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Harmonie
Harmonie
Der Begriff „Harmonie“ wird besonders dort verwendet, wo man neben einer bestimmten Regelmäßigkeit
in der Anordnung einzelner Objekte bzw. ihrer Teile noch einen Sinn, eine Wertbezogenheit anzumerken
glaubt.
Inhaltsverzeichnis
Begriffsgeschichte
Zur Anwendung in der Geschichte
Methodologie und theoretische Funktion
Siehe auch
Literatur
Weblinks
Einzelnachweise
Begriffsgeschichte
Bei der Herausbildung des ursprünglich handwerklichen[6] Begriffs in der Antike bezog sich „Harmonie“
(von griechisch ἁρμονία „Zusammenpassen“, laut Dornseiff in Bezug auf das Bleiben in der Tonart und
diese selbst[7]) auf Erscheinungen der Symmetrie. Der Harmoniebegriff wurde zunächst von den
Pythagoreern in den Mittelpunkt philosophischer Betrachtungen gestellt. Man sah die Harmonie in der
schönen Proportion als Einheit von Maß und Wert. Diese These, zunächst mit mathematischen
Erkenntnissen und mit der Harmonie der Töne gestützt, wurde ins Mystische extrapoliert.
Besonders die antike Medizin knüpfte an diese naturphilosophische Harmonie an. Sie leitete aus dem
harmonischen Mischungsverhältnis von Körpersäften Gesundheit und aus einer Unausgewogenheit
Krankheit ab. Die darauf basierende Humoralpathologie erhielt bis ins 19. Jahrhundert Gültigkeit. Die
galenische Temperamentenlehre übertrug diese Theorie außerdem auf den menschlichen Charakter.
1. die mathematischen Proportionen der Altpythagoreer und die sich daraus entwickelnde
theoretische Musik der Lehre von den harmonischen Maßverhältnissen
2. die dialektische Naturphilosophie, die nach den Vermittlungsgliedern der fundamentalen
Gegensätze suchte und Harmonie als Vermittlung alles Gegensätzlichen ansah
Zahlen, die in einer harmonischen Proportion stehen, müssen die Gleichung (a − b): (b − c) = a: c erfüllen.
(Siehe auch Goldener Schnitt)
Boethius stellte die einflussreiche Theorie von den drei verschiedenen Arten von „Musik“ auf („Musik“:
der Inbegriff der Gesamtheit harmonischer Maßverhältnisse):
Boethius weist der musica mundana die dominierende Rolle zu. Der Mensch hat die Pflicht, diese zu
erkennen und selbst ein geregeltes Leben zu führen. Die mittelalterliche Astronomie bemühte sich, mit dem
Modell von harmonisch aufeinander abgestimmten Sphärenbewegungen eine Erklärung der
Himmelsbewegungen zu geben.
In der Lehre des Thomas von Aquin (* um 1225–1274) wird die Seele nach dem Tod vom Leib getrennt
und besteht weiter (Anima forma corporis).
Johannes Kepler (1561–1630) legte seinen astronomischen Forschungen die Vorstellung der Existenz einer
„Sphärenharmonie“ zugrunde. Eines seiner Hauptwerke trägt den Titel „Harmonice mundi“ (1619). Als
überzeugter Kopernicaner geht Kepler der Frage nach, welche Zusammenhänge zwischen den
Planetenbewegungen und den harmonischen Verhältnissen bestehen, wie sie aus der Musik und Geometrie
geläufig sind.
Marin Mersenne gab in seiner Schrift „Harmonie universelle“ (1636) eine physikalische Begründung des
musikalischen Tonsystems. Die Harmonie bis Leibniz basierte auf der Forderung der Existenz eines
Systems, das aus miteinander nicht wechselwirkenden Elementen besteht. Mit der Entwicklung eines neuen
Systembegriffs, vor allem des der Newtonschen Physik, wurde die materielle Wechselwirkung
Voraussetzung für die Existenz von Systemen. Damit büßte die Harmonie ihren ursprünglichen
bedeutenden Einfluss auf die Naturauffassung ein. In Gestalt der Lehre von den „Wahlverwandtschaften“
als Basis der chemischen Verbindungen blieb sie jedoch noch bis ins 19. Jahrhundert hinein von Einfluss.
In Leibniz’ (1646–1716) Lehre von der „universellen Harmonie“ kommt die Auffassung von der
durchgängigen Gesetzlichkeit der Welt zum Ausdruck. Zur Lösung des spezifischen Problems der
Bestimmung des Verhältnisses von Leib und Seele führte Leibniz den Begriff der „prästabilierten
Harmonie“ von Leib und Seele ein: Leib und Seele sollen wie zwei voneinander unabhängig gehende
Uhren miteinander harmonieren.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) bezeichnete mit Harmonie eine bestimmte Phase des
dialektischen Widerspruchs, und zwar jene, in dem sich das qualitativ Verschiedene nicht nur als Gegensatz
und Widerspruch darstellt, sondern „eine zusammenstimmende Einheit“ bildet. Innerhalb seiner Lehre von
den Maßverhältnissen definierte Hegel die in den musikalischen und chemischen Verhältnissen
auftretenden Harmonien als „ausschließende Wahlverwandtschaften, deren qualitative Eigentümlichkeit
sich aber ebenso sehr wieder in die Äußerlichkeit bloß quantitativen Fortgehens auflöst“ (in: Wissenschaft
der Logik). Doch auch hier wird das Harmoniekonzept schließlich von der Analyse der konkreten
chemischen Wechselwirkungen verdrängt.
Nachdem Sigmund Freud die Libido als Lebenstrieb (psychische Energie) definiert hatte
(das Es lenkt zusammen mit Ich und Überich die Wahrnehmung und das Verhalten des
Menschen), fanden seine Zeitgenossen William James und William McDougall um 1920
zahlreiche weitere Instinkte oder Grundbedürfnisse, darunter das 'Harmoniestreben'.[8]
Eine Rolle spielt der Harmoniebegriff schließlich in den Bemühungen der Biologie bzw. Taxonomie, ein
geschlossenes System von Arten, Gattungen u. a. der Lebewesen in der Botanik und Zoologie zu
begründen. Besonders für die Verfasser der „Verwandtschaftstafeln“ von Lebewesen sowie für die
Anhänger von „natürlichen Systemen“ in der Taxonomie ist der Harmoniegedanke ein Leitprinzip.
Neben dieser methodologischen Funktion des Begriffs der Harmonie und seiner nahezu theoretischen
Unbrauchbarkeit in den Naturwissenschaften kommt ihm jedoch in jenen Wissenschaften eine positive
theoretische Funktion zu, in denen die Subjekt-Objekt-Dialektik selbst Gegenstand der Wissenschaft ist, in
denen Werte und Normen als Faktoren der vom Menschen gestalteten oder zu gestaltenden Objekte
untersucht werden.
Harmonie bedeutet dann vor allem, „Gestalt und Funktion aller Teile eines Ganzen so abzustimmen, daß
die Funktion der jeweils anderen Teile und vor allem die Funktion des Ganzen maximal befruchtet
werden.“
Heute hat der Begriff der Harmonie seine Relevanz in der Ästhetik, den Kunstwissenschaften (Musik,
Baukunst, Malerei), in der Pädagogik (die allseitig entwickelte Persönlichkeit) u. a.
Siehe auch
Gerechtigkeit
Goldener Schnitt
Dualismus, Polarität (Philosophie), Antagonismus
Weltanschauung
Konfuzius
Vokalharmonie
Harmonia Mundi
Harmonia
Literatur
Jan Brauers: Weltformel Harmonie. Baden-Badener Verlag 1998, ISBN 3-9805935-6-8
Bernhard D. Haage: Der Harmoniegedanke in mittelalterlicher Dichtung und Diätetik als
Therapeutikum. In: Jürgen Kühnel (Hrsg.): Psychologie in der Mediävistik. Gesammelte
Beiträge des Steinheimer Symposions. Göppingen 1985, S. 171–196.
Marie Antoinette Manca: Harmony and the Poet. The Creative Ordering of Reality. Mouton
Publishers, Den Haag / Paris / New York 1978 (= De proprietatibus litterarum. Series Maior,
Band 4), ISBN 90-279-3086-4.
David Stiebel: Die Taktik des Streitens. Konfliktstrategie statt Harmoniesucht, Krüger Verlag,
Frankfurt 1999, ISBN 3-8105-1908-1.
Weblinks
Wiktionary: Harmonie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Harmonie – Zitate
Literatur von und über Harmonie (https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&qu
ery=4127802-1) im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
1. Georges, 1913 (http://www.zeno.org/Georges-1913/A/harmonia+%5B1%5D?hl=harmonia).
2. Vgl. Henry George Liddell, Robert Scott: A Greek-English lexicon. (Online) (http://www.perse
us.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus%3Atext%3A1999.04.0058%3Aentry%3Da(rmoni%2F
a).
3. Alois Walde: Lateinisches etymologisches Wörterbuch. 3. Auflage, besorgt von Johann
Baptist Hofmann, 3 Bände. Heidelberg 1938–1965, Band 1, S. 67 f. (arma).
4. Vgl. auch Johann Gottfried Walther: Musicalisches Lexicon oder Musicalische Bibliothed
[…]. Wolffgang Deer, Leipzig 1732; Neudruck, hrsg. von Richard Schaal. Bärenreiter-Verlag,
Kassel/Basel 1953 (= Documenta Musicologica. Erste Reihe: Druckschriften-Faksimiles.
Band 3), S. 300 (Harmonia).
5. Wieland Ziegenrücker: Allgemeine Musiklehre mit Fragen und Aufgaben zur Selbstkontrolle.
Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1977; Taschenbuchausgabe: Wilhelm Goldmann
Verlag, und Musikverlag B. Schott’s Söhne, Mainz 1979, ISBN 3-442-33003-3, S. 104.
6. Marie Antoinette Manca: Harmony and the Poet. The Creative Ordering of Reality. Mouton
Publishers, Den Haag / Paris / New York 1978, S. 14–16.
7. Franz Dornseiff: Die griechischen Wörter im Deutschen. De Gruyter, Berlin 1950, S. 97.
8. daneben zum Beispiel Bewegungsdrang, Neugier, Eifersucht, Sparen, Wissbegierde,
Familie, Ordnung, Spiel, Sex, Kontakt, Aggression, Leistung oder Sympathie. W. McDougall:
An Introduction to Social Psychology. Boston 1921.
Diese Seite wurde zuletzt am 21. Februar 2023 um 12:10 Uhr bearbeitet.
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