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RECHNUNGSWESEN

Adolf G. Coenenberg

Kapitalflussrechnung als
Instrument der Bilanzanalyse
1. Teil des Beitrages
«Kapitalflussrechnung und Segmentberichterstattung als Instrumente der Bilanzanalyse»*

Der zweiteilige Beitrag ist die ausführliche Fassung sein wird, die gesetzten ökonomischen
Ziele zu erreichen. Man unterscheidet
des vom Preisträger gehaltenen Vortrags aus Anlass bekanntlich drei betriebswirtschaftli-
der Verleihung des Dr. Kausch-Preises 2000 am 16. Ja- che Ziele, nämlich Liquidität, Erfolg
und Erfolgspotenzial. Diese drei Ziele
nuar 2001 an der Universität St. Gallen. Kapitalfluss- stehen einerseits in einem Vorsteue-
rechnung und Segmentberichterstattung sind kürzlich rungsverhältnis: Erfolgspotenzial ist
notwendige Voraussetzung für Erfolg,
in den Kreis der pflichtgemässen Rechnungslegungs- der seinerseits notwendige Vorausset-
instrumente deutscher börsennotierter Unternehmen zung für die Liquiditätsrealisierung ist.
Andererseits bestehen natürlich auch
aufgenommen worden. Die Bilanzanalyseliteratur rückläufige Wirkungen: ohne Liqui-
widmet sich bisher fast ausschliesslich der Analyse dität ist die zukünftige Erfolgsrealisa-
tion und der Aufbau von Erfolgspoten-
aufgrund von Kennzahlen, die aus Bilanz und Er- zialen in Frage gestellt, und die Reali-
folgsrechnung gewonnen werden. Der Beitrag zeigt sation gegenwärtiger Erfolge kann zu
Lasten des Aufbaus von Erfolgspoten-
die zusätzlichen Möglichkeiten und damit neue Per- zialen gehen (vgl. Abbildung 1).
spektiven auf, die sich durch aus Kapitalflussrechnung Die Unternehmensanalyse beschäftigt
(1. Teil) und Segmentberichterstattung (2. Teil) ge- sich mit der Lage und Entwicklung des
wonnenen Kennzahlen ergeben. Unternehmens unter allen drei Zielen.
Die Bilanzanalyse hat dabei die spezi-
elle Aufgabe, das Unternehmen unter
dem Gesichtspunkt von Erfolg und Li-
quidität zu analysieren. Die strategi-
1. Bilanzanalyse im Rahmen sche Unternehmensanalyse, also die
der Unternehmensanalyse – eher qualitative Analyse des Erfolgs-
eine Einführung potenzials, bedient sich grundsätzlich
eigener Instrumente: sie fragt auf der
Mit Jahresabschluss- oder kurz Bilanz- einen Seite nach den speziellen unter-
analyse bezeichnet man die Verfahren nehmerischen Stärken und Schwächen
der Informationsgewinnung und Aus- im Wettbewerb und auf der anderen
wertung, mit deren Hilfe aus den Daten Seite nach Risiken und Chancen,
des Jahresabschlusses und des Lagebe- denen das Unternehmen in seinen Um-
richtes Erkenntnisse über die Finanz- feldern ausgesetzt ist. Bilanzanalysen
und Ertragslage der Unternehmen ge- geben hierzu keine unmittelbaren Er-
wonnen werden [1]. Sie gehört in den kenntnisse her. Ihnen kommt aber im
grösseren Zusammenhang der Unter- Hinblick auf das Erfolgspotenzial inso-
nehmensanalyse. Die Unternehmens- fern eine indirekte Bedeutung zu, als
analyse fragt, inwieweit das Unterneh- Erfolgspotenzial einerseits und Erfolg
Adolf G. Coenenberg, Prof. Dr. Dr. h.c.;
men in der Lage war bzw. in der Lage Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, sowie Liquidität andererseits in einer
Wirtschaftsprüfung und Controlling an Wechselbeziehung stehen.
der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft-
*2. Teil Segmentberichterstattung als Instrument lichen Fakultät der Universität Augsburg,
der Bilanzanalyse folgt in einer nächsten Aus- Augsburg/BRD Wie schon einleitend angesprochen,
gabe «Der Schweizer Treuhänder». sind in den letzten Jahren zwei neue In-
Der Schweizer Treuhänder 4/01 311
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lanzrichtlinien-Gesetzes in das deut-


Abbildung 1 sche Bilanzrecht hinein, allerdings be-
Unternehmensziele, Bilanzanalyse und Unternehmensanalyse schränkt auf eine Disaggregation der
Umsätze nach Tätigkeitsgebieten und
geographisch bestimmten Märkten im
Rahmen der Publizität grosser Kapital-
gesellschaften [9]. Der im Jahre 2000
Erfolgspotenzial Erfolg Liquidität verabschiedete Deutsche Rechnungs-
legungsstandard Nr. 3 (DRS 3) stellt
den Inhalt der Segmentberichterstat-
tung, soweit dieser zum Pflichtbestand-
teil der Publizität wird, auf ein interna-
tional übliches Niveau [10].
Strategische
Bilanzanalyse International gehören Kapitalfluss-
Unternehmensanalyse
rechnung und Segmentberichterstat-
tung schon seit Längerem zum Pflicht-
Unternehmensanalyse
bestandteil einer investororientierten
unternehmerischen Rechnungslegung.
Für deutsche börsennotierte Unter-
nehmen ist dieser Schritt erst im Jahre
1998 durch das Gesetz zur Kontrolle
strumente zum Pflichtbestandteil der Busse von Colbe [3] und Karl Käfer [4] und Transparenz im Unternehmensbe-
Jahresabschlusspublizität börsennotier- über Kapitalflussrechnungen. Karl reich (KonTraG) und das Kapitalauf-
ter Unternehmen geworden: die Kapi- Käfer entwickelt in seinem Standard- nahmeerleichterungsgesetz (KapAEG)
talflussrechnung und die Segmentbe- werk «Kapitalflussrechnungen» die vollzogen worden.
richterstattung. Im Folgenden wird Bauer’sche Bewegungsbilanz systema-
kurz auf die Entwicklung und rechtli- tisch zu einer eigentlichen Kapital- Aufgrund des durch das KontraG neu
che Verankerung dieser beiden Publi- flussrechnung, d.h. Finanzierungsrech- eingeführten Satzes § 297 Abs. 1 Satz 2
zitätsinstrumente eingegangen. nung mit ausgeschiedenem Fonds wei- HGB sind börsennotierte Mutterun-
ter; Walther Busse von Colbe stellt die ternehmen verpflichtet, ihren Kon-
Kapitalflussrechnung sogar in Konkur- zernanhang um eine Kapitalflussrech-
renz zu der auf Periodisierungen und nung und eine Segmentberichterstat-
2. Kapitalflussrechnung und damit Bewertungen beruhenden Er- tung zu erweitern. Die zunächst be-
Segmentberichterstattung als folgsrechnung. 1978 greift der Berufs- stehende Gesetzeslücke, wie die Ka-
neue Instrumente der stand der Wirtschaftsprüfer die Dis- pitalflussrechnung und Segmentbe-
Rechnungslegung börsen- kussion auf und empfiehlt – allerdings richterstattung zu gestalten sind, ist in-
ohne allzu breite Wirkung – die freiwil- zwischen durch die im Jahre 2000 ver-
notierter Unternehmen lige Ergänzung des Jahresabschlusses abschiedeten Deutschen Rechnungs-
Obgleich Kapitalflussrechnungen und um eine Kapitalflussrechnung [5]. Die legungsstandards Nr. 2 und Nr. 3 ge-
Segmentberichterstattungen erst ab empfohlene Form war allerdings auch schlossen worden. Das KapAEG hat
dem Geschäftsjahr 1999 zu Pflichtbe- noch weit von der heute international über den neu eingefügten § 292 a HGB
standteilen der Jahresabschlusspubli- gängigen zahlungsorientierten Form börsennotierten Mutterunternehmen
zität deutscher börsennotierter Gesell- eines «Cash-Flow-Statements» ent- die Option eröffnet, anstelle eines
schaften geworden sind, haben sie im fernt. Dieser Schritt wird erst fast 20 HGB-Abschlusses befreiend einen
deutschsprachigen Schrifttum und in Jahre später mit den Empfehlungen Abschluss nach international aner-
der berufsständischen Diskussion schon HFA 1/1995 [6] und – rechtlich ver- kannten Rechnungslegungsstandards
eine lange Tradition. bindlich – mit dem Deutschen Rech- zu erstellen und zu veröffentlichen.
nungslegungsstandard Nr. 2 (DRS 2) [7] Als international anerkannte Rech-
Den Beginn der Diskussion zur Ka- aus dem Jahre 2000 vollzogen. nungsstandards gelten üblicherweise
pitalflussrechnung hat der vielzitierte die International Accounting Stan-
Beitrag von Walter Bauer «Die Bewe- Die Diskussion zur Segmentberichter- dards (IAS) und die US-amerikani-
gungsbilanz und ihre Anwendbarkeit, stattung setzt im deutschsprachigen schen Grundsätze ordnungsmässi-
insbesondere als Konzernbilanz» aus Schrifttum mit der Monographie von ger Bilanzierung (US-GAAP). Bei-
dem Jahre 1926 gesetzt, in dem die Mit- Klaus Dietmar Haase aus dem Jahre de Rechnungslegungssysteme sehen
telherkunft und die Mittelverwendung 1974 mit dem Titel «Segment-Bilan- zwingend sowohl eine Kapitalfluss-
des Unternehmens aus der Verände- zen» an [8]. Eine erste Form der pflicht- rechnung (IAS 7 und FAS 95) als auch
rung zweier Jahresbilanzen abgeleitet mässigen Segmentberichterstattung eine Segmentberichterstattung (IAS 14
werden [2]. Ein weiterer Meilenstein kommt über die 4. und 7. EG-Richt- und FAS 131) vor, sodass auch im Falle
sind frühere Arbeiten von Walther linie im Jahre 1985 in Form des Bi- der Ausübung dieser Option die Kapi-
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talflussrechnung und Segmentbericht-


erstattung als neue Rechnungsle- Abbildung 2
gungsinstrumente pflichtgemäss hin- Kapitalflussrechnung (KFR) und Segmentberichterstattung (SBE)
zukommen. Die vorstehenden Zusam- als neue Instrumente der investororientierten Rechnungslegung
menhänge sind in Abbildung 2 zusam-
Aufstellungs- und Offenlegungspflicht
mengefasst. für börsennotierte Mutterunternehmen

Dem Bilanzanalytiker eröffnet sich


deshalb nunmehr die Möglichkeit, die (KonTraG) (KapAEG)
herkömmlichen bilanzanalytischen
HGB-Konzernabschluss befreiender Konzernabschluss
Werkzeuge um spezifische aus Kapital- (§ 297 Abs. 1 Satz 2 HGB) (§ 292a HGB)
flussrechnung und Segmentberichter-
stattung gewonnene Kennzahlen zu er- • KFR nach DRS 2 • IAS ➞ IAS 7 und IAS 14
gänzen. • SBE nach DRS 3 • US-GAAP ➞ FAS 95 und FAS 131

Nachfolgend werden zunächst die aus


der Kapitalflussrechnung ableitbaren
spezifischen Kennzahlen und deren Diese finanzwirtschaftliche Zweckori- Darüber hinaus kann der Kapitalfluss-
möglichen Erkenntnisse für die Jahres- entierung der Kapitalflussrechnung rechnung sekundär auch eine Indika-
abschlussanalyse vorgestellt. wird einheitlich von allen drei Stan- torfunktion im Hinblick auf die Er-
dards zur Kapitalflussrechnung (DRS tragskraft des Unternehmens zukom-
2, IAS 7 und FAS 95) in gleicher Weise men. So betont etwa FAS 95.5 aus-
gesehen. drücklich als weitere Zwecksetzung
3. Kapitalflussrechnung als der Kapitalflussrechnung, die Adressa-
Grundlage der Bilanzanalyse Nach den Zweckbestimmungen der ten bei ihrer Einschätzung zu unter-
Standards dient die Kapitalflussrech- stützen, welche Gründe zu Differenzen
3.1 Zwecksetzung der nung der Ermöglichung einer finanz- zwischen Jahresergebnis und Cash-
Kapitalflussrechnung wirtschaftlichen Beurteilung eines Un- Flow aus laufender Geschäftstätigkeit
ternehmens (Konzerns) auf Basis der geführt haben. Damit soll ein Indikator
Karl Käfer hat die Kapitalflussrech- Herkunft und Verwendung von Finan- bzgl. der «Qualität des Ergebnisses»
nung als dritte Jahresrechnung des Un- zierungsmitteln, insbesondere durch geliefert werden.
ternehmens bezeichnet [11]. Damit die Verbesserung des Einblicks in die
drückt er treffend aus, dass die Kapital- Fähigkeit des Unternehmens:
flussrechnung neben die Bilanz als In- 3.2 Die Kapitalflussrechnung
strument zur Darstellung der Vermö- – künftig Finanzüberschüsse zu erwirt- als Teil der finanzwirtschaftlichen
genslage und neben die Gewinn- und schaften, Bilanzanalyse
Verlustrechnung als Instrument zur – seine finanziellen Verpflichtungen zu
Darstellung der Ertragslage als eigen- erfüllen und Entsprechend ihrer primären Zweck-
ständiges Instrument zur Darstellung – Ausschüttungen an die Eigentümer setzung ist die Kapitalflussrechnung bi-
der Finanzlage des Unternehmens tritt. zu leisten. lanzanalytisch primär dem Bereich der

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tionen erzielten Mittelzuflüsse. Unter


Abbildung 3 dem Cash-Flow aus der Finanzierungs-
Erkenntnisziele der finanzwirtschaftlichen Bilanzanalyse tätigkeit (Finanzierungs-Cash-Flow)
versteht man schliesslich den Mittelzu-
Finanzwirtschaftliche Bilanzanalyse
und -abfluss aus der Aussenfinanzie-
rung mit Eigen- und Fremdkapital. Die
Summe dieser drei Teil-Cash-Flows
gibt den gesamten Mittelzu- bzw. -ab-
fluss des Unternehmens in der Be-
richtsperiode wieder; er schlägt sich
Investitionsanalyse Finanzierungsanalyse folglich in der Veränderung des so ge-
Liquiditätsanalyse
Die Vermögensstruktur Die Kapitalstruktur nannten Finanzmittelfonds nieder. In-
vestitions- und Finanzierungs-Cash-
Flow sind durch die zugrunde liegen-
den Investitions- und Finanzierungs-
prozesse vorgegeben. Bei gegebenem
Investitions- und Finanzierungs-
aufgrund von Bestands- aufgrund von Strom-
grössen (statische grössen (dynamische Cash-Flow hängt die Definition und
Liquiditätsanalyse) Liquiditätsanalyse) Messung des operativen Cash-Flows
folglich von der Abgrenzung des Fi-
nanzmittelfonds ab.

Wird der Finanzmittelfonds eng, näm-


finanzwirtschaftlichen Bilanzanalyse 3.3 Cash-Flow-Analyse zur lich im Sinne von «Zahlungsmittel
zuzuordnen. Die Erkenntnisziele der Beurteilung der Innen- und und Zahlungsmitteläquivalente» abge-
finanzwirtschaftlichen Bilanzanalyse Aussenfinanzierung grenzt, so entsteht ein exakter, weit
sind auf die Investitions-, die Finanzie- vom Erfolgskonzept der GuV ent-
rungs- und Liquiditätsanalyse gerichtet Gemäss dem Modell der zahlungsori- fernter zahlungsorientierter operativer
(vgl. Abbildung 3). entierten Kapitalflussrechnung, wie es Cash-Flow-Begriff, wie er auch den
– von kleinen Unterschieden abgese- drei Standards zur Kapitalflussrech-
Untersuchungsobjekt der Investitions- hen – in allen drei Standards verwirk- nung zugrunde liegt. Der unbestrittene
analyse sind Art und Zusammenset- licht ist, lässt sich der gesamte Cash- Vorteil dieser engen Fondsabgrenzung
zung des Vermögens sowie die Dauer Flow eines Unternehmens auf drei Be- ist, dass er als operativer Cash-Flow
der Vermögensbindung. Im Zentrum reiche zuordnen (vgl. Abbildung 4). ausschliesslich Zahlungen und nicht
der Finanzierungsanalyse stehen die zahlungsnahe Ertragsgrössen und so-
Betrachtung der Kapitalstruktur im mit periodisierte Grössen enthält. Auf
Hinblick auf Quellen und Zusammen- diese Weise wird ein exakter Einblick
setzung nach Art, Sicherheit und Fri- Abbildung 4 in die tatsächliche Innenfinanzierung
stigkeit des Kapitals zum Zwecke der Cash-Flow-Bereiche der des Unternehmens gewährt.
Abschätzung der Finanzierungsrisiken. Kapitalflussrechnung
Beide Analysebereiche verwenden in Wird der Finanzmittelfonds weit, näm-
erster Linie Kennzahlen, die aus der Cash-Flow aus laufender lich wie in früheren Kapitalflussrech-
Aktiv- und Passivseite der Bilanz gene- Geschäftstätigkeit nungen oft üblich im Sinne des Netto-
riert werden. Durch den Abgleich der + Cash-Flow aus Investitionstätigkeit umlaufvermögens abgegrenzt, dann
so gewonnenen Vermögens- und Kapi- + Cash-Flow aus Finanzierungs- entsteht ein vereinfachter, eng am Er-
tätigkeit
talstrukturkennzahlen lassen sich be- folgskonzept der GuV orientierter
reits Hinweise auf die Liquidität des = Veränderung des Finanzmittelfonds operativer Cash-Flow-Begriff. Er ent-
Unternehmens gewinnen. Der eigent- spricht der Differenz von einnahme-
liche Kern der Liquiditätsanalyse ist wirksamen Erträgen und ausgabewirk-
die stromgrössenorientierte Liquidi- samen Aufwendungen. Änderungen
tätsanalyse, bei der nicht nur die in des Nettoumlaufvermögens sind bei
Bestandsgrössen eingefrorenen Zah- Der Cash-Flow aus laufender Ge- dieser Abgrenzung nicht mehr Be-
lungseingangs- und Zahlungsausgangs- schäftstätigkeit (operativer Cash- standteil des operativen Cash-Flows,
potenziale gegenübergestellt, sondern Flow) entspricht dem aus dem laufen- sondern des Finanzmittelfonds. Man
im Sinne einer dynamischen Betrach- den Leistungsgeschäft des Unterneh- spricht deshalb auch vom Brutto-Cash-
tung die tatsächlichen Zahlungsflüsse mens erzielten Zahlungsüberschuss. Flow oder – wegen seiner Nähe zum
des Unternehmens mit seiner Aussen- Der Cash-Flow aus der Investitions- Erfolg – von Ertrags-Cash-Flow oder
welt dargestellt und analysiert werden. tätigkeit (Investitions-Cash-Flow) be- Cash Earnings. Dies ist die Bezeich-
Genau an dieser Stelle setzt das Werk- zeichnet den Mittelabfluss für Investi- nung, die die von der Deutschen Verei-
zeug der Kapitalflussrechnung an. tionen abzüglich der aus den Investi- nigung für Finanzanalyse zusammen
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mit der Schmalenbach-Gesellschaft Cash-Flows aus laufender Geschäfts- ter liegenden Ursachen höchst unter-
entwickelte Cash-Flow-Formel (Cash tätigkeit andererseits erhalten blieben, schiedlich. A investiert 15 Geldeinhei-
Earnings nach DVFA/SG) verwen- ohne die jeweiligen Nachteile in Kauf ten bei einem Cash-Flow aus laufender
det [12]. zu nehmen. Das setzt voraus, dass der Geschäftstätigkeit von 20 Geldeinhei-
Zahlungsmittelfonds eng abgegrenzt ten. Zusammen mit der Aussenfinan-
Der Vorteil eines so definierten opera- ist, zugleich aber im Rahmen des zierung von 5 Geldeinheiten führt dies
tiven Brutto-Cash-Flows ist, dass die- Cash-Flow aus laufender Geschäfts- zur Erhöhung der liquiden Mittel um
ser Cash-Flow von jährlichen Schwan- tätigkeit der Brutto-Cash-Flow und die 10 Geldeinheiten.
kungen des Nettoumlaufvermögens Veränderung des Nettoumlaufvermö-
unbeeinflusst bleibt und deshalb eine gens, die in Summe den Cash-Flow aus Die Situation von B ist vordergründig
nachhaltigere Prognosekraft bzgl. der laufender Geschäftstätigkeit ausma- mit der von A vergleichbar. Im Unter-
Innenfinanzierungskraft des Unter- chen, jeweils getrennt erfasst und aus- schied zu A ist der Cash-Flow aus lau-
nehmens spiegelt. Der Nachteil ande- gewiesen würden. fender Geschäftstätigkeit bei B nur zur
rerseits ist, dass nicht Zahlungsströme, Hälfte auf einen nachhaltigen Cash-
sondern zahlungsnahe Erträge und Dieser Grundgedanke soll an einem Flow zurückzuführen. In Höhe von 10
Aufwendungen gezeigt werden und stark vereinfachten Beispiel (Abbil- Geldeinheiten wurde die Mittelbin-
damit die unmittelbare Verbindung zur dung 5) von vier Unternehmen A, B, C dung im Nettoumlaufvermögen verrin-
Zielgrösse Liquidität verloren geht. und D veranschaulicht werden. gert, sodass sich dadurch erst das Ni-
Für die Liquiditätsanalyse wäre es vor- veau von 20 Geldeinheiten beim Cash-
teilhaft, wenn die Kapitalflussrechnung Alle vier Beispielunternehmen weisen Flow aus laufender Geschäftstätigkeit
so gestaltet wäre, dass die Informa- eine Erhöhung der liquiden Mittel um ergibt. Die Minderung der Mittelbin-
tionsvorteile des Brutto-Cash-Flows 10 Geldeinheiten auf. Wie die Kapital- dung im Nettoumlaufvermögen ist al-
einerseits und des zahlungsorientierten flussrechnungen zeigen, sind die dahin- lerdings ein Einmaleffekt, der sich in

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Die Trennung zwischen Brutto-Cash-


Abbildung 5 Flow und Änderung des Nettoumlauf-
Cash-Flow-Analyse vermögens ist als Pflichtinformation in
den Standards zur Kapitalflussrech-
A B C D nung nicht vorgesehen. Eine freiwillige
Brutto-Cash-Flow (z. B. Cash Earnings) 20 10 20 10
Angabe ist zulässig, wird aber nur in
Veränderung des Nettoumlaufvermögens 0 10 –10 0 seltenen Fällen vorgenommen. Analy-
tisch ist man deshalb auf eine nähe-
1) Cash-Flow aus laufender Geschäftstätigkeit 20 20 10 10
2) Cash-Flow aus Investitionstätigkeit –15 –15 –15 –5
rungsweise Erfassung angewiesen. So
3) Cash-Flow aus Finanzierungstätigkeit 5 5 15 5 ist es im Fall Siemens nicht exakt mög-
lich, die Nettoumlaufvermögensände-
4) Veränderung des Finanzmittelfonds 10 10 10 10
rung zu ermitteln, da eine Trennung
zwischen langfristigen und kurzfristi-
gen Rückstellungen im Rahmen der
Kapitalflussrechnung nicht erfolgt.
diesem Umfang kaum auf Dauer wie- weise wurden aber auch Investitions-
derholen lässt. Die Liquiditätsposition auszahlungen durch unbare Investitio-
von B ist deshalb als schwächer einzu- nen, wie z.B. Leasing ersetzt. 3.4 Kennzahlenanalyse mit Hilfe
schätzen als die von A. der Kapitalflussrechnung
Wie wichtig diese Trennung von
C ist im Hinblick auf den nachhaltigen Brutto-Cash-Flow und Änderung des Die Analyse von Innenfinanzierung,
Cash-Flow mit A vergleichbar, hat Nettoumlaufvermögens ist, mag der Investition und Aussenfinanzierung
allerdings eine Verschlechterung der Blick in zwei ausgewählte Beispiele aus auf der Grundlage der Kapitalfluss-
Mittelbindung im Nettoumlaufvermö- aktuellen Geschäftsberichten zeigen rechnung kann durch Bildung von
gen realisiert, die durch eine zusätzli- (vgl. Abbildung 6). Kennzahlen unterstützt werden. Es
liegt nahe, drei Kennzahlenbereiche zu
unterscheiden:

Abbildung 6 – Kennzahlen zur Analyse der Innen-


Cash-Flow-Analyse – Siemens und Salzgitter (Mio. EUR) finanzierungskraft,
– Kennzahlen zur Analyse der Ver-
Siemens Salzgitter schuldungsfähigkeit,
2000 1999 1999 1998 – Kennzahlen zur Analyse der Ertrags-
kraft und zum Unternehmenswert.
Brutto-Cash-Flow 7 604 5 076 148 200
Veränderung des Netto-UV + 550 + 637 + 30 – 127
Cash-Flow aus laufender Geschäftstätigkeit 8 154 5 713 178 73 3.4.1 Kennzahlen zur Analyse
Cash-Flow aus Investitionstätigkeit – 2 209 – 4 625 – 112 – 80 der Innenfinanzierungskraft
Cash-Flow aus Finanzierungstätigkeit – 1 054 – 1 742 – 24 – 29
Die Innenfinanzierungskraft kann an-
Zahlungswirksame Fondsänderung + 4 891 – 654 42 – 36 hand des so genannten Investitionsgra-
des gemessen werden, bei dem die bei-
den ersten Salden der Kapitalfluss-
rechnung, nämlich der Cash-Flow aus
che Aussenfinanzierung kompensiert Das Beispiel lässt deutlich erkennen, laufender Geschäftstätigkeit und der
wurde. Hier ist die entscheidende Fra- dass der Anstieg des Cash-Flow aus Cash-Flow aus der Investitionstätigkeit
ge, ob die zusätzliche Mittelbindung im laufender Geschäftstätigkeit im Falle zueinander ins Verhältnis gesetzt wer-
Nettoumlaufvermögen auf strukturel- Siemens von über 40% auf eine gestie- den (vgl. Abbildung 7, 1. Kennzahl).
len Schwächen (z. B. Ansteigen der gene Ertrags- und damit Innenfinan-
Vorräte wegen nicht marktgerechter zierungskraft zurückzuführen ist; der Diese Kennzahl signalisiert als Infor-
Produkte, Anstieg des Kundenziels Anstieg beruht im Wesentlichen auf mationsgehalt den prozentualen Anteil
wegen Qualitätsmängeln) beruht und einem Anstieg des Brutto-Cash-Flow. des Free Cash-Flow am gesamten ope-
sich deshalb in einem sinkenden nach- Dagegen resultiert der Anstieg des rativen Cash-Flow. Ein Investitions-
haltigen Cash-Flow niederschlagen Cash-Flow aus laufender Geschäfts- grad von z.B. 60% besagt, dass der
wird. tätigkeit im Falle Salzgitter von über operative Cash-Flow ausreichte, die
140% aus einer positiven Veränderung gesamten Nettoausgaben für Investi-
D schliesslich hat einen niedrigeren des Nettoumlaufvermögens. Der An- tionen zu decken, und dass darüber
nachhaltigen Cash-Flow als A reali- stieg des Cash-Flow aus laufender hinaus ein verfügbarer Free Cash-
siert. Die liquiditätsmässige Kompen- Geschäftstätigkeit ist eher als einmali- Flow in Höhe von 40 % verbleibt, der
sation wurde durch eine konsolidierte ger Effekt zu werten; der nachhaltige zur Schuldentilgung, zur Bedienung
Investitionspolitik erreicht. Möglicher- Cash-Flow sinkt um 26%. von Dividenden oder zum Rückkauf
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von Eigenkapitaltiteln eingesetzt


werden kann. Abbildung 7
Kennzahlen der Innenfinanzierungskraft
Bei dieser Interpretation ist allerdings
einschränkend zu beachten, dass ein (–) Cash-Flow aus Investitionstätigkeit
Investitionsgrad =
niedriger Investitionsgrad aus einer Cash-Flow aus laufender Geschäftstätigkeit
starken Reduzierung der Investiti-
onstätigkeit resultieren kann. Ergän-
zend ist deshalb die so genannte Investitionen
Wachstumsquote =
Wachstumsquote zu betrachten, die an
Abschreibungen
dem Verhältnis der getätigten Investi-
tionen zu den Abschreibungen gemes-
sen werden kann (vgl. Abbildung 7, 2. Beispiel Siemens 2000 1999
Kennzahl).
Investitionsgrad 27 % 81 %
Wachstumsquote 208 % 137 %
Ein Kennzahlenwert über 100% signa-
lisiert, dass in einem Ausmass investiert
wurde, das den Verbrauch – gemessen
an den Abschreibungen – überschrei-
tet, dass also eine auf Wachstum ge- üblichen Segmentierung von Ge- rungs- und Prognosegehalt von finanzi-
richtete Investitionspolitik vorliegt. schäftsfeldern in Nachwuchs-, Star- ellen Kennzahlen im Hinblick auf In-
Aus der Systematik der Kapitalfluss- und Cash-Geschäftsfelder, so lassen solvenzereignisse als relevant erwie-
rechnung heraus würde es nahe liegen, sich auf der Ebene der einzelnen Ge- sen [13]. Eine häufig verwendete Kenn-
die Investitionen durch den Cash-Flow schäftsfelder normierte Sollvorstellun- zahl ist der dynamische Verschuldungs-
aus der Investitionstätigkeit zu messen. gen für Wachstumsquote und Investiti- grad, der sich unter Nutzung der Daten
Das hätte den Nachteil, dass nicht die onsgrad ableiten (vgl. Abbildung 8). der Kapitalflussrechnung als Relation
eigentliche Investitionstätigkeit, son- von Netto-Finanzschulden zu Cash-
dern der zahlungsorientierte Saldo aus Derartige Sollvorstellungen lassen sich Flow aus der laufenden Geschäftstätig-
Investition und Desinvestition abgebil- im Zusammenhang mit der Segment- keit definieren lässt (vgl. Abbildung 9).
det würde und damit keine Entspre- analyse anwenden, auf die noch einge-
chung von Investitionen im Zähler und gangen wird. Der dynamische Verschuldungsgrad
Abschreibungen im Nenner vorliegen misst die Anzahl der Jahre, in denen ce-
würde. Es ist deshalb zu empfehlen, aus teris paribus eine Tilgung der Netto-Fi-
3.4.2 Kennzahlen zur Analyse
dem Cash-Flow aus der Investitions- nanzschulden aus dem selbst erwirt-
der Verschuldungsfähigkeit
tätigkeit lediglich die Auszahlungen für schafteten Cash-Flow möglich wäre.
Investitionen in immaterielle Anlagen, Da Verbindlichkeiten letztlich nur aus Die Netto-Finanzschulden entspre-
Sachanlagen und für den Erwerb von selbst erwirtschafteten Mitteln getilgt chen dabei den Anleihen, den Ver-
Mehrheitsbeteiligungen zu verwenden. werden können, gelten Relationen von bindlichkeiten gegenüber Kreditinsti-
Verschuldung zu erwirtschaftetem tuten sowie den Schuldschein- und
Für das Beispiel Siemens ergeben sich Cash-Flow als Indikatoren der Ver- sonstigen Darlehen abzüglich der vor-
die in Abbildung 7 wiedergegebenen schuldungsfähigkeit und damit als handenen Zahlungsmittel und Zah-
Kennzahlenwerte. Die Zahlen deuten wichtige Kriterien des Insolvenzrisikos. lungsmitteläquivalente im Sinne des Fi-
auf eine hohe und stark verbesserte In- Derartige Kennzahlen haben sich auch nanzmittelfonds der Kapitalflussrech-
nenfinanzierungskraft bei zugleich ag- in empirischen Analysen zu Erklä- nung. Im Sinne einer nachhaltigen
gressiver und verstärkter Investitions-
tätigkeit hin. Die extreme Verbesse-
rung des Investitionsgrades resultiert
allerdings mit Einnahmen in Höhe von Abbildung 8
rund 10 Mrd. EUR aus einem Einmal- Innenfinanzierungskraft, Wachstum und Portfolioposition
effekt, nämlich dem Börsengang von
Infineon. Kennzahlen
Wachstumsquote Investitionsgrad
Die im Beispiel Siemens widergespie- Portfolioposition
gelte Situation eines Investitionsgrades
von deutlich unter 100 % bei einer Nachwuchs-Geschäft >> 1 >> 1
Wachstumsquote von zugleich über >
Star-Geschäft >1 =1
100 % kommt aus Gesamtunterneh- <
menssicht sicherlich einem erstrebens- Cash-Geschäft 1 << 1
werten Idealzustand nah. Folgt man
der aus der Portfoliobetrachtung oft
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nung beinhalten, ist der Cash-Flow


Abbildung 9 aus laufender Geschäftstätigkeit für
Dynamischer Verschuldungsgrad eine vereinfachte Cash-Flow-Formel
zu approximieren, etwa durch die
Dynamischer Netto-Finanzschulden Kennzahl Earnings before Interest,
=
Verschuldungsgrad Cash-Flow aus laufender Geschäftstätigkeit
Tax, Depreciation and Amortisation
(EBITDA).

Beispiel Siemens 2000 1999 Bei allen partiellen Kennzahlen ist – so


auch bei der Cash Burn Rate – im Hin-
Dynamischer
Verschuldungsgrad 0,28 0,94 blick auf die Interpretation Vorsicht
geboten. Dies gilt insbesondere dann,
wenn auf der Grundlage solcher par-
tieller Kennzahlenanalysen Unterneh-
mensvergleiche in Form von Rankings
Aussage kann es nahe liegen, statt des Fremdkapitalgebern zur Verfügung ge- oder gar Todeslisten angestellt wer-
Cash-Flow aus der laufenden Ge- stellt wird. Aus dieser Überlegung her- den. Wegen der Bedeutung, die die-
schäftstätigkeit den Brutto-Cash-Flow aus ist als Insolvenzindikator die so ge- sen Rankings in der Finanzpresse zum
zu verwenden. Aus ähnlichen Überle- nannte «Cash Burn Rate» entwickelt Teil zugemessen wurde, seien die
gungen verwendet der Kreditleitfa- worden, bei der die vorhandene Liqui- wichtigsten Voraussetzungen für die
den des Bundesaufsichtsamtes für das dität zum Mittelabfluss aus laufender Verwendung der Cash Burn Rate ge-
Versicherungswesen als eine von vier Geschäftstätigkeit betrachtet wird: nannt [17]:
Kennzahlen die Entschuldungsdauer,
bei der das bereinigte Gläubigerkapital
zu einem vereinfacht gemessenen Er-
trags-Cash-Flow ins Verhältnis gesetzt
liquide + geldnahe Mittel liquide + geldnahe Mittel
wird [14]. Für das Beispiel Siemens er- Cash Burn Rate = oder
geben sich die in Abbildung 9 wieder- (negativer) Cash-Flow aus (negativer) EBITDA
laufender Geschäftstätigkeit
gegebenen Werte für den dynamischen
Verschuldungsgrad.

Im Beispielsfalle weist der dynamische


Verschuldungsgrad extrem günstige Die Cash Burn Rate soll angeben, in – Der Nenner «Cash-Flow» ist einheit-
Werte auf: Im Jahre 1999 liegt die durch welchem Zeitraum (vorzugsweise ge- lich definiert und umfasst sämtliche
den dynamischen Verschuldungsgrad messen in Monaten) damit zu rechnen operativen Zahlungseingänge und
gemessene Tilgungsdauer knapp unter ist, dass die verfügbare Liquidität ver- -abgänge des Unternehmens.
einem Jahr, im Jahre 2000 sinkt sie auf braucht ist und damit Zahlungsun- – Der Zähler «liquide und geldnahe
knapp über ein Quartal. Diese extrem fähigkeit eintritt. Auf der Grundlage Mittel» enthält das totale Finanzpo-
kurze Tilgungsdauer hat ihre Ursache derartiger Cash Burn Rates wurden im tenzial des Unternehmens. Die Auf-
in dem hohen Liquiditätszufluss aus März 2000 vom US-amerikanischen nahme neuer Geldmittel von Fremd-
dem Börsengang von Infineon. Anlegermagazin «Barron’s»[15] Burn- und/oder Eigenkapitalgebern ist nicht
out-Rankings für an der Nasdaq no- möglich.
Der dynamische Verschuldungsgrad ist tierte Unternehmen veröffentlicht. In- – Die historischen Quartals- bzw. Jah-
als Insolvenzindikator auf Unterneh- itiiert durch die Studie von Barron’s resabschlussdaten sind für die Ab-
men gerichtet, die sich mehr oder we- und eine Internetstudie von Pricewa- schätzung der zukünftigen Entwick-
niger im eingeschwungenen Zustand terhouseCoopers [16] wurden Mitte lung repräsentativ.
befinden, d.h. die ihr Geschäft zum Teil 2000 in der Deutschen Anleger- und
fremdfinanziert haben, andererseits Finanzpresse so genannte Todeslisten Gerade in einem sich so stark verän-
aber positive Cash-Flows aus operati- von Unternehmen der New Economy dernden Segment wie der Interneteco-
ver Geschäftstätigkeit erwirtschaften, veröffentlicht. nomy sind diese Voraussetzungen oft
die unter anderem zur Schuldenbedie- nicht gegeben, sodass die Analyse auf
nung zur Verfügung stehen. Unterneh- Wegen der besonderen Dynamik der der Grundlage einzelner Kennzahlen
men in der Start-up-Phase, insbeson- Internetmärkte sind Cash Burn-Kenn- nur schwierig möglich ist. Das zeigt z.B.
dere Internetunternehmen erwirtschaf- zahlen auf der Grundlage von Quar- die Einschätzung der Burnout-Zeit-
ten häufig in der ersten Zeit negative talsberichten zu definieren, die auf- spanne von Amazon.com in der Studie
Cash-Flows und sind deshalb für die grund der Quartalsberichterstattungs- Barron’s, die in Abbildung 10 wieder-
gesamte Start-up-Phase zur Siche- pflicht von am Neuen Markt notierten gegeben ist.
rung der Überlebensfähigkeit auf die Unternehmen verfügbar sind. Da
Verfügbarkeit von Liquidität angewie- die Quartalsberichte im Allgemeinen Auf der Basis der Ergebnisse des
sen, die ihnen von Eigenkapital- und keine vollständige Kapitalflussrech- 4. Quartals 1999 wird die Burnout-
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RECHNUNGSWESEN
Adolf G. Coenenberg, Kapitalflussrechnung als Instrument der Bilanzanalyse

satz von Eigenkapital- und Fremdkapi-


Abbildung 10 talkosten (für Finanzschulden und Pen-
Burnout Rate für Amazon.com sionsrückstellungen) zusammensetzen.
Der für die Unternehmensbewertung
Quartal Monats-EBITDA Cash + Equivalents + Burnout relevante Free Cash-Flow lässt sich aus
[in Mio. USD] Marketable Securities in Monaten der Kapitalflussrechnung in drei Berei-
[in Mio. USD] (ab Quartalsende) nigungsschritten, wie in Abbildung 11
4/1999 – 58 706 12 dargestellt, ableiten.
1/2000 – 27 1009 37
2/2000 – 29 908 31 Dem Cash-Flow aus der laufenden Ge-
3/2000* – 24 900 37 schäftstätigkeit werden die gezahlten
Zinsen sowie die gezahlten Ertragsteu-
*Eigene Berechnung ern, soweit sie im operativen Cash-
Flow abgesetzt sind, hinzugefügt. Letz-
teres ist erforderlich, soweit die gezahl-
ten Ertragsteuern erst auf der Ebene
Zeitspanne mit 12 Monaten, auf towert des Unternehmens, auch Enter- des Kapitalgebers relevant werden.
Grundlage der Daten des 1. Quartals prise-Value genannt, durch die Dis- Vom so bereinigten Cash-Flow sind die
2000 dagegen mit 37 Monaten angege- kontierung der Free Cash-Flows vor betrieblichen Steuern abzusetzen, das
ben. Ein Grund liegt in der Begebung
von Wandelanleihen erheblichen Um-
fangs im 1. Quartal 2000, die die Liqui-
ditätssituation naturgemäss erheblich Abbildung 11
verbessert hat und infolge dessen die Free Cash-Flow zur Ermittlung des Unternehmenswertes
Burnout-Zeitspanne um das 3-fache
vergrössert hat.
Cash-Flow aus der laufenden Geschäftstätigkeit
+ gezahlte Zinsen (soweit dem operativen Bereich zugeordnet)
+ gezahlte Ertragsteuern (KSt und GESt, soweit dem operativen Bereich zugeordnet)
3.4.3 Kapitalflussrechnung als = Operativer Cash-Flow vor gezahlten Zinsen und Ertragsteuern
Grundlage zur Analyse des + Cash-Flow aus der Investitionstätigkeit
Unternehmenswertes – fiktiver Betriebsteueraufwand (EBIT  s)
= Free Cash-Flow
Als weiteres Anwendungsgebiet der
Kennzahlenanalyse der Kapitalfluss-
rechnung sei die Unternehmensbewer-
tung genannt. Von den verschiedenen
Ansätzen zur Bewertung ganzer
Unternehmen sei hier die Brutto- Zinsaufwand und nach betrieblichen ist nach bis 2000 gültigem deutschen
Discounted Cash-Flow Methode her- Steuern mit den durchschnittlichen Ka- Steuersystem die Gewerbeertragsteu-
ausgegriffen. Diese ermittelt den Brut- pitalkosten, die sich aus einem Misch- er, künftig auch die Körperschaft-
steuer. Da aus den Angaben der Ka-
pitalflussrechnung weder die künfti-
gen Cash-Flows erkennbar sind noch
Abbildung 12 a priori Kenntnis über die Kapitalko-
Free Cash-Flow-Multiple sten des Unternehmens besteht, lässt
sich aus den so gewonnenen Daten
Free Cash-Flow = Bruttowert des Unternehmens nicht unmittelbar der Wert des Unter-
Multiple Free Cash-Flow
nehmens ermitteln. Andererseits lässt
sich der Bruttomarktwert des Unter-
nehmens aus vorhandenen Daten ab-
Beispiel Siemens 2000 1999 leiten. Die Summe aus Marktkapitali-
Bruttowert sierung des Eigenkapitals, Pensions-
[Mio. EUR, Jahresdurchschnitt] 81.6 52.9 rückstellungen und Netto-Finanzschul-
Free Cash-Flow* 7.5 2.0 den lässt sich als Bruttomarktwert des
[Mio. EUR] Unternehmens interpretieren. Durch
Free Cash-Flow-Multiple 11 28 die Relation des Bruttomarktwertes
des Unternehmens zum bereinigten
* Free Cash-Flow + Zinsen und ähnliche Aufwendungen + Ertragsteuern (ohne latenten Steueraufwand) Free CashFlow lässt sich ein aktuelles
– 35 % Betriebsteuern auf das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit Free Cash-Flow-Multiple ermitteln
(vgl. Abbildung 12).
Der Schweizer Treuhänder 4/01 319
RECHNUNGSWESEN
Adolf G. Coenenberg, Kapitalflussrechnung als Instrument der Bilanzanalyse

Das Free Cash-Flow-Multiple lässt sich Anmerkungen Busse von Colbe, W. [1966]: Aufbau und Infor-
mationsgehalt von Kapitalflussrechnung, in: ZfB
als Kehrwert einer marktbezogenen 1 Zur Definition und zur folgenden Systematik 1966, Ergänzungsheft, S. 82ff.
Free Cash-Flow-Rendite interpretie- vgl. Coenenberg, A. G. [2000], S. 873ff.
Coenenberg, A. G. [2000]: Jahresabschluss und
ren. Im Vergleich zu den Sollvorstel- 2 Bauer, W. [1926]. Jahresabschlussanalyse, 17. Aufl., Landsberg a.
lungen durchschnittlicher Kapitalko- 3 Busse von Colbe, W. [1966]. Lech 2000.
sten lassen sich so Aussagen über die 4 Käfer, K. [1967], diesem Standardwerk Kä- DVFA/SG [2000]: Ergebnis je Aktie nach DVFA/
fers gingen mehrere Aufsätze voraus. Der SG, Gemeinsame Empfehlung, 3. Aufl., Stuttgart
wertorientierte Rentabilität des Unter- erste Beitrag war Käfer, K. [1948]. 2000.
nehmens ableiten. 5 IDW [1978]. Haase, K. D. [1974]: Segment-Bilanzen, Wiesba-
6 IDW/SG [1995]. den 1974.
Für das Beispielsunternehmen Sie- 7 Zum DRS 2 im Vergleich zu IAS 7 und FAS Hauschildt, J./Leker, J. (Hrsg.) [2000]: Krisendia-
mens ergeben sich, wie in Abbildung 12 95 vgl. Coenenberg, A.G. [2000], S. 725ff. gnose durch Bilanzanalyse, 2. Aufl., Köln 2000.
dargestellt, Free Cash-Flow-Multiples 8 Haase, K. D. [1974]. IDW [1978]: Stellungnahme HFA 1/1978: Die
9 Vgl. §§ 285 Nr. 4 und 314 Nr. 3 HGB. Kapitalflussrechnung als Ergänzung des Jahres-
von 11 und 28. abschlusses, in: WPg 1978, S. 207f.
10 Zum DRS 3 im Vergleich zu IAS 14 und FAS
131 vgl. Coenenberg, A. G. [2000], S. 770ff. IDW/SG [1995]: Stellungnahme HFA 1/1995:
Man sieht, dass die Wertkennzahlen 11 Käfer, K. [1967]. Die Kapitalflussrechnung als Ergänzung des
stark von der Volatilität des Enter- Jahres- und Konzernabschlusses, in: WPg 1995,
12 DVFA/SG [2000]. S. 210 ff.
prise-Value und den Schwankungen 13 Vgl. Altmann, E. I. [1968]; Hauschildt, J./ Käfer, K. [1948]: Der Liquiditätsausweis, ein
des Free Cash-Flow abhängen, der sei- Leker, J. (Hrsg.) [2000]; Baetge, J. [1998], neuer Bestandteil der Abschlussrechnungen
nerseits stark von der Investitionstätig- S. 560ff. (Teil I und Schluss), in: Büro und Verkauf, Nr.
keit des Jahres und insbesondere auch 14 Bald, E.-J. u. a. [1992]. X/Oktober 1948, S. 4-7 und Nr. XI/November
15 Vgl. Willoughby, J. [2000a]. Zu den Burnout- 1948, S. 45–50.
von Einnahmen aus Portfoliobereini- Rankings von Barron’s für die Unterneh- Käfer, K. [1967]: Kapitalflussrechnungen, Stutt-
gungen (Desinvestitionen) gekenn- mensergebnisse des ersten und des zweiten gart 1967 (2. Aufl. 1984).
zeichnet sein kann. Jedenfalls zeigt Quartals 2000 vgl. Willoughby, J. [2000b];
Küting, K. [2000]: Bilanzanalyse am Neuen
das Free Cash-Flow-Multiple von 28 im Willoughby, J. [2000c].
Markt (Teil I und II), in: Finanz Betrieb 2000,
16 PricewaterhouseCoopers [2000]; siehe auch
Jahre 1999, dass der Bruttomarktwert die von der GZ-Bank herausgegebene Kurz-
S. 597ff. und S. 674ff.
verglichen am Free Cash-Flow Niveau studie über die Cash Burn Rate von Schies- PricewaterhouseCoopers [2000]: Internet 150 –
deutlich überhöht bzw. der Free Cash- ser, S./Reigber, T. [2000]. Eine Analyse über die Unternehmens-Perfor-
mance in der europäischen Internetbranche,
Flow verglichen am Marktwert deut- 17 Vgl. Küting, K. [2000], S. 678. URL: http://212.184.106.144/30000_publikatio-
lich zu niedrig ausfällt. Für das Jahr nen/30000_publikationen.htm, Stand: 07.12.2000.
2000 gilt die umgekehrte Aussage: Literatur Schiesser, S./Reigber, T. [2000]: Cash Burn Rate
Mit einem Multiple von 11, d. h. einer Altmann, E. I. [1968]: Financial Ratios, Discrimi- – Kurzstudie (Stand: Juli 2000), hrsg. v. GZ-Bank,
nant Analysis and the Prediction of Corporate Frankfurt/Stuttgart 2000.
marktwertbezogenen Rendite von Bankruptcy, in: The Journal of Finance 1968, Willoughby, J. [2000a]: Burning Up – Warning:
etwa 10%, haben sich Marktwert und S. 589 ff. Internet companies are running out of cash – fast,
Free Cash-Flow auf ein durchaus eher Baetge, J. [1998]: Bilanzanalyse, Düsseldorf 1998. in: Barron’s v. 20.03.2000, S. 29–32.
normalisiertes Niveau hin bewegt. Da- Bald, E.-J. u.a. [1992]: Leitfaden für die Vergabe Willoughby, J. [2000b]: Up In Smoke – Dot.coms
bei ist allerdings zu beachten, dass das von Unternehmenskrediten – Schuldscheindar- are still burning cash, but the market has forced
lehen – (Kreditleitfaden), Karlsruhe 1992. big changes, in: Barron’s v. 19.06.2000, S. 31–36.
hohe Free Cash-Flow Niveau zu einem
Bauer, W. [1926]: Die Bewegungsbilanz und ihre Willoughby, J. [2000c]: Smoldering – ‘Net com-
Teil aus einmaligen Portfoliobereini- Anwendbarkeit, insbesondere als Konzernbi- panies, still burning cash, try to conserve their
gungseffekten resultiert. lanz, in: ZfhF 1926, S. 485–544. tinder, in: Barron’s v. 02.10.2000, S. 38–45.

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