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ZUR FORTBILDUNG

hoben. Insbesondere fand sich


Methämoglobinämie weder am Herzen noch an der Lun-
ge ein krankhafter Befund, der die
bei einem Säugling geschilderte Blausucht zu erklären
geeignet gewesen wäre.

infolge Nitritvergiftung Bei der Venenpunktion fand sich


eine deutliche schokoladenbraune
durch Kohlrabimahlzeit Verfärbung des Blutes — auf der
Abbildung 1 im Glasröhrchen gut
erkennbar —, wodurch die bereits
erwogene Verdachtsdiagnose einer
Aus der Kinderklinik der Städtischen Krankenanstalten Krefeld Methämoglobinämie noch weiter
(Direktor: Professor Dr. med. W. Kosenow) gestützt wurde. So fand sich auch
im Venenblut vor Beginn der Be-
handlung ein Methämoglobingehalt
Dr. med. Raimo Ritter und Dr. med. Ursula Schulze von 13,5 Prozent des Gesamthämo-
globins. Es ist allgemeine Auffas-
sung, daß eine rasche Umwand-
lung von mehr als 50 Prozent des
Hämoglobins in Methämoglobin
Die seltene Beobachtung einer Bei der Aufnahmeuntersuchung akute Lebensgefahr bedingt. Inso-
bedrohlich wirkenden Methämoglo- sahen wir einen tiefgrau-zyano- fern war der Zustand unserer Pa-
binämie nach einer Kohlrabimahl- tischen Säugling, der bei An- tientin also noch nicht akut bedroh-
zeit bei einem fünf Monate alten strengung und beim Schreien lich, jedoch nahm die Beeinträchti-
Säugling gibt uns Veranlassung zu dyspnoisch wurde. Dagegen war in gung des Allgemeinzustandes lau-
der folgenden kasuistischen Mittei- Ruhe der Allgemeinzustand in Re- fend zu.
lung. lation zu der ausgeprägten Zyanose
erstaunlich gering beeinträchtigt. Die aus diesem Grunde unver-
Der bis zum Tag der Klinikauf- Abgesehen von der auch die züglich eingeleitete Behandlung mit
nahme unauffällig und gut gedie- Schleimhäute intensiv erfassenden zunächst 2mal 2 mg/kg und später
hene fünf Monate alte weibliche zyanotischen Verfärbung wurden noch einmal 1 mg/kg KG Methylen-
Säugling, erstes Kind gesunder El- keine pathologischen Befunde er- blau intravenös in einprozentiger
tern, hatte etwa zwei Stunden vor
der Klinikaufnahme 190 Gramm
einer Kohlrabimahlzeit gegessen.
Das am Vortag bereitete Gemüse
war aus Kohlrabi hergestellt wor-
den, der im eigenen Garten ange-
baut worden war. Das Kind hatte
die erste Mahlzeit am Vortage auch
anstandslos vertragen. Etwa eine
Stunde nach der zweiten Gemüse-
mahlzeit am Erkrankungstag sei
das Kind blau geworden, habe ein-
mal schwach geschrien und sei wie
abgeschlagen gewesen. Zur Zube-
reitung des Gemüses war kein
Brunnenwasser verwendet worden.
Bei dem Patienten hatte keine En-
teritis bestanden, und eine solche
trat auch in den nächsten Tagen
nicht auf.

Nach Auftreten der beschriebe-


nen Blausucht brachten die Eltern
das Kind unverzüglich in unsere
Klinik, wo es, wie erwähnt, etwa
Abbildung 1: Bei der Aufnahmeuntersuchung grau-zyanotische Verfärbung der
zwei Stunden nach der Kohlrabi- Haut und besonders der Lippen sowie schokoladenbraune Farbe des Venenblutes,
mahlzeit eintraf. auf der Abbildung im Glasröhrchen gut erkennbar

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 42 vom 17. Oktober 1970 3091


Methämoglobinämie bei einem Säugling

Lösung erbrachte eine dramatische rabimahlzeit zu vermuten. Dies dennoch eine klinisch relevante Be-
Besserung im Befinden des Kindes. um so mehr, als ja auch alimen- deutung beimessen, zumal ein Ge-
Die Abbildungen 1 bis 3 verdeut- täre Intoxikationen durch andere halt von Nitrit in einem Lebens-
lichen den Rückgang der Zyanose Gemüsesorten, insbesondere durch mittel überhaupt unzulässig ist. An-
und der schokoladenbraunen Ver- Spinat, bekanntgeworden sind. gesichts der zahlreichen bekann-
färbung des Blutes unter der ge- Auch gehört nach Simon der Kohl- ten Parallelen, besonders zu den
schilderten Therapie. Auf der Abbil- rabi zu den nitratreichsten Gemü- Verhältnissen beim Spinat, und an-
dung 3 ist die normale rosige Haut- sen, wobei ein Nitratgehalt bis über gesichts der Tatsache, daß die erste
farbe des Säuglings deutlich wieder 1000 mg/kg Frischgemüse gefun- frische Mahlzeit gut vertragen wur-
erkennbar. Nach den ersten beiden den werden kann. de, scheint uns daher dennoch der
Injektionen fiel der Prozentsatz des Schluß erlaubt, daß in unserem Fall
Methämoglobins auf 2,53 und nach Unglücklicherweise konnten uns die Aufbewahrung eines bekannter-
der dritten Injektion auf 0,5 Prozent die Eltern keinen wirklich verwert- maßen nitratreichen Gemüses über
einen Tag und nicht ständig im
Kühlschrank zu einer vom Säugling
nicht mehr tolerierten Anreicherung
von Nitrit geführt hat. Die Ursache
dürfte eine Reduktion aus Nitrat
durch verunreinigende nitritbilden-
de Bakterien gewesen sein.

Diskussion

Über das Krankheitsbild der


Methämoglobinämie — insbeson-
dere durch alimentäre Nitritintoxi-
kation — gibt es inzwischen eine
ziemlich umfangreiche Literatur
(s. Literaturverzeichnis). Es sei aber
gestattet, auf die Tatsache hinzu-
weisen, daß die besondere Gefähr-
dung des jungen Säuglings durch
eine Nitritvergiftung speziell auf
zwei für dieses Alter spezifi-
schen Gegebenheiten beruht.
Zum ersten ist beim jungen Säug-
Abbildung 2: Der Rückgang der Zyanose und der schokoladenbraunen Verfär- ling das Methämoglobinreduktase-
bung unter Behandlung mit Methylenblau ist deutlich zu sehen system noch nicht voll ausgebildet,
wodurch im späteren Leben das
aus verschiedenen Ursachen aus
dem Hämoglobin durch Oxydation
ab. Der obere Grenzwert der Norm baren Rest der verfütterten Kohl- entstehende Methämoglobin wieder
wird in der Literatur übereinstim- rabimahlzeit mehr beschaffen. Eine reduziert wird. Diese Funktions-
mend mit etwa ein Prozent des Ge- Bestimmung des Nitrat- und Nitrit- schwäche beruht — wie u. a. Betke
samthämoglobins angegeben. Nach gehaltes war daher nicht exakt und Mitarbeiter nachgewiesen ha-
sechs Tagen wurden 0,93 Prozent möglich. Die Untersuchung eines ben — auf der gegenüber dem
Methämoglobin nachgewiesen. Das Restes der Mahlzeit aus einem über späteren Leben stark verminderten
Kind wurde gesund entlassen. mehrere Stunden zum Einweichen Diaphoraseaktivität. Zum zweiten
gestellten Kochtopf erbrachte zwar ist aber das beim jungen Säugling
Die Diagnose einer Methämoglo- einen geringen Nitritnachweis, doch noch vermehrt vorhandene fetale
binämie konnte somit als gesichert war eine Verwertung dieses Befun- Hämoglobin HbF leichter oxydierbar
angesehen werden, die Behandlung des unzulässig, einmal, weil das als das Erwachsenen-Hämoglobin
war erfreulicherweise erfolgreich. Einweichwasser von den Eltern HbA. Bei unserer kleinen Patientin
Indessen blieb die Entstehung die- fortgegossen worden war, zum an- wurden denn auch 4,5 Prozent HbF
ses Krankheitsbildes noch zu klä- deren wegen der sehr geringen festgestellt, ein Wert im Altersnorm-
ren. Schon auf Grund des engen Stabilität des Nitritions bei Zutritt bereich, während bei Erwachsenen
zeitlichen Zusammenhanges war von Sauerstoff. Gerade aber des- 0,4 bis 0,8 Prozent HbF gefunden
die Entstehung durch eine alimen- wegen möchten wir dem Nachweis werden. Auf Grund der hier ange-
täre Nitritvergiftung bei der Kohl- von Nitrit in dem Rest der Mahlzeit führten Tatsachen lassen sich nach

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Methämoglobinämie bei einem Säugling

unserer Auffassung folgende For- sicherlich auch im zweiten Trime- Bereitung der Säuglingsnahrung er-
derungen für eine sachgerechte non — den von den renommierten worben wird. Und daß auch ein nor-
Säuglingsernährung ableiten: Säuglingsnahrungsfirmen herge- malerweise nitratärmeres Gemüse
stellten Gemüsesorten in Konser- wie die Mohrrübe eine Nitritvergif-
O Säuglinge im ersten Trimenon, venform (oder auch als Trocken- tung bewirken kann, ist durch die
besser noch im ersten Halbjahr, gemüse) eindeutig der Vorzug zu Mitteilung von Breitenecker inzwi-
sollten nicht mit nitratreichen Ge- geben. Man sollte aber auch hier schen ebenfalls belegt. Wir müssen
müsen gefüttert werden. unterscheiden und die Spreu vom die oben erhobenen Forderungen
Weizen trennen. Denn nur bei den für eine bekömmliche Säuglings-
O Wenn eine Selbstzubereitung uns Kinderärzten seit langem als ernährung daher als Minimalfor-
aus gekauftem oder selbstange- zuverlässig bekannten Säuglings- derungen ansehen.
bautem „Frischgemüse" erfolgt, so nahrungsfirmen ist durch eine
sollte auch bei im allgemeinen we- ständige Überwachung gewährlei- Solange aber diese Vorausset-
zungen noch nicht gegeben
sind, wird das Krankheitsbild der
Methämoglobinämie auch aus ali-
mentärer Ursache immer wieder
beobachtet werden. Auf eine wenig
beachtete Quelle — den Kohlrabi —
hinzuweisen, war der Zweck dieser
Mitteilung.

Zusammenfassung:

Bei einem fünf Monate alten


Säugling ist es im Anschluß
an eine Kohlrabimahlzeit zu einer
Methämoglobinämie gekommen.
An Hand dieses Krankheitsverlau-
fes werden nach kurzer Darstel-
lung der Pathogenese und der
Therapie der Nitritvergiftung For-
derungen für eine sachgerechte
Säuglingsernährung erhoben, die
zur Vermeidung solcher Zwischen-
fälle beitragen sollen.
Abbildung 3: Die normale rosige Hautfarbe des Säuglings ist wiedergekehrt

Literaturverzeichnis
nig nitratreichen Gemüsesorten stet, daß neben der Nitratvermin- (1) Bachmann, W.: Deutsches Ärzteblatt
(Möhren) eine Aufbewahrung und derung durch geeignete Düngung Nr. 63 (1966), 1662 — (2) ders.: Südd. Heb-
ammenzeitung (1966), Heft 12 — (3) Betke, K.,
Wiedererwärmung nicht erfolgen. auch auf einen möglichst niedrigen u. H. Rau: Arch. Kinderheilk. 145 (1952), 195 —
(4) Betke, K., E. Kleihauer, Ch. Gärtner und
Auch wenn nach Simon und Mit- bis feh'enden Gehalt an Insektizi- G. Schiebe: Arch. Kinderheilk. 170 (1964), 67 —
arb. in der Regel bei Kühlschrank- den und Pestiziden geachtet wird. (5) Breitenecker, L.: Ges. d. Ärzte in Wien,
Sitzung vom 13. 12. 1968, ref. in Münch. Med.
aufbewahrung eine Nitritentste- Dem Bestreben fachfremder Indu- Wschr. 111 (1969), 2664 — (6) Häscher, P. M.
u. J. Natzschka: Dtsch Med. Wschr. 89 (1964),
hung nicht beobachtet wird, ist eine striezweige, etwa der allgemeinen 1751 — (7) Schuphan, W., u. S. Harnisch:
Sicherheit im Einzelfall doch nicht Gemüsekonservenindustrie, sozu- Zschr. Kinderheilk. 93 (1965), 142 — (8) Schup-
han, W., u. H. Hentschel: Ernährungs-Um-
gegeben. sagen „nebenbei" auch Säug- schau 1965, 132 — (9) Simon, C., H. Kay u.
G. Mrowetz: Deutsche Lebensmittelrundschau,
lingsgemüsekonserven herzustel- (1965), S. 75 — (10) dies.: Arch. Kinderheilk.
len, ohne daß dabei die entspre- 175 (1966), 42 — (11) Simon, C.: Medizin und
O Es ist anzustreben, daß junge Ernährung. 7 (1966), Heft 10 — (12) Sinios, A.,
Säuglinge im ersten Trimenon nicht chende Kontrolle gewährleistet ist, u. W. Wodsak: Dtsch. Med. Wschr. 90 (1965),
1856 — (13) Uhlig, R.: Ind. Obst- und Gemüse-
unnütz mit Gemüse gefüttert wer- muß entschieden entgegengetreten verwert. 53 (1968), Heft 7 — (14) Waller, H. D.:
den, wie dies auf Grund vor allem werden. Dtsch. Med. Wschr. 90 (1965), 2023.

fachfremder reklamehafter Emp-


fehlung immer mehr durch die El- Es erübrigt sich wohl, auf den
tern geschieht. Wenn aber gegen Vitaminverlust bei „Frischgemüse"
Ende des dritten Monats eine Bei- hinzuweisen, das nach langem An- Kinderklinik
kostgabe vom betreuenden Arzt transport auf dem Markt oder im der Städtischen Krankenanstalten
empfohlen wird, so ist — und das Geschäft von der Mutter für die 415 Krefeld 1, Lutherplatz 40

3094 Heft 42 vom 17. Oktober 1970 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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