Sie sind auf Seite 1von 81

Untersuchungen zur Topik der

Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber


bis zum Ende des 12. Jahrhunderts*
von

GERTRUD SIMON

Zweiter Teil
Ü b e r s i c h t : V I . Die F o r m des Werkes: Zwei Stilrichtungen S. 74; einfacher,
klarer Stil S. 76; Gegensatz litterati-simplices et idioti S. 77; Nachteile der schlichten
F o r m S. 78; H o c h s c h ä t z u n g formvollendeter Werke S. 79; Gefahren der rhetori-
schen Darstellung S. 81; F o r d e r u n g der brevitas S. 82; Nachteile der brevitas S. 8 3 ;
Auswahl S. 84; stilistische brevitas S. 8 5 ; Vermeiden des fastidium S. 87. —
V I I . Äußerungen über die M e t h o d e : Forderung nach Wahrheit S. 89; Bewertimg
der Quellen S. 89; Augenzeugen S. 90; schriftliche Quellen S. 90; mündliche
Überlieferung S. 91; Verwertung der Quellen S. 92; Pflicht der Objektivität
S. 93. — V I I I . Der Zweck des Werkes: Vorteile f ü r den Autor S. 94; Belohnung
Gottes S. 95; Überlieferung einer würdigen Materie S. 97; R u h m der T a t e n S. 99;
Ablehnung r ü h m e n d e r Uberlieferung S. 100; R u h m Gottes S. 101; Nutzen der
Leser S. 102; Fixierung der Chronologie S. 103; Geschichte als S a m m l u n g von
exempla S. 103; N a c h a h m u n g S. 104; doppelter Nutzen S. 106; E r b a u u n g S. 109
Erfreuen und Unterhalten, S. 109. — I X . Die Bitte u m Beurteilung: Ursprung S. 112
V e r b i n d u n g mit d e m A u f t r a g S. 112; V e r a n t w o r t u n g des Auftraggebers S. 112
Auswahl der Kritiker auf G r u n d ihrer freundlichen Gesinnung S. 114; ihrer K e n n t -
nisse S. 115; ihrer Autorität S. 116; Bitte u m VeröfTenthchung oder Vernichtung
S. 118; um freundliches Urteil S. 121; u m Nachsicht S. 122; Kritik an F o r m u n d
Stil S. 123; Bitte u m K o r r e k t u r S. 125; n u r Urteil des Adressaten erwünscht S. 129;
Bitte u m Schutz S. 130; Hauptverdienst k o m m t d e m Adressaten zu S. 132; Antwort-
schreiben S. 133. — X . A u f b a u u n d Inhalt des Widmungsbriefes: Entstehung S. 136;
formale Ausprägungen S. 137; inhaltliche G r u p p e n S. 138; A u f b a u S. 140; Salutatio
S. 140; Kontext S. 143. — Zusammenfassung S. 145.

VI. D i e F o r m des W e r k e s
Wie im ersten Teil dieser Arbeit deutlich wurde, ist eines der wich-
tigsten AnUegen der Autoren das Problem der Form, der Komposition
und des Stiles'. Aus der Tatsache, daß die Verfasser Unzuläng-

» Der 1. Teil ist im Archiv für Diplomatik 4 (1958) S. 52—119 erschienen.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
74 Gertrud Simon

lichkeiten auf diesem Gebiet zugeben^ und zu rechtfertigen suchen^,


daß sie die Empfänger ihres Werkes um Beurteilung, Berichtigung der
Fehler und Nachsicht gegenüber den stilistischen Mängeln bitten^,
ergibt sich der Schluß, daß im Mittelalter gründliche Beherrschung der
Sprache und ein ausgefeilter Stil von einem Historiker er\\ artet wurden.
Das Gleiche folgt aus der Vorstellung, daß die Leser, wenn sie Kritik
üben, stets an Sprach- und Formfehlern Anstoß nehmen werden^, —
ein Gedanke, der nur aus den antiken® und mittelalterlichen Ansichten
über die Geschichtsschreibung zu erklären ist. In dem ganzen Zeitraum,
der in dieser Arbeit behandelt wird, hat man demnach mit einer
Hochschätzung der Form für historische Werke zu rechnen^.
Daneben aber müssen noch andere Vorstellungen verbreitet gewe-
sen sein, deren Vertreter zwar nicht, wie man gemeint hat®, form-
feindlich gewesen sind, sondern eine andere Art der Sprache und Kom-
position erstrebten, als die rhetorische Geschichtsschreibung forderte.
Schon in der Antike stehen in der historischen Literatur zwei Stilrich-
tungen nebeneinander: für die eigentliche Geschichtsschreibung
werden sorgfältige Ausarbeitung und rhetorischer Schmuck gefordert,
Berichte der bloßen Tatsachen gelten nur als Materialsammlungen®;
für die alexandrinische Richtung der Biographie dagegen genügt

' Vgl. M. S C H U L Z (S. Einl. Anm. 2) S . 84—98.


' Vgl. Kap. V S. 112.
^ Vgl. Kap. III S. 98. und 104ff.
' Vgl. Kap. I X S. 121, 123ff., 128.
i Vgl. Kap. II S. 94ff.
• Vgl. P E T E R (S. Einl. Anm. 1) 2 S. 179ff., 190f. u. 193f. F. W E H R U , Die
Geschichtsschreibung im Lichte der antiken Theologie (Eumusia, Festgabe für
Ernst Howald, Zürich 1947) S. 54—71; A R B U S O W (S. Kap. I Anm. 1) S. 95 f.
' Das beweisen am eindeutigsten die auf die Form bezogenen Bescheidenheits-
topoi, die zu keiner Zeit fehlen. Sie wären unverständlich, wenn die Darstellung neben
dem StofT als völlig belanglos betrachtet worden wäre. Ich kann mich daher nicht
M. S C H U L Z anschließen, die das Mittelalter in Perioden der Formfeindlichkeit und
-freundlichkeit zerlegt (S. 84—98), dazu fast ausschließlich auf Grund von Zeug-
nissen aus der Hagiographie, deren von der Historiographie vielfach geschiedener
Zweck eine andere Einstellung zur Form bedingte. Ein Gegenbeweis sind auch die
zu jeder Zeit üblichen stilistischen Überarbeitungen alter Viten, die den formalen
Ansprüchen späterer Zeiten nicht mehr genügten; M. S C H U L Z läßt sie völlig außer
Betracht, mit der Begründung: „ . . . die Ziele, die sich die Bearbeiter stecken, sind
so gleichartig, daß wir von ihnen absehen müssen, wenn wir das Charakteristische
der einzelnen Perioden erkennen wollen" ( S . 84 Anm. 1). Vgl. dazu v. d. E S S E N
(s. Kap. I Anm. 46) S. 348.
« Vgl. S C H U L Z S . 84fr.; M. M A N I T I U S , Geschichte der lat. Literatur des MA.s 1
(1911) S . 5, 16, 93 u. a.; F. S C H N E I D E R , Rom und Romgedanke im Mittelalter (1926)
S . 7 0 u. a.; dagegen B E U M A N N , Widukind (s. Einl. Anm. 2) S. 25.
» Vgl. P E T E R S . 179fr. u. 195ff.; ferner N O R D E N (S. Kap. III Anm. 3 6 ) 2 S . 530fr.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 75

einfache, klare Darstellung^®. Dieser Unterschied ist noch im 4. J h .


bei den Scriptores Historiae Augustae lebendig. Der Vf. der Vita des
Probus verspricht, nicht seinefacultas und eloquentia darbieten zu wollen,
sed res gestas, quas perire non patior^'; denn er will nicht wie die Historiker
schreiben, sondern den Biographen folgen: . . . mihi quidem id animi
fuit, ut non Sallustios, Livios, Taätos, Trogos atque omnes disertissimos imitarer
viros in vita pnncipum et temporibus disserendis, sed Marium Maximum, Sue-
tonium Tranquillum . . . ceterosque, qui haec et talia non tarn diserte quam vere
memoriae tradiderunt^^. Gegen den übertriebenen rhetorischen Stil und
für einfache Sprache tritt auch Lukian ein'^. Es geht natürlich nicht an,
die vielen Äußerungen mittelalterlicher Historiker, daß sie einfach,
aber klar zu schreiben beabsichtigen, aus dieser einen antiken Quelle
abzuleiten. Wahrscheinlich ist eine andere Grundlage, die frühchrist-
liche Literatur, noch wichtiger, die es immer wieder als ihr Prinzip
hinstellte, für alle Menschen, auch die ungebildeten, verständlich
schreiben zu w o l l e n D i e s e n Grundsatz kennt auch Hieronymus:
ecclesiasiica interpretatio, etiam si habet eloquii venustatem, dissimulare eam
debet et fugere, ut non otiosis philosophorum scholis paucisque disäpulis, sed
universo loquatur hominum generi^^. Der Begründung für die Anwendung
einer allgemein verständlichen Sprache ohne rhetorischen Schmuck,
die eigentlich nur für kirchliche Schriften gegeben wurde folgen im
Mittelalter neben zahlreichen Vertretern der Hagiographie auch
mehrere Historiker, besonders seit Ende des 11. Jahrhunderts, obwohl
der Gedanke, daß kirchUche und historische Schriften verschiedene Stil-
arten fordern, nicht verschwand; noch Guibert von Nogent formuhert

" Vgl. F. LEO, Die griechisch-römische Biographie nach ihrer literarischen Form
( 1 9 0 1 ) S. 1 3 4 , 140,271.
1,6. Daß diese Versprechen nicht immer gehalten wurden (vgl. PETER 2
S. 339f.), ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.
" I I , 7.
" De hist. conscr. § 44.
" Ohne daß ihre Vertreter diesem Leitsatze immer folgten; vgl. BRUHN (S. Kap.
III Anm. 36) S. 6fT. In diesem Zusammenhang wird häufig darauf hingewiesen,
daß das Evangelium von Fischern, nicht von Rednern verkündet worden sei; Belege
bei NORDEN 2 S. 5 1 6 A n m . 1 u. SCHULZ S . 8 5 A n m . 2 . V g l . a u c h F . SCHNEIDER S. 7 0
u. passim, der dieses Zitat als Leitsatz des „Simplismus" hinstellt.
Ep. 4 8 , 4 (CSEL. 54 S. 350). Daneben vertritt eine andere Richtung die
Meinung, daß die Bibelsprache der heidnischen Rhetorik nicht nachstehe; vgl.
CuRTius, Europ. Lit. (s. Einl. Anm. 2) S. 48, 54fF.
" Daß sich die kirchliche Literatur darin von der übrigen unterscheidet, betont
der Vf. der Passio Praeiecti: Unde lectorem obsecro, . . ., non querat in his Tullianam
eloquenliam nec oratorum facundiam, non philosophorum ßosculis et historicorum diversas
adsertioms, sedpuritatem sancte ecclesiae (MG. SS. rer. Mer. 5 S. 225f.).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
76 Gertrud Simon

i h n : decet enim, licetque prorsus operosa historiam verborum elegantia coornari;


sacri autem eloquii mysteria non garrulitate poetica, sed ecclesiastica nmplicitate
tractari^'.
Zunächst w u r d e das Bemühen u m einen klaren, einfachen Stil im
Interesse der wenig gebildeten Leser von der Hagiographie aufgenom-
m e n . Eugipp gibt seinen Befürchtungen Ausdruck, ein Laie, saeculari
tantum litteratura politus, könne die Vita in solcher Sprache schreiben,
d a ß vielen das Verständnis M ü h e machen werde: et res mirabiles, quae
diu quadam silentii nocte latuerant, qmntum ad nos altinet ignaros liberalium
litterarum, obscura disertudine non lucerent'^. Bei Gregor von Tours, der auch
Viten und Miracula verfaßt hatte, dringt diese Begründung in die
Profangeschichte ein: . . . et praesertim Ms inlicitus stimulis, quod a nostris
fari plerumque miratus sum, quia: 'Philosophantem rhetorem intellegunt pauci,
loquentem rusticum multi'^^. Er näherte seine Ausdrucksweise der U m -
gangssprache seiner Zeit an, weil die rhetorisch ausgeschmückte Schrift-
sprache mit d e m z u n e h m e n d e n Niedergang der Bildung von vielen
nicht m e h r verstanden wurde Nicht jeder Autor, der in einfachem
Stile zu schreiben verspricht, weist dabei auf den Zweck hin. Sigehard
stellt z. B. n u r die rhetorische der einfach-wahrhaftigen Redeweise
gegenüber^-'. Dagegen betont Wilhelm von Jumieges wieder, d a ß er
auf rhetorischen Schmuck der Allgemeinverständlichkeit zuliebe ver-
z i c h t e " . A u c h der Vf. der Vita Conradi archiep. Trev. schreibt mit
Absicht in alltäglicher Sprache U n d Gaufredus Malaterra kann sich

" Migne, PL. 156 c. 680; Guibcrt schreibt daher in seinem Geschichtswerk in
einem anderen Stil als in seinen geistlichen Traktaten.
" V. Severini (s. Kap. I Anm. 121) S. 1.
Hist. Franc. S. 1. Vgl. auch Lib. de virt. s. Mart., Prol. 1: Et nescis, quia nobiscum
propter intellegentiam populorum rmgis, sicut tu loqui potens es, habetur praeclarum? (S. 586).
" Vgl. M . B O N N E T , Le Latin de Gr^goire de Tours (1890); M A N I T I U S 1 S. 217,
221; S. H E L L M A N N , Studien zur mittelalterlichen Geschichtschreibung I : Gregor von
Tours ( H Z . 107, 1911) S. 14; E. E I C K E L , Lehrbuch der Geschichte der römischen
Literatur (1937) S. 297; C U R T I U S , Europ. Lit. S. 157; B E U M A N N , Widukind S.25, 4 8 ;
W A T T E N B A C H - L E V I S O N , Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, Vorzeit und
KaroUnger, Heft 1 (1952) S. 104f.
" Mirac. Maximini (MG. SS. 4) S. 230 (Zitat s. Kap. II Anm. 18). Es lohnt
sich nicht, hier viele ähnliche Beispiele anzuführen. Häufig sind ganz knappe
Wendungen, vgl. z. B. Gesta ep. Camerac.: Quae quamlibet rustico sermone edita, satis
tarnen apparent liquida (MG. SS. 7 S. 402); Eadmer, V. Anselmi: . . . licet irwulto
piano tarnen sermone. . . (Rer. Brit. SS. 81, 1884, S. 313).
" Migne, PL. 149 c. 779: Quod non rhetorum venusta exornatum gravitate, non politi
sermonis venali lepore seu nitore; sed inelimato stylo, tenui oratione per plana deductum cuilibet
lectori ad liquidum elahoravi.
" MG. SS. 8 S. 214: ubi lector cupidus novorum rwn requirat faleras verborum quia
vulgari et aperto sermone ex industria quae scribimtis studuimus reddere lucida et aperta. Er

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 77

nicht enthalten zu betonen, daß er sehr wohl rhetorisch schreiben könne,


aber, dem Wunsche seines Auftraggebers entsprechend, einen leicht
verständlichen Stil gewählt h a b e : Si autem de incultiori poetria quaestio
fuerit, sciendum est, quoniam etiam si esset und[a\ limpidius aut certe pomposius
eructare potuissem, ipsa principis iussio ad hoc hortata est, ut piano sermone et
faäli ad intelligendum, quo, ut Omnibus facilius quidquid diceretur, patesceret,
exararem."^.
W a r schon bei Eugipp ein Gegensatz spürbar zwischen den Ge-
bildeten, in diesem Falle einem Laien, und den ignari liberalium
litterarum^', so wird dieser Zwiespalt später klar formuliert. Otloh weist
eine komplizierte rhetorische Sprache von sich: Quid enim nobis infimis,
qui 'spectaculum facti sumus mundo', nodosa et perplexa oratio? will aber
bewußt nur für die Ungebildeten schreiben, denn er fährt fort: Habeant
amatores sapientiae secularis Tullium; nos imperiti et ignobiles, despecti et
contemptibiles sequamur Christum qui non philosophos, sed piscatores elegit
discipulos. Mit der Behauptung, er habe n u r für die imperiti geschrieben,
entzieht er j e d e r möglichen Kritik der amatores sapientiae secularis an
seinem Stil den Boden; denn ein fehlerhaftes Werk mußten kritische
Angriffe der Gebildeten treffen. Das geht aus dem Prolog der Vita
Huberti hervor: Veretur a quibusdam meis contubernalibus simplices atque
minus peritos tantum arripere opus, ne quando manibus virorum peritorum legen-
dum inciderit, pro rusticitatis verba et incomposita oratione derisui habeatur ab
eis^'; das ergab sich auch bereits aus den Äußerungen über das zu
erwartende Urteil der Leser^®. Andere Autoren sind sich zwar auch
der verschiedenen Ansprüche bewußt, die gebildete und ungebildete
Leser an ihr Werk stellen, glauben aber, beiden gerecht zu werden,
indem sie zwar in klarer und verständlicher, aber nicht in ungepflegter
,,bäuerischer" Sprache schreiben. So heißt es in der Vita Walarici:
Et ideo nos ita calamum temperavimus, ut sermo brevis et admodum planus
simplicioribus fratribus intellegentiam augeret et nec nimis indoctus et rusticus

schränkt diesen Satz aber gleich ein: inlerdum et — quod non erubescimus faleri —
interveniente imperilia, consimilibus nobis idiotis condescendit lalinitas inculta et inpolita.
" (s. K a p . I A n m . 18) S. 3. Weitere Belege bei SCHULZ S. 9 1 — 9 3 , die aber aus
d e m Streben n a c h einfacher, alltäglicher, leicht verständlicher Sprache auf eine
Vernachlässigung der Form schließt. Vgl. d a g e g e n CURTIUS, Europ. Lit. S. 157,
der auch zwei Sprachstile scheidet.
" V . Severini S. 1.
" V . Bonifatii ( M G . SS. rer. Germ.) S. 112.
" V . Huberti ep. Leodiensis antea Tungrensis prima, zitiert nach v. D. ESSEN
S. 345 Anm. 1.
" Vgl. o b e n K a p . II S. 89 und 94fr.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
78 Gertrud Simon

esset, ne studiosis praeberet fastidium^^. Einen solchen Mittelweg, der alle


Leser zufriedenstellt, schlagen viele Autoren ein, die weder zu kurz
noch zu weitschweifig schreiben wollen Auch Andreas Marchianensis
will beiden Leserkreisen entgegenkommen: Nec debet displicere litteratis,
quod aliquando prodest simplicioribus et idiotis. Nam quosdam hystoria, alios
allegoria, nonnullos vero edificat moralitas. Nec legenti debent esse onerosa, si
aliqua utilia quae hystoriae minus congruant reppererint inserta. Dabo igitur
proposseoperam, nefastidiosasitlectio, quianullus, ut credo, delectaturfastidio^'.
Freihch macht er eine andere Unterscheidung: er denkt weniger an
den Stil, als an den Inhalt seiner Schrift, von dem seiner Ansicht nach
litterati und idiotae etwas anderes erwarten. Auf Form und Inhalt er-
streckt sich also der Gegensatz zwischen den Erwartungen der Ge-
bildeten und Ungebildeten gegenüber der Historiographie-'^.
Der Inhalt historischer Werke hatte durch den Einfluß der Hagio-
graphie eine beträchtliche Steigerung seiner Bedeutung erfahren.
Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Hochschätzung des In-
haltes erheben sich immer wieder Stimmen, die vor dem Schaden
der unkünstlerischen Form warnen, und auf den Nachteil aufmerksam
machen, den sie für die bedeutsame Materie mit sich bringen kann.
Schon Augustin weist die Autoren, die ohne rhetorische Schulung die
Wahrheit verkünden wollen, darauf hin, daß sie gegenüber den geübten
Rhetoren, wenn diese auch Falsches lehren, im Nachteil sind: . . .
isti Vera sie narrent, ut audire taedeat, intellegere non pateat, credere postremo
non libeat? Uli fallacibus argumentis veritatem oppugnent, asserent falsitatem:
isti nec vera defendere nec falsa vakant refutare?^^ Er tritt dafür ein, die
Redekunst zum Kampf für die Wahrheit zu benutzen, weil sie sogar
in der Verteidigung der Lüge Erfolg hat''^. Venantius Fortunatus ist

" MG. SS. rer.Mer. 4 S . 160. Vgl. auch Chron. Gladbac. : . . , intentionis nostre Seriem
humili stylo descripsimus, succingentes eam et rusticitatem devitantes, quam maxime potuimus;
m sermo gravis vel nimis horreret incultus, aut ultra modum fastidium generaret productus
(MG. SS. 4 S . 74).
S. unten S. 83.
" MG. SS. 26 S. 205. Vgl. K. F. WERNER, Andreas von Marchiennes und die
Geschichtsschreibung von Anchin und Marchiennes in der 2. Hälfte des 12. Jh.s
(DA. 9 , 1 9 5 2 ) S. 4 0 2 ff.
" V g l . z. B . V . W o l b o d o n i s : Nec enim usquequaque curat de verborum apparatibus, qui
proficere querit de sanctorum virtutibus ( M G . S S . 2 0 S. 5 6 5 ) . E i n i g e w e i t e r e Belege bei
SCHULZ S. 8 8 .
" De doctrina Christiana IV, 2,3. Vgl. NORDEN 2 S. 533.
" A. a . O . : cum ergo sit in media posita facultas eloquii, quae ad persuadenda seu prava
seu recta valet plurimum, cur non bonorum studio comparatur, ut militet leritati, si eam mali
ad obtinendas perversas vanasque causas in usus iniquitatis et erroris usurpant? V g l . a u c h

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 79

sich bewußt, daß ein unfähiger Schriftsteller den Glanz eines großen
Lebens durch seine unbeholfene Darstellung trüben kann®^, und die
vielen Neubearbeitungen alter Viten, die wegen ihres schlechten
Stiles Anstoß erregten und in Vergessenheit zu geraten drohten, geben
ihm R e c h t A m Anfang des 12. Jh.s faßt Balderich von Dol diese
Vorstellungen noch einmal zusammen: Omnis materies nullius politoris
artificio commendata, minoris apud intuenks est pretii. Aus einem Vergleich
mit edlen Metallen und anderen Materialien, die auch erst durch die
feine Bearbeitung ihren eigentlichen Wert gewinnen, zieht er für die
Geschichtsschreibung den Schluß: Haud dissimiliter quaelibet nobilis
historia, nisi urbane recitetur, vilescit; nisi disertus eam coloraverit stjlus, a
nobilitate sua deperit^'.
Die Vorstellungen der Antike, daß ein großer Gegenstand einen
entsprechend hochstehenden Stil für die Bearbeitung verlange^*, galten
also bei einer großen Zahl von Gebildeten auch im Mittelalter weiter.
Zu allen Zeiten, ganz besonders häufig aber seit dem Beginn des 12. Jh.s,
betonen daher die Historiker in den Proömien, daß eigentlich ihre
Darstellung der Würde und Größe des Stoffes entsprechen müsse.
Die Bescheidenheit verbietet ihnen freilich, ihr Werk als die Erfüllung
dieser Forderung hinzustellen. Wir finden daher in diesem Zusammen-
hang fast immer die Einschränkung, daß sie natürlich unfähig seien,
dieses Ziel zu erreichen^', daß ihr Werk eigentlich besseren Autoren

Hilarius von Poitiers, De fide { = de trinitate) I, 38. Hieronymus weist dagegen


besonders auf den Wert der Wahrheit, auch in bäurischer Form hin: Multo siquidem
melius est vera ruslice quam falsa diserte prqferre (Migne, PL. 22 c. 363). Auch dieser
Ausspruch wurde im Mittelalter verschiedentlich aufgenommen, vgl. S C H U L Z
S . 89 u. 91.
" V. Albini Praef. (MG. AA. 4,2 S. 28; Zitat s. oben Kap. V Anm. 47). Vgl. auch
Vita patrum lurensium Romani, Lupercini, Eugendi, Prol. (MG. SS. rer. Mer. 3
S. 131); s. ferner unten S. 80 Anm. 42.
" Vgl.z. B. V . Eligii (MG. SS. rer. Mer. 4) S. 665; Sigebert von Gembloux, V.
Maclovii (MG. SS. 8) S. 505 Anm. 17; Baldericus Dolensis, Hist. Hierosol. (Migne,
PL. 166c. 1064; Zitate s. Kap. V S. 115 Anm. 45).
V. Hugonis Rothomag. ep. (Migne, PL. 166) c. 1163.
^^ Vgl. Sallust, C. Cat. 3,2. Seine Formulierung klingt an bei Jonas, V. Columb.
S . 146 (Zitat s. u. S. 87 Anm. 98). Vgl. ferner S C H U L Z ( S . 87 mit Belegen),
die aber in diesem Streben eine Neuerung der Karohngerzeit bzw. (S. 93) eine Eigen-
tümlichkeit des 12. Jh.s sieht.
' ' Vgl. z. B. Odilo von Cluny: Non enim ad hoc tarn grandem materiem vili brevique
sermone perstrinximus, ut ad laudem tantae virtutis atque nobilitatis oratio nostra sufficiat, . . .
(MG. SS. 4 S. 637); Wilhelm von Malmesbury, Gesta pont. Angl. Prol. 4: nec illos
(sc. sanctos), . . ., polest sterile Ingenium et exile eloquium dignis informare laudwn titulis,
aequiparare victoriarum triumphis (Migne, PL. 179 c. 1587). Vgl. Kap. V S. 113ff.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
80 Gertrud Simon

vorbehalten bleiben m ü ß t e und im G r u n d e nur Rohmaterial für


diese s e i j a einige b e h a u p t e n sogar, ihre eigene Darstellung beflecke
oder entehre den großen Gegenstand Alle diese \'orstellungen faßt
Wilhelm von T y r u s im 12. J h . noch einmal zusammen: Ad haec,
nihilominus aeque vel ampliusformidabile historiarum scriptoribus solet discrimen
occurrere, totis viribus fugiendum; videlicet, ne rerum gestarum dignitas,
urmonis ariditate et oratione ieiuna sui dispendium patiatur. Verba enim rebus,
de quibus agitur, decet esse cognata; nec a materiae nobilioris elegantia,
scriptoris linguam degenerare. Unde magnopere cavendum ne amplitudo materiae
tractatus debilitate succumbat, et vitio narrationis exeat macilentum vel debile,
quod in sui natura pingue solidumque subsistit*^. Er schließt d a r a n zur
B e g r ü n d u n g das gleiche Zitat aus Ciceros Tusculanen, das schon von
E i n h a r d im Prolog zur V i t a CaroH ins Feld geführt wurde. Auch die
W o r t e Sallusts zur Coniur. Cat. werden in dieser Zeit wieder aufge-
n o m m e n . Richard von Poitiers hatte sie wohl vor Augen, als er schrieb:
Multum enim confert materie arguta verborum urbanitas; unde qui alterius gesta
scribit favorem lectoris adquisit, et fere non minus scriptor operis quam factor
eiusdem rei maiorum iudicio comprobatur habere," und vielleicht auch der
u n b e k a n n t e Mönch, der zu Anfang der Vita Gundolfi sagt: Vitas
praecedentium Patrum posteris ad exemplum vivendi transmittere eorum est,
qui praeclaro praediti ingenio tantum dicere possunt, quantum illifacere potuerunt.
Studuerunt Uli magni esse magna facienda; student et isti magni esse magna de
magnis scribendo^^.
I n den gleichen Z u s a m m e n h a n g gehört auch die — von uns

" Vgl. Sulp. Sev., V . Martini § 1: . . maleriem disertis merito scriptoribus reservandam
inpudens occupassem . . . (CSEL. 1 S. 109). Ausführlicher in Kap. V S. 116ff.
" Vgl. K a p . V S. 116ff.
" V g l . V e n a n t . Fortun., V . Albini (Zitat K a p . V Anm. 47); Hrotsvit, Gesta
Ottonis (s. K a p . II A n m . 4 7 ) : eo quod pomposis facetae urbanilatis exponenda eloquentiis
praesumpserim dehonestare inculti vilitate sermonis (S. 2 2 8 ) ; H u g o von Fleury an M a t h ,
v o n Frankr.: Eius vero actus meo inculto stilo contaminare non audeo ( M G . SS. 9 S. 3 7 7 ) ;
weitere Belege bei SCHULZ S. 93.
" Migne, PL. 201 c. 211.
" M G . SS. 26 S. 77.
" V. Gundolfi (Migne, PL. 159)c. 813. A u c h in anderen Viten des 12.Jh.s k o m m t
dieser Standpunkt z u m Ausdruck, vgl. z. B. V. Euracli: Euracli utique gesta quoniam
fuere praeclara, fuerant et praeclaro digna scriptore,. . . ( M G . SS. 20 S. 561); V . Landi-
berti: Temerarium enim valde est, quod quidam preclaras illustrium virorum res et memoria
dignas aggrediuntur scribere, quibus nec ingenium natura nec eruditionem doctrina nec orationis
splendorem indulget eloquentia; sicque fit, ut cum magnitudinem rerum, quas exomare debuerant,
verbis nequeunt explicare, ariditatem ingenii sui et imperitiam cogantur manifestare ( M G . SS.
rer. Mer. 6 S. 407).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 81

bereits behandelte^® — Auffassung, daß bedeutende Ereignisse auch


von ausgezeichneten Autoren behandelt werden müßten.
Andererseits wird auch auf die Gefahren der rhetorisch geschmückten
Darstellung hingewiesen. Von der Begründung, daß solche Werke dem
Verständnis der ungebildeten Leser zu viele Schwierigkeiten entgegen-
setzen^', war schon die Rede. Hier soll noch auf den —• selten als
Behauptung unmittelbar ausgesprochenen — Verdacht hingewiesen
werden, daß die mit den Mitteln der Rhetorik aufgeputzte Rede die
Möglichkeit der Unwahrheit in sich berge. Lukian hatte freilich betont,
d a ß sich die Schönheit des Stils, im Gegensatz zu Schmeicheleien und
Fabeleien, mit der Wahrheit vertrage^*, aber schon der Vf. der Vita
des Kaisers P r o b u s will non tarn diserte quam vere s c h r e i b e n ^ ' . Als viri
disertissimi nennt er an dieser Stelle die Historiker Sallust, Livius,
Tacitus, Trogus, und wenn wir hier nur mit Vorbehalt den Schluß
ziehen dürfen, daß diese umgekehrt weniger wahr als beredt ge-
schrieben haben, so spricht er dies in der Vita Aurelians offen aus:
. . . me contra dicente neminem scriptorum, quantum ad historiam pertinet, non
aliquid esse mentitum, . . Diese Gegenüberstellung von Wahrheits-
liebe und Redekunst ^^ findet sich, wenn auch nicht häufig, im Mittel-
alter wieder. Nach christhchem Standpunkt war zur Darstellung der
Wahrheit keine Rhetorik erforderhch; so begründet Gregor von Tours
einmal seinen schlichten Stil: . . . quia inviolatumfidem non exegit multitudo
verbositatis, sed integritas rationis et puritas mentis^". I n d e r V i t a B a l t h i l d i s
tritt der Gegensatz von Wahrheit und rhetorischer Darstellung klar
hervor: ... compendium veritalis sequentes potius, quam profana et falsa
eloquia ex proprio corde mendaciterßngentes^^. E r s t i m 12. J h . a b e r w e r d e n
diese Äußerungen h ä u f i g e r H u g o von Fleury schreibt an Heinrich

" Vgl. Kap. I .\nm. 144 mit Belegen.


Vgl. Gregor von Tours, Hist. Franc.: guia: ^Philosophantem rhetorem intellegunt
paiuiy loquentem msticum multi' (S. 1).
' ' De hist. conscr. § 13, vgl. auch § 34. Die gleiche Auffassung findet sich bei Die,
Fragm. aus Buch I, ed. U. P. BOISSEVAIN, S. 1.
SHA. Probus 2,7.
" SHA. Aurelian 2,1.
Zum Einfluß der Rhetorik auf die Wahrheitsliebe vgl. PETER, Gesch. Litt. 1
S. 3 6 f . u . 2 S. 184FLR., 187fr., 2 0 0 f r .
" Lib. de mirac. Andreae (MG. SS. rcr. Mer. 1) S. 827; vielleicht hat auch Hierony-
mus einigen Einfluß ausgeübt, s. das. Zitat oben S. 79 Anm. 41 und SCHULZ S. 89
u. 91.
" MG. SS. rer. Mer. 2 S. 482 (Fassung B).
" Der Gegensatz scheint aber auch in den Mirac. Maximini (10. Jh.) vorzu-
liegen, S. 230 (Zitats, oben Kap. H .Anm. 18). Vgl. auch Nemnius (Cod. L): .. . nec

6 Archiv f ü r EHplomatUt 5/6

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
82 Gertrud Simon

v o n E n g l a n d , er hoffe, seine Leser wollten lieber veros quam disertos


audire sermones'' u n d O t t o v o n Freising will die apostolica simpliätas
n i c h t verachten, dum, sicut nonnumquam erroris fomes arguta sit subtilitas,
sie Semper veritatis amica sancta sit rusticitas^^. R o b e r t von St. R e m i
schließHch sieht wieder eine G e f ä h r d u n g der K l a r h e i t in Rhetorik
u n d philosophischen E r ö r t e r u n g e n ' ' ' ' . D a ß diese A n s c h a u u n g e n ver-
h ä l t n i s m ä ß i g selten ausgesprochen w e r d e n , erklärt sich vielleicht
d a r a u s , d a ß j e d e r mittelalterliche Autor die W a h r h e i t als sein höchstes
Ziel hinstellte. D a d u r c h w i r d a u c h verständlich, d a ß sich die Be-
scheidenheitswendungen niemals auf die Richtigkeit des Inhalts be-
ziehen, sondern i m m e r auf die F o r m ; d e n n trotz aller H o c h s c h ä t z u n g
s t a n d sie d o c h a n B e d e u t u n g h i n t e r der S a c h e zurück.
N u n soll n o c h das P r o b l e m d e r brevitas besprochen werden, weil es
o f f e n b a r i m Mittelalter v o n g r o ß e m Interesse gewesen ist. D e n n a u c h
in d e r Frage, o b in d e r Geschichtsschreibung K ü r z e zu erstreben sei
o d e r nicht, sind die M e i n u n g e n geteilt^'®. I n der Antike w u r d e f ü r
historische Werke ein gewisses M a ß an Ausführlichkeit verlangt^'®, im
Gegensatz z u r Biographie, die f ü r ihre G a t t u n g die F o r d e r u n g d e r
brevitas aufstellte®", wie sie a u c h in einem a n d e r e n P u n k t e von d e n
F o r d e r u n g e n a n die Historiographie teilweise abwich®^ Schon Nepos
will in d e r Biographie das P r i n z i p der Auswahl aus der Fülle des ü b e r -
lieferten Materials g e w a h r t wissen. Es h a n d e l t sich also nicht u m die
stilistische brevitas, wie wir sie z. B. bei Sallust u n d Tacitus finden,
s o n d e r n u m eine B e s c h r ä n k u n g des Stoffes. I n d e n spätantiken
Breviarien treffen beide A r t e n d e r brevitas, die sich natürlich beein-
flussen u n d überschneiden, z u s a m m e n . D e n mittelalterlichen A u t o r e n
k o n n t e also die F o r d e r u n g n a c h brevitas auf drei Wegen b e k a n n t w e r d e n :

vilescat in auribus audüntium historiae veritas, quam imperito linguat vomere exarare sie ausa
est mea rusticitas. siquidem tutius est salubrem documenti hauslum quolibet vili vasculo ebibere
quam mixtum melle dulcis eloqueniiae venenum mendacii aureo poculo praegustare (MG. AA. 13
S. 126).
« S. 346.
" Chron., Prol. 1 ( M G . SS. rer. Germ.) S. 10.
" Gesta Dei per Francos (s. Kap. I I I Anm. 14) I S. 30: Unde, si cuiAcademicorum
studiis innutrito displicet haec nostra editio, ob hoc forsitan quod pedestri sermom incidentes plus
iusto in ea rusticaverimus: notificare ei volumus, quod apud nos probabilius est, abscondita
rusticando elucidare, quam aperta philosophando obnubilare.
" Vgl. C u R T i u s , Europ. Lit. S . 481 ff.; A R B U S O W S . 9 6 , 100, 110; E N G E L (S. Einl.
A n m . 1) S . lOOf.; S C H U L Z S . 108f.; N O R D E N S . 283 u. 338.
" Vgl. P E T E R , Gesch. Litt. 2 S. 195 f. mit Belegen.
Vgl. Nepos, Lysander 2 , 1 ; Epaminondas 4 , 6 ; Plutarch, Alexander 1; S A H .
Gordian! tres 1; Donat, Vita Verg. S. V I I .
" S. oben S. 74f.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 83

durch die antiken Biographien und ihre spätantiken christlichen Nach-


folger®^, durch die vielgelesenen Breviarien des 4. Jh.s, deren Ziel auch
die Chronisten übernahmen", und durch die Vorschriften der Rhe-
torik, die aber mit Warnungen über die Gefahren allzu großer Kürze
verbunden waren®^. Dementsprechend gehört im Mittelalter das
Versprechen, breviter, strictim, carptim, sucäncte, summatim schreiben zu
wollen, zu den üblichsten Bestandteilen der Proömien historio-
graphischer Werke®®. Nicht selten aber sind auch die Stimmen, die
vor den Nachteilen der brevitas warnen. Hieronymus will einen
Mittelweg einschlagen: . . . nec nimia longitudine extendentes opus, nec
immoderata brevitate auferentes intellegentiam, quorum alterum onerat sensus
legentium, alterum praecidit studiosorum desiderium^^. Eine ähnliche Ansicht
vertritt Orosius: brevitas autem atque obscuritas, immo ut est semper obscura
brevitas, etsi cognoscendi imaginem praefert, aufert tarnen intellegendi vigorem.
sed ego cum utrumque vitandum säam, utrumque faäam ut quocumque modo
alterutra temperentur, si nec multa praetermissa nec multum constricta vide-
antur^'. Der Abt Josephus verweist angesichts der möglichen Unklarheit
seines abkürzenden Werkes auf seine Quellen zurück: Si quis autem
haec quasi breviora et ob id obscuriora dispiciat — sepius enim brevitatem
comitatur obscuritas —, ad fontem, unde haec kausimus, erecto cervice currat^^.
Daß auch den Lesern zuweilen die Kürze der Breviarien zu weit ging,
zeigt der Brief, den Paulus Diaconus zu seiner Bearbeitung der Schrift
Eutrops an Adelperga richtete: . . . hoc tibi in eins (sc. Eutropi) textu

" Vgl. 2. B. V. Germani, Schlußwort: Et tarnen Deum testor conscium secrelorum, me


plura de domni mei Germani/actis agnita et probata tacuisse, ... Et ideo in scribendo succinc-
tum magis me arbitror fuisse quam nimium (MG. SS. rer. Mer. 7 S. 283); Sulp. Sev.,
V. Mart. (CSEL. 1) 1,8.
" Vgl. Hieron, Chron. Praef. (S. 18b Zitat s. u. S. 85). Victor Vitens. (MG.
AA. 3) 1 § 4 ; Sulp. Sev., Chron. I (CSEL. 1) § 1—2. Nach L I E B E R I C H 2 S. 48 (vgl.
Einl. Anm. 1) ist brevitas bei den Byzantinern ein Topos allein bei den Chronisten,
nicht bei den eigentlichen Historikern. Die gleiche Auffassung findet sich bei Gott-
fried V. Viterbo; vgl. S C H U L Z S . 114f.
" Vgl. Auct. adHer. 1,15; Cic., De invent. I, 16,23; Horaz, Ars poet. 25 u. 335;
Cic., De or. 2,326; Quint., Inst. or. 8, 2, 19.
« Vgl. hierzu S C H U L Z S . 110.
" Com. Jerem. 2,1,2 (CSEL. 59) S. 74.
III, praef. 3 (CSEL. 5); auf ihn greift Rudolf v. Fulda zurück ( S C H U L Z S . 112);
\'gl. ferner V. Yvonis (Migne, PL. 155) c. 82: Nec adeo tarnen de copia fecimus inopiam,
ut intellectus queri possit condimento huic nostro lenui deesse, quod Uli alteri opimo superfluit;
sed modus servatus est, quo nec avidior nec fastidiosior offendatur-, Wilhelm v. Malmesbury,
Gesta pont. Angl., Prol. 2 c. 1513f.: . . . breviterque omnia digerens, quantum polert
consulam studiosorum notiliae et fastidiosorum nauseae.
" MG. Epp. 4 S . 483.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
84 Gertrud Simon

praeter immodicam etiam brevitatem displicuit Ausführlich setzt sich


im 11. J h . der Vf. der Gesta Cnutonis mit diesem Problem ausein-
a n d e r ' " : Videns enim aliquis quempiam pro exprimenda rei veritate verbis
indulgentem, vanae loqmcitatis eum mordaciter redarguit, alium vero quem, dixi
blasphemium fugientem et aequo modestiorem in narratione, cum operla denudare
debeat, aperta oculuisse diät'^. F ü r ihn ist also zur Darstellung der Wahrheit
eine gewisse Ausführlichkeit erforderlich, und er entschließt sich daher,
den möglichen Vorwurf der Geschwätzigkeit auf sich zu nehmen:
Malo itaque a quibtisdam de loquacitate redargui, quam veritatem maxime
memorabilis rei per me omnibus occultari. In der Folgezeit wird nur auf die
nachteiligen Begleitumstände der Kürze hingewiesen. Mit einem
Anklang an Horaz sagt Hugo von Fleury: Certe laboriosum valde
negotium, quoniam brevitatem nonnumquam comitatur obscuritas, cum et
luculentus esse contendo et brevis esse laboro'^, und der Vf. der Vita Karoli
com. Fland. sucht wieder eine Mitte zwischen prolixitas und brevitas zu
finden'^.
Wie in der Antike so wird auch im Mittelalter zwischen der rein
stilistischen brevitas, dem Gegenteil der prolixitas, und der Beschränkung
in der Auswahl des Stoffes unterschieden. In vielen Fällen wird sich
freilich nicht mehr allein aus den Proömien feststellen lassen, welche
Kürze der Autor verwirklichen wollte''^, wenn er z. B. nur versichert,
breviter oder succincte schreiben zu wollen; doch vielfach finden sich
auch aufschlußreichere Äußerungen. Hatten wir das Prinzip der
Auswahl aus der Fülle der Materie schon bei Donat^^' und in der V i t a
Germani''® gefunden, so schreibt auch Hieronymus zu weilen:. . . non iux-
ta consuetudinem nostram proponentes omnia et omnia disserentes, . . . sed breviter
et per intervalla ea tantum, quae obscura sunt, explanantes, ne librorum in-

" MG. Epp. 4 S. 505.


'0 Vgl. Kap. II S. 92 m. Anm. 33.
'' MG. SS. rer. Germ. S. 2.
" Hist. eccl. S. 349.
M G . S S . 12 S. 538. Weitere Belegejbei SCHULZ S. 115. Dieven ihr durchgeführte
Periodisierung der Bedenken gegenüber der brevitas ist nicht zu halten, da genügend
Belege auch für das 8. und 11. Jh. existieren.
" Häufig werden auch beide Arten nebeneinander genannt, so schon in der
V. Cypriani des Pontius (s. Kap. V Anm. 32): . . . placuit summatim pauca conscribere
. . . (S. 5).
" V. Vergiliana: brevitati admodum studens, quam te amare cognoveram, adeo de multis
pauca decerpsi, ut magis iustam offensionem lectoris expectem, quod veterum sciens multa transierim
quam quodpaginam compleverim supervacuis (ed. BRUMMER, 1912, S. V I I ) .
Vgl. oben S. 83 Anm. 62.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 85

mmerabilium magnitudo lectori fastidium faciat", und Jordanes sagt im


Prolog zu seiner römischen Geschichte: ex dictis maionim floscula carpens
breviter reJeramF^. Dieser Topos, der Autor wolle der brevitas wegen
pauca deplurima{!) berichten, ist in Viten besonders häufig®"; er wurde
vielfach dazu benutzt, die Bedeutung des darzustellenden StofTes in
den Augen der Leser zu erhöhen und den Helden des Werkes noch
größer erscheinen zu lassen, dessen Taten alle zu berichten als unmög-
lich hingestellt wird*^. Doch auch in der Profangeschichte taucht er
auf. Bei Regino von Prüm heißt es: . . . ex multis pauca notare curavi^^,
und Widukind von Corvey will, in Anlehnung an Sallust, strictim et
per partes schreiben". I m 11. J h . berichtet Alpert seinem Adressaten
Burchard von Worms: Non enim pleniter omnia quae de proposita materia
scribenda erant collegi . . am Anfang des 12. J h . gibt Hugo von
Fleury zu: Obmitto tarnen in hac historia multa quae scio . . . und ein
Fortsetzer der Bischofsgeschichte von Cambrai reimt: nec tarnen cuncta
didmus, sed carptim quedam stringimus^^. Diese Seite der brevitas, die durch
Auswahl und Beschränkung des Inhaltes das Ziel der Kürze zu erreichen
sucht, findet sich also im ganzen behandelten Zeitraum wieder.
Das gleiche trifft auch für die stilistische brevitas zu, die kurze, knappe
Redeweise ohne überflüssige Worte und Wiederholungen®'. Diese
Stilrichtung wird von Hieronymus in seiner Chronik erstrebt. Er gibt
zunächst im einzelnen den Inhalt an und sagt anschließend: quae
universa in suis locis cum summa brevitate ponemus^^. Eine kurze Zusammen-

" Comm. Dan. Prol. (Migne, P L . 25) c. 494.


" M G . AA. 5, 1 S. 1. Vgl. Justinus § 4 : breve velutiflorumcorptiscuium feci.
" V. Wandregiseli ( M G . SS. rer. Mer. 5) S. 13; der Vf. will auch breve stilo schrei-
b e n ; v g l . ARBUSOW S . 1 1 9 .
»" Vgl. z. B. Sulp. Sev., V. Martini 1 , 8 ; V. Radegundis (MG. SS. rer. Mer. 2)
S. 3 7 8 ; Venant. Fortun., V. Hilarii § 2 (MG. AA. 4 , 2 ) ; Anskar, V. Willehadi c. 38
( M G . SS. 2) S. 3 9 0 ; V. Mahthildisprior. ( M G . SS. 10) S. 5 7 5 ; V. Yvonis ep. Persae
in Anglia depositi (Migne, P L . 155) c. 81f.; Eadmer, V. Anselmi (s. oben Anm.
2 1 ) I, 35 S. 358.
" Vgl. unten Kap. V I I I S. 98 u. S. 87 Anm. 101; CURTIUS, Europ. Lit. S. 167.
" MG. SS. rer. Germ. S. 1.
" Praef. 1 ( M G . SS. rer. Germ.) S. 1; vgl. auch Hieron., Com. D a n . : breviter
et per iniervalla (Migne, P L . 25 c. 4 9 4 ) .
" M G . SS. 4 S. 701.
« Modern, reg. Franc, actus ( M G . SS. 9) S. 395.
" Gesta ep. Camerac. Continuator Altimontensis (MG. SS. 14) S. 247.
" Vgl. Auct. ad Her. 4 , 6 8 ; Cic., Part. orat. § 19; Quint., Inst.or. 4 , 2 , 4 3 ; Eutrop:
Res Romanas ... per ordinem temporum brevi narratione collegi strictim (ed. RÜHLE, 1887,
S. 3 ) ; Festus; accipe ergo, quod breviter dictis brevius computetw, SHA. Gordiani tres 1:
ego, qui longitudinem librorum fugi multitudinemque verborum.
Praef. S. 18 b.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
86 Gertrud Simon

fassung o h n e Auslassungen will a u c h Sulpicius Severus in seiner


C h r o n i k g e b e n : . . . ea, quae permultis voluminibus perscripta continebantur,
duobus libellis concluderem, ita brevitali studens, ut paene nihil gestis sub-
duxerim^'. Wie Sulpicius will E i n h a r d z w a r mit möglichster K ü r z e ,
a b e r mit größter Vollständigkeit Karls L e b e n beschreiben: Vitam . . .
postquam scribere animus tulit, quanta potui brevitate complexus sum, operam
inpendens, ut de his quae ad meam notitiam pervenire potuerunt nihil omitterem
tuque pTolixitate narrandi nova quaeque fastidientium animos offenderem^".
G a n z deutlich bezieht a u c h R i c h e r die brevitas auf seinen R e d e s t i l :
Satisque lectori fieri arbitror, si probabiliter atque dilucide breviterque omnia
digesserim. In dicendo enim recusans effluere, plurima succincte expediam^^.
W i r finden also beide Seiten d e r brevitas i m Mittelalter bis ins 12. J h .
vertreten, u n d oft g e n u g w e r d e n beide bei einem Autor z u s a m m e n -
treffen. Ebenso fehlen A u t o r e n , die angeregt von antiken u n d f r ü h -
christlichen V o r b i l d e r n vor d e n G e f a h r e n der übertriebenen K ü r z e
w a r n e n , in keinem Z e i t r ä u m e ganz, w e n n sie auch seltener sind als die
V e r t r e t e r der brevitas. V o n diesen wird übrigens die brevitas ganz selbst-
v e r s t ä n d h c h als Vorteil h i n g e n o m m e n — Wilhelm von M a l m e s b u r y
stellt sie sogar ihrer B e d e u t u n g n a c h n e b e n die veritas^^ —, o h n e d a ß
in der Regel ü b e r i h r e n Zweck gesprochen w ü r d e . W e n n dies d o c h
e i n m a l d e r Fall ist, d a n n heißt die B e g r ü n d u n g wohl, brevitas lade z u m
Lesen ein*'', weil sie a m schnellsten zur W a h r h e i t führe®^, den Leser
nicht u n n ü t z belaste®® u n d i h m vor allem kein fastidium bereite"®.

I, 2 S. 3.
S. l ; s o a u c h B E u M A N N i n : Arch. f. Kulturgesch. 33 (1951) S. 341; vgl. d a g e g e n
CuRTius, Europ. Lit. S. 482.
" M G . SS. rer. Germ. S. I; vgl. V. Karoli com. Flandr. S. 538.
Gesta pont. Angl. Prol. 1: Aderit tarnen, ut spero, lux mentium, ut et integra non
vacillet veritas, et instituta conservetur brevitas. Quae duo, si quis non neglexerit, nec ineptus,
nec importunus erit (c. 1442).
" Vgl. V e n . Fort., Lib. de virt. s. Hilarii X I I I , 38: Sed praesumo plurima de te
minus dicere, ut de te legere populum brevitas plus invitet ( M G . AA. 2 8. 11).
Vgl. Josephus abb. Scottus an Alcuin: Duabus autem causis, ut reor, haec ita
ßeri voluistis, ut velfastidiosis tepidisque lectoribus tarn longus libros legendi labor levaretur, vel
ingeniosis et ardentis animi hominibus promptior breviorque querendae veritatis via redderetur
( M G . Epp. 4 S. 4 8 3 ) ; V . s. Yvonis ep. Persae: . . ., paulo brevius collegi; quatenus in
parva facilius quam inter multa quod quaeritur inveniatur, citiusque breviori via quam longo
ambitu ad terminum perveniatur, . . . (Migne, PL. 155 c. 81f.).
Vgl. Nepos und S H A . Gordian! (oben A n m . 6 0 ) ; Hieronym., Com. J e r e m .
II, 1,2; Beda, Explanat. Apocalypsis: . . ., non solum dilucidare sensus, verum sententias
•quoque stringere, disposui. Nam ei aperta magis brevitas quam disputatio prolixa memoriae
solet infigi (Migne, PL. 93 c. 134); Gesta ep. V i r d u n . : breviato sermone comprehendere
commodum duxi ( M G . SS. 4 S. 40).
»« Vgl. Quint., Inst. or. 5 , 1 4 , 3 0 .

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 87

D e n n ein H a u p t g r u n d , breviter z u schreiben, ist offenbar die Be-


fürchtung, d e m Leser k ö n n e e i n zu langes oder wortreiches W e r k
Widerwillen, fastidium, erregen®''. Freilich wird a u c h z u w e i l e n auf
andere G r ü n d e h i n g e w i e s e n , die fastidium hervorrufen k ö n n e n ,
besonders auf m a n g e l h a f t e n Stil'®, d o c h überwiegt der H i n w e i s auf
die Weitschweifigkeit, die prolixitas, u n d die übergroße Fülle des dar-
g e b o t e n e n Stoffes. S o heißt es s c h o n in der V i t a des Kaisers M a x i m i n u s :
jV« fastidiosum esset clementiae tuae, Constantine maxime, singulos quosque
prinäpes vel prinäpum liberos per libros singulos legere, adhibui moderationem,
qua in unum volumen duos Maximinos, patrem ßliumque, congererem^. Bei
Sulpicius Severus findet sich die B e m e r k u n g , er lasse viele D i n g e
beiseite simul et legentibus consulendum fuit, ne quod his pareret copia congesta
fastidium^''''. Diese u n d weitere V o r b i l d e r w e r d e n viele spätere

" Vgl. ARBUSOW S. 100; C u R T i u s , Europ. Lit. S . 9 3 u. 482f.


»» Vgl. z. B. Quintilian, Inst. or. 5,14,30; Jonas, V. Columb.: . . .,ne dum meam
imperitiam in eloquio exhorrent, cum facta dictis non exsequentur, sanctorum virtuUs fastidiose
ferenda non imitentur (S. 146); Eadmer, V. Anselmi I, 35: Verum ne inctdta oratio prolixa
sui continuatione legentes seu audientes fastidio gravet, hic primum coepto operi terminum
ponamus (S. 358). Auch bestimmte Teile des Inhalts können den Widerwillen des
Lesers erwecken: Vgl. Gregor v. Tours, Mirac. Andreae: praetermissis his, quae
fastidium generabant (S. 827); Jonas, V. Vedastis: Nec fastidire quispiam debet, si in
aliquibus rebus, que exiguae hominibus videantur, supemae virtutis indicia suffragare, . . .
(S. 309); Andreas Marchian. S. 205 (Zitat s. oben S. 78). Wiederholungen
gehören wohl zu der getadelten prolixitas-, vgl. Gesta ep. Leodiens.: nos quoque
nostrum opus, . . ., decapitantes, ne eadem replicando fastidium kgenti faceremus . . . (MG.
SS. 7 S. 162); vgl. auch die Polemik Einhards gegen die novo quaeque fastidientes;
vgl. ferner Cic., Part. or. 19.
" c. 1. Vgl. Gregor v. Tours, Mirac. Andreae ap.: ... de quo placuit, ut, ...
praetermissis his quae fastidium generabant, uno tantum parva volumine admiranda miracula
clauderentur, ... (S. 827); Hieron., Com. Dan. Prol. (Migne, PL. 25) c. 494: . . .
sed breviter et per intervalla ea tantum, quae obscura sunt, explanantes, ne librorum innumera-
bilium magnitudo lectori fastidium faciat.
">o V. Martini 1 S. I I I .
" " V. Germani, Schlußwort: . . . veniam a te, lector exposco, .. . deiruk quod pro-
lixior pagina videtur parare fastidium (S. 293); Ven. Fort., V. Hilarii S. 2 (Zitat s. u.
Kap. IX S. 118) Wie weit der Gebrauch eines solchen Topos führen kann, zeigt
eine Stelle aus dem Liber de virtut. s. Hilarii von Venant. Fortun.: Vellern adhuc
insatiatus sacratissimi viri miracula quasi peculiariter decantare, sed vereor ne unde meam cupio
devotionem ostendere auditoris animum fastidio nascente videar obdurare (S. 11). Venantius
geht also so weit anzunehmen, die Erzählung von den Wundertaten des hl. Hilarius
könnte den Lesern widerwärtig werden, obwohl sie ihnen doch zur Erbauung
dienen sollte. Wahrscheinlich aber wollte er nur nicht zugeben, daß er nichr mehr
Wunder zu berichten hatte, und benutzte den Brevitas-Fastidium-Topos, um der
Größe des Heiligen durch dieses Eingeständnis nicht zu schaden. Dafür schließt er
lieber eine Entschuldigung an Hilarius an: Da mihi, pie, veniam de textus huius parvilale,
. . ., ne dum hominis cupio litarefastidia, videar incurrere confessoris offensam. — Vgl. auch
Passio Leudegarii III Prol. 2: De quibus (sc. virtutibus), cum plurimae sint, quasdam

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
88 Gertrud Simon

A u t o r e n des Mittelalters v o r A u g e n g e h a b t haben, die diesen T o p o s


i m m e r wieder verwenden-"'^. Vielfach wird auch in der Einteilung d e r
M e n g e des Stoffes in m e h r e r e , kürzere Bücher ein Mittel g e g e n das
fastidium gesehen. So sagt J o n a s zur V i t a C o l u m b a n i : Quae sunt ergo
posita duobus libellis intercisi, ut uno volumine legentibusfastidium amputarem
u n d Ekkehard v o n A u r a schreibt an Erkembert: Igitur ob fastidii
remedium V libellis opus ipsum distinguitur^"*. Für das einzelne B u c h wird
auf diese Weise das Ziel d e r brevitas erreicht; der Leser wird d a n a c h
die Lektüre unterbrechen u n d erst später fortsetzen. So k ö n n e n w i r
w o h l aus d e n W o r t e n E a d m e r s a m E n d e des 1. Buches der V i t a
Anselmi schließen: Verum ne inculta oratio prolixa sui continuatione legentes
seu audientes fastidio gravet, hic primum coepto operi terminum ponamus,
quatinus Ulis quae magis delectant recreati, aliud exordium sequentia nosse
volentes expediti reperiant'"^. D u r c h Auswahl, knappe Darstellung u n d
m e h r f a c h e Einteilung bei größerer Stoflfmenge sucht m a n also d e m
Leser e n t g e g e n z u k o m m e n .

taräum ad audientium aedificationem dicere institui; nam omnts comprehendere nec ego possem
nec volo vobis promittere. Omissa igitur fastidifera multiplicitaU, dicemus pauca de Ulis mira-
culis, . . . (MG. SS. rer. Mer. 5 S. 358). Vgl. ferner V. Chounradi cp. Constantiensis
auct. Oudalscalcho: Adieci tandem ex innumeris, quibus plurimae ad memoriam eius laeti-
ßcantur nationes sub probabili testimonio, pauca dumtaxat signa, ne sicut videntibus gaudium,
ita audientibus nimietate sua generent fastidium (MG. SS. 4 S. 431).
lot Ygi 2. B. V. Willehadi: Verum rws, ne prolixior narratio onerosafiatlegentibus,
haec et alia multa intermisimus, ... (MG. SS. 2 S. 390 c. 38); Widukind, Praef. 1:
.. ., sed strictim et per partes scribimus, ut sermo sit legentibus planus, non fastidiosus (S. 1);
V. Machtildis prior: Plura vero ex his quae comperta sunt nobis omisimus, .. ., simul ne
legentibus supeiflua fastidium ingererent fecimus (S. 575); Alpert.: Et ut propter tuas
occupationes sanctissimas fastidium vitarem, brevitati animum in omnibus dedi (S. 701);
Eadmer, Hist. Nov. Buch I, letzter Satz: A cuius tempestatis descriptione temperantes,
modxan praesenti volumini imponemus, caventes ne prolixa fatuitas et fatua prolixitas orationis
legentes vel audientes, si forte aliqui fuerunt, nimio taedio afficiat (Rer. Brit. SS. 81 S. 67);
V. Karoli com. Fland.: quatinus et superfluis verborum faleris et rhetoricorum omamentis
colorum exquirendis minus intentus, fastidiosam sie caveam prolixitatem, . . . (S. 538);
Chron. Gladbac. S. 74 (Zitat s. oben S. 78 Anm. 29). Einen Mittelweg sucht
Wilhelm v. Malmesbury einzuschlagen, um auch den eifrigen Lesern gerecht zu
werden, Gesta pont. Angl. Prol. 2 c. 1513 (Zitat s. oben S. 83 Anm. 67).
S. 147.
MG. SS. 6 S. 10. Vgl. Chron. Eptemac.: Propter quorum (sc. testamerUorum)
numerositatem et varium statum loci nostri per temporum et personarum mutacionem, ad rele-
vandum lectoris fastidium, etiam librorum congruam ordinavi divisionem . . . (MG. SS. 23
S. 38).
S. 358.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 89

VII. Ä u ß e r u n g e n ü b e r die Methode

Die Ä u ß e r u n g e n über die Methode bei den mittelalterlichen


Historikern w u r d e n bereits von M . SCHULZ^ untersucht. D a sich bei
der vorliegenden A r b e i t trotz großenteils verschiedenen Quellen-
materials im allgemeinen das gleiche Bild ergab, können die Probleme
hier kurz zusammengefaßt werden.
Die Forderung n a c h W a h r h e i t der Darstellung ist so alt wie die
Geschichtsschreibung selbst^. In der griechischen und römischen
Historiographie^ w u r d e sie bis in die Spätantike i m m e r wieder er-
hoben*. In der frühchristlichen Literatur gewann sie teils durch die
apologetische Tendenz, teils durch die Hagiographie erneut an Gewicht ®.
Diesen A u t o r i t ä t e n folgt die mittelalterliche Geschichtsschreibung®.
D e m g e m ä ß fehlen zu keiner Zeit Beteuerungen der Wahrheitsliebe, doch
erst seitdem 1 1 . J h . w e r d e n ausführlichere Begründungen gegeben^.
U n t e r den Quellen, die der mittelalterliche A u t o r benutzt, u m zur
historischen W a h r h e i t * zu gelangen, mißt er wie der antike Historiker

' Die Lehre von der historischen Methode bei den Geschichtschreibem des
Mittelalters (s. Einl. Anm. 2).
' Vgl. H . P E T E R , Geschichtl. Lit. (s. Kap. V Anm. 21) 2 S. 180ff.; F. W A G N E R ,
Geschichtswissenschaft (1951) S. 7 fr.
^ Vgl. z. B. Sali., Con. Cat. 4,3; 18,1; Hist. 1,6; in der Kaiserzeit: Josephus,
Bell. lud. 1,1—2, 6, 30; Herodian I, 1,1 ss.; vor allem: Lukian, De historiis conscr.
§ 7, 9, 39. ' Amm. Marc. 14,6,2; 31,5,10; 31,16,9; SHA. Aurelian 2,1.
^ Vgl. B. S C H M E I D L E R , Vom patristischen Stil (s. Kap. II Anm. 40) S . 25fr., der
aber, offenbar ohne Rücksicht auf die Tradition des Wahrheitstopos, für das Mittel-
alter, das keine Apologetik mehr nötig gehabt habe, den Schluß zieht, die Wahr-
heitsbeteuerungen seien ein „Stilelement ohne tiefere sachliche Berechtigung und
Bedeutung" (S. 2 7 ) . Vgl. auch G . E L L I N G E R , Das Verhältnis der öfrentlichen Mei-
nung zu Wahrheit und Lüge im 1 0 . , 1 1 . u. 1 2 . Jh. ( 1 8 8 4 ) der aber auf die Äußerungen
in den Prologen nicht eingeht.
' Von Einfluß war die knappe Charakterisierung der Geschichte durch Isidor
von Sevilla, Etym. I, 44,5: hisloriae sunt res verae quae factae sunt. Vgl. auch die vielfach
belegte Formulierung veritas historiae, z. B. bei: Frechulph v. Lisieux (MG. Epp. 5)
S. 317; V. Landeberti (MG. SS. rer. Mer. 6) S. 408; Nemnius (MG. SS. 13) S. 126
(Cod. L ) ; Ekkehard v. Aura (MG. SS. 4) S. 9; Sigebert v. Gembloux, V. Maclovii
(MG. SS. 8) S. 505 Anm. 17; Brunwil. mon. fund. act. (MG. SS. 14) S. 124; Arnold
v. Lübeck (MG. SS. rer. Germ.) S. 10.
' Vgl. S C H U L Z S . 6fr. — Begründungen z. B.: Lügen bringen auch ein sonst
wahrhaftes Werk in Verdacht; sie sind Unrecht gegenüber dem Heiligen, dessen
Leben erzählt wird; die Furcht vor Gott, der Lügner bestraft (vgl. auch: Mirac.
Symcon., MG. SS. 8 S. 209: . . . tremendum Dei iudicium pertimescam, si aliquidfalsitatis
confingam). — Immer wird die Pflicht des Historikers betont, die Wahrheit zu be-
richten, selbst wenn sie ihm Schaden bringen kann (vgl. auch Hugo v. Fleury,
MG. SS. 9 S. 346: Ceterum scio, quia tutius veritas auditur quam praedicatur).
' S C H U L Z ( S . 1 2 AT.) glaubt, daß sich die mittelalterlichen Historiker über den
Unterschied zwischen \Virklichkeit und Darstellung im klaren gewesen seien. Sie

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
90 Gertrud Simon

der Augenzeugenschaft den höchsten W e r t zu®. Uber den W e r t der


schriftlichen Quellen wird selten gesprochen, aber ihre kritiklose
Benutzung im Mittelalter zeigt, daß sie allgemein für zuverlässig
galten Einzelne Zeugnisse ergeben, daß man schriftliche Über-
lieferung für sicherer hielt als mündliche vielleicht in der Annahme,
d a ß sie auf Augenzeugen oder Zeitgenossen zurückgehe. In Bezug auf
die Glaubwürdigkeit werden heidnische und profane Werke nicht
geringer gewertet als ekklesiastische A n der Wahrheit des Über-
lieferten wird, von seltenen Ausnahmen abgesehen nicht gezweifelt,
obwohl Kritik an Form und Stil und an der Parteilichkeit der Autoren
durchaus üblich ist^^.

glaubt diese Erkenntnis in weit verbreiteten Äußerungen zu finden, daß ein Autor
nicht a l l e Ereignisse oder Wunder aufzeichnen könne. Diese Aussagen stehen aber
in keiner unmittelbaren gedanklichen Verbindung zum Wahrheitstopos, sondern
hängen vielmehr mit der Forderung nach brevilas zusammen. Sie bezwecken
darüber hinaus die Steigerung der Bedeutung der Sache (vgl. oben Kap. VI
S. 85f. und unten Kap. VIII S. 98).
' Vgl. S C H U L Z S . 16ff. — Antike Beispiele bei Josephus; Cassius Dio; Herodian;
Amm. Marc.; Lukian, De hist. conscr. §29 u. 47; Isidor, Etym. I, 41,1. — Fehlende
Augenzeugenschaft des Autors gilt als Entschuldigung für mangelnde Vollständigkeit:
vgl. Ordericus Vitalis (MG. SS. 20) S. 52; Wipo (MG. SS. rer. Germ.) S. 3. —
Die größtmögliche Sicherheit erreicht Eadmer, indem er die Vita Anselmi durch
Erzbischof Anselm selbst prüfen läßt (Rer. Brit. SS. 81 S. 422f.). — Richard von
London betont, daß er adhuc calente memoria (MG. SS. 27 S. 195) als Augenzeuge
schreibe.
" SCHULZ S . 2 3 fr.
" Vgl. auch Chron. s. Michael. Virdun. (s. Kap. I Anm. 54): Antiquiora vero a
fidelibvs viris narrata, vera vel verisimilia idcirco decrevi abbreviamia, quia nullius eorum
preter unius, dico autem Z^iaragdi, scripta vel visu vel auditu perceperim (S. 2).
" Vgl. z. B. Orosius (CSEL. 5) Praef. § 10; Sulp. Sev., Chron. (GSEL. 1) 1,4:
ceterum illud non pigebit fateri, me sicubi ratio exegit, ad distinguenda tempora continuandamque
Seriem usum esse historicis mundialibus atque ex his, quae ad supplementum cognitionis deerant,
usurpasse, ut et imperitos docerem et litteratos convincerem; Nemnius, Prol.: ego autem coacervavi
omne quod inveni tam de annalibus Romanorum quam de cronicis sanctorum patrum, id est
Hieronymi Eusebii, Isidori, Prosperi et de annalibus Scottorum Saxonumque et ex traditione
veterum nostrorum (S. 143); Gesta ep. Camerac.: quia nihil dubium, nihil fictum positum
est, nihil etiam revera preter quod aut in annalibus atque historiis patrum, seu et in gestis
regum, . .. (MG. SS. 7 S. 402); Adam von Bremen (MG. SS. rer. Germ.) S. 3;
Saxo, Gesta Danorum (s. Kap. I Anm. 75) S. 5. Von Einfluß war wohl auch
Isidor, Etym. I, 43.
" Vgl. 2. B. Helmold Praef. 2: Inter descriptores hystoriarum rari inveniuntur, qui
rebus gestis descriptionis fidem integram solvant (MG. SS. rer. Germ. S. 188).
" Kritik am Stil wird vor allem von späteren Bearbeitern ausgesprochen; vgl.
z. B.:EugeniusToletanus(MG.AA. 14) S. 27; V. Eligii (MG. SS. rer. Mer. 4) S.665;
Paulus Diaconus an Karl d. Großen (MG. Epp. 4 S. 508 Nr. 11); Gebehard, V.
Udalrici (MG. SS. 4 S. 381); Sigebert v. Gembloux, V. Maclovii (S. 505 Anm. 17);
V. Wolfkangi (MG. SS. 4 S. 525). Kritik an der Parteilichkeit in der .Auswahl des
StofTes: Joh. von Salisbury, Hist. pontif.: Sed nec ea que sub prefato pontifice gesta sunt,

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 91

Der quellenkritische Unterschied zwischen geschichtlicher Dar-


stellung und Urkunde ist dem Mittelalter wohl kaum klar geworden^®.
Häufiger wird die Urkunde als Quelle erst seit der Mitte des 11. Jahr-
hunderts benutzt'®.
Die mündliche Tradition galt zwar für nicht ganz s i c h e r w u r d e
aber als unentbehrlich doch allgemein herangezogen. In erster Linie
galten als zuverlässig die Angaben von Augenzeugen'®, danach die
Berichte von Personen, die dem Verfasser als glaubwürdig bekannt
w a r e n A l l e anderen mündlichen Nachrichten wurden mit Vorbehalt
aufgenommen. Während ein Teil der Autoren, insbesondere der
Hagiographen, das Gerücht als vollgültige Quelle benutzt^®, üben

memoratus retulit Sigebertus; tacuit enim plura memorabilia digna relatu, vel quia ad ipsius tum
pervenere noticiam, vel quia aliis prepeditus est causis. Fiat tarnen soUicitus multonm per-
currere momenta regnorum, sed in hiis amplius et diligentius studuit immorari, qtte ad suos
Teutones pertinere rwscuntur. Quorum etiam favore cronicis suis nonnulla inseruisse visus est,
qtte videntur ecclesie Romane privilegiis obviare et sarutorum traditionibus patrum (MG. SS. 20
S. 517). Vgl. auch Wilhelm v. Malmesbury, Gesta reg. Angl. Prol. 3 (s. Kap. I
Anm. 21) S. 283.
" Vgl. hierzu B . L A S C H , Das Erwachen und die Entwicklung der historischen
Kritik im Mittelalter (VI.—XII. J h . ) , 1887, S. 51 ff.
" S C H U L Z S . 25. Vgl. auch Adam von Bremen: . . . de his, quae scribo, aliqua per
scedulas dispersa collegi, multa vero mutuavi de hystoriis et privilegiis . . . (S. 3); Gesta ep.
Halberstad.: gesta pontißcum, . . ., prout in diversis scedulis et in libris cronicorum scripta
repperi, .. . percurrere destirmvi (MG. SS. 23 S. 78); J o h . von Salisbury, Historia
pontificalis: Verum exinde cronicum alicuius librum non potui repperire, licet aliquas rerum
memorabilium subnotationes in archivis ecclesiarum invenerim, que possint, si qui forte scripturi
sunt, eortm diligentiam adiuvare (S. 517); Beda benutzte bereits Papstbriefe und andere
Dokumente (Hist. eccl., Praef., ed. C. P L U M M E R , 1896, S. 6). Vgl. dazu: W. LEVISON,
Bede as Historian (Aus rheinischer und fränkischer Frühzeit, 1948) S. 347fr.,
bes. S. 371.
" Zum folgenden vgl. S C H U L Z S . 27 fr. — Die Benutzung mündlicher Quellen
rechtfertigt man teilweise durch Hinweis auf die Evangelisten und andere Autori-
täten: z. B. Gregor I., Dialogi (Migne, PL. 77) c. 153; Agnellus (MG. SS. Langob.)
S. 278f.
" Vgl. Jonas, V. Columbani (MG. SS. rer. Germ.) S. 145; V. Bonifaüi von
Willibald (MG. SS. rer. Germ.) S. 2f.; Astronomus, V. Hludovici (MG. SS. 2)
S. 607; Brun, De bello Saxon. (MG., Dt. Mittelalter 2) S. 13; Wilhelm v. Tyrus,
Prol. zu B u c h X V I (Migne, PL. 201) c. 639; V. Carileffi abb. Anisolens. (MG. SS.
rer. Mcr. 3) S. 389. Eadmer, V. Dunstani (Migne, PL. 159) c. 788 beruft sich auf Be-
richterstatter, die ihre Kenntnisse von Augenzeugen haben.
Übliche Bezeichnungen: fideles, probi und probati, certi, veri und veraces viri;
seltener: religiosi, boni, devotixxnA nobiles uiri; vgl. auch Beda Venerabiiis, Vita metrica
bzw. prosaica s. Cuthberti ep. Lindisfarnensis (Migne, PL. 94) c. 733. — Wird
einmal ein Laie genannt, so hebt man seine Glaubwürdigkeit besonders hervor;
vgl. Gillebert, Ex miraculis s. Amandi (MG. SS. 15,2) S. 849: . . . testimonium . . .
venerandae memoriae et insignis famae laicis.
Vielfach im Anschluß an Beda, Hist. eccl. S. 8: . . . vera lex historiae est, simpliciter
ea, quae fama vulganle coUegimus, . . . litteris mandare . . . ; vgl. seinen Kommentar zu

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
92 Gertrud Simon

andere Kritik an seinem Wahrheitsgehalt. S^it der Mitte des l l . J h . s


findet sich, allerdings fast nur außerhalb Deutschlands, die eindeutige
Ablehnung d e r / a m a " .
Das Vorgehen der Autoren bei unsicheren Nachrichten und wider-
sprechenden Quellen kennen wir nicht aus Vorschriften, sondern
können es nur aus den Werken selbst erschließen. Vielfach wird eine
unsichere Nachricht verschwiegen, oft unter Berufung auf Sulpicius
Severus: Melius est enim tacere quam falsa pToferre'". Weiter bestand die
Möglichkeit, bei widerstreitender Überlieferung die verschiedenen
Meinungen aufzuführen und dem Leser das Urteil zu überlassen
Eine eigene Entscheidung wurde von dem Historiographen nicht
verlangt, sondern nur eine getreue Wiedergabe seiner Quellen, bei
denen die Verantwortung für die Wahrheit lag^"*. Daher ist der Irrtum
des Autors auf Grund falscher Quellenangaben entschuldbar, nicht
dagegen die Fälschung^^. Erst vom 10. J h . an zeigen sich Ansätze
zu selbständiger Quellenkritik^®.

Lucas II, 33; Venant. Fortunatus, V. Marcelli (MG. AA. 2) S. 50: Pauca quidem de
eius gestis felicibus sunt ad nostra tempora relatione vivente perducta, ne in totum quod sui
amatores in posterum quaererent depereriret, . . .; Gesta episcop. Halberstad. S. 78: . . .
pToxä ... et ab antiquis usque nos/ama decurrente investigare potui.
" Vgl. SCHULZ S. 38ff.; femer Wilhelm von Malmesbury, Gesta reg. Angl.:
opiniones volaticas despuens (S. 104).
" V. Martini, Praef. 9 S. I I I , genauer Wortlaut: alioquin tacere quam falsa dicere
maluissem. Belege bei SCHULZ S. 42 ff. — Vgl. Miracula s. Otmari (MG. SS. 2) S. 47;
V. s. Juliani Cenomanensis antistitis primi auctore Letaldo Miciacensi monacho
(Migne, PL. 137) c. 784: quaedam vero quae nobis minus probabilia visa sunt, praeter-
misimus; Eadmer, V. s. Wilfridi ep. Eboracensis, ed. J . RAINE (The Historians of
the Church of York 1, 1879) S. 163; eine Begründung für dieses Vorgehen gibt
Lupus V. Ferriferes in der Vita Maximini ep. Trever. (MG. SS. rer. Mer. 3) S. 74:
omissis itaque his quae fidem ceteris poterant derogare-, vgl. auch Lampert v. Hersfeld
(MG. SS. rer. Germ.) S. 345.
" Vgl. Lukian, De hist. conscr. § 60; Hieron., Chronik S. 9.
" Solinus praef.: constantia veritatis penes eos est, quos secuti sumus (s. Kap. II
Anm. 25); Gellius, NA. praef. 18. —Vgl. Beda, Hist. eccl., praef. S. 8; Frechulph
V. Lisieux (MG. Epp. 5) S. 318; V. Otmari abb. Sangallensis auctore Walahfrido
Strabone (MG. SS. 2) S. 41; Adam v. Bremen S. 3; Wipo S. 3; Gaufredus Malaterra
(s. Kap. I Anm. 18) S. 3; Wilhelm v. Malmesbury, Gesta reg. Angl. (MG. SS. 26)
S. 3; Richard v. Poitiers S. 76; Robertus canonicus s. Mariani Autissiodorensis,
Chronicon (MG. SS. 26) S. 227.
" Dieser Unterschied wird erst im 11. u. 12. Jh. formuliert, allerdings außerhalb
Deutschlands: vgl. auch Eadmer, V. Anselmi II, 71 S. 422.
Vgl. V. Juliani c. 783: sed cum haec eadem in aliis invenio, cui potius credendum sit,
non perspicue video, .. . Multa enim in Actibus supradicti Patris conscripta sunt, quae et in
BB. Clementis, et Dyonisii martyrum, et S. Furcaei confessoris, eodem sensu et pene iisdem
verbis inveniuntur; Brunwil. mon. fund. act. S. 124: J^ihil enim vetat credi posse, quod
tantum possibiU sit, sive sie sive aliter fieri potuisse. Quofit,ut in sequentis serie operis, si quid.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 93

Der persönliche Beitrag des Historikers zur Wahrheit seines Werkes


bestand in der objektiven Darstellung des Materials^'. Seit der Antike^'
betonen daher zahlreiche Autoren, daß sie sine ira et studio schreiben
wollen^'. I m Gegensatz zum Historiker, der Günstiges und Nach-
teiliges gleichermaßen berichten muß, will der Hagiograph nur Nach-
ahmenswertes überliefern^®. Aus dieser Verpflichtung des Historikers

immo quia constat aliquid simiU actitatum, nullius censeatur iudicio fore dampnandum; Otloh,
V . Wolfkangi S. 525; Guibert v. Nogent (Migne, PL. 156) c. 682; f e m e r CH. H .
H A S K I N S , T h e Renaissance of the Twelfth Century (Cambridge 1927) S . 236.
" Vgl. S C H U L Z S . 50ff.; zur byzantinischen Historiographie vgl. L I E B E R I C H ,
(s. Einl. Anm. 1) 2 S. 1, 8, 31 f., 43.
" Polyb. 1,14,4f.; Sali., Coniur. Cat. 4 , 2 ; Josephus; Tac., A n n . ; Lukian, De hist.
conscr. 38 u. 4 1 ; H e r o d i a n .
Vgl. auch M i r a c . O t m a r i 1, I I S. 47; ferner Balderich von Dol, der in seiner
Hist. Hierosolym. zunächst auf seinen christlichen Glauben und seinen Abscheu vor
d e n Heiden hinweist, u m d a r a n a n z u f ü g e n : lamen in proferenda hisloriae verilate, in
neutram arrurr vel odium, vel caetera vitia, me scientem praecipilabunt partem: ut scilicet paganis
delrahendo, Christianis, mendax et mendosvs, temere faveam; et si quid fortiter et audacter
gentiles egerunt, eorum fortitudini et audaciae zelando aliquid decerpam: proferendae siquidem
veritati temperanler studebo; et animi mei favorem, quem tarnen maxirne Christianis debeo,
veritatis censura castigabo (Migne, PL. 166 c. 1064). Er findet sogar noch eine weitere
einleuchtende Begründung für sein Vorgehen: Si enim gentilium robur plus iusto attenu-
arem; Christianorumfortitudini et laboribus detraherem, dum tanquam adversus gentem imbellem,
genus nostrum hiatu temerario dimicasse declamarem. Der gleiche Gedanke findet sich bei
J o s e p h u s , Bell. J u d a i c . I, 7—8. Eine ganz eigentümliche Stellung n i m m t Wilhelm
von Malmesbury zur Frage der Objektivität ein. Er weist zwar verschiedentlich auf
seine Absicht hin, unparteiisch zu schreiben (Hist. Nov. ed. W. STUBBS, 1887, Prol. 1
S. 526: . . . rerum veritatem scripturus, nihil offertsae daturus aut gratiae, ita incipiam; Gesta
reg. Angl. Prol. 4 S. 358: Quocirca illorum qui mihi timent ut odiar aut mentiar, benivolen-
tiae gratus, ita sub ope Christi satisfaciam, ut aut nec falsarius nec odiosus inveniar), hat aber
von der Objektivität eine ganz besondere Vorstellung. Das ergibt sich schon
aus seinen W o r t e n : Dicam igitur in hoc libello, . . ., quicquid de Willelmo filio Willelmi
magni dici poterit; ut nec veritas rerum titubet, nec principalis decoloretur maiestas (Gesta reg.
Angl. Prol. 4 S. 358) und wird noch klarer an anderen Stellen: Ego autem, quia
utriusque gentis sanguinem traho (vgl. P. KIRN, Aus der Frühzeit des Nationalgefühls,
1943, S. 20) dicendi tale temperamentum servabo: bene gesta, quantum cognoscere potui, sine
fuco palam efferam; perperam acta, quantum sufficiat scientiae, leviter et quasi transeunter
attingam; ut nec mendax culpetur historia, nec illum nota inuram censoria cuius cuncta pene, etsi
non laudari, excusari certe possunt opera (Gesta reg. Angl. Prol. 3 S. 283) u n d : Mihi haec
placet proviruia, ut mala, quantum queo, sine veritatis dispendio extenuem; bona non nimis
ventose coUaudem (a. a. O . S. 284). Wilhelm erstrebt also als Historiker im G r u n d e
Objektivität, wird aber aus höl^chen Rücksichten — sein Werk ist dem Grafen
R o b e r t von Gloucester, d e m Sohne Heinrichs I., gewidmet — dazu veranlaßt, ein
einseitiges Bild des Herrschers zu zeichnen. — Vgl. dagegen O t t o v. Freising, der in
einem Geleitbrief zu seiner Chronik den Kanzler Reinald bittet: Itaque non indignetur
vestra discretio nec sinistre, ut dixi, imperialibus auribus interpretetur, si in historia nostra
contra antecessores vel parentes suos ad observandam veritatem aliqua dicta fuerint, cum melius
sit in manus incidere hominum quam tetrae fucatum superducendo colorem faciei scriptoris amittere
officium (S. 5).
Ä» Vgl. S C H U L Z S . 5 5 ; vgl. K a p . V I I I S . LOSFF.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
94 G e r t r u d Simon

erklärt sich die Abneigung, die Geschichte der eigenen Zeit und noch
lebender Personen zu schreiben''^.

VIII. D e r Z w e c k des W e r k e s
Anlaß und Thema eines Werkes besagen noch nichts über den
eigentlichen Zweck der Schrift; denn die Absicht, geschichtliche
Ereignisse überliefern zu wollen, muß nicht in jedem Falle, wie es vom
modernen Standpunkt scheinen könnte^, für den Autor eines histo-
rischen Werkes ausschlaggebend sein. Infolgedessen findet sich in
fast jedem Prologe eine Darlegung des Zweckes, den der Verfasser
verfolgte. Zuweilen werden mehrere Ziele eng miteinander verbunden.
Hier sollen aber nach Möglichkeit die verschiedenen Gruppen ge-
trennt behandelt und in ihrer Beständigkeit durch die Jahrhunderte
hindurch nachgewiesen werden.
Die Absichten der Verfasser gliedern sich in drei große Gruppen:
1. Das Andenken großer Menschen und Taten, 2. den Nutzen für die
Leser der Gegenwart und Zukunft, 3. den Nutzen für den Verfasser
selbst, von dem aber viel weniger die Rede ist.
Teilweise ist der Vorteil des Werkes für den Autor schon im Kapitel
über den Anlaß behandelt worden^, soweit es sich darum handelt, daß

^^ Einigen E i n f l u ß h a t a u c h das viel zitierte W o r t : ne laudaveris hominem in vita sua


( n a c h Eccl. X I , 2 u. X I , 30) a u s g e ü b t . F ü r die Antike vgl. P E T E R , Gesch. Litt. 2
S. 2 2 9 — 3 1 ; schon H i e r o n y m u s verzichtet auf die Darstellung seiner G e g e n w a r t ,
allerdings mit der B e g r ü n d u n g : non quo de vivenlibus timiterim libere et vere scribere —
timor enim domini hominum timorem expellit —, sed quoniam dibacchantibus adhuc in terra
Twstra barbaris incerta sunt omnia ( C h r o n . Praef. S. 7 a ) . Vgl. a u c h C h r o n . Polon. Ep. zu
B u c h 1 ( M G . SS. 9) S. 424, besonders a u c h H e r i m a n n , Liber d e rest. m o n . s. M a r t i n i
T o r n a c e n s i s ( M G . SS. 14) S. 274, f e m e r E a d m e r , V . Anselmi. W i l h e l m von Malmes-
b u r y ist sich b e w u ß t , m i t seinem Geschichtswerk Anstoß zu erregen: Scio plerisque
ineptum videri quad gestis nostri temporis regum scribendis stylum applicuerim; dicentibus quod
in eiusmodi scriptis saepe naufragatur veritas et suffragatur falsitas, quippe praesentium mala
periculose, bona plausabiliter dicuntur. Eo fit, inquiunt, ut, quia modo omnia magis ad peius
quam ad melius sint proclivia, scriptor obxna mala propter metum praetereat, et, bona si non sunt,
propter plausum confingat (Gesta reg. A n g l . Prol. 4 S. 357); A n d e r e a b e r schreiben
Gegenwartsgeschichte, o h n e sich d e m möglichen Angriff gegenüber zu rechtfertigen;
vgl. O t t o V. Freising, C h r o n . , a n F r i e d r i c h I . : Itaque sie vestrae placuerit maiestati
gestorum vestrorum nobilissimam in posterorum memoriam stilo commendare Seriem, . . ., Deo
dante vitaque comite, ea laeta laeto animo prosequi non pigritabor, . . . (S. 3) u n d W i l h e l m
v o n T y r u s : . . . propositum habentes, vita comite, quae deinceps nostris temporibus rerum
futurarum depromet varietas, his quae praemisimus addere; et numerum augere librorum, pro
quantitate occurrentis materiae (c. 213).
' Z u r a n t i k e n Auffassung vgl. P E T E R , Gesch. Litt. (s. K a p . V A n m . 21) 2 S. 179 fr.
V g l . a u c h H . D E L E H A Y E (S. K a p . V A n m . 29) S. 62 fr.
' S. K a p . I S. 54fr.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 95

der Autor durch die Abfassung seiner Schrift die Trägheit meidet und
seine Fähigkeiten übt^, und darum, daß er durch die Widmung seines
Werkes Personen, denen er verpflichtet ist, seinen Dank abstatten
kann^.
Diese Gesichtspunkte werden hier nicht ausführlich behandelt, weil
sie in der Regel als Anlaß zur Abfassung einer Schrift genannt werden,
obwohl sie gleichzeitig natürlich auch ihr Zweck sind. Zwei andere
Punkte aber werden meist als Zweck angeführt: die Erwartung, durch
eine Schrift Ruhm und Gedächtnis bei der Nachwelt zu erlangen, und
die Hoffnung auf die Belohnung Gottes. Im Gegensatz zur Antike, in
der Historiker mit Selbstverständlichkeit Ruhm und Andenken durch
ihr Werk erstrebten®, wird dieses Motiv im christlichen Mittelalter
als unbescheidene Ruhmsucht durchweg abgelehnt®. Da auch von
dieser Erscheinung in anderem Zusammenhang schon gesprochen
wurde', mag hier ein Beispiel genügen. Eine ausführliche Auseinander-
setzung mit dem antiken Ruhmstreben finden wir zu Beginn des 5. J h . s
bei Sulpicius Severus. A m Anfang seiner Vita s. Martini legt er dar,
daß die ruhmsüchtigen Schriftsteller, selbst wenn sie ihr Andenken

> S. K a p . I S. 69ff.
' S. K a p . I S. 55ff. Nicht um seinen Dank abzustatten, sondern um die Gunst des
Herrschers erst zu gewinnen, schreibt Eugenius von Toledo (Vorwort zu seiner
Ausgabe des Werkes ,De laudibus Dei' des Blossius Aemilius Dracontius, M G . A A .
14 S. 27) . . . inplorans vestri solii praelargissirmm pietaUm, ut vile servuli fidelis oblatum
vestra sibi gloria e f f i c e r e dignetur acceptum fialque mihi misero repensio fructuosa laboris pla-
cida respectus vestri contribula gratia vel favoris. Vgl. auch Otto von Freising, der Gunst
allerdings nicht für sich, sondern für seine Kirche erhofft: . . . rtichil aliud pro muntre
expectans, nisi quod ecclesiae, cui deservio, in oportunilalibus suis vestra subvenire velit im-
perialis dementia (Chronicon, M G . SS. rer. Germ. S. 3).
ä Vgl. z.B. Sallust, Coniur. Cat. 1 , 3 ; Vitruv 6, Praef. 5 ; Livius, Praef.3; Plinius
N. H. Praef. 16; Plin. d. J . ep. 5 , 8 ; ausführlich P E T E R , Gesch. Litt. 2 S. 180. —
Vgl. dagegen Lukian, De hist. conscr. 61.
* Vgl. B. ScHMEiDLER, Italienische Geschichtschreiber des 12. und 13. Jh.s. Ein
Beitrag zur Kulturgeschichte ( 1 9 0 9 ) S . 8 ; J . S C H W I E T E R I N G (S. Kap. II Anm. 3 )
S. 25fir. Ausnahmsweise schließt sich an Sallust an: Landulf von Mailand (MG. SS.
8) S . 36 (Zitat s. oben K a p . I Anm. 128). Eine etwas andere Wendung findet der
Gedanke bei Cosmas von Prag in seinem Brief an Gervasius: . . . ut vel tu, cui a Deo
collata est sapientia, vel alii potiores scientia, sicut Virgilius habuit Troie excidia et Stacius
Eacidia, ita ipsi hoc rneum opus habeant pro materia, quo et suam scientiam posteris notißcent ei
nomen sibi memoriale in secula magnificent (MG. SS. rer. Germ. NS. 2 S. 2—3). Keinen
R u h m für sich, aber für seinen Auftraggeber erstrebt Gregor von Catina, Largi-
torium sive notarium: Nec mei nominis famam, sed vestrae paternitatis laudabilem in
futurum memoriam fore censeo. In acie enim virorum bellantium quotiens victoria hostium adipis-
citur licet quamvis milite capiatur, tamen principi ducique colwrtis vincentis triumphus solite
ascribitur; . . . ( M G . SS. 11 S. 552).
Vgl. Kap. I S. 84f,

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
96 Gertrud Simon

f ü r einige Zeit verbreiten, doch nicht das ewige Leben erlangen u n d


d a ß ihr R u h m mit dieser W e h untergehen wird®. Er selbst beschreibt
nicht wie diese das Leben magnorum virorum, sondern sanctissimi viri.
In quo, fährt er fort, ita nostri quoque rationem commodi ducimus, ut non
inanem ab hominibus memoriam, sed aeternum a Deo praemium exspectemus,
quia etsi ipsi non ita viximus, ut exemplo aliis esse possimus, dedimus tarnen
operam, ne is lateret qui esset imitandus (§ 6). Hier finden wir die Ver-
a c h t u n g des Andenkens der eigenen Person auf Erden; der R u h m
wird allerdings nicht moralisch verurteilt, sondern nur entwertet
gegenüber der Belohnung Gottes im ewigen Leben". Es handelt sich
also im G r u n d e u m eine christliche U m w a n d l u n g des antiken Ge-
dankens vom unsterblichen R u h m . Wichtig ist die Begründung der
H o f f n u n g auf das ewige Leben: die Überlieferung des beispielhaften
Lebens eines Heiligen ist offenbar eine so gute T a t , daß sie dieser
Belohnung wert ist; sie steht den guten T a t e n selbst fast gleich-
berechtigt zur Seite Die Geschichtsschreibung \s'ird also von Sulpicius
sehr hoch eingeschätzt, freilich mit der Einschränkung, daß ihr T h e m a
nachahmenswerte T a t e n Heiliger sein sollten'^. Die H o f f n u n g auf
Gottes Belohnung für ein solches Werk findet sich in dem ganzen von
uns betrachteten Zeitraum wieder; doch wird diese Belohnung nicht
i m m e r so zuversichthch erwartet. Gregor von Tours drückt sich schon
vorsichtiger aus: Tarnen nos, quantum investigare potuimus, scribere fideliter
studuimus, haue sperantes mercedis retributionem accipere, ut, dum haec leguntur
in laude sanctissimi sacerdotis, nobis fortassis tribuatur refrigerium pro delictis,
. .. Er sieht sein Verdienst weniger in der Überlieferung nach-
ahmenswerter T a t e n als darin, d a ß er zum Lobe des heiligen M a r t i n
beiträgt. Beda hofft auf Belohnung für sein nützliches Werk^'', ebenso

' Sulp. Sev., V. Martini (CSEL. 1) c. 1, 1—3. Sulpicius verbindet hiermit eine
Polemik gegen das Thema dieser Autoren, die vitae clarorum virorum, durch deren
Nachahmung man nicht seiner Seele das ewige Leben gewinnen könne (§ 3—5),
und stellt diesen nutzlosen, ja schädlichen Werken die Vita eines Heiligen gegenüber
(§ 6 ) . V g l . K a p . I S. 73; SCHULZ S. 71f.
® Vgl. auch Victor Vitensis At vero vemrabilitas studii tui, historiam texere cupieru,
inquirit simili quidem fewore, dispari tarnen amore: et Uli ut laudarentur in saeculo, ipse ut
braeclarus appareas in futuro et dicas: 'in domino laudabitur anima mea: audiant maruueti et
laetentur' (MG. AA. 3, 1 S. 1).
Ahnlich Sallust, Coniur. Cat. 3, 1 über politische und militärische Helden.
•'•' Die Profangeschichte im antiken Sinne hat für ihn jeden Wert verloren, sie ist
sogar schädlich.
" L. de virt. Martini, Schlußkap. (MG. SS. rer. Mer. 1) S. 606.
" Allegorica expos. in Samuelem prophet. (Migne, PL. 91) c. 500: Et si quidem
multorum, ut desidero, mens sudor utilitati et commodo profuerit, multa me donandum merced.
cum Ulis a Domino spero.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 97

auch Adso, der selbst in dem Falle, daß seine Fähigkeiten unzureichend
sind, auf Gottes Lohn hofft, weil er seine Ergebenheit und Liebe gezeigt
hat-''. Sehr sicher ist sich Eadmer, der allerdings nicht von sich selbst
spricht, daß die Historiker von Gott belohnt werden: Quos (sc.
historicos) nimirum, si bona quidem zelo in huiusmodi desudamnt, bonam
exinde mercedem recepturos a Deo crediderim^^. Er legt den Hauptton auf den
Eifer, den diese Historiker im Streben für den Nutzen der Nachwelt
gezeigt haben; denn ihr Thema war nicht das Leben eines Heiligen,
sondern gesta suis temporibus. Im übrigen findet sich die Erwartung der
Belohnung Gottes häufiger nur in Vorworten zu Viten, Miracula und
dgl., sehr selten in der Profangeschichte, deren Verfasser eine andere
Begründung angeben. So weist Gregor von Catina auf seine wahrheits-
getreuen Darstellungen hin: Quatinus sicut verissimam rerum fidelemgue
translationem nactus sum transducere sie meorum certissimam a Deo omnipotente
per dominae nostrae intercessionem mereor remissionem delictorum reäpere,
meisque parentibus perpetuam mercedem acquirere^^. Leo Marsicanus schließ-
lich erwartet nicht nur Belohnung für seinen Gehorsam sondern auch
Vergeltung seiner Mühe durch Gott, wohl durch die Fürbitte des
Heiligen^®, dessen Vita er schreibt^®.
Der Wunsch nach Ruhm wird also fast nie als Zweck des Werkes
genannt, häufig dagegen die Hoffnung auf Belohnung im ewigen
Leben —• auf Grund der Überlieferung oder Lobpreisung nachahmens-
werter Taten eines Heiligen oder auf Grund der guten Absicht, der
Ergebenheit oder des Gehorsams; doch in beiden Fällen erstrebt der
Autor etwas für sich selbst.

Mirac. Waideberti (MG. SS. 15, 2) S. 1172 (Zitat s. Kap. III S. 102) ; vgl.
Salvian (MG. AA. 1,1) S. 1 f.: Nos autem . . . magnum ex utraque re caelestibus donis fruc-
lum reporiaturi. Si enim haec saltis noslra samverit quorundam non bonam de deo nostro opinio-
nem,fructus non parvus erit, quod multis projui. Sin autem id non provenerit et hoc ipsum infruc-
luosum forsitan non erit, quod prodesse temptavi. Mens enim boni studii ac pii voti, etiamsi
effectum non invenerit coepti operis, habet tarnen praemium voluntatis.
" Hist. nov. (s. Kap. I .Anm. 137) S. 1.
Chronica S. 550. Vgl. die Prüfeninger Vita des Bischofs Otto von Bamberg,
hg. V . A. H O F M E I S T E R : . . . ita laboris nostri expectantes a Deo mercedem, sicut puram et
simplicem hystoriae exequimur veritatem (Denkmäler der pommerschen Geschichte 1,
1924, S. 2)
Vgl. V. Hugonis Glun.: Speravi ex oboedientia praemium (Migne, PL. 159 c.859).
" Vgl. Kap. IV S. 108.
" Mennatis (Migne, PL. 173) c. 992: Mam ego non tantum solius obedientiae,
quam tibi ut patri ac domino debeo, mercedem hinc me recepturum confido, verum etiam divinae
retributionem gratiae superabundanter me consecuturum meritis tam egregii confessoris indubius
spero.

7 A r c h i v für D i p l o m a t i k 5/6

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
98 Gertrud Simon

Der Zweck der Mehrzahl aller Werke ist dagegen, ganz allgemein
gesprochen, der Nutzen des Lesers. Historische Werke wurden verfaßt,
damit sich der Leser unterrichten, erfreuen, erbauen und nach den
Beispielen der Vergangenheit richten konnte. Demgegenüber stehen
solche Werke, deren Zweck es ist, einen würdigen Stoff nicht in
Vergessenheit geraten zu lassen. Gerade dieser Gesichtspunkt ist
verständlicherweise in der eigentlichen Geschichtsschreibung besonders
häufig, doch findet er sich auch vielfach in den Lebensbeschreibungen
geistlicher und weltlicher Großer. Beiläufig wird er in fast allen Vor-
worten angeführt^®. Für überlieferungswert wird aber, wie in der
A n t i k e n u r das Ausgezeichnete und Bemerkenswerte gehalten;
entsprechend betonen viele Autoren, daß sie weniger Wichtiges
beiseite gelassen h a b e n S o heißt es bei Sulpicius Severus: etiam ex
kis, quae conperta nobis erant, plura omisimus, quia sufficere credidimus, si
tantum excellentia notarentur^^. Durch diese Feststellung gewinnt aber der
Inhalt des vollendeten Werkes größeres Gewicht; denn nach dem Aus-
scheiden alles Unwesentlichen soll das Werk tantum excellentia der Nach-
welt überliefern. Der Eindruck der hervorragenden Bedeutung des
Themas wird auch dadurch bewirkt, daß die Autoren berichten, die
Fülle des vor ihnen liegenden überlieferungswürdigen Materials sei so
groß, daß sie es unmöglich bewältigen könnten und deshalb auswählen
müßten, oder daß sie sagen, sie hätten gar nicht alle Taten erfahren
können, weil täglich neue Wunder geschähen oder noch unbekannte
berichtet würden Eine andere Methode, die Bedeutung des Stoffes
hervorzuheben, ist die Betonung der eigenen Unfähigkeit, der erha-

Ein vollständiges Quellenverzeichnis erübrigt sich; vgl. aber Nemnius: . . . pos-


teroTum memoriae pudibundus mandare curavi. . . (MG. AA. 13S. 126). Brunwilar. fand,
act.: Cuius cum sacri Deoque frequenti miraculorum illustratione dicati loci vwTnoTXQtn litt^ns
et per eas posteris mandare curassemus . . . (MG. SS. 14 S. 124). Eadmer, V. Anselmi
(s. Kap. VI Axim. 21): . . . ne mutaliones ipsae poslerorum scientiam penitus laterent,
quaedam ex Ulis succincte excepta litterarum memoriae tradidimus (S. 313). Häufig ist die
Wendung ne auiem penitus oblivioni traderetur, z. B. Gesta ep. Virdunens. (MG. SS. 4)
S. 40.
" Vgl. Sallust, Coniur. Cat.4,2; Tac., Ann. 3,65; Lukian, De bist, conscr. 27 u. 56;
SHA. Macrinus 1, 1 f.; ferner Rufin, Hist. eccl., Werke Eusebs II, 2,1, 1, 4.
" Die scheinbare Ausnahme bei Einhard (V. Caroli S. 1) erklärt sich aus
panegyrischen Motiven. In scharfem Gegensatz zum Ausnahmeprinzip: Jonas,
V. Columbani (MG. SS. rer. Germ.) S. 177: Si vero aliqua inserere nilimur, quae
parva hominibus videantur, erit obtrectatorum latratibus patens, der allerdings hieran keine
historische, sondern eine moralisierende Begründung anschheßt.
" V. Martini 1, 8; die gleichen Worte gebraucht der Vf. der V. Mahthildis prior.
" Vgl. Beda, V. metrica Cuthberti (Migne, PL. 94) c. 575: Scire auUm debes, quod
ruquaquam omnia gesta illius exponere potui; quotidie namque et nova per reliquias eius aguntur

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 99

benen M a t e r i e in der Darstellung gerecht zu werden A l l e diese W e n -


dungen aber sollen d e m Leser die Notwendigkeit der Überlieferung
solcher T a t e n klar m a c h e n . Der V f . der V i t a Mahthildis faßt dies g a n z
knapp z u s a m m e n : Nam tantorum latere virtutes temeritate silentii nefas
putavimus'^. H i n und wieder wird noch besonders betont, d a ß die
großen Ereignisse d u r c h die Geschichtswerke vor dem U n t e r g a n g ge-
rettet werden und gewissermaßen weiterleben^'', bzw. wenigstens im
Gedächtnis der M e n s c h e n Ewigkeit erlangen Hierin lebt eine antike
Vorstellung fort.

Alle diese A u t o r e n aber wollen den T a t e n und Ereignissen nur


Gedächtnis und F o r t d a u e r sichern. A n d e r e dagegen beabsichtigen,
darüber hinaus ihre H e l d e n zu preisen u n d durch ihr Werk dafür zu
sorgen, d a ß der R u h m ihrer T a t e n nicht vergeht^'. Schon Einhard
glaubt, d a ß er mit R e c h t für u n d a n k b a r gehalten würde, w e n n er es
zuließe uitam eins, quasi qui numquam vixerit, sine litteris ac debita laude
manere^". A u c h O d i l o v o n C l u n y will Adelheid preisen, deren G r ö ß e
er noch hervorhebt, i n d e m er bescheiden sagt: Non enim ad hoc tarn
grandem materiem vili brevique sermone perstrinximus, ut ad laudem tantae
virtutis atque nobilitatis oratio nostra sufficiat, sed ut aliquis inde vir adeo
eruditus occasionem scribendi suscipiat, quatinus res eminens, eminentioribus
enucleata sermonibus, imperatricum ac reginarum sonet in auribus, . .
V i n c e n z von P r a g richtet seine A n n a l e n an Judith von Böhmen mit
der Bitte u m gnädige A u f n a h m e : . . . hoc opus nostrum ad honorem et

et vetera noviter ab his qui scire polerant indicantur; P a s s i o L e u d e g a r i i I I I , Prol. 2 S. 3 5 8


(Zitat oben Kap. VI Anm. 101); Ruotger, V. Brunonis (MG. SS. rer. Germ.)
S. 1; Otto V. Freising, Gesta Friderici I. imp. (MG. SS. rer. Germ.) S. 201:
Non sum nescius, imperatorum seu regum dectis, dum gestorum tuorum magnificentiam prosequi
conor, crebrescentibus victoriis slilum maUriae succubitunim. Inter tuo tarnen, ut ita dixerim,
mala melius fore iudicavi minus dicendo maleria opus superari quam cuncta tacendo gloriosa
facta silentio tecta deperire.
Vgl. Kap. V und VI ferner I .\nm. 144.
" V. Mahth. prior. (MG. SS. 10) S. 575. Vgl. auch Transl. Alexandri (MG.
SS. 2) S.674; Wipo(S.3);Odo deDeogilo (MG. SS. 26) S.60; V.Burchardi (MG. SS.
4) S. 830; Hugo von Fleury, Lib. qui mod. reg. Franc, act. (an Mathilde) (MG. SS. 9)
S. 376; Gesta ep. Camerac. (MG. SS. 7) S. 402; Wilhelm v. Jumi^ges (Migne, PL.
149) c. 780.
" Vgl. Gaufred. Malaterra (s. Kap. I Anm. 18).
V i n c e n z v. P r a g ( M G . S S . 17) S. 6 5 8 : Excellentiae itaque vestre gesta regalia
scriptis digna, ... , u< etema potiantur memoria, scriptis mandare dignum duximus; R a h e w i n
(MG. SS. rer. Germ.) S. 161.
V g l . SCHULZ S. 6 9 f.
S . 2.
" MG. SS. 4 S. 637.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
100 Gertrud S i m o n

gloriam et ad perpetuam regalium gestorum vestrorum factum memoriam, . .


Das panegyrische Element spielt auch bei d e m Vf. der Polen-
chronik eine Rolle: Verumptamen ne tantorum virorum gloriam, tamque religioso-
mm memoriam praelatorum silentio praeterire videamur, eorum laudibus insistendo
quasi guttam de fonticulo comportare Tyberinis gurgitibus innitamur. Licet enim
quod perfectum est non possit naturaliter augmentari, ratio tarnen non prohibet
illud scriptis laudumque praeconiis venerari^^. U n d Helmold von Bosau
schreibt z u m R u h m e der Slavenbekehrer: Ego autem in eorum laudem,
qui Slavorum provinciam diversis etatibus manu, lingua, plerique etiam in
sanguinis effusione illustrarunt, operis huius paginam dicandam arbitror,
quorum gloria non erit obstruenda silentio, . .
Es liegt auf der H a n d , d a ß es für die Beurteilung eines Geschichts-
werkes wichtig ist zu wissen, ob der Vf. allein die Tatsachen über-
liefern will, ob er die ausgezeichneten Ereignisse auswählt oder o b er
auch z u m R u h m e seines Gegenstandes schreibt; denn nach diesem
Zweck wird er die Darstellung formen. D a ß die panegyrische Absicht
die Auswahl der Fakten und die Art der Darstellung weitgehend beein-
flussen k a n n , ist schon f r ü h erkannt w o r d e n " . Deshalb fehlt es im
Mittelalter a u c h nicht an Stimmen, die eine r ü h m e n d e Überlieferung
verwerfen, auf j e d e Stellungnahme verzichten u n d eine ganz unpartei-
ische Berichterstattung fordern, in Besorgnis natürlich um die W a h r h e i t
der Erzählung^®. Schon J o n a s verwahrt sich gegen den Vorwurf, ein
Schmeichler zu sein: Et si me quempiam laudare reppererint, qui adhuc
superis iunctus sit, non me adolatorem putet, sed rei bene geste dissertorem, nec
favere cuique pannigerico carmine, sed digna memoriae commendare;
L o b wird also sehr leicht als unwürdige Schmeichelei aufgefaßt, d u r c h
die die W a h r h e i t entstellt werden k a n n . Dies betont Letaldus im Vor-
wort zur Vita s. J u l i a n i : Sunt autem nonnulli, qui dum atollere sanctorum
facta appetunt, in lucem veritatis offendunt; quasi sanctorum gloria mendacio

' ' M G . SS. 17 S. 659.


" M G . SS. 9 S. 444. V g l . auch Epilog S. 465.
( M G . SS. rer. Germ.) S. 2. V g l . a u c h den A n f a n g des Prologs: Retractavi
in longa meditaliom, quid operis acceptarem, quo malri meae, sanclae Lubecensi ecctesiae,
aliquem famulatus mei honorem impenderem, sed nichil aptius occurrit animo, quam ut ad
laudem ipsius scribam conversionem Slavicae genlis, . . . (S. 1). Vgl. ferner Gesta ep.
Halberst.: Hoc igitur consideratione non incongrue circumspecta, ad honorem Dei et laudem
sancte Halberstadensis ecclesie gesta pontificum . . . percurrere destinavi (S. 78). I m 12. J a h r -
hundert scheinen die Autoren häufiger diese Absicht verfolgt zu h a b e n als vorher.
^^ V g l . Lukian, D e hist. conscr. 7.
Vgl. z. B. Gesta Alberonis: In qua re, scias lector, nec laudi nec vituperationi me
studere, sed veritati{MG. SS. 8 S. 243). Vgl. ferner K a p . V I I .
" V . C o l u m b a n i S. 146.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 101

erigi valeat, qui si mendacii sectatores fuissent, ad sanctitatis culmen nequaquam


ascendere potuissent. Dicenda ergo cum veritate sunt, quae veritas gessit . . .
Adelbold führt diesen Vorgang im einzelnen aus: Carnalis autem dilectio
et infernalis adulatio quae male gesta sunt scientes ignorant, et ignorantiam
simulantes, veritatem occultant, bene gesta autem placere quaerentes, spatiose
dicunt et plus iusto magnificant^^. Widricus gibt schließlich noch eine
weitere Begründung gegen jedes Lob: . . . quia Omnipotentis fideles in
supernae laudationis gloria indefesse intenti, non egent adulatoria hominum laude
praedicari, et in re tali melius censeo probabiliter reticere, quam quicquam
mendacii fuco coloratum pToferre*".
Konnte das Lob von Herrschern und Heiligen als adulatio aufgefaßt
werden, so brauchte doch der Autor keinen Tadel zu fürchten, der
zum R u h m e Gottes schrieb; denn er konnte sich auf die Worte der
Bibel berufen: Verba regis caelare bonum est, opera vero Dei laudare et
praedicare honorificum est (Tob. 12,7) Diese Lehre bot eine Möglichkeit,
die Taten der Heiligen zu loben, in denen man das Wirken Gottes zu
sehen hatte. Dignum duximus conscribere vitam quo triumphum virtutis eins
enarrantes et divinam praedicemus in eo gloriam*^, heißt es in der Vita
Willehadi, und ähnliche Vorstellungen findet man häufig in Prologen
zu Heiligen- und Bischofsviten"*^. Aber auch für die Profangeschichte

V. J u l i a n i (Migne, PL. 137) c. 782.


" V . Heinrici II. (MG. SS. 4) S. 683; vgl. auch Arnold von Lübeck: VeritaUm
historie igitur sequentes, adulationem, que pterisque scriptorum comes est, omnino dampnamus,
ut timorem et graliam fallacem exdudentes libere quo nobis comperia sunt prosequamur (MG.
SS. rer. Germ. S. 10).
'0 V . Gerardi ( M G . SS. 4) S. 490. Der Ablehnung des schmeichelnden Lobes
korrespondiert in der Regel die Betonung der Wahrheitsliebe.
Vgl. z. B. V. Balthildis B (MG.SS. rer. Mer. 4) S. 482.
M G . SS. 2 S. 380.
V . Bernwardi: . . . si quid imitabile Dei dementia in Ulis eluceret, divinae pietatis
gratiam, de cuius rore fluxit, posteris praedicarem, et illos tali exemplo ad provectum virtutum
indtarem (MG. SS. 4 S. 758); V . Gebehardi: ..., ut in tot egregiis patribus Deus qui
dignis eorum laboribus incrementum dedit, nierito debeat honorificari ( M G . SS. 11 S. 35);
V . altera Chunradi ep. Constant.: Cum in amore Creatoris aliquid in creatura eius dignis
laudibus praedicatur aut colitur, ad eius procul dubio laudem refertur, qui auctor ipsius operis
invenitur. Quia vero scriptura didt: 'Mirabilis Deus in sanctis suis', iure ad artifids laudem
colligilur, quicquid in arlifido laudabile vel niirabile magnis laudibus celebratur. Unde scriptum
est: 'Laudate Dominum in sanctis eius' . . . (MG. SS. 4 S. 436). Die vielen Viten und
Werke ähnlichen Charakters, die nur allgemein ad laudem Dei geschrieben sein
vk'ollen, brauchen hier wohl nicht im einzelnen aufgeführt zu werden; vgl. aber z. B.
V . Columb. (MG. SS. rer. Germ.) II, 25; Mirac. Otmari ( M G . SS. 2) S. 47; V .
Autberti (.\cta ss. Belgii 3, 538); Ordericus Vitalis ( M G . SS. 20) S. 52; Sigebert von
Gembloux, V. Deoderici'(MG. SS. 4) S. 463; Chron. Gladbacens. (MG. SS. 4) S. 77.
- Vgl. die Gegenüberstellungen von eigenem Lob, das abgelehnt, und Lob Gottes,
das erstrebt wird, z. B. M i r a c . Otmari: . . . non pomposa verborum complexione super-

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
102 Gertrud Simon

w i r d h i n u n d w i e d e r d a s A r g u m e n t v e r w e n d e t , d a ß s i c h in der G e -
s c h i c h t e d a s W i r k e n G o t t e s o f f e n b a r e . W i r finden es b e i L i u t p r a n d ^ ^ ,
bei Wipo {Si enim nostri catholici reges, verae fidei defensores, legem ac
pacem Christi, quam nobis per evangelium suum tradidit, sine periculo erroris
gubernant: qui eorum bene fax;ta scriptis suis manifestabunt, quid aliud quam
evangelium Christi praedicabunt?) u n d e b e n s o bei R o d u l f u s Glaber^*.
S t e l l e n s i c h alle d i e s e A u t o r e n i n d e n D i e n s t d e r b e d e u t e n d e n S a c h e ,
so w o l l e n sie d o c h g l e i c h z e i t i g d e n L e s e r n N u t z e n b r i n g e n , e i n M o t i v ,
d a s bis i n d i e A n f ä n g e d e r H i s t o r i o g r a p h i e ' ' ^ z u r ü c k z u v e r f o l g e n u n d
i m M i t t e l a l t e r w e i t v e r b r e i t e t ist. N e b e n a l l g e m e i n e n F o r m u h e r u n g e n
und kurzen, zusammenfassenden Wendungen^® stehen eingehende
A u s f ü h r u n g e n dieses G e d a n k e n s . Z u n ä c h s t h e i ß t es v i e l f a c h , d a ß d i e
K e n n t n i s d e r V e r g a n g e n h e i t v o n g r o ß e m N u t z e n sei'*. H i n u n d w i e d e r

vacuam laudantium gloriam aucuparUes, sed dictorum tantummodo simplkilate veritatem rerum
quaerentibus ostendere cupientes. Neqve enim nostrae sed iüius nos gloriae potius studere concedet,
qui electis suis primo bonum velU, deinde tribuit inchoare, tum etiarn vires implendi suggerere . . •
(S. 52); V. Basoli (Migne, PL. 137) c. 645; Thietmar, Chronicon: Chrüte, decus
regum, moderator et imperiorum, Propiciare tuo cum commissis sibi regno, Ut tibi, non nobis,
solvatur gloria laudis, . . . (MG. SS. rer. Germ. NS. 9 S. 1).
" M G . SS. rer. Germ. S. 4 (Zitat s. oben K a p . I S. 73f.). Vgl. auch Wilhelm
von Malmesbury, Hist. Nov. (s. K a p . I V Anm. 1) Prol. 1: Quid enim. plus ad honestatis
spectat commodum, quid conducibilius aequitati, quam divinam agnoscere circa bonos indul-
gentiam, et erga periuros virulictam? (2 S. 525). Prol. S. 7.
lustissima studiosorum fratrum querimonia interdumque proprio saepius permotus, cur
diebus nostri temporis tum quispiam existeret, quifuturis post nos muUiplicia haec quae videntur
fieri tarn in ecclesiis Dei quam in plebibiu, minime abdenda, qualicumque stili pemotatione
mandaret. Praesertim cum Salvatore teste usque in ultimam extremi diei höram, sancto Spiritu
cooperante, ipsefacturus sit in mundo nova cumpatre (MG. SS. 7 S. 51). - Einzelne Autoren
loben die Taten nicht direkt, sondern suchen durch ihre Darstellung das Lob der
Leser zu erwecken. Vgl. z. B. Transl. Liborii, Schlußwort: ßfec infructuoso nos sudore
laborasse confidimus, si alicuius lectoris, haec in manus surmre dignantis, vel cuiuscumque
audientis animus in laudem largitoris tantarum virtutum fuerit excitatus (MG. SS. 4 S. 157).
' ' Thukydides I, 22, 4; vgl. Lukian, De hist. conscrib. 9.
" Vgl.z.B.Hieron.,Comm. ep. Gal.Prol. (Migne,PL.26) c. 308;Hieron., Comm.
Ezech. V n i (Migne, PL. 25) c. 231; V. Bonifatii auct. Willib. (MG. SS. rer. Germ.)
S. 4; Nithard Prol. 4 (MG. SS. rer. Germ.) S. 39; Richer (s. Kap. I Anm. 75) S. 1;
D u d o (MG. SS. 4) S. 93; Chron. Vird. (MG. SS. 4) S. 3; Gesta ep. Virdunens. S. 40;
Landulf (MG. SS. 8) S. 37; V. Heriberti archiep. Colon. (MG. SS. 4) S. 740; Eadmer,
Hist. Nov. S. 1; Helmold Praef. I I S. 189; Gesta Federici I. in Lombardia ( M G .
SS. rer. Germ.) S. 14 f.; Herimann ( M G . SS. 14) S. 274; Donizo, V. Mathildis
com. (MG. SS. 12)S. 351.
" Vgl. z. B. Justinus Praef. § 4; Sulp. Sev., Chron. I, 1, 4; Eadmer, V. Anselmi
S. 313; Helmold Praef. I I S. 189; Herimann S. 274. Mit genauer, aber ganz
spezieller Angabe des Nutzens geschichtlicher Kenntnisse Otto von Freising an
Friedrich I . : Parui ergo libens et lubens vestro imperio tanto devotius, quanto regiae excellentiae
convenientius esse considero ob rei publicae rwn solum armis tutandae, sed et legibus et iudiciis
informandae intrementum antiqua regum seu imperatorum gesta ws velle cognoscere (S. 1).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 103

tritt die Bedeutung der Geschichtswerke zur Fixierung der C h r o n o -


logie hervor; die A n r e g u n g hierzu k a m vielleicht von den frühen
christlichen Weltchroniken, deren Ziel es war, durch synchronistische
T a b e l l e n die heidnische und die jüdisch-christliche Geschichte in V e r -
b i n d u n g zu bringen und das höhere Alter der letzteren zu erweisen.
Diese Seite des Nutzens historischer Werke betont Isidor von Sevilla in
den Etymologien^®, und G r e g o r von T o u r s weist darauf hin, d a ß mit
Hilfe des Geschichtswerkes die Zeit seit Beginn der W e l t berechnet
w e r d e n könne Andererseits findet sich auch die Feststellung, d a ß
ohne schriftliche Überlieferung die O r d n u n g ins W a n k e n g e r ä t " . D e r
Einfluß Isidors wird deutlich bei H u g o von Fleury: Sapientes enim
quondam antiquorum gesta virorum non negligenter preteribant, sei ad insti-
tutionem presentis vitae libris inferebant. Siquidem per historiam preteriti temporis
series comprehenditur, et per regum et imperatorum successiones multa rucessaria
perscrutantur^^.
D e r wesendichste N u t z e n historischer Werke aber ist die Fülle v o n
exempla, die der Leser n a c h a h m e n , b z w . aus denen er lernen und n a c h
denen er sich in seinen H a n d l u n g e n richten kann. A u c h diese V o r -
stellung ist d e m Mittelalter aus der Antike überkommen^*. W i e Plinius
d. J.®^ glaubt Altfrid, d a ß exempla einen größeren Einfluß als praedica-
menta h a b e n : . . . cum beati Gregorii ad indagationem sacri verbi sonus dicat:
Sunt nonnulli, quos ad amores coelestis patriae plus exempla quam praedicamenta
incendunt. Fit vero plerumque animo duplex adiutorium in exemplis patrum^^.

I, 4 3 : Historiae gentium non inpendiunt UgerUibtis in his qiuu tUilia dixerunt. Multi
enim sapientes praeterita hominum gesta ad institutionem praesentium historiis indiderunt.
Siquidem et per historiam summa retro temporum, annorumqtu supputatio comprehenditur et
per consulum, regumque successum multa necessaria perscrutantur.
" Histor. Franc. (MG. SS. rer. Mer. 1, 1, 1951) S. 3.
^^ Liber miraculor. Maximini c. 795 (Zitat s. oben Kap. I Anm. 158). Auch
Otto von Freising will vermeiden, die Reihenfolge der Ereignisse, und damit wohl
die Chronologie, in Unordnung zu bringen, vgl. Chron. Prol. 1: . . . studiosus seu
curiosus indagator non confusam rerum preteritarum seriem inveniat (S. 9 ) .
" S. 349. Vielleicht hat auch der Vf. der Chronik von Eptemach die Stelle Etym.
I, 4 3 g e k a n n t : . . . nostro labore fuerit notum et apertum, quod ante nos per tot secuta latuit
incognitwn et opertum. Regum vero vel imperatorum summa annorum hic breviter est annotata,
ut suo loco lector congrue inveniat, cuius principis tempore quaelibet testamenta sint ipsi aecclesiae
data et confirmata ( M G . SS. 2 3 S. 4 7 ) .
" Vgl. Thukydides I, 22, 4; Polyb. XII, 25b; I, 35; Plutarch, Tim. Proöm.;
Cic., Pro Arch. 14; Scneca, Ep. ad Lucil. 6, 5; Phn., Paneg. 45, 6; weitere Belege
bei H . K O R N H A R D T , Exemplum, eine bedeutungsgeschichtliche Studie (Diss. Gött.
1936) S. 3 ff., 59 ff.
" Paneg. 45, 6; er spricht allerdings nicht von den schriftlich überlieferten
exempla.
" V. Liutgeri (MG. SS. 2) S. 404.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
104 Gertrud Simon

W i l h e l m v o n M a l m e s b u r y f ü h r t diese G e g e n ü b e r s t e l l u n g w e i t e r aus:
Multa et ut nostra fert opinio innumera sunt in scriptum sanctis, quibus divina
dignatio mentes mortalium ad bone vile cultum informat, tum precepta tum
exempla. Ulis qualiter vivendum sit instruimur; istis innuitur, quantum sint deo
iuvante factu facilia que iubentur. Natura porro hunc quibusdam ingeneravit
animum; ut quamvis utraque sciant necessaria, magis tamen exemplorum quam
exhortationum eosprolectet auditus^^. V o r b i l d l i c h e Beispiele in G e s c h i c h t s -
w e r k e n r e g e n a l s o w i r k s a m e r als V o r s c h r i f t e n z u g u t e n T a t e n a n u n d
beweisen die M ö g l i c h k e i t , g u t e L e h r e n zu verwirklichen. I n d e n P r o ö -
m i e n hagiographischer W e r k e wird n a t u r g e m ä ß das Leben derHeiligen
o h n e E i n s c h r ä n k u n g als b e i s p i e l h a f t u n d n a c h a h m e n s w e r t h i n g e s t e l l t ^ ;
i n d e r H i s t o r i o g r a p h i e d a g e g e n w e r d e n n u r selten d i e fortia priscorum
facta keroum^^ u n b e d i n g t z u r N a c h a h m u n g empfohlen"®. W i l h e l m v o n

V . Wulfstani, Prol. (s. K a p . I .A.nm. 62) S. 2 ; vgl. ferner De antiquit. Glast,


eccl. (Migne, PI. 179) c. 1681; V . alt. Chunradi ep. Constant,: Plurimae quippe ulililates
fidelibus subtrahuntur, si sanctorum gesta oblivione delebmlur; per exemplum enim plerumque
discüur, quodper Simplexpraeceptum minime retinetur (S. 437),
^^ Vgl. z. B. Rulin., Hist. mon.: . . . ut Iii, qui non liderunt eos in corpore, opera eorum
discentes, vitamqueperfectam lectionis indiciocolligentes, ad imitationem sancli operis invitentur, et
perfectaesapientiaepalmamvelpatientiaerequirant (Migne, PL.21 c, 390).Jonas, V . J o h a n n i s :
. . . dum praecedentium praesulum, monachorum adque patrum Labores atque studio contricionum
mortificationumque exempla trucirmndo mentis intentione pensamus, in eorum imitationem tarn
nostra corda quam aliorum mentes erigimus, . . . (S. 326). Jonas, V . Vedastis: Dum
saruiontm presolum gloria potissimo Semper iure ac sollerti indagatione vel imitando exempla vel
litterarum seriae memoriae est commendando, ut clare prorsus lucae reddita ad sui cultus imita-
tionem delinquentium animus studeant provocare, . . . (S. 3 0 9 ) ; V . Willehadi: . . . ut posteri
habeant, in quo exemplum virtutis imitentur, . . . (S. 3 7 9 ) ; V . Anskarii: . . . et imitari
volentibus exemplum salutis fiat eius sanctissima devotio ( M G . SS. rer. Germ. S. 2 0 ) ;
V . Bernwardi: . . . si quid imitabile Dei dementia in Ulis eluceret, diiinae pietatis gratiam,
de cuius rore fluxit, posteris praedicarem, et illos tali exemplo ad provectum virtutum incitarem
(S. 7 5 8 ) ; V . Autberti: Tamen dignum valde est et summe utile eorum ad laudem Domini
imitanda gesta recolere, quorum vita sanctitas profutura est ad aedificationem legentibus et ad
aemulationem virtutum audientibus (Acta ss. Belgii 3 S. 538).
Chron. Divisionens.: Antiquorum huius saeculi sapientium laudabile, ac immo
imitarulum fuit Studium, ut non solum ea quae acciderent in diebus eorum, sed etiam fortia
priscorumfacta heroum, admemoriamposterorum traderent monumentisscripturarum. Quae utilis res
eteisexstititmagnumhumaruielaudis, et futurishaec legentibus vel audientibus exemplum, incita-
mentumque aemulationis (Migne, P L . 162 c. 755). Vgl. auch Richard von London
( M G . SS. 27) S. 195; Otto von Freising, Gesta Frid. Praef. 1: Omnium qui ante rws
res gestas scripserunt haec, ut arbitror, fuit intentio virorum fortium clara facinora ob movendos
hominum ad virtutem animos extollere, ignavorum i-ero obscura facta vel silentio subprimere
vel, si ad lucem trahantur, ad terrendas eorundem mortalium mentes promendo ponere (S. 9 ) ;
Hist. Gaufredi (ed. L. RALPHEN U. R . POUPARDIN, Coli, de textes 48, 1913) S. 172 f.:
Ad edificationem sanctimonie et propagationem virtutis et fortitudinis incentivum veterum fuit
patrum industria ante oculos hominum sui temporis proponere qui, vel prudentia perspicaces vel
iustitia severi vel fortitudine insuperabiles vel modestia circumfusi, probiialis quodam speciali

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 105

Malmesbury brauchte anscheinend in seiner Zeit und in seinem Lande


keine Kritik zu fürchten, wenn er mit seinem Werk zu Tapferkeit und
V a t e r l a n d s l i e b e ® ^ a n r e g e n w o l l t e : Quidporro iocundius quam fortium facta
viroTum monumentis tradere litterarum; quorum exemplo ceteri exuant ignaviam,
et ad defendendam armentur patnanx^.^^ Hier wird mit größter Deutlichkeit
und Selbstverständlichkeit ausgesprochen, daß es ein guter Zweck der
Geschichtsschreibung sei, zur Tapferkeit und Vaterlandsliebe anzu-
spornen. Nicht so unbefangen trägt der Vf. der Polenchronik seine Mei-
nung vor; er verteidigt sie offenbar gleichzeitig gegen mögliche Vor-
w ü r f e : Nam sicuti sancti viri bonis operibus et miraailis celebrantur, ita mun-
dani reges et principes bellis triumphalibus et victoriis sublimantur; et sicut vitas
sanctorum et passiones religiosum est in ecclesiis praedicare, ita gloriosum est in
scolis vel in palatiis regum ac ducum triumphos vel victorias recitare; et sicut
vitae sanctorum vel passiones ad religionem mentes fidelium instmunt in ecclesiis
praedicatae, ita militiae vel victoriae regum atque ducum ad virtutem militum
animos accendunt in scolis vel capitoliis recitatae. Sicut enim pastores ecclesiae
fructum animarum quaerere debent spiritualem, sie defensores honorem patriae
famamque dilatare Student et gloriam temporalem^^. E r m a c h t e i n e n s c h a r f e n
Unterschied zwischen den Geistlichen, die dem Vorbild Heiliger folgen
und ihre Werke verkünden sollen, und den Laien, die durch den Vor-
trag der Kriegstaten und Siege von Herrschern zu kriegerischer
Tüchtigkeit angeregt werden". Diese Einstellung wird aber, wie ge-
sagt, selten vertreten.

radio coruscarunt, quatenus ad eorum normam, si quid prava enormasset consuetudo; in melius
reformarent et quod melior consenalio tenuerat ad eorum speculum roborassent.
Eine kleine Sondergruppe bilden einige Autoren, die ihr Werk hochgestellten
weltlichen Persönlichkeiten übersenden. Sie können ihnen aber die in ihren Werken
berichteten T a t e n nicht als nachahmenswerte exempla empfehlen, ohne die E m p -
fänger unter die Helden ihres Werkes zu stellen und sie damit zu kränken. Vgl.
Widukind: Nam cum nostro labore patris potentissimi avique tui gloriosissimi res gestas
memoriae traditas legeris, habes, unde ex optima et gloriosissima melior gloriosiorque efficaris
(S. 1; vgl. B E U M A N N , Widukind [s. Einl. Anm. 2] S. 7 u. 29). Vgl. ferner H u g o von
Fleury an Gräfin Adela von Blois S. 349 (Zitat s. unten S. 11 Of.). Gesta ep. Leodiens.:
. . .haec suorum per me tibi dirigat gesta ponlißcum, ut qui per te ipsum studiose satis ad melioris
vitae arcem niteris, hisprofecto amplius ad virtutem accendaris (MG. SS. 7 S. 162). Mit umge-
kehrtem Vorzeichen, panegyrisch für die Heldin des Werkes, findet sich der Ge-
danke bei Odilo von C l u n y : . . . quatinus res eminens, . . ., imperatricum ac reginarum
sonet in auribus, ut dum magna de magnis audierint, et eam de qua loquimur gressibus honestatis
sequi studuerint, saltem per eas cura domestica vigeat, sicut per eam res publica lange lateque
valebat (S. 637).
" Vgl. oben K a p . I S. 58.
" S. 525. " S. 464.
" Vgl. auch Gottfried von Viterbo (Zitat s. oben K a p . I Anm. 164), der die
Lektüre von Geschichtswerken in Gegensatz zur antiken Dichtung stellt.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
106 Gertrud Simon

Die meisten Historiker dagegen sind sich bewußt, daß nicht alles,
was sie berichten, nachahmenswert ist, und empfehlen daher ihren
Lesern, das Gute nachzuahmen und das Böse zu meiden®^'. Dieser
Gedanke vom doppelten Nutzen der Geschichtsschreibung ist bereits
in der Antike weit verbreitet, auch bei Autoren, die im Mittelalter viel
gelesen wurden®®. Voll ausgebildet ist diese Gegenüberstellung schon
bei Beda: Sive enim historia de bonis bona referat, ad imitandum bonum auditor
sollicitus instigatur; seu mala commemoret de pravis, nihilominus religiosus ac
pius auditor sive lector devitando quod noxium est ac perversum, ipse sollertius ad
exsequenda ea, quae bona ac Deo digna esse cognoverit, accenditur^'. V o n der

" Dieser Gedanke taucht in Heiligenviten kaum auf; eine Ausnahme bilden:
Jonas, V. Columb. II, 16 u. 22 und, mit einer anderen Wendung, Vcnantius For-
tunatus, V. Albini: . . . duplici beneficio populis consulitura, dum et in illo cernerent admi-
randa quae colerent et in se respicerent quod unusquisque sagaciter emendaret, id est dum apud
unum tot praedicanda cognoscerent, apud se resecare vitia singuii non differrent, quatenus tarn
unica beati viri relatio medella publica fieret audientium (S. 28) — Der Gedanke findet sich
dagegen häufiger in Viten weltlicher Herrscher, vgl. V. Mahtildis post. (MG. SS. 4)
S. 284; V. Heinrici II. S. 683; V. Karoli com. Flandr. (MG. SS. 12) S. 538.
«» Vgl. z. B. Terenz, Ad. 415ff.; Andria 810ff.; Auct. ad Herenn. 4, 9, 13; Liv. 1,
praef. 10; 24, 8, 20; SHA. Gordian! 21,4; vgl. ferner Horaz, Sat. 1, 4, 105flF.; Gic.,
De er. 2, 9, 36; — H. B E U M A N N , Widukind S. 15fT. zieht diesen Topos als Beleg für
die Rechtfertigung der Profangeschichte heran, die nicht das Anliegen eines Geist-
lichen sein könne. Es ist mir fraglich, ob der Gegensatz Hagiographie — Profange-
schichte in dieser scharfen Form bestand. Die frühchristliche Literatur kannte ihn
sicherlich nicht, da ihre Geschichtswerke im Dienste der Apologie standen und die
Verbindung von alttestamentlich-christlicher und antik-heidnischer Geschichte her-
stellen sollten (S. Julius Africanus, Eusebius, Orosius und die Übersetzer und Fort-
setzer des Eusebius berühren dieses Thema nicht, ebensowenig Sulpicius Severus in
seiner Chronik). Auch die verschiedenen Stammesgeschichten der Folgezeit, die die
Entwicklung eines einzelnen Volkes in den Rahmen der bekannten Geschichte ein-
ordnen (Cassiodor/Jordanes, Getica; Isidor von Sevilla, Westgotengeschichte;
Paulus Diaconus, Langobardengeschichte), scheinen einer besonderen Rechtfertigung
nicht bedurft zu haben. In allen Fällen handelt es sich um Geschichtswerke, deren
Zweck so sehr von christlichen Gesichtspunkten bestimmt war, daß ihr profaner
Inhalt keinen Anstoß erregen konnte. Erst Gregor von Tours, der in erster Linie
Geschichte überliefern will, scheinen Bedenken gekommen zu sein, ob gute und böse
Taten nebeneinander aufbewahrt werden sollen; doch konnte er sich bereits auf
viele Vorbilder berufen, die in gleicher Weise vorgegangen waren (Prol. 2). Ähn-
liche Zweifel am Nutzen der Überlieferung von Untaten scheint auch Beda gehegt
zu haben; er fand, wie bereits antike Historiker, die Lösung in dem doppelten
Nutzen der Geschichte. Beide unterlegten ihrem Werk keine christlich-kirchliche
Tendenz. Vielleicht suchten sie deshalb nach einem weiteren Zweck ihrer Schrift,
der der Beschäftigung mit bösen Menschen und Taten für sie als Geistliche einen
Sinn gab. Auch Widukind und Liutprand bemühen sich, über die Überlieferung
hinaus ihrem Werk einen weiteren sinnvollen Zweck zu geben (vgl. B E U M A N N ,
Widukind S. 20ff.).
" Hist. eccl. S. 5; ähnlich Alcuin, Ep. an Wido: .. . ut habeas cotidie quasi manualem
in conspectu tuo libellum, in quo possis te ipsum considerare, quid cavere, vel quid agere debeas
(MG. Epp. 4 S. 464f.).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 107

gleichen Vorstellung ausgehend sagt der sog. Astronomus: Cum gesta


priscoTum bona malave, maxime principum^^, ad memoriam reducuntur, gemina
in eis utilitas legentibus confertur. Alia enim eonim utilitati et aedificationi prosunt,
alia cautelae^^. Eine sehr knappe Formulierung gebraucht Frechulph
von Lisieux: His enim velut in speculo'" . . . dominus mens Karolus, . .
inspicere quid agendum vel quid vitandum sit poterit'K I m 11. und besonders
im 12. J h . findet sich der Hinweis auf den doppelten Nutzen der Ge-
schichtschreibung sehr häufig. Hariulf begründet die Wirkung des
guten oder schlechten Beispiels noch n ä h e r : Sic enim bene gestorum
quaedam imago, et velut praesentia rationabilium hominum mentibus, quae se
informent, praetenditur ut cum modo narratur qualiter iustus vixerit, quave
mercede donatus sit, modo impius, et bonumfastidiens, quantis malis sit gravatus
edicitur, humanus animus iusti mercede salubriter illiciatur ut bene agat, impii
interitu terreatur, ne malumfaciat'^. Also nicht nur die gute oder schlechte
T a t , sondern auch die Belohnung oder Strafe, die darauf folgt, regt zur
N a c h a h m u n g an oder schreckt ab'^. Wipo folgt wieder dem Gedanken
des Jonas, d a ß die Guten zum Fortschritt auf dem rechten Wege ge-
bracht, die Bösen aber gebessert werden sollen: quamvis animus scribentis
vacillet aggredi arduas res maturo consilio, morali gravitate, summa constantia
peractas. Et si inepto luxu vel ficta audatia aut cupiditate flagitiosa fiant res, in
quibus cunctis scriptorem oportet versari: et in actis eorum, quos notat, vulganda
sunt tam gesta quam omissa, prout facultas ingenii dederit, ex qua re boni ad
virtutem incitantur, mali autem honesta invectione corriguntur'*. Ebenso wie

" Dieser Gedanke, den er noch weiter ausführt, daß die Taten hochgestellter
Personen als Beispiele am besten geeignet seien (vgl. SCHULZ S. 68f.), findet sich
auch schon in der Antike: vgl. Vell. Pat. 2, 126, 5; Claudian 21, 168 und 8 , 2 9 9
( n a c h H . KORNHARDT S . 3 2 ) .
«» V. Hludowici ( M G . SS. 2) S. 607.
"> Vgl. dazu Terenz, Ad. 415fr.
" An Judith ( M G . Epp. 5) S. 319: vgl. auch weiterhin: Is autem (sc. Karl), prout
de Domini confidimus pietate, sacris iussionibus vestris parebit, et inter ceteras matemae dilectionis
admoniliones hos libellos suae non dedignabiiur contradere memoriae. Quibus imperatorum gestis
sanctorumque triumphis atque doctorum magnificentium doctrinis inlustralus, cautius quid
agendum sit, sive subtilius inveniet quid sit vitandum (S. 319). Vgl. auch V. Mahtildis post.:
Habetis quidem in hoc volumine perpauca vestrorum facta patrum, ex quibus potestis dicere,
quid agere quidve vobis expediat vitare (S. 284).
" Chronicon Centulense, ed. F. LOT (Coli, de textes 17, 1894) S. 1.
" Vgl. J o h a n n von Salisbury, Hist. pontif.: Horum vero omnium uniformis intentio
est scitu digna referre, ut per ea que facta sunt conspiciantur invisibilia Dei, et quasi propositis
exemplis premii vel pene, reddant homines in timore Domini et cultu iustitie cautiores ( M G . SS.
20 S. 517).
" Prol. S. 7. Der gleiche Gedankengang findet sich in der V. Karoli com. Flandr.:
Que omnia ideo scribi et scripta futuris temporibus manifestanda servari decrevit Providentia
vestra, ut eis lectis aut auditis et boni, tanta superni iudicis equitate considerata, in amorem

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
108 Gertrud Simon

b e i i h m ist a u c h b e i A d e l b o l d , d e m \ ' f . d e r \ ' i t a H e i n r i c i I I . impera-


toris, m i t d e m H i n w e i s auf d e n N u t z e n a u c h schlechter, abschrecken-
der Beispiele die Vorstellung verbunden, daß der Historiker mit
g r ö ß t e r O b j e k t i v i t ä t alle T a t e n , o b g u t e o d e r schlechte, zu berichten
h a b e ' ^ S c h l i e ß l i c h ist d i e s e r G e d a n k e so a l l g e m e i n v e r t r a u t , d a ß e r
v i e l f a c h n u r g a n z k n a p p f o r m u l i e r t wird"®.

A n d e r e A u t o r e n e m p f e h l e n d e m Leser, aus der Geschichte zu lernen,


u m e i g e n e F e h l e r z u v e r m e i d e n . S o h e i ß t es i m V o r w o r t d e r Gesta
Federici I. i m p . in L o m b a r d i a : . . . ea que vidi vel veraciter audivi ad
utilitatem posterorum scribere temptabo; maxima enim succedentium versatur
utilitas, cum ex precedentibus didicerint futura cavere. Siquidem diligens lector,
si ea que scripta invenerit attente prospexerit, ne quando in similem incidat iactu-
ram, vitare curavit''. E a d m e r schheßlich spricht auch von d e m Trost,
d e n m a n i n d e r L e k t ü r e h i s t o r i s c h e r W e r k e f i n d e n k a n n : Cum praesentis
aetatis viros diversis casibus subactos iniueor acta praecedentium anxie investi-
gare, cupientes videlicet in eis unde se consolentur et muniant invenire, nec tamcn
ad hoc pro voto posse pertingere, quoniam scriptorum inopia fugax ea delevit
oblivio, videor mihi videre magnum quid posteris praestitisse, qui suis gesta

ipsius ardenlius excrescant, et mali, tarn terribili divine ultioiüs iudicio cognito, per timorem
ipsius a sua se pravitate compescant (S. 538). Vgl. auch O t t o von Freising, Gesta Frider.
S. 9; Gauterius, Bella Antiochena (ed. BONCARS, Gesta Dei per Francos 1) S. 441:
Auditis etenim miraculorum virtutibus proborumque virorum aetatibus, mali prostemerentur
facilius, boni etiam incitabuntur ad melius.
" M G . SS. 4 S. 683: Spiritualis autem diUctio, veritalis amica, nec male gesta celat, nec
bene gesta pompose dilatat; sciens, quia et male gesta saepe prosunt ad correctionem, et bene
gesta frequenter obsunt, dum ducmtur in elationem . . . Fortassis est qui dicat, quae utilitas in
gestis legendis esse valeat. Huic respondemus, quia quisque alterius gesta legit, si bona sunt,
invenit quod sequatur, si mala, habet unde exterreatur. Gesta namque alterius legere, in speculum
est respicere. Si quid in eo vides quod tibi displiceat, in te corrige; si quid quod placeat, imitare.
Z u der W e n d u n g in speculum respicere vgl. wieder Terenz, Ad. 415. Vgl. ferner Gesta
ep. Halberstad.: ut et boni ex bene gestis virtutis sumant exemplum, et a male gestis discant
salubriter abstinendum ( M G . SS. 23 S. 78).
Vgl. z. B. Ordericus Vitalis: Anteriores nostri . . . et bona seu mala mortalibus con-
tingentia pro cautela hominum rwtaverunt (S. 51); Wilhelm von Malmesbury, Gesta reg.
Angl. Prol. 2: . . . historiam praecipue, quae, iocunda quadam gestorum notitia rrwres con-
diens, ad bona sequenda vel mala cavenda legentes exemplis irritat (1 S. 103); Jocelinus von
Bracelonda, Chronica s. E d m u n d i : Quod vidi et audivi scribere curavi, quedam mala inter-
serens adcautelam, quedam bona ad usum, que conligerunt . . . (MG. SS. 27 S. 325).
M G . SS. rer. Germ. S. 14{. Vgl. auch Richard v. Poitiers: Si qua eciam
portenta aut fames aut eclepsis solis et lune ... aut aliquid tale contigisse alicubi compertum
est, hoc eciam memorie tradidi, ut, si quid huius modi quandoque contigerit, ex comparatione
preteritorum sciat Uta iudicare non igrmra posteritas ( M G . SS. 26 S. 76). Vgl. wehere
Belege bei SCHULZ S. 78f., die diesen Gesichtspunkt offenbar für eine Erkenntnis des
12. J h . hält.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 109

temporibus, futurorum utilitati studentes, litteranim memonae tradidere


Hatte sich schon hier gezeigt, daß Hagiographie und Historio-
graphie nicht immer denselben Zweck verfolgen'®, so tritt der Unter-
schied in einem anderen Punkte noch deutlicher hervor: sehr viele
Viten sind geschrieben worden, um den Leser zu erbauen, sehr viele
historische Werke, um ihn zu erfreuen und zu unterhalten; der umge-
kehrte Fall tritt so gut wie gar nicht ein*®. Es erübrigt sich wohl, Bei-
spiele anzuführen für Viten, die zur Erbauung geschrieben sind, zumal
die Wendungen sehr ähnlich klingen*^. Die Absicht, ihre Leser zu er-
freuen, verfolgten schon die antiken Historiker*^, und vielleicht ist das
Streben, dem Leser Erbauung zu bieten, nur eine christliche Umwand-
lung dieses Topos®^, der aber auch in seiner ursprünglichen Form
erhalten bUeb. Eutrop widmet seinen Auszug aus der römischen Ge-
schichte dem Kaiser Valens ut tranquillitatis tuae possit mens divina laetari
prius se inlustrium virorum facta in administrando imperio secutam quam cog-
nosceret lectione^*, und an der Schwelle zum Mittelalter sendet Cassiodor
seine Chronik an Eutharich, den Schwiegersohn Theoderichs, . . . qua-
tenus vester animus per inlustres delectatus eventus blando compendio longissimam
mundipercurrat aetatem^^. In beiden Fällen wurde das Werk einem Herr-
scher bzw. dem Mitglied eines Herrscherhauses übergeben, damit
diese sich an den ausgezeichneten Ereignissen und Taten berühmter

Hist. Nov. S. 1.
" Dieser Unterschied ist auch dem mittelalterlichen Autor bewußt gewesen,
vgl. 2. B. die Worte des Petrus Damiani in der V. Romualdi: non historiam texens,
sed quoddam quasi breve commonitorium faciens (Migne, PL. 144 c. 954, zitiert nach:
W. VON DEN STEINEN, Heilige als Hagiographen, in: HZ. 143, 1931, S. 238).
Ausnahmen: Chron. Vird.: ... ad aedificatiomm posterorum haec utcumque descripta
pemotescant (S. 3 ) ; Andreas Marchianensis S. 205 (Zitat s. oben Kap. VI S. 78), der
aber betont, daß er über den eigentlichen Rahmen der Geschichtsschreibung hinaus-
geht.
" Vgl. z. B. Rufm., Hist. monach. c. 388; Gregor von Tours, Lib. in gloria
martyror. (MG. SS. rer. Mer. 1) S.487; V. Balthildis A S . 4 8 2 ; Astronomus, V.Hludovici
S. 6 0 7 ; V. Bonifatii auct. Otl. (MG. SS. rer. Germ.) S. 117; V. Autberti (Acta ss.
Belgii 3) S. 538; Hist. Gaufredi S. 172; V. Ottonis ep. Babenberg, (s. oben Anm. 16)
S . IF. V g l . h i e r z u H . DELEHAYE S . 2 , 6 4 .
Vgl. z. B. Plin. d. J . 5 , 8 , 4 ; Lukian, De hist. conscr. 13; Justin Praef. 4 :
. . .cognitione quaeque dignissima excerpsi et ommissis his, quae nec cognoscendi voluptate
iucunda nec exemplo erant necessaria, . . . ; ferner PETER, Gesch. Litt. 2 S. 179flr.; vgl.
auch F. WEHRLI (s. Kap. V I Anm. 6) S. 54fr.; für die byzantinischen Historiker
vgl. LIEBERICH (S. E i n l . A n m . 1) 2 S . 18.
" Er ist üblich seit Sedulius; vgl. auch CURTIUS, Europ. Lit. (s. Einl. Anm. 2)
S. 457.
" Ed. F. RÜHLE (1887) S. 3 ; sein Werk wurde im Mittelalter viel gelesen: vgl. z . B .
SCHANZ-HOSIUS 4 , 1 S . 7 8 .
MG. AA. 11, Chron. min. 2 S. 120.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
110 Gertrud Simon

M ä n n e r erfreuen sollten. A u c h im Mittelalter ist ein großer Teil d e r


Geschichtswerke, die diesen Zweck verfolgen, hochgestellten welt-
lichen Persönlichkeiten g e w i d m e t . Widukind von Corvey sendet seine
Sachsengeschichte an Mathilde, die Tochter Ottos I., mit dem
Wunsch*®, ut ea legendo animum oblectes, curas releves, pulchro otio vaces^^.
Ä h n l i c h wie W i d u k i n d sieht a u c h L i u t p r a n d von C r e m o n a einen
Z w e c k seines W e r k e s darin, d a ß in Stunden der M u ß e der Geist d e r
Philosophen heroum delectabili historia refocilatur^^. Ebenso halten T h i e t -
m a r u n d W i p o , der die G e s t a C h u o n r a d i Heinrich I I I . w i d m e t , die
L e k t ü r e von Geschichtswerken für a n g e n e h m und erfreulich; denn
T h i e t m a r wendet sich a n seine L e s e r : Chronica Thietmari se poscunt,
lectoT, amari, usibus assiduis excludunt tristia mentis^^, und bei W i p o heißt
es: ... scribere volui ad communem utilitatem legentium, quod audientibus
esset iocundum^". Auch Cosmas von Prag wollte ein erfreuliches
W e r k für die M u ß e überreichen®^, ähnlich wie L i u t p r a n d z u r Er-
holung n a c h schwieriger Lektüre®^. Wie Widukind an Mathilde,
so sendet H u g o von F l e u r y sein W e r k an Gräfin Adela von Blois,

" Er bezieht sich auf den ersten Teil des Werkes: De origine statuque gentis; vgl.
BEUMANN, Widukind S. 194.
" Das direkte Vorbild für seine Formulierung scheint die Widmung Avians zu
seinen Fabeln zu sein: hohes ergo opus, quo animum oblectes, ingenium exerceas, sollicitudimm
leves totumque vivendi ordinem cautus agnoscas (MG. Poet. lat. 5 S. 34). Avian gehörte zu
den am häufigsten gelesenen Schulautoren des Mittelalters, konnte also Widukind
wohl bekannt sein: Vgl. SCHANZ-HOSIUS 4, 2 S. 34; MANITIUS (S. Kap. VI Anm. 8)
1 S. 729; 2 S. 832 (Angaben der Indices); CH. HASKINS (S. Kap. V I I Anm. 26)
S. 131 f. und CuRTius, Europ. Lit. S. 57 f. u. 461f.
" MG. SS. rer. Germ. S. 4; sein Werk ist allerdings an Bischof Recemund ge-
richtet. Vgl. Sigebert v. Gembloux, V. Deoderici, der sein Werk auch als Unter-
brechung ernsthafter (freilich geistlicher) Studien hinstellt, es aber nicht als erfreu-
liche Abwechslung bezeichnet: Vos ergo, qui lectionis divinae assidua dulcedine consmstis
deUctari, patiamini quaeso, gustu inculti sermonis os vestrum amaricari, ut magis vobis repetitus
placeat dulcor, quem adhoram insuetus torserit amator . . . (S. 463).
" S. 2. Als angenehme Reiselektüre übersendet Beda die V. metrica Cuthberti:
... ad tuae peregrinationis levamentum, beati Cuthberti episcopi, quae nuper versibus edidi,
gesta obtuli. Absque ulla enim dubietate cori/ido quod tanti viri comitatus multum felicitatis
conferat (c. 575). Vgl. auch Ekkehard von Aura, der an Abt Erkembert schreibt:
Addidimus quoque in fine scedvlae libellum quem Iherosolimitam dicimus, et peregrinationis
tibimet, o pater venerande, iam divinitus inspiratae levamen speciale futurum non ambigimus
(MG. SS. 2 S. 10).
'» S. 7.
" S. 1, an Severus.
Sic tu, 0 sanctissime pater, iam grandia et syllogistica Volumina linque et hec mea opuscula
sensu puerilia, siilo rusticalia, perlege, ubi nonnulla subsannatione et derisione digna invenies,. . .
(S. 81, an Abt Clemens); Wilhelm von Newbury spricht übrigens auch von der Ab-
fassung eines Geschichtswerkes als einer Erholung des Geistes (Zitat s. oben Kap. V
Anm. 43).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der VV'idtnungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 111

qui (sc. codicillus) sua vos amenitate delectet et adhortetur ad benefaciendum,


et ad vitam bonis moribus exomandam. Non quod non sitis satis decenter magnis
virtutibus adornata, sed quod Semper in melius proficere commorumxis^^. D e r
höfische Ton verlangte die im letzten Satz enthaltene Einschränkung.
Noch häufig wird im 12. Jh. die Annehmlichkeit und das Vergnügen
der Lektüre von Geschichtswerken hervorgehoben*'', aber nur einmal
finden wir, wie bei Lukian, damit verbunden den Hinweis auf die
F o r m d e r S c h r i f t : In describendis memorabilibusfactis seu dictis elegantissimae
eloquentiae viri quondam Studium impenderunt, et incredibili dicendi copia
iocundis atque suavissimis, re autem utillimis verbis delectacionem legentibus
paraverunt. Quorum emulari cupiens intenäonem,. . . S o n s t w u r d e o f f e n b a r
im Mittelalter schon der Inhalt, hervorragende Taten und Ereignisse,
als erfreuliche Unterhaltung, besonders auch für hochgestellte Laien
angesehen.
Die Hauptpunkte, die von Historikern als Zweck ihres Werkes hin-
gestellt werden, sind hiermit besprochen. Natürlich verfolgen einzelne
Vf. auch andere Absichten®®, doch sind diese als Einzelerscheinungen
im großen Zusammenhang ohne Bedeutung, zumal da sie großenteils
in der Hagiographie zu finden sind. Die Untersuchung hatte aber
gerade ergeben, daß die Ziele von Historiographie und Hagiographie
sich zwar in einzelnen Punkten decken — Streben nach Belohnung
durch Gott und Ablehnung des Ruhmes, Überlieferung und vereinzelt
Ruhm großer Taten von Helden und Heiligen —, in anderen aber
auseinandergehen, wie sich z. B. die Aufforderung zur Nachahmung
und Erbauung fast nur in Viten, der Wunsch, der Leser möge aus
Beispielen lernen und seine Taten danach richten und sich am Werke
erfreuen, fast ausschließlich in reinen Geschichtswerken finden.
Sonderziele der Hagiographie können hier unberücksichtigt bleiben.

MG. SS. 9 S. 349. Vgl. auch die Widmung der Modem, reg. Franc, actus an
Mathilde von Frankreich: ... ad deliniendum animum vestrum (S. 376).
" Vgl. z. B. Wilhelm von Malmesbury, Gesta reg. Angl. Prol. 2 S. 103: . . . iocunda
quodam gestorum notitia, Prol. 3.- . . . iocunditali sequentibus (S. 283); Radulf von Caen,
Gesta Tancredi (s. Kap. IV Anm. 8): . . . oblectat superstiles . . . (S. 603); Robert von
Autun: . . . quae legenti magis vel oblectamentum pariant vel profectum (MG. SS. 26 S. 226).
'' Chron. Epternac. S. 38.
Es soll z. B. das Andenken des Heiligen gepflegt werden: V. Autberti u.
Heribert! (Acta ss. Belgii 3 S. 538 u. MG. SS. 4 S. 740); oder die Vita soll zur
Heiligsprechung eingereicht werden; V. Conradi ep. Constant. (S. 430ff.); oder
der Heilige soll an einen sicheren Ort verbracht werden: V. Filiberti (MG. SS.
rer. Mer. 5 S. 604).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
112 Gertrud Simon

IX. D i e B i t t e u m Beurteilung
Die antike Sitte, Freunden ein Werk zur Beurteilung zu übergeben,
war einer der Gründe, die zur Widmung einer Schrift führen konnten
So schickte Justinus^ seine Epitome der Historien des Pompeius
Trogus an einen Freund mit der Bitte um sein Urteil, und Hygin^
übersandte seine Astronomica an Marcus Fabius, jedoch nicht, um wie
Justin einen freundlichen Kritiker, sondern um einen gelehrten Kenner
zur Beurteilung zu gewinnen^. Aelius Donat wiederum bittet in der
Widmung der Lebensbeschreibung Vergils seinen Auftraggeber um
Beurteilung^.
Hier verbinden sich zwei Gründe, die die Widmung eines Werkes
veranlassen konnten, der Auftrag und die Bitte um Beurteilung. Beide
kommen vor diesem Zeitpunkt und auch später getrennt vor, doch
treten sie seit der Spätantike häufiger gemeinsam auf. Das hat seinen
Grund darin, daß seit dem frühen Mittelalter die meisten Autoren ihre
Werke nicht auf den eigenen Entschluß, sondern auf einen Auftrag
zurückführten' und sie dann natürlich dem Auftraggeber widmeten,
und ferner auch darin, daß es sehr nahe lag, den Auftraggeber um
Beurteilung, gegebenenfalls um Korrektur, Bekräftigung und Schutz
der von ihm veranlaßten Schrift zu bitten. Die Verbindung von Auf-
trag und Bitte um Beurteilung wurde so eng und selbstverständlich,
daß diese Bitte, wenn sie mit dem Auftrag zusammen in einer Wid-
mung auftrat, häufig gar nicht mehr motiviert wurde, wie es vorher bei
Justin, Solin und Hygin der Fall gewesen war''. Die Wahl des Adres-
saten war in diesen Fällen kein Problem mehr. Es wurde als eine
Pflicht des Auftraggebers empfunden, das fertige Werk zu beurteilen,
die Verantwortung für seine VeröflTentlichung zu übernehmen und es
notfalls gegen Angriffe zu schützen.

' Bei Cicero (ad Att. 1,14,3; 16,11,1) und Plinius d. J. (ep. 7 , 1 7 , 7 ) ; vgl.
H. P E T E R , Gesch. Litt. (s. Kap. V Anm. 21) 1 S . 6 3 und 2 S . 1 9 5 ; H. P E T E R , Der
Brief (s. Einl. Anm. 1) S. 242ff.; E. N O R D E N (S. Kap . III Anm. 3 6 ) S. 1; G R A E F E . N -
H A I N (s. Einl. Anm. 1) S. 17ff.; für das Mittelalter: L I E B E R I C H (S. Einl. Anm. 1) 2
S. 35, 50, 54; S C H M E I D L E R , Ital. Geschichtschreiber (s. Kap. VIII .^nm. 6) S. 6.
' Praef. 5 und 6.
ä S. 19.
' Ähnlich Solinus, Collect, rer. memorab., rec. M O M M S E N ( - 1 8 9 5 ) S. 1 .
« S. VII.
' Vgl. S C H M E I D L E R , Ital. Geschichtschr. S . 6.
' Vgl. z. B. die Praefatien folgender Werke: Rufin, Kirchengeschichte; Jonas,
V. Columb.; Willibald, V. Bonifatii; V. Sturmi; Transl. Alexandri; V. Mathildis
prior; Hrotsvit; V. Burchardi; Tomellus; Lampert von Hersfeld; Gesta ep. Leo-
diens.; V. Stephani u. a.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 113

So schiebt schon Orosius® die Verantwortung für Qualität u n d Ver-


öffentlichung seines Werkes Augustin zu: . . . de qualitate autem opuscu-
lorum tu videris qui praecepisti, — aber auch die etwaige Anerkennung des
Werkes soll Augustin, nicht Orosius zugute k o m m e n : tibi adiudicanda
si edas, per te iudicata si deleas. Constantius, der Verfasser der Vita
Germani", gesteht seine geringen Fähigkeiten ein und bittet d a f ü r u m
Nachsicht, fährt aber fort: paene est, ut etiam iudicium vestrum quaedam
culpa respergat, qui tantae materiae relatorem magis dignum debuissetis eligere.
I n seinen Augen m u ß also nicht nur der Autor, der auch bei Unfähig-
keit den Befehl ausführen muß, für sein Werk einstehen, sondern auch
der Auftraggeber trägt einen Teil der Verantwortung; denn er hat den
richtigen, des Gegenstandes würdigen M a n n auszusuchen^®. Auch
Alcuin betont die Verpflichtungen des Auftraggebers: Meum fuit
praecipientis non spemere auctoritatem; tuum est oboedientis defendere inperi-
tiam^^, und an anderer Stelle: jVam auctoritas praecipientis oboedientis
industriam defendere debet^^. Der gleiche Gedankengang taucht, offenbar
in Anlehnung an Orosius, bei Frechulph von Lisieux in dessen Brief an
Helisachar auf-*^: Sedsi maris se inmutaverit serenitas fluctusque intumuerint,
tu, qui iussisti, naufrago porrige manum. Selbstverständlich ist es auch für
den Autor der Vita Gerardi^^, d a ß dem Auftraggeber Beurteilung u n d
Unterstützung des befohlenen Werkes obliegen, und die gleiche
M e i n u n g wird auch in der Widmung der Vita E r h a r d i " vertreten. Der
Vf. der jüngeren Vita Mahthildis faßt seine Ansicht schUeßlich so zu-
s a m m e n : Dignum est enim, ut qui huius dictatus est praeceptor, sit etiam
emendator et defensor'^. Noch einen Schritt weiter geht der Autor der
Miracula s. Symeonis, der seine Bitte u m Verbesserung mit den
W o r t e n : Quidquid enim in me reprehendetur, tibi potius praecipienti quam mihi
obedienti necessario imputabitur^' begründet. Bis ins 11. J h . hat also die

» S. 564 Schlußkapitel: V I I , 43, 20.


» MG. SS. rer. Mer. 7 S. 248.
Vgl. oben Kap. I S. 61.
" V. Willibrordi (MG. SS. rer. Mer. 7) S. 114.
MG. Epp. 4 Nr. 172 S. 284; vgl. auch Nr. 163 S. 263, Nr. 296 S. 454 und das
Vor^vort der V. Vedastis (MG. SS. rer. Mer. 3) S. 414.
MG. Epp. 5 S. 318.
Quod quia vestro est omalu, immo imperio, coeptum, vestrae dirigo auctoritati, si est
laudabile, roborandum, sin secus, sub silentii sera perpetuo condempmndum (MG. SS. 4
S. 490).
Verum ut devotione defendar contra ignorantiam, quae imperas, censeo, ampUctor et diligo,
te obponeru ut latus irwidiae, cum vel irwitum iubeas scribere (MG. SS. rer. Mer. 6 S. 9).
" MG. SS. 4 S. 284.
MG. SS. 8 S. 209.

8 Archiv lür Diplomatik 5/6

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
114 Gertrud Simon

Meinung geherrscht, daß man Aufträge für literarische Werke nicht


beliebig vergeben kann, sondern daß man für die Richtigkeit und Form
der Schrift durch Auswahl des Bearbeiters und nachträgliche Beur-
teilung und Korrektur zu sorgen hat. Diese Auffassung war oflFenbar so
verbreitet, daß sie im allgemeinen nicht ausdrücklich erwähnt wurde,
sondern daß die Verfasser ihre Werke ganz selbstverständlich dem
Auftraggeber vorlegten.
Anders aber war die Lage eines Schriftstellers, der sein Werk, ohne
beauftragt zu sein, nach antiker Sitte einem Freunde zur Durchsicht
übergab^®. In der Regel fühlt er sich genötigt, einen Grund anzu-
führen, weshalb er gerade diesen Kritiker wählt Im Vordergrund
stehen zwei Hauptpunkte, die Sachkenntnis, Gelehrsamkeit oder Weis-
heit und die freundliche Gesinnung des Adressaten, die entweder aus
der Freundschaft oder seinen Charaktereigenschaften entspringt. Zu-
weilen bildet auch die auctoritas des Empfängers den Grund für eine
Widmung. Häufig taucht als Gegensatz zu diesem gnädig gesonnenen,
gebildeten Kritiker die einfältige Menge oder der böswillige Schmäher
auf, deren Urteil gefürchtet oder im Hinblick auf die Meinung des
Sachkenners zurückgewiesen wird.
So bittet schon Hieronymus Vincentius und Gallienus, seine Chronik
mit den Augen eines Freundes, nicht mit dem eines Richters zu lesen
so erwartet Polemius Silvius das Urteil seines Freundes und auf
Grund seiner Freundschaft mit Sigefrid erhofft Thietmar ein gnädiges
U r t e i l " . Nur wenig anders liegt das Verhältnis von Autor und

" Dazu gehören auch Schriften, die an sich auf Grund eines Auftrags verfaßt
worden waren, aber aus verschiedenen Gründen (z. B. Tod des Auftraggebers)
anderen Adressaten gewidmet wurden; das ist z. B. der Fall bei Dudo von St. Quen-
tin; Ordericus Vitalis; Saxo, Gesta Danorum; Gaufredus Malaterra; Rahevsfin. Der
nächstliegende Adressat ist dabei, wenn ein Vorgesetzter den Auftrag erteilt hatte,
sein Amtsnachfolger. An diesen wenden sich z. B. Ordericus Vitalis und der Vf. der
Gesta Danorum.
" Die Veranlassung für die Bitte an sich ist natürlich die Absicht, hiermit be-
scheiden die eigene Unfähigkeit zu betonen. Darauf verweist auch C U R T I U S , Dichtung
u. Rhetorik (s. Kap. I Anm. 27) S. 459.
" Itaque, mi Vincenti carissime et tu Galliene, pars animae irteae, obsecro, lU, quidquid hoc
tumultuarii operis est, amicorum, non iudicum animo relegatis (ed. R . H E L M , Eusebius V I I ,
1, 1913, S . 2 b ) .
" Laterculum. . ., mutavi et apud te potissimum a quo mea omnia pro eo qui inter nos est
amoris studio comprobantur, digestum direxi (Laterculus, MG. AA. 9, Chron. min. 1
S. 518).
" Coniwtctum dulci fratemi iuris amore Et mihi dilectum supplex rogo te Sigefridum
Nunc ego Thietmarus, videas rrua scripta benigne (MG. SS. rer. Germ. NS. 9 8. 1).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 115

Adressat, wenn Sigebert von Gembloux den Bischof Folcwin um die


Jemla paternae censurae bittet^''.
Ähnlich wie ehemals Solinus in Adventus einen Mann von dementia
und benignitas zum Kritiker gewinnen wollte^', schreibt später
Frechulph an Judith^', und Alpert bittet spe gratiae tuae confisiis^'
Burchard von Worms um Beurteilung und Bestätigung seiner Schrift.
Ein weit größerer Teil der Autoren begründet aber die Auswahl
ihres Adressaten mit dessen Kenntnissen und Weisheit. Hygin bereits
richtete sein Werk an einen gelehrten Kenner desideratis potius scienUm
quam liberalem iudicem^'. Solinus weiß, daß Adventus nicht nur an Milde,
sondern auch optimarum artium studiis^^ den übrigen voransteht, und
Frechulph hebt Judiths sapientia wie ihre almitas hervor^®. Das Ideal
eines Kritikers ist offenbar ein freundlich gesonnener, gut unter-
richteter, kluger Mann — das Gegenteil der ungebildeten Masse und
des neidischen Krittelers, deren Urteil zurückgewiesen und mißachtet
wird^®. So ist prudentia die erwünschte Kritikereigenschaft des Bischofs
Adalbero, dem Regino von Prüm seine Chronik übersandte®^. Adam
von Bremen beruft sich auf die sapientia Liemars von Hamburg und
Gaufredus Malaterra hofft, daß sein Werk rosis sapientiae des Bischofs
Ansger von Catania verschönert werde®®. Wahrscheinlich in Anleh-
nung an Regino übergibt Cosmas von Prag die Beurteilung seines
Werkes der singularis prudentia des Magisters Gervasius®^ und der von
Gott gegebenen sapientia des Abtes Clemens®^. Auf das Urteil und die
Unterstützung der sapentia und prudentia Ivos von Chartres will sich
auch Hugo von Fleury verlassen®'. Auf Grund ihrer ausgezeichneten
Bildung und rhetorischen Kunst wurden die Korrektoren der Werke
Richards von Poitiers®' und Radulfs von Caen®* ausgewählt.

»V. Deoderici (MG. SS. 4) S. 463.


"Vgl. oben S. 112 A 4 .
«S. 319 (Ziut s. unten Anm. 173).
»MG. SS. 4 S. 701.
S. 19.
" S. 1.
" S.319.
" Vgl. Kap. II.
MG. SS. rer. Germ. S. 1. Vgl. auch Otfrid von Weißenburg, der von der
sagcx prudentia Liutberts von Mainz spricht, dem er seine Verse widmet (MG. Epp. 6
S. 169).
« MG. SS. rer. Germ. S. 2.
Hist. Sic. (s. Kap. I Anm. 18) S. 4.
" MG. SS. rer. Germ. NS. 2 S. 2.
« S.81. " MG. SS. 9 S. 341.
MG. SS. 26 S. 77. " Gcsta Tancredi (s. Kap. IV Anm. 8) S. 604.

8*

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
116 Gertrud Simon

Neben diesen allgemeinen Kenntnissen, die einen M a n n geeignet


scheinen lassen, ein neues Werk zu beurteilen und gegebenenfalls zu
korrigieren, setzte Rahevvin bei seinen Adressaten noch eine besondere
Befähigung voraus: sie kannten als Augenzeugen die Ereignisse be-
sonders gut''® und waren als beste Kenner der Verhältnisse zur Heraus-
arbeitung und Bestätigung der Wahrheit besonders geeignet. Eine
solche Sachkenntnis konnte schon Jordanes in seinen Getica von Castalis
ut vicinus genti ervvarten^®. Diese beiden Autoren denken demnach an
eine sachliche Verbesserung ihres Werkes, die von den vorher er-
wähnten Historikern, die in erster Linie die allgemeine Bildung und
Weisheit der Adressaten anriefen, nicht erwartet wurde. Gaufredus
M a l a t e r r a , R i c h a r d von Poitiers und Radulf von Caen sprechen sogar
deuthch aus, daß sie die Korrektur formaler und stilistischer M ä n g e l
wünschen.
Bei einigen anderen Autoren war der Anlaß zur Widmung ihres
Werkes die auctoritas des Adressaten. Dudo von St. Quentin wendet sich
an Bischof Adalbero von Laon mit der Bitte um Korrektur im Ver-
trauen auf dessen sapientia sowie um Bestätigung kraft der auctoritas^'.
Gaufredus M a l a t e r r a hofft, d a ß sein Werk auf Grund der Beurteilung
durch die auctoritas des Bischofs Ansger gewinnen, Graf Roger, dem
Auftraggeber, angenehmer sein und vor Neidern geschützt sein
werde Allem Anschein nach erhält bei beiden Autoren die auctoritas
Gewicht durch die Verbindung von Amt und Weisheit. Eine ähnliche
Vorstellung liegt auch bei Hugo von Fleury in seinem Brief an Ivo von
C h a r t r e s " vor. Anders aber verhält es sich wohl in Hugos Brief an
Heinrich von England, wenn er sagt: iccirco vobis opus hoc assignare vel
dedicare decrevi, ut auctoritatis vestrae privilegio confirmetur et corroboretur^*,
oder wenn er M a t h i l d e von Frankreich bittet: auctoritatis vestrae signo
corroborare curate*^. In diesen beiden Fällen erhofft Hugo offensichtlich
nicht das Urteil eines Sachkenners, sondern den Schutz der Herrscher-

" M G . S S . r e r . G e r m . S . 1 6 3 : . . . et qui rebus ipsis tamquam familiares et conscii


secretorum interfuistis, si quid corrigendum est, ad regulam veritatis emendare, . . .
M G . A A . 5 , 1 S. 54.
" M G . SS. 4 S. 93. Vgl. auch unten S. 129 frühere Belege für die Auffassung, daß
die auctoritas des Adressaten spätere Leser dazu bringen wird, sich dessen Meinung
anzuschließen.
« S. 4.
" S. 341.
" S. 345. Die Formulierung klingt an die Urkundensprache an, vgl. H. B R E S S L A U ,
Urkundenlehre 1 ( n 9 1 2 ) S. 48 u. 59.
« S. 377.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 117

Autorität für seine Werke. Die Möglichkeit, Empfehlung und Schutz


für ein Werk durch die Widmung an einen Herrscher zu gewinnen, war
bereits in der Antike bekannt; auch Alcuin hatte eine Schrift der
auctoritas Karls d. Großen anvertraut^®; die Widmung an hochgestellte
Geistliche bot dem opus im Mittelalter die gleiche Unterstützung.
Auf Schutz durch die Amtsautorität seines Adressaten hofft z. B.
Guibert von Nogent*^. Dudo von St. Quentin und Gaufredus Mala-
terra nehmen eine Zwischenstellung ein. Mehr der Auffassung Gui-
berts nähert sich wieder der Verfasser der Chronik der Polen, der sein
Werk an den Erzbischof von Gnesen und die Bischöfe von Polen
richtet, weil diese durch ihr Amt zu dessen Schutz verpflichtet seien
Auch Otloh, der Vf. der Vita Nicolai, beruft sich auf die auctoritas*^,
schreibt nun aber, wie er vorher bemerkt, im Auftrag seines Adressaten;
doch kommt diese doppelte Motivierung hin und wieder vor''®. Häufig
findet sich auch bei befohlenen Werken, die dem Auftraggeber zur
Korrektur übergeben werden, der Hinweis auf dessen sapientia, pru-
dentia, sagax iudicium, benignitas usw.^-', ohne daß dies als Motivierung
für die Auswahl des Kritikers gedacht ist. Es handelt sich hierbei um
eine der Möglichkeiten der captatio benevolentiae. Natürlich kann und
wird häufig bei vielen der oben besprochenen Widmungsbriefe auch
dieser Grund eine Rolle spielen, doch hat dort die Anführung der
Bildung und Güte der Adressaten auch den sachlichen Grund, zu er-
klären, warum der Autor gerade diesen Kritiker ausgewählt hat.
War es seit der Antike üblich. Freunde oder Auftraggeber um Beur-
teilung des fertigen Werkes zu bitten, so tritt doch diese Bitte in den

« Vgl. dazu GRAEFENHAIN S. 17ff.; unten S. 130 u. S. 1 3 9 ; das Alcuin-Zitat


vgl. unten S. 129f.
Migne, P L . 156 c. 6 7 9 : Sequens itaque schedula tuo amplecUndo nomine infloretur;
quae . . . et qfficii quo prcuemines, auctoritate firmetur.
" M G . SS. 9 S. 4 2 3 f.: Dignum est enim, ut rerum etiam gestis institerant praenotari,
quos divina gratia facit donis carismatum ipsis principibus principari, . . ., eorundem patrocinii
nostrae pusillanimitatis opusculum suffragio tueatur. Nam quos Deus ordinavit tanto privilegio
dignitatis kominibus ceteris praeminere, oportet eosdem studiosius singulorum utilitatibus et
necessitatibus praevidere.
" Otloh von St. E m m e r a m , V . s. Nicolai, Prol., ed. W . WATTENBACH (NA. 10,
1885) S. 408. Die auctoritas wird auch angerufen in den Prologen der V . Burchardi
( M G . SS. 4 S. 8 3 0 ) und der V. Wolfkangi (Schlußsatz, ebd. S. 5 4 8 ) .
Vgl. z. B. Hieronymus, Com. Osee I I I , Prol. (Migne, P L . 25 c. 9 0 3 ) , Flodoard
von Reims ( M G . SS. 13 S. 4 0 9 ) ; beide weisen auf ihr freundschaftliches Verhältnis
zu den Adressaten hin, um ein günstiges Urteil und freundliche Neigung zur Durch-
sicht des Werkes zu gewinnen.
Vgl. Jonas, V . Columb.; V . Mahthildisprior.; Hrotsvit; V. Burchardi; V. Udal-
rici; V . Mahthildis post.; V . Nicolai; V . Wolfkangi; V . Stephani.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
118 Gertrud Simon

verschiedensten F o r m e n auf. H ä u f i g wünscht der Autor nicht einfach


B e u r t e i l u n g o d e r nachsichtige B e t r a c h t u n g seines Werkes, sondern
ü b e r l ä ß t d e m E m p f ä n g e r sogar die Entscheidung, ob er das W e r k
a n e r k e n n e n u n d veröffentlichen oder, falls es m a n g e l h a f t ist, d e m A u t o r
z u r ü c k s e n d e n b z w . v e r n i c h t e n will. Vielfach schließt sich die teilweise
bis ins einzelne g e h e n d e Bitte u m K o r r e k t u r a n , weiterhin die Bitte
u m Bestätigung d e r g u t e n Teile des W^erkes u n d u m S c h u t z v o r Nei-
d e r n . A u t o r e n b e s c h e i d e n h e i t u n d Schmeichelei z u m Zwecke d e r cap-
tatio benevolentiae treten g a n z besonders deutlich hervor, w e n n m a n c h e
Schriftsteller b e h a u p t e n , d e r g a n z e W e r t des Werkes sei n u r d e m Auf-
t r a g g e b e r z u z u s c h r e i b e n . Die einzelnen Punkte sind oft e n g v e r b u n -
d e n u n d t r e t e n selten g a n z isoliert auf, sollen aber hier z u n ä c h s t
n a c h e i n a n d e r b e s p r o c h e n w e r d e n . Es ist dabei zu b e a c h t e n , was beurteilt
o d e r verbessert w e r d e n soll, d . h . o b sich Kritik auf den I n h a l t o d e r die
F o r m des W e r k e s o d e r auf beide bezieht.
G a n z k u r z n u r sei die Bitte u m das bloße Urteil des Adressaten be-
t r a c h t e t , d e n n sie ist in j e d e r E i n z e l a u s p r ä g u n g enthalten. W i r f a n d e n
sie schon bei J u s t i n , H y g i n u n d Solin Auch H i e r o n y m u s will von
seinem F r e u n d wissen, o b er dessen A u f t r a g zur Zufriedenheit ausge-
f ü h r t hat^^, u n d Polemius Silvius hofft, sich ü b e r die E n t s c h e i d u n g
seines F r e u n d e s f r e u e n zu k ö n n e n ' ^ . J o n a s erwartet ein bestätigendes
Urteil, das s p ä t e r e n Lesern die Zweifel vertreiben soll®^, u n d F r e c h u l p h
bittet sowohl H e l i s a c h a r , seinen A u f t r a g g e b e r , als auch J u d i t h u m ihr
Urteil®®. U n d so ist es ü b l i c h bei vielen a n d e r e n Historikern, die hier
n i c h t a u f g e z ä h l t w e r d e n sollen, ne protracta pagina fastidium potius generet
quam provocet auditorem ( V e n a n t . F o r t u n a t . , Vita Hilarii)"^.
E r h e b l i c h weiter g e h t es, w e n n ein Autor d e m E m p f ä n g e r d e r
W i d m u n g anheimstellt, die Schrift zu veröffentlichen oder, sollte er sie
schlecht finden, sie z u r ü c k z u s e n d e n oder zu vernichten. N a t ü r l i c h hielt

" Vgl. oben S. 112 und 115.


" Praef. Lib. Tobiae (Migne, PL. 29) c. 24.
" S.518.
" V. Columb. (MG. SS. rer. Germ.) S. 147.
" S. 318 und S. 319f.
" Vgl. folgende Praefatien: Hrotsvit, Adam von Bremen, V. Udalrici, Lampert
von Hcrsfeld, V. Nicolai, Hugo von Fleury an Ivo von Chartres und Heinrich von
England, Gaufredus Malaterra, Rahewin, Wilhelm von Malmesbury (Gesta reg.
Angl. Epilog und De antiqu. Gleist, eccl.). Zu dem nächsten Abschnitt leitet ge-
danklich die V. Boniti über, in der es heißt: Me idoneum hoc in opere a mendacio ideo
uhigue defendere puto, si quod ego scribendo asswnpsi, vestro examine adprobetis. Nam mallem
sub silentio relicere torporis, quamfallaciae subire discrimen (MG. SS. rer. Mer. 6 S. 119).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 119

der Empfänger das Werk immer für wert, einem größeren Publikum
mitgeteilt zu werden, und sehr wahrscheinlich hat kein Autor im
Grunde erwartet, sein Auftraggeber oder ausgewählter Kritiker werde
das Werk gänzlich verwerfen. Dabei hatte dieses Vorgehen aber den
Vorteil, daß die Verantwortung für das Aussehen und die VeröfTent-
lichung des Werkes von dem Autor genommen und dem Empfänger
der Widmung aufgeladen w u r d e s o daß der Verfasser bei etwaigen
Angriffen auf dessen Autorität und Urteil hinweisen konnte.
Schon Statins, der im Mittelalter sehr viel gelesen wurde, sagt im
Vorwort zum zweiten Buch der Silvae: haec qualiacumque sunt, Melior
carissime, si tibi non displicuerint, a te publicum accipiant; si minus, ad me
revertantuT. Ähnlich wendet sich Ausonius im Widmungsschreiben zum
,Ludus Septem s a p i e n t i u m ' a n Drepanius:
Ignoscenda istaec an cognoscenda rearis,
Adtento, Drepani, perlege iudicio.
Aequanimus fiam te iudice, sive legenda,
Sive tegenda putes carmina, quae dedimus^".
Noch weiter geht Orosius, der im Falle der Verurteilung mit der
Vernichtung der Schrift rechnet®^, und in dieser Form tritt der Topos
in der Folgezeit häufig auf. Sehr realistisch schreibt Alcuin im Wid-
mungsbrief zur Vita Willibrordi: Sed et omnia, .. ., tuae sanctitatis
spectant iudicium, utrum digna memoriae an pumice radenda feroci; nec nisi tuo
roborata examine procedant in publicum^^. Regino von Prüm wieder sagt
nicht ausdrücklich, wie er sich das Schicksal seiner Chronik im Falle
der Verurteilung denkt, sondern stellt seinen Adressaten nur vor die
Entscheidung, ut vestro perspicaci iudicio aut approbetur aut condempnetur^^,
und auch diese Formulierung hat Nachahmer gefunden®^. Ver-

ä» Vgl. obenS. 112f.


" O p u s c u l a , r e c . R . PEIPER ( 1 8 8 6 ) S . 1 6 9 .
®® Vgl. auch den Widmungsbrief an Paulus zum Cento Nuptialis (ebd. S. 2 0 8 ) :
qitae si omnia ita tibi videbuntur, ut praeceptum est, dices me composuisse centonem . .. sin aliter,
aere dirulum facies, ut cumulo carminis in fiscum suum redacto redeant versus, unde venerunt.
" V I I , 43, 2 0 S. 564 (Zitat s. oben S. 113). Rahewin nimmt ihn bekanntlich in
seinem Schlußwort (IV, 86 S. 346) fast wörtlich wieder auf.
" MG. SS. rer. Mer. 7 S. 114.
" M G . SS. rer. Germ. S. 1; vgl. Jonas, V. Columb. II, 25.
" Vgl. auchOtfrid von Weißenburg: Qui (sc. über) si sanctitatis vestrae placet optutibus
et non deiciendum iudicaverit, uti licenter fidelibus vestra auctoritas concedat; sin vero minus
aptus parque meae negUgentiae paret, eadem veneranda sanctaque contempnet auctoritas ( M G .
E p p . 6 S. 169). Vgl. V. Gerardi: Qmd. . . vestrae dirigoauctoritati,siest laudabiU, roboran-
dum, sin secus, sub silentii sera perpetuo condemprmndum (MG. SS. 4 S. 4 9 0 ) .

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
120 Gertrud Simon

nichtung des Werkes bei Mißfallen erwarten andererseits Alpert®^


und der Verfasser der Vita Burchardi®®, während die Autoren der
V i t a Fridolini®'' und der Gesta ep. Leodiensium®* sogar an die
Zerstörung ihrer Schriften durch das Feuer denken. Wenn dagegen
Bischof Hartwig an König Coloman schreibt: . . . precor genibus flexis
vestrae triumphalis excellentiae sublimitatem, ut manibus regalis dejensxonis hoc
susäpiatis opusculum, ne male sonantium positio dictionum . . . vestrum cum
legentis offendat oculum. Cut siforsitan aliquod indignum occurerit offendiculum,
malo codicem ut ignis comminuat incendium, quam ad tertium livore plenum
perveniat oculum^^, so ist die Gedankenverbindung etwas anders. Hart-
wig wünscht eine Vernichtung nicht allein deshalb, weil das Werk dem
Adressaten unwürdig erscheinen könnte, sondern weil er in diesem
Falle die Kritik weiterer Leser fürchtet''®. Wieder andere Vorstel-
lungen tauchen bei Cosmas von Prag auf, der sich in seiner Bitte um
eine Entscheidung zunächst an Regino anlehnt''-', dann aber den
Wunsch anschließt, sein Werk, wenn es veröfTentlicht werden soll, zu
verbessern. Cosmas ist also der Meinung, daß eine fehlerhafte Schrift
nicht unbedingt verworfen werden muß, sondern daß auch sie nach
einer Verbesserung einem größeren Publikum zugänglich gemacht
werden darf^^. E r hält sein Werk von vornherein für fehlerhaft und
verbesserungsbedürftig, während die bisher angeführten Autoren

" M G . SS. 4 S. 7 0 1 : . . . ut tuo iudicio aut aboleatur, aut Ugendus servetur.


" Ad ultimum quoque opusculum istud tuo iudicio subiaaat, ut, si tibi displiceat, aboleatur,
si vero placeat, ad testamentum factorum Dei servi remaneat (S. 8 3 0 ) .
. . . qualinus tuo certissimo indagante comprobetur arbitrio, ulrum istepresens libellus . . .
flammarum incendio sit delendus, an ad Dei servitium posthac reservandus ( M G . SS. rer. M e r . 3
S. 3 5 5 ) .
" In tuo igitur, domm archipraesiä, pendeat iuditio, utrum haec quae nostra sunt, iubeas
ignibus dari necne ( M G . SS. 7 S. 162).
" V . Stephan! ( M G . SS. 11) S. 2 2 3 .
W i r haben in diesem Satz die Verbindung zweier Topoi vor uns: In Besorgnis
u m etwaige Kritiker {Sed quoniam saepe fiducialiter acta res individiae fomitem generat . . .)
bittet er u m nachsichtige A u f n a h m e seiner Schritt, damit den K ö n i g etwaige
stilistische Fehler nicht beleidigen. W e n n dies aber doch geschehen sollte, w e n n
also der wohlgesinnte Leser Anstoß nimmt, will Hartwig lieber, d a ß sein W e r k
v e r b r a n n t wird, als d a ß es weiteren Lesern unter die Augen kommt, deren U r t e i l
sicher nicht so nachsichtig sein wird.
' ' S. 2 : . . . chronicam, quam ego . . . tue prudentie singulari examinandam deliberavi,
quatinus tuo sagaci iudicio aut omnino abiciatur, ne a quoquam legatur, aut, si legi adiudicatur,
lima tue examinationis ad unguem prius elimetur aut potius, quod magis rogo, per te ex integre
latüdius enucleetur.
" A u c h bei der V . B u r c h a r d i taucht die Bitte um Verbesserung auf, d o c h in
a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g . Bei der V . Burchardi heißt die W a h l : Vernichtung o d e r
E r h a l t u n g , bei C o s m a s : V e r n i c h t u n g oder Verbesserung.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 121

immerhin mit der Möglichkeit rechneten, daß ihre Schrift in ihrer


ursprünglichen Gestalt Billigung fände. Der gleiche Gedankengang
wie bei Cosmas taucht auf bei Sigebert von Gembloux'^, umgedreht
in den Miracula s. Symeonis'^, etwas abgewandelt bei Hugo von
Fleury^®. Eine Begründung, weshalb er den Adressaten vor die Ent-
scheidung stellt, die überreichte Schrift zu veröffentlichen oder zu
unterdrücken, bringt schließlich Hildebert von Lavardin^": Minus
tarnen mihi placet approbatum producere quam occultare vitiosum, turpior enim
iactura est nomen amittere comparatum quam minime comparasse.
Die Sitte, dem Empfänger des Werkes anheimzustellen, ob es ver-
öffentlicht werden soll oder nicht, wurde zwar aus der antiken Literatur
übernommen, erfuhr aber im Mittelalter verschiedene Ausprägungen.
Eine Gruppe, von Orosius angeführt, erwartet Veröffentlichung oder
Vernichtung der Schrift, eine andere, die zuerst von Regino vertreten
wird, Billigung oder Verdammung, eine dritte schließlich selbst im
Falle der Billigung zunächst noch die Korrektur. Die Formulierungen
sind völlig unabhängig davon, ob das Werk mit oder ohne Auftrag
geschrieben wurde.
Genaue Gesichtspunkte, nach denen sich der Kritiker bei der
Entscheidung richten soll, werden in der Regel nicht angegeben.
Immerhin hat Bischof Hartwig eine Kritik an Stil und Aufbau des
Werkes im Auge'''', wie auch Sigebert von Gembloux an den Fehler
der prolixitas denkt
Daß die Autoren häufig um freundliche Beurteilung ihres Werkes
baten, ergab sich schon bei der Betrachtung der Gründe für die Aus-
wahl eines Kritikers^'.
Hierhin gehört auch die häufig vorkommende Bitte an alle zu-
künftigen Leser um wohlwollendes Urteil, wie es z. B. im Chronicon

V. Deoderici S. 463: . . . si placet, acuta veru confodite superflua; si displicet, morli-


ferum praefigile theta.
" MG. SS. 8 S. 209: Tui igitur examinis es iudicare, si istud tantillum opus iubeas
in publicum venire, sive tuis scolasticis ad corrigendum exomandum dilatanJumve tribuere.
Bei Eberwin heißt die Wahl, im Gegensatz zu Cosmas: Veröffentlichung oder erst
Verbesserung; er ist sich des Wertes seiner Schrift also viel sicherer.
An Heinrich von England S. 345: . . . ut auctoritatis vestrae privilegio confirmetur
et corroberetur et per loca plurima dispergatur, vel si fuerit inutile disrumpatur. Vgl. oben
S. 116.
Vita Hugonis abbatis Cluniacensis (Migne, PL. 159) c. 859.
" V. Stephani S. 223 (Zitat s. oben S. 120).
" V. Deoderici S. 463 (Zitat s. oben Anm. 73).
" Vgl. oben S. 114fir.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
122 Gertrud Simon

s. Michaelis V i r d u n . heißt: Obsecro autem eos qui hecforte lecturi sunt, ne cau-
sentur nu solecismos . . . Sed si quid negligentius dictum reppererint, fraterna
dilectione supportantes corrigant^". ÄhnUch richten auch Wilhelm von
T y r u s " und Vincenz von Prag*^ das W o r t an ihre Leser.
M i t diesem Gedanken n a h e v e r w a n d t ist die Bitte um Nachsicht.
I h r gemeinsamer U r s p r u n g ist die zum Zwecke der captatio benevo-
lentiae betonte Bescheidenheit*^. Der Autor rechnet nicht mit der Mög-
lichkeit, d a ß das opus bei objektiver Beurteilung volle A n e r k e n n u n g
finden könnte, sondern gibt von vornherein zu, d a ß es Mängel hat,
u n d bittet den Adressaten u m gnädige Nachsicht®^.
Dieses Vorgehen war bereits in der Antike üblich*'. Entsprechend
sendet Solin sein Werk an Adventus, weil dessen benignitas veniam
spondebat faaliorem^^, u n d entschuldigt etwaige Fehler mit seiner
Jugend®". Auch Cassiodor schreibt nunc ignoscite, legentes, um sich d a n n
mit Gehorsam zu entschuldigen®*. Constantius, der Vf. der Vita
G e r m a n i , bittet sogar zweimal u m Nachsicht, einmal den Auftrag-
geber®', der aber nach seiner M e i n u n g d u r c h den Auftrag zur Milde
verpflichtet ist, wenn er nicht selbst zusammen mit dem Autor ver-
urteilt werden will®", und zweitens im Schlußwort der Vita die Leser
allgemein®', und zwar im Hinblick auf die fehlerhafte Sprache u n d
die prolixitas seines Werkes. Die Tatsache, d a ß gerade die Bitte u m
Nachsicht häufiger an alle Leser als an den Adressaten allein gerichtet
wird, erklärt sich aus ihrer H e r k u n f t aus d e m Prolog. Auch Hieronymus
b e t o n t : novo operi veniam concedendam^^. Gregor von Tours begründet
seine F o r d e r u n g nach Nachsicht ausdrücklich: . . . specialius legentem
poscentes, ut, . .., veniam temeritati libenter indulgeat, quem non iactantia

"> MG. SS. 4 S. 79.


" . . . invitamus frateme, et exhortamur in Domino nostrum lectorem, ut cum iustum
reprehensionis locum invenerit, charitate media, utatur ea licenter, et de nostra correctione, si
acqmrat aetemae vilae praemium (Migne, PL. 201 c. 214A).
" . . . lectores autem benivolos,pios ethuic operipropitios esse rogamus (MG. SS. 17 S. 658).
" Vgl. Volkmann (s. Kap. I Anm. 1) S. 139.
Vielfach fühlt er sich verpflichtet zu betonen, weshalb er trotzdem geschrieben
hat, vgl. Kap. III.
Vgl. Vitruv I, 1, 17; Gellius, NA. 11, 8, 2.
»« (s. oben Anm. 4) S. 1.
" S. 2: ... des velim infantiae meae veniam.
" Variae (MG. AA. 12,1) S. 4.
" MG. SS. rer. Mer. 7 S. 248.
»» Vgl. oben S. 113.
S. 283 (Zitat s. unten S. 124).
" Lib. Hebr. Quaest. Gen. Praef. (Migne, PL. 23) c. 933

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 123

mundialis eregit, ut scribat, sed depraemit pudor, ut sileat, amor timorque


Christi inpellit, ut referat^^. W i r finden hier wieder den oben erwähnten
Fall voll ausgeprägt, d a ß ein Schriftsteller fühlt, d a ß er sein U n t e r -
nehmen rechtfertigen m u ß , n a c h d e m er seine Unfähigkeit vorher so
betont hatte. A u c h in den folgenden Jahrhunderten findet sich die
Bitte u m Nachsicht i m m e r wieder. Imperitiae nostrae indulgentiam date,
heißt es im S c h l u ß w o r t der V i t a Balthildis'^, und der Verfasser der
älteren Passio Leudegarii bittet seinen Auftraggeber, ut meae rusticitati
veniam detis^'. Willibald wendet sich an die Bischöfe Lullus und M e g i n -
gozus, ut, si quippiam aliter quam vestra expetierit voluntas provenerit,
infirmitatis meae inbecillitatem operisque inpositi sublimitatem aequo animo
sustenetis^. W i e Cassiodor rechtfertigt er gleich anschließend sein U n t e r -
fangen mit G e h o r s a m gegenüber dem A u f t r a g . A u c h Agnellus, der
Verfasser des Liber Pontificalis von R a v e n n a , begründet seine Bitte
mit d e m Gehorsam, der ihn zur Abfassung der Schrift verpflichtet®'.
Nithard'® wünscht sich Nachsicht, nachdem er vorher die Schwierig-
keiten dargestellt hat, die er zu überwinden hatte, und die es ver-
ständlich m a c h e n , w e n n sein W e r k nicht ohne M ä n g e l ist. A u c h
Nemnius, der Bearbeiter der Historia Brittonum, bittet seine Leser
um venia wegen seiner Vermessenheit*". Er kann aber wohl deshalb
auf Nachsicht hoffen, weil er gleich anschließend verspricht: cedo Uli,
qui plus noverit in isla peritia satis quam ego^"".
In V e r b i n d u n g mit der Bitte u m Nachsicht und freundliches Urteil
erwähnen die A u t o r e n vielfach, d a ß sie Angriffe auf F o r m und Stil,
nicht aber auf den Inhalt des Werkes erwarten. Dies beginnt schon bei
Albinus, der mit T a d e l rechnet, si quid in his libris parum composite aut

»» Lib. in gloria confess. (MG. SS. rer. Mer. 1) S. 748.


" MG. SS. rer. Mer. 2 S. 507.
« MG. SS. rer. Mer. 5 S. 282.
V. Bonifatii (MG. SS. rer. Germ.) S. 2. Willibalds Vorbild ist auch in dieser
W'endung Victor von Aquitanien.
" Fortasse sifefelli, indulgiU. Exactor non molestus debet esse, quando debitum est reddi-
turus ( M G . SS. Langob. S. 279).
" Vos vero difficuliates, quae ex eadem molestia parvitati meae obstiterint, inspicere deposco
et, si quid in hoc opere neglexero, ut ignoscatis, quaeso ( M G . SS. rer. G e r m . S. 13).
" M G . A A . 13 S. 1 4 4 : . . . Rogo, ut omnis lector, qui legerit hunc librum, det veniam
mihi, qui ausus sum post tantos haec tanta scribere quasi garrula avis vel quasi quidam invalidus
arbiUr. Vgl. a u c h Cod. L. S. 126.
Ahnliche Formulierungen bei Guibert v. Nogent c. 684, und in der V.
Stephani S. 226 (Zitate s. unten Anm. 128f.), Chron. Polon. S. 444; Gottfried
V. V i t e r b o : Quod si hoc etiam ad manus sapientium pervenire coniigerit, peto, metra mee
imperitie non irrideri, set, tamquam a puero balbutiente processerint, benigne tolerari ( M G .
SS. 22 S. 22).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
124 Gertrud Simon

minus eleganter scriptum foret^"^, auch bei und es findet sich bei
Hieronymus in Bezug auf Ordnung und Aufbau der Chronik
Grammatische und stilistische Fehler hat auch Constantius im Auge;
denn er bittet seine Leser um Nachsicht, primum quod soloecismis et
abiectione verborum aures tuas vulnero, deinde quod prolixior pagina videtur
parare fastidium^"*. Gregor von Tours dagegen führt seine eigenen
Unvollkommenheiten an, die natürlich ein fehlerhaftes Werk nach
sich ziehen m ü s s e n A u c h im Schlußwort der Vita Balthildis heißt
es: Inperitienostre indulgentiam date et pro culpis neglegentiarum nostrarum pro
caritate, precamur, pium Dominum exorate'"^. Nachsicht für die Unzu-
länglichkeit ihrer Person erbitten auch Willibald^"' und Nemnius^®*.
Dieser denkt aber auch an die Folgen seiner geringen Fähigkeiten
und wendet sich an die Leser quorumcumque aures inconännitate verborum
offendero^"^. Um Schonung wegen Mängel ihres Stiles bitten Guibert
von Nogent^^® und Bischof Hartwig-'^-', wegen ihrer ignorantia und
imperitia Gottfried von Viterbo^^^ und der Autor der Polenchronik
Es ergibt sich also, daß alle Schriftsteller Tadel erwarten an Aufbau
und Stil ihrer Schrift und an den Fehlern der eigenen Person, die die
Unzulänglichkeiten des Werkes bewirken Kein einziger Autor
erwartete bisher Kritik am Inhalt des Werkes, an der Richtigkeit des
dargebotenen StofTes.
Wie die Sitte, einem Freund oder Auftraggeber sein Werk mit der
Bitte um Beurteilung zu übersenden, aus der Antike stammt, so wurde

">' Gellius, NA. X I , 8, 2.


1 , 1 , 17.
S.2b.
">* V . Germani S. 2 8 3 ; vgl. Chron. s. Michaelis Vird. S. 2 (Zitat s. oben S. 122).
Lib. in gloria confes. S. 748: . . . specialius legentem poscentes, ut, quia nobis,
ut
saepe testati surmis, nec artis ingenium suppeditat nec sermonum facmdia iuvat, veniam temer
tati libenter indulgeat, . . .
S. 507; vgl. auch Passio Leudegarii I S. 282.
V. Bonifatii S. 2 : Sed obsecro, ut ,.. . infirmitatis meae inbecillitatem operisque
inpositi sublimitalem aequo animo sustenetis, . . . Willibald benutzt wieder Victor
V. Aquitanien (MG. AA. 9, Chron. min. 1 S. 678).
S. 144; vgl. oben Anm. 99.
Cod. L. S. 126.
"" Parcat quoque lector meae sermonis incuriae (c. 684).
V. Stephani S. 226: ... et si quid abnorme, si minus disertum sermonem inveneritis,
Tusticitati eius parcite.
Iii s. 22. S. 444.
M a n könnte dieses Urteil insoweit einschränken, als die Möglichkeit besteht,
daß bei Angriffen auf die imperitia und ignorantia auch Einwirkungen auf die sachliche
Richtigkeit des Werkes in Betracht gezogen worden sein können; doch fehlen dafür
die Belege.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der VVidmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 125

auch schon in der römischen Kaiserzeit daran die Bitte angeschlossen,


die Schrift zu verbessern. So sieht Justin in der Verbesserung den
Hauptzweck seiner Widmung Im 7. J h . legt der Verfasser der
ältesten Passio Leudegarii diesen Zweck ausführlicher dar: . .. quae
vobis placuit, dam sali interim lectitetis, donec aut cultiore sermone ea, quae
nos, vobis iubentibus, usurpavimus, reparatis, ... Noch deutlicher
wünscht Jonas die stilistische Ausschmückung seiner Schrift, wenn er
von den Äbten Waidebert und Bobolenus, denen er die Vita übersendet,
erwartet, ut si aliqua minus rite prompta decorem facilitatis caruerint, vestris
faleramentis decorentur, ut legentibus apta fiant"'. Jonas denkt an die Fein-
heiten, den Schmuck der Sprache; darin, nicht etwa in der gramma-
tischen Richtigkeit, wünscht er V e r b e s s e r u n g E r m e n r i c h bittet,
wie Justin, wieder nur kurz um Korrektur seiner Schrift und auch
Flodoard von Reims sagt nicht ganz eindeutig, für welche vicia er
Verbesserung wünscht Immerlün machen es die Wendungen ad
unguem fore perscrutatorem und quae a nostra sunt dicta in tenebris humilitate,
ab industriae vestrae sublimitate dicantur in lumine doch sehr wahrscheinlich,
daß auch er mit Fehlern der sprachlichen Form rechnet. Schwieriger
liegt der Fall bei Purchards Gesta Witigowonis^^^. Wenn er sagt: Si
qua etiam reprehensio, quam multam esse non nego, latitantis vitii in hoc opusculo
a vobispossit videri, hanc, ne offendiculofiat vera cognoscere volentibus, latenter emen-
dare dignamini, so könnte man folgern, daß sachliche Fehler ein Anstoß
sein müssen. Zwingend ist dieser Schluß aber keineswegs, wenn man in
Erwägung zieht, daß Purchard selbst seine Unfähigkeit nicht in der
Unkenntnis der Dinge, sondern in mangelnder Beredsamkeit sieht

Justin § 5 : Quod ad te non tarn cognoscendi magis quam emendandi causa transmisi.
Für die mittelalterliche Dichtung vgl. S C H W I E T E R I N G (S. K a p . II Anm. 3 ) S . 5 1 .
J'« S. 283.
S. 146. An alle etwaigen Leser wendet sich der Vf. der V. sancti ac beatissimi
Eparchi reclusi Ecolismensis: . . . etsi non urbanüate sermonum, vel rudi tarnen verborum
dequu) transcripta. Unde precor, ut cui sapientissimo viro fuerint prolata, placila bonitate
emendet (MG. SS. rer. Mer. 3 S. 553).
Beachtenswert ist auch eine Nebenform dieses Topos, der bei Beda (De
temporum ratione, Migne, PL. 90 c. 296) auftaucht, wenn er den Abt Auctbert
bittet: ut si quid in eo tu vituperabile deprehenderis, statim mihi corrigendum insinues. Beda
selbst wird also die Verbesserung vornehmen. Diese Form findet sich wieder bei
Gerhoh von Reichersberg (Tractatus adversus symoniacos, Widmungsbrief an
Bernhard von Clairvaux, ed. G. H Ü F F E R in: HJb. 6, 1 8 8 5 , S. 264f.): . . . rogo
si quae sint in eo corrigenda vel tu corrigas, vel michi corrigenda suggeras.
V . Hariolfi (MG. SS. 10) S. 1 1 : Domni Hariolfi, .. ., dialogum, . . . gratanter
edidi, quem corrigendum cui vos usque direxi.
J^o M G . SS. 4 S. 409. M G . SS. 4 S. 622.
S. 622: mihi tarnen minus diserto impossibilis oboedientia.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
126 Gertrud Simon

und femer die vielen Äußerungen beachtet, nach denen in schlechtem


Stil geschriebene Viten Anstoß erregten und schließlich trotz ihres
würdigen Inhalts nicht mehr gelesen wurden Sicher an die Form
seines Werkes denkt wieder der Verfasser der Vita Burchardi^^^. Hugo
von Fleury wünscht wie J o n a s nicht eine einfache Korrektur seiner
Schrift, sondern ihre stilistische Ausschmückung hat also eine bessere
Meinung von seinen eigenen Fähigkeiten. Auch Cosmas von Prag
denkt an die Glättung seines Stils, aber wohl auch an Veränderungen
des Inhaltes: . . . precinge lumbos mentis et accipe in manum rasorium,
calcem et calamum, ut quod superest radas et quod non est desuper addas;
inproprie dicta proprietate muta, ut sie mea inscicia tua sublevetur Jacecia^^^.
Die gleiche Verbindung finden wir bei Rahewin^^', nur ist bei ihm
der sachliche Gesichtspunkt mehr betont.
Hatten wir bisher klare Belege nur dafür gefunden, daß die Autoren
die stilistische Verbesserung ihres Werkes wünschten, so tritt hiermit
auch die Forderung nach Korrektur des sachhchen Inhalts auf. Sowohl
bei Rahewin als auch bei Cosmas findet sich auffallenderweise die
Verbindung, Fehlendes möge hinzugefügt und Überflüssiges ge-
strichen werden. Diese beiden Punkte finden sich getrennt vor und
sind auch nach diesem Zeitpunkt vertreten.
So richtet Jordanes die Forderung an seinen Freund Castalis: et si
quid parum dictum est et tu, ut vicinus genti, commemoras, adde, orans pro me,
frater carissime"^. Könnten bei Cosmas und Rahewin noch Zweifel be-
stehen, ob sie wirklich inhaltliche Änderungen wünschen oder doch
nur die Verbesserung der prolixitas, so denkt Jordanes — das zeigt die
Betonung der Sachkenntnis seines Freundes — sicher an inhaltliche
Erweiterungen seiner Schrift. Dieses Ziel verfolgt auch der Verfasser
der älteren Vita Mahthildis, in deren Vorrede es heißt: ... ut, quae

Vgl. z. B. Gebehard, V. Udalrici (MG. SS. 4 S. 381); Bern von Reichenau,


V. Udalrici (ebd. S. 381f.); Odoh v. St. Emmeram, V. Wolfkangi (S. 521).
S. 830: Si quid vero inotdinaU vel imperiu connexui, tuae correctioni et auctoritati
proferre decrevi. Nur um correctio bitten wieder der Vf. der jüngeren V. Mahthildis
(S. 284) u. Wilhelm v. Tyrus (c. 214A).
An Ivo von Chartres S. 341: . . . duo humilitatis meae opuscula transmitto, ut si quid
ibi videris indecens et incultum lima prudentiae tuae corrigas et exornes. Vgl. auch Gaufredus
Malaterra: Ego vero quaecunque dictavero vobis conigenda et rosis vestrae scientiae exoman
repiäabo: ut vinea, a vobis exarata, cultu vestrae scientiae potata, uberiores fructus reddens, .
(S.4).
S. 2 (vgl. auch oben Anm. 71).
Prol. S. 163: . . . si quid corrigerulum est, ad regulam veritatis emendare, si quid
parum aut superflue dictum est, vel rädere vel superaddere, . . .
Getica (MG. AA. 5, 1) S. 54.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 127

forte a nobis praetermissa vel viciose dicta fuerint, sapientium industriam addere
vel mutare commendes^^'. Ä h n l i c h e G e d a n k e n finden sich a u c h bei
V i n c e n z v o n Prag"® u n d Wilhelm v o n M a l m e s b u r y I n diesen
Fällen handelt es sich eindeutig u m eine sachhche Erweiterung des
Werkes. W e n i g e r deutlich ist der B e z u g auf den Inhalt bei der Bitte
um Streichung des Überflüssigen, w e n n z. B. Egbert von Lüttich d e m
Bischof A d e l b o l d von U t r e c h t sein W e r k anvertraut, ut errata corrigas,
superßua reseces'^^, und A l p e r t an B u r c h a r d von Worms schreibt:
Quodetiam ideo sine nomine auctorispositum est, ut, si displicet, . .., reseces^"^;
denn es könnte sich j a u m die Forderung nach einer knappen F o r m u -
lierung handeln. A b e r wenigstens A l p e r t hat, wie aus einer anderen
Ä u ß e r u n g h e r v o r g e h t " ^ , eine sachliche K ü r z u n g im A u g e . D e r G r u n d
für die sachliche Begrenzung ist freilich die stilistische Forderung der
brevitas, deren N i c h t b e a c h t u n g das fastidium der Leser hervorruft"®.
Nicht aus stilistischen Bedenken heraus, sondern ut falsa amputarentur
et si quid veritatis in illo haberetur, tua auctoritate confirmaretur wendet sich
dagegen D u d o von St. Q u e n t i n an A d a l b e r t von Laon"®. W e n n
andererseits Sigebert v o n G e m b l o u x bittet, acuta vem confodite super-
flua^^' und Ordericus V i t a h s ut supeiflua deleas^^^, so ist es wieder wahr-
scheinlicher, d a ß beide fürchten, durch svperfluitas das fastidium der
Leser zu erregen. V o r kein Problem stellt uns dagegen Hildebert v o n
L a v a r d i n ; denn er bittet, alles zu entfernen, was Kritik a m Stil hervor-
rufen könnte

MG. SS. 10 S. 575.


Si qua etenim in eo sunt corrigenda, novaculam, et si qua augenda, calamum velociter
scribentem presto tenemus (S. 6 5 8 ) .
G e s t a reg. A n g l . 1 S. 104: Quae si quis oculo bona videre dignabitur, haue sub
fratema caritate regulam teneat; „Si isla tantum ante noverit, non fastidiat, quod scipserim; si
plura didicerit, non succenseat quod non dixerim": immo, dum vivo, mihi cognoscenda commu-
nicet, ut meo stylo apponantur saltem in margine quae non occurrerunt in ordine. V g l . S. 125 A n m .
118. Fecunda ratis, ed. E. VOIGT (1889) S. 2.
S. 701.
S. 7 0 1 : Non enim pleniter omnia quae de proposita materia scribenda erant collegi,
ne verbosior quam debuerim viderer.
Die stilistischen Gründe stehen mehr im Vordergrund bei Otloh von St.
Emmeram (Dialogus de tribus Quaestionibus, Migne, PL. 146 c. 59f.): At si
quid inepte vel inique prolatum agnoverint, quod etiam sanctis Patribus legitur evmisse,
imperitiae magis quam malitiae meae deputent, ideoque sie noxia resecent ut utilia non condemnent.
MG. SS. 4 S. 93. Am Anfang des Prologs denkt er aber auch an die stilistische
Kürzung.
V. Deoderici (MG. SS. 4) S. 463.
MG. SS. 20 S. 52.
Vita Hugonis (Migne, P L . 159) c. 859: . . . pro munere suscepturu.'., si removeas
ab oculis quidquid linguas senseris formidare.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
128 Gertrud Simon

Es ergibt sich also, daß die Bitte um Vervollständigung immer


den sachlichen Inhalt, die Bitte um Kürzung dagegen Inhalt und Stil
des Werkes betreffen kann. Das gilt auch für ihre Verbindung.
Sie begegnet nun nicht zuerst bei Cosmas von Prag; schon Thietmar
von Merseburg fordert Sigefrid auf: . . . videas me scripta benigne, quae
placeant addens et quaeque superflm tollem"". Offenbar ganz auf die stihsti-
sche Seite des Werkes beschränkt findet sie sich bei Radulf von C a e n :
. .. qui paginae meae superfiua reseces, rimas impleas, obscura illustres, arida
superfundas"^ und ähnlich bei Richard von Poitiers: queso, . . . et male
sonancia verba gratuita bonitate reseces et suppleas imperfecta"^. Wie für
Rahewin^^'', so ist es auch für Otto von Freising wahrscheinlich, daß er
Verbesserung von Form und Inhalt wünscht"^.
Es läßt sich demnach feststellen, daß in der Regel bei der Bitte um
Verbesserung an die Korrektur der Form des Werkes gedacht wird,
angefangen von grammatischen Fehlern bis zur völligen stilistischen
Überarbeitung. Selbst wenn von Streichungen und Hinzufügungen
die R e d e ist, handelt es sich häufig um den Stil. Ist der Inhalt gemeint,
sind wiederum vielfach formale Gründe — das Streben nach brevitas
— der Anlaß. Nur selten wird die Korrektur des Inhalts erbeten, nach
dem vorliegenden Material zu urteilen, eindeutig erst seit dem 10. J h .
Die gleichen Methoden der Verbesserung, die man den Empfängern
einer Widmung nahelegt, werden schon sehr früh von Bearbeitern
fremder Werke als Gesichtspunkte ihrer Arbeit angegeben. Dies be-
ginnt bereits bei Eugenius von Toledo, wenn er sagt: hoc videlicet
moderamine custodito, quo superfiua demerem, semiplena supplerem, fracta
constabilirem et crebrius repetitamutarem"', es findetsichwieder bei Paulus

S. 1.
(s. K a p . I V Anm. 8) S. 604.
M G . SS. 26 S. 77.
Vgl. oben S. 126 m. Anm. 127.
Chron. V I I I , 35 (S. 4 5 7 ) : Tuum vero eril minus dicta subplere, male dicta corrigere,
superfiua resecare . .. Der Hrsg. verweist Anm. 4 auf Josephus, Ant. lud. 12, 2 (de 70
interpretibus): iusserunt, ut, si quid aut superfiuum aut minus aliquid scriptum viderent in
lege, hoc respicerent et manifestum facientes emendarent; Hugo, Erud. didasc. I, 12 (de
logicis): id quod pravum usus habebat, emendantes, quod minus habebat supplentes, quod
superfiuum habebat resecantes; Adelardus de B a t h : tuum igitur erit et superfiua resecare et inor-
dinata disponere.
M G . AA. 14 S. 2 7 ; Das Vorbild ist, wie der Hrsg. anmerkt, der Grammatiker
Servius, der im Vorwort zum Vergil-Kommentar berichtet (ed. T H I L O U . H A G E N
S. 2 ) : Augustus vero, ne tantum opus periret, Tuccam et Varium hac lege iussit emendare, ut
superfiua demerent, nihil adderent tarnen.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalteHicher Geschichtsschreibcr 129

Diaconus^^* u n d z. B. auch bei Sigebert von Gembloux^^', bei dem


eine ähnliche Formulierung auch in der Bitte um Verbesserung vor-
kommt Die Schriftsteller haben also eine regelrechte Bearbeitung
nach den üblichen Methoden im Auge, wenn sie die Empfänger der
W i d m u n g mit den gleichen Anweisungen u m Korrektur bitten.
Waren bisher n u r die verschiedenen Ausprägungen besprochen
worden, die die Bitten u m Beurteilung und Korrektur erfahren
können, so ist n u n noch die Erscheinung zu beachten, d a ß für viele
Autoren allein das Urteil des Adressaten von Wert, allein seine Ent-
scheidung erwünscht u n d maßgebend ist. Den Sinn dieser Äußerungen
erklärt der häufig auftretende Gegensatz: das Urteil der Masse oder
neidischer Kritiker wird entweder abgelehnt, oder m a n erwartet, d a ß
es sich der Meinung der zuerst urteilenden Autorität anschließen wird.
Sufficit enim mihi in tempore iudicium tuum, heißt es bereits bei Justin-'^'.
Ausonius glaubt, d a ß seine Verse, nachdem sie Drepanius beurteilt
hat, keine Kritik mehr zu fürchten brauchen^®", und bei Rufinus findet
sich der volle Gegensatz: . . . guos si tu probaveris vel benedixeris, pro
certo confidam, quod sufficiant turbis^^'. Den Einfluß des Urteils seines
Adressaten betont besonders stark Sedulius: credo tarnen, pater egregie,
nuUum fore quamvis inpudenter obloquum, si meruero dextrum tui pectoris
adipisci iudicium. fave primus et aliifaveant, et omnium mentibus sententia se
probatae iugiter auctoritatis infundat^^^. Auch J o n a s hofft, d a ß die Beur-
teilung und Billigung der Äbte Waidebert und Bobolenus späteren
Lesern jeden Zweifel vertreiben w e r d e n u n d Ähnliches erwartet
Alcuin, wenn er an Karl den Großen schreibt: Ergo vestrae dignitatis

Brief an Karl d. Großen zu den Auszügen aus Pompeius Festus: Ex qua ego
p>rolixitate superflm quaeque et minus necessaria praetergrediens, et quaedam abstrusa penilus
sr-tik proprio enucleans (MG. Epp. 4 Nr. 11 S. 508). Vgl. femer Gebehard, V. Udal-
r i c i ; Opusculum ergo istud aggredientes, superfluis quibusgue posipositis, obscura prolala clarius
e:t cmpeterUer enodare, prolixius vero digesta qmntum congruere videlur abbreviare contendimus
(;S. 3 8 1 ) ; Bern v o n R e i c h e n a u : Hoc solum tarnen mihimet ex proprio sudore iniunxi, ut
Laties diffusa modesta brevitate artius coerceam, strictius digesta moderata prolixitate dilatam,
mirus regulariter prolata adrectitudinis lineam corrigam (S. 281).
V . M a c l o v i i ( M G . SS. 8) S. 505 A n m . 17: Ego quodfacile factu videlur faciam,
sciicet ut superflua demam, vitiosa corrigam, confusa ordini reddam, veritate tamen hystoriae nullo
rnioco recedam, . . .
S. oben Anm. 137. Vgl. auch Passio s. Fortunatae bei H . D E L E H A V E (S. Kap.
•V Anm. 29) S. 63f. § 6.
(S. K a p . I A n m . 57) S. 86 V e r s 18: hunc iudicium timete nullum.
Kirchengesch. II, 2 S. 952.
-ä« Paschale Opus, ep. ad Macedonium (CSEL. 10) S. 173.
^^ V . C o l u m b . ( M G . SS. rer. G e r m . ) S. 147: . . . ut a vobis sagaci examinatione
proiata, a ceteris ambiguitatem pellant, . . .

S A t h i v für Diplomatik 5/6

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
130 Gertrud Simon

dextera dante ad legendum, nemo iuste mea dicta spernere poterit, quia probantis
auctoritas pluris aestimatur, quam scribentis devotio''^. Auch Hrotsvit von
Gandersheim überläßt allein ihrer Auftraggeberin Gerberga Urteil und
Entscheidung: Cur tarnen aliorum iudicia formido, quae vestri solummodo
censurae, si quidfefelli, obnoxia existo? . . . Vestro autem . . . iudicio, quoquo-
modo factum sit, aestimandum relinquo'^'. Wie Jonas wendet sich Alpert
in der festen Überzeugung an Burchard von Worms, daß quicquid
sentencia tua probaverit, absque ambiguitate id aliorum etiam examinatione sit
stabiliendum^^^. Balther sendet die Vita Fridolini an Notker Labeo
zur Beurteilung mit der Begründung: michi nam melius placet tua mitissima
redargui correctione, quam aliorum invidiosa confundi stomachiatione^'', und
ähnlich sagt Hugo von Fleury: . . . malo iusto sapientis iudicio comprobari
quam arrogantium sententia condempnari^^^. Hier ist der Gegensatz voll
ausgesprochen; Das gerechte Urteil wird gern angenommen, sogar
gewünscht^®®, die böswillige Kritik dagegen zurückgewiesen. Der
zweite Gegensatz zum guten Beurteiler, die turba, taucht noch einmal
bei Hildebert von Lavardin auf: Officiosa res est, et prudenti grata scriptori,
correctio, ea quidem mihi placet, sed cum persona corrigit, non turba'^".
Ein anderer Teil der Autoren fürchtet böswillige Kritik an seinem
Werk und erhofTt sich Schutz vor diesen Angriffen nur von der
Autorität des Adressaten, der gleichzeitig häufig um Beurteilung und
Verbesserung gebeten wird^*^.
Diesen bis in die Antike zurückgehenden T o p o s f i n d e n wir z. B.
bei Ausonius^" und, mit einem später sehr behebten Bild, bei Hierony-

Libellus de Trinitate, Dedicatio ( M G . Epp. 4) Nr. 257 S. 415.


(s. K a p . II Anm. 47) S. 2 2 8 ; F. M Ü N N I C H , Die Individualität der mittel-
alterlichen Geschichtsschreiber bis zum Ende des 11. J h . (Diss. Halle-Wittenberg
1907) S. 50 legt diese Äußerung, wohl in Unkenntnis des Topos, als Stolz aus. Vgl.
auch Lampert v. Hersfeld (MG. SS. rer Germ.) S. 3 4 5 : Vestri solius, pater mi, in
hoc opusculo expecto iudicium; Adam v. Bremen S. 2 : Nobis proposilum est non omnibus
placere, sed tibi, pater, et ecclesiae tuae. Difficillimum est enim invidis placere.
M G . SS. 4 S. 7 0 1 ; vgl. auch Hugo v. Fleury an Ivo v. Chartres (MG. SS. 9)
S. 3 4 1 : . . . quoniam vacillare non poterit quod semel auctoritatis vestrae nodus corroboraverit.
M G . SS. rer. Mer. 3 S. 355.
An Ivo von Chartres S. 341.
ISS Vgl. Cosmas von Prag S. 3: Non enim ab amico corrigi erubesco, qui etiam ab amicis
nimio affectu emendari exposco.
V . Hugonis Clun. S. 859.
i«i Vgl. z. B. V. Mahth. post.; Adam von Bremen; Ordericus Vitalis; Gaufredus
Malaterra; Saxo, Gesta Danorum; Wilhelm von Malmesbury, De ant. Glast, eccl.
Stat. Silv. 4, praef.: hunc tarnen librum tu, Marcelle, defendas.
S. 8 6 : . . . (V. 14 ff.) intrepide volate, versus. Et nidum in gremio fovete tuto.
Hic vos diligere, hic volet tueri; vgl. auch oben S. 117.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
T o p i k d e r W i d m u n g s b r i e f e mittelalterlicher Geschichtsschreiber 131

mus: Sed et vos famulas Christi rogo, . .. ut contra latrantes canes, qui ad-
versus me rabido ore desaeviunt . .., oratiomm vestramm clipeos opponatis^^*.
Eigil fordert zum Schluß seines Vorwortes Angildruth, seine Auftrag-
geberin, auf: Tu invidonim maledictis responde; tu me magis benivolum
quam praesumptuosum defende'^'. Für Meginhard wie auch für Flodoard
von Reims scheint der Schutz des Adressaten nur darin zu bestehen,
daß er die Fehler des Werkes beseitigt und das Richtige bestätigt:
Quapropter meae parvitatis scripta vestrae dignitatis defensioni commendo, ut,
. . .,si qua vero claudicante et nutante sententia inordinatedigesta inveneritis,
meae inperitiae deputate, et a semita declinanti ignoscite, recta confirmantes,
anomala corrigentes^^'. Eine ähnliche Vorstellung finden wir in der
jüngeren Vita Mahthildis. Ihr Verfasser sendet sie an Heinrich I I . mit
der Bitte ne feratis in publicum sapientibus deridendum, bevor er die Schrift
nicht gelesen und verbessert habe^®*. Dignum est enim, so fährt er fort,
ut qui huius dictatus est praeceptor, sit etiam emendator et defensor; ne a nobis
insipienter edita, invidonim perfodiantur lingua. Offensichtlich glaubt er,
daß ein Werk, das der Herrscher selbst berichtigt und gebilligt hat,
nicht mehr von den sapientes verlacht und angegriffen werden kann.
Namen und Ansehen seines Adressaten, Werinhers von Magdeburg,
hält Brun für stark genug, sein Werk vor Angriffen zu schützen: Verum
ne hoc opus quilibet in manus accipiens statim velit conspuere, placuit mihi illud
vestri nominis praenotatione munire, quatenus dum vestrum nomen pagina prima
demonstrat, sequens opus a sputis defendat^^^. Ähnlich erwarten viele
Autoren Schutz von der Autorität ihres Adressaten^''®.

Prol. galeatus ( M i g n e , P L . 2 8 ) c. 5 5 8 ; v g l . V . G a m a l b e r t i ( M G . S S . r e r . M e r . 7)
S. 186; Beda, D e tonitruis ( M i g n e , P L . 90) c. 6 1 0 ; Passio Leudegarii I I I S. 3 5 6 ;
G a u f r e d u s M a l a t e r r a S. 4.
V . S t u r m i ( M G . E p p . 4) S. 556 N r . 3 8 ; vgl. V . E r h a r d i ( M G . SS. rer. M e r . 6)
S. 9 : Verum ut devotione defendar contra ignorantiam, quae imperas, censeo, amplector et diligo,
te obponens ut latus invidiae, cum vel invitum iubeas scribere.
S. 409.
T r a n s l . A l c x a n d r i ( M G . SS. 2) S. 6 7 4 ; vgl. E g b e r t v. L ü t t i c h S. 2.
M G . SS. 4 S. 284.
D e hello Saxonico ( M G . D t . M A . 2) S. 13.
170 Vgl. z. B. G a u f r e d u s M a l a t e r r a (s. K a p . I A n m . 18): Per vos itaque, aut sallem
cum vestra praesentia, librum hunc reputari expostulo, ut vestrae auctoritatis favore principi
gratiosior fiat, vel ab aemulis, si forte aliqui insurgant, ob reverentiam vestri minus remorderi
praesumatur (S. 3 ) ; V . W o l f k a n g i ( M G . SS. 4) S. 548: . . . auctoritaU vestra contra
aemulos defendendus; O r d e r i c u s Vitalis S. 5 2 : . . . et emendata vestrae sagacitatis aucto-
ritate munias; H u g o von F l e u r y a n G r ä f i n A d e l a S. 349: Igitur hoc exile munus a me
vobü oblatum gratanter suscipite, et ab improbis favore vestro defendite. Saxo, Gesta D a n o -
r u m (s. K a p . I A n m . 75) S. 3 : . . . te potissimum, Andrea, . . . materiae ducem auctoremque
deposco, obtrectationis livorem, qui maxime conspicuis rebus insultat, tanti cognitoris praesidio
frustraturus; C h r o n . Pol. S. 424, vgl. oben S. 1! 7.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
132 Gertrud Simon

Der Schutz, den der Adressat dem Werke gewähren soll, wird
demnach immer durch dessen Ansehen bewirkt, ob dieses nun auf
seinem Amt, seiner Persönlichkeit oder seinen Kenntnissen beruht.
Und der Schutz wird wirksam oft schon allein dadurch, daß der Adressat
die Schrift beurteilt und billigt, dann auch dadurch, daß er ofl'en für
das ihm gewidmete Werk eintritt; schließlich genügt sogar die bloße
Nennung seines Namens in der Vorrede der Schrift.
Wenn endlich ein Schriftsteller seinem Adressaten das Hauptver-
dienst und den etwaigen R u h m für das Werk zuschiebt, so gehört diese
Erscheinung zwar in den Gedankenkreis der Autorenbescheidenheit,
doch soll sie wegen des engen Zusammenhangs mit der Bitte um
Beurteilung hier behandelt werden.
M a n muß von der schon erwähnten Orosius-Stelle ausgehen
. . . de qualitate autem opusculorum tu videris qui praecepisti, tibi adiudicanda
si edas, per te iudicata si deleas. Trotz aller Bescheidenheit spricht aus
diesem Satz ein gewisses Vertrauen auf den Wert des Werkes; denn
Orosius rechnet mit der Möglichkeit, daß es gut ist, und zwar so gut,
daß es Augustin zugeschrieben werden könnte, ohne daß dieser sich
seiner zu schämen hätte. Frechulph von Lisieux schreibt, in Anlehnung
an Orosius, an Helisachar: . . . opus, . . . tibi examinandum mitto, et, si
utile adiudicaveris fore, non magis reputabitur scribenti quam censori^^--, doch
will er die Anerkennung für das W^erk, im Gegensatz zu Orosius, mit
seinem Auftraggeber und Kritiker nur teilen Eine andere Vor-
stellung findet sich bei Willibald nach dem Vorbild Victors von
Aquitanien. E r schreibt den etwa gelungenen Teil seiner Schrift Gottes
Wirken und dem der Bischöfe Lullus und Megingozus zu: quia si
dignum aliquid et nostris temporibus profuturum conficerim, divino utique munere
ac praecepti vestri desiderio conferendum est^^^. So schreibt auch Tomellus:
Sed me sub fasce gradientem baculus tuae sustentabit sanctitatis, cumque
extremam operi manum dedero, tui sit muneris, si placeo''^. Wenn aber das

V I I , 43, 20, C S E L . 5 S. 564, an den sich Rahewin fast wörtlich anschließt.


M G . Epp. 5 S . 318.
Wenn er an Judith schreibt (S. 319f.): . . . qui (sc. codicelli) vestrae almitatis et
inmortalis sapientiae iudicium expectant. Quod si iudicando consequantur laudem, vestrae
reputabitur aetemaliter memoriae, so soll nicht der Ruhm des Werkes, sondern das
Urteil auf ewig zu ihrem Andenken bestehen bleiben; denn Frechulph will j a eine
etymologische Erklärung ihres Namens anbringen: quoniam sacratissimum nomen
vestrum Judith iudicans sive laudans interpretatur (nach Isidor, Etym. V I I , 8, 29). Zur
mittelalterlichen Vorliebe für die Etymologie vgl. C U R T I U S , Europ. Lit. (s. Einl.
Anm.2) S.51f., 588fr.
V . Bonifatii (MG. SS. rer. Germ.) S. 2 ; vgl. Vict. v. Aquit. S. 678.
MG. SS. 14 S. 149. Vgl. Alcuin Nr. 257 S. 415 (Zitat s. oben S. 129f.).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 133

gelungene Werk ein Verdienst des Abtes ist, so kommt ihm a u c h das
L o b d a f ü r zu. Deutlich spricht das d e r Verfasser der j ü n g e r e n Vita
Mahthildis aus, wenn er n a c h der Bitte u m Korrektur u n d Schutz des
befohlenen Werkes u n d n a c h einem ausführlichen Lob des Herrschers
schließt: Si cuiquam in hoc opusculo quid placuerit, laus praeceptoris erit^'^.
Auch R i c h a r d von Poitiers sendet sein Werk zur Ü b e r a r b e i t u n g an
A b t Petrus von Cluny, ut quicquid laudis inde adquiritur tibi totum ascri-
batur^'', d. h. der R u h m seines eigenen Anteils a m Werk u n d der,
welcher der Ausfeilung d u r c h A b t Petrus zuteil wird, sollen diesem
zugeschrieben werden. D e n n d a ß R i c h a r d sein Werk trotz aller Be-
scheidenheit nicht für wertlos u n d vergänglich hält, zeigen seine an-
schließenden W o r t e : Quamvis enim fratres nostri iam libenter opusculum
legant, mullum avidius illud expetent, si de tui torrente ingenü respersum viderint.
Nichil siquidem nomen tuum ita perhenne reddiderit, qualiter tua vel aliorum de
te aut ad te scripta fecerint. Ideo memoriam tui scedulis nostris semper inseram,
ut nomen tuum posteris vivat et ametur.
Die Bedeutung der Bitte u m Beurteilung als eines der wichtigen
P u n k t e des Widmungsbriefes zeigt sich a u c h darin, d a ß gerade in diesen
Fällen verschiedene Antwortschreiben erhalten sind. Sie sind ein
Beweis dafür, d a ß die Widmungsbriefe echte Brieffunktion h a b e n
können.
H i e r sei n u n kurz auf einige Antwortbriefe hingewiesen. Einer der
frühesten ist wohl das Schreiben des Paschasius an Eugipp, der i h m die
Vita Severini zur Bearbeitung ü b e r s a n d t h a t t e : indicia vero mirabilis
vitae eius huic epistolae coniuncto praelatis capitulis commemoratorio recensita
fient, ut Togavi, libro vestri magisterii clariora^^^. Paschasius antwortet auf
Eugipps bescheidene Bitte: direxisti commemoratorium, cui nihil possit
adicere facundia peritorum, . . . et ideo, quia tu haec, quae a me narranda
poscebas, elocutus es simplicius, explicasti facilius, nihil adiciendum labori
vestro studio nostro credidimus"^, u n d lobt ihn wegen seines U n t e r -
nehmens, über dessen N u t z e n er d a n n ausführlich spricht. Diese
A n t w o r t des gelehrten Diakons ist f ü r Eugipps Schrift Bestätigung u n d
R ü c k h a l t zugleich. E u g i p p b r a u c h t seine Unterstützung u n d Billigung,
d e n n er hatte sein W^erk von sich aus begonnen, ohne Auftrag, veran-
laßt allein von der Lektüre einer a n d e r e n Vita u n d d e m Anerbieten

S. 284.
S. 77.
Ep. ad Pasch. § 11 (S. Kap. I A n m . 121). Vgl. auch den Schlußsatz der V i t a :
Habes, egregie Christi minister, commemoralorium, de qua obus efficias tuo magisterio fructuosum.
' - ' § 2 u . 3.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
134 Gertrud Simon

des Verfassers dieser Vita, eines Laien, auch die Vita Severins zu
schreiben^*®. Doch nicht diesem Laien, dem er keine sachgemäße
Bearbeitung eines Heiligenlebens zutraut, sondern dem Diakon
Paschasius übersendet Eugipp sein Werk, das er bescheiden als comme-
moratorium, als pretiosa materia vilissima compositione bezeichnet^®-'. Ob-
wohl er betont mm putari debeo conscripsisse quod cupio, ubi disciplinae
liberalis rmlla constructio, nulliis grammatici culminis decor extitit? ist doch
anzunehmen, daß er mit seinem Werk zufrieden war, zumal er vor-
her^®^ jeden übertriebenen rhetorischen Schmuck als für einfache
Mönche unverständlich ablehnt und sein Werk stilistisch durchgefeilt
ist^®^. Ganz entsprechend lehnt auch Paschasius eine Bearbeitung als
überflüssig ab, unter Hinweis auf Eugipps schlichte verständliche
Sprache^®® und geschickte Ausdrucksweise. Eugipp hat also Autorität
für sein Werk erreicht'®*.
Eine weitere Antwort auf einen Widmungsbrief ist aus dem 7. Jh.
im Zusammenhang mit der Vita Eligii ep. Noviomagensis über-
liefert'®''. Der Brief, mit dem Dado die Vita an Rodobert sendet, be-
steht nur aus der Bitte um Korrektur: Vitam beati Eligii, quam nuper.

Ep. ad Pasch. § 1—2.


Ep. ad Pasch. § 3 - ^ ; vgl. oben K a p . V S. 116f.
Ep. ad Pasch. § 4.
Ep. ad Pasch. § 2 : . . ., ne forsitan saeculari tantum litleratura politus tali vitam
Sermone conscriberet, in quo multorum plurimum laboraret inscitia et res mirabiles, quae diu
quadam silentii nocte latuerant, quantum ad nos attinet ignaros liberalium litterarum, obscura
disertitudine non lucerent.
i n Vgl. W . B U L S T , Eugippius und die Legende des hl. Severin, Hagiographie und
Historie (Die Welt a b Geschichte 1, 1950) S. 22.
Ep. ad Eug. § 3: elocutus es simplicius, explicastifacilius. . .
Nicht ganz verständlich erscheinen die Ausführungen von W. B U L S T S . 18ff.
Er legt zunächst großen W e r t auf das W o r t commemoratorium, mit dem E u g i p p seine
Schrift verschiedentlich bezeichnet, u n d will in ihm den eigentlichen Titel sehen,
obwohl er selbst darauf hinweist, d a ß Paschasius das W o r t zwar a u f n i m m t , aber
gleich erweitert: direxisti commemoratorium, cui nihil possit adicere facundia peritorum, et
opus, quod ecclesiae possit universitas recensere, brevi reserasti compendio, dum beati Severini
finitimas Patmoniorum provincias incolentis vitam moresque verius explicasti et quae per illum
divirui virtus est operata miracula diutumis mansura temporibus tradidisti memoriae posterorum
(§ 2). Vita, mores u n d miracula sind aber der Inhalt einer Vita. Ein weiterer Beweis
d a f ü r , d a ß die Schrift als Vita aufgefaßt werden m u ß , ist die Tatsache, d a ß Pascha-
sius, von d e m Eugipp doch die Abfassung einer V i t a verlangt, ihm seine Schrift
zurückschickt, weil sie allen Anforderungen genüge und er es nicht besser machen
könne, d. h. weil sie eine Vita ist. D a ß E u g i p p seine Schrift stilistisch durchfeilte,
weist B U L S T S . 22 selbst nach. D a E u g i p p aus Bescheidenheit geringschätzig von
seinem Stile spricht (§ 4), ist doch wohl a u c h das Wort commemoratorium eine be-
scheidene Bezeichnung seiner Schrift.
M G . SS. rer. M e r . 4 S. 741.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 135

frater karissime, descripsimus, per praesentem latorem strenuitati argutiaeque


vestrae concertandam direximus. Quaesumus ergo, ut, sepositis paulolum curis
exterioribus, Studium illic adhibeas quantotius, et si quid forte out mea aut
notariorum incuria in verbis vel syllabis inconpositum aut minus aptum deprae-
henderis, iuxta prudentiam tibi conlatam studiose emendes nobisque demum
emendata restaures. Vale in Domino et noli, frater, differre quod quaeso. Rodo-
bert betont in seiner Antwort zunächst seine eigene imperitia und Dados
prudentia und fährt dann fort: Totum itaque volumen, quo vita saruti con-
tinetur Eligii, a summis ad ima usque sollerti, ut iusseras, cura quidem percurrens,
nihil omnino quod adicere emendarique deberem usque potui repperire, sed magis
potius quod admirarer, venerarem, praeferrem et praedicarem, um die Schrift
noch weiterhin zu loben.
Bittet Eugipp um Bearbeitung, Dado nur um Korrektur, so sind doch
die Adressaten darin einig, das übersandte Werk als fehlerlos und
keiner Bearbeitung bedürftig hinzustellen. Freilich lobt Paschasius das
Werk des Eugipp mehr überlegen väterlich, während die Antwort
Rodoberts voll schmeichelnden Lobes ist für das Werk seines ihm zu-
mindest gleichgestellten Freundes^®®.
Ähnlich ist das Verhältnis zwischen Balderich, Erzbischof von Dol,
und Petrus, Abt von Maillezais. Balderich sandte seine Geschichte
Jerusalems mit einem langen Brief an seinen jüngeren Freund Petrus
adcastigandumtibitransmisi,quemregularicensuravolocompescasetpolias, ..
der ihm am Ende seines ebenso langen Antwortbriefes entgegnet:
ß'on minimum vero obstupescendo miror, quo animo libellum praefatum ad
compescendum et poliendum direxerit insciolo, et pene nullius scientiae gutta
rigato, cum praesertim nullus poetarum id praesumere audeat. Quippe ubi con-
catenatio multiplicium sententiarum consonat, partium quoque iunctura regulari
censura liberoque gressu discurrit nihilque lector diligens absonum inibi reperiat'^".
Petrus betont noch ofTener als Rodobert, daß er sich für einen unwür-
digen Kritiker des vollendeten Werkes hält.
Wieder in einem anderen Verhältnis stehen Alpert von Metz und
Burchard von Worms zueinander. Alpert hatte sein ohne Auftrag ver-
faßtes Geschichtswerk ,De diversitate temporum'^*' an Burchard, der
ihm persönlich unbekannt war, gesandt und ihm freigestellt, es entweder
bei Mißfallen zu vernichten, oder aber, wenn er es billige, mit dem
Namen des Verfassers zu versehen. Burchard lobt in seiner Antwort

js« Vgl. auch die Einleitung von KRUSCH ebd. S. 650f.


Migne, P L . 166 c. 1060.
J"» Ebd. c. 1062.
M G . SS. 4 S. 701 f.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
136 Gertrud Simon

Alperts Eifer und dessen Werk, nam in dictaminis tui filo, haud segniter
tomato, magnas et auctorales causas non titubantibus vestigiis cautissime con-
servasti; er befiehlt ihm, es mit dem N a m e n zu versehen und bietet der
Schrift noch ausdrücklich autoritativen Schutz gegen Kritik
W i r h a b e n also in diesen Schreiben richtige Briefe vor uns, mit
denen die Werke übersandt wurden. Die erhaltenen Antwortbriefe'®''
gehen auf diese Bitte u m Beurteilung, Korrektur oder Bearbeitung, die
sich stets auf den Stil der Schrift bezieht, ein, lehnen sie aber i m Hin-
blick auf das tadellose Werk höflich ab. Diese Antworten gebildeter,
oft höherstehender M ä n n e r , sind Anerkennung, Legitimation u n d
Schutz.

X . A u f b a u u n d I n h a l t des W i d m u n g s b r i e f e s

Der moderne BegrifT,Widmungsbrief', der seiner Bedeutung nach


n u r f ü r solche Briefe zutrifft, d u r c h die eine Schrift als ehrenvolles Ge-
schenk, evtl. aus Dankbarkeit, zugeeignet w i r d ' , ist, auf die Verhält-
nisse des Mittelalters übertragen, zu eng und irreführend, weil er
unterschiedslos für j e d e n Brief gebraucht worden ist, der ein literari-
sches Werk begleitet^. Klarheit läßt sich nur gewinnen d u r c h U n t e r -
suchung des Ursprungs von W i d m u n g und \'orrede und d u r c h g e n a u e
Definition ihrer verschiedenen Ausprägungen und Mischformen i m
Mittelalter. Dabei soll zunächst zwischen Form und Inhalt unter-
schieden werden.
Wie aus den bisherigen Darlegungen hervorging, enthält der W i d -
mungsbrief viele Bestandteile, die ursprünglich in den R a h m e n der

Si quis vero, invidia stimulanU, detractionis murmure nos nostraque vituperet, huic
respondeo, et confusum his verbis obmutescerefacio: 'Invidus es nostris, quoniam tu talia nescisV
(S. 702).
i»3 Yg] auch die Antworten des Petrus von Cambrai und Odilo von Soissons an
Hucbald v. St. Amand zur Übersendung der V. Lebuini (Migne, PL. 132) c. 875
u. 877. Vgl. femer den Brief Meinhards von Bamberg, der dem Abte Reginhard eine
ihm zur Bearbeitimg übersandte V. Annonis zurücksendet, weil sie gut genug sei
(MG. Briefe der dt. Kaiserzeit 5 Nr. 103 S. 173).
Diese Vorstellung herrscht auch, aber nicht ausschließlich, in der Antike: Belege
von Cicero bis Ausonius bei G R A E F E N H A I N (S. Einl. Anm. 1) S. 24—26.
' Vgl. z. B. die Bezeichnung epistola dedicatoria für den Brief Ottos von Freising zu
seiner Chronik an Reinald, in der Ausgabe von H O P M E I S T E R (MG. S S . rer. Germ.
'1912) S. 1 Anm. 2. — Es handelt sich um einen Geleitbrief zu dem Werk, in dem
der Adressat um Empfehlung der Schrift bei dem wirklichen Empfänger des Werkes
gebeten wird. Vgl. auch die Briefe von Gaufredus Malaterra und Vincenz von Prag
(an Judith).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 137

allgemeinen Vorrede, des Prologs, gehören''. Dies erklärt sich aus seiner
Entstehung. In der Antike wurden zunächst historische Werke von
Proömien sachlichen Inhalts eingeleitet, in denen niemand direkt
angeredet wurde. Sollte ein solches Werk einer bestimmten Persön-
lichkeit zugeeignet werden^, so genügte eine kurze Anrede dieser
Person am Anfang oder innerhalb der Praefatio zur Bezeichnung der
Widmung®. Der Inhalt einer solchen Widmungsvorrede erfuhr da-
durch keine Änderung, er wurde lediglich um die Widmungsformel
erweitert. Darüber hinaus konnte neben der Praefatio ein richtiger
Brief mit Salutatio und Abschiedswunsch das Werk begleiten, in dem
die Widmung gesondert ausgesprochen wurde*; dieser Brief wurde
bald fest mit dem Werk verbunden''. Er konnte Bestandteile des Proö-
miums enthalten — und es deshalb ersetzen — , aber auch die Punkte,
die mit der Widmung zusammenhingen®, in den Vordergrund stellen.
Alle diese Möglichkeiten wurden von den mittelalterlichen Histo-
rikern übernommen, so daß wir, rein formal gesehen, drei Typen von
Proömien unterscheiden können:
1. Prolog ohne Anrede®,

' Z. B. alle Erörterungen über Anlaß, Zweck, Methode und Plan des Werkes,
auch über das Urteil der Leser. Ü b e r das Proömium vgl. V O L K M A N N (S. K a p . I
A n m . 1) S. 126fr. (mit Belegen); daß es sein Zweck ist, den Leser attentum et dociUm
facere, betont noch Wilhelm von Malmesbury, Gesta reg. Angl. (s. K a p . I Anm. 21)
Prol. 3.
* Die Sitte der Widmung ist den historischen Werken anfänglich fremd, sie
kommt zuerst in epideiktischen Schriften auf; vgl. PETER, Der Brief (s. Einl. A n m . 1)
S. 242 flf., bes. S. 2 4 8 f .
^ Ebenso verfuhren die Dichter; die üblichsten Wendungen bei G R A E P E N H A I N
S. 27, 29.
® Vgl. G R A E P E N H A I N S . 3 2 ; Beweis für ursprüngliche T r e n n u n g : Widmungsbrief
Ciceros an Atticus zu den Academica steht auch in der Sammlung der Briefe ad
familiares 9 , 8 .
' V g l . G R A E P E N H A I N S . 3 3 f.
' Z . B. Anlaß und Zweck der Widmung, Schmeichelei, Bitte um Beurteilung usw.
' Möglich ist in solchen Prologen eine Anrede des Lesers, um seine Aufmerksam-
keit zu erregen, und auch die Bitte um Nachsicht bei der Lektüre des Werkes zum
Zweck der captatio benevolentiae. — I m folgenden werden die Belege möglichst auf die
eigentliche Geschichtsschreibung begrenzt. — I m Mittelalter haben z. B. nur einen
Prolog: Sulp. Sev., C h r o n . ; Gregor von Tours, Hist. Franc., Lib. in gloria confess.,
L i b . de mirac. Andreae; Erchempert; Astronomus, V . Hludovici; Gesta ep. C a m e r a c . ;
E a d m e r , Hist. Novor.; Gesta ep. Halberstad.; Richard von London; Wilhelm von
Malmesbury, Gesta pont. Angl.; Robert von St. R 6 m i . Doch besteht die Möglich-
keit, daß Widmungsbriefe nicht mit abgeschrieben wurden und so verlorengingen,
wie aus der Bitte Reginos hervorgeht: In calce aulem obsecro lectorem, ut, si Uli haec dicta
nostra, qualiacumque sint, placuerint et ea sibi describi voluerit, hatte prefatiunculam nidlatenus
omittat, quin eam in prima fronte libelli annolari faciat ( M G . SS. rer. Germ. S. 1 f.).

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
138 Gertrud Simon

2. Widmungsprolog mit Anrede am Anfang oder im Laufe der


Praefatio^»,
3. Widmungsbrief mit Salutatio und Schlußwunsch, der aber fehlen
kann
Prolog und Widmungsbrief sind nebeneinander möglich Hieran
schließen sich im Mittelalter noch als vierte Gruppe verschiedene
Mischformen an.
Sie entstehen, wenn z. B. innerhalb eines Widmungsbriefes, der doch
an bestimmte Personen gerichtet ist, der Autor plötzlich alle zukünf-
tigen Leser anredet, wie es in einem Prologe möglich ist^''. Dieses Vor-
gehen zeigt, daß für den betreffenden Autor der Widmungsbrief kein
für sich allein bestehender Brief ist, sondern zugleich die Funktion des
Prologes ausübt. Zu den Mischformen sind wohl auch die Prologe zu
rechnen, die der Form nach (mit Salutatio) Widmungsbriefe sind, sich
aber an alle Leser wenden
Neben diesen formalen Unterschieden ergeben sich aber, ebenfalls
seit der Antike, Gruppen nach inhaltlichen Gesichtspunkten. Denn die
Widmung eines Werkes — von dem bloßen Prolog kann hier abge-

D a ß es durchaus üblich war, sein Werk zu widmen, zeigen die Worte Guiberts von
Nogent: Dum cuius rumini praesens opusculum dedicare debeam, . . . (Comm. in Genesim,
Migne, PL. 156 c. 19).
Am Anfang wenden sich an den Empfänger ihrer Schrift: Cassiodor; Jordanes;
Beda, Hist. eccL; Frechulph an Judith; Nithard; Thietmar; Tomellus; Alpert;
Gottfried von Viterbo; Hist. peregrinorum. — Die Anrede erfolgt im Verlauf des
Prologes bei: Festus; Lampert von Hersfeld; Ordericus Vitalis; Gesta Roberti
Wiscardi; Ekkehard von Aura; Otto von Freising, Gesta Friderici und Chron.,
Prol. an Isegrim; Helmold, praef. 2; Hist. pontific. (üblicher erst seit 11. Jh.).
" Mit Salutatio und Schlußgruß: V. Germani; Jonas, V. Columb.; Paulus
Diaconus; Regino; Transl. Alexandri; Ruotger; Widukind; Wipo; Landulf von
Mailand; Gosmas von Prag; Ekkehard von Aura an Erkembert; Hugo von Fleury;
Chron. Polon.; Donizo, V. Mathildis com. — Nur die Salutatio haben so viele
Werke, daß einige Beispiele genügen mögen: Hieronymus, Chron.; Isidor; Eugenius
Toletanus; Paulus Diaconus; Agnellus; Nemnius, Hist. Brit.; Liutprand; Hrotsvit;
Flodoard; Rodulfus Glaber; Dudo; Wilhelm von Jumieges; Gesta Cnutonis; Brun,
Bell. Sax.; Adam von Bremen; Guibert von Nogent; Gaufredus Malaterra; Eadmer;
u. a.
Vgl. Wilhelm von Malmesbury, der im Widmungsbrief auf den Prolog hin-
weist : Continentiam autem operis prologus primi libri exponit; quem si placuerit legere, materiam
totam poteris compendio colligere (Gesta reg. Angl. Ep. S. 356).
" Diese Methode findet sich bereits bei Beda (Hist. eccl.) in einer Widmungs-
vorrede, ferner bei Regino; Thietmar; Hugo von Fleury (an Adela und Heinrich
von England); Gottfried von Viterbo; Vincenz von Prag (an Wladislaw); V. Karoli
com. Flandr.; sehr häufig in der Form, daß alle etwaigen Leser um Fürbitte oder
Nachsicht gebeten werden. Vgl. oben Kap. I X S. 12If.
" Vgl. z. B. Idacius; Nemnius; Balderich von Dol; Wilhelm von Tyrus.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalteriicher Geschichtsschreiber 139

sehen werden — konnte verschiedenen Anlaß und Zweck haben: der


Autor konnte durch die Übersendung seiner Schrift dem Empfänger
eine Freude bereiten und ihn ehren wollen, er konnte seine Dankbar-
keit erweisen und auch das Ziel der Belehrung — zuweilen auf eine
Bitte des Adressaten hin — damit verfolgen Eine ganz andere
Quelle der Widmung ist die Sitte, sein Werk zur Beurteilung und
Korrektur einem Freunde vorzulegen^®. Herrschern und anderen
hochgestellten Personen wurden auch Schriften gewidmet, um ihren
Schutz für den Autor und ihre Empfehlung für das Werk zu gewinnen
Diese Möglichkeiten waren in der antiken Literatur entwickelt, und
großenteils wurden sie im Mittelalter weiterhin genutzt. Für die
Historiker rückte natürlich ein Motiv, das den epideiktischen Schriften
entstammt, die Belehrung, in den Hintergrund^®. Auch der Gedanke,
daß der Verfasser den Empfänger durch seine Gabe ehre, tritt zurück,
vielleicht deshalb, weil dies dem Werk einen Wert beilegte, der der be-
scheidenen Selbsteinschätzung mittelalterlicher Autoren widersprach.
Ein Motiv aber, in der Antike noch selten, gewinnt in ganz auffallendem
Maße an Bedeutung und Verbreitung: die Übersendung eines Werkes,
dessen Abfassung der Empfänger erbeten oder befohlen hatte. So er-
geben sich, vom Inhalt her gesehen, fünf Hauptgruppen von Wid-
mungsbriefen oder -prologen im Mittelalter:
1. Widmung zur Freude und zum Vergnügen des Adressaten^',
2. Widmung als Gabe aus Dankbarkeit^®,
3. Widmung mit Bitte um Beurteilung und Korrektur

" Vgl. P E T E R , Der Brief S. 2 4 3 ; G R A E P E N H A I N S . 5 — 7 (amor veneratioque),


S. 9 (Dankbarkeit), S. 10—13 (Belehrung).
" Vgl. P E T E R , Der Brief S . 2 4 8 f . ; G R A E P E N H A I N S . 23.
" Vgl. GRAEPENHAIN S. 17—20.
Viele Historiker wollen zwar, daß ihre Leser aus den Beispielen der Geschichte
lernen, teilen aber doch selbst keine Belehrung aus; vgl. oben K a p . V I I I S. 106.
Widmung zur Freude und Unterhaltung: E u t r o p ; Cassiodor; Widukind;
Liutprand; Thietmar; W i p o ; Cosmas v. Prag; Hugo von Fleury u. a. (Zitate oben
K a p . V I I I S. 109). Die Empfänger sind großenteils weltliche Fürsten; teilweise
sind die Werke auf einen Auftrag hin geschrieben.
Vgl. z. B. Smaragd; Einhard; Agius u. a. (vgl. oben K a p . I S. 55f.).
' ' Mit Auftrag verbunden: Jordanes, Getica; Agnellus; Flodoard; V . Mahthildis
prior u. post. — Ohne Auftrag wesentlich häufiger: Justin; Eugipp; Gregor v.
Tours, Lib. in glor. confess.; Transl. Alexandri; Frechulph (an J u d i t h ) ; Regino;
T h i e t m a r ; Gesta ep. Leodiens.; Alpert; Adam von Bremen; Cosmas von P r a g ;
Ordericus Vitalis; Hugo von Fleury; Chron. Polon. ep. 2 ; Richard von Poitiers
(Belege: Kap. I X passim). Die Bitte um Nachsicht und gnädige Aufnahme an alle
Leser geht auf den Einfluß des Prologs zurück; vgl. z. B. Gottfried von Viterbo;
Wilhelm von Tyrus; Robert von Autun imd oben Anm. 13.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
140 Gertrud Simon

4. W i d m u n g mit Bitte um Schutz des Werkes (an Hochgestellte)


5. W i d m u n g eines gewünschten oder befohlenen W e r k e s " .
Widmungsprolog und Widmungsbrief werden unterschiedslos für
alle diese G r u p p e n gebraucht. Die einzelnen Inhaltsgruppen können
in einem Brief miteinander verbunden werden; z. B. kann ein be-
fohlenes W e r k mit der Bitte um Beurteilung übersandt werden. Es
können auch verschiedene Ausprägungen zeitlich aufeinander folgen^''.
Nun bleibt noch die Aufgabe, den A u f b a u eines Widmungsbriefes
darzulegen, soweit er sich nach allgemeinen Regeln richtet. Er be-
steht, wie andere Briefe, aus der Salutatio, dem K o n t e x t und dem
Schlußwunsch, der aber in der Mehrzahl der Fälle fehlt — folgt also
in großen Zügen den Schulvorschriften, wie sie seit dem 11. J h . in den
verschiedenen Lehrbüchern der ars dictandi dargelegt wurden^".
Die Salutatio besteht aus der Intitulatio, dem Namen des A b -
senders im Nominativ, der Inscriptio, dem Namen des Empfängers im
Dativ und — aber nicht notwendig — einem Gruß^®. V o n dieser
G r u n d f o r m lassen sich viele Einzelausprägungen ableiten, wie sie auch

" Vgl. z. B. Hugo von Fleury an Heinrich von England und Mathilde von Frank-
reich; V. Mahthildis post.; Brun; Gaufred. Malaterra (oben Kap. IX S. 116f. und
130ff.). Die Bitte um Schutz wurde im MA. auch an andere Personen, bes. an Auf-
traggeber, gerichtet, die für das Werk mitverantwortlich waren (s. Kap. IX S. 131).
" Die Auftraggeber können Laien, in diesem Falle meist hochstehende Persön-
lichkeiten, oder Geistliche sein. Im Gegensatz zur Antike ist der Wunsch gleich-
stehender Freunde im MA. seltener geworden; üblich ist der Auftrag von Vorge-
setzten oder Höhergestellten. Vgl. oben Kap. I S. 59fr.,bes. S. 61fr.
" Vgl. z. B. Beda, Hist. eccl. (ed. C. PLUMMER, Oxford 1896, S. 5): Histo-
riam gentis Anglorum ecclesiasticam, quam nuper edideram, libentissime tibi desideranti, rex, et
prius ad legendum ac probandum transmisi, et ntmc ad transcribendum ac plenius ex tempore
meditandum retransmitto; . . . Vgl. dazu W. L E V I S O N , Bede as Historian, S. 347fr.,
bes. S. 362. — Ein Werk brauchte nicht gleich nach der Fertigstellung gewidmet
zu werden, es konnte auch eine Zeitlang später, etwa aus einem besonderen An-
laß, übersandt werden. Vgl. Richard von Poitiers, der seinem Adressaten schreibt:
Quamvis enim fratres nostri iam libenter opusculum legant, multum avidius illud expectent, « . . .
(MG. SS. 26) S. 77.
" Vgl. zum folgenden: H. B R E S S L A U , Handb. d. Urkundenlehre für Deutschland
und Italien 2 (M931) Kap. 13 S. 225—297, bes. S. 248fr.; A. B Ü T O W , Die Ent-
wicklung der ma. Briefsteller bis zur Mitte des 12. J h . mit besonderer Berücksichti-
gung der Theorien der ars dictandi (Diss. Greifswald 1 9 0 8 ) ; C . E R D M A N N , Brief-
sammlungen, in: W A T T E N B A C H - H O L T Z M A N N , Deutschlands Geschichtsquellen im
Mittelalter Bd. 1 («1948) S. 4 1 5 — 4 4 2 , bes. S. 4 3 5 fr. (über die ars dictandi mit Angabe
der älteren Literatur); C . E R D M A N N , Studien zur Briefliteratur Deutschlands im
11. J h . (1938); vgl. ferner G H . M . H A S K I N S ( S . Kap. VII Anm. 26) S. 140fr.;
CuRTius, Dichtung u. Rhetorik (s. Kap. I Anm. 27) S. 445.
" V g l . B R E S S L A U 1 ( « 1 9 1 2 ) S . 4 7 ; B Ü T O W S . 6 0 — 6 7 ; E R D M A N N , Briefsammlungen
S . 4 1 5 Anm. 1 .

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 141

i n den artes d i c t a n d i aufgeführt w e r d e n . B e z e i c h n e n d ist z u n ä c h s t die


Stellung v o n Inscriptio u n d Intitulatio. N a n n t e sich i n d e r A n t i k e
normalerweise der A b s e n d e r zuerst^', so w i r d i m M i t t e l a l t e r in der
R e g e l der N a m e des E m p f ä n g e r s vorangestellt — das e r g a b sich aus
der F o r d e r u n g n a c h Bescheidenheit^*. A u s n a h m s w e i s e k o n n t e der
N a m e des A b s e n d e r s vorangestellt w e r d e n , w e n n er als hochgestellte
Persönlichkeit a n unter i h m S t e h e n d e schrieb, d o c h k o n n t e es a u c h i n
diesem Fall humilitatis causa, w i e A l b e r i c h v o n M o n t e c a s s i n o sagt^®, bei
der üblichen R e i h e n f o l g e bleiben^®. W e i t e r h i n u n t e r s c h e i d e n sich die
Salutationes n a c h der A u s g e s t a l t u n g ihrer drei Bestandteile. W a r in der
Antike die einfachste F o r m ü b h c h , z. B. Statins Marcello suo salutem^', so
w u r d e i m f r ü h e n M i t t e l a l t e r bis z u m 9. J h . vielfach selbst die G r u ß -
formel weggelassen^^, Intitulatio u n d besonders Inscriptio j e d o c h
durch Adjektive u n d A p p o s i t i o n e n erweitert. D i e m ö g l i c h s t a b w e c h s -
lungsreichen B e i f ü g u n g e n z u m N a m e n des E m p f ä n g e r s u n d A b s e n d e r s
bleiben i m g a n z e n Mittelalter üblich. D a r ü b e r h i n a u s wird seit d e m
9. J h . die G r u ß f o r m e l der W i d m u n g s b r i e f e erweitert u n d v i e l f a c h

" Vgl. z. B. Quintilian, Statius, Martial, Solinus, Ampelius, Donat, Ausonius,


Hieronymus. Diese Feststellung macht auch Alberich von Montecassino (BÜTOW
S. 60). Jedoch werden auch in der Antike Ausnahmen von dieser Regel gemacht,
wenn sich der Autor an einen Herrscher v>^endet, vgl. z. B. Martial (Buch VIII) an
Domitian; Ausonius an Theodosius; Eutrop an Valens.
" Da es von dieser Regel kaum Ausnahmen gibt, erübrigen sich Belege. Vgl.
a u c h BÜTOW S . 6 0 , 6 6 , 6 7 .
BÜTOW S . 6 0 u n d 6 7 .
Bei Widmungsbriefen steht vielfach der Absender an zweiter Stelle, auch wenn
er höher steht als der Empfänger; vgl. z. B. Gregor v. Tours, Lib. d. virt. Martini;
Mirac. Waideberti; Herimann v. Toumai; einen Unterschied in seiner Salutatio an
Herrscher und ihm untergeordnete Geistliche macht dagegen Hincmar von Reims
(vgl. seine Werke Migne, PL. 125). — An erster Stelle nennen sich ferner auch:
Altfrid, V. Liutgeri; Ado, V. Theudarii und Desiderii (MG. SS. rer. Mer. 3) S. 526
u. 646; V. Remacli (MG. SS. rer. Mer. 5); Balderich von Dol, V. Hugonis Rothomag.
(Migne, PL. 166) c. 1163. — Der Absender nennt sich immer zuerst, wenn er auch
in der Salutatio alle Leser anredet; vgl. Idacius; Nemnius; Balderich von Dol;
Wilhelm von Tyrus.
" Silv. IV.
' ' Vgl. z. B. Paulus Diaconus: Dominae Adelpergae eximiae summaeque ductrici Paulus
exiguus et supplex. Vgl. ferner Sulpic. Sev., V. Martini; Victor von Aquitanien;
V. Germani; Polemius Silvius; Venant. Fortun., L. de virt. s. Hilarii und die Viten;
Gregor von Tours, L. de virt. Martini; Jonas, V. Columb.; Isidor von Sevilla;
Eugenius von Toledo; Alcuin, V. Richarii. Später: Hincmar; Frechulph (an Heli-
sachar); Mirac. Maximini; Rodulfus Glaber; Dudo; Hugo von Fleury (an Ivo von
Chartres).
" Beim Empfängernamen sind sie seit dieser Zeit fast ausnahmslos vorhanden,
beim Absender fehlen sie gelegentlich; vgl. z. B. Isidor von Sevilla; Mirac. Maximini;
Rodulfus Glaber; Richard von Poitiers.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
142 Gertrud Simon

variiert. Wie im Gegensatz zu dem völligen Fehlen des Grußes taucht


im 9. Jh. ein vollständiger Satz (mit Verbum finitum) als Salutatio
auf^^, eine Form, die sich aber nicht durchgesetzt hat und nur ge-
legentlich später noch n a c h k l i n g t S e i t d e m 9./10.Jh. hat sich eine
Hauptform herausgebildet, von der fast nie mehr abgewichen wird''®,
mit vielfach variierten Attributen zu Inscriptio und Intitulatio, und
mit einem Gruß verbunden, bei dem das Verb ergänzt werden muß^''.
Die einfache Wendung salutem, die im 10. Jh. noch üblich ist, wird
aber im II. Jh. zurückgedrängt''® und findet sich häufiger erst wieder
im 12. Jh.'". An ihre Stelle kann — allerdings seltener — die Ver-
sicherung des Gehorsams und der Ergebenheit treten, die bereits im
9. Jh. begegnet, aber erst im 11. und besonders im 12. Jh. verstärkt
aufgenommen wird^®. Am üblichsten werden aber, besonders seit dem
Beginn des l l . J h . s , frei formulierte gute Wünsche für das irdische
Wohlergehen und die zukünftige Seligkeit des Adressaten Bei Briefen
an weltliche Herrscher wird fast regelmäßig diese Form gewählt''^.

" Vgl. z. B.: H i n c m a r von Reims an Karl III. (De institutione regia); Transl.
Alexandri; Regino an Bischof Adalbero und H a t t o ; V. Anskarii; V. H a t h u m o d a e ;
V. Liudgeri.
' ' I m 11. J h . : V. Mahthildis post.; auch Gesta Cnutonis, bei denen aber die
Angabe des Absenders fehlt; V. Walarici.
Ausnahmen: Vgl. oben Anm. 32.
" Beispiel: W i d u k i n d : Flore virgimli cum maüstate imperiali ac sapientia singulari
fulgenti dominae Mahthildae ultimus servulorum Christi martyrum Stephani atque Viti, Corbeius
Widukindus, totius servitutis devotissimum famulalum veramque in salvatore salutem; vgl.
femer Transl. Alexandri; Mirac. Waideberti; Liutprand; Odo de Deogilo; Wilhelm
von Malmesbury, Gesta reg. Angl.; Raimund von Agiles, Hist. Hierosolym. (ed.
B O N G A R S 1 S. 139); O t t o von Freising (an Reinald); Andreas Marchianensis.
" Vgl. BÜTOW S. 62.
Es besteht natürlich die Möglichkeit, d a ß das begrenzte Material zu diesen
Beobachtungen führt. Sichere Ergebnisse kann nur die Untersuchung aller Wid-
mungsbriefe (nicht nur der zu historischen Werken) bringen.
" Vgl. z. B. Regino (an Adalbero und R a t h b o d ) ; V. Hariolfi; Transl. Celsi
( M G . SS. 8) S. 204; V. Willelmi von Rodulfus Glaber (MG. SS. 4) S. 655; V . Hugonis
Rothomag. von Balderich von Dol; Otto v. Freising (an Reginald); Helmold;
Chron. Polon., ep. 2 ; A d a m von Bremen; Arnold v. Lübeck; V. Karoli com. Flandr.
" Beispiel: Regino an Hatto von M a i n z : Sanctae Moguntiacae sedis presuli ac totius
Germaniae primati Hathoni Regino vestrae sublimitatis devotissimus clientelus presentis vitae
prosperitatem et futurae beatitudinis orat gloriam. Der gleiche doppelte Wunsch findet
sich in ähnlicher u n d auch anderer Formulierung bei Hincmar von Reims (De
institutione regia); Odilo von Cluny; Landulf von Mailand; Hugo von Fleury
(an Mathilde von Frankreich); Chron. Epternac.; Chron. Polon. ep. 3; Vincenz
von Prag (an Wladislaw von Böhmen); Wilhelm von Malmesbury, Hist. nov. I m
übrigen sind die Wendungen mit Absicht vielfältig und abwechslungsreich, ent-
sprechend den Vorschriften der ars dictandi (s. B Ü T O W S. 61), so d a ß eine Grup-
pierung nur gezwungen durchführbar wäre.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 143

Ähnliche feste Formen und einen klaren Aufbau wie für die Salu-
tatio lassen sich für den Kontext des Briefes nicht aufzeigen; denn die
verschiedenen Bestandteile sind prinzipiell innerhalb des Textes ohne
feste Stellung. Auch die Lehren der ars dictandi helfen hier nicht
weiter". Aus der vergleichenden Beobachtung des Aufbaus vieler Wid-
mungsbriefe ergibt sich aber eine gewisse Reihenfolge der Topoi, die zwar
nicht als zwingend, doch immerhin als üblich bezeichnet werden kann.
Am Anfang des Briefes, nach der Salutatio, wird in der großen Mehr-
zahl aller Fälle der Anlaß des Werkes angegeben, damit verbunden
auch das Thema. Im Laufe des Briefes kann noch einmal auf diesen
Punkt zurückgegriffen werden; wird dann ein anderer Anlaß genannt,
so ist dieser meist sekundär Im Mittelteil finden sich Äußerungen
über die Quellen, die Methode, den Stil und die Form des Werkes,
über das zu erwartende Urteil der Leser und meistens auch über den
Zweck der Schrift. Ebenso wird häufig auch mitten im Brief — ganz
selten aber am Anfangt® — die Bitte um Beurteilung und Korrektur
geäußert. Dieser Topos bildet aber ebenso oft den Abschluß des
Briefes ; und auch Erörterungen über den Zweck werden zuweilen an
das Ende gestellt oder dort wiederholt. Ohne festen Platz ist die
captatiobenevolentiae. Schmeichelei an den Adressaten und Autorenbe-
scheidenheit kann in jedem Teil des Widmungsbriefes angebracht und
mit fast jedem Topos verbunden werden, wie in der Einzelunter-
suchung mehrfach hervorgehoben wurde Häufig folgt indessen die
bescheidene Selbstverkleinerung auf den Auftrag, dem trotz des
Zögerns Folge geleistet werden muß^®. In engem Gedankenzusam-
menhang stehen auch immer Bescheidenheitsbeteuerungen oder Über-
legungen über das Urteil der Leser mit der Rechtfertigung^®.

Vgl. z. B.: Hincmar von Reims; Wipo; Wilhelm von Jumieges; V. Mahthildis
post.; Gesta Cnutonis; Hugo von Fleury (an Mathilde von Frankreich, Heinrich
von England, Adela von Blois); V. Stephani; Donizo, V. Mathildis comit.; Wilhelm
von Malmesbury, Hist. nov.; Vincenz von Prag; Otto von Freising (an Friedrich I.).
" V g l . BÜTOW S . 6 7 ff.
" Vgl. oben Kap. I S. 62ff.
Z. B. bei Regino; Thietmar; Dudo; Gaufredus Malaterra; es handelt sich
hierbei um Widmungsbriefe der Gruppe 3, deren Zweck die Bitte um Korrektur ist.
Bei den beiden letzteren wird sie noch mehrfach im Laufe des Briefes wiederholt.
Sie entspricht vielleicht der Petilio der ars dictandi, die ans Ende des Briefes
gehört, gleich vor die Conclusio, deren Stellung aber auch nicht ganz fest ist; vgl.
BÜTOW S . 7 1 .
' ' Vgl. die Kap. I, n i , V, VI, IX.
" Vgl. oben Kap. I S. 65ff.
" Vgl. Kap. II und III.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
144 Gertrud Simon

Ebenfalls ohne feste Stellung ist die Ü b e r g a b e der Schrift, die nicht
notwendig in j e d e m Widmungsbrief wörtlich ausgedrückt werden
m u ß . Verschiedene W e n d u n g e n sind hierfür, wie schon in der
Antike'®, so auch im Mittelalter üblich. Selten bleiben a u c h in dieser
Zeit die W o r t e d e d i c a r e , devovere u. viel üblicher sind Formu-
lierungen mit den V e r b e n m i t t e r e , t r a n s m i t t e r e , o f f e n e , d i r i g e r e u. ä. Am
häufigsten findet sich aber im Mittelalter die direkte A u f f o r d e r u n g an
den Emfänger, z. B. s u s c i p e hoc opus oder a c c i p e , h a b e , sumite^^.
D e n Abschluß des Briefes kann ein S c h l u ß g r u ß bilden, vielfach ein
kurzes Valel^^, meistens aber ein ganzer Satz m i t guten W ü n s c h e n f ü r
den Adressaten, ähnlich wie in der S a l u t a t i o ' ' .

" V g l . G R A E F E N H A I N S . 5 F F . , 2 7 FF.
" Vgl. G R A E F E N H A I N S . 30.; im MA: Eugenius von Toledo (zit. bei C U R T I U S ,
Europ. Lit. [s. Einl. Anm. 2] S. 93 u. 413); Alcuin, V. Richarii; Alpert (consecrare);
Wilhelm von Jumieges; V. Burchardi {consecrare); Wipo; Guibert v. Nogent,
Comm. in Genesim; Wilhelm v. Malmesbury, Gesta reg. Angl., ep. (consecrare).
" Vgl. G R A E F E N H A I N S . 30 u. 31; im MA. z. B.: Isidor von Sevilla, Etym.;
Eugenius v. Toledo; Beda, Hist. eccl.; Paulus Diaconus (an Karl d. Gr.); Alcuin,
V. Vedastis; V. Remacli; Hugo von Fleury (an Ivo von Chartres); Cosmas von
Prag ep. 2; Otto von Freising, Gesta Friderici.
" Vgl. G R A E F E N H A I N S . 3 1 f.; die häufigste Form suscipe findet sich z. B. bei:
Jordanes, Getica; Regino (an Hatto von Mainz); Mirac. Waideberti; Brun; Hugo
von Fleury (an Mathilde von Frankreich und Adela von Blois); Guibcrt von Nogent;
Chron. Polon. ep. 2; Wilhelm von Malmesbury, Gesta reg. Angl., epil. u. epist.;
accipe bei: Regino (an Adalbero von Augsburg); Wilhelm von Malmesbury, De
antiquit. Glast, eccl.; habes bei: Eigil, V. Sturmi; Ekkehard von Aura; sumite bei:
V. Mansueti; Wilhelm von Jumieges. Bei diesen Wendungen kommen wörtliche
Anklänge leicht vor; vgl. B E U M A N N , Widukind (s. Einl. Anm. 2) S. 29 (Regino;
Widukind; Adso, Lib. de mirac. s. Waideberti; Brun).
" Vgl. z. B.: V. Hariolfi; Widukind; Wipo; Cosmas von Prag (an Severus und
Clemens); Hugo von Fleury (an Ivo von Chartres); V. Deoderici; Otto von Freising
(an Reinald).
Verbunden mit vale: Hieronymus, De virib. ill.; V. Germani; Jonas, V. Columb.;
Paulus Diaconus (an Adelperga); Regino (an Hatto von Mainz); V. Udalrici;
V. Gerardi; Landulf von Mailand; Cosmas von Prag (an Gervasius). Wörtliche An-
klänge finden sich z. B. in folgenden Schlußwendungen: Regino (an Adalbero):
Gloria celsittidinis vestrae multorum utilitatibus profuturam supema Providentia diu incolumen
conservare digrutur; Regino (an Rathbod): Reverentissimepapa, excellentiam vestram superna
Providentia omni sanctae suae ecclesiae profuturam per multa annorum curricula incolumen conser-
vare dignetur; Ruotger: Beatitudinem vestram Deus omnipotens ad salutem rwstram diutissime
iruolumen et benevalentem conservare dignetur; Hugo von Fleury (an Heinrich von Eng-
land) : Vos autem, domine rex, Deus omnipotens sua gratia per longa temporum curricula nobis
Sanum et incolumen conservare dignetur. Amen. Doch wird sonst in den Schlußwünschen
die gleiche variatio erstrebt wie in der Salutatio.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 145

Zusammenfassung

Bisher sind die einzelnen Topoi der Prologe und Widmungsbriefe


und deren inhaltlicher Aufbau systematisch, wenn auch im allgemeinen
unter Einhaltung der historischen Abfolge in den Unterabschnitten,
dargelegt und in ihrer Kontinuität von der Antike bis zum Beginn des
I S . J h . s behandelt worden. Wie es bei einer systematischen Auf-
gliederung, die möglichst viele Varianten der festen Hauptbestandteile
der Prologe anzuführen und in ihrer Bedeutung zu klären sucht, leicht
geschehen kann, ist die Frage nach der historischen Einordnung der
einzelnen Sonderausprägungen und Umwandlungen etwas in den
Hintergrund getreten. W^enn auch auf zeitliche Unterschiede von Fall
zu Fall hingewiesen wurde, so könnte doch der Eindruck entstehen,
daß, von wenigen belanglosen Ausnahmen abgesehen, die mittelalter-
lichen Prologe und Widmungsbriefe sich untereinander und von den
antiken in Aufbau und Topik kaum unterscheiden, weil die literarische
Tradition so feste Formen geprägt hat, daß sie jedes Eigenleben über-
deckt. Deshalb soll in diesem letzten Teil der Untersuchung der Ver-
such gemacht werden, die Entwicklung her\'orzuheben, die sich selbst
bei so festgewordenen literarischen Formen zeigt, wenn die geistigen
Wandlungen so stark sind, daß sie alle Gebiete des Lebens durch-
dringen. Dabei wird besonders die Zeit zu beachten sein, die, weit-
gehend noch im Besitz des antiken Bildungsschatzes, diesen mit den
neuen Gedanken des Christentums durchdringt und die überlieferten
Formen wandelt und umprägt zu der Gestalt, in der sie uns in den
folgenden Jahrhunderten des Mittelalters immer wieder entgegen-
treten. Darüber hinaus sollen aber auch die neuen Ansätze und selb-
ständigen Rückgriffe auf antikes Gedankengut im 11./12. J h . , die mit
einem trotz aller christlichen Demut neu erwachenden Selbstbewußt-
sein verbunden sind, aufgewiesen werden.

Freilich lassen sich fast alle im Mittelalter auftretenden Topoi in


gleicher oder ähnhcher Form oder in einer Vorstufe in der Antike
nachweisen; faßt man aber ihre Verbreitung und Bedeutung in beiden
Zeiträumen ins Auge, so ergeben sich doch bedeutsame Unterschiede.
Die captatio benevolentiae durch bescheidene Betonung der Niedrigkeit
und Unfähigkeit des Autors war z. B. schon in der Antike, wohl durch
den Einfluß der Rhetorik, zum übHchen Bestandteil auch von Prologen
zu Geschichtswerken geworden. In dieser Form, als rhetorischer Kunst-
griff, wurde sie zunächst von christlichen Schriftstellern übernommen
und weitergegeben. Aber für einen Christen mußte dieser Topos einen

10 Archiv für Diplomatik 5/6

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
146 Gertrud Simon

ganz neuen Sinn u n d eine über den ursprünglichen Zweck, den Leser
wohlwollend zu stimmen, weit hinausgehende Bedeutung erlangen.
W e n n im Mittelalter kein Prolog mehr ohne Bescheidenheitsbeteuer-
ungen d e n k b a r war, wenn sie einen großen R a u m einnehmen und in
vielfältiger F o r m auftreten, so läßt sich diese Erscheinung nicht allein
als Ü b e r n a h m e u n d F o r t f ü h r u n g einer literarischen Tradition deuten.
Denn dieser Topos wird so sehr in den Mittelpunkt gestellt, er durcli-
dringt d a r ü b e r hinaus fast alle anderen Teile des Prologs so weit-
gehend, d a ß eine derartige Bedeutungssteigerung n u r dadurch ver-
ständlich wird, d a ß die übernommene Form mit neuem Inhalt er-
füllt wurde. N u r deshalb konnte der antike Bescheidenheitstopos im
Mittelalter eine so beherrschende Stellung erlangen, weil er sich d e m
christlichen Schriftsteller empfahl als Ausdruck für das Gefühl der
D e m u t , das die neue Religion z u m Ideal erhoben hatte. Beherrscht von
der Überzeugung, d a ß er gering und unbedeutend sei und alle seine
Anlagen u n d Fähigkeiten n u r der Gnade Gottes verdanke, konnte der
christliche Autor nicht m e h r unbefangen \vic der antik-heidnische
Mensch von seinem ingenium sprechen u n d für sich R u h m erstreben —
seine Person tritt in den Hintergrund, von seinen Kenntnissen spricht
er nur, u m ihre UnzulängHchkeit zu entschuldigen. M e h r noch als in
der Antike konnte auch das Wohlwollen eines christlichen Lesers n u r
einem demütig-bescheidenen Schriftsteller zuteil werden; die selbst-
bewußte Betonung der eigenen Bildung und Begabung hätte ein
Christ als A n m a ß u n g e m p f u n d e n . O b die Bescheidenheitsbeteuer-
ungen im einzelnen Falle ernst gemeint waren oder nicht, ist in diesem
Z u s a m m e n h a n g belanglos; zumindest war der Autor sich bewußt, d a ß
sich eine demütige H a l t u n g ziemte und vom Leser erwartet wurde.
Entsprechend seiner ungeheuren Verbreitung taucht dieser Topos
im Mittelalter in allen aus der Antike bekannten Formen, ferner in
vielen neuen, teilweise von der Bibelsprache beeinflußten Ausprägun-
gen auf und erfaßt a u ß e r d e m die meisten übrigen Bestandteile des
Proömiums. V o n größter W i r k u n g sind für seine Ausformung die
Werke der Kirchenväter gewesen und die ganze frühe christliche
Literatur bis ins 6. J h . Formulierungen von Hieronymus, Rufinus,
Orosius, Sulpicius Severus, u m n u r einige besonders wichtige Autori-
täten zu nennen, finden sich in mehr oder minder wörtlichen An-
klängen in den folgenden J a h r h u n d e r t e n immer wieder.
Aus der zentralen Stellung der Bescheidenheitsbeteuerungen erklärt
sich auch die im Verhältnis zur Antike auffallend gesteigerte Verwen-
d u n g eines weiteren Topos, der Rechtfertigung des Unternehmens. D a

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 147

die Autoren in der Regel nachdrücklich und wiederholt auf ihre


Unfähigkeit und Unwürdigkeit hinweisen, konnte bei dem Leser leicht
die Frage auftauchen, weshalb sie denn überhaupt zur Feder gegriffen
haben. Diesen Einwand suchen die Autoren nun im voraus mit ver-
schiedenen Gründen zu entkräften, mit Gründen, die also gewichtig
genug sein müssen, um das Erscheinen eines, wie der Verfasser selbst
zugibt, unvollkommenen, fehlerhaften Werkes zu rechtfertigen, d. h.
die diesem Werk trotz seiner formalen Mängel einen gewissen Wert
geben. So erklärt sich, daß aus der Fülle der Motive, die die Autoren
als Anlaß ihrer Schriften anführen, nur eine beschränkte Anzahl zu
diesem Zweck herangezogen wird. Dieses Vorgehen war in der Antike
freilich nicht unbekannt, aber schon in der spätantiken christlichen
und besonders in der mittelalterlichen Literatur wird dieser Bestand-
teil des Proömiums mit weit größerem Nachdruck ausgeformt und um
neue Gesichtspunkte erweitert. Der bereits in der Antike anerkannte
Rechtfertigungsgrund, der Gehorsam gegenüber einer dringenden
Bitte oder einem Auftrag, wird auch im Mittelalter am meisten ange-
führt. Diese Übereinstimmung dürfte jedoch weniger in der Kraft der
literarischen Tradition begründet sein als in der besonderen Bedeutung
des Auftrags im Mittelalter; denn nicht nur mußte der bereitwillige
Gehorsam dem Verfasser die Nachsicht des Lesers gewinnen, sondern
auch die Autorität des Auftraggebers dem Werk einen Rückhalt bieten.
Demgegenüber tritt im Mittelalter die in der Antike geläufige Be-
rufung auf den guten Willen des Autors zurück. Sie findet sich zwar
noch häufiger in der Übergangszeit, wird aber schon hier mit der
Rechtfertigung durch den Gehorsam verbunden und tritt in der Folge-
zeit ganz in den Hintergrund. Erst im 12. J h . taucht dieses Argument,
durch Bibelzitate gestützt, wieder auf.
Ein weiterer Rechtfertigungsgrund, der seit seinem Auftreten bei
Venantius Fortunatus immer wieder begegnet, ist der Hinweis auf die
Liebe und Verehrung des Autors gegenüber seinem Auftraggeber, die
ihn zur bereitwilligen Ausführung des Werkes trieb und die desto
höher gewertet wird, j e größer die Schwierigkeiten der Aufgabe sind;
es handelt sich also im Grunde nur um eine neue Modifizierung der
Rechtfertigung mit dem Gehorsam, mit der sie auch verbunden zu sein
pflegt. Diese Sonderform stellt aber die Verbindung zu einer Recht-
fertigung her, die in einen ganz anderen Gedankenkreis gehört, wenn
der Autor mit seiner Verehrung für den Helden der Schrift selbst die
L^nvollkommenheit seines Werkes zu entschuldigen sucht. Bei dieser
Variante, die erst spät auftaucht, soll zwar auch eine christliche Tugend

10*

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
148 Gertrud Simon

die fehlenden Fähigkeiten ersetzen, aber darüber hinaus wird der


Leser auf die Bedeutung der Person des Helden hingewiesen, dem die
Liebe des Autors gilt, d. h. der Wert der dargestellten Sache wird als
Ausgleich für die Mängel der Form geltend gemacht. Für diese Recht-
fertigung mit der Sache konnten sich die mittelalterlichen Historiker
auf das Vorbild einer hochgeachteten Autorität, des Sulpicius Severus,
berufen. Ihr liegt eine neue Einschätzung des Verhältnisses von Form
und Inhalt zugrunde, die den antiken Historikern fremd war. Diese
beherrschte die Vorstellung, daß die stilistische Form der Bedeutung
des Inhalts entsprechen müsse, ja, daß die ausgefeilte Darstellung die
eigentliche Aufgabe des Geschichtsschreibers sei. Solche Hochschätzung
des mehr oder weniger äußeren Gewandes der Werke bleibt auch in
der Spätantike und im Mittelalter bestehen. Daneben aber findet sich
bereits in der frühchristlichen Literatur die Anschauung, daß, obwohl
eine glänzende Darstellung wünschenswert sei, auch ein stilistisch
mangelhaftes Werk noch seine Berechtigung und sogar großen Wert
habe, wenn es dem Leser eine bedeutende, Nutzen bringende Materie
darbiete. Der sachliche Inhalt eines Geschichtswerkes bestimmt also in
erster Linie seinen Wert, die Form ist demgegenüber zwar nicht
unwichtig — die Bescheidenheitsbeteuerungen betreffen ja meist stilisti-
sche Unfähigkeit —, aber doch von sekundärer Bedeutung. Die hohe
Bewertung des überlieferten Stoffes ist aus der Situation der christ-
lichen Schriftsteller in der Spätantike verständlich — die Notwendig-
keit der Apologetik, die Entwicklung eines neuen Glaubenssystems
und Geschichtsbildes mußten formale Anforderungen in den Hinter-
grund drängen —, bleibt aber im ganzen Mittelalter erhalten, da sie
einmal von Autoritäten vertreten worden war, zum anderen aber die
Kenntnis vergangener Ereignisse sowohl durch die christliche Über-
zeugung vom Wirken Gottes in der Geschichte als auch durch die Vor-
stellung vom nützlichen Wirken großer, nachahmenswerter Beispiele
einen ganz besonderen Wert erlangt hatte. So ist es nicht verwunder-
lich, daß neben Auftrag und Gehorsam gerade die Bedeutung der
überlieferten Sache als voller Ausgleich für formale Mängel eines
Werkes angesehen wird.
Auch als Anlaß historischer Werke werden diese beiden Motive
immer wieder genannt; alle anderen Gründe treten dagegen weit zu-
rück, Allerdings ist auch in der Antike manches Werk auf Grund eines
Auftrags geschrieben worden, aber es handelt sich dabei meistens um
Bitten von gleichgestellten Freunden oder lerneifrigen Schülern, wenn
auch der Befehl eines Hochgestellten, etwa eines Herrschers, nicht

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 149

ganz fehlt. Aber der antike Autor legte diesem Auftrag bei weitem
nicht die Bedeutung bei wie der mittelalterliche — konnte er ihn doch
sogar gelegentlich ablehnen —, weil er selbstbewußt u n d voller Ver-
trauen auf seine Begabung und seine Kenntnisse sein Werk in AngrifT
n a h m — die Bescheidenheitswendungen dienten j a wirklich nur der
captatio benevolentiae —, das sein Gedächtnis der Nachwelt überliefern
sollte. Ein christlicher Schriftsteller dagegen mußte eine ganz andere
H a l t u n g einnehmen. Selbst wenn er von seinen Fähigkeiten überzeugt
gewesen wäre, konnte er sich doch nicht darauf berufen; denn dies wäre
ihm, ebenso wie das Streben nach R u h m , als praesumptio, temeritas oder
impudentia ausgelegt worden. Er mußte also einen solchen Anlaß weit
von sich weisen, da sogar die Tatsache allein, daß ein Autor von sich
aus ein Werk unternahm, als arrogantia gelten konnte. Geht m a n von
diesen Vorstellungen aus, so erklärt sich leicht die Verbreitung u n d
Bedeutung des Auftragstopos im Mittelalter. Denn alle Vorwürfe, die
sich gegen ein freiwillig unternommenes Werk richteten, verloren ihr
Gewicht, wenn sich der Autor auf einen Auftrag berufen konnte. Einem
Wunsch u n d erst recht dem Befehl eines Höhergestellten oder Vorge-
setzten durfte sich der christliche Autor nicht widersetzen, auch wenn
er nicht Mönch und durch sein Gelübde noch besonders zu Gehorsam
verpflichtet war. Zwar geben manche Verfasser noch ihrer Bescheiden-
heit durch zögernden Gehorsam Ausdruck, doch betonen andere seit
d e m frühen Mittelalter, d a ß der Auftrag auf jeden Fall, auch bei
mangelnden Fähigkeiten, ausgeführt werden muß. Von größerem
Selbstbewußtsein und Vertrauen auf das eigene Können zeugt dagegen
die Aussage anderer Autoren, daß sie dem Gebot gern und freudig
willfahren; diese Einstellung findet sich, abgesehen von der Zeit Karls
des Großen, häufiger nur im I I . und 12. J h . Bezeichnenderweise wird
aber selbst hier vielfach noch eine Bescheidenheitswendung einge-
flochten, und gerade die Formulierung des Orosius: praeceptis tuis
parui, . .., atque utinam tarn ejficaciter quam libenter wird immer wieder
aufgenommen.
Doch noch aus einem anderen Grunde empfahl es sich, ein Werk
möglichst auf einen Auftrag hin zu schreiben u n d sich gegebenenfalls
u m einen solchen zu bemühen. Da im Gegensatz zur Antike in der früh-
christlichen und mittelalterlichen Geschichtsschreibung der Auftrag
meistens von Höhergestellten erteilt wurde, bildete sich schon zu
Anfang des 5. Jh.s die fernerhin herrschende Vorstellung heraus, d a ß
der Auftraggeber sowohl für die Auswahl des richtigen Bearbeiters als
auch für das vollendete Werk verantwortlich sei; er hatte es zu beur-

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
150 Gertrud Simon

teilen und notfalls zu verbessern. Die veröffentlichte Schrift aber genoß


seinen Schutz und war — bei der großen Achtung der mittelalter-
lichen Menschen vor d e m Urteil einer autoritativen Persönlichkeit —
j e d e r weiteren Kritik entzogen. Neben d e m A u f t r a g zur Abfassung
eines Werkes findet sich in der Übergangszeit z u m Mittelalter mehr-
fach der Auftrag zur Übersendung bzw. VeröfTentlichung der fertigen
Schrift. O b w o h l auch hier d e m Autor die V e r a n t w o r t u n g f ü r sein
W e r k abgenommen wurde, ist die Berufung auf einen solchen
A u f t r a g im Mittelalter doch n u r selten, wohl deshalb, weil sie den
A u t o r nicht von d e m Vorwurf, freiwillig u n d deshalb aus R u h m s u c h t
oder anogantia sein Werk begonnen zu haben, befreite. Wollte der
mittelalterliche Historiker die V e r a n t w o r t u n g für seine Schrift nicht
auf sich nehmen, sie vielmehr d e m Schutz einer Autorität unterstellen,
so schlug er meistens einen anderen Weg ein; er sandte sie zur Be-
urteilung und Korrektur an eine ihm freundlich gesonnene, d u r c h ihre
Bildung oder Stellung autoritative Persönlichkeit. F a n d sie deren Billi-
gung, so brauchte ihn das Urteil feindlicher Kritiker u n d der Masse
der Leser nicht m e h r zu k ü m m e r n . Dieser für den mittelalterlichen
Widmungsbrief so kennzeichnende Topos verdankt seine Entstehung
der Sitte antiker Schriftsteller, ihre Erzeugnisse mit F r e u n d e n durch-
zusprechen oder diesen zur Kritik zu übersenden. Seine eigendiche
Ausgestaltung u n d einen Bedeutungswandel erfährt er aber erst zu
Beginn des Mittelalters. W ä h r e n d der antike Autor in der Regel nur
u m das Urteil seines Freundes bittet u n d etwaige Fehler selbst ver-
bessern will, übergibt der christliche sein Werk ganz d e m G u t d ü n k e n
seines meist höher gestellten u n d auch an Bildung überlegenen Adres-
saten. Dieser kann, wie mit seinem Eigentum, völlig n a c h seinem Er-
messen damit verfahren, es veröffentlichen, korrigieren oder vernichten.
Sein Urteil — häufig ist er der Auftraggeber — ist für d e n autoritäts-
gläubigen mittelalterlichen Autor verbindlich, der seine eigene Person
vielfach bescheiden soweit zurückstellt, d a ß er d e m Adressaten das
Hauptverdienst zuschreibt.
D a n e b e n wird aber, wie bereits in der Antike, so auch im Mittelalter
besonders im 11./12. J h . , direkt u m den Schutz einer Schrift nachge-
sucht, ohne den U m w e g über Urteil u n d Korrektur. Diese Bitte richtet
sich meist an weltliche Herrscher, aber auch an hohe geistliche Herren,
deren Wort also, allein auf G r u n d ihres Amtes, die gleiche Bedeutung
zugemessen wird wie d e m Urteil eines gebildeten Sachkenners.
Dieser Schutz einer Autorität gegenüber anderweitiger Kritik m u ß
als ein bedeutender Vorteil e m p f u n d e n worden sein; d e n n im Mittel-

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der VVidmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 151

alter setzen sich viele Historiker, wie in der Spätantike besonders


Hieronymus, — häufig an dessen Gedanken und Formulierungen an-
knüpfend — in ihren Prologen mit dem mutmaßlichen Urteil ihrer
Leser auseinander. Daß es zu allen Zeiten Nörgler gibt, die an jedem
Werk etwas auszusetzen finden, war offenbar in Antike und Mittelalter
allgemeine Überzeugung. Teils wird ihre Kritik, im Bewußtsein eigener
Unzulänglichkeit, sorgenvoll erwartet, teils werden sie aber von selbst-
bewußteren Autoren, in erster Linie von Hieronymus, der sich in dieser
Beziehung noch der antiken Geisteshaltung verhaftet erweist, und von
Historikern des 11. und 12.Jh.s, die auf ihn undSallust zurückgreifen,
wegen ihres Neides und ihrer Ungerechtigkeit angegriffen. Meistens
handelt es sich aber nicht um die Erörterung wirklich erfolgter Kritik,
sondern um einen Kunstgriff, der es den Autoren erlaubt, etwaige Ein-
wände gegen ihr Werk im voraus mit Gegengründen zu entkräften.
Formale Mängel werden durchweg zugegeben, Angriffe auf den sach-
lichen Inhalt jedoch zurückgewiesen, ein weiterer Beleg dafür, daß
eine ausgefeilte Form zwar gewünscht wurde, Verstöße aber als ver-
zeihlich galten, während sachliche Fehler und Fälschungen den Wert
des ganzen Werkes in Frage gestellt hätten. Dem entspricht auch die
Beobachtung, daß als erste und oberste Pflicht des Historikers die
wahrheitsgemäße Darstellung galt.
Schon mehrfach konnten wir bei den Historikern des 11. und 12.Jh.s
eine neue, gegenüber der vorangehenden Zeit des Mittelalters selbst-
bewußtere Haltung feststellen, die sich vielfach mit der Einstellung
christlicher Autoren der Spätantike berührt. Wie diese, an der Scheide
zwischen Antike und Mittelalter, das überkommene Geistesgut mit
neuen Ideen durchdrungen haben, so deuten sich bei den Autoren des
12.Jh.s, die bewußt auf die Antike zurückgreifen, Zeichen einer neuen
Geisteshaltung an, die erkennen lassen, daß auch sie an einem Wende-
punkt stehen, am Beginn einer neuen Entwicklung, die zur Denkweise
und Geisteshaltung des modernen Menschen führte. Kennzeichnend
ist zunächst eine trotz der Weiterführung der übüchen Bescheidenheits-
topoi deutlich bemerkbare Steigerung des Selbstbewußtseins. Scharfe
Angriffe gegen die Ungerechtigkeit der Kritiker und eine unbeküm-
merte Sicherheit gegenüber ihrer Meinung treten nun häufiger an die
Stelle besorgter Überlegungen. Mit freudigem, bereitwilligem Ge-
horsam, der weniger von Zweifeln am eigenen Vermögen belastet ist,
wird ein Auftrag ausgeführt. Zwar wird auch jetzt noch häufig ein
Werk dem Schutz einer Autorität anvertraut, aber die Bitte um Kor-
rektur wird dahin abgewandelt, daß vom Adressaten nur eine stili-

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
152 Gertrud Simon

stische Ausschmückung erbeten wird, wenn die Autoren nicht ihre


Schrift dem Schutz eines Herrschers übergeben — deren Höfe im
12. J h . vielfach "a centre of literary patronage"-' wurden —, ohne um
Urteil und Korrektur nachzusuchen. Wir dürfen vermuten, daß sie
sich in diesem Falle im Grunde der Güte ihrer Erzeugnisse sicher
waren, zumal sich in dieser Zeit zuerst die Aussage findet, daß der
Autor sehr wohl rhetorisch zu schreiben vermöge — nur auf Wunsch
seines Auftraggebers habe er sich einfach und verständlich ausgedrückt
— und daß die Geschichtsschreibung, die sonst immer als schweres
Werk bezeichnet wird, eine leichte Aufgabe sei, die von den Gebildeten
sogar gering eingeschätzt und verschmäht werde. Dieses neu erwachte
Vertrauen auf die eigene Begabung und Leistung ist nicht zu trennen
von dem erneuten, bewußten Aufnehmen der Gedanken antiker
Autoren. Wurden im frühen Mittelalter, verursacht durch den Gegen-
satz von antik-heidnischer und christlicher Geisteshaltung, vielfach die
Geschichtswerke des Altertums ihres Inhaltes wegen abgelehnt, so
sahen — wie schon einzelne karolingische ,Humanisten' — die
Autoren des 11. und 12.Jh.s, die die heidnische Antike als Machtfaktor
nicht mehr kannten, dagegen im Bewußtsein lebten. Erben und Fort-
setzer des alten römischen Reiches zu sein, in den Geschichtswerken
des Altertums ihre bewunderten Vorbilder.
Aber in dieser Renaissance des Geisteslebens wurde nicht nur Neues
aufgenommen und ausgebildet, sondern das Gedankengut der voran-
gegangenen Jahrhunderte wurde auch noch einmal bewußt zusam-
mengefaßt, gedanklich verarbeitet, und was bisher selbstverständliche,
oft unausgesprochene allgemeine Überzeugung war, wird nun genau
formuliert. So ist es verständlich, daß die eindeutigsten Aussagen über
die Methode und Objektivität des Geschichtschreibers, über das Ver-
hältnis von glänzender Form und Wahrheit des Inhalts, über die Art
der Ungerechtigkeit böswilliger Kritiker und über manche andere
Punkte des Prologes aus dem 11. und 12. Jh. stammen. Selbst die
politischen Wandlungen des mittelalterlichen Staatengefüges finden
in dieser Zeit in den Proömien ihren Ausdruck: Seit dem Ende des
11 .Jh. s wird zuerst—immer außerhalb Deutschlands, wo das National-
gefühl sich am stärksten bemerkbar macht — als Anlaß historischer
Werke die Liebe des Autors zu seinem Vaterland genannt. Und zur
gleichen Zeit werden die Taten weltlicher Großer für Laien uneinge-
schränkt zur Nachahmung hingestellt, in Parallele zu den Taten

' H A S K I N S S . 5 6 fr.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM
Topik der Widmungsbriefe mittelalterlicher Geschichtsschreiber 153

Heiliger, die für Geistliche maßgebend seien. Diese neue Auffassung


ist erst in der Zeit nach dem Investiturstreit möglich, nachdem die
Einheit von Reich und Kirche infrage gestellt worden war. Auch in
dieser Beziehung erweisen sich die Geschichtsschreiber des 12. J h . s als
Kinder einer Umbruchszeit; denn ein Geschichtsschreiber des früheren
Mittelalters konnte sowohl für Geisthche als auch für Laien — er
hätte unter seinen Lesern nie diesen Unterschied gemacht — nur gute
Eigenschaften und Taten zur Nachahmung empfehlen, die schlechten
aber als abschreckendes Beispiel weitergeben. Wir sehen also im 11.
und 12. J h . ebenso wie an der Wende von der Antike zum Mittelalter,
daß große geschichtliche Wandlungen selbst bei so festen Formen der
literarischen Tradition wie der Topik des Exordiums ihre Spuren
hinterlassen.

Brought to you by | Nanyang Technological University


Authenticated
Download Date | 6/1/15 11:46 AM

Das könnte Ihnen auch gefallen