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Welche Aufgaben haben Aktuar*innen in der

Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen?

Die Rechnungslegung dient der Information externer sie heute die Konzeption der versicherungsmathemati-
Adressaten über die finanzielle Lage und Entwicklung schen Software. Denn die Ergebnisverantwortung für die
eines Unternehmens. Wesentlicher Bestandteil dieser millionen- oder häufig milliardenschweren Ergebnisse
Informationen ist der Jahresabschluss mit Bilanz, Ge- bleibt bei den Aktuar*innen. Geregelt ist diese Verant-
winn- und Verlustrechnung (GuV) sowie mit Anhangan- wortung im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), das für
gaben, deren Veröffentlichung sich bei Versicherungs- die Rückstellungsbewertung einen sogenannten Verant-
unternehmen in erster Linie an Investoren, Versiche- wortlichen Aktuar (VA) fordert. Dem VA und deren Teams
rungsnehmer und die Versicherungsaufsicht richtet. kommt zudem eine weitere wichtige Aufgabe zu, nämlich
die Aufteilung der Überschüsse, die aufgrund des bereits
Bis zur Jahrtausendwende orientierte sich die Rech- genannten HGB-Vorsichtsprinzip im Unternehmen ent-
nungslegung deutscher Versicherungsunternehmen stehen. Die Aktuar*innen ermitteln dafür sämtliche Ge-
hauptsächlich an den Vorgaben des Handelsgesetzbuchs winne aus den unterschiedlichen Gewinnquellen wie
(HGB), das grundsätzlich eine vorsichtige Bilanzierung Kapitalanlageergebnis, Sterblichkeit, Storno, Krankheits-
und Gewinnausweisung für alle Vermögenswerte (Akti- kosten, Abschluss- und Verwaltungskosten etc. Darauf
va) und Verbindlichkeiten (Passiva) im Bestand fordert aufbauend erstellen sie einen Vorschlag für eine angemes-
(Vorsichtsprinzip). Den größten Teil der Verbindlichkei- sene und vor allem gesetzeskonforme Überschussbeteili-
ten stellen Rückstellungen für Versicherungsleistungen gung der Versicherungsnehmer. Diese Gewinnzerlegung
aus den mit Kunden abgeschlossenen Verträgen dar. Da und -verwendung berichtet der Verantwortliche Aktuar
sich die Vertragskonstruktionen in der Kranken-, Lebens- zuletzt auch an die Versicherungsaufsicht (BaFin).
und Unfallversicherung über mehrere Jahrzehnte erstre-
cken und relativ komplexe Strukturen aufweisen, sind Hohe Relevanz für Unternehmensplanung
für die korrekte Ermittlung der Rückstellung in diesen
Sparten versicherungsmathematische Berechnungen nö- Neben diesen klassischen Abschlusstätigkeiten überneh-
tig. Analog verhält es sich bei Rentenverpflichtungen men Rechnungslegungs-Aktuar*innen auch Aufgaben
gegenüber Geschädigten in der Haftpflicht- und in der bei der Unternehmensplanung im Asset-Liability-Manage-
Unfallversicherung. ment, bei strategischen Planungen und bei der Produkt-
entwicklung: Sie liefern hier den Planungsinput für die
Diese Berechnungen übernahmen seit jeher Aktuar*in- Entwicklung der wesentlichen Passiva des Versicherungs-
nen. Sie stützten sich dabei anfänglich auf vorgegebene unternehmens und zeigen frühzeitig auf, wie sich neue
Rechenformeln und tabellarische Zwischenergebnisse, Produkte auf die Finanzkennzahlen auswirken.
aus denen die einzelnen Bilanzpositionen händisch kal-
kuliert wurden. Nach und nach übernahmen Computer Aufgrund des Vorsichtsprinzips sind Aussagen über die
die Berechnungen und das Aufgabengebiet der Aktuar* langfristigen Gewinnpotenziale eines Versicherungs-
innen in der Rechnungslegung entwickelte sich entspre- unternehmens basierend auf HGB-Rechnungslegung
chend weiter: Anstelle der Rechentätigkeit übernehmen nur eingeschränkt möglich – eine vollständige Prognose

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Hintergrund
aller Gewinnquellen liegt nicht vor. Aktuar*innen größe- Dieser Ansatz wird sich bald ändern: Nach jahrelangen
rer Versicherungsunternehmen begannen daher in den Vorbereitungen befindet sich ein neuer IFRS-Standard
1990er-Jahren Finanzkennzahlen zu entwickeln, die (IFRS 17) zur versicherungstechnischen Rechnungslegung
eine Unternehmensbewertung unter Einbeziehung aller bereits in der finalen Abstimmung. Die verpflichtende
erwarteten künftigen Gewinne ermöglichen. In der Per- Anwendung ist ab dem Jahr 2023 geplant. Aktuar*innen
sonenversicherung wurde dieses Prinzip unter dem Na- in den Unternehmen und in der Deutschen Aktuarverei-
men Embedded Value oder später Markt Consistent Em- nigung e.V. (DAV) beschäftigen sich schon seit geraumer
bedded Value (MCEV) etabliert – übergreifend spricht Zeit mit der sachgerechten Auslegung des neuen Stan-
man von ökonomischen Bewertungsmethoden. Den dards. Eine derartige Auslegung ist nötig, da der prinzi-
Aktuar*innen kommt seither eine zentrale Rolle bei der pienbasierte IFRS 17 oftmals großen Ermessensspielraum
Berechnung und der Berichterstattung dieser Kennzah- für die Umsetzung bietet. An einzelnen Stellen setzt er
len zu. Sie setzen dabei komplexe stochastische Verfah- jedoch einen engen Rahmen, der einen angemessenen
ren zur Optionsbewertung ein, die aus der Finanzmathe- und transparenten Ausweis der Geschäftsergebnisse für
matik übernommen und weiterentwickelt wurden. einige Geschäftsmodelle sehr schwierig macht. Aufgabe
der Aktuar*innen ist es daher, Umsetzungsvarianten zu
Um ähnliche Unternehmensbewertungsmethoden in der entwickeln und für diese aufzuzeigen, ob sie zur Trans-
Schaden-/Unfallversicherung einzuführen, begannen Aktu- parenz beitragen und gegenüber externen Adressaten
ar*innen auch in diesen Sparten für sämtliche Schäden verständlich kommunizierbar sind oder zu einer zu
versicherungsmathematische Bewertungen durchzuführen. komplexen beziehungsweise unrealistischen Darstellung
Ziel ist es auch hier, die künftige Gewinnerwartung, die der Geschäftsergebnisse führen. Auch wenn die finale
sich bei der teilweise jahre- oder jahrzehntelang laufen- Auslegung an einigen wesentlichen Punkten noch nicht
den Schadenabwicklung ergeben, transparent zu machen. vorliegt, sind Aktuar*innen in den Versicherungsgesell-
schaften bereits jetzt federführend an den Umsetzungs-
Mit der Einführung von Solvency II wurden derartige projekten zu IFRS 17 beteiligt.
ökonomische Bewertungen verpflichtend. Aktuar*innen
berechnen die Rückstellungen seither parallel zu HGB Zu allen vorgenannten Rechnungslegungsregimen –
gemäß eines zweiten Rechnungslegungssystems, das HGB, Solvency II und IFRS – ist für deutsche Versiche-
sich an den vorgenannten Grundsätzen orientiert und im rungsunternehmen eine Abschlussprüfung durch eine
VAG definiert ist. Bei dem unter Solvency II geforderten unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorge-
„Own Risk and Solvency Assessment (ORSA)“ kommt schrieben. Aktuar*innen nehmen auch bei diesen Ab-
den Aktuar*innen außerdem die Aufgabe zu, den Input schlussprüfungen eine wichtige Rolle ein: Sie sind in
für die künftige Entwicklung des Unternehmens zu lie- den Prüfungsteams für die Prüfung der versicherungs-
fern – ähnlich wie bei den Aktivitäten im Rahmen der technischen Teile der Abschlüsse zuständig, überneh-
Unternehmensplanung. Eine wichtige Rolle überneh- men in diesem Zusammenhang die Kommunikation mit
men Aktuar*innen zudem im Rahmen der im Zuge von den Aktuar*innen im geprüften Unternehmen, prüfen
Solvency II neu eingerichteten versicherungsmathema- die Angemessenheit der angewandten Methoden, die
tischen Funktion, in der sie Kontrollfunktionen für die verwendeten Daten und letztlich die Korrektheit der ein-
aktuariellen Tätigkeiten ausüben. Darüber hinaus haben zelnen Bilanz- und GuV-Positionen.
Aktuar*innen mit Ihren Analysen eine sehr wichtige
Funktion im Rahmen der laufenden Weiterentwicklung
des Aufsichtssystems.
Fazit
Internationaler Rechnungslegungsstandard Großes Betätigungsfeld mit
erweitert Aufgaben Entwicklungspotenzial
Versicherungsunternehmen, die Teil eines kapitalmarkt- Die Rechnungslegung ist und bleibt einer der
orientierten Konzerns sind, müssen bereits seit 2005 ei- Kernbereiche aktuarieller Tätigkeiten. Aktuar*in-
nen weiteren Jahresabschluss gemäß den International nen sind in diesem Umfeld als Versicherungs- und
Financial Reporting Standards (IFRS) aufstellen. Der ver- Finanzmathematiker, IT-Konzeptentwickler, Soft-
sicherungstechnische Teil des IFRS-Abschlusses wird warespezialisten oder Prüfer tätig. Anders als es
wieder von Aktuar*innen übernommen. Anders als bei der Name auf den ersten Blick vielleicht sugge-
HGB oder Solvency II gibt es allerdings unter IFRS der- riert, handelt es sich aufgrund der sehr dynami-
zeit noch keine expliziten Vorgaben zur Berechnung der schen Entwicklungen in den modernen Rech-
versicherungstechnischen Rückstellungen. Daher wer- nungslegungsstandards und aufgrund der sehr
den von Aktuar*innen in deutschen Unternehmen für hohen Relevanz der Arbeitsergebnisse um ein Be-
die versicherungstechnischen Rückstellungsberechnung rufsfeld, das auch langfristig extrem spannende
unter IFRS entweder HGB-Rückstellungen angesetzt oder Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
es wird der US-Standard US-GAAP verwendet.

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