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Adolf G. Coenenberg
Kapitalflussrechnung als
Instrument der Bilanzanalyse
1. Teil des Beitrages
«Kapitalflussrechnung und Segmentberichterstattung als Instrumente der Bilanzanalyse»*
Der zweiteilige Beitrag ist die ausführliche Fassung sein wird, die gesetzten ökonomischen
Ziele zu erreichen. Man unterscheidet
des vom Preisträger gehaltenen Vortrags aus Anlass bekanntlich drei betriebswirtschaftli-
der Verleihung des Dr. Kausch-Preises 2000 am 16. Ja- che Ziele, nämlich Liquidität, Erfolg
und Erfolgspotenzial. Diese drei Ziele
nuar 2001 an der Universität St. Gallen. Kapitalfluss- stehen einerseits in einem Vorsteue-
rechnung und Segmentberichterstattung sind kürzlich rungsverhältnis: Erfolgspotenzial ist
notwendige Voraussetzung für Erfolg,
in den Kreis der pflichtgemässen Rechnungslegungs- der seinerseits notwendige Vorausset-
instrumente deutscher börsennotierter Unternehmen zung für die Liquiditätsrealisierung ist.
Andererseits bestehen natürlich auch
aufgenommen worden. Die Bilanzanalyseliteratur rückläufige Wirkungen: ohne Liqui-
widmet sich bisher fast ausschliesslich der Analyse dität ist die zukünftige Erfolgsrealisa-
tion und der Aufbau von Erfolgspoten-
aufgrund von Kennzahlen, die aus Bilanz und Er- zialen in Frage gestellt, und die Reali-
folgsrechnung gewonnen werden. Der Beitrag zeigt sation gegenwärtiger Erfolge kann zu
Lasten des Aufbaus von Erfolgspoten-
die zusätzlichen Möglichkeiten und damit neue Per- zialen gehen (vgl. Abbildung 1).
spektiven auf, die sich durch aus Kapitalflussrechnung Die Unternehmensanalyse beschäftigt
(1. Teil) und Segmentberichterstattung (2. Teil) ge- sich mit der Lage und Entwicklung des
wonnenen Kennzahlen ergeben. Unternehmens unter allen drei Zielen.
Die Bilanzanalyse hat dabei die spezi-
elle Aufgabe, das Unternehmen unter
dem Gesichtspunkt von Erfolg und Li-
quidität zu analysieren. Die strategi-
1. Bilanzanalyse im Rahmen sche Unternehmensanalyse, also die
der Unternehmensanalyse – eher qualitative Analyse des Erfolgs-
eine Einführung potenzials, bedient sich grundsätzlich
eigener Instrumente: sie fragt auf der
Mit Jahresabschluss- oder kurz Bilanz- einen Seite nach den speziellen unter-
analyse bezeichnet man die Verfahren nehmerischen Stärken und Schwächen
der Informationsgewinnung und Aus- im Wettbewerb und auf der anderen
wertung, mit deren Hilfe aus den Daten Seite nach Risiken und Chancen,
des Jahresabschlusses und des Lagebe- denen das Unternehmen in seinen Um-
richtes Erkenntnisse über die Finanz- feldern ausgesetzt ist. Bilanzanalysen
und Ertragslage der Unternehmen ge- geben hierzu keine unmittelbaren Er-
wonnen werden [1]. Sie gehört in den kenntnisse her. Ihnen kommt aber im
grösseren Zusammenhang der Unter- Hinblick auf das Erfolgspotenzial inso-
nehmensanalyse. Die Unternehmens- fern eine indirekte Bedeutung zu, als
analyse fragt, inwieweit das Unterneh- Erfolgspotenzial einerseits und Erfolg
Adolf G. Coenenberg, Prof. Dr. Dr. h.c.;
men in der Lage war bzw. in der Lage Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, sowie Liquidität andererseits in einer
Wirtschaftsprüfung und Controlling an Wechselbeziehung stehen.
der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft-
*2. Teil Segmentberichterstattung als Instrument lichen Fakultät der Universität Augsburg,
der Bilanzanalyse folgt in einer nächsten Aus- Augsburg/BRD Wie schon einleitend angesprochen,
gabe «Der Schweizer Treuhänder». sind in den letzten Jahren zwei neue In-
Der Schweizer Treuhänder 4/01 311
RECHNUNGSWESEN
Adolf G. Coenenberg, Kapitalflussrechnung als Instrument der Bilanzanalyse
mit der Schmalenbach-Gesellschaft Cash-Flows aus laufender Geschäfts- ter liegenden Ursachen höchst unter-
entwickelte Cash-Flow-Formel (Cash tätigkeit andererseits erhalten blieben, schiedlich. A investiert 15 Geldeinhei-
Earnings nach DVFA/SG) verwen- ohne die jeweiligen Nachteile in Kauf ten bei einem Cash-Flow aus laufender
det [12]. zu nehmen. Das setzt voraus, dass der Geschäftstätigkeit von 20 Geldeinhei-
Zahlungsmittelfonds eng abgegrenzt ten. Zusammen mit der Aussenfinan-
Der Vorteil eines so definierten opera- ist, zugleich aber im Rahmen des zierung von 5 Geldeinheiten führt dies
tiven Brutto-Cash-Flows ist, dass die- Cash-Flow aus laufender Geschäfts- zur Erhöhung der liquiden Mittel um
ser Cash-Flow von jährlichen Schwan- tätigkeit der Brutto-Cash-Flow und die 10 Geldeinheiten.
kungen des Nettoumlaufvermögens Veränderung des Nettoumlaufvermö-
unbeeinflusst bleibt und deshalb eine gens, die in Summe den Cash-Flow aus Die Situation von B ist vordergründig
nachhaltigere Prognosekraft bzgl. der laufender Geschäftstätigkeit ausma- mit der von A vergleichbar. Im Unter-
Innenfinanzierungskraft des Unter- chen, jeweils getrennt erfasst und aus- schied zu A ist der Cash-Flow aus lau-
nehmens spiegelt. Der Nachteil ande- gewiesen würden. fender Geschäftstätigkeit bei B nur zur
rerseits ist, dass nicht Zahlungsströme, Hälfte auf einen nachhaltigen Cash-
sondern zahlungsnahe Erträge und Dieser Grundgedanke soll an einem Flow zurückzuführen. In Höhe von 10
Aufwendungen gezeigt werden und stark vereinfachten Beispiel (Abbil- Geldeinheiten wurde die Mittelbin-
damit die unmittelbare Verbindung zur dung 5) von vier Unternehmen A, B, C dung im Nettoumlaufvermögen verrin-
Zielgrösse Liquidität verloren geht. und D veranschaulicht werden. gert, sodass sich dadurch erst das Ni-
Für die Liquiditätsanalyse wäre es vor- veau von 20 Geldeinheiten beim Cash-
teilhaft, wenn die Kapitalflussrechnung Alle vier Beispielunternehmen weisen Flow aus laufender Geschäftstätigkeit
so gestaltet wäre, dass die Informa- eine Erhöhung der liquiden Mittel um ergibt. Die Minderung der Mittelbin-
tionsvorteile des Brutto-Cash-Flows 10 Geldeinheiten auf. Wie die Kapital- dung im Nettoumlaufvermögen ist al-
einerseits und des zahlungsorientierten flussrechnungen zeigen, sind die dahin- lerdings ein Einmaleffekt, der sich in
Das Free Cash-Flow-Multiple lässt sich Anmerkungen Busse von Colbe, W. [1966]: Aufbau und Infor-
mationsgehalt von Kapitalflussrechnung, in: ZfB
als Kehrwert einer marktbezogenen 1 Zur Definition und zur folgenden Systematik 1966, Ergänzungsheft, S. 82ff.
Free Cash-Flow-Rendite interpretie- vgl. Coenenberg, A. G. [2000], S. 873ff.
Coenenberg, A. G. [2000]: Jahresabschluss und
ren. Im Vergleich zu den Sollvorstel- 2 Bauer, W. [1926]. Jahresabschlussanalyse, 17. Aufl., Landsberg a.
lungen durchschnittlicher Kapitalko- 3 Busse von Colbe, W. [1966]. Lech 2000.
sten lassen sich so Aussagen über die 4 Käfer, K. [1967], diesem Standardwerk Kä- DVFA/SG [2000]: Ergebnis je Aktie nach DVFA/
fers gingen mehrere Aufsätze voraus. Der SG, Gemeinsame Empfehlung, 3. Aufl., Stuttgart
wertorientierte Rentabilität des Unter- erste Beitrag war Käfer, K. [1948]. 2000.
nehmens ableiten. 5 IDW [1978]. Haase, K. D. [1974]: Segment-Bilanzen, Wiesba-
6 IDW/SG [1995]. den 1974.
Für das Beispielsunternehmen Sie- 7 Zum DRS 2 im Vergleich zu IAS 7 und FAS Hauschildt, J./Leker, J. (Hrsg.) [2000]: Krisendia-
mens ergeben sich, wie in Abbildung 12 95 vgl. Coenenberg, A.G. [2000], S. 725ff. gnose durch Bilanzanalyse, 2. Aufl., Köln 2000.
dargestellt, Free Cash-Flow-Multiples 8 Haase, K. D. [1974]. IDW [1978]: Stellungnahme HFA 1/1978: Die
9 Vgl. §§ 285 Nr. 4 und 314 Nr. 3 HGB. Kapitalflussrechnung als Ergänzung des Jahres-
von 11 und 28. abschlusses, in: WPg 1978, S. 207f.
10 Zum DRS 3 im Vergleich zu IAS 14 und FAS
131 vgl. Coenenberg, A. G. [2000], S. 770ff. IDW/SG [1995]: Stellungnahme HFA 1/1995:
Man sieht, dass die Wertkennzahlen 11 Käfer, K. [1967]. Die Kapitalflussrechnung als Ergänzung des
stark von der Volatilität des Enter- Jahres- und Konzernabschlusses, in: WPg 1995,
12 DVFA/SG [2000]. S. 210 ff.
prise-Value und den Schwankungen 13 Vgl. Altmann, E. I. [1968]; Hauschildt, J./ Käfer, K. [1948]: Der Liquiditätsausweis, ein
des Free Cash-Flow abhängen, der sei- Leker, J. (Hrsg.) [2000]; Baetge, J. [1998], neuer Bestandteil der Abschlussrechnungen
nerseits stark von der Investitionstätig- S. 560ff. (Teil I und Schluss), in: Büro und Verkauf, Nr.
keit des Jahres und insbesondere auch 14 Bald, E.-J. u. a. [1992]. X/Oktober 1948, S. 4-7 und Nr. XI/November
15 Vgl. Willoughby, J. [2000a]. Zu den Burnout- 1948, S. 45–50.
von Einnahmen aus Portfoliobereini- Rankings von Barron’s für die Unterneh- Käfer, K. [1967]: Kapitalflussrechnungen, Stutt-
gungen (Desinvestitionen) gekenn- mensergebnisse des ersten und des zweiten gart 1967 (2. Aufl. 1984).
zeichnet sein kann. Jedenfalls zeigt Quartals 2000 vgl. Willoughby, J. [2000b];
Küting, K. [2000]: Bilanzanalyse am Neuen
das Free Cash-Flow-Multiple von 28 im Willoughby, J. [2000c].
Markt (Teil I und II), in: Finanz Betrieb 2000,
16 PricewaterhouseCoopers [2000]; siehe auch
Jahre 1999, dass der Bruttomarktwert die von der GZ-Bank herausgegebene Kurz-
S. 597ff. und S. 674ff.
verglichen am Free Cash-Flow Niveau studie über die Cash Burn Rate von Schies- PricewaterhouseCoopers [2000]: Internet 150 –
deutlich überhöht bzw. der Free Cash- ser, S./Reigber, T. [2000]. Eine Analyse über die Unternehmens-Perfor-
mance in der europäischen Internetbranche,
Flow verglichen am Marktwert deut- 17 Vgl. Küting, K. [2000], S. 678. URL: http://212.184.106.144/30000_publikatio-
lich zu niedrig ausfällt. Für das Jahr nen/30000_publikationen.htm, Stand: 07.12.2000.
2000 gilt die umgekehrte Aussage: Literatur Schiesser, S./Reigber, T. [2000]: Cash Burn Rate
Mit einem Multiple von 11, d. h. einer Altmann, E. I. [1968]: Financial Ratios, Discrimi- – Kurzstudie (Stand: Juli 2000), hrsg. v. GZ-Bank,
nant Analysis and the Prediction of Corporate Frankfurt/Stuttgart 2000.
marktwertbezogenen Rendite von Bankruptcy, in: The Journal of Finance 1968, Willoughby, J. [2000a]: Burning Up – Warning:
etwa 10%, haben sich Marktwert und S. 589 ff. Internet companies are running out of cash – fast,
Free Cash-Flow auf ein durchaus eher Baetge, J. [1998]: Bilanzanalyse, Düsseldorf 1998. in: Barron’s v. 20.03.2000, S. 29–32.
normalisiertes Niveau hin bewegt. Da- Bald, E.-J. u.a. [1992]: Leitfaden für die Vergabe Willoughby, J. [2000b]: Up In Smoke – Dot.coms
bei ist allerdings zu beachten, dass das von Unternehmenskrediten – Schuldscheindar- are still burning cash, but the market has forced
lehen – (Kreditleitfaden), Karlsruhe 1992. big changes, in: Barron’s v. 19.06.2000, S. 31–36.
hohe Free Cash-Flow Niveau zu einem
Bauer, W. [1926]: Die Bewegungsbilanz und ihre Willoughby, J. [2000c]: Smoldering – ‘Net com-
Teil aus einmaligen Portfoliobereini- Anwendbarkeit, insbesondere als Konzernbi- panies, still burning cash, try to conserve their
gungseffekten resultiert. lanz, in: ZfhF 1926, S. 485–544. tinder, in: Barron’s v. 02.10.2000, S. 38–45.