Sie sind auf Seite 1von 364

Wissenschaftliche Untersuchungen

zum Neuen Testament


Herausgeber / Editor
Jörg Frey (Zürich)

Mitherausgeber / Associate Editors
Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala)
Tobias Nicklas (Regensburg) · Janet Spittler (Charlottesville, VA)
J. Ross Wagner (Durham, NC)

467
Otfried Hofius

Exegetische und
theologische Studien

Mohr Siebeck
Otfried Hofius, geboren 1937; 1969 Promotion; 1971 Habilitation; 1965–1972 Pfarrer; 1972–
1980 Professor für Ev. Theologie und ihre Didaktik (Schwerpunkt Bibelwissenschaft) in Pader-
born; seit 1980 o. Professor für Neues Testament in Tübingen; 2002 emeritiert.

ISBN 978-3-16-160890-2 / eISBN 978-3-16-160891-9


DOI 10.1628/978-3-16-160891-9
ISSN 0512-1604 / eISSN 2568-7476 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­
bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de ab-
rufbar.

© 2021  Mohr Siebeck Tübingen.  www.mohrsiebeck.com


Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags un-
zulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung
und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf
alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in
­Ottersweier gebunden.
Printed in Germany.
Vorwort

Der vorliegende Band vereinigt achtzehn Studien, von denen fünf zunächst in
ausländischen Publikationen erschienen sind und vier jetzt erstmals veröffent-
licht werden. Die Beiträge sind zentralen Texten und Themen neutestamentlicher
Exegese aus dem Bereich der Evangelien, der Paulusbriefe und der Deutero-
paulinen gewidmet oder sie bieten theologische bzw. auslegungsgeschichtliche
Überlegungen, zu denen Ergebnisse exegetischer Arbeit den Anlaß gegeben ha-
ben und in denen sie weitergeführt werden. Die bereits veröffentlichten Studien
sind um der einheitlichen Textgestaltung willen formal überarbeitet worden,
während sie inhaltlich unverändert blieben. Zur Bezeichnung der Septuaginta-
Psalmen wurde durchgehend der griechische Buchstabe Ψ verwendet.
Dem Verlag und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern  – insbesondere
Frau Elena Müller und Herrn Matthias Spitzner  – danke ich herzlich für die
ausgezeichnete Betreuung des Bandes und Herrn Martin Fischer für die an-
sprechende Gestaltung des Satzes.
Meine Freunde Dr. Martin Bauspieß und PD Dr. Emmanuel Rehfeld haben die
bislang unveröffentlichten Arbeiten kritisch gelesen und mir wertvolle Hinweise
gegeben. Dafür, vor allem aber auch für den intensiven theologischen Austausch
über viele Jahre hin gilt ihnen mein besonderer Dank.

Tübingen, im Juli 2021 Otfried Hofius


Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

„Abba! Vater!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers.


Zur Exegese der ersten und dritten Wir-Bitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch


der Sündenvergebung.
Mk 2,1–12 als narratives Christuszeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

„In eurer Tora steht geschrieben“.


Zur Auslegung von Joh 8,17; 10,34; 15,25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu.


Joh 13,1–11 als narratives Christuszeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs . . . . . . . . . . . 91

„Fides ex auditu“.
Verkündigung und Glaube nach Römer 10,4–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

„Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“?


Zum Problem der Übersetzung und Auslegung von 2 Kor 5,7 . . . . . . . . . . 121

„Extra nos in Christo“.


Voraussetzung und Fundament des „pro nobis“ und des „in nobis“
in der Theologie des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

Gottes Wort im Menschenwort.


Zum Verständnis des Evangeliums bei dem Apostel Paulus . . . . . . . . . . . . 153

„Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“.


Überlegungen zu drei Grundbegriffen paulinischer Theologie . . . . . . . . . . 163
VIII Inhaltsverzeichnis

Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den


Deuteropaulinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Die Ordination zum Amt der Kircheund die apostolische Sukzession


nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen . . . . . . . . 215

Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem . . . . . 229

Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift.


Grundlinien des evangelischen Schriftverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Die Auferweckung des Lazarusin den gottesdienstlichen Hymnen


der Orthodoxen Kirche.
Ein Beitrag zur Auslegungsgeschichte von Joh 11,1–44 . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός . . . . . 283

Bibliographie Otfried Hofius (2009–2021) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Nachweis der Erstveröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
Register griechischer Begriffe und Wendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
„Abba! Vater!“

An drei Stellen des Neuen Testaments begegnet der Ausdruck ἀββὰ ὁ πατήρ, in
dem ein aramäisches und ein griechisches Nomen miteinander verbunden sind:
in Mk 14,36, in Röm 8,15 und in Gal 4,6.1 Die Frage nach dem philologischen
und theologischen Verständnis des zweisprachigen Ausdrucks selbst wie auch
insbesondere des aramäischen Bestandteils ἀββά (= ‫’[ ַא ָבּא‬abbā’ ]2) ist in der
Exegese umstritten und bedarf weiterhin der Diskussion. Aus der bisherigen
Forschung sind vor allem die Namen Joachim Jeremias und Georg Schelbert her-
vorzuheben. Jeremias hat dem Wort ἀββά mehrere gewichtige Untersuchungen
gewidmet, die in der neutestamentlichen Exegese zunächst weithin rezipiert
worden sind.3 In den letzten Jahrzehnten jedoch sind sie zum Gegenstand recht
kritischer Erörterungen geworden, wobei hier in erster Linie Georg Schelbert
genannt zu werden verdient.4 Er hat nach mehreren Vorarbeiten in einer Mono-
graphie das gesamte „Vater“-Material des frühjüdischen Schrifttums zusammen-
gestellt und auf dieser Basis die Sicht Jeremias’ einer umfassenden Überprüfung
unterzogen.5 Daß einige der von Jeremias vertretenen Urteile zu revidieren sind,

1
 Im Novum Testamentum Graece ed. Nestle / ​Aland bleibt seit der 26. Auflage αββα unak-
zentuiert, weil in der Forschung die beiden Akzentuierungen ἀββά und ἀββᾶ vertreten werden.
In neuerer Zeit wird in der Regel ἀββά geschrieben.
2
 Gelegentlich findet sich auch die Schreibung mit Hē als Mater lectionis: ‫’( ַא ָבּה‬abbāh).
3 Zu nennen ist vor allem: J. Jeremias, Abba, in: Ders., Abba. Studien zur neutestament-

lichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 15–67 (im Folgenden ohne Verweis
auf Anm. 3 zitiert). S. ferner: Kennzeichen der ipsissima vox Jesu (1954), in: Abba, 145–151:
145–148; Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung (1962), in: Abba, 152–171: 162–164;
Abba, in: Ders., The Central Message of the New Testament, London 1965, 9–30; Die Bot-
schaft Jesu vom Vater (CwH 92), Stuttgart 1968, 15–19; Neutestamentliche Theologie I: Die
Verkündigung Jesu, Gütersloh ⁴1988, 45.67–73.191 f.
4 Außer Schelbert seien erwähnt: J. Barr, ’Abbā Isn’t ‘Daddy’, JThS NS 39 (1988) 28–47;

A. Strotmann, „Mein Vater bist du!“ (Sir 51,10). Zur Bedeutung der Vaterschaft Gottes
in kanonischen und nichtkanonischen frühjüdischen Schriften (FTS 39), Frankfurt am Main
1991, 12–15.377–379; Dies., Die Vaterschaft Gottes in der Bibel, BiFor (2002) 1–14: 6–9; Chr.
Zimmermann, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottes-
bezeichnungen, Leiden 2011, 42–48.76–83; U. Schattner-Rieser, Das Aramäische zur Zeit
Jesu, „ABBA!“ und das Vaterunser. Reflexionen zur Muttersprache Jesu anhand der Texte von
Qumran und der frühen Targumim, in: J. Frey / ​E. E. Popkes (Hg.), Jesus, Paulus und die Texte
von Qumran (WUNT II 390), Tübingen 2015, 81–144: 97–106.108–111; J. Frey, Das Vaterunser
im Horizont antik-jüdischen Betens unter besonderer Berücksichtigung der Textfunde vom
Toten Meer, in: F. Wilk (Hg.), Das Vaterunser in seinen antiken Kontexten. Zum Gedenken an
Eduard Lohse, Göttingen 2016, 1–24: 10–16.
5 G. Schelbert, ABBA Vater. Der literarische Befund vom Altaramäischen bis zu den

späten Midrasch- und Haggada-Werken in Auseinandersetzung mit den Thesen von Joachim
2 „Abba! Vater!“

steht daraufhin außer Zweifel.6 Aber auch die Arbeiten Schelberts bedürfen einer
kritischen Lektüre und sind nicht ohne weiteres als das letzte Wort zum Thema
„Abba“ anzusehen.7 Eine ins Einzelne gehende Auseinandersetzung mit den
Positionen der beiden Exegeten ist – wie ausdrücklich bemerkt sei – in dem vor-
liegenden Aufsatz nicht beabsichtigt. Ich möchte vielmehr meine eigene Sicht
darlegen, wie ich sie aufgrund einer erneuten Beschäftigung mit den relevanten
Quellen gewonnen habe.8

Die drei Verse Mk 14,36, Röm 8,15 und Gal 4,6 sind die frühesten Belege für das
Wort ’abbā’, und sie sind zugleich auch die einzigen bisher bekannten Belege
aus der Zeit Jesu bzw. aus der Zeit des Neuen Testaments.9 Angesichts dessen
ist es angezeigt, in einem ersten Schritt ausschließlich diese Texte in den Blick
zu fassen und zu fragen, was sich aus ihnen für das Verständnis des aramäischen
Wortes ergibt.
In Mk 14,36 erscheinen die Worte ἀββὰ ὁ πατήρ als Gebetsanrede Gottes. Mit
ihr beginnt das Gebet, das Jesus in der Gethsemane-Erzählung Mk 14,32–42 auf
dem Weg an das Kreuz an seinen himmlischen Vater richtet: πάντα δυνατά σοι·
παρένεγκε τὸ ποτήριον τοῦτο ἀπ’ ἐμοῦ· ἀλλ’ οὐ τί ἐγὼ θέλω ἀλλὰ τί σύ („Alles
ist dir möglich. Nimm diesen Kelch10 von mir! Doch nicht [um das geht es], was
ich will, sondern [um das,] was du willst“11). Die das Gebet eröffnenden Worte

Jeremias (NTOA 81), Göttingen 2011 (im Folgenden ohne Verweis auf Anm. 5 zitiert). Der Mo-
nographie gingen voraus: Sprachgeschichtliches zu ‚Abba‘, in: P. Casetti / ​O. Keel / ​A. Schenker
(Hg.), Mélanges Dominique Barthélemy (OBO 38), Fribourg – Göttingen 1981, 395–447; Abba,
Vater! Stand der Frage, FZPhTh 40 (1993) 259–281; Abbâ, Vater! Überlegungen zu den Über-
legungen von Prof. Ruckstuhl, FZPhTh 41 (1994) 526–531; Art. Abba, in: RGG⁴ I (1998) 5 f.
 6 Das gilt in gleicher Weise für meinen Artikel ἀββά in: TBLNT Neubearbeitete Ausgabe II

(2000) 1721 f. (eine Neufassung von TBLNT II/2 [1971] 1241 f.).


 7
 Abgesehen von kritisch zu hinterfragenden Sachurteilen finden sich in der Monographie
Schelberts verschiedentlich Unausgeglichenheiten in der Darstellung und Unklarheiten in der
Argumentation. Einiges erwähnt die  – insgesamt sehr positive  – Rezension von A. Strot-
mann, ThLZ 138 (2013) 37–40: 40.
 8
 Aus der Literatur nenne ich noch: M. Hengel, Abba, Maranatha, Hosanna und die An-
fänge der Christologie, in: Ders., Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV, hg. v. C.-
J. Thornton (WUNT 201), Tübingen 2006, 496–534: 498–512.522–534.
 9 Dieses Urteil setzt voraus, daß ’abbā’ nicht auch in dem Fragment CTLevi ar Bodl. a

(Zeile 23) sowie in zwei Ossuar-Inschriften aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. belegt ist. S. dazu
unten Teil II des Aufsatzes bei den Anmerkungen 48–54 und 58–60.
10 Das ποτήριον ist wie in Mk 10,38 f. der Todeskelch, d. h. Bild für Leiden und Sterben

(ebenso Mt 20,22 f.; 26,39; Lk 22,42; Joh 18,11).


11
 Zu οὐ τί ἐγὼ θέλω ἀλλὰ τί σύ ist nicht ein γινέσθω oder γενέσθω oder γενηθήτω zu er-
gänzen, denn dann wäre statt eines οὐ ein μή gefordert (vgl. Lk 22,42). Liest man das τί als
echtes Fragepronomen, dann ergibt sich als Sinn der Worte: „Die Frage ist nicht, was ich will,
sondern was du willst.“ Die Aussage über die Willenseinheit zwischen Jesus und dem Vater
„Abba! Vater!“ 3

ἀββὰ ὁ πατήρ wollen nicht so verstanden sein, als habe Jesus seinen Vater in
zwei Sprachen – nämlich auf aramäisch und auf griechisch – angerufen. Das
griechische ὁ πατήρ ist vielmehr für die Leser des Evangeliums als Überset-
zung des aramäischen Wortes ἀββά hinzugefügt worden, und der zweisprachige
Ausdruck bedeutet demnach: „Abba! [das heißt:] Vater!“12 Im Markusevan-
gelium werden bei den sonstigen zweisprachigen Ausdrücken beide Bestand-
teile durch ὅ ἐστιν oder durch ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον miteinander ver-
bunden.13 Die singuläre asyndetische Aneinanderfügung von Mk 14,3614 dürfte
deshalb gewählt sein, weil eine verbindende Wendung im Fall der unmittelbar
an Gott gerichteten Gebetsanrede als unangemessen empfunden wurde. Für die
weitere sprachliche Analyse der Worte ἀββὰ ὁ πατήρ ist die Feststellung von
Bedeutung, daß ὁ πατήρ an unserer Stelle nicht die syntaktische Funktion eines
Nominativs hat, sondern Vokativ ist  – nämlich die Anrede „Vater!“.15 Dabei
handelt es sich keineswegs um einen „recht ungewöhnlichen“ Sprachgebrauch,
der als solcher einer besonderen Erklärung bedürfte.16 Daß der determinierte
Nominativ Singular als Vokativ dient, begegnet vielmehr bereits – wohl nicht
zuletzt unter dem Einfluß des Hebräischen – in der Septuaginta17 und offenbar

unterstreicht das δεῖ von Mk 8,31 und damit die göttliche Notwendigkeit der „Stunde“ Mk
14,35.41 und des „Todeskelches“ Mk 14,36.
12 So richtig bereits Th. Beza, Testamentum Novum, Genf ⁴1588, I 203 zu ὁ πατήρ Mk

14,36: posterius additum esse ut prius illud peregrinum (sc. ἀββά) declararet. In diesem Sinn
ebenfalls z. B. J. A. Bengel, Gnomon Novi Testamenti (³1773), hg. v. P. Steudel, Stuttgart ⁸1891,
208: Marcus videtur interpretationis ergo ‚Pater‘ addidisse.
13
 ὅ ἐστιν: Mk 3,17; 7,11.34; ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον Mk 5,41; 15,22.34. Verbindende Wen-
dungen finden sich ebenfalls bei den lexikalischen Aramaismen der anderen neutestamentlichen
Schriften: Mt 27,33.46; Joh 1,41.42; 4,25; 11,16; 20,16.24; 21,2; Apg 1,19; 4,36; 9,36; vgl. auch
Mk 10,46; Joh 19,13.
14
 Die Formulierung ὁ υἱὸς Τιμαίου Βαρτιμαῖος von Mk 10,46 ist nicht wirklich vergleich-
bar, weil hier der aramäische Eigenname Bartimaios und seine griechische Übersetzung in
der Weise miteinander verbunden sind, daß letztere den übergeordneten Nominalbegriff und
ersterer die zu ihm gehörende Apposition bildet.
15 Vgl. bei Markus die beiden anderen aramäischen Vokative mit ihrer griechischen Über-

setzung: ἐλωΐ / ​ὁ θεός μου („mein Gott!“) 15,34 und ταλιθά / ​τὸ κοράσιον („Mädchen!“) 5,41.
16
 Das damit zu korrigierende Urteil bei Hofius, ἀββά (s. Anm. 6), 1722 entsprach dem Be-
fund im klassischen Griechisch, in dem mir für die Verwendung des determinierten Nominativs
als Vokativ nur wenige Belege bekannt sind (so z. B. Aristophanes, Pax 466; Ran 521; Eccl 833).
17
 S. dazu die Gottesanreden ὁ θεός Ψ 5,11; 16,6; 42,1 f.; 43,2; 56,8 u. ö.; ὁ θεός μου Ψ 3,8;
21,3; 39,9; ὁ θεὸς ὁ θεός μου Ψ 21,2; 62,2; ὁ βασιλεύς μου καὶ ὁ θεός μου Ψ 5,3; ὁ θεός μου
καὶ ὁ κύριός μου Ψ 34,23; ὁ θεός μου ὁ βασιλεύς μου Ψ 144,1; ὁ θεὸς ὁ θεὸς ὁ ἐμός Jdt 9,4;
ὁ θεὸς τοῦ πατρός μου καὶ θεὸς κληρονομίας Ἰσραήλ Jdt 9,12. Ferner s. etwa: 3 Reg 17,18 B
(ὁ ἄνθρωπος τοῦ θεοῦ); 18,26 (ὁ Βάαλ); 20,20 (ὁ ἐχθρός μου); 4 Reg 9,5 (ὁ ἄρχων); 4 Makk
11,12 A (ὁ τύραννος); Ψ 51,3 (ὁ δυνατός); 102,1 f. u. a. (ἡ ψυχή μου); Hhld 1,8 u. a. (ἡ καλὴ ἐν
γυναιξίν). – Von dem als Vokativ verwendeten determinierten Nominativ ist syntaktisch der
Nominativ zu unterscheiden, der als Apposition durch den Artikel mit einem echten Vokativ
verbunden ist (z. B. κύριε ὁ θεός μου Ψ 7,2.4). Hierher gehören 1 Chr 29,10 LXX und Jes 63,16a
LXX, wo ὁ πατὴρ ἡμῶν bzw. πατὴρ ἡμῶν nicht Vokativ ist.
4 „Abba! Vater!“

von daher dann auch mehrfach im Neuen Testament18. Eine direkte Parallele zu
der Gebetsanrede ὁ πατήρ findet sich in Mt 11,26 par. Lk 10,21c, wo der Ausdruck
den unmittelbar vorher in Mt 11,25b par. Lk 10,21b erscheinenden Vokativ πάτερ
aufnimmt und diesem mithin gleichwertig ist.19 Zu vergleichen ist in ApkMos
32,2 das Nebeneinander der Vokative ὁ θεός und ὁ πατὴρ τῶν πάντων („Vater
von allem!“).20 Aus dem Tatbestand, daß ὁ πατήρ in der Gebetsanrede von Mk
14,36 Vokativ ist, folgt zwingend, daß das durch ihn übersetzte aramäische Wort
ἀββά ebenfalls Vokativ mit der Bedeutung „Vater!“ sein muß. Nicht zufällig
erscheint dieser Vokativ in der Gethsemane-Erzählung. Im Kontext des ganzen
Evangeliums gelesen bringt sie nämlich zur Sprache, daß der Sohn Gottes, der
freiwillig auf die Seite der Sünder getreten ist, im Gehorsam gegen den Willen
seines Vaters den Weg an das Kreuz geht, dort stellvertretend das Gericht Gottes
auf sich nimmt und so verwirklicht, was zur Errettung der vor Gott verlorenen
Menschen geschehen muß.21 Das ἀββά von Mk 14,36 spricht der, der an das
Kreuz geht und als der Gekreuzigte von den Toten auferstehen wird (Mk 16,6).
An den beiden anderen neutestamentlichen Belegstellen – Röm 8,15 und Gal
4,6 – ist die Wortverbindung ἀββὰ ὁ πατήρ ein vom Heiligen Geist gewirkter
Ruf der zum Gottesdienst versammelten christlichen Gemeinde. Nach Röm
8,15 sind die vom Heiligen Geist erfüllten Christen Subjekt des Rufes: ἐλάβετε
πνεῦμα υἱοθεσίας ἐν ᾧ κράζομεν· ἀββὰ ὁ πατήρ („ihr habt den Geist der Kind-
schaft empfangen, in dem wir rufen: ,Abba! Vater!‘“); nach Gal 4,6 ist Subjekt
der in den Christen wohnende Heilige Geist selbst: ἐξαπέστειλεν ὁ θεὸς τὸ
πνεῦμα τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ εἰς τὰς καρδίας ἡμῶν κρᾶζον· ἀββὰ ὁ πατήρ („Gott hat
den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: ,Abba! Vater!‘“).

18
 S. etwa: Mt 27,29 v. l. (ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων); Mk 5,41 (τὸ κοράσιον); 9,25 (τὸ ἄλαλον
καὶ κωφὸν πνεῦμα); 15,34 (ὁ θεός μου [Ψ 21,3]); Lk 8,54 (ἡ παῖς); 12,32 (τὸ μικρὸν ποίμνιον);
18,11.13 (ὁ θεός); Joh 13,13 (ὁ κύριος καὶ ὁ διδάσκαλος); 19,3 (ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων); 20,28
(ὁ κύριός μου καὶ ὁ θεός μου [vgl. Ψ 34,23]); Hebr 1,8 f. (ὁ θεός [Ψ 44,7 f.]); 10,7 (ὁ  θεός
[Ψ 39,9]); Apk 4,11 (ὁ κύριος καὶ ὁ θεὸς ἡμῶν); 6,10 (ὁ δεσπότης ὁ ἅγιος καὶ ἀληθινός); 15,3
(ὁ βασιλεὺς τῶν ἐθνῶν); 18,4 (ὁ λαός μου). Vgl. F. Blass  / ​A.  Debrunner / ​F.  Rehkopf,
Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen ¹⁷1990, § 147,2.
19
 Der Lobpreis Jesu Mt 11,25b.26 par. Lk 10,21b.c lautet: ἐξομολογοῦμαί σοι, πάτερ, κύριε
τοῦ οὐρανοῦ καὶ τῆς γῆς, ὅτι ἔκρυψας (Lk ἀπέκρυψας) ταῦτα ἀπὸ σοφῶν καὶ συνετῶν καὶ
ἀπεκάλυψας αὐτὰ νηπίοις· ναὶ ὁ πατήρ, ὅτι οὕτως εὐδοκία ἐγένετο ἔμπροσθέν σου.
20
 Aus den Pseudepigraphen des Alten Testaments notiere ich einige weitere in Gottesanre-
den als Vokativ verwendete determinierte Nominative: ὁ θεὸς τοῦ οὐρανοῦ καὶ τῆς γῆς ParJer
5,32; ἡ δύναμις ἡμῶν, ὁ θεός ebd. 6,9; τὸ μέγα ὄνομα, ὃ οὐδεὶς δύναται γνῶναι ebd.; τὸ φῶς τὸ
ἀληθινὸν τὸ φωτίζον με ebd. 9,3; τὸ φῶς τῶν αἰώνων ebd. 9,25; ὁ θεὸς ὁ αἰώνιος, ὁ πάσης τῆς
κτίσεως δημιουργός ApkEsdr 7,5.
21 S. dazu zum einen die Aussagen über Jesus als den „Sohn Gottes“ (Mk 1,1.11; 9,7; 15,39;

auch 3,11 f.; 5,7; 12,6) und zum andern insbesondere Mk 1,2–13; 8,31; 9,31; 10,32–34; 10,45;
14,22–25; 15,33 f. Zu beachten ist ferner in der – nicht historisierend zu lesenden – Gethsemane-
Erzählung das Unvermögen der drei Jünger, mit Jesus zu wachen (Mk 14,37.40.41). Das Motiv
zeigt an: Jesus geht den Weg an das Kreuz ganz allein. Sein Tod ist ein Geschehen nur zwischen
ihm und dem Vater – und als solches ein Geschehen ὑπὲρ πολλῶν (Mk 14,24).
„Abba! Vater!“ 5

Im einen wie im andern Fall werden die Worte ἀββὰ ὁ πατήρ als ein inspirierter
Ruf gekennzeichnet, so daß die Differenz zwischen den Aussagen „nur eine
scheinbare“22 ist. In dem von Paulus zitierten Ruf erblickt die neuere Exegese
vielfach eine für sich stehende Akklamation, die in dieser zweisprachigen Ge-
stalt in der gottesdienstlichen Versammlung laut wurde.23 Diese Deutung stützt
sich vor allem auf das in Röm 8,15 wie in Gal 4,6 verwendete Verbum κράζειν,24
das einige der Ausleger sogar dazu veranlaßt, an eine ekstatische Akklamation
zu denken.25 Zwingend ist diese Interpretation jedoch nicht. Die Deutung auf
einen ekstatischen Schrei hat nach meinem Urteil keinerlei begründeten Anhalt
in den Texten. Auf die Wendung πνεύματι θεοῦ ἄγεσθαι von Röm 8,14 kann
man hier nicht verweisen, denn sie spricht nicht von enthusiastischen oder gar
ekstatischen Phänomenen,26 sondern hat wie πνεύματι ἄγεσθαι in Gal 5,18 die
Bedeutung „vom Geist Gottes geleitet / ​geführt werden“ und meint die grund-
sätzliche Bestimmung der an Jesus Christus Glaubenden durch den Heiligen
Geist. Wenn die Glaubenden nach Röm 8,15 „im Geist“ ἀββά rufen, so liegt in
dieser Kennzeichnung ebensowenig ein Hinweis auf Enthusiasmus oder Ekstase
wie in der Aussage von 1 Kor 12,3, daß das Bekenntnis κύριος Ἰησοῦς nicht
anders als ἐν πνεύματι ἁγίῳ möglich sei.27 Was sodann das Verbum κράζειν
anlangt, so darf nicht übersehen werden, daß es in der Septuaginta und hier
besonders in den Psalmen häufig von dem eindringlichen, aus großer Not und
Bedrängnis zu Gott aufsteigenden Gebet verwendet wird.28 Dieser Tatbestand
spricht entschieden dafür, daß in den beiden paulinischen Aussagen ebenfalls an

22
 W. Grundmann, Art. κράζω κτλ., in: ThWNT III (1938 = 1957) 898–904: 903,27 f.
23
 So z. B. H. Schlier, Der Römerbrief (HThK VI), Freiburg – Basel – Wien 1977, 253 f.;
E. Käsemann, An die Römer (HNT 8a), Tübingen ⁴1980, 220; E. Lohse, Der Brief an die
Römer (KEK 4), Göttingen ¹(¹⁵)2003, 241; R. Jewett, Romans (Hermeneia), Minneapolis,
MN 2007, 499; M. Wolter, Der Brief an die Römer I: Röm 1–8 (EKK VI/1), Neukirchen-
Vluyn bzw. Ostfildern 2014, 496 f.; H. Schlier, Der Brief an die Galater (KEK 7), Göttingen
⁵(¹⁴)1971, 198 f.; H. D. Betz, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus
an die Gemeinden in Galatien, München 1988, 368 f. Auch Schelbert, ABBA Vater, 54–58
ist hier zu nennen.
24
 Belege für κράζειν bei der Akklamation nennt E. Peterson, ΕΙΣ ΘΕΟΣ. Epigraphische,
formgeschichtliche und religionsgeschichtliche Untersuchungen (FRLANT NF 24), Göttingen
1926, 191–193.
25
 So von den in Anm. 23 genannten Exegeten Käsemann, Jewett, Wolter, Betz sowie Schel-
bert (jeweils a. a. O.). Käsemann bezeichnet κράζειν als einen „technischen Terminus der Ak-
klamation“ und erblickt in ἀββὰ ὁ πατήρ eine Akklamation, „die als solche im ekstatischen
Schrei der Gemeindeversammlung der Heilsbotschaft antwortet.“
26 Die Worte ἤγεσθε ἀπαγόμενοι von 1 Kor 12,2 stützen ein solches Verständnis von ἄγεσθαι

Röm 8,14 nicht, weil in ihnen der Aspekt der heidnischen Ekstase von dem Verbum ἀπάγεσθαι
abhängt.
27
 Daß κύριος Ἰησοῦς ein Bekenntnis ist, wird in den Paulusbriefen ausdrücklich gesagt:
Röm 10,9; Phil 2,11.
28
 S. etwa Ψ 3,5; 4,4; 16,6; 17,7; 21,3.6.25; 26,7; 27,1; 29,9; 30,23; 33,7.18; 54,17; 56,3; 60,3;
65,17; 85,3.7; 87,2.10.14; 106,6.13.19.28; 119,1; 129,1; 140,1; 141,2.6. Die Liste ließe sich unschwer
durch eine ganze Anzahl von Belegen aus anderen Septuaginta-Schriften ergänzen.
6 „Abba! Vater!“

das Gebet der Gemeinde gedacht ist29 und somit ἀββὰ ὁ πατήρ – nicht anders
als in Mk 14,36 – als Gebetsanrede verstanden sein will.30 Auch hier ist ὁ πατήρ
Vokativ31 und eine zur Erläuterung hinzugefügte Übersetzung des aramäischen
Wortes ἀββά,32 das damit an den paulinischen Stellen ebenfalls als Vokativ
erwiesen ist.33 Wenn dieses ἀββά im Munde Mehrerer laut wird, dann heißt es –
in Übereinstimmung mit der in Mk 14,36 vorliegenden Bedeutung – ebenfalls
einfach „Vater!“.
Die beiden paulinischen Texte geben Anlaß zu der Frage, wie griechisch
sprechende und überwiegend aus Heidenchristen bestehende Gemeinden dazu
kommen, Gott im Gebet mit dem aramäischen Wort ’abbā’ anzurufen. Das
läßt sich m. E. nur so erklären, daß sie diese Anrede Gottes von den aramäisch
sprechenden Judenchristen übernommen haben, und zwar deshalb, weil sie
ebenso wie jene ihr eine besondere Dignität beigemessen haben. Die Wertschät-
zung der aramäischen Anrufung spiegelt sich nicht zuletzt auch darin wider,
daß Paulus an beiden Stellen erklärt: Wenn die Glieder der zum Gottesdienst
versammelten Gemeinde im Gebet mit der Anrufung ἀββά vor Gott treten, dann
ist das Folge und Zeichen eines ihnen widerfahrenen heilvollen Ereignisses: Sie
haben aufgrund des Christusgeschehens den Geist Gottes empfangen und sind
Kinder Gottes geworden34  – sind also eines einzigartigen Gottesverhältnisses
teilhaftig geworden. Wo aber liegt dann der Grund dafür, daß ein aramäisches
Wort als Ausdruck und Kennzeichen dieses Gottesverhältnisses gilt? Ich sehe
keine andere Antwort als jene, die u. a. Jeremias gegeben und zu begründen
gesucht hat: Die besondere Dignität der ’abbā’-Anrede ist darin zu erblicken,
daß dieser Vokativ die Gebetsanrede Jesu und als solche eine Besonderheit
war35 und daß Jesus seine Jünger dazu ermächtigt hat, ihm dieses ’abbā’ nach-
zusprechen. Mit Jeremias und anderen Exegeten bin ich der Überzeugung, daß

29
 Daß das Gebet der Gemeinde in den „Leiden dieses Äons“ laut wird und von der Sehn-
sucht nach der Heilsvollendung bestimmt ist, kommt in Röm 8 deutlich zur Sprache; s. V. 18
und den gesamten Zusammenhang V. 18–30.
30
 So z. B. C. E. B. Cranfield, The Epistle to the Romans I: Introduction and Commentary
on Romans I–VIII (ICC), Edinburgh 1980, 399. Zur Gebetsanrede „Vater“ in der christlichen
Gemeinde s. auch 1 Petr 1,17.
31
 Das wäre übrigens auch dann der Fall, wenn es sich um eine Akklamation handelte.
32
 So wiederum bereits Beza, Testamentum Novum (s. Anm. 12), II 54.232, der an beiden
Stellen übersetzt: „Abba, id est Pater.“ Auch nach H. Lietzmann, An die Römer (HNT 8),
Tübingen ³1928, 84 ist ὁ πατήρ „als Erläuterung hinzugesetzt“.
33 Die asyndetische Anfügung der Übersetzung an das aramäische Wort erklärt sich auch hier

dadurch, daß ἀββὰ ὁ πατήρ unmittelbare Anrede Gottes ist.


34 S. die beiden Kontexte: Röm 8,1–17 (besonders 14–16); Gal 3,23–4,7 (besonders 4,4–7).
35 Nach dem Zeugnis der vier Evangelien hat Jesus – von dem Kreuzesruf Mk 15,34 par. Mt

27,46 abgesehen – in seinen Gebeten Gott stets als „Vater“ angeredet (Mk 14,36 par. Mt 26,39.42 / ​
Lk 22,42; Mt 11,25.26 par. Lk 10,21b.c; Lk 23,34.46; Joh 11,41; 12,27.28; 17,l.5.11.21.24.25). Dazu
bemerkt Jeremias, Abba, 57 zu Recht: „Diese Konstanz der Überlieferung zeigt, unabhängig
von der Frage nach der Authentizität der einzelnen Gebete selbst, wie fest die Vateranrede
Gottes in der Jesustradition verwurzelt war.“ Wenn an einer theologisch so bedeutsamen Stelle
„Abba! Vater!“ 7

diese Ermächtigung mit der Übergabe des Vaterunsers erfolgt ist, dessen in Lk
11,2b bezeugter Anrede πάτερ ein aramäisches ’abbā’ zugrunde liegt.36 Von
daher sehe ich in Röm 8,15 und in Gal 4,6 – zumindest auch – einen Hinweis
auf das Herrengebet.37 Gerade von dem Verbum κράζειν her liegt der Gedanke
an das Vaterunser nahe! Seine Du-Bitten erflehen ja das Ende aller Menschen-
und Weltennot durch den Anbruch der βασιλεία τοῦ θεοῦ, und seine Wir-Bitten
beziehen sich auf elementare Bedürfnisse der Jünger Jesu: auf die lebensnotwen-
dige Nahrung, auf die Vergebung der Sünden und auf die Bewahrung vor einer
Situation, in der es zum Abfall von Gott bzw. von Jesus kommen könnte. Daß
die Annahme eines Bezugs zum Vaterunser hypothetisch bleibt, ist mir sehr wohl
bewußt; daß die Bestreitung eines solchen Bezugs, die sich vor allem auf die
Akklamations-These stützt, besser begründet sei, sehe ich jedoch nicht.

II

Wie in der Betrachtung der neutestamentlichen Texte aufgezeigt wurde, ist ἀββά
in Mk 14,36 und in Röm 8,15 par. Gal 4,6 syntaktisch ein Vokativ, der in beiden
Fällen – d. h. sowohl im Munde eines Einzelnen wie auch im Munde Mehre-
rer – die Bedeutung „Vater!“ hat. Weitergehende sprachliche Bestimmungen
lassen sich aus den drei Texten nicht gewinnen. So kann aus ihnen keineswegs
gefolgert werden, daß ’abbā’ über den Gebrauch als Vokativ „Vater!“ hinaus
auch die Bedeutungen „der Vater“, „mein Vater“ und „unser Vater“ habe. In der
Forschung sind die drei Texte allerdings in diesem Sinn verstanden worden.38

wie in Mk 14,36 das aramäische Wort ἀββά erscheint, dann findet das seine plausibelste Er-
klärung als eine Reminiszenz daran, daß Jesus dieses Wort als Gebetsanrede verwendet hat.
36
 Unter den beiden Fassungen der griechischen Vaterunser-Anrede – πάτερ (Lk 11,2b) und
πάτερ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς (Mt 6,9b) – ist die lukanische die ursprüngliche. Bei Matthäus ist
das bloße πάτερ durch eine Formulierung ersetzt, „wie sie frommer jüdisch-palästinischer Sitte
entsprach“ (Jeremias, Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung [s. Anm. 3], 158).
Jüdische Parallelen zu der Gebetsanrede sind in Dokumenten aus späterer Zeit belegt: das he-
bräische ’ābînû šäbbaššāmajim in SedElijR 7 (33,2); 19 (112,18.21) sowie in dem Morgengebet
’attāh hû’ (G. Harfenes, Seder Rab ‛Amram Ga’on, Bene Berak 1994, 16), das aramäische
’ªbûnan dᵉbišmajjā’ in einer Introduktion zum Gesang des Mose (L. Zunz, Literaturgeschichte
der synagogalen Poesie, Berlin 1865, 150, dort Nr. 22). Zu der Wendung „Vater, der im Himmel
ist“ selbst s. G. Dalman, Die Worte Jesu I, Leipzig ²1930 = Darmstadt 1965, 150–155.296–304.
37
 Vgl. außer Jeremias, Abba, 64 f. z. B. Th. Zahn, Der Brief des Paulus an die Römer
(KNT 6), Leipzig ¹.²1910, 395; Cranfield, The Epistle to the Romans I (s. Anm. 30), 400;
E. Peterson, Der Brief an die Römer (Ausgewählte Schriften 6), Würzburg 1997, 248 f.;
P. Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments I: Grundlegung. Von Jesus zu
Paulus, Göttingen 1992, 383. Vgl. auch Lietzmann, An die Römer (s. Anm. 32), 83.
38
 Dieses Verständnis beruhte sprachlich auf der  – unhaltbaren  – Überzeugung, daß die
in den Evangelien begegnenden Anredeformen πάτερ, ὁ πατήρ, πάτερ μου und πάτερ ἡμῶν
als Übersetzungsvarianten des aramäischen ’abbā’ dessen unterschiedlichen grammatischen
Verwendungsmöglichkeiten entsprechen. S. dazu z. B. G. Kittel, Art. ἀββᾶ, in: ThWNT I
8 „Abba! Vater!“

Auf sie berief man sich, wenn bereits für das palästinische Aramäisch des 1. Jahr-
hunderts n. Chr. jener Sprachgebrauch vorausgesetzt wurde, den man dann vom
2./3. Jahrhundert an in den jüdischen Quellen eindeutig belegt fand39: daß die
durch Gemination des zweiten Radikals gekennzeichnete Form ‫’( ַא ָבּא‬abbā’ )
zum einen als Status emphaticus40 „der Vater“ verwendet wurde und zum andern
die ursprünglichen Formen mit Suffix der 1. Person Singular ‫’( ַא ִבי‬abî ) „mein
Vater“ und der 1. Person Plural ‫ אבוּנָ א‬/ ​
ֲ ‫’( ֲאבוּנָ ה‬ªbûnā’ / ​’ ªbûnāh) „unser Vater“
verdrängt hatte.41 Zum Nachweis, daß die drei ἀββὰ ὁ πατήρ-Texte in Wahrheit
als Belege für die Bedeutungen „der Vater“, „mein Vater“ und „unser Vater“ aus-
scheiden, formuliere ich drei Thesen, die ich zunächst begründe und zu denen
ich sodann ergänzend auf Befunde hinweise, die sich Quellen aus der Umwelt
des Neuen Testaments für das Mittelaramäische (etwa 200 v. Chr. – 200 n. Chr.)
entnehmen lassen.
1. Die in Mk 14,36, Röm 8,15 und Gal 4,6 vorliegende Übersetzung von ἀββά
mit dem als Vokativ gebrauchten determinierten Nominativ ὁ πατήρ ist kein
Indiz dafür, daß ’abbā’ in neutestamentlicher Zeit als Status emphaticus „der
Vater“ verwendet wurde und in dieser Bedeutung auch als Vokativ diente. – Die
Übersetzung von ἀββά mit ὁ πατήρ bedarf, wie bereits gezeigt wurde,42 keiner
besonderen Erklärung, weil die Verwendung des determinierten Nominativs
als Vokativ nicht als ungewöhnlich gelten kann. Erinnert sei nochmals an die
Gottesanreden ὁ πατήρ in Mt 11,26 par. Lk 10,21c und ὁ πατὴρ τῶν πάντων in
ApkMos 32,2. – Was das Mittelaramäische betrifft, so wird sogleich unter den
Ziffern 2 und 3 deutlich werden, daß für die neutestamentliche Zeit durchaus
noch der Gebrauch des Status emphaticus ‫’( ֲא ָבא‬ªbā’ ) vorausgesetzt werden
kann.43 Für seine bereits erfolgte Verdrängung durch ’abbā’ gibt es keinen über-
zeugenden Hinweis.

(1933–1957) 4–6; Jeremias, Abba, 57 f.60 f.; Ders., Neutestamentliche Theologie I (s. Anm. 3),
70; Hofius, ἀββά (s. Anm. 6), 1721 f.
39
 Ich sage bewußt „belegt fand“, weil von der sogleich zu erwähnenden Verdrängung der
1. Person Plural ’ªbûnā’ / ​’ ªbûnāh („unser Vater“) keine Rede sein kann. S. dazu unten bei
Anm. 70.
40
 Andere Bezeichnung: Status determinatus.
41
 H. P. Rüger, Art. Aramäisch II. Im Neuen Testament, in: TRE III (1978) 602–610: 602
gibt ohne zeitliche Differenzierung und Präzisierung für ’abbā’ die Bedeutungen „der Vater,
mein Vater, unser Vater“ an. Zum Vergleich sei auch Lohse, Der Brief an die Römer (s.
Anm. 23), 241 zitiert: „Das aramäische Wort ‫ ַא ָבּא‬steht im status emphaticus, der auch als
Vokativ in der Bedeutung ‚mein/unser Vater‘ verwendet wird.“
42 S.o. bei den Anmerkungen 15–20.
43 Zum Status emphaticus / ​Status determinatus ’ªbā’ bzw. ’ªbāh vgl. Schelbert, ABBA

Vater, 37.45–47.51.54.183 und s. unten bei Anm. 53 und Anm. 60. Jeremias, Abba, 59 voka-
lisiert den Status emphaticus unter Hinweis auf E. Littmann, Orientalia 21 (1952) 389 ’abā’
bzw. ’abāh. – Für den Status emphaticus ’ªbā’ bzw. ’ªbāh gibt es bislang keinen sicheren mittel-
aramäischen Beleg, für den Status absolutus ‫’( ַאב‬ab „Vater“) nur einen einzigen: 11QTargHi
(11Q10) XXXI 5 (Hi 38,28).
„Abba! Vater!“ 9

2. Der Vokativ πάτερ μου von Mt 26,39.42 ist kein Indiz dafür, daß ’abbā’
bereits in neutestamentlicher Zeit die Form ’abî verdrängt hatte und deshalb
auch in der Bedeutung „mein Vater“ gebraucht wurde.44 – In Mt 26,39.42 gehen
die Worte πάτερ μου auf den Evangelisten Matthäus zurück, der durch sie den
Vokativ ὁ πατήρ der Markusvorlage (Mk 14,36) zwar nicht in grammatisch
genauer Entsprechung, wohl aber sinngemäß zutreffend ersetzt hat. – Gegen
die Annahme, daß ’abî („mein Vater“) in neutestamentlicher Zeit bereits durch
’abbā’ verdrängt war, sprechen Textbefunde aus dem Mittelaramäischen.45 Hier
ist zunächst zu erwähnen, daß ’abî in mehreren Qumrantexten belegt ist,46 dar-
unter in dem um die Zeitenwende (oder etwas früher?) entstandenen Genesis-
Apokryphon als direkte Anrede des irdischen Vaters.47 Als weiterer Textzeuge ist
sodann das in der Kairoer Geniza gefundene Bodleian Fragment a des aramäi-
schen Testamentum Levi zu nennen.48 In ihm heißt es in Worten des Jakobsohns
Levi: „‫ אבא‬segnete mich“ (CTLevi ar Bodl. a, 23 [= L 33,23]).49 Klaus Beyer
liest die unpunktierten Konsonanten als ’abbā’ 50 und übersetzt sie mit „mein
Vater“51. Dagegen spricht jedoch der Kontext, in dem zweimal für „mein Vater“
ein ‫’( אבי‬abî ), d. h. die Form mit Suffix der 1. Person Singular erscheint.52 Man

44
 K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer samt den Inschriften aus Palästina,
dem Testament Levis aus der Kairoer Genisa, der Fastenrolle und den alten talmudischen
Zitaten, Göttingen 1984, 503 s. v. ‫ אב‬ordnet den ἀββά-Beleg Mk 14,36 ohne Begründung den
Formen mit Suffix der 1. Person Singular zu.
45
 Vgl. M. Philonenko, Das Vaterunser. Vom Gebet Jesu zum Gebet der Jünger (UTB
2312), Tübingen 2002, 37; Schattner-Rieser, Das Aramäische zur Zeit Jesu (s. Anm. 4), 110.
46
 1QGenAp ar (1Q20) II 19.24. III 3; 1QTestLevi ar (1Q21) Frgm. 29,1; 4QTobitª ar (4Q196)
Frgm. 2,9 (Tob 1,22). Frgm. 14 I 6 (Tob 6,15). Frgm. 14 II 11 (Tob 7,5); 4QTobitᵇ ar (4Q197)
Frgm. 4 II 10 (Tob 6,15). Frgm. 4 III 8 (Tob 7,5); 4QTestLeviᵇ ar (4Q213a) Frgm. 1 II 12;
4QTestLeviᶜ ar (4Q213b) 4; 4QTestQahat ar (4Q542) Frgm. 1 II 11; 4QVisions of Amramᵈ ar
(4Q546) Frgm. 2,3; 6QEnGiants ar (6Q8) Frgm. 1,4. – S. neben den Texten aus Qumran auch
die Belege aus dem nabatäischen Schuldvertrag pap5/6ḤevA nab, recto, Frgm. 1,6.7. Frgm. 3,1
(J. A.  Fitzmyer / ​D. J.  Harrington, A Manual of Palestinian Aramaic Texts [BibOr 34],
Rom 1978, 164.166).
47
 1QGenAp ar (1Q20) II 24: Metusalah wendet sich mit den Worten „o mein Vater (jā’ ’abî )
und o mein Herr (jā’ marî )!“ an seinen Vater Henoch.
48
 Der Text der etwa aus dem 10. Jahrhundert n. Chr. stammenden Handschrift gehört zu
dem aramäischen Testament Levis aus Qumran (1Q21; 4Q213–4Q214; 4Q540–4Q541), das um
150–100 v. Chr. zu datieren ist.
49
 Den Text bieten R. H. Charles, The Greek Versions of the Testaments of the Twelve
Patriarchs, Oxford bzw. Darmstadt ²1960, 246; Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer
(s. Anm. 44), 196. Der engere Kontext (= Zeilen 21–23) sei in Übersetzung mitgeteilt: „Und ich
segnete meinen Vater (‫ )אבי‬zu seinen Lebzeiten, und ich segnete meine Brüder. Danach seg-
neten sie (sc. meine Brüder) alle mich, und auch ‫ אבא‬segnete mich.“
50
 Beyer, ebd., 503 s. v. ‫אב‬.
51
 Beyer, ebd., 197.
52 CTLevi ar Bodl. a, 14 (= L 33,14) und 21 (= L 33,21). Zu ‫ אבי‬s. ferner Bodl. c, 12 (Charles,

248 [= L 35,12]) und Cambr. a, 18 (Charles, 245 [= L 21,18]).


10 „Abba! Vater!“

wird deshalb in dem ‫ אבא‬von Zeile 23 den Status emphaticus ’ªbā’ zu erblicken
haben,53 der mit „der Vater“ zu übersetzen ist.54
3. Wenn nach Röm 8,15 und Gal 4,6 eine Mehrzahl von Personen Gott als
’abbā’ anruft, so ist das kein Indiz dafür, daß das Wort grammatisch auch die
Bedeutung „unser Vater“ hatte und dementsprechend als Vokativ „unser Vater!“
verwendet werden konnte.55 – Für sich genommen belegen die beiden Paulus-
texte für das aramäische ’abbā’ ebensowenig die Bedeutung „unser Vater“, wie
sie dies für das griechische ὁ πατήρ tun. Einen Beleg liefert auch nicht die Vater-
unser-Anrede πάτερ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς Mt 6,9b; denn diese Fassung der
Anrede stellt gegenüber dem πάτερ von Lk 11,2b eine sekundäre Erweiterung
dar,56 so daß die Worte πάτερ ἡμῶν mit Sicherheit nicht als die direkte Über-
setzung eines aramäischen ’abbā’ angesehen werden können. – Zum Mittel-
aramäischen ist darauf hinzuweisen, daß die Formen mit Suffix der 1. Person
Plural (‫’[ אבונא‬ªbûnā’ ] / ​‫’[ אבונה‬ªbûnāh]) keineswegs verschwunden sind.57 Von
daher ist über zwei Ossuar-Inschriften aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. zu urteilen,
in denen Beyer ‫ אבא‬als ’abbā’ bzw. ‫ אבה‬als ’abbāh liest58 und jeweils mit „unser
Vater“ übersetzt59. Da die erstgenannte Inschrift sogleich in der folgenden Zeile
für „unser Vater“ das übliche ‫’( אבונה‬ªbûnāh), also die Form der 1. Person Plural
aufweist (yJE 12b), vermag Beyers Lesung und Übersetzung nicht zu über-

53
 So bemerkt auch Schelbert, ABBA Vater, 45, daß ‫ אבא‬an unserer Stelle „ohne jede
Schwierigkeit als normaler status emphaticus ,der Vater‘ verstanden werden“ kann und „kein
Grund“ vorliegt, „‫ אבא‬im unpunktierten Text als Sonderform ‫ אבא‬/ ​abba zu lesen“. Entspre-
chend übersetzt er (ebd.): „auch der Vater / ​‫ אבא‬/ ​’ ªva segnete mich“. (Im Widerspruch dazu
hat Schelbert, ebd., 43 das ‫ אבא‬von CTLevi Bodl. a, 23 [im Rahmen einer etwas seltsamen
Textdarbietung] zweimal mit „mein Vater“ wiedergegeben, beim erstenmal mit der fehlerhaften
Stellenangabe „Z. 13“). Als Alternative zu der Lesung ’ªva erwägt Schelbert die Möglichkeit,
daß in CTLevi Bodl. a, 23 der Sprachgebrauch eines Abschreibers aus späterer Zeit vorliegt.
So versteht auch Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer (s. Anm. 44), 189 Anm. 1
den Text.
54
 So außer Schelbert (s. Anm. 53) auch J. Becker, Die Testamente der zwölf Patriarchen
(JSHRZ III/1), Gütersloh 1974, 142. S. ferner die Wiedergabe mit „father“ bei R. H. Charles,
The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament II: Pseudepigrapha, Oxford 1913
= 1964, 364 (col. a, 10); F. García Martínez / ​E. J. C. Tigchelaar, The Dead Sea Scrolls.
Study Edition I, Leiden – Boston – Köln bzw. Grand Rapids, MI – Cambridge, U. K. 1997, 51.
55 Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer (s. Anm. 44), 503 s. v. ‫ אב‬ordnet die

beiden ἀββά-Belege Röm 8,15 und Gal 4,6 den Formen mit Suffix der 1. Person Plural zu –
wieder ohne Begründung.
56
 S.o. Anm. 36.
57
 Ich notiere die folgenden Belege: ‫אבונא‬: 4QTobitᵇ ar (4Q197) Frgm. 4 I 17 (Tob 6,11);
CTLevi ar Bodl. b, 4 (= L 34,4); ‫אבונה‬: CTLevi ar Bodl. b, 3 (= L 34,3); Ossuar-Inschriften yJE
3,1 und yJE 12b bei Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer (s. Anm. 44), 340 f. – In
CTLevi ar Bodl. b, 3 (= L 34,3) erscheint für „unser Vater“ die jüngere Form ‫’( אבונן‬ªbûnán).
Vgl. Schelbert, ABBA Vater, 46.52f.67.
58
 Beyer, ebd., 503 s. v. ‫אב‬.
59
 Beyer, ebd., 341 (yJE 12a) und 342 (yJE 16c, 2).
„Abba! Vater!“ 11

zeugen. Auch in den beiden Inschriften ist der Status emphaticus ‫’( ֲא ָבא‬ªbā’ )
bzw. ‫’( ֲא ָבה‬ªbāh) zu lesen und deshalb mit „der Vater“ zu übersetzen.60
Als Ergebnis kann an dieser Stelle festgehalten werden, daß weder das Neue
Testament noch auch mittelaramäische Dokumente eine Basis für die These
bieten, daß ’abbā’ im 1. Jahrhundert n. Chr. in den Bedeutungen „der Vater“,
„mein Vater“ und „unser Vater“ verwendet wurde.61 Wir haben für das 1. Jahr-
hundert bislang als eindeutige Belege nur die drei neutestamentlichen Texte, und
diese erlauben für ’abbā’ einzig und allein die grammatische Bestimmung als
Vokativ mit der Übersetzung „Vater!“.

III

Zahlreiche Belege für ’abbā’ finden sich in den Targumen und in der rabbi-
nischen Literatur.62 Da es sich hier durchweg um Traditionsliteratur handelt, ist
die Datierung einzelner Überlieferungen vielfach mit Schwierigkeiten belastet
und in der Forschung entsprechend umstritten. Nach meinem Verständnis doku-
mentieren die ältesten Schriften – Targum Onqelos zum Pentateuch und Targum
Jonathan zu den Propheten sowie unter den rabbinischen Werken die Mischna,
die Tosephta und die halachischen Midraschim – einen Gebrauch von ’abbā’, der
sich im 2./3. Jahrhundert n. Chr. und also in der Zeit des Übergangs vom Mittel-
aramäischen zum Spätaramäischen herausgebildet hat und der dann auch in den
späteren Targumen und rabbinischen Schriften erhalten geblieben ist.
Der Sprachgebrauch von ’abbā’, wie ihn die aramäischen Texte aufweisen,
kann knapp folgendermaßen beschrieben werden: a) ’abbā’ ist Vokativ mit der
Bedeutung „Vater!“ und wird als Anrede des Vaters nicht nur von Kindern63,
sondern in gleicher Weise auch von erwachsenen Söhnen und Töchtern64 ver-
wendet. Die Auffassung, daß ’abbā’ „seinem Ursprung nach eine reine Lallform“

60
 Vgl. Fitzmyer / ​Harrington, A Manual of Palestinian Aramaic Texts (s. Anm. 46), 175
Nr. 95a (= yJE 12a bei Beyer) und 183 Nr. 145c, 2 (= yJE 16c bei Beyer).
61
 Was gesagt werden kann, ist einzig dies : Der Vokativ ’abbā’ entspricht im Munde eines
Einzelnen sachlich-inhaltlich (!) einem Vokativ „mein Vater!“ und im Munde Mehrerer sach-
lich-inhaltlich (!) einem Vokativ „unser Vater!“. Sinngemäß (!) und in freier (!) Wiedergabe
könnte der Vokativ ’abbā’ deshalb auch durch das mit dem Personalpronomen verbundene
Nomen zum Ausdruck gebracht werden.
62
 S. die Textdarbietung bei Schelbert, ABBA Vater, 71–296.
63 TargJon Jes 8,4; jJoma VI 43d,26. Vgl. auch bTa‛an 23b (Zeile 37): die Schulkinder zu

Rabbi Chanin Hanechba (s. u. bei Anm. 91).


64
 TargN / ​TargOnq Gen 22,7; 27,18.34.38; TargPsJon Gen 22,7; 27,18.34; Geniza-Fragment D
Gen 48,18 (P. Kahle, Masoreten des Westens II, Stuttgart 1930, 23); TargJon Ri 11,36; bTa‛an
23b (Zeile 46); jSanh VI 23b,66; jPea I 15c,60 par. jQid I 61b,44; GenR 11,6 zu 2,3; 26,7 zu 6,1;
LevR 25,1 zu 19,23.
12 „Abba! Vater!“

war,65 läßt sich aus den Texten nicht überzeugend begründen.66 – b) ’abbā’ wird
stets für „mein Vater“ verwendet und hat somit in Aussagen wie in der An-
rede die noch im Mittelaramäischen gebrauchte Form mit Suffix der 1. Person
Singular ’abî  67 gänzlich verdrängt.68  – c) ’abbā’ ist die allein gebräuchliche
Form für den Status emphaticus „der Vater“69 und also gänzlich an die Stelle
des ursprünglichen Status emphaticus ’ªbā’ getreten. – d) ’abbā’ hat weder in
Aussagen noch in Anreden die Bedeutung „unser Vater“, sondern die Formen
mit Suffix der 1. Person Plural (’ªbûnā’ / ​’ ªbûnāh sowie das jüngere ’ªbûnán) sind
in den Texten voll erhalten.70
In Ergänzung zu der soeben gebotenen Übersicht ist als ein erstaunliches
Phänomen zu erwähnen, daß das aramäische Wort ’abbā’ auch Eingang in die
hebräischen Texte der rabbinischen Literatur gefunden hat. Es ist dort zwar
nicht gänzlich, aber doch weithin in der Aussage wie in der Anrede an die Stelle
der hebräischen Form mit Suffix der 1. Person Singular (’ābî „mein Vater“) ge-
treten.71 Auch hier wird ’abbā’ keineswegs nur von Kindern72, sondern ebenso
von erwachsenen Söhnen und Töchtern73 verwendet.
Angesichts der erheblichen Bedeutungs- und Verwendungsbreite, wie sie
in den jüdischen Quellen vom 2./3. Jahrhundert an für ’abbā’ greifbar wird,

65
 So Jeremias, Abba, 59 (im Anschluß an Th. Nöldeke, in: F. Schulthess / ​E.  Litt-
mann, Grammatik des christlich-palästinischen Aramäisch, Tübingen 1924, 156 [„reines Lall-
wort“]); vgl. Ders., Neutestamentliche Theologie I (s. Anm. 3), 72. Ebenso z. B. Hofius, ἀββά
(s. Anm. 6), 1721.
66
 Das Wort sollte nicht mit Anreden wie „Papa“, „Papi“, „Vati“ oder „Väterchen“ (bzw.
„daddy“ oder „dad“) verglichen und auch nicht so wiedergeben werden.
67
 S.o. Anm. 46 und 47.
68
 Die einzige mir bekannte Ausnahme ist TargEsth II 1,1 nach der mit supralinearer Punk-
tation versehenen Textdarbietung des MS Or. 2375 des Britischen Museums (A. Sperber,
The Bible in Aramaic, Vol. 4 A: The Hagiographa, Leiden 1968, 171, Zeile 12 v.u.). Die erste
Biblia Rabbinica (Venedig 1516/17) bietet dagegen – dem sonstigen Befund in TargEsth II ent-
sprechend – ’b’ = ’abbā’ (s. P. de Lagarde, Hagiographa chaldaice, Leipzig 1873 = Osnabrück
1967, 223, Zeile 27).
69
 In den Targumen steht ’abbā’ auch da, wo in der hebräischen Vorlage der Status absolutus
’āb erscheint und wir im Deutschen „ein Vater“ sagen. S. dazu z. B. TargOnq Gen 44,19 f.; Num
30,17; TargJon Ez 22,7; TargPs 103,13; TargHi 31,18; TargSpr 3,12.
70
 Vgl. Schelbert, ABBA Vater, 87–89.92.94.103.105 f.108.119 f.203.215.270 u. a. Die bei
Rüger, Aramäisch II (s. Anm. 41), 602 f. für ’abbā’ = „unser Vater“ angeführten Stellen belegen
diese Bedeutung nicht.
71 Als Belege für die weitere Verwendung von ’ābî in hebräischen Texten, bei denen es sich

weder um Schriftzitate noch auch um unter dem Einfluß von Schriftzitaten stehende Aussagen
handelt, seien genannt: a) als Anrede: bMak 24a; Tanch Dtn, w’tḥnn § 6; TanchB Dtn, w’tḥnn
§ 5; ExR 46,3 zu 34,1; PirqeREl 31. – b) in Aussagen: MekhEx zu 13,19 und zu 20,6; SifraLev,
qdwšjm paraša III 11 zu 20,26 (93d Weiss); KlglR Peticha 24.
72
 bBer 40a par. bSanh 70b; bTa‛an 23a.
73
 ‛Ed 5,7; TosPea 3,8; SifreDtn § 316 zu 32,13; § 347 zu 33,6; MidrTann zu Dtn 24,19;
AbotRN (A) 8; AbotRN (B) 13.19.27; jPea VII 20b,24; bSoṭa 12a; bQid 32a.70a; b‛AZ 18a;
GenR 26,7 zu 6,1; HhldR 2,30 zu 2,14 u. a.
„Abba! Vater!“ 13

stellt sich die Frage, ob es in ihnen überzeugende Hinweise oder zumindest


bedenkenswerte Indizien dafür gibt, daß dieser Sprachgebrauch bereits für das
Aramäische der Zeit Jesu bzw. für das erste nachchristliche Jahrhundert voraus-
gesetzt werden kann. Daß das Neue Testament keinerlei Anhaltspunkte dafür
bietet und Befunde des Mittelaramäischen sogar dagegen sprechen, wurde be-
reits gesagt.74 Jetzt kann hinzugefügt werden, daß auch die späteren Quellen
nicht zu einer anderen Sicht nötigen oder eine solche irgendwie nahelegen.
Anderslautende Urteile erweisen sich, wie exemplarisch an zwei Argumenta-
tionen aufgezeigt werden soll, als nicht hinreichend begründet. Nach Jeremias
hatte ’abbā’ im palästinischen Aramäisch der Zeit Jesu das ältere ’abî („mein
Vater“) bereits radikal verdrängt. Für diese Sicht stützt er sich darauf, daß in der
rabbinischen Literatur Aussprüche von Rabbinen des 1. Jahrhunderts v. Chr. und
des 1. Jahrhunderts n. Chr. überliefert werden, in denen sich ein entsprechender
Gebrauch von ’abbā’ findet.75 In Wirklichkeit sind diese Texte jedoch für die
Zeit jener Rabbinen ohne wirkliche Beweiskraft, weil sie den Sprachgebrauch
der Zeit repräsentieren dürften, in der die Tradenten Worte der früheren Lehrer
überliefert haben. Auch Schelbert behauptet für das umgangssprachliche Ara-
mäisch des 1. Jahrhunderts n. Chr., daß die Suffixform der 1. Person Singular
’abî durch ’abbā’ verdrängt war,76 und er gibt dafür die folgende Begründung:
Da der Sprachgebrauch der späteren aramäischen und hebräischen literarischen
Texte im 1. Jahrhundert „bereits in Inschriften verwendet“ werde, müsse er
„schon eine längere Tradition in der lebendigen gesprochenen Sprache hinter
sich haben und bereits das Niveau eines für Inschriften verwendbaren Sprach-
gebrauchs gewonnen haben“.77 „In der lebendigen Sprache“ müsse ’abbā’ also
„schon lange normale Form für ‚der Vater‘ bzw. ‚mein Vater‘ gewesen sein“.78
In Wirklichkeit sind die wenigen Inschriften des 1. und 2. Jahrhunderts, die
hier in Betracht kommen,79 zur Begründung gänzlich ungeeignet, weil sie nur
äußerst bruchstückhaft erhalten sind und die Lesung von ‫ אבא‬als ’abbā’ bzw.
von ‫ אבה‬als ’abbāh in keinem einzigen Fall gesichert ist.80 Der Behauptung
Schelberts, daß ’abbā’ „in der gesprochenen Sprache der jüdisch-aramäischen
Sprachgemeinschaft seit der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts“ allgemein als

74
 S.o. Teil II des Aufsatzes.
75
 Jeremias, Abba, 60 f. mit den Anmerkungen 32 und 39. Vgl. den Hinweis auf „‫ אבא‬bei
Lehrern vor 70 nach Christus“ bei Schelbert, ABBA Vater, 189 f.
76
 Schelbert, ebd., 64.69 f.124.188.
77
 Schelbert, ebd., 70 (im Kontext 69 f.); vgl. auch 123 f.188.190–192.381.
78
 Schelbert, ebd., 70.
79
 Zu den vier Inschriften s. Schelbert, ebd., 52 f. (unter 3.2.1). 66 (unter 3.3.2). 68 (unter
3.5.2). Inschriften, in denen Abba Eigenname ist, scheiden a priori als nicht aussagekräftig aus.
80
 S. exemplarisch das oben bei den Anmerkungen 58–60 Gesagte.
14 „Abba! Vater!“

Bezeichnung und Anrede für den irdischen Vater gebraucht wurde,81 ist damit
der Boden entzogen.82
Da weder die neutestamentlichen ἀββά-Belege noch die mittelaramäischen
Dokumente noch auch die späteren jüdischen Quellen eine tragfähige Basis
für die Auffassung bieten, daß ’abbā’ bereits im palästinischen Aramäisch des
1. Jahrhunderts n. Chr. die Bedeutungen „der Vater“ und „mein Vater“ hatte, kann
für diese Zeit einzig und allein die im Neuen Testament greifbare Verwendung
als Vokativ „Vater!“ als belegt gelten. Von den jüdischen Quellen her läßt sich
deshalb kein Einwand erheben, wenn man das Wort ’abbā’ nicht für einen ur-
sprünglichen Status emphaticus hält, der auch als Vokativ verwendet wurde,
sondern umgekehrt in ihm einen ursprünglichen Vokativ erblickt, der in der Zeit
des Übergangs vom Mittelaramäischen zum Spätaramäischen die Funktion des
Status emphaticus übernommen hat.83 Da der Gebrauch von ’abî „mein Vater“
in Aussage und Anrede noch für das Mittelaramäische belegt ist, liegt ferner die
Annahme nahe, daß ’abbā’ eine Sonderform des Vokativs darstellt und daß das
Wort – in Entsprechung zu der Anrede der Mutter mit dem Vokativ ’immā’ – eine
im Raum der Familie beheimatete Form der Anrede des Vaters war. Eine Be-
stimmung als kindliches „Lallwort“ ist damit nicht impliziert, und Begriffe wie
Kindlichkeit oder Zärtlichkeit müssen keineswegs eo ipso im Blick auf seine
Verwendung assoziiert werden.84 Zu denken ist vielmehr an die Verbindung von
Vertrauen und Respekt, Gehorsam und Geborgenheit.

81
 Schelbert, ebd., 64. Ich zitiere den ganzen Zusammenhang, in dem Schelbert über die
Bedeutung der neutestamentlichen ἀββά-Belege für „die Geschichte des Sprachgebrauchs“ von
’abbā’ sagt: „Die neutestamentlichen Belege der Anrede und Bezeichnung Gottes als Abba / ​
Vater setzen den allgemeinen Gebrauch der Bezeichnung und Anrede mit ‫ אבא‬/ ​Vater zunächst
für den irdischen Vater in der gesprochenen Sprache der jüdisch-aramäischen Sprachgemein-
schaft seit der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts voraus. Sie ist selbstverständliche sprachliche
Grundlage für eine Übertragung auf Gott durch Jesus, Paulus und Glieder christlicher Ge-
meinden.“
82 Für Jesus und die urchristliche Gemeinde läßt sich nicht nachweisen, was Schelbert

mehrfach für die späteren jüdischen Texte zu Recht betont: Dem aramäisch Sprechenden, der
Gott als Vater anreden wollte, „stand nur mehr ‫ אבא‬zur Verfügung.“ So Schelbert, ebd., 381;
ähnlich 113 f.123.193.
83 Der in der Forschung verbreiteten These, daß ’abbā’ hinsichtlich seines Ursprungs als ein

Status emphaticus zu bestimmen ist, hat Jeremias, Abba, 59 zu Recht widersprochen.


84 Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer (s. Anm. 44), 503 s. v. ‫ אב‬bezeichnet

’abbā’ als eine „Anrufs- und Zärtlichkeitsform“ (s. auch ebd., 445). Vgl. F. W. Danker, A
Greek-English Lexicon of the New Testament and other Early Christian Literature (BDAG),
Chicago – London ³2000, 1.b s. v. ἀββα: „vocative form, orig. a term of endearment“. Die Be-
stimmung als „Zärtlichkeitsform“ bleibt hypothetisch.
„Abba! Vater!“ 15

IV

In der Fülle der in den Targumen und in der rabbinischen Literatur enthaltenen
’abbā’-Belege sind insgesamt fünf Texte zu verzeichnen, in denen das Wort
in direkter oder indirekter Weise auf Gott bezogen ist.85 Es sind dies die fol-
genden Zeugnisse: 1. TargJon Mal 2,10a: Der Prophet formuliert die Doppel-
frage: „Haben wir nicht alle einen Vater (’abbā’ ḥad )? Hat nicht ein Gott uns
geschaffen?“ – 2. TargPs 89,27: In einem Gottesspruch über den König Israels
heißt es: „Er wird zu mir rufen: ,Mein Vater bist du (’abbā’ ’att), mein Gott und
die Kraft meiner Erlösung.‘“  – 3. TargHi 34,36a: Im Unterschied zur Biblia
Rabbinica86 bieten verschiedene Handschriften den Text: „Ich wünsche, daß der
Vater im Himmel87 (’abbā’ dᵉbišmajjā’ ) Hiob für immer prüfen möge.“88 Daß
diese Fassung des Wortes als Urtext nicht in Frage komme,89 läßt sich nicht mit
Sicherheit sagen.90 – 4. bTa‛an 23b: Über R. Chanin Hanechba (1. Hälfte des
1. Jahrhunderts n. Chr.) wird berichtet: „Wenn die Welt des Regens bedurfte,
pflegten unsere Lehrer Schulkinder zu ihm zu schicken, die den Saum seines
Mantels erfaßten und zu ihm sagten: ,Vater, Vater (’abbā’ ’abbā’ ), gib uns
Regen!‘ Er sprach vor ihm (sc. vor Gott): ,Herr der Welt, tu es um dieser willen,
die nicht unterscheiden können zwischen dem Vater (’abbā’ ), der Regen gibt,
und dem Vater (’abbā’ ), der keinen Regen gibt.‘“91  – 5. LevR 32,1 zu 24,10:
R. Nechemja (um 150 n. Chr.) läßt den toratreuen Juden auf die Frage, warum
er von den Gottlosen gegeißelt werde, die Antwort geben: „Weil ich den Willen
meines Vaters im Himmel (’abbā’ šäbbaššāmajim92) getan habe.“93

85
 Vgl. Rüger, Aramäisch II (s. Anm. 41), 603. Rüger führt zusätzlich zu den fünf Belegen
auch aus bTa‛an 23a das Wort des R. Schim‛on b. Schatach (um 90 v. Chr.) an, daß Gott Choni
dem Kreiszieher seinen Willen tue wie ein Vater seinem Sohn, der zu ihm sagt: „Vater (’abbā’ ),
laß mich warm baden, übergieß mich mit kaltem Wasser, gib mir Nüsse, Mandeln, Pfirsiche und
Granatäpfel.“ Daß ’abbā’ durch diesen bloßen Vergleich in indirekter Weise auf Gott bezogen
sei, vermag ich nicht zu sehen. Zur Datierung der Tradition gilt das oben im Zusammenhang
mit Anm. 75 Gesagte.
86 „Ich wünsche, daß Hiob für immer geprüft werde“: ‫מקראות גדולות‬, Bd. 10, Tel Aviv 1963,

40b.41a; Lagarde, Hagiographa chaldaice (s. Anm. 68), 111, Zeile 19 f.


87
 Oder: „mein Vater im Himmel“.
88  D. M.  Stec, The Text of the Targum of Job. An Introduction and Critical Edition (AGJU

20), Leiden – New York – Köln 1994, 241*.


89
 So Jeremias, Kennzeichen der ipsissima vox Jesu (s. Anm. 3), 146.
90
 S. dazu Schelbert, ABBA Vater, 115. Schelbert, ebd., 113 kennzeichnet TargHi 34,36
zu Unrecht als eine „Quasi-Anrede“. Zutreffend sind dagegen die Urteile, daß ’abbā’ an dieser
Stelle „in Aussage“ erscheint (ebd., 112) und daß es „Subjekt eines Wunschsatzes“ (ebd.,
91.115.122.381.387) und „Bezeichnung Gottes“ (ebd., 379) sei.
91 Die Erzählung steht in den Zeilen 36–38. Zur Datierung der Tradition s. o. das im Zu-

sammenhang mit Anm. 75 Gesagte.


92
 Zum textkritischen Befund s. Schelbert, ABBA Vater, 227 f. Rüger, Aramäisch II (s.
Anm. 41), 603 liest ’abbā’ dᵉbišmajjā’.
93
 Weil der Satz in der Parallele MekhEx zu 20,6 fehlt, sieht Jeremias, Kennzeichen der
16 „Abba! Vater!“

In voller Kenntnis der fünf mitgeteilten Texte hat Jeremias geurteilt, daß sich
in der umfangreichen Literatur des antiken Judentums nirgendwo ein Beleg
für die Gottesanrede ’abbā’ findet.94 Philologisch korrekt setzt Jeremias dabei
voraus, daß syntaktisch zwischen einer Bezeichnung Gottes als ’abbā’ und einer
Anrede Gottes als ’abbā’ präzise unterschieden werden muß.95 Wenn sein Ur-
teil in neueren Arbeiten kritisiert bzw. relativiert wird, so ist das allemal mit
einer unscharfen Bestimmung und Verwendung des Begriffs „Anrede“ ver-
bunden.96 Die gleiche Unschärfe zeigt sich in jenen Arbeiten dann nicht zu-
fällig auch hinsichtlich der Verwendung des hebräischen Wortes ’āb und des
griechischen Wortes πατήρ.97 Da sprachliche und gedankliche Klarheit jedoch
für die Exegese unverzichtbar sein dürfte, seien – in strenger Konzentration auf
den syntaktischen Gebrauch von Substantiven – einige Hinweise zur Bestim-
mung des Begriffs „Anrede“ gegeben. Ein Substantiv ist in einer mündlichen
oder schriftlichen Äußerung dann und nur dann Anrede, wenn es im Vokativ
als dem grammatischen Anrede-Kasus steht. Für die Identifizierung einer Sub-
stantiv-Form als Vokativ aber gibt es ein eindeutiges Kriterium: Ein Vokativ
bildet innerhalb einer sprachlichen Äußerung ein selbständiges Element, das
außerhalb des sonstigen Satzzusammenhangs steht; er ist syntaktisch nicht mit
den anderen Satzgliedern verbunden oder von einem dieser anderen Satzglieder
abhängig.98 In allen jenen Fällen, in denen ein Substantiv nicht im Vokativ steht,
sondern fest in einem Satzgefüge verankert ist, kann es prinzipiell nicht als An-
rede bestimmt werden. Das gilt etwa dann, wenn es in einem Nominalsatz Sub-
jekt oder Prädikatsnomen (Gleichsetzungsnominativ) und in einem Verbalsatz
Subjekt oder Prädikatsadjunkt (Subjektsergänzung als erweiternde Bestimmung
eines Vollverbs) ist.99 Wenden wir das Gesagte auf das Wort ’abbā’ an, so kann
dieses in einem Satz nur dann Anrede Gottes sein, wenn ein Vokativ vorliegt.100

ipsissima vox Jesu (s. Anm. 3), 147 in ihm einen späteren Zusatz zum Text der Überlieferung.
Zwingend ist das nicht.
 94
 So z. B. Jeremias, Abba, 59; Ders., Neutestamentliche Theologie I (s. Anm. 3), 70 f.
 95
 Vgl. die Unterscheidung zwischen „Vater“ als Bezeichnung Gottes und „Vater“ als Anrede
Gottes bei P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I: Das
Evangelium nach Matthäus, München 1922 = ²1956, 392–396.
 96
 Eine unscharfe Verwendung der Begriffe „Anrede“ und „Bezeichnung“ ist vor allem für
die Monographie Schelberts kennzeichnend.
 97 S.u. Anm. 101.
 98
 Zur grammatisch-syntaktischen Bestimmung des Vokativs s. exemplarisch R. Kühner  / ​
B. Gerth, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache II: Satzlehre, Bd. 1, Hannover –
Leipzig ³1898 = Hannover 1976, 47 (§ 357,1); S. Segert, Altaramäische Grammatik, Leipzig
²1983, 418 (7.2.8.1). Zum Deutschen, in dem stets der Nominativ als Vokativ verwendet wird,
s. bei G. Drosdowski u. a., Grammatik der deutschen Gegenwartssprache (Duden 4), Mann-
heim – Wien – Zürich ⁴1984, § 1044 die Definition zum Anredenominativ.
 99
 Das Substantiv wird in diesen Fällen nicht dadurch zu einer Anrede, daß der Nominal-
oder Verbalsatz an eine Person gerichtet ist.
100 Entsprechend sind auch die im Hebräischen und im Griechischen gebräuchlichen Aus-

drücke für „Vater“, „mein Vater“ und „unser Vater“ nur da Anrede Gottes, wo sie im Vokativ
„Abba! Vater!“ 17

Ist dies nicht der Fall, so ist die Bestimmung als Anrede unzutreffend, und das
gilt auch dann, wenn es sich bei dem entsprechenden Satz um ein unmittelbar
an Gott gerichtetes Wort handelt.101 Damit ist über jenen Text entschieden, in
dem Schelbert102 und andere Exegeten103 einen Beleg für die ’abbā’-Anrede
Gottes finden – nämlich über den Gottesspruch TargPs 89,27.104 Wenn es dort
von dem König Israels heißt: „Er wird zu mir rufen: ,Mein Vater bist du, mein
Gott und die Kraft meiner Erlösung‘“, dann ist der syntaktische Befund evident:
Die aramäischen Worte ‫’( ַא ָבּא ַא ְתּ‬abbā’ ’att [„mein Vater bist du“]) sind eine
wörtliche Übersetzung der hebräischen Vorlage ‫’( ָא ִבי ַא ָתּה‬ābî ’attāh) von Ps
89,27a105 und ebenso wie diese ein reiner Nominalsatz.106 Dementsprechend
handelt es sich sowohl bei dem hebräischen ’ābî wie auch bei dem aramäischen
’abbā’ nicht um einen Vokativ, sondern um einen Gleichsetzungsnominativ, d. h.
um ein Prädikatsnomen.107 In den an Gott gerichteten Aussagesätzen ’ābî ’attāh
und ’abbā’ ’att (V. 27a) ist „mein Vater“ – nicht anders als die Fortsetzung „mein
Gott und der Fels meiner Rettung“ (Ps 89,27b) bzw. „mein Gott und die Kraft
meiner Erlösung“ (TargPs 89,27b) – eine Bezeichnung dessen, der angeredet

stehen. Das gilt z. B. für ’ābî Jer 3,4.19; 4Q372 Frgm. 1,16; 4Q460 Frgm. 9 I 6 (alte Zählung:
Frgm. 5 I 5); ’ābînû in Synagogengebeten (s. Jeremias, Abba, 28–30; auch TargEsth II 4,16);
πάτερ 3 Makk 6,3.8; Sir 23,1.4; Sap 14,3; ApokrEz Frgm. 3 (1 Klem 8,3).
101 Auch dies gilt analog für die Verwendung der Ausdrücke „Vater“, „mein Vater“ und

„unser Vater“ in anderen Sprachen. Zu Unrecht werden deshalb in der Literatur als Belege
für die Vater-Anrede Gottes die folgenden Stellen genannt: a) aus der Hebräischen Bibel 1 Chr
29,10; Jes 63,16; 64,7; Jer 2,27; Mal 2,10; Ps 89,27; Hi 17,4; 34,36 (hier ist ’ābî Interjektion);
b) aus der Septuaginta 1 Chr 29,10; 3 Makk 5,7; Tob 13,4; Sir 51,10; Jes 63,16; 64,7; Jer 2,27;
3,4.19; c) hebrSir 51,1.10.
102
 Schelbert, ABBA Vater, 90.112–114.121.379.387.
103
 So z. B. Philonenko, Das Vaterunser (s. Anm. 45), 38–43.
104
 Philonenko, ebd., 38 erwägt sogar, daß TargPs 89,27 „der Ursprung der Anrede abba
im ,Gebet Jesu‘ sein könnte“ (vgl. 39: daß Jesus sich in seiner ’abbā’-Anrede „die Formel aus
Ps 89,27 zu eigen gemacht hat“). Zu dieser Vermutung, an die sich ebd., 39–43 eine Kette wei-
terer Vermutungen anschließt, genügt es, auf das Problem der Datierung des Psalmen-Targums
hinzuweisen; s. D. M. Stec, The Targum of Psalms (The Aramaic Bible 16), London – New
York 2004, 2: „A very tentative suggestion would be fourth to sixth century C. E., but this is
little more than guesswork.“
105
 Daß ’ābî hier Anrede sei, behaupten z. B. Schelbert, ABBA Vater, 50.91.113 f.121.381.387;
Zimmermann, Die Namen des Vaters (s. Anm. 4), 50; Schattner-Rieser, Das Aramäische
zur Zeit Jesu (s. Anm. 4), 101; Frey, Das Vaterunser im Horizont antik-jüdischen Betens (s.
Anm. 4), 14.
106
 K. Seybold, Die Psalmen (HAT I/15), Tübingen 1966, 347 übersetzt im Unterschied zu
den sonstigen mir greifbaren Psalmen-Kommentaren: „Er wird mich rufen: Du, mein Vater,
mein Gott und der Fels meines Heils!“ Gegen diese Übersetzung, die „mein Vater“ als Vokativ
versteht, sprechen bereits die in der folgenden Anmerkung notierten Parallelen. Sie würde vor
allem aber eine andere Wortstellung erfordern: ’attāh müßte am Anfang des Satzes stehen! Für
diese Auskunft danke ich meinem Kollegen Heinz-Dieter Neef.
107
 Zur syntaktisch gleichen Struktur s. etwa ’ābî ’attāh („mein Vater bist du“) Jer 2,27; Hi
17,14; hebrSir 51,10; ’ābînû ’attāh („unser Vater bist du“) Jes 64,7; ’abbā’ ’ant („mein Vater bist
du“) TargHi 17,14; ’ªbûnā’ ’att („unser Vater bist du“) TargJon Jer 2,27.
18 „Abba! Vater!“

wird, nicht aber eine Anrede.108 Wenn Schelbert des öfteren sowohl im Blick
auf das ’ābî des hebräischen Psalmverses wie auch im Blick auf das ’abbā’ der
aramäischen Übersetzung von einer „Quasi-Anrede“ spricht,109 dann ist das
philologisch ebensowenig überzeugend wie die Behauptung, daß der Satz „mein
Vater bist du“ in TargPs 89,27 „zwar syntaktisch Aussage“, aber „praktisch“ eine
Stelle „mit ‫ אבא‬als Anrede“ sei.110
Daß in den Targumen und in der rabbinischen Literatur bislang kein Beleg
für eine Anrede Gottes mit ’abbā’ nachgewiesen worden ist, das kann die Ex-
egese nach wie vor als Textbefund konstatieren.111 Sie kann daraus aber nicht die
Folgerung ziehen, daß es die Anrede Gottes mit ’abbā’ im spätantiken Judentum
nicht gegeben habe bzw. daß sie dort aufgrund des Verständnisses der Gottes-
beziehung nicht möglich gewesen sei. Eine solche Folgerung überschreitet
schlicht die Grenze dessen, was wir aufgrund exegetischer Arbeit wissen und
sagen können. Überschritten wird diese Grenze aber ebenfalls mit der Behaup-
tung, daß die ’abbā’-Anrede Gottes im spätantiken Judentum als selbstver-
ständlich vorausgesetzt werden müsse und daß sie nur zufällig in der Literatur
nicht belegt sei.

Zum Abschluß unserer Betrachtungen sei gefragt, wie die drei neutestament-
lichen ἀββά-Stellen theologisch zu interpretieren sind. Als entscheidend er-
weist sich hier nach meinem Urteil die hermeneutische Erkenntnis, daß ein an-
gemessenes theologisches Verständnis der Texte des Neuen Testaments nur dann
gewonnen werden kann, wenn diese im Kontext des Kanons und damit im Licht
des in ihm dokumentierten apostolischen Christuszeugnisses bedacht werden.112

108 Richtig zu Ps 89,27a Jeremias, Abba, 27; Ders., Neutestamentliche Theologie I (s.

Anm. 3), 69.
109 Zu ’ābî Ps 89,27 s. Schelbert, ABBA Vater, 90.114.381 (vgl. 50: „indirekte Anrede“),

zu ’abbā’ TargPs 89,27 ebd., 90 („[quasi‑]direkte Anrede“).112–114.121 („quasi direkte An-


rede“).379.387.
110
 Schelbert, ebd., 110. Vgl. ebd., 113, wo in der Übersetzung durch die Einklammerung
der Kopula aus den Nominativen ’ābî (Ps 89,27a) und ’abbā’ (TargPs 89,27a) unter der Hand
ein Vokativ wird: „Mein Vater (bist) du. Mein Fels bist du und mein Heil.“
111
 Nur angemerkt sei, daß die Erzählung von bTa‛an 23b (s. o. bei Anm. 91) schwerlich als
ein Beleg für die Gottesanrede ’abbā’ angesehen werden kann. Sie dürfte nämlich nicht auf
die Aussage abzielen, daß die Schulkinder eigentlich Gott als ’abbā’ anrufen müßten. Es geht
vielmehr darum, daß R. Chanin jedesmal, wenn die Kinder ihn um Regen bitten, ihre Bitte auf-
nimmt, um an Gottes väterliches Erbarmen zu appellieren. Daß er selbst dabei Gott ehrerbietig
als „Herr der Welt“ anredet, will beachtet sein.
112
 Für Texte der Evangelien und somit auch für das Wort Mk 14,36 impliziert dies das Nein
zu einer Auslegung im Horizont der Frage nach dem „historischen Jesus“. S. dazu O. Hofius,
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem, in: H. Assel (Hg.), Leiden-
schaft für die Theologie, Leipzig 2012, 79–115 (in dem vorliegenden Band: 229–248). Zur Frage
der Hermeneutik verweise ich auf meinen Aufsatz: Neutestamentliche Exegese in systematisch-
„Abba! Vater!“ 19

Für die drei Stellen ergibt sich dann eine eindeutige Bestimmung ihrer theo-
logischen Aussage. Der Beter, der nach Mk 14,36 im Garten Gethsemane seinen
Vater mit ἀββά anredet, ist eben jener Sohn Gottes, den das Markusevangelium
vom ersten Kapitel an bezeugt und den es den Lesern sowohl in seiner göttlichen
Hoheit wie auch in seiner Niedrigkeit am Kreuz vor Augen stellt. Dieser aber ist
kein anderer als der Sohn Gottes, den Paulus verkündigt und dem den Kontexten
von Röm 8,15 und Gal 4,6 zufolge die an ihn Glaubenden verdanken, daß sie
zu Gott ἀββά rufen dürfen. In der ἀββά-Anrede Jesu kommt so zum Ausdruck,
wer er wesenhaft ist, und in der ἀββά-Anrede der Glaubenden, wer sie durch
ihn geworden sind. Ist damit die Aussage der drei neutestamentlichen Texte
zutreffend bestimmt, dann dürfte es von der Sache her ausgeschlossen sein, die
ἀββά-Anrede Jesu mit den im spätantiken Judentum belegten Gottesanreden zu
vergleichen und aufgrund dieses Vergleichs über das jeweilige Gottesbewußtsein
und Gottesverhältnis zu urteilen. Das apostolische Christuszeugnis und nichts
sonst erschließt, wer Jesus ist, – und damit auch, was es mit seiner ἀββά-Anrede
auf sich hat.

theologischer Verantwortung. Erwägungen zu den Aufgaben einer theologischen Disziplin, in:


O. Hofius, Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 267–281.
Sprachliche Probleme im griechischen Text
des Vaterunsers
Zur Exegese der ersten und dritten Wir-Bitte1

Das Vaterunser, das Jesus selbst seine Jünger gelehrt hat und dem deshalb in
allen christlichen Kirchen eine besondere Dignität zukommt, ist im griechischen
Neuen Testament zweifach überliefert: zum einen im sechsten Kapitel des Mat-
thäusevangeliums (Mt 6,9b–13) und zum andern im elften Kapitel des Lukas-
evangeliums (Lk 11,2b–4).2 Die beiden Texte seien nebeneinandergestellt:3

Mt 6,9b–13 Lk 11,2b–4
Πάτερ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς, Πάτερ,
ἁγιασθήτω τὸ ὄνομά σου· ἁγιασθήτω τὸ ὄνομά σου·
ἐλθέτω ἡ βασιλεία σου· ἐλθέτω ἡ βασιλεία σου·
γενηθήτω τὸ θέλημά σου,
ὡς ἐν οὐρανῷ καὶ ἐπὶ γῆς·
τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον
δὸς ἡμῖν σήμερον· δίδου ἡμῖν τὸ καθ’ ἡμέραν·
καὶ ἄφες ἡμῖν τὰ ὀφειλήματα ἡμῶν, καὶ ἄφες ἡμῖν τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν,
ὡς καὶ ἡμεῖς ἀφήκαμεν καὶ γὰρ αὐτοὶ ἀφίομεν
τοῖς ­ὀφειλέταις ἡμῶν· παντὶ ὀφείλοντι ἡμῖν·
καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν, καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν.
ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ.

Während die zum kirchlichen Gebetstext gewordene Matthäus-Fassung sieben


Bitten enthält,4 weist die Lukas-Fassung nach den ältesten und besten Hand-
schriften des Evangeliums lediglich fünf Bitten auf, und hinsichtlich des ge-
1
 Dem Aufsatz liegt ein Vortrag zugrunde, der am 16. 3. 2​ 019 in Tübingen auf der Tagung der
Dozentinnen und Dozenten für Latinum und Graecum an Hochschulen gehalten wurde.
2 Zur Übergabe des Gebetes durch Jesus s. Mt 6,7–9a; Lk 11,1.2a.
3
 Die Doxologie, die im kirchlichen Gebrauch das Vaterunser abschließt, fehlt bei Lukas
gänzlich und bei Matthäus in den ältesten Handschriften.
4
 Gleiches gilt für die von Mt 6,9b–13 abhängige Vaterunser-Fassung der Didache: Did
8,2b. Die Zählung von sieben Matthäus-Bitten beruht auf dem sprachlichen Befund, daß in
dem Gebet sieben Verbformen zu verzeichnen sind, die eine Bitte artikulieren und so den Text
tragen (ἁγιασθήτω – ἐλθέτω – γενηθήτω – δός – ἄφες – μὴ εἰσενέγκῃς – ῥῦσαι). Im Blick auf die
antithetische Struktur (μὴ […], ἀλλὰ […]), auf die Parallelität der Satzglieder (μὴ εἰσενέγκῃς |
ἡμᾶς | εἰς πειρασμόν par. ἀλλὰ ῥῦσαι | ἡμᾶς | ἀπὸ τοῦ πονηροῦ) und auf die Aussage von Mt
6,13 kann man allerdings mit manchen Auslegern fragen, ob der Vers dem Evangelisten nicht
als eine gedankliche Einheit gilt und deshalb als eine einzige Bitte anzusehen ist.
22 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

meinsamen Textbestandes sind zur Gebetsanrede, zur Brot-Bitte und zur Ver-
gebungs-Bitte jeweils Unterschiede im Wortlaut zu verzeichnen. Nach Aufbau
und syntaktischer Struktur stimmen die beiden Fassungen des Gebetes im
wesentlichen miteinander überein: Auf die Gebetsanrede folgen zunächst bei
Lukas zwei, bei Matthäus drei Du-Bitten, die asyndetisch, d. h. ohne ein „und“
aneinandergefügt sind. An die letzte der Du-Bitten ist sodann ebenfalls asyn-
detisch die Gruppe der Wir-Bitten angeschlossen, innerhalb derer die drei Lukas
und Matthäus gemeinsamen Bitten durch die Kopula καί miteinander verbunden
sind. Die nur bei Matthäus erscheinende vierte Du-Bitte hat ihre Eigentümlich-
keit darin, daß sie durch ein adversatives ἀλλά eingeleitet wird und so in eine
besonders enge Beziehung zu der ihr voraufgehenden Bitte tritt.
Angesichts der skizzierten Befunde stellt sich die Frage nach der ursprüng-
lichen Gestalt des von Jesus formulierten Gebetes. Die ihr gewidmete intensive
Forschung hat nach meinem Urteil zu einem Ergebnis geführt, das sich in drei
Sätzen knapp zusammenfassen läßt: 1. Die beiden neutestamentlichen Fassungen
gehen auf eine gemeinsame griechische Vorlage zurück,5 die sich ihrerseits als
eine Übersetzung aus der aramäischen Muttersprache Jesu zu erkennen gibt.6
2. Der ursprüngliche Umfang des Vaterunsers wird in dem kürzeren Lukas-Text
greifbar; denn die beiden zusätzlichen Matthäus-Bitten dürften erst im gottes-
dienstlichen Gebrauch des Gebetes hinzugewachsen sein.7 3. Was den Wortlaut
anlangt, so ist bei Lukas in der Gebetsanrede, bei Matthäus hingegen in der
ersten und zweiten Wir-Bitte das Ursprüngliche erhalten.8

5
 Die Abhängigkeit der beiden Fassungen von einer gemeinsamen griechischen Vorlage wird
dadurch bewiesen, daß das absolute Hapaxlegomenon ἐπιούσιος (zu diesem s. Teil I des Auf-
satzes) sowohl in Mt 6,11 wie auch in Lk 11,3 erscheint.
6 S. dazu G. Dalman, Die Worte Jesu I, Leipzig ²1930 = Darmstadt 1965, 283–365; J. Je-

remias, Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung, in: Ders., Abba. Studien zur
neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 152–171; H. Gese, Bemer-
kungen zum Vaterunser unter dem Gesichtspunkt alttestamentlicher Gebetsformen, in: Chr.
Landmesser / ​H.-J. Eckstein / ​H. Lichtenberger (Hg.), Jesus Christus als die Mitte der Schrift.
Studien zur Hermeneutik des Evangeliums (BZNW 86), Berlin – New York 1997, 405–437:
411 f. Weitere grundlegende Literatur wird bei Jeremias, ebd., 152 Anm. * genannt.
7 J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I: Die Verkündigung Jesu, Gütersloh ⁴1988, 190

bemerkt zu Recht: „Da liturgische Texte die Tendenz haben, sich anzureichern, und der kürzere
Wortlaut hier gewöhnlich der ältere ist, dürften die Überschüsse bei Matthäus Erweiterungen
darstellen. Es ist unwahrscheinlich, daß jemand die dritte und siebte Bitte gestrichen haben
sollte, während der umgekehrte Vorgang gut vorstellbar ist.“
8
 Zur Gebetsanrede: Bei den Worten πάτερ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς von Mt 6,9b handelt
es sich um eine Formulierung, „wie sie frommer jüdisch-palästinischer Sitte entsprach“ (Je-
remias, Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung [s. Anm. 6], 158). – Zu der ersten
Wir-Bitte: s. Teil I des vorliegenden Aufsatzes. – Zu der zweiten Wir-Bitte: Der Ausdruck τὰ
ὀφειλήματα („unsere Schulden“) Mt 6,12a erklärt sich dadurch, daß der Singular τὸ ὀφείλημα
die wörtliche Übersetzung des aramäischen Wortes ḥôbā’ ist, das nicht nur in eigentlichem
Sinn die Geldschuld, sondern anders als das griechische Wort zugleich auch in übertragenem
Sinn die Sünde gegen Gott bezeichnet; die Formulierung τὰς ἁμαρτίας ἡμῶν Lk 11,4a stellt eine
Gräzisierung von τὰ ὀφειλήματα dar. Um eine Gräzisierung handelt es sich ebenfalls bei den
Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers 23

Da es sich beim Vaterunser um das Grundgebet der Jünger Jesu handelt, muß
es m. E. als erstaunlich gelten, daß der griechische Text die Exegese vor zwei
nicht unerhebliche sprachliche Probleme stellt.

I. ὁ ἄρτος ἡμῶν ὁ ἐπιούσιος

Das erste zu notierende Problem bietet die sog. Brot-Bitte, mit der die Wir-
Bitten einsetzen. Bei Matthäus lautet sie: τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δὸς
ἡμῖν σήμερον (Mt 6,11), bei Lukas: τὸν ἄρτον ἡμῶν τὸν ἐπιούσιον δίδου ἡμῖν τὸ
καθ’ ἡμέραν (Lk 11,3). Da die tragenden Verbformen der einzelnen Vaterunser-
Bitten sonst sämtlich im Aorist stehen, ist hinsichtlich der Frage nach dem ur-
sprünglichen Wortlaut dem Matthäus-Text der Vorzug zu geben und das Präsens
des Lukas-Textes als eine sekundäre Generalisierung der ursprünglich auf den
„heutigen“ Tag ausgerichteten Aussage zu beurteilen. Das dem Matthäus- und
dem Lukas-Text gemeinsame sprachliche Problem liegt in dem mit ἄρτος ver-
bundenen Adjektiv ἐπιούσιος, zu dem bereits Origenes († 253/54) in seiner
Schrift Περὶ εὐχῆς bemerkt: „Das Wort ἐπιούσιος findet sich bei keinem Grie-
chen – es wird weder bei den Gelehrten verwendet noch auch in der Sprache der
einfachen Leute gebraucht.“9 In der Tat ist das Wort außer in der Vaterunser-Bitte
und in von ihr abhängigen Sätzen nirgends sonst im Altgriechischen belegt.10

Worten καὶ γὰρ αὐτοὶ ἀφίομεν παντὶ ὀφείλοντι ἡμῖν Lk 11,4b: sie ersetzen das semitisierende ὡς
καὶ ἡμεῖς ἀφήκαμεν τοῖς ὀφειλέταις ἡμῶν Mt 6,12b (ὡς καί entspricht einem aramäischen kᵉdi,
und der Aorist ἀφήκαμεν ist Wiedergabe eines aramäischen perfectum coincidentiae = „wie
auch wir hiermit vergeben“; s. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I [s. Anm. 7], 195;
Ders., Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung [s. Anm. 6], 159 f.).
 9
 Origenes, De oratione XXVII 7 (GCS Origenes 2, 366,34–367,2): ἡ λέξις ἡ ‚ἐπιούσιον‘
παρ’ οὐδενὶ τῶν Ἑλλήνων οὔτε τῶν σοφῶν ὠνόμασται οὔτε ἐν τῇ τῶν ἰδιωτῶν συνηθείᾳ
τέτριπται. Origenes vermutet sodann, daß das Wort ἐπιούσιος „von den Evangelisten gebildet“
sei (ἔοικε πεπλάσθαι ὑπὸ τῶν εὐαγγελιστῶν [367,2]), was allerdings nicht zutrifft, weil Mat-
thäus und Lukas es bereits in dem ihnen vorliegenden griechischen Vaterunser-Text vorfanden
(s. o. Anm. 5).
10 Vor allem die ältere Literatur weist auf einen aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. stammen-

den und nur bruchstückhaft erhaltenen Papyrus aus Oberägypten hin, in dem die Worte [τὰ]
ἐπιούσι[α] stehen und etwa die Bedeutung „der Tagessold“, „die Tagesration“, „das tägliche
Existenzminimum“ haben sollen; s. dazu F. Preisigke, Sammelbuch griechischer Urkunden
aus Ägypten I, Straßburg 1915: 5224,20. Der Ausdruck τὰ ἐπιούσια entspräche dann dem latei-
nischen diaria, und für ἐπιούσιος könnte von daher die Bedeutung „für den Tagesbedarf hinrei-
chend“ postuliert werden (so F. Preisigke, Wörterbuch der griechischen Papyrusurkunden I,
Berlin 1925, 567). Eine erneute Untersuchung des Papyrus hat jedoch ergeben, daß die genannte
Lesung unhaltbar ist; s. M. Nijman / ​K. A.  Worp, ‚Ἐπιούσιος‘ in a Documentary Papyrus?,
NT 41 (1999) 231–234 sowie die Neuedition des Papyrus bei R. S. Bagnall / ​K. A.  Worp,
Household Accounts: SB I 5224 Revisited, BASP 38 (2001) 7–20: 12 (Zeile 90). Zu korrigieren
sind u. a. Bauer  / ​Aland, Wörterbuch⁶, 601 f. s. v. ἐπιούσιος: 601; F. Blass  / ​A.  Debrunner  / ​
F. Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen ¹⁷1990, § 123 Anm. 2.
24 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

Schon die alten Übersetzungen des griechischen Neuen Testaments diffe-


rieren in ihrem Verständnis des Wortes ἐπιούσιος ganz erheblich, wobei die
Wiedergabe jeweils auf einem bestimmten sprachlich-etymologischen Urteil
beruht.11 Ich skizziere nur eben die fünf wichtigsten Deutungen des Syntagmas
ὁ ἄρτος ἡμῶν ὁ ἐπιούσιος: a) Die Itala, d. h. die altlateinische Bibel, übersetzt in
Mt 6,11 und in Lk 11,3: „unser tägliches Brot“12, und ebenso gibt die Vulgata als
die offizielle Bibel des lateinischen Westens das Syntagma in Lk 11,3 wieder.13
Das Wort ἐπιούσιος ist hier als Ableitung aus dem präpositionalen Ausdruck ἐπὶ
τὴν οὖσαν (sc. ἡμέραν) = „für den betreffenden Tag bestimmt“ verstanden. –
b) Die beiden erhaltenen Zeugen für die altsyrischen Evangelien (Sinai-Syrer
und Cureton-Syrer) bieten als Übersetzung: „das fortwährende (oder: ständige)
Brot“14. Hier dürfte ebenfalls an das tägliche Brot gedacht15 und ἐπιούσιος
mithin von ἐπὶ τὴν οὖσαν (sc. ἡμέραν) abgeleitet sein. – c) Die Peschitta als
die offizielle Bibel der syrischen Kirchen versteht ὁ ἄρτος ἡμῶν ὁ ἐπιούσιος an
beiden neutestamentlichen Stellen als „das Brot unseres Bedürfnisses“16, d. h. als
„das Brot, dessen wir (zum Leben) bedürfen“.17 Das Wort ἐπιούσιος wird hier
auf ἐπὶ τὴν οὐσίαν = „zum Dasein / ​zum Leben gehörig“ zurückgeführt. – d) Die
im bohairischen Dialekt abgefaßte offizielle Bibel der Koptisch-Orthodoxen
Kirche bietet in Mt 6,11 die Übersetzung: „unser Brot von morgen“18. Hier ist
11 Zu den sprachlichen Ableitungen s. Bauer  / ​ A land, Wörterbuch⁶, 601 f. s. v. ­ἐπιούσιος;

verbessert bei F. W. Danker, A Greek-English Lexicon of the New Testament and other Early
Christian Literature (BDAG), Chicago  – London ³2000, 376b–377a s. v. Vgl. ferner auch
H. Cremer, Biblisch-theologisches Wörterbuch des neutestamentlichen Griechisch, hg. v.
J. Kögel, Gotha ¹¹1923, 407–412; W. Foerster, Art. ἐπιούσιος, in: ThWNT II (1935 = 1957)
587– 595: 588,1–591,9.
12
 panis noster cotidianus (v. l. quotidianus).
13
 panis noster cotidianus (v. l. quotidianus). Im Vulgata-Text von Mt 6,11 lautet die Über-
setzung dagegen: panis noster supersubstantialis. Das Adjektiv supersubstantialis dürfte hier
eine ad hoc gebildete wortwörtliche Wiedergabe von ἐπιούσιος sein, die Bedeutung „über-
wesentlich“ / ​„übernatürlich“ haben und die Deutung auf das eschatologische Himmelsbrot
implizieren. Zum Gedanken des Brotes der Heilszeit s. J. Jeremias, Die Abendmahlsworte
Jesu, Göttingen ⁴1967, 225 f.
14
 Mt 6,11 syᶜur: „unser fortwährendes Brot (laḥman ’amînā’ ) des Tages“; Lk 11,3 syᶜur.sin: „das
fortwährende Brot (laḥmā’ ’amînā’ ) jedes Tages“. Mt 6,11 sysin ist nicht erhalten.
15
 So Dalman, Die Worte Jesu I (s. Anm. 6), 327.
16
 laḥmā’ dᵉsûnqānan.
17
 Die Harklensis wählt dafür später in Mt 6,11 die Formulierung laḥmā’ […] sûnqānājā’
(„unser [zum Leben] nötiges Brot“), während sie in Lk 11,4 laḥmā’ dᵉsûnqānā’ („das Brot
unseres Bedürfnisses“) hat.
18
 pĕnōik ᵉntĕ rasti. Dem sind zu Mt 6,11 zwei weitere koptische Textzeugen an die Seite zu
stellen, die 1981 bzw. 2001 von H.-M. Schenke ediert wurden: Codex Scheide (pĕnaik ᵉnrĕstĕ)
und Codex Schøyen 2650 (pĕnaik nrĕstē); s. dazu J. M. Leonard, Codex Schøyen 2650: A
Middle Egyptian Coptic Witness to the Early Greek Text of Matthew’s Gospel. A Study in
Translation Theory, Indigenous Coptic, and New Testament Textual Criticism (NTTSD 46),
Leiden – Boston 2014, 101. – Das Verständnis von ὁ ἄρτος ὁ ἐπιούσιος als „das morgige Brot“
bezeugt Hieronymus, Commentaria in Evangelium S. Matthaei zu 6,11 (PL 26, 43 B.C) für
die aramäische Vaterunser-Fassung des Nazaräerevangeliums: In dieser las er als Wiedergabe
Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers 25

ἐπιούσιος zu dem Ausdruck ἡ ἐπιοῦσα =  ἡ ἐπιοῦσα ἡμέρα „der kommende


Tag“ in Beziehung gesetzt19 und also von dem Verbum ἐπιέναι („herankommen,
bevorstehen“) her verstanden. Die Formulierung insgesamt erlaubt beides: bei
wörtlich-realem Verständnis die Deutung auf das Brot des folgenden Tages und
bei übertragen-geistlichem Verständnis die Deutung auf das eschatologisch-
himmlische Brot der Heilszeit.20 – e) Im koptisch-bohairischen Text von Lk 11,3
sowie im koptisch-saїdischen Text von Mt 6,11 und Lk 11,3 lautet die Überset-
zung: „unser Brot, das kommt“21, d. h. „unser zukünftiges Brot“. Auch hier ist
ἐπιούσιος von dem Verbum ἐπιέναι abgeleitet, der Begriff „kommend“ aber im
Sinne von „zukünftig“ verstanden22 und ἄρτος ἐπιούσιος somit offenbar auf das
eschatologische Himmelsbrot gedeutet.
Die Frage, ob eine der genannten Deutungen den Vorzug verdient und – wenn
ja – welche, ist seit der Alten Kirche bis in die heutige wissenschaftliche Ex-
egese hinein lebhaft umstritten. Ich selbst erblicke mit der Peschitta in ἐπιούσιος
eine Ableitung aus ἐπὶ τὴν οὐσίαν23 und setze mit ihr für οὐσία die Bedeutung
„Existenz / ​Dasein / ​Leben“ voraus.24 Die Bitte bedeutet demnach: „Unser zum
Leben nötiges Brot gib uns heute!“25, und das Wort „Brot“ steht dabei als eine

von ἐπιούσιος das Wort māḥār („morgen“), und seine lateinische Übersetzung der Brot-Bitte
lautet dementsprechend: panem nostrum crastinum da nobis hodie – „unser Brot für morgen
gib uns heute“.
19 Zu ἡ ἐπιοῦσα = „der kommende / ​folgende Tag“ s. etwa Spr 3,28; 27,1 LXX; Apg 16,11;

20,15; 21,18; Josephus, Ant X 170; XII 215; Bell II 441; Vit 279 f.; Polybius, Hist II 25,11; V 13,10;
Artemidor, Oneirocr V 92.
20
 Hieronymus (s. Anm. 18) erwähnt beide Deutungen, die übertragene (crastinum, id est
futurum) wie auch die wörtliche im Sinn von 1 Tim 6,8. Zu der übertragen-geistlichen Deutung
s. auch Origenes, De oratione XXVII 13 (GCS Origenes 2, 371,27–373,2).
21
 Bohairisch: pĕnōik ĕthnēw, saїdisch: pĕnoik ĕtnēw.
22
 Vgl. τὰ ἐπιόντα „das Zukünftige“ (Demosthenes, Ep 4,5); ἐν τῷ ἐπιόντι χρόνῳ „in Zu-
kunft“ (Platon, Symp 219a; Xenophon, Cyrop II 1,23; VIII 7,7); τὸ ἐπιόν bzw. mit Krasis τοὐπιόν
„die Zukunft“ (Euripides, Fr 1073,6; Lukian, Ver Hist II 27) / ​„das Bevorstehende“ (Euripides,
Rhes 331; Xenophon, Symp IV 5 [beidemal parallel zu τὸ μέλλον]).
23
 Diese Ableitung vertritt z. B. auch Origenes, De oratione XXVII 7–9 (GCS Origenes 2,
366,33–369,22), allerdings in der Weise, daß er für οὐσία die Bedeutung „Substanz“ annimmt.
Für ihn geht es in der Vaterunser-Bitte um das „lebendige Brot“ von Joh 6,26–58, d. h. um
Christus als den, der die Seele der Glaubenden mit sich selbst nährt, indem er seinen Leib und
sein Blut zur Speise gibt (ebd., 1–6 [GCS ebd., 363,23–366,32]).
24
 Vgl. dazu Gregor von Nyssa, De oratione dominica orationes IV, der zu der Brot-Bit-
te bemerkt (PG 44, 1169 A): ζητεῖν προσετάχθημεν τὸ πρὸς τὴν συντήρησιν ἐξαρκοῦν τῆς
σωματικῆς οὐσίας („uns wurde aufgetragen, das zu erbitten, was zur Erhaltung des leiblichen
Daseins genügt“). Im Sinn dieser Aussage versteht Gregor ὁ ἄρτος ὁ ἐπιούσιος (zitiert ebd.,
1176 A) als ὁ ἄρτος τῆς σημερινῆς χρείας (ebd., 1176 D). – Zu der Möglichkeit, daß οὐσία die
Bedeutung „Existenz / ​Dasein / ​Leben“ hat, s. die Belege bei Cremer, Biblisch-theologisches
Wörterbuch (s. Anm. 11), 410. Wie diese Belege zeigen, ist οὐσία in der Bedeutung „Dasein“
im Altgriechischen keineswegs nur als ein hoch-philosophischer Begriff verwendet worden.
25
 In diesem Sinn deuten z. B. auch: Cremer, ebd.; P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen
Testament aus Talmud und Midrasch I: Das Evangelium nach Matthäus, München 1922 = ²1956,
420; J. Gnilka, Das Matthäusevangelium I (HThK I/1), Freiburg  – Basel  – Wien ²1988,
26 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

pars pro toto-Metonymie für die lebensnotwendige Nahrung überhaupt.26 Der


in der Auslegungsgeschichte öfter erhobene Einwand, daß bei der Ableitung aus
ἐπὶ τὴν οὐσίαν eine Elision des Jota von ἐπί und also die Wortbildung ἐπούσιος
hätte erfolgen müssen,27 geht für die neutestamentliche Zeit ins Leere, weil
in der Koine auf die Vermeidung des Hiats nicht mehr unbedingt Wert gelegt
wird.28 In dem sprachlich höchst ungewöhnlichen Syntagma ὁ ἄρτος ἡμῶν ὁ
ἐπιούσιος als Ganzem erblicke ich eine Wiedergabe des aramäischen Ausdrucks
laḥmā’ dᵉsårkan = „das Brot unseres Bedürfnisses (d. h. unseres notwendigen
Bedarfs)“.29 Was dabei das Wort ἐπιούσιος betrifft, so kann dieses durchaus von
dem griechischen Übersetzer selbst ganz neu gebildet worden sein;30 es kann
sich aber auch um die Aufnahme eines nicht gerade geläufigen und deshalb zu-
fälligerweise sonst nirgends belegten Wortes handeln. Weshalb der Übersetzer
jedoch überhaupt ein so ungewöhnliches Wort gewählt hat, das bleibt im einen
wie im andern Fall bislang ein Rätsel.31
Zur Begründung für mein soeben dargelegtes Verständnis des Wortes ἐπιούσιος
stütze ich mich auf die folgenden Beobachtungen zum Gedankengang des Vater-
unsers, dessen Du-Bitten und Wir-Bitten jeweils nach Form und Inhalt eine
Einheit bilden.32 Die an erster Stelle stehenden Du-Bitten sind „betont escha-
tologische Bitten“.33 Als solche sind sie keine Gebetswünsche, sondern „wirk-

212.222 f.; H. Schürmann, Das Lukasevangelium II/1 (HThK III/2.1), Freiburg  – Basel  –


Wien 1994, 176.192.193–196; H. Klein, Das Lukasevangelium (KEK 1/3), Göttingen ¹(¹⁰)2006,
399.406.
26
 Zu ἄρτος in diesem Sinn s. Bauer  / ​Aland, Wörterbuch⁶, 222 s. v. 2.
27
 So z. B. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus I: Mt 1–7 (EKK I/1), Zürich  – Ein-
siedeln – Köln bzw. Neukirchen-Vluyn 1985, 345 f.
28
 S. dazu Blass / ​Debrunner / ​Rehkopf, Grammatik § 124; Cremer, Biblisch-theologi-
sches Wörterbuch (s. Anm. 11), 408; Foerster, ThWNT II 590,6–8 mit Anm. 21.
29 Der westaramäische Ausdruck laḥmā’ dᵉsårkan entspricht dem syrischen laḥmā’ dᵉsûn­

qānan der Peschitta (s. bei Anm. 16). Vgl. dazu Dalman, Die Worte Jesu I (s. Anm. 6), 327,
der allerdings für das Nomen rectum den Plural sårkēnan wählt.
30 Vgl. K. G. Kuhn, Achtzehngebet und Vaterunser und der Reim (WUNT 1), Tübingen

1950, 35: „Es scheint von dem ersten Übersetzer des Vaterunsers ins Griechische ad hoc ge-
bildet zu sein.“
31
 Man kann ja etwa – mit Dalman, Die Worte Jesu I (s. Anm. 6), 327 – fragen, warum
der Übersetzer nicht als Epitheton ἐπιτήδειος (vgl. Jak 2,16) oder ἀναγκαῖος (vgl. Tit 3,14)
verwendet hat. Ich kann dazu nur eine Vermutung äußern: Er könnte das Adjektiv ἐπιτήδειος
aufgrund seiner ganz erheblichen Polysemie („passend, tauglich, fähig; geschickt, geeignet,
zweckdienlich; geneigt, willig, willfährig, gefügig; zukommend, verdienend; zugetan, gewo-
gen, geneigt; günstig, vorteilhaft, zweckmäßig; nötig, notwendig, erforderlich“) für ungeeignet
und das Adjektiv ἀναγκαῖος aufgrund seiner recht allgemeinen Bedeutung („notwendig, nötig,
erforderlich“) für nicht präzise genug gehalten haben.
32 Sprachlich liegt es nahe, ἐπιούσιος zu ἐπὶ τὴν οὐσίαν in Beziehung zu setzen, weil von

Substantiven abgeleitete Adjektive auf -ιος nach der Wortableitungslehre die Zugehörigkeit
zum Ausdruck bringen; s. E. Bornemann / ​E.  Risch, Griechische Grammatik, Frankfurt am
Main ²1978, § 299,1.a.
33
 G. Eichholz, Auslegung der Bergpredigt (BSt 46), Neukirchen-Vluyn ³1975, 120.
Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers 27

liche Bitten, die an Gott gerichtet sind u[nd] deren Erfüllung von Gott erwartet
wird“.34 Die beiden Matthäus und Lukas gemeinsamen Bitten erflehen die uni-
versale Heiligung des Namens Gottes und damit die Anerkennung seines Gott-
und Herrseins durch alle Menschen (Mt 6,9c; Lk 11,2bβ) sowie das Kommen
der Königsherrschaft Gottes, die jeder gottfeindlichen Macht und Herrschaft
definitiv ein Ende setzen wird (Mt 6,10a; Lk 11,2bγ). Bei Matthäus tritt in einer
zusätzlichen Bitte als Gebetsanliegen die endgültige und umfassende Durchset-
zung des heiligen Willens Gottes auf der ganzen Erde und seine gehorsame Be-
folgung durch alle Bewohner der Erde hinzu (Mt 6,10b). Im Unterschied zu den
Du-Bitten sind die dann folgenden Wir-Bitten m. E. nicht als eschatologische
Bitten zu verstehen. In ihnen geht es vielmehr um die gegenwärtige Existenz der
Jünger Jesu, und zwar sehr konkret um das, was sie in der Zeit bis zum Anbruch
der Königsherrschaft Gottes unbedingt und mehr als alles andere nötig haben.
Der Brot-Bitte (Mt 6,11; Lk 11,3) zufolge ist das die zum Leben nötige Nahrung,
und dem tritt in der Vergebungs-Bitte (Mt 6,12; Lk 11,4a) die immer wieder neu
von Gott gewährte Vergebung der Sünden an die Seite. Die in den beiden Bitten
genannten Bedürfnisse haben jeweils eine ganz elementare Not im Blick. Auf
ein weiteres und ebenfalls in einer elementaren Not begründetes Bedürfnis der
Jünger bezieht sich dann auch die dritte Wir-Bitte (Mt 6,13a; Lk 11,4b), für die
das Stichwort πρειρασμός kennzeichnend ist.

II. μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν

Die von der „Versuchung“ handelnde Wir-Bitte enthält das zweite sprachliche
Problem des griechischen Vaterunser-Textes. Sie unterscheidet sich dadurch
von den anderen Bitten des Gebetes, daß sie als einzige nicht positiv, sondern
negativ formuliert ist und daß deshalb im Griechischen anstelle des Imperativs
der Prohibitiv, d. h. der mit der Negation μή verbundene Konjunktiv des Aorists
erscheint. Der Wortlaut ist bei Matthäus (Mt 6,13a) und Lukas (Lk 11,4b) der
gleiche: καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν35. Die Frage, wie diese Worte
zu übersetzen und von daher dann zu verstehen sind, benennt das nicht geringe
Problem, vor das sich die Exegese gestellt sieht.

34
 So richtig Billerbeck I 408.
35
 Der gleiche Wortlaut findet sich im Anschluß an Mt 6,13a in der Vaterunser-Fassung von
Did 8,2b. Er liegt auch der Bezugnahme auf Mt 6,13a in Polyk 7,2 zugrunde ([…] δεήσεσιν
αἰτούμενοι τὸν παντεπόπτην θεὸν μὴ εἰσενεγκεῖν ἡμᾶς εἰς πειρασμόν).
28 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

1. Der griechische Text der dritten Wir-Bitte

Im Deutschen lautet die dritte Wir-Bitte nach dem geläufigen Gebetstext: „und
führe uns nicht in Versuchung“.36 Diese Fassung der Bitte ist, soweit ich sehe,
erstmals für das 15. Jahrhundert bezeugt,37 und sie findet sich im 16. Jahrhundert
sowohl in der Übersetzung Martin Luthers (Septembertestament 1522, Vollbibel
1534. 1545) wie auch in der Zürcher Bibel (1531. 1545). Nicht anders geben re-
spektable neuere Bibelübersetzungen38, aber auch wissenschaftliche Werke und
unter ihnen nicht wenige Kommentare zum Matthäus- bzw. zum Lukas-Evan-
gelium39 den griechischen Text wieder.40 Es entspricht dem skizzierten Befund,
wenn das Bauer’sche Wörterbuch für εἰσφέρειν τινὰ εἰς πειρασμόν Mt 6,13a
par. Lk 11,4b als Bedeutung notiert: „jemanden in Versuchung führen“.41 Die
Richtigkeit dieser Auskunft und der entsprechenden Übersetzung der Vater-
unser-Bitte ist allerdings ganz entschieden zu bestreiten – und zwar auf jeden
Fall dann, wenn man hinsichtlich der Wortverbindung „jemanden in Versuchung
führen“ den heutigen Sprachgebrauch voraussetzt. In ihm haben wir es bei der
Formulierung „in Versuchung führen“ mit einem Funktionsverbgefüge zu tun, in
dem das Wort „führen“ als Funktionsverb verwendet wird. Ein Funktionsverb-
gefüge liegt vor, wenn ein Verb wie „bringen“, „kommen“, „geben“, „machen“
oder eben auch „führen“ mit einem bestimmten nominalen Bestandteil – in der
Regel mit einem Akkusativ-Objekt oder einem Präpositionalobjekt – zu einer
semantischen Einheit verbunden wird.42 Die Hauptsinnträger sind dann jeweils
die Nomina, so daß in nicht wenigen Fällen ein Funktionsverbgefüge gegen das
dem Nomen verwandte Vollverb ausgetauscht werden kann. So kann etwa die
Wortverbindung „jemanden in Versuchung führen“, selbst wenn mit ihr eine
besondere Nuance zum Ausdruck gebracht werden soll, doch prinzipiell durch

36
 Das die Bitte einleitende καί und seine Übersetzungen werde ich im Folgenden in der
Regel weglassen.
37
 S. dazu J. Kehrein, Pater Noster und Ave Maria in deutschen Uebersetzungen, Frankfurt
a. M. 1865, 37 (Nr. XX). 45 (Nr. XXVII). 60 (Nr. XXXVII). Den letztgenannten Beleg bietet
die erste gedruckte deutsche Bibel: die Mentelin-Bibel von 1466.
38
 So z. B. die Menge-Bibel, die Elberfelder Bibel, die Jerusalemer Bibel, die Einheitsüber-
setzung der Heiligen Schrift sowie die Übersetzungen des Neuen Testaments von C. Weizsäc-
ker, W. Michaelis und U. Wilckens.
39
  So z. B. Gnilka, Das Matthäusevangelium I (s. Anm. 25), 212; M. Konradt, Das
Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göttingen 2015, 100; Klein, Das Lukasevangelium (s.
Anm. 25), 399; M. Wolter, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 403.
40 Eine bloß sprachliche Variante ist das gelegentlich gewählte „bring(e) uns nicht in Ver-

suchung“; so z. B. Luz, Das Evangelium nach Matthäus I (s. Anm. 27), 334.
41 Bauer, Wörterbuch⁵, 463 s. v. εἰσφέρω 2; Bauer  / ​ A land, Wörterbuch⁶, 470 f. s. v.

εἰσφέρω 2. Ebenso z. B. auch bereits S.Ch. Schirlitz / ​Th. Eger, Griechisch-deutsches


Wörterbuch zum Neuen Testament, Gießen ⁶1908, 126a s. v. εἰσφέρω.
42
 Zu Funktionsverb und Funktionsverbgefüge im Deutschen s. G. Drosdowski u. a., Gram-
matik der deutschen Gegenwartssprache (Duden 4), Mannheim – Wien – Zürich ⁴1984, § 182
(vgl. auch § 991).
Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers 29

die Formulierung „jemanden versuchen“ ersetzt werden. Als ein Funktionsverb-


gefüge ist – wie sogleich angemerkt sei – ebenfalls die Wendung „auf die Probe
stellen“ zu bestimmen, mit der nicht wenige Auslegungen der Versuchungs-Bitte
operieren, und auch hier kann an dessen Stelle das Verbum „erproben“ (oder
auch das Verbum „prüfen“) treten.
Daß es sich im heutigen Deutsch bei der Wortverbindung „in Versuchung füh-
ren“ um ein Funktionsverbgefüge handelt,43 ist deshalb ein grammatikalischer
Tatbestand von ganz erheblichem Gewicht, weil es hinsichtlich der griechischen
Bitte μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν für eine entsprechende Bestimmung der
Wendung εἰσφέρειν εἰς πειρασμόν keinerlei tragfähiges Fundament gibt.44 Diese
Wendung findet sich, wenn ich recht sehe, im Altgriechischen einzig und allein
an den beiden neutestamentlichen Stellen Mt 6,13a par. Lk 11,4b und von daher
dann im frühchristlichen Schrifttum in Zitaten dieser Vaterunser-Bitte (so z. B.
Did 8,2b) bzw. in Bezugnahmen auf sie.45 Eine Verwendung von εἰσφέρειν εἰς
πειρασμόν als Synonym zu den Verben πειρᾶν / ​πειρᾶσθαι bzw. πειράζειν und
also in der Bedeutung „in Versuchung führen“ – oder auch in der Bedeutung
„auf die Probe stellen“46  – ist dementsprechend nirgends belegt. Aus diesem
Tatbestand ergibt sich notwendig die Folgerung, daß εἰσφέρειν in den Worten
μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν nicht als Funktionsverb, sondern als Vollverb
verwendet ist. Die korrekte Übersetzung der Bitte in heutiges Deutsch kann
43 Daß dieses Urteil auch bereits für die gleichlautende Wortverbindung in den oben er-

wähnten Zeugnissen des 15. Jahrhunderts und im ursprünglichen Text der Luther-Bibel und der
Zürcher Bibel gilt, erscheint mir höchst zweifelhaft. Hier dürfte „führen“ vielmehr durchaus
noch als Vollverb verwendet sein, so daß die Formulierung „und führe uns nicht in Versuchung“
eine sprachliche Parallele darstellt zu jenen frühen deutschen Wiedergaben, die für das latei-
nische et ne nos inducas in tentationem etwa eine der folgenden Wendungen wählen: „endi ni
gileidi unsih in costunga“ (Kehrein, Pater Noster und Ave Maria in deutschen Uebersetzungen
[s. Anm. 37], 9 [Nr. VI, 8./9. Jahrhundert]), „enti ni uerleiti unsih in die chorunga“ (ebd., 19
[Nr. IX, 9. Jahrhundert]); „vnd nit laite vns in bekorung“ (ebd., 40 [Nr. XXIV, 15. Jahrhundert]),
„vnd nicht inlaitt vns in versuchung“ (ebd., 51 [Nr. XXIX, 15. Jahrhundert]). Was z. B. Luther
anlangt, so will beachtet sein, daß er die dritte Wir-Bitte des Vaterunsers auch mit „und nit ein-
fuere uns in versuchung“ übersetzen kann (WA 6, 17,27; s. auch WA 2, 122,34; 7, 227,27 und
vgl. WA 19, 96,12; 30/I 209,22) und die Worte μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς ausdrücklich als „fure
uns nicht hyneyn“ interpretiert (so WA 9, 156,33 f.).
44
 Daß es sich auch im griechischen Text um ein Funktionsverbgefüge handle, vertreten zu
Unrecht: E. Jenni, Kausativ und Funktionsverbgefüge. Sprachliche Bemerkungen zur Bitte:
„Führe uns nicht in Versuchung“, ThZ 48 (1992) 77–88: 79; M. Gielen, „Und führe uns nicht in
Versuchung“. Die dritte Wir-Bitte des Vaterunsers – eine Anfechtung für das biblische Gottes-
bild, ZNW 89 (1998) 201–216: 203.
45 Ergänzend merke ich an, daß mir auch kein einziger weiterer Beleg bekannt ist für eine

übertragene Verwendung von εἰσφέρειν τινὰ εἴς τι mit dem Sinn „jemanden in etwas Böses / ​
Schlimmes hineinbringen“. Im eklatanten Unterschied dazu gibt es etwa zu ἐμπίπτειν εἰς
πειρασμόν 1 Tim 6,9 nicht wenige vergleichbare Belege; s. nur Bauer  / ​Aland, Wörterbuch⁶,
517 s. v. ἐμπίπτω 2.
46
 Die Bedeutung „auf die Probe stellen“ =  „erproben“ / ​„prüfen“ haben ferner u. a. die
Verben διαπειρᾶσθαι, δοκιμάζειν, ἐκπειράζειν, ἐκπειρᾶσθαι sowie die beiden griechischen
Funktionsverbgefüge πεῖραν ποιεῖσθαι und πεῖραν λαμβάνειν.
30 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

mithin nicht lauten: „führe uns nicht in Versuchung“ oder „stelle uns nicht auf
die Probe“; sie muß vielmehr – der üblichen Bedeutung von εἰσφέρειν εἰς ent-
sprechend47 – auf jeden Fall lauten: „führe uns nicht in Versuchung hinein“ oder
„bringe uns nicht in Versuchung hinein“48. Gegenüber dem Funktionsverbgefüge
„in Versuchung führen“ besteht dann insofern ein nicht unerheblicher Unter-
schied, als mit εἰσφέρειν εἰς πειρασμόν auch bei der im Vaterunser vorliegenden
übertragenen Verwendung eine gewisse lokale Vorstellung verbunden sein muß:
Die Bitte hat eine mit dem πειρασμός gegebene und durch ihn gekennzeichnete
Situation im Blick, in die jemand hineingeführt bzw. hineingebracht wird.
Der lexikographische Befund, daß der Ausdruck εἰσφέρειν τινὰ εἰς πειρασμόν
abgesehen von der dritten Wir-Bitte des Vaterunsers im Altgriechischen nicht
nachgewiesen ist, gibt zu der Frage Anlaß, ob wir in den Worten μὴ εἰσενέγκῃς
ἡμᾶς εἰς πειρασμόν eine sklavisch getreue Übersetzung aus jener Sprache zu
erkennen haben, in der Jesus seinen Jüngern das Gebet gegeben hat, – also aus
dem Aramäischen. Daß es rein sprachlich-philologische Beobachtungen sind,
die hier nach dem aramäischen Text fragen lassen, muß nachdrücklich betont
werden.49 Den Anlaß liefert also nicht etwa das Anliegen, mit dem Rekurs auf
die semitische Vorlage des griechischen Textes den Anstoß daran zu beseitigen,
daß Gott als Subjekt des εἰσφέρειν εἰς πειρασμόν erscheint.

2. Das kontroverse Verständnis der dritten Wir-Bitte

Sieht man von besonderen Akzentsetzungen in der Auslegung der Versuchungs-


Bitte sowie von dieser oder jener recht eigenwilligen Interpretation ab, so stehen
sich in der Auslegungsgeschichte des Vaterunsers von der Zeit der Kirchenväter
an bis heute zwei Deutungen der Worte μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν bzw.
ihrer wörtlichen lateinischen Übersetzung ne nos inducas in temptationem50

47 Das Verbum εἰσφέρειν heißt in Verbindung mit der Präposition εἰς: „hineintragen in / ​

hineinbringen in / ​hineinführen in“ bzw. „tragen in [hinein] / ​bringen in [hinein] / ​führen in [hin-


ein]“. Die Wendung εἰσφέρειν τινὰ εἴς τι bedeutet dementsprechend: „jemanden in etwas
[hinein]bringen / ​[hinein]führen“.
48
 In diesem Sinn übersetzen mit Recht u. a. Th. Zahn, Das Evangelium des Matthäus
(KNT 1), Leipzig – Erlangen ⁴1922, 283; Ders., Das Evangelium des Lucas (KNT 3), Leipzig –
Erlangen ³.⁴1920, 447; J. Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus (NTD 1), Göttingen
⁸1956, 79; Schürmann, Das Lukasevangelium II/1 (s. Anm. 25), 176; K. H. Rengstorf, Das
Evangelium nach Lukas (NTD 3), Göttingen ⁹1962, 143; E. Schweizer, Das Evangelium
nach Lukas (NTD 3), Göttingen ¹(¹⁸)1982, 124; F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas II: Lk
9,51–14,35 (EKK III/2), Zürich – Düsseldorf bzw. Neukirchen-Vluyn 1996, 118.
49
 Die Frage stellt sich also ebenso, wie hinsichtlich der ersten Wir-Bitte das sprachlich
höchst ungewöhnliche Syntagma ὁ ἄρτος ἡμῶν ὁ ἐπιούσιος Anlaß dazu gab, den aramäischen
Text in den Blick zu fassen (s. o. bei Anm. 29).
50
 So der Wortlaut der meisten Itala-Zeugen und der Vulgata. Statt temptationem kann es
auch tentationem heißen.
Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers 31

gegenüber. Die zuerst zu nennende Deutung insistiert auf dem griechischen bzw.
lateinischen Wortlaut und urteilt von daher, daß in der Bitte von dem bewirken-
den Handeln Gottes die Rede ist. Gott selbst ist der Urheber des πειρασμός, wie
immer man die „Versuchung“ dann des näheren bestimmen und das göttliche
Wirken im einzelnen beschreiben mag. Diesem kausativen Verständnis wird
bereits in der Alten Kirche bei einigen Kirchenvätern und bei byzantinischen
Theologen das Urteil entgegengesetzt, daß es in der dritten Wir-Bitte nicht um
das bewirkende, sondern um das zulassende Handeln Gottes gehe, daß also ein
permissives Verständnis der Worte μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν bzw. ne
nos inducas in temptationem geboten sei.51 Tertullian († nach 220) zitiert in
seiner Schrift „Über das Gebet“ die Bitte zunächst in der Fassung ne nos inducas
in temptationem, die – wie bereits erwähnt – dem Vaterunser-Wortlaut der mei-
sten Itala-Zeugen und der Vulgata entspricht; er fügt dann aber sogleich inter-
pretierend hinzu: id est, ne nos patiaris induci, ab eo utique qui temptat52 („das
heißt: Laß nicht zu, daß wir [in Versuchung] hineingeführt werden, natürlich
von dem, der da versucht53“). Cyprian († 258) gibt in seiner Abhandlung „Über
das Gebet des Herrn“ das Vaterunser in einer Fassung wieder, die Mt 6,9b–13
verpflichtet ist;54 in ihr stimmt jedoch die sechste Bitte mit der Auslegung
Tertullians überein: ne patiaris nos induci in tentationem55 („laß nicht zu, daß
wir in Versuchung hineingeführt werden“).56 Die gleiche Bitte erscheint in dem
51 S. dazu F. H. Chase, The Lord’s Prayer in the Early Church, Cambridge 1891, 60–69. – Th.

Zahn und A. von Harnack haben aufgrund der Frage quis non sinet nos deduci in tentationem?
bei Tertullian, Adversus Marcionem IV 26 (CSEL 47, 509,27 f.) die These vertreten, daß die
Bitte von Lk 11,4b in Marcions Evangelium (um 150) gelautet habe: μὴ ἄφες ἡμᾶς εἰσενεχθῆναι
εἰς πειρασμόν („laß uns nicht in Versuchung hineingeführt werden“); s. Th. Zahn, Geschichte
des Neutestamentlichen Kanons II: Urkunden und Belege zum ersten und dritten Band. Zweite
Hälfte, Erlangen – Leipzig 1892, 472 f.; Ders., Das Evangelium des Lucas (s. Anm. 48), 767–
772: 767; A. von Harnack, Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott (TU 45), Leipzig
²1924, 207*. Diese in der Vaterunser-Exegese weithin aufgenommene These ist keineswegs
hinreichend begründet; s. D. T. Roth, The Text of the Lord’s Prayer in Marcion’s Gospel, ZNW
103 (2012) 47–63: 61 f.
52
 Tertullian, De oratione 8,1 (CSEL 20, 186 [Fontes Christiani 76, 234]). Vgl. die etwas
anders akzentuierte Auslegung in: De fuga in persecutione 2,5 (CSEL 76, 21).
53
 Gemeint ist der Satan.
54
 Cyprian, De dominica oratione 7 (CSEL 3/1, 270,23–271,3).
55
 Cyprian, ebd. (271,1 f.) und so dann auch ebd., 25 (285,26); zu beiden Stellen ist als Text-
variante die Fassung et ne patiaris induci nos in tentationem zu notieren. – Die soeben zitierte
Fassung der Bitte erwähnt Augustinus (354–430) unter Hinweis auf Cyprian in: De sermone
Domini in monte II 9,30 (PL 34, 1282); daß „viele beim Gebet so sagen“, bemerkt er in: De dono
perseverantiae 6,12 (PL 45, 1000). – Mit Cyprians Fassung des Vaterunsers berührt sich die Itala-
Fassung des Matthäus-Textes, wie sie im Codex Bobbiensis (um 400) enthalten ist und in der
die dritte Wir-Bitte lautet: et ne passus fueris induci nos in temptationem („und laß nicht zu, daß
wir in Versuchung hineingeführt werden“). Vgl. die Itala-Fassung des im 11. oder 12. Jahrhundert
geschriebenen Codex Colbertinus (Mt 6,13a hier: et ne passus nos fueris induci in tentationem).
56
 In der Fassung ne nos induci patiaris in tentationem wird die Bitte Mt 6,13a bei Arnobius
dem Jüngeren († nach 455) zitiert: Conflictus cum Serapione II 30 (PL 53, 315 A); vgl. Com-
mentarii in Psalmos, Ps 119 (PL 53, 523 B).
32 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

Wortlaut ne patiaris induci nos in tentationem in einer Schrift des Ambrosius


(† 397) über die Sakramente, und zwar sowohl im Zitat des gesamten Herren-
gebetes57 wie auch in der Auslegung des Gebetes58. Unter den griechischen
Kirchenvätern ist Dionysios von Alexandrien († 264/265) zu nennen, der zu
der Bitte μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν bemerkt: τουτέστι μὴ ἐάσῃς ἡμᾶς
ἐμπεσεῖν εἰς πειρασμόν59 („das heißt: Laß nicht zu, daß wir in Versuchung hin-
eingeraten“). Die gleiche Deutung gibt Theophylakt von Achrida († ca. 1125/26),
wenn er zu den Worten μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς von Lk 11,4b anmerkt: τουτέστι, μὴ
συγχωρήσῃς ἡμᾶς ἐμπεσεῖν εἰς πειρασμόν,60 und Euthymios Zigabenos († nach
1118), wenn er das μὴ εἰσενέγκῃς von Mt 6,13a als μὴ παραχωρήσῃς εἰσενεχθῆναι
interpretiert.61
Bei den im Vorigen zitierten permissiven Formulierungen der dritten Wir-
Bitte, die zum Teil sogar in die gesamte Fassung des Vaterunsers Eingang
finden, handelt es sich jeweils nicht um wörtliche Wiedergaben, sondern um
Interpretationen des griechischen bzw. des lateinischen Textes der Bitte. Diese
Interpretationen beruhen auf theologischen Erwägungen zu den beiden Fragen,
was genau unter dem πειρασμός der dritten Wir-Bitte des Vaterunsers zu ver-
stehen ist und ob Gott als der unmittelbare Wirker und Verursacher dieser „Ver-
suchung“ gedacht werden kann.62 Eine sprachliche Begründung wird von den
genannten Kirchenvätern und byzantinischen Theologen wie auch von nicht
wenigen späteren Autoren, die in ihrem Sinn interpretieren63, nicht gegeben.64

57
 De sacramentis V 4,18 (PL 16, 450 B). Nach J. Schmitz, Gottesdienst im altchristlichen
Mailand (Theoph. 25), Köln – Bonn 1975, 413 ist das die Meßform in Mailand zur Zeit des
Ambrosius.
58
 De sacramentis V 4,29 (PL 16, 454 A). Hier fügt Ambrosius zu den Worten et ne patiaris
induci nos in tentationem als Kommentar hinzu: quam ferre non possumus. Zu dieser auf
1 Kor 10,13 beruhenden Kennzeichnung des πειρασμός und zu ihrem in der Alten Kirche ver-
breiteten Eindringen in den Text der matthäischen Vaterunser-Fassung s. E. Lohmeyer, Das
Vater-Unser, Göttingen ⁵1962, 135.
59
 Dionysios von Alexandrien, Fragmenta (PG 10, 1601 A).
60
 Theophylakt von Achrida, Enarratio in Evangelium Lucae, zu Lk 11,4b (PG 123, 856 C).
61
 Euthymios Zigabenos (Zigadenos), Commentarius in quatuor Evangelia, zu Mt 6,13a (PG
129, 240 A).
62
 Eine mit der Fassung ne patiaris induci verbundene theologische Erwägung notiert knapp
Hrabanus Maurus († 856), Commentaria in Matthaeum. Liber II, zu 6,13 (PL 107, 820 D – 821
A): Multi autem in precando ita dicunt: Ne nos patiaris induci in tentationem, exponentes
videlicet quomodo dictum sit inducas. Qua in parte ostenditur nihil contra nos adversarium
posse, nisi Deus ante permiserit, ut omnis timor noster et devotio atque observatio ad Dominum
convertatur, quando in tentationibus nostris nihil malo liceat, nisi inde tribuatur.
63 Als Beispiel nenne ich Johannes Gerson (1363–1429), Compendium Theologiae. Tractatus

V. De septem petitionibus contentis in Oratione Dominica, in: Joannis Gersonii Opera omnia I,
Antwerpen 1706, 307: Et ne nos inducas in tentationem. Quod intellige permissive, id est non
induci sinas in tentationem, hoc est, ne permittas nos succumbere tentationi.
64
 Das ist auch für wissenschaftliche Werke zu verzeichnen. So gibt J. F. Schleusner,
Novum Lexicon Graeco-Latinum in Novum Testamentum I, Leipzig ⁴1819, 734 für εἰσφέρω
Mt 6,13a par. Lk 11,4b ohne jede Begründung die Bedeutung sino, permitto aliquem incidere,
Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers 33

Angesichts dessen, daß der zu dem altgriechischen Verbum εἰσφέρειν zu ver-


zeichnende lexikographische Befund für eine permissive Bedeutung keinerlei
Grundlage liefert,65 ist eine sprachliche Begründung jedoch unerläßlich. Eine
solche bietet  – vielleicht erstmals  – Philipp Melanchthon.66 Es ist durchaus
denkbar, daß er als hervorragender Gräzist gewußt hat, daß εἰσφέρειν τινὰ
εἰς πειρασμόν im Altgriechischen eine ganz ungewöhnliche Formulierung ist
und daß das Verbum εἰσφέρειν keine permissive Bedeutung hat. Er begründet
jedenfalls sein permissives Verständnis der dritten Wir-Bitte des Vaterunsers –
Ne nos inducas in tentationem, id est, ne sinas nos induci – sprachlich mit dem
Hinweis, daß in dieser Bitte eine Hebraica phrasis vorliege, der zufolge durch
ein transitives Verbum „eine Zulassung, nicht aber ein wirkender Wille“ (per-
missio, non voluntas efficax) zum Ausdruck gebracht werden könne.67 Wenn
Melanchthon hier von dem „Hebräischen“ spricht, so kann er dabei durchaus
an das Aramäische gedacht haben.68 Er geht in seinem Urteil nämlich ohne
Frage davon aus, daß es sich beim Vaterunser und so auch bei den Worten μὴ
εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν um eine Übersetzung aus der Sprache handelt,
in der die Jünger ursprünglich das Vaterunser empfangen haben. Von daher führt
er das griechische Verbum εἰσφέρειν („hineinbringen / ​hineinführen“) entweder
auf den Kausativstamm des hebräischen Verbums bô’ („hineingehen / ​kommen“)
oder auf den Kausativstamm des aramäischen Verbums ‛ªlal („hineingehen  / ​
hineinkommen“) zurück, also auf das hebräische Hifil hēbî’ 69 bzw. auf das ara-

venire, pervenire an, und er bietet dann für die griechische Bitte die Übersetzung: ne patiaris
nos induci in tentationem. Ähnlich notiert M. Zerwick, Analysis philologica Novi Testamenti
Graeci, Rom ⁴1984, 14 zu Mt 6,13a einfach: εἰσ-φέρω in-duco; etiam permissive: sino intrare:
fac ne intremus.
65 S. die einschlägigen Lexika s. v. εἰσφέρω.
66
 Ob Melanchthon mit seinem sprachlichen Argument eine These älterer Exegese aufnimmt,
vermag ich nicht zu sagen.
67
 Ph. Melanchthon, Commentarii in Epist. Pauli ad Romanos (1532), zu 9,18 (CR 15,
684): Hebraeis verba transitiva communissime habent significationem permittentis. Quale est:
Ne nos inducas in tentationem id est, ne sinas nos induci; Ders., Loci communes, tertia aetas
1559 (CR 21, 645 [Melanchthons Werke in Auswahl II/1, 226,25–28]): […] Hebraica phrasi
significare […] permissionem, non voluntatem efficacem, ut: Ne nos inducas in tentationem, id
est, ne sinas nos induci […] (ebenso bereits Loci communes, secunda aetas 1535 [CR 21, 371]).
Vgl. in den Loci von 1559 auch CR 21, 919 (Melanchthons Werke in Auswahl II/2, 601,17–22)
und CR 21, 977 (Werke II/2, 680,11–17]). Ohne Rekurs auf das „Hebräische“ findet sich das per-
missive Verständnis der dritten Wir-Bitte des Vaterunsers bereits in: Annotationes et conciones
in Evangelium Matthaei (1523), zu Mt 6,13 (CR 14, 662).
68 Für das Aramäische sprechen Ausführungen Martin Luthers, die sich unter der Überschrift

‚De oratione dominica grammatica explicatio‘ in den Tischreden von 1540 finden (WA.TR V 57,
Nr. 5317 und Nr. 5318) und für die der Reformator seinem Freund Melanchthon verpflichtet sein
dürfte. Luther erklärt dort zunächst grundsätzlich (57,6 f.): Haec oratio habet multas phrases
Hebraeas, nam Christus locutus est Syriace; Syria autem tum temporis habuit Chaldaicam
linguam. Zur dritten Wir-Bitte heißt es dann (57,25 f.): Et ne nos inducas, id est: Ne sinito nos
induci. Permissive accipiendum, non effective.
69
 Auf diese Entsprechung verweisen zu Mt 6,13a bereits u. a. J. Drusius, Annotationum in
34 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

mäische Afel70 ’a‛êl. In beiden semitischen Sprachen wird der Kausativstamm


eines Verbums nicht nur in streng kausativem, d. h. die direkte Verursachung
anzeigendem Sinn verwendet, sondern ebenso auch in permissivem, d. h. die
bloße Zulassung zum Ausdruck bringendem Sinn. Die Entscheidung darüber,
welcher Sinn an einer konkreten Stelle vorliegt, hängt von dem jeweiligen
Kontext ab. Das hebräische Hifil hēbî’ und das aramäische Afel ’a‛êl können
von ihrer Grundbedeutung „hineinbringen / ​hineinführen [sc. in]“ die Wieder-
gabe mit „hineingeraten lassen [sc. in]“ erfordern, wobei dann mit „lassen“
entweder die kausative Nuance „veranlassen“ („bewirken“) oder die permissive
Nuance „zulassen“ („erlauben“) verbunden ist.71 Das ist das Argument, mit dem
Melanchthon seine Wiedergabe der dritten Wir-Bitte des Vaterunsers – ne sinas
nos induci in tentationem72 – begründet. Dieses Argument begegnet dann vom
17. Jahrhundert an in den großen Sammelwerken wie jenen von Hugo Grotius
und Johann Jakob Wettstein,73 aber auch – und dies bis heute – in Kommentaren
zum Matthäus- und zum Lukas-Evangelium74 sowie in Einzeluntersuchungen
zum Vaterunser75.

3. Der ursprüngliche Sinn der dritten Wir-Bitte

Wie die Ausführungen zu dem kontroversen Verständnis der dritten Wir-Bitte


des Vaterunsers gezeigt haben, erhebt sich in der Auslegungsgeschichte die Fra-
ge, ob die Exegese nicht unbedingt bedenken muß, daß es sich bei den Worten

totum Jesu Christi Testamentum sive Praeteritorum libri decem, Franeker 1612, 20; H. Groti-
us, Annotationes in Novum Testamentum I (1641). Denuo emendatius editae, Groningen 1826,
240; Chr. Schöttgen, Horae Hebraicae et Talmudicae in universum Novum Testamentum
I, Dresden – Leipzig 1733, 64; J. J. Wettstein, Novum Testamentum Graecum I, Amsterdam
1751 = Graz 1962, 326.
70 Im Biblisch-Aramäischen: Hafel.
71
 Kausative Bedeutung haben das Hifil der Hebräischen Bibel (hªbē’tānû) und ebenso das
Afel des aramäischen Psalmen-Targums (’ª‛ēltānā’ ) in dem an Gott gerichteten Psalmvers Ps
66,11a: „Du hast uns in das Fangnetz hineingebracht“ = „Du hast uns in das Fangnetz hineinge-
raten lassen“. Hier ergibt sich der kausative Sinn, den auch die Septuaginta zum Ausdruck
bringt (εἰσήγαγες ἡμᾶς εἰς τὴν παγίδα [Ψ 65,11a]), zweifelsfrei aus dem Kontext der Verse
10–12. – Belege für permissive Bedeutung s. u. bei den Anmerkungen 79–84 und 85–88 (vgl.
auch Anm. 77).
72
 S.o. Anm. 67.
73 S.o. Anm. 69.
74
 S. z. B. W. M. L. de Wette, Kurze Erklärung des Evangeliums Matthäi (KEH.NT I.1),
Leipzig ³1845, 84; G. H. Box / ​W. F.  Slater, St. Matthew (The New-Century Bible). New
and Enlarged Edition, London u. a. o. J. (1922), 131 f.; W. Grundmann, Das Evangelium nach
Matthäus (ThHK 1), Berlin 1968, 197; Schürmann, Das Lukasevangelium II/1 (s. Anm. 25),
202 mit Anm. 209.
75
  S. z. B. Jeremias, Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung (s. Anm. 6), 169;
Ders., Neutestamentliche Theologie I (s. Anm. 7), 195 f.; M. Philonenko, Das Vaterunser.
Vom Gebet Jesu zum Gebet der Jünger (UTB 2312), Tübingen 2002, 100–102.115.
Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers 35

μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν um eine Übersetzung aus der semitischen


Sprache handelt, in der Jesus seinen Jüngern das Gebet gegeben hat. Zu dieser
Frage hatten uns bereits zuvor die einleitenden Betrachtungen zum griechischen
Text der Bitte Anlaß gegeben, und zwar im entscheidenden aufgrund der rein
sprachlich-philologischen Beobachtung, daß es sich bei der für die dritte Wir-
Bitte charakteristischen Wendung εἰσφέρειν τινὰ εἰς πειρασμόν um eine im Alt-
griechischen höchst ungewöhnliche, weil überhaupt nur im Text des Vaterunsers
belegte Formulierung handelt. Es ist vor allem diese Beobachtung, die uns jetzt
aufgrund der Erkenntnis, daß den beiden griechischen Vaterunser-Fassungen des
Neuen Testaments ein aramäischer Text zugrunde liegt, nach dem aramäischen
Wortlaut der Versuchungs-Bitte und damit nach ihrem ursprünglichen Sinn
fragen läßt.
Eine begründete Übersetzung der Worte καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν
ins Aramäische lautet: wᵉlā’ ta‛ēlinnan lᵉnisjôn.76 Zwischen dem griechischen
und dem aramäischen Satz besteht insofern ein fundamentaler Unterschied, als in
dem letzteren das Afel ta‛ēlinnan („bringe hinein“ = „laß hineingeraten“) anders
als die Aoristform von εἰσφέρειν sowohl kausative wie permissive Bedeutung
haben kann. Rein sprachlich gesehen gibt es deshalb keinen begründeten Ein-
wand gegen ein streng kausatives Verständnis des aramäischen Ausdrucks. Für
ein permissives Verständnis kann jedoch auf zwei Texte hingewiesen werden,
die bereits in der Literatur zu unserer Vaterunser-Bitte namhaft gemacht worden
sind und jetzt noch einmal vorgelegt und knapp erläutert werden sollen.77
Bei den beiden Texten handelt es sich um solche in hebräischer Sprache, wo-
bei zu dem erstgenannten auch eine genaue syrische Übersetzung vorliegt.78 1.
In der in Qumran gefundenen hebräischen Fassung des apokryphen 155. Psalms
(11Q5 XXIV 3–17)79 richtet der Beter an Gott die Bitte (XXIV 10): „Gedenke
meiner und vergiß mich nicht, und bringe mich nicht (wᵉ’al tᵉbî’ênî ) in das
76
 So Jeremias, Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung (s. Anm. 6), 160; Gese,
Bemerkungen zum Vaterunser unter dem Gesichtspunkt alttestamentlicher Gebetsformen (s.
Anm. 6), 412. Vgl. auch bereits Dalman, Die Worte Jesu I (s. Anm. 6), 344–347. – Da das
griechische εἰσφέρειν εἰς πειρασμόν nicht als Funktionsverbgefüge gelesen werden kann (s. o.
bei Anm. 44–48), ist es im Ansatz verfehlt, wenn einer Rückübersetzung der dritten Wir-Bitte
ins Aramäische die Worte „und stelle uns nicht auf die Probe“ bzw. „do not test us with testing“
zugrunde gelegt werden; so U. Schattner-Rieser, Das Aramäische zur Zeit Jesu, „ABBA!“
und das Vaterunser. Reflexionen zur Muttersprache Jesu anhand der Texte von Qumran und
der frühen Targumim, in: J. Frey / ​E. E. Popkes (Hg.), Jesus, Paulus und die Texte von Qumran
(WUNT II 390), Tübingen 2015, 81–144: 107.129 f.138 f.141; Dies., The Lord’s Prayer in the Con-
text of Jewish-Aramaic Prayer Traditions in the Time of Jesus, in: D. A. Smith / ​Chr. Heil (Hg.),
Prayer in the Sayings Gospel Q (WUNT 425), Tübingen 2019, 23–55: 33.44 f.52.
77
 Zu permissiver Verwendung des Hafel von ‛ªlal s. im Alten Testament Dan 2,24; 6,19.
78
 Das Syrische gehört zum Ostaramäischen.
79
 Auf diesen Text verweisen zu Mt 6,13a z. B. M. Philonenko, L’origine essénienne
des cinq psaumes syriaques de David, Semitica 9 (1959) 35–48: 44; Ders., Das Vaterunser
(s. Anm. 75), 101 f.; J. Carmignac, Recherches sur le „Notre Père“, Paris 1969, 287 f.;
J. H.  Charles­worth / ​J. A.  Sanders in: J. H. Charlesworth, The Old Testament Pseudepi-
36 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

hinein, was zu schwer für mich ist.“80 Der bereits vorher bekannte syrische
Text (SyrPs III 11) stimmt wörtlich mit dem hebräischen überein, wobei dem
wᵉ’al tᵉbî’ênî ein wᵉlā’ ta‛lan entspricht.81 Was der Beter unter dem „Schweren“
(qāšôt82) verstanden wissen will, das er nicht zu tragen vermöchte, das ergibt
sich aus dem unmittelbaren Textzusammenhang. In ihm geht es dezidiert um
die Sünde des Beters, wie die beiden folgenden Bitten zeigen: „Jahwe, richte
mich nicht nach meinen Sünden, denn vor dir ist kein Lebender gerecht“ (Zeilen
6 f.) und: „Die Sünden meiner Jugend laß fern von mir sein, und meiner Ver-
gehen möge mir nicht mehr gedacht werden“ (Zeile 11).83 Im Kontext dieser
Bitten wird es in der Bitte von Zeile 10 um die Bewahrung vor einer durch
schwere Sünde veranlaßten und deshalb für den Beter unerträglichen Situation
gehen. Der zweite Teil der Bitte hat dann den permissiven Sinn: „und laß mich
nicht in eine Lage hineingeraten, die zu schwer für mich ist“.84 – 2. Im Traktat
Berakhot („Segenssprüche“) des Babylonischen Talmuds (bBer 60b) wird ein
in hebräischer Sprache abgefaßtes Abendgebet mitgeteilt,85 das die folgenden
Bitten enthält:
„Möge es dein Wille sein, o Herr, mein Gott, daß du mich zum Frieden mich niederlegen
läßt, und gib mir Anteil an deiner Tora. Gewöhne mich an Gebotserfüllung und gewöhne
mich nicht an Gebotsübertretung. Bringe mich nicht (’al tᵉbî’ênî ) in Sünde und nicht in
Schuld und nicht in Versuchung (wᵉlô lîdê nissājôn) und nicht in Schändliches hinein.“86

grapha II, Garden City, NY 1985, 624 Anm. m; Gese, Bemerkungen zum Vaterunser unter dem
Gesichtspunkt alttestamentlicher Gebetsformen (s. Anm. 6), 418 Anm. 31.
80
 Hebräischer Text (angeführt nach Kolumne und Zeile): J. H. Charlesworth / ​H. W. L.
Rietz, The Dead Sea Scrolls. Hebrew, Aramaic, and Greek Texts with English Translations,
Vol. 4A: Pseudepigraphic and Non-Masoretic Psalms and Prayers, Tübingen bzw. Louisville,
KY 1997, 178.
81 Den hebräischen und den syrischen Text in synoptischer Darbietung s. ebd., 184.
82 Vgl. die Verwendung dieses femininum pluralis in der Bedeutung „Hartes“ in Gen 42,7.30.
83
 Zu beachten ist auch in Zeile 8 die an Gott gerichtete Bitte um Unterweisung in der Tora.
84
 Vgl. The Dead Sea Scrolls 4A (s. Anm. 80), 185, wo SyrPs III 11 folgendermaßen übersetzt
wird: „and do not allow me to enter (that which is) too difficult for me“. Ähnlich die Überset-
zung von 11Q5 XXIV 10 bzw. SyrPs III 11 in: The Old Testament Pseudepigrapha II (s. Anm. 79),
622 bzw. 624: „and do not let me enter that which is too difficult for me“. S. ferner die Über-
setzung bei Gese, Bemerkungen zum Vaterunser unter dem Gesichtspunkt alttestamentlicher
Gebetsformen [s. Anm. 6]), 418 Anm. 31: „und laß mich nicht in das hineingehen, was zu schwer
für mich“.
85
 Auf bBer 60b verweisen zu Mt 6,13a bereits u. a. Wettstein, Novum Testamentum
Graecum I (s. Anm. 69), 326; A. Wünsche, Neue Beiträge zur Erläuterung der Evangelien aus
Talmud und Midrasch, Göttingen 1878, 88; Billerbeck I, 422. Aus der neueren Literatur s.
Jeremias, Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung (s. Anm. 6), 169 f.
86 Dem Abendgebet tritt in bBer 60b ein Morgengebet an die Seite, in dem es heißt: „Und

möge es dein Wille sein, o Herr, mein Gott, daß du mich an deine Tora gewöhnst und mich an
deinen Geboten festhalten läßt. Und bringe mich nicht in Sünde und nicht in Schuld und nicht
in Versuchung und nicht in Schändliches hinein.“ Im Abend- wie im Morgengebet verstärkt das
dem vierfachen „in“ zugrundeliegende lîdê („in die Hände von“) die Präposition lᵉ („in […]
hinein“) und muß deshalb nicht notwendig als „in die Gewalt von“ gedeutet werden.
Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers 37

Wie aus der Zusammenstellung mit „Sünde“, „Schuld“ und „Schändliches“


folgt, ist in dem Gebet mit „Versuchung“ die Versuchung zur Sünde gemeint.
Da das Gebet schwerlich voraussetzt, daß die vier negativen Größen auf ein un-
mittelbares Handeln Gottes selbst zurückzuführen sind,87 wird das Hifil tᵉbî’ênî
permissiven Sinn haben: „Laß mich nicht in Sünde und nicht in Schuld und nicht
in Versuchung und nicht in Schändliches hineingeraten.“88
Die beiden mitgeteilten Texte sind Zeugnisse für den permissiven Gebrauch
des hebräischen Hifils hēbî’ – eines Gebrauchs, den die syrische Übersetzung
des ersten Textes auch für das aramäische Afel ’a‛êl belegt.89 Als diese Zeugnisse
beweisen sie zwar nicht, daß die aramäische Grundlage der Bitte μὴ εἰσενέγκῃς
ἡμᾶς εἰς πειρασμόν permissive Bedeutung haben muß, sehr wohl aber, daß sie
diese Bedeutung haben kann und daß in diesem Fall der Sinn ist: „laß uns nicht
in Versuchung hineingeraten“ oder „laß nicht zu, daß wir in Versuchung hinein-
geraten“. Für die Entscheidung in dieser Sache sind dann allerdings nicht mehr
sprachliche Erwägungen ausschlaggebend. Ausschlaggebend ist vielmehr eine
inhaltlich-theologische Überlegung, nämlich die Frage nach der angemessenen
Interpretation des Wortes πειρασμός. Drei in der exegetischen Literatur vertrete-
ne Erklärungen müssen nach meinem Urteil als unhaltbar bezeichnet werden:90
zum einen das Verständnis der „Versuchung“ als Verlockung zum Sündigen, wie
sie im alltäglichen Leben begegnet,91 zum andern das Verständnis als Prüfung

87 Vgl. Jeremias, Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung (s. Anm. 6), 169.
88
 Jeremias, ebd., gibt als Sinn des Gebetes an: „Laß nicht zu, daß ich in die Hände von
Sünde, Schuld, Versuchung und Schändlichem falle.“ S. dazu die Übersetzung von L. Gold-
schmidt in: Der Babylonische Talmud I, Berlin ²1964, 271: „Laß mich nicht zur Sünde kommen
noch zur Versuchung noch zur Schmach.“ Vgl. die Übersetzung des Morgengebetes ebd., 272.
Zu dem entsprechenden Gebet im Gebetbuch s. die folgenden Übersetzungen: Gebete der
Israeliten. Übersetzt von Dr. J. Bleichrode, Rödelheim ⁸1906, 11: „Laß uns nicht in die Hände
der Sünde, nicht in die Hände der Übertretung und Schuld, nicht in die Hände der Versuchung
und nicht in die Hände der Schande fallen!“; Sidur Sefat Emet. Mit deutscher Übersetzung
von Rabbiner Dr. S. Bamberger, Basel 1956 – 1964, 6: „Laß uns nicht zu Sünde, Vergehung
und Schuld, nicht in Versuchung und nicht in Schande kommen.“ Fast ebenso wie Bamberger
übersetzt E. Munk, Die Welt der Gebete. Kommentar zu den Werktags- und Sabbat-Gebeten
nebst Übersetzung, Basel 1962, 39.
89
 Zum Syrischen vgl. auch den Peschitta-Text von Mt 6,13a par. Lk 11,4b, in dem das Afel
ta‛lan durchaus permissiv verstanden werden kann. S. dazu die Übersetzungen in: The Holy
Bible. From Ancient Eastern Manuscripts. By G. M. Lamsa, Nashville, TN ²²1981, 956.1030
(„do not let us enter into temptation“); Aramaic Peshitta New Testament Translation. By
J. M. Magiera, Truth or Consequences, NM 2005, 33 („do not let us enter into trial“). 182 („do
not let us enter into temptation“); Biblia Peshitta en Español, Nashville, TN 2015, 1769.1914
(„no nos hagas entrar en prueba“).
90 Eine kritische Diskussion würde den Rahmen des Aufsatzes sprengen. Ich muß mich – von

ganz knappen Hinweisen abgesehen – darauf beschränken, meine eigene Sicht vorzutragen und
zu begründen.
91
 Die Vaterunser-Bitte läge dann auf der Linie der Bitten von 11Q5 XXIV 10 und bBer 60b.
Vom Kontext her muß jedoch, wie sogleich dargelegt werden soll, an eine Situation gedacht
sein, in der das Gottesverhältnis insgesamt aufs höchste bedroht ist.
38 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

und Erprobung des Glaubens, die auf die Bewährung des Versuchten abzielt,92
und ebenso auch die Deutung auf die große endzeitliche „Versuchung“, d. h.
auf die apokalyptische Drangsal von Apk 3,10.93 Gegen diese Interpretationen
des πειρασμός spricht vor allem der bereits erwähnte Tatbestand, daß die drei
Wir-Bitten aufs engste zusammengehören und sich jeweils auf etwas beziehen,
das mit einer ganz elementaren Not der Jünger Jesu zu tun hat. Überzeugend
ist im Blick darauf die Erklärung jener Ausleger, die in dem πειρασμός die
Versuchung zum Abfall von Gott erblicken.94 Eindrücklich beschreibt Hartmut
Gese den Sachverhalt: Es geht um πειρασμός „als Gefährdung des Beters durch
das Böse, also als Infragestellung des Gottesverhältnisses“.95 Die Bitte spricht
von dem, „was im letzten Sinn πειρασμός ist, weil es wirklich zur Krisis des
Lebens führt und infolge der Schwachheit des Beters die Gottesgemeinschaft
in Frage stellt“,96 und sie ist „von dem tiefen Wissen um die diabolische Macht
der Verführung bestimmt“.97 „Die Radikalität des Bösen gilt grundsätzlich (Mt
10,28 par.), […], und der Abfall droht selbst im engsten Jüngerkreis (Mk 14,38
parr.; Lk 22,31–43).“98 All das besagt: Es ist in der Vaterunser-Bitte eben jener
πειρασμός gemeint, von dem Jesus im Garten Gethsemane in seinem an die
Jünger gerichteten Wort spricht: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung
hineingeratet“ (Mk 14,38; Mt 26,41; Lk 22,40.46).99 In diesem Wort ist von der
Situation des in Mk 14,27 par. Mt 26,31 angekündigten σκανδαλίζεσθαι, d. h. des
Abfalls von Jesus die Rede.100 Die dritte Wir-Bitte des Vaterunsers hat somit
Situationen äußerster Bedrohung im Blick, in denen es bei Menschen, die Jesus
nachfolgen, aufgrund der eigenen Schwachheit durchaus zum Abfall von ihm
 92
 Gese, Bemerkungen zum Vaterunser unter dem Gesichtspunkt alttestamentlicher Gebets-
formen (s. Anm. 6), 417 sagt mit Recht: Es „versteht sich aus der negativen Formulierung im
Bittgebet von selbst, daß all jene πειρασμοί nicht gemeint sein können, die der fromme Beter im
kämpferischen Leben tapfer und geduldig besteht und überwindet, so daß der Psalmist geradezu
sagen kann: ‚Prüfe und versuche mich‘ (Ps 26,2; vgl. Ps 139,23 f.)“.
 93 In diesem Fall wäre vor πειρασμόν der Artikel zu erwarten. Entscheidend ist jedoch, daß

die Wir-Bitten nicht eschatologisch zu verstehen sind.


 94
 Exemplarisch nenne ich zu Mt 6,13a: Gnilka, Das Matthäusevangelium I (s. Anm. 25),
226; zu Lk 11,4b: Schürmann, Das Lukasevangelium II/1 (s. Anm. 25), 200–202.
 95
 Gese, Bemerkungen zum Vaterunser unter dem Gesichtspunkt alttestamentlicher Gebets-
formen (s. Anm. 6), 417 (Hervorhebung dort).
 96
 Gese, ebd.
 97 Gese, ebd., 417 f.
 98
 Gese, ebd., 418.
 99
 Zu der Wendung ἔρχεσθαι εἰς πειρασμόν (Mk 14,38) bzw. εἰσέρχεσθαι εἰς πειρασμόν
(Mk 14,38 v. l.; Mt 26,41; Lk 22,40.46), die dem Ausdruck εἰσφέρειν εἰς πειρασμόν der Vater-
unser-Bitte korrespondiert, ist mir aus der altgriechischen Literatur keine Parallele bekannt.
Hebräische Parallelen, die allerdings nur die sprachliche Formulierung, nicht dagegen den
Sinn des Wortes „Versuchung“ betreffen, finden sich in 4Q504 Frgm. 1–2 V 17 f. und in TanchB
Gen, br’šjt § 40.
100
 Vgl. R. Pesch, Das Markusevangelium II: Kommentar zu Kap. 8,27–16,20 (HThK II/2),
Freiburg  – Basel  – Wien 1977, 392; J. Gnilka, Das Matthäusevangelium II (HThK I/2),
Freiburg – Basel – Wien ²1992, 412.
Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers 39

und eben damit auch von Gott kommen könnte. Zu denken ist hier etwa an große
Bedrängnis oder schwere Verfolgung um der Zugehörigkeit und des Bekennt-
nisses zu Jesus willen.101 Daß Gott die Beter davor bewahre, in eine Situation
solcher Gefährdung hineinzugeraten, darauf zielt die negativ formulierte Bitte
μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν. Sie ist also in der Sache die Bitte um die
Bewahrung vor Situationen, in denen die Gefahr des Abfalls besteht, der den
Verlust des ewigen Heils nach sich ziehen würde.
In der Matthäus-Fassung des Vaterunsers findet die vorgetragene Deutung
dadurch ihre Bestätigung, daß zu der Versuchungs-Bitte als weitere Bitte ein
Satz hinzugefügt wird, der in positiver Formulierung den Gegensatz benennt:
ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ (Mt 6,13b). Besonders deutlich ist die anti-
thetische Entsprechung zu dem negativen Satz Mt 6,13a, wenn man ῥύεσθαι ἀπό
τινος in der Bedeutung „retten vor“ / ​„bewahren vor“ faßt102 und den Genitiv τοῦ
πονηροῦ als Neutrum liest. Dann ergibt sich als Übersetzung: „sondern bewahre
uns vor dem Bösen“, und das „Böse“ bezeichnet die gegen die Jünger gerichtete
gottwidrige und deshalb für sie total bedrohliche Macht. Die antithetische Ent-
sprechung ist aber ebenso gegeben, wenn man für ῥύεσθαι ἀπό τινος die Bedeu-
tung „retten von“ / ​„befreien von“ annimmt103 und den Genitiv τοῦ πονηροῦ als
Maskulinum versteht und auf den Satan deutet104.

4. Fazit

Blicken wir an dieser Stelle auf unsere Überlegungen zur dritten Wir-Bitte des
Vaterunsers zurück, so kann das Folgende festgehalten werden:
1. Der lexikographische Befund zu der griechischen Bitte καὶ μὴ εἰσενέγκῃς
ἡμᾶς εἰς πειρασμόν erlaubt nicht, in der Wortverbindung εἰσφέρειν εἰς
101
 Vgl. dazu Lk 8,13: ἐν καιρῷ πειρασμοῦ ἀφίστανται. Lukas bezeichnet hier das als
πειρασμός, was bei Markus „Drangsal oder Verfolgung um des Wortes [Gottes] willen“ heißt
(Mk 4,17). Zu Situationen, in denen es zum Abfall kommen kann, s. auch Mt 10,16–25; Mk
13,9–13 par. Mt 24,9–14 / ​Lk 21,12–19.
102
 Diese Bedeutung hat der Ausdruck im Griechischen überwiegend. Als Beispiele nenne
ich: 1 Makk 12,15; Ψ 17,30; 42,1; Spr 2,12 LXX; PsSal 4,23; TestRub 4,10; OrSib 2,344 f.; Röm
15,31; Did 10,5; 1 Klem 60,3a.b.
103
 Dann steht ἀπό im Sinn von ἐκ. Beispiele dafür sind: Ez 27,23 LXX; ApkSedr 16,7;
2 Thess 3,2; 2 Tim 4,18.
104
 Die Frage, ob τοῦ πονηροῦ Maskulinum oder Neutrum ist, stellt sich auch zu Joh 17,15
und 2 Thess 3,3. Der Satan heißt im Neuen Testament mehrfach ὁ πονηρός „der Böse“ (Mt
13,19; Eph 6,16; 1 Joh 2,13 f.; 3,12; 5,18). Von daher ist denkbar, daß τοῦ πονηροῦ in Mt 6,13b als
Maskulinum zu lesen ist. Zu denken gibt allerdings, daß in der altjüdischen Literatur eine ent-
sprechende Bezeichnung des Satans (hebr. hāra‛, aram. bîšā’ ) nicht nachgewiesen ist (Biller­
beck I, 422; Dalman, Die Worte Jesu I [s. Anm. 6], 351). M. Sokoloff, A Dictionary of
Jewish Palestinian Aramaic of the Byzantine Period, Jerusalem 1990, 102a s. v. bîš sieht in GenR
75,3 zu 32,4 (Theodor / ​Albeck II 880,2 f.) den Satan als bîšā’ bezeichnet; ihm folgt Philo­
nenko, Das Vaterunser (s. Anm. 75), 103 f. Zu übersetzen ist dort m. E. jedoch „das Böse“.
40 Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers

πειρασμόν ein Funktionsverbgefüge und somit ein Synonym zu den Verben


πειρᾶν / ​πειρᾶσθαι bzw. πειράζειν zu erblicken. Die Wiedergabe der Bitte mit
den Worten „und führe uns nicht in Versuchung“ muß deshalb als unhaltbar
bezeichnet werden. Das Verbum εἰσφέρειν ist in Mt 6,13a par. Lk 11,4b als Voll-
verb verwendet, so daß die Übersetzung nur lauten kann: „und führe (oder:
bringe) uns nicht in Versuchung hinein“.
2. Im griechischen Text der Bitte ist Gott Subjekt des εἰσφέρειν εἰς πειρασμόν,
und das kann nicht anders verstanden werden als so, daß er als der Urheber des
πειρασμός bezeichnet wird. Ein permissives Verständnis der Bitte, demzufolge
nicht von dem bewirkenden, sondern von dem zulassenden Handeln Gottes die
Rede wäre, läßt der griechische Text nicht zu.
3. Die Bitte καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν ist die Übersetzung einer
aramäischen Vorlage, als deren Wortlaut der Satz wᵉlā’ ta‛ēlinnan lᵉnisjôn er-
schlossen werden darf. Dem für die semitischen Sprachen kennzeichnenden
Gebrauch des verbalen Kausativstamms entsprechend heißt dieser Satz nicht
nur: „bringe uns nicht in Versuchung hinein“, sondern auch: „laß uns nicht in
Versuchung hineingeraten“. Dabei kann dann das Afel ta‛ēlinnan („laß uns
hineingeraten“) rein sprachlich gesehen sowohl kausative wie permissive Be-
deutung haben, also nicht nur die direkte Verursachung, sondern ebenso auch
die bloße Zulassung zum Ausdruck bringen. Über den an einer konkreten Stelle
vorliegenden Sinn entscheidet jeweils der Kontext.
4. Gute Gründe sprechen dafür, daß in der dritten Wir-Bitte des Vaterunsers
mit dem πειρασμός die Versuchung zum Abfall von Gott gemeint ist, der nicht
zuletzt auch mit der Abwendung von Jesus geschieht, und daß die Bitte dement-
sprechend permissiven Sinn hat: „Laß uns nicht in Versuchung hineingeraten“.
Die Bitte zielt dann auf die Bewahrung der Jünger Jesu vor Situationen, in denen
sie in ihrer Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus durch die gottfeindliche
Macht des Bösen aufs höchste gefährdet sind. Versteht man die Bitte in diesem
Sinn, dann tritt sie den beiden Wir-Bitten um die zum Leben notwendige Nah-
rung und um die für die Gottesbeziehung wesentliche Vergebung der Sünden
eindringlich und eindrücklich an die Seite.
Sündenvergebung als Prärogative Gottes
und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung
Mk 2,1–12 als narratives Christuszeugnis1

Die Erzählung von der Heilung des Gelähmten Mk 2,1–12 gewinnt ihr be-
sonderes Profil durch das Wort, das Jesus an den Kranken richtet, der zu ihm
gebracht wird: τέκνον, ἀφίενταί σου αἱ ἁμαρτίαι – „Kind, deine Sünden werden
[dir] hiermit vergeben“ (V. 5b).2 Dieser Satz stellt die Exegese vor die Frage,
wer als das Subjekt der Sündenvergebung verstanden sein will. Ist ausschließlich
Gott als der Vergebende gedacht und Jesus als der gesehen, der dem Gelähmten
den göttlichen Freispruch gültig ausrichtet und also in abgeleiteter Vollmacht
an dem Vergebungsgeschehen beteiligt ist? Oder ist gemeint, daß Jesus selbst
in unmittelbarer Machtvollkommenheit und eigener Autorität dem Gelähmten
durch sein freisprechendes Wort die Sünden vergibt? Daß zwischen einem Zu-
spruch, der kundgibt, was allein Gott tut bzw. getan hat, und einem Zuspruch, der
als schöpferisches Machtwort wirkt, was er sagt, ein fundamentaler und theo-
logisch höchst relevanter Unterschied besteht, kann keinem Zweifel unterliegen.
Zwischen beidem muß deshalb in der Exegese von Mk 2,5b präzise unterschie-
den werden.3 Nur wenn hinsichtlich der Semantik der Worte ἀφίενταί σου αἱ
ἁμαρτίαι ein begründetes Ergebnis gewonnen ist, kann sinnvoll bedacht werden,

1
 In dem vorliegenden Aufsatz greife ich – unter Ergänzung verschiedener Gesichtspunkte –
noch einmal eine Thematik auf, der bereits die folgenden älteren Arbeiten gewidmet sind:
O. Hofius, Jesu Zuspruch der Sündenvergebung. Exegetische Erwägungen zu Mk 2,5b, in:
Ders., Neutestamentliche Studien (WUNT 132), Tübingen 2000, 38–56; Ders., Vergebungs-
zuspruch und Vollmachtsfrage. Mk 2,1–12 und das Problem priesterlicher Absolution im antiken
Judentum, ebd., 57–69; Ders., Kennt der Targum zu Jes 53 einen sündenvergebenden Messias?,
ebd., 70–107. Meine Überlegungen gelten ausschließlich dem Wunderbericht Mk 2,1–12 als
einem narrativen Christuszeugnis des Zweiten Evangelisten. Die Frage nach der Historizität
des Berichteten, die nicht sogleich mit der Exegese das Markustextes vermischt werden sollte,
bleibt außer Betracht.
2 Daß dem Gelähmten die Vergebung unmittelbar mit dem Zuspruch Jesu zuteil wird, kommt

in dem aoristischen Präsens ἀφίενται zum Ausdruck (vgl. F. Blass  / ​A.  Debrunner / ​F.  Reh-
kopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen ¹⁷1990, § 320). Die sekundäre
Lesart ἀφέωνται („sie sind [dir] vergeben“) ist Angleichung an Lk 5,20.
3
 Das gilt auch für die Terminologie: Der Begriff „Vollmacht“ sollte nur im Sinn von
„Ermächtigung“ verwendet werden, nicht aber (wie z. B. noch in den in Anm. 1 genannten
Arbeiten) im Sinn von „Machtvollkommenheit“.
42 Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung

ob sich in der Literatur des antiken Judentums Parallelen zu dem Vergebungs-


zuspruch Jesu nachweisen lassen oder ob wir es hier mit einem analogielosen
Phänomen zu tun haben, das dann der weiteren Erklärung bedarf.
Was nun die Frage nach dem genauen Sinn der Worte ἀφίενταί σου αἱ ἁμαρτίαι
anlangt, so ist diese keineswegs bereits durch die sprachliche Gestalt des Zu-
spruchs selbst entschieden. Das Passiv ἀφίενται kann – rein sprachlich gesehen –
ein das Handeln Gottes umschreibendes Passivum divinum sein, so daß der
Zuspruch besagen würde: „Gott vergibt dir jetzt deine Sünden.“ Ebenso besteht
aber auch die Möglichkeit, daß der Wortlaut des Zuspruchs eine bestimmte
Spracheigentümlichkeit widerspiegelt, die in der rabbinischen Literatur sowohl
für Worte von Menschen wie auch für Worte Gottes belegt ist. Diese Sprach-
eigentümlichkeit besteht darin, daß die Gewährung der Vergebung im unmittel-
baren Vergebungszuspruch durch die passivische Redeweise „dir ist vergeben“
ausgedrückt werden kann, die einem „ich vergebe dir“ voll entspricht.4
Da die Worte ἀφίενταί σου αἱ ἁμαρτίαι V. 5b in sprachlicher Hinsicht dop-
peldeutig sind, läßt sich ihr präziser Sinn nur aus dem Gesamtzusammenhang
der Erzählung Mk 2,1–12 ermitteln. Setzt man, wie es m. E. methodisch geboten
ist, für diese Erzählung zunächst einmal eine innere Stimmigkeit und Folge-
richtigkeit voraus,5 so kann nicht zweifelhaft sein, wie hinsichtlich der eingangs
formulierten Alternative zu entscheiden ist. Nach V. 7 reagieren Schriftgelehrte
auf den Zuspruch Jesu mit den Worten: τί οὗτος οὕτως λαλεῖ; βλασφημεῖ· τίς
δύναται ἀφιέναι ἁμαρτίας εἰ μὴ εἷς ὁ θεός; – „Wie kann dieser solches6 sagen?
Er lästert Gott!7 Wer kann Sünden vergeben außer einem: Gott?“ Bei der rheto-
rischen Frage τίς δύναται ἀφιέναι ἁμαρτίας εἰ μὴ εἷς ὁ θεός; handelt es sich in
der Sache um eine betonte Feststellung – nämlich um die Aussage: „Niemand
kann Sünden vergeben außer Gott allein.“8 Diese Aussage begründet den zuvor
geäußerten Vorwurf der Gotteslästerung, der seinerseits durch den Vergebungs-
zuspruch Jesu veranlaßt ist. Die drei Sätze der Schriftgelehrten sind im Duktus
der Erzählung lediglich dann sinnvoll, wenn der Zuspruch V. 5b als Gewährung
der Sündenvergebung durch Jesu selbst verstanden sein will. Nur in diesem Fall
4
 Die Belege s. bei Hofius, Jesu Zuspruch der Sündenvergebung (s. Anm. 1), 48–52.
5
 Jeder neutestamentliche Text verdient zunächst das hermeneutische „Vorurteil“, ein in sich
stimmiger und widerspruchsfreier Text zu sein, und dieses „Vorurteil“ ist erst dann und nur dann
zu revidieren, wenn sich unter solcher Prämisse eine sinnvolle Interpretation als unmöglich
erweist. Was die Erzählung Mk 2,1–12 betrifft, so ist es ein methodisch mehr als fragwürdiges
Verfahren, die Worte ἀφίενταί σου αἱ ἁμαρτίαι V. 5b von vornherein als Zuspruch der Ver-
gebung Gottes zu deuten und dann zu urteilen, daß es sich bei den Worten der Schriftgelehrten
von V. 7 um einen unangemessenen Einwand handle.
6
 Das Adverb οὕτως ist in V. 7a, V. 8a und V. 12b substantivisch verwendet; vgl. zu diesem
Gebrauch Mt 9,33; Lk 1,25; 2,48; 1 Kor 15,11.
7
 Das absolut gebrauchte βλασφημεῖν (Mk 2,7 par.; Mt 26,65a; Joh 10,36) heißt „Gott
lästern“; s. O. Hofius, Art. βλασφημία κτλ., in: EWNT² I (1992) 527–532: 529.
8 Zur Frageform der Feststellung vgl. K. Beyer, Semitische Syntax im Neuen Testament I:

Satzlehre Teil 1 (StUNT 1), Göttingen ²1968, 124–126.


Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung 43

können die Schriftgelehrten in dem Zuspruch eine Gotteslästerung erblicken, die


darin liegt, daß Jesus sich etwas anmaßt, das einzig und allein in Gottes Macht
steht.9 Der Vorwurf der Gotteslästerung und der ihn begründende Hinweis auf
die Prärogative Gottes wären dagegen gänzlich unbegründet, wenn Jesu Wort
als vollmächtiger Zuspruch der von Gott geschenkten Vergebung gemeint ist. Er
wäre dann ja dem Vergebungszuspruch durch einen Engel oder einen Propheten
zu vergleichen, von dem bereits alttestamentliche Texte zu sagen wissen,10 und
der Erzähler hätte den Schriftgelehrten die Frage in den Mund legen müssen,
ob denn Jesus ein bevollmächtigter Bote Gottes und deshalb legitimiert sei, ver-
bindlich in seinem Namen zu reden.11 Durch die in V. 7 vorliegende Formulie-
rung aber wird das Wort V. 5b als Gewährung der Sündenvergebung durch Jesus
selbst erwiesen, und das findet durch V. 8–11 noch einmal seine Bestätigung. Von
eindeutiger Aussagekraft ist bereits die Frage Jesu von V. 9: „Was ist leichter:
zu dem Gelähmten zu sagen: ‚Deine Sünden werden [dir] hiermit vergeben‘,
oder zu sagen: ‚Steh auf, nimm deine Trage und geh umher‘?“ Die Frage setzt
voraus, daß die Vergebung der Sünden und die Heilung des Kranken gleich
schwer sind und daß beides einzig in Gottes Macht steht,12 und sie stellt dem
Vergebungszuspruch von V. 5b einen Befehl an die Seite, der wie das Machtwort
Jesu in anderen Wunderberichten13 nur als ein schöpferisches verbum efficax
verstanden werden kann, das dem Kranken die Heilung bringt. Diesen Befehl
erteilt Jesus dann mit den Worten von V. 11: σοὶ λέγω, ἔγειρε ἆρον τὸν κράβαττόν
σου καὶ ὕπαγε εἰς τὸν οἶκόν σου – „Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Trage
und geh heim in dein Haus!“ Nach V. 10 (ἵνα δὲ εἰδῆτε ὅτι κτλ.) liegt in dem die
Heilung wirkenden Befehl Jesu der sichtbare Erweis dafür, „daß der Menschen-
sohn14 Macht hat, Sünden zu vergeben auf Erden“ (ὅτι ἐξουσίαν ἔχει ὁ υἱὸς τοῦ
ἀνθρώπου ἀφιέναι ἁμαρτίας ἐπὶ τῆς γῆς15). Der die ἐξουσία hat zu sagen: ἔγειρε

 9
 Vgl. Joh 10,33 (auch 5,18).
10 Zuspruch durch einen Engel: Jes 6,7; Sach 3,4b (im Kontext der Verse 3,3–5); Zuspruch
durch einen Propheten: Jes 43,25; 44,22; 2 Sam (2 Reg) 12,13. Zu dem Wort, das der Engel
Jahwes in Sach 3,4b an den Hohenpriester Josua richtet („Siehe, ich habe deine Schuld von dir
hinweggenommen“), ist anzumerken, daß der Engel die Sündenvergebung keineswegs aus ei-
gener Macht gewährt. Die Szene Sach 3,1–7 mitsamt dem Wort V. 4b ist im Zusammenhang mit
Sach 1,12–17 zu sehen. Jahwe selbst gibt „die Zusage der Vergebung an seinen Erwählten durch
das Wort des Engels“ (R. Hanhart, Dodekapropheton 7.1: Sacharja 1–8 [BKAT XIV/7.1],
Neukirchen-Vluyn 1998, 218).
11
 Zwei Deutungen haben am Text nicht den geringsten Anhalt: (a) daß die Frage nach der
Boten-Vollmacht in der Äußerung der Schriftgelehrten mit impliziert sei, (b) daß die Worte
ἀφίενταί σου αἱ ἁμαρτίαι V. 5b als Botenspruch gemeint seien und mit der Schilderung von
V. 6 f. den Schriftgelehrten ein Mißverständnis dieser Worte zugeschrieben werden solle.
12
 So richtig W. Schmithals, Das Evangelium nach Markus. Kapitel 1–9,1 (ÖTBK 2/1),
Gütersloh bzw. Würzburg 1979, 151.161; L. Schenke, Das Markusevangelium. Literarische
Eigenart – Text und Kommentierung, Stuttgart 2005, 88 f.
13
 Mk 5,41; Lk 7,14; 8,54; 13,12; Joh 11,43.
14
 Zu der hier vorliegenden Bedeutung des Hoheitstitels s. u. Teil V des Aufsatzes.
15
 Die Worte ἀφιέναι ἁμαρτίας ἐπὶ τῆς γῆς bieten den ursprünglichen Text. Die Lesart ἐπὶ
44 Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung

ἆρον τὸν κράβαττόν σου καὶ ὕπαγε εἰς τὸν οἶκόν σου – und mit diesem Wort die
Heilung wirkt, der hat auch die ἐξουσία zu sagen: ἀφίενταί σου αἱ ἁμαρτίαι –
und mit diesem Wort die Sündenvergebung zu gewähren.16 Beide Sätze – das
Vergebungswort V. 5b und das Heilungswort V. 11 – sind somit schöpferische
Machtworte, durch die Jesus selbst wirkt, was er gebietet. Hinsichtlich des
Vergebungszuspruchs kommt das auch darin zum Ausdruck, daß die Aussage
über Jesus – ἐξουσίαν ἔχει ἀφιέναι ἁμαρτίας – formal wie inhaltlich genau dem
entspricht, was in V. 7 von Gott gesagt war: δύναται ἀφιέναι ἁμαρτίας.17 Wie
sich aus der Parallelität der beiden Sätze ergibt, handelt es sich bei der Jesus
zugeschriebenen ἐξουσία, Sünden zu vergeben, um eine Machtvollkommen-
heit, die ihm selbst ganz unmittelbar eignet.18 Gegen diese Konsequenz spricht
keineswegs die in V. 10 zu ἀφιέναι ἁμαρτίας hinzugefügte adverbiale Wendung
ἐπὶ τῆς γῆς. Diese hebt nicht auf den Gedanken der Bevollmächtigung ab, so
daß zu deuten wäre: Gott allein hat in der Tat als der „im Himmel“ Richtende
die Macht, Sünden zu vergeben, Jesus aber hat die Vollmacht, die Vergebung
„auf Erden“ zuzusprechen. Eine Gegenüberstellung von „Himmel“ und „Erde“
ist im Text durch nichts angezeigt. Die Worte ἐπὶ τῆς γῆς bedeuten vielmehr wie
in Mk 9,3 soviel wie „unter den Menschen“19 und bezeichnen den Bereich, in
dem Sündenvergebung erforderlich und Jesus heilschaffend wirksam ist.20 Die
Aussage des V. 10 ist: Jesus, der „Menschensohn“, vermag in seinem Wirken auf
Erden das, was Gott vermag. Eben dieses Vermögen war ihm auch bereits in V. 8
zugeschrieben worden – nämlich mit der Erkenntnis der verborgenen Gedanken
des Herzens, die einzig Gott eignet.21

τῆς γῆς ἀφιέναι ἁμαρτίας ist Angleichung an Mt 9,6 / ​Lk 5,24, und die dadurch entstandene
Zweideutigkeit, ob ἐπὶ τῆς γῆς zu ἐξουσίαν ἔχει oder zu ἀφιέναι ἁμαρτίας gehört, hat dann den
Anlaß zu der Lesart ἀφιέναι ἐπὶ τῆς γῆς ἁμαρτίας gegeben.
16 In Mk 2,10 wird somit genau das von Jesus ausgesagt, was der Beter in Ps 103(102),3 von

Gott bekennt.
17 Eine Parallele zu ἐξουσίαν ἔχει ἀφιέναι ἁμαρτίας Mk 2,10 (par. Mt 9,6; Lk 5,24), die mit

dem Nomen jklh bzw. jwkl’ auch ein aramäisches Äquivalent zu ἐξουσία enthält, liefert die Aus-
sage über Gott in TargN Gen 4,13: „Bei dir ist (= du hast) die Macht, zu verzeihen und zu ver-
geben (jklh qdmk lmšrj wlmšbq)“; vgl. TargFrgm (V) Gen 4,13 (jwkl’ qwdmk lmjšrj wlmjšbwq)
und TargPsJon Gen 4,13 (jwkl’ qdmk lmšbwq).
18
 Die Wendung ἐξουσίαν ἔχειν + Infinitiv = „die ἐξουσία haben, etwas zu tun“ ist als solche
mehrdeutig, da sich der genaue Sinn von ἐξουσία allererst aus dem jeweiligen Kontext ergibt.
Das Nomen kann heißen: 1. „die Macht“ / ​„die Machtvollkommenheit“ / ​„das Vermögen“ / ​„das
Können“ (Jdt 8,15; Tob 7,10 [S]; Lk 12,5 [vgl. Mt 10,28]; Joh 10,18; 19,10; grHen 25,4; Josephus,
Ant II 153 [parallel: δύναμις]); 2. „die Vollmacht“ (1 Makk 10,35; Mk 3,15; Apg 9,14; Apk 11,6);
3. „das Recht“ (1 Esdr 8,22; 1 Kor 9,4–6; Hebr 13,10; Josephus, Ant III 266. IV 247.259); 4. „die
Erlaubnis“ (Tob 2,13 [S]; Josephus, Ant VIII 17); 5. „die freie Verfügung“ (Röm 9,21).
19
 S. dazu ferner Lk 18,8b; Joh 17,4; Röm 9,28; sowie Hi 1,8; 2,3; Ps 58,12; 67,3; 74,12;
hebrSir 50,22.
20
 Dazu ist an biblische Zeugnisse zu erinnern, die von Gottes heilvollem Handeln „auf
Erden“ sprechen: Ps 58,12; 74,12; Jer 9,23; Ψ 45,9; hebrSir 50,22.
21
 1 Kön 8,39; 1 Chr 28,9; Jer 11,20; 17,10; 20,12; Ps 7,10; 44,22; 139,1b.2; Spr 15,11; 24,12; Sir
42,18–20; PsSal 14,8. Im Neuen Testament s. Lk 16,15; Apg 1,24; 15,8; Röm 8,27; 1 Thess 2,4.
Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung 45

Blicken wir zurück, so kann von dem inneren Zusammenhang der Erzählung
Mk 2,1–12 her ein eindeutiger Befund konstatiert werden: Dem Erzähler gelten
die Worte Jesu ἀφίενταί σου αἱ ἁμαρτίαι V. 5b nicht als eine in abgeleiteter Voll-
macht ergehende Kundgabe der Vergebung Gottes, sondern als ein in eigener
Machtvollkommenheit von Jesus selbst vollzogener Vergebungsakt.22

II

Im Anschluß an die semantische Bestimmung des Vergebungszuspruchs Mk


2,5b kann nunmehr die Frage nach Parallelen in der Literatur des antiken Juden-
tums erörtert werden.23 Als Kriterium für ein begründetes Urteil ergibt sich aus
jener Bestimmung, daß nur da von einer wirklichen Parallele gesprochen werden
könnte, wo in einem frühjüdischen Text von einer Sündenvergebung die Rede
wäre, die von einem Menschen – oder auch etwa von einem Wesen der himm-
lischen Welt – in unmittelbarem Vermögen und eigener Autorität durch das wirk-
mächtige Wort gewährt wird. Demgemäß handelt es sich nicht um Parallelen,
wenn gesagt wird, daß ein dazu bevollmächtigter Bote die von Gott gewährte
Sündenvergebung kundgibt24, daß die Priester Israels oder der Hohepriester
durch den Vollzug der von Gott selbst angeordneten Sühneriten schuldigen Men-
schen die Vergebung Gottes erwirken25 oder daß bestimmte Personen – so etwa

22
 Dieses Verständnis gilt ebenso auch für die von manchen Exegeten postulierte ältere
und nur die Verse 1–5 und 11–12 umfassende Erzählung; s. dazu Hofius, Jesu Zuspruch der
Sündenvergebung (s. Anm. 1), 44–48. Setzt man bei dem irdischen Jesus selbst einen Ver-
gebungszuspruch voraus, so kann im Kontext historisch-kritischer Exegese für diesen lediglich
behauptet, keineswegs aber mit hinreichenden Argumenten nachgewiesen werden, daß es sich
bei ἀφίενται um ein Passivum divinum handle; s. dazu Hofius, ebd., 48–52.
23
 Als Parallelen scheiden von vornherein aus die Aussagen über den endzeitlichen Hohen-
priester in TestLev 18,9, über den „Gesalbten Aarons und Israels“ in CD 14,19 und über den
Elia redivivus in Sir 48,10 und TargJon Mal 3,23 f. (s. dazu Hofius, Kennt der Targum zu Jes
53 einen sündenvergebenden Messias? [s. Anm. 1], 72 Anm. 10 und 106 Anm. 216) sowie das in
CD 13,9 f. über den Mebaqqer – den schriftgelehrten „Aufseher“ der Gemeinde – Gesagte (s.
dazu B. Janowski, Sündenvergebung „um Hiobs willen“. Fürbitte und Vergebung in 11 QtgJob
38,2f und Hi 42,9f LXX, in: Ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten
Testaments, Neukirchen-Vluyn 1993, 40–69: 67).
24
 S. dazu neben den bereits in Anm. 10 notierten alttestamentlichen Belegen zur Kundgabe
durch einen Engel: Jub 41,23–25 (vgl. in der Sache JosAs 15,1–8 und entfernt auch Dan 4,34
LXX).
25
 S. dazu meinen Aufsatz „Vergebungszuspruch und Vollmachtsfrage“ (s. Anm. 1), in dem
auch gezeigt wird, daß sich eine ausdrückliche Absolution durch einen Priester oder durch den
Hohenpriester in den relevanten Quellen nicht nachweisen läßt. Daß das antike Judentum dem
Priester die Vollmacht zuerkannt habe, von Sünden loszusprechen, wird ohne Begründung
behauptet von E. Lohmeyer, Das Evangelium des Markus (KEK 1/2), Göttingen ¹⁴1957, 52;
Ders., Das Evangelium des Matthäus (KEK.S), Göttingen ²1958, 169; E. Haenchen, Der
Weg Jesu. Eine Erklärung des Markus-Evangeliums und der kanonischen Parallelen, Berlin
²1968, 102. Im Blick auf den Hohenpriester findet sich die gleiche Behauptung bei W. Grund-
46 Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung

Mose26, Hiob27 und der Messias28 – aufgrund ihrer besonderen Gottesbeziehung


durch ihre Interzession Gott dazu bewegen, Sündern ihre Sünden zu vergeben29.
Die alttestamentlichen Texte Ex 10,17, 1 Sam 15,25 und Ex 23,21 bilden in dieser
Hinsicht keine Ausnahme. Wenn nach Ex 10,17 der Pharao zu Mose und nach
1 Sam 15,25 Saul zu Samuel spricht: „Nimm doch meine Sünde hinweg“ (śā’ nā’
ḥaṭṭā’tî bzw. śā’ nā’ ’ät-ḥaṭṭā’tî ), dann geben die Targume den Sinn zutreffend
durch „Vergib doch meine Sünde(n)“ wieder.30 An beiden Stellen wird durch
den Kontext eindeutig erwiesen, daß es sich sowohl im hebräischen Text wie
auch in den Targumen um uneigentliche Rede handelt, durch die zum Ausdruck
gebracht wird, daß der prophetische Mittler die Macht hat, durch seine Fürbitte
die göttliche Vergebung zu erbitten und sie, sofern seine Bitte von Gott erhört
wird, auch zuzusprechen.31 Ebensowenig wie hier ist auch in Ex 23,21 an eine
in eigener Autorität und Macht gewährte Vergebung gedacht. Daß der Engel, der
als der Repräsentant Jahwes den Israeliten auf ihrem weiteren Weg vorangehen
soll, ihre Rebellion „nicht vergeben wird“, hat seinen Grund darin, daß Jahwe
selbst sie nicht vergeben wird.

mann, Das Evangelium nach Markus (ThHK 2), ⁸1980, 76. In den Vorstellungsbereich der
durch priesterliche Sühnehandlung erwirkten Vergebung Gottes gehört m. E. auch das, was in
11QMelch (11Q13) II 4–8 – wohl über den im Himmel wirkenden Priesterkönig Melchisedek –
gesagt wird. Das „Erlassen“ (‛zb) der Sünden (Zeile 6) geschieht durch das in Zeile 8 erwähnte
„Entsühnen“ (kpr pi.).
26
 Im Alten Testament s. Ex 32,11–13.30–32; 34,8 f.; Num 14,13–19; 21,7; Dtn 9,18–20; Ps
106(105),23. Frühjüdische Belege: Hofius, Kennt der Targum zu Jes 53 einen sündenver-
gebenden Messias? (s. Anm. 1), 90–94, außerdem Josephus, Ant III 22 f.; Philo, Mos II 166.
27
 Hi 42,9 f. LXX; 11QTargHi (11Q10) XXXVIII 2 f. (Hi 42,9 f.). S. dazu Janowski, Sünden-
vergebung „um Hiobs willen“ (s. Anm. 23), 40–69.
28
 TargJon Jes 52,13–53,12; PesiqR 37,2 par. Pesiq, Zusatz 6. S. dazu meinen Aufsatz „Kennt
der Targum zu Jes 53 einen sündenvergebenden Messias?“ (s. Anm. 1). Dieser Aufsatz bietet
eine ausführliche kritische Überprüfung der These, daß der Targum zum vierten Gottesknechts-
lied den Gedanken „eines durch Wort und Tat sündenvergebenden Messias“ enthalte. Diese
These wurde vertreten von K. Koch, Messias und Sündenvergebung in Jesaja 53 - Targum.
Ein Beitrag zu der Praxis der aramäischen Bibelübersetzung, JSJ 3 (1972) 117–148 (die zitierten
Worte dort 148).
29
 S. ferner syrBar 85,2 (die Propheten); ParJer 2,3 (Jeremia); TargJon Am 7,2 f.5 f. (Jona);
Josephus, Ant VI 92 f. (Samuel [s. Teil III dieses Aufsatzes]); XI 143 f. (Esra); VitProph IV 15
(Daniel). Hierher gehört auch slavHen 53,1; 64,5: Der in den Himmel entrückte Henoch ver-
mag in der Gegenwart den Bußfertigen die Vergebung Gottes zu erwirken (64,5), nicht aber
im Endgericht (53,1).
30 TargOnq Ex 10,17 (šbwq k‛n lḥwbj); TargN Ex 10,17 (šrj k‛n lḥwbjj); TargPsJon Ex 10,17

(šbwq kdwn ḥwbj); TargJon 1 Sam 15,25 (šbwq k‛n lḥwbj).  – Zu nś’ („wegnehmen“) in Ver-
bindung mit einem Sündenbegriff als Objekt = „Sünde vergeben“ vgl. u. a. Ex 32,32; 34,7; Num
14,18; Mi 7,18; Ps 25,18; 32,5; Hi 7,21.
31
 Vgl. zu 1 Sam 15,25 F. Stolz, Das erste und zweite Buch Samuel (ZBK.AT 9), Zürich
1981, 104: Saul „rechnet mit der Fürbitte Samuels und einer darauf folgenden Vergebung der
Schuld“.
Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung 47

Sehen wir an dieser Stelle zunächst von zwei noch genauer zu bedenkenden
Texten ab,32 so ist im Anschluß an das im vorigen Abschnitt Gesagte ein
auffallender Befund zu notieren: Den dort genannten Aussagebereichen, die
jeweils eine nur abgeleitete Vollmacht dokumentieren,33 sind – sofern sie nicht
schon in Anm. 23 zu erwähnen waren  – alle jene Texte zuzuordnen, die in
der neutestamentlichen bzw. in der judaistischen Forschung als Belege dafür
namhaft gemacht worden sind, daß in bestimmten frühjüdischen Schriften
auch einem Menschen oder einem Himmelswesen ein sündenvergebendes
Wirken zugeschrieben werde.34 Keiner dieser Texte stellt mithin eine Par-
allele zu Mk 2,5b dar. Dieser Befund wäre dann nicht verwunderlich, wenn
es sich bei der Feststellung der Schriftgelehrten von Mk 2,7 – „Niemand kann
Sünden vergeben außer Gott allein“ – um eine in ihrer Exklusivität allgemein
anerkannte Maxime frühjüdischen Gottesglaubens handelt. Ein Sachkenner wie
G. F. Moore hat – ohne auf Mk 2,7 Bezug zu nehmen – diese Maxime für das
Judentum der tannaitischen Zeit behauptet, wenn er formuliert: „Forgiveness
is a prerogative of God which he shares with no other and deputes to none.“35
Moore verweist dazu lediglich auf eine rabbinische Deutung von Ex 23,21, der
zufolge der Engel die Sünde der Israeliten deshalb „nicht vergeben wird“, weil
er sie „nicht vergeben kann“ – weil also die Vergebung der Sünden prinzipiell
nicht in der Macht eines Engels liegt.36 Von besonderem Gewicht sind jedoch
zwei direkte Parallelen zu der in die Form einer rhetorischen Frage gefaßten
Feststellung von Mk 2,7, die – soweit ich sehe – in der Forschung unbeachtet
geblieben sind.37 Beide Belege finden sich im rabbinischen Midrasch zu den

32
 S. dazu Teil III und Teil IV des Aufsatzes.
33 S. bei den Anmerkungen 24–29.
34
 Ich liste unter Einschluß der in Anm. 23 angeführten Texte noch einmal die Gestalten auf
und füge in Klammern die angeblichen Belege hinzu. Die Gestalten sind: ein Engel Gottes (Jub
41,23–25), der im Himmel wirkende Priesterkönig Melchisedek (11QMelch [11Q13] II 4–8), der
himmlische „Schreiber“ Henoch (slavHen 64,5), die Priester bzw. der Hohepriester Israels
(keine Angabe von Belegen), der in der Damaskusschrift erwähnte schriftgelehrte Mebaqqer  / ​
„Aufseher“ (CD 13,9 f.), der Elia redivivus (Sir 48,10; TargJon Mal 3,23 f.), der endzeitliche
Hohepriester (TestLev 18,9); der „Gesalbte Aarons und Israels“ (CD 14,19) und der Messias
(TargJon Jes 52,13–53,12).
35
  G. F.  Moore, Judaism in the First Centuries of the Christian Era. The Age of the Tannaim
I, Cambridge, MA 1927 = ⁹1962, 535.
36
 TanchB Ex, mšpṭjm § 11 mit dem entscheidenden Satz: hw’ ’jnw jkwl ljś’ lpš‛km = „er kann
eure Sünde nicht vergeben“. S. auch die Parallelen: Tanch Ex, mšpṭjm § 18; MidrPs 17 § 3 zu
V. 2; ExR 32,4 zu 23,21 (vgl. bSanh 38b). – Daß auch einer der höchsten Engel nicht Sünden
vergeben kann, kommt ebenfalls in einem Targum-Fragment zu Jos 5,14 zum Ausdruck: Josua
bittet den Erzengel Uriel: „Vergib doch die Sünden deines Knechtes“ und erhält zur Antwort,
daß die Engel nur auszuführen haben, was ihnen von Gott gesagt wird; s. A. Díez Macho, Un
Nuevo Targum a los Profetas, EstBibl 15 (1956) 287–295: 294.
37
 Auch bei P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch,
München I, 1922 = ²1956, 498 (zu Mt 9,3) und II, 1924 = 1956, 4.157 (zu Mk 2,7 bzw. Lk 5,21)
sind diese Parallelen merkwürdigerweise nicht mitgeteilt.
48 Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung

Psalmen, und zwar im Rahmen der Auslegung des 17. Psalms, der in V. 1a als
„Gebet Davids“ bezeichnet wird und in dem der Beter in V. 2a vor Gott die
Bitte äußert: „Von dir gehe der Urteilsspruch über mich aus.“ Als Begründung
dieser Bitte legt der Midrasch David die an Gott gerichteten Worte in den Mund:
„Niemand kann Sünden vergeben als du allein.“38 Das gleiche Bekenntnis er-
scheint dann noch einmal als Gebetswort Davids in nur sprachlich variierter
Gestalt am Ende einer dem R. Levi (Pal. um 300) zugeschriebenen Auslegung
von Ex 23,20 f.: „Es ist kein anderer außer dir, der [Schuld] vergeben kann.“39
Die beiden rabbinischen Sätze sprechen dafür, daß wir es in der rhetorischen
Frage von Mk 2,7 in der Tat mit einer Aussage zu tun haben, die für den
im Zeugnis seiner Heiligen Schrift gründenden Gottesglauben des antiken
Judentums repräsentativ ist. Bevor das zuversichtlich behauptet werden kann,
sind allerdings noch zwei Texte in den Blick zu fassen, auf die T. Hägerland in
seiner 2012 erschienenen Monographie „Jesus and the Forgiveness of Sins“ mit
Nachdruck hingewiesen hat und in denen er Belege dafür sehen möchte, daß
sich doch Ausnahmen von der Regel, daß allein Gott Sünden vergeben könne,
nachweisen lassen.40

III

Auf den ersten jetzt zu bedenkenden Text – Josephus, Antiquitates VI 92 – hat,
wenn ich recht sehe, erstmals Hägerland aufmerksam gemacht.41 Im Kontext
von Ant VI 88–94 wird berichtet, daß Samuel das Volk, das einen König für
sich verlangt hatte, scharf getadelt und Gott diesen Tadel vom Himmel her
durch Blitz und Donner bestätigt hat (VI 92). Zutiefst erschrocken bekennt das

38
 MidrPs 17 § 3 zu V. 2: ’jn ’ḥd jkwl lmḥwl ‛wnwt ’l’ ’th (S. Buber, Midrasch Tehillim,
Wilna 1892 = Jerusalem 1966, 63a [= 125]). Auf diese Parallele zu Mk 2,5b habe ich bereits
hingewiesen in: Jesu Zuspruch der Sündenvergebung (s. Anm. 1), 40 Anm. 11.
39 MidrPs 17 § 3 zu V. 2: ’jn ’ḥr zwltk šhw’ jkwl lwwtr.
40 T. Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins. An Aspect of His Prophetic Mission

(SNTSMS 150), Cambridge 2012. Zu einer durch diese Studie veranlaßten Kontroverse s.
D. Johansson, „Who Can Forgive Sins but God Alone?“ Human and Angelic Agents, and
Divine Forgiveness in Early Judaism, JSNT 33 (2011) 351–374; T. Hägerland, Prophetic
Forgiveness in Josephus and Mark, SEÅ 79 (2014) 125–139. – Das Interesse der Studie Häger-
lands und somit auch seiner literarkritischen Analyse von Mk 2,1–12 gilt dem Nachweis, daß
der „historische Jesus“ sich als messianischen Propheten verstanden habe, der als solcher in
abgeleiteter Vollmacht Sündenvergebung zusprechen konnte. Die Arbeit gehört damit zu den
zahlreichen Versuchen, durch historisch-kritische Rekonstruktion ein Bild des irdischen Jesus
und seines Selbstverständnisses zu ermitteln. Zu meiner prinzipiellen Skepsis allen derartigen
Versuchen gegenüber s. O. Hofius, Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches
Problem, in: H. Assel (Hg.), Leidenschaft für die Theologie, Leipzig 2012, 79–115 (in dem vor-
liegenden Band: 229–248).
41 Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins (s. Anm. 40), 146–150.
Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung 49

Volk, daß es „gesündigt“ habe, und daran schließt sich dann die folgende wei-
tere Reaktion an: καὶ ἱκετεύειν τὸν προφήτην ὡς πατέρα χρηστὸν καὶ ἐπιεικῆ,
τὸν θεὸν αὐτοῖς εὐμενῆ καταστῆσαι καὶ ταύτην ἀφεῖναι τὴν ἁμαρτίαν (ebd.).42
Hägerland versteht den zitierten Text dahingehend, daß die beiden Infinitive
καταστῆσαι und ἀφεῖναι von ἱκετεύειν abhängig sowie einander parallel sind
und deshalb beide auf Samuel als Subjekt bezogen werden müssen. Dement-
sprechend lautet seine Übersetzung: „They began to implore the prophet as a
mild and gentle father, to make God benevolent towards them and to forgive this
sin.“43 Hägerlands Sicht unterscheidet sich wesentlich von dem Textverständnis
jener Übersetzer, die nicht in Samuel, sondern in Gott das Subjekt der Ver-
gebung erblicken,44 sei es, weil sie dem καί vor ταύτην ἀφεῖναι τὴν ἁμαρτίαν
eine finale oder konsekutive Nuance zuschreiben, zu ἀφεῖναι ein auf τὸν θεόν
rückbezogenes αὐτόν ergänzen und mit dem καί-Satz die Reaktion Gottes auf
die Fürbitte Samuels beschrieben sehen,45 sei es, weil für τὸν θεὸν καταστῆσαι
eine zweifache syntaktische Beziehung mit unterschiedlicher Bedeutung des
Verbums angenommen wird (τὸν θεὸν αὐτοῖς εὐμενῆ καταστῆσαι und τὸν θεὸν
καταστῆσαι ταύτην ἀφεῖναι τὴν ἁμαρτίαν).46 Da wir es in Ant VI 92 mit einem
recht komplizierten Satzgebilde zu tun haben, wird man diese beiden Textana-
lysen nicht einfach als unmöglich bezeichnen können.47 Folgt man gleichwohl
42
 Griechischer Text: Josephus. With an English Translation by H.St.J. Thackeray / ​R. Mar-
cus (LCL), Vol. V: Jewish Antiquities, Book V–VIII, London bzw. Cambridge, MA 1934 = 1966,
212.
43
 Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins (s. Anm. 40), 147. Ebenso in der Sache:
Oeuvres complètes de Flavius Josèphe II: Antiquités Judaïques. Livres VI–X, Traduction de
J. Weill, Paris 1926, 21.
44
 S. bereits die alte lateinische Übersetzung: […] utque deum propheta uelut optimus pater
et mitis rogaret, quatenus propitius esset eis: peccatumque […] dimitteret, exorabant (Flavii
Iosephi, Patria Hierosolymitani, […] Opera quaedam Rufino presbytero interprete […], Basel
1524, 155).
45
 Die jüdischen Alterthümer des Flavius Josephus übersetzt und mit Anmerkungen ver-
sehen von K. Martin, Bd. 1, Köln 1852, 347 f.; Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer.
Übersetzt von H. Clementz, Bd. 1: Buch I bis X, Darmstadt 1899 = 1967, 335; The Works of
Flavius Josephus. Whiston’s Translation, Revised by A. R. Shilleto, Vol. I: Life of Josephus.
Antiquities of the Jews, Books I–VI, London 1889, 364; Josephus. With an English Translation
(s. Anm. 42), 213.
46
 So offenbar Flavius Josephus, Translation and Commentary, Vol. 4: Flavius Josephus,
Judean Antiquities Books 5–7. Translation and Commentary by Chr.T. Begg, Leiden – Boston
2005, 124: „they […] begged the prophet […], to make God benevolent to them and forgive
this offense of theirs“. Da Begg in Gott das Subjekt von ἀφεῖναι sieht (s. Hägerland, Jesus
and the Forgiveness of Sins [s. Anm. 40] 148 Anm. 56), dürften vor „forgive“ noch einmal die
Worte „to make God“ zu ergänzen sein.
47 Wenn der von ἱκετεύειν τὸν προφήτην abhängige Infinitiv-Satz τὸν θεὸν αὐτοῖς εὐμενῆ

καταστῆσαι durch den weiteren, mit καί angeschlossenen Infinitivsatz ταύτην ἀφεῖναι τὴν
ἁμαρτίαν fortgeführt wird und gleichwohl ein Subjektswechsel vorliegen sollte, so könnte das
damit erklärt werden, daß auch die Sündenvergebung Gegenstand des Wunsches und der Bitte
des Volkes ist. Daß dabei ein auf τὸν θεόν bezogenes αὐτόν fehlt, ist kein zwingendes Gegen-
argument. Ich verweise dazu auf H. Menge  / ​A.  Thierfelder / ​J.  Wiesner, Repetitorium
50 Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung

der Analyse und Übersetzung Hägerlands, so bedeutet das noch keineswegs,


daß dann Samuel als der gekennzeichnet wird, der die Sünde vergeben soll und
vergeben kann. Das lehrt bereits die unmittelbare Reaktion Samuels auf die
Bitte des Volkes (VI 93): Der Prophet verspricht, „er werde Gott bitten, ihnen
wegen dieser [Dinge] zu vergeben, und [ihn] besänftigen“ (ὁ δὲ ὑπισχνεῖται
καὶ παρακαλέσειν τὸν θεὸν συγγνῶναι περὶ τούτων αὐτοῖς καὶ πείσειν). Gott
selbst ist es also, der die Sünde vergeben muß. Das entspricht dem biblischen
Bericht 1 Sam (1 Reg) 12,5–25, dem die Darlegungen von Ant VI 88–94 ver-
pflichtet sind und in dem Samuel als der gezeichnet wird, dessen Interzession
das Volk erbittet und der aufgrund seines Eintretens für die Schuldigen Gottes
Zuwendung zuzusprechen vermag. Daß Samuel nach der Überzeugung des
Josephus nicht einfach aus eigener Machtvollkommenheit Sünden vergeben
kann, die Vergebung vielmehr von Gott erbitten muß, zeigt in aller Deutlichkeit
der Abschnitt Ant VI 141–151. Der Prophet fleht zu Gott um Vergebung für Saul
(143), doch diese bleibt dem König unwiderruflich versagt (144 f.151). Wenn
Saul nach 151 vor Samuel seine Sünde bekennt und ihn bittet: ἀλλὰ συγγίνωσκε
καὶ πρᾷος ἴσθι („doch vergib [mir] und sei mild“), dann steht im Hintergrund die
an Samuel gerichtete Bitte Sauls von 1 Sam (1 Reg) 15,25: „Nimm doch meine
Sünde hinweg“ (LXX: ἆρον δὴ τὸ ἁμάρτημά μου). Daß diese Bitte nicht so
zu verstehen ist, als eigne Samuel selbst das Vermögen der Sündenvergebung,
wurde bereits erwähnt.48 Nicht anders ist über das συγγίνωσκε von Ant VI
151 zu urteilen, und das Gleiche gilt auch für die Worte ταύτην ἀφεῖναι τὴν
ἁμαρτίαν Ant VI 92, falls hier die syntaktische Analyse Hägerlands zutreffend
sein sollte. In allen Fällen handelt es sich um uneigentliche Rede: Samuel wird
von den Schuldiggewordenen gebeten, ihre Sünde zu vergeben  – allerdings
nicht als einer, der das in eigener Autorität zu tun vermag, sondern als der, der
als begnadeter Interzessor die Vergebung von Gott erwirkt und sie dann als
sein bevollmächtigter Bote gültig zuspricht. Hägerland selbst kommt letztlich
zu genau diesem Verständnis, wenn er bemerkt: „When Samuel ‚forgives‘ a
sin, he prays for the people in order to placate God and to avert the temporal
punishment for the sin committed.“49 Das aber bedeutet: Eine Parallele zu Mk
2,5b ist Ant VI 92 nicht.

der griechischen Syntax, Darmstadt ¹⁰1999, 158 (§ 95b); R. Kühner / ​B.  Gerth, Ausführ-
liche Grammatik der griechischen Sprache II: Satzlehre, Bd. 2, Hannover  – Leipzig ³1904
= Hannover 1976, 561 (§ 597,2a).
48
 S.o. bei Anm. 31.
49
 Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins (s. Anm. 40), 149.
Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung 51

IV

Der zweite von Hägerland50 genannte Text – 4QOrNab (4Q242) I 4 – gehört zu
dem nur fragmentarisch erhaltenen aramäischen „Gebet des Nabonid“51 und ist
bereits bald nach der Erstveröffentlichung52 als „vollkommene Parallele“ zu Mk
2,5b bezeichnet worden.53 In dem nur fragmentarisch erhaltenen Werk berichtet
der letzte babylonische König von seiner Errettung aus schwerer Krankheit.
Von Zeile I 3 sind nur am Anfang die Worte „Ich war geschlagen sieben Jahre
lang“ klar lesbar, während eine sichere Rekonstruktion des dann Folgenden
nicht möglich ist. Die anschließende Zeile I 4 lautet: wḥṭ’j šbq lh gzr wh’ jhwdj
m[…]. Diese Zeile ist für die uns beschäftigende Thematik dann relevant, wenn
das Verbum šbq hier  – wie in 11QTargHi (11Q10) XXXVIII 2 f.  – die in den
späteren Targumen reichlich belegte Bedeutung „vergeben“ hat. Das ist in der
Forschung zwar umstritten,54 doch es gibt kein gewichtiges Argument, das gegen
dieses Verständnis spräche. Setzt man die Bedeutung „vergeben“ voraus, dann
liegt die Annahme nahe, daß auf jeden Fall die Worte wḥṭ’j šbq lh syntaktisch
zusammengehören, daß durch die Präposition lᵉ das Objekt zu šbq (= „er hat
vergeben“) eingeführt wird55 und daß lh als Verbindung der Präposition mit dem
Pronomen der 3. Person Singular Maskulinum auf das als Singular zu lesende
ḥṭ’j (= „meine Sünde“) rückbezogen ist.56 Was dann die Frage nach dem Sub-
jekt von šbq anlangt, so sind angesichts dessen, was an Text erhalten ist, zwei

50
 Ebd., 154–158.
51
 Zu diesem Text und zu der ihm gewidmeten älteren Literatur s. insbesondere R. G. Kratz,
Nabonid in Qumran, in: E. Cancik-Kirschbaum u. a. (Hg.), Babylonische Wissenskultur in
Orient und Okzident, Berlin 2011, 253–270.
52
  J. T.  Milik, „Prière de Nabonide“ et autres écrits d’un cycle de Daniel. Fragments ara-
méens de Qumrân 4, RB 63 (1956) 407–415. – Endgültige Edition: J. J. Collins, 4QPrayer
of Nabonidus ar, in: G. J. Brooke u. a., Qumran Cave 4. XVII: Parabiblical Texts, Part 3 (DJD
XXII), Oxford 1996, 83–93.
53 A. Dupont-Sommer, Die essenischen Schriften vom Toten Meer, Tübingen 1960, 348 f.

Anm. 3; Ders., Exorcismes et guérisons dans les écrits de Qoumrân, VT.S 7 (1960) 246–261:
259; Ders., Remarques linguistiques sur un fragment araméen de Qoumrân („Priére de Nabo-
nide“), GLECS 8 (1957–1960) 48–50: 50.
54
 K. Beyer, Die aramäischen Texte vom Toten Meer samt den Inschriften aus Palästina,
dem Testament Levis aus der Kairoer Genisa, der Fastenrolle und den alten talmudischen
Zitaten, Göttingen 1984, 223 f.: 224 versteht Zeile 3 f. folgendermaßen: „³[…] Aber derjenige,
[welcher] bestimmt hat [meinen Lohn] ⁴und meine Strafe, sparte sich einen Wahrsager auf, und
zwar war es ein Jude.“ Bei J. Maier, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer II: Die
Texte der Höhle 4 (UTB 1863), München – Basel 1995, 186, lautet Zeile 4: „meine Vergehen (?),
ließ ihm einen Wahrsager und de[r (war) ein j]üdischer [Mann] vo[n – ]“.
55
 Dies ist ein Sprachgebrauch, zu dem es in den späteren Targumen zahlreiche Parallelen
gibt.
56
 Vgl. zu dieser Casus pendens-Konstruktion Ps 65,4 (pᵉšā‛ênû ’attāh tᵉkappᵉrēm = „unsere
Verbrechen – du wirst sie vergeben“); TargPs 65,4 (swrḥnn’ ’nt tkprjnwn = „unsere Sünden – du
wirst sie vergeben“).
52 Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung

Antworten möglich57. Die eine Möglichkeit besteht darin, daß die Worte wḥṭ’j
šbq lh mit dem dann folgenden gzr zusammengehören und Zeile 4 demgemäß
zu übersetzen ist: „und meine Sünde – ein Seher58 hat sie vergeben, und dieser
(war) ein Jude v[on …].“59 Die andere Möglichkeit ist die, daß zwischen lh und
gzr eine Zäsur liegt; in diesem Fall ist zu vermuten, daß in der zweiten Hälfte der
Zeile 3 eine Aussage wie „ich betete zu Gott“ oder „Gott erhörte mein Gebet“
stand und Zeile 4 dann fortfährt: „und meine Sünde – er (Gott!) hat sie vergeben.
Ein Seher, und zwar ein Jude v[on …]“.60
Ein Argument für die eine oder die andere Deutung, das definitiv zu einem
wissenschaftlichen Konsens führen könnte, sehe ich nicht. Vertreter der zweiten
Sicht weisen etwa darauf hin, daß es im frühjüdischen Schrifttum und auch in
den Qumrantexten sonst keinen Beleg für Vergebung durch eine menschliche
Person gibt.61 Ein wirklich zwingendes Argument ist das jedoch nicht. Gleiches
gilt aber auch für das entscheidende Argument, das von F. García Martínez zu-
gunsten der ersten Deutung angeführt wird: „The structure of the sentence seems
here to demand this interpretation.“62 T. Hägerland, der in seinem Verständnis
der Zeile 4 ganz der Sicht von F. García Martínez verpflichtet ist, nimmt dessen

57 Vgl. Kratz, Nabonid in Qumran (s. Anm. 51), 257.


58
 Zu gzr = „Seher, Wahrsager“ (nicht: „Beschwörer, Exorzist“) s. Dan 2,27; 4,4; 5,7.11.
59
 In diesem Sinn z. B. Dupont-Sommer, Die essenischen Schriften vom Toten Meer (s.
Anm. 53), 348; J. A. Fitzmyer / ​D. J.  Harrington, A Manual of Palestinian Aramaic Texts
(BibOr 34), Rom 1978, 3; J. A. Fitzmyer, The Aramaic Language and the Study of the New
Testament, JBL 99 (1980) 5–21: 15 f.; F. García Martínez / ​E. J. C. Tigchelaar, The Dead
Sea Scrolls. Study Edition I, Leiden – Boston – Köln bzw. Grand Rapids, MI – Cambridge,
U. K. 1997, 487; F. García Martínez, The Prayer of Nabonidus. A New Synthesis, in: Ders.,
Qumran and Apocalyptic. Studies on the Aramaic Texts from Qumran (STDJ 9), Leiden  –
New York – Köln 1992, 116–136: 119.125; Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins (s.
Anm. 40), 154–158.
60
 In diesem Sinn z. B. R. Meyer, Das Qumranfragment „Gebet des Nabonid“, ThLZ 85
(1960) 831–834: 831; Ders., Das Gebet des Nabonid. Eine in den Qumran-Handschriften wieder-
entdeckte Weisheitserzählung (SSAW. PH 107/3), Berlin 1962, 24.33; B. Jongeling / ​C. J. La-
buschagne / ​A. S. van der Woude, Aramaic Texts from Qumran I (SSS 4), Leiden 1976,
127–129; A. S. van der Woude, Bemerkungen zum Gebet des Nabonid, in: M. Delcor (Hg.),
Qumrân. Sa piété, sa théologie et son milieu (BEThL 46), Paris-Gembloux  – Leuven 1978,
121–129: 122–125; P. Grelot, La prière de Nabonide (4 Q Or Nab), RdQ 9 (1978) 483–495:
485.487 f.; É. Puech, La Prière de Nabonide (4Q242), in: K. J. Cathcart / ​M. Maher (Hg.),
Targumic and Cognate Studies. Essays in Honour of Martin McNamara (JSOT.S 230), Sheffield
1996, 208–227: 216; A. Steudel, Die Texte aus Qumran II, Darmstadt 2001, 163 mit Anm. 9
(auf S. 265); Kratz, Nabonid in Qumran (s. Anm. 51), 256.
61 Man könnte dazu noch das Folgende hinzufügen: Wenn – wie wahrscheinlich – zwischen

dem Gebet des Nabonid und Dan 3,31–4,34 ein literarischer Zusammenhang bestehen sollte,
dann vermögen weder dieser Text selbst noch auch die griechischen Fassungen (LXX, Theo-
dotion) und die Bezugnahmen auf Dan 4 in der frühjüdischen Literatur (Josephus, Ant X 216 f.;
VitProph IV) die Hypothese zu stützen, daß in 4QOrNab der Seher vergibt. Nach der Daniel-
Vita ist Daniel derjenige, der als Interzessor für den König eintritt (VitProph IV 4.12), und Gott
der Vergebende (VitProph IV 15).
62
 García Martínez, The Prayer of Nabonidus (s. Anm. 59), 125.
Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung 53

Argument auf, indem er gegen die zweite Deutung einwendet: „Since asyndeton
is relatively rare in Aramaic, one would have expected ‚And a diviner‘ (wgzr)
instead of the simple ‚A diviner‘ (gzr) to introduce a new sentence.“63 Stichhaltig
ist dieser Einwand jedoch schon deshalb nicht, weil bei der zweiten Deutung der
Gang der Erzählung mit dem neuen Satz nicht einfach weitergeführt,64 sondern
nunmehr näher beschrieben wird, wie es dazu kam, daß der König die Vergebung
Gottes und damit auch die Heilung von seiner Krankheit erlangte. In einem
solchen Fall ist Asyndese keineswegs ungewöhnlich.65
Ziehen wir zu 4QOrNab I 4 ein Fazit, so ist zu sagen, daß in der Diskussion
über Mk 2,5b mit diesem Text aufgrund seines Erhaltungszustands nicht argu-
mentiert werden kann. Selbst wenn die Zeile tatsächlich „meine Sünde – ein
Seher hat sie vergeben“ lauten sollte, ließe sich nicht zuverlässig klären, wie
diese Aussage dann des näheren gemeint ist.66 Hägerland, der in dem gzr einen
Propheten erblickt, urteilt: „The prophet, it seems, […] ‚forgives‘ the penitent
sinner by averting the temporal punishment for his sin, presumably by prayer
to God, although this is not stated in the text.“67 Ginge es in 4QOrNab I 4 in
diesem Sinn um prophetische Interzession, dann läge auch hier keine Parallele
zu Mk 2,5b vor!

Als Ergebnis unserer bisherigen Überlegungen kann festgehalten werden, daß


sich in der gesamten frühjüdischen Literatur kein einziger Beleg dafür findet,
daß außer und neben Gott auch ein Himmelswesen oder ein besonders aus-
gezeichneter Mensch in eigener Autorität (!) Sünden zu vergeben vermag. Of-
fensichtlich kommt in der rhetorischen Frage von Mk 2,7 in der Tat eine für das
gesamte antike Judentum charakteristische Maxime zu Wort, die keine Ausnah-
me zuläßt. Wenn nun in Mk 2,1–12 berichtet wird, daß Jesus mit der Gewährung
von Sündenvergebung und Heilung das tut, was ausschließlich Gott selbst zu

63
 Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins (s. Anm. 40), 156 (die aramäischen Worte
gebe ich in Umschrift wieder).
64
 Zum syntaktischen Sachverhalt s. H. Bauer / ​P. Leander, Grammatik des Biblisch-
Aramäischen, Halle 1927 = Hildesheim – New York 1981, 350 f. (§ 106a): „Wo es sich um den
Fortgang der Erzählung handelt, werden die gleichgeordneten aufeinanderfolgenden Sätze
gewöhnlich durch w- angereiht, soweit sie nicht durch Adverbia […] eingeführt werden.“
65
 Vgl. etwa die asyndetische Anfügung einer näheren Beschreibung (Dan 2,20; 3,9; 6,21b),
einer Begründung (Dan 5,11; 1QGenAp ar [1Q20] XXII 30; CTLevi ar Bodl. b, 10 [= L 34,10])
oder einer Erläuterung (CTLevi ar Bodl. b, 21 [= L 34,21]; c, 13 [= L 35,13]).
66
 Dem erhaltenen Text von 4QOrNab läßt sich übrigens nicht entnehmen, daß die Heilung
des Königs durch den gzr gewirkt wurde.
67
 Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins (s. Anm. 40), 158.
54 Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung

tun vermag, dann wird damit Analogieloses über ihn ausgesagt.68 Angesichts
dessen muß nunmehr in einem letzten Schritt unserer Überlegungen die Frage
bedacht werden, wie diese Analogielosigkeit theologisch zu interpretieren und
das Verhältnis zwischen der Vergebung Gottes und der Vergebung Jesu präzise
zu bestimmen ist.
Der Schlüssel zu einer angemessenen Antwort liegt in der Aussage von V. 10,
daß „der Menschensohn Macht hat, Sünden zu vergeben auf Erden“. Nach dem
Urteil mancher Ausleger69 ist die Erzählung mit dieser Aussage den Worten
von Dan 7,13 f. verpflichtet, wo im Septuagintatext von dem, „der aussah wie
ein Mensch“ (ὡς υἱὸς ἀνθρώπου V. 13), gesagt wird: „Ihm wurde [königliche]70
ἐξουσία gegeben, und alle Völker der Erde je nach ihren Stämmen und jede
Majestät waren ihm dienstbar. Und seine ἐξουσία ist eine ewige ἐξουσία, die
niemals mehr beseitigt werden wird, und seine Königsherrschaft (βασιλεία) eine
solche, die niemals mehr vernichtet werden wird“ (V. 14). Eine Abhängigkeit
von diesem Text kann jedoch für Mk 2,10 schon aus sprachlichen Gründen aus-
geschlossen werden. In Dan 7,14 LXX hat ἐξουσία ebenso wie die aramäische
Grundlage (šŏlṭān) die Bedeutung „Herrschermacht“ / ​„Herrschergewalt“,71 die
im Septuagintatext des Danielbuches auch in den Wendungen ἐξουσίαν ἔχειν
τινός72 bzw. ἐξουσίαν ἔχειν ὑπέρ τινα73 (= „Herrschergewalt haben über jeman-
den / ​über etwas“) vorliegt. Zwischen diesen Wendungen und dem in Mk 2,10
begegnenden Ausdruck ἐξουσίαν ἔχειν + Infinitiv (= „Macht / ​Vermögen haben,
etwas zu tun“)74 wie überhaupt zwischen ἐξουσία in der Daniel-Septuaginta
einerseits und ἐξουσία in Mk 2,10 andererseits besteht semantisch ein ganz
erheblicher Unterschied.75 Die Rede von dem „Menschensohn“ in Mk 2,10 will
deshalb nicht traditions- oder begriffsgeschichtlich erklärt sein, sondern aus
dem inneren Zusammenhang unserer Erzählung selbst und insbesondere aus

68
 Die Erzählung selbst bringt das an ihrem Ende in dem sog. Chorschluß expressis verbis
zur Sprache (V. 12b): „Alle gerieten außer sich und priesen Gott und sagten: ‚Solches haben
wir noch nie gesehen‘.“ Die für Mk 2,1–12 zu konstatierende Analogielosigkeit hat Parallelen in
anderen Wundergeschichten des Markusevangeliums, die Jesus ebenfalls zuschreiben, was das
Alte Testament einzig und allein von dem Gott Israels zu sagen weiß: Mk 1,40–45 (vgl. 2 Kön
5,7); 4,35–41 / ​6,45–52 (vgl. Ps 65,8; 89,10; 107,29; Hi 9,8); 5,21–24.35–43 (vgl. Dtn 32,39;
1 Sam 2,6; 2 Kön 5,7); 7,31–37 (vgl. Jes 35,4–6).
69
 So auch Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins (s. Anm. 40), 171–176.
70
 Das vom Papyrus 967 gebotene Adjektiv βασιλική fehlt in der durch die Minuskel 88 und
die Syro-Hexapla bezeugten Fassung.
71
 In V. 14b steht ἐξουσία parallel zu βασιλεία! Zu ἐξουσία s. in LXX außer den in Anm. 72
und in Anm. 73 genannten Stellen auch Dan 4,23[26].34a[37a]; 7,12.26 f.
72
 Dan 4,14[17].28[31]; 5,4.16 LXX. Zu ἐξουσία τινός s. ferner Dan 5,7.29 LXX.
73
 Dan 6,3[4] LXX. Vgl. neben ἐξουσία ὑπέρ τινα auch ἐξουσία ἐπί τινος: Dan 3,97[30] LXX.
74
 Dieser Ausdruck kommt weder im Septuagintatext noch auch in der Theodotion-Fassung
des Danielbuchs vor.
75
 Schon deshalb fehlt der von Hägerland, Jesus and the Forgiveness of Sins (s. Anm. 40),
171 unter Hinweis auf ἐξουσίαν ἔχειν […] τῶν ἐπὶ τῆς γῆς Dan 4,14[17] LXX vertretenen These,
daß Jesu Wort Mk 2,10 „strongly echoes Dan 4.14“, ein tragfähiges Fundament.
Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung 55

dem Kontext des gesamten Markusevangeliums.76 Für das Evangelium ist kenn-
zeichnend, daß der Begriff ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου, der erstmals in 2,10 erscheint,
dem christologisch zentralen Begriff ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ an die Seite tritt.77 Der
Hoheitstitel „Sohn Gottes“ bringt grundlegend das Geheimnis der Person Jesu
zur Sprache: seine wesenhafte Zugehörigkeit zu Gott, seinem Vater, und eben
damit seinen göttlichen Ursprung und sein darin begründetes göttliches Wesen,
das im Geschehen der Verklärung (Mk 9,2–8) für kurze Zeit offenbar wird. Dem
solennen Eröffnungstext des Evangeliums (Mk 1,2–13) zufolge bringt der Sohn
Gottes, der aus der himmlischen Welt in die irdische Welt gekommen ist,78 mit
der Gabe des von Sünde reinigenden Heiligen Geistes den vor Gott Verlorenen
die Vergebung ihrer Sünden.79 Die Aussagen über Jesus als den „Menschensohn“
stellen dem Leser des Evangeliums unter zwei grundlegenden christologisch-
soteriologischen Aspekten das Werk des Sohnes Gottes des näheren vor Augen:
zum einen sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung80 und zum andern
sein Kommen zum Weltgericht81. Der „Menschensohn“, der die ἐξουσία der
Sündenvergebung hat und in dieser ihm selbst eignenden Macht dem Gelähmten
die Sündenvergebung gewährt, ist demzufolge dezidiert der, der sein eigenes Le-
ben zur Auslösung des vor Gott verwirkten Lebens der Vielen in den Tod gibt.82
Dieser elementare Zusammenhang zwischen Jesu Gewährung der Sündenver-
gebung und seinem Kreuzestod kommt im Markusevangelium unübersehbar
zum Ausdruck, wenn der in Mk 2,7 erhobene Vorwurf der Gotteslästerung in
der Verhörszene Mk 14,55–64 erneut laut wird und dort das definitive Todes-
urteil über Jesus zur Folge hat (14,63 f.).83 Damit ist im Gesamtzusammenhang
des Evangeliums narrativ gesagt: Die Sündenvergebung, die Jesus in eigener
Macht gewährt, ist die in seinem Kreuzestod begründete Vergebung, und als
solche ist sie zugleich die Gabe des kommenden Weltrichters, der denen das

76
 Zur Einordnung von Mk 2,1–12 in die christologisch-soteriologische Sicht des Markus-
evangeliums s. Hofius, Jesu Zuspruch der Sündenvergebung (s. Anm. 1), 52–56. Im Folgenden
nehme ich einige Gedanken und Sätze von dort auf.
77
 S. zur Zusammenschau der beiden Titel Mk 14,61 f., aber auch Mk 8,38 (der Menschen-
sohn kommt „in der Herrlichkeit seines Vaters“) und Mk 9,2–10 (der Menschensohn [V. 9] ist
der geliebte Sohn Gottes [V. 7]).
78 Daß der Evangelist Markus die reale und personale Präexistenz Christi vertritt, ergibt sich

insbesondere aus Mk 1,2 f.; s. dazu A. Schlatter, Markus. Der Evangelist für die Griechen,
Stuttgart 1935, 15; J. Schniewind, Das Evangelium nach Markus (NTD 1), Göttingen ⁶1956,
44; Hofius, Jesu Zuspruch der Sündenvergebung (s. Anm. 1), 54 f.; Schenke, Das Markus-
evangelium (s. Anm. 12), 50 f.
79
 Mk 1,7 f. Zum alttestamentlichen Hintergrund s. Jer 33,8; Ez 36,25–29a; Ps 51,4.9–14; vgl.
1QS 4,20–23.
80
 Mk 8,31; 9,9.12.31; 10,33 f.45; 14,21.41.
81 Mk 8,38; 13,26 f.; 14,62.
82
 Mk 10,45; vgl. 14,22–24.
83
 Die Gotteslästerung liegt darin, daß Jesus mit den Worten von Mk 14,62 die eschatolo-
gische Richtermacht Gottes und eben damit eine gottgleiche Hoheit und Würde für sich in
Anspruch nimmt.
56 Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung

eschatologische Heil bringt, die seine Vergebung empfangen haben und sich in
der Nachfolge zu ihm als dem Gekreuzigten bekennen.84
Nach dem Zeugnis des Markusevangeliums – so kann abschließend gesagt
werden  – eignet Jesus in analogieloser Weise göttliche ἐξουσία, weil in ihm
Gott selbst „auf Erden“ gegenwärtig und er mithin in Person „die einmalige
Epiphanie Gottes“, die rettende praesentia Dei unter den Menschen, ist.85 Daß
Jesus als der Menschensohn „Macht hat, Sünden zu vergeben auf Erden“, ist so
in der vollen Seins- und Handlungseinheit begründet, die zwischen ihm, dem
Sohn Gottes, und Gott, seinem Vater, besteht.86 Seine „auf Erden“ gewährte
Sündenvergebung ist als solche ihrem Wesen nach Gottes eigene Vergebung.87
Die Maxime, daß einzig und allein Gott selbst Sünden zu vergeben vermag,
wird mithin in der Erzählung Mk 2,1–12 keineswegs relativiert, und eine Aus-
nahme von ihr wird hier nicht behauptet. Die Schriftgelehrten urteilen mit der
rhetorischen Frage von V. 7 völlig korrekt. Sie verkennen aber, wer der ist, der
dem Gelähmten die Vergebung seiner Sünden zugesprochen hat.

84
 Mk 8,34–38; 13,26 f.
85
 J. Schniewind, Antwort an Rudolf Bultmann. Thesen zum Problem der Entmythologi-
sierung, in: H. W. Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos. Ein theologisches Gespräch (ThF 1),
Hamburg-Bergstedt ⁴1960, 77–121: 108 (vgl. 80 f.); Ders., Das Evangelium nach Matthäus
(NTD 2), Göttingen ⁸1956, 15 f.27.188.
86
 Vgl. J. Schniewind, Das Selbstzeugnis Jesu nach den ersten drei Evangelien, Wuppertal
1964, 13: „In seiner (sc. Jesu) Person […] ist die Vergebung Gottes Wirklichkeit geworden.“
Genau das ist auch das Zeugnis der Erzählung Lk 5,1–11 (s. V. 8 und V. 10b). Zutreffend sagt
H. J.  Iwand, Predigtmeditationen II, Göttingen o. J. (1973), 50 zu Lk 5,10b: „In Jesus Christus
bedeutet die Epiphanie Gottes für den sündigen Menschen nicht den Tod, sondern das Leben.
Denn er ist ja die Vergebung. Darum heißt es: Fürchte dich nicht! Darum gibt es in ihm Ge-
meinschaft zwischen Gott und Mensch.“
87 Im Licht dieser Feststellung wird der fundamentale Unterschied deutlich, der zwischen

der ἐξουσία Jesu Christi und der Vergebungsvollmacht besteht, die er (!) seinen Jüngern ver-
liehen hat (Mt 16,19; 18,18; Joh 20,22 f.). In der Absolutionsformel des griechisch-orthodoxen
Beichtritus sagt der Priester mit Recht: „Ich geringer und sündiger Mensch vermag nicht Sünde
zu vergeben auf Erden, sondern das vermag allein Gott“ (übersetzt nach: Μικρὸν Εὐχολόγιον,
Athen 1981, 135).
„In eurer Tora steht geschrieben“
Zur Auslegung von Joh 8,17; 10,34; 15,25

Der Verfasser des Johannesevangeliums läßt Jesus an den folgenden sechs Stel-
len seines Werkes die Heilige Schrift Israels zitieren: 6,45a; 7,38b; 8,17; 10,34;
13,18b; 15,25.1 Im Unterschied zu den nicht ungewöhnlichen Zitateinführungen
von 6,45a (ἔστιν γεγραμμένον ἐν τοῖς προφήταις), 7,38b (καθὼς εἶπεν ἡ γραφή)
und 13,18b (ἀλλ’ ἵνα ἡ γραφὴ πληρωθῇ) muß die Einführung an den drei übrigen
Stellen als merkwürdig gelten. Diese Stellen seien kurz charakterisiert.
In Joh 8,17 bemerkt Jesus im Rahmen einer Auseinandersetzung mit den Pha-
risäern (8,12–20): καὶ ἐν τῷ νόμῳ δὲ τῷ ὑμετέρῳ γέγραπται ὅτι δύο ἀνθρώπων
ἡ μαρτυρία ἀληθής ἐστιν („Auch in eurer Tora steht doch geschrieben, daß das
[übereinstimmende] Zeugnis zweier Menschen wahr ist“). Mit diesem Hinweis
auf den Rechtssatz Dtn 17,6a / ​19,15b wird dann in 8,18 die Aussage verbunden,
daß es für Jesus zwei unbedingt glaubwürdige Zeugen gibt: ihn selbst und den
Vater, der ihn gesandt hat. In den beiden Versen 8,17 f. dürfte ein argumentum a
minore ad maius vorliegen:2 Wenn der Tora vom Sinai3 zufolge schon das über-
einstimmende Zeugnis zweier Menschen als wahr anzuerkennen ist, um wieviel
mehr muß dann das Zeugnis, in dem Gott, der Vater Jesu Christi, und Jesus, der
Sohn Gottes, übereinstimmen, wahr sein. – In den Zusammenhang einer Aus-
einandersetzung mit jüdischen Gegnern (10,22–39) gehört ebenfalls die Frage
von Joh 10,34: οὐκ ἔστιν γεγραμμένον ἐν τῷ νόμῳ ὑμῶν ὅτι ἐγὼ εἶπα· θεοί ἐστε;
(„Steht nicht in eurer Tora geschrieben: ‚Ich habe gesagt: Ihr seid Götter‘?“)
Mit dieser Frage antwortet Jesus auf den Blasphemie-Vorwurf von 10,33 (σὺ
ἄνθρωπος ὢν ποιεῖς σεαυτὸν θεόν), mit dem seine als οἱ Ἰουδαῖοι bezeichneten
Gegner auf sein Selbstzeugnis von 10,30 (ἐγὼ καὶ ὁ πατὴρ ἕν ἐσμεν) reagieren.
Er zitiert Ps 82[81],6a und schließt daran in 10,35 f. einen Schluß a minore ad
1 Joh 12,27a bleibt, weil eine Kennzeichnung als Zitat fehlt, außer Betracht. – Zu Joh 7,38b

und dem Kontext 7,37 f. ist anzumerken: ὁ πιστεύων εἰς ἐμέ V. 38a gehört zu καὶ πινέτω V. 37b,
und die durch die Zitationsformel καθὼς εἶπεν ἡ γραφή eingeführten Worte ποταμοὶ ἐκ τῆς
κοιλίας αὐτοῦ ῥεύσουσιν ὕδατος ζῶντος sind als eine Aussage über Jesus zu lesen, die auf die
alttestamentliche Verheißung von Ez 47,1–12; Joel 4,18b; Sach 13,1; 14,8 Bezug nimmt.
2
 So mit Recht H. Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen 2005, 424.
3
 In Joh 8,17 bezeichnet ὁ νόμος – wie in Joh 1,17a; 7,19; 7,23 (im Blick steht Lev 12,3!);
7,49.51; 18,31; 19,7 – die durch Mose gegebene Tora vom Sinai, nicht dagegen im weiteren Sinn
den Pentateuch (so in 1,45).
58 „In eurer Tora steht geschrieben“

maius an: Wenn nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift Israels4 Gott schon die
in dem Zitat angeredeten Menschen als „Götter“ bezeichnet hat5 und die Schrift
nicht außer Geltung gesetzt werden kann, wie kann es dann Blasphemie sein,
wenn Jesus als der, „den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat“ und
der sich aufgrund seiner Herkunft aus der himmlischen Welt qualitativ von allen
anderen Menschen unterscheidet, von sich sagt: „Ich bin der Sohn Gottes“? –
Das dritte Jesuswort Joh 15,25 hat seinen Ort in den an die Jünger gerichteten
Abschiedsreden. Der Haß der Welt, wie er Jesus in der Ablehnung durch die
Ἰουδαῖοι begegnet (15,18–24), wird mit dem Hinweis auf Ps 35[34],19b bzw. Ps
69[68],5a als in der Schrift Israels angekündigt bezeichnet: ἀλλ’ ἵνα πληρωθῇ ὁ
λόγος ὁ ἐν τῷ νόμῳ αὐτῶν γεγραμμένος ὅτι ἐμίσησάν με δωρεάν („Aber es muß
das Wort erfüllt werden, das in ihrer Tora geschrieben steht: ‚Sie haben mich
ohne Grund gehaßt‘.“)
Auffallend und höchst erstaunlich an den drei Texten ist, daß in der je-
weiligen Zitateinführung nicht der Ausdruck ὁ νόμος ἡμῶν („unsere Tora“)
erscheint, den in Joh 7,51 der Jude Nikodemus gebraucht, sondern daß der
Evangelist Jesus in 8,17 und 10,34 mit der Wendung „eure Tora“ so reden läßt,
wie nach Joh 18,31 der Heide Pilatus redet (ὁ νόμος ὑμῶν6), und daß er ihm
dann in 15,25 den Ausdruck „ihre Tora“ in den Mund legt. Die Frage, welche
Aussageabsicht der Evangelist damit verbindet, ist in der Exegese lebhaft
umstritten. Vor allem zwei Deutungen sind zu erwähnen:7 Nicht wenige Aus-
leger sehen in der Rede von „eurer Tora“ bzw. „ihrer Tora“ eine Distanz zum
Ausdruck gebracht – und zwar entweder eine Distanz des Evangelisten (und / ​
oder der johanneischen Gemeinde) zur Sinai-Tora8 bzw. zu der Schrift Israels
4
 In Joh 10,34 und ebenso in Joh 12,34 und in Joh 15,25 bezeichnet ὁ νόμος die γραφή (10,35!),
d. h. die Heilige Schrift Israels als ganze (vgl. bei Paulus Röm 3,19 [erstes Vorkommen]; 3,31
[νόμος = ἡ γραφή 4,3a]; 1 Kor 9,8; 14,21.34; Gal 4,21b). Diese weitgefaßte Bedeutung entspricht
dem Sprachgebrauch der Rabbinischen Literatur, in der ‫ תורה‬auch Bezeichnung für die Schrift
Israels in ihrer Gesamtheit sein kann. S. dazu W. Bacher, Die exegetische Terminologie der
jüdischen Traditionsliteratur, Darmstadt 1965, I (= Leipzig 1899), 197; II (= Leipzig 1905),
229–231; P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch II,
München 1924 = ²1956, 542 f.; ebd. III, München 1926 = ²1954, 159.462 f.
5
 Wie V. 35 zeigt, sieht der Evangelist in Ps 82[81],6a ein an Menschen (wohl an die Israeliten
der Exodusgeneration) ergangenes Gotteswort. Zur entsprechenden Deutung der Rabbinen s.
MekhEx zu 20,19 sowie die Belege bei Billerbeck II 543.
6
 Vgl. im Aristeasbrief ὁ νόμος ὑμῶν im Mund des Heiden (Arist 38) und ὁ νόμος ἡμῶν im
Mund des Juden (Arist 168).
7
 Vgl. Chr. Dietzfelbinger, Das Evangelium nach Johannes II: Johannes 13–21 (ZBK.NT
4.2), Zürich 2001, 129; M. Theobald, Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1–12 (RNT),
Regensburg 2009, 572.
8 So z. B. E. Haenchen, Das Johannesevangelium, Tübingen 1980, 284; R. E. Brown, The

Gospel According to John I (AncB 29), Garden City, NY ²1986, 312 (zu 7,19). 341 (zu 8,17);
U. Schnelle, Das Evangelium nach Johannes (ThHK 4), Leipzig ⁵2016, 62 (zu 1,17). Zu
erwähnen ist auch Theobald, Das Evangelium nach Johannes (s. Anm. 7), 572, wo allerdings
ein unbedingt zu beachtender besonderer Akzent gesetzt wird, wenn es zu Joh 8,17 heißt: Da
die johanneischen Gemeinden „die Tora radikal in ein Christuszeugnis transformiert“ haben,
„In eurer Tora steht geschrieben“ 59

insgesamt9 oder eine Distanz zu den Ἰουδαῖοι, d. h. konkret: zu der Synagogen-
gemeinde der Zeit des Evangelisten und seiner Gemeinde10. Andere Ausleger
bestreiten hingegen mit Nachdruck eine solche Distanzierung von der Tora
bzw. von der Schrift Israels oder von den Ἰουδαῖοι. Nach ihrem Verständnis
wollen die auffallenden Zitateinführungen die verbindliche Autorität der Tora
bzw. der Schrift Israels geltend machen, die Ἰουδαῖοι bei ihrer eigenen Lehr-
und Glaubensgrundlage behaften und ihnen vor Augen stellen, daß sie sich
mit ihrem Urteil über Jesus wie auch mit ihrem Verhalten ihm gegenüber im
Widerspruch zu dieser Grundlage befinden.11
Eine Entscheidung zwischen den beiden skizzierten Interpretationen will
nach Chr. Dietzfelbinger „kaum gelingen, da im Johannesevangelium für beide
Alternativen sich Argumente finden lassen“.12 Man wird jedoch fragen dürfen,
ob ein solches Non liquet das letzte Wort behalten muß. Den Anlaß zu dieser
Frage gibt die Beobachtung, daß die Einführungswendungen von Joh 8,17 und
Joh 10,34 auch in der rabbinischen Literatur begegnen. A. Schlatter hat be-
reits 1902 in seiner Studie „Die Sprache und Heimat des vierten Evangelisten“
und sodann 1930 in seinem Kommentar zum Johannesevangelium auf einige
sprachliche Parallelen zu der Formulierung ἐν τῷ νόμῳ τῷ ὑμετέρῳ γέγραπται
von 8,17 aufmerksam gemacht.13 Er findet diese Zitateinführung „immer dann“

„dürfte die Rede von ‚eurem Gesetz‘ doch wohl ihre Entfremdung von der Tora als jüdischem
Religionsgesetz widerspiegeln“.
 9 So z. B. J. Becker, Das Evangelium nach Johannes: Kapitel 1–10 (ÖTBK 4/1), Gütersloh

bzw. Würzburg ³1991, 344.395 f.; Ders., Das Evangelium nach Johannes: Kapitel 11–21 (ÖTBK
4/2), Gütersloh bzw. Würzburg ³1991, 589; s. auch Brown, The Gospel According to John (s.
Anm. 8), 403 (zu 10,34).
10
  So z. B. W.  Bauer, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen ³1933, 31; R. Bult-
mann, Das Evangelium des Johannes (KEK 2), Göttingen ¹⁴1956, 59.212; R. Schnacken-
burg, Das Johannesevangelium II: Kommentar zu Kap. 5–12 (HThK IV/2), Freiburg – Basel –
Wien ⁴1985, 246 Anm. 3 (vgl. auch 389); Ders., Das Johannesevangelium III: Kommentar zu
Kap. 13–21 (HThK IV/3), Freiburg – Basel – Wien ⁴1985, 133 f.
11
 So z. B. – mit unterschiedlichen Akzentuierungen im einzelnen – J. Augenstein, „Euer
Gesetz“ – Ein Pronomen und die johanneische Haltung zum Gesetz, ZNW 88 (1997) 311–313:
312; K. Wengst, Das Johannesevangelium I: Kapitel 1–10 (ThKNT 4.1), Stuttgart ²2004,
328.409; Thyen, Das Johannesevangelium (s. Anm. 2), 424.501 f.653; J. Zumstein, Das Jo-
hannesevangelium (KEK 2), Göttingen 2016, 327.405.586. Vgl. auch bereits Th. Zahn, Das
Evangelium des Johannes (KNT 4), Leipzig – Erlangen ⁵.⁶1921 = Wuppertal 1983, 408.469.585 f.
12
 Dietzfelbinger, Das Evangelium nach Johannes II (s. Anm. 7), 129. Dietzfelbinger ver-
bindet dort mit seiner Feststellung die Frage: „Könnten nicht innerhalb der johanneischen Ge-
meinden die zwei Alternativen vertreten worden sein?“ C. K. Barrett, Das Evangelium nach
Johannes (KEK.S), Göttingen 1990, 344.383.469 kombiniert beide Deutungen miteinander.
13 A. Schlatter, Die Sprache und Heimat des vierten Evangelisten (BFChTh VI 4), Gü-

tersloh 1902, 94 (MekhEx zu 20,5; KlglR 1 § 53 zu V. 16); Ders., Der Evangelist Johannes. Wie
er spricht, denkt und glaubt. Ein Kommentar zum vierten Evangelium, Stuttgart 1930 = ³1960,
207 (mit dem Hinweis auf ‛AZ 3,4; LevR 4,6 zu 4,2; QohR 1 § 24 zu V. 8; 11 § 2 zu V. 1). Im
Kommentar notiert Schlatter neben den rabbinischen Belegen auch Josephus, Bell V 402;
nach meinem Urteil verdient hier jedoch die Lesart εἰς τὸν ἡμέτερον νόμον gegenüber εἰς τὸν
ὑμέτερον νόμον den Vorzug.
60 „In eurer Tora steht geschrieben“

verwendet, „wenn ein Fremder das Gesetz zitiert“, und er bemerkt zu dem
johanneischen Text: „Es steht mit allem, was uns Joh. vom Handeln Jesu er-
zählt, in Übereinstimmung, daß er sich selber nicht unter das Gesetz stellt.“14
Während R. Bultmann in seinem Johannes-Kommentar zu Joh 8,17 auf Schlatter
hinweist,15 wird dessen Wahrnehmung rabbinischer Parallelen erstaunlicher-
weise – von einer einzigen Ausnahme abgesehen – in keinem anderen der von
mir herangezogenen Kommentare auch nur erwähnt.16 Die Ausnahme bildet
K. Wengst, der in seiner Auslegung von Joh 8,17 auf den Kommentar Schlatters
Bezug nimmt, zwei weitere rabbinische Belege mitteilt und die von Schlatter
aus 8,17 gezogene Folgerung als unangemessen zurückweist.17 Der Behauptung,
daß die Formulierungen von 8,17, 10,34 und 15,25 eine Distanz zur Tora oder zur
Schrift signalisieren, widerspricht Wengst mit Entschiedenheit,18 und er sucht zu
zeigen, daß die zum Vergleich herangezogenen rabbinischen Texte keinesfalls
für eine solche Deutung in Anspruch genommen werden können.19 Wengst hat
mit Recht erneut auf die rabbinischen Texte hingewiesen, deren Zahl sich sogar
noch vermehren läßt.20 Vor allem aber bedarf das gesamte Material im Inter-
esse einer sachgemäßen Würdigung noch einmal einer genaueren Betrachtung.
Deshalb sollen im Folgenden elf rabbinische Texte in Übersetzung vorgelegt
werden. Für den jeweils gewählten Umfang ist dabei ausschlaggebend, daß für
die Frage, was diese Texte für das Verständnis von Joh 8,17; 10,34; 15,25 aus-
tragen, ein hinreichendes Fundament gegeben ist.

14
 Schlatter, Der Evangelist Johannes, ebd.
15
 Bultmann, Das Evangelium des Johannes (s. Anm. 10), 212 Anm. 4.
16
 Bei Billerbeck II findet sich zu der νόμος-Wendung von Joh 8,17; 10,34; 15,25 kein Hin-
weis auf rabbinische Parallelen. H. Odeberg, The Fourth Gospel. Interpreted in its Relation to
Contemporaneous Religious Currents in Palestine and the Hellenistic-Oriental World, Uppsala
1929 = Amsterdam 1968, 292 notiert zwar für ἐν τῷ νόμῳ τῷ ὑμετέρῳ Joh 8,17 das hebräische
Äquivalent ‫בתורתכם‬, er bemerkt dann aber lediglich: „The expression is an allusion to the
frequent Rabbinic (i. e. Pharisaic) ‫תורתינו‬, ‫( בתורתינו‬our Tora, in our Tora).“ Die johanneische
Wendung interpretiert Odeberg, ebd., als einen Ausdruck dafür, daß Jesus für das Johannes-
evangelium in demselben Verhältnis zur Tora steht wie Gott, sein Vater.
17
 Wengst, Das Johannesevangelium I (s. Anm. 11), 328. Die neu notierten Belege sind bBer
32b und b‛AZ 54b; außerdem wird zu dem bereits bei Schlatter verzeichneten Text QohR 1 § 24
zu V. 8 die Parallele b‛AZ 17a genannt.
18
 Ebd. (zu 8,17) und 409 (zu 10,34); ebenso Ders., Das Johannesevangelium II: Kapitel 11–21
(ThKNT 4.2), Stuttgart ²2007, 164 (zu 15,25).
19
 Ebd., I 328. Zu der Wendung „in eurer Tora steht geschrieben“ in ‛AZ 3,4, bBer 32b, b‛AZ
54b und LevR 4,6 zu 4,2 bemerkt Wengst: „Wenn ein Fremder sie gebraucht, weist er einen
Juden auf ein Verhalten hin, das seiner Meinung nach im Widerspruch zur zitierten Torastelle
steht, oder verlangt eine Erklärung einer ihm unverständlichen Aussage.“ Der Bericht b‛AZ
17a par. QohR 1 § 24 zu V. 8 gilt ihm als direkter Beweis dafür, daß in jener Wendung keine
Distanzierung von der Tora vorliegt.
20
 Weitere Belege für „in eurer Tora steht geschrieben“ sind: MidrTann zu Dtn 15,10; bRH
17b; b‛AZ 55a. Zu vergleichen sind ferner auch die folgenden Stellen, an denen der Ausdruck
„eure Tora“ belegt ist: Pesiq 2,4 par. GenR 68,4 zu 28,10 / ​LevR 8,1 zu 6,18; jSoṭa VII 21c,34 f.
par. bSoṭa 33b; bSanh 90b.
„In eurer Tora steht geschrieben“ 61

II

Unter den elf rabbinischen Texten enthalten zehn eine genaue hebräische Par-
allele zu der Aussage ἐν τῷ νόμῳ τῷ ὑμετέρῳ γέγραπται von Joh 8,17 und einer
eine genaue hebräische Parallele zu der Frage οὐκ ἔστιν γεγραμμένον ἐν τῷ νόμῳ
ὑμῶν; von Joh 10,34. Die Aussage lautet dabei: ‫ כתוב בתורתכם‬/ ‫כתיב ​בתורתכם‬
(„in eurer Tora steht geschrieben“)21, die Frage: ‫„( הלא כתוב בתורתכם‬steht nicht
in eurer Tora geschrieben?“)22. Was die Redenden betrifft, so begegnen die
Zitateinführungen überwiegend im Mund von Heiden (Nr. 1–5, Nr. 7, Nr. 9–11)
und je einmal im Mund einer Proselytin, d. h. einer ehemaligen Heidin (Nr. 6),
und eines nicht mehr zur Gemeinschaft des Volkes Israel gehörenden Häretikers
(Nr. 8). Von den beiden Erzählungen Nr. 10 und Nr. 11 abgesehen erfolgt der Hin-
weis auf die Tora in Gesprächen mit jüdischen Schriftgelehrten der tannaitischen
Zeit.23 In Nr. 1–5 und in Nr. 7–10 wird mit den Schriftzitaten jeweils eine auf
diese bezogene Frage verbunden, und in Nr. 6 ist eine solche impliziert. Da die
dann folgenden Antworten der Gefragten für unsere Überlegungen ohne jeden
Belang sind, verzichte ich in der folgenden Zusammenstellung (außer bei Nr. 9)
auf ihre Wiedergabe:24
1. MekhEx zu 20,5
Ein Philosoph fragte den Rabban Gamliël: „In eurer Tora steht geschrieben: ‚Denn ich,
der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger25 Gott‘ (Ex 20,5). Hat denn etwa ein Götze
Macht, so daß man auf ihn eifersüchtig sein könnte?“

2. b‛AZ 55a
Der Feldherr Agrippa fragte den R. Gamliël: „In eurer Tora steht geschrieben: ‚Denn der
Herr, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer, ein eifersüchtiger Gott‘ (Dtn 4,24). Ist denn
nicht nur ein Weiser auf einen Weisen eifersüchtig und ein Held auf einen Helden und ein
Reicher auf einen Reichen?“

21
 ‫כתוב בתורתכם‬: b‛AZ 54b (Nr. 3); MidrTann zu Dtn 15,10 (Nr. 4); ‛AZ 3,4 (Nr. 5); b‛AZ
17a par. QohR 1 § 24 zu V. 8 (Nr. 8); KlglR 1 § 53 zu V. 16 (Nr. 11). ‫כתיב בתורתכם‬: MekhEx zu
20,5 (Nr. 1); b‛AZ 55a (Nr. 2); bRH 17b (Nr. 6); LevR 4,6 zu 4,2 (Nr. 7); QohR 11 § 2 zu V. 1
(Nr. 9). Das Nebeneinander der beiden Fassungen erklärt sich dadurch, daß in der rabbinischen
Literatur bei der Einführung von Schriftzitaten anstelle des hebräischen Partizip Passiv ‫ָּכתּוב‬
(„geschrieben“) meist das aramäische Äquivalent ‫ ְכּ ִתיב‬verwendet wird. S. dazu Bacher, Die
exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur (s. Anm. 4), I 88; II 91–94.
22
 bBer 32b (Nr. 10).
23
 Als rabbinische Gesprächspartner erscheinen die folgenden Tannaiten: in Nr. 1–6 R. Gam-
liël II (um 90), in Nr. 7 R. Jᵉhoschu‛a b. Qarcha (um 150), in Nr. 8 R. Eli‛ezer b. Hyrkanos (Ende
1. / ​Anfang 2. Jahrhundert) und in Nr. 9 R. El‛azar b. Schammua‛ (um 150).
24
 Die übersetzten Texte stehen in Kursive, notwendige Erläuterungen hingegen in Normal-
schrift.
25 So ist, wie jeweils die anschließende Frage zeigt, hier und ebenso in Nr. 2 das Wort ‫ַקּנָ א‬

verstanden.
62 „In eurer Tora steht geschrieben“

3. b‛AZ 54b
Ein Philosoph fragte den R. Gamliël: „In eurer Tora steht geschrieben: ‚Denn der Herr,
dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer, ein eifernder26 Gott‘ (Dtn 4,24). Warum eifert er
gegen seine (sc. des Götzen) Anbeter und eifert er nicht gegen diesen selbst?“

4. MidrTann zu Dtn 15,10


Ein Philosoph fragte den Rabban Gamliël. Er sagte zu ihm: „In eurer Tora steht ge-
schrieben: ‚Du sollst ihm (sc. deinem armen Bruder) willig geben, und dein Herz soll
nicht verdrießlich sein, wenn du ihm gibst‘ (Dtn 15,10). Gibt es denn etwa deiner Meinung
nach einen Menschen, der seinen Besitz freigebig an andere austeilt, ohne daß sein Herz
dabei von dem Gedanken beschwert wäre, daß er selbst von Menschen abhängig werden
könnte?“27

5. ‛AZ 3,4
Proklos, der Sohn eines Philosophen,28 fragte den Rabban Gamliël in Akko, als dieser
im Bad der Aphrodite badete, und sagte zu ihm: „In eurer Tora steht geschrieben: ‚Und
nichts von dem, was mit dem Bann belegt ist, soll an deiner Hand haften bleiben‘ (Dtn
13,18). Warum badest du [dann] im Bad der Aphrodite?“

6. bRH 17b
Die Proselytin Beluria (= Valeria) fragte den Rabban Gamliël: „In eurer Tora steht ge-
schrieben: ‚Der das Angesicht nicht erhebt‘29 (Dtn 10,17), und es steht geschrieben: ,Der
Herr erhebe sein Angesicht hin zu dir‘ (Num 6,26).“
Die Proselytin formuliert die Einführungswendung so, als sei sie eine noch nicht zum
Judentum konvertierte unwissende Nichtjüdin, und sie setzt voraus, daß das Syntagma
‫„( נשׂא פנים‬das Angesicht erheben“) an den beiden zitierten Schriftstellen die gleiche
Bedeutung hat. Ihre Feststellung impliziert von daher die Frage, wie die beiden Aussagen
miteinander zu vereinbaren sind.

7. LevR 4,6 zu 4,2


Ein Verehrer der Gestirne und Planeten (d. h. ein Heide) fragte den R. Jᵉhoschu‛a b.
Qarcha: „In eurer Tora steht geschrieben: ‚Nach der Mehrheit soll man sich richten‘ (Ex
23,2a nach dem Midrasch30). Wir [Heiden] sind euch [Juden] gegenüber in der Mehrheit.
Warum macht ihr euch [dann] nicht im Götzendienst mit uns gleich?“

26
 Daß ‫ ַקּנָ א‬jetzt diese Bedeutung hat, ergibt sich auch hier aus der anschließenden Frage.
27
 D. Hoffmann, Midrasch Tannaïm, Berlin 1908/9, 84,1–3.
28
 Zu lesen ist wahrscheinlich: „Proklos, der Philosoph“.
29 Der Sinn ist: „der nicht Partei ergreift“, „der nicht parteiisch ist“.
30
 Der biblische Text selbst lautet: „Du sollst dich nicht einer Mehrheit zu Bösem anschlie-
ßen.“ In seiner Antwort korrigiert R. Jᵉhoschu‛a b. Qarcha das Schriftzitat nicht, sondern er
setzt den unzutreffenden Wortlaut voraus und geht von ihm aus. Der Midrasch unterstellt dem
Heiden also nicht eine bewußte Verfälschung der Tora.
„In eurer Tora steht geschrieben“ 63

8. b‛AZ 17a par. QohR 1 § 24 zu V. 8


Der Beleg gehört in den weiteren Kontext einer Erzählung über R. Eli‛ezer b. Hyrkanos31
und in den engeren Kontext eines halachisch-exegetischen Gesprächs zwischen diesem
und einem Häretiker namens Jakob aus dem Dorf Kephar Sekhanja.32 Die beiden Fas-
sungen der Erzählung (b‛AZ 16b.17a und QohR 1 § 24 zu V. 8) weichen des öfteren von-
einander ab.33 Hinsichtlich der Worte Jakobs, die das halachisch-exegetische Gespräch
eröffnen, besteht jedoch zwischen beiden Fassungen keine Differenz. Diese Worte lauten:
„In eurer Tora steht geschrieben: ‚Du sollst nicht Hurenlohn [in das Haus des Herrn,
deines Gottes,] bringen‘ (Dtn 23,19). Darf man davon einen Abort für den Hohenpriester
anfertigen?“34

9. QohR 11 § 2 zu V. 1


R. El‛azar b. Schammua‛ hat einem Schiffbrüchigen, der sich ans Ufer retten konnte,
durch die Gabe von Kleidung, Speise und Geld geholfen – dies im Unterschied zu anderen
Juden, die dem Fremden jede Hilfe verweigert und ihm sogar Verwünschungen zugerufen
hatten. Als der Gerettete später Kaiser wird, beschließt er, Rache an den hartherzigen
Juden zu nehmen. Daraufhin begibt sich El‛azar zu ihm und bittet ihn um Erbarmen mit
den Schuldigen.
Er (der Kaiser) sagte zu ihm: „Steht wohl im Gesetz35 irgend etwas Unwahres geschrie-
ben?“ Er (R. El‛azar) sagte zu ihm: „Nein.“ Er (der Kaiser) sagte zu ihm: „In eurer
Tora steht geschrieben: ‚Nicht soll ein Ammoniter oder Moabiter in die Versammlung
des Herrn kommen‘ (Dtn 23,4). […] Und es steht geschrieben: ‚Du sollst einen Edomiter
nicht verabscheuen, denn er ist dein Bruder‘ (Dtn 23,8). Ich aber – bin ich nicht ein Nach-
komme eures Bruders Esau, und ihr habt mir [dennoch] keine Gnade erwiesen? Der aber,
der das Gesetz übertritt, ist des Todes schuldig.“ R. El‛azar b. Schammua‛ sagte zu ihm:
„Obgleich sie an dir schuldig geworden sind, vergib ihnen und hab Erbarmen mit ihnen!“

10. bBer 32b


Eine Begebenheit mit einem Frommen: Als dieser einmal auf dem Weg betete, kam ein
Befehlshaber vorüber und entbot ihm den Friedensgruß; er aber erwiderte ihm den
Friedensgruß nicht. Jener wartete auf ihn, bis er sein Gebet beendet hatte. Nachdem er
sein Gebet beendet hatte, sagte er zu ihm: „Du elender Wicht36, steht nicht in eurer Tora
geschrieben: ‚Nur hüte dich und nimm dein Leben wohl in acht‘ (Dtn 4,9)? Und es steht
[ferner] geschrieben: ,So nehmt euch wohl in acht um eures Lebens willen‘ (Dtn 4,15). Als
ich dir den Friedensgruß entbot, warum hast du mir da den Friedensgruß nicht erwidert?
31
 Zu dieser Erzählung verweise ich auf die minutiöse Analyse der Quellen bei J. Maier,
Jesus von Nazareth in der talmudischen Überlieferung (EdF 82), Darmstadt 1978, 144–181.
32 Maier liest die Ortsangabe als „Kfar Siknaia“ (ebd., 148.164), und er legt überzeugend dar,

daß die Texte keineswegs dazu zwingen, in Jakob einen Judenchristen zu sehen (ebd., 162–168).
33
 S. dazu die Synopse bei Maier, ebd., 148–150.
34
 Die Frage findet dadurch ihre Erklärung, daß der Hohepriester in der Woche vor dem
Großen Versöhnungstag im Tempel übernachten mußte; s. Joma 1,1.
35
 Hier und in den auf die Torazitate folgenden Worten des Herrschers steht der aramäische
Begriff ‫אורײתא‬, den ich mit „Gesetz“ wiedergebe.
36
 ‫= ריקא‬ ῥακά Mt 5,22.
64 „In eurer Tora steht geschrieben“

Wenn ich dir deinen Kopf mit dem Schwert abgeschlagen hätte, wer hätte [dann] dein Blut
von meiner Hand gefordert?37“
11. KlglR 1 § 53 zu V. 16
Im Unterschied zu den Belegen Nr. 1–10 ist in dem zuletzt zu nennenden Text der Hin-
weis auf ein Gebot der Tora nicht mit einer Frage verbunden, sondern er dient dazu, eine
bestimmte Entscheidung zu begründen. Dem Kontext liegt traditionsgeschichtlich der
Bericht 2 Makk 7,1–41 zugrunde: die Erzählung von dem Märtyrertod der sieben Brüder
und ihrer Mutter unter Antiochus IV.38 Der Midrasch identifiziert die Mutter allerdings
mit Mirjam, der Frau des Jᵉhoschu‛a b. Gamala, der von ca. 63 bis 65 n. Chr. Hoherpriester
am Tempel zu Jerusalem war. Der heidnische „Kaiser“, von dem jetzt die Rede ist, muß
deshalb Vespasian sein. Er hat – so hören wir – bereits sechs Söhne Mirjams hinrichten
lassen, weil sie mit dem Hinweis auf Gebote der Tora seinem Bild die Proskynese und
damit ihm selbst die kultische Verehrung verweigern. Aus dem gleichen Grund wird zu-
letzt auch der jüngste Sohn zum Tode verurteilt. Die Bitte der Mutter, zuerst sie selbst und
danach erst ihr Kind töten zu lassen, lehnt der Kaiser ab, und zwar mit der Begründung:
„Denn in eurer Tora steht geschrieben: ‚Ein Rind oder Schaf und ihr Junges dürft ihr
nicht am selben Tag schlachten‘ (Lev 22,28).“
Die Zitateinleitung „in eurer Tora steht geschrieben“ ist als Echo auf die Worte gestaltet,
mit denen zuvor die sieben Söhne ihren Hinweis auf Gebote der Tora eingeleitet haben:
„in der Tora steht geschrieben“39 bzw. „in unserer Tora steht geschrieben“40.
Den elf mitgeteilten rabbinischen Texten ist gemeinsam, daß die in ihnen zitier-
ten Schriftworte sämtlich dem Pentateuch entnommen sind. Mit dem Ausdruck
„eure Tora“ ist deshalb entweder dieser selbst41 oder aber im engeren Sinn die
Tora vom Sinai42 gemeint. Was bei den Belegen Nr. 1–10 die jeweils auf das
Zitat bzw. auf die Zitate bezogene Frage betrifft, so geht es um das genauere
Verständnis des Schriftwortes oder um die Plausibilität des in ihm Gesagten
(Nr. 1 – Nr. 4, Nr. 6), um den Hinweis auf ein Verhalten, das mit dem Schriftwort
unvereinbar ist oder in seinem Licht als unverantwortlich erwiesen wird (Nr. 5,
Nr. 9, Nr. 10), um die aus dem Schriftwort zu ziehende Konsequenz (Nr. 7)
sowie um die Eröffnung einer durch das Schriftwort provozierten halachisch-
exegetischen Diskussion (Nr. 8). Für keinen einzigen der Belege Nr. 1–10 läßt
sich mit Grund behaupten, daß die Frage eine innere Distanz zur Tora erkennen
37 D. h.: hätte ich das dann nicht mit Recht getan?
38
 S. zu diesem Bericht A. B. Schneider, Jüdisches Erbe in christlicher Tradition. Eine
kanongeschichtliche Untersuchung zur Bedeutung und Rezeption der Makkabäerbücher in der
Alten Kirche des Ostens, Diss. theol. Heidelberg 2000, 44–48.
39 So nach Midrasch Rabba, Jerusalem 1960, V 35 f. der zweite bis sechste Sohn (für die

Wiederholung der Einleitung steht z. T. ‫ )פסוקיה‬und nach S. Buber, Midrasch Echa rabbati,
Wilna 1899 = Hildesheim 1967, 84 die sechs älteren Söhne.
40 So nach Midrasch Rabba, ebd., der erste sowie zweimal der siebte Sohn.
41
 So m. E. Nr. 6 und möglicherweise auch Nr. 1–3. Zu ‫ תורה‬als Bezeichnung des Pentateuch
s. Bacher, Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur (s. Anm. 4); I 197;
II 229.
42
 So m. E. mit Sicherheit Nr. 4, Nr. 5 und Nr. 7–11.
„In eurer Tora steht geschrieben“ 65

lasse oder daß sie gar Ausdruck der Verachtung und Verhöhnung der Tora sei.43
Nicht anders ist im Blick auf den Beleg Nr. 11 zu urteilen. In ihm dürfte es sich
bei dem Hinweis auf Lev 22,28 zwar um eine zutiefst boshafte und sophistische
Argumentation handeln, doch folgt daraus keineswegs, daß der Midrasch die
dabei zweifellos bestehende Geringschätzung und Verachtung der Tora mit der
Wendung „in eurer Tora“ als solcher zum Ausdruck gebracht sehen will. Wenn
der Erzähler die jüdischen Märtyrer „die Tora“ oder „unsere Tora“ und den heid-
nischen Herrscher „eure Tora“ sagen läßt, so zeigt sich darin die Realität der
Trennung, die in religiöser Hinsicht zwischen Juden, die sich in der gehorsamen
Bindung an die Tora zu der Einzigkeit des Gottes Israels bekennen, und Heiden,
die eben das nicht tun, besteht.44
Der von den elf Belegen gebotene Befund wird durch die drei weiteren in
Anm. 20 genannten rabbinischen Texte bestätigt, in denen ebenfalls der Aus-
druck „eure Tora“ begegnet. Nach Pesiq 2,4 par. GenR 68,4 zu 28,10 / ​LevR 8,1
zu 6,18 erklärt eine vornehme Römerin vor R. Jose b. Chalaphta (Tannait um
150): „Eure Tora ist wahr, schön und vortrefflich.“45 Wenn die Heilige Schrift
Israels hier „eure Tora“ genannt wird, so hat das seinen Grund ausschließ-
lich darin, daß die Redende keine Jüdin ist. Die beiden anderen rabbinischen
Texte – jSoṭa VII 21c,34 f. par. bSoṭa 33b und bSanh 90b – nehmen insofern
eine Sonderstellung ein, als in ihnen der Ausdruck „eure Tora“ nicht im Munde
eines Heiden oder einer Heidin erscheint, sondern in Worten, die ein jüdischer
Schriftgelehrter46 an samaritanische Schriftgelehrte richtet. In beiden Fällen geht
es um den Pentateuch in der Ausgabe der Samaritaner, und zwar jeweils um eine
Schriftstelle, an der die samaritanische Fassung von der jüdischen abweicht und
dies erhebliche theologische Kontroversen zur Folge hat.47 Der gegenüber den
Samaritanern erhobene Vorwurf lautet jeweils: „Ihr habt eure Tora (‫)תורתכם‬
gefälscht.“48 Die Worte „eure Tora“ sind hier durch den religiösen Gegensatz
veranlaßt, der das Verhältnis zwischen Juden und Samaritanern entscheidend

43
 Das gilt auch für die Frage, die in b‛AZ 17a par. QohR 1 § 24 zu V. 8 (Nr. 8) zu der Tora-
Bestimmung von Dtn 23,19 gestellt wird. Diese ist im Rahmen einer halachisch-exegetischen
Diskussion keineswegs anstößig; vgl. Maier, Jesus von Nazareth in der talmudischen Über-
lieferung (s. Anm. 31), 168 f.
44
 Für die Wendung „in unserer Tora steht geschrieben“ habe ich mir außer den Belegen in
KlglR 1 § 53 zu V. 16 notiert: MekhSchEx zu 21,13 (J. N. Epstein / ​E. Z.  Melamed, Mekhilta
de Rabbi Schim‛on b. Jochaj, Jerusalem 1955, 170,4).
45
 ‫ תורה‬dürfte hier Bezeichnung für die Schrift Israels in ihrer Gesamtheit sein.
46 R. El‛azar b. Schim‛on bzw. R. El‛azar b. Jose (beide Tannaiten um 180).
47 jSoṭa VII 21c,34 f. par. bSoṭa 33b: Dtn 11,30; bSanh 90b: Dtn 11,9. Zu den beiden Kon-

troversen s. P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I,
München 1922 =  ²1956, 549–551 („Garizim u. Jerusalem“) und 551 f. („Die Samaritaner als
Leugner des Auferstehungsglaubens“).
48
 In jSoṭa VII 21c,34 f. folgt darauf als ausdrückliche Begründung: „Ihr habt in eurer Tora
schreiben lassen (‫)הכתבתם בתורתכם‬: […]“ Vielleicht ist statt ‫„( הכתבתם‬ihr habt schreiben
lassen“) mit SifreDtn § 56 zu 11,30 zu lesen: ‫„( כתבתם‬ihr habt geschrieben“).
66 „In eurer Tora steht geschrieben“

bestimmt. Sie implizieren dagegen kein negatives Urteil über den von den Sama-
ritanern allein als Heilige Schrift anerkannten Pentateuch selbst und als solchen.49
Als Ergebnis unserer Betrachtung der rabbinischen Texte kann an dieser
Stelle festgehalten werden: Wenn Heiden Juden gegenüber von „eurer Tora“
sprechen, so liegt darin weder ein bewußt distanziertes noch auch ein kritisches
oder sogar betont negatives Urteil über die Sinai-Tora, den Pentateuch oder
die Heilige Schrift Israels als ganze.50 In einer anderen Hinsicht allerdings ist
die Rede von „eurer Tora“ sehr wohl Ausdruck einer Distanz: Sie ist dadurch
veranlaßt und darin begründet, daß die Fragenden nicht zu der Gemeinde des
Gottesvolkes Israel gehören,51 und sie dokumentiert mithin die mit diesem Tat-
bestand gegebene religiöse Trennung.

III

Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, was der Blick auf das rabbinische Ma-
terial für die Exegese von Joh 8,17; 10,34; 15,25 austrägt, so ist zu sagen: Dieses
Material spricht als Bestätigung für eine Interpretation, die nach meinem Urteil
bereits durch das Gesamtzeugnis des Johannesevangeliums selbst nahegelegt
wird. Zwei Sätze können dazu formuliert werden: 1. Die Rede von „eurer Tora“
bzw. „ihrer Tora“ ist nicht Ausdruck einer Distanzierung des Evangelisten und
der johanneischen Gemeinde von der Sinai-Tora und auch nicht einer solchen
von der Heiligen Schrift Israels insgesamt.52 2. Die Rede von „eurer Tora“ bzw.
„ihrer Tora“ ist Ausdruck jener Distanz, die Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr.
zwischen dem Evangelisten samt seiner Gemeinde und der in ihrem Umkreis
lebenden Synagogengemeinde besteht. Die beiden Sätze sind jetzt noch in der
gebotenen Kürze zu begründen.
1. Gegen eine Ablehnung des Alten Testaments oder zumindest der Sinai-Tora
durch den Evangelisten und seine Gemeinde sprechen in aller Klarheit theo-
logisch gewichtige Aussagen des Vierten Evangeliums. In 5,39 wird ausdrück-
lich und in einer grundsätzlichen Feststellung erklärt, daß die Schrift (αἱ γραφαί)
Zeugnis von Jesus ist (ἐκεῖναί εἰσιν αἱ μαρτυροῦσαι περὶ ἐμοῦ).53 Der damit be-
49
 In der in SifreDtn § 56 zu 11,30 gebotenen Parallelüberlieferung zu jSoṭa VII 21c,34 f. / ​
bSoṭa 33b steht der jüdische Vorwurf ohne das Pronomen der 2. Person Plural: „Ihr habt die
Tora (‫ )את התורה‬gefälscht“.
50
 Nicht anders ist im Blick auf Arist 38 zu urteilen, wenn König Ptolemaios in seinem
Schreiben an den Hohenpriester Eleazar den Pentateuch als ὁ νόμος ὑμῶν („euer Gesetz“)
bezeichnet.
51
 Zu Nr. 6 sei nochmals daran erinnert, daß die Einführungswendung dort von dem Stand-
punkt einer fragenden Heidin aus formuliert ist.
52
 Theobald, Das Evangelium nach Johannes (s. Anm. 7), 572 bemerkt zu der Einführungs-
wendung von 8,17 mit Recht: „Als Beleg dafür, dass die johanneischen Gemeinden das Alte
Testament abgestoßen hätten, eignet sie sich keinesfalls.“
53
 Der im Johannesevangelium nur in 5,39 begegnende Plural αἱ γραφαί hat wie an anderen
„In eurer Tora steht geschrieben“ 67

hauptete Sachverhalt kommt im Evangelium selbst mehrfach zur Sprache: In der


Schrift steht von Jesus als dem Heilsbringer Gottes (ὁ χριστός) geschrieben,54
in ihr hat Mose von ihm geschrieben.55 In der Schrift wird prophetisch die in
Jesus beschlossene unerschöpfliche Fülle des eschatologischen Heils angekün-
digt56 sowie typologisch auf seinen Kreuzestod und dessen Heilsbedeutung
hingewiesen57. Was sich in Jesu Weg und Geschick wie auch in der Reaktion
der Menschen auf ihn und sein Wort ereignet, ist dementsprechend Erfüllung
der Schrift58 bzw. eines bestimmten Schriftworts59. Wo in dieser Weise von der
Schrift Israels geredet wird, da muß eine grundsätzliche Distanzierung von ihr
als ausgeschlossen gelten. Was speziell die Sinai-Tora anlangt, so läßt sich im
Evangelium nirgends ein prinzipielles Nein zu ihr wahrnehmen. Daß der Hin-
weis auf die Tora in 7,19 (οὐ Μωϋσῆς δέδωκεν ὑμῖν τὸν νόμον;) und in 7,23 (ἵνα
μὴ λυθῇ ὁ νόμος Μωϋσέως) ironisch gemeint sei, wird durch nichts nahegelegt,
ja, der Satz 7,19 mit seiner Anklage (οὐδεὶς ἐξ ὑμῶν ποιεῖ τὸν νόμον) und seinem
Hinweis auf die Kreuzigung Jesu (τί με ζητεῖτε ἀποκτεῖναι;) verlöre bei einem
ironischen Unterton seinen Ernst und sein Gewicht. Würden die Tora oder die
Schrift als ganze abgelehnt, so wäre es auch widersinnig, jüdischen Gegnern
gegenüber mit beiden zu argumentieren. Nur unter der Prämisse, daß die Schrift
in Geltung steht (οὐ δύναται λυθῆναι ἡ γραφή 10,35b), kann in 10,34 f. das zuvor
zitierte Schriftwort (Ps 82[81],6a) als Argument dafür herangezogen werden, daß
Jesus sich zu Recht den „Sohn Gottes“ nennt und daß dies im Sinn der Aussage
von 10,30 gemeint ist. Entsprechend setzt in 8,17 f. die Argumentation mit einem
Rechtssatz der Sinai-Tora deren Gültigkeit voraus. Nicht daß die Ἰουδαῖοι die
Schrift haben, lesen und erforschen, wird ihnen von dem Vierten Evangelisten

neutestamentlichen Stellen (z. B. Mt 22,29; Mk 12,24; Röm 15,4; 1 Kor 15,3 f.) die Bedeutung
„die Heilige Schrift“. Zu dem entsprechenden rabbinischen Gebrauch von ‫ הכתובים‬s. Bacher,
Die exegetische Terminologie der jüdischen Traditionsliteratur (s. Anm. 4), I 92.
54 Joh 1,45b (vgl. 1,41b.49b). „Mose im Gesetz und die Propheten“ 1,45b ist Umschreibung

der ganzen Heiligen Schrift (vgl. Mt 5,17; 7,12; 11,13; 22,40; Lk 16,16.29.31; 24,27; Apg 26,22;
28,23; Röm 3,21).
55
 Joh 5,46b. Gedacht ist, wie sich aus 8,56 bzw. 19,36 ergibt, an Gen 15,9–21 und an Ex
12,10.46 LXX (s. auch Num 9,12). Im Hintergrund von 8,56 steht eine haggadische Deutung
von Gen 15,9–21: Abraham sah die Eschata (vgl. 4 Esr 3,14; Billerbeck I 468; II 525 f.); für
den Evangelisten betrifft das insbesondere den „Tag“ Jesu.
56
 Joh 7,37b–39: Die Verse nehmen Bezug auf die Verheißung des aus dem Tempel strömen-
den Lebenswassers Ez 47,1–12; Joel 4,18b; Sach 13,1; 14,8. Der Evangelist deutet das Lebens-
wasser auf die Heilsgabe, die Jesus als der wahre „Ort“ der praesentia Dei (Joh 1,51) denen
gewährt, die an ihn glauben. Zu 7,37b.38 vgl. das oben in Anm. 1 Gesagte.
57
 Joh 3,14.
58 Joh 17,12; 19,28; 20,9. An diesen Stellen – und ebenso in 7,38.42; 10,35 – heißt ἡ γραφή

„die Schrift“. Zu 19,28 ist anzumerken, daß ἵνα τελειωθῇ ἡ γραφή mit εἰδὼς ὁ Ἰησοῦς ὅτι ἤδη
πάντα τετέλεσται zu verbinden ist, nicht dagegen mit λέγει.
59
 Joh 2,17.22; 6,45; 12,14–16.37–41; 13,18; 15,25; 19,23 f.36 f. In Joh 2,22 (Bezugnahme auf
2,17!); 13,18; 19,24.36 f. heißt ἡ γραφή „das Schriftwort“; das Nomen entspricht hier also dem
Ausdruck ὁ λόγος ὁ γεγραμμένος 15,25.
68 „In eurer Tora steht geschrieben“

zum Vorwurf gemacht, sondern lediglich dies, daß sie nicht wirklich auf das
Zeugnis der Schrift hören, sich ihm vielmehr verschließen.60 Für die Zitatein-
führungen in 8,17 und in 10,34 ergibt sich aus dem allen: Sie sind ebensowenig
Ausdruck eines negativen Urteils über die Tora bzw. über die Schrift als ganze,
wie das in den vergleichbaren rabbinischen Wendungen der Fall ist. Was die
johanneische Gemeinde von dem jüdischen Gegenüber unterscheidet, ist nicht
die Frage der Akzeptanz von Schrift und Sinai-Tora, sondern die Frage ihres an-
gemessenen Verständnisses. In dieser Hinsicht ist allerdings festzustellen, daß
die Tora bzw. die Schrift von dem Evangelisten grundsätzlich anders gesehen
sind als im Judentum, und zwar deshalb, weil sie dezidiert im Licht des johan-
neischen Christuszeugnisses und also von Christus her auf Christus hin gelesen
werden. Aus der hermeneutischen Differenz ergeben sich für den Evangelisten
in der Tat gravierende Folgerungen: Mose und der durch ihn gegebenen Tora
vom Sinai eignet keine Heilsrelevanz, weil Gottes Heil – „die Gnade und Wahr-
heit“ – exklusiv in Jesus Christus beschlossen liegt (1,17 f.).61 Nicht in der Schrift
selbst ist das „ewige Leben“ zu finden, sondern einzig und allein in dem Einen,
von dem die Schrift Zeugnis gibt und zu dem sie hinführen soll (Joh 5,39 f.). In
dieser Überzeugung ist es dann auch begründet, daß der Evangelist prophetische
Heilsverheißungen auf Christus bezieht62 und in bestimmten Texten der Schrift
nicht wahre Heilsgewährung und Heilsteilhabe bezeugt findet63.
2. Wenn die Rede von „eurer Tora“ bzw. „ihrer Tora“ nicht Ausdruck der
Distanz zur Schrift oder zur Sinai-Tora ist, dann bleibt zu fragen, ob eine an-
dere Erklärung für diese auffallende Rede gegeben werden kann. Die bereits
erwähnten Antworten Odebergs und Schlatters64 entbehren jeder Plausibilität,
weil im Kontext der drei johanneischen Texte nirgends das Verhältnis zwischen
Jesus und dem νόμος Gegenstand der Erörterung ist. Gegen die These, daß die
Einführungswendungen die Ἰουδαῖοι bei dem Zeugnis ihrer eigenen Heiligen
Schrift behaften sollen, spricht der Tatbestand, daß diese Erklärung für 15,25
schlechterdings nicht zutrifft,65 für die drei johanneischen Einführungswen-
dungen jedoch die gleiche Erklärung gefordert ist. Anzusetzen ist deshalb bei
dem exegetischen Befund, daß sich auf der vorösterlichen Erzählebene die mit
60 Joh 5,37–40.45–47.
61
 Zu Joh 1,17 f. s. O. Hofius, „Der in des Vaters Schoß ist“ Joh 1,18, in: O. Hofius / ​H.-Chr.
Kammler, Johannesstudien. Untersuchungen zur Theologie des vierten Evangeliums (WUNT
88), Tübingen 1996, 24–32.
62
 S.o. Anm. 56.
63 Joh 6,30–35 (V. 32bα!); 6,41–51 (V. 49!).
64 Odeberg: oben Anm. 16, Schlatter: oben bei Anm. 14.
65 Anders Thyen, Das Johannesevangelium (s. Anm. 2), 653. Die Aussage von Joh 15,25

richtet sich keineswegs indirekt an die Ἰουδαῖοι, um diese auf die Grundlosigkeit ihres Hasses
hinzuweisen. Sie ist vielmehr wie die anderen auf die Passion Jesu bezogenen Erfüllungsaus-
sagen (13,18; 17,12; 19,24.36 f.) an die Jünger und damit an die christliche Gemeinde adressiert
und soll aufzeigen, daß Jesus nach dem bereits in der Schrift bezeugten Willen Gottes leiden
und sterben mußte.
„In eurer Tora steht geschrieben“ 69

ὁ νόμος verbundenen Pronomina auf Gegner Jesu beziehen: auf „die Pharisäer“
(8,17) bzw. auf die Ἰουδαῖοι (10,34; 15,25). Sie aber repräsentieren hinsichtlich
der nachösterlichen Wirklichkeitsebene, die der Evangelist vor Augen hat, jene
Synagogengemeinde, der sich die johanneische Gemeinde ganz unmittelbar
konfrontiert sieht. Diese reagiert nach dem Ausweis des Evangeliums auf das
johanneische Christuszeugnis mit entschiedener Ablehnung;66 sie hält es für
blasphemisch67 und schließt diejenigen Juden, die an Jesus glauben und ihn als
den χριστός bekennen, aus ihrer Gemeinschaft aus.68 Gute Gründe sprechen
dafür, daß sich in der Rede von „eurer Tora“ und „ihrer Tora“ die damit gegebene
Situation widerspiegelt. Das heißt: Man wird im Blick auf diese Rede nicht
pauschal und undifferenziert von der „Kluft“ sprechen dürfen, „die sich zwi-
schen Synagoge und Kirche aufgetan hatte“;69 denn die Zitateinführungen von
Joh 8,17; 10,34; 15,25 sind kein hinreichendes Indiz dafür, daß es bereits Ende
des 1. Jahrhunderts n. Chr. überall da zu einer scharfen Trennung gekommen
ist, wo Juden durch die Verkündigung des Evangeliums zum Glauben an Jesus
Christus geführt worden sind. Dagegen sind die Zitateinführungen sehr wohl
ein deutlicher Ausdruck dafür, daß im Bereich der johanneischen Gemeinde
zwischen ihr und der Synagogengemeinde keine Gemeinschaft besteht.70 Finden
die Zitateinführungen damit eine plausible Erklärung, so besteht eine volle Ent-
sprechung zu jenem Befund, der in den rabbinischen Texten zu verzeichnen
war. Auch wenn in diesen Texten im Unterschied zum Johannesevangelium
ausschließlich Worte der Sinai-Tora zitiert werden und es nirgends um das Pro-
blem eines durch das Schriftzeugnis legitimierten Hoheitsanspruchs oder um den
Gedanken einer Erfüllung der Schrift geht, so ist auch dort die Rede von „eurer
Tora“ Ausdruck einer religiös begründeten und von den Repräsentanten beider
Seiten vorausgesetzten Trennung.71

66 Joh 5,38.44.46 f.; 6,36; 8,45–47; 10,25 f.; 12,37–41.


67
 Das spiegelt sich in Joh 5,17 f.; 8,48–59; 10,31–39; 19,7 wider.
68 Joh 9,22b; 12,42; 16,2a (vgl. auch 9,34). Zu dem an diesen Stellen erwähnten Synagogen-

ausschluß s. Theobald, Das Evangelium nach Johannes (s. Anm. 7), 647–649.


69
 So die Formulierung bei Barrett, Das Evangelium nach Johannes (s. Anm. 12), 344.
70
 Die gegenteilige Ansicht vertritt Augenstein, „Euer Gesetz“ (s. Anm. 11), 313: „Die
Pronomina, durch die νόμος im Munde Jesu näher qualifiziert wird, zeigen […] die Nähe
des Johannesevangeliums zur jüdischen Tradition und sagen nichts aus über die Haltung zum
Judentum in der Entstehungszeit des Evangeliums.“ Grundlage für dieses Urteil ist die ebd.,
312 f. vorgetragene These, daß bestimmte Wendungen, die im Deuteronomium und im Josua-
buch in den an das Volk gerichteten Reden des Mose und des Josua begegnen (z. B. „euer Gott“,
„eure Väter“, „das Land, das Gott euch gegeben hat“), eine „Analogie“ zu der johanneischen
Rede von „eurem Gesetz“ bilden. Im Unterschied etwa zu Wengst, Das Johannesevangelium
I (s. Anm. 11), 328 vermag ich nicht zu erkennen, daß wir es hier tatsächlich mit analogen
Phänomenen zu tun haben.
71
 Ebenso dürfte es zu erklären sein, daß der Evangelist Ausdrücke wie τὸ πάσχα τῶν Ἰου­
δαίων (2,13; 11,55; vgl. 6,4), ἡ ἑορτὴ τῶν Ἰουδαίων (5,1; 6,4; 7,2) und ἡ παρασκευὴ τῶν Ἰουδαίων
(19,42) sowie ἄρχων τῶν Ἰουδαίων 3,1 [diff. ὁ διδάσκαλος τοῦ Ἰσραήλ 3,10]) verwendet.
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu
Joh 13,1–11 als narratives Christuszeugnis*

Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu Joh 13,1–11 gehört zu den besonders
schwierigen Abschnitten des Vierten Evangeliums. Sie hat dementsprechend in
der Exegese recht unterschiedliche Deutungen erfahren1 und nicht zuletzt zu
mancherlei literarkritischen Operationen Anlaß gegeben2. Wenn die umstrittene
Erzählung im Folgenden erneut bedacht werden soll, so gilt das Interesse aus-
schließlich dem Text in seiner im Evangelium vorliegenden Gestalt.3 Ich möchte
zeigen, daß dieser sich durchaus als ein kohärenter und theologisch stimmiger
Aussagezusammenhang begreifen läßt und daß von daher dann auch die Jünger-
belehrung Joh 13,12–17 eine angemessene Interpretation findet.4

* Wilfrid Werbeck zum 80. Geburtstag.


1
 Zur Literatur s. G. Richter, Die Fußwaschung im Johannesevangelium. Geschichte ihrer
Deutung (BU 1), Regensburg 1967 sowie die bibliographischen Angaben in den Kommentaren
von R. E. Brown, The Gospel According to John (XIII–XXI) (AncB 29A), Garden City, NY
1970; E. Haenchen, Das Johannesevangelium. Ein Kommentar (hg. v. U. Busse), Tübingen
1980; G. R. Beasley-Murray, John (WBC 36), Waco, TX 1987; J. Becker, Das Evangelium
nach Johannes. Kapitel 11–21 (ÖTBK 4/2), Gütersloh bzw. Würzburg ³1991; U. Schnelle, Das
Evangelium nach Johannes (ThHK 4), Leipzig ³2004. Außerdem notiere ich: L. Abramowski,
Die Geschichte von der Fußwaschung (Joh 13), ZThK 102 (2005) 176–203; Dies., Der Apostel
von Johannes 13,16, ZNW 99 (2008) 116–123. – Die Kommentare zum Johannesevangelium
werden im Folgenden bei erneuter Erwähnung nur mit dem Namen ihrer Verfasser angeführt.
2
 S. dazu nur: J. Wellhausen, Das Evangelium Johannis, Berlin 1908, 59 f.; R. Bultmann,
Das Evangelium des Johannes (KEK 2), Göttingen ¹⁴1956, 351–365; R. Schnackenburg, Das
Johannesevangelium III: Kommentar zu Kap. 13–21 (HThK IV/3), Freiburg – Basel – Wien 1975
(⁶1992), 7–15; Becker (s. Anm. 1), 497–511; Schnelle (s. Anm. 1), 237.
3
 Fragen wie die, ob der Erzählung Joh 13,1–11 eine ältere Tradition zugrunde liegt, ob ein
Zusammenhang mit Lk 22,27 (Mk 10,45; Mt 20,28) besteht und ob ein historischer Kern an-
genommen werden darf, bleiben außer Betracht; denn über bloße Vermutungen kommt die
Exegese hier nicht hinaus.
4
 Die meisten Exegeten beurteilen die Verse 13,12–20 als eine zusammengehörige Einheit.
Im Unterschied dazu sehe ich zwischen V. 17 und V. 18 eine deutliche Zäsur gegeben (so neben
Nestle / ​Aland, Novum Testamentum Graece²⁷ z. B. auch D. A. Carson, The Gospel According
to John, Leicester bzw. Grand Rapids, MI 1991, 458; H. Thyen, Das Johannesevangelium
[HNT 6], Tübingen 2005, 586.594). Die Worte οὐ περὶ πάντων ὑμῶν λέγω V. 18 nehmen zwar
die am Ende des V. 10 stehende Einschränkung ἀλλ’ οὐχὶ πάντες auf, gleichwohl beginnt mit
ihnen ein neuer Aussagezusammenhang, der bis V. 30 reicht. Die Abgrenzung der einzelnen
Abschnitte wird im Text jeweils durch das Stilmittel der Inclusio angezeigt. Die Verse 13,1–30
insgesamt, die das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern zum Thema haben, sind dadurch als
übergreifende Einheit gekennzeichnet, daß in V. 2 und in V. 27a gesagt wird, daß Judas in
seinem Tun vom διάβολος bzw. σατανᾶς bestimmt ist. Die Untergliederung markieren dann die
folgenden Inklusionen: a) V. 1–11: die Erwähnung der „Auslieferung“ durch Judas in V. 2 (ἵνα
72 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

Die Auslegung der Verse Joh 13,1–11 hängt wesentlich davon ab, wie man den
literarischen Charakter dieses Textes beurteilt. Nach meiner Überzeugung haben
wir in ihm eine „symbolische Erzählung“ zu erkennen, „in der sich ein be-
stimmtes Verständnis Jesu und seines Todes verdichtet“.5 Das bedeutet: Die in
dem Text geschilderte Fußwaschung ist eine Vorausdarstellung des in seiner
Heilsbedeutung bedachten Kreuzestodes Jesu, und die durch die Fußwaschung
bewirkte Reinigung bildet dementsprechend die Wirkung dieses Todes ab  –
nämlich die Reinigung von der Sünde und die damit verbundene Gewährung des
ewigen Lebens.6 Daß die Verse Joh 13,1–11 in diesem christologisch-soteriologi-
schen Sinn verstanden sein wollen, ergibt sich aus einigen Textaussagen, die als
Leseanweisungen des Evangelisten angesehen werden können.
Zu nennen ist hier sogleich der Satz Joh 13,1: πρὸ δὲ τῆς ἑορτῆς τοῦ πάσχα
εἰδὼς ὁ Ἰησοῦς ὅτι ἦλθεν αὐτοῦ ἡ ὥρα ἵνα μεταβῇ ἐκ τοῦ κόσμου τούτου
πρὸς τὸν πατέρα, ἀγαπήσας τοὺς ἰδίους τοὺς ἐν τῷ κόσμῳ εἰς τέλος ἠγάπησεν
αὐτούς.7 Diese Worte bilden sowohl das Vorzeichen zu dem gesamten Komplex
Joh 13,1–19,42 wie auch die Einleitung der Fußwaschungserzählung. Was ihre
grammatische Analyse anlangt, so gibt sogleich die Zeitbestimmung πρὸ δὲ τῆς
ἑορτῆς τοῦ πάσχα zu der Frage Anlaß, ob sie zu dem den Nebensatz einleitenden
Partizip εἰδώς8 oder zu ἠγάπησεν als dem Prädikat des Hauptsatzes9 gehört. Der
Vergleich mit Joh 19,28 (μετὰ τοῦτο εἰδὼς ὁ Ἰησοῦς ὅτι […], λέγει), wo die
Zeitangabe μετὰ τοῦτο ohne Zweifel mit dem Prädikat des Hauptsatzes (λέγει)

παραδοῖ αὐτόν) und V. 11 (ᾔδει γὰρ τὸν παραδιδόντα αὐτόν); b) V. 12–17: die Rede vom Ver-
stehen bzw. Wissen in V. 12 (γινώσκετε τί πεποίηκα ὑμῖν;) und V. 17 (εἰ ταῦτα οἴδατε, μακάριοί
ἐστε ἐὰν ποιῆτε αὐτά); c) V. 18–30: der Hinweis auf die Mahlgemeinschaft in V. 18 (ὁ τρώγων
μου τὸν ἄρτον) und V. 30 (λαβὼν οὖν τὸ ψωμίον [vgl. V. 25 f.]).
5 So treffend J. Blank, Das Evangelium nach Johannes II (GSL.NT 4/2), Düsseldorf 1977,

36 (vgl. die Auslegung ebd., 36–39). Vgl. auch C. K. Barrett, Das Evangelium nach Johannes
(KEK.S), Göttingen 1990, 429, der Joh 13,1–11 als eine „symbolische Erzählung“ bezeichnet,
„die die Kreuzigung selbst im voraus abbildet“.
6
 Die Beziehung der in Joh 13,1–11 geschilderten Fußwaschung zum Kreuzesgeschehen wird –
bei unterschiedlicher Akzentsetzung im einzelnen – von nicht wenigen Auslegern herausgestellt.
S. dazu etwa Schnackenburg (s. Anm. 2), 17.19.21; J. Gnilka, Johannesevangelium (NEB.NT
4), Würzburg ²1985, 106 f.; Chr. Dietzfelbinger, Das Evangelium nach Johannes II: Johannes
13–21 (ZBK.NT 4.2), Zürich 2001 (²2004), 12 f.; Schnelle (s. Anm. 1), 235–241.
7
 Die neueren Ausgaben des griechischen Neuen Testaments (Nestle / ​Aland²⁷, Greek New
Testament⁴) schließen den Vers 13,1 zu Recht mit einem Punkt ab. Dagegen erblicken etwa
Becker (s. Anm. 1), 500 und Dietzfelbinger (s. Anm. 6), 10 in den Versen 1–4 eine einzige
Periode.
8 So – die Mehrheit der Ausleger repräsentierend – z. B. Th. Zahn, Das Evangelium des

Johannes (KNT 4), Leipzig – Erlangen ⁵.⁶1921 = Wuppertal 1983, 531; W. Bauer, Das Johannes-
evangelium (HNT 6), Tübingen ³1933, 167; Bultmann (s. Anm. 2), 352; Schnackenburg (s.
Anm. 2), 16 und sehr bestimmt J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen ⁴1967, 74
(die Zeitangabe „gehört eindeutig zu εἰδώς“).
9
 So z. B. Brown (s. Anm. 1), 548 f.; Haenchen (s. Anm. 1), 451.
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu 73

zu verbinden ist, spricht ganz entschieden für das letztere.10 Ein weiteres syn-
taktisches Problem ist mit der Frage gegeben, in welchem logischen Verhältnis
das Partizip ἀγαπήσας zu dem übergeordneten Prädikatsverb ἠγάπησεν und
damit zum Satzganzen steht. In der Literatur finden sich dazu drei verschiedene
Antworten, die durch entsprechende Übersetzungen des Partizips dokumentiert
werden: „wie er geliebt hatte“11, „da er geliebt hatte“12, „da er liebte“13. Diese
Übersetzungen sind sprachlich unanfechtbar. Nach meinem Urteil legt sich
jedoch eine anderes Verständnis des Partizips ἀγαπήσας nahe14 – nämlich ein
solches im Sinne der folgenden grammatikalischen Notiz: „Ein eigentümlicher,
aber echt griechischer Gebrauch der Partizipien besteht darin, dass neben dem
Prädikate ein Partizip desselben Stammes und gleicher Bedeutung steht.“15
Nimmt man den hier angesprochenen Sprachgebrauch auch für Joh 13,1 an, so
besagt die Verbindung von Partizip (ἀγαπήσας) und übergeordnetem Prädikats-
verb (ἠγάπησεν) mit besonderer Betonung nur das eine, daß Jesus die Seinen
„liebte“. Bei diesem Verständnis läßt sich dann der Sinn des adverbialen Aus-
drucks εἰς τέλος eindeutig bestimmen.16 Die Bibelausgaben und Kommentare
geben die Wendung zumeist mit „bis ans Ende“ / ​„bis zum Ende“17 oder mit
„bis zur Vollendung“ wieder, und nicht selten wird geurteilt, daß an unserer
Stelle beide Bedeutungen miteinander verbunden sind.18 Heißt ἀγαπήσας […]
ἠγάπησεν einfach „er liebte“, dann kann für εἰς τέλος mit guten Gründen die
Bedeutung „aufs äußerste“ / ​„bis zum äußersten“ angenommen werden.19 Für

10 Hinter πρὸ δὲ τῆς ἑορτῆς τοῦ πάσχα setzen deshalb die Ausgaben des Textus receptus mit

Recht ein Komma; s. Th. Beza, Testamentum Novum, Genf ⁴1588, I 396; J. J. Wettstein,
Novum Testamentum Graecum I, Amsterdam 1752 = 1962, 927.
11
 So – mit der Luther-Bibel und der Zürcher Bibel – z. B. Thyen (s. Anm. 4), 583.
12
 So bereits die Vulgata (cum dilexisset) und dann etwa die Elberfelder Bibel; ähnlich auch
freiere Übersetzungen wie „er, der geliebt hatte“ (so z. B. S. Schulz, Das Evangelium nach
Johannes [NTD 4], Göttingen ¹(¹²)1972, 170).
13
  So z. B. Schnackenburg (s. Anm. 2), 15; Becker (s. Anm. 1), 495; Schnelle (s.
Anm. 1), 234. Hierher gehört auch die freiere Wiedergabe durch „er, der liebte“ (so etwa
U. Wilckens, Das Evangelium nach Johannes [NTD 4], Göttingen ²(¹⁸)2000, 204 f.).
14
 Anders noch O. Hofius, Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 33.
15
 R. Kühner / ​B.  Gerth, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache II: Satzlehre,
Bd. 2, Hannover – Leipzig ³1904 = Hannover 1976, 99 f. (§ 490,3): 99 (Hervorhebungen dort);
vgl. auch E. Schwyzer  / ​A.  Debrunner, Griechische Grammatik II: Syntax und syntaktische
Stilistik, München ⁴1975, 388 („paronomastische Partizipien“). Als Beispiel sei notiert: Platon,
Leg 803b: ἴσως μέντ’ ἄν τίς μοι τοῦτ’ αὐτὸ ὑπολαβὼν ὀρθῶς ὑπολάβοι „vermutlich könnte mir
jemand eben das mit Recht entgegenhalten“.
16 Zu den unterschiedlichen Bedeutungsmöglichkeiten s. Bauer / ​A land, Wörterbuch⁶,

1618 f. s. v. τέλος 1.d.γ.


17
 Dafür auch: „bis zum letzten Augenblick“; so z. B. H. Menge, Das Neue Testament, Stutt-
gart ¹¹1949, 166; Barrett (s. Anm. 5), 431.
18
 So etwa Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 461 s. v. εἰς 3; Schnelle (s. Anm. 1), 235; Thyen
(s. Anm. 4), 585.
19
 S. zu dieser Bedeutung Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 1618 f. s. v. τέλος 1.d.γ und die dort
notierten Belege.
74 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

den Satz Joh 13,1 ergibt sich nach allem Gesagten die folgende Übersetzung:
„Vor dem Passafest aber, da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, aus
dieser Welt zum Vater hinüberzugehen, erwies er den Seinen, die in der Welt
waren, seine Liebe in unüberbietbarer Weise.“
Die Aussage von V. 1 findet in den durch καί angeschlossenen Versen 2–5 ihre
Erläuterung.20 Das ergibt sich aus der Beobachtung, daß zwischen der Struktur
des V. 1 und derjenigen der Verse 2–5 eine genaue Parallelität besteht. Eine
Gegenüberstellung der Texte kann das deutlich machen:
V. 1: V. 2–5:
¹ª πρὸ δὲ τῆς ἑορτῆς τοῦ πάσχα, ² καὶ δείπνου γινομένου,
τοῦ διαβόλου ἤδη βεβληκότος εἰς τὴν καρδίαν
ἵνα παραδοῖ αὐτὸν Ἰούδας Σίμωνος Ἰσκαριώτου,
¹ᵇ εἰδὼς ὁ Ἰησοῦς ³ εἰδὼς
ὅτι ἦλθεν αὐτοῦ ἡ ὥρα ὅτι πάντα ἔδωκεν αὐτῷ ὁ πατὴρ εἰς τὰς χεῖρας
ἵνα μεταβῇ ἐκ τοῦ κόσμου τούτου καὶ ὅτι ἀπὸ θεοῦ ἐξῆλθεν
πρὸς τὸν πατέρα, καὶ πρὸς τὸν θεὸν ὑπάγει,
¹ᶜ ἀγαπήσας τοὺς ἰδίους ⁴ ἐγείρεται ἐκ τοῦ δείπνου
τοὺς ἐν τῷ κόσμῳ καὶ τίθησιν τὰ ἱμάτια
εἰς τέλος ἠγάπησεν αὐτούς. καὶ λαβὼν λέντιον διέζωσεν ἑαυτόν·
⁵ εἶτα βάλλει ὕδωρ εἰς τὸν νιπτῆρα
καὶ ἤρξατο νίπτειν τοὺς πόδας τῶν μαθητῶν
καὶ ἐκμάσσειν τῷ λεντίῳ ᾧ ἦν διεζωσμένος.

¹ª Vor dem Passafest aber, ² Beim Mahl nämlich


– schon hatte der Teufel Judas,
dem Sohn des Ischarioten Simon, eingegeben,
ihn (Jesus) auszuliefern –,
¹ᵇ da Jesus wußte, ³ da er wußte,
daß seine Stunde gekommen war, daß der Vater ihm alles in die Hände gegeben hatte
aus dieser Welt und daß er von Gott ausgegangen war
zum Vater hinüberzugehen, und zu Gott hingehe,
¹ᶜ erwies er den Seinen, ⁴ stand er von dem Mahl auf,
die in der Welt waren, legte das Obergewand ab
seine Liebe in unüberbietbarer nahm ein Leinentuch und band es sich um;
 Weise.

20
 Das am Anfang des V. 2 stehende καί hat also explikativen Sinn. Zu diesem Gebrauch s.
neben F. Blass  / ​A.  Debrunner / ​F.  Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch,
Göttingen ¹⁷1990, § 442,6a vor allem Kühner / ​Gerth, Ausführliche Grammatik der grie-
chischen Sprache II/2 (s. Anm. 15), 246 f. (§ 521,2) sowie Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 797
s. v. I.3. In 13,2 ist καί entweder mit „nämlich“ zu übersetzen, oder es kann unübersetzt bleiben,
wenn man den Satz etwa mit den Worten „Es war bei einem Mahl“ beginnen läßt (so Menge,
Das Neue Testament [s. Anm. 17], 166).
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu 75

⁵ danach goß er Wasser in das Waschbecken


und begann, die Füße der Jünger zu waschen
und sie mit dem Leinentuch abzutrocknen,
das er sich umgebunden hatte.

Aufgrund der Struktur-Parallelität zwischen V. 1 und V. 2–5 lassen sich drei Be-
obachtungen notieren: a) Vor dem Passafest (V. 1a) findet das Mahl statt, an dem
Judas als der teilnimmt, der bereits entschlossen ist, Jesus denen auszuliefern, die
seinen Tod wollen (V. 2). Durch die am Ende der Erzählung (V. 10c.11) wieder
aufgenommene Erwähnung des Judas wird das unmittelbar bevorstehende Passa
ausdrücklich als das Todespassa gekennzeichnet. Beachtet man ferner neben den
Worten πρὸ δὲ τῆς ἑορτῆς τοῦ πάσχα von V. 1a die Zeitangaben in 13,30 (ἦν δὲ
νύξ), 18,28 (ἦν δὲ πρωΐ) und 19,14 (ἦν δὲ παρασκευὴ τοῦ πάσχα, ὥρα ἦν ὡς ἕκτη),
dann zeigt sich: Im Duktus der Kapitel Joh 13–19 findet das Mahl, bei dem die
Fußwaschung erfolgt, am Abend des 13. Nisan statt – und somit in größter Nähe
zu der Todesstunde Jesu am Nachmittag des 14. Nisan. – b) Das Wissen Jesu, von
dem V. 1b spricht, und sein in V. 3 beschriebenes Wissen beziehen sich auf ein
und denselben Sachverhalt. Nach V. 1b weiß Jesus, daß seine ὥρα – die „Stunde“
seines Kreuzestodes – gekommen ist.21 Weil auf den Tod Jesu mit innerer Not-
wendigkeit seine Auferstehung folgt,22 deshalb ist, wie V. 1b und V. 3 überein-
stimmend sagen, die ὥρα des Kreuzestodes die Stunde, in der er aus dieser Welt
zu seinem Vater „hinübergehen“ wird. In V. 3 spricht der Evangelist sehr bewußt
von der Rückkehr dessen, der „von Gott ausgegangen war“.23 Mit dieser Bemer-
kung wird daran erinnert, daß Jesus im Wunder der Inkarnation (Joh 1,14) in jene
von Sünde und Tod gezeichnete Welt gekommen ist, in der die Seinen leben,24
und daß dies einzig deshalb geschehen ist, weil er sie im Gehorsam gegen den
Willen seines Vaters durch seinen Tod erlösen sollte.25 Wenn in V. 3 gesagt wird,
daß der Vater Jesus „alles in die Hände gegeben“ hat, dann zielt diese Aussage
darauf ab, daß er – als der vom Vater gesandte Sohn – in der ὥρα von V. 1b ganz
und gar der Handelnde und seine passio mithin in jeder Hinsicht seine actio ist.26
Zu diesem für die johanneische Passionsgeschichte charakteristischen Gedanken
gehört u. a. das Motiv der Freiwilligkeit des Sterbens Jesu,27 das in Joh 13,1–11
darin zum Ausdruck kommt, daß Jesus in einem „Akt tiefster Herablassung“28

21
 Zur ὥρα Jesu als der „Stunde“ seines Kreuzestodes s. 2,4; 7,30; 8,20; 12,23.27; 17,1.
22
 S. dazu 2,19–22; 10,17 f.
23
 Die Worte ἀπὸ θεοῦ ἐξῆλθεν καὶ πρὸς τὸν θεὸν ὑπάγει V. 3 haben eine volle Parallele in
16,28 (vgl. auch 8,14). S. ferner zu ἀπὸ θεοῦ ἐξῆλθεν: 8,42; 16,27.30; 17,8 (auch 7,28 f.), und zu
πρὸς τὸν θεὸν ὑπάγει: 7,33; 16,5.10.17 (auch 14,12.28; 17,11.13; 20,17).
24
 Zu οἱ ἴδιοι οἱ ἐν τῷ κόσμῳ V. 1b vgl. 17,11: αὐτοὶ ἐν τῷ κόσμῳ εἰσίν.
25 S. dazu 10,17 f. sowie die δεῖ-Aussagen 3,14 f.; 12,34.
26
 Das betont mit Recht Blank (s. Anm. 5), 37.
27
 Es begegnet innerhalb der Passionsgeschichte in 18,1.4–8.11.36; 19,17.30. S. außerdem
etwa 11,7 f.; 13,26 f.
28
 A. Wikenhauser, Das Evangelium nach Johannes (RNT 4), Regensburg ³1961, 249.
76 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

den Dienst der Fußwaschung übernimmt.29  – c) Wie zwischen V. 1a und V. 2
einerseits und zwischen V. 1b und V. 3 andererseits eine Entsprechung besteht,
so dann schließlich auch zwischen V. 1c und V. 4 f. Die Fußwaschung stellt auf
der Ebene der Erzählung den einzigartigen Erweis der Liebe dessen dar, der im
Begriff ist, für die Seinen in den Tod zu gehen. In der Sache aber ist ganz un-
mittelbar die Selbsthingabe Jesu für seine „Freunde“ gemeint, die in Joh 15,13
als die größte Tat der Liebe bezeichnet wird: μείζονα ταύτης ἀγάπην οὐδεὶς ἔχει,
ἵνα τις τὴν ψυχὴν αὐτοῦ θῇ ὑπὲρ τῶν φίλων αὐτοῦ. Der Bezug zum Kreuzes-
geschehen liegt damit klar zutage. Die Fußwaschung ist Symbol für den Sühne
schaffenden, d. h. die Reinigung von den Sünden wirkenden Kreuzestod Jesu als
den unüberbietbaren Erweis seiner Liebe zu den Seinen. Wer die Seinen sind,
das ergibt sich aus der Hirtenrede Joh 10,1–30: Es sind die „Schafe“ des „guten
Hirten“,30 d. h. die Jesus zugehörigen Menschen, für die er sein Leben läßt und
die da, wo er als der Auferstandene in der ihn bezeugenden Verkündigung selbst
das Wort nimmt, auf seine Stimme hören und von ihm das ewige Leben emp-
fangen.31 Sie werden in Joh 13,1–11 durch die Jünger repräsentiert, denen Jesus
die Füße wäscht und die dadurch „Teil an ihm“ haben (V. 8bβ).
Im weiteren Verlauf der Fußwaschungserzählung begegnet dann in V. 7 ein
erneuter Hinweis darauf, daß die Fußwaschung als Symbol für den Kreuzestod
Jesu verstanden sein will. Dieser Hinweis liegt in den Worten, mit denen Jesus
auf die verwunderte und abwehrende Frage des Petrus von V. 6b (κύριε, σύ
μου νίπτεις τοὺς πόδας;) antwortet: ὃ ἐγὼ ποιῶ σὺ οὐκ οἶδας ἄρτι, γνώσῃ δὲ
μετὰ ταῦτα – „Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht, du wirst es aber her-
nach begreifen“ (V. 7b). Die adverbiale Bestimmung μετὰ ταῦτα bezieht sich
selbstverständlich nicht auf die Worte Jesu V. 12–17, sondern auf die Zeit nach
Karfreitag und Ostern. Der Satz Joh 13,7b gehört zu jenen Aussagen des Vierten
Evangeliums, die darauf hinweisen, daß die Jünger Jesu überhaupt erst nach
Karfreitag und Ostern erkennen konnten und erkannt haben, was es mit dem
Kreuzestod Jesu auf sich hat.32 Indem sich der Evangelist so mit V. 7b „explizit
auf die nachösterliche Zeit“ bezieht, stellt er die Fußwaschung „in den Ver-
stehenshorizont des Kreuzes“.33

29
 Daß die Fußwaschung u. a. ein Sklavendienst war, ist in Joh 13,1–11 durchaus mit im Blick,
aber schwerlich der alles beherrschende Aspekt. Im Neuen Testament und in Texten aus seiner
Umwelt begegnet die Fußwaschung gerade auch als ein Erweis tiefer Liebe (Lk 7,44b; JosAs
20,1–5; MidrSpr zu 15,17 [S. Buber, Midrasch Mischle, Wilna 1893 = Jerusalem 1965, 78 f.]); s.
dazu O. Hofius, Fußwaschung als Erweis der Liebe. Sprachliche und sachliche Anmerkungen
zu Lk 7,44b, in: Ders., Neutestamentliche Studien (WUNT 132), Tübingen 2000, 154–160:
156–159.
30 S. besonders V. 3 f.: τὰ ἴδια πρόβατα, V. 14: τὰ ἐμά, V. 27: τὰ πρόβατα τὰ ἐμά.
31
 Vgl. Schnackenburg (s. Anm. 2), 16.
32 S. dazu 2,22; 12,16; 14,19 f.26; 20,9.
33
 Schnelle (s. Anm. 1), 237.
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu 77

Ein Indiz dafür, daß wir in der Fußwaschung eine Vorausdarstellung des
Kreuzestodes zu erblicken haben, liegt schließlich in dem Wort Jesu in V. 8bβ:
ἐὰν μὴ νίψω σε, οὐκ ἔχεις μέρος μετ’ ἐμοῦ – „Wenn ich dich nicht wasche, dann
wirst du nicht Teil an mir haben.“34 Obwohl die Fußwaschung gemeint ist, folgt
hier auf νίπτειν nicht – wie zuvor in den Versen 5, 6b und 8aβ – τοὺς πόδας,
sondern das personale Objekt σέ. Mit der Wahl dieses Objekts bringt der Evan-
gelist zum Ausdruck, daß die von Jesus vollzogene Fußwaschung einem Vollbad
gleichkommt und es bei ihr mithin um die umfassende Reinigung des ganzen
Menschen geht.35 Der Satz V. 8bβ selbst hat die Gestalt einer kategorischen
Erklärung. Ohne die Fußwaschung  – so wird hier gesagt – gibt es für Petrus
keine Zugehörigkeit zu Jesus und mithin kein Heil. Dann aber können die Worte
ἐὰν μὴ νίψω σε letztlich nicht den Akt der Fußwaschung als solchen meinen.36
Was in Wirklichkeit gemeint ist, wird vielmehr deutlich, wenn man beachtet,
daß in dem Konditionalsatz die Bedingung für die heilvolle Zugehörigkeit zu
Jesus „nicht an die Empfangsbereitschaft des Empfängers, sondern das Tun Jesu
geknüpft ist“.37 Joachim Gnilka, der dies in seiner Auslegung des Wortes Jesu
notiert, folgert mit Recht: „Es ist die von ihm zu übernehmende Aufgabe, den
Jüngern, den Seinen, die Füße zu waschen. Hinter dem Symbol kann sich nur
der Kreuzestod verbergen, die Notwendigkeit, daß der Menschensohn erhöht
wird (3,14).“38

II

Aus der Beobachtung, daß die in Joh 13 geschilderte Fußwaschung das Sterben
Jesu für die Seinen abbildet, ergeben sich für die Exegese des Textes Joh 13,1–11
vier gewichtige Konsequenzen:
34 In dem Satz V. 8bβ hat ἔχεις futurischen Sinn; s. Brown (s. Anm. 1), 552; M. Zerwick,

Analysis philologica Novi Testamenti Graeci (SPIB 107), Rom ⁴1984, 238. Zu der in diesem
Satz vorliegenden Bedeutung von μέρος ἔχειν μετά τινος notiert Zerwick, ebd., zutreffend:
partem habere cum = associatum esse. Nicht Teil an Jesus haben, das heißt also: nicht zu den
Seinen gehören, sondern von ihm geschieden und damit von dem unlöslich an seine Person
gebundenen Heil ausgeschlossen sein. Die inhaltliche Füllung der Worte μέρος μετ’ ἐμοῦ liefern
Aussagen wie 14,19 oder 12,26; 14,2 f.21.23; 17,24; vgl. Schnackenburg (s. Anm. 2), 21.
35 Vgl. Bultmann (s. Anm. 2), 357 Anm. 2; Thyen (s. Anm. 4), 588.
36
 Vgl. W. Heitmüller, Das Johannes-Evangelium (in: SNT 4), Göttingen ³1918, 144: „Die
Bemerkung Jesu (V. 8) beseitigt jeden Zweifel daran, daß der eigentliche Sinn dieser Handlung
ein tieferer sein muß. Denn natürlich kann die Gemeinschaft mit Jesus nicht von dieser äußeren
Handlung der Fußwaschung abhängig sein.“
37 So trefflich Gnilka (s. Anm. 6), 106. Dagegen wird der Akzent verschoben, wenn Bult-

mann, ebd., 357 erklärt: „Jesu Antwort sagt, daß nur, wer sich diesen Dienst gefallen läßt (sic!),
Gemeinschaft mit ihm hat, mit ihm verbunden bleibt, nämlich auf seinem Weg in die δόξα.“
38
 Gnilka, ebd. Vgl. auch Schnelle (s. Anm. 1), 238: „Durch die Fußwaschung eröffnet
Jesus die Teilhabe an ihm. Dieser soteriologische Horizont der Fußwaschung setzt Jesu Tod
voraus […].“
78 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

1. Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu ist aus der nachösterlichen Per-
spektive konzipiert. Sie will deshalb streng als narratives Christuszeugnis ge-
lesen und verstanden sein – d. h. als eine theologische Komposition des Evan-
gelisten, die dem Leser anschaulich machen soll, was in Christi Kreuzestod für
die Seinen und also auch für ihn geschehen ist und was dieser Tod mithin für die
an Christus Glaubenden bedeutet.
2. Die theologische Aussage erscheint in Joh 13,1–11 durchgehend in narrativer
Gestalt. Das auf der Erzählebene Berichtete ist deshalb ganz unmittelbar auf
das Christuszeugnis hin zu bedenken, das in dem Erzählten zur Sprache kommt.
Das gilt gerade auch für die Verse 6–10, d. h. für den Dialog zwischen Jesus und
Petrus. Das exegetische Interesse darf hier nicht in der Weise auf Petrus ge-
richtet werden, daß historisierend oder psychologisierend nach den Motiven und
Beweggründen seiner Reaktionen gefragt oder auf sein Temperament rekurriert
wird. Petrus wird in jenem Dialog überhaupt nicht als der individuelle Jünger
mit seiner persönlichen Eigenart thematisiert, sondern er steht als Repräsentant
für die Jünger Jesu insgesamt – und das heißt: Er steht für alle „die Seinen“,
von denen V. 1 gesprochen hat. Daß das, was Petrus gesagt wird, den Jüngern
insgesamt gilt, das zeigt sich in V. 10 sowohl an dem grundsätzlich gemeinten
ὁ λελουμένος wie auch an der pluralischen Aussage „ihr seid rein“.39 Die Ex-
egese hat mithin zu fragen, welche theologischen Aussagen über Jesu Tod für
die Seinen sich dem Dialog V. 6–10 entnehmen lassen.
3. Die unmittelbare Verbindung von Erzählebene und theologischer Aussage
gilt für die Erzählung von der Fußwaschung Jesu in ihrer Gesamtheit. Dieser
Befund spricht ganz entschieden gegen die verbreitete These, daß die eigentliche
Fußwaschung nur in V. 4 f. berichtet wird und auf diesen kurzen Bericht dann
zwei unterschiedliche „Deutungen“ folgen, deren erste die Verse 6–11 und deren
zweite die Verse 12–17 umfaßt.40 Daß in V. 4 f. keine abgeschlossene Schil-
derung vorliegt, zeigen innerhalb des Duktus der Erzählung zur Genüge die
Worte ἤρξατο νίπτειν τοὺς πόδας τῶν μαθητῶν καὶ ἐκμάσσειν τῷ λεντίῳ ᾧ ἦν
διεζωσμένος von V. 5. Bei dem im Johannesevangelium nur hier begegnenden
ἤρξατο handelt es sich nämlich keineswegs um die aus den Synoptikern41 be-
kannte Verbindung des pleonastischen Mediums ἄρχεσθαι mit einem Infinitiv,42
sondern die Worte ἤρξατο νίπτειν κτλ. haben bereits die Fortsetzung ἔρχεται οὖν

 So richtig Thyen (s. Anm. 4), 588.


39
40 So – letztlich Wellhausen (s. Anm. 2), 59 f. verpflichtet – z. B. F. Hauck, in: Ders. / ​
R. Meyer, Art. καθαρός κτλ., in: ThWNT III (1938 = 1957) 416–434: 430,18–21; Bultmann (s.
Anm. 2), 351–365; Brown (s. Anm. 1), 562 u. ö.; Schulz (s. Anm. 12), 171; Schnackenburg
(s. Anm. 2), 7 u. ö.; Blank (s. Anm. 5), 36; Gnilka (s. Anm. 6), 105; Becker (s. Anm. 1),
497–510; Wilckens (s. Anm. 13), 205; Schnelle (s. Anm. 1), 237–241. Bei einigen dieser
Autoren begegnen die Abgrenzungen 13,6–10 und 13,12–20.
41
 Mk 1,45; 2,23 u. ö.; Mt 11,7.20 u. ö.; Lk 3,8; 4,21 u. ö.
42
 So richtig Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 227 s. v. ἄρχω 2.a.α; Barrett (s. Anm. 5), 432;
Thyen (s. Anm. 4), 587.
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu 79

πρὸς Σίμωνα Πέτρον V. 6a im Blick. Die Verse 6–11 sind also nicht eine „Deu-
tung“ der in V. 4 f. geschilderten Fußwaschung; es geht in Joh 13,1–11 vielmehr
von Anfang bis Ende um die Fußwaschung in ihrer theologischen Bedeutung.43
4. Wenn der Text Joh 13,1–11 als symbolische Erzählung mit der von Jesus
vollzogenen Fußwaschung seinen Tod für die Seinen abbildet, dann darf unter-
stellt werden, daß der Evangelist diesen Text konsequent kreuzestheologisch
verstanden wissen will. Es ist deshalb ganz unwahrscheinlich, daß die Fuß-
waschung nicht nur auf den Tod Jesu, sondern zugleich auch auf die Taufe
verweisen soll.44 Ein doppelter symbolischer Bezug der Fußwaschung wäre
allenfalls dann in Erwägung zu ziehen, wenn bestimmte Aussagen des Textes
zu einer entsprechenden Interpretation nötigten. Erlaubt die Erzählung dagegen
eine konsequent kreuzestheologische Auslegung, dann muß eine sakramentale
Interpretation der Fußwaschung als unbegründet gelten.

III

Wenden wir uns nunmehr der Erzählung Joh 13,1–11 als ganzer zu, so bedürfen
die Verse 1–5 über das bisher Gesagte hinaus keiner weiteren Erklärung. Zu
bedenken sind hingegen der Dialog zwischen Jesus und Petrus V. 6–10 sowie die
Abschlußnotiz V. 11. Der Dialog gliedert sich deutlich in die beiden Teile V. 6–8
und V. 9+10. An ihrem Ende steht jeweils ein Wort Jesu, das auf der Erzähl-
ebene eine grundlegende Aussage über die von ihm vollzogene Fußwaschung
und dementsprechend auf der Ebene des theologischen Zeugnisses eine solche
Aussage über seinen Kreuzestod enthält (V. 8bβ; V. 10b.c).
Zu dem ersten Teil des Dialogs (V. 6–8) sind nur wenige Bemerkungen erfor-
derlich. Petrus ergreift in ihm zweimal das Wort, zunächst mit der Frage V. 6b:
κύριε, σύ μου νίπτεις τοὺς πόδας; – „Herr, du willst mir die Füße waschen?“45
und sodann mit der entschiedenen Erklärung V. 8aβ: οὐ μὴ νίψῃς μου τοὺς πόδας
εἰς τὸν αἰῶνα – „Du sollst mir ganz gewiß nie und nimmer die Füße waschen.“
In beiden Äußerungen spiegelt sich wider, wie unerhört es ist, daß der κύριος aus
Liebe zu den Seinen für sie in den Tod geht. Die beiden Antworten Jesu – V. 7b
und V. 8bβ – haben wir bereits betrachtet. Unübersehbar ist, daß der Gesprächs-
gang V. 6–8 auf die Antwort von V. 8bβ abzielt: ἐὰν μὴ νίψω σε, οὐκ ἔχεις μέρος
μετ’ ἐμοῦ. In ihr vernehmen wir, was die theologische Ebene anlangt, die erste
grundlegende Aussage der Fußwaschungserzählung: Jesu Tod für die Seinen ist
zu ihrer Reinigung von den Sünden und somit zu ihrem Heil absolut notwendig.
43
 Die Frage, ob die Verse 12–17 mit dem Begriff der „Deutung“ angemessen gekennzeichnet
sind, wird in Teil IV des Aufsatzes beantwortet werden.
44
 Zu den mancherlei Deutungen auf die Taufe, zu denen insbesondere die Worte ὁ
λελουμένος von V. 10b Anlaß geben, sei auf das Referat der Kommentare verwiesen.
45
 νίπτεις ist Praesens de conatu (Blass / ​Debrunner / ​Rehkopf, Grammatik § 319 Anm. 2).
80 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

Der zweite Teil des Dialogs (V. 9+10), der aus mehreren Gründen einer einge-
henden Betrachtung bedarf, beginnt mit dem Begehren des Petrus (V. 9b): κύριε,
μὴ τοὺς πόδας μου μόνον ἀλλὰ καὶ τὰς χεῖρας καὶ τὴν κεφαλήν – „Herr, [wasche]
nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und den Kopf!“46 Der Wunsch
setzt auf der Erzählebene voraus, daß im Anschluß an das Wort Jesu von V. 8bβ
die Fußwaschung bei Petrus vollzogen wurde,47 und er besagt, daß der Jünger die
ihm zuteil gewordene Fußwaschung für nicht hinreichend erachtet.48 Die Ant-
wort Jesu auf das Begehren des Petrus ist, was den ersten Teil betrifft (V. 10b),
in einer längeren und einer kürzeren Fassung überliefert. Der Langtext lautet:
ὁ λελουμένος οὐκ ἔχει χρείαν εἰ μὴ τοὺς πόδας νίψασθαι, ἀλλ’ ἔστιν καθαρὸς
ὅλος49, der Kurztext: ὁ λελουμένος οὐκ ἔχει χρείαν νίψασθαι, ἀλλ’ ἔστιν καθαρὸς
ὅλος50. In beiden Fassungen erscheint die Verbform νίψασθαι, zu der sogleich
das Folgende bemerkt sei: Das Medium νίπτεσθαι hat die Grundbedeutung „sich
waschen“,51 und seine Verbindung mit dem Akkusativ-Objekt τοὺς πόδας heißt

46 In V. 9b ist νίψῃς zu ergänzen. Bei der Übersetzung des Satzes sollte nicht gegen den

griechischen Text das Adverb „dann“ einfügt werden (so z. B. Menge, Das Neue Testament
[s. Anm. 17], 166: „Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und den Kopf!“;
Thyen [s. Anm. 4], 586: „Herr, dann aber nicht allein die Füße, sondern auch die Hände und
das Haupt!“); denn durch diese Einfügung wird suggeriert, daß V. 9b als spontane Reaktion auf
das Wort Jesu V. 8bβ zu verstehen sei.
47 So richtig Bultmann (s. Anm. 2), 358 (Anm. 5 von S. 357). Diesem Urteil, das durch

V. 10 bestätigt wird, widerspricht zu Unrecht H. Strathmann, Das Evangelium nach Johannes
(NTD 4), Göttingen ¹⁰1963, 189 f. mit der Behauptung, daß die Bitte des Petrus die unmittelbare
Reaktion auf Jesu Wort V. 8bβ sei und erst die sogleich erfolgende Antwort Jesu von V. 10 zum
Vollzug der Fußwaschung an Petrus führe. Die Sicht Strathmanns beruht auf einer psycho-
logisierenden Deutung des V. 9: Petrus begreife zwar nicht, weshalb er ohne die Fußwaschung
von der Gemeinschaft mit Jesus ausgeschlossen sein wird, „aber die Autorität seines Meisters
läßt ihn die drohende Gefahr so ernst nehmen, daß er augenblicklich auch Haupt und Hände
[…] zur Waschung anbietet“ (189).
48
 Vgl. Bultmann, ebd., 357: Petrus „begehrt noch mehr, als er schon erhalten hat“.
49
 B C* (K) L W Ψ f ¹³ 892 it vgᶜl syh u. a. (statt ἔχει χρείαν kann auch χρείαν ἔχει stehen).
Zeugen für den Langtext sind ferner auch diejenigen Lesarten, die sich als von diesem abhängig
erweisen: a) 𝔓⁶⁶ Θ sys.p u. a. (sie bezeugen hinter εἰ μὴ τοὺς πόδας noch ein μόνον); b) 𝔓⁷⁵ A
C³ f ¹ 𝔐 (sie bieten vor τοὺς πόδας statt εἰ μή ein ἤ [zu ἤ nach einer Negation vgl. Xenophon,
Cyrop II 3,10; VII 5,41]); c) D (ὁ λελουμένος οὐ χρείαν ἔχει τὴν κεφαλὴν νίψασθαι εἰ μὴ τοὺς
πόδας μόνον κτλ.).
50
 ‫ א‬aur c vgst (nota bene: nicht alle Itala- und Vulgata-Handschriften!). Das Novum Testa-
mentum Graece²⁷ nennt unter den Zeugen auch Origenes, in dessen Johanneskommentar V. 10b
viermal in der Kurzfassung erscheint (E. Preuschen, Origenes Werke IV [GCS 10], Berlin
1903, 435,32 f.; 436,4 f.; 440,13 f.16 f.), wohingegen in der Auslegung der Langtext voraus-
gesetzt wird. Die Möglichkeit, daß Origenes selbst seine Vorlage verkürzt zitiert, läßt sich nicht
mit Sicherheit ausschließen (vgl. 433,8 f.). – In der Literatur werden auch mehrere lateinische
Kirchenväter als Zeugen für den Kurztext angeführt (so etwa im Greek New Testament⁴ z.St.
und bei Thyen [s. Anm. 4], 587). Zum Wert der entsprechenden Zitate s. aber bereits die
kritischen Bemerkungen bei Zahn (s. Anm. 8), 538 Anm. 24; vgl. ferner Richter, Die Fuß-
waschung im Johannesevangelium (s. Anm. 1), 37 f.
51
 Joh 9,7.11.15; EvPetr 1,1; POxy 840,34 f.; TestLev 9,11.
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu 81

„sich die Füße waschen“.52 In Joh 13,10b dürfte das Medium allerdings in tole-
rativem Sinn verwendet sein.53 So jedenfalls versteht und gebraucht Origenes
in seiner Auslegung des V. 10b den Ausdruck τοὺς πόδας νίψασθαι (= „sich die
Füße waschen lassen“)54 und den bloßen Infinitiv νίψασθαι (= „sich waschen
lassen“)55. Da in der Erzählung Joh 13,1–11 den Jüngern die Füße gewaschen
werden, paßt in tolerativem Sinn gebrauchtes νίψασθαι vorzüglich sowohl zum
Langtext wie auch zum Kurztext des Satzes V. 10b. In welcher der beiden Text-
fassungen wir allerdings den ursprünglichen Wortlaut dieses Satzes zu erkennen
haben, das ist eine in der Exegese lebhaft umstrittene Frage.56
Der Langtext ist hervorragend bezeugt,57 und er stellt wegen des Adversativ-
satzes ἀλλ’ ἔστιν καθαρὸς ὅλος ohne Zweifel die lectio difficilior dar. Übersetzt
man ihn ganz wörtlich, so lautet er: „Wer gebadet ist, hat nicht [etwas] nötig,
außer sich die Füße waschen zu lassen58, sondern er ist ganz rein.“ Dieser Satz
wird sowohl von den Auslegern, die in ihm den ursprünglichen Wortlaut er-
blicken, wie auch von denen, die ihn für sekundär halten, fast ausnahmslos so
verstanden, daß von zwei unterschiedlichen Waschungen die Rede ist – nämlich
von dem Vollbad (ὁ λελουμένος) als einer Gesamtreinigung einerseits und von
der Fußwaschung (τοὺς πόδας νίψασθαι) als einer Teilreinigung andererseits.59
Im einzelnen werden die Worte ὁ λελουμένος οὐκ ἔχει χρείαν εἰ μὴ τοὺς πόδας
νίψασθαι, ἀλλ’ ἔστιν καθαρὸς ὅλος dann auf sehr verschiedene Weise interpre-
tiert. Nur zwei Deutungen seien in aller Kürze erwähnt. Die eine Deutung ver-
steht den Satz wörtlich und sieht mit dem substantivierten Partizip ὁ λελουμένος
ein Bad angesprochen, das dem in V. 2 erwähnten Mahl bereits voraufgegangen
52 S. in LXX: Gen 19,2; Ri 19,21.
53
 So etwa Zahn (s. Anm. 8), 538 Anm. 23; Bauer (s. Anm. 8), 10 f.; Bultmann (s.
Anm. 2), 358 (Anm. 5 von S. 357). – Zu tolerativem Gebrauch des Mediums im Neuen Testa-
ment s. Blass / ​Debrunner / ​Rehkopf, Grammatik § 317.
54 Origenes, Johanneskommentar (s. Anm. 50), 433,16; 435,35; 436,21 f.; 437,27; 438,1 f.6 f.;

441,2 f.17. An allen diesen Stellen ist das Medium mit dem Präpositionalgefüge ὑπὸ τοῦ Ἰησοῦ
(u. ä.) verbunden.
55
 So u. a. im Zitat von 13,10b (s. dazu oben Anm. 50).
56
 Eine weitere Textvariante – ὁ λελουμένος οὐκ ἔχει χρείαν – wird lediglich von der aus dem
13. Jh. stammenden Minuskel 579 bezeugt. Daß in ihr der ursprüngliche Text zu erblicken sei
(so M.-É. Boismard, Le lavement des pieds (Jn, XIII, 1–17), RB 71 [1964] 5–24: 10–13), muß
schon aufgrund der Bezeugung als völlig ausgeschlossen gelten.
57
 Das Novum Testamentum Graece²⁷ und das Greek New Testament⁴ bieten die Worte
εἰ μὴ τοὺς πόδας deshalb im Text; s. die Begründung bei B. M. Metzger, A Textual Com-
mentary on the Greek New Testament, Stuttgart ²1994, 204: „on the basis of the preponderant
weight of external attestation“. – Für den Langtext votiert ausführlich Chr. Niemand, Die
Fußwaschungserzählung des Johannesevangeliums. Untersuchungen zu ihrer Entstehung und
Überlieferung im Urchristentum (StAns 114), Rom 1993, 252–256; weitere Vertreter dieser Sicht
s. ebd., 253 Anm. 55.
58
 Oder, wenn man für νίψασθαι nicht tolerativen Sinn annehmen will: „außer sich die Füße
zu waschen“.
59 Sprachliche Voraussetzung ist der lexikalische Befund, daß in der Regel λούειν die Ge-

samtreinigung (= „baden“), νίπτειν hingegen die Teilreinigung (= „waschen“) bezeichnet.


82 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

ist.60 Die Aussage ist dann: Wer vor dem Mahl ein Vollbad genommen hat,
bedarf jetzt nur noch der Fußwaschung durch Jesus. Die andere – verbreitetere –
Deutung geht davon aus, daß in dem zitierten Satz in übertragenem Sinn von
den beiden Waschungen gesprochen wird. Sie bezieht ὁ λελουμένος auf die
Taufe als die grundlegende Reinigung des Menschen von seinem sündigen Sein
und τοὺς πόδας νίψασθαι auf die für den Getauften weiterhin erforderliche Rei-
nigung von den Einzelsünden.61 Nach dieser Deutung besagt V. 10b: Wer in der
Taufe die grundlegende Reinigung empfangen hat, der bedarf hinfort nur noch
der je und je erfolgenden Abwaschung der täglichen Sünden, die – so dann die
unterschiedlichen Vermutungen  – durch „die in den Gemeinden praktizierte
Sündenvergebung“62 oder durch das Herrenmahl63 gewährt wird. Die beiden
Deutungen müssen jetzt nicht kommentiert werden. Denn wie immer man den
Langtext interpretieren mag, – wenn dort von zwei verschiedenen Waschungen
die Rede ist, dann muß als ausgeschlossen gelten, daß wir in ihm den ursprüng-
lichen Wortlaut des V. 10b vor uns haben. Die Argumente, die zu diesem Urteil
nötigen, hat Rudolf Bultmann präzise benannt: 1. Hebt V. 10b auf die Differenz
von Vollbad und Fußwaschung ab, dann ergibt sich ein Widerspruch zu den
Worten ἐὰν μὴ νίψω σε V. 8bβ, die nur so verstanden werden können, „daß die
Fußwaschung nicht im Gegensatz zu einem Vollbad gedacht ist“.64 2. Redet
V. 10b von zwei Waschungen, „einer vorausgehenden, umfassenden, dem Voll-
bad, und einer folgenden, partiellen, der Fußwaschung“, dann ist die erstere „die
entscheidende“, die andere aber „wenngleich noch notwendig, so doch zweiten
Ranges“; das aber „entspricht nicht dem Pathos von V. 8 f., wonach die Fuß-
waschung als das schlechthin Entscheidende erscheint“.65 3. Sagt V. 10b von dem
λελουμένος, „daß er ganz rein sei (καθαρὸς ὅλος)“, dann ist damit die Einschrän-
kung εἰ μὴ τοὺς πόδας νίψασθαι unvereinbar; denn „wenn nach dem λούεσθαι
noch eine Fußwaschung nötig ist, so ist der Gebadete eben nicht ganz rein“.66 –
Die drei Argumente Bultmanns sind unter der Prämisse, daß der Langtext von
zwei verschiedenen Waschungen spricht, schwerlich überzeugend zu entkräften.
So läßt sich etwa der im dritten Argument benannte innere Widerspruch nicht
einfach dadurch beseitigen, daß man für die Worte ἀλλ’ ἔστιν καθαρὸς ὅλος die
60
  So z. B. Wettstein, Novum Testamentum Graecum I (s. Anm. 10), 929 und J. Jeremias,
Unbekannte Jesusworte, Gütersloh ⁴1965, 54 Anm. 24 (vgl. auch Ders., Die Abendmahlsworte
Jesu [s. Anm. 8], 43.76). Wettstein verweist auf das in antiken griechischen Quellen erwähnte
Bad, dem man sich vor dem Gang zu einem Gastmahl zu unterziehen pflegte, Jeremias hin-
gegen denkt an das für die Passapilger vorgeschriebene Tauchbad.
61
 S. exemplarisch A. Oepke, Art. λούω κτλ., in: ThWNT IV (1942) 297–309: 308,1–36.
Daß in ὁ λελουμένος eine Anspielung auf die Taufe vorliegt, wird auch bei Bauer / ​Aland,
Wörterbuch⁶, 975 s. v. λούω 2.a.β behauptet.
62 So z. B. Gnilka (s. Anm. 6), 106.
63 So z. B. Bauer (s. Anm. 8), 172.
64
 Bultmann (s. Anm. 2), 357 Anm. 2.
65
 Bultmann, ebd., 357 Anm. 5 (statt „V. 8 f.“ muß es korrekt „V. 8“ heißen).
66
 Bultmann, ebd., 358 (Anm. 5 von S. 357).
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu 83

Übersetzung „sonst aber ist er ganz rein“67 oder „im Ganzen aber ist er rein“68
wählt. In Wahrheit kann der griechische Text nicht anders verstanden werden
als so, daß der λελουμένος „ganz und gar rein“ ist.69 Sind nun aber Bultmanns
Argumente – nochmals: unter der erwähnten Prämisse – nicht zu widerlegen,
dann darf die Folgerung, „daß das εἰ μὴ τοὺς πόδας ein schlechter Zusatz ist“,70
als wohlbegründet gelten. Von daher votiert Bultmann für die Ursprünglichkeit
des Kurztextes, und ebenso urteilt die Mehrheit der Exegeten.71
Der Kurztext lautet in wörtlicher Übersetzung: „Wer gebadet ist, braucht sich
nicht waschen zu lassen,72 sondern er ist ganz rein.“ Führt man im Anschluß an
die Exegese der voraufgehenden Verse die Auslegung konsequent weiter, dann
ist sprachlich wie inhaltlich die folgende Interpretation möglich: Das Partizip
Perfekt λελουμένος bezeichnet den „Zustand als Resultat einer vergangenen
Handlung“73 und nimmt mithin das auf die Fußwaschung bezogene ἐὰν μὴ
νίψω σε von V. 8bβ auf. Das aber bedeutet, „daß in der Antwort auf V. 9 der
λελουμένος von V. 10 eben der ist, der die Fußwaschung empfangen hat, die
damit eben als einer vollständigen Waschung, die ganz rein macht, gleichwertig
bezeichnet wird“.74 Der Satz ὁ λελουμένος οὐκ ἔχει χρείαν νίψασθαι, ἀλλ’ ἔστιν
καθαρὸς ὅλος kann dann so verstanden werden: Wer – wie jetzt Petrus – mit
der von Jesus vollzogenen Fußwaschung das Bad der Vollreinigung empfangen
hat, der bedarf keiner weiteren Waschung zur Teilreinigung mehr.75 Der so ver-

67
  H. J.  Holtzmann  / ​W.  Bauer, Johanneisches Evangelium (in: HC 4), Freiburg ³1908,
235; ähnlich Blank (s. Anm. 5), 35: „ansonsten ist er ganz rein“.
68
 Bauer (s. Anm. 8), 168.170. Vgl. zu Bauers Übersetzung die Behauptung von Zahn (s.
Anm. 8), 538: „das prädikative ὅλος entspricht unserem ‚im ganzen‘“. In diesem Sinn inter-
pretiert dann auch Oepke, λούω κτλ. (s. Anm. 61), 308,28–30: „Die grundlegende Reinigung
(λελουμένος) […] macht den, der sie empfangen hat, für immer auf das Ganze gesehen (ὅλος)
rein.“
69
 Bultmann (s. Anm. 2), 357 Anm. 4 verweist zu ὅλος mit Recht auf 9,34. Auch sonst hebt
ὅλος im Johannesevangelium auf die Totalität ab; s. 4,53; 7,23; 11,50; 19,23.
70
 Bultmann, ebd., 358 (Anm. 5 von S. 357).
71
 Neben Bultmann, ebd., 357 f. seien nur erwähnt: Brown (s. Anm. 1), 567 f.; Schnac-
kenburg (s. Anm. 2), 22–26; Gnilka (s. Anm. 6), 106; Beasley-Murray (s. Anm. 1), 234 f.;
Barrett (s. Anm. 5), 433 f.; Becker (s. Anm. 1), 506; Dietzfelbinger (s. Anm. 6), 12;
Schnelle (s. Anm. 1), 235; Thyen (s. Anm. 4), 587. S. ferner die Liste bei Niemand, Die
Fußwaschungserzählung des Johannesevangeliums (s. Anm. 57), 253 Anm. 54.
72 Oder bei nicht tolerativem Verständnis von νίψασθαι: „braucht sich nicht zu waschen“.

Möglich ist vielleicht auch die Übersetzung „braucht nicht gewaschen zu werden“. Zum Me-
dium statt Passiv bei artikellosem Infinitiv der Ergänzung s. Kühner / ​Gerth, Ausführliche
Grammatik der griechischen Sprache II/2 (s. Anm. 15), 15 Anm. 13 (§ 473.6c).
73
 K. Beyer, Semitische Syntax im Neuen Testament I: Satzlehre Teil 1 (StUNT 1), Göttin-
gen ²1968, 225.
74 Bultmann (s. Anm. 2), 358 (in Anm. 5 von S. 357). Bei diesem Verständnis erübrigt

sich die schwerlich überzeugend zu begründende Annahme, daß der Satz auf ein Sprichwort
Bezug nimmt.
75 Der Kurztext gewinnt seinen Sinn also durch die präzise Unterscheidung von λούεσθαι

(= Vollreinigung) und νίπτεσθαι (= Teilreinigung).


84 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

standene Satz stellt im Kontext der Fußwaschungserzählung ohne Frage eine


sinnvolle Aussage dar. Dennoch erheben sich gegenüber dem Kurztext zwei
ernsthafte Bedenken. Gegen ihn spricht zunächst bereits die äußere Bezeugung.
Hinzu kommt sodann der Tatbestand, daß er die lectio facilior darstellt, für
die sich unschwer eine Erklärung liefern läßt: Die Streichung der Worte εἰ μὴ
τοὺς πόδας könnte dadurch veranlaßt sein, daß zwischen ihnen und dem dann
folgenden Adversativsatz ἀλλ’ ἔστιν καθαρὸς ὅλος ein Widerspruch empfunden
wurde.76 Angesichts der skizzierten Bedenken wird man sagen müssen, daß es
nur dann ein wirklich gewichtiges Argument für den Kurztext gibt, wenn jene
Einwände zu Recht bestehen, die gegen den Langtext erhoben werden.
Wir kehren deshalb noch einmal zu dem Langtext zurück. Die gegen ihn
erhobenen Einwände setzen  – wie wir sahen  – voraus, daß in ihm von zwei
verschiedenen Waschungen gesprochen wird. Dieses Urteil beruht auf einem
Verständnis des griechischen Textes, das etwa in der folgenden Übersetzung
seinen Ausdruck findet: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, sich waschen zu
lassen77, ausgenommen die Füße.“78 Dabei werden – wie ebenfalls bereits ver-
merkt wurde – die Worte οὐκ ἔχει χρείαν εἰ μὴ τοὺς πόδας νίψασθαι entweder
dahingehend verstanden, daß sie besagen: „er hat jetzt nichts Weiteres mehr
nötig als die Fußwaschung“, oder so, daß ihr Sinn ist: „er bedarf hinfort nur
noch je und je der Fußwaschung“. Nun muß jedoch festgestellt werden, daß die
soeben angeführte Übersetzung nicht korrekt ist. Sie wäre nämlich nur dann
möglich, wenn im Griechischen eine andere Wortstellung vorläge – d. h. wenn
es dort hieße: οὐκ ἔχει χρείαν νίψασθαι (sic!) εἰ μὴ τοὺς πόδας. Der Text in
seiner tatsächlichen Wortfolge kann hingegen nur bedeuten: „er hat überhaupt
nichts anderes nötig als die Fußwaschung“ / ​„er bedarf ausschließlich der Fuß-
waschung“.79 Wie das dann genau zu verstehen ist, das ergibt sich allererst aus
dem Kontext. Suchen wir deshalb – ebenso wie wir es bei der Auslegung des
Kurztextes getan haben  – die Exegese der vorausgehenden Verse konsequent
weiterzuführen, dann ist auch im Blick auf den Langtext zu sagen: Das Partizip
Perfekt λελουμένος nimmt die auf die Fußwaschung bezogenen Worte ἐὰν μὴ
νίψω σε von V. 8bβ auf und bezieht sich auf der Erzählebene darauf, daß Petrus
soeben die Fußwaschung durch Jesus empfangen hat. Das Verbum λούειν von
V. 10b und das Verbum νίπτειν von V. 8bβ heben also in gleicher Weise auf die
durch Jesus gewährte umfassende und vollkommene Reinigung ab, wobei in ὁ
76
 So Holtzmann / ​Bauer (s. Anm. 67), 235; Bauer (s. Anm. 8), 169; Metzger, A Textu-
al Commentary on the Greek New Testament (s. Anm. 57), 204.
77
 Oder: „sich zu waschen“.
78 In diesem Sinn übersetzen bzw. verstehen den Langtext u. a. Heitmüller, Zahn, Bauer,

Bultmann, Wikenhauser, Strathmann, Brown, Blank, Haenchen, Beasley-Murray, Barrett,


Wilckens und unter den respektablen Bibelübersetzungen etwa Menge (s. Anm. 17), die Revi-
dierte Elberfelder Bibel und die Einheitsübersetzung.
79
 Korrekt übersetzt Dietzfelbinger (s. Anm. 6), 10: „Der gewaschen ist, hat nichts nötig,
als sich die Füße waschen zu lassen.“
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu 85

λελουμένος im Sinne des V. 8bβ die Nuance liegen könnte: „wer gewaschen ist
und damit Anteil an mir hat“. Da nun aber die Worte ἐὰν μὴ νίψω σε eben jene
Handlung meinen, die zuvor in V. 5, V. 6b und V. 8aβ mit dem Ausdruck νίπτειν
τοὺς πόδας beschrieben war, muß das gleiche auch für die Worte εἰ μὴ τοὺς
πόδας νίψασθαι gelten.80 Der Langtext V. 10b spricht demnach keineswegs von
zwei verschiedenen Waschungen, sondern sowohl ὁ λελουμένος wie auch τοὺς
πόδας νίψασθαι verweisen auf ein und dasselbe Ereignis – nämlich auf eben jene
Fußwaschung, von der zuvor in V. 4–8 die Rede war.81 Der Langtext ist deshalb
so zu verstehen, daß Jesus auf das Begehren des Petrus von V. 9b antwortet:
„Wer (von mir) gewaschen ist, hat nichts nötig, außer sich (wie dies soeben bei
dir geschehen ist) die Füße waschen zu lassen, sondern er ist (aufgrund der ihm
zuteil gewordenen Fußwaschung) ganz rein.“ Die Worte ὁ λελουμένος οὐκ ἔχει
χρείαν εἰ μὴ τοὺς πόδας νίψασθαι sind also eine etwas ungefüge Formulierung
für die Aussage, daß es zur völligen Reinigung der Jünger einzig und allein der
von Jesus vollzogenen Fußwaschung bedarf.
Werden die Worte ὁ λελουμένος οὐκ ἔχει χρείαν εἰ μὴ τοὺς πόδας νίψασθαι
in dem beschriebenen Sinn verstanden, dann stehen sie weder im Widerspruch
zu dem voraufgehenden Wort Jesu V. 8bβ noch auch in Spannung zu dem auf
sie folgenden Adversativsatz ἀλλ’ ἔστιν καθαρὸς ὅλος. Auch der Satz V. 10c –
καὶ ὑμεῖς καθαροί ἐστε, ἀλλ’ οὐχὶ πάντες – schließt sich problemlos an. Die den
Satz eröffnende Konjunktion καί hat bekräftigende oder auf die Konsequenz
hinweisende Funktion, so daß die Worte καὶ ὑμεῖς καθαροί ἐστε besagen: „ja, ihr
seid rein“ oder: „so seid denn ihr rein“. Auf der Erzählebene wird den Jüngern
zugesprochen, daß sie mit der Fußwaschung die völlige Reinigung empfangen
haben, und das heißt auf der Ebene der theologischen Aussage: In seinem Sühne-
tod am Kreuz hat Jesus den Seinen ein für allemal die vollkommene Reinheit

80
 Dafür, daß mit εἰ μὴ τοὺς πόδας νίψασθαι ein einmaliges Ereignis gemeint ist, spricht auf-
grund der Aktionsart des Aorists der Inf. Aor. νίψασθαι. Lehrreich ist hier ein Blick auf Mt 3,14;
14,16; 1 Thess 1,8; Dan 3,16 LXX θ‘: An allen diesen Stellen handelt es sich bei χρείαν ἔχειν mit
Inf. Aor. um eine einmalige Handlung bzw. um ein punktuelles Geschehen.
81
 Dieses Verständnis des V. 10b findet sich auch bei P. Fiebig, Die Fußwaschung, Angelos 3
(1930) 121–128: 124 f. Fiebig argumentiert allerdings mit der mehr als fragwürdigen These, „daß
der Verfasser des Johannes-Evangeliums von Geburt Hebräer“ sei (121) und der griechische Text
deshalb unter Beachtung der „Eigenart hebräischer Ausdrucksweise“ übersetzt werden müsse
(124; vgl. 121 f.125). Er bestimmt deshalb ὁ λελουμένος als Casus pendens mit präsentischem
Sinn und kommt von daher zu der folgenden Wiedergabe des V. 10b: „Wer (von mir jetzt in
bezug auf seine Füße) gebadet wird, (von dem gilt: er) hat nicht nötig, sich (etwas anderes)
außer die Füße waschen zu lassen, sondern ist (schon durch das Fußbad) ganz rein“ (125).
Ebenso unhaltbar wie die sprachliche Argumentation ist dann auch die Interpretation Fiebigs:
Die Fußwaschung Jesu, deren Historizität vorausgesetzt wird, ist ein „Beispiel ethischer Ge-
sinnung“, und „die Reinigung, um die es sich hier handelt, ist […] ethisch-religiöser Art“ (126).
Mit V. 10b will Jesus sagen (126): „Ich bildete euch die Gesinnung ab, die mein wahrer Jünger
haben muß. Wer mein wahrer Jünger ist, ist rein. Also ist der rein, der das betätigt, was ich mit
der Fußwaschung betätigt habe.“
86 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

erwirkt und gewährt.82 Wenn die angefügte und durch V. 11 erläuterte Einschrän-
kung ἀλλ’ οὐχὶ πάντες Judas aus der Gruppe der als „rein“ Bezeichneten aus-
schließt, dann besagt das auf der Erzählebene, daß die Fußwaschung ihm nichts
nützt. Das aber heißt: Jesu Kreuzestod nützt Judas nichts – ja ihm, der nicht zu
den Seinen gehört, gilt dieser Tod nicht.
Als Ergebnis unserer Überlegungen zu V. 10b kann nunmehr festgehalten wer-
den, daß die besser bezeugte Lesart als ursprünglich anzusehen ist, während der
Kurztext sich genau jenem Mißverständnis verdanken dürfte, das nicht wenige
Exegeten dazu veranlaßt, den Langtext als sekundär zu beurteilen. Fragen wir
im Anschluß an die sprachliche und inhaltliche Analyse des Langtextes nach der
theologischen Intention der Verse 9+10 insgesamt, so läßt sich die in ihnen ent-
haltene zweite grundlegende Aussage des Dialogs V. 6–10 unschwer bestimmen:
Nachdem in V. 8bβ mit Nachdruck betont wurde, daß für die Heilsteilhabe der
Jünger der Tod Jesu unbedingt erforderlich ist, wird in V. 10b ebenso nachdrück-
lich erklärt, daß dieser Tod in jeder Hinsicht hinreichend ist. Die theologische
Gesamtaussage der Erzählung Joh 13,1–11 ist damit evident: Jesu Selbsthingabe
am Kreuz als der höchste Erweis seiner Liebe zu den Seinen ist die sowohl
notwendige wie auch hinreichende  – und also die vollbestimmte Bedingung
ihrer Reinigung von der Sünde und der Konstituierung ihrer heilvollen Ver-
bundenheit mit ihm. Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu bringt so narrativ
zur Sprache, was der Verfasser des 1. Johannesbriefs in die Worte faßt: „Das Blut
Jesu, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde“ (1 Joh 1,7b).

IV

In einem letzten Schritt unserer Betrachtung ist nun noch der Abschnitt Joh
13,12–17 in den Blick zu fassen und zu fragen, ob er eine mit der Exegese der
Verse 1–11 kohärente Interpretation erlaubt.
Auf der Erzählebene sind die Verse 12–17 durch die Notiz V. 12a fest mit dem
zuvor Berichteten verbunden. Die anschließende Jüngerbelehrung wird in V. 12b
durch die Frage Jesu eingeleitet: γινώσκετε τί πεποίηκα ὑμῖν; – „Begreift ihr,
was ich euch getan habe?“ Beachtet man die jeweilige Aussageintention, dann
steht diese Frage keineswegs in Spannung zu der Erklärung von V. 7, der zufolge
Petrus das Tun Jesu erst „hernach“ begreifen wird (ὃ ἐγὼ ποιῶ […] γνώσῃ […]

82 Es ist kein Widerspruch zu dieser Aussage, wenn in 15,3 den Jüngern gesagt wird: „Ihr

seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.“ Der λόγος, von dem dieser
Satz spricht, ist das in der Verkündigung laut werdende Wort, in dem der gekreuzigte und auf-
erstandene Christus sich selbst – d. h. seine Person und sein Werk – Glauben und Erkenntnis
wirkend erschließt. Vgl. dazu H.-Chr. Kammler, Christologie und Eschatologie. Joh 5,17–30
als Schlüsseltext johanneischer Theologie (WUNT 126), Tübingen 2000, 127 f.
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu 87

μετὰ ταῦτα).83 In V. 7 hatten wir den hermeneutischen Hinweis des Evangeli-
sten zu erkennen, daß ein Verstehen des durch die Fußwaschung abgebildeten
Kreuzestodes Jesu allererst aus der nachösterlichen Perspektive möglich ist. Die
Verse 12b–17 nun richten sich an diejenigen, die aus dieser Perspektive auf das
Kreuzesgeschehen schauen und seine Bedeutung bedenken. In der Jüngerbe-
lehrung redet mithin der gekreuzigte und auferstandene Christus zu den Seinen
und also auch zu den Lesern des Evangeliums.
Mit Bezug auf die von Jesus vollzogene Fußwaschung wird in V. 15 gesagt:
„Ein ὑπόδειγμα habe ich euch gegeben, damit, wie ich euch getan habe, auch
ihr tut.“ Der Begriff ὑπόδειγμα kennzeichnet die Fußwaschung Jesu nicht als
ein beeindruckendes „Beispiel“ grenzenloser Liebe, zu dessen Nachahmung
die Jünger aufgerufen werden, sondern als ein verbindlich vorgegebenes „Leit-
bild“, dem sie unbedingt und unausweichlich verpflichtet sind.84 Daß zwischen
dem Tun Jesu und dem Tun der Jünger ein zwingendes Begründungsverhältnis
besteht, das zeigen bereits die Verse 13 f. an: „Ihr nennt mich ‚Lehrer‘ und
‚Herr‘, und ihr sagt so mit Recht, denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und
Lehrer, euch die Füße gewaschen habe, dann seid auch ihr verpflichtet, einander
die Füße zu waschen.“ Die Worte „ihr nennt mich ‚Lehrer‘ und ‚Herr‘“ ver-
weisen vordergründig auf die Anrede Jesu durch seine Jünger;85 darüber hinaus
aber zielen sie darauf ab, daß Jesus der Offenbarer der rettenden Gotteswahr-
heit86 und im solennen Sinn der Kyrios87 ist. Hat er als der in göttlicher Hoheit
handelnde „Lehrer“ und „Herr“ den Jüngern die Füße gewaschen, dann folgt
daraus für sie unabweisbar die Verpflichtung zu einem entsprechenden Tun.
Der diese Konsequenz benennende V. 14 ist als ein Konditionalsatz mit kausaler
Nuance formuliert,88 und in ihm erscheint nicht zufällig das Verbum ὀφείλειν,
durch das der Verpflichtungscharakter des Tuns Jesu expressis verbis heraus-
gestellt wird. Den Verpflichtungscharakter unterstreichen dann noch einmal die
beiden – durch ein autoritatives ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν eingeleiteten – Bildworte
von V. 16: „Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr und ein Abgesandter nicht

83 Anders z. B. Bultmann (s. Anm. 2), 361 Anm. 8: „Die Frage ist gestellt, als ginge V. 6–11

nicht voraus; als rhetorische Frage kollidiert sie mit dem οὐκ οἶδας ἄρτι V. 7.“
84
 Die Konjunktion καθώς hat in V. 15 – ebenso wie in 13,35; 15,12 – begründenden Sinn (s.
zu diesem Sprachgebrauch auch 6,57; 17,2.14.16). Die Argumentationsstruktur ist also nicht:
„wie ich, so auch ihr“, sondern: „weil ich, deshalb notwendig ihr“.
85 In 13,13 sind ὁ διδάσκαλος und ὁ κύριος Vokativ (Blass / ​D ebrunner / ​R ehkopf, Gram-

matik § 143 und § 147,2 mit Anm. 5). Zu διδάσκαλε / ​ῥαββί (1,38) im Munde der Jünger s. 1,49;
4,31; 9,2; 11,8 (vgl. auch ῥαββουνί 20,16), zu κύριε 6,68; 11,12; 13,6.9.25.36 f.; 14,5.8.22 (auch
21,15–17.20 f.).
86
 S. dazu 15,15b und 17,26a, aber auch Aussagen wie 1,17 f.; 8,31 f.; 14,6.9; 17,6.14.17.
87
 S. dazu ὁ κύριος 6,23; 11,2; 20,2.18.20.25 (auch 21,7.12); vgl. ferner 20,13 und 20,28.
88
 Zu solchen Konditionalsätzen mit εἰ c. Ind. vgl. Blass / ​Debrunner / ​Rehkopf, Gram-
matik § 372,1.
88 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

größer als der, der ihn gesandt hat.“89 Der Makarismus V. 17 schließlich betont,
daß zu der den Jüngern von Jesus selbst geschenkten Erkenntnis dessen, was in
V. 13–16 gesagt wird, notwendig das dieser Erkenntnis entsprechende Tun hin-
zugehört: εἰ ταῦτα οἴδατε, μακάριοί ἐστε ἐὰν ποιῆτε αὐτά – „Wenn ihr das wißt –
selig seid ihr, wenn ihr es tut.“90 Wie nun die in V. 15 als ein verpflichtendes
ὑπόδειγμα charakterisierte Fußwaschung Jesu Symbol seines Kreuzestodes als
des unüberbietbaren Erweises der Liebe zu den Seinen ist, so ist mit der von den
Jüngern zu übenden Fußwaschung die Liebe gemeint, die sie einander schuldig
sind.91 Der Satz ὑπόδειγμα […] ἔδωκα ὑμῖν ἵνα καθὼς ἐγὼ ἐποίησα ὑμῖν καὶ
ὑμεῖς ποιῆτε besagt somit nichts anderes als das Wort Jesu Joh 13,34: ἐντολὴν
καινὴν δίδωμι ὑμῖν, ἵνα ἀγαπᾶτε ἀλλήλους, καθὼς ἠγάπησα ὑμᾶς ἵνα καὶ ὑμεῖς
ἀγαπᾶτε ἀλλήλους.92 In beiden Sätzen benennt der καθώς-Satz nicht nur den
Maßstab, sondern zuerst und vor allem den Grund für die den Jüngern gebotene
Liebe.93 „Grund und Norm“94 ihrer Liebe aber ist die Liebe Jesu deshalb, weil
sein Tod ihre Verfallenheit an Sünde und Tod aufgehoben, sie unlöslich mit
ihm verbunden und ihnen so ein neues Sein erschlossen hat.95 Einzig aufgrund
dieses neuen Seins haben die Jünger überhaupt das Vermögen zu der von ihnen
89
 Das Wort ἀπόστολος hat hier die Bedeutung „Abgesandter“, „Sendbote“, „Bote“; s. zu
dieser Bedeutung: Herodot, Hist I 21,1; V 38,2; 3 Reg 14,6 LXXA α’; Jes 18,2 σ’; 2 Kor 8,23; Phil
2,25 (vgl. Apg 14,4.14). – Zu οὐκ ἔστιν δοῦλος μείζων τοῦ κυρίου αὐτοῦ (so auch 15,20) vgl. Mt
10,24b, zu οὐδὲ ἀπόστολος μείζων τοῦ πέμψαντος αὐτόν den GenR 78,2 zu 32,26 überlieferten
Ausspruch des R. Schim‘on (um 150): „Der Sendende ist größer als der Abgesandte“ (hmšlḥ
gdwl mn hmštlḥ). Der Evangelist könnte bei der Wahl der beiden Bildworte daran gedacht
haben, daß die Jünger Jesu seine „Diener“ sind (12,26) und daß er sie „ausgesandt“ hat, ihn in
der Welt zu bezeugen (4,38; 13,20; 17,18; 20,21).
90
 Die genaue inhaltliche Füllung der beiden Pronomina ταῦτα und αὐτά ergibt sich aus
V. 12b–16. In εἰ ταῦτα οἴδατε geht es um das Wissen, wer Jesus im Gegenüber zu den Jüngern ist
(V. 13, V. 16), was er an ihnen getan hat (V. 12b, V. 14a) und unter welchem Anspruch sie damit
stehen (V. 14b, V. 15). Die Worte ἐὰν ποιῆτε αὐτά, die in dem ἐάν-Satz von 15,14 ihre Parallele
haben (s. u. Anm. 92), sprechen von dem in V. 14 f. gebotenen Tun. Zu dem in V. 17 voraus-
gesetzten Verhältnis von „Wissen“ und „Tun“ s. Thyen (s. Anm. 4), 593 f. sowie im einzelnen
H. Kohler, Kreuz und Menschwerdung im Johannesevangelium. Ein exegetisch-hermeneu-
tischer Versuch zur johanneischen Kreuzestheologie (AThANT 72), Zürich 1987, 227–229.
91
 Daß in Joh 13 ein in der johanneischen Gemeinde praktiziertes und von ihr als heils-
notwendig erachtetes Sakrament der Fußwaschung bezeugt wird, vermag ich – anders als Ab-
ramowski, Die Geschichte von der Fußwaschung (s. Anm. 1), 183–189; Dies., Der Apostel von
Johannes 13,16 (s. ebd.), bes. 120–123 – nicht zu sehen. S. dazu auch die folgende Anmerkung.
92
 Als eine weitere Parallele zu V. 15 ist der Satz 15,12 zu notieren: αὕτη ἐστὶν ἡ ἐντολὴ ἡ
ἐμή, ἵνα ἀγαπᾶτε ἀλλήλους καθὼς ἠγάπησα ὑμᾶς. Der Parallelität der Verse 13,15 / ​13,34 / ​15,12
entspricht dann diejenige der Verse 13,17 (εἰ ταῦτα οἴδατε, μακάριοί ἐστε ἐὰν ποιῆτε αὐτά) / ​
13,35 (ἐν τούτῳ γνώσονται πάντες ὅτι ἐμοὶ μαθηταί ἐστε, ἐὰν ἀγάπην ἔχητε ἐν ἀλλήλοις) / ​15,14
(ὑμεῖς φίλοι μού ἐστε ἐὰν ποιῆτε ἃ ἐγὼ ἐντέλλομαι ὑμῖν). – Ebensowenig wie die Worte 13,34
und 15,12 ist V. 15 oder der durch ihn begründete V. 14 ein „Wiederholungsbefehl“ im Sinne von
1 Kor 11,24c.25c / ​Lk 22,19c.
93
 Vgl. Bultmann (s. Anm. 2), 362.403 (auch 417); Schnackenburg (s. Anm. 2), 28.60.
94
 So Bultmann, ebd., 417.
95
 Vgl. dazu auch 15,12–17: Das Liebesgebot V. 12 gilt den Jüngern als den von Jesus Erwähl-
ten, die durch seine Lebenshingabe seine „Freunde“ geworden sind und als diese zu „tun“ ver-
Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu 89

geforderten Liebe. Wird das gesehen, dann ist deutlich: Der Verpflichtungscha-
rakter der Liebe Jesu wird in der Jüngerbelehrung Joh 13,12–17 nicht einfach nur
behauptet, sondern er erfährt von den Versen 1–11 her auch seine einleuchtende
und zwingende Begründung.
Die Fußwaschung Jesu ist – wie wir jetzt festhalten können – nicht nur in Joh
13,1–11, sondern ebenso auch in Joh 13,12–17 als Vorausdarstellung des Kreuzes-
geschehens verstanden. In 13,1–11 geht es zunächst um den Tod Jesu als ein das
menschliche Sein effektiv veränderndes Geschehen, d. h. als sacramentum, in
13,12–17 sodann um ihn als ein den „rein“ gewordenen Menschen verpflichtendes
exemplum.96 Hier handelt es sich nicht um zwei unterschiedliche und vielleicht
sogar miteinander konkurrierende „Deutungen“ des Todes Jesu, sondern um
die präzise Bestimmung der Bedeutung dieses Todes unter den beiden zwar zu
unterscheidenden, aber doch zusammengehörigen Aspekten. Dabei wird durch
die Abfolge der Abschnitte 13,1–11 und 13,12–17 angezeigt, daß die Bedeutung
des Todes Jesu als sacramentum seinem Verständnis als exemplum vorgeordnet
und übergeordnet ist.97
Mit seiner Sicht des Kreuzesgeschehens tritt der Vierte Evangelist anderen
neutestamentlichen Zeugen an die Seite, die in der Sache ebenso von dem Tod
Jesu als sacramentum et exemplum reden.98 So betont Paulus in seinen Briefen
des öfteren den Verpflichtungscharakter des unter dem grundlegenden Aspekt
des „pro nobis“ bedachten Christusgeschehens, und Gleiches begegnet in den
Deuteropaulinen.99 Nicht zuletzt aber ist auf 1 Petr 2,21 hinzuweisen, wo das To-
desleiden Christi ausdrücklich als ein verpflichtendes „Leitbild“ (ὑπογραμμός)
bezeichnet wird: „Christus hat für euch gelitten und euch (damit) ein Leitbild
hinterlassen, daß ihr seinen Fußspuren nachfolgt.“100 Was alle diese Zeugnisse

mögen, was er ihnen gebietet. Zu 15,12–17 s. im einzelnen die tiefe Auslegung bei Bultmann,
ebd., 417–421.
 96 Zum Verständnis des Todes Jesu als sacramentum einerseits und als exemplum anderer-

seits s. E. Jüngel, Das Opfer Jesu Christi als sacramentum et exemplum. Was bedeutet das
Opfer Christi für den Beitrag der Kirchen zur Lebensbewältigung und Lebensgestaltung?, in:
Ders., Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens. Theologische
Erörterungen III (BEvTh 107), München 1990, 261–282, bes. 264–268. In meiner Kennzeich-
nung des sacramentum nehme ich eine Formulierung Jüngels (ebd., 265) auf.
 97
 Vgl. zu dieser Verhältnisbestimmung von sacramentum und exemplum Jüngel, ebd.,
264 f.
 98
 Innerhalb des Corpus Johanneum selbst sind hier die beiden Sätze 1 Joh 2,6 und 1 Joh
3,16 zu nennen.
 99 S. etwa Röm 15,1–6.7; 2 Kor 8,7–9; Gal 6,2; Phil 1,27–2,18; Kol 3,13; Eph 5,2.25 und dazu

O. Hofius, Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi, in: Ders., Paulusstudien (WUNT 51),
Tübingen ²1994, 50–74: 70–72.
100 Übersetzung im Anschluß an L. Goppelt, Der Erste Petrusbrief (KEK 12/1), Göttingen

¹(⁸)1978, 198. Zur Auslegung s. ebd., 199–203 mit der trefflichen Bestimmung: ὑπογραμμός ist
hier „das ‚Leitbild‘, das verpflichtend vorgegeben ist, nicht das ‚Beispiel‘ oder ‚Vorbild‘, dem
man aus freier Wahl nacheifert“ (201). – Zu ὑπογραμμός in dem in 1 Petr 2,21 vorliegenden Sinn
s. auch 1 Klem 16,17 (mit 16,1–16) und Polyk 8,1 f.
90 Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu

in der Gestalt der theologischen Aussage zur Sprache bringen, das kommt in
Joh 13 durch die Verbindung der beiden Abschnitte V. 1–11 und V. 12–17 narrativ
zur Darstellung.
Mensch und Schöpfung
nach dem Zeugnis des Römerbriefs

Daß zwischen dem von Gott geschaffenen Menschen und der außermensch-
lichen Schöpfung eine unlösliche Verbindung besteht, kommt in den Briefen des
Paulus nur an einer einzigen, allerdings höchst gewichtigen Stelle zur Sprache –
nämlich in den Versen Röm 8,18–25. Diesen Versen sind die folgenden Über-
legungen gewidmet, die den Text auf der Grundlage einer genauen sprachlichen
Analyse auszulegen und seine theologische Aussage vor allem unter Beachtung
des paulinischen Kontexts herauszuarbeiten suchen.1

Die Verse Röm 8,18–25 wollen auf dem Hintergrund dessen bedacht und ver-
standen sein, was zuvor im Römerbrief zum einen über die Verlorenheit des
Menschen vor Gott und zum andern über seine Rettung durch Gott gesagt
worden ist. Wir müssen uns deshalb zunächst die entsprechenden Ausführungen
des Apostels in ihren Grundzügen vergegenwärtigen.
Mit großem Ernst hat Paulus in Röm 1,18–3,20 wie auch an anderen Stellen
des Briefes2 dargelegt, daß ausnahmslos alle von Adam herkommenden Men-
schen der Macht der Sünde und deshalb auch der Macht des Todes verfallen
sind. Unter der „Sünde“ versteht der Apostel das unerhörte Nein, mit dem der
Mensch seinem Schöpfer den dankbaren Lobpreis wie auch den gehorsamen
Dienst verweigert und geschaffene Dinge zu seinem höchsten Gut und damit
1
 Aus der Literatur seien neben den Kommentaren z.St. genannt: A. Vögtle, Röm 8,19–
22: Eine schöpfungstheologische oder anthropologisch-soteriologische Aussage?, in: Ders.,
Das Neue Testament und die Zukunft des Kosmos (KBANT), Düsseldorf 1970, 183–208;
H. R.  Balz, Heilsvertrauen und Welterfahrung. Strukturen der paulinischen Eschatologie nach
Römer 8,18–39 (BEvTh 59), München 1971, bes. 36–69; P. von der Osten-Sacken, Rö-
mer 8 als Beispiel paulinischer Soteriologie (FRLANT 112), Göttingen 1975, 78–128.263–271;
W. Bindemann, Die Hoffnung der Schöpfung. Römer 8,18–27 und die Frage einer Theologie
der Befreiung von Mensch und Natur (NStB 14), Neukirchen-Vluyn 1983; S. Vollenweider,
Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Um-
welt (FRLANT 147), Göttingen 1989, 375–396; E. Grässer, Das Seufzen der Kreatur (Röm
8,19–22), JBTh 5 (1990) 93–117; J. Lambrecht, The Groaning Creation. A Study of Rom
8:18–30, LS 15 (1990) 3–18; H. Weder, Geistreiches Seufzen. Zum Verhältnis von Mensch
und Schöpfung in Römer 8, in: Ders., Einblicke ins Evangelium. Exegetische Beiträge zur
neutestamentlichen Hermeneutik, Göttingen 1992, 247–262.
2
 S. insbesondere Röm 3,22b+23; 5,12–21; 6,20 f.23a; 7,5.7–25a (vgl. auch 8,5–8).
92 Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs

zu seinem Gott erwählt.3 Weil die Sünde so dezidiert das Gottesverhältnis be-
trifft und ihrem Wesen nach „Gottlosigkeit“ und „Feindschaft gegen Gott“ ist,4
deshalb macht sie jede Gemeinschaft des Menschen mit Gott, der Quelle des
Lebens, absolut unmöglich. Davon ist die Rede, wenn es in Röm 5,12 heißt,
daß durch Adam „die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde
der Tod“ und daß in der Folge dieses verhängnisvollen Geschehens „der Tod zu
allen Menschen hingekommen ist, weil sie alle gesündigt haben“.5 In diesem
Satz geht es nicht einfach nur um die kreatürliche Sterblichkeit des Menschen.
Paulus spricht vielmehr von dem Tod, der durch das Verdammungsurteil Gottes
sowohl über Adam wie auch über alle seine Nachkommen verhängt worden ist.6
Der durch Adam in die Welt gekommene Tod ist der den Menschen von Gott
trennende Tod, dem deshalb in Röm 5,12–21 nicht das physische Leben gegen-
übersteht, sondern das „ewige Leben“7, d. h. die unmittelbare, vollkommene und
beständige Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott. Den Gedanken, daß Adam
dieses ewige Leben vor seinem Fall besessen habe, vertritt Paulus nicht. Das
ergibt sich nicht zuletzt aus jenem Satz des Römerbriefs, der häufig, aber völlig
zu Unrecht als ein Beleg für die gegenteilige Auffassung angesehen wird. Ich
spreche von dem Vers Röm 3,23, in dem der Apostel im Blick auf die ganze –
Juden wie Heiden umfassende – Menschheit erklärt: „Alle haben gesündigt und
entbehren der Herrlichkeit Gottes“ (πάντες ἥμαρτον καὶ ὑστεροῦνται τῆς δόξης
τοῦ θεοῦ).8 Der Ausdruck „die Herrlichkeit Gottes“, der hier und dann erneut in
Röm 5,2 begegnet, meint an beiden Stellen die Herrlichkeit, die Gott schenkt9
und die dem Menschen mit dem ewigen Leben gegeben ist.10 Der Satz Röm
3,23 selbst wird in der Exegese ganz überwiegend so gedeutet, daß Paulus die
frühjüdische Vorstellung aufnehme, wonach Adam im Paradies die Herrlichkeit

 3
 Zur paulinischen Kennzeichnung der Sünde s. die beiden Sätze Röm 1,21a und Röm 1,25.
 4
 S. dazu Röm 1,18 (ἀσέβεια) und Röm 8,7 (ἔχθρα εἰς θεόν) sowie ferner in Röm 5,6–10
das Nebeneinander der Begriffe ἀσεβεῖς (V. 6), ἁμαρτωλοί (V. 8) und ἐχθροί (V. 10). Zur Cha-
rakterisierung des Sünders als eines „Gottlosen“ vgl. schließlich auch Röm 4,5.
 5
 Zu Röm 5,12 bzw. zu Röm 5,12–21 insgesamt s. im einzelnen O. Hofius, Die Adam-
Christus-Antithese und das Gesetz. Erwägungen zu Röm 5,12–21, in: Ders., Paulusstudien II
(WUNT 143), Tübingen 2002, 62–103.
 6
 Röm 5,16b.18a. Zu dem an beiden Stellen begegnenden Begriff κατάκριμα s. auch Röm
8,1.
 7 Röm 5,17.18.21: ζωὴ αἰώνιος. Vgl. auch Röm 6,22 f.
 8
 Die Worte πάντες ἥμαρτον, die Paulus dann in Röm 5,12 noch einmal wiederholt, nehmen
die Aussage von Röm 3,9 auf, daß ausnahmslos alle, Juden wie Heiden, „unter der Macht der
Sünde stehen“ (πάντας ὑφ’ ἁμαρτίαν εἶναι).
 9 Der Genitiv τοῦ θεοῦ ist an beiden Stellen ein Genitivus auctoris, nicht ein Genitivus

possessoris.
10
 In Röm 8,21 erscheint deshalb δόξα als Gegenbegriff zu φθορά und somit als Synonym
zu ἀφθαρσία. Zu ἀφθαρσία als Gegenbegriff zu φθορά s. 1 Kor 15,42.50 (vgl. 53 f.); Philo, Mos
II 194; POxy 1081,10–19 (Fragment der Sophia Jesu Christi; s. D. Lührmann, Fragmente apo-
kryph gewordener Evangelien in griechischer und lateinischer Sprache [MThSt 59], Marburg
2000, 96–101: 99).
Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs 93

des ewigen Lebens besessen, sie dann aber aufgrund seiner Sünde verloren hat.11
Gegen diese Deutung spricht jedoch bereits, daß die Worte ὑστεροῦνται τῆς
δόξης τοῦ θεοῦ keineswegs die Übersetzung „sie haben die Herrlichkeit Gottes
verloren“12 oder „sie sind der Herrlichkeit Gottes verlustig“13 zulassen; denn
ὑστερεῖσθαί τινος heißt nicht „etwas verlieren“ bzw. „etwas verloren haben“,
sondern die Bedeutung des Wortes ist: „einer Sache ermangeln“ / ​„etwas nicht
haben“. Nicht von dem Verlust eines Besitzes ist also die Rede, sondern davon,
daß alle Menschen aufgrund ihrer Sünde etwas entbehren, was sie eigentlich
haben sollten. Zu dem sprachlichen Befund kommt eine sachliche Beobachtung
hinzu: Wo immer Paulus sonst in seinen Briefen im Blick auf den Menschen
von der δόξα spricht, da handelt es sich um die eschatologische Herrlichkeit, die
den an Christus Glaubenden mit der Auferweckung von den Toten zuteil werden
wird.14 Setzt man schließlich den Satz Röm 3,23 zu dem in Beziehung, was in
1 Kor 15,42–49 gesagt wird, dann zeigt sich, daß an diesen Stellen ein ganz be-
stimmtes Verständnis der Paradies- und Sündenfallgeschichte von Gen 2+3 zum
Ausdruck kommt.15 Wenn Gott nach Gen 2,7 Adam aus Staub vom Erdboden
bildet und ihm den Lebensodem einhaucht, dann deutet Paulus dies auf die
Gabe des kreatürlichen physischen Lebens. Das ewige Leben sieht er erst da
angesprochen, wo der „Baum des Lebens“ erwähnt wird, von dem Adam essen
durfte und sollte (Gen 2,9). Nach dem Verständnis des Apostels lehrt dieser Zug
der Erzählung, daß Adam mit der Bestimmung und dem Ziel geschaffen wurde,
die ζωὴ αἰώνιος und mit ihr die δόξα τοῦ θεοῦ zu empfangen. Die Erschaffung
des Menschen war also mit der Gabe des Lebensodems noch keineswegs voll-
endet; sie „sollte weitergehen, aber seine Sünde brach sie ab“.16 Darin, daß
11
 Als Belege für die frühjüdische Vorstellung, der Paulus angeblich verpflichtet ist, wer-
den zumeist genannt: ApkMos 20,2; 21,6; grBar 4,16; GenR 12,5 zu 2,4. Dazu sei jetzt nur
das Folgende angemerkt: 1) In ApkMos 20,2 (ἀπηλλοτριώθην ἐκ τῆς δόξης μου) und 21,6
(ἀπηλλοτρίωσάς με ἐκ τῆς δόξης τοῦ θεοῦ) handelt es sich um christliche Aussagen, die eine
Exegese von Röm 3,23 voraussetzen, wie sie sich etwa bei Origenes findet (s. Commentarius
in Epistulam ad Romanos III 7 zu Röm 3,23 [Fontes Christianae 2/2, 108,14 f.]: alieni […]
effecti sunt […] a gloria Dei). 2) Als Exegese von Röm 3,23 ist ebenfalls der Satz grBar 4,16
zu beurteilen, dessen Herkunft von christlicher Hand durch grBar 4,15 bestätigt wird. 3) Daß
die in GenR 12,5 zu 2,4 und ebenso in GenR 11,2 zu 2,3 bezeugte Deutung von Ps 49,13 (s. dazu
auch bSanh 38b; AbotRN [A] 1; TargPsJon Gen 2,25) und Hi 14,20b auf Adam bereits für die
neutestamentliche Zeit vorausgesetzt werden kann, wird man bezweifeln dürfen.
12
 So übersetzt z. B. W. Schmithals, Der Römerbrief. Ein Kommentar, Gütersloh 1988, 116.
13
 So übersetzen z. B. U. Wilckens, Der Brief an die Römer I: Röm 1–5 (EKK VI/1), Zü-
rich – Einsiedeln bzw. Neukirchen-Vluyn 1978, 183; E. Käsemann, An die Römer (HNT 8a),
Tübingen ⁴1980, 85.
14
 δόξα τοῦ θεοῦ: Röm 5,2; δόξα: Röm 2,7.10; 8,18.21; 9,23; 1 Kor 2,7; 15,43; 2 Kor 4,17; Phil
3,21; 1 Thess 2,12 (in den Deuteropaulinen: 2 Thess 2,14; Kol 1,27; 3,4); s. auch συνδοξάζεσθαι
Röm 8,17. Die Aussagen von Röm 8,29 f. und 2 Kor 3,18 gehören ebenfalls in diesen Zusammen-
hang.
15
 S. dazu des näheren Hofius, Die Adam-Christus-Antithese und das Gesetz (s. Anm. 5),
79–81.
16
 Chr. Burchard, 1 Korinther 15,39–41, ZNW 75 (1984) 233–258: 244 Anm. 43.
94 Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs

Adam aufgrund seiner Sünde sogleich aus dem Paradies vertrieben und ihm so
der Zugang zum „Baum des Lebens“ verwehrt wurde (Gen 3,22–24), erblickt
Paulus die Verwirklichung der Todesandrohung von Gen 2,17b, und er begreift
diese richterliche Entscheidung Gottes als die Verweigerung des ewigen Lebens.
Adams Sündenfall ist somit nach der Sicht des Apostels der unerhörte Zwischen-
fall, der das Zum-Ziel-Kommen des Schöpfungsplanes Gottes verhindert hat.
Die Begriffe ζωὴ αἰώνιος bzw. ζωή und δόξα τοῦ θεοῦ bzw. δόξα bezeichnen
eben jenes Heilsgut, das Gott, der Schöpfer, Adam und mit ihm dem Menschen
zugedacht hatte und das dann wegen der Sünde sowohl dem Protoplasten wie
auch allen seinen Nachkommen vorenthalten blieb.
Daß Gott den sündigen und vor ihm verlorenen Menschen nicht preisgibt, das
ist das alles beherrschende Thema, das von Röm 3,21 an ausführlich erörtert und
entfaltet wird.17 Im Geschehen des Todes und der Auferstehung Jesu Christi –
so lauten die entscheidenden Aussagen  – hat Gott dem Menschen das Heil
bereitet, das im Evangelium von Jesus Christus bezeugt und zugeeignet wird
und daß der Hörer des Evangeliums im Glauben an Jesus Christus empfängt.
Von diesem Heil spricht der Apostel dabei unter zwei grundlegenden Aspekten:
Die Glaubenden sind – so der erste Aspekt – schon jetzt „gerechtfertigt“ bzw.
„gerecht gemacht“, d. h. in die heilvolle Beziehung zu dem lebendigen Gott ver-
setzt, und somit „Kinder“ Gottes, die ihn in der Kraft des Heiligen Geistes als
ihren Vater anrufen und ihm in einem neuen Leben dienen.18 Als solche werden
sie – so der zweite Aspekt – in der Zukunft des ewigen Lebens und also der voll-
kommenen Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott teilhaftig werden. Was den
zweiten Aspekt anlangt, so sind neben anderen Aussagen des Römerbriefs19 etwa
die Verse Röm 8,10 f. zu nennen, in denen Paulus die Situation derer beschreibt,
die durch das Christusgeschehen von dem seit Adam bestehenden Sünde-Tod-
Zusammenhang befreit worden sind.20 Von ihnen heißt es zunächst in V. 10: Ihr
Leib ist zwar noch „der Notwendigkeit des Sterbens unterworfen“,21 weil dem
17
 Röm 3,21–4,25; 5,1–11; 5,12–21; 6,23b; 7,24.25a; 8,1–11. S. auch bereits Röm 1,16 f.
18 S. dazu Röm 8,1–17 (speziell zur υἱοθεσία und zur Anrufung Gottes als Vater: V. 15 f.); vgl.
auch Röm 6,4.11.22; 7,6.
19
 Röm 1,16 f.; 5,17b.18b.21b; 6,22 f.; 7,24 f.; 8,2.
20
 Die Befreiung von dem Sünde-Tod-Zusammenhang thematisiert Paulus in Röm 8,1–17.
21
 So die Wiedergabe von νεκρός Röm 8,10 bei S.Ch. Schirlitz / ​Th. Eger, Griechisch-
deutsches Wörterbuch zum Neuen Testamente, Gießen ⁶1908, 277b s. v. 1. Zu νεκρός in der Be-
deutung „sterblich“, „vom Tod gezeichnet“, „dem Tod verfallen“, „todgeweiht“ s. etwa Epiktet,
Diss I 3,3; II 19,27; grHen 103,5 (vgl. auch ὁ νεκρός = „der Sterbende“: Euripides, Rhes 789;
Antiphon aus Rhamnus, Or II 4,5; Thukydides, Hist II 52,2). – Daß das νεκρὸν σῶμα von Röm
8,10 nicht das σῶμα τῆς ἁμαρτίας von Röm 6,6 bzw. das σῶμα τοῦ θανάτου von Röm 7,24 ist,
sondern das θνητὸν σῶμα von Röm 6,12; 8,11, vertreten mit gutem Grund etwa M. Dibelius,
Der Herr und der Geist bei Paulus, in: Ders., Botschaft und Geschichte II, Tübingen 1956,
128–133: 131 f.; C. E. B. Cranfield, The Epistle to the Romans I (ICC), Edinburgh 1975 = 1980,
389; Schmithals, Der Römerbrief (s. Anm. 12), 271; S. Vollenweider, Der Geist Gottes
als Selbst der Glaubenden. Überlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen
Anthropologie, ZThK 93 (1996) 163–192: 172 f.; Chr. Landmesser, Der Geist und die christ-
Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs 95

adamitischen Menschen um der Sünde willen das ewige Leben verwehrt blieb;22
der ihnen geschenkte Geist Gottes aber ist der Garant dafür, daß ihr Leib auf-
grund der ihnen schon jetzt zuteil gewordenen heilvollen Gottesbeziehung nicht
im Tod bleiben, sondern am Ende im Zeichen des „Lebens“ stehen wird.23 V. 11
erläutert diese Aussage mit dem Hinweis auf den unlöslichen Zusammenhang,
der zwischen der Auferweckung Jesu und der Auferweckung derer besteht, die
ihm angehören: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auf-
erweckt hat, in euch wohnt, so wird der, der Christus von den Toten auferweckt
hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in
euch wohnt.“ Wie Paulus hier den Empfängern des Römerbriefs die zukünftige
ζωὴ αἰώνιος vor Augen stellt, so kann er ganz analog auch von der zukünftigen
δόξα reden, die Gott den Glaubenden schenken wird. Nach Röm 5,1 f. „rühmen“
sich diejenigen, die „aus Glauben gerecht geworden“ sind, „der Hoffnung auf
die Herrlichkeit Gottes“.24 Als „Kinder“ Gottes sind sie ja  – wie es dann in
Röm 8,17 heißt – auch „Erben“ Gottes und als solche „Miterben“ Christi, die
jetzt mit ihm „leiden“, am Tag der Heilsvollendung aber auch ganz gewiß
mit ihm „verherrlicht werden“.25 Wenn Paulus hier von dem συμπάσχειν der
Kinder Gottes spricht, dann denkt er an das in Röm 8,35+36 erwähnte Leiden
um Christi willen  – d. h. an das Leiden, das über ihn selbst kommt, weil er
den gekreuzigten Christus verkündigt, und über die Glaubenden, weil sie sich
zu diesem Gekreuzigten bekennen.26 Denen, die so um Christi willen leiden,

liche Existenz. Anmerkungen zur paulinischen Pneumatologie, in: U. H. J. Körtner / ​A. Klein


(Hg.), Die Wirklichkeit des Geistes. Konzeptionen und Phänomene des Geistes in Philosophie
und Theologie der Gegenwart, Neukirchen-Vluyn 2006, 129–152: 140–145. Vollenweider (172
Anm. 37) und ihm folgend Landmesser (144 Anm. 39) verweisen zu diesem Gebrauch von
νεκρός auf die Rede vom νεκρὸν σῶμα bei Philo; in den entsprechenden Aussagen (Leg All
I 108; III 69 f.72.74; Gig 15; Mut 173) handelt es sich jedoch um den – stoischem Denken (s.
Epiktet, Diss I 19,9; Fr 26) verpflichteten – Gedanken, daß der Leib ein „Leichnam“ ist, den die
Seele tragen muß (vgl. Agric 25; Migr 21; Somn II 237 sowie zu νεκρὸν σῶμα = „Leichnam,
Leiche“ etwa Mos I 105; Spec Leg I 62.113; II 16; III 205). Den „sterblichen“ Leib bezeichnet
Philo – ebenso wie Paulus in Röm 6,12; 8,11 – als θνητὸν σῶμα (Mut 36; Spec Leg II 230).
22
 Das ist m. E. der Sinn der Worte τὸ μὲν σῶμα νεκρὸν διὰ ἁμαρτίαν.
23
 Das besagen die Worte τὸ δὲ πνεῦμα ζωὴ διὰ δικαιοσύνην. Die an Christus Glaubenden
verfallen also mit dem Sterben nicht dem von Gott trennenden Tod; für sie gilt vielmehr: οὔτε
θάνατος οὔτε ζωὴ […] δυνήσεται ἡμᾶς χωρίσαι ἀπὸ τῆς ἀγάπης τοῦ θεοῦ τῆς ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ
τῷ κυρίῳ ἡμῶν (Röm 8,38 f.) und: ἐάν τε […] ζῶμεν ἐάν τε ἀποθνῄσκωμεν, τοῦ κυρίου ἐσμέν
(Röm 14,8b).
24 S. dazu auch die beiden Schlüsse a maiore ad minus in Röm 5,8 f. und Röm 5,10.
25 In Röm 8,17 hat εἴπερ die Bedeutung „so gewiß“ (wie Röm 3,30; 8,9; 2 Thess 1,6), und

der ἵνα-Satz beschreibt nicht die Absicht, sondern die notwendige Folge. Zu συνδοξάζεσθαι
s. u. Anm. 27.
26 S. dazu neben Röm 8,35 f. auch Phil 1,29 f. sowie die Aussagen des Apostels über die ihm

selbst widerfahrenden Leiden: 1 Kor 4,9–13; 15,32; 2 Kor 1,3–11; 4,7–18; 6,4–10; 7,5; 11,23–33;
12,10; Phil 1,12–14; 4,14; 1 Thess 3,7 (vgl. auch Kol 1,24). Auf das Leiden um Christi willen
beziehen sich m. E. auch die in Röm 5,3 erwähnten θλίψεις; vgl. 2 Kor 4,17; 1 Thess 1,6; 3,3 f.
(dazu auch 2,14); 2 Thess 1,4.6.
96 Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs

wird eine Herrlichkeit zuteil werden, die der Herrlichkeit ihres auferstandenen
Herrn entspricht.27 Genau davon ist dann in Röm 8,18–30 die Rede – und hier
insbesondere in den Versen 18–25, deren Gedankengang jetzt Schritt für Schritt
nachgezeichnet werden soll.

II

Der Abschnitt Röm 8,18–25 beginnt in V. 18 mit einer These, die das zuvor in
V. 17 Gesagte begründet und – wie die Einführung durch λογίζομαι anzeigt – den
Charakter eines mit Gewißheit geäußerten Urteils hat:28 „Denn ich halte dafür,
daß die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen im Vergleich mit der
Herrlichkeit, die an uns offenbar werden wird.“29 Der Ausdruck „die jetzige
Zeit“ (ὁ νῦν καιρός)30 meint die Zeit zwischen dem Tod und der Auferstehung
Jesu einerseits und seiner Parusie andererseits. Diese Zeit sieht Paulus geprägt
durch die παθήματα – die „Leiden“. Gedacht ist dabei in erster Hinsicht an das
in V. 17 angesprochene Leiden um Christi willen, darüber hinaus aber wohl auch
an die Leiden überhaupt, denen die an Christus Glaubenden in der jetzigen Zeit
ausgesetzt sein können.31 Der Apostel verharmlost die παθήματα nicht, aber er
sieht sie im Licht jener Herrlichkeit, der die Glaubenden entgegengehen. Ihr
gegenüber fallen die Leiden, so schwer und bedrückend sie auch sein mögen,
nicht ins Gewicht. Die Formulierung, daß die Herrlichkeit an denen, die jetzt
leiden müssen, „offenbar werden wird“, setzt dabei voraus, daß sie ihnen bereits
von Gott bereitet ist,32 so daß sie ihrer völlig gewiß sein können.33

27
 Dies ist der Sinn des Wortes συνδοξάζεσθαι. Vgl. dazu Röm 8,29; 1 Kor 15,49; Phil 3,20 f.
28 Bei V. 18 und ebenso auch bei den Versen 19, 22, 23, 24b und 25 notiere ich den
griechischen Text  – verbunden mit knappen sprachlichen Erläuterungen  – jeweils in einer
Anmerkung.
29
 λογίζομαι γὰρ ὅτι οὐκ ἄξια τὰ παθήματα τοῦ νῦν καιροῦ πρὸς τὴν μέλλουσαν δόξαν
ἀποκαλυφθῆναι εἰς ἡμᾶς. – Zu λογίζεσθαι vgl. Röm 3,28. Die Wendung οὐκ ἄξιος πρός (vgl.
Platon, Gorg 471e) erlaubt auch die Übersetzung: die Leiden „sind nicht vergleichbar mit der
Herrlichkeit“ oder: sie „stehen in keinem Verhältnis zu der Herrlichkeit“. Das Verbum μέλλειν
in Verbindung mit einem Infinitiv ist Umschreibung des Futurs; s. dazu F. Blass  / ​A.  Debrun-
ner / ​F.  Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen ¹⁷1990, § 356.
30
 Vgl. Röm 3,26; 11,5; 2 Kor 8,14.
31 Dafür könnten das πάντα von Röm 8,28 und die Verse Röm 8,38 f. sprechen.
32
 Vgl. zu diesem Gedanken 2 Kor 5,1–5.
33 S. dazu auch den Kettenschluß Röm 8,29 f. mit der abschließenden Aussage V. 30c: dieje-

nigen, die Gott gerecht gemacht hat, „die hat er auch herrlich gemacht“ (τούτους καὶ ἐδόξασεν).
Paulus wählt hier ganz bewußt den Aorist ἐδόξασεν, um angesichts der Realität des Leidens
deutlich zu machen: Obwohl die Verherrlichung noch aussteht, ist sie den Glaubenden doch
von Gott her unwiderruflich zugedacht und zugeeignet. Das heißt: Die Glaubenden stehen dank
der in Gottes ewigem Heilsratschluß gefallenen Entscheidung bereits im Licht der zukünftigen
Herrlichkeit, und dieses Licht wird über ihnen nicht mehr erlöschen.
Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs 97

Die These von V. 18 wird in den dann folgenden Versen expliziert.34 Dabei
liegt der Ton auf den positiven Aussagen, nicht dagegen auf der Beschreibung
der leidvollen gegenwärtigen Wirklichkeit. Der Apostel will die alles über-
ragende Größe der zukünftigen Herrlichkeit aufzeigen und so erläutern, weshalb
die Leiden dieser Zeit ihr gegenüber nicht ins Gewicht fallen.
Dem genannten Ziel dienen zunächst die Verse 19–22, in denen Paulus darlegt,
daß mit dem „Offenbarwerden“ der den Glaubenden zugedachten Herrlichkeit
die Befreiung der κτίσις vom Los der Vergänglichkeit verbunden sein wird. Da
dieses Los in V. 20 ausdrücklich als ein unverschuldetes Geschick gekennzeich-
net wird und der Blick des Apostels sich erst von V. 23 an wieder unmittelbar
auf die Glaubenden richtet, kann unter der κτίσις nur die belebte wie unbelebte
außermenschliche Schöpfung verstanden werden, und zwar die den Menschen
umgebende Schöpfungswelt.35 In dem, was Paulus über diese Schöpfung sagt,
bedient er sich in eindrucksvoller Weise der rhetorischen Figur der Personifi-
kation.36 So heißt es sogleich in V. 19: „Es wartet nämlich die Schöpfung in
sehnsüchtigem Verlangen auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes.“37 Bei
dem „Offenbarwerden“ der Kinder Gottes handelt es sich um eben jenes zuvor
in V. 18 erwähnte Geschehen, daß an ihnen die eschatologische Herrlichkeit „of-
fenbar werden“ wird. Warum die Schöpfung sehnsüchtig darauf wartet, daß die
Kinder Gottes die ihnen verheißene Herrlichkeit empfangen, das erklärt V. 20,
der zunächst nach dem griechischen Text zitiert sei: τῇ γὰρ ματαιότητι ἡ κτίσις
ὑπετάγη, οὐχ ἑκοῦσα ἀλλὰ διὰ τὸν ὑποτάξαντα, ἐφ’ ἑλπίδι.38 Für das rechte Ver-
ständnis dieses Textes sind zwei sprachliche Beobachtungen von Gewicht. Zum
einen ist zu notieren, daß die Worte οὐχ ἑκοῦσα ἀλλὰ διὰ τὸν ὑποτάξαντα eine
Zwischenbemerkung darstellen und daß deshalb die den Vers abschließende
präpositionale Wendung ἐφ’ ἑλπίδι mit dem Satzanfang τῇ γὰρ ματαιότητι ἡ
κτίσις ὑπετάγη zu verbinden ist; und zum anderen will beachtet sein, daß in dem
Hauptsatz τῇ γὰρ ματαιότητι ἡ κτίσις ὑπετάγη ἐφ’ ἑλπίδι die rhetorisch bewußt
ans Ende des Satzes gestellte Wendung ἐφ’ ἑλπίδι den Ton trägt.

34
 Wie durch die Inclusio δόξα V. 18 / ​ἐδόξασεν V. 30 angezeigt wird, umfaßt die Explikation
die Verse 8,19–30.
35
 Dagegen ist weder an die Engel noch auch an die kosmischen Mächte von Röm 8,38 f. ge-
dacht. – Zu den in der exegetischen Literatur zu verzeichnenden unterschiedlichen Deutungen
der κτίσις von Röm 8,18–22 s. etwa Cranfield, The Epistle to the Romans I (s. Anm. 21), 411 f.
36 Zu der Personifikation der vernunftlosen Schöpfung vgl. die Analogien in alttestamentli-

chen Texten wie Ps 19(18),2; 69(68),35; 98(97),8; 114(113),4.6; Hi 12,7 f.; Jes 14,8; 49,13; 55,12.
S. auch 4 Esr 10,9.
37 ἡ γὰρ ἀποκαραδοκία τῆς κτίσεως τὴν ἀποκάλυψιν τῶν υἱῶν τοῦ θεοῦ ἀπεκδέχεται. – In

V. 19 stehen die Worte ἡ ἀποκαραδοκία τῆς κτίσεως metonymisch für ἡ ἀποκαραδοκοῦσα
κτίσις; s. Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 185 s. v. ἀποκαραδοκία.
38
 Weil das am Anfang des V. 21 stehende ὅτι kausale Bedeutung hat (s. u. Anm. 53), ist am
Ende des V. 20 – gegen Nestle / ​Aland, Novum Testamentum Graece²⁷ – hinter ἐφ’ ἑλπίδι ein
Kolon zu setzen.
98 Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs

V. 20 beginnt mit der Feststellung: „Denn der ματαιότης – der Nichtigkeit – ist
die Schöpfung unterworfen worden.“ Dem Sprachgebrauch einiger Septuaginta-
Psalmen39 entsprechend bezeichnet das Wort ματαιότης an unserer Stelle die
„Nichtigkeit“ im Sinne der Vergänglichkeit und der Todverfallenheit.40 Die
Aussage, daß die Schöpfung der ματαιότης „unterworfen worden ist“, wird in
der Exegese zumeist dahingehend interpretiert, daß das Prädikat ὑπετάγη als
ein Passivum divinum das Handeln Gottes umschreibt. Zwingend ist ein solches
Verständnis des Passivs jedoch nicht. Die Worte τῇ ματαιότητι ἡ κτίσις ὑπετάγη
könnten sehr wohl einfach nur den Tatbestand zum Ausdruck bringen, daß die
Schöpfung der Nichtigkeit unterworfen worden ist.
Ehe Paulus den Hauptsatz zuende führt, fügt er zunächst eine gewichtige
Zwischenbemerkung ein: Die außermenschliche Schöpfung ist der Nichtigkeit
„nicht aus freien Stücken (d. h. nicht durch eigene Schuld41), sondern διὰ τὸν
ὑποτάξαντα“ unterworfen worden. Wie die Worte διὰ τὸν ὑποτάξαντα zu über-
setzen sind und wer hier mit dem ὑποτάξας gemeint ist, das ist in der Exegese
nach wie vor umstritten. Die Mehrheit der Ausleger übersetzt: „durch den, der
sie unterworfen hat“42 und deutet den ὑποτάξας auf Gott. Die Schwierigkeit
dieser Deutung liegt allerdings darin, daß kausales διά c. acc. – im Unterschied
zu kausalem διά c. gen. – nicht den Urheber bezeichnet.43 Nach den Regeln der
Grammatik44 bedeutet διά mit Akkusativ der Person vielmehr „wegen jeman-
des“ / ​„um jemandes willen“,45 so daß die Worte διὰ τὸν ὑποτάξαντα auf jeden

39
 S. besonders Ψ 38,6b und Ψ 143,4, aber auch Ψ 61,10 sowie μάταιος Ψ 88,48b (vgl. V. 49).
40
 So versteht den Text mit Recht bereits Johannes Chrysostomus, In Epistolam ad Romanos
Homiliae XIV 5, zu Röm 8,20 (PG 60, 530): Τί ἐστι, Τῇ ματαιότητι ἡ κτίσις ὑπετάγη; Φθαρτὴ
γέγονε.
41
 O. Michel, Der Brief an die Römer (KEK 4), Göttingen ¹⁴1978, 267 bestimmt οὐχ ἑκοῦσα
zutreffend als „nicht schuldhaft, sondern schicksalhaft“.
42
 In diesem Sinn z. B. auch Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 363 s. v. διά B.II.4: „durch den,
der sie unterstellt hat“.
43
 Gegen Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, ebd. Die Angaben dort sind m. E. unzutreffend.
Was die unter 4.a verzeichneten Belegen für διά mit Akkusativ der Sache anlangt, so ist die
Bedeutung: „dank“ (2 Makk 12,11), „wegen“ (Arist 77), „kraft“ (Apk 12,11), „aufgrund“ (Apk
13,14). Zu den unter 4.b genannten Belegen für διά mit Akkusativ der Person (Aristophanes,
Plut 468 [korrekt: 470]; Dionysius Halicarnassensis, Ant Rom VIII 33,3; Plutarch, Alex 368
[korrekt: 668]; Aelius Aristides, Or 24,1 (Keil) = 44 (Dindorf); PGM 13,579; Arist 292; Sir 15,11;
3 Makk 6,36; Joh 6,57) s. u. Anm. 45.
44
 S. dazu G. B. Winer / ​G.  Lünemann, Grammatik des neutestamentlichen Sprachidioms,
Leipzig ⁷1867, 372 f.; R. Kühner / ​B.  Gerth, Ausführliche Grammatik der griechischen Spra-
che II: Satzlehre, Bd. 1, Hannover  – Leipzig ³1898 =  Hannover 1976, 484 f. (§ 434, II.2b);
E. Schwyzer  / ​A.  Debrunner, Griechische Grammatik II: Syntax und syntaktische Stilistik,
München 1950 = ⁴1975, 453; H. W. Smyth / ​G. M.  Messing, Greek Grammar, Harvard 1984,
375 (§ 1685, 2b). Zur präzisen Unterscheidung von kausalem διά c. gen. und διά c. acc. s.
Kühner / ​Gerth, ebd., 485 Anm.; Smyth / ​Messing, ebd. (§ 1685, 2d).
45
 Dabei sind vor allem die folgenden Nuancen zu notieren: „auf Veranlassung jemandes“
(Aristophanes, Plut 145; Sap 16,7; Sir 15,11; Arist 292; PGM 13,579), „durch die Schuld je-
mandes“ (Xenophon, An VI 6,23; Demosthenes, Or VI 34; XVIII 49 (διά γ’ ὑμᾶς αὐτούς);
Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs 99

Fall so übersetzt werden müssen: „um dessen willen, der sie unterworfen hat“.
Auch dann ist die Deutung auf Gott nicht ausgeschlossen.46 Wahrscheinlicher
aber dürfte es sein, daß die Worte den meinen, der den Anlaß zum ὑποταγῆναι
gegeben hat bzw. die Schuld an dem ὑποταγῆναι trägt. Paulus würde dann
entweder von Adam oder aber von dem Menschen schlechthin sprechen.47 Wie
immer man hier entscheiden mag, so kann doch eines nicht fraglich sein: Der
Apostel nimmt an unserer Stelle auf die alttestamentliche Erzählung vom Sün-
denfall (Gen 3) Bezug, wobei er einer Interpretation der Verse Gen 3,17–19 ver-
pflichtet ist, der wir in Texten des antiken Judentums begegnen.48 Danach hatte
der Fall des ersten Menschen Adam verhängnisvolle Folgen für die ganze außer-
menschliche Schöpfung: Sie wurde durch ihn in das Verderben mit hineinge-
zogen, indem sie ihren paradiesischen Zustand verlor und die Vergänglichkeit als
ihre Signatur empfing.49 Diese Sicht hat ihre Voraussetzung in der Überzeugung,
daß die den Menschen umgebende Schöpfungswelt um des Menschen willen
geschaffen wurde50 und deshalb in einer unlöslichen Schicksalsgemeinschaft
mit ihm verbunden ist.
Auf die Zwischenbemerkung folgen als Abschluß des Satzes τῇ γὰρ ματαιότητι
ἡ κτίσις ὑπετάγη die Worte ἐφ’ ἑλπίδι, für die sich die Übersetzung „nicht ohne

2 Makk 6,25; 7,18; Sir 22,26; 25,24), „durch das Verdienst jemandes“ (Platon, Gorg 515e;
Jdt 11,7; 4 Makk 18,4), „dank jemandes“ (Sophokles, Oed Col 1129; Thukydides, Hist I 41,2;
Aristophanes, Plut 130.160.470; Xenophon, An V 8,13; VII 6,33; 7,7; Cyrop V 2,35; Platon, Gorg
520c; Cratyl 403d; Demosthenes, Or XVIII 49 (διὰ τοὺς πολλούς). 249; XXXII 8; Dionysius
Halicarnassensis, Ant Rom VIII 33,3; Plutarch, Alex 8,4 (668); Amat 13; Aelius Aristides, Or
24,1 (Keil) = 44 (Dindorf); Longus, Daphnis et Chloë II 30,4), „durch die Hilfe / ​den Beistand
jemandes“ (Lysias, Or XII 58; Xenophon, Mem III 3,15; 3 Makk 6,36). – Die Bedeutung „um
willen“ liegt auch in Joh 6,57 vor: καθὼς ἀπέστειλέν με ὁ ζῶν πατὴρ κἀγὼ ζῶ διὰ τὸν πατέρα,
καὶ ὁ τρώγων με κἀκεῖνος ζήσει δι’ ἐμέ. Gemeint ist: Jesus lebt, weil der Vater lebt, und ebenso
wird der an Jesus Glaubende leben, weil Jesus lebt (zu der zweiten Aussage vgl. Joh 14,19b).
46 So findet sich etwa bei Winer / ​L ünemann (s. Anm. 44), 373 Anm. 2 die Übersetzung

„um des Unterwerfenden willen“, und die Erklärung lautet dann: „auf den Wink und Befehl
Gottes“. S. ferner z. B. P. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer (NTD 6), Göttingen ²(¹⁵)1998,
120.122.
47
 Zur Deutung auf Adam s. etwa H. Schlier, Der Römerbrief (HThK VI), Freiburg  –
Basel – Wien 1977, 261; Weder, Geistreiches Seufzen (s. Anm. 1), 250 mit Anm. 9. Die Deu-
tung auf den Menschen vertritt bereits Johannes Chrysostomus, In Epistolam ad Romanos
Homiliae XIV 5, zu Röm 8,20 (s. Anm. 40); s. ferner etwa Th. Zahn, Der Brief des Paulus an
die Römer (KNT 6), Leipzig ¹.²1910, 402; A. Jülicher, Der Brief an die Römer (in: SNT 2),
Göttingen ³1917, 284; Balz, Heilsvertrauen und Welterfahrung (s. Anm. 1), 41; D. Zeller, Der
Brief an die Römer (RNT), Regensburg 1984, 149.162.
48
 4 Esr 7,11 f.; syrBar 56,5 f.; LibAnt 37,3; GenR 12,5 zu 2,4; s. auch Jub 3,25.
49 Vgl. dazu W. Harnisch, Verhängnis und Verheißung der Geschichte. Untersuchungen

zum Zeit- und Geschichtsverständnis im 4. Buch Esra und in der syr. Baruchapokalypse
(FRLANT 97), Göttingen 1969, 106–120.
50
 S. dazu 4 Esr 8,1.44; syrBar 14,17 f. und vgl. auch die rabbinischen Aussagen bei P. Biller­
beck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch III, München 1926 = ²1954,
249 f. unter d.
100 Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs

Hoffnung“ empfiehlt.51 Die Unterwerfung unter die Vergänglichkeit ist, wie da-
durch betont wird, keineswegs ein definitives Geschehen, sondern es gibt für die
Schöpfung objektiv eine „Hoffnung“.52 Daß diese Hoffnung – nicht anders als
die dann in V. 24 erwähnte Hoffnung der Glaubenden – im Christusgeschehen
ihr Fundament hat, ergibt sich aus V. 21, der die Worte ἐφ’ ἑλπίδι begründet und
erläutert.53 Auch hier muß ich zunächst den griechischen Text zitieren und ihn
durch einige sprachliche Hinweise erläutern. Paulus schreibt: ὅτι καὶ αὐτὴ ἡ
κτίσις ἐλευθερωθήσεται ἀπὸ τῆς δουλείας τῆς φθορᾶς εἰς τὴν ἐλευθερίαν τῆς
δόξης τῶν τέκνων τοῦ θεοῦ. Die sprachliche Schwierigkeit des Satzes liegt in
den beiden Syntagmata ἡ δουλεία τῆς φθορᾶς und ἡ ἐλευθερία τῆς δόξης τῶν
τέκνων τοῦ θεοῦ, die einer genauen Bestimmung bedürfen. Da das Syntagma
ἡ δουλεία τῆς φθορᾶς den Worten τῇ ματαιότητι ὑπετάγη von V. 20 korrespon-
diert, dient der Genitiv τῆς φθορᾶς der näheren qualitativen Kennzeichnung der
δουλεία,54 und das Syntagma bezeichnet demzufolge „die Versklavung unter die
Vergänglichkeit“. Was dann die Worte ἡ ἐλευθερία τῆς δόξης τῶν τέκνων τοῦ
θεοῦ betrifft, so ist ἡ ἐλευθερία Gegenbegriff zu ἡ δουλεία und entsprechend ἡ
δόξα τῶν τέκνων τοῦ θεοῦ Gegenbegriff zu ἡ φθορά. Von daher liegt es nahe,
in der Genitivverbindung τῆς δόξης τῶν τέκνων τοῦ θεοῦ eine nähere Kenn-
zeichnung der ἐλευθερία zu erblicken und den gesamten Ausdruck ἡ ἐλευθερία
τῆς δόξης τῶν τέκνων τοῦ θεοῦ auf die „Freiheit“ von der Vergänglichkeit zu
deuten, „die mit der Herrlichkeit der Kinder Gottes gegeben sein wird“.55 Auf-
grund der sprachlichen Erwägungen kann V. 21 dann etwa folgendermaßen wie-
dergegeben werden: „Denn auch die Schöpfung selbst wird befreit werden von
der Versklavung unter die Vergänglichkeit [und so] zu der Freiheit [gelangen],
die den Kindern Gottes mit der Herrlichkeit zuteil werden wird.“ Liest man den
Vers so, dann ist der Gedanke nicht der, daß die außermenschliche Schöpfung
an der Herrlichkeit der Kinder Gottes Anteil haben wird, sondern Paulus betont,
daß die Schöpfung in dem Augenblick von der „Versklavung unter die Vergäng-
51
 Zutreffend Zahn, Der Brief des Paulus an die Römer (s. Anm. 47), 403: „unter Vor-
handensein von Hoffnung“.
52
 Vgl. dazu Hi 14,7a LXX: ἔστιν δένδρῳ ἐλπίς „für einen Baum gibt es Hoffnung“.
53
 Die am Anfang des V. 21 stehende Konjunktion ὅτι hat nicht explikative („daß“), sondern
kausale Bedeutung („denn“; vgl. dazu Blass / ​Debrunner / ​Rehkopf, Grammatik § 456,1;
Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 1193 s. v. ὅτι 3.b). Der Vers gibt also nicht den Inhalt der in
V. 20 erwähnten Hoffnung an, er begründet vielmehr das ἐφ’ ἑλπίδι von V. 20. Der richtigen
Erkenntnis, daß es sich um ein kausales ὅτι handelt, verdankt sich die sekundäre Lesart διότι
(‫ א‬D* F G 945).
54 Der Genitiv τῆς φθορᾶς ist also nicht ein Genitivus epexegeticus zu δουλεία, was bedeuten

würde, daß die δουλεία der Schöpfung in der „Vergänglichkeit“ besteht. Zur Fülle der Möglich-
keiten des qualifizierenden Genitivgebrauchs s. Kühner / ​Gerth, Ausführliche Grammatik
der griechischen Sprache II/1 (s. Anm. 44), 335 f. (§ 414,4).
55
 Vgl. die Übersetzung von H. Menge, Das Neue Testament, Stuttgart ¹¹1949, 241: Die
Schöpfung wird befreit werden „zur (Teilnahme an der) Freiheit, welche die Kinder Gottes im
Stande der Verherrlichung besitzen werden“. Ebensowenig wie τῆς φθορᾶς ist auch τῆς δόξης
ein Genitivus epexegeticus.
Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs 101

lichkeit“ befreit werden wird, in dem die Kinder Gottes die δόξα und mit ihr die
Freiheit von der sie jetzt noch zeichnenden Sterblichkeit empfangen.
In V. 22 schlägt Paulus den Bogen zu V. 19 zurück: „Wir wissen also, daß die
ganze Schöpfung insgesamt seufzt und in Wehen liegt bis zu dieser Stunde.“56
Da von den Glaubenden erst in dem dann folgenden Satz (V. 23) die Rede sein
wird, kann die Aussage des V. 22 nicht die sein, daß die Schöpfung zusammen
mit ihnen „seufzt und in Wehen liegt“. Das Präfix συν- in den beiden Verben
συστενάζειν und συνωδίνειν hebt vielmehr im Sinn des Adverbs συμφώνως57
darauf ab, daß die gesamte außermenschliche Schöpfung in allen Bereichen
sehnsüchtig ihrer Befreiung entgegendrängt und mit Schmerzen ihrer Erneue-
rung harrt – und zwar deshalb, weil Gott ihr ein Ende des Todesverhängnisses
bestimmt hat. Daß es so mit der Schöpfung steht, das ist allerdings nicht ein-
fach an ihr selbst abzulesen, ist deshalb auch nicht eine jedermann zugäng-
liche Erkenntnis. Allein der Glaube „weiß“ darum – in jenem Wissen, das Gott
den Glaubenden durch seinen Geist schenkt.58 Das Wissen aber, das der Geist
schenkt, ist allemal die Erkenntnis dessen, was im Christusgeschehen grund-
gelegt ist.
Mit V. 23 richtet Paulus den Blick wieder ganz auf die Glaubenden. Den
Übergang markiert die Ellipse οὐ μόνον δέ,59 die besagt, daß sich nicht nur
die Schöpfung unter Seufzen nach ihrer Befreiung sehnt. „Sondern“ – so fährt
Paulus fort  – „auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe besitzen,
auch wir selbst seufzen in unserem Innern, da wir die Kindschaft erwarten, [das
heißt:] die Erlösung unseres Leibes.“60 Mit diesen Worten wird aufgenommen,
was bereits in Röm 8,15–17 gesagt war: Als solche, die den Heiligen Geist emp-
fangen haben, wissen die Glaubenden, daß sie „Kinder“ Gottes und somit auch
„Erben“ der zukünftigen Herrlichkeit sind. Eben deshalb strecken sie sich in
sehnsüchtiger Erwartung nach der „Kindschaft“ aus61  – danach also, daß sie
die δόξα empfangen und damit sichtbar als Kinder Gottes offenbar werden.62
Im Blick auf dieses „Offenbarwerden“ spricht Paulus von der „Erlösung des

56 οἴδαμεν γὰρ ὅτι πᾶσα ἡ κτίσις συστενάζει καὶ συνωδίνει ἄχρι τοῦ νῦν. – Zu folgerndem

γάρ (= „also“) s. Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 305 s. v. 3.


57 So mit Recht bereits Theodor von Mopsuestia; s. K. Staab, Pauluskommentare aus der

griechischen Kirche, Münster ²1984, 139.


58
 Vgl. οἴδαμεν Röm 8,28; 2 Kor 5,1 sowie εἰδότες Röm 6,9; 2 Kor 4,14; Gal 2,16.
59
 Vgl. dazu Röm 5,3.11; 9,10; 2 Kor 8,19.
60 (οὐ μόνον δέ,) ἀλλὰ καὶ αὐτοὶ τὴν ἀπαρχὴν τοῦ πνεύματος ἔχοντες, ἡμεῖς καὶ αὐτοὶ ἐν

ἑαυτοῖς στενάζομεν υἱοθεσίαν ἀπεκδεχόμενοι, τὴν ἀπολύτρωσιν τοῦ σώματος ἡμῶν. – In dem
Ausdruck ἡ ἀπαρχὴ τοῦ πνεύματος ist τοῦ πνεύματος ein Genitivus appositivus, nicht dagegen
ein Genitivus partitivus.
61
 Der Sinn ist also nicht: Obwohl die Glaubenden den Geist als Erstlingsgabe besitzen,
seufzen sie in der Erwartung der noch zukünftigen δόξα.
62
 Der Ausdruck υἱοθεσία steht in V. 23 metonymisch für ἡ ἀποκάλυψις τῆς υἱοθεσίας und
entspricht dem in V. 19 begegnenden Ausdruck ἡ ἀποκάλυψις τῶν υἱῶν τοῦ θεοῦ.
102 Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs

Leibes“.63 Gemeint ist – den Aussagen von Röm 8,10 f. entsprechend – die Ver-
wandlung bzw. Umgestaltung des noch sterblichen Leibes in den neuen, nicht
mehr vom Tod gezeichneten Leib.64 Die sehnsüchtige Erwartung der Glauben-
den gilt also der Auferstehung der Toten als dem definitiven Ende der Todes-
herrschaft. Auf das Fundament dieser Erwartung verweist Paulus in V. 24a: τῇ
γὰρ ἐλπίδι ἐσώθημεν – „Denn zu solcher Hoffnung sind wir gerettet worden.“
Das Passivum divinum ἐσώθημεν bezieht sich auf die „in Christus Jesus ge-
schehene Erlösung“ (Röm 3,24), und τῇ ἐλπίδι dürfte als ein Dativus finalis
zu lesen sein.65 Die Worte τῇ γὰρ ἐλπίδι ἐσώθημεν besagen demnach, daß die
Hoffnung auf die „Erlösung des Leibes“ eine wesentliche Konsequenz der im
Christusgeschehen erfolgten Rettung ist und daß sie in ihm ihren festen Grund
hat. V. 24b führt den Gedanken weiter: „Hoffnung aber, deren Gegenstand man
sieht, ist nicht Hoffnung; denn wer hofft auf das, was er sieht?“66 Hoffnung – so
wird hier gesagt – ist ihrem Wesen nach auf Unsichtbares bezogen. Was das für
die Hoffnung der an Christus Glaubenden bedeutet, bringt V. 25 zum Ausdruck:
„Wenn wir aber (sc. wie es der Fall ist) auf das hoffen, was wir nicht sehen, dann
erwarten wir es in Geduld.“67 Paulus weiß sehr nüchtern, daß die Hoffnung auf
die zukünftige Herrlichkeit keinen Anhalt an der sichtbaren und gegenwärtig
erfahrbaren Wirklichkeit hat. Da aber der Gegenstand der Hoffnung im Christus-
geschehen begründet und durch das Zeugnis des Geistes Gottes zuverlässig
verbürgt ist, gilt dem Apostel die Ausrichtung auf das Unsichtbare gerade nicht
als etwas Problematisches, sondern im Gegenteil als etwas in jeder Hinsicht
Positives. V. 25 kann deshalb nicht besagen: Weil die Glaubenden die erhoffte
zukünftige Herrlichkeit noch nicht sehen, deshalb bleibt ihnen nur das geduldige
Warten. Der Sinn ist vielmehr: Weil sich die Hoffnung der Glaubenden auf das
Unsichtbare richtet, auf das allein ihre Hoffnung mit Grund bezogen sein kann,
gerade deshalb strecken sie sich in geduldigem Ausharren nach der Zukunft
63 Der Genitiv τοῦ σώματος V. 23b ist ein Genitivus objectivus, nicht dagegen ein Genitivus

separationis; die Worte ἡ ἀπολύτρωσις τοῦ σώματος meinen also nicht „die Erlösung von dem
Leib“.
64
 Vgl. zur Erwartung einer neuen Leiblichkeit 1 Kor 15,35–57; 2 Kor 5,1–5; Phil 3,20 f. und
auch Röm 8,29. In 2 Kor 5,2.4 begegnet wie in Röm 8,23 das Motiv des στενάζειν.
65
 So mit Recht E. Fuchs, Die Freiheit des Glaubens. Römer 5–8 ausgelegt (BEvTh 14),
München 1949, 110; s. auch die Übersetzung von τῇ γὰρ ἐλπίδι ἐσώθημεν bei A. Jülicher,
Der Brief an die Römer (s. Anm. 47), 283: „Hoffnung ist das Ziel unsrer Erlösung.“ Zum fi-
nalen Dativ vgl. bei Paulus Gal 5,1: τῇ ἐλευθερίᾳ ἡμᾶς Χριστὸς ἠλευθέρωσεν = „damit wir die
Freiheit haben, hat Christus uns [sc. durch seinen Tod] frei gemacht“.
66 ἐλπὶς δὲ βλεπομένη οὐκ ἔστιν ἐλπίς· ὃ γὰρ βλέπει τίς ἐλπίζει; – Die von 𝔓⁴⁶ B* und ande-

ren Zeugen gebotene Frage ὃ γὰρ βλέπει τίς ἐλπίζει; dürfte die ursprüngliche Lesart darstellen.
Die von ‫א‬² A C Ψ 33 𝔐 u. a. bezeugte sekundäre Fassung lautet: ὃ γὰρ βλέπει τις, τί καὶ ἐλπίζει;
„denn wozu sollte einer auf das hoffen, was er sieht?“ (καὶ unterstreicht das Fragepronomen τί).
67
 εἰ δὲ ὃ οὐ βλέπομεν ἐλπίζομεν, δι’ ὑπομονῆς ἀπεκδεχόμεθα. – Die durch εἰ δέ eingeleitete
Protasis benennt (wie in Röm 6,8a) die reale Voraussetzung. Damit gewinnt der Bedingungssatz
kausalen Sinn. Zu der Möglichkeit einer kausalen Nuance bei Bedingungssätzen mit εἰ c. Ind.
s. Blass / ​Debrunner / ​Rehkopf, Grammatik § 372,1.
Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs 103

aus, die ihnen im Christusgeschehen eröffnet worden ist. Ihre beharrliche und
angespannte Erwartung entspricht damit der ἀποκαραδοκία der Schöpfung, die
Paulus in V. 19 beschrieben hat.

III

Als Resümee unserer exegetischen Überlegungen kann jetzt formuliert werden:


Den Ausführungen von Röm 8,18–25 zufolge gilt Gottes heilschaffendes Han-
deln nicht nur dem Menschen, sondern mit ihm zugleich der außermenschlichen
Schöpfung. Indem Gott im Christusgeschehen an dem von ihm abgefallenen und
deshalb dem Tod verfallenen Menschen festhält, hält er auch an der Schöpfung
fest, die durch Adams Fall unter das Verhängnis der Vergänglichkeit geraten ist.
Zur Heilsvollendung, bei der die Kinder Gottes das ewige Leben und somit die
ihnen bereits bei der Schöpfung zugedachte Herrlichkeit empfangen werden,
gehört deshalb unlöslich die Befreiung der Schöpfung von dem auf ihr lastenden
Todesverhängnis. Die Schöpfung ist also mit dem Menschen nicht nur in seinem
Verderben verbunden, sondern ebenso auch in seiner Erlösung.
Angesichts dieser Aussagen stellt sich die Frage nach dem Grund dafür, daß
Paulus in unserem Text so pointiert den Zusammenhang zwischen dem Men-
schen und der den Menschen umgebenden Schöpfungswelt herausstellt. Dieser
Grund dürfte nicht einfach in einem besonderen schöpfungstheologischen Inter-
esse zu suchen sein, das den Apostel dann auch dazu veranlaßt hätte, bestimm-
te frühjüdisch-apokalyptische Vorstellungen von der Schöpfung aufzunehmen.
Eine solche Erklärung würde ja schwerlich dem Tatbestand gerecht, daß die
Sätze über die außermenschliche Schöpfung fest in einen Kontext eingebettet
sind, in dem es um die durch Christus erlösten Menschen und ihre eschatologi-
sche Verherrlichung geht. Die Aussagen über die κτίσις stehen demnach ohne
jeden Zweifel im Dienst des soteriologischen Zeugnisses, das in den Versen
Röm 8,18–30 zur Sprache kommt.68 Wenn Paulus in diesem Kontext auf die
außermenschliche Schöpfung Bezug nimmt, dann ist darin jene Absicht zu
erkennen, die bereits bei der Exegese benannt wurde: Der Apostel will die alles
überragende Größe der δόξα aufzeigen, der die an Christus Glaubenden gerade
auch angesichts der leidvollen und bedrückenden Gegenwart entgegengehen.69
Der Hinweis auf die Schöpfung erläutert somit die Behauptung von V. 18, daß

68 Ethische Konsequenzen für das Verhalten der Christen gegenüber der sie umgebenden

Schöpfungswelt und hier insbesondere gegenüber den Tieren hat Paulus selbst schwerlich im
Blick. Dennoch wird die systematisch-theologische Reflexion über unseren Text solche Kon-
sequenzen zu bedenken und zu beschreiben haben. Ich verweise dazu insbesondere auf den in
Anm. 1 genannten Aufsatz von E. Gräßer.
69
 So bereits zutreffend Johannes Chrysostomus, In Epistolam ad Romanos Homiliae XIV 5,
zu Röm 8,19 (PG 60, 529): ἵνα τῶν μελλόντων ἀγαθῶν ἐνδείξηται τὴν ὑπερβολήν.
104 Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs

die „Leiden dieser Zeit“ in keinem Verhältnis stehen zu der zukünftigen Herr-
lichkeit und deshalb – aus der Perspektive der auf diese Zukunft ausgerichteten
Hoffnung gesehen – ihr gegenüber nicht ins Gewicht fallen.
Diese Feststellung muß nun aber noch durch eine weitere Überlegung vertieft
werden. Alles, was in Römer 8 gesagt wird, ist im Licht des Christusgeschehens
und mit dem Blick auf das in ihm eröffnete Heil gesagt.70 Das Kapitel beginnt
ja keineswegs zufällig mit der solennen Erklärung, daß aufgrund des Sühne-
todes Jesu Christi die zu ihm gehörenden Menschen von dem auf der Mensch-
heit lastenden Sünde-Tod-Zusammenhang befreit worden sind (V. 1–4), und es
schließt auch nicht zufällig mit dem betonten Hinweis auf die Liebe, die Gott den
Glaubenden im Christusgeschehen erwiesen hat (V. 39). Im einzelnen berühren
sich die Gedanken des 8. Kapitels des öfteren mit dem, was Paulus im 5. Kapitel
des Briefes dargelegt hat. Dort nun wird innerhalb des Abschnitts 5,12–21 eines
mehrfach mit besonderem Nachdruck herausgestellt: Dem Unheil, das durch
die Sünde Adams angerichtet wurde, steht in unvergleichlicher Überlegenheit
das Heil gegenüber, das durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi be-
wirkt worden ist.71 Während Adams Fall für die ganze von ihm herkommende
Menschheit den Sünde-Tod-Zusammenhang zur Folge hatte, bringt Christi
Heilstat die Aufhebung dieses Zusammenhangs – und zwar in der Weise, daß
die zu Christus Gehörenden mit dem ewigen Leben eine Herrlichkeit empfangen
werden, die niemals mehr durch Sünde und Tod bedroht sein wird. Die unver-
gleichliche Überlegenheit des Christusgeschehens liegt demnach darin, daß in
seiner Kraft definitiv das überwunden wird, was dem Schöpfungswillen Gottes
entgegensteht. Um genau diese Überlegenheit geht es letztlich auch in Römer
8. In Ergänzung zu dem in Römer 5 Gesagten schließt Paulus jetzt über die ada-
mitische Menschheit hinaus die ganze um des Menschen willen geschaffene und
ihm als Lebensraum bereitete Schöpfung in die Betrachtung mit ein. Auch an ihr
wird sich die Übermacht des Christusgeschehens erweisen – nämlich in der end-
gültigen Befreiung von der sie noch zeichnenden Vergänglichkeit. Die Aussagen
von Römer 5 und von Römer 8 sind so Ausdruck ein und derselben Gewißheit:
Wo die Sünde in ihrer unerhörten, weil Gottes Schöpfungswillen negierenden
Macht auf den Plan getreten ist, da hat und behält der Schöpfer das letzte Wort,
der das Werk seiner Hände nicht preisgibt. Sein Heilshandeln in Jesus Christus
bricht die alles vergiftende und zerstörende Macht des Todes – und dies sowohl
in der gesamten Menschenwelt (Röm 5) wie auch in der ganzen den Menschen
umgebenden Schöpfungswelt (Röm 8). So ist im Christusgeschehen in univer-
saler Weite der Sieg des Lebens über den Tod begründet, und in diesem Sieg
kommt Gottes Schöpfungswille zu seinem Ziel.

70
 S. die ausdrücklichen Bezugnahmen auf das Christusgeschehen in Röm 8,1–4.11.24a.32.34.
71
 Röm 5,15–17 und 5,20b.21.
„Fides ex auditu“
Verkündigung und Glaube nach Römer 10,4–17

Im zehnten Kapitel des Römerbriefs bringt Paulus in gewichtigen Ausführungen


den Zusammenhang von Verkündigung und Glaube wie auch die Beziehung
beider zu dem Christusgeschehen und dem in ihm begründeten Heil zur Sprache.
Diese Ausführungen sollen im Folgenden nach Gedankengang und Aussage
bedacht werden.1 Das Israel-Problem, dessen Erörterung die drei Kapitel Röm
9–11 gewidmet sind, bleibt dabei – von einigen wenigen Hinweisen abgesehen –
außer Betracht.2

Die Darlegungen von Röm 10 gliedern sich nach meinem Urteil im Großen in
die drei Abschnitte 10,1–3, 10,4–17 und 10,18–21. Der für das Textverständnis
höchst relevante V. 4 darf demnach nicht von V. 5–17 getrennt und unmittelbar
mit V. 1–3 verbunden werden,3 und die Verse 14–17 bilden keineswegs eine
feste Einheit mit V. 18–21, so daß zwischen V. 13 und V. 14 eine stärkere Zäsur
zu setzen wäre.4 Während Paulus sich in V. 1–3 und dann wieder in V. 18–215
1 Bestimmte Aspekte habe ich bereits in einer älteren Arbeit erörtert: O. Hofius, Wort Gottes

und Glaube bei Paulus, in: Ders., Paulusstudien (WUNT 51), Tübingen ²1994, 148–174. Das dort
Gesagte suche ich jetzt in einer Gesamtbetrachtung des Abschnitts Röm 10,4–17 weiterzuführen,
zu vertiefen und zu präzisieren. Da der begrenzte Umfang des Aufsatzes eine detaillierte Dis-
kussion mit der Sekundärliteratur nicht erlaubt, erfolgt die Auseinandersetzung mit anderen
Deutungen des Textes im wesentlichen implizit.
2
 Zu meinem Verständnis von Röm 9–11 insgesamt s. O. Hofius, Das Evangelium und Israel.
Erwägungen zu Römer 9–11, in: Ders., Paulusstudien (s. Anm. 1), 175–202; Ders., Zur Aus-
legung von Römer 9,30–33, in: Ders., Paulusstudien II (WUNT 143), Tübingen 2002, 155–166.
3
 Gegen Nestle / ​Aland, Novum Testamentum Graece²⁷ und nicht wenige Ausleger.  – Die
Zugehörigkeit des V. 4 zu V. 5–17 zeigt sich formal wie inhaltlich in der Aufnahme des Be-
griffs νόμος durch Μωϋσῆς V. 5 und in dem durchgehenden Rekurs auf die Worte παντὶ τῷ
πιστεύοντι: s. πᾶς ὁ πιστεύων V. 11 sowie ferner πᾶς V. 12 f. und πιστεύειν V. 9 f.14.16 / ​πίστις
V. 6.8.17.
4 Gegen Nestle / ​Aland, Novum Testamentum Graece²⁷ und die Mehrheit der Kommentare. –

Nur selten werden die Verse 14+15 noch zum Vorhergehenden und die Verse 16+17 dann zum
Folgenden gerechnet; so z. B. R. A. Lipsius, Briefe an die Galater, Römer, Philipper (HC 2)
Freiburg 1891, 154 f.; H. Lietzmann, An die Römer (HNT 8), Tübingen ³1928 = ⁵1971, 94.
5
 Der Abschnitt 10,18–21 wird durch ein – in V. 19 noch einmal wiederholtes – ἀλλὰ λέγω
eingeleitet. Zum Beginn eines neuen Abschnitts mit ἀλλά s. Röm 5,15; 1 Kor 15,35; 2 Kor 8,7;
Gal 4,8; Phil 1,18b, und zu dem argumentativen λέγω vgl. Röm 11,1.11.13.
106 „Fides ex auditu“

gezielt zu dem Problem äußert, das mit der Ablehnung des Evangeliums durch
die überwältigende Mehrheit Israels gegeben ist, handelt es sich in V. 4–17 um
eine grundsätzliche theologische Erörterung. So sehr diese durch das Israel-
Problem veranlaßt ist und es – wie insbesondere V. 16 zeigt – durchaus mit im
Blick hat, so sehr greift sie doch weit darüber hinaus. Sie ist von fundamentaler
Bedeutung für die paulinische Theologie überhaupt, weshalb J. Schniewind das
zehnte Kapitel des Römerbriefs mit gutem Grund als „das Wort-Gottes-Kapitel
κατ’ ἐξοχήν“ bezeichnet hat.6
Was nun die Ausführungen von Röm 10,4–17 anlangt, so läßt sich die fol-
gende Argumentationsstruktur wahrnehmen: Der Abschnitt wird in V. 4 durch
die Feststellung eröffnet: τέλος γὰρ νόμου Χριστὸς εἰς δικαιοσύνην παντὶ τῷ
πιστεύοντι – „Denn Christus ist das Ende des Gesetzes – zur Gerechtigkeit (d. h.
zum Heil) für jeden Glaubenden.“7 Diese Feststellung, die durch das in Röm
9,30–10,3 Gesagte und vor allem durch die in 10,3 erscheinende Opposition
von δικαιοσύνη τοῦ θεοῦ und ἰδία δικαιοσύνη veranlaßt ist, wird sodann in den
Versen 5–17 unter ständiger Bezugnahme auf das Zeugnis der Heiligen Schrift
Israels entfaltet und erläutert.8

II

Suchen wir nunmehr den Gedankengang von Röm 10,4–17 im einzelnen nach-
zuzeichnen, so ist zunächst der den Abschnitt eröffnende und in der Exegese
lebhaft umstrittene V. 4 zu bedenken.9 In ihm erscheint der für die paulinische
Rechtfertigungslehre zentrale Begriff der δικαιοσύνη, der das Heil bezeichnet.10
An unserer Stelle ist genauer noch die heilvolle, weil intakte Gottesbeziehung
gemeint, die einen Menschen schon jetzt in seinem Sein vor Gott bestimmt und
in der Zukunft die eschatologische Rettung, d. h. die Teilhabe am ewigen Leben
zur Folge hat.11 In den ersten acht Kapiteln des Römerbriefs hat Paulus darge-
legt, daß diese heilvolle Gottesbeziehung grundsätzlich nicht durch die gehor-
 6
 J. Schniewind, Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, Bonn 1910, 55.
 7
 Zur Begründung der Übersetzung, die Χριστός als Subjekt und τέλος νόμου als Prädikats-
nomen begreift, s. O. Hofius, Zu Römer 10,4: τέλος γὰρ νόμου Χριστός, in: Ders., Exegetische
Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 95–101.
 8
 Die einzelnen Schriftworte, die Paulus entweder wörtlich oder in freier Wiedergabe nach
der Septuaginta zitiert, werden im Folgenden jeweils durch Kursivdruck kenntlich gemacht.
 9 Zur näheren Begründung meiner Interpretation s. außer dem in Anm. 7 genannten Auf-

satz die folgenden Arbeiten: Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi, in: Paulusstudien
(s. Anm. 1), 50–74: 63–66; Gesetz und Evangelium nach 2. Korinther 3, ebd., 75–120: 110 f.
Anm. 217.
10
 S. dazu O. Hofius, „Rechtfertigung des Gottlosen“ als Thema biblischer Theologie, in:
Ders., Paulusstudien (s. Anm. 1), 121–147: 125 f.
11
 Vgl. zu dieser Nuance des absolut gebrauchten Begriffs [ἡ] δικαιοσύνη etwa Röm 4,3.5 f.;
5,17.21; 9,30 f.; 10,10; 1 Kor 1,30; Gal 2,21; 3,6.21; 5,5.
„Fides ex auditu“ 107

same Befolgung der Tora vom Sinai erworben, sondern einzig und allein als eine
von Gott unverdient gewährte Gabe empfangen werden kann. Die Möglichkeit
einer durch Toragehorsam gewonnenen heilvollen Gottesbeziehung, die demge-
mäß eine ἐκ νόμου δικαιοσύνη12 und eine ἰδία δικαιοσύνη13 wäre, verneint der
Apostel deshalb, weil nach seinem Urteil ausnahmslos alle Menschen – Juden
wie Heiden – von Adam her unter der Macht der Sünde stehen und als solche
zu dem von der Tora geforderten Gehorsam gegenüber Gott und seinem Willen
gänzlich unfähig sind.14 Dem Sünder, Gottlosen und Feind Gottes15 kann die
Tora kein Heil eröffnen, sondern sie kann ihn nur verklagen und unter das ver-
diente Gerichtsurteil Gottes stellen.16 Es ist die Tat der freien Gnade Gottes, daß
er sich dem vor der Tora verlorenen Menschen in seiner göttlichen Heilsmacht
heilschaffend zugewendet und ihm das Heil als eine von ihm, dem Geber, nicht
zu trennende Gabe bereitet hat und gewährt.17 Diese ἐκ θεοῦ δικαιοσύνη18 liegt
in der Heilstat des Todes und der Auferstehung Jesu Christi beschlossen, sie wird
im Evangelium als dem Heilswort Gottes bzw. Jesu Christi kundgegeben und
zugeeignet, und sie wird in dem durch das Evangelium gewirkten Glauben an
Jesus Christus und somit als ἐκ πίστεως δικαιοσύνη empfangen.19
Auf dem Hintergrund der skizzierten Sicht wollen die Aussagen von Röm
9,30–10,3 und somit auch die Verse Röm 10,2 f. verstanden sein. Paulus be-
zeugt den nicht an Christus glaubenden Juden in V. 2, daß sie „Eifer für Gott“
haben – und das heißt: daß sie mit ganzem Ernst nach dem Heil der intakten
Gottesbeziehung trachten. Die sogleich hinzugefügte Einschränkung ἀλλ’ οὐ
κατ’ ἐπίγνωσιν wird in V. 3 präzisiert: Sie erkennen nicht, daß Gott das Heil
im Christusgeschehen bereitet hat und daß es nur im Glauben an Christus als
seine Gabe empfangen werden kann, und suchen statt dessen das Heil auf dem
Weg des Toragehorsams als ἰδία δικαιοσύνη zu gewinnen und zu bewahren.20

12 Röm 10,5; Phil 3,9; auch Gal 3,21. Vgl. syrBar 67,6: zdjqwt’ dmn nmws’.
13 Röm 10,3. Der Ausdruck ἰδία δικαιοσύνη meint genau das, was Paulus in Phil 3,9 ἐμὴ
δικαιοσύνη ἡ ἐκ νόμου nennt: das heilvolle Gottesverhältnis dessen, der im Sinne von Röm
2,13 ein „Täter der Tora“ ist. Den negativen Klang, den nicht wenige Ausleger unterstellen, hat
der Ausdruck m. E. nicht.
14
 S. neben Röm 1,18–3,20 vor allem auch Röm 5,12–21; 7,7–25a; 8,6–8.
15 So die Kennzeichnung des von Adam herkommenden Menschen in Röm 5,6.8.10.
16
 Zur Begründung im einzelnen s. O. Hofius, „Werke des Gesetzes“. Untersuchungen zur
paulinischen Rede von den ἔργα νόμου, in: Ders., Exegetische Studien (s. Anm. 7), 49–88:
64–77.
17
 S. besonders Röm 1,16 f.; 3,21–30; 4,23–25; 5,1–11; 5,15–19.21; 8,9–11.28–30.31–39.
18
 So Phil 3,9. Um den Aspekt des ἐκ θεοῦ und um die durch Gottes heilsmächtige Zu-
wendung konstituierte heilvolle Relation zu ihm geht es wesentlich auch da, wo Paulus von der
δικαιοσύνη [τοῦ] θεοῦ spricht: Röm 1,17; 3,21 f.25 f.; Röm 10,3; 2 Kor 5,21.
19
 Der Begriff der ἐκ πίστεως δικαιοσύνη begegnet Röm 9,30; 10,6; s. daneben auch
[ἡ] δικαιοσύνη [τῆς] πίστεως Röm 4,11a.13 und δικαιοσύνη διὰ πίστεως Röm 3,22; Phil 3,9.
20
 Vgl. Röm 9,32a: Israel sucht das Heil οὐκ ἐκ πίστεως ἀλλ’ ὡς ἐξ ἔργων.
108 „Fides ex auditu“

Eben deshalb haben sie der δικαιοσύνη τοῦ θεοῦ die gehorsame Anerkennung
verweigert.21
Der Begründung und Erläuterung von V. 2 f. dient der Satz V. 4. Paulus wie-
derholt mit den Worten τέλος […] νόμου Χριστὸς εἰς δικαιοσύνην παντὶ τῷ
πιστεύοντι noch einmal in gedrängter Zusammenfassung, was er in Röm 3,21–
26 – im Anschluß an Röm 1,18–3,20! – ausführlicher dargelegt hat: Während die
Tora vom Sinai niemandem das Heil zu eröffnen vermag, sondern alle Menschen
unter das verdiente Todesurteil stellt, hat Gott den vor der Tora Verlorenen
in Christus das Heil bereitet, das einem jeden – er sei Jude oder Heide – διὰ
πίστεως Ἰησοῦ Χριστοῦ (3,22) zuteil wird.22 Χριστός als Subjekt des V. 4 meint
dementsprechend, wie dann durch Röm 10,6–10 bestätigt wird, den Mensch
gewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Christus, der das in der Tora zu
Recht über den Sünder ausgesprochene Todesurteil am Kreuz auf sich selbst
genommen hat;23 und daß er das τέλος νόμου ist, das bedeutet mithin, daß der
den Sünder verklagende und verurteilende νόμος im Christusgeschehen sein
„Ende“ gefunden hat – daß er hier zum Verstummen gebracht ist.24 Damit ist der
Bezug zu V. 2 f. deutlich: Das Bemühen um die ἰδία δικαιοσύνη ist deshalb ein
Eifer um Gott οὐ κατ’ ἐπίγνωσιν, weil hier beides nicht wahrgenommen wird: die
Heillosigkeit vor der richtenden Tora Gottes und die Bereitung und Gewährung
des Heils in dem rettenden Christusgeschehen.

III

Die Aussage von Röm 10,4 wird in den Versen Röm 10,5–17 entfaltet und erläu-
tert – und zwar unter Aufnahme dessen, was in der Formulierung des Römerbrief-
Themas Röm 1,16 f. über das εὐαγγέλιον gesagt war: δύναμις […] θεοῦ ἐστιν εἰς
σωτηρίαν παντὶ τῷ πιστεύοντι, Ἰουδαίῳ τε πρῶτον καὶ Ἕλληνι. δικαιοσύνη γὰρ
θεοῦ ἐν αὐτῷ ἀποκαλύπτεται ἐκ πίστεως εἰς πίστιν. Diese Worte sind im Römer-

21
 Dem οὐχ ὑπετάγησαν entspricht die Kennzeichnung als λαὸς ἀπειθῶν καὶ ἀντιλέγων
in Röm 10,21. Die in der Exegese verbreite Meinung, daß Paulus in Röm 10,2 f. im Ton der
Anklage von der Schuld der Juden rede und den Vorwurf erhebe, daß sie trotz der ihnen offen-
stehenden Möglichkeit des Glaubens das Evangelium ablehnen, vermag ich nicht für richtig zu
halten. Der Grund für das οὐχ ὑπετάγησαν liegt V. 3 zufolge im ἀγνοεῖν. Die Erkenntnis des
Heils aber ist nach Paulus die Gabe, mit der Gott selbst den Glauben wirkt (vgl. 1 Kor 1,18–2,16;
2 Kor 2,14; 4,6).
22 Daß Röm 10,4 eine sachliche Parallele zu dem darstellt, was in Röm 3,21–26 über die

im Christusgeschehen „offenbar“ gewordene δικαιοσύνη gesagt wird, zeigen nicht zuletzt die
folgenden Entsprechungen: τέλος νόμου 10,4 / ​χωρὶς νόμου 3,21; παντὶ τῷ πιστεύοντι 10,4 / ​εἰς
πάντας τοὺς πιστεύοντας 3,22.
23
 S. dazu Röm 8,1–4 sowie Gal 3,10–14; 4,4 f.
24
 C. L. W. Grimm, Lexicon Graeco-Latinum in libros Novi Testamenti, Gießen ⁴1888, 430b
s. v. τέλος 1.a bemerkt zutreffend: Als Prädikat zu Χριστός bedeutet τέλος soviel wie is qui finem
affert, und der Sinn der Worte τέλος νόμου Χριστός ist deshalb: finem legi attulit Christus.
„Fides ex auditu“ 109

brief zuvor zwar hinsichtlich der näheren Bestimmung von δικαιοσύνη θεοῦ und
πίστις, nicht aber unter dem Aspekt der Verkündigung expliziert worden.25 Das
geschieht erst jetzt im Anschluß an die apodiktische Aussage von Röm 10,4, weil
Paulus erklären will und muß, wie es zu dem Glauben kommt, von dem in Röm
1,16 f. und dann von Röm 3,21 an die Rede war. Die Verse Röm 10,5–17, deren
besonderes theologisches Gewicht damit sichtbar wird, lassen sich aufgrund
sprachlicher und gedanklicher Indizien in die beiden Teile V. 5–8 und V. 9–17
untergliedern.

1. Röm 10,5–8

Die Verse 5–8 nehmen die in V. 3 angesprochene Opposition von ἰδία δικαιοσύνη
und δικαιοσύνη τοῦ θεοῦ auf, indem sie der mit der ἰδία δικαιοσύνη identi-
schen δικαιοσύνη ἡ ἐκ [τοῦ] νόμου (V. 5) in einer klaren Antithese die mit der
δικαιοσύνη τοῦ θεοῦ identische ἐκ πίστεως δικαιοσύνη (V. 6–8) gegenüber-
stellen. Was von der einen und der anderen δικαιοσύνη gilt, wird dabei jeweils
anhand eines Schriftzitats aufgezeigt.
V. 5 erläutert unter Hinweis auf Lev 18,5 das in V. 4 vorausgesetzte Urteil, daß
es für keinen Menschen eine δικαιοσύνη ἐκ [τοῦ] νόμου gibt: „Mose nämlich
schreibt von dem Heil, das aus der Tora [erlangt wird]: ‚Wer sie (sc. alle An-
ordnungen und Rechtsbestimmungen) getan hat, wird durch sie (d. h. durch
ihre Befolgung) das Leben haben‘.“26 Nach der Überzeugung des Apostels gibt
Mose als Repräsentant der Tora vom Sinai27 mit den Worten von Lev 18,5
„eine Beschreibung, ja eine Definition der δικαιοσύνη ἐκ νόμου“.28 Die Lebens-
zusage deutet Paulus dabei in Übereinstimmung mit manchen frühjüdischen

25
 Diese Beobachtung wird nicht dadurch relativiert, daß Aussagen wie Röm 5,1 f.5b.11b.17b;
9,1–5.30–33 das Faktum der ergangenen Evangeliumspredigt voraussetzen und Paulus mit den
Worten τύπος διδαχῆς Röm 6,17 auf das Evangelium hinweisen dürfte. Als kennzeichnend
dafür, daß die Verkündigung des Evangeliums vor Röm 10 kein eigenes Thema ist, kann der
folgende terminologische Befund gelten: εὐαγγέλιον (1,1.9.16) begegnet – von der knappen No-
tiz in 2,16 abgesehen – erst wieder in 10,16 (danach noch in 11,28; 15,16.19) und εὐαγγελίζεσθαι
(1,15) erst wieder in 10,15 (danach noch in 15,20). Daß κηρύσσειν = „verkündigen“ (10,8.14 f.)
und ἀκοή = „Predigt“ / ​„Verkündigung“ (10,16 f.) überhaupt erstmals in Röm 10 erscheinen, ist
ebenfalls beachtenswert.
26 Mit Nestle / ​Aland, Novum Testamentum Graece²⁷ setze ich als ursprüngliche Lesart vor-

aus: Μωϋσῆς γὰρ γράφει τὴν δικαιοσύνην τὴν ἐκ [τοῦ] νόμου ὅτι ὁ ποιήσας αὐτὰ ἄνθρωπος
ζήσεται ἐν αὐτοῖς. Paulus zitiert nur Lev 18,5b, er hat aber, wie das durch ἐν αὐτοῖς wieder
aufgenommene Akkusativobjekt αὐτά zeigt, Lev 18,5a.b insgesamt vor Augen: φυλάξεσθε
πάντα τὰ προστάγματά μου καὶ πάντα τὰ κρίματά μου καὶ ποιήσετε αὐτά, ἃ ποιήσας ἄνθρωπος
ζήσεται ἐν αὐτοῖς.
27
 Vgl. 2 Kor 3,15.
28
 D.-A. Koch, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung
und zum Verständnis der Schrift bei Paulus (BHTh 69), Tübingen 1986, 294.
110 „Fides ex auditu“

Auslegern29 auf das ewige Leben. Er entnimmt somit dem Schriftzitat, daß die
Tora die δικαιοσύνη und von daher auch die Erlangung des ewigen Lebens
an den vollkommenen, umfassenden und ganzheitlichen Toragehorsam bindet.
Angesichts des Tatbestandes, daß in der von Adam herkommenden Menschheit
prinzipiell niemand diesen Gehorsam aufzuweisen vermag, kann der Apostel
Lev 18,5 nur als Gerichts- und Todesurteil über alle Menschen begreifen.30
Die durch ein adversatives δέ angeschlossenen Verse 6–8 erläutern, was in
V. 4 ausdrücklich gesagt war: daß in Christus für einen jeden Glaubenden das
Heil beschlossen liegt: „[6] Das aus Glauben [empfangene] Heil dagegen sagt
so: Du mußt nicht denken31: ‚Wer wird in den Himmel hinaufsteigen?‘ – nämlich:
um Christus herabzuholen, [7] oder: ‚Wer wird in die Unterwelt hinabsteigen?‘ –
nämlich: um Christus von den Toten heraufzuholen. [8] Sondern was sagt es?
[Dies:] ‚Nahe ist dir das Wort in deinem Munde und in deinem Herzen‘ – näm-
lich: das Glauben wirkende Wort, das wir verkündigen.“ Bei dem von Paulus
angeführten Schriftzeugnis handelt es sich formal um ein Zitatenfragment aus
Dtn 30,11–14, dem er die Worte μὴ εἴπῃς ἐν τῇ καρδίᾳ σου aus Dtn 8,17 bzw.
Dtn 9,4 vorangestellt und zu dem er dreimal seine durch τοῦτ’ ἔστιν eingeleitete
exegetische Deutung hinzugefügt hat.32 Wenn er den zitierten Deuteronomium-
Text der ἐκ πίστεως δικαιοσύνη zuschreibt, so begreift er ihn nicht als Wort der
Tora, sondern als Wort der Verheißung.33 Daß nach der das Zitat einführenden
Formulierung die ἐκ πίστεως δικαιοσύνη selbst redet, ist mit dem Hinweis
auf die Figur der Personifikation34 noch keineswegs hinreichend erklärt. Man
wird hier vielmehr mit J. A. Bengel eine Metonymie erkennen dürfen,35 im
Unterschied zu ihm allerdings eher an eine Geber-Gabe-Metonymie zu denken
haben: Paulus hört in dem von ihm zitierten und kommentierten Wort der Schrift

29
 TargOnq Lev 18,5; TargPsJon Lev 18,5; SifraLev, ’ḥrj mwt paraša IX 10 zu 18,5 (85d
Weiss).
30 Vgl. Gal 3,12 mitsamt V. 10 f.
31
 Zu λέγειν ἐν τῇ καρδίᾳ = „denken“ vgl. etwa Ψ 9,32; 13,1; 34,25; Mt 24,48 par. Lk 12,45;
Apk 18,7.
32
 Zu V. 7 vertreten nicht wenige Exegeten die Ansicht, daß auf die Formulierung der dort
zitierten Frage (τίς καταβήσεται εἰς τὴν ἄβυσσον;) die Stelle Ψ 106,26 eingewirkt hat. Sicher
ist das jedoch nicht. Paulus könnte vielmehr einer Auslegungstradition verpflichtet sein, die
in TargN Dtn 30,13 ihren Niederschlag gefunden hat, wo es heißt: „Hätten wir doch jemanden
wie den Propheten Jona, der hinabgestiegen ist in die Tiefen des Großen Meeres.“ Wie die An-
spielung auf Jon 2,3–10 zeigt, ist mit den „Tiefen des Großen Meeres“ die ἄβυσσος gemeint.
33 Zu der für die paulinische Schrifthermeneutik grundlegenden Unterscheidung zwischen

Verheißung (ἐπαγγελία) und Gesetz (νόμος) s. Gal 3,6–4,7; 4,21–31. Weshalb Paulus in Dtn
30,11–14 ein Wort der Verheißung hört, erklärt überzeugend H.-J. Eckstein, „Nahe ist dir das
Wort“. Exegetische Erwägungen zu Röm 10,8, in: Ders., Der aus Glauben Gerechte wird leben.
Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments (BVB 5), Münster 2003, 55–72.
34
 So z. B. E. W. Bullinger, Figures of Speech Used in the Bible, London 1898 = Grand
Rapids, MI ⁹1982, 867 und nicht wenige Kommentare.
35
 J. A.  Bengel, Gnomon Novi Testamenti (³1773), hg. v. P. Steudel, Stuttgart ⁸1891, 596:
Metonymia suavissima: i. e. homo justitiam ex fide quaerens.
„Fides ex auditu“ 111

die Stimme dessen, der die ἐκ πίστεως δικαιοσύνη gewährt.36 Wie der Apostel
das Wort inhaltlich versteht, ist evident. V. 6 f. besagt zunächst: Das Heil muß
nicht erst vom Menschen durch eigenes Bemühen und also als ἰδία δικαιοσύνη
gesucht und erworben werden, sondern es ist schon von Gott bereitet – darin, daß
Christus vom Himmel herabgekommen und nach seinem Kreuzestod von den
Toten auferstanden ist.37 Wie das in Christus beschlossene Heil dem Menschen
zukommt, beschreibt sodann V. 8:38 Es ist präsent in dem nahen Wort, das
Paulus und die anderen Apostel verkündigen,39 und es wird zugeeignet, indem
dieses Wort Herz und Mund der Hörer erreicht und in ihnen den Glauben wirkt,
der Gottes Gabe ergreift. Da als Objekt von κηρύσσειν und seinen Synonymen
an anderen Stellen der Paulusbriefe das Evangelium erscheint,40 kann nicht
zweifelhaft sein, daß mit dem ῥῆμα τῆς πίστεως eben jenes εὐαγγέλιον gemeint
ist, von dem in V. 16 die Rede ist. Der Genitiv τῆς πίστεως nennt – wie durch
V. 17 bestätigt wird – die Gabe und Wirkung des ῥῆμα, so daß der Ausdruck τὸ
ῥῆμα τῆς πίστεως nur die Übersetzung „das Glauben wirkende Wort“ zuläßt.41
Die Aussage von Röm 10,5–8 kann jetzt so zusammengefaßt werden: Während
aus dem Gesetz niemand das Heil der intakten Gottesbeziehung zu gewinnen
vermag, hat Gott es in Christus als dem bereitet und gewährt, der zur Erlösung
der verlorenen Menschen vom Himmel gekommen, gestorben und auferstanden
ist. Christus aber ist gegenwärtig in dem Evangelium, das die Apostel verkündi-
gen und das als das nahe Wort ihn und sein Heil erschließt und so den rettenden
Glauben an ihn schafft.

36
 Vgl. Hebr 12,5: ἡ παράκλησις steht für den die παράκλησις (d. h. den Zuspruch) gewäh-
renden Gott. – Daß die ἐκ πίστεως δικαιοσύνη spricht (V. 6), während Mose schreibt (V. 5), ist
theologisch ohne Belang; s. dazu Eckstein, „Nahe ist dir das Wort“ (s. Anm. 33), 58 f.
37 Das entspricht Röm 8,3 (vgl. Gal 4,4) einerseits und Röm 4,25; 8,32 andererseits.
38 Das in V. 8 zitierte Schriftwort Dtn 30,14 wird durch die Frage ἀλλὰ τί λέγει; eingeführt,

die den Worten ἡ δὲ ἐκ πίστεως δικαιοσύνη οὕτως λέγει von V. 6a entspricht. Subjekt zu λέγει
ist also die ἐκ πίστεως δικαιοσύνη. Das  – logisch nicht ganz konzinne  – adversative ἀλλά
ist durch den Prohibitiv von V. 6 f. veranlaßt: Auf die in V. 6 f. mitgeteilte negative Weisung
dessen, der das Heil aus Glauben gewährt, folgt jetzt als Antithese sein positiver Hinweis auf
die Präsenz dieses Heils in dem von den Aposteln verkündigten Wort.
39 κηρύσσομεν bezieht sich – wie dann in V. 14 f. die Worte κηρύσσειν, ἀποστέλλεσθαι und

εὐαγγελίζεσθαι – dezidiert auf Paulus und die anderen Apostel.


40
 κηρύσσειν: Gal 2,2; 1 Thess 2,9; εὐαγγελίζεσθαι: 1 Kor 15,1 f.; 2 Kor 11,7; Gal 1,11 (s. auch
1 Kor 9,18); καταγγέλλειν: 1 Kor 9,14; λαλεῖν: 1 Thess 2,2 (in Phil 1,14 mit ὁ λόγος bzw. ὁ λόγος
τοῦ θεοῦ als Objekt); πληροῦν = „überall verkündigen“: Röm 15,19.
41 Zur Begründung im einzelnen s. Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus (s. Anm. 1),

157–163. – Wenn Paulus in dem ῥῆμα von Dtn 30,11–14, mit dem dort Gottes ἐντολή (V. 11) und
also letztlich die Tora gemeint ist (Bar 3,29–31; TargN und TargFrgm z.St.; b‛Er 55a; bBM 59b;
DtnR 8,6 f. zu 30,12–14), das Evangelium erblickt, so ist das eine äußerst kühne Umdeutung
des Textes. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Das „nahe“, den Menschen in seinem Person­
zentrum erreichende Wort kann nach der Überzeugung des Apostels nicht die Tora sein.
112 „Fides ex auditu“

2. Röm 10,9–17

Was Paulus in V. 6–8 über die ἐκ πίστεως δικαιοσύνη gesagt hat, wird in den
Versen 9–17 in zwei Schritten – V. 9–13 und V. 14–17 – weiter expliziert.

a) Röm 10,9–13

Der erste Schritt (V. 9–13) nimmt aus V. 8 den Begriff πίστις sowie die Stichworte
στόμα und καρδία auf, ordnet der καρδία das πιστεύειν und dem στόμα das als
Äußerung des πιστεύειν verstandene ὁμολογεῖν zu und zeigt, daß beides – das
πιστεύειν wie das ὁμολογεῖν – die δικαιοσύνη und die σωτηρία zur Folge hat.42
Zwischen δικαιοσύνη und σωτηρία ist dabei zu unterscheiden.43 Während es sich
bei der δικαιοσύνη um das schon jetzt dem Glaubenden geschenkte Heil der in-
takten Gottesbeziehung handelt,44 bezeichnet σωτηρία45 – und ebenso das in V. 9
und V. 13 erscheinende Verbum σῴζεσθαι46 – das zukünftige und endgültige Ge-
schick: die Rettung vor dem kommenden Strafgericht (ὀργὴ θεοῦ), das den ewig
von Gott trennenden Tod zur Folge hat,47 und die Erlangung des ewigen Lebens.
Den gleichen Sinn wie das σωθήσῃ von V. 9 und das σωθήσεται von V. 13 hat
deshalb das οὐ καταισχυνθήσεται von V. 11, und beides entspricht dem ζήσεται
von V. 5. Was das Verhältnis zwischen δικαιοσύνη und σωτηρία anlangt, so sieht
Paulus die eschatologische Rettung mit der gegenwärtigen Gabe der heilvollen
Gottesbeziehung bereits fest verbürgt.48 R. A. Lipsius formuliert zutreffend: „Die
δικαιοσύνη führt notwendig zur σωτηρία, diese setzt jene notwendig voraus.“49
Innerhalb des Gedankengangs der Verse 9–13 wird V. 9 durch ein kausales
ὅτι an V. 8 angeschlossen, das durch die dort implizierte Aussage veranlaßt ist,
42
 Wenn in V. 9 zunächst vom ὁμολογεῖν und dann erst vom πιστεύειν die Rede ist, so ge-
schieht das lediglich in Aufnahme der Abfolge στόμα – καρδία, wie sie in dem in V. 8 zitierten
Schriftwort Dtn 30,14 vorgegeben ist. Da dem ὁμολογεῖν von V. 9 f. das ἐπικαλεῖσθαι von
V. 12 f. entspricht, weisen die Verse 9–13 im Zusammenhang mit dem voraufgehenden V. 8
hinsichtlich der beiden Aspekte στόμα / ​ὁμολογεῖν - ἐπικαλεῖσθαι (a) und καρδία / ​πιστεύειν (b)
die folgende chiastische Struktur auf: V. 8: a/b; V. 9: a/b; V. 10: b/a; V. 11–13: b/a.
43 Das gilt entsprechend auch für Röm 1,16 f., wo die beiden Begriffe ebenfalls nebenein-

ander begegnen.
44 Vgl. entsprechend δικαιοῦσθαι Röm 3,24.28; 5,1.9; Gal 2,16 f.; 3,24.
45
 S. außer Röm 10,10: Röm 1,16; 10,1; 11,11; 13,11; 2 Kor 7,10; Phil 1,19.28; 2,12; 1 Thess 5,9
[2 Thess 2,13].
46
 S. außer Röm 10,9.13: Röm 5,9 f.; 11,26; 1 Kor 3,15; 5,5; 10,33; 1 Thess 2,16 [2 Thess 2,10].
47
 Zur ὀργὴ θεοῦ s. Röm 1,18; 2,5.8; 3,5; 4,15; 5,9; 12,19; 1 Thess 1,10; 5,9. Diesem Strafgericht
zu verfallen, das bezeichnet Paulus mit den Gegenbegriffen zu σωτηρία und σῴζεσθαι: ἀπώλεια
Phil 1,28; 3,19 und ἀπόλλυσθαι Röm 2,12; 1 Kor 1,18; 15,18; 2 Kor 2,15; 4,3.
48
 S. insbesondere Röm 5,8–10. Aufgrund der hier geäußerten Gewißheit kann Paulus auch
präsentisch vom σῴζειν bzw. σῴζεσθαι reden (s. 1 Kor 15,2 sowie das substantivierte Partizip
οἱ σῳζόμενοι 1 Kor 1,18; 2 Kor 2,15) oder sogar Aussagen im Aorist formulieren (Röm 8,24;
1 Kor 1,21).
49
 Lipsius, Briefe an die Galater, Römer, Philipper (s. Anm. 4), 154.
„Fides ex auditu“ 113

daß das nahe Wort die δικαιοσύνη bringt: „Denn wenn du mit deinem Munde
Jesus als den Herrn bekennst und mit deinem Herzen glaubst, daß Gott ihn von
den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet werden.“50 V. 10 unterstreicht:
„Mit dem Herzen glaubt man ja zum Heil (= zur Erlangung des Heils), und mit
dem Munde bekennt man zur Rettung (= zur Erlangung der Rettung).“51 Für die
beiden Aussagen über das Glauben und das Bekennen führt Paulus in V. 11–13
jeweils einen Schriftbeleg an, wobei er in das erste Zitat – anders als in Röm
9,33 – von dem zweiten Zitat her ein πᾶς einfügt: „[11] Die Schrift sagt nämlich:
‚Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden‘ (Jes 28,16b).52 [12] Es
besteht ja kein Unterschied zwischen dem Juden und dem Griechen (d. h. Hei-
den), gibt es doch [nur] ein und denselben Herrn aller53, der sich als reich erweist
an allen, die ihn anrufen. [13] Denn: ‚Jeder, der den Namen des Herrn anruft,
wird gerettet werden‘ (Joel 3,5a).“ Das πᾶς von V. 11 und V. 13 bezieht Paulus
auf die πάντες von V. 12 – also auf Juden und Heiden. Beiden gilt in gleicher
Weise der Reichtum des Heils, das Christus denen erworben hat und gewährt,
die an ihn glauben und ihn im Bekenntnis anrufen. Daß Paulus in V. 11 unter dem
πιστεύειν ἐπ’ αὐτῷ den Glauben an Christus verstanden wissen will, in V. 12 von
Christus als dem κύριος πάντων spricht54 und in V. 13 das Bekenntnis κύριος
Ἰησοῦς vor Augen hat, ergibt sich eindeutig aus dem Textzusammenhang. Das
Schriftwort Jes 28,16 ist bereits in Röm 9,33 auf Christus gedeutet worden, und
die christologische Deutung von Joel 3,5a wird dadurch bewiesen, daß das Wort
sogleich in V. 14 f. auf die „Anrufung“ Christi hin interpretiert wird. Das „An-
rufen“ des κύριος πάντων ist also identisch mit dem ὁμολογεῖν κύριον Ἰησοῦν
von V. 9 f. Der Kyrios erweist sich darin als „reich für alle, die ihn anrufen“,
daß er ihnen schon jetzt die Gabe der δικαιοσύνη gewährt und eben damit die
eschatologische σωτηρία eröffnet.55

50 Das rhetorische „du“ des Satzes, das jede beliebige Person bezeichnet (vgl. Röm 8,2), ist

durch das „du“ von V. 6–8 veranlaßt. Zu dem Bekenntnis κύριος Ἰησοῦς s. 1 Kor 12,3; Phil 2,11
(vgl. auch 2 Kor 4,5).
51
 Das unpersönliche Passiv (πιστεύεται / ​ὁμολογεῖται) steht für ein deutsches „man“; die
Ausdrücke εἰς δικαιοσύνην und εἰς σωτηρίαν geben die Wirkung an (s. Bauer / ​Aland,
Wörterbuch⁶, 462 s. v. εἰς 4.e).
52
 Zu πιστεύειν ἐπί = „glauben an“ s. F. Blass  / ​A.  Debrunner / ​F.  Rehkopf, Grammatik
des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen ¹⁷1990, § 187 Anm. 2.
53
 Dieser Übersetzung der Worte ὁ γὰρ αὐτὸς κύριος πάντων liegt das Urteil zugrunde, daß
αὐτός als Adjektiv zu lesen ist (wie in Röm 9,21; 12,4; 1 Kor 1,10; 10,4; 12,4–6; 15,39; 2 Kor 4,13)
und die elliptische Formulierung derjenigen von 1 Kor 12,4–6 entspricht. Möglich ist auch, ὁ
αὐτός als Subjekt und κύριος πάντων als Prädikat aufzufassen: „Ein und derselbe ist der Herr
aller.“ Ein substantivisches ὁ αὐτός findet sich allerdings, wenn ich recht sehe, bei Paulus sonst
nicht.
54
 Vgl. dazu Apg 10,36.
55
 Mit der Formulierung πλουτῶν εἰς πάντας τοὺς ἐπικαλουμένους αὐτόν könnte Paulus auf
Ψ 85,5 anspielen: σύ, κύριε, […] πολυέλεος πᾶσι τοῖς ἐπικαλουμένοις σε. Zum Gedanken des
soteriologischen „Reichtums“ Christi vgl. im übrigen Röm 5,15–17.
114 „Fides ex auditu“

b) Röm 10,14–17

Der zweite Schritt (V. 14–17) beschreibt das Verhältnis der zuvor unter den
Aspekten von Glauben und Bekennen bedachten πίστις zu den beiden entschei-
denden Größen, die in V. 6–8 erwähnt waren, – nämlich: zu Christus (V. 6 f.) und
zu seinem ῥῆμα (V. 8).
In V. 14+15a formuliert Paulus mittels der vierfachen Anapher πῶς eine Fra-
genkette, die keineswegs nur die Juden, sondern ganz umfassend die in V. 12
erwähnten πάντες und also Juden wie Heiden im Blick hat: „[14] Wie nun soll
man den anrufen, an den man nicht zum Glauben gekommen ist? Wie aber soll
man an den zum Glauben kommen, von dem man nicht gehört hat? Wie aber soll
man hören, ohne daß jemand verkündigt? [15a] Wie aber soll man verkündigen,
wenn man nicht gesandt worden ist?“56 Der Relativsatz der zweiten Frage – πῶς
δὲ πιστεύσωσιν οὗ οὐκ ἤκουσαν; (V. 14b) – wird in allen altkirchlichen Über-
setzungen mit „den man nicht gehört hat“ wiedergegeben.57 Diese Wiedergabe
ist sprachlich unanfechtbar, sie ist jedoch keineswegs, wie manche Exegeten
meinen,58 die einzig mögliche. Die Worte οὗ οὐκ ἤκουσαν können vielmehr sehr
wohl auch bedeuten: „über den sie nichts erfuhren“.59 Für dieses Verständnis
spricht nicht zuletzt, daß nach Röm 15,20 f. das Ziel der Verkündigung gerade
darin liegt, daß Menschen von Christus hören. Träger dieser Verkündigung
sind die ἀπόστολοι, auf die sich in der letzten der vier Fragen (V. 15a) das Wort
ἀποστέλλεσθαι bezieht.60
Da es sich bei der Fragekette von V. 14+15a um eine Interrogatio handelt,61
ist in ihr positiv vorausgesetzt, daß die Abfolge ἀποστέλλεσθαι  – κηρύσσειν
56
 Zu der in V. 14+15a vorliegenden Figur der Gradatio (Klimax) vgl. Röm 5,3–5; 8,29 f.
Die 3. Person Plural der Verbformen steht für das deutsche „man“ (vgl. Blass / ​Debrunner  / ​
Rehkopf, Grammatik § 130,2).
57 S. exemplarisch die Vulgata (quomodo credent ei, quem non audierunt?) und die Peschitta

(’jkn’ nhjmnwn lhw dl’ šm‛whj). Nach K. H. Schelkle, Paulus Lehrer der Kirche. Die altkirch-
liche Auslegung von Römer 1–11, Düsseldorf ²1959, 375 verstehen so auch die Kirchenväter den
V. 14b. Den bei diesem Verständnis vorliegenden Sinn kennzeichnet knapp Bengel, Gnomon
(s. Anm. 35), 597: ,quem‘, scil. loquentem in evangelio. Das οὗ οὐκ ἤκουσαν würde dann in
V. 17b durch ῤῆμα Χριστοῦ aufgenommen.
58
 Ich nenne nur: Th. Zahn, Der Brief des Paulus an die Römer (KNT 6), Leipzig ¹.²1910,
484; C. E. B. Cranfield, The Epistle to the Romans II (ICC), Edinburgh 1979, 534. Vgl. auch
Blass / ​Debrunner / ​Rehkopf, Grammatik § 173,1: „Bei ἀκούειν steht […] im Genitiv die
Person, die man reden hört“ (dazu in Anm. 1 der Hinweis auf Röm 10,14).
59 So Bauer / ​A land, Wörterbuch⁶, 62 s. v. ἀκούω 3.b. Für diese Bedeutung von ἀκούειν c.

gen. obiecti werden dort keine Belege angegeben. Ich selbst habe mir notiert: Homer, Il 24,490;
Od 4,114; Xenophon, Mem III 5,9; 2 Esdr 23,27; Tob 10,12; Hi 42,5 LXX (und zu poetischem
κλύειν τινός Sophokles, Oed Col 307).
60 Paulus verwendet das Verbum ἀποστέλλειν in dem in Röm 10,15a vorliegenden Sinn nur

noch in 1 Kor 1,17 – und zwar im Blick auf seine eigene Sendung zur Verkündigung des Evan-
geliums.
61
 Zur Stilform der Interrogatio s. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik,
München ²1973, § 767 f.
„Fides ex auditu“ 115

gegeben und von daher die weitere Abfolge ἀκούειν – πιστεῦσαι – ἐπικαλεῖσθαι
prinzipiell möglich ist. Das Faktum des ἀποστέλλεσθαι und des κηρύσσειν wird
dementsprechend in V. 15b mit einem durch καθὼς γέγραπται angeschlossenen
Schriftzitat begründet: „[Es ist so], wie geschrieben steht: ‚Wie lieblich sind die
Füße derer, die das Gute verkündigen‘ (Jes 52,7a).“62 Mit dem „Guten“, das die
apostolischen Zeugen verkündigen,63 ist entweder das sogleich in V. 16 genannte
Evangelium oder aber – eher noch – das in Christus beschlossene Heil gemeint.64
Obwohl die Sendung der Boten erfolgt ist und diese, wie in V. 18 gesagt
werden wird, das in Christus beschlossene Heil weltweit verkündigen, findet
ihre Botschaft nicht überall Glauben. Davon redet Paulus in V. 16a: „Jedoch
nicht alle (d. h. nur wenige65) sind dem Evangelium gehorsam geworden.“ Bei
der Feststellung οὐ πάντες ὑπήκουσαν τῷ εὐαγγελίῳ, in der an die Stelle des
Verbums πιστεύειν (V. 9 f.11.14) jetzt das Verbum ὑπακούειν tritt, denkt Paulus
gewiß nicht ausschließlich, im Kontext von Röm 9–11 aber doch vor allem an die
Juden, von denen es in V. 3b hieß: τῇ δικαιοσύνῃ τοῦ θεοῦ οὐχ ὑπετάγησαν. Dem
Evangelium nicht „gehorsam“ sein – das bedeutet: ihm die gehorsame Annahme,
die ὑπακοὴ πίστεως (Röm 1,5) verweigern.66 Die Abweisung des Evangeliums
findet Paulus – wie er in V. 16b hinzufügt – bereits in der Schrift prophetisch
angekündigt: „Jesaja sagt ja: ‚Herr, wer hat unserer Verkündigung Glauben
geschenkt?‘ (Jes 53,1a).“ Das Wort ἀκοή bezeichnet in Jes 53,1a LXX nicht das
„Hören“, sondern der hebräischen Vorlage (šᵉmû‛āh) entsprechend die „Kunde“,
die „Nachricht“.67 In diesem Sinn versteht auch Paulus das Wort.68 Während es

62
 Zu dem elliptischen Gebrauch von καθώς vgl. Gal 3,6. Bei dem Schriftzitat – ὡς ὡραῖοι
οἱ πόδες τῶν εὐαγγελιζομένων τὰ ἀγαθά (s. Anm. 63) – handelt es sich um eine freie Wieder-
gabe von Jes 52,7a LXX, wobei der Plural οἱ εὐαγγελιζόμενοι durch Joel 3,5b LXX, die Fort-
setzung des in V. 13 zitierten Satzes Joel 3,5a, veranlaßt sein dürfte. Für das Wort ὡραῖος ist
auch die Übersetzung „rechtzeitig zur Stelle“ möglich. Daß die πόδες τῶν εὐαγγελιζομένων
synekdochisch für die εὐαγγελιζόμενοι selbst stehen, sei nur eben angemerkt.
63 Die Lesart τὰ ἀγαθά verdient den Vorzug; die v. l. ἀγαθά dürfte Angleichung an Jes 52,7a

LXX sein.
64
 Bei der Deutung auf das Heil wäre PsSal 18,6 zu vergleichen: τὰ ἀγαθὰ κυρίου = „das
Heil des Herrn“.
65 Zu der Litotes οὐ πάντες s. Blass / ​D ebrunner / ​R ehkopf, Grammatik § 495,2.
66
 Zum Begriff des „Gehorsams“ s. Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus (s. Anm. 1),
156 f.
67
 Zu ἀκοή als Bezeichnung für das, was gehört wird, s. in LXX die folgenden Bedeutungen:
„Gerücht“ (Ex 23,1; 1 Reg 2,24; 2 Reg 13,30; Tob 10,12; Dan 11,44); „Kunde“ (3 Reg 2,28; 10,7;
2 Chr 9,6; Sap 1,9; Ob 1,1; Nah 1,12; Jer 6,24; 30,8; Ez 16,56); „Nachricht“ (Hi 42,5; Ψ 111,7; Jer
10,22; 27,43; 30,29; 44,5), „Botschaft“ (Hab 3,2; Jes 52,7; 53,1). Wo eine dieser Bedeutungen
vorliegt, kann die Wendung ἀκοὴν ἀκούειν erscheinen (1 Reg 2,24; 3 Reg 10,7; 2 Chr 9,6; Tob
10,12; Hi 42,5; Ob 1,1; Jer 6,24; 27,43; 30,8.29; 44,5). Dem LXX-Befund entspricht der im
Neuen Testament zu verzeichnende Sprachgebrauch: „Gerücht“ (Mt 24,6; Mk 13,7), „Kunde“
(Mt 4,24; 14,1; Mk 1,28; Hebr 4,2), „Botschaft“ (neben Röm 10,16 f.: Joh 12,38 [Zitat von Jes 53,1
LXX]; Gal 3,2.5; 1 Thess 2,13). – Aus der Profanliteratur notiere ich die Bedeutungen „Nach-
richt“ (Thukydides, Hist I 20,1), „Bericht“ (Platon, Tim 21a) und „Kunde“ (Josephus, Ap II 14).
68
 Gleiches gilt für das Verständnis des Zitats Jes 53,1 LXX in Joh 12,38.
116 „Fides ex auditu“

sich allerdings im hebräischen Text von Jes 53,1a um eine „Kunde“ handelt, die
den dort Redenden zuteil geworden ist, bezieht Paulus – in Übereinstimmung
mit dem in der Septuaginta vorliegenden Verständnis – die Worte ἡ ἀκοὴ ἡμῶν
auf die „Botschaft“, die von den „Wir“ verbreitet wird. Dabei deutet er das „Wir“
auf sich selbst und die anderen Apostel. Von daher gewinnt ἀκοή an unserer
Stelle die präzise Bedeutung „Predigt“ bzw. „Verkündigung“, die dann auch in
dem sogleich folgenden Vers Röm 10,17 vorliegt.69 Die gleiche Bedeutung hat
ἀκοή in Gal 3,2.5 und in 1 Thess 2,13, und nicht anders ist, was die Übersetzung
der Vulgata anlangt, im Blick auf das lateinische Wort auditus in Jes 53,1 und an
den genannten paulinischen Stellen zu urteilen.70
Den Abschluß des Abschnitts Röm 10,4–17 bildet der rhetorisch durch die
Figur der Anadiplosis und die zweifache Ellipse besonders hervorgehobene
V. 17: ἄρα ἡ πίστις ἐξ ἀκοῆς, ἡ δὲ ἀκοὴ διὰ ῥήματος Χριστοῦ71  – „Folglich
kommt der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber gründet in dem
Wort Christi.“72 Mit diesem Satz, der keineswegs als eine Glosse anzusehen ist,73
schlägt Paulus den Bogen zu V. 6–8 zurück, und er stellt zugleich das Verhältnis
zwischen den in V. 16 verwendeten Begriffen (εὐαγγέλιον, ὑπακούειν / ​πιστεύειν,
ἀκοή) klar. Die am Anfang des Verses stehende Partikel ἄρα regiert lediglich
V. 17a, so daß nur die Worte ἡ πίστις ἐξ ἀκοῆς Folgerung aus V. 16b sind: Die
Frage von Jes 53,1a zeigt via negativa: Wo Glaube ist, da verdankt er sich der
Verkündigung.74 Diese Aussage erfährt in V. 17b durch die Worte ἡ δὲ ἀκοὴ διὰ
ῥήματος Χριστοῦ eine Präzisierung. Das Syntagma ῥῆμα Χριστοῦ verbindet die
entscheidenden Worte von V. 6–8 – nämlich: Χριστός und ῥῆμα – miteinander.75
Da ῥῆμα in V. 8 als Gegenstand des κηρύσσειν erscheint und demzufolge das
69
 Luthers Übersetzung „Der Glaube kommt aus der Predigt“ ist also (entgegen der von
A. Schlatter, Gottes Gerechtigkeit. Ein Kommentar zum Römerbrief, Stuttgart ²1952, 316 f.
geäußerten Kritik) völlig korrekt. – Für die von manchen Auslegern vertretene These, daß ἀκοή
in V. 17 einen anderen Sinn habe als in V. 16 und hier das „Hören“ meine, sehe ich nirgends eine
hinreichende Begründung gegeben.
70
 Zu auditus in der Bedeutung „das Gehörte“ s. in der Vulgata ferner: Ps 111,7; Jer 49,14.23;
Ob 1,1; Joh 12,38; Hebr 4,2. Aus der Profanliteratur vgl. Lucan, Bell X 183, wo das Wort den
„Lehrvortrag“ bzw. die „Belehrung“ bezeichnet.
71
 Χριστοῦ ist gegenüber θεοῦ zweifellos die ursprüngliche Lesart. Auch das sekundäre ῥῆμα
θεοῦ meint – analog etwa zu ὁ λόγος τοῦ θεοῦ in 1 Kor 14,36; 2 Kor 2,17; 4,2; 1 Thess 2,13 – das
Evangelium, bringt aber sprachlich nicht zum Ausdruck, was für die Argumentation von Röm
10 gerade entscheidend ist: die Präsenz Christi im Evangelium.
72
 In V. 17a und V. 17b ist jeweils ein ἐστίν zu ergänzen. Die Präpositionen ἐκ c. gen. (V. 17a)
und διά c. gen. (V. 17b) dienen – bei unterschiedlicher Nuancierung – beide der Angabe des
Ursprungs. In V. 17b führt διά c. gen. die Größe ein, in der die ἀκοή letztlich begründet ist; s.
zur Verwendung in diesem Sinn (= „aufgrund“, „kraft“) auch Röm 12,3; Gal 4,23.
73
 Die Bestimmung als Glosse findet sich m.W. zuerst bei R. Bultmann, Glossen im
Römerbrief, in: Ders., Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, Tübingen
1967, 278–284: 280.
74
 πίστις meint dabei dezidiert den rettenden Glauben im Sinne von V. 8 und V. 9 f.
75
 Ein spezifisch theologischer Gebrauch des Singulars [τὸ] ῥῆμα findet sich bei Paulus nur
in Röm 10,8 und Röm 10,17; daraus folgt zwingend, daß das ῥῆμα Χριστοῦ von V. 17 nur das
„Fides ex auditu“ 117

Evangelium meint, ist ῥῆμα Χριστοῦ als eine Parallele zu dem bei Paulus ge-
läufigen Begriff τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ zu beurteilen.76 In diesem Begriff
ist Χριστοῦ ein Genitivus objectivus, der den Inhalt des Evangeliums angibt.77
Dieser Inhalt aber ist nicht irgend ein „Gegenstand“ oder „Sachverhalt“, sondern
eine lebendige Person: der vom Tode auferstandene Kyrios. Deshalb kommt in
dem Genitiv τοῦ Χριστοῦ zugleich auch zum Ausdruck, daß Jesus Christus als
der Inhalt des Evangeliums in diesem Wort selbst gegenwärtig ist und denen
begegnet, die es hören. Das gilt in gleicher Weise auch für das Syntagma ῥῆμα
Χριστοῦ: Es bezeichnet das Wort, in dem der auferstandene Christus sich den
Aposteln erschlossen hat und das als solches die apostolische Predigt begrün-
det.78 Dieses Wort ist das in der Verkündigung „nahe“ Wort, das den Glauben
wirkt, und einzig deshalb, weil es in der Verkündigung der Apostel laut wird, gilt
der Satz, daß der Glaube „aus der Predigt“ kommt.

IV

Blicken wir auf den Gedankengang von Röm 10,4–17 zurück, so sind vier Grund-
motive zu erkennen, denen sich die entscheidenden Begriffe und Wendungen des
Textes präzise zuordnen lassen.79 Fundament ist das Heilsgeschehen (A), das
mit dem Namen Χριστός bezeichnet ist und das Paulus als den differenzierten
Zusammenhang von Heilstat (A.1) und Heilswort (A.2) begreift. Das Evan-
gelium als das Heilswort Christi wird laut in der Verkündigung (B), von der
unter den Aspekten der Sendung der Apostel (B.1), der ergehenden Predigt (B.2)
und des Hörens dieser Predigt (B.3) die Rede ist. Der Verkündigung des Evan-
geliums verdankt sich der Glaube an Christus (C), der unter den beiden Aspekten
des Glaubens (C.1) und des Bekennens (C.2) bedacht wird. In dem durch das
Evangelium gewirkten Glauben empfängt der Mensch das in Christus bereitete

ῥῆμα von V. 8 sein kann. Dieses ῥῆμα ist nicht gemeint, wenn in dem Psalmzitat Röm 10,18b
(= Ψ 18,5) der Plural τὰ ῥήματα αὐτῶν erscheint, den Paulus auf die Verkündigung deutet.
76
 Zu τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ s. Röm 15,19; 1 Kor 9,12; 2 Kor 2,12; 9,13; 10,14; Gal 1,7; Phil
1,27a; 1 Thess 3,2. Die Parallelität der Ausdrücke τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ und ῥῆμα Χριστοῦ
spricht entschieden gegen die z. B. von Lietzmann, An die Römer (s. Anm. 4), 100 vertretene
These, daß mit letzterem der „Auftrag“ Christi gemeint sei.
77 Vgl. dazu die Formulierung τὸ εὐαγγέλιον τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ in Röm 1,9. Hier entspricht der

Genitiv τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ dem περὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ von Röm 1,3a.
78 Vgl. H. W. Schmidt, Der Brief des Paulus an die Römer (ThHK 6), Berlin ²1966, 181: Der

Ausdruck ῥῆμα Χριστοῦ „bezeichnet das die apostolische Predigt begründende ‚Urwort‘ der
Christusoffenbarung“.
79
 S. dazu die Übersicht am Ende des Aufsatzes. – Auch der Vers 10,18 ließe sich mit der
folgenden Zuordnung in die Tabelle aufnehmen: ἀκούειν V. 18a = B.3; ὁ φθόγγος αὐτῶν καὶ
[…] τὰ ῥήματα αὐτῶν V. 18b = B.2 (das zweifache αὐτῶν des zitierten Psalmwortes [Ψ 18,5a]
bezieht Paulus auf die εὐαγγελιζόμενοι von V. 15b).
118 „Fides ex auditu“

Heil (D): die hier und jetzt gewährte δικαιοσύνη (D.1), mit der die zukünftige
σωτηρία verbürgt ist (D.2).80
Aus der Wahrnehmung der skizzierten Grundmotive ergibt sich eine wichtige
Konsequenz im Blick auf das paulinische Verständnis der Verkündigung ei-
nerseits und des Glaubens andererseits. Beide  – die Verkündigung wie der
Glaube – sind nach Paulus dezidiert auf Christus bezogen und einzig aufgrund
dieser Bezogenheit soteriologisch relevant. Das bedeutet: Die dem Heilshandeln
Gottes in Jesus Christus angemessene Verkündigung ist notwendig Christusver-
kündigung – eine an das vorgegebene Evangelium gebundene und es gehorsam
ausrichtende Verkündigung, die Christus zum alleinigen Inhalt hat.81 Nur in
dieser Verkündigung ist Christus selbst präsent, nur durch sie erschließt er
Glauben wirkend sein Heil.82 Der durch die Verkündigung des Evangeliums
gewirkte Glaube aber ist seinem Wesen nach Glaube an Jesus Christus83 – d. h.
Glaube im Sinne der folgenden Bestimmung Martin Luthers, die zutiefst dem
Zeugnis des Paulus verpflichtet ist:
Si est vera fides, est quaedam certa fiducia cordis et firmus assensus quo Christus ap-
prehenditur, sic ut Christus sit obiectum fidei, imo non obiectum, sed, ut ita dicam, in
ipsa fide Christus adest. […] Iustificat ergo fides, quia apprehendit et possidet istum
thesaurum, scilicet Christum praesentem.84

80
 Die gleichen vier Grundmotive begegnen bei Paulus auch im 15. Kapitel des Ersten Ko-
rintherbriefs. Ich skizziere nur: Ausgangspunkt und Grundlage der Argumentation ist Christus
als der in assertorischen Sätzen bezeugte Inhalt des Evangeliums, d. h. sein Tod zur Aufhebung
der Sündenwirklichkeit, sein Begräbnis, seine Auferstehung am dritten Tage und seine Selbst-
erschließung in den Ostererscheinungen (A). Mit der Selbsterschließung ist die Berufung und
Sendung der apostolischen Zeugen verbunden, die eben das verkündigen, was das Evangelium
sagt (B). Was die Zeugen verkündigen, hat die Gemeinde im Glauben angenommen (C). So
gewinnt sie durch das verkündigte Evangelium das in Christus beschlossene Heil: die mit der
schon jetzt gewährten Befreiung aus der Sündenwirklichkeit fest verbürgte Rettung – d. h. die
bei der Parusie des Kyrios erfolgende Auferstehung bzw. Verwandlung zum ewigen Leben (D).
Die entsprechenden Stichworte sind in 1 Kor 15,1–19: A: τὸ εὐαγγέλιον […] τίνι λόγῳ V. 1 f.
(und dazu die in V. 3b–5 zitierte Lehrtradition, auf die sich das zweimalige οὕτως von V. 11
bezieht). – B: εὐαγγελίζεσθαι V. 1 f.; κηρύσσειν V. 11b; τὸ κήρυγμα V. 14b; μαρτυρεῖν V. 15. –
C: πιστεύειν V. 11b; ἡ πίστις V. 14c.17b – D: σῴζεσθαι V. 2a (dazu das Antonym ἀπόλλυσθαι
in V. 18).
81
 S. dazu die Aussagen des Apostels, in denen Χριστός als Objekt zu einem die Ver-
kündigung bezeichnenden Verbum erscheint: κηρύσσειν: 1 Kor 1,23; 2 Kor 1,19; 4,5; 11,4; Phil
1,15 (vgl. auch 1 Kor 15,12); εὐαγγελίζεσθαι: Gal 1,16; καταγγέλλειν: 1 Kor 2,1 f.; Phil 1,17 f. Vgl.
außerdem Gal 3,1.
82 Der Satz, daß in der Predigt der Kirche Christus selber auf dem Plan sei und deshalb in

ihr sein Wort gehört werde, gilt nur unter der Voraussetzung, daß die Predigt das bezeugt, was
ihr im Evangelium vorgegeben ist.
83 πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ u. ä.: Röm 3,22.26; Gal 2,16.20; 3,22; [3,26 v. l.]; Phil 3,9. Der

Ausdruck entspricht der Verbalphrase πιστεύειν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν Gal 2,16 (vgl. auch Röm
10,14; Phil 1,29).
84
 M. Luther, In epistolam S. Pauli ad Galatas Commentarius ([1531] 1535), zu Gal 2,16:
WA 40 I, 228,33 f. 229,15.22 f. Daß für Luther der rechtfertigende Glaube streng und ausschließ-
lich Glaube an Jesus Christus und die den Glauben wirkende Verkündigung notwendig Predigt
„Fides ex auditu“ 119

Von einem „Glauben“ als allgemeiner religiöser Haltung und von einer „Ver-
kündigung“, die solchem Glauben Ausdruck verleiht, weiß Paulus nichts und
redet er nicht. Will man die Sicht des Apostels mit der dem Vulgata-Text von
Röm 10,17a entnommenen Formulierung Fides ex auditu kennzeichnen, dann
muß diese als Kurzform des vollen und präzisen Fides Christi ex auditu Christi
verstanden werden.

des Evangeliums und also Christusverkündigung ist, steht aufgrund zahlreicher Aussagen des
Reformators gänzlich außer Frage. Ich verweise hier nur noch auf die Erklärung des zweiten
und dritten Credo-Artikels im Großen Katechismus: BSLK 650–662; s. besonders 653,11–15;
654,22–42; 655,29–33.
Übersicht zu Röm 10,4–17
120

A B C D
A.1 A.2 B.1 B.2 B.3 C.1 C.2 D.1 D.2
 4 Χριστός πιστεύειν δικαιοσύνη
 5 ζῆν
  6 f. Χριστός πίστις δικαιοσύνη
 8a τὸ ῥῆμα ἐγγὺς ἐγγὺς
ἐν τῇ καρδίᾳ ἐν τῷ στόματι
 8b τὸ ῥῆμα κηρύσσειν πίστις
 9 πιστεύειν ὁμολογεῖν
ἐν τῇ καρδίᾳ ἐν τῷ στόματι σῴζεσθαι
10a καρδίᾳ
πιστεύειν δικαιοσύνη
10b στόματι
„Fides ex auditu“

ὁμολογεῖν σωτηρία
11 αὐτός πιστεύειν οὐ κατ-
αισχύνεσθαι
12 ὁ κύριος ἐπικαλεῖσθαι
13 κύριος ἐπικαλεῖσθαι σῴζεσθαι
14.15a ὅς ἀπο-
στέλλεσθαι κηρύσσειν ἀκούειν πιστεύειν ἐπικαλεῖσθαι
15b οἱ πόδες εὐαγγελίζεσθαι
16a τὸ εὐαγγέλιον ὑπακούειν
16b ἀκοή πιστεύειν
17 ῥῆμα Χριστοῦ ἀκοή πίστις
„Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“?
Zum Problem der Übersetzung und Auslegung von 2 Kor 5,7

Im Kontext der Verse 2 Kor 5,6–8 formuliert Paulus den Satz: διὰ πίστεως γὰρ
περιπατοῦμεν, οὐ διὰ εἴδους (V. 7). Diese Worte stellen die Exegese vor die
Frage, welche Übersetzung hier für das Nomen εἶδος gefordert ist und wie von
daher der Satz selbst verstanden sein will.

Nach der Auskunft renommierter Lexika hat das Wort εἶδος im Altgriechischen
ausschließlich die passivische Bedeutung „that which is seen“.1 Es heißt dem-
entsprechend unter anderem: „das Aussehen“2, „die (äußere) Erscheinung“ / ​„die
(sichtbare) Gestalt“3, „die Art“4. Für 2 Kor 5,7 käme von daher die Bedeutung
„(äußere) Erscheinung“ / ​„(sichtbare) Gestalt“ in Frage. In diesem Sinn über-
setzt die Vulgata: per fidem enim ambulamus et non per speciem.5 Dem ist der
koptisch-bohairische Text an die Seite zu stellen, in dem εἶδος mit smot („Aus-
sehen“, „Gestalt“) wiedergegeben wird.6 Die Überzeugung, daß εἶδος in 2 Kor

1
  So H. G.  Liddell / ​R.  Scott / ​H. S.  Jones, A Greek-English Lexicon. With a Supplement,
Oxford 1968, 482b. S. ferner jeweils s. v. εἶδος: F. Passow, Handwörterbuch der griechischen
Sprache. Neu bearbeitet […] von V.Chr.F. Rost / ​F.  Palm / ​O.  Kreussler, I/2, Leipzig ⁵1847
= Darmstadt 1983, 783a.b; W. Pape / ​M.  Sengebusch, Griechisch-deutsches Handwörterbuch
I, Braunschweig ³1914, 724a; Ι. Δ. ΣΤΑmΑΤΑΚΟΣ, Λέξικον ἀρχαίας ἑλληνικῆς γλώσσης, Athen
1972, 304a; E. A. Sophocles, Greek Lexicon of the Roman and Byzantine Periods, Cambridge,
MA – Leipzig 1914 = Hildesheim – Zürich – New York ²1983, 422a.b. – G. W. H. Lampe, A Pa-
tristic Greek Lexicon, Oxford 1961 = 1978, 408a s. v. εἶδος 6 notiert für die Bedeutung „sight“
einzig die Bezugnahme auf 2 Kor 5,7 bei Maximus Confessor, Mystagogia 24 (PG 91, 705 A).
S. zu dieser Stelle unten Anm. 26.
2
 Im Neuen Testament: Lk 9,29; in der Septuaginta: Ex 24,17; Lev 13,43; Num 9,15 f.; 11,7;
Sir 43,1; Jes 52,14; 53,2 f.; Jer 11,16; Ez 1,16.26 u. ö.
3
 Im Neuen Testament: Lk 3,22; Joh 5,37; in der Septuaginta: Gen 29,17; 39,6; Ex 26,30; Dtn
21,11; 1 Esdr 4,18; Jdt 8,7; 11,23; Hhld 5,15; Sap 15,4 f. u. ö.
4
 Im Neuen Testament: 1 Thess 5,22; in der Septuaginta: Sir 23,16; 25,2; Jer 15,3.
5 Da die Vulgata auch in Lk 3,22; 9,29; Joh 5,37 εἶδος mit species wiedergibt, kann für 2 Kor

5,7 die aktivische Bedeutung „das Sehen“ ausgeschlossen werden.


6
 Pičôm ᵉnte tîdiathêkê ᵉmberi (Das Buch des Neuen Testaments) II, Kairo 1990, 391;
J. Warren Wells, Bohairic Coptic New Testament, London ²2007, 232. Die Übersetzung bei
G. Horner, The Coptic Version of the New Testament in the Northern Dialect, otherwise called
Memphitic and Bohairic III: The Epistles of S. Paul, Oxford 1905, 253 lautet: „for we walked
122 „Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“?

5,7 passivischen Sinn hat, wird dann insbesondere auch in wissenschaftlichen


Kommentaren zum Zweiten Korintherbrief vertreten.7
Neben der soeben beschriebenen Sicht gibt es nun allerdings die These, daß
εἶδος in 2 Kor 5,7 im Unterschied zu dem sonst üblichen Sprachgebrauch die
aktivische Bedeutung „das Schauen“ hat. Bereits in der Peschitta lautet unser
Vers: „Denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen (baḥªzājā’ )“,8 und
die gleiche Übersetzung bietet der koptisch-saïdische Text, der εἶδος mit dem
Nomen nau („das Sehen“, „das Schauen“) wiedergibt.9 Für dieses aktivische
Verständnis votieren ebenfalls manche wissenschaftliche Kommentare.10 Vor
allem aber findet es sich in nicht wenigen Übersetzungen des Neuen Testaments.
Im deutschsprachigen Bereich sind hier etwa die Luther-Bibel11 sowie andere
respektable Übersetzungen12 zu nennen.

through [a] faith, not through a (visible) form“. Zu smot s. W. E.  Crum, A Coptic Dictionary,
Oxford 1939 = 1962, 341a s. v.
 7
 S. z. B. C. F. G. Heinrici, Der zweite Brief an die Korinther (KEK 6), Göttingen ⁸1900,
185 f.; Ph. Bachmann, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (KNT 8), Leipzig
³1918, 234; V. P. Furnish, II Corinthians (AncB 32A), Garden City, NY 1984, 253.272 f.302 f.;
M. E.  Thrall, The Second Epistle to the Corinthians (ICC) I: Introduction and Commentary
on II Corinthians I–VII, Edinburgh 1994, 386–389; Th. Schmeller, Der zweite Brief an die
Korinther I: 2 Kor 1,1–7,4 (EKK VIII/1), Neukirchen-Vluyn bzw. Ostfildern 2010, 282.301 f.;
Chr. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 8), Leipzig ²2011, 98.112 f.
 8
 The New Testament in Syriac, London 1955, Part II, 105. Das Wort ḥªzājā’ = „das Sehen“
findet sich in der Peschitta noch in Lk 4,18 als Übersetzung von ἀνάβλεψις. Für εἶδος in
der Bedeutung „Aussehen“ / ​„(äußere) Erscheinung“ / ​„(sichtbare) Gestalt“ wählt die Peschitta
dᵉmûtā’ (Lk 3,22) bzw. ḥezwā’ (Lk 9,29; Joh 5,37).
 9
 J. Warren Wells, Sahidic Coptic New Testament, London 2006, 224. G. Horner, The
Coptic Version of the New Testament in the Southern Dialect, otherwise called Sahidic and
Thebaic IV: The Epistles of S. Paul, Oxford 1920, 437 übersetzt: „For we are walking through
faith, through seeing not.“ Zu nau s. Crum, A Coptic Dictionary (s. Anm. 6), 234a s. v. II.
10
 S. z. B. H. Windisch, Der zweite Korintherbrief (KEK 6), Göttingen ⁹1924 = 1970, 167;
H. Lietzmann / ​W. G.  Kümmel, An die Korinther I/II (HNT 9), Tübingen ⁵1969, 121.203;
E. Grässer, Der zweite Brief an die Korinther. Kapitel 1,1–7,16 (ÖTBK 8/1), Gütersloh bzw.
Würzburg 2002, 175.194 f. (dort 195 offensichtlich der Versuch einer Kombination von ak-
tivischer und passivischer Bedeutung).
11
 Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart 1987: Neues Testament, 215:
„Denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.“
12
 Das Neue Testament. Übersetzt von H. Menge, Stuttgart ¹¹1949, 281; Die Bibel. Die
Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes. Jerusalemer Bibel, Freiburg – Basel – Wien 1968,
1665; Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift: Das Neue Testament, Stuttgart ²1980, 411; Die
Bibel. Aus dem Grundtext übersetzt. Revidierte Elberfelder Bibel, Wuppertal 1986: Neues
Testament, 226; Zürcher Bibel, Zürich 2007: Neues Testament, 286; Neues Testament. Neue
Genfer Übersetzung, Genf 2009, 400. – Den für die Zürcher Bibel von 2007 Verantwortlichen
gilt die Übersetzung „nicht im Schauen“ offenbar als so sicher, daß die folgende Anmerkung,
die in der älteren Ausgabe (Zürich 1966: Neues Testament, 235) hinzugefügt war, kurzerhand
gestrichen wurde: „Wörtlich: ‚nicht in der Erscheinung [der ewigen Herrlichkeit]‘.“
„Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“? 123

II

Das aktivische Verständnis von εἶδος 2 Kor 5,7 wird in der wissenschaftlichen
Literatur vielfach mit dem Hinweis zurückgewiesen, daß es für diesen Sprach-
gebrauch in der gesamten altgriechischen Literatur keinen einzigen Beleg ge-
be.13 Wenn das aktivische Verständnis dennoch weiterhin vertreten wird und in
Übersetzungen des Neuen Testaments sogar das beherrschende ist, dann dürfte
hier die Autorität des für die Neutestamentliche Wissenschaft grundlegenden
Wörterbuchs von Walter Bauer eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Das Wör-
terbuch gibt für εἶδος 2 Kor 5,7 die Bedeutung „das Schauen“ an und nennt als
Belege für diese aktivische Bedeutung die Texte Num 12,8 LXX und PsClem H
XVII 18.14 Außerdem wird angemerkt, daß Severian von Gabala und Theodoret
von Kyros εἶδος in 2 Kor 5,7 als „das Schauen“ deuten.15 Die englische Fassung
des Wörterbuchs, in der für εἶδος 2 Kor 5,7 die Bedeutung „the act of looking/
seeing, seeing, sight“ notiert wird, folgt uneingeschränkt der deutschen Vor-
lage.16 Ob die Angaben Bauers jedoch tatsächlich zutreffend sind, das ist jetzt
im einzelnen zu überprüfen.17
Was zunächst die beiden Texte Num 12,8 LXX und PsClem H XVII 18 an-
langt, so hat εἶδος hier keineswegs die aktivische Bedeutung „das Schauen“.

13
 S. z. B. C. L. W. Grimm, Lexicon graeco-latinum in libros Novi Testamenti, Gießen ⁴1888,
119a s. v. εἶδος 1: vulgo explicatur: ‚per adspectum = adspicientes‘ […]; sed e nullo graeco
scriptore adhuc enotatum est exemplum, quo εἶδος ut latin. ‚species‘ active dicatur de ‚ad-
spectu‘. Entsprechend J. H. Thayer, A Greek-English Lexicon of the New Testament. Being
Grimm’s Wilke’s Clavis Novi Testamenti translated revised and enlarged, Edinburgh ⁴1901
= 1961, 172b s. v. εἶδος 1: „com[monly] explained, by sight i. e. beholding […]; but no ex[ample]
has yet been adduced fr[om] any Gr[ee]k writ[ings] in which εἶδος is used actively, like the
Lat[in] species, of vision.“ S. ferner etwa G. Kittel, Art. εἶδος, in: ThWNT II (1935 = 1957)
371–373: 372,1–12 und unter den Kommentaren besonders Thrall, The Second Epistle to the
Corinthians I (s. Anm. 7), 387 f.
14 Bauer, Wörterbuch⁵, 438 s. v. εἶδος 3. Wörtlich gleich: Bauer / ​A land, Wörterbuch⁶,

446 s. v. εἶδος 3.  – Ältere Wörterbücher zum Neuen Testament, die für εἶδος 2 Kor 5,7 ak-
tivische Bedeutung behaupten: J. F. Schleusner, Novum Lexicon graeco-latinum in Novum
Testamentum, Leipzig ⁴1819, I 707 s. v. 2; Chr.A. Wahl, Clavis Novi Testamenti philologica,
Leipzig ³1843, 128b s. v. 3; J. Parkhurst / ​H. J.  Rose / ​J. R.  Major, A Greek and English Lexi-
con to the New Testament, London 1845, 160b s. v. I; S.Ch. Schirlitz / ​Th. Eger, Griechisch-
deutsches Wörterbuch zum Neuen Testamente, Gießen ⁶1908, 119a s. v. 2.
15
 A. a. O. Bauer fügt noch hinzu, daß „derselbe Gegensatz“ zwischen „Glauben“ und „Se-
hen“, wie er in 2 Kor 5,7 vorliege, auch in Joh 20,29 begegne. Die dort erscheinende Antithese
οἱ μὴ ἰδόντες καὶ πιστεύσαντες („die nicht gesehen haben und doch zum Glauben gekommen
sind“) besagt jedoch für das Verständnis von εἶδος 2 Kor 5,7 schlechterdings nichts.
16  F. W.  Danker, A Greek-English Lexicon of the New Testament and other Early Christian

Literature (BDAG), Chicago – London ³2000, 280 s. v. εἶδος 3.


17
 Bedenken im Blick auf die bei Bauer genannten Belege Num 12,8 LXX und PsClem H
XVII 18 sind in der Literatur bereits verschiedentlich geäußert geworden; s. z. B. Schmeller,
Der zweite Brief an die Korinther I (s. Anm. 7), 301 Anm. 761; Wolff, Der zweite Brief des
Paulus an die Korinther (s. Anm. 7), 113 Anm. 330.
124 „Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“?

In Num 12,8 LXX heißt εἶδος  – wie an anderen Septuaginta-Stellen18  – „die


sichtbare Gestalt“.19 Der Vers gehört zu der an Aaron und Miriam gerichteten
Gottesrede Num 12,6–8 LXX, in der gesagt wird: [6b] ἐὰν γένηται προφήτης
ὑμῶν κυρίῳ, ἐν ὁράματι αὐτῷ γνωσθήσομαι καὶ ἐν ὕπνῳ λαλήσω αὐτῷ. [7]
οὐχ οὕτως ὁ θεράπων μου Mωυσῆς· ἐν ὅλῳ τῷ οἴκῳ μου πιστός ἐστιν· [8a]
στόμα κατὰ στόμα λαλήσω αὐτῷ, ἐν εἴδει καὶ οὐ δι’ αἰνιγμάτων, καὶ τὴν δόξαν
κυρίου εἶδεν. Wie die Worte στόμα κατὰ στόμα λαλήσω αὐτῷ, ἐν εἴδει καὶ οὐ
δι’ αἰνιγμάτων (V. 8a) in diesem Kontext zu übersetzen sind, kann nicht fraglich
sein. Sie bedeuten: „Von Mund zu Mund werde ich zu ihm (Mose) reden, in
sichtbarer Gestalt und nicht durch Rätselworte.“20 Im Unterschied zu den Pro-
pheten wird Mose dessen gewürdigt, daß Gott ihm sichtbar erscheint – wovon
dann der unmittelbar folgende Satz ausdrücklich redet: καὶ τὴν δόξαν κυρίου
εἶδεν („und die herrliche Erscheinung des Herrn hat er gesehen“).21 Von Num
12,6–8 LXX ist der Text PsClem H XVII 18,5f abhängig. In ihm wird Num 12,8a
mit Worten aus Ex 33,11 LXX kombiniert, so daß es in der Gottesrede von Mose
heißt: ἐν εἴδει καὶ οὐ διὰ ἐνυπνίων λαλήσω πρὸς αὐτόν, ὡς εἴ τις λαλήσει πρὸς
τὸν ἑαυτοῦ φίλον (XVII 18,5). Auch hier ist die Übersetzung nicht zweifelhaft:
„In sichtbarer Gestalt und nicht durch Träume werde ich zu ihm reden, wie
wenn einer zu seinem Freund reden wird.“ Erwähnt sei noch, daß auch Philo
von Alexandrien auf Num 12,6–8a LXX Bezug nimmt. Seine Rezeption des
Textes lautet: ἐὰν γένηται προφήτης κυρίῳ, ἐν ὁράματι αὐτῷ γνωσθήσεται καὶ
ἐν σκιᾷ ὁ θεός, οὐκ ἐναργῶς, Μωυσεῖ δέ […] στόμα κατὰ στόμα λαλήσει, ἐν
εἴδει καὶ οὐ δι’ αἰνιγμάτων – „Wenn ein Prophet für den Herrn aufsteht, so wird
Gott sich ihm in einem Gesicht zu erkennen geben und in einem Schattenbild,
nicht in seiner sichtbaren (d. h. wahren) Gestalt. Zu Mose aber […] wird er von
Mund zu Mund reden, in sichtbarer Erscheinung und nicht durch Rätselworte.“22
In diesen Worten ist οὐκ ἐναργῶς der Gegenbegriff zu ἐν εἴδει, so daß evident
ist, daß Philo für εἶδος in Num 12,8a LXX die übliche passivische Bedeutung
voraussetzt.
Wenden wir uns Bauers Hinweis auf Severian von Gabala († nach 408) und
auf Theodoret von Kyros († ca. 460) zu, so muß das Urteil, daß Severian in

18
 S. dazu oben Anm. 3.
19 T. Muraoka, A Greek-English Lexicon of the Septuagint, Louvain – Paris – Walpole, MA
2009, 192 s. v. εἶδος 3 gibt für Num 12,8 LXX zu Recht die Bedeutung „visible form“ an. Vgl.
auch J. Lust / ​E.  Eynikel / ​K.  Hauspie, Greek-English Lexicon of the Septuagint. Revised
Edition, Stuttgart 2003, 173a, wo für εἶδος keine aktivische Bedeutung verzeichnet ist.
20
 Vgl. zu ἐν εἴδει καὶ οὐ δι’ αἰνιγμάτων die folgenden Übersetzungen: A. Pietersma  / ​
B. G.  Wright, A New English Translation of the Septuagint, Oxford – New York ²2009, 121:
„in visible form and not through riddles“; W. Kraus / ​M.  Karrer, Septuaginta Deutsch. Das
griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009, 148: „in einer sichtbaren
Gestalt und nicht in Rätseln“.
21 Die Worte sind Bezugnahme auf Ex 24,15–18; 33,18–23 LXX.
22
 Philo, Leg All III 103; vgl. Her 262.
„Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“? 125

seiner Auslegung von 2 Kor 5,7 für εἶδος eine aktivische Bedeutung annehme,
als unzutreffend bezeichnet werden. Severian deutet εἶδος vielmehr auf die
„Gestalt“ Gottes: διὰ πίστεως ἐλπίζομεν εἰς θεόν· οὐ γὰρ τὸ εἶδος αὐτοῦ ὁρατὸν
ἡμῖν ἐστιν – „Im Glauben hoffen wir auf Gott; denn seine Gestalt ist uns nicht
sichtbar.“23 Daß Theodoret von Kyros εἶδος in 2 Kor 5,7 als „Schauen“ versteht,
ist keineswegs sicher. Seine Auslegung der Verse 2 Kor 5,6–8 lautet:
„Nicht dies sagt er (sc. Paulus), daß wir fern vom Herrn sind, solange wir noch an den
sterblichen Leib gebunden sind; sondern [er sagt], daß wir ihn jetzt mit den Augen des
Leibes nicht sehen, ihn dann aber (sc. wenn wir den neuen Leib empfangen haben) auch
sehen und mit ihm zusammensein werden (ὅτι νῦν αὐτὸν τοῖς τοῦ σώματος ὀφθαλμοῖς
οὐχ ὁρῶμεν, τότε δὲ καὶ ὀψόμεθα, καὶ συνεσόμεθα). Jetzt nämlich, sagt er, schauen wir
nicht die erwarteten Dinge unmittelbar, sondern wir sehen sie nur im Glauben (οὐκ αὐτὰ
βλέπομεν τὰ προσδοκώμενα πράγματα, ἀλλὰ διὰ μόνης αὐτὰ τῆς πίστεως ὁρῶμεν). Eben
deshalb haben wir auch das Verlangen, aus dem [irdischen] Leib auszuziehen und zu dem
Herrn nachhause zu kommen.“24

In dieser Auslegung können die Worte τοῖς τοῦ σώματος ὀφθαλμοῖς οὐχ ὁρῶμεν
und οὐκ βλέπομεν unmittelbare Aufnahme des οὐ διὰ εἴδους sein, und dann
läge in der Tat ein aktivisches Verständnis von εἶδος vor. Es ist aber durchaus
möglich, daß Theodoret das Wort εἶδος selbst auf die „sichtbare Gestalt“ der
προσδοκώμενα πράγματα deutet und lediglich im Zusammenhang seiner Aus-
legung dann auch vom „Schauen“ des Kyrios spricht.25 In diesem Fall bietet
seine Exegese keinen Beleg für ein aktivisches Verständnis des Wortes εἶδος.
Auch bei anderen griechischen Vätern ist festzustellen, daß sie für εἶδος eine
passivische Bedeutung voraussetzen, obwohl sie dann in der Interpretation des
Verses 2 Kor 5,7 bemerken, daß die Glaubenden den Kyrios gegenwärtig noch

23
 So das erste Scholion bei K. Staab, Pauluskommentare aus der Griechischen Kirche. Aus
Katenenhandschriften gesammelt und herausgegeben, Münster 1933 = ²1984, 291,1–6. Das ebd.,
7–11 mitgeteilte zweite Scholion erwähnt die Möglichkeit einer anderen Deutung: Die Worte
οὐ διὰ εἴδους könnten sich auf die Gestalt des Kyrios ἐν σαρκὶ πρὸ τοῦ πάθους beziehen, die
Paulus nicht gesehen hat.
24 Theodoret von Kyros, Interpretatio Epistolae ad Corinthios secundae, zu 5,6–8 (PG 82,

408 B). Der erste Satz des in Übersetzung wiedergegebenen Textes (οὐ τοῦτο λέγει, ὅτι πόρρω
τοῦ Κυρίου ἐσμὲν ἔτι τῷ θνητῷ συνεζευγμένοι σώματι) steht scheinbar im Widerspruch zu dem,
was Paulus selbst in V. 6b sagt. Theodoret will jedoch lediglich herausstellen, daß das „Fernsein
vom Herrn“ keineswegs in jeder – und also auch in geistlicher – Hinsicht gilt, der Apostel mit
den Worten ἐκδημοῦμεν ἀπὸ τοῦ κυρίου vielmehr dezidiert auf den Unterschied zwischen dem
leiblich-irdischen Dasein und dem in V. 8b angesprochenen eschatologischen σὺν κυρίῳ εἶναι
(1 Thess 4,17b; Phil 1,23) abhebt.
25 Die Auslegung Theodorets entspräche in diesem Fall derjenigen, die sich z. B. bei H.-

J. Klauck, 2. Korintherbrief (NEB.NT 8), Würzburg 1986, 51 findet. Klauck vertritt für εἶδος
mit Nachdruck die passivische Bedeutung „das, was man sieht“ / ​„(sichtbare) Gestalt“ und
deutet dann: „Noch läßt Gott uns die Gestalt […] des erhöhten Herrn in seiner verklärten Leib-
lichkeit nicht unmittelbar sehen. Wir können uns nur im Glauben auf ihn – und damit auf das
Unsichtbare (4,18) – hin orientieren.“
126 „Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“?

nicht zu „schauen“ vermögen.26 Angemerkt sei noch, daß Clemens von Alex-
andrien († vor 215) und Origenes († 253/54) εἶδος in 2 Kor 5,7 nicht als „das
Schauen“ deuten. Clemens versteht das Wort vielmehr als „die äußere / ​sichtbare
Erscheinung“,27 Origenes als „die eigentliche (d. h. wahre und vollkommene)
Gestalt“.28 Unter den frühen lateinischen Vätern verdient Tertullian († nach
220) Erwähnung, der zu den Worten per fidem, non per speciem von 2 Kor 5,7
erklärend bemerkt: id est spe, non re („d. h. in der Hoffnung, nicht in der Wirk-
lichkeit“).29
Als Fazit kann nunmehr festgehalten werden, daß die Angaben des Bau-
er’schen Wörterbuchs zu εἶδος 2 Kor 5,7  – vielleicht von dem Hinweis auf
Theodoret von Kyros abgesehen – einer Nachprüfung nicht standhalten.30 Der
tatsächliche lexikalische Befund liefert somit kein hinreichendes Argument für
das Urteil, daß εἶδος in 2 Kor 5,7 die aktivische Bedeutung „das Schauen“ hat.
Zu fragen bleibt, ob der Vers selbst dazu nötigt, für diese Stelle einen besonderen
Sprachgebrauch anzunehmen. Eine positive Antwort wäre dann begründet, wenn
sich die Worte διὰ πίστεως γὰρ περιπατοῦμεν, οὐ διὰ εἴδους unter der Voraus-
setzung der üblichen passivischen Bedeutung von εἶδος nicht sinnvoll verstehen
ließen. Das aber ist keineswegs der Fall. Im Gegenteil: Setzt man für εἶδος in
2 Kor 5,7 die Bedeutung „die (äußere) Erscheinung“ / ​„die (sichtbare) Gestalt“
voraus, so erlaubt der Satz durchaus eine Interpretation, die sich problemlos

26 So z. B. Johannes Chrysostomus († 407), Homilia in Epistulam I ad Corinthios VI 3 (PG

61, 51); Homilia in Epistulam II ad Corinthios X 2 (PG 61, 469). Wie der jeweilige Kontext zeigt,
versteht Chrysostomus εἶδος als „sichtbare Erscheinung“. An der ersten Stelle entsprechen
dem δι’ εἴδους die Wendungen φανερώτερον ἀποδειχθῆναι, διὰ τὸ περιφανές und φαίνεται; an
der zweiten Stelle entsprechen dem οὐ διὰ εἴδους die Worte οὐχ οὕτω σαφῶς sowie die 1 Kor
13,12 verpflichteten Ausdrücke ἐν ἐσόπτρῳ und ἐν αἰνίγματι.  – In ähnlicher Weise wie Jo-
hannes Chrysostomus dürften den Satz 2 Kor 5,7 ebenfalls verstehen: Methodius von Olympus
(3./4. Jh.), De resurrectione II 16,9 (PG 18, 312 B / ​GCS 27, 365,9–12); Maximus Confessor
(† 662), Mystagogia 24 (PG 91, 705 A); Theophylakt von Achrida (ca. 1050/60–1125/26), Ex-
positio in Epistulam II ad Corinthios, zu 5,6–8 (PG 124, 849 B–D).
27 Clemens von Alexandrien, Paedagogus III, II 12,3 (GCS 12, 243,12 f.); Stromateis IV,

XXVI 166,2 (GCS 15, 322,13); V, VI 34,2 (GCS 15, 348,12). In Paedagogus III, II entspricht
εἶδος den Begriffen μορφή = „Gestalt / ​Erscheinung“ (11,2.3 [242,25.30]), τὰ βλεπόμενα = „das
Sichtbare“ (11,3 [242,28]) und ὄψις = „äußere Erscheinung“ (12,2 [243,7]).
28
 Origenes, Commentarii in Joannem X 43 (27) § 306 zu 2,21 f. (GCS 10, 222,21 f.); XIII 53
(52) § 355 zu 4,42 (ebd., 281,30–283,21). In X 43 wählt R. Gögler unter Hinweis auf den Kon-
text für den Ausdruck ἡ διὰ εἴδους πίστις die Übersetzung „der Glaube in seiner Eigentlichkeit“:
Origenes, Das Evangelium nach Johannes, übersetzt und eingeführt von R. Gögler, Einsiedeln –
Zürich – Köln 1959, 240. In XIII 53 deutet Origenes die „eigentliche Gestalt“ auf die von dem
„bloßen Glauben“ (ψιλὴ πίστις) zu unterscheidende Gotteserkenntnis als die Vollendung des
Glaubens. Vgl. dazu etwa XIX 3 §§ 16–20 zu 8,19 (GCS 10, 301,15–302,9).
29
 Tertullian, De resurrectione carnis XLIII (hg. v. E. Evans, London 1960, 120,6 f.).
30
 Sollte Theodoret – und sollten andere Kirchenväter – εἶδος in 2 Kor 5,7 als „das Schauen“
verstehen, so gehört das ebenso wie die in der Peschitta und in dem koptisch-saïdischen Neuen
Testament zu verzeichnende Übersetzung in die Auslegungsgeschichte des Verses. Für die
Frage nach der Bedeutung des Wortes selbst ist es für sich genommen ohne Relevanz.
„Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“? 127

sowohl in den engeren Kontext der Verse 2 Kor 5,6–8 wie auch in den über-
greifenden Zusammenhang von 2 Kor 4,7–5,10 einfügt. Das ist jetzt in einem
weiteren Schritt unserer Betrachtungen aufzuzeigen.

III

Der Textzusammenhang 2 Kor 4,7–5,10 gehört zu den besonders schwierigen und


deshalb in der Forschung lebhaft umstrittenen Abschnitten der Paulusbriefe.31
Eine Diskussion der verschiedenen Probleme wie auch eine ins einzelne gehende
Exegese sind im Rahmen unserer Überlegungen weder möglich noch erforder-
lich. Es genügt vielmehr, diejenigen exegetischen Beobachtungen anzuführen,
die für das Verständnis der Verse 5,6–8 ganz unmittelbar von Bedeutung sind.
Für die Ausführungen von 2 Kor 4,7–5,10 ist die durchgehende Rede in der
1. Person Plural kennzeichnend. Wie ganz überwiegend im Zweiten Korinther-
brief,32 so handelt es sich auch hier um das apostolische „Wir“. Das heißt: Paulus
spricht von sich selbst,33 und zwar von sich selbst als dem Apostel Jesu Christi,
dem der Dienst der Verkündigung des Evangeliums aufgetragen ist.34 Manche
seiner „Wir“-Sätze sind für eine Ausweitung auf alle Christen offen – so z. B.
die Verse 4,17–5,1 und auch der uns beschäftigende Satz 5,7.35 In den Versen
4,7–16 und 5,2–6.8–9 aber redet Paulus mit der 1. Person Plural ausschließlich
von sich selbst.
Thema des Abschnitts 2 Kor 4,7–5,10 ist die Schwachheit, die Paulus in seiner
apostolischen Existenz zeichnet, und die Kraft Gottes, die in seinem Dienst
wirksam wird. In den Versen 4,7–15 beschreibt der Apostel sich selbst als einen
schwachen und zerbrechlichen Menschen, der als Verkündiger des Evangeliums
Bedrängnis und Verfolgung erleidet, ja sogar in äußerste Todesgefahr gerät.36
An ihm, dem von Leiden gezeichneten und vom Tod bedrohten Apostel, erweist
Gott jedoch immer neu seine Lebensmacht, indem er ihn selbst vor dem Tod
bewahrt und durch seine Verkündigung Menschen zum rettenden Glauben an
Jesus Christus und damit zum wahren Leben ruft. Die Verse 4,16–5,10 führen

31 Das gilt insbesondere für die Verse 2 Kor 5,1–10, zu denen auf das Referat bei Wolff, Der

zweite Brief des Paulus an die Korinther (s. Anm. 7), 101–106 hingewiesen sei.
32
 S. dazu neben 2 Kor 4,7–5,10 nur 2 Kor 1,3–14.18–22.24; 2,14–3,6; 3,12 f.; 4,1–6; 5,11–16;
6,1–10.
33 Ein deutliches Indiz dafür ist das Nebeneinander von ἡμεῖς (Paulus) und ὑμεῖς (die Korin-

ther) in 2 Kor 4,12.14. Das gleiche Nebeneinander findet sich z. B. in 2 Kor 1,6 f.11.12–14.18.21.24;
3,1–3; 4,5.12; 5,11–13; 6,1.
34 Dieser Auftrag und Dienst ist das beherrschende Thema von 2 Kor 2,14–7,4. S. besonders

2,14–17; 3,4–4,6; 4,13–15; 5,11–6,10.


35
 In 2 Kor 5,10 macht Paulus die Ausweitung durch πάντες ἡμεῖς ausdrücklich deutlich (vgl.
ἡμεῖς πάντες 2 Kor 3,18).
36
 S. dazu den Bericht in 2 Kor 1,8–11.
128 „Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“?

das zuvor Gesagte weiter. Weil Paulus in aller Bedrohung täglich die Kraft
Gottes erfährt, deshalb verzagt er nicht (οὐκ ἐγκακοῦμεν 4,16 [vgl. 4,1]). Er
weiß, daß auf die gegenwärtige Bedrängnis, die er in seinem Dienst erfahren
muß, eine unermeßliche „Herrlichkeit“ im zukünftigen Leben bei Gott folgen
wird (4,17). Aufgrund dieser Gewißheit ist er nicht auf das „Sichtbare“ und „Ver-
gängliche“, sondern auf das „Unsichtbare“ und „Ewige“ ausgerichtet (4,18). Die
Aussage von 4,18 wird in dem Satz 5,1 näher erläutert: οἴδαμεν γὰρ ὅτι ἐὰν ἡ
ἐπίγειος ἡμῶν οἰκία τοῦ σκήνους καταλυθῇ, οἰκοδομὴν ἐκ θεοῦ ἔχομεν, οἰκίαν
ἀχειροποίητον αἰώνιον ἐν τοῖς οὐρανοῖς – „Wir wissen ja, daß wir, wenn unsere
irdische Zeltwohnung abgebrochen sein wird, einen Bau von Gott haben, ein
nicht von Menschenhänden gemachtes ewiges Haus im Himmel.“ Dem ver-
gänglichen irdischen Leib stellt Paulus hier den unvergänglichen himmlischen
Leib gegenüber, den er im ewigen Leben bei Gott haben wird.37 Nach diesem
Leib sehnt er sich, hat er doch bereits eine „Anzahlung“ (ἀρραβών) auf das zu-
künftige Heil empfangen – nämlich den Heiligen Geist, den Gott ihm gegeben
hat (5,2–5).38
An dieser Stelle folgen nun die Worte 5,6–8, die zunächst ganz zitiert seien: [6]
θαρροῦντες οὖν πάντοτε καὶ εἰδότες ὅτι ἐνδημοῦντες ἐν τῷ σώματι ἐκδημοῦμεν
ἀπὸ τοῦ κυρίου· [7] διὰ πίστεως γὰρ περιπατοῦμεν, οὐ διὰ εἴδους· [8] θαρροῦμεν
δὲ καὶ εὐδοκοῦμεν μᾶλλον ἐκδημῆσαι ἐκ τοῦ σώματος καὶ ἐνδημῆσαι πρὸς τὸν
κύριον. Was die Struktur dieses Textes betrifft, so sind zwei Möglichkeiten der
Analyse gegeben: 1. Paulus begann in V. 6 mit einem partizipialen Nebensatz,
den er durch einen Hauptsatz weiterführen wollte. Er fügte dann aber zunächst
als Parenthese die Aussage von V. 7 hinzu und brach, ohne den mit V. 6 begon-
nenen Satz syntaktisch korrekt zuende zu führen, hinter V. 7 ab (Anakoluth). Im
Anschluß daran formulierte er mit V. 8 den ursprünglich beabsichtigten Haupt-
satz, indem er das Partizip θαρροῦντες von V. 6 durch θαρροῦμεν δέ wieder
aufnahm. – 2. Paulus gebraucht die beiden Partizipien θαρροῦντες und εἰδότες
von V. 6 anstelle der finiten Formen θαρροῦμεν und οἴδαμεν,39 so daß der Vers
den Charakter eines Hauptsatzes hat. Auf ihn folgen dann zwei weitere Haupt-
sätze: zunächst V. 7 als Zwischengedanke und sodann V. 8 als Aufnahme und
37
 Die Worte ἡ ἐπίγειος ἡμῶν οἰκία τοῦ σκήνους sind Bild für das irdische σῶμα (2 Kor
4,10; 5,6.8.10), das in 4,11 als θνητὴ σάρξ bezeichnet wird. Mit der von Gott bereiteten himm-
lischen οἰκοδομή ist entsprechend der neue Leib gemeint, den die an Christus Glaubenden mit
ihrer Auferstehung empfangen werden (vgl. 1 Kor 15,44; Phil 3,21). Den Grund für die in 5,1
geäußerte Gewißheit hat Paulus in 4,14 genannt: Die Auferweckung der Glaubenden ist die
notwendige Folge der Auferweckung Jesu Christi. S. dazu O. Hofius, Die Auferstehung der
Toten als Heilsereignis. Zum Verständnis der Auferstehung in 1 Kor 15, in: Ders., Exegetische
Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 102–114: 106–111.
38
 Zum Heiligen Geist als ἀρραβών s. auch 2 Kor 1,22. Vgl. ferner die Kennzeichnung des
Geistes als ἀπαρχή („Erstlingsgabe“) in Röm 8,23.
39
 Paulus wählt des öfteren anstelle des Verbum finitum ein Partizip; s. Röm 3,24; 6,6; 2 Kor
4,2.8–10; 5,12.19c; 6,3 f.; 7,5; 8,19; 9,11.13; 10,4–6; 11,6. Vgl. F. Blass  / ​A.  Debrunner / ​F.  Reh-
kopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen ¹⁷1990, § 468,1 mit Anm. 1.
„Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“? 129

Weiterführung des in V. 6 Gesagten. – Bei beiden syntaktischen Analysen ist


die Aussage des Textes die gleiche. Folgen wir der an zweiter Stelle genannten
Analyse, so können die Verse 2 Kor 5,6–8 folgendermaßen wiedergegeben wer-
den:40 „[6] Wir sind nun allezeit guten Mutes und wissen doch, daß wir, solange
wir in dem [irdischen] Leib Heimat haben, in der Fremde fern vom Herrn sind.
[7] Wir wandeln ja διὰ πίστεως, nicht διὰ εἴδους. [8] Wir sind also guten Mutes
und wollen doch lieber die Heimat in dem [irdischen] Leib verlassen und bei
dem Herrn Heimat finden.“41
Wie die Strukturanalyse zeigt, liegt der Hauptgedanke des Textes in den
Versen 6 und 8. V. 6 besagt zunächst: Inmitten aller Bedrohung seiner Existenz
nimmt Paulus seinen apostolischen Dienst mit Zuversicht wahr;42 zugleich aber
ist er sich durchaus dessen bewußt, daß die Existenz im irdischen Leib Fernsein
von Christus bedeutet. Daraus ergibt sich für ihn der in V. 8 geäußerte Wunsch,
daß seine irdische Existenz ein Ende fände und er für immer bei dem Kyrios
zuhause wäre. Der zwischen V. 6 und V. 8 eingeschobene V. 7  – διὰ πίστεως
γὰρ περιπατοῦμεν, οὐ διὰ εἴδους – bedarf einer genauen sprachlichen Analyse.
Anders als zumeist in den Briefen des Apostels ist mit dem Verbum περιπατεῖν
nicht der Lebenswandel, sondern in umfassendem Sinn das gegenwärtige Leben
überhaupt gemeint.43 In den beiden präpositionalen Bestimmungen διὰ πίστεως
und διὰ εἴδους bezeichnet διά c. gen. den begleitenden Umstand.44 Es geht
demzufolge nicht um Größen, von denen Paulus in seinem περιπατεῖν bestimmt

40
 Die beiden Wendungen διὰ πίστεως und διὰ εἴδους lasse ich zunächst unübersetzt. Der
erstgenannten Analyse entspräche als Übersetzung: „[6] Indem wir nun allezeit guten Mutes
sind und doch wissen, daß wir, solange wir in dem [irdischen] Leib Heimat haben, in der
Fremde fern vom Herrn sind, – [7] wir wandeln ja διὰ πίστεως, nicht διὰ εἴδους –. [8] Wir sind
also guten Mutes und wollen doch lieber die Heimat in dem [irdischen] Leib verlassen und bei
dem Herrn Heimat finden.“
41 Sprachliche Hinweise zur Übersetzung: 1. Das καί in καὶ εἰδότες V. 6 und in καὶ

εὐδοκοῦμεν V. 8 markiert einen Kontrast, hat also die Bedeutung „und doch“, „und trotzdem“.
S. zu diesem καί adversativum Blass / ​Debrunner / ​Rehkopf, Grammatik § 442,1b; Bauer / ​
Aland, Wörterbuch⁶, 797 s. v. καί I.2.g. Weitere paulinische Belege: Röm 2,3; 1 Kor 12,12;
2 Kor 6,8c.9a.9c.10c. – 2. Das Präsens von ἐνδημεῖν (V. 6 [ebenso V. 9]) heißt „Heimat haben“ / ​
„zuhause sein“, der Infinitiv Aorist ἐνδημῆσαι (V. 8) dagegen „Heimat finden“ / ​„in die Heimat
kommen“; das Präsens von ἐκδημεῖν (V. 6 [ebenso V. 9]) heißt „in der Fremde sein“, der In-
finitiv Aorist ἐκδημῆσαι (V. 8) dagegen „die Heimat verlassen“ / ​„auswandern“ / ​„fortziehen“. –
3. In dem Zwischensatz V. 7 hat γάρ erklärende Bedeutung (vgl. Röm 7,1; 1 Kor 16,5). – 4. Da
θαρροῦμεν δέ V. 8 das θαρροῦντες von V. 6 wieder aufnimmt, hat δέ hier die Bedeutung „also“ / ​
„wie gesagt“ (vgl. 2 Kor 10,1 f. [δέ V. 2]).
42
 Die Worte θαρροῦντες V. 6 und θαρροῦμεν V. 8 entsprechen m. E. dem οὐκ ἐγκακοῦμεν
von 4,1.16. Sie beziehen sich also auf die apostolische Wirksamkeit des Paulus, nicht dagegen
auf die Erwartung des neuen Leibes.
43
 Vgl. περιπατεῖν in Röm 6,4; 1 Kor 7,17; 2 Kor 10,3 sowie außerhalb der Paulusbriefe Barn
10,11.
44 Zu diesem Gebrauch von διά c. gen. vgl. bei Paulus: Röm 2,27; 4,11; 8,25; 14,20; 1 Kor

16,3; 2 Kor 2,4; 6,8. S. zu diesen Stellen unten Anm. 50.


130 „Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“?

wird oder an denen er sich orientiert;45 die Rede ist vielmehr von dem, was sein
Leben im irdisch-vergänglichen Leib kennzeichnet. Die wörtliche Übersetzung
des Satzes 2 Kor 5,7 lautet demnach: „Wir führen unser Leben ja im Glauben,
nicht in der äußeren Erscheinung (nicht in der sichtbaren Gestalt).“ Unter der
πίστις ist zweifellos der Glaube von 2 Kor 4,13 zu verstehen. Es ist dies der
Glaube, der Paulus dazu drängt, das Evangelium von der Herrlichkeit Christi zu
verkündigen.46 Zu diesem seinem Glauben gehört wesentlich das „Wissen“, von
dem er in 4,14 (εἰδότες ὅτι […]) und in 5,1 (οἴδαμεν ὅτι […]) spricht, – also die
Gewißheit, daß Gott ihn von den Toten auferwecken und ihm einen neuen, un-
vergänglichen Leib geben wird. Den so zu beschreibenden Glauben bezeichnet
der Apostel mit der positiven Aussage διὰ πίστεως περιπατοῦμεν als die Signatur
seines irdischen Lebens.47 Ist somit von der πίστις des Paulus die Rede, so wird
hinsichtlich der negativen Aussage οὐ διὰ εἴδους (sc. περιπατοῦμεν) für εἶδος
das gleiche gelten.48 Was dann mit εἶδος gemeint ist, ergibt sich von dem her,
was in den Versen 5,1–5 gesagt war: Es ist „die kommende neue Leiblichkeit“.49
Diese ist in der Zeit des irdischen περιπατεῖν eine geglaubte, keineswegs aber
eine bereits in irgendeiner Weise wahrnehmbare Wirklichkeit. Als Aussage des
Apostels über sich selbst kann der Satz 2 Kor 5,7 mithin so umschrieben werden:
„Ich führe mein gegenwärtiges irdisches Leben als ein Glaubender, der im Glau-
ben der Gabe des neuen Leibes gewiß ist, nicht aber als einer, an dem dieser neue
Leib bereits sichtbar in Erscheinung tritt.“50 Veranlaßt ist diese Aussage durch

45
 So versteht z. B. Furnish, II Corinthians (s. Anm. 7), 253.302. Er übersetzt: „We conduct
ourselves according to faith, not according to appearance“ (253) und deutet den Satz als eine
Parallele zu 2 Kor 4,18: „The crucial point is the orientation of one’s life“ und: „Believers are
guided by what is believed, not by what is seen“ (302). Wenn Paulus dies hätte sagen wollen,
wäre aber m. E. die Verbindung von περιπατεῖν mit κατά c. acc. (vgl. Röm 8,4; 14,15) oder mit
bloßem Dativ (vgl. Gal 5,16) zu erwarten.
46 So 2 Kor 4,13, wo λαλεῖν wie in 2 Kor 2,17 die Verkündigung des Evangeliums meint

(vgl. 1 Kor 2,6 f.13; Phil 1,14; 1 Thess 2,2.4.16). Zur Kennzeichnung des Evangeliums als τὸ
εὐαγγέλιον τῆς δόξης τοῦ Χριστοῦ s. 2 Kor 4,4.
47 Die Aussage διὰ πίστεως περιπατοῦμεν von 2 Kor 5,7 entspricht den Worten ὃ νῦν ζῶ ἐν

σαρκί, ἐν πίστει ζῶ τῇ τοῦ υἱοῦ τοῦ θεοῦ von Gal 2,20b.


48
 Das spricht gegen eine Deutung von εἶδος auf die Gestalt des erhöhten Kyrios. Zu dieser
bereits von manchen Kirchenvätern vertretenen Auffassung s. etwa Heinrici, Der zweite Brief
an die Korinther (s. Anm. 7), 185; Thrall, The Second Epistle to the Corinthians I (s. Anm. 7),
389; Klauck, 2. Korintherbrief (s. Anm. 25), 51; Schmeller, Der zweite Brief an die Korin-
ther I (s. Anm. 7), 302.
49
 So mit Recht Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (s. Anm. 7), 113. Die
Übersetzung von V. 7 lautet ebd., 98: „Denn in Glauben wandeln wir, nicht in Sichtbarem.“
50 Grundlage der Paraphrase ist der bei Anm. 44 erwähnte Tatbestand, daß in den beiden

Wendungen διὰ πίστεως und διὰ εἴδους durch διά c. gen. der begleitende Umstand angegeben
wird. An den vergleichbaren Stellen der Paulusbriefe kennzeichnet der präpositionale Ausdruck
jeweils die Person, von der die Rede ist, hinsichtlich ihres Zustandes oder ihrer Situation. Er
kann dementsprechend in einen Aussagesatz umgeformt werden: Röm 2,27: διὰ γράμματος καὶ
περιτομῆς = „mit Gesetz und Beschneidung“ = „als einer, der das Gesetz hat und beschnitten
ist“; Röm 4,11: δι’ ἀκροβυστίας = „im Zustand der Unbeschnittenheit“ = „als solche, die nicht
„Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“? 131

die Worte ἐνδημοῦντες ἐν τῷ σώματι ἐκδημοῦμεν ἀπὸ τοῦ κυρίου von V. 6. Die
auf den ersten Blick merkwürdige Feststellung des Apostels, daß er in seiner ir-
dischen Existenz „fern vom Herrn“ sei, bedarf einer Erläuterung, und so erklärt
er: Bei dem Kyrios zu sein – das bedeutet zugleich und in einem, den neuen und
unvergänglichen Leib zu besitzen. Beides gehört unlöslich zusammen. Die Exi-
stenz im irdischen Leib ist insofern Existenz „in der Fremde“ und deshalb Anlaß
zu der Sehnsucht, für immer bei Christus zu sein (V. 8).
Es entspricht dem Tatbestand, auf den die Worte οὐ διὰ εἴδους (sc.
περιπατοῦμεν) mit Nachdruck hinweisen, daß die sichtbare Wirklichkeit des
Apostels von Leiden, Bedrängnis und ständiger Todesgefahr gezeichnet ist.
Sosehr Paulus nun aber in das Leben bei Christus versetzt sein möchte, sosehr
begreift er doch das irdische Leben als den Ort, an dem er mit ganzem Einsatz
im Dienst des Kyrios steht – in einem Dienst, über den dieser das letzte Urteil
sprechen wird. Indem Paulus das in den Versen 2 Kor 5,9–10 betont, schließt er
den in 2 Kor 4,7 begonnenen Gedankengang ab.

IV

Wie unsere Überlegungen ergeben haben, hat εἶδος in 2 Kor 5,7 nicht die ak-
tivische Bedeutung „das Schauen“, sondern die passivische Bedeutung „die
(äußere) Erscheinung“ / ​„die (sichtbare) Gestalt“.51 Eine Abweichung von dem
sonstigen altgriechischen Sprachgebrauch liegt mithin an dieser Stelle nicht
vor. Diejenigen Lexika, die für εἶδος ausschließlich eine passivische Bedeutung
verzeichnen,52 tun das mit vollem Recht. Wo dagegen Wörterbücher des neute-
stamentlichen Griechisch für 2 Kor 5,7 die aktivische Bedeutung „das Schauen“
anführen53 oder Handwörterbücher des Altgriechischen diese Bedeutung im
Hinblick auf 2 Kor 5,7 als einen besonderen neutestamentlichen Sprachgebrauch
notieren54, da handelt es sich um eine Auskunft, die eines tragfähigen Fun-
damentes entbehrt.

beschnitten sind“; Röm 8,25: δι’ ὑπομονῆς = „in Geduld“ = „als solche, die Geduld haben“;
Röm 14,20: διὰ προσκόμματος = „mit Anstoß“ = „als einer, der dabei Anstoß nimmt“; 1 Kor
16,3: δι’ ἐπιστολῶν =  „mit Empfehlungsbriefen“ =  „als solche, die mit Empfehlungsbriefen
versehen sind“; 2 Kor 2,4: διὰ πολλῶν δακρύων = „unter vielen Tränen“ = „als einer, der dabei
viele Tränen vergossen hat“; 2 Kor 6,8: διὰ δόξης καὶ ἀτιμίας, διὰ δυσφημίας καὶ εὐφημίας
= „bei Ehrung und Schmähung, bei Verleumdung und Rühmung“ = „als solche, die geehrt und
geschmäht, verleumdet und gerühmt werden“.
51
 G. Abbott-Smith, A Manual Greek Lexicon of the New Testament, Edinburgh ³1937
= 1994, 131 s. v. εἶδος 1 ordnet 2 Kor 5,7 deshalb zutreffend der Bedeutung „that which is seen,
appearance, external form“ zu.
52
 S. Anm. 1, Anm. 13 und Anm. 51.
53
 S. Anm. 14 und Anm. 16.
54 So z. B. K. Jacobitz / ​E. E.  Seiler, Griechisch-deutsches Wörterbuch, Leipzig ³1876

= 1890, 453b s. v. 5; G. E. Benseler  / ​A.  Kaegi, Griechisch-deutsches Schulwörterbuch, Stutt-


132 „Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“?

Die Feststellung, daß die Übersetzung von εἶδος 2 Kor 5,7 mit „das Schauen“
aufgrund des lexikalischen Befundes als sprachlich unhaltbar beurteilt werden
muß und auch exegetisch durch nichts gefordert ist, hat eine gewichtige Kon-
sequenz, auf die abschließend hingewiesen sei: Es geht in den Worten διὰ
πίστεως […] περιπατοῦμεν, οὐ διὰ εἴδους keineswegs um einen Gegensatz
zwischen dem „Glauben“ als dem Wesensmerkmal der gegenwärtigen irdischen
Existenz und dem „Schauen“ als dem Wesensmerkmal der zukünftigen himm-
lischen Existenz.55 Der Satz liefert deshalb – entgegen einer verbreiteten Auf-
fassung – keinen Beleg dafür, daß nach der Überzeugung des Paulus der Glaube
durch das Schauen „von Angesicht zu Angesicht“ (1 Kor 13,12) abgelöst wird und
also mit der Heilsvollendung ein Ende findet. Ein solcher Gedanke wäre auch
schwerlich mit dem vereinbar, was sich den Paulusbriefen insgesamt entnehmen
läßt: Der Glaube ist für den Apostel die durch das Evangelium gewirkte Relation
zu Jesus Christus56 und als solcher der Modus der Teilhabe an dem Heil, das
Gott dem Menschen in der Person und dem Werk seines Sohnes bereitet hat.57

gart  – Leipzig 1931 =  ¹⁵1994, 217b s. v. 5; H. Menge, Langenscheidts Großwörterbuch Alt-
griechisch-Deutsch, Berlin u. a. ²⁸1994, 204b s. v. 1. Eine beachtenswerte Ausnahme bildet
W. Gemoll / ​K.  Vretska, Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch, München ⁵1954,
242a s. v.
55
 Vgl. Furnish, II Corinthians (s. Anm. 7), 302: „The contrast in v. 7 is not between faith
as the mode of one’s present existence (in this age) and ‚seeing‘ as the mode of one’s existence
in the age to come. […] Paul is contrasting two modes of existence in this age.“
56 Der Glaube ist seinem Wesen nach „Glaube an Jesus Christus“: πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ

Röm 3,22; Gal 2,16a; 3,22 / ​πίστις Ἰησοῦ Röm 3,26 / ​πίστις Χριστοῦ Gal 2,16b; Phil 3,9 / ​πίστις
τοῦ υἱοῦ τοῦ θεοῦ Gal 2,20. Daß der Genitiv an allen diesen Stellen ein Genitivus objectivus
ist, ergibt sich bereits aus Gal 2,16, wo dem Syntagma πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ / ​πίστις Χριστοῦ
die Verbalphrase πιστεύειν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν entspricht (s. zu dieser ferner auch Röm 10,14;
Phil 1,29).
57 Röm 1,16 f.; 3,21–4,25; 5,1 f.; 9,30–33; 10,4–15; Gal 2,16; 3,1–14.21–29; Phil 3,7–11.
„Extra nos in Christo“
Voraussetzung und Fundament des „pro nobis“ und
des „in nobis“ in der Theologie des Paulus*

Die drei präpositionalen Wendungen unseres Themas – „extra nos in Christo“,


„pro nobis“ und „in nobis“ – verweisen auf zentrale Aussagen der Paulusbriefe,
die das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus und das dadurch konstituierte
heilvolle Gottesverhältnis des Menschen betreffen.1 Die Worte „pro nobis“ re-
präsentieren die verschiedenen personalen ὑπέρ-Wendungen, mit denen Paulus
auf den Adressaten der Heilstat des Todes und der Auferstehung Jesu Christi
Bezug nimmt2 und in denen ὑπέρ c. Gen. die Bedeutung „für“ / ​„zugunsten
von“ / ​„zugute“ hat3: ὑπὲρ ἐμοῦ4, ὑπὲρ ἡμῶν5, ὑπὲρ ὑμῶν6, ὑπὲρ οὗ7 und ὑπὲρ
πάντων8 mit der Aufnahme durch ὑπὲρ αὐτῶν9. Das Syntagma „in nobis“ steht
für jene paulinischen ἐν-Wendungen, die von dem Wohnen oder Wirken Christi
bzw. des Geistes Christi in dem an ihn glaubenden Menschen sprechen und

* Dieter Sänger zum 65. Geburtstag.


1 Die folgenden Ausführungen gelten ausschließlich den von Paulus selbst verfaßten Briefen.

Lediglich in den Anmerkungen werden bei der Angabe von Belegen gelegentlich in eckigen
Klammern Parallelen aus den Deuteropaulinen notiert. – Literaturhinweise beschränken sich
auf Arbeiten, denen ich wichtige Einsichten verdanke, sowie auf solche, in denen bestimmte
exegetische Urteile ihre nähere Begründung finden. Für hilfreiche Gespräche danke ich meinem
Freund Dr. Martin Bauspieß.
2 Die Auferstehung Jesu wird zwar nur in 2 Kor 5,15b in Verbindung mit einer personalen

ὑπέρ-Wendung ausdrücklich erwähnt, sie ist aber an jenen Stellen, die nur von Jesu Tod spre-
chen, durchaus mit im Blick. Vgl. exemplarisch in Röm 8,31–34 das Neben- und Miteinander
der Verse 32 und 34 sowie ferner auch Röm 4,25; 14,9; 1 Thess 4,14.
3 Diese Bedeutung liegt auch in dem Ausdruck ἐντυγχάνειν ὑπέρ τινος Röm 8,27.34 vor: „für

jemanden / ​zugunsten jemandes eintreten“ (ebenso Hebr 7,25). – In Röm 8,31 heißt εἶναι ὑπέρ
τινος wie in Mk 9,40 par. Lk 9,50: „für jemanden sein“, „auf jemandes Seite stehen“.
4 Gal 2,20b.
5
 Röm 5,6.8; 8,32; 2 Kor 5,21; Gal 3,13; 1 Thess 5,10 (v. l.: περὶ ἡμῶν) [Eph 5,2; Tit 2,14]. Die
Worte ὄντων ἡμῶν ἀσθενῶν […] ὑπὲρ ἀσεβῶν Röm 5,6 stehen in Parallele zu der Formulierung
ἁμαρτωλῶν ὄντων ἡμῶν […] ὑπὲρ ἡμῶν Röm 5,8; sie sind also in in der Sache ein Beleg für
ὑπὲρ ἡμῶν.
6
 1 Kor 1,13 (v. l.: περὶ ὑμῶν); 11,24b [Eph 5,2 v. l.].
7 Röm 14,15; vgl. δι᾽ ὅν 1 Kor 8,11.
8
 2 Kor 5,14b.15a [1 Tim 2,6]. In 2 Kor 5,14b.15a klingt in ὑπὲρ πάντων neben der Bedeutung
„zugunsten von“ / ​„zugute“ zugleich der Gedanke der Stellvertretung mit an, die dabei dezidiert
als inkludierende Stellvertretung, d. h. als ein die πάντες einschließendes Geschehen gedacht ist.
9
 2 Kor 5,15b [vgl. Eph 5,25: ὑπὲρ αὐτῆς sc. τῆς ἐκκλησίας].
134 „Extra nos in Christo“

damit jene Größe benennen, die sein Personzentrum regiert: ἐν ἐμοί10, ἐν ἡμῖν11
und ἐν ὑμῖν12. Bei den beiden Wendungen „pro nobis“ und „in nobis“ handelt es
sich also um Formulierungen, die bereits bei Paulus selbst begegnen. Das gilt
ebenfalls für die Formel „in Christo“,13 nicht aber für das Präpositionalgefüge
„extra nos“ und dementsprechend auch nicht für die Verbindung „extra nos in
Christo“. Mit ihr wird vielmehr eine Formulierung aufgenommen, die sich bei
Martin Luther findet. In der Römerbrief-Vorlesung der Jahre 1515/1516 stellt Lu-
ther gleich zu Anfang betont heraus, worum es nach seiner Erkenntnis in diesem
Brief geht: Der Apostel – so hören wir – will im Hinblick auf die Frage nach dem
Heil die Gerechtigkeit und Weisheit der Menschen als absolut nichtig erweisen
und die allein heilschaffende Gerechtigkeit und Weisheit Gottes bezeugen  –
nämlich omnia, que extra nos sunt et in Christo, „alles, was außerhalb von uns
und in Christus ist“.14 Im gleichen Sinn heißt es in einer Predigt vom Jahre 1517:
Ubi […] est sapientia? Ubi iustitia? Ubi veritas? Ubi virtus? Non in nobis, sed
in Christo, extra nos in Deo. – „Wo ist Weisheit? Wo Gerechtigkeit? Wo Wahr-
heit? Wo Kraft? Nicht in uns, sondern in Christus und also außerhalb von uns
in Gott.“15

10
 Gal 2,20a [Kol 1,29]. Nicht hierher gehören 2 Kor 13,3, wo ἐν ἐμοί „durch mich“ heißt,
und Gal 1,16a, wo es für den einfachen Dativ „mir“ steht (vgl. ἐν αὐτοῖς = „ihnen“ Röm 1,19; ἐν
τοῖς ἀπολλυμένοις = „denen, die verlorengehen“ 2 Kor 4,3).
11 Röm 8,4 [2 Tim 1,14]. Dem ἐν ἡμῖν entspricht ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν 2 Kor 4,6 (vgl. ἐν οἷς

in V. 4); in Röm 5,5 und 2 Kor 1,22 steht ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν dagegen für εἰς τὰς καρδίας
ἡμῶν (so Gal 4,6). – In 2 Kor 4,12 heißt ἐν ἡμῖν „an uns“; in 2 Kor 5,19 hat es nach meinem
Urteil die Bedeutung „unter uns“ (s. O. Hofius, Das Wort von der Versöhnung und das Gesetz,
in: Ders., Exegetische Studien [WUNT 223], Tübingen 2008, 149–160).
12
 Röm 8,9–11; 1 Kor 3,16; 6,19 [vgl. ἐν ταῖς καρδίαις ὑμῶν Eph 3,17; Kol 3,15]. – In 1 Kor 1,6;
14,25; 2 Kor 13,5; Gal 3,5; 4,19; Phil 1,6; 2,5.13; 1 Thess 2,13 [Kol 1,27] hat ἐν ὑμῖν – wie häufig
bei Paulus – die Bedeutung „unter euch“ bzw. „bei euch“; in 2 Kor 4,12 heißt es „an euch“.
13
 Die Formel erscheint bei Paulus in unterschiedlichen Bedeutungen. Zu ἐν Χριστῷ / ​ἐν
Χριστῷ Ἰησοῦ als Rekurs auf das Christusgeschehen s. Röm 3,24; 8,39 (s. u. Anm. 104); 1 Kor
1,4 f.; 2 Kor 5,19a [vgl. Eph 1,6 f.; 2,6 f.10.13.15 f.; 4,32; Kol 1,14.19 f.].
14
 M. Luther, Vorlesung über den Römerbrief (1515/1516), Scholion zu Röm 1,1, WA 56,
158,9. Ich zitiere nach: M. Luther, Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516. Lateinisch-
deutsche Ausgabe, Darmstadt 1960, I 10. Luther fährt dann fort (ebd., I 10 [WA 56, 158,10–14]):
Deus enim nos non per domesticam, sed per extraneam iustitiam et sapientiam vult salvare, non
que veniat et nascatur ex nobis, sed que aliunde veniat in nos, non que in terra nostra oritur, sed
que de celo venit. Igitur omnino externa et aliena iustitia oportet erudiri. – Vgl. in der Römer-
briefvorlesung noch das Scholion zu Röm 4,7, in dem es heißt (Lateinisch-deutsche Ausgabe,
I 276 [WA 56, 279,22 f.30–32; 280,2–4]): Extrinsecum nobis est omne bonum nostrum, quod
est Christus. […] Quo manifeste sese vacuam et pauperem ostendit (sc. Ecclesia) intra se esse,
et extra se esse plenitudinem et iustitiam suam. […] Sciunt (sc. sancti) in se esse peccatum,
sed propter Christum tegi et non imputari, ut omne suum bonum extra se in Christo, qui tamen
per fidem in ipsis est, protestentur. Dem „extra nos in Christo“ korrespondiert das „extra
nos in Deo“; s. Lateinisch-deutsche Ausgabe, I 258. 328/330, II 130 (WA 56, 268,27–269,12.
305,24–306,2. 386,26 f.).
15
 M. Luther, Predigt über Mt 11,25–30 (1517), WA 1, 139,34 f.
„Extra nos in Christo“ 135

Die Verbindung der beiden Bestimmungen „extra nos“ und „in Christo“ läßt
sich bereits vor Luther in der theologischen Literatur des Abendlandes nach-
weisen,16 sie hat bei ihm jedoch als Fundamentalaussage seiner Rechtfertigungs-
lehre einen ganz spezifischen christologisch-soteriologischen Sinn gewonnen.
Die Frage, ob die Römerbrief-Vorlesung bereits reformatorisch ist oder noch
nicht und wie von daher die Worte „extra nos in Christo“ in den frühen Aus-
sagen Luthers genau verstanden sein wollen, kann und muß jetzt nicht erörtert
werden.17 Auch wenn das für den Reformator entscheidende Verständnis des
Evangeliums als des Glauben wirkenden Heilswortes Gottes noch nicht vor-
ausgesetzt sein sollte, so besagt die Formel „extra nos in Christo“ doch auf
alle Fälle schon hier, daß das Heil des Menschen in keinerlei Hinsicht aus ihm
selbst und seinem eigenen Vermögen kommt und auch nie je zu seinem eigenen
selbsterworbenen Besitz wird, sondern daß es ihm ausschließlich aufgrund der
rettenden Zuwendung Gottes in Jesus Christus als eine in freier Gnade gewährte
Gabe zuteil wird und erhalten bleibt.18
Die im reformatorischen Sinn verstandene Wendung „extra nos in Christo“
vermag – auch wenn sie in den Paulusbriefen selbst nicht vorkommt – in hervor-
ragender Weise zum Ausdruck zu bringen, was als die Signatur der paulinischen
Christologie und Soteriologie zu gelten hat. Das durch die Formel „in Christo“
präzisierte und dadurch allererst eindeutig definierte „extra nos“ ist für die chri-
stologisch-soteriologische Sicht des Apostels in ihrer Gesamtheit wie auch in
ihren einzelnen Aspekten sowohl bestimmend wie kennzeichnend, und es bildet
die grundlegende Voraussetzung und das bleibende Fundament dessen, was er
in solchem Zusammenhang über das „pro nobis“ und das „in nobis“ sagt. Das

16
  S. z. B. Meister Eckhart, In Ioh. n. 118 (LW 3, 103,1–3): Verbum enim caro factum in
Christo, extra nos, hoc ipso quod extra nos non facit nos perfectos, sed postquam et per hoc
quod habitavit in nobis, nos denominat et nos perficit, ,ut filii dei nominemur et simus‘, 1 Ioh.
3. Ich verdanke das Zitat S. Kikuchi, Christological Problems in the Understanding of the
Sonship in Meister Eckhart, Bijdr. 69 (2008) 365–381: 380 Anm. 49.
17
 Zu einer unterschiedlichen Antwort s. etwa die Interpretation bei H. J. Iwand einerseits und
bei O. Bayer andererseits: H. J.  Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube. Eine Unter-
suchung zur Systematik der Rechtfertigungslehre Luthers in ihren Anfängen (TB 14), München
²1961, 28–37; Ders., Luthers Theologie, hg. v. J. Haar (NW 5), München 1974, 114–116; Ders.,
Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre, in: Ders., Glaubensgerechtigkeit. Gesammelte Auf-
sätze Band II, hg. v. G. Sauter (TB 64), München 1980, 11–125: 27–41; O. Bayer, Promissio.
Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie (FKDG 24), Göttingen 1971,
57–77.137–143 (vgl. auch 274–297).
18 Der Genfer Reformator J. Calvin denkt im Entscheidenden nicht anders über das extra

nos in Christo beschlossene Heil. Dazu drei Zitate: Institutio (1559) III 11,4 (Opera selecta IV,
München ²1959, 185,17 f.): In ipso (sc. in Christo) et extra nos iusti reputamur coram Deo; In
Epistolam ad Galatos Commentarius (1548), zu Gal 2,20 (Ioannis Calvini Opera exegetica
XVI, Genève 1992, 55,16 f.): Insignis sententia, fideles extra se vivere, hoc est in Christo; In
Epistolam ad Ephesios Commentarius (1548), zu Eph 1,4 (ebd., 158,11 f.): Si in Christo sumus
electi, ergo extra nos.
136 „Extra nos in Christo“

soll im Folgenden in strenger Konzentration auf das Wesentliche unter sieben


Gesichtspunkten exegetisch erhoben und dargelegt werden.

I. Jesus Christus – Person und Werk

In der Soteriologie des Paulus und mithin auch in seiner Anthropologie geht es
um den Menschen, der von der Sünde als dem fundamentalen Nein zu Gott, der
Quelle des Lebens, gezeichnet ist, deshalb unter dem „Fluch“ des Gesetzes als
des richtenden Wortes Gottes steht und aufgrund dieses Verdammungsurteils
dem ewig von Gott trennenden Tod verfallen ist.19 Diesem vor ihm verlorenen
Menschen hat Gott sich in der Person und in dem Werk des Menschen Jesus von
Nazareth rettend zugewandt. Daß Jesus der eschatologische Heilsbringer ist, das
kommt in dem Beinamen „Christus“ (Χριστός) zum Ausdruck, in dem für Pau-
lus die ursprüngliche messianische Bedeutung – allerdings in ihrem spezifisch
christlichen Verständnis! – durchaus noch mitschwingt. Durch das Werk Jesu,
das Christusgeschehen, empfängt der zuvor von der Sünde gezeichnete Mensch
die δικαιοσύνη – die heilvolle Beziehung zu dem lebendigen Gott.20 Mit dieser
bereits gegenwärtigen Heilsgabe ist ihm zugleich die eschatologische σωτηρία –
die Rettung vor dem zukünftigen Strafgericht Gottes und die Erlangung des
ewigen Lebens – fest verbürgt.21
Daß das Christusgeschehen Gottes rettende Tat für den Menschen ist, sieht
Paulus in dem Persongeheimnis Jesu Christi begründet – darin, daß er der „Sohn
Gottes“22 und als dieser „der Herr der Herrlichkeit“23 ist. Im Unterschied zu
dem Beinamen „Christus“ sagen die beiden genannten Begriffe nicht, wer Jesus
„für uns“ ist, sondern wer er in sich selbst ist.24 Der Hoheitstitel „Sohn Gottes“
kennzeichnet ihn als den, der seinem Ursprung und Wesen nach auf die Seite
19 Zum Menschen als Sünder s. besonders Röm 1,18–3,20; 3,23; 5,6–10.12–21; 7,7–25a; 8,5–8,

zum „Fluch“ des Gesetzes: Gal 3,10–12, zum Verdammungsurteil: Röm 5,16.18; 8,1; 2 Kor 3,9.
20
 In den paulinischen Rechtfertigungsaussagen bezeichnet δικαιοσύνη als Relationsbegriff
die heilvolle Beziehung zu dem lebendigen Gott, von der dabei unter den beiden Gesichts-
punkten gesprochen wird, daß Gott diese Beziehung schafft und gewährt und daß sie dem
Menschen als seine Gabe zuteil wird. Entsprechend bedeutet δικαιοῦν (von Gott gesagt): „die
heilvolle Gottesbeziehung gewähren“, δικαιοῦσθαι (vom Menschen gesagt): „die heilvolle
Gottesbeziehung empfangen“.
21
 Zur Unterscheidung von δικαιοσύνη und σωτηρία s. O. Hofius, „Fides ex auditu“. Ver-
kündigung und Glaube nach Römer 10,4–17, in: J. von Lüpke / ​E. Thaidigsmann (Hg.), Denk­
raum Katechismus. FS Oswald Bayer, Tübingen 2009, 71–86: 78 f. (in dem vorliegenden Band:
105–120: 112).
22
 Röm 1,3 f.9; 5,10; 8,3.29.32; 1 Kor 1,9; 15,28; 2 Kor 1,19; Gal 1,16; 2,20; 4,4.6; 1 Thess 1,10
[Eph 4,13; Kol 1,13].
23
 1 Kor 2,8b.
24
 Der „Sohn Gottes“-Titel erscheint bei Paulus vor allem in soteriologischen Aussagen –
dies aber nicht deshalb, weil er in sich selbst Ausdruck des „pro nobis“ wäre, sondern weil er
zum Ausdruck bringt, wer der ist, den Gott um des verlorenen Menschen willen in den Tod
„Extra nos in Christo“ 137

Gottes, seines Vaters, gehört; und wenn auf ihn die Gottesprädikation „der Herr
der Herrlichkeit“ bezogen wird, dann liegt darin das Bekenntnis, daß Gott selbst
in ihm gegenwärtig und er in Person die Gegenwart Gottes ist.25 Einzig aufgrund
seines göttlichen Seins kann Jesus als der eschatologische Heilsbringer Gottes
gedacht werden. Die Christologie bildet deshalb für Paulus die Grundlage der
Soteriologie, und das damit gegebene Verhältnis zwischen den beiden zwar nicht
voneinander zu trennenden, wohl aber zu unterscheidenden Größen ist grund-
sätzlich unumkehrbar. Die Christologie geht auch nicht in der Soteriologie auf,
und sie ist keineswegs bloß ihr „mythologischer“ Ausdruck.

II. Die Heilstat Gottes in Jesus Christus

Das Christusgeschehen, das wir jetzt weiter zu bedenken haben, begreift Pau-
lus als den differenzierten Zusammenhang von Heilstat Gottes und Heilswort
Gottes.26 Die Heilstat, in der Gott dem Menschen das Heil bereitet hat, umfaßt
die Menschwerdung Jesu Christi und ihr Ziel: das Sühne- und Versöhnungs-
geschehen seines Todes und seiner Auferstehung. Dieses Geschehen betrifft –
eben weil es ein eschatologisches Gottesgeschehen ist – nach Paulus die ganze
Menschheit und „umgreift alle Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“.27 Des-
halb sind diejenigen, für die Christus stirbt und aufersteht, von Anfang an ganz
unmittelbar in das Sühne- und Versöhnungsgeschehen einbezogen – und zwar
dergestalt, daß sich von Gott her in Christi Tod die Aufhebung ihrer der Sünde
und dem Tod verfallenen Existenz und in seiner Auferstehung ihre Versetzung
in die neue, unter der Verheißung des ewigen Lebens stehende Existenz in der
δικαιοσύνη ereignet hat.28
Daß das „pro nobis“ der Heilstat Gottes in einem „extra nos“ gründet, kann in
den Paulusbriefen unter vier Aspekten wahrgenommen werden:
dahingegeben hat, und auf diese Weise die Größe der im Kreuzestod Jesu offenbar gewordenen
Liebe Gottes erkennen läßt (s. Röm 8,31 f.).
25
 Vgl. 2 Kor 5,19 (θεὸς ἦν ἐν Χριστῷ) und deuteropaulinisch Kol 1,19; 2,9. Zu ὁ κύριος τῆς
δόξης als Gottesprädikation s. grHen 22,14; 27,3.5; äthHen 22,14; 25,3.7; 27,3.5; 36,4; 40,3;
63,2; 75,3; 83,8; koptApkEl 19,11.
26
 S. dazu insbesondere 2 Kor 5,18–21 und zu diesem Text wie auch zu Parallelen in den Pau-
lusbriefen O. Hofius, Paulusstudien (WUNT 51), Tübingen ²1994, 1–9.15–22.148–150.
27
 G. Eichholz, Die Grenze der existentialen Interpretation. Fragen zu Gerhard Ebelings
Glaubensbegriff, in: Ders., Tradition und Interpretation. Studien zum Neuen Testament und zur
Hermeneutik (TB 29), München 1965, 210–226: 220 (Voranstellung des Prädikats von mir).
28 S. dazu insbesondere Röm 6,1–14; 7,4; 2 Kor 5,14–21; Gal 2,19 f. sowie zur Sache G. Eich-

holz, Die Theologie des Paulus im Umriß, Neukirchen-Vluyn 1972, 188–214; O. Hofius,
Sühne und Versöhnung. Zum paulinischen Verständnis des Kreuzestodes Jesu, in: Ders., Paulus-
studien (s. Anm. 26), 33–49: 44–48. Daß die Beendigung der alten Existenz und die Versetzung
in die neue Existenz ausschließlich Gottes Werk und Gabe sind, betont Paulus nachdrücklich in
2 Kor 5,18a: τὰ δὲ πάντα ἐκ τοῦ θεοῦ. Vgl. auch 1 Kor 1,30 (ἐξ αὐτοῦ δὲ ὑμεῖς ἐστε ἐν Χριστῷ
Ἰησοῦ κτλ.).
138 „Extra nos in Christo“

1. Von der Menschwerdung Jesu Christi sagt Paulus in Gal 4,4 f.: Gott sandte
seinen Sohn als einen Menschen, der um unseres Heils willen sterben sollte,29
und diese Sendung geschah, als „die Erfüllung der Zeit“, d. h. der von ihm
selbst festgelegte Zeitpunkt gekommen war.30 Die Menschwerdung des Sohnes
Gottes kann demzufolge nicht einfach aus dem Zusammenhang historischer Ver-
knüpfung begriffen werden. Sie ist Handeln Gottes pro nobis, aber sie geschieht
gänzlich extra nos.31
2. Im Kreuzestod Jesu ist in göttlichem Zuvorkommen und deshalb ohne
jedes Dazutun des Menschen die Entscheidung über seine „Rechtfertigung“
und seine Versöhnung mit Gott gefallen. Christus – so heißt es eindringlich in
Röm 5,6–11 – ist „für uns“ gestorben, als wir noch „Gottlose“ (ἀσεβεῖς V. 6),
„Sünder“ (ἁμαρτωλοί V. 8) und „Feinde Gottes“ (ἐχθροί V. 10) und als solche
hilflos der Macht der Sünde und des Todes ausgeliefert waren.32 Der gleiche
Gedanke begegnet in Gal 2,20b, wenn Paulus, der in keiner Beziehung zu dem
vorösterlichen Jesus stand, mit dem Blick auf seine einstige Sünder-Existenz
(2,17) bemerkt, daß „der Sohn Gottes mich geliebt und sich für mich in den Tod
dahingegeben hat“.33
3. Was die Auferstehung Jesu anlangt, so stellen insbesondere die Ausfüh-
rungen von 1 Kor 15,1–11 ein klares Dokument des „extra nos in Christo“ dar.
Paulus zitiert hier die ihm überkommene und von ihm voll aufgenommene Lehr-
tradition, „daß Christus gestorben ist um unserer Sünden willen nach der Schrift
und daß er begraben worden ist und daß er auferstanden ist am dritten Tage nach
der Schrift und daß er dem Kephas erschienen ist, danach den Zwölfen“.34 Für
das angemessene Verständnis der in dem Zitat vorliegenden Abfolge ἀπέθανεν –
ἐτάφη – ἐγήγερται – ὤφθη ist die sprachliche Beobachtung wichtig, daß ὤφθη
hier die Übersetzung „er wurde gesehen“ nicht zuläßt, eine Deutung auf sub-
jektive Visionen infolgedessen a priori auszuschließen ist.35 Die Verse 1 Kor
29
 Das ist der Sinn der Worte γενόμενος ἐκ γυναικός „von einer Frau geboren“ Gal 4,4. S.
dazu wie auch zu Gal 4,4 f. insgesamt O. Hofius, „Die Wahrheit des Evangeliums“. Exegeti-
sche und theologische Erwägungen zum Wahrheitsanspruch der paulinischen Verkündigung, in:
Ders., Paulusstudien II (WUNT 143), Tübingen 2002, 17–37: 25 mit Anm. 36.
30
 Die Zeitangabe ὅτε δὲ ἦλθεν τὸ πλήρωμα τοῦ χρόνου Gal 4,4 ist von den Versen Gal 4,1–3
her und damit als Aufnahme der Worte ἄχρι τῆς προθεσμίας τοῦ πατρός von V. 2 zu verstehen.
31
 In der Sache kommt das auch in der Menschwerdungsaussage von Röm 8,3 f. zum Aus-
druck.
32
 Das ist m. E. der Sinn der Worte ὄντων ἡμῶν ἀσθενῶν von Röm 5,6.
33 Zum Kreuzestod Jesu als Geschehen extra nos pro nobis s. ferner Röm 5,15–19; 1 Kor 1,30

(eine Aussage über den Χριστὸς ἐσταυρωμένος 1,23!); Gal 3,13 f.; 4,5.
34 1 Kor 15,3b–5. Zur Begründung der Übersetzung des Passivs ἐγήγερται V. 4b s. O. Hofius,

„Am dritten Tage auferstanden von den Toten“. Erwägungen zum Passiv ἐγείρεσθαι in christo-
logischen Aussagen des Neuen Testaments, in: Ders., Paulusstudien II (s. Anm. 29), 202–214.
35
 Im Unterschied zu ὀφθῆναι ὑπό τινος = „von jemandem gesehen werden“ heißt ὀφθῆναί
τινι „jemandem erscheinen“; s. F. Blass  / ​A.  Debrunner / ​F.  Rehkopf, Grammatik des
neutestamentlichen Griechisch, Göttingen ¹⁷1990, § 191,2 mit Anm. 3 und § 313 mit Anm. 2.
Zahlreiche Belege für ὤφθη τινί bietet die Septuaginta (Gen 12,7; 17,1; 18,1; 26,2.24; 35,9; Ex 3,2
„Extra nos in Christo“ 139

15,1–11 insgesamt wie auch die Bezugnahme auf sie in 1 Kor 15,12–19 erlauben
ferner die Feststellung, daß Jesus nach der Überzeugung des Apostels von den
Toten auferstanden ist, bevor er denen, die er zu Aposteln berief, erschien und sie
durch das Wort seiner Selbstoffenbarung zu Glaubenden und zu Zeugen seiner
Auferstehung machte. Der Osterglaube und das Osterkerygma setzen die Auf-
erstehung Jesu voraus und gründen in ihr, – in beidem vollzieht sich aber nicht
allererst seine Auferstehung.
4. Die extra nos in Christo geschehene Heilstat Gottes ist nach dem Urteil
des Paulus ein Nicht-Auszudenkendes, das alle menschlichen Vorstellungen
und Erwartungen unendlich übersteigt. Er spricht deshalb im Blick auf den ge-
kreuzigten Christus und das in ihm beschlossene Heil von dem, „was kein Auge
gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz aufgekommen
ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9). Daß es sich hier um
das schlechterdings Unausdenkbare handelt, das spiegelt sich nicht zuletzt in
der Reaktion auf die apostolische Kreuzesverkündigung wider – nämlich darin,
daß der gekreuzigte Christus den Juden ein „Ärgernis“ und den Heiden eine
„Torheit“ ist (1 Kor 1,18–25).36

III. Die Erschließung der Heilstat im Evangelium


Christi als dem Heilswort Gottes

Mit der extra nos in Christo geschehenen Heilstat Gottes ist für Paulus ganz
unmittelbar das Heilswort Gottes verbunden, in dem kundgemacht wird, wer
Jesus ist und was sich in seinem Tod und seiner Auferstehung ereignet hat.
Dieses Heilswort ist das Evangelium, das als Gottes eigenes Wort nicht mit der
Verkündigung identisch, dieser vielmehr vorgegeben ist.37 Vernommen wurde
das Evangelium, wie aus 1 Kor 15,1–11 gefolgert werden kann, zuerst in jenem für
die Kirche und ihre Verkündigung grundlegenden Ereignis, daß Christus nach
seiner Auferstehung einem begrenzten Kreis apostolischer Zeugen erschienen
ist und diesen sich selbst – seine Person und sein Werk – erschlossen hat.38 Das
u. ö.); im Neuen Testament s. Mt 17,3; Mk 9,4; Lk 1,11; 22,43; Apg 7,2.26.30; 16,9; 1 Tim 3,16b
(mit anderen Formen von ὀφθῆναι: Apg 2,3; 7,35; 9,17; 26,16). Beachtenswert ist, was Philo,
Abr 80 zu ὤφθη δὲ ὁ θεὸς τῷ Ἀβραάμ Gen 12,7 (so das Zitat ebd., 77) bemerkt. Das Fazit aus
dem lexikalischen Befund lautet: In dem Passiv ὤφθη 1 Kor 15,5 (und ebenso dann V. 6–8) ist
Christus nicht bloß das grammatische, sondern auch das sachliche Subjekt. Gleiches gilt für
ὤφθη in Lk 24,34 und in Apg 13,31 sowie für das Partizip ὀπτανόμενος in Apg 1,3.
36
 Zu den Versen 1 Kor 1,18–25 s. im einzelnen H.-Chr. Kammler, Kreuz und Weisheit.
Eine exegetische Untersuchung zu 1 Kor 1,10–3,4 (WUNT 159), Tübingen 2003, 50–123. Dort
55–59 der überzeugende Nachweis, daß ὁ λόγος ὁ τοῦ σταυροῦ 1,18 nicht das Evangelium,
sondern die Verkündigung des Evangeliums meint.
37
 S. O. Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: Ders., Paulusstudien (s. Anm. 26),
148–174: 150–154.
38
 S. das paulinische Selbstzeugnis Gal 1,11 f.15 f.
140 „Extra nos in Christo“

Evangelium hat dementsprechend nur einen einzigen Inhalt: Jesus Christus und
das in ihm beschlossene Heil. Als dieser Inhalt ist er, der auferstandene und
lebendige Herr, selbst gegenwärtig, wo das Evangelium verkündigt und ver-
nommen wird.39 Das Evangelium ist so beides: das „Evangelium Gottes“40 und
das „Evangelium Christi“41.
Weil das Evangelium nicht Menschenwort ist, sondern Gottes Wort, deshalb
ist es schöpferisches Wort. Als solches wirkt es den Glauben an Christus, der
das in ihm beschlossene Heil ergreift.42 Der Glaube – sagt Paulus – „kommt aus
der Verkündigung, die Verkündigung aber gründet in dem Wort Christi“ (Röm
10,17). In diesem Zusammenhang kann der Apostel auch davon sprechen, daß die
Verkündigung des Evangeliums in der Kraft des Heiligen Geistes geschieht.43
Gott hat denen, die zu Glaubenden wurden, den Geist „gegeben“44 bzw. ins Herz
„gesandt“45, und sie haben ihn als seine Gabe „empfangen“.46 Durch den Geist
hat er ihnen „geoffenbart“, was er ihnen in dem gekreuzigten Christus bereitet
hat, und so „wissen“ sie, was ihnen in Christus „von Gott geschenkt ist“.47 Das

39 S. insbesondere Röm 10,6–17. Paulus deutet dort das in Dtn 30,14 erwähnte „Wort“

(τὸ ῥῆμα) auf das von ihm verkündigte „Glauben wirkende Wort“ (τὸ ῥῆμα τῆς πίστεως ὃ
κηρύσσομεν), d. h. auf das Evangelium (V. 8). Dabei impliziert der Satz „das Wort ist dir nahe
[…]“ (ἐγγύς σου τὸ ῥῆμά ἐστιν […]) vom Kontext her die Aussage: und eben damit Christus
selbst als der vom Himmel Gekommene und von den Toten Auferstandene (V. 6 f.). Zu Röm
10,6–17 s. im einzelnen Hofius, „Fides ex auditu“ (s. Anm. 21), 75–83 (in dem vorliegenden
Band: 108–117).
40
 τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ u. ä.: Röm 1,1; 15,16; 2 Kor 11,7; 1 Thess 2,2.8 f. (dafür auch ὁ λόγος
τοῦ θεοῦ: 1 Kor 14,36; 2 Kor 2,17; 4,2; Phil 1,14 v. l.; 1 Thess 2,13 [Kol 1,25; 2 Tim 2,9; Tit 1,3;
2,5]). Der Genitiv bezeichnet als Genitivus subjectivus bzw. als Genitivus auctoris jeweils den
Urheber des Evangeliums.
41
 τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ: Röm 15,19; 1 Kor 9,12; 2 Kor 2,12; 9,13; 10,14; Gal 1,7; Phil
1,27a; 1 Thess 3,2; vgl. τὸ εὐαγγέλιον τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ [sc. τοῦ θεοῦ] Röm 1,9; τὸ εὐαγγέλιον τῆς
δόξης τοῦ Χριστοῦ, ὅς ἐστιν εἰκὼν τοῦ θεοῦ 2 Kor 4,4. [Deuteropaulinisch s. τὸ εὐαγγέλιον
τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ 2 Thess 1,8; ὁ λόγος τοῦ Χριστοῦ Kol 3,16.] Die Genitive sind jeweils
Genitivi objectivi und geben den Inhalt des Evangeliums an. Von dem Werk Christi als dem
Inhalt des Evangeliums ist in 1 Kor 15,1–11 die Rede: Die von Paulus zitierte apostolische Lehr-
tradition 1 Kor 15,3b–5 gibt an, „mit welcher Aussage“ (τίνι λόγῳ) der Apostel den Korinthern
das Evangelium verkündigt hat (V. 1 f.). S. ferner 2 Kor 5,19: das Evangelium ist „das Wort von
der Versöhnung“ [vgl. Eph 1,13: „das Evangelium von eurer Rettung“; Eph 6,15: „das Evan-
gelium von dem (durch Christus gestifteten) Frieden“].
42 Röm 1,16 f.; 10,6–17; vgl. auch von der Predigt des Evangeliums 1 Kor 1,18.
43
 S. dazu außer dem sogleich zu nennenden Textzusammenhang 1 Kor 2,6–16: Röm 15,15–21
(V. 19!); 1 Kor 2,4 f.; 2 Kor 3,2 f.6.8; 11,4; Gal 3,2.5; 1 Thess 1,5 f. (vgl. 2,13). Die in der Exegese
verbreitete These, daß nach Paulus der Heilige Geist erst durch die Taufe verliehen werde,
beruht m. E. auf keinem tragfähigen Fundament; s. Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus
(s. Anm. 37), 169 f.
44
 Röm 5,5 (das Partizip δοθέν ist Passivum divinum); 2 Kor 5,5. Vgl. auch Gal 3,5; 1 Thess
4,8.
45
 2 Kor 1,22 (διδόναι); Gal 4,6 (ἐξαποστέλλειν).
46
 Röm 8,15; 1 Kor 2,12; 2 Kor 11,4; Gal 3,2.14 (an allen Stellen λαμβάνειν).
47 1 Kor 2,6–16 und hier besonders die Verse 10 und 12. S. dazu im einzelnen Kammler,

Kreuz und Weisheit (s. Anm. 36), 192–236.


„Extra nos in Christo“ 141

Wunder, das sich unter der Verkündigung des Evangeliums in der Kraft des
Heiligen Geistes ereignet, beschreibt Paulus in 2 Kor 4,6 mit den gewichtigen
Worten: „Gott, der da sprach: ‚Aus der Finsternis leuchte das Licht hervor!‘ –
der hat es in unseren Herzen Licht werden lassen, so daß leuchtend aufging die
Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi.“48 In dem
unter der Macht der Sünde verfinsterten Menschenherzen, in dem es nicht die
geringste Voraussetzung dafür gibt, schafft Gott selbst durch das Schöpferwort
des Evangeliums die Erkenntnis seiner in Christus extra nos und pro nobis ge-
schehenen Heilstat.
Das Evangelium, das den rettenden Glauben wirkt und die Glaubenden dann
auch im Glauben erhält, ist für Paulus in strengem Sinn verbum externum – Wort,
das von außen kommt und das niemand sich selbst sagen kann. Die Offenbarung
und Zueignung des Heils und daher auch die Erkenntnis und Aneignung des
Heils gehören zu dem Heilsgeschehen unmittelbar hinzu. Das aber bedeutet: Sie
stehen ganz im Zeichen des „extra nos in Christo“.

IV. Der Glaube als πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ

In dem durch das Evangelium gewirkten Glauben empfängt und hat der Mensch
nach Paulus die δικαιοσύνη, die heilvolle Gottesbeziehung.49 Der Glaube ist mit-
hin der Modus des Heilsempfangs und der Heilsteilhabe. Daß für ihn im Denken
des Paulus das „extra nos in Christo“ fundamental ist und bleibt, sei thesenartig
anhand von vier Beobachtungen aufgezeigt.
1. Der Glaube ist seinem Wesen nach und also gewissermaßen per definitio-
nem πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ – „Glaube an Jesus Christus“.50 Um eine Abbreviatur
dieses Ausdrucks bzw. der entsprechenden Verbalphrase πιστεύειν εἰς Χριστὸν
Ἰησοῦν51 handelt es sich in den Paulusbriefen ganz überwiegend da, wo die Wor-
te πίστις und πιστεύειν ohne eine Angabe ihrer Bezugsgröße verwendet werden.
2. Wie die Ausdrücke πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ und πιστεύειν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν
zeigen, hat der Glaube einen eindeutigen und auch eindeutig bestimmbaren
Inhalt. Es ist dies der gleiche Inhalt wie der des Evangeliums. Der „Glaube an
Christus“, die πίστις Χριστοῦ, ist die Erkenntnis und Anerkenntnis des „Evan-

48
 Zur Begründung der Übersetzung und zur Auslegung im einzelnen s. Hofius, Wort Gottes
und Glaube bei Paulus (s. Anm. 37), 160–163. Daß in 2 Kor 4,6 der Heilige Geist mit im Blick
ist, ergibt sich von 3,2 f.6.8 her.
49
 Röm 1,16 f.; 3,21–4,25; 5,1 f.; 9,30–33; 10,4–15; Gal 2,16; 3,6–14.21–29; Phil 3,7–11.
50
 So Röm 3,22; Gal 2,16a; 3,22. Im gleichen Sinn: πίστις Ἰησοῦ Röm 3,26; πίστις Χριστοῦ
Gal 2,16b; Phil 3,9; πίστις τοῦ υἱοῦ τοῦ θεοῦ Gal 2,20. Daß der Genitiv an allen diesen Stellen
ein Genitivus objectivus ist, ergibt sich bereits aus Gal 2,16, wo dem Syntagma πίστις Ἰησοῦ
Χριστοῦ / ​πίστις Χριστοῦ die Verbalphrase πιστεύειν εἰς Χριστὸν Ἰησοῦν entspricht.
51
 Gal 2,16; s. ferner Röm 10,14; Phil 1,29.
142 „Extra nos in Christo“

geliums von Christus“, des εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ.52 Weil der Glaube das für
wahr hält, was in der Verkündigung als „die Wahrheit des Evangeliums“53 be-
zeugt wird, deshalb gibt es das πιστεύειν εἰς nicht ohne das πιστεύειν ὅτι,54 die
fides qua creditur nicht ohne die fides quae creditur.
3. Der Glaube an Christus ist in gar keiner Weise eine Möglichkeit des Men-
schen. Er verdankt sich vielmehr, wie wir bereits sahen, dem verkündigten
Evangelium als dem „Wort Gottes“ bzw. dem „Wort Christi“, in dem der auf-
erstandene Kyrios sich selbst Glauben wirkend erschließt. Der durch das verbum
externum geschaffene Glaube ist somit als fides ex auditu und als creatura verbi
verstanden. Er ist nicht „eine in sich selbst begründete Wirklichkeit“ – „nicht
Anfang, sondern Echo“.55
4. Der glaubende Mensch ist bezogen auf Christus als sein personales Gegen-
über – auf ihn als den Kyrios, der ihn durch sein Wort zu einem Glaubenden
gemacht hat und ihn auch weiterhin im Glauben erhält, den er im Glauben als
den „Herrn“ bekennt und anruft, in dessen Dienst er als Glaubender steht und
dessen Wiederkunft er in jener Hoffnung erwartet, die zum Glauben wesentlich
hinzugehört. Diese Christusbezogenheit ist für den paulinischen Begriff des
Glaubens schlechterdings konstitutiv. Die πίστις ist demgemäß nicht lediglich
ein allgemeines Gottvertrauen, sie besteht im Entscheidenden nicht in einem be-
stimmten Existenzverständnis, und sie erschöpft sich nicht in einem Gefühl der
Abhängigkeit von einer höheren Macht und der Geborgenheit bei ihr.

V. Das neue Leben unter der Herrschaft


Christi und seines Geistes

Im Rahmen dessen, was hinsichtlich der Erschließung der Heilstat Gottes im


Evangelium zu bedenken war, wurde bereits das Wirken des Heiligen Geistes
angesprochen. Das ist jetzt weiterzuführen, indem wir uns dem „in nobis“ zu-
wenden, das einer ausführlicheren Betrachtung bedarf.
Für Paulus ist der Heilige Geist als der Geist Gottes (τὸ πνεῦμα τοῦ θεοῦ)
zugleich „der Geist seines Sohnes“56 – der Geist Jesu Christi57. Von denen, die

52
 Zur Korrespondenz von Verkündigung und Glaube vgl. ferner auch 1 Kor 15,11 („solches
verkündigen wir, und solches habt ihr im Glauben angenommen“) und 1 Kor 15,14 (wenn die
Verkündigung „inhaltslos“ wäre, dann wäre auch der Glaube „ohne Inhalt“).
53
 Gal 2,5.14; dafür bloßes ἀλήθεια: 2 Kor 4,2; Gal 5,7.
54
 Röm 10,9; 1 Thess 4,14. S. ferner 1 Kor 15,11: Mit dem Adverb οὕτως in οὕτως ἐπιστεύσατε
nimmt Paulus Bezug auf die vier ὅτι-Sätze der in 15,3b–5 zitierten Lehrtradition.
55
 Eichholz, Die Theologie des Paulus im Umriß (s. Anm. 28), 236.
56
 Gal 4,6: τὸ πνεῦμα τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ [sc. τοῦ θεοῦ].
57
 Röm 8,9 (unmittelbare Aufnahme der Worte πνεῦμα θεοῦ durch πνεῦμα Χριστοῦ!); Phil
1,19 (τὸ πνεῦμα Ἰησοῦ Χριστοῦ); 2 Kor 3,17 (τὸ πνεῦμα κυρίου). Hierher gehört auch der un-
„Extra nos in Christo“ 143

diesen Geist empfangen, sagt der Apostel, daß sie den Geist „haben“58 und daß
der Geist in ihnen „wohnt“59; und weil der auferstandene und erhöhte Christus
„der im πνεῦμα gegenwärtige Herr“ ist,60 deshalb tritt der Aussage, daß der Geist
Gottes bzw. Christi in den Glaubenden „wohnt“, die andere an die Seite, daß
Christus selbst in ihnen „wohnt“.61 Wie die Rede vom „Einwohnen“ Christi bzw.
des Geistes des näheren verstanden sein will, das ergibt sich aus der folgenden
Beobachtung: Daß Christus „in“ den Glaubenden „wohnt“, bedeutet für Paulus
zugleich, daß sie „Christus gehören“,62 er also ihr Herr ist,63 und daß sie „in
Christus sind“,64 d. h. sich in seinem Heils- und Herrschaftsbereich befinden.65
Daß der Geist „in“ ihnen „wohnt“, wird analog durch das Urteil aufgenommen,
daß sie „vom Geist regiert werden“66 und „im Geist sind“67, d. h. in seinem
Herrschaftsbereich leben.68 Wie aus dieser Beobachtung folgt, hat die Rede vom

gewöhnliche Ausdruck νοῦς Χριστοῦ in 1 Kor 2,16b; s. dazu Kammler, Kreuz und Weisheit
(s. Anm. 36), 232–235.
58
 Röm 8,9b.23; 1 Kor 6,19; 7,40 (ἔχειν); vgl. νοῦν Χριστοῦ ἔχειν 1 Kor 2,16b.
59
 οἰκεῖν ἐν: Röm 8,9a.11a; 1 Kor 3,16; ἐνοικεῖν ἐν: Röm 8,11b [2 Tim 1,14]. In 1 Kor 6,19 dürfte
Ellipse von οἰκοῦντος (weniger wahrscheinlich: von ὄντος) vorliegen; vgl. die Ellipse in Röm
8,10a (s. Anm. 61).
60 E. Lohse, Der Brief an die Römer (KEK 4), Göttingen ¹(¹⁵)2003, 235.
61 So in Röm 8,9 f., wo die Worte εἴπερ πνεῦμα θεοῦ οἰκεῖ ἐν ὑμῖν (V. 9a) durch εἰ δέ τις

πνεῦμα Χριστοῦ οὐκ ἔχει (V. 9b) und durch εἰ δὲ Χριστὸς ἐν ὑμῖν (V. 10a) aufgenommen
werden. In dem reinen Nominalsatz V. 10a ist οἰκεῖ zu ergänzen (vgl. die Ellipse in 1 Kor 6,19
[s. Anm. 59]). Zu Χριστὸς [οἰκεῖ] ἐν ὑμῖν ist die ganz persönliche Aussage des Apostels in Gal
2,20a zu vergleichen: ζῇ […] ἐν ἐμοὶ Χριστός (s. dazu unten Anm. 92). [Deuteropaulinisch s.
Eph 3,17: κατοικῆσαι τὸν Χριστὸν διὰ τῆς πίστεως ἐν ταῖς καρδίαις ὑμῶν.]
62
 So Röm 8,9b: Χριστοῦ εἶναι. S. zu dieser Wendung auch 1 Kor 1,12; 3,23; 2 Kor 10,7;
Gal 3,29; außerdem Röm 14,8b (τοῦ κυρίου εἶναι). Vgl. ferner den Ausdruck οἱ τοῦ Χριστοῦ
1 Kor 15,23; Gal 5,24 sowie in der Sache auch Röm 7,4; 1 Kor 6,19 f. und den Gedanken der
Gemeinschaft mit Christus 1 Kor 1,9.
63 S. dazu Röm 14,8 f.: Die Worte ἐάν τε οὖν ζῶμεν, ἐάν τε ἀποθνῄσκωμεν, τοῦ κυρίου ἐσμέν

V. 8b finden in V. 9 die folgende Begründung: εἰς τοῦτο γὰρ Χριστὸς ἀπέθανεν καὶ ἔζησεν, ἵνα
καὶ νεκρῶν καὶ ζώντων κυριεύσῃ.
64
 Die Aussage von Röm 8,10a, daß Christus „in“ den Glaubenden „wohnt“, gilt von denen,
die in Röm 8,1 als οἱ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ [ὄντες] bezeichnet worden sind. Zu ἐν Χριστῷ (Ἰησοῦ)
εἶναι s. auch 1 Kor 1,30; 2 Kor 5,17; Phil 3,9.
65
 Vgl. Chr. Wolff, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 8), Leipzig ²2011,
127 zu 2 Kor 5,17: Die Wendung εἶναι ἐν Χριστῷ bezeichnet bei Paulus „das […] Sein im Heils-
und Herrschaftsbereich Christi“.
66
 Röm 8,14: πνεύματι θεοῦ ἄγεσθαι; ebenso Gal 5,18: πνεύματι ἄγεσθαι. An beiden Stellen
ist ἄγεσθαι echtes Passiv, die Übersetzung „sich führen / ​leiten lassen“ deshalb abzulehnen. Die
in der Exegese gelegentlich geäußerte Vermutung, daß πνεύματι ἄγεσθαι in Röm 8,14 und Gal
5,18 ein enthusiastisch-ekstatisches Phänomen bezeichne, hat in 1 Kor 12,2 kein hinreichendes
Fundament. Martin Luther hat den Sinn der Wendung durchaus zutreffend erfaßt, wenn er in
Gal 5,18 übersetzt: „Regiert euch aber der Geist, […].“
67 Röm 8,9a: εἶναι ἐν πνεύματι.
68
 Nach Röm 8,9a ist εἶναι ἐν πνεύματι Gegenbegriff zu εἶναι ἐν σαρκί. Wie die Antithese
von Röm 7,5 f. zeigt, bedeutet letzteres, unter der Herrschaft der Sündenmacht zu stehen,
ersteres demnach das δουλεύειν ἐν καινότητι πνεύματος. Zur Gegenüberstellung von εἶναι
ἐν σαρκί und εἶναι ἐν πνεύματι in Röm 8,9 vgl. auch die Antithesen in Röm 8,2 (ὁ νόμος τῆς
144 „Extra nos in Christo“

„Einwohnen“ Christi bzw. des Geistes nicht mystischen Sinn, sondern sie hebt
dezidiert darauf ab, daß die Glaubenden unter der Herrschaft Christi und seines
Geistes stehen. Das findet dadurch seine Bestätigung, daß die Wendung οἰκεῖν
ἐν bei Paulus noch in einem anderen Zusammenhang erscheint – und zwar in
einem solchen, der dem zuvor skizzierten positiven Zusammenhang in scharfer
Antithese gegenübersteht. Von der als Macht verstandenen Sünde wird gesagt,
daß sie „in“ dem unerlösten Menschen „wohnt“69 und über ihn als ihren Sklaven
herrscht70, und der so fremdbestimmte Mensch wird als ein solcher bezeichnet,
der „im Fleisch“ – d. h. im Herrschaftsbereich der Sünde und des Todes – ist.71
Wie durch die negativen Aussagen bestätigt wird, verwendet Paulus die Verben
οἰκεῖν ἐν und ἐνοικεῖν ἐν in metaphorischem Sinn. Mit ihnen bringt er zum Aus-
druck, wer in der Existenz eines Menschen der Herr im Haus ist und als dieser
das Personzentrum regiert. Bei dem unerlösten Menschen ist es die Sünde, bei
dem Glaubenden der Heilige Geist und der im Geist gegenwärtige Christus.
Daß das neue Leben der Glaubenden Leben unter der Herrschaft Christi und
seines Geistes ist, heißt den relevanten paulinischen Ausführungen zufolge:
Alles, was sie im Glauben an Christus sind und haben, vermögen und tun, ver-
dankt sich dem in ihnen wohnenden Geist und eben damit Christus selbst. Das
„in nobis“ ist demnach bei Paulus entschieden in Relation zu dem „extra nos in
Christo“ und unter seinem Vorzeichen gesehen. Anhand von vier exegetischen
Befunden sei das verdeutlicht.
1. Das Leben unter der Leitung des Heiligen Geistes ist Leben „für Gott“ und
„für Christus“.72 Maßstab für dieses Leben und dann auch für das konkrete Han-
deln und Verhalten ist das Evangelium – und das heißt: die Orientierung an der
Heilstat Gottes in Christus.73 Was aufgrund solcher Orientierung in der Verant-
wortung vor dem gekreuzigten Christus und im Gehorsam gegenüber ihm als
dem Kyrios getan wird, ist nicht Werk des glaubenden Menschen selbst, sondern
Wirkung des Geistes.74 Weil der Geist da die Herrschaft übernommen hat, wo
zuvor die Sünde hauste, nämlich im Innersten des Menschen, deshalb kann Pau-
lus formulieren, daß „die Rechtsforderung des Gesetzes in uns erfüllt wird, die
wir nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist“ (Röm 8,4).75 Die
ἁμαρτίας καὶ τοῦ θανάτου  – ὁ νόμος τοῦ πνεύματος τῆς ζωῆς ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ), Röm 8,4
(κατὰ σάρκα περιπατεῖν – κατὰ πνεῦμα περιπατεῖν) und Röm 8,5 (τὰ τῆς σαρκὸς φρονεῖν – τὰ
τοῦ πνεύματος φρονεῖν).
69
 οἰκεῖν ἐν: Röm 7,17.20; vgl. auch 7,18; ἐνοικεῖν ἐν: Röm 7,17 v. l.
70
 S. die entsprechenden Aussagen im Kontext von Röm 6.
71
 εἶναι ἐν σαρκί Röm 8,9a, auch 7,5; 8,8. Wo der Begriff σάρξ bei Paulus negativ qualifiziert
ist, da bezeichnet er die von der Sünde gezeichnete Existenz des Menschen.
72
 Leben für Gott: Röm 6,11; Gal 2,19; vgl. auch Röm 7,4. – Leben für Christus: 2 Kor 5,15b.
73
 S. dazu O. Hofius, Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi, in: Ders., Paulusstudien
(s. Anm. 26), 50–74: 70–72.
74
 Vgl. die Antithese „Werke des Fleisches“ – „Frucht des Geistes“ in Gal 5,19–23.
75 Die Worte ἐν ἡμῖν τοῖς μὴ κατὰ σάρκα περιπατοῦσιν ἀλλὰ κατὰ πνεῦμα sind trotz der

Negation μή nicht konditional („in uns, wenn wir […]“) oder einschränkend („in uns, sofern
„Extra nos in Christo“ 145

Erfüllung des in der Tora vom Sinai gültig bezeugten Gotteswillens ist somit
Heilsgabe Gottes, der durch das Wirken des Geistes diesem seinem Willen im
Menschenherzen Gehorsam schafft.76
2. Der Geist legt dem an Christus glaubenden Menschen Worte in den Mund,
zu denen dieser selbst – gerade auch als Glaubender! – von sich aus nicht fähig
ist: das rettende Bekenntnis „Herr ist Jesus“ (κύριος Ἰησοῦς 1 Kor 12,3)77 und die
Anrufung Gottes als „Vater“ (ἀββὰ ὁ πατήρ Röm 8,15; Gal 4,6)78. Das Kyrios-
Bekenntnis und der Abba-Ruf sind deshalb inspirierte Äußerungen, weil der
Geist den Glaubenden immer wieder neu durch das verkündigte Evangelium die
Erkenntnis dessen schenkt, was nie je zu ihrem eigenen geistigen „Besitz“ wird:
daß der Sohn Gottes als der für sie Gestorbene und Auferstandene der Kyrios ist,
dem sie gehören, und daß Gott um dieser ihrer Zugehörigkeit willen ihr Vater
ist.79 Wenn Paulus bemerkt, daß der Geist, indem er „Abba“ rufen läßt, „unserem
Geist bezeugt, daß wir Gottes Kinder sind“ (Röm 8,16),80 dann zeigt sich hier in
aller Deutlichkeit: Der Heilige Geist ist nicht des Menschen eigener Geist, und
der Glaubende kann sich nicht selber dessen versichern, daß er Gottes Kind ist.
3. Nach Röm 8,11 wird Gott die sterblichen Leiber der Glaubenden durch den
Geist „lebendig machen“, der in ihnen – den Glaubenden – wohnt. Der Geist ist
demnach der Garant ihrer Auferstehung. Dem ist an die Seite zu stellen, daß der
Geist in Röm 8,23 als ἀπαρχή – als „Erstlingsgabe“ – und in 2 Kor 1,22; 5,5 als
ἀρραβών – als „Anzahlung“ bzw. als „Unterpfand“ – bezeichnet wird.81 Beides

wir […]“) zu verstehen; denn im neutestamentlichen Griechisch ist die Verneinung des Partizips
durch μή die Regel; s. Blass / ​Debrunner / ​Rehkopf, Grammatik § 426 und § 430.
76
 Zum alttestamentlichen Hintergrund dieses Gedankens s. Ps 51(50),13b (im Kontext der
Verse 12 f.); Ez 36,27. Zu Ps 51,13b bemerkt H.-J. Kraus, Psalmen I: Psalmen 1–59 (BKAT
XV/1), Neukirchen-Vluyn ⁶1989, 546: Der Heilige Geist ist „die wirksame, alles Fühlen, Den-
ken und Wollen durchwehende Macht, die von Jahwe ausgeht“ und den Menschen „im Inner-
sten dazu antreibt, Jahwes Willen gehorsam zu erfüllen“.
77 Zu κύριος Ἰησοῦς als rettendem Bekenntnis s. Röm 10,9–13.
78 Im Unterschied zu Röm 8,15 ist in Gal 4,6 der Geist selbst das Subjekt des Abba-Rufens.

Der Geist ist demnach „so ganz die Triebkraft“ diese Rufens, „dass der rufende Mensch nur als
sein Organ erscheint“ (F. Sieffert, Der Brief an die Galater [KEK 7], Göttingen ⁹1899, 247).
Das Verbum κράζειν, das Paulus für den vom Geist gewirkten Gebetsruf verwendet, begegnet
häufig in den Septuaginta-Psalmen und bezeichnet dort das laute und inbrünstige Flehen zu Gott
um Hilfe und Rettung aus Bedrängnis, Not und Gefahr; s. exemplarisch Ψ 3,5; 17,7; 21,3.6.25;
30,23; 33,7.18; 87,2.10; 106,6; 129,1.
79
 Daß es sich bei dem Abba-Ruf um ein spontanes ekstatisches Phänomen handelt, läßt
sich nicht überzeugend begründen. Zu einer Deutung auf Glossolalie bemerkt E. Gaugler,
Der Römerbrief I: Kapitel 1–8, Zürich 1958, 290 mit Recht, daß ἀββά „der Gebetsruf aller“ ist,
wohingegen die Zungenrede nur bestimmten Christen als „eine besondere Gabe“ zuteil wird.
80 Falsch wäre die Übersetzung: „der Geist bezeugt zusammen mit unserem Geist“; denn

συμμαρτυρεῖν hat hier wie in Röm 2,15; 9,1 die Bedeutung „Zeugnis ablegen“, „bezeugen“
„bestätigen“.
81
 In ἡ ἀπαρχὴ τοῦ πνεύματος Röm 8,23 und in ὁ ἀρραβὼν τοῦ πνεύματος 2 Kor 1,22; 5,5
ist τοῦ πνεύματος Genitivus epexegeticus. Der Sinn ist also: „die Erstlingsgabe, die im Geist
besteht“ bzw. „die Anzahlung, die im Geist besteht“.
146 „Extra nos in Christo“

besagt: Er verbürgt den Glaubenden die eschatologische Vollendung und damit


das, was sie einzig aus dem Evangelium wissen können und wissen: daß sie auf-
grund der Heilstat Gottes in Christus als ἀδελφοί des Sohnes Gottes (Röm 8,29)
Kinder Gottes und als solche auch Erben der ihnen von ihm zugedachten und
verheißenen zukünftigen Herrlichkeit und des ewigen Lebens sind.82 Die Hoff-
nung auf die eschatologische Vollendung beruht so auf dem Christusgeschehen.
Daß diese Hoffnung, die keinerlei Anhalt an der sichtbaren und erfahrbaren
Wirklichkeit hat,83 „nicht zuschanden werden läßt“, das begründet Paulus des-
halb in Röm 5,5 mit den Worten: „Die Liebe Gottes“ – seine im Tod Christi
uns erwiesene Liebe – „ist für immer ausgegossen in unsere Herzen durch den
Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.“84
4. Auf ein Werk des Heiligen Geistes, das in den Glaubenden geschieht und
doch stricto sensu ein Werk extra nos ist, weist Paulus in Röm 8,26 f. hin, wenn
es dort heißt:85 „Der Geist nimmt sich unseres Unvermögens an.86 Denn was wir
beten sollen, wie es nötig ist, das wissen wir nicht; der Geist selbst jedoch tritt
fürbittend [für uns] ein mit unaussprechlichem Seufzen.87 Der aber die Herzen
ergründet, der weiß, was der Geist begehrt, tritt dieser doch so für die Heiligen
ein, wie es dem Willen Gottes entspricht.“ Paulus macht in diesen Worten auf ein
absolutes „Unvermögen“ der Glaubenden aufmerksam – ein Unvermögen, das
ihr Gebet betrifft. Der Satz „Was wir beten sollen, wie es nötig ist, das wissen
wir nicht“ wird in der Exegese häufig in unzulässiger Weise abgeschwächt und
entschärft,88 seine apodiktische Formulierung erlaubt jedoch keine andere Aus-
legung als die, daß von einem totalen Nicht-Wissen die Rede ist, das für alle
Glaubenden ohne Ausnahme und für sie alle beständig gilt. Was damit gemeint
82
 Röm 8,16 f. Zur „Verherrlichung“ s. auch die Aussagen über die δόξα in Röm 8,18.21.
83
 S. dazu Röm 8,18–25. Zur Hoffnung s. ferner Röm 5,1–5 und 2 Kor 4,16–5,10, außerdem
Gal 5,5: „Wir erwarten im Geist (d. h. als die vom Geist Regierten) aus Glauben das mit der
δικαιοσύνη verbürgte Hoffnungsgut.“
84 Die Worte ἡ ἀγάπη τοῦ θεοῦ von Röm 5,5 erfahren in Röm 5,8 ihre nähere Bestimmung.

Der Aspekt des „für immer“ liegt in dem Perfekt ἐκκέχυται.


85 Das die Verse Röm 8,26 f. einleitende ὡσαύτως δὲ καί („ebenso aber auch“) bezieht

sich auf V. 23–25, und zwar auf die positive Aussage, daß die Glaubenden, die den Geist als
Unterpfand der zukünftigen δόξα besitzen, eben damit das haben, was sie nicht aus sich selbst
gewinnen können: eine heilsgewisse Hoffnung.
86
 Liest man die Worte τῇ ἀσθενείᾳ ἡμῶν als eine Metonymie, so ist der Sinn: „Der Geist
nimmt sich unser in unserem Unvermögen an.“ Das Nomen ἀσθένεια bezeichnet hier nicht nur
eine relative „Schwachheit“, sondern das absolute „Unvermögen“ (vgl. ἀσθενής Röm 5,6; Gal
4,9; ἀσθενεῖν Röm 8,3). Die Angaben zu ἀσθένεια bei Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 230 f.
sind unzureichend; denn das Wort hat neben „Schwäche“ / ​„Schwachheit“ u. a. auch die Bedeu-
tung „Kraftlosigkeit“ und „Unvermögen“; s. F. Passow, Handwörterbuch der griechischen
Sprache I/1, Leipzig ⁵1841 = Darmstadt 1983, 413a.
87
 Die στεναγμοὶ ἀλάλητοι sind hier nicht „wortlose“, sondern „unaussprechliche“ Seufzer
(so richtig die Vulgata: gemitus inenarrabiles).
88
 Abschwächende Interpretationen sind etwa: „wir wissen nicht im nötigen Maße, was
wir beten sollen“; „wir wissen nicht, wie wir richtig beten sollen“; „wir wissen oft / ​zuweilen / ​
immer wieder nicht, was wir beten sollen“; „wir wissen nicht, ob wir erhörlich beten“.
„Extra nos in Christo“ 147

ist, ergibt sich aus dem Zusammenhang der Verse Röm 8,18–30: Paulus denkt
an das Beten angesichts der „Leiden dieser Zeit“ und der Verheißung der zu-
künftigen „Herrlichkeit“ (8,18). Der Abstand zwischen der gegenwärtigen Not,
von der die ganze Schöpfung betroffen ist, und der verheißenen Wende, die diese
Not zum Ende bringt, ist so unermeßlich groß, daß die Glaubenden in ihrem
Gebet weder die Not angemessen zu benennen noch auch das die Not Wendende
angemessen zu erbitten vermögen. Da aber – so erklärt der Apostel – tritt der
Geist mit seiner Fürbitte stellvertretend „für uns“ ein. Was kein Menschenmund
in Worte zu fassen vermag, das bringt er betend vor Gott. Daß Paulus dabei die
Glossolalie oder ekstatische Rufe im Gottesdienst oder auch geistgewirkte Ge-
betsrufe wie „Abba! Vater!“ (Röm 8,15; Gal 4,6) und „Maran atha!“ – „Unser
Herr, komm!“ (1 Kor 16,22) vor Augen hat, halte ich für ausgeschlossen. Von
einer besonderen Erscheinungsform des Gebets der Glaubenden spricht der
Text gerade nicht! Im Gegenteil: „Nicht unser Gebet ist ein ,unaussprechliches
Seufzen‘, sondern das für uns nicht wahrnehmbare Beten des Geistes, sein Ein-
treten vor Gott selbst.“89 Die auf den ersten Blick verwunderliche Aussage, daß
Gott als der Erforscher der Herzen das seinem Heilswillen entsprechende Gebet
des im Herzen wohnenden Geistes vernimmt, versteht und erhört, besagt in der
Sache: Er selbst und er allein ist der treue Anwalt seiner auf die Heilsvollendung
wartenden Kinder wie auch der ganzen Schöpfung, die der Befreiung von dem
auf ihr lastenden Todesverhängnis entgegenharrt.
Wie die vier exegetischen Befunde erkennen lassen, ist der an Christus glau-
bende Mensch ganz und gar auf das Wirken des in ihm wohnenden Geistes
angewiesen. Daß dabei keineswegs an ein Einswerden des Geistes mit dem
Glaubenden gedacht ist, scheint mir außer Frage zu stehen. Die Einwohnung
des Heiligen Geistes bedeutet nicht, daß dieser das Selbst, das Ich, das Subjekt
des glaubenden Menschen geworden ist und ist. Er ist es ebensowenig, wie die
Sünde, die zuvor in dem Menschen wohnte, das Selbst, das Ich, das Subjekt
des Sünders war. Der Heilige Geist ist und bleibt das göttliche Gegenüber und
als solcher der Herr, der das Ich des Glaubenden regiert.90 Nicht ein Subjekts-
wechsel, wohl aber ein Herrschaftswechsel ist den Glaubenden widerfahren.91
89
 Gaugler, Der Römerbrief I (s. Anm. 79), 323. Im Unterschied zu Gaugler (ebd., 322)
kann ich die Interzession des Geistes nicht so verstehen, daß dieser das schwache und unvoll-
kommene Gebet der Glaubenden aufnimmt und es geläutert und verwandelt vor Gott bringt.
90
 Paulus bleibt mit seiner Sicht der Einwohnung des Heiligen Geistes in den Glaubenden
im Rahmen dessen, was alttestamentlich in Ps 51(50),13b und in Ez 36,27 gesagt wird. Vgl.
oben Anm. 76.
91 Daß es um einen Herrschaftswechsel geht, der Geist also das Ich des Glaubenden be-

stimmt und keineswegs mit ihm identisch ist, wird etwa in Röm 8,2 deutlich: ὁ […] νόμος
τοῦ πνεύματος τῆς ζωῆς ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ἠλευθέρωσέν σε ἀπὸ τοῦ νόμου τῆς ἁμαρτίας
καὶ τοῦ θανάτου. – Wäre der Heilige Geist das Selbst / ​das Ich / ​das Subjekt des glaubenden
Menschen geworden, so wäre dieser Mensch definitiv jeder Gefährdung durch sich selbst
entzogen. Dann könnte prinzipiell zweierlei nicht mehr gedacht werden: zum einen, daß der
Glaubende noch der Versuchung ausgesetzt ist, sich in seinem konkreten Lebensvollzug dem
148 „Extra nos in Christo“

Genau dies ist auch gemeint, wenn Paulus in Gal 2,20a über sich selbst sagt:
„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“92

VI. Die Bewahrung in der Christusgemeinschaft


und die Heilsgewißheit

Der Gedanke des „extra nos in Christo“ ist bei Paulus auch da präsent, wo er in
seinen Briefen das Bleiben der Glaubenden beim Evangelium, im Glauben und
in der ihnen schon geschenkten δικαιοσύνη anspricht. In solchem Zusammen-
hang kann er der Gewißheit Ausdruck geben, daß Gott diejenigen, die er „zur
Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus berufen“ hat (1 Kor 1,9), auch in
dieser Gemeinschaft erhält – auf den Tag hin, an dem sie die eschatologische
σωτηρία empfangen.93 Den Grund dafür erblickt der Apostel einzig und allein
in der unverbrüchlichen Treue Gottes.94 Wenn Menschen in der Begegnung mit
dem Evangelium zum Glauben an Christus berufen werden, dann beruht das
nach Paulus auf göttlicher Erwählung.95 Wie aber der Glaube einem Menschen

Wirken des Geistes zu entziehen, und daß er von ihm selbst her (sic!) dieser Versuchung
durchaus erliegen und zu Fall kommen kann; zum andern, daß für ihn – wiederum: von ihm
selbst her gesehen – die Gefahr besteht, neben Christus auch andere heilsrelevante Größen
anzuerkennen und damit Christus und sein Heil zu verlieren. Beides aber denkt Paulus sehr
wohl, wie der Galaterbrief zeigt (s. zu der einen Möglichkeit Gal 5,13–6,10, zu der andern
Gal 5,2.4). Wenn beide Möglichkeiten nicht zur Wirklichkeit werden, so liegt das nicht an
dem denkenden und wollenden Ich des Glaubenden, sondern exklusiv an der Leitung und
Bewahrung durch Christus und seinen Geist.
92
 Der Satz ist streng im Kontext der Verse Gal 2,19 f. zu lesen und auszulegen. Die Worte
ζῶ δὲ οὐκέτι ἐγώ, ζῇ δὲ ἐν ἐμοὶ Χριστός V. 20a sind Folgerung aus V. 19, beschreiben also die
Konsequenz des Mit-Christus-Gekreuzigtseins: Es lebt nicht mehr Paulus, der alte, von der
Sünde beherrschte und deshalb dem Todesurteil des Gesetzes verfallene Mensch, sondern es
lebt jetzt Paulus, der neue Mensch, der Christus gehört und über dessen Personzentrum Christus
der Herr ist. Daß Christus nicht das Subjekt des neuen Menschen Paulus, sondern sein Gegen-
über ist, das beweist der sogleich folgende Satz V. 20b: „Was ich aber jetzt im Fleisch (d. h. in
meiner irdischen Existenz) lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt
und sich für mich in den Tod dahingegeben hat.“ – Zu Gal 2,19 f. s. im einzelnen H.-J. Eck-
stein, Verheißung und Gesetz. Eine exegetische Untersuchung zu Galater 2,15–4,7 (WUNT
86), Tübingen 1996, 55–76.
93
 S. dazu 1 Kor 1,4–9; Phil 1,6; 2,12 f.; 1 Thess 5,23 f. (vgl. auch 1 Kor 10,13). Für das an-
gemessene Verständnis der Verse Phil 2,12 f. ist die Erkenntnis entscheidend, daß es sich hier
weder um eine synergistische noch um eine paradoxe noch auch um eine dialektische Aussage
handelt, V. 13 vielmehr den Imperativ von V. 12 begründet; s. G. Eichholz, Bewahren und
Bewähren des Evangeliums: Der Leitfaden von Philipper 1–2, in: Ders., Tradition und Inter-
pretation (s. Anm. 27), 138–160: 154–160; U. B.  Müller, Der Brief des Paulus an die Philipper
(ThHK 11/I), Leipzig 1993, 114–117.
94
 1 Kor 1,9; 10,13; 1 Thess 5,24 [2 Thess 3,3].
95
 S. insbesondere 1 Thess 1,4 f. (vgl. 2,13), ferner Röm 8,28–30.33; 1 Kor 1,26–31 [2 Thess
2,13 f.].
„Extra nos in Christo“ 149

nicht zufällig zuteil wird, so wird er auch nicht hinfällig. Der Erwählung korre-
spondiert die Bewahrung.96
Es genügt, für den genannten Sachverhalt auf den Schluß des 8. Kapitels des
Römerbriefs hinzuweisen. Die Verse Röm 8,31–39 beginnen mit der Frage: „Was
sollen wir nun dazu sagen?“ (8,31a). Mit ihr faßt Paulus alle nur denkbaren Ein-
wände in den Blick, die gegen die zuvor in Röm 8,28–30 geäußerte Heilsgewiß-
heit erhoben werden können.97 Die Antwort lautet dann (8,31b.32): „Ist Gott für
uns, wer kann gegen uns sein? Er, der sogar seinen eingeborenen Sohn nicht
verschont, sondern ihn für uns alle [in den Tod] dahingegeben hat, – wie sollte er
uns mit ihm nicht alles schenken?“ Daß Gott „für uns“ ist, das ist diesen Worten
zufolge in der Dahingabe seines Sohnes offenbar geworden. Wenn Paulus dabei
auf die Abraham-Erzählung von Gen 22 anspielt,98 dann dürfte dem der folgende
Gedanke zugrunde liegen: Abraham war bereit, den einzigen Sohn, den er über
alles liebte,99 nicht zu verschonen – und zwar aus Liebe zu Gott, dessen Güte
er beständig erfahren hatte.100 Gott hat seinen geliebten Sohn tatsächlich nicht
verschont – aus Liebe zu den Menschen, die ihm mit Feindschaft begegnen.101
Weil Paulus die Größe dieser Liebe vor Augen hat, formuliert er einen Schluß
a maiore ad minus, den er in die Form einer Frage kleidet (V. 32): „Wie sollte
er – Gott – uns mit ihm – seinem Sohn – nicht alles schenken?“ Die Worte τὰ
πάντα meinen hier das Heil in seiner ganzen Fülle, also insbesondere auch die
noch ausstehende Vollendung. Die Frage selbst stellt de facto eine heilsgewisse
assertio dar, und sie wird als solche in den Versen 33–37 in zwei Schritten ex-
pliziert. In V. 33 f. betont der Apostel, daß es für die „Auserwählten Gottes“, für
die Christus gestorben und auferstanden ist und für die er zur Rechten Gottes in
beständiger Interzession eintritt, trotz aller denkbaren Anklagen keine Verurtei-
lung, sondern nur den Freispruch durch Gott geben wird.102 In V. 35–37 fügt er
hinzu, daß auch die Leiden dieser Zeit die Erwählten nicht von der Liebe Christi
zu trennen vermögen.103 Der gesamte Abschnitt wird dann in V. 38 f. durch einen

 96 Grundlegend dazu: J. M.  Gundry Volf, Paul and Perseverance. Staying in and Falling

Away (WUNT II 37), Tübingen 1990.


 97 Für diese Deutung spricht die Beobachtung, daß Paulus sonst im Römerbrief mit der

Frage τί (οὖν) ἐροῦμεν; stets auf einen Einwand Bezug nimmt, den er dann als unhaltbar zu-
rückweist; s. Röm 3,5; 4,1; 6,1; 7,7; 9,14; 9,30.
 98
 In ὅς γε τοῦ ἰδίου υἱοῦ οὐκ ἐφείσατο Röm 8,32a liegt eine Bezugnahme auf das Wort
Gottes an Abraham Gen 22,16 LXX vor: οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ δι᾽ ἐμέ.
 99
 So – im Anschluß an Gen 22,2 – Gen 22,2.16 LXX; Jub 18,2.15; Philo, Abr 170; Josephus,
Ant I 222.
100
 Daß die Bereitschaft, den Sohn zu opfern, Ausdruck der Liebe zu Gott ist, betont ex-
pressis verbis Philo, Abr 170: Abraham handelt „von der Liebe zu Gott überwältigt“ (ἔρωτι
θείῳ δεδαμασμένος).
101
 Der in der Anspielung auf Gen 22 enthaltene Gedanke stellt also eine Parallele zu Röm
5,7 f. dar.
102
 Die Verse Röm 8,33 f. stehen in einer inneren Beziehung zu dem in Röm 8,1–17 Gesagten.
103
 In den Versen Röm 8,35–37 hat Paulus vor allem das Verfolgungsleiden vor Augen,
150 „Extra nos in Christo“

Satz abgeschlossen, in dem Paulus im Blick auf alles, was die Glaubenden je
bedrohen könnte, der in dem „extra nos in Christo“ begründeten Heilsgewißheit
Ausdruck verleiht, daß niemand und nichts „uns scheiden kann von der Liebe
Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“.104

VII. Die Parusie Jesu Christi


und die eschatologische Heilsvollendung

Die mit der Parusie Jesu Christi verbundene Heilsvollendung bedeutet für die
Glaubenden, daß sie die ihnen mit der δικαιοσύνη verbürgte σωτηρία empfangen
und – in der bleibenden Gemeinschaft mit Christus – des ewigen Lebens bei Gott
teilhaftig werden.105 Das geschieht, wie Paulus in 1 Kor 15 darlegt, für die bereits
Verstorbenen durch die Auferstehung von den Toten und für die bei der Parusie
noch Lebenden durch die der Auferstehung entsprechende „Verwandlung“.106
Sowohl die Heilsvollendung selbst wie auch die Teilhabe an ihr sieht Paulus
dezidiert in der extra nos in Christo geschehenen Heilstat Gottes begründet. Das
zeigt sich besonders deutlich daran, wie in 1 Kor 15 der Zusammenhang zwischen
der Auferstehung Christi und der Auferstehung der Toten gedacht ist. Paulus
setzt in seiner Argumentation keineswegs die allgemeine Totenauferstehung
als eine Selbstverständlichkeit voraus, und er begreift die Auferstehung Jesu
weder als einen Sonderfall noch auch als die Antizipation bzw. als den Anbruch
derselben. Im Gegenteil: Er erblickt in der Auferstehung Christi den Realgrund
für die Auferstehung der Toten und dementsprechend in der Auferstehung der
Toten die notwendige Folge der Auferstehung Christi.107 Die Auferstehung wird
denen zuteil, die Christus gehören,108 weil sie aufgrund des Christusgeschehens
an seinem Tod und seiner Auferstehung partizipieren und sich von daher das
Evangelium an ihnen als ein „Duft vom Leben zum Leben“ erwiesen hat.109 Ein

das ihm selbst als dem Verkündiger des Evangeliums widerfährt. Zugleich ist damit aber eine
Beziehung zu den Ausführungen von Röm 8,18–30 gegeben.
104
 Die „Liebe Gottes in Christus Jesus unserem Herrn“ Röm 8,39 ist die im Christusgesche-
hen offenbar gewordene Liebe, wie sie Paulus in Röm 8,32a vor Augen steht.
105
 Zum eschatologischen σὺν Χριστῷ εἶναι s. 2 Kor 5,8; Phil 1,23; 1 Thess 4,17; 5,10.
106
 1 Kor 15,20–23.50–57. S. ferner Röm 8,11; Phil 3,20 f.; 1 Thess 1,10; 4,13–17; 5,9 f.
107
 S. dazu im einzelnen O. Hofius, Die Auferstehung der Toten als Heilsereignis. Zum
Verständnis der Auferstehung in 1 Kor 15, in: Ders., Exegetische Studien (s. Anm. 11), 102–114;
Ders., Die Auferstehung Christi und die Auferstehung der Toten. Erwägungen zu Gedanken-
gang und Aussage von 1 Kor 15,20–23, ebd., 115–131.
108 οἱ τοῦ Χριστοῦ 1 Kor 15,23.
109 2 Kor 2,15 f. Wörtlich heißt es hier, daß Paulus selbst für diejenigen, die gerettet werden,

„ein Duft vom Leben zum Leben“ ist. Es liegt eine Metonymie vor: Paulus als der Verkündiger
des Evangeliums ist der Träger dieses Duftes. Zu der Formulierung ἐκ ζωῆς εἰς ζωήν s. Bauer / ​
Aland, Wörterbuch⁶, 476 s. v. ἐκ 6.d: „ἐκ – εἰς hebt den doppelt gesetzten Begriff eindrucksvoll
hervor“. Gemeint ist: „ein Duft zu wahrem, unvergänglichem Leben“.
„Extra nos in Christo“ 151

klares Zeugnis dafür, daß nach Paulus die Entscheidung über die Teilhabe an
der eschatologischen σωτηρία bereits extra nos in Christo definitiv gefallen ist,
sind die beiden Schlüsse a maiore ad minus von Röm 5,8–10, in denen er erklärt:
Wenn Christus „für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren, – wieviel mehr
werden wir, da wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind (d. h. die heilvolle
Beziehung zu Gott empfangen haben), durch ihn vor dem [kommenden] Strafge-
richt gerettet werden“ (5,8 f.). Und: „Wenn wir, als wir Feinde [Gottes] waren,
durch den Tod seines Sohnes mit Gott versöhnt worden sind, – wieviel mehr
werden wir als Versöhnte durch sein Leben110 gerettet werden“ (5,10).

Im Anschluß an unsere exegetischen Überlegungen sei nunmehr festgehalten,


was sich den Paulusbriefen über das „extra nos in Christo“ als Voraussetzung
und Fundament des „pro nobis“ und des „in nobis“ entnehmen läßt. Das Heils-
handeln Gottes in Jesus Christus ist dem Zeugnis des Apostels zufolge ein
Geschehen, zu dem der Mensch, dem Gott sich rettend zuwendet, von sich aus
nichts beiträgt und auch nichts beizutragen vermag. Die Aussagen über dieses
Geschehen sprechen mithin von einer Wirklichkeit außerhalb des Menschen –
einer Wirklichkeit, die von ihm selbst und auch von seinem Glauben unabhängig
ist. Die elementare Bedeutung des „extra nos in Christo“ für das „pro nobis“
zeigt sich dabei eindrücklich an dem Zusammenhang von Heilstat, Heilswort
und Glaube. Die Heilstat Gottes ist extra nos in der Geschichte Jesu Christi
geschehen – allem Glauben vorauf und gerade so als die göttliche Entscheidung
pro nobis, aufgrund derer Menschen durch das Heilswort des Evangeliums zum
Glauben an Jesus Christus berufen werden. Das Heilswort Gottes hat Christus
und das extra nos in seiner Geschichte Geschehene zum alleinigen Inhalt, und
es erschließt die Heilstat, indem es Christus und mit ihm das „pro nobis“ im
Glauben zu erkennen gibt. Der durch das Heilswort gewirkte Glaube, der mit
der Erkenntnis des „pro nobis“ das in Christus beschlossene Heil ergreift, ist
bezogen auf die extra nos in Christus geschehene Heilstat als die Wirklichkeit,
die ihn begründet, trägt und erhält. Wie an dem beschriebenen Zusammenhang
abgelesen werden kann, ist das „pro nobis“ streng und ausschließlich Prädikat
der Geschichte Jesu Christi. Als solches hat es seinen Ort im Evangelium und
findet es als Gegenstand des Glaubens sein Echo in der fides qua creditur. Das
paulinische „pro nobis“ – so können wir knapp formulieren – heißt: „für uns
Menschen und zu unserem Heil“, es heißt dagegen nicht: „nach unserem per-
sönlichen und subjektiven Urteil“. Daß der Glaube an Christus im Verständnis

110
 Formal ist ἐν τῇ ζωῇ αὐτοῦ V. 10b dem διὰ τοῦ θανάτου τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ V. 10a an die Seite
gestellt. In der Sache handelt es sich um eine Metonymie, so daß gemeint ist: durch Christus
als den auferstandenen und lebendigen Herrn.
152 „Extra nos in Christo“

des Paulus kein subjektives Urteil ist, dürfte evident sein. Der Glaube stammt
nicht aus dem religiösen Bewußtsein des Menschen, sondern aus Gott, und was
der Glaubende glaubt, ist unabhängig davon wahr, daß er es glaubt. Wenn der
Glaube nach Paulus durch das verbum externum gewirkt wird und der Glauben-
de, da der Glaube nicht auf sich selbst stehen kann, immer neu des gepredigten
Evangeliums bedarf, dann liegt darin ein ganz wesentlicher Aspekt des „extra
nos in Christo“ als der Grundlage des „pro nobis“. – Wie das „pro nobis“, so
gründet dann auch das „in nobis“ in dem christologisch bestimmten „extra nos“.
In der Konsequenz der Entscheidung, die im Christusgeschehen über sie gefallen
ist, empfangen Menschen unter der Verkündigung des Evangeliums den Heili-
gen Geist. Dieser „wohnt“ in ihnen – nicht als ein Besitz, über den sie verfügen
könnten, oder gar als ihr innerster Wesensgrund, sondern als der Herr, der ihr
Personzentrum regiert und der ihnen allein deshalb kontinuierlich gewährt und
so erhalten bleibt, weil Gott, der Vater Jesu Christi, in Treue an seiner Erwählung
und Berufung festhält.
Die Reformatoren – zuvörderst Martin Luther und Johannes Calvin – haben
im Zentrum ihrer Theologie das paulinische „extra nos in Christo“ aufgenommen
und es in großer Klarheit zur Sprache gebracht.111 Von daher wird man sagen
dürfen, daß lutherische Identität wie auch reformierte Identität dann gewahrt
sind, wenn das in der Schule des Apostels erkannte „extra nos in Christo“ in
Verkündigung und Lehre, Liturgie und Unterweisung gewahrt bleibt.112 Damit
stellt sich zugleich die Frage, ob eine Kontinuität zu paulinisch-reformatorischer
Lehre auch da noch gegeben ist, wo das „pro nobis“ ausschließlich als ein me-
thodisches Erkenntnisprinzip verstanden wird113 oder ein religiöser bzw. herme-
neutischer Subjektivismus das Feld beherrscht, für den de facto der Mensch das
Maß aller Dinge ist.114 Diese Frage ist jetzt nicht zu erörtern, sie sollte aber am
Ende nicht unausgesprochen bleiben.
111
 Es genügt hier der Hinweis auf das für die Reformatoren grundlegende exklusive „solus
Christus“ und seine Explikation durch das „sola gratia“, das „solo verbo“ und das „sola fide
Christi“.
112 Zur fundamentaltheologischen Relevanz des „extra nos“ s. H. J.  Iwand, Dogmatik-

Vorlesungen 1957–1960. Ausgewählte Texte zur Prinzipienlehre, Schöpfungslehre, Rechtfer-


tigungslehre, Christologie, Ekklesiologie mit Einführungen, hg. v. Th. Bergfeld / ​E. Thaidigs-
mann (AHSTh 18), Münster 2013, 21–72.
113
 S. zur Problematik H. J.  Iwand, Wider den Mißbrauch des „pro me“ als methodisches
Prinzip in der Theologie, EvTh 14 (1954) 120–125 und ThLZ 79 (1954) 453–458; Ders., Glaube
und Wissen, hg. v. H. Gollwitzer (NW 1), München 1962, 27–44; Ders., Christologie, hg. v.
E. Lempp / ​E. Thaidigsmann (NW.NF 2), Gütersloh 1999, 425–431; Eichholz, Die Grenze
der existentialen Interpretation (s. Anm. 27), 210–226, bes. 218–223; W. Kreck, Christus extra
nos und pro nobis, in: Ders., Tradition und Verantwortung. Gesammelte Aufsätze, Neukirchen-
Vluyn 1974, 132–144; Ders., Das reformatorische „pro me“ und die existentiale Interpretation
heute, ebd., 145–168.
114
 S. zur Problematik M. Trowitzsch, Szene und Verbergung. Bemerkungen zum Be-
griff der Offenbarung, ThLZ 134 (2009) 517–536; M. Welker, Subjektivistischer Glaube als
religiöse Falle, EvTh 64 (2004) 239–248.
Gottes Wort im Menschenwort
Zum Verständnis des Evangeliums bei dem Apostel Paulus*

„Paulus, Knecht Christi Jesu, berufener Apostel, ausgesondert für das Evan-
gelium Gottes“ – so beginnt der Brief, den Paulus an die christliche Gemeinde
in Rom geschrieben hat, um ihr einen Einblick in seine Theologie und Verkün-
digung zu geben. Ein zentraler Begriff dieser Theologie und Verkündigung be-
gegnet sogleich in dem zitierten Briefanfang: das Wort εὐαγγέλιον. In welchem
Sinn der Apostel das Wort verwendet und was sich daraus für sein Verständnis
des Evangeliums ergibt, das soll in den folgenden Überlegungen bedacht und in
den Grundzügen beschrieben werden.1

Außerhalb des Neuen Testaments ist für das Wort εὐαγγέλιον unter anderem die
Bedeutung „die gute Nachricht“ / ​„die Freudenbotschaft“ belegt.2 Diese Bedeu-
tung liegt auch im Neuen Testament vor, in dem ausschließlich ein theologischer
Gebrauch des Wortes zu verzeichnen ist. Was dabei die Briefe des Paulus an-
langt, so kann ein vierfacher sprachlicher Befund notiert werden, dem jeweils
ein wichtiger sachlicher Befund entspricht.

* Gastvorlesung, gehalten am 25. 9. 2​ 009 an der Orthodoxen Geistlichen Akademie Minsk


in Zirowitschi (Belarus). Die Anmerkungen wurden in formaler Hinsicht, aber ohne inhaltliche
Veränderungen überarbeitet. Zur Begründung der exegetischen Urteile s. meine folgenden
Arbeiten: Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: O. Hofius, Paulusstudien (WUNT 51),
Tübingen ²1994, 148–174; „Die Wahrheit des Evangeliums“. Exegetische und theologische
Erwägungen zum Wahrheitsanspruch der paulinischen Verkündigung, in: O. Hofius, Paulus-
studien II (WUNT 143), Tübingen 2002, 17–37; Die Einzigartigkeit der Apostel Jesu Christi, in:
O. Hofius, Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 189–202; „Fides ex auditu“.
Verkündigung und Glaube nach Römer 10,4–17, in: J. von Lüpke / ​E. Thaidigsmann (Hg.),
Denkraum Katechismus. FS Oswald Bayer, Tübingen 2009, 71–86 (in dem vorliegenden Band:
105–120).
1 Die Darstellung beschränkt sich auf jene Paulusbriefe, deren Authentizität nicht zweifelhaft

sein kann. Belege aus den Briefen, bei denen die Verfasserschaft des Apostels in der Forschung
umstritten ist (Eph, Kol, 2 Thess, 1 Tim, 2 Tim, Tit), werden in den Auflistungen der folgenden
Anmerkungen jeweils in Klammern notiert.
2
 Zum Singular εὐαγγέλιον s. Josephus, Bell II 420; Appian, Bell III 93. IV 20.113; Pseudo-
Lukian, As 26; Heliodor, Aeth I 14,27. Für den Plural εὐαγγέλια seien exemplarisch genannt:
Josephus, Bell IV 656; Plutarch, Sert 11,8; Heliodor, Aeth I 14,26.
154 Gottes Wort im Menschenwort

1. Der Begriff εὐαγγέλιον wird in den Briefen des Apostels absolut gebraucht –
und zwar in der determinierten Form τὸ εὐαγγέλιον, „das Evangelium“.3 In die-
sem Sprachgebrauch kommt zum Ausdruck, daß es sich bei dem Evangelium um
ein Wort von einzigartiger Qualität handelt. Es ist die „gute Nachricht“ schlecht-
hin – die eine und einzige „Freudenbotschaft“, die einen jeden Menschen ganz
unmittelbar angeht und deshalb allen Menschen ausgerichtet werden muß. Die
so zu kennzeichnende Freudenbotschaft ist auch da gemeint, wo bei Paulus das
absolute ὁ λόγος – „das Wort“ – begegnet.4 Mit diesem Begriff wird ebenfalls
signalisiert: Das Evangelium ist das allerwichtigste Wort, das ein Mensch in
seinem Leben hören kann, und demzufolge ein Wort, das er unbedingt hören
soll und hören muß. Warum das Evangelium nach der Überzeugung des Paulus
diese einzigartige Qualität hat, das machen die beiden Redeweisen deutlich, die
wir als nächste in den Blick fassen.
2. Der Begriff εὐαγγέλιον wird bei Paulus mit dem Genitiv τοῦ θεοῦ ver-
bunden: τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ, „das Evangelium Gottes“.5 Diesem Ausdruck
entspricht die an anderen Stellen der Briefe erscheinende Wendung ὁ λόγος τοῦ
θεοῦ, „das Wort Gottes“.6 In beiden Formulierungen ist der Genitiv τοῦ θεοῦ
als ein Genitivus subjectivus und des näheren als ein Genitivus auctoris zu be-
stimmen, der den Urheber und die Quelle des Evangeliums bezeichnet. Das
Evangelium ist demnach Gottes eigenes Wort – die gute Nachricht, die von ihm
herkommt und die er kundmacht. Gott selbst also redet, wo das Evangelium
erklingt; seine Stimme ist es, die hier vernommen wird.
3. Der Begriff εὐαγγέλιον wird bei Paulus des weiteren mit dem Genitiv τοῦ
Χριστοῦ verbunden: τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ.7 Eine Parallele dazu findet
sich in Röm 1,9, wo das Evangelium Gottes als τὸ εὐαγγέλιον τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ
bezeichnet wird. Bei den Genitiven τοῦ Χριστοῦ und τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ haben
wir es jeweils mit einem Genitivus objectivus zu tun, so daß zu übersetzen ist:
„das Evangelium von Christus“ bzw. „das Evangelium von seinem (sc. Gottes)

3
 Röm 1,16; 10,16; 11,28; 1 Kor 4,15; 9,14.18.23; 15,1; 2 Kor 8,18; Gal 1,11; 2,2.5.7.14; Phil
1,5.7.12.16.27b; 2,22; 4,3.15; 1 Thess 2,4; Phm 13 (Eph 3,6; 6,19; Kol 1,5.23; 2 Tim 1,8.10). In
Röm 1,16 und in 1 Kor 9,18 ist τὸ εὐαγγέλιον die von den ältesten Handschriften bezeugte ur-
sprüngliche Lesart; erst jüngere Handschriften bieten die Fassung τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ.
4
 Gal 6,6; Phil 1,14; 1 Thess 1,6 (Kol 4,3; 2 Tim 4,2). In Phil 1,14 bieten wichtige alte Textzeu-
gen die Fassung ὁ λόγος τοῦ θεοῦ; dennoch dürfte ὁ λόγος die ursprüngliche Lesart sein. S. dazu
B. M.  Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament, Stuttgart ²1994, 544 f.
5 Röm 1,1; 15,16; 2 Kor 11,7; 1 Thess 2,2.8 f. Da das artikellose εὐαγγέλιον θεοῦ von Röm

1,1 durch den unmittelbar folgenden Relativsatz determiniert wird, besteht zwischen dieser
Formulierung und dem an den übrigen Stellen begegnenden Ausdruck τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ
inhaltlich kein Unterschied.
6 1 Kor 14,36; 2 Kor 2,17; 4,2; 1 Thess 2,13 (Kol 1,25; 2 Tim 2,9; Tit 1,3; 2,5); als sekundäre

Lesart: Phil 1,14 (s. Anm. 4).


7
 Röm 15,19; 1 Kor 9,12; 2 Kor 2,12; 9,13; 10,14; Gal 1,7; Phil 1,27a; 1 Thess 3,2; als sekundäre
Lesart: Röm 1,16; 15,29; 1 Kor 9,18. (Vgl. auch τὸ εὐαγγέλιον τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ 2 Thess
1,8 sowie ὁ λόγος τοῦ Χριστοῦ Kol 3,16).
Gottes Wort im Menschenwort 155

Sohn“.8 Die beiden Genitive geben den Inhalt des Evangeliums an – und zwar in
einem ganz präzisen Sinn. Das Wort Χριστός ist bei Paulus nicht einfach ein mit
„Jesus“ auswechselbarer Eigenname, sondern es ist ein solenner Beiname, der
Jesus als den kennzeichnet, der den Menschen das Heil Gottes bringt. Gleiches
gilt für den Hoheitstitel „Sohn Gottes“. In ihm kommt zum Ausdruck, daß Jesus
seinem Ursprung und Wesen nach auf die Seite seines himmlischen Vaters
gehört und daß er kraft dieses seines Ursprungs und Wesens als der Menschge-
wordene der Erlöser von Sünde und Tod ist.9 Was die Wendung τὸ εὐαγγέλιον
τοῦ Χριστοῦ bei Paulus besagt, läßt sich von daher eindeutig bestimmen: Das
Evangelium als das Wort Gottes hat nur einen einzigen Inhalt: Jesus Christus,
den „Sohn Gottes“, und das in ihm beschlossene Heil. Das Evangelium spricht
also von Jesu Person, weshalb Paulus einmal die Formulierung wählen kann:
„das Evangelium von der Herrlichkeit Christi, der das Bild Gottes ist“.10 Und
das Evangelium spricht zugleich und in einem von Jesu Werk – d. h. davon, daß
er als der Sohn Gottes durch seinen Kreuzestod und seine Auferstehung den
vor Gott verlorenen Menschen das ewige Heil gebracht hat: das Leben in der
Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott.11 Wenn aber Jesus Christus in seiner
Person und in seinem Werk der Inhalt des Evangeliums ist, dann bedeutet das:
Dieser Inhalt ist nicht eine Größe oder ein Sachverhalt der Vergangenheit, son-
dern der auferstandene und lebendige Herr. Deshalb kommt in dem Syntagma τὸ
εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ zugleich auch dies zum Ausdruck, daß Jesus Christus
als der Inhalt des Evangeliums in diesem Wort selbst gegenwärtig ist und denen
begegnet, die es hören.12
4. Der Begriff εὐαγγέλιον – so die letzte sprachliche Beobachtung – ist bei
Paulus mit dem Genitiv der 1. Person des Personalpronomens verbunden. So
heißt es in Röm 2,16: τὸ εὐαγγέλιόν μου13 – wörtlich: „mein Evangelium“; und

 8 Für Röm 1,9 wird das durch Röm 1,1–4 bewiesen, wo die Formulierung εὐαγγέλιον θεοῦ

[…] περὶ τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ […] Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ κυρίου ἡμῶν begegnet.
 9
 Zu „Sohn Gottes“ als dem dezidiert soteriologischen Hoheitstitel s. insbesondere: Röm
5,10; 8,3 f.32; 2 Kor 1,19 f.; Gal 2,20; 4,4–6; 1 Thess 1,10.
10
 2 Kor 4,4: τὸ εὐαγγέλιον τῆς δόξης τοῦ Χριστοῦ, ὅς ἐστιν εἰκὼν τοῦ θεοῦ (vgl. 1 Tim 1,11).
11
 S. dazu etwa die von Paulus zitierte apostolische Lehrtradition 1 Kor 15,3b–5. Sie gibt an,
„mit welcher Aussage“ (τίνι λόγῳ V. 2) der Apostel den Korinthern das Evangelium verkündigt
hat. – Weil das Evangelium das in Christus beschlossene Heil zum Inhalt hat, bezeichnet Paulus
es in 2 Kor 5,19 im Blick auf die im Kreuzesgeschehen vollzogene Versöhnung als ὁ λόγος τῆς
καταλλαγῆς, als „das Wort von der Versöhnung“. (Im Epheserbrief finden sich dann die Kenn-
zeichnungen als „das Evangelium von eurer Rettung“ [τὸ εὐαγγέλιον τῆς σωτηρίας ὑμῶν Eph
1,13] und als „das Evangelium von dem [durch Christus gestifteten] Frieden“ [τὸ εὐαγγέλιον
τῆς εἰρήνης Eph 6,15; vgl. dazu 2,14–18].)
12 Um die Gegenwart Christi im Evangelium geht es bei dessen Bezeichnung als ῥῆμα

Χριστοῦ in Röm 10,17, und in ὁ λόγος τοῦ κυρίου 1 Thess 1,8 (2 Thess 3,1) dürfte τοῦ κυρίου
ein Genitivus auctoris sein.
13
 So dann deuteropaulinisch in 2 Tim 2,8 sowie in der – aus der gottesdienstlichen Verlesung
des Römerbriefs stammenden – Doxologie [Röm] 16,25–27 (hier V. 25) bzw. [Röm] 14,24–26
(hier V. 24). Die Einfügung der Doxologie hinter Röm 14,23 findet sich im Anschluß an die
156 Gottes Wort im Menschenwort

in 2 Kor 4,3 und 1 Thess 1,5, wo Paulus ebenfalls von sich selbst spricht, erscheint
die Rede im Plural: τὸ εὐαγγέλιον ἡμῶν14 – wörtlich: „unser Evangelium“15. In
grammatischer Hinsicht ist der Genitiv μου bzw. ἡμῶν als ein Genitivus sub-
jectivus zu beurteilen, der den Verkündiger des Evangeliums bezeichnet. Die
Ausdrücke τὸ εὐαγγέλιόν μου und τὸ εὐαγγέλιον ἡμῶν entsprechen somit der
Wendung τὸ εὐαγγέλιον ὃ κηρύσσω von Gal 2,2.16 Sie dürfen deshalb nicht mit
„meine Verkündigung des Evangeliums“ übersetzt werden, sondern die korrekte
Übersetzung muß lauten: „das Evangelium, das ich verkündige“.

II

Die soeben erwähnte Formulierung von Gal 2,2 – τὸ εὐαγγέλιον ὃ κηρύσσω – ist
einer von vielen Belegen dafür, daß das Wort εὐαγγέλιον von Paulus als Akkusa-
tivobjekt zu einem Verbum verwendet wird, das die Bedeutung „verkündigen“
hat.17 Das Evangelium ist demnach der Gegenstand der Verkündigung – wobei
hinzuzufügen ist, daß der Apostel in derselben Weise und unter Verwendung
genau der gleichen Verben auch Christus selbst als den Gegenstand der Ver-
kündigung bezeichnet18. Bereits aufgrund dieses Befundes muß die von man-
chen Exegeten vertretene These, daß das Wort εὐαγγέλιον bei Paulus Terminus
technicus für die christliche Missionsverkündigung sei bzw. als nomen actionis
die Handlung der Verkündigung meine, als völlig unhaltbar bezeichnet werden.
Drei weitere Argumente kommen hinzu: 1. Für die Verkündigung gebraucht
Paulus in seinen Briefen die Ausdrücke ἀκοή und κήρυγμα,19 und für die Hand-

byzantinische Tradition auch im kirchenslawischen Text; s. Новый Завѣтъ Господа нашего


Іисуса Христа на славянскомъ и русскомъ языкахъ, St. Petersburg ¹³1904, 777.
14 So auch 2 Thess 2,14.
15 Paulus verwendet in seinen Briefen auch dann, wenn er von sich selbst spricht, nicht

selten den sogenannten „apostolischen“ Plural, d. h. die Rede in der 1. Person Plural. S. dazu
die Anmerkungen 25, 34, 37, 38 und 45.
16
 S. ferner auch 1 Kor 15,1: τὸ εὐαγγέλιον ὃ εὐηγγελισάμην ὑμῖν („das Evangelium, das ich
euch verkündigt habe“); Gal 1,11: τὸ εὐαγγέλιον τὸ εὐαγγελισθὲν ὑπ’ ἐμοῦ („das von mir ver-
kündigte Evangelium“).
17
 εὐαγγελίζεσθαι: 1 Kor 15,1 f.; 2 Kor 11,7; s. auch Gal 1,11.  – καταγγέλλειν: 1 Kor 9,14.  –
κηρύσσειν: Gal 2,2; 1 Thess 2,9 (Kol 1,23); vgl. Röm 10,8 (τὸ ῥῆμα τῆς πίστεως κηρύσσειν [das
ῥῆμα τῆς πίστεως ist das in V. 16 erwähnte Evangelium]). – λαλεῖν: 1 Thess 2,2; vgl. Phil 1,14
(τὸν λόγον λαλεῖν) sowie in der Sache auch 2 Kor 2,17b (zu λαλοῦμεν ist aus V. 17a das Objekt
τὸν λόγον τοῦ θεοῦ zu ergänzen). Hinzuweisen ist ferner auch auf Röm 15,19 (Kol 1,25), wo das
Verbum πληροῦν die Bedeutung „überall verkündigen“ haben dürfte.
18 εὐαγγελίζεσθαι: Gal 1,16. – καταγγέλλειν: Phil 1,17 f. (Kol 1,28). – κηρύσσειν: 1 Kor 1,23;

15,12; 2 Kor 1,19; 4,5; Phil 1,15 (1 Tim 3,16). – λαλεῖν: vgl. 1 Kor 2,6 f.13 (nach 1,24 ist Christus
„Gottes Weisheit“).
19
 ἀκοή: Röm 10,16 f.; Gal 3,2.5; 1 Thess 2,13. – κήρυγμα: 1 Kor 1,21; 2,4; 15,14 (2 Tim 4,17;
Tit 1,3; [Röm] 16,25 bzw. 14,24). – Auf die Verkündigung beziehen sich außerdem: λόγος 1 Kor
1,18; 2,4 (1 Tim 5,17), μαρτύριον 1 Kor 1,6 (2 Thess 1,10) und παράκλησις 1 Thess 2,3 (1 Tim 4,13).
Gottes Wort im Menschenwort 157

lung der Verkündigung verwendet er die Verben εὐαγγελίζεσθαι, καταγγέλλειν,


κηρύσσειν und λαλεῖν.20  – 2. Paulus spricht gelegentlich davon, daß gewisse
Verkündiger das Evangelium „pervertieren“ oder „verfälschen“.21 Das geschieht
nach seinem Urteil da, wo das geleugnet oder relativiert wird, was er „die Wahr-
heit des Evangeliums“ nennt: daß das Heil Gottes einzig und allein in dem
gekreuzigten und auferstandenen Christus zu finden ist.22 So aber könnte der
Apostel nicht denken und reden, wenn Evangelium und Verkündigung dasselbe
wären.  – 3. Paulus selbst unterscheidet in Röm 10,17 ausdrücklich zwischen
der apostolischen Predigt und dem Evangelium Gottes. Er schreibt dort: „Der
Glaube kommt aus der Verkündigung, die Verkündigung aber gründet in dem
Wort Christi“ (ἡ πίστις ἐξ ἀκοῆς, ἡ δὲ ἀκοὴ διὰ ῥήματος Χριστοῦ). Wie sich
aus dem Kontext Röm 10,4–17 ergibt, ist mit dem „Wort Christi“ das zuvor in
V. 16 erwähnte Evangelium gemeint,23 und somit folgt aus der zitierten Aus-
sage zwingend, daß das Evangelium der Verkündigung vorgegeben ist und ihre
Grundlage bildet.
Daß das Evangelium der Verkündigung vorgegeben ist, wird ebenfalls deut-
lich, wenn der Apostel in Gal 2,7 schreibt: „Ich bin mit dem Evangelium be-
traut“24 oder wenn er in 1 Thess 2,4 im Blick auf sich selbst und seine Ver-
kündigung erklärt: „Wie ich von Gott für wert befunden worden bin, mit dem
Evangelium betraut zu werden, so rede ich.“25 In beiden Aussagen denkt Paulus
ohne Zweifel an das Geschehen seiner Berufung vor Damaskus. Über dieses
Geschehen sagt er in 1 Kor 9,1: „Ich habe Jesus, unseren Herrn, gesehen“, und
im ersten Kapitel des Galaterbriefs betont er, daß er dort – vor Damaskus – das
Evangelium unmittelbar von Gott selbst empfangen hat.26 Um das in seiner Tiefe
und Tragweite zu verstehen, muß man beachten, daß Paulus das Damaskus-
ereignis als die letzte jener Ostererscheinungen Jesu Christi begreift, durch die

20
 εὐαγγελίζεσθαι: Röm 1,15; 10,15 (= Zitat von Jes 52,7); 15,20; 1 Kor 1,17; 9,16.18; 15,1 f.;
2 Kor 10,16; 11,7; Gal 1,8 f.11.16; 4,13 (Eph 3,8). – καταγγέλλειν: 1 Kor 2,1; 9,14; Phil 1,17 f. –
κηρύσσειν: Röm 10,8.14 f.; 1 Kor 1,23; 9,27; 15,11 f.; 2 Kor 1,19; 4,5; 11,4; Gal 2,2; Phil 1,15;
1 Thess 2,9 (Kol 1,23; 1 Tim 3,16; 2 Tim 4,2). – λαλεῖν: 1 Kor 2,6 f.13; 2 Kor 2,17; 4,13; Phil 1,14;
1 Thess 2,2.4.16.
21 Gal 1,7 (μεταστρέφειν τὸ εὐαγγέλιον); 2 Kor 4,2 (δολοῦν τὸν λόγον τοῦ θεοῦ). Vgl. auch

die Formulierungen εὐαγγέλιον ἕτερον κηρύσσειν (2 Kor 11,4; vgl. Gal 1,6) und ἄλλον Ἰησοῦν
κηρύσσειν (2 Kor 11,4).
22
 Zum Begriff der ἀλήθεια τοῦ εὐαγγελίου s. Gal 2,5.14; vgl. auch Gal 4,16; 5,7 sowie 2 Kor
4,2. (Aufgrund der Überzeugung, daß das Evangelium die rettende Wahrheit Gottes enthält,
wird es in Kol 1,5; Eph 1,13; 2 Tim 2,15 als ὁ λόγος τῆς ἀληθείας bezeichnet.)
23
 Gleiches gilt für die sekundären Lesart διὰ ῥήματος θεοῦ (so u. a. der byzantinische Text
und entsprechend die kirchenslawische Übersetzung [Новый Завѣтъ, 763]).
24
 Vgl. deuteropaulinisch: 1 Tim 1,11; Tit 1,3.
25
 Bei der 1. Person Plural des griechischen Textes (δεδοκιμάσμεθα und λαλοῦμεν) handelt
es sich um den „apostolischen“ Plural. Diesen gebe ich hier und im Folgenden in meinen Über-
setzungen durch die 1. Person Singular wieder.
26
 Gal 1,11 f.15 f.
158 Gottes Wort im Menschenwort

bestimmte Menschen zu Verkündigern des Evangeliums berufen wurden.27 Er


erblickt in diesen Erscheinungen ein göttliches Offenbarungsgeschehen,28 in
dem der von den Toten auferstandene Herr einem begrenzten Kreis von Augen-
zeugen seine Person und sein Werk erschlossen und so die Wahrheit über sich
selbst zu erkennen gegeben hat. Diejenigen, die in dieser einmaligen Weise zu
Zeugen des Evangeliums erwählt und berufen wurden, bezeichnet Paulus als die
„Apostel“ Jesu Christi29. Ihre besondere, ja einzigartige Autorität liegt darin, daß
sie aufgrund der ihnen zuteil gewordenen Offenbarung zuverlässig wissen und
deshalb auch glaubwürdig sagen können, was kein Mensch von sich aus wissen
und sagen kann – nämlich: wer Jesus Christus ist und was sich in seiner Geburt,
in seinem Tod und in seiner Auferstehung ereignet hat. Die Apostel sind die
authentischen Christuszeugen, die als solche die „Wahrheit des Evangeliums“
gültig und für die Kirche aller Zeiten verbindlich zur Sprache bringen.30 Weil
Paulus sich durch die Gnade Gottes zu einem solchen Apostel Jesu Christi
berufen weiß,31 deshalb sieht er sich mit seiner ganzen Person und somit gerade
auch in seiner Verkündigung an das Evangelium als das ihm anvertraute „Wort
Gottes“ gebunden.32
Zwischen dem Evangelium als dem „Wort Gottes“ und der Verkündigung des
Apostels muß – wie wir jetzt festhalten können – präzise unterschieden werden;
beides ist keineswegs dasselbe. Ist das erkannt, dann ist allerdings sogleich
auch das andere mit Nachdruck zu betonen: Das Evangelium Gottes und die
Verkündigung des Apostels können nicht voneinander getrennt werden. Es ist
ein eindrucksvolles Zeugnis für die unlösliche Zusammengehörigkeit der beiden
zu unterscheidenden Größen, wenn Paulus in 1 Thess 2,13 die sprachlich recht
komplizierte Wendung prägt: λόγος ἀκοῆς παρ᾽ ἡμῶν τοῦ θεοῦ. Sie bezieht
sich auf das Evangelium, von dem im Ersten Thessalonicherbrief bereits vorher
mehrfach die Rede war,33 und ihr Sinn ist: „das in meiner Predigt ausgerichtete
und vernommene Wort Gottes“.34 Wie diese Formulierung erkennen läßt, ist
27 So ausdrücklich 1 Kor 15,8 im Anschluß an das vorher Gesagte und im Kontext der Verse
1–11.
28 S. die Begriffe ἀποκάλυψις und ἀποκαλύπτειν in Gal 1,12 bzw. Gal 1,16.
29
 Zu ἀπόστολος Ἰησοῦ Χριστοῦ u. ä. als Selbstbezeichnung des Paulus s. 1 Kor 1,1; 2 Kor 1,1;
1 Thess 2,7 (Eph 1,1; Kol 1,1; 1 Tim 1,1; 2 Tim 1,1; Tit 1,1). Um diesen Begriff handelt es sich auch
in Röm 1,1; 11,13; 1 Kor 4,9; 9,1 f.5; 12,28 f.; 15,7.9; 2 Kor 11,13; 12,12; Gal 1,1.17.19 (Eph 2,20; 3,5;
4,11; 1 Tim 2,7; 2 Tim 1,11).
30
 Der Epheserbrief bezeichnet die Apostel deshalb als das durch den „Eckstein“ Jesus
Christus bestimmte, ausgerichtete und festgelegte „Fundament“, auf dem die Kirche erbaut
ist (Eph 2,20).
31
 Röm 1,1.5; 1 Kor 15,9 f.; Gal 1,15.16a.
32
 S. dazu die zu Beginn des Aufsatzes zitierte Selbstvorstellung von Röm 1,1, in der die
Worte „ausgesondert für das Evangelium Gottes“ (ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ) die ab-
solute Bindung an das Evangelium zum Ausdruck bringen.
33
 1 Thess 1,5 f.8; 2,2.4.8 f.
34 In 1 Thess 2,13 spricht Paulus im „apostolischen“ Plural von sich selbst. Zur sprachlichen

Analyse ist zu bemerken: Der Genitiv τοῦ θεοῦ ist Genitivus auctoris zu λόγος, die Bestimmung
Gottes Wort im Menschenwort 159

die Verkündigung des Apostels das Instrument, durch das Gott selbst sein Wort
laut werden läßt. Das heißt: Denen, die den Apostel hören, begegnet Gottes
Wort im Menschenwort – seine rettende Anrede in menschlicher Sprache und in
menschlichem Zeugnis. Das Menschenwort der apostolischen Predigt steht dabei
ganz im Dienst des Evangeliums,35 und das Evangelium ist nirgends anders zu
finden und zu vernehmen, als in dem Menschenwort des von Gott berufenen und
bevollmächtigten Boten.36

III

Aus dem bisher Dargelegten ergibt sich eine gewichtige Konsequenz, die in
einem letzten Schritt unserer Betrachtungen noch bedacht werden soll. Wenn das
Evangelium – wie wir gesehen haben – im strengen Sinn das Wort Gottes ist,
dann ist es das Wort des Schöpfers, der nach Röm 4,17 „die Toten lebendig macht
und das Nicht-Seiende ins Dasein ruft“. Das aber bedeutet: In dem Evangelium
ist der schöpferische Geist Gottes auf dem Plan und am Werk.
Von daher ist zu verstehen, was Paulus im Ersten Thessalonicherbrief über
sein missionarisches Wirken in Thessalonich schreibt. Das von ihm verkün-
digte Evangelium – so hören wir in 1,5 f. – ist an die Thessalonicher ergangen
„nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft des Heiligen Geistes“,37 und
eben deshalb haben sie das Evangelium „inmitten großer Bedrängnis mit der
Freude aufgenommen, die der Heilige Geist wirkt“. Dementsprechend erklärt
der Apostel in 2,13: „Ich sage Gott unablässig Dank dafür, daß ihr, als ihr das in
meiner Predigt ausgerichtete und vernommene Wort Gottes empfingt, es nicht
als Menschenwort aufgenommen habt, sondern als das, was es in Wahrheit ist:
als Gottes Wort, das sich als solches wirksam erweist unter euch, den Glau-

παρ᾽ ἡμῶν gehört zu ἀκοῆς und steht für einen Genitivus auctoris, und der Genitiv ἀκοῆς gibt
epexegetisch an, wo der λόγος τοῦ θεοῦ zu vernehmen ist.
35
 Paulus versteht sich selbst im gleichen Sinn als Diener Jesu Christi und als Diener des
Evangeliums; s. Röm 1,1.9; 15,16; 1 Kor 3,5; 4,1; 2 Kor 3,6 (die καινὴ διαθήκη ist das Evan-
gelium); Phil 2,22. Vgl. auch 2 Kor 3,2 f.
36
 Daß das Evangelium Gottes und die apostolische Verkündigung nicht identisch, wohl aber
unlöslich aufeinander bezogen und miteinander verbunden sind, kommt auch in Tit 1,3 zum
Ausdruck: (ὁ θεὸς) ἐφανέρωσεν […] τὸν λόγον αὐτοῦ ἐν κηρύγματι ὃ ἐπιστεύθην ἐγὼ κατ’
ἐπιταγὴν τοῦ σωτῆρος ἡμῶν θεοῦ.
37 1 Thess 1,5: τὸ εὐαγγέλιον ἡμῶν οὐκ ἐγενήθη εἰς ὑμᾶς ἐν λόγῳ μόνον ἀλλὰ καὶ ἐν δυνάμει

καὶ ἐν πνεύματι ἁγίῳ. Bei ἡμῶν handelt es sich um den „apostolischen“ Plural. Die Worte ἐν
δυνάμει καὶ ἐν πνεύματι ἁγίῳ sind nach meinem Urteil als eine Einheit zu fassen, und Pau-
lus spricht nicht von Wundertaten, die seine Verkündigung begleiteten, sondern wie in 1 Kor
2,4 (ἐν ἀποδείξει πνεύματος καὶ δυνάμεως) von dem Glauben schaffenden Machterweis des
Heiligen Geistes. Zu ἐν δυνάμει erklärt J. A.  Bengel, Gnomon Novi Testamenti (³1773), hg. v.
P. Steudel, Stuttgart ⁸1891, 810 zutreffend: ad fidem.
160 Gottes Wort im Menschenwort

benden.“38 Spricht Paulus hier von der Wirksamkeit des von ihm verkündigten
Evangeliums, so ist das ganz umfassend gemeint: Das Evangelium hat bei
denen, die es hörten, den Glauben an Jesus Christus geschaffen und ihnen so die
eschatologische Rettung eröffnet;39 und es wirkt weiter in ihnen und an ihnen,
indem es sie im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung bewahrt,40 ihnen
die Kraft schenkt, um Christi willen zu leiden,41 und ihr ganzes Leben – gerade
auch im Bereich der Heiligung – prägt und bestimmt.42 So sind die Christen zu
Thessalonich in ihrer Existenz ein sichtbares Zeugnis dafür, daß das Evangelium
als das schöpferische Wort Gottes den Glauben an Christus und das Leben in
diesem Glauben wirkt. Daß dabei das Menschenwort des Apostels an der Leben
schaffenden Macht des von ihm verkündigten Evangeliums partizipiert, kann
aus den Aussagen des Ersten Thessalonicherbriefs nur gefolgert werden; es wird
aber im Ersten Korintherbrief ausdrücklich gesagt, wenn es dort von der pau-
linischen Verkündigung des gekreuzigten Christus heißt: Diese Verkündigung
erging „im Erweis des machtvoll wirkenden Geistes“, so daß der Glaube der
Korinther in nichts anderem begründet ist als „in der Kraft Gottes“.43
Den Aussagen des Ersten Thessalonicherbriefs über das Evangelium als das
schöpferische Wort Gottes lassen sich andere Zeugnisse der Paulusbriefe an die
Seite stellen. So ist nach Röm 1,16 f. das von Paulus verkündigte Evangelium
„Gottes Kraft zur Rettung für jeden Glaubenden“44, weil Gott selbst in ihm
sein Heil „offenbart“ und eben damit den Glauben schafft, der das Heil ergreift.
Vor allem aber ist hier der theologisch gewichtige Textzusammenhang 2 Kor
2,14–6,10 zu nennen, in dem es in grundlegenden Ausführungen um das Evan-
gelium und um den apostolischen Dienst der Evangeliumsverkündigung geht.
Zu Beginn des Abschnitts spricht Paulus in einem eindrücklichen Bild von dem
Triumphzug des Evangeliums, an dem er selbst als der Verkündiger teilnimmt
und in dem Gott durch ihn „den Duft seiner Erkenntnis an allen Orten offenbar
macht“.45 Die heilvolle, weil Leben eröffnende Erkenntnis Gottes, von der hier

38 Auch in diesem Vers begegnet der „apostolische“ Plural. Zu den Worten ὃς καὶ ἐνεργεῖται

ist anzumerken, daß καί der nachdrücklichen Unterstreichung des Relativpronomens dient
(s. F. Blass  / ​A.  Debrunner / ​F.  Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch,
Göttingen ¹⁷1990, § 442,8b) und deshalb nicht mit „auch“ wiedergegeben werden sollte.
39
 1 Thess 1,4–10; 5,9 f.
40
 S. dazu 1 Thess 1,3; 3,1–13; 5,23 f.
41
 So 1 Thess 2,14 in unmittelbarem Anschluß an V. 13.
42
 S. dazu besonders 1 Thess 2,9–12; 3,12 f.; 4,1–12.
43
 1 Kor 2,4 f.: ὁ λόγος μου καὶ τὸ κήρυγμά μου […] ἐν ἀποδείξει πνεύματος καὶ δυνάμεως,
ἵνα ἡ πίστις ὑμῶν […] ᾖ […] ἐν δυνάμει θεοῦ. Neben 1 Kor 2,4 f. ist auch 1 Kor 1,18 zu nennen,
wo Paulus von dem λόγος ὁ τοῦ σταυροῦ, d. h. von seiner Verkündigung des gekreuzigten
Christus, genau das sagt, was er in Röm 1,16 dem Evangelium zuschreibt (s. Anm. 44).
44
 Röm 1,16: δύναμις θεοῦ εἰς σωτηρίαν παντὶ τῷ πιστεύοντι.
45
 2 Kor 2,14. In diesem Vers handelt es sich – wie zumeist in 2 Kor 2,14–6,10 – bei der Rede
in der 1. Person Plural um den „apostolischen“ Plural und also um eine Aussage des Paulus
über sich selbst.
Gottes Wort im Menschenwort 161

die Rede ist, ist die Erkenntnis Jesu Christi und seiner „Herrlichkeit“.46 Das
heißt: Es ist die Erkenntnis, daß in Christus Gott selbst in seiner göttlichen Herr-
lichkeit gegenwärtig ist und daß er in ihm, dem gekreuzigten und auferstandenen
Herrn, den Menschen sein Heil bereitet hat und gewährt.47 Im verkündigten
Evangelium tritt diese Herrlichkeit Christi strahlend in Erscheinung (4,4) – und
damit zugleich in der apostolischen Predigt des Evangeliums, die Paulus als
die „offene Verkündigung der Wahrheit“48 bezeichnet (4,2). Die Wirkmacht des
Evangeliums beschreibt der Apostel dann in dem höchst bedeutsamen Satz 2 Kor
4,6: „Gott, der da sprach: ‚Aus der Finsternis leuchte das Licht hervor!‘ – der hat
es in unseren Herzen Licht werden lassen, so daß leuchtend aufging die Erkennt-
nis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi.“49 In diesem Satz
sind zwei Gedanken aufs engste miteinander verbunden. Paulus hat zunächst das
Damaskusgeschehen vor Augen, in dem ihm die Erkenntnis Jesu Christi zuteil
wurde – und zwar durch die unmittelbare Begegnung mit dem auferstandenen
Herrn als dem Evangelium in Person.50 Zugleich aber versteht er dieses Gesche-
hen in einer bestimmten Hinsicht „modellhaft“51: Die Hörer der apostolischen
Verkündigung begegnen dem auferstandenen Herrn zwar nicht unmittelbar,
wohl aber als dem, der im verkündigten Evangelium präsent ist, und auch ihnen
wird durch diese Begegnung die Erkenntnis Jesu Christi geschenkt. Paulus
spricht also in 2 Kor 4,6 sowohl im Blick auf sich selbst wie auch im Blick auf
die Korinther von dem Wunder des Zum-Glauben-Kommens. Dabei charakte-
risiert er dieses als ein Wunder der Neuschöpfung, das nur mit dem Wunder der
Erschaffung des Lichtes am ersten Schöpfungstag verglichen werden kann. Wie
Gott nach Gen 1,3 durch sein machtvolles Schöpferwort das Licht da aufstrahlen
ließ, wo zuvor nichts als Finsternis herrschte, so läßt er durch das Evangelium
als sein schöpferisches Wort in dem finsteren Herzen des vor Gott verlorenen
Menschen das Licht aufleuchten, so daß die Erkenntnis der „Herrlichkeit“ des
gekreuzigten und auferstandenen Christus „leuchtend aufgeht“.52 Der Satz 2 Kor
4,6 ist das klarste und eindrücklichste Zeugnis für die Gewißheit des Paulus, daß

46 Der Aussage von 2 Kor 2,14 korrespondiert diejenigen von 2 Kor 4,6 (vgl. auch 4,4).
47 S. dazu 2 Kor 5,14–21; 6,1 f.
48
 So die Übersetzung der Worte ἡ φανέρωσις τῆς ἀληθείας bei Bauer / ​Aland, Wörter-
buch⁶, 1701 s. v. φανέρωσις.
49
 Zur Begründung der Übersetzung und zur Auslegung im einzelnen s. Hofius, Wort Gottes
und Glaube bei Paulus (s. Anm. *), 161–163.
50 Vgl. dazu auch das Selbstzeugnis des Apostels von Phil 3,8.
51 H.-J. Klauck, 2. Korintherbrief (NEB.NT 8), Würzburg 1986, 44.
52 Die Worte des Apostels sind in dem Gebet aufgenommen, das in der Göttlichen Liturgie

vor der Verlesung des Evangeliums gesprochen wird: Ἔλλαμψον ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν,
φιλάνθρωπε δέσποτα, τὸ τῆς σῆς θεογνωσίας ἀκήρατον φῶς καὶ τοὺς τῆς διανοίας ἡμῶν
διάνοιξον ὀφθαλμοὺς εἰς τὴν τῶν εὐαγγελικῶν σου κηρυγμάτων κατανόησιν. – „Laß leuchten,
o menschenliebender Herr, in unseren Herzen das reine Licht deiner Gotteserkenntnis und öffne
die Augen unseres Verstandes, damit wir die Verkündigung deines Evangeliums verstehen.“
162 Gottes Wort im Menschenwort

da, wo die Verkündigung das ihr vorgegebene Evangelium gehorsam ausrichtet,


im Menschenwort des Verkündigers – Gottes Wort laut wird.
„Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“
Überlegungen zu drei Grundbegriffen paulinischer Theologie1

Die Worte „Sünde“ (ἁμαρτία), „Gesetz“ (νόμος) und „Gnade“ (χάρις) gehören
zu den zentralen Begriffen der Theologie des Apostels Paulus. Was genau Pau-
lus unter diesen drei Größen versteht und wie er das Verhältnis zwischen ihnen
bestimmt, das soll im Folgenden dargelegt werden. Daß es sich dabei lediglich
um eine Skizze handeln kann, die sich auf die entscheidenden Aussagen des
Apostels beschränken muß, sei ausdrücklich bemerkt.2

Fassen wir zunächst die Aussagen über die „Sünde“ in den Blick, so ist mit einer
sprachlichen Beobachtung einzusetzen: Paulus verwendet das Wort „Sünde“
(ἁμαρτία) – von wenigen Zitaten und formelhaften Wendungen abgesehen3 –
ausschließlich im Singular und ohne den Zusatz irgendeines Attributes.4 In
diesem für den Apostel charakteristischen Sprachgebrauch spiegelt sich sein
eigentümliches Verständnis der Sünde wider, für das fünf Bestimmungen notiert
werden können.
1. „Sünde“ ist bei Paulus nicht ein moralischer, sondern ein theologischer
Begriff. Das heißt: Er gebraucht das Wort nicht als einen Ausdruck für sitt-
liches Versagen oder für einzelne konkrete Verfehlungen, sondern er bezieht es
in ganz grundsätzlicher Weise auf das unmittelbare Verhältnis des Menschen
1 Dem Aufsatz liegt ein Vortrag zugrunde, der im Dezember 2012 in Athen auf einer inter-

disziplinären Tagung zu Fragen der Ethik gehalten wurde (neugriechisch).


2
 Da die folgenden Ausführungen wesentliche Ergebnisse meiner langjährigen Beschäf-
tigung mit den Paulusbriefen voraussetzen, weise ich in den Anmerkungen zur näheren Be-
gründung bzw. zur Vertiefung bestimmter Aussagen mehrfach auf frühere Arbeiten hin. Auf
eine explizite Darstellung und Kritik von Positionen, die ich nicht teile, wird im Blick auf die
Grenzen, die dem Umfang des Aufsatzes gesetzt sind, bewußt verzichtet.
3
 Röm 4,7 (Ψ 31,1); 7,5 (traditioneller Gebrauch des Plurals); 11,27b (der Plural αἱ ἁμαρτίαι
[diff. Jes 27,9 LXX] ist Angleichung an ἀσέβειαι 11,26b [= Jes 59,20 LXX]); 1 Kor 15,3 (vorpau-
linische Lehrtradition); 15,17 (Bezugnahme auf V. 3); Gal 1,4 (vorpaulinische Formel); 1 Thess
2,16 (traditionelle Wendung; vgl. Gen 15,16 LXX; Dan 8,23 LXX θ’; 2 Makk 6,14). Der Plural
αἱ ἁμαρτίαι bezeichnet jeweils die einzelnen Tatsünden.
4
 Röm 3,9.20; 5,12 f.20 f.; 6,1 f.6 f.10–14.16–18.20.22 f.; 7,7–9.11.13 f.17.20.23; 8,2 f.10; 14,23;
1 Kor 15,56; 2 Kor 5,21; Gal 2,17; 3,22 (auch Röm 7,25b – nach meinem Urteil eine unpaulinische
Glosse). Nicht spezifisch paulinisch ist die Formulierung ἁμαρτίαν ποιεῖν 2 Kor 11,7 (vgl. z. B.
Dtn 9,21 LXX; Tob 12,10; 14,7 S; Jak 5,15; 1 Petr 2,22).
164 „Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“

zu Gott, seinem Schöpfer. Paulus kennzeichnet die Sünde als „Gottlosigkeit“


(ἀσέβεια), als „Ungerechtigkeit“ (ἀδικία) und als „Feindschaft gegen Gott“
(ἔχθρα εἰς θεόν)5 – und dementsprechend die „Sünder“ (ἁμαρτωλοί)6 als „Gott-
lose“ (ἀσεβεῖς), als „Ungerechte“ (ἄδικοι) und als „Feinde“ (ἐχθροί) Gottes7.
Dieser Kennzeichnung entspricht der Satz Röm 1,21a, der gewissermaßen eine
Definition der Sünde enthält, wenn dort im Blick auf alle Menschen gesagt
wird: „Obwohl sie um Gott wußten, haben sie ihn nicht als Gott geehrt noch ihm
gedankt, sondern sie sind in ihren Gedanken auf Nichtiges verfallen“ (γνόντες
τὸν θεὸν οὐχ ὡς θεὸν ἐδόξασαν ἢ ηὐχαρίστησαν, ἀλλ’ ἐματαιώθησαν ἐν τοῖς
διαλογισμοῖς αὐτῶν). Von allen Menschen gilt demnach: Statt Gott über alles
zu lieben und zu ehren, verweigern sie ihm in törichter Verblendung den dank-
baren Lobpreis wie auch den gehorsamen Dienst. Nicht ihm, dem lebendigen
Gott, gehört ihr Herz, sondern Dingen, die im Vergleich zu ihm nichtig sind.8 Die
Sünde ist also, wie wir sagen können, das fundamentale „Nein“ zu Gott. Dieses
„Nein“ spricht nicht nur der Mensch, der Gott ganz bewußt ablehnt oder seine
Existenz leugnet; es wird vielmehr auch da laut, wo Menschen so leben und
handeln, denken und reden, als gäbe es Gott gar nicht. Und das „Nein“ ist ebenso
da gegeben, wo es Menschen in ihrer Religiosität letztlich gar nicht um Gott
selbst geht, sondern darum, ihn zum Erfüllungsgehilfen der eigenen Wünsche,
Pläne und Ziele zu machen. Es ist das harte Urteil des Paulus, daß ausnahmslos
alle Menschen so, wie sie von sich aus existieren, im Sinne des „Nein“ zu Gott
Sünder sind.9 Mit diesem „Nein“ verfehlt der Mensch die Daseinsbestimmung,
von Gott her und für Gott zu leben. Als dieser Mensch aber besitzt er nicht die
δικαιοσύνη, d. h. die heilvolle, weil intakte Beziehung zu dem lebendigen Gott.10
 5
 ἀσέβεια: Röm 1,18; ἀδικία: Röm 1,18; 2,8; 3,5; 6,13 (vgl. 1 Kor 13,6); ἔχθρα εἰς θεόν: Röm
8,7. Wie bei der ἀσέβεια und der ἔχθρα εἰς θεόν, so geht es auch bei der ἀδικία um das Verhältnis
des Menschen zu Gott: Die „Ungerechtigkeit“ besteht in der Mißachtung bzw. Verachtung
Gottes und seines Willens und Gebotes.
 6 Röm 3,7; 5,8.19; Gal 2,15.17.
 7 ἀσεβεῖς: Röm 4,5; 5,6; ἄδικοι: 1 Kor 6,1.9 (vgl. auch Röm 3,10b); ἐχθροί: Röm 5,10. Zu

ἄδικοι s. das in Anm. 5 zu ἀδικία Gesagte.


 8 Daß der Mensch sich dem lebendigen Gott verschließt und statt dessen sein Herz an

Nichtiges hängt, das bezeichnet Paulus in Röm 1,22 f. und 1,25 als Götzendienst.
 9
 Dieses Urteil ist für den Apostel eine zwingende Konsequenz der ihm geschenkten Er-
kenntnis Jesu Christi: Wenn um des ewigen Heils des Menschen willen der Sohn Gottes Mensch
werden und sterben mußte (s. unten Teil III), dann folgt daraus die absolute Verlorenheit dieses
Menschen vor Gott.
10
 In Aussagen der paulinischen Rechtfertigungstheologie bezeichnet das Substantiv
δικαιοσύνη das intakte und deshalb heilvolle Verhältnis des Menschen zu Gott. Daß diese
δικαιοσύνη Werk und Gabe Gottes ist, kommt in dem Syntagma δικαιοσύνη θεοῦ zum Ausdruck
(Röm 1,17; 3,21 f.25 f.; 10,3; 2 Kor 5,21), und die Rede von unserer – der Menschen – δικαιοσύνη
kennzeichnet diese als die Gabe, die der Mensch von Gott empfängt (Röm 4,3.5 f.9.11.13.22;
5,17.21; 6,13.16.18–20; 8,10; 9,30 f.; 10,3–6.10; 1 Kor 1,30; 2 Kor 3,9; Gal 2,21; 3,6.21; 5,5; Phil
1,11; 3,6.9). Dem Gebrauch des Substantivs entspricht in den Rechtfertigungsaussagen die Ver-
wendung des Adjektivs δίκαιος und des Verbums δικαιοῦν. Daß Gott δίκαιος ist, das besagt: er
ist der, der die heilvolle Gottesbeziehung schafft und gewährt (Röm 3,26); und daß ein Mensch
„Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“ 165

2. Fast überall in den Paulusbriefen, wo von der ἁμαρτία die Rede ist, wird
diese personifiziert und somit als eine Macht gekennzeichnet, der ohne die
durch Christus geschenkte Befreiung alle Menschen verfallen sind.11 In diesem
Sinn erklärt der Apostel in Röm 3,9b, daß „Juden wie Heiden allesamt unter der
Herrschaft der Sünde stehen“ (Ἰουδαίους τε καὶ Ἕλληνας πάντας ὑφ’ ἁμαρτίαν
εἶναι), und er verweist zur Begründung auf Worte der Heiligen Schrift Israels:
„Da ist kein Gerechter, auch nicht einer. Da ist keiner, der verständig ist; da
ist keiner, der nach Gott fragt. Alle sind abtrünnig geworden, alle miteinander
sind verdorben. […] Da ist keine Gottesfurcht vor ihren Augen.“12 Die damit
behauptete universale Herrschaft der Sünde sieht Paulus in dem Sündenfall
Adams begründet.13 Durch Adam – so heißt es in Röm 5,12 – „ist die Sünde in
die Welt hineingekommen“, und dieses Urgeschehen hatte zur Folge, daß „alle
Menschen gesündigt haben“. Daß Paulus hier nicht im Präsens, sondern im
Aorist formuliert, will beachtet sein.14 Denn dadurch wird angezeigt, daß die
Sünde von Adam her ein Verhängnis ist, das auf der ganzen Menschheit lastet
und dem sich niemand entziehen kann. Die Macht der Sünde beschreibt Paulus
dann so, daß er sagt: Sie „herrscht“ über den Menschen und hält ihn als einen
Sklaven gefangen, der ihr „dienen“ muß;15 und sie „wohnt“ zugleich in ihm,
regiert sein Personzentrum und zwingt ihm ihren Willen auf.16

δίκαιος ist, das meint, daß er dieser Gottesbeziehung teilhaftig ist (Röm 1,17; 2,13; 3,10; 5,19;
Gal 3,11). Wenn Paulus das Aktiv des Verbums – δικαιοῦν – verwendet, dann ist Gott Subjekt,
und die Aussage ist, daß er dem Menschen die heilvolle Gottesbeziehung schenkt (Röm 3,26.30;
4,5; 8,30; Gal 3,8). Das vom Menschen gebrauchte Passiv – δικαιοῦσθαι – bedeutet dement-
sprechend, daß der Mensch die heilvolle Gottesbeziehung empfängt (Röm 2,13; 3,20.24.28; 4,2;
5,1.9; 1 Kor 6,11; Gal 2,16 f.; 3,11.24; 5,4). Zu erwähnen ist schließlich auch das Wort δικαίωσις,
das in Röm 4,25 und 5,18 die Versetzung in das heilvolle Gottesverhältnis bezeichnet.
11 Röm 3,9.20; 5,12.21; 6,1 f.6 f.10–14.16–18.20.22 f.; 7,7–9.11.13 f.17.20.23; 8,2 f.10; 1 Kor

15,56; Gal 3,22. – An anderen Stellen geht es bei der Verwendung des Wortes ἁμαρτία wie in
dem Zitat Röm 4,8 (= Ψ 31,2) um den Aspekt der Sünde als Tat: Röm 5,13.20; 14,23; Gal 2,17.
Der auch hier präsente Gedanke des „Nein“-Sagens zu Gott liegt ebenfalls da vor, wo das Ver-
bum ἁμαρτάνειν in theologisch gefülltem Sinn gebraucht wird: Röm 2,12; 3,23; 5,12.14.16; 6,15.
12
 Ich zitiere die Verse Röm 3,10b–12a.18, in denen Paulus auf Qoh 7,20 und auf Ψ 13,1–3
(= 52,2–4); 35,2b Bezug nimmt.
13
 S. dazu im einzelnen O. Hofius, Die Adam-Christus-Antithese und das Gesetz. Erwägun-
gen zu Röm 5,12–21, in: Ders., Paulusstudien II (WUNT 143), Tübingen 2002, 62–103: 79–81.
14 Die im Aorist formulierte Aussage πάντες ἥμαρτον von Röm 5,12, die bereits wörtlich

gleich in Röm 3,23 begegnet, entspricht den aoristischen Feststellungen von Röm 1: γνόντες τὸν
θεὸν οὐχ ὡς θεὸν ἐδόξασαν ἢ ηὐχαρίστησαν, ἀλλ’ ἐματαιώθησαν ἐν τοῖς διαλογισμοῖς αὐτῶν
(V. 21a); φάσκοντες εἶναι σοφοὶ ἐμωράνθησαν καὶ ἤλλαξαν τὴν δόξαν τοῦ ἀφθάρτου θεοῦ ἐν
ὁμοιώματι εἰκόνος φθαρτοῦ ἀνθρώπου καὶ πετεινῶν καὶ τετραπόδων καὶ ἑρπετῶν (V. 22 f.);
μετήλλαξαν τὴν ἀλήθειαν τοῦ θεοῦ ἐν τῷ ψεύδει καὶ ἐσεβάσθησαν καὶ ἐλάτρευσαν τῇ κτίσει
παρὰ τὸν κτίσαντα (V. 25); οὐκ ἐδοκίμασαν τὸν θεὸν ἔχειν ἐν ἐπιγνώσει (V. 28a).
15
 Röm 5,21; 6,6.12–18.20; 7,14.
16
 Röm 7,14–23 (insbesondere V. 17 und V. 20). Zu dem sehr schwierigen Text Röm 7,7–25a
s. im einzelnen O. Hofius, Der Mensch im Schatten Adams. Römer 7,7–25a, in: Ders., Pau-
lusstudien II (s. Anm. 13), 104–154.
166 „Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“

3. Die Aussagen über den Menschen als Sklaven der Sünde machen deutlich:
Die Sünde bestimmt nach Paulus den Menschen in seiner ganzen Existenz, und
der Sünder ist „gottlos“ nicht erst in seinem bösen Tun, sondern er ist es ganz
umfassend in seinem gottfernen und gottfeindlichen Sein. Die so von der Sünde
beherrschte Existenz bezeichnet Paulus an mehreren Stellen des Römer- und
des Galaterbriefs mit dem Begriff σάρξ („Fleisch“).17 Dementsprechend legt er
dem sündigen Menschen das Bekenntnis in den Mund: ἐγὼ […] σάρκινός εἰμι
πεπραμένος ὑπὸ τὴν ἁμαρτίαν – „Ich bin fleischlich, [das heißt:] unter die Sünde
verkauft“ (Röm 7,14b).18
4. Alle sittlichen Verfehlungen und alle bösen Taten sind nach Paulus Aus-
wirkungen des ὑφ’ ἁμαρτίαν εἶναι, der Seinsverfallenheit des Menschen an die
Macht der Sünde. Sie sind – wie der Apostel in Gal 5,19a formuliert – ἔργα τῆς
σαρκός: Werke, die der Mensch hervorbringt, weil er in seiner ganzen Existenz
von der Sünde bestimmt ist.19 Den Zusammenhang zwischen der Verfallenheit
an die Sünde und dem menschlichen Tun und Verhalten bringt Paulus besonders
eindringlich in Röm 1,18–32 zur Sprache: Das in V. 21a geschilderte „Nein“ der
Menschen zu dem lebendigen Gott hat nach V. 21b zur Folge, daß „ihr unver-
ständiges Herz verfinstert wurde“ (καὶ ἐσκοτίσθη ἡ ἀσύνετος αὐτῶν καρδία20).
Das heißt: Weil und indem sie „Nein“ zu Gott sagten, wurden sie blind für
seinen guten und zu wahrer Menschlichkeit anleitenden Willen. Von V. 22 an
wird dieser Sachverhalt in drei Schritten (V. 22–24, V. 25–27 und V. 28–32) so
beschrieben, daß der Abfall von dem lebendigen Gott (V. 22 f., 25 und 28a) ein
Tun und Verhalten zur Folge hat, das Paulus von Inhumanität gekennzeichnet
sieht (V. 24, 26 f. und 28b–32): Gott „gibt“ den Menschen, der zu ihm „Nein“
sagt, an das „dahin“, was mit innerer Notwendigkeit die bittere Folge dieses
bösen „Nein“ sein muß.21
5. Weil die Sünde das „Nein“ zu Gott, der Quelle des Lebens, ist, deshalb ist
ihre Folge notwendig der Tod – und zwar nicht der physische, sondern der ewig
von Gott trennende Tod. Mit dem Sündenverhängnis ist somit von Adam her
ganz unmittelbar das Todesverhängnis verbunden. Das bringt Paulus in Röm
5,12 zum Ausdruck, wenn er sagt, daß „durch einen Menschen die Sünde in die

17
 Röm 7,5.18; 8,3–9.12 f.; 13,14; Gal 3,3; 5,13.16 f.19.24; 6,8 (vgl. Röm 6,6, wo Paulus im
Blick auf die Existenz unter der Herrschaft der Sünde von dem σῶμα τῆς ἁμαρτίας spricht).
Eine andere Bedeutung hat σάρξ in Gal 2,20; Phil 1,22.24 sowie bei ἐν σαρκί 2 Kor 10,3: Hier
bezeichnet das Wort die irdische bzw. die irdisch-vergängliche Existenz des Menschen.
18
 Die Worte πεπραμένος ὑπὸ τὴν ἁμαρτίαν explizieren das Adjektiv σάρκινος, das hier
Gegenbergiff zu πνευματικός ist.
19
 In Gal 5,19b–21a werden in einem Lasterkatalog exemplarisch solche „Werke des Flei-
sches“ aufgezählt: „Unzucht, Unsittlichkeit, Zügellosigkeit, Götzendienst, Zauberei, Feind-
schaften, Streit, Eifersucht, Wutausbrüche, selbstsüchtige Streitereien, Zwistigkeiten, Partei-
ungen, Neid, Trunksucht, Freßgelage und dergleichen mehr“.
20 Das καί am Anfang des Satzes V. 21b hat konsekutive Bedeutung: „und deshalb“.
21
 S. das dreimalige παρέδωκεν αὐτοὺς ὁ θεός […] V. 24, V. 26 und V. 28b.
„Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“ 167

Welt hineingekommen ist und durch die Sünde der Tod“ und daß eben damit „der
Tod zu allen Menschen hingekommen ist, weil sie alle gesündigt haben“. Dem
ist die knappe Feststellung von Röm 6,23a an die Seite zu stellen: „Der Sold, den
die Sünde auszahlt, ist der Tod.“ Daß die Sünde den von Gott trennenden Tod zur
Folge hat, das sagt Paulus mit anderen Worten auch in Röm 3,23, wenn er dort
im Blick auf Juden wie Heiden bemerkt: „Alle haben gesündigt und entbehren
somit der Herrlichkeit Gottes“ (πάντες […] ἥμαρτον καὶ ὑστεροῦνται τῆς δόξης
τοῦ θεοῦ).22 Unter der „Herrlichkeit Gottes“ versteht Paulus hier jene „Herr-
lichkeit“, die der Schöpfer bei der Erschaffung des Protoplasten sowohl diesem
wie auch seinen Nachkommen zugedacht hat – nämlich das ewige Leben in der
ungetrübten Gemeinschaft mit ihm, dem lebendigen Gott.23 Diese „Herrlichkeit“
blieb Adam wegen seiner Sünde verwehrt,24 und von ihm her gilt für alle seine
Nachkommen, daß sie um ihrer Sünde willen die δόξα nicht besitzen, sondern
zugleich mit der Sünde auch dem Tod verfallen sind.25

II

Im Zusammenhang mit dem, was Paulus über die Sünde sagt, ist immer auch
von dem „Gesetz“, d. h. von der Tora vom Sinai die Rede. Dabei hat der Apostel
dezidiert jene Gebote und Verbote der Tora vor Augen, die – wie im Dekalog (Ex
20,2–17; Dtn 5,6–21) – in grundlegender Weise das Verhältnis des Menschen zu
Gott und zu dem Mitmenschen betreffen. Für das paulinische Verständnis dieses
Gesetzes sind drei Aussagen von besonderem Gewicht.26
1. Paulus bezeichnet den νόμος  – das „Gesetz“ vom Sinai  – als „heilig“
(ἅγιος), „geistlich“ (πνευματικός), „gerecht“ (δίκαιος) und „gut“ (ἀγαθός bzw.

22 Daß sich das universale πάντες von Röm 3,23 auf Juden wie Heiden bezieht, ergibt sich

aus den Worten οὐ γάρ ἐστιν διαστολή V. 22b, die auf Röm 3,9–20 zurückverweisen (s. hier
besonders V. 9). Vgl. auch Röm 10,12.
23 Der Begriff ἡ δόξα τοῦ θεοῦ (= „die Herrlichkeit, die Gott schenkt“) von Röm 3,23 und

5,2 entspricht dem Begriff der ζωὴ αἰώνιος (Röm 2,7; 5,21; 6,22 f.; Gal 6,8). Die gleiche Ent-
sprechung besteht zwischen bloßem δόξα (Röm 8,18.21; 1 Kor 2,7; 15,43; 2 Kor 4,17; Phil 3,21;
1 Thess 2,12) und bloßem ζωή (Röm 5,17 f.; 8,10; 2 Kor 2,16; 5,4).
24
 Die Worte ὑστεροῦνται τῆς δόξης τοῦ θεοῦ besagen nicht, daß Adam die δόξα bereits be-
sessen und sie dann um seiner Sünde willen verloren habe. Denn ὑστερεῖσθαί τινος heißt nicht:
„etwas verlieren“ oder „etwas verloren haben“, sondern es bedeutet: „einer Sache ermangeln“,
„etwas nicht haben“. S. zu Röm 3,23 des näheren: Hofius, Die Adam-Christus-Antithese und
das Gesetz (s. Anm. 13), 79–81.
25 Deshalb tritt dem σῶμα τῆς ἁμαρτίας von Röm 6,6 das σῶμα τοῦ θανάτου von Röm 7,24

an die Seite.
26
 Zum paulinischen Gesetzesverständnis im einzelnen verweise ich auf meine folgenden
Arbeiten: O. Hofius, Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi, in: Ders., Paulusstudien
(WUNT 51), Tübingen ²1994, 50–74; Ders., Gesetz und Evangelium nach 2. Korinther 3, ebd.,
75–120; Ders., Die Adam-Christus-Antithese und das Gesetz (s. Anm. 13). S. außerdem auch
unten Anm. 29.
168 „Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“

καλός).27 Das besagt: Das Gesetz ist Gottes Wort, in dem gültig kundgemacht
wird, was Gott von dem Menschen als seinem Geschöpf fordert. Mit der Forde-
rung ist dabei die Bestimmung verbunden, daß jeder, der den Willen Gottes tut,
das ewige Leben gewinnt und jeder, der den Willen Gottes nicht tut, dem ewigen
Tod verfallen ist.28 Das im Gesetz geforderte Tun ist gemeint, wenn Paulus von
den ἔργα νόμου – den „Werken des Gesetzes“ – spricht.29 Unter ihnen versteht
er den ganzheitlichen und umfassenden, beständigen und vollkommenen Gehor-
sam, der aus wahrer Gottesfurcht erwächst. Ein Mensch, der diesen Gehorsam
aufzuweisen hätte, der wäre „gerecht“.30 Er stände in der intakten Beziehung zu
Gott und würde deshalb des ewigen Lebens teilhaftig werden.
2. Das Gesetz ist nach Paulus dem Menschen gegeben, der von Adam her
immer schon unter der Macht der Sünde steht und deshalb gänzlich unfähig ist,
in vollkommener Hinwendung zu Gott seinen Geboten zu gehorchen und seinen
Willen zu tun.31 Angesichts dessen stellt sich die Frage nach dem Sinn des Ge-
setzes.32 Die Antwort, die Paulus hier gibt, lautet: Die Aufgabe und Funktion der
Tora vom Sinai besteht darin, einen jeden Menschen als „Sünder“ zu entlarven,
ihn zu verklagen und ihn unter das Verdammungs- und Todesurteil Gottes zu
stellen.33 Paulus spricht im Blick darauf von dem κατάκριμα – von der „Ver-
urteilung“, die im Gesetz laut wird,34 und von der κατάρα τοῦ νόμου – von dem
„Fluch“, unter den das Gesetz einen jeden Mensch stellt, der nicht beständig all
das tut, was im Gesetz geboten ist.35 Die Tora vom Sinai ist also für Paulus das
strenge Wort des Gerichtes Gottes über den von der Sünde beherrschten Men-
schen. Von daher will der theologische Fundamentalsatz verstanden sein, den
der Apostel in Röm 3,20 formuliert: „Aufgrund von Werken des Gesetzes wird
27
 Vom νόμος: ἅγιος Röm 7,12a, πνευματικός Röm 7,14a, καλός Röm 7,16. Wenn in Röm
7,12b die ἐντολή – d. h. das in Röm 7,7–13 thematische Paradiesgebot Gen 2,16b.17 – als δικαία
und ἀγαθή gekennzeichnet wird, dann gelten diese Prädikate ebenfalls von der Sinai-Tora, die
Paulus hinsichtlich ihrer Quintessenz durch das Paradiesgebot repräsentiert sieht. Zum Ver-
hältnis von Paradiesgebot und Tora s. Hofius, Der Mensch im Schatten Adams (s. Anm. 16),
115–118.
28 Zu der positiven Bestimmung s. Röm 10,5 und Gal 3,12b (Zitat von Lev 18,5), zu der

negativen Bestimmung Gal 3,10b (Zitat von Dtn 27,26a). S. außerdem auch Röm 2,13.
29 Röm 3,20.28; Gal 2,16a.b.c; 3,2.5.10. Im Römerbrief begegnet daneben auch die Kurzform

ἔργα: Röm 4,2.6; 9,12.32; 11,6. Zu dem in der Exegese lebhaft umstrittenen Begriff der ἔργα
νόμου s. im einzelnen: O. Hofius, „Werke des Gesetzes“. Untersuchungen zu der paulinischen
Rede von den ἔργα νόμου, in: Ders., Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 49–88;
Ders., „Werke des Gesetzes“ – Zwei Nachträge, ebd., 89–94.
30
 Röm 2,13.
31
 S. dazu insbesondere Röm 8,7.
32
 Paulus selbst stellt diese Frage in Gal 3,19a: Τί οὖν ὁ νόμος; – „Was soll nun das Gesetz?“
33
 S. dazu im einzelnen: Hofius, Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi (s. Anm. 26),
56–63.
34
 Röm 5,16.18, 8,1. Vgl. auch 2 Kor 3,4–9: Der Dienst des Gesetzes ist „Dienst der Verurtei-
lung“ (ἡ διακονία τῆς κατακρίσεως V. 9a), d. h. ein Dienst, der das Todesurteil proklamiert
(vgl. V. 7).
35
 Gal 3,10.13.
„Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“ 169

kein Fleisch (d. h. kein Mensch) vor Gott gerechtgesprochen werden;36 durch
das Gesetz [kommt] nämlich [nur] Erkenntnis der Sünde“ (ἐξ ἔργων νόμου οὐ
δικαιωθήσεται πᾶσα σὰρξ ἐνώπιον αὐτοῦ, διὰ γὰρ νόμου ἐπίγνωσις ἁμαρτίας).
Der erste Teil dieses Satzes besagt: Weil der von Adam herkommende Mensch
den im Gesetz geforderten Gehorsam nicht aufzuweisen vermag, deshalb kann
und wird niemand durch das Tun dessen, was die Tora gebietet, die δικαιοσύνη –
die intakte Beziehung zu Gott – erlangen. Wenn Paulus dann im zweiten Teil
des Satzes erklärt, daß es durch den νόμος nur zur ἐπίγνωσις ἁμαρτίας kommt,
dann ist damit nicht gemeint, daß der Mensch in der Begegnung mit der Tora
seine Sünde erkennen und aufgrund solcher Erkenntnis den Weg der Umkehr
finden kann.37 Der Apostel spricht vielmehr von einem objektiven Offenba-
rungsgeschehen: Im Licht des heiligen Gesetzes Gottes kommt beides an den
Tag: die Größe und Macht der Sünde wie auch die Verlorenheit der ganzen
Menschheit, die unter der Herrschaft der Sünde steht.
3. Es entspricht der soeben beschriebenen Sicht des Apostels, wenn er urteilt,
daß die Tora vom Sinai dem vor Gott verlorenen Menschen kein Heil zu er-
öffnen vermag.38 Der νόμος müßte die Sünde und den Tod überwinden und den
dem Tod verfallenen Sündern eine neue Existenz schenken können, wenn die
δικαιοσύνη und damit die Rettung „aus dem Gesetz“ kommen sollte.39 Ein Weg
zum Leben aber ist die Tora nach Paulus nicht.40 Deshalb spricht er in Röm 8,3a

36 Vgl. besonders Gal 2,16 und außerdem auch Gal 3,11.


37
 Wollte man die Worte διὰ […] νόμου ἐπίγνωσις ἁμαρτίας so verstehen, dann wäre nicht
ernst genommen, was Paulus über die Seinsverfallenheit des Sünders an die Sünde sagt. Diese
Seinsverfallenheit, die die Tora nicht aufzuheben vermag (Gal 3,21b), zeigt sich gerade auch
darin, daß der Sünder in der Begegnung mit dem Gesetz unfähig ist, seine Sünde zu erkennen
und sich in wahrer Umkehr Gott zuzuwenden.
38 Paulus hat diese Erkenntnis allererst im Licht der anderen Erkenntnis gewonnen, daß das

Heil eines jeden Menschen einzig und allein in dem gekreuzigten und auferstandenen Christus
beschlossen liegt. Damit steht der Apostel in einem fundamentalen Gegensatz zum Tora-Ver-
ständnis des Judentums seiner Zeit, demzufolge die Tora vom Sinai dem sündigen Menschen
die Möglichkeit der Rettung, d. h. den Weg zum Leben eröffnet. S. dazu Sir 17,11; 45,5; Bar
3,9; 4,1; PsSal 14,2; 4 Esr 14,30; syrBar 38,2; Rabbinisches bei P. Billerbeck, Kommentar
zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch III, München 1926 = ²1954, 129–131.237.277 f.
39
 Gal 3,21b: „[Nur] wenn ein Gesetz gegeben worden wäre, das Leben geben könnte, käme
das heilvolle Gottesverhältnis tatsächlich aus dem Gesetz“ (εἰ […] ἐδόθη νόμος ὁ δυνάμενος
ζῳοποιῆσαι, ὄντως ἐκ νόμου ἂν ἦν ἡ δικαιοσύνη). Vgl. auch Gal 2,21b: „Wenn durch das Gesetz
das heilvolle Gottesverhältnis erlangt werden kann, dann ist Christus ohne Grund gestorben
(d. h.: dann war sein Tod nicht notwendig)“ (εἰ […] διὰ νόμου δικαιοσύνη, ἄρα Χριστὸς δωρεὰν
ἀπέθανεν).
40 Gegen dieses Urteil sprechen keineswegs die Worte ἡ ἐντολὴ ἡ εἰς ζωήν von Röm 7,10b.

Die Verse Röm 7,7–13 bringen in der Gestalt eines Selbstbekenntnisses das zur Sprache, was
in der Sündenfallgeschichte von Gen 2 f. über Adam berichtet wird. Die angeführten Worte
beziehen sich dabei auf das Paradiesgebot Gen 2,16b.17 (vgl. 3,3) und bedeuten mithin: „das
Gebot, das zur Bewahrung des von Gott geschenkten Lebens dienen sollte“. Der Sinn ist da-
gegen nicht: „das Gebot, das für den Fall der Befolgung das Leben verhieß“. Zur genaueren
Begründung s. Hofius, Der Mensch im Schatten Adams (s. Anm. 16), 122–135.
170 „Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“

im Blick auf die Frage nach dem Heil von dem „Unvermögen“ des Gesetzes (τὸ
ἀδύνατον τοῦ νόμου): Das Gesetz vermochte dem sündigen Menschen nicht zu
helfen, „weil es sich angesichts der von der Sünde beherrschten Existenz als
kraftlos erwies“ (ἐν ᾧ ἠσθένει διὰ τῆς σαρκός).41

III

Was das Gesetz nicht vermag, das wirkt dem Zeugnis des Paulus zufolge die
„Gnade“ Gottes. Zu diesem grundlegenden Begriff der paulinischen Soteriolo-
gie notiere ich – wie zum Begriff der „Sünde“ – fünf Bestimmungen.
1. Das Wort „Gnade“ (χάρις) meint in den soteriologischen Aussagen des Pau-
lus nicht nur Gottes gnädige Gesinnung, sondern seine rettende Zuwendung zu
dem vor ihm verlorenen sündigen Menschen.42 Die χάρις ist das göttliche „Ja“,
das das böse „Nein“ des Sünders überwindet. Die Rede von der χάρις macht
dabei deutlich, daß dieses „Ja“ einzig und allein in Gottes Liebe und Barm-
herzigkeit begründet ist und daß der Mensch es nicht verdient hat und auch nie
je verdienen kann.
2. Die rettende Zuwendung Gottes zu dem sündigen Menschen ist sein Heils-
handeln in Jesus Christus. Sie ist mithin als die Gnade Gottes zugleich „die
Gnade unseres Herrn Jesus Christus“.43 Wie die Sünde, so betrifft auch die
Gnade in universaler Weite alle Menschen.44 Deshalb führt Paulus in Röm 3,23 f.
die für Juden und Heiden geltende Aussage, daß „alle gesündigt haben und somit
der Herrlichkeit Gottes entbehren“ (πάντες ἥμαρτον καὶ ὑστεροῦνται τῆς δόξης
τοῦ θεοῦ [V. 23]), durch die folgenden Worte weiter (V. 24): „und sie empfangen
die heilvolle Beziehung zu Gott als unverdientes Geschenk durch seine Gnade
kraft der Erlösung, die in Christus Jesus geschehen ist“ (δικαιούμενοι δωρεὰν τῇ
αὐτοῦ χάριτι διὰ τῆς ἀπολυτρώσεως τῆς ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ45). Die rettende Tat
Gottes, von der Paulus hier spricht, ist das Geschehen des Todes und der Auf-
erstehung Jesu Christi, des menschgewordenen Sohnes Gottes. In diesem Ge-
schehen ist die Sünden- und Todeswirklichkeit, die von Adam her alle Menschen
41
 Die Wendung ἐν ᾧ hat hier – wie in Hebr 2,18; 6,17 – die Bedeutung „weil“, und σάρξ
bezeichnet nicht menschliche Schwachheit, sondern wie an den anderen in Anm. 17 notierten
Stellen die von der Sünde bestimmte menschliche Existenz.
42
 Röm 3,24; 4,16; 5,2.15.17.20 f.; 6,1.14 f.; 11,5 f.; 2 Kor 6,1; Gal 2,21; 5,4.
43 2 Kor 8,9: „Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: Obwohl er reich war, ist

er um euretwillen arm geworden, damit ihr durch seine Armut reich würdet“ (γινώσκετε […]
τὴν χάριν τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ, ὅτι δι’ ὑμᾶς ἐπτώχευσεν πλούσιος ὤν, ἵνα ὑμεῖς τῇ
ἐκείνου πτωχείᾳ πλουτήσητε). Zur Gnade Christi s. außerdem auch Röm 5,15.
44 S. dazu außer den sogleich zitierten Versen Röm 3,23 f. vor allem auch den Abschnitt Röm

5,12–21 (V. 15.17.20 f.).
45
 Das Partizip δικαιούμενοι steht in Röm 3,24 für καὶ δικαιοῦνται. Paulus wählt des öfteren
anstelle eines Verbum finitum ein Partizip; s. dazu Röm 6,6; 2 Kor 4,2.8–10; 5,12.19c; 6,3 f.; 7,5;
8,19; 9,11.13; 10,4–6; 11,6.
„Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“ 171

zeichnet, überwunden und aufgehoben worden  – und zwar dadurch, daß der
Sohn Gottes im Gehorsam gegen den Willen seines Vaters das κατάκριμα und
die κατάρα des Gesetzes auf sich selbst genommen hat.46 In Christi Tod und Auf-
erstehung haben so die „Sünder“ den Freispruch zum Leben empfangen, sind die
„Feinde“ mit Gott versöhnt und die „Gottlosen“ und „Ungerechten“ in den Stand
der heilvollen Gottesbeziehung versetzt worden.47 An der gewichtigen Stelle
2 Kor 5,21 beschreibt Paulus dieses Geschehen mit den folgenden Worten:48
Gott „hat den, der die Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit
wir die δικαιοσύνη θεοῦ würden in ihm“ (τὸν μὴ γνόντα ἁμαρτίαν ὑπὲρ ἡμῶν
ἁμαρτίαν ἐποίησεν, ἵνα ἡμεῖς γενώμεθα δικαιοσύνη θεοῦ ἐν αὐτῷ). Wenn hier
von Christus als dem menschgewordenen Sohn Gottes gesagt wird, daß er „die
Sünde nicht kannte“, dann heißt das: er hatte mit der Sünde nichts zu tun, sie
war ihm ganz und gar fremd.49 Diese Aussage hat nicht bloß das konkrete Tun
und Verhalten Jesu Christi im Blick, sondern sie bezieht sich in umfassender
Weise auf seine ganze menschliche Existenz. In dieser seiner Existenz war er
ohne Sünde, war er der Macht der Sünde nicht verfallen. Die Sünde ist ja, wie
wir gesehen haben, das böse „Nein“ zu Gott, das einen jeden von Adam her-
kommenden Menschen in seinem Sein zeichnet. Christus dagegen ist aufgrund
seines göttlichen Ursprungs und Wesens der eine und einzige Mensch, dessen
menschliche Existenz ihre Signatur in dem vollkommenen und beständigen
„Ja“ zu seinem himmlischen Vater hat.50 Er ist auch als der Menschgewordene
in seinem Sein der sündlose Sohn Gottes.51 Einzig deshalb kann gelten und

46
 Zum κατάκριμα s. neben Röm 5,16b.18 vor allem Röm 8,1–4 (und dazu auch unten
Anm. 51), zur κατάρα Gal 3,13 f.; 4,4 f.
47
 S. dazu insbesondere Röm 5,6–11 und 2 Kor 5,14–21 sowie zur Sache O. Hofius, Sühne
und Versöhnung. Zum paulinischen Verständnis des Kreuzestodes Jesu, in: Ders., Paulusstudien
(s. Anm. 26), 33–49.
48
 Ich übersetze den Satz 2 Kor 5,21 zunächst so wörtlich wie möglich. Zu der dann folgenden
Auslegung vgl. Hofius, ebd., 45–47.
49
 Zu ἁμαρτίαν γινώσκειν = „mit der Sünde und ihrer Macht zu tun haben“ vgl. Röm 7,7, wo
τὴν ἁμαρτίαν γνῶναι die Bedeutung „mit der Sünde und ihrer Macht zu tun bekommen“ hat.
50
 Daß Christus, wenn er in dieser Weise als sündlos angesehen wird, kein wahrer und wirk-
licher Mensch gewesen sei, ist kein zwingender Schluß. Er wäre es nur unter der Voraussetzung,
daß die Sünde zur geschöpflichen Struktur des Menschen gehört. Genau das aber ist nicht der
Fall! Der Mensch, wie er geschichtlich als Sünder existiert, ist der Mensch im Widerspruch zu
dem Menschen, wie er von Gott, seinem Schöpfer, herkommt und nach seinem Willen sein soll.
51
 Vgl. dazu Röm 8,3b, wo Paulus im Zusammenhang der Verse 8,1–4 formuliert: ὁ θεὸς τὸν
ἑαυτοῦ υἱὸν πέμψας ἐν ὁμοιώματι σαρκὸς ἁμαρτίας καὶ περὶ ἁμαρτίας κατέκρινεν τὴν ἁμαρτίαν
ἐν τῇ σαρκί. Nach meinem Urteil ist der schwierige Satz folgendermaßen zu verstehen: „Gott
sandte seinen eigenen Sohn in der Gleichheit der von der Sünde gezeichneten menschlichen
Existenz – und zwar um der Überwindung der Sünde willen, und er sprach das Gerichtsurteil
über die Sünde in der Sündenexistenz (d. h. in der Existenz, die in dem für alle Menschen
erlittenen Tod ganz und gar die Sache des Sohnes Gottes wurde).“ Wie in Röm 5,14 und in Röm
6,5, so wird auch hier durch das Wort ὁμοίωμα eine Identität bei gleichzeitiger Nichtidentität
zum Ausdruck gebracht: Christus ist in der Inkarnation ein wahrer und wirklicher Mensch und
darin den von Adam herkommenden Menschen gleich geworden, aber er bleibt auch als der
172 „Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“

gilt, was sodann in 2 Kor 5,21 über Christus bzw. über das Christusgeschehen
gesagt wird. Der sprachlich wie gedanklich überaus dichte Satz, der fest im
Kontext der Verse 2 Kor 5,14–21 verankert ist, setzt eine für die Soteriologie
des Paulus fundamentale Erkenntnis voraus. Es ist dies die Erkenntnis, daß die
Menschen, zu deren Heil Christus gestorben und auferstanden ist, von Anfang
an in das Geschehen seines Todes und seiner Auferstehung einbezogen sind.52
Wenn Paulus in V. 21a sagt, daß Gott den sündlosen Christus „für uns zur Sünde
gemacht“ hat, so heißt das: Er hat ihn mit der ganzen von der Sünde gezeich-
neten Menschheit identifiziert,53 und aufgrund dieser Identifikation hat sich in
seinem Tod das Todesgericht ereignet, dem rechtens alle Menschen verfallen
sind.54 Das Ziel und die Folge faßt Paulus dann in V. 21b in die Worte: „damit
wir die δικαιοσύνη θεοῦ würden in ihm“ (ἵνα ἡμεῖς γενώμεθα δικαιοσύνη θεοῦ
ἐν αὐτῷ). Das besagt: Diejenigen, für die das „für uns“ von V. 21a gilt, sind auf-
grund der am Kreuz vollzogenen Identifikation nicht nur mit dem gekreuzigten,
sondern in gleicher Weise auch mit dem auferstandenen Christus verbunden.55 In
der Zugehörigkeit zu ihm (ἐν αὐτῷ!) werden und sind sie, was sie zuvor weder
waren noch sein konnten: Menschen, die in ihrer Existenz von der δικαιοσύνη
θεοῦ – von der heilvollen Beziehung zu dem lebendigen Gott – bestimmt sind.
Wenn es dabei in einer recht ungewöhnlichen Formulierung heißt, daß sie „die
δικαιοσύνη θεοῦ werden“, dann sind sie ganz unmittelbar mit eben jener Größe
benannt, die sie als die zu Christus Gehörenden in ihrem Sein qualifiziert. In ein-
drücklicher Weise bringt so der Satz 2 Kor 5,21 das Geschehen des Todes und der
Auferstehung Jesu Christi als die Heilstat Gottes zur Sprache, die allein in seiner
freien Gnade begründet ist. Den Versen 2 Kor 5,18–21 zufolge ist mit dieser
Heilstat unlöslich das Heilswort Gottes verbunden, das seine Heilstat kundgibt

Menschgewordene der wesenhafte Sohn Gottes, der nicht der Macht der Sünde verfallen und
nicht von der Sünde gezeichnet ist. Als dieser vermochte er in seinem Tod das κατάκριμα, das
die Tora über die von der Sünde beherrschte Existenz ausspricht, auf sich selbst zu nehmen und
die Sünder von ihm zu befreien (s. V. 1). – Die Worte Röm 8,3b.4 berühren sich nach Struktur
und Aussage eng mit 2 Kor 5,21 wie auch mit Gal 4,4b.5, wo die Kennzeichnung Christi als
γενόμενος ὑπὸ νόμον V. 4b dem γενόμενος κατάρα von Gal 3,13a entspricht.
52
 S. dazu Röm 6,1–11; 7,4.6; Gal 2,19 f. und insbesondere 2 Kor 5,14b.15. In 2 Kor 5,14b.15
und dann auch in 2 Kor 5,21a hat ὑπέρ mit Genitiv der Person die Bedeutung „jemandem zugut“,
„zu jemandes Heil“. Gleiches gilt für Röm 5,6.8; 8,32; 14,15; 1 Kor 1,13; 11,24; Gal 2,20; 3,13;
1 Thess 5,10.
53 Zu dem universalen Aspekt s. in 2 Kor 5,19 die Rede von dem κόσμος, d. h. der Menschen-

welt, und zuvor bereits in 2 Kor 5,14b.15 das betonte dreimalige πάντες („alle“).
54 Vgl. dazu bereits die Aussage von 2 Kor 5,14b: „Einer ist für alle gestorben; folglich sind

(sc. in seinem Tod) sie alle gestorben“ (εἷς ὑπὲρ πάντων ἀπέθανεν, ἄρα οἱ πάντες ἀπέθανον).
55
 Für das angemessene Verständnis der Verse 2 Kor 5,14–21 insgesamt wie auch des V. 21
ist von Gewicht, daß Christus in V. 15b ausdrücklich als der bezeichnet wird, der für alle „ge-
storben und auferstanden“ ist (ὁ ὑπὲρ αὐτῶν [= πάντων V. 15a] ἀποθανὼν καὶ ἐγερθείς). Zu der
unlöslichen Zusammengehörigkeit von Tod und Auferstehung Christi s. ferner auch Röm 4,25;
5,10; 6,4 f.9 f.; 8,34; 14,9; 1 Kor 15,3b.4; Gal 1,1–5; 1 Thess 4,14; 5,10.
„Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“ 173

und erschließt56. Dieses Heilswort ist das Evangelium, auf dessen Inhalt Paulus
mit dem Ausdruck „das Evangelium von Christus“ (τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ)
hinweist57 und das in Apg 20,24 – durchaus im Sinne des paulinischen Verständ-
nisses – als „das Evangelium von der Gnade Gottes“ (τὸ εὐαγγέλιον τῆς χάριτος
τοῦ θεοῦ) bezeichnet wird. Durch das in der Verkündigung ausgerichtete Evan-
gelium macht Gott selbst unter den Menschen das Heil bekannt, das in Christi
Tod und Auferstehung geschaffen ist; und er gibt Menschen dieses sein Heil zu
eigen, indem das Evangelium den Glauben wirkt, der das Heil ergreift.58
3. In dem, was durch die Gnade mit dem sündigen Menschen geschieht,
erblickt Paulus ein Wunder der Neuschöpfung. Der mit dem gekreuzigten und
auferstandenen Christus verbundene und durch ihn mit Gott versöhnte Mensch
ist – wie der Apostel formuliert – „in Christus“ (ἐν Χριστῷ),59 und das bedeutet:
Er gehört Christus als seinem Herrn und steht unter seiner guten Herrschaft.60
Von dem Menschen ἐν Χριστῷ aber gilt: εἴ τις ἐν Χριστῷ, καινὴ κτίσις· τὰ
ἀρχαῖα παρῆλθεν, ἰδοὺ γέγονεν καινά – „Wenn jemand in Christus ist, so ist er
ein neues Geschöpf; das Alte ist vergangen, siehe: Neues ist geworden“ (2 Kor
5,17). Das „Alte“, das vergangen ist, ist die Sklaven-Existenz unter der Macht
der Sünde, die als solche eine Existenz „unter dem Gesetz“ (ὑπὸ νόμον) – d. h.
unter dem Todesurteil der Tora – war. An seine Stelle ist als das „Neue“ die Exi-
stenz „unter der Gnade“ (ὑπὸ χάριν) getreten, deren Signatur die Freiheit ist, die
Christus den Glaubenden geschenkt hat.61 Wo zuvor die Sünde geherrscht hat,
da herrscht jetzt die Gnade,62 und wo zuvor die Sünde wohnte, da wohnt jetzt
Christus bzw. der Heilige Geist als der Geist Christi.63 In Gal 2,19–21 beschreibt
Paulus das mit sehr persönlichen Worten. Er spricht hier von dem neuen Leben,
das ihm nicht durch das Gesetz, sondern allein durch die Gnade Gottes ge-

56
 Wie insbesondere durch 2 Kor 5,18–21 belegt wird, begreift Paulus das Heilshandeln
Gottes in Jesus Christus als den differenzierten Zusammenhang von Heilstat und Heilswort. S.
dazu O. Hofius, „Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (2 Kor 5,19),
in: Ders., Paulusstudien (s. Anm. 26), 15–32; Ders., Wort Gottes und Glaube bei Paulus, ebd.,
148–174: 148–150.
57 Röm 15,19; 1 Kor 9,12; 2 Kor 2,12; 9,13; 10,14; Gal 1,7; Phil 1,27; 1 Thess 3,2. S. außerdem

auch Röm 1,9 („das Evangelium von dem Sohn Gottes“) und 2 Kor 4,4 („das Evangelium von
der Herrlichkeit Christi, der das Bild Gottes ist“).
58 Zum paulinischen Verständnis des Evangeliums und der apostolischen Verkündigung

s. ausführlich: O. Hofius, „Die Wahrheit des Evangeliums“, in: Ders., Paulusstudien II (s.
Anm. 13), 17–37; niederländische Fassung: „De waarheid van het evangelie“. Exegetische en
theologische overwegingen bij de waarheidsclaim van de paulinische prediking, ThRef 45
(2002) 198–218.
59
 Röm 8,1; 1 Kor 1,30; 2 Kor 5,17.
60
 Vgl. dazu auch Röm 7,4; 8,9; 14,7–9; 1 Kor 3,23.
61 Das Gegenüber von ὑπὸ νόμον und ὑπὸ χάριν betont Paulus in Röm 6,14b (vgl. V. 15).

S. dazu auch die ausdrückliche Antithese von ἁμαρτία und χάρις in Röm 5,20 f.; 6,1 (auch
παράπτωμα und χάρις in 5,15 und 5,17).
62
 Röm 5,21.
63
 Röm 8,9–11. Zum einstigen „Wohnen“ der Sünde s. Röm 7,17.20.
174 „Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“

schenkt worden ist (V. 19a.21), und er sagt dazu (V. 19b.20): „Ich bin mit Christus
gekreuzigt. So lebe also nicht mehr ich (sc. der alte Mensch), sondern es lebt
in mir Christus. Das irdische Leben aber, das ich jetzt noch führe, das lebe ich
im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich in
den Tod dahingegeben hat“ (Χριστῷ συνεσταύρωμαι· ζῶ δὲ οὐκέτι ἐγώ, ζῇ δὲ
ἐν ἐμοὶ Χριστός· ὃ δὲ νῦν ζῶ ἐν σαρκί, ἐν πίστει ζῶ τῇ τοῦ υἱοῦ τοῦ θεοῦ τοῦ
ἀγαπήσαντός με καὶ παραδόντος ἑαυτὸν ὑπὲρ ἐμοῦ).64
4. Daß der an Christus glaubende Mensch ein „neues Geschöpf“ (καινὴ κτίσις)
ist, das zeigt sich nach Paulus in einem neuen Leben, das nicht mehr von der
Sünde und von der σάρξ, sondern von der Gnade und von dem Geist Gottes be-
stimmt wird.65 Dieses neue Leben ist Leben „für Gott“ und „für Christus“.66 Sein
entscheidendes Kennzeichen ist die Liebe, die der durch das Evangelium ge-
wirkte Glaube notwendig bei sich hat; denn der Glaube an Christus ist πίστις δι’
ἀγάπης ἐνεργουμένη – „Glaube, der als solcher durch Liebe tätig ist“ (Gal 5,6).
Daß der an Christus glaubende Mensch die Liebe nicht aus eigener Kraft hervor-
bringt, das macht Paulus deutlich, wenn er sie als „Frucht des Geistes“ (καρπὸς
τοῦ πνεύματος) bezeichnet (Gal 5,22).67 Fragen wir nach dem Maßstab, an dem
sich das neue, unter der Leitung des Heiligen Geistes stehende Leben orientiert,
so ist zu sagen: Dieser Maßstab ist für Paulus das „Gesetz Christi“ (Gal 6,2), d. h.
der Herrschaftsanspruch des gekreuzigten und auferstandenen Herrn.68 In der
Freiheit, die ihnen durch die Gnade Gottes geschenkt ist, prüfen und entscheiden
die Glaubenden, was in einer konkreten Situation das vor dem Gekreuzigten zu
verantwortende und eben damit auch gebotene Tun und Verhalten ist.

64 Eine vergleichbare Aussage über alle Christen findet sich in Röm 6,1–11; s. insbesondere

V. 6 f.
65
 S. dazu besonders Röm 6,1–7,6; 8,1–17; Gal 5,13–6,10. Wie Paulus in diesen Abschnitten
deutlich macht, ist mit dem Geist Gottes und der von ihm bestimmten neuen Existenz die σάρξ –
die unter der Macht der Sünde stehende und gegen Gott gerichtete Existenz – schlechterdings
unvereinbar. Daß die alte Sündenexistenz den Glaubenden immer noch als Versuchung ent-
gegentritt, weiß der Apostel sehr wohl. Er betont jedoch, daß sie dieser Versuchung keineswegs
erliegen müssen, sondern ihr in der Kraft des Geistes Gottes zu widerstehen vermögen (Röm
8,12 f.; Gal 5,16).
66
 Für Gott: Röm 6,11; Gal 2,19a. Für Christus: Röm 14,8; 2 Kor 5,15.
67
 Die Liebe steht nicht zufällig am Anfang der Liste von Gal 5,22.23a: „Die Frucht des
Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue (πίστις), Sanftmut,
Selbstbeherrschung.“ Das Wort πίστις hat in dieser Liste die gleiche Bedeutung wie in Röm 3,3.
68
 Zum „Gesetz Christi“ s. des näheren Hofius, Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi
(s. Anm. 26), 70–72 (auch 66–69). – An dieser Stelle sei eine exegetische Anmerkung zu 1 Kor
7,19 angefügt: Der Satz ist formal wie inhaltlich eine Parallele zu Gal 5,6 und Gal 6,15. Deshalb
meint die Wendung τήρησις ἐντολῶν θεοῦ („das Halten der Gebote Gottes“) nicht einfach die
Befolgung aller Gebote der Sinai-Tora. Was Gottes Gebote sind, das entscheidet sich für Paulus
vielmehr an dem Liebesgebot, das im Licht der Liebe Christi auszulegen ist und mit dessen
Befolgung de facto erfüllt wird, was die Tora im Blick auf das Verhältnis zum Nächsten als den
Willen Gottes bezeugt (Röm 13,8–10; Gal 5,13 f.).
„Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“ 175

5. Die Herrschaft Jesu Christi ist die Herrschaft der Gnade. Nach Röm 5,21
übt die Gnade ihre Herrschaft in der Weise aus, daß diejenigen, die zuvor unter
der Herrschaft der Sünde heillos dem von Gott trennenden Tod verfallen waren,
nunmehr in der ihnen geschenkten heilvollen Gottesbeziehung bewahrt bleiben,
die das ewige Leben zur Folge hat. Paulus unterstreicht diese Aussage noch ein-
mal nachdrücklich in Röm 6,23, indem er der Sünde die Gnade gegenüberstellt:
„Der Sold, den die Sünde auszahlt, ist der Tod. Das Geschenk aber der Gnade
Gottes ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.“
Das kirchliche Amt der Verkündigung
bei Paulus und in den Deuteropaulinen

Die folgenden Überlegungen sind der Frage gewidmet, was sich den authenti-
schen Paulusbriefen einerseits und den Deuteropaulinen andererseits über ein
kirchliches Amt der Verkündigung entnehmen läßt.1 Verkündigung meint dabei
dezidiert die Predigt des Evangeliums als des Glauben wirkenden Wortes Gottes,
in dem zur Sprache kommt, was Gott selbst den zu Aposteln berufenen Zeugen
über die Person und das Werk seines Sohnes Jesus Christus geoffenbart hat.2
Von einem Amt der Verkündigung soll da gesprochen werden, wo die Predigt
des Evangeliums als ein bestimmten Personen übertragener und von ihnen kon-
tinuierlich wahrgenommener Dienst verstanden ist. Die Rede von einem kirch-
lichen Amt schließlich hebt auf den elementaren Unterschied zu dem Amt der
einmaligen und einzigartigen Apostel Jesu Christi ab, die als die grundlegenden
Christuszeugen in das Geschehen der Offenbarung Gottes in Jesus Christus mit
hineingehören und deshalb keine kirchliche Instanz, sondern der Kirche als ver-
bindliche Autorität vorgegeben sind.3 Träger eines kirchlichen Amtes sind zum
einen die in einem größeren geographischen Bereich wirkenden urchristlichen
Missionare4 und zum andern diejenigen, die in einer konkreten Gemeinde den
Dienst der Verkündigung wahrnehmen. Ausschließlich um das Amt der Letzt-
genannten geht es im Folgenden.

1
 Den Gegenstand der Betrachtung bilden damit Texte, die in der Exegese sehr unter-
schiedliche und zum Teil auch recht kontroverse Deutungen erfahren. Diese Deutungen im
einzelnen darzustellen und in eine explizite Auseinandersetzung mit ihnen einzutreten, würde
den Rahmen des Aufsatzes sprengen. Die Literaturhinweise beschränken sich deshalb vor
allem auf solche Beiträge, denen ich wichtige Einsichten verdanke, sowie auf eigene Arbeiten,
in denen bestimmte Urteile eine nähere Begründung finden. – Für hilfreiche Gespräche danke
ich meinem Freund Gert Jeremias.
2 S. dazu sowie zur präzisen Bestimmung des Verhältnisses von Evangelium und Ver-

kündigung: O. Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: Ders., Paulusstudien (WUNT
51), Tübingen ²1994, 148–174: 150–154; Ders., „Fides ex auditu“. Verkündigung und Glaube
nach Römer 10,4–17, in: J. von Lüpke / ​E. Thaidigsmann (Hg.), Denkraum Katechismus. FS
Oswald Bayer, Tübingen 2009, 71–86: 75–83 (in dem vorliegenden Band: 105–120: 108–117).
3 S. dazu im einzelnen O. Hofius, Die Einzigartigkeit der Apostel Jesu Christi, in: Ders.,

Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen 2008,189–202.


4
 Dazu gehören die unmittelbaren Mitarbeiter des Paulus (s. z. B. 1 Kor 4,17; 9,6.14; 2 Kor
1,19; 8,18; Phil 2,19–22), aber auch andere umherziehende Missionare wie etwa Apollos (1 Kor
3,5; 4,1). In den Deuteropaulinen s. Kol 1,7 und dazu die tiefgründige Auslegung bei E. Lohse,
Die Briefe an die Kolosser und an Philemon (KEK 9/2), Göttingen ¹(¹⁴)1968, 53 f.
178 Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen

Der früheste Zeuge für ein kirchliches Amt der Verkündigung in dem soeben be-
schriebenen Sinn ist der Erste Korintherbrief. Beachtung verdient hier zunächst
der Abschnitt 1 Kor 3,10–17, der fest im Kontext des umfangreichen Textkom-
plexes 1 Kor 1,10–4,21 verankert ist und in diesem Kontext bedacht sein will.
Paulus setzt sich von 1 Kor 1,10 an mit Streitigkeiten in der korinthischen Ge-
meinde auseinander, die in gewissen religiösen Vorstellungen und Erwartungen
begründet sind.5 Die an dem Streit beteiligten Korinther streben nach heil-
bringender „Weisheit“, und sie haben offenbar in Jesus Christus den göttlichen
Vermittler sowie – bei durchaus unterschiedlicher Wertschätzung – in Paulus,
Apollos und Petrus die entscheidenden Verkündiger und Lehrer solcher Weisheit
gesehen. Was sie von einem respektablen Verkündiger und Lehrer erwarten,
ist „Weisheitsrede“, d. h. eine Rede, die ihnen die als heilsrelevant erachtete
Erkenntnis göttlicher Geheimnisse vermittelt.6 Demgegenüber weist Paulus
mit großem Nachdruck darauf hin, daß in der christlichen Gemeinde die Ver-
kündigung prinzipiell nichts anderes sein kann als eine Rede, die das Kreuz Jesu
Christi zum Inhalt hat (ὁ λόγος ὁ τοῦ σταυροῦ 1 Kor 1,18), – und zwar deshalb,
weil das Heil eines jeden Menschen ausschließlich in dem gekreuzigten Christus
beschlossen liegt. Dementsprechend betont der Apostel in 1 Kor 2,1 f., daß er bei
seinem ersten missionarischen Wirken in Korinth nichts anderes verkündigt hat
als den Χριστὸς ἐσταυρωμένος (vgl. 1,23).
An sein erstes Wirken in Korinth erinnert Paulus erneut in 1 Kor 3,10. In 3,9
hat er die Gemeinde als „Gottes Bauwerk“ bezeichnet, was in 3,16 f. dahin-
gehend präzisiert wird, daß sie „der Tempel Gottes“ ist. Unter Aufnahme des
Bildes vom „Bauwerk“ erklärt der Apostel in V. 10: „Entsprechend der Gnade
Gottes, die mir verliehen wurde, habe ich als ein kundiger Baumeister das
Fundament gelegt (θεμέλιον ἔθηκα). Andere aber bauen darauf auf (ἄλλος δὲ
ἐποικοδομεῖ).7 Jeder aber sehe zu, wie er darauf aufbaut!“ Das Fundament der
korinthischen Gemeinde hat Paulus gelegt, indem er das Evangelium und damit
den gekreuzigten Christus verkündigte (V. 10a). Wie sich das θεμέλιον τιθέναι
auf die Verkündigung des Evangeliums bezieht, so auch das ἐποικοδομεῖν von
V. 10b.8 Daraus folgt, daß Paulus von Personen spricht, die in der Gemeinde als

5
 Zu den exegetischen Einzelfragen s. H.-Chr. Kammler, Kreuz und Weisheit. Eine ex-
egetische Untersuchung zu 1 Kor 1,10–3,4 (WUNT 159), Tübingen 2003.
6 Das ergibt sich aus 1 Kor 1,17b; s. Kammler, ebd., 28–36.
7 An unserer Stelle ist ἄλλος (wie ἕτερος Röm 2,21) ein genereller Singular, der im Deutschen

am besten durch den Plural wiedergegeben wird. Mit ἄλλος beginnt ein neuer Satz (= V. 10bα),
weshalb im griechischen Text hinter ἔθηκα zumindest ein Kolon stehen sollte.
8
 Das Verbum ἐποικοδομεῖν, das dann in den Versen 12 und 14 erneut begegnet, heißt: „auf-
bauen“, „darauf / ​darüber bauen“. Wird in 1 Kor 3,10.12.14 mit „weiterbauen“ übersetzt, so ist
das zumindest mißverständlich. Denn das von Paulus gewählte Bild ist nicht das eines im Bau
befindlichen und ständig wachsenden Gebäudes, bei dessen Errichtung einer das Werk des
Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen 179

Verkündiger wirken. Wenn er von diesen sagt, daß sie auf dem von ihm gelegten
Fundament „aufbauen“, so heißt das: Sie halten in ihrer Verkündigung an dem
von ihm selbst gepredigten Evangelium fest. Einem jeden, der so „aufbaut“, gilt
die Mahnung, daß er zusehen möge, wie er den Dienst der Verkündigung ausübt
(V. 10bβ).
Ehe Paulus diese Mahnung näher entfaltet, formuliert er in V. 11 einen theo-
logisch gewichtigen Begründungssatz: θεμέλιον γὰρ ἄλλον οὐδεὶς δύναται
θεῖναι παρὰ τὸν κείμενον, ὅς ἐστιν Ἰησοῦς Χριστός – „Denn ein anderes Fun-
dament kann niemand legen als das, das gelegt ist: Jesus Christus.“ Die gängige
Deutung dieses Satzes erblickt in Paulus das logische Subjekt zu dem Partizip
κείμενον. V. 11 begründet dann das in V. 10b Gesagte bzw. die Wahl des Wortes
ἐποικοδομεῖν: Das Fundament, das Paulus gelegt hat, kann keiner der nach ihm
kommenden Verkündiger durch ein anderes Fundament ersetzen, sondern ein
jeder von ihnen kann grundsätzlich nur auf diesem Fundament „aufbauen“.
Daß diese Deutung sprachlich unanfechtbar ist und einen guten Sinn ergibt,
steht außer Frage. Gleichwohl halte ich eine andere Interpretation des V. 11 für
entschieden wahrscheinlicher. Diese geht davon aus, daß Gott das logische
Subjekt von κείμενον, das Partizip also passivum divinum ist.9 Dann begründet
V. 11 den V. 10 insgesamt: Ein anderes Fundament als jenes, das Paulus mit der
Verkündigung des gekreuzigten Christus in Korinth gelegt hat, kann prinzipiell
niemand und konnte also auch der Apostel nicht legen10  – und zwar deshalb
nicht, weil dieses das von Gott selbst gelegte und mithin ausnahmslos allen Ver-
kündigern vorgegebene Fundament ist. Gott hat es gelegt mit der Heilstat des
Christusgeschehens und ihrer Offenbarung im Heilswort des Evangeliums.11 Mit
den Worten παρὰ τὸν κείμενον nimmt Paulus so auf das Bezug, was er in seinem
Brief bereits zuvor über Christus als die Heilsgabe Gottes und über ihre Er-
schließung durch Gott selbst gesagt hat.12 Als ein „kundiger Baumeister“ hat er
sich eben darin erwiesen, daß er in seiner zur Gründung der Gemeinde führenden
Predigt nichts anderes verkündigt hat als das, was ihm als dem berufenen Apo-

andern weiterführt, sondern das einer Grundlage und des auf dieser Grundlage Errichteten (vgl.
dazu Platon, Leg 736e; Epiktet, Diss II 15,8; Philo, Cher 101. Gig 30. Conf 87. Her 116. Mut 211.
Somn II 8. Cont 34).
 9
 Daß Paulus nicht παρὰ τὸν τεθειμένον, sondern παρὰ τὸν κείμενον schreibt, weist m. E.
auf eine Differenzierung hin.
10
 Zu οὐδείς in der Bedeutung „prinzipiell niemand“ / ​„ausnahmslos niemand“ vgl. Röm 14,7;
1 Kor 2,8.11; 12,3; 2 Kor 5,16; Gal 3,11.
11 Zu dem differenzierten, aber unlöslichen Zusammenhang von Heilstat und Heilswort s.

vor allem den locus classicus 2 Kor 5,18–21. Aus den Deuteropaulinen sind die folgenden Texte
zu nennen: Kol 1,21–23; Eph 2,13–18; 1 Tim 2,5–7; 2 Tim 1,9–11.
12
 Christus als die Heilsgabe Gottes: 1 Kor 1,30b (ὃς ἐγενήθη σοφία ἡμῖν ἀπὸ θεοῦ, δικαιοσύνη
τε καὶ ἁγιασμὸς καὶ ἀπολύτρωσις); 2,9b ([…] ἃ ἡτοίμασεν ὁ θεὸς τοῖς ἀγαπῶσιν αὐτόν); 2,12b
(τὰ ὑπὸ τοῦ θεοῦ χαρισθέντα ἡμῖν). Die Erschließung durch Gott selbst: 1 Kor 2,10a (ἡμῖν […]
ἀπεκάλυψεν ὁ θεὸς διὰ τοῦ πνεύματος); 2,12 (ἡμεῖς […] ἐλάβομεν […] τὸ πνεῦμα τὸ ἐκ τοῦ
θεοῦ, ἵνα εἰδῶμεν τὰ ὑπὸ τοῦ θεοῦ χαρισθέντα ἡμῖν).
180 Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen

stel Jesu Christi von Gott geoffenbart worden war. Auf dieses Fundament muß
alle weitere Verkündigung in der Gemeinde gegründet sein.
Die Verse 12–15 nehmen die Mahnung von V. 10bβ (ἕκαστος δὲ βλεπέτω πῶς
ἐποικοδομεῖ) auf. Das Wirken derer, die auf dem von Paulus gelegten Fundament
„aufbauen“, kann von durchaus unterschiedlicher Qualität sein (V. 12), und am
Tag des Gerichts wird „offenbar“ werden, was das ἔργον eines jeden – d. h. sein
Wirken im Dienst der Evangeliumsverkündigung  – tatsächlich wert gewesen
ist (V. 13). Dann werden die einen Lohn empfangen (V. 14), andere dagegen des
Lohnes verlustig gehen, ohne damit jedoch das ewige Heil zu verlieren (V. 15).
Bei den letzteren denkt Paulus an solche Verkündiger, die trotz unzulänglichem
Wirken das Fundament nicht angetastet oder preisgegeben haben. Von ihnen
wie von allen, die „aufbauen“, sind diejenigen fundamental unterschieden, die
den „Tempel“ Gottes, die Gemeinde, „zerstören“ (V. 16+17).13 Der Apostel hat
hier die Verkündiger einer Heilslehre vor Augen, die im Widerspruch zum Evan-
gelium steht und durch die das Kreuz Christi „zunichte gemacht“ wird (1,17).

II

Dem Abschnitt  1 Kor 3,10–17 läßt sich zwar entnehmen, daß in der korinthischen
Gemeinde bestimmte Personen als Verkündiger wirken, er belegt aber für sich
genommen noch nicht, daß es sich dabei um ein geordnetes „Amt“ der Wort-
verkündigung handelt. Ein eindeutiges Zeugnis für ein solches Amt findet sich
jedoch an einer anderen Stelle des Ersten Korintherbriefes – nämlich in 1 Kor
12,28 f.14
Nachdem Paulus in 1 Kor 12,27 erklärt hat, daß die Korinther „Leib Christi
und einzeln gesehen Glieder“ sind, legt er in V. 28 dar, was das für die un-
terschiedlichen Aufgaben und Funktionen in der Gemeinde bedeutet: καὶ οὓς
μὲν ἔθετο ὁ θεὸς ἐν τῇ ἐκκλησίᾳ πρῶτον ἀποστόλους, δεύτερον προφήτας,
τρίτον διδασκάλους, ἔπειτα δυνάμεις, ἔπειτα χαρίσματα ἰαμάτων, ἀντιλήμψεις,
κυβερνήσεις, γένη γλωσσῶν – „Und die einen hat Gott in der Gemeinde15 einge-
setzt erstens zu Aposteln, zweitens zu Propheten, drittens zu Lehrern; ferner
[hat er eingesetzt] Wunderkräfte, ferner Heilungscharismen, Hilfeleistungen,
Leitungsaufgaben, verschiedene Arten von Zungenrede.“ An dem griechischen
Wortlaut dieses Satzes ist dreierlei bemerkenswert: 1. Das οὓς μέν wird nicht
durch ein eigentlich zu erwartendes οὓς δέ aufgenommen, sondern der in V. 28a
begonnene Gedanke wird in V. 28b anakoluthisch fortgeführt (ἔπειτα κτλ.). 2. In
13
 Das εἴ τις von V. 17 korrespondiert antithetisch dem εἰ δέ τις von V. 12.
14
 Die Aussage über das Apostelrecht 1 Kor 9,14 gehört dagegen nicht hierher, weil sich die
Worte οἱ τὸ εὐαγγέλιον καταγγέλλοντες auf die Apostel (s. V. 1 f. und V. 5) und auf ihre un-
mittelbaren Mitarbeiter wie den in V. 6 erwähnten Barnabas beziehen.
15
 Zu ἐν τῇ ἐκκλησίᾳ = „in der Gemeinde“ vgl. 1 Kor 6,4.
Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen 181

V. 28a ist οὕς Objekt zu ἔθετο, und auf dieses Objekt beziehen sich ἀποστόλους,
προφήτας und διδασκάλους als Prädikatsakkusative; in V. 28b dagegen sind
die Akkusative δυνάμεις, χαρίσματα ἰαμάτων, ἀντιλήμψεις, κυβερνήσεις und
γένη γλωσσῶν direkte Objekte zu einem gedanklich nochmals zu ergänzenden
ἔθετο.16 3. Während in V. 28a von drei Personengruppen die Rede ist, erscheinen
in V. 28b fünf Abstracta, die verschiedene in der Gemeinde lebendige Charismen
bezeichnen. Wie bereits dieser dreifache sprachliche Befund erkennen läßt,
unterscheidet Paulus deutlich zwischen den persongebundenen und von ihren
Trägern offenbar kontinuierlich wahrgenommenen Ämtern der „Apostel“, „Pro-
pheten“ und „Lehrer“ einerseits und den spontan sich äußernden und nicht an
bestimmte Personen gebundenen Charismen andererseits.
Was die drei in V. 28 und dann noch einmal in V. 29 genannten Personen-
gruppen anlangt, so sind mit den ἀπόστολοι ohne Frage die vom Kyrios selbst
berufenen Apostel Jesu Christi gemeint. Da es sich bei ihnen um Personen
handelt, die im Dienst am Evangelium stehen, ist das gleiche auch für die
προφῆται und für die διδάσκαλοι anzunehmen. Die Apostel werden an erster
Stelle genannt, weil sie „mit ihrer missionarischen Wirksamkeit gemeinde-
gründend tätig sind, also grund-legende Bedeutung haben und auch weiterhin
Verantwortung für die Gemeinden tragen“.17 In der korinthischen Gemeinde hat
allein Paulus als Apostel gewirkt. Wenn er gleichwohl den Plural ἀπόστολοι
wählt, so deshalb, weil er „zugleich an die anderen Apostel […] und an die von
ihnen gegründeten Gemeinden“ denkt.18 Während die Apostel in ihrem Dienst
auf die Gesamtkirche bezogen sind, haben die Propheten und die Lehrer ihren
Ort in der Einzelgemeinde. Der Unterschied zwischen den beiden Ämtern dürfte
sich etwa folgendermaßen bestimmen lassen:19 Der Dienst der Propheten besteht
in der Verkündigung des Evangeliums, durch das der Glaube an Jesus Christus
gewirkt wird und die Glaubenden in diesem Glauben erhalten werden.20 Die
Lehrer nehmen die Aufgabe wahr, das Evangelium lehrhaft zu entfalten, den
Christusglauben auf seine Implikationen und Konsequenzen hin zu bedenken
und die Schriften des Alten Testaments im Licht des apostolischen Christuszeug-
nisses auszulegen. Die Lehrer sind also nicht unmittelbar als Verkündiger tätig,
wohl aber steht ihr Dienst in einer engen Beziehung zu der Verkündigung. Die
besondere Dignität der beiden kirchlichen Ämter kommt darin zum Ausdruck,

16
 Dabei verschiebt sich gegenüber der Verbindung mit doppeltem Akkusativ der Sinn inso-
fern, als ἔθετο mit einfachem Akkusativ jetzt soviel wie „er hat gegeben“ bedeutet.
17
 Chr. Wolff, Der erste Brief des Paulus an die Korinther (ThHK 7), Leipzig ³2011, 306.
18
 Wolff, ebd. Zu dem Blick auf alle Apostel vgl. 1 Kor 4,9; 9,5; 15,7.9.
19 Vgl. die Kennzeichnung bei H. von Campenhausen, Kirchliches Amt und geistliche

Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten (BHTh 14), Tübingen 1953, 66.
20
 Wenn Paulus in 1 Kor 3,5 sich selbst und Apollos als διάκονοι δι᾿ ὧν ἐπιστεύσατε bezeich-
net, dann liegt darin eine wesentliche Kennzeichnung der Verkündiger überhaupt.  – Fragen
kann man, ob die Verkündiger von 1 Kor 3,10–15 mit den προφῆται von 1 Kor 12,28 f. identisch
sind.
182 Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen

daß sie durch die Aufzählung πρῶτον ἀποστόλους, δεύτερον προφήτας, τρίτον
διδασκάλους den Aposteln nicht nur nachgeordnet, sondern ihnen zugleich auch
zugeordnet werden.
Als höchst auffallend muß nun gelten, daß in 1 Kor 12,28 f. die Apostel, Pro-
pheten und Lehrer überhaupt erwähnt werden. Auffallend ist das nämlich des-
halb, weil zuvor, d. h. vom ersten Vers des 12. Kapitels an, ausschließlich von
Charismen die Rede gewesen ist und diese dann auch weiterhin Thema sein
werden. Daß Paulus die drei Ämter ebenfalls zu den Charismen rechnet, halte
ich  – im Unterschied zu einer in der Exegese verbreiteten Sicht  – für aus-
geschlossen.21 Den Tatbestand, daß die ἀπόστολοι, προφῆται und διδάσκαλοι
ganz unvermittelt erwähnt werden, und die Weise, wie das sprachlich geschieht,
vermag ich vielmehr nur so zu verstehen, daß der Apostel diese Ämter sehr be-
wußt aufzählt und sie den Charismen gegenüberstellt. Ja, mehr noch: Dadurch,
daß die Ämter an erster Stelle und unter dem Vorzeichen des μέν solitarium
genannt werden, die Charismen hingegen erst danach und unter dem Vorzeichen
eines ἔπειτα erscheinen, wird nach meiner Überzeugung eine deutliche Wertung
zum Ausdruck gebracht. Paulus liegt offenbar an dem Hinweis, daß es neben
den vielfältigen Charismen zunächst einmal die drei Ämter gibt und daß diese
den Charismen gegenüber durchaus einen Vorrang haben.22 Eine theologische
Begründung dafür läßt sich unschwer namhaft machen: Was immer von den
Charismen zu sagen sein mag – von ihnen gilt nicht, was von den Wortämtern
gilt: daß die Kirche insgesamt und so auch jede einzelne Gemeinde diese nicht
entbehren kann, weil das Evangelium unentbehrlich ist.
Wenn die drei Wortämter nicht zu den Charismen gehören, dann ergibt sich
hinsichtlich der beiden kirchlichen Ämter eine nicht unerhebliche Konsequenz:
Die προφῆται und die διδάσκαλοι von 1 Kor 12,28 f. sind streng von jenen Ge-
meindegliedern zu unterscheiden, die der Schilderung von 1 Kor 12–14 zufolge
das Charisma der „Prophetie“ oder das Charisma der „Lehre“ haben. Das heißt:
Der in 1 Kor 12,28 f. vorliegende Begriff προφήτης ist ein anderer als derjenige
von 1 Kor 14,29.32.37, dem die Termini προφητεύειν (1 Kor 11,4 f.; 13,9; 14,1.3–
5.24.31.39) und προφητεία (1 Kor 12,10; 13,2.8; 14,6.22) zuzuordnen sind;23 und

21
 Daß das Apostelamt sich der Gnade Gottes verdankt (Röm 1,5; 12,3; 15,15 f.; 1 Kor 3,10;
15,9 f.; Gal 1,15; 2,9; deuteropaulinisch: Eph 3,7), bedeutet noch nicht, daß es zu den Charismen
gehört, die Gott ebenfalls in seiner Gnade gewährt (Röm 12,6).
22
 Für exegetisch gänzlich unbegründet halte ich das zu Paulus (bes. zu 1 Kor 14) geäußerte
Urteil: „,Amtsträger’ sind […] hier alle Getauften, die mit ihrem Charisma ja alle in Verant-
wortung stehen […]“: E. Käsemann, Amt und Gemeinde im Neuen Testament, in: Ders., Ex-
egetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen ²1960, 109–134: 123. Ähnlich heißt es ebd.,
124, daß „alle Charismatiker als solche zugleich Amtsträger sind“.
23
 Das Verb προφητεύειν heißt an allen Stellen „prophetisch reden“, und das Substantiv
προφητεία bezeichnet in 12,10; 13,2.8 (und ebenso in Röm 12,6) das Charisma der Prophetie,
die „Prophetengabe“, sowie in 14,6.22 (und ebenso in 1 Thess 5,20) die Äußerung des charis-
matischen προφήτης, das „Prophetenwort“ bzw. die „prophetische Rede“.
Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen 183

dem διδάσκαλος von 12,28 f. darf nicht die in 1 Kor 14,6.26 erwähnte διδαχή zu-
geschrieben werden. Was den charismatischen προφήτης betrifft, so spricht für
unser Urteil bereits die Beobachtung, daß in 1 Kor 12–14 nirgends gesagt wird,
daß dieser das Evangelium von Jesus Christus verkündige und sein Charisma
mithin das der Christuspredigt sei. Als eine weitere Beobachtung kommt hinzu,
daß man die an anderen Stellen des Briefes zu verzeichnende spezifische Verkün-
digungsterminologie in den drei Kapiteln vergeblich sucht. Es fehlen die Begrif-
fe εὐαγγέλιον24, κήρυγμα25, εὐαγγελίζεσθαι26, κηρύσσειν27 und καταγγέλλειν28,
und wo ein „Reden“ (λαλεῖν) erwähnt wird,29 da ist im Unterschied zu 1 Kor
2,6 f.13 nicht die Verkündigung des Evangeliums im Blick.30 Was der charis-
matische προφήτης tatsächlich kundtut, wird in 1 Kor 14 deutlich gesagt: Ihm
wird in der Gemeindeversammlung ganz unmittelbar eine „Offenbarung“ zuteil
(14,29 f.),31 die der Erbauung, Ermahnung, Belehrung oder Ermutigung dient
(14,3.31). Es geht bei der προφητεία des Charismatikers also um ein Wort, das in
einer konkreten Situation oder angesichts konkreter Herausforderungen auf das
notwendig zu Bedenkende hinweisen und den Weg zur rechten Entscheidung
zeigen soll.32 Die προφητεία unterliegt dabei der Prüfung durch die anderen
Gemeindeglieder: οἱ ἄλλοι διακρινέτωσαν (14,29). Mit διακρίνειν ist hier nicht
die Prüfung gemeint, ob der Prophet das Evangelium verkündigt hat; gedacht ist
vielmehr an die Prüfung, ob das von ihm Gesagte mit dem Evangelium vereinbar
ist,33 sowie ferner die Überlegung, welche Relevanz und welche Konsequenzen
das Prophetenwort hat und wie es im einzelnen umzusetzen ist. Eine andere

24 In 1 Kor: 4,15; 9,12.14.18.23; 15,1.


25
 In 1 Kor: 1,21; 2,4; 15,14.
26
 In 1 Kor: 1,17; 9,16.18; 15,1 f.
27 In 1 Kor: 1,23; 9,27; 15,11 f.
28 In 1 Kor: 2,1; 9,14 (außerdem 11,26 von der Proklamation des Todes Jesu beim Herrenmahl).
29 1 Kor 12,3.30; 13,1; 14,2–6.9.11.13.18 f.21.23.27–29.34 f.39.
30
 Das in 1 Kor 14,19 dem ἐν γλώσσῃ λαλεῖν entgegengesetzte „vernünftige Reden“, durch
das die Gemeindeglieder Belehrung empfangen, entspricht dem προφητεύειν, das bereits in
14,1–12 der Glossolalie gegenübergestellt wird. – In 1 Kor 14,36 begegnet zwar der Ausdruck ὁ
λόγος τοῦ θεοῦ, doch damit ist nicht ein Wort gemeint, das bestimmte Charismatiker ausrichten,
sondern das Evangelium, das die gesamte Kirche und so auch die Gemeinde zu Korinth durch
die Verkündigung der Apostel empfangen hat.
31
 So ἀποκαλύπτεσθαι mit Dativ der Person in 14,30. Dem ist die ἀποκάλυψις 14,6.26 zu-
zuordnen, auch wenn in V. 6 neben der ἀποκάλυψις die προφητεία noch gesondert genannt
wird.
32
 Man kann dazu das Phänomen der προφητεία in der Apostelgeschichte des Lukas ver-
gleichen: Apg 11,27 f. und 21,10 f. (Ankündigung eines kommenden Geschehens); 13,1 f. (An-
weisung, Barnabas und Paulus als Missionare auszusenden); 15,32 (Stärkung der Gemeinde
durch ermutigenden Zuspruch); 21,4 (Warnung vor einem bestimmten Vorhaben).
33 Vgl. Röm 12,6: Die προφητεία des Charismatikers muß ausgeübt werden κατὰ τὴν

ἀναλογίαν τῆς πίστεως, d. h. in Übereinstimmung mit der fides quae creditur, dem Glaubens-
inhalt, der dem Inhalt des Evangeliums entspricht und durch diesen bestimmt und festgelegt
ist (s. 1 Kor 15,11). Hierher gehört 1 Kor 12,10: Die der προφητεία zugeordnete Gabe der „Un-
terscheidung [oder: Beurteilung] der Geister“ (διάκρισις πνευμάτων) ist die Prüfung, ob das
184 Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen

Gestalt der charismatischen προφητεία wird in 1 Kor 14,23–25 beschrieben: Die


προφητεία überführt einen Menschen, der als ein Nichtchrist an der gottesdienst-
lichen Zusammenkunft der Gemeinde teilnimmt. Hier ist nicht von der Wirkung
der Evangeliumsverkündigung die Rede, sondern davon, daß die mit der Gabe
der προφητεία ausgestatteten Gemeindeglieder den Nichtchristen erkennen und
ihn seines heidnischen Vorlebens überführen.34 Aufgrund aller aus 1 Kor 12–14
zu gewinnenden Informationen kann m. E. zuversichtlich gesagt werden: Der
προφήτης von 14,29.32.37 hat nichts mit einem Verkündiger des Evangeliums,
das προφητεύειν von 11,4 f.; 13,9; 14,1.3–5.24.31.39 nichts mit der Verkündigung
des Evangeliums und die προφητεία von 12,10; 13,2.8; 14,6.22 nichts mit dem
Gegenstand dieser Verkündigung zu tun.35
Auf die Verkündigung des Evangeliums beziehen sich ebenfalls nicht die
in dem Charismenkatalog 12,8–10 begegnenden Ausdrücke λόγος σοφίας und
λόγος γνώσεως (V. 8). Wie insbesondere der Vergleich von 12,8–10 mit 13,1 f.
lehrt, meint hier σοφία „eine auf spezieller Offenbarung beruhende Einsicht in
bestimmte göttliche Geheimnisse“ und γνῶσις „eine dem Charismatiker ver-
liehene besondere theologische Erkenntnis, die das ethisch angemessene Ver-
halten betreffen dürfte“.36 Man kann fragen, ob nicht unter der διδαχή von 14,6
und 14,26 die Mitteilung sowohl des λόγος σοφίας wie auch des λόγος γνώσεως
zu verstehen ist. An beiden Stellen ist διδαχή jedenfalls auf eine einzelne Lehr-
aussage und nicht etwa – wie in Röm 6,17; 16,17 – auf die christliche Lehre im
umfassenden Sinn zu deuten.37 Im Unterschied zu den „Lehrern“ von 1 Kor
12,28 f., die in der Bindung an die apostolische Überlieferung den Inhalt des
Christuskerygmas entfalten und erläutern, legen die Charismatiker, die in der
Gemeindeversammlung eine διδαχή vortragen, einen bestimmten und begrenz-
ten theologischen oder ethischen Sachverhalt dar.38 Bei der διδαχή von 1 Kor
14,6.26 handelt es sich ebensowenig wie bei der προφητεία von 1 Kor 12,10;
13,2.8; 14,6.22 um eine Bezeugung des Evangeliums von Jesus Christus, sondern
um geistgewirkte Äußerungen, die eine dem Charismatiker je und je gewährte
Einsicht zur Sprache bringen.

Gesagte in der Kraft des Geistes Gottes gesagt sein kann oder ob ein widergöttlicher Geist am
Werk ist. S. dazu auch 1 Thess 5,19–22.
34
 Vgl. D. Zeller, Der erste Brief an die Korinther (KEK 5), Göttingen 2010, 432.
35
 Gleiches gilt für προφητεία Röm 12,6; 1 Thess 5,20.
36 So überzeugend Kammler, Kreuz und Weisheit (s. Anm. 5), 36. Die Begründung s. ebd.,

35 f.
37 Um diese geht es in Gal 6,6 und in Phil 4,9, in den Pastoralbriefen (1 Tim 1,10; 4,6.16 u. ö.)

sowie in 2 Thess 2,15 und in Kol 2,7. Zu Kol 2,7, wo πίστις die fides quae creditur meint, „die
als Inhalt der Lehre dargeboten wurde“ (Lohse, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon
[s. Anm. 4], 143), vgl. auch Kol 1,7.
38
 Von der charismatischen „Lehre“ ist auch in Röm 12,7 – im Rahmen einer Liste von sieben
χαρίσματα (Röm 12,6–8) – die Rede.
Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen 185

Anzuschließen ist hier noch die Frage, weshalb beide  – die Verkündiger
des Evangeliums und die in der Gemeindeversammlung redenden Charisma-
tiker – „Propheten“ genannt werden.39 Die Antwort ergibt sich von dem Ver-
bum προφητεύειν her, das unter anderem die Bedeutung „etwas von Gott Ge-
offenbartes kundtun“ hat. Eine Kundgabe göttlicher Offenbarung erfolgt in der
Evangeliumsverkündigung,40 und sie geschieht ebenso auch in den spontanen
Äußerungen der Charismatiker. Der entscheidende Unterschied liegt in dem
jeweiligen Offenbarungsinhalt. Weil die für den Glauben grundlegende Chri-
stusoffenbarung den Inhalt der Evangeliumsverkündigung bildet, deshalb ist das
im Dienst des Evangeliums stehende Amt – anders als die Charismen – für die
Gemeinde und ihren Bestand konstitutiv.

III

Ein paulinisches Zeugnis für das kirchliche Amt der Verkündigung liefert neben
dem Ersten Korintherbrief auch der Philipperbrief.41 Der Apostel spricht in
1,14–18 von „Brüdern“ (V. 14), deren Wirken er mit den Wendungen τὸν λόγον
λαλεῖν (V. 14), τὸν Χριστὸν κηρύσσειν (V. 15) und τὸν Χριστὸν καταγγέλλειν
(V. 17) beschreibt. Unter diesen „Brüdern“ ist nicht die Gesamtgemeinde derer
zu verstehen, die am Ort der Gefangenschaft des Apostels leben, sondern es
sind bestimmte Personen gemeint, die dort und wohl auch in der Umgebung als
Verkündiger wirken.42 Der λόγος, von dem V. 14 spricht, ist das in 1,12 und 1,16
erwähnte εὐαγγέλιον, das in 2,16 als λόγος ζωῆς gekennzeichnet wird. „Wort
des Lebens“ – d. h. ein das Leben in der heilvollen Gottesbeziehung eröffnendes
Wort – ist das Evangelium deshalb, weil es Christus und damit das eschatolo-
gische Heil zum Inhalt hat. Daß dieser Inhalt des Evangeliums auch der Inhalt
ihrer Verkündigung ist, das allein ist für das Urteil, das Paulus in V. 15–18 über
die ἀδελφοί fällt, von Bedeutung. Mögen die Motive der „Brüder“ lauter oder

39
 Daß ein zu einer herausgehobenen Bezeichnung gewordener Begriff zugleich noch in
anderer Bedeutung verwendet wird, findet sich auch sonst. Dazu nur zwei Beispiele: Bei Paulus
heißen nicht nur die einmaligen „Apostel Jesu Christi“ ἀπόστολοι, sondern auch die mit einer
bestimmten und begrenzten Aufgabe betrauten „Abgesandten“ einer Gemeinde (2 Kor 8,23;
Phil 2,25) und wandernde Missionare (Röm 16,7 [vgl. dazu Apg 14,4.14; Did 11,3 f.6]). Bei
Lukas ist μάρτυς die Entsprechung zu dem solennen paulinischen Apostel-Begriff (Lk 24,48;
Apg 1,8.22; 2,32; 3,15; 5,32; 10,39.41; 13,31; 22,15; 26,16); zugleich wird aber auch Stephanus
im Blick auf seinen Märtyrertod als μάρτυς Christi bezeichnet (Apg 22,20).
40
 S. dazu die theologisch gewichtigen Ausführungen von 1 Kor 2,6–16 (V. 9+10a!) und
außerdem Gal 1,11 f.15 f.; Eph 3,1–7.
41
 Auf das Präskript Phil 1,1 f. verweise ich hier nicht, weil es sich bei den ἐπίσκοποι καὶ
διάκονοι von V. 1 m. E. weder um Gemeindeleiter noch auch um Verkündiger handelt, sondern
um „Verwalter und Helfer“, die in der Gemeinde organisatorische bzw. karitative Aufgaben
wahrnehmen.
42 Vgl. J. Gnilka, Der Philipperbrief (HThK X/3), Freiburg – Basel – Wien ⁴1987, 58 f.
186 Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen

unlauter sein – entscheidend ist der Tatbestand, daß sie an dem Inhalt des den
Aposteln anvertrauten und von ihnen bezeugten Evangeliums festhalten (V. 18).
Paulus weiß ja sehr wohl auch um die Möglichkeit, daß dieser Inhalt preisgege-
ben und ein „anderer“ Jesus als der des εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ verkündigt wird
(2 Kor 11,4; Gal 1,6–9), und die für eine solche Verkündigung Verantwortlichen
könnte und würde er keineswegs als „Brüder“ bezeichnen.

IV

Wenden wir uns nunmehr den Deuteropaulinen zu, so ist zunächst der Epheser-
brief in die Betrachtung einzubeziehen. In ihm ist im Kontext der Verse Eph
4,7–16 von Ämtern der Wortverkündigung und von ihrer Bedeutung für alle
Glieder der Kirche die Rede.43 Der Verfasser zitiert dazu in V. 8 das Distichon
Ps 68(67),19a, und zwar in einer Gestalt, die vom Wortlaut der Hebräischen
Bibel und der Septuaginta abweicht,44 sich aber mit der Fassung im Psalmen-
targum näher berührt:45 ἀναβὰς εἰς ὕψος ᾐχμαλώτευσεν αἰχμαλωσίαν, / ​ἔδωκεν
δόματα τοῖς ἀνθρώποις – „Hinaufgestiegen zur Höhe, hat er Gefangene gefan-
gengeführt, / ​hat er Gaben gegeben den Menschen.“ Die Exegese des Psalmzitats
erfolgt so, daß der erste Stichos in V. 9+10 und der zweite Stichos in V. 11–16
ausgelegt wird.46 Die Aussage des ersten Stichos bezieht der Verfasser auf den
präexistenten und menschgewordenen Christus (V. 9), der mit seiner Erhöhung
der Herrscher über das All geworden ist (V. 10). Die Auslegung des zweiten
Stichos deutet dann die „Gaben“, die der erhöhte Christus „gegeben hat“, auf
die Verkündiger des Evangeliums (V. 11)47 und die „Menschen“, die diese Gaben

43
 Zu dem Abschnitt Eph 4,7–16 bietet M. Theobald, Mit den Augen des Herzens sehen.
Der Epheserbrief als Leitfaden für Spiritualität und Kirche, Würzburg 2000, 122–133 eine
knappe, aber gleichwohl in die Tiefe gehende Auslegung, an die sich ebd., 133–141 ein beach-
tenswerter Exkurs zum Thema „Das Amt in der Kirche“ anschließt, dem ich als evangelischer
Exeget und Theologe im wesentlichen nur zustimmen kann.
44
 Ps 68(67),19a lautet in MT und in LXX: „Du bist in die Höhe hinaufgestiegen, hast Ge-
fangene gefangengenommen, hast Gaben empfangen unter den Menschen.“
45
 Zu TargPs 68,19 s. M. McNamara, The New Testament and the Palestinian Targum to the
Pentateuch (AnBib 27), Rom 1966 (²1987), 78–81. Hinzuweisen ist ferner auf P. Billerbeck,
Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch III, München 1926 = ²1954, 596 f.,
wo neben TargPs 68,19 auch vergleichbare rabbinische Texte mitgeteilt werden.
46
 Entgegen der Textdarbietung bei Nestle / ​Aland, Novum Testamentum Graece²⁶.²⁷ darf
zwischen V. 10 und V. 11 kein Spatium gesetzt und V. 11 nicht mit einem Großbuchstaben be-
gonnen werden.
47 Zu dieser Deutung ist der Verfasser m. E. dadurch gekommen, daß er die Worte ἔδωκεν

δόματα der ihm vorliegenden Textfassung von Ps 68(67),19a zu dem 12. Vers des gleichen
Psalms in Beziehung gesetzt hat, wo es heißt: κύριος δώσει ῥῆμα τοῖς εὐαγγελιζομένοις δυνάμει
πολλῇ. Im Septuagintatext selbst hat εὐαγγελίζεσθαι die Bedeutung „die Siegesbotschaft ver-
künden“; unser Verfasser aber liest: „Der Herr wird denen ein (d. h. sein) Wort geben, die mit
großer Macht das Evangelium verkündigen.“
Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen 187

empfangen haben, auf die „Heiligen“, d. h. auf die Glieder der Kirche insgesamt
(V. 12). Die Deutung der „Gaben“, die dem Pauluswort 1 Kor 12,28 verpflichtet
sein dürfte, lautet: καὶ αὐτὸς ἔδωκεν τοὺς μὲν ἀποστόλους, τοὺς δὲ προφήτας,
τοὺς δὲ εὐαγγελιστάς, τοὺς δὲ ποιμένας καὶ διδασκάλους – „Und er hat gegeben
die einen als Apostel, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als
Hirten und Lehrer.“48 In dieser Aufzählung erscheinen zunächst die „Apostel“
und die „Propheten“ – und somit die beiden Ämter, die der bereits vergangenen
Gründungszeit der Kirche angehören.49 Der Verfasser des Briefes erblickt die
besondere Dignität der Apostel und der Propheten darin, daß ihnen das „Chri-
stusgeheimnis“ geoffenbart worden ist, das sie dann in der Verkündigung des
Evangeliums authentisch bezeugt haben.50 Eben deshalb bilden sie mit ihrem
Christuszeugnis das durch den „Eckstein“ Jesus Christus ausgerichtete und
festgelegte „Fundament“ der Kirche.51 Als in der nachapostolischen Zeit be-
stehende Ämter führt der Verfasser sodann die „Evangelisten“ und die „Hirten
und Lehrer“ an. Während die „Evangelisten“ in einem größeren Bereich als
Wandermissionare wirken,52 nehmen die „Hirten und Lehrer“ in jeder Einzel-
gemeinde den Dienst der Gemeindeleitung wahr.53 Die Formulierung ποιμένες
καὶ διδάσκαλοι verknüpft beide Begriffe sprachlich miteinander und wird des-
halb so zu deuten sein, daß zwischen Hirten und Lehrern „eine enge Verbindung
personeller Art vorausgesetzt ist“.54 Die Möglichkeit, daß es sich um ein einziges
Amt handelt, ist nicht auszuschließen,55 und die genannte Formulierung besagt
auf jeden Fall, daß die Leitung der Gemeinde durch die Verkündigung und Lehre
des Evangeliums geschieht. Wenn der Verfasser die Wortämter seiner Zeit mit
den Ämtern des Anfangs in einer Reihe zusammenstellt, so kommt darin unüber-
sehbar zum Ausdruck, daß die „Evangelisten“ und die „Hirten und Lehrer“ das
Werk der ersten und grundlegenden Verkündiger fortsetzen – und daß sie dies in
der Gebundenheit an ihr Christuszeugnis tun. Von V. 12 an legt der Verfasser dar,
48 Ich lese – analog zu 1 Kor 12,28 – ἀποστόλους, προφήτας, εὐαγγελιστάς und ποιμένας καὶ

διδασκάλους als Prädikatsakkusative.


49
 Die „Propheten“ sind wie in 1 Kor 12,28 die in den Einzelgemeinden wirkenden Ver-
kündiger.
50
 Eph 3,4 f. im Kontext der Verse 3,1–7.
51
 Eph 2,20. Vgl. Theobald, Mit den Augen des Herzens sehen (s. Anm. 43), 103–105.
Theobald bemerkt ebd., 105 Anm. 145 sehr zu Recht, daß es „verfehlt“ wäre, einen Gegensatz
zwischen 1 Kor 3,11 und Eph 2,20 zu konstruieren. Denn: „Der Transfer der Metapher von
Christus auf die Apostel und Propheten bedeutet keine Depotenzierung der Christologie zugun-
sten der Ekklesiologie, sondern betont umgekehrt die grundlegende Funktion des apostolischen
Zeugnisses für die Bewahrung der Christologie in nachapostolischer Zeit.“
52
 Vgl. Apg 21,8: Der Wandermissionar Philippus (Apg 8,4–40) trägt den Titel „Evangelist“.
53
 S. dazu O. Hofius, Gemeindeleitung und Kirchenleitung nach dem Zeugnis des Neuen
Testaments, in: Ders., Exegetische Studien (s. Anm. 3), 218–239: 229 f. Zu ποιμένες als Be-
zeichnung der Gemeindeleiter vgl. Apg 20,28; 1 Petr 5,2 f.
54
 J. Roloff, Die Kirche im Neuen Testament (GNT 10), Göttingen 1993, 247 f.
55 Das Amt der ποιμένες καὶ διδάσκαλοι entspräche dann dem Amt des ἐπίσκοπος in den

Pastoralbriefen; vgl. Roloff, ebd., 248.


188 Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen

was bereits durch V. 7 vorbereitet war: Die Wortämter dienen der „Zurüstung
der Heiligen“, so daß alle Getauften mit den ihnen von Christus verliehenen
Gaben zur Auferbauung der Kirche beizutragen vermögen. Das Ziel der Zu-
rüstung weist dabei einen deutlichen Bezug zum Evangelium und zu seinem
Inhalt auf. Es geht um die Einheit im Glauben an Christus und in der Erkenntnis
Christi (V. 13), um die Mündigkeit, die davor bewahrt, ein Opfer falscher Lehre
zu werden (V. 14), und um die Befähigung, in der Liebe von der Wahrheit des
Evangeliums Zeugnis abzulegen (V. 15).

In besonderer Ausführlichkeit wird das kirchliche Amt der Verkündigung in den


Pastoralbriefen thematisiert.56 Anders als bei Paulus und im Epheserbrief wer-
den dabei mit der theologischen Bestimmung erstmals kirchenordnungsmäßige
Anweisungen verbunden, die sowohl die verantwortliche Übertragung wie auch
die angemessene Führung des Amtes betreffen. Das Amt, dem in der Einzel-
gemeinde der Dienst am Evangelium übertragen ist, ist das des ἐπίσκοπος.57
Gute Gründe sprechen für die Annahme, daß dieses Amt in jeder Gemeinde
von mehreren Personen ausgeübt wird. Das Wort ἐπίσκοπος („Aufseher“) selbst
kennzeichnet die Amtsträger als Gemeindeleiter,58 und die Briefe schärfen mit
Nachdruck ein, daß die erste und wichtigste Aufgabe der Gemeindeleitung darin
besteht, das Evangelium zu verkündigen und zu lehren. Das Amt des Lehrers
ist demnach völlig mit dem des Verkündigers verschmolzen. Eine weitere Be-
sonderheit der Pastoralbriefe liegt in der ausdrücklichen Erwähnung der Ordina-
tion, die durch Handauflegung vollzogen wird und zum Amt der Verkündigung
und Lehre bevollmächtigt. In diesem Zusammenhang ist der Gedanke einer
„Sukzession“ unübersehbar: Paulus hat seinen Schüler Timotheus ordiniert, und
dieser erteilt anderen die Ordination, die dann ihrerseits diejenigen ordinieren
werden, die von ihnen zuvor in der apostolischen Lehre unterwiesen worden

56
 Da ich mich bereits an anderer Stelle zu den Pastoralbriefen geäußert habe, kann und
soll im Rahmen des vorliegenden Aufsatzes eine knappe Skizze genügen. Zur Begründung
sowie zu einer detaillierten Darstellung s. vor allem: O. Hofius, Die Ordination zum Amt der
Kirche und die apostolische Sukzession nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe, ZThK 107 (2010)
261–284 (in dem vorliegenden Band: 193–213). Vgl. ferner auch: Ders., Gemeindeleitung und
Kirchenleitung nach dem Zeugnis des Neuen Testaments (s. Anm. 53), 232–234.
57 1 Tim 3,1–7; Tit 1,5–9. Sollte πρεσβύτερος in 1 Tim 5,17.19; Tit 1,5 anders als in 1 Tim 5,1

Amtsbezeichnung sein (so die Mehrheit der Exegeten), so ergibt sich aus Tit 1,5–9 die Identität
von ἐπίσκοπος und πρεσβύτερος, wozu neben Apg 20,17.28 vor allem 1 Klem 44,1–6 zu ver-
gleichen wäre.
58
 Vgl. dazu Apg 20,28. Der Begriff ἐπίσκοπος ist hier und in den Pastoralbriefen ein anderer
als in Phil 1,1 (s. o. Anm. 41).
Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen 189

sind.59 Alle zum Amt der Verkündigung und Lehre Ordinierten sind an die von
Paulus herkommende apostolische Lehrtradition gebunden, die das Evangelium
als das „Wort der Wahrheit“ (2 Tim 2,15) zum Inhalt hat.60 Diese Lehrtradition
und damit zugleich das tradierte Evangelium selbst wird in den Pastoralbriefen
als eine παραθήκη bezeichnet61 – d. h. als ein „heiliges anvertrautes Gut“62, das
in der Kirche unverändert bewahrt und deshalb von Verkündiger zu Verkündiger
unverfälscht weitergegeben werden muß.

VI

Unsere bisherigen Überlegungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß sich so-
wohl in den Briefen des Paulus selbst wie auch in deuteropaulinischen Schrif-
ten Zeugnisse für ein in den Gemeinden vorhandenes Amt der Verkündigung
finden. Als Bezeichnung der entsprechenden Amtsträger begegnen die Termini
πρoφήτης (Paulus), ποιμὴν καὶ διδάσκαλος (Epheserbrief) sowie ἐπίσκοπος (Pa-
storalbriefe). Neben der unterschiedlichen Terminologie sind auch Unterschiede
in der näheren Kennzeichnung des Amtes unübersehbar. Diese Unterschiede
spiegeln geschichtliche Entwicklungen wider, die einer differenzierten Wür-
digung bedürfen und keineswegs von vornherein als problematisch angesehen
werden müssen. Wenn etwa in der Aufzählung von Eph 4,11 die Charismen, die
in 1 Kor 12,28 neben den Wortämtern genannt werden, überhaupt nicht mehr
vorkommen, dann ist dazu zu bedenken, daß bereits Paulus die im Dienst des
Evangeliums stehenden Wortämter von den Charismen abhebt und sie um dieses
Dienstes willen jenen vor- und überordnet. Und wenn das Amt der Verkündigung
und Lehre in den Pastoralbriefen zu einem ordinationsgebundenen Amt gewor-
den ist, so kann hier durchaus von einer konsequenten Entwicklung gesprochen
werden: Die für das kirchliche Amt konstitutive Bindung an das Evangelium
verlangte mit innerer Notwendigkeit nach einer gottesdienstlichen Ordnung, die
diese Bindung angemessen, d. h. in einer sowohl für die Amtsträger selbst wie
auch für die Gemeinden eindeutigen Weise zum Ausdruck bringt.
Unvergleichlich gewichtiger als alle Unterschiede, die notiert werden könnten,
sind die theologischen Gemeinsamkeiten, die sich im Verständnis des kirchlichen

59
 Der skizzierte Sukzessionsgedanke ergibt sich aus der Zusammenschau der folgenden
Texte: 1 Tim 4,14; 5,22; 2 Tim 1,6; 2,2. Daß 1 Tim 4,14 nicht von der Ordination des Timotheus
durch ein Ältestenkollegium redet, sondern in Übereinstimmung mit 2 Tim 1,6 seine Ordination
durch Paulus voraussetzt, habe ich in einer gesonderten Studie zu zeigen gesucht: O. Hofius,
Ἐπίθεσις τῶν χειρῶν τοῦ πρεσβυτερίου. Erwägungen zu der Ordinationsaussage 1 Tim 4,14, in:
Ders., Exegetische Studien (s. Anm. 3), 173–186.
60
 Die apostolische Lehrtradition ist die διδασκαλία von 1 Tim 1,10; 4,6.16; 6,1.3; 2 Tim 4,3;
Tit 1,9; 2,1.10.
61
 1 Tim 6,20; 2 Tim 1,12.14.
62
 J. Jeremias, Die Briefe an Timotheus und Titus (in: NTD 9), Göttingen ¹(¹¹)1975, 47.
190 Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen

Amtes der Verkündigung bei Paulus und den Verfassern des Epheserbriefes und
der Pastoralbriefe wahrnehmen lassen. Dazu seien auf der Grundlage unserer
Textbetrachtungen sowie unter Hinzufügung einiger weiterer Überlegungen die
folgenden Punkte benannt:
1. Für Paulus und für den Verfasser des Epheserbriefes sind die kirchlichen
Wortämter ungeachtet ihrer fundamentalen Unterschiedenheit von dem Amt der
Apostel ebenso wie dieses eine Setzung Gottes (1 Kor 12,28) bzw. eine Gabe
des erhöhten Christus (Eph 4,11). Eine entsprechende Formulierung erscheint
in den Pastoralbriefen zwar nicht; aus dem, was in ihnen über das Amt der Ver-
kündigung und Lehre gesagt wird, ergibt sich jedoch, daß sie in der Sache die
gleiche Sicht vertreten. Zwischen Paulus und denen, die sich als seine Schüler
wissen, besteht mithin darin ein voller Konsens, daß die kirchlichen Wortämter
nicht anders als das grundlegende Apostelamt iure divino in der Kirche vor-
handen sind und deshalb zum esse ecclesiae gehören.
2. Die Paulusbriefe und die Deuteropaulinen bieten keine tragfähige Basis für
die Auffassung, daß die Predigt des Evangeliums prinzipiell Auftrag und Sache
aller Gemeindeglieder ist, die Gemeinde die öffentliche Wahrnehmung des ihr
gegebenen Auftrags einzig um der Ordnung willen bestimmten Personen über-
trägt und die mit dem verbi divini ministerium Betrauten somit lediglich stellver-
tretend für die ganze Gemeinde den Dienst der Verkündigung ausüben.63 Weder
für die Deuteropaulinen noch auch für Paulus selbst stellt das kirchliche Amt
der Verkündigung eine Institution dar, die in der Kirche allein aus praktischen
Gründen erforderlich ist.
3. Das kirchliche Amt der Verkündigung ist der Kirche bzw. der Gemeinde
gegeben, damit das Evangelium, aus dem sie lebt und ohne das sie keinen Be-
stand hat, „in ihr stets laut wird“.64 Weil aber das Evangelium nirgends anders
zu finden ist als im Christuszeugnis der Apostel Jesu Christi, deshalb stellen
Paulus selbst wie auch der Epheserbrief und die Pastoralbriefe nachdrücklich
die Bezogenheit des kirchlichen Amtes der Verkündigung auf das Amt der Apo-
stel heraus. Die mit dem Dienst der Verkündigung Betrauten sind zwar nicht
„Nachfolger“ der Apostel in dem Sinn, daß sie in ihr Amt eintreten; denn dieses
63
 Ebensowenig wie 1 Kor 14 sind Kol 3,16 und Eph 6,15 Belege dafür, daß der Dienst der
Evangeliumsverkündigung der ganzen Gemeinde aufgetragen ist. Die Mahnung von Kol 3,16
zwingt auch dann nicht zu einer solchen Deutung, wenn man sie zu Kol 1,28 in Beziehung setzt.
Zu den Worten ὑποδησάμενοι τοὺς πόδας ἐν ἑτοιμασίᾳ τοῦ εὐαγγελίου τῆς εἰρήνης Eph 6,15
bemerkt schon P. Ewald, Die Briefe des Paulus an die Epheser, Kolosser und Philemon (KNT
10), Leipzig ²1910, 252 zu Recht: „Verführt durch die Erinnerung an Jes 52,7 versteht man hier
vielfach die Bereitschaft, das Evangelium zu verkünden. Doch hat dies in einem Zusammen-
hang, wo es sich um die Ausrüstung des Christen behufs siegreichen Widerstandes gegen die
Geistermächte handelt, keinen Anhalt. Man wird zu denken haben an ,die Bereitschaft, welche
das Evangelium des Friedens verleiht’.“ Vgl. die Auslegung bei J. A.  Bengel, Gnomon Novi
Testamenti (³1773), hg. v. P. Steudel, Stuttgart ⁸1891, 777: Pedes militis christiani firmantur
evangelio, ne loco moveatur aut cedat.
64
 Theobald, Mit den Augen des Herzens sehen (s. Anm. 43), 131 zu Eph 4,11.
Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen 191

Amt ist seinem Wesen nach unübertragbar. Wohl aber stehen sie in dem Sinn
in der Nachfolge der Apostel, daß sie nur in der strengen Gebundenheit an ihr
Christuszeugnis Verkündiger und Lehrer des Evangeliums sein können und sind.
Von daher will der in den Pastoralbriefen begegnende Gedanke der Sukzession
verstanden sein. Die Kontinuität in der Abfolge der Amtsträger hat einzig den
Sinn, die kontinuierliche Verkündigung und Lehre des von Paulus verbindlich
bezeugten Evangeliums zu gewährleisten. Der Sukzessionsgedanke der Pasto-
ralbriefe ist somit letztlich eine konsequente Weiterführung dessen, was Paulus
selbst in 1 Kor 3,10 f. über das in seiner Christusverkündigung gelegte Fundament
und über das „Aufbauen“ auf diesem Fundament sagt.
4. Wenn Paulus und die Verfasser des Epheserbriefes und der Pastoralbriefe
die Bindung der kirchlichen Verkündigung an das den Aposteln geoffenbarte
Evangelium betonen, dann setzen sie voraus, daß das Evangelium inhaltlich
klar bestimmt ist und dementsprechend auch in verständlichen Sätzen aus-
gesagt werden kann. Indiz dafür sind die in den Briefen enthaltenen geprägten
„Formeln“ apostolischer Lehrtradition, die das Evangelium in christologischen
und soteriologischen Propositionen zur Sprache bringen. Als Beispiel sei die Pa-
radosis 1 Kor 15,3b–5 genannt. In ihr ist assertorisch in Worte gefaßt, was Paulus
und die anderen Apostel als das Evangelium verkündigen und was dementspre-
chend diejenigen, die durch ihre Verkündigung zum Glauben gekommen sind,
als die Wahrheit erkannt und angenommen haben.65 Darin, daß solche „Formeln“
geschaffen und tradiert wurden, wird man einen Hinweis auf die – auch für die
Apostel selbst geltende – Vorgegebenheit des Evangeliums erkennen dürfen.
5. Die Bindung an das von Gott her vorgegebene Evangelium bedeutet, daß
weder die Amtsträger selbst noch auch die Kirche oder die Gemeinde als ganze
darüber zu entscheiden haben, was je zu ihrer Zeit und je an ihrem Ort als Evan-
gelium zu verkündigen und zu lehren ist. Sie bedeutet dagegen nicht, daß es
ausreicht, die „Formeln“ apostolischer Lehrtradition einfach zu wiederholen.
Der Inhalt des Evangeliums  – das über Christus und das Christusgeschehen
Gesagte – ist vielmehr stets neu zu bedenken und verantwortlich zu explizieren.
Das zeigen bereits die authentischen Paulusbriefe, und es wird ebenfalls in
den Deuteropaulinen greifbar. Dazu sei jetzt nur exemplarisch auf dreierlei
hingewiesen: Paulus argumentiert im 15. Kapitel des Ersten Korintherbriefes auf
der Grundlage der Paradosis V. 3b–5, sagt aber in seiner Argumentation deutlich
mehr, als in der tradierten Formel selbst ausgesagt wird; der Verfasser des
65
 Auf die Paradosis 1 Kor 15,3b–5 beziehen sich im Kontext von 1 Kor 15,1–11 sowohl die
Worte τὸ εὐαγγέλιον […] τίνι λόγῳ εὐηγγελισάμην ὑμῖν  – „mit welcher Aussage ich euch
das Evangelium verkündigt habe“ V. 1 f. wie auch der Satz οὕτως κηρύσσομεν καὶ οὕτως
ἐπιστεύσατε – „solches verkündigen wir, und solches habt ihr im Glauben angenommen“ V. 11b.
Welches Gewicht Paulus der von ihm zitierten Paradosis beimißt, zeigt sich darin, daß er sie
einst der Gemeinde „übergeben“ hat (V. 3a) und sie jetzt angesichts einer mit dem Evangelium
unvereinbaren Behauptung (ἀνάστασις νεκρῶν οὐκ ἔστιν V. 12) ausdrücklich in Erinnerung
ruft.
192 Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen

Epheserbriefes nimmt das von Paulus bezeugte Evangelium auf, indem er das
„Christusgeheimnis“ auch unter solchen Aspekten entfaltet, die in den ihm vor-
liegenden paulinischen Briefen noch nicht wahrzunehmen sind (Eph 2,11–3,13);
und in den Pastoralbriefen finden sich innerhalb der Paulusschule erstmals Sätze
wie die, daß Christus „der Mittler zwischen Gott und den Menschen“ ist (1 Tim
2,5) und daß er durch seinen Tod und seine Auferstehung „den Tod vernichtet“
hat (2 Tim 1,10). In allen diesen Fällen wird Neues gesagt, das bisher so nicht
gesagt wurde. Aber die neuen Aussagen relativieren das Evangelium nicht, sie
stehen nicht im Widerspruch zu ihm und heben es nicht auf. Das Fundament
ist und bleibt, was die Apostel aufgrund der ihnen zuteil gewordenen Gottes-
offenbarung als Inhalt des Evangeliums bezeugt haben: daß Jesus Christus nach
seinem Ursprung und Wesen auf die Seite Gottes gehört und daß in ihm als
dem menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Herrn das Heil aller
Menschen beschlossen liegt.
6. Paulus selbst wie auch die Verfasser des Epheserbriefes und der Pastoral-
briefe weisen dem kirchlichen Amt der Verkündigung ohne Frage eine besondere
Stellung in der Gemeinde zu. Man kann hier durchaus von einem Gegenüber
von Amt und Gemeinde sprechen – wobei dann allerdings keinen Augenblick
vergessen werden darf, daß dieses Gegenüber Ausdruck für das Gegenüber von
Evangelium und Gemeinde ist. Auf ihre Person gesehen stehen diejenigen, die
das Amt der Verkündigung ausüben, der Gemeinde nicht gegenüber, sondern –
wie alle anderen Gemeindeglieder – in ihr, und sie bedürfen wie alle anderen
des Evangeliums, durch das sie im Glauben erhalten und so auch immer aufs
neue zu ihrem Dienst ausrüstet werden.66 Die Autorität der mit der Predigt des
Evangeliums Betrauten ist keine andere als die des Evangeliums, das sie ver-
kündigen.67

66 Das kommt im Kontext von Eph 4,7–16 sehr schön darin zum Ausdruck, daß die Träger

des kirchlichen Wortamtes in das „wir alle“ der Verse 13–16 einbezogen sind.
67
 Die Sakramente werden in den Texten, die wir betrachtet haben, nirgends erwähnt. Wenn
sie gleichwohl irgendwie mit im Blick sein sollten, dann ergäbe sich aus diesem Befund, daß
die Sakramentsverwaltung zum Amt der Verkündigung gehört und nicht etwa umgekehrt die
Verkündigung zu einem Amt der Sakramentsverwaltung.
Die Ordination zum Amt der Kirche
und die apostolische Sukzession
nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe1

Von der Ordination als der Einsetzung in ein Amt der Kirche ist im Neuen
Testament mit Eindeutigkeit nur in den Pastoralbriefen die Rede.2 In ihnen wird
ausdrücklich erwähnt, daß Timotheus die Ordination empfangen hat (1 Tim 4,14;
2 Tim 1,6) und daß er sie anderen Personen erteilt (1 Tim 5,22),3 und im Licht
dieser Belege zeigt sich, daß weitere Aussagen der beiden Timotheusbriefe
sowie des Titusbriefs entweder auf die Ordination Bezug nehmen oder sie zu-
mindest mit im Blick haben.4 Ob sich über die Pastoralbriefe hinaus auch in der
Apostelgeschichte des Lukas Hinweise auf die Ordination finden, ist umstritten
und kaum mit hinreichender Sicherheit zu entscheiden.5 Die folgenden Über-
1
 Dem Aufsatz liegt ein Vortrag zugrunde, der am 20. 5. 2​ 010 in Köndringen (Breisgau)
auf einer ökumenischen Pfarrkonferenz gehalten wurde. Die Darlegungen beschränken sich
bewußt darauf, den exegetischen Befund zu erheben, dessen Relevanz für das heutige Gespräch
der Kirchen über das geistliche Amt mir außer Zweifel steht. Da die Pastoralbriefe nur eine
Übertragung des ordinationsgebundenen Amtes an Männer kennen und die Exegese zunächst
einmal das in den Texten Gesagte nachzuzeichnen hat, verwende ich im Folgenden durchweg
die entsprechende maskulinische Terminologie. – Der Aufsatz wurde meinem Freund Wilhelm
Hofius zum 70. Geburtstag gewidmet.
2
 Aus der Literatur zur Ordination in den Pastoralbriefen bzw. im Neuen Testament seien
genannt: E. Lohse, Die Ordination im Spätjudentum und im Neuen Testament, Göttingen
1951, 67–100 (Literatur: 105–108); Ders., Art. Ordination II. Im NT, in: RGG³ IV (1960) 1672 f.;
N. Brox, Die Pastoralbriefe (RNT 7), Regensburg 1969, 181 f.; J. Jeremias, Die Briefe an Ti-
motheus und Titus (in: NTD 9), Göttingen ¹(¹¹)1975, 35 f.; G. Kretschmar, Die Ordination im
frühen Christentum, FZPhTh 22 (1975) 35–69; H. von Lips, Glaube – Gemeinde – Amt. Zum
Verständnis der Ordination in den Pastoralbriefen (FRLANT 122), Göttingen 1979; Ders., Art.
Ordination III. Neues Testament, in: TRE 25 (1995) 340–343 (Literatur: 343); A. T. Hanson,
Art. Handauflegung I. Altes Testament/Judentum/Neues Testament/Religionsgeschichtlich, in:
TRE 14 (1985) 415–422: 419 f.; J. Roloff, Der erste Brief an Timotheus (EKK 15), Zürich
bzw. Neukirchen-Vluyn 1988, 263–272 (Literatur: 249); D. Sänger, Art. Ordination II. Neues
Testament, in: RGG⁴ VI (2003) 619.
3
 Zur Begründung dafür, daß sich die Anweisung 1 Tim 5,22 auf die Ordination bezieht, s.
etwa Lohse, Die Ordination im Spätjudentum und im Neuen Testament (s. Anm. 2), 88; Brox,
Die Pastoralbriefe (s. Anm. 2), 201–203; von Lips, Glaube – Gemeinde – Amt (s. Anm. 2),
174–177; Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 313–315.
4 1 Tim 1,18.19a; 6,12b (mitsamt dem Kontext 6,11–16); 2 Tim 2,2; Tit 1,5 f. sowie außerdem die

beiden Episkopenspiegel 1 Tim 3,1–7 und Tit 1,7–9. Auch die Weisung 2 Tim 1,13 dürfte hierher
gehören; s. u. Anm. 91.
5
 Diskutiert werden insbesondere die Texte Apg 6,6 (im Kontext der Verse 6,1–6) und Apg
13,3 (im Kontext der Verse 13,1–3), daneben auch Apg 14,23 und Apg 20,28. Zur Problematik
s. etwa J. Roloff, Die Apostelgeschichte (NTD 5), Göttingen ¹(¹⁷)1981, 110 (zu 6,6). 194 (zu
194 Die Ordination zum Amt der Kirche

legungen konzentrieren sich deshalb auf die drei Pastoralbriefe, die etwa um
das Jahr 100 n. Chr. von einem Paulusschüler verfaßt worden sind und hinsicht-
lich der Ordination sowohl die Praxis wie auch das theologische Verständnis
ihrer Zeit widerspiegeln. Die historische Frage, seit wann die Ordination in der
Kirche geübt worden ist,6 soll jetzt ebensowenig erörtert werden wie die andere,
ob als ihr Vorbild die Ordination der jüdischen Gelehrten zu gelten hat, die in
der rabbinischen Literatur an einigen Stellen erwähnt wird.7 Unser Interesse gilt
ausschließlich der Frage nach Gestalt und Bedeutung der in den Pastoralbriefen
bezeugten Ordination. Diese Frage, die nach meiner Überzeugung auch ohne
den Rekurs auf den rabbinischen Ordinationsritus beantwortet werden kann, sei
jetzt unter verschiedenen – einander ergänzenden – Aspekten bedacht.

I. Zur Terminologie

Die Pastoralbriefe kennen noch keinen dem lateinischen Wort ordinatio ent-
sprechenden Terminus, sondern sie verwenden jenen Begriff, der das für die
Ordination konstitutive Element bezeichnet: ἡ ἐπίθεσις τῶν χειρῶν = „die Hand-
auflegung“ (1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6) bzw. χεῖρας ἐπιτιθέναι = „die Hände auflegen“
(1 Tim 5,22).8 Diese Ausdrücke – und hier insbesondere die verbale Wendung –
erscheinen im Neuen Testament auch da, wo in anderen Zusammenhängen von
einem Akt der Handauflegung berichtet wird.9 Die besondere Nuance, die dem

13,3); Ders., Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 263. Ich selbst würde heute vorsichtiger
urteilen, als ich es in einem früheren Aufsatz mit dem Hinweis auf Apg 6,6; 14,23; 20,28 getan
habe: O. Hofius, Ἐπίθεσις τῶν χειρῶν τοῦ πρεσβυτερίου. Erwägungen zu der Ordinations-
aussage 1 Tim 4,14, in: Ders., Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 173–186: 173
Anm. 1 und 174 Anm. 3.
6
 S. dazu etwa Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 266 f.
7
 S. vor allem TosSanh 1,1; jSanh I 19a,47–56; bSanh 13b.14a. Zur Ordination der jüdischen
Gelehrten sind aus der älteren Literatur insbesondere zu nennen: P. Billerbeck, Kommentar
zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch II, München 1924 = ²1956, 647–661; Lohse,
Die Ordination im Spätjudentum und im Neuen Testament (s. Anm. 2), 28–66 (Literatur:
103 f.). Weitere sowie neuere Literatur s. bei von Lips, Glaube – Gemeinde – Amt (s. Anm. 2),
224–228; D. Börner-Klein, Art. Ordination II. Judentum, in: TRE 25 (1995) 338–340: 340;
C. Hezser, Art. Ordination VIII. Judentum. 1. Antike, in: RGG⁴ VI (2003) 631. – Ob die rabbi-
nische Ordination bereits für die neutestamentliche Zeit vorausgesetzt und als Vorbild für die
frühchristliche Ordination angesehen werden kann (so mit Billerbeck und Lohse z. B. Jeremi-
as, Die Briefe an Timotheus und Titus [s. Anm. 2], 35 f.), ist unsicher und umstritten (s. dazu
etwa von Lips, ebd., 227 f.). Daß die jüdischen Zeugnisse gleichwohl bei einer detaillierten
Betrachtung der in den Pastoralbriefen vorliegenden Ordinationsaussagen zu berücksichtigen
sind, zeigen exemplarisch die Darlegungen bei Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s.
Anm. 2), 264–267.
8
 Lohse, Die Ordination im Spätjudentum und im Neuen Testament (s. Anm. 2), 85.97
spricht zutreffend von einer Bezeichnung a parte potiore.
9 Eine Handauflegung begegnet bei der Krankenheilung (Mt 9,18; Mk 5,23; 6,5; 7,32;

8,23.25; [16,18]; Lk 4,40; 13,13; Apg 9,12.17 f.; 28,8), bei der Segnung der Kinder (Mk 10,16; Mt
Die Ordination zum Amt der Kirche 195

Begriff der Handauflegung in den Ordinationsaussagen eignet, wird deutlich,


wenn man sieht, daß der Vollzug der Amtseinsetzung durch Handauflegung mit-
samt der dafür verwendeten Terminologie letztlich dem alttestamentlichen Be-
richt von der Amtseinsetzung des Josua durch Mose (Num 27,12–23) verpflichtet
ist.10 In der Septuaginta-Fassung lautet der Befehl Gottes an Mose: ἐπιθήσεις
τὰς χεῖράς σου ἐπ’ αὐτόν – „du sollst deine Hände auf ihn legen“ (Num 27,18),
und entsprechend heißt es dann von dem Vollzug: ἐπέθηκεν τὰς χεῖρας αὐτοῦ ἐπ’
αὐτὸν καὶ συνέστησεν αὐτόν – „er legte seine Hände auf ihn und setzte ihn ein“
(Num 27,23; vgl. Dtn 34,9). Im hebräischen Text liegt der Wendung ἐπιτιθέναι
τὰς χεῖρας die Formulierung „die Hände aufstemmen“ (sāmak jādajim) zu-
grunde,11 und dementsprechend wird die Ordination der jüdischen Gelehrten als
„Handaufstemmung“ (sᵉmîkāh) bezeichnet. Von daher darf vermutet werden,
daß unter der ἐπίθεσις τῶν χειρῶν, von der die Pastoralbriefe sprechen, nicht
eine nur leichte Berührung mit der Hand, sondern das kräftige Aufstützen beider
Hände zu verstehen ist.12

II. Das ordinationsgebundene Amt

Das Amt der Kirche, zu dem nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe ordiniert wird,
ist das verbi divini ministerium, d. h. das Amt der Verkündigung und Lehre.13
Was die Briefe über dieses Amt sagen, läßt keinen anderen Schluß zu als den,
daß der Verfasser in ihm eine Stiftung Gottes und somit eine Institution erblickt,
die – weil iure divino bestehend – zum esse ecclesiae gehört und für das Leben
und Zeugnis der Kirche konstitutiv ist.14 Dem so zu kennzeichnenden Amt

19,13.15), bei der Betrauung mit einer bestimmten Aufgabe (Apg 6,6), bei der Aussendung zur
Mission (Apg 13,3) und – in einem gewissen Zusammenhang mit der Taufe – als Instrument der
Geistmitteilung (Apg 8,17–19; 9,17 f.; 19,6; Hebr 6,2).
10
 S. außer Num 27,12–23 auch Dtn 34,9. Die Anknüpfung an diese Texte impliziert nicht eo
ipso, daß damit zugleich auch das in ihnen vorliegende Verständnis des Vorgangs übernommen
worden ist. S. dazu unten die Anmerkungen 33 und 62.
11
 So in Num 27,23 und Dtn 34,9; in Num 27,18 dagegen „die Hand (sic!) aufstemmen“
(sāmak jād).
12
 Vgl. J. Jeremias, ΠΡΕΣΒΥΤΕΡΙΟΝ außerchristlich bezeugt, ZNW 48 (1957) 127–132:
129; Ders., Die Briefe an Timotheus und Titus (s. Anm. 2), 35.
13
 Wenn im Folgenden von „Verkündigung und Lehre“ gesprochen wird, so ist das Wort
„Lehre“ stets als Nomen actionis, d. h. als Ausdruck für die Lehrunterweisung verstanden.
14 Im gleichen Sinn verstehen bereits Paulus selbst und der zu seinem Schülerkreis ge-

hörende Verfasser des Epheserbriefs die kirchlichen Ämter der Verkündigung und der Lehre.
Das zeigt sich darin, daß diese Ämter bei beiden in einer Aufzählung erscheinen, in der an
erster Stelle das einmalige und einzigartige Amt der Apostel genannt wird: 1 Kor 12,28a; Eph
4,11. – Die Auffassung, daß das kirchliche Amt eine Funktion des allgemeinen Priestertums der
Getauften und allein um der Ordnung willen erforderlich sei, hat am neutestamentlichen Zeug-
nis keinen Anhalt. Wo der Gedanke des Priestertums der Glaubenden begegnet (1 Petr 2,4–10;
Apk 1,5b.6; 5,9b.10; 7,14 f.; 20,6; 22,3 f.; auch Hebr 4,16; 9,14; 10,10.14.19–22; 13,10.15), da fehlt
196 Die Ordination zum Amt der Kirche

kommt nach den Pastoralbriefen die Aufgabe der Gemeindeleitung zu, die da-
mit als Leitung durch Verkündigung und Lehre bestimmt ist.15 Wie die Leitung
dieser ihrer Bestimmung gemäß wahrzunehmen ist, das bringen insbesondere
die beiden Timotheusbriefe zur Sprache, denn in ihnen wird der zum verbi
divini ministerium ordinierte Apostelschüler dezidiert als der „idealtypische Ge-
meindeleiter“16 bzw. „prototypische Amtsträger“17 gezeichnet. Das Timotheus
durch die Ordination übertragene Amt ist auf sein Zentrum gesehen Dienst am
Evangelium,18 und es liefert als solches das Leitbild für das kirchliche Amt der
Gemeindeleitung überhaupt. Die in den beiden Briefen ergehenden Weisungen,
die vor allem die Verkündigung und Lehre des Wortes Gottes und von daher
dann auch die Ordnung des kirchlichen Lebens und den Kampf gegen Irr-
lehre betreffen, sind deshalb keineswegs nur Timotheus als ihrem unmittelbaren
Adressaten gesagt, sondern sie gelten in gleicher Weise auch den Leitern der
einzelnen Gemeinden. Als „indirekte Adressaten“ sollen die Gemeindeleiter sich
mit dem Apostelschüler identifizieren, „um sich von Paulus als ihrem Lehrer
über Wesen und Pflichten ihres Amtes instruieren zu lassen“.19
Den Träger des Amtes der Gemeindeleitung bezeichnet der Verfasser der
Pastoralbriefe als ἐπίσκοπος (1 Tim 3,2; Tit 1,7) und das Amt selbst entsprechend
als ἐπισκοπή (1 Tim 3,1).20 Wird – wie es zumeist geschieht – ἐπίσκοπος hier mit
„Bischof“ und ἐπισκοπή mit „Bischofsamt“ übersetzt, so darf auf keinen Fall
einfach das heutige Verständnis dieser Begriffe unterstellt werden. Die wörtli-
che Bedeutung ist „Aufseher“21 bzw. „Aufseheramt“, und von daher empfiehlt

eine Bezugnahme auf den Dienst der Verkündigung und Lehre. Man kann dagegen nicht die
Worte ὅπως τὰς ἀρετὰς ἐξαγγείλητε κτλ. von 1 Petr 2,9 ins Feld führen; denn diese beziehen
sich keineswegs auf die Predigt des Evangeliums, sondern – wie die Anknüpfung an Jes 43,21
LXX zeigt und in der Peschitta (dtsbrwn tšbḥth) zutreffend zum Ausdruck gebracht wird – auf
den die Heilstaten Gottes proklamierenden Lobpreis (vgl. dazu den Gebrauch von ἐξαγγέλλειν
in Ψ 9,15; 70,15; 72,28; 78,13; 106,22 [s. auch ἀναγγέλλειν Ψ 9,12; 63,10; 91,3; 95,3; ἀπαγγέλλειν
Ψ 70,17 f.; 144,4; εὐαγγελίζεσθαι Ψ 95,2]). S. dazu jetzt in dem vorliegenden Band: 215–228.
15
 S. dazu O. Hofius, Gemeindeleitung und Kirchenleitung nach dem Zeugnis des Neuen
Testaments, in: Ders., Exegetische Studien (s. Anm. 5), 218–239: 232–236.
16
 J. Roloff, Die Kirche im Neuen Testament (GNT 10), Göttingen 1993, 263.
17
 Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 262.
18
 S. dazu besonders 2 Tim 4,5: […] ἔργον ποίησον εὐαγγελιστοῦ, τὴν διακονίαν σου
πληροφόρησον. Das Wort εὐαγγελιστής = „Verkündiger des Evangeliums“ ist hier – anders
als in Apg 21,8 und in Eph 4,11 – keine Amtsbezeichnung, sondern es kennzeichnet die ent-
scheidende Aufgabe der von Timotheus wahrzunehmenden διακονία. Diese διακονία ist – wie
die des Paulus von 1 Tim 1,12 – das, was Apg 6,4 ἡ διακονία τοῦ λόγου genannt wird.
19
 Roloff, Die Kirche im Neuen Testament (s. Anm. 16), 263.
20 Neben dem Amt des ἐπίσκοπος (1 Tim 3,1–7; Tit 1,5–9) wird in 1 Tim 3,8–13 das kollegial

ausgeübte und nach V. 11 offenbar auch Frauen übertragene Amt der διάκονοι erwähnt (die
weibliche Form des Nomens ist ἡ διάκονος). Hier handelt es sich, wie die Verse 8–10 lehren,
um ein karitatives Amt, dessen Übertragung offensichtlich nicht durch eine Ordination erfolgt.
21
 Diese Bedeutung liegt – mit der Nuance „Hüter“ – in Apg 20,28 vor, wenn dort die „Äl-
testen“ der Gemeinde von Ephesus als ἐπίσκοποι der Herde Gottes charakterisiert werden. Vgl.
dazu das Verbum ἐπισκοπεῖν in 1 Petr 5,2, außerdem auch 1 Petr 2,25: Jesus Christus „der Hirte
Die Ordination zum Amt der Kirche 197

sich – auch wenn man nicht eine Frühdatierung der Pastoralbriefe vertritt – für
ἐπίσκοπος die sinngemäße Übersetzung „Gemeindeleiter“ und für ἐπισκοπή die
Wiedergabe mit „Amt der Gemeindeleitung“.22 Daß eine Gemeinde nur von
einem einzigen ἐπίσκοπος geleitet wird, dürfte in den Pastoralbriefen schwerlich
vorausgesetzt sein.23 Zu denken ist vielmehr – wie bei den sonstigen neutesta-
mentlichen Zeugnissen für das Amt der Gemeindeleitung24 – an ein von meh-
reren Personen kollegial ausgeübtes Amt. Dieses Urteil erführe eine ausdrück-
liche Bestätigung, wenn der in 1 Tim 5,17.19 und in Tit 1,5 begegnende Begriff
πρεσβύτερος nicht wie in 1 Tim 5,1 den älteren Mann meint,25 sondern als Amts-
bezeichnung („der Älteste“) verstanden werden muß.26 In diesem Fall ergäbe
sich nämlich aus Tit 1,5–9 die Identität von πρεσβύτερος und ἐπίσκοπος,27 und
der in Tit 1,5 (sowie in 1 Tim 5,17) zu verzeichnende Plural πρεσβύτεροι wiese
demgemäß auf eine Mehrheit von ἐπίσκοποι hin.28

und Hüter eurer Seelen“ (ὁ ποιμὴν καὶ ἐπίσκοπος τῶν ψυχῶν ὑμῶν). – In Phil 1,1 heißt ἐπίσκοποι
καὶ διάκονοι „Verwalter und Helfer“, nicht dagegen „Bischöfe und Diakone“. Gemeint sind
nicht bestimmte Amtsträger, sondern Gemeindeglieder, die organisatorische bzw. karitative
Aufgaben wahrnehmen und die Paulus deshalb eigens hervorhebt, weil er sich ihnen wegen der
in 4,10–20 erwähnten Gabensammlung besonders verpflichtet weiß.
22
 So – unter der Prämisse einer Frühdatierung – die Wiedergabe bei Jeremias, Die Briefe
an Timotheus und Titus (s. Anm. 2), 23.69. Zur Übersetzung s. auch H. Menge, Das Neue
Testament, Stuttgart ¹¹1949, 330 (vgl. 339): „Vorsteher“ / ​„Vorsteheramt“; L. Oberlinner, Die
Pastoralbriefe I: Kommentar zum ersten Timotheusbrief (HThK XI/2.1), Freiburg – Basel  –
Wien 1994, 109: „Episkopos“ / ​„Episkopenamt (Vorsteheramt)“.
23
 Die gegenteilige Auffassung kann sich keineswegs auf den in 1 Tim 3,2 und in Tit 1,7 zu
verzeichnenden Singular ὁ ἐπίσκοπος stützen. Dieser ist nämlich grammatisch-syntaktisch
durch das εἴ τις des jeweils voraufgehenden Verses (1 Tim 3,1; Tit 1,6) veranlaßt und hat mit-
hin generischen Sinn.  – H. Merkel, Die Pastoralbriefe (NTD 9/1), Göttingen 1991, 90 und
L. Oberlinner, Die Pastoralbriefe III: Kommentar zum Titusbrief (HThK XI/2.3), Freiburg –
Basel – Wien 1996, 24 wollen in der Kennzeichnung des ἐπίσκοπος als θεοῦ οἰκονόμος Tit 1,7
ein Indiz dafür erkennen, daß der Verfasser der Pastoralbriefe den Monepiskopat voraussetzt
bzw. ihn zumindest für wünschenswert erachtet. Das überzeugt jedoch dann nicht, wenn man
in dieser Kennzeichnung eine Anknüpfung an 1 Kor 4,1 erblickt und mit ihr „die getreue Ver-
waltung des anvertrauten Glaubensgutes“ (so richtig Oberlinner, ebd.) angesprochen sieht.
24
 Für die Träger des kollegial ausgeübten Amtes der Gemeindeleitung finden sich die fol-
genden Termini: ἡγούμενοι „Führer, Leiter“ (Hebr 13,7.17.24), ποιμένες καὶ διδάσκαλοι „Hirten
und Lehrer“ (Eph 4,11), πρεσβύτεροι „Älteste“ (Apg 11,30; 14,23; 20,17; 21,18; Jak 5,14; 1 Petr
5,1). Ihrer Funktion nach werden die πρεσβύτεροι in Apg 20,28 als „Aufseher“ (ἐπίσκοποι)
und „Hirten“ (ποιμαίνειν) und in 1 Petr 5,3 f. als „Hirten“ (ποιμαίνειν) gekennzeichnet.  – S.
im einzelnen: Hofius, Gemeindeleitung und Kirchenleitung nach dem Zeugnis des Neuen
Testaments (s. Anm. 15), 223–232.
25
 So die Deutung bei Jeremias, Die Briefe an Timotheus und Titus (s. Anm. 2), 22.41 f.69
(vgl. auch 8). In der Formulierung οἱ καλῶς προεστῶτες πρεσβύτεροι 1 Tim 5,17 wäre dann von
„älteren Männern“ die Rede, „die sich als tüchtige Vorsteher bewähren“.
26
 So die meisten Exegeten.
27 Zu vergleichen wäre dann die Kennzeichnung der πρεσβύτεροι von Apg 20,17 als

ἐπίσκοποι in Apg 20,28 sowie vor allem die Identität von ἐπίσκοποι und πρεσβύτερος in
1 Klem 44,1–6 (vgl. dazu H. E. Lona, Der erste Clemensbrief [KAV 2], Göttingen 1998, 474 f.).
28 Für die von Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 175 f.268 vertretene These,
198 Die Ordination zum Amt der Kirche

Die Pastoralbriefe – so ist festzuhalten – kennen nur ein einziges durch die
Ordination übertragenes Amt: das des ἐπίσκοπος, dem der Dienst der Verkündi-
gung und Lehre übertragen ist. Dabei gibt es kein hinreichendes Indiz für einen
Monepiskopat oder gar für den monarchischen Episkopat und ebensowenig für
die Stufenfolge „Diakon – Presbyter – Bischof“ sowie für den Gedanken, daß
die Einsetzung in das jeweils höhere Amt die Zugehörigkeit zu der niedrigeren
Amtsstufe voraussetzt.

III. Der Ordinator

Für die Frage, wer nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe die Ordination vollzieht,
sind wir zunächst an jene beiden Sätze gewiesen, in denen unter Verwendung des
Terminus ἐπίθεσις τῶν χειρῶν die Ordination des Timotheus angesprochen wird
(1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6). In 2 Tim 1,6 richtet Paulus an seinen Schüler die Mahnung:
„Ich erinnere dich daran, die Gnadengabe Gottes immer wieder anzufachen29,
die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände (διὰ τῆς ἐπιθέσεως τῶν χειρῶν
μου).“ Dieser Satz ist eindeutig: Timotheus ist von Paulus ordiniert worden, und
eine Mitwirkung weiterer Ordinatoren wird nicht erwähnt. Im Unterschied zu
2 Tim 1,6 enthält der Satz 1 Tim 4,14 ein sprachliches Problem. Der Apostel ge-
bietet hier seinem Schüler: „Laß die in dir befindliche Gnadengabe nicht außer
acht, die dir […] μετὰ ἐπιθέσεως τῶν χειρῶν τοῦ πρεσβυτερίου zuteil geworden
ist.“30 Was die zunächst unübersetzt gelassenen Worte anlangt, so sehen fast alle
Ausleger mit dem Ausdruck τὸ πρεσβυτέριον das Gremium der πρεσβύτεροι
bezeichnet,31 und sie finden dementsprechend in dem Satz eine Erinnerung an
die Gnadengabe, die Timotheus „unter Handauflegung [der Mitglieder] des
Presbyteriums“ empfangen hat. Nach 1 Tim 4,14 wäre Timotheus also von einem
Kollegium von „Ältesten“ ordiniert worden, wobei der Satz nicht den leisesten
Hinweis darauf enthielte, daß Paulus an diesem Geschehen beteiligt war.
Falls der Ausdruck τὸ πρεσβυτέριον in 1 Tim 4,14 tatsächlich die – sprach-
lich mögliche – Bedeutung „das Ältestenkollegium“ hat, dann muß zwischen
der Aussage dieses Verses und derjenigen von 2 Tim 1,6 ein Widerspruch kon-
statiert werden, für den die Exegese bislang keine befriedigende Erklärung zu

daß einer aus dem Gremium der πρεσβύτεροι in der Gemeinde das Amt des ἐπίσκοπος über-
nimmt, sehe ich im Text der Pastoralbriefe keinen Anhalt gegeben.
29 Bei ἀναζωπυρεῖν will die Aktionsart des Präsens beachtet sein: Es geht um das, was als

ständiges bzw. immer wieder neues Tun gefordert ist. Vgl. demgegenüber den punktuellen
Infinitiv Aorist ἀναζωπυρῆσαι bei Josephus, Ant VIII 234: Gott wird gebeten, eine wie tot her-
abhängende Hand „wieder zu beleben“.
30
 Die Worte διὰ προφητείας, die ein zusätzliches exegetisches Problem bilden, lasse ich
zunächst beiseite.
31
 Diese Bedeutung hat πρεσβυτέριον z. B. in den Briefen des Ignatius: Eph 2,2; 4,1; 20,2;
Magn 2; 13,1; Trall 2,2; 7,2; 13,2; Phld 4; 7,1; Sm 8,1; 12,2 (vgl. auch Phld 5,1).
Die Ordination zum Amt der Kirche 199

geben vermocht hat. Natürlich fehlt es nicht an Versuchen, den Widerspruch


zu erklären und ihn durch exegetische Erwägungen zu beseitigen.32 Keiner
dieser Erklärungsversuche, die überwiegend die Ordination durch Paulus für ein
theologisches Konstrukt halten, vermag jedoch wirklich zu überzeugen.33 Ein
Widerspruch zwischen 1 Tim 4,14 und 2 Tim 1,6 ist einzig dann nicht gegeben,
wenn man der von Joachim Jeremias vertretenen Auslegung folgt und in 1 Tim
4,14 für τὸ πρεσβυτέριον die sprachlich ebenfalls mögliche Bedeutung „die Äl-
testenwürde“ annimmt.34 Dann ergibt sich die folgende Übersetzung: „Laß die in
dir befindliche Gnadengabe nicht außer acht, die dir […] unter Handauflegung
zur [Verleihung der] Ältestenwürde zuteil geworden ist.“35 Daß die Einwände,
die in der Exegese gegen dieses Verständnis des Satzes erhoben werden, alles
andere als solide begründet sind, habe ich an anderer Stelle gezeigt.36 Nichts
spricht somit gegen die Annahme, daß in 1 Tim 4,14 vorausgesetzt ist, was in
2 Tim 1,6 ausdrücklich gesagt wird: daß Paulus seinem Schüler Timotheus die
Ordination erteilt hat.

32
 Zu nennen sind hier vor allem die bei von Lips, Glaube – Gemeinde – Amt (s. Anm. 2),
241–243 referierten Lösungsvorschläge 1, 2 und 4. S. ferner auch L. Oberlinner, Die Pastoral-
briefe II: Kommentar zum zweiten Timotheusbrief (HThK XI/2.2), Freiburg – Basel – Wien
1995, 30 sowie die in der folgenden Anmerkung skizzierte Deutung M. Wolters.
33
 Für keineswegs einleuchtend halte ich auch den Lösungsvorschlag von M. Wolter, Die
Pastoralbriefe als Paulustradition (FRLANT 146), Göttingen 1988, 218–222, bes. 219 f. Nach
Wolter geht es bei der Formulierung von 2 Tim 1,6 um die Assoziation an „die in Num 27,18.23;
Dtn 34,9 belegte und durch Handauflegung vollzogene Designation Josuas durch Mose als
dessen Nachfolger“ (219). Die Handauflegung sei dementsprechend anders als in 1 Tim 4,14
„als Sukzessionsritus verstanden“, und die Aussage ziele auf den Gedanken der „Übertragung“:
„Zufolge Num 27,20 überträgt Mose dem Josua seine δόξα, und in 2. Tim 1,6 ist es das Charisma
Gottes, das vom Apostel auf Timotheus übergeht“ (ebd.). Dazu ist zu sagen, daß in 2 Tim 1,6
von einer „Übertragung“ bzw. einem „Übergang“ des χάρισμα von Paulus auf Timotheus keine
Rede ist (s. dazu unten bei Anm. 62). Weder in 2 Tim 1,6 noch auch in 2 Tim 2,1 liegt eine An-
spielung auf die Einsetzung Josuas als Nachfolger des Mose vor, so daß hier mit Wolter (ebd.,
222) eine theologisch programmatische „Orientierung der Nachfolge Paulus – Timotheus an
der Nachfolge Mose – Josua“ zu konstatieren wäre.
34
 Jeremias, ΠΡΕΣΒΥΤΕΡΙΟΝ außerchristlich bezeugt (s. Anm., 12); Ders., Zur Datierung
der Pastoralbriefe, in: Ders., Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschich-
te, Göttingen 1966, 314–316; Ders., Die Briefe an Timotheus und Titus (s. Anm. 2), 33–36. S.
ferner auch D. Daube, The New Testament and Rabbinic Judaism (JLCR 2), London 1956
= New York 1973, 244 f. sowie zu entsprechenden älteren Deutungen (Peschitta, Dionysius der
Kartäuser, Johannes Calvin, John Selden) die Hinweise bei Hofius, Ἐπίθεσις τῶν χειρῶν τοῦ
πρεσβυτερίου (s. Anm. 5), 177–179. Zu den Belegen für πρεσβυτέριον = „Ältestenwürde“ s.
Hofius, ebd., 179–181.
35
 Der Genitiv τοῦ πρεσβυτερίου ist bei diesem Verständnis ein Genitivus finalis, der „die
Intention des Ritus“ angibt (Jeremias, ΠΡΕΣΒΥΤΕΡΙΟΝ außerchristlich bezeugt [s. Anm. 12],
130–132; Ders., Zur Datierung der Pastoralbriefe [s. Anm. 34], 314). Zum adnominalen Genitiv
des Zwecks (oder der Wirkung) s. F. Blass  / ​A.  Debrunner / ​F.  Rehkopf, Grammatik des
neutestamentlichen Griechisch, Göttingen ¹⁷1990, § 166,1 mit Anm. 1. Belege für die Verbindung
des mit ἐπίθεσις τῶν χειρῶν bedeutungsgleichen Wortes χειροθεσία mit einem finalen Genitiv
sind bei Hofius, Ἐπίθεσις τῶν χειρῶν τοῦ πρεσβυτερίου (s. Anm. 5), 183 f. notiert.
36 Hofius, ebd., 179–182.
200 Die Ordination zum Amt der Kirche

Daß Timotheus als der von seinem Lehrer Ordinierte seinerseits andere Per-
sonen zum verbi divini ministerium ordiniert, läßt die Anweisung 1 Tim 5,22
erkennen: χεῖρας ταχέως μηδενὶ ἐπιτίθει – „Lege niemandem vorschnell – d. h.
ohne gründliche Prüfung der Eignung – die Hände auf!“ Auf Timotheus als Or-
dinator weist ferner das an ihn gerichtete und später noch genauer zu bedenkende
Gebot des Paulus 2 Tim 2,2 hin, das sich auf die bei der Ordination erfolgende
Übergabe der apostolischen Lehrtradition bezieht: ἃ ἤκουσας παρ’ ἐμοῦ διὰ
πολλῶν μαρτύρων, ταῦτα παράθου πιστοῖς ἀνθρώποις, οἵτινες ἱκανοὶ ἔσονται
καὶ ἑτέρους διδάξαι – „Was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast,
das vertraue zuverlässigen Personen an, die [dann] fähig sein werden, ihrerseits
andere zu unterweisen.“37 Aus den zitierten Worten kann zweierlei geschlossen
werden: zum einen, daß die „zuverlässigen Personen“ von Timotheus ordiniert
werden, und zum andern, daß sie dann ihrerseits diejenigen ordinieren, die zuvor
von ihnen in der apostolischen Lehre unterwiesen worden sind. Man wird nicht
fehlgehen, wenn man den genannten Anordnungen entnimmt, daß nach dem
Zeugnis der Pastoralbriefe die Ordination zum Amt der Kirche durch solche
Personen vollzogen wird, die selbst die Ordination zu diesem Amt empfangen
haben.38

IV. Die Voraussetzung für den Empfang der Ordination

Daß der Empfang der Ordination an gewisse Voraussetzungen gebunden ist,


machen die beiden Episkopenspiegel 1 Tim 3,1–7 und Tit 1,7–9 deutlich, in denen
von dem Ordinanden die notwendige Begabung, die persönliche Integrität als
Mensch und Christ sowie die Bewährung im Glauben gefordert wird.39 Ob in
1 Tim 4,14 als eine weitere Voraussetzung die Berufung durch Gott genannt wird,
hängt von der Interpretation der Aussage ab, daß Timotheus die ihm bei der
Ordination verliehene Gnadengabe Gottes διὰ προφητείας μετὰ ἐπιθέσεως τῶν
χειρῶν zuteil geworden sei. Das exegetische Problem dieser Aussage liegt darin,
daß das von der Präposition διά abhängige Wort προφητείας sowohl als Genitiv
Singular wie auch als Akkusativ Plural gelesen werden kann.
Ausleger, die sich für den Genitiv Singular entscheiden und für διὰ προφητείας
die Übersetzung „durch Prophetenwort“ / ​„vermittelst Prophetenwort“ wählen,
37 Vgl. dazu die Anweisung Tit 1,5, daß Titus in den Städten Kretas Gemeindeleiter „ein-

setzen“ soll. Als Terminus für die Amtseinsetzung erscheint hier das Verbum καθιστάναι, zu
dem sein Gebrauch in 1 Klem 42,4 f.; 43,1; 44,2 zu vergleichen ist. Anders als die Timotheus-
briefe enthält der Titusbrief keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Ordination des Adressaten;
es ist aber ein recht seltsamer Schluß, wenn Wolter, Die Pastoralbriefe als Paulustradition (s.
Anm. 33), 188 f. daraus folgert, daß Titus „offenbar als ‚Laie‘ dargestellt“ werden solle.
38
 Einen Hinweis darauf, daß die Ordination von dem Inhaber eines hierarchisch übergeord-
neten Amtes vollzogen wurde, enthalten die Pastoralbriefe nicht.
39
 S. außer den beiden Episkopenspiegeln auch 2 Tim 2,2 (πιστοὶ ἄνθρωποι); 2,24–26; Tit 1,6.
Die Ordination zum Amt der Kirche 201

beziehen diese Wendung auf die Ordinationshandlung selbst, und sie verstehen
unter der προφητεία „geistgewirkte Worte des Zuspruchs an den einzusetzenden
Amtsträger“40 bzw. „den verkündigenden, tröstenden und mahnenden Zuspruch,
in dem der Amtsauftrag übermittelt, inhaltlich entfaltet und verpflichtend zu-
gesprochen wurde“.41 Die προφητεία und die ἐπίθεσις τῶν χειρῶν werden dabei
als zwei für den Ordinationsakt konstitutive Elemente beurteilt, die als „Be-
standteile eines und desselben Vorganges“42 unmittelbar miteinander verbunden
und als „gleichgewichtig“43 gedacht sind. Bei dieser Deutung besagt die Präposi-
tionalphrase διὰ προφητείας, daß durch die προφητεία „die Übergabe des Amts-
charismas“ erfolgt.44 Dann aber lassen die Worte μετὰ ἐπιθέσεως τῶν χειρῶν
kaum eine andere Interpretation zu als die, daß die Handauflegung lediglich
eine die προφητεία begleitende zeichenhafte Geste darstellt.45 Damit wäre ohne
Frage ein nicht geringer Widerspruch zu der Aussage von 2 Tim 1,6 gegeben,
wonach das Charisma durch die Handauflegung (διὰ τῆς ἐπιθέσεως τῶν χειρῶν)
verliehen wurde.
Will man διὰ προφητείας als διά + Genitiv Singular lesen, so müßte man
schon übersetzen: „infolge eines Prophetenwortes“.46 Dann wäre in 1 Tim 4,14
von einer Berufung zum Amt die Rede, die der Ordination zeitlich voraufging
und die – analog zu dem in Apg 13,1–3 berichteten Geschehen – in einer gottes-
dienstlichen Versammlung durch den Mund prophetisch begabter Gemeindeglie-
der erfolgte. Die gleiche Deutung ergibt sich, wenn man in 1 Tim 4,14 die Worte
διὰ προφητείας als διά + Akkusativ Plural interpretiert und dort ausgesagt findet,
daß Timotheus die Handauflegung, unter der ihm die Gnadengabe Gottes zuteil
wurde, „aufgrund von Prophetenworten“ empfangen hat. Für dieses Verständnis
spricht der Tatbestand, daß das Wort προφητεία in den Pastoralbriefen nur noch

40
 So von Lips, Ordination III. Neues Testament (s. Anm. 2), 342,18 f.; s. dazu ausführlich
Ders., Glaube – Gemeinde – Amt (s. Anm. 2), 243–246.250–253.
41
 So Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 258. Vgl. ebd., 103: die „Worte“,
mit denen Timotheus bei der Ordination „der Dienstauftrag verbindlich erteilt worden ist“; 267:
„verkündigender Zuspruch an den Ordinanden“; 271: „Wort der Beauftragung und Sendung, das
den Auftrag, zu dem die Gabe des Geistes zurüstet und fähig macht, konkret benennt, indem
es ansagt, was in der jeweiligen geschichtlichen Situation der Kirche nach Gottes Willen an
der Zeit ist.“
42 Roloff, ebd., 257 Anm. 181.
43
 von Lips, Ordination III. Neues Testament (s. Anm. 2), 342,25.
44 So Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 101.
45
 Roloff, ebd., 257 Anm. 181 bemerkt zwar zu Recht, daß sich für die beiden Wendungen
μετὰ ἐπιθέσεως τῶν χειρῶν 1 Tim 4,14 und διὰ τῆς ἐπιθέσεως τῶν χειρῶν 2 Tim 1,6 Bedeutungs-
gleichheit nahelege. Ein instrumentales Verständnis der μετά-Wendung dürfte in 1 Tim 4,14
aber nur dann möglich sein, wenn nicht bereits die ihr voraufgehende διά-Wendung das Mittel
benennt, durch das Timotheus das χάρισμα empfangen hat.
46
 So Hofius, Ἐπίθεσις τῶν χειρῶν τοῦ πρεσβυτερίου (s. Anm. 5), 184 mit dem Hinweis,
daß mit διά c. gen. die Veranlassung bezeichnet werden kann (also: „kraft“, „infolge“); vgl.
Röm 12,3; Gal 1,15; 4,23; Phm 22.
202 Die Ordination zum Amt der Kirche

in 1 Tim 1,18 und hier im Plural vorkommt.47 Timotheus wird dort mit dem Hin-
weis auf die einst über ihn ergangenen „Prophetenworte“ dazu ermuntert, im
Vertrauen auf diese und durch sie ermutigt den guten Kampf des Glaubens zu
kämpfen.48 Mit dem „guten Kampf“, von dem in den Pastoralbriefen mehrfach
gesprochen wird,49 ist der Dienst am Evangelium gemeint, zu dem unabdingbar
die Bereitschaft gehört, um des Evangeliums willen zu leiden.50 Setzt man die
relevanten Aussagen zueinander in Beziehung, dann ergibt sich für das Verständ-
nis der προφητεῖαι von 1 Tim 1,18 und 1 Tim 4,14: Durch die „Prophetenworte“,
die seiner Ordination vorausgingen, wurde Timotheus zu eben jenem von Leiden
gezeichneten, aber zugleich auch unter der Verheißung des eschatologischen
Siegespreises stehenden Kampf für das Evangelium berufen,51 den Paulus selbst
bereits durchgekämpft hat.52 In dem Hinweis auf die προφητεῖαι kommt somit
zum Ausdruck, daß die Berufung durch Gott die unerläßliche Voraussetzung für
die Ordination bildet.53

V. Die Handauflegung und die Verleihung des Amtscharismas

Wenden wir uns nunmehr der Ordinationshandlung selbst zu, so kann es nicht
darum gehen, deren Verlauf zu rekonstruieren. Man wird zwar aus dem in
1 Tim 6,12b und in 2 Tim 2,2 begegnenden Hinweis auf die Anwesenheit „vieler

47
 Vgl. Lohse, Die Ordination im Spätjudentum und im Neuen Testament (s. Anm. 2), 81;
I. H.  Marshall, A Critical and Exegetical Commentary on The Pastoral Epistles (ICC), Edin-
burgh 1999, 566. – Keineswegs stichhaltig ist der Einwand, daß in 1 Tim 4,14 vor προφητείας
der Artikel stehen müßte, wenn die Konstruktion διά + Akkusativ intendiert wäre (so von
Lips, Glaube – Gemeinde – Amt [s. Anm. 2], 252 und ihm folgend Roloff, Der erste Brief
an Timotheus [s. Anm. 2], 257 Anm. 181). Da in 4,14 – anders als in 1,18 – ganz allgemein von
„Prophetenworten“ gesprochen wird, ist hier die Setzung des Artikels, der den Nominalbegriff
ja determinieren würde, grammatisch unmöglich.
48
 1 Tim 1,18.19a: ταύτην τὴν παραγγελίαν παρατίθεμαί σοι, τέκνον Τιμόθεε, κατὰ τὰς
προαγούσας ἐπὶ σὲ προφητείας, ἵνα στρατεύῃ ἐν αὐταῖς τὴν καλὴν στρατείαν ἔχων πίστιν καὶ
ἀγαθὴν συνείδησιν. Mit der Formulierung „im Vertrauen auf diese und durch sie ermutigt“
nehme ich die Worte ἐν αὐταῖς V. 18b auf, in denen die Präposition ἐν kausalen Sinn haben
dürfte (zu dieser Bedeutung s. Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 526 s. v. III.3.a).
49 S. neben 1 Tim 1,18.19a auch: 1 Tim 6,12a (ἀγωνίζου τὸν καλὸν ἀγῶνα τῆς πίστεως); 2 Tim

2,3 (καλὸς στρατιώτης Χριστοῦ Ἰησοῦ); 4,7 (s. u. Anm. 52).


50
 2 Tim 1,8 (συγκακοπαθεῖν τῷ εὐαγγελίῳ); 2,3; 4,5; vgl. auch 3,10 f.
51 1 Tim 1,18,19a: s. o. Anm. 48; 1 Tim 6,12a: s. o. Anm. 49.
52 2 Tim 4,7.8a: τὸν καλὸν ἀγῶνα ἠγώνισμαι, τὸν δρόμον τετέλεκα, τὴν πίστιν τετήρηκα·

λοιπὸν ἀπόκειταί μοι ὁ τῆς δικαιοσύνης στέφανος, ὃν ἀποδώσει μοι ὁ κύριος ἐν ἐκείνῃ τῇ
ἡμέρᾳ, ὁ δίκαιος κριτής.
53
 V. Hasler, Die Briefe an Timotheus und Titus (Pastoralbriefe) (ZBK.NT 12), Zürich 1978,
18 sieht in den προφητεῖαι einen Hinweis auf die „Autonomie und Entscheidungsbefugnis“ bzw.
auf den „charismatischen Rechtsanspruch“ der gottesdienstlichen Versammlung – schwerlich
zu Recht.
Die Ordination zum Amt der Kirche 203

Zeugen“54 folgern dürfen, daß die Ordination im Gottesdienst der versammelten


Gemeinde erfolgte,55 über dessen liturgische Gestalt aber sind allenfalls Ver-
mutungen möglich. Die entscheidenden Elemente des Ordinationsvollzugs da-
gegen lassen sich den Pastoralbriefen durchaus entnehmen.
Das für die Ordination konstitutive und somit schlechterdings unverzicht-
bare Element bildet, wie nicht zuletzt in ihrer Bezeichnung als ἐπίθεσις τῶν
χειρῶν zum Ausdruck kommt, die Handauflegung.56 Deren Bedeutung ergibt
sich aus den beiden Aussagen 1 Tim 4,14 und 2 Tim 1,6, die jetzt noch einmal
als ganze zitiert und in Übersetzung wiedergegeben seien. Die Weisung von
1 Tim 4,14 lautet: μὴ ἀμέλει τοῦ ἐν σοὶ χαρίσματος, ὃ ἐδόθη σοι διὰ προφητείας
μετὰ ἐπιθέσεως τῶν χειρῶν τοῦ πρεσβυτερίου  – „Laß die in dir befindliche
Gnadengabe nicht außer acht, die dir aufgrund von Prophetenworten57 unter
Handauflegung zur [Verleihung der] Ältestenwürde zuteil geworden ist.“ Ent-
sprechend heißt es in 2 Tim 1,6: ἀναμιμνῄσκω σε ἀναζωπυρεῖν τὸ χάρισμα τοῦ
θεοῦ, ὅ ἐστιν ἐν σοὶ διὰ τῆς ἐπιθέσεως τῶν χειρῶν μου  – „Ich erinnere dich
daran, die Gnadengabe Gottes immer wieder anzufachen, die in dir ist durch
die Auflegung meiner Hände.“ Wie die beiden Sätze lehren, besteht das Wesen
der Ordination nicht darin, daß eine Gemeinde bestimmten von ihr erwählten
Personen das Amt der Verkündigung und Lehre überträgt. Die Übertragung des
Amtes wie auch die Bevollmächtigung zu ihm erfolgt vielmehr durch Gott selbst
und also durch den, der das verbi divini ministerium in der Kirche gestiftet hat
und Menschen zu diesem Dienst beruft.58 Die beiden zitierten Texte sprechen
im Blick darauf von einem spezifischen χάρισμα, das durch die Handauflegung
wirksam vermittelt wird. Die Handauflegung ist mithin nicht nur ein Segens-
gestus, der die Übergabe des Amtsauftrags begleitet, und auch nicht bloß ein
Akt der Bestätigung, mit dem die Amtsübertragung sichtbar bekräftigt wird,
sondern sie ist „ein sakramentaler Akt“,59 d. h. eine „effektive Handlung, in der
dem Ordinanden etwas zuteil wird, was er zuvor nicht hatte“.60 Subjekt dieser
54
 1 Tim 6,12b: ἐνώπιον πολλῶν μαρτύρων „vor vielen Zeugen“; 2 Tim 2,2: διὰ πολλῶν
μαρτύρων „in Gegenwart vieler Zeugen“ (zu der hier vorliegenden Bedeutung von διά c. gen.
s. Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 361 s. v. A.III.2.a).
55
 Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 267 vermutet mit gutem Grund, daß
die μάρτυρες „wohl mit der gottesdienstlichen Gemeinde zu identifizieren“ sind.
56
 Vgl. Roloff, ebd., 267, der zutreffend erklärt, daß es sich bei der Handauflegung um
die „konstitutive Mitte“ des Vorgangs handelt. – Der Gedanke, daß die Handauflegung bei der
Ordination auch unterbleiben oder durch ein anderes Element wie etwa den Handschlag ersetzt
werden könne, ist mit dem Ordinationsverständnis der Pastoralbriefe gänzlich unvereinbar.
57
 Oder, wenn προφητείας als Genitiv Singular gelesen wird: „infolge eines Propheten-
wortes“.
58
 Lohse, Die Ordination im Spätjudentum und im Neuen Testament (s. Anm. 2), 84 betont
zu Recht: „Wie die Berufung ein Handeln Gottes war, so handelt er auch bei der Ordination.“
59
 H. von Campenhausen, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei
Jahrhunderten (BHTh 14), Tübingen 1953, 126; M. Dibelius / ​H.  Conzelmann, Die Pastoral-
briefe (HNT 13), Tübingen ³1955, 56; Brox, Die Pastoralbriefe (s. Anm. 2), 181 f.
60
 Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 267 (Hervorhebung dort).
204 Die Ordination zum Amt der Kirche

Handlung ist Gott allein, und das durch sie vermittelte χάρισμα ist seine Gabe.61
In 1 Tim 4,14 kommt das durch das Passivum divinum ἐδόθη zum Ausdruck,
und in 2 Tim 1,6 wird es durch die Wendung τὸ χάρισμα τοῦ θεοῦ angezeigt, in
der – wie dann V. 7 bestätigt – die Worte τοῦ θεοῦ als ein Genitivus auctoris zu
beurteilen sind. An beiden Stellen ist bereits durch die sprachliche Formulierung
ausgeschlossen, daß der Ordinator durch die Handauflegung ein ihm selbst eig-
nendes Charisma an den Ordinanden weitergibt oder daß hier eine übertragbare
Qualität von dem Ordinator auf den Ordinanden übergeht.62
Fragen wir, worin das χάρισμα des näheren besteht, dann will beachtet sein,
daß nach Tit 3,5 alle an Christus Glaubenden bereits als Getaufte den Heiligen
Geist empfangen haben. Von daher kann mit dem χάρισμα nicht das πνεῦμα
schlechthin gemeint sein,63 sondern nur eine besondere Ausrüstung durch den
Heiligen Geist, die den Ordinierten zur Ausübung des ihm übertragenen Amtes
befähigt.64 Das χάρισμα ist die dem Ordinierten von Gott verliehene „Amts-

61
 Vgl. Lohse, Die Ordination im Spätjudentum und im Neuen Testament (s. Anm. 2), 84:
„Gott allein verleiht das χάρισμα.“
62
 S. dazu Lohse, ebd., 84.92. Zu Unrecht erklärt dagegen Brox, Die Pastoralbriefe (s.
Anm. 2), 182: „Die Handauflegung übertrug die Kraft von denen, die sie besitzen, auf den nach-
folgenden bzw. delegierten Amtsträger.“ Ebenso unhaltbar ist die Interpretation bei Wolter,
Die Pastoralbriefe als Paulustradition (s. Anm. 33), 218–222 (s. dazu oben Anm. 33). Bei der in
Num 27,20 erwähnten Übertragung der Autorität (MT: hôd, LXX: δόξα) des Mose auf Josua
und bei der für die rabbinische Ordination wesentlichen Weitergabe der von Mose überkom-
menen Autorität des Lehrers an den Schüler handelt es sich nicht um Sachparallelen zu der in
1 Tim 4,14 und 2 Tim 1,6 bezeugten Verleihung des χάρισμα an den Ordinierten.
63
 Vgl. Marshall, Commentary on The Pastoral Epistles (s. Anm. 47), 564 f.
64
 So zutreffend J. Calvin in seinem Kommentar zum 1. Timotheusbrief (1552); s. Ioannis
Calvini in Novum Testamentum Commentarii VII, hg. v. A. Tholuck, Berlin ⁴1864, 424 zu 4,14:
Dicit collatam esse (sc. gratiam) cum impositione manuum, quo significat, una cum ministerio
necessariis etiam dotibus ornatum fuisse. […] Itaque sensus est, Timotheum, quum Prophe-
tarum voce ascitus fuit in ministerium, et deinde solenni ritu ordinatus, simul gratia Spiritus
sancti instructum fuisse ad functionem suam exsequendam. Unde colligimus non inanem fuisse
ritum: quia consecrationem, quam homines impositione manuum figurabant, Deus Spiritu
suo implevit. Ich füge eine möglichst genaue Übersetzung hinzu: „Er (Paulus) sagt, daß die
Gnadengabe unter Handauflegung übertragen worden ist, womit er anzeigt, daß er (Timotheus)
zugleich mit dem Empfang des Amtes auch mit den notwendigen Gaben ausgestattet worden
ist. […] Der Sinn ist deshalb, daß Timotheus, als er durch die Stimme der Propheten in das Amt
berufen und dann in einer feierlichen Handlung [in dieses] eingesetzt wurde, zugleich zur Aus-
führung seiner Aufgabe mit der Gnadengabe des Heiligen Geistes ausgestattet worden ist. Dar-
aus folgern wir, daß die Handlung nicht ein leerer Ritus gewesen ist – eben weil Gott die Weihe,
die Menschen mit der Handauflegung zum Ausdruck gebracht haben, mit seinem Geist erfüllt
hat.“ S. ferner auch die Darlegungen Calvins in: Kommentar zum 2. Timotheusbrief (1552) zu
2 Tim 1,6 (Commentarii VII [s. o.], 463 f.); Institutio Christianae religionis (1559) IV 3,16 (Opera
selecta V, hg. v. P. Barth / ​W. Niesel, ²1962, 56 f.); IV 19,28 (ebd., 462 f.). – Da es bei der Hand-
auflegung darum geht, daß der von Gott selbst zum Amt Berufene durch den, der ihn berufen
hat, zur Ausübung des Amtes ausgerüstet wird, tangiert der Gedanke der Amtsgnade keines-
wegs denjenigen der Taufgnade. Daß die Ordination in den Pastoralbriefen „eine Bedeutung
hat, die eine Abwertung der Taufe als Zeichen der allgemeinen Geist- und Gnadenmitteilung
Die Ordination zum Amt der Kirche 205

gnade“,65 und diese geistliche Gabe ist fortan „in“ ihm und „nimmt ihn in
Pflicht“.66 Wenn der Verfasser der Pastoralbriefe dazu ermahnt, das χάρισμα
nicht „außer acht zu lassen“ (1 Tim 4,14) und es immer wieder „anzufachen“
(2 Tim 1,6), dann zeigt dies: Die Gnadengabe Gottes begründet eine Befähigung,
die der Ordinierte „bewähren muß, hinter welcher er zurückbleiben kann, die
jedenfalls fortbesteht, so daß jederzeit daran erinnert und neu darauf verpflichtet
werden kann“.67 Das χάρισμα ist gegeben und vorhanden, aber es bedarf zu
seiner Wirksamkeit gewissermaßen der ständigen Aktivierung, indem es ernst-
genommen und in der Ausübung des Dienstes am Evangelium stets neu in An-
spruch genommen wird.
Daß wir in dem durch die Handauflegung vermittelten χάρισμα τοῦ θεοῦ
die göttliche Ausrüstung und Befähigung zur angemessenen Amtsführung zu
erblicken haben, das findet seine Bestätigung durch den jeweiligen Kontext
der beiden Ordinationsaussagen 1 Tim 4,14 und 2 Tim 1,6. Was zunächst den
Satz 2 Tim 1,6 anlangt, so sind hier die fest mit ihm verbundenen Verse 2 Tim
1,7 f. zu nennen. Der durch γάρ an V. 6 angeschlossene V. 7 begründet und
bekräftigt die Weisung, die Gabe Gottes immer wieder „anzufachen“, indem er
den Begriff des χάρισμα τοῦ θεοῦ erläutert:68 οὐ γὰρ ἔδωκεν ἡμῖν ὁ θεὸς πνεῦμα
δειλίας, ἀλλὰ δυνάμεως καὶ ἀγάπης καὶ σωφρονισμοῦ – „Gott hat uns ja nicht
einen Geist der Furchtsamkeit gegeben, sondern [einen Geist] der Kraft und der
Liebe und der Selbstüberwindung.“69 Was Gott durch die Gabe des χάρισμα dem
Ordinierten schenkt, das ist demnach die Freiheit von aller Menschenfurcht, die
Kraft zur Verkündigung des Evangeliums, die Liebe zu den Menschen, denen
die Botschaft ausgerichtet wird, und die Selbstüberwindung angesichts aller
Widerstände, mit denen der Verkündiger in seinem Amt zu rechnen hat. Dem-
entsprechend beschreibt V. 870 die Wirkung des von Gott verliehenen Amts-
charismas dahingehend, daß es den Ordinierten dazu befähigt, sich furchtlos
zu dem von Paulus verkündigten Evangelium als dem „Zeugnis von unserem
einerseits, als grundlegender Verpflichtung aller Glaubenden andererseits impliziert“ (so von
Lips, Glaube – Gemeinde – Amt [s. Anm. 2], 263; vgl. 287 Anm. 13), vermag ich nicht zu sehen.
65
  So z. B. Jeremias, Die Briefe an Timotheus und Titus (s. Anm. 2), 35; von Campenhau-
sen, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten (s. Anm. 59),
126; Dibelius / ​Conzelmann, Die Pastoralbriefe (s. Anm. 59), 56; Brox, Die Pastoralbriefe
(s. Anm. 2), 181 f. Nicht korrekt ist dagegen die Bestimmung des χάρισμα als „Amtsauftrag“
bei Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 255; Oberlinner, Pastoralbriefe I
(s. Anm. 22), 208.
66
 Roloff, ebd., 255.
67
 Brox, Die Pastoralbriefe (s. Anm. 2), 181.
68
 In 2 Tim 1,7 bezieht sich der Plural ἡμῖν m. E. nicht auf alle Christen, sondern auf die mit
der Verkündigung des Evangeliums beauftragten und zu ihrem Dienst durch den Geist Gottes
ausgerüsteten Amtsträger.
69
 Die Übersetzung von σωφρονισμός mit „Selbstüberwindung“ übernehme ich von Jere-
mias, Die Briefe an Timotheus und Titus (s. Anm. 2), 49.
70
 2 Tim 1,8: μὴ οὖν ἐπαισχυνθῇς τὸ μαρτύριον τοῦ κυρίου ἡμῶν μηδὲ ἐμὲ τὸν δέσμιον
αὐτοῦ, ἀλλὰ συγκακοπάθησον τῷ εὐαγγελίῳ κατὰ δύναμιν θεοῦ.
206 Die Ordination zum Amt der Kirche

Herrn“71 zu bekennen und wie der Apostel für dieses Evangelium zu leiden72.
Der unmittelbare Kontext liefert so den entscheidenden Kommentar zu der
Ordinationsaussage von 2 Tim 1,6. Das gleiche gilt auch für die Ordinations-
aussage von 1 Tim 4,14, die fest in dem Abschnitt 1 Tim 4,12–16 verankert ist. In
V. 13, der dieser Aussage unmittelbar vorausgeht, wird Timotheus in Hinsicht
auf die Leitung des Gottesdienstes geboten, sich eifrig „der Lesung, der Predigt
und der Unterweisung“ zu widmen,73 und den Abschnitt beschließt in V. 16 die
Mahnung, sorgsam an der „Lehre“ des Evangeliums festzuhalten, das ihm selbst
und denen, die seine Verkündigung hören, das eschatologische Heil bringt.74 Das
in den beiden Sätzen V. 13 und V. 16 Gebotene zu tun, das bedeutet: das χάρισμα
nicht außer acht zu lassen, das bei der Ordination von Gott geschenkt worden
ist. Das χάρισμα bildet – wie daraus gefolgert werden kann – das tragende Fun-
dament für die Befolgung der zahlreichen Weisungen, durch die in den Pastoral-
briefen die wesentlichen Aufgaben des verbi divini ministerium beschrieben
werden. Das heißt: Das ihm verliehene Charisma befähigt den Amtsträger zur
rechten Leitung des Gottesdienstes,75 zur reinen Verkündigung und Lehre des
Evangeliums,76 zur treuen Bewahrung der apostolischen Lehrtradition,77 zur
verantwortlichen Einsetzung weiterer Amtsträger,78 zur entschiedenen Abwehr
der Irrlehre79 – und mit dem allen zur makellosen Wahrnehmung des mit der
Ordination gegebenen Amtsauftrags80 und zur ungeteilten Erfüllung des durch
sie übertragenen Dienstes81.
Blicken wir an dieser Stelle auf das zur Handauflegung Gesagte zurück,
so sind zwei auffallende Tatbestände zu notieren und in aller Kürze zu kom-
mentieren: zum einen, daß im Zusammenhang mit der ἐπίθεσις τῶν χειρῶν

71
 Der Vergleich mit Röm 1,16 spricht dafür, daß mit den Worten τὸ μαρτύριον τοῦ κυρίου
ἡμῶν 2 Tim 1,8a das εὐαγγέλιον von V. 8b gemeint ist. Zu der Verbindung von μαρτύριον mit
einem den Gegenstand bezeichnenden Genitivus objectivus vgl. 1 Kor 1,6 (τὸ μαρτύριον τοῦ
Χριστοῦ) sowie ferner auch Apg 4,33.
72
 Vgl. o. Anm. 50.
73 1 Tim 4,13: πρόσεχε τῇ ἀναγνώσει, τῇ παρακλήσει, τῇ διδασκαλίᾳ. Bei der gottesdienst-

lichen ἀνάγνωσις dürfte auch die Verlesung von Briefen des Paulus gemeint sein; vgl. dazu
etwa Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 254; Oberlinner, Pastoralbriefe I
(s. Anm. 22), 206 f. Zu παράκλησις als Ausdruck für die Predigt vgl. Apg 13,15; Hebr 13,22. Zu
διδασκαλία in der Bedeutung „Unterweisung“ s. 1 Tim 5,17; 2 Tim 3,10; Tit 2,7 (vgl. Röm 12,7).
74
 1 Tim 4,16: ἔπεχε σεαυτῷ καὶ τῇ διδασκαλίᾳ, ἐπίμενε αὐτοῖς· τοῦτο γὰρ ποιῶν καὶ σεαυτὸν
σώσεις καὶ τοὺς ἀκούοντάς σου.
75
 1 Tim 4,13.
76
 Wortverkündigung: 2 Tim 2,15; 4,2.5; Lehrunterweisung: 1 Tim 4,11.13.16; 2 Tim 4,2; Tit
2,7.
77
 1 Tim 6,20; 2 Tim 1,14; vgl. auch 3,14.
78
 1 Tim 5,22; Tit 1,5.
79
 1 Tim 1,3–11.18–20; 4,1–11; 6,3–5.20 f.; 2 Tim 2,14–4,5; Tit 1,10–16; 3,8–11.
80
 1 Tim 6,14. Zur Deutung der ἐντολή s. Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2),
352 mit Anm. 115.
81
 2 Tim 4,5.
Die Ordination zum Amt der Kirche 207

jeder Hinweis auf das Gebet fehlt,82 und zum andern, daß als Amtsaufgabe des
Ordinierten nirgends – und nicht einmal bei der ausdrücklichen Bezugnahme
auf den Gottesdienst (1 Tim 4,13) – die Feier des Heiligen Abendmahls erwähnt
wird. Was das Gebet anlangt, so darf ein solches angesichts dessen, was Apg
6,6; 13,3; 14,23 berichtet wird, sicher vorausgesetzt werden. Zu denken wäre an
ein epikletisches Gebet mit der von Erhörungsgewißheit getragenen Bitte, daß
Gott den von ihm zum Amt der Verkündigung und der Lehre Berufenen mit dem
χάρισμα ausrüsten möge. Hinsichtlich der Feier des Heiligen Abendmahls kann
das Schweigen der Texte vielleicht damit erklärt werden, daß ihre Zuordnung
zum Dienst der Verkündigung als selbstverständlich galt.83

VI. Die Übergabe der apostolischen Lehrtradition


und das Bekenntnis des Ordinanden

Weil die Ordination die Einsetzung in das Amt der Verkündigung und Lehre ist,
deshalb gehören zu ihr als weitere wesentliche Elemente die Übergabe der apo-
stolischen Lehrtradition und das Bekenntnis des Ordinanden.
Die Übergabe der apostolischen Lehrtradition ist in den bereits zitierten und
jetzt noch einmal in Übersetzung mitgeteilten Worten 2 Tim 2,2 angesprochen,
in denen Paulus seinem Schüler Timotheus gebietet: „Was du von mir in Gegen-
wart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue zuverlässigen Personen an, die
[dann] fähig sein werden, ihrerseits andere zu unterweisen.“ Diese Worte haben
mit dem zu tun, was nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe der zentrale Inhalt
der Verkündigung und der Lehrunterweisung ist. Es ist dies das Evangelium,
das Paulus unmittelbar von Gott selbst anvertraut wurde und zu dessen „Ver-
kündiger“ und „Lehrer“ er als der ἀπόστολος Χριστοῦ Ἰησοῦ in einmaliger und
grundlegender Weise berufen und eingesetzt worden ist.84 Das Evangelium85
ist gemeint, wenn der Verfasser der Pastoralbriefe von dem zu verkündigenden
„Wort“86 oder von der im Glauben zu erkennenden „Wahrheit“87 spricht, und es
ist Gegenstand und Inhalt der „apostolischen Lehrtradition“ (διδασκαλία), die
82 Daß die προφητεία von 1 Tim 4,14 nicht auf ein Gebet gedeutet werden kann, betont mit

Recht Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 102. An ein Gebet denkt dagegen z. B.
Oberlinner, Pastoralbriefe I (s. Anm. 22), 211; ebenso deutet bereits M. Luther, Vorlesung
über den 1. Timotheusbrief (1528), WA 26, 83,10–12.
83
 Man könnte dazu auf Apg 2,42; 20,7–12 hinweisen.
84 1 Tim 1,11; 2,7; 2 Tim 1,8–11; Tit 1,3.
85
 Das Wort εὐαγγέλιον erscheint in 1 Tim 1,11; 2 Tim 1,8.10; 2,8.
86 ὁ λόγος: 2 Tim 4,2; ὁ λόγος τοῦ θεοῦ: 2 Tim 2,9; Tit 1,3; 2,5; ὁ λόγος τῆς ἀληθείας: 2 Tim

2,15. Im Unterschied zu dem an diesen Stellen zu verzeichnenden Gebrauch von λόγος dürfte
der Ausdruck ὁ κατὰ τὴν διδαχὴν πιστὸς λόγος Tit 1,9 die Predigt meinen.
87
 1 Tim 2,4.7; 3,15; 4,3; 6,5; 2 Tim 2,15.18.25; 3,7 f.; 4,4; Tit 1,1.14. Auf diese Glaubenswahr-
heit beziehen sich auch die Begriffe πίστις = fides quae creditur (1 Tim 2,7; 3,9; 4,1.6; 5,8; 6,10;
Tit 1,4.13) und εὐσέβεια (1 Tim 3,16; 6,3; Tit 1,1).
208 Die Ordination zum Amt der Kirche

aller kirchlichen Verkündigung und Unterweisung verbindlich vorgegeben ist.88


Diese apostolische Lehrtradition und somit das tradierte Evangelium selbst gilt
dem Verfasser als eine παραθήκη,89 d. h. als ein „heiliges anvertrautes Gut“90,
das in der Kirche unverändert bewahrt, vor aller Verfälschung durch Irrlehre
geschützt und denen, die zum Dienst am Wort berufen werden, verantwortlich
weitergegeben werden muß. Was Timotheus bei seiner Ordination von Paulus
„gehört“ hat, das ist also das dem Apostel von Gott selbst anvertraute Gut (2 Tim
1,12), das dem Apostelschüler weitergegeben wurde, damit er es „hüte“ und „be-
wahre“ (1 Tim 6,20; 2 Tim 1,14).91 Das schließt nach 2 Tim 2,2 die Verpflichtung
ein, die von Paulus herkommende normative Lehrtradition durch die Ordination
unversehrt an andere weiterzugeben, die dann ihrerseits das gleiche zu tun
verpflichtet sind.92 In welcher Weise die Übergabe der Lehrtradition geschah,
wissen wir nicht. Denkbar ist, daß eine Zusammenfassung der entscheidenden
Aussagen des von Paulus verkündigten Evangeliums verlesen wurde.
Der apostolischen Lehrtradition korrespondiert das Bekenntnis des Ordinan-
den, das vielleicht als Antwort auf deren Übergabe verstanden werden darf93.
Auf dieses Bekenntnis – und nicht auf das Taufbekenntnis – bezieht sich m. E.
die Aussage von 1 Tim 6,12b, wonach Timotheus „vor vielen Zeugen das gute
Bekenntnis bekannt hat“94 (ὡμολόγησας τὴν καλὴν ὁμολογίαν ἐνώπιον πολλῶν
μαρτύρων)95. Den entscheidenden Hinweis auf den Inhalt des Bekenntnisses

88 Für die apostolische „Lehre“ als Gegenstand der ebenfalls als διδασκαλία bezeichneten

Lehrunterweisung (1 Tim 4,13; 5,17; 2 Tim 3,10; Tit 2,7) erscheinen neben dem einfachen ἡ
διδασκαλία (1 Tim 4,16; 6,1) die folgenden Wendungen: ἡ ὑγιαίνουσα διδασκαλία (1 Tim 1,10;
2 Tim 4,3; Tit 1,9; 2,1), ἡ καλὴ διδασκαλία (1 Tim 4,6), ἡ κατ’ εὐσέβειαν διδασκαλία (1 Tim 6,3),
ἡ διδασκαλία ἡ τοῦ σωτῆρος ἡμῶν θεοῦ (Tit 2,10).
89 1 Tim 6,20; 2 Tim 1,12.14.
90 Jeremias, Die Briefe an Timotheus und Titus (s. Anm. 2), 47; vgl. auch ebd., 51.
91 Aufgrund des unmittelbaren Zusammenhangs mit 2 Tim 1,14 („Bewahre das [dir anver-

traute] kostbare Gut durch die Kraft des Heiligen Geistes, der in uns wohnt“) darf man fragen,
ob nicht auch der vorangehende Satz 2 Tim 1,13 die bei der Ordination erfolgende Übergabe
der apostolischen Lehrtradition im Blick hat: ὑποτύπωσιν ἔχε ὑγιαινόντων λόγων ὧν παρ’ ἐμοῦ
ἤκουσας ἐν πίστει καὶ ἀγάπῃ τῇ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ – „Als Vorbild gesunder Worte (d. h. Lehre)
halte das, was du von mir gehört hast, fest im Glauben und in der Liebe, die in Christus Jesus
[ihr Fundament haben].“
92
 Der hier greifbare Sukzessionsgedanke wird in Teil VII des Aufsatzes weiter zu bedenken
sein.
93
 So Roloff, Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 267.
94
 Bei den Worten ὁμολογεῖν τὴν καλὴν ὁμολογίαν hat der Verfasser bereits die Formu-
lierung μαρτυρεῖν τὴν καλὴν ὁμολογίαν von V. 13 mit im Blick, so daß es sich hier nicht um
die Figura etymologica handelt. Deshalb wähle ich bewußt nicht die Übersetzung „das gute
Bekenntnis ablegen“. Zu der Erwähnung der „vielen Zeugen“ vgl. die auf die Ordination hin-
weisende Aussage von 2 Tim 2,2.
95
 Zur Begründung der Deutung von 1 Tim 6,12b auf das Ordinationsbekenntnis s. Roloff,
Der erste Brief an Timotheus (s. Anm. 2), 340–358; vgl. auch E. Käsemann, Das Formular
einer neutestamentlichen Ordinationsparänese, in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnun-
gen I, Göttingen ²1960, 101–108. – Die Frage, wie der Inhalt des von Timotheus abgelegten
Die Ordination zum Amt der Kirche 209

liefert der auf V. 12b folgende Satz, in dem gesagt wird, daß Jesus ἐπὶ Ποντίου
Πιλάτου „das gute Bekenntnis bezeugt hat“ (1 Tim 6,13). Hier erscheint im Un-
terschied zu V. 12b (ὁμολογεῖν τὴν καλὴν ὁμολογίαν) die recht ungewöhnliche
Formulierung μαρτυρεῖν τὴν καλὴν ὁμολογίαν. In der Aussage über Timotheus
ist mit dem Ausdruck ἡ καλὴ ὁμολογία in objektivem Sinn der Bekenntnis-
gegenstand, d. h. die von dem Ordinierten bekannte „Glaubenswahrheit“ ge-
meint,96 nicht dagegen der Akt des Bekennens. Um eben diese und keine andere
ὁμολογία handelt es sich auch in der Aussage über das Zeugnis Jesu.97 Das heißt:
Timotheus hat genau das „bekannt“, was Jesus ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου „bezeugt“
hat. Die Bestimmung ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου könnte dabei bedeuten: „vor Pontius
Pilatus“, so daß von einem Wort-Zeugnis Jesu die Rede wäre.98 Parallelen in der
frühchristlichen Literatur sprechen jedoch für die Übersetzung „unter Pontius
Pilatus“ (= „zur Zeit des Pontius Pilatus“)99 – und dann bezieht sich das Zeugnis
Jesu auf sein ganzes Sein und Wirken.100 Das aber ist der Inhalt des Evangeliums
und der apostolischen Lehrtradition. Versteht man 1 Tim 6,13 in dem skizzierten
Sinn, dann hat Timotheus bei seiner Ordination das bekannt, was Inhalt der ihm
übergebenen παραθήκη ist: die Person und das Werk Jesu Christi.101 Mit dem
Ordinationsbekenntnis hat er sich verpflichtet, unbeirrbar an der παραθήκη
festzuhalten und in Verkündigung und Lehre das Evangelium unverfälscht aus-
zurichten, und bei diesem Bekenntnis kann er von den vielen behaftet werden,
die Zeugen seiner Ordination gewesen sind.

Bekenntnisses zu bestimmen ist, wird in der Exegese überaus kontrovers beantwortet. Im


Folgenden beschränke ich mich darauf, meine eigene Sicht darzulegen und zu begründen. Mit
den entsprechenden Ausführungen korrigiere ich das in O. Hofius, Art. ὁμολογέω κτλ., in:
EWNT II (1981) 1255–1263: 1263 Gesagte.
 96
 Der Ausdruck ἡ καλὴ ὁμολογία tritt damit den Begriffen ἡ καλὴ διδασκαλία 1 Tim 4,6
und ἡ καλὴ παραθήκη 2 Tim 1,14 an die Seite. Zu ὁμολογία in objektivem Sinn vgl. Hebr 3,1;
4,14; 10,23.
 97
 Die Verse 1 Tim 6,12 f. sprechen also keineswegs von einer Parallelität zwischen dem
Bekennen Jesu und dem Bekennen des Timotheus.
 98
 So Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 580 s. v. ἐπί I.1.a.δ; 999 s. v. μαρτυρέω 1.d.
 99
 Zu dieser Bedeutung von ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου s. Ignatius, Trall 9,1; Sm 1,2; Justin, Apol
I 13,3; 46,1; 61,13; Dial 30,3; 76,6; 85,2; vgl. ferner auch Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 580 f.
s. v. ἐπί I.2.
100 Vgl. dazu die Aussagen bei Ignatius, Magn 11 (Jesu Geburt, Tod und Auferstehung ἐν

καιρῷ τῆς ἡγεμονίας Ποντίου Πιλάτου); Trall 9,1 (Jesu Geburt, menschliches Leben und Ver-
folgungsleiden ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου); Sm 1,2 (Jesu Kreuzigung ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου). Auf
diese Stellen verweisen zu 1 Tim 6,13 mit Recht etwa Dibelius / ​Conzelmann, Die Pastoral-
briefe (s. Anm. 59), 67; Merkel, Die Pastoralbriefe (s. Anm. 23), 51.
101
 Vgl. dazu die geprägten christologisch-soteriologischen Aussagen der Pastoralbriefe:
1 Tim 1,15; 2,5 f.; 3,16b; 2 Tim 1,9 f.; 2,8; Tit 2,13 f.; 3,4–7.
210 Die Ordination zum Amt der Kirche

VII. Die apostolische Sukzession

Wie insbesondere der bereits mehrfach angeführte Satz 2 Tim 2,2 zeigt, ist mit
den Ordinationsaussagen der Pastoralbriefe die Vorstellung einer Sukzession
verbunden – nämlich der Gedanke, daß die apostolische Lehrtradition in kon-
tinuierlicher Abfolge von Amtsträger zu Amtsträger weitergegeben wird. Die
Kontinuität in der Abfolge der Amtsträger hat dabei keinen anderen Sinn als den,
der kontinuierlichen Bezeugung des Evangeliums zu dienen, und sie ist dem-
entsprechend nur da gegeben, wo die apostolische Lehrtradition unverfälscht
bewahrt wird.
Hier stellt sich nun die Frage, wie das Verhältnis zwischen dem mit der Or-
dination übertragenen verbi divini ministerium und dem Amt des am Ursprung
der Lehrtradition stehenden Apostels zu bestimmen ist. In welchem Sinn kann
hier von einer „Nachfolge“ gesprochen werden? Der Befund der Pastoralbrie-
fe scheint mir eindeutig zu sein: Die zum verbi divini ministerium Ordinierten
sind nicht in dem Sinn „Nachfolger“ des Apostels, daß sie in sein Amt eintreten,
sondern sie sind es präzise in dem Sinn, daß sie in strenger Bindung an das
grundlegende Zeugnis des Apostels mit der Verkündigung und Lehre des von
ihm bezeugten Evangeliums beauftragt sind. Dieser Sachverhalt läßt sich – zu-
gleich exemplarisch für alle Gemeindeleiter – an Timotheus aufzeigen, der als
unmittelbarer Schüler in einer besonders ausgezeichneten Weise in der Nachfolge
des Paulus steht.102 Für Paulus als den von Gott selbst mit dem Evangelium und
seiner Verkündigung Betrauten (1 Tim 1,11; Tit 1,3) gibt es nach den gewichtigen
Aussagen von 1 Tim 2,7 und 2 Tim 1,11 eine dreifache Bestimmung: Er ist κῆρυξ,
ἀπόστολος und διδάσκαλος – „Verkündiger“, „Apostel“ und „Lehrer“. Von Timo-
theus hingegen wird nur ein Zweifaches ausgesagt – nämlich: das „Verkündigen“
(κηρύσσειν 2 Tim 4,2) und das „Lehren“ (διδάσκειν 1 Tim 4,11; 6,2). Obwohl
also Timotheus in seiner Eigenschaft als εὐαγγελιστής (2 Tim 4,5) ein mehrere
Gemeinden übergreifendes Leitungsamt innehat, ist er doch kein Apostel. Worin
sich das apostolische Amt des Paulus fundamental von dem kirchlichen Amt des
Timotheus und demjenigen aller Gemeindeleiter unterscheidet, das kommt in
1 Tim 2,7 und in 2 Tim 1,11 klar zum Ausdruck: Paulus ist durch Gottes Setzung
ganz unmittelbar dem Evangelium zugeordnet und mit seiner ganzen Existenz an
es gebunden.103 Deshalb können ihm in 2 Tim 1,8 die an Timotheus gerichteten
Worte in den Mund gelegt werden: „Schäme dich nicht des Zeugnisses von un-
serem Herrn und auch nicht meiner, der ich sein Gefangener bin.“104 Wie dieser
Satz zeigt, ist das Evangelium nicht ohne den Apostel und der Apostel nicht
102
 Das zeigt am deutlichsten die Anweisung von 1 Tim 4,13.
103
 Die in 1 Tim 2,7 und in 2 Tim 1,11 begegnende Formulierung εἰς ὃ ἐτέθην ἐγὼ κτλ. ent-
spricht dem ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ von Röm 1,1.
104
 Beachtenswert ist das Verhältnis dieses Satzes zu der Selbstaussage des Paulus in Röm
1,16.
Die Ordination zum Amt der Kirche 211

ohne das Evangelium zu denken. Bindung an das Evangelium heißt also eo ipso
Bindung an das grundlegende Zeugnis des Apostels, und das gilt für Timotheus
selbst wie auch für alle späteren Verkündiger und Lehrer.
Der damit greifbare Sukzessionsgedanke konzentriert sich ganz auf Paulus, so
daß mit Recht bemerkt worden ist, daß die Pastoralbriefe nur eine „paulinische“
Sukzession kennen.105 Ihre Sicht fügt sich allerdings voll dem ein, was in anderen
neutestamentlichen Schriften über die Einmaligkeit und Einzigartigkeit der Apo-
stel Jesu Christi gesagt wird.106 Die Apostel sind dem Zeugnis jener Schriften
zufolge nicht Träger eines kirchlichen Amtes, sondern sie gehören unmittelbar in
das Geschehen der die Kirche begründenden und tragenden Offenbarung Gottes
in Jesus Christus mit hinein. Ihre Einmaligkeit und Einzigartigkeit ist dadurch
gegeben, daß sie den begrenzten Kreis der Augenzeugen bilden, denen sich der
gekreuzigte und auferstandene Christus in den Ostererscheinungen zu erkennen
gegeben und die er damit zugleich zu authentischen Zeugen seiner Person und
seines Werkes berufen hat. Was den Aposteln in der Begegnung mit dem auf-
erstandenen Herrn erschlossen und zur Verkündigung anvertraut wurde, ist das
inhaltlich klar bestimmte Evangelium. Als die unmittelbar von Christus selbst
berufenen Zeugen des Evangeliums sind die Apostel „früher als die Kirche“107
und dieser als verbindliche Autorität und Traditionsnorm vorgegeben.108 Des-
halb haben sie in ihrem Amt prinzipiell keine Nachfolger.
In welcher Weise vom Zeugnis der Pastoralbriefe bzw. des ganzen Neuen
Testaments her im Blick auf die ordinierten Träger des kirchlichen Amtes der
Verkündigung und Lehre von einer „apostolischen Sukzession“ zu sprechen
ist, das läßt sich jetzt so beschreiben: Die Sukzession besteht nicht darin, daß
das Amt der Apostel an „Nachfolger“ übertragen und dann durch die Zeit der
Kirche hindurch in einer ununterbrochenen Kette weitergegeben wird, wobei
die in die Sukzession Eingetretenen durch einen besonderen hierarchischen
Status und durch nur ihnen verliehene Vollmachten wie etwa die Weihegewalt
ausgezeichnet wären. Die „apostolische Sukzession“ hat ihr Wesensmerkmal
vielmehr in der strengen Bindung an das von den Aposteln authentisch und
verbindlich bezeugte Evangelium, und sie ist somit als die Sukzession in der
gehorsamen Bezeugung und unverfälschten Weitergabe der Wahrheit des Evan-
geliums zu bestimmen.

105
 Brox, Die Pastoralbriefe (s. Anm. 2), 240; Merkel, Die Pastoralbriefe (s. Anm. 23), 62 f.
106 S. dazu von Campenhausen, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den er-
sten drei Jahrhunderten (s. Anm. 59), 13–31; O. Cullmann, Die Tradition als exegetisches,
historisches und theologisches Problem, Zürich 1954, 28–41; O. Hofius, Die Einzigartigkeit
der Apostel Jesu Christi, in: Ders., Exegetische Studien (s. Anm. 5), 189–202.
107
 von Campenhausen, ebd., 25.
108
 In Eph 2,20 werden deshalb die Apostel – und mit ihnen zugleich auch die ihr Zeugnis
in den Einzelgemeinden vertretenden Propheten – als das durch den „Eckstein“ Jesus Christus
ausgerichtete und festgelegte „Fundament“ bezeichnet, auf dem die Kirche erbaut ist. Dem
entspricht, was Mt 16,18 (im Kontext der Verse 13–20) von Petrus gesagt wird.
212 Die Ordination zum Amt der Kirche

VIII. Der soteriologische Aspekt

In einem letzten Schritt unserer Überlegungen ist nun noch eine Frage zu be-
denken, die – wie mir scheint – in der Exegese der Pastoralbriefe nicht immer
die gebührende Beachtung findet. Es ist die Frage nach dem Grund dafür, daß
in ihnen der Ordination sowie der kontinuierlichen Weitergabe des Evangeliums
durch die ordinierten Amtsträger jenes große Gewicht beigemessen wird, das wir
aufgezeigt haben. Die Antwort ergibt sich aus der Wahrnehmung dessen, was in
den Briefen über die eschatologische σωτηρία, d. h. über das in Jesus Christus
beschlossene „Heil“ gesagt wird.109
Der Verfasser bezeichnet in gleicher Weise Gott und Christus als den „Retter“
(σωτήρ) der vor Gott verlorenen Menschen,110 und er begreift – einen zentralen
Gedanken paulinischer Theologie aufnehmend  – das Heilshandeln Gottes in
Jesus Christus als den differenzierten Zusammenhang von Heilstat und Heils-
wort.111 Nach 1 Tim 2,5–7 hat „der Mensch Christus Jesus“ als der eine und
einzige „Mittler“ zwischen Gott und den Menschen „sich selbst für alle als
Lösegeld dahingegeben“, und mit dieser seiner Heilstat ist unlöslich das Heils-
wort verbunden – nämlich das „zur rechten Zeit“ ausgerichtete „Zeugnis“112, für
das Paulus eingesetzt wurde als „Verkündiger“, „Apostel“ und „Lehrer“. Genau
die gleiche Aussagestruktur weisen die Worte 2 Tim 1,10 f. auf: „Der Retter
Christus Jesus“ hat in der Heilstat seines Todes und seiner Auferstehung „den
Tod entmachtet“ und im unmittelbaren Zusammenhang damit „Leben und Un-
vergänglichkeit ans Licht gebracht“ – nämlich durch das Heilswort des „Evan-
geliums“, für das Paulus eingesetzt wurde als „Verkündiger“, „Apostel“ und
„Lehrer“. Wie sich aus der Parallelität der beiden Texte ergibt, ist das μαρτύριον
von 1 Tim 2,6 nichts anderes als das εὐαγγέλιον von 2 Tim 1,10b, das in 2 Tim 1,8
ausdrücklich als μαρτύριον τοῦ κυρίου ἡμῶν bezeichnet wird. Das Evangelium,
das Paulus zur grundlegenden Verkündigung anvertraut wurde,113 ist das „Wort

109
 Der Ausdruck σωτηρία ἡ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ begegnet in 2 Tim 2,10, und ihm entspricht
die Wendung ζωὴ ἡ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ von 2 Tim 1,1. Die zukünftige σωτηρία besteht in der ζωὴ
αἰώνιος (1 Tim 1,16; 6,12; Tit 1,2; 3,7 [vgl. auch 1 Tim 4,8; 6,19; 2 Tim 1,10]) bzw. in der δόξα
αἰώνιος (2 Tim 2.10).
110 Gott: 1 Tim 1,1; 2,3; 4,10; Tit 1,3; 2,10; 3,4 (vgl. σῴζειν 2 Tim 1,9; Tit 3,5). – Christus: 2 Tim

1,10; Tit 1,4; 2,13; 3,6 (vgl. σῴζειν 1 Tim 1,15).


111 Das hat bereits M. Luther in seiner Vorlesung über den 1. Timotheusbrief (1528) nach-

drücklich zu 1 Tim 2,6 herausgestellt: WA 26, 39,25–41,23 (vgl. auch ebd., 13,25–14,29 [zu 1,8];
65,18–66,8 [zu 3,16]). Zu Paulus selbst s. O. Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in:
Ders., Paulusstudien (WUNT 51), ²1994, 148–174: 148–150.
112 1 Tim 2,6b: τὸ μαρτύριον καιροῖς ἰδίοις. Der Akkusativ τὸ μαρτύριον ist hier wie eine

Apposition an ὁ δοὺς ἑαυτὸν ἀντίλυτρον ὑπὲρ πάντων V. 6a angeschlossen (vgl. Röm 12,1) und
steht für ἵνα τοῦτο μαρτυρῆται. Der Ausdruck καιροὶ ἴδιοι meint die von Gott bestimmte Zeit,
in der das μαρτύριον in der Verkündigung laut wird (vgl. Tit 1,3).
113
 S. dazu neben 1 Tim 2,5–7 und 2 Tim 1,10 f. auch Tit 1,3: ἐφανέρωσεν δὲ (sc. ὁ θεὸς)
Die Ordination zum Amt der Kirche 213

der Wahrheit“114, in dem Gott selbst das in Christus beschlossene Heil offenbar
macht, und dieses Heil wird Menschen da zuteil, wo es unter dem Hören des
Evangeliums zur „Erkenntnis der Wahrheit“ kommt.115 Daß das Evangelium laut
wird, das ist demnach die notwendige Bedingung dafür, daß Menschen im Glau-
ben an Christus das Heil empfangen.116 Die gleiche Bedingung gilt dann auch
dafür, daß die Glaubenden im Glauben und damit in dem ihnen erschlossenen
Heil bewahrt bleiben.117 Weil so das Heil der Menschen von der Bezeugung des
Evangeliums abhängt, deshalb erachtet es der Verfasser der Pastoralbriefe für
unabdingbar, daß die mit der Verkündigung und Lehre beauftragten Amtsträger
bei ihrer Ordination in die Sukzession derer eintreten, die an die apostolische
Lehrtradition gebunden sind und sich an sie gebunden wissen. Und weil es zur
rechten Ausübung des Amtes über die persönlichen Qualitäten und Fähigkeiten
hinaus der Ausrüstung durch Gott selbst bedarf, deshalb erblickt er in dem
durch die Handauflegung vermittelten Amtscharisma die entscheidende Gabe
der Ordination.
Die Pastoralbriefe weisen den zum verbi divini ministerium Ordinierten
zweifellos eine besondere Stellung innerhalb der Gemeinde zu.118 Dabei will al-
lerdings beachtet sein, daß nach dem Zeugnis der Briefe die Autorität der Amts-
träger keine andere ist und sein kann als die des Evangeliums, dem sie selbst
wie alle anderen Gemeindeglieder das Heil verdanken und für dessen reine
Verkündigung und Lehre sie um des Heils der Menschen willen verantwortlich
sind.119 Dementsprechend liegt auch die Würde des durch die Ordination über-
tragenen Amtes ausschließlich darin, daß es im Dienst der Heilszueignung steht.

καιροῖς ἰδίοις τὸν λόγον αὐτοῦ ἐν κηρύγματι, ὃ ἐπιστεύθην ἐγὼ κατ’ ἐπιταγὴν τοῦ σωτῆρος
ἡμῶν θεοῦ.
114 2 Tim 2,15: ὁ λόγος τῆς ἀληθείας.
115
 S. dazu besonders 1 Tim 2,4 (ὃς πάντας ἀνθρώπους θέλει σωθῆναι καὶ εἰς ἐπίγνωσιν
ἀληθείας ἐλθεῖν) mitsamt der Begründung 1 Tim 2,5–7 und zum Begriff der „Erkenntnis der
Wahrheit“ ferner 2 Tim 2,25; 3,7; Tit 1,1. Was den Gedanken anlangt, daß die eschatologische
σωτηρία schon jetzt zugeeignet wird, so sind die aoristischen Formulierungen ὁ σώσας ἡμᾶς
2 Tim 1,9 und ἔσωσεν ἡμᾶς Tit 3,5 zu vergleichen.
116
 Lehrreich sind hier auch die Verse 1 Tim 1,15 f. mit der Korrespondenz der beiden Aus-
sagen Χριστὸς Ἰησοῦς ἦλθεν εἰς τὸν κόσμον ἁμαρτωλοὺς σῶσαι, ὧν πρῶτός εἰμι ἐγώ V. 15 und
πρὸς ὑποτύπωσιν τῶν μελλόντων πιστεύειν ἐπ’ αὐτῷ εἰς ζωὴν αἰώνιον V. 16.
117 S. dazu 1 Tim 4,16 (im Kontext der Verse 11–16) und 2 Tim 2,10 (im Kontext der Verse

8–10).
118 Das betont mit Recht von Lips, Glaube – Gemeinde – Amt (s. Anm. 2), 265; vgl. 263.283.

Seine kritischen Folgerungen (s. 279–283, aber auch bereits 260–263) vermag ich allerdings
nicht nachzuvollziehen.
119
 Nach 1 Tim 4,6 ist der mit dem verbi divini ministerium Beauftragte dann ein καλὸς
διάκονος Χριστοῦ Ἰησοῦ, wenn er „sich von den Worten der Glaubenswahrheit und der guten
Lehre nährt“, d. h. sich in seinem gesamten Wirken an der das Evangelium bezeugenden apo-
stolischen Lehrtradition als der ihm vorgegebenen Richtschnur orientiert.
Das Predigtamt der Kirche
und das Priestertum aller Gläubigen

Die Kirche Jesu Christi lebt aus dem gepredigten Evangelium. Das ist deshalb so,
weil das Evangelium nicht ein menschliches Wort ist, sondern in strengem Sinn
Gottes eigenes Wort, durch das Menschen wirkmächtig zum Glauben an Jesus
Christus berufen und in diesem Glauben erhalten werden. Lebt die Kirche aber
aus dem Evangelium, so bedarf es notwendig jenes Amtes der Verkündigung,
das da, wo man sich der Reformation verpflichtet weiß, bevorzugt als „Predigt-
amt“ oder als „ministerium verbi divini“ – als „Dienst am göttlichen Wort“ –
bezeichnet wird.1 Der lateinische Ausdruck zeigt dabei an, daß der kirchlichen
Verkündigung das Wort Gottes verbindlich vorgegeben ist.2 Aus diesem Grund
hat das Predigtamt sein Wesensmerkmal in der gehorsamen Bindung an das von
den Aposteln Jesu Christi authentisch bezeugte und im Neuen Testament zuver-
lässig dokumentierte Evangelium und damit in der unverfälschten Weitergabe
des apostolischen Christuszeugnisses.
Wem aber ist das ministerium verbi divini aufgetragen? In der Evangelischen
Kirche in Deutschland wird weithin die Überzeugung vertreten, daß das Amt der
Verkündigung prinzipiell allen Getauften und also der Kirche bzw. Gemeinde als
ganzer zukommt, daß die Kirche oder Gemeinde aber um der Ordnung willen
die öffentliche Ausübung des ihr eignenden Amtes bestimmten Personen über-
trägt, die von ihr zu solchem Dienst berufen werden. Für diese Sicht, die nicht
selten als das spezifisch evangelische Amtsverständnis angesehen wird, beruft
man sich in Sonderheit auf Martin Luther3 sowie daneben auch auf die Confessio

1
 Der Begriff ministerium verbi divini (auch verbi divini ministerium oder ministerium verbi)
ist im Anschluß an ἡ διακονία τοῦ λόγου Apg 6,4 gebildet. Zu vergleichen sind in Lk 1,2 die Be-
zeichnung der Apostel als „Diener des Wortes“ (ὑπηρέται τοῦ λόγου) und in Apg 20,24 die Pau-
lus in den Mund gelegten Worte ἡ διακονία ἣν ἔλαβον παρὰ τοῦ κυρίου Ἰησοῦ, διαμαρτύρασθαι
τὸ εὐαγγέλιον τῆς χάριτος τοῦ θεοῦ. Bei Paulus selbst s. διακονία in Röm 11,13; 2 Kor 3,8.9b; 4,1;
5,18; 6,3 und vgl. διάκονος 1 Kor 3,5; 2 Kor 3,6; 6,4; 11,23 (Eph 3,7; Kol 1,7.23.25; 4,7).
2 S. dazu sowie zur Bestimmung des Verhältnisses von Evangelium und Verkündigung:

O. Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: Ders., Paulusstudien (WUNT 51), Tübingen
²1994, 148–174: 150–154; Ders., „Fides ex auditu“. Verkündigung und Glaube nach Römer
10,4–17, in: J. von Lüpke / ​E. Thaidigsmann (Hg.), Denkraum Katechismus. FS Oswald Bayer,
Tübingen 2009, 71–86: 75–83 (in dem vorliegenden Band: 105–120: 108–117).
3
 Genannt wird hier als grundlegend die Schrift ‚De instituendis ministris Ecclesiae‘ von
1523 (WA 12, 169–196). Der lateinische Text mit Übersetzung (R. und R. Preul) findet sich in:
216 Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen

Augustana4, und ihre biblische Grundlage findet man in den neutestamentlichen


Aussagen über das Priestertum aller Glaubenden. Ob die Berufung auf den Re-
formator und auf die Confessio Augustana zu Recht erfolgt, ist in der Forschung
umstritten und soll jetzt nicht erörtert werden.5 Es geht im Folgenden vielmehr
um die Frage, ob die soeben erwähnte biblisch-exegetische Begründung einer
Nachprüfung standzuhalten vermag.

II

Der Gedanke des Priestertums aller Glaubenden findet sich im Neuen Testament
lediglich in drei Schriften – nämlich im Hebräerbrief, in der Offenbarung des
Johannes und im Ersten Petrusbrief.
Im Hebräerbrief werden die Glieder des zu Jesus Christus gehörenden Volkes
Gottes zwar nirgends „Priester“ genannt, wohl aber werden sie in eindrücklicher
Weise als Priester, ja sogar als Hohepriester gekennzeichnet. Dem Christuszeug-
nis des Briefes6 zufolge hat Jesus, der Sohn Gottes, durch sein Selbstopfer am
Kreuz allen Glaubenden den Zugang zum himmlischen Allerheiligsten eröffnet,
so daß sie bei seiner Wiederkunft – in der Stunde der Heilsvollendung – in die
unmittelbare Nähe und Gegenwart des lebendigen Gottes eintreten und ihn dort
schauen und anbeten dürfen.7 Antizipiert wird dieses hohepriesterliche Vorrecht
bereits hier und jetzt im Gottesdienst der Gemeinde: in ihrem „Hinzutreten“
zu dem Thron Gottes, das im Gebet und im Lobpreis Gottes geschieht.8 Daß
den Glaubenden mit der hohepriesterlichen Berufung – der κλῆσις ἐπουράνιος
3,1 – zugleich auch das Amt der Verkündigung aufgetragen sei, läßt sich dem
Hebräerbrief nicht entnehmen.9

M. Luther, Lateinisch-Deutsche Studienausgabe, Bd. 3: Die Kirche und ihre Ämter, hg. v.
G. Wartenberg / ​M. Beyer, Leipzig 2009, 575–647. Zu weiteren Äußerungen Luthers s. u.
Anm. 25.
4
 Die These ist dann die, daß in CA V mit dem „Predigtamt“ bzw. dem ministerium docendi
evangelii der allen Getauften anvertraute Dienst der Verkündigung gemeint und erst in CA XIV
von dem durch die Ordination übertragenen besonderen Amt die Rede sei.
5
 Ich merke nur an, daß ich das in der vorigen Anmerkung erwähnte Verständnis von CA V
nirgends überzeugend begründet sehe und im Blick auf Luthers nicht leicht zu erschließende
Äußerungen zum Amt die Darlegungen von Werner Führer für einleuchtend halte: W. Führer,
Reformation ist Umkehr. Rechtfertigung, Kirche und Amt in der Reformation und heute  –
Impulse aus kritischer Gegenüberstellung, Göttingen 2016, 81–102.
6
 S. besonders Hebr 1,1–4; 2,5–18; 4,14–5,10; 7,1–10,18.
7
 Zu den soteriologischen Aussagen des Hebräerbriefes s. O. Hofius, Biblische Theologie
im Lichte des Hebräerbriefes, in: Ders., Neutestamentliche Studien (WUNT 132), Tübingen
2000, 361–377: 369–376.
8
 Hebr 4,16; 7,25; 9,14; 10,22; 13,15.
9
 Zum Amt der Verkündigung s. Hebr 13,7 sowie ferner auch 13,17 und 13,24. Den Nachweis,
daß den ἡγούμενοι von Hebr 13,7.17.24 die Verkündigung des Wortes Gottes übertragen ist, s.
Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen 217

Was die Offenbarung des Johannes anlangt, so begegnet der Gedanke des
Priestertums der Glaubenden expressis verbis in dem Lobpreis Jesu Christi
1,5b.610, in dem von himmlischen Wesen gesungenen „neuen Lied“ 5,9b.1011 und
in der Seligpreisung 20,6, die all denen gilt, die der Auferstehung zum ewigen
Leben teilhaftig werden12. Nach dem Zeugnis der beiden hymnischen Texte hat
Christus diejenigen, die er durch sein Blut erlöst hat, zu „Priestern“ für Gott,
seinen Vater, gemacht (1,6a; 5,10a). Wie dieses ihr Priester-Sein zu verstehen ist,
das wird nicht zuletzt im Licht der Aussagen von 7,14b–17 (V. 15!) und 22,3–5
(V. 3!) deutlich. Der Satz, daß alle Glaubenden zu „Priestern“ gemacht sind,
hat die noch ausstehende Heilsvollendung im Blick, in der den Erlösten die un-
mittelbare Gemeinschaft mit dem heiligen Gott zuteil werden wird. Als die durch
Christi Sühnetod von allen Sünden Gereinigten dürfen sie dann Gott nahen, ewig
an dem Ort seiner Gegenwart weilen, ihm im himmlischen Gottesdienst dienen13
und sein Angesicht schauen.14 Der alttestamentliche Gedanke, daß die Priester
von Gott „geheiligt“ und ihm „heilig“ sind15 und daß sie deshalb unmittelbaren
Zugang zu ihm haben, ist hier metaphorisch auf alle Glaubenden bezogen.16 Daß
die in diesem Sinn zu „Priestern“ Gemachten in ihrem irdischen Leben als Ver-
kündiger des Evangeliums wirken sollen oder wirken, wird in der Offenbarung
des Johannes mit keiner Silbe auch nur angedeutet.
Während sich die Frage, ob mit dem Priestertum aller Glaubenden das Amt
der Evangeliumsverkündigung verbunden ist, für den Hebräerbrief und für die
Offenbarung des Johannes in einigen wenigen Sätzen beantworten läßt, bedarf

bei O. Hofius, Gemeindeleitung und Kirchenleitung nach dem Zeugnis des Neuen Testaments.
Eine Skizze, in: Ders., Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 218–239: 231 f.
10
 Dem gekreuzigten und auferstandenen Christus gilt die Doxologie: „Dem, der uns liebt
und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum,
zu Priestern für seinen Gott und Vater, – ihm gebührt die Herrlichkeit und die Macht in alle
Ewigkeit! Amen.“
11
 Das geschlachtete Lamm wird dafür gepriesen, daß es Menschen aus allen Völkern mit sei-
nem Blut „für Gott erkauft“ und sie für ihn „zu einem Königtum und zu Priestern gemacht“ hat.
12
 Alle, die an der ersten Auferstehung Anteil haben, werden im Tausendjährigen Reich
„Priester Gottes und Christi“ sein und „zusammen mit ihm (sc. mit Christus) herrschen“.
13
 In 7,15 und 22,3 ist das Verbum λατρεύειν zu beachten, das den priesterlichen Dienst
bezeichnet.
14
 Vgl. D. Sänger, Art. Priester/Priestertum I/4. Neues Testament, in: TRE 27 (1997) 396–
401: 400: Die Priester sind es, „die als die ‚Knechte Gottes‘ (22,3) im himmlischen Gottesdienst
(vgl. Apk 4 f.) sich Gott unmittelbar nahen, ihm dienen und sein Angesicht schauen dürfen
(Apk 22,3–5), so daß ,das Priestersein der Erlösten […] seine eschatologische Erfüllung in der
Erfahrung der Nähe und Anwesenheit Gottes‘ findet“. Sänger zitiert E. Schüssler-Fiorenza,
Priester für Gott. Studien zum Herrschafts- und Priestermotiv in der Apokalypse (NTA NF 7),
Münster 1972, 401.
15
 Lev 21,1–24 (bes. 6–8); Esr 8,28.
16
 Vgl. J. Roloff, Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT 18), Zürich 1984, 35: Die durch
Christus Erlösten „haben, wie die Priester im Alten Testament, unmittelbaren Zugang zum
Bereich Gottes, ja sie gehören diesem Bereich an.“
218 Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen

der Erste Petrusbrief einer ausführlicheren Erörterung. Ihm wenden wir uns des-
halb erst an dritter Stelle und in einem eigenen Argumentationsgang zu.

III

Von dem Priestertum aller Glaubenden ist im Ersten Petrusbrief in dem Ab-
schnitt 2,4–10 die Rede, in dem die christliche Gemeinde als das neue Volk
Gottes beschrieben wird, das er in seiner freien Gnade erwählt und zu seinem
Eigentum gemacht hat. Der Verfasser legt zunächst in den Versen 2,4 f. den Tat-
bestand dar, und er verweist sodann in den Versen 2,6–10 auf das entsprechende
prophetische Zeugnis der Heiligen Schrift Israels, wobei er die relevanten Stel-
len nicht nur zitiert, sondern zugleich auch kommentiert.17
In den Versen 2,4 f. wird in metaphorischer Sprache gesagt: Diejenigen, die im
Glauben mit Jesus Christus, dem „lebendigen Stein“, verbunden sind,18 werden
als „lebendige Steine“ zu einem „geistlichen Haus“ aufgebaut.19 Das Bild des
„geistlichen Hauses“, das die Gemeinde als den wahren Tempel Gottes kenn-
zeichnet,20 geht dann in V. 5 sogleich in ein weiteres Bild über: Die Glaubenden
sind „eine heilige Priesterschaft“, deren Aufgabe darin besteht, „geistliche Opfer
darzubringen, die Gott durch Jesus Christus wohlgefällig sind“ (ἱεράτευμα ἅγιον
ἀνενέγκαι πνευματικὰς θυσίας εὐπροσδέκτους θεῷ διὰ Ἰησοῦ Χριστοῦ). Dieses
Bild der „heiligen Priesterschaft“, auf dem in V. 5 der Akzent liegt, hat inner-
halb der Verse 6–10 seine Entsprechung in den folgenden, an die Empfänger des
Briefes gerichteten Worten des V. 9: „Ihr […] seid ein auserwähltes Geschlecht,
eine königliche Priesterschaft, eine heilige Volksgemeinschaft, ein Volk zum Ei-
gentum21, damit ihr die Heilstaten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis
in sein wunderbares Licht gerufen hat“ (ὑμεῖς […] γένος ἐκλεκτόν, βασίλειον
ἱεράτευμα, ἔθνος ἅγιον, λαὸς εἰς περιποίησιν, ὅπως τὰς ἀρετὰς ἐξαγγείλητε
τοῦ ἐκ σκότους ὑμᾶς καλέσαντος εἰς τὸ θαυμαστὸν αὐτοῦ φῶς). In diesem
Satz werden hohe alttestamentliche Prädikate des Gottesvolkes Israel auf die
christliche Gemeinde übertragen. Die Bezeichnung der Gemeinde als βασίλειον
ἱεράτευμα und ἔθνος ἅγιον ist dabei dem Wort Gottes an Israel von Ex 19,6 LXX

17
 Die Hinweise auf das Zeugnis der Schrift werden in 2,6 eingeleitet durch die Wendung
διότι περιέχει ἐν γραφῇ = „es heißt ja in der Schrift“; διότι ist wie in 1,16 und 1,24 kausale Kon-
junktion („denn“), nicht dagegen, wie manche Ausleger urteilen, Folgerungspartikel („darum“).
Die in 2,6–10 zitierten Schriftworte versteht der Verfasser des Briefes im Sinn dessen, was er
in 1,10–12 gesagt hat.
18
 Ihre Bezeichnung als „Glaubende“ erscheint  – im Anschluß an die Worte ὁ πιστεύων
ἐπ’ αὐτῷ οὐ μὴ καταισχυνθῇ des in V. 6 zitierten und auf Christus bezogenen Schriftzitats Jes
28,16 – ausdrücklich in V. 7: ὑμῖν οὖν ἡ τιμὴ τοῖς πιστεύουσιν.
19
 Das Prädikat οἰκοδομεῖσθε V. 5 ist m. E. als Indikativ, nicht als Imperativ zu lesen.
20 Vgl. 1 Kor 3,9–17; 6,19; Eph 2,19–22; 1QS 8,5–10.
21
 D. h. ein zum Eigentum Gottes erwähltes Volk.
Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen 219

entnommen, und der Bestimmung, daß ihre Glieder als γένος ἐκλεκτόν und λαὸς
εἰς περιποίησιν die „Heilstaten“ Gottes „verkünden“ sollen, liegen die Verse Jes
43,20 f. LXX zugrunde.22
Die soeben zitierten Worte von 1 Petr 2,9 gelten ohne jeden Zweifel aus-
nahmslos allen an Christus Glaubenden. Sie alle werden mit der Metapher der
„königlichen Priesterschaft“ als von Gott erwählte, zu seinem Dienst geheiligte
und dadurch mit höchster Würde bekleidete Menschen angesprochen.23 Es ist
dieser Satz aus dem Ersten Petrusbrief, auf den vor allem sich in Theologie und
Kirche diejenigen berufen, die unter Hinweis auf den Gedanken des Priestertums
aller Gläubigen die Ansicht vertreten, daß die Verkündigung des Evangeliums
der Kirche bzw. der Gemeinde in ihrer Gesamtheit aufgetragen sei und das
Predigtamt mithin prinzipiell allen Glaubenden zukomme. Vorausgesetzt wird
dabei, daß in 1 Petr 2,9 mit dem griechischen Verbum ἐξαγγέλλειν, das ich
in meiner Übersetzung des Verses mit „verkünden“ wiedergegeben habe, die
Predigt des Evangeliums gemeint sei. In eben diesem Sinn hat Martin Luther
das Wort verstanden. „Ihr […] seid […] das königliche Priestertum […], daß
ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis
zu seinem wunderbaren Licht“24 – so lautet die Übersetzung des Reformators,
und seine Auslegung kommt exemplarisch zur Sprache, wenn er erklärt: „Wir
sind alle Priester, […], daß wir alle zu aller Zeit und an allerlei Orten Gottes
Wort und Werk verkündigen sollen.“25 Obwohl die hier vorliegende Deutung

22
 In 1 Petr 2,9 hat αἱ ἀρεταί wie schon in Jes 43,21 LXX und ebenso in Jes 42,12; 63,7
LXX die Bedeutung „Großtaten“ / ​„Machttaten“ / ​„Wundertaten“ u. ä. Gemeint sind die Heils-
taten Gottes, d. h. sein rettendes Handeln in Jesus Christus. Die Redeweise ist hier die der
hellenistischen Aretalogie. Zum Vergleich s. αἱ ἀρεταί in der Delischen Sarapis-Aretalogie des
Maiistas (Ende 3. Jahrhundert v. Chr.), IG XI,4 1299,48 f.: πᾶν δὲ κατ’ ἦμαρ σὰς ἀρετὰς ἤειδεν
(„jeden Tag besang er deine Wundertaten“). Daß in diesem Satz das Verbum ἀείδειν („singen“,
„besingen“, „preisen“) erscheint, verdient im Blick auf 1 Petr 2,9 besondere Beachtung.
23
 Auf die einzigartige Hoheit und Würde hebt das Epitheton „königlich“ ab.
24
 Hervorhebung von mir. – Zwischen den deutschen Verben „verkünden“ und „verkündi-
gen“ sollte sprachlich unterschieden werden: das erstere bezeichnet die Kundgabe, die Pro-
klamation, das letztere die Predigt, die kirchliche Verkündigung.
25
 So in Luthers Predigt zur Einweihung der Schloßkirche zu Torgau am 5. Oktober 1544: WA
49, 590 f. (Druck). Zu Luthers Verständnis von 1 Petr 2,9 ist vor allem auf die Ausführungen in
‚De instituendis ministris Ecclesiae‘ hinzuweisen: WA 12, 179,38–180,32. Daraus sei 180,22 f.
zitiert: praeceptum […], ut annuncient virtutes dei, quod certe est aliud nihil, quam verbum
dei predicare („die Weisung, Gottes Heilstaten zu verkündigen, bedeutet mit Gewißheit nichts
anderes, als das Wort Gottes zu predigen“). In den frühen Schriften Luthers s. zu 1 Petr 2,9
u. a. die folgenden Äußerungen: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christ-
lichen Standes Besserung (1520), WA 6, 407,10–408,35; De captivitate Babylonica ecclesiae
praeludium (1520), WA 6, 564,6–14; Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), WA 7,
27,17–28,37; De abroganda missa privata Martini Lutheri sententia (1521), WA 8, 422,17–423,2
(s. auch 425,7–9); Vom Mißbrauch der Messe (1521), WA 8, 495,8–33; Daß eine christliche Ver-
sammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen,
ein und ab zu setzen, Grund und Ursach aus der Schrift (1523), WA 11, 411,22–413,22; (Erste)
Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt. Erste Bearbeitung (1523), WA 12, 316,4–319,6.
220 Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen

des Verbums ἐξαγγέλλειν auf die Verkündigung seit Luther von nicht wenigen
Auslegern vertreten worden ist26 und ebenso auch in der neueren Exegese ver-
treten wird27, muß sie nach meinem Urteil als unhaltbar bezeichnet werden.
Die Worte ὅπως τὰς ἀρετὰς ἐξαγγείλητε beziehen sich vielmehr auf die hym-
nisch-lobpreisende Proklamation der Heilstaten Gottes in der zum Gottesdienst
versammelten Gemeinde. Zur Begründung dieser Sicht notiere ich zunächst drei
sprachliche Überlegungen.28
1. Der Satz 1 Petr 2,9 nimmt, wie bereits gesagt wurde, mit den Worten γένος
ἐκλεκτόν, λαὸς εἰς περιποίησιν, ὅπως τὰς ἀρετὰς ἐξαγγείλητε κτλ. deutlich
Bezug auf den Gottesspruch Jes 43,20 f. LXX, in dem es heißt: „Ich habe in
der Wüste Wasser gegeben […], um mein auserwähltes Geschlecht zu tränken,
mein Volk, das ich mir zum Eigentum erworben habe, daß es meine Heilstaten
erzähle“ ([…] ποτίσαι τὸ γένος μου τὸ ἐκλεκτόν, λαόν μου, ὃν περιεποιησάμην
τὰς ἀρετάς μου διηγεῖσθαι). Wie die hebräische Vorlage,29 so spricht auch der
griechische Text von dem „erzählenden Lob“ des Volkes Gottes, das Rettung aus
großer Not erfahren hat.30 Dieses dem Volk gebotene „Erzählen“ (διηγεῖσθαι)
der Heilstaten Gottes31 geschieht, wie Karl Elliger bemerkt, in einer ganz be-
stimmten hymnischen Form: in einem Lied, das im Hebräischen tᵉhillā – d. h.

26
 Als Beispiel sei J. A. Bengel, Gnomon Novi Testamenti (³1773), hg. v. P. Steudel, Stutt-
gart ⁸1891, 976 zitiert: ἐξ in ἐξαγγείλητε innuit multorum ignorantiam, quibus fideles debent
virtutes Dei praedicare („ἐξ in ἐξαγγείλητε weist auf die Unwissenheit der Vielen hin, denen
die Gläubigen die Tugenden Gottes verkündigen sollen“).
27
 S. etwa K. H. Schelkle, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief (HThK XIII/2), Freiburg  –
Basel – Wien ²1964, 65; W. Schrage, Der Erste Petrusbrief (in: NTD 10), Göttingen ¹(¹¹)1973,
84; L. Goppelt, Der Erste Petrusbrief (KEK 12/1), Göttingen ¹(⁸)1978, 154; N. Brox, Der
Erste Petrusbrief (EKK XXI), Zürich – Einsiedeln – Köln bzw. Neukirchen-Vluyn 1979, 103;
R. Feldmeier, Der erste Brief des Petrus (ThHK 15/I), Leipzig 2005, 94. Mit besonderer
Emphase hat E. Käsemann, Amt und Gemeinde im Neuen Testament, in: Ders., Exegetische
Versuche und Besinnungen I, Göttingen ²1960, 109–134: 123 die Deutung auf das Amt der Ver-
kündigung vertreten, indem er zu 1 Petr 2,5–10 und hier insbesondere zu τὰς ἀρετὰς ἐξαγγέλλειν
V. 9 bemerkt: „Ein Vorgang heiligen Rechts bildet also die Antwort des Menschen auf göttliche
Manifestation, und dieser Vorgang ist officium im strengsten Sinne. Das besagt, daß die Stelle
des 1.Petr. wirklich von amtlichem Tun spricht und sprechen will. Wo man die Machttaten
des Christus proklamiert, befindet man sich in konkretem Gegenüber zur Welt, und zwar in
offizieller Mission. Man treibt das ministerium verbi divini, die διακονία τῆς καταλλαγῆς von
2. Kor 5,18. Man treibt es jure divino: Es ist jedem Christen übertragen und geboten, wenn er
nicht aufhören soll, ein Christ zu sein.“
28
 Eine ältere von mir angefertigte Zusammenstellung s. bei Führer, Reformation ist Um-
kehr (s. Anm. 5), 85 f.
29 In ihr lautet der Schluß: tᵉhillātî jᵉsappērû „meinen Ruhm werden sie erzählen“ (V. 21b).

Das hebräische Verbum spr pi., das dem griechischen διηγεῖσθαι zugrunde liegt, hat neben
„erzählen“ auch die Bedeutungen „kundtun“ und „verkünden“; s. dazu unten bei Anm. 36
sowie die Anm. 37.
30
 C. Westermann, Das Buch Jesaja. Kapitel 40–66 (ATD 19), Göttingen 1966, 106. We-
stermann spricht ebd. vom „Lob der Erretteten“.
31 Vgl. zum „Erzählen“ (διηγεῖσθαι) der Wundertaten Gottes Ψ 9,2; 25,7; 104,2; 144,5. Zu

διηγεῖσθαι s. ferner Ψ 21,23; 87,12; 144,6; Sir 17,10 (vgl. auch ἐκδιηγεῖσθαι Ψ 117,17).
Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen 221

„Lobpreis“ oder „Lobgesang“ – genannt wird.32 Wenn nun der Satz 1 Petr 2,9
einem Schriftwort verpflichtet ist, in dem das Reden von den Heilstaten Gottes
den Lobpreis des erlösten Volkes Gottes meint, dann legt das die Frage nahe, ob
nicht auch der neutestamentliche Satz in eben diesem Sinn verstanden sein will.
2. Im Unterschied zu Jes 43,21 LXX steht in 1 Petr 2,9 nicht das Verbum
διηγεῖσθαι „erzählen“, sondern das schon erwähnte Verbum ἐξαγγέλλειν,33 das
im Neuen Testament nur an dieser einen Stelle vorkommt.34 Der Verfasser
des Briefes hat das Wort dem Septuaginta-Psalter entnommen, in dem es in
mehreren Psalmen die Bedeutung „kundtun“ / ​„verkünden“ hat35 und – dem Ver-
bum spr pi. des hebräischen Textes entsprechend36 – den hymnischen Lobpreis
Gottes bezeichnet.37 So kann von denen, die Gott aus ihrem Verderben errettet
hat, gesagt werden: θυσάτωσαν θυσίαν αἰνέσεως καὶ ἐξαγγειλάτωσαν τὰ ἔργα
αὐτοῦ ἐν ἀγαλλιάσει „Sie sollen [ihm] ein Lobopfer darbringen und seine Taten
mit Jubel verkünden“ (Ψ 106,22). Das lobpreisende „Verkünden“, das in der
Regel in der versammelten Gemeinde geschieht,38 ist dabei in den einschlägigen

32 K. Elliger, Deuterojesaja I: Jesaja 40,1–45,7 (BKAT XI/1), Neukirchen-Vluyn 1978, 358:

„Das Erzählen von Jahwes Ruhm“ geschieht „in Form einer […] tᵉhillā ,Lobpreis, Hymnus‘
genannten Liedgattung.“ Vgl. P. Volz, Jesaja II (KAT 9), Leipzig 1932, 44 z.St.: Israel erfährt
die Wunder Gottes, „damit Jahwe eine ihn preisende Gemeinde auf der Erde habe“. B. Duhm,
Das Buch Jesaja (HK III/1), Göttingen ⁴1922 = ⁵1968, 327 legt „meinen Ruhm erzählen“ durch
„Psalmen singen“ aus.
33 Zu dieser Abweichung will beachtet sein, daß auch sonst in 1 Petr 2,6–10 der Septuaginta-

Text nicht wörtlich aufgenommen wird.


34
 Zum unechten kurzen Markusschluß s. u. Anm. 43.
35
 Ψ 9,15; 70,15; 72,28; 78,13; 106,22. Gegenstand des ἐξαγγέλλειν sind: das Lob Gottes (Ψ
9,15; 72,28; 78,13), die Gerechtigkeit und das Heil Gottes (Ψ 70,15), die Taten Gottes (Ψ 106,22).
36 Wie im Alten Testament und hier vor allem in den Psalmen, so bezeichnet spr pi. auch in

den Qumrantexten „ein hymnisch-preisendes Verkünden der Heilstaten und der Größe Gottes“
(J. Conrad, Art. sāpar, in: ThWAT V [1986] 910–921: 920). S. dazu etwa 1QH 9,30.33; 11,23;
19,6.24 (alte Zählung: 1,30.33; 3,23; 11,6.24); 4Q511 Frgm. 63 II 2 f.
37
 Zum Lobpreis Gottes sind auch weitere Aussagen der LXX-Psalmen zu vergleichen, in
denen für „verkünden“ andere Verben gebraucht werden: ἀναγγέλλειν (Ψ 29,10; 50,17; 63,10;
91,3; 95,3; 101,22), ἀπαγγέλλειν (Ψ 70,17 f.; 77,4; 88,2; 104,1; 144,4) und εὐαγγελίζεσθαι (Ψ
39,10; 95,2 [das Verb heißt hier nicht „predigen“!]). Außerhalb der Psalmen s. in LXX zu
ἀναγγέλλειν auch Jes 12,4 f. und 42,12 (δώσουσιν τῷ θεῷ δόξαν, τὰς ἀρετὰς αὐτοῦ ἐν ταῖς
νήσοις ἀναγγελοῦσιν) sowie zu ἀναγγέλλειν und ἀπαγγέλλειν nebeneinander Jes 48,20. An
einigen der genannten Stellen ist das griechische Verbum Wiedergabe des hebräischen ngd
hif. = „verkünden“, für das zum Vergleich 11Q5 XIX 8 f. zitiert sei: „Es schrie meine Seele
danach, deinen Namen zu loben (hll pi.), zu preisen (jdh hif.) mit Jubel deine Gnadenerweise,
zu verkünden (ngd hif.) deine Treue. Für deinen Lobpreis (thlh) gibt es kein Erforschen (d. h.:
keine Grenze).“
38 Vgl. H.-J. Hermisson, Sprache und Ritus im altisraelitischen Kult. Zur „Spiritualisie-

rung“ der Kultbegriffe im Alten Testament (WMANT 19), Neukirchen-Vluyn 1965, 36. Zu
den in Anm. 35 genannten Psalmen, in denen die Septuaginta das den Lobpreis bezeichnende
Verbum spr pi. des hebräischen Textes mit ἐξαγγέλλειν wiedergibt, s. die knappen Hinweise
bei H.-J. Kraus, Psalmen I: Psalmen 1–59 (BKAT XV/1), Neukirchen-Vluyn ⁶1989, 223 (zu
9,14). 463 f. (zu 40,10 f.); Ders., Psalmen II. Psalmen 60–150 (BKAT XV/2), ebd. ⁶1989, 653 (zu
71[70],15). 673 (zu 73[72],28). 914 (zu 107[106],22). Das Forum, vor dem der Lobpreis laut wird,
222 Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen

Psalmen-Texten nicht primär an Menschen, sondern – in der Gegenwart und vor


den Ohren aller Anwesenden – an Gott gerichtet.39 Wenn im Neuen Testament
einzig in 1 Petr 2,9 das Verbum ἐξαγγέλλειν begegnet und dessen Gebrauch sich
bestimmten Septuaginta-Psalmen verdankt, in denen es dezidiert das hymnische
Gotteslob des Volkes Gottes bezeichnet, dann spricht das dafür, daß auch in dem
neutestamentlichen Satz an den Lobpreis Gottes gedacht ist.
3. An das soeben Gesagte schließt sich unmittelbar eine weitere Überlegung
an: Dadurch, daß in 1 Petr 2,9 die Worte τὰς ἀρετὰς διηγεῖσθαι von Jes 43,21 LXX
durch τὰς ἀρετὰς ἐξαγγέλλειν ersetzt wurden, ist eine Wendung entstanden, an
der durch nichts abgelesen werden kann, daß mit dem Verbum ἐξαγγέλλειν die
Verkündigung des Wortes Gottes gemeint sei.40 Auch im Text des Verses ins-
gesamt und ebenso in seinem Kontext fehlt dafür das leiseste Indiz. Hält man
sich das vor Augen und bedenkt man außerdem, daß an anderen Stellen des
Briefes für die Predigt des Evangeliums die auch sonst im Neuen Testament in
diesem spezifischen Sinn gebrauchten Verben εὐαγγελίζεσθαι („verkündigen“
[1,12.25; 4,6]), κηρύσσειν („predigen“ [3,19]) und λαλεῖν („reden“ [4,11a]41) er-
scheinen,42 so legt das noch einmal die Annahme nahe, daß der Verfasser bei
der Verwendung des Verbums ἐξαγγέλλειν – dessen in der Septuaginta vorgege-
benem Sinn entsprechend – an das Gotteslob der Gemeinde denkt.43

kann ausgeweitet werden: „unter den Völkern“ (Ps 9,12; 96[95],3; 105[104],1; Jes 12,4), „auf
den Inseln“ (Jes 42,12), „bis ans Ende der Erde“ (Jes 48,20); „auf der ganzen Erde“ (Jes 12,5).
39 Dem Sprachgebrauch der Psalmen ist Philo verpflichtet, wenn er mit dem Verbum

ἐξαγγέλλειν die Darstellung der Werke Gottes im dankbaren Lobpreis des Schöpfers bezeichnet
(Plant 128 im Kontext 126–131) oder in hymnischer Terminologie vom Besingen der „Vorzüge“
(ἀρεταί) Gottes spricht (Somn I 256).
40
 Mir ist in den griechischen Schriften des antiken Judentums und des frühen Christentums
kein einziger Beleg dafür bekannt, daß eine Wendung wie ἐξαγγέλλειν τὰς ἀρετὰς τοῦ θεοῦ
die Verkündigung des Wortes Gottes oder überhaupt so etwas wie den Akt des Predigens
bezeichnet.
41
 In 1 Petr 4,11a beziehen sich εἴ τις λαλεῖ und εἴ τις διακονεῖ auf zwei Ämter; vgl. Schelkle,
Die Petrusbriefe. Der Judasbrief (s. Anm. 25), 119 f.; Schrage, Der Erste Petrusbrief (s.
Anm. 27), 173; H. Windisch, Die Katholischen Briefe (HNT 15), Tübingen ³1951, 76; Brox,
Der Erste Petrusbrief (s. Anm. 27), 207.
42 Zu diesen Verben gehört m. E. nicht ἀναγγέλλειν 1 Petr 1,12. Bezeichnung für die Ver-

kündigung ist in V. 12 ausschließlich εὐαγγελίζεσθαι, während ἀναγγέλλειν hier die allgemeine
Bedeutung „berichten“, „kundtun“, „mitteilen“ hat.
43 Goppelt, Der Erste Petrusbrief (s. Anm. 27), 154 Anm. 70 bemerkt: „Für LXX διηγεῖσθαι

wird ἐξαγγέλλειν gesetzt, das griechische Leser leichter als ,verkündigen‘ verstehen können.“
Von der Grundbedeutung her bringt in der Tat διηγεῖσθαι die Nuance der erzählenden oder
beschreibenden Darstellung sowie der Erklärung zum Ausdruck („erzählen“, „vortragen“, „be-
schreiben“, „schildern“, „erklären“), ἐξαγγέλλειν hingegen die Nuance der Kundgabe und Be-
kanntmachung – u. a. auch von Dingen, die man sonst nicht wissen kann („verkünden“, „Kunde
bringen“, „bekannt machen“, „berichten“). S. zu ἐξαγγέλλειν in der Bedeutung „kundtun“ z. B.
TestLev 2,10 (hier parallel zu κηρύσσειν „Kunde bringen“); Ψ 55,9; 118,26; Sir 18,4; Philo, Migr
73; [Mk] kurzer unechter Schluß. Der allgemeine lexikalische Befund vermag jedoch nicht den
Befund zu relativieren, daß die Verwendung von ἐξαγγέλλειν in 1 Petr 2,9 einem spezifischen
Sprachgebrauch des Septuaginta-Psalters verpflichtet ist (s. o. bei den Anmerkungen 35–39).
Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen 223

Den drei sprachlichen Beobachtungen tritt ein inhaltliches Argument an die


Seite – nämlich der Blick auf die Entsprechung, die innerhalb des Abschnitts
1 Petr 2,4–10 zwischen den beiden Versen 5 und 9 besteht. Die Aussage von V. 9,
daß die Gemeinde als die „königliche Priesterschaft“ die Heilstaten Gottes – d. h.
sein rettendes Handeln in Jesus Christus – „verkünden“ soll, ist in der Sache
keine andere als diejenige von V. 5, der zufolge der Gemeinde als der „heiligen
Priesterschaft“ die Weisung gilt, „geistliche Opfer darzubringen, die Gott durch
Jesus Christus wohlgefällig sind“.44 Als „geistliches“ Opfer begegnet im Alten
Testament wie auch in frühjüdischen Schriften vor allem der dankbare Lobpreis
Gottes,45 zu dem das Gebet46 und der Gott wohlgefällige Wandel47 hinzutreten
können. Die neutestamentliche Parallele Hebr 13,15 spricht dafür, in 1 Petr 2,5
die von der christlichen Gemeinde als der „heiligen Priesterschaft“ darzubrin-
genden „geistlichen Opfer“ in erster Hinsicht auf den Lobpreis Gottes zu deuten.
Außerdem wird man an den dem Evangelium gemäßen Wandel der Glaubenden
denken dürfen.48 Für eine Deutung auf die Verkündigung des Evangeliums, wie
sie Luther vertreten hat,49 gibt es dagegen im Kontext keinerlei Anhalt.
Daß ἐξαγγέλλειν in 1 Petr 2,9 in Übereinstimmung mit dem alttestamentlichen
Sprachgebrauch das Gotteslob des Volkes Gottes meint, ist in der Geschichte
der Exegese dieser Stelle immer schon vertreten worden. Zu nennen ist hier
etwa der Reformator Johannes Calvin, der nach dem Zeugnis der Institutio mit
dem Verbum den Lobpreis Gottes bezeichnet sieht,50 wohingegen eine Deutung
auf die Verkündigung des Wortes Gottes nirgends in seinen Werken begegnet.
Dem sprachlichen Urteil entsprechend schreibt er in seinem Kommentar zu
den Katholischen Briefen (1551) zu ὅπως τὰς ἀρετὰς ἐξαγγείλητε κτλ.: Sedulo
finem vocationis inculcat, ut eos stimulet ad dandam Deo gloriam. Summa
autem est, Deum immensis beneficiis nos dignatum esse, et assidue prosequi, ut
per nos illustretur sua gloria51 („Mit Ernst schärft er [der Apostel] das Ziel der
44 Vgl. die Entsprechung von θύειν θυσίαν αἰνέσεως und ἐξαγγέλλειν τὰ ἔργα αὐτοῦ (sc. τοῦ

θεοῦ) ἐν ἀγαλλιάσει im Parallelismus membrorum von Ψ 106,22.


45
 Ps 50[49],14.23; 54[53],8; 69[68],31 f.; 107[106],22; 1QS 10,6; 4QFlor (4Q174) III 6 f.
46
 So Ps 141[140],2; vgl. auch Ps 51[50],19.
47
 So 1QS 9,3–5: Gebet und vollkommener Wandel.
48
 S. dazu die Aussagen über die heilige bzw. gute ἀναστροφή: 1 Petr 1,15 f.; 2,11 f. (auch 2,21);
3,1–17. Vgl. u. a. Röm 12,1; Phil 4,18; Hebr 13,16. Daß in 1 Petr 2,5 die Opferdarbringung „einzig
[…] auf das dem Glauben entsprechende Leben“ gedeutet werden kann, wie etwa Brox, Der
Erste Petrusbrief (s. Anm. 27), 99 behauptet, läßt sich nicht mit hinreichenden Argumenten
begründen.
49
 Zu 1 Petr 2,5 s. Luther, (Erste) Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt (s. Anm. 25),
308,9–310,8: „Geistliche Opfer“ darbringen heißt: „das Evangelium predigen“ (308,18); „wer
das predigt, der übt und treibt solches“ (308,19). Nach 309,24–27 sind die Priester des rechten
Priestertums „alle schuldig, daß sie das Wort predigen, für die Gemeinde beten und sich für
Gott opfern“ (26 f.).
50
 J. Calvin, Christianae religionis Institutio (1536) IV (OS I 158 f.), V (OS I 210); Institutio
Christianae religionis (1559) III 13,2 (OS IV 217), IV 18,17 (OS V 432).
51
 J. Calvin, Commentarii in Epistolas Canonicas, hg. v. K. Hagen (Ioannis Calvini Opera
224 Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen

Berufung ein, um sie [die Leser] dazu anzuspornen, Gott die Ehre zu geben. Der
Hauptgedanke aber ist der, daß Gott uns unermeßlicher Wohltaten gewürdigt hat
und [uns] fortwährend [durch sie] geleitet, damit durch uns sein Ruhm verherr-
licht werde“). Dem Hinweis auf Calvin seien einige weitere Zeugnisse aus der
Auslegungsgeschichte hinzugefügt. Vor allem ältere Lexika geben unter aus-
drücklichem Hinweis auf den alttestamentlichen Hintergrund für ἐξαγγέλλειν in
1 Petr 2,9 als Bedeutung an: celebro („preisen“, „verherrlichen“)52, laudando vel
profitendo notum facio, praedico53 („to make known by praising or proclaiming,
to celebrate“54), laudo, celebro, praedico55. Was Kommentare anlangt, so über-
setzt Johann Salomo Semler: ut longe et late propagetis gloriam eius, und er
bemerkt in der Anmerkung zu ἐξαγγέλλειν: celebrare, ipso vestro statu tam
perfecto.56 Die Auslegung Johann Georg Rosenmüllers lautet: Sacerdotum est
laudes summi Dei celebrare. Hoc multo magis facere debent Christiani, quorum
dignitas maior est illa Sacerdotum dignitate.57 Auch Hans Windisch dürfte an
den Lobpreis Gottes denken, wenn er zu τὰς ἀρετὰς ἐξαγγέλλειν auf Philo, De
somniis I 256 verweist.58
Als Ergebnis unserer Überlegungen kann nunmehr festgehalten werden: Wie
der Wortlaut von 1 Petr 2,9 lehrt und der Blick auf den Kontext bestätigt, geht
es in diesem Vers nicht um die Verkündigung des Evangeliums, sondern um die
hymnisch-lobpreisende Proklamation eben jener Heilstaten Gottes, von denen
das Evangelium Zeugnis gibt.59 Der Verfasser des Ersten Petrusbriefes sieht so-

Exegetica XX), Genf 2009, 66. Zu Calvins Exegese von 1 Petr 2,9 s. ferner auch Institutio (1536)
IV (OS I 158 f.); V (OS I 210); Institutio (1559) II 7,1; III 13,2; IV 18,17. 19,25 (OS III 327, IV
217, V 432.459).
52
 H. Stephanus, Thesaurus Graecae Linguae, hg. v. C. B. Hase / ​W. Dindorf / ​L. Dindorf,
Vol. III, Paris 1835, 1204 f.: 1204; Chr.A. Wahl, Clavis Novi Testamenti philologica, Leipzig
³1843, 178a.
53
 C. L. W. Grimm, Lexicon graeco-latinum in libros Novi Testamenti, Gießen ⁴1888, 153b;
praedicare steht hier in der Bedeutung „rühmen, preisen“ (s. sogleich die englische Überset-
zung).
54
  J. H. Thayer, A Greek-English Lexicon of the New Testament. Being Grimm’s Wilke’s
Clavis Novi Testamenti translated revised and enlarged, Edinburgh ⁴1901 = 1961, 220b.
55
  J. F.  Schleusner, Novum Lexicon Graeco-Latinum in Novum Testamentum I, Leipzig
⁴1819, 842 s. v. 2 (praedicare = „rühmen, preisen“). In der Sache ebenso C. G. Bretschneider,
Lexicon manuale Graeco-Latinum in libros Novi Testamenti, Leipzig ³1840, 145a s. v. 2.
56  J. S.  Semler, Paraphrasis in Epistolam I. Petri, Halle 1783, 102 mit Anm. 80.
57
  J. G.  Rosenmüller, Scholia in Novum Testamentum. Tomus V, Nürnberg ⁶1831, 449.
Für das Zitat ergibt sich unter Beachtung seines Kontexts etwa die folgende Übersetzung: „Der
Priester Aufgabe ist es, die hervorragenden Eigenschaften des höchsten Gottes mit Lobpreis zu
verherrlichen. Das sollen bei weitem mehr die Christen tun, deren Würde(stellung) größer ist
als jene Würde(stellung) der Priester.“
58 Windisch, Die Katholischen Briefe (s. Anm. 41), 61. Zu Philo, Somn I 256 s. o. Anm. 39.
59
 V. Gäckle, Allgemeines Priestertum. Zur Metaphorisierung des Priestertitels im Frühju-
dentum und Neuen Testament (WUNT 331), Tübingen 2014, 448–451, besonders 449 f. deutet
1 Petr 2,9 zutreffend auf das Gotteslob der Gemeinde. Er relativiert diese seine Erkenntnis
allerdings ein wenig, wenn er bemerkt: „Man mag den missionarischen Sinn des nach außen
Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen 225

mit keineswegs in der Wortverkündigung die Aufgabe des ganzen priesterlichen


Volkes Gottes.60 Wird 1 Petr 2,9 als ein solcher Beleg gelesen, so muß das als
ein exegetisches, vor allem auf einem sprachlichen Mißverständnis des Verbums
ἐξαγγέλλειν beruhendes Fehlurteil angesehen werden.

IV

Im Anschluß an unsere exegetischen Erwägungen zum Hebräerbrief, zur Offen-


barung des Johannes und zum Ersten Petrusbrief kann nunmehr das folgende
Fazit formuliert werden: Die drei neutestamentlichen Schriften, die von dem
Priestertum aller Glaubenden reden, liefern keinen Beleg dafür, daß zu diesem
der Auftrag zur Verkündigung des Wortes Gottes hinzugehört. Aufgrund der
drei Schriften ist das Priester-Sein der Glaubenden vielmehr dahingehend zu
beschreiben, daß sie aufgrund der Zugehörigkeit zu Jesus Christus als ihrem
Retter im Glauben Zugang zu Gott haben, mit ihrem Lobpreis und ihrem Dank
vor ihn treten und ihm mit der Hingabe ihres Lebens dienen.61 Dies alles ist dabei
ein Vorschein dessen, daß den Glaubenden in der Heilsvollendung das ewige
Leben in der Gegenwart des lebendigen Gottes zuteil werden wird.62 Aus dem
Tatbestand, daß an den drei neutestamentlichen Stellen jede Bezugnahme auf die
Verkündigung des Wortes Gottes fehlt, ergibt sich eine zwingende Konsequenz:
Das Neue Testament kennt keinen Begründungszusammenhang zwischen dem

gerichteten ,Weitersagens‘ in dieser Formulierung (sc. ὅπως τὰς ἀρετὰς ἐξαγγείλητε κτλ.) zwar
mithören können, aber der Akzent liegt auf dem in kultmetaphorischer Sprache ausgedrückten,
nach oben gerichteten Gotteslob der Gemeinde“ (ebd., 450). Seine sehr vorsichtige Konzession
begründet Gäckle in Anm. 267 mit dem Hinweis auf den profangriechischen Gebrauch von
ἐξαγγέλλειν, wie ihn z. B. J. Schniewind, Art. ἀγγελία κτλ., in: ThWNT I (1933 = 1957) 56–71:
68 beschreibt. Zu Schniewinds Darlegungen ist jedoch zweierlei zu beachten: In Zeile 4 notiert
er zu ὅπως τὰς ἀρετὰς ἐξαγγείλητε κτλ.: „Das ist Stil der Aretalogie“ – dazu ist zu bedenken,
daß nach der Sarapis-Aretalogie des Maiistas die ἀρεταί des Gottes besungen werden (s. o.
Anm. 22). In Zeile 26 heißt es: „In Septuaginta steht ἐξαγγέλλειν vom kultischen Verkünden“ –
das aber geschieht, wie wir oben gesehen haben, im Lobpreis Gottes.
60
 Von der Wortverkündigung ist im Ersten Petrusbrief an den folgenden Stellen die Rede:
1,12; 1,23–25; 4,11a; 5,1–4. Zu 4,11a s. o. Anm. 41, und zu 5,1–4 verweise ich auf Hofius,
Gemeindeleitung und Kirchenleitung nach dem Zeugnis des Neuen Testaments (s. Anm. 9),
227–229.  – Bei der in 1 Petr 3,15 von den Briefempfängern geforderten ἀπολογία παντὶ τῷ
αἰτοῦντι ὑμᾶς λόγον περὶ τῆς ἐν ὑμῖν ἐλπίδος geht es um das persönliche Zeugnis von Christus
und dem in ihm beschlossenen Heil, nicht dagegen um Verkündigung.
61 In eben diesem Sinn bestimmt Calvin das Priestertum aller Glaubenden: Christianae

religionis Institutio (1536) II (OS I 82); IV (OS I 158 f.); V (OS I 210); Institutio Christianae re-
ligionis (1559) II 7,1. 15,6; III 13,2; IV 18,17. 19,25.28 (OS III 327.480 f., IV 217, V 432.459.463).
62
 Dieser wichtige eschatologische Aspekt, der oben bei Anm. 7 bzw. bei Anm. 13 und 14
zum Hebräerbrief und zur Johannesoffenbarung erwähnt wurde, darf ebenfalls für den Ersten
Petrusbrief vorausgesetzt werden; s. dazu 1 Petr 1,3–12; 1,21; 2,6 f.; 3,15.
226 Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen

Priestertum aller Glaubenden und dem kirchlichen Amt der Verkündigung.63 Es


bietet dementsprechend keine tragfähige Grundlage für die Auffassung, daß das
ministerium verbi divini aufgrund jenes Priestertums prinzipiell allen Gliedern
der Kirche oder Gemeinde zukomme, daß es aber um der geordneten öffent-
lichen Wahrnehmung willen bestimmten Personen übertragen und von ihnen
gewissermaßen stellvertretend für alle anderen ausgeübt werde. Dieses Ergebnis
ist mit dem Tatbestand zusammenzuschauen, daß das Amt der Verkündigung in
gewichtigen neutestamentlichen Texten – unter ihnen gerade auch im Hebräer-
brief und im Ersten Petrusbrief 64 – durchaus als eine besondere Stiftung Gottes
beschrieben wird.65 Will man aufgrund des Gesamtzeugnisses des Ersten Petrus-
briefes das Verhältnis zwischen dem von Gott selbst eingesetzten Amt der Ver-
kündigung und dem Priestertum aller Gläubigen kennzeichnen, so wird man
sagen können: Die Zugehörigkeit der Glaubenden zu der heiligen und könig-
lichen „Priesterschaft“ (1 Petr 2,5.9), die mit ihrer Zugehörigkeit zur Kirche
Jesu Christi als dem „Volk Gottes“ gegeben ist, verdankt sich der Wiedergeburt
durch das gepredigte Evangelium, das als „das lebendige und ewig bleibende
Wort Gottes“ (1 Petr 1,23–25) den rettenden Glauben an Jesus Christus gewirkt
hat (1 Petr 2,6–8). Sie ist damit die grundsätzliche Qualifizierung für die Wahr-
nehmung des Amtes der Verkündigung, sie ist aber keineswegs bereits selbst und
als solche die Berufung und Bevollmächtigung zu diesem Amt. Im Gesamtkon-
text der neutestamentlichen Aussagen über das kirchliche Amt kann und muß
sodann ein wichtiger Gedanke hinzugefügt werden: Das ministerium verbi divini
ist der Gemeinde Jesu Christi von Gott gegeben, damit das Evangelium, aus dem
sie lebt und ohne das sie keinen Bestand hat, „in ihr stets laut wird“66. Deshalb
trägt die Gemeinde als die „königliche Priesterschaft“ die Verantwortung dafür,

63
 Dem entspricht das Amtsverständnis der reformierten Kirchen der Reformationszeit. „Das
allgemeine Priestertum hat keinen Platz in Calvins positiver Amtsdarstellung“ – bemerkt zu-
treffend H. Fagerberg, Art. Amt / ​Ämter / ​Amtsverständnis VI. Reformationszeit, in: TRE 2
(1978) 552–574: 569,9 f. Für die reformierten Bekenntnisschriften zitiere ich J.-J. von Allmen,
Le saint ministère selon la conviction et la volonté des Réformés du XVIᵉ siècle, Neuchâtel
1968, 60: „Il est très typique que jamais les écrits symboliques réformés ne citent les textes sur
la sacrificature royale du peuple de Dieu (Ex. 19.6 et ses citations dans 1 Pi. 2.5 et 9; Apoc. 1.6;
5.10 et 20.6) pour y voir le fondement ou la justification des ministères dans l’Eglise.“
64 S.o. Anm. 9 und Anm. 60.
65
 S. dazu meine folgenden Arbeiten: Gemeindeleitung und Kirchenleitung nach dem
Zeugnis des Neuen Testaments (s. Anm. 9); Die Ordination zum Amt der Kirche und die
apostolische Sukzession nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe, ZThK 107 (2010) 261–284 (in
dem vorliegenden Band: 193–213); Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in
den Deuteropaulinen, in: W. Eisele / ​Chr. Schaefer / ​H.-U. Weidemann (Hg.), Aneignung durch
Transformation. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum.
FS Michael Theobald (HBS 74), Freiburg – Basel – Wien 2013, 339–357 (in dem vorliegenden
Band: 177–192).
66
 So sehr schön M. Theobald, Mit den Augen des Herzens sehen. Der Epheserbrief als
Leitfaden für Spiritualität und Kirche, Würzburg 2000, 131 zu Eph 4,11.
Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen 227

daß der Dienst am Wort Gottes67 sowohl in der notwendigen wie auch in der
sachgemäßen, d. h. dem Evangelium entsprechenden Weise wahrgenommen
wird.68

Das Verhältnis von Amt der Verkündigung und Priestertum aller Glaubenden,
dem unsere Überlegungen gewidmet sind, ist in der Reformationszeit in einer
der reformierten Bekenntnisschriften ausdrücklich thematisiert worden. Es
handelt sich um das Zweite Helvetische Bekenntnis (1566), dessen Verfasser,
der Zürcher Reformator Heinrich Bullinger, bereits in seinem Kommentar zum
Ersten Petrusbrief (1534) unter dem „Verkünden der Heilstaten Gottes“ von 1 Petr
2,9 zutreffend das Gotteslob der Gemeinde Jesu Christi verstanden hatte.69 Der
18. Artikel des Bekenntnisses, in dem das kirchliche Amt eine sowohl ausführ-
liche wie auch in die Tiefe gehende Behandlung erfahren hat,70 legt zunächst in
sorgfältigen Erwägungen dar, daß das Amt eine Setzung Gottes selbst und nicht
eine von Menschen angeordnete Institution ist. Im Kontext der Entfaltung dieser
Aussage unterscheidet das Bekenntnis dann ausdrücklich zwischen dem „Prie-
stertum“ (sacerdotium), an dem alle Glaubenden Anteil haben, und dem „Amt“
(ministerium), mit dem nur die zur öffentlichen Verkündigung des Wortes Gottes
Berufenen und Ordinierten beauftragt sind. Die entscheidenden Sätze lauten:
„Die Apostel Christi nennen in der Tat alle, die an Christus glauben, Priester,
dies aber nicht in Hinsicht auf ein Amt, sondern weil wir, da wir Glaubenden
alle zu Königen und Priestern gemacht sind, Gott geistliche Opfer darbringen
können. Gänzlich verschieden voneinander sind also das Priestertum und das
Amt. Jenes nämlich ist allen Christen gemeinsam, wie wir soeben gesagt haben,

67 Daß dieser immer Dienst an Wort und Sakrament ist, das zu sagen ist vielleicht nicht

überflüssig.
68
 In diesem Sinn kann mit These IV der Theologischen Erklärung von Barmen (1934) von
der „Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes“ gesprochen
werden.
69
 H. Bullinger, Kommentare zu den neutestamentlichen Briefen. Hebräerbrief – Katho-
lische Briefe (Werke III 9), hg. v. L. Baschera, Zürich 2019, 223,14 f.: Certe annunciandi verbo
et prophetae et apostoli utuntur pro laudandi et gratias agendi affectu. Id frequentissimum
est in Psalmis […] („Zweifellos verwenden sowohl die Propheten wie auch die Apostel das
Wort ‚verkünden‘ als Ausdruck für ‚loben‘ und ‚danksagen‘. Das geschieht sehr häufig in den
Psalmen […]“). Dazu am Rand: ‚Annunciare‘ pro ‚celebrare‘ („‚verkünden‘ für ‚preisen‘“).
70 Confessio Helvetica posterior XVIII: Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche,

hg. v. E. F. K. Müller, Leipzig 1903 = Zürich 1987, 200–205; Reformierte Bekenntnisschriften


2/2. 1562–1569, bearb. v. M. Bucsay u. a., Neukirchen-Vluyn 2009, 316–323. Einen wertvollen
Kommentar bietet von Allmen, Le saint ministère selon la conviction et la volonté des
Réformés du XVIᵉ siècle (s. Anm. 63), 15–166.
228 Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen

dieses dagegen nicht.“71 Das Bekenntnis beschreibt mit den zitierten Sätzen
nicht nur das Faktum, daß das Amt der Verkündigung in der Zürcher Kirche
durch eigens dazu berufene Personen ausgeübt wird, sondern es formuliert eine
grundsätzliche theologische Aussage. Nach meinem Urteil entspricht diese dem
Zeugnis des Neuen Testaments.

71 Der von mir übersetzte lateinische Text (Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche,

202,12–17; Reformierte Bekenntnisschriften 2/2, 319,10–14) lautet: Nuncupant sane apostoli


Christi omnes in Christum credentes sacerdotes, sed non ratione ministerii, sed quod per
Christum, omnes fideles facti reges et sacerdotes, offerre possumus spirituales Deo hostias
(Exod. 19,6; 1. Pet. 2,9; Apoc. 1,6). Diversissima ergo inter se sunt sacerdotium et ministerium.
Illud enim commune est Christianis omnibus, ut modo diximus, hoc non item. Eine Parallele
aus Buch IV Serm. 7 der zwischen 1549 und 1552 erschienenen ‚Dekaden‘ zitiert I. Tőkés,
Commentarium in Confessionem Helveticam Posteriorem, Nagyvárad ²2006, 441: Necessario
[…] distinguimus inter sacerdotium christianum et ministerium ecclesiasticum. Omnes quidem
christiani tam mares quam foeminae sacerdotes, sed non omnes ministri ecclesiae sumus („Mit
Notwendigkeit unterscheiden wir zwischen dem christlichen Priestertum und dem kirchlichen
Amt. Wir Christen alle nämlich, Männer wie Frauen, sind Priester, aber wir sind nicht alle
Diener der Kirche“).
Die Frage nach dem „historischen Jesus“
als theologisches Problem

Die christliche Kirche bekennt in ihrem Credo den Glauben an Jesus Christus
als den „Sohn Gottes“ und ihren „Herrn“. Dieses Bekenntnis bezieht sich dabei
nicht auf eine mythische Gestalt, sondern auf eine geschichtliche Person – näm-
lich auf den Menschen Jesus von Nazareth, der zu Anfang unserer Zeitrechnung
in Palästina lebte und unter Pontius Pilatus vor den Toren Jerusalems gekreuzigt
wurde. Die Frage nach dem irdischen Jesus kann deshalb für die Kirche und so
auch für die Theologie prinzipiell nicht belanglos sein; sie ist im Gegenteil von
wesentlicher und für den Glauben grundlegender Bedeutung. Daß damit keines-
wegs die Frage nach dem „historischen Jesus“ gefordert ist, es sich bei dieser
vielmehr um eine höchst fragwürdige Sache handelt, das soll in den folgenden
Überlegungen aufgezeigt und begründet werden.1 Dazu bedarf es zunächst einer
genauen Bestimmung der relevanten Begriffe.
1
 Die Überlegungen waren Gegenstand des Semestereröffnungsvortrags, der am 11. 10. 2​ 010
an der Theologischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald gehalten wur-
de. – Aus der Fülle der Literatur nenne ich nur einige Arbeiten, die mir – sei es zu Zustimmung,
sei es zu Widerspruch Anlaß gebend – in Sonderheit anregend und hilfreich waren: K. Barth,
KD I/1, 419–470 (bes. 422–427). I/2, 145–187. IV/1, 174–178; R. Bultmann, Das Verhältnis
der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus, in: Ders., Exegetica. Aufsätze
zur Erforschung des Neuen Testaments, hg. v. E. Dinkler, Tübingen 1967, 445–469 (= SHAW.
PH 1960 / ​3, Heidelberg ⁵1978); J. Jeremias, Das Problem des historischen Jesus (CwH 32),
Stuttgart 1960 = ⁶1969 (entspricht: Der gegenwärtige Stand der Debatte um das Problem des
historischen Jesus, in: H. Ristow / ​K. Matthiae [Hg.], Der historische Jesus und der kerygmati-
sche Christus, Berlin 1961, 12–25); E. Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzi-
sierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie (HUTh 2), Tübingen ⁵1979, bes. 71–86;
Ders., Zur dogmatischen Bedeutung der Frage nach dem historischen Jesus, in: Ders., Wertlose
Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens. Theologische Erörterungen
III (BEvTh 107), München 1990, 214–242; M. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und
der geschichtliche, biblische Christus, Leipzig 1892 (Neudruck zusammen mit weiteren Texten
Kählers in: Ders., Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus.
Neu hg. v. E. Wolf [TB 2], München ²1956); E. Käsemann, Das Problem des historischen
Jesus, in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen ²1960, 187–214; Ders.,
Sackgassen im Streit um den historischen Jesus, in: Ders., Exegetische Versuche und Be-
sinnungen II, Göttingen 1964, 31–68; R. Kereszty, The Pre-Existence and Oneness of Christ,
AEcR 167 (1973) 630–642; W. Kreck, Der historische Jesus und die Wirklichkeit Jesu Christi,
KidZ 18 (1963) 184–191; Ders., Die Frage nach dem historischen Jesus als dogmatisches Pro-
blem, in: Ders., Tradition und Verantwortung. Gesammelte Aufsätze, Neukirchen-Vluyn 1974,
78–98; W. Mostert, Bemerkungen zum Verständnis der altkirchlichen Christologie, ZThK
230 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

Der Ausdruck „der historische Jesus“ wird in der Forschung ganz überwie-
gend als ein Synonym zu den Begriffen „der irdische Jesus“ und „der vor-
österliche Jesus“ verwendet, und er meint dann wie diese den Menschen Jesus
von Nazareth in seiner irdisch-geschichtlichen Existenz. Demgegenüber scheint
es mir um der begrifflichen und sachlichen Klarheit willen geboten zu sein, zwi-
schen den Termini „irdischer Jesus“ bzw. „vorösterlicher Jesus“ einerseits und
„historischer Jesus“ andererseits präzise zu unterscheiden. Ich wähle deshalb für
meine Ausführungen die folgende Terminologie: Mit den Begriffen „der irdische
Jesus“ bzw. „der vorösterliche Jesus“ bezeichne ich den irdisch-geschichtlichen
Menschen Jesus von Nazareth, und dieser ist ebenfalls gemeint, wenn ich von
„Jesus“ oder von „Jesus von Nazareth“ spreche. Unter dem „historischen Jesus“
verstehe ich den irdisch-geschichtlichen Menschen Jesus von Nazareth, wie ihn
historische Forschung mittels der historisch-kritischen Methode zu rekonstru-
ieren sucht und rekonstruiert. Außerdem verwende ich noch den Terminus „der
apostolisch bezeugte Jesus“ und benenne mit ihm den irdisch-geschichtlichen
Jesus, wie er im Zeugnis der Apostel und von daher im Neuen Testament aus der
Perspektive des nachösterlichen Christusglaubens beschrieben wird.
Aus dem soeben Gesagten ergibt sich, daß die Frage nach dem „historischen
Jesus“ keineswegs einfach mit der Frage nach dem irdisch-geschichtlichen Jesus
von Nazareth identisch ist. Sie ist vielmehr eine spezielle, nämlich durch die
Wahl der historischen Perspektive bestimmte Gestalt dieser Frage. Eine weitere
Kennzeichnung kommt hinzu: Die Frage nach dem „historischen Jesus“ ist nicht
bloß die Frage nach dem, was man im einzelnen aufgrund historischer For-
schung über Jesus von Nazareth wissen kann, sondern sie ist das Bemühen um
ein durch solche Forschung zu gewinnendes Gesamtbild. Das heißt: Es geht bei
jener Frage darum, mit den Mitteln der historischen Wissenschaft den wirklichen
Menschen Jesus von Nazareth zu Gesicht zu bekommen und herauszufinden,
wer er in Wahrheit war.2 Die entsprechende Forschungsarbeit geschieht unter
der Prämisse, daß der Mensch Jesus von Nazareth in seiner geschichtlichen
Wirklichkeit durch die historisch-kritische Methode zu erkennen ist, ja daß

102 (2005) 73–92; D. Schellong, „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?“ Rück-
fragen zur Suche nach dem „historischen Jesus“, in: Einwürfe 6 (1990) 2–47; W. Schmithals,
Jesus Christus in der Verkündigung der Kirche. Aktuelle Beiträge zum notwendigen Streit um
Jesus, Neukirchen-Vluyn 1972, bes. 60–79.80–90. In Ergänzung zu den aufgelisteten Autoren
ist außerdem mit kräftiger Unterstreichung H. J.  Iwand zu nennen, der sich in seinen Arbeiten
vielfältig zur Problematik der Frage nach dem „historischen Jesus“ geäußert hat und dem ich
in meiner Sicht wesentlich verpflichtet bin; s. dazu O. Hofius, Die Bedeutung Hans Joachim
Iwands für die Exegese des Neuen Testaments, in: Ders., Exegetische Studien (WUNT 223),
Tübingen 2008 (= Studienausgabe 2011), 282–296, bes. 290–293. – Für manche klärenden Ge-
spräche über die im Folgenden erörterte Problematik danke ich den Freunden Martin Bauspieß
und Hans-Christian Kammler.
2
 Jüngel, Paulus und Jesus (s. Anm. 1), 83 formuliert präzise: „Es geht um das geschicht-
liche Phänomen Jesus von Nazareth, um Jesus Selbst, wie er war.“
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem 231

er als ein historisches Phänomen nur durch sie erkannt werden kann.3 Die in
diesem Sinn unternommenen Rekonstruktionsversuche sind dabei weithin von
dem Interesse geleitet, das Verhältnis zwischen dem irdischen Jesus und dem
neutestamentlichen Christuszeugnis zu bestimmen. Das kann unter dem Vor-
zeichen einer kritischen Distanzierung von diesem Zeugnis geschehen, ebenso
aber auch in der Absicht, einen inneren sachlichen Konnex zwischen ihm und
Jesus selbst nachzuweisen.

II

Der Frage nach dem „historischen Jesus“, wie sie soeben knapp charakteri-
siert wurde, haben sich seit dem Ende der Leben-Jesu-Forschung nicht wenige
Neutestamentler mit großer Intensität gewidmet. Dabei sind unterschiedliche
Konzeptionen entwickelt worden, die sich unter anderem hinsichtlich der für
die Rekonstruktion maßgeblichen Kriterien wie auch hinsichtlich des heraus-
gearbeiteten Jesusbildes deutlich voneinander abheben.4 Im Blick auf alle diese
Konzeptionen ist nach meiner Überzeugung zu urteilen, daß die Frage nach dem
„historischen Jesus“ ein nicht geringes theologisches Problem darstellt. Seiner
Erörterung sei eine knappe Skizze der historischen Probleme vorausgeschickt,
weil auch diese für die theologische Urteilsbildung von einiger Relevanz sind.
Das entscheidende historische Problem liegt darin, daß der Versuch, auf dem
Weg historisch-kritischer Forschung zu ermitteln, wer Jesus von Nazareth wirk-
lich war, bereits angesichts der Quellenlage auf unüberwindliche Schwierigkei-
ten stößt. Als Quellen kommen nach meinem Urteil ausschließlich die Schriften
des Neuen Testaments und hier insbesondere – bei eindeutiger Präponderanz der
Synoptiker – die vier Evangelien in Frage, wozu ich sogleich anmerken muß,
daß ich die schriftliche Spruchquelle Q nicht als ein gesondert zu würdigendes
Dokument anzuerkennen vermag, weil ich von ihrer Existenz nicht überzeugt
bin.5 Die apokryphen „Evangelienüberlieferungen“ mit Einschluß des Thomas-
3
 Vgl. Jüngel, ebd.
4
 Einen knappen Überblick über profilierte Positionen bis hin zu neueren geschichtsherme-
neutisch orientierten Entwürfen bietet Chr. Landmesser, Der gegenwärtige Jesus. Moderne
Jesusbilder und die Christologie des Neuen Testaments, KuD 56 (2010) 96–120. Zur Position
R. Bultmanns, die in der Literatur nicht immer präzise beschrieben wird, verweise ich auf den
gewichtigen Aufsatz von M. Bauspiess, No quest for the historical Jesus? Leistungen und
Grenzen der Sicht Rudolf Bultmanns für die historische und theologische Frage nach Jesus, in:
U. H. J. Körtner u. a. (Hg.), Bultmann und Luther. Lutherrezeption in Exegese und Hermeneutik
Rudolf Bultmanns, Hannover 2010, 123–154.
5 Anders – und repräsentativ für viele Exegeten – Chr. Heil, nach dessen Urteil Q „zu den

wichtigsten Quellen für die Rückfrage nach Jesus“ zählt: P. Hoffmann / ​Chr. Heil, Die
Spruchquelle Q. Studienausgabe. Griechisch und Deutsch, Darmstadt bzw. Leuven 2002, 26. –
Die Existenz der Spruchquelle Q gilt weithin so sehr als über jeden Zweifel erhaben, daß sie
nicht nur rekonstruiert (s. etwa die soeben genannte Ausgabe), sondern mit dem Sigel Q als
232 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

evangeliums sind m. E. für die historische Frage unergiebig, und die außerchrist-
lichen Zeugnisse der Antike beruhen ausnahmslos auf christlichen Äußerungen
über Jesus, so daß sie keinen eigenen Quellenwert haben. Was nun die neutesta-
mentlichen Schriften anlangt, so gibt es durchaus gute Gründe, für bestimmte
in den Evangelien überlieferte Jesusworte die Authentizität und für bestimmte
in ihnen enthaltene Berichte über Jesus die Historizität anzunehmen. Die dabei
zu gewinnenden Ergebnisse liefern jedoch keine hinreichende Basis für das
Bemühen, von der in den Evangelien gebotenen Darstellung in detaillierter Form
oder auch nur in Grundzügen das angeblich „wahre“, d. h. historisch zutreffende
Bild des irdischen Jesus abzuheben. Denn was immer und wieviel immer die
historisch-kritische Arbeit über Jesus erkennen lassen mag – es sind und bleiben
doch Bruchstücke, und Bruchstücke aus der Geschichte, dem Wirken und dem
Reden eines Menschen erlauben kein begründetes Urteil über seine Person und
sein Selbstverständnis.
Der genannte Sachverhalt läßt sich an dem verbreiteten Versuch verdeutli-
chen, die Frage nach dem „historischen Jesus“ als Frage nach der Verkündigung
Jesu zu stellen und dazu die „als authentisch anzuerkennenden Worte Jesu“ zu
ermitteln.6 Die Problematik dieses Verfahrens zeigt sich bereits darin, daß die
Urteile über die angemessenen Echtheitskriterien in der Forschung weit di-
vergieren und die Entscheidung in dieser Sache immer auch von subjektiven
Voraussetzungen bestimmt ist. Sodann will bedacht sein, daß jeder Versuch,
die als authentisch anzuerkennenden Jesusworte zu ermitteln, in der Gefahr
steht, möglicherweise unverzichtbar Authentisches auszublenden und damit,
weil wesentliche Daten übersehen oder vernachlässigt werden, zu einer unzurei-
chenden oder sogar falschen Einordnung und Interpretation des als authentisch
angesehenen Materials zu gelangen. Periphäres wird unter Umständen für zen-
tral gehalten, während das wirklich Zentrale überhaupt nicht oder lediglich als
ein Randphänomen in den Blick kommt.7 Das Urteil etwa über die Authentizität
ein eigenständiges Werk zitiert und neuerdings sogar in Kommentarreihen neben den neutesta-
mentlichen Schriften der gesonderten Auslegung gewürdigt wird. Gleichwohl bleibt es dabei,
daß ihre Existenz lediglich eine Hypothese ist – ob eine gut begründete, darüber kann man
durchaus streiten. Die kritischen Einwände, die J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie I:
Die Verkündigung Jesu, Gütersloh ⁴1988, 47 f. vorgetragen hat, sind längst nicht entkräftet.
Doch selbst wenn die Spruchquelle in ihrer rekonstruierten Gestalt tatsächlich existiert hätte,
ergäben sich im Blick auf sie die gleichen historischen Probleme, wie sie hinsichtlich der syn-
optischen Evangelien zu notieren sind.
6
 Die zitierte Formulierung findet sich bei Jüngel, Paulus und Jesus (s. Anm. 1), 81.84;
vgl. ebd., 85: „das kritisch gesicherte Minimum an Jesusworten, dessen Authentie nicht gut
bezweifelt werden kann“.
7 Zur Verdeutlichung: Jüngel, ebd., 86 Anm. 6 beschränkt sich  – der damit gegebenen

methodischen Problematik durchaus bewußt (s. ebd. Anm. 8) – „im Wesentlichen“ auf das von
R. Bultmann (Die Geschichte der synoptischen Tradition [FRLANT 29], Göttingen ³1957) „als
für wahrscheinlich echt anerkannte“ Überlieferungsgut. Sollte in den Evangelien im Sinne der
Forschungen meines Lehrers Joachim Jeremias entschieden mehr „echtes“ Überlieferungsgut
vorhanden sein, so ändert sich das Gesamtbild nicht unerheblich.
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem 233

des Lösegeld-Wortes Mk 10,45 ist von ganz erheblicher Konsequenz für die
Frage nach dem Selbstverständnis Jesu, und es ist ebenso von einigem Gewicht
für die Entscheidung, ob die vielfach für unanfechtbar erachtete These, daß
erst im nachösterlichen Kerygma „aus dem Verkündiger […] der Verkündigte
geworden“ sei,8 wirklich haltbar ist.9 Zwei weitere Probleme will ich nur eben
andeuten. Zum einen: Worte, die mit höchst möglicher Wahrscheinlichkeit als
authentisch gelten können, sind dann entweder unverständlich oder zumindest
mehrdeutig, wenn man ihren historischen Kontext nicht kennt, wenn man also
nicht weiß, warum und wo, zu wem und in welcher Situation sie gesprochen
wurden. Über Mutmaßungen kommt die Forschung in diesem Fall nicht hinaus.
Zum andern: Kein Mensch – und folglich auch der Mensch Jesus von Nazareth
nicht – ist ausschließlich in seinen Worten zu erfassen. Das gilt erst recht und
verschärft, wenn nur eine zufällig erhaltene oder eine vom Exegeten allererst
durch kritische Arbeit geschaffene Auswahl von Worten die Grundlage der Re-
konstruktion bildet.
Ich breche die Problemanzeige ab und halte fest, daß für keine denkbare Ge-
stalt des „historischen Jesus“ mit hinreichenden Gründen der Anspruch erhoben
werden kann, daß mit ihr der irdische Jesus in seiner Wirklichkeit erfaßt sei. Jede
Rekonstruktion ist hier vielmehr in Wahrheit eine freihändige Konstruktion, die
einer tragfähigen Quellenbasis entbehrt und auf der Wahl von Kriterien beruht,
deren Angemessenheit keineswegs über jeden Zweifel erhaben ist.10

III

Wenden wir uns nunmehr der theologischen Problematik der Frage nach dem
„historischen Jesus“ zu, so ist diese damit gegeben, daß die Quellen, die der
Rückfrage als Grundlage dienen, von Jesus durchweg aus der Perspektive des
Christusglaubens sprechen und ihn damit als eine Person beschreiben, deren
adäquate Wahrnehmung durch die historisch-kritische Forschung a priori zu
bestreiten ist. Dieses Urteil soll jetzt erläutert werden, indem ich zunächst in
strenger Konzentration auf das Wesentliche das neutestamentliche Christuszeug-

 8
 R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen ⁴1961, 35.
 9
 S. etwa das Urteil von Jeremias, Neutestamentliche Theologie I (s. Anm. 5), 243: „Es ist
[…] nicht möglich, die Verkündigung Jesu auf die Ankündigung der Basileia zu beschränken.
Wußte er sich selbst als der Heilbringer, so heißt das, daß das Selbstzeugnis Bestandteil der von
ihm verkündigten Frohbotschaft war.“
10 Für den „historischen Jesus“ gilt mutatis mutandis, was F. Rosenzweig, Atheistische

Theologie, in: Ders., Kleinere Schriften, Berlin 1937, 278–290: 278 im Blick auf die im 18. Jahr-
hundert zu verzeichnenden Versuche, „das menschliche Leben Jesu als das Leben des großen
Lehrers und das Christentum als die Lehre dieses Lehrers darzustellen“, bemerkt hat: „Dar-
stellen hieß herstellen.“
234 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

nis kennzeichne und dem dann die der historischen Forschung allein mögliche
Wahrnehmung Jesu gegenüberstelle.
Für das neutestamentliche Christuszeugnis ist der Gedanke wesentlich, daß
das Persongeheimnis des irdischen Jesus – d. h. sein wahres Sein – dem mensch-
lichen Erkenntnisvermögen schlechterdings entzogen ist und ausschließlich auf-
grund göttlicher Offenbarung erkannt werden kann. Paulus legt das eingehend
in den theologisch höchst gewichtigen Ausführungen von 1 Kor 2,6–16 dar, und
er weist an anderen Stellen seiner Briefe darauf hin, daß die Christus-Offenba-
rung in grundlegender Weise den Aposteln Jesu Christi durch die Begegnung
mit dem auferstandenen Kyrios zuteil geworden ist11 und sich von daher dann
immer neu da ereignet, wo das den Aposteln anvertraute Evangelium verkündigt
wird, das Jesu Person und Werk zum Inhalt hat.12 Der Sicht des Paulus läßt
sich diejenige der vier Evangelisten an die Seite stellen, der zufolge Jesu Per-
songeheimnis nicht nur den Zeitgenossen,13 sondern gerade auch den Jüngern
vor Ostern verborgen war und erst den zu Aposteln berufenen Jüngern durch
die Selbsterschließung des auferstandenen Herrn bzw. durch das offenbarende
Wirken Gottes enthüllt worden ist.14 Paulus und die Evangelisten bringen mit
11 S. dazu 1 Kor 15,1–11 sowie ferner die paulinischen Selbstzeugnisse Gal 1,11 f.15 f.; 2 Kor

4,6; Phil 3,7–11.


12 In 2 Kor 4,6 beschreibt Paulus die ihm selbst vor Damaskus geschenkte und durch seine

Verkündigung dann auch anderen gewährte Erkenntnis des gekreuzigten Jesus als ein Wunder,
das nicht geringer ist als das in Gen 1,3 bezeugte Wunder der Erschaffung des Lichtes am ersten
Schöpfungstag: „Gott, der da sprach: ‚Aus der Finsternis leuchte das Licht hervor!‘, – der hat
es in unseren Herzen Licht werden lassen, so daß leuchtend aufging die Erkenntnis der Herr-
lichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi.“ Zur Begründung der Übersetzung sowie zur
Exegese des Satzes s. O. Hofius, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: Ders., Paulusstudien
(WUNT 51), Tübingen ²1994, 148–174: 161–163.
13 Das wird durch Texte wie die folgenden signalisiert: Mk 6,1–6 par. Mt 13,53–58; Mk 6,14–

16 parr.; Mk 8,27 f. parr.; Lk 4,22 (nicht als positive Reaktion zu deuten!); Joh 6,42; 7,27.40–43.
14 Nach Markus ist, wie etwa durch Mk 9,9 f.; 16,6 f. angezeigt wird, das vorösterliche Un-

verständnis der Jünger (6,52; 8,17 f. u. ö.) erst durch die Begegnung mit dem Auferstandenen
überwunden worden, und darin zeigt sich, daß Jesus und die Geschichte Jesu grundsätzlich
allein im Licht seines Todes und seiner Auferstehung erkannt werden können. – Für Lukas sind
die Jünger Jesu nicht schon dadurch zu seinen „Zeugen“ geworden, daß sie vor Ostern seine
Begleiter waren, sondern allererst dadurch, daß sie „Zeugen seiner Auferstehung“ (Apg 1,22b)
wurden, indem der Auferstandene ihnen erschien, mit ihnen redete, ihnen sich selbst und seine
Predigt von der Gottesherrschaft erschloß und sie so vom Unverständnis zur wahren Erkennt-
nis seiner selbst führte (s. neben Lk 24 besonders Apg 1,1–8.21 f.; 2,32; 3,15; 10,39–41; 13,30 f.;
zum vorösterlichen Unverständnis s. Lk 9,45; 18,34). – Für das Johannesevangelium ist der
Gedanke bestimmend, daß den Jüngern Jesu erst durch die Begegnung mit dem Auferstandenen
das ihnen zuvor verborgene Persongeheimnis Jesu erschlossen wird und daß dann denen, die
ihr Zeugnis vernehmen, die gleiche Erkenntnis durch den Geistparakleten zuteil wird, den der
Auferstandene in der Einheit mit dem Vater sendet (s. dazu im einzelnen H.-Chr. Kammler,
Jesus Christus und der Geistparaklet, in: O. Hofius / ​H.-Chr. Kammler, Johannesstudien.
Untersuchungen zur Theologie des vierten Evangeliums [WUNT 88], Tübingen 1996, 87–190,
bes. 106–108.109–112.118 f.122–124.137–140.182 f.). – Matthäus läßt zwar auf der Erzählebene
seines Evangeliums den Jünger Petrus schon vor Ostern das ihm von Gott geoffenbarte wahre
Bekenntnis sprechen, daß Jesus „der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ ist (Mt 16,16);
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem 235

den angedeuteten Aussagen auf unterschiedliche Weise zur Sprache, daß die
Antwort auf die Frage nach Person und Werk des irdischen Jesus nirgends anders
als in dem Christuszeugnis der Apostel Jesu Christi zu finden ist, das sich der
Erkenntnis und Glauben wirkenden Selbstoffenbarung des auferstandenen Herrn
verdankt. Unverkennbar wird damit der Anspruch erhoben, daß das, was die apo-
stolischen Zeugen über Jesus sagen, nicht das Ergebnis menschlichen Denkens
und Deutens, sondern geoffenbarte göttliche Wahrheit ist.
Das apostolische Christuszeugnis bildet die Grundlage dessen, was die Schrif-
ten des Neuen Testaments und hier insbesondere auch die vier Evangelien über
Jesus sagen. Bei den Evangelien handelt es sich weder um Biographien noch
auch um eine bestimmte Form von Geschichtsschreibung, sondern um narratives
Christuszeugnis und somit um eine völlig neue und analogielose literarische
Gattung.15 Ihr Thema ist der irdische Jesus, wie er als der auferstandene Ge-
der nachösterliche Charakter der Erzählung Mt 16,13–20 ist jedoch unübersehbar, so daß deut-
lich wird: Der Evangelist behauptet nicht eine bereits vorösterliche Erkenntnis des Person-
geheimnisses Jesu, sondern er betont, daß einzig das dem Auferstehungszeugen Petrus von Gott
in den Mund gelegte Bekenntnis die Wahrheit über den irdischen Jesus zum Ausdruck bringt.
Daß Mt 16,16 ebensowenig wie Joh 6,69 (oder z. B. auch Joh 11,27) historisierend auf eine vor-
österliche Erkenntnis Jesu gedeutet sein will, zeigt sich darin, daß auf der Erzählebene bereits
zeitlich früher, nämlich in Mt 14,33 das wahre Bekenntnis aus dem Mund aller Jünger laut wird.
Beide Texte, Mt 14,33 wie Mt 16,16, sind im Licht von Mt 28,7.10 zu lesen. – Zur Frage einer
bereits vorösterlichen Erkenntnis Jesu vgl. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der
geschichtliche, biblische Christus. Neudruck (s. Anm. 1), 42–44. Der durch historisch-kriti-
sche Exegese erhobene Befund entzieht dem berühmten Urteil Schleiermachers in § 99 seiner
Glaubenslehre den Boden: „Die Jünger erkannten in ihm (sc. in Christus) den Sohn Gottes,
ohne etwas von seiner Auferstehung und Himmelfahrt zu ahnden“ (F. Schleiermacher, Der
christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dar-
gestellt. Zweite umgearbeitete Ausgabe (1830/31), 7. Auflage hg. v. M. Redeker, Berlin 1960, II
82). H. J. Iwand, Predigt-Meditationen, Göttingen 1963, 497 Anm. 1 bemerkt zu Recht, daß in
den „geradezu programmatischen“ Sätzen des § 99 „der wirkliche dogmatische Hintergrund der
Historisierung des Lebens Jesu aufgedeckt“ ist.
15 Die Evangelien unterscheiden sich wesentlich von einer Biographie, denn sie beschreiben

nicht einen Menschen nach seinem individuellen Charakter, Ethos, Verhalten und Geschick,
nicht eine Persönlichkeit in ihrer unverwechselbaren menschlichen Originalität und Einmalig-
keit, Eindrücklichkeit und Vorbildlichkeit. Sie handeln vielmehr von einem Menschen, der in
seiner Person und in seinem Werk, mit seinem Weg und mit seinem Geschick schlechthin alle
anderen Menschen angeht und für sie alle heilsentscheidend ist. Die Evangelisten reden des-
halb von diesem Menschen als solche, die an ihn glauben, wie man nur an Gott glauben kann,
und sie schildern ihn selbst und seine Geschichte als die Erfüllung alttestamentlicher Heils-
verheißungen. – Die Evangelien unterscheiden sich auch wesentlich von einer Geschichtsdar-
stellung, die eine Person der Vergangenheit zu vergegenwärtigen sucht. Sie schildern ja einen
Menschen, der als der auferstandene und lebendige Herr geglaubt und dessen Geschichte als
eine solche begriffen wird, die für alle Menschen aller Zeiten und Orte geschehen ist und in der
deshalb ein jeder Leser bereits von Haus aus vorkommt, so daß für ihn in einem einzigartigen
Sinn gilt: tua res agitur. G. Bornkamm, Geschichte und Glaube im Neuen Testament. Ein
Beitrag zur Frage der „historischen“ Begründung theologischer Aussagen, in: Ders., Geschichte
und Glaube I. Gesammelte Aufsätze Band III (BEvTh 48), München 1968, 9–24: 18 formuliert
treffend: Das Entscheidende in der Darstellungsweise der Evangelien ist „die Erkenntnis, daß
Jesu Geschichte sich gerade nicht in ein isolierbares Damals und Dort einschließen läßt, wie
236 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

kreuzigte im Licht seiner österlichen Selbsterschließung offenbar ist, und für


ihre Darstellung ist die Gewißheit ausschlaggebend, daß sowohl Jesu Person
wie auch seine irdische Geschichte und seine vorösterliche Verkündigung erst
im Licht dieser Selbsterschließung angemessen verstanden werden. Diese Ge-
wißheit bildet den Grund dafür, daß in den Evangelien der nicht nur auf Er-
innerung, sondern auch auf mündlichen Traditionen beruhende Rückblick auf
die Geschichte und Verkündigung des irdischen Jesus und der durch den Auf-
erstandenen gewährte Einblick in sein Persongeheimnis aufs engste miteinander
verwoben sind. Der Jesus der Evangelien ist der von den Aposteln bezeugte
Christus, und das will bei der Exegese aller in ihnen berichteten Ereignisse und
aller in ihnen mitgeteilten Worte beachtet sein. Das bedeutet: Jede Erzählung
und jedes Wort ist im Licht des Todes und der Auferstehung Jesu zu lesen und
zu bedenken – und also unter dem hermeneutischen Vorzeichen zu interpretie-
ren, daß der Handelnde und Redende der irdische Jesus als der ist, der seinem
Kreuzestod und seiner Auferstehung entgegengeht.
Das Christuszeugnis begegnet im Neuen Testament ohne Frage in recht
unterschiedlicher Gestalt. Titulaturen und Vorstellungen differenter traditions-
geschichtlicher Herkunft sowie besondere Akzentsetzungen und spezifische
Ausprägungen in der theologischen Aussage sind unübersehbar, und hinsichtlich
der Evangelien lassen sich Widersprüche in geographischen, chronologischen
und erzählerischen Details ebensowenig bestreiten wie etwa der ganz erhebliche
Unterschied zwischen den synoptischen Evangelien und dem Johannesevangeli-
um. All dies berührt jedoch nicht das grundlegende Zeugnis von Jesu Person und
Werk. Die Vielfalt miteinander konkurrierender und in manchen Zügen sogar
miteinander unvereinbarer Jesusbilder, die angeblich bereits im Neuen Testa-
ment zu verzeichnen ist, halte ich ebenso für ein exegetisches Phantom wie die
Vielfalt der Deutungen des Todes Jesu, die dort zu finden sein soll. In Wahrheit
gibt es einen den Schriften des Neuen Testaments gemeinsamen Cantus firmus –
nämlich das Zeugnis von der absoluten Analogielosigkeit Jesu Christi und damit
auch des irdischen Jesus. Drei mit diesem Zeugnis verbundene Grundaussagen,
denen später drei Charakteristika des „historischen Jesus“ gegenübergestellt
werden sollen, möchte ich beschreiben.

es notwendigerweise jede Historiographie tun muß“. „Auch wenn die Evangelien im Tempus
der Vergangenheit erzählen, ist diese Zeit für die Evangelien gerade nicht vergangen, sondern
gegenwärtig mächtig, Einbruch des Eschaton, Epiphanie Gottes und also eine Geschichte, die
die Grenzen von Einst und Jetzt durchbricht. Für den Historiker bleibt diese Grenze grund-
sätzlich immer geschlossen, auch wenn er die Nachwirkung einer Vergangenheit für Gegenwart
und Zukunft erkennt. Völlig anders ist dagegen für die Evangelien das Einst der Geschichte Jesu
nach der Gegenwart und Zukunft hin geöffnet.“ Die Evangelisten erzählen so, „daß die später
Hörenden in die Geschichte Jesu von vorneherein mit einbezogen werden“. – Die nicht mit
überzeugenden Argumenten zu bezweifelnde Analogielosigkeit der Evangelien korrespondiert
der sogleich zu bedenkenden Analogielosigkeit Jesu.
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem 237

1. Die Analogielosigkeit Jesu betrifft dem neutestamentlichen Christuszeug-


nis zufolge zunächst und zuerst seine Person. Sie liegt darin, daß der Mensch
Jesus von Nazareth, dessen echte, volle und individuelle Menschlichkeit nicht
geleugnet, sondern im Gegenteil vorausgesetzt wird, gleichwohl kein purus
homo  – kein bloßer Mensch  – ist.16 Er ist vielmehr darin von allen anderen
Menschen qualitativ unterschieden, daß er seinem Ursprung und Wesen nach auf
die Seite Gottes gehört, Gott in ihm in einzigartiger Weise gegenwärtig ist und in
ihm – und nur in ihm – das ewige Heil eines jeden Menschen beschlossen liegt.17
Die Zeugen sehen in Jesus „die einmalige Epiphanie Gottes“ und „die praesentia
Dei in Person“ – die rettende Gegenwart Gottes unter den vor ihm verlorenen
Menschen.18 Daß in dem Menschen Jesus von Nazareth Gott selbst erscheint,
redet und handelt, das bringt der Hoheitstitel „Sohn Gottes“ zum Ausdruck,
kommt aber auch in ganz unterschiedlichen Prädikationen zur Sprache, von
denen ich, um die Bandbreite der Zeugnisse zu dokumentieren, die folgenden
in Erinnerung rufe: Jesus ist der „Immanuel“, der „sein Volk von ihren Sünden
erretten wird“ (Mt 1,20b–23); der Gottessohn, in dessen Kommen sich das von
den Propheten Israels angekündigte Kommen Gottes zur Aufrichtung seiner
Königsherrschaft ereignet (Mk 1,2 f. [vgl. Jes 40,1–11 / ​Mal 3,1]; 7,37 [vgl. Jes
35,4–6]); das „Heil Gottes“ in Person für Israel und die Völkerwelt (Lk 2,30;
3,6); der menschgewordene göttliche Logos, in dem die Glaubenden die „Gnade
und Wahrheit“ Gottes selbst schauen (Joh 1,1.14); „der Herr der Herrlichkeit“
(1 Kor 2,8) und als dieser Gottes rettende Macht und Weisheit (1 Kor 1,18–2,16)19;
das vollkommene „Ebenbild“ Gottes, in dem Gott selbst in seiner ganzen Fülle
realiter gegenwärtig ist (Kol 1,15.19; 2,9); „der Abglanz der Herrlichkeit Gottes
und die Ausprägung seines Wesens“ (Hebr 1,3a); die Epiphanie der „Güte und
Menschenfreundlichkeit Gottes“ (Tit 3,4; vgl. 2 Tim 1,9 f.); „der wahre Gott und

16 Der lateinische Ausdruck purus homo, der dem griechischen ψιλὸς ἄνθρωπος (z. B. Ori-

genes, Fragmenta in Joannem, Frgm. 33 [GCS 10, 508.23 f.]; Athanasius, Contra Arianos II
15 f. [PG 26, 177 B. 180 C]) entspricht, begegnet häufig in den Schriften Martin Luthers. So
heißt es in den Wochenpredigten über Joh 16–20 (1528/29) zu Joh 17,2: „Johannes solet mit
einfuren divinitatem Christi: sic agit de isto homine, das man greiffen kan, quod non sit purus
homo“ (WA 28, 89,7 f. [im deutschen Text ebd., 27–29: „diese wort […] leiden nicht, das er ein
lauter mensch sey“]). Weitere Belege: WA 3, 196,33. 319,23; 4, 27,21.27; 5, 614,9; 15, 465,33;
17 I, 72,13.32; 20, 326,17.20. 327,2. 355,5; 37, 573,24. Luther übernimmt den Ausdruck aus der
älteren theologischen Literatur, zu der ich mir Belege bei Augustin, Anselm von Canterbury,
Bonaventura, Thomas von Aquin und Riccoldus Florentinus notiert habe.
17
 S. dazu die gewichtigen Ausführungen bei Barth, KD IV/1, 174–178.
18 J. Schniewind, Antwort an Rudolf Bultmann. Thesen zum Problem der Entmythologi-

sierung, in: H.-W. Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos. Ein theologisches Gespräch (ThF 1),
Hamburg-Bergstedt ⁴1960, 77–121: 108 (vgl. 80 f.); Ders., Das Evangelium nach Matthäus
(NTD 2), Göttingen ⁸1956, 15 f.27.188; Iwand, Predigt-Meditationen (s. Anm. 14), 472.567.645.
19
 Der Ausdruck ὁ κύριος τῆς δόξης 1 Kor 2,8 ist eine Gottesprädikation; s. grHen 22,14;
27,3.5; äthHen 22,14; 25,3.7; 27,3.5; 36,4; 40,3; 63,2; 75,3; 83,8; koptApkEl 19,11.
238 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

als solcher der Spender des ewigen Lebens“ (1 Joh 5,20b)20. Daneben sei nur
noch darauf hingewiesen, daß nach der synoptischen Verklärungsgeschichte (Mk
9,2–8 parr.) und dem Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,14) Jesus als dem
Sohn Gottes die göttliche δόξα eignet und daß dem Logion Mt 11,27 par. Lk 10,22
sowie dem Wort Joh 1,18 zufolge niemand außer ihm, dem Sohn des Vaters, den
verborgenen Gott zu offenbaren vermag.21 Alle genannten Zeugnisse beziehen
sich nicht nur auf den erhöhten Christus, sondern auf den gekreuzigten und auf-
erweckten Herrn und mithin auch auf den irdischen Jesus, dessen wahres Sein
durch das Ostergeschehen offenbar geworden ist. Und alles, was die Zeugnisse
sagen, ist genau so gemeint, wie es gesagt ist. Das heißt: Die unterschiedlichen
Aussagen, die Jesus als die praesentia Dei in Person prädizieren, sind Seins-
Aussagen und nicht bloß Formulierungen, die seine einzigartige Beziehung zu
Gott oder seine besondere Funktion im Dienst Gottes zum Ausdruck bringen
sollen. Wo sie so verstanden werden, da ist dies eine moderne Umdeutung, die
in gar keiner Weise plausibel gemacht werden kann. Hätten die neutestamentli-
chen Autoren nämlich nur eine besondere Relation oder Funktion beschreiben
wollen, so hätte es für sie durchaus sprachliche Möglichkeiten gegeben, das in
unmißverständlicher Weise zu tun. Warum sie sich statt dessen einer Redeweise
bedient hätten, mit der sie in ihrer jüdischen Umwelt zwangsläufig den Vorwurf
der Blasphemie provozieren mußten,22 bleibt gänzlich unerfindlich. Daß es
sich bei den „hohen“ Aussagen über Jesu Person keineswegs um uneigentliche
Rede handelt, das zeigt sich aber vor allem daran, daß sie das Fundament
dessen bilden, was im Neuen Testament über Jesu Geschichte und Werk gesagt
wird.23 Denn was hier gesagt wird, das kann nicht von einem bloßen Menschen

20
 Zu den Worten οὗτός ἐστιν ὁ ἀληθινὸς θεὸς καὶ ζωὴ αἰώνιος 1 Joh 5,20b ist sprachlich an-
zumerken, daß ζωὴ αἰώνιος durch die artikellose Anfügung als ein explizierendes Prädikat zu
ὁ ἀληθινὸς θεός ausgewiesen wird. Die Metonymie ζωὴ αἰώνιος (= „der Spender des ewigen
Lebens“), zu der Joh 11,25a zu vergleichen ist, bringt zum Ausdruck, daß Jesus nicht der Vermitt-
ler des ewigen Lebens ist, sondern daß dieses einzig „in ihm“ (V. 20aβ), d. h. in der Bindung an
seine Person empfangen wird. Daß der Satz V. 20b sich nur auf den in V. 20a erwähnten υἱὸς
τοῦ θεοῦ Jesus Christus beziehen kann, begründet ausführlich H.-Chr. Kammler, Christo­
logie und Eschatologie. Joh 5,17–30 als Schlüsseltext johanneischer Theologie (WUNT 126),
Tübingen 2000, 78 f.
21
 Des weiteren wären jene Texte zu beachten, die von Jesus sagen, was im Alten Testament
einzig und allein von dem Gott Israels gesagt wird. S. dazu etwa Mt 1,21b (Ps 130,8); Mt 8,8b
par. Lk 7,7b (Ps 107,20); Mk 1,40–42 parr. (2 Kön 5,7); Mk 4,35–41 parr. / ​Mk 6,45–52 par. Mt
14,22–33 (Ps 65,8; 89,10; Hi 9,8); Mk 13,31 parr. (Jes 40,8b); Lk 5,8b (Jes 6,5); Apg 4,12 (Jes
43,11; 45,21 f.; Hos 13,4).
22 S. dazu Joh 5,18; 10,33.36; 19,7. Diese Stellen spiegeln den Blasphemievorwurf wider,

der von seiten der Synagogengemeinde gegenüber dem Christuszeugnis der johanneischen
Gemeinde erhoben worden ist.
23
 Das deutliche Kennzeichen dafür ist der Tatbestand, daß in allen vier Evangelien die
Darstellung der Jesusgeschichte unter dem Vorzeichen der solennen Eröffnungstexte steht,
die – von Ostern her! – sagen, wer der irdische Jesus ist. Diese Texte (Mk 1,2–13; Mt 1,1–4,16;
Lk 1,5–4,13; Joh 1,1–51) liefern den hermeneutischen Schlüssel für das angemessene Verständnis
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem 239

gesagt werden, wie tief auch seine Relation zu Gott und wie einzigartig auch
seine Funktion im Dienst Gottes gedacht sein mag. Nach der Überzeugung der
neutestamentlichen Autoren ist die Person Jesus Christus, an die sie glauben,
„Präsenz Gottes selbst und nicht einer potenzierten Menschlichkeit oder eines
mindergöttlichen Gottwesens“.24
2. Dem Tatbestand, daß Jesus analogielose Person ist, entspricht nach dem
Zeugnis des Neuen Testaments die Analogielosigkeit seiner Geschichte. Ist
nämlich Jesus in Person die rettende Epiphanie Gottes, dann kann er prinzipiell
nicht als eine persona privata – als ein für sich existierender Mensch – ange-
sehen werden und sein Leben nicht als ein solches, das er für sich selbst gelebt
hat. Seine irdisch-geschichtliche Existenz ist vielmehr göttliche Zuwendung zu
den Menschen, und deshalb hat seine Geschichte ihre einzigartige Signatur in
dem „pro nobis“ – in dem „für uns Menschen und zu unserm Heil“ des Nizä-
nischen Glaubensbekenntnisses.25 Im Zeichen dieses „pro nobis“ stehen sowohl
die Geburt Jesu wie sein Tod am Kreuz; ja, sein ganzes irdisches Leben ist dem
neutestamentlichen Zeugnis zufolge durch das „für uns“ geprägt. Dem „pro
nobis“ korrespondiert dabei das δεῖ, von dem die Leidens- und Auferstehungs-
ankündigungen der Evangelien sprechen.26 Durch das göttliche „Muß“, von
dem hier die Rede ist, wird unmißverständlich angezeigt, daß es sich bei dem
Kreuzes­tod Jesu keineswegs um ein zufälliges, sondern im Gegenteil um ein
von Gott gewolltes und daher notwendiges Geschehen handelt.27 Das aber heißt:

dessen, was dann über den Weg Jesu, über sein Wirken und über seine Verkündigung berichtet
wird. Dies alles ist also im Licht des Persongeheimnisses Jesu gesehen  – nicht umgekehrt.
Vgl. dazu die tiefgründigen Darlegungen bei Mostert, Bemerkungen zum Verständnis der
altkirchlichen Christologie (s. Anm. 1), 83–85.
24
 Mostert, ebd., 87. Die zitierte Bestimmung bezieht sich bei Mostert auf die altkirchliche
Christologie, trifft aber ebenso bereits für das neutestamentliche Christuszeugnis zu. Gleiches
gilt, wenn Mostert, ebd., 88 bemerkt: „Die Person Jesus Christus, an die wir glauben, die wir
anschauen (ἐθεασάμεθα Joh 1,14), ist Gott selbst. Anders schaut der Glaube Jesus Christus gar
nicht an.“ In dem damit benannten Sachverhalt ist es begründet, daß nach neutestamentlichem
Zeugnis die Erkenntnis Jesu nicht in der Macht des Menschen steht. Wie Gott nur erkannt
werden kann, wenn er selbst sich zu erkennen gibt, so auch der Sohn Gottes nur durch die
Offenbarung Gottes.
25
 Den unlöslichen Zusammenhang zwischen dem ὑπὲρ ἡμῶν von Gal 3,13 und der an-
gemessenen Bestimmung der Person Jesu hat M. Luther, In epistolam S. Pauli ad Galatas
Commentarius (1531 [1535]) z.St. mit Nachdruck betont: Non debemus […] fingere Christum
[…] privatam personam (WA 40 I, 447,17). – Zur Geschichte Jesu als Geschichte pro nobis
s. H. J.  Iwand, Gesetz und Evangelium (Nachgelassene Werke 4), hg. v. W. Kreck, München
1964, 80–110; Ders., Christologie (Nachgelassene Werke. Neue Folge 2), hg. v. E. Lempp / ​
E. Thaidigsmann, Gütersloh 1999, 363–377; speziell zu Paulus: G. Eichholz, Die Theologie
des Paulus im Umriß, Neukirchen-Vluyn 1972, 188–202 (auch 202–213). Großartige ältere
Texte: M. Luther, Ein klein Unterricht, was man in den Evangeliis suchen und gewarten soll
(1522) (WA 10 I 1, 8–18); Berner Synodus (1532), cap. 7 (Reformierte Bekenntnisschriften 1/1,
Neukirchen-Vluyn 2002, 526,32–527,22).
26
 Mk 8,31 par. Mt 16,21 / ​Lk 9,22; Lk 24,7 (vgl. 24,26); Joh 3,14; 12,34 (vgl. 20,9).
27
 S. dazu neben den Leidens- und Auferstehungsankündigungen der Evangelien u. a. auch
240 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

Jesus „ist Mensch geworden, um zu sterben“,28 – und dies deshalb, weil sein
von der Auferstehung nicht zu trennender Tod das Heilsgeschehen ist, in dem
den vor Gott Verlorenen die Erlösung aus Sünde und Tod gewährt und so der
heilvolle Zugang zur Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott eröffnet ist.29 Aus
der Erkenntnis, daß die Geschichte Jesu in dem „pro nobis“ ihre Signatur hat,
hat Paulus mit Grund die Folgerung gezogen, daß diese Geschichte diejenigen
einschließt, für die Jesus gestorben und auferstanden ist, daß sie also als seine
Geschichte bereits zugleich ihre Geschichte ist.30 Denkbar ist das für den Apostel
nur deshalb, weil er die Geschichte Jesu als eschatologische Gottesgeschichte
und damit als Überwindung der Todesgeschichte begreift.
3. Mit dem, was über die Analogielosigkeit Jesu und seiner Geschichte gesagt
wurde, hängt ganz unmittelbar zusammen, daß der Mensch Jesus von Nazareth
für die neutestamentlichen Zeugen keine Gestalt der Vergangenheit und seine
Geschichte für sie keine vergangene Geschichte ist. Von allen neutestamentli-
chen Autoren einschließlich der Verfasser der vier Evangelien gilt: Sprechen
sie von Jesus, so sprechen sie vom dem, der „gestern und heute derselbe“ ist
„und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8).31 Damit erklären sie nicht nur, daß Jesus wie alle
Großen der Vergangenheit geschichtliche Wirkung hat und daß seine Worte in
der Geschichte weiterleben. Sie bekennen ihn vielmehr als den auferstandenen,
zur Rechten Gottes erhöhten und lebendigen Herrn, der als dieser in seiner Ge-
meinde gegenwärtig ist, die sein Wort im gepredigten Evangelium vernimmt, ihn
als den Kyrios anruft und seine Wiederkunft erwartet.

die folgenden Texte: Mt 26,54; Mk 10,45; Lk 17,25; 22,37; 24,44; Joh 3,16; Apg 2,23; 3,18;
4,27 f.; 13,27–29; 17,2 f.; 26,22b.23; Röm 8,3; Gal 4,4 f.; Hebr 2,10–17; 9,26b; 10,5–10; 1 Joh 4,9 f.
28 Iwand, Christologie (s. Anm. 25), 294.
29
 Nirgends im Neuen Testament ist der Tod Jesu als ein lediglich von Menschen zu verant-
wortendes Geschehen verstanden, auf das Gott dann reagiert hat, indem er den Gekreuzigten
von den Toten auferweckte und damit ihn selbst, sein Wirken und seine Verkündigung ins Recht
setzte. Eine solche Sicht liegt auch nicht in dem sog. „Kontrastschema“ vor, das in Reden der
Apostelgeschichte begegnet (Apg 2,23 f.; 3,13–15; 4,10 f.; 5,30 f.; 10,39 f.; 13,27–30). Nach dem
Zeugnis der Apostelgeschichte erfolgt nicht nur die Auferweckung Jesu, sondern ebenso auch
sein Tod nach dem Plan und Willen Gottes und in Erfüllung dessen, was bereits in der Heiligen
Schrift Israels angekündigt ist (s. dazu die in Anm. 27 notierten Stellen). Daß der dem Ratschluß
Gottes entsprechende Tod Jesu göttliches Heilsgeschehen ist, kommt in Apg 20,27 f. unmiß-
verständlich zum Ausdruck.
30 Röm 6,1–14; 2 Kor 5,14–21; Gal 2,19 f. Auch 1 Kor 15,1–23 gehört hierher: Weil das Heils-

geschehen des Todes und der Auferstehung Christi (V. 3b.4) diejenigen einschließt, für die
Christus gestorben und auferstanden ist, deshalb ist seine Auferstehung der Realgrund ihrer
Auferstehung und ihre Auferstehung die notwendige Folge seiner Auferstehung (V. 12–23).
31
 Was die synoptischen Evangelien anlangt, so sagt H. J. Iwand, Glauben und Wissen
(Nachgelassene Werke 1), hg. v. H. Gollwitzer, München 1962, 279 sehr schön: Sie sind „kein
Requiem auf einen Toten“.
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem 241

IV

Dem neutestamentlichen Zeugnis von Jesus, wie es im Vorigen in Grundzügen


nachgezeichnet wurde, ist nun das Jesus-Bild gegenüberzustellen, zu dem die
streng im Rahmen historisch-kritischer Forschung erörterte Frage nach dem
„historischen Jesus“ immer nur gelangen kann. Für sie ist konstitutiv und kenn-
zeichnend, daß sie Jesus ohne das Licht von Ostern in seiner irdischen Existenz
und Geschichte zu erkennen sucht. Das ist durchaus konsequent, weil der in der
Heiligen Schrift bezeugte lebendige Gott – im Unterschied zu dem, was Men-
schen über Gott denken und sagen – kein Gegenstand historischer Forschung ist
und sein kann und der Historiker mithin die Grenzen seiner Disziplin überschrei-
ten würde, wenn er Sätze über Gottes Handeln in der Geschichte formulieren
wollte.32 Zugleich aber stellt die Ausblendung des Ostergeschehens und der mit
ihm verbundenen Offenbarung des Persongeheimnisses Jesu durch Gott selbst in
theologischer Hinsicht eine weitreichende Entscheidung dar. Mit ihr ist nämlich
ein Weg gewählt, auf dem nach dem Zeugnis des Neuen Testaments – und folg-
lich in dem Fall, daß dieses Zeugnis wahr ist – der irdische Jesus prinzipiell nicht
erkannt, sondern in seiner Wirklichkeit nur verfehlt werden kann. Das sei unter
drei Aspekten expliziert.
1. Die Frage nach dem „historischen Jesus“ rekonstruiert, wie auch immer das
dabei gewonnene Bild im einzelnen aussehen mag, allemal eine Gestalt, die in
der Einmaligkeit der geschichtlichen Existenz an ihre Zeit und ihren Ort gebun-
den ist und als solche nichts anderes ist und sein kann als ein purus homo – ein
seinem Ursprung und Wesen nach auf die Seite der Menschen gehörender und
von allen anderen Menschen qualitativ nicht unterschiedener Mensch. Damit
wird bereits im Ansatz dem neutestamentlichen Zeugnis widersprochen, und es
ist von Anfang an entschieden, daß die Frage, wer Jesus war, nur solche Ant-
worten finden kann, die im Rahmen des Menschlichen und Menschenmöglichen
bleiben. Jede hier denkbare Antwort versteht Jesus deshalb notwendig nach der
Analogie einer schon bekannten oder zumindest denkbaren Erscheinung. Das
zeigt sich etwa darin, daß er unter dem Vorzeichen der historischen Rückfrage
als Rabbi, als Prophet, als Weisheitslehrer, als charismatischer Wundertäter,
als Wanderprediger oder als endzeitlicher Gottesbote beschrieben wird. Auch
die These, daß die einzige Kategorie, die den irdischen Jesu angemessen zu
erfassen vermag, „die des Messias“ sei,33 bleibt in dem genannten Rahmen,
weil der „Messias“-Begriff im Kontext der Frage nach dem „historischen Jesus“

32 Zur Kritik an einer geschichtsphilosophischen bzw. geschichtstheologischen Sicht, nach

der die Offenbarung Gottes in Jesus Christus Gegenstand historischer Erforschung und histori-
scher Erkenntnis ist, s. H.-G. Geyer, Geschichte als theologisches Problem. Bemerkungen zu
W. Pannenbergs Geschichtstheologie, in: Ders., Andenken. Theologische Aufsätze, hg. v. H.Th.
Goebel u. a., Tübingen 2003, 39–52.
33
 Käsemann, Das Problem des historischen Jesus (s. Anm. 1), 206.
242 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

keineswegs in dem Sinn verstanden werden kann, der ihm im neutestamentli-


chen Christuszeugnis eignet, in dem er zu einem das göttliche Sein Jesu als des
Heilsbringers zur Sprache bringenden Hoheitstitel geworden ist.34 Bei einigen
Exegeten führt die historische Rückfrage zu dem Urteil, daß Jesus aufgrund
seines unerhörten Hoheitsanspruchs in keine der gängigen Kategorien passe.
Doch die so Urteilenden überschreiten mit ihrer Sicht ebenfalls den Bereich
des Menschenmöglichen nicht. Denn selbst wenn etwa konstatiert wird, daß
Jesus beansprucht, in einzigartiger Vollmacht als Stellvertreter Gottes zu reden
und zu handeln oder der eschatologische Heilsbringer zu sein, dann ist solches
durchaus auch bei einem anderen Menschen vorstellbar, und hier über die Wahr-
heit entscheiden zu wollen würde die Kompetenz des Historikers übersteigen.
Den Gedanken einer göttlich begründeten Analogielosigkeit des irdischen Jesus
muß die Frage nach dem „historischen Jesus“ jedenfalls a priori ausschließen,
und in ihrem Horizont kann grundsätzlich kein Mensch gedacht werden, der die
rettende Gegenwart Gottes unter den Menschen und deshalb Gegenstand des
Glaubens sein könnte. Die neutestamentlichen Aussagen über die Gottheit Jesu
vermag die historische Rückfrage von vornherein nur als Beschreibungen be-
stimmter Aspekte seiner menschlichen Wirklichkeit und damit als ihn und sein
Wirken interpretierende religiöse Werturteile seiner Anhänger bzw. der ältesten
Gemeinden zu beurteilen.
2. Wird Jesus als ein purus homo verstanden, so kann er nur als eine persona
privata, nur als eine Person „für sich“ angesehen werden. Die Frage nach dem
„historischen Jesus“ muß deshalb von dem „pro nobis“, das dem neutestament-
lichen Zeugnis zufolge von der Person Jesu nicht zu trennen ist und die Signatur
seiner vorösterlichen Existenz und Geschichte bildet, notwendig abstrahieren.
Sie kann Jesus ein Dasein-für-andere lediglich in dem Sinn zuschreiben, wie es
auch sonst als menschliche Hingabe möglich und wirklich ist, und dabei für ihn
allenfalls eine besonders eindrucksvolle Gestalt solcher Hingabe behaupten. Die
Konsequenz, die sich hinsichtlich der Soteriologie ergibt, liegt auf der Hand: Wo
die Geschichte Jesu als die Geschichte eines purus homo angesehen wird, da
ist es gänzlich ausgeschlossen, in ihr die Geschichte der rettenden Zuwendung
Gottes zu den Menschen und somit in Jesu Tod ein Gottesgeschehen zu erblic-
ken, das alle Menschen betrifft und in dem über sie alle entschieden ist.35 Der

34
 S. dazu O. Hofius, Ist Jesus der Messias? Thesen, in: Ders., Neutestamentliche Studien
(WUNT 132), Tübingen 2000, 108–134: 121–134.
35 Auch hier gilt mutatis mutandis, was Rosenzweig, Atheistische Theologie (s. Anm. 10),

280 im Blick auf die liberale Leben-Jesu-Forschung bemerkt: Es ist eine unmögliche Vorausset-
zung, daß „das Leben eines andern in seiner vollen menschlichen Einzigkeit erfaßt schlechthin
allgemeingültig sein und ein Mensch als bloßer Mensch, ja gerade als solcher, der Menschheit
das werden sollte, was ihr der Gottmensch des Dogmas hatte sein können“. H. J. Iwand, Der
Prinzipienstreit innerhalb der protestantischen Theologie, in: Ders., Um den rechten Glauben.
Gesammelte Aufsätze (TB 9), hg. v. K. G. Steck, München ²1965, 222–246: 242 bemerkt zu
Recht: „Solange wir vom Begriff des historischen, das heißt des gleich uns für sich lebenden
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem 243

Kreuzestod Jesu kann rein historisch betrachtet nicht als das Ziel seines Daseins
in der Welt, sondern nur als die kontingente Folge seines Wirkens verstanden
werden, wobei dann unterschiedliche Antworten auf die Frage möglich sind, ob
Jesus mit seinem gewaltsamen Tod gerechnet und eine Sinndeutung für dieses
sein Geschick gesucht und gefunden hat.
3. Historische Forschung fragt stets nach Ereignissen oder Gestalten der Ver-
gangenheit, die zwar eine geschichtliche Wirkung haben können, selbst und
als solche aber unwiderruflich vergangen sind. Daher gilt auch die Frage nach
dem „historischen Jesus“ zwangsläufig einem Menschen der Vergangenheit
mit seiner vergangenen Geschichte. Das heißt: Die historische Rückfrage sucht
„den Lebendigen bei den Toten“ (Lk 24,5), auch wenn sie in Jesus eine Gestalt
von geschichtlicher Wirkung und bleibender Bedeutung erblickt. Lebendig und
gegenwärtig kann der „historische Jesus“ nur in der Erinnerung und in den
Interpretationsversuchen derer sein, die sich für ihn interessieren oder ihn für
bedeutend halten und daher  – von ihm beeindruckt  – aus seiner Lehre und
seinem Verhalten Impulse für die eigene religiöse Lebensgestaltung und das
eigene ethische Verhalten empfangen. Würde niemand mehr des Menschen Jesus
von Nazareth gedenken, dann – dieser Schluß ist hier unausweichlich – wäre er
nicht mehr.36

und für sich existenten Jesus ausgehen, wird das stellvertretende Leiden und Sterben Jesu
nach seinem Realitätscharakter unbegreiflich. […] Innerhalb des Rahmens dieser endlichen
Geschichte kann nicht einer für den anderen eintreten, er kann ihm vielleicht einiges von seinen
Lasten, aber nie seine Existenz abnehmen. Die menschliche Existenz ist unauswechselbar.“ Zu
der wichtigen Einsicht, daß der Mensch in seiner Existenz – und insbesondere auch hinsichtlich
seiner Sünde und seines Todes – absolut unvertretbar ist, s. auch: Ders., Gesetz und Evangelium
(s. Anm. 25), 75.92.100–104.
36 Im Rahmen der Frage nach dem „historischen Jesus“ ist eine Aussage über die Auf-

erweckung Jesu – etwa die, daß Gott sich mit dem Gekreuzigten identifiziert oder daß er ihn
und seine Verkündigung ins Recht gesetzt habe – nicht möglich, denn sie wäre hier ebenso
wie jede Aussage über eine Heilsbedeutung des Todes Jesu eine Metabasis eis allo genos. Von
daher leuchtet es mir nicht ein, wenn Jüngel, Zur dogmatischen Bedeutung der Frage nach
dem historischen Jesus (s. Anm. 1), 219 die Notwendigkeit dieser Frage so begründet: „Es muß
verstehbar sein, warum Gott den gekreuzigten Jesus – und nicht etwa den enthaupteten Täufer
Johannes – auferweckt haben soll. Insofern nötigt der Glaube an den Auferstandenen zur Rück-
frage nach dem irdischen Jesus und nach dem, was wir historisch von ihm wissen können.“
Das, was in der Tat verstehbar sein muß, kann m. E. gerade nicht der Historiker verstehbar
machen, sondern hier ist ausschließlich eine theologische Antwort möglich. Die im Neuen
Testament gegebene Antwort erweist sich dabei als in sich stringent: Der gekreuzigte Jesus ist
auferweckt worden, weil er der Sohn Gottes ist, der Mensch wurde, um für die vor Gott ver-
lorenen Menschen zu sterben und durch das als unlösliche Einheit zu begreifende Geschehen
seines Todes und seiner Auferstehung dem Tod die Macht zu nehmen. In diesem Zusammen-
hang ist von höchstem Gewicht, daß die neutestamentlichen Zeugen in der Auferweckung Jesu
keineswegs ein kontingentes Ereignis erblicken, sondern ein solches, das von allem Anfang an
außer Frage steht, weil es ein von Gott her notwendiges Ereignis ist. Den Synoptikern zufolge
geschieht die Auferweckung Jesu in gleicher Weise wie sein Tod als Verwirklichung des gött-
lichen δεῖ bzw. in Erfüllung der in der Schrift Israels enthaltenen prophetischen Ankündigungen
(Mk 8,31 parr.; 10,33 f. parr.; Mk 9,31 par. Mt 17,22 f.; Lk 24,7.26.44). Das Johannesevangelium
244 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

An den drei skizzierten Sachverhalten zeigt sich in aller Klarheit, daß die
Frage nach dem „historischen Jesus“ mit innerer Notwendigkeit nur eine Per-
son zu Gesicht bekommen kann, die sich nicht bloß graduell, sondern absolut
von dem Jesus des Neuen Testaments unterscheidet. Denn zwischen einem wie
immer rekonstruierten „historischen Jesus“, der nichts anderes ist und sein kann
als ein purus homo, und dem apostolisch bezeugten Jesus, der als die rettende
Gegenwart Gottes unter uns Menschen geglaubt und dessen Geschichte als
eine alle Menschen betreffende Gottesgeschichte begriffen wird, besteht ein
qualitativer Sprung.37 Das aber bedeutet: Von dem „historischen Jesus“ führt
kein Weg zu dem von den Aposteln und Evangelisten bezeugten Christus – es
sei denn der Gedanke einer sekundären Apotheose des Menschen Jesus von
Nazareth, der allerdings historisch schlicht unerklärlich und theologisch in jeder
Hinsicht indiskutabel wäre. Daß sich im Neuen Testament nirgends ein Beleg
für die Auffassung findet, daß Jesus erst durch seine Auferweckung zum Sohn
Gottes geworden und so zu göttlicher Höhe erhoben worden ist, sei dazu nur
eben angemerkt.38
Besteht – wie mir als zwingend erscheint – zwischen einem wie immer rekon-
struierten „historischen Jesus“ und dem apostolisch bezeugten Jesus ein quali-
tativer Sprung, dann wird der Frage nach dem „historischen Jesus“ entschieden
zu viel zugetraut, wenn man ihr Recht und ihre Notwendigkeit darin erblickt,
daß sie die Entstehung des nachösterlichen Christusglaubens historisch plausibel
machen könne und solle. Denn genau das vermag sie nicht zu tun, weil sie kei-

betont aufs stärkste die zwingende Notwendigkeit der Auferstehung Jesu (Joh 2,18–22; 10,17 f.;
20,9). Was die Apostelgeschichte des Lukas anlangt, so müssen neben 17,2 f. und 26,22 f. vor
allem die Verse 2,23 f. mitsamt der in 2,25–36 gegebenen Begründung aus der Schrift sowie der
Abschnitt 13,32–39 bedacht werden.
37 Daß bei nüchternem Urteil auch unter der Voraussetzung eines besonderen Vollmachts-

anspruchs des „historischen Jesus“ zwischen diesem und dem neutestamentlichen Christus-
zeugnis ein qualitativer Sprung zu konstatieren ist, kommt in erfreulicher Klarheit in dem fol-
genden Aufsatz zum Ausdruck: M. Konradt, Stellt der Vollmachtsanspruch des historischen
Jesus eine Gestalt „vorösterlicher Christologie“ dar?, ZThK 107 (2010) 139–166. Der Verfasser
zeichnet anhand zentraler Texte der synoptischen Tradition das Bild eines hohen Vollmachts-
anspruchs (144–163) und gelangt sodann (163–166) zu der Feststellung, daß dem Selbstverständ-
nis des von ihm rekonstruierten Jesus gegenüber „die nachösterliche, eng mit dem Kyrios-Titel
verbundene Verehrung Jesu“ wie u. a. auch die nachösterliche Bestimmung des Verhältnisses
zwischen Jesus und Gott und die Entwicklung der Präexistenzvorstellung „etwas grundlegend
Neues“ und mithin einen „qualitativen Sprung“ darstellen (165). Entsprechend lautet das Fazit:
„Den Vollmachtsanspruch Jesu als eine Gestalt vorösterlicher Christologie zu klassifizieren
[…], tendierte dahin, diese Differenz zwischen dem historischen Jesus und der Christusver-
kündigung zu nivellieren“ (166).
38 In der Exegese wie auch in der dogmatischen Rezeption werden des öfteren zu Unrecht

die Texte Apg 2,36, Röm 1,3b.4a und Phil 2,6–11 als Belege angeführt. S. zu Apg 2,36: Hofius,
Ist Jesus der Messias? (s. Anm. 34), 130 Anm. 44; zu Röm 1,3b.4a: ebd., 128 f. (These 5.3.4); zu
Phil 2,6–11: O. Hofius, Der Christushymnus Philipper 2,6–11. Untersuchungen zu Gestalt und
Aussage eines urchristlichen Psalms (WUNT 17), Tübingen ²1991, 56–67.113–122. Zu Apg 2,36
s. auch Bauspiess, No quest for the historical Jesus? (s. Anm. 4), 148 f.
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem 245

neswegs stringent aufzeigen kann, daß das apostolische bzw. neutestamentliche


Christuszeugnis an dem irdischen Jesus einen begründeten und somit theologisch
legitimen Anhalt hat. Ein solcher Anhalt ist nämlich nur dann gegeben, wenn
der irdische Jesus in Wahrheit der war, als den ihn die Apostel und Evangelisten
bezeugen. Dagegen kann ihr Christuszeugnis niemals einen Anhalt an einem
purus homo haben, wie Großes auch über ihn und seine Beziehung zu Gott gesagt
werden mag. Gelangt aber die historisch-kritische Jesus-Forschung unweigerlich
zu einer Gestalt, die von dem biblisch bezeugten Jesus qualitativ unterschieden
ist, dann scheitert daran jeder Versuch, die nachösterliche Christologie als eine
historisch plausible Deutung dieser Gestalt zu erweisen.39

Angesichts unserer bisherigen Überlegungen stellt sich nun die Frage, wie der
Tatbestand zu würdigen ist, daß durch historisch-kritische Arbeit sehr wohl
bestimmte Züge der Verkündigung Jesu und seines Wirkens wahrgenommen
werden können. Meine Sicht dazu möchte ich an jenen Phänomenen aufzeigen,
die ein besonderes Hoheitsbewußtsein Jesu erkennen lassen. Es sind dies vor
allem: die Gewißheit Jesu, daß der Anbruch der von ihm verkündigten heilvol-
len Gottesherrschaft an ihn selbst und sein Wirken gebunden ist;40 der Ruf in

39
 An dieser Stelle ist in Ergänzung zu dem in Teil IV Dargelegten noch in aller Kürze auf die
Unhaltbarkeit der These hinzuweisen, daß die Frage nach dem „historischen Jesus“ zwar nicht
das Gottsein Jesu, wohl aber sein wahres Menschsein zu Gesicht bekommen könne. Unhaltbar
ist diese These deshalb, weil es dem neutestamentlichen Zeugnis zufolge ja der Mensch Jesus
von Nazareth ist, in dem Gott selbst sich realpräsent erweist, und weil daraus notwendig folgt,
daß sein wahres Menschsein von seinem wahren Gottsein nicht getrennt werden kann. Das
„vere homo“ ist ebenso ein Satz des Glaubens und des Bekennens wie das „vere deus“. Daß der
wahre Mensch Jesus von Nazareth in Person die praesentia Dei ist, das und nur das begründet
z. B. seine im Neuen Testament (Joh 7,18; 8,46; 2 Kor 5,21; Hebr 4,15; 7,26; 1 Petr 2,22; 3,18
[auch 1,19]; 1 Joh 3,5) bezeugte Sündlosigkeit, die in ihrem dort gemeinten nicht-moralischen
Sinn mittels historisch-kritischer Forschung weder aufweisbar noch überhaupt begreifbar zu
machen ist. In diesem Zusammenhang muß auch angemerkt werden, daß der Hinweis auf die
Inkarnation – auf das ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο von Joh 1,14 – keineswegs dazu geeignet ist, die
Frage nach dem „historischen Jesus“ als eine mögliche oder sogar als eine theologisch gebotene
Frage zu erweisen. In Joh 1,14 ist ὁ λόγος grammatisch wie sachlich Subjekt des ganzen Verses,
und demzufolge wird hier ausgesagt, daß der göttliche Logos Mensch geworden ist, ohne
aufzuhören, dieser Logos zu sein. Das aber bedeutet: Im Logos-Sein Jesu liegt der Schlüssel
zum Verständnis seines Menschseins, d. h. seiner analogielosen, weil durch die göttliche δόξα
ausgezeichneten Existenz und Geschichte ἐν σαρκί. Die Frage nach dem „historischen Jesus“
muß davon abstrahieren, daß Jesus der menschgewordene Sohn Gottes ist. Wollte man Recht
und Notwendigkeit dieser Frage mit Joh 1,14 begründen, so hieße das, den Satz ὁ λόγος σὰρξ
ἐγένετο gegen den eindeutigen Wortsinn so zu verstehen, als habe sich der Logos in σάρξ ver-
wandelt und damit aufgehört, der Logos zu sein.
40 Mt 11,2–6 par. Lk 7,18–23; Mt 12,28 par. Lk 11,20; Lk 4,16–21; 17,20 f. (zu ἡ βασιλεία τοῦ

θεοῦ ἔντος ὑμῶν ἐστιν V. 21b ist gedanklich zu ergänzen: „indem ich unter euch gegenwärtig
246 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

die Nachfolge, mit dem er Menschen an sich selbst bindet;41 die Gewährung
der Sündenvergebung in Wort und Tat;42 die Wendung ἀμὴν λέγω ὑμῖν als
Einführung des eigenen Wortes;43 das autoritative ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν, mit dem
die Kundgabe des verbindlichen Gotteswillens eingeleitet wird;44 der Anspruch,
authentisch zu wissen und deshalb in letzter Verbindlichkeit sagen zu können,
wer Gott ist und wie er sich verhält;45 die Anrede Gottes als „Abba“46 und die
für das Gespräch mit den Jüngern charakteristische Differenzierung zwischen
„meinem Vater“ und „eurem Vater“47; die Überzeugung, daß sich an der Stellung
des Menschen zu Jesus die Frage des eschatologischen Heils oder Unheils ent-
scheidet.48
Was die rein historische Betrachtung der aufgelisteten Phänomene anlangt,
so besteht in der Forschung bereits hinsichtlich ihrer Authentizität keineswegs
ein Konsens, und wo diese vorausgesetzt wird, da sind Sinn und Bedeutung
der Phänomene ebenso umstritten wie die Frage, ob es zu ihnen außerhalb der
Jesus-Tradition Parallelen gibt oder nicht. Wenn man – wie ich selbst es tue –
die genannten Phänomene nicht nur für authentisch hält, sondern sie auch als
analogielos beurteilt, dann bleiben sie historisch gesehen doch mehrdeutig49 –
und dies sowohl im Blick auf ihren semantischen Gehalt wie auch im Blick auf
ihre Interpretation, die ja als streng historische über den Bereich des Mensch-
lichen und Menschenmöglichen nicht hinausgehen darf. Ich will das an einem
der Phänomene verdeutlichen.50 In Mk 2,5 wird berichtet, daß Jesus zu einem
Gelähmten sagt: ἀφίενταί σου αἱ ἁμαρτίαι „deine Sünden werden [dir] hiermit

bin“). Mit Recht bemerkt J. Schniewind, Das Selbstzeugnis Jesu nach den ersten drei Evan-
gelien (1922), Wuppertal 1964, 11: „Die Gabe, von Jesus gebracht, heißt: das Reich Gottes“ und
ebd., 13: „In seiner Person ist das Reich Gottes Gegenwart geworden“. Keineswegs hinreichend
zu begründen ist dagegen die These von R. Otto, Reich Gottes und Menschensohn. Ein
religionsgeschichtlicher Versuch, München ³1954, 75: „Nicht Jesus ‚bringt‘ das Reich – eine
Vorstellung, die Jesu selber ganz fremd ist – sondern das Reich bringt ihn mit.“
41 Mk 1,16–20 par. Mt 4,18–20; Mk 2,14 parr.; 10,21 parr.; Mt 8,21 f. par. Lk 9,59 f.
42 Mk 2,1–12 parr.; Lk 7,36–50; ferner die Berichte über Jesu Tischgemeinschaft mit den

Sündern: Mk 2,15–17 parr.; Lk 15,1 f.; 19,1–10.


43 S. dazu Jeremias, Neutestamentliche Theologie I (s. Anm. 5), 44 f.
44 Mt 5,21–48 (hier die Verse 22, 28, 32, 34, 39 und 44).
45 S. dazu etwa Mt 20,1–15; Lk 10,20b; 15,3–32; 18,10–14a.
46
 S. dazu Jeremias, Neutestamentliche Theologie I (s. Anm. 5), 67–73 (sowie jetzt meinen
Aufsatz „Abba! Vater!“ in dem vorliegenden Band: 1–19).
47
 Die Evangelienüberlieferung bietet keinen einzigen Beleg dafür, daß Jesus den Jüngern
gegenüber von Gott als von „unserem Vater“ gesprochen hat. Was die Gebetsanrede des Vater-
unsers (Mt 6,9b; Lk 11,2b) anlangt, so will beachtet sein, daß es sich hier um das den Jüngern
gegebene Gebet handelt (Mt 6,9a; Lk 11,1.2a).
48
 Mk 8,38 par. Lk 9,26; Mt 10,32 f. par. Lk 12,8 f.; Mt 11,6 par. Lk 7,23.
49
 Daß sie durchaus auch negativ gedeutet werden können, weiß schon die Evangelienüber-
lieferung: Mt 9,34; Mk 2,7 parr.; 3,21; 3,22 parr.; Joh 8,48.52; 10,20.33.
50
 S. zu den folgenden Darlegungen im einzelnen O. Hofius, Jesu Zuspruch der Sünden-
vergebung. Exegetische Erwägungen zu Mk 2,5b, in: Ders., Neutestamentliche Studien (s.
Anm. 34), 38–56.
Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem 247

vergeben“. Im Kontext der Erzählung Mk 2,1–12 sind diese Worte eindeutig als
Gewährung der Sündenvergebung durch Jesus selbst gemeint. Nimmt man – was
natürlich lebhaft umstritten ist – die Authentizität der zitierten Worte an, so stellt
sich die Frage, wie diese im Munde Jesu selbst zu verstehen sind. In sprachlicher
Hinsicht ist hier ein doppeltes Verständnis möglich: Die Verbform ἀφίενται kann
ein Passivum divinum sein, so daß der Sinn wäre: „Gott vergibt [dir] jetzt deine
Sünden“. Jesus hätte demnach die Vergebung nicht selbst gewährt, sondern sie
lediglich in abgeleiteter Vollmacht zugesprochen. Das Passiv ἀφίενται kann
aber, wie sprachliche Parallelen beweisen, ebenso auch bedeuten: „Ich vergebe
[dir] hiermit deine Sünden.“51 In diesem Fall wäre wie im Markustext von der
in eigener Autorität gewährten Vergebung durch Jesus selbst die Rede. Liest
nun der Historiker ἀφίενται als Passivum divinum, dann kann er als Parallele
zu Jesu Wort den Vergebungszuspruch des Propheten Nathan von 2 Sam 12,13
namhaft machen. Sieht er dagegen mit ἀφίενται die Gewährung der Vergebung
durch Jesus selbst ausgesagt, so hat er es mit einem Phänomen zu tun, zu dem
es weder im Alten Testament noch auch in der frühjüdischen Literatur eine
Parallele gibt.52 Daß Jesus das Wort Mk 2,5b im einen wie im andern Sinn
gesagt haben kann, wird der Historiker konzedieren, weil beides im Bereich des
Menschlichen möglich und denkbar ist. Die Frage, ob Jesus tatsächlich die Voll-
macht zum Zuspruch der Vergebung oder sogar die Macht, sie in eigener Auto-
rität zu gewähren, hatte, vermag der Historiker dagegen weder zu stellen noch
zu beantworten. Einzig im Licht des neutestamentlichen Christuszeugnisses
kann geurteilt werden, daß Jesus als der, der nach Mt 1,21 – wie Gott selbst (Ps
130,8) – „sein Volk von ihren Sünden erretten wird“ und dazu den Weg an das
Kreuz geht, „Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben“ (Mk 2,10).
Wie an Mk 2,5b exemplarisch deutlich wird, gewinnen die durch historische
Forschung ermittelten Phänomene, die auf ein besonderes Hoheitsbewußtsein
Jesu hinweisen, eine theologische Eindeutigkeit im Sinn der hohen Christologie
der neutestamentlichen Schriften allererst im Licht des apostolischen Christus-
zeugnisses und mithin ausschließlich im Kontext jener Schriften selbst. In
diesem Licht – und nur in ihm – können sie als Zeichen der praesentia Dei in
dem irdischen Jesus und somit als Ausdruck der Seins- und Handlungseinheit
zwischen dem Vater und dem Sohn begriffen werden. Werden sie aber erst durch
das Christuszeugnis als begründet erwiesen, dann können sie nicht ihrerseits
dieses begründen oder bestätigen.
Eine keineswegs unwichtige Frage ist hier noch anzuschließen: Stößt die
historische Forschung in der synoptischen Tradition auf Phänomene, die sich
gegen das nachösterliche Christuszeugnis sperren oder gar mit ihm unvereinbar
51
 Die Parallelen aus frühjüdischen Texten s. ebd., 50–52.
52
 Die in die Form einer rhetorischen Frage gefaßte Feststellung der Schriftgelehrten, daß
„niemand Sünden vergeben kann außer Gott allein“ (Mk 2,7b), bringt die communis opinio des
antiken Judentums zum Ausdruck.
248 Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem

sind? Solche Phänomene werden im Zusammenhang mit der Frage nach dem
„historischen Jesus“ in der Tat benannt. So soll die Taufe durch Johannes ein
Indiz dafür sein, daß Jesus wie alle anderen, die sich taufen ließen, als ein Sünder
an den Jordan kam, um seine Umkehrbereitschaft zu dokumentieren und Gottes
Vergebung zu suchen. Oder das Beten Jesu wird als ein Beleg dafür angesehen,
daß er sich wie jeder fromme Jude als ein Mensch im Gegenüber zu Gott wußte,
und das gleiche soll sich darin widerspiegeln, daß er nach Mk 10,17 f. auf die An-
rede „guter Lehrer“ antwortet: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut außer
einem: Gott“ (V. 18). Urteile wie diese, die angeblich die historische Wirklichkeit
zur Geltung bringen, sind in Wahrheit nichts anderes als bloße Vermutungen. Sie
beruhen darauf, daß die jeweiligen Textbefunde aus ihrem neutestamentlichen
Zusammenhang herausgelöst werden und dann eine dem ursprünglichen Kon-
text zuwiderlaufende Deutung erfahren, ohne daß dafür eine hinreichende Be-
gründung gegeben werden kann. Denn kontextlose Phänomene sind und bleiben
für die historische Betrachtung mehrdeutig und damit letztlich stumm.

VI

Ich komme zum Schluß und formuliere das folgende Fazit: Die Antwort auf die
Frage nach dem irdischen Jesus gibt nicht die mittels der historisch-kritischen
Methode vollzogene Jesusforschung, sondern einzig und allein das apostolische
Christuszeugnis, das sich der Selbsterschließung des auferstandenen Herrn ver-
dankt und in den Schriften des Neuen Testaments seinen gültigen Niederschlag
gefunden hat. Mit dieser Feststellung ist nicht behauptet, daß die synoptischen
Evangelien als im wesentlichen historisch zuverlässige Quellen zu beurteilen
seien und sich deshalb aus ihnen durch historisierende Interpretation ein detail-
liertes Bild der vorösterlichen Geschichte Jesu gewinnen lasse. Die Synoptiker
sind vielmehr ebenso wie das Johannesevangelium als Dokumente eines narra-
tiven Zeugnisses von Jesu Person und Werk zu lesen und auszulegen.53 Für alle
neutestamentlichen Schriften ergibt sich so in gleicher Weise die Aufgabe, das
in ihnen enthaltene Christuszeugnis in immer neuem Bemühen mit den Mitteln
wissenschaftlicher Exegese zu erheben und es im sorgsamen Hören auf die Texte
auf seine innere Kohärenz, seine Implikationen und seine Konsequenzen hin zu
bedenken.
53
 Dazu – exemplarisch – ein Hinweis zur Passionsgeschichte der Evangelien: Es geht an
der Intention der Texte vorbei, wenn die Exegese die Frage erörtert, ob das letzte Wort Jesu
am Kreuz „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34 par. Mt 27,46),
„Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist“ (Lk 23,46) oder „Es ist vollbracht!“ (Joh
19,30) gelautet hat. Zu fragen ist vielmehr, was bei Markus und Matthäus mit dem Ruf der
Gottverlassenheit, was bei Lukas mit der die bleibende Zugehörigkeit zum Vater bekundenden
Vertrauensäußerung und was bei Johannes mit dem Wort von der Vollendung des dem Sohn
aufgetragenen Werkes jeweils theologisch über den Kreuzestod Jesu ausgesagt wird.
Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift
Grundlinien des evangelischen Schriftverständnisses*

Wenn im Folgenden etwas über das evangelische Schriftverständnis gesagt


werden soll, dann geht es um das Verständnis der Heiligen Schrift, wie es für
die Reformatoren kennzeichnend ist und zu den zentralen Elementen reforma-
torischer Lehre gehört. Vor allem Martin Luther hat dieses Schriftverständnis in
seinen Werken eingehend entfaltet und begründet.1 An seinen Darlegungen wird
sich deshalb meine Skizze orientieren.2 Diese konzentriert sich im wesentlichen
auf das Neue Testament, weil es in ihrem Rahmen schlechterdings unmöglich
ist, die von den Reformatoren vertretene Sicht des Verhältnisses von Altem Te-
stament und Neuem Testament in der erforderlichen Gründlichkeit darzustellen
und kritisch zu würdigen.

I. Das evangelische Schriftverständnis und


die Frage nach dem Heil des Menschen

Bei Luther ist das Verständnis der Heiligen Schrift ganz unmittelbar mit einer
Frage verbunden, von deren zentraler Bedeutung für die Kirche und ihre Ver-
kündigung nicht nur er selbst, sondern alle Reformatoren überzeugt waren. Es
ist dies die Frage nach dem Heil des Menschen – die Frage also, wie der heilige
und lebendige Gott zu dem von der Sünde gezeichneten und im Schatten des

* Vortrag im Rahmen eines Symposions, das von der Evangelisch-Theologischen Fakultät


Tübingen und der Orthodoxen Geistlichen Akademie Minsk sowie dem Priesterseminar in
Zirowitschi (Belarus) im Juli 2010 in Tübingen veranstaltet wurde und dem Thema „Was ist
orthodox? Was ist evangelisch?“ gewidmet war.
1
 Von besonderem Gewicht ist hier die 1525 erschienene Schrift ‚De servo arbitrio‘, WA 18,
600–787. Lateinischer Text mit Übersetzung von A. Lexutt: M. Luther, Lateinisch-Deut-
sche Studienausgabe, Bd. 1: Der Mensch vor Gott, hg. v. W. Härle, Leipzig 2006, 219–661.
Ältere Übersetzungen: J. Jonas, in: M. Luther, Vom unfreien Willen, hg. v. F. W. Schmidt
(M. Luther, Ausgewählte Werke. Ergänzungsreihe 1), München 1934; B. Jordahn, in:
M. Luther, Daß der freie Wille nichts sei. Antwort D. Martin Luthers an Erasmus von Rot-
terdam (M. Luther, Ausgewählte Werke. Dritte Auflage, Ergänzungsreihe 1), München 1962.
2 Schriften Luthers werden in den folgenden Anmerkungen nur mit Titel und (außer bei

‚De servo arbitrio‘) mit Jahreszahl angeführt. Hinzugefügt sind die Fundorte in der Weimarer
Ausgabe der Werke Luthers (WA) sowie ggf. auch diejenigen in der von O. Clemen besorgten
Bonner Ausgabe (BoA). Lateinische Zitate wurden jeweils von mir übersetzt, und bei deutschen
Zitaten habe ich eine behutsame Angleichung an die heutige Sprache vorgenommen.
250 Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift

Todes lebenden Menschen steht und wie es für diesen Menschen eine intakte
Gottesbeziehung geben kann.3
Daß die Antwort auf diese Frage prinzipiell nicht von Menschen erwartet
werden darf, stand den Reformatoren außer Zweifel. Denn alles, was Menschen
von sich aus über Gott und das Heil zu denken und zu sagen vermögen, sind
nur opiniones, d. h. bloße Meinungen und Vermutungen, an die niemand sich im
Blick auf sein Leben und sein Sterben mit Gewißheit halten kann.4 Hinsicht-
lich der Heilsfrage aber ist als Fundament einer letzten Wahrheitsgewißheit
„die allergewisseste Wahrheit“ gefordert,5 und diese finden die Reformatoren
in der Heiligen Schrift.6 Ihnen gilt das Neue Testament nicht als ein Dokument
religiöser Lebensdeutung, in dem zu lesen steht, was bestimmte Menschen der
Spätantike über sich selbst und über Gott gedacht haben, sondern es gilt ihnen
als das einzigartige Buch, das Gottes Wort enthält  – nämlich das der Kirche
zur Verkündigung anvertraute Zeugnis von seiner Heilsoffenbarung in Jesus
Christus.7 Die gültige Antwort auf die Frage nach dem Heil des Menschen sehen
die Reformatoren deshalb in der Heiligen Schrift gegeben – in ihr allein.

3
 Den Zusammenhang zwischen Schriftverständnis und Heilsfrage betont sehr zu Recht
W. Führer, Die Schmalkaldischen Artikel (Kommentare zu Schriften Luthers 2), Tübingen
2009, 348 f. Exemplarische Zeugnisse bieten die Lutherzitate, die in dem vorliegenden Aufsatz
in bzw. bei den Anmerkungen 11, 12, 20, 21 und 28 mitgeteilt werden.
4
 Vgl. Tischreden, Nr. 50 (1531), WA.TR 1, 18,6–8 (BoA 8, 3,28 f.): Quid faciet dubia con-
scientia consolationem rogans, si opinionibus responderis etc., non certa doctrina? („Was soll
ein von Zweifeln geplagtes Gewissen, das Trost sucht, machen, wenn man ihm mit bloßen
Meinungen usw. antwortet und nicht mit gewisser Lehre?“) Zum Begriff der opiniones s. auch
etwa in ‚De servo arbitrio‘ die unten in Anm. 40 zitierte Gegenüberstellung (WA 18, 605,18 f.
[BoA 3, 100,13–15]) sowie die Wendung dubia aut opiniones = „Zweifel oder bloße Meinungen“
(WA 18, 605,32 [BoA 3, 100,32]).
5
 De servo arbitrio, WA 18, 702,6 (BoA 3, 195,40 f.): certissimam veritatem pro stabiliendis
conscientiis quaerimus. („Wir fragen nach der allergewissesten Wahrheit zur Festigung der
Gewissen.“) – Vgl. ebd., WA 18, 603,24 (BoA 3, 98,9): certissima ac firmissima conscientiae
assertio („die völlig gewisse und völlig sichere verbindliche Aussage für das Gewissen“); WA
18, 605,33 f. (BoA 3, 100,32 f.): assertiones ipsa vita et omni experientia certiores et firmiores
(„verbindliche Aussagen, die gewisser und unerschütterlicher sind als das Leben selbst und alle
Erfahrung“); WA 18, 607,11 (BoA 3, 102,15): clarissima veritas („die allerklarste Wahrheit“). –
S. dazu den Gesamtzusammenhang WA 18, 603,1–605,34 (BoA 3, 97,19–100,33).
6
 Vgl. De servo arbitrio, WA 18, 603,15 (BoA 3, 97,36 f.): res illae asserendae, quae nobis
traditae sunt divinitus in sacris literis („jene als Wahrheit zu bezeugenden Dinge, die uns von
Gott her in der Heiligen Schrift überliefert sind“).
7
 Luther nennt das die doctrina aut docenda veritas („die Lehre bzw. die zu lehrende Wahr-
heit“): WA 18, 628,21 (BoA 3, 119,18); vgl. WA 18, 628,27 f. (BoA 3, 119,26).
Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift 251

II. Die Heilige Schrift – das Zeugnis von der


Heilsoffenbarung Gottes in Jesus Christus

Mit dem soeben Gesagten habe ich bereits das berührt, was man das reforma-
torische „Schriftprinzip“ oder besser noch das „Prinzip des Wortes Gottes“
(principium verbi divini) nennt.8 Der knappe Ausdruck dafür ist die Formel sola
scriptura – „die Schrift allein“. Sie besagt, daß alle wahre Erkenntnis über Gott
in seinem Verhältnis zum Menschen und über den Menschen in seiner Stellung
vor Gott ausschließlich aus der Heiligen Schrift gewonnen werden kann. Drei
Sachverhalte, die das Neue Testament sowohl durch seine Existenz wie auch
durch seinen Inhalt dokumentiert, sind dabei für das „Prinzip des Wortes Gottes“
grundlegend:
1. Gott selbst hat in Jesus Christus – in seiner Person und in seinem Werk –
dem vor ihm verlorenen Menschen das Heil bereitet. Diese seine Heilstat ist
jenes Geschehen, das im Bekenntnis der Kirche mit den Worten beschrieben
wird, daß der ewige Sohn Gottes „für uns Menschen und zu unserem Heil“
Mensch geworden, den Weg an das Kreuz gegangen und am dritten Tage von
den Toten auferstanden ist. In diesem Geschehen und damit in Jesus Christus
allein liegt das Heil des Menschen beschlossen.
2. Gott selbst hat seine Heilstat durch sein Heilswort bekannt gemacht. Das
geschah, als der auferstandene Christus in den Ostererscheinungen einem be-
grenzten Kreis von Augenzeugen sich selbst und sein Werk erschlossen und
ihnen diese seine Selbsterschließung zur Bezeugung und Verkündigung anver-
traut hat. Jene Augenzeugen sind die Apostel Jesu Christi, die in der unlöslichen
Verbundenheit mit ihrem Herrn in das Heilsgeschehen mit hineingehören,9 und
das ihnen anvertraute Wort ist das Evangelium, das kundtut, wer Jesus ist und
was sich in seinem Tod und seiner Auferstehung ereignet hat. Die Apostel sind –
so Luther – der Kirche von Gott selbst als „unfehlbare Lehrer“ gegeben10 – und

 8
 Im Blick auf das Schriftprinzip betont K. G. Steck, Lehre und Kirche bei Luther (FGLP
27), München 1963, 142 mit Recht, daß es sich bei Luther nicht um ein von ihm selbst gesetztes
principium handelt, sondern um die  – auch in der Theologie vollzogene  – gehorsame An-
erkennung dessen, was Gott gesetzt hat: „Gewiß ist und bleibt es insofern petitio principii, als
es keinen Weg für Luther gibt, sein primum principium denen einleuchtend zu erweisen, die es
nicht anerkennen wollen. In diesem Sinn wird sich reformatorische Theologie nie davor scheu-
en dürfen, mit einer petitio ihres Prinzips zu beginnen. Aber es ist für Luther in keinem Sinne
als bloßes Postulat gemeint. Er hat es nicht nur zum Schein an den Anfang seines Denkens und
Auslegens gestellt, weil er keinen andern Ausweg fand, wenn er nicht zur römischen potestas
docendi zurückkehren wollte; sondern er hat sich selbst dorthin gestellt gesehen, wo ihm die
Evidenz des Evangeliums, d. h. die sich selbst erweisende Offenbarung Gottes in Christus den
einzigen Platz anwies, der wirklich Gewißheit und zureichende Wahrheit bot: den Platz unter
dem Wort, aus dem die Kirche der Glaubenden erwächst.“
 9
 Vgl. dazu Luthers Formulierung Christus et apostoli in den in Anm. 12 und Anm. 13 mit-
geteilten Zitaten (WA 36, 527,1 f. [BoA 7, 289,22]; WA 28, 191,8 [BoA 7, 255,2]).
10
 Thesenreihe ‚De fide‘ für die Promotionsdisputation von Hieronymus Weller und Niko-
252 Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift

zwar im Blick auf „die Kenntnis Christi, d. h. dessen, was zum Heil gehört“.11
Ihr Christuszeugnis ist „das rechte Wort Gottes“,12 so daß man hier auf ihren
Mund sehen muß „wie auf Gottes Mund“.13 Als die einmaligen und einzigartigen
Zeugen Jesu Christi übermitteln sie die ihnen geoffenbarte Wahrheit des Evan-
geliums der Kirche aller Zeiten, und darin sind sie das „Fundament“, auf dem
die Kirche erbaut ist (Eph 2,20).14
3. Das Christuszeugnis der Apostel hat in den Schriften des Neuen Testaments
seinen authentischen Niederschlag und seine für die Kirche maßgebliche Re-
präsentation gefunden. Niederschlag des apostolischen Christuszeugnisses sind
dabei nicht nur die Briefe der Apostel und der Apostelschüler, sondern ebenso
auch die vier Evangelien, die von der Absicht geleitet sind, das Persongeheimnis,

laus Medler (1535), These 59, WA 39 I, 48,1 f.: […] Apostoli, qui certo Dei decreto nobis sunt
infallibiles Doctores missi („[…] Apostel, die uns durch den feststehenden Beschluß Gottes als
unfehlbare Lehrer gesandt sind“).
11
 De servo arbitrio, WA 18, 779,6 (BoA 3, 283,3 f.): notitia Christi, id est, eorum quae sunt
salutis.
12
 Das 15. Capitel der 1. Epistel S. Pauli an die Corinther (1532/33), WA 36, 526,8–10. 527,1–3
(BoA 7, 289,18–23): Contra negantem principia non etc. Nos loquimur cum iis, qui deum fur
Gott halten et pro veraci, qui non mentiatur, et quod Apostoli eius sint zeugen, qui vos audit
etc. Das sind unser heubtstuck und grund. Et tota scriptura dicit de Christo filio et apostolis. Et
credimus, quod Apostoli praedicarint, sey das recht wort, et qui credit, werd selig. („Wer die
Voraussetzungen leugnet, mit dem soll man nicht streiten. Wir reden mit denen, die Gott für
einen wahrhaftigen Gott halten, der nicht lügt, und die Apostel für seine Zeugen, wie Christus
sagt: ‚Wer euch hört, der hört mich‘ [Lk 10,16]. Das sind unsere Hauptstücke und Grundlagen.
Die ganze Schrift spricht von Christus, dem Sohn Gottes, und den Aposteln. Und wir glauben:
Was die Apostel gesagt haben, das ist das rechte Wort Gottes, und wer glaubt, der wird selig.“) –
Vgl. auch: Die ander Epistel S. Petri und eine S. Judas gepredigt und ausgelegt (1523/24) zu
2 Petr 1,16–18, WA 14, 27,11–15: Dieser Text lehrt, „daß die Apostel von Gott her gewiß gewesen
sind, daß ihr Evangelium Gottes Wort wäre“, und er beweist auch, „daß das Evangelium nichts
anderes sei denn eine Predigt von Christo“. Ebd., 27,20 f.: Was die Apostel von Christus ver-
kündigen, das haben sie „nicht selbst erdacht, sondern durch Gottes Offenbarung gesehen und
gehört“ (ähnlich schon ebd., 26,27 f.: „nicht aus den Fingern gesogen oder selbst erdacht“).
13
 Das 17. Kapitel Johannis von dem Gebete Christi gepredigt und ausgelegt (1530), WA 28,
169,1–172,11 (BoA 7, 244,33–246,10). Aus diesem Zusammenhang sei WA 28, 170,5 (BoA 7,
245,9) zitiert: os Pauli, Petri, Iohannis inspiciendum ut dei. („Auf den Mund des Paulus, Petrus,
Johannes muß man sehen wie auf den Mund Gottes.“) Vgl. auch ebd., WA 28, 191,8 f. (BoA 7,
255,2 f.): Si quis omnia verba ex Christi ore et apostolorum potest dicere deum dixisse, das ist
Christiana scientia. („Wenn einer sagen kann, daß alle Worte aus dem Mund Christi und der
Apostel Gott geredet hat, das ist christliche Erkenntnis.“)
14
 Disputatio de potestate concilii (1536), These 4, WA 39 I, 184,14–16: [Apostoli] soli fun-
damentum Ecclesiae vocantur, qui articulos fidei tradere debebant. („Die Apostel allein werden
das Fundament der Kirche genannt, sie, die die Artikel des Glaubens überliefern sollten.“) –
Daß die hohen Aussagen nicht der Person der Apostel, sondern ihnen als den Trägern des apo-
stolischen Amtes gelten, wird von Luther ausdrücklich betont: Das 17. Kapitel Johannis von
dem Gebete Christi gepredigt und ausgelegt, WA 28, 172,8 f. (BoA 7, 246,5 f.): Ibi loquimur de
legatione, officio non persona. („Wir reden hier von der Sendung und dem Amt, nicht von der
Person.“) Als den Trägern ihres einmaligen und einzigartigen Amtes eignet den Aposteln eine
Autorität, der in der Kirche keine andere Autorität vergleichbar ist oder an die Seite gestellt
werden kann; s. dazu die Thesen 1–11 der Disputatio de potestate concilii, WA 39 I, 184,4–185,27.
Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift 253

den Weg und das Werk dessen zu bezeugen, der in Person die Gegenwart Gottes
unter uns Menschen ist.15
Die drei skizzierten Sachverhalte lassen erkennen, worum es bei dem re-
formatorischen Schriftprinzip im Entscheidenden geht: Der theologische Fun-
damentalsatz sola scriptura („die Schrift allein“) dient der Bezeugung des solus
Christus („Christus allein“), indem mit Nachdruck der folgende Zusammenhang
in den Blick gerückt wird: Das Heil des Menschen liegt allein in dem Sohn
Gottes Jesus Christus beschlossen, der nirgends anders zu finden ist als in dem
von den Aposteln bezeugten Evangelium, und dieses Evangelium ist einzig in
der Heiligen Schrift enthalten, in der die Kirche deshalb die alleinige Quelle
und Norm ihres Glaubens und ihres Bekennens, ihrer Verkündigung und ihrer
Lehre erblickt.

III. Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift

Wie die Beschreibung des Schriftprinzips zeigt, ist die Autorität der Heiligen
Schrift die Autorität Jesu Christi und des ihn bezeugenden Evangeliums. Das ist
deshalb so, weil Jesus Christus die Mitte – der zentrale Inhalt – der Schrift ist.16
„Die ganze Schrift“ – sagt Luther – „ist darauf ausgerichtet, daß sie uns Christus
vor Augen stellt, damit wir Christus erkennen.“17 Auf ihn als den Mittelpunkt
sind die Schriften des Neuen Testaments bezogen,18 und sie gewinnen durch
das, was sie über ihn und von ihm her sagen, ihren spezifischen Charakter. Von
daher kann Luther die Frage formulieren: „Nimm Christus aus der Heiligen
Schrift  – was wirst du außerdem noch darin finden?“19 In der Tat: Ohne das
Evangelium von Jesus Christus bliebe im Neuen Testament an Bedeutsamem
nichts übrig, was nicht bereits im Alten Testament oder auch in gewichtigen
Texten des antiken Judentums zu lesen steht. Vor allem aber bliebe die Frage

15
 S. dazu: Ein klein Unterricht, was man in den Evangeliis suchen und gewarten soll
(1522), WA 10 I 1, 8,12–18,3: Die vier Evangelien sind unterschiedliche Beschreibungen des
einen Evangeliums, das Luther so kennzeichnet (9,18–20): Es ist „eine Rede von Christo, daß
er Gottes Sohn und für uns Mensch geworden, gestorben und auferstanden sei, ein Herr, über
alle Dinge gesetzt“.
16 Den Worten „der zentrale Inhalt der Heiligen Schrift“ entspricht bei Luther der Ausdruck

res scripturae („die Sache der Schrift“).


17 Sermon und Eingang in das erste Buch Mosi (1523), WA 12, 438 (BoA 7, 387,32 f.): Tota

scriptura eo vergit, ut Christum nobis proponat, ut Christum cognoscamus. Vgl. Tischreden,


Nr. 5585 (1543), WA.TR 5, 262,19 (BoA 8, 327,2): Tota scriptura est propter Filium. („Die
ganze Schrift ist um des Sohnes willen da.“)
18 Auslegung des dritten und vierten Kapitels Johannis in Predigten (1538–1540), WA 47,

66,23 f.: Christus „ist das Mittelpünktlein im Zirkel, und alle Historien in der Heiligen Schrift,
so sie recht angesehen werden, gehen auf Christum“.
19 De servo arbitrio, WA 18, 606,29 f. (BoA 3, 101,29): Tolle Christum e scripturis, quid

amplius in illis invenies?


254 Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift

nach dem Heil des Menschen unbeantwortet. Das Evangelium allein ist – wie
Luther betont – das Licht der Schrift, das uns alles lehrt, „was wir wissen sollen
und was zur Seligkeit not ist“,20 und einzig deshalb kann er die Heilige Schrift
„das geistliche Licht“ nennen, das „bei weitem heller ist als die Sonne selbst,
besonders in den Dingen, die das Heil betreffen“.21
Als die Mitte ist Christus zugleich der Schlüssel zur Heiligen Schrift. Das gilt
zum einen in dem Sinn, daß das Evangelium das Alte Testament aufschließt,22
indem es lehrt, dieses von Christus her auf Christus hin zu lesen und so in ihm
einen Zeugen für Christus zu erkennen. Und es gilt zum andern und vor allem
in dem Sinn, daß Christus innerhalb der Schrift die entscheidende Norm für das
angemessene Verständnis aller Texte ist.23 Das bedeutet: Die ganze Schrift ist in
Relation zu dem in ihrem Zentrum stehenden apostolischen Christuszeugnis zu
lesen und auszulegen. Im Blick auf jede einzelne Textaussage muß also gefragt
werden, ob zwischen ihr und der Mitte der Schrift ein konsistenter Zusammen-
hang besteht oder nicht. Wo ein solcher Zusammenhang nicht gegeben ist oder
sogar ein Widerspruch zur Mitte der Schrift konstatiert werden muß, da ist das
20
 Die ander Epistel S. Petri und eine S. Judas gepredigt und ausgelegt (1523/24) zu 2 Petr
1,19, WA 14, 30,13–16.20–22: „Das ist Gottes Wort, das Evangelium, daß wir durch Christum
erlöst sind vom Tod, Sünde und Hölle. Wer das hört, der hat das Licht und die Lampe im Herzen
angezündet, dabei wir sehen können, das uns erleuchtet und lehrt, was wir wissen sollen. […]
Denn das Licht lehrt uns alles, was wir wissen sollen und was zur Seligkeit not ist, welches die
Welt durch ihre Klugheit und Vernunft nicht erkennt.“ – S. des weiteren auch: De servo arbitrio,
WA 18, 654,40–655,10 (BoA 3, 143,28–144,2).
21
 De servo arbitrio, WA 18, 653,29–31 (BoA 3, 142,12–14): Scripturas sanctas esse lucem
spiritualem, ipso sole longe clariorem, praesertim in iis quae pertinent ad salutem vel neces-
sitatem. Die oben im Text nicht mitübersetzten Worte vel necessitatem („oder auch die Not-
wendigkeit“) beziehen sich auf das in WA 18, 634,29–635,22 (BoA 3, 125,13–126,28) Gesagte.
22 Predigt am Ostermontag nachmittags (1526), WA 20, 336,24 f. mit dem Hinweis auf Lk

24,32: Euangelium est clavis, quae aperit veterem scripturam. („Das Evangelium ist der Schlüs-
sel, der die alte Schrift öffnet.“) – S. ferner: Tischreden, Nr. 390 (1532), WA.Tr 1, 170,28 f. (BoA
8, 50,19): „Das neu testament leuchtet in das allt sicut dies in noctem.“ („Das Neue Testament
leuchtet in das Alte wie der Tag in die Nacht.“) Ebd., Nr. 3789 (1538), WA.Tr 3, 616,1 f. (BoA 8,
169,22 f.): Euangelium est clarissimum et glossa omnium prophetarum. („Das Evangelium ist
völlig klar und die Erklärung aller Propheten[worte].“)
23
 Vgl. Dictata super Psalterium (1513–1516) zu Ps 81(82),5, WA 3, 620,5 f.: Nescito […]
Christo impossibile est habere intellectum in Scriptura, cum ipse sit sol et veritas in Scriptura.
(„Ohne die Kenntnis Christi ist es unmöglich, Erkenntnis in der Schrift zu haben, da er selbst
die Sonne und die Wahrheit in der Schrift ist.“) Ebd., zu Ps 101(102),6, WA 4, 153,27 f.: Ego non
intelligo usquam in Script. nisi Christum crucifixum. („Ich habe kein Verständnis in irgend-
einer Sache in der Schrift, wenn ich nicht den gekreuzigten Christus verstehe.“) Entsprechend
heißt es dann in De servo arbitrio, WA 18, 607,4 (BoA 3, 102,6 f.): Christus […] aperuit nobis
sensum, ut intelligamus scripturas. („Christus hat uns den Sinn geöffnet, daß wir die Schrift
verstehen.“) Die hier vorliegende Anspielung auf Lk 24,45 bedeutet nicht, daß von dem sensus
der Christen die Rede ist. Gemeint ist vielmehr der sensus scripturae (s. zu diesem Begriff WA
18, 607,21; 652,27; 734,3 [BoA 3, 102,28; 141,6 f.; 230,34]). Luther bezieht sich nämlich auf die
folgende Aussage des Erasmus: De sensu scripturae pugna est. („Um den Sinn der Schrift geht
der Streit“); De libero arbitrio ΔΙΑΤΡΙΒΗ sive collatio per Desiderium Erasmum Roterodamum,
hg. v. J. von Walter, Leipzig 1910, 14,17 f.
Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift 255

geboten, was unter den Reformatoren insbesondere Luther gefordert und selbst
geübt hat: die Unterscheidung zwischen Schrift und Evangelium, zwischen dem,
was in einem Text geschrieben steht, und dem, was der „Wahrheit des Evan-
geliums“ entspricht.24 Denn Christus ist – wie Luther bemerkt – der Herr auch
der Schrift, die deshalb „nicht als Zeuge gegen, sondern als Zeuge für Christus“
gelesen und verstanden sein will.25

IV. Die Klarheit der Heiligen Schrift

Zu dem, was die Reformatoren über das Schriftprinzip und über Christus als die
Mitte der Schrift sagen, gehört wesentlich und unverzichtbar der Gedanke der
„Klarheit“ der Heiligen Schrift.26 Dieser Gedanke wird nur recht verstanden,
wenn man beachtet: Die Aussage, daß die Schrift „klar“ ist, ist beides in einem:
eine Aussage über die Schrift als solche und eine Aussage über den Menschen,
der sie liest. Das heißt: Es geht um das Klarsein der in sich selbst klaren Schrift
für den Leser der Schrift. Dabei ist zwischen einer „äußeren Klarheit“ und einer
„inneren Klarheit“ zu unterscheiden.
Unter der „äußeren Klarheit“ der Schrift versteht Luther ihre vom Glauben
unabhängige Evidenz.27 Damit ist gemeint, daß es nicht erst des christlichen
Glaubens bedarf, um zu sehen, daß Jesus Christus die Mitte des Neuen Testa-

24
 S. dazu P. Schempp, Luthers Stellung zur Heiligen Schrift (FGLP II 3), München 1929,
62–69 (Nachdruck in: P. Schempp, Theologische Entwürfe, hg. v. R. Widmann [TB 50], Mün-
chen 1973, 10–74: 57–62); H. Noltensmeier, Reformatorische Einheit. Das Schriftverständnis
bei Luther und Calvin, Graz – Köln 1953, 33–36.
25 Thesenreihe ‚De fide‘ (s. Anm. 10), Thesen 40 f., WA 39 I, 47,1–4: Christus est dominus,

non servus, Dominus Sabbati, legis et omnium. Et Scriptura est, non contra, sed pro Christo
intelligenda, ideo vel ad eum referenda, vel pro vera Scriputura non habenda. („Christus ist der
Herr, nicht der Knecht, der Herr über den Sabbat, über das Gesetz und über alle Dinge. Und die
Schrift ist nicht als Zeuge gegen, sondern als Zeuge für Christus zu begreifen; deshalb ist sie
[d. h. eine bestimmte Aussage] auf ihn zu beziehen oder nicht für wahre Schrift [d. h. für wahres
Schriftzeugnis] zu halten.“) Vgl. auch These 49 ebd., 19 f.: Quod si adversarii scripturam urse-
rint contra Christum, urgemus Christum contra scripturam. („Wenn unsere Gegner die Schrift
gegen Christus treiben, dann treiben wir Christus gegen die Schrift.“) Ein lehrreiches Beispiel
für das hier erwähnte urgere Christum contra scripturam liefert der Große Galaterbrief-Kom-
mentar ([1531] 1535) zu Gal 3,14: WA 40 I, 457,9–459,4 (Hs) bzw. 457,10–459,24 (Dr).
26
 S. dazu: De servo arbitrio, WA 18, 606,1–609,14; 652,23–661,12 (BoA 3, 100,34–103,23;
141,1–150,28).
27
 S. dazu ausführlich A. Buchholz, Schrift Gottes im Lehrstreit. Luthers Schriftverständ-
nis und Schriftauslegung in seinen drei großen Lehrstreitigkeiten der Jahre 1521–28 (EHS.T
487), Frankfurt am Main u. a. 1993, 59–138 (besonders 63 f.75–80.86–91.131–138). 232–237. Wo
die These vertreten wird, daß nach Luther die claritas externa in der claritas interna begründet
sei (Beispiele bei Buchholz, ebd., 76 Anm. 106), da beruht dies auf einer Interpretation der
in ‚De servo arbitrio‘ enthaltenen claritas-Ausführungen (s. Anm. 26), die sowohl durch das
dort Gesagte wie auch durch zahlreiche andere Aussagen des Reformators als eine Fehldeutung
erwiesen wird.
256 Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift

ments ist, und um zu erkennen, was in den neutestamentlichen Schriften über


ihn und über das Heil des Menschen gesagt wird. Zu beidem bedarf es vielmehr
einzig des unvoreingenommenen, genauen und um Verstehen bemühten Lesens
und Bedenkens. Die Schrift – so Luther – ist „allen zugänglich, und sie ist klar
genug, soweit es für die Seligkeit nötig ist“.28 Der Grund dafür liegt darin, daß
die neutestamentlichen Zeugen in jedermann verständlichen Menschenworten,
in grammatischer Korrektheit und in sprachlich sinnvollen Sätzen von Christus
reden und daß ihre Worte nicht zweideutig sind, sondern genau das meinen, was
sie sagen.29 Die „äußere Klarheit“ der Schrift ist also die Klarheit dessen, was
im Evangelium über Christus und das in ihm beschlossene Heil gesagt wird, und
das Verstehen erwächst hier aus dem eindeutigen Wortsinn.
Die „äußere Klarheit“ der Heiligen Schrift, die ich jetzt nur mit wenigen
Strichen kennzeichnen konnte, bildet die Voraussetzung und Grundlage für
das, was Luther die „innere Klarheit“ der Schrift nennt. Aufgrund der „äußeren
Klarheit“ kann prinzipiell jeder des Lesens Fähige kraft seines Erkenntnisver-
mögens wahrnehmen, was die Schrift von Christus und von dem Heil sagt.
Dagegen kann – ebenso prinzipiell – kein Mensch von sich aus das, was die
Schrift da sagt, als wahr annehmen und es im Glauben für wahr halten. Dazu
bedarf es vielmehr des Heiligen Geistes, der dem Menschen das Wort des Evan-
geliums ins Herz schreibt, so daß er es als das ihm geltende Wort der Wahrheit
erkennt und anerkennt. Auf dieses Werk des Geistes bezieht sich die Rede von
der „inneren Klarheit“ der Heiligen Schrift. Daß die beiden „Klarheiten“ zwar
zusammengehören, aber präzise zu unterscheiden sind, und daß die „äußere
Klarheit“ die notwendige Bedingung für die „innere Klarheit“ ist, das macht
sehr schön das folgende Lutherzitat deutlich: „Den Glauben an Christus ergreife
ich durch das Wort (nämlich: durch das in der Schrift bezeugte Wort des Evan-
geliums). Das Wort ergreife ich zwar durch das Erkenntnisvermögen, aber daß
ich jenem Wort zustimme, das ist das Werk des Heiligen Geistes, nicht der
Vernunft.“30

28
 Rationis Latomianae confutatio (1521), WA 8, 99,20 f.: Scripturae omnibus communes
sunt, satis apertae, quantum oportet pro salute.
29
 S. dazu exemplarisch: Das XIV. und XV. Kapitel S. Johannis gepredigt und ausgelegt
(1538) zu Joh 14,13 f., WA 45, 539,9–551,4. Zitiert sei aus 548,16–18.26–28: „Darum bleiben wir
bei diesem Artikel von Christo, wie ihn die Schrift lehrt, daß er beides, wahrhaftiger Gott und
Mensch, genannt und [so] beschrieben wird, […] also daß die Worte allesamt bedeuten, was sie
heißen. Denn sie sind nicht gesetzt, daß sie Wankelworte sein sollen, sondern daß sie unseren
Glauben klar und gewiß gründen und bestätigen sollen.“ – Vgl. ferner etwa: De servo arbitrio,
WA 18, 700,12–701,13 (BoA 3, 194,5–195,13).
30
 Vorlesung über Jesaias (1527–30), WA 31 II, 439,30–32: […] fides in Christum, quam ap-
prehendo per verbum. Verbum apprehendo quidem intellectu, sed assentiri illi verbo est opus
spiritus sancti, non racionis […].
Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift 257

V. Die Heilige Schrift und die Kirche

Aus der Überzeugung, daß Jesus Christus die Mitte der Schrift ist und daß er
selbst im Evangelium redet, ergibt sich für Luther und die anderen Reformatoren
die Bestimmung des Verhältnisses von Heiliger Schrift und Kirche. In den von
Luther verfaßten Schmalkaldischen Artikeln, die zu den lutherischen Bekennt-
nisschriften gehören, heißt es: „Es weiß, gottlob, ein Kind von sieben Jahren,
was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und die Schäflein, die ihres
Hirten Stimme hören.“31 Bei der hier gegebenen Definition der Kirche handelt
es sich für Luther um einen Satz, der sich der äußeren Klarheit der Heiligen
Schrift verdankt. Der Reformator setzt nämlich voraus, daß ein Kind nach Voll-
endung des siebten Lebensjahres den Vernunftgebrauch erlangt32 und deshalb
kraft der Vernunft den klaren Worten Jesu von Joh 10 (V. 3, V. 16 und V. 27)
entnehmen kann, was die Kirche ist.33 Inhaltlich entspricht den zitierten Worten
das Urteil, daß die Kirche das „Geschöpf“ des Wortes Jesu Christi – das heißt:
des von den Aposteln gepredigten Evangeliums – ist und daß sie durch dieses
Wort ihres Herrn regiert und im wahren Glauben erhalten wird.34 Das Wort der
Kirche kann deshalb nicht über und auch nicht neben dem Evangelium stehen,
sondern nur unter ihm und in seinem Dienst. Ja, das Wort der Kirche ist dann
und nur dann ein wahres Wort, wenn in ihm das Evangelium laut wird. Von daher
ist ausgeschlossen, daß die Kirche in eigener Autorität entscheiden könnte, was

31
 Schmalkaldische Artikel (Druck 1538) III 12, WA 50, 250,1–4 (BoA 4, 318,31–33).
32
 Vgl. Codex iuris canonici, can. 97 § 2 über den Minderjährigen: expleto […] septennio,
usum rationis habere praesumitur. („Nach Vollendung des siebten Lebensjahres […] wird an-
genommen, daß er den Vernunftgebrauch erlangt hat.“) Ich zitiere den lateinischen Text nach:
Codex iuris canonici. Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer
²1984, 34.
33
 Vgl. die Aussagen über das Urteil von Kindern in: De servo arbitrio, WA 18, 617,21 f.;
677,24–26; 718,33 (BoA 3, 109,38 f.; 168,26–28; 214,16 f.).
34
 Resolutiones Lutherianae super propositionibus suis Lipsiae disputatis (1519), WA 2,
430,6–8: Ecclesia […] creatura est Euangelii, incomparabiliter minor ipso, sicut ait Iacobus:
voluntarie genuit nos verbo veritatis suae, et Paulus: per Euangelium ego vos genui. („Die
Kirche […] ist das Geschöpf des Evangeliums, unvergleichlich geringer als dieses, wie Jakobus
sagt: ,Er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort seiner Wahrheit‘ (Jak 1,18), und
Paulus: ,Ich habe euch durch das Evangelium gezeugt‘ (1 Kor 4,15).“ Vgl. auch: Ad librum
eximii Magistri Nostri Magistri Ambrosii Catharini, defensoris Silvestri Prieratis acerrimi,
responsio (1521): WA 7, 721,9–14: Euangelium […] prae pane et Baptismo unicum, certissimum
et nobilissimum Ecclesiae symbolum est, cum per solum Euangelium concipiatur, formetur,
alatur, generetur, educetur, pascatur, vestiatur, ornetur, roboretur, armetur, servetur, breviter,
tota vita et substantia Ecclesiae est in verbo dei, sicut Christus dicit ‚In omni verbo quod
procedit de ore dei vivit homo‘. („Das Evangelium ist […] vor dem Brot [d. h. dem Abendmahl]
und der Taufe das einzigartige, gewisseste und vornehmste Zeichen der Kirche, weil sie durch
das Evangelium allein empfangen, geformt, genährt, gezeugt, erzogen, versorgt, gekleidet, ge-
schmückt, gekräftigt, gefestigt, bewahrt wird, – kurz: das ganze Leben und Wesen der Kirche
ist [d. h. gründet] im Wort Gottes, wie Christus sagt: ,Der Mensch lebt von jedem Wort, das aus
dem Mund Gottes ausgeht‘ [Mt 4,4].“)
258 Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift

christlicher Glaube ist und was nicht. Die Kirche kann sich im Gegenteil nur
im gehorsamen Hören auf die Heilige Schrift immer neu das Evangelium sagen
lassen und das, was sie da vernimmt, bezeugen und bekennen. Bei der Bindung
der Kirche an die Heilige Schrift geht es so dezidiert um die Bindung an das
Evangelium, das die Wahrheit über Jesus Christus gültig zur Sprache bringt, und
damit um die Bindung an Jesus Christus selbst, der im Evangelium gegenwärtig
ist und in ihm sein Heil erschließt. Die Reformatoren haben mit Nachdruck
aufgenommen, was im Neuen Testament selbst in den Pastoralbriefen gesagt
wird: Das Evangelium ist das „Wort der Wahrheit“,35 das die „Erkenntnis der
Wahrheit“ schenkt.36 Es ist der Kirche von den Aposteln her als ein heiliges Gut
überkommen und zur Bezeugung anvertraut,37 und nur wenn sie unerschütterlich
an ihm festhält, kann und wird sie sein, was sie nach 1 Tim 3,15b ist: „die Säule
und Grundfeste der Wahrheit“.38

VI. Die Heilige Schrift und das Dogma

Der reformatorischen Verhältnisbestimmung von Heiliger Schrift und Kirche


korrespondiert diejenige von Heiliger Schrift und Dogma. Anstelle des Begriffs
dogma verwenden die Reformatoren zumeist den Ausdruck articulus fidei – „Ar-
tikel des Glaubens“.39 Artikel des Glaubens sind in erster Hinsicht diejenigen
Sätze des christlichen Bekenntnisses, die das Verhältnis Gottes zum Menschen
und des Menschen zu Gott und eben damit auch das Heil des Menschen be-
treffen. Diese Sätze sind streng von allen Meinungen der Menschen – gerade
auch denen der Philosophen – zu unterscheiden.40 Während diese nämlich stets

35 2 Tim 2,15; vgl. Kol 1,5; Eph 1,13. Luther stellt, wie das in der vorangehenden Anmerkung

aus den ‚Resolutiones Lutherianae‘ mitgeteilte Zitat exemplarisch zeigt, auch Jak 1,18 hierher –
jedoch wohl zu Unrecht, weil dort nicht das Evangelium, sondern die Tora vom Sinai gemeint
sein dürfte (vgl. Ps 118,43 LXX).
36
 Zum Begriff und Gedanken der „Erkenntnis der Wahrheit“ s. besonders 1 Tim 2,4; 2 Tim
2,25.
37
 Als ein „heiliges anvertrautes Gut“ (παραθήκη) wird das Evangelium in 1 Tim 6,20 und in
2 Tim 1,12.14 gekennzeichnet. Daß hier das Paulus vorgegebene und von ihm weitergegebene
Evangelium gemeint ist, folgt aus dem Gesamtzusammenhang 2 Tim 1,8–14 (vgl. auch 1 Tim
1,11; Tit 1,3).
38
 Zu dieser Kennzeichnung der Kirche s. die tiefgründige Auslegung Johannes Calvins:
Ioannis Calvini in Novum Testamentum Commentarii VII, hg. v. A. Tholuck, Berlin ⁴1864, 411 f.
Deutsche Übersetzung: Johannes Calvins Auslegung der kleinen Paulinischen Briefe, hg. v.
O. Weber, Neukirchen-Vluyn 1963, 479–481.
39 Der Begriff dogma begegnet häufig in ‚De servo arbitrio‘; s. dazu vor allem: WA 18, 604,4;

604,6; 604,22.26; 605,18; 606,1; 631,28.33; 632,11.14; 639,11; 642,15 f.; 661,18; 667,8; 723,5 (BoA
3, 98,28; 98,31; 99,12.17; 100,13 f.; 100,34 f.; 122,26.32; 123,13.17; 129,38; 132,1 f.; 150,35; 157,3 f.;
218,38). Zur Identität von dogma (im Sinne von dogma Christianum) und articulus fidei s. WA
18, 656,21–30 (BoA 3, 145,20–31).
40
 S. exemplarisch die scharfe Gegenüberstellung von dogmata Christiana („die christlichen
Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift 259

hypothetisch bleiben und durchaus mit Skepsis betrachtet werden können, muß
ein Dogma „klar, offenkundig und einleuchtend“, ja „völlig einleuchtend“ sein.41
Von daher will das Urteil verstanden sein, daß die Dogmen der Kirche nicht
von dieser selbst „aufgestellt“ und „gestiftet“ worden sind, sondern von Gott
allein. „Die Kirche Gottes“ – so formuliert Luther – „hat nicht die Macht, irgend
einen Artikel des Glaubens aufzustellen, wie sie denn weder je einen solchen
aufgestellt hat noch in Zukunft aufstellen wird.“42 „Alle Artikel“ sind vielmehr
„hinreichend in der Heiligen Schrift aufgestellt, so daß nicht die Notwendigkeit
besteht, daß außerdem noch ein solcher aufgestellt wird“.43 Artikel des Glaubens
zu stiften – so heißt es an einer anderen Stelle – steht allein Gott zu;44 sein Wort
„soll Artikel des Glaubens aufstellen und sonst niemand, auch kein Engel“.45 Für
die These, daß alle Dogmen bereits in der Heiligen Schrift durch das Wort Gottes
aufgestellt sind und es deshalb durchaus nicht in der Hand der Kirche liegt, Ar-
tikel des Glaubens festzusetzen, beruft sich der Reformator auf das Pauluswort
1 Kor 3,11: „Ein anderes Fundament kann niemand legen außer dem, das gelegt
ist, welches ist Jesus Christus.“46 Dazu bemerkt er: „Hier hast du das von den
Aposteln gelegte Fundament. Aber jeder Artikel des Glaubens ist ein Teil dieses
Fundamentes, und daher kann kein anderer Artikel gelegt werden als der, der
gelegt ist.“47 Alle Dogmen hängen dieser Aussage zufolge mit der Offenbarung
Gottes in Jesus Christus zusammen,48 die authentisch und verbindlich durch die
Apostel in dem von ihnen bezeugten Evangelium zur Sprache gebracht wird.

Dogmen“) und philosophorum et hominum opiniones („die Meinungen der Philosophen und
der Menschen“) in: De servo arbitrio, WA 18, 605,18 f. (BoA 3, 100,13–15).
41 De servo arbitrio, WA 18, 656,24 f. (BoA 3, 145,24–26): clarum, apertum et evidens esse

debet prorsusque similis caeteris omnibus evidentissimis articulis. („Es muß klar, offenkundig
und einleuchtend sein und ganz und gar allen übrigen völlig einleuchtenden Artikeln gleich
[d. h. mit ihnen kohärent].“) S. auch die Fortsetzung WA 18, 656,25–30 (BoA 3, 145,26–31).
42
 Propositiones adversus totam synagogam Sathanae et universas portas inferorum (1530),
These I, WA 30 II, 420,6 f.: Ecclesia Dei non habet potestatem condendi ullum articulum fidei,
sicut nec ullum unquam condidit nec condet in perpetuum.
43
 Ebd., These III, WA 30 II, 420,12 f.: Omnes articuli sufficienter sunt in scripturis sanctis
conditi, ut non sit opus ullum praeterea condi.
44
 Schmalkaldische Artikel (Druck 1538) II 2, WA 50, 206,3 f. (BoA 4, 299,21): „welches
allein Gott zugehört“.
45
 Ebd., WA 50, 206,27–29 (BoA 4, 299,32 f.)
46
 Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum
(1520), WA 7, 131,27–31: Certum est, in manu Ecclesiae aut Papae prorsus non esse statuere
articulos fidei […] Probo hunc sic: i. Corint. iii. ‚Fundamentum aliud nemo potest ponere
praeter id quod positum est, quod est Iesus Christus‘. („Es ist gewiß, daß es durchaus nicht in
der Hand der Kirche oder des Papstes liegt, Artikel des Glaubens festzusetzen […]. Ich beweise
das so: 1 Kor 3 [folgt das Zitat].“)
47 Ebd., WA 7, 131,31–33: Hic habes fundamentum ab Apostolis positum. At omnis articulus

fidei est pars huius fundamenti, quare poni alius articulus quam positus est nullus potest.
48
 Vgl. De servo arbitrio, WA 18, 638,24–639,1 (BoA 3, 129,24–26): Nos nihil nisi Ihesum
crucifixum docemus, At Christus crucifixus haec omnia secum affert. („Wir lehren nichts außer
Jesus, den Gekreuzigten. Aber der gekreuzigte Christus bringt das alles mit sich.“)
260 Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift

Die Kirche kann die Dogmen deshalb nur „bezeugen“ und „bekennen“ und sie
gegenüber der Häresie „verteidigen“ – wie sie das auf den „vier Hauptkonzilien“
(Nicäa 325, Konstantinopel 381, Ephesus 431, Chalcedon 451) getan hat.49 In den
Dogmen, die Luther ausdrücklich als „Dogmen Christi“ bezeichnet,50 kommt
das im Evangelium geoffenbarte „höchste Geheimnis“ zur Sprache: „Christus,
der Sohn Gottes, ist Mensch geworden, Gott ist dreifaltig und ein einziger,
Christus hat für uns gelitten und wird (sc. als der Auferstandene) in Ewigkeit
herrschen.“51 Die von Gott gesetzten Artikel des Glaubens betreffen also das
trinitarische und das christologische Dogma. Christi Person und Werk und eben
damit des Menschen Heil sind der Inhalt des Evangeliums und deshalb auch des
Dogmas.
In der Überzeugung, daß die „Artikel des Glaubens“ von Gott selbst im Evan-
gelium „gesetzt“ und so im Neuen Testament gültig kundgegeben sind, ist es
begründet, daß die Reformatoren kein Lehramt kennen, das einer menschlichen
Instanz übertragen wäre. Das Lehramt kommt weder der Kirche insgesamt noch
auch bestimmten Personen in ihr zu  – und selbstverständlich auch nicht der
Theologie als Wissenschaft oder den Theologieprofessoren. Das Wort „Einer ist
euer Lehrer: Christus“ (Mt 23,10) gilt hier exklusiv, und das bedeutet, daß das
Evangelium von Jesus Christus und insofern die Heilige Schrift die alleinige
Lehrautorität in der Kirche ist. Am Zeugnis der Schrift muß deshalb jedes
theologische Urteil überprüft werden, das in der Kirche vertreten wird, wobei
diese Überprüfung nur im gemeinsamen Gespräch derer möglich ist, die auf die
Schrift hören wollen.

VII. Die Heilige Schrift und der Gottesdienst der Kirche

Dem Schriftverständnis entspricht – wie abschließend noch kurz erwähnt sei –


das evangelische Verständnis des Gottesdienstes. Die Reformatoren sehen die
wichtigste Aufgabe der Kirche darin, das von den Aposteln bezeugte Evan-
gelium zu verkündigen, in dem Christus selbst den Menschen sein Heil kundtut
und zueignet. Da dieses Evangelium in der Heiligen Schrift in klarer inhaltlicher

49 S. dazu Luthers Schrift ‚Von den Konziliis und Kirchen‘ (1539), WA 50, 509–653. Aus-

gabe in einer dem heutigen Deutsch angenäherten Fassung: M. Luther, Von den Konziliis
und Kirchen (M. Luther, Ausgewählte Werke. Dritte Auflage, Ergänzungsreihe 7), München
1963. Zum Begriff der „vier Hauptkonzilia“ s. dort 92, zur Würdigung der Konzilien vor allem
41–44.59–63 (Nicäa), 65–70 (Konstantinopel), 70–80 (Ephesus), 80–83.90 (Chalcedon). 92–94
(die vier Konzilien insgesamt).
50
 De servo arbitrio, WA 18, 604,6 (BoA 3, 98,31).
51
 De servo arbitrio, WA 18, 606,26–28 (BoA 3, 101,25–28): […] illud summum mysterium
proditum est, Christum filium Dei factum hominem, Esse Deum trinum et unum, Christum pro
nobis passum et regnaturum aeternaliter. Zu der Rede von dem summum mysterium vgl. 1 Tim
3,16.
Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift 261

Bestimmtheit enthalten ist, kann es von denen, die mit dem Dienst am Wort
Gottes beauftragt sind, in aller Eindeutigkeit wahrgenommen und in der gleichen
Eindeutigkeit ausgerichtet werden – dies in der Erwartung, daß der Heilige Geist
die Herzen der Hörenden öffnet, so daß sie zu dem Glauben geführt und in dem
Glauben bewahrt werden, der das Heil ergreift. Der Ort, an dem das geschehen
soll, ist vor allem andern der Gottesdienst der versammelten Gemeinde, in dem
das Evangelium in der Predigt und in der Feier der heiligen Sakramente laut
wird. Es ist in dem reformatorischen Schriftverständnis begründet, wenn Luther
den Sinn des Gottesdienstes dahingehend beschreibt, „daß unser lieber Herr
selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden
durch Gebet und Lobgesang“.52

52 Predigt am 17. Sonntag nach Trinitatis, bei der Einweihung der Schloßkirche zu Torgau

gehalten (1544), WA 49, 588,16–18.


Die Auferweckung des Lazarusin den
gottesdienstlichen Hymnen der Orthodoxen Kirche
Ein Beitrag zur Auslegungsgeschichte von Joh 11,1–44

Die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus Joh 11,1–44 gehört sowohl in
narrativer wie auch in theologischer Hinsicht zu den zentralen Texten des Vierten
Evangeliums und des Neuen Testaments überhaupt. Die Orthodoxe Kirche hat –
in auffallendem Unterschied zu den Kirchen des Westens – das Zeugnis dieser
Erzählung dadurch in eindrucksvoller Weise aufgenommen, daß dem in ihr be-
richteten Geschehen innerhalb des Kirchenjahrs ein eigener Festtag gewidmet
worden ist: der „Samstag des heiligen und gerechten Lazarus“.1 Dieser Tag, an
dem die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus in der Göttlichen Liturgie
vollständig verlesen wird, gehört zu den hohen Festen der Kirche.2 An ihm –
aber auch in den Gottesdiensten der fünf voraufgehenden Werktage und des un-
mittelbar folgenden Palmsonntags – werden darüber hinaus zahlreiche Hymnen
gesungen, die das Wunder der Auferweckung des Lazarus zum Thema haben.3
Diesen Hymnen, in denen wir höchst beachtliche Dokumente der Auslegungs-
und Wirkungsgeschichte der johanneischen Erzählung zu erkennen haben,4 sind

1
 S. dazu den entsprechenden Artikel in: K. Onasch, Kunst und Liturgie der Ostkirche in
Stichworten unter Berücksichtigung der Alten Kirche, Wien – Köln – Graz 1981, 238 f.
2
 In der älteren Tradition wird der Lazarussamstag in der Regel zum Dodekaortion gerechnet;
s. K. Onasch, Art. Dodekaortion, in: Ders., Kunst und Liturgie der Ostkirche (s. Anm. 1), 86.
Zur heute üblichen Bestimmung der zwölf Hochfeste s. etwa: The Festal Menaion, translated
from the original Greek by Mother Mary and Archimandrite Kallistos Ware, London – Boston
1977 = 1984, 41 f.; P. D. Day, Art. Twelve great feasts, in: Ders., The Liturgical Dictionary of
Eastern Christianity, Collegeville, MN 1993, 296.
3
 Neben den Lazarus-Hymnen, die in das Triodion – das liturgische Buch mit den Eigen-
texten für die Vorfastenzeit und die Große Fastenzeit – aufgenommenen wurden, sind weitere
Dichtungen erhalten. Erwähnt seien die beiden Hymnen des Romanos Melodos (6. Jahrhun-
dert): Kontakion 26 und 27; s. P. Maas / ​C. A. Trypanis (Hg.), Sancta Romani Melodi Cantica.
Cantica genuina, Oxford 1963, 102–116; J. Grosdidier de Matons (Hg.), Romanos le Mélode,
Hymnes III (SC 114), Paris 1965, 145–225: 154–179.198–219.
4
 Zur Auslegungs- und Wirkungsgeschichte von Joh 11,1–44 s. J. Kremer, Lazarus. Die Ge-
schichte einer Auferstehung. Text, Wirkungsgeschichte und Botschaft von Joh 11,1–46, Stuttgart
1985. Kremer weist dort lediglich auf Romanos Melodos hin (150–152); die in dem vorliegenden
Aufsatz behandelte Hymnendichtung findet dagegen keine Berücksichtigung.
264 Die Auferweckung des Lazarus

die folgenden Darlegungen gewidmet.5 Unser Interesse gilt dabei der Frage,
welche Züge und Aussagen des Evangelienberichtes in den Hymnen aufgenom-
men wurden, welche Deutung sie dort erfahren haben und wie diese Deutung im
Licht heutiger wissenschaftlicher Exegese des Textes Joh 11,1–44 zu würdigen
ist.6
Der Betrachtung der Hymnen sei eine knappe Übersicht über die relevanten
Texte vorangestellt.7 Den größten Teil des Materials liefern die folgenden Dich-
tungen, die jeweils einem bedeutenden Hymnographen zugeschrieben werden.8

5
 Die griechischen Texte des Triodion zitiere ich nach der Ausgabe der Ἀποστολικὴ Διακονία
der Kirche von Griechenland: Τριῴδιον κατανυκτικόν, Athen 1960. Anstelle der dort gebotenen
metrischen Abteilung der einzelnen Verszeilen wähle ich jedoch eine der syntaktischen Struktur
der Sätze entsprechende Interpunktion.  – Allen griechischen Hymnen-Zitaten habe ich eine
deutsche Übersetzung beigefügt, die um eine möglichst genaue Wiedergabe des Textsinns
bemüht ist. Folgende Übersetzungen wurden verglichen: Die Ostkirche betet. Hymnen aus den
Tagzeiten der Byzantinischen Kirche II: Vierte bis sechste Fastenwoche. Die Heilige Woche,
Münster ²1963 (Übersetzung von K. Kirchhoff, Überarbeitung von Chr. Schollmeyer); Der
Gottesdienst am Samstag des hl. gerechten Lazarus. Zusammengestellt und übersetzt von Erz-
priester D. Ignatiev, München 1991; The Lenten Triodion, translated from the original Greek by
Mother Mary and Archimandrite Kallistos Ware, London – Boston 1978 = South Canaan, PA
2002; The Lenten Triodion. Supplementary Texts, translated from the original Greek by Mother
Mary and Archimandrite Kallistos Ware, Bussy-en-Othe 1979.
6
 Zur Exegese s. O. Hofius, Die Auferweckung des Lazarus. Joh 11,1–44 als Zeugnis nar-
rativer Christologie, in: Ders., Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen 2008, 28–45.
In diesem Aufsatz finden die im Folgenden notierten exegetischen Feststellungen ihre de-
taillierte Begründung. Vgl. außerdem auch die tiefgreifenden Ausführungen zu Joh 11,1–44
bei Χ. Κ. Καρακολης, Ἡ θεολογικὴ σημασία τῶν θαυμάτων στὸ κατὰ Ἰωάννην εὐαγγέλιο,
Thessaloniki 1997, 248–309.
7 Die Übersicht berücksichtigt, daß in liturgischer Hinsicht die Gottesdienste des Freitag-

abends zum Lazarussamstags und diejenigen des Samstagabends zum Palmsonntag gehören.
Die im Folgenden genannten Gottesdienste sind: a) der Hesperinos (Ἑσπερινός) = der Abend-
gottesdienst, d. h. die Vesper; b) das Apodeipnon (Ἀπόδειπνον) = der Nachtgottesdienst, dem
in der westlichen Tradition die Komplet entspricht; c) der Orthros (Ὄρθρος) = der Matutin und
Laudes entsprechende Morgengottesdienst. Während ich bei den drei Gottesdiensten sowie bei
den Namen der Hymnographen der erasmischen Aussprache des Griechischen folge, werden
andere griechische Fachbegriffe – von den Termini „Ode“ und „Stichologie“ abgesehen – nach
der neugriechischen Aussprache wiedergegeben. Eine knappe Erläuterung der hymnologischen
bzw. liturgischen Begriffe bietet der terminologische Anhang.
8
 Zu den Hymnographen s. Π. Ν. Τρεμπελας, Ἐκλογὴ Ἑλληνικῆς Ὀρθοδόξου Ὑμνογραφίας,
Athen ²1978, 279–287 (Andreas von Kreta [† 740]), 310–321 (Kosmas von Majuma [8. Jahr-
hundert]), 321 f. (Theophanes Graptos [† 845]), 345 f. (Theodoros Studites [759–826] und
Joseph von Thessaloniki [762–832]), 376 (Leon der Weise [886–912]); s. auch 287–310 zu
Johannes Damaskenos († vor 754) und zur Frage der Identifizierung des Johannes Monachos.
Nicht näher bekannt ist offensichtlich Andreas der Blinde (Andreas Typhlos), dessen Stichiron
in Anm. 19 erwähnt wird. – Knappe Informationen zu den Hymnographen finden sich in: Die
Ostkirche betet. Hymnen aus den Tagzeiten der Byzantinischen Kirche I: Vorfastenzeit. Erste
bis dritte Fastenwoche, Münster ²1962, 451–453; Osterjubel der Ostkirche. Hymnen aus der
fünfzigtägigen Osterfeier der Byzantinischen Kirche, Münster ²1961, 621–623; Hymnen der
Ostkirche. Dreifaltigkeits-, Marien- und Totenhymnen, Münster ²1960 = 1979, 269 f.
Die Auferweckung des Lazarus 265

Hymnen des Lazarussamstags:


– im Hesperinos: Stichira Kaiser Leons des Weisen
– im Apodeipnon: Kanon des Andreas von Kreta
– im Orthros: Kanon des Theophanes Graptos
Kanon und Tetraodion des Kosmas von Majuma9
Tetraodion und Stichira des Johannes Monachos10
Hymnen der fünf dem Fest voraufgehenden Tage:11
– im Orthros: Triodia des Joseph von Thessaloniki
und des Theodoros Studites
– im Hesperinos: Stichira des Joseph von Thessaloniki
und des Theodoros Studites.
Diesen Dichtungen treten die anonym überlieferten Hymnen an die Seite, zu
denen unter anderem das Festtroparion und das Kontakion des Lazarussamstags
sowie bestimmte Kathismata und Stichira des Palmsonntags gehören.12

II

Wenn wir uns nunmehr den Texten selbst zuwenden, so ist in einem ersten
Schritt unserer Betrachtung auf drei erzählerische Motive hinzuweisen, denen
im Gesamtzusammenhang von Joh 11,1–44 eine besondere Bedeutung zukommt

 9
 Von Kosmas stammt auch der im Orthros des Palmsonntags gesungene Kanon, in dessen
dritter Ode von Lazarus die Rede ist.
10 Die in Anm. 5 genannte Edition des Triodion bietet bei den mit den Äni verbundenen

Stichira keine Verfasserangabe. Dagegen wird Johannes Monachos als Autor genannt in:
Ἀνθολόγιον τῶν ἱερῶν ἀκολουθιῶν τοῦ ὅλου ἐνιαυτοῦ. Ἐπιμελείᾳ Κ. Παπαγιάννη. Τόμος
Α’: Ἰανουάριος – Μάρτιος. Τριῴδιον, Thessaloniki 1992, 1069. Ob unter Ἰωάννης Μοναχός
Johannes Damaskenos zu verstehen ist (so z. B. Die Ostkirche betet II [s. Anm. 5], 323–327;
Onasch, Kunst und Liturgie der Ostkirche [s. Anm. 1], 239), ist umstritten; vgl. Τρεμπελας,
Ἐκλογὴ Ἑλληνικῆς Ὀρθοδόξου Ὑμνογραφίας (s. Anm. 8), 288.405. Ich führe deshalb bei der
Verfasserangabe lediglich den Namen Johannes an.
11
 Bei den im Orthros auf die Stichologien folgenden Kathismen fehlt in der in Anm. 5 ge-
nannten Edition des Triodion eine Verfasserangabe, wohingegen diese in Die Ostkirche betet
II (s. ebd.) Joseph von Thessaloniki bzw. Theodoros Studites zugeschrieben werden. – Da der
Hesperinos des Freitags bereits zum Lazarussamstag zählt, gilt das zu diesem Gottesdienst
Gesagt nur für die Tage von Montag bis Donnerstag.
12
 Was die Fundorte der im Folgenden zitierten bzw. erwähnten Texte anlangt, so gilt: a) Die
Hymnen des Lazarussamstags werden stets an erster Stelle sowie ohne Erwähnung des Tages
und des entsprechenden Gottesdienstes angeführt. b) Bei den Hymnen der fünf dem Lazarus-
samstag voraufgehenden Werktage und des Palmsonntags werden jeweils der Tag und der
betreffende Gottesdienst genannt. c) Oden werden mit römischen, Strophen (Troparia) mit
arabischen Zahlen bezeichnet. Die Strophenzählung entspricht der im Triodion (s. Anm. 5)
gebotenen Abfolge; dabei wird der Irmos, die Leitstrophe, stets als erste Strophe gezählt – also
auch dann, wenn dort nur sein Anfang angegeben ist.
266 Die Auferweckung des Lazarus

und die in den Hymnen sowohl aufgenommen wie auch in ihrer theologischen
Bedeutung reflektiert werden.13
1. Die Hymnen bringen das wichtige Motiv zur Sprache, das in dem Ab-
schnitt Joh 11,6–16 zum Ausdruck kommt. Wie der Evangelist in diesen Versen
darlegt, ist der Weg zur Auferweckung des Lazarus für Jesus selbst der Weg,
der ihn an das Kreuz führen wird.14 Das aber bedeutet: Damit Lazarus lebt, muß
Jesus sterben. Diesen Zusammenhang beschreibt unter anderem ein Triodion
des Joseph. Der Dichter erwähnt zunächst die Ankündigung Jesu, daß er nach
Jerusalem gehe, um am Kreuz zu sterben,15 und sodann heißt es:
Θανάτου θέλων, Λόγε, ἐξαρπάσαι φίλον τὸν σόν, σαρκὶ θανατωθῆναι δι᾽ ἡμᾶς κατεπείγῃ
τοὺς βροτούς, ἀθανατίζων τοὺς πιστούς, μόνε ἀθάνατε.16
„Weil du, o Wort, deinen Freund dem Tod entreißen willst, begehrst du, dich um unsert-
willen, die wir sterblich sind, dem Fleisch nach töten zu lassen und so die Glaubenden
unsterblich zu machen, du allein Unsterblicher.“

Als höchst bedeutsam muß gelten, daß das Troparion nicht nur von Lazarus
spricht, sondern zugleich auch von „uns“, d. h. von den an Christus Glaubenden.
Das entspricht voll und ganz dem Sinn der Erzählung Joh 11,1–44 selbst. In ihr
geht es keineswegs nur um Lazarus allein; Lazarus repräsentiert vielmehr alle,
die dem Tod verfallen sind und für die Christus in freiwilliger Entscheidung den
Weg an das Kreuz geht, um sie aus der Gewalt des Todes zu erretten. Dieser
Gedanke begegnet auch in dem folgenden Troparion, das ausdrücklich auf Joh
11,8 Bezug nimmt:
Πρὸς Ἰουδαίαν, Χριστέ, πάλιν ἔρχῃ ζητοῦσαν τῆς ζωῆς σὲ τὸ ξύλον διὰ ξύλου ἀνελεῖν,
ποθῶν ἀθανατίσαι τοὺς τεθανατωμένους τῇ διὰ ξύλου βρώσει.17

13 Daneben wären weitere Motive zu notieren, die aber von geringerem Gewicht sind und

deshalb in dem vorliegenden Aufsatz nicht erörtert werden sollen. Nur ein Beispiel sei genannt:
In Aufnahme der Wendung Λάζαρος ὁ φίλος ἡμῶν Joh 11,11 wird Lazarus in den Hymnen
mehrfach als Jesu „Freund“ bezeichnet, und die entsprechende Aussage, daß Jesus Lazarus
„liebhatte“ (Joh 11,3b.5), findet etwa ihr Echo in Tetraodion des Kosmas VI 2: Ἀγάπη σε εἰς
Βηθανίαν, Κύριε, ἀπήγαγε πρὸς Λάζαρον, καὶ τοῦτον ἤδη ὀδωδότα ἀνέστησας ὡς Θεὸς καὶ ἐκ
δεσμῶν τοῦ Ἅιδου διέσωσας („Die Liebe führte dich, Herr, nach Bethanien zu Lazarus, und
ihn, der schon verweste, hast als Gott du auferweckt und aus den Fesseln des Hades errettet“).
14 S. neben V. 8 insbesondere auch V. 15 f.: Jesu Wort ἄγωμεν πρὸς αὐτόν (sc. πρὸς τὸν

Λάζαρον) veranlaßt Thomas zu der Feststellung: ἄγωμεν καὶ ἡμεῖς ἵνα ἀποθάνωμεν μετ᾽ αὐτοῦ.
15 Freitag (Orthros), Triodion des Joseph IX 2: […] ἀληθῶς παραδοθήσομαι σταυρῷ

ἀποκτανθῆναι σαρκί („in Wahrheit werde ich ausgeliefert werden, um dem Fleisch nach am
Kreuz getötet zu werden“). Hier handelt es sich um eine Bezugnahme auf Mt 20,18 f. (vgl. Mk
10,33 f.; Lk 18,31–33).
16 Freitag (Orthros), Triodion des Joseph IX 3.
17
 Mittwoch (Orthros), Triodion des Joseph VIII 4 (s. zu διὰ ξύλου ἀνελεῖν: Apg 5,30; 10,39;
13,29; Gal 3,13; 1 Petr 2,24 und zu τῇ διὰ ξύλου βρώσει: Gen 2,16 f.; 3,1–19). Vgl. auch Mitt-
woch (Orthros), Triodion des Theodoros IX 3: Nach Judäa, das ihn zu steinigen suchte, kommt
Christus aufs neue, τὸ σωτήριον πάθος γλιχόμενος ἐκπληρῶσαι ὡς Θεός („in dem Verlangen,
Die Auferweckung des Lazarus 267

„Nach Judäa, das dich, den Baum des Lebens, durch den Baum (sc. des Kreuzes) töten
will, gehst du aufs neue, Christus, weil du die unsterblich machen willst, die durch die
Speise des Baumes getötet worden sind.“

Ein anderes Troparion kann dementsprechend dem einzelnen Gläubigen die


Aussage in den Mund legen, daß Jesus nach Jerusalem geht, κτανθῆναι θελήματι
τὸν ἀποκτανθέντα με διασῴζων τῆς φθορᾶς („sich freiwillig töten zu lassen, um
mich, den Getöteten, vom Verderben zu erretten“).18
2. Die Hymnen betonen in Aufnahme der erzählerischen Notiz von Joh 11,43 f.,
daß die Auferweckung des Lazarus durch Jesu „Wort“, „Stimme“ oder „Be-
fehl“ vollzogen wird.19 Nähere Kennzeichnungen sind dabei Wendungen wie
ὁ λόγος τῆς ἐξουσίας σου20 („das Wort deiner Macht“), πρόσταγμα ζωηφόρου
φωνῆς σου21 („der Befehl deiner Leben bringenden Stimme“), ζωοπάροχός
σου λόγος22 („dein Leben gewährendes Wort“) und ὁ λόγος σου ὁ πανσθενής23
(„dein allgewaltiges Wort“) oder die Rede von der φωνὴ θεόφθογγος („die von
Gott ertönende Stimme“) und dem θεϊκὸν ῥῆμα („das göttliche Wort“) Christi24.
Insbesondere die Ausdrücke ζωηφόρος φωνή und ζωοπάροχος λόγος lassen
deutlich erkennen, daß die Hymnendichter das Jesuswort Joh 5,25 mit im Blick
haben, an das auch die Lazarus-Erzählung selbst unüberhörbar erinnert und er-
innern will. In der Erzählung wird ja genau jener Sachverhalt beschrieben, der
in dem genannten Wort Jesu in einer theologischen Aussage zur Sprache kommt:
ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι ἔρχεται ὥρα καὶ νῦν ἐστιν ὅτε οἱ νεκροὶ ἀκούσουσιν
τῆς φωνῆς τοῦ υἱοῦ τοῦ θεοῦ, καὶ οἱ ἀκούσαντες ζήσονται.
3. Die Hymnen bringen die Größe des Wunders der Auferweckung des La-
zarus zum Ausdruck, indem sie im Anschluß an Joh 11,39 und Joh 11,43 f. zwei
erzählerische Motive aufnehmen, die beide in dem folgenden Troparion erwähnt
werden:

das erlösende Leiden als Gott zu vollenden“), und er erduldet dort willig den Tod εἰς τὸ σῶσαι
ἡμᾶς („um uns zu erretten“).
18 Freitag (Orthros), Triodion des Joseph V 3. – S. ferner noch: Stichira des Leon 1; Tetra-

odion des Johannes VII 2; Mittwoch (Orthros), Triodion des Joseph VIII 4.
19 Stichira des Leon 3.6; Stichiron Andreas des Blinden; Kanon des Andreas II 2–4.6–9.

III 3–7. IV 3.4.10. V 3–5. VI 2–6. VII 8. VIII 3. IX 8; Kathismata nach der ersten und zweiten
Stichologie; Kanon des Theophanes I 3. III 5. IV 4. V 2; Kanon des Kosmas III 4. IV 5. V 2.3;
Anderes Kathisma nach Ode III; Tetraodion des Kosmas VI 3. VII 3. VIII 3; Tetraodion des
Johannes VII 3. VIII 2; Exapostilarion; Stichira des Johannes 7–9; Palmsonntag (Großer Hes-
perinos), Stichira zu den Luzernariumspsalmen 4; Palmsonntag (Orthros), Kanon des Kosmas
III 2. – Die relevanten Termini sind: λόγος, ῥῆμα, φωνή, πρόσταγμα, πρόσταξις, κέλευσις sowie
die entsprechenden Verben.
20 Stichira des Leon 3.
21 Kanon des Andreas II 4.
22
 Mittwoch (Orthros), Triodion des Joseph IX 3.
23
 Kanon des Kosmas III 4.
24
 Kanon des Kosmas V 3 bzw. Kanon des Theophanes III 5.
268 Die Auferweckung des Lazarus

Ὁ τεταρταῖος ὀδωδὼς καὶ κειρίαις συνειλημμένος ἥλλατο ἔμπνους ὁ ἄπνους φωνοῦντός


σου, Κύριε.25
„Der bereits vier Tage Tote, der schon verweste und von Binden umwunden war, – er, der
Entseelte, sprang beseelt umher, als du [ihn] riefst, o Herr.“

Das eine Motiv betrifft den Tatbestand, daß Lazarus schon den vierten Tag im
Grab liegt und also bereits in Verwesung begriffen ist. Immer wieder erscheint in
den Hymnen das τεταρταῖος von Joh 11,39b, und mehrfach begegnet daneben –
wie in dem soeben zitierten Troparion  – das Partizip ὀδωδώς,26 mit dem die
Worte ἤδη ὄζει des gleichen Verses aufgenommen werden. Das andere Motiv
liegt in dem, was in Joh 11,43 f. über den gebietenden Ruf Jesu und die Reaktion
des Lazarus berichtet wird: φωνῇ μεγάλῃ ἐκραύγασεν (sc. ὁ Ἰησοῦς)· Λάζαρε,
δεῦρο ἔξω. ἐξῆλθεν ὁ τεθνηκὼς δεδεμένος τοὺς πόδας καὶ τὰς χεῖρας κειρίαις
καὶ ἡ ὄψις αὐτοῦ σουδαρίῳ περιεδέδετο. Theophanes sagt dazu in einem seiner
Troparia:
Δεδεμένος τοὺς πόδας Λάζαρος ἐβάδιζε, θαῦμα ἐν θαύμασι! καὶ γὰρ μείζων ὤφθη τοῦ
κωλύοντος ὁ ἐνισχύων Χριστός· οὗ τῷ λόγῳ πάντα δουλοπρεπῶς ὑπηρετοῦσιν ὡς Θεῷ
καὶ Δεσπότῃ δουλεύοντα.27
„Gebunden an den Füßen schritt Lazarus einher – Wunder aller Wunder! Denn als größer
als der, der ihn zurückhalten wollte, zeigte sich der, der ihm Kraft verlieh: Christus.
Seinem Wort gehorchen, wie es sich einem Sklaven geziemt, alle Dinge, und sie dienen
ihm als Gott und Herrn.“

In diesem Troparion ist nicht von einem zusätzlichen Wunder  – also einem
„Wunder im Wunder“ – die Rede,28 sondern das emphatische θαῦμα ἐν θαύμασι!
kennzeichnet die Auferweckung des Lazarus in Übereinstimmung mit dem Sinn
der Schilderung von Joh 11,44 als ein einzigartiges und unerhörtes Wunder, als
das Wunder schlechthin.29

25
 Kanon des Andreas VIII 3; vgl. Tetraodion des Johannes VII 4.
26
 Kanon des Andreas II 4.7. IV 7. VIII 3; Kanon des Kosmas I 4; Kanon des Theophanes
V 4; Tetraodion des Kosmas VI 2; Tetraodion des Johannes VII 4; Palmsonntag (Großer
Hesperinos), Stichira zu den Luzernariumspsalmen 4. – Die genaue Bedeutung von ὀδωδώς
ist: „stinkend“; ich wähle dafür die Übersetzung „verwesend“ u. ä.
27
 Kanon des Theophanes V 3. Zu dem Motiv von Joh 11,44 s. ferner: Kanon des Andreas V
5; Tetraodion des Kosmas VII 3; Tetraodion des Johannes VII 4.
28 Diese Deutung findet sich bei einigen Kirchenvätern; s. dazu W. Bauer, Das Johannes-

evangelium (HNT 6), Tübingen ³1933, 154; Καρακολης, Ἡ θεολογικὴ σημασία τῶν θαυμάτων
στὸ κατὰ Ἰωάννην εὐαγγέλιο (s. Anm. 6), 303 Anm. 228.
29
 So richtig die Übersetzung in The Lenten Triodion (s. Anm. 5), 481: „O wonder of won-
ders!“ Der Ausdruck θαῦμα ἐν θαύμασι entspricht der Formulierung θαῦμα θαυμάτων bei
Romanos Melodos (s. Anm. 3): Kontakion 27,1.
Die Auferweckung des Lazarus 269

III

Bleiben wir bei den erzählerischen Motiven, so muß jetzt von jenen Hymnen
gesprochen werden, die in dem Bericht von der Auferweckung des Lazarus ein
Zeugnis dafür erkennen, daß Jesus im Sinne des Dogmas von Chalcedon beides
ist: wahrer Gott und wahrer Mensch. Er selbst offenbart diesen Hymnen zufolge
in dem in Joh 11,1–44 berichteten Geschehen sowohl seine wahre Gottheit wie
auch seine wahre Menschheit. So heißt es in einem Troparion des Theophanes:
Δύο προβαλλόμενος τὰς ἐνεργείας σου ἔδειξας τῶν οὐσιῶν, Σῶτερ, τὴν διπλόην· Θεὸς
γὰρ εἶ καὶ ἄνθρωπος.30
„Indem du deine zwei Wirksamkeiten in Erscheinung treten ließest, hast du, Heiland,
die Zweiheit deiner Wesenheiten zu erkennen gegeben; denn du bist Gott und Mensch.“

Seine wahre Gottheit offenbart Jesus den Hymnen zufolge bereits darin,
daß er von dem Tod des Lazarus weiß und ihn seinen Jüngern kundtut (Joh
11,11.14).31 Vor allem aber stellt er „die unbegrenzte Wirkkraft“ seiner Gott-
heit unter Beweis,32 indem er „in eigener Machtvollkommenheit“33 den von
der Verwesung gezeichneten Lazarus durch sein allgewaltiges Schöpferwort34
vom Tode auferweckt.35 Darin zeigt sich, daß er der Sohn Gottes36 und als
solcher – wie sein Vater – der „Gott der Lebenden und der Toten“37 ist. In der
zuletzt erwähnten Aussage haben wir eine Prädikation vor uns, die Jesu ein-
zigartige göttliche Hoheit zum Ausdruck bringt. Ihr treten in den Hymnen wei-
tere Hoheitsbegriffe an die Seite. Neben dem häufigen Σωτήρ und dem in Joh
1,1.14 vorgegebenen Λόγος38 sind etwa die Bezeichnungen Jesu als ἀθάνατος,
30
 Kanon des Theophanes III 2; s. ferner: Kanon des Andreas IV 9. IX 3; Stichira des Jo-
hannes 1. – Zu der Lehre von den δύο ἐνέργειαι Christi, wie sie in dem zitierten Troparion des
Theophanes zum Ausdruck kommt, s. das Glaubensbekenntnis (Versio graeca) und die Canones
11–16 des Concilium Lateranense von 649: DH 228 f. (*500). 234–236 (*511–*516).
31 Kanon des Andreas I 8; Kanon des Kosmas I 2; Anderes Kathisma nach Ode III; Tetra-

odion des Johannes VI 2; Ikos; Stichira des Johannes 4; Mittwoch (Hesperinos), Stichira des
Joseph 1.
32
 So Tetraodion des Johannes VI 2: πιστούμενος […] τῆς θεότητός σου τὴν ἀόριστον
ἐνέργειαν („gültig bezeugend […] die unbegrenzte Wirkkraft deiner Gottheit“ [zur Übersetzung
des Verbums πιστοῦσθαι s. u. Anm. 81]).
33 αὐτεξουσίως: Kanon des Andreas IV 4; Tetraodion des Johannes IX 2 (s. auch IX 5 [zitiert

bei Anm. 61]). Vgl. Stichira des Johannes 5: θεϊκῇ δυναστείᾳ αὐτεξουσίῳ θελήματι („mit gött-
licher Macht in selbstmächtigem Willen“).
34
 S. dazu die in den Anmerkungen 19–24 notierten Belege.
35 Stichira des Leon 5; Kanon des Andreas III 5. IV 5.6.9. VII 8. IX 3; Kanon des Theophanes

I 4; Tetraodion des Kosmas VI 2.3. VII 2. VIII 3; Tetraodion des Johannes VI 3. VIII 2.4. IX 4;
Stichira des Johannes 1; Dienstag (Orthros), Triodion des Theodoros IX 3.
36 Kanon des Andreas IV 2.
37
 Kanon des Andreas V 1.2: Θεὸς ζώντων καὶ τῶν νεκρῶν.
38
 Kanon des Andreas IV 9. V 4. IX 3.8; Kanon des Kosmas I 4; Kanon des Theophanes IV
3; Exapostilarion; Mittwoch (Orthros), Triodion des Joseph IX 3; Freitag (Orthros), Triodion
des Joseph IX 3.
270 Die Auferweckung des Lazarus

παντοδύναμος, πάντων Κύριος und Βασιλεὺς τῶν ἁπάντων zu nennen.39 Von


besonderem Gewicht aber sind die beiden folgenden Prädikationen: Jesus wird
zum einen als der „Schöpfer“40 oder als der „Schöpfer aller“ bzw. der „Schöpfer
des Alls“41 bezeichnet, weil er den bereits verwesenden Lazarus in göttlicher
Schöpfermacht durch sein Wort aus dem Tod ins Leben ruft. Und zum andern
gilt Jesus als der „Spender des Lebens“,42 der in Person „die Auferstehung und
das Leben“ ist (Joh 11,25b).43
Wie Jesus in dem in Joh 11,1–44 berichteten Geschehen als wahrer Gott
offenbar wird, so gibt er nach der Deutung der Hymnen hier zugleich auch
seine wahre Menschheit zu erkennen. Obwohl er „als unbegrenzter Gott das
All erfüllt“, wird darin, daß er von einem Ort zum andern geht, sichtbar, daß er

39
 ἀθάνατος: Kanon des Theophanes I 3. V 2; Freitag (Orthros), Triodion des Joseph IX 3;
Palmsonntag (Orthros), Ikos. – παντοδύναμος: Kanon des Theophanes IV 2; Kanon des Kosmas
IV 4; Stichira des Johannes 4; Freitag (Orthros), Triodion des Theodoros IX 3.  – πάντων
Κύριος: Kanon des Kosmas III 3 (vgl. Apg 10,36; Röm 10,12). – Βασιλεὺς τῶν ἁπάντων: Diens-
tag (Orthros), Triodion des Theodoros II 5.
40
 κτίστης: Kanon des Andreas VII 3. IX 2; Ikos; Montag (Orthros), Triodion des Theo-
doros VIII 3; Dienstag (Orthros), Triodion des Theodoros IX 3; Donnerstag (Orthros), Erstes
Kathisma nach der dritten Stichologie.  – δημιουργός: Kanon des Kosmas IV 2.  – ποιητής:
Anderes Kathisma nach Ode III. – πλάστης: Tetraodion des Kosmas VIII 3. – πλαστουργός:
Kanon des Theophanes I 2.
41
 κτίστης (ἁ)πάντων („der Schöpfer aller“): Kanon des Andreas III 2; Ikos; Palmsonntag
(Großer Hesperinos), Stichira zur Liti 6. – κτίστης τῶν ὅλων („der Schöpfer des Weltalls“):
Ikos. – ποιητὴς καὶ συνοχεὺς τῶν ἁπάντων („der Schöpfer und Erhalter aller Dinge“): Kanon
des Andreas VIII 2. – Θεός τε καὶ τῶν ὅλων ποιητής („Gott und Schöpfer des Weltalls“): Don-
nerstag (Hesperinos), Stichiron des Theodoros.  – τῶν ὅλων πλαστουργός („der Bildner des
Weltalls“): Kanon des Andreas IX 8. S. ferner auch: Kathisma nach der ersten Stichologie: ὁ
διὰ λόγου πάντα συστησάμενος („der durch sein Wort alles bereitet hat“); Kanon des Kosmas
I 2: ὁ πρὶν ἐκ μὴ ὄντων παραγαγὼν τὴν σύμπασαν κτίσιν („der einst aus dem Nichts die
ganze Schöpfung ins Dasein gerufen hat“). Ausdrücklich als Schöpfer des Lazarus wird Jesus
bezeichnet, wenn ein Troparion ihn sagen läßt: ἀπέρχομαι ἀναστῆσαι ὃν ἔπλασα („ich gehe
hin, den aufzuerwecken, den ich gebildet habe“); so Mittwoch (Orthros), Erstes Kathisma nach
der dritten Stichologie.
42
 ζωοδότης („der Lebensspender“): Kanon des Andreas VIII 6 (vgl. ebd. II 8: ὁ ζωώσας);
Kathismata nach der ersten und zweiten Stichologie; Kanon des Theophanes I 5. III 3; Don-
nerstag (Orthros), Triodion des Theodoros IV 2. Vgl. auch: Kanon des Theophanes V 2: ζωὴν
χρηματίζων ἀθάνατος („der das Leben offenbarende Unsterbliche“); Kanon des Theophanes I
2: ζωῆς ταμιοῦχος („der Herr des Lebens“); Tetraodion des Johannes VII 3: τῆς ζωῆς ὁ ταμιάς
(„der Herr des Lebens“).
43
 Kanon des Kosmas III 3: σὺ […] ἀνάστασις καὶ σὺ ζωὴ ὥσπερ ἔφης ἀληθείᾳ πέλεις („du
bist, wie du gesagt hast, in Wahrheit die Auferstehung und das Leben“); vgl. Palmsonntag (Or-
thros), Kanon des Kosmas III 2. S. ferner etwa: Stichira des Johannes 1: ἀνάστασις καὶ ζωὴ
τῶν ἀνθρώπων („die Auferstehung und das Leben der Menschen“); ebd. 3: ἡ ἀνάστασις τῶν
κεκοιμημένων („die Auferstehung der Entschlafenen“); Kanon des Andreas V 2: ζωὴ καὶ φῶς
ἀληθινόν („das Leben und das wahre Licht“); Kanon des Kosmas IV 3: ὁ φωτισμὸς πάντων καὶ
ζωή („das Licht und das Leben aller“) / ​ζωὴ τῶν θανέντων („das Leben der Toten“); Kontakion
(zitiert in Anm. 85); Mittwoch (Orthros), Triodion des Theodoros VIII 2: ἡ ζωὴ τῶν ἁπάντων
(„das Leben aller“).
Die Auferweckung des Lazarus 271

„ein sterblicher Mensch“ geworden ist.44 Als Gott weiß er alle Dinge, aber er
fragt dennoch: ποῦ τεθείκατε αὐτόν; (Joh 11,34a),45 und als man ihm die Grab-
stätte zeigt, weint er „nach dem Gesetz der menschlichen Natur“46 über den Tod
des Lazarus (V. 35).47 Er, der „mit dem Vater gleichewig ist“ und „die Gebete
aller empfängt“, betet am Grab des Lazarus „als Mensch“ (Joh 11,41b.42)48 und
erweist damit seinem himmlischen Vater die Ehre, wie sie ein Mensch ihm
schuldig ist.49 Wo immer die Hymnen die Motive erwähnen, die das Menschsein
Jesu offenbaren, da stellen sie die Heilsbedeutung der Inkarnation heraus. Cha-
rakteristisch sind hier etwa die folgenden Wendungen, die jeweils in einem an
Christus gerichteten Wort begegnen: δεικνύων πᾶσι, Σωτήρ, ἀνόθευτον τὴν
πρὸς ἡμᾶς οἰκονομίαν σου,50 δεικνύων τὴν σάρκωσιν τῆς οἰκονομίας σου καὶ
ὅτι φύσει Θεὸς ὑπάρχων φύσει καθ᾽ ἡμᾶς γέγονας ἄνθρωπος,51 πιστούμενος
[…] τὴν ἐνανθρώπησίν σου,52 ἵνα δείξῃς πᾶσι τοῖς λαοῖς, ὅτι Θεὸς ὢν δι᾽ ἡμᾶς
ἄνθρωπος ὤφθης.53 Die menschlichen Züge gelten den Hymnen also als Zeug-
nisse dessen, was das Bekenntnis der Kirche sagt: Πιστεύομεν […] εἰς ἕνα
Κύριον Ἰησοῦν Χριστόν, τὸν Υἱὸν τοῦ Θεοῦ τὸν μονογενῆ, […] τὸν δι᾽ ἡμᾶς
τοὺς ἀνθρώπους καὶ διὰ τὴν ἡμετέραν σωτηρίαν κατελθόντα ἐκ τῶν οὐρανῶν
καὶ […] ἐνανθρωπήσαντα.54

44
 Kanon des Theophanes III 4: Τόπους ἀμειβόμενος ὡς γεγονὼς βροτὸς πέφηνας
περιγραπτός, ὁ πληρῶν τὰ πάντα ὡς Θεὸς ἀπερίγραπτος („Indem du die Orte wechseltest
[d. h. von Ort zu Ort gingst], erschienst du als sterblich Gewordener begrenzt, du, der als unbe-
grenzter Gott das All erfüllt“).
45 Kanon des Andreas I 6. III 2. IV 5. VI 2; Kanon des Kosmas I 3; Kanon des Theophanes

III 3; Kathismata nach Ode III; Tetraodion des Kosmas VIII 3; Tetraodion des Johannes VIII 2;
Stichira des Johannes 1.4. Vgl. auch Stichira des Leon 1.
46
 Stichira des Leon 5: νόμῳ φύσεως ἀνθρωπίνης; vgl. Kanon des Andreas IX 2: νόμῳ
φύσεως σαρκός („nach dem Gesetz der fleischlichen Natur“).
47
 Stichira des Leon 2.5; Kanon des Andreas I 4. II 5. III 5. IV 2.5. VI 2. VII 2. IX 2; Kanon
des Kosmas III 2; Anderes Kathisma nach Ode III; Tetraodion des Johannes VI 2. IX 3; Tetra-
odion des Kosmas VII 2.
48
 Kanon des Theophanes IV 3: Ὁ Πατρὶ συναΐδιος […] ὡς ἄνθρωπος προσεύχεται προσευχὰς
ὁ πάντων προσδεχόμενος („Der mit dem Vater gleichewig ist […], der betet als Mensch – er,
der die Gebete aller empfängt“). S. auch ebd. 2: Jesus betet, obwohl er aufgrund seiner Gottheit
„nicht eines Beistands bedarf“ (οὐ συμμάχου δεόμενος).
49 Kanon des Kosmas V 2; Tetraodion des Johannes IX 2. Zu Jesu Gebet als Ausdruck seiner

wahren Menschheit s. ferner: Anderes Kathisma nach Ode III; Tetraodion des Johannes VIII 4.
50 Kanon des Andreas I 6 („allen, Heiland, deine uns geltende wahre Heilsordnung vor

Augen stellend“). Vgl. Kanon des Theophanes IV 2: οἰκονομίαν τελῶν ἀπόῤῥητον („die unsag-
bare [oder: geheimnisvolle] Heilsordnung vollendend“).
51
 Kanon des Andreas I 4 („die deiner Heilsordnung entsprechende Inkarnation vor Augen
stellend – nämlich: daß du, obwohl du von Natur Gott bist, von Natur uns entsprechend [d. h.
unserer Natur entsprechend] ein Mensch wurdest“).
52
 Kanon des Andreas IV 5 („deine Menschwerdung gültig bezeugend“ [zur Übersetzung des
Verbums πιστοῦσθαι s. u. Anm. 81]).
53
 Kanon des Andreas VII 2 („auf daß du allen Völkern vor Augen stelltest, daß du, obwohl
du Gott bist, um unsertwillen als Mensch erschienen bist“).
54 Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum.
272 Die Auferweckung des Lazarus

Man wird bezweifeln dürfen, daß in der Erzählung Joh 11,1–44 bereits die
beiden „Naturen“ Jesu und das Verhältnis zwischen ihnen in der differenzie-
renden Weise im Blick sind, wie die Hymnen es darstellen. Gleichwohl bringen
die Hymnen zutreffend zur Sprache, daß in der Auferweckung des Lazarus der
handelt, den der Prolog des Johannesevangeliums als den präexistenten gött-
lichen Logos beschreibt (Joh 1,1–9) und von dem er sagt (1,14): καὶ ὁ λόγος σὰρξ
ἐγένετο καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡμῖν, καὶ ἐθεασάμεθα τὴν δόξαν αὐτοῦ, δόξαν ὡς
μονογενοῦς παρὰ πατρός, πλήρης χάριτος καὶ ἀληθείας. Daß in der Auferwec-
kung des Lazarus die göttliche δόξα offenbar wird, die dem menschgewordenen
und in den Tod am Kreuz gehenden Gottessohn eignet, wird in Joh 11 ausdrück-
lich gesagt.55 In den beiden – oben besonders hervorgehobenen – Prädikationen
„Schöpfer“ und „Spender des Lebens“ sind deshalb zentrale Aussagen des Jo-
hannesevangeliums durchaus angemessen aufgenommen. Daß der Mensch Jesus
von Nazareth der „Schöpfer“ ist, ergibt sich aus Joh 1,3, wo es von dem, der dann
σάρξ wird, heißt: πάντα δι᾽ αὐτοῦ ἐγένετο, καὶ χωρὶς αὐτοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἓν ὃ
γέγονεν. Und die Bezeichnung Jesu als „Spender des Lebens“ hat ihr Fundament
vor allem in dem solennen ἐγώ εἰμι-Wort Joh 11,25b.c.26, das im Zentrum der
Erzählung 11,1–44 steht.56

IV

Unsere bisherigen Überlegungen galten den erzählerischen und zugleich theo-


logisch relevanten Motiven des Evangelienberichtes von der Auferweckung des
Lazarus. Nunmehr ist die entscheidende theologische Aussage in den Blick zu
fassen, um die es in dem Text Joh 11,1–44 geht.
Wie bereits bemerkt wurde, handelt die Erzählung von der Auferweckung
des Lazarus keineswegs nur von Lazarus selbst, sondern in ihr ist von einem
jeden Menschen die Rede, zu dessen Rettung der Sohn Gottes den Tod erlitten
hat. Was diesem Menschen widerfährt, wenn er zum Glauben an Christus als
seinen Erlöser kommt, das wird in Joh 11,1–44 narrativ zum Ausdruck gebracht.
Die Auferweckung des Lazarus will also nicht nur als eine Auferweckung aus
dem physischen Tod verstanden sein. Sie steht vielmehr zugleich für die Auf-
erweckung aus dem geistlichen Tod, dem jeder Mensch aufgrund seiner Sünde
verfallen ist, und für das Zum-Glauben-Kommen, mit dem der Mensch das
ewige Leben empfängt. Die Erzählung Joh 11,1–44 schildert mithin das Wunder
der Befreiung aus dem Sündentod.
Die Lazarus-Hymnen bringen diesen Gedanken eindrucksvoll zur Sprache.
Hier ist zunächst auf die sechste Ode des Kanon des Andreas von Kreta hin-
zuweisen. In den Strophen 1–7 redet der vom Tode auferweckte Lazarus selbst
55 S. die Verse 11,4 und 11,40.
56
 S. außerdem: Joh 3,14–16.36; 4,14; 5,24.40; 6,35.47–51.54.63.68; 10,10b.28; 17,2; 20,31.
Die Auferweckung des Lazarus 273

zu seinem Erlöser.57 Lazarus bekennt: ἤγειράς με νεκρὸν τῷ προστάγματί σου58


(„du hast mich Toten auferweckt durch deinen Befehl“), und dem entspricht
die Aussage: ἔσωσάς με, Σωτήρ, δουλείας θανάτου καὶ ἔλυσας τὸν δεσμὸν τῶν
ἀνομιῶν μου59 („du hast mich, Heiland, errettet von der Knechtschaft des Todes
und gelöst die Fessel meiner Sünden“). Die gottesdienstliche Gemeinde, die in
die sechste Ode einstimmt, weiß sich mit Lazarus identisch und bekennt ihre
eigene Befreiung von den Banden der Sünde.60 In diesem Sinn ist auch das –
ebenfalls in der „Ich“-Rede gehaltene – Troparion des Johannes gemeint:
Ἐνήργησας ἀφράστως, Δέσποτα Σωτήρ μου, καθ᾽ ἑκατέρων τῶν δύο σου φύσεων
αὐτεξουσίῳ θελήσει τὴν σωτηρίαν μου.61
„Du hast auf unsagbare Weise, Herr, mein Heiland, kraft jeder deiner beiden Naturen in
selbstmächtigem Willen meine Errettung bewirkt.“
Die zitierten „Ich“-Reden sind Äußerungen des durch Jesu schöpferisches Wort
gewirkten Glaubens. Daß der vom Tode auferweckte Lazarus zum Glauben an
seinen Retter kommt, ist vorausgesetzt, wenn es in den Hymnen heißt, daß er an-
betend vor Christus niederfällt (προσκυνεῖν62), ihn preist (δοξάζειν, μεγαλύνειν,
ὑμνολογεῖν63) und bekennt:
Σὺ Θεὸς καὶ Κτίστης μου· σὲ προσκυνῶ καὶ ὑμνῶ τὸν ἀναστήσαντά με.64
„Du bist mein Gott und Schöpfer. Dich bete ich an, und ich preise dich, der mich auf-
erweckt hat.“
Lazarus repräsentiert dabei zugleich diejenigen, die in diesen seinen Lobpreis
einstimmen: die Jünger Jesu bzw. die zum Glauben kommenden Zeugen des
Geschehens65 – und ebenso die Gemeinde, in deren Gottesdienst die Hymnen
erklingen66. Wie einst die Kinder beim Einzug in Jerusalem,67 so huldigt jetzt
die Gemeinde dem, der sie vom Sündentod erlöst hat.68
57
 Daß es sich um Worte des Lazarus handelt, ergibt sich aus der dritten Strophe, wenn es
dort heißt: βοᾷ Λάζαρος πρὸς σὲ τὸν λύτην τοῦ Ἅιδου („ruft Lazarus zu dir, dem Vernichter
des Hades“).
58
 Kanon des Andreas VI 2–6.
59
 Kanon des Andreas VI 1.
60
 S. dazu auch die Worte πᾶσι παρέχων θείαν ἄφεσιν („allen die göttliche Vergebung
gewährend“) im Kontakion (zitiert in Anm. 85) und im Ikos (zitiert in Anm. 78).
61
 Tetraodion des Johannes IX 5.
62 Kanon des Andreas IV 4; Kathisma nach Ode III.
63
 Kanon des Andreas II 3; Dienstag (Orthros), Triodion des Theodoros IX 3; Freitag (Or-
thros), Triodion des Theodoros VIII 3.
64
 Kanon des Andreas VII 3. Vgl. ferner: Stichira des Leon 4.5; Tetraodion des Kosmas VII
2.3; Tetraodion des Johannes VII 3.
65
 Stichira des Leon 2; Tetraodion des Kosmas IX 2; Exapostilarion; Mittwoch (Hesperinos),
Stichiron des Theodoros.
66
 Tetraodion des Kosmas IX 3; Anderes Exapostilarion; Donnerstag (Orthros), Erstes Ka-
thisma nach der dritten Stichologie; Donnerstag (Hesperinos), Stichiron des Theodoros.
67
 Exemplarisch: Palmsonntag (Orthros), Erstes Kathisma nach der zweiten Stichologie.
68
 Exemplarisch: Palmsonntag (Orthros), Kathismata nach der ersten Stichologie.
274 Die Auferweckung des Lazarus

Daß die durch Christus geschenkte Befreiung aus dem Sündentod von den
Glaubenden immer neu in Anspruch genommen wird, bringen nicht wenige
Hymnen zum Ausdruck.69 Exemplarisch seien die drei folgenden Troparia zitiert:
Λάζαρον ἐξήγειρας τῷ θεϊκῷ, Χριστέ, ῥήματι· κἀμὲ πολλοῖς πταίσμασι θανέντα
ἐξανάστησον, δέομαι.70
„Du hast Lazarus auferweckt, Christus, durch das göttliche Wort. Erwecke  – ich bitte
dich – auch mich auf, den an vielen Sünden Gestorbenen.“
Ὁ νεκρὸν ὀδωδότα Λάζαρον ἐγείρας, Χριστέ, τετραήμερον, ἐξανάστησόν με νεκρωθέντα
νῦν ἁμαρτήμασι καὶ τεθέντα λάκκῳ καὶ σκοτεινῇ σκιᾷ θανάτου· ἀλλὰ ῥῦσαι καὶ σῶσον
ὡς εὔσπλαγχνος.71
„Der du den toten und schon verwesenden Lazarus auferweckt hast, Christus, – ihn, der
bereits vier Tage im Grabe lag: Erwecke mich auf, der jetzt in Sünden gestorben und der
Grube und dem finsteren Schatten des Todes übergeben ist. Ja, erlöse und errette mich als
der, der barmherzig ist.“
Τὸν νεκρὸν ὀδωδότα, δεδεμένον κειρίαις, Δέσποτα, ἤγειρας· καμὲ πεπεδημένον σειραῖς
ἁμαρτημάτων διανάστησον ψάλλοντα· Ὁ τῶν Πατέρων ἡμῶν Θεός, εὐλογητὸς εἶ.72
„Den schon verwesenden Toten, der von Grabtüchern umwunden war, hast du, Herr, auf-
erweckt. Auch mich, der umgarnt ist von den Stricken der Sünden, richte auf, der [dann]
singt: Gott unserer Väter, gepriesen bist du!“

Zuletzt sind noch zwei weitere theologische Aussagen der Hymnen zu bedenken,
die in der Sache aufs engste miteinander verbunden sind.
1. Die Hymnen setzen die Auferweckung des Lazarus betont zu der Auf-
erstehung Jesu in Beziehung, wobei diese in ihrem unlöslichen Zusammenhang
mit dem Tod Jesu am Kreuz gesehen ist.73 In der Auferweckung des Lazarus – so

69
 S. außer den im Folgenden zitierten Texten: Kanon des Kosmas V 3; Tetraodion des Jo-
hannes VI 4; Stichira des Johannes 8; Montag (Orthros), Erstes Kathisma nach der zweiten
Stichologie; Montag (Orthros), Triodion des Joseph IX 2; Dienstag (Hesperinos), Stichira des
Joseph 1; Mittwoch (Orthros), Erstes Kathisma nach der zweiten Stichologie; Mittwoch (Or-
thros), Triodion des Joseph III 3. VIII 2. IX 3; Mittwoch (Hesperinos), Stichira des Joseph 2;
Donnerstag (Orthros), Erstes Kathisma nach der zweiten Stichologie; Donnerstag (Orthros),
Triodion des Joseph IV 3.4. IX 4. – Wenn in den Hymnen von den πάθη die Rede ist, dann sind
die „Sündenleidenschaften“ gemeint.
70
 Kanon des Theophanes III 5.
71
 Kanon des Theophanes V 4.
72 Tetraodion des Johannes VII 4.
73
 Es entspricht diesem Tatbestand, daß im Orthros des Lazarussamstags das sonntägliche
und österliche Auferstehungstroparion Ἀνάστασιν Χριστοῦ θεασάμενοι gelesen wird. Der
Text sei hier (nach: Ἀνθολόγιον τῶν ἱερῶν ἀκολουθιῶν. Τόμος Α’ [s. Anm. 10], 117) zitiert
und übersetzt: Ἀνάστασιν Χριστοῦ θεασάμενοι, προσκυνήσωμεν ἅγιον Κύριον Ἰησοῦν, τὸν
Die Auferweckung des Lazarus 275

das Zeugnis der Hymnen – erweist sich Jesus als der, der den θάνατος bzw. den
Ἅιδης74 bezwingt und seiner Herrschaft ein Ende setzt.75 Die Dichter können
gelegentlich so reden, als sei der Sieg über den Tod bereits in der Auferwec-
kung des Lazarus errungen worden.76 Solche Formulierungen wollen jedoch
im Kontext der Lazarus-Hymnen insgesamt verstanden sein, für die  – dem
neutestamentlichen Zeugnis entsprechend  – die Erkenntnis grundlegend ist,
daß die Überwindung des Todes in Jesu Tod und Auferstehung geschehen ist.

μόνον ἀναμάρτητον. Τὸν Σταυρόν σου, Χριστέ, προσκυνοῦμεν, καὶ τὴν ἁγίαν σου Ἀνάστασιν
ὑμνοῦμεν καὶ δοξάζομεν· σὺ γὰρ εἶ Θεὸς ἡμῶν, ἐκτός σου ἄλλον οὐκ οἴδαμεν, τὸ ὄνομά σου
ὀνομάζομεν. Δεῦτε πάντες οἱ πιστοί, προσκυνήσωμεν τὴν τοῦ Χριστοῦ ἁγίαν Ἀνάστασιν·
ἰδοὺ γὰρ ἦλθε διὰ τοῦ Σταυροῦ χαρὰ ἐν ὅλῳ τῷ κόσμῳ. Διαπαντὸς εὐλογοῦντες τὸν Κύριον
ὑμνοῦμεν τὴν Ἀνάστασιν αὐτοῦ. Σταυρὸν γὰρ ὑπομείνας δι᾽ ἡμᾶς θανάτῳ θάνατον ὤλεσεν.
„Da wir die Auferstehung Christi geschaut haben, laßt uns anbeten den heiligen Herrn Jesus,
der allein ohne Sünde ist. Vor deinem Kreuz, o Christus, fallen wir nieder, und wir besingen
und verherrlichen deine heilige Auferstehung; denn du bist unser Gott, außer dir kennen wir
keinen anderen, deinen Namen rufen wir an. Kommt, alle ihr Gläubigen, laßt uns die heilige
Auferstehung Christi anbeten; denn siehe: durch das Kreuz ist Freude in die ganze Welt ge-
kommen. Allezeit loben wir den Herrn und besingen wir seine Auferstehung. Denn er hat um
unsertwillen das Kreuz erduldet und durch den (= seinen) Tod den Tod vernichtet.“
74 Das Wort Ἅιδης wird in den Hymnen vielfach personifiziert verwendet und stellt deshalb

im Grunde ein Synonym zu θάνατος dar. Das gilt auch dann, wenn – wie bereits in 1 Kor 15,55
v. l.; bei Meliton von Sardes, Passa-Homilie 102, und in den in Anm. 3 erwähnten Hymnen
des Romanos Melodos (Kontakion 26,8–15; 27,1.9)  – θάνατος und ᾅδης als personifizierte
Größen nebeneinander erscheinen (zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund s. Hi 38,17 LXX;
Jes 22,15 LXX; Apk 1,18; 6,8; 20,13 f.). Die Unterscheidung ist in diesem Fall lediglich eine
poetische. Zur Identität des personifizierten ᾅδης mit dem θάνατος vgl. auch die Belege aus
den Schriften der Kirchenväter bei G. W. H. Lampe, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961
= ⁵1978, 32a s. v. ᾅδης D.
75 S. etwa Stichira des Leon 2.3; Kanon des Andreas I 7. II 8. III 6. IV 6. VI 3. IX 6; Kanon

des Theophanes I 3. IV 4; Kanon des Kosmas III 4. IV 4. V 3; Tetraodion des Johannes VII 3;
Exapostilarion; Anderes Exapostilarion; Stichira des Johannes 2; Montag (Hesperinos), Stichi-
ron des Theodoros; Dienstag (Orthros), Triodion des Theodoros IX 3; Dienstag (Hesperinos),
Stichiron des Theodoros; Mittwoch (Hesperinos), Stichira des Joseph 1; Donnerstag (Orthros),
Erstes Kathisma nach der dritten Stichologie; Donnerstag (Orthros), Triodion des Joseph VIII
3; Donnerstag (Orthros), Triodion des Theodoros IV 3. VIII 3. IX 3; Donnerstag (Hesperinos),
Stichira des Joseph 2; Donnerstag (Hesperinos), Stichiron des Theodoros; Freitag (Orthros),
Erstes Kathisma nach der dritten Stichologie.
76
 Als Beispiel kann der erste Satz des Ikos dienen, der im Orthros des Palmsonntags rezitiert
wird: Ἐπειδὴ Ἅιδην ἔδησας, ἀθάνατε, καὶ θάνατον ἐνέκρωσας καὶ κόσμον ἀνέστησας, βαΐοις
τὰ νήπια ἀνευφήμουν σέ, Χριστέ, ὡς νικητὴν κραυγάζοντά σοι σήμερον· Ὡσαννὰ τῷ Υἱῷ
Δαυΐδ („Da du, Unsterblicher, den Hades gefesselt und den Tod getötet und die Menschheit
auferweckt hast, haben die Unmündigen mit Zweigen dich, Christus, unermüdlich als Sieger
gepriesen, und sie rufen dir heute laut zu: Hosianna dem Sohne Davids!“ [zu κόσμος in der
Bedeutung „Menschenwelt“ / ​„Menschheit“ vgl. Bauer / ​Aland, Wörterbuch⁶, 907 s. v. 6]).
S. ferner etwa: Stichira des Leon 3; Kanon des Andreas I 7. IV 6; Kanon des Theophanes I 3.
IV 4; Kanon des Kosmas V 3; Donnerstag (Orthros), Triodion des Joseph VIII 3; Donnerstag
(Hesperinos), Stichiron des Theodoros („der Tod ist tot [θάνατος τέθνηκε], nachdem er schon
vorher gemerkt hat, das Lazarus die Toten verläßt“).
276 Die Auferweckung des Lazarus

Der „Sieger über den Tod“ bzw. der „Vernichter des Hades“77 ist Jesus also als
der gekreuzigte und auferstandene Herr. Was er als der Gekreuzigte und Auf-
erstandene ist, das bestimmt ihn aber in seiner ganzen Existenz, und daraus folgt,
daß er die Auferweckung des Lazarus eben als der wirkt, der zur Überwindung
des Todes am Kreuz sterben und am dritten Tage von den Toten auferstehen
wird. Das Wunder, das Lazarus widerfährt, kann deshalb zum einen als die
„Präfiguration“ des Kreuzesgeschehens78 und als Hinweis auf die Bedeutung der
Passion und des Kreuzestodes Jesu79 bezeichnet werden; und zum andern wird
von diesem Wunder gesagt, daß Jesus mit ihm seine Auferstehung und den in ihr
errungenen Sieg „im voraus gültig bezeugt“.80 Der Gedanke, daß Jesus durch das
Lazarus-Wunder im voraus seine Auferstehung „gültig bezeugt“81, spielt in den

77
 Festtroparion des Lazarussamstags: ὁ νικητὴς τοῦ θανάτου („der Sieger über den Tod“);
Kanon des Andreas VI 3: ὁ λύτης τοῦ Ἅιδου („der Vernichter des Hades“); Donnerstag (Or-
thros), Triodion des Theodoros VIII 6: νικητὴς τοῦ θανάτου καὶ τοῦ Ἅιδου („der Sieger über
den Tod und den Hades“).
78
 Ikos: ἄγωμεν οὖν πορευθώμεν […] καὶ τὸν τάφον Λαζάρου ὀψώμεθα· ἐκεῖ γὰρ μέλλω
θαυματουργεῖν, ἐκτελῶν τοῦ Σταυροῦ τὰ προοίμια καὶ πᾶσι παρέχων θείαν ἄφεσιν („Laßt
uns nun hingehen […] und das Grab des Lazarus schauen; denn dort will ich ein Wunder
vollbringen, um die Präfiguration des Kreuzes[geschehens] ins Werk zu setzen und allen die
göttliche Vergebung zu gewähren“). Zu dem als Wort Jesu formulierten Text ist sprachlich
zweierlei anzumerken: 1. Das präsentische Partizipium conjunctum wird bereits im Neuen
Testament als einem Finalsatz gleichwertig verwendet; s. F. Blass  / ​A.  Debrunner / ​F.  Reh-
kopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen ¹⁷1990, § 418,4. Dieser Ge-
brauch des Partizipiums liegt m. E. in unserem Troparion vor – und ebenso auch in den Troparia,
die in Anm. 82, in Anm. 84 und bei Anm. 90 zitiert werden. 2. Für das semantisch vieldeutige
Wort προοίμιον empfiehlt sich bei der Übersetzung unseres Troparions die Wiedergabe mit dem
Fremdwort „Präfiguration“ (vgl. dazu auch Stichira des Leon 3, zitiert bei Anm. 94). Der Ikos
kennzeichnet die Auferweckung des Lazarus also als einen vorweg gegebenen Hinweis auf das,
was am Kreuz geschehen und durch Christi Kreuzestod gewirkt werden wird.
79 Kanon des Andreas IV 6: Τοῦ Πάθους τὰ σύμβολα καὶ τοῦ Σταυροῦ σου γνωρίσαι

βουληθείς, Ἀγαθέ, τοῦ Ἅιδου τὴν ἄπληστον γαστέρα ῥήξας ἀνέστησας ὡς Θεὸς τὸν
τετραήμερον („Weil du die Kennzeichen deines Leidens und deines Kreuzes[todes] offenbaren
wolltest, o Guter, hast du den unersättlichen Magen des Hades zerschmettert und als Gott den
schon vier Tage Toten auferweckt“). Der Ausdruck τὰ σύμβολα bezeichnet hier eine Größe, an
der etwas zuverlässig erkannt werden kann (vgl. zu dieser Bedeutung: Stichira des Johannes 4;
Donnerstag (Orthros), Triodion des Joseph IV 5). Gemeint ist also: An der Auferweckung des
Lazarus zeigt sich zuverlässig, was in Jesu Passion und Kreuzestod geschehen wird und das
Exapostilarion in die Worte faßt: εἰς τέλος ὀλέσεις τὸν Ἅιδην θανάτῳ σου („für immer wirst
du den Hades vernichten durch deinen Tod“). Zu vergleichen sind ferner auch die Aussagen
über das Kreuz bzw. die Kreuzigung Jesu in: Kanon des Andreas I 7; Dienstag (Hesperinos),
Stichira des Joseph 1; Mittwoch (Orthros), Triodion des Joseph VIII 4; Donnerstag (Hesperi-
nos), Stichira des Joseph 2; Palmsonntag (Orthros), Kanon des Kosmas I 2.
80 Dienstag (Hesperinos), Stichiron des Theodoros: Προπιστοῦσαι ἐν τῷ φίλῳ σου τὰ τῆς

Ἀναστάσεώς σου τῆς φρικτῆς, τοῦ Ἅιδου τὴν νέκρωσιν καὶ Ἀδὰμ τὴν ζωήν („Du hast an dei-
nem Freund im voraus gültig bezeugt, was in deiner furchterregenden Auferstehung geschehen
ist: des Hades Tod und Adams [Auferweckung zum] Leben“). Zu dem Verbum προπιστοῦσθαι
s. die nächste Anmerkung.
81
 „Gültig bezeugen“ oder „unter Beweis stellen“ ist m. E. der Sinn des in den Hymnen be-
gegnenden bzw. in dem Kompositum προπιστοῦσθαι enthaltenen Verbums πιστοῦσθαι; s. dazu
Die Auferweckung des Lazarus 277

Hymnen eine hervorgehobene Rolle.82 Lazarus ist der παναληθέστατος μάρτυς


(„der allerwahrste Zeuge“) der Auferstehung Jesu,83 weil Jesus an ihm eben
jene Macht über den Tod unter Beweis stellt, die in seiner eigenen Auferstehung
offenbar wird.84 Indem er Lazarus auferweckt, zeigt er an, daß er in Person die
ζωὴ αἰώνιος und deshalb „das Leben aller“ ist.85 Von daher ergibt sich dann eine
wichtige Konsequenz für das Verständnis der Auferweckung des Lazarus. Sie
bedeutet nach dem Zeugnis der Hymnen entschieden mehr, als daß der Tote in
das irdische Leben zurückgerufen wird, und sie gilt ihnen auch keineswegs nur
als die bloße Verheißung und Verbürgung einer künftigen Auferweckung zum
ewigen Leben. Mit seiner Auferweckung empfängt Lazarus vielmehr bereits die
ζωὴ αἰώνιος. Jesus handelt an ihm ὡς ζωὴν χρηματίζων ἀθάνατος86 („als der das
Leben offenbarende Unsterbliche“) – und das heißt: Er gewährt ihm eben jene
Gabe, die in gleicher Weise den durch Lazarus repräsentierten Glaubenden zu-
teil wird: die Unsterblichkeit.87 Auch wenn der Begriff der ἀθανασία im Vierten
Evangelium nicht erscheint, so bringen die Lazarus-Hymnen mit ihm doch
sehr wohl zur Sprache, was an zentralen Stellen des Evangeliums über die den

auch die Zitate in Anm. 32 (Tetraodion des Johannes VI 2) und in Anm. 52 (Kanon des Andreas
IV 5).
82 S. vor allem: Kanon des Andreas IX 3 (zitiert in Anm. 84); ferner: Stichira des Leon 4; Ka-

non des Kosmas I 4. IV 2; Tetraodion des Kosmas IX 3. Vgl. auch Palmsonntag (Großer Hespe-
rinos), Stichira zu den Luzernariumspsalmen 4: Τὴν σεπτὴν Ἀνάστασιν τὴν σὴν προτυπούμενος
ἡμῖν ἤγειρας […] τὸν ἄπνουν Λάζαρον („Um uns deine ehrwürdige Auferstehung im voraus zu
offenbaren [s. o. Anm. 78], hast du den toten Lazarus auferweckt“).
83
 Tetraodion des Johannes IX 3.
84
 S. dazu Kanon des Andreas IX 3: Πιστούμενος, Λόγε, τὴν Ἀνάστασιν τὴν σήν, ἐκάλεσας
τὸν Λάζαρον ἐκ τάφου καὶ ἤγειρας ὡς Θεός, ἵνα δείξῃς τοῖς λαοῖς Θεόν σε καὶ ἄνθρωπον ὁμοῦ
ἐν ἀληθείᾳ ὄντα καὶ ἐγείραντα Ναὸν τὸν τοῦ σώματός σου („Um deine Auferstehung, o Wort,
gültig zu bezeugen [s. o. Anm. 78], hast du Lazarus aus dem Grab gerufen und als Gott ihn
auferweckt, damit du den Völkern zeigtest, daß du in Wahrheit zugleich Gott und Mensch bist
und so auch den Tempel deines Leibes auferweckt hast“). Das Troparion verweist keineswegs
zufällig auf den höchst gewichtigen Text Joh 2,19.21, dem die nicht weniger gewichtige Aussage
von Joh 10,17 f. an die Seite zu stellen ist.
85
 Mittwoch (Orthros), Triodion des Theodoros VIII 2: […] τοῦ δεῖξαι τοῖς λαοῖς, ὅτι ἐστὶν
αὐτὸς ἡ ζωὴ τῶν ἁπάντων („um den Völkern zu zeigen, daß er das Leben aller ist“). Zu der
hier vorliegenden Bezugnahme auf Joh 11,25b s. auch die in Anm. 43 angeführten Texte sowie
das Kontakion des Lazarussamstags: Ἡ πάντων χαρά, Χριστός, ἡ ἀλήθεια, τὸ φῶς, ἡ ζωή,
τοῦ κόσμου ἡ ἀνάστασις, τοῖς ἐν γῇ πεφανέρωται τῇ αὐτοῦ ἀγαθότητι· καὶ γέγονε τύπος τῆς
ἀναστάσεως, τοῖς πᾶσι παρέχων θείαν ἄφεσιν („Christus, die Freude aller, die Wahrheit, das
Licht, das Leben, die Auferstehung der Menschheit, ist denen, die auf Erden sind, in seiner Güte
erschienen; und er wurde zum Urbild der Auferstehung, da er allen die göttliche Vergebung
gewährt“). Zu dem Gedanken, daß Christus τύπος τῆς ἀναστάσεως ist, vgl. ActPaul: 3 Kor 6.
86 Kanon des Theophanes V 2. Der Akkusativ ζωήν ist selbstverständlich nicht mit ἀθάνατος

zu verbinden (so falsch die in Anm. 5 erwähnten Übersetzungen), sondern der Satz besagt:
Jesus, der selbst unsterblich ist, „offenbart“ in der Auferweckung des Lazarus das ewige Leben.
87
 Mittwoch (Orthros), Triodion des Joseph VIII 4 (zitiert bei Anm. 17); Freitag (Orthros),
Triodion des Joseph IX 3 (zitiert bei Anm. 17); Palmsonntag (Großer Hesperinos), Anderes
Apolitikion: […] τῆς ἀθανάτου ζωῆς ἠξιώθημεν τῇ Ἀναστάσει σου („wir wurden durch deine
Auferstehung des unsterblichen Lebens gewürdigt“).
278 Die Auferweckung des Lazarus

Glaubenden mit ihrer Auferweckung aus dem geistlichen Tod bereits geschenkte
ζωὴ αἰώνιος gesagt wird.88
2. Damit stehen wir bereits bei der Beziehung zwischen der Auferweckung des
Lazarus und der eschatologischen Auferstehung der Toten. Von dieser Beziehung
spricht das Festtroparion des Lazarussamstags, das mit den Worten beginnt:
Τὴν κοινὴν Ἀνάστασιν πρὸ τοῦ σοῦ Πάθους πιστούμενος, ἐκ νεκρῶν ἤγειρας τὸν
Λάζαρον, Χριστὲ ὁ Θεός.89
„Um die allgemeine Auferstehung vor deinem Leiden gültig zu bezeugen90, hast du
Lazarus von den Toten auferweckt, Christus, Gott.“

Wird in diesem Satz gesagt, daß Christus mit der Auferweckung des Lazarus die
allgemeine Totenauferstehung „gültig bezeugt“ habe,91 so heißt es in anderen
Texten, daß er sie hier „im voraus angekündigt / ​kundgegeben“92 oder „im voraus
angezeigt“93 hat. Fragen wir, wie das gemeint ist, so gibt uns das im Großen Hes-
perinos des Palmsonntags gesungene sechste Stichiron zur Liti einen wichtigen
Fingerzeig. Nach diesem Stichiron besteht die „Vorherverkündigung“ der Toten-
auferstehung darin, daß sich an Lazarus das Wort Jesu erfüllt: ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ
κἂν ἀποθάνῃ ζήσεται (Joh 11,25c). Lazarus ist also insofern τῆς παλιγγενεσίας
προοίμιον σωτήριον („die heilsame Präfiguration der Wiedergeburt [d. h. der den
Menschen neumachenden Auferstehung]“) geworden,94 als an ihm sichtbar wird,
daß dem durch Jesus aus dem Sündentod auferweckten und an ihn glaubenden
Menschen die zukünftige Auferstehung bereits gültig zugeeignet ist und daß
sie auch durch den Tod nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Wir können
somit zusammenfassend formulieren: Die Auferweckung des Lazarus ist nach

88 S. dazu neben Joh 11,25 f. vor allem Joh 3,14–16.36a; 5,24; 6,40.47.54; 10,10.28; 20,21.
89 Vgl. Kathisma nach der ersten Stichologie: ἀνέστησας φωνήσας τὸν νεκρόν, τὴν τοῦ
κόσμου, ζωοδότα, δι᾽ αὐτοῦ πιστούμενος Ἀνάστασιν („Du hast, indem du ihn riefst, den
Toten auferweckt und so, Lebensspender, durch ihn die Auferstehung der Menschheit gültig
bezeugt“).
90
 Zum finalen Gebrauch des präsentischen Partizipium conjunctum s. o. Anm. 78.
91
 Zu πιστοῦσθαι s. Anm. 81.
92
 Kanon des Theophanes V 2: τῶν βροτῶν ἁπάντων οἷα Θεὸς τὴν ἐσομένην προθεσπίζων
προδήλως Ἀνάστασιν („als Gott im voraus die zukünftige Auferstehung aller Sterblichen
offen ankündigend“); Stichira des Johannes 2: τὴν πάντων ἀνθρώπων προμηνύων ἐκ φθορᾶς
ἐλευθερίαν („die Befreiung aller Menschen von der Vergänglichkeit im voraus kundgebend“);
Freitag (Orthros), Triodion des Joseph VIII 2: τὴν ἔγερσιν πάντων προμηνύων („die Auf-
erweckung aller im voraus kundgebend“); Palmsonntag (Großer Hesperinos), Stichira zur Liti
6: προκηρύξαι τὴν Ἀνάστασιν („die Auferstehung im voraus kundzutun“).
93 Palmsonntag (Orthros), Stichira zu den Äni 4: Τὴν κοινὴν Ἀνάστασιν πρὸ τοῦ ἑκουσίου

Πάθους σου εἰς πίστωσιν πάντων προενδειξάμενος, Χριστὲ ὁ Θεός, τὸν […] Λάζαρον […]
ἀνέστησας („Indem du die allgemeine Auferstehung vor deinem freiwilligen Leiden zur Be-
glaubigung für alle im voraus anzeigtest, Christus, Gott, hast du Lazarus auferweckt“).
94
 Stichira des Leon 3. Zu παλιγγενεσία als Bezeichnung für die eschatologische Auferste-
hung der Toten s. Lampe, A Patristic Greek Lexicon (s. Anm. 74), 998b s. v. παλιγγενεσία
III.A.2. Für προοίμιον gilt das in Anm. 78 Gesagte.
Die Auferweckung des Lazarus 279

dem Zeugnis der Hymnen ein Vorschein des Ostersieges Christi, in dem die
Auferstehung der an Christus Glaubenden definitiv entschieden und begründet
ist – und zwar als eine Wirklichkeit, die sie schon jetzt in ihrem Sein zeichnet
und bestimmt.

Terminologischer Anhang

Äni: Die Αἶνοι (Ainoi)95 sind die zum Morgengottesdienst (Orthros) gehörenden
Laudes-Psalmen Ps 148–150. An Sonn- und Festtagen werden an verschiede-
nen Stellen Stichira (→ Stichiron) zu den Psalmversen hinzugefügt.
Apolitikion: Ἀπολυτίκιον (Apolytikion) heißt das einem bestimmten Werktag,
Sonntag oder Festtag zugeordnete → Troparion, weil es unter anderem am
Ende des Abendgottesdienstes (Hesperinos) vor der Entlassung (ἀπόλυσις)
gesungen wird. In der Göttlichen Liturgie gehört dieses Troparion zu den
Hymnen, die auf den Kleinen Einzug folgen.
Exapostilarion: Als Ἐξαποστειλάριον (Exaposteilarion) wird ein → Troparion
bezeichnet, das im Morgengottesdienst (Orthros) auf den → Kanon folgt und
den → Äni unmittelbar voraufgeht.
Ikos: Der Οἶκος (Oikos) ist ein → Troparion, das ebenso wie das → Kontakion
ursprünglich Bestandteil einer umfangreichen frühbyzantinischen Kirchen-
dichtung war, die im Gottesdienst gesungen, später jedoch durch den jüngeren
→ Kanon verdrängt wurde. Der Ikos folgt im Morgengottesdienst (Orthros)
zusammen mit dem ihm voraufgehenden Kontakion auf die sechste → Ode
des Kanons.
Irmos: Εἱρμός (Heirmos) heißt ein als Leitstrophe dienendes → Troparion, das
hinsichtlich der Silbenzahl, der Betonung und der Melodie das Modell für die
auf es folgenden Troparia liefert. Im → Kanon ist der Irmos jeweils das erste
Troparion einer jeden → Ode. An Sonn- und Festtagen wird der Irmos häufig
am Ende einer Ode wiederholt.
Kanon: Der Κανών ist die letzte Hochform der byzantinischen Kirchendichtung
und bildet insbesondere ein wesentliches Element des Morgengottesdienstes
(Orthros). Ein voll entwickelter Kanon besteht aus neun bzw. – da die zweite
→ Ode ausschließlich an bestimmten Tagen der Großen Fastenzeit gesungen
wird  – aus acht Oden. In der Großen Fastenzeit weist der Kanon vielfach
eine auf drei und gelegentlich auch eine auf vier Oden reduzierte Gestalt auf.
Ein nur drei Oden umfassender Kanon heißt → Triodion, ein nur vier Oden
umfassender Kanon → Tetraodion.

95 Den griechischen Begriffen wird, wo es angezeigt ist, in Klammern die erasmische Aus-

sprache beigefügt.
280 Die Auferweckung des Lazarus

Kathisma: Hinsichtlich des Begriffs Κάθισμα ist zwischen dem Psalmen-­


Kathisma und dem poetischen Kathisma zu unterscheiden. Als Psalmen-­
Kathisma wird jeweils eine der zwanzig Psalmengruppen bezeichnet, in die
der alttestamentliche Psalter für die fortlaufende Lesung im Gottesdienst
unterteilt ist (vgl. → Stichologie). In der Regel sind für den Morgengottes-
dienst (Orthros) zwei oder drei Kathismata und für den Abendgottesdienst
(Hesperinos) ein Kathisma vorgesehen. Bei den poetischen Kathismata han-
delt es sich um Troparia (→ Troparion), bei deren Gesang man sitzen darf.
Im Morgengottesdienst gibt es poetische Kathismata, die auf die Lesung eines
Psalmen-Kathisma folgen, wie auch solche, die sich an die dritte → Ode des
→ Kanons anschließen.
Kontakion: Als Κοντάκιον wird in der heutigen orthodoxen Hymnographie ein
→ Troparion bezeichnet, das ebenso wie der → Ikos ursprünglich Bestandteil
einer umfangreichen frühbyzantinischen Kirchendichtung war. Diese wurde
im Gottesdienst gesungen, später jedoch durch den jüngeren → Kanon ver-
drängt. Das Kontakion folgt im Morgengottesdienst (Orthros) auf die sechste
→ Ode des Kanons. In der Göttlichen Liturgie gehört es zu den Hymnen, die
im Anschluß an den Kleinen Einzug gesungen werden. – Ursprünglich wurde
die erwähnte frühbyzantinische Kirchendichtung als ganze Κοντάκιον ge-
nannt, und deren einzelne Strophen trugen jeweils den Namen „Ikos“ (Οἶκος).
Als Beispiele s. die in Anm. 3 erwähnten beiden Kontakia des Romanos
Melodos, die der Auferweckung des Lazarus gewidmet sind.
Liti: Die Λιτή (Litē) ist ein Gebetsdienst, der an hohen Festtagen unmittelbar
mit dem Abendgottesdienst (Hesperinos) verbunden ist und zu dem eine im
Kirchenraum vollzogene Prozession der Liturgen gehört. Während der Pro-
zession werden Troparia (→ Troparion) gesungen.
Luzernariumspsalmen: Als Luzernariums- oder Lichterpsalmen gelten vier mit-
einander verbundene Psalmen, die zu den ältesten Elementen des Abend-
gottesdienstes (Hesperinos) gehören: Ps 140, Ps 141, Ps 129 und Ps 116 (Sep-
tuaginta-Zählung; Hebräische Bibel: Ps 141, Ps 142, Ps 130 und Ps 117). Zum
Gesang dieser Psalmen, zu denen Stichira (→ Stichiron) hinzugefügt werden,
werden im Kirchenraum alle Lichter angezündet.
Ode: Die poetische ᾨδή ist ein zu einem → Kanon gehörender Hymnus. Eine
Ode besteht aus drei bis acht metrisch-musikalisch gleichgestalteten Troparia
(→ Troparion), wobei das erste Troparion den → Irmos, d. h. die Leitstrophe
bildet.
Stichiron: Στιχηρόν (Stichēron) heißt ein → Troparion, dem ein alttestament­
licher Psalmvers (= στίχος) voraufgeht. Stichira werden unter anderem mit
den → Äni und mit den → Luzernariumspsalmen verbunden.
Stichologie: Als Στιχολογία (Stichologia) wird eine fortlaufende, d. h. Vers für
Vers erfolgende Lesung aus dem Psalter bezeichnet (vgl. → Kathisma).
Die Auferweckung des Lazarus 281

Tetraodion: Das Τετραῴδιον ist ein → Kanon, der nur vier → Oden umfaßt.
Tetraodia werden ausschließlich in der Großen Fastenzeit gesungen, und zwar
im Morgengottesdienst (Orthros) an den Samstagen der zweiten bis sechsten
Fastenwoche (in der sechsten Woche ist dies der Lazarussamstag) sowie am
Karsamstag.
Triodion: Das Τριῴδιον ist ein → Kanon, der nur drei → Oden umfaßt. Triodia
haben ihren Ort in der Großen Fastenzeit. Sie werden vor allem – außer am
Dienstag und Donnerstag der Karwoche – von Montag bis Freitag im Morgen-
gottesdienst (Orthros) gesungen. Von daher trägt auch das liturgische Buch,
das die Eigentexte für die Vorfastenzeit und die Große Fastenzeit einschließ-
lich der Karwoche enthält, den Namen „Triodion“.
Troparion: Der Begriff Τροπάριον bezeichnet eine hymnische Einheit, die mit
der Strophe eines Kirchenliedes der westlichen Tradition vergleichbar ist.
Viele Hymnen bestehen aus mehreren Troparia. Das für einen bestimmten
Wochentag, Sonntag oder Festtag vorgesehene Troparion wird → Apolitikion
genannt.
Struktur und Gedankengang
des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός

In der Enarxis der byzantinischen Liturgien des Johannes Chrysostomus und


des Basilius folgt unmittelbar auf die zweite Antiphon ein Troparion, in dem
sich poetische Schönheit und theologische Tiefe in eindrucksvoller Weise mit-
einander verbinden: der Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός.1 Dieser Hymnus
findet sich in wörtlich gleicher Gestalt auch in den griechischen Liturgien des
Jakobus und des Markus,2 und er ist in einer nur wenige Besonderheiten auf-
weisenden altarmenischen Übersetzung in der Liturgie der Armenisch-Apo-
stolischen Orthodoxen Kirche3 sowie in einer mehrfach von dem griechischen
Text abweichenden altsyrischen Fassung in der Jakobus-Liturgie der Syrisch-
Orthodoxen Kirche4 enthalten.5 Entstanden ist der Hymnus im 6. Jahrhundert
n. Chr., und zwar im Kontext der christologischen Auseinandersetzungen, die
durch das Dogma von Chalcedon (451) hervorgerufen wurden.6 Im Bereich der

1 Ἰ. Μ. Φουντουλης, Βυζαντιναὶ Θ. Λειτουργίαι Βασιλείου τοῦ Μεγάλου καὶ Ἰωάννου τοῦ

Χρυσοστόμου (Κείμενα Λειτουργικῆς 12), Thessaloniki 1978, 16 f.


2
 Ἰ. Μ. Φουντουλης, Θεία Λειτουργία Ἰακώβου τοῦ ἀδελφοθέου (Κείμενα Λειτουργικῆς 5),
Thessaloniki ²1977, 25; Ders., Θεία Λειτουργία τοῦ ἀποστόλου Μάρκου (Κείμενα Λειτουργικῆς
3), Thessaloniki ²1977, 28 f. In beiden Liturgien wird der Hymnus beim Kleinen Einzug gesun-
gen.
3
 Armenischer Text und englische Übersetzung: Divine Liturgy of the Armenian Apostolic
Orthodox Church, hg. v. Tiran Abp. Nersoyan, London ⁵1984, 44 f. Der Hymnus dient an
gewöhnlichen Sonntagen als Introitus der Enarxis.
4
 Syrischer Text und englische Übersetzung: Anaphoras. The Book of the Divine Liturgies
According to the Rite of the Syrian Orthodox Church of Antioch, Lodi, NJ 1991, 35 f. Der
Hymnus hat seinen Ort am Beginn des Öffentlichen Gottesdienstes, d. h. der Liturgie der
Katechumenen. Zum Vergleich der syrischen Fassung mit dem griechischen Text s. S. Janeras,
Le tropaire Ὁ Μονογενής dans les liturgies orientales et sa signification œcuménique, in:
H.-J. Feulner (Hg.), Liturgies in East and West. Ecumenical Relevance of Early Liturgical
Development (ÖSLS 6), Münster u. a. 2013, 209–223: 213 f.
5
 In der Koptisch-Orthodoxen Kirche wird der griechische (!) Hymnus in der 6. Stunde
des Großen Freitags gesungen; s. Πιπαcχα Εθουαβ. The Holy Pascha. Being the Liturgies of
the Holy Week of Pascha According to the Current Usage in the Church of Alexandria, Los
Angeles, CA ²1990, 460. Der bei E. Renaudot, Liturgiarum orientalium collectio I, Frankfurt
am Main – London ²1847, 442 aus dem koptischen Ritus der Konsekration des Patriarchen von
Alexandrien mitgeteilte griechische Text weist gegenüber dem Wortlaut des Karfreitags eine
Abweichung in der Syntax auf, womit eine leichte Verschiebung des Gedankengangs gegeben
ist.
6
 S. dazu insbesondere A. Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 2/1:
Das Konzil von Chalcedon (451). Rezeption und Widerspruch (451–518), Freiburg – Basel –
Wien 1986; Bd. 2/2: Die Kirche von Konstantinopel im 6. Jahrhundert, ebd. 1989.
284 Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός

byzantinisch-orthodoxen Kirchen wird weithin Kaiser Justinian I. (527–565)


als Verfasser des Hymnus angesehen;7 er soll in den Jahren 535/536 seine Auf-
nahme in die Göttliche Liturgie verfügt haben. Den Liturgie-Ausgaben der
Syrisch-Orthodoxen Kirche zufolge handelt es sich dagegen um ein Werk des
Patriarchen Severus von Antiochien (gest. 538).8 Die folgenden Betrachtungen
gelten ausschließlich der griechischen Fassung des Troparion, und sie stellen
sich im Blick auf diesen nach Form und Inhalt höchst anspruchsvollen Text eine
doppelte Aufgabe: Ich möchte zunächst in einem ersten Schritt die sprachlich-
poetische Struktur des Textes herausarbeiten und damit zugleich auch die ihr
angemessene Interpunktion ermitteln; und ich möchte sodann in einem zweiten
Schritt den Gedankengang des Hymnus nachzeichnen und seine entscheidenden
theologischen Aussagen aufzeigen.9

Die Bestimmung der sprachlich-poetischen Struktur, die ihren Ausdruck sowohl


in der Interpunktion des Hymnus wie auch in seiner Gliederung κατὰ κῶλα
findet, entscheidet sich primär an der grammatisch-syntaktischen Analyse des
griechischen Textes. Betrachtet man von daher die Wiedergaben des Hymnus
in liturgischen Büchern oder in wissenschaftlichen Editionen und Untersuchun-
gen, so zeigt sich, daß diese der syntaktischen Gestalt des Textes nicht immer
ganz gerecht werden,10 und das Gleiche ist ebenfalls im Blick auf die Über-
setzungen in andere Sprachen wahrzunehmen. Da eine kritische Darstellung
solcher Textdarbietungen und Übersetzungen den Rahmen des vorliegenden
Aufsatzes sprengen würde, muß ich mich darauf beschränken, meine eigene syn-
taktische Textanalyse vorzulegen und diese zu begründen. Die durch die Analyse
 7
 H.-J. Schulz, Die byzantinische Liturgie. Vom Werden ihrer Symbolgestalt (SQÖT 5),
Freiburg 1964, 58 weist auf die Nähe des Hymnus zu Iustinianus Imperator, Confessio rectae
fidei adversus tria capitula (PG 86, 995 C) hin. Zur Zuschreibung an Justinian und zu den ihr
zugrundeliegenden Quellen s. ausführlich V. Grumel, L’auteur et la date de composition du
tropaire Ὁ Μονογενής, EOr 22 (1923) 398–418.
 8
 S. dazu J. Puyade, Le tropaire ῾Ο Μονογενής, ROC 17 (1912) 253–258.
 9
 Aus der dem Hymnus gewidmeten Literatur seien genannt: J. Breck, The Troparion
Monogenes. An Orthodox Symbol of Faith, SVTQ 26 (1982) 203–228; J. H. Barkhuizen,
Justinian’s Hymn Ὁ μονογενὴς υἱὸς τοῦ Θεοῦ, ByZ 77 (1984) 3–5; G. Bühring / ​S.  Uhlig,
Antiochenisches und Justinianisches im Hymnus ,Eingeborener Sohn‘, OS 37 (1988) 297–307;
V. L. Menze, Justinian and the Making of the Syrian Orthodox Church (OECS), Oxford 2008,
174 f.; S. Janeras, Le tropaire Ὁ Μονογενής dans les liturgies orientales et sa signification
œcuménique (s. Anm. 4).
10 Das gilt z. B. auch für die Textdarbietung bei W. Christ / ​M.  Paranikas, Anthologia

graeca carminum christianorum, Leipzig 1871 = Hildesheim 1963, 52. Dieser Wiedergabe folgen
u. a. E.  Wellesz, A History of Byzantine Music and Hymnography, Oxford ²1961, 178 (s. auch
die Übersetzung ebd., 179) und Barkhuizen, Justinian’s Hymn Ὁ μονογενὴς υἱὸς τοῦ Θεοῦ
(s. Anm. 9), 3.
Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός 285

gewonnene κατὰ κῶλα-Gliederung des Textes, auf dessen einzelne Zeilen im


Folgenden jeweils verwiesen wird, sei den Erörterungen vorausgeschickt:11
Ὁ μονογενὴς Υἱὸς καὶ Λόγος τοῦ Θεοῦ,
ἀθάνατος ὑπάρχων
καὶ καταδεξάμενος διὰ τὴν ἡμετέραν σωτηρίαν,12
σαρκωθῆναι ἐκ τῆς ἁγίας Θεοτόκου
  5 καὶ ἀειπαρθένου Μαρίας,
ἀτρέπτως ἐνανθρωπήσας
σταυρωθείς τε, Χριστὲ ὁ Θεός,
θανάτῳ θάνατον πατήσας,
εἷς ὢν τῆς Ἁγίας Τριάδος,
10 συνδοξαζόμενος τῷ Πατρὶ
καὶ τῷ Ἁγίῳ Πνεύματι,
σῶσον ἡμᾶς.

Der Hymnus besteht aus einem einzigen Satz. Die als Zeile 1 an seinem Anfang
stehenden Worte ὁ μονογενὴς Υἱὸς καὶ Λόγος τοῦ Θεοῦ sind als ein Vokativ
zu lesen, der dann in Zeile 7 durch die Worte Χριστὲ ὁ Θεός noch einmal auf-
genommen wird.13 Mit dem Vokativ des ersten Stichos beginnt ein Aussage-
zusammenhang, der erst in der Bitte σῶσον ἡμᾶς von Zeile 12 zu seinem Ziel und
Abschluß kommt. Der ganze Hymnus ist demnach Anrufung Jesu Christi, des
Sohnes Gottes. Zwischen die Anrede von Zeile 1 und die Bitte von Zeile 12 sind
in den Zeilen 2–11 mehrere Partizipialkonstruktionen eingefügt, deren korrekte
sprachliche Bestimmung für das Verständnis des Hymnus von entscheidender
Bedeutung ist. Nach meinem Urteil liegen die Partizipien ὑπάρχων (Zeile 2),
καταδεξάμενος (Zeile 3), ἐνανθρωπήσας (Zeile 6), σταυρωθείς (Zeile 7) und ὤν
(Zeile 9) syntaktisch auf der gleichen Ebene. Sie sind – gewissermaßen als die

11
 Den Begriff „Zeile“ (griechisch: στίχος) verwende ich zur Bezeichnung eines poetischen
Verses. Zeilen, die nach meinem Urteil syntaktisch auf der gleichen Ebene stehen, sind hinsicht-
lich ihres Anfangs untereinander angeordnet, beginnen also jeweils linksbündig auf gleicher
Höhe. – Die von mir vertretene Interpunktion entspricht der Wiedergabe des Textes in: http://
vassileia.blogspot.com/2016/07/justinian-only-begotten-son-and-word-of.html.
12
 Die dem Partizip καταδεξάμενος voraufgehende Konjunktion καί wird bezeugt durch
den offiziellen Text der griechischen liturgischen Bücher, durch die kirchenslawische Überset-
zung, durch die Übersetzung in einem Horologion syro-palästinischen Ursprungs (M. Black,
A Christian Palestinian Syriac Horologion [Berlin MS. Or. Oct. 1019], Cambridge 1954, 234)
sowie durch die im Ritus der Kopten enthaltenen Fassungen (s. Anm. 5). Sie fehlt in einem
Zweig der Textüberlieferung, dem F. E. Brightman / ​C. E. Hammond, Liturgies Eastern and
Western I: Eastern Liturgies, Oxford 1896 = 1967, 366 folgen (s. auch 33 und 116). Diese Lesart
dürfte sich als Auslassung aufgrund von Homoioarkton (κα-) erklären und deshalb als sekundär
zu beurteilen sein.
13
 Zum Nominativ als Vokativ vgl. im Neuen Testament u. a.: ὁ θεός Lk 18,11.13; Hebr 10,7;
ὁ κύριός μου καὶ ὁ θεός μου Joh 20,28; ὁ πατήρ Mt 11,26. S. auch die unten in Anm. 24 zitierte
Anrufung Jesu Christi.
286 Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός

den Gedankengang tragenden Pfeiler – sämtlich attributiv auf ὁ μονογενὴς Υἱὸς


καὶ Λόγος τοῦ Θεοῦ bezogen, und die mit ihnen verbundenen Aussagen dienen
der näheren Kennzeichnung dessen, der in Zeile 1 mit diesem Vokativ angere-
det wird. Anders stellt sich dagegen die syntaktische Position der Partizipien
πατήσας von Zeile 8 und συνδοξαζόμενος von Zeile 10 dar: Der Partizipialsatz
von Zeile 8 (θανάτῳ θάνατον πατήσας) ist als adverbiale Bestimmung dem
σταυρωθείς von Zeile 7 und der Partizipialsatz der Zeilen 10 f. (συνδοξαζόμενος
τῷ Πατρὶ καὶ τῷ Ἁγίῳ Πνεύματι) als adverbiale Bestimmung den Worten εἷς ὢν
τῆς Ἁγίας Τριάδος von Zeile 9 zugeordnet.14 Der erstere bringt dabei ein moda-
les, der letztere ein kausales Verhältnis zum Ausdruck.15 Blicken wir an dieser
Stelle auf die bisherige sprachliche Analyse des griechischen Textes zurück, so
ergibt sich für die Übersetzung ins Deutsche eine gewichtige Konsequenz: Der
den Hymnus eröffnende Vokativ ist am besten als Anrede „Du einziggeborener
Sohn und Logos Gottes“ zu übersetzen, und für die fünf auf diesen Vokativ be-
zogenen und somit attributiv gebrauchten Partizipien (ὑπάρχων, καταδεξάμενος,
ἐνανθρωπήσας, σταυρωθείς und ὤν) empfiehlt sich die Wiedergabe durch Rela-
tivsätze, in denen die Anrede durch eine Formulierung in der 2. Person Singular
weitergeführt wird („der du […]“).
Fassen wir die Partizipialkonstruktionen der Zeilen 2–11 noch etwas genau-
er in den Blick, so lassen sich drei Aussageeinheiten voneinander abheben: 1.
Durch die am Beginn der dritten Zeile stehende Konjunktion καί16 werden die
beiden Partizipien ὑπάρχων und καταδεξάμενος fest miteinander verklammert.
Das aber bedeutet: Die Möglichkeit, die Worte ἀθάνατος ὑπάρχων (Zeile 2)
ganz unmittelbar als Attribut mit dem Vokativ ὁ μονογενὴς Υἱὸς καὶ Λόγος
τοῦ Θεοῦ (Zeile 1) zu verbinden und dann erst mit καὶ καταδεξάμενος (Zeile 3)
eine neue und eigenständige Aussage beginnen zu lassen,17 wird durch das καί
schlechterdings ausgeschlossen. Die Zeilen 2–5 bilden syntaktisch eine zusam-
mengehörige Einheit: „der du [deinem göttlichen Wesen nach] unsterblich bist
und [dennoch]18 um unseres Heiles willen auf dich genommen hast19, Fleisch
zu werden20 aus der heiligen Gottesgebärerin und immerwährenden Jungfrau
14 Ein Hinweis darauf ist in beiden Fällen der asyndetische Anschluß an das Vorhergehende.
15 Man kann frei übersetzen: „wobei du durch deinen Tod den Tod zertreten hast“ (Zeile
8) bzw. „weshalb du verherrlicht bist mit dem Vater und dem Heiligen Geiste“ (Zeilen 10 f.).
16 Zu ihrer Ursprünglichkeit s. o. Anm. 12.
17
 Zu dieser m. E. nicht korrekten Sicht s. etwa die Textdarbietung bei Christ / ​Paranikas,
Anthologia graeca carminum christianorum (s. Anm. 10), 52. Ihr entspricht z. B. die Überset-
zung bei Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 2/2 (s. Anm. 6), 358.
18
 Das καί dürfte ein καί adversativum sein. Zu diesem Verständnis s. die lateinische Über-
setzung des Hymnus in der Anm. 1 zu Nicephorus Callistus, Ecclesiastica Historia XVII 28 (PG
147, 291 f.): qui cum immortalis esses, dignatus es propter salutem nostram incarnari ex sancta
Dei Genitrice et semper virgine Maria.
19
 Das Verbum καταδέχεσθαι hat hier die Bedeutung „annehmen“ im Sinn von „akzeptieren“.
Möglich ist auch die Übersetzung „der du […] bereit warst“ oder „der du […] willens warst“.
20
 Das Passiv σαρκοῦσθαι hat in Aussagen über die Inkarnation Christi die Bedeutung σὰρξ
Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός 287

Maria“. – 2. Die in Zeile 7 auf das Partizip σταυρωθείς folgende Konjunktion


τέ verbindet dieses aufs engste mit dem Partizip ἐνανθρωπήσας der Zeile 6,21
wodurch deutlich die Zusammengehörigkeit der Zeilen 6–8 angezeigt wird.
Die Worte ἀτρέπτως ἐνανθρωπήσας von Zeile 6 gehören folglich keineswegs
als eine Explikation zu den ihnen voraufgehenden Worten σαρκωθῆναι ἐκ τῆς
ἁγίας Θεοτόκου καὶ ἀειπαρθένου Μαρίας (Zeilen 4 f.), sondern sie sind mit den
Worten σταυρωθείς τε, Χριστὲ ὁ Θεός der Zeile 7 zu verbinden:22 „der du ohne
Veränderung [deines Wesens] Mensch geworden bist und [als der Menschge-
wordene]23 gekreuzigt wurdest, Christus Gott, [dabei] durch den Tod den Tod
zertretend“. – 3. Als dritte Aussageeinheit verbleiben schließlich die Zeilen 9–11:
„der du Einer der Heiligen Dreieinigkeit bist, [deshalb] verherrlicht mit dem
Vater und dem Heiligen Geiste“.
Die drei herausgearbeiteten Partizipialkonstruktionen bedürfen noch einer
weiteren Überlegung. Obwohl der Vokativ ὁ μονογενὴς Υἱὸς καὶ Λόγος τοῦ
Θεοῦ (Zeile 1) grammatisch determiniert ist, sind die attributiv gebrauchten Par-
tizipien ὑπάρχων (Zeile 2), καταδεξάμενος (Zeile 3), ἐνανθρωπήσας (Zeile 6),
σταυρωθείς (Zeile 7) und ὤν (Zeile 9) nicht durch den Artikel angeschlossen.24
Diese Artikellosigkeit dürfte sich dadurch erklären, daß die fünf Partizipien
nicht als rein attributive Bestimmungen empfunden sind, sondern daß in ihnen
„auch adverbialer Sinn mitschwingt“25. Die partizipialen Aussagen geben ja den
Realgrund dafür an, daß die Bitte σῶσον ἡμᾶς (Zeile 12) überhaupt an Christus

γίνεσθαι; s. E. A. Sophocles, Greek Lexicon of the Roman and Byzantine Periods, Cambridge,
MA – Leipzig ²1814 = Hildesheim – Zürich – New York 1983, 980a s. v. σαρκόω.
21
 Zu der Konjunktion τέ s. R. Kühner / ​B.  Gerth, Ausführliche Grammatik der griechi-
schen Sprache II: Satzlehre, Bd. 2, Hannover – Leipzig ³1904 = Hannover 1976, 242 f. (§ 519,2):
Das allein stehende τέ dient der Anreihung von Sätzen, die „mit dem vorangehenden Satze in
naher Beziehung stehen, indem sie eine Ergänzung, Erklärung, weitere Ausführung des vor-
angehenden Satzes oder auch eine aus diesem hervorgehende natürliche Folge ausdrücken,
sodass man τέ häufig durch und so, und daher […] übersetzen kann“. Als Beispiel s. Hebr 1,3.
22
 So richtig z. B. Christ / ​Paranikas, Anthologia graeca carminum christianorum (s.
Anm. 10), 52.
23
 Diese Nuance wird durch die Konjunktion τέ zum Ausdruck gebracht.
24
 Zu einem der grammatischen Regel entsprechenden Anschluß s. exemplarisch die An-
rufung in der im Orthros gesungenen Doxologie: Κύριε ὁ Θεός, ὁ ἀμνὸς τοῦ Θεοῦ, ὁ Υἱὸς τοῦ
Πατρός, ὁ (!) αἴρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου – „Herr Gott, du Lamm Gottes, du Sohn des
Vaters, der du hinwegnimmst die Sünde der Welt“.
25 So zu diesem Phänomen F. Maier, Stilübungen und Interpretation im Griechischen,

Bamberg ²1992, 27. Maier bietet prosaische Beispiele aus Diodor, Dio Chrysostomus, Plutarch
und Xenophon. Als poetisch-hymnischen Beleg notiere ich die durch den Eigennamen Ζεύς
determinierte Anrede in den ersten beiden Zeilen des berühmten Zeus-Hymnus des Klean-
thes: Κύδιστ᾽ ἀθανάτων, πολυώνυμε παγκρατὲς αἰεί, / ​Ζεῦ φύσεως ἀρχηγέ, νόμου μέτα πάντα
κυβερνῶν – „Berühmtester der Unsterblichen, Vielnamiger, stets alles Beherrschender, / ​Zeus,
Herrscher über die Natur, der du nach dem Gesetz alles lenkst“.
288 Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός

gerichtet werden kann und im Hymnus an ihn gerichtet wird. In ihnen ist mithin
jeweils ein kausaler Nebensinn zu konstatieren.26
Im Anschluß an die syntaktische Analyse kann nunmehr eine deutsche Über-
setzung des Christushymnus vorgelegt werden, die in der Wiedergabe der Struk-
tur dem oben mitgeteilten griechischen Text entspricht:27
Du einziggeborener Sohn und Logos Gottes,
der du unsterblich bist
und um unseres Heiles willen auf dich genommen hast,
Fleisch zu werden aus der heiligen Gottesgebärerin
5 und immerwährenden Jungfrau Maria,
der du ohne Veränderung Mensch geworden bist
und gekreuzigt wurdest, Christus Gott,
durch den Tod den Tod zertretend,
der du Einer der Heiligen Dreieinigkeit bist,
10 verherrlicht mit dem Vater
und dem Heiligen Geiste:
Errette uns!

II

Suchen wir jetzt den Gedankengang des Hymnus nachzuzeichnen und seine
entscheidenden Aussagen aufzuzeigen, so soll dies so geschehen, daß wir da-
bei auch auf die Bezugnahmen auf das Christuszeugnis des Neuen Testaments
achten.
Die Anrede Jesu Christi in dem Vokativ der Zeile 1 – ὁ μονογενὴς Υἱὸς καὶ
Λόγος τοῦ Θεοῦ – setzt die christologische Diskussion und die dogmatischen
Entscheidungen bis zum Konzil von Chalcedon (451) voraus, sie ist aber ebenso
wie diese Entscheidungen letztlich dem Johannesevangelium und hier insbeson-
dere dem Prolog Joh 1,1–18 verpflichtet. Die Prädikation Christi als ὁ μονογενὴς
υἱός findet sich im byzantinischen Text von Joh 1,18,28 seine Bezeichnung als
ὁ λόγος in Joh 1,1 f. und 1,14. Der im Prolog zu erhebende Bedeutungsgehalt
der beiden Begriffe ist in unserem Hymnus voll rezipiert. Mit dem Hoheitstitel

26 In der deutschen Übersetzung könnte der kausale Nebensinn durch ein „ja“ zum Ausdruck

gebracht werden: „der du ja unsterblich bist und […] auf dich genommen hast“, „der du ja […]
Mensch geworden bist und gekreuzigt wurdest“, „der du ja Einer der Heiligen Dreieinigkeit
bist“.
27
 Auf die erläuternden Angaben, die im Verlauf der syntaktischen Analyse in den jeweils
übersetzen Zeilen in eckigen Klammern hinzugefügt wurden, wird jetzt verzichtet.
28
 Mit ὁ μονογενὴς υἱός bedeutungsgleich ist der Ausdruck μονογενὴς παρὰ πατρός in Joh
1,14.
Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός 289

„der einziggeborene Sohn Gottes“29 wird Jesus Christus als der Sohn Gottes
schlechthin gekennzeichnet und damit als der eine und einzige, der von Ewigkeit
her auf die Seite Gottes gehört und als dieser seinem Ursprung und Wesen nach
selbst wahrer Gott ist.30 Als der „Logos“ Gottes wird er prädiziert, weil er – und
er allein – in seiner Person und deshalb auch in seinem Werk den unsichtbaren
Vater offenbart und der Vater nirgends anders als nur in ihm zu finden ist.31 Der
Vokativ der Zeile 1 bezeugt so in unmißverständlichen Worten die Einzigartig-
keit Jesu Christi, und dem entspricht das Zeugnis der drei Aussageeinheiten, die
auf diesen Vokativ folgen.
Wenn die aus den Zeilen 2–5 bestehende erste Aussageeinheit mit den Worten
ἀθάνατος ὑπάρχων beginnt (Zeile 2), dann wird Christus zugesprochen, was
nach 1 Tim 6,16a (ὁ μόνος ἔχων ἀθανασίαν) ausschließlich Gott besitzt: ewiges
Sein im Unterschied zu dem begrenzten Leben alles Geschaffenen.32 „Unsterb-
lich“ ist der Sohn und Logos Gottes, weil ihm aufgrund seines göttlichen Ur-
sprungs göttliches Wesen eignet.33 Auf dem Hintergrund dieser Aussage wird in
den Zeilen 3–5 das unerhörte Wunder beschrieben, daß der „unsterbliche“ Got-
tessohn zum Heil der vor Gott verlorenen Menschen bereit war, menschliche und
damit sterbliche Existenz anzunehmen.34 Bei den Worten καὶ καταδεξάμενος διὰ
τὴν ἡμετέραν σωτηρίαν, σαρκωθῆναι ἐκ τῆς ἁγίας Θεοτόκου καὶ ἀειπαρθένου
Μαρίας handelt es sich ohne Zweifel um eine Aufnahme dessen, was in dem
Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (381) über den Sohn Gottes gesagt wird:
τὸν δι’ ἡμᾶς τοὺς ἀνθρώπους καὶ διὰ τὴν ἡμετέραν σωτηρίαν κατελθόντα ἐκ
τῶν οὐρανῶν καὶ σαρκωθέντα ἐκ Πνεύματος Ἁγίου καὶ Μαρίας τῆς παρθένου.35
Wenn unser Hymnus dabei durch das Verbum καταδέχεσθαι das Ja herausstellt,
das der Sohn Gottes um des Heils der Menschen willen zur Inkarnation – und

29
 S. dazu auch Joh 3,16.18; 1 Joh 4,9.
30 Das wird sogleich in Joh 1,1 f. in solenner Weise ausgesagt. Zum Christuszeugnis des Pro-
logs s. meinen Aufsatz über den Christushymnus, der ihm zugrunde liegt: Struktur und Gedan-
kengang des Logos-Hymnus in Joh 1,1–18, in: O. Hofius / ​H.-Chr. Kammler, Johannesstudi-
en. Untersuchungen zur Theologie des vierten Evangeliums (WUNT 88), Tübingen 1996, 1–23
(= Δομή καί λογική ἀκολουθία τοῦ ὕμνου τοῦ Λόγου στό Ιω 1,1–18, in: O. Hofius, Ἡ ἀλήθεια
τοῦ εὐαγγελίου. Συναγωγή καινοδιαθηκικῶν μελετῶν, ἐπιμ. Χ. Καρακόλης / ​π. Ἰ. Σκιαδαρέσης / ​
Μ. Χατζηγιάννης [Ἐκδόσεις Ἄρτος Ζωῆς 56], Athen 2012, 33–80).
31
 S. dazu Joh 1,18, aber auch Joh 12,45; 14,6.9; 17,6–8 sowie Mt 11,27 par. Lk 10,22; 1 Joh
5,20.
32
 Vgl. auch 1 Tim 1,17 (sekundäre Lesarten haben hier ebenfalls ἀθάνατος). Zu ἀθάνατος
als Gottesprädikat in liturgischen Texten s. etwa den Hymnus Φῶς ἱλαρόν: Christ / ​Parani-
kas, Anthologia graeca carminum christianorum (s. Anm. 10), 40; Π. Ν. Τρεμπελας, Ἐκλογὴ
Ἑλληνικῆς Ὀρθοδόξου Ὑμνογραφίας, Athen ²1978, 158.
33
 Vgl. Diognetbrief 9,2; Athanasius, De incarnatione Verbi 9 (PG 25, 112 A.B); Contra
Arianos I 41; II 16; III 57 (PG 26, 96 B – 97 A; 177 C; 444 B.C).
34
 Der Zusammenhang zwischen der Unsterblichkeit des Sohnes Gottes und dem Wunder
seiner Inkarnation wird auch bei Athanasius, Contra Arianos I 41 angesprochen.
35
 I. Karmiris, Τὰ δογματικὰ καὶ συμβολικὰ μνημεῖα τῆς Ὀρθοδόξου Καθολικῆς Ἐκκλησίας
I, Graz ²1968, 130; DH 84 (*150).
290 Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός

damit zu dem Weg an das Kreuz – spricht, dann hat das seine neutestamentliche
Grundlage vor allem im Johannesevangelium und im Hebräerbrief.36 Mit dem
Verbum σαρκοῦσθαι („Fleisch werden“) nehmen das Bekenntnis von Nizäa-
Konstantinopel und der Hymnus auf die Worte ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο von Joh
1,14 Bezug.37 Daß der ewige Sohn Gottes „Fleisch“ wurde, besagt an dieser
Stelle, daß er ein Mensch wurde, der als solcher sterben konnte und dem auch zu
sterben bestimmt war.38 Der gleiche Gedanke ist in jenen frühen christologischen
Aussagen präsent, die den Sohn Gottes als den bekennen, der „im Fleisch ge-
kommen“39 und von daher „im Fleisch“40 ist. Daß die Inkarnation des Sohnes
Gottes nicht als eine Verwandlung in „Fleisch“ verstanden werden darf, die
dann zwangsläufig die Preisgabe des Gott-Seins implizieren würde, ist bereits
für das Johannesevangelium evident. Gemeint ist in Joh 1,14 mit σὰρξ γίνεσθαι
die Annahme menschlicher und damit sterblicher Existenz unter voller Wahrung
der ewigen Gottheit.41 Weil unser Hymnus nicht anders denkt, bezeichnet er die
menschliche Mutter, die den Sohn Gottes geboren hat, als ἡ ἁγία Θεοτόκος καὶ
ἀειπάρθενος Μαρία (Zeilen 4 f.).42
Daß der Sohn Gottes sich mit der Inkarnation nicht in einen Menschen ver-
wandelt hat, wird dann in der zweiten, die Zeilen 6–8 umfassenden Aussageein-
heit sogleich ausdrücklich gesagt. Die Menschwerdung – so die Worte ἀτρέπτως
ἐνανθρωπήσας der Zeile 6 – geschieht ohne eine Veränderung des Wesens und
somit ohne Preisgabe des Gott-Seins. Nur unter dieser Voraussetzung kann der
durch die Konjunktion τέ angefügte Satz gelten, der die Folge und das Ziel der
Menschwerdung zur Sprache bringt: σταυρωθείς τε, Χριστὲ ὁ Θεός, θανάτῳ
θάνατον πατήσας (Zeilen 7 f.). Der Kreuzestod wird von dem ausgesagt, der auch
als der Menschgewordene wahrer Gott ist und bleibt, und in diesem seinem gött-
lichen Persongeheimnis liegt es begründet, daß sein Tod – im fundamentalen Un-
terschied zu allem anderen menschlichen Sterben – ein Heilsgeschehen ist. Die
Worte ἀτρέπτως ἐνανθρωπήσας σταυρωθείς τε […] θανάτῳ θάνατον πατήσας
36
 Joh 4,34; 6,38 f.; 10,17 f.; 12,23 f.27; 14,31; 17,4; 18,11; Hebr 10,1–10.
37
 Der älteste Beleg für σαρκοῦσθαι = σὰρξ γίνεσθαι findet sich bei Meliton, Passa-Homilie
70 und 104 (ὁ ἐν παρθένῳ σαρκωθείς).
38
 Der Gedanke der Sterblichkeit ist bereits in anthropologischen Aussagen des Alten Te-
staments (Gen 6,3; Jes 40,6; Jer 17,5; Ps 56[55],5; 78[77],39; Sir 14,17 f.) und von daher auch
in späteren Texten (z. B. 1QH 7,21; 12,29; 17,16; Joh 3,6) mit dem Begriff „Fleisch“ verbunden.
39
 1 Joh 4,2b; 2 Joh 7; vgl. Ignatius, Eph 7,2 (ἐν σαρκὶ γενόμενος).
40
 Ignatius, Sm 3,1 (vgl. 1,2); s. auch σαρκικός Eph 7,2.
41
 Einzig deshalb kann in Joh 1,14 auf die Worte καὶ ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο καὶ ἐσκήνωσεν
ἐν ἡμῖν der Satz folgen: καὶ ἐθεασάμεθα τὴν δόξαν αὐτοῦ, δόξαν ὡς μονογενοῦς παρὰ πατρός,
πλήρης χάριτος καὶ ἀληθείας.
42 Zu Θεοτόκος sei nur an das Konzil von Ephesus (431) und an das Bekenntnis des Konzils

von Chalcedon (451) erinnert; s. zu ersterem Karmiris, Τὰ δογματικὰ καὶ συμβολικὰ μνημεῖα
I (s. Anm. 35), 135–151.154 f.; DH 122 (*251) und 126 (*252), zu letzterem Karmiris, ebd., 175;
DH 142 (*301). Das Theologumenon der ἀειπαρθενία Marias wird bereits von Athanasius ver-
treten: Contra Arianos II 70 (PG 26, 296 B); Expositio in Psalmos, zu Ps 84,11 (PG 27, 373 A).
S. ferner etwa Epiphanius von Salamis, Ancoratus 119,5 (GCS 25, 148).
Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός 291

nehmen, wie nicht zweifelhaft sein kann, erneut auf das Bekenntnis von Nizäa-
Konstantinopel Bezug, und zwar auf die beiden Aussagen καὶ ἐνανθρωπήσαντα
und σταυρωθέντα τε ὑπὲρ ἡμῶν.43 Wenn das Bekenntnis hier erklärt, daß der
Kreuzestod des menschgewordenen Sohnes Gottes „für uns“ – und das heißt: zu
unserem Heil – geschehen ist, dann interpretiert unser Hymnus diese Aussage
durch den Partizipialsatz θανάτῳ θάνατον πατήσας (Zeile 8), der als adverbiale
Bestimmung dem σταυρωθείς der voraufgehenden Zeile zugeordnet ist. Die
Worte θανάτῳ θάνατον πατήσας kennzeichnen den Kreuzestod Jesu Christi als
den Sieg über den Tod.44 Ihre neutestamentliche Grundlage wird in Texten wie
2 Tim 1,10 und Apk 1,17b.18 greifbar, vor allem aber im Johannesevangelium, das
in dem Golgatha-Geschehen den Sieg erblickt, den der Sohn Gottes in der tief-
sten Tiefe des Kreuzes über den Tod und die Welt des Todes erringt.45 In voller
Entsprechung zu dem johanneischen Zeugnis bringt unser Hymnus in den Zeilen
7 f. durch die Worte σταυρωθεὶς […] θανάτῳ θάνατον πατήσας die Heilswirkung
des Todes Jesu Christi zum Ausdruck. Damit erweist er sich als ein Dokument
jenes Verständnisses des Kreuzestodes, das für das 5. und 6. Jahrhundert als
charakteristisch gelten darf: Das Kreuz als der Ort des Leidens und Sterbens
Jesu Christi ist zugleich der Ort seines Sieges und der Offenbarung seiner Herr-
lichkeit.46 Als Siegeszeichen in diesem Sinn kann das Kreuz allein deshalb
verstanden werden, weil der Gekreuzigte nicht ein ψιλὸς ἄνθρωπος – nicht ein
„bloßer Mensch“ – ist, sondern der μονογενὴς Υἱὸς καὶ Λόγος τοῦ Θεοῦ (Zeile
1), von dem aufgrund der Wahrheit, die mit den Worten ἀτρέπτως ἐνανθρωπήσας
(Zeile 6) bezeugt wird, auch als von dem Menschgewordenen die Prädikation
ἀθάνατος ὑπάρχων (Zeile 2) gilt.47 Der hinter σταυρωθείς τε eingefügte Vokativ
Χριστὲ ὁ Θεός (Zeile 7) weist nachdrücklich auf diesen Sachverhalt hin.
Die hohe Christologie, die bereits in den bisher betrachteten Zeilen des Hym-
nus begegnet, findet ihren stärksten Ausdruck in der dritten Aussageeinheit,
d. h. in den Zeilen 9–11. Die entscheidende Aussage dieser Zeilen und damit des
gesamten Troparion überhaupt liegt in den Worten εἷς ὢν τῆς Ἁγίας Τριάδος
von Zeile 9. In dieser Seins-Prädikation – „Einer der Heiligen Dreieinigkeit“ –
43
 Karmiris, ebd., 130; DH 84 (*150).
44
 Vgl. dazu Athanasius, De incarnatione Verbi 9 (PG 25, 112 C); Contra Arianos III 57 (PG
26, 444 A). Anders als etwa das Ostertroparion (Χριστὸς ἀνέστη ἐκ νεκρῶν θανάτῳ θάνατον
πατήσας καὶ τοῖς ἐν τοῖς μνήμασι ζωὴν χαρισάμενος) hebt unser Hymnus nicht ausdrücklich
auf die Auferstehung Christi ab, obwohl diese selbstverständlich mit im Blick ist. Der Tod und
die Auferstehung Jesu Christi bilden nach neutestamentlichem Zeugnis und ebenso nach dem
Bekenntnis der Kirche eine unlösliche Einheit: Sie sind in ihrem differenzierten Zusammenhang
das eine Heilsgeschehen, in dem der Sieg über den Tod errungen ist.
45
 Die gesamte johanneische Passionsgeschichte ist eine Darstellung dieses Sachverhaltes.
S. außerdem u. a. Joh 2,19–22; 10,17 f. einerseits und Joh 12,31; 14,30; 16,11; 16,33 andererseits.
46
 Vgl. dazu L. Abramowski, Die Mosaiken von S. Vitale und S. Apollinare in Classe und
die Kirchenpolitik Kaiser Justinians, ZAC 5 (2001) 289–341: 306.
47 Zu Recht bemerkt Barkhuizen, Justinian’s Hymn Ὁ μονογενὴς υἱὸς τοῦ Θεοῦ (s.

Anm. 9), 4: „As the Deathless One He was able to defeat death by his own death!“
292 Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός

handelt es sich um das zentrale christologische Zeugnis des sog. „Neuchalcedo-


nismus“.48 Dogmatisiert wurde es im Jahre 553 im zehnten Kanon des fünften
ökumenischen Konzils (Konstantinopel II), und zwar in dem Bekenntnis, „daß
unser im Fleisch gekreuzigter Herr Jesus Christus wahrer Gott und Herr der
Herrlichkeit und Einer der Heiligen Dreieinigkeit ist“ (τὸν ἐσταυρωμένον σαρκὶ
Κύριον ἡμῶν Ἰησοῦν Χριστὸν εἶναι Θεὸν ἀληθινὸν καὶ κύριον τῆς δόξης καὶ ἕνα
τῆς ἁγίας Τριάδος49). Wie in diesem Bekenntnis, so betonen die Worte εἷς τῆς
Ἁγίας Τριάδος auch in unserem Hymnus in einer nicht mehr überbietbaren Wei-
se die wahre Gottheit Jesu Christi. Sie beziehen sich in dem Hymnus dezidiert
auf den, von dem zuvor gesagt war: Er, der μονογενὴς Υἱὸς καὶ Λόγος τοῦ Θεοῦ,
hat – als der „Unsterbliche“ – zum Heil der Menschen „auf sich genommen,
Fleisch zu werden“, ist – ohne aufzuhören, der ewige Sohn zu sein – „Mensch
geworden“ und „wurde“ – mit der Heilswirkung der Überwindung des Todes –
„gekreuzigt“. Von diesem Menschgewordenen und Gekreuzigten wird bezeugt:
Er ist eine der drei Personen der Heiligen Trinität und also göttliche Person.50
Die Implikation des mit den Worten εἷς ὢν τῆς Ἁγίας Τριάδος beschriebenen
Persongeheimnisses Jesu Christi benennt der auf diese Prädikation bezogene
Partizipialsatz συνδοξαζόμενος τῷ Πατρὶ καὶ τῷ Ἁγίῳ Πνεύματι (Zeilen 10 f.).
Weil den drei Personen der Trinität ein und dieselbe göttliche Herrlichkeit (δόξα)
eignet,51 wird der Sohn Gottes „mit dem Vater und dem Heiligen Geiste verherr-
licht“.52 Dies geschieht nicht zuletzt im anbetenden Lobpreis der zum Gottes-
dienst versammelten Gemeinde, wobei man vielleicht auch daran denken darf,
daß hier – insbesondere liturgischen Texten des Ostens zufolge – Menschen und
Engel zu gemeinsamem Gotteslob vereint sind.53

48
 Zu dem theologie- und dogmengeschichtlichen Kontext s. W. Elert, Die Theopaschi-
tische Formel, ThLZ 75 (1950) 195–206; Ders., Der Ausgang der altkirchlichen Christologie,
hg. v. W. Maurer / ​E. Bergsträßer, Berlin 1957, 71–132; Grillmeier, Jesus der Christus im Glau-
ben der Kirche, Bd. 2/2 (s. Anm. 6), besonders 333–359; Janeras, Le tropaire Ὁ Μονογενής
dans les liturgies orientales et sa signification œcuménique (s. Anm. 4), 216–220.
49
 Karmiris, Τὰ δογματικὰ καὶ συμβολικὰ μνημεῖα I (s. Anm. 35), 195; DH 198 (*432). Die
Prädikation Jesu Christi als θεὸς ἀληθινός nimmt das Zeugnis von 1 Joh 5,20b auf, diejenige
als κύριος τῆς δόξης das Zeugnis von 1 Kor 2,8b. Zur theologischen Würdigung des Kanons
insgesamt verweise ich auf J. Meyendorff, Le Christ dans la theólogie byzantine (BOe 2),
Paris 1969, 91–107.
50 Eine eindrückliche Illustration dazu bietet das Apsis-Mosaik von S. Apollinare in Classe,

Ravenna; s. Abramowski, Die Mosaiken von S. Vitale und S. Apollinare in Classe und die
Kirchenpolitik Kaiser Justinians (s. Anm. 46), 302–313.
51 Zur δόξα Jesu Christi s. Joh 1,14; 2,11; 11,4.40; 12,41; 17,5.24, aber auch 1 Kor 2,8b sowie

die Verklärungsgeschichte Mk 9,2–8.


52 Das Vorbild für die Rede von der „Mitverherrlichung“ liefert das Bekenntnis von Nizäa-

Konstantinopel, in dem vom Heiligen Geist das σὺν Πατρὶ καὶ Υἱῷ συνδοξάζεσθαι ausgesagt
wird: Karmiris, Τὰ δογματικὰ καὶ συμβολικὰ μνημεῖα I (s. Anm. 35), 131; DH 84 (*150).
53
 S. dazu meinen Aufsatz: Gemeinschaft mit den Engeln im Gottesdienst der Kirche. Eine
traditionsgeschichtliche Skizze, in: O. Hofius, Neutestamentliche Studien (WUNT 132), Tü-
bingen 2000, 301–325 (= Ἡ κοινωνία τοῦ οὐρανίου καί τοῦ ἐπιγείου κόσμου στή Θ. Λειτουργία
Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός 293

Der Hymnus schließt in Zeile 12 mit der an Christus gerichteten Bitte: σῶσον
ἡμᾶς. Erbeten wird damit eben jene „Rettung“, von der in den Zeilen 2–8 die
Rede war: die σωτηρία, um derentwillen der Sohn Gottes Fleisch annahm,
Mensch wurde und den Tod am Kreuz erlitt. Gemeint ist also die „Rettung“,
durch die der vor Gott verlorene Mensch dem ewig von Gott trennenden Tod ent-
rissen und mit dem ewigen Leben in der Gemeinschaft mit Gott beschenkt wird.
Wenn in unserem Hymnus die christologischen Aussagen in die Bitte um diese
„Rettung“ münden, dann kommt darin zum Ausdruck, daß die Christologie als
Fundament und Voraussetzung der Soteriologie gesehen ist. Mit der Bitte σῶσον
ἡμᾶς wird das Heil Gottes ergriffen, das in dem beschlossen liegt, zu dessen
Bezeugung der Hymnus grundlegende christologische Bekenntnisaussagen aus
den ersten sechs Jahrhunderten der Kirche zu einer in sich stimmigen Einheit
verbunden hat.

τῆς Ἐκκλησίας. Βιβλικοθεολογική θεώρηση, in: Hofius, Ἡ ἀλήθεια τοῦ εὐαγγελίου [s.
Anm. 30], 400–438).
Bibliographie Otfried Hofius
(2009–2021)1

2009
219. Ἡ ἀνάσταση τῶν νεκρῶν ὡς γεγονός σωτηρίας. Σκέψεις στό 15ο κεφάλαιο τῆς
Α΄ πρός Κορινθίους Ἐπιστολῆς, in: C. J. Belezos (ed.), Saint Paul and Corinth.
International Scholarly Conference Proceedings (Corinth, 23–25 September 2007),
Athens 2009, Volume I, 623–641. – Griechische Fassung von Nr. 213.
220. Paulus  – der Zeuge des Evangeliums. Zur Bedeutung des Völkerapostels für die
Kirche der Reformation, Mariastein 54 (2009) 14–19.
221. Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu. Joh 13,1–11 als narratives Christuszeug-
nis, ZThK 106 (2009) 156–176.
222. Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs, in: R. Lapko (ed.), The
Letter of St. Paul to the Romans. A collection of presentations made at the Inter-
national Conference organised by the Catholic University in Ružomberok (Slovakia)
Faculty of Theology in Košice under the patronage of Mr. Ján Hudacky MEP. March
10, 2009 – in the Year of St. Paul, Szeged 2009, 13–30.
223. „Fides ex auditu“. Verkündigung und Glaube nach Römer 10,4–17, in: J. von Lüpke / ​
E. Thaidigsmann (Hg.), Denkraum Katechismus. FS Oswald Bayer, Tübingen 2009,
71–86.

2010
224. Β΄ προς Κορινθίους 5:19α: Το κείμενο και το πρόβλημα της μετάφρασής του, Αστήρ
της Ανατολής 153 (2010) 81–84.
225. Die Ordination zum Amt der Kirche und die apostolische Sukzession nach dem
Zeugnis der Pastoralbriefe, ZThK 107 (2010) 261–284.
226. Ἡ ἀνάσταση τοῦ Λαζάρου στούς λειτουργικούς ὕμνους τῆς Ὀρθόδοξης Ἐκκλησίας.
Μιά συμβολή στήν ἱστορία τῆς ἑρμηνείας τοῦ Ἰω 11,1–44, in: Αγία Γραφή και
Αρχαίος Κόσμος. Τιμητικό Αφιέρωμα στον Ὁμότιμο Καθηγητή Ιωάννη Λ. Γαλάνη
(FS Ioannis L. Galanis), Thessaloniki 2010, 131–149. – Deutsche Fassung: Nr. 247;
rumänische Fassung: Nr. 250.
227. „Verba theologica“. Erwägungen zum Problem theologischer Rede, Verba theo-
logica 9 (2010), Nr. 19, 3–10. – Slowakische Fassung: Nr. 228.

1 Fortsetzung der Bibliographie in: O. Hofius, Exegetische Studien (WUNT 223), Tübingen

2008, 297–310. Dort sind nachzutragen: 135a. The Adam-Christ Antithesis and the Law: Re-
flections on Romans 5:12–21, in: J. D. G. Dunn (ed.), Paul and the Mosaic Law, Grand Rapids,
MI 1996, 165–206.  – 209a. Ἡ βιβλική μαρτυρία περί Ἰησοῦ Χριστοῦ καί ὁ θρησκευτικός
πλουραλισμός, Αστήρ της Ανατολής 150 (2007) 344–346 (auch in: DBM 26 [2008] 95–100). –
218a. Ausgezeichnet durch die Gnade Gottes (Predigtmeditation über Lukas 1,[39–45].46–55.
[56]), AuB 2008, Heft 22, 17–21.
296 Bibliographie Otfried Hofius (2009–2021)

228. „Verba theologica“. Úvahy k problému teologickej reči, Verba theologica 9 (2010),
Nr. 19, 10–16. – Slowakische Fassung von Nr. 227.

2011
229. Exegetische Studien (WUNT 223). Unveränderte Studienausgabe, Tübingen 2011.
XI, 365 S. (s. Nr. 210).
230. Jesus Christus  – die Mitte der Heiligen Schrift. Grundlinien des evangelischen
Schriftverständnisses, in: W. Baschkirow / ​H. Lichtenberger / ​F. Schweitzer / ​A. Was-
sin (Hg.), Was ist orthodox? Was ist evangelisch? (ThID 13), Neukirchen-Vluyn
2011, 31–44.
231. Η «αλήθεια του ευαγγελίου». Ερμηνευτικές και θεολογικές σκέψεις σχετικά με την
αξίωση αλήθειας του παύλειου κηρύγματος, DBM 27 (2009) 54–77 (erschienen
2011). – Griechische Fassung von Nr. 171.
232. Gottes Wort im Menschenwort. Zum Verständnis des Evangeliums bei dem Apo-
stel Paulus, in: Труды Минской Духовной Академии. Спецвыпүск. Arbeiten
der Geistlichen Akademie Minsk. Sonderheft, Жировичи / ​Zirovitschi 2011, 9–16. –
Russische Fassung: Nr. 233.
233. Божие слово в человеческом слове. О понятии «Евангелия» у апостола Павла,
in: Труды Минской Духовной Академии. Спецвыпүск. Arbeiten der Geistlichen
Akademie Minsk. Sonderheft, Жировичи / ​Zirovitschi 2011, 17–24.  – Russische
Fassung von Nr. 232.
234. Comuniunea cu îngerii în slujba Bisericii. O schiţă istorico-tradiţională, in: Anuarul
Facultăţii de Teologie Ortodoxă „Patriarhul Justinian“ din Bucureşti, Bucureşti 2011,
239–255. – Rumänische Fassung von Nr. 114.

2012
235. Ἡ ἀλήθεια τοῦ εὐαγγελίου. Συναγωγή καινοδιαθηκικῶν μελετῶν, ἐπιμ. Χ. Καρακόλης / ​
π. Ἰ. Σκιαδαρέσης / ​Μ. Χατζηγιάννης (Ἐκδόσεις Ἄρτος Ζωῆς 56), Ἀθήνα 2012. 542
S. – Der Band enthält die folgenden Beiträge: Nr. 82. 127. 132. 146. 149. 152. 153. 196.
203. 206. 209a (um Anmerkungen erweitert). 218. 219. 224. 226. 231. 236. 237. 238.
236. Δομή καί λογική ἀκολουθία τοῦ ὕμνου τοῦ Λόγου στό Ιω 1,1–18, in: Ἡ ἀλήθεια τοῦ
εὐαγγελίου (s. Nr. 235), 33–80. – Griechische Fassung von Nr. 87.
237. Ἡ ἀποστολική περί Χριστοῦ μαρτυρία καί ἡ Παλαιά Διαθήκη. Θέσεις, in: Ἡ ἀλήθεια
τοῦ εὐαγγελίου (s. Nr. 235), 482–496.
238. Τό ἐκ τῶν Ο΄ κείμενο τοῦ Δν 7,13–14. Σκέψεις σχετικά μέ τή μορφή καί τό μήνυμά
του, in: Ἡ ἀλήθεια τοῦ εὐαγγελίου (s. Nr. 235), 497–530. – Griechische Fassung von
Nr. 195.
239. Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem, in: H. Assel
(Hg.), Leidenschaft für die Theologie, Leipzig 2012, 79–115. – Griechische Fassung:
Nr. 249.
240. Außerkanonische Herrenworte, in: Chr. Markschies / ​J. Schröter (Hg.), Antike
christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung (7. Auflage der von E. Hennecke
begründeten und von W. Schneemelcher fortgeführten Sammlung der neutestament-
lichen Apokryphen). I. Evangelien und Verwandtes. Teilband 1, Tübingen 2012,
184–189.
Bibliographie Otfried Hofius (2009–2021) 297

2013
241. Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen, in:
W. Eisele / ​Chr. Schaefer / ​H.-U. Weidemann (Hg.), Aneignung durch Transformati-
on. Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum. FS
Michael Theobald (HBS 74), Freiburg – Basel – Wien 2013, 339–357.
242. Das Zeugnis von dem gekreuzigten Christus und das Nein des Unglaubens (Predigt-
meditation über Johannes 12,34–36.[37–41]), AuB 2013, Heft 1, 3–8.
243. Ἁμαρτία, νόμος καί χάρις κατά τόν ἀπόστολο Παῦλο, in: Σ. Ζουμπουλάκης (ἐπιμ.),
Ἡ ἐπιστροφή τῆς ἠθικῆς. Παλαιά καί νέα ἐρωτήματα (Ἐκδόσεις Ἄρτος Ζωῆς 59),
Ἀθήνα 2013, 53–77. – Deutsche Fassung: Nr. 248.

2014
244. „Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“? Zum Problem der Übersetzung
und Auslegung von 2 Kor 5,7, ZThK 111 (2014) 271–283.  – Griechische Fassung:
Nr. 246.
245. Единение за трапезой Господней. Свидетельство Нового Завета, in: U. Luz
(Hg.), Единство церкви в Новом Завете (Серия «Современная библеистика»),
Москва 2014, 192–199. – Russische Fassung von Nr. 217 (ohne Anmerkungen).
246. «Διὰ πίστεως περιπατοῦμεν, οὐ διὰ εἴδους». Το πρόβλημα της μετάφρασης και
ερμηνείας του Β΄ Κορ. 5,7, in: Παύλεια. Τόμος Επετειακός επί τῃ Συμπληρώσει
Είκοσι Ετών από της υπό του Σεβασμιωτάτου Μητροπολίτου Βεροίας, Ναούσης
και Καμπανίας κ. Παντελεήμονος Καθιερώσεως των Εκδηλώσεων προς Τιμήν του
Αγίου Ενδόξου Αποστόλου Παύλου (1995–2014), Βέροια 2014, 509–532. – Griechi-
sche Fassung von Nr. 244.
247. Die Auferweckung des Lazarus in den gottesdienstlichen Hymnen der Orthodoxen
Kirche. Ein Beitrag zur Auslegungsgeschichte von Joh 11,1–44, Review of Ecume-
nical Studies, Sibiu 6 (2014) 428–448. – Deutsche Fassung von Nr. 226.

2015
248. „Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“. Überlegungen zu drei Grundbegriffen paulinischer
Theologie, in: G. C. den Hertog / ​M. C. Mulder / ​T.E van Spanje (ed.), Acta. Bundel
ter gelegenheid van het afscheid van prof. dr. T. M. Hofman als hoogleraar aan
de Theologische Universiteit Apeldoorn, Heerenveen 2015, 241–253.  – Deutsche
Fassung von Nr. 243.
249. Τό ερώτημα περί του «ιστορικού Ιησού» ως θεολογικό πρόβλημα, DBM 40 (2012)
60–85 (erschienen 2015). – Griechische Fassung von Nr. 239.

2016
250. Învierea lui Lazăr în imnografia Bisericii Ortodoxe. O contribuţie la istoria inter-
pretării pericopei din Ioan 11, 1–44, in: A. Ioniţă (ed.), Interpretarea Biblică între
Biserică şi Universitate: perspective interconfesionale (Studia Oecumenica 10),
Sibiu / ​Cluj-Napoca 2016, 178–201. – Rumänische Fassung von Nr. 226 bzw. Nr. 247.
251. „Extra nos in Christo“. Voraussetzung und Fundament des „pro nobis“ und des „in
nobis“ in der Theologie des Paulus, in: R. Rausch (Hg.), Lutherische Identität. Pro-
testantische Positionen und Perspektiven. Herbsttagung der Luther-Akademie 2013,
Hannover 2016, 69–97.
298 Bibliographie Otfried Hofius (2009–2021)

2017
252. Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch der Sündenvergebung.
Mk 2,1–12 als narratives Christuszeugnis, in: A. Huijgen / ​C.-J. Smits / ​E. Lempp
(Hg.), Schuld und Freiheit. Festgabe für Gerard Cornelis den Hertog (DBTRP 13),
Münster 2017, 7–26.

2019
253. Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός, in: Μυριώνυμον
εὖχος. Τῷ Σεβασμιωτάτῳ Μητροπολίτῃ Βεροίας, Ναούσης καί Καμπανίας κ.
Παντελεήμονι ἐπί τῷ χρυσῷ Ἰωβηλαίῳ Ἱερωσύνης (1969–2019) καί τῷ ἀργυρῷ
Ἰωβηλαίῳ Ἀρχιερωσύνης (1994–2019), Τόμος Γ΄, Βέροια 2019, 645–654.

2021
254. Exegetische und theologische Studien (WUNT 467), Tübingen 2021. VIII, 355 S. –
Der Band enthält die folgenden Beiträge: 221, 222, 223, 225, 230, 232, 239, 241, 244,
247, 248, 251, 252, 253, 255, 256, 257, 258.
255. „Abba! Vater!“, in: Exegetische und theologische Studien (s. Nr. 254), 1–19.
256. Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers. Zur Exegese der ersten
und dritten Wir-Bitte, in: Exegetische und theologische Studien (s. Nr. 254), 21–40.
257. „In eurer Tora steht geschrieben“. Zur Auslegung von Joh 8,17; 10,34; 15,25, in: Ex-
egetische und theologische Studien (s. Nr. 254), 57–69.
258. Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen, in: Exegetische und
theologische Studien (s. Nr. 254), 215–228.
Nachweis der Erstveröffentlichungen

„Abba! Vater!“
Unveröffentlicht.

Sprachliche Probleme im griechischen Text des Vaterunsers.


Zur Exegese der ersten und dritten Wir-Bitte
Unveröffentlicht.

Sündenvergebung als Prärogative Gottes und Jesu Zuspruch


der Sündenvergebung.
Mk 2,1–12 als narratives Christuszeugnis
A. Huijgen / ​C.-J. Smits / ​E. Lempp (Hg.), Schuld und Freiheit. Festgabe für Gerard Cor-
nelis den Hertog (DBTRP 13), Münster 2017, 7–26.  – Die Abdruckerlaubnis erteilte
freundlicherweise der Lit Verlag, Münster.

„In eurer Tora steht geschrieben“.


Zur Auslegung von Joh 8,17; 10,34; 15,25
Unveröffentlicht.

Die Erzählung von der Fußwaschung Jesu.


Joh 13,1–11 als narratives Christuszeugnis
ZThK 106 (2009) 156–176.

Mensch und Schöpfung nach dem Zeugnis des Römerbriefs


R. Lapko (ed.), The Letter of St. Paul to the Romans. A collection of presentations made
at the International Conference organised by the Catholic University in Ružomberok
(Slovakia) Faculty of Theology in Košice under the patronage of Mr. Ján Hudacky MEP.
March 10, 2009 – in the Year of St. Paul, Szeged 2009, 13–30. – Die Abdruckerlaubnis
erteilte freundlicherweise Herr Prof. Dr. Dr. Róbert Lapko, Slowakische Akademie der
Wissenschaften, Bratislava (Slowakei).

„Fides ex auditu“.
Verkündigung und Glaube nach Römer 10,4–17
J. von Lüpke / ​E. Thaidigsmann (Hg.), Denkraum Katechismus. FS Oswald Bayer, Tü-
bingen 2009, 71–86.
300 Nachweis der Erstveröffentlichungen

„Wandeln im Glauben“ – „Wandeln im Schauen“?


Zum Problem der Übersetzung und Auslegung von 2 Kor 5,7
ZThK 111 (2014) 271–283.

„Extra nos in Christo“.


Voraussetzung und Fundament des „pro nobis“ und des „in nobis“
in der Theologie des Paulus
R. Rausch (Hg.), Lutherische Identität. Protestantische Positionen und Perspektiven.
Herbsttagung der Luther-Akademie 2013, Hannover 2016, 69–97. – Die Abdruckerlaubnis
erteilte freundlicherweise die Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig.

Gottes Wort im Menschenwort.


Zum Verständnis des Evangeliums bei dem Apostel Paulus
Труды Минской Духовной Академии. Спецвыпүск. Arbeiten der Geistlichen Aka-
demie Minsk. Sonderheft, Жировичи / ​Zirovitschi 2011, 9–16.  – Die Abdruckerlaubnis
erteilte freundlicherweise Vater Viktor Wasilewitsch, der Rektor des Orthodoxen Geist-
lichen Seminars in Zirovitschi (Belarus).

„Sünde“ – „Gesetz“ – „Gnade“.


Überlegungen zu drei Grundbegriffen paulinischer Theologie
G. C. den Hertog / ​M. C. Mulder / ​T.E van Spanje (ed.), Acta. Bundel ter gelegenheid van
het afscheid van prof. dr. T. M. Hofman als hoogleraar aan de Theologische Universiteit
Apeldoorn, Heerenveen 2015, 241–253. – Die Abdruckerlaubnis erteilte freundlicherweise
der Verlag Royal Jongbloed, Heerenveen (Niederlande).

Das kirchliche Amt der Verkündigung bei Paulus und in den Deuteropaulinen
W. Eisele / ​Chr. Schaefer / ​H.-U. Weidemann (Hg.), Aneignung durch Transformation.
Beiträge zur Analyse von Überlieferungsprozessen im frühen Christentum. FS Michael
Theobald (HBS 74), Freiburg – Basel – Wien 2013, 339–357. – Die Abdruckerlaubnis er-
teilte freundlicherweise der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau.

Die Ordination zum Amt der Kirche und die apostolische Sukzession
nach dem Zeugnis der Pastoralbriefe
ZThK 107 (2010) 261–284.

Das Predigtamt der Kirche und das Priestertum aller Gläubigen


Unveröffentlicht.

Die Frage nach dem „historischen Jesus“ als theologisches Problem


H. Assel (Hg.), Leidenschaft für die Theologie, Leipzig 2012, 79–115.  – Die Abdruck-
erlaubnis erteilte freundlicherweise die Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig.
Nachweis der Erstveröffentlichungen 301

Jesus Christus – die Mitte der Heiligen Schrift.


Grundlinien des evangelischen Schriftverständnisses
W. Baschkirow / ​H. Lichtenberger / ​F. Schweitzer / ​A. Wassin (Hg.), Was ist orthodox? Was
ist evangelisch? (ThID 13), Neukirchen-Vluyn 2011, 31–44. – Die Abdruckerlaubnis er-
teilte freundlicherweise der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

Die Auferweckung des Lazarus in den gottesdienstlichen Hymnen


der Orthodoxen Kirche.
Ein Beitrag zur Auslegungsgeschichte von Joh 11,1–44
Review of Ecumenical Studies, Sibiu 6 (2014) 428–448. – Die Abdruckerlaubnis erteilte
freundlicherweise Herr Dr. Alexandru Ioniță, Institut für Ökumenische Forschung, Lucian
Blaga Universität Sibiu (Rumänien).

Struktur und Gedankengang des Christushymnus Ὁ μονογενὴς Υἱός


Μυριώνυμον εὖχος. Τῷ Σεβασμιωτάτῳ Μητροπολίτῃ Βεροίας, Ναούσης καί Καμπανίας
κ. Παντελεήμονι ἐπί τῷ χρυσῷ Ἰωβηλαίῳ Ἱερωσύνης (1969–2019) καί τῷ ἀργυρῷ
Ἰωβηλαίῳ Ἀρχιερωσύνης (1994–2019), Τόμος Γ΄, Βέροια 2019, 645–654. – Die Abdruck-
erlaubnis erteilte freundlicherweise S. E. Panteleimon, Metropolit von Veria, Naoussa und
Kampania (Griechenland).
Stellenregister

Altes Testament

Schriften des masoretischen Kanons

Genesis 23,20 f. 47
1,3 161 23,21 46 f.
2 f. 93, 169 24,15–18 LXX 124
2,7 93 24,17 LXX 121
2,9 93 26,30 LXX 121
2,16 f. 266 32,11–13 46
2,16b.17 168 f. 32,30–32 46
2,17b 94 32,32 46
3 99 33,11 LXX 124
3,1–19 266 33,18–23 LXX 124
3,3 169 34,7 46
3,17–19 99 34,8 f. 46
3,22–24 94
6,3 290 Leviticus
12,7 LXX 138 f. 12,3 57
15,9–21 LXX 67 13,43 LXX 121
15,16 LXX 163 18,5 109 f., 168
17,1 LXX 138 18,5 LXX 109 f.
18,1 LXX 138 18,5b LXX 109
19,2 LXX 81 21,1–24 217
22 149 21,6–8 217
22,2 149 22,28 65
22,2 LXX 149
22,16 LXX 149 Numeri
26,2 LXX 138 9,12 LXX 67
26,24 LXX 138 9,15 f. LXX 121
29,17 LXX 121 11,7 LXX 121
35,9 LXX 138 12,6–8 LXX 124
39,6 LXX 121 12,8 LXX 123 f.
42,7 36 12,8a LXX 124
42,30 36 14,13–19 46
14,18 46
Exodus 21,7 46
3,2 LXX 138 27,12–23 195
10,17 46 27,18 195, 199
12,10 LXX 67 27,18 LXX 195
12,46 LXX 67 27,20 204
19,6 LXX 218 27,23 195, 199
20,2–17 167 27,23 LXX 195
23,1 LXX 115
304 Register

Deuteronomium 2. Könige
5,6–21 167 5,7 54, 238
8,17 LXX 110
9,4 LXX 110 4. Regnorum (LXX)
9,18–20 46
9,5 3
9,21 LXX 163
11,9 65
Jesaja
11,30 65
17,6a 57 6,5 238
19,15b 57 6,7 43
21,11 LXX 121 12,4 f. LXX 221
27,26a 168 12,4 222
30,11–14 LXX 110 f. 12,5 222
30,11 LXX 111 14,8 97
30,14 LXX 111 f., 140 18,2 σ’ 88
32,39 54 22,15 LXX 275
34,9 195, 199 27,9 LXX 163
28,7 LXX 218
Richter 28,16 113
28,16 LXX 113, 218
19,21 LXX 81
28,16b 113
35,4–6 54, 237
1. Samuel
40,1–11 237
2,6 54 40,6 290
12,5–25 50 40,8b 238
15,25 46, 50 42,12 222
42,12 LXX 219, 221
1. Regnorum (LXX) 43,11 238
2,24 115 43,20 f. 220
12,5–25 50 43,20 f. LXX 219 f.
15,25 50 43,21 LXX 196, 219, 221 f.
43,21b 220
2. Samuel 43,25 43
44,22 43
12,13 43, 247 45,21 f. 238
48,20 222
2. Regnorum (LXX) 48,20 LXX 221
12,13 43 49,13 97
13,30 115 52,7 LXX 115, 157
52,7a LXX 115
1. Könige 52,14 LXX 121
53,1 LXX 115
8,39 44 53,1 vg 116
14,6 α’ 88 53,1a 115 f.
53,1a LXX 115 f.
3. Regnorum (LXX) 53,2 f. LXX 121
2,28 115 55,12 97
10,7 115 59,20 LXX 163
14,6 A 88 63,16 17
17,18 B 3 63,16 LXX 17
18,26 3 63,16a LXX 3
20,20 3 63,7 LXX 219
Stellenregister 305

64,7 17 Micha
64,7 LXX 17
7,18 46
Jeremia
Nahum
2,27 17
1,12 LXX 115
2,27 LXX 17
3,4 17
Habakuk
3,4 LXX 17
3,19 17 3,2 LXX 115
3,19 LXX 17
6,24 LXX 115 Sacharja
9,23 44 1,12–17 43
10,22 LXX 115 3,1–7 43
11,16 LXX 121 3,3–5 43
11,20 44 3,4b 43
15,3 LXX 121 13,1 57, 67
17,5 290 14,8 57, 67
17,10 44
20,12 44 Maleachi
27,43 LXX 115
30,8 LXX 115 2,10 17
30,29 LXX 115 3,1 237
33,8 55
44,5 LXX 115 Psalmen (MT)
49,14 vg 116 7,10 44
49,23 vg 116 9,12 222
17,1a 47
Ezechiel 17,2a 47
1,16 LXX 121 19,2 97
1,26 LXX 121 25,18 46
16,56 LXX 115 26,2 38
27,23 LXX 39 32,5 46
36,25–29a 55 35,19b 58
36,27 145, 147 44,22 44
49,13 93
Hosea 50,14 223
50,23 223
13,4 238 51,4 55
51,9–14 55
Joel 51,12 f. 145
3,5a LXX 113, 115 51,13b 145, 147
3,5b LXX 115 51,19 223
4,18b 57, 67 54,8 223
56,5 290
Obadja 58,12 44
65,4 51
1,1 LXX 115
65,8 54, 238
1,1 vg 116
66,11a 34
67,3 44
Jona
68,19a 186
2,3–10 110 69,5a 58
69,31 f. 223
306 Register

69,35 97 30,23 5, 145


74,12 44 31,1 163
78,39 290 31,2 165
82,6a 57, 67 33,7 5, 145
89,10 54, 238 33,18 5, 145
89,27 17 f. 34,23 3 f.
89,27a 17 f. 34,25 110
89,27b 17 35,2b 165
96,3 222 38,6b 98
98,8 97 39,9 3 f.
103,3 44 39,10 221
105,1 222 42,1 f. 3
106,23 46 42,1 39
107,20 238 43,2 3
107,22 223 44,7 f. 4
107,29 54 45,9 44
111,7 vg 116 50,17 221
114,4 97 51,3 3
114,6 97 52,2–4 165
130,8 238, 247 54,17 5
139,1b.2 44 55,9 222
139,23 f. 38 56,3 5
141,2 223 56,8 3
60,3 5
Psalmen (LXX) 61,10 98
3,5 5, 145 62,2 3
3,8 3 63,10 196, 221
4,4 5 65,11a 34
5,3 3 65,17 5
5,11 3 67,12 186
7,2 3 67,19a 186
7,4 3 70,15 196, 221
9,2 220 70,17 f. 196, 221
9,12 196 72,28 196, 221
9,15 196, 221 77,4 221
9,32 110 78,13 196, 221
13,1–3 165 85,3 5
13,1 110 85,5 113
16,6 3, 5 85,7 5
17,7 5, 145 87,2 5, 145
17,30 39 87,10 5, 145
18,5 117 87,12 220
18,5a 117 87,14 5
21,2 3 88,2 221
21,3 3–5, 145 88,48b 98
21,6 5, 145 88,49 98
21,23 220 91,3 196, 221
21,25 5, 145 95,2 196, 221
25,7 220 95,3 196, 221
26,7 5 101,22 221
27,1 5 102,1 f. 3
29,9 5 104,1 221
29,10 221 104,2 220
Stellenregister 307

106,6 5, 145 Daniel


106,13 5 2,20 53
106,19 5 2,24 35
106,22 196, 221 f. 2,27 52
106,26 110 3,9 53
106,28 5 3,16 LXX 85
111,7 115 3,16 θ’ 85
117,17 220 3,31–4,34 52
118,26 222 3,31–4,34 LXX 52
118,43 258 3,97[30] LXX 54
119,1 5 4,4 52
129,1 5, 145 4,14[17] LXX 54
140,1 5 4,23[26] LXX 54
141,2 5 4,28[31] LXX 54
141,6 5 4,34 LXX 45
143,4 98 4,34a[37a] LXX 54
144,1 3 5,4 LXX 54
144,4 196, 221 5,7 52
144,5 220 5,7 LXX 54
144,6 220 5,11 52 f.
5,16 LXX 54
Hiob 5,29 LXX 54
1,8 44 6,3[4] LXX 54
2,3 44 6,19 35
7,21 46 6,21b 53
9,8 54, 238 7,12 LXX 54
12,7 f. 97 7,13 f. 54
14,7a LXX 100 7,13 LXX 54
14,20b 93 7,14 LXX 54
17,4 17 7,14b LXX 54
17,14 17 7,26 f. LXX 54
34,36 17 8,23 LXX 163
38,17 LXX 275 8,23 θ’ 163
42,5 LXX 115 11,44 LXX 115
42,9 f. LXX 46
Esra
Sprüche 8,28 217
2,12 LXX 39
3,28 LXX 25 1. Chronik
15,11 44 28,9 44
24,12 44 29,10 17
27,1 LXX 25 29,10 LXX 3, 17
Hoheslied 2. Chronik
1,8 LXX 3 9,6 LXX 115
5,15 LXX 121

Qohelet
7,20 165
308 Register

Zusätzliche Schriften der Septuaginta

1. Esdras 4. Makkabäer
4,18 121 11,12 A 3
8,22 44 18,4 99

Judith Sapientia Salomonis


8,3 121 1,9 115
8,15 44 14,3 17
9,4 3 15,4 f. 121
9,12 3 16,7 98
11,7 99
11,23 121 Sirach
14,17 f. 290
Tobit
15,11 98
2,13 S 44 17,10 220
7,10 S 44 17,11 169
10,12 114 f. 18,4 222
12,10 163 22,26 99
13,4 17 23,1 17
14,7 S 163 23,4 17
23,16 121
1. Makkabäer 25,2 121
10,35 44 25,24 99
12,15 39 42,18–20 44
43,1 121
2. Makkabäer 45,5 169
48,10 45, 47
6,14 163 50,22 hebr 44
6,25 99 51,1 hebr 17
7,1–41 64 51,10 17
7,18 99 51,10 hebr 17
12,11 98
Baruch
3. Makkabäer
3,9 169
5,7 17 3,29–31 111
6,3 17 4,1 169
6,8 17
6,36 98 f.

Neues Testament
Matthäus 4,24 115
1,1–4,16 238 5,17 67
1,20b–23 237 5,21–48 246
1,21 247 5,22 63, 246
1,21b 238 5,28 246
3,14 85 5,32 246
4,18–20 246 5,34 246
Stellenregister 309

5,39 246 18,18 56


5,44 246 19,13 194 f.
6,7–9a 21 19,15 194 f.
6,9a 246 20,1–15 246
6,9b–13 21 20,18 f. 266
6,9b 7, 246 20,22 f. 2
6,9c 27 20,28 71
6,10a 27 22,29 67
6,10b 27 22,40 67
6,11 22–27 23,10 260
6,11 vg 24 24,6 115
6,12 27 24,9–14 39
6,12a 22 24,48 110
6,12b 23 26,31 38
6,13 21 26,39 2, 6
6,13a 27–40 26,41 38
6,13a it 31 26,42 6
6,13a syrp 37 26,54 240
6,13b 39 26,65a 42
7,12 67 27,29 v.l. 4
8,8b 238 27,33 3
8,21 f. 246 27,46 3, 6, 248
9,6 44 28,7 236
9,18 194 28,10 236
9,33 42
9,34 246 Markus
10,16–25 39 1,1 4
10,24b 88 1,2–13 4, 55, 238
10,28 38, 44 1,2 f. 55, 237
10,32 f. 246 1,7 f. 55
11,2–6 245 1,11 4
11,6 246 1,16–20 246
11,7 78 1,28 115
11,13 67 1,40–45 54
11,20 78 1,40–42 238
11,25b.26 4, 6 1,45 78
11,25b 4 2,1–12 41–56, 246 f.
11,26 285 2,5 246
11,27 238, 289 2,5b 41–56, 247
12,28 245 2,6 f. 43
13,19 39 2,7 42–44, 47, 53, 56, 246
13,53–58 234 2,7a 42
14,1 115 2,7b 247
14,16 85 2,8–11 43
14,22–33 238 2,8 44
14,33 236 2,8a 42
16,13–20 211, 236 2,9 43
16,16 234, 236 2,10 43 f., 54 f., 247
16,18 211 2,11 43 f.
16,19 56 2,12b 42, 54
16,21 239 2,14 246
17,3 139 2,15–17 246
17,22 f. 243 2,23 78
310 Register

3,11 f. 4 13,26 f. 55
3,15 44 13,31 238
3,17 3 14,21 55
3,21 246 14,22–25 4
3,22 246 14,22–24 55
4,17 39 14,24 4
4,35–41 54, 238 14,27 38
5,7 4 14,32–42 2
5,21–24 54 14,35 3
5,23 194 14,36 1–19
5,35–43 54 14,37 4
5,41 3 f., 43 14,38 38
6,1–6 234 14,40 4
6,5 194 14,41 3 f., 55
6,14–16 234 14,55–64 55
6,45–52 54, 238 14,61 f. 55
6,52 234 14,62 55
7,11 3 14,63 f. 55
7,31–37 54 15,22 3
7,32 194 15,33 f. 4
7,34 3 15,34 3 f., 6, 248
7,37 237 15,39 4
8,17 f. 234 16,6 f. 234
8,23 194 16,6 4
8,25 194 [16,18] 194
8,27 f. 234 [concl. brev.] 222
8,31 3 f., 55, 239, 243
8,34–38 56 Lukas
8,38 55, 246 1,2 215
9,2–10 55 1,5–4,13 238
9,2–8 55, 238, 292 1,11 139
9,3 44 1,25 42
9,4 139 2,30 237
9,7 4, 55 2,48 42
9,9 f. 234 3,6 237
9,9 55 3,8 78
9,12 55 3,22 121 f.
9,25 4 4,16–21 245
9,31 4, 55, 243 4,18 122
9,40 133 4,21 78
10,16 194 4,22 234
10,17 f. 248 4,40 194
10,18 248 5,1–11 56
10,21 246 5,8 56
10,32–34 4 5,8b 238
10,33 f. 55, 243, 266 5,10b 56
10,38 f. 2 5,20 41
10,45 4, 55, 71, 233, 240 5,24 44
10,46 3 7,7b 238
12,6 4 7,14 43
12,24 67 7,18–23 245
13,7 115 7,23 246
13,9–13 39 7,36–50 246
Stellenregister 311

7,44b 76 22,43 139


8,13 39 22,46 38
8,54 4, 43 23,34 6
9,22 239 23,46 6, 248
9,26 246 24 234
9,29 121 f. 24,5 243
9,45 234 24,7 239, 243
9,50 133 24,26 239, 243
9,59 f. 246 24,27 67
10,20b 246 24,34 139
10,21b.c 4, 6 24,44 240, 243
10,21b 4 24,48 185
10,21c 4, 8
10,22 238, 289 Johannes
11,1.2a 21, 246 1,1–51 238
11,2b–4 21 1,1–18 288
11,2b 7, 10, 246 1,1–9 272
11,2bβ 27 1,1 f. 288 f.
11,2bγ 27 1,1 237, 269
11,3 22–27 1,3 272
11,4a 22, 27 1,14 75, 237–239, 245, 269,
11,4b 23, 27–40 272, 288, 290, 292
11,4b syrp 37 1,17 f. 68, 87
11,20 245 1,17a 57
12,5 44 1,18 238, 288 f.
12,8 f. 246 1,38 87
12,32 4 1,41 3
12,45 110 1,41b 67
13,12 43 1,42 3
13,13 194 1,45 57
15,1 f. 246 1,45b 67
15,3–32 246 1,49 87
16,15 44 1,49b 67
16,16 67 1,51 67
16,29 67 2,4 75
16,31 67 2,11 292
17,20 f. 245 2,13 69
17,21b 245 2,17 67
17,25 240 2,18–22 244
18,8b 44 2,19–22 75, 291
18,10–14a 246 2,19.21 277
18,11 4, 285 2,22 67, 76
18,13 4, 285 3,1 69
18,31–33 266 3,6 290
18,34 234 3,10 69
19,1–10 246 3,14–16 272, 278
21,12–19 39 3,14 f. 75
22,19c 88 3,14 67, 239
22,27 71 3,16 240, 289
22,31–43 38 3,18 289
22,37 240 3,36 272
22,40 38 3,36a 278
22,42 2, 6 4,14 272
312 Register

4,25 3 7,40–43 234


4,31 87 7,42 67
4,34 290 7,49 57
4,38 88 7,51 57 f.
4,53 83 8,12–20 57
5,1 69 8,14 75
5,17 f. 69 8,17 f. 57, 67
5,18 43, 238 8,17 57–69
5,24 272, 278 8,18 57
5,25 267 8,20 75
5,37–40 68 8,31 f. 87
5,37 121 f. 8,42 75
5,38 69 8,45–47 69
5,39 f. 68 8,46 245
5,39 66 8,48–59 69
5,40 272 8,48 246
5,44 69 8,52 246
5,45–47 68 8,56 67
5,46 f. 69 9,2 87
5,46b 67 9,7 80
6,4 69 9,11 80
6,23 87 9,15 80
6,26–58 25 9,22b 69
6,30–35 68 9,34 69, 83
6,32bα 68 10,1–30 76
6,35 272 10,3 f. 76
6,36 69 10,3 257
6,38 f. 290 10,10 278
6,40 278 10,10b 272
6,41–51 68 10,14 76
6,42 234 10,16 257
6,45 67 10,17 f. 75, 244, 277, 290 f.
6,45a 57 10,18 44
6,47–51 272 10,20 246
6,47 278 10,22–39 57
6,49 68 10,25 f. 69
6,54 272, 278 10,27 76, 257
6,57 87, 98 f. 10,28 272, 278
6,63 272 10,30 57
6,68 87, 272 10,31–39 69
6,69 236 10,33 43, 57, 238, 246
7,2 69 10,34 f. 67
7,18 245 10,34 57–69
7,19 57, 67 10,35 f. 57 f.
7,23 57, 67, 83 10,35 58, 67
7,27 234 10,35b 67
7,28 f. 75 10,36 42, 238
7,30 75 11,1–44 263–279
7,33 75 11,2 87
7,37 f. 57 11,3b 266
7,37b–39 67 11,4 272, 292
7,38 67 11,5 266
7,38b 57 11,6–16 266
Stellenregister 313

11,7 f. 75 13,3 74–76


11,8 87, 266 13,4–8 85
11,11 266, 269 13,4 f. 74–76, 78 f.
11,12 87 13,5 77 f., 85
11,14 269 13,6–11 78 f.
11,15 f. 266 13,6–10 78 f., 86
11,16 3 13,6–8 79
11,25 f. 278 13,6 87
11,25a 238 13,6a 79
11,25b.c.26 27 13,6b 76 f., 79, 85
11,25b 270, 277 13,7 76, 86 f.
11,25c 278 13,7b 76, 79
11,27 236 13,8aβ 77, 79, 85
11,34a 271 13,8bβ 76 f., 79 f., 82–86
11,35 271 13,9 f. 79 f., 86
11,39 267 13,9 80, 83, 87
11,39b 268 13,9b 80, 85
11,40 272, 292 13,10 71, 78, 80, 83
11,41 6 13,10b.c 79
11,41b.42 271 13,10b 79–86
11,43 f. 267 f. 13,10c.11 75
11,43 43 13,10c 85
11,44 268 13,11 72, 79, 86
11,50 83 13,12–20 71
11,55 69 13,12–17 71 f., 76, 78 f., 86, 89 f.
12,14–16 67 13,12 72
12,16 76 13,12a 86
12,23 f. 290 13,12b–17 87
12,23 75 13,12b–16 88
12,26 77, 88 13,12b 86, 88
12,27 6, 75, 290 13,13–16 88
12,27a 57 13,13 f. 87
12,28 6 13,13 4, 87 f.
12,31 291 13,14 f. 88
12,34 58, 75, 239 13,14 87 f.
12,37–41 67, 69 13,14a 88
12,38 115 13,14b 88
12,38 vg 116 13,15 87 f.
12,41 292 13,16 87 f.
12,42 69 13,17 71 f., 88
12,45 289 13,18–30 72
13–19 75 13,18 67 f., 71 f.
13,1–19,42 72 13,18b 57
13,1–30 71 13,20 88
13,1–11 71–90 13,25 f. 72
13,1–5 79 13,25 87
13,1–4 72 13,26 f. 75
13,1 72–75, 78 13,27a 71
13,1a 74–76 13,30 71 f., 75
13,1b 74–76 13,34 88
13,1c 74, 76 13,35 87 f.
13,2–5 74 f. 13,36 f. 87
13,2 71, 74–76, 81 14,2f 77
314 Register

14,5 87 18,4–8 75
14,6 87, 289 18,11 2, 75, 290
14,8 87 18,28 75
14,9 87, 289 18,31 57 f.
14,12 75 18,36 75
14,19 f. 76 19,3 4
14,19 77 19,7 57, 69, 238
14,19b 99 19,10 44
14,21 77 19,13 3
14,22 87 19,14 75
14,23 77 19,17 75
14,26 76 19,23 f. 67
14,28 75 19,23 83
14,30 291 19,24 67 f.
14,31 290 19,28 67, 72
15,3 86 19,30 75, 248
15,12–17 88 f. 19,36 f. 67 f.
15,12 87 f. 19,36 67
15,13 76 19,42 69
15,14 88 20,2 87
15,15b 87 20,9 67, 76, 239, 244
15,18–24 58 20,13 87
15,20 88 20,16 3, 87
15,25 57–69 20,17 75
16,2a 69 20,18 87
16,5 75 20,20 87
16,10 75 20,21 88, 278
16,11 291 20,22 f. 56
16,17 75 20,24 3
16,27 75 20,25 87
16,28 75 20,28 4, 87, 285
16,30 75 20,29 123
16,33 291 20,31 272
17,1 6, 75 21,2 3
17,2 87, 272 21,7 87
17,4 44, 290 21,12 87
17,5 6, 292 21,15–17 87
17,6–8 289 21,20 f. 87
17,6 87
17,8 75 Apostelgeschichte
17,11 6, 75 1,1–8 234
17,12 67 f. 1,3 139
17,13 75 1,8 185
17,14 87 1,19 3
17,15 39 1,21 f. 234
17,16 87 1,22 185
17,17 87 1,22b 234
17,18 88 1,24 44
17,21 6 2,3 139
17,24 6, 77, 292 2,23 f. 240, 244
17,25 6 2,23 240
17,26a 87 2,25–36 244
18,1 75 2,32 185, 234
Stellenregister 315

2,36 244 19,6 195


2,42 207 20,7–12 207
3,13–15 240 20,15 25
3,15 185, 234 20,17 188, 197, 173
3,18 240 20,24 215
4,10 f. 240 20,27 f. 240
4,12 238 20,28 187 f., 193 f., 196 f.
4,14 185 21,4 183
4,27 f. 240 21,8 187, 196
4,33 206 21,10 f. 183
4,36 3 21,18 25, 197
5,30 f. 240 22,15 185
5,30 266 22,20 185
5,32 185 26,16 139, 185
6,1–6 193 26,22 f. 244
6,4 196, 215 26,22 67
6,6 193–195, 207 26,22b.23 240
7,2 139 28,8 194
7,26 139 28,23 67
7,30 139
7,35 139 Römer
8,4–40 187 1,1–4 155
8,17–19 195 1,1 109, 140, 154, 158 f., 210
9,12 194 1,3 f. 136
9,14 44 1,3a 117
9,17 f. 194 f. 1,3b.4a 244
9,17 139 1,5 115, 158, 182
9,36 3 1,9 109, 117, 136, 140, 154 f.,
10,36 113, 185 159, 173
10,39–41 234 1,15 109, 157
10,39 f. 240 1,16 f. 107 f., 112, 132, 140 f.,
10,39 266 160
10,41 185 1,16 94, 109, 112, 154, 160,
11,27 f. 183 206, 210
11,30 197 1,17 107, 164 f.
13,1–3 193, 201 1,18–3,20 91, 107 f., 136
13,1 f. 183 1,18–32 166
13,3 193, 195, 207 1,18 92, 112, 164
13,15 206 1,19 134
13,27–30 240 1,21a 92, 164–166
13,27–29 240 1,21b 166
13,29 266 1,22–24 166
13,30 f. 234 1,22 f. 164–166
13,31 139, 185 1,22 166
13,32–39 244 1,24 166
14,4 185 1,25–27 166
14,14 88 1,25 92, 164
14,23 193 f., 197, 207 1,26 f. 166
15,8 44 1,26 166
15,32 183 1,28–32 166
16,9 139 1,28a 165 f.
16,11 25 1,28b–32 166
17,2 f. 240, 244 1,28b 166
316 Register

2,5 112 4,17 159


2,7 93, 167 4,22 164
2,8 112, 164 4,23–25 107
2,10 93 4,25 111, 133, 165, 172
2,12 112, 165 5 104
2,13 107, 165, 168 5,1–11 94, 107
2,15 145 5,1–5 146
2,16 109, 154 5,1 f. 95, 109, 132, 141
2,21 178 5,1 112, 165
2,27 129 f. 5,2 92 f., 167, 170
3,3 174 5,3–5 114
3,5 112, 149, 164 5,3 95, 101
3,7 164 5,5 134, 140, 146
3,9–20 167 5,5b 109
3,9 92, 163, 165, 167 5,6–11 138, 171
3,9b 165 5,6–10 92, 136
3,10 165 5,6 92, 107, 133, 138, 146,
3,10b–12a.18 165 164, 172
3,10b 164 5,7 f. 149
3,19 58 5,8–10 112, 151
3,20 163, 165, 168 f. 5,8 f. 95, 151
3,21–4,25 94, 132, 141 5,8 92, 107, 133, 138, 146,
3,21–30 107 164, 172
3,21–26 108 5,9 f. 112
3,21 f. 107, 164 5,9 112, 165
3,21 67, 94, 108 f. 5,10 92, 95, 107, 136, 138,
3,22 107 f., 118, 132, 141 151, 155, 164, 172
3,22b.23 91 5,10a 151
3,22b 167 5,10b 151
3,23 f. 170 5,11 101
3,23 92 f., 136, 165, 167, 170 5,11b 109
3,24 102, 112, 128, 134, 165, 5,12–21 91 f., 94, 104, 107, 136,
170 170
3,25 f. 107, 164 5,12 f. 163
3,26 96, 118, 132, 141, 164 f. 5,12 92, 165 f.
3,28 96, 112, 165, 168 5,13 165
3,30 95, 165 5,14 165, 171
3,31 58 5,15–19 107, 138
4,1 149 5,15–17 104, 113
4,2 165, 168 5,15 105, 170, 173
4,3 106, 164 5,16 136, 165, 168
4,3a 58 5,16b 92, 171
4,5 f. 106, 164 5,17 f. 167
4,5 92, 164 f. 5,17 92, 106, 164, 170, 173
4,6 168 5,17b 94, 109
4,7 163 5,18 92, 136, 165, 168, 171
4,8 165 5,18a 92
4,9 164 5,18b 94
4,11 129 f., 164 5,19 164 f.
4,11a 107 5,20 f. 163, 170, 173
4,13 107, 164 5,20 165
4,15 112 5,20b.21 104
4,16 170
Stellenregister 317

5,21 92, 106 f., 164 f., 167, 7,14b 166


173, 175 7,16 168
5,21b 94 7,17 144, 163, 165, 173
6 144 7,17 v.l. 144
6,1–7,6 174 7,18 144, 166
6,1–14 137, 240 7,20 144, 163, 165, 173
6,1–11 172, 174 7,23 163, 165
6,1 f. 163, 165 7,24 f. 94
6,1 149, 170, 173 7,24.25a 94
6,4 f. 172 7,24 94, 167
6,4 94, 129 7,25b 163
6,5 171 8 104
6,6 f. 163, 165, 174 8,1–17 6, 94, 149, 174
6,6 128, 165–167, 170 8,1–11 94
6,8a 102 8,1–4 104, 108, 171
6,9 f. 172 8,1 92, 136, 143, 168, 172 f.
6,9 101 8,2 f. 163, 165
6,10–14 163, 165 8,2 94, 113, 143, 147
6,11 94, 144, 174 8,3–9 166
6,12–18 165 8,3 f. 138, 155
6,12 94 f. 8,3 111, 136, 146, 240
6,13 164 8,3a 169
6,14 f. 170 8,3b.4 172
6,14b 173 8,3b 171
6,15 165, 173 8,4 130, 134, 144
6,16–18 163, 165 8,5–8 91, 136
6,16 164 8,5 144
6,17 109, 184 8,6–8 107
6,18–20 164 8,7 92, 164, 168
6,20 f. 91 8,8 144
6,20 163, 165 8,9–11 107, 134, 173
6,22 f. 92, 94, 163, 165, 167 8,9 f. 143
6,22 94 8,9 95, 142 f., 173
6,23 175 8,9a 143 f.
6,23a 91, 167 8,9b 143
6,23b 94 8,10 f. 94, 102
7,1 129 8,10 94, 163–165, 167
7,4 137, 143 f., 172 f. 8,10a 143
7,5 f. 143 8,11 94 f., 104, 145, 150
7,5 91, 144, 163, 166 8,11a 143
7,6 94, 172 8,11b 143
7,7–25a 91, 107, 136, 165 8,12 f. 166, 174
7,7–13 168 f. 8,14–16 6
7,7–9 163, 165 8,14 5, 143
7,7 149, 171 8,15–17 101
7,10b 169 8,15 f. 94
7,11 163, 165 8,15 1–19, 140, 145, 147
7,12a 168 8,16 f. 146
7,12b 168 8,16 145
7,13 f. 163, 165 8,17 93, 95 f.
7,14–23 165 8,18–30 6, 96, 103, 147, 150
7,14 165 8,18–25 91–104, 146
7,14a 168 8,18–22 97
318 Register

8,18 6, 93, 96 f., 103, 146 f., 9,32 168


167 9,32a 107
8,19–30 97 9,33 113
8,19–22 97 10 105
8,19 97, 101, 103 10,1–3 105
8,20 97 f., 100 10,1 112
8,21 92 f., 97, 100, 146, 167 10,2 f. 107 f.
8,22 101 10,2 107
8,23–25 146 10,3–6 164
8,23 97, 101 f., 128, 143, 145 10,3 107–109, 164
8,23b 102 10,3b 115
8,24 100, 112 10,4–17 105–120, 157
8,24a 102, 104 10,4–15 132, 141
8,24b 102 10,4 105 f., 108–110
8,25 102, 129, 131 10,5–17 105 f., 108 f.
8,26 f. 146 10,5–8 109–111
8,27 44, 133 10,5 105, 107, 109, 111 f., 168
8,28–30 107, 148 f. 10,6–17 140
8,28 96, 101 10,6–10 108
8,29 f. 93, 96, 114 10,6–8 109 f., 112–114, 116
8,29 96, 102, 136, 146 10,6 f. 111, 114
8,30 97, 165 10,6 105, 107, 111
8,30c 96 10,6a 111
8,31–39 149 10,7 110
8,31–34 133 10,8 105, 109, 111 f., 114,
8,31 f. 137 116 f., 140, 156 f.
8,31 133 10,9–17 109, 112–117
8,31a 149 10,9–13 112 f., 145
8,31b.32 149 10,9 f. 105, 112 f., 115 f.
8,32 104, 111, 133, 136, 149, 10,9 5, 112, 142
155, 172 10,10 106, 112 f., 164
8,32a 149 f. 10,11–13 112 f.
8,33–37 149 10,11 105, 112 f., 115
8,33 f. 149 10,12 f. 105, 112
8,33 148 10,12 113 f., 167
8,34 104, 133, 172 10,13 105, 112 f., 115
8,35–37 149 10,14–17 105, 112, 114–117
8,35 f. 95 10,14 f. 105, 109, 111, 113, 157
8,38 f. 95–97, 149 10,14.15a 114
8,39 134, 150 10,14 105, 115, 118, 132, 141
9–11 105, 115 10,14b 114
9,1–5 109 10,15 109, 157
9,1 145 10,15a 114
9,10 101 10,15b 115, 117
9,12 168 10,16 f. 105, 109, 115, 156
9,14 149 10,16 105 f., 109, 111, 115 f.,
9,21 44, 113 154, 156 f.
9,23 93 10,16a 115
9,28 44 10,16b 115 f.
9,30–10,3 106 f. 10,17 105, 111, 116, 140, 155,
9,30–33 109, 132, 141 157
9,30 f. 106, 164 10,17a 116
9,30 107, 149 10,17a vg 119
Stellenregister 319

10,17b 114, 116 1,4–9 148


10,18–21 105 1,4 f. 134
10,18 115, 117 1,6 134, 156, 206
10,18b 117 1,9 136, 143, 148
10,19 105 1,10–4,21 178
10,21 108 1,10 113, 178
11,1 105 1,12 143
11,5 f. 170 1,13 133, 172
11,5 96 1,17 114, 157, 180, 183
11,6 168 1,17b 178
11,11 105, 112 1,18–2,16 108, 237
11,13 105, 158, 215 1,18–25 139
11,26 112 1,18 112, 139 f., 156, 160, 178
11,26b 163 1,21 112, 156, 183
11,27b 163 1,23 118, 138, 156 f., 178, 183
11,28 109, 154 1,24 156
12,1 212, 223 1,26–31 148
12,3 116, 182, 201 1,30 106, 137 f., 143, 164, 173
12,4 113 1,30b 179
12,6–8 184 2,1 f. 118, 178
12,6 182–184 2,1 157, 183
12,7 184, 206 2,4 f. 140, 160
12,19 112 2,4 156, 159, 183
13,8–10 174 2,6–16 140, 185, 234
13,11 112 2,6 f. 130, 156 f., 183
13,14 166 2,7 93, 167
14,7–9 173 2,8 179, 237
14,7 179 2,8b 136, 292
14,8 174 2,9.10a 185
14,8b 95, 143 2,9 139
14,9 133, 143, 172 2,9b 179
14,15 130, 133, 172 2,10 140
14,20 129, 131, 155 2,10a 179
14,23 163, 165 2,11 179
15,1–6 89 2,12 140, 179
15,4 67 2,12b 179
15,7 89 2,13 130, 156 f., 183
15,15–21 140 2,16b 143
15,15 f. 182 3,5 159, 177, 181, 215
15,16 109, 140, 154, 159 3,9–17 218
15,19 109, 111, 117, 140, 154, 3,9 178
156, 173 3,10–17 178–180
15,20 f. 114 3,10–15 181
15,20 109, 157 3,10 f. 191
15,29 154 3,10 178 f., 182
15,31 39 3,10b 178 f.
16,7 185 3,10bα 178
16,17 184 3,10bβ 179 f.
[16,25–27] 155 3,11 179, 259
[16,25] 155 f. 3,12–15 180
3,12 178, 180
1. Korinther 3,13 180
1,1 158 3,14 178, 180
320 Register

3,15 112, 180 12,28 f. 158, 180–185


3,16 f. 178, 180 12,28 180 f., 187, 189 f.
3,16 134, 143 12,28a 180 f., 195
3,17 180 12,28b 180 f.
3,23 143, 173 12,29 181
4,1 159, 177, 197 12,30 183
4,2 154 13,1 f. 184
4,9–13 95 13,1 183
4,9 158, 181 13,2 182, 184
4,15 154, 183 13,6 164
4,17 177 13,8 182, 184
5,5 112 13,9 182, 184
6,1 164 13,12 126, 131
6,4 180 14 190
6,9 164 14,1–12 183
6,11 165 14,1 182, 184
6,19 f. 143 14,2–6 183
6,19 134, 143, 218 14,3–5 182, 184
7,17 129 14,3 183
7,19 174 14,3b.4 240
7,40 143 14,6 182–184
8,11 133 14,9 183
9,1 f. 158, 180 14,11 183
9,1 157 14,13 183
9,4–6 44 14,18 f. 183
9,5 158, 180 f. 14,19 183
9,6 177, 180 14,21 58, 183
9,8 58 14,22 182, 184
9,12 117, 140, 154, 173, 183 14,23–25 184
9,14 111, 154, 156 f., 177, 180, 14,23 183
183 14,24 182, 184
9,16 157, 183 14,25 134
9,18 111, 154, 157, 183 14,26 183 f.
9,23 154, 183 14,27–29 183
9,27 157, 183 14,29 f. 183
10,4 113 14,29 182–184
10,13 32, 148 14,30 183
10,33 112 14,31 182–184
11,4 f. 182, 184 14,32 182, 184
11,24 172 14,34 f. 183
11,24b 133 14,34 58
11,24c 88 14,36 116, 140, 154, 183
11,25c 88 14,37 182, 184
11,26 183 14,39 183 f.
12–14 182–184 15 150
12,1 182 15,1–23 240
12,2 5, 143 15,1–19 118
12,3 5, 113, 145, 179, 183 15,1–11 138–140, 158, 191, 234
12,4–6 113 15,1 f. 111, 118, 140, 156 f., 183,
12,8–10 184 191
12,8 184 15,1 154, 156, 183
12,10 182–184 15,2 112, 155
12,27 180 15,2a 118
Stellenregister 321

15,3 f. 67 1,12–14 127


15,3 163 1,18–22 127
15,3a 191 1,18 127
15,3b–5 118, 138, 140, 142, 155, 1,19 f. 155
191 f. 1,19 118, 136, 156 f., 177
15,3b.4 172 1,21 127
15,5 139 1,22 128, 134, 140, 145
15,6–8 139 1,24 127
15,7 158, 181 2,4 129, 131
15,8 158 2,12 117, 140, 154, 173
15,9 f. 158, 182 2,14–7,4 127
15,9 158, 181 2,14–6,10 160
15,11 f. 157, 183 2,14–3,6 127
15,11 42, 118, 142, 183 2,14–17 127
15,11b 118, 191 2,14 108, 160 f.
15,12–23 240 2,15 f. 150
15,12–19 139 2,15 112
15,12 118, 156, 191 2,16 167
15,14 142, 156, 183 2,17 116, 130, 140, 142, 154,
15,14b 118 157
15,14c 118 2,17a 156
15,15 118 2,17b 156
15,17 163 3,1–3 127
15,17b 118 3,2 f. 140 f., 159
15,18 112, 118 3,4–4,6 127
15,20–23 150 3,4–9 168
15,23 143, 150 3,6 140 f., 159, 215
15,28 136 3,7 168
15,32 95 3,8 140 f., 215
15,35–57 102 3,9 136, 164, 168
15,35 105 3,9b 215
15,39 113 3,12 f. 127
15,42–49 93 3,15 109
15,42 92 3,18 93, 127
15,43 93, 167 4,1–6 127
15,44 128 4,1 128 f., 215
15,49 96 4,2 116, 128, 140, 142, 157,
15,50–57 150 161, 170
15,50 92 4,3 112, 134, 156
15,53 f. 92 4,4 130, 134, 140, 155, 161,
15,55 v.l. 275 173
15,56 163, 165 4,5 113, 118, 127, 156 f.
16,3 129, 131 4,6 108, 134, 141, 161, 234
16,5 129 4,7–5,10 127–131
16,22 147 4,7–18 95
4,7–16 127
2. Korinther 4,7–15 127
1,1 158 4,7 131
1,3–14 127 4,8–10 128, 170
1,3–11 95 4,10 128
1,6 f. 127 4,11 128
1,8–11 127 4,12 127, 134
1,11 127 4,13–15 127
322 Register

4,13 113, 130, 157 6,4 215


4,14 101, 127 f., 130 6,8 129, 131
4,16–5,10 127, 146 7,5 95, 128, 170
4,16 128 f. 7,10 112
4,17–5,1 127 8,7–9 89
4,17 93, 95, 128, 167 8,7 105
4,18 128, 130 8,9 170
5,1–10 127 8,14 96
5,1–5 96, 102, 130 8,18 154, 177
5,1 101, 128, 130 8,19 101, 128, 170
5,2–6 127 8,23 88, 185
5,2–5 128 9,11 128, 170
5,2 102 9,13 117, 128, 140, 154, 170,
5,4 102, 167 173
5,5 140, 145 10,1 f. 129
5,6–8 121, 125, 127–129 10,2 129
5,6 128 f., 131 10,3 129, 166
5,6b 125 10,4–6 128, 170
5,7 121–132 10,7 143
5,8 f. 127 10,14 117, 140, 154, 173
5,8 128 f., 131, 150 10,16 157
5,9 f. 131 11,4 118, 140, 157, 186
5,9 129 11,6 128, 170
5,10 127 f. 11,7 111, 140, 154, 156 f., 163
5,11–6,10 127 11,13 158, 215
5,11–16 127 11,23–33 95
5,11–13 127 12,10 95
5,12 128, 170 12,12 158
5,14–21 137, 161, 171–173, 240 13,3 134
5,14b.15 172 13,5 134
5,14b.15a 133
5,14b 172 Galater
5,15 174 1,1–5 172
5,15a 172 1,1 158
5,15b 133, 144, 172 1,4 163
5,16 179 1,5 f. 157, 234
5,17 143, 173 1,6–9 186
5,18–21 137, 172 f., 179 1,6 157
5,18 215 1,7 117, 140, 154, 157, 173
5,18a 137 1,8 f. 157
5,19 134, 137, 140, 155, 172 1,11 f. 139, 157, 185, 234
5,19a 134 1,11 111, 154, 156 f.
5,19c 128, 170 1,12 158
5,21 107, 133, 163 f., 171 f., 1,15 f. 139, 185
245 1,15.16a 158
5,21a 172 1,15 182, 201
5,21b 172 1,16 118, 136, 156–158
6,1–10 127 1,16a 134
6,1 f. 161 1,17 158
6,1 127, 170 1,19 158
6,3 f. 128, 170 2,2 111, 154, 156 f.
6,3 215 2,5 142, 154, 157
6,4–10 95 2,7 154, 157
Stellenregister 323

2,9 154, 157, 182 4,4 111, 136, 138


2,15 164 4,4b.5 172
2,16 f. 112, 165 4,4b 172
2,16 101, 118, 132, 141, 169 4,5 138
2,16a.b.c 168 4,6 1–19, 134, 136, 140, 142,
2,16a 132, 141 145, 147
2,16b 132, 141 4,8 105
2,17 138, 163–165 4,9 146
2,19–21 173 f. 4,13 157
2,19 f. 137, 148, 172, 240 4,16 157
2,19 144, 148 4,19 134
2,19a 174 4,21–31 110
2,19b.20 174 4,21b 58
2,20 118, 132, 136, 141, 155, 4,23 116, 201
166, 172 5,1 102
2,20a 134, 143, 148 5,2 148
2,20b 130, 133, 148 5,4 148, 165, 170
2,21 106, 164, 170, 174 5,5 106, 146, 164
2,21b 169 5,6 174
3,1–14 132 5,7 142, 157
3,1 118 5,13–6,10 148, 174
3,2 115 f., 140, 156, 168 5,13 f. 174
3,3 166 5,13 166
3,5 115 f., 134, 140, 156, 168 5,16 f. 166
3,6–4,7 110 5,16 130, 174
3,6–14 141 5,18 5, 143
3,6 106, 115, 164 5,19–23 144
3,8 165 5,19 166
3,10–14 108 5,19a 166
3,10–12 136 5,19b–21a 166
3,10 f. 110 5,22.23a 174
3,10 168 5,22 174
3,10b 168 5,24 143, 166
3,11 165, 169, 179 6,2 89, 174
3,12 110 6,6 154, 184
3,12b 168 6,8 166 f.
3,13 f. 138, 140, 171 6,15 174
3,13 133, 168, 172, 239, 266
3,13a 172 Epheser
3,19a 168 1,1 158
3,21–29 132, 141 1,6 f. 134
3,21 106 f., 164 1,13 140, 155, 157, 258
3,21b 169 2,6 f. 134
3,22 118, 132, 141, 163, 165 2,10 134
3,23–4,7 6 2,11–3,13 192
3,24 112, 165 2,13–18 179
3,26 v.l. 118 2,13 134
3,29 143 2,14–18 155
4,1–3 138 2,15 f. 134
4,2 138 2,19–22 218
4,4–7 6 2,20 158, 187, 211, 252
4,4–6 155 3,1–7 185, 187
4,4 f. 108, 138, 171, 240 3,4 f. 187
324 Register

3,5 158 1,28 112


3,6 154 1,29 f. 95
3,7 182, 215 1,29 118, 132, 141
3,8 157 2,5 134
3,17 134, 143 2,6–11 244
4,7–16 186–188, 192 2,11 5, 113
4,7 188 2,12 f. 148
4,9 f. 186 2,12 112, 148
4,9 186 2,13 134, 148
4,10 186 2,16 185
4,11–16 186 2,19–22 177
4,11 158, 186, 189 f., 2,22 154, 159
195–197, 226 2,25 88, 185
4,12 187 f. 3,6 164
4,13–16 191 3,7–11 132, 141, 234
4,13 136, 188 3,8 161
4,14 188 3,9 107, 118, 132, 141, 143,
4,15 188 164
4,32 134 3,19 112
5,2 89, 133 3,20 f. 96, 102, 150
5,2 v.l. 133 3,21 93, 128, 167
5,25 89, 133 4,3 154
6,15 140, 155, 190 4,9 184
6,16 39 4,10–20 197
6,19 154 4,14 95
4,15 154
Philipper 4,18 223
1,1 f. 185
1,1 185, 188, 197 Kolosser
1,5 154 1,1 158
1,6 134, 148 1,5 154, 157, 258
1,7 154 1,7 177, 184, 215
1,11 164 1,13 136
1,12–14 95 1,14 134
1,12 154, 185 1,15 237
1,14–18 185 f. 1,19 f. 134
1,14 111, 130, 154, 156 f., 185 1,19 137, 237
1,14 v.l. 140 1,21–23 179
1,15–18 185 1,23 154, 156 f., 215
1,15 118, 156 f., 185 1,24 95
1,16 154, 185 1,25 140, 154, 156
1,17 f. 118, 156 f. 1,27 93, 134
1,17 185 1,28 156, 190
1,18 186 1,29 134
1,18b 105 2,7 184
1,19 112, 142 2,9 137, 237
1,22 166 3,4 93
1,23 125, 150 3,13 89
1,24 166 3,15 134
1,27–2,18 89 3,16 140, 154, 190
1,27 173 4,3 154
1,27a 117, 140, 154 4,7 215
1,27b 154
Stellenregister 325

1. Thessalonicher 3,1 155


1,3 160 3,2 39
1,4–10 160 3,3 39, 148
1,4 f. 148
1,5 f. 140, 158 f. 1. Timotheus
1,5 156, 159 1,1 158, 212
1,6 95, 154 1,3–11 206
1,8 85, 155, 158 1,10 184, 189, 208
1,10 112, 136, 150, 155 1,11 155 f., 207, 210, 258
2,2 111, 130, 140, 154, 1,12 196
156–158 1,15 f. 213
2,3 156 1,15 209, 212 f.
2,4 44, 130, 154, 157 f. 1,16 212 f.
2,7 158 1,17 289
2,8 f. 140, 154, 158 1,18–20 206
2,9–12 160 1,18.19a 193, 202
2,9 111, 156 f. 1,18 202
2,12 93, 160, 167 1,18b 202
2,13 115 f., 134, 140, 148, 154, 2,3 212
156, 158–160 2,4 207, 213, 258
2,14 95, 160 2,5–7 179, 212 f.
2,16 112, 130, 157, 163 2,5 f. 209
3,1–13 160 2,5 192
3,2 117, 140, 154, 173 2,6 133, 212
3,3 f. 95 2,6a 212
3,7 95 2,6b 212
3,12 f. 160 2,7 158, 207, 210
4,1–12 160 3,1–7 188, 193, 196, 200
4,8 140 3,1 196 f.
4,13–17 150 3,2 196 f.
4,14 133, 142, 172 3,8–13 196
4,17 150 3,8–10 196
4,17b 125 3,9 207
5,9 f. 150, 160 3,11 196
5,9 112 3,15 207
5,10 133, 150, 172 f. 3,15b 258
5,19–22 184 3,16 156 f., 207
5,20 182, 184 3,16b 139, 209
5,22 121 4,1–11 206
5,23 f. 148, 160 4,1 207
5,24 148 4,3 207
4,6 184, 189, 207–209, 213
2. Thessalonicher 4,8 212
1,4 95 4,10 212
1,6 95 4,11–16 213
1,8 140, 154 4,11 206, 210
1,10 156 4,12–16 206
2,10 112 4,13 156, 206–208, 210
2,13 f. 148 4,14 189, 193–195, 198–207
2,13 112 4,16 184, 189, 206, 208, 213
2,14 93, 156 5,1 188, 197
2,15 184 5,8 207
5,17 156, 188, 197, 206, 208
326 Register

5,19 188, 197 2,18 207


5,22 189, 193 f., 200, 206 2,24–26 200
6,1 189, 208 2,25 207, 213, 258
6,2 210 3,7 f. 207
6,3–5 206 f. 3,7 213
6,3 189, 207 f. 3,10 f. 202
6,8 25 3,10 206, 208
6,9 29 3,14 206
6,10 207 4,2 154, 157, 206 f., 210
6,11–16 193 4,3 189, 208
6,12 f. 209 4,4 207
6,12 209, 212 4,5 196, 202, 206, 210
6,12a 202 4,7.8a 202
6,12b 193, 202 f., 208 f. 4,7 202
6,13 208 f. 4,17 156
6,14 206 4,18 39
6,16a 289
6,19 212 Titus
6,20 f. 206 1,1 158, 207, 213
6,20 189, 206, 208, 258 1,2 212
1,3 140, 154, 156 f., 159,
2. Timotheus 207, 210, 212, 258
1,1 158, 212 1,4 207, 212
1,6 189, 193–195, 198 f., 1,5–9 188, 197
201, 203–206 1,5 f. 193
1,7 f. 205 1,5 188, 197, 200, 206
1,7 204 f. 1,6 197, 200
1,8–11 207, 258 1,7–9 193, 200
1,8 154, 202, 205, 207, 210, 1,7 196 f.
212 1,9 189, 207 f.
1,8a 206 1,10–16 206
1,8b 206 1,13 207
1,9–11 179 1,14 207
1,9 f. 209, 237 2,1 189, 208, 212
1,9 212 f. 2,5 140, 154, 207
1,10 f. 212 2,7 206, 208
1,10 154, 192, 207, 212, 291 2,10 189, 208, 212
1,10b 212 2,13 f. 209
1,11 158, 210 2,14 133
1,12 189, 208, 258 3,4–7 209
1,13 193, 208 3,4 212, 237
1,14 134, 143, 189, 206, 3,5 204, 212 f.
208 f., 258 3,6 212
2,1 199 3,7 212
2,2 189, 193, 200, 202 f., 3,8–11 206
207 f., 210 3,14 26
2,3 202
2,8–10 213 Philemon
2,8 155, 207, 209 13 154
2,9 140, 154, 207 22 201
2,10 212 f.
2,14–4,5 206
2,15 157, 189, 206 f., 213, 258
Stellenregister 327

Hebräer 1,17 6
1,1–4 216 1,19 245
1,3 287 1,21 225
1,3a 237 1,23–25 225 f.
1,8 f. 4 1,24 218
2,5–18 216 1,25 222
2,10–17 240 2,4–10 195, 218, 223
2,18 170 2,4 f. 218
3,1 209, 216 2,5–10 220
4,2 115 2,5 218, 223, 226
4,2 vg 116 2,6–10 218, 221
4,14–5,10 216 2,6–8 226
4,14 209 2,6 f. 225
4,15 245 2,6 218
4,16 195, 216 2,9 196, 218–227
6,2 195 2,11 f. 223
6,17 170 2,21 89, 223
7,1–10,18 216 2,22 163, 245
7,25 133, 216 2,24 266
7,26 245 2,25 196 f.
9,14 195, 216 3,1–17 223
9,26b 240 3,15 225
10,1–10 290 3,18 245
10,5–10 240 3,19 222
10,7 4, 285 4,6 222
10,10 195 4,11a 222, 225
10,14 195 5,1–4 225
10,19–22 195 5,1 197
10,22 216 5,2 f. 187
10,23 209 5,2 196
12,5 111 5,3 f. 197
13,7 197, 216
13,8 240 1. Johannes
13,10 44, 195 1,7b 86
13,15 195, 216, 223 2,6 89
13,16 223 2,13 f. 39
13,17 197, 216 3,5 245
13,22 206 3,12 39
13,24 197, 216 3,16 89
4,2b 290
Jakobus 4,9 f. 240
1,18 258 4,9 289
2,16 26 5,18 39 f.
5,14 197 5,20 289
5,15 163 5,20a 238
5,20b 238, 292
1. Petrus
2. Johannes
1,3–12 225
1,10–12 218 7 290
1,12 222, 225
1,15 f. 223 Apokalypse
1,16 218 1,5b.6 195
328 Register

1,6a 217 7,15 217


1,17b.18 291 11,6 44
1,18 275 12,11 98
3,10 38 13,14 98
4 f. 217 15,3 4
4,11 4 18,4 4
5,9b.10 195, 217 18,7 110
5,10a 217 20,6 195, 217
6,8 275 20,13 f. 275
6,10 4 22,3–5 217
7,14 f. 195 22,3 f. 195
7,14b–17 217 22,3 217

Pseudepigraphen des Alten Testaments


Kopt. Apokalypse des Elia 4. Esra
19,11 137, 237 3,14 67
7,11 f. 99
Apokalypse des Esdras 8,1 99
7,5 4 8,44 99
10,9 97
Apokalypse des Mose 14,30 169

20,2 93 Ezechiel-Apokryphon
21,6 93
32,2 4, 8 Frgm. 3 17

Apokalypse des Sedrach Äth. Henochbuch

16,7 39 22,14 137, 237


25,3 137, 237
Apokryphe Psalmen 25,7 137, 237
27,3 137, 237
155,11 35 f. 27,5 137, 237
36,4 137, 237
Aristeasbrief 40,3 137, 237
38 58, 66 63,2 137, 237
77 98 75,3 137, 237
168 58 83,8 137, 237
292 98
Griech. Henochbuch
Griech. Baruchapokalypse 2,14 137, 237
4,15 93 25,4 44
4,16 93 27,3 137, 237
27,5 137, 237
Syr. Baruchapokalypse 103,5 94
14,17 f. 99 Slaw. Henochbuch
38,2 169
56,5 f. 99 53,1 46
67,6 107 64,5 46 f.
85,2 46
Stellenregister 329

Joseph und Aseneth Sibyllinen


15,1–8 45 2,344 f. 39
20,1–5 76
Aram. Testament Levis
Jubiläenbuch (CTLevi ar.)
3,25 99 Bodl. a, 14 9
18,2 149 Bodl. a, 21–23 9
18,15 149 Bodl. a, 21 9
41,23–25 45, 47 Bodl. a, 23 2, 9 f.
Bodl. b, 3 10
Liber Antiquitatum Biblicarum Bodl. b, 4 10
37,3 99 Bodl. b, 10 53
Bodl. b, 21 53
Paralipomena Jeremiae Bodl. c, 12 9
Bodl. c, 13 53
2,3 46 Cambr. a, 18 9
5,32 4
6,9 4 Testamente der 12 Patriarchen
9,3 4
9,25 4 Ruben
4,10 39
Syr. Psalmen Levi
III 11 35 f. 2,10 222
9,11 80
Psalmen Salomos 18,9 45, 47

4,23 39 Vitae Prophetarum


14,2 169
14,8 44 IV 4 52
18,6 115 IV 12 52
IV 15 46, 52

Qumrantexte
Damaskusschrift (CD) 12,29 290
13,9 f. 45, 47 17,16 290
14,19 45, 47 19,6 221
19,24 221
Gemeinderegel (1QS)
Genesis-Apokryphon (1QGenAp ar [1Q20])
4,20–23 55
8,5–10 218 II 19 9
9,3–5 223 II 24 9
10,6 223 III 3 9
XXII 30 53
Loblieder (1QH)
Aram. Testament Levis
7,21 290
9,30 221 1QTestLevi ar (1Q21)
9,33 221 Frgm. 29,1 9
11,23 221
330 Register

4QTestLevib ar (4Q213a) 4QVisions of Amramd ar (4Q546)


Frgm. 1 II 12 9 Frgm. 2,3 9
4QTestLevic ar (4Q213b)
4 9 6QEnGiants ar (6Q8)
Frgm. 1,4 9
Florilegium (4QFlor [4Q174])
III 6 f. 223 Psalmenrolle (11QPsa [11Q5])
XIX 8 f. 221
4QTobit XXIV 3–17 35–37
4QToba ar (4Q196) XXIV 6 f. 36
Frgm. 2,9 9 XXIV 8 36
Frgm. 14 I 6 9 XXIV 10 35–37
Frgm. 14 II 11 9 XXIV 11 36
4QTobb ar (4Q197) Targum zu Hiob (11QTargHi [11Q10])
Frgm. 4 I 17 10
Frgm. 4 II 10 9 XXXI 5 (Hi 38,28) 8
Frgm. 4 III 8 9 XXXVIII 2 f. (Hi 42,9 f.) 46, 51

Gebet des Nabonid (4QOrNab [4Q242]) Melchisedek-Midrasch (11QMelch [11Q13])


I 3 f. 51 II 4–8 45, 47
I 3 51 f.
I 4 51–53 Weitere Fragmente
4Q372 Frgm. 1,16 17
4QTestament of Qahat ar (4Q542) 4Q460 Frgm. 9 I 6 17
Frgm. 1 II 11 9 4Q504 Frgm. 1–2 V 17 f. 38
4Q511 Frgm. 63 II 2 f. 221

Philo und Josephus


Philo De gigantibus
15 95
De Abrahamo 30 179
80 139
170 149 De migratione Abrahami
21 95
De agricultura 73 222
25 95
De mutatione nominum
De Cherubim 36 95
101 179 173 95
211 179
De confusione linguarum
87 179 De plantatione
126–131 222
128 222
Stellenregister 331

De somniis Josephus
I 256 222, 224
II 8 179 Antiquitates Judaicae
II 237 95 I 222 149
II 153 44
De specialibus legibus III 22 f. 46
I 62 95 III 266 44
I 113 95 IV 247 44
II 16 95 IV 259 44
II 230 95 VI 88–94 48–50
III 205 95 VI 92 f. 46
VI 92 48–50
De vita contemplativa VI 93 50
VI 141–151 50
34 179 VI 143 50
VI 144 f. 50
De vita Mosis VI 151 50
I 105 95 VIII 17 44
II 166 46 VIII 234 198
II 194 92 X 170 25
X 216 f. 52
Legum allegoriae XI 143 f. 46
XII 215 25
I 108 95
III 69 f. 95 Bellum Judaicum
III 72 95
III 74 95 II 420 153
III 103 124 II 441 25
IV 656 153
Quis rerum divinarum heres sit V 402 59
116 179 Contra Apionem
262 124
II 14 115

Vita
279 f. 25

Rabbinische Literatur
Mischna Tosefta
Joma Pea
1,1 63 3,8 12
‛Edujot Sanhedrin
5,7 12 1,1 194
‛Aboda Zara
Babylonischer Talmud
3,4 59–62
Berakhot
32b 60 f., 63 f.
40a 12
60b 36 f.
332 Register

‛Erubin Qidduschin
55a 111 I 61b,44 11
Rosch ha-Schana Sanhedrin
17b 60–62 I 19a,47–56 194
VI 23b,66 11
Ta‛anit
23a 12, 15
Midraschim
23b (Z. 36–38) 15, 18
23b (Z. 37) 11 Mehkilta de R. Jischma‛el zu Exodus
23b (Z. 46) 11 zu 13,19 12
zu 20,5 59, 61
Soṭa zu 20,6 12, 15
12a 12 zu 20,19 58
33b 60, 65 f.
Mekhilta de R. Schim‛on
Qidduschin
b. Jochai zu Exodus
32a 12
zu 21,13 65
70a 12
Sifra zu Leviticus
Baba Meṣi‛a
’ḥrj mwt IX 10 zu 18,5 110
59b 111
qdwšjm III 11 zu 20,26 12
Sanhedrin
Sifre zu Deuteronomium
13b.14a 194
§ 56 zu 11,30 65 f.
38b 47, 93
§ 316 zu 32,13 12
70b 12
§ 347 zu 33,6 12
90b 60, 65 f.
Midrasch Tannaim
Makkot
zu Dtn 15,10 60–62
24a 12
zu Dtn 24,19 12
‛Aboda Zara
Genesis Rabba
17a 60 f., 63, 65
11,2 zu 2,3 93
18a 12
11,6 zu 2,3 11
54b 60–62
12,5 zu 2,4 93, 99
55a 60 f.
26,7 zu 6,1 11 f.
68,4 zu 28,10 60, 65
Außerkanonische Traktate
75,3 zu 32,4 39
Abot de R. Nathan (Rez. A) 78,2 zu 32,26 88
1 93
Exodus Rabba
8 12
32,4 zu 23,21 47
Abot de R. Nathan (Rez. B) 46,3 zu 34,1 12
13 12
Leviticus Rabba
19 12
4,6 zu 4,2 59–62
27 12
8,1 zu 6,18 60, 65
25,1 zu 19,23 11
Jerusalemer Talmud
32,1 zu 24,10 15
Pea
I 15c,60 11 Deuteronomium Rabba
VII 20b,24 12 8,6 f. zu 30,12–14 111

Joma Hoheslied Rabba


VI 43d,26 11 2,30 zu 2,14 12

Soṭa Klagelieder Rabba


VII 21c,34 f. 60, 65 Peticha 24 12
1 § 53 zu V. 16 59, 61, 64 f.
Stellenregister 333

Qohelet Rabba Pesiqta Rabbati


1 § 24 zu V. 8 59–61, 63, 65 37,2 46
11 § 2 zu V. 1 59, 61, 63
Andere Haggadawerke
Midrasch zu den Psalmen
17 § 3 zu V. 2 47 f. Pirqe de R. Eli‛ezer
31 12
Midrasch zu den Sprüchen
zu 15,17 76 Seder Elijahu Rabba
7 (33,2) 7
Tanchuma 19 (112,18) 7
Ex, mšpṭjm § 18 47 19 (112,21) 7
Dtn, w’tḥnn § 6 12
Tanchuma ed. S. Buber Jüdische Gebete
Gen, br’šjt § 40 38 bBer 60b 36 f.
Ex, mšpṭjm § 11 47 Gebet ’attāh hû’ 7
Dtn, w’tḥnn § 5 12 Introduktion
Pesiqta de Rab Kahana   zum Gesang
2,4 60, 65   des Mose 7
Zusatz 6 46 Synagogengebete 17

Targumim
Targum Neofiti Exodus
10,17 46
Genesis
4,13 44 Leviticus
22,7 11 18,5 110
27,18 11
27,34 11 Targum Onqelos
27,38 11
Genesis
Exodus 22,7 11
10,17 46 27,18 11
27,34 11
Deuteronomium
27,38 11
30,11–14 111
44,19 f. 12
30,13 110
Exodus
Fragmenten-Targum 10,17 46
Genesis Leviticus
4,13 (V) 44 18,5 110
Deuteronomium Numeri
30,11–14 111 30,17 12

Targum Pseudo-Jonathan Targum-Fragmente


Genesis aus der Kairoer Geniza
2,25 93 Ms D Gen 48,18 11
4,13 44
22,7 11
27,18 11
27,34 11
334 Register

Targum Jonathan zu den Propheten Targum zu den Psalmen


Richter 65,4 51
11,36 11 66,11a 34
68,19 186
1. Samuel
89,27 15, 17 f.
15,25 46
89,27a 18
Jesaja 89,27b 17
8,4 11 103,13 12
52,13–53,12 46 f.
Targum zu Hiob
Jeremia
2,27 17 17,14 17
31,18 12
Ezechiel 34,36a 15
22,7 12
Amos Targum zu den Sprüchen
7,2 f. 46 3,12 12
7,5 f. 46
Maleachi Targum scheni zu Esther
2,10a 15 1,1 12
3,23 f. 45, 47 4,16 17
Targum-Fragment
zu Jos 5,14 47

Frühchristliche Schriften und Kirchenväter


Ambrosius Expositio in Psalmos
De sacramentis zu Ps 84,11 290
V 4,18 32
V 4,29 32 Augustinus
De dono perseverantiae
Arnobius der Jüngere 6,12 31
Commentarii in Psalmos De sermone Domini in monte
Ps 119 31 II 9,30 31
Conflictus cum Serapione
II 30 31 Barnabasbrief
10,11 129
Athanasius
Contra Arianos Clemens von Alexandrien
I 41 289 Paedagogus
II 15 f. 237 III, II 11,2 126
II 16 289 III, II 11,3 126
II 70 290 III, II 12,2 126
III 57 289, 291 III, II 12,3 126
De incarnatione Verbi Stromateis
9 289, 291 IV, XXVI 166,2 126
Stellenregister 335

Cyprian 13,1 198


De dominica oratione Philadelphier
7 31 4 198
25 31 5,1 198
7,1 198
Didache
Smyrnäer
8,2b 21, 29 1,2 209, 290
10,5 39 3,1 290
11,3 f. 185 8,1 198
11,6 185 12,2 198

Diognetbrief Trallianer
2,2 198
9,2 289 7,2 198
9,1 209
Dionysios von Alexandrien 13,2 198
Fragmenta 32
Johannes Chrysostomus
Epiphanius von Salamis In Ep. ad Romanos Homiliae
Ancoratus XIV 5 98 f., 103
119,5 290 In Ep. I ad Corinthios Homiliae
VI 3 126
Evangelienfragment POxy 840
In Ep. II ad Corinthios Homiliae
34 f. 80 X 2 126
Gregor von Nyssa Justin
De oratione dominica orationes Apologie I
IV 25 13,3 209
46,1 209
Hieronymus 61,13 209
Commentaria in Evangelium S. Matthaei Dialog mit Tryphon
zu 6,11 24 f. 30,3 209
76,6 209
Hymnen 85,2 209
Doxologie 287
Lazarus-Hymnen 263–281 Justinian (Kaiser)
Ὁ μονογενὴς Υἱός 283–293 Confessio rectae fidei
Ostertroparion 291 adversus tria capitula
Φῶς ἱλαρόν 289 284
Ignatius 1. Klemensbrief
Epheser 8,3 17
2,2 198 16,1–16 89
4,1 198 16,17 89
7,2 290 42,4 f. 209
20,2 198 43,1 209
Magnesier 44,1–6 188, 197
2 198 44,2 209
11 209
336 Register

Marcion Polykarpbrief
Evangelium 7,2 27
Lk 11,4b 31 8,1 f. 89

Maximus Confessor Pseudoklemeninische Homilien


Mystagogia XVII 18 123 f.
24 121, 126 XVII 18,5 f. 123 f.

Meliton von Sardes Romanos Melodos


Passa-Homilie Kontakion 26 263
70 290 Kontakion 26,8–15 275
102 275 Kontakion 27 263
104 290 Kontakion 27,1 268, 275
Kontakion 27,9 275
Methodius von Olympus
De resurrectione Severian von Gabala
II 16,9 126 Scholia zu 2Kor 5,7 123–125

Nazaräerevangelium Sophia Jesu Christi


Frgm. zur Brotbitte POxy 1081,10–19 92
des Vaterunsers 24 f.
Tertullian
Origenes
Adversus Marcionem
Commentarii in Joannem IV 26 31
X 43 (27) § 306 zu 2,21 f. 126
De fuga in persecutione
XIII 53 (52) § 355 zu 4,42 126
2,5 31
XIX 3 §§ 16–20 zu 8,19 126
XXXII 4 ff. zu 13,6–10 80 f. De oratione
8,1 31
De oratione
XXVII 1–6 25 De resurrectione carnis
XXVII 7–9 25 XLIII 126
XXVII 7 23
XXVII 13 25 Theodor von Mopsuestia
Fragmenta in Joannem Katene zu Röm 8,22 101
Frgm. 33 237
Theodoret von Kyros
Paulusakten Interpretatio Ep. II ad Corinthios
3Kor 6 277 zu 5,6–8 123–126

Petrusevangelium
1,1 80
Stellenregister 337

Byzantinisches Schrifttum und Frühmittelalter


Euthymios Zigabenos (Zigadenos) Theophylakt von Achrida
Commentarius in quatuor Evangelia Enarratio in Evangelium Lucae
zu Mt 6,13a 32 zu Lk 11,4b 32
Expositio in Ep. II ad Corinthios
Hrabanus Maurus
zu 5,6–8 126
Commentaria in Matthaeum
Liber II, zu 6,13 32

Griechische und römische Autoren


Aelius Aristides Orationes
Orationes VI 34 98
24,1 K = 44 D 98 f. XVIII 49 98 f.
XVIII 249 99
Antiphon aus Rhamnus XXXII 8 99

Orationes Dionysius Halicarnassensis


II 4,5 94
Antiquitates Romanae
Appian VIII 33,3 98 f.

Bella Civilia Romana Epiktet


III 93 153
IV 20 153 Dissertationes
IV 113 153 I 3,3 94
I 19,9 95
Aristophanes II 15,8 179
II 19,27 94
Ecclesiazusae
833 3 Fragmenta
26 95
Pax
466 3 Euripides
Plutus Fragmenta
130 99 1073,6 25
145 98
160 99 Rhesus
470 98 f. 331 25
789 94
Ranae
521 3 Heliodor
Aethiopica
Artemidor
I 14,26 153
Oneirocriticus I 14,27 153
V 92 25
Herodot
Demosthenes
Historiae
Epistulae I 21,1 88
4,5 25 V 38,2 88
338 Register

Homer Plutarch
Ilias Alexander
24,490 114 8,4 (668) 98 f.
Odyssee Amatorius
4,114 114 13 99
Sertorius
Kleanthes
11,8 153
Zeus-Hymnus
1 f. 287 Polybius
Historiae
Longus
II 25,11 25
Daphnis et Chloë V 13,10 25
II 30,4 99
Ps.-Lukian
Lucan
Asinus
De Bello civili 26 153
X 183 116
Sophokles
Lukian
Oedipus Coloneus
Verae Historiae 307 114
II 27 25 1129 99

Lysias Thukydides
Orationes Historiae
XII 58 99 I 20,1 115
I 41,2 99
Maiistas II 52,2 94
Delische Sarapis-Aretalogie
IG XI,4 1299,48 f.  219, 225 Xenophon
Anabasis
Platon V 8,13 99
Cratylus VI 6,23 98
403d 99 VII 6,33 99
VII 7,7 99
Gorgias
471e 96 Cyropaedia
515e 99 II 1,23 25
520c 99 II 3,10 80
V 2,35 99
Leges VII 5,41 80
736e 179 VIII 7,7 25
803b 73
Memorabilia Socratis
Symposium III 3,15 99
219a 25 III 5,9 114
Timaeus Symposium
21a 115 IV 5 25
Stellenregister 339

Inschriften und Papyri


Aramäische Ossuar-Inschriften Oxyrhynchos Papyri (POxy)
yJE 3,1 (Beyer) 10 840,34 f. 80
yJE 12a (Beyer) 10 f. 1081,10–19 92
yJE 12b (Beyer) 10
yJE 16c, 2 (Beyer) 10 f. Papyri Graecae magicae (PGM)
13,579 98
5/6 Ḥever Nabatean Contract
(pap5/6ḤevA nab) Preisigke, Sammelbuch I
recto, Frgm. 1,6.7 9 5224,20 23
recto, Frgm. 3,1 9
Autorenregister

Abbott-Smith, G. ​131 Breck, J. ​284


Abramowski, L. ​71, 88, 291 f. Bretschneider, C. G. ​224
Aland, B. ​23 f., 26, 28 f., 73 f., 78, Brightman, F. E. ​285
82, 97 f., 100 f., 113 f., 123, 129, Brown, E. E. ​58 f., 71 f., 77 f., 83 f.
146, 150, 161, 202 f., 209, 275 Brox, N. ​193, 203–205, 211, 220, 222 f.
Aland, K. ​23 f., 26, 28 f., 73 f., 78, 82, Buber, S. ​64, 76
97 f., 100 f., 113 f., 123, 129, 146, Buchholz, A. ​255
150, 161, 202 f., 209, 275 Bühring, G. ​284
Allmen, J.-J. von ​226 f. Bullinger, E. W. ​110
Augenstein, J. ​59, 69 Bullinger, H. ​227 f.
Bultmann, R. ​59 f., 71, 77 f., 80–84, 87 f.,
Bacher, W. ​58, 61, 64, 67 116, 229, 233
Bachmann, Ph. ​122 Burchard, Chr. ​93
Bagnall, R. S. ​23
Balz, H. R. ​91, 99 Calvin, J. ​135, 152, 199, 204, 223–225,
Barkhuizen, J. H. ​284, 291 258
Barr, J. ​1 Campenhausen, H. von ​181, 203, 205,
Barrett, C. K. ​59, 69, 72 f., 78, 83 f. 211
Barth, K. ​229, 237 Carmignac, J. ​35
Bauer, H. ​53 Carson, D. A. ​71
Bauer, W. ​23 f., 26, 28 f., 59, 72–74, 78, Charles, R. H. ​9 f.
81–84, 97 f., 100 f., 113 f., 123, 129, 146, Charlesworth, J. H. ​35 f.
150, 161, 202 f., 209, 268, 275 Chase, F. H. ​31
Bauspieß, M. ​231, 244 Christ, W. ​284, 286 f., 289
Bayer, O. ​135 Collins, J. J. ​51
Beasley-Murray, G. R. ​71, 83 f. Conrad, J. ​221
Becker, J. ​10, 59, 71–73, 78, 83 Conzelmann, H. ​203, 205, 209
Bengel, J. A. ​3, 110, 114, 159, 190, 220 Cranfield, C. E. B. ​6 f., 94, 97, 114
Benseler, G. E. ​131 Cremer, H. ​24–26
Betz, H. D. ​5 Crum, W. E. ​122
Beyer, K. ​9 f., 14, 51, 83 Cullmann, O. ​211
Beza, Th. ​3, 6, 73
Billerbeck, P. ​16, 25, 27, 36, 39, 47, 58, 60, Dalman, G. ​7, 22, 24, 26, 35, 39
65, 67, 99, 169, 186, 194 Danker, F. W. ​14, 24, 123
Bindemann, W. ​91 Daube, D. ​199
Black, M. ​285 Day, P. D. ​263
Blank, J. ​72, 75, 78, 83 f. Debrunner, A. ​4, 23, 26, 41, 74, 79, 81, 87,
Blass, F. ​4, 23, 26, 41, 74, 79, 81, 87, 96, 96, 100, 102, 113–115, 128 f., 138, 145,
100, 102, 113–115, 128 f., 138, 145, 160, 160, 199, 276
199, 276 Dibelius, M. ​94, 203, 205, 208
Börner-Klein, D. ​194 Dietzfelbinger, Chr. ​58 f., 72, 83 f.
Boismard, M.-É. ​81 Díez Macho, A. ​47
Bornemann, E. ​26 Drosdowski, G. ​16, 28
Bornkamm, G. ​235 Drusius, J. ​33
Bovon, F. ​30 Duhm, B. ​221
Box, G. H. ​34 Dupont-Sommer, A. ​51f
342 Register

Eckstein, H.-J. ​110 f., 148 Heil, Chr. ​231


Eger, Th. ​28, 94, 123 Heinrici, C. F. G. ​122, 130
Eichholz, G. ​26, 137, 142, 148, 152, 239 Heitmüller, W. ​77, 84
Elert, W. ​292 Hengel, M. ​2
Elliger, K. ​221 Hermisson, H.-J. ​221
Epstein, J. N. ​65 Hezser, C. ​194
Erasmus von Rotterdam, D. ​254 Hoffmann, D. ​62
Ewald, P. ​190 Hoffmann, P. ​231
Eynikel, E. ​124 Hofius, O. ​2 f., 8, 12, 18 f., 41 f., 45 f., 48,
55, 68, 73, 78, 89, 92 f., 105–107, 111,
Fagerberg, H. ​226 115, 128, 134, 136–141, 144, 153, 161,
Feldmeier, R. ​220 165, 167–169, 171, 173 f., 177, 187–189,
Fiebig, P. ​85 194, 196 f., 199, 201, 209, 211 f., 215–217,
Fitzmyer, J. A. ​9, 11, 52 225 f., 230, 234, 242, 244, 246, 264, 289,
Foerster, W. ​24, 26 292 f.
Frey, J. ​1, 17 Holtzmann, H. J. ​83 f.
Fuchs, E. ​102 Horner, G. ​121 f.
Führer, W. ​216, 220, 250
Φουντούλης, Ἰ. Μ. ​283 Iwand, H. J. ​56, 135, 152, 230, 235, 237,
Furnish, V. P. ​122, 130, 132 239 f., 242

Gäckle, V. ​224 f. Jacobitz, K. ​131


García Martínez, F. ​10, 52 Janeras, S. ​283 f., 292
Gaugler, E. ​145, 147 Janowski, B. ​45 f.
Gemoll, W. ​132 Jenni, E. ​29
Gerth, B. ​16, 50, 73 f., 83, 98, 100, 287 Jeremias, J. ​1 f., 6–8, 12–18, 22 f., 34–37,
Gese, H. ​22, 35 f., 38 72, 82, 189, 193–195, 197, 199, 205, 208,
Geyer, G. ​241 229, 232 f., 246
Gielen, M. ​29 Jewett, R. ​5
Gnilka, J. ​25, 28, 38, 72, 77 f., 82 f., 185 Johansson, D. ​48
Goppelt, L. ​89, 220, 222 Jones, H. S. ​121
Gräßer, E. ​91, 103, 122 Jongeling, B. ​52
Grelot, P. ​52 Jülicher, A. ​99, 102
Grillmeier, A. ​283, 286, 292 Jüngel, E. ​89, 229–232, 243
Grimm, C. L. W. ​108, 123, 224
Grosdidier de Matons, J. ​263 Kaegi, A. ​131
Grotius, H. ​34 Kähler, M. ​229, 235
Grumel, V. ​284 Käsemann, E. ​5, 93, 182, 208, 220, 229, 241
Grundmann, W. ​5, 34, 45 f. Kahle, P. ​11
Gundry Volf, J. M. ​149 Kammler, H.-Chr. ​68, 86, 139 f., 143, 178,
184, 234, 238, 289
Hägerland, T. ​48–54 Καρακόλης, Χ. Κ. ​264, 268
Haenchen, E. ​45, 58, 71 f., 84 Karmiris, I. ​289–292
Hammond, C. E. ​285 Karrer, M. ​124
Hanhart, R. ​43 Kehrein, J. ​28 f.
Hanson, A. T. ​193 Kereszty, R. ​229
Harfenes, G. ​7 Kikuchi, S. ​135
Harnack, A. von ​31 Kittel, G. ​7, 123
Harnisch, W. ​99 Klauck, H.-J. ​125, 130, 161
Harrington, D. J. ​9, 11, 52 Klein, H. ​26, 28
Hasler, V. ​202 Koch, D.-A. ​109
Hauck, F. ​78 Koch, K. ​46
Hauspie, K. ​124 Kohler, H. ​88
Autorenregister 343

Konradt, M. ​28, 244 Milik, J. T. ​51


Kratz, R. G. ​51 f. Moore, G. F. ​47
Kraus, H.-J. ​145, 221 Mostert, W. ​229, 239
Kraus, W. ​124 Müller, U. B. ​148
Kreck, W. ​152, 229 Munk, E. ​37
Kremer, J. ​263 Muraoka, T. ​124
Kretschmar, G. ​193
Kreussler, O. ​121 Neef, H.-D. ​17
Kühner, R. ​16, 50, 73 f., 83, 98, 100, 287 Niemand, Chr. ​81, 83
Kümmel, W. G. ​122 Nijman, M. ​23
Kuhn, K. G. ​26 Nöldeke,Th. ​12
Noltensmeier, H. ​255
Labuschagne, C. J. ​52
Lagarde, P. de ​12 Oberlinner, L. ​197, 199, 205–207
Lambrecht, J. ​91 Odeberg, H. ​60, 65, 68
Lampe, G. W. H. ​121, 275, 278 Oepke, A. ​82 f.
Landmesser, Chr. ​94 f., 231 Onasch, K. ​263, 265
Lausberg, H. ​114 Osten-Sacken, P. von der ​91
Leander, P. ​53 Otto, R. ​246
Leonard, J. M. ​24
Liddell, H. G. ​121 Palm, F. ​121
Lietzmann, H. ​6 f., 105, 117, 122 Pape, W. ​121
Lips, H. von ​193 f., 199, 201 f., 213 Paranikas, M. ​284, 286 f., 289
Lipsius, R. A. ​105, 112 Parkhurst, J. ​123
Littmann, E. ​8, 12 Passow, F. ​121, 146
Lohmeyer, E. ​32, 45 Pesch, R. ​38
Lohse, E. ​5, 8, 143, 177, 184, 193 f., Peterson, Ε. ​5, 7
202–204 Philonenko, M. ​9, 17, 34 f., 39
Lona, H. E. ​197 Pietersma, A. ​124
Lührmann, D. ​92 Preisigke, F. ​23
Lünemann, G. ​98 f. Preuschen, E. ​80
Lust, J. ​124 Puech, É. ​52
Luther, M. ​29, 33, 73, 118 f., 134 f., 143, Puyade, J. ​284
152, 207, 212, 215 f., 219 f., 223, 237, 239,
249–261 Rehkopf, F. ​4, 23, 26, 41, 74, 79, 81, 87, 96,
Luz, U. ​26, 28 100, 102, 113–115, 128 f., 138, 145, 160,
199, 276
Maas, P. ​263 Renaudot, E. ​283
Maier, F. ​287 Rengstorf, K. H. ​30
Maier, J. ​51, 63, 65 Richter, G. ​71, 80
Major, J. R. ​123 Rietz, H. W. L. ​36
Marshall, I. H. ​202, 204 Risch, E. ​26
McNamara, M. ​186 Roloff, J. ​187, 193 f., 196 f., 201–203,
Melamed, E. Z. ​65 205–208, 217
Melanchthon, Ph. ​33 Rose, H. J. ​123
Menge, H. ​49, 73 f., 80, 100, 122, 132, 197 Rosenmüller, J. G. ​224
Menze, V. L. ​284 Rosenzweig, F. ​233, 242
Merkel, H. ​197, 209, 211 Rost, V.Chr.F. ​121
Messing, G. M. ​98 Roth, D. T. ​31
Metzger, B. M. ​81, 84, 154 Rüger, H. P. ​8, 12, 15
Meyendorff, J. ​292
Meyer, R. ​52, 78 Sänger, D. ​193, 217
Michel, O. ​98 Sanders, J. A. ​35
344 Register

Schattner-Rieser, U. ​1, 9, 17, 35 Strotmann, A. ​1 f.


Schelbert, G. ​1 f., 5, 8, 10–18 Stuhlmacher, P. ​7, 99
Schelkle, K. H. ​114, 220, 222
Schellong, D. ​230 Thayer, J. H. ​123, 224
Schempp, P. ​255 Theobald, M. ​58, 66, 69, 186 f., 190, 226
Schenke, L. ​34 f. Thierfelder, A. ​49
Schirlitz, S.Ch. ​28, 94, 123 Thrall, M. E. ​122 f., 130
Schlatter, A. ​55, 59 f., 68, 116 Thyen, H. ​57, 59, 68, 71, 73, 77 f., 80, 83, 88
Schleiermacher, F. ​235 Tigchelaar, E. J. C. ​10, 52
Schleusner, J. F. ​32, 123, 224 Tőkés, I. ​228
Schlier, H. ​5, 99 Τρεμπέλας, Π. Ν. ​264 f., 289
Schmeller, Th. ​122 f., 130 Trowitzsch, M. ​152
Schmidt, H. W. ​117 Trypanis, C. A. ​263
Schmithals, W. ​43, 93 f., 230
Schmitz, J. ​32 Uhlig, S. ​284
Schnackenburg, R. ​59, 71–73, 76–78, 83,
88 Vögtle, A. ​91
Schneider, A. B. ​64 Vollenweider, S. ​91, 94
Schnelle, U. ​58, 71–73, 76–78, 83 Volz, P. ​221
Schniewind, J. ​30, 55 f., 106, 225, 237, Vretska, K. ​132
246
Schöttgen, Chr. ​34 Wahl, Chr.A. ​123, 224
Schrage, W. ​220, 222 Warren Wells, J. ​121 f.
Schürmann, H. ​26, 30, 34, 38 Weder, H. ​91, 99
Schüssler-Fiorenza, E. ​217 Welker, M. ​152
Schulthess, F. ​12 Wellesz, E. ​284
Schulz, H.-J. ​284 Wellhausen, J. ​71, 78
Schulz, S. ​73, 78 Wengst, K. ​59 f., 69
Schweizer, E. ​30 Westermann, C. ​220
Schwyzer, E. ​73, 98 Wette, W. M. L. de ​34
Scott, R. ​121 Wettstein, J. J. ​34, 36, 73, 82
Segert, S. ​16 Wiesner, J. ​49
Seiler, E. E. ​131 Wikenhauser, A. ​75, 84
Semler, J. S. ​224 Wilckens, U. ​73, 78, 84, 93
Sengebusch, M. ​121 Windisch, H. ​122, 222, 224
Seybold, K. ​17 Winer, G. B. ​98 f.
Sieffert, F. ​145 Wolff, Chr. ​122 f., 127, 130, 143, 181
Slater, W. F. ​34 Wolter, M. ​5, 28, 199 f., 204
Smyth, H. W. ​98 Worp, K. A. ​23
Sokoloff, M. ​39 Woude, A. S. van der ​52
Sophocles, E. A. ​121, 287 Wright, B. G. ​124
Sperber, A. ​12 Wünsche, A. ​36
Staab, K. ​101, 125
Σταματάκος, Ι. Δ. ​121 Zahn, Th. ​7, 30 f., 59, 72, 80 f., 83 f., 99 f.,
Stec, D. M. ​15, 17 114
Steck, K. G. ​251 Zeller, D. ​99, 184
Stephanus, H. ​224 Zerwick, M. ​33, 77
Steudel, A. ​52 Zimmermann, Chr. ​1, 17
Stolz, F. ​46 Zumstein, J. ​59
Strathmann, H. ​80, 84 Zunz, L. ​7
Sachregister

Abba ​1–19, 246 Amtsstufen Diakon – Presbyter – Bischof ​


– Belege und sprachliche Bestimmung ​1–14 198
– „Abba! Vater!“ ​1–7 Amtsverständnis, reformiertes ​226
– Gebetsanrede Gottes Analogielosigkeit
– im Neuen Testament ​1–7, 18 f., 145, – der vier Evangelien ​235 f.
147, 246 – Jesu Christi ​54–56, 236–240, 289
– in Texten des antiken Judentums? ​ Anrufung
16–18 – Gottes ​4–7, 19, 94, 145
Abendmahl ​207 – Jesu Christi ​113 f., 240, 286
Abraham-Erzählung Gen 22,1–19 Apostel Jesu Christi ​111, 116 f., 158, 177,
– Verständnis bei Paulus ​149 181 f., 187, 207, 210–213, 215, 230,
Absolutionsformel, orthodoxe ​56 234–236, 240, 244 f., 251–253, 257–259
Adam – Autorität und Traditionsnorm ​211
– schicksalsbestimmend für die „adami­ – Einzigartigkeit ​211, 252
tische“ Menschheit ​91–94, 165, 169 – und Kirche ​187, 211, 251 f.
– schicksalsbestimmend für die außer- Apostelgeschichte
menschliche Schöpfung ​98 f. – Erwähnung der Ordination? ​193
– vor dem Fall im Besitz der δόξα? ​92–94, – Jesu Tod als Heilsgeschehen ​240
167 – Kontrastschema ​240
– s. a. Paradies- und Sündenfallgeschichte – προφητεία ​183
Altes Testament ​66–69, 181, 238, 253 f. – s. a. Lukas
Amt der Verkündigung, apostolisches Apostelrecht ​180
– s. Apostel Jesu Christi Aramaismen ​3, 22 f.
Amt der Verkündigung, kirchliches ​177–192 Artikel des Glaubens ​252, 258–260
– als Amt der Verkündigung und Lehre ​ Auferstehung der Toten ​102, 128, 217, 240
195–198, 211, 213 Außerchristliche Zeugnisse über Jesus ​232
– Amtsbezeichnungen
– διδάσκαλος ​180–184, 187, 189, 197 Barmer Theologische Erklärung ​227
– ἐπίσκοπος ​188 f., 196–198 Bekenntnis
– εὐαγγελιστής ​187, 196 – in objektivem Sinn ​208 f.
– ἡγούμενος ​197, 216 f. – und Glaube ​113
– ποιμήν ​187, 189, 197 – κύριος Ἰησοῦς ​5, 113, 145
– πρεσβύτερος ​197 f. Bekenntnisschriften, reformierte ​226–228
– προφήτης ​180–185, 187, 189 Bekenntnisse, ökumenische
– Bindung an das Evangelium ​189, 191, – Chalcedon ​283, 288, 290
210 f., 215, 258 – Ephesus ​290
– Dienst der Heilszueignung ​213 – Konstantinopel II  ​292
– geschichtliche Entwicklungen ​189 – Nizäa-Konstantinopel ​239, 289–292
– Stiftung Gottes ​190, 195, 203, 226 f. Blasphemie
– und das Amt der Apostel Jesu Christi ​ – s. Gotteslästerung
190 f., 210
– und das Priestertum aller Gläubigen ​ Charisma
195 f., 215–228 – das bei der Ordination verliehene Amts-
– und Gemeinde ​190–192, 213, 226 f. charisma ​203–206
– s. a. Gemeindeleitung Charismen
– s. a. Ordination – s. Gemeinde, christliche
346 Register

Christologie und Soteriologie ​293 – τὸ εὐαγγέλιον τῆς δόξης τοῦ Χριστοῦ ​


Christusgeschehen ​94, 100–105, 107 f., 155
134, 136 f., 146, 150, 152, 170–173, – τὸ εὐαγγέλιον τῆς εἰρήνης ​155
179, 191 – τὸ εὐαγγέλιον τῆς σωτηρίας ​155
– s. a. Heilshandeln Gottes in Jesus Christus – τὸ εὐαγγέλιον τῆς χάριτος τοῦ θεοῦ ​
Christusoffenbarung, grundlegende ​177, 173, 215
179 f., 185, 187, 191 f. – τὸ εὐαγγέλιον τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ ​
– s. a. Jesus Christus: Selbsterschließung 154
Christuszeugnis – τὸ εὐαγγέλιον τοῦ υἱοῦ τοῦ θεοῦ ​154
– apostolisches ​18 f., 21, 181, 188, 191 f., – τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ ​117, 140,
235 f., 244 f., 247 f., 251–253 154 f., 173
– und Heiligen Schrift ​254 – und Glaube ​107, 111, 118, 135, 140–142,
– und Neues Testament ​252 152, 160–162, 173 f., 177, 181, 185, 188,
– narratives ​41–56, 71–90, 235 f., 248 191 f.
– neutestamentliches ​233–240 – und Heilige Schrift ​253, 255
Confessio Augustana ​215 f. – und Heiliger Geist ​159 f.
Confessio Helvetica posterior ​227 f. – und Verkündigung ​117 f., 139–141, 152,
156–159, 161 f., 173, 177–180, 191 f.,
Diakonat ​196 207 f., 215, 251
Dogma ​258–260 – verbum externum ​141 f., 152
– christologisches ​260 – Wahrheit ​157, 189, 207, 211–213, 258
– trinitarisches ​260 extra nos in Christo
– bei Johannes Calvin ​135, 152
Ekstatische Phänomene ​5, 143, 145, 147 – bei Martin Luther ​134 f., 152
Episkopat – bei Meister Eckhart ​135
– monarchischer Episkopat ​198
– Monepiskopat ​198 Fleisch
Erkenntnis – die irdisch-sterbliche Existenz ​148, 290,
– Gottes ​107 f. 292
– als Erkenntnis Jesu Christi ​140 f., – die von der Sünde beherrschte Existenz ​
160–162 144, 166
– als Erkenntnis seiner Heilstat in Jesus
Christus ​141, 145, 151 Gebet ​4–7, 207, 216
– Jesu Christi ​107 f., 164, 188, 234 f. – einzigartige Gebetsnot der Glaubenden ​
Erwählung ​148 f., 152, 218 146 f.
Erzählen der Heilstaten Gottes ​220 f. Gemeinde, christliche ​178, 182, 197, 215,
Erzählung, symbolische ​72 218 f., 226, 261
Evangelien, apokryphe ​231 f. – als heilige und königliche Priesterschaft ​
Evangelien, neutestamentliche ​248 218 f., 223, 226 f.
– Analogielosigkeit ​235 f. – priesterlicher Zugang zu Gott ​216 f.,
– Biographien? ​235 f. 225
– Exegese ​236 – als Leib Christi ​180
– Geschichtsschreibung? ​235 f. – Charismen ​180–182, 184 f., 189
Evangelium ​94, 107, 111, 115–119, 130, – Gemeindeversammlung ​183, 185
132, 139–141, 151–162, 173 f., 177–192, – Gottesdienst ​4–7, 201, 203, 206, 216, 221,
196, 202, 205–213, 215, 222–227, 234, 260 f., 292
240, 253–262 Gemeinde, johanneische
– Gegenwart Jesu Christi im Evangelium ​ – Verhältnis zur Synagogengemeinde ​58 f.,
111, 116 f., 140, 155, 161, 240, 258 66–69
– Gottes eigenes Wort ​139–141, 155, – s. a. Johannesevangelium
158–162, 215 Gemeindeleitung ​187 f., 195–197, 200, 210
– Jesus Christus der Inhalt des Evangeliums ​ – durch Verkündigung und Lehre ​187 f., 196
117 f., 154 f. – s. a. Amt der Verkündigung, kirchliches
Sachregister 347

Gemeinschaft – Gabe Gottes in Jesus Christus ​110–118


– mit Gott ​92, 94, 155, 167, 216 f. Gottesdienst
– mit Jesus Christus ​148–150 – s. Gemeinde, christliche
Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) Gotteslästerung ​42 f., 55, 69, 238
– s. Gottesbeziehung, heilvolle Götzendienst ​164
Gericht Grammatik, allgemein
– Strafgericht Gottes ​112, 136 – Anrede ​16–18
Gesetz ​106–111, 136, 144 f., 148, 167–170, – Funktionsverb ​28
173 f. – Funktionsverbgefüge ​28–30, 35, 40
– Anklage und Verurteilung des Sünders ​ – Vokativ ​16–18
107 f., 110, 136, 148, 168 f. Grammatik, aramäische
– Werke des Gesetzes ​168 f. – Casus pendens-Konstruktion ​51
Gesetz Christi ​174 – Kausativstamm des Verbums ​33–35, 40
Glaube an Jesus Christus ​94, 105–119, 127, – kausativer Sinn ​34 f., 40
130, 132, 140–142, 151 f., 160–162, 173 f., – permissiver Sinn ​34–37, 40
213, 215, 225 f., 235, 255–257, 261 – perfectum coincidentiae ​23
– creatura verbi ​142 Grammatik, griechische
– fides ex auditu ​119, 142 – Dativus finalis ​102
– fides quae creditur ​113, 142, 151, 183 f., – Genitivus finalis ​199
207 – Konditionalsatz mit εἰ c. Ind. und kausaler
– und fides qua creditur ​113, 141 f., 151 Nuance ​87
– und Evangelium ​107, 111, 118, 135, – Nominativ als Vokativ ​3 f., 6, 87, 285
140–142, 152, 160–162, 173 f., 177, 181, – Partizip
185, 188, 191 f. – anstelle eines Verbum finitum ​128, 170
– und Verkündigung ​105–119, 140–142 – attributiv mit adverbialem Nebensinn ​
Glaubende ​143–150, 160, 213, 216–219, 287 f.
223 – paronomastisches ​73
– Bewahrung ​148–150, 160 – Verneinung durch μή ​145
– Einwohnung – Passiv, unpersönliches ​113
– des Heiligen Geistes ​143 f., 147, 152 – δέ in der Bedeutung „also“ / „wie gesagt“ ​
– Jesu Christi ​143 f. 129
– Gotteskindschaft ​94 f., 97, 100 f., 145 f. – διά m. Akk. nicht Bezeichnung des
– s. a. Gebet Urhebers ​98
– s. a. Heiliger Geist – διά m. Gen.
– s. a. Jesus Christus – Bezeichnung des Begleitumstands ​
– s. a. Lazarus 129–131
– s. a. Liebe – Bezeichnung der Veranlassung ​201
Glossolalie ​145, 147, 183 – ἐν m. Dat. der Person anstelle des bloßen
Gott Dativs ​134
– Barmherzigkeit ​170 – ἐν ᾧ in der Bedeutung „weil“ ​170
– Gnade ​107, 135, 158, 170–175, 178, 218, – μέν solitarium ​182
237 – τέ als allein stehende Konjunktion ​287
– als Gnade Jesu Christi ​170 – ὑπέρ m. Gen. der Person ​133, 172
– Liebe ​137, 146, 149 f., 170
– Schöpfungswille ​93 f., 104 Handauflegung im Neuen Testament ​194 f.
– Treue ​148, 152 – s. a. Ordination
Gottesbeziehung, heilvolle ​106, 133, 136, Heil ​94, 104, 132, 137, 139 f., 149, 151,
164 f., 168, 170 f., 175, 185, 240, 250 155, 160, 172, 253
– die gegenwärtige δικαιοσύνη ​112 – im Christusgeschehen beschlossen ​
– die Eröffnung der eschatologischen 105–108, 110–112, 115, 117 f., 213
σωτηρία ​112 Heilige Schrift ​249–261
– durch Toragehorsam zu gewinnen? ​106 f., – Klarheit ​255 f.
109–111 – Quelle und Norm
348 Register

– der Verkündigung und Lehre ​253 – Auferstehung ​55, 75, 94, 96, 104, 128,
– des Glaubens und Bekennens ​253 138 f., 234 f., 240
– res scripturae ​253 – s. a. Jesus Christus: Tod und Auferste-
– und apostolisches Christuszeugnis ​254 hung
– und Dogma ​258–260 – Beiname „Christus“ (Χριστός) ​136
– und Evangelium ​253, 255 – Blut Jesu Christi ​217
– und Gottesdienst ​260 f. – der Herr der Herrlichkeit ​137, 237
– und Kirche ​257 f. – der Schlüssel zur Heiligen Schrift ​254 f.
Heiliger Geist ​4–6, 55, 94 f., 101 f., – die Epiphanie Gottes ​56, 237, 239
140–147, 152, 173 f., 204 f., 256, 261 – die Mitte der Heiligen Schrift ​253–255
– der Geist Jesu Christi ​142 f., 173 – die praesentia Dei in Person ​56, 67, 137,
– Einwohnung in den Glaubenden ​143 f., 237–239, 242, 245–247, 253
147, 152 – Präsenz der Herrlichkeit Gottes ​161
– Herrschaft über die Glaubenden ​142–148 – „Einer der Heiligen Dreieinigkeit“ ​291 f.
– Interzession für die Glaubenden ​146 f. – Einwohnung in den Glaubenden ​143 f.
– und Evangelium ​159 f. – Erhöhung ​186, 240
Heilsfrage – Fußwaschung ​71–90
– und Schriftverständnis ​249 f. – kein Sakrament ​88
– Wahrheitsgewißheit ​250 – Geburt ​158, 239
Heilsgeschehen – Gegenwart
– s. Christusgeschehen – im gepredigten Evangelium ​111, 116 f.,
– s. Heilshandeln Gottes in Jesus Christus 140, 155, 161, 240, 258
Heilsgewißheit ​149 f. – in der Gemeinde ​240
Heilshandeln Gottes in Jesus Christus – Gottheit ​55, 137, 242, 269 f., 290–292
– Heilstat und Heilswort ​117, 137, 172 f., – Herrlichkeit ​96, 130, 155, 161, 238
179, 212, 251 – Herrschaft ​174 f.
– Heilstat ​133, 137, 139, 141–143, 146, – über die Glaubenden ​142–148
150 f., 212, 223 – Hoheitsbewußtsein
– s. a. Christusgeschehen – vorösterliche Zeugnisse ​245–247
– s. a. Jesus Christus – Inhalt des Evangeliums ​117 f., 154 f.
– s. a. Mensch – Inkarnation ​75, 245, 289 f.
– Heilswort – Interzession ​149
– s. Evangelium – irdisches Leben ​238 f., 248
Heilsvollendung ​95, 103, 132, 146 f., – kein purus homo ​237–239, 291
149–151, 216 f., 225 – keine Gestalt der Vergangenheit ​240
Herrlichkeit – keine persona privata ​239
– Gottes ​141, 161 – Krankenheilungen ​41, 43 f., 53
– Jesu Christi ​96, 130, 155, 161, 238 – Kreuzestod ​55 f., 72, 75–78, 86, 88, 108,
Herrlichkeit, eschatologische ​92–97, 138 f., 155, 172, 178 f., 216, 239 f., 242 f.,
102–104 290 f.
– die Herrlichkeit des ewigen Lebens ​ – notwendige und hinreichende Bedin-
92–94, 128, 146, 167 gung des Heils ​79–86
– Adams Besitz vor dem Fall? ​92–94, – sacramentum und exemplum ​89  f.
167 – Sühnetod ​76, 85 f., 104, 137, 172,
Hoffnung ​99 f., 102–104, 142, 146 217
– Versöhnungsgeschehen ​137 f., 155,
Irrlehre ​196, 206, 208 171, 173
Israel ​218 – s. a. Jesus Christus: Tod und Auferste-
hung
Jesus Christus – Liebe ​73 f., 76, 79, 86, 146, 149, 174
– „Abba!“ ​2–4, 6 f., 19, 145, 147, 246 – Logos ​245, 288 f., 291 f.
– Analogielosigkeit ​54–56, 236–240, 242, – Menschensohn (ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου) ​44,
289 54–56
Sachregister 349

– Menschsein Jesus, historischer (d. h. historisch-kritisch


– unlösliche Verbindung von vere homo konstruierter) ​18, 48, 229–248
und vere Deus ​245 – die Frage nach dem „historischen Jesus“ ​
– Menschwerdung ​137 f., 171, 186, 229–248
290–292 – Begriffsbestimmung ​230 f.
– Parusie ​96, 150 f., 240 – historische Probleme ​231–233
– Person und Werk ​55, 136 f., 139, 155, – theologische Probleme ​233–245
158, 209, 234–236, 248, 251 Jesusforschung ​248
– Persongeheimnis ​55, 136, 234–239, 241, Johannesevangelium
290 – Distanzierung von der Sinai-Tora bzw.
– den Jüngern vor Ostern verborgen ​234 f. von der Heiligen Schrift Israels? ​58 f.,
– Prädikationen seines göttlichen Seins ​ 66–69
237 f. – Passionsgeschichte ​75, 291
– Präexistenz ​55, 186, 272 – Sicht des Alten Testaments ​66–69
– seine Geschichte als eschatologische Juden
Gottesgeschichte ​239 f., 242, 244 – Verhältnis zu den Samaritanern ​65 f.
– das pro nobis als ihre Signatur ​239 f. Jünger Jesu
– Einbezogensein derer, für die sie ge- – Erkenntnis Jesu erst nach Karfreitag und
schieht ​137, 240 Ostern ​76, 234 f.
– keine vergangene Geschichte ​240
– Überwindung der Todesgeschichte ​240, Kirche ​177, 181 f., 186–191, 193–195,
244 203, 208, 211, 215, 219, 226, 249 f.,
– seine irdisch-vorösterlichen Geschichte ​ 257–261
236, 242 – ihr Bekenntnis ​229, 253
– seine Macht (ἐξουσία) ​43 f., 54–56 – ihr Glaube ​229, 252–261
– seine Passion als seine Aktion ​75 – ihre Lehre ​184, 253
– Seins- und Handlungseinheit mit Gott ​56, – ihre Verkündigung ​249 f., 253
247 – Lehrautorität und Lehramt in ihr ​259 f.
– Selbsterschließung – und Evangelium ​257 f.
– grundlegend in den Ostererscheinungen ​ – und Heilige Schrift ​257 f.
118, 139, 157 f., 161, 211, 234 f., 251 – s. a. Gemeinde, christliche
– im verkündigten Evangelium ​140 f., Königsherrschaft Gottes
161, 179, 212 f., 234 – Jesus und die βασιλεία τοῦ θεοῦ ​245 f.
– Sieger über den Tod ​212, 274–276, 291 Kreuz ​108, 139, 172
– Sohn Gottes ​4, 19, 55, 75, 136–138, – Siegeszeichen ​291
145 f., 148 f., 155, 164, 170–174, 177, 216,
237 f., 244, 251, 253, 285, 288–293 Lazarus
– Sündenvergebung ​41–56, 246 f. – Auferweckung ​263–279
– Sündlosigkeit ​171 f., 245 – in den Hymnen der Orthodoxen Kirche ​
– Tod und Auferstehung 263–281
– das eine Heilsgeschehen ​94, 107, 110 f., – Repräsentant der an Christus Glaubenden ​
133, 137, 149, 155, 170–173, 212, 266 f.
235 f., 240, 251 Lazarussamstag ​263
– keine kontingenten Ereignisse ​3 f., 75, Leben
239 f., 243 f. – ewiges ​92–95, 103 f., 106, 109 f., 112,
– s. a. Jesus Christus: Auferstehung 128, 136 f., 146, 150, 168, 175, 217, 225
– s. a. Jesus Christus: Kreuzestod – s. a. Herrlichkeit, eschatologische
– Ursprung und Wesen ​55, 136, 155, 192, – irdisches ​129–131
237, 241, 289 – neues ​142–148, 173 f.
– Verkündigung, vorösterliche ​236, Leben-Jesu-Forschung ​231, 233, 244
245–248 Lehre, die christliche 184
– Weltrichter ​55 Lehre / Lehrunterweisung ​195 f., 198, 203,
– τέλος νόμου ​108 206 f., 209–211, 213
350 Register

Lehrer – Adoptionschristologie? ​244
– Charismatiker ​182–184 – Vielfalt von Deutungen des Todes Jesu? ​
– Lehre als Charisma ​182 f. 236
– kirchliches Amt der Verkündigung ​ – Vielfalt von Jesusbildern? ​236
180–184, 187, 189, 197 Neuschöpfung ​161, 173
Lehrtradition, apostolische ​118, 138,
140, 142, 155, 189, 191 f., 200, Offenbarung Gottes in Jesus Christus ​
206–210, 213 250–253, 259
Leib Opfer, geistliche ​218, 223
– himmlisch-unvergänglicher ​128–131 Ordination ​188 f., 193–213, 216
– irdisch-vergänglicher ​94 f., 101 f., – Amtsauftrag ​203, 206
128–131 – Amtscharisma ​202–207, 213
Leiden – Berufung durch Gott ​200–202, 204, 208
– der jetzigen Zeit ​96 f., 147, 149 – Handauflegung ​194 f., 198–207, 213
– für das Evangelium ​202, 205 f. – Ordinationsbekenntnis ​208 f.
– um Jesu Christi willen ​95 f., 160 – Ordinator ​198–200
Liebe – Prüfung der Eignung ​200–202
– Gottes ​137, 146, 149 f., 170 – Sukzession der Ordinierten ​188 f., 191,
– Jesu Christi ​73 f., 76, 79, 86, 146, 149, 210 f.
174 – Übergabe der apostolischen Lehrtradition ​
– unter den Glaubenden ​87–90, 174 200, 207 f.
– zu Gott ​139, 149, 174, 188 – und Heilszueignung ​212 f.
Liturgien, ostkirchliche ​283 f. Ordination, rabbinische ​194 f., 204
Lobopfer ​221 Osterkerygma und Osterglaube ​139
Lobpreis
– Gottes ​216, 220–223, 227 Paradies- und Sündenfallgeschichte Gen 2+3
– erzählendes Lob ​220 – Verständnis bei Paulus ​93 f., 99, 169
– Jesu Christi ​217 Paradiesgebot Gen 2,16b.17 ​168
Lukas Paulus
– solenner Begriff des „Zeugen“ Jesu Christi ​ – apostolischer Dienst ​127–129, 131, 160
185, 234 – Bindung an das Evangelium ​158, 210 f.
– s. a. Apostelgeschichte – Damaskusereignis ​157, 161
– Existenz im irdisch-vergänglichen Leib
Maran atha! ​147 – Bedrängnis, Leiden und Todesgefahr ​
Maria 127–129, 131
– ἀειπάρθενος ​290 – Fernsein von Christus ​129, 131
– θεοτόκος ​290 – in der Sicht der Pastoralbriefe ​196, 202,
Mensch 205–208, 210–212
– Rettung durch Gott ​94–96 – κῆρυξ, ἀπόστολος und διδάσκαλος ​210
– Rettung durch Jesus Christus ​136 – Theologie
– und außermenschliche Schöpfung ​ – extra nos in Christo ​133–152
91–104 – in nobis ​133–135, 142–148, 151 f.
– Verlorenheit vor Gott ​91–94, 136, 164, – pro nobis ​133–142, 148–152
169 – Verständnis des Evangeliums ​153–162
Methode, historisch-kritische ​230 f., – s. a. Abraham-Erzählung Gen 22,1–19
241–245, 248 – s. a. Paradies- und Sündenfallgeschichte
ministerium verbi divini Gen 2+3
– s. Amt der Verkündigung, kirchliches Plural, apostolischer ​127, 156–160
Missionare, urchristliche ​177 Prädikationen Jesu Christi ​113
Predigt
Neuchalcedonismus ​292 – s. Verkündigung
Neues Testament ​215, 225 f., 228, 230, Predigtamt
235–241, 244 f., 248, 251–253 – s. Amt der Verkündigung, kirchliches
Sachregister 351

Priestertum aller Gläubigen – Metonymie ​97, 101, 110, 146, 150 f.


– nach neutestamentlichen Zeugen ​ – Passivum divinum ​98, 102, 140, 179, 204
216–225 – Personifikation ​97, 110
– und kirchliches Amt der Verkündigung ​ – Synekdoche ​115
195 f., 215–228 Subjektivismus
principium verbi divini ​251–253 – hermeneutischer ​152
pro nobis als methodisches Erkenntnis- – religiöser ​152
prinzip ​152 Sühne
Proklamation der Heilstaten Gottes, – s. Jesus Christus: Kreuzestod
hymnisch-­lobpreisende ​220, 224 Sünde ​91 f., 136 f., 141, 143 f., 147 f.,
Prophet 163–167, 171 f.
– Charismatiker ​182–185 – als Macht ​91, 104, 107, 138, 141, 143 f.,
– Prophetie als Charisma ​182–185, 165, 169, 171 f., 174
200–202 – als Tat ​166
– kirchliches Amt der Verkündigung ​ – das fundamentale Nein zu Gott ​91 f., 136,
180–185, 187, 189 164, 171
Sünde-Tod-Zusammenhang ​91 f., 94, 104,
Ravenna, S. Apollinare in Classe 137 f., 144, 166 f., 170 f., 175, 240, 249 f.
– Apsis-Mosaik ​292 Sündenvergebung
Rechtfertigungstheologie – Erwirkung
– Terminologie ​106, 136, 164 f. – durch Interzession ​45–53
Rettung, eschatologische ​112, 118, 136, – durch priesterliche Sühneriten ​45, 47
160, 212 f. – Gewährung durch Jesus selbst ​41–56
– Kundgabe durch einen Boten Gottes ​43,
Sakramente ​192, 227, 261 45
Samaritaner – Prärogative Gottes ​41–56
– Verhältnis zu den Juden ​65 f. Sukzession, apostolische
Schluß a maiore ad minus ​149, 151 – s. Ordination
Schöpfung, außermenschliche Synagogengemeinde
– und Mensch ​91–104 – Verhältnis zur johanneischen Gemeinde ​
– Vergänglichkeit ​97–101 58 f., 66–69
– zukünftige Befreiung ​99–101
Schrifthermeneutik Taufe ​79, 82
– Unterscheidung zwischen Verheißung – Taufbekenntnis ​208
und  Gesetz ​110 Tehilla ​220  f.
Schriftprinzip, reformatorisches ​251–253 Tod
Schriftverständnis, evangelisch-reforma­ – der von Gott trennende Tod ​92, 136, 168,
torisches ​249–261 212
– und Heilsfrage ​249 f. – s. a. Sünde-Tod-Zusammenhang
sola scriptura ​251 – die kreatürliche Sterblichkeit ​92, 94 f.
– und solus Christus ​253 Tora
Soteriologie und Christologie ​293 – der Pentateuch ​57, 64–66
Spruchquelle Q ​231 – die Heilige Schrift Israels als ganze ​58,
Stilistik 65 f.
– Anadiplosis ​116 – die Tora vom Sinai ​57, 61–64, 66
– Anakoluth ​128 – s. Gesetz
– Asyndeton ​53 Tora-Verständnis des Judentums ​169
– Ellipse ​115 f., 143 Trinität ​291  f.
– Gradatio (Klimax) ​114 Triodion ​263  f.
– Inclusio ​71 f., 97
– Interrogatio ​114 Vaterunser ​7, 10, 21–40
– Litotes ​115 – ἐπιούσιος ​23–27
– Metapher ​144, 218 f. – εἰσφέρειν τινὰ εἰς πειρασμόν ​27–40
352 Register

verbi divini ministerium Volk Gottes, erlöstes ​216, 218, 220–223,


– s. Amt der Verkündigung, kirchliches 225
Verkünden, lobpreisendes ​220 f., 225, Vollendung, eschatologische
227 – s. Heilsvollendung
Verkündigung ​105, 114–119, 152, 195 f.,
198, 203, 206 f., 209–211, 213, 215, Wahrheit
219 f., 222–225, 234, 240, 260 f. – des apostolischen Christuszeugnisses ​235
– Auftrag aller Gemeindeglieder? ​190, – des Evangeliums ​142, 157 f., 161, 188,
195 f., 215–228 191, 207, 211–213, 252
– und Evangelium ​117 f., 139–141, 152, – Erkenntnis der Wahrheit ​213
156–159, 161 f., 173, 177–180, 191 f., – Wort der Wahrheit ​212 f.
207 f., 215, 251 Weisheit und Weisheitsrede ​178
– und Glaube ​105–119, 140–142 „Wir“, apostolisches ​127, 156–160
Versöhnung Wort Gottes ​107, 111, 177, 215, 226 f.,
– s. Jesus Christus: Kreuzestod 250
Versuchung ​37–39 – s. a. Evangelium
Register griechischer Begriffe und Wendungen

ἀββά ​1–19, 145 διακονία


– ἀββὰ ὁ πατήρ ​1–7 – ἡ διακονία τοῦ λόγου ​215
ἄγεσθαι διάκονος
– πνεύματι θεοῦ ​5, 143 – Diener am Wort Gottes ​215
ἀκοή ​109, 114–116, 156 f. – in Phil 1,1 ​185
ἀκούειν ​114, 118 – karitatives kirchliches Amt ​196
– ἀκούειν τινός hören von / über ​114 διδασκαλία
ἀλήθεια – akt. Lehrunterweisung ​206, 208
– ἐπίγνωσις ἀληθείας ​213 – pass. Lehre ​207 f.
– ἡ ἀλήθεια τοῦ εὐαγγελίου ​157 διδάσκαλος
– ἡ φανέρωσις τῆς ἀληθείας ​161 – Charismatiker ​182 f.
ἁμαρτάνειν ​165 – διδαχή ​182–184
ἁμαρτία ​163, 165 – kirchliches Amt der Verkündigung ​
– ἁμαρτίαν γινώσκειν ​171 180–184, 187, 189, 197
– ἁμαρτίαν ποιεῖν ​163 διδαχή
– ποιεῖν τινα ἁμαρτίαν ​171 – die christliche Lehre ​184
– ὑφ’ ἁμαρτίαν εἶναι ​166 διηγεῖσθαι ​220–222
ἀνάγνωσις ​206 δικαιοσύνη κτλ. in der Rechtfertigungs­
ἀποκαλύπτειν / ἀποκάλυψις theologie
– von charismatischer Offenbarung ​183 – sprachlich
– von der Offenbarung Jesu Christi durch – δίκαιος ​164 f.
Gott ​158 – δικαιοσύνη ​106, 136, 164
ἀπόλλυσθαι ​118 – δικαιοῦν / δικαιοῦσθαι ​136, 165
ἀποστέλλεσθαι ​111, 114 f. – δικαίωσις ​165
ἀπόστολος ​88 – theologisch
– Abgesandter einer Gemeinde ​185 – δικαιοσύνη ​106, 110
– Wandermissionar ​185 – δικαιοσύνη τοῦ θεοῦ ​106, 108 f.
– ἀπόστολος Ἰησοῦ Χριστοῦ u. ä. ​158, 180 f. – ἐκ θεοῦ δικαιοσύνη ​107
ἀρετή – ἐκ νόμου δικαιοσύνη ​107, 109
– αἱ ἀρεταί ​219 – ἐκ πίστεως δικαιοσύνη ​107, 109–112
ἀσθένεια ​146 – ἰδία δικαιοσύνη ​106–109
ἀφιέναι – δικαιοσύνη und σωτηρία ​112 f., 118, 136
– ἀφίενταί σου αἱ ἁμαρτίαι ​41 f. δόξα
– δόξα τοῦ θεοῦ (gen. auctoris) ​92 f., 167
βλασφημεῖν ​42
ἐγείρεσθαι
γίνεσθαι – in Auferstehungsaussagen ​138
– δικαιοσύνη θεοῦ ​172 εἶδος ​121–132
– ἐκ γυναικός ​138 εἰσφέρειν τινὰ εἰς πειρασμόν ​27–40
– κατάρα ​172 ἐκδημεῖν ​129
– σάρξ ​286 f., 290 ἐνανθρωπεῖσθαι ​290 f.
– ὑπὸ νόμον ​172 ἐνδημεῖν ​129
γραφή ἐντυγχάνειν ὑπέρ τινος ​133
– αἱ γραφαί die Heilige Schrift ​66 f. ἐξαγγέλλειν ​196, 219–224
– ἡ γραφή das Schriftwort ​67 ἐξουσία ​44, 54
– ἡ γραφή die Heilige Schrift ​58, 67 – ἐξουσίαν ἔχειν m. Infinitiv ​44, 54
354 Register

– ἐξουσίαν ἔχειν τινός ​54 – Wort eines Charismatikers


– ἐξουσίαν ἔχειν ὑπέρ τινα ​54 – λόγος γνώσεως ​184
ἐπικαλεῖσθαι ​112 f., 115 – λόγος σοφίας ​184
ἐπιούσιος ​23–27 λούειν / λούεσθαι
ἐπίσκοπος – diff. νίπτειν / νίπτεσθαι ​81, 83
– in Phil 1,1 ​185, 188, 197
– kirchliches Amt der Verkündigung ​188 f., μαρτυρεῖν ​118
196–198 μαρτύριον ​156, 206, 212
– ἐπισκοπή ​196 f. – τὸ μαρτύριον τοῦ κυρίου ἡμῶν ​206, 212
ἐποικοδομεῖν ​178 f. μάρτυς bei Lukas ​185
εὐαγγελίζεσθαι ​109, 111, 118, 156 f.,
222 νίπτειν / νίπτεσθαι ​80 f.
εὐαγγέλιον ​111, 118, 140, 153–156, – diff. λούειν / λούεσθαι ​81, 83
198 f., 207 νόμος
– τὸ εὐαγγέλιον (absolut) ​154 – der Pentateuch ​57, 66
– τὸ εὐαγγέλιον ἡμῶν / μου ​155 f. – die Heilige Schrift Israels ​58
– τὸ εὐαγγέλιον τοῦ θεοῦ ​140, 154 – die Tora vom Sinai ​57
– τὸ εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ ​154 f. – κατάρα τοῦ νόμου ​168, 171 f.
εὐαγγελιστής – τὸ ἀδύνατον τοῦ νόμου ​170
– kirchliches Amt der Verkündigung ​187, – ὑπὸ νόμον ​173
196
– nicht als Amtsbezeichnung ​196, 210 ὁμοίωμα ​171
εὐσέβεια die Glaubenswahrheit ​207 ὁμολογεῖν ​112 f.
ὁμολογία in objektivem Sinn ​208 f.
ἡγούμενος ​197, 216 f. ὁρᾶν
– ὀφθῆναί τινι ​138 f.
καθώς als begründende Konjunktion ​87 – ὀφθῆναι ὑπό τινος ​138
καταγγέλλειν ​111, 118, 156 f. ὀργὴ θεοῦ ​112
κήρυγμα ​118, 156 οὕτως
κηρύσσειν ​109, 111, 114–116, 118, 156 f., – substantivische Verwendung ​42
222 ὀφείλημα ​22
κράζειν ​5–7
κύριος παραθήκη ​189, 208, 258
– κύριος Ἰησοῦς ​5, 113, 145 παράκλησις ​156, 206
– κύριος πάντων ​113 πειρασμός ​37–39
– ὁ κύριος τῆς δόξης ​137, 237 – εἰσφέρειν τινὰ εἰς πειρασμόν ​27–40
– ἐμπίπτειν εἰς πειρασμόν ​29
λαλεῖν ​111, 130, 156 f., 222 – ἔρχεσθαι / εἰσέρχεσθαι εἰς πειρασμόν ​38
λέγειν ἐν τῇ καρδίᾳ ​110 περιπατεῖν ​129 f.
λόγος πιστεύειν
– das Evangelium / das Wort Gottes – πιστεύειν εἰς ​118, 132, 141 f.
– ὁ λόγος ​111, 154, 207 – πιστεύειν ἐπί ​113
– ὁ λόγος τῆς ἀληθείας ​157, 207, 213 – πιστεύειν ὅτι ​142
– ὁ λόγος τῆς καταλλαγῆς ​155 πίστις
– ὁ λόγος τοῦ θεοῦ ​111, 116, 140, 154, – die fides quae creditur ​183 f., 207
183, 207 – πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ u. ä. ​118, 132, 141
– ὁ λόγος τοῦ κυρίου ​155 πληροῦν ​111, 156
– ὁ λόγος τοῦ Χριστοῦ ​154 ποιμήν ​187, 189, 197
– ὑπηρέται τοῦ λόγου ​215 πρεσβυτέριον
– s. a. διακονία – das Ältestenkollegium ​198 f.
– die Verkündigung des Evangeliums – die Ältestenwürde ​199 f.
– ὁ λόγος ὁ τοῦ σταυροῦ ​139, 160, πρεσβύτερος ​197 f.
178 προφήτης
Register griechischer Begriffe und Wendungen 355

– Charismatiker ​182–185 – νεκρὸν σῶμα ​94 f.


– προφητεία ​182–185, 200–202 – σῶμα τῆς ἁμαρτίας ​94, 166 f.
– προφητεύειν ​182–185 – σῶμα τοῦ θανάτου ​94, 167
– kirchliches Amt der Verkündigung ​ σωτήρ
180–185, 187, 189 – Gott ​212
– Jesus Christus ​212
ῥῆμα ​111, 114, 116 f. σωτηρία / σῴζεσθαι ​112 f., 118, 136, 212 f.
– ῥῆμα τῆς πίστεως ​111 – σωτηρία und δικαιοσύνη ​112 f., 118, 136
– ῥῆμα Χριστοῦ ​116 f., 157
ὑπακούειν ​11
σαρκοῦσθαι ​286 f., 290 ὑπέρ m. Gen. der Person ​133, 172
σάρξ – εἶναι ὑπέρ τινος ​133
– die irdisch-vergängliche Existenz ​166 – ἐντυγχάνειν ὑπέρ τινος ​133
– der Mensch in seiner Sterblichkeit ​290 ὑπόδειγμα ​87
– σὰρξ γίνεσθαι ​286 f., 290 ὑστερεῖσθαί τινος ​93, 167
– die von der Sünde beherrschte Existenz ​
143 f., 166, 170–172, 174 χάρις ​170
– εἶναι ἐν σαρκί ​143 f. – ὑπὸ χάριν ​173
– σὰρξ ἁμαρτίας ​171 f. χρείαν ἔχειν m. Inf. Aor. ​85
συμμαρτυρεῖν ​145 Χριστός ​136
σῶμα ​128 – ἐν Χριστῷ / ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ​134
– θνητὸν σῶμα ​94 f. – Χριστοῦ εἶναι ​143

Das könnte Ihnen auch gefallen