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Geschichte der Vokalliteratur

2.10.2013
Musikgeschichte zu 2/3 Geschichte der Vokalliteratur

chronologisch von den Gattungen her – nicht von der Zeit her

ohne Oper und den Formen des Musiktheaters

Antike:
Begriff „Musik“ kommt von musiche techne

„techne“ = Technik, Kunstfertigkeit

„musiche“ = mit den Musen in Verbindung zu bringen

wichtigster Überlieferungsstrang von Hesiod (der erste uns als Person erschließbare
griechische Dichter)

lebte 700 v. Chr.

schrieb unter anderem 2 bahnbrechende Bücher: eines davon ist die Teonogie = die
Entstehung der Götter

beschreibt alle Götter und ihr Leben, sowie die 9 Musen

Musen sind Töchter von Zeus und Mnemosyne (Göttin der Erinnerung)

Zeus zeugt Musen mit Göttin der Erinnerung, weil jede Form des Lernens Erinnerung ist

Schrift war in dieser Zeit kaum vorhanden und wenn, dann nur ganz eng begrenzten Zirkeln
von Menschen vorbehalten

früheste Form von Schrift war nicht für die Kunst gedacht

gesamte Dichtung ist für Vortrag bestimmt, aber nicht für Musik

man lernt durch Dialog

jede Form der mündlichen Äußerung ist Kunst – durch die Musen inspiriert

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9 Musen wohnen am Olymp

 Klio
 Melpomene
 Terpsichore (Tanz)
 Thalia (Komödie)
 Euterpe
 Erato (erotische Dichtung)
 Urania (Sternkunde und Astronomie)
 Polyhymnia (Schöngesang)
 Kalliope

Merksatz: Kliometerthal euer Urpokal

Begriff dessen, was wir „Musik“ nennen und das was zu den Musen gehört, ist breiter
gefasst: nicht nur das, was wir im engen Sinn als „Musik“ bezeichnen, sondern vor allem,
dass Musik ein gleichwertiges Dreieck ist von Dichtung, Bewegung (Tanz) und dem was wir
heute als Musik bezeichnen (melos = Melodie)  antiker Begriff von Musik

keiner dieser 3 Teile kann ohne den anderen existieren

erster Musikwissenschaftler war Pythagoras, weil er den Zusammenhang zwischen


Intervallen und Zahlen erkannt hat und die Verhältnisse der Intervalle begründet hat

Zahlenrelationen sind Musik und umgekehrt, aber die ganze Welt ist Zahl, also ist die ganze
Welt Musik

alles besteht aus Wellen (die Welt, wir, …) und somit aus Schwingungen – deshalb wirken
gewisse Schwingungen auf andere Schwingungen ein

auf primitiver Ebene ist das noch heute erhalten, zB. Kirchturmläuten wenn Gewitter kommt

dadurch wird Hagel zu Regen (Wolken werden mit gewisser Frequenz beschallt und dann
regnen sie aus – das ist erwiesen) und der Acker wird nicht kaputt

bestimmte Tonarten rufen bestimmte Emotionen hervor (Ethoslehre), bewirken aber auch
physikalische Ereignisse

in vielen Kulturen gibt es noch die Tradition der Regenlieder

heute auch in Indien noch üblich, dass man solche Lieder singt

da gibt es sogar Lehrer, die ihren Schülern lehren, diese „Regenragha“ zu singen

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es gab die „septe artem liberales“ (7 freien Künste)

werden in 2 Teile aufgeteilt: Trivium und Quadrivium

„Trivium“ ist die Grundlage

 Rhetorik
 Dialektik
 Grammatik

„Quadrivium“ baut dann darauf auf

 Arithmetik
 Geometrie
 Astronomie
 Musik

Geschichte der Vokalliteratur ist ident mit Literaturgeschichte und Entwicklung der Dichtung

jede Form von Literatur war zum Vortrag bestimmt und wurde viel später erst verschriftlicht

3 große Gattungen der gebundenen Sprache (im Abstand von mehreren hundert Jahren
entstanden):

 Epik
 Lyrik
 Dramatik

= Entwicklung der menschlichen Psychologie

Epik erzählt aus Er-Perspektive

Erzähler bringt uns Sachverhalt näher, ist aber nur objektiv und nicht emotional involviert

ist eigentlich schriftlose Kunstform

Lyrik bringt die Ich-Perspektive ins Spiel (jemand erzählt uns wie es ihm geht)

war für musikalisierten Vortrag vorgesehen

eher intime Kunstform – dadurch kompakter und kleiner

Gedicht und Lied sind Nachfolger der Lyrik

Dramatik: geht vom Ich ins Du

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man tritt in eine Beziehung und kann mit dem/den anderen handeln (sich verlieben,
umbringen, …)

„drao“ = Action

diese Entwicklungsschritte macht jeder Mensch durch

Kleinkind hat am Beginn kein Ich-Bewusstsein und bezeichnet sich zuerst nur in 3. Person

dann kommt das Ich-Bewusstsein (Trotzphase)

dann kommt erst das Du – sie gehen auf das Gegenüber ein um weiterzukommen

menschheitsgeschichtlich ist das auch passiert

ältestes Epos wurde im 8. Jahrhundert vor Christus aufgeschrieben: „Ilias“

beginnt mit „Göttin singe“ – das Wort „ich“ kommt im ganzen Werk nicht vor

in der „Odyssee“ gibt es das Ich, aber nicht im Nominativ: „singe Göttin mir, sage mir“ (was
zu tun ist)

es gibt noch kein Bewusstsein, dass man als „Ich“ eine Entscheidung fällen kann – Götter
müssen sagen, was zu tun ist

Epik ist unmittelbar mit Mythos oder Mythologie in Verbindung zu bringen

Mythos ist ein Stoff, der Teil der kollektiven Erinnerung der Menschheit ist

mythische Geschichten, die in den frühen Epen erzählt werden, sind überall die gleichen –
werden nur anders interpretiert und inszeniert

Mythos und Religion sind 2 Begriffe, die unmittelbar zusammenhängen

Mythen handeln von Göttern und Helden, egal ob deutsch oder griechisch

Mythos ist Stoff und wird erst durch Interpretation zur Geschichte

Beispiel „Orpheusmythos“:

epischer Sänger war Unterhalter und musste Stoff aufbereiten

Musik hat Macht aufgrund der mathematischen Gesetzmäßigkeiten

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Stoff musste man also durch eine Geschichte illustrieren, in der man beweist, welche Macht
die Musik hat

ultimative Macht, die Musik haben kann ist die Verbindung zur Todesfrage

wenn es gelingt den Tod durch Musik zu überwinden, ist das Bestseller und Erfolgsgarantie

deshalb erfand man damals den Orpheusmythos

Euridike ist eigentlich atypische mythische Figur

bei jeder anderen Figur kennt man Familiengeschichte und den ganzen Hintergrund – von
Euridike weiß man nichts (sie kommt nur vor um zweimal zu sterben)

spannendste Szene ist die des Umdrehens

in der ersten Fassung dreht er sich nicht um

es muss aber dramatischer und mitreißender werden mit der Zeit – einmal genügt die
Geschichte mit happy end

dann braucht man Steigerung davon, um wieder Erfolg zu haben

bei Ovid macht sich Orpheus Sorgen und dreht sich deshalb um

in einer anderen Version sagt Euridike zu ihm, er soll sich umdrehen

derselbe Stoff wird unterschiedlich dargestellt

homerische Frage: wir wissen nicht ob er gelebt hat (aber wir wissen, dass er blind war)

Stile seiner beiden Epen sind sprachlich so unterschiedlich, dass es unwahrscheinlich ist, dass
sie vom selben Autor stammen

„hom e horum“: der, der nichts sieht

man schloss die Augen um sich in Trance zu begeben und um sich mit einer Aszendenz in
Resonanz zu begegnen um singen zu können

Hörbeispiel: auf den Färöer-Inseln und in Mauretanien singen sie heute noch so

Form, die immer gleich weiter geht

sie schlagen mit den Füßen zum Reigen

minimaler Tonumfang

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Musik, die man hört, aber der man nicht zuhört

Text steht im Vordergrund

Sänger (jetzt und damals) sagt von sich, dass nicht er singt, sondern er ist Vehikel, durch das
ein Gott spricht

epische Dinge kommen durch Inspiration der Musen

man muss sich der Transzendenz annähern, damit man improvisierend singen kann

antike Sänger waren bereits eingeraucht um diese Trance zu erreichen

da sind wir am Schnittpunkt zur Mystik und zur Religion

Hörbeispiel: tibetanische Mönche

im Christentum kommt nach jedem Gebet „Amen“ – was so viel heißt wie „so ist es“

das ist auch ein Rest des Mystizismus

auch die dreimalige Wiederholung von „Herr, erbarme dich unser“ ist so etwas

„Halleluja“ oder „Kyrie eleison“ wurden nicht einmal übersetzt – sind noch Reste von damals
und von diesem Glauben

meditatives Singen in einem sehr tiefen Ton erzeugt Obertöne

Hörbeispiel: Sänger aus Mongolei

Sänger in der Antike reagierte auf sein Publikum – er hat Stoffpalette zur Auswahl und
daraus wählt er aus und spürt, wenn Publikum anbeißt, dann geht er ins Detail und wenn
nicht, dann geht er schneller weiter

Stoffe sind kollektive Erinnerung der Menschheit

alle Geschichten sind bei allen Epen grundsätzlich die gleichen

Stoff der Sintflut geht zurück auf die Eiszeit, wo es überall Fluten gegeben hat auf der ganzen
Welt

Publikum atmet und fühlt mit – wenn Inhalt katastrophal, wirkt sich das auf Publikum aus,
dann muss Sänger auf was Schönes schwenken

Bedürfnis nach epischer Erzählung ist bei uns stärker denn je

alte griechische Mythen werden heute in freier Interpretation verfilmt


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„Star Wars“ ist zB. ein neuer Mythos

Nachrichtensender hat Weltgeschehen als Stoff und Nachrichtenredakteur wählt aus, was er
erzählt

episches Singen ist Teil der mündlichen Musiktradition

sehr viel ist vor allem aus Afrika nach Amerika verschifft worden

dort gibt es in afroamerikanischer Kultur wieder was Ähnliches: Blues

Blues basiert auf einem bestimmten Harmonieschema

ist erzählend und wortgebunden und man kann ewig weiterspielen

strophische Form

alle Elemente vereint

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9.10.2013
Lyrik entwickelt sich aus der Epik

in der Epik bereits einzelne Passagen, wo Personen reflektieren (zB: Achill in der „Ilias“) und
von ihren Emotionen erzählen

Beginn der Lyrik auf der Insel Lesbos im 6. Jahrhundert v. Chr.

Dichterin Sappho und Dichter Alkaios Begründer der lesbischen Lyrik

Sappho liebte andere Frauen und bringt diese Liebe in der Dichtung zum Ausdruck

lesbischer Dialekt = Dialekt der Insel

dort Ausgangspunkt und dann Verbreitung auf andere griechische Inseln

Begriff „Lyrik“ kommt von „lyrike techne“  Fertigkeit, die notwendig ist um etwas für den
Vortrag vorzubereiten

Lyra = Kitarra = Phorminx = Instrument, das Apollo heilig war

Sänger sangen immer zu Begleitung eines solchen Instrumentes

man weiß viel über die Musik, aber wenig von der Musik

Großteil der Kunst wurde mündlich tradiert – wenn dann wurde nur Text aufgeschrieben

von Text wird dann auf Melodie geschlossen

nur Musikkritiker haben Noten verwendet

man wollte auch gar nichts für die Nachwelt aufbewahren

es wurde für den Moment komponiert

jeder Künstler schreibt eigene Sachen

Unterschied zwischen antiker und mittelalterlicher oder neuzeitlicher Dichtung ist der, dass
antike Dichtung auf Silbenzählung beruht = quantitierende Metrik

Dichter wählt ein Versmaß, in dem die Position von langen und kurzen Silben vorgegeben ist
und Sprache muss man so beherrschen, dass man Worte so einsetzt, dass es passt

viele Frühdichter hatten ihr eigenes Versmaß, das nach ihnen benannt ist

zB: sapphische Strophe, alkaische Strophe


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erst in Rom haben die Dichter sich diese Versmaße ausgeborgt

auch Catull schreibt in der sapphischen Strophe

Sappho gilt als die Schöpferin der Lyrik

ihre Gedichte sind voll Leidenschaft

Schritt aus der Er-Perspektive der 1. Strophe in die Ich-Perspektive der 2. Strophe

Streben, aus 2 Eins zu machen, ist die größte Kraft im Menschen

römische Antike hat keine eigene Kunstform entwickelt, sondern sie lebt von der
griechischen und übernimmt diese

Catull erzählt in seinen Gedichten von einer Liebesgeschichte zu Gattin eines hohen Römers

Geliebte Catulls erzählt in den Gedichten die Geschichte dieser Liebe (erstes Aufflammen bis
„betrogen und verlassen“)

das Wesen dieser Dichtung entspricht dem Kunstlied

Catull macht in seinem Gedicht Verneigung vor Sappho – die Geliebte, die vorkommt, heißt
Lesbia (Sappho war sein Modell für Dichtung)

fiktive 3. Person wird benutzt um die eigene Leidenschaft noch viel stärker darzustellen

Verhältnis zwischen Leidenschaft und Verzweiflung bzw. zwischen Liebe und Hass wird von
Catull auf den Punkt gebracht

„odi et amo“ = ich hasse und liebe (aber ich weiß nicht warum, es passiert einfach)

emotionale Situation auf den Punkt gebracht

kaum ein Komponist hat diese Sprache besser verstanden als Carl Orff

diesen Texten wurde Vertonung zugeführt, die genau dem antiken Dreieck von Text, Musik
und Bewegung entspricht

schrieb 3-teilige „ludi szenici“ = szenische Gedichte

 „Carmina burana“ ist Beginn


 „Catulli carmina“ ist dann Intermezzo
 „Triumph für Aphrodite“ ist 3. Teil

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er wählt die lesbischen Gedichte aus, erzählt die Liebesgeschichte anhand dieser Gedichte
und vertont sie eindrucksvoll

den Rahmen bildet „odi et amo“ (zwiespältige Emotionalität)

dazwischen: noch immer verliebt, aber sicher ist er sich nicht

am Ende: „unsinniger Catull, hör doch auf so wahnsinnig zu sein“

„Odi et amo“:

„Odi“ wird durch scharfes d-moll vertont und „et amo“ als Arabesque

hämmernde Frage „Warum tu ich das“ – hämmernder immer gleich bleibender Bass und
Hemiole darüber

„Ich weiß es nicht“ als Orgelpunkt

„es quält mich“ sind dissonante Akkorde

wenn Lesbia auftritt wieder Wohlklang

Orff versteht Catull

Sonderform der Lyrik: Chorlyrik

Chorlyrik war auch Ausgangspunkt des Musiktheaters

wurde zu Ehren von Dionysos gesungen

Form: Strophe – Gegenstrophe – Katastrophe

bei allen möglichen Feiern brauchte man Chorlyrik

besonders beliebt waren Hochzeitslieder mit Refrain um Brautpaar Geleit zu geben

auch hier hat Orff ein solches „Epitalamion“ (Lied, das vor dem Bettgang gesungen wurde)
geschrieben

Anrufung des Hochzeitsgottes Hymen

Musik hat keine Melodie, die man sich merkt – ist nur Transportmittel

Musik der Antike war auch nur Transportmittel für den Text

Halbchöre antiphonales Singen

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16.10.2013
Rom war ein Imperium in der Antike

ohne eigene Kultur, denn Kultur des Imperium Romanum war griechisch

Gebildete sprachen griechisch, hatten griechische Hauslehrer, griechische Lyrik

man nimmt Kultur Griechenlands und adaptiert sie

Griechenland war vergleichbar mit einem Mikrokosmos

viele kleine Stadtstaaten, unterschiedliche Dialekte pro Stadt (vgl. deutsch & holländisch)

erst mit Christentum kam einheitliche griechische Sprache

Griechenland-Rom ist gleiches Verhältnis wie Europa-Amerika

mit Entdeckung Amerikas 1492 beginnt für uns die Neuzeit

Rom geht Ende des 15. Jahrhunderts zugrunde

Mittelalter
Wissenschaft am Ende der Antike war höchstentwickelte

neue Kraft: Christentum

hat Brücke vom Mittelalter in die Neuzeit geschlagen

tragende Personen waren die Kirchenväter:

 Augustinus
 Ambrosius

Bibliotheken wurden eingeführt

antike Literatur wird für Christentum angepasst

5. bis 7. Jahrhundert sind die „Dark Ages“ man hat keine Unterlagen über diese Zeit,
weder Dokumente noch Zeugnisse etc.

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Antike hatte hochentwickelte Medizinwissenschaft – sie konnten bereits Gliedmaßen
annähen/amputieren

Chirurg war der Niedrigste und Homöopath (Druide) war der Angesehenste

Christentum hat dazu beigetragen, das alles zu vernichten

Ansicht vom Christentum: Gott gibt und Gott nimmt. Gott macht krank und Gott macht
gesund.

Einwirken in Gottes Plan war Gotteslästerung und man wurde wegen Hexerei verbrannt

keiner konnte schreiben – Heldengeschichten werden gesungen und dadurch verbreitet

werden alle erst später aufgeschrieben und tradiert

Klöster als Zentrum des Wissens

viele Werke der europäischen Musikgeschichte beginnen mit gregorianischem Choral

Karl der Große wollte ein Athen bei den Franken gründen – er baut sich Thron in Aachen aus
Marmorplatten, die aus dem Palast des Pontius Pilatus im Rom stammen (Platten, über die
Jesus ging) christliche Macht

Karl möchte mit gleicher Macht wie Rom herrschen

Alkuin von York wird Bildungsminister – soll einheitliche Bildung, Liturgie und Musik
durchsetzen

Bildung: basierte auf den septe artem liberales

2 Stufen: Trivium (trivial) und Quadrivium

Trivium (Sprache ist grundlegend):

 Grammatik
 Rhetorik
 Dialektik

erst dann Aufstieg zum Quadrivium (mathematische Wissenschaften):

 Geometrie
 Astronomie
 Arithmetik
 Musik

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Musikwissenschaft ist angesehen – Spielen eines Instruments ist allerdings Sklavenarbeit

1972 erhielten Musikhochschulen erst Universitätsrang

Alkuin lässt Biographie von Papst Gregor (6. Jahrhundert) schreiben, worin steht:

„Gregor erhält Besuch vom Hl. Geist in Form einer Taube, die ihm Gesänge diktiert, die
gesungen werden sollen“ – Musik die von Gott kommt und nach Gregor benannt ist

dadurch schafft es Alkuin, einheitliche Liturgie und Musik durchzusetzen

gregorianischer Choral wurde eingeführt (= Sammlung, Adaption von bereits Vorhandenem)

Gregor war großer Stifter der anglosächsischen Kirche und auch Alkuin war Anglosachse

Regeln des Klosterlebens hauptsächlich nach Benedikt („ora et labora“)

Officium: Tagesablauf der Mönche (Stundengebet)

 Mette: 0 Uhr
 Prim (erste Stunde): 6 Uhr
 Terz: 9 Uhr
 Sext: 12 Uhr
 None: 15 Uhr
 Vesper: 18 Uhr
 Complet: 21 Uhr

jedes Mal 3-4 Psalmen, Lesung und Hymnus

dazu noch die Messe

[Zisterzienser: Zwettl wurde 300 Jahre lang nicht geheizt, weil Benedikt (lebte in Neapel) in
seinen Regeln nichts von Heizung schreibt – erst später mit päpstlicher Sondererlaubnis kam
1. Ofen]

in der Zeit von Alkuin war Psalmodie (Singen von Psalmen) wichtige Form

 Lectio (solistisch, wie epischer Sänger Geschichte erzählt) – heute in der Kirche
Evangelium
 Antiphon (1 Mönchsgruppe singt im Wechselgesang mit einer anderen) – Strophe,
Antistrophe, Katastrophe
 Responsorium (Antwortgesang, Priester singt vor und Menge singt nach) –
Koriphaios

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Ordo missae hat 2 Teile: Proprium und Ordinarium

Proprium:

 Introitus (Eingangslied)
 Graduale (Halleluja/Sequenz, Zwischengesang)

[„gradus“ = Stufe  Priester steigt Stufen zur Kanzel hinauf]

 Offertorium (Gabenbereitung)
 Communio

Ordinarium (gewöhnlich, ordinär – diese Teile bleiben immer gleich):

 Kyrie
 Gloria
 Credo
 Sanctus
 Agnus

Messe ist Vertonung von Ordinarium

Proprium ist tagesspezifisch bzw. auf einen bestimmten Anlass hin

„Hokuspokus“ kommt von Wandlungsworten „Hoc est einm corpus meum“

Leute verstanden es nicht und es kam heraus: „der macht seinen Hokuspokus“

Dramaturgie der Messe ist Ringkomposition:

 Kyrie: 3 Mal auf die Knie, demutsvoll, flehe um Erbarmen


 Gloria: Jubelruf
 Credo: Kern des Ganzen: 3teilig, am Beginn Katalog woran ich glaube, am Ende
Katalog, dazwischen eingebettet die Kernbotschaft des christlichen Glaubens
(geboren von Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben,
hinabgestiegen, aufgefahren)
 Sanctus: Jubelruf (Hosanna in der Höhe)
 Agnus: 3 Mal

2 Formen des Vortrags:

Accentus = syllabisch, pro Ton eine Silbe/pro Silbe ein Ton (Psalmodie)

Concentus = melismatisch, pro Silbe viele Töne (für Kyrie, weil dort weniger Text ist)
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Halleluja hat immer längere Melismen (= Melodie auf einer Silbe)

Problem dabei war, dass man noch keine Notenschrift hatte

Choral wurde auch durch Vor- und Nachsingen übermittelt

kleine Zeichen über dem Text als Gedächtnisstütze = Neumen (griechisch „neuma“ = Stütze)

Tropus = Wendung (zusätzliche Erweiterung zu festgelegten Gesängen)

„Tropieren“ eines Textes: bestehendes Melisma mit Text unterlegen, damit es leichter zu
merken ist

Text muss immer zu Choral passen

das ist bereits erste Form des kreativen Schaffens, denn Choral kommt von Gott (cantus
firmus) und darf nicht verändert werden

Tropus ist von Menschen gemacht

hier setzt künstlerische Kreativität ein – das gab es zuvor nicht

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23.10.2013
Karl der Große wollte in Aachen ein Athen der Franken errichten

Thron aus dem Fußboden des Pontius Pilatus

auf Basis des Chorales wurde schon eigene Kreativität eingebaut

bestehendes Melisma wurde mit neuem Text unterlegt (= Tropus)

Sonderform des Tropus: Sequenz (kommt von „sequor“ = ich folge)

Sequenz = Neutextierung eines Halleluja-Melismas (die waren sehr lang und komplex)

Halleluja folgt der Lesung und nach Halleluja kommt Evangelium

beim Konzil von Trient um 1600 wurden die alle abgeschafft wegen paraliturgischer Form –
bis auf 5 Sequenzen wurden alle eliminiert

jene 5 kommen als Melodiezitate in unzähligen Kompositionen vor

5 Sequenzen:

 Ostern – victimae paschali


 Pfingsten – veni sancte spiritus
 Fronleichnam – lauda sion
 Totensequenz – dies irae
 Sequenz der 7 Schmerzen Mariens (Passionssequenz) – stabat mater

Dies irae ist stärkste Sequenz und kommt am öftesten wieder in anderen Kompositionen vor
(Liszt, Paganini, Rachmaninov, …)

Sequenzen haben große Bedeutung

sie sind Neuschöpfungen auf Basis einer gegebenen Melodie

Dichtung in der Antike: quantitierende Metrik – bestimmte Anzahl von Silben ist vorgegeben
und die ist genau einzuhalten

in der Zeit des gregorianischen Chorales kommt neue Dichtung: zielt auf Reim und Rhythmus
ab

dadurch entsteht rhythmische Dynamik

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parallel zur Sequenz ist Hymnus (= feierlicher Lobgesang) entstanden

ist komplett neu geschaffene Form

Hymnen als Dichtungsform gab es bereits in der Antike (für Olympiasieger)

einer der schönsten Hymnen: Pfingsthymnus

auch antiphonal zu singen

zum ersten Mal gewinnt Musik an Bedeutung

Melodie kann man sich merken – auch ohne Text

nicht zuletzt durch die strophische Form

noch einstimmige Formen

2 Arten des Tropus:

 rein melodischer Zusatz (= Melisma)


 Textierung eines vorhandenen Melismas

 Tropus ist Ergänzung oder Wendung

wichtig für Textierungen eines vorhandenen Melismas war u.a. Hildegard von Bingen

war im 11. Jahrhundert Äbtissin in Deutschland (stammte von reicher Familie)

im Primitivmittelalter, das vom christlichen Glauben geprägt war, war jegliche Form von
Beschäftigung mit Naturwissenschaft Sünde – es herrschte eine geistige Wüste nach der
Antike

es hat allerdings immer weitsichtige Geistliche gegeben, die Wissentradiert haben (war
allerdings auf Latein oder Griechisch und hinter Klostermauern)

Hildegard findet eine Klosterbibliothek mit vielen Informationen

sie war gute Musikerin und hat viele Lieder komponiert, unter anderem eine ganze Reihe
von geistlichen Spielen (nach dem Motto der Tropen)

war bereits frühe Form des Musiktheaters – führt zum Mysterienspiel

nächster Punkt ist spannendster der Musikgeschichte, nämlich jener, in dem sich die
westliche Musik von allen anderen Musizierformen der Welt unterscheidet: die Entwicklung
der Mehrstimmigkeit

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wir haben hohen Preis dafür gezahlt und zwar denken wir immer mehr in vertikalen
Strukturen

man verlernt, lange horizontale Systeme zu erfassen und zu interpretieren

naturgegebene Tonreihe (Obertonreihe) müssen wir „vergewaltigen“ für die


Mehrstimmigkeit – ab 6:7 stimmt es nicht mehr

syntonisches bzw. pythagoreisches Komma

Leistung unseres Ohres ist unglaublich: Wellen kommen an und Ohr erkennt die Wellen und
ihr Verhältnis und lässt die Frequenzen als saubere Intervalle durchgehen

jedes Intervall am Klavier ist falsch

indische Musik lebt davon, dass man einzelne Töne durch die harmonische Spannung zu
Grundton in Relation setzt

alleine singt man einstimmig

wenn Frauen und Männer dasselbe singen, aber eine Oktave auseinander: gleichstimmig

im Mittelalter gelten Quinten und Quarten gleichwertig zu Oktaven, aber war das noch
gleichstimmig?

wenn mehrere Leute miteinander ein Lied singen und das nicht genau können, heißt das
Heterophonie – aber ist das gewollt oder passiert das?

System: es ist einmal passiert und es hat mir gefallen, also mache ich es das nächste Mal
bewusst

Beginn von Mehrstimmigkeit kann man nicht genau definieren

früheste mehrstimmige Form: Organum

„organum“ = Orgel

man hat mehrere Register auf der Orgel – wenn man mehrere Register zieht und einen Ton
spielt, ist das einstimmig oder mehrstimmig?

[Exkurs: wie kommt Orgel in die Kirche?

hängende Gärten der Semiramis = terrassenförmige Paradiesgärten in der Wüste, leben von
Bewässerungsanlagen

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Gärtner macht Entdeckung: Gartenschlauch macht Töne, wenn Wasser reinkommt und Luft
rausgeblasen wird

Erfindung der Wasserorgel – mehrere Schläuche, darauf steckt man Flöte, schüttet Wasser
rein und spielt

Schlüssel auf lateinisch heißt „clavis“

Mechanik der Taste entsteht – Ton wird ermöglicht und wieder zu Ende gebracht

Orgel ist somit erstes Klavier]

Karl der Große bekommt aus Rom Hydraulis geschenkt und stellt sie in die Kirche – wird mit
unendlichem Atem Gottes in Verbindung gebracht

Orgel ist Instrument der Westkirche – im Osten nirgends

heterophones Musizieren entstand

es gab zu der Zeit viele polyphone Organa

„musica enchiriadis“ = anonyme Schrift und heißt übersetzt „Musik für die Hand“ darin
kommt zum ersten Mal notierte Mehrstimmigkeit vor (allerdings nur graphisch
aufgezeichnet, da man ja noch keine Notenschrift kannte)

Autor erklärt, wie es gesungen werden soll: von einem Ton entwickeln sich die Stimmen
auseinander und wieder zusammen

damit wurde Mehrstimmigkeit zum ersten Mal wirklich bewusst gemacht

zu einer Stimme (Choral, von Gott gegeben – „vox principalis“) wird eine zweite Stimme
dazu gemacht („vox organalis“ = etwas Gemachtes)

mit diesem Traktat begannen die Probleme: Tonhöhen und Rhythmen konnten nicht notiert
werden

indische Musik notiert nicht – alles auf improvisatorischer Basis

sobald man mehrstimmig musiziert, braucht man aber Noten – damit man es erlernen kann

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30.10.2013
erste Versuche, mehrstimmig musizieren zu können, resultieren aus Zahlenproportionen,
welche hörbar gemacht wurden (Musik war mathematische Wissenschaft)

wir machen heute Musik, weil sie schön ist – damals war das nicht so (Musik musste nicht
schön sein, sondern Relationen müssen stimmen und Funktion muss gegeben sein)

Ästhetik kommt erst mit Renaissance ins Spiel

„musica enchiriadis“: erstes Traktat, in dem Mehrstimmigkeit vorkommt

Problem der Notation

um 1000 lebte Guido von Arezzo

er schrieb philosophische, pädagogische, musiktheoretische Schrift „Micrologus“ und


entwickelte darin einige nachhaltige Dinge wie zB. unsere Notennamen

tut dies mit Hilfe eines Chorals – man weiß nicht, ob der von ihm ist, um sein System zu
erklären, oder ob er ihn von jemand anderem übernommen hat – Urheber von Chorälen sind
immer umstritten, weil sie eigentlich von Gott kommen

dieser Choral ist Namensgeber unserer Töne: jeder Vers beginnt einen Ton höher als der
vorige „Ut queant laxis“-Hymnus

Guido nimmt die ersten Silben dieses Verses für die Notennamen: „ut (do) re mi fa sol la“

Cheironomie = System der Solmisation („cheir“ = Hand, „nomis“ = Zeichen)

wird mit Ellbogen, Handgelenk und den 5 Fingern gezeigt

Guido hat Neumen auf bestimmte Tonhöhen gesetzt – dadurch sind 4 Notenlinien
entstanden

hat die 4 Linien unterschiedlich eingefärbt, was umständlich war

dann hat er Schlüssel davor gesetzt

C-Schlüssel kann durch alle Linien wandern – dort wo seine Mitte ist, ist c1

Relativität der Tonhöhe konnte man so darstellen – Hilfslinien gab es nicht, man musste mit
den 4 Linien auskommen

das hat sich über 1000 Jahre gehalten

Choral hat keinen Rhythmus – ergibt sich aus der Sprache, folgt aber keinem Metrum

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rhythmische Struktur der Antike war obsolet – stirbt aus mit der Zeit

mit Guidos System konnte man keinen genauen Zeitablauf notieren

Zeit musste trotzdem eingeteilt werden – Musik bedarf einer Rhythmik

da sich Rhythmus aus dem Text ergab, weiß man ohne Text nicht, wie man es spielen soll

als man dann einen Rhythmus darüberstülpte, wählte man die Zahl, die in der Religion am
wichtigsten ist – nämlich 3

erste musikalische Formen in der Mehrstimmigkeit sind also in der Dreiwertigkeit


komponiert – muss man noch nicht aufschreiben, die ergibt sich

Pythagoras hatte ein Instrument, mit dem er seine Zahlenverhältnisse entwickelt hat:
Monochord (da hat er die Saite verschieden gespannt, bis sie gerissen ist und dann hat er
gedacht, diese Intervalle, die er entwickeln kann, sind von Gott gegeben)

Guido von Arezzo hat Schriften von Pythagoras als Vorbild genommen

Pythagoras hatte Losung von 4 Zahlen (6, 8, 9, 12)

darin sind alle Intervalle enthalten

 6:12 = 1:2 Oktave


 6:9 = 2:3 Quint
 6:8 = 3:4 Quart

das ist Grundgerüst aus dem Musik besteht (1-4-5-1 Kadenz)

8:9 = pythagoreischer Ganzton (f-g)

eigentlich stimmt kein einziges Intervall der heutigen Naturtonreihe

2 Ganztöne ergeben bei uns Terz

9:8 wären 2 Ganztöne, wäre laut Berechnung aber 81:64

Terz ist aber 5:4, das wäre 80:64

4 Quinten übereinander stimmen auch nicht (wären auch 81:64)

jetzt ist Mehrstimmigkeit gewollt – im Sinne des Guido von Arezzo bzw. des Pythagoras

zum Tropus dazugeschriebene Gegenstimme in den passenden (berechneten) Intervallen

das ist kreative Mehrstimmigkeit und kein Zufallsprodukt


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man hat im Choral 2 Möglichkeiten der Vortragskunst: melismatisch (pro Silbe mehrere
Töne) und syllabisch (pro Ton eine Silbe)

es gibt 3 Arten des Organums:

 Parallelorganum
 freies Organum
 melismatisches Organum

später kommen bis zu 4 Gegenstimmen zum Choral dazu

entwickelt sich weiter und erlangt erste Hochblüte im frühen 12. Jahrhundert

in Paris entsteht die Kathedrale „Notre Dame“

zu der Zeit 2 wichtige Komponisten: Leonin und Perotin

zum ersten Mal kennt man Künstler mit Namen – wir treten aus Theologie heraus, dass alles
von Gott kommt – ab jetzt schafft Mensch etwas und schreibt seinen Namen darunter

man weiß allerdings sonst nichts über diese beiden

3 Abschnitte in der Musik:

 Choral
 2 Worte als Organum – im Organum Haltetonpartie (über einen Ton wird drüber
improvisiert)
 Abschnitt, in dem sich auch Unterstimme schneller bewegt (= Klausel)

Klausel = mehrstimmiger Abschnitt eines Chorals

Klauseln sind Ausgangspunkt für nächste musikgeschichtliche Epoche

Gotik
gotische Kathedrale muss starken Eindruck auf Menschen des 12. Jahrhunderts gemacht
haben

war Symbol für Macht und Kraft

im 11. Jahrhundert war erstes Schisma [sprich „skisma“] (= Spaltung, Trennung) der
katholischen Religion ging osteuropäischer Teil an Orthodoxie verloren

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Menschen werden in gewisser Weise mündig

Kreativität kommt nicht von Gott, sondern vom Menschen

Mündigkeit ist gefährlich für jene, die Kontrolle ausüben wollen

es entstehen viele Fresken des Jüngsten Gerichts – damit wollte man Leute zum Gehorsam
zwingen

Kathedrale erweckt vielseitigen Eindruck: man kommt zu riesigem Gebäude mit hohem Turm
(„so weit man die Glocken hören kann, so weit reicht Gerichtsbarkeit“ – deshalb so hohe
Türme in dieser Zeit)

drinnen ist man dann im positiven Sinn erschlagen vom Licht, das durch bunte Fenster
hereinbricht und benommen vom Weihrauch und man hört Organa (aus Quinten, Quarten
oder Oktaven)

feine Steinmetzarbeiten und genaue Details der Fenster findet man auch in Musik wieder

wenn man Musik zerhackt und Melodie auf 2 Leute aufgeteilt singen lässt, entsteht Hocetus
= Schluckauf wirklich abwechselnd – pro Ton

Frage, ob das noch Mehrstimmigkeit ist

Haltetonfraktur: erster Ton wird gehalten und auf dieser Silbe wird darüber improvisiert bis
andere Silbe kommt

unendlicher Atem Gottes wird spürbar gemacht

1086 ruft Papst Urban II. zum ersten Kreuzzug („heiliger Krieg“)

Kreuzzüge: um Ritterhorden aus Kernland wegzubringen und um Jerusalem aus den Fängen
des Islams zu befreien

„terror“ ist Schauer, der mich ergreifen soll, wenn ich heiligen Ort betrete – das Spüren der
erhabenen Macht

Terroristen sind eigentlich auch Märtyrer, die für den Glauben sterben

dreiwertige Klausel eines Organums wurde textiert – ist aber kein Tropus, sondern Motettus
(„Wort“ heißt auf französisch „mot“)

führt zur Motette

23
6.11.2013
Haltetonfraktur: 1 Ton wird ausgehalten und dann wird 2-3stimmig darübergesungen

Klausel: schließt den als Organum auskomponierten Teil ab

diese Klausel wird ab 11/12. Jahrhundert als Tropierung auskomponiert (Motettus =


gewortete Klausel)

ursprüngliche Form der Motette ist für Vokalmusik heute noch üblich

Motette = mit geistlichem Inhalt versehene Textierung einer Musik – Text ist gleichrangig
mit Musik

Klausel hat normalerweise keinen Text, wurde erst als Motette mit neuem Text versehen
(Hymnustext)

Hymnus ist neue Dichtung

Motettus ist Gegensatz zum Choral

bei den Texten von Motetten besteht inhaltliche Klammer

sehr formelhaft wegen der Dreiwertigkeit

Volksmusikformen am Land hatten oft diese Form (einer singt Ostinato vor, alle anderen
singen nach)

auch Hocetus kommt oft vor

Rhythmus war bedeutend

neue Zeit: Ars antiqua = alte Kunst

Epochenbezeichnungen werden oft unreflektiert verwendet und wurden meist erst von der
Nachwelt so bezeichnet

Ende 12./Anfang 13. Jahrhundert (ist ein Teil der Gotik)

kulturgeschichtlich mit Scholastik gleichzusetzen („schola“ = Schule)

in dieser Zeit beginnt man Bildung aus den Fängen der Kirche zu lösen und zu
verselbstständigen

erste Universitäten werden gegründet (Padua, Bologna, …)

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sehr viele Wörter, die wir heute verwenden, gehen auf diese Zeit zurück

zB. „Universität“ = Gesamtheit der Bildung

„fakultas“ = Möglichkeit ( Fakultät)

10 Lehrer hatten damals einen Sprecher = „dekanus“ ( Studiendekan)

Bildung war rein geisteswissenschaftlich auf Basis der 7 freien Künste

Musik war rein mathematisch

für uns wichtige Errungenschaft dieser Zeit ist Notation des Rhythmus, welche man „ars
cantus mensurabilis“ nennt und von Franko von Köln 1250 erfunden wurde

immer Dreierunterteilung:

Maxima – longa – brevis – semibrevis – minima

heutige ganze Note wäre die Semibrevis

Maxima besteht somit aus 27 ganzen Noten

im Organum brauchte man diese langen Noten für den Halteton

es geht noch immer nicht um die Idee, Ästhetik zu betreiben – nur Berechnung

man weiß nicht, ob die Werke zu dieser Zeit auch aufgeführt wurden – wurden eigentlich
nicht für Aufführung komponiert, sondern streng mathematisch

Motette entwickelte sich parallel zum Minnesang

viele dieser Motetten sind Liebeslieder der Troubadours

auf weltlicher Seite waren Werke für den Vortrag bestimmt und hatten ästhetischen
Vordergrund

geistlich war es nur Berechnung

nur Quarten, Quinten und Oktaven waren erlaubt – etwas sperrig

1320 schrieb Philipp de Vitry das Traktat „Ars nova“

darin bezeichnet er die Zeit davor als „Ars antiqua“ und grenzt somit alte Kunst von neuer ab

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in „Ars nova“ entwickelt de Vitry ein Notationssystem, das unser modernes Rhythmussystem
darstellt

er erweitert Dreiwertigkeit um Zweiwertigkeit

Maxima braucht man kaum mehr, weil Organum obsolet ist

Longa kann man drei- oder zweiteilen:

- Dreiteilung: tempus perfectum


- Zweiteilung: tempus imperfectum

er erfindet Mensurzeichen: für Dreiteilung Kreis und für Zweiteilung Halbkreis c (bedeutet
heute noch geradtaktiges Stück)

es gibt auch zwischen Brevis und Semibrevis Möglichkeit der Teilung:

- dreiwertige Teilung: prolatio maior


- zweiwertige Teilung: prolatio minor

Punkt bedeutet dreiwertige Teilung (heute noch: halbe Note besteht aus 2 Vierteln, Halbe
mit Punkt besteht aus 3 Vierteln)

damit kann man 4 verschiedene Rhythmen darstellen:

 Tempus imperfectum prolatio maior: 6/8


 Tempus imperfectum prolatio minor: 2/4
 Tempus perfectum prolatio minor: 3/4
 Tempus perfectum prolatio maior: 9/8

Tempus ist heute unser Takt

ob Schläge zweiwertig oder dreiwertig sind, gibt prolatio an

die 2 wichtigsten Personen der Ars nova waren Philipp de Vitry (war eher Theoretiker) und
Guillaume de Machaut (war der Komponist bzw. Schöngeist)

Kompositionsform in der Ars nova war die isorhythmische Form

Choral ist Basis, der aus einer gewissen Anzahl von Noten besteht

dann kreiert man Rhythmusmodell (besteht zB. aus 5 Notenwerten)

die stellt man dann nacheinander immer wieder über Choral drüber

derselbe Rhythmus kehrt immer wieder – formgebend für diese Zeit

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es galt (insbesondere für die Geistlichen) bereits „Wein, Weib und Gesang“

Guillaume de Machaut lebte in Reims

er war Geistlicher und hatte ein Verhältnis mit einer jungen adeligen Dame

über dieses Verhältnis schreibt er das Buch „livre du voir dît“ (Buch über eine wahre
Begebenheit) – darin schreibt er persönliche Befindlichkeit nieder

darin heißt es „komm zu mir in die Kirche, ich habe für dich eine Messe komponiert“ und
zwar die „Messe de Notre Dame“: doppeldeutig – einerseits ist Kirche eine Notre Dame (wie
alle Kirchen in Frankreich), andererseits heißt Notre Dame „meine Geliebte“

das ist dann erste durchkomponierte, mehrstimmige Messe (4 stimmig)

in der Handschrift ist ein Bild, wo Domherr im Portal steht und seine Geliebte empfängt, die
auf Pferd daher reitet

Überschrift „lamant“ = der Liebhaber

es gab keine Partituren

Messe ist streng isorhythmisch komponiert (konservativer Stil)

Zeit der 2 Päpste in Avignon und Rom – deshalb ist Kirche geschwächt und es entstehen
solche Freiheiten

de Vitry steht in Verbindung mit Italien (Petrarka und Dante) und der neue Einfluss führt
dann in die Renaissance Aufbruchsstimmung

27
27.11.2013
weltliche Musik des Mittelalters war der Minnesang

mit Untergang des römischen Reiches im 5. Jahrhundert geht Kultur zugrunde, aber auch die
gesamte, bekannte, weltumspannende Infrastruktur

Völkerwanderung – Völker, die zum Teil auf der Suche nach Nahrungsmitteln umherzogen

alles was ihnen in den Weg kam, nahmen sie an sich

Sesshafte wollten sich verteidigen können dagegen

deshalb zog man auf die Burgen auf Hügeln, da konnte man sich leichter verteidigen

erst am Ende des Mittelalters wurde Welt in Zentraleuropa friedlicher

Irrwanderungen endeten und Gefahr wurde geringer und das Leben auf den Hügeln/Bergen
wurde unbequem – man zog wieder in die Ebene in neue Städte

immer dort wo am Berg Ruine ist, ist unten im Tal ein Schloss

Zeit der Ritter war jene, wo sich alles auf den Hügeln abspielte

Ritter waren Verteidigung der Burgherrn gegen Eindringlinge

es gab keine Infrastruktur und kein übergreifendes Rechtssystem

Mensch an sich ist vogelfrei – hat aber auch keinen Schutz dadurch

von unten herauf hat sich dann System entwickelt: Burgherr hat einen Besitz, Leute begeben
sich in seinen Dienst und bekommen dafür seinen Schutz – Aufbau einer Rechtsstruktur

11.-13. Jahrhundert – parallel zur Ars antiqua (beginnende Ars nova) und der Scholastik
(erste Form der Bildungselite)

Kreuzzüge – Papst Urban ruft zum ersten Kreuzzug auf

Kreuzzug ist eine militärische Aktion, getragen von den Rittern, um Jerusalem, das
inzwischen von den Moslems in Besitz genommen wurde, für das Christentum
zurückzuerobern

Jerusalem ist allen 3 abrahamitischen Religionen heilig

vordergründiger Effekt war der religiöse, aber hintergründiger Effekt war jener, dass Ritter
Soldaten sind, die kämpfen wollen

es war aber gerade friedliche Zeit und Heer war somit unterbeschäftigt
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diesen Kreuzzügen verdanken wir kulturelle Befruchtung

Kreuzfahrer, die zurückkamen, brachten neben Wertgegenständen auch kulturelles Wissen


mit

Minnesang als Gattung:

Melodien und Texte sind dieselben wie in den Motetten man weiß nicht was zuerst war –
der Minnesang oder die Motetten

älteste Form des Minnesanges kommt vom spanischen Wort „trobar“ = finden

man „findet“ die richtigen Worte zur richtigen Situation

Emotion, die uns am meisten interessiert, ist die Liebe = wichtigstes Thema beim Minnesang

„Minne“ heißt „Liebe“ auf mittelhochdeutsch

Minnesänger findet zum Thema Liebe die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt

 Troubadour im Süden Frankreichs


 Trouvére im Norden Frankreichs
 Minstrel in England
 Minnesänger in Deutschland

gleiches Problem wie in der Antike – nur Texte und keine Melodien erhalten

Lieder waren nicht zum Aufschreiben, sondern nur zum mündlichen Vortrag gedacht

Wilhelm von Aquitanien wird als erster Minnesänger bezeichnet (Aquitanien ist in
Südfrankreich)

Wilhelm war als Fürst Schirmherr des Klosters und der Kathedrale von Saint Martial de
Limoges in Südfrankreich (eines der Zentren für die Ars antiqua)

er hat in seiner Dichtung als erster die Frau als Objekt der sexuellen Begierde bezeichnet und
besungen

Ritter ist Träger dieser Kunstform Minnesang, ist aber eigentlich Soldat

„lieben bedeutet Krieg führen“ – enge Verbindung ist hier sehr ausgeprägt

heute noch sehr viele Ausdrucksweisen auf dem Gebiet („man hat eine Frau erobert“)

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damals haben sie um Frauen auch wirklich gekämpft

es geht in der Minnedichtung immer nur um Liebesleid oder um Beziehungen, die nicht sein
dürfen

man ist meistens nur in einer Tonstufe – wie epischer Gesang man hat eine Melodiefloskel
mit dem Text, die man darüber singt

unter den Trouvéres gibt es Adam de la Halle – lehrte an der Universität in Sourbonne

schrieb ein Singspiel über „Robin Hood“-Stoff

aus ganz wenig Material, das vorhanden war, musste man was kreieren, das sich vermarkten
lassen kann

wir wissen nicht, was genau die Spielleute auf den damaligen Instrumenten gespielt haben

Spielleute hatten dieselbe Stellung wie Knappen – waren einem singenden Ritter zugetan,
der sie beschützte

sind mit ihrem Herrn von Burg zu Burg gezogen und haben dort gesungen und als
Nachrichtenboten fungiert (wieder parallel zur Antike)

haben solange unterhalten, wie sie konnten

Unterhaltung, Botenfunktion und politische Propaganda in einer Person

Minnesang wird in 3 Stufen geteilt:

 hohe Minne: Verehrung einer nichterreichbaren Frau – einerseits die Gattin des
Burgherrn (man macht ihr Komplimente), andererseits die Liebe von Weitem
(Kreuzfahrer singt Lied für Angebetete daheim = Gruß aus der Ferne)
 ebene Minne: handelt von Mann-Frau-Beziehungen auf Augenhöhe, allerdings fast
immer Beziehungen, die nicht sein sollten (handelt eigentlich von Ehebruch)
 niedere Minne: von Wilhelm von Aquitanien – ist sehr derb, es geht direkt um die
Sache

ebene Minne:

eine bedeutende Form des Minneliedes ist „Tagelied“ = Lied, das Wächter singt, der vor der
Tür eines Hauses aufpasst, dass Ehemann nicht zu früh heimkommt, weil die Frau mit
Liebhaber zusammen ist zB. in „Tristan und Isolde“ – Brangäne singt auch Tagelied

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hohe Minne:

ultimative Spitze der hohen Minne ist der Marienkult

in der frühen Marienliteratur kommen sogar Texte vor, die sexuell anzusehen sind

Minnesänger haben auch bedeutende politische Funktion – nämlich Propaganda für


politische Maßnahmen zu ergreifen

bedeutendster Minnesänger war Walter von der Vogelweide

das einzige Lied von ihm, das sogar mit Melodie erhalten ist, ist das „Palästinalied“

er mahnt darin zur Teilnahme am Kreuzzug, wollte aber selbst nicht teilnehmen

Melodie vom Palästinalied hat unglaubliche Kraft

Richard Löwenherz – ursprünglich englischer Minstrel

erstes nachgewiesenes Kidnappingopfer mit Lösegeldforderung (in Dürnstein)

im 13. Jahrhundert hat Rüdiger von Manesse eine Handschrift in Auftrag gegeben, die
solche Lieder sammelt = „Manessische Liederhandschrift“ oder „Heidelberger
Liederhandschrift“

beinhaltet keine Melodien, nur Texte

darin kommen Bilder vor (Miniatur kommt von „Minium“ – lateinisch und bedeutet „rote
Farbe“, in der die Bilder gemalt wurden), welche Situationen mit Spielleuten und
Minnesängern darstellen

Troubadour singt auf provenzalisch, Trouvére singt auf altfranzösisch, Minnesänger auf
mittelhochdeutsch

es gibt nicht nur Ritterburgen und weltliche Machtzentren, sondern auch geistliche Burgen
und Klöster

auch hier hat sich so eine Form entwickelt, die man Vagantenpoesie nennt

 Vaganten sind Wanderprediger, die von Kloster zu Kloster zogen


 Scholaren sind Studenten der frühen Universitäten, die auch geistlich
zusammenhängen und zu Klöster gehören – sogenanntes „Studentenlied“
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Vagantenpoesie:

vordergründiger Unterschied zum Minnesang: Sprache war Latein (wegen Kloster und
Universität) mit landessprachlichen Einflüssen

dadurch europaweite Dichtung, wo man keine regionalen Unterschiede erkennt

wichtigerer Unterschied ist jedoch noch der Anspruch an Gelehrsamkeit, um sie genießen zu
können

weltlicher Ritter hat unterdurchschnittliche Bildung (kann oft nicht einmal lesen und
schreiben), während Vagant Latein und Griechisch kann, weil er Theologie studiert haben
muss

deshalb ist diese Dichtung vom intellektuellen Anspruch her von höherem Niveau

„Carmina burana“ von Carl Orff macht diese Dichtung weltberühmt

Carmina burana heißt „die Lieder aus Benedikt Beuren“ – ist ein Kloster im Allgäu

diese Handschrift war dort und im Zuge der josefinischen Klosterreform kam der Inhalt
dieser Bibliothek nach München

Orff hat in München gelebt, konnte perfekt lateinisch, stieß irgendwie auf diese Handschrift

er nimmt aus diesem dicken Wälzer (ist keine Prachthandschrift, sondern kleines
Taschenbuch mit viel Gekritzel) einzelne Gedichte oder nur Teile davon heraus und hat diese
dann in neuen Zusammenhang gestellt und vertont

Carmina burana ist eigentlich ein Ballett

Handschrift kommt (aufgrund der Schreibweise der Mönche – wahrscheinlich Augustiner)


ungefähr aus südalpinen Raum und entstand wahrscheinlich Anfang 12. Jahrhundert

es gab verschieden Möglichkeiten der Herkunft:

1. Neustift bei Brixen in Südtirol – Titelbild ist berühmtes Glücksrad und ein Fresko
dieses Rads ist in diesem Kloster
2. Propstei Maria Saal in Kärnten – war kein Bischofssitz mehr zu dieser Zeit, in 2
Gedichten wird Maria Saal direkt genannt, unter anderem in einem
Empfehlungsschreiben über den Propst dieses Klosters, dass er Bischof werden sollte
3. Seckau – dieser Propst ging dann dorthin
4. Seggauberg – war Sommerresidenz dieses Propstes

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4.12.2013
„Carmina burana“ = berühmteste Vagantendichtung

diese „Carmina burana“ bestehen aus 4 Blöcken von Gedichten sogenannte moralisch-
satirische Lieder

das Studentenliedgut ist Hauptteil davon

Motiv des Glücksrads ist auch in orientalischen Religionen (zB. in Tibet) verbreitet

Musik moduliert noch nicht, ist nur auf einer Tonstufe

von den meisten haben wir keine Noten, manche sind neumiert

auch Instrumente, die zur Begleitung verwendet wurden, kamen aus dem orientalischen
Raum

Interpretationen dieser Lieder sind sehr verschieden, weil man ja nicht genau weiß, wie es
damals gemeint und aufgeführt wurde

Cluny war bekanntes Kloster im 12. Jahrhundert in Frankreich

in diesem Kloster wurde gesoffen, gehurt etc. – nur kein frommes Leben geführt

2 große Reformgedanken gingen von diesem Kloster aus: Zisterzienser und


Prämonstratenser

Benediktiner waren am Berg und Zisterzienser waren irgendwo versteckt in den Talsenken,
wo man sie nicht finden konnte

Zisterzienserorden durften auch keine Türme bauen – die Klöster waren schmucklose,
unauffällige Bauwerke

das Lotterleben in diesen Klöstern war Anlass für bissige Satire in der „Carmina burana“
(großer Teil ist diesem Thema gewidmet)

vor allem die Spielermesse – komplettes Proprium wird als Parodie auf das Verhalten dieser
hohen Geistlichkeit verwendet

Cluny war auch Wallfahrtsort

wenn Pilgergruppe kam, hat sie der Abt mit einer bestimmten Formel begrüßt, welche in der
„Carmina burana“ textlich verändert wurde und ganz was anderes heißt, aber noch deutlich
erkennbar ist

neben Spielermesse sind auch Trinklieder Anspielung auf Moral in diesem Kloster
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neben der Derbheit auch ungemein geniale Poetik

zB. Dichter beschreibt Situation eines Mädchens, das sich für die Liebe entscheidet

sogar mit Bildern aus der Bukolik – Anlehnung an Catull

das unterscheidet Minnesang von Vagantendichtung – Vaganten haben höheres


Bildungsniveau

berühmtestes Trinklied: „In tabernam quando sumus“

von den meisten Liedern der „Carmina burana“ sind nur Texte erhalten

Orff übernimmt musikalische Sprache, die er von mittelalterlicher Musik kennt – auch die
Einheit von Wort, Musik und Bewegung

„Ludi scenici“ = Titel der Trilogie

1.Teil: „Carmina burana“ = Auswahl aus diesen Gedichten

2.Teil: „Catulli carmina“ = Verehrung der großen Dichterin Sappho

3.Teil: „Triumph der Aphrodite“ – auch Texte von Catull, Alkaios, Sappho

Orff hat sich von den Originalen, die zu den Texten vorhanden sind, sehr beeinflussen lassen

Antike war großes Vorbild für Orff

Aufbau:

es gibt ein Vorspiel – aus den Liedern zusammengebaut

2 Schicksalslieder („O fortuna“ und noch eines)

dann noch 3 Szenen:

 „auf dem Feld“ – greift auf Naturlieder zurück und hat mit der Liebe zu tun
 „in taberna“ – spielt im Gasthaus
 „auf dem Liebeshof“ – das Mädchen entscheidet sich für die Liebe

im 3. Teil ist berühmter Kinderchor

Texte wurden von Orff fast durch Zufallsprinzip ausgewählt

Originalversion wird selten aufgeführt, weil sie so umfangreiche Besetzung verlangt


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Merkmal dieser Vagantendichtung ist auch Mehrsprachigkeit

sogar Countertenor kommt vor in der „Carmina burana“

freudiger Teil steht in D-Dur – der Freudentonart

im 3. Teil kommt auch großer Venushymnus vor

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11.12.2013
Musiksprache Orffs entspricht genau dem, was der antike Begriff „musiché“ aussagt:
Verbindung von Wort, Musik und Bewegung (Dreieinigkeit)

er war Kenner der antiken Sprache und der antiken Literatur

„Ludi scenici“ = gesamtes Werk (Trilogie)

„Catulli carmini“ sind Intermezzo in dieser Trilogie

perfekte symmetrische Form:

 „Carmina burana“ als opulentes orchestriertes Werk


 in der Mitte „Catulli carmina“ (3teilig – Mittelteil nur a capella)
 dann „Triomphi der Aphrodite“

„Catulli carmina“:

3 fiktive Protagonistengruppen (junge Männer, alte Männer und junge Frauen)

die diskutieren über Liebe (Begriff „Vorspiel“ kann doppeldeutig verstanden werden)

Orff war schon sehr direkt in der Benennung von Dingen

nur 4 Klaviere und Schlagzeug – sehr rhythmisch (Klavier war bei Orff Schlaginstrument)

Catull hat viele Gedichte geschrieben und in vielen auch auf seine Liebesbeziehung zu Lesbia
Bezug genommen – er war einer von vielen bei ihr und darunter hat er sehr gelitten

Liederzyklus: es geht darum, dass Komponist die Geschichte einer Liebesbeziehung erzählt

am Ende ermahnen die alten Männer, dass Liebe schlecht ist

Orff hat genialstes Gedicht von Catull an den Anfang gestellt („odi et amo“) in der
Requiemtonart d-moll

mit dem letzten Satz der Catulli carmina leitet er auf 3. Teil über, den „Triumph der
Aphrodite“

Riesenorchester, Doppelchor, viele Solisten – große Kantate, die antiken Hochzeitszug


beschreibt (Hochzeitsgedichte als Prozessionslied)

da kommt dann auch Hochzeitsnacht vor – wird musikalisch dargestellt

3. Teil wird fast nie gespielt


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8.1.2014
Renaissance
verschiedene Gattungen – hauptsächlich frankoflämische Schule

Komponisten waren Niederländer

Zentrum war Italien (Florenz)

im 14. Jahrhundert Gegenpapst in Avignon

Autoritäten verlieren an Macht und an Kraft

im 14. Jahrhundert zwischen Frankreich und England: 100-jähriger Krieg (nicht 100 Jahre
durchgehend)

Krieg ist schlecht für die Kunst, weil kein Geld da ist

im Trecento (14. Jahrhundert) beginnt sich in Italien eine italienische Kunst als solche zu
etablieren

stark von Ars Nova von Frankreich abhängig

Philip de Vitry wichtig dafür

Achse Frankreich-Italien war schon zu der Zeit gegeben

im 14. Jahrhundert kommen Franzosen nach Italien, wirken dort als Künstler und Lehrer und
neben Niederländer gab es dann schlussendlich auch Italiener

Ausgangspunkt ist Hofkapelle von Burgund

dort war John Dunstable (Komponist) – kam aus England und brachte neuen Musikstil

er ist Begründer des „faux bourdon“ (Terzen statt bis dahin nur gebräuchliche parallele
Quinten – Terzen galten als Dissonanzen)

Terz ist natürlichstes Intervall

er schreibt Choral und dazu schreibt er „afb“ – a faux bourdon d.h. im falschen Bourdon

„Bourdon“ waren Quinten und „faux bourdon“ ist mit Terz

Niederländer bringen diese Musik dann von Dunstable weiter nach Italien

Singen von Terzen kommt aus dem Norden Englands

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Schüler von Dunstable ist Guillaume Dufay – er war Hauptmeister der 1. Generation

er ist der Erste, der nach Florenz geht und ist Begründer der frankoflämischen Schule

1410 wird in Florenz der Dom eingeweiht

Dufay komponiert dafür die „Florentiner Domweihmotette“

diese Motette ist zugleich Ende der Ars Nova und Beginn der Renaissance

vereint Stilmittel beider Epochen

Form in der Ars Nova: isorhythmische Motette – Komponist nimmt einzelne Töne des
Chorals, wählt Rhythmuselemente und stülpt diese über die Töne (dadurch entsteht ein
immer wiederkehrender Rhythmus)

Dufay schreibt diese Motette in dieser Form

Choral, der zugrunde liegt, ist jener, der für die Weihe einer Kirche verwendet wird

von Vitry weiß man, dass er Tempo perfectum usw. (die 4 Rhythmusvarianten) erfunden hat

Dufay verwendet alle 4 Varianten hintereinander

dadurch entsteht Strettagefühl innerhalb des Stücks

Durakkord am Ende des Stücks – Terz löst sich in Quint auf, aber im Dom ist Nachhall und
deshalb hört man am Ende die Terz noch immer

Dufay schreibt auch Tenor1 und Tenor2 als Stimmbezeichnung und mit ihm entwickelt sich
dann der 4stimmige Satz

 Hauptstimme ist Tenor (aus gregorianischem Choral abgeleitet)


 Gegenstimme ist Contratenor
 bei 2 Contratenores ist einer hoch („altus“) und einer tief („bassus“)
 Überstimme heißt „superior vel sopranus“

zuerst wurden alle Stimmen von Männern gesungen, weil Frauen in der sakralen Musik
nichts verloren hatten

Sakralmusik der Niederländer:

 Messe
 Motette

Motette heißt nur „Vertonung“ – keine bestimmte musikalische Form

mit Messe ist Vertonung des Messordinariums gemeint


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inhaltlicher Zusammenhang der Teile kann sich durch 2 Arten definieren:

 cantus firmus-Messe
 Parodiemesse

cantus firmus-Messe: Komponist wählt einen cantus firmus aus einem Choral und baut
diesen in alle Messteile ein (inhaltliche Klammer ist gegeben)

Parodiemesse: selbe Vorgangsweise, aber cantus firmus ist weltliches Lied (Madrigal,
Rondeau, …)

das zeigt, wie frei man sich in dieser Zeit in der Kirche bewegen kann

Konzil von Trient im 16. Jahrhundert schafft das dann ab

Dufay schreibt eine Messe über „wenn das Gesicht blass ist, dann ist das wohl die Liebe“

Lied, das unglückliche Liebe besingt – das ist cantus firmus der Messe (versteckt in jedem
Lied der Messe)

Schüler von Dufay ist Jan Ockeghem – Hauptmeister der 2. Generation

ihm verdanken wir das erste Requiem

er begann kompositionstechnische Tricks, die Bach beeinflusst haben

 zB. Rätselkanons, wo er nur eine Stimme schreibt

cantus firmus wird bei ihm auch durch alle Stimmen durchgewechselt – polyphone
Kompositionsweise beginnt

Johannes Tinktores gehört auch zur 2. Generation dieser Niederländer – der hat das erste
musikalische Lexikon geschrieben

39
15.1.2014
Hochrenaissance: 3. Generation der Niederländer

Josquin Deprez bringt Cantus-firmus-Komposition zum Höhepunkt

sehr konstruierte Musik

Vokalmusik in der Renaissance vor allem Messe und Motette

Deprez lässt den Cantus firmus durch alle Stimmen wandern, vorher immer nur Tenor als
Hauptstimme

wurde von den weiteren Komponisten übernommen:

Orlando di Lasso (= „Orlando von oben“) 1450-1521 (Schüler von Ockeghem)

Pierre de la vie (= „Peter von der Straße“)

die 4. Generation war die sogenannte „venezianische“

stößt Tor für die Barockzeit auf

die 5. Generation war die römische Generation

Endpunkt für diese Zeit war Konzil von Trient

Luther erkannte, wie wichtig Musik für den Gottesdienst ist

Bachkantaten hatte oft Funktion einer Predigt

Abschaffung von Tropen und Cantus-firmus-Messen – man wollte zurückkehren zum


gregorianischen Choral

Jacobus de Kerle ist es zu verdanken, dass Kirchenmusik erhalten blieb

er schrieb während des Konzils Prototyp, der den Konzilvätern gefiel (einfach und schlicht
gehalten, wohlklingend)

aus diesem macht Perluigi de Palestrina dann eine hohe Kunstform

Palestrina war von 1525 bis 1594 Leiter der Chorknaben in der Sixtinischen Kapelle

er will perfekten Dreiklang (durch mitteltönige Stimmung kommt dieser sehr schön heraus)
und Textverständlichkeit

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viel Text wird möglichst homophon und textorientiert behandelt, während wenig Text
ausschweifend geführt wird

damals wurde schon über den Messablauf in der Muttersprache nachgedacht, jedoch wurde
dieser Gedanke abgeschwächt dazu, dass man während der Messe in der Muttersprache
singen durfte

wurde aber nur zum bestehenden Messablauf gesungen (Schubertmesse: es wird notiert
„zum Gloria“ – das heißt, man hat nach dem lateinischen Gloria vom Pfarrer dieses noch auf
deutsch draufgesungen)

a capella: wie eine Kapelle Bilder zeigen

immer Sänger und Instrumente

in der Renaissance war Consortgedanke sehr wichtig – also werden die Instrumente in
Stimmrichtungen eingeteilt

höchstwahrscheinlich wurde Singstimme mitgespielt

41
29.1.2014
4. Generation der Niederländer

kennt man auch als venezianische Schule

Venedig ist anders – einzige Stadt Europas, die keine antiken Wurzeln hat

Stadt, in der statt Straßen Kanäle sind – dadurch ist man nicht angreifbar (Angriffe zu dieser
Zeit eher zu Pferd)

auch vor Obrigkeit und langem Arm der Kirche ist man sicher

in Venedig gingen gewisse Dinge, die woanders nicht gingen

Venedig ist natürlicher Hafen und Ausgangspunkt für Kreuzzüge (im Mittelalter)

viele Söldnerheere zogen durch Venedig, deshalb kam Venedig zu großem Reichtum

Handelswege nach Osten ausgerichtet gehen auch durch Venedig

Marco Polo und auch viele andere Kaufleute kamen über diesen Weg nach Israel und
Damaskus (= Seidenstraße) bis nach China deshalb hatte Venedig alles, was an
Luxusgütern zur Verfügung stand und kam zu unglaublichem Reichtum und
Selbstbewusstsein

Freiheit im Geist und viel Geld: guter Nährboden für Kunst

Venedig orientiert sich am Orient – sieht man an Kultur und Bauweise

Zentrum des geistlichen Geschehens = Markusdom

ist auch für uns Fokus der Kunstentwicklung

Schutzheiliger Venedigs ist Markus – die angeblichen Gebeine des Apostels Markus sind in
Venedig, allerdings könnten sie auch von Alexander dem Großen sein

Alexander der Große ist mit großem Weltreich und Expansion in den Osten in Verbindung zu
bringen

Ausrichtung zum Nahen Osten ist sehr interessant und wegbereitend

bei uns erkennt man Kirche leicht durch den Turm – Markusdom hat keinen wirklichen Turm
– hat eher große Ähnlichkeit mit diversen Moscheen

Campanile steht als Glockenturm extra neben dem Markusdomgebäude

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ein Serail (hat immer mehrere Stockwerke) war so gestaltet, dass es einen Eingangsbereich
als Empfangshalle gab, wo offizielle Empfänge stattfinden und Gäste empfangen werden

alle Stockwerke waren mit Teppichen ausgelegt und wurden mit Musik beschallt

daneben (neben dem Gebäude) eine Art Tribüne, wo große Musiker auftraten

indische Musik ist hauptsächlich Vokalmusik

[es gibt eine Geschichte: Mogul sagte zum Musiker, er soll Feuerragha singen und dann
beginnt er zu brennen  Zwickmühle: entweder, er wird verstoßen wegen
Befehlsverweigerung oder missglückten Erfolgs oder er verbrennt, als Lösung lässt er
zeitgleich seine Schüler eine Regenragha singen und er überlebt]

orientalischer Machthaber sitzt auf einer Empore und auf anderer Empore wird musiziert

auch Markusdom ist nach dieser Vorlage gebaut

Markusdom ist Sitz des Patriarchen (Patriarchen gibt es normalerweise nur in der Ostkirche)

zentraler Raum mit Altar für Patriarchen

verschiedene Emporen eingebaut

im 16. Jahrhundert hatte man Idee, auf jede Empore Orgel zu stellen

damit erreichte man dolby-surround-Sound – in der Renaissance nannte man es „cori


spezzati“

„spezzati“ von „spatium“ = Platz (lateinisch)

wir kennen aus der liturgischen Praxis das antiphonale Singen des Chorals

Rufinus von Assisi war Renaissancekomponist

hatte Idee, Psalmen 4stimmig zu setzen (statt antiphonalem Singen) – das heißt, Chöre
wechselweise singen zu lassen

Adrian Willaert war sein Schüler und wurde im 16. Jahrhundert Markusdomkapellmeister

er hatte Idee, auf jede Empore Orgel zu stellen, und überall kommt Chor und Solist hinzu
(„Chor“ heißt nicht nur Sänger und „Kapelle“ heißt nicht nur Instrumente Chor heißt, es
wird im 4stimmigen Verband musiziert – beide Formen sind also vokalinstrumental)

Kapellknaben heute noch so eine Form

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Adrian Willaert komponiert als Kapellmeister dann in diesem Stil

ebenfalls sein Schüler (Andrea Gabrieli) und dessen Schüler (Giovanni Gabrieli)

Meister der venezianischen Mehrchörigkeit

hat 2 sehr wichtige Aspekte für Musikgeschichte:

 in einem opulenten Gebäude zu sein und von allen Seiten beschallt zu werden, hat
ungemeinen akustischen Effekt – Kinos leben heute davon
 für Musiktheorie große Bedeutung, denn: Musik der Renaissance ist hochpolyphon,
hochkomplex und sehr auf horizontale Linien abgestimmt

wenn man in Polyphonie musiziert und der zweite ist zu weit weg von mir, kann man nicht
gemeinsam musizieren – deshalb muss man Musik kreieren, die diesen örtlichen
Gegebenheiten angepasst wird, dass Musizierpartner weit voneinander entfernt sind

so eine Musik muss einfach strukturiert sein: nicht mehr horizontal, sondern vertikal

eigentlich nur Kadenzen, die man sich wie Pingpongspiel zuwirft

diese lebt von Harmonie, die sich auf Basis eines Basstones ergibt – Basston gewinnt an
Bedeutung, die er vorher nie hatte (vorher war Tenor die wichtigste Stimme, jetzt Bass, weil
er die Harmonie bedingt)

damit Vorbedingung zum Generalbass gegeben

Generalbass macht dann Barockmusik überhaupt erst möglich – ist basslastige Musik

Caccini übernimmt die vertikale Struktur dann für seine Opernmusik

Kadenzen sind lustig, aber nach 3 Minuten fad

Komplexität der Konstruktion, die man verliert, muss man durch Ausschmücken und virtuose
Figuren wieder wettmachen

das ist das Prinzip des „concertare“ – in musikalischen Dialog treten und wettstreiten

bei 5. Generation ist mit Palestrina aus

mit 4. Generation geht es direkt in Barockzeit über

alle wollten in Venedig lernen – war Weg zum Erfolg

Heinrich Schütz war Schüler von Giovanni Gabrieli

Kadenz wird ausgeschmückt – heutige Kadenz in einem Konzert oder Solostück ist immer
sehr virtuos aufgebaut
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16stimmige Motette „omnes gentes“ ist einer der Höhepunkte der venezianischen
Mehrchörigkeit (entstand 1593)

kann man nicht mit Palestrina vergleichen (der war viel schlichter)

Fürsten waren eher für das Prunkvolle

dieser Stil hat also von Venedig aus Siegeszug angetreten und war auch für die Reformation
wegbereitend

Ignaz Heinrich Franz Bieber – war auch wichtiger Komponist dieses Stils schrieb eine
56stimmige Fanfare

nur zur Machtdemonstration

diese Form des Musizierens hat Schule gemacht

45
5.3.2014
Passion
ist Leidensgeschichte Jesu

4 Evangelisten haben diesen Inhalt erzählt (Markus, Lukas, Matthäus, Johannes)

sie schreiben für ihr jeweiliges Klientel und deshalb ist jedes Evangelium bisschen anders

Markus ist der älteste: erzählt Geschichte sehr gerade und straight

alle anderen beziehen sich auf ihn und erweitern das Geschehen

durch Markus schon 5 Akte in diesem Passionsgeschehen:

 Hortus (im Garten von Gezemaneh)


dort wurde Jesus von Judas verraten
 Pontifices (die Priester)
wollten alle Jesus loswerden
Caiphas (ein Hohepriester) ist historisch verbürgt
 Pilatus (Pontius Pilatus ist Statthalter von Judäa)
er kommt in allen Evangelien unrichtiger Weise ganz unschuldig weg als einer, der
nur von der Menschenmenge gezwungen wurde – das ist falsch, weil wir wissen, dass
Pilatus ein äußerst grausamer und bestialischer Statthalter war – so schlimm, dass
Rom Pilatus abberufen hat und in die Schweiz versetzt hat – er habe Herz aus Stein
und ist nach seinem Tod zur Gänze versteinert – (heutiger Berg in der Schweiz)
 Crux (= Kreuzweg an sich)
 Sepulcrum (das Grab – Jesus wird begraben und man wälzt Stein davor)

Passionsgeschehen ist wesentlicher Teil des christlichen Glaubens

deshalb hat man für dieses Ereignis bald alle möglichen Darstellungen gemacht

schon früh mit verteilten Rollen dargestellt

in 3 Blöcke aufgeteilt: Evangelist erzählt Geschichte, 2. Person hat die Worte von Jesus
(Evangelist hohe Stimme und Jesus ist Bass), 3. Person durch Begriff „turba“ beschrieben (=
die Menge, der Mob) – abschätzig gemeint

in erster Linie ist mit „turba“ gemeint, wenn Menschen schreien „er soll gekreuzigt werden“,
aber auch alle einzelnen anderen Personen: Magd, Teufel, Petrus, Pilatus …

46
die Turbastellen, wo Menge spricht, wurden mehrstimmig dargestellt – damit es auch in der
Musik vorkommt Motettenpassion (die ersten von Orlando di Lasso auf Latein)

Jesus und Evangelist erzählen mit Lectio des Chorals die Geschichte und Turbastellen sind als
kurze Motetten 4stimmig ausgeführt

mit der Reformation durch Luther kam Muttersprache in die Kirche, also auch deutsch

hier war es dann Heinrich Schütz, der in diesem Stil solche Motettenpassionen komponiert
hat (völlig gleich nur auf deutsch)  a cappella

Passion vor allem am Karfreitag aufgeführt und da gibt es keine Instrumentalmusik in der
Kirche

Passion ist Teil des Gottesdiensts

die wurden dann noch mit Einleitungs- und Schlusschor umrahmt

„Golgathakrimi“ ;)

ist eigentlich blutrünstige Kriminalgeschichte (Verrat, Folter, Lösegeld, …)

schreit nach Dramatisierung – genügend Opern führen Passion heute noch szenisch auf

Markus erzählt Geschichte ohne große Umschweife – lässt Interpretation nicht viel Raum

Lukas war Grieche, war Arzt und hochgebildet, schreibt für das einfache Volk und verwendet
sehr bildhafte und symbolreiche Sprache

Satan tritt bei ihm als Person auf und bewirkt, dass Jesus unschuldig zum Tode verurteilt
wird

Matthäus ist selbst Jude (Judenchrist) und schreibt gegen sein eigenes Volk

sein Evangelium ist Keimzelle des Antisemitismus – er prangert die Juden an, den Erlöser
getötet zu haben

Hass wird noch stärker gezeigt

Frau von Pilatus tritt auf und bringt Botschaft, dass er diesen Gerechten gehen lassen soll
sogar die Feinde erkennen Jesus als Unschuldigen, nur das jüdische Volk nicht

er stellt Leiden Jesu in den Vordergrund, der durch die Blindheit seines eigenen Volks leidet

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Johannes ist Philosoph – seine Passion ist Mittel zum Zweck (alles dient größerem Zweck,
nämlich der Auferstehung und dem, dass Jesus dann über alle wachen kann)

Passion ist also notwendig

Christus, der über den Tod triumphiert

in Spätrenaissance häufig diese Form der Passionsdarstellung

man hat entweder einen Evangeliumstext gewählt oder ein „best of“ gemacht und aus allen
4 einzelne Teile herausgeholt = „Summa passio“ = Zusammenführung aller 4 Evangelien
(solche Passionen komponierten Telemann, Händel, …)

ist aber keine Neudichtung

daneben haben sich Oper und Oratorium entwickelt (erzählen mit sehr starken
Ausdrucksmitteln)

Passion hat den Nachteil, dass sehr viel Information in sehr schneller Zeit abgespult wird –
kaum Möglichkeit, innezuhalten und über das Geschehene nachzudenken und zu
reflektieren

man hat dann sehr bald Passionstexte mit freien Zutaten erweitert

viele Textdichter schrieben solche Zutaten

2 bedeutendsten: Heinrich Barthold Prockes und Henricus Piccanda

Texte der Matthäuspassion von Bach sind von Piccanda, Johannespassion hat Texte von
Prockes

Texte, die man an bestimmten Situationen einschiebt, ergeben also die Arien

als weiterer Punkt: Choräle

Luther wollte bereits im 16. Jahrhundert, dass Volk mitfeiert und teilnimmt am Gottesdienst
durch mitbeten und mitsingen – Kirchenlieder waren damals die Choräle

am Ende jeder Szene (Teile der einzelnen Akte) kommt Choral, wobei bis heute nicht
nachgewiesen wird, dass Volk auch bei den Passionsaufführungen mitgesungen hat

48
Passion besteht also aus:

 Bibelgrund, der aufgeteilt ist in Evangelist, Christus und Turba


 Text des Bibelgrundes wird ergänzt mit den freien Zutaten: poetische Texte, die an
bestimmten Szenen die Möglichkeit geben, in Arie Einhalt zu nehmen
 Choräle, die am Schluss jeder Szene alles abrunden und dem Volk die Möglichkeit
geben, teilzunehmen

Passion hat immer 2 Teile (heute Pause dazwischen, damals Predigt)

Passion wird dann noch umrahmt von Eingangs- und Schlusschor (Ouvertüre) Parodos des
griechischen Theaters = Aufzugslied des Chors, das uns in die Atmosphäre begleiten soll

Eingangslied der Johannespassion von Bach:

 4 Töne der Streicher sollen das Wehen des heiligen Geistes darstellen
 Kreuzfiguren (a-b-g-a-f-g usw.)
 dazu noch die Schläge im Bass, mit denen Jesus ans Kreuz geschlagen wird durch das
Wirken des heiligen Geistes
 den Grund sagt der Chor im Text (3mal „Herr“ = Dreifaltigkeit)

Passion ist Tiefpunkt und dann geht es nach oben

Matthäuspassion von Bach: 2 Chöre, 2 Orchester und 2 Orgeln

49
12.3.2014
Personal einer solchen Passion

 Bibelgrund mit den 3 Protagonisten (Evangelist, Jesus, Turba)


 Handlung unterbrochen durch die freien Zutaten, um in einer Arie die Möglichkeit
der Verweilung zu bieten
 dazu passend dann noch die Choräle

ob das Volk mitgesungen hat oder nicht, weiß man bis heute nicht

2 große Passionen Bachs (schrieb 5 2Mal Matthäus)

Lukaspassion ist umstritten (man weiß nicht ob sie von Bach ist – entspricht nicht seiner
Qualität, könnte von einem seiner Schüler sein)

Markuspassion ist nicht echt und wurde ihm nur zugeschrieben

erste Matthäuspassion ist in die zweite aufgegangen

Johannespassion von Bach

dieselben Szenen auch aus der Feder des ältesten Bach Sohns (Carl Philip Emmanuel)

Gerichtsszene = Schlüsselszene

Jesus wird gegeißelt (auch musikalisch sehr dramatisch)

dann berühmtes Arioso, das der Bass singt mit Laute- oder Cembalosolo

durch das Anreißen der einzelnen Töne beim Cembalo werden die Dornen der Geißel
dargestellt

2 Viole d‘amore = süßeste Instrumente der Barockzeit (Antithese während Geißelung


spielt süßestes Instrument dieser Zeit)

auf Bassarioso kommt Regenbogenarie des Tenors darauf (Motiv hat Symbol des
Regenbogens Regenbogen ist Verbindung zwischen altem und neuen Testament

Johannespassion hat genau konstruierte Symmetrik

Kernstück der Gerichtsszene:

 Spott-Turba ist von Spott gekennzeichnet (wo sie ihm die Dornenkrone aufsetzen)
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 Kreuzige!
 Fuge (Gesetz) weil das strengste musikalische Form ist
 Choral (Zentrumschoral – in der Mitte der Passion)
 Fuge (Gesetz)
 Kreuzige!
 Spott-Turba

Choral ist Mysterium

man fokussiert nicht auf das Leiden, sondern „wir bekommen nur Freiheit, weil Jesus im
Gefängnis ist“

im Choral ist philosophische Botschaft versteckt – der eigentliche Sinn der Passion

in der Matthäuspassion wird man mit Leiden entlassen am Schluss

aber in Johannespassion kommt am Ende noch ein positiver Choral, damit man nicht
bedrückt hinausgeht

Text dieses Chorals zeigt noch einmal Zweck dieser Passion auf (nämlich, dass Jesus sterben
musste und wir ihn dafür preisen)

Gegenstück dazu die Matthäuspassion von Carl Philipp Emmanuel Bach

Unterschied zwischen Hochbarock und Klassik: neue Einfachheit

edle Einfalt und stille Größe sind Grundelemente der Klassik

Musik wird auf Wort reduziert

in der Frühklassik schrieben Bachsöhne viele Werke – vor allem für Gottesdienst, also nichts
Fulminantes oder Aufregendes

Carl Philipp verwendet in dieser Passion gleichen Choral wie sein Vater

kein großes Arioso, sondern eher Accompagnato-Rezitativ

Werk entspricht dem Zeitgeist der frühen Klassik

seine Werke stehen im Schatten seines Vaters – obwohl Bachs Werke schon zu Zeiten seiner
Söhne als veraltet galten

51
26.3.2014
Kabala = Zahlenmystik in der Matthäuspassion von J. S. Bach

Musik auf Zahlen reduzieren

polyphone Kompositionstradition geht mit Bach zu Ende

Was kann Zahl sein?

 Zahlen haben eigene Bedeutung


 kann für Buchstaben stehen (u=v und i=j nur 24 Buchstaben)

2138 = Bach = 14 und J. S. Bach = 41 Inversion

14 und 41 kommen sehr oft in seinen Kompositionen vor

die Frage ist immer: wie viel davon ist bewusst und wie viel ist vom Kosmos geschenkt?

Aufbau einer Passion:

 Bibelgrund (Evangelist + Jesus + turba)


 freie Zutaten
 Choräle

auch Grundgerüst der Matthäuspassion ist so aufgebaut

2 Chöre, 2 Orchester (mit 2 Continuo-Gruppen), Knabenchor im Eingangschor

Zahlen
1) ist eine transzendente Zahl/ein Punkt (hat keinen Anfang und kein Ende = unendlich)
mit dem Punkt beginnt es, erst dann kann man einen Strich machen = Potenzialität
wird mit Gott in Verbindung gebracht

2) führt aus dem Raum heraus – aus dem Punkt wird eine Linie
steht für Zeit und Polarität (Ying/Yang)
Zwietracht, Verzweiflung, Zweig, Zweisamkeit, Zwilling
= Schöpfungszahl, steht für greifbare Dinge

3) erste geschlossene geometrische Figur, in sich geschlossenes System


= heilige Zahl, Religionszahl
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3 Schicksalsgöttinnen der griechischen Mythologie
Anzahl der Grundlagen der theoretischen Existenz:
 Himmel, Olymp, Hölle
 3 Erzengel
 Mensch ist 3-dimensionales Wesen

4) Zahl des Menschen, der menschlich-praktischen Existenz


Pythagoras wählte 4 als Zahl seines Lebens
Melodie + Harmonie + Rhythmus = Klangwirklichkeit (4 Punkte)
herrscht in menschlicher Existenz:
 4 Jahreszeiten
 4 Elemente (Feuer, Erde, Luft, Wasser)
 4 Wände eines Zimmers
Kreuzeszahl:

5) Symbol des Zentrums, Mitte der einstelligen Zahlen


die „Quintessenz“ der Sache = der Kern
Pentagon ist Schaltzentrale der USA
5 Wundmale: Essenz der Leidensgeschichte Jesu
„give me five“

6) Zahl der Vollendung


sowohl Summe als auch Produkt von 1, 2 und 3 (1 + 2 + 3 = 6, 1 * 2 * 3 = 6)
hexagonales Zahlensystem (60 Minuten, 12 = ein Dutzend, voller Kreis hat 6 * 60°)

7) mystische Zahl
Schlüssel zum Verständnis
Summe der geistigen und materiellen Welt: 3 + 4
7 Siegel, die 7 letzten Worte Christi am Kreuz
Märchen: 7 Zwerge, 7 Geißlein, …
steht in Verbindung zur 12 (= 3 * 4 und 7 = 3 + 4)

8) liegender 8er ist Symbol für unendlich


Symbol des Rechts: „Achtung“, „Ächtung“, „nimm dich in Acht“

9) Vollendungszahl
letzte einstellige Zahl
Jesus stirbt zur 9. Stunde: „Es ist vollbracht“
9 * 3 (göttliche Zahl) = 27 = Anzahl der Bücher im Neuen Testament

53
10) Symbol des Gesetzes (das vom Menschen gemachte Gesetz)
10 Gebote, 10-Tafel-Gesetz in der Antike

11) Übertretung des Rechts


der 11. Jünger war Judas
ursprünglich 12 Apostel, dann Judas weg: ergibt 11 Apostel
Leiden wird in Kapitel 22 (= 2 * 11) beschrieben 11 ist Leidenszahl

12) Weltenzahl/Missionszahl
12 Apostel verbreiten Geschichte Jesu Christi
Tag und Nacht haben jeweils 12 Stunden

in der Matthäuspassion verleiht Bach Jesus einen akustischen Heiligenschein

Barabas-Szene: Turba schreit nur 1 Wort auf vermindertem Septakkord

„O Haupt voll Blut und Wunden“ ist Kontrafaktur über ein Liebeslied von Hans Leo Hassler
(„Mein G‘müht ist mir verwirret…“)

Matthäuspassion wurde 1727 uraufgeführt, danach ist sie verstaubt

1829 entdeckt Felix Mendelssohn-Bartholdy die Passion am Dachboden der Thomaskirche

er ersetzte Oboe d’amore durch Klarinetten

Riesenorchester

daraus entwickelte sich Diskussion über historische Aufführungspraxis

54
9.4.2014
Stabat mater
Text als Meditationsbetrachtung

ursprünglich als Passionssequenz gedacht

heute im September: 7 Schmerzen Mariens (Schmerzen, wenn dein Kind stirbt)

„Stabat mater“ wurden meist dann geschrieben, wenn sich Komponisten mit dem Text
identifizieren konnten, zB. wenn eigenes Kind starb

Giovanni Battista Pergolesi: neapolitanische Schule

Opernkomponist

gemeinsames Verwenden von prima und seconda pratica

wie bei Monteverdi

1. Vers: polyphone, kontrapunktische Anlage, sakral

2. Vers: Arie

Antonio Vivaldi: Musik passt zum Text

spiegelt die Stimmung wider

Solo-Alt-Kantate

Joseph Haydn: in g-moll (Todestonart)

„harmlose Kirchenmusik“ (Text steht noch im Vordergrund)

Gioacchino Rossini: in erster Linie Opernkomponist

schrieb 2 geistliche Werke: eine Messe („Petite Messe Solenelle“ und ein „Stabat mater“)

ein Italiener schreibt Opern – egal, welchen Titel das Werk hat

er ist sich dessen bewusst, dass es auch einen Palästrina gegeben hat – dazwischen kommt
nämlich oft polyphone Musik vor
55
sein „Stabat mater“ ist Mischung aus Opernarien und polyphonen Chören

selbst in den polyphonen Chören kommt Arienbegleitung vor

Musik steht im Vordergrund, nicht mehr der Text

2. Vers: Cabaletta – auch auf demselben Text (startet wie in der Oper)

in der „Petite Messe Solenelle“ ist zwischen Gloria und Credo statt der Predigt ein Buffet

Antonin Dvorak: in h-moll (Referendum an Bachs h-moll-Messe)

hat darin Trost gesucht

größtes „Stabat mater“ (dauert fast 2 Stunden)

opulentes Orchesterwerk in Anlehnung an Bach (in der großen Bachrenaissance)

sogar er produziert kurze heitere Passagen darin

h-moll = Parallele zu D-Dur (Tonart der sinnlichen Freuden, königliche Tonart)

Orgeln in der Barockzeit auf 465Hz gestimmt (= d königliche Tonart für königliches
Instrument)

Francis Poulenc: Frankreich 1. Hälfte 19. Jahrhundert

ganz tonal

meditative Musik

passt sehr gut von der Textausdeutung her

eindeutige, gut identifizierbare Tonsprache

Arvo Pärt:

klanglich in der Luft hängend/schwebend

mit Palästrina beginnt der Reigen der mehrstimmigen Vertonungen der Stabat mater (als
Motette, kompakte, textorientierte Ausführung, Text ist wichtig)

dann opera seria

56
in Klassik: Gebrauchskirchenmusikstil

in der Romantik Ausformung zu einer kleinen Oper

bei Dvorak im Licht der Bachrenaissance mit massiven Besetzungen

im 20. Jahrhundert wird wieder reduziert (neoklassizistischer Stil) – Konzept wie Haydn

Arvo Pärt schließt dort wo Palästrina beginnt (kompakte motettenartige Konzeption)


kreisförmige Entwicklung

daran sieht man, was der Text hergibt und wie genial der konzipiert ist (Textdichter des
Mittelalters)

57
7.5.2014
Oratorium
Oratorium kommt vom lateinischen „orare“ = beten

Begriff leitet sich von Örtlichkeit ab, dem Betsaal

in Betsälen fanden paraliturgische Veranstaltungen statt, die durfte man in der Kirche nicht
abhalten

waren musikalisch umrahmt

teilweise mit sehr großen Werken

Name wurde dann vom Ort übernommen

Musikform, die dem Geist der Gegenreformation entspringt

lutherische Liturgie: musikalische Predigt (Kantate)

Katholizismus ist viel strenger geblieben und ließ so etwas nicht zu, deshalb fand Paraliturgie
in Betsälen statt

Musikformen auf der Basis biblischer Texte

Geschichte wird erzählt

es gab das Verbot, biblische Gestalten bildlich darzustellen

Oratorium steht in nahem Verhältnis zur Kantate = Gegenpol im Protestantismus

Geschichte, die man nicht inszenieren darf, braucht jemanden, der sie erzählt

„Testo“ = Erzähler

Musikformen parallel zur Oper

2 Arten:

 oratorium latino – Sprache war lateinisch (starb relativ bald aus)


 oratiorium vulgare – Sprache war italienisch

es gibt viele Oratorien von Bach (war Protestant), zB. Weihnachtsoratorium

sind eigentlich zyklische Kantaten, weil Oratorium an sich katholische Kunstform ist

58
Giacomo Carissimi schrieb „Jephta“ (ist eine Episode aus dem Alten Testament)

darin spürt man den Geist Monteverdis

„Tancredi et Clorinda“ stammt von Claudio Monteverdi

ist ein gutes Beispiel für ein Oratorium vulgare

das Opernhaus von Georg Friedrich Händel ging Bankrott

daraufhin nimmt er das Oratorium als neue Gattung auf, weil in England große Chortradition
herrscht

Händel schreibt dieselbe Musik wie in den Opern, aber Erzähler des Oratoriums ist Chor

seine Oratorien sind auf Englisch

er schrieb sich mit den Oratorien in die Herzen der Engländer

„Israel in Egypt“: Chor erzählt die Geschichte

„Der Messias“ = freie Entwicklung der Lebensgeschichte Christi in 3 Teilen:

 Verkündigung und Geburt


 Leiden und Sterben
 Auferstehung und Jüngstes Gericht

dieses Werk ist in nur 20 Tagen entstanden

Händel sagte dazu: „Gott hat meine Hand geführt“

in geistlicher Musik gibt es lateinische Worte, die nicht übersetzt werden, zB. Halleluja oder
Amen

Amen ist sprachlich mit „Ohm“ verwandt und „Ohm“ richtig gesungen erzeugt Resonanz und
versetzt uns in Trance

am Schluss des „Messias“ kommt eine große „Amen-Fuge“

59
14.5.2014
Händel-Oratorien (vor allem der „Messias“) hatten ungemeine Nachwirkung

Messias hat durchgehende Aufführungspraxis

wurde immer gespielt

in Wien dachte man, dass Joseph Haydn das doch auch können müsste

man bat ihn ein Oratorium zu schreiben

Textbuch von John Milton: Anfang des Buches Genesis = Schöpfungsgeschichte

Haydn hatte Vorbehalte, weil er nicht so gut englisch konnte – wurde übersetzt

„Die Schöpfung“ entstand

Erzengel Gabriel, Raphael und Uriel erzählen die Geschichte

die 3 Erzengel wären eigentlich Gabriel, Raphael und Michael, aber Michael wird
verantwortlich gemacht für die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies (der „gemeine“
Engel“)

Haydn tauschte ihn deshalb gegen Uriel

am Ende jedes Tages gibt es einen Preis- bzw. Lobchor, weil „Gott sah, dass es gut war“

3 Teile:

 Entstehung der Dinge und Flora (unbelebte Natur)


 Entstehung der Fauna (Tierwelt/belebte Natur)
 Entstehung des Menschen

Chaos am Beginn: man spürt keine Kadenzen und keinen Puls

Chaos ist öfters der Beginn der Geschichte (auch bei Hesiots Theonogie)

am Beginn nur der Ton c in mehreren Oktaven

sofort kommt Sexttrugschluss

Tonika kommt nie vor

auch Rhythmen sind undurchschaubar (zB. Sextolen)

60
im Rezitativ stellt Raphael die Tiere vor

Haydn charakterisiert sie zuerst musikalisch und gibt dann die Lösung

zB. „Den Boden drückt der Tiere Last“ wird mit Kontrafagott dargestellt

im 19. Jahrhundert haben einige Komponisten darauf zurückgegriffen

zB. Mendelssohn in „Elias“ und „Paulus“ (2 Oratorien)

bringt von der Form her nichts Neues

bei ihm wird Oratorium protestantische Form

Oratorium war ursprünglich Idee der Gegenreformation

„Paulus“: wie in Romantik, langsame Einleitung und dann Fuge

Gott spricht als Frauenterzett zu Saul

mit dem Chor wird die Erleuchtung dargestellt

Choral als protestantische Tradition – wie bei Bach

nach dem Choral ist Saulus zu Paulus bekehrt

wenn ein Konzept funktioniert, wenden es die Komponisten meist auf zumindest noch ein
Werk an

Mozart: „Figaro“ und „Don Giovanni“

auch Haydn: „Die Schöpfung“ und darauf dann „Die Jahreszeiten“ (auch 3 Figuren, die durch
die Handlung führen und ein Chor, der die Taten preist)

Mendelssohn: auf „Elias“ folgt „Paulus“

61
21.5.2014
Oratorium = katholische Form

im Frühbarock: Musikform, die seconda pratica entspricht

Kantate = „Singstück“

2 Arten:

 weltlich: zu bestimmten Anlässen komponiert (Geburtstag, Feiern etc.)


 geistlich: Funktion einer musikalischen Predigt

Beispiel: „Jauchzet Gott in allen Landen!“ (Kantate von Johann Sebastian Bach)

geht ganz nahe Richtung Oper

jede Kantate muss Choral enthalten

der Choral ist hier als Choralvorspiel auskomponiert

mörderische Koloraturarie

Trompete wetteifert mit Gesang

dieser Wettkampf kommt aus der Barockoper

über die Fuge singt der Sopran die Koloraturen darüber

geht dann über in ein wunderschönes Halleluja

das war in der damaligen Zeit die alltägliche Kirchenmusik

Bach war Protestant, dennoch gibt es viele Sakralwerke von ihm (auf lateinisch)

Volkssprache wurde in die Kirche eingebaut (nach Luther) – das geschah auch in der
protestantischen Kirche

im Protestantismus fiel die lateinische Sprache dann ganz weg

die Mariengebete wurden zu Weihnachten auf Latein gebetet, sonst auf Deutsch

deshalb hat auch Bach ein lateinisches „Magnifikat“ geschrieben

in diesem Magnifikat tut Bach das gleiche wie Monteverdi: er vermischt prima und seconda
pratica (Hochpolyphonie mit neuer Generalbassmusik)

62
Messe ist Vertonung des Messordinariums (jene Teile, die immer gleich bleiben: Kyrie,
Gloria, Credo, Sanctus + Benedictus, Agnus Dei)

Dramaturgie ergibt genialen Sinn

Kyrie und Agnus bilden mit der Bitte um Vergebung den Rahmen (Kyrie auf Griechisch, Agnus
auf Lateinisch)

Gloria und Sanctus beinhalten den Lobpreis (Hosanna ist auf Hebräisch dasselbe wie das
Gloria)

Credo beinhaltet dann den Glaubenskatalog – wobei im Zentrum dieses Credos wiederum
die zentrale Botschaft versteckt ist: Auferstehung

bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurden lateinische Messen komponiert

„h-Moll-Messe“ von Bach

Bach war Protestant und das ist katholisches Ordinarium – passt eigentlich nicht zusammen

„Missa breves“ (4 weitere Messen von ihm) bestehen nur aus Kyrie und Gloria – das sind
protestantische Messen, da es diese Teile im Protestantismus auch gibt

„h-Moll-Messe“ ist für den Gebrauch in der Kirche ungeeignet – dauert 2 Stunden und war
auch nicht dafür gedacht

Bach war in Leipzig unglücklich, weil er keine Unterstützung bekam

deshalb wollte er dann nach Dresden (da war Kapellmeisterstelle frei) – dafür wollte er sich
mit dieser Messe bewerben

Bach schreibt zwar nach außen offensichtlich eine katholische Messe, eigentlich ist es aber
zyklische Kantate aus 4 Teilen, die zufällig aus den Messtexten besteht

für jeden Teil gibt es neue Überschrift und neues Textblatt

ähnlich, wie auch seine Oratorien eigentlich zyklische Kantaten sind

1. Teil ist die „Missa“ und besteht aus Kyrie und Gloria (gibt es auch im Protestantismus)

2. Teil heißt nicht Credo, sondern „Symbulum Nicaenum“ – ist eigentlich das
Glaubensbekenntnis, das beim Konzil von Nicäa konzipiert wurde

Credo als Begriff wäre katholisch

3. Teil ist Sanctus und Hosanna


63
im 4. Teil schreibt er die einzelnen Teile darüber (fasst Benedictus, Agnus und Dona Nobis
Pacem zusammen) = Teile, die im Protestantismus nicht vorkommen

dafür verwendet er nur Musik, die er anderswo schon verwendet hat und unterlegt sie mit
kirchlichem Text – er kopiert sich selbst und komponiert somit keinen Ton extra für diesen
Teil

diese Messe ist ähnlich wie die Marienmesse von Monteverdi – war auch ein
Bewerbungswerk

in seiner Messe zeigt Bach, dass er alle Musikstile komponieren kann

er zeigt sogar am selben Text, wie man das in 2 verschiedenen Versionen vertonen kann

Teil des Glorias ist vom Text her zweideutig: „nur die Menschen mit gutem Willen sollen
Frieden haben“ oder „guter Wille ist Voraussetzung für Frieden“ Friede als Produkt oder
Friede als Belohnung

64
28.5.2014
kürzeste Messe stammt von Joseph Haydn: „kleine Orgelsolomesse“

unter dem Einfluss der josefinischen Liturgiereform

Messe darf nicht länger als 20 Minuten dauern

die Sopranarie in dieser Messe dauert ca. die halbe Messe, der Rest ist dafür sehr
komprimiert

nach dem 2. Vatikanum gibt es dann liturgisch korrigierte Versionen davon, die wieder
länger sind

„Missa in tempore belli“ („Paukenmesse“) von Haydn in Kriegszeiten entstanden

„Dona nobis“ aus dieser Messe klingt wie Kriegsmusik – sehr berührend

immer wieder merkt man Verbindung zwischen Beethoven und Haydn

Beethovensymphonie wäre ohne Haydnsymphonie nicht möglich

„Agnus dei“ der Missa Solemnis von Beethoven: hat schwere Fuge und
Orchesterzwischenspiel

auch wieder Kriegsmusik – wie bei Haydn

darin merkt man wie sich die Musik von Haydn über Beethoven in die Romantik entwickelt

„Missa Solemnis“ ist halbe Stunde kürzer als die h-Moll-Messe von Bach (70-80 Minuten
Spieldauer)

Mozart schrieb Messen im Auftrag des Erzbischofs von Salzburg

berühmteste ist die „Krönungsmesse“ – ist relativ einfach und kurz (leichte Musik)

wurde geschrieben für Krönung der Marienstatue von Maria Plain (Ort bei Salzburg)

Krönung dieser Statue war Privileg für den Wallfahrtsort (dadurch höherer Status)

fand durch Vertreter des Papstes statt

Melodie vom „Agnus dei“ aus dieser Messe kommt als Arie der Gräfin in „Le Nozze di Figaro“
vor (Arie wurde vor der Messe komponiert)

zeigt die Nähe der sakralen Musik zur Oper auf

65
Schubert schrieb viele lateinische Messen (sowohl große Solemnes, als auch schlichte,
einfache)

seine Messen sind sehr klassisch und in der Nähe Mozarts anzusetzen

heutzutage ist vor allem das „Heilig“ aus seiner „Deutschen Messe“ bekannt

auch Michael Haydn schrieb eine „Deutsche Messe“ (jüngerer Bruder von Joseph Haydn)

Graf Coloredo war zur der Zeit Josef des 2. Erzbischof und wollte auf das Volk zugehen

deshalb wurden deutsche Betsingmessen eingeführt

allerdings heißen die Werke im Gotteslob „zum Gloria“ oder „zum Sanctus“, weil Volk
eigentlich nicht an der Liturgie teilnehmen darf

Priester sollte gleichzeitig das Gloria still beten – deshalb „zum Gloria“

in Romantik wird Verbindung zur Oper ganz stark

Gioachino Rossini schrieb neben seinen vielen Opern auch 3 (für ihn bedeutendsten) Werke:

 Kochbuch
 Stabat Mater
 Petite Messe Solenelle

Messe wurde für Einweihung einer Privatkapelle in Paris komponiert

Besetzung: Chor, Solisten, Klavier und Harmonium

Italiener komponieren einfach immer Oper

hier kommt nach dem Gloria ein Buffet und nach dem Essen ging die Messe weiter

Giacomo Puccini schrieb unter anderem die „Missa di Gloria“

komponierte in jungen Jahren viel sakrale Musik

66
11.6.2014
Lied
das Lied spannt den Bogen zum Begriff „Lyrik“ (subjektiv gesehen, aus der Ich-Perspektive,
immanent mit „musiche“ in Verbindung zu bringen) genau das, was ein Lied ausmacht

Lied definiert sich über den Text

ist musikalische Kleinform

Form, die sich nicht in diesem Sinn entwickelt, wie wir es zB. von Sonate oder Oper kennen

entspringt dem Intimen

Hochblüte im 19. Jahrhundert – Geist des Biedermeiers

Musik geht zurück ins Haus: Hausmusik

immanente Einheit von Text und Musik (Gleichrangigkeit nirgends so erreicht wie im Lied)

es gibt verschiedene Formen, zB. das Volkslied (textgebunden)

Text steht im Vordergrund – Melodie ist Transportmittel des Textes

Brahms schrieb auch Volkslieder, in welchen er den Volkston ergreift

höchste Form ist das Kunstlied

das Wort „Kunstlied“ ist mit der deutschen Sprache verbunden – kann in keine andere
Sprache übersetzt werden

Kunstlied zeichnet sich dadurch aus, dass es Zwiegespräch zwischen Klavier und Sänger ist

Lieder kommen aus der Religion

in Prinzip alles Musikformen, die sich aus der Generalbasstechnik entwickelt haben

Monodie ist auch schon Sologesang mit Begleitung – schon ähnlich wie Lied

Begleitung hatte damals noch kein eigenes Leben, ist nur harmonische Begleitung

Impuls der Eigenständigkeit kommt aus der Oper

Mozart schrieb auch schon eine Reihe von Liedern, wobei die kleine Szenen sind, in denen
Sänger kurze Situation zum Ausdruck bringt

67
Grenze zwischen Arie und Lied nicht ganz klar

Lied ist sehr emotionslastig und in sich geschlossen

diese Abgeschlossenheit der emotionalen Situation ist typisch (nach 3 Minuten ist
Geschichte vorbei – es gibt keine weitere Entwicklung)

eines der berühmtesten ist „Das Veilchen“ von Mozart nach einem Text von Goethe

Veilchen ist junger Mann, der von Mädchen beachtet werden möchte

immer sehr symbolhafte Sprache

Dinge durch die Blume zum Ausdruck bringen ist sehr typisch

musikalische Kleinform beim Klavier ist das Impromptu

Schubert ist bedeutendster Liederkomponist

ist Romantiker – schwebt zwischen 2 Welten (Klassik und Romantik)

seine Opern waren erfolglos, er wurde erst für seine Lieder berühmt

jedes Lied steht für bestimmte Emotionalität

mit ihm wird auch Form des Liederzyklus bedeutend

erster Liederzyklus bereits von Beethoven: „An die ferne Geliebte“

Liederzyklus ist ähnlich wie Fotoalbum: mit einem Foto verbindet man bestimmte Situation
und Emotion – im Fotoalbum hat man eine Reihe von solchen abgeschlossenen
Schnappschüssen

wenn man diese Bilder in einer Abfolge ansieht, dann erschließt sich dahinter die
Geschichte, die sich dabei ereignet hat

Liederzyklus besteht auch aus Einzelmomentaufnahmen, die erst insgesamt eine Geschichte
ergeben

die beiden bekannten Zyklen von Schubert beschreiben 2 Liebesgeschichten (eine traurige in
der „Winterreise“ und eine glückliche in der „Müllerin“)

in der Winterreise ist nur „Das Wirtshaus“ in Dur (wieder symbolhaft – steht eigentlich für
Friedhof)

„Der Leiermann“ stellt Bild von Schubert selbst dar

68
Hans Zender hat aus der Winterreise eine instrumentierte Komposition gemacht – er hat sie
für Ensemble instrumentiert (Anfang 21. Jahrhundert)

auch darin kann man noch die Emotionen spüren – für unsere moderne Welt konzipiert

Liederabende als Konzerte sind heute nicht sehr beliebt

Intimität der Lieder ist nicht mehr gewahrt damit

Format des Liedes ist ein dem Biedermeier entspringendes und ein für heute
problematisches

Paradoxon ist „Orchesterlied“: großer Raum für großes Orchester ist genau Gegenteil zu
Klaviermusik im Wohnzimmer

das komponierte Volkslied (vor allem von Brahms) ist auch ein Volkslied, aber nicht im
ureigenen Sinn

Beispiel dafür: „Da drunten im Tale“ von Brahms ist eigentlich kein Volkslied

Formen von Liedern:

 Strophenlied (kommt Volkslied am nächsten) – alle Strophen werden über derselben


Melodie musiziert
 variiertes Strophenlied – nicht alle Strophen mit gleicher Begleitung
 durchkomponiertes Lied – hat keine Strophen
 Sonderform des durchkomponierten Liedes: rezitativisch-deklamatorisches Lied (hat
keine Melodie, die man nachsingen kann, zB. „Der Wegweiser“ aus der Winterreise)

bekannte und wichtige Liederkomponisten:

Brahms hat richtige Kunstlieder geschrieben

Robert Schumann (40er Jahre des 19. Jahrhunderts)

Hugo Wolf hat hauptsächlich Lieder geschrieben

bei Wolf sind die Lieder meist Klavierkonzerte mit obligater Singstimme

Nachspiel ist meist ein Drittel des Liedumfangs

fast sinfonische Form


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darin liegt Wurzel der Überlegungen, dass man Lied gleich instrumentieren kann

er hat auch bereits einige Lieder mit Orchester instrumentiert

„Italienisches Liederbuch“ ist Lied von ihm

Ernst Krenek schrieb Liederzyklus „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ (eher lustiges
Werk)

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18.6.2014
beim Orchesterlied geht Gleichberechtigung von Solist und Begleitung verloren

3 wichtige Komponisten für das „Orchesterlied“ als Form: Richard Wagner, Gustav Mahler
und Richard Strauß

Richard Wagner musste nach Revolution 1848 in die Schweiz flüchten und bekam dort vom
Industriellen Wesendonck Haus zur Verfügung gestellt

Wagner begann Verhältnis mit dessen Frau Mathilde von Wesendonck

sie schrieb Gedichte für Wagner, der sie vertonte: „Wesendonck-Lieder“

Dreiecksbeziehung zwischen Wagner, Wesendonck und Mathilde kommt im „Tristan“ vor

schrieb Lieder häufig in Bar-Form: A-A-B (Stollen-Stollen-Abgesang)

Abgesang ist das Tagelied

das Wesendoncklied „Träume“ kommt eins zu eins im „Tristan“ vor

Gustav Mahler schrieb eine ganze Reihe von Liedern, die sowohl mit Klavierbegleitung als
auch mit Orchesterbegleitung vorliegen

zB.: „Des Knaben Wunderhorn“ oder „Lieder eines fahrenden Gesellen“

sehr volkstümlich gehalten

Lieder leben seht stark vom Text

positive Stimmung wird aufgebaut und kippt zum Schluss

pessimistischer Zugang zum Leben – vordergründige Heiterkeit, die schlussendlich nicht


wirklich ist

die 1. Symphonie beginnt er mit den Urintervallen – am Beginn Quart (Intervall des Militärs),
dann Militärsignale und plötzlich kommt „Ging heut morgen übers Feld“

Lied bildet Keimzelle, darauf wird Symphonie aufgebaut (haben dann auch andere
Komponisten so gemacht)

Mahlers Symphonien = „Wunderhorn-Symphonien“ (weil Lieder aus „Des Knaben


Wunderhorn“ die Keimzelle sind)
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in 4. Symphonie hat er mit „Antonius von Padua-Fischpredigt“ auch ein Lied eingearbeitet

Mahler zitiert sich im Lied „Abendrot“ selbst (Frage nach dem Tod)

Richard Strauß‘ berühmteste Orchesterlieder sind „Die vier letzten Lieder“ (3 von Hesse,
eines von Eichendorff)

in seiner Jugend schrieb er „Tod und Verklärung“

darin kommt auch immer wieder offene Frage über den Tod

der Tod ist bei ihm eine Kadenz in C-Dur

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