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Zement von Heiner Müller in der Inszenierung von Dimiter

Gotscheff:
Prometheus ohne Feuer | Prometheus ganz in Grau

2020W 170230-1 Proseminar "Theatrale und mediale Räume" - Feuer Elementare


Naturkräfte in der Szenografie
Fr. Dr. Prof. Brigitte Marschall

11717245

Dominik Fürer
EINLEITUNG

„Das Feuer wurde von Prometheus den Göttern geraubt und den Menschen zum Geschenk
gemacht […].“

„Ihn interessiere“, schrieb Heiner Müller 1973, an dieser Geschichte „das Feuer, nicht die
Asche.“1

Denkt man über den Begriff des Feuers nach, wird einem Menschen - der zumindest kurz mit
den griechischen Tragödien in Berührung gekommen ist - unweigerlich die Figur des
Prometheus in den Sinn kommen. Sich der Menschheit opfernd, um ihr die Macht des Feuers
zu bringen, ist vor allem auch seine anschließende Strafe in den meisten Köpfen verankert:
Festgebunden an einen Felsen wird ihm täglich die Leber von einem hundsköpfigen Adler bei
lebendigem Leibe aus dem Körper gerissen - bis in alle Unendlichkeit.

Dieser erste Gedanke bzw. der erste Inhalt, der in diesem Themenkreis auftauchte, war
prägend, denn eigentlich war die Aufgabe, eine Arbeit über das Bühnenbild zu schreiben. So
geht diese Arbeit den umgekehrten Weg; Anstatt das Bühnenbild als
Untersuchungsgegenstand als erstes auszusuchen, ging es zuerst darum, die Figur des
Prometheus in der Dramenliteratur zu suchen und dessen – falls vorhandene –
Bühnenumsetzung nach der Thematik des Feuers zu untersuchen.

Fündig nach einem Stück, welches den Prometheus als Figur thematisiert, wird man bei
Heiner Müller. Wenn auch nicht als direkte Überarbeitung des Dramenstoffes wie das
Beispielsweise in Müller Philoktet erscheint ein Einschub in der Stückbearbeitung Müllers
Zement nach Fjodor Gladkow. Müllers Schreiben und Sprache ist dabei gewissen
Charakteristika unterworfen. So schreibt Hans-Thies Lehmann, „Gewalt, Schmerz, Kreislauf,
Unterdrückung und permanenter Konflikt sind die Parameter, mit denen Müller die Realität
vermessen hat.“2
Dies sind auch die passenden Paradigmen, in denen die Beschreibung Prometheus Situation
– festgekettet am Felsen, dem leberfressenden Adler ausgeliefert – zu fassen ist:

1
Vergl. Leucht, „Kalt war der Weg durch`s Feuer“.
2
Lehmann, Heiner-Müller-Handbuch, S. 16.
Der Adler, der ihn für eine teilweise eßbare, zu kleineren Bewegungen und, besonders wenn
man von ihr aß, mißtönendem Gesang befähigte Gesteinspartie hielt, entleerte sich auch
über ihn,, Der Kot war seine Nahrung. Er gab ihn, verwandelt in eigenen Kot, an den Stein
unter sich weiter, so daß, als nach dreitausend Jahren Herakles sein Befreier das
menschenleere Gebirge erstieg, er den Gefesselten zwar schon aus großer Entfernung
ausmachen konnte, weißschimmernd von Vogelkot, aber, zurückgeworfen immer wieder von
der Mauer aus Gestank, weitere dreitausend Jahre lang das Massiv umkreiste, während der
Hundsköpfige weiter die Leber des Gefesselten ,aß und ihn mit seinem Kot ernährte, so daß
der Gestank zunahm in dem gleichen Maße wie der Befreier sich am ihn gewöhnte.3

Die Frage nach einer inhaltlichen Interpretation ist hier vielschichtig. Wieso ist die –
vermeintlich – strahlende Feuerbringerfigur, eine Art Erlöser der Mensch in solch einem
Lichte, beziehungsweise vielleicht besser in solcher „Dunkelheit“ dargestellt? Wieso die
Verbindung zur Geschichte, die Fjodor Gladkow in Zement beschreibt; Die des
Fabrikarbeiters Tschumalow der als Odysseus Figur zu seiner Frau Dascha zurückkehrt, und
seine Fabrik als „Ziegenstall“4 vorfindet? Was auch augenfällig bei Müllers Version ist, ist die
angedeutete Versteinerung von Prometheus, ein Eingehen in den Berg selbst. 5

Wichtiger aber als die Eruierung dieser vielschichtigen Inhaltsebenen in literarischem Werk,
Dramenbearbeitung und der Sprache Müller, die Umsetzung in ein Bühnenbild – so auch das
Thema des Seminars „Feuer, Elementare, Naturkräfte in der Szenografie“.

Es soll also die Bühnenumsetzung von Zement in der Regie von Dimiter Gottscheff am
Residenztheater München 2013 untersucht. Passend zum Stücktitel ist die gesamte
Bühnenästhetik in Grau gehalten - die Forschungsinteresse dieser Arbeit liegt in folgender
Frage begründet:

Was geschieht mit einem Bühnenstück, welches sich mit der Feuerbringer-Figur schlechthin
beschäftigt und dabei nicht nur vollkommen auf die Darstellung von wie auch immer
geartetem Feuer verzichtet, sondern gleichzeitig eine ästhetische Umkehrung in dessen
Gegenteil, nämlich der Farbe Grau vornimmt?

Thesenhaft ließe sich formulieren, dass Stein und Zement zur Anti-These werden, als
Gegensatz zur Wandelbarkeit des Feuers - dabei als Metapher geeigneter zur Darstellung der

3
Vergl. Gladkow, Zement und vier Erzählungen.
4
Müller, Zement, S. 6.
5
Lehmann, Heiner-Müller-Handbuch, S. 200.
Anachronismen von Zeit und Raum, die im Stück ersichtlich sind - ein Stillstand, eine
Versteinerung kommentieren.

PROMETHEUS

Bezeichnenderweise beginnt die Inszenierung Dimiter Gotscheffs nicht etwa mit dem, im
Dramentext vorgegebenen Dialog zwischen Tschumalow und dem Maschinisten, sondern
mit einer Nacherzählung des Prometheus-Mythos – nicht aber dem Kapitel im Stück Zement,
welches mit Befreiung des Prometheus übertitelt ist.

Von Prometheus berichten vier Sagen. Nach der ersten, wurde er, weil er die Götter an die
Menschen verraten hatte, am Kaukasus festgeschmiedet und die Götter schickten Ader, die
von seiner immer wachsenden Leber aßen.

Nach der zweiten drückte sich Prometheus im Schmerz von den zu hackenden Schnäbeln
immer tiefer in den Felsen bis er mit ihnen eins wurde.

Nach der dritten wurde in den Jahrtausenden sein Verrat vergessen. Die Götter vergaßen, die
Adler vergaßen, er selbst vergaß.

Nach der vierten wurde man des grundlos Gewordenen müde. Die Götter wurden müde, die
Adler wurden müde, die Wunde schloss sich, müde.

Ah – bleibt das unerklärliche Felsgebirge. Die Sage versucht, das Unerklärlich zu erklären. Da
sie aus einem Wahrheitsgrunde kommt, muss sie wieder im Unerklärlichen enden.6

Wieso ist dieser Figur so viel Bedeutung beizumessen und nicht etwas Odysseus, oder etwa
Medea, die fragmentarisch, als Kommentar ebenso in Zement von Heiner Müller
auftauchen?

In Prometheus – vielleicht vergleichbar mit dem christlichen Paradies-Mythos Adam und


Evas – wird nicht bloß die Geschichte geraubten Feuers erzählt, ebenso, wie es in der
Genesis nicht um das Essen eines Apfels geht. Vielmehr ist darin ein Abbild des Menschen in
seiner Unvollständigkeit, in seinem nicht gleich Sein mit Gott bzw. den Göttern beschrieben.7
Kerényi schreibt in seinem Buch über Prometheus als „archetypisches Bild menschlicher

6
Vergl. Zement, München 2013.
7
Vergl. Kerényi, Prometheus, S. 77.
Existenz“ genau das, was der Untertitel in seiner Knappheit fasst; „Das Verbrechen des
Feuerstehelens war unausweichlich, weil ohne die Menschheit zugrunde gegangen wäre.
Und diese unausweichliche Tat war ein Verbrechen, weil die Kraft des Feuers nur den
Schöpfern der Welt zustünden.“8

Im gleichen Atemzug, wie die mythologische Figur des Prometheus ist auch die Konsequenz
seines Handelns zu nennen. Denn auch die Menschheit wird gestraft und zwar durch das
Erscheinen der Frau.9 Hier sei kurz ein kleiner Exkurs zu Müllers Verarbeitung des Medea-
Stoffe geschlagen – unter dem Schlagwort „Der Tod ist eine Frau“.10 In verschiedensten
Fragmenten geht Müller der Figur der Frau – oft verkörpert von Medea nach.

So liest sich etwa bei Krieg der Viren: „Gott ist kein Mann keine Frau ist ein Virus. Auch in
Zement wird die Frau des Rückkehrers Tschumalow in der Betitelung als
„Medeakommentar“ zur Feindesfigur.11

LEERE BÜHNENRÄUME – LEERE BÜHNENZEITEN

Das Bühnenbild besticht insbesondere durch zwei Faktoren: Dessen Leere und die
Vorherrschaft der Farbe Grau.

An drei Seiten ist die Bühne von massiven, grauen Wänden umgeben, die aber je nach dem
Einsatz vom Licht komplett weggeleuchtet werden können, und so den Raum von seiner
bedrückender Wirkung befreien und in eine groß, schwarze Leere verwandeln.

Ebenfalls bemerkenswert ist der Einsatz es bühnenumfassenden, zentralen Podests. Vertikal


als „Bühne auf der Bühne“, kann es aber durch Kippen eine Schräge darstellen oder sogar
komplett aufgerichtet als zusätzliche, den Bühnenvorderraum verkleinernde Rückwand
benutzt werden. Die räumliche Aufteilung der Bühne sieht oft das Sprechen auf der
Vorderbühne vor.

8
Ebd., S. 79.
9
Ebd., S. 80.
10
Vergl. Müller, Leben Gundlings Friedrich von Preußen.
11
Vergl. Müller, Zement, S. 30.
Diesen leeren Bühnenräumen möchte ich – vielleicht erstaunlicherweise nicht eine
räumliche, sondern gleichzeitig eine zeitliche Begrifflichkeit zuordnen. So wird auch der
Bogen zu der in der Einleitung vorgeschlagenen These ersichtlich.
Lehmann schreibt in seinem Handbuch zu Müller, dass – verkürzt - dessen Utopien, die er in
seinen Texten immer sucht, nicht nur „Un-Orte“ sondern auch „U-Chronien“, also Un-Zeiten
sind. Kurz: „Das Utopische bei Müller findet sich in keinem Bild, in keiner Rede; es ist Sache
der Form geworden.“12
Es ist vielleicht bezeichnend, dass Lehmann das Handbuch zu Müller schreibt und diese
Kategorien in seiner Beschreibung aufmacht. So ist er es selbst, der in seinem Werk
„Postdramatisches Theater“ der Gleichzeitigkeit theatraler Zeichen Wichtigkeit beimisst.13

Im Text Müllers ist aber von der von Lehmanns Verortung des „Guten“ im Stillstand14 wenig
zu sehen:

Zeit, Wetter und Kot hatten Fleisch und Metall voneinander ununterscheidbar gemacht,
beides vom Stein. Gelockert durch die heftigeren Bewegungen des Gefesselten wurden sie
kenntlich. Es stellte sich heraus, daß sie von Rost zerfressen waren. Nur am Geschlecht war
die Kette mit dem Fleisch verwachsen, weil Prometheus, wenigstens in seinen ersten
zweitausend Jahren am Stein, gelegentlich masturbiert hatte.15

Prometheus hat – wie in der Einleitung des Stückes benannt, vergessen. Die Götter haben
vergessen, die Adler haben vergessen.
Hier wird die Diskrepanz, die zwischen der Figur des Prometheus und Zement bzw. der Farbe
Grau als Gestaltungselement auf der Bühne. Auch möchte ich an dieser Stelle einen kleinen
Exkurs zu Gertrude Stein und ihrem Landschaftstheater schlagen.

LEERE LANDSCHAFT

Gertrude Stein ist im klassischen Theater vor allem von einem Gefühl ergriffen: Dem der
Nervosität. Nervös, weil die Zuschauenden und sie selbst die Bühnenhandlung zwar
verfolgen, die Emotionen und Gefühlsregungen, aber immer erst mit leichter Verzögerung

12
Vergl. Lehmann, Heiner-Müller-Handbuch, S. 59.
13
Lehmann, Postdramatisches Theater, S. 148.
14
Vergl. Lehmann, Heiner-Müller-Handbuch, S. 58 f.
15
Vergl. Müller, Zement, S. 18.
eintreten. Diese Nervosität entsteht beim Lesen eines dramatischen Textes nicht. Das liegt
an der Natur des theatralen Zeichens als ein doppeltes; die Schauspielendenden treten
immer hinter ihrer Figur hervor. Als Lösung bietet Stein an, man solle „damit aufhören, auf
dem Theater eine dramatische Handlung oder überhaupt: eine Geschichte erzählen zu
wollen.“

Was hier aber insbesondere spannend ist, ist die Beschreibung Gertrude Steins, die sich
selbst schon wie eine Textlandschaft liest:

The landscape has it formation and as after all a play has to have formation and be in relation
one thin to the other thin and as the story is not the thin as any one is always telling
something then the landscape not moving but being always in relation, the trees to the hills
the hills to the fields the trees to each other any piece of it to any sky and then any detail to
any other detail, the story is only of importance if you like to tell or like to hear a story but
the relation is there anyway.[…]16

Nicht nur liest sich die Beschreibung Steins ähnlich den Texten Müllers, auch hat er selbst
mit seinem Text der Landschaftsbeschreibung17 das Prinzip Steins in ein dramatisches Werk
gefasst.

VERSUCH DER KONKLUSION


Was sich aus diesen verschiedenen, vorgestellten Figuren, Raum- und Zeitkonzepten im
Hinblick auf die Inszenierung und insbesondere auf das Bühnenbild von Zement ergibt, ist ein
Feld aus verschiedenen, gegenläufigen Bewegungen. Zum einen ist Prometheus eine
Heilsbringer Figur, der die Menschheit durch die Gabe des Feuers errettet. Das Feuer als
treibende, göttliche Kraft bringt aber nicht nur die Strafe für Prometheus in ewiger Qual
leiden zu müssen, sondern auch der Menschheit in Form der Frau eine – wie auch immer
geartete – Bestrafung.
Auf einer leeren, grauen Bühne wird aus dieser Figur heraus, deren qualvolle Strafe in den
Raum projiziert; Wie Müller beschreibt, geht Prometheus vergessen und damit gleichzeitig in
den Berg mit ein. Die von Müller als Utopie gesehene Un-Zeit manifestiert sich in der Figur
des Prometheus und das vor dem Hintergrund einem postdramatischen Umgang mit
theatralen Zeichen, die weder Hierarchie, Anordnung noch Zentrum kennen. Gleich, wie

16
Rebentisch, Ästhetik der Installation, S. 156.
17
Vrg. Müller, Landschaftsbeschreibung.
Stein in ihrem Landschaftstheater die Befreiung des Theaters im Abkommen vom Narrativ
sieht, ist erstens der Text Müllers eine Zeichenlandschaft, wie auch Prometheus unter dem
Kot und dem Stein ein Vergessen seiner selbst. Im widersprüchlichen Paar Feuer-Zement
wird die Beschaffenheit des Theaters selbst ersichtlich: Ein Ringen um Zeit, Ort und Figur
oder im Gegenteil eine Abkehr von ihnen.

AUSBLICK

Natürlich kratzt diese Arbeit nur an der Oberfläche des prometheischen Felsens. Die
Bearbeitungen der griechischen Sagenwelt Müllers erfährt durch seine eigene literarische
Arbeit eine große Aufladung – noch größer, als die Mythologien sowieso schon bieten.

Ein Blick bedürfte vor allem der im Werk Zement angesprochene, historische Kontext in den
Figuren des Tschumalow und seiner Frau. Außerdem wären die Verbindungen zu anderen
Werken Müllers, in denen er die Einschübe in Zement ausgeführt oder wieder aufgegriffen
hatte, interessant.
QUELLENVERZEICHNIS

Carl Kerényi, Prometheus. Archetypal Image of Human Existence, Princeton: University Press
1997.

Dorte Lena Eilers, Dimiter Gotscheff. Dunkel, das uns blendet, Berlin: Theater der Zeit 2013.

Fjodor Gladkov, Zement und vier Erzählungen, Berlin: Verlag Kultur und Fortschritt.

Hans Thies Lehmann (Hrsg.), Heiner-Müller-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart:


Metzler 2003.

Heiner Müller, Landschaftsbeschreibung, Berlin: Henschel 2006.

Heiner Müller, Leben Gundlings Friedrich von Preußen. Lessings Schlaf Traum Schrei ein
Greulmärchen, Berlin: Henschel 2011.

Juliane Rebentisch, Die Ästhetik der Installation, Frankfurt a. M.: Suhrkamp7 2018.

Lehman, Hans-Thies, Postdramatisches Theater, Frankfurt am Main: Verlag der Autoren4


1999.

Sabine Leucht, „Kalt war der Weg durch’s Feuer“, nachtkritik, 5. Mai 2013.

Zement, R.: Dimiter Gotschef, München, 05.05.2013.

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