
Konflikte über die Bedeutungsunterschiede von Analog- und Digital-Kommunikation, die die
individuelle Sicht der Personen in der Beziehung widerspiegeln, nicht jedoch der Sicht des
Partners entsprechen müssen.

Analoge Mitteilungen sind z.B. Geschenke. Der Beschenkte hat eine bestimmte
Beziehung zu dem, der schenkt, daher wird der Beschenkte entweder Zuneigung,
Bestechung oder Wiedergutmachung aus dem Geschenk herauslesen. Psychotherapie
befasst sich mit der korrekten Digitalisierung des Analogen. Alle Formen der
Analogkommunikationen sind Beziehungsappelle. Digitale Sprache zeichnet sich durch
logische Syntax aus und ist daher besonders für denotative Kommunikation auf
Inhaltsebene geeignet. Wird analog in digital übersetzt, müssen die digitalen Mitteilungen
logische Wahrheitsfunktionen einnehmen, welche das Analoge nicht besitzt. Kennzeichen
des Fehlens der Wahrheitsfunktion ist die Negation. Beispielsweise gibt es für das digitale
„nicht“ im Analogen keine Entsprechung. Im Digitalen ist es immer eine Herausforderung,
dass unser Gegenüber uns Glauben schenkt. Nach Bateson ist die einzige Möglichkeit,
Negation zu zeigen, zuerst eine verneinende Handlung zu zeigen oder vorzuschlagen und
sie dann nicht zu Ende zu bringen. Dieses irrationale Verhalten kommt sowohl beim
Menschen als auch beim Tier vor. Insgesamt führt dies oft zu Verständnisschwierigkeiten
wegen der „Übersetzung“ des kommunikativen Inhaltes. Der (teilweise) Verlust der
Fähigkeit, digital über das Wesen einer Beziehung zu kommunizieren, ist bei verschiedenen
Kommunikationsstörungen zu beobachten. Es bietet sich daher eine „Rückkehr zum
Analogen“ als Kompromiss dessen an, was man nicht ausdrücken kann.265

Bei Störungen in symmetrischen und komplementären Interaktionen geht es um zwei


grundlegende Kategorien, die allen zwischenmenschlichen Kommunikationsformen
innewohnen. Nicht nur in schlechten, fehlerhaften, sondern auch in gut funktionierenden
Beziehungen wirken sowohl Symmetrie als auch Komplementarität zusammen. Dies kann
abwechselnd oder auf verschiedenen Ebenen der Paarbeziehung geschehen. Je nach
Bedarf werden sich die Partner einmal symmetrisch, einmal komplementär verhalten, um
sich gegenseitig zu stabilisieren, falls eine Kommunikations-/Beziehungsstörung auftritt.

Symmetrische Eskalationen. Ist eine Beziehung symmetrisch, wird der Partner


akzeptiert, wie er ist. Es kommt zu gegenseitigem Respekt und Vertrauen; dies führt

265 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 96-103

92
schließlich zu einer gegenseitigen Bestätigung der Ich- und Du-Definitionen. Jedoch kann
auch die Symmetrie zu Störungen, bis hin zur Eskalation, führen. Individuen bis hin zu
Nationen fühlen sich besonders in Symmetrie wohl. Verlieren Systeme ihre Gleichheit
zueinander, so wird ihre eskalierende Eigenschaft deutlich und sie verzeichnen einen
Stabilitätsverlust.

Starre Komplementarität. Komplementäre Beziehungen leben stets von der


Bestätigung der Selbstdefinition der Partner. Störungen in der Symmetrie führen zu
Entwertung der Selbstdefinition des Partners. Probleme in einer Beziehung entstehen u. a.
dann, wenn Person A die Bestätigung seines Selbst durch Person B fordert, aber das Bild,
das B von A hat, sich von der gewünschten Selbstdarstellung der Person A unterscheidet.
Die psychiatrische Auffälligkeit von komplementären Störungen erlangten schon immer
mehr Interesse als Störungen der Symmetrie.266

Der vorangegangene Abschnitt beschäftigte sich mit der Komplexität und Vielfältigkeit
menschlicher Kommunikation sowie deren axiomatischen Eigenschaften. Um die
Strukturen von Kommunikationsprozessen zu erkunden, folgt nun die Beschäftigung mit
jenen.

Der Interpunktion von Kommunikationsabläufen wird Bedeutung verliehen, wenn


Interpunktionen über längere zeitliche Distanz immer wieder in verschiedenen Situationen
wiederholt werden und sich daraus ein typisches Charakteristikum ergibt. Obwohl es
hierarchische Strukturen in Kommunikationssituationen gibt, soll sich dieses Kapitel mit der
Organisation von aufeinanderfolgenden Mitteilungen beschäftigen, zuerst im Allgemeinen
und dann in zwischenmenschlichen Systemen.267

„Interaktion“ ist ein System, das die Anwendung der allgemeinen Systemtheorie zulässt.
Vor der Klassifizierung der Eigenschaften von Systemen muss auch auf die Bedeutung der
Zeit für die Untersuchung hingewiesen werden. Abläufe von Kommunikation sind Prozesse,
die über eine innere zeitbedingte Ordnung verfügen.

Ein System besteht aus Objekten, ihren Merkmalen und Beziehungen. Objekte sind
die Bestandteile des Systems, Merkmale die Eigenschaften dieser Objekte und die
Beziehungen gewährleisten den Zusammenhalt des Systems. Nimmt man menschliche
Individuen als Objekte, so sind ihre Merkmale das menschliche, kommunikative Verhalten.
Dann handelt es sich bei zwischenmenschlichen Systemen um zwei oder mehrere
Personen, die miteinander kommunizieren und so die Basis ihrer Beziehung einer Definition

266 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 103-106


267 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 114-115

93
unterziehen. Wichtig ist nicht so sehr der Inhalt der Kommunikation, sondern der
Beziehungsaspekt.

Umwelt und Teilsysteme. Lebende Systeme (biologischer, psychologischer,


zwischenmenschlicher Natur) stehen in Wechselbeziehung zu ihrer Umwelt. Menschen
stehen mit (mehreren) Teilsystemen in Beziehung, die sich überschneiden können. Dies
erlaubt eine Einbettung in Kultur, Gesellschaft und Familie.268

Die einschränkende Wirkung aller Kommunikation. Kommunikationsprozessen


selbst können identifizierbare Faktoren innewohnen. Dies kann für eine Beziehung Dauer
und Zusammenhalt bedeuten. In einem Kommunikationsablauf verringert jeder neue
Mitteilungsaustausch die Zahl der nächstmöglichen Mitteilungen. In einer Situation
zwischen Personen ist die Freiheit des Nichtkommunizierens nicht gegeben. Jede
Mitteilung wird zum Bestandteil eines Kommunikationskontextes und bedingt die
nachfolgenden Interaktionen der Kommunikationspartner. Die Definition einer Beziehung
als symmetrisch bzw. komplementär schränkt die Reaktionsmöglichkeiten des Partners ein.

Beziehungsregeln. Jeder Kommunikation wohnt die Definition einer Beziehung inne


und jeder Partner in einer Beziehung möchte diese auf seine Weise gestalten. Auf jede
Beziehungsdefinition wird eine Reaktion des Partners folgen. Mit diesem Verhalten verwirft
oder modifiziert er die Definition des Partners. Zur Herstellung von stabilen Beziehungen
ist deren Definition durch die Partner sehr wichtig und darf nicht ungelöst bleiben. Ohne
Stabilität in der Beziehung kommt es zu Schwankungen und Konflikten.269

Im Krankenhaus haben Mediziner und Pflegefachkräfte ebenso Einfluss auf die gesamte
Kommunikation auf einer Station bzw. Abteilung. Die Gesamtanalyse ist nicht
gleichzusetzen mit der Analyse einzelner Personen. Der Abschnitt „Kommunikation als
Gegenstand der Wissenschaft“ soll mit einem theoretischen Abriss einer modernen
Vorstellung von Kommunikation im Krankenhaus und dem theoretischen Verständnis einer
gelungenen Kommunikation abschließen.

3.2.5. Faktoren für eine moderne und gelungene Kommunikation


Das heutige Gesundheitswesen befindet sich in einem massiven Wandel. Um
zeitgenössisch professionell zu arbeiten, bedarf es bestimmter Schlüsselkompetenzen.
Notwendig werden diese, um sich am Patienten als Kunden zu orientieren. Dies bedingt
selbsterklärend, dass sich die Krankenhausverwaltung in Zukunft als Dienstleister

268 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 115-117


269 Vgl. Watzlawick et al. 2003: 126-127

94
wahrnehmen wird und sollte. Unterstützung findet dieser Perspektivenwechsel durch
geeignete Fortbildungsmaßnahmen im Rahmen der persönlichen Sozialkompetenz.
Gefördert werden vor allem Hinwendung zum Patienten und Teamfähigkeit. Neben der
Kommunikation des Krankenhauses nach außen spielt also vor allem die interne
Kommunikation eine tragende Rolle. Somit soll das Gesundheitssystem eine Optimierung
und effizientere Gestaltung erfahren. Vor allem das Versiegen von Informationen in
(belastenden) Stresssituationen sowie sprachliche Missverständnisse sind Mängel. Es
bedarf einer Teamsprache, welche knappe, präzise und unmissverständliche Anweisungen
gibt. Außerdem darf im Team keine Angst vor konstruktiver (!) Kritik aufkommen. Nach wie
vor sind es vor allem die hierarchischen Verhältnisse, die das Äußern oder Ansprechen von
eigenen wie fremden Fehlern hemmen. Dabei geht es nicht darum, keine Konflikte
auszutragen, sondern diese so effizient wie möglich zu bearbeiten. Festgefahrene
Strukturen und sich wiederholende Muster, welche zu Fehlern führen, sind aufzubrechen
und kritisch zu reflektieren. Um dies zu gewährleisten, bedarf es nicht nur einer
kommunikativen und fachlichen, sondern auch einer emotionalen Intelligenz. Handlungen
sollten immer mit dem Höchstmaß an Transparenz gesetzt werden, da ansonsten zu viel
Raum für falsche Deutungen und Spekulationen bleibt. Respekt und Wertschätzung sollten
ständige Begleiter jeglicher Kommunikation sein.270 Schaller und Baller betonen, dass
Konflikte nicht gelöst werden, indem Betroffene sie ignorieren. Im Gegenteil würde die
konsequente Vermeidung eines Problems erst recht dazu führen, dass es an Beständigkeit
zunimmt. Probleme müssen angesprochen und kommuniziert werden, um sie in der Folge
gemeinsam zu lösen (dazu mehr im Abschnitt Konflikte 3.4.). Dabei weisen die Autoren die
Sprache als bedeutendste Form der Kommunikation aus und sprechen die Angst vor
Veränderung vieler Menschen an.271 Grund für eine gewisse Abwehr der Mitarbeiter
gegenüber Veränderungen sehen Baller, Huber und Schaller darin, dass die meisten
bereits viele gescheiterte Veränderungsversuche hinter sich haben. Diese
Umstrukturierungen, vermeintlich zum Besten der Mitarbeiter, führten oft zu erhöhten
Belastungen, Gehaltskürzungen, Vertragsverschlechterungen oder einem Mehraufwand an
Bürokratie. Enttäuschungen, Vertrauensprobleme und Motivationsverluste spielen sich
nach solchen Erfahrungen ein. Beim Planen, Durchführen und insbesondere beim
Ressourcenmanagement werden Vorbelastungen und Blockaden zu wenig mitbedacht.272

270 Vgl. Baller, Schaller 2007: 1715-1716


271 Vgl. Baller, Schaller 2007a: 1641-1643
272 Vgl. Baller, Huber, Schaller 2010: 1-4

95
Wiederum wird in diesem Kontext die Bedeutung emotionaler Intelligenz betont273.
Unglücklicherweise wirken sich Faktoren wie Zeitdruck, Stress und Übermüdung negativ
auf positive Kommunikationsstrukturen aus. Eine weitere noch nicht angesprochene
Grundkomponente für eine hohe Qualität des Kommunizierens ist folgende:
Kommunikationsprozesse können eine Optimierung erfahren, wenn man beginnt, bereichs-
und berufsübergreifend zu überlegen und seine Handlungen dementsprechend zu setzen.
Aber nicht nur in persönlichen Gesprächen braucht es Kompetenz, sondern auch in
Sitzungen, Meetings und Telefonaten. Verschiedenste Trainingsmöglichkeiten wie die
Schulung von Wahrnehmung und vieles mehr können zu einer erheblichen Steigerung der
Kommunikationsqualität und der Leistung des Krankenhauses führen. Um
Missverständnisse zu regulieren und Ärger zu vermeiden, braucht es Anteilnahme und
Interesse.274

Positive Kommunikation kann über gelingende Beziehungen gestaltet werden. Dabei geht
es darum, den gemeinsamen Sinn zu finden, Konflikte zu managen, eine positive
Einstellung zu leben, Zuwendung, Freundlichkeit, Anerkennung sowie gegenseitiges
Interesse zu zeigen.275 Schulz von Thun geht davon aus, dass drei unterschiedliche
Ansätze zur gelungenen Kommunikation beitragen. Das Individuum, bei dem
unterentwickelte Persönlichkeitsbereiche gestärkt werden, wobei eine isolierte Betrachtung
die Gefahr der Diagnose „gestörte Kommunikation“ beinhaltet, daher muss der zweite
Ansatz, die Art und Weise, wie Menschen im Miteinander umgehen, also das Denken im
System, berücksichtigt werden. Hinzu gesellt sich der dritte Ansatz, nämlich die
Berücksichtigung der institutionellen/gesellschaftlichen Bedingungen. Hier wird bedacht,
unter welchen Bedingungen Menschen zusammentreffen und wo möglicherweise
bestimmte Umgangsformen gefordert und gefördert werden. Damit ist auch Hierarchie ein
sogenannter doppelter Boden, der auf Kooperation und Konkurrenz bzw. Rivalität
ausgelegt ist. Dreierlei soll bei der Betrachtung der Kommunikation berücksichtigt
werden.276

Laut Frindte geht der Begriff der gelungenen Kommunikation auf die Theorie des
kommunikativen Handels nach Habermas zurück. Kommunikation scheint dann zu
gelingen, wenn die Beteiligten ihre Situationsdefinition – Vorannahmen und Einstellungen
zur kommunikativen Situation – aufeinander abzustimmen vermögen. Verstehen meint

273 Vgl. Baller, Schaller 2007a: 1643


274 Vgl. Baller, Schaller 2008: 141-142
275 Vgl. Blickhan 2015: 263
276 Vgl. Schulz von Thun 2014a: 21-23

96
damit mehr als den sozialen Prozess des Wechselns, wer Hörer und wer Sprecher ist. Es
geht vielmehr darum, dass im Prozess des Hörens, Sprechens und Verstehens eine
Wirklichkeit konstruiert wird. Damit zeichnet sich ab, dass es sich beim „einfachen
Verstehen“ eigentlich um eine Kombination aus empathischem, kausalem, textalem,
logischem, kritischem, ästhetischem und mathematischem Verstehen handelt. Oder wie es
Foppa treffend umschreibt, dass es sich um ein dialogisches Verstehen handelt. Das
Gelingen und Verstehen von Kommunikationsakten schlägt sich somit deutlich in seiner
psychischen und sozialen Dimension nieder – mit dessen Hilfe die Menschen sich den
Umgang mit anderen Menschen, der Umwelt und verschiedensten Prozessen erleichtern
können. Kommunikatives Verstehen ist aber nicht als beim Empfänger oder Sender
liegende Verantwortung zu begreifen, sondern als ein wechselseitiger Prozess des
Bewertens.277

3.2.6. Zusammenfassende Betrachtung


Kommunikation als wissenschaftliche Disziplin impliziert auf den ersten Blick Banalität oder
die Reduktion auf eine reine Nachrichtenvermittlung. Bei genauer Betrachtung wird die
Komplexität von Kommunikationsprozessen deutlich.

Das Nachrichtenquadrat von Schulz von Thun ist ein hinlänglich bekanntes Modell ebenso
die Axiome von Watzlawick et al. Hinweise auf die Sprache und den Selbstwert wurden
zusätzlich im Rahmen dieses Kapitels abgehandelt, da beides in engem Zusammenhang
mit der individuellen Kommunikation von Menschen steht. In diesem Abschnitt wurden
bereits Interaktionen und daraus resultierende Störungen aufgezeigt. Die Modelle zeigen
Menschen, wie die individuelle Kommunikation wirkt und was sie dazu beitragen können,
um genauer auf den individuellen Stil zu achten und sich deren Wirkung bewusst zu werden.
Modelle haben auch den Vorteil, da sie als Gebilde, als Metapher herangezogen werden
können. Dieses Wissen soll aber weiter kombiniert werden mit den Erkenntnissen aus der
Gruppendynamik. WAS, WIE und WER kommuniziert miteinander?

Die Frage stellt sich für den Forschungsteil, ob auch für Ärzte und Pflegefachkräfte ein
modellartiges Denken in der Kommunikation hilfreich erscheint, ob sie auch selbst
theoretischen Input in ihren Ausbildungen erfahren haben und wie sich soziale
Kompetenzen fördern lassen. Reicht dazu der Modellcharakter und das Wissen darum aus,
sofern es überhaupt welches gibt? Wie wird überdies gelungene Kommunikation in der
Praxis gesehen oder empfunden?

277 Vgl. Frindte 2001: 51-55

97
Gruppendynamik

Der Sozialkörper Gruppe stellt einen konfliktreichen Raum, aber auch einen Ort des
Lernens dar. Zudem existiert eine Unverträglichkeit von Gruppen und Organisationen.
Dieser Abschnitt ist ein Abriss zum Thema Gruppendynamik, in dem auf die Gruppe als
solche und im weiteren Verlauf auf den Zusammenhang von Gruppen und Organisationen
eingegangen wird, die im Kontext Krankenhaus und demnach für das Forschungsvorhaben
als relevant erscheinen.

3.3.1. Grundlagen der Gruppendynamik


Menschen verbringen ihr Leben fast ausschließlich als Mitglieder von Gruppen. Arbeit,
Freizeit, Lernen und anderes mehr wird in einem Gruppengefüge wie z.B. Arbeitsgruppe,
Vereinsleben, Freundeskreis oder Schulklasse gelebt. Unterschiedliche Rollen und
Positionen werden einem Gruppenmitglied dort zuteil. Die existierende Gruppendynamik ist
den Gruppenmitgliedern wenig bis kaum bewusst. Sie wird dann spürbar, wenn es zu
Unstimmigkeiten kommt. Herkömmliche Traditionsgefüge werden zunehmend von einer
mehrfachen Zugehörigkeit abgelöst und es gibt unterschiedliche Regeln. Zudem muss die
Zugehörigkeit in den Gruppen flexibler und situationsabhängiger gestaltet werden. Da es in
einem zunehmenden Maße notwendig ist, in Gruppen kommunikative Kompetenzen und
Kooperationsbereitschaft zu zeigen, ist Wissen über gruppendynamische Prozesse eine
Notwendigkeit, um sie aktiv (mit-)steuern zu können.278

Theoretisches Wissen alleine ist unzureichend, daher gibt es das „Lernfeld Gruppe“. Die
Gruppendynamik nahm ihren Anfang zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Als ein erster
Vertreter der Gruppendynamik ist Kurt Lewin zu nennen. Erste Erkenntnisse hat er mit
seinen Forschungsergebnissen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hervorgebracht. Nach
einer kriegsbedingten Pause wurde in den 1960iger Jahren weiter im Bereich der
Kleingruppe geforscht. Lewin geht davon aus, dass die Gruppe von einem Kraftfeld
bestimmt ist, wobei die Handlungen der Individuen Vektoren sind, die ein „dynamisches
Gleichgewicht“ erzeugen. Insgesamt entsteht aus den interaktiven Bezügen einer Gruppe
eine zentrale und periphere Struktur. Daraus ergeben sich Kern- und Randmitglieder sowie
Mitglieder im Mittelfeld. Es stellte sich zudem heraus, dass von Gruppen getroffene
Entscheidungen mehr Akzeptanz erfahren als hierarchisch getroffene. Das Wissen über
das eigene Wirken lässt sich nicht über Erkenntnisgewinnung aus der Theorie, aber über

278 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 9-10

98
den Dialog in Gruppen gewinnen und erzielen. In Gruppen kann eine Erkenntnis noch
produktiver sein, indem „[…] Gruppendynamik als Lern- und Problembearbeitungsmethode
[…]“279 genutzt bzw. angewandt wird. Allerdings sind Gruppen keine „Kaltstarter“, sondern
benötigen, um in eine arbeitsfähige Form zu kommen, eine phasenförmige Entwicklung. Es
sind die Beziehungen zueinander, auf die es in einer Gruppe ankommt. Daher lassen sich
die Fähigkeiten einer Gruppe nicht aufgrund von Qualifikationsbeschreibungen
vorhersagen. In einer Gruppe kommen zwei Formen des Selbst vor. Einerseits das
individuelle Selbst und andererseits das kollektive Selbst, welche darüber hinaus noch
aufeinander wirken. Es ergibt sich, dass die anderen Gruppenmitglieder das Individuum
beeinflussen und das Individuum die anderen, woraus eine Ganzheit der Gruppe entsteht,
die wiederum auf das Individuum zurückwirkt.280

Überall dort, wo Menschen aufeinandertreffen, wirken soziale Kräfte. Organisationen und


die darin agierenden Personen und Gruppen ändern sich fortwährend. Das
Veränderungsgeschehen ist häufig zufällig und/oder ungeplant und damit oft wenig effektiv.
Dabei besteht die Gefahr, dass Prozesse außer Kontrolle geraten und negative Folgen für
die Organisation haben. Gruppen und Organisationen sind lernende Systeme, wie es auch
Individuen sind, daher sind abgestimmte Interventionen notwendig.281

„Im Grunde ist Gruppendynamik als hochgradig anwendungsorientierte


Sozialwissenschaft für alle Fachrichtungen […] interessant, in denen die Prozesse
der Leistungserbringung vom Gelingen der Kommunikation zwischen
verschiedenen Funktionsträgern abhängen.“282

Was genau macht aber eine Gruppe aus? Zunächst ist sie eine Anzahl von Menschen, die
für eine gewisse Zeit zusammen sind. Es gibt aber bestimmte Merkmale, die eine Gruppe
erst zu einer solchen machen. In der Forschung herrscht größtenteils Konsens darüber,
dass es sich bei einer Gruppe um eine Gemeinschaft handelt, die gemeinsam an der
Erreichung eines Ziels arbeitet, auch als Teambegriff bezeichnet.283 Martin beschreibt eine
Gruppe durch „Dauerhaftigkeit, sich wechselseitig ergänzende Rollen, geteilte Normen, ein
starkes Wir-Gefühl, einheitliche Ziele […]“284. Auch aus sozialpsychologischer Sicht wird
von einer Gruppe gesprochen, wenn sich mehrere Individuen zusammenschließen und

279 Krainz 2006: 16


280 Vgl. Krainz 2006: 15-17
281 Vgl. Rosenkranz; Breuer 1982: 1
282 Grimm, Krainz 2011: 47
283 Vgl. Erger 2016: 6
284 Martin 2017: 310

99
gemeinsamen Normen unterordnen.285 Im organisatorischen Kontext sind es meist jene
Formationen, die Organisationseinheiten bilden und aus ca. 5 bis 15 Mitgliedern
bestehen.286

Gruppen unterscheiden sich anhand ihrer Interaktionsart und lassen sich als ein komplexes
Konstrukt beschreiben287, das sich durch ständige Lern- und Lebensprozesse
auszeichnet288. König und Schattenhofer bezeichnen die Gruppe als ein soziales System,
welches durch Autonomie besticht und nicht von außen steuerbar ist. Begründet wird diese
Annahme dadurch, dass jede Intervention nicht nur beabsichtigte, sondern auch
unbeabsichtigte Konsequenzen nach sich zieht. Dies legt auch den Schluss nahe, dass
gruppendynamische Arbeit vor allem auf die Selbststeuerung von Gruppen ausgelegt sein
sollte. Maßgeblich sind hier laut den Autoren die Wechselwirkungen und
Rückkoppelungsprozesse einer jeden Gruppe. Außerdem definieren sie – gleich wie Erger
– ein Team als Sonderform der Gruppe.289

Die von König und Schattenhofer angeschnittenen Wechselwirkungen und


Rückkoppelungsprozesse spiegeln sich auch in den Ausführungen von Edding und
Schattenhofer wider. Für das Bestandhalten bzw. Formen einer Gruppe ist es wichtig zu
wissen, dass eine Gemeinschaft vor allem zwei Hauptaspekte benötigt: Stabilität und
Dynamik. Was ein Team oder eine Gruppe stabilisiert, sind Rollen, Normen und gefestigte
Strukturen. Weil die Gruppe so zwar Bestand hätte, aber keine Entwicklung durchliefe,
braucht es Dynamik, die sich in Konflikten, Spannungen und widersprüchlichen
Anforderungen und Interessen niederschlägt. Die Wechselwirkung von Kontinuität und
Veränderung sorgt für ein Voranschreiten und Entwickeln der Gruppe.290 Dies führt zur
Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit von Gruppen.291

Gruppen entwickeln sich und bilden Normen sowie Rollen aus. Im folgenden Abschnitt wird
zuerst die phasenförmige Entwicklung beschrieben und anschließend auf die Bedeutung
von Normen und Rollen eingegangen.

285 Vgl. Forgas 1999: 267


286 Vgl. Krainz 2011: 166
287 Vgl. Forgas 1999: 263
288 Vgl. Heintel, Krainz 2001: 100
289 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 18-20
290 Vgl. Edding, Schattenhofer 2012: 16
291 Vgl. Stahl 2012: 72-73

100
3.3.1.1. Gruppenentwicklung, vertikale und horizontale Sichtweise und
gruppendynamischer Raum

Es gibt in der Forschung mehrere Modelle der Gruppenentwicklung, aber das wohl am
häufigsten rezipierte ist jenes nach Tuckman. Er definierte vier Phasen für die Entwicklung
einer Gruppe: Forming, Storming, Norming und Performing292. Zwischen Forming und
Norming ist nach Krainz noch die Phase des Warming zu verorten293. Das Tuckman-
Phasenmodell wird an dieser Stelle für hinreichend bekannt gehalten, daher wird auf eine
weitere Beschreibung verzichtet.

In jedem Fall ist im Zusammenhang mit Phasenmodellen zu konstatieren, dass ein


Überspringen einzelner Phasen nicht möglich ist. Es gibt lediglich die Option der
Beschleunigung durch Führung.294 Ein Erzwingen von inadäquater Geschwindigkeit (ohne
passende Führungskomponenten) führt unweigerlich dazu, dass die Gruppe
Entwicklungsfähigkeiten und -potentiale einbüßt.295

König und Schattenhofer bezeichnen solche Modelle als verwirrend, weil mit ihnen immer
gleichmäßige Zeittakte assoziiert werden.296

„Zudem weisen solche Modellbildungen das grundsätzliche Problem auf, dass sich
zwar aus dem Besonderen des Einzelfalls das Allgemeine herausarbeiten lässt, der
Einzelfall sich aber nicht aus dem allgemeinen Modell ableiten lässt.“297

Trotz der Kritik erkennen König und Schattenhofer den Nutzen von Modellen an: Sie dienen
der Strukturierung, der vereinfachten Wahrnehmung und der Komplexitätsreduktion.298

Der gruppendynamische Raum und dessen Entwicklungen können aber nicht nur nach
Tuckmans Modell beleuchtet werden, sondern auch anhand der Forschungsergebnisse
nach Bennis, der ein Entwicklungsmuster anhand von Dependenz und Interdependenz
beschreibt. Kommen Gruppen zusammen, ist zu Beginn die Ungewissheit Gewissheit. Es
gibt zwei Zonen, die von Bedeutung sind. Die Autoritätsorientierung bzw. die Verteilung von
Macht und die Zone der gegenseitigen Haltung der Gruppenmitglieder zueinander. Beides
ist voneinander abhängig. Die Gruppe bewegt sich zwischen Autoritätsbeziehung und der
Haltung zu anderen Mitgliedern. Würde man diese auf ein Kontinuum legen, so bewegt sich

292 Vgl. Stahl 2012: 68


293 Vgl. Krainz, Lesjak 2004: 324
294 Vgl. Jenewein, Heidbrink 2008: 103
295 Vgl. Stahl 2012: 74
296 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 61
297 König, Schattenhofer 2011: 61
298 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 61

101
die Gruppe hin und her. Insgesamt sind in der Gruppenentwicklung zwei bestimmende
Hauptphasen (Dependenz- und Interdependenzphase) zu beobachten, die wiederum in
drei Subphasen unterteilt werden können. Insgesamt bewegt sich eine Gruppe während
der Dependenz- oder Autoritätsphase von der Unterwerfung bis hin zur Rebellion, um das
Abhängigkeitsproblem zu lösen. In der Interdependenzphase bewegt sich die Gruppe von
der Identifikation zwischen den Mitgliedern hin zur persönlichen Identität, bis es zu einer
Lösung des Interdependenzproblems kommt. Die an der Entwicklung der Gruppe
relevanten Aspekte der Persönlichkeit werden als Dependenzaspekte und personale
Aspekte bezeichnet, die wiederum in dependent und kontradependent und in überpersonal
und kontrapersonal unterteilt sind.299 Eine natürliche Entwicklung einer Gruppe ist allerdings
stets von einer künstlichen zu unterscheiden300.

Gruppen können aber auch von anderen Perspektiven aus betrachtet werden. Sie können
über innen und außen, vertikal und horizontal bzw. in ihren Dimensionen beleuchtet
werden, die sich aus den Dimensionen Zugehörigkeit, Macht bzw. Einfluss und Intimität
zusammensetzen.

Eine Gruppe hebt sich von ihrer Umwelt ab und ist gleichzeitig von ihr abhängig. Der
vertikale Schnitt ist die Unterscheidung zwischen einer äußeren und einer inneren Umwelt
der Gruppe. Die äußere Umwelt betrifft zum Beispiel materielle Rahmenbedingungen und
die Wahlmöglichkeit der Gruppe anzugehören. Doch die äußere Umwelt beeinflusst die
innere Ordnung nicht zur Gänze. Die innere Ordnung besteht aus den bewussten und
unbewussten Gefühlen, Bedürfnissen, Werten, Wahrnehmungen, Ansichten usw. der
jeweiligen Gruppenmitglieder. Eine Mitgliedschaft in einer Gruppe erfordert von jedem eine
bestimmte Anpassungsleistung und damit einen Verzicht auf eigene Bedürfnisse.301

„Jede Gruppe kann nur einen Teil davon (Anm. eigene Gefühle, Bedürfnisse,
Wertvorstellungen, usw. des Individuums) einbeziehen, ein anderer Teil muss
ausgeschlossen werden, da eine Gruppe, in der ‚alles‘ möglich ist und die die
Einzelnen nicht begrenzt, ihre Orientierungsfunktion verliert. Sie würde sich in der
Überlastung mit individuellen Interessen, Erfahrungen und Gefühlen auflösen.“302

Die horizontale Sichtweise auf Gruppen wird durch das Eisbergmodell gezeigt und
verdeutlicht, dass es in ihnen um etwas Anderes geht als das, was tatsächlich hör- und

299 Vgl. Bennis 1972: 271-273


300 Vgl. Bennis 1972: 275
301 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 23-26
302 König, Schattenhofer 2011: 24

102
sichtbar ist. Die Metapher des Eisberges bildet die vertikale Ebene ab. Sichtbar ist die
Sachebene, es folgt die Beziehungsebene unter der Wasseroberfläche, weiter unten die
psychodynamische Ebene und zuletzt liegt der Kernkonflikt einer Gruppe. Die Metapher
des Eisberges veranschaulicht die versteckten Dynamiken und Prozesse von Gruppen.303

In König und Schattenhofer werden die Dimensionen im gruppendynamischen Raum


oben/unten (Macht und Einfluss), drinnen/draußen (Zugehörigkeit) und nah/fern (Intimität)
beschrieben. Die erste Dimension betrifft Macht und Einfluss, die König und Schattenhofer
nicht als etwas, das eine Person besitzt und die andere nicht, beschreiben. Denn Macht
wohne jeder Beziehung inne und stelle somit ein Relativum dar. Vielmehr sind
Machtstrukturen sogar nötig, da sie komplexe und vielschichtige Beziehungsmuster
reduzieren. Damit wird die richtige Bearbeitung von Macht und Machtstrukturen zu einer
der wichtigsten Aufgaben jeder Gruppe. Denn Macht mutet erst dann negativ an, wenn sie
ein Übermaß an Dominanz erreicht und somit ein vernünftiges Miteinander unmöglich wird.
Es kommt dann zum Beispiel zu Blockaden, wenn es darum geht, Ressourcen richtig und
den Anforderungen entsprechend zu verteilen. Dann geht es im Team nicht darum, wer für
eine Aufgabe am geeignetsten ist, sondern wer sich zuerst durchsetzen kann. Um solche
Schwierigkeiten angemessen auflösen zu können, hilft das Ausbilden von Rollen und
Normen.

Die Dimension der Zugehörigkeit definiert die Abgrenzung nach außen, welche die
Existenz der Gruppe erst möglich macht. Darunter versteht man nicht ausschließlich, wer
zur Gruppe gehört und wer nicht, sondern auch, welches Mitglied im Mittelpunkt der Gruppe
agiert und welches nicht. Wichtig ist, dass es trotz der Abgrenzung nach außen zu einer
Auseinandersetzung mit der Umwelt kommen muss, da die Entwicklung der Gruppe sonst
gefährdet wäre. Vor allem in der Gründungsphase kommt es zu laufenden Ein- und
Ausschlussprozessen, die ein Gefühl der Unsicherheit und Angst bei den Betroffenen
hervorruft. Im Zuge dessen kommen Fragen auf, ob man den Einstieg in die Gruppen
schaffen wird; ob man sich komplett verändern und anpassen muss, um dazu zu gehören
usw. Selbsterklärend gehören Menschen weder privat noch beruflich nur einer einzigen
Gruppe an, daher kann es zu Zugehörigkeitsüberlappungen und Loyalitätskonflikten
kommen.304

Die letzte Dimension betrifft das Verhältnis nah-fern und beschreibt somit die
verschiedenen Formen von Intimitäten innerhalb einer Gruppe. Dabei wird thematisiert, wie
nah man sich stehen „muss“ – trifft man sich nach der Arbeit, pflegt einen freundschaftlichen

303 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 26-27


304 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 35-37

103
Umgang miteinander oder bleibt man eher unterkühlt und auf Distanz? Wird die Entstehung
von Cliquen, Untergruppen und Pärchen gestattet? Dadurch sind die vorherrschenden
Prozesse von Annähern und Abstoßen gekennzeichnet. Diese Dimension knüpft auch eng
an die vorangegangenen an. Denn durch die Sympathie zweier Kollegen füreinander kann
sich schnell eine Rangordnung herausbilden, welche die restliche Gruppe an den Rand
rücken lässt. Gefahrenpotential für Gruppen liefern Freundschaften und
Liebesbeziehungen innerhalb einer Arbeitsgruppe, da sie exklusiven Charakter haben und
andere ausschließen. Diese Beziehungen folgen eigenen Logiken und müssen in Balance
gehalten werden.305

Wie es sich mit formellen und informellen Normen verhält, welche Bedeutung diese haben
und wie sie entstehen, wird im folgenden Abschnitt dargelegt.

3.3.1.2. Normen in Gruppen

Normen sind Erwartungen im Verhalten, die für alle Gruppenmitglieder gleichermaßen


gelten und damit auf Gleichheit und Gemeinsamkeit abzielen. Wenn sich unterschiedliche
Rollen ausbilden, zeigt sich eine soziale Differenzierung, also die Unterschiedlichkeit der
Gruppenmitglieder. Beides lässt erkennen, dass sich in Gruppenprozessen aus
Ansprüchen, Forderungen und Verhaltenserwartungen Gemeinsamkeiten und
Unterschiedlichkeiten ableiten lassen. Dabei sind die Gruppenmitglieder den Normen und
Rollen nicht ausgeliefert, sondern sie sind durch ihr Verhalten und ihre Interessen an der
Entstehung beteiligt. Das sind rückbezügliche und sich wechselseitig bedingende
Prozesse.306

Mit Normen können (1) ein beobachtbares, gleichförmiges Verhalten, (2) eine soziale
Bewertung und (3) die Forderung eines bestimmten Verhaltens gemeint sein. Punkt zwei
und drei beschreiben präskriptive Normen, die einen verbindlichen oder wünschenswerten
Zustand vorgeben/vorschreiben. Normen werden zu einem Standard, der von einem
Gruppenmitglied und/oder von außen an die Gruppe herangetragen wird. Dieser Standard
macht ein Zusammenleben in der Gruppe erst möglich und gibt Orientierung. Konflikte
können entstehen, wenn Menschen unterschiedlichen Gruppen angehören und
unterschiedliche Orientierungen haben. Ursächlich für Spannungen können aber auch
Widersprüche zwischen expliziten und impliziten Normen sein.307 Dieses
Spannungspotential gesteht auch Erger den Normen zu, wenn er ausführt, dass neue

305 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 37-39


306 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 43-44
307 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 44-46

104
Gruppenmitglieder erst Kenntnis über formelle und informelle Normen erlangen müssen.
Dies führt besonders anfangs zu einem ausgeprägten Gefühl der Unsicherheit. Er
umschreibt die informellen Normen als „heimliche Regeln“.308 Kenntnis über explizite und
implizite Normen zu erfahren, erleichtert das Verständnis für und innerhalb einer Gruppe.
Sehr oft wird offiziell eine Norm ausgesprochen, die inoffiziell anders gelebt wird. Die
Beweggründe dafür sind unterschiedlicher Natur und hängen mit der Anpassungsleistung
der Gruppenmitglieder zusammen. Eine Erhöhung der Produktivität einer Gruppe kommt
zustande, wenn sie ihre Normen ins Gespräch bringt und überprüft, wie funktional sie für
die Gruppe sind.309 Edding und Schattenhofer betonen die Wichtigkeit informeller Normen,
da jede Gruppe nicht explizit gemachte Abmachungen nötig habe, die man nicht ständig
neu verhandeln muss. Sie räumen den offiziellen Normen auch die Funktion einer
schützenden Kontinuität ein. Allerdings dürfen keine Regeln gelebt oder gefordert werden,
die (konstruktive!) Kritik unterbinden, da sonst neue Widerstände entstehen.310

Will man aus gruppendynamischer Sicht an Normen arbeiten, sollten diese zunächst
sichtbar gemacht werden. Dabei „[…] lohnt es sich zu untersuchen, welche expliziten
offenen, oder von der relevanten Umwelt vorgegebenen bzw. vereinbarten Normen es gibt,
und welche impliziten, unausgesprochenen oder im Prozess der Gruppe entstandenen
Normen gelten […]“311.

Besonders wichtig ist es aber auch zu erforschen, in welchem (Spannungs-)verhältnis diese


Normen zueinander stehen. Gründe für diese widersprüchliche Auslebung der Normen
wurden von König und Schattenhofer bereits in den individuellen Beweggründen jedes
Mitglieds verortet. Es bleibt allerdings noch zu erwähnen, dass diese Anpassungsprozesse
ohne Zwang vonstattengehen und in den meisten Fällen zum Wohle der Harmonie nach
außen hin geschehen.312

In Gruppen bilden sich nicht nur Normen, sondern die Mitglieder übernehmen auch Rollen,
die an sie herangetragen werden und die mit Erwartungen verknüpft sind.

3.3.1.3. Rollen in Gruppen

Täglich schlüpfen Menschen in die verschiedensten Rollen, die an sie herangetragen


werden. Sich dieser Metapher bedienend ist der Unterschied jedoch der, dass der Text

308 Vgl. Erger 2016: 61


309 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 44-46
310 Vgl. Edding, Schattenhofer 2012: 99-100
311 König, Schattenhofer 2011: 45
312 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 45-46

105
nicht vorgegeben ist, sondern aus den Erwartungen der Mitspieler und des Publikums
entsteht und vom Akteur akzeptiert und ausagiert werden kann.313

Rollen sind unweigerlich an diese Erwartungen geknüpft314. Es geht also nicht so sehr um
Charakter und Persönlichkeit – obgleich auch diese Einfluss ausüben –, sondern um soziale
Situationen, welche die Erfüllung von Rollen durch einen Rolleninhaber fordern. Daher
handelt es sich bei Rollen im gruppendynamischen Kontext auch um ein Bündel an
Verhaltensnormen, die erwartet und einer sozialen Position zugeschrieben werden.315
Deshalb spricht Stahl davon, dass Rollen sowohl Gruppengeschehen als auch die
Kommunikation vereinfachen, da jedes Individuum mit (s)einer Rolle auch ein Versprechen
von Beständigkeit und Erfüllung der Rollenerwartung abgibt. Dadurch wird für Sicherheit
und Stabilität innerhalb des Gruppengefüges gesorgt und dessen Komplexität entschärft.
Durch diese Sicherheitsstrukturen sind Rollen außerdem ein potentieller Schutz, wenn man
schlicht nicht weiß, wie man sich zu verhalten hat. Die Rolle schreibt dieses Verhalten
jedoch vor und wirkt durch die Kalkulierbarkeit der Selbstunsicherheit entgegen. Allerdings
können diese Erwartungshaltungen auch einengend wirken und zu langweiliger Routine
führen. Außerdem kann ein Gruppenmitglied auf erhebliche Widerstände treffen, wenn er
oder sie versucht, aus seinem Rollengefüge auszubrechen.316

Daher ist das Aushandeln und Balancieren des Rollengefüges bedeutend. Ein Mindestmaß
an Rollen ist notwendig sowie ergänzende und komplementäre Verhaltensweisen.317
Dynamische Interaktionen und damit verbundene Weiterentwicklungsprozesse aller
Beteiligten gelingen nur mit Ausdifferenzierung unterschiedlicher Positionen und
Rolleninhaber.318 Beim Aushandeln der Rollen ist es besonders wichtig, auf die Verteilung
zugunsten der Stärken der Mitglieder zu achten.319 Denn jeder „[…] füllt die Rolle aus, die
zu ihm passt, die er gut kann und die in diesem Team gefragt ist oder deren Platz nicht
besetzt ist.“320 Erger beschreibt diese Auseinandersetzung in seiner
Positionsfindungsphase als einen „Kampf“ um Positionen und Ränge. Die
Positionsverteilung findet oft unbewusst statt und richtet sich nach dem Verhalten der
Gruppenmitglieder. Alle Beteiligten streben nach einer Rolle, in der sie Akzeptanz und

313 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 47


314 Vgl. Martin 2017: 254
315 Vgl. Martin 2017: 254
316 Vgl. Stahl 2012: 296-298
317 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 47-50
318 Vgl. Edding, Schattenhofer 2012: 100
319 Vgl. Jenewein, Heidbrink 2008: 87-88
320 Edding, Schattenhofer 2012: 100

106
Wohlbefinden erfahren. Besonders gut beobachten kann man das Vorhandensein von
Positionen und dessen Aushandeln bei den Sitzplätzen im Personal- und Gruppenraum,
der für Meetings genutzt wird. Welcher Stuhl ist von wem, warum besetzt? Wie viel Stühle
sind frei, wenn ein neues Mitglied hinzukommt? Darf sich das neue Mitglied irgendeinen
Platz aussuchen oder beschränkt sich der Spielraum auf die freien Plätze? Kommt es zu
Irritation und Ärger, wenn man sich auf den Stammplatz eines Kollegen setzt? Die
Positionsaufteilung lässt sich aber auch recht gut anhand folgender Faktoren
veranschaulichen: Wie viel Redezeit wird jedem Mitglied eingeräumt? Wer darf gestalten,
wer muss sich zurückhalten? Wer drängelt sich vor, wer verzichtet darauf?321

Es wurde bereits angeschnitten, dass eine Gruppe ein Mindestmaß an Rollen benötigt, um
funktionsfähig zu sein. Neben der Ansicht, dass es Anführer, Geführte, Beobachter, Kritiker
und Entscheidungsträger braucht322, erarbeitete Raoul Schindler ein allgemeineres Modell
zur Mindestausstattung einer Gruppe. Er geht davon aus, dass eine Gruppe Ziel und
Identität gegenüber einem Gegner/Gegenüber (G) ausbildet. Im Rahmen dieser
Auseinandersetzung kommt es zu einer Rangstruktur: Alpha ist derjenige, von dem erwartet
wird, dass er sich mit G erfolgreich auseinandersetzt. Die Gammaposition beziehen
diejenigen, die Alpha folgen wollen, solange Alpha Erfolg hat. Omega steht in maximal
entfernter Position zu Alpha und identifiziert sich innerhalb der Gruppe mit G. Es ist das
Gegenüber innerhalb der Gruppe. Eine weitere Position bezieht Beta, das ist eine Position,
die fachlich von Alpha akzeptiert und nicht in den direkten Konflikt von Alpha und Omega
verwickelt ist.323

Abbildung 5 Rangdynamik324

321 Vgl. Erger 2016: 62-63


322 Vgl. Edding, Schattenhofer 2012: 100
323 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 47-50
324 in Anlehung an König, Schattenhofer 2011: 51

107
Anhand dieses allgemeinen Modells (siehe Abbildung 5) lassen sich spezifische Rollen
ableiten. Vereinfacht ausgedrückt stellt Alpha die Position der Anführer da, Gamma sind
die Geführten, Omega stellen die Kritiker dar und Beta beziehen eine neutrale fachliche
Position zwischen Zustimmen und Widersprechen.325

Was geschieht aber gruppendynamisch, wenn jemand plötzlich nicht mehr rollenkonform
handelt? Die stabilisierende Funktion geht verloren, da es sich beim Rollengefüge um ein
komplexes und instabiles Konstrukt handelt. Rollen können nicht zuletzt dadurch als
einengend empfunden werden, dass man sich als Einzelner kaum aus diesem Gefüge
lösen kann, ohne das Gleichgewicht der ganzen Gruppe zu gefährden. Die Feldbalance
muss restabilisiert werden, sobald jemand seine Position verlässt. Alle anderen leisten
Kompensationsarbeit, indem sie ihre eigenen Rollen zugunsten des Gleichgewichts
verschieben. Vor diesem Hintergrund zeigt sich auch, warum viele in ihren Rollen gefangen
bleiben, da ein ständiges Neuausbalancieren des Feldes unwahrscheinlich kräftezehrend
ist.326

König und Schattenhofer bekräftigen diese Argumentation, wenn sie davon sprechen, dass
eine Gruppe ein ausgeglichenes Maß an Rollenstabilität und –flexibilität benötigt, um zu
funktionieren. Das Feld darf also weder stagnieren noch ständig neu ausbalanciert
werden.327

Arbeiten Gruppen in einem hierarchischen System zusammen, ergeben sich zusätzliche


Faktoren, die es zu beachten gibt. Sobald Gruppen in Unternehmen gebildet werden, ist
ein System im System präsent. Damit müssen Gruppen im Rahmen der Hierarchie
funktionieren und das ist ein grundsätzlicher Widerspruch, eine Aporie, die nicht ausweglos,
aber zu berücksichtigen ist. Geht man von Heintel und Krainz aus, so ist es „die
hierarchische Erwartung an Projektgruppen“, die es nicht vorsieht, dass sich Gruppen
gegenüber der Hierarchie freispielen. Gruppen, die eine besondere Leistung in einem
Unternehmen erbringen sollen, arbeiten nicht von Beginn an störungsfrei zusammen. Sie
befinden sich in einem „dialektischen Widerspruchsverhältnis“. Gruppen werden von der
Hierarchie im Organisationskontext eingesetzt, allerdings müssen auch sie
zusammenfinden, aneinander wachsen und entstehende Differenzen intern klären. Im
Gegensatz dazu können sich Gruppen auch gegen den Rest der Umwelt stellen. Insgesamt
entsteht eine Immunreaktion auf beiden Seiten, die „Systemabwehr“.328

325 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 51


326 Vgl. Stahl 2012: 299-300
327 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 53
328 Vgl. Heintel, Krainz 2001: VIII-XIV

108
Das Krankenhaus soll als Beispiel der angeführten theoretischen Zusammenhänge dienen:
Ein Krankenhaus besteht aus spezifischen Abteilungen, die ihrerseits weiter in Stationen
untergliedert sind und in welchen die Berufsgruppen interdisziplinär im und am
Behandlungsprozess zusammenarbeiten (müssen). Ärzte und Pflegefachkräfte, die jeweils
auch durch ihre eigene Hierarchie geprägt und bestimmt werden, sind über Anordnungs-
und Durchführungsverantwortung im arbeitsteiligen Behandlungsprozess verbunden und
sowohl intra- als auch interdisziplinär beteiligt. Daher müssen sowohl Hierarchie, Gruppe
als auch die Hierarchie und Gruppen der Berufsgruppen in der Organisation vereint werden.
Die überlappenden Gruppen und deren Repräsentanten in einer Organisation brauchen
besondere Aufmerksamkeit.

„Die Gruppe ist der natürliche Feind der Organisation, und die Organisation der
natürliche Feind der Gruppe.“329

Daher stellt sich die Frage, wie sich Gruppenkommunikation in Organisationen


implementieren lässt, welche Herausforderungen dabei entstehen und wie sich potentielle
Widersprüche berücksichtigen lassen.

3.3.2. Gruppen in Organisationen


Aus kommunikationsstruktureller Perspektive kann man mehrere Personen nur
hierarchisch oder in Gruppen verknüpfen.330

Abbildung 6 Hierarchische Kommunikationsstruktur und Gruppenkommunikation331

Wenn Interaktionen bzw. Kommunikation durch Führungskräfte gesteuert werden und alle
nach der Reihe zu Wort kommen, handelt es sich um keine Gruppenkommunikation.
Gruppen sind wesentlich komplexer als Hierarchien. Mit jeder neuen Person erhöht sich

329 Pesendorfer 1993: 12


330 Vgl. Krainz 2011: 141
331 in Anlehnung an Krainz 2011: 141 (Einzelbildnachweis: fotolia.com)

109
nicht nur die Anzahl der Beziehungen, sondern es verändert sich auch die Dynamik der
Gruppe. Es zählt also nicht nur die Beziehungsanzahl, sondern auch die gegenseitige
Beeinflussung. Durch die Komplexität ist eine zu hohe Mitgliederanzahl nicht möglich. Nur
durch eine überschaubare Mitgliederzahl (2-10) lässt sich ein kommunikatives
Führungskonzept entwerfen. Das Hierarchieprinzip (Kommunikation bottom-up oder top-
down) sieht aber Gruppenkommunikation nicht vor. In der Praxis werden oft beide
Kommunikationsstrukturen beobachtet. So kann es sein, dass in den Abteilungen
derselben Organisation unterschiedlich kommuniziert wird und es keine alles überragende
„Organisationskultur“, sondern mehrere Subkulturen gibt. Dies gilt auch für die Vertikale:
Führungskräfte kommunizieren entweder aneinander vorbei und die Mitarbeiter tragen jene
Unstimmigkeiten aus, welche diese Hierarchieebene hat oder sie kommunizieren
konsensual und folglich kommandoartig nach unten. Insgesamt ist allerdings eine
Gruppenkommunikation vorzuziehen, wenn Problemlösungen, Zusammenwirken von
Funktionsträgern und Kooperation erforderlich sind.332 Wie diese
Kommunikationsstrukturen in Organisationen zu fördern sind und ob sie eine wirksame
Möglichkeit zur Mitsprache im Organisationskontext darstellen, ist eine wiederkehrende
Frage, die Organisationen vor Schwierigkeiten und damit verbundene Herausforderungen
stellt.

Hilfreich ist an dieser Stelle die Vorstellung von Organisationen als sich überlappende
Gruppen bzw. als „Gruppe von Gruppen“. Jede Führungskraft hat Mitarbeiter unter sich, mit
denen entweder hierarchisch oder gruppenkommunikativ kommuniziert wird. Wird in den
Untergruppen Gruppenkommunikation etabliert, so kann die Expertise und die
Meinungsbildung der Mitarbeiter optimal genutzt werden.

Problematisch wird es, weil sich Führungskräfte in der Sandwichposition befinden


(„Linking Pins“, „Verbindungsglieder“) und wenig Erfahrung mit etablierter
Gruppenkommunikation haben. Sie haben eine Vermittlungsfunktion zwischen oben und
unten und fungieren in einer doppelten Gruppenangehörigkeit. Bei jeder Entscheidung
kommt die Frage auf, zu welche Seite sie tendieren (im Idealfall sind sie neutrale Vermittler).
Offenkundig entbrennt ein Zugehörigkeitskonflikt sowohl für die Zwischenvorgesetzten als
auch für jene, die über oder unter ihnen sind, damit sind überlappende Gruppen immer ein
Wechselspiel aus Integration und Desintegration. Durch die Zwischenposition ist eine
Führungskraft mit dieser Position und Rolle nicht kalkulierbar und es wird schwer Vertrauen
aufgebaut. In Ausnahmefällen gibt es aber Streitpunkte, die nicht zu diskutieren, sondern

332 Vgl. Krainz 2011: 141-143

110
nur zur Kenntnis zu nehmen sind und in denen dann die klassische Hierarchie zum Tragen
kommt.333 Pesendorfer spricht hier von Repräsentanten oder Delegierten, welche die
Wünsche der eigenen Gruppe vertreten müssen und in Verhandlungssettings die fremden
und möglicherweise widersprechenden Argumente aufnehmen, Verhandlungsgeschick
zeigen und das Ausgehandelte wieder der „Heim-Gruppe“ präsentieren. Das ist ein Großteil
der Arbeit im Organisationsleben334, was eine nicht zu unterschätzende Aufgabe darstellt.

Abbildung 7 Doppelmitgliedschaften und ihre Kommunikationsstruktur335

Zu berücksichtigen ist, dass sich Gruppen und Organisationen trotz der Vorteile für die
Zusammenarbeit tendenziell nicht vertragen. Gruppen schotten sich nach außen ab und
Organisationen tolerieren die eigenständige Funktionalität von Gruppen nur eingeschränkt.
Dies generiert Widersprüche und wirkt paradox, ist allerdings aus
kommunikationsstrukturellen Gründen nicht überraschend. Vorgesetzte sollen ein Tor sein,
welches die Ideen der Gruppe mit jener der Organisation verbindet. Deutliches Beispiel ist
die Projektgruppe. Hier findet ein abteilungsübergreifendes und kooperatives Arbeiten auf
Zeit statt. Fachexperten werden zu diesem Zweck einer Projektgruppe zugeordnet und
ihren Abteilungen (oft) entzogen. Als „System im System“ (und wegen ihrer hohen
sozialkommunikativen Komplexität) bringen sie die hierarchische Struktur durcheinander.
Grund dafür ist nicht zuletzt die nach Heintel und Krainz benannte „Hierarchiekrise“.
Organisationen sind hierarchisch strukturiert, wo jedoch „[…] nüchtern zu konstatieren [ist],
daß (sic!) allen Versuchen zum Trotz, Organisationen hierarchiefrei gestalten zu wollen,

333 Vgl. Krainz 2011: 146-150


334 Vgl. Pesendorfer 1993: 13-15
335 in Anlehnung an Krainz 2011: 149 (Einzelbildnachweis: fotolia.com)

111
Hierarchie als Struktur nicht zu vermeiden ist.“336 Dazu ist festzuhalten, dass sich die
Hierarchie selbst in bestimmten Belangen behindert und daher als „Hierarchiekrise“
benannt wird, da der Linienaufbau hinderlich für Querkommunikation ist.337

Überträgt man diesen Ansatz auf das Krankenhaus, so kommt zur Hierarchie das
Abhängigkeitsverhältnis der Pflege gegenüber der Ärzteschaft hinzu und eine „krisenhafte“
Zusammenarbeit kann bereits im Vorfeld erkannt werden. Wie können aber Gruppen in
Organisationen tatsächlich ko-existieren?

Ein weiterer Faktor ist die Kooperationsfähigkeit und das Aufgeben der Individualität, wenn
Menschen in Gruppen respektive in Organisationen eintreten (oder es müssen). Dies führt
Menschen in Sekundärgruppen, die einen Zweck erfüllen. Was aber in den primären
Gruppen erlernt wurde, überträgt man auf die sekundären. Der Mensch geht dabei immer
wieder Beziehungen ein, denen man sich nicht (sofort) entziehen kann. Damit kollidiert das
Menschsein aber mit dem Zweckmäßigen, dem Funktionieren (in) einer Organisation. Das
ist ein Akt der Balance. Einerseits kann das belastend und andererseits entlastend sein –
belastend, weil Kooperation erforderlich ist und entlastend, weil man als Mensch eine
Funktion bekleidet und damit Distanz wahren kann.338

In der Sozialwissenschaft wird Kooperation mit der Gruppendynamik verknüpft, in der


Wirtschaft hingegen spielt sie eher eine koordinierende Rolle – aber in beiden Fällen ist die
Kommunikation immer zentral für das Gelingen einer Kooperation339.

„Kooperation zeichnet sich durch bewusstes und planvolles Herangehen bei der
Zusammenarbeit sowie durch Prozesse der gegenseitigen Abstimmung aus.“340

Es stellt sich an dieser Stelle zusätzlich die Frage nach den Formen von Kooperation. Balz
und Spieß unterscheiden zwischen strategischer und empathischer Kooperation. Erstere
zeichnet sich durch kooperatives Handeln, Rationalität und Zielgerichtetheit aus. Überdies
herrschen Strategien und Kalkulationen für den optimalen Nutzengewinn vor. Damit
definiert sich ein Bewusstsein für das gemeinsame Lösen von Problemen. Allerdings fehlt
es hier an empathischen Fähigkeiten und man kann sich nur schwer in die Lage eines
anderen versetzen. Trotz der Effektivität dieser Kooperationsform steht doch im
Vordergrund, mithilfe der Zusammenarbeit die eigenen Interessen zu verfolgen bzw.

336 Heintel, Krainz: 2001: XII


337 Vgl. Heintel, Krainz: 2001: XII
338 Vgl Krainz 2011: 153-154
339 Vgl. Balz, Spieß 2009: 19
340 Balz, Spieß 2009: 19

112
voranzutreiben. Im Gegensatz dazu bemüht man sich in der empathischen Kooperation um
Aktionen, die im Einverständnis des Interaktionspartners stattfinden. Die Beteiligten
versetzen sich in die Beweggründe und Wünsche des Gegenübers hinein und streben
danach, das Ziel gemeinsam zum Wohle aller zu erreichen. Empathie zeichnet sich
überdies als eine Basiskompetenz des Kommunikationsprozesses aus.341 „Empathie
besteht aus dem Verstehen und der Kommunikation des Verstandenen.“342

Obgleich die empathische Form auf den ersten Blick als die wünschenswertere
Kooperationsvariante anmutet, so kann es in beiden Fällen zu Problemen kommen, wenn
es sich um sogenannte Pseudokooperationen handelt. Bei der strategischen gibt man vor,
gemeinsame Ziele zu verfolgen und bei der empathischen die Gefühle des anderen zu
verstehen, obwohl beides nicht der Fall ist.343

Welche Bedingungen für eine gelingende Kooperation stellen aber nun Balz und Spieß auf?
Sie halten fest, dass sowohl Führungselemente als auch Gesellschaft und Kultur zentrale
Rollen spielen.344

„Die menschliche Kooperation ist in ein Netzwerk verschiedener Bedingungen


eingebettet: In das Regelwerk von Organisationen, das Handeln der
Führungskräfte, aber auch gesellschaftliche und kulturelle Voraussetzungen.“345

Gesellschaft und Kultur spielen in die Kooperationsfähigkeit einer Gruppe oder eines
Unternehmens hinein, weil vor allem aktuelle Bewegungen wie wirtschaftliche
Globalisierung und fortschreitende Internationalität in Sachen Zusammenarbeit neue
Anforderungen an alle Mitglieder stellen. Dies betrifft besonders die Auseinandersetzung
mit der Kooperation über die eigene Kultur hinaus: Man arbeitet mit neuen Kontakten aus
verschiedensten Ländern und Kulturen zusammen. Dadurch spielt nicht nur die fachliche
Komponente, wie zum Beispiel das Erlernen einer Fremdsprache, sondern auch die soziale
eine Rolle. An interkultureller Kompetenz darf es in Organisationen nicht mangeln. Aber
auch ein Wertewandel der Gesellschaft, welcher sich durch alle Lebensbereiche zieht,
spielt für die Zusammenarbeit eine wichtige Rolle. Denn die Kooperation unterschiedlicher
Generationen mit abweichenden Werteorientierungen kann durch diesen gesellschaftlichen
Wandel entweder erschwert oder als eine Bereicherung erfahren werden. Wichtig für

341 Vgl. Balz, Spieß 2009: 35


342 Balz, Spieß 2009: 35
343 Vgl. Balz, Spieß 2009: 37
344 Vgl. Balz, Spieß 2009: 37-43
345 Balz, Spieß 2009: 37

113
(interkulturelle) Kommunikation und Kooperation ist es, die eigenen Werte bzw. die eigene
Kultur nicht als Standard zu sehen, sondern sich mit den Werten, der Religion und der
Kultur des Gegenübers auseinanderzusetzen. Besonders wichtig ist dies natürlich in
sozialen Organisationen.346 Es sind nicht nur die Kulturen anderer Länder, sondern auch
die Unterschiede (wie für diese Arbeit relevant), die mit Professionalität einhergehen und
berufsgruppenspezifische Milieus erzeugen, die eine Kooperationsleistung erfordern.
Entscheidend sind dabei oft die Herkunft, emotionale Lage des Individuums und
Gesamtkommunikation.

3.3.2.1. Emotionalität, Sachlichkeit und die Analyse von Kommunikation in Gruppen

Wie schon im vorherigen Abschnitt angeführt sind „natürliche“ Gruppen Primärgruppen (=


Herkunftsfamilie, Freundeskreis). Treten Menschen Organisationen bei, kommt es zu
Sekundärgruppen. Die emotionale Aufladung sachlicher Funktionen trägt ein
unweigerliches Konfliktpotential, da sich der Einzelne mit diesem oder jenem in einer
Organisation mehr oder weniger identifiziert. Wenn die Arbeit allerdings zu wenig Identität
für den Einzelnen hervorbringt, werden andere Größen bedeutend. Das heißt aber auch,
dass die Leistungserbringung eine Rolle spielt und das, was dabei herauskommt, zwar
wichtig ist, aber die Art, wie die Leistung erbracht wird – also das Miteinander – eine
wesentliche Rolle für den Identitätsfaktor einnimmt. Oder anders gesagt: Wo ich gerne
arbeite, erbringe ich auch gerne (m)eine Leistung. Es ergibt für das Individuum Sinn. Ist das
nicht der Fall, treten Frustrationen an die Stelle des Identitätsempfindens.

Den Arbeitskontext betreffend gilt, dass beständig versucht wird, nicht inhaltslos zu
kommunizieren (wie es beispielsweise gemacht wird, um ins Gespräch zu kommen). Aber
es werden nicht nur Inhalte, sondern auch Gefühle hin- und hertransportiert. Die
Befindlichkeiten von Kommunikationspartnern beeinflussen ein Gespräch. Dies kann extern
beeinflusst werden oder aus der Situation selbst entstehen. Emotionen kanalisieren sich in
Interaktionen. Jede Interaktion kann genützt werden, um die momentane Gefühlslage
darzustellen (Selbstoffenbarung). Die Darstellung selbst hat eine Auswirkung und führt zur
sogenannten sekundären Emotionalisierung. Das bedeutet im negativen Kontext, dass es
jemanden in der Gruppe nicht nur nicht passend erscheint, sondern auch, dass über das
Thema nicht konstruktiv diskutiert werden kann. Um diese Situationen zu verstehen, sind
analytische Fähigkeiten notwendig, denn zudem erfolgen nicht alle Interaktionen über
Kommunikation. Die nonverbalen Bezugnahmen (Körpersprache, Gestik usw.), die
paraverbale Variante (Sprachmelodie, Energiespiegel…) und eine Symboldimension (Wer

346 Vgl. Balz, Spieß 2009: 37-43

114
lädt wen ein?) sind zu berücksichtigen. Hauptsächlich erfolgt die Orientierung über
Sprache, während der Rest mehr vorbewusst wahrgenommen wird. Worauf ist zu achten,
um eine Situation angemessen verstehen zu können? Es wird also nicht nur danach
gefragt, WAS sondern auch WIE es besprochen wird. Dabei überlappt die Beziehung den
Inhalt. Besonders deutlich wird dies in Konfliktsituationen. Das Ergebnis eines Konflikts
innerhalb einer kooperativen Beziehung wird ein anderes sein als jenes in einer
konkurrierenden. Durch die europäische Tradition der Rationalisierung wird nur allzu gerne
die Beziehungsebene verkannt, die Inhalts- bzw. Sachebene soll vordergründig sein.
Nachdem das WAS und WIE geklärt sind, stellt sich die Frage, WER spricht. Dies ist auf
die Organisation und ihre Funktionsvorgaben bzw. ihre Hierarchie zurückzuführen. Man
zeigt, wer man ist oder „wer hier der Chef ist“ und vermittelt die eigene Position innerhalb
der Organisation. Zum anderen generieren sich in Gruppen (wie oben beschrieben) Rollen
– zum Beispiel jemand, der für gutes Klima sorgt oder jemand, der äußerst dominant ist.
Kurzum: Je nachdem, aus welcher Rolle oder Position heraus jemand spricht, hat dies
einen anderen Stellenwert. Gespräche sind etwas Dynamisches und Beziehungen können
sich dadurch verändern. Die Beziehungsebene strukturiert die Sachebene, aber beide
Ebenen werden wiederum von der Organisation strukturiert. In jeder Kommunikation wird
also über Thema, Beziehung und Identität verhandelt. Will man dies analysieren, sollte man
zunächst nach der Struktur (WER), dann nach der Beziehung (WIE) und erst zum Schluss
nach dem Inhalt fragen (WAS). Kommunikationen können demnach konstruktiv und
dekonstruktiv sein.347

WAS

WIE

WER

Abbildung 8 Strukturebenen348

347 Vgl. Krainz 2011: 156-161


348 in Anlehnung an Krainz 2011: 160 (Einzelbildnachweis: fotolia.com)

115
3.3.2.2. Komplexität einer Gruppe und Wirkung von Einfluss und Vertrauen

Die Komplexität von Kommunikationsprozessen ergibt sich aus deren Einbettung in die
Organisation und deren nicht stets sichtbaren Akteure, die im Hintergrund mitwirken.
Gruppen etablieren nach einer bestimmen Zeit eine Struktur, dennoch sind sie dynamisch
und reagieren auf Veränderungen. Beispielsweise bei Änderung der
Gruppenzusammensetzung oder, wenn ein Einfluss von außen wirksam wird
(Umweltbedingungen, andere Gruppen usw.). Gruppen funktionieren dann besonders gut,
wenn ihre Zusammensetzung relativ konstant ist. Eine Veränderung beeinflusst alle
Beziehungen und ihre Dynamiken. Das Gruppengefüge chronifiziert sich allerdings, wo auf
Dauer kein Wechsel vorgesehen ist (lange Dienstverhältnisse etc.) und man altert
gemeinsam. Um einem „Erstarren“ der Gruppe entgegenzuwirken, ist ein Durchmischen
von älteren und jüngeren Mitgliedern sinnvoll (nicht nur altersgemäß, sondern auch die
Zugehörigkeit betreffend). Dies fördert Entwicklung. Es geht also um eine ausgewogene
Balance zwischen „immer dasselbe“ und „ständig was Neues“.349

Sieht man eine Organisationseinheit als ein Kraftfeld, besteht es aus einem fiktiven Kern
(Zentrum) und einem Rand (Peripherie). Der Einzelne ist in der Gruppe entweder Kern-
oder Randmitglied und jeder hat seine eigene Position. Der Kern kann anhand von
Dominanz, Loyalität oder Intimität akzentuiert sein. Ob man am Kern oder am Rand
verweilt, kann auch die persönliche fachliche Kompetenz entscheiden. Im Rahmen von
Besprechungen kommen die Positionen stärker zum Vorschein – wenn man sich
beispielsweise nur zu Themen der eigenen Fachkompetenz äußert (= man rückt ins
Zentrum) und ansonsten ruhig bleibt (= man verweilt am Rand). Ärgerlich wird es dann,
wenn für alle wichtige Themen besprochen werden und alle Gesprächsbereitschaft zeigen
sollen, dies aber nicht der Fall ist. Auch Beziehungen nach außen haben Einfluss darauf,
wie nah oder fern ein Mitglied dem Kern ist (Mitwirken in anderen Gruppen = Entfernung).
Beziehungen machen das Kraftfeld Gruppe noch komplexer. Beispielsweise beeinflusst die
Geschlechtermischung die Gruppe. Dabei nehmen homogene Frauen- bzw.
Männergruppen hier eine Sonderstellung ein. Sie unterscheiden sich besonders anhand
ihrer Kommunikation und ihres Konfliktmanagements, aber auch hinsichtlich Konkurrenz
(Über-/Unterordnung vs. Intimitätsabbruch). Durch Mischung der Geschlechter
„neutralisieren“ sich diese Extremformen bzw. werden deutlich milder.350 (dazu mehr in
Abschnitt 3.3.2.5. Geschlechterbedeutung in Gruppen und Hierarchien)

349 Vgl. Krainz 2011: 164-165


350 Vgl. Krainz 2011: 166-168

116
Geht es in einer Gruppe um Führung, so ist sie von zwei Eigenschaften geprägt:
„Einflussführerschaft“ und „Vertrauensführerschaft“. Soziometrische Untersuchungen
können über vorhandene Gruppenverhältnisse aufklären. Üblicherweise wird bestimmten
Gruppenmitgliedern mehr Einfluss und anderen mehr Vertrauen zuteil. Sollte das je in einer
Gruppe im Rahmen von Trainings abgefragt werden, so bedarf es einer geführten
Diskussion. Es ist eher selten, dass ein Gruppenmitglied auf beiden Richtwerten
Spitzenpositionen erreicht. Wer vertrauenswürdig ist, ist eher in der Vermittlungsposition,
verhält sich ruhig, während einflussreiche Menschen Durchsetzungsvermögen und
Lautstärke zeigen. Für eine Organisation heißt das: Die Führungskraft stellt eher den
Einfluss- als Vertrauensmenschen dar, aber er ist innerhalb der Gruppe in der Regel nicht
der Einzige mit Einfluss. Es gibt auch Experten oder „Altgediente“. Durch gezielte Analyse
und Konzentration auf andere Gruppenmitglieder ergibt sich eine Entlastung des
Vorgesetzten.351 Es gilt diese Funktionen im Alltag zu erkennen. Daher folgt an dieser Stelle
die Bedeutung der Gruppenfunktionen.

3.3.2.3. Bedeutung der Funktionen und Führung in Gruppen

Die Dynamik von Beziehungen wird zum Teil von Positionen und Rollen geprägt, die von
außen kommen. Dies gibt gewissermaßen die Grundstruktur vor, aber entscheidend ist,
welche Aktivitäten die Mitglieder im kommunikativen Miteinander setzen. Vor allem mit
welchem Bewusstsein darauf reagiert wird und wie entwickelt das Reflexionsniveau der
Mitglieder ist. Funktionen müssen erfüllt werden, sonst gelingt die Arbeitsfähigkeit der
Gruppe nicht. Es gibt aufgaben- bzw. zielorientierte, gruppenerhaltende, individuelle und
analytische Funktionen.352

Aufgabenbezogene bzw. zielorientierte Funktionen erscheinen in ihrem Vorkommen als


logisch und notwendig. Eine Gruppe braucht definierte Ziele, muss Methoden und die
Arbeitsteilung bestimmen, Ressourcen erkennen, Dienstpläne erstellen353 und
Informationen müssen fließen, Koordinationsleistungen sind erforderlich, inklusive der
dazugehörigen Kontrolle und Delegation354. Dazu ist Kommunikationsbereitschaft
Voraussetzung, die initiativ gestellt werden muss, wobei der Informationsfluss meist
weniger problematisch ist als die Meinungsbildung. Meinungen sind eine Mischung aus
Informativem und Emotionalem.355

351 Vgl. Krainz 2011: 169-170


352 Vgl. Krainz 2011: 171
353 Vgl. Krainz 2011: 172
354 Vgl. Schwarz 2007: 119
355 Vgl. Krainz 2011: 172

117
Gruppenerhaltende Funktionen und die dazugehörige (metakommunikative) Bedeutung
werden oft zu wenig wahrgenommen. Wird der Bedarf an Gruppenorientierung und
Sozialem (gruppenerhaltene Funktion) nicht gestillt, ist die Existenz der Gruppe gefährdet.
Dann kommt es beispielsweise zum Vermeiden von Kommunikation, die Mitarbeiter gehen
sich aus dem Weg und/oder bringen sich nicht mehr in die Gruppe ein. Funktioniert die
Gruppenerhaltung suboptimal, wird inhaltlich nicht rational bzw. zielführend gearbeitet. Zu
den gruppenerhaltenen Funktionen zählen Zuhören, Verstehen, Aufmuntern, Ermutigen,
Vermitteln, Spannungen vermindern und/oder das Involvieren von Außenseitern. Dies hat
die gedankliche Tönung von „Sozialarbeit“, aber es geht darum, Verarbeitungsprozesse
gemeinschaftlich zu bewerkstelligen und nicht den Individuen zuzuschieben, wie es die
Hierarchie vorsehen würde. Es ist eine Art Fürsorge, die jede Gruppe braucht.
Hierarchische Organisationen vernachlässigen diese gruppenerhaltenden Funktionen
häufig, weil sie einen Sozialcharakter haben356 und Führungskräfte annehmen, dass sie
dafür nicht zuständig sind oder es sich von selbst erledigen wird.

Individuelle Funktionen betreffen nur die Person und sind auch nur der Einzelperson und
ihren Bedürfnissen zuträglich. Sie äußern sich in zwanghafter Konkurrenz, Jammern,
notorischem Dagegensein und/oder sich hervortun. Das häufigste, was man in diesen
Funktionen jedoch wiederfindet, ist, dass Menschen einfach nur körperlich anwesend sind,
sich aber nicht an der Kommunikation beteiligen. Diese Passivität ist auf Hemmungen und
Angst zurückzuführen. Anfänglich mag das befremdlich wirken, aber wenn man sich in der
Gruppe erst mal kennenlernt und die Eigenarten seiner Mitmenschen versteht,
verschwindet dieses Gefühl. Es findet ein Anpassungsprozess zwischen Gruppe und
Individuen statt.357

Analytische Funktionen entsprechen einer Beobachtungsebene, um zu klären, welche


Funktionen gerade gebraucht werden. Dazu zählt das kritische Bewerten und Einordnen
von Beiträgen, den aktuellen Zustand mit den Zielen zu vergleichen, das
Kommunikationsverhalten beobachten und/oder Strukturen wie Prozesse innerhalb der
Gruppe verlaufen zu überprüfen. Je besser diese Ebene funktioniert, desto effizienter
arbeitet eine Gruppe. Obgleich von Seiten der Hierarchie verlangt wird, dass eine
Führungskraft den Funktionen, Aufgaben und Rollen gerecht wird, kann sie damit nur
überfordert werden. Besonders in unterentwickelten Gruppen wird auf die Führungskraft
gehofft, die aber alleine nicht alle Funktionen erfüllen/übernehmen kann. In entwickelten

356 Vgl. Krainz 2011: 172-173


357 Vgl. Krainz 2011: 171-174

118
Gruppen spüren die Mitglieder selbst, welche Funktionen erfüllt werden müssen. Autorität
hat somit derjenige, der gerade die notwendigen Funktionen erfüllt.358 „Autorität hat
diejenige Person, die jene Funktionen erfüllt, die für die Gruppe gerade notwendig sind –
und das können Mitarbeiter in vielen Fällen eher sein als die jeweils Leitenden.“359 Woher
weiß die Gruppe aber, was gebraucht wird? Aus den analytischen Funktionen. Dazu zählen
das kritische Bewerten und Einordnen von Beiträgen, den aktuellen Zustand mit den Zielen
zu vergleichen, das Kommunikationsverhalten zu beobachten und/oder Strukturen wie
Prozesse innerhalb der Gruppe zu überprüfen. Dies ist, anders als bei den anderen
Funktionen, eine Aufgabe der formalen Führungskraft. Das entbindet andere
Gruppenmitglieder nicht von der Wahrnehmung, was eine Gruppe benötigt, denn eine
gemeinsame Einschätzung ist vorteilhaft. Die formale Führungskraft eignet sich daher
besonders, da sie den analytischen Vorgang in Gang setzen kann, da Gruppenmitglieder
selbst nicht darauf achten oder das Durchsetzungsvermögen haben.

Hierarchische Organisationen vernachlässigen vor allem gruppenerhaltende


Funktionen. Die Analyse stellt somit ein wichtiges Steuerungsmittel und
Managementinstrument dar, da dadurch Defizite aufgedeckt und kompensiert werden
können. Gruppen können in eigenen gruppendynamischen Laboratorien erforscht werden
und dort auch ihre Selbststeuerung bzw. ihre Reflexionsfähigkeit trainieren.360

Über Führung wird erst im Zuge einer Systemkrise nachgedacht, weil Führungsverhalten
nicht mehr funktionstüchtig ist oder nicht mehr akzeptiert wird. Die Forschung brachte
verschiedene Führungsstile hervor (autokratisch, sozialintegrativ und laissez-faire). Auch
finden sich bei Feldstudien diese Stile nur selten in ausgeprägter Form. Zumeist sind es
Mischformen, wobei mittlerweile laissez-faire nicht wirklich ein Führungsstil ist. Interessant
ist, dass es oft den Anschein macht, dass es keine Führungsstildebatten gegeben hat und
Führungsebenen erst ihre eigenen Lernerfahrungen machen müssen, da sich ein
bestimmter Stil nicht als Kulturelement in eine Organisation etablieren lässt – auch
Leitbilder helfen dabei wenig. Erst die Gruppendynamik veränderte die Forschungsfrage
rund um Führung erneut. Hier wurde nach Voraussetzungen für effiziente Führung und
Zusammenarbeit gefragt, die Formen der Führungskommunikation und der
Entscheidungsfindung aus anderen Perspektiven betrachtet. Gruppen entwickeln sich. Dies
beansprucht meist mehr Zeit, als von der Organisation zur Verfügung gestellt wird. Es
braucht Zeit, Training und Entwicklungsarbeit, um das Potential von Gruppen

358 Vgl. Krainz 2011: 174-175


359 Krainz; Lesjak 2004: 330
360 Vgl. Krainz 2011: 175-178

119
auszuschöpfen. Gruppen können daher auch als qualitativ hochwertige
Entscheidungsorgane betrachtet werden (kreative Problemlösung, hohe Ressourcen und
Identifikation bei Entscheidungen, Beenden von Machtspielen usw.). Installiert man
Gruppen, verschwindet die Hierarchie in Organisationen nicht automatisch, es entsteht ein
Kontinuum, im Zuge dessen eine Polarisation zwischen Hierarchie und Gruppe stattfindet.
Vier Typen von Kommunikation lassen sich im Führungsalltag unterscheiden: „Chef als
Diktator“ – absolute Autorität, „Chef als Experte“ – Expertenautorität, „Chef als Moderator“
– Prozessautorität und „Chef als Auftraggeber“ – Kontextautorität. Die vier Stile lassen mehr
oder weniger Freiheit für die Untergebenen zu. Ob man als Gruppenmitglied in
Entscheidungsprozessen Partizipation erfährt, wirkt sich maßgebend auf Motivation,
Sinngefühl, Arbeitslust usw. aus. Kooperative Entscheidungsprozesse sind demnach nur
zu empfehlen.361

Insgesamt ist im Rahmen von Führungsarbeit die richtige Art der Delegation notwendig.
Delegieren heißt nicht, dass sich die Leitungsposition völlig zurückzieht oder zu viel
delegiert. Manches Mal ist es auch ratsam, die Gruppe „nur“ zur Meinungsbildung zu Rate
zu ziehen. Delegation kann auch bedeuten, man macht sich Gedanken darüber, wie eine
Entscheidung von weiter oben vermittelt wird, die nicht mehr zu ändern ist. Delegieren ist
somit differenziert zu betrachten. Selbst wenn es nichts zu entscheiden gibt, sind
regelmäßige Besprechungen wichtig, damit sich alle Mitglieder untereinander austauschen
können. Nicht nur die Leitung, sondern alle könnten relevante Informationen errungen
haben, für die sie eine Plattform benötigen. Wichtig ist auch immer bereits vorab getroffene
Entscheidungen begründen zu können – dadurch macht man sich aber auch angreifbar.362

Eine mögliche Differenzierung von Führungsstilen ist die von transaktionaler und
transformationaler Führung: Transaktionale Führer setzen kurzfristige Ziele und belohnen
deren Erreichung. Sie achten auf Organisation und Abläufe. Transformationale Führer
motivieren Mitarbeiter, gemeinsame und langfristige Ziele zu verfolgen. Sie blicken über
den Tellerrand hinaus. Beide Stile schließen sich aber nicht gegenseitig aus. Eine effiziente
Führungskraft pflegt sie beide.363

3.3.2.4. Macht in Gruppen

Ein weiteres Thema in Organisationen ist Macht und damit auch Macht in Gruppen. Macht
kommt in verschiedenen Formen vor und ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Um mit ihr

361 Vgl. Krainz 2011: 180-190


362 Vgl. Krainz 2011: 191-192
363 Vgl. Aronson, Wilson, Akert 2014: 332-333

120
umgehen zu können, erfordert es Wissen um Machtstrukturen und –dynamiken. Macht ist
so alltäglich, dass jeder zu wissen glaubt, was das Phänomen Macht bedeutet. Gleichzeitig
ist über Macht zu sprechen ein tabuisiertes Thema, da Macht aus gesellschaftlicher Sicht
eine negative Konnotation mit sich bringt. Doch Macht ist nicht zwingend als schlecht oder
boshaft zu betrachten, denn sie ist grundsätzlich nicht mit Aggressivität, Schädigung oder
Manipulation gleichzusetzen. Ihr Einsatz ist zu bedenken und zu reflektieren. Dazu gibt es
keine klaren und patentierten Vorgaben, sondern unterschiedliche Zugänge, die
Anregungen gleichkommen sollten.364 Zudem wirken Machtmechanismen in
Organisationen, da sie von den gesellschaftlichen Machtstrukturen nicht trennbar sind, sich
über Jahrhunderte entwickelt haben und alle Lebensbereiche queren.365

Macht in Organisationen zu haben, bedeutet in der Regel, über Entscheidungsmacht zu


verfügen. Zu beachten ist die Arbeitsteilung von Entscheidungen zwischen Leitung und
Gruppe. Wenn eine Gruppe nur zu 20 % mitbestimmen darf, „funktioniert“ sie zwar in ihrer
Aufgabenerfüllung, ist aber auf Seiten der Selbstständigkeit unterentwickelt. Darf sie
hingegen bis zu 70 % aller Belange entscheiden, ist ihre Selbstständigkeit extrem hoch.
Auch hier funktioniert die Gruppe, allerdings mit einer anderen innerlichen Struktur.
Problematisch wird es, wenn aufgrund von Umstrukturierungen eine Gruppe mit hoher
Selbststeuerung mit einer Führungskraft zusammentrifft, die 80% der Entscheidungen
selbst treffen möchte. Die Leistungsfähigkeit ist hier aufgrund von wahrscheinlichen
Konflikten gefährdet. Im umgekehrten Fall kann eine sehr liberale Führungskraft mit einer
Gruppe zusammengesetzt werden, deren Selbstständigkeit unterentwickelt ist. Dies führt
zu Defiziten, weil Entscheidungen nicht zustande kommen. Erfahrene Führungskräfte
schalten sich in einem solchen Fall als Moderator ein und unterstützen Gruppen in ihrer
Autonomiewerdung.366

Erste Machtgrundlagen finden sich bereits in natürlichen Sozialsystemen, in welchen der


Konfliktregulationsmechanismus der Über- bzw. Unterlegenheit entspricht.367 Körperlich
erleben Menschen bei Machtausübung und/oder im Erleben von Machtausübung
evolutionäre Reaktionsmuster ihres Verhaltens wie Kampf, Flucht oder Unterwerfung.
Physiologisch zeigt sich eine Hormonausschüttung, die unterschiedliche Reaktionen
hervorrufen kann.368

364 Vgl. Ameln, Heintel 2016: Vorwort IX-X


365 Vgl. Ameln, Heintel 2016: 28
366 Vgl. Krainz 2011: 185-197
367 Vgl. Ameln, Heintel 2016: 2-3
368 Vgl. Ameln, Heintel 2016: 10

121
„Macht und Konflikt sind nicht voneinander zu trennen, da beiden Phänomenen eine
gemeinsame psychologische Dynamik zugrunde liegt: Sie schaffen eine Situation
der gefühlten Unterlegenheit für zumindest eine der beteiligten Parteien.“369

Laut König und Schattenhofer kann Macht nicht besessen werden. Ganz im Gegenteil
stellen sie die Hypothese auf, dass jeder sozialen Beziehung Macht innewohnt und diese
produktiv verwertet werden kann.370 Macht wird konstruiert, indem ein Interaktionspartner
eine asymmetrische Beziehungsform vorgibt und der andere die „unterlegene“ Rolle
einnimmt. Damit wird soziale Ungleichheit konstruiert.371 Im alltagssprachlichen Gebrauch
finde der Machtbegriff laut Martin Verwendung, um auszudrücken, wenn etwas gegen den
eigenen Willen geschehe. Dies äußere sich in der Angst vor Sanktionen und dem
Anzweifeln von Freiwilligkeit. Aber Macht kann auch bewirken, dass man sich so verhält,
wie man es eigentlich nicht tun würde, um etwas – z.B. eine Beförderung – zu bekommen.
Von der Theorieebene aus betrachtet, wird das als ein Bemühen um Nutzenmehrung
bezeichnet.372 Die Definition von Macht kann daher kontrovers diskutiert werden. Wichtig
scheint in diesem Zusammenhang eine Abgrenzung zwischen Macht und Gewalt. Gewalt
ist immer mit Negativität und Zwang verbunden, während dies bei der Machtausübung
meist (!) nicht der Fall ist, da sie auf Zustimmung basiert.373

Dass Macht nicht mit Zwang einhergeht, verdeutlicht auch Luhmann, indem er sagt: Macht
übt erheblichen Einfluss auf die Wahl verschiedener Handlungen oder Unterlassungen aus.
Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sich eine Person (oder Struktur) trotz attraktiver
Alternativen durchsetzt. Beim Zwang würden die Wahlmöglichkeiten des Betroffenen aber
zurückgeschraubt, es gäbe gar keine.374

Weiteres wird Macht einerseits als Abhängigkeitsgefüge375 und andererseits als


Kommunikationsmedium376 betrachtet. Martins Ausführung zur Abhängigkeit geht auf die
Machttheorie nach Emerson zurück. Sie beschreibt, dass Person A dann Macht über
Person B hat, wenn B von A abhängig ist. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn

369 Ameln, Heintel 2016: 109


370 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 37-38
371 Vgl. Ameln, Heintel 2016: 12
372 Vgl. Martin 2017: 43
373 Vgl. Berger 2009: 10
374 Vgl. Luhmann 2012: 16
375 Vgl. Martin 2017: 45
376 Vgl. Luhmann 2012: 11-13

122
Ressourcen anderswo zu teuer werden und B sich diese nur bei A leisten kann.377 Diese
Erklärung unterstreicht wieder die Annahme, dass es sich bei Macht nicht um Zwang
handelt. Deshalb ist es auch kritisch zu sehen, dass Martin Zwang als eine extreme Form
der Macht378 bezeichnet.

Während Martin aus einer machttheoretischen Perspektive argumentiert, betrachtet


Luhmann die Kommunikationstheorie als notwendige Grundlage für dessen besseres
Verständnis. Dies ermögliche den Vergleich verschiedener Kommunikationsmedien (wie
Geld oder Wahrheit) mit dem Medium der Macht. Überdies lässt sich so eine Vermischung
von Begriffsdefinitionen vermeiden, da sich der Machtbegriff des Öfteren mit dem des
Einflusses überschneidet.379 Er definiert ein Kommunikationsmedium allgemein als
Ergänzung zur Sprache, welche sich als Code aus Symbolen festigt. Ein Medium zeichne
sich außerdem durch die Steuerung von Übertragung und Selektionsarbeiten aus. Weiteres
wohnt diesen Medien auch eine Motivationsleistung inne. Dieser Theorie nach findet eine
Vermittlung zwischen zwei Partnern statt, welche beide eigene Selektion leisten und sich
der eigenen und der „Handlung“ (= Selektion) des Gegenübers bewusst sind. Auch Macht
kann nur als Medium fungieren, wenn sie Orientierung und Selektion schafft. So kommt es
zu einer Strukturierung sozialer Geschehnisse, im Zuge dessen sogar eine doppelte
Selektivität stattfindet. Partner A hat mehr Wahlmöglichkeiten als Partner B und sorgt
dadurch für die Entstehung von Unsicherheit.380 Dieses Szenario sollte bekannt
vorkommen, da es im Abhängigkeitsmodell laut Martin bereits angeführt wurde.

Worin liegt nun aber die Funktion von Macht als Kommunikationsmedium? Wie König und
Schattenhofer381 sieht auch Luhmann die Funktion von Macht in der Reduktion der
Komplexität sozialer Situationen382.

König begreift Macht einerseits als etwas Relatives (Personen, Rollen und Handeln müssen
in Relation zueinander gesehen werden), andererseits als einen Prozess der
Verinnerlichung. Auch er spricht in diesem Zusammenhang von einer Art Zwang, der sich
von außen nach innen wandelt. Zuerst zwingen Fremde einen, dann zwingt man sich
selbst.383 Er betont zusätzlich, dass Machtbeziehungen stets durch einen Rest an Zwang

377 Vgl. Martin 2017: 45


378 Vgl. Martin 2017: 45
379 Vgl. Luhmann 2012: 11
380 Vgl. Luhmann 2012: 14-16
381 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 37-38
382 Vgl. Luhmann 2012: 18
383 Vgl. König 2007: 17

123
zustande kommen. Neben Zwang verortet König aber auch „Belohnung, Legitimation,
Identifikation, Sachkenntnis, Information und situative Kontrolle“384 als mögliche
Grundlagen von Macht.385 Wichtig ist, dass er Zwang und Macht damit nicht gleich, sondern
in Abhängigkeit bzw. Relation zueinander stellt. Er definiert Belohnungsmechanismen
innerhalb einer Gruppe wie die bereits angesprochene Nutzenvermehrung, wobei er diese
darum erweitert, dass ein Nutzen auch im Fernbleiben einer Strafe bestehen kann386.

Wie aber lassen sich schwer wahrnehmbare Veränderungen, Machtproblematiken,


Rollenverteilungen, Normen und weitere potentiell gruppengefährdende Prozesse
zielführend bearbeiten? Eine Möglichkeit bieten Trainingsgruppen im Rahmen der
gruppendynamischen Praxis und die Perspektive der Metaebene.

Werden nun Gruppenprozesse auf einer Metaebene beleuchtet, ergibt sich ein
Phasenmodell, anhand dessen eine reflexive Steuerung entwickelt werden kann: 1. Die
Ausgangslage der Gruppe wird beobachtet. 2. Das Beobachtete wird benannt und
mitgeteilt. 3. Das Mitgeteilte muss besprochen und interpretiert werden. 4. Aus der
Interpretation werden Schlussfolgerungen und Konsequenzen abgeleitet und Handlungen
in die Tat umgesetzt.

Aus diesem Prozess heraus verändert sich die Ausgangslage (Situation) der
Gruppe, sodass man quasi wieder an den Anfang des Phasenmodells zurückkehrt. Damit
bezieht man die Mitglieder, die sonst eigentlich eher auf der Durchführungsebene agieren,
in die Beobachtungs- und Steuerungsebene ein. Prozesse müssen dazu angehalten und
reflektiert werden. Außerdem generiert dies ein Sinngefühl, wenn die Entscheidungen nicht
unpersönlich und von außen getroffen werden. Regelmäßige Reflexionsschleifen in Form
von Besprechungen zu etablieren, bringt also deutliche Vorteile mit sich. Eine möglichst
hohe Anzahl integrierter Mitglieder garantiert den Erfolg387 und gängige Machtspiele können
minimiert sowie die Stärke von Gruppen optimal genutzt werden.

Aber nicht nur Emotionen, Macht, Führung, usw. sind in Organisationen bemerkenswert,
sondern auch die Geschlechterrollen und die damit verbundenen Einflussfaktoren
bezüglich der Hierarchie.

384 König 2007: 27


385 Vgl. König 2007: 27
386 Vgl. König 2007: 28
387 Vgl. Krainz 2011: 197-200

124
3.3.2.5. Geschlechterbedeutung in Gruppen und Hierarchie

Das Aufeinandertreffen von Männern und Frauen in unterschiedlichen Rollen ist vielfältig
geworden und scheint auf beiden Seiten immer wieder zu einer Verunsicherung zu
führen388. Forschungsergebnisse aus der Gruppendynamik im Rahmen von
Trainingsgruppen konnten bereits Interaktionsmuster identifizieren, die sich aus der
Beobachtung von homogenen und heterogenen Gruppen ableiten lassen. Männer bilden
„Gangs“ und fühlen sich schnell wohl in „ihrer“ Gruppe, sie leben den Konkurrenzgedanken:
Der Bessere siegt und erlangt auch die Alpha-Position, die nach funktionellen
Gesichtspunkten besetzt wird. Überdies üben Männer einen starken Konformitätsdruck
aus. Frauen hingegen fühlen sich in Frauengruppen nicht wohl, präferieren die bilaterale
Interaktion bis hin zur Dreierkonstellation. Bei Frauen geht es nicht um Konkurrenz, sondern
um Akzeptanz – ihr Ranking in der Gruppe zeigt sich durch Rivalität. Rivalität und
Konkurrenz sind voneinander zu unterscheiden. Frauen können der Gangbildung und dem
Konkurrenzgehabe mit einhergehender Sachlichkeit und Strukturiertheit weniger
abgewinnen und Männern wiederum widerstrebt die Bedürfnisorientierung und die damit
einhergehende fehlende Zielorientierung bzw. der Rivalitätsgedanke. Später sollte sich
herausstellen, dass Männer und Frauen sehr wohl Lernfelder identifizieren konnten, um ein
voneinander Lernen zuzulassen. So zum Beispiel, dass Männer mehr auf der Gefühls- und
Beziehungsebene wahrnehmen sollen und Frauen mehr die Funktionen in der Gruppe
wahrnehmen können, um zielorientierter und strukturierter zu werden.389

Das Mischen von Geschlechtern in Gruppen erhöht die Leistungsfähigkeit der Gruppe. Die
Umverteilung der Geschlechter ermöglicht, dass die identifizierten Nachteile von
homogenen Gruppen aufgehoben werden können und die Gruppe dadurch ihre Stärke
erfährt. Arbeitsgruppen, die sich von Trainingsgruppen durch ihre Zielsetzung
differenzieren, haben noch weitere Unterschiede vorzuweisen. Beispielsweise bringen sich
Frauen im Zuge von Diskussionen weniger ein, sobald der Mann sich als Experte gibt.
Wobei die Expertise weder bewiesen noch gerechtfertigt sein muss. Es ist die
Selbstgewissheit, mit der Männer ihren Redebeitrag leisten. Redet noch ein zweiter
männlicher Kollege mit, ziehen sich Frauen zurück. In der Umsetzung der Ziele hingegen
sind Frauen dann trotzdem aktiv und beteiligen sich intensiv. Die Sicherheit in der
Kommunikation scheinen Männer mit der Gabe des Abstrahierens zu erlangen. Sie
bevorzugen eine allgemeine zentrale Denkweise und erlangen damit einen höheren

388 Vgl. Heintel, Krainz 1997: 77


389 Vgl. Schwarz 2007: 228-231

125
Gewissheitsgrad und damit auch höheren Sicherheitsgrad in ihren Aussagen. Frauen
können das auch, allerdings bevorzugen Frauen konkrete Situationen und lehnen die Logik
und die damit verbundene Hierarchisierung ab bzw. sind im abstrakten Denken weniger
geübt. Sie leben ihre Stärken dann in der individuellen und konkreten Situation aus.390

Frauen bevorzugen das Netzwerk, denn ohne das Netzwerk von Müttern, Großmüttern und
Tanten wäre die Berufstätigkeit der Frauen nicht möglich gewesen. Frauen können sich
gegenseitig trösten, stützen und stellen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit her – es ist
sozusagen „kuschelig“. Es wird Nähe hergestellt und offen über Gefühle gesprochen. Es
wird über die Niederlage mehr gesprochen als über den Sieg, denn ein Sieg könnte die
böse Mutter oder die neidische Schwester wecken.391

Die Herausforderung ist die Logik der Hierarchie. Daher sehen manche Männer ein
„Eindringen“ der Frauen in Unternehmen als Gefahr für die Hierarchie und die darin
verfestigte Logik. Die Logik sieht die Überordnung der Männer und die Unterordnung der
Frauen vor – alles andere ist unlogisch. Frauen haben es in Führungspositionen, wenn sie
diese erreichen, schwer, da ihnen entweder Vermännlichung oder Sexualreize
zugeschrieben werden. Wo aber liegen tatsächlich die Probleme? Wo haben Frauen
Schwierigkeiten mit der männlichen Hierarchie und wo besteht ein Zugewinn?

Frauen denken in Beziehungen und Personen, Männer in Funktionen mit Über- und
Unterordnung. Schon im Kindesalter definieren Jungen eine Rangordnung und akzeptieren
diese, Mädchen konkurrieren auch untereinander, lassen daraus aber keine definitive
Rangordnung entstehen und entstandene Vorrechte werden hinterfragt, was negativ
konnotiert die „Stutenbissigkeit“ ausmacht und auch zu einer fehlenden Einheitlichkeit führt.
Wird die nicht festgefahrene Rangordnung positiv in den Alltag integriert, hat das genau
den Vorteil gegenüber Starrheit und ist für Gruppen ein Gewinn, erfordert aber ein anderes
logisches Denken.392

„Zu vielfältig sind beide Geschlechter und die Situationen der Begegnung geworden.
Und vieles wird über ihr gegenseitiges Verhältnis nach Umgebung, Zweck und
Aufgabe von ihnen selbst bestimmt und entschieden werden müssen.“393

Im Pflegeberuf finden sich zumeist weiblich-homogene Gruppen. Der Männeranteil hat sich
zwar erhöht, allerdings ist die Pflege nach wie vor weiblich dominiert. Die Mediziner waren
ebenso lange homogen im Geschlecht. Sie erfahren ebenfalls eine Durchmischung.

390 Vgl. Schwarz 2007: 231-235


391 Vgl. Schwarz 2007: 235-237
392 Vgl. Schwarz 2007: 238-241
393 Heintel, Krainz 1997: 77

126
Allerdings sind die Führungspositionen auch hier nach wie vor männlich dominiert. Die
Erkenntnisse aus homogenen Gruppen zeigen, dass es Sinn ergibt, die Gruppen in ihrer
Geschlechtlichkeit zu mischen. Daher stellt sich in diesem Kontext die Frage, wie es in der
Praxis aussieht. Wie ist die Verteilung, wie sind Führungsfunktionen besetzt und wie
gestalten sich Karrieren für Frauen?

Es gibt auch weitere Spannungsfelder, die im Zusammenhang mit Gruppen in


Organisationen präsent sind. Dem Thema Konflikte ist zwar ein ganzer Abschnitt im
theoretischen Teil gewidmet, gleichzeitig ist an dieser Stelle anzuführen, was Konflikte in
Gruppen bedeuten und wozu sie notwendig sind.

3.3.2.6. Spannungsfelder und Konflikte im gruppendynamischen Zusammenhang

Konflikte sollen als notwendiger Teil menschlicher Kommunikation hier nur kurz
angesprochen werden, da im Abschnitt 3.4. eine dementsprechend umfangreiche
Erörterung ausformuliert ist.

In den Sozialwissenschaften wird über Definitionen des Konfliktbegriffes beraten und


diskutiert. Allen gemein ist, dass es sich bei einem Konflikt um eine prozesshafte
Auseinandersetzung zwischen mindestens zwei Parteien handelt. Dabei stehen
Interessensdifferenzen in Bezug auf Werte, Ressourcen, Vorgangsweisen und
Überzeugungen im Vordergrund.394 Der Begriff des Konflikts haftet für die meisten
Menschen negativ an. Im Bereich der Gruppendynamik werden Konflikte aber prinzipiell als
Potential zur Weiterentwicklung wahrgenommen. Erger beschreibt sie beispielsweise als
Basis für Entwicklungen und hält fest, dass für ein Team Harmonie nicht brauchbar ist.
König und Schattenhofer bescheinigen Konflikten, dass sie die Gruppe zusammenhalten.
Martin formuliert überdies, dass Organisationen und Gruppen ohne Konflikte gar nicht erst
funktionieren könnten und Forgas bekräftigt, dass die volle Funktionsfähigkeit einer Gruppe
erst durch Konflikte erreicht werden kann. Was aber allen Meinungen zu Konflikten der
Autoren voran geht, ist die Voraussetzung, dass Spannungen in der Gruppe dann
gewinnbringend sind, wenn sie richtig bearbeitet werden395, damit sich ihr Potential entfalten
kann. Dazu zählen angemessene Konfliktlösungsstrategien sowie die Vermeidung von
reiner Unterdrückung.396 Denn oftmals entpuppt sich die vermeintliche Harmonie einer
Gruppe nach außen hin als bloße Konfliktunterdrückung oder –vermeidung397, was früher

394 Vgl. Martin 2017: 192


395 Vgl. Erger 2016: 110
396 Vgl. Forgas 1999: 266
397 Vgl. Martin 2017: 192

127
oder später zum Zerfall der Gruppe führen würde. Denn Konflikte bedrohen die Existenz
von Gruppen nur dann, wenn sie nicht offen und ehrlich angesprochen werden (können).
Daher sollte auch jedem einzelnen Mitglied seine Mitverantwortung bewusst sein und jeder
an der Lösung von Konflikten mitarbeiten.398 Die Angst vor Konflikten ist also
unbegründet399, da deren Entdeckung und Bearbeitung der potentiellen Existenzbedrohung
entgegenwirken400. Man kann die in ihnen „[…] angelegte Spannung so […] gestalten und
[…] nutzen, dass sie die Gruppe nicht blockiert.“401

Des Weiteren ist festzuhalten, dass es selbstverständlich nicht nur Konflikte innerhalb einer
Gruppe, sondern auch zwischen verschiedenen Gruppen gibt. Die Mitgliedschaft innerhalb
einer Gruppe stärkt das Selbstbewusstsein und führt zu einer Identifizierung. Dies gelingt
allerdings nur, wenn die Gruppe als etwas erlebt wird, das sich abgrenzt. Man schließt sich
ein und die anderen aus. Dies führt unweigerlich zu der Überschätzung der eigenen Gruppe
und fehlender Wertschätzung fremden Gruppen gegenüber. Diese Tendenzen spiegeln
sich auch in Vorurteilen und Diskriminierungen wider. Die Erklärung wird in der Verklärung
und Verzerrung der eigenen Gruppe und im natürlichen Bedürfnis, sich anderen gegenüber
möglichst differenziert und anders zu geben, vermutet. Daraus resultieren rivalisierende
Gruppen.402 Besonders spannungsgeladen wird diese Thematik, wenn ein Individuum
mehreren Gruppen angehört und es zu Loyalitätskonflikten kommt403.

Bei Betrachtung der Spannungsfelder fällt auf, dass Kommunikation eine tragende Rolle im
Konfliktmanagement spielt. Erger sieht im Konflikt ein eindeutiges Zeichen nicht
funktionierender Kommunikation innerhalb einer Gruppe oder Organisation.404 Wo
Menschen miteinander in Kontakt treten, kann und wird es immer zu Missverständnissen
und Problemen kommen – insbesondere, wenn man tagtäglich zusammenarbeitet. Wichtig
sind hier vor allem der Austausch und das rechtzeitige Kommunizieren. Ist dieser
Kommunikationsfluss behindert – aufgrund von Tabuisierung oder Verdrängung – kann es
zur Verlagerung der Auseinandersetzung kommen.405 Denn solange Konflikte nicht
kommunizierbar sind, brodelt es unter der Oberfläche. Spannungen verschwinden nicht

398 Vgl. Erger 2016: 110


399 Vgl. Erger 2016: 110
400 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 33
401 König, Schattenhofer 2011: 33
402 Vgl. Forgas 1999: 274-275
403 Vgl. König, Schattenhofer 2011: 36-37
404 Vgl. Erger 2016: 111
405 Vgl. Möller 2010: 77

128
einfach, viel eher ergeben sich neue Konfliktherde auf Nebenschauplätzen406 und
Arbeitskonflikte werden nicht mehr fachgerecht bearbeitet, sondern personalisiert und
schaukeln sich zu Beziehungskonflikten hoch407. Im Zuge dieser Verschiebung wird dann
nicht mehr das eigentliche Problem bearbeitet, sondern die Beziehung zum Gegenüber. In
den meisten Fällen stellt dies einen vorbewussten Vorgang dar, den die Betroffenen später
nicht mehr nachvollziehen können. Ein Sich-Bewusst-machen, dass es zu solchen
unsachgemäßen Prozessen kommen kann, ist präventiv für folgende Konflikte. Im
Kommunikationsablauf sollte auch darauf geachtet werden, dass man nicht in Versuchung
gerät, verbal Macht auszudrücken, denn Kommunikationsprozesse und Konfliktlösungen
sollten immer ohne Gewalt und Machtspiele ablaufen.408

3.3.3. Zusammenfassende Betrachtung


Schon der erste Abschnitt über die Grundlagen der Gruppendynamik zeigt, dass Menschen
stets Gruppen angehören und ein dynamisches Geschehen darin entsteht. Allerdings wird
die eigene Individualität zugunsten der Zugehörigkeit alsbald eingeschränkt, wenn sich
Menschen in Gruppen bewegen. Wenn sich Gruppen entwickeln, durchlaufen sie Phasen,
generieren Normen und Rollen. Gruppen und Organisationen haben bestimmte
Unverträglichkeiten und diese bedürfen im Rahmen der Kommunikation und Hierarchie
bestimmter Rücksichtnahme bzw. Beachtung. Doppelmitgliedschaften und fachlich-
orientierte Führungskräfte (mit weniger Fähigkeit zum analytischen Denken und fehlendem
Wissen bezüglich der Gruppendynamik) sind in Organisationen nach wie vor – und auch in
Krankenhäusern – präsent und erschweren das Führungsverhalten. Wirkung hat das auf
die Mitarbeiter und die Organisation. Es ergeben sich daher forschungsrelevante Fragen,
wie Kommunikation in der eigenen Gruppe (Ärzte und Pflegefachkräfte) und in anderen
Gruppen wahrgenommen wird. Welche Einflüsse WER auf WEN hat und wie eine
Organisation mit Konflikten umgeht bzw. wie präsent die Hierarchie empfunden wird. Da
die Gruppenzusammensetzung (z.B. nach dem Geschlechterverhältnis) andere Dynamiken
annimmt, soll aus praktischer Sichtweise geklärt werden, wie die Kommunikation zwischen
Männern und Frauen – ebenso innerhalb und zwischen Ärzten und Pflegefachkräften –
wahrgenommen wird.

Es kann festgehalten werden, dass Spannungen durch Reflexion und verbesserte


Kommunikation frühzeitig bearbeitet werden können und somit ihre Existenzbedrohung

406 Vgl. Erger 2016: 111


407 Vgl. Martin 2017: 193
408 Vgl. Möller 2010: 77-79

129
verlieren. Die vorher angeführten Gruppenfunktionen und die übergeordnete
Analysefunktion erleichtern die Führungsarbeit und Entscheidungsfindung.

Die Zeiten, in denen Gruppen ohne zusätzliches Wissen und Praxis geführt werden
konnten, sind obsolet. Es muss Voraussetzung sein, dass reflexiv, kritisch und mit
gesichertem Wissen an gruppendynamische Aufgaben herangetreten wird. Dies betrifft
besonders jene Gesetzmäßigkeiten, denen die Dynamik einer jeden Gruppe unterworfen
ist. Daher folgt an dieser Stelle noch ein theoretischer und kurzer Abriss der Sinnhaftigkeit
einer absolvierten Trainingsgruppe für die Berufsgruppen von Medizin und Pflege und
selbstverständlich auch für andere Berufsgruppen im Krankenhaus bzw. allgemein in
Organisationen.

Das Beziehungsgeflecht innerhalb einer Gruppe ist sehr flexibel. Jede Veränderung einer
Beziehung wirkt sich auf die restlichen Beziehungen in der Gruppe aus und beeinflusst
diese. In Trainingsgruppen wird die eigene Gruppenentwicklung thematisiert und zum
Subjekt gemacht. Da sich niemand in der Gruppe nicht verhalten kann, bleibt den
Mitgliedern der Trainingsgruppe nur die Möglichkeit, auf dieses Verhalten zu reagieren. In
Trainingsgruppen wird das Zurverfügungstellen von Sachthemen unterbunden, da es auf
diese Weise nicht möglich ist, sich hinter diesen zu verstecken. Zeitgleich wird dadurch eine
Situation hervorgerufen, in der es in hohem Maße Feedback gibt. Die Situationen im
Rahmen der Trainingsgruppe sind zum Teil emotional hoch aufgeladen. Das ist nicht zuletzt
darauf zurückzuführen, dass eine permanente Aufmerksamkeit und Reflexion bewusst
herbeigeführt wird. Zusätzlich erzeugt jene Tatsache Stress, dass sich jedes
Gruppenmitglied im unmittelbaren Fokus der allgemeinen Betrachtung befindet, was in den
meisten Fällen als unangenehm empfunden wird. Der Lerneffekt aus einer Trainingsgruppe
besteht aus mehr als nur dem mehrtägigen Beiwohnen des Gruppenprozesses, sondern es
vermittelt Selbstbeobachtung, Selbstbeschreibung und Selbstthematisierung, ohne die eine
Selbsterforschung nicht möglich wäre. Ohne eine Erforschung des eigenen Selbst kommt
es auch nicht zu einer Erkenntnis über sich selbst. Eine gelungene Selbsterkenntnis führt
zu Selbstbewusstsein und in der Folge zu Selbstbestimmung und Selbststeuerung. Daher
sind Reflexion, Reflexionsschleifen, Feedback und Widerspruchsbewältigung stets Thema
im Rahmen einer Trainingsgruppe. Man erarbeitet Fragen wie: Wie wirke ich auf andere in
der Gruppe? Wer bin ich in der Gruppe? Was kann ich in einer Gemeinschaft lernen?
Gemeinsam mit den anderen Gruppenmitgliedern gelingt oder misslingt es, die Gruppe als
System zu betrachten. Dabei kommen die sozial-kommunikativen Kompetenzen zum
Tragen, die weniger leicht zu erlernen sind als fachliche Qualifikationen.409

409 Vgl. Krainz 2006: 15-17

130
Konflikte

Konflikte treten überall und immer wieder auf. Sie sind vielfältig und komplex in ihrem
„Erscheinungsbild“. Für eine adäquate Lösung muss zwischen den verschiedenen Arten
von Konflikten unterschieden werden. Da Konflikte (mit Ausnahme von Ambivalenz- und
Entscheidungskonflikten) zwischen Personen und Gruppen stattfinden, können quantitative
(z.B. Paar-, Dreiecks- und/oder Gruppenkonflikt) und qualitative (z.B. Familien- und/oder
Organisationsbezug, formelle und informelle Beziehungen) Ordnungsmuster dargestellt
werden. Konflikte ereignen sich weitestgehend in Interaktionsmustern sprachlicher und
nicht-sprachlicher Natur. Daher ist es interessant zu ergründen, welche Personen in den
Konflikt involviert sind, welche Interessen die interagierenden Personen verfolgen und
welche Möglichkeiten des Einflusses diese haben. Erst danach ist es zweckmäßig, sich um
die Inhalte in einem Konflikt zu kümmern.410 Jeglichen Emotionalitäten wie Abwehr und
Angst zum Trotz sind Konflikte notwendig und sinnvoll.411

„Wenn es gelingt, die unmittelbar gängigen Reaktionsmuster zu durchbrechen,


den Konflikt selbst in Ursache, Herkunft und Erscheinungsform zum Gegenstand
von Analysen, Reflexion und Lösungsverfahren zu machen, wird der Sinn
evident.“412

Ein Blick auf den (Alltags-) Begriff „Konflikt“ zeigt, dass er für Prozesse sozialer und
psychischer Natur herangezogen wird. Geraten materielle Dinge in einen Konflikt –
beispielsweise zwei Autos – fällt das unter den Begriff „Unfall“. Im Bereich sozialer und
psychischer Systeme hängt der Konflikt mit der Kommunikation von Gedanken und
Gefühlen zusammen. Er kann als ein Kommunikationsprozess im Sinne eines sozialen
Prozesses oder als ein Denk- oder Fühlprozess im Sinne eines psychischen Prozesses
definiert werden. Wird im Rahmen dieser Prozesse eine Position (Wunsch,
Handlungsanweisung, Bewertung usw.) verneint und diese Verneinung ihrerseits wieder
verneint und diese Negierung weitergeführt, resultiert eine Unentschiedenheit, welche als
Konflikt bezeichnet wird.413

„Zur Störung der Kommunikation wachsen sich solche Bagatellvorfälle aus, wenn
auf ein Nein mit einem Gegennein geantwortet wird; denn das bringt die Versuchung

410 Vgl. Krainz 2005: 35-38


411 Vgl. Heintel 2005: 15
412 Heintel 2005: 15
413 Vgl. Simon 2012: 11

131
mit sich, beim Nein zu bleiben und das Nein auf beiden Seiten durch weitere
Kommunikation zu verstärken. In solchen Fällen wollen wir von einem Konflikt
sprechen.“414

Nicht jeder Konflikt wird bewusst geklärt, manchmal erlischt er, weil er irrelevant erscheint,
vergessen wird oder weil das Interesse verloren geht. Zu einem System wird ein sozialer
oder psychischer Konflikt dann, wenn er von anderen Prozessen unterschieden und
abgegrenzt werden kann. Denkt ein Individuum nicht an ein konfliktbesetztes Thema, tritt
es auch nicht ins Bewusstsein ein und es wird aktuell kein Konflikt erlebt. Das gilt auch für
die Kommunikation. Wird ein Streitpunkt nicht besprochen, findet keine
Konfliktkommunikation statt (das kann beispielsweise auch zur Tabuisierung führen). Es
kann demnach festgehalten werden, dass sowohl bei psychischen als auch bei sozialen
Konflikten die Aufmerksamkeit auf ein konfliktträchtiges Thema gerichtet werden muss. Zu
unterscheiden ist, dass bei psychischen Konflikten sozusagen „zwei in einer Person“ und
bei sozialen Konflikten zwei oder mehr Positionen aufeinandertreffen.415

Je nach Zugang definieren Autoren den Begriff „Konflikt“ ähnlich und doch unterschiedlich.
Daher werden hier die Definitionen nach Glasl und Schwarz angeführt. Sie erscheinen an
dieser Stelle als ausreichend. Insbesondere die Theorie von Schwarz ist von Bedeutung,
da er den gruppendynamischen Aspekt berücksichtigt und somit auch in Teilen mit dem
vorangestellten Abschnitt in Verbindung gebracht werden kann bzw. der
gruppendynamische Aspekt in vielen Teilabschnitten wieder hervorgehoben wird.

Glasl formuliert nach Bruno Rüttinger wie folgt:

„Soziale Konflikte sind Spannungssituationen, in denen zwei oder mehrere Parteien,


die voneinander abhängig sind, mit Nachdruck versuchen, scheinbare oder
tatsächlich unvermeidbare Handlungspläne zu verwirklichen und sich dabei ihrer
Gegnerschaft bewusst werden.“416

Er ergänzt anschließend, unter Berücksichtigung der Autoren Ken Thomas und Hugo Prein:

„Ein sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen,
Organisationen usw.), wobei wenigstens ein Faktor eine Differenz bzw.
Unvereinbarkeiten im Wahrnehmen und im Denken bzw. Vorstellen und im Fühlen
und im Wollen mit dem anderen Faktor (den anderen Aktoren) in der Art erlebt, dass

414 Luhmann 1993: 565


415 Vgl. Simon 2012: 11-13
416 Glasl 2013: 16

132
beim Verwirklichen dessen, was der Aktor fühlt oder will eine Beeinträchtigung durch
einen anderen Faktor (die anderen Aktoren) erfolge.“417

Schwarz hebt die Sinnhaftigkeit von Konflikten hervor:

„Der Sinn von Konflikten besteht darin, vorhandene Unterschiede zu verdeutlichen


und fruchtbar zu machen.“418

Doch um der Vielfalt des Konfliktbegriffs gerecht zu werden und das Bedürfnis des
Menschen hinsichtlich Kausalität zu befriedigen, reichen Definitionen nicht aus. Allerdings
ist es mit der Kausalität selbst ähnlich. Als Ursache für einen Konflikt ist Unterschiedlichstes
möglich. Daher geht Schwarz zur Erläuterung des Sinnes von Konflikten über419, der
insofern als plausibel erscheint, als dass die Stimmung nach einem ausgetragenen Konflikt
als geklärt und gereinigt empfunden wird. Wird im Konflikt nach der Sinnhaftigkeit gesucht,
muss die Gewohnheit, das übliche logische Denken in Betracht zu ziehen, im Denkansatz
verlassen und der Fokus auf die Widersprüche gelegt werden. Es gilt Unterschiede zu
verdeutlichen und diese im Anschluss fruchtbar für Neues zu machen. Dazu werden Fragen
nach dem Unterschied, der Zuständigkeit und Überlegenheit laut.420

Die Arbeitsteilung, die Merkmal von und in Organisationen ist, macht Unterschiede
sichtbar. Konkurrenz wird dadurch gewissermaßen eine Notwendigkeit, die auch zeigt, wer
für was geeignet ist. Beigeschmäcker sind Neid und Eifersucht – sie vergiften das Klima
und die Kooperationsfähigkeit geht verloren. Andererseits wird das Sichtbarmachen von
Unterschieden vermieden, weil dadurch Unruhe entsteht und sie zu Lasten der
Einheitlichkeit gehen. Neben unterschiedlichen Leistungen und Fähigkeiten werden auch
unterschiedliche Meinungen kaum offengelegt, um die Einheitlichkeit zu bewahren.421

Das von Harmoniedenken gelenkte Unterdrücken von Konflikten führt eher zu einer
sogenannten „Friedhofsruhe“ als zu echter Harmonie422. Schulz von Thun spricht in diesem
Zusammenhang auch von „Friedhöflichkeit“. Jeder Wert braucht ein ausgewogenes
Spannungsverhältnis bzw. eine Balance zur „Schwestertugend“. Ist das nicht der Fall,
kommt es zur Übertreibung eines Wertes. Der obere Bereich – in der Abbildung „Liebe“ und
„Kampf“ – stellt den „dialektischen Gegensatz“ dar. In den Diagonalen „Liebe/feindselige
Zerfleischung“ und „Friedhöflichkeit/Kampf“ sind Wert und Unwert gegenübergestellt. Die

417 Glasl 2013: 17


418 Vgl. Schwarz 2014: 16
419 Vgl. Schwarz 2014: 15
420 Schwarz 2014: 16
421 Vgl. Schwarz 2014: 17-19
422 Vgl. Schwarz 2014: 19

133
senkrechten Linien „Kampf/feindselige Zerfleischung“ und „Liebe/Friedhöflichkeit“ stellen
die zum Wert gehörige Übertreibung dar. Die Linie zwischen den Unwerten
„Friedhöflichkeit“ und „feindselige Zerfleischung“ zeigt ein Kontinuum, welches entsteht,
wenn die Kraft fehlt, sich auf die höhere Linie zu begeben. Es handelt sich dabei um eine
Art der „Überkompensation“ (Flucht von einem persönlichen Mangel in den nächsten also
von einem Unwert in den anderen Unwert). Es gilt somit ein lebenslänglicher Auftrag, die
„dialektische Gegensätzlichkeit“ in ein Gleichgewicht zu bringen423, sowohl auf individueller
als auch organisatorischer Ebene.

Abbildung 9 Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun424

Um Entscheidungen sinnvoll treffen zu können, bedarf es dem Offenlegen von


Unterschieden. So kann auf die Realität am ehesten Bezug genommen werden.
Unterschiede müssen rechtzeitig angesprochen werden und nicht erst in
Entscheidungsphasen. Wenn Konflikte zu spät sichtbar gemacht werden, treten sie
möglicherweise im Zusammentreffen mit Dritten hervor425 – im Krankenhaus sind es
Kollegen, Patienten und/oder Angehörige.

Jede Abweichung der Gruppennorm gefährdet den Standard der Gruppe. Es entstehen
Unsicherheiten und diese können die Handlungsfähigkeit von Menschen stark
beeinträchtigen. Um die Sicherheit wiederherstellen zu können, sind es paradoxerweise
gerade Konflikte, die nach Bewältigung wieder zu Einheitlichkeit führen. Das Überwinden

423 Vgl. Schulz von Thun 2014b: 51-55


424 in Anlehnung an Schulz von Thun 2014b: 54
425 Vgl. Schwarz 2014: 19-20

134
von Unterschieden führt Gruppen wieder zueinander. Konflikte haben demnach eine
„einheitsstiftende Funktion“. Das fordert eine sogenannte Konflikttoleranz426 bzw. nach
Glasl eine Konfliktfähigkeit und eine daraus resultierende Konfliktfestigkeit. Konfliktfähigkeit
bedeutet eine frühe und deutliche Wahrnehmung, wenn sich Konflikte anbahnen und das
Wissen über Methodik mit dem Zusatz, die Grenzen des eigenen Wissens und Könnens zu
reflektieren, damit Lösungswege erkennbar werden, wenn Konflikte bereits vorhanden
sind.427

Der Konflikt als Widerspruch zeigt, dass es notwendig ist, zwischen Unterschieden und
Einheitlichkeit eine Balance herzustellen bzw. Schwerpunkte im Rahmen von
Gegensätzlichkeit zu finden. Es gibt nach Schwarz vier Aspekte, die den Sinn von
Konflikten unterstreichen und Entwicklung zulassen.

(1) Komplexität: Durch Konflikte wird die „[…] Vielfalt und Verschiedenheit von Ansichten
und Sachverhalten […]“428 erst sichtbar gemacht und kann unter anderem erst dann eine
Berücksichtigung finden. Durch das Äußern einzelner Aspekte und die Offenlegung der
eigenen Bedürfnisse kommt es zu einer Differenzierung. Erst dadurch entsteht die
Möglichkeit, diese zu berücksichtigen. (2) Die Garantie für Gemeinsamkeit: Die Vielfalt an
Interessen und Meinungen kann in Konflikten stören. So müssen sich besondere Interessen
und Ziele den allgemeinen Interessen und Zielen unterordnen. Dabei stehen Individualität
und Allgemeines im stetigen Widerspruch. Es geht darum, das Wesentliche hervortreten zu
lassen. Insgesamt entstehen durch die Widersprüchlichkeit Risiken, die durch das
Vernachlässigen der individuellen Bedürfnisse und Aspekte der Einzelpersonen zum
Vertrauensbruch und der zu intensive Fokus auf Individualität zu Unübersichtlichkeit und
Unvereinbarkeit führen. (3) Die Veränderung: Weiterentwicklung ist nur möglich, wenn es
zu Spannungen kommt und das Herkömmliche ausgedient hat, um dann etwas Neues
anzustreben. Spannungen nicht aufzuarbeiten, würde in jedem Fall einen Stillstand
bedeuten, der dem „geistigen Tod“ gleichkommt. Diese Prinzipien gelten auch für
Organisationen. So lösen Neuerungen oder sich widersprechende Tatsachen notwendige
Konflikte in Unternehmen aus, die später zur Weiterentwicklung beitragen.429 (4) Der Erhalt
des Bestehenden: Der anders Denkende erfährt Abwehr bis hin zur Aggressivität und gilt
als der „Sündenbock“.430

426 Vgl. Schwarz 2014: 20-22


427 Vgl. Glasl 2015: 9-10
428 Schwarz 2014: 24
429 Vgl. Schwarz 2014: 24-27
430 Vgl. Schwarz 2014: 32-33

135
Es ist davon auszugehen, dass nur bewältigte Konflikte zu neuen
Kommunikationsstrukturen führen können, indem die ursprünglichen Standpunkte
offengelegt und zu einer Einheit zusammengeführt werden, sodass sie später wieder im
Gesamtsystem zu finden sind431.

3.4.1. Kommunikation und Emotionen in Konflikten


„Ein Konflikt ist nichts Statisches, kein Ist-Zustand, sondern ein Verlaufsgeschehen
mit einer Eigendynamik und einer Eigenlogik.“432

Jeder Konflikt zeichnet sich durch eine sachliche, emotionale und soziale bzw. strukturelle
Ebene aus (siehe Abbildung 10). Die soziale bzw. strukturelle Ebene bildet den Untergrund
der beiden anderen Ebenen und wird insofern bemerkbar, da jeder Akteur eine soziale
Stellung im Gefüge hat. Er bringt Prägungen mit, die er ererbt oder erlernt hat. Die
Interessen von Personen sind oft von den Interessen ihrer Zugehörigkeitsgruppen abhängig
und unterscheiden sich daher auch emotional von den persönlichen Interessen. Daher ist
es in einem weiteren Schritt notwendig, den Konflikt von der strukturellen Ebene her zu
betrachten.433

„Diese drei Dimensionen müssen wegen ihrer Verflochtenheit und


Unterschiedlichkeit einerseits auseinandergehalten werden, andererseits aber auch
verbunden werden.“434

rationale Ebene

emotionale Ebene

strukturelle oder soziale Ebene

Abbildung 10 Drei Ebenen der Kommunikation – rational-emotional-sozial435

431 Vgl. Schwarz 2014: 33-34


432 Krainz 1998: 309
433 Vgl. Schwarz 2014: 52-53
434 Schwarz 2014: 52
435 in Anlehnung an Schwarz 2014: 53 (Einzelbildnachweis: fotolia.com)

136
3.4.1.1. Rationalität vs. Emotionalität

Im affektiven Bereich entstehen durch die zunehmende Komplexität Gefühle von


Hilflosigkeit, Angst und/oder Wut. Diese Flut an Emotionen führt in der Folge zu Panik bis
hin zum Kontrollverlust. Physiologisch stellt das für den Körper „ein Problem höchster
Aktualität“ dar. Die „emotionale Überflutung“ drängt zu einer sofortigen Handlung, die
vorrangig die Komplexität mindert, aber nicht zwangsläufig das Problem löst. Es werden
maximal Scheinlösungen herbeigeführt. Sie sind Lösungen für die Minderung der affektiven
Aufladung.436 Deshalb betont auch Glasl, Konflikte frühzeitig zu bearbeiten, statt sie zu
vermeiden. Grund für die Forderung nach rechtzeitiger Bearbeitung ist nicht zuletzt auch,
dass Verschleppung zustande kommt. Kurzfristige Erleichterungen oder Scheinlösungen
führen nicht zur Problemlösung, sondern zu Verschleppung und Überlagerung. Selbst wenn
der Kollege, mit dem es immer Streit gab, eine Gruppe/Organisation verlässt, besteht die
Gefahr, dass an gleicher Position, nur mit unterschiedlicher Besetzung, der Konflikt wieder
auftritt.437 Glasl spricht im Gefühlsleben von einer Überempfindlichkeit bis hin zur
Verletzlichkeit, die Menschen höchst sensibel für die Zwischentöne in der Kommunikation
machen438 und er betont eine Fremdsteuerung durch fehlende Selbstwahrnehmung439.

Inhalte werden auf sachlicher Ebene schnell und leicht aufgenommen und gleichzeitig
schnell und leicht wieder vergessen. Die Merkfähigkeit steigt, je emotionaler besetzt das
Thema ist und unterliegt den „biologischen Gesetzen der Sättigung“. So verhält es sich
auch mit sachlichen Argumenten, die in einer emotional aufgeladenen Situation nicht
aufgenommen werden können. Auf der rationalen Ebene wird stets nach Ursachen gesucht
und diese danach in einen Zusammenhang gebracht. Es handelt sich dabei im Rahmen der
Wissenschaft um die „causa efficiens“ – die Wirkursache. So werden im rationalen Bereich
als Ursache Systeme oder Strukturen verantwortlich gemacht, im emotionalen Bereich sind
es Personen und die Frage danach, wer der Schuldige ist. In sozialen Gebilden sind daher
oft Führungsduale erkennbar, denen auch die Schuld gegeben werden kann, insbesondere
dann, wenn in Gruppen das oft erkennbare Führungsdual „der Beliebteste“ und „der
Tüchtigste“ Konflikte haben. Von den Germanen (Tacitus) überliefert, ist es vorteilhaft,
Entscheidungen zweimal zu besprechen, um den rationalen und emotionalen Aspekt zu
vereinen. Zudem umfasst die rationale Ebene die Unterscheidung zwischen richtig und
falsch. Unterschiedliche und einander widersprechende Aussagen können nicht gleichzeitig

436 Vgl. Schwarz 2014: 57-58


437 Vgl. Glasl 2010: 16
438 Vgl. Glasl 2010: 39-40
439 Vgl. Glasl 2010: 27

137
richtig sein. Auf emotionaler Ebene ist dies durchaus möglich. Rational erfolgt die
Weiterverarbeitung von Situationen mit dem Verstand, über logische und lineare
Gedankengänge und Erklärungsversuche. Auf der emotionalen Ebene kommt es zur
emotionalen Ansteckung und sogenannten „aufschaukelnden Rückkoppelungseffekten“.
Die linearen Gedankengänge werden verdrängt und ab einem bestimmten emotionalen
Grad treten stammesgeschichtliche Muster hervor. Dabei geht es um Kampf, Territorien
und den Stärkeren. Heute muss der Schwächere nicht mehr getötet werden und es wurden
Methoden entwickelt, um die „Aufschauklungssysteme“ zu überwinden.
Normabweichungen auf Sachebene führen eher zu einer „lustvollen Neugierde“ und einer
daraus folgenden Hypothesenbildung im Stile von: „Wenn das eintritt, passiert…“ Im
emotionalen Bereich erzeugen Normabweichungen Stress, Angst, Unbehagen, Irritation
und die „Angst vor Neuem“. Auf der rationalen Ebene kann die Komplexität in Teilaspekte
gegliedert werden. Folge dessen können für diese bestimmte Gesetzmäßigkeiten
entwickelt werden. Auf der emotionalen Ebene gilt der ganzheitliche Aspekt. Damit wird
alles miteinander in Verbindung und in einen Zusammenhang gebracht. Das Sprichwort
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, selbst wenn er auch die Wahrheit spricht“ bildet
den Ansatz der Ganzheitlichkeit ab. Während sich auf rationaler Ebene die Sachverhalte in
der Regel quantifizieren lassen, so zählt auf emotionaler Ebene die Qualität. Die
Unterschiedlichkeiten werden als besser oder schlechter bewertet. Um die Qualität von
Situationen zu erfahren, lassen sich emotionale Zustände gut in Bildern beschreiben.440

Um auch im emotionalen Bereich Konfliktfähigkeit zu erlangen, sind die Tendenzen von


Sympathie und Antipathie zu trennen und die aufkommenden Monovalenzen in Poly- oder
Ambivalenzen umzuwandeln. Das heißt, ein und derselben Person negative und positive
Gefühle entgegenzubringen. Es gilt die Polaritäten auszuhalten, die in Frieden bzw.
Freundschaft durchaus als bereichernd angesehen werden, nur im Konflikt schlägt die
Bereicherung ins Negative um und das vormals Bereichernde wird unangenehm. Folgen
sind Verdrängung, Verleugnung, Verschiebung, Isolation und Rationalisierung von
Gefühlen. Daraus entstehen Abkapselung und Abspaltung und in Konfliktsituationen nimmt
die Urteilsfähigkeit erheblich ab und endet mit zunehmender Eskalation in der Regression
(kindliches Verhalten). Es gilt die Dynamiken zu unterbrechen und sich dieser bewusst zu
werden.441

440 Vgl. Schwarz 2014: 58-64


441 Vgl. Glasl 2010: 40-41; 45

138
3.4.1.2. Modell der doppelten Wahrheit

Die Unterscheidung zwischen rational und emotional-sozial ist für die Praxis entscheidend,
wenn Konflikte bewältigt werden sollen. Schwarz beschreibt das Bild eines Streitwagens
mit zwei Pferden von Platon, wovon eines hinauf- und eines hinunterzieht. Diese bildliche
Darstellung zeigt, dass es zwei Arten von Problemen gibt (siehe Abbildung 11). Einerseits,
wenn aufgrund einer bereits feststehenden Wahrheit Entscheidungen getroffen werden –
das rationale Pferd. Andererseits entsteht die Wahrheit erst durch die Entscheidung und
unterliegt mitunter einem Reifungs- und Entscheidungsprozess – das emotional-soziale
Pferd. Beiden Arten von Problemen liegen eigene Logiken zu Grunde, die im Rahmen der
Konfliktlösung nicht zu verwechseln sind. Aus konflikttheoretischer Sicht handelt es sich
beim ersten Typus um Pannen im System, die durch bestimmte Maßnahmen geregelt
werden können. Für Beteiligte stellen sich Pannen wie ein Konflikt dar, obwohl sie „[…]
formal-juristisch entscheidbar sind.“442 Diese emotional-sozialen Konflikte sind „[…] sinnvoll
und müssen gepflegt werden, denn sie erweitern den Handlungsspielraum, verändern
Festgelegtes, das sich nicht mehr bewährt.“443 Schwarz beschreibt die platon‘schen
Gedanken als deduktive Herangehensweise mit „logike techne“ und bezeichnet den
anderen Bereich, in dem es durch eine Auseinandersetzung mit dem Thema zu einer
Wahrheit kommt, als „dialektike techne“. Für die Praxis einer Konfliktbewältigung stellt sich
daher eine zentrale Frage: Wo wird das Grundproblem verortet? Gehört es in den oberen
Bereich, kann nach Regeln und Gesetzen gesucht und entsprechend derer eine
Entscheidung getroffen werden? Oder gehört es in den unteren Bereich, wo eine voreilige
Entscheidung nicht gewinnbringend ist. Es muss ein Lernprozess initiiert und gesteuert
werden.444

Abbildung 11 Wahrheit – oberes und unteres Pferd445

442 Schwarz 2014: 66


443 Schwarz 2014: 66
444 Vgl. Schwarz 2014: 65-68
445 in Anlehnung an Schwarz 2014: 68

139
Die Trennung in oberen und unteren Bereich erscheint sinnvoll, da der Weg zur Wahrheit,
wie auch in Abbildung 11 angedeutet, in den oberen Bereich kein geradliniger ist. Es ist ein
mitunter lang andauernder Lern- und Entwicklungsprozess. Konflikte des oberen Bereichs
werden, wenn sich zum Beispiel eine Regel nicht mehr bewährt, dem unteren Bereich
zugeführt, um dann erst wieder in den oberen Bereich zu gelangen und zu einer
Norm/Regel zu werden. Im Alltag zeigt sich, dass große Veränderungen und damit
einhergehende Konflikte dem unteren Bereich zugeordnet und in Zeiten der Stabilität als
Pannen dem oberen Bereich zugeschrieben werden können, da sie mit Logik und Wahrheit
bewältigt werden können. Die große Gefahr besteht darin, dass Entscheidungsträger,
insbesondere in hierarchischen Systemen, die Brille des oberen Bereichs tragen und
Konflikte, die dem unteren Bereich zugeordnet gehören, als unlogisch und daher falsch
ansehen. Damit ordnen sie Konflikte des unteren Bereichs dem oberen Bereich zu. Falsche
Entscheidungen sind demnach die Folge.446

„Würde man in einer konfliktträchtigen Diskussion ein Tonband […] mitlaufen


lassen, könnte man an vielen Stellen […] eine Differenz von dem, was einer sagt,
und dem, was einer meint, und […] was dann tatsächlich ankommt, feststellen.“447

3.4.1.3. Besonderheiten in Konflikten


Bezugnehmend auf das vorherige Zitat werden nun grundlegende Besonderheiten
angeführt, die in Konflikten zur Geltung kommen und folglich im Anschluss eine Rolle in
Eskalation oder Lösung beinhalten.

Gesagtes und Gemeintes!

Menschen sind in Konflikten erst dann in der Lage, bestimmte Sequenzen zu erkennen,
wenn ihnen das Gesprochene in irgendeiner Form gespiegelt (Tonband, Beobachtung,
Video) wird. So kann beispielsweise erkannt werden, wenn in Gruppen eine Person immer
wieder derselben Person widerspricht. Würde den beiden das vorgespielt werden, könnten
sie in der Regel die Differenzen zwischen Gesagtem und Gemeintem bis hin zum
Angekommenen erkennen. Klassische Aussagen sind Sätze mit „aber“ z.B. „Ich möchte ja
nicht widersprechen, aber …“448 „Aber“ ist eine nebenordnende Konjunktion. Sie relativiert
den vorangegangenen Halbsatz.449 Das „aber“ führt in der Kommunikation zu Irritation und

446 Vgl. Schwarz 2014: 68-71


447 Schwarz 2014: 75
448 Vgl. Schwarz 2014: 75-76
449 Vgl. Stockert, von 2012: 66

140
Verwirrung, da zwei Gedanken miteinander in Verbindung gebracht werden (müssen), um
sie zu verstehen.450

Verschwiegenes

Das Ausmaß und die Wirkung eines Konfliktes sind nicht immer sofort erkennbar. Dann gilt
es herauszufinden, über was nicht gesprochen wird, wer vor wem etwas verschweigt. Der
Wirkungsradius ist oft größer, als er nach außen hin erscheint. So zu tun, als wäre nichts,
wird von vielen Konfliktbeteiligten sehr lange als Fassade aufrechterhalten. Wollen Konflikte
analysiert werden, ist es notwendig, die subjektiven Befindlichkeiten zu analysieren, damit
das Kernproblem erkannt werden kann. Unter der Berücksichtigung der emotionalen
Ebene, der Interessen der Beteiligten in Verbindung mit der rationalen und
organisatorischen Ebene wird Verschwiegenes hervorgebracht und der Lösungsprozess
vorangetrieben.451

Die Konfliktgeschichte

Konflikte haben ihre eigene Geschichte. Gegebenenfalls sind sie in der Vergangenheit
bereits unter einem anderen Namen aufgetreten. Auf organisatorischer Ebene gibt es oft
Veränderungen, mit denen versucht wird, historisch gewachsene Strukturen
aufrechtzuerhalten. Später sind die Gründe dann oft unklar. Das Erkennen „alter
Geschichten“ kann in der Konfliktanalyse und im Lösungsverfahren für die Beteiligten
erleichternd wirken, da sie verstehen, dass sie als Person nur bestimmte Stellen
einnehmen, die konfliktbehaftet sind. Damit wird ihnen die belastende Schuld genommen
bzw. können sie den Konflikt verstehen und akzeptieren.452

Die Konfliktlandschaft

Um zum Kern des Konfliktes zu gelangen, brauchen Situationen eine Beruhigung.


Vergleichbar mit der Symptombehandlung eines Arztes bei einer Erkrankung. Symptome
sind unterschiedliche Erscheinungen, die ein Konflikt mit sich bringt. Nachdem die
Symptome behandelt worden sind, wird es zu einer Notwendigkeit, den Kern des Konfliktes
zu erkennen. Sind mehrere Personen in und an Konflikten beteiligt, kann das Erstellen einer
Konfliktlandschaft hilfreich sein. Dabei geht es um die Interessen, die die Konfliktbeteiligten
mitbringen. Zum Beispiel ein Streit um die Gartenarbeit. Die beteiligten Personen haben
unterschiedliche Interessen in Bezug auf eine Strukturveränderung in der Familie: die neu

450 Vgl. Satir 2014b: 80; 84


451 Vgl. Schwarz 2014: 77-79
452 Vgl. Schwarz 2014: 79-82

141
begonnene Berufstätigkeit der Mutter, der müde und beruflich ausgelastete Vater, der
alternde Großvater und der lustlose Sohn, der grundsätzlich Zeit für die Gartenarbeit hätte.
Diese Konstellation bildet den Kern des Konfliktes, der Streit um die unerledigte
Gartenarbeit ist lediglich ein Symptom.453

Das Seelenkonto

Aufgestaute Frustrationen führen zu einem belasteten „Seelenkonto“. Asymmetrien in den


Machtverhältnissen führen dazu, dass Ungerechtigkeiten empfunden (dies aber aufgrund
der Machtverhältnisse nicht artikuliert) wird. Aufgestaute Gefühle wie Frustration werden
auf einem „Seelenkonto“ abgespeichert. Irgendwann kommt der „Zahltag“ (beispielsweise,
wenn Zusammenhalt gefordert ist). In Konfliktklärungssituationen kann es daher sein, dass
alte Streitpunkte, die auf das Seelenkonto eingezahlt wurden, als Zahltag verstanden
werden. Bei denen, die den Konflikt lösen wollen, stellt sich dann die Frage, wie das in
einem Zusammenhang mit dem aktuellen Konflikt steht. Dem gegenüber steht, dass
aufgearbeitete Konflikte im Regelfall nicht mehr aufgenommen werden. Regelmäßige
Sitzungen in Organisationen, auch hierarchieübergreifend, sind daher vorteilhaft, um ein
angestautes und aufgefülltes „Seelenkonto“ zu vermeiden.454

Nach der Betrachtung der rationalen sowie emotionalen Ebenen und deren Auswirkungen
erfolgt eine Beschreibung der Konflikte nach ihrer Morphologie. Konflikte reichen vom
Individuum bis hin zum Systemkonflikt. Je nach Morphologie gilt auch hier:

„Die Verflechtung von rationalen, emotionalen und sozial gesteuerten Elementen


erzeugt eine große Komplexität unserer Kommunikationsprozesse […].“455

3.4.2. Konfliktmorphologie
Die genaue Identifizierung eines Konfliktes ist insofern sinnvoll, als dass auch die Lösung
durch die Konfliktanalyse und -diagnose beeinflusst wird. Im Fokus steht unter anderem die
Typisierung von Konflikten, die vor allem den Konfliktursprung einbezieht.456

Vorweg kann auch eine Unterscheidung im gezeigten Verhaltensstil zwischen den


Konfliktparteien angeführt werden. Es handelt sich hierbei um heiße und kalte Konflikte.
Beteiligte eines heißen Konflikts zeichnet Begeisterung, Feuer und der Wunsch nach
Durchsetzung ihrer Ideale aus. Dies führt unweigerlich zu einer Idealisierung der eigenen

453 Vgl. Schwarz 2014: 86-88


454 Vgl. Schwarz 2014: 83-86
455 Schwarz 2014: 64
456 Vgl. Schwarz 2014: 95-97

142
Motive (und zugleich zur Herabsetzung jener des Gegners). Überdies tendieren heiße
Konflikte zu Überreizung und Aktionismus. Damit erhöht sich die Risikobereitschaft
innerhalb der eigenen Gruppe und das Streben nach Ausweitung (Anhänger gewinnen,
Gebiet vergrößern, andere von der eigenen Meinung überzeugen). Der heiße Konflikt
äußert sich demnach heftig, direkt und auf dramatische Weise. Gegenteiliges zeichnet
einen kalten Konflikt aus, dessen Konfliktlandschaft geprägt von Frustration, Enttäuschung
und Desillusionierung ist. So kommt es im kalten Konflikt zu Starre, Bewegungslosigkeit
und stockender Kommunikation. Ängste und große Teile der Verantwortung werden auf die
Umwelt geschoben, Betroffene fühlen sich nur noch als Opfer, Passivität prägt das Klima,
Beziehungen und Kommunikation werden „auf Eis gelegt“ und hierfür
Vermeidungsstrategien entwickelt. Das Gefühl der Machtlosigkeit und die soziale Erosion
(Verkümmerung von Beziehungen und Kommunikation) treiben die Parteien zu einer
Implosion statt einer Explosion, wie es beim heißen Konflikt der Fall ist. Beteiligte eines
kalten Konflikts brauchen Hilfe dabei, diesen anzusprechen oder zuzugeben, dass es
überhaupt einen Konflikt gibt, während in einem heißen Konflikt der übertriebenen
Personifizierung der Spannungen entgegengewirkt werden muss.457

Führt man nun über in die Morphologie, können Konflikte nach der Anzahl der beteiligten
Personen und systemimmanenten Ebenen eingeteilt werden. Verschiedene
Einteilungsschemata überschneiden sich und so zeigen sich in einer Organisation
komplexe Konfliktsituationen, die sich nicht (eindeutig) einordnen lassen, weshalb das
angeführte Kategorisierungsschema keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat. Es existieren
auch weitere Systemisierungen anderer Konfliktforscher, die aus unterschiedlichen
wissenschaftlichen Disziplinen stammen. Das Ordnungssystem, mit dem Hintergrund der
Gruppendynamik der Autoren Schwarz und Krainz, erscheint hierfür als sinnvoll in Bezug
auf das Forschungsvorhaben. Dem Leser sei aber an dieser Stelle mitgeteilt, dass es
unterschiedliche Systematisierungsversuche gibt, die hier wissentlich für die
Ausformulierung in diesem Abschnitt ausgespart wurden, allerdings in der theoretischen
Recherche nicht unberücksichtigt geblieben sind.

3.4.2.1. Konflikte im Individuum

Hinsichtlich Bindung und Abgrenzung hat jeder Mensch eigene Bedürfnisse und trotzdem
muss er sich mit seiner Umwelt auseinandersetzen. Ergeben sich interpersonelle Konflikte,
muss jedoch die Frage gestellt werden, ob es wirklich eigene Persönlichkeitsanteile sind,
gegen die man kämpft, oder ob es sich nicht viel eher um eine Wirkung von außen handelt.

457 Vgl. Glasl 2013: 77-90

143
Die Identitätsfindung, die Positionierung in der Welt, ist deshalb Ursprung vieler Konflikte,
weil jeder Mensch sich mit der Gesellschaft auseinandersetzen muss, da er auch nicht als
Individuum geboren wurde, daher gilt viel mehr, dass man nicht Individuum ist, sondern
Individuum wird und es mehr oder weniger ein ständiges Unterfangen von Abgrenzung und
Bindung ist.458 Steiger und Lippmann legen die Sicht auf Individuumskonflikte so, dass nicht
nur das Erleben und Eingehen von Interaktionen maßgebend für die eigene Persönlichkeit
sind, sondern im Besonderen das Erleben und Verarbeiten von Konflikten. Sie geben neben
den Grundkonflikten (Leben und Tod, Individuum und Gruppe, Annahme und Ablehnung,
Jung und Alt und männliches und weibliches Prinzip) nach Schwarz auch noch Appetenz-
und Aversionskonflikte auf Ebene des Individuums an. Außerdem sprechen sie von
innerpsychischen Konflikten, die durch Begriffe wie „Inneres Team“, „Innere Pluralität“ oder
„Seelen in der Brust“ umschrieben werden können. Damit ist aber keine krankhafte
Manifestation von multiplen Persönlichkeiten gemeint, sondern dass man mit sich selbst in
Beratung tritt.459 Nach Krainz steht hier ein Ich-Teil dem anderen Ich-Teil gegenüber. Doch
das sind keine Fragmente der Individualität, sondern „[…] systemische Verlängerungen der
Außenwelt im Inneren der Person.“460 Konflikte in einem Individuum entstehen letztendlich
durch Doppelmitgliedschaften und Mehrfachzugehörigkeiten. Spürbar werden die Konflikte
zumeist dann, wenn es um die eigene Positionierung in der Umwelt geht und eine
individuelle Bearbeitung erforderlich wird. Andere zu ändern, ist ein mehr oder weniger
auswegloses Unterfangen, aber jeder kann auf sich selbst Einfluss nehmen und in
Organisationen ist es möglich, sich entweder von Mitgliedern zu trennen oder selbst zu
entscheiden, die Organisation zu verlassen.461

3.4.2.2. Paarkonflikte

Unter einem Paar versteht Schwarz jegliche Zweierkonstellation (beruflich oder privat), die
ähnliche Konfliktmuster hat wie das klassische Paar. Die Paarbeziehung hat jedes
Individuum in der Mutter-Kind-Symbiose erlebt. Damit ist die Paarbeziehung ursprünglicher
als die Individualität.462 Krainz formuliert für die Ebene der Paarbeziehung eine am
Lebensanfang stehende „symbiotische Dualunion“, die weder zur Gänze ein Individuum
noch eine Zweierbeziehung darstellt. Es beginnt eine ständige dialektische
Widersprüchlichkeit zwischen Individuation und Bindungstendenzen.463 Aufgrund der

458 Vgl. Krainz 2005: 39-41


459 Vgl. Steiger, Lippmann 2013: 320-321
460 Krainz 2005: 40
461 Vgl. Krainz 2005: 40-41
462 Vgl. Schwarz 2014: 132
463 Vgl. Krainz 2005: 41

144
komplexen Entwicklung werden daher bei sozialen Konflikten der Paarbeziehung weitere
Unterteilungen vorgenommen, die für Lösungsansätze bedeutsam sind, da es sich hier um
einen Grundkonflikt zwischen bereits genannter Individualität und Paarbeziehung
(Bindungstendenzen) handelt. Beginnend mit „Identitätskonflikt“ (Identität – Symbiose).
Beharrt eine Person zu sehr auf der Identität oder Symbiose, wird es früher oder später zu
einer Beeinträchtigung der Beziehung kommen. Das bedeutet, dass das Aufgeben der
Identität eine Paarbeziehung genauso zerstört wie das Beharren auf der eigenen Identität.
Eine weitere Konfliktart in sozialen Konflikten ist der „Distanzkonflikt“. Menschen haben
unterschiedliche Nähe-Distanz-Bedürfnisse. Stimmen die Nähe- und Distanzwünsche zu
einem bestimmten Zeitpunkt oder in einer Situation nicht überein, entstehen Konflikte.
Sogenannte „Hauskarrieren“ sind mit dieser Problematik verbunden, wenn beispielsweise
ein Mitarbeiter zum Vorgesetzten aufsteigt. Plötzlich wird aus dem Kollegen ein
Vorgesetzter, der eine bestimmte Distanz wahren will; gleichzeitig vermisst der ehemalige
Kollege die vormalige Nähe. Die dritte Unterscheidung sind „Entwicklungskonflikte“
(Richtung – Tempo). Sie entstehen, wenn in Zweierbeziehungen eine unterschiedliche
Entwicklungsrichtung bzw. ein differentes Entwicklungstempo vorliegt. Beide Personen
haben in unterschiedlichen Themenbereichen intensive Erlebnisse und diese können durch
bloße Mitteilung nicht zugänglich gemacht werden. Das führt in der Folge zu Konflikten
(zum Beispiel durch die geringere gemeinsame Zeit miteinander oder themenmäßig
fernliegenden Gesprächsinhalte). Eine weitere Bedeutung haben „Clankonflikte“ oder der
sogenannte „Schwiegermutterkonflikt“. In dieser Konfliktart geht es um die
unterschiedlichen Herkunftsgruppen von Personen, die unterschiedliche Traditionen und
Geschichten und damit Erwartungen in die Paarbeziehung mitbringen. Beispielsweise
werden Quereinsteiger immer wieder mit ihrer Herkunft konfrontiert, bis sich eine Akzeptanz
der „alten“ Mitarbeiter ergibt. Ein weiterer Konflikt ist der „Transaktionskonflikt“ oder
„Kommunikationskonflikt“. Transaktionskonflikte ergeben sich bei nicht gelungener
Kommunikation, wenn Kommunikationsvorgänge an eine der drei Ich-Instanzen gerichtet
sind und vom Empfänger von einer anderen Ich-Instanz aufgenommen werden.
Transaktionskonflikte kommen z.B. dort vor, wo zwischen Erwachsenen die Transaktionen
zwischen dem Eltern-Ich und Kind-Ich stattfinden. Die Hierarchie stellt die klassische Eltern-
Kind-Transaktion dar. Idealerweise sprechen allerdings Vorgesetzte mit Mitarbeitern auf
der Ebene des Erwachsenen-Ichs. Mit zunehmender Spezialisierung müssen Vorgesetzte
verstärkt auf das Wissen von Mitarbeitern zurückgreifen. Die Abhängigkeiten werden
dadurch größer und Transaktionen kehren sich um. Ein weiterer Paarkonflikt ist der
„Rollenkonflikt“. Jeder erfüllt innerhalb der Gesellschaft bestimmte Aufgaben und
Funktionen. Zum Teil sind diese Aufgaben zugeteilt, erwartet und/oder selbst gewählt.
Bestimmte Rollen sind durch Geschlecht, Fähigkeit, Alter und/oder Familienstand

145
vorbestimmt. Diese Rollen werden dann angenommen, gestaltet oder abgelehnt.
Rollenkonflikte in Paarbeziehungen haben unterschiedliche Gründe. Beispielsweise
divergieren die Rollenerwartungen von zwei Menschen, die einmal eingenommene Rolle
verändert sich und der Partner muss eine neue oder andere Rolle übernehmen bzw. kommt
es zu einem Rollentausch, eine Rolle wird übernommen, die einem nicht entspricht, oder
aufgrund von einer mangelhaften Kongruenz der Rolle. Damit wird eine Kooperation
schwierig, es kommt zu Unter- oder Überforderung und Konflikte sind vorprogrammiert.
Kommt es zu unkonventionellen Rollenaufteilungen, zieht das weite Kreise, denn die
traditionelle Rollenaufteilung wird relativiert und es kommt zu Rollenkonflikten bei
Mitmenschen und nicht nur bei den Rollenträgern. Ein Beispiel dafür ist auch folgender
Rollenkonflikt innerhalb der Familie. Wenn Eltern altern, wird ihre Rolle irgendwann mit
denen ihrer Kinder vertauscht, was oft Konflikte mit sich bringt (Bevormundung der Eltern,
Überforderung der Kinder mit der „Elternrolle“ für Eltern). Dieser Konflikt ist kein
Generationenkonflikt, bei dem es um die Aufweichung von Rollen geht und der eine
gleichberechtigte Positionierung von Eltern und Kindern zum Ziel hat. Ein weiteres Beispiel
ist die Karriere eines Mitarbeiters, der zum Chef seines ehemaligen Chefs wird. Mit den
vormals genannten weiten Kreisen kann hier angeführt werden, dass die beiden
möglicherweise ihre Rollen gefunden und Nähe-Distanz-Konflikte überwunden haben, aber
die Ehefrauen der beiden Männer in einen Konflikt geraten.

Viele Konflikte existieren rund um „Symmetrie im Gegensatz zu Komplementarität“.


Sprichwörter wie „Gleich und gleich gesellt sich gern“ und „Gegensätze ziehen sich an“
spiegeln dies wider. Um eine Identität als Paar zu erlangen, gehen die Beteiligten durch
unterschiedliche Prozesse. Die, die sich sehr ähnlich sind, kommen in Konflikt mit der
Umwelt, da sie zum „Egoismus zu zweit“ neigen. Ihre Symmetrie treibt das Paar dazu, sich
einseitig zu entwickeln. Die Menschen, die starke Gegensätze darstellen, müssen erst
durch den Konflikt Gemeinsamkeiten finden, die eine gute Basis für die Beziehung
darstellen können. Bei der „Konkurrenz“ handelt es sich ebenfalls um einen Paarkonflikt.
Sie beschreibt das Wetteifern um Fähigkeiten auf einem bestimmten Gebiet.
Konkurrenzkonflikte sind grundsätzlich positiv, weil sich durch das Herausfinden
desjenigen, der geeignet(er) für eine Aufgabe ist (obwohl es beide können), eine
Arbeitserleichterung und ein in der Folge besseres Arbeitsergebnis ergibt. In einer
bestimmten Logik wird suggeriert, dass der, der besser ist, auch Recht hat, damit wird auch
die Anstrengung beider Personen größer sein. Innerhalb der Konkurrenz sind sich die
Kontrahenten über den Maßstab einig, weshalb es nicht um ein grundsätzliches „besser“
oder „schlechter“ geht (dabei würde es sich um einen Bewertungs- oder Normkonflikt
handeln). Geht es um die Anerkennung einer dritten Partei, handelt es sich um „Rivalität“.

146
Die dritte Partei kann sowohl eine Person, eine Gruppe als auch ein Publikum sein.
Konkurrenz in Gruppen heißt „Rangkonflikt“.464

3.4.2.3. Dreieckskonflikte

Beziehungsdreiecke bilden sich stets dann, wenn zu einer bestehenden Paarbeziehung ein
weiteres Individuum hinzukommt. Die dritte Person stellt ein Ungleichgewicht her, da sich
meistens entweder zwei gegen den Dritten verbünden oder den Neuen nicht wirklich
teilhaben lassen. Besonders schwierig wird die Situation, wenn die Basis – also die
Zweierbeziehung – bereits von Anfang an konfliktbehaftet war und man den Dritten in der
Hoffnung hinzuzieht, die Beziehung wiederherstellen zu können. In beiden Fällen kommt
der verdrängte Konflikt früher oder später wieder hoch. Konflikte in diesen Konstellationen
ergeben sich tendenziell aus Gefühlen wie Ausgeschlossenheit, Geringschätzung und
Eifersucht. Dabei beschränken sich Dreiecksbeziehungen nicht nur auf Einzelpersonen, sie
kommen zum Beispiel auch vor, wenn eine Führungskraft einen Mitarbeiter bevorzugt.
Damit lautet die Dreiecksbeziehung: Führungskraft – Abteilung – Mitarbeiter. Aber auch
wenn zwei Unternehmen ihre Preise miteinander absprechen und ihre Kunden damit
„hintergehen“, entsteht eine solche trianguläre Struktur. Die besondere Gefahr liegt darin,
dass in einem Konflikt jede Partei dazu neigt, den Dritten auf seine Seite ziehen zu wollen
(Triangulierungsversuche). Dies gilt auch, wenn externe Berater herangezogen werden –
Dreieckskonstellationen halten sowohl gutartige als auch boshafte Kräfte vor. Die
Besonderheit von triangulären Beziehungen ist es, dass sie sich weder durch einzelne
Individuen noch durch die Paarbeziehungen, die darin existieren, ausreichend in ihrer
Dynamik beschreiben lassen. Es ist das Qualitative, welches die Dreierkonstellation
ausmacht; die Relation der Beziehungen zueinander. Ist diese Dreierkonstellation noch
geschlechtlich gemischt, kommen neue Komplexitäten hinzu.465 Steiger und Lippmann
formulieren ebenso, dass sich das Konfliktpotential mit dem Beitritt einer dritten Person
erheblich steigert. Ebenfalls betont werden „Delegationskonflikte“, die entstehen können,
wenn direkte Kommunikation über einen Dritten umgeleitet bzw. unterbrochen wird.466

Das Urmuster für eine Dreiecksbeziehung ist die klassische Vater-Mutter-Kind Beziehung.
Das Paar und die Dreiecksbeziehung stellen unterschiedliche Konstellationen dar, die
mitunter in einem Spannungsverhältnis zueinanderstehen. Eine Ehe wird durch Kinder
sowohl bereichert als auch gestört. Es entsteht ein Spannungsverhältnis, wobei eine Ehe
durch Familie gesichert wird und die Familie sich gegen die Ehe richtet. Ein

464 Vgl. Schwarz 2014: 131-144


465 Krainz 2005: 44-46
466 Vgl. Steiger, Lippmann 2013: 323-324

147
Dreiecksverhältnis zeichnet sich gegenüber einem Paar dadurch aus, dass es durch die
„Dimension der Beziehung“ erweitert wird. Zwei Personen haben eine definierbare
Beziehung. Drei Personen haben drei Beziehungen. Das entspricht einer Verdreifachung
der Beziehungskonstellation, wobei es zu einer Entwicklung von „Beziehungen von
Beziehungen“ kommt. Gegenüber dem Paarkonflikt wird deutlich, dass die Paare in einem
Dreieck untereinander jeweils eine akzeptierte Beziehung zueinander führen, jedoch ein
Widerspruch in den Beziehungen vorliegt. In der Paarbeziehung wird nicht ersichtlich, wie
sich Beziehungen zueinander verhalten, wie sich diese voneinander abgrenzen oder auf
andere abgestimmt werden bzw. wie Beziehungen Verteidigung oder Schutz erhalten. So
zeigt sich, dass die Akteure in Beziehungen der Anforderung ausgesetzt sind, den
Widerspruch zwischen der Zweierbeziehung und einer Dreierbeziehung so zu gestalten,
dass die eigene Position gefunden werden kann.467

Innerhalb der Dreieckskonflikte entstehen auf der Beziehungsebene unterschiedliche


Konflikte. In Dreiecksbeziehungen kann es sowohl zu interpersonellen als auch zu
strukturellen Konflikten kommen. Gruppen von drei Personen wurden im
wissenschaftlichen Kontext eine größere Expertise zugesprochen als einer Einzelperson
oder einem Paar. Das Hinzukommen einer zweiten Person zu einer Einzelperson – so die
Sozialpsychologie – ergibt relativ gesehen den größten Zuwachs an Erfahrung und
Entscheidungsfähigkeit und eine größere Angriffsfläche. Mit dem Hinzukommen einer
dritten Person hat die soziale Potenz so zugenommen, dass die Kompetenz einer Gruppe
fast zur Gänze erreicht ist. Eine vierte, fünfte oder sechste Person ergibt kaum mehr
Zuwachs an Qualität. Daher ist zu berücksichtigen, dass auch die Konfliktbearbeitungs- und
Konfliktlösungskompetenz einer Gruppe nicht linear zunimmt, sondern dass mit fünf, acht
und zwölf Personen die besten Ergebnisse erzielt werden. Ab zwölf Personen sind
Zerfallstendenzen und Subgruppenbildung zu verzeichnen. Dreierkonstellationen haben
folgende Wirkungen: Erstens, dass zwei Personen im Konfliktfall auf eine dritte Person
ausweichen können, die eine objektivere Sichtweise einnehmen kann und dabei mehr
Aufmerksamkeit von den beiden anderen bekommt. Zweitens, dass sich zwei schneller
einigen als drei Personen, da sie kürzer diskutieren. Währenddessen werden bei drei
Personen mehr Informationen ausgetauscht, somit kann ein Problem auch differenzierter
betrachtet werden. Drittens, dass Dreiecksbeziehungen gegenüber zwei Personen oder
einer Einzelperson bei Problemen in unterschiedlicher Konstellation gegenübertreten
können. Diese unterschiedlichen Konstellationen führen allerdings zu „Koalitionskonflikten“
und ergeben das Hauptproblem zwei gegen einen. Eine Person wird ausgeschlossen und

467 Vgl. Schwarz 2014: 144-147

148
dies führt zu Kränkungen, Unterlegenheit und Eifersucht. Die Gründer der Koalition fühlen
sich stark bzw. stärker. Die Koalition beispielsweise zwischen Vater und Mutter wird durch
die Familie/das Kind „gestört“. Damit erhält das Kind die notwendige Aufmerksamkeit und
Betreuung. Welchen Sinn können Eifersuchtskonflikte (in Organisationen) außerdem
haben? Wenn sich Menschen in Familien, Gruppen und Organisationen weiterentwickeln,
geschieht dies oft aus Eifersucht. Die Überwindung der Eifersucht ist der Übergang von der
„[…] symbiotischen Zweierbeziehung zur Dreierbeziehung beziehungsweise zur
Gruppe“468. Symbiotische Paarbeziehungen sind unreflektiert und machen die Reflexion
auch nicht zum Thema. Die dritte Person zwingt die Zweierbeziehung, sich zu reflektieren.
In dem Fall ist das Paar ein „Wir“ und das „Ich-weiß-nicht, wo-es-aufhört“ und das „Du“
beginnt. Solche Symbiosen werden nicht unbedingt nur mit Menschen eingegangen,
sondern auch mit Dingen – beispielsweise mit dem Auto oder der Arbeit. Und wenn diese
Symbiose gestört wird, muss sich die Beziehung der Paarbeziehung reflektieren. Das
geschieht durch Unterschiede, die gesetzt werden. Beispielsweise kann eine Person keine
identische Beziehung zu zwei Personen haben und sie kann auch nicht gleichzeitig zwei
Personen ansehen, wenn miteinander gesprochen wird. Das zeigt, dass Unterschiede
gemacht werden müssen und diese bringen die symbiotische Zweierbeziehung
automatisch durcheinander. Damit kann festgestellt werden, dass jede Person, die zu einer
Zweierbeziehung hinzukommt, diese stört. Das Paar ist gezwungen, seine Identität in einer
Reflexion zu überdenken. Das bedeutet einen Identitätsverlust und dieser schmerzt – es ist
das Gefühl der Eifersucht. Die negative Seite der Eifersucht sind die Schmerzen, die sie
verursacht, wenn es um den Identitätsverlust geht. Es ist die Vorstellung während der
Identitätsveränderung, die sich als schmerzhafte Eifersucht bemerkbar macht. Fragen wie
„Wieso bin ich nicht mehr wichtig?“, „Was kann der Andere, was ich nicht kann?“, „Was hat
der Andere, was ich nicht habe?“ usw. tauchen auf. Es ist der Verlust „[…] des
Absolutheitsanspruchs einer Zweierbeziehung […]“469. Ängste des Verlassenwerdens und
Alleinseins werden wiederbelebt. Wenn eine Weiterentwicklung stattfinden soll, müssen
diese Ängste bewältigt werden. Damit Dreiecks-Beziehungen eine bestimmte Stabilität
ausbilden, brauchen sie eine Balance zwischen Harmonie und Konflikten. Kommt es zu 30
Konflikten, benötigt die Dreieckskonstellation folgende Aufteilung: Zehn Mal eine
Paarbildung A+B gegen C, zehn Mal eine Paarbildung A+C geben B und zehn Mal eine
Paarbildung B+C gegen A. Je mehr von diesem Verhältnis abgewichen wird, desto

468 Schwarz 2014: 151


469 Schwarz 2014: 152

149
instabiler wird die Dreieckskonstellation. Der dauerhafte Ausschluss einer Person hat einen
Zerfall des Dreieckes zur Folge.470

Die „Rivalitätskonflikte“ sind vorwiegend Sonderfälle eines Koalitionskonfliktes. Es kann


angenommen werden, dass die oben genannten Unterschiede mit dieser Konfliktart
festgestellt werden. Von einem Rivalitätskonflikt wird dann gesprochen, wenn die
Beziehungen einen asymmetrischen Verlauf annehmen. Bei Rivalitätskonflikten geht es
darum, die Nähe einer anderen Person zu gewinnen. Häufig werden sie mit
Konkurrenzkonflikten verwechselt. Rivalität durch Kompetenzabgrenzungen stabilisieren
zu wollen, misslingt, da ein neuer sachlicher Punkt gefunden wird, um den Konflikt aktiv zu
halten.

Es gibt Situationen, in denen die zwischenmenschliche Kommunikation von zwei


Menschen unterbrochen wird und über eine dritte Person läuft. Einerseits – wenn
organisatorisch nicht anders möglich – ist es eine Möglichkeit zur Kooperation. Andererseits
kann es zu Übermittlungsfehlern und Missverständnissen kommen, da unterschiedliche
Interpretationen oft zur Verstärkung eines Konfliktes führen. Teilweise ist das gewünscht.
Dann kommt das hierarchische Prinzip „divide et impera“ („stifte Unfrieden unter denen, die
du beherrschen willst!“471) zum Tragen. Personen, die dieses Prinzip anwenden, leben
Konkurrenz und Eifersucht in sehr konsequenterweise, um einen Machtzuwachs zu
erlangen, der allerdings letztendlich Misstrauen bewirkt. Denn die vermeintlich hergestellte
Zweierbeziehung ist mehr „Schein als Sein“ und motiviert den ausgeschlossenen Dritten,
dies auch zu tun. Zum einen hat diese Art der Delegation eine negative Seite, zum anderen
hat es sich aber auch bewährt, einen Dritten hinzuzuziehen, um eine sogenannte
Vermittlerrolle einnehmen zu können, wenn eine direkte Ansprache nicht möglich ist.472

Eine weitere Konfliktart ist die Versachlichung. „Versachlichungskonflikte“ sind deshalb den
Dreieckskonflikten zuzuordnen, da es um das Dreieck Mensch – Sache – Mensch geht.
Das Dritte ist eine Sache (ein Formular, eine Maschine oder eine Regel). Sie steht zwischen
zwei Menschen und schränkt deren Kommunikation ein, lenkt diese in eine bestimmte
Richtung oder verhindert sie. Beispiele für eine Versachlichung von Konflikten treten
branchenspezifisch auf. So zum Beispiel in Versicherungen, wo individuelle Bedürfnisse in
statistische Risiken übersetzt und im konkreten Schadensfall auf diese Situation projiziert
werden müssen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist ein großer ökonomischer Druck ein Grund

470 Vgl. Schwarz 2014: 147-153


471 www.duden.de
472 Vgl. Schwarz 2014: 153-157

150
für Versachlichung. Wird auf solche Konflikte aufmerksam gemacht, ist es sinnvoll, dass
dies externe Personen in einem Unternehmen machen, die dem ökonomischen Druck nicht
unmittelbar ausgesetzt sind.473

3.4.2.4. Gruppenkonflikte

Je mehr die Gruppe (in Organisationen) an Analyse, Diagnose und Lösung eines Konflikts
beteiligt ist, desto besser. Da Konflikte häufig auf falsch getroffene Entscheidungen
zurückzuführen sind, ist die fehlende Partizipation an Entscheidungen oft Konfliktursache
und wird fälschlicherweise auf die Organisationsebene übertragen.
Gruppenentscheidungen fördern die Verbundenheit zu einer Entscheidung und verringern
die Abwehrhaltung gegenüber den getroffenen Entscheidungen. Emotionale
Begleiterscheinungen bei übergeordnet getroffenen Entscheidungen sind Abwehr und
Angst. In hierarchischen Systemen bedingt sich diese Tatsache und je mehr Abwehr die
Einzelpersonen gegenüber dem Entscheidungsträger hat, desto mehr muss dieser seine
Autorität zeigen und sie beweisen. Das gemeinsame Entscheiden ergibt eine größere
Belastbarkeit und Tragweite. Auch emotionale Schwankungen und Konflikte können in der
Gruppe anders gelöst werden, als es der Einzelperson möglich ist. Nicht selten ist es die
Gruppe, die emotionale Situationen in einer Teamleistung auslotet und versucht, respektvoll
zu bleiben. Die Gruppe ist also in der Lage, rationale und emotionale Situationen zu klären,
da sie das Rationale ausreichend abwiegen, Emotionales wieder auf rationale Ebene
anheben und Emotionales aus Rationalem der Wahrheit des unteren Bereichs zuführen
und danach wieder anheben kann. Eine Gruppenentscheidung braucht allerdings eine
Mehrheit mit deutlich über 50%, da sonst die Anhänger der nicht-gewählten Alternative(n)
die Entscheidung mit ihrer Abwehrhaltung untergraben können.474 Voraussetzung für
Gruppenentscheidungen ist eine reife Gruppe, die in der Lage ist, den Prozess der
Entscheidungsfindung selbst zu steuern. Die Gruppe in das Reifestadium zu begleiten, ist
Führungsaufgabe. Gruppenentscheidungen sind heute ein wichtiges Führungselement da
Problemstellungen eine enorme Vielschichtigkeit aufweisen, welche die Fähigkeiten eines
Einzelnen überschreitet.475

Es gibt im Wesentlichen zwei Typen von Gruppenentscheidungen, den Typus des Suchens
und den des Bestimmens. Der erste Typus zeigt, dass Gruppen in der Lage sind, Probleme
wesentlich schneller und effizienter zu differenzieren als Einzelpersonen. Dies liegt daran,
dass sie in Diskussion miteinander gehen und jeder Debattenbeitrag zur

473 Vgl. Schwarz 2014: 157-159


474 Vgl. Schwarz 2014: 71-75
475 Vgl. Schwarz 2007: 126

151
Problembearbeitung herangezogen wird. So entsteht eine Vernetzung von
Lösungsmöglichkeiten. Dadurch können die Ressourcen der Einzelpersonen eine bessere
Nutzung erfahren, weil andere Gruppenmitglieder Feedback dazu geben. Durch Feedback,
Informationen und Wissensweitergaben profitiert jeder Einzelne vom ganzen Wissenspool
der Gruppe, was die Menge an Möglichkeiten im Vergleich zum Einzelnen erhöht. Beim
Typus des Bestimmens bieten Gruppen den Vorteil, dass man Rücksicht auf Gefühle und
Wünsche nehmen kann. Die Problemlösung gestaltet sich durch Feedback leichter, weil
man das Problem im Gruppenkontext betrachten kann. Die Entscheidungen einer Gruppe
sind in einer Krise wesentlich widerstandsfähiger. Neben Vorteilen bieten
Gruppenentscheidungen auch Nachteile, welche aus der Gruppe selbst oder der
Gruppenumwelt bzw. aus der Beziehung zu dieser entspringen können. Problematisch ist
vor allem ein zu gutes „Funktionieren“ der Gruppe, sodass sie andere Gruppen nicht
braucht und sich folglich mit diesen nicht auseinandersetzt. Die Hierarchie wird dann eine
Notwendigkeit, damit die Gruppen untereinander wieder in Kooperation kommen.476

Kommt es zu Konflikten in Gruppen oder Organisationen, ist es notwendig, die soziale


Struktur darzustellen, um zu erkennen, wer welche Rolle im sozialen Gebilde einnimmt.
Dabei stellt sich oft heraus, dass sich das offizielle Organigramm von der informellen
Struktur unterscheidet. In diesem Zusammenhang ist das Phänomen des Symptomträgers,
der durch sein Verhalten einen Konflikt des Systems anzeigt, zu erwähnen. Der
Symptomträger macht das Problem sichtbar. Wichtig ist es zusätzlich, die Beteiligten mit
ihren jeweiligen Interessen im Konflikt zu unterscheiden.477

Inwieweit die unterschiedlichen Beziehungen zueinander in Relation gesetzt werden, spielt


auch für gruppendynamische Prozesse eine wichtige Rolle, allerdings kommt kein neues
qualitatives Moment mehr hinzu, wie es bei Paar- und Dreiecksbeziehungen der Fall ist,
aber Konflikte um die eigene Individualität spielen auch in Gruppenbeziehungen hinein.
Dies äußert sich beispielsweise im Feilschen um Ränge und Positionen, in
Inanspruchnahmen von Prestige und Status sowie dem Besetzen von Führer- und
Expertenrollen. Tritt eine Person einer Gruppe bei, unterwirft sie sich in den meisten Fällen
und bis zu einem gewissen Grad den Vorschriften und Normen der Gruppe: Der
Eintrittspreis ist gewissermaßen das Zurückstecken der eigenen Individualität. In Gruppen
kommen zwei Grundkonflikte vor: Jener um Mitgliedschaft (Wer gehört dazu?) und jener
um Führerschaft (Wer ist Kern der Gruppe, wer Mittelschicht und wer eine

476 Vgl. Schwarz 2007: 126-132


477 Vgl. Schwarz 2014: 50-52

152
Randerscheinung?). Schlussendlich können sich Gruppenkonflikte noch durch
Binnenverhältnisse und ihr Verhältnis zur Umwelt sowie dessen wechselhafte Prozesse
ergeben.478

Die Gruppe hat ihren Ursprung in der aus Männern bestehenden Jagdgruppe. Sie spielt
eine tragende Rolle in der Entwicklung der Menschheit.479 Dies liegt daran, dass einzelne
Menschen den Raubtieren unterlegen waren. Als Jagdgruppe waren die Menschen jedoch
in der Lage, ihre Defizite hinsichtlich Schnelligkeit, Größe, Kraft usw. zu kompensieren.
Dadurch entstanden nicht nur Koordination und Kooperation, sondern auch erste
Kommunikationsmodelle. Schließlich mussten Systeme entwickelt werden, um sich
gegenseitig vor Gefahren zu warnen und folgend Modelle, die über das bloße Warnen
hinausgingen. Sprache, Aufbewahrung von Informationen sowie das Lernen selbst wurden
notwendig.480 Noch heute fühlen sich Männer mit sogenannten Männergruppen verbunden.
Frauen haben dieses Identitätsgefühl gegenüber Frauengruppen weniger (diese waren in
der Geschichte weniger bedeutsam). Männergruppen sind in der Freizeit- und Arbeitswelt
von Menschen bedeutsam (als Fußballgruppe, Vorstand, im Kloster und beim Militär usw.).
Auch die Familie kann als Gruppe bezeichnet werden. Es ist nicht immer richtig, Konflikte
in Gruppen auf die Organisationsebene zu verlagern, sondern sie auch in den Gruppen zu
identifizieren und zu lösen. Gruppen arbeiten nicht immer arbeitsteilig und sind nicht
bestrebt, dass jeder alles kann (das ist beispielsweise in Krankenhäusern zunehmend ein
Problem, da durch die mehrfach gewünschte Einsatzfähigkeit mehr Flexibilität verlangt wird;
es wird gefordert, dass viele alles können, wie es früher in der Jagdgruppe war). Dies mag
mitunter auch eine Erklärung dafür sein, dass äußerst begabte Menschen eher als
Einzelkämpfer und nicht als Gruppenmitglieder anzutreffen sind. So gibt es in Gruppen die
Tendenz, dass Langsame angefeuert und Schnelle gebremst werden. Gruppen erreichen
dadurch ein mehr oder weniger einheitliches Arbeitstempo und wenn Spezialisten darin
beteiligt sind, erbringen Gruppen höhere und bessere Leistungen im Gegensatz zur
Einzelleistung. Schwarz identifizierte neun unterschiedliche Konfliktarten in Bezug auf
Gruppen. Dazu gehören Untergruppen-, Territorial-, Rang-, Normierungs-,
Zugehörigkeits-, Führungs-, Reifungs- und Ablösungskonflikte sowie Substitutions- und
Verteidigungskonflikte481, die nun im folgenden Abschnitt erläutert werden und wesentlich
für den Forschungsprozess sind.

478 Vgl. Krainz 2005: 46-48


479 Vgl. Schwarz 2014: 160
480 Vgl. Schwarz 2007: 30
481 Vgl. Schwarz 2014: 160-161

153
Überall dort, wo Schnittstellen zwischen einer Großgruppe und kleineren sozialen
Gruppierungen auftreten, kommt es zu „Untergruppenkonflikten“. Die Gruppe an sich fühlt
sich (wie bereits erwähnt) bedroht von Paaren oder Dreiecken, die eine besondere Form
der Zugehörigkeit darstellen. Im Vordergrund steht die Bedrohung der emotionalen
Sicherheit. In der Gruppe wird über diese Untergruppenrelationen eher abwertend
gesprochen, da ihnen unterstellt wird, dass sie die Gruppe in irgendeiner Form bedrohen
und daher strebt die Gruppe danach, diese Konstellationen zu zerstören. So kann sogar
davon ausgegangen werden, dass einem Zerfall einer Gruppe ein Untergruppenkonflikt
vorausgegangen ist. In Organisationen bzw. Unternehmen sind Untergruppenkonflikte dort
angesiedelt, wo beispielsweise Abteilungen zusammengelegt worden sind und sich
ehemalige einer Abteilung angehörige Mitarbeiter bevorzugen und helfen. Offiziellen
Charakter bekommen diese Untergruppen, wenn bei Zusammenlegungen die
Freizeitgruppen bestehen bleiben und damit ihre Zugehörigkeit offen nach außen getragen
wird. So kann die alte Zugehörigkeit gepflegt werden. Daher ergeben sich klassische
Konfliktsituationen, indem sich Untergruppen vor wichtigen Besprechungen treffen und mit
ihren internen Sonderinformationen und Absprachen in diese Besprechung gehen.
Unsicherheiten und Misstrauen sind vorprogrammiert.482

Wie Duale und Triaden können auch Individuen eine Gruppe gefährden. Allerdings hat die
Gruppe die Möglichkeit, auf Individuen mehr Druck auszuüben, damit sie sich der Gruppe
anpassen. Dem Individuum bleibt in der Regel nur die Möglichkeit der Anpassung oder die
Gruppe zu verlassen. Untergruppenkonstellationen (Paar/Dreieck) können so stark sein
und der Gruppe insofern gefährlich werden, da sie höhere Resistenzen gegenüber der
Gruppe entwickeln und damit die Gruppe spalten bzw. zerstören können. Untergruppen in
Form von Paaren oder Dreiecken tendieren dazu, eine Gruppe zu stören oder gar zu
zerstören und die Gruppe ihrerseits stört bzw. zerstört Paare oder Dreiecke – eine
allgemeine Gesetzmäßigkeit eines Widerspruchs. Im Konfliktmanagement ist das
Ausbalancieren dieses Widerspruches Voraussetzung, damit Gruppen erfolgreich sind.
Denn weder das Zulassen der Zerstörung von Untergruppen oder Einzelpersonen, noch
die Zerstörung der Gruppe durch Untergruppen ist für den Erfolg in einer Organisation
zielführend.483

Eine weitere Art von Gruppenkonflikten sind „Territorialkonflikte“ – einer der stärksten
Konflikte in Gruppen, sie sind emotional, dauern mitunter sehr lange und sind nicht selten
Ursache für Kriegsgeschehen. Gruppen benötigen Sicherheit und Stabilität, um Einheit und

482 Vgl. Schwarz 2014: 162-163


483 Vgl. Schwarz 2014: 163-164

154
Identität zu spüren. Ein Territorium muss nicht zwingend räumlicher Natur sein, es kann
sich auch um Kompetenzen und Kompetenzabgrenzungen oder um bestimmte definierte
Arbeitsstrukturen handeln. Eine Gruppe kann sich so definieren und das Territorium nach
außen verteidigen. Territorialkonflikte werden vermieden, indem in Hierarchien genaue
Regeln aufgestellt werden. In diesen Konflikten sind die Personen bereit zugunsten des
Territoriums (Auto, großes Arbeitszimmer), auf Geld zu verzichten. Meist korreliert die
Größe des Territoriums mit der hierarchischen Position, was aber für die Funktionalität
Gültigkeit haben muss. Es sind Prestigesymbole, die unter Umständen auch zu
„Rangkonflikten“ führen. Daher sind Rangkonflikte neben den Territorialkonflikten jene, die
am häufigsten vorkommen. Bei Rangkonflikten geht es um die Stabilität von Hierarchien.
Die Wertigkeit einer Funktion, die eine bestimmte Person für die Gruppe wahrnehmen kann,
äußert sich in deren Rangposition. Muss sich eine Gruppe nach außen hin verteidigen,
dann macht das der Stärkste der Gruppe und nimmt somit den höchsten Rang ein. Auch in
der Tierwelt haben die Stärkeren den besseren Zugang zu Nahrung und Fortpflanzung. Im
Rahmen dieses Selektionsprinzips setzt sich damit eine Population besser durch bzw. passt
sich besser an. Auch Menschen in Gruppen messen dem, dessen Verhalten größten Erfolg
verspricht, die meiste Autorität und damit die Alphaposition bei. Beta- und Gamma sind
weniger erfolgreich (siehe auch Abschnitt 3.3.1. Gruppendynamik). Das kann sogar soweit
führen, dass Ränge im niedrigen Bereich, obwohl sie gute Ideen einbringen, nicht anerkannt
werden, sondern ranghöheren Positionen zugeschrieben werden. Mit dem Glauben, dass
Rangniedrigere sich nicht mit Ideen oder Meinungen einbringen, hält eine Gruppe an ihrer
Rangordnung fest. Mit der Arbeitsteilung ist ein Konfliktfeld offengelegt. Rangpositionen
innezuhaben, bringt Ordnung in ein Sozialgefüge, eine neue Person „rangelt“ um Position.
Hat die Person ihren Rang gefunden, kehrt wieder Ruhe in Gruppen ein. In allen Arten von
Gruppen kann beobachtet werden, dass die erste Zeit des Zueinanderfindens den
Rangpositionen gewidmet wird. In bestimmten Zusammenhängen werden die
Rangpositionen in Äußerlichkeiten gezeigt (z.B. Militärabzeichen, Dienstkleidung usw.).
Das Konkurrieren von Paaren ergibt eine Differenzierung in der Arbeitsteilung. Die daraus
entstandene Rangordnung legt dann die Arbeitsteilung fest. In der Hierarchie stimmt das
nicht zwingend mit der Leistung überein, was die folgenden zwei Ordnungen ergibt: eine
Rangordnung aufgrund des Wettkampfes und die auf Regeln basierende Rangordnung
aufgrund des Alters, der Ausbildung und/oder Zugehörigkeit. Vielfach sind Ränge durch
Fachsprache, Titel, Kompetenz, Geld und Territorium offenkundig. Insgesamt sind
Rangkonflikte in jedem Sozialgefüge präsent. So wird von den Gruppenleitern, den Alpha-
Typen, auch erwartet, dass sie zu einem Thema – auch ohne Wissen – Stellung beziehen.
Diesem Schema kann spielerisch entgegengewirkt werden, indem Spiele gespielt werden,
bei denen der Zufall maßgeblich entscheidend wirkt, sodass auch niederrangige Personen

155
gewinnen können. Das relativiert Hierarchien und zeigt, dass auch Rangpositionen
änderbar und/oder vergänglich sind.484

„Normierungs- und Bestrafungskonflikte“ sind Konflikte rund um Normen und Sanktionen.


Alle Regeln, die Menschen zum Überleben in ihrer Umwelt benötigen, sind im
Normensystem enthalten. Dieses ändert sich im Laufe der Zeit durch unterschiedliche
Einflüsse. Die Einhaltung von Regeln wird in einer Gruppe von den Gruppenmitgliedern
auch durch Androhen von Sanktionen gesteuert. Verstöße werden sanktioniert, da
Vergehen den Zusammenhalt einer Gruppe gefährden. Ein Ausschluss kann die Folge sein.
Früher galt jemand als „vogelfrei“ und konnte sogar ohne Konsequenz getötet werden. Für
die neuere Zeit heißt das, dass eine Person ohne Gruppenzughörigkeit schutzlos ist. Der
Tod droht hier nur in sozialer Form. Eine Begebenheit wird von Schwarz so beschrieben,
dass eine Massai-Frau von Früchten gegessen hat, die verboten sind und einen Tod
innerhalb von drei Tagen versprechen – der Fluch wurde der Frau auferlegt. Auch die
Behandlung durch einen Arzt konnte mit all seinen Untersuchungen, die ohnehin kein
pathologisches Ergebnis hervorbrachten, nicht verhindern, dass die Frau am dritten Tag an
einem Herzversagen starb. Die Intervention, so Schwarz, hätte auf Ebene des Fluches
stattfinden sollen, also in der Verhandlung mit dem Medizinmann, der den Fluch von der
Frau hätte nehmen können. Verdeutlicht wird mit der Schilderung, dass in Konflikten häufig
die Symptome behandelt werden, ohne die echte Ursache zu bearbeiten.
Normierungskonflikte können auch als Werte- oder Bewertungskonflikte gesehen werden.
Normsysteme lassen eine Rangfolge für Werte zu, daher werden auch Situationen,
abhängig vom Normensystem, bewertet. Damit fordert das Normierungssystem, dass
Situationen mit der verinnerlichten Norm vor der individuellen Denkweise geprüft werden.
Daraus entstehen Gewissenskonflikte, die zu den Normierungskonflikten gezählt
werden.485

Im engen Zusammenhang mit Normierungs- und Bestrafungskonflikten stehen


„Zugehörigkeitskonflikte“. Es geht um eine Grundsatzfrage, ob eine Zugehörigkeit zu einer
Gruppe besteht oder nicht. Es handelt sich hierbei um sehr intensive und emotionale
Konflikte mit intensiven Diskussionen, ob jemand aufgenommen wird oder nicht.
Zugehörigkeit zu einer Gruppe bedeutet gegenüber der Gruppe Verpflichtungen
einzugehen. „Der Sinn von Zugehörigkeitskonflikten besteht darin, die Einheit der Gruppe
zu gewährleisten und damit auch ihre Handlungsfähigkeit.“486 Ein Gruppenmitglied, welches

484 Vgl. Schwarz 2014: 164-170


485 Vgl. Schwarz 2014: 170-174
486 Schwarz 2014: 175

156
die Einheit der Gruppe durch das Brechen von Normen aufs Spiel setzt, gefährdet die damit
einhergehende Entscheidungsfähigkeit der Gruppe inklusive ihrer Effizienz. Die
Thematisierung der Zugehörigkeit ist in Unternehmen nicht verbreitet. Oft sind es
Einzelpersonen, die das Normsystem der Gruppe preisgeben, da ein offenes Sprechen
nicht gewünscht oder üblich ist. Damit verliert ein Unternehmen an „Kraft“ der Gruppe, da
dieser Prozess bei neuen Mitgliedern schätzungsweise bis zu einem halben Jahr dauert.
Ein klassischer Fall für einen Zugehörigkeitskonflikt ist der „Außenseiterkonflikt“. Nur
wenige Unternehmen haben gelernt, wie Außenseiter oder Neue in eine Gruppe integriert
werden. Kommt eine Person hinzu, so verändern sich alle Beziehungen. Dabei geht es
nicht primär um die Fachkompetenz, sondern um einen sozialen Integrationsprozess.
Sinnvoll auf die Metaebene geführt, wird der Integrationsprozess für alle Beteiligten
erleichtert. Vergleichbar ist das Eintreten eines Neuen in eine Gruppe mit dem
Dreieckskonflikt. Es erfordert eine Neudefinition bestehender Beziehungen. Dieser Prozess
wiederholt sich beispielsweise, wenn zu einer Dreierbeziehung wieder eine Person
hinzukommt und damit die Dreierbeziehung gestört wird (siehe Abbildung 12).487 Die
Komplexität erhöht sich mit jeder hinzukommenden Person. Bei drei Personen sind es drei
Beziehungen, das Hinzukommen der vierten Person erzeugt sechs Beziehungen. Kommt
eine fünfte Person dazu, sind es bereits zehn Beziehungen usw.488

Person
2

Person Person
1 4

Person
3

Abbildung 12 Vierte Person trifft auf Dreiergruppe489

487 Vgl. Schwarz 2014: 176-178


488 Vgl. Schwarz 2014: 180
489 in Anlehnung an Schwarz 2014: 178

157
Der Gruppenprozess ist ein schwieriger Prozess. In Unternehmen wird dieser unterschätzt
bzw. bisweilen gar nicht beachtet. Die Arbeit an Beziehungen wird vernachlässigt, da
Integration nicht als Arbeitsauftrag erkannt wird. Da dafür wenig Zeit und Einsatz erfolgt, ist
es für Unternehmen oft unverständlich, dass die sachliche Arbeit „leidet“ und Energie
verlorengeht. Neue in Gruppen erzeugen Misstrauen und das Zutrauen fehlt. Jegliche
Vorschläge, die fachlicher Natur sind, werden von der Gruppe als dominant oder als
Anpassungsversuch abgewertet. Erst wenn sich dieser Prozess vollzogen und der Neue
einen Platz in der Gruppe gefunden hat, ist der Integrationsprozess vorbei und die Gruppe
wieder arbeitsfähig. Darunter fallen auch Integrationsprozesse von Frauen in
Männergruppen. Frauen stören mit ihrer Anwesenheit das Zusammensein von Männern.
Die Gruppenzugehörigkeit von Frauen ist eine andere als in der Hierarchie. Frauen bleiben
oft in der Außenseiterrolle, auch wenn ihre fachlichen Kompetenzen in der Gruppe benötigt
werden. Männer suchen sich, wenn es auch außerhalb der Gruppe ist, einen Weg, wie sie
ohne Frauen kooperieren können. Ob und inwieweit es eine geeignete Methode für
gemischte Gruppen zur Integration gibt, sei nach Schwarz dahingestellt, da es nach ihm
auf „[…] das persönliche Geschick der Einzelnen [...]“490 ankommt. Da es im Arbeitsalltag
mittlerweile durchwegs gemischte Gruppen gibt, steckt sowohl Konflikt- als auch
Entwicklungspotential in gemischtgeschlechtlichen Gruppen.491 In Gruppen ist es
besonders vorteilhaft, wenn es eine ausgewogene Mischung aus Männern und Frauen gibt.
Ihre Leistungsfähigkeit wird dadurch erheblich gesteigert. Dies gelingt dadurch, dass der in
reinen Männergruppen vorkommenden Neigung, Oppositionen zu unterdrücken,
entgegengesteuert wird. Daher ist es sinnvoll, für einen ausgeglichenen Mix der
Geschlechter zu sorgen, wenn es um den Einsatz von Gruppen als Führungs- und
Entscheidungsinstrumente geht.492

„Führungskonflikte“ hängen mit unterschiedlichen ziel- und gruppenorientierten Funktionen


(wie bereits im Abschnitt 3.3.2. der Gruppendynamik beschrieben) zusammen. Zudem ist
eine Unterscheidung nach analytischen Funktionen möglich. Jeder Gruppe muss nach
Schwarz die Definition eines Ziels innewohnen. Außerdem muss in jeder Gruppe
entschieden werden, mit welcher Methode das Ziel zu verfolgen ist. Die Gestaltung der
Rahmenbedingungen zählt ebenfalls zu den wichtigsten zielorientierten
Gruppenfunktionen: Dazu gehört beispielsweise das Definieren der Problematik, die

490 Schwarz 2014: 181


491 Vgl. Schwarz 2014: 178-181
492 Vgl. Schwarz 2007: 231

158
Materialsichtung und -ordnung, aber auch Aufgaben, die unter den Bereich Initiative fallen,
wie etwa nach Lösungen suchen oder das Einbringen von Ideen. Zu den wichtigsten
gruppenorientierten Funktionen gehört, dass für das Verständnis des Ziels und der
Problematik der einzelnen Gruppenmitglieder gesorgt wird. Unter diese Aufgaben fällt aber
auch, dass man Konfliktbearbeitung betreibt, dominanten Tendenzen entgegenwirkt sowie
Bewertung und Kritik ausübt. Aber auch das Aufklären von Missverständnissen und
vermittelnde Tätigkeiten sind Teil dieser Funktionen. Dies alles dient dem indirekten
Erreichen der gemeinsamen Ziele und verfolgt den Zweck, die Gruppe am Leben zu
erhalten. Damit leisten sowohl ziel- als auch gruppenorientierte Funktionen wertvolle
Beiträge.493 Zu den zielorientierten Funktionen gehören weiters die Zielsetzung,
Koordination und Kontrolle von Beiträgen. Sie kann auch als väterliche
Leistungsorientierung gesehen werden. Zu den gruppenorientierten Funktionen zählen all
jene Aufgaben, die dazu beitragen, dass sich Gruppenmitglieder wohlfühlen, dass Neuen
geholfen wird, sich in die Gruppe zu integrieren, Konflikte zu bearbeiten und/oder die
emotionale Befindlichkeit einer Gruppe zu beobachten. Diese Funktion wird auch als die
mütterliche Betreuungskapazität verstanden. Die hier angesprochenen väterlichen und
mütterlichen Zuschreibungen sind auf die beiden Vorgesetzten Vater und Mutter
zurückzuführen. Beide haben unterschiedliche leistungs- und bedürfnisorientierte
Funktionen im Rahmen der Entwicklung von Kindern. Werden beide Funktionen von beiden
Elternteilen ausgelebt, macht es dies dem Kind schwer, sich sozial zu integrieren. Dieses
sogenannte Führungsdual ist notwendig, um gut funktionierende Familien- bzw.
Gruppenkonstellationen zu erreichen. In funktionierenden Gruppen werden beide
Funktionen – zumeist von zwei unterschiedlichen Personen wie es auch bei Vater und
Mutter im Familienverbund ist – wahrgenommen. Konfliktbehaftet wird es dann, wenn
erstens beide Anführer in der Gruppe vorwiegend die gruppenorientierte bzw. vorwiegend
die zielorientierte Funktion leben, zweitens, wenn beide Anführer miteinander in Konflikt
geraten, drittens, wenn die Funktionen unzureichend wahrgenommen werden und viertens,
wenn Gruppenmitglieder durch Reflexion selbst Führungsfunktionen wahrnehmen, die
anderen bzw. einem der Anführer der Gruppe obliegen. Ein klassischer Konflikt dieser Art
kommt dann zum Tragen, wenn Vorgesetzte und Spezialisten in einer Gruppe
zusammenkommen. Der Arbeitsalltag erfordert diese Konstellation oftmals, wobei es auf
den Spezialisten ankommt und die Letztentscheidung die Führungskraft zu treffen hat.
Damit ergibt sich eine Komplexität, in deren Mittelpunkt die Kompetenzen stehen, mit der
Frage, ist der Vorgesetzte Chef des Spezialisten oder der Spezialist Chef des
Vorgesetzten? Damit ergibt sich eine Differenzierung von disziplinarischen und

493 Vgl. Schwarz 2007: 119

159
fachkompetenten Vorgesetzten. Ein weiteres Beispiel liefern Organisationen, in denen
bestimmte Aufgabenstellungen an Komplexität zunehmen, sodass die Organisationsform
der Hierarchie nicht mehr ausreicht. Zuweilen verfügen Mitglieder über Wissen, welches
die Vorgesetzten nicht mehr haben. Wird diese Situation von Mitarbeitern ausgenutzt,
kommt es zu Konflikten. Daher ist es mitunter notwendig, externe Hilfestellungen in
Anspruch zu nehmen bzw. dass die Linienhierarchie die Konfliktbearbeitung erlernt bzw.
erkennt. Zu dieser Art von Konflikten gehören auch die Geßlerhut-Konflikte. Das sind
Konflikte, bei denen Führungskräfte bewusst unzulängliche oder falsche Entscheidungen
treffen, um sich die eigene Autorität bestätigen zu lassen, indem Mitarbeiter diesen
Entscheidungen folgen. Wird dem Vorgesetzten nachgewiesen, dass seine Entscheidung
falsch war, wird er versuchen, wenn es sich um eine Geßlerhut-Entscheidung gehandelt
hat, diese anders zu argumentieren bzw. stur auf dieser beharren. Dass dieses Vorgehen
zu Unstimmigkeiten führt, ist vorstellbar. Nicht zuletzt schaden Ja-Sager mit unreflektiertem
„Dienst nach Vorschrift-Denken und Handeln“ der Führungskraft und der gesamten
Organisation.494

„Reifungs- und Ablösungskonflikte“ hängen mit der schon beschriebenen Identitätsfindung


zusammen. Die Trotzphase dient dem Ablösungsvorgang von Bezugspersonen. Auch in
Gruppen findet ein ähnlicher Vorgang statt. Kommt eine Person als Mitglied in eine Gruppe,
so ist dieses neue Mitglied darauf angewiesen, dass die anderen ihm Regeln und Vorgänge
erklären und zeigen. Das entspricht einer kindähnlichen Abhängigkeit, die nach einem
bestimmten Zeitraum überwunden werden will und muss. So kommt es in Gruppen immer
wieder zu Reifungskonflikten, weil neue Gruppenmitglieder nach einer Einarbeitungszeit
ihre Identitätsfindung anstreben. Das kann eine ganze Gruppe oder Einzelpersonen
betreffen. Wie in Familienkonstellationen finden sich in der Arbeitswelt Ähnlichkeiten, indem
eine Art „Vater-Sohn-Beziehung“ aufgebaut wird. Der „Sohn“ will sich nach einem
bestimmten Zeitraum vom „Vater“ ablösen. In Hierarchien sind diese Konstellationen
anfällig für die Konterdependenz. Diese Art von Konterdependenzkonflikten ist nicht zu
verwechseln mit Konflikten im Rahmen der Führung oder Konkurrenz. Die Symptome
können Ähnlichkeiten aufweisen, der Konfliktlösungsprozess ist aber ein anderer. In
Führungs- oder Konkurrenzkonflikten hilft ein Nachgeben – beispielsweise, wenn es um
Rangpositionen geht – in Konterdependenzkonflikten würde ein Nachgeben lediglich den
Aufschub des Ablösungsprozesses hervorrufen. Der Ablösungsprozess verzögert sich und
muss mit erneuter Kraft noch stärker vorangetrieben werden. Denn erst dann, wenn jemand
es geschafft hat, sich gegenüber einer Person (Führungskraft, Autorität) durchzusetzen,

494 Vgl. Schwarz 2014: 181-184

160
sieht er sich in der Lage, eigene Entscheidungen treffen zu können. Dieser Prozess nennt
sich eine unvermeidbare „Sollbruchstelle“.495

„Bestimmend für den Platz in der Gruppe bzw. der Gesellschaft ist […] die Art der
Dependenz, der er (Anm.: der Mensch) unterliegt, und die Weise, in der er
Dependenz handhaben kann.“496

Es gibt Konflikte, die nicht auf dem eigentlichen Problem basierend ausgetragen werden.
Sie werden auf einen anderen, leichter zu diskutierenden Konfliktgegenstand verschoben.
Speziell die Gerüchteküche nimmt eine wichtige soziale Funktion ein, da sie den
Unterschied „[…] zwischen der rationalen Arbeitsteilung und der emotionalen Partizipation
[…]“497 überbrückt. Menschen interessieren sich grundsätzlich für Dinge, die sie nichts
angehen. Da aber Menschen miteinander arbeiten, sind sie auch emotional miteinander
verbunden und wollen aneinander teilhaben. Es besteht eine Ähnlichkeit mit Symptomen
von Konflikten, die aber grundsätzlich in Konflikten noch nicht zur Gänze bekannt sind. Bei
„Substitutionskonflikten“ wird ein anderer „leichterer“ Konflikt vorgeschoben und daher ein
anderes Symptom sichtbar. Dieser Konfliktart führt zu Problemen, da der eigentliche
Konflikt nicht gelöst werden kann und andere Personen, die grundsätzlich mit dem
ursprünglichen Konflikt nichts zu tun haben, in einen Konflikt involviert werden können und
oft auch die (unangenehmen) Folgen tragen müssen. Substitutionskonflikte haben Vor- und
Nachteile. Der Vorteil kann darin liegen, dass mit dem vorgeschobenen Konflikt Zeit
gewonnen wird, in der sich der eigentliche Konflikt lösen kann. Der Nachteil besteht darin,
dass unausgesprochene Konflikte zu einer sicheren Trennung dieser Beziehung führen
bzw. eine unumgängliche Aussprache erfordert. Im Mittelalter waren es die Hofnarren,
Wahrsager und Hexen, die Unausgesprochenes ansprachen. Analog dazu gibt es in
Organisationen immer wieder Personen, die in Konflikten die eigentlichen Gründe nennen.
Oft entspringen diese der Fantasie bzw. der Gerüchteküche.498

Die „Loyalitäts- oder Verteidigungskonflikte“ werden an dieser Stelle als letzte Konfliktart im
Rahmen der Gruppenkonflikte angeführt. Werden Gruppenmitglieder von außen
angegriffen, haben die anderen Gruppenmitglieder die Wahl, sich für das Gruppenmitglied
einzusetzen oder nicht. In der Regel ist es in Gruppen üblich, dass die restliche Gruppe
auch noch hinter einem Mitglied steht, wenn er oder sie ein Vergehen begangen hat (was
nicht heißt, dass es intern zu keinen Auseinandersetzungen kommt). Diese Art der

495 Vgl. Schwarz 2014: 184-186


496 Schwarz 2007: 106
497 Schwarz 2014: 189
498 Vgl. Schwarz 2014: 186-189

161
Gruppenloyalität ist notwendig, damit sich Gruppen in die Lage versetzen, Druck von außen
standzuhalten. Ein klassisches Beispiel ist folgendes: ein Vorgesetzter wird von
Mitarbeitern berechtigt angegriffen und dies wird gegebenenfalls an andere
Hierarchieebenen weitergegeben. Höchstwahrscheinlich werden Maßnahmen bezüglich
des Vorgesetzten getroffen, aber gegenüber den Mitarbeitern eine Schutzfunktion
eingeführt. Oft ist die Einheit der Gruppe wichtiger als ein Fehlverhalten einer einzelnen
Person. Nachteilig kann das Herstellen und Verteidigen des Fehlverhaltens einzelner
Mitglieder zugunsten der Einheit der Gruppe dann werden, wenn das Fehlverhalten sich
wiederholt und nicht veränderbar ist. Im hierarchischen System würde es Sinn machen,
einen Austausch zu forcieren, in dem Konflikte ausgetragen und gelöst werden können.
Ohne diese Möglichkeiten im Rahmen des gruppendynamischen Lernens wird es
schwierig, ein gutes Betriebsklima zu schaffen.499

Wie bereits angekündigt werden Konflikte immer komplexer, je mehr quantitative und
qualitative Momente mithineinspielen.

„Organisationskonflikte schließen viele Aspekte von Inner-Gruppen-Konflikten mit


ein, insofern sich diese auch direkt oder indirekt auf das Verhältnis der Gruppe zu
ihrer Umwelt beziehen. […] Wie in Gruppen sind auch in Organisationen
Unterschiede immer ein latentes Konfliktpotenzial.“500

Es sind die Organisationskonflikte, die nun erörtert werden, da Gruppen im Arbeitskontext


in Organisationen bestehen müssen und die Konfliktarten auseinandergehalten werden
müssen, um sie später lösen zu können.

3.4.2.5. Organisations- und Institutionskonflikte

Besonders die Aufteilung von Arbeit sorgt mit ihrer prägenden Struktur für eine Fülle von
Unterschieden und damit einhergehend für potentielle Konflikte. Besonders
Doppelmitgliedschaften sorgen für Spannungen und Loyalitätskonflikte. Somit herrscht ein
grundsätzlicher Widerspruch zwischen Organisationen und den darin enthaltenden
Gruppen. Ein weiteres Problem ist, dass in Organisationen keine Vollversammlungen
stattfinden können, sondern ein Repräsentantensystem vorherrschend ist. Damit werden
die Vertreter der verschiedenen Gruppen zu einer eigenen Gruppe. Zusätzlich
beachtenswert sind neben dieser formalen Form der indirekten Kommunikation die
informellen Tendenzen wie die sogenannten „grauen Eminenzen“, „Seilschaften“ und

499 Vgl. Schwarz 2014: 189-190


500 Krainz 2005: 48-49

162
„Einflussnehmer.501 Damit gibt es auch in Organisationskonflikten unterschiedliche
Konfliktarten, die es zu unterscheiden gilt. Weiters ist der darin enthaltene Grundkonflikt
hervorzuheben.

Die Organisationsform der Hierarchie, die zu Deutsch „Heilige Ordnung“ bedeutet, ist die
Antwort auf einen Dauerkonflikt der Geschichte der Menschheit. Es ist der Konflikt zwischen
Gruppen, die von Natur aus nicht zur Kooperation fähig sind. Organisationen fehlt es an
vorgegebenen Verhaltensmustern, wie es sie für Gruppen z.B. Paar und/oder Dreiecke gibt.
Hierarchien haben ihren Ursprung in Steinzeit und Mittelalter, sie dienten vorrangig dem
Schutz und zwangen zur Kooperation. Es kann davon ausgegangen werden, dass Gruppen
in einer Art Konkurrenz zueinander stehen und nicht freiwillig und von Natur aus
miteinander kooperieren, zumindest nicht auf Dauer. Daher fehlt auch das Grundbedürfnis,
Mitglied in einer Organisation zu sein. Es bedarf einer übergeordneten Instanz, die Zwang
ausübt, damit Gruppen kooperieren. Viele Organisationskonflikte basieren auf Konflikten
zwischen Subgruppen bzw. zwischen Peripherie und Zentrum. Diese sogenannten
„Grundkonflikte“ prägen Organisationen.

Ein bestimmter „Abteilungsegoismus“ beeinflusst das Konfliktpotential, wenn es um


Gruppe versus Organisation geht. Konflikte dieser Art werden auch den
Interessenskonflikten zugeordnet. Der sogenannte Abteilungsegoismus bezeichnet
Situationen, in denen jeder Mitarbeiter vor allem daran interessiert ist, seine Abteilung zu
fördern. Das kann sogar so weit gehen, dass ein Kunde zur Konkurrenz wechselt, da es
eine zu große Konkurrenz zwischen den Abteilungen gibt. Ein weiterer Standardkonflikt in
Organisationen ist jener zwischen Produktion und Verkauf. Dieser Standardkonflikt verläuft
so, dass die Produktion sagt, das Produkt passt, aber der Verkauf empfindet es als
unzureichend, weil die „Anderen“ nicht richtig verkaufen können. Umgekehrt sagt der
Verkauf, dass das Produkt und die Produktion schlecht seien. Auf beiden Seiten sollten die
Chefs und bestenfalls deren Mitarbeiter ausgetauscht werden, dann würde alles besser
werden. Beide Seiten können im Recht und im Unrecht sein. Dieser Konflikt ist notwendig.
Der „Abteilungsegoismus“ hat seine berechtigten und notwendigen Aspekte, ohne diese
würde eine produktive Leistung entsprechend ihrer Aufgaben in den Abteilungen fehlen.
Doch es muss als Aufgabe eines hierarchischen Systems gesehen werden, diesen
Egoismus zu überwinden, um Kooperation zwischen den Abteilungen zu erreichen. Dazu
wird Macht gebraucht und zugleich Macht zugeteilt. Ein neues Problem entsteht. Es handelt
sich hierbei um „Herrschaftskonflikte“.502 Herrschaftskonflikte zeigen den starken

501 Vgl. Krainz 2005: 48-50


502 Vgl. Schwarz 2014: 191-194

163
Gegensatz zwischen Organisation und Gruppen. Gruppenkoordination – so das Denken
von zentralen Stellen – geschieht bestenfalls dann, wenn man sie auflöst und in Einzelteile
oder wie Schwarz in „Atome“ einteilt. Diese Einzelteile stehen dann im unmittelbaren
Einfluss des Zentrums und werden von den Griechen „Tyrannis“ genannt. Gruppen denken
allerdings oft, es sei am effektivsten, die Zentrale – die „Tintenburg“ – aufzulösen und die
Macht dezentral zu gestalten. Herrschaftskonflikte in Organisationen treten häufig und
immer wieder auf, vor allem dort, wo es zu Zentralisierung von Funktionen kommt. Oft gibt
es auf einer Seite Außenstellen, auf der anderen Seite Zentren, in welchen Informationen
zentral zusammenlaufen. In der Zentrale wird die Information verarbeitet und als Strategie
wieder an die Peripherie weitergegeben. Sie behält so den allgemeinen Überblick, sieht
aber Differenzierungen schwach bis überhaupt nicht. Dieses Prinzip kann auch mit
Induktion oder Deduktion verglichen werden. Eine Zentrale behält so den Überblick, verliert
aber den Blick für Details. Die Peripherie hingegen hat wenig Überblick und führt die
Aufgaben detailgetreu und richtlinienkonform durch. So ein Konflikt ist ein klassisch-
dialektischer Konflikt, der mit einem logischen System nicht lösbar ist. Weder der
Peripherie, noch der Zentrale kann einer der beiden vorschreiben, was zu tun ist. Bereits
die Philosophen Hegel, Platon und Marx beschäftigten sich mit dieser Art des Konfliktes.

Werden Konflikte dieser Art in Unternehmen bearbeitet, wird ein gegenseitiges


Unverständnis laut und die Peripherie argumentiert mit „Der Kunde ist König“; sie habe den
Kundenkontakt, während die Zentrale die Servicestelle, den „Knecht“, machen soll, denn
die Zentrale trifft ihre Entscheidungen nur unter „Ausschluss der Öffentlichkeit“ und sie
seien so nur die Servicestelle für die Peripherie. Das ist ein Spannungsverhältnis, welches
klassisch in Organisationen vorkommt und ausgehalten werden muss. Eine asymmetrische
Machtverteilung ist notwendig, da Koordination von Gruppen nur mit Zwang möglich ist.
Wird in Organisationen diese Art des Konfliktes ausgetragen, dann kann das produktive
Auswirkungen haben. Bleiben diese Konflikte ein Tabu, fehlt die Reinigung durch das
Austragen von Herrschaftskonflikten. Die Interessensvertretung von Arbeitnehmern war
und ist oftmals eine Hilfe für das Lösen von Herrschaftskonflikten. Dem Management
kommt dies gelegen, da sie sagen können, sie hätten alles probiert, aber von Seiten des
Betriebsrates konnte keine Einigung gefunden werden. Beteiligte Personen in diesen
Konflikten leiden mitunter auch an „Doppelmitgliedschaftskonflikten“.503 Häufig leiden
Zentralpersonen, die in hierarchischen Systemen Doppelmitgliedschaften einnehmen,
unter diesen. Hier ist der Vorgesetzte durch Über- und Unterordnung jeweils Mitglied zweier
Gruppen. Einmal ist jemand Mitglied der Gruppe der Abteilungsleiter, einmal Leiter und

503 Vgl. Schwarz 2014: 193-198

164
Mitglied einer Abteilung. Ein Vorgesetzter muss diese Gegensätze ausgleichen, denn
einerseits muss er dem Unternehmen gegenüber Ziele erreichen und Loyalität aufweisen
und andererseits kann er die Ziele nur dann erreichen, wenn er die Gruppe so führt, dass
sie den Eindruck gewinnt, dass auch ihre Bedürfnisse erkannt werden. Wenn es zu
Konflikten zwischen Bedürfnissen von Menschen und Interessen von Organisationen
kommt, müssen Menschen den Eindruck gewinnen, dass ihre Bedürfnisse wahrgenommen
werden, daher haben sie nach Schwarz folgende gegenseitige Erwartungen:

• Mitarbeiter erwarten sich vom Vorgesetzten die Vertretung ihrer Bedürfnisse,


gerechte Entlohnung, genügend Arbeitszeit, genügend Ressourcen an Material,
Geld und Information.
• Vorgesetzte erwarten sich von Mitarbeitern Loyalität, Erfüllung ihrer Aufgaben,
Gehorsam, Anerkennung der Autorität als Vorgesetzter und Identifizierung mit
dem Unternehmen.

In vielen Fällen sind diese Erwartungen kontrovers und es besteht tendenziell die
Gefahr, dass jeder Mitgliedschaft einer Person Verrat innewohnt. Zwei Tendenzen sind in
diesem Zusammenhang problematisch: Zum einen jene, in denen Vorgesetzte als Verräter
betrachtet werden, da sie Probleme einfach weitergegeben, damit die Loyalität der
Mitarbeiter verlieren und als schwache bzw. ungeeignete Führung angesehen werden.
Andererseits diejenigen Vorgesetzten, die alles von der nächsten Hierarchiestufe negieren
und in völliger Loyalität ihren eigenen Mitarbeitern gegenüber argumentieren. Auch ihnen
wird Führungsschwäche vorgeworfen. Ein guter Vorgesetzter ist derjenige, der balanciert
und als ein sogenannter Doppelverräter gilt. Gerade deswegen, weil er nach oben und nach
unten in gewisser Art und Weise verräterisch agiert, genießt er das Vertrauen beider
Gruppen. Es gilt, Gegensätze zwischen Interessen sowie Bedürfnissen der Gruppe und
den Notwendigkeiten des Systems auszubalancieren – das gilt auch für die Balance
zwischen Sachlichkeit und Emotionalität. Es ist ein ständiger Akt im Arbeitsalltag, auf
Veränderungen zu reagieren504, die das nächste Konfliktfeld eröffnen – nämlich die
„Veränderungskonflikte“. Eine Änderung der Umwelt erfordert eine Änderung des
Normensystems. Eine Sozialstruktur wird erfolgreich sein, wenn sie flexibel genug ist,
Normensystem und Struktur an die Erfordernisse ihrer Umwelt anzugleichen – sie ist auch
die Antwort auf die Anforderungen, die die Umwelt stellt. Daher sind Veränderungskonflikte
notwendig, um Anpassung zu erreichen. Deren Bewältigung veranschaulicht, wie Systeme
lernen. Zwei Gefahren sind hierbei anzuführen: Zum einen werden Normen nicht oder zu
spät verändert – aufgrund des Festhaltens am altbewährten. Der Konflikt entsteht meist

504 Vgl. Schwarz 2014: 199-203

165
dadurch, dass diejenigen, die am meisten unter dem System leiden, eine Änderung
vorschlagen und die anderen am Alten festhalten, weil sie es (noch) nicht brauchen, oder
den Nutzen (noch) nicht erkennen können. Und zum anderen werden alte Normen zu rasch
durch andere ersetzt. Dabei ist eine Ober- und Untergrenze im Entwicklungstempo
vorhanden. An der Obergrenze werden Konflikte nicht mehr bewältigt, an der Untergrenze
lässt Starrheit keine Veränderung mehr zu. Die Anzahl der Konflikte, besonders der
Veränderungskonflikte, ist zur Notwendigkeit proportional. Es gibt nach Schwarz vier
Untergruppen von Veränderungskonflikten:

1. Auflösung und Neuformung von Gruppen


2. Rollenänderungen
3. Soziotechnische Änderungen
4. Norm- und Standardänderungen.505

„Auflösung und Neuformulierungen“ von Gruppen – wenn ein Unternehmen beispielsweise


nach Branchen gegliedert war und sich nun nach geographischen Aspekten zu organisieren
hat, ist es angehalten, sich neu zu organisieren. Bisherige Konkurrenten müssen nun
miteinander kooperieren, sind in ein und derselben Gruppe/Abteilung und dabei entstehen
neue Konflikte, da von ihnen nun eine Zusammenarbeit gefordert wird. Gruppen sind in
diesem Zusammenhang vergleichbar mit Stämmen. Sie zu teilen und wieder neu
zusammenzuführen, fordert vom System und von den einzelnen Gruppen ein hohes Maß
an sozialem Energieeinsatz. Der alleinige Einsatz von Mitarbeitermotivation ist nach der
Auffassung von Schwarz nicht mehr ausreichend. Die Sozialkompetenz eines Vorgesetzten
kann die Kompetenz einer Gruppe soweit erhöhen, dass sie ihren Konflikt selbst bearbeiten
kann. Gruppendynamische Methoden sind in Teamsitzungen hilfreich, damit die Gruppen
lernen, ihre Prozesse selbst zu steuern. Nur indem soziale Prozesse gesteuert werden,
kommt es zu positiver Veränderung, die auch verkraftet werden kann.506

„Rollenveränderungen und Strukturveränderungen“ bringen auch Neuverteilungen von


Kompetenzen mit sich. Werden Rollen übernommen, gilt es, in diese hineinzuwachsen.
Wenn ein Mitarbeiter plötzlich als Chef seiner früheren Kollegen eine Führungsrolle
einnimmt, besteht die Notwendigkeit, die sachlichen Anforderungen der Rolle zu definieren.
Eine Rollenänderung eines Mitarbeiters ist grundsätzlich eine Konfliktsituation, die
entsprechende Interventionen benötigt. Dieses Problem wird vielfach „verkannt“. Denn auf
beiden Seiten müssen Frustrationen und Fehlverhalten, die im Rahmen dieser neuen

505 Vgl. Schwarz 2014: 203-205


506 Vgl. Schwarz 2014: 205-206

166
Rollenverteilung unvermeidbar sind, aufgearbeitet werden. Dabei gilt es, irgendeine Form
von regelmäßigen Zusammenkünften zu organisieren, die diese Themen in den Mittelpunkt
stellen und wo Störungen geäußert und Entwicklungspotentiale gesehen werden können,
um zukunftsorientiert zu handeln.507 Bei „Soziotechnischen Änderungen“, der Einführung
von neuen technologischen Strukturen also, muss eine Anpassung zwischen Technologien
und Sozialstrukturen erfolgen. Die Aufmerksamkeit muss der Wechselwirkung von
Technologie und Sozialstruktur gewidmet sein. Das bedeutet, dass technologische
Erneuerungen und deren Entwickler auf die Bedürfnisse der Sozialstruktur Rücksicht
nehmen müssen und Sozialstrukturen sich nicht gegenüber der Technologie verwehren
dürfen. Damit entsteht ein Wechselspiel, welches sehr konfliktanfällig ist. Konflikte
entstehen, wenn Entscheidungen an der Spitze getroffen werden, ohne die ausführenden
Stellen miteinzubeziehen. In der Praxis bedeutet das, dass wenn sachliche Information
nicht mehr ausschließlich Führungssache sind, es entweder zur Aufgabe des Monopols
und Umstrukturierung auf koordinierte Entscheidungsfindung oder zur Verlagerung des
Monopols auf die soziale Ebene, die oft auf dem Motto „divide et impera“ basiert, kommt.
Um die Macht in Abteilungen oder anderen Bereichen zu erhalten, werden oft
Mitarbeiterkonflikte toleriert.508

„Norm- und Standardveränderungen“ in Organisationen führen zu Konflikten, weil die


neuen Regeln der Kooperation nach innen und außen wirken und für die Kooperation
notwendig sind. Unterschieden wird zwischen Normkonflikten zwischen Subgruppen und
Konfikte durch Normendauer oder -dichte.509

„Strukturkonflikte“ können anhand eines Beispiels aufgezeigt werden. Übernimmt ein


Generaldirektor, der Vorsitzender in einem Vorstand ist, zeitgleich die Abteilung Verkauf,
birgt dies Konfliktpotential. Denn dadurch steht betreffende Person „zwischen zwei
Stühlen“. Dieser Konflikt ist in Unternehmen bzw. Organisationen ein immer
wiederkehrender. Hier wird eine Führungskraft benötigt, welche die Balance zwischen den
beiden Zuständigkeiten halten kann. In diesem Fall könnte sich der Generaldirektor „einmal
diesen und einmal den anderen Hut aufsetzen“ und setzt damit den notwendigen Konflikt,
den zum Beispiel Forschung und Entwicklung mit dem Verkauf auszutragen hätte, aus. Das
Unternehmen leidet an einem Strukturkonflikt. Einen weiteren Strukturkonflikt bildet eine
zur Hierarchie gebildete horizontale und vertikale Arbeitsteilung. Damit ist die Hierarchie
angehalten, sich anders zu organisieren. Das Prinzip der Hierarchie besagt, dass der

507 Vgl. Schwarz 2014: 206-207


508 Vgl. Schwarz 2014: 207-210
509 Vgl. Schwarz 2014: 212

167
Vorgesetzte mehr an Informationen oder bessere Informationsverarbeitung besitzt und
daher befugt ist, Entscheidungen zu treffen. Doch dies gilt für viele Unternehmen nur noch
zum Teil, da es oft an der Basis speziell ausgebildete Mitarbeiter gibt. Die
Entscheidungsbefugnis hat formal nach wie vor die Führungskraft, das Wissen der
Mitarbeiter. Im Konfliktfall kann der Mitarbeiter zwar fachlich-sachlich im Recht sein, aber
die Führungskraft aus Sicht des Systems die hierarchischen Entscheidungen treffen. Die
Hierarchie hat dies bereits so gelöst, indem sie Fachkräfte in Entscheidungsfragen
eingebunden hat. Zunehmend wird aber eine Organisationsform herangezogen, in der die
Hierarchie beibehalten und seitlich bzw. quer eine Fachhierarchie eingezogen wird. So
kommt es, dass beispielsweise zwei Führungskräfte nebeneinander arbeiten, einer mit
Disziplinarhoheit und der andere mit fachlichem Wissensvorsprung. Einen anderen
Strukturkonflikt bringt das „Peter-Prinzip“ hervor: Gemeint ist damit die Beförderung einer
Person in eine Führungsposition, obwohl diese dafür nicht geeignet ist. Mit Führung sind
Aufgaben wie Rhetorik, Vermittlerrollen, Diensteinteilungen usw. verbunden, welche
Mitarbeiter in ihrer Ausbildung meist nicht gelernt haben. Somit sind sie in einer Position,
die nicht ihren Kompetenzen entspricht. Wenn der Beste seines Faches die Führung
übernimmt, oder aus falscher Überlegung heraus übernehmen muss, entsteht ein
klassischer Strukturkonflikt. Vertikale Arbeitsteilung führt auch zu Konflikten, wenn sich aus
den Strukturen beispielsweise Territorialkonflikte entwickeln, wo Kooperation misslingt.510

„Verfassungs-, Repräsentations- und Legitimationskonflikte“: Kooperation wurde


vorgeschichtlich durch Menschentausch erzwungen. Dem Menschentausch folgte die
Hierarchie als Form der Kooperation. Hier kommt allerdings Zwang durch eine zentrale
Instanz zum Einsatz. Die Zwangskooperation war ein Fortschritt. Herrschaftsstrukturen mit
asymmetrischen Machtverteilungen waren und sind der Preis für Kooperationen von
Gruppen. Die Entwicklung von ungleicher Machtverteilung war das Ergebnis der Hierarchie,
da die Entscheidungen der einzelnen „Untertanen“ nicht in die des Zentrums eingehen,
womit Meinungsbildungsprozesse ausbleiben, da zwar Informationen gesammelt, aber
keine Meinungen zugelassen werden. Nach der Französischen Revolution gab es
Versuche, die Meinungen rund um Entscheidungen einzuholen, was nur über
Repräsentanten möglich war und ist. Dies bleibt suboptimal, da eine Entscheidung nicht
delegiert werden kann und doch können Gruppen mit verschiedenen Interessen und
Zugängen zur Wirklichkeit am besten mittels Delegation kooperieren. Dabei entstehen
Konflikte. Einer davon ist die Bestimmung eines Gruppenvertreters. Aus der
soziotechnischen Perspektive kann zwischen zentralen, normalen und peripheren

510 Vgl. Schwarz 2014: 215-218

168
Gruppenmitgliedern unterschieden werden. Zentrale und periphere Gruppenmitglieder sind
gleichermaßen ungeeignet. Delegierte zentraler Gruppenmitglieder kommen schwer zu
einer Entscheidung, da sie zu stark in das Thema involviert sind. Delegierte aus der
Peripherie werden zu einer Einigung finden, können diese allerdings später in den Gruppen
schwer vertreten, da sie möglicherweise gegensätzlich ist und somit als Verrat gilt. Die
Hierarchie hat sich dafür einen Weg zurechtgelegt, indem der Delegierte Macht
zugesprochen bekommt, damit die anderen Gruppenmitglieder von dieser Person abhängig
sind. Damit ist eine Entscheidung wahrscheinlich und ein Widerspruch der Gruppe nicht.
Verfassungskonflikte werden diese Konflikte deshalb genannt, weil das Vorschreiben von
Kooperationsmodi vergleichbar mit einer Gruppen-, Organisations- oder Firmenverfassung
ist. Eine wirklich gute Verfassung mit einem gut funktionierenden Instrument, in dem alle
am Entscheidungsprozess teilnehmen können, ist noch nicht gefunden. Experimente im
Rahmen der Gruppendynamik haben in kleineren Unternehmen funktionsfähige Modi
gefunden, wobei ein gut funktionierendes Delegiertensystem, dem es gelingt, eine größere
Anzahl an Meinungen zu vereinen, den Kern im Unternehmen ausmacht.511

In der Geschichte der Menschheit galt es als ein bedeutender Fortschritt, als sich die
Stämme hin zur Bildung von Organisationen oder Institutionen entwickelten. Dies brachte
ein System der indirekten, anonymen Kommunikation mit sich. In Organisationen und
Institutionen kann es sein, dass das entwickelte Verständnis in Gruppen einen Gegensatz
zur Organisation bildet. In Institutionen wollte der Mensch wahrscheinlich eine Möglichkeit
finden, die Grundwidersprüche in eine Dauerhaftigkeit zu kleiden. Diese
Grundwidersprüche oder archaische Gegensätze sind zwischen Lebenden und Toten,
Individuen und Gruppen, Jungen und Alten und Männern und Frauen zu finden.
Organisationen müssen Antworten auf diese vier Widersprüche finden, um zu überleben.
Sie können daher als Einteilungsprinzip für Institutionskonflikte herangezogen werden:

Der erste Grundkonflikt besteht darin, dass der Tote aus dem Kommunikationsgeflecht
herausgenommen wird und die Gruppe sich neu finden und Wissen überliefert werden
muss. Das ist eine krisenbehaftete Phase. So wie ein Neuer die Gruppe stört, indem sich
die Beziehungen neu definieren müssen, wird dies auch durch den Tod eines Mitgliedes
hervorgerufen.512

In Hierarchien ist es wichtig, dass Funktionsträger einzeln vorkommen und die Funktion
nicht geteilt wird, da es andernfalls zwei Gleichberechtigte gibt, die verschiedene
Meinungen vertreten könnten. Nur so kann sich eine Person gegen die Gruppe stellen, da

511 Vgl. Schwarz 2014: 218-222


512 Vgl. Schwarz 2014: 223-226

169
sie hierarchisch überlegen ist und folglich Macht ausüben kann. Das Individuum steht im
ständigen Widerspruch – es muss der Gruppe die Meinung aufzwingen oder sich der
Meinung der Gruppe oder des Systems unterordnen. Dafür wurden Rituale bzw. die
Institution entwickelt. Ein Beispiel dafür ist die Schrift, die das Wort mittels der Schrift tötet
und gleichzeitig das Tote lebendig erhält und dies nachfolgenden Generationen somit
zugänglich macht. Wodurch sich ein neuer Grundkonflikt ergibt: Alte und Junge.513
Generationskonflikte werden von Schwarz mit Institutionskonflikten gleichgesetzt. Die
Probleme im Rahmen des Konfliktes treten beim allen Menschen und bei jeder Gruppe auf.
Entscheidend ist, das Wissen einer Generation an die jüngere Generation weiterzugeben.
Konflikthaft ist, dass Jüngere aber ihre Identität nur durch eigene Erfahrungen bilden und
gleichzeitig nur überleben können, wenn sie Wissen übernehmen. Daher sind Reifungs-
und Ablösungskonflikte zu führen. Tradition kann daher nur so gesichert werden, indem
diese Konflikte immer wieder aufs Neue ausgetragen werden und durch gemeinsames
Lernen daran gewachsen wird.514

Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen wird unter anderem durch Ehe, Familie oder
Polygamie geregelt. Die Sexualität wurde mittels bestimmter Normen und Regeln bestimmt,
woraus auch der Grundkonflikt entsteht, denn das Überleben sowohl des Mannes als auch
der Frau ist nur gesichert, wenn sie Kinder haben. Da bisher noch keine gleichwertige
Institutionalisierung gefunden wurde, ist der Konflikt aktuell.515

Ob Frauen und Männer ein unterschiedliches Konfliktverhalten aufweisen, ist noch


ungeklärt. Erkenntnisse, die Schwarz übernommen hat, weisen darauf hin, dass das
Erleben von Konfliktsituationen und die Arten der Konflikte unterschiedlich sind. Männer
befinden sich in Konflikten eher in Konkurrenzsituationen. Das spornt sie an und verleiht
ihnen Kraft, während sich Frauen eher in Rivalitätssituationen befinden. Wie schon erwähnt,
werden Konkurrenz, die eine Wettbewerbssituation darstellt, und Rivalität, bei der es um
persönliche Anerkennung und Beziehungen geht, vielfach verwechselt. Niederlagen im
Konkurrenzkampf beziehen sich auf Fähigkeiten und Fertigkeiten, beim Rivalitätskampf
geht es um einen Identitätsverlust. Frauen entwickeln weniger schnell ein Gruppengefühl,
ihnen sind Freundschaften und Zweierbeziehungen wichtiger. Frauen agieren folglich eher
konfliktvermeidend in Gruppen, während Männer dies eher in der Zweierbeziehung sind.
Zudem sind Frauen oft ängstlicher und weniger risikofreudig. Damit sind Frauen im
Organisationskontext hinderlich, da die Risikofreude weniger vorhanden ist. Frauen sind

513 Vgl. Schwarz 2014: 226-229


514 Vgl. Schwarz 2014: 229-230
515 Vgl. Schwarz 2014: 230-231

170
besser im Erkennen von Konflikten (emotionale Ebene) und Gefühlen. Empathie ist eine
Stärke der Frauen, Funktionen und Strukturen die der Männer. Männer streben rascher als
Frauen nach einer Lösung – Frauen verweilen mehr in der Analyse des Konfliktes. Durch
das Konfliktvermeiden kann auch der Eindruck entstehen, dass Frauen nachtragend wären.
Das Beharren auf Vermeidung oder Verbleiben in der Analysephase trägt dazu bei, dass
der Konflikt nicht bewältigt wird und damit immer wieder aufkommt. Oft erscheint Frauen
das Leiden unter dem Konflikt besser als das Anstreben einer Lösung, die ins Ungewisse
führt. Männer sind fokussiert, Frauen haben mehrere Dinge gleichzeitig im Blickfeld. Das
ist eher in der Konfliktanalyse fördernd, fokussiertes Vorgehen bringt die Lösung näher.
Männer fühlen sich im Kollektiv stärker und agieren im Angriffsmodus, Frauen als
Individuum. Bei Männergruppen geht es häufig um Rangkonflikte, bei Frauen um
Beziehungskonflikte. Daher empfinden es Männer als unangenehm, wenn Frauen in
Männergruppen eintreten, weil mit ihnen eine neue bzw. andere Konfliktart hinzukommt.
Und obwohl angenommen wird, dass in gemischten Gruppen mehr Konflikte vorherrschen,
arbeiten diese allgemein effizienter – entweder gerade deshalb oder trotzdem. Eine
Weiterentwicklung von Konfliktlösungskompetenz in diesem Grundkonflikt – unter
Berücksichtigung von Stärken und Schwächen – kann das gesellschaftliche
516
Zusammenleben verbessern und wird mehr denn je gefordert.

3.4.2.6. Systemkonflikte

Systemkonflikte sind alle Konflikte, die auf unterschiedlichen vorausgesetzten


Denksystemen beruhen. Haben Akteure in Konflikten unterschiedliche Weltbilder, kommt
es zu Konflikten. Sie systematisch einzuordnen, ist Schwarz bisher nicht gelungen, er
beschreibt sie nach seinen Erfahrungen mit Interventionen in Konflikten. Es wird zwischen
interkulturellen Konflikten, Konflikten der Qualität und Quantität sowie virtuellen Konflikten
unterschieden.517 An dieser Stelle, weil es für die Organisation Krankenhaus als sinnvoll
erscheint, werden interkulturelle Konflikte beschrieben und die beiden anderen
Systemkonflikte ausgespart.

Ein Vorurteil im Rahmen von interkulturellen Konflikten ist, dass Führungskräfte denken,
Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen behandle nur unterschiedliche Normen.
Daher sei es lediglich notwendig, viele der im fremden Kulturkreis üblichen Normen zu
kennen, das Verhalten daran zu orientieren und so Konflikte zu vermeiden. Interkulturelle
Konflikte gehen als Systemkonflikte tiefer als Normkonflikte. Normen steuern das Verhalten

516 Vgl. Schwarz 2014: 231-234


517 Vgl. Schwarz 2014: 234-235

171
von Menschen, da sie sich an ihre jeweilige Umwelt anpassen. Doch interkulturelles
Konfliktmanagement hat die Aufgabe, Normen und Ordnungssystem der Normen eines
Kulturkreises zu verstehen.518

Abbildung 13 Das Ordnungsprinzip519

Die unterste Ebene im Verhalten des Menschen ist das Reiz-Reaktionsschema (siehe
Abbildung 13). Alle Organismen reagieren auf Reize, der Mensch sucht nach Lösungen.
Viele Reaktionen sind automatisiert wie zum Beispiel die Regelung der Vitalfunktionen.
Doch mit zunehmendem Verlust der Instinkte handelt der Mensch verstärkt mit Hilfe eines
Normensystems. Dieses entwickelt der Mensch auf der zweiten Ebene des menschlichen
Handelns gemeinsam mit Standards für die Ordnung des Handelns. Ein Mensch
internalisiert diese Normen, indem er sich informiert, wie er auf Reize reagieren soll. Auf
dieser Ebene ergeben sich die Normen von Kulturen. Die dritte Ebene ist jene Ebene, in
der ein Normensystem nochmals differenziert wird – im westlichen Kulturkreis sind das die
vier Axiome der Logik – in Schwarz wie folgt formuliert und erstmals von Aristoteles
durchdacht:

(1) Satz der Identität – Alles, was in einer Norm ist, muss Eindeutigkeit aufweisen.
(2) Satz vom zu vermeidenden Widerspruch – Zwei Normen dürfen einander nicht
widersprechen.

518 Vgl. Schwarz 2014: 235-237


519 Schwarz 2014: 238

172
(3) Satz vom ausgeschlossenen Dritten – Normen müssen entweder über- oder
untergeordnet sein.
(4) Satz vom zureichenden Grunde – Es muss einen Zusammenhang zwischen der
Anordnung, die eine Norm verlangt, und der Norm geben.520

Das Problem im Umgang mit anderen Kulturen ist nun nicht nur die Existenz von anderen
Normen, sondern auch von anderen Ordnungsprinzipen. Logik ist das Organisationsprinzip
der Gesellschaft und im westlichen Kulturkreis Spezialisten vorbehalten, während in
anderen Ländern wie z.B. in Asien der Taoismus bereits in der Schule gelehrt wird.
Logische Axiome wirken gesellschaftsstabilisierend – sie öffentlich zu diskutieren, würde
für die Gesellschaft Instabilität bedeuten. Interkulturelles Konfliktmanagement muss sich
mit Logiken und Denkprinzipien anderer Kulturen beschäftigen. Nur so kommt es zur
ganzheitlichen Erfassung des Menschen, die in Zeiten der Vernetzung all jenen bekannt
sein muss, die mit anderen Kulturkreisen arbeiten. Dazu braucht es zusätzlich eine
Metaebene, in der Konflikte gemeinsam analysiert werden, um aus einem Lernprozess zur
Lösung des Konfliktes beizutragen. Es müssen die Logik des Kulturkreises, die Axiome des
Denkens und die Normen der Gesetze und Handlungen verstanden werden, um
interkulturelle Konflikte verstehen zu können. Asiaten und Europäer sind oft unterschiedlich
im Denken. Schwarz erlebte, dass Europäer unruhig werden, wenn es zu widersprüchlich
wird und Asiaten fühlen sich darin wohl. Zudem sind Asiaten in der Lage, in verschiedenen
Logiken zu denken. Europäer müssen diese Logiken erst verstehen und reflektieren. In
Europa existiert Autorität in Anknüpfung an das hierarchische System der Über- und
Unterordnung. Für viele Kulturen ist die Kombination von Autorität und Hierarchie nicht
zielführend. Das dritte Axiom der Logik, die Über- und Unterordnung, wird heute als
Kolonialismus bezeichnet. Das bedeutet, dass jemand etwas hat und etwas kann, was ein
anderer nicht kann und ihm beigebracht werden muss. Ausgeglichenheit im gegenseitigen
Lernprozess ist eine Voraussetzung, die von der Axiomatik anderer Kulturen an
europäische Manager im interkulturellen Konfliktmanagement herangetragen werden
muss. Die Voraussetzung dafür ist gegenseitige Akzeptanz. Die Axiome müssen reflektiert
und Grundwerte erklärt werden. Gemeinsames Verständnis führt zu gemeinsamem
Handeln.521

520 Vgl. Schwarz 2014: 239


521 Vgl. Schwarz 2014: 239-247

173
3.4.3. Konflikteskalation und Konfliktlösung
Bevor eine Konfliktlösung angestrebt wird, bedarf es einer Konfliktanalyse. Zu dieser
gehören auch die Inhalte aus dem Abschnitt Kommunikation und Emotionen im Konflikt
(Abschnitt 3.4.1.). Zudem wird hier noch die Eskalation angesprochen, die nicht
unwesentlich ist, um Interventionen adäquat setzen zu können.

Sie ist dann gemacht, wenn der Konflikt als solcher anerkannt wird. Keine Konflikte zu
haben, gilt im westlichen Kulturkreis (unter anderem) als Maß des Glückes und
„Normalzustand“. Tatsächlich handelt es sich dabei um das Verdrängen von Konflikten. Erst
das Erkennen lässt eine Entwicklung zu. Nachdem Konflikte nicht erwünscht sind, ist auch
das Sprechen über Konflikte in der Analysephase ein schwieriges Thema. Damit wird auch
das Anerkennen von Konflikten in Unternehmen zur Herausforderung und gelingt oft erst
im Rahmen von Einzelgesprächen. Zunächst muss den Betroffenen klarwerden, dass ein
Nicht-Anerkennen ebenso (negative) Konsequenzen hat. Anschließend ist auch die
Bereitschaft zur Lösung eine notwendige Voraussetzung.522

Beim Ansprechen von Konflikten entstehen für den einen oder anderen „bedrohliche“
Situationen. Die (evolutionär) älteren Anteile des Gehirns werden aktiv, die Angst,
Fluchtverhalten und Aggressivität regeln. Folglich besteht nur die Möglichkeit der Flucht
oder des Angriffes. Schwarz stellt fest, dass es eine Kunst ist, die „[…] physische
Anstrengung und geistige Leistung in ein gemeinsames Ergebnis zu integrieren.“523 Diese
Regeln des Gehirns gelten nicht nur bei körperlicher Bedrohung, sondern auch bei
psychischer Belastung. Stresssituationen, Ärger, die Rolle als Außenseiter oder eben
Konfliktsituationen, die Vorangegangenes beinhalten können. So muss insbesondere in
Konfliktsituationen überlegt werden, wo und wie eine Intervention Sinn ergibt. Es wird
notwendig, dass emotionale Verstrickungen der Konfliktbeteiligten durch eine dritte Person,
die nicht in den Konflikt involviert ist, aufgelöst werden und sie den Überblick bewahrt.

Erleichterung schaffen Techniken, die es der involvierten Person erlauben, in die


rationale Phase zurückzukehren, indem sie eine Pause schafft, um dann wieder in die
Denkphase zu gelangen. Damit wird ein zentraler Aspekt deutlich, dass es, sei es nun der
Einzelne, eine Gruppe oder eine Organisation, nur dann zu einer Verbesserung kommen
kann, wenn zwischen dem Auftreten eines Konfliktes und der Lösungssuche eine
Analysephase stattfindet. Dabei geht es darum, eine Distanz zum Konflikt aufzubauen, um
eine andere Sichtweise auf den Konflikt wahrzunehmen. Diese Distanzierung, die

522 Vgl. Schwarz 2014: 45-46


523 Schwarz 2014: 41

174
sogenannte Metaebene, erlaubt es, sowohl den Inhalt als auch Ablauf betrachten zu
können. Das Einnehmen dieser Position kann jeder Einzelne erlernen und üben.524 Eine
Konfliktanalyse setzt allerdings zwei zentrale Aspekte voraus: Der Konflikt muss als solches
anerkannt und seine Schwerpunkte festgestellt werden. Dabei ist eine Kombination
mehrerer Methoden anzuraten, da jede Methode, die zur Analyse eingesetzt wird, für sich
wirkt.525

Wird ein Konflikt jedoch nicht rechtzeitig erkannt und bearbeitet, beginnt er langsam aber
sicher zu eskalieren. Grundsätzlich gibt es hierbei einige Tendenzen, die zu beobachten
sind. Die Konfliktparteien suchen die Schuld in der Gegenpartei und es kommt vermehrt zu
Projektionen. Besonders zu betonen sind eigene als negativ empfundene
Persönlichkeitsanteile, die beim Gegenüber hervorstechen bzw. hervorzustechen
scheinen. Durch Vorwürfe und die Bekämpfung der eigenen verhassten
Persönlichkeitsanteile im anderen kommt es zu einer Verschärfung der Dynamiken. Im
Laufe des Konflikts werden die Konfliktthemen („issues“) ausgeweitet. Gleichzeitig kommt
es zur Simplifizierung von Argumenten, je mehr Streitpunkte es gibt. Dieser Prozess führt
dazu, dass die Parteien immer mehr im Affekt agieren. Als Folge sehen die Parteien ihr
eigenes Verhalten nur noch als Reaktion auf das Verhalten der Gegenpartei. Dies führt
nicht nur zu einer Pattstellung, sondern auch dazu, dass sich alle Beteiligten als Opfer
wahrnehmen und in weiterer Folge keine Verantwortung mehr für ihr Handeln tragen
(wollen). Neben der Ausweitung der Streitthemen kommt es auch zu einer Erweiterung des
Personenkreises, der in den Konflikt einbezogen wird. Die Parteien neigen nun dazu,
direkte Kontakte mit der Gegenpartei zu vermeiden und den Konflikt zu personifizieren. Die
vorangegangene Dynamik führt über kurz oder lang dazu, dass ein einfaches Lösen des
Konflikts nicht nur schwierig, sondern von den Parteien zunehmend als unmöglich
empfunden wird. Den Gefühlen von Beklemmung, Angst (vor Gewalt) und Ohnmacht
versuchen sie meist mit Gewaltandrohungen entgegenzuwirken. So entsteht ein
Paradoxon: Man droht mit Gewalt, um Gewalt zu verhindern. Dies führt jedoch nur zur
weiteren Eskalation des Konflikts, statt diesen zu bremsen.526

Aporetische Konflikte sind in der Regel auf eine Außeninstanz, ohne dass diese als
Entscheider fungiert, angewiesen, um den Lernprozess in Gang zu setzen. Selten können
Parteien den Prozess selbst steuern. Führungskräfte werden entsprechend gefordert, nicht
die Entscheidung zu treffen, sondern die Konsensfindung zu steuern. Verantwortlich für die

524 Vgl. Schwarz 2014: 39-44


525 Vgl. Schwarz 2014: 44-49
526 Vgl. Steiger, Lippmann 2013: 330-331

175
Eskalation eines Konfliktes ist der Rückfall in eine frühere Stufe. Gemeinsame Lösungen
können nur dann gefunden werden, wenn die Parteien sich auf derselben Stufe einfinden.
Das Finden eines Konsenses ist nur möglich, wenn beide einen Konsens anstreben. Wird
dieser nicht gefunden, wird es über den Kompromiss versucht. Kann auch der nicht
gefunden werden, wird delegiert. Wenn die Autoritätslösung durch Delegation nicht
machbar ist, folgt der Kampf oder letztendlich die Flucht. Für eine angestrebte Lösung wird
es daher immer notwendig sein, dass man sich zuerst auf die Stufe einlässt, auf der sich
der Gegner befindet. Erst durch die Einsicht des Gegners kann die nächst höhere Stufe
erreicht werden. Zudem müssen die Vorteile die Nachteile überwiegen. Erst dann gelingt
es, auf eine höhere Stufe zu gelangen.

Für das Austragen von Konflikten ist die Einschätzung der eigenen Stärken
notwendig. Schon geschichtlich haben sich Menschen Verbündete gesucht, wenn die
eigene Stärke oder Sicherheit nicht mehr ausreichend war. In Hierarchien ist es besonders
gefährlich, wenn Vorgesetzte und Mitarbeiter in einen Konflikt geraten, wer der Stärkere ist.
Dann ist auch Flucht eine oft angewandte Form der Konfliktlösung. Unter Gleichgestellten
kann ein Austragen von Konflikten flexibler gestaltet sein.527

Der dialektische Lösungsprozess kann schneller oder langsamer sein. Dazu muss den
einzelnen Phasen unterschiedliche Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Hierarchie ist
oft im Gewinner-Verlierer-Denken verhaftet und Misstrauen schwebt über Besprechungen,
die kaum ein offenes Wort zulassen. Damit ist ein Entwicklungsprozess blockiert. Folgen
des Misstrauens sind Informationsmängel und fehlende Kommunikation. Diesen
Teufelskreis gilt es zu durchbrechen und einen Entwicklungsprozess zu starten.528

Ein weiteres Modell der Eskalation wird an dieser Stelle noch angeführt. Es ist das
Phasenmodell der Eskalation nach Glasl, welches die Dynamik von Konflikten auf eine
andere Art und Weise akzentuiert. Das Modell wird nur als Abriss dargestellt, weil auch
dieses als ausreichend bekannt erachtet wird und doch nicht unberücksichtigt gelassen
werden soll; insbesondere für die Interventionsmöglichkeiten, da es ab Stufe vier
zunehmend schwierger bis nicht mehr möglich wird, im herkömmlichen
Konfliktmanagement Lösungen herbeizuführen.

527 Vgl. Schwarz 2014: 316-320


528 Vgl. Schwarz 2014: 314-316

176
Phse 1-3: win-win:

• Stufe 1: Verhärtung
• Stufe 2: Debatte und Polemik
• Stufe 3: Taten statt Worte!
Die erste Phase lässt kaum Unterschiede zum Alltag erkennen. Sie ist gekennzeichnet
durch Spannungen und Reibungen. Werden die Meinungsverschiedenheiten nicht geklärt,
bleiben verbale Konfrontationen nicht aus. Nachdem das Wort nicht mehr ausreicht, kommt
es zu Taten, um den Gegner am Erreichen seiner Ziele zu hindern.529

Phase 4-6: win-lose:

• Stufe 4: Sorge um Image und Koalition


• Stufe 5: Gesichtsverlust
• Stufe 6: Drohstrategien und Erpressung
Es geht nun um Siegen oder Verlieren. Die Haltung wird in Phase vier starr und aggressiv.
Nach der Sorge um Image und Koalition geht es um den Gesichtsverlust, der den Eindruck
von Entlarvung und Bloßstellung integriert. Es werden Geschehnisse, die bereits lange
zurückliegen, öffentlich gemacht. Die Parteien glauben, das jeweils „wahre Gesicht“ erkannt
zu haben. Das führt dann über in Phase sechs, wo es bereits um Gewalt im Denken und
Handeln geht.530

Phase 7-9: lose-lose:

• Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge


• Stufe 8: Zersplitterung, totale Zerstörung
• Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund
Es gibt in Phase sieben kein Sicherheitsgefühl mehr. Es wird einander alles zugetraut.
Gefolgt von Vernichtungsanschlägen. Überdies wird die Existenzgrundlage der
Gegenpartei ohne Scheu in Gefahr gebracht, bis Phase neun aufgrund der Totalisierung
der eingesetzten Gewalt im gemeinsamen Abgrund endet.531 Für den interessierten Leser
kann der Film „Der Rosenkrieg“ (1989) mit Dany DeVito an dieser Stelle genannt werden,
der die Abfolgen dieses Phasenmodells zeigt.

Wie die Konfliktarten lassen sich auch die Konfliktlösungen in Grundmodelle einteilen.
Lösungen bezeichnen die Tatsache, dass sich Gegner in einem Konflikt einigen, sodass
die Handlungsfähigkeit einer oder beider Personen nicht weiter eingeschränkt ist. Diese

529 Vgl. Glasl 2013: 236; 241; 251-252


530 Vgl. Glasl 2013: 259; 268-269; 279
531 Vlg. Glasl 2013: 294; 300; 302

177
Grundmuster von Konfliktlösungen weisen, obwohl es wahrscheinlich mehr
Konfliktlösungen als Menschen gibt, nach Schwarz eine bestimmte Struktur auf: Flucht,
Vernichtung, Unterordnung, Delegation, Kompromiss und Konsens. Diese Reihenfolge
ergibt sich aus einem Entwicklungsprozess, da es im Konfliktverhalten einen Lernprozess
gibt, der sowohl geschichtlich als auch individuell stattfindet. Es konnte im Konfliktverhalten
beobachtet werden, dass dieser Lernprozess sowohl Personen als auch Gruppen in
Stadien im Rahmen einer Höherentwicklung erleben.532

An dieser Stelle wird nun näher auf den Konsens eingegangen, denn dieser teilt sich erneut
in eine Phasenabfolge, die für eine Konfliktlösung notwendig ist.

Der Konsens wird dann relevant, wenn alle bisherigen Methoden wie Flucht,
Vernichtung, Unterwerfung, Delegation und Kompromiss versagten. Es kommt zu einer
Aporie, was nichts anderes bedeutet als „logische Ausweglosigkeit“, Zielkonflikt oder
Dilemma. Die Aporie ist nach Schwarz gekennzeichnet durch drei Eigenschaften:

1. Es handelt sich um zwei sich widersprechende Behauptungen oder Interessen.


2. Sie sind wahr bzw. berechtigt.
3. Sie sind voneinander abhängig.533

Ein Beispiel für Aporie in der Arbeitswelt ist die Selbstständigkeit der Mitarbeiter. Komplexer
werdende Organisationsstrukturen verlangen selbstständige und flexible Mitarbeiter. Es ist
die Aporie von Freiheit und Ordnung – der Gegensatz lautet: Freiheit kann Ordnung
zerstören und Ordnung kann Freiheit zerstören. Beide Aussagen sind wahr und sind mit
Flucht, Vernichtung, Unterordnung und Delegation nicht zu lösen. Es ist notwendig, dass
sich die Gegner in einen dialektischen Entwicklungsprozess begeben mit dem Ergebnis,
eine Lösung zu finden, die für beide zufriedenstellend ist. Der aporetische Charakter des
Konfliktes muss allerdings im Vorfeld richtig diagnostiziert werden. Darüber hinaus muss es
zu einer „[…] Verflüssigung und Neuformierung der beiden Gegensätze auf eine
gemeinsame Synthese […]“534 kommen, die sechs Phasen durchläuft.535

„Rechthaben ist eben ein kommunikativ vermitteltes Resultat, das sich zu


verflüssigen beginnt, wenn Menschen in eine Auseinandersetzung treten.“536

532 Vgl. Schwarz 2014: 281-282


533 Vgl. Schwarz 2014: 304-305
534 Schwarz 2014: 308
535 Vgl. Schwarz 2014: 304-308
536 Schwarz 2014: 316

178
3.4.3.1. Interventionszeitpunkt und haltbare Lösungen

Der Zeitpunkt, wann ein Konflikt bearbeitet wird, ist von großer Bedeutung. Eine möglichst
frühe Bearbeitung ist von Vorteil. Für die Bearbeitung sollten die Beteiligten in der Lage
sein, die Metaebene einzunehmen. Ein optimaler Zeitpunkt ist, wenn wiederholt emotionale
Zeichen gesendet werden, dass etwas nicht stimmt. Ist die Situation schon länger
andauernd, erhöht sich der Leidensdruck und die Betroffenen können den Konflikt nicht
mehr selbst bearbeiten.537

Haltbare Lösungen entstehen dann, wenn die Beteiligten in der Lage sind oder in die Lage
gebracht werden, eigene Lösungen zu finden.

„Alle Lösungen, die von Dritten gefunden werden, verlangen eine Unterordnung
unter diese dritte Instanz […] und funktionieren nur im Zusammenhang mit einem
Abhängigkeitsverhältnis einer Hierarchie.“538

Im Alltag können Konflikte in hierarchischen Strukturen kaum bearbeitet werden, denn man
müsste aus dem normalen Alltag austreten (in einer Organisation wie dem Krankenhaus ist
das kaum bis gar nicht möglich). Zudem ist Hilfe und Übung für die Konfliktbearbeitung
notwendig. 539

Der erneute Bezug auf Glasl veranschaulicht, dass er von unterschiedlichen Interventionen
ausgeht, die eingeteilt werden in präventive, kurative, de-eskalierende und eskalierende
Interventionen, die sich in einer Matrix darstellen lassen als präventiv de-eskalierend und
kurativ de-eskalierend sowie kurativ de-eskalierend und kurativ eskalierend. Wobei auch
Glasl für die differenzierte Betrachtung von Konflikten plädiert und die situative Intervention
anführt.540

3.4.3.2. Konfliktfähigkeit und -festigkeit

Die eigenen Ressourcen sind in der zwischenmenschlichen Kommunikation nicht zu


unterschätzen. Daher sei an dieser Stelle noch die Möglichkeit angedeutet, dass auch das
Individuum auf die Art und Weise der eigenen Konfliktfähigkeit Einfluss nehmen kann.

Grundbausteine für die Selbsthilfe bei Konflikten sind laut Glasl zwei Dinge: Konfliktfähigkeit
und Konfliktfestigkeit. Wenn ein Mensch konfliktfähig ist, bedeutet dies, er kann Konflikte
und deren Mechanismen wahrnehmen und Mittel anwenden, um zur Klärung von

537 Vgl. Schwarz 2014: 338-339


538 Schwarz 2014: 321
539 Vgl. Schwarz 2014: 321
540 Vgl. Glasl 2013: 315-319

179
Standpunkten beizutragen und sich unmissverständlich mitzuteilen. Es bedeutet aber auch,
dass man seine Grenzen sehr genau kennt und sich rechtzeitig um professionelle Hilfe
bemühen kann, wenn das eigene Wissen nicht mehr ausreicht. Organisationen sind dann
konfliktfest, wenn sie für einen gepflegten Umgang mit Konflikten sorgen. Das bedeutet,
dass Differenzen und Spannungen die Organisation nicht gefährden und dass
unterschiedliche Standpunkte nicht per se zu Blockaden und Widerständen führen. Im
Prinzip nutzen konfliktfeste Organisationen das Entwicklungspotential von Konflikten, statt
sich davon ausbremsen zu lassen. Behindernd für den Idealfall der Nutzung des Potentials
sind vor allem extreme Konfliktscheue und Streitlust, daher ist eine neutrale Haltung
notwendig. Denn wenn die Tendenzen zu sehr in Richtung eines Extrempunkts springen,
sind destruktive Konsequenzen unabdingbar.541 Konfliktfähig zu sein, bedeutet aber auch
Folgendes zu erkennen: Das Problem ist gar nicht problematisch, sondern erst der falsche
Umgang damit. Neben der Fähigkeit, eigene Anliegen und Bedürfnisse vorbringen zu
können, sollten alle Beteiligten auch offen für jene des Gegenübers sein. Deshalb steht
Konfliktfähigkeit auch dafür, Konflikte nicht einfach zu verdrängen oder zu vermeiden.
Konfliktfestigkeit kann zusammenfassend damit umschrieben werden, dass kleine
Spannungen und Reibereien nicht dazu neigen, sich sprunghaft zu erweitern und zu
eskalieren. Zu guter Letzt ist es von großer Bedeutung, Konflikte nicht von der Sach- auf
die Personenebene zu verschieben, um konfliktfähig bzw. -fest zu sein. Denn Konflikte
haben eine Eigendynamik, die dazu verleitet andere Ebenen mit dem Konflikt anzustecken,
dies führt zu Polarisierung und Vergiftung. Es ist also unbedingt notwendig, bereits vor der
Verschleppung und Vermischung von Konfliktebenen und auch mehrerer Konflikte zu
handeln. Eine Früherkennung kann durch regelmäßiges Bilanzieren gelingen. Aber auch
die Schulung der eigenen Wahrnehmung, die Verbesserung der objektiven Urteilsfähigkeit
zur Wahrung der Identitäten sowie eine optimierte Handlungsfähigkeit sind wichtige
Komponenten von Konfliktfähigkeit. Sich der Destruktion zu entziehen, ist im Alltag
schwierig. Gründe sind nicht nur die ganz eigenen Dynamiken von Konflikten, sondern auch
das Verlieren der Identität und Fremdsteuerung. Besonders gefährlich sind
Wahrnehmungsverzerrungen, die zu irrationalem Verhalten führen. Daher gilt es unter
anderem diese Verzerrungen im Zuge der Konfliktbewältigung zu entwirren, was auch eine
Arbeit an sich selbst zur Folge hat, die nicht immer angenehm anmutet. Außerdem gilt es
zu erkennen, dass menschliches Verhalten nicht nur bewusste Konsequenzen setzt. Viel

541 Vgl. Glasl 2015: 9-15

180
eher treten Individuen mittels Handeln, Denken und Fühlen auch Unbewusstes los und
müssen erst lernen, dafür Verantwortung zu übernehmen.542

Die Steuerung von Gruppen und das (Er-)kennen der Dynamik in ihnen sind
Führungsaufgaben und Managementmethoden. Damit ist die besondere Rolle von
Führungskräften in Konfliktsituationen angesprochen. Gruppenprozesse zu steuern, ist
„[…] die einzig wirksame Möglichkeit, in der Gruppe Konflikte zu bearbeiten und zu
lösen.“543 Die „emotionale Partizipation“544 ist ein Merkmal von Gruppen. Schwarz versteht
darunter, den Versuch zu starten, dass die Gruppenmitglieder sich emotional auf eine
gleiche Ebene einpendeln. Auf dieser Ebene gelingt es, die Probleme der Gruppe zu
bearbeiten. Gruppen versuchen die emotionale Gleichheit durch Fragen der Gemeinschaft,
Zugehörigkeit und Loyalität zu klären. Jegliches Bestreben dient der Bestätigung einer
inneren und äußeren Zugehörigkeit.

Emotionale Prozesse müssen bearbeitet werden, wenn die Kommunikation versachlicht


wird. Direktes Ansprechen von emotionalen Problemen ist wichtig, um sachliche Arbeit und
Konflikte voneinander fernzuhalten. Änderungsprozesse brauchen Zeit. Auch hier hat das
Sozialgebilde eine Obergrenze bezüglich Intensität, Geschwindigkeit, Breite und Tiefe
dieses Prozesses. Oberhalb der Grenze wendet sich das Sozialgebilde ab. Der
Umstellungsprozess benötigt Beachtung, Zeit und Raum, gleichgültig, ob es sich um neue
Arbeitsmaterialien, andere Zeiten und/oder Abläufe handelt. Im Umstellungsprozess ist ein
kooperatives Führungsideal im Gegensatz zur strengen Hierarchie notwendig – andernfalls
wird ein Dienst nach Vorschrift gleichbedeutend einem Streik.545

3.4.3.3. Positive Aspekte von Konflikten

Schwarz geht davon aus, dass persönliche Konflikte als „das Lebenselexier“ im Rahmen
der Persönlichkeitsentwicklung gesehen werden können. Ohne je Konflikte durchgemacht
zu haben, entsteht keine Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung ist ein lebenslanger
Prozess. Dazu zählen die vier Grundkonflikte, von denen nicht ausgegangen werden kann,
dass sie von jedem bewältigt worden sind. Innere Spannungen sind oft Grund einer
unbewältigten persönlichen Entwicklung, wozu noch jene Konflikte aus der Rolle, die jeder
im Berufs- oder Privatleben einnimmt, hinzukommen. Zusätzlich spielen noch die eigene
persönliche Geschichte und mit welchen Konflikten jemand aufgewachsen ist eine Rolle.
Beispielsweise wird ein Einzelkind mehr Probleme in der Koordination mit Gleichaltrigen

542 Vgl. Glasl 2010: 9-33


543 Schwarz 2014: 160
544 Schwarz 2014: 160
545 Vgl. Schwarz 2014: 207-210

181
haben als ein Kind aus einer Geschwisterreihe. Werden diese Konflikte im Heranwachsen
bewältigt, so wird die spätere Konfliktbewältigung eine andere sein. Im Rahmen der
Konfliktbewältigung kommt es vielfach darauf an, eigene Muster zu erkennen, um in
Konflikten im Erwachsenenalter anders mit seinem eigenen Verhalten umgehen zu können.
Problematisch wird es oft deshalb, da Konflikte unerwartet auftreten und die Möglichkeit der
freien Überlegung zeitlich stark eingeschränkt ist. Das Erkennen der eigenen Konfliktmuster
ist ebenso ratsam wie das Erkennen der Konfliktmuster anderer Personen, um auch mit
deren Verhalten einen anderen Umgang zu finden.546 Konflikte haben stets etwas
Unerwartetes und/oder Beängstigendes an sich und so ist auch der Umgang mit den
eigenen Emotionen und denen der anderen eine persönliche Kompetenz. Krainz et al.
formulieren es als den Umgang mit den (eigenen) „Emotionsströmen“547

3.4.4. Konflikte im Krankenhaus


Der Mensch besitzt nach der Grundauffassung der Humanistischen und Kritischen
Psychologie ein angeborenes Bedürfnis nach Selbstbestimmung, Selbstentfaltung und
Wachstum. Er verfügt über ein Informations- und Orientierungssystem. Er unterscheidet
zwischen Schaden und Entwicklung. Wird die Selbstbestimmung eingeschränkt, entsteht
ein Angstpotential bezüglich Abhängigkeit und Ausgeliefertsein. In der Welt, in die der
Mensch hineingeboren wird, gibt es Machtstrukturen und traditionelle Herrschaftsformen
mit einhergehenden Vorstellungen und Ideologien, wie ein Mensch zu sein, was er zu tun
oder zu unterlassen hat. Es kommt zu einem Widerspruch zwischen den individuellen
Bedürfnissen und den damit einhergehenden Handlungsimpulsen eines Menschen und den
einschränkenden Machtstrukturen. Der Mensch hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Er
kann sich an die Bedingungen anpassen und damit einem Konflikt aus dem Weg gehen
oder auf seine Selbstverwirklichung bestehen, wobei er dann mit Strafen oder Ausschluss
rechnen muss.548

Prinzipiell spielt bei Konflikten im Krankenhaus das Wesen der Hierarchie eine tragende
Rolle. Grundsätzlich lernt der Mensch Hierarchie im Elternhaus kennen. Als Kind erlebt er
eine extreme Abhängigkeit von der Bezugsperson: sowohl hinsichtlich der Versorgung mit
Essen und Trinken als auch bezüglich emotionaler Zuwendung. Daher lernt das Individuum
irgendwann, sich den Anforderungen der Bezugsperson zu unterwerfen, weil ansonsten
das Entziehen der Existenzgrundlage droht. Dadurch kann es aber zu widersprüchlichen

546 Vgl. Schwarz 2014: 99-104


547 Vgl. Krainz 2005: 10 (Vorwort)
548 Vgl. Grahmann, Gutwetter 2002: 10-13

182
Gefühlen und Bedürfnissen kommen. Aus Angst verdrängt das Individuum eigene
Bedürfnisse und passt sich an. Es werden verschiedenste Abwehrmechanismen aktiviert,
eine Möglichkeit ist beispielsweise die Identifikation mit den Bedürfnissen und Werten der
Bezugsperson. Es entsteht wieder der Eindruck, frei in seiner Entscheidung zu sein. Dieser
und viele weitere Schutzmechanismen führen irgendwann zum „angepassten Kindheits-
Ich“, wie es in der Transaktionsanalyse genannt wird. Dieses Ich wirkt auch noch im
Erwachsenenleben weiter und sorgt dafür, dass sich Menschen in Hierarchien einordnen.
Der Krankenhausalltag ist wie erwähnt nach wie vor sehr von diesen und militärischen
Momenten geprägt (Beispiel: die Abstufung/ Ordnung der Entscheidungsbefugnisse), was
in der engen geschichtlichen Bindung zwischen Krankenhauswesen und Militär verortet
liegt. Es finden sich nach wie vor auch patriarchische Momente, da in der historischen
Entwicklungslinie der Arztberuf vor allem eine Männerdomäne war, während die Pflege den
Frauen zugeschrieben wurde. Das Nachklingen der männerbezogenen Dominanz und der
Unterordnung der Frauen wirkt sich noch heute auf das Krankenhauswesen aus. Bergen
diese komplexen Unterschiede noch heute Konfliktpotential im Krankenhaus?549

Konkurrenz in ihren vielen unterschiedlichen Facetten ist nur eine mögliche Folge der
hierarchischen Strukturen im Krankenhaus. Dabei handelt es sich um ein Verhalten wider
die Natur, denn eigentlich benötigt der Mensch Beziehungen und Zuwendung. Wie
Hierarchie wird auch Konkurrenz im Kindesalter anerzogen: Wenn etwa verglichen wird,
wann welches Kind sitzt, steht, redet usw. In der Schule setzt sich dieses Prinzip heftiger
fort und Kinder konkurrieren um die besten Plätze, die beste Ausbildung und vieles mehr.
Ein Mechanismus, um mit Konkurrenz umzugehen, wäre das eigene Selbstwertgefühl
aufzubessern, indem andere Personen oder Gruppen abgewertet werden. Menschen
können aber nicht nur darum wetteifern, wer besser ist, sondern auch, wer den schwereren
Job hat: Wer hat die schlimmsten Erfahrungen gemacht? Wer hat den furchtbarsten Dienst?
Wer hat sich am meisten aufgeopfert? Dieser Negativ-Wettbewerb wird so interpretiert,
dass die Beteiligten um die Rolle des Babys streiten, um sich Mitgefühl und Liebe ihres
Umfelds zu sichern. Eine weitere Konkurrenzform ist es, sich von der eigenen Gruppe –
zum Beispiel dem Pflegepersonal – abzugrenzen und sich einer anderen – der Ärzteschaft
– hinzuwenden. So können Konflikte mit Autoritätspersonen vermieden werden, weil das
Muster der Identifikation wieder Anwendung findet. Selbstverständlich können Konflikte,
Abhängigkeiten, Hierarchien usw. nicht nur zur Anpassung, sondern auch zu einem
Rebellionsverhalten führen. Rangordnungen und Konkurrenzen können aufgrund der

549 Vgl. Grahmann, Gutwetter 2002: 14-18

183
Unterteilung innerhalb und zwischen den Berufsgruppen nicht nur zwischen
Einzelpersonen, sondern auch zwischen ganzen Gruppen zu Konflikten führen.550

Wichtig erscheint auch, dass das Kommunikationsverhalten im Krankenhaus


konfliktbeladene Themen umschifft. Es wird nicht über die eigene psychische
Beschaffenheit, über Gefühle wie Angst, Verunsicherung, unterschwellige Konflikte mit
Vorgesetzten oder Kollegen usw. geredet. Kommunikation beschränkt bzw. reduziert sich
auf Unverfängliches, auf beinahe Banales. Andernfalls gerieten die Individuen in eine
Zwangslage: Werden Dinge angesprochen, müsste gehandelt werden und es käme zu
Konflikten (bzw. müssten die verdrängten Konflikte aufgearbeitet werden). Dies würde für
Unruhe und viele Schwierigkeiten sorgen. Die Tabuisierung solcher Themen scheint aus
Angst um den Arbeitsalltag und die eigene Position aufrecht zu bleiben. Durch dieses
Wahren des Scheins entsteht aber der Trugschluss, dass nur man selbst zu kämpfen habe,
mit allem fertig zu werden.551

Wehner, Brinek und Herdlitzka geben als häufige Konfliktursachen im Gesundheits- und
Pflegebereich vor allem unklare Arbeitsteilungen und einen Mangel an Kommunikation an.
Auch sie betonen das Aufkommen von Konkurrenz, wo der Auftritt und Zusammenhalt als
multiprofessionelles Team angebracht wäre. Wie bereits angesprochen wird das
Tabuisieren von Unsicherheiten und Spannungen kritisiert. Stattdessen muss ein Umfeld
geschaffen werden, das konstruktiv und sachlich mit heiklen Themen umzugehen weiß und
dessen Beschwerde- und Fehlermanagement ausgereift ist. Der Dienstplan wird ebenfalls
als häufiger Konfliktauslöser genannt, insbesondere die Urlaubsregelung. Spannungen
könnten sich daran entzünden, dass sowohl Mütter als auch kinderlose Mitarbeiter am
Wochenende oder innerhalb der Ferienzeit freihaben möchten. Daher fühlen sich
Kinderlose benachteiligt, weil sie für ihre Kollegen mit Kindern an Feiertagen,
Wochenenden oder in den Ferien einspringen müssen. Aber auch Pflegeurlaube und
Krankenstände sind immer wieder Zündmaterial für Reibereien und Spannungen. Eine
weitere herausfordernde Komponente tritt hinzu, wenn die Dienstplanung viele Mitarbeiter
aus anderen Regionen oder Bundesländern berücksichtigen muss, welche bereits
Freitagmittag ihre Heimreise antreten möchten. Konfliktmanagement kostet hier viel Kraft,
Zeit und Hingabe. Die Basis einer Lösung stellen gemeinsam erarbeitete Regeln dar,
welche niemanden bevorzugen oder benachteiligen.552 Bei diesen Themen handelt es sich
vielfach um jene Themen, die als besprechbar bzw. nicht besprechbar gelten und es bleibt

550 Vgl. Grahmann, Gutwetter 2002: 19-24


551 Vgl. Grahmann, Gutwetter 2002: 78-81
552 Vgl. Wehner, Brinek, Herdlitzka 2010: 10-11

184
die Frage offen, weswegen diese Themen nicht kollektiv besprechbar gemacht werden,
obwohl die Beteiligten wissen, dass Probleme deutlich zu erkennen sind. Es sind wohl
Ängste, unbekanntes Risiko und Machtfragen, die ein Hemmnis darstellen.553

3.4.5. Zusammenfassende Betrachtung


Konflikte und deren Definitionen sind vielfältig. Sie zu erkennen und sie zu bearbeiten auch.
Die negative Konnotation von Konflikten in der Gesellschaft und in Organisationen ist nach
wie vor gegeben. Es gestaltet sich schwierig genug, Konflikte anzuerkennen, sie zu
bearbeiten, ist eine weitere Herausforderung; insofern, da die Bearbeitung auch den
weiteren Verlauf im Miteinander bestimmt. Die Konfliktmorphologie zeigt, welche Vielfalt im
Beziehungsnetz liegt und welche Grundkonflikte existieren. Je mehr Beteiligte es gibt, desto
herausfordernder ist die Bearbeitung. In Zweier- und Dreierkonstellationen gibt es bereits
grundlegende Widersprüche, doch gelingt die gegenseitige Einflussnahme noch gut. Als
Einzelner auf Organisationskonflikte Einfluss zu nehmen, wird schwierig und muss wohl
eher mit Organisation bewältigt werden. Für den Forschungsteil erscheint es zweckmäßig,
zu ergründen, welche Konflikte in einem Krankenhaus existent sind, wie individuell, in
Gruppen und in der Organisation damit umgegangen wird und welche
Bewältigungsstrategien und Lösungsansätze bekannt sind. Konflikte sind dynamisch und
emotional behaftet. Sie erfordern gerade in Organisationen von Führungskräften ein
allgemeines Konfliktverständnis und verschiedene Bewältigungsmöglichkeiten, die zuvor
überhaupt erst erkannt werden müssen, was mitunter schon eine Überforderung zu sein
scheint. Insgesamt ist es notwendig, formelle Möglichkeiten zu schaffen, dass Konflikte eine
Bearbeitungsbühne erhalten und die betroffenen Personen, speziell Führungskräfte, damit
umgehen können und in der Lage sind, den Prozess zu steuern. Nicht zu unterschätzen
sind Kräfte, die zerstörerische Wirkung auf Individuen und Gruppen haben, die in der Folge
die Arbeitsfähigkeit in hohem Maße beeinflussen. Und doch ist es vielfach in
Organisationen so, dass Führungskräfte Repräsentanten sind, die sowohl Konflikte in ihrer
Gruppe zu bewältigen haben als auch in den ihnen zugeordneten Gruppen, denen sie auch
angehören. Sie stehen immer in ihrer Vermittlungsfunktion, die bereits von Grund her in
Balance zu halten ist. In Organisationen finden sich Grundkonflikte, die ihren Ursprung vor
allem in starren Regelungen haben, die oft ein „sich-im-Kreis-drehen“ verursachen und die
„man müsste halt-Sager“ fördert. Daher sei an dieser Stelle noch hervorzuheben, dass
Konflikte und deren Sinnhaftigkeit ein Bewusstsein erfordern, da sie sowohl für Individuen
als auch für Gruppen ein Entwicklungspotential darstellen, welches durch Wissen und

553 Vgl. Krainz, Paul-Horn 2009: 31

185
Anwendung entscheidender (und mutiger) Personen (zumindest) im unmittelbaren
Tätigkeitsbereich Wirkung zeigt. Das heißt, es braucht Konfliktfähigkeit und -festigkeit
sowohl im Individuum als auch in Organisationen.

186
4. Empirie

Die Wissenschaft bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich mit sozialen Systemen zu
beschäftigen. Im Rahmen dieser Arbeit soll im Forschungsfeld „privates Krankenhaus“ die
Kommunikation zwischen den Berufsgruppen Medizin und Pflege untersucht werden. Dafür
eignet sich die Interventionsforschung. Sie gilt als noch junger Forschungsansatz, der sich
als Prozesswissenschaft versteht und der Sozialforschung angehört.

Das Thema ist – wie bereits zu Beginn der Arbeit beschrieben – Teil des beruflichen
Kontextes der Autorin, da diese seit 20 Jahren in einem öffentlichen Krankenhaus tätig ist.
Durch das Studium „Gesundheits- und Pflegemanagement“ mit anschließendem Master in
Gesundheitsmanagement kam der Wunsch auf, ein Doktoratsstudium zu absolvieren. Die
Vorannahmen und Diskussionen im Studium wie auch das Vorwissen aus dem
Gesundheitswesen gaben Anlass für die Beschäftigung mit dem Thema Kommunikation im
Krankenhaus. 2011 ergab sich am Institut für Organisationsentwicklung, Gruppendynamik
und Interventionsforschung die Möglichkeit, Theorie mit Praxis bzw. Praxis mit Theorie zu
verknüpfen und sich mit anderen Studierenden aus unterschiedlichen Disziplinen in einen
inspirierenden und gegenseitigen reflexiven Austausch zu begeben.

Nachdem das initiale Interesse der Pflegedirektorin an dem Forschungsvorhaben auch in


der kollegialen Führung des Krankenhauses auf Interesse gestoßen war, wurde mit der
Planung begonnen. Bald bestand eine Erlaubnis zur Kontaktaufnahme und es wurden an
15 zufällig über eine Liste ausgewählte Personen Einladungsbriefe versendet, wobei die
Mitarbeiter zeitgleich mit dem Eintreffen der Briefe über das Forschungsvorhaben durch die
Führung informiert wurden. Für die Auswahl entscheidend war der Wunsch, eine gemischte
Gruppe (in Medizin und Pflege) zu gestalten. Als Kriterien galten: männlich und weiblich,
Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung (wobei in der Medizin nur Vollzeitbeschäftigte befragt
wurden) und hierarchieunterschiedliche Posititionen in der Organisation. Nach der ersten
Kontaktaufnahme wurden Einzelinterviewtermine vereinbart. Eine effizientere Variante für
die Forscherin wäre es gewesen, alle Termine in ein paar aufeinanderfolgenden Tagen
durchführen zu können.

Das folgende Schema gibt einen ersten Eindruck über die Möglichkeiten der qualitativen
Forschung. Diese Arbeit soll in ihrer Wirkungsweise zur Anwendung und Problematisierung
der Thematik „Kommunikation im Krankenhaus“ in der Praxis beitragen. Mit ausgewählten
Hintergrundtheorien, dem Erkenntnisinteresse und dem Vorwissen der Verfasserin wurden
folgende Grundlagen gelegt.

187
Da bereits vor der Erhebungsphase Kenntnisse innerhalb des Bereichs Krankenhaus
vorhanden und relevante Merkmale, hier die jeweiligen Berufe der Interviewpartner,
bekannt waren, bewährte sich als Auswahlverfahren das selektive Sampling bzw. der
qualitative Stichprobenplan.554 Mit den ausgewählten Teilnehmern wurden qualitative
Interviews geführt und diese wurden elektronisch aufgezeichnet. Nach der Transkription
erfolgten die sogenannten Rückkoppelungsworkshops, welche ebenfalls elektronisch
dokumentiert und anschließend transkribiert wurden. In ihrer Darstellung ist diese Arbeit
eine Qualifizierungsarbeit mit dem Ziel, einer Organisation die Möglichkeit zur Außensicht
auf die Kommunikation zwischen den Berufsgruppen Medizin und diplomierter Pflege zu
bieten und darüber hinaus die gemeinsame Reflexion innerhalb der
Rückkoppelungstermine über die gestellten Hypothesen. In Abbildung 14 ist das
Forschungsvorgehen mit den einzelnen Arbeitsschritten abgebildet und überblicksmäßig
dargestellt.

Abbildung 14 Schema qualitativer Forschung555

554 Vgl. Lamnek 2010: 171-172


555 Lamnek 2010: 266

188
Nach dem Einstieg in die allgemeine qualitative Forschung werden nun die verwendeten
Erhebungs- und Auswertungsmethoden detailliert dargestellt. Dabei wird in gleicher
Reihenfolge wie im Forschungsprozess vorgegangen.

Interventionsforschung in Theorie und Praxis

Geforscht wird in der Interventionsforschung grundsätzlich in der Praxis. Dazu sollen in


diesem Abschnitt die qualitativen Interviews und die Rückkoppelung als
Erhebungselemente der Interventionsforschung dargestellt werden.

Die Interventionsforschung hat zwei Ziele. Zum einen möchte sie die Wirkung bestimmter
Interventionen untersuchen und zum anderen in Systemen wirksam werden und/oder mit
der Forschung zur Weiterentwicklung des Systems beitragen. Wegen Letzterem gerät die
Interventionsforschung in Kritik. Einerseits, weil der Glaube vorherrscht, dass Wissenschaft
objektiv sein muss und andererseits, weil sich diese nicht wertend dem Forschungsfeld
gegenüber artikulieren soll. Dagegen spricht, dass Forschung nicht ohne Wirkung bleiben
kann. Sobald Forschung beginnt, hat sie einen intervenierenden Charakter, der sich mit
noch so verbesserten Maßnahmen in den Auswahlverfahren nicht beseitigen lässt. Daher
nimmt man in der Interventionsforschung zur Kenntnis, dass Forschung interveniert, ohne
eine direktive Manipulationsabsicht zu haben und verfolgt den Ansatz, Beobachtungen und
Erkenntnisse der Praxis kritisch und in Reflexionssettings zu beleuchten.556

„Der Hauptzweck von Interventionen ist […] ein System zu einem besseren
Verständnis von sich selbst und der Situation, in der es sich befindet, zu bringen.“557

Damit meint Intervention das Erzeugen von Bewusstsein, was durch eine reflexive Distanz
zu den gegebenen Verhältnissen entsteht, an denen Menschen selbst teilnehmen, wobei
die Grenze damit gegeben ist, dass Selbststeuerung stets damit zu hat, etwas Bestehendes
infrage zu stellen558.

Im konkreten Fall handelt es sich beim beforschten Praxisfeld um ein privates Krankenhaus.
Dabei gelten zudem die von Krainer und Lerchster aufgezählten Argumente, die für die
Wahl der Methode sprechen. Das Praxisfeld soll durch den Forschungsprozess die
Möglichkeit zur bereits genannten Selbstreflexion und Aufklärung bekommen mit dem Ziel,

• selbstreflexiv zu werden,

556 Vgl. Krainer, Lerchster 2012: 9-10


557 Krainz, Paul-Horn 2009: 22
558 Vgl. Krainz, Paul-Horn 2009: 22

189
• das Selbstbild mit dem Fremdbild abzustimmen,
• die Logiken im System und die Widersprüche zu sehen,
• eine Perspektive über Entscheidungen zu erlangen, die eigene Zukunft zu gestalten
sowie
• bewusste Entscheidungen mit Struktur zu wählen.559

Ein weiteres Argument für die Interventionsforschung ist der Forschungsrahmen, da der
Blick für das Wesentliche erhalten bleibt. Zeitgleich werden individuelle und damit
subjektive Argumente der Akteure im Rahmen der sogenannten Rückkoppelung
gemeinsam interpretiert. Damit ist die Interventionsforschung durch einen „[…]
hermeneutischen, phänomenologischen und dialektischen Charakter gekennzeichnet.“560

Die Interventionsforschung findet dort Anwendung, wo eine hohe Komplexität, eine


bestimmte Widersprüchlichkeit, ein hoher Differenzierungsgrad des Forschungsfeldes
vorzufinden sind und die individuelle Sichtweise der Akteure im Zentrum steht. All diese
Punkte sprechen auch für die Wahl eines qualitativen Forschungsansatzes.561 Eine
Organisation, wie sie ein Krankenhaus darstellt, erfüllt die Kriterien der Komplexität und
Widersprüchlichkeit. Um das Forschungsthema, die Kommunikation zwischen den
Berufsgruppen der Medizin und der diplomierten Pflege, zu beforschen, bieten die von
Lerchster ausgewählten Argumente eine geeignete Hintergrundfolie.

• Die Beschreibung der Erfahrungen und Erlebnisse der Forschungspartner,


• die Aufklärung der bestehenden Sozialstrukturen,
• die Analyse der emotionalen „Zerstreuung“,
• das Aufzeigen der Dialektik,
• die Bildung von Hintergrundtheorien und
• die Diskussion der Ergebnisse während der Forschung.562

Ziel der Interventionsforschung ist es, „[…] das Material so aufzubereiten, dass die
Betroffenen handlungsfähig werden bzw. Optionen erkennen, auf Basis derer
Entscheidungsmöglichkeiten entstehen.“563 Oder anders formuliert, dass die
Interventionsforschung Wissen so generiert, dass eine Veränderung im System entsteht.564

559 Vgl. Krainer, Lerchster 2012: 13; Vgl. Lerchster 2012: 27


560 Lerchster 2012: 27
561 Vgl. Lerchster 2012: 27
562 Vgl. Lerchster 2012: 28
563 Lerchster 2012: 65
564 Vgl. Lerchster 2012: 65

190
Die Autoren Krainer, Lerchster und Goldmann haben praktische Hinweise und methodische
Schritte für die Interventionsforschung herausgearbeitet. Für diesen Zweck bilden
dieselben einen Forschungskreislauf (siehe Abbildung 15) ab, der im Detail variieren kann,
im Groben aber immer demselben Ablauf folgt. Die parallel gedachten Ebenen der
Forschungsmethode (das gesamte methodische Vorgehen) und des
Forschungsmanagements (Verwaltung des Projektes)565 wurden für diese Arbeit
mitbedacht und kritisch reflektiert.

Auftragsklärung

Projekt-
Projektende vorbereitung

Forschungs- Projektstart im
bericht Forschungsteam
Publikation

Projektstart im
Rückkoppelung Praxisfeld: Kick-
off

Auswertung und
Interpretation Datenerhebung
von
Forschungsdaten
Aufbereitung und
Dokumentation
von
Forschungsdaten

Abbildung 15 Forschungskreislauf566

Der erste Punkt der Auftragsklärung567 gründet sich vor allem auf dem Interesse der
Verfasserin an der Forschungsthematik und dem Interesse der Organisation. Der Zugang
wurde über die Pflegedienstleitung hergestellt.

565 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 177


566 Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 177
567 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 178-179

191
In der zweiten Phase, der Projektvorbereitung, wird idealtypisch das Team
zusammengestellt, das Angebot entwickelt, das Projekt geplant und das Design erstellt.568
Die Teamzusammensetzung und die Angebotsentwicklung konnten für das
Dissertationsvorhaben ausgeklammert werden. Innerhalb der Projektplanung legte die
Verfasserin einen Forschungsfokus fest, grenzte die Thematik ein und formulierte die
forschungsleitende Fragestellung. Der Unterpunkt des Forschungsdesigns enthält die
methodischen Forschungselemente und die Gruppenprozesse im Forschungsteam, welche
hier erneut unberücksichtigt bleiben.

In der dritten Phase, dem Projektstart im Team, werden nicht nur die einzelnen Rollen
geklärt und verteilt, sondern auch das eigene Vorverständnis, Alltagsvermutungen und
Vorurteile reflektiert sowie erste zentrale Interviewdimensionen generiert.569

Aufgrund der Tatsache, dass diese Arbeit eine Qualifizierungsarbeit ist, kam es zu keinem
Kick-off bzw. Projektstart im Praxisfeld570, allerdings kam es zur Information über die
Führung und die Interviewpartner erhielten einen Brief und vor Ort eine mündliche und
ausführliche Aufklärung.

Neben der Material- und Literaturrecherche zeigt sich in der Phase der Datenerhebung
das qualitative Interview, welches in folgendem Abschnitt 4.1.1. dargestellt wird, als ein
zentraler Bestandteil der Interventionsforschung. Auch die teilnehmende Beobachtung wird
von Interventionsforschern als wichtige Methode gesehen, um die Ebenen der Interviews
(Inhalt, Prozess, Kontext) besser darstellen zu können.571 Diese bleibt weitestgehend
unberücksichtigt.

Die Phase der Aufbereitung und Dokumentation von Forschungsdaten setzt sich aus
der Transkription der Interviews, dem Verfassen von Reflexionsprotokollen und dem Führen
eines Forschungstagebuches von Beginn an zusammen.572

Die Interventionsforschung sieht für die Auswertung und Interpretation von Daten zwei
Ebenen vor: Die erste analysiert quantitative Daten wie z.B. die Verteilung nach Alter,
Geschlecht, Funktion usw. Für dieses Forschungsvorhaben wurden die Interviewpartner im
Abschnitt 5.1. vorgestellt und auf eine graphische Darstellung verzichtet. Die zweite Ebene
wertet die gewonnenen Daten, anhand vorab festgelegter Kategorien, qualitativ aus. Um

568 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 179-185


569 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 186-189
570 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 189-190
571 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 191; 199-209
572 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 214-217

192
über eine rein strukturierte Darstellung der Daten hinauszugehen, empfehlen die Autoren
unterschiedliche Methoden der Dateninterpretation und Hypothesengenerierung. Dafür
empfehlen dieselben die qualitative Inhaltsanalyse, sprachwissenschaftliche Methoden und
die Hermeneutik.573 Die sprachwissenschaftlichen Methoden sind aus ressourcen- bzw.
zeittechnischen Überlegungen nicht geeignet. Obwohl in einzelnen Phasen, wie z.B. der
Ergebnisinterpretation und Auswertung der qualitativen Interviews oder auch der
Rückkoppelung, andere Personen zur Reflexion herangezogen wurden, scheint der
Verfasserin der methodische Anspruch der objektiven Hermeneutik, nach mehreren,
einander kontrollierenden und inspirierenden Forschern574, nur teilweise erfüllbar. Aus
diesem Grund kommt die qualitative Inhaltsanalyse zur Auswertung und Interpretation der
Daten zum Einsatz.

Die Rückkoppelung sollte im laufenden Forschungsprozess organisiert werden, um so den


bereits interviewten Personen abgeleitete Hypothesen präsentieren zu können. Die
zentralen Elemente der Rückkoppelung, deren Ziel es ist, „[…] eine[r] gemeinsame
Sichtweise unter den Betroffenen zu ermöglichen […]“575, werden im Abschnitt 4.1.2.
genauer dargestellt.

Beide Transkriptionen und Auswertungen (Interviews und Rückkoppelungen) liegen bei der
Verfasserin und beim Erstbetreuer in elektronischer Form auf.

Darauf folgt die Phase der Forschungsberichte und Publikationen, welche das konkrete
Praxisfeld (Science to Public), die wissenschaftliche Fachcommunity (Science to Science)
und/oder Fachgremien für Praktiker betreffen sowie das Projektende.576

Interventionen sind insofern Grenzen gesetzt, als dass die Selbststeuerung stets erfordert,
dass die derzeitigen Prinzipien und Autoritäten infrage gestellt werden577.

4.1.1. Qualitatives Interview


Das qualitative Interview ist ein wesentlicher methodischer Bestandteil der
Interventionsforschung578.

573 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 217-218


574 Vgl. Lamnek 2010: 484
575 Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 230
576 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 236-240
577 Vgl. Krainz, Paul-Horn 2009: 22
578 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 191

193
„Qualitative (offene, aber teilstrukturierte) Interviews sind ein wesentliches Element
von Interventionsforschung. Sie dienen dazu, Sichtweisen und Motive von
InterviewpartnerInnen zu erheben und Reflexionsprozesse in Gang zu setzen.
Interviews eignen sich besonders gut zur Identifikation von Problemlagen und
kontroversen Sichtweisen.“579

Beliebt ist das qualitative Interview auch deshalb, da die „[…] Informationen im statu
nascendi aufgezeichnet werden können, unverzerrt-authentisch sind, intersubjektiv
nachvollzogen und beliebig reproduziert werden können.“580 Durch den Vergleich von Text
und Interpretation ergeben sich Kontrollmöglichkeiten, die der Qualität der Auswertung
zuträglich sind.581

Durch Fragen soll der Befragte zum Antworten angeregt werden, da diese Informationen
grundlegend für die Forschung sind.582 Diesbezüglich ist die Fragetechnik zum einen davon
abhängig, was erfragt werden soll, zum anderen wird dem Befragten die eigene Struktur in
der Antwortmöglichkeit mehr oder weniger genommen. Im Fokus der qualitativen
Forschung steht, was der befragten Person als relevant erscheint, wie sie ihre Lebenswelt
beschreibt und beobachtet. Damit widmet sich die qualitative Forschung dem
Verstehensprozess, was Menschen in einem sozialen Zusammenhang dazu bringt, in einer
bestimmten Art und Weise zu handeln, was sie damit an Dynamiken auslösen und wie das
wieder auf den Befragten zurückwirkt.583

Spezielle Fragetechniken und geschaffene, vertrauensbildende Rahmenbedingungen, die


phasenförmig in Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung sowie in Grundhaltung,
Inhalte und Techniken im Interviewprozess584 unterteilt werden, sind Voraussetzung für den
Forschungsprozess.

Je nach genauem Zweck der Untersuchung lassen sich verschiedenste Varianten von
Interviews unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Kombinationen von Eigenschaften
innehaben. Die Intention des Interviews dieser Erhebung ist als ermittelnd zu bezeichnen;
der Interviewer erfragt ihn interessierende Informationen und der Befragte antwortet, was
zu einem einseitigen Informationsfluss führt. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der
Rückkoppelung (das könnte auch in einer Interviewsituation vorkommen) um eine

579 Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 191


580 Lamnek 2010: 301
581 Vgl. Lamnek 2010: 301
582 Vgl. Lamnek 2010: 302
583 Vgl. Froschauer, Lueger 2003: 15-17
584 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 192

194
vermittelnde Intention, da eine Veränderung des Bewusstseins und/oder eine Erkenntnis
der Interviewpartner erwünscht sind.585 Weiters kann das Interview als analytisch
bezeichnet werden: Es wurde versucht, soziale Sachverhalte zu erfassen, welche die
Forscherin im Nachhinein, aufgrund theoretischer Vorannahmen, analysiert und
beschreibt.586 Gleichzeitig ist auch eine Charakterisierung als problemzentriert möglich: Es
wird mit einem Leitfaden interviewt, der aus Fragen und Erzählanreizen (insbesondere auch
biografischen Daten) besteht, die auf ein bestimmtes Problem zentrieren.587 Die Methode
erlaubt es, einen Problembereich (im vorliegenden Fall die Kommunikation im
Krankenhaus) von verschiedenen Seiten zu betrachten und zu analysieren (hier aus Sicht
von diplomierten Pflegefachkräften und Medizinern). Dabei steht die Konzeptgenerierung
durch den Befragten zwar weiter im Mittelpunkt, das wissenschaftliche Konzept wird aber
durch deren Äußerungen modifiziert. Dies verlangt von der Interviewerin bereits Vorwissen.
Dieses wird mit den Interviewergebnissen, eventuell eigenen Erkundungen im
Untersuchungsfeld (Stichwort eigene Brille) und weiterem Fachwissen (hier auch aus den
Rückkoppelungen) gesammelt, nach Relevanz gefiltert, verknüpft und zu einem
theoretischen Konzept verdichtet.588 Als theoretisches Konzept ist hier die
Ergebnisinterpretation zu verstehen.

Das problemzentrierte Interview wird in der Regel mit anderen Methoden – in dieser Arbeit
mit einer qualitativen Form der Rückkoppelung und der Inhaltsanalyse – kombiniert, um
den Forschungsbereich von unterschiedlichen Seiten mit verschiedenen Methoden
beleuchten zu können. Die Forscherin geht mit zuvor gesammelten Informationen
(Literaturrecherche, Expertisen, eigene Erkundungen) in die Erhebungsphase und bietet
der interviewten Person mit offenen Fragen, welche nur den Problembereich eingrenzen,
Raum für eigene Erzählungen bzw. individuelle Sichtweisen.589 Mittels Leitfaden gelingt es,
eine Gedächtnisstütze und einen Orientierungsrahmen zu schaffen, der aus
Vorüberlegungen zum Thema strukturiert wurde590.

Die Interviews dieser Arbeit folgen zudem den methodologischen Aspekten und Prinzipien
innerhalb der qualitativen Forschung nach Lamnek wie z.B. Prinzip der Offenheit,

585 Vgl. Lamnek 2010: 304


586 Vgl. Lamnek 2010: 305
587 Vgl. Flick 2014: 210
588 Vgl. Lamnek 2010: 332-333
589 Vgl. Lamnek 2010: 332-333
590 Vgl. Lamnek 2010: 335

195
Realisierung eines Alltagsgesprächscharakters, Prinzip der Flexibilität, Zurückhaltung
durch des Forschers und dem Prinzip der Kommunikativität591.

Das Prinzip der Offenheit fordert dabei eine Offenheit des Prozesses für unerwartete
Informationen (insbesondere solche, die durch das entwickelte Vorverständnis nicht erfasst
werden oder diesem sogar widersprechen). Diese sollen nicht vorschnell unter das
bekannte Kategoriensystem subsumiert werden, wodurch Unerwartetes ausgeschlossen
würde. Einige Forscher sehen in der Befolgung dieses Prinzips sogar den wesentlichen
Unterschied zwischen quantitativer und qualitativer Sozialforschung.592

Rechnung getragen wurde diesem Prinzip in der vorliegenden Untersuchung durch


Offenheit in den Interviews und Rückkoppelungen (die sich insbesondere in offener
Fragestellung und Nachfragen zeigte) sowie in der Auswertung durch eine Anpassung an
das erhaltene Material, wiederholte Materialdurchgänge und Diskussionen mit anderen
wissenschaftlich ausgebildeten Personen verschiedener Professionen. An dieser Stelle ist
aber die Offenheit des Interviewprozesses relevant. Sowohl die Fragen des Leitfadens als
auch jene Fragen, die sich zusätzlich im Laufe des Gespräches ergeben hatten, wurden
offen gestellt und ließen den Interviewpartnern relativ viel Freiheit in der Gestaltung ihrer
Antwort, der Redefluss wurde nicht unterbrochen.

Damit zusammen hängt auch die „Realisierung eines Alltagsgesprächscharakters“. In der


Sozialforschung wird in diesem Zusammenhang gefordert, dass die Erhebungssituation
möglichst vertraulich und entspannt sein soll. Der Befragte soll nicht als Datenlieferant,
sondern als Subjekt verstanden werden. So soll der alltägliche Bedeutungshorizont des
Befragten in der Erhebungssituation aktualisiert werden. Außerdem kann so vermieden
werden, dass der Interviewte sich „ausspioniert“ fühlt. Anzustreben ist folglich eine
harmonische und kollegial-neutrale Atmosphäre, in welcher der Interviewer den
Interviewten ausreden lässt und auf seine Äußerungen positiv stimulierend reagiert. Der
Forscher soll ein weiches Interview führen, das heißt, er soll sympathisierendes Verständnis
für den Gesprächspartner aufbringen und so seine Hemmungen abbauen.593

Es kann angenommen werden, dass diesen Grundsätzen gefolgt wurde. Die Interviews
fanden zum Großteil in vertrauten Räumlichkeiten in der Klinik statt; zwei Interviews wurden
außerhalb der Klinik geführt. Die Gesprächspartner wurden nicht unterbrochen, sondern
durch freundlich interessiertes Nachfragen ermutigt, mehr zu erzählen. Zudem war
diesbezüglich von Vorteil, dass die vorgefertigten Fragen thematisch als Strukturhilfe

591 Vgl. Lamnek 2010: 320


592 Vgl. Gläser, Laudel 2010: 30
593 Vgl. Lamnek 2010: 313; 322-321; 404

196
ausformuliert waren, sie aber jeweils unterschiedlich und alltagstauglich formuliert wurden,
sodass auf die spezifische Situation (z.B. auf die vorhergehende Antwort) eingegangen
werden konnte (bzw. die nächste Frage als Anschluss an das Gesagte und im gleichen
Vokabular formuliert werden konnte). Dadurch ergab sich ein relativ natürliches
Gesprächsgefühl. Dazu trug zusätzlich die eigene Herkunft aus einem Krankenhaus bei,
sodass die Forscherin höchstwahrscheinlich als wenig systemfremd wahrgenommen
wurde. Gleichzeitig scheint damit das Prinzip der Zurückhaltung durch die Forscherin erfüllt
worden zu sein.

Die zuvor beschriebene Freiheit in der Formulierung hängt stark mit dem
Standardisierungsgrad der Fragen zusammen. Sie erlaubt, gemeinsam mit dem
Nachfragen und der Bitte nach ausführlicherer Beschreibung interessierender Aspekte,
auch ein variables Reagieren auf die Bedürfnisse des Befragten (Prinzip der Flexibilität).
Außerdem soll durch das verschiedenartige, an die jeweilige Alltagssprache bzw. an
individuell praktizierte Sprachcodes angepasste Formulieren Bedeutungsgleichheit
zwischen den Interviewpartnern erreicht werden.594

Damit angesprochen ist eine (in der vorliegenden Arbeit) notwendige Standardisierung der
Fragen. Da das Forschungsinteresse nicht als explorativ, sondern als deskriptiv zu
bezeichnen ist, scheint eine vollständig offene Befragung wenig geeignet. Der Leitfaden
sollte dennoch folgenden Anforderungen unterliegen:

• Berücksichtigung der Grundprinzipien qualitativer Sozialforschung (insbesondere


der Forderung nach Offenheit)
• begrenzte Anzahl von Fragen
• formale Übersichtlichkeit und gute Handhabbarkeit
• Orientierung am „natürlichen“ Erinnerungsfluss
• Vermeiden des Ablesens von Fragen
• Priorisierung von spontan produzierter Erzählung595.

Für die durchgeführten Interviews wurde ein Leitfaden entwickelt. Die Face-to-Face
Situation erlaubte eine offene, flexible Formulierung, Nachfragen und die Auflösung von
Irritationen. Damit kann auch die vorherrschende Asymmetrie in der Gesprächssituation
abgemildert werden. Zwar bleiben die Beteiligten schon allein aufgrund ihrer
unterschiedlichen Rollen als Fragende und Antwortende nicht gleich, im Zuge der
Herstellung einer möglichst natürlichen Gesprächssituation (inklusive dem empathischen

594 Vgl. Lamnek 2010: 320-321


595 Vgl. Helfferich 2009: 180

197
Eingehen auf den Anderen, ausreden lassen, bis das Thema aus Sicht des Befragten
vollständig behandelt ist und eher passives Verhalten des Fragenden sowie auch Erlauben
von Nachfragen) tritt ihre Bedeutung aber in den Hintergrund.596

In den vorangegangenen Ausführungen wurden verschiedenste Aspekte der


Kommunikation als Forscher mit einem Befragten beschrieben. Vernachlässigt wurde dabei
bisher das Prinzip der Kommunikativität. Während eines Interviews muss eine
Kommunikationsbeziehung mit dem Befragten eingegangen werden, die dessen
kommunikative Regelsysteme, Deutungsmuster und Wirklichkeitsstrukturen respektiert.
Unter der Voraussetzung der Beachtung aller vorher genannten Aspekte von
Interviewkommunikation kann davon ausgegangen werden, dass ein Interview diesem
Prinzip folgt.597 Letztlich sind noch einige eher praktische Aspekte für ein gelingendes
Interview nach sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkten von Bedeutung.

Zunächst ist die Interviewdauer zu betrachten. Sie kann aufgrund der oben ausführlich
beschriebenen Offenheit und Nähe zur Alltagskommunikation, aber auch in Abhängigkeit
der Artikulationskompetenz und Gesprächsbereitschaft des Interviewpartners, erheblichen
Schwankungen unterliegen (auch bei gleichem Thema und Leitfaden)598. In der
durchgeführten Untersuchung zeigten sich dennoch relativ stabile Interviewlängen: 19 bis
39 Minuten mit einem Mittelwert von 23,7 Minuten.

Während dieser Zeit ist es zudem notwendig, das verbale Material zu protokollieren. Darin
liegt (wie in der schwankenden Dauer) eine Schwierigkeit der qualitativen Forschung, die
bei quantitativen Forschungsprojekten nicht oder wesentlich weniger auftritt. Die Forscherin
hat sich hier für die Aufzeichnung mit einem Tonbandgerät (und gegen den Einsatz einer
Videokamera) entschieden. Dies lag vor allem in der steigenden Komplexität der
Transkription bei Videoaufnahmen, bei relativ geringem Zusatzgewinn an relevanten
(bildlichen) Informationen, begründet.599

Interviewführung fordert auch Kompetenzen von den Interviewpartnern. Hier sind


insbesondere intellektuelle und kommunikative Kompetenzen zu nennen. Der Befragte
muss die Fragen verstehen, über die Antwort nachdenken und diese dann verbalisieren.
Der Interviewer selbst ist gleich im doppelten Maß gefordert. Er muss, um qualifizierte und
zielgerichtete Fragen stellen zu können, sein Wissen bezüglich des Themengebietes

596 Vgl. Lamnek 2010: 306; 324


597 Vgl. Lamnek 2010: 318
598 Vgl. Lamnek 2010: 323
599 Vgl. Lamnek 2010: 323

198
abrufen, verbalisieren und dabei so formulieren, dass der Befragte die Fragen versteht und
geneigt ist, (möglichst ausführlich) zu antworten. Zusätzlich ist eine Anpassung des eigenen
Verhaltens an die bereits beschriebenen, empathischen (aber eher passiven)
Handlungsweisen des qualitativen Forschers erforderlich.600 Es wird davon ausgegangen,
dass die Forscherin den beschriebenen Anforderungen begegnen konnte. Dennoch
erfordern die, im Vergleich zum Alltagsleben anderen, Fragetechniken und geforderten
Verhaltensweisen ein Einfühlen in die Anliegen und Bedürfnisse der Rolle vor jedem
Interview. Dazu traf die Forscherin jeweils zumindest zehn Minuten vor dem vereinbarten
Gesprächstermin ein, um sich auf dieses einstellen zu können.

Damit ist indirekt bereits der letzte Punkt angesprochen: der Kontakt zu den befragten
Personen. Aufgrund der ortsgebundenen Nähe zum Untersuchungsfeld konnten Kontakte
durch die Direktion der Klinik relativ einfach hergestellt werden. Letztendlich wurden die
Interviewpartner direkt per Brief oder Mail kontaktiert und Termine als Einzelgespräche
vereinbart.

Im Anschluss an die Interviews wurden diese transkribiert und hinsichtlich (für die
Fragestellung) relevanter Themen inhaltsanalytisch aufgearbeitet, diskutiert und
strukturiert, sodass sich (sehr nah an den ursprünglichen Fragestellungen) Themenfelder
mit zugehörigen Fragekomplexen herausfiltern ließen, die in zwei
Rückkoppelungsworkshops an jeweils eine Gruppe von Interviewten aus demselben
Bezugssystem zurückgespiegelt und dort nochmals vertiefend diskutiert wurden.

4.1.2. Rückkoppelung
Bei der Rückkoppelung handelt es sich um ein „strukturiertes Reflexionssetting“601, in
dessen Rahmen der Forscher das bereits erhobene Datenmaterial und/oder erste
Forschungsergebnisse an den Auftraggeber, aber auch an die Interviewpartner,
zurückgespiegelt.602 Die Möglichkeit und Produktion einer gemeinsamen Sichtweise ist
hierfür das zentrale Ziel der Rückkoppelung.603 Dies bedeutet nicht,

„[…] dass im Anschluss daran alle die gleiche Meinung vertreten müssen oder
sollen, es soll aber zumindest ein gemeinsames Wissen über die verschiedenen

600 Vgl. Lamnek 2010: 323-324


601 Vgl. Krainer, Lerchser 2012: 13
602 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 229
603 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 230

199
vertretenen Positionen und deren allgemeine Zur-Kenntnis-Nahme erfolgen oder
eine gemeinsame Einschätzung der eigenen Situation erreicht werden.“604

Hinsichtlich der Rahmenbedingungen empfehlen die Autoren einen Zeitrahmen von


mindestens einen halben Tag bis Tag, für welchen die zentralen Inhalte, der Verlauf sowie
die Rollenverteilung im Team vorab geklärt werden müssen.605 Für diese Arbeit wurden
zwei Mal zwei Stunden eingeplant, die dann in je drei bis vier Stunden – aus Interesse der
Teilnehmer – endeten. Die Moderation übernahm eine externe Person. Die Verfasserin war
in einer präsentierenden, beobachtenden und fragenden Rolle anwesend. Obwohl die
einzelnen Rückkoppelungen an den jeweiligen Kontext angepasst werden, sollten die
Elemente der Ergebnispräsentation, die Beschreibung der zentralen Ergebnisse und
Theorien, eine Diskussion der Interviewergebnisse sowie Empfehlungen und
Konsequenzen für das praktische Feld immer enthalten sein.606 Für Letzteres haben
Forscher eine unterstützende Funktion, da die an der Rückkoppelung teilnehmenden
Personen kollektiv und zu einer umsetzungsorientierten Entscheidung und/oder
Vereinbarung finden sollen.607 An dieser Stelle ist der Wechsel in eine unterstützend-
moderierende Haltung essentiell, um Fremdbestimmung der Diskussionsteilnehmer zu
vermeiden.608

Durch die Partizipation des beforschten Systems selbst an den Ergebnissen und an der
Diskussion der Ergebnisse werden jedenfalls systemadäquate Antworten auf
Fragestellungen und Probleme geliefert sowie zeitgleich die Teilnehmer zur
Selbstaufklärung gezwungen609. Außerdem kommt das Vorwissen aller Beteiligten (die sich
schon länger mit dem Thema beschäftigt haben) zur Geltung610. So kann sichergestellt
werden, dass die Konstruktionen der Wissenschaft mit jenen der Praxis übereinstimmen,
sodass ein maximaler Nutzen für die jeweiligen Praktiker bzw. das beforschte System
entsteht611. Dem entgegengehalten werden muss aber, dass der Forscher für die
Durchführung besondere Expertise in Bereichen der Initiierung und Begleitung sozialer
Prozesse benötigt612. Dies konnte durch vorangegangene Erfahrungen mit Gruppen in

604 Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 30


605 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 230
606 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 230
607 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 232 -233
608 Vgl. Krainer, Lerchster 2012: 13
609 Vgl. Lerchster 2012: 62
610 Vgl. Heintel 2012: 128
611 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 182
612 Vgl. Hübner 2012: 168

200
diversen Lehraufträgen und die Unterstützung durch eine externe Moderation sichergestellt
werden.

Die Auswertung der Rückkoppelung erfolgt schriftlich und mithilfe von Beobachtungs- und
Fotoprotokollen, welche die Ergebnisse, Vereinbarungen und Konsequenzen für die
teilnehmenden Personen beinhalten613. Hier wurden beide Rückkoppelungen mit
Einverständnis der Teilnehmenden aufgezeichnet und anschließend transkribiert.

Qualitative Inhaltsanalyse

Im Folgenden wird die Methodik der Auswertung der zuvor beschriebenen Interviews und
Rückkoppelungsworkshops dargestellt. Grob folgt eine Auswertung qualitativer Interviews
den Phasen der Transkription, der Einzelanalyse, der generalisierenden Analyse und der
Kontrollphase.614 Für diese Arbeit wird die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse zur
Auswertung der Interviews und der Rückkoppelung herangezogen. Die Inhaltsanalyse,
sowohl quantitativ als auch qualitativ, ist darum bemüht, symbolisch-kommunikativ
vermittelnde Interaktionen im wissenschaftlichen Feld zu interpretieren.615

Mit der qualitativen Inhaltsanalyse sollen „[…] sprachliche Eigenschaften eines Textes
objektiv und systematisch identifiziert und [beschrieben werden], um daraus
Schlussfolgerungen auf nicht-sprachliche Eigenschaften von Personen und
gesellschaftlichen Aggregaten zu ziehen.“616

Die qualitative Inhaltsanalyse schließt an der ersten Auswertungsphase von qualitativen


Interviews, der Transkription, an, um die kommunikativ handelnden, alltagsweltlichen
Personen wissenschaftlich kontrolliert nachzuvollziehen und in weiterer Folge ein Muster
aus diesen Interaktionen zu generieren. Zu diesem Zweck folgt sie vier Punkten bzw. einem
methodischen Gerüst, welches dieselbe von anderen Textanalysen unterscheidet.

• Das Ziel der Analyse wird durch die Einordnung in ein Kommunikationsmodell
festgelegt.
• Einem Ablaufmodell folgend wird das in einzelne Einheiten zerlegte Analysematerial
regelgeleitet bearbeitet.

613 Vgl. Krainer, Lerchster, Goldmann 2012: 235


614 Vgl. Lamnek 2010: 367
615 Vgl. Lamnek 2010: 435
616 Mayntz et al. 1974: 151

201
• Die daraus resultierenden Analyseelemente werden in Kategorien gefasst,
begründet und gegebenenfalls modifiziert.
• Das inhaltsanalytische Verfahren soll intersubjektiv nachvollziehbar und die
Ergebnisse vergleichbar sein. Zudem wird eine Reliabilitätsprüfung
(Interkoderreliabilität) angestrebt.617 Letztere verfolgt das Ziel, eine völlige
Übereinstimmung von zwei unabhängigen Personen, die auswerten, zu erreichen.
Da dies bei qualitativ orientierter Forschung, aufgrund der angezweifelten
Übertragbarkeit quantitativer Kriterien und des Ungleichgewichts zwischen Haupt-
und Zweitkodierer, kaum zu erwarten ist, kommt eine angepasste Vorgehensweise
zum Einsatz, nämlich die durchgehende Reflexion der Ergebnisse mit
unterschiedlichen Personen.618

Das Ziel der vorliegenden Untersuchung liegt in einer Beschreibung und


Hypothesengenerierung des Kommunikationsverhaltens zwischen Ärzten und diplomierten
Gesundheits- und Krankenpflegern. Die qualitative Inhaltsanalyse kann Kategorien dabei
durch Interpretation direkt am Material entwickeln. Dies erlaubt eine vorurteilsfreie Analyse,
die durch theoretische Vorannahmen nicht zu schnell in eine bestimmte Richtung gelenkt
wird und folgt dem Prinzip der Offenheit in der qualitativen Forschung.619

Natürlich sind bereits in der Erhebungsphase (konkreter bei der Konstruktion des
Interviewleitfadens) theoretische Annahmen eingeflossen, die die Richtung der Antworten
und damit die Entdeckungsmöglichkeiten durch die Untersuchung beeinflussen. Auch hier
war die Offenheit durch die Flexibilität im Frageprozess weitestgehend gegeben.

Als problembehaftet werden häufig die induktiven Anteile der qualitativen Inhaltsanalyse
beschrieben, da nicht sichergestellt werden kann, dass gewonnene Erkenntnisse auch für
eine größere Gesamtheit gelten. Dem kann aber entgegengehalten werden, dass
Erkenntnisse zwar generalisiert werden, aber nicht durch Verallgemeinerung (wie in der
quantitativen Forschung), sondern durch Typisierung.620

„Ziel der Typisierung ist die Identifikation von Sets von sozialen
Handlungsmustern in einem Feld. Dies geschieht erstens mit der Einschränkung

617 Vgl. Mayring 2005: 10


618 Vgl. Mayring 2008: 13
619 Vgl. Lamnek 2010: 462
620 Vgl. Lamnek 2010: 465

202
eines Verzichts auf Quantifizierung der Muster […] und zweitens eingedenk der
Tatsache, dass ein Muster ein wissenschaftliches Konstrukt ist, das in der
empirischen Wirklichkeit nicht immer in allen Einzelheiten den Handlungsfiguren
entspricht.“621

Eine weitere Schwierigkeit betrifft die intersubjektive Überprüfbarkeit der


Ergebnisinterpretation, welcher die gegenseitige Überprüfung in Forschergruppen
entgegengesetzt wurde. Zudem ist die Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse aufgrund
ihrer schematischen Regeln nicht immer einfach. Obwohl sich dieselbe sehr stark an der
quantitativen Methodik orientiert, ist sie geeignet, um große Datenmengen aus
verschiedenen Inhaltsbereichen – durch ihr regelgeleitetes Verfahren – zu reduzieren.622

Das allgemeine Ablaufmodell von Mayring folgt neun Schritten:

(1) Festlegung des Materials: Es wird definiert, welches Material analysiert werden
soll und welche Ausschnitte ausgespart bleiben. Dazu wird die Grundgesamtheit
definiert, der Umfang der Stichprobe festgelegt und diese gezogen.
(2) Analyse der Entstehungssituation: Hier werden Informationen zu den
anwesenden Personen während des Interviews, die Erhebungssituation, der
soziokulturelle Rahmen sowie der emotionale und/oder kognitive Hintergrund der
handelnden Befragten beschrieben.
(3) formale Charakterisierung des Materials bzw. Transkriptionsregeln
(4) Nach den ersten drei Schritten der Beschreibung des Materials muss sich der
Forscher fragen, wie die Richtung der Analyse aussehen soll, d.h. was aus dem
Text interpretiert werden soll.623
(5) theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung bzw. die konkrete Klärung der
Fragestellung der Analyse. An dieser Stelle sind die Merkmale der Regel- und
Theoriegeleitetheit der Interpretation der qualitativen Inhaltsanalyse zu
berücksichtigen.624
(6) Die Bestimmung der Analysetechnik erfolgt nach den drei grundlegenden
Techniken und kann zusammenfassend (siehe auch 4.2.2.), explizierend und
strukturierend (siehe auch 4.2.1.) ausgestaltet sein.625

621 Lamnek 2010: 465


622 Vgl. Lamnek 2010: 475-478
623 Vgl. Mayring 2008: 47-50
624 Vgl. Mayring 2008: 52
625 Vgl. Mayring 2008: 58

203
(7) Definition der Analyseeinheit: An dieser Stelle wird definiert, wie eine
Textpassage sein muss, um unter eine bestimmte Auswertungskategorie zu
fallen.626
(8) Analyse des Materials anhand der ausgewählten Analysetechnik (6) oben.627
(9) Die Interpretation erfolgt in Richtung der Hauptfragestellung.628

Das Hauptaugenmerk der Forschungsarbeit liegt in der Erarbeitung der Frage:

„Welche Faktoren beeinflussen die Kommunikation im Krankenhaus zwischen den


Berufsgruppen Medizin und Pflege und beeinflussen die genannten Faktoren die
Organisationsentwicklung?“

So wurde sowohl eine strukturierende Inhaltsanalyse als auch eine zusammenfassende


Inhaltsanalyse vorgenommen.

4.2.1. Strukturierende Inhaltsanalyse


Das Ziel der zentralsten, inhaltsanalytischen Technik, welche die Theorie regelgeleitet vor
der Analyse entwickelt und dann an das Material trägt (deduktive Richtung)629, ist es,

• eine bestimmte Struktur im Material zu erkennen,


• anhand der vorab definierten Kriterien einen Querschnitt über das Material zu legen
sowie
• das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen630.

Die Strukturierung geschieht entweder formal, inhaltlich, skalierend oder typisierend, folgt
jedoch immer den Regeln einer genauen Definition der Kategorien, den konkreten
Ankerbeispielen für eine Kategorie sowie Kodierregeln zur Abgrenzung sich überlappender
Kategorien.631 In dieser Arbeit werden die Interviewtranskripte inhaltlich strukturiert, um so
eine Extrakation und Zusammenfassung des Materials zu erzielen632 und die Ergebnisse
für die darauffolgende Rückkoppelung aufzubereiten. Dazu werden die Inhalte, Themen
und Aspekte des Materials anhand theoretisch entwickelter Kategorien (und ggf.

626 Vgl. Lamnek 2010: 472


627 Vgl. Lamnek 2010: 472-473
628 Vgl. Lamnek 2010: 480
629 Vgl. Mayring 2005: 11, vgl. Mayring 2008: 74-75
630 Vgl. Lamnek 2010: 478
631 Vgl. Mayring 2008: 83
632 Vgl. Mayring 2008: 85

204
Unterkategorien) extrahiert und in paraphrasierter Form zusammengefasst (siehe
Abbildung 16).633 Nicht enthalten sind stets durchzuführende Schritte der Analyse des
Ausgangsmaterials und seiner Entstehungssituation (siehe Kapitel 5
„Forschungsergebnisse“). Die Differenzierung zwischen den Formen der strukturierenden
Inhaltsanalyse zeigt sich vornehmlich in den Schritten zwei und acht. Die
Zusammenstellung des Kategoriensystems, die Formulierung von Ankerbeispielen,
Definitionen und Kodierregeln zu den entsprechenden Kategorien und die Bezeichnung
bzw. Dokumentation der Fundstelle im Material bleiben bei den unterschiedlichen Formen
gleich und können somit als Kernstücke der strukturierenden Inhaltsanalyse bezeichnet
werden.634

Abbildung 16 Allgemeines Ablaufmodell der strukturierenden Inhaltsanalyse 635

633 Vgl. Mayring 2008: 89


634 Vgl. Mayring 2008: 85
635 Mayring 2008: 84

205
Im Falle der vorliegenden, strukturierenden Inhaltsanalyse werden in Schritt zwei
theoriegeleitete inhaltliche Hauptkategorien formuliert636, die eng an der Struktur bzw. den
Hauptfragen des Interviewleitfadens entwickelt werden. Die Ergebnisaufbereitung setzt sich
in der durchgeführten Untersuchung aus der Paraphrasierung des extrahierten Materials
und der Zusammenfassung pro Kategorie (und gegebenenfalls pro Hauptkategorie), in
dieser Reihenfolge, zusammen.637

4.2.2. Zusammenfassende Inhaltsanalyse


Für die Analyse der Rückkoppellungen wird die zusammenfassende Inhaltsanalyse
angewendet, deren Ablauf im Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse
dargestellt ist (siehe Abbildung 17).

Die zusammenfassende Inhaltsanalyse reduziert das Material so, „[…] dass die
wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus [zu]
schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist.“638 Anders als die strukturierende
Inhaltsanalyse folgt die zusammenfassende einer induktiven Analyserichtung.
Ausgangspunkt ist das Textmaterial, an dessen Passagen, die Kategorien möglichst eng
orientiert, formuliert werden.639 Für die qualitative Forschung ist eine induktive Analyse
besonders bedeutend, da das Material ohne Vorannahmen und ohne Verzerrungen in der
Sprache des Materials erfasst werden kann, wenngleich die zusammenfassende
Inhaltsanalyse, anders als z.B. die Grounded Theory, systematisch beschreibend
vorgeht.640

Ein wichtiges Prinzip der zusammenfassenden Inhaltsanalyse ist die genaue Festlegung
der jeweiligen Abstraktionsebene der Zusammenfassung. Sie kann schrittweise
verallgemeinert werden. Die Zusammenfassung wird so zunehmend abstrakter. Festgelegt
wird dabei zunächst in Abhängigkeit der Fragestellung (also theoriegeleitet) auch, was
zusammengefasst werden soll (Einführung eines Selektionskriteriums641). Natürlich
müssen andere, vorgelagerte Schritte der Analyse, wie in Abschnitt 4.2. beschrieben,
ebenfalls durchgeführt werden (z.B. Analyse des Ausgangsmaterials).

636 Vgl. Mayring 2008: 89


637 Vgl. Mayring 2008: 89
638 Mayring 2008: 58
639 Vgl. Mayring 2005: 11
640 Vgl. Mayring 2008: 75-77
641 Vgl. Mayring 2008: 76

206
Abbildung 17 Allgemeines Ablaufmodell der zusammenfassenden Inhaltsanalyse 642

Wichtig für die Analyse der Rückkoppelungsworkshops scheint vor allem auch die
Paraphrasierung, bei der ausschmückende Textbestandteile, die wenig zum Inhalt
beitragen, fallen gelassen und inhaltstragende Bausteine auf einer einheitlichen
Sprachebene formuliert werden.643 Beide Aspekte haben hier deshalb eine besondere
Bedeutung, weil es in den Gruppendiskussionen voraussichtlich zu Momenten kommt, in
denen wenig (neuer) Inhalt produziert wird (Wiederholung einer bereits gemachten
Aussage, Zusammenfassungen durch die Forschung oder Abschweifen der Gruppe vom

642 Mayring 2008: 60


643 Vgl. Mayring 2008: 61

207
Kernthema), aber aufgrund der verschiedenen Sprecher644, die jeweils unterschiedliche
Formulierungen, Begrifflichkeiten und Bedeutungszuschreibungen nutzen werden, nicht
immer sofort ersichtlich sein wird, dass die Aussagen auf der Inhaltsebene (nahezu) ident
sind. Am Ende der Analyse steht dann ein Kategoriensystem, dessen neue Aussagen das
Ausgangsmaterial noch repräsentieren645, aber soweit reduziert und zusammengefasst
sind, dass eine allgemeine Beantwortung der Hauptfragestellungen, bezüglich der
Kommunikation zwischen unterschiedlichen Mitarbeitergruppen im Krankenhaus, möglich
ist. Abbildung 18: Materialreduktion durch Zusammenfassung zeigt die Stärke der
Reduktion des Materials, die durch diese Art der Inhaltsanalyse erreicht werden kann und
soll.

Abbildung 18 Materialreduzierung durch Zusammenfassung646

Anschließend kann

• das gesamte Kategoriensystem hinsichtlich der Fragestellung interpretiert,


• induktiv (im Sinne der Zusammenfassung) Hauptkategorien gebildet,
• deduktiv (theoriegeleitet) Hauptkategorien gebildet,

644 Vgl. Mayring 2008: 61


645 Vgl. Mayring 2008: 61
646 Mayring 2008: 74

208
• für das Durchführen quantitativer Analysen gesorgt werden.647
Für die angestrebte Untersuchung scheiden quantitative Analysen eher aus, da die
Subgruppen (Pflege und Medizin) für reliable Annahmen zu klein würden. Stattdessen wird
das gesamte Kategoriensystem analysiert. Dabei wird aber zwischen Aussagen von Ärzten
und diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegern differenziert. Zusätzlich wird die
Zusammenfassung mit den Ergebnissen der strukturierenden Analyse (aus den Interviews)
zusammengebracht. So werden deduktive und induktive Herleitung gemeinsam betrachtet.
Da der erste Schritt der Analyse, auf welchem der zweite beruhte, aber deduktiv war, ist die
Analyse insgesamt wohl als deduktiv zu bezeichnen.

647 Vgl. Mayring 2008: 76

209
5. Forschungsergebnisse

Die Forschungsergebnisse sind so dargestellt, dass zuerst die 15 Interviews ausgearbeitet


und zusammengefasst wurden. Aus den Interviews lassen sich forschungsrelevante
Fragen ableiten. Diese wurden anhand von Hypothesen zusammengeführt und in den
beiden Rückkoppelungsveranstaltungen thematisiert sowie in unterschiedlicher
Priorisierung und Intensität behandelt und diskutiert. Daher sind auch die Ergebnisse der
beiden Rückkoppelungen im nachfolgenden Kapitel gesondert dargestellt. Die beiden
Ergebnisteile werden im anschließenden Kapitel anhand der forschungsrelevanten Fragen
mittels der Ergebnisse und der Theorie einer interpretativen Abhandlung zugeführt.

In diesem Teil der Arbeit werden in einem ersten Schritt die Interviewpersonen beschrieben
sowie die Interviewsituation reflektiert. Daran anschließend werden die Ergebnisse der
strukturierenden Inhaltsanalyse der qualitativen Interviews thematisiert. Der Fragestellung
„Welche Faktoren beeinflussen die Kommunikation im Krankenhaus zwischen den
Berufsgruppen Medizin und Pflege und welche Auswirkungen haben diese auf die
Organisationsentwicklung?“ folgend werden die Kommunikation im Krankenhaus
allgemein, die Kommunikation zwischen den Berufsgruppen und Geschlechtern, das
Thema der Akademisierung der Pflege sowie Kommunikation und Stressmanagement,
Konflikte und der Umgang mit denselben bearbeitet.

Als Grundlage für die genaue Ausarbeitung der Forschungsergebnisse und der
Rückkoppelung dienen die oben genannten 15 Interviews, aus denen sowohl
zusammengefasst als auch Interviewpassagen zitiert sind, sowie die inhaltsanalytische
Aufbereitung der transkribierten Rückkoppelungsveranstaltungen. Die Transkripte und
Audiodateien sind in der gebundenen Ausgabe nicht enthalten, sehr wohl aber dem
Erstbetreuer in digitalisierter Form übermittelt worden.

Die Interviews wurden in der Klinik – nach schriftlicher und telefonischer Kontaktaufnahme
– durchgeführt. Die Kontaktaufnahme mit der Pflegedienstleitung erfolgte über einen
Zugang während eines gemeinsamen Studiums und aus dem Interesse heraus, die
Thematik Kommunikation im Krankenhaus zu erforschen. Daher wurden seitens der
Pflegedienstleitung alle Kontaktaufnahmen in Absprache mit der kollegialen Führung
durchgeführt und bewilligt. Es wurden fünfzehn Personen aus Medizin und diplomierter
Krankenpflege zu einem persönlichen Interview gebeten. Die Auswahl erfolgte zufällig,
wichtig war, eine Mischung zwischen Männern und Frauen sowie unterschiedliche
Dienstverhältnisse und Hierarchiezugehörigkeiten zu erzielen. Für die Interviews wurden
die Interviewpartner vor Ort in der privaten Klinik besucht und interviewt. Den
Interviewpartnern wurde im Vorfeld per Hauspost eine Einladung zugestellt. Einige,

210
vorzugsweise Interviewpartner aus der Pflege, nahmen direkt Kontakt auf und vereinbarten
einen Termin. Die Mediziner und einige Teilnehmende aus der Pflege mussten zuerst per
Mail und dann per Telefon kontaktiert werden. Nur eine Person verweigerte vor Ort das
Interview aufgrund des Aufnahmegerätes. Sie fragte allerdings einen Kollegen, der sich für
das Interview bereit erklärte. Alle Interviews wurden aufgezeichnet und anschließend
transkribiert. Das Interview wurde anhand eines Leitfadens durchgeführt. Dieser diente zum
einen der strukturierten Fragetechnik und zum anderen der Orientierung. Ein narratives
Interview kam nicht infrage, da bestimmte Themengebiete für die Erarbeitung des Themas
relevant sind und waren. Jedem Interviewpartner wurde Anonymität zugesagt, was auch so
weit als möglich eingehalten wurde. Durch die Geschlechts- und Stationszugehörigkeit
können für sehr gute Kenner der Klinik mögliche Rückschlüsse nicht zur Gänze
ausgeschlossen werden. Für die Autorin waren die Interviews zum Teil herausfordernd, da
das Interviewen Übung erfordert. Selbstverständlich wurden in Lehrveranstaltungen und
anderen Studienzweigen immer wieder Interviews durchgeführt. Daher war es eine
konzentrationsintensive Situation, die nach ausreichender Reflexion auch Lücken aufweist.
Das explizite Nachfragen stellte so eine der Lücken dar und wurde auch nicht mit erneuten
Interviewsituationen belegt. Nichtsdestotrotz ergibt das Material eine große Menge an
Ausarbeitungsgrundlage, die nun in diesem Kapitel nach ausreichender Analyse und
Reflexionsarbeit ausformuliert wird. Anschließend wurden aus den forschungsrelevanten
Fragen Hypothesen gebildet, die für die Rückkoppelungsveranstaltungen als relevant
erachtet wurden.

Darstellung der Organisationsstruktur und der


Interviewpartner

Die Klinik ist eine von mehreren Gesundheitsbetrieben, die als GmbH geführt wird und
darüber hinaus noch Beratungs- und IT-Leistungen anbietet Die gesamte GmbH umfasst
über 1000 Mitarbeiter und ca. 300 davon sind in jener Klinik, in der die Interviews geführt
wurden. Die Klinik, die derzeit 152 Betten führt, wird von der kollegialen Führung –
kaufmännische Leitung (Prokura), medizinische und pflegerische Leitung sowie einer
Leitung im Verwaltungsbereich – geführt. Der Pflegedienstleitung sind der gesamte
Pflegedienst, ambulant und stationär, die medizinisch-technischen Dienste und das
Reinigungspersonal unterstellt. Hierarchisch gibt es dort die Pflegedienstleitung und in den
Abteilungen die Stationsleitungen und danach das diplomierte Fachpersonal, welches für
dieses Projekt interviewt wurde. Zum Zeitpunkt der Rückkoppelung im Jahr 2016 waren für
das pflegerische Personal 80,85 Dienstposten vorgesehen und mit 102 Köpfen belegt. Dem

211
medizinischen Leiter sind die Ärzte unterstellt. Die Abteilungen werden von den
Primarärzten geleitet, weiters gibt es Fachärzte, Belagsärzte und Stationsärzte sowie in der
Regel einen Turnusarzt. 2016 waren dort 37,98 akademische/ärztliche Dienstposten mit 39
Köpfen belegt. Die Besonderheit zum Zeitpunkt des Forschungsvorhabens ist die
Berufsgruppe der Stationsärzte. Sie sind täglich in der Klinik und entsprechen dem
Ausbildungsgrad eines praktischen Arztes, d.h. sie haben keine spezielle
Facharztausbildung, sind aber in den bestimmten Fachabteilungen im Dienst. Das private
Krankenhaus verfügt über folgende Abteilungen: Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie,
Neurologie, Wirbelsäulen- und Neurochirurgie, Orthopädie, Anästhesie, Radiologie und
Nuklearmedizin.

In der Beschreibung der Interviewpartner wird auch zum Teil deutlich, aus welchen Gründen
sie den Beruf gewählt haben. Die forschungsrelevanten Fragen sind jeweils am
Abschnittsende formuliert und dienen später als strukturierende Grundlage für die
Interpretation.

Das Interview mit IP1 wurde im August 2012 geführt und dauerte 39 Minuten. Die
Diplomkrankenschwester entschied sich nach ihrer Matura gegen ein Studium. Da
sie schon immer mit Menschen arbeiten wollte, ging sie in die Krankenpflege, was
retrospektiv gut zu ihr passe. Sie diplomierte 1995. Nach einer halbjährigen
Beschäftigung begann sie, auf der neurologischen Station zu arbeiten. Nach
weiteren drei Jahren auf der Postnarkose/Anästhesie. Dort übernahm sie die
Funktion der Stationsleitung. Die Führungsaufgabe gefällt ihr bis heute, da sie, wie
sie selbst sagt, gerne mitgestaltet. Durch das Vertrauen und die Unterstützung der
damaligen Pflegedirektorin hatte sie, nach einer kurzen Einarbeitungsphase für
Führungsaufgaben, relativ freie Hand und konnte ihre Fähigkeiten ausprobieren.
Zusätzlich absolvierte IP1 berufsbegleitend einen Bachelor und Master und
übernahm eine Leitungsfunktion, zuerst interimistisch und dann komplett. In dieser
Funktion ist sie für den Pflegedienst, die Reinigung und die medizinisch-technischen
Dienste bzw. für ca. 180 Mitarbeiter in 14 Abteilungen verantwortlich.

Das Interview mit IP2 fand im September 2012 statt und dauerte 21 Minuten. Da es IP2 aus
finanziellen Gründen nicht möglich war, Medizin zu studieren, entschied sie sich für
die Alternative einer Pflegeausbildung. Die Kommunikation zwischen Patienten und
Pflege ist für sie ein Grund, warum sie ihre Ausbildung nicht mit einem
Medizinstudium tauschen würde. Nach ihrem Diplom im Jahr 2002 arbeitete IP2
zwei Jahre auf der Herz-Thorax-chirurgischen Abteilung in einem Allgemeinen
Krankenhaus in einem anderen Bundesland, bevor sie in der privaten Klinik anfing.
Nebenher beteiligte sie sich an der Gestaltung eines EDV-Programmes und an

212
unterschiedlichen Projekten. Die dort gemachten Erfahrungen bewogen sie dazu,
2009 ein Studium zu beginnen, welches sie im Juli 2012 abschloss. Schon zuvor,
2009, übernahm sie die Stationsleitung einer chirurgischen Abteilung.

Das Interview mit IP3 wurde im Oktober 2012 geführt und dauerte 25 Minuten. IP3
interessierte sich schon im Alter von 12, 13 Jahren für den Krankenpflegeberuf, um
Menschen zu helfen. Nach dem Zivildienst arbeitete er als
Pflegehelfer/Altenfachbetreuer und kam vor drei Jahren an die Klinik. Dort arbeitete
er in den Abteilungen für Chirurgie und Postnarkose/Anästhesie.

Im selben Monat (Oktober 2012) wurde auch das 20-minütige Interview mit IP4 geführt. Da
das Medizinstudium nicht so ihres war, sie Geld verdienen und einen Job haben
wollte, beendete IP4 ihr Studium nach einem Jahr, um eine Pflegeausbildung zu
machen. Obwohl sie nie in der Pflege bleiben wollte, blieb sie auf ihrer letzten
Abteilung, der Intensivstation, „hängen“, an der es bis heute passt. Dennoch
konzentrierte sie sich lieber auf ihre Familie und Kinder und machte den Job eher
nebenher.

Das Interview mit IP5 fand im November 2012 statt und dauerte 30 Minuten. IP5 wurde
durch ihren Vater auf die Idee gebracht, Krankenschwester zu werden. Zusammen
mit der Ausbildung ist sie seit bereits 30 Jahren in diesem Berufsfeld tätig, da sie
gerne mit Menschen bzw. Patienten zusammenarbeitet. Nach ihrer Ausbildung war
sie ein Jahr in einem öffentlichen Krankenhaus beschäftigt, welches sie aus privaten
Gründen verließ. Obwohl sie den Beruf bis heute als sehr schön empfindet, birgt
dieser auch schwierige Aspekte. Neben der körperlichen Belastung sind für sie sehr
fordernde Patienten psychisch herausfordernd. Im Vergleich zu ihrer früheren
Station (Chirurgie) sieht sie diesen Umstand auf ihrer derzeitigen Station
(Neurologie) verstärkt. Den Grund dafür sieht sie nicht nur bei den
„energieraubenden“ und wiederkehrenden Patienten, sondern vor allem in der
längeren Verweildauer.

Das Interview mit IP6 dauerte 26 Minuten und wurde im März 2013 geführt. Obwohl dem
diplomierten OP Pfleger die Medizin schon immer gefallen hatte, war dieser, seiner
Aussage nach, zu bequem für das Studium. Bei seiner Tätigkeit als ausgebildeter
Zahntechniker fehlte ihm der Bezug zu den Menschen, weshalb er sich beruflich
neu orientierte. In der Klinik arbeitete er seit 3 Monaten.

Das Interview mit IP7 fand ebenfalls im März 2013 statt und dauerte 23 Minuten. IP7
entschied sich nach ihrer Lehre zur Einzelhandelskauffrau für den Beruf der
Krankenschwester, welcher ihr damals wie heute sehr gut gefällt. Obwohl es

213
manchmal schwierige Patienten gibt, ziehe sie auch ihre Motivation für den Beruf
aus ihnen, da man, so in ihren Worten, „[…] alles, was man gibt, hundertprozentig
zurückbekommt“648.

Das Interview mit IP8 wurde im Juni 2013 geführt und dauerte 18 Minuten. IP8 hatte schon
immer Interesse daran, direkt am Menschen zu arbeiten und möglicherweise ist der
Berufswunsch „[…] vielleicht auch familiär beeinflusst“649. Als „Animateurin“650 im
Altersheim konnte sie schon als Schülerin, während der Sommerferien, erste
Eindrücke des Pflegealltags gewinnen. Dies und die Arbeit mit und am Menschen
bewegten sie dazu, eine Ausbildung im Pflegebereich zu machen. Nach ihrer
Ausbildung arbeitete sie drei Monate in einem öffentlichen Krankenhaus. Seit 2008
ist sie in der privaten Klinik tätig. In ihrem Job fühlt sie sich gebraucht und sieht,
dass sie direkt am Menschen etwas bewirken kann.

Das Interview mit IP9 dauerte 31 Minuten und wurde ebenfalls im Juni 2013 geführt. Der
Arzt, welcher ein Drittel seiner Turnuszeit noch vor sich hat, wird sich wahrscheinlich
in eine chirurgische Fachrichtung spezialisieren. Die Unabhängigkeit sowie die
Bandbreite des Berufsbildes stellten die größte Motivation für IP9 dar. Für ihn hat
die Tätigkeit zwei Aspekte. Auf der einen Seite ist der Beruf sehr fordernd und geht
mit viel Verantwortung einher. Auf der anderen Seite kann man mit und um
Menschen arbeiten und so viel Zufriedenheit erleben. Bei der Ausbildung genoss
IP9 bereits die neue Studienordnung, welche viele praktische Elemente beinhaltete
und seiner Meinung nach eine sehr gute war.

Das Interview mit IP10 dauerte 22 Minuten und fand im Juni 2013 statt. Der Mediziner,
dessen Vater schon Arzt war, liebt die ständige Abwechslung an seiner Tätigkeit.
Laut seiner Aussage ist der Arztberuf für ihn ein Beschäftigungsfeld, welches er
einfach kann.

Auch IP11 wurde im Juni 2013 interviewt (20 Minuten). Die Hauptmotivation der Neurologin
für den Arztberuf war das Interesse an der Psychosomatik des Menschen. Sie
arbeitet seit ca. zehn Jahren, mit einer Unterbrechung von drei Jahren, in der
Privatklinik.

Das Interview von IP12 dauerte 19 Minuten (Juni 2013). Auch dieser Arzt folgte den
Fußstapfen seines Vaters und studierte nach der Matura Medizin. Positiv an seinem

648 IP 7, Z 10-11
649 IP 8, Z 10
650 IP 8, Z 11

214
Beruf ist, dass er Gutes bewirken kann und dass er Dankbarkeit und Anerkennung
von seinen Patienten erfährt.

Auch das Interview mit IP13 dauerte 19 Minuten und wurde im Juni 2013 geführt. Das
Schlüsselerlebnis für die Wahl des Ärzteberufs war das Schenken eines Arztkoffers
aus Plastik zu ihrem zehnten Geburtstag. Das Helfen-können und das Arbeiten am
Menschen sind ihre Motivation und der Grund, warum sie ihren damaligen
Entschluss bis heute nicht bereut.

Das Interview mit IP14 wurde im Oktober 2013 geführt und dauerte 22 Minuten. Die Ärztin
kam durch den frühen Tod ihrer Mutter und die dadurch prägende Jugend zur
Medizin. Obwohl sie ihren Job als sehr befriedigend empfindet, schätzt sie diesen
als familienfeindlich ein und würde – trotz der Tatsache, dass sie sich als
emanzipierte Frau sieht – nur mehr als Mann Medizin studieren. Gründe dafür sind
die schlechteren Aufstiegschancen für Frauen und das Mehr an Fortbildungen für
dieselbe Position. An ihrem Job mag sie die Interaktion und gute Kommunikation
mit den Patienten. Sie ist seit elf Jahren in der Klinik tätig.

Das Interview mit IP15 fand ebenfalls im Oktober 2013 statt und dauerte 20 Minuten. Sie
wollte Ärztin werden, um Menschen seelisch und körperlich helfen zu können und,
um für sie da zu sein. Sie begann ihr Studium im Jahr 1979 und fing 1988 an, in
einem öffentlichen Krankenhaus zu arbeiten. Seit 15 Jahren ist sie in der privaten
Klinik tätig.

Darstellung der Ergebnisse nach relevanten


Themenschwerpunkten

Die Interviews wurden anhand eines Interviewleitfadens geführt, daher können die
Forschungsergebnisse anhand von Themenschwerpunkten dargestellt werden, die sich
letztendlich auch in der Interpretation aufgreifen lassen. Gekennzeichnet sind die Passagen
der Interviewpartner so, dass echte Zitate in der Fußzeile angeführt sind. Andernfalls ist der
Konjunktiv zeichen der Paraphrase und das Interview als Ganzes ist wieder in der Fußzeile
und im Fließtext angegeben.

5.2.1. Bedeutung von Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern


In diesem Abschnitt steht die Beantwortung folgender Fragen im Zentrum: In welchen
Situationen ist Kommunikation bedeutend? Ab wann wird Kommunikation von den

215
Interviewpartnern als unzureichend wahrgenommen und welche Gründe können jeweils
identifiziert werden?

Wie in den folgenden Textabschnitten auch beschrieben wird, spielen hier Aufrichtigkeit651,
Respekt652, der Respekt für die unterschiedlichen Berufsgruppen653, Wertschätzung654 und
ein angemessener Umgangston655 eine wichtige Rolle. Weitere zentrale Punkte sind
gegenseitiges Vertrauen, Ehrlichkeit und Offenheit656, welche für IP14 gerade im Umgang
mit Fehlern entscheidend seien. Dieser Umgang bzw. die Ansprache von Fehlern ist auch
für IP7 und IP12 bedeutsam, wobei für IP7, welche der Professionalität zentrale Bedeutung
zumisst, immer der Patient das primäre Kommunikationsthema sein sollte. Auch IP5 und
IP6 sehen das Wohl des Patienten als zentrale Bedingung für die gelungene
Kommunikation in der Klinik. Um dies zu erreichen, ist für IP5 die Zusammenarbeit auf ein
Ziel hin entscheidend. IP6 betont hingegen eher klare Aussagen und das gegenseitige
Kommunizieren (wollen). Dieser Wille zur Kommunikation wird auch von IP15
angesprochen. Ihrer Meinung nach gelinge dies auch dann, wenn eine Schwester sie auf
eine „falsche“ Anordnung aufmerksam mache und somit das Thema der Reduktion von
Hierarchien zwischen und/oder innerhalb der Berufsgruppen (siehe dazu auch förderliche
Faktoren für die Kommunikation zwischen Pflege und Medizin 5.2.1.1.) erneut zum Thema
werde. Diesen Umstand spricht – wenn auch etwas anders – IP11 an: „[…] aber auch von
den Pflegern, also die Bereitschaft einfach zuzulassen, dass da ein netter Mensch ist, egal
was der für einen Titel davor hat. So wie ich glaube, es umgekehrt auch mache.“657 Diese
Zusammenarbeit und anderen nicht das Gefühl der Unterordnung zu geben, oder mehr
oder weniger sympathisch zu sein, sei auch für IP12 eine Voraussetzung nicht nur für
positive Kommunikation, sondern auch für eine fließende Informationsweitergabe. Auch IP7
wünscht sich, dass sie von anderen als Pflegefachkraft wahrgenommen werde, was ihrer
Meinung nach in der Klinik möglich sei. Somit betont IP7, aber auch IP10, erneut die kleine
Größe der Klinik als förderliche Rahmenbedingung für die Kommunikation zwischen den
Berufsgruppen. Für IP1 brauche es zusätzlich einen guten Draht zu den Führungsebenen,
welche kollegial ausgestaltet sein sollten. IP11 betont abschließend erneut die informelle
Kommunikation, für welche die Zeit und die Möglichkeiten geschaffen werden müssten.

651 IP7, Z 248


652 IP7, Z 248, IP13, Z 195
653 IP7, Z 248-249
654 IP8, Z 199, IP15, Z 202
655 IP8, Z 199-200
656 IP14, Z 210
657 IP11, Z 175-176

216
Zusammenfassend identifizieren die Interviewpartner – unabhängig von ihrer Berufsgruppe
– die gleichen förderlichen Faktoren und Rahmenbedingen wie in Abschnitt 5.2.1.1. So
wurden die Reduktion von Hierarchien, die Themen der Anerkennung, der Wertschätzung,
der Gleichberechtigung, des gegenseitigen Vertrauens und der Offenheit, eine klare
Aufgabenverteilung, die Größe der Klinik und die informelle Kommunikation angesprochen.

Ein Punkt, welcher zwar in den anderen Textstellen angedeutet, aber nicht so eindeutig
ausformuliert wurde, ist das Vorhandensein einer offenen Fehlerkultur als entscheidende
Bedingung für die Kommunikation im Krankenhaus.

Des Weiteren werden auch die Fragen, ab wann Kommunikation als unzureichend
wahrgenommen wird und, welche Gründe hierfür identifiziert werden, in den folgenden
Abschnitten detailiert angesprochen, weshalb Themen wie fehlende
Anerkennung/Wertschätzung, unprofessionelles Verhalten, persönliche Reiberein,
Hierarchie etc. an dieser Stelle nicht angeführt werden.

Interpretationsrelevante Fragen zur Kommunikation im Krankenhaus

In den Interviews wurde zudem die Frage gestellt, wie sich die allgemeine Sicht der
Kommunikation für die Interviewpartner darstellt. Die Weite des Themas Kommunikation
und wenig konkret gestellte Fragen ergeben nun folgende Fragen, die aufgrund der
Antworten der Interviewpartner entstanden sind.

Welche Bedeutung und Wertigkeit hat die Erfüllung bestimmter Aufgaben im


Gesamtkontext des Krankenhauses bzw. wie werden Bedeutung und Wertigkeit
empfunden? Und wie wirkt sich dies gegebenenfalls auf die Kommunikation aus?

Was macht gelungene Kommunikation im Krankenhaus aus?

Welchen Einfluss hat der persönliche Kommunikationsstil auf die Kommunikation im


Beruf? Und inwieweit ist dieser persönliche Stil veränderbar bzw. ein bestimmter Stil
erlernbar?

Wie können regelmäßige Besprechungen die Kommunikation fördern?

Wie und in welchen Situationen spielt das Thema Macht zwischen den Berufsgruppen
eine Rolle?

5.2.1.1. Kommunikation innerhalb der Berufsgruppe der Mediziner

In diesem Abschnitt soll in erster Linie der Frage nachgegangen werden, wie der
Informations- und Kommunikationsfluss (verbal) innerhalb der Berufsgruppe der Mediziner
ausgestaltet ist. Insgesamt äußerten sich alle sieben interviewten Mediziner und zwei

217
Pflegefachkräfte zur Kommunikation zwischen Medizin und Medizin. Sowohl von
Medizinern als auch von zwei Vertretern der Pflege werde die Kommunikation zwischen
den Ärzten bzw. den Primar- und Oberärzten als sehr gut wahrgenommen. Die
Beschreibungen reichen von freundschaftlich658, kollegial659, entgegenkommend660,
offen661, fächerübergreifend662, unkompliziert663, informativ664 und wertschätzend665 bis hin
zu „En gros ist die Kommunikation gut, im Detail natürlich nicht“666. Zusammenfassend
konnten sowohl positive als auch negative Faktoren und förderliche/hemmende
Rahmenbedingungen für die Kommunikation zwischen Medizinern identifiziert werden.

IP11 sieht die offene und fächerübergreifende Kommunikation zum Teil in der Größe der
Klinik begründet. Da diese nicht so groß sei, können telefonische und persönliche Anfragen
der Mediziner untereinander sofort in Angriff genommen werden. Die Größe des Hauses ist
auch für IP12 ein Argument für die unkomplizierte Kommunikation unter den Kollegen.

Für IP12 begegnen sich alle Ärzte, unabhängig davon, ob diese Fach- oder
Allgemeinmediziner sind, auf Augenhöhe, wenngleich eine theoretische Hierarchie
zwischen Fach- und Allgemeinärzten denkbar sei. Für den Arzt müsse es allerdings eine
hierarchische Ordnung geben, ohne die bestimmte Situationen nicht funktionieren würden.
Dies beginnt bereits in der Ausbildung gegenüber Oberärzten und/oder Abteilungsleitern
und endet auf der Station, auf der jemand das Sagen haben müsse. Hierarchie mindere
bzw. lebe IP12, indem er jeder Fachrichtung ihre eigenen Kompetenzen und Wertigkeiten
zuschreibt. Auch die anderen Ärzte beschreiben das Thema Hierarchie im Ärzteteam,
wobei diese unterschiedlich wahrgenommen wird. So sei diese für IP11 diskret und für IP9
flach, allerdings für beide professionell, positiv, freundschaftlich, entgegenkommend und
hilfsbereit, was eine gute Zusammenarbeit im Team ermögliche. IP10 räumt ein, dass
Empfehlungen von Kollegen zwar geschätzt, aber nicht immer umgesetzt werden würden.
Er beschreibt Ärzte mitunter als freie Vögel/ freie Künstler. Für IP14 ergibt sich die
Hierarchie im medizinischen Bereich aus der Verantwortung bzw. der Verantwortungslast.
Da sich die Medizin lange Zeit in der Hand der Männer befunden habe bzw. Männersache

658 IP11, Z 39, IP13


659 IP11, Z 39
660 IP11, Z 42
661 IP1, Z 42
662 IP11, Z 43, IP15, Z 201-206
663 IP12, Z 30
664 IP13, Z 28
665 IP14, Z 36
666 IP15, Z 14

218
war/ist und männliches Denken hierarchisch sei, existiert – für IP13 – diese Hierarchie vor
allem in der Medizin. Anders als die anderen Ärzte sieht IP15 „[…] ein paar Feindschaften,
da gibt es ein paar Eifersüchteleien, ein bisschen Neid, aber es ist nichts Dramatisches.
Das sind nur Einzelgeschichten zwischen eifersüchtigen Kollegen.“667 Diese ließe ihrer
Einschätzung nach die Kommunikation im Detail eher schlechter werden, seien aber nicht
auf das Thema Hierarchie zurückzuführen.

IP10 verknüpft die Kommunikation zwischen Medizinern mit der Altersstruktur, da „[…] je
jünger die Mediziner, desto eher kommunizieren sie.“668 Dies sei seiner Einschätzung nach
darin begründet, dass Ärzte der Generation Y anders als die Generation „Götter in Weiß“,
die autoritär Entscheidungen träfe, miteinander umgehen.669 IP14 spricht den
Zusammenhang zwischen Kommunikation und Information an, da diese gerade bei
Dienstübergaben zwischen Fachärzten und Stationsärzten eine wesentliche Rolle spiele.
Für sie findet hier zu wenig Kommunikation statt und sollte aus diesem Grund verbessert
werden. Gerade Informationen im Wechsel Tag- und Nachtdienst gingen ihrer Meinung
nach zum Teil verloren. Wenngleich auch IP13 die Kommunikation von Medizin und Medizin
mit dem lückenlosen und auf das Wesentliche reduzierten Informationsfluss zwischen
Fachärzten, Oberärzten, Primarärzten, Vertretungsärzten und Pflegefachkräften
gleichsetzt, existieren für sie informelle Bereiche (wie z.B. gemeinsames Essen), in welchen
sowohl Fachprobleme als auch private Themen angesprochen werden könnten. Dieser
informelle Austausch in Fachgruppen (ob hier auch die Pflege mitgedacht war, bleibt offen)
fördere ihrer Meinung nach Freundschaft zwischen Kollegen. Für IP14, welche
Kommunikation unter dem Begriff wertschätzender Umgang sammelt, steht dieselbe „[…]
direkt proportional der Belastung“670. Da diese Aussage bedeuten würde, dass ein Mehr an
Kommunikation auch zu einem Anstieg der Belastung führe, versuchte die Interviewerin die
Antwort nach Nachfragen zu konkretisieren. D.h., wenn die Belastung höher als „normal“
wird, würde die Kommunikation und der wertschätzende Umgang darunter leiden. Wenn
die Situation eskaliert „[…] dann kann es auch sein, dass es wirklich heftig wird, laut,
unhöflich und alles Mögliche.“671 Auch IP15 bemerke ab und an eine Veränderung der
Kommunikation in Stresssituationen, in denen „[…] jeder austeilen anfängt und teilweise

667 IP15, Z 14-16


668 IP10, Z 47
669 IP10
670 IP14, Z 36-37
671 IP14, Z 39-40

219
verbal um sich schlägt [schlagen].“672 Die eher negative Kommunikation schwinde wieder,
wenn das Wohl des Patienten im Mittelpunkt steht.

Aus den Interviews lassen sich zusammenfassend folgende positive bzw. förderliche
Faktoren und/oder Rahmenbedingungen für eine gute Kommunikation nennen:

• lückenlose und auf das Wesentliche reduzierte Informationsweitergabe


• flache Hierarchien, Fehlen einer „theoretischen Hierarchie“, Veränderung des
Hierarchiedenkens – vor allem in der jüngeren Ärztegeneration
• informelle Kommunikation bzw. informelle Kommunikationsräume
• Anerkennung der eigenen Kompetenzen und die der Anderen
• das übergeordnete Ziel des Patientenwohls
• die kleine Größe der Klinik

Auf der anderen Seite identifizierten die sieben Ärzte nachstehende negative bzw.
hemmende Faktoren/Rahmenbedingungen für eine gute Kommunikation innerhalb ihrer
Berufsgruppe:

• Belastungsspitzen
• Stresssituationen
• Eskalation
• Konkurrenzdenken, Neid
• fehlende Information bzw. deren Weitergabe
• offene Äußerung von Kritik

Interpretationsrelevante Fragen zum Thema Kommunikation Medizin und Medizin

Das Thema Kommunikation zwischen Medizin und Medizin ist aus der Frage entstanden,
wie die Mediziner die Kommunikation untereinander sehen und aus der Frage, die den
Pflegefachkräften gestellt wurde, wie sie die Kommunikation unter den Medizinern
beschreiben würden.

Wie wird formale Hierarchie innerhalb der Medizin in Abgrenzung zur realen,
informellen und gelebten Hierarchie innerhalb der Medizin empfunden?

Zeigt sich die gelebte Hierarchie tatsächlich sehr flach bzw. sogar nicht-existent? Und
trägt dies maßgeblich zu der, eher als kollegial und freundschaftlich empfundenen,
Kommunikation zwischen Medizinern bei?

Wieso wird bei jüngeren Ärzten eine vergleichsweise erhöhte Kommunikation


wahrgenommen und worin ist diese gegebenenfalls begründet?

Welche besonderen Eigenschaften hat dann die Kommunikation zwischen jüngeren


und älteren Medizinern?

672 IP15, Z 20-21

220
Für die anschließende Rückkoppelung wurde die Informations- und Hierarchiethematik aus
den Interviews aufgegriffen und folgende Hypothese gebildet:

„Die Kommunikation zwischen Ärzten funktioniert nicht immer ausreichend


informativ. Dies kann mit zu viel oder zu wenig Hierarchie(-denken) und/oder mit
einer Statusasymmetrie in der Hierarchie der Medizin zusammenhängen.“

5.2.1.2. Schulungen im Bereich Kommunikation – aus Sicht der Medizin

Zusätzlich ist es von Interesse, welche Maßnahmen seitens der Klinik für die
Berufsgruppe der Medizin hinsichtlich Managementfähigkeiten, Nachhaltigkeit und
Kommunikation gesetzt werden/wurden.

IP9, IP10, IP11, IP12 und IP15 gaben in den Interviews an, bereits Erfahrungen mit
Kommunikations- und Managementschulungen gemacht zu haben. Letztere nahm an
einem Wochenendkurs für Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten teil. IP10
besuchte eine Kommunikationsschulung eher zufällig bei seinem früheren Arbeitgeber
und sieht das Thema Kommunikation nicht nur in der universitären Ausbildung, sondern
auch auf Kongressen und Symposien, welche bis heute sein Interesse wecken konnten.
IP11 machte das Thema Kommunikation – in Form eines Diploms – zu ihrem
persönlichen Schwerpunkt, empfinde Schulungen allerdings nur dann als sinnvoll, wenn
alle teilnehmenden Personen offen dafür sind. Offen oder nicht offen nimmt IP9,
rückblickend betrachtet, Weiterbildungen in den Bereichen Management,
Kommunikation und Nachhaltigkeit oft als zu theorielastig wahr. Er wünscht sich ein
intensives Kleingruppentraining bezüglich praxisrelevanter Themen wie z.B. das
Überbringen schlechter Nachrichten. Auch IP12 ist sich nicht sicher, ob die erlernte
Theorie in Schulungen gut in die Praxis umgesetzt werden kann. Er besuchte einen
speziellen Kurs für medizinische Führungskräfte, in welchem Kommunikation ein Thema
war. Ähnlich wie für IP9 und IP12 bleiben auch bei IP10 nur gewisse Ideen nach einem
Wochenendseminar im Kopf, wobei er bei Schwierigkeiten in der Kommunikation gerne
eine Mappe mit Arbeitsunterlagen und Empfehlungen zu Rate ziehe.

Seiner Einschätzung nach nehmen in der Klinik hauptsächlich Pflegefachkräfte (ca. 80-
90%) an Personaltrainings und -schulungen teil. Die Gründe dafür vermutet der Arzt in
einer schnelleren Anmeldung der Pflege, einem Desinteresse seitens der Medizin
und/oder im Umstand, dass Ärzte – anders als die Pflege – keinen Pflichtnachweis an
Fortbildungen erbringen müssen (Achtung: auch Ärzte müssen per Gesetz
Fortbildungsnachweise erbringen, allerdings muss die Fortbildung die erforderlichen

221
DFP Punkte erbringen oder um diese angesucht werden673). In diesem Zusammenhang
merkt IP11 an, dass grundsätzlich keine Unterschiede hinsichtlich der Berufsgruppe
gemacht werden sollten, wobei sie sich dezidiert auf die gleichen
Kommunikationsschulungen bezieht. Wenngleich IP12 und IP13 für sich persönlich
keinen Bedarf an einer Kommunikationsschulung sehen, erachtet es IP12 als sinnvoll,
wenn Mitarbeiter einer großen Klinik, eines großen Unternehmens, mehrerer Ebenen
und/oder Personen dieselbe Sprache sprechen. Für IP13 ist der Grund persönlicher
Natur, da sie nach ihrer Einschätzung bei den Patienten beliebt sei, mit diesen gut
auskomme und empathisch zwischen den Zeilen lesen könne. Nichtsdestotrotz würde
sie, wenn es die Zeit erlaube, eine Kommunikationsschulung besuchen, da sie nicht nur
Kommunikation, sondern auch Kritik positiv formulieren möchte. IP14 ist sich trotz des
Fortbildungsangebotes und der Zusatzausbildungen mit dem Inhalt Kommunikation der
Ärztekammer nicht sicher, ob diese Schulungen auch wirklich angenommen werden,
wenngleich Kommunikation in ihrem Bereich (Palliativ) ein wichtiges Thema ist.

Unabhängig von Weiterbildung und Schulung sehen IP12 und IP15 das Thema
Kommunikation bereits in der kindlichen Sozialisation, spätestens in der universitären
Ausbildung angesiedelt. Für IP12 ist Kommunikation vor allem eine Frage des
persönlichen Charakters, des Wollens, der gegenseitigen Wertschätzung und der
Empathiefähigkeit, wobei seiner Ansicht nach manche Menschen nicht kommunizieren
wollen. Diese Erfahrung musste auch IP15 machen, welche ein schlechtes Erlebnis mit
Trainern in einem Unternehmen machte. Dieses haben vor allem Misstrauen gesät,
welches bis dato nicht ausgeräumt werden konnte. Aus diesem Grund seien für sie
Kommunikationsschulungen mehrmals notwendig.

Interpretationsrelevante Fragen zum Thema Schulung aus Sicht der Medizin

Das Thema Schulungen wurde abgefragt, um die Motivation zur Schulungsbereitschaft in


Abhängigkeit zur Ausbildung und fortwährenden Weiterbildung, die für die Berufsgruppen
gesetzlich vorgegeben sind, zu erfahren. Da das Thema Kommunikationsschulungen ein
eigenes Forschungsfeld mit Evaluationsdaten benötigen würde, entsteht hier eine Frage,
die über die vorliegenden Forschungsdaten beleuchtet werden kann.

Wie werden Kommunikationsschulungen von den Mitarbeitern im Krankenhaus aus


Sicht der Medizin wahrgenommen?

673 Anm. d. Verf.

222
5.2.1.3. Kommunikation innerhalb der Berufsgruppe der diplomierten Pflege

In diesem Abschnitt geht es um die Beantwortung der Frage, wie der Informations- und
Kommunikationsfluss (verbal/nonverbal) innerhalb der Berufsgruppe der Pflege
ausgestaltet ist und welche Maßnahmen hinsichtlich Managementfähigkeiten,
Nachhaltigkeit und Kommunikation gesetzt wurden/werden.

Alle Pflegefachkräfte, außer IP4 und IP8, gaben zu dieser Thematik ihre Einschätzung ab.
IP6, IP8 und IP7 beschreiben die Kommunikation innerhalb der Berufsgruppe der Pflege
als sehr höflich, freundlich, umgänglich und nett. Diesen Umstand schreibt IP7, ähnlich wie
IP11 und IP12 (siehe Abschnitt 5.2.1.1.) der Größe der Klinik zu, welche es erlaube,
gewisse Dinge einfach anzusprechen. Zusätzlich empfindet sie einen männlichen Pfleger
für ein jedes eher frauenlastiges Team positiv und gewinnbringend (siehe dazu auch
5.2.1.7.). IP6 erachtet die Kommunikation aufgrund des häufigen Kontaktes (erneut bedingt
durch die Größe der Klinik) als gut funktionierend. In seinem kleineren Pflege-OP-Team
könne man sich gut aussprechen, was seiner Meinung nach auch die Qualität hebt. Obwohl
die Altersverteilung im pflegerischen Team sehr unterschiedlich (viele junge Schwestern,
einige ältere) sei, schätzt IP5 die Kommunikation als sehr gut ein. Sie könne sich auf ihre
Kollegen verlassen und jedes Thema unkompliziert besprechen.

Für IP2 gibt es Unterschiede in der Kommunikation, da sowohl ein kollegialer als auch ein
hierarchischer Ton existent seien.

IP3 nehme eine veränderte Kommunikationsstruktur in Stresssituationen (siehe auch dazu


5.2.3.) wahr. In der Abteilung sei es in erster Linie die Dienstübergabe zwischen Nacht- und
Tagdienst bzw. die Dienstübergaben am Wochenende, die der persönlichen Einschätzung
nach nicht ideal ablaufen. Obwohl die Weitergabe der patientenrelevanten Informationen
essentiell sei, verhielten sich einige Kollegen etwas nachlässiger und nicht immer sehr
umgänglich, wie sie an folgendem Beispiel verdeutlicht: „Da ist einfach eine komische Art,
wie sie das schon in das Telefon hinein schreien und so, sie möchten sofort Blutkonserven
haben. Das dauert aber eine bestimmte Zeit, bis die aufgewärmt sind. Bei anderen geht
das schneller. Dabei dauert das immer gleich lang. Dann sagt eine Schwester, der eine
bringt die Blutkonserven hinunter, du nicht. Solche Sachen. Wenn das ein bisschen anders
abläuft, ein bisschen freundlicher, dann macht man das viel lieber.“674 Zusätzlich sieht er im
Besprechen von Problemen Verbesserungspotential, da bis dato Probleme der Mitarbeiter
über die Führungskraft bzw. Stationsschwester kommuniziert bzw. im Beisein derselben
besprochen würden. Es würde sich leichter reden, wenn die Führungskraft nicht dabei sei.

674 IP3, Z 194-199

223
Das Thema der Dienstübergabe wird auch von zwei Ärzten angesprochen. Anders als IP3
sehen sie diese, in Hinblick auf die Kommunikation innerhalb der Pflege, sehr positiv. Die
gut funktionierende Informationsweitergabe in der Pflege wird von IP14 zusätzlich zur
Medizin kontrastiert: „Besser als die Medizinerebene. Intensiver, manchmal verzetteln sie
sich auch, aber die lernen das, da wird über alles diskutiert. Jetzt nicht breitgetreten,
sondern es wird alles angesprochen. Das lernen sie schon mit den Dienstübergaben, das
lernen sie im Alltag, dass immer jeder alles wissen muss. In der Medizinerebene ist ja
Wissen Macht – man muss ja nicht alles weitergeben.“675 Dafür verantwortlich sieht IP14
die Stationsleitung, welche Transparenz und Zeiteffizienz von allen fördere. IP11 und IP12
sind der Überzeugung, dass die Kommunikation innerhalb der Pflege stationsabhängig ist,
was auch die unterschiedlichen Einschätzungen der befragten Pflegefachkräfte vermuten
lässt. IP15 fügt die Bedeutung der einzelnen Teammitglieder für eine gute Kommunikation
hinzu. „An und für sich wird es ja von oben immer gewollt, dass alle gut und harmonisch
miteinander auskommen, aber man merkt, wenn ein gewisses Team da ist, die
zusammenspielen, das harmonisiert ganz gut, dann kommt eine dazu, die nicht so gut
hineinpasst, dann ja, es menschelt einfach.“676

Insgesamt schätzen vier Pflegefachkräfte die Kommunikation innerhalb des Pflegebereichs


als sehr gut, freundlich und kollegial ein. Dies führen sie auf die kleine Größe der Klinik und
eine gute Teamstruktur zurück. Eine IP ergänzt die Meinung bezüglich der Kollegialität ihrer
Kollegen, spürt allerdings Hierarchien. Für eine weitere Person verändert sich die
Kommunikation in Stresssituationen. Verbesserungspotentiale werden hier bei der
Besprechung von Problemen und der Dienstübergabe ausgemacht. Letztere wird von den
Ärzten als sehr positiv beschrieben. Nehmen die Interviewpersonen, welche sich zu diesem
Thema äußerten, die Kommunikation im Pflegebereich eher negativ wahr, liegt dies für
dieselben an der Station oder es wird dem Team zuträglich gemacht.

Interpretationsrelevante Fragen zum Thema Kommunikation Pflege und Pflege

Das Thema Kommunikation zwischen Pflege und Pflege ist aus der Frage entstanden, wie
die Pfleger die eigene Kommunikation untereinander sehen und wie Ärzte die
Kommunikation innerhalb der Pflege beschreiben würden.

Wie ist die Kommunikation innerhalb der Berufsgruppe der Pflege gestaltet?

Was erleichtert die Kommunikation in der Pflege und spielt dabei Vertrauen eine Rolle?

675 IP14, Z 83-86


676 IP15, Z 67-70

224
5.2.1.4. Schulungen im Bereich Kommunikation – aus Sicht der Pflege

Wie eingangs erwähnt sind auch die gesetzten Maßnahmen hinsichtlich


Managementfähigkeiten, Nachhaltigkeit und Kommunikation von Interesse, wobei sich alle
Pflegefachkräfte auf Kommunikationsschulungen bezogen.

Eine eigene Maßnahme setzte IP1 um, indem sie den Umstand änderte, dass sich früher
lediglich die bettenführenden Abteilungsleitungen getroffen hätten. Heute bestehe, im
Zweiwochenrhythmus, ein Zusammenkommen aller Abteilungen, in denen ein jedes Thema
besprochen werden kann und welches somit die Kommunikation und die Wertschätzung
untereinander stärke.

IP6, IP7, IP8 und IP5 gaben in den Interviews explizit an, Weiterbildungen bzw. Kurse zum
Thema Kommunikation besucht zu haben. Für IP6, IP7 und IP8 geschah dies bereits in der
Ausbildung, IP5 kam damit in einem Führungskurs in Berührung. Anders als IP6, für welche
die Vermittlung anderer Denkweisen interessant wäre, und IP4 – welche kein Interesse am
Thema Kommunikation habe und sich in diese Richtung noch nie weiterbilden wollte – sollte
es für IP1 mehr Wissen über das Thema Kommunikation geben. Auch IP2, IP5 und IP7
könnten einer Weiterbildung zum Thema Kommunikation durchaus Positives abgewinnen,
wenngleich IP7 anmerkt, dass der Pflegebereich bereits besser geschult sei als die
Mediziner. IP5 würde eine Weiterbildung für die ganze Klinik empfehlen, da sie der Meinung
ist, dass immer etwas verbessert werden kann. IP5 teilt diese optimistische Einschätzung,
da man durch das Erlernen und Anwenden von Kommunikationstechniken anders mit
Stationskollegen kommunizieren bzw. anders hinhören könne. Für IP4 und IP6 sollten
Kollegen und sie selbst nur an Kommunikationsschulungen teilnehmen, wenn die
Bereitschaft zu lernen und das Interesse an der Thematik vorhanden sind. Ist dies der Fall,
könne für IP4 sowohl die Nachhaltigkeit als auch das individuelle Engagement gesteigert
werden. Für IP2 und IP6 ist eine Weiterbildung ein zusätzlicher Schritt zur besseren
Kommunikation zwischen Medizin und Pflege, wenngleich IP6 schon in der Ausbildung auf
Interdisziplinarität zwischen den beiden Berufsgruppen setze, sieht IP2 bereits im
Medizinstudium Nachholbedarf, da ihrer Meinung nach erlernte Kommunikationstechniken
häufig fehlendes Fachwissen kompensiere. Als Reaktion auf private und berufliche
Probleme sei IP3 bei seinem vorherigen Arbeitgeber Supervision angeboten worden,
welche einen Konnex zur Kommunikation aufweist.

Interpretationsrelevante Fragen zum Thema Schulung aus Sicht der Pflege

Das Thema Schulungen wurde abgefragt, um die Motivation zur Schulungsbereitschaft in


Abhängigkeit zur Ausbildung und fortwährenden Weiterbildung, die für die Berufsgruppen
gesetzlich vorgegeben sind, zu erfahren. Da das Thema Schulungen zum Thema

225
Kommunikation ein eigenes Forschungsfeld mit Evaluationsdaten benötigen würde,
entsteht hier eine Frage, die über die vorliegenden Forschungsdaten beleuchtet werden
kann.

Wie werden Kommunikationsschulungen von den Mitarbeitern im Krankenhaus aus


Sicht der Pflege wahrgenommen?

5.2.1.5. Kommunikation zwischen den Berufsgruppen der Mediziner und diplomierten


Pflege

Wurden bis dato die Informations- und Kommunikationsflüsse vorrangig innerhalb der
eigenen Berufsgruppe (Pflege oder Medizin) dargestellt, geht es in diesem Abschnitt um
den Informations- und Kommunikationsfluss bzw. den formellen und/oder informellen
Austausch zwischen Medizin und Pflege.

Ein Großteil der befragten Personen beurteilt die Kommunikation zwischen Pflege und
Medizin „positiv“677, „kollegial“678, „unterstützend“679, „sehr gut“680, „höflich“681,
„professionell“682, „unkompliziert“683 und „gleichberechtigt“684.

Für IP5, IP10 und IP14 hat sich das Verhältnis zwischen den Bereichen Medizin und Pflege
in den letzten Jahren verändert. IP10 beschreibt, dass es die Pflege gewohnt war, Befehle
und Anordnungen entgegenzunehmen und auszuführen. Diese Veränderung sieht auch
IP5. Sie könne den meisten Ärzten die eigene Meinung sagen und müsse nicht jede
Anordnung unhinterfragt entgegennehmen. Im Detail ist es für IP5 die neue Generation der
Ärzte, welche sich über Anmerkungen und Unterstützung der Pflege freue. Dies begründet
die Pflegefachkraft mit dem Fehlen von Hierarchie, dem Wissen der Pflege um generelle
Standards sowie Wünsche der bzw. Informationen über die Patienten, was die
Zusammenarbeit enorm erleichtern würde. Für IP10 und IP13 ist die Pflege ein
gleichwertiger Partner, welcher in Entscheidungen miteinbezogen werde. Zusätzlich sehe
der Arzt es als seine Aufgabe, das Selbstwertgefühl der Pflege zu steigern und die
Kommunikation permanent aufrechtzuerhalten. Das Thema des Selbstwertgefühls der

677 IP2, IP4, IP5


678 IP4, Z 47
679 IP2, IP4, Z 52
680 IP7, IP8, IP13
681 IP8
682 IP4, IP9
683 IP12, Z 16
684 IP10, IP12

226
Pflege wird erneut von IP11 aufgegriffen. Dieselbe beschreibt einen guten Austausch, viel
Entgegenkommen, Bereitschaft und Engagement sowie Problemlösekompetenz seitens
der Pflege, hat jedoch den Eindruck, dass Teile des Pflegeteams aufgrund eines geringen
Selbstbewusstseins denken, dass Ärzte abgehoben seien und die Pflege nicht mögen. Da
es für sie hier keine Unterschiede gibt, könne sie sich keine Ursache erklären. Für IP2
gründet sich die Anerkennung durch die Ärzte auf das Können bzw. die Nicht-Anerkennung
auf Nicht-Können der Pflege, welche man gegenüber den Medizinern beweisen müsse. In
Hinblick auf die Themen der Anerkennung und Wertschätzung wünsche sie sich mehr Lob
von den Patienten, da dieses – wenngleich die Pflege und nicht der Arzt 24 Stunden beim
Patienten sei – immer noch den Medizinern gilt. Anders als IP2 räumt IP4 ein, dass sich
weder Pflegefachkraft noch Arzt für etwas zu schade seien und sie von Letzteren jederzeit
fachlich kompetente Antworten, sei es in der Nacht und/oder am Wochenende, bekäme.
Für IP14 und IP15 ist die Medizin, da sie im Gegensatz zur Pflege mit viel Verantwortung –
in Hinblick auf die Informationsweitergabe – verknüpft ist, zu Recht in der
Anordnungsposition, wenngleich auch die Pflege gehört werden müsse685. Für eine gute
Kommunikation zwischen den Berufsgruppen identifiziert IP15 gegenseitiges Vertrauen.
IP14 fühlte sich erst im Team akzeptiert, nachdem sie sich in ihrer Position etabliert habe.

Einen weiteren wichtigen Faktor hinsichtlich der Kommunikation zwischen Medizin und
Pflege sieht IP10 in der Person der Pflegedirektorin, welche die schlechte Beziehung
zwischen Medizin und Pflege, zu Beginn seiner Berufslaufbahn, zum Positiven gewendet
habe. Auch IP5 betont den hohen Stellenwert der Pflegedirektorin, welche durch
Weiterbildungsmöglichkeiten für die Pflege deren Selbstbewusstsein stärkt.

Auch für IP2, IP7, IP8, IP9 und IP10 ist die Kommunikation zwischen den Bereichen Medizin
und Pflege von einer oder mehreren Personen abhängig. So kommt es für IP2 auf den
Charakter an, der im Idealfall kollegial und dennoch korrekt – im Gegensatz zu hierarchisch
denkenden Ärzten – ausgestaltet sei. IP7, welche schon auf den unterschiedlichsten
Stationen gearbeitet habe, lobt das hohe Einfühlungsvermögen der Ärzte in der Klinik den
Patienten gegenüber. Für IP9 und IP10 kann die Kommunikation zwischen Personen aus
den Gruppen Medizin und Pflege auch scheitern. Nach Einschätzung von IP9 habe es
schon immer Ärzte gegeben, die mit dem Pflegebereich gestritten hätten. Für IP10 müssen
Personen aus unterschiedlichen Berufsgruppen nicht gut mit der anderen kommunizieren
können, weil es unterschiedliche Typen von Menschen gäbe („Kommunizierer“ – „Nicht-
Kommunizierer“) und sich diese nicht immer sympathisch sein müssten. Damit der

685 IP15

227
Informationsfluss aufrechtbleibt, empfiehlt derselbe bei der Teamzusammensetzung darauf
zu achten, dass eine kommunikative Person in jeder Berufsgruppe vertreten sei.

Für IP2 und IP7 sowie für IP1 spiele es zusätzlich eine Rolle, wie oft sie mit Vertretern der
Berufsgruppe Medizin zusammenarbeiten. So sind die Stationsärzte – die praktischen Ärzte
– oft 24 Stunden im Haus, die ersten Ansprechpartner und die Schnittstellen zwischen
Pflege und Fachärzten686. Letztere seien meist nur bei der Patientenvisite anzutreffen, in
manchen Fällen sogar seltener. Mit den Stationsärzten sei auch privater Austausch
möglich, da man regelmäßig mit ihnen zusammenarbeitet.

Für IP1 ändere sich die Kommunikation zwischen Medizin und Pflege, wenn die Situation
eine andere wird. So sei für sie die tägliche Visite der Anordnung und Durchführung geprägt
von Austausch und Zwischenmenschlichkeit. Zu Problemen kommt es ihrer Meinung nach,
wenn aneinander vorbeigeredet werde sowie in Stresssituationen. Auch für IP6 und IP8
verändert sich die Kommunikation in problematischen Situationen. Bei komplizierten Fällen
und in der täglichen Kommunikation sei der Austausch professionell/fachlich und positiv687.
IP12 und IP13 sehen in der kleinen Größe des Hauses und den kurzen Wegen einen
entscheidenden Vorteil, da sie die direkte Kommunikation mit der Pflege, wenn es um
konkrete Situationen mit den Patienten geht, erlaube688 und so eine Kommunikation auf
Augenhöhe fördere689. Dass die soeben angesprochene Kommunikation auf Augenhöhe
nicht von allen Interviewpartnern gleichermaßen wahrgenommen wird, zeigt das immer
wieder angesprochene Thema der Hierarchie, hier im Kontext der Kommunikation zwischen
Pflege und Medizin. Für IP1 sind hierarchische Strukturen notwendig, da es
unterschiedliche Berufsgruppen, Kompetenzen und Persönlichkeiten gäbe. Ob sie dem
Thema Hierarchie zwischen Medizin und Pflege eher positiv/eher negativ gegenübersteht,
bleibt hier offen. IP5, IP7 und IP12 (siehe auch Abschnitt 5.2.1.1.) sehen keine bzw. wenn
überhaupt nur eine flache Hierarchie in der Klinik. Für IP12 existiere eine klare
Aufgabenverteilung zwischen Medizin und Pflege. Jeder im Team mache seine Arbeit und
es habe sich eingebürgert, dass die Ärzte den Pflegefachkräften keine Vorschriften
machen. Auch IP13 sieht eine Anordnung auf Augenhöhe innerhalb ihres Teams, was sich
ihrer Meinung nach durch gegenseitiges Duzen ausdrückt. Anders für IP8. Diese spüre
auch in Gesprächen Hierarchie. Eine Erklärung sieht sie in der historischen Ausgestaltung
des Medizin- und Pflegebereichs in welchem letztere unter der Medizin stehe und selten

686 IP1
687 IP6
688 IP12
689 IP13

228
als eigener Bereich wahrgenommen werde. Für IP5 ist diese beschriebene
wahrgenommene Hierarchie Schwester-Arzt nur im öffentlichen Bereich vorhanden. Für
einen Arzt690 sind Hierarchiestrukturen in der Pflege besser verankert, weshalb
Delegationen, Anordnungen und Entscheidungen rigoroser durchgeführt würden. Diese
Einschätzung verdeutlicht er daran, dass ohne Stationsschwester bzw. Pflegedirektorin
(Führungskräfte in der Pflege) gar nichts funktioniere. Die Unterordnung der Pflege unter
die Medizin thematisiert auch IP7. Wie bereits erwähnt nimmt diese persönlich keine
Hierarchie wahr, müsse Patienten aber immer wieder erklären, dass die Pflegefachkräfte
den Ärzten nicht unterstellt sind, sondern gleichberechtigt agieren. Für IP9 ist und bleibt die
ärztliche Tätigkeit eine andere als die der Pflege, weshalb seiner Meinung nach natürlich
ein Hierarchiedenken existiere. Da die Letztverantwortung immer beim Arzt läge, führe eine
Meinungsberücksichtigung der Pflegefachkräfte häufig zu Spannungen. Er habe die
Erfahrung gemacht, dass manche Pflegefachkräfte gewisse Aufgabenstellungen
weitergeben und ihn damit ärgern wollten. Der Arzt führt dies auf fehlendes Wissen und
Neid der Pflege zurück, merkt aber an, dass der momentane Umgang im Team
professionell sei.

Ein weiterer zentraler Punkt, welcher im Zusammenhang mit der Kommunikation zwischen
Medizin und Pflege identifiziert werden konnte, ist das individuelle
Kommunikationsverhalten. Dieses ist zwar ähnlich der – bereits dargestellten –
personenabhängigen Kommunikation, wurde von den Interviewpersonen allerdings immer
auf sich selbst bezogen. So fühlt sich IP6 von den Kollegen aus der Medizin manchmal
nicht respektiert und ernst genommen. Da die Pflege direkt am Patienten arbeite, wünscht
sie sich mehr Offenheit und Entgegenkommen der Ärzte. Genau umgekehrt ist es für IP3,
welche von sich aus mehr Respekt und Vorsicht gegenüber den Ärzten zeige und aus
diesem Grund mit diesen keine privaten Gespräche führe.

Unabhängig von IP6 begegnet IP15 dieser Einschätzung, indem sie sich mit ihrem Team
vor und nach der Visite zusammensetze, über den Patienten spreche und gemeinsam die
Situation reflektiere. Ihrer Meinung nach muss die Relevanz der Pflege anerkannt werden,
um so den positiven Umgang miteinander zu forcieren. Wenngleich es eine Kollegin gäbe,
die das Team bremst, sollte – nach IP15 – der Dialog gesucht werden, um Rückschritte zu
vermeiden.

Die zweite Fragestellung dieses Textabschnittes betrifft den formellen und/oder informellen
Austausch zwischen Medizin und Pflege, zu welchem IP8, IP9, IP11 und IP12 Aussagen in
den Interviews tätigten. Der Wunsch von IP11, dass es Berührungspunkte bzw. sozialen

690 IP10

229
Austausch zur Auflockerung des dienstlichen Kontaktes bei z.B. einer Tasse Kaffee geben
sollte, wird von IP8 und IP12 bereits umgesetzt. In diesem informellen Zusammensein
werde kommuniziert, das gute Verhältnis gestärkt, Informationen ausgetauscht und dies
erleichtere das Arbeiten und Kommunizieren im Team und mit den Patienten. Ob auch IP9
einen informellen Rahmen zum gegenseitigen Austausch befürwortet, bleibt offen.
Derselbe merkt in diesem Zusammenhang nur an, dass getrennte Essbereiche von Pflege
und Medizin in der Klinik vorherrschend seien.

Zusammenfassend können folgende positive bzw. förderliche Faktoren und/oder


Rahmenbedingungen für eine gute Kommunikation genannt werden:

• keine/flache Hierarchien
• neue Ärztegeneration
• Anerkennung
• Wertschätzung
• Gleichberechtigung
• gegenseitiges Vertrauen
• Offenheit
• klare Aufgabenverteilung
• die kleine Größe der Klinik
• gemeinsame Besprechungen
• informelle Kommunikation bzw. Orte/Gelegenheiten für informelle Kommunikation

Auf der anderen Seite identifizierten die Interviewpartner

• fehlende Anerkennung/Akzeptanz
• fehlende Wertschätzung/Respekt
• fehlendes Wissen
• fehlendes Selbstwertgefühl
• fehlende Bereitschaft zur Kommunikation mit Folgen einer mangelhaften
Kommunikation
• Konflikt- und Stresssituationen
• Letztverantwortung und Entscheidungsmacht des Arztes

als negative bzw. hemmende Faktoren/Rahmenbedingungen für gelingende


Kommunikation.

Sowohl positiv als negativ können sich

• das individuelle Kommunikationsverhalten


• eine konkrete Situation
• eine und/oder mehrere Personen im Team
• eine und/oder mehrere Personen in einer Führungsposition
• die gegenseitige Sympathie
• die Häufigkeit des Kontaktes

auf die Kommunikation zwischen Medizin und Pflege auswirken.

230
Interpretationsrelevante Fragen zum Thema Kommunikation Pflege und Medizin aus Sicht
der Pflege

In der Interviewsituation wurde das Thema Kommunikation Pflege und Medizin jeweils so
abgefragt, wie die jeweilige Berufsgruppe die Kommunikation beschreiben würde. Hier sind
die interpretationsrelevanten Fragen aus Sicht der Pflege formuliert.

Welche Merkmale der Arbeit stützen die Pflege als eigenständigen Aufgabenbereich
und wo sieht die Pflege diesen seitens der Medizin überschritten?

Unter welchen Umständen bzw. in welchen Situationen äußern Pflegepersonen ihre


persönliche/fachliche Meinung gegenüber Ärzten?

Welche Situationsmerkmale tragen dazu bei, dass Stationsärzte als Schnittstelle und
erste Ansprechpartner für die Pflege fungieren?

Interpretationsrelevante Fragen zum Thema Kommunikation Pflege und Medizin aus Sicht
der Medizin

In der Interviewsituation wurde das Thema Kommunikation Pflege und Medizin jeweils so
abgefragt, wie die jeweilige Berufsgruppe die Kommunikation beschreiben würde. Hier sind
die interpretationsrelevanten Fragen aus Sicht der Medizin formuliert.

Wie schätzt die Medizin die Pflege in der Gesamtheit ein?

Welche Faktoren haben die Kommunikation der Medizin zur Pflege verändert?

Wann und wie wird die Pflege von der Medizin in Entscheidungen miteinbezogen? Und
welche Konsequenzen ergeben sich gegebenenfalls aus einer gemeinsamen
Entscheidungsfindung?

Welche Merkmale einer Situation tragen konkret zu deren kommunikativer bzw.


verbaler Eskalation bei?

231
In die Rückkoppelung wurden folgende Hypothesen getragen:
„Der ärztliche Kommunikationsstil ist aus Sicht der Pflege zum Teil herablassend
und betont damit eine Statusasymmetrie.“

„Junge Mediziner scheinen mehr zu kommunizieren. Der rhetorische Habitus ist


noch nicht ausgeprägt.“

„Die Pflege wird als Informationsquelle von Medizinern herangezogen, da sie


durch einen kontinuierlichen Patientenkontakt über umfassende Informationen
verfügt.“

5.2.1.6. Akademisierung der diplomierten Pflege und deren Berufssozialisation

In diesem Abschnitt soll mithilfe der Aussagen zur Akademisierung der Pflege,
Berufsmotivation und -sozialisation die Frage beantwortet werden, welche Chancen und
Probleme das künftige und/oder bestehende Aufeinandertreffen von Akademikern und
Nicht-Akademikern aus den Berufsgruppen Medizin und/oder Pflege ergeben. Antworten
auf diese Frage gaben IP2 und IP7 aus dem Bereich Pflege und alle Interviewpersonen, bis
auf IP13, aus dem Bereich Medizin. Für IP15 und IP14 muss die Pflege autonom
entscheiden, ob sie einen akademischen Grad anstrebt oder nicht.

Für IP2, welche selbst ein Studium absolvierte, erfährt die Pflege durch die Akademisierung
eine Profilierung, da diese wissenschaftlicher und folglich im Alltag belegbarer umgesetzt
werden könne. Diese Profilierung sieht sie allerdings nicht in der alltäglichen Praxis und
Kommunikation: „Die Pflege hat ja auch nicht die Anerkennung. Sie war immer der Helfer,
dieses Untertuende und sie war halt da und macht mehr oder weniger diese
hauswirtschaftlichen Tätigkeiten. Wir können immer mehr, wir tun immer mehr, wir haben
bessere Ausbildungen, aber trotzdem ist diese Wertschätzung nicht vorhanden, also auch
in der Kommunikation noch nicht da.“691 Einen Lösungsansatz sieht sie in verpflichtenden
Pflegepraktika, welche in Deutschland, anders als in Österreich, bereits im Studienplan der
Medizin integriert sind. IP9 nimmt diese akademische Aufwertung der Pflege, sowohl nach
außen als auch nach innen, positiv wahr: „Weil du den Pflegestand hebst, weil du denen
das Gefühl gibst, dass es auch akademisch etwas wert ist, weil das ist halt dieses Denken
in Österreich. Österreich ist ein Land der Titelträger.“692 IP12 sieht in der Akademisierung
der Pflege sowohl Vor- als auch Nachteile. Die positiven Auswirkungen identifiziert der
Mediziner hinsichtlich der vermehrten Ambitionen und des vertieften Wissens der
Pflegefachkräfte, welche in einer gewissen Zurückhaltung seitens der Mediziner münde.

691 IP2, Z 83-87


692 IP9, Z 167-169

232
Auf der anderen Seite führen gerade diese Vorteile zu einer Überschreitung der
Kompetenzen und nicht klar definierten und abgegrenzten Verantwortungsbereiche. Für
IP10 führt die Akademisierung bzw. die Führungskräfteweiterbildung zu einer
Vernachlässigung der pflegerischen Intuition, „[…] weil viele der Führungskräfte […] haben
das Problem, dass sie vorher gute Führungskräfte waren, weil sie aus dem Instinkt heraus
geführt haben und jetzt offensichtlich, weil das haben wir auf der Uni oder auf der FH so
gelernt, ich muss das anders machen. Das erscheint so rigid. Also ich hab gesehen, dass
Stationsschwestern vorher wesentlich besser agiert haben, lockerer agiert haben als nach
so einem Führungskurs.“693 Auch IP11 und IP12 sind eher der Meinung, dass die Pflege
nicht akademisiert werden muss, wobei IP12 den Pflegeberuf einem Lehrberuf gleichstellt.
IP11 betont, dass sie die Pflegewissenschaften zwar nicht entwerten möchte, sie allerdings
den Eindruck habe, dass mit der Akademisierung eine Veränderung der Teamdynamik
einhergeht. „[…] ich fürchte, dass mit dem Auftreten der sogenannten
Pflegewissenschaften, […], zu tun hat, dass die Pflege einfach denkt, wir sind schlechter.
Was ich überhaupt nicht denke. Ich denke, dass in einem Team ein jedes Mitglied wichtig
ist.“694 Eine andere Art von Diskrepanz nimmt auch IP7 wahr. Sie beschreibt
Unstimmigkeiten in der medizinischen Anordnung und pflegerischen Umsetzung. Diesen
kann ihrer Meinung nach mit einer klaren Definition der Zuständigkeits- und
Verantwortungsbereiche entgegengewirkt werden. So sehen die Interviewpersonen
folgende Chancen

• Profilierung und Aufwertung des Pflegeberufs (nach außen)


• praktisches Handeln wird wissenschaftlich und belegbar
• vermehrte Motivation und Ambition der Pflegefachkräfte

und Probleme

• Verdrängung der pflegerischen Intuition


• Veränderung der Teamdynamik
• Diskrepanzen in der medizinischen Anordnung und pflegerischen Umsetzung
• Überschreitung der Kompetenzen
• nicht klar definierte und abgegrenzte Verantwortungs- und Wirkungsbereiche
• keine Profilierung des Pflegeberufs nach innen

durch die Akademisierung der Pflege.

693 IP10, Z 32-37


694 IP11, Z 155-158

233
Interpretationsrelevante Fragen zum Thema Akademisierung der Pflege

In der Interviewsituation wurde auch das Thema Akademisierung der Pflege diskutiert,
daher ergeben sich daraus folgende Fragen.

Welche Veränderungen ergeben sich aus der Akademisierung der Pflege im


Arbeitsalltag des Krankenhauses?

Warum sieht die Pflege Notwendigkeiten zu einer Akademisierung und wie verändern
sich Verantwortungsbereiche in Folge der Akademisierung der Pflege?

Warum und inwieweit emanzipiert sich die Pflege aus Sicht der Medizin?

Wie aus den bereits dargestellten Aussagen zur Akademisierung bemerkbar wird, hängt
diese eng mit den Themen Kommunikation, Berufssozialisation und -motivation zusammen,
weshalb das weitere Ergebnis dieses Abschnittes diesen Themen gewidmet ist.

IP14 schlägt mit der Aussage, dass die Krankenpflegeschule keine Akademie werden
muss, eine Brücke zu ihrer individuellen Erwerbsentscheidung, da für sie ein jeder Mensch,
welcher das Zeug und die Motivation dazu hat, in Österreich seit 50 Jahren studieren könne.
Sie beschreibt, dass die Berufssozialisation Auswirkungen auf die Gegenwart hat und
dieselben noch nicht aufgearbeitet sind. Welche Auswirkungen und Aufarbeitungsschritte
hier gemeint sind, bleibt IP14 im Interview schuldig.

Auch IP2 und IP4 schlugen zunächst den Weg des Medizinstudiums ein. Beide brachen
das Studium aus finanziellen Gründen ab, wenngleich IP4 betont, dass das Studium auch
ihre Interessen verfehlte. IP2 ist bis heute mit ihrer Wahl sehr zufrieden und möchte nicht
mehr tauschen. IP4 wollte nicht in der Pflege bleiben, bis sie auf der Intensivstation der
Klinik zu arbeiten begann, obwohl für IP4 Kinder und Familie immer an erster Stelle kamen.
Warum die Intensivstation für IP4 das Richtige war, bleibt offen. IP8 und IP5 beschreiben,
dass sie in der Berufswahl von ihrer Familie beeinflusst wurden. IP8, welche schon als
Jugendliche in Altersheimen jobbte, lässt diese Aussage so stehen und bekundet ihr
Interesse, am Menschen zu arbeiten. IP5 hingegen wurde von ihrem Vater auf die Idee
gebracht, Krankenschwester zu werden. Sie beschreibt, dass es vor 30 Jahren nicht nur
einen Bedarf an Krankenpflegepersonal gab, sondern Krankenschwester eine Alternative
zu den Lehrberufen Frisörin und Verkäuferin darstellte. Sie arbeite gerne mit Menschen
bzw. Patienten zusammen. Auch IP6 (Medizintechniker) und IP7 (Einzelhandelskauffrau)
sahen die Pflege als Alternative zu ihren gelernten Jobs und betonen die direkte Arbeit am
Menschen bzw. Patienten, welche auch für IP3 und IP1 essentiell ist. Wenngleich IP1 und
IP6 ihren Beruf sehr schätzen, beschreiben beide die Hierarchieunterschiede der Pflege
und Medizin. So IP1: „Aber natürlich ist die Pflege einfach dieses Helfende und Dienende.

234
[…] Die Ärzte sehen sich schon als Anordner und das ist natürlich spürbar.“695 und IP6:
„Also diese alt eingefahrenen Muster, nennen wir es Stufensystem, wo die Pflege einfach
noch auf einer tieferen Stufe ist wie die Medizin.“696 IP5 beschreibt den wahrgenommenen
Unterschied zwischen Medizin und Pflege, wobei sie sich in ihrer Schilderung auf die
Vergangenheit (30 Jahre) bezieht. Obwohl drei der acht Personen den Pflegeberuf als
Alternative zur Medizin und zwei Interviewpartner den Einfluss der Familie auf ihren
Berufswunsch beschreiben, ist und bleibt hier die direkte Arbeit am, um und mit dem
Patienten die Hauptmotivation, im Pflegebereich tätig zu sein.

Auch für die Mediziner IP9, IP13 und IP15 ist und waren die direkte Arbeit am Menschen
sowie die seelische und körperliche Unterstützung derselben zentral für ihre
Berufsentscheidung. IP13 beschreibt zusätzlich das Schlüsselerlebnis, mit zehn Jahren
einen Arztkoffer aus Plastik bekommen zu haben, als Auslöser für ihre Berufswahl. Auch
IP14 entschied sich aufgrund eines Kindheitserlebnisses für die Medizin. Als sie 13 Jahre
alt war, sei ihre Mutter an Krebs verstorben. Wenngleich sie damals, aus Naivität, glaubte,
dass man heilen kann, ist ihr Beruf heute für sie sehr befriedigend. IP10 und IP12 wurden,
da auch ihre Väter Ärzte waren, schon sehr früh mit dem Thema Medizin konfrontiert, wobei
sich IP12 erst kurz vor der Matura zum Studium der Medizin entschloss. IP10, welcher
schon früh wusste, dass er Arzt werden möchte, schätzt die ständige Abwechslung, die der
Arztberuf mit sich bringt. Auch IP9, welcher eine sehr praxisbezogene Medizinausbildung
im Modulsystem genoss, schätzt die Abwechslung, die Möglichkeiten und die
Unabhängigkeit des Arztberufs. So betont derselbe, dass man in der Forschung, Wirtschaft,
Pharmaindustrie, im Klinikalltag sowohl in der Stadt als auch am Land arbeiten könne.
Nichtsdestotrotz beschreibt er den Arztberuf als fordernden Job, welcher viel Verantwortung
mit sich bringt. IP11 beschreibt als Hauptmotivator das Interesse am Fach. So waren für
die Berufsgruppe der Mediziner folgende Punkte ausschlaggebend für die
Berufsentscheidung: die Arbeit am Menschen bzw. das Helfen/Heilen, Schlüsselerlebnisse
in der Kindheit, der Familienhintergrund, das Interesse am Fach sowie die Abwechslung
und Möglichkeiten.

Interpretationsrelevante Fragen zum Thema Berufssozialisation und -motivation

Die Interviewpersonen geben aufgrund der Fragestellung, wie die Entscheidung den Weg
zum Beruf des Arztes oder der diplomierten Pflegefachkraft gefallen sei, unterschiedliche

695 IP1, Z 332-333


696 IP6, Z 85-86

235
Zugänge und Vorstellungen an. Daraus lassen sich folgende Fragen zum Thema
Berufssozialisation und -motivation ableiten:

Welche Motivationsfaktoren für den Berufswunsch Pflege bzw. Medizin können


identifiziert werden?

Welchen Einfluss hat die Pflegeausbildung bzw. das Studium der Ärzte auf den
Habitus? Und wie beeinflusst dieser wiederum die Arbeit in der Pflege bzw. in der
Medizin?

Wie können die Selbst- und die Fremdwahrnehmung der Medizin in ihrer Arbeit
beschrieben werden? Welche Differenzen und Unterschiede tauchen zwischen Selbst-
und Fremdwahrnehmung auf?

Wenngleich die Fragen zu den Themen Berufsmotivation und -sozialisation nicht direkt in
die Rückkoppelung getragen wurden, spielen sie, nach Meinung der Verfasserin, eine
wesentliche Rolle vor allem in Hinblick auf die Einstellungen der befragten Personen zur
Akademisierung der Pflege.

Für die Rückkoppelung wurde nachstehende Hypothese aufgestellt:

„Hinter dem Akademisierungsprozess der Pflege steht unter anderem auch das
Bestreben nach Kommunikation auf Augenhöhe mit den Ärzten, um eine
Statusasymmetrie zu kompensieren.“

5.2.1.7. Geschlechterspezifische Kommunikation zwischen und innerhalb der


Berufsgruppen im Krankenhaus

Im Laufe der Erhebung sprachen die Interviewpersonen immer wieder die unterschiedliche
Kommunikation von Männern und Frauen im Krankenhausalltag an. Aus diesem Grund soll
diesem Thema mithilfe folgender Frage weiter nachgegangen werden: Gibt es
Unterschiede in der Kommunikation in Bezug auf das Geschlecht der Personen? Generell
äußerten sich acht (jeweils vier Pfleger und Mediziner) von zehn Frauen und zwei (einmal
Pflege, einmal Medizin) von fünf Männern zur geschlechterspezifischen Kommunikation im
Krankenhaus, wobei diese für einen Teil der interviewten Personen erlebbar/spürbar ist und
von dem anderen Teil eher einschätzend und beschreibend thematisiert wird.

Für IP1 gibt es keine Unterschiede in der Kommunikation von Männern und Frauen, da
diese für sie eher von Ausbildung, Beschäftigungszeit und Erfahrung als vom Geschlecht
der betreffenden Person bedingt wird. Auch IP11 nimmt keine Unterschiede zwischen den
Geschlechtern wahr, da für sie zwischen Pflege und Medizin ein großes Entgegenkommen
unabhängig vom Geschlecht des Ansprechpartners existiert, wenngleich sie betont, dass

236
sich eine weibliche Pflegefachkraft mit Problemen zuerst an eine Frau wenden könnte. Die
Pflegefachkräfte IP7 und IP8 beziehen sich direkt auf einen ihrer männlichen Kollegen,
welcher auch bei den Patienten sehr gut ankommt. „[…] die Patienten haben es eigentlich
auch sehr gern, wenn einmal ein bisschen ein frischer Wind hineinkommt und einfach
einmal ein bisschen ein anderes Bild gebracht wird wie von der normalen Schwester, die
freuen sich eigentlich, wenn der diplomierte Pfleger einmal kommt und die nehmen das
auch ganz positiv auf“.697 IP7 beschreibt die Aufweichung des Stereotyps der weiblichen
Schwester und des männlichen Arztes, empfinde generell aber keine Unterschiede in der
Kommunikation zwischen Männern und Frauen, lediglich eine schnellere
Anpassungsfähigkeit Ersterer. Für IP8 ist es mit einem Mann im Team leichter, da – anders
als bei einem reinen Frauenteam – nicht alles auf die Waagschale gelegt und schneller
verziehen werde. Auch IP13, IP14 und IP15 sprechen die positive Entwicklung von
Männern in der Pflege an. IP14 empfindet die Arbeit mit einem männlichen Pfleger leichter,
da dieser Offenheit und Ehrlichkeit signalisiere. Für IP15 wirken Männer in der Pflege
harmonisierend und in Streitsituationen schlichtend. Für IP3 werden Probleme von
Männern meist direkter angesprochen als von Frauen. Seine Aussage untermauert IP3 mit
einem Beispiel aus seinem Team: „Da haben wir eine Schwester, die ist ein bisschen
nachlässiger […] und […] schlampiger beim Arbeiten und das sagen sie dann nicht direkt,
sondern reden das untereinander, wenn sie nicht da ist. Dann staut sich das alles auf und
dann ziehen sie über sie drüber.“698 Der ärztliche Kollege699 aus der Berufsgruppe der
Mediziner vermutet nicht nur ein stärkeres Konkurrenzdenken zwischen den Frauen als
zwischen Männern, sondern auch, dass Letztere es vielleicht leichter in der Medizin hätten
als die weiblichen Kollegen.

Für IP14 und IP15 existieren nach wie vor Unterschiede zwischen Ärzten und Ärztinnen,
wobei nur IP15 die geschlechterspezifische Kommunikation anspricht. Ihrer Einschätzung
nach wird sie als Frau schlechter gehört und weniger wahrgenommen als ihre männlichen
Kollegen. Auch IP13 verdeutlicht, dass man in der Vergangenheit einem männlichen Arzt
mehr zutraute als einer Ärztin, obwohl ihr dieses Gefühl von den Pflegefachkräften in ihrem
Team nicht vermittelt wurde bzw. wird. Heute empfinde sie Frauen als kommunikativer, was
dem Umstand geschuldet ist, dass sie ihren männlichen Vorgesetzten alle Informationen
oft „[…] aus der Nase ziehen […]“700 müsse und diese häufig hierarchisch denkend
wahrnehme. Diese Einschätzung erklärt sie mit der Geschichte der Medizin, da diese lange

697 IP7, Z 78-81


698 IP3, Z 135-137
699 IP9
700 IP13, Z 48

237
Zeit Männersache gewesen sei und diese hierarchisches Denken brauchen, weshalb auch
männliches Denken ein hierarchisches sei.

Wie bereits kurz angedeutet sieht IP14 die Unterschiede zwischen Männern und Frauen
weniger in der Kommunikation als in den Aufstiegschancen, welche sie für Männer bis dato
besser einschätzt. Auch IP2, welche Frauen als herzlicher, empathischer und
gefühlsbetonter beschreibt, nimmt Unterschiede zwischen Männern und Frauen wahr. So
beschreibt sie im Kontext der Akademisierung ihrer Profession, dass die Pflege bis dato ein
typischer Frauenberuf sei, typisch in dem, „[…] was Frauen halt so in sich haben, was
Frauen zugestanden wird.“701 Eine IP aus der Pflege formuliert: „[…] unsere Stationsärztin
hat ein ganzes Jahr lang gekämpft, um die Anerkennung vom Chef zu bekommen. Also er
hat sie einfach nicht akzeptiert, weil sie eine Frau war. Den männlichen Kollegen hat er
sofort anerkannt“.702 Ungeklärt bleibt hier, was IP2 mit „typisch Frau“ meint, wobei
schlussgefolgert werden könnte, dass sie damit ihre Einschätzungen „herzlich, empathisch,
gefühlsbetonter“703 meint.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein Großteil der Interviewpersonen


Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Pflege und/oder Medizin identifiziert.
Im pflegerischen Kontext lockere ein Mann im Team die Atmosphäre und spreche Probleme
direkter und offener an. Ein männlicher Kollege kommt sowohl im Team als auch im direkten
Kontakt mit Patienten, nach Einschätzung der weiblichen Interviewpartnerinnen, sehr
positiv an und weicht scheinbar Geschlechterstereotype auf. Weitere Themen, die von den
interviewten Personen angesprochen wurden und hier im Bereich der Medizin angesiedelt
sind, waren: unterschiedliche Aufstiegschancen zwischen Männern und Frauen, die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Medizin, das Gefühl der Anerkennung und
Wertschätzung von Frauen im Vergleich zu Männern durch Vorgesetzte.

701 IP2, Z 273-274


702 IP2, Z 73-75
703 IP2, Z 71

238
Interpretationsrelevante Fragen zur geschlechterspezifischen Kommunikation

In den Interviews wurde auch das Thema geschlechterspezifische Kommunikation


thematisiert. Dazu wurden folgende Fragen aufgeworfen.

Wie gestalten Männer bzw. Frauen Kommunikation?

Welchen Einfluss hat Geschlechtsheterogenität und Homogenität in Mediziner- bzw.


Pflegeteams?

Welche Unterschiede und/oder Gemeinsamkeiten gibt es in Bezug auf den Umgang mit
Hierarchie?

Für die Rückkoppelung wurden folgende Hypothesen aufgestellt:

„Der Pflegebereich ist vorwiegend mit weiblichen Fachkräften besetzt.


Männliche Pflegefachkräfte bringen ein Gleichgewicht in reine Frauengruppen.“

„Ärztinnen ringen um Anerkennung bei männlichen Kollegen im hierarchischen

Abteilungsgefüge.“

5.2.2. Konflikte und der Umgang mit Konflikten


In diesem Abschnitt sollen der Umgang mit Kommunikationsstörungen und Konflikten sowie
die Möglichkeiten des Austausches in konfliktreichen Situationen thematisiert werden. Die
Fragen wurden so gestellt, dass die Interviewpartner gefragt wurden, wie im Unternehmen
mit Konflikten umgegangen und wie der persönliche Umgang gepflegt wird.

Bis auf IP5 und IP11 äußerten sich alle Interviewpersonen zum Thema Konflikte und den
Umgang mit denselben. Ein Großteil der befragten Personen704 bespreche einen Konflikt
direkt mit der involvierten Person bzw. mit den involvierten Personen.

Für IP4 sind ein harmonisches Team und ein positives Arbeitsklima essentiell, weshalb
dieselbe Konflikte eher meide. Aus diesem Grund beschwere sich IP4 nicht über jede
Kleinigkeit und beginne, aufgrund der ausgedehnten gemeinsamen Arbeitszeit, mit den
Kollegen keinen Krieg. Auch IP13 schätzt ein angenehmes Klima, wobei dieselbe die
situationsnahe Klärung des Konfliktes und das direkte Gespräch, anders als IP4, als Garant
für ein harmonisches Miteinander sieht. Nichtsdestotrotz trage auch IP4 einen Konflikt
immer persönlich mit ihrem Gegenüber aus, wobei sie nicht zwischen Medizin und Pflege

704 IP1, IP2, IP3, IP4, IP7, IP8, IP9, IP12, IP13, IP14

239
differenziere. Obwohl auch IP6 in einem Streitgespräch bei ihrem Gegenüber nachfragt,
komme es eher auf die konkrete Situation an. So vermeide dieselbe „kleine Konflikte“ und
konfrontiere, wenn sie sich auf den Schlips getreten fühle. IP10 erlebte zu Beginn seiner
Erwerbsarbeit in der Klinik sehr viele Konflikte. Aufkommenden Streitigkeiten, welche es
gab, habe er mit der Konzentration auf persönliche Ziele und einer „Augen zu und durch“-
Mentalität entgegengewirkt.

IP8, welche das Gespräch erst nach einer Zeit des Nachdenkens sucht, zieht bei
aussichtslosen Konflikten die nächste Hierarchiestufe zurate. Auch IP1, IP7 und IP12
beschreiben das Heranziehen der darüber liegenden Hierarchiestufen, im Falle eines
schwierigen Gespräches, wobei die Gründe unterschiedlicher Natur sein können. IP12,
welcher seine Gegenüber im Konfliktfall direkt anspricht, tue dies auch mit der
Geschäftsleitung, wenn ihn etwas störe. IP1 schreibt der Leitungsebene eine objektivere
Betrachtung einer problematischen Situation zu. „Wenn es eine Kommunikationsstörung
gibt, dann beleuchte ich das genau, dann schaue ich mir das einmal an, rede auch mit der
Leitung, die meist objektiver ist, schaue es mir noch einmal an und versuche, es mit allen
Beteiligten zu klären.“705 Für IP7 sind die betreffenden Anlaufstellen sowohl ihre
Stationsleitung, welcher es wichtig ist, Probleme im Team sofort zu lösen, als auch die
Pflegedirektorin. „Wenn es Probleme gibt, dann ist auch unsere Pflegedirektorin eigentlich
immer eine sehr gute Anlaufstelle. Habe ich auch schon persönlich die Erfahrung gemacht.
Das lässt sich nicht vermeiden, wenn man eine gewisse Zeit wo arbeitet. Es ist nicht immer
alles nur gerade, es geht einmal auf, es geht einmal ab und da hört sie uns wirklich zu und
versucht irgendwie das Problem zu lösen, mit beiden Seiten dann.“706 Auch IP4 beschreibt
die Unvermeidbarkeit von Konflikten im Laufe der Zeit, wobei diese anders als IP7 ihren
eigenen Weg hinsichtlich der Konfliktbewältigung anstrebe. Der zeitliche Aspekt spielt auch
bei IP2 eine große Rolle. Sie, ihre Führungskraft und die Ärzte hätten nach einer Phase des
Kennenlernens eine sehr gute Gesprächsbasis, in der auch Fehler und deren
Konsequenzen mit Offenheit und Ehrlichkeit klar artikuliert werden.

IP14, welcher den derzeitigen Umgang mit Konflikten als „nicht gut“ beschreibt, sieht einen
Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines Konfliktes in einer konkreten Situation und
der Gesprächskultur. „Wenn es um […] Patienten geht, der zu Schaden kommt, ist die
Situation für mich eine andere, als wenn es darum geht, dass das Bett im Dienstzimmer
nicht aufgebettet ist. Das eine ist eine Banalität und das andere ist aber eine existenzielle

705 IP1, Z 256-258


706 IP7, Z 231-235

240
Geschichte für den, der betroffen ist […].“707 Hier beschreibt die Ärztin, welche im Normalfall
den Dialog sucht, einen Wutausbruch aufgrund der Haltung einer Kollegin. In der Reflexion
dieser Situation betont IP14 ihre neutrale Grundhaltung, welche nicht immer möglich sei.
„[e]Ein Thema ist halt, wenn man in der Kommunikation jemanden angreift, dann ist die
Kommunikation nicht mehr gegeben. Dann drängt man den Anderen halt schon in die
Opposition. Das muss man halt lernen. Wir bemühen uns, aber […].“708 Auch IP3 und IP9
beschreiben individuelles Stressempfinden und die Umgangsformen im Team, wenn auch
etwas anders als IP14, als Voraussetzung für eine gute Gesprächsbasis und Möglichkeit
der Konfliktbewältigung. Zusätzlich wird der Umgang mit Konflikten bzw. das Erlernen
adäquater Bewältigungsstrategien, unter der Leitung einer neuen Führungsebene, zum
Thema gemacht. Nach Einschätzung von IP12 sei es angebracht, vergangene
Kommunikationsdefizite zwischen den Hierarchieebenen aufzubrechen und so neue
Möglichkeiten zu initiieren.

Alles in allem ist für einen Großteil der Interviewpartner der direkte Dialog mit dem
Gegenüber die bevorzugte Strategie im Umgang mit Kommunikationsstörungen und
Konflikten. Wobei hier eher die Ansprache des Konfliktes, als eine konkrete
Lösungsstrategie, beschrieben wird. Dieser Dialog wird für zwei befragte Personen von der
konkreten Situation (z.B. Patientenkonflikt, Stresssituation) und für drei Personen von der
Erwerbserfahrung bzw. den geleisteten Jahren im Unternehmen beeinflusst und ist somit
variabel. Aufgrund von Harmonie im Team sowie des Verfolgens persönlicher Ziele kommt
es für zwei Personen zur bewussten Vermeidung von Konflikten. Alle Personen, die sich
zum Thema Konflikte und zu deren Umgang im Arbeitsalltag äußerten, sehen Möglichkeiten
des Austausches. Wenngleich konfliktreiche Situationen, wie bereits erwähnt, meist direkt
mit den Betroffenen gelöst werden, ziehen vier Personen ab und an die Leitungsebene
hinzu.

707 IP14, Z 121-133


708 IP14, Z 121-133

241
Interpretationsrelevante Fragen zu Konflikten im Krankenhaus

Zu Konflikten im Krankenhaus wurden mehrere Aspekte thematisiert. Daher haben sich


daraus mehrere Fragen ergeben, die nachfolgend formuliert sind.

Welche Arten von Konflikten gibt es in einem Krankenhaus?

Was sind typische Konfliktursachen?

Wie wirken sich Emotionen, insbesondere Stress, in Konflikten aus?

Was sind Vermeidungsstrategien bei der Lösung von Konflikten im Krankenhaus und
wie wirken diese auf die Bewältigung von Konflikten?

Welchen Einfluss hat die Hierarchie auf Konflikte und deren Lösung?

Welche Möglichkeiten der Konfliktlösung gibt es und wie wirkt sich das Hinzuziehen
eines Dritten aus?

Warum und wie fördert informelle Kommunikation Freundschaft? Und wie wirkt sich
eine auf diesem Weg gebildete Kommunikationsfreundschaft auf die gegenseitige
Kommunikation in Konflikt- oder Krisensituationen aus?

Wie kann die Fokussierung auf die jeweilige Hauptaufgabe, die Arbeit am Patienten, in
Stresssituationen deeskalierend wirken? Vermeidungsstrategie?

5.2.3. Stress im Rahmen der Kommunikation


Ausgangspunkt dieser Ergebnisdarstellung war die Frage, ob die Anforderung an die
Berufsgruppen gestiegen ist und ob eine Steigerung der Anforderungen Auswirkungen auf
das Kommunikationsverhalten von Medizinern und Pflegefachkräften hat.

Für einen Großteil der befragten Personen spielt der Faktor der wahrgenommenen bzw.
verfügbaren Zeit für die Kommunikation eine essentielle Rolle, wobei Zeit in Hinblick auf die
Kollegen oder auf den Patienten thematisiert wurde. Für IP4 ist die Arbeit am Patienten
nicht mehr geworden, sondern hat sich durch das Mehr an Dokumentation lediglich
verlagert. Dieselbe fühle sich durch die Dokumentation in ihren Aufgaben und Pflichten als
Pflegefachkraft sicherer. Auch IP8 und IP13 nehmen diesen Mehraufwand wahr, wobei sie
diesen als Grund für die fehlende Zeit für die Arzt/Pflege – Patienten Kommunikation sehen.

Hinsichtlich der Kommunikation mit den Patienten sehen IP2 und IP12 einen Unterschied
zwischen öffentlichen und privaten Krankenhäusern, da in Letzteren Kommunikation noch

242
möglich sei709. Private Kliniken legen – für IP5 – Wert auf die Hotelkommunikation bzw. die
Erfüllung der Patientenwünsche, was für denselben ein Grund dafür sei, dass Patienten in
die private Klinik kommen. IP10 betrachtet das Werben um Patienten eher kritisch, da auf
der einen Seite zwar mehr Patienten in die Klinik kommen würden, auf der anderen Seite
jedoch auch der Erfolgsdruck für Mitarbeiter steige. Durch den genauen Aufnahmeplan und
das Fehlen einer Akutaufnahme wird die Kommunikation, für IP9, gefördert. Für IP3 ist nicht
der Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Krankenhäusern, sondern vielmehr die
Belagszahl der Station für die Kommunikation mit den Patienten ausschlaggebend. Auf den
Stationen von IP2 und IP6 zum Beispiel stehen genug zeitliche Ressourcen für die
Kommunikation zur Verfügung. Ob hier allerdings die Kommunikation am Patienten oder
unter Kollegen gemeint ist, bleibt offen.

Sprechen die Interviewpartner über die zeitliche Möglichkeit des kommunikativen


Austausches im Team, wird der Faktor Zeit für IP1 und IP11 häufig als Ausrede, hinsichtlich
der fehlenden Organisation, verwendet. Auch IP10 könne es nicht leiden, wenn Kollegen
sagen, dass sie „[…] so einen Stress haben […]“710, da man seiner Meinung nach als Arzt
immer viel zu tun habe. Anders IP9, welcher schon vor dem Ärztemangel wenig Zeit gehabt
habe. Eine Lösung sieht der Mediziner in der Umverteilungschance er zeitlichen
Ressourcen in Richtung Pflege.

Wenngleich IP6 mit der stationsinternen Kommunikation zufrieden sei (siehe oben), habe
der OP-Pfleger den Eindruck, dass die Zeit, um Dinge anzusprechen, oft nicht gegeben ist.
Diesen Umstand sieht er in der Zunahme an (Denk-)arbeit und in den stationsabhängigen
kürzeren Anwesenheitszeiten der Ärzte begründet. Auch IP7 habe das Gefühl, dass immer
alles schneller und reger passieren sollte bzw. dass die Pflegefachkräfte Dinge schon getan
haben sollten, bevor diese angeordnet wurden. Obwohl ihr niemand auf die Füße steige,
empfinde sie diesen Umstand als eher unangenehm. Für IP8, IP11 und IP12 ist die Zeit für
Kommunikation mit den Kollegen tages- und situationsabhängig. So nehmen IP8 und IP12
die Kommunikation unter Tags eher knapp wahr, wobei für IP12 Kommunikation generell
keine Frage der Zeit, sondern eine Frage des Wollens und Tuns sei. Der Arzt sieht einen
gewissen Zeitdruck in allen Berufsgruppen, weshalb Kommunikation, verstanden als die
Beziehungspflege zu Mitarbeitern, auch in zwei Minuten möglich sei. Da man nicht
stundenlang miteinander reden müsse, ist Kommunikation für IP12 auch neben fachlichen
Themen bzw. bei der Visite denkbar. Wenn man auf der Station keine Möglichkeiten und
zeitlichen Kapazitäten für die Kommunikation hat, ist es für IP11 sinnvoll, einen konkreten

709 IP12
710 IP10, Z 161

243
Termin einzuplanen. Auch IP8 bevorzuge eine Auslagerung stressiger Gespräche in eine
entspannte Atmosphäre, wenngleich die Zeit für akute Gespräche vorhanden sein müsse.
Dass die Kommunikation in Stresssituationen oft eine andere sei als in alltäglichen
Routinesituationen, wurde bereits in den Abschnitten 5.2.1.1. und 5.2.1.3. angesprochen.
So kommt dieses Thema erneut bei IP14 auf, welche einen Konflikt aufgrund der Haltung
einer Kollegin beschreibt. Auch hier betont die Ärztin, dass sie in stressigen Situationen,
welche es schon immer gegeben habe, selten aus der Ruhe zu bringen sei, sie aufgrund
von Banalitäten aber schon einmal ruppiger werden könne. Da nicht alle Teammitglieder
Verantwortlichkeiten und Probleme richtig einschätzen würden, bleibt IP12 ganz nach dem
Motto „weniger ist oft mehr“ bei sich und lagert die ihrer Meinung nach sonst für Streit und
Diskussionen verschwendete Zeit auf die Arbeit um. Auch IP15 und IP10 versuchen
stressige Situationen gut für sich zu lösen. IP15 versucht nicht in alte Muster (welche dies
sind, bleibt ungeklärt) zurückzufallen und arbeitet an sich selbst. Die Ärztin ist der Meinung,
dass positive Kommunikation unter Stress erlernbar ist, wenngleich sie einen langwierigen
Prozess vermutet. IP10, welcher bereits in seiner Ausbildung enormen psychischen Druck
und Stress verspürte, nähme diesen aufgrund der Routine als nicht mehr so belastend
wahr. Für denselben ist es wichtig, erste Anzeichen von Stress unter Mitarbeitern frühzeitig
zu identifizieren: „Die Leute werden immer ruhiger und ruhiger, weil sie grenzwertig belastet
sind und dann beschäftigen sie sich immer mehr mit sich selber und dann ziehen sie sich
eher zurück und es kommt irgendwann zur Explosion und zu irgendwelchen unerwarteten
Reaktionen, wo das ganze Team oder einzelne Leute darunter leiden.“711 Aufgrund seiner
Einschätzung zu gestressten Kollegen (siehe oben) vermutet die Verfasserin, dass hier
eher die Pflegefachkräfte als die Mitarbeiter gemeint sind. Um einer Explosion oder
Missverständnissen entgegenzuwirken, empfiehlt IP3 den Kollegen einfach zu sagen, wenn
man selbst gestresst ist, um so weitere Konflikte abzuwehren.

Zusammenfassend konnten folgende Faktoren hinsichtlich des Themas Kommunikation


und Stressmanagement ausgemacht werden:

• wahrgenommene bzw. verfügbare Zeit für die Kommunikation in Hinblick auf


Patienten
• wahrgenommene bzw. verfügbare Zeit für die Kommunikation in Hinblick auf
Kollegen und/oder Mitarbeiter
• vermehrte Dokumentationspflicht
• Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Krankenhäusern
• wahrgenommene bzw. verfügbare Zeit für die Kommunikation in Hinblick auf
Stresssituationen
• wahrgenommene bzw. verfügbare Zeit für die Kommunikation in Hinblick auf
Routine- und/oder Alltagssituationen

711 IP10, Z 176-180

244
• Abhängigkeit von Situationen und tagesspezifischen Besonderheiten
• individuelle Lösungsstrategien zur Vermeidung und/oder Verbesserung der
Kommunikation in Stresssituationen

Interpretationsrelevante Fragen zur Kommunikation im Zusammenhang mit Stress

Das Thema Stress ist im Krankenhaus schon aufgrund der möglichen Akutsituationen
präsent. Wie das im Alltag in Zusammenhang mit der Kommunikation steht, wurde in den
Interviews angesprochen und folgende interpretationsrelevante Fragen gestellt.

Wie beeinflusst Stress die Kommunikation?

Welche Strategien zur Lösung von Konflikten und zur Verbesserung der
Kommunikation in Stresssituationen werden angewendet?

Für die Rückkoppelung wurde folgende Hypothese formuliert:

„Die geforderte Etikette fällt in Stresssituationen. Dadurch werden Differenzen


sichtbar.“

5.2.4. Informelle Kommunikation, Visite und Kommunikation


In diesem Ergebnisteil sollen einige Themen erörtert werden, die von einzelnen
Interviewpartnern angesprochen wurden und die zusätzlich zu den bereits genannten
Ergebnissen für die Kommunikation im Krankenhaus von Bedeutung sein könnten. Dabei
stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: Welchen Einfluss hat die Ausgestaltung
persönlicher Beziehungen auf die gemeinsame Arbeit und Kommunikation und wie wird die
Dokumentation bewertet?

Wie bereits in den Abschnitten zuvor stellt Vertrauen einen wichtigen Punkt in der
Beziehungsausgestaltung dar. So beschreibt IP3, dass das Pflegepersonal solange
kontrolliert und bei diesem nachgefragt wird, bis sich Vertrauen zu diesem aufgebaut hat.712
Auch dieser Aufbau von Vertrauen werde laut IP13 dadurch erleichtert, dass das
Krankenhaus ein kleines sei.713 In größeren Häusern sei dies, vor allem als junger Arzt,
schwieriger gewesen.714 IP4 sieht den Grund hierfür in einem engeren Kontakt zwischen
den Mitarbeitern in kleineren Krankenhäusern.715 IP8 ergänzt hierzu, dass man sich sehr

712 IP3, Z 76-79


713 IP13, Z 15-16
714 IP13, Z 18-20
715 IP4, Z 191-193

245
gut kennt, oft schon wisse, wie der Gegenüber reagieren werde und das Haus auch von
außen als sehr familiär wahrgenommen werde.716 Zusätzlich beschreibt IP9 auch
persönliche Eigenschaften und Charakterzüge als wichtige Einflussfaktoren auf den
Beziehungs- und Vertrauensaufbau.717 Als negativ wird in diesem Zusammenhang aber
auch das Entstehen von Neid beschrieben. Besonders als jüngerer Mitarbeiter sieht sich
IP3 mit Neid konfrontiert, wenn er Kompetenzen besitze, die ältere Mitarbeiter nicht
hätten.718 Kontaktmöglichkeiten, und damit Möglichkeiten Vertrauen aufzubauen, gäbe es
vor allem in der Visite und bei Nachtdiensten. Insbesondere die Visite wird von IP7 und
IP14 als wichtige Schnittstelle und Gelegenheit für Kommunikation beschrieben.719 IP9
ergänzt hierzu, dass insbesondere auch die (informelle) Kommunikation vor und nach der
Visite fruchtbar für die gemeinsame Arbeit sei.720 Den Nachtdienst nennt IP13 als gute
Möglichkeit zum Kennenlernen, da man dort mehr Zeit habe, sich kennenzulernen.721
Generell hätte aber auch einfach die Station, auf der man arbeitet, durch spezifische
Strukturen einen Einfluss auf die Zusammenarbeit. Auf der Intensivstation beispielsweise,
beschreibt IP10, hätte das Pflegepersonal wesentlich mehr Kompetenzen, daher werde die
Zusammenarbeit intensiver und fände mehr auf Augenhöhe statt.722 IP11 findet die hier
angedeutete, fehlende Anerkennung aller Disziplinen in einem Team „[…] bedauerlich und
künstlich […]“723, da jedes Mitglied eines Teams einen Beitrag leiste.724 Entsprechend
äußert IP11 auch den Wunsch, das Schwesternzimmer als Teamzimmer zu bezeichnen,
um dieses als Kommunikationsforum nutzen zu können.725

Immer wieder wird in diesem Zusammenhang auch die Machtausübung und Ausführung
der Führungsrolle seitens der Medizin angesprochen. IP4 erklärt, dass es narzisstisch
angehauchte Persönlichkeiten gäbe, die gerne ihre Macht ausüben.726 IP10 hingegen
beschreibt, dass der Arzt zwar letztverantwortlich sei, aber Entscheidungen häufig in „[…]

716 IP8, Z 32-35


717 IP9, Z 242-244
718 IP3, Z 37-38
719 IP7, Z 202-204; IP14, Z 82-85
720 IP9, Z 128-129
721 IP13, Z 191. 192
722 IP10, Z 146-149
723 IP 11, Z 165
724 IP11, Z 164-166
725 IP11, Z 126-129
726 IP4, Z 59-61

246
kollegialer Absprache zwischen Medizin und Pflege […]“ getroffen würden oder werden
sollten.727

Die Einstellung zum Thema Supervision geht bei den Interviewpartnern auseinander, ist
insgesamt aber eher neutral bis negativ. IP5 sieht es eher als kontraproduktiv, bestimmte
persönliche Aspekte mit anderen zu diskutieren und im Falle einer Überlastung durch
Patienten gäbe es andere Möglichkeiten.728 Auch IP7 empfand vergangene Erfahrungen
mit Supervision als wenig positiv729. IP11 beschreibt, dass die Leitung für Mediziner stets
zur Verfügung stünde, dies bei Pflegefachkräften aber anders sein könnte730.

Von vielen Interviewpartnern wird ein steigender Dokumentationsaufwand beschrieben.


IP13 ist dabei nicht der Meinung, dass die Qualität der Kommunikation unter dem
steigenden Dokumentationsaufwand leidet.731 IP14 gibt hier zu bedenken, dass zwar
insgesamt mehr dokumentiert werden müsse, dies die Pflegefachkräfte aber stärker beträfe
als die Mediziner. Wünschenswert wäre eine für Dokumentationen zuständige geschaffene
Stelle, damit sich Pflegefachkräfte wieder ihren Hauptaufgaben widmen könnten.732 Es
herrscht allerdings keinesfalls Einigkeit über den steigenden Dokumentationsaufwand. IP10
glaubt, dass nur dort mehr dokumentiert werden müsse, wo auch der
Administrationsaufwand gestiegen sei und dies beträfe Stationen mit kürzeren
Verweildauern.733

Insgesamt wird Kommunikation von den meisten Interviewpartnern als wichtig


eingeschätzt, explizit beschreiben dies IP12 und IP14. IP12 erklärt, dass alle Prozesse im
Krankenhaus von Kommunikation (und deren Gelingen) abhängig seien. Von der
Aufnahme des Patienten bis hin zu Infusionen, Operationen und Medikamentengabe sei
sehr viel Kommunikation nötig, um den richtigen Patienten richtig zu behandeln. 734 IP14
beschreibt seine Erfahrung, dass bereits ein sicheres Auftreten dem Patienten gegenüber
entscheidend positiv auf die Situation wirken könne735.

727 IP10, Z 19-20


728 IP5, Z 140-143, Z 238-240
729 IP7, Z 135-138
730 IP11, Z 61-63
731 IP13, Z 186-189
732 IP14, Z 172-176
733 IP10, Z 165-168
734 IP12, Z 133-135
735 IP14, Z 15-19

247
6. Rückkoppelungen

Der erste Rückkoppelungsworkshop wurde im Oktober 2015 für den 09. Dezember 2015
geplant. Da die Dienstplangestaltung in Krankenhäusern in der Regel einen Monat im
Vorhinein stattfindet, wurde für die Terminplanung eine Zeitspanne von knapp zwei
Monaten gewählt. Somit hatten die Teilnehmer, die für die Rückkoppelung eingeladen
wurden, genügend Zeit für die persönliche Planung. D.h., die Interviewpartner – sieben aus
dem Bereich Medizin und acht aus dem Bereich diplomierte Pflege – erhielten Ende
Oktober die Einladung für die erste Rückkoppelung. Am 09.12.2015 fand der erste
Workshop statt. Von den 14 möglichen Teilnehmern (ein Teilnehmer aus dem ärztlichen
Bereich ist nicht mehr in der Privatklinik) folgten 5 Personen den schriftlichen Einladungen,
die postalisch und per Mail erfolgten. Die Zusammensetzung der Berufsgruppen war
folgende: eine Person aus der Medizin und vier Personen aus der Pflege.

Die geplante Dauer von zwei Stunden weitete sich aufgrund des Interesses und der aktiven
Mitarbeit auf drei Stunden aus. Die Moderation des Workshops übernahm eine
außenstehende Person. Mit der Zusage der Teilnehmer wurde der Workshop
aufgezeichnet, um danach Zusammenhänge mit den gebildeten Hypothesen besser
herstellen zu können. Der Aufbau des Workshops gestaltete sich folgendermaßen:

• Vorstellung des Themas


• Beschreibung des Forschungsprozesses
• Vorstellung der gebildeten Hypothesen
• Priorisierung der Themen durch die Teilnehmer

Aus der Interviewauswertung konnten folgende Hypothesen für die Rückkoppelung


generiert werden, die den Teilnehmern vorgestellt wurden.

1. Kommunikation im KH

1.1 Kommunikation wird, vor allem in der Pflege, gefordert und gefördert. Sie ist durch
Freundlichkeit und Höflichkeit geprägt.

Entstehen dadurch Organisationstabus und sprachliche Euphemismen? Gibt es Themen,


die des guten Klimas wegen unausgesprochen bleiben?

1.2 Informelle Kommunikation wird als sehr wichtig und für den Beziehungsaufbau
notwendig empfunden. Überdies wird der informellen Kommunikation fachlicher und
informativer Charakter zugeschrieben. Insbesondere diese fachlich-informative
Zuschreibung impliziert, dass es in der formellen Kommunikation Defizite gibt, die
kompensiert werden müssen.

248
2. Kommunikation Medizin/Medizin

2.1 Die Kommunikation zwischen Ärzten funktioniert nicht immer ausreichend informativ.
Dies kann mit zu viel oder zu wenig Hierarchie(-denken) und/oder mit einer
Statusasymmetrie in der Hierarchie der Medizin zusammenhängen.

3. Kommunikation Medizin/Pflege

3.1 Der ärztliche Kommunikationsstil ist aus Sicht der Pflege zum Teil herablassend und
betont damit eine Statusasymmetrie.

3.2 Junge Mediziner scheinen mehr zu kommunizieren. Der rhetorische Habitus ist noch
nicht ausgeprägt.

3.3 Die Pflege wird als Informationsquelle von Medizinern herangezogen, da sie durch
einen kontinuierlichen Patientenkontakt über umfassende Informationen verfügt.

4. Akademisierung

4.1 Hinter dem Akademisierungsprozess der Pflege steht unter anderem auch das
Bestreben nach Kommunikation auf Augenhöhe mit den Ärzten, um eine Statusasymmetrie
zu kompensieren.

5. Konflikte

5.1 Zwischenmenschliche Konflikte werden umgehend angesprochen und bearbeitet.


Unklar bleibt, in welchem Ausmaß tatsächlich Konflikte geklärt werden, oder ob es sich
dabei nur um Bearbeitung von Missverständnissen handelt und grundsätzliche Konflikte
unausgesprochen bleiben.

6. Frauen/Männer in Medizin und Pflege

6.1 Der Pflegebereich ist vorwiegend mit weiblichen Fachkräften besetzt. Männliche
Pflegefachkräfte bringen ein Gleichgewicht in reine Frauengruppen.

6.2 Ärztinnen ringen um Anerkennung bei männlichen Kollegen im hierarchischen


Abteilungsgefüge.

7. Stress

7.1 Die geforderte Etikette fällt in Stresssituationen. Dadurch werden Differenzen sichtbar.
Liegt im Stress die Wahrheit, welcher Umgang miteinander gepflegt werden würde?

Die Priorisierung, die durch Punktevergabe erfolgte, ergab zum Thema Kommunikation
zwischen Medizin und Pflege folgende Hypothesen:

• Der ärztliche Kommunikationsstil ist aus Sicht der Pflege zum Teil herablassend und
betont damit eine Statusasymmetrie.

249
• Junge Mediziner scheinen mehr zu kommunizieren. Der rhetorische Habitus ist noch
nicht ausgeprägt.
• Die Pflege wird als Informationsquelle von Medizinern herangezogen, da sie durch
einen kontinuierlichen Patientenkontakt über umfassende Informationen verfügt.

Damit waren die Hypothesen Grundlage für das weitere Vorgehen in der ersten
Rückkoppelung. Mit je drei bzw. zwei Personen wurden Kleingruppen gebildet, die in
Diskussion gingen. Danach wurde im Plenum diskutiert und eine Zusammenfassung vom
Moderator vorgestellt. In einem zweiten Schritt wurde eine weitere Übung angeleitet, in
welcher die Teilnehmer eine Zuordnung getroffen haben:

• Was kann der Einzelne im Unternehmen tun?


• Was kann die Organisation tun?
• Was kann nur außerhalb der Organisation getan werden?

Dieses Vorgehen zielt darauf ab, dass die Teilnehmer eine Rückspiegelung für ihre eigene
Handlungsfähigkeit bekommen und selbstbestimmt eine Veränderung der gewohnten
Kultur anstreben.

Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse des ersten Rückkoppelungsworkshops


beschrieben. Im Vordergrund steht dabei die Kommunikation innerhalb der Medizin bzw.
innerhalb der Pflege und zwischen beiden Gruppen – insbesondere Form der Anordnung,
Stress, Konflikte und zugehörige Lösungsansätze, Zielerreichung im Krankenhaus, Mängel
in der Kommunikation sowie Kommunikation in Abhängigkeit von Hierarchie, Rolle, Alter
und Persönlichkeit.

Ganz grundsätzlich wurde von den Teilnehmern ein gutes Arbeitsklima mit „einigen
Baustellen“ beschrieben. Dabei sollte insbesondere die Kommunikation verbessert werden,
da diese als für die Zukunft entscheidend betrachtet werde. Auch die medizinische Leitung
habe dies bereits erkannt. Ebenso soll aber die Disziplin gestärkt werden. Die Organisation
brauche Regeln, an die sich jeder halte. Alle besprochenen Themen hätten außerdem
gemeinsam, dass sie sich in der Vergangenheit eher verschlechtert als verbessert hätten.
Einen Einfluss auf die Themen habe zudem, dass es sich um eine Privatklinik handelt. Dies
bestimme die Philosophie, dass Patienten eher als Kunden betrachtet werden, denen mehr
Wertschätzung entgegengebracht werden müsse.

Ergebnisse der ersten Rückkoppelung

Die Rückkoppelung wurde im Sinne der Inhaltsanalyse analysiert und die


Themenschwerpunkte, ähnlich der Struktur der Interviews, angeführt und strukturiert.

250
Inhaltlich andere angesprochene Themen wurden den bestehende Gedankengängen
zugeordnet.

6.1.1. Allgemeines zur Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern


Allgemein nehmen Mediziner in der Kommunikation mit Pflegefachkräften eine aktive und
anordnende Haltung (unabhängig vom aktuellen Stressgrad) ein. Dies gelte sowohl in
öffentlichen als auch in privaten Krankenhäusern. Denn hier spiegle sich die Anordnungs-
und Durchführungsverantwortung der Mediziner wider. Dies führe zu gelebten
hierarchischen Unterstellungen, die objektiv in der Struktur des Krankenhauses nicht
vorhanden sind. Ärzte scheinen dabei eine relativ feste Vorstellung davon zu haben, wie
Pflegefachkräfte sich zu verhalten hätten (Medikamente vorbereiten und verteilen, aber
nicht anordnen). Unklar bleibt dabei, wie sich diese Einstellungen auf die Kommunikation
auswirken und, ob es umgekehrt analoge Vorstellungen der Pflege bezüglich eines idealen
Verhaltens von Medizinern gibt. Sie äußern allerdings, dass sich nicht alle aus der Pflege
trauen würden, Anordnungen zu hinterfragen. Die Tendenz, zu hinterfragen, steigt aber mit
dem eigenen Wissen. Am bequemsten sei die Situation für alle Beteiligten auch, wenn
Pflegefachkräfte die Anordnungen einfach befolgen würden. Ob dies auch für die Patienten
gilt, bleibt fraglich. Pflegefachkräfte äußern zudem den Eindruck, dass Mediziner bestimmte
Aufträge nur deshalb delegieren, weil sie sie selbst nicht ausführen wollen. Auch Antworten
der Mediziner seien manchmal „patzig“.

Die Kommunikation zwischen Medizin und Pflege funktioniere gut, wenn sie Austausch zum
Ziel habe oder die Pflege Veränderungswünsche/ Probleme mit einem Facharzt zu
besprechen versuche. Auch Konflikte könnten gut besprochen werden. Das Siezen drücke
Respekt zwischen den Berufsgruppen aus. Das Duzen zwischen den Berufsgruppen werde
hingegen als eine „Verbrüderung“ empfunden. Daher werde das Siezen in der Hierarchie
nicht negativ empfunden. Die Verbrüderung im Speziellen zwischen Medizin und Pflege
würde eher zu einem „dem-anderen-einen-Gefallen-tun-müssen“ führen.

Die Kommunikation zwischen auszubildenden Ärzten verändere sich im Laufe der


medizinischen Ausbildung, da a) in der Ärzteausbildung die Pflegefachkräfte den
Medizinern vorschreiben, was zu tun sei und b) auf den Stationen sehr unterschiedlich
miteinander kommuniziert werde, was Ärzte stärker erführen, da sie in ihrer Ausbildung die
Stationen häufig wechseln würden.

Konfliktfelder in der Kommunikation zwischen Pflege und Medizin seien jene, in denen der
Arzt kein Experte sei (z.B. Prophylaxe). Anordnungen in diesen Bereichen sind für die
Pflege zu wenig spezifisch und nicht eindeutig genug formuliert. Dieses Konfliktgebiet wird

251
mit der steigenden Akademisierung der Pflege größer und tendenziell dazu führen, dass
Pflegefachkräfte Mediziner eher hinterfragen. Unter Umständen verstärkt sich dieses
Konfliktfeld weiter, da es für Pflegefachkräfte ohnehin sehr problematisch ist, wenn
Mediziner Kompetenzunterschiede zu stark betonen, obwohl diese ohnehin für jeden
offensichtlich seien. Als problematisch wird außerdem empfunden, dass gemeinsam
beschlossene Veränderungen letztlich nicht umgesetzt und gelebt würden. Insgesamt
scheinen Konfliktfelder aber dort zu liegen, wo es zu Überlappungen der Kompetenzen
kommt. Dafür ist die Anordnung ein Paradebeispiel.

6.1.1.1. Die Anordnung

Die Anordnung birgt laut Aussage der Teilnehmer grundsätzlich Konfliktpotential. Eigentlich
diene sie dem Wohl aller Beteiligten. Im Notfall schütze sie den Patienten. Den Arzt schütze
sie vor allem vor Auseinandersetzungen, da sie (gesetzlich bedingt) von ihm ausgeht.
Pflegepersonen hätten aber die Pflicht, auf Fehler aufmerksam zu machen. Ärzte würden
die Einwände zur Kenntnis nehmen und darüber nachdenken. Die Pflegefachkräfte wirken
hier also als Notbremse des sonst übergeordneten Arztes, womit ein inhärenter Konflikt
besteht. Verstärkt wird dieser dadurch, dass die Art und Weise, wie die
Anordnungsverantwortung ausgeführt werden soll, im Ermessen des Arztes liege. So
berichten Pflegefachkräfte, dass bei Stationsärzten Anordnungen häufig auch dann
durchgeführt und dokumentiert würden, wenn ein Fehler vorzuliegen scheint. Ärzte
hingegen scheinen zu glauben, dass Pflegefachkräfte manchmal gegen den Wunsch der
Patienten handeln.

Grundsätzlich zeigen sich Pflegepersonen aber froh, dass die Verantwortung letztlich beim
Arzt läge. Die Pflege hatte diesbezüglich für sich eine Interpretation der
Anordnungsverantwortung beschlossen und diese erst später der Ärzteschaft bekannt
gegeben. Die Pflege sieht darin die Bestätigung einer besseren Organisation der Pflege (im
Vergleich zur Ärzteschaft). Die Mediziner hingegen berufen sich auf die gesetzliche
Verankerung. Allgemeingültige Aussagen, wie eine Anordnung aus Sicht der Ärzteschaft
gestaltet sein müsse, lassen sich hier nicht treffen. Zudem würden gerade Stationsärzte
dazu neigen, ihre hierarchische Stellung auszunutzen, wenn sie von Pflegefachkräften auf
eine falsche Anordnung aufmerksam gemacht würden. Bei Pflegefachkräften bleibt die
Angst, dass Ärzte sich ihrer Verantwortung im Nachhinein entziehen (indem sie eine
Anordnung abstreiten). Sie geben aber ebenso zu, dass Ärzte auch Verantwortung für
Übertretungen der Pflege übernehmen würden.

252
6.1.1.2. Stress

In Stresssituationen wird die wahrgenommene Hierarchie zwischen Medizin und Pflege


wesentlich steiler, während sie außerhalb von Stress als flach wahrgenommen wird.
Uneinigkeit besteht allerdings bei der Frage, was eine Stresssituation ausmacht. Eine
Notfallsituation sei nicht automatisch eine Stresssituation. Entsprechend unterschiedlich
wird die Kommunikation in Stresssituationen wahrgenommen. Einerseits werden
Anordnungen unter Stress als notwendig bezeichnet. Andererseits wird die anordnende
Kommunikation der Mediziner (aus ihrer Sicht) falsch verstanden. Ihre Wortwahl und
Kommunikation glücke nicht immer. Zudem nehmen Pflegefachkräfte wahr, dass Ärzte
anordnen möchten, statt Anordnungen anderer zu erfüllen und entsprechend weniger gut
mit derartigen Situationen umgehen könnten. Stress erhöht folglich die Wahrscheinlichkeit
für Konflikte zwischen den Berufsgruppen.

6.1.2. Konflikte
Ein Großteil der Konflikte innerhalb der Belegschaft des Krankenhauses liegt, wie zuvor
angedeutet, außerhalb des Wirkungskreises einer einzelnen Person. Beispielsweise
bergen Veränderungen hier grundsätzlich erhebliches Konfliktpotential. So wirken
Veränderungen innerhalb der Pflege auch auf die Medizin ein (ohne, dass diese direkt an
diesen Veränderungen partizipieren kann).

Als relevant zeigen sich insbesondere auch Schnittstellenprobleme. Diese entstünden


aufgrund fehlender Führung, mangelnder schriftlicher Anordnung und Missachtung von
Regeln an den Schnittstellen, wodurch es zu Überlappungen der Verantwortlichkeiten
komme. Beispielhaft kann hier die Situation der Stationsärzte (bzw. Allgemeinmediziner)
herangezogen werden. Sie stehen zwischen Fachärzten und Pflege, werden aber gern
übergangen. Sie übernehmen ihnen zugeteilte Aufgaben sowie Bereitschaftsdienste, wenn
Fachärzte nicht anwesend sind. Insbesondere zwischen den beiden Ärztegruppen komme
es dabei zu Organisationsproblemen, was gerade durch den generellen Ärztemangel zu
einem wichtigen Thema werde und sich auch auf die Pflege auswirke. So seien bei
Therapien nun eher Pflegefachkräfte als Ärzte zuständig. Solche Tätigkeitsverschiebungen
würden die Kommunikation zwischen allen drei Gruppen verschlechtern. Im Zweifelsfall
komme es in dieser angespannten Situation zusätzlich zu Patientenwünschen, die der
vereinbarten Aufgabenverteilung widersprechen. Dabei handelt es sich bei der
Überlappung der Verantwortungsbereiche nicht um ein exklusives Problem des
untersuchten Krankenhauses, sondern Pflegefachkräfte äußerten die Vermutung, dass es
zu diesen Überlappungen in den Verantwortlichkeiten nur deshalb komme, da a) Mediziner

253
sich oft undiszipliniert verhalten und/ oder b) Berufsbeschreibungen die Aufgaben nicht klar
regeln würden. So würden die Mitarbeiter der Pflege Aufgaben der Mediziner übernehmen,
die außerhalb des gesetzlichen Rahmens liegen würden. Aufgrund mangelnder personeller
Ressourcen und gesetzlicher Grundlagen müsse dieses Verhalten aber eingestellt werden.

Womöglich kann in der wahrgenommenen mangelnden Disziplin der Mediziner auch der
Grund für die Annahme betrachtet werden, dass die Kommunikation zwischen den
verschiedenen Ärztegruppen besonders schwierig sei. Fachärzte geben hierzu an, nicht zu
wissen, was Stationsärzte erwarten.

Mediziner hingegen beklagen, dass die Art der Anordnungsverantwortung von der Pflege
intern beschlossen, aber nicht ausreichend extern kommuniziert wurde. So habe die Pflege
sich organisiert und die Medizin sei außen vor geblieben. Es fand keine Diskussion mit den
Ärzten statt und ihnen wurde nicht mitgeteilt, welche Tätigkeiten im Umgang mit Patienten
von der Pflege und welche von Ärzten zu erbringen seien. Es herrscht allerdings auch
Uneinigkeit über den historischen Werdegang dieser Entwicklung und, wie sich dieser
explizit auf die konkrete Kommunikation zwischen Pflege und Medizin ausgewirkt habe. Die
Bandbreite reicht von einer seit 30 Jahren mangelnden Kommunikation zwischen beiden
Berufsgruppen (aus Sicht der Mediziner) und einer vor 10 Jahren beginnenden
Veränderung der Tätigkeitsfelder der Pflege. Zudem beklagt die Pflege, dass sich diese
Kompetenzzunahme nicht im Gehalt widerspiegle, obwohl immer mehr Aufgabenfelder der
Mediziner in den Verantwortungsbereich der Pflege fallen. Ärzte hingegen wehren sich
gegen die gesetzlichen Veränderungen von 1997. Im Workshop blieb allerdings unklar, ob
die Tätigkeitsbereiche im GuKG mit der Ärztekammer besprochen worden sind.

Damit hängt auch eines der Kernprobleme zusammen, welches bei den Stationsärzten
gesehen wird – hier herrscht Einigkeit zwischen Fachärzten und Pflegefachkräften.
Zwischen Pflegefachkräften und Stationsärzten fände die Kommunikation oft nicht mehr auf
der Sach-, sondern auf der Beziehungsebene statt. Es werde aber versucht, dies zu
verhindern, um Eskalationen zu vermeiden. Stationsärzte werden dabei von der Pflege
häufig übergangen; auch wenn sie zuständig seien, würde oft der Oberarzt gerufen.
Entsprechend wird, von verschiedenen Seiten, stark negative Kritik an den Stationsärzten
wahrgenommen, die sie mit Aussagen bezüglich der eigenen Stellung und Rolle sowie der
Stellung des Gegenübers abwehren zu versuchen. Teilweise wird der Grund hierfür in
einem mangelnden Selbstwert und einer Rollenunsicherheit der Stationsärzte gesehen.
Fachärzte hingegen seien im Bereitschaftsdienst auf Stationsärzte angewiesen. Dort
würden Kommunikationsschwierigkeiten deutlich zu Tage treten. Fachärzte wüssten nicht,
was Stationsärzte wollen und empfinden sie als schwer zu motivieren und wenig
zugänglich. Verbesserungsversuche mit Hilfe eines externen Beraters brachten bisher

254
keinen Erfolg (Sammlung von Negativbeispielen, die mit den Stationsärzten besprochen
wurden sowie Gespräche der Betroffenen mit der ärztlichen Leitung).

In festgefahrenen Konflikten kommt es dann zu gegenseitigen Unterstellungen. Aus Sicht


der Pflege wird ihnen von den Ärzten Faulheit und Inkompetenz unterstellt. Es scheint dabei
zu gegenseitigen Fehlinterpretationen zu kommen. Durch diesen Umstand scheint aber das
Wissen um die Bedeutung eines vorurteilsfreien und wertschätzenden Umgangs
miteinander in der Belegschaft zugenommen zu haben.

Doch nicht nur zwischen diesen beiden Berufsgruppen im Krankenhaus kommt es zu


Konflikten. Es soll hier zwar nicht auf Konflikte mit anderen Anspruchsgruppen eingegangen
werden, doch in der Differenz, wie mit diesen umgegangen werden sollte, zeigen sich
deutliche Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Berufsgruppen. Sowohl Ärzte
als auch Pflegefachkräfte sprechen anderen Gruppen im Krankenhaus weniger
Kompetenzen zu, weshalb Konflikte mit diesen völlig anderer Natur seien. Mediziner führen
außerdem an, dass sie deshalb ebenso kein Mitspracherecht bräuchten, sondern einfach
geführt und ihnen Aufgaben zugewiesen werden müssten.

Ein weiteres Kernthema stellen außerdem Konflikte dar, die ihren Ursprung in
Persönlichkeit und Sozialisation einer Person haben. Hier habe der Status eines
Privatkrankenhauses einen großen Einfluss, da alle Mitarbeiter unterschiedlich
berufssozialisiert seien, da im Krankenhaus selbst nicht gelehrt werde. Für Mediziner käme
noch hinzu, dass sich das (Selbst-)Bild der Mediziner in den letzten 50 Jahren massiv
verändert habe. Die Pflege summiert, dass mit Ärzten ohne Selbstwert ohnehin keine
kollegiale Kommunikation möglich sei. Der Kommunikationsstil dieser Ärzte wird als
„aggressiv“, „unpassend“ und „unter der Gürtellinie“ empfunden. Als relevant wird hier
außerdem die Anerkennung des Aufgabengebiets des Gegenübers betrachtet. In einem
Konflikt würde die Wertschätzung der Wahl des Berufsfeldes und des Feldes selbst ein
positives Klima schaffen.

6.1.2.1. Lösungsansätze

Als Lösungen für die vorliegenden Konflikte wurden grundsätzlich zwei verschiedene
Ansätze vorgeschlagen, denen aber sehr ähnliche Grundannahmen zugrunde liegen.
Einerseits wurden Bedingungen gelingender Kommunikation gesammelt, andererseits
wurden Fortbildungen zum Thema Kommunikation diskutiert. Grundsätzlich hätten die
Pflegefachkräfte für sich beschlossen, eine Diskussion abzubrechen, wenn sie den Ton der
Abteilungsleiter nicht angemessen fänden. Außerdem wurde in den Workshops zuvor zwar
negativ angemerkt, dass Konflikte emotional werden würden, die Anwesenden sind sich
aber auch (mehr oder weniger) einig, dass emotionslose Diskussionen gar nicht möglich

255
seien, da Beziehungen immer eine Rolle spielen würden und dies auch hilfreich dabei sein
könnte, Konflikte herunterzubrechen und zu entspannen. Generell müssten Mitarbeiter dort
abgeholt werden, wo sie stehen – auch wenn dies in einem emotionalen Status sei. Eine
neutrale Diskussionsebene könne geschaffen werden, wenn die Arbeit am Patienten in den
Mittelpunkt gestellt werde.

Insbesondere die Pflege rückt das Thema der Fortbildungen (zu den Themen
Kommunikation und Teamarbeit) zum Zwecke der Kommunikationsverbesserung in den
Mittelpunkt. Diese Fortbildungen würden von Ärzten kaum besucht werden. Dies sei aber
nötig, damit Ärzte Führungskompetenzen entwickeln könnten. Für Leitungspositionen in der
Pflege seien bestimmte Ausbildungen vorgeschrieben, während es solche Vorgaben in der
Medizin nicht gäbe. So habe lediglich einer von zehn Ärzten ein Training zum Thema
Kommunikation absolviert. Ausnahme seien hier Primarärzte, die eine universitäre
Masterausbildung (Krankenhausmanagement und Führung) benötigen, welche auch die
Themen Teamarbeit und Kommunikation umfasse. Finden solche Fortbildungen doch im
Krankenhaus statt, so seien sie relativ kurz oder es komme zu Konfliktgesprächen. Dabei
würden sich viele Mitarbeiter eine entsprechende Ausbildung aller Mitarbeiter wünschen,
wobei es jene, die es am nötigsten hätten, wahrscheinlich am wenigsten nutzen würden.
Jedoch besteht auch keine Einigkeit über den Sinn von Kommunikationsschulungen. Viele
der Anwesenden glauben, dass Teambuildingseminare die Kommunikation erleichtern,
indem sie die Kommunikationsfähigkeit verbessern, andere sind sich dessen nicht sicher
und verweisen auf bereits gescheiterte Versuche die (auch hier behandelten) Themen im
Krankenhaus aufzulösen.

Für eine gelingende Kommunikation seien generell Ton und Art der Kommunikation
entscheidend. Die Kommunikation sollte zudem von gegenseitigem Respekt und
Wertschätzung geprägt, vorurteilsfrei und nicht zu intellektuell sein. Es sollte nicht gebrüllt
werden, dieser Vorsatz wird aber als schwer umsetzbar beschrieben. Des Weiteren sollte
die Bedeutung der Funktion des Gegenübers für die Organisation bedacht und
wertgeschätzt werden, um eine positive Einstellung zu schaffen. Zuletzt wünschten sich die
Mitarbeiter der Pflege mehr Freiraum durch die Mediziner.

Problematisch sei auch, dass vereinbarte Verhaltensweisen und Ziele nicht umgesetzt
würden. Die Organisation sollte hier Möglichkeiten bieten, Themen anzusprechen und
gesteckte Ziele bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erreichen. Damit einher gingen
Transparenz und eine Kontrolle der Zielerreichung (inklusive Konsequenzen bei Nicht-
Erreichen). Außerdem solle auch die ärztliche Leitung an diesem Prozess teilhaben. In
Bezug auf den Rückkoppelungsworkshop wurde angemerkt, dass das Nicht-Erscheinen
einiger Teilnehmer auch eine Aussage beinhalte.

256
6.1.2.2. Kommunikation in Abhängigkeit von Hierarchie, Rolle und Alter

Abgesehen von den geäußerten Wünschen (z.B. wie kommuniziert werden sollte) haben
die Workshopteilnehmer einige Personen- und Rollenmerkmale identifiziert, die auf die
Kommunikation einer Person wirken. Dazu zählen insbesondere die Hierarchie und die
eigene Stellung in dieser, die eigene Rolle und die Stellung innerhalb eines Teams sowie
das Alter.

Die Hierarchie im Haus wird als flach, aber in Stresssituationen deutlich steiler beschrieben,
sie sei aber steiler als in anderen Häusern, werde dabei aber weder positiv noch negativ
bewertet. Nicht negativ bewertet werde sie vor allem dann, wenn sie nicht mit Macht
assoziiert sei. Einige Teilnehmer sind der Meinung, dass Macht nur bei dienstrechtlichen
Angelegenheiten eingesetzt werde. Andere beschreiben das Abzeichnen verordneter
Medikamente als Machtdemonstration. Hierarchie existiere sonst eher im Hintergrund,
gäbe Halt und Struktur und zeige sich dadurch, dass das „Du“ wenig benutzt werde. Seitens
der Pflege werde das hierarchische Gefüge solange nicht infrage gestellt, wie die
Kommunikation harmonisch und kooperativ sei.

Pflegefachkräfte erleben selbst eine sichtbarere Hierarchie (Pflegedienstleitung,


Stationsleitung, Pflegefachkraft und Pflegehelfer – Anmerkung: heute Pflegeassistent), die
sehr gut funktioniere. Auch Veränderungen würden in einem top-down Prozess geschehen.
Hierarchie sei unter Pflegefachkräften aber auch leichter zu organisieren und werde leichter
gelernt als unter Ärzten, von ihnen werde schließlich auch mehr Disziplin erwartet und sie
hätten eher dienstrechtliche Konsequenzen zu erwarten. Medizinern würde der Umgang
mit Hierarchie schwerer fallen, sie wollten selbst stets in anordnender Position sein. Wie
bereits erwähnt bemängelt das Pflegepersonal zudem, dass Mediziner die Hierarchie häufig
zu stark betonen. Der Grund dafür wird in mangelndem Selbstwert, insbesondere bei
Stationsärzten, vermutet. Außerdem lägen darin die Kommunikationsschwierigkeiten der
Pflege mit den Fachärzten begründet. Die Pflege zeigt sich dabei generell verunsichert
bezüglich der Hierarchie innerhalb der Medizin. Insgesamt wird aber beschrieben, dass
Kommunikation mit steigender Hierarchiestufe einfacher wird. So können Oberschwester
und ärztliche Leitung sehr gut miteinander sprechen, während dies für untere
Hierarchieebenen schwieriger ist.

Damit einher geht die Annahme einiger Teilnehmer, dass Menschen, je ungebildeter sie
sind, umso hierarchischer geführt werden müssten und folge dessen weniger
Mitspracherecht haben sollten. Andere merken hier an, dass die Meinung der Basis
durchaus wichtig sei und sich gerade Veränderungen (vor allem große) eher umsetzen
ließen, wenn alle Mitarbeiter integriert würden.

257
Generell sei Kommunikation außerdem umso schwieriger, je neuer eine Person in einem
Team ist. Begründet wird dies mit fehlendem Wissen über Kompetenzen und Fähigkeiten
des neuen Mitglieds. Die resultierende Unsicherheit führe unter Umständen zu
hierarchischer Kommunikation („Wer bist du und wer bin ich?“) und Ärzte ließen sich
weniger auf Diskussionen ein, sodass in der Unsicherheit letztendlich eine steigende
Anzahl von Konflikten zwischen alten und neuen Mitarbeitern begründet sei. Erschwert
werde dies durch die unterschiedliche Sozialisation und Wertigkeit in anderen
Krankenhäusern und Abteilungen. Das stehe auch im Zusammenhang, dass Mitarbeiter
bereits bei Dienstantritt stärker ausgebildete Charaktere haben würden.

Eine weitere Differenz zwischen den Berufsgruppen sei das unterschiedlich bewertete
Prestige. Hier besteht allerdings die Angst, dass Ärzte dies im Falle einer falschen
Anordnung ausnützen würden. Letztlich werden aber, soweit herrscht Einigkeit,
Persönlichkeiten sowohl als medizinische als auch als pflegerische Fachkräfte in ihren
Berufen durch ihre Wertigkeit und Sozialisation und andere Mitarbeiter geprägt. Bei
medizinischem Personal wird hier insbesondere beobachtet, dass jüngere Ärzte mehr Wert
auf das Miteinander legen würden. Sie würden nicht (mehr) in einem „Götter in Weiß –
Denken“ erzogen, während ältere Ärzte entsprechend autokratischer agieren würden und
sehr deutlich vorgäben, was sie erwarten.

Damit ist bereits ein weiterer Punkt der Unterscheidung angesprochen. Generell sei die
ganze Weltanschauung sehr altersabhängig. Wobei zu beachten ist, dass das
Berufseintrittsalter in der Pflege generell niedriger sei als in der Medizin. Wie zuvor
beschrieben werden jüngere Ärzte „lockerer“ erlebt als ältere. Dies werde auch daran
erkannt, dass sie schneller ein „Du“ anböten und (wie bereits erwähnt) mehr Wert auf das
Miteinander legen würden. Dies sei vor allem durch ihre Laufbahn geprägt. Ihnen sei eher
bewusst, dass Pflegefachkräfte die Patienten am besten kennen würden, da sie den
meisten Patientenkontakt hätten. Entsprechend würden jüngere Ärzte eher die
Kompetenzen der Pflegefachkräfte erfragen. Diese einfachere Interaktion hängt wohl auch
mit der Ausbildung jüngerer Ärzte zusammen, im Laufe derer sie auf verschiedensten
Stationen arbeiten und von den Pflegefachkräften die jeweils vorherrschenden
Kommunikationsformen lernen. Andererseits erwarten junge Ärzte mehr Vorgaben und
Strukturen von diensthabenden (älteren) Ärzten.

Bei allen Meinungen bezüglich des Einflusses des Alters eines Mitarbeiters auf die
Kommunikation bleibt unklar, ob es einen „Shift“ zwischen jüngeren und älteren Kollegen
gibt. Mit „Shift“ bezeichnet die Gruppe eine Altersgrenze (beispielsweise zwischen „Göttern
in Weiß“ und jüngeren Ärzten, die nicht in diesem Denken erzogen wurden). Geschichtlich
wurde beschrieben, dass Pflegefachkräfte bis zum Zweiten Weltkrieg Lakaien waren und

258
auch zum Zeitpunkt des Workshops 2015/16 wurde noch berichtet, dass Mitarbeiter der
Pflege noch bis vor einigen Jahren dem Primararzt das Mittagessen gebracht hätten. Dies
sei bis heute sogar insofern erhalten, dass ihm Kaffee und Kuchen gebracht würden. Hier
wird sich mehr Gegenseitigkeit gewünscht. Es wurde allerdings auch gesagt, dass älteren
Mitarbeitern wegen ihrer Sozialisierung kein Vorwurf gemacht werden könne und es im
höheren Alter sehr schwierig sei, das eigene Verhalten zu verändern.

6.1.2.3. Stereotype Kommunikation der Berufsgruppen Medizin und Pflege

Unter den Medizinern stehe die fachliche Kompetenz an erster Stelle. Es herrsche
Uneinigkeit darüber, ob es Bereiche gibt, in denen soziale Kompetenz zum Tragen komme.
Es wird benannt, dass 90% kein Wissen zu Kommunikationsinstrumenten und
Teambuilding hätten. Diese Fähigkeit habe man einfach oder würde sie privat erwerben.
Insbesondere wenn soziale Kompetenz unter Ärzten keinen Stellenwert hat, habe dies
einen großen Einfluss auf die Kultur unter Ärzten.

Der Fachbereich sei sehr männlich dominiert. Es würden mehr Frauen gewünscht sein,
allein anhand der Geschlechterunterschiede könne man die Heterogenität der Gruppe
innerhalb der Gruppe der Mediziner aber nicht erklären. Ein Großteil der Mediziner seien
aber Einzelkämpfer. Es gelte das Recht des Stärkeren, wohingegen Kommunikation und
Teamarbeit nicht zu ihren Stärken gehören würden. Entsprechend wenig Zusammenarbeit
gäbe es innerhalb der Gruppe. Einige fühlen sich als Künstler. Trotzdem gibt es
Funktionsstrukturen, Abteilungen und Linienvorgaben. Bei Fehlverhalten haben sie eher
organisatorische Mahnungen als dienstrechtlichen zu befürchten. Die Hierarchie sei aber
(im Vergleich zu jener der Pflege) flach und es gelte kein hierarchisches Prinzip. Dabei
handle es sich um keine besondere Eigenschaft der beforschten vorliegenden Klinik und
einige wünschten sich eine steilere Hierarchie.

Die Hierarchie innerhalb der Ärzteschaft sei allerdings eine besondere, da es die Funktion
der Stationsärzte in anderen, öffentlichen Krankenhäusern so nicht gäbe. Am Tag würden
Entscheidungen von Fachärzten getroffen (selbst wenn ein Stationsarzt die Station leitet)
und dieser halte nur im Zweifelsfall Rücksprache mit Stationsärzten. Die generelle
Entscheidungsbefugnis hätten Stationsärzte nur bei Abwesenheit des Facharztes (zumeist
nachts). Daher wird den Stationsärzten eine generelle Frustration unterstellt, da ihnen Ziele,
Herausforderungen und Entscheidungsbefugnisse fehlen würden. Ihr Beruf habe keine
Zukunft und es würde an beruflichen Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten fehlen.
Fachärzte würden sie aber nicht daran hindern, Entscheidungen zu treffen. Insgesamt seien
Stationsärzte älter, ansonsten handle es sich um eine heterogene Gruppe.

259
Fachärzte wüssten eher um die Relevanz der Pflege und würden diese loben. Trotzdem
wird der Gesamtheit der Ärzte unterstellt, dass sie Anordnungen abstreiten würde, um sich
aus der Verantwortung zu ziehen, obwohl sie manchmal die Verantwortung für
Kompetenzüberschreitungen der Pflege übernehmen würde.

Ärzten fehle außerdem ein Tätigkeitskatalog und die Berufsgruppenbeschreibung sei


unklar, was das Delegieren erschwere. Eine Ärztin müsse sich zudem davon überzeugen,
dass eine Pflegefachkraft, an welche sie eine Aufgabe delegiert hat, auch über die
entsprechenden Kompetenzen verfüge. Schließlich hätten Mediziner auch einen
Wissensvorsprung gegenüber den Pflegefachkräften, weshalb letztere auch keine
Anordnungen geben könnten. Außerdem wehren sie sich gegen das Eindringen der Pflege
in ihre Organisation, ohne dabei ein Mitspracherecht zu haben.

Die anwesenden Pflegefachkräfte geben dagegen an, dass sie innerhalb der Gruppe der
Mediziner keine hierarchischen Strukturen erkennen würden. Sie wüssten zudem zu wenig
über die Organisation und das Krankenhaus und müssten Führungskompetenzen
entwickeln. Sie würden andere im Krankenhaus tätige Professionen und ihren Beitrag zum
Gesamtergebnis des Krankenhauses nicht wertschätzen.

Pflegefachkräfte sagen von sich selbst, dass sie (auch) die Verantwortung hätten, den
Patienten zu schützen. Kommunikation innerhalb der Gruppe würde über Disziplin
funktionieren. Dadurch werde über alle Ausbildungsstufen hinweg gut kommuniziert und
gearbeitet und die Arbeit sei gut strukturiert und organisiert, sodass die Pflege, neben der
Verwaltung, an der generellen Organisation mitwirke. Dazu zählt insbesondere die Existenz
von Kommunikationsregeln, deren Missachtung negative Konsequenzen nach sich zieht,
was eine gemeinsame Kommunikationsbasis schaffe. Zudem sei ein Notfallpaket existent,
mit Hilfe dessen Gespräche abgebrochen und vertagt werden könnten. Ein Vorteil, der
insgesamt spürbar sei, sei zudem, dass sich die Stationsleitung mit Coaching und
Kommunikationskultur beschäftige.

Sie seien sehr gut organisiert, hätten einen Tätigkeitskatalog mit Rechten und Pflichten und
wüssten daher genau, was sie tun dürften und was ihre Kompetenzen und Verantwortungen
seien. Bei Verstößen gegen diese hätten sie eher mit dienstrechtlichen Konsequenzen zu
rechnen als Ärzte. Sie könnten gut mit Hierarchie und Anordnungen umgehen, da sie dies
früh lernen würden und selbst klare und offensichtliche Hierarchien hätten. Entsprechend
würden Veränderungen von oben gesteuert und in Abteilungsleitersitzungen besprochen.
Hier läge ein massiver Unterschied zu medizinischen Fachangestellten vor, da es in diesem
Bereich an Führungskräften fehlen würde, die Veränderungen anstreben. Führung sei

260
innerhalb der Pflege eine Kompetenz des Berufs, die deutlich anders als in der Medizin
ausgestaltet werde.

Wertigkeit und Funktion der Pflege unterlägen insgesamt großen Veränderungen: Das
Tätigkeitsfeld ändere sich, damit zusammen hängt sicherlich auch die beschriebene
Zunahme des Wissens in den vergangenen 20 Jahren und die Konzeption als
wissenschaftliche Profession. So würden Pflegefachkräfte heute mehr hinterfragen und
verstehen wollen, während sie früher nur auf Grundlage von Erfahrung gehandelt hätten.
So würden sich auch Rolle und Selbstwert von Pflegefachkräften verändern. Früher seien
sie Lakaien gewesen, heute seien sie Experten z.B. für Prophylaxe, fühlen sich selbst oft
auch als Erfüllungsgehilfen und nicht jede Pflegefachkraft habe den Selbstwert, von einem
Mediziner getroffene Entscheidungen zu hinterfragen. Medizinern seien diese
Veränderungen aber entgangen und sie würden der Pflege Faulheit unterstellen. Dabei
seien sie durch Lob zu motivieren.

Obwohl die Pflege auch der Medizin Aufgaben abnähme, selbst wenn dies nicht völlig
gesetzeskonform wäre, sei das Gehalt der Pflege nie entsprechend der neuen Aufgaben
angepasst worden. Anordnungen über das Telefon nähmen sie nur ungern an, da sie
Klagen von Patienten fürchten. Dies hänge insbesondere mit der unklaren
Anordnungspflicht zusammen. Sie spüren aber recht deutlich die Differenzen zwischen den
Anspruchsgruppen der Mediziner und der Patienten. Sie säßen zwischen den Stühlen, in
Form der Vorstellungen der Ärzte und Patienten.

6.1.2.4. Kommunikationsdefizite

Die Kommunikationskette entlang der Mediziner und Pflegefachkräfte hin zu den Patienten
sei nicht klar. Kommunikation zwischen Medizinern und Pflegefachkräften funktioniere,
soweit über die Arbeit diskutiert werde. In Abteilungsleitersitzungen würden zudem
Veränderungen in der Struktur besprochen und ihre Umsetzung diskutiert. Besprechungen
würden überdies der Vorbeugung von Konflikten dienen. Unterscheiden sich
Hierarchieebenen, so vergrößere sich der Mangel an Kommunikation.

Die Kommunikation zwischen Stationsärzten und Pflegefachkräften sei hingegen gestört.


Dies wird insbesondere am Ton und der Art der Kommunikation festgemacht. Es komme
zu Fehlinterpretationen zwischen beiden Parteien, die eine ohnehin konfliktbehaftete
Kommunikation verschärfe. Die Pflege empfindet sich von Stationsärzten als Ganzes wenig
geschätzt und würde von diesen wenig positive Rückmeldungen erhalten. Es gäbe zwar
auch Stationsärzte, mit denen die Kommunikation aus Sicht der Pflegefachkräfte gut und
direkt funktioniere, insgesamt würden die Stationsärzte, die eigentlich ein Bindeglied der
Kommunikation sein sollten, aber gern umgangen.

261
Mediziner empfanden die Übernahme neuer Aufgaben und Tätigkeitsfelder durch die
Pflegefachkräfte als sehr plötzlich. Die Pflegefachkräfte hingegen bemängeln, dass von
ihnen eingebrachte Themen durch die ärztliche Leitung verändert würden.

Ergebnisse der zweiten Rückkoppelung

Auch im zweiten Rückkoppelungsworkshop lag ein Großteil der Aufmerksamkeit der


Teilnehmer auf der Kommunikation innerhalb und zwischen den unterschiedlichen
Berufsgruppen. Zudem wurden der Umgang mit (eigenen) Fehlern, Schwächen und Kritik
sowie (weitere) mögliche Lösungsansätze diskutiert. Insbesondere kann hier noch die
kollegiale Führung hervorgehoben werden. Kernpunkt waren dabei (verschiedene)
Konflikte.

Es wurde jedoch auch Generelles besprochen. So wurde klargemacht, dass


Kommunikation in den meisten Fällen gut funktioniere, was zu einem großen Teil auf die
Personalstruktur zurückzuführen sei. Es gäbe dennoch Veränderungspotentiale. Jenseits
vom Inhalt würde die Art und Weise der Kommunikation eine wichtige Rolle spielen.
Insbesondere wurden hierzu genannt: Freundlichkeit, Kritikfähigkeit, Kompetenz und
Fortbildungsbereitschaft.

6.2.1. Kommunikation innerhalb beider Berufsgruppen


Hier muss vorangestellt werden, dass sich die Kommunikation (sowohl Qualität als auch
Quantität) innerhalb der Berufsgruppen in Abhängigkeit von der Station unterscheide. So
würden Mediziner insgesamt lockerer miteinander umgehen als Pflegefachkräfte. Dies läge
an der geringeren Anzahl der Mitarbeiter.

Es gäbe allgemein Gruppensitzungen, in denen jedes Thema irgendwann besprochen


werde. Diskussionen blieben aber nicht immer sachlich, was zu einer Verkomplizierung
führe. Zudem komme es zu gegenseitigen Beschuldigungen und auf einigen Stationen zu
„gegenseitigem Bekriegen“.

Innerhalb der Ärzteschaft kann zudem zwischen Stations- und Fachärzten unterschieden
werden. Insbesondere hätten Fachärzte Privatordinationen. Da über diese Patienten
akquiriert würden, trügen sie wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg der Privatklinik bei. Die
Stellung der Stationsärzte sei sehr unterschiedlich. Von den Fachärzten und hierarchisch
höher gestellten Kollegen würden sie aber keine Wertschätzung erleben. Mit ihnen würde
auf verletzende Weise kommuniziert werden und besonders Fachärzte, Oberärzte und
Primarärzte seien dabei herablassend. Auch von ihren Vorgesetzten fühlen sich

262
Stationsärzte nicht wertgeschätzt. Häufig würden sie behandelt, als wären sie dumm und
das Aussterben ihres Berufs wird betont. Bitten Stationsärzte Fachärzte um die Erledigung
ihrer Aufgaben, fühlen sie sich als Bittsteller. Dabei sind Stationsärzte aufgrund einer
Strukturveränderung häufig für die gesamte Station allein zuständig. Diese Situation sei
angsteinflößend. Aufgrund der beschriebenen Situation berichtet ein Stationsarzt, bereits
über einen Arbeitsplatzwechsel nachgedacht zu haben. Die Stationsärzte selbst treffen sich
aber täglich zur Dienstübergabe.

In der Pflege wird strikt nach Anordnung und Evaluierung agiert. Höflichkeit und
Freundlichkeit würden dabei vorausgesetzt. Der Wechsel einer Stationsschwester sei,
zeitgleich mit der Vergrößerung der Station, besonders durch das geringere Erleben von
einem Gefühl des Miteinanders aufgefallen. Zuvor sei es auf der Station strukturierter und
weniger stressig gewesen.

Augenmerk wurde während dieses Workshops auch auf die Mitarbeitergespräche gelegt.
Mit diesen werde die aktuelle Situation und Einschätzung des Einzelnen erhoben. Ziel sei
dabei die Generierung von Wissen über Ziele und Status der Mitarbeiter. Sie würden aber
auch dazu genutzt, Probleme anzusprechen. Es herrscht aber Uneinigkeit darüber, ob die
Erhebung von individuellen Potentialen auch Teil des Mitarbeitergespräches ist bzw. sein
soll. Es werde zwar auf individueller Ebene geführt, der Bezug auf Vergangenheit und
Zukunft führe aber dazu, dass das ganze Team betroffen sei. Neue Mitarbeiter würden
regelmäßig, in kurzen Abständen, anhand verschiedener Kriterien, beurteilt. Im Mittelpunkt
stünden dabei Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Kompetenz, aber auch das
gegenseitige Kennenlernen und die Festigung eines Urteils. Handelt es sich um
(zukünftige) Fachärzte, würde auch die Passung ins Team getestet. Insgesamt würden
Pflegefachkräfte bei Dienstantritt aber einer wesentlich strengeren Prüfung unterzogen.

6.2.2. Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern


Eine grundsätzlich sachliche und ehrliche, von Freundlichkeit und Höflichkeit
gekennzeichnete Kommunikation zwischen den Berufsgruppen sorge dafür, dass alles
besprochen werden könne. Eine entsprechende ISO-Zertifizierung fokussiere dabei auf
sachliche Kommunikation. Auch in Bewerbungsgesprächen werde darauf Wert gelegt.
Schließlich sei ein höflicher und freundlicher Umgang gerade in einer Privatklinik von großer
Bedeutung und auch mit den Patienten müsse freundlich gesprochen werden. Pflege und
Stationsärzte würden sich aber zu wenig schätzen, um dies immer einhalten zu können.
Von Führungskräften werde versucht, den entsprechenden Kommunikationsstil vorzuleben.
Schließlich würden Aufgaben bei höflichem Umgang schneller erledigt und dieser würde

263
Probleme abschwächen. Mediziner fühlten sich aber oft überrollt, wenn eine Pflegefachkraft
eine Anordnung hinterfragen würde. Stationsärzte beschreiben vor allem, dass ihnen
niemand zuhört, obwohl sie sich gern positionieren würden. Lob durch Fachärzte
empfänden sie aber als sehr positiv. Durch die flache Hierarchie zwischen Medizin und
Pflege herrscht insgesamt großes Vertrauen und es werde viel informell kommuniziert.

Formelle und informelle Kommunikation würden sich zwischen Berufsgruppen massiv


unterscheiden. Einerseits sorge gute informelle Kommunikation dafür, dass der Einzelne
ein gutes Gefühl für das Gesamtempfinden des Teams entwickle. Andererseits könne
Kommunikation auf privater Ebene auch emotional werden und so Probleme erst
verursachen. Positive Effekte von informeller Kommunikation träten nur dann ein, wenn
genügend Zeit für diese Art der Gespräche bliebe. Durch eine Veränderung der
Räumlichkeiten würden Mediziner und Pflegefachkräfte nun gemeinsam essen, was die
informelle, interdisziplinäre Kommunikation und somit (nach häufigen Treffen) auch die
Zusammenarbeit verbessere. Persönliche Angriffe sollten dabei in jedem Fall unterbrochen
werden.

Es werde zudem in einem sozialen Bereich gearbeitet, weshalb Hilfsbereitschaft ein großes
Thema sei. Die Außenwelt und andere Personen innerhalb der Organisation könnten in
erster Linie unterstützend oder moderierend in Prozessen wirken. Eine Trennung von Beruf
und Privatleben wird als wesentlich eingeschätzt. Ein als angenehm empfundenes Nähe-
Distanz-Verhältnis sei interindividuell und intraindividuell verschieden.

6.2.3. Konflikte, Fehler, Schwächen und Kritik


Es herrscht Einigkeit darüber, dass ein offener Umgang mit Fehlern für eine positive
Kommunikation essentiell ist. In der Pflege sei das Sprechen über eigene Schwächen
einfach möglich und wichtig. Unter der Voraussetzung der Ehrlichkeit müsse auch niemand
Angst haben, einen Fehler zuzugeben. Bei der Kommunikation über Fehler stünden nicht
Personen, sondern der Fehler selbst im Mittelpunkt. Ein Fehler ändere auch nicht die
Meinung über eine Person. Allerdings würden belastbare Personen anders bewertet als
weniger belastbare. Meist entstünden Fehler aus einer quantitativen Überforderung oder
aus Abwesenheit. Fehler können von allen Mitarbeitern, unabhängig vom Fachgebiet,
angesprochen werden. Sie sollten aber jedenfalls der Person kommuniziert werden, die
den Mangel ändern kann. Dies wird als Versuch beschrieben, „Kollegen wieder auf den
richtigen Weg zu bringen“.

Fehler könnten innerhalb des Teams (auf gleicher Hierarchieebene) oder


hierarchieübergreifend mit der Pflegedienstleitung besprochen werden. Bei Fragen,

264
Problemen und Fehlern könne außerdem mit der Pflegedienstleitung gesprochen werden,
wo man eine ehrliche Antwort erwarten könne.

Insbesondere Mitarbeiter im Bereich Pflege erwarten konstruktive Kritik, Ehrlichkeit und


Sachlichkeit und behaupten, diese auch so zurückzugeben. Es herrscht aber Einigkeit, dass
Kritik angenommen, reflektiert und als Impuls zur Verbesserung betrachtet werden solle.
Nur mit ehrlicher und offener Kritik sei Problemlösung möglich. Folglich müsse dies auch
zwischen Medizin und Pflege angestrebt werden. Trotzdem berge Kritik immer die Gefahr,
einen Konflikt auszulösen.

Allgemein werden sich wiederholende Kommunikation und sich wiederholende Fehler als
konflikttreibend beschrieben. Auch Fehlinformationen und eine ungünstige Wahl des
Kommunikationsmediums wirkten eher weniger förderlich für die Vermeidung von
Konflikten. Konflikte würden eher auftreten, wenn es zu Gehaltsverhandlungen,
Personalabbau und dem Offenbarwerden mangelnder Kompetenz kommt. Unabhängig von
Problemen werde versucht, fair zu arbeiten. Es gäbe nur wenige Themen, die nicht
besprochen werden könnten.

6.2.3.1. Tabuthemen

Wo es Themen gibt, die nicht angesprochen werden dürften, werden diese als Tabuthemen
bezeichnet. Die Einschätzungen zu diesen Themen sind (bezüglich ihrer Existenz) sehr
unterschiedlich. Das Ansprechen von Situationen solle aber keine negativen
Konsequenzen haben. Abteilungsübergreifend wird der jeweilige Personalbedarf als Tabu
beschrieben. Analog dazu sei es innerhalb einer Station bzw. Berufsgruppe das
Zurückstecken alteingesessener Mitarbeiter für neue Mitarbeiter. Uneinigkeit herrscht
darüber, ob Langzeitkrankenstände ein Tabu darstellen. Einig ist man sich, dass diese sehr
belastend sind und auch die Verlässlichkeit des entsprechenden Mitarbeiters beträfe. Es
wird aber auch vermutet, dass das Unterstellen böser Absichten die Situation unter
Umständen weiter verschlechtere. Auch Kompetenzen einzelner Mitarbeiter dürften nicht
besprochen werden. Stationsärzte beschreiben jegliche Einmischung in Angelegenheiten
der Pflege als Tabubruch. Damit zeigen sie auch, dass die Existenz eines Tabus an die
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe geknüpft sein könnte. Personalreduktion in der
Pflege sei generell ein Tabu. Interessant ist zudem die Aussage, dass eine Person, die
Unruhe auf eine Person weiterleite, selbst als Unruhestifter betrachtet werde.

Überlastung. Viele der genannten Tabuthemen zielen darauf ab, dass sie die
Wahrscheinlichkeit der quantitativen Überlastung erhöhen. Es wird (insbesondere in der
Pflege) eine Reduktion des Personals bei hohen bzw. steigenden Arbeitsbelastungen
beschrieben. Krankenstände könnten nicht sofort kompensiert werden. Aufgaben würden

265
unerledigt bleiben. Die Reduktion von Personal werde (vorsorglich) als Benachteiligung
erlebt. Andere geben zu bedenken, dass Personalreduktion andere Gründe habe.
Krankenstände hätten in der Klinik einen vergleichsweise anderen Stellenwert, da mit
kranken Menschen gearbeitet werde.

Die steigende Arbeitsbelastung führe dazu, dass die Arbeit anderer Mitarbeiter eher
hinterfragt und kontrolliert werde. Damit gehe ein hohes Konfliktpotential einher.
Stationsärzte wünschen sich aufgrund ihrer steigenden Arbeitsbelastung mehr
Unterstützung durch Fachärzte. Auf einzelnen Abteilungen wurde als Reaktion auf die
steigende Belastung um Supervision gebeten, die aber bis dato nicht stattgefunden habe.

Überschreitung von Zuständigkeitsbereichen. Neben Themen, die zu Überlastung


führen, finden sich unter den Tabuthemen solche, die nur für bestimmte Gruppen ein Tabu
darstellen, da es sich bei ihnen um eine Überschreitung des eigenen
Zuständigkeitsbereichs handelt. Im Workshop wird klar gesagt, dass Zuständigkeiten bei
den entsprechenden Abteilungen und ihren Führungskräften bleiben sollten. Dies gelte
auch dann, wenn es etwas Gutes oder gut Gemeintes sei, da es den eigentlich
Verantwortlichen kränke – auch und erst recht, wenn nicht direkt mit dieser Person
gesprochen werde. Insbesondere die Pflege besteht hier auf den eigenen
Kompetenzbereich, da die Mediziner sich häufig einmischen würden, da sie glauben, es
besser zu wissen. Dies habe bereits zu Konflikten geführt und führe dazu, dass man sich
im Beisein anderer Kollegen mit Kritik zurückhalte.

Gründe für die Ablehnung von Einmischung durch Personal anderer Abteilungen lägen
darin, dass die Einmischung weitere Probleme oder Schritte auslöse, mit denen der
Verantwortliche der Abteilung dann umgehen müsse. Überschreitungen der Zuständigkeit
werden als unnötig und ärgerlich bezeichnet. Es bleibt aber unklar, ob eine Weiterleitung
an Personalverantwortliche bereits eine Kränkung der Zuständigkeiten darstellt. Hierzu wird
nämlich auch gesagt, dass es ebenso die Aufgabe des Zuständigen sei, seine
Kompetenzen einzufordern.

Gerade in der Zusammenarbeit mit Stationsärzten scheinen die jeweiligen Kompetenzen


und Pflichten aber nicht klar zu sein. Sie beschreiben, dass sie im Ernstfall zu lange auf die
Unterstützung durch Fachärzte warten müssten, sodass sie das Problem ohnehin allein
lösen würden. Trotzdem würden sie in genau diesen Situationen der
Kompetenzüberschreitung bezichtigt. Zudem würden sie häufig Dokumente
unterschreiben, die ihnen nicht angeordnet worden seien. Pflegefachkräfte andererseits
dürften ohne diese Unterschrift keine Medikamente verabreichen. Auf der anderen Seite
würden Stationsärzte die Pflege häufig um Befunde bitten, die sie selbst genauso

266
anschauen könnten. Die Pflege beschreibt dies als einen erheblichen Mehraufwand,
welchen Mediziner nicht als solchen wahrnehmen würden. Als Grund für die Einbindung
der Pflegefachkräfte wird hier mangelndes Computerwissen vermutet. Eingesetzt werden
sie außerdem als Zeugen bei der Anforderung eines Facharztes durch einen Stationsarzt.
Es komme also zwischen den Berufsgruppen zu einem Gerangel um Zuständigkeiten und
Kompetenzen. Innerhalb einer Station sei klar, welche Aufgabe der Einzelne habe.
Einerseits werden dann die Aufgaben und die Rolle der Stationsärzte als klar definiert
beschrieben, für diese ist dann andererseits unklar, wer beispielsweise für die Aufnahme
von Patienten zuständig sei.

Schnittstellenkonflikte. Das zuvor beschriebene Gerangel läge an einem Mangel an


Vertrauen zwischen den Berufsgruppen. Schnittstellenkonflikte ergeben sich dabei
vornehmlich mit Stationsärzten. Wobei einige Workshopteilnehmer durchaus eine
Verbesserung der Beziehung beschreiben – Pflege und Medizin hätten sich auch insgesamt
besser aufeinander eingestellt. Grundsätzliche Probleme wurden diesbezüglich vor einiger
Zeit in Gesprächen erfragt. Stationsärzte würden sich nun eher an Richtlinien und
Anordnungen halten und bei Problemen könne der Primararzt kontaktiert werden.
Anordnungen von ihnen entgegenzunehmen, sei aber weiterhin schwieriger als beim
Primararzt. Der Grund für eine Veränderung (so es sie gibt) läge zu einem großen Teil an
der Dokumentationspflicht der Stationsärzte, durch welche sich die Disziplin verbessert
habe. Die Stationsärzte selbst bezeichnen sie auch als gutes Druckmittel. Dokumentiert
würde nicht nur Medikamentengabe, sondern auch das Nichterscheinen von Fachärzten im
Falle einer Anforderung. Zusätzlich würden kritische Situationen und Notfälle in einem
Fehlerbericht sehr detailliert festgehalten. Gerade nachts beschreiben Stationsärzte, sich
lediglich als durchführendes Organ zu fühlen. Es gäbe noch weitere Themen, die bearbeitet
werden müssten, gleichzeitig würde dies aber bereits bei jedem Treffen besprochen.
Letztlich sei die Situation der Stationsärzte individuell sehr verschieden. Bei einigen
beschreibt die Pflege, sich allein gelassen zu fühlen, weshalb mit diesen nicht gern
zusammengearbeitet würde. Umgekehrt gäbe es ebenso Stationsärzte, die dieses Gefühl
so gut kennen würden, dass sie nie einem anderen Mitarbeiter zumuten würden, ihn alleine
zu lassen. Zudem seien sie gut integriert, würden viel kommunizieren und entsprechend
viele Informationen sammeln.

Insgesamt stünden sie zwischen Pflege und Fachärzten, gehören zu keiner der beiden
Gruppen und haben folglich auch kein Gefühl der Zugehörigkeit. Sie selbst beschreiben
sich als sehr kompetent, da sie mit allen Fächern der Medizin konfrontiert seien, trotzdem
würden sie oft als Handlanger fungieren. Einige von ihnen würden nicht respektvoll
behandelt und auch ihre Autorität würde nicht immer anerkannt. Bei allen Problemfeldern

267
in der Kommunikation von Pflegefachkräften und Stationsärzten läge das Grundproblem im
fehlenden oder mangelnden Vertrauen.

Besonders kritisch werden Schnittstellen- und Kompetenzprobleme zwischen Fach- und


Stationsärzten beschrieben, da sich diese negativ auf die Patienten auswirken würden. So
seien einige Fachärzte im Bedarfsfall nicht immer erreichbar (oder würden wütend
reagieren), wenn sie von einem Stationsarzt angefordert würden.

Des Weiteren kommt es auch innerhalb einer Berufsgruppe zu Kompetenz- und


Zuständigkeitsüberschreitungen an den Schnittstellen. Gerade zwischen Fachärzten
komme es häufig zu Gerangel bezüglich der fachlichen Kompetenz. Auswirken würden sich
außerdem Konflikte in der Leitungsebene.

Verbesserungen in der Kommunikation seien unter anderem auf die ISO-Zertifizierung


zurückzuführen, da sie Transparenz über die Kompetenzverteilung, die Schnittstellen und
die Kommunikation innerhalb und zwischen Berufsgruppen schaffe. Ebenso wurden
schriftliche Anordnungen verbessert. Der Veränderungsprozess sei sehr rational gestaltet
worden. Als Ergebnis ist das Abzeichnen von Anordnungen Führungsaufgabe und
unterliegt folglich dem Tätigkeitsfeld der Stationsärzte. Es besteht aktuell der Wunsch, auch
die Dienstübergabe zu verbessern.

Personalentscheidungen. Wie eingangs beschrieben werden Personalentscheidungen


häufig als Tabu betrachtet. Kritisch werden vor allem betriebsrätlich getroffene
Personalentscheidungen gesehen, da diese Personen keine angemessene Leistung
brächten, aber lange Teammitglied seien. Wieder müssten hier Mitarbeiter, die bereits
länger in der Klinik arbeiten, für die neueren Kollegen zurückstecken. Angesprochen wurde
hier auch eine neue Struktur im Stationsteam, mit der eine Personalumstellung
einhergegangen sei. Personalreduktionen seien dabei strategische Entscheidungen.
Problematisch sei, dass Gründe für solche Entscheidungen nicht allen Teammitgliedern
klar seien, was zu Unzufriedenheit führe. Häufig fühle sich die entsprechende Gruppe
benachteiligt. Oft werde schon in Erwartung einer Reduktion gejammert, was Ausdruck der
Angst vor der steigenden Arbeitsbelastung sei. Es gäbe aber auch Lösungsversuche wie
beispielsweise Umverteilung von Mitarbeitern. Zumeist könne aber ein steigender
Personalbedarf nicht akut kompensiert werden. Insbesondere Pflegeteams könnten ihre
Personalprobleme nicht allein lösen.

Stress. Das Thema Stress tauchte in den Rückkoppelungsworkshops zwar häufiger auf –
bis zum Ende konnte allerdings nicht klar differenziert werden, was Stress im Krankenhaus
genau ausmacht. Uneinigkeit herrscht insbesondere bei der Frage, ob ein Notfall (generell)
Stress darstellt. Einerseits wird argumentiert, dass ein Notfall immer mit Stress einhergehe,

268
während andere beschreiben, dass ein Notfall nicht stressig sei, wenn die Mitarbeiter
kompetent seien.

In Notfällen seien – soweit Einigkeit – klare Anweisungen nötig, um Diskussionen zu


vermeiden. Der Umgangston würde rauer werden und die Letztverantwortung trage ein
Mediziner. Diese könne ihm niemand abnehmen. Aus Sicht der Stationsärzte haben
Pflegefachkräfte keine Mitverantwortung. Die Stationsärzte selbst seien im Todesfall
verantwortlich und ihre Anordnung sei letztendlich bindend, auch wenn ein Facharzt anders
anordnet (Ausnahme ist das Vorenthalten von Informationen). Trotzdem erhielten sie keine
Wertschätzung durch Fachärzte. Notfallsituationen seien damit auch der Grund, warum ein
Krankenhaus letztlich hierarchisch organisiert sein müsse.

Einige Mitarbeiter, die an den Rückkoppelungsworkshops teilnahmen, beschrieben, dass


ein rauer Umgangston während der Visite zu Verunsicherung und Stress führe. Dieser gehe
vornehmlich vom Primararzt aus. Wenn es hektischer werde, verändere sich der
Umgangston und es käme zusätzlich Stress hinzu. Hier können jedoch Aussagen
entgegengehalten werden, dass der Alltag in einer Klinik allgemein stressig sei. Dies sei
überall so und auch unabhängig vom Kommunikationspartner. Jeder gäbe sein Bestes und
grundsätzlich müsse sogar mit weniger Druck als in öffentlichen Krankenhäusern
umgegangen werden.

Wenn der Stress zunimmt, so funktioniere die Station nicht mehr optimal, aber weiterhin
gut. Dann würden die Mitarbeiter sich auf ihre Kernaufgabe (das Heilen) fokussieren und
eigene Befindlichkeiten in den Hintergrund stellen. Der Stress werde zusätzlich verstärkt,
wenn man sich wiederholen müsse und im weiteren Verlauf komme es eher zu Konflikten.

Stress könne aber durch Struktur verhindert und durch einen bestimmten Führungsstil
entschärft werden. So sei es wichtig, stressige Situationen im Team zu reflektieren. Dies
erfordere jedoch Selbstreflexion und Toleranz.

Nicht offen angesprochene Konflikte. Ungelöste und unausgesprochene Konflikte seien


das Schlimmste für ein Team und könnten dieses auf Dauer zerstören. Es könne eine
Abwärtsspirale entstehen und damit Unzufriedenheit, die auch andere anstecken könne.
Stationsärzte erlebten zudem, dass von ihnen angesprochene Probleme umgedreht
würden. Es gäbe immer einen Grund, unzufrieden zu sein. So könne sich die ganze
Organisation „zu Tode jammern“. Zusätzlich würden negative Aspekte erfunden werden.
Insgesamt seien die Themen aber wenig gravierend.

Einfluss von Persönlichkeit und Sympathie. Pflegefachkräfte beschreiben, sich leicht


ausgebotet zu fühlen, wenn sie von einem Mediziner hinterfragt werden. Sympathie
hingegen erleichtere die Kommunikation und sei eine Voraussetzung für Zusammenarbeit.

269
In der Routine lerne man sich besser kennen. Pflegefachkräfte wüssten dann eher, was ein
Arzt wünsche. Daher sei die Visite mit einem unbekannten Mediziner schwieriger. In der
Routine wachsen Vertrauen und Sicherheit, dies bräuchte aber Zeit. Neue Mitarbeiter
bekämen einen Vertrauensvorschuss, der aber – wenn er verspielt wird – nicht so einfach
zurückzubekommen sei. Es wurde auch der Wunsch nach Konsequenzen bei
Vertrauensbruch geäußert. In der Routine lerne die Pflege auch die Patienten kennen.
Zusammengefasst wurde also beschrieben, dass Vertrauen die Kommunikation
verbessere.

Entsprechend problematisch ist dann das angesprochene fehlende Vertrauen zwischen


Medizinern und Pflegefachkräften – diesbezüglich besteht aber keine Einigkeit. Teilweise
wird fehlendes Vertrauen mit dem Hinterfragen von Anordnungen durch Pflegefachkräfte
assoziiert. Mediziner fühlten sich dann überrollt. Auch zwischen Pflege und Stationsleitung
fehle Vertrauen. Damit seien es genau jene Personengruppen, die eng zusammenarbeiten
würden, zwischen denen das Vertrauen fehle. Zusammenarbeit sei ohne Vertrauen aber
nicht möglich. Diesbezüglich sei fachliche Kompetenz wichtiger als Sympathie bzw.
Antipathie. Vertrauen und Verlässlichkeit würden ein Team zusammenbringen.
Entsprechend wurden Konsequenzen für Unehrlichkeit gefordert.

Es wird unter den Teilnehmern davon ausgegangen, dass jede Person anders
kommuniziert. Der Kommunikationspartner habe einen entscheidenden Einfluss darauf, wie
stressig der Alltag erlebt werde. Insbesondere einer ärztlichen Führungskraft wird ein rauer
Umgangston zugeschrieben. Die Aufgaben würden zwar dennoch erledigt, dies läge aber
an der hierarchischen Stellung. Pflegefachkräfte würden lernen, mit dieser Art der
Kommunikation umzugehen. Es werde dennoch als stressig erlebt. Diese Person meine es
meist nicht ernst, was sie sage und dies würde man merken. In der Pflege lerne man
ohnehin schnell, mit verschiedenen Charakteren umzugehen.

Verunsicherung. Dennoch kommt es durch den rauen Umgangston von Medizinern zu


Verunsicherungen bei Pflegefachkräften. Dies erschwere die Kommunikation. Stationsärzte
fühlten sich vor allem dann verunsichert, wenn sie keine Unterstützung durch Fachärzte
bekämen, da sie fürchten würden, einen Fehler zu machen. Telefonische Unterstützung sei
dabei nur bedingt hilfreich, da hierzu korrekte Informationen seitens der Stationsärzte
Voraussetzung seien. So seien Stationsärzte dazu übergegangen, zu protokollieren, wie
Fachärzte für sie erreichbar sind. Auch Notfalleinsätze von Fachärzten würden protokolliert.
Dabei würde jedoch nicht der Name des Facharztes festgehalten, sondern lediglich, wie
viele Kontaktversuche nötig waren, bis dieser eintraf.

270
Hierarchie. Hierarchien lösten, wie Zuständigkeiten, dann Konflikte aus, wenn sie
überschritten würden. Es gäbe zwei Ebenen auf einer Station und, welche Ebenen
miteinander kommunizieren, habe einen Einfluss. Es herrscht keine Einigkeit, ob dies auch
bei vorliegenden Problemen der Fall sei. Einerseits könnten angemessene Lösungen von
Außenstehenden nicht gefunden werden, andererseits könnten Verantwortliche Probleme
eher lösen und die Lösung innerhalb des Teams könne kontraproduktiv sein. So würden
Anordnungen des Primararztes sofort erfüllt (ähnlich gelte dies bei Abteilungsleitern). Bei
Stationsärzten sei dies weniger einfach. Hier würde eher abgewartet als erledigt. Dies führe
dazu, dass die Stationsärzte sich unwohl fühlen. Die Annahme einer Anordnung sei also
umso einfacher, je hierarchisch höher der Anordner. Andere Pflegefachkräfte beschreiben
diese Differenz aber nicht. Kommunikation fände im Krankenhaus generell von oben nach
unten statt.

Stationsärzte würden die Hierarchie innerhalb und außerhalb der Berufsgruppe stark
spüren. Sie seien oft für alle Abteilungen und Disziplinen verantwortlich. Eine klare
Positionierung der Stationsärzte im Hierarchiegefüge würde entsprechend zu Erleichterung
führen. Die Definition der eigenen Rolle sei für Stationsärzte wichtig. Aktuell gehörten sie
aber zu keiner der beiden Berufsgruppen (Pflege, Medizin). Zudem fehle ihnen Lobby und
Vertretung. Die Einrichtung einer solchen Vertretung wäre Aufgabe des Primararztes. Das
Fehlen verstärkt das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Von Fachärzten fühlen sie sich generell
nicht unterstützt, selbst wenn Unterstützung von Seiten der Organisation zugesichert wird.

6.2.3.2. Lösungsorientierte Kommunikation und Vorstellungen einer Konfliktlösung

Grundsätzlich sei bisher jedes Problem lösbar gewesen. Eine kollegiale Führung wird dabei
als vorteilhaft beschrieben, da mit ihr auch unangenehme Themen offen diskutiert werden
könnten. Dies wird generell als vernünftig empfunden. Würden Themen auf globaler Ebene
betrachtet, so könnten sie auch langfristig gelöst werden. Dringendere Probleme würden
auch sofort behandelt. Wichtig seien dabei: Offenheit für jegliche Lösung, Selbstreflexion
und Toleranz, ein entschärfender Führungsstil und der Versuch, die Zusammenarbeit zu
reflektieren.

Konkret sei es wichtig zu wissen, mit wem, welche Probleme besprochen werden könnten.
Unangenehmes anzusprechen, läge aber in der Verantwortung des gesamten Teams.
Dabei seien einige Themen einfacher und andere schwieriger anzusprechen. Eine
Möglichkeit sei auch, sich an eine Personalverantwortliche zu wenden. Dies führe aber nicht
immer zu einer Lösung. Gespräche über problematische Situationen werden als hilfreich
eingeschätzt. Scheine dies nicht ausreichend, so käme es zu einer Nachschulung. Da
Gespräche als relevant empfunden werden, wird Unehrlichkeit besonders negativ erlebt –

271
sie mache eine Zusammenarbeit unmöglich. Stresssituationen versuche man mit Humor zu
begegnen. Insbesondere der Primararzt versuche seine aggressive Art der Kommunikation
wieder gut zu machen. Persönliche Angriffe seien in jedem Fall abzubrechen.

Probleme bei der Umsetzung von Lösungen seien persönliche Kränkung und Nicht-
Umsetzung. Bei Führungspersonen könne es zu Kränkungen kommen, wenn Probleme
nicht mit ihnen direkt besprochen würden. Als Grund wird hier ein Mangel an
entgegengebrachtem Vertrauen vermutet. Zu einigen Themen könnten nicht mal Fragen
beantwortet werden. Wird ein Problem erfolgreich angesprochen, so kann es trotzdem sein,
dass keine Lösung gefunden werden kann oder dass eine vereinbarte Regelung nicht (von
allen) umgesetzt wird. Dies gelte auch bei schriftlichen Vereinbarungen. Außerdem würde
eine Vielzahl von Anordnungen unter Umständen die Zahl der Fehler erhöhen. Für
Veränderungen sei zuvor ein drastisches Geschehen nötig.

Als grundsätzliche Lösung wird oft die Schaffung einer Kommunikationsbasis, im Zuge
derer auch unangenehme Themen besprochen werden können, angesprochen. Dies
beträfe das ganze Team. In der Pflege werde Kommunikation gefördert. Freundlichkeit und
Höflichkeit hätten einen dementsprechend hohen Stellenwert bei Bewerbungsgesprächen
und Mitarbeitergesprächen (Vertrauenswürdigkeit hätte diesen nicht, vertraut werde der
Person, die das Gespräch führt). Kommunikation könne nur dann höflich sein, wenn
Wertschätzung bestehe. Es werde versucht, entsprechende Kommunikation vorzuleben.
Dieses Verhalten würde zurückkommen. Hilfreich sei auch die Förderung informeller
Kommunikation. Das Gegenüber müsse wahrgenommen werden. Gleichzeitig gehöre zu
einer positiven Kommunikation auch die deutliche Artikulation der eigenen Haltung. Zudem
solle man sich Gruppendynamiken bewusst sein, die persönliche Kritikfähigkeit stärken und
negative Kritik als Impuls zur Verbesserung verstehen. Es solle wertfrei kommuniziert
werden. So würden insgesamt Probleme abgeschwächt. Wichtig sei schlussendlich aber
auch das gewählte Medium.

6.2.4. Geschlechtsunterschiede in der Kommunikation


Frauen würden sich mehr private Themen erzählen als dies unter Männern üblich sei.
Männer hätten bestimmte Gesprächsthemen. Anordnungen eines Primararztes seien auch
deshalb leichter anzunehmen, weil er ein Mann sei. Frauen in Führungspositionen hätten
womöglich das Problem, dass ihre Anordnungen nicht akzeptiert würden, was die Situation
verkomplizieren würde. Gegebenenfalls könnten Männer mit Anordnungen von Frauen
eher umgehen als Frauen. Als Frau müsse man hart werden. Männliche Stationsärzte
würden dennoch nicht bevorzugt.

272
6.2.5. Kollegiale Führung
Häufig wurde in diesem Workshop kollegiale Führung als positiv auf Kommunikation
wirkend beschrieben. Es existiere eine kollegiale Führung, in welcher Pflege, Medizin und
Wirtschaft ihre jeweils eigenen Kompetenzen besäßen. Jeder Bereich habe ein Stimmrecht.
Davon unabhängig müsse auch jede Einzelperson ihre Probleme ansprechen können. Dies
sei – auch bei unangenehmen Themen – durch kollegiale Führung möglich. In der Pflege
werde der kollegiale Stil der Leitungsebene sehr positiv wahrgenommen.

273
7. Interpretation der Ergebnisse nach
Themenschwerpunkten

In diesem Kapitel der Dissertation werden die Ergebnisse zusammengeführt und


interpretiert. Es ist das Gesamtergebnis aus den Interviews, den daraus entstandenen
forschungsrelevanten Fragen sowie aus den Ergebnissen der beiden durchgeführten
Rückkoppelungen.

Die forschungsrelevanten Fragen und Hypothesen sind in mehreren Reflexionsschleifen


mit Kommilitonen aus der Soziologie, Psychologie, Betriebswirtschaft, Pflege- und
Kommunikationswissenschaft reflektiert worden. Die Reflexionsschleifen für den
Interpretationsverlauf waren intensiv und für den Erkenntnisgewinn dienlich. Auch immer
wieder stattgefundene kollegiale Beratungen sind während der Erarbeitung zustande
gekommen und haben in der neuerlichen Überarbeitung den Interpretationsabschnitt in der
Qualität bereichert.

Berufsmotivation und Habitus

Hier soll im Besonderen der Frage nachgegangen werden, welche Motivationsfaktoren für
den Berufswunsch der diplomierten Pflege und des Arztberufs identifiziert werden können,
wie das Berufsbild der Ärzte und der Pflege gesamtgesellschaftlich wahrgenommen wird,
welchen Einfluss die jeweilige Ausbildung und das Berufsbild auf den Habitus im
Krankenhausalltag haben und wie sich Selbst- und Fremdwahrnehmung der Berufsgruppen
unterscheiden.

Die Motivationsfaktoren, sich für den Arzt- oder Pflegeberuf zu entscheiden, zeigen sich
unterschiedlich (siehe Abschnitt 5.1. Vorstellung der Interviewpartner). Als
Gemeinsamkeiten lassen sich Faktoren wie das „Helfen wollen“ und der „Umgang mit
Menschen“ feststellen. Beweggründe, sich für die diplomierte Gesundheits- und
Krankenpflege zu entscheiden, reichen seitens der Pflege von einer Alternative zum
Medizinstudium, über eine finanzielle Absicherung bis zum Erlangen von Dank. Ärzte geben
hingegen das in der Primärfamilie gesehene Vorbild, Schlüsselerlebnisse in der Kindheit,
den monetären Anreiz, die Möglichkeiten von Forschung, tragende Verantwortung, die
Abwechslung und die Befriedigung im Beruf an. „Und das macht es halt irgendwo
notwendig, dass irgendwer dann am Ende der Kette […] die Konsequenz daraus tragen
muss oder etwas anordnen muss. Dadurch ergibt sich schon eine gewisse – nicht

274
Hierarchie – Verantwortungslast […].“736 Insgesamt sei das ärztliche Tun eine „Kunst“ und
weitere Anreize sind neben dem Ansehen die Entwicklungsmöglichkeiten, die
Herausforderungen und die Entscheidungsbefugnisse, was durchaus auch mit Macht und
Status assoziiert werden kann. Ärzte haben auch ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber
der Pflege. Es ist die Anordnungspflicht und die damit einhergehende und angesprochene
Entscheidungsbefugnis, die ein Ungleichgewicht bereits übergeordnet vorgibt. Und doch
wird es seitens der Ärzte als Verantwortungslast beschrieben und damit nicht nur imaginiert,
dass es in vielerlei Hinsicht belastend ist, die Verantwortung zu übernehmen und es
gleichzeitig scheinbar unpassend erscheint, sich bei der Pflege einen Rat einzuholen.

Insgesamt spiegeln sich Darstellungen von Medizin und Pflege in der


gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung wider. Der Arztberuf genießt tatsächlich nach wie
vor hohes Ansehen in der Gesellschaft737. Eine Studie von 2013 des Institutes für
Demoskopie belegt diese Aussage. An der Spitze der Berufsprestige-Skala liegen die Ärzte
mit 76%, gefolgt von den Pflegekräften mit 63% der Befragten. Es gibt Forschungsinstitute,
die sich mit Berufsprestige beschäftigen. Allen gemeinsam ist, dass die Ärzte und
Pflegefachkräfte ein hohes Ansehen genießen.738 Menschik-Bendele spricht von einer
Faszination, die von diesem Berufsbild ausgeht – auch neuere Kritik am Berufsbild des
Arztes schmälert das Ansehen nicht. Sie nennt zudem die Einflüsse der Familientradition,
die finanzielle Absicherung, das Interesse der Naturwissenschaft und anderen zu helfen,
die den Beruf des Arztes attraktiv machen.739 Das entspricht den Aussagen der Medizinern
und führt zu folgender Annahme: Würde man dem Mediziner die Anordnungsverantwortung
und Diagnoseerstellung entziehen, verliere dieser ein wesentliches und prominentes
Attraktivitäts- und Alleinstellungsmerkmal. „[…] die Ärzte sehen sich schon als Anordner,
also das ist natürlich spürbar.“740 Darüber hinaus ist es auch eine Besonderheit, Menschen
helfen zu können – die Abhängigkeit führt automatisch zu einer Asymmetrie. Es ist auch
das „etwas-tun-können, was-nicht-alle-können“. Ärzte verfügen über lebensrettende
Kompetenzen, stellen Diagnosen und ordnen Therapien an und verfügen damit über
Ressourcen, die weit über Laienwissen hinausgehen. Zudem steigen durch neueste
Technologien die Überlebenschancen. Stirbt dennoch ein Patient, wird dies als Versagen
gewertet.

736 IP 14, Z 151-154


737 Vgl. Menschik-Bendele 2011: 1
738 Vgl. https://fowid.de
739 Vgl. Menschik-Bendele 2011: 2
740 IP 1, Z 333

275
Der Pflegeberuf genießt laut der Studie fast ebenso hohes Ansehen; die Gründe werden
dort nicht explizit angeführt. Keine der befragten Pflegefachkräfte hat allerdings den Beruf
als schlecht beschrieben, dennoch wird der Beruf der Pflege allgemein tendenziell negativ
assoziiert wie beispielsweise mit Aufopferung, Tag- und Nachtumkehr, Einschränkung
sozialer Kontakte und damit, in einem ständigen Abhängigkeitsverhältnis zur Medizin zu
stehen. Wobei diese Faktoren Ärzte ebenso betreffen. Auch sie arbeiten Tag und Nacht,
haben es mit Schicksalen und Versagensängsten zu tun. Stellt sich hier ein Widerspruch
dar? Womöglich sind es gerade die herausfordernden Aspekte der ärztlichen und
pflegerischen Tätigkeit, welche die Wertschätzung gegenüber dem Beruf in der
Gesamtgesellschaft hervorrufen. Für das Gesamtbild der Pflege ist es die Abhängigkeit und
scheinbar fehlende Wertschätzung, der die Pflege im Alltag ausgesetzt ist. Es ist
letztendlich nicht die Pflegefachkraft, die das Leben gerettet oder das Knie operiert hat. Sie
hat „nur“ den gesamten Pflegeprozess gesteuert und sämtliche Vor- und
Nachbereitungsarbeiten für den Arzt durchgeführt und war (hoffentlich) nett und höflich,
wenn es der Arzt einmal nicht war. Was sicher nach wie vor einen Anreiz darstellt, den
Pflegeberuf als Frau zu ergreifen, ist die Entlohnung, die durch Tag- und Nachtdienste
sowie Sonn- und Feiertage zustande kommt und durch Wochenend- und Nachtdienste zwar
nicht wirklich familienfreundlich ist, aber eventuell kinderfreundlich, da Mütter vor und nach
den Nachtdiensten zu Hause sind und am Wochenende eine familiäre Kinderbetreuung
(leichter evtl. durch den Partner) eingestellt werden kann. Der Pflegeberuf wurde den
Ergebnissen nach in Einzelfällen allerdings auch als Alternative zum Medizinstudium
gewählt.

Aufwertung erfahre das Berufsbild allerdings durch die stattfindende Akademisierung durch
den Übergang in den tertiären Bildungssektor für die diplomierte Gesundheits- und
Krankenpflege mit Bachelorabschluss und anderen angebotenen Studienzweigen in
Pflegewissenschaften und Gesundheitsmanagement. Doch es bleibt die Frage offen, ob
die akademische Ausbildung die Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegekräften
tatsächlich durch ein Studium verbessert. Fest steht, dass die Ausbildung der diplomierten
Gesundheits- und Krankenpflege hinkünftig im tertiären Bildungssektor stattfinden wird
bzw. bereits zum Teil in Österreich stattfindet. Die vormaligen Pflegehelfer wurden zur
Pflegeassistenz umbenannt und die Pflegefachassistenz wird als zusätzliche Berufsgruppe
mit einer zweijährigen Ausbildung in Zukunft die Berufslandschaft in der Pflege im
Gesundheitswesen ergänzen. Die ersten Lehrgänge an den Fachhochschulen und
Gesundheits- und Krankenpflegeschulen starten in Kärnten 2018. Ab 2025 wird es
Evaluierungen in diesem Bereich geben und die Gesamtsituation und der Bedarf
berufsgruppenspezifischen Pflegepersonals (Bachelor Nurse, Pflegefachassistenz und

276
Pflegeassistenz) erhoben werden. Bis dahin wird innerhalb der Pflege noch viel zu
diskutieren und zu überdenken sein, wie und in welchem Ausmaß die jeweilige
Berufsgruppe zahlenmäßig vorhanden sein muss und wer, welche Tätigkeiten übernimmt.
Anzunehmen ist, dass es weitere und komplexere Abhängigkeiten innerhalb und zwischen
den Berufsgruppen geben wird.

Die Motivation, den Beruf des Arztes zu erreichen, hängt mit Status und Habitus
zusammen. Der Habitus ist das gesamte Auftreten eines Menschen, was sich durch
Sprache, Auftreten und Lebensstil zeigt. Er ist „[…] ein sozial konstituiertes System von
strukturierten und strukturierenden Dispostionen, das durch Praxis erworben wird und
konstant auf praktische Funktionen ausgerichtet ist“ und „[…] das Körper gewordene
Soziale.“741 Die Berufsgruppen der Medizin und Pflege machen dies bereits durch Kleidung
und Ansprache deutlich. Ärzte sind in der Regel weiß gekleidet, tragen zumeist Mäntel – oft
über deren Privatkleidung. Das Stethoskop um den Hals oder im Mantelsack ist ein weiteres
Merkmal. Je höher die ärztliche Hierarchie, desto wahrscheinlicher wird auch der eigene
Parkplatz mit Beschriftung. Die Pflege ist durch unterschiedliche Farben ihrer
Dienstkleidung erkennbar, die auf Abstufungen hinweisen (die Farben sind in
Krankenhäusern und Ländern unterschiedlich). Zudem macht die Pflege den zahlenmäßig
höchsten Mitarbeiteranteil in einem Krankenhaus aus, was den Mediziner wieder zu einem
weiteren Status der „Besonderheit“ verhilft, verstärkt durch die nicht durchgehende
Anwesenheit auf der Station. Auch die Ansprache im Alltag unterscheidet sich. Die Pflege
stellt sich zumeist mit „Pfleger und Vorname“ (vorm. „Schwester und Vorname“ und in
manchen Häusern wurde es Pflicht zumindest Pfleger und Nachname zu verwenden –
allerdings müsste es mittlerweile „Pfleger und Name“ sein) vor, welches ein von Beginn an
anderes Nähe- und Distanzverhältnis in Beziehungen entstehen lässt. Somit entstehen
nicht nur „Abteilungs- bzw. Bereichsegoismen“, sondern „Berufsegoismen“, die kooperieren
sollen.

Hirschhausen, zitiert nach Menschik-Bendele, beschreibt die Mediziner in ihrem Habitus


so, dass der Arzt sich durch die Fachsprache, die er bereits im ersten Semester des
Studiums lerne, auszeichne. Die Fachsprache scheint einerseits eindrucksvoll zu sein,
andererseits keine Garantie für eine gelungene zwischenmenschliche Kommunikation, vor
allem auf der Beziehungsebene. Zahlreiche Arzt- und Krankenhausserien sind nicht
unbeteiligt am Bild des Krankenhauspersonals in den Vorstellungen der
Gesamtgesellschaft und beeinflussen so indirekt oder auch direkt die Gesellschaft. Sodass
es schwerfällt, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Doch wie sieht die Realität

741 Bourdieu/Wacqunat 1996: 154

277
bei Ärzten aus? Menschik-Bendele führt ein Forschungsergebnis an, dass bei angehenden
Ärzten nach dem ersten Sezierkurs die ersten Studienabbrecher zu beobachten sind und
auch posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und anderes keine Seltenheit
sind. Aufgrund der Nähe, die Krankenhausangestellte sofort und fortwährend zu den
Patienten aufbauen müssen, kommt es doch immer wieder zu emotionsgeladenen
Zusammentreffen, die doch schwer zu bewältigen sind. Auch die Grenzen und die
Endlichkeit des Lebens machen die Berufsbilder nicht nur zu Helfern, sondern sind für diese
äußerst fordernd.742 Dem „Serienflair“ wird im Alltag insofern Rechnung getragen, dass in
den Serien sämtliche Themen des Alltages vorkommen, allerdings die im Alltag
ausgetragenen „Verhältnisse“ nicht in dem Ausmaß öffentlich werden. Alkohol- und
Suchtprobleme sowie zerrüttete soziale Kontakte sind bei Ärzten keine Ausnahme. Sie
leiden unter Belastungen durch Tag- und Nachtschichten, die das soziale Umfeld
beeinflussen. Ihr Biorhythmus schwankt. Es zeigt sich hier der schmale Grat zwischen
Ansehen und Arbeitsalltag.

Zusammenfassend bezüglich des Habitus der Mediziner kann formuliert werden, dass
dieser Auswirkungen auf die Kommunikation mit den Pflegefachkräften hat. Dazu passend
beschreibt sich IP8 selbst zum Teil unterordnend: „Die ganze Anordnung, wie soll ich
sagen, dass die Medizin eigentlich immer über der Pflege steht.“743 oder IP1: „Natürlich geht
es um Anordnungen und um Durchführungen, die auch von Gesetzeswegen […] so
geregelt sind.“744 IP10 bestätigt durch die Medizin, „[…] dass die Schwestern einfach, also
die Pflege einfach gewohnt ist, Befehle oder Anordnungen entgegenzunehmen und zum
Teil wenig hinterfragt, dann auszuführen. Die Ärzte beziehen sich ja immer auf die ärztliche
Kunst und fühlen sich dann so als freie Vögel, die sagen, dass mag schon sein, dass das
so empfohlen wird oder so angeordnet, aber ich bin immer noch ein Künstler.“745 Das Zitat
veranschaulicht einen vorhandenen Habitus und den eingenommenen Status, den hier ein
Arzt zeigt. Das nimmt unweigerlich Einfluss auf die Kommunikationsgewohnheiten – je nach
persönlichem Kommunikationsstil der Person, der in der Medizin oft einem aggressiv-
entwertenden Stil entspricht. Trifft diese kontaktbezogene Seite des aggressiv-entwerteten
Stils, die sich beim Sprecher in der Zusammenarbeit zeigt, auf den eher helfenden oder
selbst-losen Kommunikationsstil der Pflege, entstehen Interpunktionen und
Ungleichgewichtsverhältnisse (Asymmetrien) von Nähe und Distanz und Ober- und
Unterordnung, die sich als Muster einschleifen und schwer zu durchbrechen sind. Es kommt

742 Vgl. Menschik-Bendele 2011: 4-10


743 IP 8, Z 63-65
744 IP 1, Z 89-90
745 IP 10, Z 60-63

278
hier letztendlich auch darauf an, WER etwas sagt, WIE jemand etwas sagt und WAS, wobei
die Beziehungsebene stets die Inhaltsebene überlappt und durch Strukturgegebenheiten
erschwert wird. Zudem müssen die Rollenbilder erfüllt bleiben. Abweichungen stören.

Zusätzlich wird in diesem Abschnitt auch die Selbst- und Fremdwahrnehmung thematisiert.
Ärzte sehen sich mit viel Verantwortung beauftragt, nicht zuletzt auch mit der Verantwortung
für die Anordnung von Tätigkeiten, welche die Pflege leistet. Sie sehen sich als diejenigen,
die im Studium soziale Kompetenzen wenig erlernen würden, wobei hier angenommen
wird, dass dies auch als „Ausrede“ für Ausfälligkeiten genutzt wird. Zudem werden Ärzte
nach wie vor von beiden Berufsgruppen – wie bereits erwähnt – als „Künstler“, als „Götter
in Weiß“ beschrieben. Es gäbe auch autoritäre Mediziner, was natürlich den eigenen
Personen ärztlicherseits nicht zugeschrieben wird, indem betont wird, dass der eigene
Führungsstil ein anderer als ein autoritärer sei. In der Fremdwahrnehmung werden
Vorwürfe laut, die im Alltag nicht diskutiert werden und somit anderen Ortes oder als
Symptom erscheinen.

In den Rückkoppelungen werden Wahrnehmungen seitens der Pflege gegenüber den


Medizinern beschrieben wie das Abstreiten von Anordnungen, Verantwortungsablehnung
sowie wenig Organisationswissen und Führungskompetenz. Die Pflege werde so gesehen,
dass sie mit Anordnungen nicht umgehen könnte und selbst anordnen wollte. Die
Stationsärzte werden als perspektivenlos, frustriert und mit wenig Herausforderung betraut
gesehen. Insgesamt kann abgeleitet werden, dass die Übereinstimmung von Selbst- und
Fremdbild divergiert und ein Abgleich erstrebenswert ist. Auch das gesamtgesellschaftliche
Bild ist geprägt von Klischees und Unwissenheit, wie ein Beispiel belegt, dass „[…] es eher
so ist, dass das oft die Patienten denken, dass wir (Anm. die Pflege) den Ärzten unterstellt
sind.“746 Wobei die Medizin denkt, dass die Pflege sie für abgehoben hält und die Pflege
glaubt, dass die Mediziner annehmen würden, dass sie einen geringen Selbstwert hätte.
Die Mediziner geben an: Indem „[…] du sie mit in diese Entscheidungsfindung hinein ziehst,
steigt auch das Selbstwertgefühl und bringen einem sehr, sehr viel, zum Teil natürlich auch
sehr gute Ideen mit.“747 Hinzu kommt, dass sich Ärzte zum Teil dazu bemüßigt fühlen
würden, sich um das Selbstwertgefühl der Pflege kümmern zu müssen. Allerdings, wenn
sich jemand für das Wohlergehen eines anderen verantwortlich fühlt, entspricht das nicht
einer Gleichwertigkeit, sondern ist mehr der eigenen Selbstdarstellung zuträglich, indem
das Gegenüber abgewertet wird (Ich muss auf dich achten, weil ich glaube, dass du es
brauchst). Sobald einer der Gesprächspartner über- oder untergeordnet ist, wird das als

746 IP 7, Z 118
747 IP 10, Z 28-30

279
eine komplementäre Kommunikation gewertet, die bei dauerhaftem Fortbestand
Konfliktpotential beinhaltet. Die Phänomene von Projektion, Übertragung,
Gegenübertragung alternieren im Rahmen der Kommunikation zwischen den
Berufsgruppen Medizin und Pflege – verstärkt durch ein weiteres Phänomen des
unterrepräsentativen Kontaktes. Das Verstärken und Kommunizieren der Bilder von der
jeweilig anderen Berufsgruppe innerhalb der Berufsgruppen führt früher oder später zu
einer Fixierung des Bildes und infolge dessen kommt es zu stereotypischen Annahmen, die
nicht zuletzt aus der oft rezipierten kommunikativen Unterordnung der Pflege stammt,
bekannt aus dem „Doctor-Nurse.Game“ von Lenard Stein. Das führt unweigerlich zu
Missverständnissen und Konflikten und entspricht nahezu einer selbsterfüllenden
Prophezeiung. Im Widerspruch dazu stehen Aussagen, dass die Pflege als gleichwertiger
Partner angesehen werde. Die Annahme, es stünden sich gleichwertige Partner
gegenüber, lässt vermuten, dass sich bestimmte Interaktionen bilden, wo die vorgegebenen
Asymmetrien von den Gesprächspartnern akzeptiert sind und so wenig bis keine
Reibungspunkte entstehen. Die (scheinbare) gegenseitige Akzeptanz kann aber auch eine
Resignation bedeuten: „[…] aber ich weiß nicht, man betrachtet die gewissen Sachen, wenn
man nicht so viel drinnen ist (Anm. im Krankenhaus/im Dienst) eher so außenstehend und
gewisse Dinge ändern sich auch in zehn Jahren nicht, in 15 Jahren nicht, also das ist
einfach so. Wobei das für mich nichts Schlimmes ist, also ich, für mich persönlich, hab
anscheinend einen Weg gefunden, wo ich mit dem allen ganz gut zurechtkomme, weil sonst
täte ich nicht 16 Jahre in diesem Beruf in der Pflege arbeiten (lacht), denke ich mir.“748

Die Pflege nimmt sich selbst zum Teil sehr different wahr. Mitarbeiter der Pflege
beschreiben sich als Experten und zeigen gleichzeitig eine hohe Unsicherheit bezüglich der
Fremdwahrnehmung der eigenen Berufsgruppe. Sie unterstellen den Medizinern, dass sie
als faul und inkompetent wahrgenommen werden würden, wenn sie Tätigkeiten aus dem
ärztlichen Bereich aus Zeitgründen oder aufgrund notwendiger Hilfestellung nicht
übernehmen können (z.B. Blutabnahme). Werden anderseits Ärzte befragt, werden sie
unterschiedlich – meist aber sehr positiv – wahrgenommen, nämlich als engagiert, um das
Wohl des Patienten bemüht und im Bereich Kommunikation geschult. Das zeigt, dass die
Mediziner sehr wohl bemerken, dass die Pflege sich mehr mit organisatorischen und
kommunikativen Themen auseinandersetzt.

In dem Wechselspiel zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung zeigt sich der


Statusunterschied als ein Zeichen von fehlendem Abgleich zwischen der

748 IP 4, Z 95-99

280
wahrgenommenen Selbst- und Fremdwahrnehmung, die von den Berufsgruppen selbst bis
hin zur Gesamtgesellschaft geteilt wird.

Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern

Im Abschnitt „Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern“ werden die Zusammenhänge


der Wertigkeit der Aufgaben im Gesamtkontext bzw. der Empfindung der Wertigkeit in der
Zusammenarbeit beleuchtet. Unter welchen Umständen bzw. in welchen Situationen
äußern Pflegepersonen ihre persönliche/fachliche Meinung Ärzten gegenüber und wie
erwünscht wird diese wahrgenommen? Welche Kommunikationsstile kommen vor und ist
Macht im Alltag ein Thema? Was passiert bei einem personellen Führungs- bzw.
Funktionswechsel in Organisationen? Zusätzlich werden wahrgenommene unscharfe
Tätigkeitsbereiche und die damit verbundene Wirkung angeführt und wie die Unschärfe
entsteht. Des Weiteren wird thematisiert, welche Situationsmerkmale dazu beitragen, dass
Stationsärzte als Schnittstelle und erste Ansprechpartner für die Pflege fungieren und
welche Unstimmigkeiten daraus entstehen.

Zusätzlich wird dieser Abschnitt noch unterteilt in die Themen Kommunikation innerhalb der
jeweiligen Berufsgruppen – die sogenannten Binnenkommunikation bzw. auftretende
Milieuspezifika.

Im Allgemeinen wird auch hier die Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegern als gut,
positiv und kollegial beschrieben (siehe dazu auch Abschnitt 5.2.1.5.). Im Detail gibt es
dann doch Kommunikationsprobleme, die unterschiedlicher Herkunft sind. Unter anderem
liegt dies am jeweils unterschiedlichen Denken über die andere Berufsgruppe, welches
bereits im vorhergehenden Abschnitt über Selbst- und Fremdwahrnehmung interpretiert
wurde. Andere Gründe sind der arbeitsteilige Behandlungsprozess und die Anordnungs-
und Durchführungsverantwortung sowie die mehr oder weniger gewünschte Mitsprache im
Behandlungsprozess, die formellen Besprechungen wie Visiten oder Dienstübergaben, die
Stationsärzte, Kommunikationsstile und Konflikte.

Der Behandlungsprozess und andere Abläufe in einem Krankenhaus sind arbeitsteilige


Prozesse, daher könne bezüglich der oben aufgeworfenen Frage rund um die Wertigkeit
vorerst von einer Gleichwertigkeit ausgegangen werden. Prozesse in einer Organisation
sind vorwiegend gut aufeinander abgestimmt, dazu gehören auch vor- oder nachgelagerte
Tätigkeiten. Insgesamt wird von Ärzten und Pflegern eine Kooperationsleistung erfordert,
die durch Anordnungs- und Durchführungsverantwortung geprägt ist bzw. durch vor- oder
nachgelagerte Prozessschritte.

281
„Ich meine letztverantwortlich ist der Arzt, aber wie man es so sieht, ist es ja so,
dass die Entscheidungsfindungen sehr häufig in kollegialer Absprache getroffen
werden zwischen Medizin und Pflege oder werden sollten. Es gibt natürlich noch
sehr autoritäre Mediziner. Mein Führungsstil ist ein anderer.“749

Damit existiert eine gegenseitige Abhängigkeit mit einem mehr oder weniger spürbaren
Ungleichgewicht zulasten der Pflege. Gleichwohl sie sich auch von gesetzlicher Seite aus
einbringen „dürfte“ bzw. „sollte“, hängt das „sich Einbringen dürfen“ stark vom Gegenüber
ab. Wie aber auch in den Rückkoppelungen angesprochen, hätten sich Pflegefachkräfte
lange mit ihrer Meinung zurückgehalten und würden demnach als „brav“, gelten, weil sie
arbeiten und nicht hinterfragen, obwohl das Einbringen ihrer Meinung offensichtlich immer
wieder auch gewünscht sei. Die bereits beschriebenen Aspekte der Beziehungsebene
nehmen hier einen starken Einfluss, nämlich WER mit WEM, WIE und WAS spricht. In
diesem Zusammenhang spielt auch hier der individuelle Kommunikationsstil eine Rolle. Der
Kommunikationsstil bestimmt den gesamten Interaktionsprozess. Abhängigkeiten und das
Hierarchie-Prinzip scheinen oft die Form eines aggressiven Kommunikationsstils zu
beinhalten, was nicht nur wie vorher beschrieben dem Habitus zuzuschreiben ist. Es zeigt,
dass Ober- und Unterordnung und die angeführten Abhängigkeiten der Pflege von den
Ärzten spezielle Auswüchse vollbringen und sich Einzelpersonen möglicherweise nicht
ihrer Wirkung bewusst werden, die sie über ihre Funktionen und Rollen ausleben. Die
Kommunikationswege in einer Organisation hängen erheblich von der Hierarchie ab und
werden durch sie determiniert. Damit scheint es, dass eine destruktive Kommunikation eher
geduldet wird, je höher die hierarchische Graduierung ist. Trifft dann der autoritäre
Kommunikationsstil (Ärzte und/oder Führungskräfte) auf den helfenden Stil der Pflege,
entsteht ein klassischer Kreislauf, der im Alltag zu Frustrationen und Konflikten führt. Eine
persönliche Reflexion darf daher an dieser Stelle nicht ausbleiben, um den eigenen
Kommunikationsstil zu erkennen und dessen Wirkung zu erfahren. Das gilt für beide
Berufsgruppen, Führungskräfte und sämtliche Mitarbeiter, die nicht unbedingt
Führungskräfte sein müssen, gleichermaßen. Der Kommunikationsstil der Anordnung ist
stets gekennzeichnet durch einen appellhaften Charakter, der in hohem Maß von der
Beziehungsebene abhängig ist und diese beeinflusst, je nachdem wie dieser
Appellcharakter vom jeweiligen Gegenüber wahrgenommen wird und in welchen
Funktionen und Rollen sich diese befinden.

Geht es um interdisziplinäre Entscheidungen, ist es fraglich, inwieweit die pflegerischen


Einwände für die Ärzte relevant sind und ob sie ein Modell der gemeinsamen zusätzlichen

749 IP 10, Z 19-21

282
Besprechung attraktiv finden würden, um dieses geschaffene Potential ausreichend, gern
und freiwillig zu nützen? Darüber hinaus bleibt die Gesetzeslage mächtig, da der Mediziner
laut dem Ärztegesetz die Verantwortung für die Anordnung weiterhin trägt und tragen wird.
Dazu eine Ärztin: „Das soll ja wohl auch aufrecht bleiben (Anm. die Anordnung). Der
Mediziner ist der Anordner, nur die Pflege muss genauso gehört werden.“750 Wird es
hinlänglich der gemeinsamen Entscheidungsfindung keine Änderung auf gesetzlicher
Ebene oder im Rahmen organisationaler Änderungen geben, bleibt die
Individualentscheidung und personen- bzw. fachbezogene Entscheidung aufrecht und es
ist weiterhin ein schwammiges Gebilde, in dem der Mediziner die Pflege mitentscheiden
lässt oder nicht bzw. ob und in welchem Ausmaß sich die Pflege in die Entscheidung
einbringt und in der Folge gehört wird. Ob und inwieweit sie sich einbringt, steht im engen
Zusammenhang mit dem bereits angesprochenen Abhängigkeitsverhältnis. Geht man hier
noch von der Logik aus, müsste es der vorwiegend weiblich besetzten Pflege gelingen, ihre
Selbstwirksamkeit zu steigern und den Einzelfall nach dem logischen Prinzip auf die
Abstraktionsebene Allgemeinheit zu bringen – und das vor allem den männlichen Ärzten
gegenüber.

Die Frage, wer was tut oder nicht tut, bestimmt gerade in der Zusammenarbeit von Ärzten
und Pflegefachkräften eine gelungene oder weniger gelungen wahrgehnommene
Zusammenarbeit. Die „kleinen Gefälligkeiten“ sind Erwartungen aus der jeweiligen
Berufsgruppe, die jenseist ihrer formal-juristischen Zuständigkeiten liegen. Sie sind daher
erwartbar, aber nicht einzufordern. Dabei handelt es sich um Tätigkeiten, die nebenbei
passieren, aber hohen symbolichen Status erlangen und moralische Fragen aufwerfen,
wenn sie unterlassen und hochgeschätzt, wenn sie gemacht werden.751 Im Gegensatz dazu
gibt es noch andere Tätigkeiten, die über die „kleinen Gefälligkeiten“ hinausgehen und dazu
wurden in den Interviews sogenannte „Graubereiche“ in der Zusammenarbeit
angesprochen, die in der Wahrnehmung der Pflege Überschreitungen in bestimmten
Tätigkeitsbereichen darstellen würden. In der Rückkoppelung wurde beispielsweise das
„Nicht-Abzeichnen“ der Medikamente angesprochen, welches dazu führen kann, dass
Patienten Medikamente zu einem späteren Zeitpunkt bekommen, wenn Ärzte ihre
mündlichen Anordnungen nicht abzeichnen würden.752 Wie im Abschnitt 3.1.2. der Theorie
beschrieben haben die diplomierte Pflege und die Medizin ein geltendes Berufsgesetz. An
und für sich dürfte es zu keinen Überschreitungen kommen, da diese gesetzeswidrig wären.
Unter anderem gibt es Tätigkeitsbereiche, bei denen es sich um Aufgabenbereiche handelt,

750 IP 15, Z 102-103


751 Vgl. Sanders 2009: 102-103
752 Vgl. RK 2, Z 1335-1342

283
die sowohl von der Medizin als auch von der Pflege übernommen werden sollen bzw.
werden können oder ihnen seitens der Ärzte gesagt wird, sie sollen es tun. Hier zeigt sich
eine fehlende Strukturierung von Abläufen bzw. Handlungen, worin auch die
aufgabenbezogenen Tätigkeiten nicht zur Gänze geklärt sind. Aus solchen unklaren
Abläufen entstehen sogenannte „Trampelpfade in Organisationen“753. Organisationen
werden als regelgeleitet und selbstorganisiert beschrieben, da auch die
Kommunikationswege in einem Krankenhaus notwendigerweise nicht dem Zufall
überlassen werden können. Doch nicht jede Situation lässt sich reglementieren und erst
recht nicht in einem Krankenhaus. Alles, was in einem Krankenhaus kommuniziert wird, ist
nicht immer Teil der organisationalen Kommunikation. Bei länger andauernden
Arbeitsbeziehungen entstehen selbstorganisierte eigene Regeln, die unter anderem
milieuspezifischen Charakter haben. Es entstehen die bereits genannten „Trampelpfade“,
welche ausgetretene Wege sind und auch Abkürzungen darstellen. Wie stark die Wege
beeinflusst sind, hängt von den Akteuren und deren Status, Habitus, Persönlichkeit und
gegenseitiger Abhängigkeit ab.754 In einem Krankenhaus sind die Regeln das Gesetz, Leit-
und Richtlinien, Arbeitsanweisungen und/oder Stellenbeschreibungen. Unter anderem sind
es in diesem Zusammenhang gesetzlich vorgegebene Aufgabenbereiche, Leit- und
Richtlinien, die auch die Arbeitsprozesse beschreiben, wer wem anzuordnen und wer
welche Kompetenzen vorzuweisen und wer diese auch zu überprüfen hat. Der Passus im
Gesetz, dass Maßnahmen bzw. Tätigkeiten von anderen Berufsgruppen – hier von der
diplomierten Pflege – nach Vergewisserung und Anordnung durchgeführt werden können,
ergibt an dieser Stelle den Freiraum, dass es sehr wohl Umwege für alltägliche Abläufe gibt.
Spielt noch der Status und hier die gegenseitige Abhängigkeit eine Rolle, kombiniert mit
unklaren Zuordnungsstrukturen, ergeben sich in den Graubereichen selbstredend
Konfliktpotentiale. Die Graubereiche, die aus den unklaren Tätigkeitsbereichen entstehen,
liegen ebenfalls im „[…] ‚kleinen Handgriff‘, mit dem von den jeweils anderen ihre
eigentliche professionelle Zuständigkeitsgrenze überschritten werden soll.“755 Das ständige
vor Ort sein der Pflege provoziert förmlich, dass ärztliche Aufgaben übernommen werden
– sozusagen aus ärztlicher Sicht gesehen als Ressource. Die tägliche Praxis legitimiert
übernommene Tätigkeiten insofern, als dass die Pflege die Legitimation mit moralischer
Besetzung konstruiert. Steht für den Arzt als auch für die Pflegefachkraft der Patient im
Mittelpunkt, so werden paradoxerweise ärztliche und pflegerische Tätigkeitsübernahmen
gleichgesetzt. Das heißt, eine Pflegefachkraft ist bereit, auch ärztliche Tätigkeiten zu

753 Ameln, Heintel: 2016: 45


754 Vgl. Ameln, Heintel 2016: 44-45
755 Sanders 2009: 104

284
übernehmen, wenn sie davon ausgehen kann, dass der Arzt ebenso zugreift, wenn sie
beschäftigt ist – dass er beispielsweise auch einmal ein Bett hochstellt oder einem
Patienten behilflich ist. Allerdings liegt der klare Unterschied darin, dass es für eine ärztliche
Tätigkeit fachliche Expertise braucht, für eine pflegerische Handlung wie Bett hochstellen
oder eine Hilfestellung geben, ist dies nicht zwingend erforderlich bzw. wird bei einem
Fehler kaum strafrechtliche Folgen nachsichziehen. Dieser Tauschwert zwischen Ärzten
und Pflegern wird daher in einer Art von Gegenleistungen gezeigt, die von den Professionen
in unterschiedlichen Erwartunghaltungen eingeordnet wird.756

Ein großer Anteil der Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegefachkräften findet in
formellen und regelmäßigen Besprechungen im Krankenhausalltag statt, vor allem die
Dienstübergaben und Visiten werden in diesem Zusammenhang genannt. „[…] die meisten
Berührungen sind natürlich die Visiten, das ist eigentlich das meiste also bei uns zumindest.
Also, ich bin ja auf keiner ambulanten Station, sondern eigentlich sind das bei uns die
Visiten, wo man gemeinsam geht, wo angeordnet wird, wo man vorher über die Patienten
spricht.“757 Allerdings werden auch Veränderungen angesprochen, wo es um die
Einführung anderer, neuer Möglichkeiten der Besprechungsmodalitäten gehe, wo
Probleme besprochen werden könnten, die einen Beitrag zur Konfliktprävention leisten.
Damit könnte der theoretischen Betrachtungsweise Rechnung getragen werden, dass auch
im Alltag Platz für Konfliktbearbeitung bleiben muss, um aus Konflikten Schlüsse zu ziehen
und Verbesserungen abzuleiten und damit Entwicklung zuzulassen. Relevante Themen,
welche die Mitarbeiter beschäftigen, benötigen im formellen Rahmen Platz, um nicht zu
einer informellen Gegenmacht zu werden.758 Dazu die Ergebnisse, dass sich offizielle
Besprechungsmöglichkeiten positiv auf die Kommunikation und die Vertrauensbildung
auswirken würden, allerdings könne ohne anwesende Autorität (Anm.: hier sind die
Führungskräfte gemeint) ein offenerer Austausch stattfinden. Das Phänomen mehr
Offenheit ohne Autoritäten ist unter anderem auf eine Art der fehlendenden
Verantwortungsübernahme der Mitarbeiter im Allgemeinen zurückzuführen. Oder es
herrschen Misstrauen bzw. ungleiche Machtverhältnisse, die mehr oder weniger vorhanden
sind. Menschen in Gruppen üben – sei es formell oder informell – Macht aus. Macht wird in
der Theorie unterschiedlich gesehen und will man den Aspekt der Produktivität an dieser
Stelle sehen, so bedeutet das nach Foucault, dass Macht nicht nur negativ ist, sondern in
ihr auch Produktivität liegt. So beschreiben auch Schattenhofer und König (siehe Abschnitt
3.3.2.4.), dass in jeder Beziehung Macht vorkommt und sie produktiv verwertet werden

756 Vgl. Sanders 2009: 103-105


757 IP 10, Z 202-204
758 Vgl. Krainz 2011: 131

285
kann. Beispielsweise im Krankenhausalltag als „Produkt interdisziplinärer Entscheidungen“
– in praxi – eingebettet in eine offizielle Kommunikationsplattform, wo gemeinsam
Entscheidungen getroffen werden und wo Führungskräfte ihre sozialen Kompetenzen
zeigen und damit den Kommunikationsprozess lenken – im Sinne einer positiven
Beeinflussung.

Gesamt betrachtet erfüllen Mitarbeiter in Organisationen stets ihre spezifischen Funktionen


und Rollen, die sich unter anderem in einer Anordnungs- und Durchführungsverantwortung
zeigen. Einerseits bedingen sie einander, anderseits finden in diesem Bereich Machtspiele
fruchtbaren Boden, wenn von der Idealsituation – einer Akzeptanz der Bereiche und ein
kollegial-professioneller Austausch – abgewichen wird. Die Mitsprache der Pflege ist
vermutlich unter Umständen angenehm, wenn gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen
aufgebaut werden können sowie, wenn es um Vermeidung von ärztlichen Fehlern geht, es
sich um einen für Ärzte konstruktiven Beitrag handelt und es keine langen Diskussionen
gibt.

In Organisationen kommt es aus unterschiedlichen Gründen zu einem Wechsel in Gruppen


und bei Führungskräften. Wird ein Mitarbeiter in einer Organisation – aus welchen Gründen
auch immer – entfernt oder ersetzt, bricht die Organisation per se nicht zusammen.
Personen übernehmen in Organisationen Funktionen und Funktionen sind austauschbar.
Als Arbeitnehmer erfüllen Mitarbeiter ihre Rollen und Funktionen, in denen sie so viel wert
sind, wie sie das Ausmaß ihrer Funktionen erfüllen. In der Pflege und Medizin gibt es
insofern einen Unterschied, der entscheidend ist. Nach dem ökonomischen Prinzip können
Ärzte ihre Funktion darüber hinaus erweitern, wenn sie eine Privatordination betreiben oder
außerordentlich gute Fachkenntnisse in einem Bereich aufweisen. Damit sind sie ein
Patientenmagnet und können sogar aktiv Patienten akquirieren, die sehr wohl für den
wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens wertvoll sind. Damit erfüllen Ärzte oft eine
informelle oder sogar formelle Funktionserweiterung, die den Wert als Arbeitnehmer
erhöhen, das bleibt der Pflege gänzlich vorenthalten. Im Gegensatz dazu muss die Pflege
der Forderung von fachlicher Pflegekompetenz gepaart mit hohem Service inklusive
ausgesprochener Freundlichkeit und Höflichkeit nachkommen. Der Patient genießt die
Vorteile einer Privatklinik, wenn er es sich leisten kann, schätzt den Hotelcharakter, aber
kommt hauptsächlich wegen der medizinischen Fachkompetenz. Das bedeutet, dass die
Reputation eines Hauses unter anderem mit der fachlichen Kompetenz des Arztes in einem
engen Zusammenhang steht und nicht zwingend mit einer ausgezeichneten Pflege. An
dieser Stelle ist allerdings anzumerken, dass der Alltag ein Zusammenspiel von Ärzten und
Pflegern erfordert, denn auch der fachlich-kompetenteste Mediziner wird über kurz oder

286
lang eine bestimmte Art der Sozialkompetenz aufweisen müssen, denn die vielfach
getätigte Kompensationsarbeit der Pflege ist auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten.

„Der Arzt erklärt dem Patienten etwas. Zwei Minuten später läutet er und fragt die
Schwester, was hat der Arzt jetzt eigentlich erzählt und man wiederholt es, das darf
man auch, man wiederholt es einfach nur – aber oft ist das Emphatische, das
können sie halt nicht dieses Einfühlsame oder das Erklären mit selben Worten, dass
es jeder versteht und nicht nur der Akademiker.“759

Ein weiteres konfliktbeladenes Thema ist die Kommunikation mit den Stationsärzten.
Stationsärzte sind Allgemeinmediziner, die sowohl im Tag- als auch im Nachdienst
erreichbar sind und demnach ständig verfügbar bzw. erreichbar sein müssen, was sie
durchaus mit der Pflege verbindet. Durch diese räumliche und zeitliche Nähe würden sich
Vorteile des direkten Kontakts und die Möglichkeit rascher Besprechungen ergeben. Die
Stationsärzte sollen ein Bindeglied zwischen Pflege und Fachärzten darstellen. Sie können
allerdings ihre Rolle nach außen hin nur schwer definieren, da ihr Stellenwert sowohl von
Pflege als auch Medizin infrage gestellt wird. Sie nehmen aufgrund ihres Status des
Allgemeinmediziners eine Art Sonderfunktion ein, indem sie eine fortwährende ärztliche
Versorgung sicherstellen und gleichzeitig aber doch nicht über den fachärztlichen
Kompetenzbereich eines bestimmten Faches verfügen (wobei dieser durchaus durch die
Erfahrungsjahre gegeben ist). Das führe zu unklaren Verantwortungsbereichen, wenig
entgegengebrachtem Vertrauen und Informationsverlusten, weil es den Anschein macht,
dass sie weder der Medizin (obwohl sie das natürlich sind) noch der Pflege (was sie
natürlich nicht sind) angehörig sind. Insgesamt werde ihnen noch eine fehlende
Karrieremöglichkeit und damit einhergehende Frustration unterstellt sowie eine
konfliktbehaftete Kommunikation. Die Pflege vermutet, dass manche Stationsärzte denken
würden, dass sie faul und nur durch Lob zu motivieren sind. Der Vorwurf der Faulheit käme
vor allem im Zusammenhang mit den Kommunikations- und Verständnisproblemen der
Stationsärzte auf, wenn diese auf Station geholt werden, um Tätigkeiten zu verrichten,
welche die Pflege übernehmen könnte, sie aber um Hilfe bzw. Unterstützung bittet. Hier
kommen Phänomene zum Tragen, die entweder auf ein Strukturproblem zurückzuführen
sind oder auf einen Vertrauensverlust, aber auch auf Machtspiele, die sich innerhalb der
Berufsgruppe der Ärzte und zwischen den Berufsgruppen zeigen. Zusätzlich lassen sich
Selbstoffenbarungsängste auf beiden Seiten vermuten (wenn es dem Pflegepersonal
beispielsweise nicht gelingt, eine Vene zu punktieren oder wenn Stationsärzte erst den
Facharzt für die Beratung oder Behandlung benötigen). Zudem würden sich Patienten oft

759 IP 2, Z 154-157

287
den Arzt wünschen bzw. diesen verlangen (Wertigkeit des Arztes). Damit entsteht wieder
ein Abhängigkeitsverhältnis gepaart mit unstrukturierten bzw. unklaren
Kompetenzbereichen.

Im Zuge einer Gesamtbetrachtung hinlänglich des Themas Stationsärzte lässt sich


feststellen, dass die Stationsärzte vorwiegend Frauen sind und die Vorwürfe bzw.
Feststellung ärzteseitig-männlich und aus der Pflege geäußert wurden. Somit kann eine
Interpretation in Richtung der Stationsärzte gehen, dass diese nicht als Stationsärzte per
se abgewertet werden, sondern aufgrund der Geschlechtlichkeit bzw. ihrer strukturell
bedingten Kommunikationsgewohnheiten. Die Gründe für die Abwertung müssen nicht
zwangsläufig in Funktion oder Rolle liegen, sondern können in individuellen Vorbehalten
und Projektionen wurzeln. Zusammenfassend ist die Idee eines Stationsarztes mit
dauernder Anwesenheit eines Mediziners als durchaus positiv für das Patientenwohl und
für das Berufsbild der jeweiligen Person zu werten. Aber im konkreten Fall gibt es
Unklarheiten auf struktureller Ebene und auf der Beziehungsebene. Beides belastet den
Klinikalltag in einem mehr oder minder großen Umfang.

7.2.1. Kommunikation innerhalb der Berufsgruppe der Ärzte


Innerhalb der Berufsgruppe der Mediziner wird die formale Hierarchie zur informellen
Realität, die vorgibt, flach bzw. nicht existent zu sein, beleuchtet. Auch die kollegial und
freundschaftlich empfundene Kommunikation innerhalb der Berufsgruppe sowie die
beschriebene und als erhöht wahrgenommene Kommunikationsfreudigkeit von tendentiell
jüngeren Ärzten werden in diesem Kapitel interpretiert.

Lt. dem Ärztegesetzt §3(1) ist die selbstständige Ausübung des ärztlichen Berufs
denjenigen vorbehalten, die Ärzte für Allgemeinmedizin, approbierte Ärzte (Approbation:
Grundqualifikation für Ärzte) bzw. Fachärzte sind. Im Krankenhaus sind es in der Regel
Turnusärzte, Assistenzärzte, Fach- bzw. Oberärzte und Primariate, die besetzt sind. In der
hiesigen Klinik gibt es zudem noch Belagsärzte, die Fachärzte sind. Zusätzlich gibt es in
der Klinik die Stationsärzte, die Allgemeinmediziner sind und die Tag- und Nachtdienste
abdecken, während die Fachärzte nicht durchgehend vor Ort sind (sein müssen). Zum
Zeitpunkt der Interviews gab es in der Klinik einen Turnusarzt. Im Ausbildungskontext ist zu
erwähnen, dass mit der Novelle vom 01.01.2015 das Ärztegesetz andere
Ausbildungsmöglichkeiten im Rahmen des Medizinstudiums für Ärzte nach der
Grundausbildung bzw. nach der Approbation vorsieht. Beispielsweise können sie nun sofort
eine freie Facharztstelle belegen, ohne wie bisher den Turnus anzutreten. Entscheiden sie
sich für die erste Variante, schließen sie ihre Ausbildung mit dem gewählten Fach als

288
Facharzt ab, sind aber dann keine Allgemeinmediziner. In jedem Fall treten Ärzte
grundsätzlich als Auszubildende ihren Dienst in einem Krankenhaus an. Damit sind Ärzte
zu Beginn noch stark abhängig vom Wissen anderer Kollegen – mitunter auch von der
Pflege. Das Krankenhaus, in dem die Forschung erfolgt ist, hat einen Ausbildungsauftrag
zur Ausbildung von Assistenz- und Turnusärzten, allerdings kann aufgrund des
Fachangebotes nicht das gesamte Ausbildungsangebot gestellt werden.

An dieser Stelle ist noch anzuführen, dass die Medizin mit den unterschiedlichen
Fachgebieten formal Männern und Frauen gleichermaßen offenstehen. Insgesamt aber
eine allgemeine und besondere Medizin unterschieden wird, wobei die
Entstehungsgeschichte in der Medizin hier nach wie vor eine Rolle spielt. Durch die
„ausschließende Einschließung“ der Frauen in die Medizin, um für weibliche Patienten auch
weibliche Ärzte zuzulassen, wurde das Staatsexamen 1899 für Frauen durchgesetzt. Somit
ist unter anderem die Logik entstanden, dass professionelle und geschlechtliche
Zuweisungen der Fachgebiete vorgenommen wurden – beispielseise Urologie für Männer
und Gynäkologie für Frauen.760

Die meisten Ärzte geben an, auf Augenhöhe zu kommunizieren (siehe dazu Abschnitt
5.2.1.1.), wenngleich es doch eine Hierarchie gäbe, vor allem zwischen Fach- und
Allgemeinärzten. Sie betonen, dass es eine bestimmte Hierarchie geben müsse, um dem
Verantwortungsprinzip zu entsprechen. Dies entspricht auch dem Ursprungsgedanken der
Hierarchie und der Gesetzeslage, denn Ärzte haben die Verantwortung für die Anordnung
und das gilt auch für die sich in Ausbildung befindlichen Ärzte. Die Zusammenarbeit wird
als professionell bis freundschaftlich bezeichnet. Es gehe darum, dass Kollegen zwar
geschätzt, aber trotzdem nicht alle Empfehlungen umgesetzt werden. Allerdings stehen
demgegenüber auch andere Wahrnehmungen, die aber nicht auf die Hierarchie
zurückzuführen seien, sondern höchstwahrscheinlich auf Einflussfaktoren wie Neid,
Eifersucht oder das Geschlecht. Eine allgemeine hierarchische Darstellung eines
Organigramms bezüglich eines Krankenhauses zeigt, dass es auf formeller Ebene in Pflege
und Medizin eine Hierarchie gibt. Es ist anzunehmen, dass die Hierarchie solange nicht
spürbar ist, solange Konkurrenz oder Rivalität ausbleiben. Konkurrenz in Bezug auf Können
und Wissen und Rivalität in Bezug auf die Anerkennung der nächsthöheren Hierarchiestufe,
die wiederum im Zusammenhang mit dem Wissen der Person auf der nächsthöheren
Ebene steht. Dieses Wissen darf nicht zur „Gefahr“ für die übergeordnete Person in der
Hierarchiestufe werden, damit die Positions- bzw. Funktionsbesetzung erhalten bleiben
kann. Der Zusammenhang von Wissen und Karriere korreliert höchstwahrscheinlich auch

760 Vgl. Sanders 2009: 372

289
mit der Informationsweitergabe, denn je weniger dem jungen und/oder hierarchisch
untergeordneten Kollegen weitergegeben wird, desto weniger gefährlich kann dieses
Wissen und Können für den jeweiligen Funktionsträger werden oder kann so eingesetzt
werden, dass der bevorzugte Kollege mehr Chancen eingeräumt bekommt. Es scheint so,
dass der Austausch solange kollegial bleibt, solange es für den eigenen „Thron“ nicht
gefährlich wird. Solange erscheint die Hierarchie als nicht-existent und wirkt daher
konfliktarm und kommunikativ gelungen. Anders formuliert, solange kein starkes
Ungleichgewicht von Unter- und Überordnung besteht – beispielsweise, wenn kein
Bestreben nach Karriere des Untergeordneten besteht –, solange ist die Hierarchie wenig
spürbar. Zudem gesellt sich die bereits genannte Konkurrenz und/oder Rivalität, wenn zwei
Untergeordnete um die nächste Hierarchiestufe bzw. um die Anerkennung des
Vorgesetzten ringen. Hinzu kommt noch, dass Menschen dazu neigen, sich im
Karrierebestreben noch eher untergebend der nächsten Hierarchiestufe gegenüber zeigen.
Ist der Karrieresprung oder die Ausbildung beendet und die Position belegt, zeigt sich dort
auch, dass die Autorität entsprechend eingesetzt wird – nach dem Motto: „Jetzt beginnen
meine Spiele!“ – was natürlich niemand zugeben würde.

Verbunden mit dem, dass Ärzte in der Regel noch nicht fertig ausgebildet ihre ärztlichen
Tätigkeiten in einem Krankenhaus beginnen, würden jüngere Ärzte als kommunikativer
gesehen werden als die älteren. Das spiegle sich auch in der Informationsweitergabe wider
und darin, ob ein Patient bereits bekannt ist oder nicht. Das lässt die Vermutung zu, dass
aufgrund der geringeren Erfahrung der Kommunikationsumfang größer sein muss, um so
mögliche Fehler – sowohl organisatorisch als auch in Bezug auf die Behandlung – zu
vermeiden (nicht nur, weil es um Patienten geht, sondern um sich auch anderen gegenüber
zu beweisen, Vertrauen aufzubauen und damit Anerkennung zu genießen). Zudem werde
der jüngeren Generation zugeschrieben, dass jüngere Ärzte die Pflege mehr als eine
eigene Berufsgruppe ansehen, als es ältere Mediziner tun würden. Hier begründet mit dem
intensiveren Abhängigkeitsverhältnis, welche auch Mediziner in ihren Anfangsjahren
erfahren müssen. Jüngere Ärzte stehen in der ärztlichen Hierarchie ganz unten und
verfügen über universitär-fachliches Wissen. Eine Pflegefachkraft mit fortgeschrittenen
Dienstjahren verfügt über ein nicht zu unterschätzendes Erfahrungswissen, welches sich
aus dem engen Bezug zu den Patienten und der Wirkungsweise von medizinischen
Maßnahmen, die sie über Jahre beobachten, ableiten lässt. Da der Arzt in Ausbildung
ebenfalls zum Teil die Anordnungsverantwortung zu übernehmen hat und er gleichermaßen
das Fachwissen der Pflege zu schätzen hat, ist er implizit aufgefordert, weder unsicher noch
arrogant zu erscheinen und das Wissen zu bündeln, um so aktiv den medizinischen

290
Prozess über die Kommunikation steuern zu können.761 Unerfahrenheit und fehlende
Vertrautheit – sei sie fachlicher oder organisationaler Natur – tragen dazu bei, dass die
scheinbare Kommunikationsfreudigkeit mit einer Notwendigkeit, Wissen zu erlangen,
korreliert. Zu den oben angeführten Schwierigkeiten sei die Erinnerung an die
Anfangszeiten eines Arztes angeführt: „Da habe ich das als sehr schwierig empfunden,
wenn mich jemand nicht gekannt hat, vor allem als junger Arzt, dann war das einfach so
‚Wer sind Sie überhaupt und mit Ihnen rede ich nicht, geben Sie mir Ihren Oberarzt!‘“762

7.2.2. Kommunikation innerhalb der Berufsgruppe der Pflege


Innerhalb der Gruppe der Pflegefachkräfte geht es nachstehend allgemein um das
Empfinden in Bezug auf das Kommunikationsverhalten innerhalb der Berufsgruppe. Des
Weiteren um die Gruppenzusammensetzung, die vorwiegend weiblich ist und um damit
zusammenhängende Wirkungsweisen sowie Veränderungen in Gruppen und
Führungswechsel. Auch werden von den Pflegefachkräften eingebrachte Stärken wie
organisatorisches Talent im Forschungskontext dargestellt.

Die Pflege beschreibt sich selbst in ihrem Kommunikationsverhalten als höflich, freundlich,
umgänglich und nett (siehe dazu Abschnitt 5.2.1.3.). Überdies wird die Größe des Hauses
als ein Faktor für gute und rasche Kommunikation betont. Es komme auch auf das Team
an, wie es sich zusammensetzt, wobei dann auch das Alter – bei gelungener
Zusammensetzung – keine Rolle spiele. Zudem wird beschrieben, dass sowohl die
kollegiale als auch hierarchische Art der Kommunikation existent sei, die formelle sich von
der informellen unterscheide und dass bezüglich einer gut funktionierenden Kommunikation
schon der Wunsch nach einem intensiveren Miteinander mit anderen Stationen und
Berufsgruppen bestehe. Zusätzlich müssten auch zum Teil die Übergabesituationen
verbessert werden.

Was passiert, wenn Gruppen sich in ihrer Zusammensetzung ändern und welche
Auswirkungen zeigen sich sowohl innerhalb von Gruppen als auch innerhalb der
Organisation? Organisationen setzen Gruppen ein, deren Eigendynamik sie unterschätzen,
wobei sich wenige Führungskräfte dem Thema Gruppe und deren Auswirkungen
ausreichend widmen, um die Prozesse aktiv steuern zu können. Im Rahmen der
Gruppenzusammensetzung ein Zitat eines Arztes: „An und für sich wird es ja von oben
immer gewollt, dass alle gut und harmonisch miteinander auskommen, aber man merkt,

761 Vgl. Kursawe, Guggenberger 2013: 4-5


762 IP 13, Z 18-20

291
wenn ein gewisses Team da ist, die zusammenspielen, das harmonisiert ganz gut, dann
kommt eine dazu, die nicht so gut hineinpasst, dann ja, es menschelt einfach.“763 Die
Gruppenleistung übertrifft im Regelfall die Einzelleistung von Mitarbeitern und ist daher
wesentlich für die gesamte Organisationsleistung. Gruppen zu steuern, setzt allerdings ein
Wissen über die Gesetzmäßigkeiten einer Gruppe voraus. Darüber hinaus hat eine Gruppe
Einfluss auf das Verhalten einzelner Mitglieder. Beides – die Dynamik der Gruppe und der
Einfluss der Gruppe auf Einzelpersonen – ist sowohl für Führungskräfte als auch für alle
anderen Mitarbeiter als grundlegende Wissenserweiterung nötig, um den Alltag und das
gesamte Gruppengeschehen zu verstehen.764 Wie in Abschnitt 3.3.3. explizit beschrieben
ist die Trainingsgruppe hierfür ein geeignetes Lernsetting.

Zur Gruppenzusammensetzung auf einer Station einer Abteilung des Krankenhauses ist
anzumerken, dass eine jeweilige spezifische Abteilungs- und Stationszugehörigkeit
vorhanden ist. Ihre tägliche Zusammensetzung schwankt in Abhängigkeit des
Dienstplanes. Folglich haben Gruppenmitglieder häufigen, aber nicht kontinuierlichen
Kontakt und daher kann und wird den Paar- und Triaden-Beziehungen hier größere
Bedeutung zugeschrieben, die Frauen, da sie sich dort wohler fühlen als in einer
Großgruppe, bevorzugen. Aufgrund dessen ändert sich sowohl formelle als auch informelle
Kommunikation mit und aufgrund der unterschiedlichen Dienstzeiten (mit und ohne
Anwesenheit der Führungskraft/Hierarchie). Beispielsweise lässt sich das mit Tag- und
Nachtdienstbesetzung beschreiben. Im Tagdienst ist die Führungskraft und damit die
Hierarchie physisch anwesend, außerhalb der Kerndienstzeiten und/oder während Nacht-
und Wochenenddienste ist dies nicht der Fall. Die Gruppe ist zudem personell kleiner, daher
nimmt informelle Kommunikation vermehrt ihren Platz ein. Von Regeln kann und wird mehr
oder weniger abgewichen – je nach Einfluss einzelner Personen in der Gruppe und der
Reife der Gruppe bzw. ihre Fähigkeit, ohne ihre Führungskraft zu existieren. Die
Abwesenheit der Hierarchie bildet zudem einen Freiraum, der es der Gruppe erlaubt, sich
mehr als Gruppe zu entwickeln und auch der informellen Kommunikation mehr Platz zu
geben. Das wirkt sich untereinander positiv im Sinne der Vertrauensbildung aus und pflegt
Gruppenstärke sowie Beziehungsebene.

Übergeordnet wird hier angeführt, dass Gruppen Zeit brauchen, um in ihre Arbeitsfähigkeit
zu gelangen. Das belegt aus theoretischer Sicht beispielsweise Tuckman mit dem
Phasenmodell, aber auch die Erkenntnisse von Bennis veranschaulichen, wie sich Gruppen
entwickeln und dazu phasenförmig eine jeweilige Entwicklung erfahren (müssen); siehe

763 IP15, Z 67-70


764 Vgl. Grimm, Krainz 2011: 48

292
dazu auch Abschnitt 3.3.1. Die Entwicklung verläuft phasenförmig, wobei einzelne Phasen
mehr oder weniger lange dauern. Im Routinealltag werden diese Phasen oft wenig beachtet
und seitens der Führung oft nicht ausreichend begleitet oder falsch interpretiert. Auch
fehlende oder überhandnehmende Gruppenfunktionen können ursächlich für eine fehlende
Gruppenstärke sein. Andererseits hat die Aufnahme in eine Gruppe auch mit der
Einzelperson und ihrem Bewusstsein für Gruppezughörigkeit bzw. mit ihrer persönlichen
Wirkungsweise zu tun. In der Gruppe verliert die Einzelperson Teile ihrer Individualität
zugunsten der Zugehörigkeit zur Gruppe. Zudem können auch bereits gesammelte
Erfahrungen mit Gruppen Einfluss auf eine nicht gelungene Integration haben – sowohl bei
einer bestehenden Gruppe als auch beim Individuum – das Motto lautet „ist nicht gelungen,
wird nicht gelingen!“. Zudem ist es für eine bestehende Gruppe stets eine Veränderung
beziehungsweise eine Irritation, wenn Personen hinzukommen oder wegfallen. Der
Prozess ist durch Unsicherheit geprägt und erfordert Steuerung.

Es wird festgestellt, dass Pflegefachkräfte gut organisiert und stark hierarchisiert seien, so
die Sichtweise sowohl der Ärzte als auch der Pflege selbst, daher führen individuelle
Abweichungen von geregelten Kommunikationsabläufen oder Prozessen (Abwesenheit der
Hierarchie) zu Irritationen. „Der eine bringt die Blutkonserven hinunter, Du nicht!“765 oder
„Gewisse Schwestern sind da ein bisschen nachlässiger, da musst du halt ein bisschen
mehr nachfragen.“766 Ob Gruppen funktionieren oder nicht, hängt (wie bereits
angesprochen) stark davon ab, wie reif die Gruppe ist und wie sie ihre Gruppenfunktionen
– auch ohne anwesende Hierarchie und hier die Führungskraft – wahrnehmen kann.

Die Ärzte bemerken neben der guten Organisation eine starke Hierarchie. Die Pflege würde
über strikte Disziplin funktionieren. Diese stark wirkende Hierarchie kann auch darauf
zurückzuführen sein, dass vor allem die Pflegefachkräfte, insbesondere die Stationsleitung
auf einer Station/Abteilung, ein strukturierendes Erfahrungswissen aufweist, welches sich
aus pflegerisch-medizinischen Handlungweisen und aus formellen und informellen
Regelwissen im organisationalen Kontext zusammensetzt.

Zudem beschäftige sich die Pflege aus ärtzlicher Sicht mehr mit Kommunikation und
Kommunikationsregeln und würde dadurch eher eine gemeinsame Kommunikationsbasis
finden. Daher führe die Pflege ihre Anordnungen sehr strikt durch, wobei anzumerken ist,
dass das auch gesetzlich geregelt ist und auch zur eigenen Absicherung führt. Man könnte
annehmen, dass alles, was gut geregelt ist, auch gut funktioniert und dass Pflegefachkräfte
doch stark regelkonform arbeiten wollen. Darin kann auch ein Relikt der extrem dienenden

765 IP 3, Z 197-198
766 IP 3, Z 210-211

293
Haltung der Pflege aus dem Berufssozialisationskontext vermutet werden. Weiters lässt
sich feststellen, dass Wissen über Kommunikation, also das WIE und WAS, erlernbar ist.
Eine Aussage, die bekräftigt, dass Pflegekräfte schulungsfreudig wahrgenommen werden:
„[…] es war bekannt, dass von diesen Schulungen (Anm. Kommunikationsschulungen), die
angeboten worden sind, … 80-90 % von der Pflege gekommen sind.“767 Der Pflege kommen
dabei jene Fortbildungsstunden entgegen, die sie zu absolvieren hat. Pflegefachkräfte
müssen auch in Führungspositionen, wie beispielsweise in der Funktion als Stationsleitung,
einen Führungskurs abschließen, den sie über diverse Bildungsinstitutionen bis hin zu
einem FH-Studium absolvieren können. Inhaltlich sind diese Ausbildungen oder
Studiengänge stark auf Management und Kommunikation ausgerichtet. Auch Ärzte haben
eine Fortbildungspflicht, die sie zumeist in fachlichen Disziplinen besuchen. Damit bleiben
in Ausbildungssettings der Berufsgruppen sichtlich in ihren Milieus.

Handelt es sich in der Kommunikation um Nachlässigkeiten, Unfreundlichkeit, fehlendes


Verständnis und Vertrauen im Miteinander würde das die Pflege als negativ empfinden und
folglich die Beziehungsebene und damit die Kommunikation stören. Vielfach sei es der
(appellhafte) Ton (sowohl von Kollegen als auch von Ärzten), der eine Zusammenarbeit
beeinträchtigt. Hinderlich für die Kommunikation in der Pflege seien auch nicht
angesprochene Probleme. Nicht angesprochene Kontroversen schüren Frustration und
sorgen für ein unterkühltes Arbeitsklima und fehlendes Vertrauen. Fehlendes Vertrauen
führe auch zum Hinterfragen der Kompetenzen innerhalb der Berufsgruppe. Hier kommt
ein Phänomen reiner Frauengruppen zur Geltung, da Frauen die Kompetenzen anderer
Gruppenmitglieder gerne infrage stellen und dadurch die Einheitlichkeit in einer Gruppe
schwer erreichen. Ein appellhafter Tonfall im Zuge einer Zusammenarbeit stört Menschen
im Allgemeinen, da ihnen das Bedürfnis von Selbstbestimmung genommen wird. Das führt
– je nach persönlicher Funktionswahrnehmung in der Organisation und eigenem Selbstwert
– zu unterschiedlichen Reaktionen im archaischen Muster, welches von Abwehr (mach ich
nicht oder mach ich anders!) bis hin zur Flucht (Dienst nach Vorschrift) oder dem (verbalen)
Kampf führt. Zusätzlich beeinflussend in der Binnenkommunikation der Pflege sei auch die
übergeordnete Forderung nach einer harmonischen und freundlichen Kommunikation mit
Patienten in einem privaten Krankenhaus, was ein vermeintlich harmonisches Dasein
fordert und fördert. Wenn sich diese Forderung auch auf die Gruppe überträgt, nämlich
keine Konflikte zuzulassen, gleicht der Harmoniegedanke einem Damoklesschwert und ist
förderlich für beispielsweise unterschwellige Bemerkungen oder destruktiven Humor, die
das Klima beeinträchtigen. Werte brauchen ausgewogene Spannungsverhältnisse. Wird

767 IP 10, Z 124-126

294
etwas überkompensiert wie hier Frieden bzw. Höflichkeit, gibt es wie in der Theorie
beschrieben den Begriff der „Friedhöflichkeit“, was bedeutet, dass wenig bis nichts
angesprochen wird und auch eine bestimmte Starre und Retardierung entsteht.

Eine weitere Herausforderung würden Emotionen in Besprechungen darstellen und ließen


diese komplexer erscheinen. Die Themen in einem Krankenhaus sind zwar sensibel und
emotional belastend und/oder berührend, aber in der Regel sind Besprechungen, Visiten
und Dienstübergaben von Sachlichkeit geprägt und daher fällt es manchen schwer,
überhaupt erst auf der Beziehungsebene zu sprechen. Kommt es dann doch zur
Diskussion, ist zumeist weder Platz noch Zeit gegeben. Darüber hinaus ist dazu eine
Person erforderlich, die den Prozess in Besprechungen leitet und/oder moderiert. Ziel
formaler Besprechungen ist es aber, die sachbezogenen Themen durchzubringen und nicht
Konflikte zu bearbeiten oder sie gar zu lösen, geschweige denn Befindlichkeiten von
Individuen (Mitarbeitern) wahrzunehmen und zu bearbeiten.

Ein weiteres Thema sei die Veränderung des Führungspersonals in der Pflege. Es würden
mit dem Wechsel einer Stationsleitung Veränderungen spürbar werden. Die Station,
insbesondere deren Arbeitsfähigkeit, stehe im engen Zusammenhang mit der Person, die
diese Funktion bekleidet. Funktionen können in Organisationen ersetzt werden, ohne dass
die Organisation selbst darunter leidet (wie bereits weiter oben angeführt). Anzumerken ist
hier, dass die Persönlichkeit, die diese Funktion einnimmt, doch eine Rolle spielt, da mit ihr
eine „Identifikation mit der Arbeitsgruppe“ und „Bindung an die Kollegen“768 entsteht, aus
der die Motivation für die Arbeit erwächst und damit die Zielerreichung für eine
Organisation.

Insgesamt ist zu beachten, dass eine Neuformierung einer Gruppe aufgrund von Integration
neuer Gruppenmitglieder eine nach Schwarz „ziemlich schwierige Arbeit“ ist und in vielen
Organisationen nicht als „Arbeit“ anerkannt wird, obwohl das ein wichtiger Aspekt in der
Organisationsentwicklung ist. Wird dem Prozess keine Beachtung geschenkt, so leidet die
Sachlichkeit und die Integration dauert länger oder misslingt gar vollständig.769

Das Alter in Gruppen ist eine Größe, die angesprochen wird. Wo der Cut-Off für „alt“ liegt,
geht aus den Daten nicht hervor. Daher wird an dieser Stelle dahingehend interpretiert,
dass Alter nicht nur biologisch bedeutsam in einer Organisation ist, sondern auch die
Zugehörigkeitsdauer zum System. Diese steht im Zusammenhang mit dem Systemwissen
des Mitarbeiters und kann zu einer Herausforderung in Veränderungsprozessen werden.

768 Ameln, Heintel 2016: 48


769 Vgl. Schwarz 2014: 179

295
Vor allem dann, wenn dieses Systemwissen in Gruppen zum Tragen kommt und es gilt,
Widerstände gegenüber neuen Prozessen in Gruppen aufzuweichen. Nach Krainz wird das
„Chronifizieren“ von Gruppen vermieden, indem in Organisationen darauf geachtet wird,
dass eine Durchmischung, sowohl über das Lebensalter als auch über die
Systemzugehörigkeit, angestrebt wird770.

Konflikte im Krankenhaus

In diesem Abschnitt werden die Konfliktarten im Krankenhaus sowie typisch identifizierte


Konfliktursachen und Vermeidungsstrategien thematisiert. Zudem wird angeführt, welche
Rolle Hierarchie als Konfliktursache und -lösung spielt und welche tatsächlichen
Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, um Konflikte zu bewältigen.

Konflikte kommen überall vor. Ob sie bearbeitet und/oder (v)erkannt werden, ist eine andere
Frage. Die Frage nach dem Sinn, den Konflikte haben, dürften sich wohl die wenigsten
Menschen im Alltag (und auch die Mitarbeiter in einem Krankenhaus) stellen. Tendenziell
gelten sie als unangenehm und sollen möglichst vermieden werden. Anzunehmen ist, dass
einerseits das Wissen rund um Konflikte und Konfliktmanagement fehlt bzw. vor allem in
Bezug auf die Bearbeitung von Konflikten. Anderseits stellt sich an dieser Stelle die Frage,
ob das Management in der Lage ist, zu erkennen, welchen Beitrag es selbst zu
entstandenen oder aufkommenden Konflikten leistet. Es ist darüber hinaus anzunehmen,
dass alle Arten von Konflikten in einem Krankenhaus, die auch in der theoretischen
Abhandlung im Abschnitt Konfliktmorphologie 3.4.2. beschrieben worden sind, vorkommen.
Vorzugsweise geht es speziell bei den Berufsgruppen um Konflikte, welche die
Anerkennungsthematik, Zugehörigkeit, Konkurrenz, Rivalität, Subgruppen, Hierarchien und
das System betreffen. Sie können demnach intrapsychisch, zwischenmenschlich, auf
organisatorischer Ebene und/oder im System angelegt sein. Insgesamt würden
Pflegefachkräfte ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis haben, wären sich aber nicht einig,
wie die Harmonie zu erreichen ist. Es erscheint der Eindruck, dass es einen Widerspruch
zwischen direkter Ansprache von Konflikten, dem Aufschieben und zur Hilfenahme einer
dritten Person im Rahmen der Konfliktbewältigung gibt. Da eine unterschiedliche
Auffassung vorliegt, was Konflikte sind, erscheinen sie der Einzelperson als mehr oder
weniger relevant. Das zusätzliche bzw. gleichzeitige Ansprechen von adäquat
empfundenen Bewältigungsstrategien kann per se für die Person selbst passend, aber für
die Gruppe bzw. andere Personen muss die gewählte Bewältigungsstrategie nicht

770 Vgl. Krainz 2011: 165

296
angemessen sein. Eine derartige Situation schürt Folgekonflikte. Welche Strategien
wirksam sind, ist alleine kaum reflektierbar und bedarf einer professionellen Reflexion.

In den Forschungsdaten (angeführt in den Abschnitten 5.2.2. und 6.1.2.) konnten


Konfliktursachen in unterschiedlichen Kontexten identifiziert werden. Es gäbe
konfliktfreudige Personen bzw. Mitarbeiter, die in der Lage sind, ihre Missstimmung oder
Unstimmigkeiten bzw. Konflikte anzusprechen. Dem gegenüber stehen Personengruppen,
die eher zur Konfliktscheue tendieren. Auch die Relevanz, die eine Unstimmigkeit oder ein
Konflikt haben, werde zwischen relevant und weniger bis nicht relevant eingeordnet. Als
Beispiele werden dazu genannt, dass ein ungemachtes Bett im Dienstzimmer weniger
Unmut als etwas rund um den Patienten auslösen würde. Hier muss davon ausgegangen
werden, dass das Bettenmachen in Dienstzimmern höchstwahrscheinlich nicht selbst
gemacht wird, sondern gemacht wird, aber eine Patientenkomplikation in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem eigenen medizinischen oder pflegerischen Handeln steht und
somit anders bewertet wird. So unterscheiden sich die Zugänge, ob relevant oder nicht,
individuell. Nach Schwarz sind sogenannte „Kleinigkeiten“ Erscheinungsweisen, die als
Symptome bemerkbar werden. Zu deren Beseitigung muss der Kern des Konfliktes erkannt
werden. Obwohl es zunächst auch Sinn ergeben kann, die Erscheinungsweisen zu
bekämpfen, um die angespannte Situation zu entlasten, um erst später den Kern des
Konfliktes zu erkennen (Emotionsentlastung).771

Hauptsächlich werden als Konfliktursache Organisationsprobleme identifiziert,


beispielsweise wenn es sich um Schnittstellenproblematiken handelt. Das sind
neuralgische Punkte, die klare Strukturen erfordern würden. Da die Arbeit am und mit den
Patienten arbeitsteilig ist, würden zu den Konfliktursachen Veränderungen,
Tätigkeitsverschiebungen, fehlende Führung (fehlendes Führungsverhalten), mangelnde
schriftliche Anordnung, Missachtung von Regeln an den Schnittstellen,
Verantwortlichkeiten, Patient als Kunde, der Wünsche äußert, die zu Konflikten innerhalb
und zwischen den Berufsgruppen führen, Fehlinformationen, sich wiederholende Fehler,
eine ungünstige Wahl des Kommunikationsmediums, Gehalts- und Personalfragen und
insgesamt unklare Prozesse und/oder Strukturen zählen.

Zu den hier angeführten Konfliktursachen kommen nun noch angesprochene


„Tabuthemen“ (in der Soziologie geht es bei Tabus darum, dass sie „öffentlich“ nicht
diskutiert werden, damit werden sie allerdings informell „mächtig“ – hier sind es jene
organisationsrelevanten Themen, die von den Mitarbeitern als Tabus bezeichnet werden).
„[…] und das mit Langzeitkrankenständen ist jetzt kein Tabu, es wird ja wohl geredet

771 Vgl. Schwarz 2014: 86

297
darüber, aber es ist einfach was sehr Belastendes für das Team. Und deswegen gehört es
auch zu den nicht gern gesprochenen Themen in Richtung auch Tabuthemen. Da geht es
aber wirklich um ganz lange Krankenstände, nicht wenn einer lei (Anm.: Mundart und
bedeutet „nur“) 14 Tage krank ist.“772 (Anzumerken ist hier, dass einerseits geredet wird,
andererseits es doch ein heikles Thema zu sein scheint, wenn es beispielsweise um
Langzeitkrankenstände geht – dazu später in diesem Abschnitt mehr). Die „Tabuthemen“
sind zum Teil redundant, sollen aber an dieser Stelle explizit angeführt werden. Sie bergen
die Gefahr, dass diese Themen informell „ausgeschlachtet“ werden, weil sie formell zu
wenig Platz finden. Zu den Tabuthemen zählen die Organisationszugehörigkeit, Umgang
mit Krankenständen und Langzeitkrankenständen, Kompetenzzuschreibungen, künstliche
Trennung von Aufgaben von Ärzten und Pflegern, Überlastung, Reduktion des
Personalbedarfs und die beiden Phänomene „vorsorgliches Jammern“ und „viel-zu-tun-
Widerspruch“.

Hervorzuheben ist das sensible und oft emotionsgeladene Thema Krankenstand. Der
Schweregrad der Erkrankung und deren Länge sind mitunter ausschlaggebend, ob eine
Gruppe mitleidig, irritiert oder empört reagiert. Eine schwere Erkrankung erregt in der Regel
Mitleid und führt zu Schuldgefühlen, wenn es darum geht, dass Kollegen eigene
Bedürfnisse (Ersatz oder Unterstützung, Information, Transparenz usw.) in Bezug auf den
Ausfall äußern. Somit stellen schon die eigenen Bedürfnisse ein Tabu dar. Die Länge des
Krankenstandes – jetzt unabhängig von der Schwere der Erkrankung – wird dann als
störend empfunden, wenn bei den anderen Gruppenmitgliedern keine Kontinuität für den
Tagesablauf (Dienstübernahmen) entsteht. Der Gruppe fehlt eine Person und damit muss
sie eine/ihre neue Identität finden. Dienste müssen ersetzt werden, dauert das zu lange
oder ist unregelmäßig, kann das zu Konflikten (in Individuum, Gruppe, Hierarchie,
Organisation und System) führen. Das Thema ist wie oben angesprochen sensibel, als dass
eine Krankheit jeden betreffen kann. Dieses Thema trägt daher auch einen moralischen
Aspekt in sich. Darf ich über den Kranken reden? Kommt er wieder in die Gruppe? Bleibt
dieses Thema mehr in der informellen Kommunikation „stecken“, löst das Unsicherheiten
bei den Gruppenmitgliedern aus, die mit diesen individuell umgehen. Die Diskussion um
Krankenstände mündet dann in der Frage der Personalbesetzung, die auch immer wieder
Zündstoff für Diskussionen bietet.

Ein weiteres, oft schwammiges Thema sind die unklaren Tätigkeiten im Arbeitsalltag und
ein Mangel an Vertrauen. Wenn Ärzte von der Pflege hinterfragt werden, werde es als
Mangel an Vertrauen gesehen. Daraus lässt sich wohl resümieren, dass der Selbstwert der

772 RK 2, Z 800-803

298
Mediziner nicht derart ausgeprägt ist, wie angenommen wird. Nach Ameln und Heintel setzt
eine Zusammenarbeit aber Vertrauen voraus, welches sich zwar nicht unbedingt auf die
Leistung direkt auswirkt, aber auf die Motivation von Mitarbeitern, die sich wiederum in der
Leistung zeigt.773 Da das Thema Vertrauen an dieser Stelle und später noch mehrmals
folgen wird, soll bereits hier der Zusammenhang von Akzeptierung und Vertrauen
dargestellt werden. Vertrauen hängt mit dem primären Problem der Akzeptierung sich und
anderen gegenüber zusammen, welches mit dem Problem der mehr oder weniger
intensiven Mitgliedschaft zu einer Gruppe zusammenhängt. Solange die gegenseitige
Akzeptanz nicht aufgebaut werden kann, werden Furcht und Misstrauen im Vordergrund
stehen. Ist die Akzeptierung erfolgt, resultiert Akzeptanz und Vertrauen daraus.774

Ein zusätzlicher Faktor ist das Thema Stress, welcher von Menschen unterschiedlich
wahrgenommen und im Abschnitt 7.3.2. gesondert interpretiert wird. Für das Thema
Konflikte ist an dieser Stelle zu nennen, dass stressige Situationen für Mitarbeiter zu
Konfliktursachen zählen, wobei es nicht um klassische Notfallsituationen geht, sondern um
Stress, den jede Person als individuellen Spannungszustand wahrnimmt. Ein Widerspruch
in sich ist das Jammern über viel Arbeit und das gleichzeitige urteilen, wie viel andere
Kollegen tun oder nicht tun. Dieser Widerspruch kann als Neid und/oder Wut interpretiert
werden, folgend aus dem nicht artikulierten Wunsch nach Unterstützung oder nicht
vorhandenem Selbstmanagement. Höchstwahrscheinlich finden sich hierfür noch andere
Gründe, die an dieser Stelle nicht angeführt werden wie z.B. zwanghafte Züge des eigenen
Durchführungswunsches (wenn jemand lieber alles selber erledigt, als anderen
abzugeben). Zusammenhängend kann das auch mit dem bestimmenden-kontrollierenden
Kommunikationsstil vorkommen, da Normabweichungen stressauslösend sind und für
diese Menschen besonders, da sie sich stark an Regeln gebunden sehen.

Entscheidungen von Dritten für Gruppen, also Entscheidungen aus der formellen
Hierarchie, würden ebenso als konfliktauslösend gesehen. Das verletzt sowohl das
Gerechtigkeitsempfinden als auch die Autonomie einzelner Gruppenmitglieder und führt
damit zu Unzufriedenheit und Widerständen. Damit wird die Funktion der Hierarchie
Konfliktlösungsmethode und Konfliktauslöser zugleich und dadurch lediglich zur bedingten
konstruktiven Konfliktlösung. Bedingt deshalb, weil in der Hierarchie in der Regel nach dem
Delegationsprinzip gehandelt wird. Zur effektiven Konfliktlösung mit Dritten wird die
Hierarchie dann, wenn nicht die Hierarchieebene die dritte Instanz ist, sondern eine dritte
unbeteiligte Person (z.B. Mitarbeiter mit Konfliktmanagementkompetenzen, Mediatoren).

773 Vgl. Ameln, Heintel 2016: 49


774 Vgl. Bennis 1972: 303

299
Solche Konfliktlösungsansätze erleben aber Einschränkungen in ihrer (wahrgenommenen)
Wirkung, wenn sie seitens der Hierarchie versucht werden –
Konfliktmanagementfähigkeiten in der Führungstätigkeit sind Voraussetzung für den
hinzugezogenen Dritten.

Ein weiteres Tabuthema ist die Antipathie, sie störe die Kommunikation. Antipathie ist
störend, jedoch stellt sich dabei die Frage, wieviel die Antipathie mit der Person selbst zu
tun hat, die Abneigung empfindet. Antipathie entsteht in der Regel dann, wenn jemand beim
Gegenüber etwas entdeckt, was er an sich selbst nicht mag, was er selbst gerne haben
möchte, dass ihn an etwas Negatives erinnert, er einen Wertekonflikt entwickelt (weil die
Person so anders ist als er selbst) oder er sieht die Beziehungsebene in Gefahr. Das
bedeutet, dass Antipathie auf individueller Ebene zu bewältigen ist. Insgesamt entsteht im
Umkehrschluss Anziehung zwischen zwei Menschen aufgrund von häufiger Nähe (sich
häufiger sehen), wenn sie Ähnlichkeit erkennen können beispielsweise im Aussehen, in
Erfahrungen, Einstellungen und Interessen. Hierbei ist noch zwischen wahrgenommener
und echter Ähnlichkeit zu unterscheiden, wobei für Antipathie dann eher die tatsächlichen
Ähnlichkeiten wirksam werden. Insgesamt soll betont sein, dass es Menschen im
Allgemeinen mögen, gemocht zu werden.775

Es scheint ein Grundkonflikt in dieser Organisation zu existieren, wenn es um die


Berufsgruppe der Stationsärzte, die eine mehr weniger bedeutende „Sonderstellung“
einnehmen, geht. Hier würde das Kommunikationsverhalten derer eine Rolle spielen,
welches zu einer unzufriedenstellenden Kommunikation führe. Da sie die Beziehungsebene
kaum verlassen, sei die Sachebene schwer zu erreichen. Den Stationsärzten werde
mangelnder Selbstwert nachgesagt und damit einhergehend fehlende
Karrieremöglichkeiten, die zu Frustrationen führen würden. „Sie haben keine Perspektive,
sich neuen beruflichen Perspektiven zu stellen. Sie könnten kompetente Partner sein (Anm.
für Ärzte) […], die Pflege würde sich das wünschen.“776 Insgesamt gebe es überdies gehäuft
einen aggressiven, unpassenden Kommunikationsstil, der als konfliktauslösend gelte. Die
Stationsärzte mit mangelndem Selbstwert, fehlenden Kompetenzen und hoher Frustration
zu assoziieren, zeigt, dass diese Schnittstelle, welche die Stationsärzte einnehmen, schon
gerade deshalb als konfliktreich erlebt wird (sie fungieren als Ansprechpartner für
Fachärzte, Patienten und die Pflege). Es wird also alles, was an dieser Schnittstelle
Reibungspunkte erzeugt, auf die diese Rolle bzw. Funktion projiziert. Und schon haben
beide Berufsgruppen einen Konflikt mit der Stelle, die sie eigentlich verbinden sollte.

775 Vlg. Aronson, Wilson, Akert: 354-356


776 RK 1 Z, 441-442

300
Unklarheiten an solchen Schnittstellen, die sozusagen als Funktionsstellen besetzt sind,
brauchen Struktur, gegenseitigen (fachlichen) Austausch und einen Vertrauensaufbau.
Andernfalls entstehen, wie auch in vielen anderen Bereichen, rekusive Schleifen: Wenn die
Stationsärzte nicht kompetent genug sind, rede ich gleich direkt mit dem Facharzt – wenn
die mich nicht für kompetent genug halten, halte ich mich aus allem raus und mach nur das
Nötigste. Angeführt in der ersten Rückkoppelung: „Ein Problem ist wahrscheinlich, dass die
Kommunikation zwischen Fachärzten und Pflege direkt sehr gut funktioniert, quasi unter
Umgehung der Stationsärzte, nur das ist keine Umgehung, sondern eine direkte
Kommunikation.“777 Zu bemerken ist hier, dass eine direkte Kommunikation weniger
Missverständnisse oder Unklarheiten produziert. Wenn aber der Eindruck entsteht, dass
Personen übergangen werden – vor allem in den Abwesenheitsphasen und -zeiten der
Fachärzte (entweder fachlich notwendig oder aus der Einfachheit/Gewohnheit heraus) sind
die Kommunikationsprozesse und Zuständigkeitsbereiche fachlich und organisatorisch zu
klären.

Ein weiteres konfliktauslösendes und oft unausgesprochenes Thema sei die


Berufssozialisation der Ärzte. Ärzte treten nach ihrem Studium als Auszubildende ein und
auch für dieses Krankenhaus gibt es einen Ausbildungsauftrag zur Ausbildung von
Assistenzärzten und gegebenenfalls Turnusärzten. Daher kommen sie entweder als
Auszubildende oder fertig ausgebildet ins Haus. Je nach Herkunft und Vorerfahrung sei ihr
Handeln demnach unterschiedlich. Wenn es keine formellen Abläufe gibt, können sich
wieder sogenannte Trampelpfade entwickeln, die der Gesamtsituation nicht zuträglich sind.
Die angesprochenen Unterschiedlichkeiten treten auf den Ebenen des fachlichen Inhaltes
(Standards, Fachexpertisen usw.) und des Kommunikationsstils auf. Die unterschiedliche
Berufssozialisation verstärkt daher gegebene Konfliktthemen, die in der Zusammenarbeit
auftreten – je nach Vorerfahrung mit Pflegefachkräften oder ihren ärztlichen „Lehrmeistern“.

Wiederholende Kommunikation und Fehler seien zudem ebenfalls konfliktbehaftet. Es


könnte sein, dass die Mediziner nicht mit der Pflege sprechen, weil sie es als anstrengend
empfinden, sich zu wiederholen. Aus Sicht der Pflege brechen sie damit die Kommunikation
ab oder finden andere Kommunikationswege, die dem Informationsaustausch nachteilig
sind. Das führt zu Irritationen und unter Umständen ist eine unzureichende
Informationsweitergabe die Ursache für Missverständnisse und folglich für Konflikte oder
gar Fehler.

Es wurden nun die konfliktauslösenden Faktoren und Ursachen genannt. Wie aber
versuchen nun die Beteiligten, ihre Konflikte zu bewältigen? Aus theoretischer Sicht gibt es

777 RK 1 Z, 399-401

301
Möglichkeiten (siehe Kapitel 3.4.2.), die je nach Konfliktart bzw. je nach Umständen
gangbare Wege zur Bewältigung und Lösungsfindung bieten. In den Interviews wird von
Ärzten und Pflegefachkräften angegeben, dass Konflikte häufig angesprochen und mit der
betroffenen Person besprochen werden würden. Das lässt das Bild entstehen, dass es sich
hier um Mitarbeiter handelt, die ihre Konflikte stets austragen und sie auch bewältigen
könnten. Aber ist das so? Analog dazu führt das Harmoniebestreben einiger Mitarbeiter
dazu, dass diese die Konfliktbearbeitung vermeiden, um die von ihnen wahrgenommene
Harmonie aufrechtzuerhalten. Angegeben wird, dass gemeinsame Dienste zudem einen
Grund darstellen würden, es harmonisch haben zu wollen, da ein angenehmes Klima doch
ein geschätztes Gefühl sei. Wichtig ist an dieser Stelle zu konstatieren, dass es höchst
individuelle Grenzen für konfliktauslösende Momente bei Individuen gibt. „Ja, das kommt
darauf an, wie sehr ich dabei auf den Schlips getreten werde. […] und wenn es manchmal
unter der Gürtellinie sein sollte […] da frage ich wirklich nach, was sie damit meinen.“778
Dazu ein Arzt: „[…] dass man sich dann nicht immer auf den Schlips getreten fühlt, sondern
dass man professionell agiert.“779 Auch das professionelle Agieren trägt individuelle
Ansprüche in sich, somit wird das durchgängige Ansprechen von Konflikten wohl eher ein
Wunschdenken im Arbeitsalltag sein und selbstverständlich gegebenenfalls passieren oder
auch nicht – je nachdem, wie hoch der Leidensdruck für die Einzelperson ist. Die
nachstehend angeführte Definition nach Glasl entspricht dem Gedanken, dass es stets
Unterschiede geben wird und die Wahrscheinlichkeit für Konflikte hoch ist. Allerdings
scheint die Wahrscheinlichkeit zur Bewältigung damit gleich hoch oder gleich niedrig zu
sein und hängt von unterschiedlichsten Faktoren ab – je nachdem, wo sich die Person auf
dem Konfliktkontinuum Vermeidung und Streitlust befindet.

„Ein sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen,
Organisationen usw.), wobei wenigstens ein Aktor eine Differenz bzw.
Unvereinbarkeiten im Wahrnehmen und im Denken bzw. Vorstellen und im Fühlen
und im Wollen mit dem anderen Aktor (den anderen Aktoren) in der Art erlebt, dass
beim Verwirklichen dessen, was der Aktor denkt, fühlt oder will eine
Beeinträchtigung durch einen anderen Aktor (die anderen Aktoren) erfolge.“780

Das Kontinuum zwischen Streitlust und Konfliktvermeidung ist weder am einen noch am
anderen Pol günstig in der Umsetzung. Der Hintergrundgedanke, sich des Kontinuums
bewusst zu werden, ist, zu antizipieren, wie sich angesprochene Konflikte auf das aktuelle

778 IV 6, Z 187-190
779 IV 9, Z 103
780 Glasl 2013: 17

302
und zukünftige Geschehen auswirken können. Ein angemessener Einsatz, wann und wie
eine Konfliktsituation bearbeitet werden soll, befindet sich in der Mitte der beiden Pole,
indem situationsgerecht agiert werden kann.

Andere Möglichkeiten zur Bewältigung seien beispielsweise die Konzentration auf sich
selbst. Das führt dazu, dass intrapsychische, aber doch sehr individuelle Lösungen
gefunden werden, die für die Gruppe und das System nicht als ausreichend bzw. adäquat
empfunden werden müssen. Eine weitere Möglichkeit werde darin gesehen, die Zeit zu
nutzen, um über die Situation nachzudenken. Das direkte Ansprechen hängt auch damit
zusammen, ob Zeit und Platz momentan zur Verfügung stehen bzw. ob das Gegenüber
auch die Bereitschaft zum Gespräch bzw. zur Konfliktbearbeitung zeigt. Eine Nachdenkzeit
führt höchstwahrscheinlich dazu, dass es vorkommt, dass die Zeit die aufgeschaukelten
Gefühle abflachen lässt. Wenn die Möglichkeit zur Ansprache durch unterschiedliche
Dienste oder anderes nicht zeitnah gegeben ist, können aber wiederum viele
„Rabattmarken“ (das sind viele, mehr oder weniger konfliktbeladene, aber unbearbeitete
Konfliktsituationen), die unbehandelt gesammelt werden, irgendwann unverhofft zur
Explosion kommen. Die Zeit des Nachdenkens kann aber auch als eine Selbstreflexion
gesehen werden.

Als Konfliktlösung werde auch eine (erlernte) gelungene Kommunikation betrachtet. Alles
dies könne theoretisch in Fortbildungen erlernt werden. Fortbildungen würden das
Ansprechen im Rahmen der Kommunikation unterstützen und die eigene Haltung und
Kritikfähigkeit inklusive einer wertfreien Kommunikation erlernt werden würde. Auch die
Wertschätzung als Teil gelungener Kommunikation wird genannt. Ob der Theorie-Praxis-
Transfer gelingt oder nicht, hängt mitunter mit den individuellen Fähigkeiten der Reflexion
und mit dem Interesse der Einzelperson zusammen bzw. mit den praxisrelevanten Anteilen
in der Fortbildung. Im Rahmen der Kommunikation in Konflikten kann es durchaus hilfreich
sein, sich der eigenen Rolle und Funktion sowie jener des Gegenübers bewusst zu machen.
Eine gesamte Auflistung der Gründe für Ge- und Misslingen eines Praxistransfers
anzuführen, würde für diese Arbeit zu weit führen. An dieser Stelle darf jedoch darauf
hingewiesen werden, dass das Vorhandensein theoretischen Wissens nicht zwangsläufig
bedeutet, dass sich dementsprechende Prozesse praktisch umsetzen lassen, zumal zu
viele Personen an Kommunikations- und Konfliktbewältigungsprozessen mit ihren
individuellen Bedürfnissen und psychodynamischen Hintergrundprozessen beteiligt sind.

Für regelkonformes Arbeiten, von welchem angenommen wird, dass es konfliktärmer ist,
wird beispielsweise ein Zertifizierungsvorhaben genannt, welches die
Kommunikationswege vorgibt. Zudem soll es ein Ziel in der Qualitätsarbeit für alle
Mitarbeiter darstellen und im Alltag für die Zusammenarbeit augenscheinlich förderlich sein.

303
Vordergründig erscheint es sinnvoll, führt aber nach Zielerreichung wieder zu
eingefahrenen Mustern. Vorgegebene formale Kommunikationswege können demnach nur
bedingt als Lösungsmethode gelten, da diese auch eine Art der Konfliktvermeidung bzw. -
verschiebung sein können. Zusätzlich wird darin auch eine Beschneidung der eigenen
Selbstbestimmung und Kreativität gesehen. Es kann konstatiert werden, dass strikt-formale
Wege durchaus sinnvoll sind. Im Sinne der Abgrenzung erscheint es sinnvoll, gleichzeitig
grenzen strikt-formale Vorgaben auf Dauer die individuelle Entfaltung ein, da dies eine zu
starke Reglementierung und zu starkes Strukturieren für Mitarbeiter darstellen kann. Damit
geht nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf systemischer
Problemlösungspotential verloren. Man könnte auch sagen, dass Einzelpersonen einen
„Tunnelblick“ entwickeln und ihre Dienste nach Vorschrift machen.

Die eben auch in Zusammenhang mit formellen Wegen angesprochene Abgrenzung der
Kompetenzbereiche wird ebenfalls als Möglichkeit für Konfliktlösungen genannt. Es
bestehe der Wunsch der Pflege nach Abgrenzung gegenüber den Medizinern in ihren
überschneidenden Tätigkeitsbereichen, also strikten Arbeitszuteilungen. Dies stellt einen
Grundwiderspruch dar, da die Behandlung am Patienten arbeitsteilig ist und einerseits eine
Trennung (medizinischer und pflegerischer Tätigkeiten) und andererseits eine (intensive)
Kooperation erfordert. Dadurch entstehen unweigerlich fachliche Diskussionspunkte, die
ausgetragen werden wollen und nicht über reine Anordnungs- und
Durchführungsverantwortung geregelt werden (können).

Supervision als Konfliktbewältigung wird vereinzelt gewünscht, könne aber


organisationsseitig nicht immer umgesetzt werden und hänge vom Supervisor ab, wie offen
dann gesprochen werden könne. Das Arbeiten im Krankenhaus ist ein ständiger Balanceakt
bezüglich der Wahrung von Nähe und Distanz und professionelle Tätigkeiten sind in hohem
Maße davon abhängig, ob die Mitarbeiter sowohl körperlich als auch psychisch gesund
bleiben. Ärzte und Pflegefachkräfte müssen insgesamt sachlich entscheiden und
gleichzeitig ihre Menschlichkeit zeigen und wahren. Daher ist es ein Kriterium für Qualität,
dass eine Organisation auch dafür sorgt, dass Mitarbeitern ein Angebot gestellt wird, um
„[…] sich metakommunikativ und reflexiv des Sinnes der eigenen Tätigkeiten [zu]
vergewissern und allfälligem Korrosionserscheinungen des professionellen Sinngefühls
entgegen[zu]wirken“781 – wobei sich Supervision oder auch Coaching als Angebotsleistung
anbieten. Hier gehört es auch zur professionellen Handlung von Beratern, dass sie in der

781 Krainz 2011: 116

304
Lage sind, das „Belastungsbild“ zu erkennen und eine Möglichkeit zur Bearbeitung der
belastenden Situationen zu generieren.782

Als erleichternd werde der Patient in konfliktträchtigen Situationen gesehen. Hier wird aber
angenommen, dass dieser „vorgeschoben“ wird, sozusagen als Fokussierung auf die
Hauptaufgabe „Patient im Krankenhaus“, nach dem Motto: „Wir arbeiten zugunsten des
Patienten!“ Den Patienten vorzuschieben, ergibt gegebenenfalls Sinn, um den Patienten im
Behandlungsprozess zu begleiten und wenig Unzufriedenheit und vor allem Unsicherheiten
bei diesem hervorzurufen. Auf organisatorischer, sozialer und individueller Ebene ist es
bestenfalls eine Konfliktverschiebung, welche dem Patienten zugutekommt. Damit wird
allerdings für die konfliktbehaftete Situation und die Beteiligten nur die „Spitze des
Eisberges“ bearbeitet und die äußeren Anzeichen des Konfliktes bleiben trotzdem im
Umfeld spürbar. Handelt es sich hierbei um Konflikte, die fachlicher Natur sind, können
Nachschulungen die mangelnden fachlichen Kompetenzen kompensieren, sie führen bei
Einsichtsfähigkeit der betroffenen Person zur Vermeidung von sachbezogenen Konflikten
und können so zu einer konstruktiven Lösung beitragen und folglich die Beziehungsebene
verbessern. Ist die Beziehungsebene (bereits) geschädigt, muss die Konfliktbewältigung
auf der Beziehungsebene ansetzen. Erst dann kann die Sachebene bearbeitet werden. Das
ist auch der Punkt, wo wie bereits oben angesprochen, Dritte (bzw. die formale Hierarchie)
als Konfliktlösung zu Hilfe gezogen werden könnten. Das funktioniere mitunter auch sehr
gut, so die Interviewpartner. Anzumerken ist an dieser Stelle auch, dass dem Hinzuziehen
von Dritten, sofern diese Dritten in der Konfliktbewältigung gefestigt sind, eine hilfreiche und
vermittelnde Funktion innewohne. Entscheidet der Hinzugezogene hierarchisch, wird es
höchstwahrscheinlich einen Verlierer in diesem Konflikt geben, damit entsteht wieder ein
konfliktauslösender Punkt.

Abschließend eine Anmerkung zur informellen Kommunikation als Möglichkeit verbindend


und vertrauenserweckend zu wirken. Sie werde als wichtig erachtet und so beschrieben,
dass beim Kaffee oder beim Essen auch viel Fachliches besprochen werde und oft einer
„kleinen Fortbildung“ gleiche, aber auch mal über Privates gesprochen werde. Das
Informelle ist nicht quantifizierbar, jedoch der Beziehungsebene dienlich. Es fördert die
Vertrauensbildung und das Gemeinschaftsgefühl; zumindest derer, die daran teilnehmen
(dürfen). „Sehr positiv auf das Konfliktverhalten in einer Gruppe wirkt […] Kegeln, Tennis-
oder Kartenspielen […].“783 Damit wird die Rangordnung kurzzeitig durch das Spiel

782 Vgl. Krainz 2011: 120


783 Schwarz 2014: 169

305
neutralisiert und überträgt sich positiv in das Arbeitsumfeld. Im Spiel wird auch gezeigt,
dass die Rollen durchaus flexibel sind.

Damit kann festgestellt werden, dass es durchaus notwendig ist, geeignete


Kommunikationswege auf formeller Ebene zu schaffen, damit die informelle Macht nicht
überhandnehmen kann und im Rahmen der Organisationsentwicklung Räume geschaffen
werden, sowohl fachliches als auch sozialkompetentes Wissen erhalten zu können und
Reflexionsmöglichkeiten anzubieten, um den Alltag psychisch gut bewältigen zu können.

Entscheidungsplattformen für Ärzte und Pflegefachkräfte an dieser Stelle zu nennen, kann


für Kliniken zukunftsträchtig überdacht werden. In bestimmten Fachbereichen wird das
bereits gemacht. Beispielsweise im palliativ-medizinischen Bereich und bei installierten
Ethik-Gruppen oder Ethik-Boards.

7.3.1. Geschlecht und Hierarchie in den Berufsgruppen


In diesem Kapitel werden die Kommunikationsprozesse zwischen Männern und Frauen
sowie der Einfluss von Geschlechtsheterogenität und -homogenität in den Berufsgruppen
erörtert. Welche Unterschiede und/oder Gemeinsamkeiten bezüglich der Geschlechter im
Umgang mit Hierarchie gibt es?

Aus gruppendynamischer Sicht lassen sich Geschlechtsspezifika in Interaktionsformen je


nach Zusammensetzung der Gruppen darlegen. Es gibt homogene (reine Männer- bzw.
Frauengruppen) oder gemischte Gruppen. Gemischte Gruppen sind entweder ausgewogen
oder dominierend in einem Geschlecht. Der Pflegeberuf ist nach wie vor geprägt durch
Frauengruppen und gemischte Gruppen, dominierend durch das weibliche Geschlecht.
Diese Konstellation weist bestimmte Merkmale auf, die für Frauengruppen charakteristisch
sind. Bei den Ärzten ist mittlerweile auch eine Durchmischung gegeben, allerdings kommt
dort auch die bereits erwähnte historisch einflussnehmende Zuordnung der Ärztinnen zu
bestimmten medizinischen Fächern vor. Die Akzeptanz der Frau in der Medizin wird nach
wie vor thematisiert – allerdings mehr mit dem Fokus auf deren Kommunikation und
Handeln im medizinischen Alltag als die Grundsatzfrage, ob sie überhaupt Ärztinnen
werden. Für beide Berufsgruppen, also für Männer in der Pflege und Frauen in der Medizin
kann interpretiert werden, dass es „Ungleiche unter Gleichen“ gibt.

Den Forschungsergebnissen zufolge (siehe Abschnitt 5.2.1.7. und 6.2.4.) würden Frauen
mehr reden: „Frauen sind kommunikativer, also, ich merke oft, nicht dass der In-
formations-, er passt der Informationsfluss, aber meine beiden Chefs muss ich die

306
Informationen oft aus der Nase ziehen.“784 Frauen gelten im Krankenhaus daher als
kommunikativer, würden herzlicher sprechen und seien empathischer und gefühlsbetonter,
allerdings würden sie auch hinter dem Rücken reden. Männer hingegen würden die „Dinge“
direkt ansprechen, passen sich leichter an, verzeihen schneller und legen nicht alles auf
die „Waagschale“. Die Themenwahl der Geschlechter im Rahmen einer Unterhaltung sei
unterschiedlich. Frauen würden auch mehr Privates preisgeben. Auch in Sanders
angelegter Studie wird deutlich, dass Frauen in der Medizin als einfühlsamer gegenüber
Patienten gelten785, allerdings auch der natürlichen Benachteiligung unterliegen und mit
dem „Vereinbarkeitsproblem“ von Familie und Beruf konfrontiert sind786 und daher in
Teilzeit, gar nicht mehr oder hierarchisch nicht hoch angesiedelt sind. Zudem kommt, dass
es natürlich wenig Verständnis gibt für z.B. verschobene Operationen aufgrund familiärer
Herausforderungen.

Insgesamt betrachten Männer und Frauen Situationen von unterschiedlichen


Standpunkten aus und schaffen damit verschieden gewichtete Wahrnehmungen, die sie im
Rahmen der Kommunikation einbringen, was sich nach Tannen bei Frauen in einer
Bindungs- und Intimsprache und bei Männern in einer Status- und Unabhängigkeitssprache
zeige.787 Ob Männer und Frauen tatsächlich ein unterschiedliches Konfliktverhalten
aufweisen, ist aus theoretischer Sicht nicht gänzlich bewiesen, scheint aber wahrscheinlich.
Die Dynamiken in homogenen und heterogenen Gruppen unterscheiden sich, damit darf an
dieser Stelle angenommen werden, dass es Unterschiede gibt.

Schon immer waren „[…] Frauen nicht in gleicher Weise egalitär wie Männer.“788 Die
Ungleichheiten zu benennen, ist komplex, da sich der Status von Männern und Frauen
unterschiedlich zeigt und auch deren Tätigkeitsbereiche genießen unterschiedliches
Ansehen. Zudem zeigen sich gegenseitige Abhängigkeiten. Insgesamt hängen die
Ungleichheiten von der Gesellschaft ab – etwa wie Erwartungen und Habitus der
Geschlechter geltend gemacht werden.789 Der Wunsch nach einem Gleichheitsdenken von
Mann und Frau misslingt ohnehin, da es sich hier um einen Grundwiderspruch handelt.
Relikte der Innen- und Außendimensionen, also den getrennten Tätigkeiten, sind tendentiell
noch erhalten, da die Beziehung zwischen Männern und Frauen bislang bestimmten

784 IP 13, Z 46-48


785 Vgl. Sanders 2009: 343
786 Vgl. Sanders 2009: 348-349
787 Vgl. Tannen 1998: 40
788 Dux 1997: 101
789 Vgl. Dux 1997: 102-103

307
Normen unterlegen ist. Je nach Institutionalisierung wurde das eine Geschlecht dem
anderen untergeordnet. Männer und Frauen unterliegen ebenso wie das
gesamtgesellschaftliche Bild Klischees. Hinzu kommt, dass nach Heintel und Krainz auch
zu viel Unterschiedliches von beiden Geschlechtern an verschiedenen Orten verlangt wird.
Mann und Frau sind dort, wo sie sich aufhalten, nicht der- oder dieselbe wie an einem
anderen Ort und damit kommen Übertragungen, Projektionen und Erinnerungen auf790, die
im Alltag einer metakommunikativer Reflexion bedürfen.

Alle Menschen unterscheiden sich in ihrer jeweiligen Individualität. Ein Gegenüber ist stets
ein Repräsentant von Gruppen, um der natürlichen Tendenz nachzukommen, die Welt in
vorgegebenen Bildern zu sehen, um einen Sinn zu erfahren. Tannen beteiligt sich deshalb
an der Geschlechterdebatte, weil es ihm sinnvoller erscheint, Unterschiede zu benennen
(als diese zu ignorieren) und er betrachtet diese über den soziolinguistischen Standpunkt.
„Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede im Gesprächsstil“791, welche es zu erkennen
und zu verstehen gilt.792 In der hierarchischen Ordnung geht es um Unter- oder
Überordnung. Frauen tendieren in ihrem Kommunikationsstil zur Symmetrie, Männer zur
Asymmetrie, da es den Männern um Status geht. Status zeigt sich über unterschiedliche
sichtbare Merkmale (Sprache, Bekleidung usw.). Damit ergibt sich automatisch, dass das
Gegenüber einen niedrigeren Status einnimmt oder erhält. Insgesamt stehen Frauen eher
im Rivalitätsverhältnis zueinander und Männer tragen Konkurrenzkämpfe aus. Dabei
handelt es sich um unterschiedliche Konfliktarten. Frauen entwickeln weniger schnell ein
Gruppengefühl und neigen tendenziell zu Zweierkonstellationen. Frauen gelten in Gruppen
auch eher als konfliktvermeidend, während es Männer eher in Zweierkonstellationen sind.
Aus Sicht der Organisation ist das Verhalten von Frauen nun weniger förderlich, mitunter
auch aufgrund der fehlenden Risikobereitschaft. Andererseits verfügen sie über die
Fähigkeit, rasch die emotionale Ebene in Konflikten zu erfassen. Frauen verharren eher in
der Analysephase – das lässt vermuten, dass Konflikte nicht bewältigt werden und immer
wieder in Erscheinung treten, weil sie keine Lösung erfahren. Männer drängen vielmehr
vorschnell zu einer Lösung und sind fokussiert bezüglich des Sachverhaltes. Dieses
Verhalten führt aber auch dazu, dass Wesentliches im Konfliktlösungsprozess übersehen
wird. Somit gibt es Unterschiedlichkeiten im Ansehen und im Kommunikationsstil. Es wird
daher vorstellbar, dass es Situationen im Krankenhaus gibt, die auf diese Ursachen
zurückzuführen und damit konfliktauslösend sind. Anzumerken ist noch, dass Jungen und

790 Vgl. Heintel; Krainz 1997: 76


791 Tannen 1998: 16
792 Vgl. Tannen 1998: 15-16

308
Mädchen von Beginn an nach Tannen im Grunde unterschiedliche kulturelle Entwicklungen
durchlaufen. Jungen spielen in großen Gruppen mit hierarchischer Struktur, wobei es
Gewinner und Verlierer gibt. Mädchen bewegen sich in kleinen Gruppen oder zu zweit und
präferieren Spiele, die Abhängigkeiten zeigen wie Mutter-Kind-Spiele.793 Auch das Nähe-
Distanz-Verhältnis sei ein Thema in der Kommunikation zwischen Frauen und Männern.
Das würde dem theoretischen Punkt entsprechen, dass Frauen weniger schnell das
Gruppengefühl erzeugen könnten und der kulturellen Entwicklung, die Tannen beschreibt.

Ärztinnen geben an, dass sie sich mehr Frauen in ihrer Berufsgruppe wünschen würden
(Abschnitt 6.1.2.3.). Der Anteil an Frauen, die mit dem Medizinstudium beginnen, befindet
sich mittlerweile in einem ausgewogenen Verhältnis zu jenem der Männer. Wobei sich die
Frage aufdrängt, welche Hierarchieebene Frauen bekleiden, denn Frauen hätten allerdings
laut den hier vorliegenden Forschungsdaten nach wie vor ein Problem mit der
Anerkennung, die ihnen von den Führungskräften in der Ärzteschaft ihrer Meinung nach
vorenthalten werden würden. Interessant ist auch die Tatsache, dass die Annahme
bestünde, dass Anordnungen von Frauen an Frauen eher untergraben werden würden als
Anordnungen von Frauen an Männer. Eine Medizinerin in Führungsposition dazu: „Es ist
vor allem im medizinischen Bereich, dass die Männer bei uns im Hause dominieren, in einer
gewissen Ebene halt und da findet die Kommunikation natürlich anders statt und als Frau
wird man da ganz schlecht gehört. Man versucht etwas zu sagen, beobachtet dann, wenn
das einer mit Y-Chromosom sagt, dann ist es, dann ist es gewichtiger, dann hat er einen
Bass und die Alt Stimme wird dann nicht gehört und im pflegerischen Bereich sind die
Männer eher im Hintergrund von der Anzahl her. Die wirken aber harmonisierend in dem
Bereich, das ist ganz interessant. Es ist eigentlich, wenn ich so bedenke, es ist auf jeder
Station, bis auf eine, sind da ein, zwei Männer, die wirken dann irgendwie ausgleichend
[…].“794 Insgesamt dürfte es ein Anerkennungsproblem von Ärztinnen selbst sein, die nicht
nur den fachlich medizinischen Interaktionsrahmen betrifft, sondern auch die
professionsübergreifende Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen und weiblichen
Pflegefachkräften. Was sie einerseits verbindet, ist die weibliche Art mit Patienten zu
kommunizieren und einfühlsam zu sein. Anderseits müssen sich Ärztinnen gegenüber den
Pflegerinnen positionieren, da sie auch mit „Schwester“ angesprochen werden. Diese für
Ärztinnen scheinbare gefährliche Gechlechtergleichheit führt zu Abgrenzung über den dann
„pikierten“ Ton, der dann sowohl für Patienten und weibliche Pflegefachkräfte spürbar
wird.795 Rivalität herrscht vor und der Profilierungszwang scheint vorprogrammiert. Das wird

793 Vgl. Tannen 1998: 17;41


794 IP 15, Z 74-81
795 Vgl. Sanders 2009: 350-351

309
auch in der Studie von Sanders beschrieben, in der Pflegefachkräfte wahrnehmen, dass
sich Ärztinnen sowohl gegenüber der Pflege als auch gegenüber den männlichen Kollegen
mehr behaupten müssten. Die Selbstbehauptung geht einher mit besonderen
Kooperationsbemühungen gegenüber den männlichen Arztkollegen und Bemühungen sich
von der Pflege abzuheben und sich gleichzeitig in besonderen Situationen zu
solidarisieren.796 Die wahrgenommene Unverträglichkeit von Frauen in der Hierarchie
könnte somit ihre Begründung haben und einer Reflexion bedürfen.

Dass Männer in der Pflege als offen, ehrlich und harmonisierend beschrieben würden –
insbesondere in Konflikten – ist ein weiterer interessanter Aspekt. Man kann annehmen,
dass der unbewusste Wunsch nach heterogenen Gruppen vorhanden ist, allerdings kann
der Grund für den Vorteil nur subjektiv beschrieben werden. Ob von den Mitarbeitern
bewusst wahrgenommen wird, dass es sich um Gruppendynamik handelt, könnte daher an
dieser Stelle bezweifelt werden. Das müsste folglich auch für die Berufsgruppe der Ärzte
zutreffen, wenn sie ihren Frauenanteil erhöhen will. In der Gesamtzahl eines
Krankenhauses ist noch der deutlich höhere Anteil an Pflegefachkräften zu berücksichtigen.
Betrachtet man die Zusammensetzung einer Station, so gibt es eine größere Gruppe an
Pflegefachkräften, die vorwiegend bis gänzlich weiblich sind und im Fall der Ärzte handelt
es sich auf einer Station um eine Kleingruppe, die vorwiegend bereits heterogen ist, aber
durch die männliche Führung erweitert ist. Daraus folgt eine logische Konsequenz, dass es
einen nicht vergleichbaren Unterschied gibt, wenn auf zehn Pflegefachkräfte auf selbiger
Hierarchiestufe ein bis zwei männliche Pflegefachkräfte stoßen oder auf eine
Zweierkonstellation von Ärzten eine Ärztin. Abgesehen davon sind beide Situationen
aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage schwer vergleichbar. Nichtsdestotrotz bleibt
noch zu bemerken, welche Attraktivität der Arztberuf für Frauen und der Pflegeberuf für
Männer hat. Wie Ärztinnen als Frauen im Männerberuf werden Pfleger als Männer im
Frauenberuf angesehen. Männer in der Pflege mussten oft mit einer Stigmatisierung
kämpfen, der Unterstellung einer homosexuellen Orientierung und mussten viel Energie
aufbringen, eine gleichwertige Anerkennung gegenüber ihren weiblichen Kollegen zu
erreichen. Eine gedankliche Änderung hat emanzipiert und reduziert die Anwesenheit von
männlichen Pflegern nicht nur auf die Übernahme besonders schwerer körperlicher
Arbeit.797 Männliche Pfleger werden wie auch dieser empirischen Forschung als ein
positives Gegengewicht angesehen. Sie würden ausgleichend wirken und wie in der
Empirie von Sanders als pragmatischer, Ruhe vermittlelnd und kompromissbereiter in

796 Vgl. Sanders 2009: 356-357


797 Vgl. Sanders 2009: 379-380

310
Konflikten beschrieben798, Männlichen Pflegern wird mehr Interesse am fachlichen
Hintergrundwissen nachgesagt und daher werden sie von Ärzten als fachlich kompetent
wahrgenommen und sind für Neuerungen und Technisierung offener. Die weiblichen
Pflegefachkräfte hingegen treiben das pflegerische Fachwissen eher voran als sie es
vertiefen und sie setzen viel ihrer emotionale Intuition ein.799 Es kann hier interpretiert
werden, dass es durchaus auch auf ein Engagement von Männern ist, sich mehr im Beruf
um ihr Fortkommen zu bemühen, weil sie als der „Ernährer“ gelten und in der Regel vollzeit
beschäftigt sind. Frauen übernehmen die Doppelrolle und sind mit anderen Belastungen
oder Entwicklungen im familiären Bereich zumeist ausgelastet. Damit weisen sie mitunter
ein weniger intensives Bestreben nach Karriere auf bzw. sind– zumindest für eine
bestimmte Zeit – daran „gehindert“.

Zu den Generationen im Krankenhaus ist anzumerken, dass die Generationen Babyboomer


(bis 1964) und Generation X (bis 1976), Y (bis 1998) und Z (ab 1999) miteinander arbeiten,
sowohl inter- als intraprofessionell. Die Wertevorstellungen aller Generationen sind
unterschiedlich. Herablassender Kommunikationsstil und „Lautwerden“ werden in dem
Forschungsvorhaben den Babyboomern zugeschrieben und es bestehe auch nach wie vor
dort die Anschauung, dass es die „Götter in Weiß“ mit der unterwürfigen, devoten
Schwester (heute Pflegerin) noch gibt (zumindest in so mancher Wunschvorstellung). Hier
wird die Frage laut, ob es heute nicht eine versteckte ähnliche Anschauung gibt bzw. ob
diese gedanklich noch relikthaft mitgetragen wird und damit nach wie vor Auswirkung auf
das Verhalten der beiden Berufsgruppen hat und somit aufgrund der Asymmetrie
konfliktbehaftet ist.

Das Krankenhaus als Organisation ist sowohl in der Pflege als auch in der Medizin
hierarchisch aufgebaut. Grundsätzlich werde die Hierarchie wie bereits beschrieben nicht
negativ wahrgenommen. Einigkeit herrscht über eine steile Hierarchie in Notfallsituationen.
Uneinigkeit herrscht darüber, ob die Hierarchie insgesamt im Alltag eher steil oder flach
gesehen werde. Pflegekräfte erleben ihre Berufsgruppe als deutlich hierarchisch – so
würden es auch die Mediziner sehen. Die Mediziner können mit Hierarchie nicht umgehen,
so die Phantasie der Pflege über die Mediziner. Real gesehen haben aber beide
Berufsgruppen, je nach Krankenhaus, eine etwa gleiche Anzahl an Hierarchiestufen. Im
Normalfall gibt es in der Medizin Primarärzte, Oberärzte, Fachärzte, Assistenzärzte und
Turnusärzte und in der Pflege die Pflegedienstleitung, Abteilungsleitung Pflege,
Stationsleitung, Pflegefachkräfte (mit Diplom oder Bachelor), Pflegefachassistenzen und

798 Vgl. Sanders 2009: 388-389


799 Vgl. Sanders 2009: 393-394

311
Pflegehelfer. Die Hierarchiestufen variieren von Klinik zu Klinik – je nach Größe des
Hauses. Es könnte sein, dass das Hierarchieempfinden durch die geringere Anzahl an
Ärzten in einem Krankenhaus und das Abhängigkeitsverhältnis der Pflege von Ärzten über
die Anordnungsverantwortung anders wahrgenommen wird.

Eine weitere Thematik in der zwischenmenschlichen Kommunikation ist das Siezen,


welches einseits als Zeichen des Respektes gelte. Andererseits werden junge Ärzte, die
das „Du“ anbieten, als locker und zugänglich empfunden. An dieser Stelle ist zu bemerken,
dass die Pflege durch die Ansprache mit „Pfleger (vorm. und nach wie vor Schwester) XY“
bereits selbst auf eine bestimmte Art der Respektform verzichtet. Bedingt wird dies durch
Organisationsnormen. Das Duzen zwischen den Berufsgruppen – zumal Ärzte und Pfleger
oftmals mehr als zwölf Stunden Zeit miteinander verbringen und speziell in der Nacht –
scheint Vertrauen aufzubauen. Auch dort, wo das Leben dem Ende zugeht, ist das Duzen
im Team erwünscht. Es werde im Palliativteam vor dem Sterbenden oder schwerkranken
Patienten das Duzen bevorzugt. Es handelt sich beim Duzen und Siezen um ein Nähe- und
Distanzverhältnis, welches offensichtlich individuell gehandhabt wird und in hierarchischen
Strukturen als Respektform und Abgrenzungsmöglichkeit gesehen wird. „Du“ und „Sie“ sind
ein Spezifikum der westlichen Kultur und werden im Rahmen der Patientensicherheit
überdacht. Fluggesellschaften führen eine „Du“-Pflicht ein, um Informations- und
Kommunikationsbarrieren abzubauen. Es wird davon ausgegangen, dass ein „Du“ eine
vertrauensvollere, ehrlichere und engere Zusammenarbeit abbildet. Die Kommunikation
untereinander – sei es Pflege oder Medizin – werde insgesamt mit zunehmender
Hierarchiestufe als leichter empfunden. Das ist aber auf die geringere Anzahl der
Kommunikationspartner zurückzuführen. Ein „Du“ und „Sie“ kann sowohl Nähe als auch
Distanz wahren – es ist eine Frage des persönlichen Umgangs.800

Vertrauen wird immer wieder angesprochen; es sei ein wichtiger Faktor in der
Kommunikation und Zusammenarbeit. Häufig werden aber Situationen beschrieben, in
denen Vertrauen fehle. Im pflegerischen und ärztlichen Alltag gäbe es Situationen bezüglich
der Vertrauensthematik, die seitens der Pflege einen hohen Vertrauensvorschuss und
fachliche Kompetenzen erfordern wie z.B. telefonisch, nicht schriftlich angeordnete
Medikamente. Käme es zu einem Zwischenfall, sei sich die Pflege nicht sicher, ob sie
ausreichend Rückendeckung erfahren würde.

Kritisch anzumerken ist, dass in den Forschungsdaten ein eher unreflektiertes Bild von
Männern und Frauen entsteht. Frauen wird nachgesagt, dass beispielsweise Anordnungen
von Frauen gegebenenfalls nicht akzeptiert werden würden, sie weniger anpassungsfähig

800 Vgl. Baller, Schaller 2017: 152-153

312
erscheinen, stärkeres Konkurrenzdenken zeigen und dass sie nach etwas suchen, das sie
den anderen vorwerfen können. Die Aussagen sind insofern auch widersprüchlich, als dass
doch auch die Meinung vorliegt, dass es keine Unterschiede in der Kommunikation gäbe
und es in der Hierarchie keinen Unterschied mache. Hier handelt es sich mit aller
Wahrscheinlichkeit um Schönrederei, Konfliktvermeider oder solche, die ihre Position
bereits erreicht haben. Darüber hinaus wird aber beschrieben, dass es weniger das
Geschlecht sei, sondern der Ausbildungshintergrund, die Beschäftigungszeit und die
Erfahrung, die ausschlaggebend für die Kommunikation zwischen Männern und Frauen ist.
Das lässt den Schluss zu, dass bewältigte Konflikte und Bildung die
Persönlichkeitsentwicklung und Reflexionsfähigkeiten fördern.

7.3.2. Faktor Stress im Krankenhaus


Im Kapitel „Kommunikation und Stress“ wird gezeigt, was Stress überhaupt bedeutet, wie
Stress die Kommunikation beeinflusst und ob Stress Auswirkungen auf Konflikte hat.

Es gibt unterschiedliche Zugänge zum Thema Stress. Insgesamt herrscht Uneinigkeit, was
Stress überhaupt bedeutet. Stress ist per se nicht schädigend für den Menschen, allerdings
führt der Spannungszustand bei einer Überbelastung zu einem einengenden und
archaischen Muster. Für Mitarbeiter in einem Krankenhaus ist auch eine Notfallsituation
nicht automatisch eine Stresssituation. Anzumerken ist, dass ein Notfall zwar Stress ist,
aber nicht so empfunden werde. Notfallsituationen weisen im medizinisch-pflegerischen
Kontext klare Regeln auf. Auch in der Rückkoppelung wurde angesprochen, dass in
Notfallsituation eine bestimmte Erleichterung über die strukturierte Anordnung und
Vorgehensweise bestünde. Also Struktur gepaart mit hoher Anspannung, da es im Notfall
um lebenserhaltende Maßnahmen geht, ergeben ein geregeltes, zumeist reibungsloses
Miteinander, wenn es sich um ein eingespieltes Team handelt. Begründet auch darin, dass
Notfallsituationen geübt werden und klaren Vorgaben unterliegen. Im Alltag sind es eher
persönliche Anspannung und intensive Arbeitstage mit vielen Aufnahmen, die mit einer
Veränderung im Kommunikationsstil zusammenhängen. Störend ist in diesem
Zusammenhang das Phänomen, dass die trainierten Notfallsituationen, wo Widerspruch
und Diskussionen fehl am Platz sind, sich in „Normalsituationen“ mit hohem
Arbeitsaufkommen oder gar im Alltag zu legitimieren scheinen.

Stress gilt als Spannungszustand, welcher unterschiedliche Auslöser hat und mit dem das
Individuum in unterschiedlichster Art und Weise umgeht. Müdigkeit sowie lange und
fordernde Dienste tragen zum unterschiedlichen Stressempfinden bei. Stress entstünde
aber auch aufgrund fehlender oder unzureichender Informationsweitergabe. Stress bewirke

313
dann, dass Betroffene aneinander vorbeireden, was nicht zu einer konstruktiven und
gelungenen Kommunikation beträgt. Als Lösungsansätze oder vielversprechende
Annahmen werden auch folgende Aspekte genannt, dass im Stress Kompetenzen sichtbar
werden würden und eine strukturelle Organisation gepaart mit einem adäquaten
Führungsstil hilfreich wäre. Zudem wäre noch die Selbstreflexion und gelebte Toleranz
hilfreich, um mit Stress und Kommunikation umzugehen.

Als Stressfaktor wird auch der Dokumentationsaufwand beschrieben. Das sind


Aufgabenbereiche, die als Tätigkeiten im Rahmen des pflegerischen und organisatorischen
Aufwandes anfallen. Die Dokumentationspflicht wurde zwar nicht von heute auf morgen
eingeführt, führe aber immer wieder zu Schwierigkeiten, entweder aufgrund von
Unsicherheiten in Bezug auf die Computertechnik oder hinsichtlich der Dokumentationsart,
die von Pflegefachkraft zu Pflegefachkraft unterschiedlich in Struktur, Klarheit und Kürze
sei. Festgestellt kann werden, dass Computerarbeit nicht dem Idealbild von pflegerischen
Tätigkeiten entspricht, was wiederum zu Widerständen bei Pflegefachkräften führt, vor
allem bei denen, die auch Zeiten mit weniger oder anderem Dokumentationsaufwand
kennen bzw. mit der digitalen Welt nicht in dem Ausmaß vertraut sind. Ein steigender
Dokumentationsaufwand bedeutet nicht nur eine direkte Zusatzbelastung, sondern auch
eine indirekte Belastung durch Veränderung. Begründet darin, dass Menschen in
Veränderungsprozessen einer hohen Unsicherheit ausgesetzt sind, die sie vorerst in
Alarmbereitschaft verfallen lässt und sich danach entweder in Aggression oder Depression
zeigt, bevor Akzeptanz eintritt und neue Handlungswege beschritten werden, die wieder zur
Routine führen. Dieser Prozess dauert bei jedem Menschen unterschiedlich lange. Dazu
benötigt die Gruppe unter anderem analytische Fähigkeiten und folglich zielorientierte und
gruppenerhaltende Funktionen, die den Veränderungsprozess begleiten.

Als stressauslösend werden zudem die geringen Anwesenheitszeiten der Ärzte


empfunden. Hinzu komme, dass bei Umverteilungen der Tätigkeiten von Ärzten an die
Pflege der Eindruck aus Sicht der Pflege entstünde, dass Ärzte weniger zu tun hätten. Diese
Umverteilung – nach wie vor auf Anordnung hin – entspricht gesamt betrachtet einem
Delegationsprinzip und keinem Substitutionsprinzip. Eine Umverteilung der Aufgaben
bedeutet für die Pflege dann tatsächlich, dass sie ein Übermaß an Tätigkeiten erfüllen muss
und in einen Überforderungszustand gerät. Der Druck entsteht einerseits im
Arbeitsaufkommen, aber auch in verschärfenden Gedanken sowie in der
Mehrfachbelastung, die auszuführenden Tätigkeiten qualitätsvoll durchzuführen. Dies ruft
nicht nur Stress hervor, sondern auch Ärger und dieser wirkt sich psychisch und folglich
auch physisch aus, da in der Ärgerspirale die Opferhaltung mehr und mehr zunimmt und
damit auch ein bewältigbares Pensum schon gedanklich nicht machbar erscheint

314
(Bewertung von stressauslösenden Situationen). Zudem entsteht eine mögliche
selbsterfüllende Prophezeiung, wo eine Erwartung oder ein Verhalten auch vom eigenen
Verhalten beeinflusst wird. Die Beziehungsebene wird instabil und eine konstruktive
Handlungsorientierung schwindet.

Als Stressfaktor werde auch das Wiederholen von bestimmten Fakten, die grundsätzlich
Selbstverständlichkeiten darstellen, genannt. Das hängt einerseits mit Fachkompetenz,
Auffassungsgabe und Hol- und Bringschuld zusammen und damit, inwieweit in einer
Organisation Wissensüberprüfung stattfindet bzw. der Informationsfluss gestaltet ist. Ziel
von Gruppen im Krankenhaus ist es, Patienten zu behandeln. Unter dem Aspekt, dass
dieses Ziel eine Notwendigkeit ist, kann es stressauslösend für die Gruppe werden, wenn
sie sich zusätzlich in einem hohen Ausmaß den individuellen Gruppenfunktionen einzelner
Mitglieder widmen muss – für den Ausgleich braucht sie starke gruppenerhaltende und
analytische Funktionen, bestenfalls in Form der Führungskraft. Zudem kommt hinzu, dass
jede Veränderung in Gruppen eine Veränderung des Interaktionsmusters bedeutet. Auf
einer Station kann das durch unterschiedliche Dienstzeiten oder Veränderung in der
Zusammensetzung entstehen. Damit ändern sich beispielsweise bei zehn Personen durch
den Wegfall oder Austausch einer Person neun Beziehungen. Es treten Verluste in Form
von Information und Beziehungsarbeit auf. Überdies wechselt die Gruppenkonstellation
ohnehin täglich mehr oder weniger durch die unterschiedlichen Dienste.

Andererseits werde vermutet, dass der Faktor Zeit als eine Ausrede gesehen werde, um
Kommunikation zu vermeiden. Auch das „vorsorgliche Jammern“ scheint eine Pflicht statt
eine Kür zu sein. Resultierend die Folgerung: „Wer zugibt, er hat Zeit, muss Arbeiten
übernehmen.“ Hier ergibt es Sinn, zwischen der qualitativen Arbeitsbelastung und der
sogenannten „objektiven“ Arbeitsbelastung, die aus dem Leistungsumfang abgeleitet
werden kann, zu unterscheiden. Wobei man nach Krainz hier der „Organisationslogik“ folgt
und über Zahlen steuert. Bei steigendem Leistungsanspruch soll gleiche Qualität erbracht
werden; es entsteht Leistungsdruck. Hält dem jemand nicht stand, entspricht er den
Anforderungen einfach nicht.801 Daher kann mit geeigneten Instrumenten wie der
Supervision sowohl der Belastungspegel als auch die qualitative Seite ergründet werden,
um zu erfahren, ob das „vorsorgliche Jammern“ begründet ist oder nicht. Das Jammern ist
auch Kennzeichen des bedürftig-abhängigen Kommunikationsstils (siehe dazu Abschnitt
3.2.3.). Es ist zwischen dem Jammern aus Überforderung und dem bewussten und
gelegentlichen Jammern als Entlastung zu unterscheiden.

801 Vgl. Krainz 2011: 117

315
Die Kommunikation unter Stress sei erlernbar. „Das kann man sicher lernen. Es ist halt ein
langwieriger Prozess. Man kann an sich selber arbeiten und schauen, dass man ja nicht in
dieses Muster hinein verfällt.“802 Wobei eine Früherkennung bei sich und anderen als
hilfreich erscheine, womit die Folgen, nämlich einen Konflikt zu erzeugen, vermieden
werden können. In Stresssituationen werden auch unpassende und wenig konstruktive
Wortmeldungen laut. Die Kommunikationsgewohnheiten hätten mit zunehmenden
Stresslevel eine negative Tendenz in Bezug auf die Umgangsformen, die von
Ausfälligkeiten bis hin zur Denunzierung reichen würden. Grundsätzlich bestehe der
Wunsch, Gespräche auszulagern – beispielsweise einen gesonderten Termin zu
vereinbaren, wenn etwas auszudiskutieren sei. Prinzipiell eine logische Abfolge. Einerseits
ist das der Konfliktbewältigung insofern zuträglich, als dass die Sachebene eher erreicht
wird, birgt aber andererseits die Gefahr, dass bei Nichtfixierung des Gespräches dessen
Relevanz verloren geht.

Wie in den Kapiteln der Kommunikationsstile und Praxis der Gruppendynamik angeführt ist
das Erkennen von bestimmten Mustern hilfreich, um Situationen und sich selbst zu
reflektieren. Geeignet erscheint dazu die Trainingsgruppe, wo die Selbsterkenntnis im
Vordergrund steht und wo im Dialog der Weg zum Ich führt.

Dem Stress mit Humor zu begegnen, werde als eine Bewältigungsstrategie angeführt, um
dem Stressalltag besser begegnen zu können. „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass
uns der Kragen platzt.“803 Humor bzw. Lachen ist eine Möglichkeit, „eine gemeinsam
positive Grundstimmung herzustellen.“804 Dem Stress mit Humor zu begegnen und eigene
Muster in Stresssituationen kennenzulernen, sind Strategien, die dem eigenen und
übergreifenden Kommunikationsverhalten zuträglich gemacht werden können.

Unter Stress schüttet der Körper das Hormon Kortisol aus, welches Wirkung auf den
gesamten Körper hat. Ein chronisch erhöhter Kortisolspiegel beeinflusst die Gesundheit
negativ. Es treten beispielsweise verringerte Immunfunktion, kardiovaskuläre Störungen
uvm. auf, wenn dem Stress nicht entgegengewirkt werden kann. Dazu gehören als Auslöser
körperliche Überanstrengung, aber auch destruktives Kommunikationsverhalten wie
Geringschätzung und Beleidigungen, aus welchem wieder Angst und Unsicherheit
folgen805, daher sind auch Führungskräfte angehalten, Stress bei sich und anderen zu

802 IP 15, Z 37-38


803 Schwarz 2008: 13
804 Schwarz 2008: 88
805 Vgl. Goleman 2008: 333-340

316
erkennen. Ebenso gilt das für das Individuum und die Organisation, welche geeignete
Maßnahmen zur Verfügung stellen kann.

7.3.3. Akademisierungsprozess der Pflege


Der Akademisierungsprozess der Pflege hat Auswirkungen auf das Miteinander im
Krankenhausalltag. In welchem Ausmaß zeigt die nachfolgende Interpretation. Beleuchtet
wird auch die von der Pflege angegebene Notwendigkeit der Akademisierung, die
möglichen Veränderungen, die sich daraus ergeben und wie die Medizin den
Akademisierungsprozess wahrnimmt.

Der Pflege bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten, eine akademische Laufbahn zu


absolvieren. 2018 wird in Kärnten (in anderen Bundesländern ist die Umstellung bereits
vollzogen) die Ausbildung der diplomierten Krankenpflege, die vormals in Schulen für
Gesundheits- und Krankenpflege untergebracht war, in den tertiären Bildungssektor
übergeführt. Die Studienzeit beläuft sich auf sechs Semester und geht mit einem Abschluss
der Bachelor of Science in Health Studies (BSc bzw. Bachelor in Science of Nursing – kurz
BScN) und zu bezahlenden Studiengebühren einher. Die anderen Möglichkeiten sind
Studienzweige wie Pflegewissenschaften und/oder Gesundheitsmanagement. Für das
Forschungsvorhaben gilt, dass es zum Forschungszeitpunkt der Befragung und der
Rückkoppelungen Mitarbeiter in der Pflege gegeben hat, die beispielsweise Gesundheits-
und Pflegemanagement studiert oder eine Weiterbildung im basalen und mittleren
Management absolviert haben.

Für den Krankenhausalltag verspreche sich die Pflege durch die Akademisierung eine
Professionalisierung und in der Folge eine Profilierung (Gedanke der Anhebung des
Pflegestandes), gekoppelt mit erhoffter Wertschätzung ihrem Tun gegenüber, was durch
den Wissenserwerb belegbarer umgesetzt werden könnte. Zudem würde mehr Motivation
und Ambition für Pflegefachkräfte entstehen. Die Frage bleibt offen, ob es sich hier nicht
um einerseits geforderte Ausbildungsvorgaben handelt (bestimmte Hierarchien in der
Pflege sind per Gesetz definiert, in einem bestimmten Zeitraum eine Weiterbildung zu
absolvieren) oder um den eigenen Selbstwert zu steigern, denn die Studienzweige (bzw.
der Umstieg auf den tertiären Sektor) vertiefen nicht zwingend das auch bereits vormals
erworbene Fachwissen, sondern intensivieren „evidence based nursing“ und die daraus
resultierenden Forschungsfähigkeiten. Diese müssen sich im Alltag auch als solche
platzieren. Eine Website der Fachhochschule St. Pölten verspricht mit folgenden Worten
die Zukunftsperspektive der diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege: „Künftige
Versorgungsstrukturen eröffnen den Pflegepersonen vermehrte Handlungsautonomie und

317
es werden neue Handlungsfelder entstehen. Der Bachelor Studiengang nimmt darauf
Bezug und stärkt das professionelle und eigenverantwortliche Handeln der Absolventinnen
und Absolventen.“806 Auf den anderen Websites der Fachhochschulen Österreichs finden
sich Formulierungen, welche die Pflege vor Akademisierung als „Kochbuchpflege“
beschreiben. Jetzt solle zum evidenzbasierten Arbeiten übergeleitet werden.

Ärzte „sträuben“ sich gegen den Akademisierungsprozess der Pflege, denn es käme dann
erst recht zu Überschreitungen der Kompetenzen in der Pflege und der Verantwortungs-
und Wirkungsbereiche. Damit komme es wiederum zu Unstimmigkeiten in der
medizinischen Anordnung und pflegerischen Durchführung bzw. Umsetzung. Zudem werde
seitens der Medizin angegeben, dass vermutet wird, dass die Akademisierung deshalb
stattfinde, da die Pflege denke, sie wäre den Ärzten nicht gut genug. Eine Akademisierung
der Pflege stellt durchaus eine Veränderung dar, allerdings bleibt es fraglich, inwieweit die
Pflegeforschung dem medizinischen Behandlungsprozess zuträglich gemacht werden
kann. Die bisherige Zusammenarbeit muss an dieser Stelle erheblich zugunsten der
Kooperation und gesetzlichen Lage überdacht werden.

Trotzdem, dass es einen existenten und nicht unbedingt existenten Wunsch nach einer
verbesserten Zusammenarbeit gibt, wird es stets einen Unterschied zwischen den
Professionen geben, solange sich das Gesetz nicht ändert oder organisationale
Überlegungen stattfinden, in denen der Kooperationsgedanke intensiver gelebt wird. Es
bleibt eine Frage der Anordnungs- und Durchführungsverantwortung. Ideen aus der
Schweiz, gemeinsame Entscheidungsforen zu schaffen, sind bis dato stets Pilotprojekte mit
positivem Feedback. So auch eine amerikanische Studie nach Zwarenstein und Byrant aus
dem Jahr 2000, welche bestätigt, dass die vermehrte Zusammenarbeit von Medizin und
Pflege eine Verbesserung für Patienten und Management bedeutet.807

Zum Zeitpunkt der Forschung galt noch das GuKG von 1997 und die neue Berufsgruppe
der Pflegefachassistenz gab es noch nicht. Zukünftig werden im Krankenhaus die
diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege, die die Ausbildung mit einem Diplom zur
Gesundheits- und Krankenpflege abgeschlossen hat, die Bachelor Nurse, die ihren
Abschluss über den tertiären Bildungsbereich einer Fachhochschule erlangt hat, die
Pflegefachassistenz und die Pflegeassistenz nebeneinander und miteinander arbeiten. Die
Veränderungen durch die Akademisierung werden sich erst in Zukunft im gesamten Ablauf
des Krankenhauses ergeben. Insgesamt hängt die Veränderung auch damit zusammen,
dass sich durch Ausbildungsänderungen Gruppenstandards -und Normen ändern,

806 www.fhstp.ac.at
807 Vgl. Zwarenstein, Byrant 2009: o.S.

318
beispielsweise wirkt sich die Zusatzausbildung eines Gruppenmitgliedes auf andere
Gruppenmitglieder aus. Eine Veränderung tritt ein und bringt das Gruppengefüge
durcheinander und das irritiert die Gruppe, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hat.
Mit der neuen Berufsgruppe schafft sich die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege
eine Berufsgruppe, die Anordnungen von der Pflege und Ärzten erhalten wird.
Pflegefachkräfte werden allerdings auch mehr zu Anordnern (vormals galt die Regelung für
die Pflegehelfer) und werden medizinische Tätigkeiten als sogenannte
Funktionsschwestern übernehmen müssen und selbst mit mehr Verantwortung betraut
werden in nach wie vor existierender Abhängigkeit den Ärzten gegenüber. Diese
Entwicklung könnte dazu führen, dass es in Zukunft wenige diplomierte Pflegefachkräfte
bzw. Bachelor Nurses auf den Abteilungen geben wird, aber vermehrt
Pflegefachassistenten. Das weckt im ersten Augenblick den Gedankengang, dass die
Mediziner wieder die Schwestern in der Zusammenarbeit haben, die dem Idealbild
entsprechen. Andererseits kann es durchaus möglich sein, dass es Master- und PhD-
Studiengänge geben wird, die vereinzelt autonom bestimmte Tätigkeiten und Anordnungen
durchführen werden dürfen und sogenannte Funktionen eigenständig übernehmen werden.
Und diese Veränderung hat Auswirkungen auf die Individuen, die Gruppe, die Organisation
und Hierarchieformen, auf die Patienten. Es werden sich Veränderungen ergeben, die auch
die Gesamtgesellschaft erkennen muss.

Vorstellung einer gelungenen Kommunikation

Abschließend wird das Thema „Vorstellung einer gelungenen Kommunikation zwischen


den Berufsgruppen“ dargestellt. Die Mitarbeiter gehen davon aus, dass diese vielfach
zutrifft und auch gelebt wird. Zudem wird noch angeführt, welchen Stellenwert Schulungen
haben und welche Erwartungen an eine Teilnahme an Schulungen gerichtet werden und
im Speziellen, was die Erlernbarkeit sozialer Kompetenzen betrifft.

„En gros ist die Kommunikation gut, im Detail natürlich nicht.“808

Aufrichtigkeit, Respekt, Akzeptanz für die unterschiedlichen Berufsgruppen, Wertschätzung


und einen angemessenen Umgangston werden als positive Faktoren für eine gelungene
Kommunikation genannt. Weitere zentrale Punkte sind den Ergebnissen zufolge
gegenseitiges Vertrauen, Ehrlichkeit und Offenheit und die Wahrung dieser auch im

808 IP 15, Z 14

319
Umgang mit Fehlern. Zudem führe eine geringe Größe einer Organisation zu einer
Erleichterung der gesamten Kommunikationsprozesse.

Werden die Ansätze aus dem Abschnitt „Kommunikation als Gegenstand der Wissenschaft“
(Abschnitt 3.2.) berücksichtigt, so kann davon ausgegangen werden, dass alle genannten
Faktoren zu einer gelungenen Kommunikation beitragen. Doch wo liegen die Faktoren, die
das Zusammenspiel „verderben“? Und was heißt es wirklich, gelungen zu kommunizieren?
Sie wurden in den vorangestellten Kapiteln nun zur Genüge angeführt. Eine gelungene
Kommunikation stellt sich dann ein, wenn „[…] es den Kommunikationspartnern gelingt,
ihre Situationsdefinitionen, ihre Vorstellungen von der Kommunikationssituation
aufeinander abstimmen zu können und […] wenn sich zwei Kommunikationspartner
verstanden haben und […] durch ihr Sprechen und Zuhören eine ihnen genehme
Wirklichkeit konstruieren.“809 Und zudem soll der soziale und psychische Prozess des
gegenseitigen Verstehens eintreten, wobei Verstehen heißen soll, „[…] einen, wenn auch
nur partiellen, Einblick in die Gedanken und die Gefühlswelt des anderen zu erhalten, seine
Handlungsgründe nachzuvollziehen und Aufschluss über seine Wertvorstellungen zu
erhalten.“810 Aufgrund dessen ergibt sich eine komplexe Situation. In kurzen und formellen
Einheiten sollen alle oben genannten Aspekte berücksichtigt werden, um die
angesprochene „genehme Wirklichkeit“ inklusive des gegenseitigen Verstehens zu
erreichen. Das ergibt grundsätzlich eine heraufordernde Situations- und Alltagskomplexität,
wobei die Größe einer Organisation nur insofern einen erleichternden Faktor darstellt, da
die Wege der Kommunikation kürzer sind, die Erreichbarkeit besser gegeben ist und damit
ein Austausch schnell erfolgen kann. Damit stellt die Größe der Organisation einen Faktor
dar, der den Komplexitätsgrad mit zunehmender Organisationsgröße potenziert, allerdings
hat sie wenig Einfluss, ob die stattfindende Kommunikation gelingt oder nicht.

Werden Sach- und Beziehungsebene miteinander vermischt, ergeben sich


Herausforderungen, Missverständnisse und Konflikte im Rahmen der
Kommunikationskette. Das WIE in der Kommunikation beeinflusst die Beziehung zwischen
den Kommunikationspartnern. Werden Unklarheiten, Missverständnisse oder Konflikte auf
der jeweils falschen Ebene (sachlich-emotional-strukturell) ausgetragen, führen diese zu
keinem klärenden Ergebnis, welches die Gesprächspartner zufriedenstellt, denn nach
Schwarz ist Kommunikation nicht nur Informationsweitergabe, sondern enthält auch das
Wesen der gegenseitigen Einflussnahme.811 Sprache in Organisationen ist ein zu

809 Frindte 2001: 52


810 Rosemann, Kerres 1986: 151
811 Vgl. Schwarz 2007: 33

320
berücksichtigender Aspekt. Sprach- und Verständigungsprobleme entstehen überall dort,
wo Überblickswissen entstehen soll und eine Kooperationsleistung erbracht werden muss
(der Patient ist im Überblick zu behalten). Organisation beruht auf dem Hierarchieprinzip,
allerdings zählt die Arbeit am Patienten zu einer Organisationsleistung, die keiner reinen
buttom-up bzw. top-down Kommunikation entspricht, sondern einer Querkommunikation,
die für die Behandlung notwendig ist. Pflege und Medizin haben zum Teil eine
unterschiedliche Fachsprache, entstammen unterschiedlicher Sozialisation (bestimmte
Berufsgruppen, Milieus bringen unterschiedliche sprachliche Aspekte hervor) und
unterschiedlichen Disziplinen der Wissenschaft. Der Kontext bestimmt die Wahl der
sprachlichen Mittel, die mitunter unfreiwillige Züge mit sich bringt (z.B. das
Delegationsprinzip hat gesetzliche, organisatorische und sprachliche Folgen). Die
Bedürfnisse der Individuen sind nicht deckungsgleich mit den Bedürfnissen bzw. Zielen der
Organisation, woraus sich unweigerlich Frustrationen und Konflikte ergeben.812

Abhängig davon komme es darauf an, wer mit wem kommuniziert. Es gäbe Mitarbeiter, bei
denen gehe es locker, dann gäbe es in sich gekehrte, die einfach nicht kommunizieren
könnten. Denen könne man Kommunikationstrainings anbieten, wie man möchte, die
würden es nicht erlernen. Dazu geben Hinsch und Wittmann unterschiedliche Faktoren an,
die eine Interaktion erschweren. Beispielsweise gelingt es nicht jedem gegenüber, die
eigenen Interessen durchzusetzen, es gibt Situationen, die zu Wut und in Folge zu
aggressivem Auftreten führen, andere wiederum sind so rücksichtsvoll, dass sie die Realität
beschönigen und/oder in ihrer Kommunikation nicht in der Lage sind, ihre Anliegen so
vorzubringen, dass überhaupt eine Kommunikation entsteht.813 Andererseits treten hier
gruppendynamische Motive wie Attraktivität und Vertrauen auf. Wer erscheint jemandem
so attraktiv, beispielsweise durch Wissen, Fähigkeiten, Kompetenzen oder auch durch
Äußeres, dass es ihm wichtig genug erscheint, in Kommunikation zu treten bzw. wie
intensiv ist die Kommunikation beim Fehlen von Attraktivität und Vertrauen? Im
Krankenhausalltag entstehen Situationen, in denen miteinander kommuniziert werden
muss. Solche sind geprägt von reiner Informationsweitergabe – ohne echte Versuche des
Verstehens der anderen Lebenswelt (Handlungsgründe und Wertvorstellungen siehe Zitat
oben). Die Kommunikation wird per Gesetz als Kernkompetenz lt. GuKG §14 (2) formuliert.
„Die pflegerischen Kernkompetenzen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und
Krankenpflege umfassen im Rahmen der Gesundheits- und Krankenpflege insbesondere
[…] theorie- und konzeptgeleitete Gesprächsführung und Kommunikation.“814 In der Realität

812 Vgl. Krainz 2009: 31-36


813 Vgl. Hinsch, Wittmann 2010: 2
814 Bundesgesetzblatt 2016: §14(2)

321
wird die Gesetzeslage keinen Einfluss auf eine gelungene Kommunikation haben. In der
Pflege sei allerdings zu beobachten, dass sie mehr Kommunikationsschulungen im
Gegensatz zu den Ärzten besuchen und sich auch mehr dafür interessieren würden.
Nichtsdestotrotz gelänge es ihnen nicht, die notwendige Durchsetzungskraft gegenüber
den Ärzten aufzubringen.

Kommunikation ist erlernbar und setzt keine Begabung darin voraus815, aber die Ausrede,
es der persönlichen Begabung zuzuschreiben, erscheint bequemer. Nach Krainz besteht in
Bezug auf soziale Kompetenzen ein Unterschied zwischen dem Können und dem Wollen.
Es ist die Eigendynamik, die eine konfliktreiche Kommunikation mit sich bringt und die im
eskalierenden Moment nicht nach den erlernten Kommunikationsmethoden fragt. Das
bedeutet, dass die Destruktivität von konfliktbehafteter Kommunikation anzuerkennen ist,
um damit umgehen zu können. Da jede Person mit der eigenen Persönlichkeit auf
Situationenen Einfluss nimmt, ist die Klärung mit dem eigenen Selbst unumgänglich und
die begrenzte Erlernbarkeit doch für so manchen gegeben bzw. werden übergeordnete
Einschätzungsmodi benötigt, um soziale Kompetenz bestätigen zu können.816 Folgernd ist
es für Schulungsmaßnahmen erforderlich, dass Selbstklärung darin gefördert wird. Das
erscheint auch für Bildungsmaßnahmen in Organisationen interessant, um diese bewusst
auf das Thema Selbstklärung und gegenseitige Wirkung auszurichten. Zudem ist jemand
dann kommunikativ kompetent, wenn er weiß, welche Basisfähigkeiten er in der
Kommunikation wann und wie einzusetzen hat. Dazu ist nach Krainz und Paul-Horn zu
konstatieren, dass ein mitgebrachter Ansatz oder ein Modell eingebracht in Trainings und
Schulungen ein „Ansatz“ ist und bleibt, der den Teilnehmern erklärt wird. Des Weiteren
müssen diese an ihm Gefallen finden und der Ansatz muss allenfalls „nur“ mehr angesetzt
(eingesetzt) werden. Daher kann angezweifelt werden, dass dies zu einer Veränderung
führt bzw. die „reflexive Selbstdistanz“ vorantreibt. Bestenfalls entsteht eine andere, neue
Handlungsfähigkeit für die Teilnehmer, die bedingt eine Änderung hervorruft. Soll die
reflexive Selbstdistanz gefördert werden, so steht Trainern und Beratern das nicht zu
unterschätzende Mittel der Sprache zur Verfügung. Dafür müssen auch sie ein Gefühl
entwickeln, um die „treffenden Worte“ zu finden, nämlich was und wie etwas gesagt wird.
Der Einsatz von Metaphern ist in diesem Kontext nutzbringend, da eine „kollektive
Gefühlslage“ angesprochen werden kann und der Denkraum erweitert wird, um den
Prozess anzuregen. Zudem ist es bedeutsam, die zwei Formen der Einflussnahme in

815 Vgl. Emmerling 2015: 3


816 Vgl. Krainz 1998: 309-329

322
organisationalen Veränderungsprozessen zu unterscheiden. Es ist die „soziale Architektur“,
in der entschieden wird, wann, wer mit welchen Themen zusammenkommt.817

Es wird vermutet, dass von den beiden Berufsgruppen die Pflege mehr
Kommunikationsschulungen absolviere. Weiters wird vermutet, dass es die Pflege sei, die
sich im Bereich Kommunikation mehr entwickeln wolle und dass dies in ihrer
Fortbildungsverpflichtung begründet liege. Sie gehen damit der berufseigenen Forderung
nach, es solle mehr Wissen über Kommunikation geben, was eine andere Art der
Kommunikation ergeben würde. Pflegefachkräfte sind der Meinung, dass jeder aus einer
Schulung etwas „Positives“ entnehmen könne. Der Wunsch bestehe, die Verankerung von
Kommunikation in den Ausbildungen zu forcieren. Das Wissen rund um Kommunikation sei
hilfreich und wichtig, interessant und nützlich, da in Konflikten mehr der Sache gedient sei
und das gegenseitige Verständnis gefördert werden könne. Dem gegenüber stehen
Aussagen, dass einzelne Personen davon ausgehen, keinen Gebrauch von Schulungen zu
machen, da sie keine Defizite bei sich empfinden würden. Auch sei das vermittelte Wissen
in Schulungen nicht anwendbar. Werden die Curricula der Pflege geprüft, sind die Stunden
zum Thema Kommunikation integriert, auch im Studium der Mediziner gibt es Module zur
sozialen Kompetenz. Daher stellt sich die Frage (wie bereits oben angeführt), wie das
Wissen vermittelt werden muss, um den Theorie-Praxis-Transfer zu gewährleisten und
Selbsterfahrung so anzuregen, dass es im Alltag die gewünschte Wirkung zeigt. Wobei
Schulungsmaßnahmen lediglich einen Teil der Organisations- und
Persönlichkeitsentwicklung ausmachen. Die Frage nach dem Selbst- und Fremdbild und
der zugeschriebenen Wertigkeit, was für den Einzelnen (Arbeits-)Beziehung am
Arbeitsplatz bedeutet, ist für Interaktionen zu klären. Das Absolvieren von Schulungen und
Trainings im Rahmen der Kommunikation werde dann als sinnvoll erachtet, wenn die
teilnehmenden Personen auch offen für das Thema und die Inhalte nicht zu theorielastig
seien.

Als nützlich werde empfunden, dass Mitarbeiter eines Unternehmens dieselbe Sprache
sprechen sollten. Wie genau dieselbe Sprache gesprochen werden soll, geht allerdings
nicht hervor. „Sprache ist Abbild bestehender Verhältnisse.“818 Das Gesprochene ist oft
nicht gleichbedeutend mit dem Gemeinten, trägt aber zur Klärung und zum Verständnis von
Verhältnissen bei. Der Kontext, in dem Sprache stattfindet, ist sogar so beachtlich, dass
das Milieu vorgibt, wie zu sprechen ist. Sprache wird als Werkzeug verwendet, ist also

817 Vgl. Krainz, Paul-Horn 2009: 26-27; 22; 30


818 Krainz 2009: 31

323
„Mittel-zum-Zweck“.819 Auch die Milieus der Berufsgruppen determinieren ihre Sprache und
damit die Gesamtkommunikation, was bedeutet, dass die beiden Berufsgruppen nicht die
gleiche Sprache bzw. nur annähernd die gleiche Sprache sprechen, was einen
grundsätzlichen Unterschied mit sich bringt.

Dieser Unterschied ergibt sich bereits aus der Grundausbildung und Sozialisation der
beiden Berufsgruppen und wird verstärkt durch unterschiedliche Präferenzen in der
jeweiligen Fortbildungsverpflichtung. Für Angehörige der diplomierten Pflegefachkräfte gibt
es nun einerseits die Fortbildungsverpflichtung, die im §63 GuKG Abschnitt (1) und
Abschnitt (2) formuliert ist und anderseits die Auswahl über die Organisation,
entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um den Bereich Kommunikation,
Gruppendynamik und Konfliktbewältigung zu organisieren. Die Ärzte haben nach dem
Ärztegesetz (ÄrzteG §49) ebenso eine Fortbildungspflicht, allerdings ist diese tendenziell
an den Fachkompetenzen von Ärzten orientiert und größtenteils über die Ärztekammer zu
absolvieren bzw. einzureichen. Der Einfluss von übergeordneten Funktionsstellen, die für
Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen verantwortlich sind, ist an dieser Stelle zu
bedenken, welches Gleichgewicht zwischen fachlichen und sozialen Kompetenzen
hergestellt werden kann.

Wie darüber hinaus Mitarbeiter in Fort- und Weiterbildungsprogramme eingebunden


werden können, wirft eine weitere Frage auf. Es würden lt. einer Studie des
Österreichischen Instituts für Erwachsenenbildung820 aus dem Jahr 2012 beruhend auf
einer vorausgegangenen Studie (2007) unterschiedliche Faktoren in Bezug auf die
Teilnahme von Fort- und Weiterbildungen eine Rolle spielen. Ein wesentlicher
Zusammenhang bestehe zwischen „zu einer Weiterbildung geschickt werden“ und „freiwillig
teilnehmen“ oder es „vorhaben zu wollen“, was die Motivationslage beeinflusst. Des
Weiteren müsse der Inhalt für die Teilnehmer einen praktischen Sinn ergeben. Im weiteren
Sinn bedeutet das für den Ausbildungs- und Organisationskontext, dass es konkrete
Vorhaben dazu geben muss, wie die Motivation zur Steigerung von sozialen Kompetenzen
angehoben und Praxisrelevanz im Inhalt berücksichtigt wird. In diesem Bereich sind folglich
verantwortliche Personen wie Studiengangsleitungen und Organisationsentwickler gefragt,
die Inhalte und Schwerpunkte auf Praxisrelevanz und Motivationssteigerung hin auslegen.
Durch die Tatsache, dass Angehörige der Berufsgruppen verpflichtet sind, an Fortbildungen
teilzunehmen, braucht es Ansätze, welche die Fortbildungsverpflichtung attraktiv machen.

819 Vgl. Krainz 2009: 31-33


820 Vgl. Erler et. al 2012: 7-8

324
Gelungene Kommunikation (und was dazu beiträgt) zu beschreiben, ist komplex,
umfangreich und höchst individualisiert bzw. subjektiv. Kommunikation ist niemals statisch,
sondern dynamisch. Reflexive Prozesse in Form von gruppendynamischen Maßnahmen,
ein geeignetes Organisationskonzept und die Beteiligung der Führungskräfte, die sich für
das gegenseitige Interesse der Berufsgruppen einsetzen, erscheinen notwendig. Darüber
hinaus ist es die Gesetzeslage, die festlegt, in welchem Ausmaß die Berufsgruppen der
Medizin und Pflege Verantwortlichkeiten haben. Solange am „Anordnungs- und
Durchführungsmodus“ gesetzmäßig festgehalten wird, werden sich die organisatorischen
Abläufe nur bedingt ändern können und Unstimmigkeiten, Uneinigkeiten gepaart mit
fehlender Reflexions- und Entscheidungsfähigkeit immer wieder zu einer mehr oder
weniger gelungenen Kommunikation der beiden Berufsgruppen führen. Im Allgemeinen
wird hier mit dem eingehenden Zitat dieses Abschnittes resümiert, dass gegenseitige
Wertschätzung, Respekt und Anerkennung zu einer eher zufriedenstellenden Situation
führen und es mit Sicherheit zutrifft, dass „En gros […] ist die Kommunikation gut, im Detail
natürlich nicht.“821 Wo überall Ansatzpunkte für Verbesserungen liegen, wurde ausreichend
gezeigt. Es ist nun Aufgabe der Organisation, ihre neuralgischen Punkte zu erkennen und
eine wirksame Differenzsetzung durch Organisation von Reflexion 822 anzustreben – mit
welcher Methode, mit welchem Führungsstil, mit welchem Wissen sei den Akteuren
überlassen.

821 IP 15, Z 14
822 Vgl. Krainz 1995: 6

325
8. Zusammenfassende Darstellung

Bevor eine kritische Würdigung und ein Ausblick den Schluss dieser Dissertation bilden,
soll an dieser Stelle ein zusammenfassender Überblick geschaffen und die
Forschungsfrage zur Beantwortung gebracht werden.

Das Forschungsvorhaben umfasst fünfzehn Interviews, die mit Ärzten und diplomierten
Gesundheits- und Krankenpflegefachkräften einer privaten Klinik geführt wurden, und zwei
daraus resultierende Rückkoppelungsveranstaltungen. Die damit verbundenen
Forschungsteilschritte wurden im Zeitraum von 2012 bis 2016 durchgeführt. Das
Forschungsinteresse ist aus der Vorerfahrung der Autorin mit dem gleichzeitigen
Bestreben, einen Forschungsbeitrag zu erstellen, entstanden. Der Prozess wurde von dem
Gedanken begleitet, die Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegefachkräften in einem
Krankenhaus aus unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren.

Im Zuge der theoretischen Aufarbeitung und dem praktischen Zugang werden unter
anderem auch Klischees zur Thematik sichtbar (Welche Zuschreibungen erfahren Ärzte
und Pflegefachkräfte?), die zu erwähnen sind und einer Aufklärung bedürfen. Nicht zuletzt
entstehen durch Medien verklärte Bilder (sowohl romantisch-verklärte als auch
Horrorszenarien) vom Alltag eines Krankenhauses und daraus resultierend fehlendes
Verständnis und falsche Erwartungen. Das wirkt sich unter anderem auf das Verhalten von
Patienten aus, deren (verständlicher) Wunsch es ist, dass Ärzte und Pflegefachkräfte alles
daran setzen müssten, um deren Gesundheitszustand zu verbessern oder ihn
wiederherzustellen. Die Medizin hat zwar erhebliche Fortschritte in Anbetracht des
demographischen Wandels und der zunehmenden Multimorbidität zu verzeichnen, was
aber auch den Eindruck vermittelt, dass „alles heilbar“ ist. Doch weder Ärzte noch
Pflegefachkräfte können die in den Krankenhäusern verfügbaren Ressourcen in einem
unendlichen Ausmaß anwenden und können darüber hinaus in vielen Fällen (und aus
unterschiedlichen Gründen) auch nicht den erwarteten Erfolg herbeiführen. Verantwortliche
und Geldgeber sind gefordert, die Verteilung zu berechnen, Personal wird reduziert und
Ressourcen müssen geschont werden. Arbeitsverdichtung und hohes bzw. komplexes
Patientenaufkommen machen die Gesamtsituation im Krankenhausalltag zu einer
Herausforderung. Im Rahmen der Behandlungs- und Kooperationsprozesse entstehen
zudem ethisch-moralische Situationen oder Fragestellungen, die eine Rolle spielen, das
gemeinsame Tun beeinflussen und Diskussionen notwendig machen.

Das Krankenhaus und die Arbeit am Patienten ist geprägt durch einen arbeitsteiligen
Prozess und die Kommunikation in einer Organisation wird maßgeblich durch das

326
„universale Ordnungsprinzip Hierarchie“823 bestimmt. Die Mitarbeiter bekleiden Funktionen
im hierarchischen Gefüge. Werden Personen ersetzt (durch Abgang, Veränderung,
Pensionierung…), hat das für die Organisation keine unmittelbare Auswirkung, sondern
andere Mitarbeiter bekleiden die vakante Stelle/Funktion. Selbstverständlich ist es wenig
wohltuend und motivierend für den einzelnen Mitarbeiter, auf eine Funktion reduziert zu
werden. Auf Dauer ist eine ständige Neubesetzung allerdings genauso fragwürdig.

Im Forschungsvorhaben wurde das Kommunikationsverhalten zwischen Ärzten und


Pflegefachkräften untersucht, die jeweils in ihrer Eigenlogik und milieuspezifisch
kommunizieren und im Alltag miteinander kooperieren müssen. Die Hierarchie und
Berufszugehörigkeit strukturiert die Beziehungsmuster. Es häufen sich Interaktionen, die
mehr oder weniger gelingen und stattfinden oder nicht stattfinden. Hierbei ist zu
unterscheiden, ob sich Kommunikation auf Informationsweitergabe reduziert oder ob sie
der Vergemeinschaftung dienlich ist. Für die Arbeit gelten beide Bereiche, da
Dienstübergaben und Visiten überwiegend sachlich-formalen Charakter haben und
gleichzeitig dazu die Querkommunikation von Anordnung und Durchführung eine Rolle
spielt und beide formalen Formen der Kommunikation die Beziehungsebene beeinflussen.
Da jede Berufsgruppe zwar ihre eigene hierarchische Struktur hat, aber es durch
Anordnungs- und Durchführungsprinzipien zwischen Medizin und Pflege zu einer
Querkommunikation kommt, die grundsätzlich asymmetrisch ist, wird die formelle und
informelle Kommunikation insofern zu einem bedeutenden Faktor, da die informelle
Kommunikation zur „potenziellen Gegenmacht“824 mutiert, wenn sie formell keinen Platz
findet. Die informelle Kommunikation und die darin enthaltenen Themen sind oft schwerlich
zu identifizieren. Gelingt es dennoch und die heiklen Themen werden besprochen, dann
kann die informelle Kommunikation ihren „ergänzenden und verarbeitenden Charakter“825
einnehmen, für den sie grundsätzlich im Organisationskontext dienlich ist. Der Fokus in
dieser Arbeit ist daher hauptsächlich auf das „WIE“ und welche Faktoren dieses „WIE“ in
der Kommunikation beeinflussen gelegt.

Übergeordnet wurde dazu die Forschungsfrage „Welche Faktoren beeinflussen die


Kommunikation im Krankenhaus zwischen den Berufsgruppen Medizin und Pflege und
welche Auswirkungen haben diese auf die Organisationsentwicklung?“ formuliert und ist
bereits in den Ergebnissen und in der Interpretation einer ausführlichen Beantwortung
unterzogen worden.

823 Krainz 2011: 123


824 Krainz 2011: 131
825 Krainz 2011: 131

327
Werden die Ergebnisse aus der Forschung abschließend abstrahiert und einer
komprimierten Generalisierung zugeführt, kann die aufgestellte Forschungsfrage nun mit
folgenden Betrachtungsweisen zur Beantwortung gebracht werden. Die Einflussfaktoren an
sich zu nennen ist weniger herausfordernd, als die punktuelle Zusammenfassung der
daraus resultierenden Zusammenhänge. Die Ergebnisse sind daher ein Abriss eines
hochkomplexen Interaktionsmusters zwischen Ärzten und Pflegefachkräften, wo Faktoren
wie die Berufssozialisation und der daraus entstandene Habitus, die Organisation und die
darin existierende Hierarchie, die Binnenkommunikation, konfliktauslösende Einzelfaktoren
und damit individuelle und organisationsbedingte Konflikte, die Kommunikationsprozesse
mehr oder weniger stark beeinflussen. Insgesamt funktioniert die Kommunikation zwischen
den Berufsgruppen im ersten Eindruck und im Großen und Ganzen gut und die
Schwierigkeiten oder Herausforderungen liegen in den Details – in den Einflussfaktoren
und deren komplexen Zusammenhängen. Die formelle Kommunikation unterliegt einer
klaren Hierarchie mit verbesserungswürdigen Bestrebungen der einzelnen Berufsgruppen.
Alles, was formell keinen Platz hat, findet auf informeller Ebene seine Entfaltung. Die
Hierarchie funktioniert solange gut, solange die Führungskräfte ihre Funktionen erfüllen,
eine hohe Gruppenzufriedenheit vorherrscht, die eingenommenen Hierarchiestufen von
untergeordneten Mitarbeitern nicht als gefährdet empfunden wird und die Rollen und
Funktionen sowie das Geschlecht und Alter gegenseitige Akzeptanz erfahren. Im
Folgenden sollen nun die zentralsten Aspekte zusammengefasst werden:

Wie entsteht die Wahrnehmung, dass jüngere oder neu eingestellte Ärzte mehr
kommunizieren würden? Dass jüngere oder neu eingestellte Ärzte mehr kommunizieren,
liegt daran, dass bei jungen oder neuen Mitarbeitern im Allgemeinen die Unsicherheit noch
hoch ist und ein (notwendiger) Informationsdrang eine vermehrte Kommunikation fördert
bzw. erfordert. Pflegefachkräfte stellen diesbezüglich für Ärzte eine willkommene
Berufsgruppe dar, ihren Informationsdrang zu stillen, denn die Pflege ist 24 Stunden am
Patienten tätig und verfügt neben einem umfangreichen Erfahrungswissen über einen
ausreichenden Informationsstand rund um Patienten und Handlungsabläufe. Damit
erscheint die Kommunikation bei neuen und tendenziell jüngeren Ärzten
kommunikationsintensiver zu sein und nicht zwingend mit einer neuen Generation zu
korrelieren. Zudem herrscht noch eine geringere Asymmetrie aufgrund des hierarchischen
Ranges vor und damit ist das Nähe-Distanz-Verhältnis mehr am Kontinuum der Nähe zu
verorten und somit auch beispielsweise das „Duzen“ eher erwünscht.

Zwischen den Berufsgruppen herrschen in der Querkommunikation starke


Abhängigkeitsverhältnisse, fehlende Substitutionssysteme und unklare Handlungsabläufe,
weil es Tätigkeitsbereiche gibt, die sowohl Pflegefachkräfte als auch Mediziner durchführen

328
können. Die Mediziner haben nach wie vor die Anordnungsverantwortung, wodurch im
arbeitsteiligen Behandlungsprozess stets ein Ungleichgewicht (Anordnungs- und
Entscheidungsmacht für den Behandlungsprozess) entsteht. Die Umsetzung des
Mitspracherechts der Pflege ist vom jeweiligen Mediziner und der „Einbringungsfreudigkeit“
über den Sachverhalt hinaus abhängig. Das wirkt sich auf die Kommunikationsstile beider
Berufsgruppen mit einer oft herablassenden Kommunikation gegenüber der Pflege seitens
der Mediziner aus. Es ist nicht auszuschließen, dass eine Asymmetrie in umgekehrter
Richtung stattfindet. Hier nicht in herablassender Art und Weise, aber in Form eines
bedürftig-abhängigen Kommunikationsstils, der für die Ärzte beispielsweise im Widerspruch
zum Akademisierungsbestreben steht. Beides im Übermaß ergibt einen konfliktreichen
Kommunikationsprozess.

Ärzte und Pflegefachkräfte übernehmen bestimmte Aufgabenbereiche und Funktionen und


ihre stattfindende oder nicht stattfindende Kommunikation ist beeinflusst durch Hierarchie
und/oder Ausbildungshintergrund. Zudem müssen sich Ärzte und diplomierte Gesundheits-
und Krankenpfleger ihrem Berufsgesetz beugen, welches in einer Einschränkung der
Aufgabenerfüllung (und dem Verbot anderer Aufgaben) mündet und deren Autonomie in
der Arbeitsteilung minimiert (insgesamt ist natürlich jede Berufsgruppe autonom, im
gemeinsamen Behandlungsprozess jedoch nicht). In dieser formellen Zusammenkunft ist
die Kommunikation zudem stark von Sach- und Appellcharakter geprägt und beeinflusst so
die Ausgestaltung der Beziehungsebene. Die Selbstoffenbarungsseite wird in Form von
mehr oder weniger großer Selbstdarstellung verbal und nonverbal mitgeteilt.
Zurückzuführen ist diese auf das Idealbild des jeweiligen Berufsstandes, welches sich aus
Zuschreibungen der beiden Berufsgruppen generiert. Die Zuschreibungen selbst
beeinflussen wiederum den Kommunikationsstil, sodass sich die, in der Theorie
beschriebenen, autoritären und helfenden Kommunikationsstile entwickeln (siehe oben).
Es kommt vor allem dann zu Schwierigkeiten, wenn die folgend angeführten Faktoren
zusätzlich eintreten.

Aus dem berufsbedingten Wechsel zwischen strenger Trennung und Überschneidung von
Aufgaben bzw. Kooperation ergibt sich ein Grundkonflikt, welcher gezwungenermaßen zu
konfliktbeladenen Situationen führt. Selbst die Kooperation verläuft unter dem
Damoklesschwert der Abhängigkeit, die nicht auf Freiwilligkeit beruht (obwohl dies so
aussehen mag). In der Übernahme einer Funktion in der Organisation und dem damit
einhergehenden Verlust von Individualität gewinnt die Beziehungsebene (unterschwellig)
an Bedeutung. Persönliche Sympathien bzw. Antipathien werden ausschlaggebend für das
Gelingen von Kommunikations-, Informations-, Arbeits- und Anordnungsprozessen.

329
Diese (mannigfaltigen) Paarbeziehungen zwischen Ärzten und Pflegefachkräften (es gibt
natürlich noch andere Berufsgruppen) werden ergänzt durch Kommunikation in der
Hierarchie und Kommunikation in den Gruppen (Stationen). Die hierarchische
Kommunikation ist weniger komplex als die Gruppenkommunikation, da mit steigender Zahl
interagierender Personen die Anzahl der Interaktionsbeziehungen exponentiell ansteigt.
Dies erschwert es, die Dynamiken im Blick zu behalten. Mit steigender Hierarchiestufe
zwischen und in den Berufsgruppen wird die Kommunikation leichter, da weniger Personen
miteinander interagieren müssen. Hinzu kommt aber, dass Führungskräfte im Krankenhaus
(aber nicht nur dort) meist mehr Fachkompetenz als Führungskompetenz besitzen. Daraus
ergeben sich mitunter Gruppenkonflikte z.B. aus der mangelnden Bearbeitung von
Differenzen bzw. Thematisierung von Befindlichkeiten des Einzelnen. Gruppen greifen
dann auf informelle Kommunikation als Machtinstrument gegen Hierarchien und
Organisationen (gegen Führungskräfte und eigene/fremde Gruppen) zurück.

Pflegefachkräfte empfinden eine strikte bereits angeführte Trennung der Aufgabenbereiche


zwischen Medizin und Pflege als hilfreich – in dem Glauben klare Strukturen zu schaffen.
Dies ist allerdings im Organisationsablauf nicht möglich, da davon ausgegangen werden
kann, dass medizinische und pflegerische Tätigkeiten einander (aufgrund der
Berufsgesetze) bedingen und die Anordnungs- und Durchführungspflicht nicht aufgehoben
wird. Weder der „pflegerische Mediziner“ noch der „medizinische Pfleger“ als Allrounder,
der zu allem ein wenig befähigt ist, wird es künftig geben. Zurückzuführen ist dies auf die
Ausbildungshintergründe der Berufsgruppen. Auch eine Akademisierung der Pflege wird
diese Trennung nicht aufheben. Bestimmte Konflikte zwischen den Berufsgruppen – vor
allem jene Differenzen im Rahmen der Abhängigkeitsthematik – würden sich durch eine
strikte Trennung der Aufgabenbereiche daher voraussichtlich nicht minimieren lassen.
Diese Abhängigkeiten würden auf eine andere Ebene verschoben werden, da es über die
Behandlung des Patienten stets Berührungspunkte geben muss und wird. Schnittstellen
sind immer neuralgische Punkte, die Konfliktpotential in sich bergen – sowohl auf formeller
Ebene als auch im zwischenmenschlichen Kommunikationsstil. Bei dem Wunsch der
Pflegekräfte nach Trennung handelt es sich deshalb um einen nicht-auflösbaren
Widerspruch (mit der Notwendigkeit von Zusammenarbeit zum Wohle des Patienten), mit
dem das System oder vielmehr die Pflege zu leben lernen muss. Diese Wunschvorstellung
seitens der Pflege ist aber nachvollziehbar, da sich ihre Funktionen und Tätigkeiten im
Behandlungsprozess massiv von denen der Medizin unterscheiden, wobei ihre
Professionalität hoch eingeschätzt werden kann. Trotzdem bleiben sie immer in einem
Abhängigkeitsverhältnis zur Medizin, die ihrerseits keinen Grund für eine veränderte
Strukturierung sieht. Aufgrund der neuen Ausbildungsregelung für Ärzte entsteht ein

330
Mangel an auszubildenden Ärzten (Turnusärzte), die bisher „niedrige“ Tätigkeiten
übernommen haben. Ausgebildete Ärzte wollen diese Tätigkeit nicht übernehmen und
schreiben die Kompetenz hier der Pflege zu - Delegationsprinzip. Bei der Pflege vermehrt
sich so das Arbeitsaufkommen und es wird immer schwerer dieses zu bewältigen
(Dokumentation, pflegerische und stationsübliche Tätigkeiten und zudem Übernahme
medizinischer Tätigkeiten laut Anordnung). Das pflegerische Handeln wird, völlig
unabhängig von der Ausbildung, in absehbarer Zukunft keine Gleichrangigkeit bzw.
Gleichwertigkeit zur Medizin erreichen. Unter Berücksichtigung der
Akademisierungsprozesse ist es womöglich an der Zeit, injunktive Normen gegenseitigen
Respekts und Wertschätzung zu aktivieren, die das gemeinsame Mitwirken und die
Zusammenarbeit aller Beteiligten fördert. Zudem braucht die Umverteilung von Aufgaben
ein echtes Substitutions- und kein Delegationsprinzip.

Wie eine gelungene Kommunikation zwischen den Berufsgruppen gestaltet werden soll, ist
den einzelnen Akteuren wohl mehr oder weniger bekannt. Ein privates Haus ist durch den
sogenannten Hotelcharakter bestrebt, für Patientenzustrom zu sorgen. Daher ist auch –
neben der medizinischen und pflegerischen Kompetenz – die Hotelkomponente ein
Aushängeschild für ein privates Krankenhaus. Eine geforderte besondere Freundlichkeit
und Höflichkeit kann sich allerdings auch auf die Mitarbeiter übertragen und
unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Es ist hier vor allem die Beschönigung von
konfliktbehafteten Situationen mit Konfliktvermeidungscharakter zu nennen.

In der Klinik gibt es eine besondere Funktionsstelle, welche nicht in jedem Krankenhaus
vorkommt und für einen besonderen einflussnehmenden Faktor sorgt. Es handelt sich um
Allgemeinmediziner – die sogenannten Stationsärzte, welche die durchgehende
medizinische Versorgung aufrechterhalten, was nicht zuletzt eine strategisch-
wirtschaftliche Lösung darstellt. Diese Funktion ist in einer (privaten) Klinik eine
Notwendigkeit, da die Ober- bzw. Fach- und Primarärzte nur in Kernzeiten anwesend sind.
Daher bilden die Stationsärzte eine wichtige Schnittstelle zwischen Pflege und Medizin und
sind außerhalb der Kernzeiten für die Patientenversorgung ärztlicherseits zuständig.
Allerdings ist ihr Status umstritten. Geringere Kompetenz, Frustration, fehlende
Karrierechancen und ein unangenehmer Kommunikationsstil werden ihnen zugeschrieben.
Kritisch zu hinterfragen, ist die spürbare und kommunizierte Abwertung der Funktion der
Stationsärzte, die zudem vorwiegend weiblich besetzt ist. Diese Funktion sichert die
durchgehende medizinische Versorgung und wird mit zunehmender Ausübung auch über
Erfahrungswerte geprägt. Daher ist durchaus anzunehmen, dass konfliktbehaftete
Situationen aufgrund der Faktoren Geschlecht, fehlender Kommunikationsstrukturen sowie
durch fehlende Akzeptanz entstehen. Diese Funktion gewinnt einerseits an Bedeutung

331
bezüglich der durchgehenden ärztlichen Versorgung und andererseits Attraktivität, die sich
durch eine allgemeine fachlich-kompetente Expertise zeigen kann und damit zu einem
gelungenen Einvernehmen mit allen Beteiligten führt. Konfliktauslösend ist hier die nach
Krainz beschriebene Abweichung in der Hierarchie – „Bypassing“ genannt. Hier erfolgt das
Phänomen nicht einer Linie nach, aber sobald eine Pflegefachkraft sofort den Facharzt
kontaktiert, übergeht sie in der Querkommunikation den Allgemeinmediziner. Macht sie es
in Absprache mit dem Allgemeinmediziner, nimmt sie dem Allgemeinmediziner die
Verantwortung bzw. den Kommunikationsweg ab. Es kommt zu einer vom Facharzt
wahrgenommenen Unzulänglichkeit bezüglich des Allgemeinmediziners, welche im Alltag
wieder ausgespielt wird. Umgekehrt – informiert oder kontaktiert der Facharzt auf direktem
Wege die Pflege – wird die Ebene der Stationsärzte außen vorgelassen. Dieses Übergehen
führt bei den Allgemeinmedizinern wiederum zu Unmut, der sie in unterschiedlichen
Ausformungen zeigt, wie z.B. inadäquates und wenig motivationales
Kommunikationsverhalten. Beide Situationen führen zu den oben genannten Vorwürfen
und beeinträchtigen die Zusammenarbeit und Kommunikation auf der Beziehungsebene
und ist durchaus konfliktbehaftet.

Ein weiteres strittiges Thema für beide Berufsgruppen ist die Akademisierung der Pflege.
Der Pflege stehen diverse Möglichkeiten zur Akademisierung offen bzw. schließt sich
österreichweit die Lücke zur allgemeinen Akademisierung im Basisausbildungskontext der
diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege. Es ist ein Bestreben nach Professionalität
und Anerkennung. Die Pflege begrüßt die Entwicklung, die Medizin sieht sie ambivalent.
Ob sich die Asymmetrie zwischen dem Ansehen der Berufsgruppen ändern wird (und
kann), ist fraglich, wenngleich das Ansehen von Pflege und Medizin in der
Gesamtgesellschaft letztendlich ähnlich hoch ist, allerdings patientenseitig angenommen
wird, dass die Pflege der Medizin untergeordnet ist. Die Mediziner scheinen bis dato nicht
von der Akademisierung zu profitieren (das könnte an fehlenden Entscheidungsprozessen
liegen), aber sie können definitiv Vorteile aufgrund des Berufsgesetzes, GuKG,
verzeichnen. Dort formulierte Tätigkeitsbereiche, die vormals in ärztlicher Obhut lagen,
können nun von der diplomierten Pflege – nach wie vor unter Anordnung – übernommen
werden. Damit kommt es zwar zur Umverteilung und erhöhtem
Verantwortungsbewusstsein, aber auch zu schwammigen Tätigkeitsbereichen, die
organisationsseitig festgehalten werden müssen. Sobald nämlich die Substitution
gegenüber der Medizin nicht klar geregelt ist, folgt für die Pflege im Alltag nicht nur eine
Arbeitsverdichtung, sondern ebenso eine Förderung konfliktbeladener Situationen.
Unterstellungen und ungerechtfertigte Aussagen, wenn die Pflege die Medizin um
Unterstützung bittet, gefährden die Beziehungsebene, was wiederum Einfluss auf die

332
Sachebene nimmt. Insgesamt beeinflussen Konflikte die Kommunikation in
unterschiedlicher Intensität. Es wurden Konfliktursachen bezüglich der Hierarchie, des
Kommunikationsstils und der Geschlechterthematik identifiziert. Zudem ist die
Geschlechterthematik im Krankenhaus insofern bedeutsam, da die größte Berufsgruppe –
die Pflege – tatsächlich einen sehr hohen Frauenanteil aufweist. Männliche
Pflegefachkräfte bringen nur eine geringfügige Durchmischung mit sich und damit weisen
die reinen Frauengruppen klassische Phänomene von homogenen Frauengruppen auf.
Frauen in der Medizin hingegen klagen über wenig Aufstiegsmöglichkeiten und
Anerkennung bzw. formulieren, dass sie mehr leisten müssten im Gegensatz zu ihren
männlichen Kollegen. Beiderlei beeinflusst die Kommunikation und den Blick der
Gesamtgesellschaft mit teils wenig Reflexionsvermögen.

Stress ist ebenso als ein Faktor anzuführen, der das Kommunikationsverhalten beeinflusst.
In einem Krankenhaus kann es zu jeder Tages- und Nachtzeit sein, dass stressige
Situationen entstehen. Dabei kann es sich um Notfälle, unvorhergesehene Ereignisse oder
ein erhöhtes Arbeitsaufkommen, beispielsweise an Aufnahmetagen (Patienten werden vor
Operationen aufgenommen, wobei das Aufnahmeprocedere einen bestimmten Ablauf
erfordert), handeln. Da das Stressempfinden höchst individuell ist, sind auch die
identifizierten Stressursachen different. Es reicht vom erhöhten
Dokumentationsaufkommen bis hin zum Eindruck wahrgenommener oder tatsächlicher
fehlender Kompetenzen. Die Kommunikation wird in jedem Fall negativ beeinflusst, da
durch die körperliche Erregung das „Reptiliengehirn“ (ältester Teil des Gehirnes) stimuliert
wird. Ob dann die Etikette fällt, bleibt unbeantwortet bzw. ist intra- und folglich interpersonell
unterschiedlich und führt zu einer unbefriedigten Kommunikationssituation. Wie mit dieser
im Nachhinein umgegangen wird, beeinflusst künftige Interaktionen.

Plattformen zum Austausch, um Entscheidungen gemeinsam im Behandlungsprozess


zugunsten der Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit sind eine Möglichkeit, soziale
Prozesse systematisch zu verändern. In Deutschland wurde bereits im Jahr 1999/2000 ein
Projekt mit dem Titel „Interprofessionelle Kommunikation im Krankenhaus – kurz InterKiK“
als Versuch gestartet, im Zuge dessen die ersten Ansätze in Deutschland erprobt wurden.
Wird hier die Jahreszahl 1999/2000 bewusst gemacht, so zeigt sich an dieser Stelle erneut
die Aktualität des Themas. Krankenhäuser müssen sich in der Lage sehen, ihre Abläufe mit
den dazugehörigen Akteuren zu überdenken, diesen den Platz für Emotionales geben, die
Möglichkeit für Balance zwischen Freiheit, Kunst und Reglementierung bieten und darüber
hinaus am Selbst- und Fremdbild arbeiten, um mit verklärten Bildern und Klischees
aufzuräumen. Darüber hinaus ist ihr eigener Beitrag zu Konflikten (organisationsbedingte
Konflikte) zu überdenken.

333
Sucht man nun noch nach einer eindeutigen und kurzen Antwort, so kann und muss
resümiert werden, dass in den Ergebnisbeschreibungen viele Beispiele und Aspekte
gelungener und nicht-gelungener Kommunikation zu finden sind. Auf einer übergeordneten
Ebene muss davon ausgegangen werden, dass Ursachen sowohl in der Individualität der
einzelnen Personen im Zusammenspiel mit Hierarchie und Gruppe liegen als auch
organisationsseitig. Stark beeinflusst wird diese Struktur durch die jeweiligen Berufsgesetze
mit dem vermehrten Delegationsprinzip und die gesamtgesellschaftliche Idealzuschreibung
von Ärzten und Pflegefachkräften. Die Auswirkungen von nicht gelungener Kommunikation
und Kooperation können dann vom einfachen Missverständnis bis zum tragenden
Organisationskonflikt reichen.

Es wird in Zukunft nicht darum gehen, aus der Pflege eine „medizinische Pflege“ zu
machen, aber es wird darum gehen, Aufgabenkomplexe, welche beide Berufsgruppen
betreffen, in den pflegerischen Bereich zu übertragen und damit die Erweiterung des
Kompetenz- und Entscheidungsspielraumes innerhalb der Pflege mit einem geeigneten
Substitutionsprinzip zu fördern. Die Vermutung liegt allerdings leider nahe, dass sich die
Aufgaben der Pflege vermehren werden und zugunsten bzw. aufgrund des Ärztemangels
ärzteseitig eine Aufgabenreduktion erfolgt bei gleichzeitiger bleibender ärztlicher
Gesamtverantwortung. Dieses Ungleichgewicht stellt die wahre kommunikative
Herausforderung dar, die zusätzlich geprägt ist von der Individualität der Ärzte und Pfleger,
die ihren Alltag oft noch – so scheint es – in alter traditioneller Manier bewältigen. Zudem
stehen nun auch neue Berufsgruppen (Pflegefachassistenz) und deren Integration an.

Es gilt zwei Kulturen in einer Organisation zu integrieren und zusammenzuführen. Das ist
nach Krainz und Paul-Horn mit der Frage verbunden, wer sich an wen und woran
anzupassen hat, daher erscheint es eher zweckmäßig, eine „Drittkultur“ zu entwickeln826.
Damit drängt sich auch im Krankenhausalltag die Frage auf, wie die zwei „Sprach- und
Arbeitskulturen“ von Ärzten und Pflegern zu einer neuen, anderen Kultur der
Kommunikation und Zusammenarbeit zusammengeführt werden kann.

Es bedarf wohl eines „Aha-Erlebnisses“ als den Moment der Gestaltschließung, wenn eine
Bezeichnung für das Bezeichnete gefunden werden kann – idealerweise eine „Arzt-Pflege-
Kommunikation“ in dafür vorgesehene formelle Kommunikations- und
Beratungsmöglichkeiten mit überarbeiteten rechtlichen Rahmenbedingungen.

826 Vgl. Krainz, Paul-Horn 2009: 29

334
Es bleibt zu hoffen, dass die Verteidigung der gegenwärtigen Situation im Klinikalltag nicht
Gegenstand der Diskussion bleibt und die doch eher unbeliebte Form der Reflexion
herangezogen wird, um Außen- und Innensicht abzugleichen und Veränderung für das
Gesundheitswesen anzustreben und die Kommunikation und Zusammenarbeit über
Eigenverantwortung, reflexive Distanz und neue Rahmenbedingungen neu auszurichten.

335
9. Kritische Würdigung und Ausblick

Die kritische Würdigung bezieht sich auf den gesamten Prozess und enthält sowohl die
notwendigen kritischen Anmerkungen als auch zum Teil positiv gesehene Teilabschnitte,
die für den Forschungsprozess als durchaus zuträglich gewertet werden dürfen. Im
integrierten Ausblick werden die Möglichkeiten für eine „Anschlussforschung“ aufgezeigt.

Länge des Bearbeitungszeitraumes. Das Thema dieser Dissertation hat nach wie vor seine
Gültigkeit, wenngleich der Zeitraum von der Einreichung des Antrages 2011 um Zulassung
des Themas bis zum Abschluss der Dissertation 2018 sieben Jahre beträgt. Gültigkeit
deshalb, weil das Gesundheitswesen Änderungen und Neuerungen ausgesetzt ist und die
Akteure, die hier im Mittelpunkt der Arbeit stehen (Ärzte und diplomierte Gesundheits- und
Krankenpfleger), in ihrer Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit mehr denn je
gefordert sind.

Akademische Sozialisation der Autorin. Nach dem Einreichen des „Antrages auf
Genehmigung des Themas“ und anschließendem Erhalt des Bescheides waren die
erforderlichen Lehrveranstaltungen und die Orientierung an der Universität im Fokus des
beginnenden Forschungsprozesses. Die Orientierung wurde deshalb notwendig, da die
persönliche akademische Laufbahn nicht auf einer Universität, sondern auf einer
Fachhochschule stattgefunden hatte. Die akademische Ausbildung vollzog sich durchwegs
in berufsbegleitender Form, im Zuge dessen die Lehrveranstaltungen jedes Semester per
Stundenplan inklusive wichtiger Termine für Prüfungen oder Abgabetermine in einem
vorgegebenen Zeitfenster fixiert wurden. Da auch dieser Forschungsprozess neben der
Berufstätigkeit stattfinden musste und mir zu Beginn die fixierten Termine fehlten, wurde
letztendlich die volle Studienzeit beansprucht. Das Fehlen eines regelmäßigen und
reduzierten Arbeitsausmaßes sowie das Vorhandensein zu vieler Zusatzverpflichtungen
kann retrospektiv aus zeitlicher Perspektive beanstandet werden sowie das fehlende
Zeitmanagement.

Forschungsprozess. Dieser Teilabschnitt war insofern herausfordernd, als dass ich die
Interviews stets einzeln terminierte und mir dadurch auch Wartezeiten und längere Pausen
schuf. Es wurden 15 Interviews anhand eines Leitfadens mit Ärzten und diplomierten
Gesundheits- und Krankenpflegern geführt. Verbesserungsmöglichkeiten im Ablauf und der
Ausgestaltung der Interviews wurden jeweils im Nachhinein angestellt. Insgesamt waren
beide Berufsgruppen nach Abschalten des Mikrofons noch an einem weiteren Austausch
interessiert. Dazu machte ich anschließend noch eine zusätzliche Audioaufnahme. Diese
Aufnahmen sind insofern kritisch zu bewerten, als dass ich darin zumeist die Atmosphäre
beschrieb und sich inhaltlich wenig bis kaum Material ergab.

336
Eigene Berührungsängste. Interessant waren im Zuge der Interviews die anfänglichen
Berührungsängste gegenüber den Medizinern, die es mir allerdings in der Interviewsituation
leicht machten, denn die Ärzte erschienen mir im Redefluss ungehindert und hatten auch
aus meiner Sicht keine Hemmungen, aus dem Alltag zu berichten. Meine persönlichen
Berührungsängste dürften wohl daher rühren, dass auch ich das in dieser Arbeit
beschriebene Abhängigkeitsverhältnis und oft herablassende und/oder autoritäre
Kommunizieren von Ärzten kenne. In der Labortätigkeit sind bestimmte Handlungsschritte
arztabhängig. So beispielsweise die Zweitvidierung (Vidierung ist eine Gegenzeichnung)
von Blutkonserven vor Ausgabe. Außerhalb des Routinedienstes haben zum damaligen
Zeitpunkt Anästhesisten die Vidierung übernommen und war auch ihnen vorbehalten
(„Alleinstellungsmerkmal“). Bei bestimmten Ärzten hielt sich die Begeisterung in Grenzen,
wenn sie um drei Uhr morgens oder zu anderen ihnen nicht passend erschienenen
Zeitpunkten und Indikationen, Blutkonserven vidieren mussten. Und nicht selten stellten sie
die Anordnung anderer Ärzte kritisch in Frage bzw. wurde indirekt eine „Rechtfertigung“ für
die Indikation seitens der Laborfachkraft notwendig.

Die Pflegefachkräfte waren weniger herausfordernd. Die Pflegefachkräfte waren


auch in meinem Arbeitsalltag im Labor zumeist die ersten Ansprechpartner und umgekehrt.
Über viele Jahre hinweg baute sich dadurch eine Art des Vertrauens und der Zugehörigkeit
auf (biomedizinische Analytiker gehören als Berufsgruppe dienstrechtlich der Pflege an).
Daher gab es meiner Meinung nach in den Interviews weniger Berührungsängste oder
besser gesagt weniger persönliche Aufregung. Allerdings empfand ich letztendlich die
Interviewsituation oft anstrengender, weil ich vereinzelt den Erzählmodus stärker anregen
musste. Ich vermute, dass deren Erzählbereitschaft an die Denkweise „was-darf-ich-sagen-
und-was-nicht“ gebunden war, bis sie vertrauter mit der Interviewsituation wurden.

Reflexionssetting und Rückkoppelung. Sowohl die ersten Ergebnisse als auch später die
weiteren Arbeitsschritte wurden mit Kollegen aus unterschiedlichen Disziplinen in
Reflexionsschleifen diskutiert und die Hypothesen für die Rückkoppelung gebildet. Ein
Prozess, der stets die eigene Reflexion erforderte und ein Maß an Organisation, die
Settings herzustellen, sofern sie außerhalb der universitären Veranstaltungen stattfanden.
Im Jahr 2014/15 plante ich die Rückkoppelungsveranstaltungen, die ich mithilfe eines
Moderators gestaltete – das erlaubte mir, den Fokus auf die Inhalte zu legen. Insgesamt
wurden zwei Rückkoppelungsschleifen in der Organisation veranstaltet. Die
ausgeschriebenen Einladungen wurden nicht von allen Interviewten (begründet)
angenommen, trotz frühzeitiger Aussendung und Erinnerung per E-Mail.

Persönliche Entwicklung. Der persönliche Entwicklungsprozess wird von mir als intensiv
und nachhaltig eingeschätzt, da sich aufgrund der Forschung auch meine Perspektive auf

337
organisationales Denken und das Verständnis für Handlungsweisen von Medizinern und
Pflegefachkräften im eigenen Berufsumfeld veränderte. Zudem ist es meinem
Tätigkeitsfeld, dem Qualitäts- und Beschwerdemanagement, eine zuträgliche
Wissenserweiterung, die ich mir erarbeiten konnte. Gleichzeitig war es von unschätzbarem
Wert, das Thema des Forschungsprojektes in Arbeitsgruppen bzw. auch im Rahmen der
jährlichen Assessments für Dissertanten und in den Dissertantenseminaren ausreichend zu
reflektieren, da ich berufsbedingt eine „Krankenhausbrille“ trage. Die Diskussionen waren
allerdings herausfordernd und für mich nicht immer sofort umsetzbar.

Themenvielfalt. Die Interpretation ist nach den Hauptaspekten der empirischen Ergebnisse
geordnet. Es wurden die wichtigsten Zusammenhänge erarbeitet und interpretiert.
Anzumerken ist, dass es sich aufgrund der Fülle an Inhalten um einen Versuch handelt, die
gewichtigsten Aspekte herauszuarbeiten und die Zusammenhänge herzustellen. Daher
kann kritisch festgestellt werden, dass durchaus noch andere, künftige Forschungszugänge
diesbezüglich gewinnbringend sind. Die Fülle hat sich bereits durch den Leitfaden für die
Interviews produziert, da dieser die Themen in derartiger Vielfalt vorgegeben hat. Da
erscheint es im Nachhinein erwägenswert, die Fülle von Beginn an gezielter zu steuern.
Letztendlich entspricht es aber der Forschungsfrage, welche Faktoren auf die
Kommunikation und Zusammenarbeit Einfluss nehmen und erscheint mir daher als
gerechtfertigt.

Theorie. Zuletzt wird der theoretische Teil dieser Arbeit kritisch betrachtet. Sollte
Teilabschnitt der Arbeit als umfangreich oder alltäglich erscheinen, so möchte ich
anmerken, dass die Theorie beabsichtigt ausführlich und orientierungsgebend dargestellt
sein soll. Zudem erscheint es für den gesamten „roten Faden“ als erforderlich, einen
fundierten Überblick im Vorfeld zu schaffen, den „Zuschauerraum“ zu öffnen (etymologisch
stammt das Wort Theorie aus dem Griechischen „theatros“ und bedeutet
827
Zuschauerraum ). Zudem ist es die oben genannte Themenvielfalt, die den Umfang
begrüdnet und einen weitreichenden und intensiven Einblick ermöglicht, um die
Zusammenhänge besser darstellen und verstehen zu können.

Wissenschaftssprache. Sollte die Formulierungen als gewöhnlich im Sinne einer gewissen


Einfachheit erscheinen, so kann auch eine durchaus verständliche und einfache Sprache
einen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs leisten.

Ausblick. Das Gesundheitssystem unterliegt einem Wandel. Mit 2016 ist das neue
Pflegegesetz in Kraft getreten und die neue Berufsgruppe, die Pflegefachassistenz, wird

827 Vgl. Krainz, Paul-Horn 2009: 38

338
das Personal der Pflege in den Spitälern und anderen Gesundheitseinrichtungen erweitern.
In Kärnten sollen jetzt mit 2018 die ersten mit einer zweijährigen Ausbildung starten. Die
nun vollzogene Akademisierung der diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege in ihrer
Basisausbildung hat mit dem Jahr 2018 auch in Kärnten Einzug gehalten. Das bedeutet,
dass die Aufgabenverteilung im Krankenhaus und die damit einhergehende Kommunikation
eine Veränderung erfahren und eine Berufsgruppe mit unterschiedlichem
Ausbildungshintergrund (Krankenpflegeschule und Fachhochschule) nebeneinander
arbeiten werden.

Die demographische Entwicklung wird die Tendenz zur Überalterung beibehalten, der
Fortschritt der Medizin wird umfangreicher und die Digitalisierung wird auch in den
Krankenhausalltag integriert und nutzbar gemacht werden. Zusätzlich zu
Veränderungsprozessen belasten Einsparungsmaßnahmen sowie Personalmangel in den
Bereichen Pflege und Medizin den täglichen Ablauf in Krankenhäusern. Wie es mit privaten
Krankenhäusern weitergeht, betrachte ich in zweierlei Hinsicht. Zumen einen wird es künftig
künftig noch Menschen geben, die sich das leisten können und zum anderen wie halten
sich kleine Krankenhäuser, sofern sie nicht eine Spezialisierung erfahren? Wie geht es mit
der Anordnungs- und Durchführungsverantwortung weiter? Wird es Gesetzesänderungen
diesbezüglich geben? Welche Veränderungen ergeben sich organisational und auf
kommunikativer Ebene?

Das Forschungsvorhaben hat gezeigt, dass es viele Themen gibt, welche auf die
Kommunikation Einfluss nehmen bzw. Abhängigkeiten und Dialektik erzeugen. Einen
erneuten Blick in die einzelnen Themen zu werfen und wieder ins Forschungsfeld
„Krankenhausalltag“ zu ziehen, macht daher durchaus Sinn. Interessant wäre dazu eine
Forschungsgruppe, die mit Einzel- oder Gruppeninterviews die Abfrage durch- und
anschließend die Ergebnisse zusammenführt. Ein anderer interessanter Ansatz wäre es
zudem, private und öffentliche Bereiche zu vergleichen. Es ist unschwer zu erkennen, dass
es noch unzählige andere Möglichkeiten im Sinne der Forschung gibt, daher soll an dieser
Stelle dieses Vorhaben den Abschluss finden.

Mit dem Wissen aus Theorie, Diskussionen und Erkenntnissen der Dissertation ist mein
Beitrag zum Umdenken erstellt. Zudem erachte ich den Prozess als insofern nützlich, dass
die Interventionen zum Perspektivenwechsel und zur Selbstreflexion angeregt haben.
Angemerkt wird abschließend, dass Veränderungen diesbezüglich Zeit beanspruchen und
daher keine offiziellen Veränderungsstrategien im Rahmen der Fertigstellung bekannt
geworden sind, aber davon ausgegangen werden kann, dass jedes Forschungsvorhaben
im Sinne der Interventionsforschung bereits eine Intervention darstellt und damit Wirkung
erzielt.

339
10. Literaturverzeichnis

Ameln von, Falko; Heintel, Peter (2016): Macht in Organisationen. Denkwerkzeuge für
Führung, Beratung und Change Management. Schäffer-Pöschel Verlag: Stuttgart.

Aronson, Elliot; Wilson, Timothy; Akert, Robin (2014): Sozialpsychologie. 8., aktualisierte
Auflage. Perason Verlag: Hallbergmoos/Deutschland.

Baller, Gaby; Schaller, Bernhard (2017): Kommunikation im Krankenhaus. Erfolgreich


kommunizieren mit Patienten, Arztkollegen und Klinikpersonal. Springer Gabler
Verlag: Berlin, Heidelberg.

Balz, Hans-Jürgen; Spieß, Erika (2009) In: Hartung, Johanna; Fröhlich-Gildhoff Klaus
(Hrsg.): Kooperationen in sozialen Organisationen. Grundlagen und Instrumente der
Teamarbeit. Ein Lehrbuch. Kohlhammer Verlag: Stuttgart.

Bennis, Warren G. (1972): Entwicklungsmuster der T-Gruppe. In: Bradford, Leland P; Gibb,
Jack R.; Benne, Kenneth D. (Hrsg.): Gruppen-Training. T-Gruppentheorie und
Laboratoriumsmethode. Ernst Klett Verlag: Stuttgart.

Berger, Wilhelm (2009): Macht. 1. Auflage. Facultas Verlags- und Buchhandels AG: Wien.

Bergknapp, Andreas (2002): Ärger in Organisationen. Eine systemische Strukturanalyse.


Westdt. Verl.: Wiesbaden.

Berne, Eric (2015): Spiele der Erwachsenen. Psychologie der menschlichen Beziehungen.
16. Auflage. Rowohlt: Reinbek bei Hamburg.

Blickhan, Daniela (2015): Positive Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis. Junfermann
Verlag: Paderborn.

Bothe, Heidrun (2013): Aufbauorganisation. In: Goepfert, Andreas; Conrad, Claudia B.


(Hrsg.): Unternehmen Krankenhaus. Georg Thieme Verlag KG: Stuttgart.

Bourdieu, Pierre; Wacquant, Loïc J.D. (1996): Reflexive Anthropologie. Suhrkamp


Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main.

Bradford, Leland P; Gibb, Jack R.; Benne, Kenneth D. (Hrsg.) (1972): Gruppen-Training. T-
Gruppentheorie und Laboratoriumsmethode. Ernst Klett Verlag: Stuttgart.

Brandstädter, Mathias; Grootz, Susanne; Ullrich, Thomas W. (2016): Interne


Kommunikation im Krankenhaus. Gelungene Kommunikation zwischen Unternehmen
und Mitarbeitern. Springer Verlag: Berlin, Heidelberg.

340
Brown, Carmen (1995): Professionalisierung als Chance. Subjektives Belastungserleben
deutscher und us-amerikanischer Intensivpflegekräfte. Focus Verlag: Gießen.

Buber, Martin (2012): Das dialogische Prinzip. Ich und Du. Zwiesprache. Die Frage an den
Einzelnen. Elemente des Zwischenmenschlichen. 12. Auflage. Gütersloher Verlag in
der Verlagsgruppe Random House: München.

Cohn, Ruth C. (2016): Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Von der
Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle. 18. Auflage. J. G. Cotta'sche
Buchhandlung: Stuttgart.

Dux, Günter (1997): Die Spur der Macht im Verhältnis der Geschlechter. Suhrkamp:
Frankfurt am Main.

Edding, Cornelia; Schattenhofer, Karl (2012): Einführung in die Teamarbeit. Carl-Auer-


Systeme Verlag und Verlagsbuchhandlung GmbH: Heidelberg.

Elzer, Matthias; Sciborski, Claudia (2007): Kommunikative Kompetenzen in der Pflege.


Theorie und Praxis der verbalen und nonverbalen Interaktion. Verlag Hans Huber,
Hogrefe AG: Bern.

Emmerling, Pamela (2015): Ärztliche Kommunikation. Schattauer Verlag: Stuttgart

Erger, Raimund (2016): Sozialmanagement. 1. Auflage, 3. Druck. Cornelsen Schulverlage


GmbH: Berlin.

Krainz, Ewald E. (1998): Kann man soziale Kompetenzen lernen? In: Falk, Gerhard;
Heintel, Peter; Pelikan, Christa (Hrsg.): Die Welt der Mediation. Entwicklung und
Anwendungsgebiete eines interdisziplinären Konfliktregelungsverfahrens. Alekto:
Klagenfurt.

Krainz, Ewald E. In: Grossmann Ralph; Krainz, Ewald E.; Oswald, Margit (Hrsg.) (1995):
Veränderung in Organisationen. Management und Beratung. Spinger Fachmedien
GmbH: Wiesbaden.

Falk, Gerhard; Heintel, Peter; Pelikan, Christa (1998): Die Welt der Mediation. Entwicklung
und Anwendungsgebiete eines interdisziplinären Konfiiktregelungsverfahrens. Alekto
Verlag: Klagenfurt.

Falk, Gerhard; Heintel, Peter; Krainz, Ewald E. (Hrsg.): Handbuch Mediation und
Konfliktmanagement. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.

Flick, Uwe (2014): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 6. Auflage. Rowohlt


Taschenbuch Verlag: Reinbek bei Hamburg.

341
Forgas, Joseph P. (1999): Soziale Interaktion und Kommunikation. Eine Einführung in die
Sozialpsychologie. 4. Auflage. Psychologie Verlags Union: Weinheim.

Frindte, Wolfgang (2001): Einführung in die Kommunikationspsychologie. Beltz Verlag:


Weinheim.

Froschauer, Ulrike; Lueger, Manfred (2003): Das qualitative Interview. Facultas Verlag:
Wien.

Gläser, J.; Laudel, G. (2010): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. Als


Instrumente rekonstruierender Untersuchung. 4. Aufl. VS Verlag für
Sozialwissenschaften: Wiesbaden.

Glasl, Friedrich (2010): Konfliktfähigkeit statt Streitlust oder Konfliktscheu. Verlag am


Goetheanum: Dornbach.

Glasl, Friedrich (2013): Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte,


Beraterinnen und Berater. 11., aktualisierte Auflage. Haupt Verlag: Bern/Verlag
Freies Geistesleben: Stuttgart.

Glasl, Friedrich (2015): Selbsthilfe in Konflikten. Konzepte – Übungen – Praktische


Methoden. 7. Auflage. Verlag Freies Geistesleben, Haupt Verlag: Stuttgart, Bern.

Goepfert, Andreas; Conrad Claudia B. (Hrsg.) (2013): Unternehmen Krankenhaus. Thieme


Verlag: Stuttgart.

Goleman, Daniel (2008): Soziale Intelligenz. Knaur Taschenbuch Verlag: München.

Grahmann, Reinhard; Gutwetter, Alfred (2002): Konflikte im Krankenhaus. 2., überarbeitete


Auflage. Hans Huber Verlag: Bern.

Grimm, Reinhard; Krainz, Ewald E. (2011): Teams sind berechenbar. Erfolgreiche


Kommunikation durch Kenntnis der Beziehungsmuster. Gabler Verlag/Springer
Fachmedien: Wiesbaden.

Grossmann Ralph; Krainz, Ewald E.; Oswald, Margit (Hrsg.) (1995): Veränderung in
Organisationen. Management und Beratung. Spinger Fachmedien GmbH:
Wiesbaden.

Grossmann, Ralph; Scala, Klaus (2011): Gesundheit durch Projekte fördern. Ein Konzept
zur Gesundheitsförderung durch Organisationsentwicklung und Projektmanagement.
5. Auflage. Juventa Verlag: Weinheim, München.

Hartung, Johanna; Fröhlich-Gildhoff Klaus (Hrsg.) (2009): Kooperationen in sozialen


Organisationen. Grundlagen und Instrumente der Teamarbeit. Ein Lehrbuch.
Kohlhammer Verlag: Stuttgart.

342
Heintel, Peter; Krainz, Ewald E. (2001): Projektmanagement. Eine Antwort auf die
Hierarchiekrise? 4. Auflage. Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH:
Wiesbaden.

Heintel, Peter (2005): Widerspruchsfelder, Systemlogiken und Gruppendialektiken als


Ursprung notwendiger Konflikte. In: Falk, Gerhard; Heintel, Peter; Krainz, E. Ewald
(Hrsg.): Handbuch Mediation und Konfliktmanagement. VS Verlag für
Sozialwissenschaften: Wiesbaden.

Heintel, Peter (Hrsg.) (2006): Betrifft: TEAM. Dynamische Prozesse in Gruppen. VS Verlag
für Sozialwissenschaften. Wiesbaden.

Helfferich, Cornelia (2009). Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung
qualitativer Interviews. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.

Hinsch Rüdiger; Wittmann, Simone (2010): Soziale Kompetenz kann man lernen. 2.,
überarbeitete Auflage. Beltz Verlag: Weinheim, Basel.

Hofmarcher, Maria M.; Rack, Herta M. (Hg.) (2006): Gesundheitssysteme im Wandel –


Österreich. MWV Med.-Wiss. Verl.-Ges.: Berlin. Für den interessierten Leser auch
online verfügbar unter:
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?id=2826926&prov=M&dok_var=1&dok_ext=htm.

Hübner, Renate (2012): Interventionsbegriffe im Vergleich. In: Krainer, Larissa, Ruth, E.


Lerchster (Hrsg.): Interventionsforschung. Band 1. Paradigmen, Methoden,
Reflexionen. Springer Verlag: Wiesbaden.

Jenewein, Wolfgang; Heidbrink, Marcus (2008): High-Performance-Teams. Die fünf


Erfolgsprinzipien für Führung und Zusammenarbeit. Schäffer-Poeschel Verlag für
Wirtschaft Steuern Recht GmbH: Stuttgart.

Knapp Gerald (Hrsg.) (2004): Soziale Arbeit und Gesellschaft. Entwicklungen und
Perspektiven in Österreich. Mohorjeva Hermagoras Verlag: Klagenfurt; Laibach;
Wien.

Korn, Michael (2013): Prozesse. In: Goepfert, Andreas; Conrad Claudia B. (Hrsg.):
Unternehmen Krankenhaus. Thieme Verlag: Stuttgart.

König, Oliver (2007): Macht in Gruppen. Gruppendynamische Prozesse und Interventionen.


4. Auflage. J.G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH: Stuttgart.

König, Oliver; Schattenhofer, Karl (2011): Einführung in die Gruppendynamik. 5. Auflage.


Carl-Auer-Verl.: Heidelberg.

Körtner, Ulrich H. J (2004): Grundkurs Pflegeethik. Facultas Verlag: Wien.

343
Krainer, Larissa; Lerchster, Ruth (2012): Interventionsforschung in der Praxis. In: Krainer,
Larissa, Ruth, E. Lerchster (Hrsg.): Interventionsforschung. Band 1. Paradigmen,
Methoden, Reflexionen. Springer VS: Wiesbaden.

Krainer, Larissa; Lerchster, Ruth (2012): Interventionsforschung: Paradigmen, Methoden,


Reflexionen. In: Krainer, Larissa, Ruth, E. Lerchster (Hrsg.): Interventionsforschung.
Band 1. Paradigmen, Methoden, Reflexionen. Springer VS: Wiesbaden.

Krainer, Larissa, Ruth, E. Lerchster (Hrsg.) (2012): Interventionsforschung. Band 1.


Paradigmen, Methoden, Reflexionen. Springer Verlag: Wiesbaden.

Krainer, Larissa; Lerchster, Ruth; Goldmann, Harald (2012): Interventionsforschung in der


Praxis. In: Krainer, Larissa, Ruth, E. Lerchster (Hrsg.): Interventionsforschung. Band
1. Paradigmen, Methoden, Reflexionen. Springer Verlag: Wiesbaden.

Krainz, Ewald E. (1998): Kann man soziale Kompetenz lernen? In: Falk, Gerhard; Heintel,
Peter; Pelikan, Christa (Hrsg.): Die Welt der Mediation. Alekto Verlag: Klagenfurt.

Krainz, Ewald E. (2005): Die Morphologie der sozialen Welt und ihre Bedeutung für die
Entstehung von Konflikten. In: Falk, Gerhard; Heintel, Peter; Krainz, E. Ewald (Hrsg.):
Handbuch Mediation und Konfliktmanagement. VS Verlag für Sozialwissenschaften:
Wiesbaden.

Krainz, Ewald E. (2006): Gruppendynamik als Wissenschaft. In: Heintel, Peter (Hrsg.):
Betrifft: TEAM. Dynamische Prozesse in Gruppen. VS Verlag für Sozialwissenschaften:
Wiesbaden.

Krainz, Ewald E. (2011): Leiden an der Organisation. In: Ratheiser, Klaus; Menschik
Bendele, Jutta; Ewald E. Krainz; Burger, Michael (Hrsg.): Burnout und Prävention. Ein
Lesebuch für Ärzte, Pfleger und Therapeuten. Springer: Wien.

Krainz, E. Ewald; Lesjak, Barbara (2004): Gruppendynamik in der Sozialarbeit. In: Knapp
Gerald (Hrsg.): Soziale Arbeit und Gesellschaft. Entwicklungen und Perspektiven in
Österreich. Mohorjeva Hermagoras Verlag: Klagenfurt; Laibach; Wien.

Kühl, Stefan (2011): Organisationen. Eine sehr kurze Einführung. VS für


Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien: Wiesbaden.

Kühlem, Silvia (2013): Leistungsbereiche. In: Goepfert, Andreas; Conrad, Claudia B.


(Hrsg.): Unternehmen Krankenhaus. Georg Thieme Verlag KG: Stuttgart.

Kursawe, Hubertus K.; Guggenberger, Herbert (2013): Neu im Klinikalltag – wie junge
Mediziner den Einstieg besser meistern. Imprint: Springer: Berlin, Heidelberg.

344
Lamnek, Siegried (2010): Qualitative Sozialforschung. 5., überarbeitete Auflage. Weinheim,
Beltz Verlag: Basel.

Langmaack, Barbara (2011): Einführung in die themenzentrierte Interaktion. Das Leiten von
Lern- und Arbeitsgruppen erklärt und praktisch angewandt. 5., vollständig
überarbeitete Auflage. Beltz Verlag: Weinheim, Basel.

Lerchster, Ruth (2012): Zentrale Grundannahmen der Interventionsforschung. In: Krainer,


Larissa, Ruth, E. Lerchster (Hrsg.): Interventionsforschung. Band 1. Paradigmen,
Methoden, Reflexionen. Springer VS: Wiesbaden.

Luhmann, Niklas (1993): Das Recht der Gesellschaft. Suhrkamp Taschenbuch Verlag:
Frankfurt am Main.

Luhmann, Niklas (2012): Macht. 4. Auflage. UVK Verlagsgesellschaft: Konstanz, München.

Martin, Albert (2017): Organizational Behaviour – Verhalten in Organisationen. 2.,


aktualisierte und erweiterte Auflage. W. Kohlhammer GmbH: Stuttgart.

Mayntz, R.; Holm, K.; Hübner, P. (1974): Einführung in die Methoden der empirischen
Soziologie. Opladen: Köln.

Mayring, Philipp (2005): Neuere Entwicklungen in der qualitativen Forschung und der
Qualitativen Inhaltsanalyse. In: Mayring, Philipp; Gläser-Zikuda, Michaela (Hrsg.): Die
Praxis der Qualitativen Inhaltsanalyse. Beltz Verlag: Weinheim, Basel.

Mayring, Philipp; Gläser-Zikuda, Michaela (Hrsg.) (2005): Die Praxis der Qualitativen
Inhaltsanalyse. Beltz Verlag: Weinheim, Basel.

Mayring, Philipp (2008): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 10.


Auflage. Beltz Verlag: Weinheim, Basel.

Menschik-Bendele, Jutta (2011): Niemand ist eine Insel. In: Ratheiser, Klaus; Menschik
Bendele, Jutta; Ewald E. Krainz; Burger, Michael (Hrsg.): Burnout und Prävention. Ein
Lesebuch für Ärzte, Pfleger und Therapeuten. Springer: Wien.

Merten, Klaus (1977): Kommunikation: Eine Begriffs- und Prozeßanalyse (sic!).


Westdeutscher Verlag GmbH: Opladen.

Merten, Klaus (2007): Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Band 1: Grundlagen


der Kommunikationswissenschaft. LIT Verlag: Berlin.

Moers, Martin; Schaeffer, Doris (2008): Akademisierung und Verwissenschaftlichung der


Pflege. Erfahrungen aus den USA. In: Schaeffer, Doris; Moers, Martin; Steppe, Hilde;
Meleis, Afaf (Hrsg.): Pflegetheorien. Beispiele aus den USA. 2., erg. Auflage. Huber
Verlag: Bern.

345
Möller, Susanne (2010): Einfach ein gutes Team. Teambildung und -führung in
Gesundheitsberufen. Springer Verlag GmbH: Berlin, Heidelberg.

Offermanns, Guido (2006): Die zukünftige Rolle der Health Professionals aus Sicht der
Betriebswirtschafts- und Managementlehre. In: Pundt, Johanne (Hrsg.):
Professionalisierung im Gesundheitswesen. Positionen - Potentiale – Perspektiven.
H. Huber: Bern.

Plate, Markus (2015): Grundlagen der Kommunikation. Gespräche effektiver gestalten. 2.


durchgesehene Auflage. Vandehoeck & Ruprecht GmBH & Co.KG: Göttingen.

Pöttler, Gerhard (2012): Gesundheitswesen in Österreich. Organisationen, Leistungen,


Finanzierung und Reformen übersichtlich dargestellt. Wien: Goldegg-Verl. (Goldegg
Fachbuch – die erste Orientierung).

Pundt, Johanne (2006): Professionalisierung im Gesundheitswesen – Einstimmung in das


Thema. In: Pundt, Johanne (Hrsg.): Professionalisierung im Gesundheitswesen.
Positionen - Potentiale – Perspektiven. H. Huber: Bern.

Pundt, Johanne (2006): Professionalisierung im Gesundheitswesen. Positionen - Potentiale


– Perspektiven. H. Huber: Bern.

Ratheiser, Klaus; Menschik Bendele, Jutta; Ewald E. Krainz; Burger, Michael (2011):
Burnout und Prävention. Ein Lesebuch für Ärzte, Pfleger und Therapeuten. Springer:
Wien.

Riemann, Fritz (2013): Grundformen der Angst. Ernst Reinhardt GmbH & Co KG Verlag:
München.

Rosenkranz, Hans; Breuel, Reinhard (1982): Von der Gruppendynamik zur


Organisationsentwicklung. Springer Fachmedien: Wiesbaden.

Rosemann, Bernhard; Kerres, Michael (1986): Interpersonales Wahrnehmen und


Verstehen. Huber Verlag: Toronto.

Rosenthal, Thomas; Wagner, Erwin (2004): Organisationsentwicklung und


Projektmanagement im Gesundheitswesen. Grundlagen – Methoden – Fallstudien.
Economica-Verl: Heidelberg.

Sander, Kirsten (2009): Profession und Geschlecht im Krankenhaus. Soziale Praxis der
Zusammenarbeit von Pflege und Medizin. UVK-Verl.-Ges.: Konstanz.

Satir, Virginia (2014a): Meine vielen Gesichter. Wer bin ich wirklich? 14. durchgesehene
Auflage. Verlagsgruppe Random House: München.

346
Satir, Virginia (2014b): Mein Weg zu dir: Kontakt finden und Vertrauen gewinnen. 12.
durchgesehene Auflage. Verlagsgruppe Random House: München.

Schaeffer, Doris; Moers, Martin; Steppe, Hilde; Meleis, Afaf (Hrsg.) (2008): Pflegetheorien.
Beispiele aus den USA. 2. ergänzte Auflage. Hans Huber Verlag: Bern.

Schmidbauer, Wolfgang (2015): Hilflose Helfer. Über die seelische Problematik der
helfenden Berufe. Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe. Rowohlt: Reinbek bei
Hamburg.

Scholz, Herwig (1999): Kommunikation im Gesundheitssystem. Handbuch zur


Konfliktvermeidung. Hogrefe Verlag: Göttingen, Bern, Toronto, Seattle.

Schreyögg, Georg (2008): Organisation. Grundlagen moderner Organisationsgestaltung.


Mit Fallstudien. 5., vollständig überarbeitete Auflage. Gabler Verlag: Wiesbaden.

Schreyögg, Georg (2016): Grundlagen der Organisation. Basiswissen für Studium und
Praxis. 2. Auflage. Springer Verlag: Wiesbaden.

Schulz von Thun, Friedemann (2014a): Miteinander Reden 1. Sonderausgabe. Rowohlt


Taschenbuch Verlag: Hamburg.

Schulz von Thun, Friedemann (2014b): Miteinander Reden 2. Stile, Werte und
Persönlichkeitsentwicklung. Differenzielle Psychologie der Kommunikation.
Sonderausgabe. Rowohlt Taschenbuch Verlag: Hamburg.

Schwarz, Gerhard (2007): Die „Heilige Ordnung“ der Männer. Hierarchie, Gruppendynamik
und die neue Rolle der Frau. 5., überarbeitete Auflage. VS Verlag für
Sozialwissenschaften. GWV Fachverlage GmbH: Wiesbaden.

Schwarz, Gerhard (2008): Führen mit Humor. Ein gruppendynamisches Erfolgskonzept. 2.


überarbeitete Auflage. Gabler Verlag: Wiesbaden.

Schwarz, Gerhard (2014): Konfliktmanagement. Konflikte erkennen, analysieren, lösen. 9.


Auflage. Springer/Gabler Verlag: Wiesbaden.

Schwarz, Gerhard (2016): Zur Stammesgeschichte der Macht. In: Ameln von; Falko;
Heintel, Peter: Macht in Organisationen. Denkwerkzeuge für Führung, Beratung und
Change Management. Schäffer-Pöschel Verlag: Stuttgart.

Seidl, Elisabeth; Steppe, Hilde (1996): Zur Sozialgeschichte der Pflege in Österreich.
Pflegewissenschaft heute. Band 4. Maudrich Verlag: Wien, München, Bern.

Seidler, Eduard; Leven, Karl-Heinz (2003): Geschichte der Medizin und der Krankenpflege.
Kohlhammer: Stuttgart.

347
Simon, Fritz B. (2012): Einführung in die Systemtheorie des Konflikts. Carl-Auer-Verl.:
Heidelberg.

Stahl, Eberhard (2012): Dynamik in Gruppen. Handbuch der Gruppenleitung. 3., vollständig
überarbeitete und erweiterte Auflage. Beltz Verlag: Basel.

Steiger, Thomas; Lippmann, Eric (2013): Handbuch Angewandte Psychologie für


Führungskräfte. Führungskompetenz und Führungswissen. Band II. 4., vollständig
überarbeitete Auflage. Springer Verlag: Berlin, Heidelberg.

Stockert, Theodor (2012): Meine Sprache und ich. Mit Sprachstruktur Persönlichkeit
entwickeln. Lingva Eterna Verlag: Erlangen.

Watzlawick, Paul; Bavelas, Janet H.; Jackson, Don D. (2003): Menschliche Kommunikation.
Formen, Störungen, Paradoxien. Huber: Bern.

Tannen, Deborah (1998): Du kannst mich einfach nicht verstehen. Warum Männer und
Frauen aneinander vorbeireden. Goldmann Verlag: München.

Wagner, Michael (2010): Aufgaben im Krankenhaus neu aufteilen. Chancen für Pflege,
Medizin und Assistenzberufe. Kohlhammer Verlag: Stuttgart.

Wehner Lore; Brinek, Theo; Herdlitzka Michael (2010): Kreatives Konfliktmanagement im


Gesundheits- und Krankenpflegebereich. Gesunde ZwischenMenschlichkeit.
Springer Verlag: Wien, New York.

348
Artikel

Baller, Gaby; Schaller, Bernhard (2007): Moderne ärztlich-kollegiale Kommunikation im


Gesundheitswesen. Schweizerische Ärztezeitung.

Baller, Gaby; Schaller, Bernhard (2007a): In varietate concordia oder


Abrechnungsmentalität unter Kollegen. Schweizerische Ärztezeitung.

Baller, Gaby; Schaller, Bernhard (2008): Der Zusammenhang zwischen guter


Kommunikation und Qualität. das Krankenhaus.

Baller, Gaby; Huber, Thomas; Schaller, Bernhard (2010): Was vielen gefallen soll, muss
von vielen gestaltet werden. das Krankenhaus.

Bartholomeyczik, Sabine Prof. Dr. u.a. (2008): Arbeitsbedingungen im Krankenhaus.


Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Dortmund,Berlin,Dresden.

Dahlgaard, Knut (2010): Verbesserung der teamorientierten Zusammenarbeit zwischen


Ärzten und Pflegenden – Neue Chancen durch Prozessorientierung und erweiterte
Aufgaben für Pflegende. In: AkdÄ u. a.(Hrsg.): Evidenz, Fortbildung und Qualität im
Gesundheitswesen. German Journal for Evidence and Quality in Health Care.
Schwerpunkt: Teamorientierte Zusammenarbeit. Elsevier. Urban & Fischer.

Heintel, Peter; Krainz Ewald E. (1997): Die Differenz der Geschlechter. In:
Gruppendynamik. Zeitschrift für angewandte Sozialpsychologie. Heft 1.

Hibbeler, Birgit (2011): Ein chronischer Konflikt. Jg. 108. Heft 41. Deutsches Ärzteblatt.

Kälble, Karl (2013): Der Akademisierungsprozess der Pflege. Eine Zwischenbilanz im


Kontext aktueller Entwicklungen und Herausforderungen. Springer-Verlag: Berlin,
Heidelberg.

Krainz, Ewald E. (2/2009): Sprache in Organisationen. In: Supervision. Mensch Arbeit


Organisation. Die Zeitschrift für Berater/innen. Beltz Verlag: o.O.

Krainz, Ewald E.; Paul-Horn, Ina (2009): Metapher als Intervention. Die bewegende Kraft
sprachlicher Bilder. In: Gruppendynamik und Organisationsberatung. Ausgabe
01/2009. Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.

Pesendorfer, Bernhard (1993): Organisationsdynamik. Online verfügbar unter:


www.pesendorfer.de/downloads/BP1993_Organisationdynamik.pdf (Zugriff am:
03.05.2018).

349
Schmeck-Lindenau, Hans-Joachim (2010): Akademisierung der Pflege aus ärztlicher Sicht
– Bessere Zusammenarbeit oder Konkurrenz? In: Endo-Praxis. Zeitschrift. 26(4)
Georg Thieme Verlag: Stuttgart, New York.

Zwarenstein Merrick, Bryant Wendy (2000). Interventions to promote collaboration between


nurses and doctors. In: Cochrane Database of SystematicReviews, Issue 2.

Internet

Bundesgesetzblatt (1997): Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) vom


01.07.2018. Fundstelle: Rechtsinformationssystem.

Bundesgesetzblatt (1997a): Bundesgesetz über Gesundheits- und Krankenpflegeberufe.


GuKG, vom 30.08.2016. Fundstelle: Rechtsinformationssystem.

Bundesgesetzblatt (1998): Ärztegesetz vom 11.02.2018. Fundstelle:


Rechtsinformationssystem.

Bundesgesetzblatt (2016): Bundesgesetz über Gesundheits- und Krankenpflegeberufe.


GuKG, vom 02.10.2016. Fundstelle: Rechtsinformationssystem.

Erler, Ingolf; Fidlschuster, Luis; Fischer, Michael; Thien, Klaus (2012): Lebenslanges
Lernen als Thema für LEADER - Regionen 2014-20. Online verfügbar unter:
http://www.oieb.at/lernende-
regionen/upload/1186_HB_Lebenslanges_Lernen_in_LEADER.pdf (Zugriff am:
01.05.2018).

https://fowid.de/meldung/berufsprestige-2013-2016-node3302 (Zugriff am: 02.01.2018).

http://www.duden.de/rechtschreibung/Kommunikation (Zugriff am: 15.01.2018).

https://www.fhstp.ac.at/de/studium-weiterbildung/gesundheit/gesundheits-und-
krankenpflege?gclid=CjwKCAiA8bnUBRA-EiwAc0hZk3CRuVU37NIfEDh9PrgoSej-
8gZj0lmE060HPL8NbaYkoIaIzCabwxoCxhQQAvD_BwE (Zugriff am: 23.02.2018).

Bildquellen: www.fotolia.com

350

Das könnte Ihnen auch gefallen