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Körperabschnitte Richtungs- und Lagebegriffe (Begriffspaare)

Caput: Kopf dexter, -a, -um: der, die, das rechte


Collum: Hals sinister, -a, -um: der, die, das linke
Truncus: Stamm internus, -a, -um: der, die, das innere
Thorax: Brustkorb externus, -a, -um: der, die, das äußere
Abdomen: Bauch zentral: gegen das Körperinnere zu
Pelvis: Becken peripher: gegen das Körperäußere zu
Extremitäten: obere und untere Gliedmaßen superficialis, -is, -e: der, die, das oberflächlich gelegene
profundus, -a, -um: der, die, das in der Tiefe gelegene
superior, -or, -us: der, die, das obere
inferior, -or, -us: der, die, das untere
Regionen der Extremitäten kranial: gegen den Schädel zu
kaudal : gegen die Sakralregion zu
Brachium: Oberarm Femur: Oberschenkel anterior, -or, -us: der, die, das vorne gelegene
Cubitus: Ellenbogen Genu: Knie posterior, -or, -us: der, die, das hinten gelegene
Antebrachium: Unterarm Crus: Unterschenkel ventral: bauchwärts
Manus: Hand Sura: Wade dorsal: rückenwärts
Carpus: Handwurzel Malleolus: Knöchel lateral: seitlich (von der Medianebene weg )
Digitus: Finger Pes: Fuß medial: gegen die Medianebene zu
Po Ilex: Daumen Tarsus: Fußwurzel median: genau in der Mitte
Palma: Handfläche Digitus: Zehe (in der Medianebene)
Thenar: Daumenballen Hallux: Großzehe
Hypothenar: Kleinfingerballen Planta: Fußsohle Bei den genannten Adjektiven sind jeweils die männliche,
weibliche und neutrale Form (in dieser Reihenfolge) auf-
geführt, sofern das entsprechende Wort nicht eingedeutscht
ist, z. B. peripher und zentral.
Begriffe zur Orientierung am Körper

proximal: nahe beim Rumpf gelegen (für Arm und Bein)


distal: vom Rumpf entfernt (für Arm und Bein) Ebenen des Körpers
dorsal: in Richtung des Rückens
palmar: in Richtung der Handfläche Medianebene: Symmetrieebene, teilt den Körper
plantar: in Richtung der Fußsohle in 2 Hälften
dorsal: in Richtung des Fußrückens/Handrückens
nasal: gegen die Nase Sagittalebenen: Ebenen parallel zur Medianebene
frontal: stirnwärts (parallel zur Sutura sagittalis,
okzipital : gegen den Hinterkopf Knochennaht am Schädel)
ulnar: gegen die Kleinfingerseite (am Unterarm)
Frontalebenen: beim aufrechten Stand parallel zur
radial: gegen die Daumenseite (am Unterarm)
Stirn (Frons) verlaufend

Transversalebenen: beim aufrechten Stand horizontal den


Körper durchquerend
Bewegungsrichtungen (Begriffspaare)

Flexion: Beugung
Extension: Streckung
Abduktion: Bewegung vom Körper weg
Adduktion: Bewegung auf den Körper zu
lnnenrotation: lnnenrollung
Außenrotation: Außenrollung
Anteversion: Bewegung nach vorne
Retroversion: Bewegung nach hinten
Zirkumdukt ion: Kreisbewegung
Kapitelübersicht

1. Einführung und Grundbegriffe der Anatomie


und Physiologie ........................ ..••...... 1

2. Zytologie ........................ ............... 15

3. Histologie •••.••••..••••••••••••.• .•..•••••..••. 47

4. Bewegungsapparat ........................ ..... 89

5. Nervensystem ........................ ......... 181

6. Blut ..•.•..••••••.•.••..•... .••••.••••...•••.• 249

7. Herz-Kreislauf-System ........................ .. 285

8. Immunologie •••••••....•.....•...•.. .•••.•.••• 323

9. Atmungssystem ••••.•••••.•.••••.•.•.•• ••••••• 355

10. Verdauungssystem •••••••••••••••••••••••• ••••• 393

11. Nieren und ableitende Harnwege ••••••••••••••.. 447

12. Endokrinologie .••••••••••••••••••••••• •••••••• 491

13. Geschlechtsorgane und Fortpflanzung ••••••••••• 539

14. Haut und Anhangsorgane ...................... 587

15. Temperaturregulation •••••••••••••••••••••••• •• 605

16. Sinnesorgane •••••••••••••••••••••••• .••••.•.•• 615


Erfolgreich lernen

Lernzielübersicht
Zu Beginn jeden Kapitels sind die einzelnen Lernschritte aufgeführt, die
.- auf das Kapitel einstimmen
.,. einen Überblick über den Kapitelinhalt geben
.- die einzelnen Lernschritte zusammenfassen

Blauer Text in der Hauptspalte leitet in das Kapitel ein oder weist auf wichtige
Zusammenhänge hin.

Schwarze Begriffe Wen iger bekannte Begriffe, die für die Erklärung des Themas verwendet
Erklärungen von unbekannten werden, sind schwarz und fett gekennzeichnet und werden in der Randspalte
Begriffen, die nicht im Haupttext erläutert.
erklärt werden

Blaue Begri ffe in der Randspalte Schlüsselbegriffe


• Schlüsselbegriffe präg nant erklärt sind im laufenden Text blau und fett gekennzeichnet. Sie werden meist
• Zusammenfassungen im Überblick in der Randspalte mittels einer prägnanten Erklärung wiederaufgegriffen.
• w1chtige Aufzählungen

} L

Fragen und Zusammenfassungen

Am Ende jeden Kapitels folgen Die Antworten sind in Form von Zusammenfassungen dargestellt.
Fragen, die si auf die Für das erfolgreiche Wiederholen und Lernen können diese abgedeckt werden.
wesentlichen und prüfungs-
relevanten Inhalte beziehen. I

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.....
Kapitelübersicht

1. Einführung und Grundbegriffe der Anatomie


und Physiologie ..................... * •••••••••••• 1
..
2. Zytologie ....................... ................ 15

3. Histologie ..........••.••••.••... ..........••••• 47


..
.. 4. Bewegungsapparat •••••••••••••.••....... •••••• 89

s. Nervensystem ....................... ...•...... 181


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6. Blut .......•................ ..••••...•.•.•...• 249
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... 7. Herz-Kreislauf-System ••.•••••••••.••••••.••• ••. 285
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9. Atmungssystem ..•.••..•.•••.•...•.... ....•..• 355

10. Verdauungssystem ••••.••••••••••• : •••• o ••••••• 393

·11. Nieren und ableitende Harnwege ••••.•••••••.•.. 447

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' 12. Endokrinologie .•..•...••••••••••••••• ••••••••• 491

• 14. Haut und Anhangsorgane

15. Temperaturregulation .•...••••••••••••••••• o o •• 605

16. Sinnesorgane ...•.••.••••••.••.••••• •.• . ••••... 615

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Springer-V erlag Berlin Heidelberg GmbH
Udo M. Spornitz

Anatomie
und Physiologie
Lehrbuch und Atlas
für Pflege- und Gesundheitsberufe

3., vollständig überarbeitete Auflage

Mit 370 Abbildungen


in 494 Einzelabbildungen
und 45 Tabellen

~ Springer
Professor Dr. Udo M. Spornitz
Universität Basel
Anatomisches Institut
Pestalozzistrasse 20
4056 Basel
Schweiz
E-mail: udo.spornitz@unibas.ch

Die Deutsche Bibliothek - CIP- Einheitsaufnahme


Spornitz, Udo M.:
Anatomie und Physiologie : Lehrbuch und Atlas für Pflege- und Gesundheitsfachberufe I
Udo M. Spornitz. - 3., vollst. überarb. Auf!.
ISBN 978-3-662-05736-0 ISBN 978-3-662-05735-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-05735-3
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© Springer- Verlag Berlin Heidelberg 2002
Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 1997
Softcoverreprint of the hardcover 3rd edition 2002

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Lektoratsplanung: U. Hartmann
Herstellung: PRO EDIT GmbH, Heidelberg
Zeichnungen: Christiane und Dr. Michael von Solodkoff, Neckargemünd
Urnschlaggestaltung: de'blik Berlin
Satzarbeiten: Zechner Datenservice +Druck, Speyer
Gedruckt auf säurefreiem Papier I06i)I6oML- 54 .l 2 1
V

Vorwort zur 3. Auflage

Zu dem Zeitpunkt, als die Entscheidung für einen Neudruck oder eine 3. Auflage
diskutiert wurde, hat der Verlag die Weichen in Richtung einer Erweiterung und
Überarbeitung des Buches gestellt. Es freut mich außerordentlich, dass damit die
notwendigen Mittel für eine Neugestaltung des Buches zur Verfügung gestellt
wurden. In Zusammenarbeit mit Prof. Mönnich, Berlin, konnte für das Buch ein
zukunftsweisendes Layout entworfen werden, das so gut gelungen ist, dass damit
sicherlich ein neuer Standard für Lehrbücher gesetzt wird. Mit der 3· Auflage ist
auch ein lang gehegter persönlicher Wunsch in Erfüllung gegangen: der Einsatz
der Marginalspalte für erläuternden und zusätzlichen Text.
Es steht jetzt ein hochmodernes Buch zur Verfügung, dessen Lektüre schon
rein von der Ästhetik große Freude bereitet, das aber zugleich besonders durch
seine didaktische Form auffällt, die das Bearbeiten und das Lernen des Lehrstoffs
vereinfachen. Eine vollständige Überarbeitung hieß aber auch, den Inhalt zu er-
weitern (Genetik, elektromechanische Koppelung, Karpaltunnel etc.) und viele
zusätzliche Fakten einzufügen, neue Zeichnungen zu erstellen und das Ganze
sprachlich neu auszurichten.- Die Kontrolle über den Lernfortschritt bei der Be-
nutzung des Buches ist einfacher geworden, indem die Fragen am Ende der ein-
zelnen Kapitel in einer separaten Spalte den entsprechenden Antworten gegen-
über gestellt wurden. - Für die Lehrkräfte der verschiedenen Schulen im Ge-
sundheitswesen ist die Verfügbarkeit sämtlicher Abbildungen auf einer CD
sicherlich ein großer Vorteil. Die Abbildungen können ausgedruckt oder in
PC-Präsentationen eingebaut werden. Aber auch Studierende und Lernende der
Anatomie und Physiologie können diese Abbildungen für das Studium am Bild-
schirm einsetzen.
Die vielfältigen Kontakte mit dem Verlag und seinen Mitarbeiterinnen waren
spannend und auf allen Seiten vom Wunsch geprägt ein optimal gestaltetes Lehr-
buch zu schaffen. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang
Frau Ulrike Hartmann, die sich in allen Phasen der Neugestaltung als kompeten-
te Ansprechpartnerin erwies. Besten Dank auch Frau Christirre Bier, Copy-Edito-
rirr des Verlages, für ihre sorgfältige Arbeit und die vielen nützlichen Vorschläge.
Besonderer Dank gebührt Herrn Dr. Karlrobert Schreiber, Hamburg, der, wie
schon bei der 2. Auflage, das Buch akribisch durchgelesen und mich mit vielen
Detailvorschlägen unterstützt hat. Besonders danken möchte ich auch meinem
Mitarbeiter Gianni Morson, der mir auch bei der 3. Auflage in vielfältiger Weise
zur Seite stand. Danken möchte ich nicht zuletzt auch den Leserinnen und Lesern
der 2. Auflage, die mir mit ihren Fragen und ihren Vorschlägen für die Neugestal-
tung des Buches wichtige Hinweise gegeben haben. Herzlichen Dank auch
Frau lic. phil. Daphna Atar, die mir beim Korrekturlesen geholfen hat.
Ohne das liebevolle Verständnis meiner Frau Renate wäre der notwendige
Zeitaufwand für eine vollständige Überarbeitung des Buches nicht möglich ge-
wesen. Hieß es doch, auf viele gemeinsame Aktivitäten zugunsten des Buches zu
verzichten.

Basel, im Frühjahr 2001 Professor Dr. U. Spornitz


VII

Inhaltsverzeichnis

Einführung und Grundbegriffe


3.2 Epithelgewebe 50
der Anatomie und Physiologie Oberflächenepithel
3.2.1 50
1.1 Anatomie 2 }.2.2 Drüsenepithelien 53
1.2 Physiologie . . . . . . . . . 3 }.2.} Epithel als Parenchym innerer Organe 56
1.3 Leben . . . . . . . . . . . . 3 3.2.4 Sinnesepithelien . . . . . . . . . . . 56
1.}.1 Definierte Form und Größe 4 3-3 Binde- und Stützgewebe . . . . . . . 56
1.}.2 Beschleunigter Stoffwechsel 4 }.}.1 Funktion des Binde- und Stützgewebes 57
1.}.} Bewegung . . 4 }.}.2 Interzellularsubstanz . . 58
1.3-4 Erregbarkeit 4 3·3·3 Retikuläres Bindegewebe 61
1.}.5 Wachstum 5 3-3-4 Fettgewebe . . . . . . 61
1.}.6 Fortpflanzung 5 3·3·5 Faseriges Bindegewebe 62
1.}.7 Adaptation . . 5 3-4 Knorpelgewebe . . 64
1.4 Materie . . . . 5 3·4·1 Hyaliner Knorpel 65
1.4.1 Baueinheiten der Materie 5 3-4-2 Elastischer Knorpel 65
1.4.2 Anorganische Substanzen 3·4·3 Faserknorpel . . . 65
im menschlichen Körper 7 3-5 Knochen 66
1.4-3 pH-Wert . . . . . . . . 8 3·5·1 Bestandteile des Knochens 66
1.4-4 Organische Substanzen 3·5·2 Knochenarten 66
im menschlichen Körper 9 3·5·3 Knochenentwicklung . . . 68
1.5 Fragen und Zusammenfassung 3·5·4 Osteoklasten . . . . . . . 70
zu den Grundbegriffen 13 3·5·5 Regeneration des Knochens 70
3.5.6 Knochenumbau 71
2 Zytologie
3.6 Muskelgewebe 71
2.1 Zytologie, die Lehre der Zellen 16 3.6.1 Glatte Muskulatur 71
2.2 Methoden der Histologie und Zytologie 17 3.6.2 Quergestreifte Skelettmuskulatur 72
2.2.1 Gewebekultur . . . . . . . . . . . . . 17 3.6.} Herzmuskulatur 75
2.2.2 Lichtmikroskopische Untersuchungen 3·7 Nervengewebe 76
(histologische Untersuchungen) . . . 17 3·7·1 Nervenzellen 77
2.2.} Elektronenmikroskopische Untersuchungen 18 3-7-2 Nervenfasern 78
2.} Zellbestandteile und Zellvorgänge 18 3·7·3 Nerven 79
2.}.1 Zellmembran 19 3·7·4 Neuroglia .. 81
2.}.2 Zellorganellen 22 3·7·5 Degeneration und Regeneration 82
2 .}.} Zellteilungen 35 3.8 Fragen und Zusammenfassung zur Histologie 84
2.}.4 Proteinsynthese 37
2.3.5 Begriffe der Genetik 4 Bewegungsapparat
37
2.}.6 Regeln der Vererbung 39 4-1 Knochen 91
2.}.7 Die Evolution . . . . 41 4-1.1 Knochenarten 91
2.4 Fragen und Zusammenfassung zur Zytologie 42 4-1.2 Bau der Spongiosa 92
4.1.3 Knochenwachstum 92
3 Histologie 4.2 Verbindungen von Skeletteilen (Junkturen) 93
}.1 Überblick über die Gewebearten 48 4.2.1 Synarthrosen . . . . 94
}.1.1 Definitionen . . . . . . . . 48 4.2.2 Diarthrosen 94
}.1.2 Differenzierung . . . . . . 49 4-3 Bewegungshemmung 102
}.1.3 Entwicklung der Keimblätter 49 4·4 Hilfseinrichtungen des Bewegungsapparates 104
VIII

4·5 Einteilung der Muskulatur . . . . 105 5.8 Regulation wichtiger Funktionen 220
4·5·1 Muskeltätigkeit . . . . . . . . . . 105 5·9 Reflexe . . . . . . . . . . . . . . 221
4·5·2 Punctum fixum/Punctum mobile 109 5·9·1 Eigenreflex (monosynaptischer Reflex) 222
4·5·3 Zerlegung der Muskelkraft 109 5·9·2 Fremdreflex (polysynaptischer Reflex) 223
4.6 Skelett 113 5·9·3 Gegenüberstellung
4.6.1 Schädel . . . 113 von Eigen- und Fremdreflex 224
4.6.2 Rumpf 118 5.10 Regulation der Motorik 224
4.6.3 Extremitäten 125 5.10.1 Willkürmotorik
4.6.4 Gelenke .. 135 (pyramidalmotorisches System) 224
4·7 Muskulatur 136 5.10.2 Unwillkürmotorik
4·7·1 Muskeln an Kopf- und ventralem Hals 138 (extrapyramidalmotorisches System) 225
4·7·2 Dorsale Muskulatur an Kopf, 5·11 Schmerz 227
Hals und Rücken . . . . . . . . . . . 142 ).11.1 Schmerzkomponenten . . . . . . 227
4·7·3 Brustkorbmuskulatur (Thoraxmuskulatur) 145 5.11.2 Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren ) 227
4·7-4 Bauchmuskeln (Abdominalmuskulatur) 147 5.11.3 Schmerzbahnen (Afferenzen) 228
4·7·5 Beckenboden . . . . . . . 148 5.11.4 Kontrolle der Schmerzrezeption
4·7·6 Schultergürtelmuskulatur 150 (Schmerzwahrnehmung 229
4·7·7 Schultermuskulatur 152 5.12 Limbisches System . . . 230
4·7·8 Armmuskulatur 154 5·13 Gedächtnis . . . . . . . . 230
4·7·9 Handmuskulatur 160 5.14 Vegetatives Nervensystem 231
4.7.10 Hüftmuskulatur 163 5.14.1 Sympathikus . .. . . . . 232
4.7.11 Beinmuskulatur 166 5.14.2 Parasympathikus . . . . . 234
4.7.12 Fußmuskeln 172 5.14.3 Regulation durch das vegetative Nervensystem 235
4.7.13 Einteilung der Extremitätenmuskulatur 5.15 Elektroenzephalogramm (EEG) 236
nach der Funktion . . . . . . . . . 173 5.16 Schlaf . . . . . . . . . . . . 237
4.8 Fragen und Zusammenfassung 5.17 Fragen und Zusammenfassung
zum allgemeinen Bewegungsapparat 177 zum Nervensystem

5 Nervensystem 6 Blut

5.1 Einteilung des Nervensystems 182 6.1 Knochenmark und Blutbildung 252
5.2 Entwicklung des Nervensystems 184 6.2 Erythrozyten (rote Blutkörperchen) 253
5·3 Nervenzellen . . . . . . . . . . 185 6.2.1 Entstehung und Anzahl 253
5.3.1 Synapsen . . . . . . . . . . . . 186 6.2.2 Form und Größe 253
5·3·2 Erregbarkeit und Erregungsleitung 188 6.2.3 Hämoglobin 254
5-4 Neuroglia .. 192 6.2-4 Gastransport . . 255
5-4-1 Periphere Glia 192 6.2.5 Osmotische Empfindlichkeit der Erythrozyten 255
5·4·2 Zentrale Glia 192 6.3 Leukozyten (weiße Blutkörperchen) 255
5·5 Rückenmark 194 6.3.1 Granulozyten 256
5·5·1 Entstehung und Aufbau des Rückenmarks 194 6.3.2 Monozyten . . 257
5·5·2 Spinalnerven . . . . . . . . . 196 6.3.3 Lymphozyten 257
5·5·3 Hautfelder (Dermatome) . . . 198 6-4 Thrombozyten 257
5·5·4 Qualitäten peripherer Nerven 199 6.s Stimulierende Faktoren der Blutbildung 258
5·6 Hirnnerven . . . . . . . 200 6.6 Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) . . 258
5·7 Gehirn . . . . . . . . . 202 6.7 Mittleres korpuskuläres Hämoglobin (M CH) 259
5·7·1 Entwicklung des Gehirns 202 6.8 Blutgruppen 259
5·7-2 Liquor und Hirnventrikel 204 6.8.1 Das ABO-System 259
5·7-3 Hüllen des zentralen Nervensystems 206 6.8.2 Das Rhesussystem 261
5·7-4 Hirnabschnitte . . . . . . . . . . 207 6.9 Blutplasma und seine Bestandteile 262
Plasmaproteine . . . . . . . . . 7·3·3 Gefäße und Gefäßversorgung der Extremitäten 313
Elektrophorese . . . . . . . . . 7-4 Fragen und Zusammenfassung
Bindungsfähigkeit des Albumins zu Herz/Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . 318
6.9.4 Pathoproteinämien . . . .
6.9.5 Zelluläre Proteine im Blut
6.9.6 Lipide im Blut 8.1 Abwehrzellen und Abwehrorgane 324
6.9.7 Glukose im Blut 8.1.1 Lymphgefäßsystem 325
6.9.8 Reststickstoff im Blut 8.1.2 Lymphknoten 326
6.9.9 Weitere Plasmabestandteile 8.1.3 Lymphfollikel . . . 328
6.10 Wasser- und Elektrolythaushalt 8.1.4 Milz (Lien, Splen) 328
6.10.1 Osmotischer Druck . . . . 8.1.5 Mandeln (Tonsillen) 330
6.10.2 Kolloidosmotischer Druck . . . 8.1.6 Thymus (Bries) . . . 331
6.10.3 Hydrostatischer Druck . . . . . 8.1.7 Granulozyten und Monozyten 333
6.10.4 Veränderungen im Wasser- und 8.1.8 Lymphozyten . . . . . . . . . 333
Elektrolythaushalt 270 8.2 Abwehrmechanismen
6.11 Säure-Basen-Haushalt 272 8.2.1 Unspezifisch humorale Abwehr
6.11.1 Puffersystem des Bluts 272 8.2.2 Unspezifisch zelluläre Abwehr 337
6.11.2 Ausscheidungsmechanismen 273 8.2.3 Spezifisch humorale Abwehr . . 337
6.12 Blutstillung, Blutgerinnung, Fibrinolyse 274 8.2.4 Spezifisch zelluläre Abwehr 341
6.12.1 Blutstillung . . . . . . . . . . . . . . . 274 8.3 Überempfindlichkeitsreaktionen 343
6.12.2 Blutgerinnung (sekundäre Hämostase) 275 8.4 Immunität 346
6.12.3 Gerinnungshemmung . . . . . . . . . 276 8.5 Immuntoleranz . . . . . . . . 347
6.12.4 Fibrinolyse . . . . . . . . . . . . . . . 277 8.6 Aids und HIV . . . . . . . . .
6.12.5 Gerinnungsstörungen (Koagulopathien) 278 8.7 Fragen und Zusammenfassung
6.13 Fragen und Zusammenfassung zu Blut 279 zur Immunologie . . . . . . . . . . . . . . . 350

7·1 Herz (Cor) 287 9.1 Respiratorischer Quotient


7.1.1 Herzwand . 289 9.2 Formen der Atmung
7.1.2 Herzinnenräume 290 9·3 Anteile des Atmungssystems
7·1.3 Herzklappen und Herzskelett 291 9·3·1 Nase und Nasenhöhle
7·1.4 Herzmuskel (Myokard) 292 9·3·2 Nasennebenhöhlen
7·1.5 Herzmechanik 293 9·3·3 Rachen (Pharynx)
7.1.6 Herztöne 295 9·3·4 Kehlkopf (Larynx)
7·1.7 Pumpleistung des Herzens 295 9·3·5 Luftröhre (Trachea)
7.1.8 Reizbildung und Erregungsleitung 296 9·3·6 Bronchialbaum (Arbor bronchialis)
7.1.9 Vegetative Herznerven . . . 299 9·3·7 Lunge und Brustfell
7.1.10 Elektrokardiogramm (EKG) 299 9·3·8 Brustkorb (Thorax)
7·2 Blutgefäßsystem . . . . . . 301 9-4 Physiologie der Atmung
7.2.1 Aufbau des Blutgefäßsystems und Blutfluss 301 9·4·1 Lungenvolumina und Lungenkapazitäten
7.2.2 Wandbau der Gefäße . . . . . . . . . . . 302 9-4.2 Atemzeitvolumen und alveoläre Ventilation
7-2·3 Gefäßarten . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 9·4·3 Lungenfunktionsprüfungen
7.2.4 Spezielle Gefäße und Gefäßverbindungen 305 9·4·4 Austausch der Atemgase
7-2·5 Pulswelle, Blutdruck und Blutdruckregulation 306 9·5 Hämoglobin . . . . . .
7·3 Makroskopische Anatomie des Gefäßsystems 311 9·6 Atmungsregulation . . .
7-3.1 Arterien des Körperstamms 311 9·7 Fragen und Zusammenfassung
7-3.2 Venen des Körperstamms 312 zum Atmungssystem . . . . .
X

11.3.8 Eigenschaften des Harns . . . . . . . . .


10 Verdauungssystem
11.4 Fragen und Zusammenfassung zu Nieren
10.1 Organe des Verdauungssystems 395
und ableitenden Harnwegen . . . . . . .
10.1.1 Mundhöhle . ... 396
10.1.2 Rachen (Pharynx) 403
12 Endokrinologie
10.1.3 Magen-Darm-Trakt 404
12.1 Regulation der Körperfunktionen 492
10.1.4 Speiseröhre (Ösophagus) 405
12.2 Endokrine Organe . . . . . . . . 493
10.1.5 Magen (Ventriculus, Gaster) 406
12.3 Hormone . . . . . . . . . . . .. 494
10.1.6 Dünndarm . . 412
12.3.1 Einteilungsmöglichkeiten der Hormone 494
10.1.7 Dickdarm .. . . . . . . . . 417
12.3.2 Regulationsmechanismen ... . . . . 497
10.1.8 Leber und Galle . . ... . . 420
12.3.3 Wirkmechanismen der Hormone 498
10.1.9 Gallenwege und Gallenblase 424
12.3.4 Medizinische Bedeutung der Hormone 500
10.1.10 Bauchspeicheldrüse (Pankreas) 426
Nahrungsbestandteile 428 12.3.5 Permissive Hormonwirkungen . . . 500
10.2
12-4 Hypothalamus-Hypophysen-System 500
10.2.1 Lipide . . . . . 428
12.4.1 Hypophyse ... . . . . . . . .. . 500
10.2.2 Proteine . . . . 429
12-4-2 Hypothalamus . . . . . . . . . . . 501
10.2.3 Kohlenhydrate 430
12.4.3 Hormone des Hypophysenvorderlappens
10.2.4 Vitamine . .. 430
(Adenohypophyse) . . . . . . . . ... . 502
10.2.5 Spurenelemente 432
12-4-4 Hormone des Hypophysenhinterlappens 507
10.2.6 Ballaststoffe 433
12.5 Schilddrüse 510
10.3 Enzymatischer Abbau der ahrung 433
Resorption der ahrung . . . 435
12.5.1 Anatomie . . . . . . .. . 510
10-4
Fragen und Zusammenfassung 12.5.2 Bau . . . . . .. . .. . . 511
10.5
zum Verdauungssystem 437 12.5.3 Hormone der Schilddrüse 511
12.5.4 C-Zellen der Schilddrüse 515
Nieren und ableitende Harnwege
12.6 Nebenschilddrüse 515
11
11.1 Anatomie der Niere . . . . . . . 449 12.6.1 Lage und Bau . . . . . . 515

Größe, Form und Lage . . . . . . 449


12.6.2 Hormon und Hormonwirkungen 516
11.1.1
11.1.2 Befestigung und Beweglichkeit der iere 450 12.7 Nebennieren . . . . . 517

11.1.3 Anteile der Niere . . . . . . . . . 450 12.7.1 Lage und Entwicklung 517

11.1.4 Gefäßversorgung der iere . . . . 452 12.7.2 Nebennierenrinde 517

11.1.5 Mikroskopische Anatomie und Histologie 12.7.3 Nebennierenmark 524


der iere . .. . . . . . . ... .. . 12.8 Endokrines Pankreas 525

11.1.6 Sammetsystem . . . . . . . . . . . . 12.8.1 Hormone des endokrinen Pankreas 526

11.2 Anatomie der ableitenden Harnwege 12.8.2 Regulation der Blutzuckerkonzentration 527
ierenbecken (Pelvis renaJis, Pyelon) 12.9 Zirbeldrüse (Epiphyse) . . .. 529
11.2.1
11.2.2 Harnleiter (Ureter) . . . . . 12.9.1 Die Epiphyse und ihre Zelltypen 529

11.2.3 Harnblase (Vesica urinaria) 12.9.2 Wirkungen des Melatonins . . 529


11.2-4 Harnröhre (Urethra) . .. . 12.10 Fragen und Zusammenfassung
11.3 Physiologie der Niere ... . zur Endokrinologie . . . . . . 530

11.3.1 Ultrafiltration und Primärharnbildung


Autoregulation der Nierendurchblutung 13 Geschlechtsorgane und Fortpflanzung
11.3.2
11.3.3 Clearance und Transportmechnismen 13.1 Geschlechtsmerkmale 540
der Niere . . . . . . . . . . . . . . 468 13.1.1 Geschlechtliche Differenzierung 541

11.3-4 Regulationsmechanismus der iere 473 13.1.2 Pubertät .. . ... . .. . . . 542

11.3.5 Gegenstromprinzip . . . . . . 477 13.2 Weibliche Geschlechtsorgane 542


11.3.6 Harnausscheidung (Diurese) 479 13.2.1 Innere Geschlechtsorgane der Frau 542
13.2.2 Äußere Geschlechtsorgane der Frau 557
11.3.7 Endokrine Funktion der Niere 480
Inhaltsverzeichnis XI

13.2.3 Sekundäre weibliche Geschlechtsm erkmale 559 15.4 Regulation der Körpertempe ratur 610
13.3 Männliche Geschlechtsorgane . . . . . 564 15-4-1 Fieber . . . . . . . . . . . . . 610
13.3.1 Innere Geschlechtsorgane des Mannes 564 15.4.2 Hyperthermi e/Hypotherm ie 612
13.3.2 Äußere Geschlechtsorgane des Mannes 570 15.5 Fragen und Zusammenfa ssung
13.4 Fortpflanzung 572 zur Temperaturre gulation . . . . . . . . 613
13-4-1 Geschlechtsverkehr . . . . . .. . . . . 572
13.4.2 Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . 573 16 Sinnesorgane
13-4-3 Bildung des Keimbläschens (Blastozyste) 574 16.1 Auge .. . . . . 617
13.4-4 Plazenta . . . . . . . . . · · · · 576 16.1.1 Schichten des Augapfels 617
13.4.5 Schwangerschaft und Entwicklung
16.1.2 Glaskörper und Linse . 623
des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 16.1.3 Augenhinterg rund . . 624
13.5 Fragen und Zusammenfa ssung
16.1.4 Hilfsapparat der Augen 624
zu Geschlechtsorganen und Fortpflanzung ;so 16.1.5 Augenmuskeln 625
16.1.6 Akkommoda tion · - 627
14 Haut und Anhangsorga ne
16.1.7 Sehvorgang 627
14.1 Behaarte und unbehaarte Haut 589 16.1.8 Augenfehler 629
14.1.1 Oberhaut 590 16.1.9 Pupillenreflex 631
14.1.2 Lederhaut . . . . . . . . . . . 592 16.1.10 Sehbahn 631
14.2 Unterhaut . . . . . . . . . . . 592 16.1.11 Gesichtsfeld und räumliches Sehen 633
14.3 Altersverände rungen der Haut 593 16.1.12 Sehschärfe .. . .. . . . . . 633
14.4 Hautanhangsgebilde 593 16.1.13 Abbildungen auf der Netzhaut 634
14-4-1 Haare . . . 593 16.2 Ohr .. . . . . . . . . .. . . 634
14-4-2 Nägel . . . . . 595 16.2.1 Abschnitte des Ohrs . . . . . 634
14-4-3 Hautdrüsen . . 596 16.2.2 Schall, Schallreize und Hörempfindu ng 638
14.5 Hautrezeptor en 598 16.2.3 Objektives Schalltrauma
14.5.1 Druckempfin dung 598 und subjektive Hörbelästigu ng
14.5.2 Berührungsem pfindung 598 16.2.4 Hörvorgang .
14.5.3 Vibrationsem pfmdung 599 16.2.5 Hörbahn
14-5·4 Temperaturre zeptoren 599 16.2.6 Hörstörungen
14-5-5 Schmerzrezeptoren . .. 600
16.2.7 Räumliches Hören
14.6 Fragen und Zusammenfa ssung
16.3 Gleichgewichtsorgan
zu Haut und Anhangsorga nen . . . . . . . . 601
16.3.1 Bestandteile des Gleichgewichtsorgans
16.3.2 Bogengänge
15 Temperaturre gulation
16.3-3 Vestibulum . . . . . . . . . .
15.1 Kern- und Schalentempe ratur 606
16.3.4 Vestibuläre Bahnen . . . . . .
15.2 Wärmebildun g . . . . . . . . 607
16.4 Fragen und Zusammenfa ssung
15.3 Wärmeabgab e . . . . . . . . 608
zu den Sinnesorgane n . . . . . . . . 647
15.3.1 Wärmeleitun g und Wärmebeweg ung 609
15.3.2 Wärmestrahl ung .. 609
15.3.3 Wasserverdun stung 609 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . · 653
XIII
Abkürzungsverzeichnis

FSH foUikelstimulierendes Hormon


A.(Aa.) Arteria (Arteriae)
GABA Gamma-Aminobuttersäure
ACH Azetylcholin (y-Amino-Buttersäure)
ACTH adrenokortiokotropes Hormon GBM glomeruläre Basalmembran
AOH antidiuretisches Hormon GFR glomeruläre Filtrationsrate
AOP Adenosindiphosphat Ggl. Grenzstrangganglion
AMP Adenosinmonophosphat GI.(GII.) Glandula (Glandulae)
ARAS aufsteigendes retikuläres GLOH Glutamatdehydrogenase
Aktivierungssystem GOT Glutamat-Oxalacetat-Transaminase
Art. Articulatio GPT Glutamat-Pyruvat-Transaminase
A-Streifen anisotrope Streifen H Wasserstoff
ATP Adenosintriphosphat H, O Wasser
AV Atemvolumen H, O, Wasserstoffperoxid (Wasserstoffsuperoxid)
AV-Knoten Atrioventrikulär-Knoten)
Hb Hämoglobin
AZV Atemzeitvolumen HBOH Hydroxybutyratdehydrogenase
BSG Blutsenkungsgeschwindigkeit HCI Salzsäure
BWS Brustwirbelsäule
HCOi Bikarbonat
c cervikal HOL »high density Iipoprotein<<
c Kohlenstoff HLA humane Leukozyten-Antigene
C6H,,0 6 Glukose HMV Herzminutenvolumen
Ca Kalzium HPL humanes Plazentalaktogen
cAMP zyklisches Adenosinmonophosphat HWS Halswirbelsäule
CCK Cholezystokinin lg Immunglobulin
CCT cerebrale Computertomographie IK Inspirationskapazität
CK Kreatinkinase IL Interleukin
CO, Kohlendioxid IRV inspiratorisches Reservevolumen
COOH Karboxylgruppe ISG Iliosakralgelenk
CRH »corticotropin releasing hormone<< I-Streifen isotrope Streifen
dB Dezibel K Kalium
OHEA Dehydroepiandrosteron KHK koronare Herzkrankheit
DNA Desoxyribonukleinsäure L lumbal
ONS Desoxyribonukleinsäure LOH Laktatdehydrogenase
(eng!. DNA: »desoxyribonucleid acid<<) LOL »low density Iipoprotein<<
EEG Elektroenzephalogramm LH luteinisierendes Hormon
EIA Enzyme-Immunoassay Lig. Ligamentum
EKG Elektrokardiogramm LSP Lautstärkepegel
EMG Elektromyogramm LWS Lendenwirbelsäule
EOG Elektrookulogramm M.(Mm.) Musculus (Musculi)
EPP Endplattenpotential M. Morbus
ER endoplasmatisches Retikulum MCH mittleres korpuskuläres Volumen
ERV exspiratorisches Residualvolumen MHC »major histocompatibility complex<<
(»Reservevolumen<<) (Haupt-Histokompatibilitäts-Komplex)
EUG Extrauteringravidität mRNA Messenger-RNA
F Frequenz MSH melanozytenstimulierendes Hormon
FRK funktionelle Residualkapazität
XIV

N Stickstoff RPF renaler Plasmafluss


N.(Nn .) Nervus (Nervi) RV Residualvolumen
Na Cl Natriumchlorid (Kochsalz) s Schwefel
NaOH Natronlauge SA sinuatrial (SA-Knoten)
NH 2 Aminogruppe SD P Schalldruckpegel
nm Nanometer SER glattes (>>smooth<<)
NNM Nebennierenmark endoplasmatisches Retikulum
NNR Nebennierenrinde STH somatotropes Hormon
NO Stickoxid (=Wachstumshormon)
02 Sauerstoff T3 Trijodthyronin
OH-Ionen Hydroxylionen T4 Thyroxin
p Phosphor Th thorakal
PAH Paraaminohippursäure TK Totalkapazität
PNS peripheres Nervensystem tR NA Transfer-RNA
PRL Prolaktin TS H thyroideastimulierendes Hormon
REM »rapid eye movement<< TSI thyroideastimulierendes Immunglobulin
(schnelle Augenbewegungen) TTS transdermales therapeutisches System
RER raues endoplasmatisches Retikulum VK Vitalkapazität
RIA Radio-Immunoassay VLDL >>very low density Iipoprotein<<
RMM relative Molekülmasse ZNS zentrales Nervensystem
RNS Ribonukleinsäure Z- Streife n Zwischenstreifen
(eng!. RNA: >>ribonucleid acid<<) ZVD zentraler Venendruck
rung
dbegriffe

1.1 Anatomie 2

1.2 Physiologie 3

1.3 Leben 3
1.3.1 Definierte Form und Größe 4
1.3.2 Beschleunigter Stoffwechsel 4
1.3.3 Bewegung 4
1.3.4 Erregbarkeit 4
1.3.5 Wachstum 5
1.3.6 Fortpflanzung 5
1.3.7 Adaptation 5

1.4 Materie 5
1.4.1 Baueinheiten der Materie 5
1.4.2 Anorganische Substanzen im menschlichen Körper 7
1.4.3 pH-Wert 8
1.4.4 Organische Substanzen im menschlichen Körper 9

1.5 Fragen und Zusammenfassung zu den Grundbegriffen 13


2

1 Einführung und Grundbegriffe


der Anatomie und Physiologie

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
.,. Die Begriffe Anatomie, Physiologie, Biochemie definieren
.,. Erklären was Leben ist
.,. Die wichtigsten 8 Elemente nennen, die im menschlichen Körper vorkommen
.,. Zwischen organischen und anorganischen Substanzen unterscheiden
.,. Den Aufbau der Atome beschreiben
.,. Den pH-Wert erklären
.,. Die wichtigsten Mole külarten im menschlichen Körper nennen

Noch im 19. Jahrhundert wurde an vielen Universitäten ein Fach »Anatomie-


Physiologie« gelehrt, eine Tatsache, durch die die enge Verknüpfung dieser
beiden Disziplinen deutlich wird. Erst durch die sta rke Entwicklung des Fachs
und die Vertiefung und Erweiterung der Kenntnisse in Anatomie und Physiolo-
gie kam es an den Universitäten zu einer Trennung in verschiedene Disziplinen.
Nach 1940 wurde deutlich, dass innerhalb des Gebietes Physiologie eine chemi-
sche und eine physikalische Arbeitsrichtung enthalten ist, so dass es zu einer
weiteren Teilung in die Gebiete Physiologie und Biochemie kam. Die Biochemie
befasst sich mit den chemischen Vorgängen im Körper und wird deshalb auch
häufig als physiologische Chemie bezeichnet. Heute ist es sogar üblich, die
Anatomie und die Physiologie in Bezug auf verschiedene Organsysteme zu un-
terteilen, man spricht z. B. von einer Leberphysiologie, einer Neuroanatomie etc.

1.1 Anatomie

Die Lehre von der Struktur und Form (Morphologie) des menschlichen Körpers
wird als Anatomie bezeichnet.

Sektionen Die ersten Kenntnisse des menschlichen Körpers wurden anhand von Sektionen
künstliche Zergliederung einer Leiche gewonnen. Der Begriff Anatomie leitet sich vom griechischen Wort >>anatemno«:
ich zerschneide, ab. Das Gebiet Anatomie kann in verschiedene Teilgebiete
eingeteilt werden. Die beiden wichtigsten sind die makroskopische und die
mikroskopische Anatomie. Die makroskopische Anatomie befasst sich mit dem
Bau des menschlichen Körpers, soweit d ieser mit dem bloßen Auge erfasst
werden kann (makros, griechisch: groß; skopeo, griechisch: ich sehe). Die Lehre
von den Strukturen, die nicht mehr mit bloßem Auge erkennbar sind und mit
dem Mikroskop sichtbar gemacht werden können, nennt man mikroskopische
Anatomie (mikros, griechisch: klein).
Leben · Kapitell · Einführung und Grundbegriffe der Anatomie und Physiologie 3

1.2 Physiologie

Der Lehre von der Morphologie des menschlichen Körpers steht die Lehre von
der Funktion an der Seite.

Die Lehre von der Funktion heißt Physiologie (physis, griechisch; Natur;
Iogos, griechisch; Lehre}. Aufgabe der Physiologie ist es, die Funktion
des Körpers zu ergründen und zu beschreiben.

Ebenso wie das Verständnis für die Form erst durch die Kenntnis der Funktion
möglich ist, hat umgekehrt auch die Lehre der Funktion das Wissen um die
Gesetze der Form zur Voraussetzung. Alle Lebenserscheinungen sind an eine
immer wiederkehrende Form gebunden, deren Aufrechterhaltung die Bedingung
für die Erhaltung der Art bzw. der Artunterschiede ist und deren Veränderungen
Zeichen einer Entwicklung sind. Form und Funktion sind somit ein unteilbares
Ganzes.

1.3 Leben

Stellt man sich die Frage; >>Was ist Leben, was ist lebendig?<<, erscheint die
Antwort auf den ersten Blick sehr einfach. >>Was sich bewegt, ist lebendig« wird
wahrscheinlich eine sehr häufige Antwort sein. Luft bewegt sich, metallisches Na-
trium auf einer Wasseroberfläche bewegt sich, Öl in Glyzerin und Alkohol sendet
fußähnliche Ausläufer aus und bewegt sich amöbenartig. Daraus erkennt man, Amöbe
dass Bewegung allein Leben nicht definieren kann, sondern insgesamt folgende Einzeller, der sich durch Fließbewegung
Bedingungen eingehalten werden müssen; Leben äußert sich durch definierte seiner Zellausläufer fortbewegt
Form und Größe, beschleunigten Stoffwechsel, Bewegung, Erregbarkeit, Wachs-
tum und Fortpflanzung und die Fähigkeit zur Adaptation
Aber auch unter Berücksichtigungall dieser Parameter ist es manchmal nicht Parameter
einfach, Leben zu definieren. Größe oder Konstante, die auf eine
Das liegt nicht zuletzt daran, dass alles Leben aus unbelebter Materie besteht. Funktion oder einen Zustand einen Ein-
So besteht der menschliche Körper zu 96% aus lediglich 4 Elementen. Weitere 3% flussausübt
des menschlichen Körpers bestehen aus 4 weiteren Elementen.

96% des Körpers bestehen aus 3% des Körpers bestehen aus

Kohlenstoff (Q Kalzium (Ca)


Sauerstoff (0) Phosphor (P)
Wasserstoff (H) Kalium(K)
Stickstoff (N) Schwefel (S)

Das letzte verbleibende 1% verteilt sich auf zahlreiche andere Elemente, die z. T.
in sehr kleinen Mengen im Körper vorkommen, wie z. B. Eisen, Magnesium,
Selen, Kupfer.
Im folgenden Text werden zunächst die oben erwähnten Charakteristika des
Lebens näher erläutert.
4

Leben ist durch folgende Merkmale 1.3.1 Definierte Form und Größe
definiert:

• definierte Form und Größe Man könnte dies als strukturelle Organisation eines Lebewesens bezeichnen.
• beschleunigter Stoffwechsel Trotz einer gewissen Variabilität ist jedoch immer das gleiche Grundmuster
• Bewegung deutlich zu erkennen: So haben Tiere und Pflanzen wie auch der Mensch eine
• Erregbarkeit immer wiederkehrende Größe und Form, die lediglich im Detail variiert, von
• Wachstum einem Individuum zum nächsten. Die Bau- und Funktionseinheit der höheren
• Fortpflanzung und Lebewesen ist die Zelle, die in Verbänden die einzelnen Organe bildet. Verschie-
• Adaptation {Anpassung). dene Organe und die dazugehörigen Stütz- und Bindegewebe machen den Kör-
per in seiner Gesamtheit aus. Unbelebte Materie variiert in Form und Größe viel
stärker als lebende Strukturen.

1.3.2 Beschleunigter Stoffwechsel

Die Summe aller chemischen Abläufe in den Zellen wird als Stoffwechsel bzw.
Metabolismus bezeichnet.

Auch bei unbelebter Materie kommt es zu einem Stoffwechsel, z. B. bei der


Bildung von Oxiden, wie Rost, allerdings nur in einem Ausmaß, das man nicht als
beschleunigten Stoffwechsel bezeichnen kann.
Der Metabolismus der Zellen wird unterteilt in Anabolismus und Katabo-
Anabolismus lismus. Anabolismus bezieht sich auf den Aufbau von komplexen aus einfachen
Aufbauphase des Stoffwechsels Substanzen, Katabolismus bezieht sich auf den Abbau von komplexeren in
Katabolismus einfachere Substanzen, wobei dieser Abbau sehr häufig Energie freisetzt, die
Abbauphase des Stoffwechsels für alle Lebensvorgänge notwendig ist. Beide Vorgänge, Anabolismus und
Katabolismus, laufen ständig nebeneinander in den Zellen unseres Körpers ab.
Oxidation Die meisten anabolen Vorgänge benötigen Energie; deshalb müssen auch
Verbindung eines chemischen Stoffs genügend katabole Prozesse ablaufen, um diese Energie zu liefern, z. B. Oxidation
mit Sauerstoff von Traubenzucker (Glukose) zur Gewinnung von ATP (Adenosintriphosphat).

1.3.3 Bewegung

Ein weiteres Charakteristikum allen Lebens ist die Fähigkeit zur Bewegung. Bei
Tieren ist die Bewegung meist sehr auffällig; bei Pflanzen kann die häufig fast
nicht sichtbare Bewegung durch Zeitrafferaufnahmen sichtbar gemacht werden.
Auch wenn keine Bewegung wahrnehmbar ist, z. B. bei einzelligen Lebewesen,
bewegt sich doch deren Zellinneres auf molekularer Ebene.

1.3.4 Erregbarkeit

Leben ist durch Erregbarkeit gekennzeichnet. Es kann auf Stimuli reagieren wie
z. B. physikalische oder chemische Veränderungen der Umgebung. So kann durch
Druck, Hitze, Kälte, Geräusche, Licht oder auch durch chemische Veränderung
der Umgebung eine Reaktion in den Zellen oder im Organismus hervorgerufen
werden. Beim Menschen und vielen Tieren sind spezialisierte Zellen vorhanden,
die etwa auf Farbe, Geruch oder Geschmacksstoffe reagieren können.
Ma terie · Kap itell · Einführung und Gru ndbegriffe der Anatomie und Physiologie 5

1.3.5 Wachstum
Resultat des Stoffwechsels: Wachstum
Als Resultat des Stoffwechsels wachsen Lebewesen. Dieses Wachstum kann durch
Vergrößerung des Zellvolumens eines einzelligen Lebewesens, z. B. nach der
Zellteilung, gegeben sein. Es kann aber auch das Wachstum eines Individuums
sein, wie des amerikanischen Riesenbaumes Sequoia gigantea, der von einem
kleinen Samenkorn, das aus einem tannenzapfenähnlichen Gebilde stammt, bis
auf eine Höhe von 120m anwachsen kann. Einige Lebewesen wachsen zeitlebens.
Ihr Wachstum ist lediglich durch die Lebensdauer begrenzt.

1.3.6 Fortpflanzung

Die Fortpflanzung kann als eigentliche Grundvoraussetzung für Leben betrach- Fortpflanzung:
tet werden. Viren können sich nicht bewegen, haben keinen eigenen Stoffwechsel Grundvoraussetzung für Leben ·

und werden doch als »lebendig« bezeichnet. Sie sind in der Lage, tierische oder
pflanzliche Zellen so zu beeinflussen, dass diese neue Viren bilden (syntheti-
sieren). Durch diesen Prozess können sich Viren vermehren. Früher war man der
Auffassung, dass Leben spontan entstehen könne: so glaubte man z. B., dass
Fliegenmaden aus faulendem Fleisch entstehen können oder Frösche aus dem
Schlamm des Nils. Heute weiß man: Leben entsteht nur aus Leben. Die Fortpflan-
zung kann geradezu simpel sein, wie bei Bakterien oder einzelligen Lebewesen,
die sich einfach teilen und damit 2 Tochterindividuen aus einer Zelle entstehen
lassen. Sie kann aber auch so kompliziert sein wie beim Menschen oder anderen
Lebewesen: hier müssen spezialisierte männliche und weibliche Keimzellen ge-
bildet werden, die zusammentreffen müssen, um die Entwicklung eines neuen
Individuums zu ermöglichen.

1.3.7 Adaptation

Die Fähigkeit sich anzupassen (Adaptation) ist die Grundlage für das Überleben Adaptation:

in einer sich verändernden Welt. Diese Anpassung kann kurzfristig sein, wie die Grundlage für das Überleben in veränder-

Anpassung aufgrund der Erregbarkeit der Zellen. Sie kann aber auch langfristig barer Umwelt

sein und aufgrund von spontanen Veränderungen im Erbgut (Mutationen) die


Möglichkeit beinhalten, dass eine Tier- oder Pflanzenart unter vollständig geän-
derten Bedingungen überleben kann. Ein typisches Beispiel dafür ist die Re-
sistenz verschiedener Bakterienstämme gegenüber Antibiotika, die sich durch
Anpassung ergeben hat. Damit wird es den entsprechenden Bakterien möglich,
bei Vorhandensein eines Bakteriengiftes (z. B. Penizillin) weiterzuleben.

1.4 Materie

1.4.1 Baueinheiten der Materie

Wie bereits erwähnt, ist unser Körper aus unbelebter Materie, den Elementen,
aufgebaut.

Unabhängig vom Zustand, in dem sich die uns umgebende Materie befindet
(fest, flüssig, gasförmig, aus einfachen Atomen oder komplexen Molekülen
bestehend), besteht alles aus Atomen.
6

Atom: Kleinste, mit chemischen Mitteln Es existieren insgesamt 92 natürlicherweise vorkommende Atomarten sowie
nicht weiter zerlegbare Einheit eines ca. 15 künstlich erzeugte oder erzeugbare Atomarten. Letztere sind meist nur sehr
chemischen Element s, die noch die für das kurzlebig. Die einzelnen Atomarten werden auch als Elemente bezeichnet. Reine
Element charakteristischen Eigenschaften Substanzen, die led iglich aus einer einzigen Atomart bestehen, z. B. Gold oder
besitzt Kupfer, sind in der Natur relativ selten. Meist sind die verschiedenen Atome zu
Molekülen verbunden. Der Begriff des Atoms stammt aus einer Zeit, in der man
Molekül: Kleinste Einheit einer der Meinung war, diese seien die kleinsten unteilbaren Baueinheiten der Materie.
chemischen Verbindung, die noch die Heute weiß man, dass die Atome nicht unteilbar sind. Für den Physiker sind die
charakteristischen Eigenschaften dieser verschiedenen Bestandteile der Atome von Bedeutung, für Mediziner dagegen ist
Verbindung aufweist es nur wichtig zu wissen, dass praktisch alle Atome aus
• Protonen (positiv geladen),
• Neutronen (neutral) und
• Elektronen (negativ geladen)
bestehen.

Alle Elemente sind somit aus den gleichen Bausteinen aufgebaut. Das einfachste
Atom ist Wasserstoff; es besteht aus nur einem Proton und einem El ektron; Koh-
lenstoff demgegenüber aus 6 Protonen, 6 Neutronen und 6 Elektronen.
• Protonen und Neutronen im Atomkern Protonen und Neutronen sind im sog. Atomkern vorhanden. Die Elektronen
• Elektronen auf Elektronenschalen bewegen sich auf Schalen um den Atomkern, ähnlich wie ein Satellit, der die Erde
umkreist, sog. Elektronenschalen.
Die ersten (maximal) 2 Elektronen kreisen auf der 1. Schale (K-Schale), die
nächsten (maximal) 8 auf der 2. Schale (L-Schale). Auf der dritten Schale
(M-Schale) können es maximal 32 Elektronen sein. Die Anzahl der Schalen und
die Anzahl der Elektronen auf diesen Schalen hängt vom Element ab. So hat
Wasserstoff eine Schale mit einem Elektron, Kohlenstoff hingegen 2 Schalen.
Beim Kohlenstoff kreisen auf der 1. Schale 2 Elektronen und auf der 2. Schale
4 Elektronen (Abb. 1-Ia, b ). Die Anzahl der Neutronenkann bei den Atomen eines
Elementes manchmal vermindert oder erhöht sein.

Abb. 1-1 a, b.
Zwei Modelle eines Koh lenstoffatoms. Im
Kern sind Protonen (+) und Neutronen
(ohne Ladung); außen Elektronen(-)
dargestellt.
a Hist orisches Atommodell, bei dem man
die Vorstellung hatte, dass sich die Elek-
tronen wie Satelliten auf einer Umlauf-
bahn um den Atomkern befinden. b Heute
geht man davon aus, dass sich die Positi-
on eines Elektrons nicht exakt, sondern
nur der Wahrscheinlichkeit nach angeben
lässt. Elektronen befinden sich auf scha-
lenartigen Umlaufbahnen, und die Dichte a b

der dunkel gefärbten Hülle korreliert mit


der Wahrscheinlichkeit,
dass die Elektronen sich dort befinden
Materie · Kapitell · Einführung und Grundbegriffe der Anatomie und Physiologie
7

Die entsprechend en Atome werden als Isotope bezeichnet. So hat Kohlenstoff Isotop: Atom oder Atomkern, der sich von
normalerweis e 6 Neutronen und 6 Protonen und wird deshalb als cu bezeichnet. einem anderen des gleichen chemischen
Daneben existieren auch andere Isotope mit m ehr o der weniger Neutronen im Elements nur in seiner Massenzahl unter-
Atomkern, wie z. B. C", C'" sowie C' 4 • Isotope sind häufig radioaktiv und werden scheidet
in der Nuklear- und Strahlenmedi zin oft verwendet.

Atome sind elektrisch neutral. Positive und negative Ladungen (Protonen und
Elektronen) stehen im Gleichgewich t. Ion: Elektrisch geladenes Teilchen, das aus
neutralen Atomen oder Molekülen durch
Bei Gewinn oder Verlust von einem oder mehr Elektronen können Atome ihre
Anlagerung oder Abgabe (Entzug) von
elektrische Ladung ändern: man bezeichnet sie als Ionen. Atome, die Elektronen
Elektronen entsteht
(negative Ladungen) abgegeben haben, sind damit positiv geworden durch die
im Atomkern vorhandenen Protonen (positive Ladungen). Es sind somit positive
Ionen entstanden. Umgekehrt führt die Aufnahme von Elektronen zu einem
Oberschuss von negativer Ladung. Wird das Salz NaCl (Natriumchlo rid, Koch-
salz) in Wasser gelöst, gibt das Natrium 1 Elektron an das Chlor ab. Gleichzeitig
trennen sich die beiden voneinander (Dissoziation ), und es entsteht ein positiv
geladenes Natriumion ( a +) und ein negativ geladenes Chloridion (Cl- ).
Wird in eine derartige Salzlösung mit positiv und negativ geladenen Ionen
ein Elektrodenpa ar gelegt und eine Stromspannu ng in der Flüssigkeit aufgebaut,
wandern die negativ geladenen Chiaridionen zur Anode (positiv geladene Elek- Anion: Negativ geladenes Ion
trode), weshalb sie auch als Anionen bezeichnet werden; die positiv geladenen Kation: Positiv geladenes Ion, das bei der
Natriumionen wandern hingegen zur Kathode (negativ geladene Elektrode), Elektrolyse zur Kathode wandert
weshalb sie als Kationen bezeichnet werden. Diese Wanderung der dissoziierten
Ionen an die entsprechend en Elektroden ist der Grund, warum sie als Elektrolyte
bezeichnet werden. Elektrolyte s ind also positiv oder negativ geladene Ionen. Da
viele Salze bei Lösung im Wasser in positiv und negativ geladene Ionen dissoziie-
ren, werden sie allgemein auch als Elektrolyte bezeichnet. Ihnen stehen die
Nichtelektroly te gegenüber, die bei Lösung in Wasser nicht in geladene Teile
(Ionen) dissoziieren, z. B. Glukose, Alkohol etc.
Den Atomen der Elemente stehen die Verbindunge n gegenüber. Diese Verbindungen bestehen aus Molekülen
besitzen als kleinste homogene Bestandteile die Moleküle. So ist z. B. im Wasser
die kleinste Verbindung das Molekül H, O. Jedes der entsprechend en Moleküle
einer Verbindung ist genau gleich aufgebaut. Bei Glukose, einem der wichtigsten
Brennstoffe unseres Körpers für die Energiegewin nung, heißt die Formel des
Moleküls C6 H,.0 6 ; d as bedeutet, dass jedes Molekül, wie aber auch jede beliebige
Menge dieser Substanz, im Verhältnis von 6 Teilen Kohlenstoff zu 12 Teilen
Wasserstoff zu 6 Teilen Sauerstoff aufgebaut ist.
Anders als bei den Verbindungen , kommt es bei den Mischungen nicht zu ln Mischungen liegen Atome
Verbindungen der beteiligten Atome oder Moleküle. So entstehen bei der und Moleküle nebeneinander
Mischung Zucker und Mehl oder Alkohol und Wasser keine Verbindungen . Die
einzelnen Bestandteile dieser Mischungen existieren jeweils nebeneinande r.

1.4.2 Anorganische Substanzen im menschlichen Körper

In den menschlichen Zellen, wie in allen anderen Zellen, sind 2 Arten von
Substanzen vorhanden: organische und anorganische .
Der Unterschied zwischen organisch en und anorganische n Substanzen b e-
steht im Vorhandense in von Kohlenstoff auf der Seite der organischen Sub-
8

stanzen. Kohlenstoff fehlt in den meisten anorganischen Substanzen. Man war


ursprünglich der Auffassung, dass lediglich von Organismen produzierte Sub-
stanzen Kohlenstoff enthalten können. Heute hat man schon weit über 10o.ooo
künstliche organische Substanzen produziert, sodass diese Definition nicht mehr
zutrifft. Trotzdem wird daran festgehalten, da es eine didaktisch klare Trennung
ermöglicht.
Wichtigste anorganische Subst anzen: Die wichtigsten anorganischen Substanzen des menschlichen Körpers neben
Wasser, Kohlendioxid, Säuren, Basen. Salze Wasser und Kohlendioxid sind: Säuren, Basen, Salze. Neben den anorganischen
Säuren, Basen und Salzen existieren aber auch kohlenstoffhaltige, die zu den
organischen Substanzen gerechnet werden.
Vereinfacht ausgedrückt, sind Säuren in der Lage, H+-Ionen (Protonen) in
Basen Lösungen abzugeben, und Basen geben OH-Ionen (Hydroxylgruppen) in Lösun-
auch Laugen genannt geben gen ab. Wird eine Säure mit ihrer Base vermengt, entsteht ein Sal z und Wasser.
OH~Ionen ab Am Beispiel von NaOH (Natronlauge) und HCl (Salzsäure) sieht das folgender-
maßen aus:

NaOH + HCl = H2 0 + NaCl

Damit entsteht Kochsalz und Wasser. Wasser, das am Körpergewicht ca. 70-75%
Anteil hat, gehört ebenfalls zu den anorganischen Substanzen des menschlichen
Körpers, da es keinerlei Kohlenstoff enthält.

1.4.3 pH-Wert.

Basen sind alkalisch und Säuren sind sauer. Als Bewertungsmaß dafür, ob eine
ph-Wert: bezeichnet den negativen Substanz, z. B. eine Flüssigkeit, sauer oder alkalisch reagiert, dient der pH-Wert.
Logarithmus der Wasserstoffionen- Er bezeichnet den negativen Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration.
konzentration Wasser hat als weder saure noch alkalische Flüssigkeit einen pH-Wert von 7.
Eine Änderung von 7 auf 6 würde bedeuten, dass eine 10-fach höhere Konzen-
• pH 1: sehr sauer (Beispiel Salzsäure) tration von H+ -Ionen vorliegt. Umgekehrt bedeutet eine Veränderung von pH 7
• pH 7: neutral (Beispiel Wasser) auf pH 8 eine Verminderung der Wasserstoffionenkonzentration auf den 10. Teil.
• pH 14: sehr alkalisch Die höchste mögliche Wasserstoffionenkonzentration findet sich bei einem pH-
(Beispiel Natronlauge) Wert von 1, die geringste bei einem pH-Wert von q.

Im menschlichen Körper wird normalerweise ein pH-Wert von 7,38 aufrecht-


erhalten. Die maximale Schwankungsbreite, die mit dem Leben noch vereinbar
ist, reicht von pH 7 bis pH 7,9. Somit kann nicht einmal eine Änderung um das
1G-fache toleriert werden (entsprechend dem Logarithmus, steigt die W -Kon-
zentration zwischen pH 7,9 und pH 7 auf den 9-fachen Wert).

Unser Körper verfügt über verschiedene Mechanismen, die dafür sorgen,


dass diese Werte unbedingt eingehalten werden. Dazu gehören sog. Puffer-
substanzen, die je nach Bedarf entweder H+- und OH-Ionen aufnehmen oder ab-
Homöostase geben können. Alle Mechanismen, die für die Aufrechterhaltung des Gleich-
homöo, griechisch: Stehen, Stillstand; gewichtes sorgen, sowohl im pH-Bereich als auch in allen anderen Bereichen
Gleichgewicht der physiologischen (z. B. Elektrolythaushalt, Blutdruck etc. ), werden in ihrer Gesamtheit als Homöo-
Körperfunktionen stase bezeichnet.
Materie · Kapitel 1 · Einführung und Grundbegriffe der Anatomie und Physiologie 9

1.4.4 Organische Substanzen im menschlichen Körper


Organisch e Substanzen des Körpers
Der größte Teil der organischen Substanzen in unserem Körper besteht aus Koh- • Kohlenhydrate
lenhydraten, Proteinen, Lipiden, Nukleinsäuren und Steroidhormonen. Gemein • Proteine
ist all den organischen Substanzen das Vorhandensein von Kohlenstoffatomen. • Lipide
Weil sie auf der äußersten Elektronenschale 4 Elektronen besitzen, können sie • Nukleinsäuren
mehr unterschiedliche Verbindungen eingehen als jedes andere Atom. • Steroidhormone

Kohlenhydrate (Zucker) Wichtige Kohlenhyd rate


Kohlenhydrate sind Substanzen, die lediglich Wasserstoff (H), Kohlenstoff (C) • Maltose {Malzzucker)
und Sauerstoff (O) enthalten, und zwar in einem Verhältnis von 1 C: 2 H : 1 0. • Ga laktose (einfacher Zucker)
Rohrzucker, Stärke und Zellulose sind Beispiele für Kohlenhydrate. Zellulose • Fruktose {Fruchtzucker)
kommt ausschließlich in pflanzlichen Zellen vor. • Saccharose {Rohrzucker)
Einige besonders wichtige Kohlenhydrate für den menschlichen Körper sind: • Laktose (Milchzucker)
Maltose, Galaktose, Fruktose, Saccharose, Laktose und Glukose (Abb.1 -za, b). Vor • Glu kose (Traubenzucker)
allem Glukose ist sehr wichtig, da bei ihrem Abbau Energie frei wird, die für den
Körper gespeichert werden kann. ATP, Adenosintriphosphat: Aus Adenin,
Durch die Verbrennung von Glukose sind unsere Zellen in der Lage, Ribose und 3 Phosphorsäu ren aufgebau-
Adenosintriphosphat (ATP) herzustellen, das der wichtigste Energieträger im tes Nukleotid, wichtigster Energiespeicher
Stoffwechsel ist. Um Glukose zu speichern, wird sie in tierischen Zellen in Form und Energieüberträger im lebenden
von Glykogen (tierische Stärke) und in pflanzlichen Zellen in Form von Stärke Organismus
in die Zellen eingelagert. Beides sind sehr ähnliche Moleküle, die durch den
Zusammenschluss von sehr vielen einzelnen Glukosemolekülen zustande Glykogen
kommen. hochmoleku lare Speicherform der Gluko-
se, mit einer relativen Molekülmasse bis zu
über einer Million

Abb. 1-2a, b.
Glu ko se Fru kto se Chemische Darstellung der Glukose
H H und der Fruktose.
I I
c=o H- C - OH ln a si nd jeweils d ie linearen Struktur-
I I formeln (Fischer-Schreibweise) angege-
H - C - OH C= O
I I ben, die rasch die Unterschiede zwischen
HO - C - H HO - C - H beiden Molekülen erkennen lassen.
I I
H - C - OH H - C - OH ln b sind die Projektionsformeln (Haworth-
I I Schreibweise) angegeben, die ein drei-
H - C - OH H - C - OH
I I dimensionales Bild der Moleküle zeigen.
H - C - OH H- C - OH Seide Moleküle unterscheiden sich nur
I I
H H geringfügig voneinander
a

b
10

Lipide (Fette)
Lipidgruppen Mit diesem Begriff wird eine Stoffklasse bezeichnet, deren Untergruppen in ihrer
• Neutralfette chemischen Struktur nur sehr wenige Gemeinsamkeiten aufweisen.
• Glyzerinphosphatide Gemeinsames Merkmal ist der Besitz lipophiler Gruppen; dadurch sind die
• Sphingolipide Lipide gut löslich in verschiedenen organischen Lösungsmitteln (z. B. Ether,
• Steroide Chloroform, Benzol) und praktisch unlöslich in Wasser.
• Karotinoide Ein Großteil der Lipid e im menschlichen Körper gehört in die Gruppe der
Neutralfette (Abb. 1-3). Diese bestehen aus einem Glyzerinmolekül u nd 3 mit
lipophil = »fettfreundlich« d iesem verbundenen Fettsäuremolekülen (z. B. Steari nsäure, Arachidonsäu re).
Lipide kom men in allen Körp e rzellen vor, sei es a ls Membranbestandteil, als
Aufgaben von Lipiden Wirkstoff oder als Energiereserve. Lipide werden auch als sog. Depotfe tte ge-
• Membranbestandteil speichert, z. B. in der Bauchhöhle und im Unterhautfettgewebe. In der Haut dient
• Wirkstoff Fett nicht nur als Energiereserve, sondern auch zur Isolierung, z. B. vor Kälte.
• Energiereserve
• Isolation Steroide
Steroide können auch zu den Lipiden gerechnet werden. Weil sie allerdings als
Wirkstoffe eine besondere Rolle im Körper spielen, werden sie hier gesondert
erwähnt.
Steroide enthalten 4 miteinander verknüpfte Ringsysteme von Kohlenstoff-
atomen. Davon sind 3 Ringe mit je 6 C-Atomen, der 4- hingegen mit 5 C-Atomen
bestückt. Dieses molekulare Grundgerüst w ird alsSteranring bezeichnet (Abb.1-
4a- c). Neben verschiedenen Hormonen (z. B. Nebennierenrindenhormone, Ge-
schlechtshormone) besitzen auch Cholesterin und Vita min D einen Stera nring
als Grundgerüst

Die Besetzung des Steranringes mit verschiedenen Elementen macht den


Unterschied zwischen den e inzelnen Steraiden aus.

Proteine (Eiweiße)
Eiweiße oder Proteine sind eine sehr komplexe Gruppe von Molekülen, die in den
Zellen eine Vielzahl von Aufgaben zu bewältigen haben. Sie sind Bausteine der
Zellstrukturen, üben Hormon- und Enzymfunktion aus.

Abb. 1-3.
Triglyzerid molekül, ein typischer Vertreter G lyzerin
der Lipide. Dieses Lipidmolekül besteht
aus einem Glyzerinteil und 3 damit
verbundenen Fettsäuren (Stearinsäure)

3 Stearinsäuremoleküle
Materie - Kapitell · Ei nführung und Grundbegriffe der Anatomie und Physiologie 11

Abb. 1-4a-c.
Grundstruktur der Steroide.
a Steranring, der aus 3 Ringen mit 6 Koh-
lenstoffatomen und einem Ser-Koh len-
stoffring besteht. Diese Grundstruktur ist
Steranring
al len Steraiden gemein.
" b Strukturformel des Cholesterins, das,
abgesehen von eigenen wichtigen Funk-
t ionen (z. B. Baustein der Membranen), bei
der Bildung von Steraiden eine Zwischen -
stufe darstellt.
c Auch Östrogen besitzt den typischen
HO Steranring
b

HO
Östrogen
c

Die Proteine werden aus Untereinheiten, den Aminosäure n, aufgebaut • Am inosäuren: Karbonsäuren, bei denen
(Abb. 1-sa- c). Es gibt ca. 20 verschiedene Aminosäuren im menschlichen Körper, ein Wasserstoffatom durch eine
die in langen Ketten von ganz verschiedenartiger Zusammensetzung vorkom - Aminogruppe ersetzt ist, wichtigste
men. Die Aminosäuren sind in einer Bindung aneinandergekettet, die man als Bausteine der Eiweißkörper
Peptidbindung bezeichnet. Sind nur wenige Aminosäuren aneinandergekoppelt, • Peptid e (griechisch: gekocht, verdaut.
spricht man von einem Peptid (Oligopeptid, Polypept id). verdaulich ): Spaltprodukt des
Sind mehr als 100 Aminosäuren an einandergekettet [relative Mol ekülmasse Eiweißabbaus (aus 2 oder mehr Ami -
RMM größer als 10.ooo ], wird dies als Protein bezeichnet. Bedingt durch d ie bei - nosäuren bestehend)
nahe unbegrenzten Variationsmöglichkeiten, mit denen 20 verschiedene Amino-
säuren in wechselnder Folge aneinandergekettet werden können, ist natürlich RMM
eine fast unendlich große Anzahl von verschiedenen Peptiden und Proteinen relative Molekülmasse (früher Molekular-
gewicht, MG)

Abb. 1-Sa- c.
Aminosäuren.
0~ / NH 2
c ln a ist das allgemeine Schema der Amino-
I säuren dargestellt, die eine Aminogruppe
OH CH 2
I I (NH2 ) und eine Karboxylgruppe (COOH)
CH2 CH2 besitzen. Die mit R (Rest) bezeichnete
I I Gruppe ist bei beiden einzelnen Amino-
H2N - C - COOH H2N - C - COOH
I I säuren unterschiedlich, wie an den Bei-
H H
" allgemeine Form
b
Serin
c
Glutaminsäure
spielen Serin (b) und Glutaminsäure (c)
zu sehen is
12

möglich und im Tier- und Pflanzenreich vorhanden. Nicht alle Aminosäuren


sind jedoch in allen Proteinen vorhanden; es gibt Proteine, die sich nur aus weni-
gen Aminosäuren zusammensetzen.
Tierisches oder pflanzliches Protein, das mit der Nahrung aufgenommen
wird, unterscheidet sich häufig sehr stark von menschlichem Protein, sodass es
im Verdauungssystem in Peptide und Aminosäuren zerlegt werden muss. Nach
der Resorption werden diese Bausteine in körpereigene Peptide und Proteine
wieder neu zusammengesetzt.
Pflanzen können alle Aminosäuren aus einfacheren Substanzen zusammen-
setzen (synthetisieren). Der menschliche Körper kann das bei vielen, jedoch
essen tief, französisch: nicht allen Aminosäuren. Diese letzteren werden deshalb essenzielle Amino-
wesentlich, unerlässlich; wesentliche, säuren genannt, da sie mit der Nahrung von außen zugeführt werden müssen.
lebensnotwendige Dazu gehören Valin, Phenylalanin, Methionin, Threonin, lsoleuzin, Lysin, Leuzin,
Tryptophan, Histidin, Arginin und Tyrosin.

Nukleinsäuren
Der Zellkern wird mit dem lateinischen Fachbegriff als Nukleus bezeichnet.
Nukleinsäuren, die - wie der Name besagt - saure Eigenschaften besitzen,
wurden zuerst im Zellkern entdeckt.
• RNA: Abkürzung für den englischen Prinzipiell werden 2 Arten von Nukleinsäuren unterschieden: die Ribonuk-
Begriff desoxyribonucleic acid = leinsäure (RNS; eng!. Abkürzung: RNA) und die Desoxyribonukleinsäure (DNS;
Ribonukleinsäure engl. Abkürzung: DNA).
Die DNA ist der Träger der genetischen Information, die auf den Chromoso-
• DNA: Abkürzung für den englischen men im Zellkern sitzt. Vererbung wird über die Chromosomen mit ihrer DNA
Begriff desoxyribonucleic acid = gewährleistet. DNA und RNA bestehen aus einem Zuckermolekül (Desoxyribose
Desoxyribonukleinsäure bzw. Ribose), einer Base (Cytosin, Guanin, Thymin, Adenin im Falle der DNA;
bei der RNA wird Thymin durch Uracil ersetzt) sowie einem Phosphatrest
(s. Abb. 1-6c). Die RNA transportiert für die Eiweißsynthese im Zellplasma die
notwendigen Aminosäuren zu den Ribosomen, an denen die Verknüpfung der
Aminosäuren zu Eiweißen erfolgt

Abb. 1-6a- c.
Bausteine der Nukleotide. H O2C0O HOH H O2 C0O HOH
a Zuckermolekül der DNA (Desoxyribose). H H H H
b Zuckermolekül der RNA (Ribose). H H H H
c Nukleotid bestehend aus einer Base, OH H OH OH

einem Phosphatrest und einem Zucker- Desoxyribose Ribose


8 b
molekül (in diesem Fall Desoxyribose)

c
ED- Phosphat OH
Base

Desoxyribose
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 1 · Einführung und Grundbegriffe der Anatomie und Physiologie 13

1.5 Fragen und Zusammenfassung zu den Grundbegriffen

Was ist Anatomie? Die Lehre von der Form des menschlichen Körpers.

Was ist Physiologie? Die Lehre von der Funktion des menschlichen Körpers.

Wie wird leben definiert? Leben äußert sich durch definierte Form und Größe,
beschleunigten Stoffwechsel, Bewegung, Erregbarkeit,
Wachstum, Fortpflanzung und die Fähigkeit zur Adaptation.

Aus welchen 8 Elementen sind C = Kohlenstoff, 0 = Sauerstoff, H =Wasserstoff, N = Stick-


99% des Körpers aufgebaut? stoff, Ca = Kalzium, K = Kalium, P = Phosphat, S = Schwefel

Wie sind Atome aufgebaut? Sie bestehen aus einem Atomkern mit Protonen und
Neutronen sowie einer oder mehrerer Elektronenschalen mit
einer gleichen Anzahl Elektronen wie im Atomkern Protonen
vorhanden sind.

Was sind Ionen? Negativ oder positiv geladene Atome oder Moleküle, die
entweder ein oder mehr Elektronen aufgenommen und
dadurch negativ geworden sind oder ein oder mehr Elek-
tronen abgegeben haben und dadurch positiv geladen sind.

Was sind Isotope? Atome, die in ihrem Atomkern mehr oder weniger Neutronen
als normal besitzen.

Nennen Sie den Unterschied Im Unterschied zu den anorganischen enthalten


zwischen organischen und die organischen Substanzen Kohlenstoff (C-Atome).
anorganischen Substanzen?

Welche 3 Klassen der anorgani- Säuren, Basen, Salze. Säuren können H+-Ionen und Basen
schen Substanzen kennen Sie? können OH- lonen abgeben.

Wie ist der pH-Wert definiert? Der pH-Wert bezeichnet die Wasserstoffionenkonzentration
(ausgedrückt als negativer Logarithmus = p),
dementsprechend ist p von Wasserstoff (H) = pH.
Die pH-Skala reicht von 1-14. 1 ist sehr sauer (z. B. Salzsäure)
pH 7 ist neutral (z. B. Wasser)
pH 14 ist sehr alkalisch (z. B. Natronlauge).

Welcher pH-Wert muss pH 7,38


im menschlichen Blut aufrecht
erhalten werden?

1e

2.1 Zytologie, die lehre der Zellen 16

2.2 Methoden der Histologie und Zytologie 17


2.2.1 Gewebekultur 17
2.2.2 lichtmikroskopische Untersuchungen
(histologische Untersuchungen) 17
2.2.3 Elektronenmikroskopische Untersuchungen 18

2.3 Zellbestandteile und Zellvorgänge 18


2.3.1 Zellmembran 19
2.3.2 Zellorganellen 22
2.3.3 Zellteilungen 35
2.3.4 Proteinsynthese 37
2.3.5 Begriffe der Genetik 37
2.3.6 Regeln der Vererbung 39
2.3.7 Die Evolution 41

2.4 Fragen und Zusammenfassung Zytologie 42


16

2 Zytologie

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Ka pitels können Sie:
~ Die Merkmale einer Zelle nennen

... Die Methoden der Histologie und Zytologie beschreiben


... Die Zellorganellen und ihre Funktionen beschreiben
~ Den Zellkern als Steuerungszentrum des Zellstoffwechsels und als Träger
der genetischen Information begreifen
~ Die DNA mit ihren Bausteinen, den Nukleotiden, als Basis des genetischen Codes
verstehen
... Die Bedeutung des genetischen Codes für die Synthese von Proteinen beschreiben
~ Die Grundlagen der Vererbung nennen und einfache Kreuzungen beschreiben

2.1 Zytologie, die Lehre der Zellen

Die Zytologie ist die Lehre von den Zellen. Zellen sind die kleinsten
selbständigen Funktionseinheiten des Organismus.

Der gesamte menschliche Körper ist aus einzelnen Zellen und ihrem Produkt, der
Zelle: Interzellularsubstanz, aufgebaut. Zellen sind nicht nur die Baueinheiten des
cel/a, lateinisch: Behältnis, Zelle; menschlichen, sondern auch des tierischen Körpers und der Pflanzen. Bereits
kleinste Einheit jedes mehrzelligen 1663 beobachtete der Engländer Robert Hooke mit einem primitiven Mikroskop
Organismus kammerartige Gebilde in Kork, die er Zellen nannte, da sie ihn an die Zellen von
Mönchen erinnerten. Erst viel später wurde von anderen Forschern entdeckt,
dass die Zellen die Grundlage allen selbständigen Lebens sind.

Ohne Zellen sind die Lebensvorgänge wie Wachstum, Empfindung, Fort-


pflanzung und Bewegung nicht möglich. Durch Zusammenschluss vieler Zellen
kommt es zum Bau der Organe und des menschlichen Körpers. Zellen im Ver-
band nennt man Gewebe. Die Lehre von den Geweben ist die mikroskopische
Anatomie oder Histologie.

Eine der größten menschlichen Zellen ist die Eizelle. Sie hat eine Größe von
ca. 0,15 mm und ist damit gerade noch mit dem bloßen Auge sichtbar. Die meis-
ten anderen Zellen sind wesentlich kleiner. Menschliche rote Blutkörperchen
(Erythrozyten) haben einen Durchmesser von 7,5 ttm ( 1 ttm == 0 , 0 0 1 mm). Mit
Ausnahme dieser roten Blutkörperchen, die im Laufe ihrer Entwicklung ihren
Kern ausstoßen, besitzen alle Zellen einen Zellkern. Der Zellkern sitzt im Zellleib,
Methoden der Histologie und Zytologie · Kapitel 2 ·Zytologie 17

dem Zytoplasma , der von einer Zellmembran umgeben ist. Fehlen diese Anteile, Alle Zellen besitzen die
handelt es sich nicht um echte Zellen. 3 Strukturmerkmale:
Alle Zellen weisen einen gemeinsamen Bauplan auf. Die Zellen der einzelnen • Zellkern
Gewebe und Organe haben sich im Laufe ihrer Entwicklung allerdings sehr stark • Zytoplasma
differenziert. Sie haben eine spezialisierte Form entwickelt, um ihre organ- • Zellmembran
typischen Funktionen (z. B. Muskelkontraktion, Exkretion) erfüllen zu können,
sodass kein Zelltyp dem anderen gleicht.

2.2 Methoden der Histologie und Zytologie

Mit bloßem Auge oder mit der Lupe sind nur wenige Zellen des menschlichen
Körpers der direkten Untersuchung zugänglich. Dies liegt v. a. an der Größe der Auflösungsvermögen des Auges liegt
Zellen, die unterhalb des Auflösungsvermögens des Auges liegen. bei ca. o, 1 mm
Das Auflösungsvermögen liegt bei ca. 0,1 mm und wird selbst durch den
Gebrauch einer Lupe nur unwesentlich gesteigert. Demgegenüber sind die meis-
ten Zellen nicht größer als ca. 0,04 mm. Am intakten Körper sind nur in
Ausnahmefällen direkte Beobachtungen von Zellen möglich (Beispiel: bei Ent-
zündungen in die Hornhaut des Auges einsprossende Blutgefäße). Es bedarf also
besonderer Hilfsmittel und Arbeitsmethoden, um Einblick in Gewebe und Zellen
zu erhalten.

2.2.1 Gewebekultur

Für die Gewebekultur werden dem Körper einzelne Gewebeproben (Biopsien) Die 3 wichtigsten Untersuchungs-
entnommen und unter sterilen Bedingungen in entsprechenden Kulturmedien metheden von Zellen
weitergezüchtet Diese Zellen können somit lebend unter dem Mikroskop • Gewebekultur
betrachtet werden und histologisch untersucht werden. • Lichtmikroskopische (histologische)
Untersuchungen
2.2.2 Lichtmikroskopische Untersuchungen • Elektronenmikroskopische
(histologische Untersuchungen) Untersuchungen

Für die lichtmikroskopische Untersuchung eignen sich einschichtige Zellkul-


turen, die direkt im Mikroskop betrachtet werden können. Als Kulturen geben sie
allerdings die Verhältnisse im Gewebe nicht genau wieder. Deshalb werden meist
Schnittpräparate hergestellt. Dafür entnimmt man Gewebeproben, entweder von Histologische Präparation:
lebenden Personen als Biopsien oder nach dem Tode als Organstücke, und fixiert Methode zur Herstellung von
sie in bestimmten chemischen Substanzen (z. B. Formalin), damit das Material lichtmikroskopischen Präparaten
nicht durch Selbstauflösung (Autolyse) und Fäulnis zerstört wird. Anschließend
wird das Gewebe entwässert, z. B. in aufsteigenden (soo/oigen, 6oo/oigen, 70%igen
etc. ) Alkoholreihen, um danach in Paraffin eingebettet zu werden.
Auf diese Art erhält man Gewebeblöckchen, die durch das eingedrungene
Paraffin eine genügend hohe Festigkeit haben und es ermöglichen, dass sehr
dünne Schnitte hergestellt werden können. Auf einem speziellen Instrument (Mi-
krotom) werden mit Metallmessern Schnitte hergestellt, die ca. 4-12 J.lm dick sind
und damit dünn genug, um im Lichtmikroskop durchstrahlt zu werden. Diese
Schnitte werden auf dünne Glasplatten (Objektträger) gebracht, die daraufhin in
speziellen Färbelösungen gefärbt werden. Ohne Färbung würde man in der
anschließenden Betrachtung im Mikroskop nur wenig erkennen. Außerdem
18

können mit entsprechenden Farbstoffen die Bestandteile des Gewebes und der
Zellen unterschiedlich angefärbt werden, was für ihre Identifizierung sehr hilf-
reich ist.
Auflösungsgrenze des Die Auflösungsgrenze des menschlichen Auges wird durch das Licht-
Lich t mikroskopes: 0,2 11m mikroskop auf ca. o,z ~m gesenkt, sodass die maximale Vergrößerung, mit der
man die Gewebe im Mikroskop betrachten kann, ca. das 1000- bis 2ooofache
beträgt (Vergrößerung 1000:1 bis 2000: 1). Damit lassen sich nicht nur Zellen
und Interzellularsubstanz ausgezeichnet betrachten, sondern es sind auch inner-
halb der Zellen gelegene Partikel mit dem Lichtmikroskop bereits erkennbar
(z. B. Mitochondrien, Lysosomen) .

2.2.3 Elektronenmikroskopische Untersuchungen

Den eigentlichen Durchbruch zu vertiefter Erkenntnis stellte die Entwicklung


der elektronenmikroskopischen Präparationstechnik in den Jahren seit 1950 dar.
Beim Elektronenmikroskop werden Elektronen für die Abbildung verwendet, die
wegen ihrer wesentlich kleineren Wellenlänge auch in der Lage sind, kleinere
Details abzubilden.
Auflösu ngsgrenze des Die heute erreichbare Grenze der Auflösung liegt bei ca. 0,3 nm. Damit sind
Elektronenmikroskopes: ca. 0,3 nm ohne weiteres Vergrößerungen von über 1 Mio. möglich. Leider lassen sich keine
Schnittpräparate herstellen, die so dünn sind, dass man damit die Auflösungs-
1 nm = 1 Nanometer= 1o- 6 mm = grenze des Elektronenmikroskopes ausnutzen könnte. Somit werden für die
1 millionstel Millimeter meisten Untersuchungen Vergrößerungen von 10.000: 1 bis 8o.ooo: 1 verwendet.
Bei einer Vergrößerung von 10.000:1 wird ein Staubpartikel von 0,1 mm Größe
bereits auf die Dimension von 1 m vergrößert.
Elektronenmikroskopische Präparation: Die elektronenmikroskopische Präparation verläuft wie die lichtmikrosko-
Methode zur Herstellung pische, jedoch mit anderen Materialien und in an deren Dimensionen.
elektronenmikroskopischer Schnitte Das Gewebe wird in Epoxid-Harzen (z. B. Araldit) eingebettet und mit
Diamantmessern (anstelle von Metallmessern) geschnitten, in Schnittgrößen
von ca. 0,2 x 0,4 mm und Schnittdicken von ca. 50 nm. Zur besseren Sichtbar-
machung im Elektronenmikroskop werden an die vorhandenen biologischen
Moleküle noch Schwermetalle angelagert (Blei- oder Uransalze). Diesen Vorgang
nennt man Kontrastierung.Vor allem mit Hilfe der Elektronenmikroskopie hat in
den letzten 30 Jahren eine enorme Erweiterung der Kenntnisse über die
Lebensvorgänge stattgefunden.

2.3 Zellbestandteile und Zellvorgänge

Nicht nur die gesunden Lebensvorgänge spielen sich auf zellulärer Ebene ab, son -
dern auch Krankheitsprozesse. Es ist deshalb verständlich, dass die Zelle, die
kleinste Einheit jedes Organismus, im Mittelpunkt des Interesses der Forschung
steht. Aus diesem Grund wird auch zunächst die Zelle mit ihren Bestandteilen
näher erläutert (s. Abb. 2-1):
• Zellmembran,
• Zellorganellen.
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitel2 ·Zytologie 19

Abb. 2-1 .
Zelle mit den verschiedenen Organellen
und möglichen Differenzierungen an der
Zelloberfläche
Lysosom

Zellkern

Nukleolus

raues endoplasma-
tisches Retikulum

2.3.1 Zellmembran

Membranaufbau

Die Zellmembran hat für das Bestehen und die Funktion der Zellen die größte
Bedeutung. Ohne Zellmembranen wäre Leben nicht möglich. Auf der einen Seite
schützt die Zellmembran gegen die Umwelt, auf der anderen Seite ermöglicht
sie es, mit der Umwelt gezielt Stoffe auszutauschen.

Außerdem müssen über die Zellmembran die nicht mehr verwertbaren Stoff- Zellmembran: bestehend aus einer
Wechselendprodukte ausgeschieden werden können. Daneben soll die Zellmem- Lipiddoppelschicht, um Transport-
bran in der Lage sein, zelluläre Produkte, die für den >>Export<<bestimmt sind, wie und Schutzfunktionen auszuüben
Eiweiß oder Hormone, abzugeben.
Um diese Transportaufgaben sowie diverse andere Aufgaben auszuführen,
hat die ZeHmembran eine ganz spezifische Struktur: Sie besteht aus einer mehr
oder weniger flüssigen Lipidschicht, die mosaikartig von Eiweißmolekülen
vollständig oder unvollständig durchzogen ist.
Die Eiweißkörper schwimmen in dieser Lipiddoppelschicht (bimolekulare
Lipidschicht) und bilden dabei ein Mosaik, weshalb man auch von >>fluid mosaic
model« {flüssiges Mosaikmodell) spricht. Lipidmoleküle haben vielfach ein
wasserabstoßendes (hydrophobes) und ein wasseranziehendes (hydrophiles)
20

Abb. 2-2. Kohlenhydrate Glykolipid


Ausschnitt eines bimolekularen
Lipidfilmes der Zellmembran. Die Proteine
können nur an einer Membranseite vor- bimolekularer
Lipidfilm
liegen, sie können durchgehend sein
oder sogar in Form von Kanalproteinen als
Transportmoleküle fungieren. Die Lipid-
moleküle weisen eine wasserabstoßende
(hydrophobe) und eine wasseranziehende
(hydrophile) Seite auf. Die an der Außen-
seite vorhandenen Glykolipide und
hydrophobe
Kohlenhydrate sind für Membraneigen- Seite
schaften, wie z. B. Blutgruppen oder die
selektive Aufnahme von Substanzen in die I Kanal fur Ionentransport
Außenseite oder Glukosetranspol1
Zelle, verantwortlich

Ende. In der Lipiddoppelschicht der Membranen sind diese Moleküle so ange-


ordnet, dass die wasserabstoßenden Enden gegeneinander gerichtet sind und
somit die wasseranziehenden Enden nach außen liegen. Da sowohl ein großer
Teil des Zellinneren wie auch der Zellumgebung aus wässriger Lösung besteht,
trägt das Wasser dazu bei, d iese Membranen in ihrer Struktur zu festigen (Abb.
2-2). Dabei sind die Membranen jedoch nicht unveränderlich in ihrem Aufbau
festgelegt, sondern ständigen Ab-, Um- und Einbauvorgängen unterworfen.

Membrantransport
Über die Zellmembran hinweg finden Transporte statt, die es der Zelle erlauben,
Nahrung aufzunehmen, Stoffwechselendprodukte auszuscheiden und ihr inneres
Milieu mit hoher Spezifität zu regulieren.
Man unterscheidet 4 verschiedene Mechanismen:

4 Transportmechanismen an der Passive Diffusion


Zellmembran Dieser Transportvorgang beruht ausschließlich auf einem Konzentrationsgefälle
• Passive Diffusion (lediglich vom über die Zellmembran hinweg. Viele Stoffe können die Zellmembran frei
Konzentrationsgradienten abhängig) passieren und folgen in der Regel einfach einem Konzentrationsgradienten, d. h.
• Erleichterte Diffusion (erfordert sie bewegen sich von der Seite de r höheren Konzentration auf die Seite der
Anwesenheit eines Überträgerstoffes) niedrigeren Konzentration. Beispiel: 0 C0 Harnstoff, Bikarbonat.
2 , 2 ,

• Osmose (unabhängig vom Konzen-


trationsgradienten, benöt igt Energie) Erleichterte Diffusion
• AktiverTransport (Phagozytose. Auch dieser Transportweg ist konzentrationsabhängig und verläuft ebenfalls
Endozytose, Exozytose) passiv. Er erfordert die Anwesenheit von sog. Überträgerstoffen. An diese binden
sich die Stoffwechselprodukte reve rsibel und gelangen so über die Membran hin-
weg. Beispiel: Aminosäuren, Glukose.

Osmose
Die Osmose ist em Spezialfall der Diffusion, sie läuft an Zellmembranen ab
(s. Kap. 6).
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitel2 · Zytologie 21

AktiverTransport
Dieser Mechanismus ist nicht nur unabhängig von Konzentrationen, er arbeitet
vielfach sogar gegen extrem hohe Konzentrationsgradienten. Hierbei wird
ständig Energie verbraucht, weshalb man diese Art des Transports als aktiv be-
zeichnet. Beispiel: Natrium.

Bläschentransport
Große Moleküle werden von der Zellmembran umflossen und gelangen so als
memb ranumhüllte Bläschen in die Zelle. Diese Bläschen werden Vakuolen
genannt. Den Vorgang der Aufnahme von Material in die Zellen nennt man
Phagozytose oder auch Endozytose. Ähnlich kö n nen auch Anteile der Zelle diese
verlassen, d. h. aus ihr ausgestoßen werden; dies nennt man allgemein Exozytose.

Funktionen der Zellmembran Funktionen der Zellmembran


Neben der Transport- und Schutzfunktion haben die Zellmembranen aber auch • Aufbau des Membranpotentials
noch wesentliche weitere Aufgaben. So sind sie verantwortlich für den Aufbau • Bindung von bestimmten Stoffen
eines Membranpotentials, das die Grundlage der Abgrenzung der Zelle nach du rch Mem brane
außen, aber auch Grundlage der Erregungsbildung und Erregungsleitung ist. Das • Grundlaqe von Immunreaktionen
Membranpotential kommt durch unterschiedliche elektrische Ladung aufbeiden • Stoffaustausch zwischen Zelle
Seiten der Membranen zustande (s. Kap. s). und Umwelt
Außerdem sitzen in den Membranen Rezeptoren, d. h. spezifische Moleküle,
die in der Lage sind, z. B. Hormone aus den Körperflüssigkeiten zu binden und Membranpotential
damit erst die Wirkung dieser Moleküle auf die Zelle zu ermöglichen. Weiterhin An Membranen vorhandene Unter-
stellen die Membranen mit ihren an die Mosaikeiweißkörper gebundenen schiede der elektrischen Ladung, d. H.
Kohlenhydraten (Glykokalyx) die Grundlage der Blutgruppen sowie der Absto- negative innere Ladung in den Zellen
ßungsreaktionen bei Transplantationen und ganz allgemein der Erkennung von gegenüber außen
körpereigenen und körperfremden Zellen dar, also von Immunreaktionen
(s. Kap. 8). Rezeptoren
Der Stoffaustausch zwischen der ZeHe und ihrer Umwelt geschieht über die Zellmoleküle, die spezifische Substanzen
Zellmembranen. Je größer also die Zelloberfläche mit ihrer Membran ist, desto z. B. Hormone binden können und damit
mehr kann auch über die Zellmembranen transportiert werden. eine Reaktion auslösen
Da Zellen aufgrund ihrer physikalisch-chemischen Bedürfnisse und Eigen-
schaften nicht allzu groß werden können, müssen sie zu einem Trick greifen, um
bei erhöhtem Bedarf an Stoffaustausch über die Zellmembran hinweg den
Transport sicherzustellen.
Dies geschieht durch Einfaltungen und Einstülpungen der Zellmembran. Mikrovilli
Solche Oberflächenvergrößerungen nennt man Mikrovilli. Durch die Bildung von (Singular Mikrovillus) als Oberflächen-
Mikrovilli kann bei transportaktiven Zellen, z. B. dem Epithel des Dünndarms, vergrößerung: Einfaltungen und
eine 20- bis sofaehe Vergrößerung der Oberfläche erreicht werden. Einstülpungen der Zellmembran

Zellkontakte
Sobald sich Zellen gegenseitig berühren, bilden sich innerhalb der Membranen
spezialisierte Zonen, die Zellkontakte (Abb. 2-3). Sie dienen dazu, die Zellen mit-
einander zu verbinden und ihnen im Zellverband die entsprechende mecha-
nische Stabilität zu verleihen. Solche Zellkontakte nennt man Da-
neben sind aber noch andere Zellkontakte vorhanden, die v. a. die Aufgabe haben,
den Interzellularraum gegen innere oder äußere Oberflächen abzudichten, z. B.
um die Haut vor Austrocknung zu schützen (>>tight junctions«). Andere Zellkon-
22

Abb. 2-3 a, b.
a Innenansicht einer Zellmem bran mit
Zellkontakten. Oie »tightjunction« läuft
kreisförmig um die gesamte Zelle und
sorgt für einen dichten Abschluss des
Interzellularraums, d ie »gap junction«
~~~,~~~~~~~~~~~~~~-"ti(Zonula
ght]unction"
occludens)
ermöglicht einen Ionenfluss von einer "gap junction"
(Zonula adhaerens)
Zelle zu r nächsten und ist damit
Grundlage der Kommunikat ion zwischen
den Zellen; die Desmosomen sind Desmosom
punktartige Kontaktzonen, die der
mechanischen Stabilität des Zellver-
laterale Falten
bandes dienen. der Zellmembran -f!~~"-'-JJfll
b Lichtmikroskopische Darstellung einiger (lnterdigitationen)
Epithelzellen, die beiden Pfeile verweisen
auf die Region der Zellkontakte

taktehaben die Aufgabe, die Erregungsleitung von einer Zelle auf die nächste zu
erleichtern, d. h. sie dienen der Übertragung von elektrischen Impulsen (»gap
junctions« ).

2.3.2 Zellorganellen

Analogie Im Zytoplasma sind verschiedene Membransysteme vorhanden, die eine Reihe


Entsprechung, Ähnlichkeit, von spezifischen Aufgaben zu erfüllen haben und in Analogie zu den Organen
Gleichheit von Verhältnissen des Körpers als Organellen bezeichnet werden.

Endoplasmatisches Retikulum und Ribosomen

Die wichtigsten Zellorganellen Als endoplasmatisches Retikulum (ER) bezeichnet man ein System von
Endoplasmatisches Retikulum netzartigen Hohlräumen im Plasma, die miteinander in Verbindung stehen
Ribosomen und von Membranen begrenzt sind. Diese Hohlräume werden häufig
Golgi-Apparat als ER-Zisternen bezeichnet.
Mitochondrien
Lysosomen Die Membranen des endoplasmatischen Retikulums sind ähnlich aufgebaut wie
Peroxisomen die Membranen, die die Zelle begrenzen, d. h., sie bestehen auch aus einer bimo-
Zentriolen lekularen Lipidschicht In der Regel stehen die Membranen des endoplasmati-
Zellkern schen Retikulums sowohl in Verbindung mit der Zell- wie auch mit der
Kernmembran.
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitel2 ·Zytologie 23

Man unterscheidet 2 Arten:


• das raue endoplasmatische Retikulum (RER) und
• das glatte endoplasmatische Retikulum (SER; S für eng!. >>smooth<<).

Je nach Zelltyp überwiegt eine der beiden Arten. Das RER (Abb. 2-4) wird so ge- Raues endoplasmatisches Retikulum (RER)
nannt, weil es auf der dem Zytoplasma zugewandten Membranseite mit kleinen mit Ribosomen ist an der Proteinsynthese
Partikeln besetzt ist, dje den Membranen ein raues Aussehen geben. Dies sind die beteiligt
Ribosomen, kleine kugelartige Gebilde, die aus Ribonukleoprotein bestehen und
an der Proteinsynthese beteiligt sind. Dementsprechend kommt das RER be-
sonders ausgeprägt in Zellen vor, die eine starke Proteinsynthese aufweisen,
z. B. in embryonalen Zellen, die für die Körperentwicklung benötigten Proteine Glattes endoplasmatisches Retikulum
herstellen, oder in Leberzellen, Pankreaszellen etc. (SER) mit glatter Oberfläche hat große
Das SER ist besonders stark ausgeprägt in Zellen, die Lipide und Steroide syn- Bedeutung beim Abbau von Fremdstoffen

thetisieren, z. B. in den Zellen der Nebennierenrinde. Außerdem hat es große Be- und Giften im Körper; v .a. in Zellen,

deutung beim Abbau von Fremdstoffen und Giften im Körper. So kann durch die die Lipide und Steroide synthetisieren

Gabe von verschiedenen Pharmaka (z. B. Barbituraten) die Bildung von SER in
der Leber sehr stark angeregt werden. Man nennt diesen Vorgang Induktion oder Induktion
auch Enzyminduktion. Es werden nämlich die für den Abbau der betreffenden in der Biologie die Auslösung der Bildung
Substanzen verantwortlichen Enzyme vermehrt gebildet, um auf diese Art oder Entwicklung eines Moleküls,
schneller Fremdstoffe abbauen zu können. Die für den Abbau von Pharmaka ver- Organelle, Zelle oder Gewebes
antwortlichen Enzyme sind z. T. an den Membranen des SER lokalisiert. Durch
konstante Einnahme von Medikamenten kann es zu einer Gewöhnung kommen, Enzym
die z. T. auch darin liegt, dass die Abbaurate durch Enzy minduktion so stark er- Protein das Stoffwechselvorgänge
höht ist. beschleunigt und z. T. erst ermög licht

Kernplasma RER
Abb. 2-4.
Nukleolus (raues endoplasmatisches Retikulum)
Endoplasmatisches Retikulum. Oben ist
die mit Ribosomen besetzte raue Form
(RER) und unten der Übergang in die glat-
te Form (SER) zu sehen. Die raue Form
Membran steht in der Regel in Verbindung mit der
des RER
Kernmembran. Vom Zel lkern ist ein Teil
der Kernmembran mit den Kernporen und
ein Kernkörperehen (Nukleolus) einge-
zeichnet. Das Kernplasma ist aus Gründen
der Übersichtlichkeit nur mit seiner Lage
angegeben

Ribosomen
24

Golgi-Apparat
Beim Golgi-Apparat handelt es sich um ein weiteres intrazelluläres Membran-
Golgi-Apparat und Diktyosomen:
system mit charakteristische r Form und spezieller Funktion. Der Golgi-Apparat
aufgebaut aus mehreren Membran-
setzt sich aus mehreren einzelnen Membranfeldern zusammen, die über die Zelle
feldern; beteiligt an der Synthese und
Ausscheidung von protein- und kohlen- verstreut sind und als Diktyosomen bezeichnet werden (Abb. 2-5).
hydrathaltigen Substanzen ]e nach Zelltyp kann man in einzelnen Zellen bis zu 30 Diktyosomen an-
treffen. Das einzelne Diktyosom besteht aus ca. 5-10 scheiben-oder schüsselför-
migen Membransäckch en, die im Schnittbild wie Doppelmembran en aussehen.
Diese Säckchen liegen in Stapeln beieinander und sind leicht gebogen, sodass
eine konkave und eine konvexe Seite entsteht.
An den Enden sind die Säckchen häufig blasenförmig aufgetrieben. Es finden
sich dort auch meist größere Bläschen, sog. Vesikel, die offensichtlich von den
Diktyosomen abgeschnürt worden sind.
Eine der wichtigsten Aufgaben des Golgi-Apparates ist die Beteiligung an der
Synthese und Ausscheidung von protein- und kohlenhydrathal tigen Substanzen.
Der Golgi-Apparat ist außerdem an der Bildung der Lysosomen (s. unten) betei-
ligt.
In den Diktyosomen werden Proteine mit Polysacchariden verknüpft zu sog.
Glykoproteinen, die in den Vesikeln am Ende der einzelnen Diktyoso men abge-
schnürt werden, um aus der Zelle ausgeschleust zu werden.

Vereinfachend kann man sagen, dass der Golgi-Apparat das Material, das im RER
synthetisiert worden ist, weiterverarbeite t und in eine »exportierbare« Form
bringt.

Abb. 2-5.
Golgi-Apparat mit 6 einzelnen
Diktyosomen, die untereinander in
Verbindung stehen. Diese Diktyosomen
sind um einen (nicht eingezeichneten)
zentralen Zellkern angeord net
Zell bestandteile und Zellvorgänge · Kapitel 2 · Zytologie 25

Mitochondrien
Mitochondrien sind stäbchenförmige Gebilde, die von einer Doppelmembran
umgeben werden. Sie haben eine Größe von ca. 0,2 J.lm-2,5 J.lm. Die äußere
Membran stellt eine glatte Hülle dar, während die innere Membran in Falten
geworfen ist, die quer zur Längsachse verlaufen.
Diese Falten sind verantwortlich für einen Großteil der Funktionen der Mitochondrien sind die Kraftwerke
Mitochondrien und können ebenfalls als Oberflächenvergrößerungen (innere) der Zellen.
angesehen werden. Man hat diese Falten mit dem lateinischen Ausdruck crista
(Kamm) bezeichnet.

Die Innenmembran der Mitochondrien begrenzt 2 Räume:


• auf der einen Seite das Innere der Mitochondrien, die Grundsubstanz oder
Matrix,
• auf der anderen Seite den zwischen Innen- und Außenmembran gelegenen
Intermembranraum (Abb. 2-6 und 2.7).

In beiden Räumen laufen, entsprechend der Ausstattung mit unterschiedlichen


Enzymen, auch verschiedene Stoffwechselprozesse ab. An der Innenmembran
und an den Cristae sitzen sog. Elementarpartikel, die im Zusammenhang mit der
Energiegewinnung stehen. Die Mitochondrien sind die Energielieferanten der
Zellen und damit die Energielieferanten des Körpers.
Mit ihren Enzymen können sie eine Vielzahl von lebensnotwendigen Stoff- An der Energiegewinnung sind
wechselvorgängen durchführen, der wichtigste ist die Energiegewinnung durch die oxydative Phosphorylierung,
den Aufbau von Adenosintriphosphat (ATP). An dieser Energiegewinnung sind der Elektronentra nsport
mehrere Stoffwechselprozesse beteiligt, wie der Elektronentransport, die oxida- und der Zitronensäurezyklus beteiligt
tive Phosphorylierung, der Zitronensäurezyklus etc. Je nach Energiebedarf der
einzelnen Zellen ist natürlich auch der Gehalt an Mitochondrien sehr unter- ATP, Adenosintriphosphat:
schiedlich. In Zellen mit einem hohen Energie bedarf, z. B. Herzmuskelzellen, ist Molekül mit 3 Phosphatresten. Mit dem
die Mitochondrienzahl sehr hoch. Der Aktivitätszustand der einzelnen Mito- 3. Phosphatrest ist Energie gespeichert,
chondrien lässt sich u. a. am Ausmaß der durch die Cristae gebildeten Ober- die bei Abspaltung des Phosphats freige-
flächenvergrößerung ablesen. setzt wird und für fast alle
Lebensvorgänge verwendet werden kann
Lysosomen
Lysosomen sind 0,25-0,5 J.lm große Partikel, die von einer Membran umgeben
sind. Sie enthalten verdauende Enzyme. Ihr Wirkungsoptimum liegt im sauren
pH-Bereich. Meist handelt es sich um sog. Hydrolasen. Diese Enzyme spielen ei-
ne wichtige Rolle beim Abbau von zellfremdem und zelleigenem Material:

Crista
Abb. 2-6 .
Zeichnerisch aufgeschnittenes
Mitochondrium mit seiner Außen- und
lnnenmembran. Die Innenmembran ist
kammartig in das Innere eingestülpt
(Cristae mitochondriales). Auf diese Art
wird die Oberfläche der funktionell wichti-
Innenmembran Grundsubstanz gen Innenmembran stark vergrößert
26

Abb. 2-7. Außenmembran


Innenmembran
Ausschnitt eines Mitochondriums mit
Einstülpung der Innenmembran
(Crista mitochondrialis). Die Innenmem-
bran ist mit Elementarpartikeln besetzt,
die für den Elektronentransport bei der
Energiegewinnung, d. h. dem Aufbau
des Adenosintriphosphats (ATP), benötigt
werden

Autophagie: • Im ersten Fall helfen sie, Material zu verdauen, das von augen in die Zelle ge-
Abbau von zelleigenem Material langt ist (Heterophagie).
Heterophagie: • Sie bauen aber auch Material ab, das aus der eigenen Zelle stammt und nicht
Abbau von zellfremdem Material mehr benötigt wird (Autophagie).

Durch diese intrazelluläre Verdauung werden die einzelnen Bausteine des ver-
dauten Materials frei und stehen für den erneuten Einbau in andere Moleküle
wieder zur Verfügung. So werden z. B. aus den Lipiden die Fettsäuren freigesetzt
und aus den Proteinen die Aminosäuren etc. (Abb. 2-8).
Der Lysosomenmembran kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie das
Zytoplasma vor den im Lysosom vorhandenen hydrolytischen Enzymen zu
schützen hat. Wird die Lysosomenmembran geschädigt (z. B. große Dosis an UV-

Abb.2-8.
RER (raues endo- Zellkam
Darstellung der beiden wichtigsten plasmatisches
Formen der intrazellulären Verdauung. Ret.lkulum)

Durch Aufnahme eines Fremdpartikels


(Heterophagie) und Bildung eines Hetero- Golgi-Apparat
phagielysosoms können zellfremde
Golgi-Veslkel
Bestandteile abgebaut werden. Durch die mit Verdauungs·
enzymen Bildung eines
Bildung von Autophagielysosomen . ,.....-\---,+ - Autophagie-
Bildung eines lysosoms
können überalterte oder nicht mehr Heterophagie-
benötigte zelleigene Bestandteile verdaut lysosoms

werden. ln beide Lysosomenarten werden


Golgi-Vesikel mit Verdauungsenzymen
Ausstoßung
aufgenommen. Nicht weiter abbaubare wa-- - - von verdautem
Bestandteile können in Form von Rest- Material

körperehen in den Zellen eingelagert oder


aus den Zellen ausgestoßen werden
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitel 2 ·Zytologie 27

oder Röntgenstrahlen oder z. B. bei eitrigen Geschwüren) treten die Enzyme in Lysis oder Lyse Verdauung, Auflösung
das Zytoplasma über. Dies kann lokal zu Gewebeautolyse führen. Nach dem Tod Autolyse Selbstverdauung
lösen sich die Membranen ebenfalls auf, wodurch es zur Autolyse kommt. Hydrolyse Verdauung unter Wasser-
abspaltung
Peroxisomen
Peroxisomen (»microbodies«) sind Organellen, die kleinen Lysosomen ähnlich Peroxisomen machen u. a. H2 0 2
sehen. Sie beinhalten jedoch völlig andere Enzyme, die h auptsächlich dafür unschädlich
verantwortlich sind, H2 0" das bei verschiedenen Stoffwechselvorgängen entsteht
und ein starkes Zellgift ist, sofort in H 2 0 und 0 zu spalten, das den Zellen für den H2 0 2 =Wasserstoffperoxid,
weiteren Stoffwechsel wieder zur Verfügung steht. starkes Zellgift

Zentriolen und Kinozilien


Zentriolen sind zylinderförmige Gebilde, die von einer homogenen Plasmazone Zentriolen ordnen während der
umgeben sind und meist in Kernnähe liegen, auch Zentralkörperchen genannt. Zellteilung die Chromosomen
Jede Zelle - mit wenigen Ausnahmen - weist ein Zentriolenpaar auf, deren beide
Zentriolen im Normalfall T-förmig zueinander liegen (Abb. 2-9). Jedes Zentriol
wird aus 9 im Querschnitt kreisförmig angeordneten Gruppen von je 3 Mikro- Mitose
tubuli gebildet. Diese Mikrotubuli sind kleine röhrenförmige Gebilde, die auch an Zellteilung von Körperzellen, die in einem
anderen Orten der Zelle einzeln vorkommen. Sie bestehen aus Protein, das diploiden Chromosomensatz resultiert
kontraktile Eigenschaften hat, und dienen der Stabilisierung und der Bewegung (46 Chromosomen)
von Zellen.
Zentriolen spielen eine wichtige Rolle während der Zellteilung (Mit ose und Meiose
Meiose , bei der sie für die Ordnung und Bewegung der Chromosomen sorgen). Zellteilung von Geschlechtszellen, die in
Genau gleich gebaut wie die Zentriolen sind Basalkörnchen (Kinetosomen). einem haploiden Chromosomensatz
Kinetosomen kommen in Zellen vor, die mit Flimmerhaaren besetzt sind. Sie resultiert (23 Chromosomen)

.. Abb. 2-9 .
-· Zentriolenpaar (Diplosom), wie es in den
Mitochondrium meisten Zellen {nicht in Nervenzellen),
auch außerhalb der Zellteilungszyklen,
Golgi-Apparat vorkommt. Der Kranz von grauem Material
um die Zentriolen wird als »Satelliten«
bezeichnet. Aus diesen Satelliten wird bei
Bedarf (Zellteilung) ein weiteres Zentriolen-
Zentriol.
quergeschnitten paar aufgebaut

,._,c----::--"'h,..l-- Zentriol.
längsgeschnitten

RER (raues
endoplasmatisches
Retikulum)
28

Flimmerhaare (Kinozilien) können sich sitzen normalerweise in einer Reihe direkt unterhalb der Zellmembran an der
aktiv bewegen, sie transportieren Sub- Basis (deshalb Basalkörnchen) der Flimmerhaare, die selbst auch als Kinozilien
stanzen und Strukturen entlang der Zell- bezeichnet werden.
oberfläche Die Kinozilien entspringen aus den Basalkörnchen, die noch innerhalb der
Zelle liegen, und ragen als lange fadenförmige Gebilde über die Zellmembran
hinaus. Der herausragende Teil ist der Zilienschaft Im Zilienschaft befindet sich
noch ein zusätzliches zentrales Paar von Mikrotubuli, das der gesamten Struktur
ein charakteristisches 9-plus-2-Aussehen (9+2) verleiht (9X2 äußere und 2 inne-
re Mikrotubuli). Diese Struktur der Zilien ist im ganzen Tierreich anzutreffen.

Die Funktion der Zilien besteht im Transport von Flüssigkeiten oder Partikeln
an der Zelloberfläche. Der eigentliche Flimmerschlag, der diese Funktion er-
möglicht, kommt durch Kontraktion der Mikrotubuli zustande. Die Flimmer-
zellen kommen beim Menschen z. B. im Eileiter oder in der Luftröhre vor.

Paraplasma bezeichnet int razelluläre Paraplasma


Strukturen, die vorübergehend oder Neben den oben erwähnten Organellen, die alle eine eigenständige Funktion
defin itiv dem Stoffwechsel entzogen sind, besitzen und an den Stoffwechselvorgängen oder Lebensäußerungen der Zellen
z. B. aktiv beteiligt sind, existieren in den Zellen häufig noch Einlagerungen, die man
• Glykogen als Zytoplasmaeinschlüsse oder auch als Paraplasma bezeichnet.
• Lipide
• Speicherproteine Das Paraplasma dient der Speicherung von Reservestoffen oder der Ablagerung
• Pigmente von Stoffwechselendprodukten, die weder ausgestoßen noch weiter verwertet
werden können (Abb. 2-10).

Glykogen
Glykogen ist die Speicherform der Glukose. Durch Bildung sehr großer Mole-
külverbände entsteht Glykogen, das eine relative Molekülmasse von bis über

Abb. 2- 10.
Ausschnitt aus einer Leberzelle mit
Paraplasmastrukturen in Form von
Glykogen (Speicherform der Glukose) und
Lipofuszingranula (Endprodukt der
intrazellulären Verdauung)

~n~~'-*·•- Glykogen-
granula

RER
(raues endo-
plasmatisches
Retikulum) ,~;._>,t.,..'-.f"-,:r-- SER
(glanes endo-
plasmatisches
Rellkulum)
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitel 2 ·Zytologie 29

1 Mio. aufweisen kann. Glykogen ist in Form von dunklen Granula in den Zellen

vorhanden und kann in größeren Ansammlungen, wie in der Leber, dem Vagi-
nalepithel etc., auch lichtmikroskopisch nachgewiesen werden. Bei Bedarf wird
Glukose aus dem Glykogen herausgelöst und steht für die Stoffwechselvorgänge
der Zelle zur Verfügung.

Glukose ist einer der wichtigsten Energielieferanten der Zelle. Durch ent- Bei der Glukoseverbrennung w ird in der
sprechende Vorgänge kann unter Verbrennung (Oxidation) von Glukose ATP Zelle ATP gewonnen
gebildet werden.

Lipide
Überschüssige, mit der Nahrung aufgenommene Kalorien können in Form von Lipide speichern überschüssige, mit der
Lipiden (Fetttropfen) in den Zellen abgelagert werden. Einige Zellarten sind Nahrung aufgenommene Kalorien
dafür unter Normalbedingungen spezialisiert, z. B. die Fettzellen, andere können
v. a. bei einem Überangebot an Lipiden diese ebenfalls einlagern.
Wenn Kohlenhydrate nicht vollständig zur Verbrennung oder für den übrigen
Stoffwechsel benötigt werden, können sie in Lipide umgewandelt und gespei-
chert werden. Der umgekehrte Weg vom Lipid zum Kohlenhydrat ist leider nicht
möglich. Die Speicherung von Lipid erfolgt normalerweise im Speicherfett, z. B.
in den Fettpolstern, in der Subkutis, in den Mesenterien.

Speicherproteine
In einigen Zellen können auch Proteine in kristalliner Form eingelagert werden,
bis sie benötigt und abgebaut werden. Dies ist z. B. der Fall in den Dotterplättchen
des Hühnereies.

Pigmente
Pigmente können von den Zellen selbst gebildet werden (endogene Pigmente)
oder von außen in den Körper und damit in die Zellen gelangen (exogene
Pigmente).
Bei den endogenen Pigmenten handelt es sich z. T. um Stoffwechselend- Endogene Pigmente:

produkte, die in Form von Lipofuszin-Granula in den Zellen eingelagert werden • z. T. Stoffwechselendprodukte, die in
und dort im Laufe des Lebens angereichert werden können, z. B. die Lipofuszin- Lipofuszin-Granula eingelagert werden
Granula im Herzmuskel oder in der Nebennierenrinde. • z. B. Melanin
Zu einer weiteren Gruppe endogener Pigmente gehört z. B. das Melanin, das
aus der Aminosäure Tyrosin gebildet wird. Die Einlagerung führt zu einer bräun-
lichen Farbgebung, so in den Haaren, der Iris oder der Haut (bei der Sonnen-
bräunung, die einen Schutzmechanismus darstellt).
Exogene Pigmente gelangen meist über die Lunge in den Körper und können Exogene Pigmente:

in Lymphknoten abgelagert werden. Sie stammen aus der Umgebungsluft oder Substanzen aus der Atem Iuft, die z. B.
dem Tabakrauch, können aber auch durch Arbeitsprozesse (Bergbau, Asbest- in Lymphknoten abgelagert werden
industrie etc.) in die Atemluft gelangen.

Zellkern

Mit Ausnahme der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) besitzen alle menschlichen


Zellen einen Zellkern. Zusammen mit dem Zytoplasma bildet der Zellkern eine
Funktionseinheit. Er ist das Steuerungszentrum des Zellstoffwechsels und gleich-
30

zeitig Träger der genetischen Information. Diese Information ist auf den Chromo-
somen vorhanden, die während der Zellteilung besonders in Erscheinung treten.

Kernhülle (Kernmembran) als Doppel- Zellkerne sind von einer Hülle umgeben, die sie vom Zytoplasma abtrennt und
membran ermöglicht Stoffaustausch gleichzeitig dafür sorgt, dass ein Austausch an Material zwischen Zellkern und
zwischen Zellkern und Zytoplasma Zytoplasma stattfinden kann. Die Kernhülle ist eine Doppelmembran. Seide
Membranen der Doppelmembran sind nach dem gleichen Prinzip des Membran-
aufbaus, nämlich jeweils aus einer bimolekularen Lipidschicht mit eingelagerten
Proteinen, aufgebaut. Zwischen den Doppelmembranen besteht ein schmaler
Spalt, der perinukleare Raum, der an dem Austausch von Material und Informa-
tion zwischen Zellkern und Zytoplasma beteiligt ist. Die Kernmembran oder
Kernhülle ist nicht kontinuierlich, sondern wird von sog. Kernporen durchbro-
chen, die einen Durchmesser von ca. 6o nm (1 nm = o,ooooo1 mm) haben und
meist von einer dünnen Membran (Diaphragma) verschlossen sind.
Durch die Kernmembran wird das Kernplasma (Karyoplasma) vom Zyto-
plasma getrennt. Eine Kommunikation zwischen Karyoplasma und Zytoplasma
ist aber durch die Kernporen wie auch durch den perinukJearen Raum möglich.
Im Kernplasma (Karyoplasma) enthalten: Der perinukleare Raum seinerseits steht wieder mit dem endoplasmatischen
• Lipid Retikulum in Verbindung. Im Karyoplasma finden sich neben verschiedenen
• Glykogen Einschlüssen, wie sie gelegentlich vorkommen (Lipid, Glykogen, Protein) v. a. die
Chromosomen, die in ihrer Gesamtheit, wie sie im Ruhekern zu sehen sind, als
• Protein v. a. die Chromosomen
Chromatin bezeichnet werden. Außerdem ist im Ruhekern ein Kernkörperehen
Nukleotid ( ukleolus) vorhanden. Dieses bildet die RNA, die für die Proteinsynthese im
Baustein der DNA und RNA, bestehend Zytoplasma benötigt wird. Das Ganze liegt in einer als Kernsaft bezeichneten
aus einem Zuckermolekül, einem Flüssigkeit. Dieser Kernsaft enthält neben den Chromosomen Wasser und
Phosphatrest und einer Base, z. B. Adenin, Nukleotide, die Bausteine der Nukleinsäuren, sowie Enzyme und Zwischenpro-
Guanin etc. dukte des Kohlenhydratstoffwechsels (Abb. 2-11).

Abb. 2-11 .
Glykogen
Schnittbild durch eine Zelle in der Region
des Zellkerns. Es handelt sich hier um
Mitochondrium
einen Arbeitskern, bei dem das Chromatin
in entspiralisierter Form vorliegt
Kernkörperehen
(Nukleolus)

Chromatin
(entspiralisierte -~~~<\-~~~~:~·••.;_,
Chromosomen)

M~ochondrium
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitel 2 · Zytologie 31

Chromosomen 23 Chromosomen paare,


je nach Aktivitätsphase der Zellen kann der Zellkern verschiedene Formen d. h. 46 Chromosomen beim Menschen
annehmen. Besonders auffällig ist dies bei der Teilung der Zelle. Hier laufen im
Zellkern charakteristische Veränderungen ab. Es werden Strukturen sichtbar, die
man als Chromosomen bezeichnet. Dies sind fädige, hakenförmige Gebilde mit
einer Einschnürung, dem Zentromer, von der 2 unterschiedlich lange Chromoso-
menschenkel abgehen. Die Länge der Schenkel und das Maß der Abknickung
sind für jedes einzelne Chromosom charakteristisch. Sie werden für die Klassifi-
zierung der Chromosomen verwendet. Die Anzahl der Chromosomen in einer
Zelle, der Chromosomensatz, ist artspezifisch und zahlen konstant, d. h ., unter-
schiedliche Tierarten haben möglicherweise unterschiedliche Chromosomen-
zahlen, aber für jedes Tier derselben Art ist die Anzahl der Chromosomen in
jeder Zelle konstant. So hat z. B. die Maus 40, die Obstfliege 8 Chromosomen.
Beim Menschen beträgt sie 46.
Einen solchen Chromosomensatz nennt man diploid. Im Unterschied dazu • diploid: Zellen mit vollständigem
werden die Chromosomensätze der Geschlechtszellen (Eizellen und Samen- Chromosomensatz
faden), die nur die Hälfte der Chromosomen enthalten (beim Menschen 23), • haploid: Chromosomensatz
haploid genannt. Der diploide Chromosomensatz enthält bei beiden Geschlech- der Geschlechtszellen mit der Hälfte
tern je 23 Paare von Chromosomen, die einander entsprechen, wovon je der Chromosomen
1 Chromosom eines solchen Paares von der Mutter bzw. vom Vater stammt. Man

unterscheidet dabei Autosomen, von denen 22 Paare vorhanden sind, und


Heterosomen oder Geschlechtschromosomen, von denen nur 1 Paar vorhanden
ist (Abb. 2-12a, b).
Das weibliche Geschlecht besitzt 2 gleichartige, relativ große Geschlechts- • X-Chromosom: relativ großes
chromosomen, die als X-Chromosomen bezeichnet werden. Das männliche Geschlechtschromosom (das weibliche
Geschlecht hat nur ein solches X-Chromosom, das 2. der Heterosomen ist ein Geschlecht besitzt 2 X-Chromosomen)
kleineres sog. V-Chromosom. Für die Geschlechtsbestimmung eines befruchteten
Eies ist also lediglich der Besitz der entsprechenden Geschlechtschromosomen • V-Chromosom: kleineres Geschlechts-
von Bedeutung. Bei 2 X-Chromosomen wird es ein Mädchen, bei einem X- und chromosom (das männliche Geschlecht
einem Y-Chromosom wird es ein Junge. besitzt! X- und 1 V-Chromosom)

Abb. 2-12 a, b.
Darstellung eines menschlichen

»8 8& «t
1-3
I}~~
4 ·5
Chromosomensatzes, wie er während der
Zellteilung in der Metaphase vorkommt.
a unsortiert,

111& Kllf 6-12


~~ JJ \I b sortiert nach Größe der Chromosomen.
Jeweils ein Chromosom pro Paar stammt
vom Vater und eines von der Muner. Der
i l\ \ll BI 'XI Xl\ ll Mensch besitzt 22 Autosomenpaare, die
13-15 16-18
gleich aussehen, und ein Heterosomen-
~~ BI ISl lU
21 -22
K~ paar. das beim Mann aus einem X- und
19-20 X-Y einem V-Chromosom und bei der Frau aus
8 b 2 X-Chromosomen besteht
32

In der nicht in Teilung befindlichen Zelle sind diese Chromosomen nor-


malerweise nicht sichtbar, da sie in entspiralisierter Form vorliegen. Eine Aus-
nahme dieses Zustands bildet in weiblichen Zellen eines der beiden X-Chro-
mosomen, das auch im »lnterphasenkern« (nicht .in Teilung befindlich) meist
mehr oder weniger spiralisiert vorliegt und dann meist innen an der Kern-
membran angeheftet ist.
Das 2. X-Chromosom wird zur Dieses spiralisierte X-Chromosom nennt man nach seinem Entdecker Barr-
Geschlechtsbest immung verwendet Körperchen (wird auch als Sexchromatin bezeichnet). In den Granulozyten
(Form weißer Blutkörperchen) wird das 2. weibliche X-Chromosom an den viel-
gestaltigen Zellkernen trommelschlegelartig nach außen vorgestülpt, was ihm
den engliehen Namen »drumstick« (Trommelschlegel) eingetragen hat. Das Vor-
handensein von spiralisierten X-Chromosomen im Interphasenkern macht man
sich bei der Geschlechtsbestimmung zunutze: Blutausstriche und Mundschleim-
hautausstriche werden heute routinemäßig zur Bestimmung des chromq_so-
malen Geschlechts herangezogen, z. B. bei Sportveranstaltungen. Mit dieser Ge-
schlechtsbestimmung kann ausgeschlossen werden, dass z. B. genetische Männer
mit einem weiblichen Äußeren an Frauenwettbewerben teilnehmen.
Innerhalb des Zellkerns ist auch im Interphasenkern häufig noch eine spe-
zielle Struktur sichtbar, der Nukleolus (Kernkörperchen). Der Nukleolus ist ver-
antwortlich für die Synthese der Ribosomen, die im Zytoplasma entweder frei lie-
gen oder an das endoplasmatische Retikulum gebunden sind, das damit zum
RER wird. Ribosomen sind die eigentlichen Orte, an denen die Proteinsynthese
abläuft, unter Beteiligung von mRNA (»messenger-RNA«) und tRNA (»transfer-
RNA«).

Die Chromosomen sind die Träger der Erbinformation, d. h. der genetischen


Information. Sie setzen sich zu einem Teil aus Protein zusammen, zum anderen
Teil aus Nukleinsäure. Die Erbinformation ist jedoch nicht auf dem Protein
lokalisiert, sondern auf der Desoxyribonukleinsäure (DNA).

• Aufbau der DNA aus Nukleotiden Die DNA setzt sich aus Nukleotiden zusammen. Die einzelnen Nukleotide wie-
• Jeweils 3 Nukleotide bilden ein Triplett. derum bauen sich aus je 1 Zuckermolekül (Desoxyribose), 1 Phosphatanteil und
Die Art wie jedes Triplett fü r den Einbau 1 Base auf. Durch Phosphat-Zucker-Bindungen werden die einzelnen Nukleotide
einer Aminosäure kodiert, wird als zu langen unverzweigten Ketten zusammengefügt. Es stehen insgesamt 4 ver-
genetischer Code bezeichnet schiedene Basen zur Verfügung: Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Je 2 Ket-
ten von Nukleotiden winden sich spiralig umeinander und bilden so eine Dop-
Basenpaare: pelspirale (Doppelhelix; Abb. 2-13a- c und Abb. 2-14). In dieser Doppelspirale kön-
• Adenin und Thymin nen sich nur bestimmte Basen auf den beiden DNA-Strängen gegenüberliegen,
• Guanin und Cytosin und zwar jeweils Adenin und Thymin sowie Guanin und Cytosin. In der Anord-
nung der einzelnen Basenpaare innerhalb eines Stranges, d. h. der Reihenfolge, in
der sie in sog. Tripletts (Dreiergruppen) erscheinen, ist die genetische Informa-
tion gespeichert. Dabei wird der Abschnitt des DNA-Moleküls, der in der Lage ist,
die Information für ein Protein weiterzugeben, als Gen bezeichnet. jeweils ein
Triplett (Dreiergruppe von Nukleotiden) ist für den Ernbau von einer Amino-
säure in ein Protein verantwortlich. Je nach Größe eines Gens ist also ein Protein
länger oder kürzer.
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitel 2 · Zytologie 33

Abb. 1-13a- c.
Kinetachor Zentromer
Chromosom während der Metaphase, in
der es maximal spiralisiert in den Zellen
vorliegt. Da die DNA zu diesem Zeitpunkt
bereits identisch verdoppelt (redupliziert)
ist, besteht ein Chromosom zu diesem
Zeitpunkt aus 2 Chromatiden (a), von
denen je eine während der Zellteilung auf
die Tochterzellen verteilt wird. Die
Chromatiden sind in der Region des
• Zentromers miteinander verbunden. Hier
sitzt die An haftungsstelle (Kinetochor) für
DNA die Mikrotubuli, die an der Trennung der
beiden Chromatiden beteiligt sind. ln der
Region der sekundären Einschnürung wird
das Kernkörperehen (Nukleolus) gebildet,
das für die Produktion der Ribosomen
verantwortlich ist. Die nachfolgende
Region heißt Satellit. Die Untereinheiten
Protein
der Chromatiden sind die spiralisierten
Chromatiden
a b c Chromonemata (b), die ihrerseits aus der
DNA und Protein bestehen (c)

Mutationen

Mutationen sind spontan entstandene, bleibende Veränderungen des Erbgutes,


die sowohl Keimzellen als auch Körperzellen betreffen können.

Mutationen innerhalb von Körperzellen sind vielfach verantwortlich für Alte- Veränderungen des Erbguts
rungsprozesse sowie für die Bildung von Tumoren. Mutationen in Keimzellen (Mutationen):
äußern sich bei den Nachkommen entweder als Änderung des Erscheinungsbil- Änderung des Erscheinungsbildes
des oder - vielfach gekoppelt damit - in einer Änderung der Reaktionsnorm. oder der Reaktionsnorm
Dies führt in vielen Fällen zu typischen Krankheitsbildern. Als Ursachen für Mu-
tationen kommen sehr viele Faktoren in Frage, z. B. Pharmaka, Strahlen, Chemi-
kalien etc. Bei den Keimzellen führen sehr viele Mutationen zum Tod der sich
entwickelnden Frucht oder des eugeborenen. Diese Mutationen nennt man
Letalmutationen. Andere Mutationen stellen nicht immer eine Behinderung der
Lebensfunktion dar, sie können sogar eine Verbesserung der Lebensfähigkeit
bedeuten.
Zusammen mit der Selektion (s. Abschn. 2.3.7) sind die Mutationen ein
wesentlicher Mechanismus der Evolution, d. h. der Entwicklung von niederen in
höhere Lebewesen.
34

Abb. 2-1 4.
Reduplikation der DNA während der Guanin Cytosin
lnterphase. Der Originaldoppelstrang der
Adenin Thymin
DNA trennt sich reißverschlussartig in
seine beiden Teilst ränge, diebeidedurch Uracil (nur bei RNA)
Anlagerung von Nukleotiden (den Bau-
steinen der DNA) wieder zu Doppel-
strängen ergänzt werden. Da sich die
Basen nur nach dem Schema Guanin/
Cytosin und Adenin/Thymin paaren Trennung des
Doppelstranges
können, ist sichergestellt, dass die beiden
neuen DNA-Moleküle identisch mit dem
ursprünglichen Molekül sind

neuer Strang

neuer Slrang

Formen der Mutation • Nummerische Chromosomenmutationen: Änderungen in der Zahl der Chro-
• Nummerische m osomen, z. B. als sog. Trisomien mit pathologischen Auswirkungen. Beispiel:
Chromosomenmutationen Mongolismus (Trisomie 21 o der Down-Syndrom). In diesem Fall ist ein Chro-
• Strukturelle Chromosomenmutationen m osom anstatt, wie normal 2 mal, 3 mal vorhanden, da es bei der Meiose auf
• Genmutationen den falschen Zellkern verteilt wurde.
• Strukturelle Chromosomenmutationen: Abweichungen im Bau der Chromoso-
men, z. B. durch Brüche der Chromosomen. Beispiel: >>cri-du-chat-Syndrom<<
(Katzenschrei-Syndrom), bei dem die Säuglinge katzenartige Schreie aus-
stoßen, weit a useinander liegende Augen hab en und geistig behindert s ind. Bei
dieser Chromosomenmutation fehlt auf dem Chromosom 5 e in Teil am kurzen
Schenkel.
• Genmutationen: Veränderungen des molekularen Aufbaus der DNA. Beispiele
hierfür sind die meisten angeborenen Stoffwechselkrankheiten wie z. B. Phe-
nylketonurie, Albinismus, Sichelzellanämie etc.
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitel 2 · Zytologie 35

2.3.3 Zellteilungen

Für sehr viele Lebensabläufe sind Zellteilungen eine wichtige Voraussetzung, z. B. Möglichkeiten der Zellteilung:
für das Wachstum, die Wundheilung, die Zellmauserung oder die Bildung der Mitose und Meiose
Keimzellen. Es werden 2 Arten der Zellteilung unterschieden: die Mitose und die
Meiose.

Mitose Ergebnis der Mitose:


Bei der Mitose (Zellteilung) entstehen 2 identische, erbgleiche Tochterzellen, die 2 identische, erbgleiche Tochterzellen
jeweils einen diploiden (46) Chromosomensatz haben. Diese Art der Zellteilung mit diploidem Chromosomensatz
ist die Grundlage eines normalen Wachstums der Gewebe sowie der Regene-
ration von verletztem Gewebe.
Die Mitose läuft folgendermaßen ab (Abb. 2-15a-d):
Nachdem in der Interphase (Phase zwischen 2 mitotischen Teilungen) Phasen der Mitose
die DNA im Zellkern an den vorhandenen Chromosomen verdoppelt wurde, • Prophase
die sog. identische Reduplikation, tritt die Zelle in die Prophase ein. In dieser • Metaphase
Phase werden die Chromosomen im Kern sichtbar. Sie verkürzen und • Anaphase
spiralisieren sich, es tritt ein Längsspalt in ihnen auf. Dadurch werden die • Telophase
Chromatiden sichtbar, die ihrerseits durch die Chromonemata (Einzahl:
Chromonema) gebildet werden. Chromonema bezeichnet die kleinste noch
lichtmikroskopisch sichtbare Struktur des Chromatins im Chromatid; besitzt
eine fadenförmige Längsstruktur.
Die beiden Zentriolen rücken auseinander, das Kernkörperehen ver-
schwindet, der Golgi-Apparat löst sich auf, und gegen das Ende der Prophase

Abb. 2-1Sa-d.
'
•11

Phasen der Mitose.


a Prophase: Die Chromosomen werden
sichtbar, da die DNA spiralisiert.
b Metaphase: Die homologen (einander
entsprechenden) Chromosomen gruppie-
ren sich in der Zellmitte (Äquatorialebene).
c Anaphase: Die Chromosomen sind unter
der Wirkung der von den Zentriolen aus-
a b gehenden Mikrotubuli an die beiden Zell-
pole gewandert.
d Telophase: Die Kernmembran hat sich
wieder um die Chromosomen gebildet,
die sich zu entspiralisieren beginnen;
es sind 2 Tochterzellen entstanden

c d
36

wird auch die Kernmembran aufgelöst. Die Zentriolen wandern an die entgegen-
gesetzten Zellpole, und zwischen den beiden Zentriolen bilden sich MikrotubuJi
aus. Unter der Wirkung dieser Mikrotubuli werden die Chromosomen im
Zentrum der Zelle in einer Ebene angeordnet. Dieses Stadium nennt man
Metaphase. Die Mikrotubuli bilden eine spindeiförmige Struktur, und ver-
schiedene Mikrotubuli heften sich an die Einschnürung der Chromosomen. Die
nächste Phase, die Anaphase, beginnt m it der Spaltung der Chromosomen in der
Zentromerregion (Einschnürungszone). Danach bewegen sich die Chromo-
somenhälften, die Chromatiden (die durch die identische Reduplikation die
vollständige Erbinformation enthalten), auf die beiden Zentriolen zu. Dies ge-
schieht offensichtlich mit Hilfe der Mikrotubuli. Haben sich die Chromosomen
um die Zentriolen gruppiert, beginnt die Telophase. Während der Telophase ent-
spiralisieren sich die Chromosomen, es entsteht ein Nukleolus, und um die bei-
den Chromosomensätze bildet sich die Kernmembran wieder aus. Schließlich
schnürt sich die Zelle zwischen den beiden Kernen ein und teilt sich. Damit sind
2 identische Tochterzellen entstanden.

Meiose
Ergebnis der Meiose: Die andere Art der Zellteilung, d ie Meiose, verläuft komplizierter. Ihr Ziel ist es,
Geschlechtszellen mit haploidem männliche und weibliche Geschlechtszellen, die Gameten, für den Befruchtungs-
Chromosomensatz vorgang bereitzustellen. Bei der Befruchtung wird das männliche und das
weibliche Erbgut miteinander vermischt. Damit es nicht bei jeder Befruchtung
von Generation zu Generation zu einer Verdoppelung der Chromosomenzahl
kommt, hat die Natur zu einem Trick gegriffen. Die Anzahl der Chromosomen
wird in Geschlechtszellen durch die Meiose auf die Hälfte reduziert, d. h., von
jedem Chromosomenpaar wird nur ein Chromosom mit in die einzelne Ge-
schlechtszelle übernommen, sodass ein haploider Chromosomensatz vorliegt.
Durch den Befruchtungsvorgang wird wieder ein diploider Chromosomensatz
erreicht.
Damit sowohl Mitose als auch Meiose ablaufen können, muss das Erbmate-
rial, die Chromosomen, vor der Zellteilung zuerst verdoppelt werden. Dies ge-
schieht durch die Reduplikation, bei der eine exakte Kopie des ursprünglichen
Chromosoms entsteht, damit bei der Verteilung auf die Tochterzellen gewähr-
leistet ist, dass jede Zelle einen identischen Chromosomensatz bekommt.

Der wesentliche Unterschied zwischen Mitose und Meiose besteht darin, dass
• nach Ende der Meiose 4 identische Zellen mit einem haploiden
Chromosomensatz vorliegen,
• aus der Mitose nur 2 identische Zellen mit einem diploiden Chromosomensatz
hervorgehen.

Die Meiose kennt auch verschiedene Stadien der Zellteilung. Sie sind allerdings
relativ komplex, sodass hier nicht darauf eingegangen werden kann. Beim Mann
resultieren aus der Meiose tatsächlich vier haploide Spermien, bei der Frau in der
Regel eine Eizelle, die befruchtet werden kann und 3 sog. Polkörperchen, die sich
nicht weiter entwickeln.
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitell· Zytologie 37

2.3.4 Proteinsynthese

Für die meisten Aufgaben der Zelle muss Protein hergestellt werden. Je nach Art Proteinarten
des Proteins unterscheidet man Funktionsproteine, Strukturproteine und Ex- • Funktionsproteine
portproteine. • Exportproteine
• Funktionsproteine: Hierbei handelt es sich v. a. um Enzyme, die zur Regelung • Strukturproteine
der meisten zellulären Stoffwechselprozesse benötigt werden.
• Exportproteine: Das sind Proteine, die von den Zellen sezerniert, also an den sezernieren
Interzellulärraum abgegeben werden. Dies sind z. B. die Plasmaproteine (Blut- das Verb von Sekretion (Abscheiden)
eiweiß wie das Albumin), die in der Leber hergestellt werden oder Vorstufen für
Bindegewebsfibrillen.
• Strukturproteine: Das sind Proteine, die für den Aufbau der Zelle und ihre Be-
standteile benötigt werden.

Die Biosynthese all dieser Proteine wird durch Gene auf den Chromosomen Programmierung der Proteinsynthese
programmiert. Hierbei ist die Sequenz (Reihenfolge) der Basen in den DNA-Mo- durch Chromosomen
lekülen verantwortlich für die Reihenfolge der Aminosäuren in den Proteinen.
Durch die Reihenfolge der Aminosäuren und ihre Anzahl wird die Funktion Vorgänge fü r die Proteinsynthese
der Proteine bestimmt: Enzymfunktion, Hormonfunktion etc. Der eigentliche • Transkription (im Zellkern)
Ort der Proteinsynthese ist das endoplasmatische Retikulum mit seinen Ribo- • Translation (an den Ribosomen)
somen. An diesen Ribosomen wird Protein aus den einzelnen Aminosäuren zu-
sammengesetzt, entsprechend der Information, die von den Genen aus dem
Zellkern kommt. Die auf den Chromosomen vorhandene genetische Information
wird im Zellkern in einem Vorgang, der als Transkription bezeichnet wird, auf
»messenger-RNA« (mRNA) übertragen. Diese mRNA wird an den Ribosomen
abgelesen; hier wird mit Hilfe einer t-RNA die für jede Aminosäure spezifisch ist,
eine Aminosäure in das neu synthetisierte Protein eingebaut. Dieser Vorgang
wird Translation genannt (Abb. 2-16).
Durch die Vielzahl der Lebensvorgänge und Stoffwechselprozesse, an denen
Proteine beteiligt sind, ist die Proteinsynthese ein absolut lebensnotwendiger
Vorgang. Die Bedeutung der Proteinsynthese wird v. a. dann deutlich, wenn sie
durch Stoffwechselgifte gehemmt ist. Dies hat teilweise lebensbedrohende Folgen
wie z. B. bei einer Vergiftung mit dem grünen Knollenblätterpilz. Es kann aber
auch lebensrettende Wirkung haben wie bei den Antibiotika, die in der Lage sind,
die Proteinsynthese der Bakterien zu hemmen und sie damit an der Zellteilung
und Vermehrung zu hindern.

2.3.5 Begriffe der Genetik

Die befruchtete Eizelle wird auch Zygote genannt.


Die auf den 46 Chromosomen vorhandenen Gene sind für die Ausbildung
sämtlicher morphologischer wie auch physiologischer und biochemischer Merk- Phänotyp: äußeres Erscheinungsbild
male des Individuums verantwortlich, also dem äußeren Erscheinungstyp, dem Genotyp: genetische Information, die für
sog. Phänotyp. Die genetische Information, die dafür verantwortlich ist, wird den Phänotyp verantwortlich ist
Genotyp genannt.
38

Abb. 2-16.
Schematische Darstellung der Protein-
biosynthese. Im Zellkern wird von einem
Gen eine Kopie in Form eines mRNA-
~- Strangs (Transkription) hergestellt . Dieser

.~
wandert ins Zytoplasm a zu einem Ribo-
som und wird dort abgelesen (Trans-
lation). Während der Translation wird,
kodiert durch 3 Basen, an der mRNA
jeweils eine spezifische Aminosäur e
durch tRNA-Moleküle in die wachsende
Proteinkett e eingebaut
..
...

• homozygot: Allele stimmen in einem Gene, die auf den mütterlich en und väterlichen Chromoso men am gleichen
Merkmal überein Ort liegen, werden als Allele bezeichnet. Stimmen die mütterlich en mit den
• heterozygot: Allele stimmen in einem väterlichen Allelen in bezug auf ein Merkmal überein, so nennt man das homo-
Merkmal nicht überein zygot. Stimmen die beiden Allele nicht überein, bezeichne t man das als hetero-
• dominant es Gen: Merkmal erscheint zygot. Bei heterozygoten Genen, d. h., wenn beide Allele unterschiedliche Merk-
immer im Phänotyp male bewirken würden, hängt das Erscheinu ngsmerk mal, also der Phänotyp , von
• rezessives Gen: Merkmal erscheint der »Stärke« der beiden Gene ab, d. h. ob sich das Merkmal durchsetzen wird .
gegenüber dem dominanten Gen nicht Sind beide Allele gleich stark, kommt es zu einem sog. intermedi ären Merkmal:
Die beiden Allele werden als kodomina nt bezeichne t. Auf Pflanzen bezogen
würde das bedeuten, dass bei einer Kreuzung zwischen wei.ßen und roten Blu-
men eine rosa Blume entstehen würde. Anders sieht das aus, wenn ein Gen domi-
nant ist, d. h. stärker als das andere, das rezessive Gen. Dann kommt es zur
Ausprägung des dominant en Merkmals.
Die aus einer Kreuzung entstehen de Generation wird als Filialgene ration
oder Tochtergeneration bezeichnet, meist abgekürzt als F" F" F, etc. (1. Tochter-
generation, 2. Tochtergeneration, 3. Tochtergeneration). Dementsp rechend wird
die Elterngen eration als Parentalg eneration (P) bezeichnet.
Unterscheiden sich die Gameten (Keimzellen) in einem Merkmal, bezeichnet
man die Kreuzung als monohyb rid . Bei 2 unterschie dlichen Merkmalen handelt
es sich um eine dihybride , bei 3 um eine trihybride und bei mehr als 3 unter-
schiedlichen Merkmalen um eine polyhybride Kreuzung . Die entsprech enden
Merkmale werden in der genetisch en Schreibweise bei dominant em Verhalten
mit einem großen Buchstaben, bei rezessivem Verhalten mit einem kleinen
Buchstaben bezeichne t (Abb. 2-17):
Zellbestandteile und Zell vorgänge · Kapitell · Zytologie 39

Abb. 2-17.
Erbgang bei einer dihybriden Kreuzung
p (Kreuzung mit 2 unterschiedlichen
Merkmalen) in der Parentalgeneration
X (Eiterngeneration, P). Die unterschiedli-
AAbb aa BB chen Merkmale sind: gefleckt/schwarz
Gameten ~ ~ und einfarbig/ rotbraun. Schwarz domi-
Ab Ab aB a.B
niert über rotbraun und einfarbig über
gefleckt. Die dazugehörigen dominanten
F1 Gene sind mit Großbuchstaben gekenn-
zeichnet, die rezessiven Gene mit Klein-
X buchstaben. ln der 1. Generation (Filial-
generation, F,) wird das deutlich', indem
g_
AaBb
Gameten I AB Ab aB ab alle Tiere schwarz/einfarbig sind. Obwohl
der Phänotyp (die äußere Erscheinung)
aufgrunddes dominanten Erbgangs
AB gleich aussieht, spalten die Tiere wegen

Aa BB AaBb
des nicht rein vererbenden Genotyps in
AABB AABb
der f 2 -Generation (2. Filialgeneration) von

~~~ ~
reinerbig schwarz/einfarbig, über diverse
nicht reinerbige, zu reinerbig gefleckt/
Ab

~ .,. ~."
rotbraun auf. Lediglich die Tiere in der
Aa bb Diagonalen von links oben nach rechts
F2 unten (stärker umrahmt) sind reinerbig
und würden bei einer Paarung mit dem
gleichen Genotyp zum entsprechenden

.,. ~
aB
Phänotyp wie in der Parentalgeneration
Aa BB Aa Bb
führen

ab
~ ~Aa Bb Aabb aa Bb aa bb

(fl

2.3.6 Regeln der Vererbung

Es ist bekannt, dass Kinder ihren Eltern und Geschwister einander ähneln und 3 Mendei-Regel n
dass Tochterpflanzen den Elternpflanzen ähneln. Dies hat im vorletzten Jahrhun- • Uniformitätsregel
dert den Mönch Gregor Mendel veranlasst, die Vererbung von Pflanzen genauer • Aufspaltungsregel
zu untersuchen. Dabei hat er Zusammenhänge gefunden, die heute in den 3 Men- • Unabhängigkeitsregel
dei-Reg e ln formuliert sind:

Uniformitätsregel
Werden 2 Pflanzen (Parentalgeneration P) gekreuzt, die sich nur in einem
Merkmal unterscheiden, die eine Pflanze z. B. rot (Gene rr) und die andere weiß
40

Uniformitätsregel: (Gene ww) ist und beide Pflanzen reinerbig in Bezug auf dieses Merkmal sind,
Tochtergeneration ist mischerbig sind alle Tochterpflanzen (Filialgeneration 1) mischerbig. Sie weisen die Farbe
bei Kreuzung reinerbiger Individuen rosa auf. Bei der Samenzellbildung können sich zwangsläufig nur das Allel r der
mit Differenz in einem Merkmal einen Pflanze mit dem Allel w der anderen Pflanze paaren (daraus resultieren al-
so die neuen Allele rw). Da sich alle Tochterpflanzen gleichen, d . h. alle rosa sind,
wird diese Regel als Uniformitätsregel bezeichnet (Abb. 2-18):

Abb. 2-18.
Kreuzung einer reinerbig rotblühenden
(rr) mit einer reinerbig weißblühenden
(ww) Pflanze (Parentalgeneration, P). Bei
der Keimzellbildung wird aus den diploid
vorhandenen Allelen rr und ww jeweils die
haploide Formrund w. Treffen diese in
der Filialgeneration 1 (F,) zusammen, wie
mit den Linien gezeichnet. kommt es zur
Ausbi ldung der mischerbigen (hybriden)
Form mit dem Phänotyp rosa und dem
Genotyp rw.

Aufspaltungsregel: Aufspaltungsregel
Bei Kreuzung mischerbiger Individuen Bei der Kreuzung von Pflanzen der Filialgeneration 1 (F.) aus obigem Beispiel, die
werden Merkmale im Verhältnis 1 : 2 : 1 ja alle die mischerbigen Gene rw tragen, werden bei der Bildung der Keim zellen
vererbt die beiden Allele r und w getrennt. Somit liegt in den Keimzellen, die nur noch
den halben Chromosomensatz aufweisen, entweder das Gen w oder das Gen r
vor. Bei einer Befruchtung können dementsprechend folgende Kombinationen
stattfinden: rr, rw, rw, ww. Bei einer größeren Zahl von Befruchtungen werden
statistisch gesehen 25% rr, so% rw und 25% ww auftreten. Diese Aufspaltung im
Verhältnis 25/50/25 (oder 1/2/I) wird als Aufspaltungsregel bezeichnet (Abb. 2-1 9).

Unabhängigkeitsregel: Unabhängigkeitsregel
Gene auf unterschiedlichen Chromoso- Mendel stellte bei seinen Untersuchungen fest, dass bei vielen Merkmals-
men werden unabhängig voneinander unterschieden, also nicht nur bei weiß oder rot, die Gene dazu auf verschiedenen
vererbt Chromosomen liegen, und diese Merkmale zufällig bei der Meiose neu verteilt
werden. Die nicht auf dem gleichen Chromosom liegenden Merkmale können
also unabhängig voneinander verteilt werden. Diese Regel wird als Unabhängig-
keitsreget bezeichnet.
Zellbestandteile und Zellvorgänge · Kapitel 2 · Zytologie 41

Abb. 2-19.
Kreuzu ng von lndid viduen der F, -Gene-
ration untereinander, die alle den
Genotyp rw aufweisen, führt bei der
Keimzellbildung beider Individuen zu den
haploidenAllelenrund w. Die daraus
möglichen Kom binationen sind mit den
Linien dargestellt: rr, rw und ww im
Verhältnis 1 :2: 1

2.3.7 Die Evolution

Während der Bildung von Keimzellen kommt es zur Reduktion der Chromo- Evolu tion als Weiterentwicklung
somen auf einen haploiden Satz: beim Menschen sind also nur 23 Chromosomen von Arten durch Mutationen
enthalten. Die im Vorfeld und während dieser Verteilung auftretenden Fehler und natürlicher Selektion
sowie die oben erwähnten Mutationen führen zu ständigen Veränderungen in
den Genen. Die meisten dieser Veränderungen sind wahrscheinlich mit Nach-
teilen für das betroffene Individuum verbunden. Einige hingegen können Vor-
teile bedeuten, die das Individuum z. B. stärker, intelligenter oder schneller
werden lassen. Damit hat dieses Individuum eine größere Überlebenschance
gegenüber den Artgenossen. Wird diese neue Eigenschaft weiter vererbt, sind die
Nachkommen alle mit dieser besseren Eigenschaft ausgestattet und können alle
besser überleben. Das führt zu einer automatischen Selektion der besseren Indi- Selektion Au slese
viduen im täglichen Überlebenskampf. Die anderen hingegen werden langsam
reduziert, da sie häufig gar nicht erst in das fortpflanzungsfähige Alter kommen.
Sie werden von ihren natürlichen Feinden gejagt und können wegen der nicht
vorhandenen Stärke, Schnelligkeit oder der geringeren Intelligenz nicht überle-
ben. Diesen Prozess, der in der Stammesgeschichte der ersten noch sehr tierähn-
lichen Vorfahren des Menschen schon vor rund 1 Mrd. Jahren begann und durch
die genetische Veränderung und die natürliche Selektion zum heutigen
Menschen geführt hat, bezeichnet man als Evolution. Auf die gleiche Art hat die
Evolution aber nicht nur beim Menschen sondern auch bei anderen Lebewesen
stattgefunden.
42
2.4 Fragen und Zusammenfassung Zytologie

'.
Welche wichtigen Methoden Gewebekultur, Lichtmikroskopie, Elektronenmikroskopie.
der Zytologie und Histologie
kennen Sie?

Beschreiben Sie den Aufbau Die Zellmembran besteht aus einer bimolekularen Lipid-
der Zellmembran! schicht mit nur einseitigen oder durchgehenden Membran-
Wie wird sie stabilisiert? proteinen, die mosaikartig eingebaut sind und auf der Außen-
seite mit Kohlenhydraten besetzt sein können (Glykokalyx) .
Die Festigkeit der Membranen wird durch die Polarität der
Lipidmoleküle, mit hydrophobem und hydrophilem Ende,
gegeben.
,.. ,

Nennen Sie verschiedene Transport, Aufbau des Membranpotentials, Sitz der Rezepto-
Membranfunktionen! ren, Erkennung von Fremd und Eigen (Blutgruppen,
Abstoßungsreaktion).

Welche Arten des


-· Passive Diffusion (lediglich vom Konzentrationsgradienten
Membrantransports kennen Sie? abhängig). Erleichterte Diffusion (erfordert Anwesenheit
Wie funktionieren diese? eines Überträgerstoffs). Aktiver Transport (unabhängig vom
Konzentrationsgradienten, benötigt Energie). Bläschen-
transport (Phagozytose, Endozytose, Exozytose).

Welche verschiedenen Formen Desmosomen (mechanisch}; »tight junctions« (Abdichtung


der Zellkontakte kennen Sie? des Interzellularraumes); »gap junctions« (Kommunikation
zwischen den Zellen).

Nennen Sie die wichtigsten Endoplasmatisches Retikulum (ER}, Ribosomen, Golgi-


Zellorganellen! Apparat, Mitochondrien, Lysosomen, Peroxisomen,
Zentriolen, Kinetosomen, Zellkern, Chromosomen.

Welche Aufgaben hat das endo- An den Ribosomen des RER findet die Proteinsynthese statt,
plasmatisches Retikulum (ER)? das SER ist u. a. für die Bildung von Steroiden und für die
Entgiftung, z. B. Abbau von Barbituraten, verantwortlich.

Wie läuft an den Ribosomen Ein TripJett der »messenger-RNA« (mRNA), die dafür in das
die Proteinsynthese ab? Ribosom eingelagert wird, kodiert den Einbau einer Amino-
säure (Translation). Die Aminosäure wird dann unter Mithilfe
eines zweiten RNA-Moleküls, der »transfer-RNA« (tRNA),
eingebaut.

Aus welchen Untereinheiten ist Er besteht aus Membranstapeln, den Diktyosomen.


der Golgi-Apparat aufgebaut?

Welche Aufgaben hat der Er ist an der Verarbeitung von Proteinen beteiligt
Golgi-Apparat? (erzeugt u. a. exportierbare Form) und bildet Lysosomen.
Wie sind Mitochondrien
aufgebaut? Welche Funktionen Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 2 · Zytologie 43
haben sie?
Mitochondrien besitzen eine 2fache Umhüllung durch
Membranen (Doppelmembran), die innere Membran bildet
Auffaltungen zur Oberflächenvergrößerung (Cristae).
Welche Funktion haben die An diesen läuft die Energieproduktion ab. Es wird ATP
LysosotTten 1 (Adenosintriphosphat) gebildet.

Intrazelluläre Verdauung von zelleigenem Material in Form


von Autophagie und von zellfremdem Material in Form von
Nennen Sie eine der wichtigen
Heterophagie.
Aufgaben der Peroxisomen!
Abbau von H 2 Ü 2 (Wasserstoffsuperoxid) in H 2 0 und 0.
An welchem wichtigen Zell-
vorgang sind die Zentriolen
beteiligt? An der Zellteilung; sie organisieren und ordnen die
Chromosomen während der Zellteilung.
Wo findet man Kinetosomen?

Unter der Zelloberfläche von Flimmerzellen. Aus ihnen


wachsen an der Zellmembran die Zilien (Flimmerhaare).
Was verstehen Sie unter dem
Begriff Paraplasma? Die in die Zellen eingelagerten Stoffe werden als Zytoplasma-
einschlüsse oder Paraplasma bezeichnet. Dazu rechnet man
das Glykogen, die Lipidtropfen, Speicherprotein und Pig-
mente. Pigmente werden in endogene (körpereigene) und
exogene (von außen stammende) unterteilt.
Was wissen Sie über den
Zellkern? Der Zellkern ist begrenzt von einer doppelten Kernmembran,
die einen perinuklearen Raum umgibt. Die Poren der
Kernmembran ermöglichen den Stoffaustausch mit dem
Zytoplasma. Im Zellkern liegt das Chromatin, das bei
Zellteilung zu den Chromosomen spiralisiert. Das
Kernkörperehen (Nukleolus) bildet RNA.

Wie viele Chromosomen sind im Der diploide menschliche Chromosomensatz besteht aus
menschlichen Zellkern vorhan- 23 mütterlichen und 23 väterlichen Chromosomen
den? Wie sind sie aufgebaut? (22 Autosomenpaare und 1 Heterosomenpaar). Die Hetero-
Welche Funktion haben sie? somen sind geschlechtsbestimmend (weiblich XX, männlich
XY). Die Chromosomen bestehen aus Protein und DNA. Die
DNA ist aus Nukleotiden aufgebaut, die ihrerseits aus 1 Base
(Thymin, Adenin, Cytosin, Guanin), 1 Zucker- und 1 Phos-
phatmolekül bestehen. Die genetische Information liegt in
der Sequenz der Nukleotide, die jeweils als TripJett verant-
wortlich sind für den Einbau einer Aminosäure in ein Pro-
tein. Mit der Transkription wird die DNA-Information auf die
mRNA übertragen, und mit der Translation werden die Ami-
nosäuren am Ribosom ins Protein eingebaut.
44 Welche Mutationen kennen Sie?
Was bewirken sie?
Wir unterscheiden: nummerische Chromosomenmutation,
strukturelle Chromosomenmutation und Genmutation. Sie
bewirken eine bleibende Veränderung der genetischen
Information.
Nennen Sie die 2 Arten
der Zellteilung! Die Meiose resultiert in haploiden Geschlechtszellen. Die
Mitose resultiert in diploiden Körperzellen. Die Phasen der
Zellteilung sind: Prophase, Metaphase, Anaphase, Telophase.
Welche Proteinarten kennen Sie?
Die Zellen produzieren Funktionsproteine (z. B. Enzyme),
Strukturproteine (z. B. Membranproteine) und Export-
proteine (z. B. Albumin).
Was ist eine Zygote?
Die diploide Zygote entsteht aus der Verschmelzung
der haploiden mütterlichen und väterlichen Keimzellen.
Erklären Sie die Begriffe
Allel, Homozygotie Bei Übereinstimmung der homologen Gene (Allele) herrscht
Homozygotie, sonst Heterozygotie. Bei heterozygoten Allelen
und Heterozygotie!
hängt die Ausbildung eines Merkmales von der >>Stärke<< der
Allele ab. Bei gleichstarken (homozygoten) Allelen resultiert
ein intermediäres Merkmal. Ist ein Allel stärker, wird es als
dominant bezeichnet, das schwächere Allel nennt man
rezessiv. Kreuzungen zwischen Individuen der Parental-
generation mit unterschiedlichen Merkmalen resultieren
in mono-, di-, tri- und polyhybriden Filialgenerationen.

Erklären Sie den Unterschied Das äußere Erscheinungsbild wird als Phänotypus,
zwischen Phänotypus die genetische Konstitution (Zusammensetzung des
und Genotypus! Chromosomensatzes) als Genotypus bezeichnet.

Welche Mendei-Regeln Die Uniformitätsreget die Aufspaltungsreget


kennen Sie? die UnabhängigkeitsregeL

Was besagt die Bei der Kreuzung von 2 reinerbigen Individuen, die sich in
Uniformitätsregel? einem rezessiven Merkmal unterscheiden, sind alle Tochter-
organismen (F,-Generation) mischerbig oder hybrid und
gleichen einander.

Bei einer Kreuzung von Vertretern der mischerbigen


Was besagt die
F,-Generation spalten die Nachkommen in der F -Generation
2

Aufspaltungsregel? im Verhältnis 1/2/t.

Gene, die auf unterschiedlichen Chromosomen liegen,


Was besagt die werden unabhängig voneinander vererbt.
Unabhängigkeitsregel?
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel2 ·Zytologie 45
Welche Rolle spielt die Selektion
innerhalb der Evolution? Bei den durch Mutationen neu entstehenden Individuen
werden durch Selektion die Individuen mit »besseren«
Merkmalen eher überleben können und damit zu einer
stetigen Fortentwicklung (=Evolution) der Art führen.
..--~
.
.-
-

3 Histologie
'

3.1 Oberblick über die Gewebearte n 48


3.1.1 Definitionen 48
3.1.2 Differenzier ung 49
3.1.3 Entwicklung der Keimblätter e
3.2 Epithelgewe be 50
3.2.1 Oberflächen epithel 50
3.2.2 Drüsenepith elien 53
3.2.3 Epithel als Parenchym innerer Organe 56
3.2.4 Sinnesepith elien 56
3.3 Binde- und Stützgeweb e 56
3.3.1 Funktion des Binde- und Stützgeweb es 57 I
3.3.2 Interzellular substanz 58
3.3.3 Retikuläres Bindegeweb e 61
3.3.4 Fettgewebe 61
3.3.5 Faseriges Bindegeweb e 62
3.4 Knorpelgew ebe 64
-..
3.4.1 Hyaliner Knorpel 65
3.4.2 Elastischer Knorpel 65
3.4.3 Faserknorpe l 65
3.5 Knochen 66 •
!
.
I
3.5.1 Bestandteile des Knochens 66
L

3.5.2 Knochenarte n 66
3.5.3 Knochenent wicklung 68
3.5.4 Osteoklaste n 70
3.5.5 Regeneratio n des Knochens 70
3.5.6 Knochenum bau 71
3.6 Muskelgewe be 71
3.6.1 Glatte Muskulatur 71
t -. ~·.
3.6.2

..
Quergestrei fte Skelettmusk ulatur 72 'II IF j· IF

I. i•g
3.6.3
3.7
Herzmuskul atur 75
Nervengewe be 76
.~ I
'
~ ... l -
·).;,,~~~

1'
3.7.1 Nervenzelle n 77
I • : I
. .

3.7.2 Nervenfaser n 78
3.7.3 Nerven 79
3.7.4 Neuroglia 81
3.7 .5 Degeneratio n und Regeneratio n 82
3.8 Fragen und Zusammenf assung zur Histologie 84

...
3 Histologie

Lernziele
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
... Die 4 großen Gruppen von Geweben nennen
... Die Entwicklung und Differenzierung der Gewebe aus den Keimblättern beschreiben
... Die Epithelien einteilen und ihre Funktionen beschreiben
... Die Drüsenepithelien einteilen und die Sekrete und Sekretionsformen bezeichnen
... Das Bindegewebe auf Grund seiner Anteile an geformter und ungeformter
Interzellularsubstanz beurteilen
... Bau und Funktion der 3 Knorpelarten beschreiben
... Den Aufbau und die Entwicklung des Knochens und die daran beteiligten Zellarten
erklären
... Die 3 Muskelarten: glatte Muskulatur, Herz- und Skelettmuskulatur
in ihren Funktionen, Aufbau und Innervation beschreiben
... Die Grundelemente des Nervengewebes, die Neurone und die Glia beschreiben

3.1 Überblick über die Gewebearten

3.1.1 Definitionen

Als Gewebe bezeichnet man Verbände von gleichartigen Zellen, die gemein-
same Aufgaben erfüllen. Nach morphologischen und funktionellen Gesichts-
punkten unterscheidet man die folgenden 4 großen Gruppen von Geweben,
von denen jede weiter unterteilt werden kann.

4 Gruppen von Geweben • Epithelgewebe: Verband eng aneinanderliegender Zellen, die innere und äuße-
• Epithelgewebe re Oberflächen des Körpers bilden. Dadurch wird dem Körper Schutz geboten,
• Muskelgewebe aber auch die Verbindung mit der Umwelt durch Sekretion und Resorption er-
• Nervengewebe möglicht. Außerdem werden über spezielle Sinnesepithelien Sinneseindrücke
• Binde- und Stützgewebe wahrgenommen.
• Parenchym und Stroma • Muskelgewebe: Zusammenschluss von Zellen, die kontraktile Filamente besitzen.
• Nervengewebe: Gewebe, das sich besonders durch seine Eigenschaft der Reiz-
aufnahme, der Erregungsleitung sowie der Erregungsverarbeitung auszeichnet.
• Binde- und Stützgewebe: Dies ist eine sehr heterogene Gruppe von verschie-
denen Geweben, deren gemeinsames Merkmal die Bildung von großen Mengen
interzellulärer Substanz ist. Aus dem Bindegewebe gehen u. a. die Bestandteile des
passiven Bewegungsapparates hervor (z. B. Sehnen, Bänder etc.). Zum Binde-
gewebe im weiteren Sinne werden auch die Zellen des Abwehrsystems gerechnet.

Die einzelnen Organe des menschlichen Körpers setzen sich aus mehr als einer
einzigen Gewebeart zusammen. Dabei werden diejenigen Zellen, die die
Überblick über die Gewebearten · Kapitel 3 · Histologie
49

organspezifischen Funktionen ausführen, als Parenchym bezeichnet. Dem gegen-


über bezeichnet man Zellen, die im Organ nur eine Stütz- oder Ernährungsfunk-
tion ausüben, als Stroma. Somit setzen sich also die Organe aus Parenchym und
Stroma zusammen.

3.1.2 Differenzierung

Das befruchtete Ei ist noch in der Lage, sämtliche Gewebearten aus sich hervor-
gehen zu lassen, d. h., es kann noch die gesamte genetische Information der
Chromosomen verwirklichen. Je weiter die Entwicklung fortschreitet, desto
weniger können jedoch die einzelnen Zellarten von der vorhandenen geneti-
schen Information umsetzen. Zellen einer Gewebeart können sich nicht mehr in
Zellen einer anderen Gewebeart umwandeln. Sie sind bereits determiniert. Kon-
kret heißt das, dass aus embryonalen Zellen wohl die einzelnen Gewebearten
differenzieren können, sich aus Muskelzellen jedoch keine Nervenzellen mehr Determination
bilden können oder umgekehrt. Beide sind dazu bereits zu stark differenziert. Abschaltung von großen Teilen der
genetischen Information. Dieser Vorgang
3.1.3 Entwicklung der Keimblätter muss beim Klonen (z. B. beim Schaf Dolly),
bei der ein determinierter diploider Zell-
Die Entwicklung der einzelnen Gewebearten beginnt zum Zeitpunkt der Be- kern einer Körperzelle in das Zytoplasma
fruchtung. Durch die Befruchtung entsteht aus der Eizelle und der Samenzelle einer kernlosen Eizelle eingesetzt wurde,
eine Zygote. Durch mitotische Teilungen entstehen aus der Zygote die Blasto- rückgängig gemacht werden
meren, d. h. die Furchungszellen, die vorläufig nicht wachsen,sondern mit jedem
weiteren Teilungsschritt kleiner werden. Durch mehrere solcher Teilungen erhält
der wachsende Keim schließlich das Aussehen einer Maulbeere und wird deshalb
Morula genannt. Aus den im Inneren dieser Morula liegenden Zellen entsteht der Entwicklungsstadien des Embryoblasten
Embryoblast, aus dem sich der Embryo entwickelt. • Zygote
Die äußere Zellschicht des Embryoblastell bildet den Trophoblasten, der eine • Blastomere
Verbindung mit dem mütterlichen Gewebe in der Gebärmutterschleimhaut ein- • Morula
geht und mit diesem zusammen die Plaze nta bildet.
Die Zellen des Embryoblasten bilden während der weiteren Entwicklung Plazenta
2 Schichten, die als inneres und äußeres Keimblatt bezeichnet werden, sog. Ento- Nachgeburt, Bereich in dem mütterliches
de rm und Ektode rm. Beide Keimblätter zusammen bilden die 2-blättrige Keim- und kindliches Gewebe während der
scheibe, die ungefähr 7 Tage nach der Befruchtung ausgebildet ist. Durch kompli- Schwangerschaft direkt miteinander
zierte Entwicklungsvorgänge, die während der 3· Entwicklungswoche ablaufen, verbunden sind
verlagern sich Ektodermzellen zwischen die beiden Keimblätter und bilden so
ein 3· Keimblatt, das mittlere Keimblatt oder Mesoderm. Damit sind um den
18. Entwicklungstag die 3 Keimblätter Entoderm, Mesoderm und Ektoderm vor-
handen, aus denen sich die Gewebe und Organe des Körpers differenzieren Keimblätter:
(Abb. 3-1a-i) und zwar: • Ektoderm
• Ektoderm: Zentrales Nervensystem (ZNS), peripheres Nervensystem (PNS), • Mesoderm
Sinnesepithelien von Nase, Auge, Ohr, Haut mit ihren Anhangsgebilden wie • Entoderm
Haare, Brustdrüse etc.
• Mesode rm: Bestandteile des Skeletts, Muskeln, Bindegewebe, Blut und Lymphe
mit ihren Gefäßen, Herz, Nieren, Keimdrüsen, Nebennieren, Milz.
• Entoderm: Magen-Darm-Trakt, epitheliale Auskleidung der Atmungsorgane,
Parenchym der Leber, Thymus, Schilddrüse, Nebenschilddrüse sowie epithelia-
le Auskleidung von Harnblase und Harnröhre.
50

Abb. 3-la- i.
Stadien der Entwicklung von der befruch-
teten Eizelle (Zygote) zur 3-blättrigen
Keimscheibe.
a Befruchtete Eizelle mit mütterlichem
Zellkern und eingedrungenem Spermium,
berste mitotische Teilung der Zygote,
c 2-Zellstadium,
d 4-Zellstadium,
e Morula (Zellhaufen), bis zu diesem Stadi-
um ist noch die Glashaut (Zona pellucida)
vorhanden,
f Blastozyste bestehend aus Embryoblast
und Trophoblast,
g aus dem Embryoblast ist die einblättrige ---=---- Blastozystenhöhle Ektoderm

Keimscheibe geworden,
g
h Bildung der 2-blättrigen Keimscheibe
mit innerem Keimblatt (Entoderm), äuße-
rem Keimblatt (Ektoderm), Amnionhöhle
Entoderm
und Dottersack,
i aus dem äußeren Keimblatt wandern Dottersack

Zellen zwischen das äußere und das


innere Keimblatt und bilden das mittlere
.. h

Keimblatt (Mesoderm). Damit ist die


3-blättrige Keimscheibe entstanden

3.2 Epithelgewebe

3 Gruppen von Epithelgewebe Die Epithelien des Körpers lassen sich entsprechend ihrer Funktion in die fol -
• Oberflächenepithel genden 3 Gruppen unterteilen.
• Drüsenepithel
• Sinnesepithel 3.2.1 Oberflächenepithel

Bei diesem Epithel handelt es sich um geschlossene ZeUverbände, die innere


(z. B. Darm) oder äußere (Haut) Oberflächen bilden. Sie sitzen in jedem Fall auf
einer Basallamina. Als Basallamina (oder auch Basalmembran) bezeichnet man
Glykosaminoglykan eine Schicht von extrazellulärem Material, das aus einer spezifischen Form des
zuckerhaltige Seitenketten der Kollagens (nicht fibrillenbildendes Kollagen) sowie Glykosaminoglykanen und
Proteog lyka ne Proteoglykanen besteht. Ist diese Schicht zusätzlich durch Kollagenfasern ver-
stärkt, sodass sie bereits lichtmikroskopisch sichtbar ist, bezeichnet man sie als
Proteoglykan Basalmembran (Basallamina). Die Basallamina ist homogen und hat eine Stärke
sehr grosses Molekül in dessen Zentrum von 5-15 nm. Sie wirkt einerseits stabilisierend und ebenso als Filter.
ein Hyaluronsäurefaden steht, mit vielen Die Oberflächenepithelien werden nach der Form der Zellen, die sie bilden, sowie
Glykosaminoglykan-Untereinheiten, nach der Schichten- bzw. Reihenbildung der Zellen benannt (Abb. 3-2a-h):
neben dem Kollagen der wichtigste • Als auffälligstes Merkmal der Epithelien dient v. a. die Zahl der Zelllagen zu
Bestandteil der Interzellularsubstanz seiner Charakterisierung. So unterscheidet man einschichtiges von mehr-
Ephitelgewebe · Kapitel 3 · Histologie 51

Abb. 3-2a-h.
Einteilung der Oberflächenepithelien und
die wichtigsten Orte ihres Vorkommens.
a Einschichtiges Plattene pithel am Beispiel
von Herzbeutel und Lungenfell,
b einschichtiges kubisches (isoprismati-
sches) Epithel am Beispiel der Nieren-
tubuli,
c einschichtiges hochprismatisches
Epithel: 1 mit Kinozilien (z. B. Eileiter,
Gebärmutter), 2 mit Mikrovilli (z. B. Darm-
trakt), 3 ohne Mikrovilli (z. B. Magen),
d 2-reihiges Epithel: I mit Stereozilien
(z. B. Nebenhoden), 2 mit und ohne Mikro-
villi (z. B. Samenleiter),
e mehrreihiges hochprismatisches Epithel
mit Zilie nzellen und Becherzellen (respira-
torisches Epithel),
f mehrschichtiges unverhorntes Platten-
epithel (z. B. Speiseröhre),
g me hrschichtiges verhorntes Platten-
epithel (z. B. Haut),
h Überga ngsepithel, mehrschichtig
mit Deckzellen (ableitende Harnwege)

schicht igem Epithel. Das mehrschichtige Epithel besteht a us vielen Zelllagen, Benennung der Epithelien nach:
von de nen nur die unterste in Ko ntakt mit de r Basal m e mbran s teht. Epithelien • Zahl der Zelllagen
mit mehreren Zelllagen , deren Zellen alle mit der Basalm em b ra n durch Zell- • Form der Zellen
auslä ufer in Ve rbindung stehe n , b ezeichnet m a n als mehrreihig. Dab ei kommt • Beschaffenheit der oberen Zelllage
es häufig vor, dass d ie Zellke rne der einzelnen Reih en von Zellen nicht a uf d e r
gleichen Hö he im Epith elverba nd zu fin den sind. Dam it tä uschen sie fü r seine
oberflächliche Betrachtung eine Mehrschichtigkeit vor.
• Ein weiteres Kr iter ium, das zur Einteilung der Epithelien verwen det wird, ist
die Form der Zellen: Die Zellen könne n platt, kubisch (isoprismatisch) oder
hochprismatisch sein. Zur Beurteilung, um welches Epithel es sich h a ndelt,
wird die oberste Zelllage be trachtet, d ie z. B. kubisch ist ode r platt; dem e ntspre-
chend bekommt ein Epith el z. B. den Na m en m ehrschichtiges Platte nepitheL
• Ein weiteres Einteilungsk r iterium d er Epithelien ist d ie Beschaffenheit der
obe ren Zell lagen, die entweder verho rnt oder unverhornt sein könne n. Ein ty- Kinozilien
pisches Beispiel für ein verhorntes Epithel ist die Epidermis, d ie oberste Epi- hochbewegliche Härchen an der
thelschicht der Haut. Einige Epith elien b esitzen Kinozilien (Flimmerhä rche n ), Zelloberfläche
so z. ß. d as Eileite repithel od er d as respiratorisch e Epithel (Epithel der Atem -
wege).lm Gegensatz zu den Kinozilien stehen die Stereo zilien, die nicht beweg- Mikrovilli
lich sind und led iglich lange Mikrovilli d arstellen. Sie komme n im Nebe nho den fingerfö rmige Ausstülpungen der Zelle
vor. zur Oberflächenvergrößerung
52

Formen von Oberflächenepithelien Einschichtiges Plattenepithel


• Einschichtiges Plattenepithel Die Zellen des einschichtigen Plattenepithels sind flach und miteinander ver-
• Einschichtiges isoprismatisches zahnt. Der kernhaltige Abschnitt wölbt sich vielfach vor.
(kubisches) Epithel Eine spezialisierte Form des Plattenepithels, die Gefäße und Herzinnenräume
• Einschichtiges hochprismatisches auskleidet, wird Endothel genannt. Als Mesothel bezeichnet man das Epithel, das
Epithel die Oberfläche der serösen Häute wie Peritoneum (Bauchfell), Perikard (Herz-
• Mehrreihiges hochprismatisches Epithel beutel) etc. bildet.
• Übergangsepithel
• Mehrschichtige Epithelien Einschichtiges isoprismatisches (kubisches} Epithel
(Piattenepithel) Diese Epithelart kommt v. a. an Oberflächen vor, an denen Resorptions- und
Sekretionsvorgänge ablaufen, so z. B. an verschiedenen Abschnitten der Nieren-
kanälchen, in Drüsen und Drüsenausführungsgängen (Abb. 3-3).

Einschichtiges hochprismatisches Epithel


Dieses Epithel ist im menschlichen Körper weit verbreitet, da es praktisch den ge-
samten Magen-Darm-Trakt auskleidet. Es ist ebenfalls mit Resorption und
Sekretion in Verbindung zu bringen. Im Darmtrakt ist seine Oberfläche durch die
Bildung von Mikrovilli noch stark vergrößert, der s.og. Bürstensaum.
Als Flimmerepithel ist es noch mit Kinozilien besetzt und kommt z. B. im
Eileiter vor.

Mehrreihiges hochprismatisches Epithel


Diese Epithelart ist auf wenige Orte im Körper beschränkt. Sie kommt z. B. in den
Luftwegen vor. In verschiedenen Lehrbüchern wird noch das Übergangsepithel

Abb. 3-3.
Kubisches (isoprismatisches) Epithel
am Beispiel eines Nierenkanälchens
(distaler Tubulus)

Basallamina

Einstülpung der
Zellmembran
Ephitelgewebe · Kapitel 3 · Histologie 53

unter den mehrreihigen hochprismatischen Epithelien aufgezählt. Neuere Unter-


suchungen haben allerdings gezeigt, dass das Übergangsepithel zu den mehr-
schichtigen Epithelien zu rechnen ist.

Übergangsepithel
Das Übergangsepithel ist ein stark spezialisiertes Epithel, es kleidet die ablei-
tenden Harnwege aus und ist mit einer charakteristischen Schicht von Deck-
zellen besetzt. Diese Deckzellen produzieren eine intrazelluläre Schutzschicht,
die sog. Crusta. Diese liegt direkt unterhalb der Zellmembran und schützt das
Epithel gegen die ätzenden Substanzen des Harns. Eine weitere Besonderheit des
Übergangsepithels ist seine Anpassungsfähigkeit an verschiedene Dehnungs-
zustände wie sie durch z. T. große Harnmengen in der Harnblase vorhanden sein
können.

Mehrschichtige Epithelien
Von den mehrschichtigen Epithelien kommen die Plattenepithelien am häufig-
sten vor. Wir unterscheiden hier verhornte und unverhornte mehrschichtige Plat-
tenepithelien. Beide kommen an mechanisch stärker beanspruchten Oberflächen
vor. An inneren Oberflächen (Mund, Speiseröhre, Vagina, Anus) ist das Epithel
unverhornt. An äußeren Oberflächen (Haut) ist das Epithel verhornt. Diese Ver-
hornung der äußeren Oberflächen ist notwendig, um den Körper vor der Umwelt
sowie vor dem Austrocknen zu schützen.

3.2.2 Drüsenepithelien

Drüsen, auch Glandulae genannt, sind Verbände hochspezialisierter Zellen. Sie Drüsenarten:
stellen die Sekrete bereit, um über Ausführungsgänge - bei sog. exokrinen Drü- exokrine und endokrine Drüsen
sen - oder über die Blutbahn - bei sog. endokrinen Drüsen - an den Ort ihrer
Wirkung zu gelangen. Die meisten Drüsen entstehen während der Fetalentwick-
lung dadurch, dass aus dem Epithel der inneren oder äußeren Oberfläche des
Körpers ein epithelialer Spross in das darunter liegende Bindegewebe vordringt
und sich dort zur eigentlichen Drüse differenziert.
Bei exokrinen Drüsen bleibt eine Verbindung mit dem Oberflächenepithel be-
stehen, die die Funktion eines Ausführungsgangs für das gebildete Sekret über-
nimmt.
Bei endokrinen Drüsen wird die Verbindung mit dem Oberflächenepithel
während der Entwicklung zurückgebildet (obliteriert), das Sekret wird an das
Blut abgegeben. Endokrine Drüsen sind deshalb stark vaskularisie rt. Die endo- vaskularisiert:
krinen Drüsen werden in Kap. 12 ausführlich besprochen. Endokrine Drüsen mit Blutgefäßen durchzogen
haben keinen Ausführungsgang.

Exokrine Drüsen
Exokrine Drüsen lassen sich aufgrund verschiedener Kriterien noch weiter
unterteilen, z. B. nach ihrer Form oder nach der Viskosität (Zähtlüssigkeit) ihres
Sekrets.
54

Unterscheidung nach der Form


• Drüsenformen: Aufgrund der Drüsenform können wir unterscheiden zwischen einfachen, ver-
tubulös, alveolär, azinös zweigten und zusam m engesetzten Drüsen, die folgen d ermaßen aussehen: Bei
• Sekretart von Speicheldrüsen: den verzweigten Drüsen münden mehrere Einzeldrüsen in einen Ausführungs-
serös (dünnflüssig), gang. Bei den zusammengesetzten Drüsen zweigt der Hauptausführungsgang in
mukös (schleimartig) mehrere kleine Ausführungsgänge auf.
Nach der Form des sezernierenden Drüsenanteils, der sog. Drüsenendstücke
unterscheidet man außerdem zwischen
• tubulösen (röhrenförmigen) Endstücken,
• alveolären (bläschenförmigen ) Endstücken und
• azinösen (beerenförmigen ) Endstücken.

Es kommen auch Mischformen vor, die als tubuloazinös oder tubuloalveolär be-
zeichnet werden (Abb. 3-4a-h).
Die Drüsenendstücke stellen den eigentlichen sekretbildenden Teil der Drü-
sen dar. Die Drüsenzellen sind von einer Basalmembran umgeben. Häufig findet
man zwisch en dieser Basalmembran und dem Drüsenepithel no ch einen weite-
ren Zelltyp, die Myoepithelien. Dies sind EpithelzeUen, die kontraktile Filamente
enthalten und damit Eigenschaften wie die Zellen der glatten Muskulatur besit-
zen. Sie sind korbförmig um die Drüsenendstücke angeordnet. Myoepithelzellen
können sich kontrahieren und so bei der Austreibung des Sekrets mithelfen.

Viskosität Unterscheidung nach der Sekretbeschaffenheit (Viskosität)


Fließeigenschaft einer Flüssigkeit, hohe Drüsen werden auch anhand ihrer Sekretbeschaffenheit, der Viskosität unter-
Viskosität bedeutet zähflüssig, geringe schieden. Handelt es sich um ein eiweißreich es, dünnflüssiges Sekret, so spricht
Viskosität bedeutet dünnflüssig

Ab b. 3-4a-h.
Verschiedene Formen des Drüsenepithels.
Das Sekret in den Drüsen ist blau gezeich-
net, die eigentlichen sezernierenden
Drüsenendstücke rotbraun.
a Tu bulös,
b tubulös verzweigt.
c tubulös zusammengesetzt (mehrere kleine
Ausführungsgänge münden in einen großen
Ausführungsgang), a b
d tubulös geknäuelt,
e azinös (beerenförmig),
f alveolär (bläschenförmig),
g tubuloazinös,
h tubufoalveolär

d e g h
Ephitelgewebe · Kapitel 3 · Histologie ss
man von einer serösen Drüse. Dies sind z. B. die Tränendrüse, die Bauchspeichel- • serös dünnflüssig
drüse (Pankreas) und die Ohrspeicheldrüse.
Bei einem dickflüssigen schleimigen Sekret spricht man von einer mukösen • mukös schleimig
Drüse bzw. Endstück, das Muzin (Schleim) produziert. Rein muköse Drüsen sind
z. B. die Gaumendrüsen (GI I. palatinae) sowie die hinten am Zungengrund ge- GI I.
legeneo kleinen Zungendrüsen (Gll.linguales posteriores). bedeutet Glandulae: Plural von Glandula
Das Sekret dieser mukösen Drüsen ist viskös, deshalb haben ihre Drüsen- (GI.). Die Abkürzungen medizinischer Be-
und Ausführungsgänge ein weites Lumen (Lichtung), wodurch der Abtransport griffe werden gewöhnlich nur in fach-
des Sekrets erleichtert wird (s. Abb. 3-4). sprachlichen Fügungen verwendet
eben rein serösen oder rein mukösen Drüsen gibt es noch gemischte For-
men, bei denen verschiedene Endstücke vorkommen. Dies sind z. B. die Unter-
kieferdrüse (Gl. submandibularis) und die Unterzungendrüse (Gl. sublingualis).
In diesen Drüsen sitzen seröse Drüsenzellen den mukösen Endstücken kappen-
förmig auf, sodass das dünnflüssige seröse Sekret hilft, das dickflüssige muköse
Sekret auszuspülen.

Sekret und Sekretionsformen 3 Sekretionsformen von Drüsen


Als Sekretion bezeichnet man die Bildung (Synthese) und Abgabe (Exozytose) • merokrin (alte Bezeichnung: ekkrin)
zellspezifischer, spezieUer für die Ausscheidung synthetisierter Stoffe. Dem- • apokrin
gegenüber bezeichnet man die Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten • holokrin
(z. B. in der Niere) als Exkretion . Nach Art wie das Sekret aus den Zellen ge-
schleust wird, werden 3 verschiedene Mechanismen oder Sekretionsformen un-
terschieden (Abb. 3-5 u. Abb. 3-6).
Bei der merokrinen Sekretion wird das Sekret ausgeschleust ohne sichtbaren
Substanzverlust der Drüsenzelle. Dies ist z. B. der Fall bei der Sekretion von
Zymogengranula im exokrinen Pankreas (Bauchspeicheldrüse) .

Abb. 3-5.
Holokrine Talgdrüse, die meist in Haar-
Basallamina - - - - - -1 trichter mündet. Durch Mitosen vermeh-
ren sich die basalen Zellen, füllen sich mit
zugrunde gehender Talg und werden vollständig sezerniert.
.&--+·l cl!k-- " < - - - - Zellkern
(pyknotischer Kern) Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Zellorga-
nellen einschließlich Zellkern mehr oder
weniger abgebaut worden

Basalzelle

Talgvakuole

Kollagenlaser
56

Abb. 3-6.
Beispiel der merokrinen und apokrinen Protein und
Lipidtropfen
Sekretion am Beispiel einer laktierenden
(milchabgebenden) Brustdrüse. Bei der
merokrinen Sekretion der Proteinbestand-
teile wird nur der Inhalt der Sekretgranula
ausgestoßen. Bei der apokrinen Sekretion
sind die ausgestoßenen Fetttröpfchen von Blutgefäß
einer Membran umgeben, damit das Fett
in der Milch nicht verklumpt und die Aus-
Myoepithelzelle
Myoepithelzelle
führungsgänge verstopft. Bei der apokri-
nen Sekretion kommt es zu einer Ab-
schnürung der Zellspitze (Zellapex), und
die Zellen erleiden einen lichtmikrosko- Drilsenzelle
mitSekret
pisch sichtbaren Substanzverlust. Unter
der Wirkung der Myoepithelzellen wird
Protein
die Milch aus den Drüsenendstücken aus-
gepresst

Bei der apokrinen Sekretion wird von der Drüsenzelle ein Teil der Zelle (der
apikale Teil) abgeschnürt, die Zellen erleiden dadurch einen sichtbaren Sub-
stanzverlust, der aber durch verschiedene Anpassungsvorgänge wieder aus-
geglichen wird, z.B. bei der laktierenden Milchdrüse.
Bei der holokrinen Sekretion stellt die gesamte Einheit der Zelle das Sekret
dar und wird als Sekret aus dem Zellverband ausgestoßen, um damit neu-
gebildeten Zellen, die ihrerseits zugrunde gehen und ausgestoßen werden, Platz
zu machen. Dies ist bei den Talgdrüsen der Fall.

3.2.3 Epithel als Parenchym innerer Organe

Neben den bereits aufgeführten Epithelarten sind auch Organe aus Epithel auf-
Parenchym gebaut, d. h. das Parenchym dieser Organe besteht aus Epithel.
Gewebeteil eines Organs mit organ- Es handelt sich hierbei entweder um resorbierende oder sezernierende Ober-
spezifischer Funktion im Unterschied flächen, die von diesem Epithel gebildet werden, z. B. in de r Niere, in der Leber
zum Stroma= bindegewebiger Anteil etc. Die entsprechenden Epithelien werden im Zusammenhang mit den einzel-
des Organs mit allgemeiner Funktion nen Organen besprochen.

3.2.4 Sinnesepithelien

Sinnesepithelien kommen u. a. im Auge und im Ohr vor und werden in de n ent-


sprechenden Kapiteln besprochen.

3.3 Binde- und Stützgewebe

Von der Struktur, der Zusammensetzung und der Funktion ist das Binde- und
Stützgewebe äußerst vielgestaltig. Gemeinsam ist allen Formen das Vorkommen
Binde- und Stützgewebe· Kapitell· Histologie 57

großer Mengen geformter und ungeformter Interzellularsubstanz sowie typi-


scher Bindegewebszellen. Der Anteil der einzelnen Zellarten bzw. der Aufbau des
Gewebes und der Interzellularsubstanz ist den jeweiligen Erfordernissen ange-
passt.
Es wird unterschieden zwischen ortsgebundenen Bindegewebszellen, den
sog. fixen Bindegewebszellen, und solchen, die frei beweglich sind und wandern
können, den sog. freien Bindegewebszellen .

Fixe Bindegewebszellen Freie Bindegewebszellen

Retikulumzellen Makrophagen
Fettzellen Lymphozyten
Fibrozyten Plasmazellen
Knorpel- und Knochenzellen Granulozyten etc.

Auch wenn Binde- und Stützgewebe ihrer äußeren Erscheinung nach sehr
unterschiedliche Gewebegruppen darstellen, gehören sie doch sehr eng zusam-
men, da beide gleichen Ursprungs sind. Beide gehen aus dem embryonalen Bin-
degewebe, dem Mesenchym, hervor. Dies ist eine locker strukturierte Form des Mesenchym:
Bindegewebes, die nur ungeformte Interzellularsubstanz besitzt. Bindegewebe Locker strukturierte Form des Bindege-
besitzt eine Menge geformter und ungeformter Interzellularsubstanzen. webes, die nu r ungeformte Interzellular-
Die Zellen des sind meist in eine stark wasserhaltige Lösung substanz besitzt
von Eiweißen und Salzen gebettet. Kennzeichnend für das Binde- und Stütz-
gewebe ist, dass zwischen den mehr oder weniger weit auseinander liegenden
Zellen reichlich Interzellularsubstanz in flüssiger oder fester Form eingelagert
ist. Die Zellen berühren sich meist trotz relativ weiter Abstände durch Zellaus-
läufer und bilden so ein schwammartiges Maschenwerk. Durch die Interzellular-
substanz erhält das Binde- und Stützgewebe eine gewisse Festigkeit.

3.3.1 Funktion des Binde- und Stützgewebes

Die Binde- und Stützgewebe geben dem Körper in Form des passiven Bewe- Funktionen des Binde- und
gungsapparats seinen Halt. Ferner verbinden sie innerhalb der Organe die ver- Stützgewebes
schiedenen Gewebe miteinander, halten die Organe und Organteile zusammen • Halt und Verbindung von Organen
und tragen so zur Stabilität des Körpers bei. • Diffusion von Nährstoffen
Außerdem hat das Bindegewebe wichtige Funktionen im dem Stoffwechsel: • Speicherung von Flüssigkeit und Fett
Alle Blut- und Lymphgefäße sind im Bindegewebe eingebettet, und die Nähr- • Abwehr von Krankheitserregern
stoffe diffundieren durch das Bindegewebe in das Parenchym der Organe. Um- • Wundheilung und Regenera tion
gekehrt gelangen Stoffwechselprodukte sowie Exkrete von den Zellen über das
Bindegewebe zu den Blut- und Lymphgefäßen. Im Bindegewebe können große
Mengen an Flüssigkeit gespeichert werden sowie enorme Fettreserven vorhan-
den sein. Dieses Fett hat nicht nur die Funktion eines Speichers, sondern ist an
der Regulation des Wärmehaushaltes beteiligt.
Nicht zuletzt ist das Bindegewebe mit seinen freien Bindegewebszellen maß-
geblich an der Abwehr von Krankheitserregern und Fremdkörpern beteiligt. Eine
weitere wichtige Aufgabe ist die Mithilfe bei der Wundheilung und Regeneration.
58

3.3.2 Interzellularsubstanz

2 Arten von lnterzellularsubstanz: Die ungeformte Interzellularsubstanz ist mit Ausnahme des Knochens und Knor-
geformte und ungeformte pels eine Lösung von verschiedenen Substanzen, die je nach Gewebetyp zwischen
dünnflüssig und zähflüssig variieren kann.In dieser Lösung sind neben verschie-
3 Faserarten von Interzellularsubstanz denen Elektrolyten und Stoffwechselprodukten hauptsächlich Proteine sowie
• Kollagene Fasern Glukosaminoglykane und Proteoglykane enthalten. Im Knochengewebe sind im
• Retikuläre Fasern Interzellularraum anorganische Salze eingelagert, die für die Festigkeit des Ge-
• Elastische Fasern webes sorgen.
Der geformte Anteil der Interzellularsubstanz setzt sich aus den folgenden
Fasern zusammen.

Kollagene Fasern
Die Hauptmasse der geformten Interzellularsubstanz besteht aus kollagenen
Fasern, die praktisch überall im Körper vorkommen. Sie haben ihren Namen der
Tatsache zu verdanken, dass beim Kochen von Knochen, Knorpel, Sehnen etc.
Leim entsteht (Knochenleim). Kollagen setzt sich aus den beiden griechischen
Wörtern kolla (Leim) und genesis (Bildung) zusammen. Die kollagenen Fasern
erscheinen bei der Betrachtung mit bloßem Auge weimich. Im Lichtmikroskop
sind die ungefärbten Fasern schwer zu erkennen, da sie farblos sind. Mit sauren
Farbstoffen, z. B. Eosin, lassen sich die Fasern jedoch gut an färb en. Wird kollage-
nes Bindegewebe zerzupft, erhält man Kollagenfasern, die einen Durchmesser
zwischen 1 Jlm und 10 Jlm haben (Abb. 3-7).
Mit dem Elektronenmikroskop lässt sich nachweise n, dass diese Fasern aus
wesentlich kleineren Untereinheiten aufgebaut sind, nämlich Kollagenmolekü-

Abb. 3-7.
AEA
Aktiver Fibroblast, der Kollagenfasern pro- fM~~------ (raues endo-
plasmatisches
duziert. Das Protein der Kollagenfasern Retikulum)
wird aus Aminosäuren aufgebaut und als Prokollagen
Prokollagen aus der Zelle geschleust. Die-
selagern sich im Extrazellulärraum zusam-
men und bilden die Prot ofibrillen. Viele
Protofibrillen bilden die Mikrofibrillen, die- Fibroblast
Mikrofibrille
se wiederum lagern sich zu Kollagenfaser-
bündeln zusammen

Kollagenfaserbündel
Binde· und Stützgewebe · Kapitel 3 · Histologie 59

len. Dies sind Proteine, die in den Zellen des Bindegewebes gebildet werden und
als winzige Kollagenuntereinheiten (Prokollagen) aus den Zellen geschleust wer-
den. Erst im Interzellularraum legen sich diese Moleküle aneinander und vernet-
zen miteinander. Durch diesen Vernetzungsvorgang werden unverzweigte Kolla-
genfasern gebildet. Aufgrund der Molekülstruktur ergeben sich leicht gewellte
Fasern (Abb. 3-8 u. Abb. 3-12), sodass bei einer Zugbelastung, durch »Entwel-
lung<<, eine geringe Verlängerung der Fasern möglich ist. Die Fasern sind jedoch
praktisch nicht dehnbar.
Zugfestigkeit ist eine ihrer wichtigsten Eigenschaften; so können die Fasern Zugfestigkeit des Kollagens:
eine Zugbelastung von 6 kg/mm 2 im Querschnitt aushalten, ohne zu zerreißen. Die Fasern können eine Zugbelastung
Wegen der geringen Dehnbarkeit der Fasern sind sie meist scherengitterartig an- von 6 kg/mm 2 im Querschnitt aushalten
geordnet (z. B. in den Organkapseln), um wie textile Gewebe durch Verlagerung
des Gitters eine gewisse Dehnbarkeit zu ermöglichen (Abb. 3-9ac).
Im Elektronenmikroskop weisen die Kollagenfibrillen eine typische Quer-
streifung auf, die eine Periodik von ca. 640 nm hat. Diese kommt durch die Anla- Periodik wiederkehrende Abfolge
gerung von vielen kleinen Untereinheiten zustande. Diese Untereinheiten wer-
den ständig um-, an- und abgebaut. Werden die Fasern übermäßig stark belastet,
kommt es durch vermehrten Einbau von zusätzlichen Untereinheiten zu einer
Verlängerung der Fasern mit entsprechenden Konsequenzen, z. B. Plattfuß etc.
Ebenso kann es bei langanhaltender zu geringer Belastung der Fasern zu einem
Abbau bzw. einer Verkürzung kommen. Dies äußert sich z. B. an den Gelenk-
kapseln; wenn Gelenke nach Verletzungen längere Zeit immobilisiert werden
müssen, verkürzen sich die Fasern der Gelenkkapseln und müssen erst wieder
durch entsprechendes Training auf die richtige Länge gebracht werden. Aufgrund

aus der Kapillare


austretender Leukozy1 Kapillare Makrophage Abb. 3·8.
Lockeres faseriges Bindegewebe mit Kolla-
genfasern, elastischen Fasern sowie ver·
Endothel
schiedenen typischen Bindegewebszellen.
Im oberen Drittel ist eine Kapillare ein-
gezeichnet, deren Wand von einem aus-
tretenden Leukozyten überquert wird

Fibrozyt

Makrophage elastische Fasern


60

Abb. 3-9a-c.
Scherengitterartig angeordnete
Kollagenfasern aus straffem faserigem
Bindegewebe (z. B. Organkapseln).
a Einander durchdringende Kollagen-
faserbundel,
b und c wie textiles Gewebe lassen sich
die Kollagenfaserbündel nicht in der
Längsrichtung der Bündel dehnen,

~
sondern nur quer zur Längsrichtung

b c

ihrer molekularen Zusammensetzung und der daraus resultierenden Eigenschaf-


ten werden heute ca. 15 verschiedene Kollagenarten unterschieden.
Kollagentyp I-IV: Das am häufigsten im Körper vorkommende Kollagen ist das Kollagen Typ I.
• Typ I ist der häufigste Typ. der z. B. Das Kollagen, das die Basallamina aufbaut, bildet keine Fibrillen und gehört zum
überall im Bindegewebe vorkommt Kollagen Typ IV. Die im nächsten Abschnitt behandelten retikulären Fasern
• Typ II kommt im Knorpel vor werden häufig als Kollagen Typ III bezeichnet. Im Knorpel kommt z. B. haupt-
• Typ 111 als Gitterfasern in Organen. sächlich Kollagen Typ !I vor. Die einzelnen Kollagenarten sind ähnlich aufgebaut,
z. B. in der Leber sie unterscheiden sich vor allem auf molekularer Ebene.
• Typ IV ist Hauptbestandteil
der Basallamina Retikuläre Fasern (Kollagen Typ 111)
Diese Fasern stehen in enger Beziehung zu den kollagenen Fasern. Sie haben
ebenfalls eine Querstreifung, sind aber dünner als die Kollagenfasern und weisen
ein anderes Färbeverhalten auf: Kollagen wird bei Versilberung braun, retikuläre
Fasern schwarz. Im Unterschied zu den anderen Kollagenfasern geben die reti-
kulären Fasern beim Kochen keinen Leim ab. Die retikulären Fasern sind die er-
sten, die im embryonalen Bindegewebe entstehen. Sie bilden Fasergerüste in Le-
ber, Niere, Muskel (Endomysium), Nerven (Endoneurium) und anderen Gewe-
ben, an der Grenze zwischen Parenchym und Bindegewebe. Außerdem kommen
sie häufig als Verstärkung der Basalmembranen vor, die dadurch lichtmikro-
skopisch sichtbar werden. Besonders typisch sind Kollagen-Typ-III- Fasern auch
für das retikuläre Bindegewebe (Abb. 3-10 ).

Abb.3-10.
Retikulumzellen, mit retikulären Fasern retikuläre Fasem ~...,."._-..,.

(Kollagentyp 111), die als Netz die mitein- (Kollagen Typ 111)
ander verbundenen Retikulumzellen um-
geben und dadurch eine Stabilisierung
des Zellverbandes bewirken
Binde- und Stützgewebe · Kapitel 3 · Histologie 61

Elastische Fasern
Diese Fasern unterscheiden sich morphologisch, physikalisch und chemisch sehr
deutlich vom Kollagen. Sie kommen jedoch häufig als Begleitstruktur der kolla-
genen Fasern vor. In der Lunge, in den Wänden der Arterien sowie im Nacken-
band (Ligamentum nuchae) kommen elastische Fasern in größerer Menge vor.
Sie bilden 3-dimensionale Netze aus Fasern, die einen Durchmesser von 0,2-5 jlm
haben. Sowohl licht- als auch elektronenmikroskopisch sind elastische Fasern
homogen, d. h. strukturlos ohne Querstreifung.
Elastische Fasern lassen sich aufgrund ihrer hohen Elastizität bis auf 150% Dehnbarkeit der elastischen Fasern:
ihrer Länge reversibel (umkehrbar) dehnen. Dabei können sie Belastungen bis zu bis auf 150% ihrer Länge reversibel
0,3 kg/mm 2 aushalten, ohne zu zerreißen. Im Alter nimmt die Elastizität der (umkehrbar) dehnbar
Fasern jedoch deutlich ab. Durch Abbau sowie Verlust der Elastizität der elasti-
schen Fasern kommt es im Alter zu mangelnder Elastizität der Haut. Dies führt
zu Haut- und Gesichtsfalten. Im Unterschied zum Kollagen sind elastische Fasern
sehr beständig gegen Hitze, Säure, Laugen. Lediglich von einem Pankreasenzym
(Elastase) lassen sie sich verdauen.

3.3.3 Retikuläres Bindegewebe

Dies ist der Typ, der dem embryonalen Mesenchym noch am nächsten steht. Es
ist ähnlich aufgebaut, hat allerdings im Unterschied zum Mesenchym retikuläre
Fasern, die größtenteils direkt der Oberfläche der Retikulumzellen anliegen.
Durch die retikulären Fasern wird der netzartige Zellverband versteift. In den
Lücken zwischen den Retikulumzellen befinden sich Gewebeflüssigkeit und freie
Bindegewebszellen sowie Zellen, die eng mit dem Blut- und Lymphsystem in Ver-
bindung stehen. Das retikuläre Bindegewebe stellt das Grundgerüst der lympha-
tischen Organe sowie des Knochenmarks dar. Die Retikulumzellen sind biolo-
gisch sehr aktiv, sie können phagozytieren, speichern und aufgenommene Stoffe
abbauen. Außerdem können sie sich aus dem Gewebeverband lösen und als freie
Zellen wandern.

3.3.4 Fettgewebe

Fettgewebe, das fast überall im Körper vorkommt, kann als Sonderform des
retikulären Bindegewebes angesehen werden. Die Fettzellen können einzeln lie-
gen oder als größere Gruppen im Bindegewebe richtige Fettorgane bilden. Etwa
10-20% des Körpergewichts macht das Fettgewebe aus.
Das Fettgewebe dient auf der einen Seite als Baufett, auf der anderen Seite als • Baufett: Stabi lisiert die Organposition
Speicherfett (Abb. 3-11a, b). Das Baufett hat u. a. die Aufgabe, die Organlage zu • Speicherfett: Dient als Energ iereserve
erhalten (z. B. bei der Niere) oder als Polstermaterial zu dienen, z. B. im Bereich und hat außerdem die Funktion eines
der Wange, des Gesäßes, der Augenhöhle etc. Da es für die Erhaltung de r Organ- thermischen Isolators
lage eine wichtige Rolle spielt, wird es erst unter extremen Hungerbedingungen
oder z. B. bei terminalen Krebsstadien abgebaut.
Dem steht das Speicherfett gegenüber, das als Energiereserve dient und
außerdem die Funktion eines thermischen Isolators hat. Es ist v. a. im Unterhaut-
bindegewebe sowie in der Bauchhöhle vorhanden. Bei Hunger und im Krank-
heitsfall kann es jederzeit leicht mobilisiert, d. h. abgebaut werden. Außerdem hat
das Speicherfett eine wichtige Rolle bei der Regulation des Wasserhaushalts, da es
die Fähigkeit hat, Wasser zu binden.
62

Abb. 3- 11 a, b.
a Darstellung der Verteilung des Baufettes
in Brust, Wange (Bichat-Fettpfropf),
Augenhöhle, Armbeuge, Kniekehle,
Gesäß und Fußsohle. Das Baufett gehört
zum weißen Fett, das aus univakuolären
Fettzellen (b) aufgebaut ist

Man unterscheidet 2 Arten von Fettgewebe, das braune und das weiße Fett.
• Weißes Fettgewebe: Bau- und Das weiße Fettgewebe ist in Form des Baufetts und Speicherfetts über den
Speicherfett über den gesamten Körper gesamten Körper verteilt. Das Fett in diesen Zellen ist meist in einem einzigen
verteilt großen Fetttropfen (univakuolär) so im Zytoplasma angeordnet, dass der Zell-
kern dadurch ganz an den Rand der Zelle gedrängt wird und die Zellen ein sie-
• Braunes Fettgewebe: Fast ausschließ- gelringartiges Aussehen erhalten.
lich beim Neugeborenen. Es enthält Fett Das braune Fettgewebe kommt fast ausschließlich beim Neugeborenen vor.
in vielen kleinen Fetttropfen (pluriva- Es enthält Fett in vielen kleinen Fetttropfen (plurivakuolär), das damit eine rela-
kuolär) und eine große Anzahl von Mito- tiv große Oberfläche aufweist und damit leichter abbaubar ist. Es weist eine
chondrien große Anzahl von Mitochondrien auf, die an seiner Hauptaufgabe, der zitter-
freien Wärmebildung des Neugeborenen, beteiligt sind.

3.3.5 Faseriges Bindegewebe

Lockeres faseriges Bindegewebe

Dieser Bindegewebetyp (Abb. 3-12) ist im gesamten Körper sehr verbreitet und
lnterstiti um besitzt keine selbständige Eigenform. Er liegt als interstitielles Gewebe zwischen
Raum zwischen den Organen den Organen und Organteilen, zwischen den Muskeln und Muskelfaserbündeln
und Geweben und begleitet Gefäße und Nerven. Er liefert das Stroma verschiedener Organe
(Hoden, Nieren, Leber, große Dr üsen etc.), bildet die weichen Hirnhäute, das
Stratum papillare der Haut, die Tela subcutanea etc.
Die Interzellularsubstanz des lockeren faserigen Bindegewebes besteht aus
Grundsubstanz und gewellten, in verschiedenen Richtungen verlaufenden kolla-
genen Faserbündeln, die - wie fast überall im Körper - noch begleitet sind von
elastischen Fasern. Die Hauptzellen dieses Gewebetyps sind Fibrozyten, daneben
Binde- und Stützgewebe · Kapitel 3 · Histologie
63

eosinophiler Fibroblast Histiozyt Erythrozyten in Endothel- Abb. 3-12.


Granulozyt (aktive Zelle) (Makrophage) einer Blutkapillare zelten einer
Blutkapillare Lockeres faseriges Bindegewebe mit
seinen typischen Zellarten und Strukturen

Fibrozyt

Nerven·
fasern

Lymphozyt
retikuläre

Lymph-
gefäß

Mastzellen
elastische Fasern Monozyt elastische Fasern
(mit Histamin
und Serotonin
enthaltenden
Granule)

sind aber noch verschiedene freie Bindegewebszellen vorhanden. Die freien Bin-
degewebszellen des lockeren Bindegewebes sind zu einem großen Teil an der Ab-
wehr beteiligt.

Straffes faseriges Bindegewebe


Straffes faseriges Bindegewebe ist überall dort anzutreffen, wo eine stärkere
mechanische Belastung auftritt (Abb. 3-13). Deshalb enthält dieser Gewebetyp
weniger Zellen und Grundsubstanz, dafür um so mehr Fasern. Der Stoffwechsel
ist deutlich geringer als im lockeren Bindegewebe, und die Anzahl der Blutgefäße
sowie der freien Bindegewebszellen ist ebenfalls stark reduziert. Im Unterschied
zum lockeren hat das straffe Bindegewebe eine charakteristische Eigenform. Die
Fasern sind eng aneinandergedrängt und verlaufen je nach Art der Zugbelastung
entweder in verschiedenen Richtungen oder sind in einer Richtung angeordnet.
Das letztere ist der Fall, wenn die Beanspruchung immer in der gleichen Rich-
tung erfolgt, z. B. bei den Sehnen, bei denen eine deutliche Ausrichtung der Fa-
sern und Zellen parallel zur Zugrichtung vorhanden ist. Diese Art des gerichteten
straffen Bindegewebes findet sich in den Sehnen und den Aponeurosen (flächen-
haften Sehnen), den Faszien (Hüllen der Muskeln) sowie den Bändern (Ligamen-
te, Verbindungen zwischen Knochenteilen).
Das geflechtartige Bindegewebe bildet Organkapseln (bindegewebige Hül-
len der Organe), z. B. bei den Hoden, den Nieren, der Milz, Leber; außerdem die
harte Hirnhaut sowie das Stratum reticulare der Haut.
64

Abb. 3-1 3.
Straffes kollagenes Bindegewebe am Bei- Fibrozyt kollagene Faserbündel
spiel der GelenkkapseL Die Fasern durch-
weben einander und stellen die Haupt-
masse des Gewebes dar. Die Fibrozyten
sind deutlich in der Minderzahl

quergeschninen elastische Fasern

3.4 Knorpelgewebe

Das Knorpelgewebe entwickelt sich aus dem Mesenchym. Die Zellen des Mesen-
chyms lagern sich in den Zonen, in denen Knorpel gebildet werden soll, sehr
dicht aneinander, sodass ein Interzellularraum nur noch mit dem Elektronen-
mikroskop gesehen werden kann. Dann beginnen diese Zellen, Interzellularsub-
stanz auszuscheiden. Von diesem Moment an bezeichnet man sie als Chondro-
blasten: Zellen, die den Knorpel bilden. Die Chondroblasten wachsen weiter und
differenzieren sich in echte Chondrozyten (Knorpelzellen), die große Mengen an
Kollagen, Glykoprotein und Chondroitinsulfat ausscheiden. Durch diese Aus-
scheidung an Interzellularsubstanz rücken die Zellen weiter auseinander, wobei
• interstitielles Wachstum sie sich gleichzeitig mitotisch teilen. Diese Art des Wachstums nennt man inter-
Wachstum durch Vermehrung stitielles Wachstum.
der interstitiellen Substanz An der Oberfläche des Knorpels differenziert sich aus dem Mesenchym das
• appositionelles Wachstum Perichondrium (Knorpelhaut); die innerhalb des Perichondriums vorhandenen
Wachstum durch Anlagerung Chondroblasten bilden ebenfalls Knorpel. Diese Art des Wachstums, bei der von
von Material von außen außen an vorhandenes Gewebe angebaut wird, nennt man appositionelles
Wachstum.
Knorpelwachstum erfolgt somit auf 2 Arten: in jüngeren Entwicklungs-
stadien interstitiell und im reifen Knorpel sowie bei der Knorpelregeneration
appositionell.
Die Chondrozyten liegen gewöhnlich in kleinen Gruppen in einer sog. Knor-
pelhöhle, die von einer Zone faserfreier Grundsubstanz umgeben ist. Durch die-
se Anordnung entstehen Zellnester, die man als Chondrone bezeichnet. Knorpel-
gewebe ist im ausdifferenzierten Zustand relativ inaktiv (bradytroph). Dies wird
besonders deutlich, weil keine Blutgefäße vorhanden sind. Die Ernährung erfolgt
3 Knorpelarten über Diffusion.
• Hyaliner Knorpel Aufgrund morphologischer Unterschiede, die den Gehalt an Fasern und
• Elastischer Knorpel Knorpelgrundsubstanz betreffen, lassen sich 3 Knorpelarten unterscheiden
• Faserknorpel (Abb. 3-14a-c).
Knorpelgewebe · Kapitel 3 · Histologie 65

Faserknorpel

8 b c
Knorpelzelle Knorpelhof Knorpelzelle Knorpelhof
Knorpelkapsel
Kollagenfasern elastische Fasem Knorpelkapsel
Interterritorialsubstanz

Abb. 3-14a-c.
a Hyaliner Knorpel: Die Chondrozyten liegen in einer Knorpelkapsel und sind von einer starken Konzentration an Chondroitinschwefelsäure
umgeben, die als Knorpelhof bezeichnet wird. Die Region zwischen den einzelnen Chondronen wird Interterritorialsubstanz genannt.
Durch die Menge der Chondroitinschwefelsäure sind die in großer Menge vorhandenen Kollagenfasern nicht sichtbar (sie sind maskiert),
b Faserknorpel mit wenig Chondroitinschwefelsäure, sodass die Kollagenfasern nicht maskiert, d. h. sichtbar sind, c elastischer Knorpel:
hier sind die Kollagenfasern durch Chondroitinschwefelsäure maskiert, die zusätzli ch vorhandenen elastischen Fasern jedoch nicht

3.4.1 Hyaliner Knorpel

Der hyaline Knorpel ist von den 3 Knorpelarten am häufigsten vorhanden. So Hyaliner Knorpel:
bestehen z. B. die Gelenkenden, die Rippenknorpel und das Knorpelgerüst von kommt am häufigsten vor, z. B. Gelenk-
Nase und Luftröhre aus hyalinem Knorpel. Außer an den Gelenkknorpeln ist der enden, Rippenknorpel, Nase, Luftröhre
hyaline Knorpel überall im Körper von Perichondrium überzogen. Im hyalinen
Knorpel sind die Kollagenfasern weder im frischen noch im gefärbten Zustand
sichtbar, da sie durch das vorhandene Chondroitinsulfat in der Grundsubstanz
maskiert sind.

3.4.2 Elastischer Knorpel

Der elastische Knorpel kommt nur an sehr wenigen Orten im Körper vor. Ohr- Elastischer Knorpel:
knorpel, verschiedene Teile des Kehlkopfes sowie Teile der kleinsten Bronchien kommt selten vor, z. 8. Kehlkopf, Ohr-
sind aus elastischem Knorpel aufgebaut. Die Zellen des elastischen Knorpels un- knorpel
terscheiden sich kaum von denen des hyalinen Knorpels. In der Grundsubstanz
sind ebenfalls maskierte Kollagenfasern vorhanden, zusätzlich auch elastische
Fasern, die sowohl im gefärbten als auch im ungefärbten Zustand deutlich sicht-
bar sind.

3.4.3 Faserknorpel

Der Faserknorpel ist ebenfalls relativ selten. Er kommt an den Gelenken des Faserknorpel:
Schlüsselbeins und des Kiefers sowie in der Schambeinfuge und in den Zwi- kommt selten vor, z. ß. Gelenke des
schenwirbelscheiben vor. Bei dieser Knorpelart ist relativ wenig Chondroitin- Schlüsselbeines, Kiefers, Schambeinfuge
66

sulfat im Interzellularraum vorhanden, sodass die Kollagenfasern nicht maskiert


sind, sondern deutlich sichtbar. Daher hat der Knorpel seinen Namen: Faser-
knorpel.

3.5 Knochen

3.5.1 Bestandteile des Knochens

Knochen entsteht ebenfalls aus embryonalem Bindegewebe, dem Mesenchym.


Zusammen mit dem Zahnbein, dem Dentin, ist der Knochen das am höchsten
differenzierte Stützgewebe. Die Festigkeit des Knochens gegen Druck, Zug, Bie-
gung und Torsion beruht auf der Einlagerung von anorganischen Bestandteilen
in die organische Interzellularsubstanz. Es handelt sich hierbei in erster Linie um
[ Caw(PO 4 ) 6 ( OH),), das in kristalliner Form als Hydroxylapatit vorliegt. Daneben
kommen noch verschiedene andere Substanzen vor, wie Magnesiumbikarbonat,
Kalziumkarbonat etc. Die chemische Analyse des Knochens ergibt folgende
Werte:
Zusammensetzung o 65% anorganische Bestandteile,

von Knochengewebe o 25% organische Bestandteile,

• 65% anorg<mische Bestandteile o 10% Wasser.

• 25% organische Bestandteile


• 10% Wasser Knochen stellt den größten Speicher des Körpers für Kalzium und Phosphat dar,
deren Ein- und Abbau in die Knochen durch Hormone geregelt wird (s. Kap. 12).
Ein Ab- und Umbau der Knochensubstanz ist ein durchaus normaler Vorgang,
der konstant abläuft. Es handelt sich hierbei um ein Fließgleichgewicht Ver-
schiebt sich das Gleichgewicht auf die Seite des Abbaus oder Anbaus, kommt es
zu pathologischen Veränderungen. Die organischen Anteile der Interzellularsub-
amorph stanz des Knochens bestehen zu 95% aus Kollagenfasern. Diese sind unbedingt
ohne Gestalt, gestaltlos nötig, da an ihnen die Hydroxylapatitkristalle abgelagert werden. Der Rest der
(morphe: griech. Gestalt; a: ohne) organischen Interzellularsubstanz besteht aus amorpher Grundsubstanz.
Die zellulären Elemente des Knochengewebes, die Osteozyten, liegen in Aus-
Osteozyten: sparungen der Interzellula rsubstanz, die m an Knochenhöhlen oder auch Laku-
ln Knochensubstanz eingemauerte nen ne nnt. Die Osteozyten sind flache Zellen, deren nach allen Richtungen aus-
typische Zellart des Knochengewebes strahlende Zellausläufer mit den anderen Osteozyten in Kontakt treten. Die Zell-
ausläufer liegen in feinen Knochenkanälchen. Die Ernährung der Zellen erfolgt
durch Kontakt der Zellen untereinander und über Spalträume, die vorhanden
sind, da die Zellen die Lakunen nicht immer vollständig ausfüllen.

Knochenarten 3.5.2 Knochenarten


• Geflechtknochen
• Lamellenknochen Aufgrund der Anordnung der Kollagenfibrillen unterscheidet man 2 verschie-
dene Arten von Knochen.

Geflechtknochen
In Geflechtknochen sind die Kollagenfasern nicht speziell zu den ernährenden
Gefäßen orientiert. Diese Art des Knochens kommt beim Menschen während der
Knochenentwicklung, der Heilung sowie an bestimmten Stellen des Schädel-
knochens vor. Während der Knochenentwicklung wird zuerst Geflechtknochen
Knochen · Kapitel 3 · Histologie 67

gebildet, der in den ersten Lebensjahren durch den höher strukturierten Lamel-
lenknochen ersetzt wird.

Lamellenknochen
Der Lamellenknochen ist durch einen schalenartigen Aufbau parallel verlau-
fender Kollagenfaserbündel mit einer entsprechenden Ausrichtung der daran
abgelagerten Hydroxylapatitkristalle charakterisiert.
Die einzelnen Schichten oder Schalen bestehen aus 3-10 11m dicken Lamellen,
die konzentriert um die ernährenden Blutgefäße ausgerichtet sind. Die Verlaufs-
richtung der Fasern einzelner Lamellen wechselt. Zwischen den einzelnen La-
mellen bestehen Verbindungen, die helfen, den Knochen weiter zu festigen. In
den Lakunen zwischen den Lamellen liegen die Osteozyten.
Die Struktur des Lamellenknochens wird am deutlichsten in den Wänden der Struktur von lamellenknochen:
Röhrenknochen, in der Kompakta: Wir unterscheiden an diesen Knochen eine • Periost {Knochenh<tut)
außen liegende Knochenhaut, das Periost; folgend die Wand des Knochens, die • Kompakta {Knochenwand)
Kompakta, die in ein System von Knochenbälkchen, der Spongiosa, übergeht • Spongios<t {Knochenbälkchen)
(Abb. 3-15).
Direkt unter dem Periost liegen eine oder mehrere äußere Generallamellen, Lamellenarten:
denen sich in der mittleren Kompaktaschicht sog. Speziallamellen anschließen. • Generallamellen
Mehrere dieser Speziallamellen, die sich um einen zentralen Kanal anordnen, in • Speziallamellen {z. B. Osteon)
dem innerhalb des Bindegewebes ein versorgendes Gefäß liegt, werden Osteon • Schaltlamellen
genannt (Abb. 3-16). Im Zentrum des Osteons befindet sich der Havers-Kanal. In
ihm liegen neben dem versorgenden Gefäß auch Nerven. Von diesem Havers-
Kanal aus erfolgt mittels Diffusion die Versorgung der Osteozyten. Die Lücken
zwischen den einzelnen Osteonen sind durch Schaltlamellen ausgefüllt. Es

Abb. 3-15.
Detail der Kompakta eines Röhren-
knochens. Die Baueinheit des Lamellen-
- Osteon (Havers·System)
knochens ist das Osteon, in dem Spezial-
lamellen um das zentrale Havers-Gefäß
in konzentrischen Schichten verlaufen
Innere
Generallamellen äußere Generallamellen (auf dem linken herausragenden Osteon
eingezeichnet). Die querverlaufenden
versorgenden Kanälchen enthalten
die Volkmann-Gefäße. Zwischen
den Osteonen verbleibende Reste
Volkmann-Kanal von ehemaligen Osteonen werden
als Schaltlamellen bezeichnet. Innen und
außen befinden sich jeweils die General-
lamellen. Die innere Generallamelle ist
stellenweise noch von einer dünnen
Epithelschicht überzogen, dem Endost.
Die eingemauerten Osteozyten liegen
mit ihren Ausläufern zwischen einzelnen
Endost
Spezial- bzw. Schaltlamellen
68

Abb. 3-16.
Schnitt durch ein Osteon. Im Zentrum
liegt der Havers-Kanal, in dem beim
lebenden Knochen das Havers-Gefäß
verläuft. Gegeneinander sind die Osteone
durch Kittsubstanz abgegrenzt. Jeweils Speziallamellen
Kittsubstanz
an der Grenze
an der Grenzlinie zwischen den Spezial- der Osteone
lamellen liegen die eingemauerten
Osteozyten. Die Bereiche zwischen
den Osteonen sind durch Schaltlamellen
gefüllt

bung durch Kittstreifen (oder Zementlinien) ab. Dies ist amorphe Grundsub-
stanz, in die wenig oder kein Hydroxylapatit eingelagert ist. Die Versorgung der
Blutgefäße in den Zentralkanälchen erfolgt aus größeren Gefäßen, die - vom Pe-
riost ausgehend - durch quergerichtete (d. h. radiär verlaufende) Versorgungs-
kanäle verlaufen, die Volkmann-Kanäle. Es sind also 2 Arten der Versorgungs-
Versorgungskanäle im Knochen: riost ausgehend - durch quergerichtete (d. h. radiär verlaufende) Versorgungs-
• Havers-Kanäle kanäle verlaufen, die Volkmann-Kanäle. Es sind also 2 Arten der Versorgungs-
• Volkmann-Kanäle kanäle im Knochen vorhanden:
• Havers-Kanäle,
• Volkmann-Kanäle.

Spongiosa: Als Spongiosa wird ein Schwammwerk feiner Knochenbälkchen bezeichnet, in


• Knochenbälkchen mit Knochenmark dessen Maschen sich das blutbildende (rote) Knochenmark befindet. Die Spon-
zur Blutbildung giosabälkchen sind aus Schaltlamellen aufgebaut. Im Schaft der langen Röhren-
knochen fehlt die Spongiosa. Dort befindet sich beim Erwachsenen die Mark-
höhle mit dem Fettmark. Fettmark ist gelbes Knochenmark, das - im Gegensatz
zum roten - kein Blut mehr bildet.

3.5.3 Knochenentwicklung

Desmale Ossifikation: Während der Knochenentwicklung entsteht Knochen durch direkte (desmale)
Direkte Verknöcherung, bei der sich oder indirekte (chondrale) Verknöcherung (Ossifikation). In beiden Fällen wird
Mesenchymzellen zu Osteoblasten zuerst Geflechtknochen angelegt, der mit wenigen Ausnahmen später durch
differenzieren Lamellenknochen ersetzt wird.
Bei der desmalen (direkten) Ossifikation differenzieren sich Mesenchymzel-
len zu Osteoblasten (Knochenbildungszellen), die zunächst eine unverkalkte
Grund- oder Interzellularsubstanz ausscheiden. Diese Interzellularsubstanz
nennt man Osteoid. Durch vermehrte Ausscheidung von Osteoid mauern sich die
Osteoblasten selbst ein und werden damit zu Osteozyten. Durch allmähliche Ein-
Knochen · Kapitel 3 · Histologie 69

Iagerung von Kalksalzen (Hydroxylapatit) wird das Osteoid schließlich zu Kno-


chen. Durch die desmale Ossifikation entwickeln sich die Deckknochen des Schä-
deldachs und des Gesichts sowie die Schlüsselbeinknochen.
Bei der chondralen Ossifikation entsteht zunächst aus dem Mesenchym ein Chondrale Ossifikation:
vorgeformtes Modell des späteren Knochens aus hyalinem Knorpel. Der Knorpel Indirekte Verknöcherung, bei der zunächst
wird anschließend abgebaut und in gleichem Umfang durch Knochen ersetzt. Die aus dem Mesenchym ein vorgeformtes
Verknöcherung des Knorpels nimmt ihren Ausgang von Ossifikationszentren Modell des späteren Knochens
(Verknöcherungszentren), die zu genau bestimmten Zeitpunkten auftreten. Da- aus hyalinem Knorpel entsteht
durch lässt sich das Alter eines Kindes oder eines Fetus mit Röntgenaufnahmen
bestimmen. Der Ersatz von ursprünglich knorpeligen Skelettstücken erfolgt teil-
weise von innen und teilweise von außen. Dementsprechend unterscheidet man
2 Arten der chondralen Ossifikation:
• enchondrale Ossifikation,
• perichondrale Ossifikation.

Bei der perichondralen Ossifikation entsteht der Knochen aus dem Perichon-
drium der knorpelig vorgebildeten Röhrenknochen. Bei der enchondralen Ossi-
fikation entsteht der Knochen durch eine Umwandlung der Knorpelstücke, die
von innen heraus erfolgt. An Röhrenknochen unterscheidet man den Schaft
(Diaphyse) von den Gelenkenden (Epiphysen).
Zwischen Diaphyse und Epiphyse befindet sich beim Jugendlichen der Epiphysenfuge
Epiphysenknorpel (Epiphysenfuge, der die Zone des Längenwachstums der Röh- Wachstumszone der Röhrenknochen
renknochen darstellt. Diese Epiphysenfuge bleibt bis zum Abschluss des Längen-
wachstums (21.-23. Lebensjahr) offen, d. h. sie besteht zunächst aus Knorpel, der
nach Abschluss des Wachstums durch Knochen ersetzt wird.

Abb.3-17.

organellenfreier
Mehrkerniger Ostecklast in einer
Zytoplasmasaum Abbauzone des Knochens. ln der rauen
Basalregion ist die Zelloberfläche durch
Zellausläufer vergrößert, damit der Ostec-
Hydroxylapatit·
kristaUe ~--~t ':\'~~\
klast eine größere Aktivität entfalten kann.
Hier werden abbauende Enzyme tätig,
um die Knochensubstanz aufzulösen
Verdauungs·
vakuolen - - - -

raue Basalregion
(durch Ausslulpungen
vergrößerte Zeltbasis)

Zellkern
70

3.5.4 Osteoklasten

Aktivität der Osteoklasten: Damit der Knochen während des Wachstums durch ständigen Anbau nicht zu
Um- und Abbau des Knochens durch schwer wird und damit der Geflechtknochen in Lamellenknochen umgebaut
Auflösung der Knochensubstanz werden kann, existiert ein System von Zellen zum Knochenabbau. Dies sind die
Osteoklasten, mehrkernige Riesenzellen (Abb. 3-17).
Sie sind mit Enzymen und Substanzen ausgestattet, durch die die Knochen-
substanz aufgelöst werden kann. Osteoklasten können bis zu 100 11m groß sein.
Ein einzelner Osteoklast ist in der Lage, das abzubauen, was wo Osteoblasten
aufbauen. So können z. B. während des Wachstums die Osteoklasten von innen
abbauen und gleichzeitig die Osteoblasten von außen aufbauen, sodass es zwar
zu einer Vergrößerung des Knochendurchmessers kommt, aber nicht zu einer
entsprechenden Verstärkung der Wanddicke. Osteoklasten sind zeitlebens an den
Um- und Abbauvorgängen beteiligt. Zusammen mit den ebenfalls zeitlebens ak-
tiven Osteoblasten sind sie für die Dynamik des Knochens verantwortlich.

3.5.5 Regeneration des Knochens

Kallusbildung durch Vermehrung Nach einem Knochenbruch (Knochenfraktur) bildet sich ein Bluterguss (Frak-
der Bindegewebszellen aus Periost, turhämatom). Dabei vermehren sich Bindegewebszellen aus Periost (Knochen-
Endost und Knochenmark haut), Endost (innere Knochenhaut) und Knochenmark und bilden zunächst den
faserknorpeligen Kallus (Callus =Schwiele).
Anschließend werden aus dem Endost und dem Periost Osteoblasten ge-
bildet. Diese wandeln den faserknorpeligen Kallus in knöchernen Kallus um. Die
Umbildung ist nach 4-6 Wochen abgeschlossen. Bei guter Fixation der Bruch-
enden, die perfekt nur durch Verschraubung (Osteosynthese) erreicht werden
kann, kommt es nicht zur Kallusbildung, sondern zur primären Knochenbruch-
heilung durch Ineinanderverwachsen der Osteone der Kompakta (Abb. 3-18).

Abb. 3-18a-d. perfekt fixlene Bruchenden

Heilung von Knochenb rüchen; in a sind


die Bruchenden perfekt fixiert, es kommt
nicht zur Kallusbildung, in b sind die
Bruchenden schlecht fixiert, u nd es
kommt zunächst zur Bildung von faser- Kallusknochen fertig verknöchener
(Verknöcherung des Knorpels) Kallusknochen
knorpeligem Kallus, der anschließend ver- a
knöchert. An dem dabei gebildeten Wu lst
von Kallusknochen kann später d ie Bruch-
stelle immer noch identifiziert werden
(c,d)

b Kallus aus Faserknorpel c d


Muskelgewebe · Kapitel 3 · Histologie 71

3.5.6 Knochenumbau

Für die Aufrechterhaltung der inneren Struktur des Knochens ist eine dauernde
ausgewogene Belastung und eine entsprechende Ernährung notwendig. Ändern
sich diese, erfolgt ein Umbau des Knochens mit dem Ziel, sich den neuen Bedin-
gungen anzupassen.

Durch konstanten Druck wird der Knochen abgebaut. An Stellen, an denen der Einfluss von Druck und Zug auf den
Knochen Zug ausgesetzt ist, wird Knochen angebaut. Damit der im Skelett wirk- Knochen: Langandauernder Druck baut
same Druck, z. B. durch Gehen, Stehen etc., nicht allzugroß wird und in einem Knochen ab. Die Spongiosa im Knochen
Knochenabbau resultiert, ist in den Knochen die Spongiosa so angeordnet, dass kann Druck in Zug umformen
sie in der Lage ist, den Druck in Zug umzuformen. Die Fähigkeit des Knochens,
sich den Belastungen durch Umbau anzupassen, wird therapeutisch genutzt, z. B.
bei der Zahnregulierung.
Hier wird durch dauernden Druck ein Umbau des Knochens in den Kiefer- Kieferalveolen
alveolen erreicht, sodass die Zähne im Laufe der Zeit ihre Stellung ändern. Zahn- Zahnfächer im Kiefer
bein (Dentin) und Zahnschmelz sind prinzipiell ähnlich zusammengesetzt wie
Knochen. Sie unterscheiden sich jedoch in den Mengenverhältnissen von Wasser,
organischer und anorganischer Substanz.

3.6 Muskelgewebe

Mit Ausnahme von Bewegungen auf molekularer Ebene sowie der verschiedenen 3 Arten von Muskelgewebe
transmembranalen Transporte findet Bewegung im Körper ausschließlich durch • Glatte Muskulatur
die Kontraktion von Proteinfäden statt. Kontraktilität ist das hervorstechendste • Skelenmuskulatur
Merkmal der Gewebeart, die in der Umgangssprache als Fleisch und mit dem • Herzmuskulatur
Fachausdruck als Muskulatur bezeichnet wird. Im Körper des Menschen kom-
men 3 verschiedene Arten von Muskelgewebe vor, deren gemeinsames Merkmal
kontraktile Proteinfäden (Myofilamente) sind: glatte Muskulatur, Skelettmus-
kulatur, Herzmuskulatur.
Herz- und Skelettmuskulatur besitzen eine charakteristische Querstreifung,
die bereits im Lichtmikroskop sichtbar ist. Hervorgerufen wird diese Querstrei-
fung durch eine spezielle Anordnung der kontraktilen Proteinfäden. In der glat-
ten Muskulatur fehlt diese Querstreifung.

Die Skelettmuskulatur ist der Willkürmotorik unterworfen; Herzmuskulatur und


glatte Muskulatur hingegen nicht. Quergestreifte Muskulatur ist zu schnellen
Kontraktionen, glatte Muskulatur nur zu langsamen Kontraktionen befähigt.

3.6.1 Glatte Muskulatur

Glatte Muskulatur ist aus langgestreckten spindeiförmigen Zellen aufgebaut, die


eine Länge von 40-200 flm (in der Gebärmutter kurz vor der Geburt bis 500 f.Lm)
und eine Dicke von 4-20 f.Lm aufweisen. Das glatte Muskelgewebe bildet den
größten Teil der Wand von Eingeweideschläuchen und Hohlorganen: Darm,
Gallenblase, harnableitende Wege, Gebärmutter, Scheide, Blutgefäße etc. Außer-
dem kommt glatte Muskulatur an der Haarwurzel, den Drüsen (myoepitheliale
Zellen) sowie locker verteilt im Bindegewebe verschiedener Organe vor.
72

Abb. 3-19. Myosin


r=-1
Schematische Darstellung von 3 Aktin-
filamenten und einem Myosinfilament.
Das Akti n baut sich aus kugeligen Einzel- Tropomyosin
proteinen auf, zwischen denen Trope-
myosin- und Troponinmoleküle verlaufen.
Am Myosin sitzen häkchenartige Köpf-
chen, die sich unter Energieverbrauch mit _ Troponin-
dem Aktin von Punkt zu Punkt verbinden molekül

können und damit die Aktinfilamente ....... • •


immer weiter zwischen die Myosin-
filamente schieben. Das Resultat dieses
lneinanderschiebens ist eine Verkürzung
des Muskels \

Muskelfilamente Myofilamente: Untersuchungen haben gezeigt, dass die kontraktilen Proteine aller Muskel-
Aktin und Myosin arten Aktin- und Myosinfilamente sind. Tropemyosin und Troponin als Regu-
latorproteine liegen in den Molekülketten des Aktins (Abb. 3-19).
M erkmale glatte r Muskulatur: In der glatten Muskulatur überwiegt die dünnere Art dieser Proteinfäden, das
• Überwiegend Aktinfäden Aktin, d. h., es kommt weniger Myosin als Aktin vor. Beide Myofilamentarten
• Länglicher Zellkern sind in der Längsrichtung der Zellen angeordnet. Im Zentrum der Zellen ist ein
• Fähigkeit , Tonus aufrechtzuerh alten länglicher Zellkern vorhanden, der sich bei Kontraktionen der Muskelzellen in
• Innervation über das vegetati ve~ Falten legen kann oder korkenzieherartig spiralisiert wird. An der Oberfläche der
unw illkürliche Nervensystem glatten Muskelzellen sitzen retikuläre Fasern, die zusammen mit Bindegewebs-
zellen für einen besseren Zusammenhalt des Gewebes sorgen. Zellkontakte und
Verzahnungen der Zellen untereinander sind häufig vorhanden und dienen
ebenfalls der Stabilisierung des Zellverbandes (Abb. 3-20). Anders als die Herz-
und Skelettmuskulatur ist die glatte Muskulatur b efähigt, über längere Zeit in
verschiedenen Kontraktionszuständen zu verharren, ohne zu ermüden. Damit ist
sie in der Lage, einen Tonus (Spannungszustand), z. B. in der Wand eines Hohl-
organes, aufrechtzuerhalten. Umgekehrt besitzt die glatte Muskulatur eine gewis-
se Plastizität; sie kann gedehnt werden, ohne dass die Spannung erhöht wird.
Eine wichtige Ausnahme bildet hierbei die glatte Muskulatur in den Gefäß-
wänden, die praktisch immer auf eine Dehnung mit Kontraktionen reagiert (dies
ist eine der Grundlagen für die Blutdruckregulation).
innerviert mit Nervenfasern versorgt Die glatte Muskulatur wird über das vegetative Nervensystem innerviert,
Antagonist Gegenspieler wobei meist ein Antagonismus zwischen Sympathikus und Parasympathikus
(s. Abschn. 5.14.3) b esteht.
Merkmale quergestreifter

Skelettmu skulatur: 3.6.2 Quergestreifte Skelettmuskulatur


• Aufbau au s Muskelfasern
• Muskelfaser als vielkernige Zelle Die Muskulatur des Bewegungsapparates besteht aus quergestreiften Muskel-
• Sarkomeremit 1- und A-Streifen zellen. Skelettmuskulatur wird sie deshalb genannt, weil die meisten Muskeln
• Innervat ion über das zentrale, am Skelett ansetzen oder vom Skelett entspringen. Die kleinste Baueinheit
w illkürliche Nerven syst em des Skelettmuskels ist die Muskelfaser.
Muskelgewebe · Kapitel 3 · Histologie 73

Abb. 3-20.
Detailszweier glatter Muskelzellen. ln der
glatten Muskulatur sind die Aktin- und
Myosinfilamente nicht streng geordnet.
Sie verlaufen aber meist in der Längs-
richtung der Zellen, die sich durch Inein-
... -
J.-fl, ·-
anderschieben der Filamente verkürzen
•~r·. können
. ' ,!.;_. --
I ._ .·
.. .
'p

•"''

.
t -. ~

- ~·
.- ..
•'
+

Golgi-Apparat
I
..
•• :

Die Muskelfasern können bis zu 15 cm lang sein. Ihre Dicke liegt zwischen 10 und
100 Jlm. Bei der Muskelfaser handelt es sich um eine vielkernige Zelle (bis zu mehre-
ren Tausend Zellkerne), deren Zellkerne immer am Rande direkt unter der Zell-
membran liegen. Der Hauptanteil des Zytoplasmas wird von Myofibrillen ausgefüllt.
Myofibrillen verlaufen über die gesamte Länge einer Muskelfaser. Sie sind aus
einzelnen Sarkomeren aufgebaut. Innerhalb eines Sarkomers sind heile und Sarkomeremit I-Streifen und A-Streifen,
dunkle Streifen vorhanden, die durch die Anordnung der Aktin- und Myosin- die durch die Anordnung der Aktin-
filamente entstehen (Abb. 3-21). Diese Streifen sind die Grundlage für die Be- und Myosinfilamente entstehen.
zeichnung dieser Muskelfasern: quergestreift. Man unterscheidet helle I-Streifen Z-Streifen begrenzen diese und bilden
(sog. isotrope Streifen), die durch die Aktinfilamente gebildet werden, von dunk- die Myofibri llen
len A-Streifen (sog. anisotrope Streifen), die durch die Myosinfilamente gebildet
werden. Die Sarkomere werden von Z-Streifen (sog. Zwischenstreifen) begrenzt.
An den Z-Streifen sind von beiden Seiten die Aktinfilamente befestigt. Zwi-
schen die Aktinfilamente tauchen die Myosinfilamente hinein. So ist ein Myosin-
filament jeweils von 6 Aktinfilamenten umgeben. Durch Binden der Myosin-
köpfchen mit den Aktinfilamenten, darauffolgendes Abknicken der Myosinköpf-
chen und anschließendes Lösen (ein mehrfach wiederholter Vorgang) kommt es
zu einer Verkürzung der Muskelfaser (Abb. 3- 22a, b ). Die Myofibrillen reichen
von einem Ende der Muskelfaser zum anderen, sie sind aus vielen Hunderten bis
Tausenden von Sarkomeren aufgebaut. Zwischen den Myofibrillen liegen Mito-
chondrien sowie Glykogen (als Energiereserve). RER (raues endoplasmatisches
Retikulum) ist nur sehr wenig vorhanden. Dadurch ist der Muskel nicht in der
Lage, größere Mengen an Protein zu synthetisieren, was sich z. B. bei einer Verlet-
zung darin zeigt, dass die verletzte Stelle im Muskellediglich durch eine bindege-
webige Narbe verschlossen wird und nicht durch Muskelfasern.
74

Abb. 3-21 . Aufbau des Skelettmuskels


Darstellung des Skelettmuskels: vom
Muskelfaserbündel des M. deltoideus,
MuskelfaserbOndei
I
... -...

..•:,..
in dem viele einzelne Muskelfasern ......... -~- ---
(mehrkernige Baueinheiten des I 0

Skelettmuskels) zusammengefasst sind, c: I

Ober die Myofibrille (Funktionseinheit ~ Muskelfaser

des Skelettmuskels) bis hin zum Sarkom er,


der mit seinen Myofilamenten, Aktin und
Myosin, die Grundlage der Querstreifung
darstellt. Die in den Kästchen gezeigten Myofibrille

Ausschnitte sind jeweils stärker vergrößert Zellkern direkt unter


im nächsten Bild dargestellt dem Plasmalamm

-.- Sarkomer


Aktinfilament Myosinfilament

Sarkomer gedehnt
Abb. 3-22a, b. Z·Streifen Z-Streifen
Die Myofibrillen sind aus einzelnen Aktin Aktin

Sarkomeren aufgebaut. Ein Sarkomer


reicht von Z-Streifen zu Z-Streifen.
An den Z-Streifen sind die Aktinfilamente
befestigt. ln dem Bereich, in dem lediglich
Aktinfilamente vorkommen, liegt der
I-Streifen (isotrop); dort wo Aktin- und
Myosinfilamente gemeinsam vorkommen,
II
a I-Streifen (isotrop) A-Streilen (anisotrop)
sind die anisotropen A-Streifen.
Sarkomer kontrahiert
Bei einem gedehnten Sarkomer (a) sind
die I-Streifen relativ breit, bei einem
kontrahierten Sarkomer (b) relativ schmal

b I-Streifen A·Streilen (anisotrop)


Muskelgewebe · Kapitel3 · Histologie 75

Jede einzelne Muskelfaser ist vo n einer zarten Bindegewebehülle umgeben,


dem Endomysium. Das Endomysium geht über in das Perimysium, das auf der
einen Seite mehrere Muskelfasern zu Bündeln zusammenfasst und auf der
anderen Seite Gefäße und Nerven führt, die ins Innere der Muskeln eindringen.
Der Muskel selbst wird von einer derben bindegewebigen Faszie umgeben.
Die Muskeln sind nicht direkt am Skelett befestigt, sondern inserieren über
Sehnen am Knochen. Am Ort der Sehnenbefestigung bilden die Muskelfasern
fingerförmige Einstülpungen, in die sich die Sehnenfasern schieben, um schließ-
lich mit dem Endomysium Verbindungen einzugehen. Die retikulären Fasern des
Endomysiums setzen sich in den Sehnen fort.
Im Skelettmuskellassen sich verschiedene Muskelfasertypen unterscheiden, Muskelfasertypen abhängig vom
z. B. helle und dunkle (weiß und rot). Diese Farbdifferenz der einzelnen Faser- Myoglobingehalt:
typen entsteht durch einen unterschiedlichen Gehalt an Muskelfarbstoff, dem • helle: wenig Myog lobin, schnelle,
Myoglobin. Myoglobin ist ähnlich aufgebaut wie das Hämoglobin (roter Blutfa rb- kurzfristige Kont raktion
stoff) und hat ähnliche Aufgaben. Es bindet Sauerstoff reversibel und bildet so • dunkle: viel Myoglobin, langandauernde
eine kleine Sauerstoffreserve für die Muskelfasern. Die hellen Fasertypen enthal- kräftige Kontraktion
ten wenig Myoglobin und kontrahieren schnell, sind aber nicht für langdauernde
Arbeit geeignet. Die dunklen Fasertypen enthalten viel Myoglobin, kontrahieren
relativ langsam, sind dafür aber zu langandauernder kräftiger Kontraktion be-
fähigt.

3.6.3 Herzmuskulatur

Das Muskelgewebe des Herzens unterscheidet sich deutlich von der Skelettmus- Merkmale der Herzmuskulatur
kulatur und von der glatten Muskulatur. Auf der einen Seite unterliegt das Herz- • Querstrei fung, jedoch Aufbau aus
muskelgewebe nicht der Willkürmotorik (wie die glatte Muskulatur), auf der an- Einzelzellen
deren Seite weist es eine Querstreifung auf (wie die Skelettmuskulatur). • Herzmuskelzellen aus 3-dimensionalem
Im Unterschied zur Skelettmuskulatur sind die kleinsten Funktionseinheiten verzweigten Netz mit zahlreichen
des Herzens nicht vielkernige Muskelfasern sondern Einzelzellen . Ihre Kerne Mitochrondrien
liegen nicht direkt unter der Zellmembran, sondern im Zentrum der Zellen • Glanzstreifen
(Abb. 3-23). Ein weiterer Unterschied zum Skelettmuskel besteht darin, dass die • Innervation über vegetatives,
Skelettmuskulatur aus unverzweigten Fasern besteht, während die Herzmuskel- unwi ll kürliches Nervensystem
zellen ein 3-dimensionales verzweigtes Netz bilden . Außerdem ist die Herzmus-
kelzelle reicher an Organellen, v. a. Mitochondrien, was für die Dauerbelastung
durch ständige Kontraktionen notwendig ist. Mit zunehmendem Alter werden in
den Herzmuskelzellen LipofuszingranuJa eingelagert (s. Abschn. 2.3.6). Lipofus-
zin ist ein Alterspigment, das aber offensichtlich die Funktion der Herzmuskel-
zellen nicht wesentl ich beeinträchtigt.
Ein besonders charakteristisches Merkmal der Herzmuskulatur sind Glanz- Glanzstreifen: Spezielle Zellkontaktzonen,
streifen (Disci intercalares). Dies sind spezielle Zellkontaktzonen, in denen die in denen die einzelnen Herzmuskelzellen
einzelnen Herzmuskelzellen End-zu-End miteinander verbunden sind. Durch End-zu-End mi teinander verbunden sind
diese Glanzstreifen wird das Gewebe des Herzmuskels in relativ kleine Zellen
unterteilt, von denen jede ihren eigenen Zellkern hat (im Unterschied zu den
Skelettmuskelzellen). Gelegentlich kann es vorkommen, dass in einer Zelle 2 Zell-
kerne liegen. Direkt um den Zellkern sind die übrigen Organellen angeord-
net, die nicht direkt mit der Kontraktion und der Energiegewinnung in Verbin-
dung stehen. Die Myofibrillen setzen an den Glanzstreifen auf der Zellinnenseite
an.
76
-,
.. •
Abb. 3-23. llpofuszin

Herzmuskelzelle mit zentralem Zellkern.


Zellkern
Der Glanzstreifen (Discus intercalaris)
besitzt eine zapfenartige Region für den
mechanischen Kontakt der einzelnen ".
Herzmuskelzellen untereinander und eine
' .
glatte Region, die der Ausbreitung der
Erregung von einer Zelle zur anderen Zelle
dient. Die Z-Streifen der einzelnen Kollagen Typ 111

Myofibrillen liegen meist auf gleicher


Höhe; die Sarkomere reichen von Mitochondrien

Z-Streifen zu Z-Streifen. Das endo-


plasmatische Retikulum der Muskelzellen
wird als sarkoplasmatisches Retikulum
bezeichnet

.;,-

..
Teil fUr die Erregungs-
ausbreitung (Nexus) ..-
I mechanischer Teil

Glanzsireilen (Discus intercalaris)


·.

Die Glanzstreifen sind nicht nur die Zonen der Zellkontakte, die für die Mus-
kelkontraktion nötig sind, sondern sie sind u . a. wichtig für die Ausbreitung der
Erregung über den ganzen Herzmuskel.
Andere zusätzliche und wichtige Strukturen fü r die Erregungsverarbeitung
sind die Erregungsleitungsfasern (z.B. Purkinje-Faser; ausführlich dazu s. Ab-
sehn. 7.1.8).

3.7 Nervengewebe

Die Fähigkeit, durch einen passenden Reiz erregt zu werden, besitzen grund-
sätzlich alle Zellen. Der Unterschied zwischen Nervenzellen und anderen Zellen
besteht darin, dass Nervenzellen in der Lage sind, Er regung rasch üb er weite
Strecken weiterzuleiten. Die Gesamtheit aller Zellen, die in der Lage sind, Reize
aufzunehmen, zu verarbeiten und weiterzuleiten, sind in 2 Systemen zusammen-
• Zentralnervensystem (ZNS): Gehirn und gefasst:
Rückenmark • Zentralnervensystem das aus dem Gehirn und dem Rückenmark
• Peripheres Nervensystem (PNS): geht besteht;
aus dem ZNS hervor • Peripheres Nervensystem das aus dem ZNS hervorgeht.
Nervengewebe · Kapitel 3 · Hist ologie 77

Sowohl das zentrale als auch das periphere Nervensystem sind aus Nervenzellen
und Glia aufgebaut. Die Nervenzellen haben die Aufgaben der Erregungsver-
arbeitung und -Ieitung, die Gliazellen haben eine dem Binde- und Stützgewebe
vergleichbare Funktion: Stofftransport, Ernährung, Isolierung, mechanischer
Schutz, Abwehr und Regeneration. Je nach Vorkommen der Glia spricht man von
zentraler (ZNS) oder peripherer (PNS) Glia (s. Abb. 3-23).

3.7.1 Nervenzellen

Das menschliche Nervensystem setzt sich aus ca. 30 Mrd. Nervenzellen zusam- Merkmale von Nervengewebe
men. Die Nervenzellen besitzen einen sehr hohen Grad der Differenzierung und • Einzelne Nervenzelle= Neuron
sind nicht mehr in der Lage, sich zu teilen. Dies wird dadurch deutlich, dass Ner- • Nervenzellen stark differenziert und
venzellen keine Zentriolen besitzen. Verletzungen sind deshalb meist von blei- ohne Zentriolen
bender Natur, da Nervengewebe nicht regenerieren kann. Lediglich Teile der pe- • Kaum regenerierbar nach Verletzungen
ripheren Nervenzellen können nach Verletzungen regenerieren. Das ZNS regene- • Schnelle Weiterleitung von Erregungs-
riert prinzipiell nicht. Deshalb ist im Verlaufe der Phylogenese das ZNS durch impulsen
knöcherne Strukturen geschützt worden (Schädelhöhle, Wirbelkanal).
Die kleinste Baueinheit des Nervensystems ist das Neuron, die einzelne Ner- Phylogenese:
venzelle (Abb. 3-24), an der 3 Anteile unterschieden werden. Entwicklung von niederen zu höheren
Dendriten sind Verzweigungen von Zellausläufern, die in der Lage sind, von Lebewesen
anderen Nervenzellen einen Impuls aufzunehmen und diesen in Richtung Zell-
körper weiterzuleiten. 3 Anteile am Neuron
Das Perikaryon (Soma, Zellkörper) ist das Stoffwechselzentrum der Nerven- • Dendrit
zelle. Es enthält den Zellkern und relativ viel RER, das lichtmik roskopisch schol- • Perikaryon oder Soma
lenartig aussieht, was ihm den Namen Nissi-Schollen eingetragen hat (Abb. 3-24 • Neurit oder Axon
u. Abb. 3-25). Außerdem liegt im Perikaryon eine größere Anzahl von Mikrotubu-
li, die hier in den Nervenzellen den Namen Neurofibrillen haben. Sie setzen sich
vom Perikaryon fort in den Neurit oder auch Axon genannt.
Das Axon ist ein langer fadenähnlicher Zellausläufer, der die Erregung vom
Zellkörper fortleitet, entweder auf eine andere Nervenzelle oder auf ein anderes

Abb. 3-24.
Lichtmikroskopisches Bild einer Nerven-
zelle. Die Erregung wird an den Dendriten
empfangen und läuft über den Zellleib
(Perikaryon) zum Neuriten. Dieser Neurit
ist (meist) von einer Myelinscheide um-
geben ~

....
J:_)
~
..,
Markscheide -
78

Organ. Das Axon beginnt in einer Nissl-Schollen-freien Zone, die Ursprungskegel


genannt wird.

3.7.2 Nervenfasern

Nervenfaser besteht aus Axon (Neurit) Eine Nervenfaser besteht aus einem Axon (Neurit) und einer Gliahülle. Im Zen-
und Gliahülle tralen Nervensystem wird diese Gliahülle von einem speziellen Zelltyp mit meh-
reren Zellausläufern gebildet, den Oligodendroglia-Zellen. Bei peripheren Ner-
venfasern ist das Axon von Ausläufern der Schwaon-Zellen umhüllt.
Im peripheren Nervensystem unterscheidet man 2 Arten von Gliahüllen:
• dünne marklose (unmyelinisierte) Fasern, die lediglich in Schwaon-Zellen ein-
gebettet sind;
• dicke markhaltige (myelinisierte) Nervenfasern, bei denen die Schwano-Zellen
sich viele Male mit ihren Ausläufern um das Axon gewickelt haben. Sie bilden
so eine Hülle aus Lipid und Protein um das Axon, die Myelinscheide (auch
Markscheide) genannt wird. Die Myelinscheide besteht aus wenigen bis sehr
vielen Wickelungen von Zellmembranen ohne dazwischen liegendes Zyto-
plasma.

Funktion der Myelinscheide: Für die Erregungsleitung ist das Vorhandensein einer Myelinscheide von großer
• Isolierung gegenüber Umwelt Bedeutung. Nervenfasern mit gut ausgebildeter Myelinscheide sind schnelllei-
• Ermöglicht saltatorische tend (bis zu 120 m/s), unmyelinisierte Ne rvenfasern dagegen leiten nur sehr lang-
Erregungsleitung sam, d. h. teilweise »nur« 0,5 m/s. Die Myelinscheide hat dabei 2 Funktionen: Sie

Abb. 3-25.
Dendriten
Elektronenmikroskopisches Bild eines
Nervenzellkörpers (Perikaryon). Die Nissi-
Schollen des lichtmikroskop ischen Bildes
Synapse
entsprechen dem endoplasmatischen
Retikulum (ER) des elektronen-mikroskopi- Mitochondrium
schen Bildes. Verschiedene Arten von
Synapsen (am Dendriten: axodendritisch,
am Perikaryon: axosomatisch, am Axon: Neurofilamente
axoaxonal) sind eingezeichnet mit Neurotubuti

Endoplasmatisches
Retikulum,
Nissi-Substanz

Synapse glattes ER

Neurit, Axon
Nervengewebe · Kapitel 3 · Histologie 79

isoliert das Axon gegenüber der Umwelt (elektrische Isolierung), und sie ermög-
licht eine saltatorische (sprunghafte) Erregungsleitung (s. Kap. 5, Nervensystem).
Die Schwaon-Zellen (im ZNS sind es d ie Oligodendrogl ia-Zellen) bilden an
den Orten, wo die Myelinscheide der einen Zelle aufhör t und die der nächsten
anfangt, sog. Ranvier-Schnürringe oder Ranvier- Knoten (s. Abb. 3-28 u. Abb. 3-29). Schnelle Erregungsleitung über Ranvier-
Bei der Erregungsleitung springt der elektrische Impuls von einem Ranvier-Kno- Schnürringe möglich
ten zum anderen, sodass die Ausbreitung schneller erfolgt.
Nervenzellen sind je nach Funktion und Ort ihres Vorkommens sehr unter-
schiedlich gebaut. Die kleinsten (Körnerzellen des Kleinhirns) sind nur ca.
4-5 f.Lm groß, die größten (Motoneurone des Rückenmarks) messen 120 f.Lm im
Durchmesser. Diese Größenangaben beziehen sich auf das Perikaryon. Das Axon
eines Neurons kann u. U. bis über 1 m und länger sein.

Klassifikation von Nervenzellen


Nervenzellen werden aufgrundder Anzahl und Art ihrer Zellausläufer klassifiziert. Klassifikation von Nervenzellen
ervenzellen , die nur ein Axon, aber keine Dendriten haben, s ind unipolar • Unipolar
(modifizierte NervenzeHen in Sinnesorganen, z. B. im Auge). Bipolar werden Ner- • Bipolar
venzellen genannt, bei denen ein Dendrit und ein Axon vo rhanden ist (z. B. im • Multipolar
Ganglionspirale des Oh rs). Pseudounipolar nenn t man Nervenzellen, bei de nen • Pseudounipolar
vom Perikaryon nur ein Fortsatz abgeht, der sich aber nach kurzem Verlauf
T-förmig aufteilt, wobei ein Ast an die Peripherie läuft, der andere ins Zentral-
nervensystem (z. B. im Spinalganglion). Diese Zellen sind ursprünglich bipolar
gewesen, die Anfangsst recken der Fortsätze haben sich jedoch im Laufe der Ent-
wicklung vereinigt.
Die meisten Nervenzellen sind jedoch multipolar (s. Abb. 3-29). Es gibt unter
den multi polaren Zellen verschiedene Spezialformen, z. B. Purkinje-Zellen des
Kleinhirns, bei denen sich der Dendrit in einer spalierbaumartigen Endigung
aufzweigt.

3.7.3 Nerven

Die meisten Nervenfasern verlaufen in Bündeln; im zentralen Nervensystem Unterscheidung von afferenten und
werden diese Bündel als Faszikel und im peripheren Nervensystem als Nerv oder efferenten Nerven sowie von motorischen
peripherer Nerv bezeichnet. und sekretorischen Nerven
Die Nerven verbinden die Körperperipherie mit dem ZNS. Solche Nerven, die
nur zum ZNS leitende Fasern, d. h. afferente, enthalten, werden als sensible oder • afferent zuführend (dem ZNS)
sensorische erven bezeichnet. Solche, die nur vom ZNS in die Peripherie leiten- • efferent herausführend, abführend
de Fasern, d. h. efferente, enthalten, werden je nach Funktion motorische oder (aus dem ZNS)
sekretorische Nerven genannt. Nerven sind jedoch gemischt, d. h. es kommen
sowohl efferente als auch afferente Fasern in gleichen Nerven vor. Zudem sind in
den Nerven sowohl myelinisierte als auch unmyelinisierte Fasern nebeneinander
vorhanden. Die einzelnen Nervenfasern (Axon und umgebende Schwann-Zelle)
sind in den Nerven in charakteristischer Weise durch Bindegewebsstrukturen
untereinander und mit der Umgebung verbunden (Abb. 3-26). Man unterscheidet
ähnlich wie bei den Muskelfasern:
• Endoneurium: zartes Bindegewebe, das die einzelnen Nervenfasern umgibt.
• Perineurium: straffes Bindegewebe, das mehrere bis zu mehreren hundert
Nervenfasern zu Bündeln zusammenfasst.
80

Abb. 3-26.
Schnitt durch einen peripheren Nerv. Die
verschiedenen Nervenfasern sind durch
Bindegewebe zu einzelnen Bündeln
zusammengefasst, die in ihrer Gesamtheit
den Nerv ausmachen

Perineurium
(Hülle um Nerven·
faserbündel)

• Epineurium:lockeres Bindegewebe, das die von Perineurium umgebenen Ner-


venfaserbündel zu ganzen Nerven zusammenfasst und verschieblieh in das
umgebende Gewebe einbaut. Große Nerven können dabei die Stärke des klei-
nen Fingers erreichen (z. B. N. ischiadicus).

Erregungsübertragung und Synapsen


Die Erregungsübertragung von einem Neuron auf das nächste oder auf ein Er-
folgsorgan (Muskulatur, Drüsenzellen etc.) erfolgt an morphologisch besonders
gebauten Kontaktstellen, den Synapsen. Synapsen bauen sich auf aus:
Bau einer Synapse • einem Endknöpfchen (Bouton; Synapsenkolben): eine kolbenförmige Endfor-
• Endknöpfchen mation des Axons, von dem die Erregung ausgeht,
• Synaptischer Spalt • einem synaptischen Spalt zwischen diesem Endknopf und der darauffolgenden
• Zellmembran der folgenden Zelle Zelle und
• der Zellmembran der nachfolgenden Zelle.

Im Bereich der Synapse ist das Axon nicht von einer Gliahülle umgeben (Abb. 3-
27). Lichtmikroskopisch können Synapsen als kolbenförmige Verdickungen
durch Versilberungen dargestellt werden, wodurch sie ih ren Namen Endknöpf-
chen (Synapsenkolben) bekommen haben. In den Endknöpfchen lassen sich im
Elektronenmikroskop Vesikel - oder auch Synapsenbläschen - nachweisen, die
eine sog. Transmittersubstanz enthalten. Kommt über die Zellmembran des
Axons im Endknöpfchen eine Erregung (elektrischer Impuls) an, so geben die
Synapsenbläschen ihren lnhalt, d ie Transmittersubstanz durch Exozytose in den
synaptischen Spalt ab. Durch den synaptischen Spalt gelangt der Transmitter in
Kontakt mit der Zellmembran der nächsten Zelle und löst, bei genügender
Menge, hier ebenfalls einen elektrischen Impuls aus.
Die Transmittersubstanz wird in Bruchteilen von Sekunden (Millisekunden)
unter der Wirkung von Enzymen wieder abgebaut, sodass sie sich nicht weiter
ausbreiten kann. Die Erregungsübertragung ist also mit einer rasch ablaufenden,
kurzdauernden Wirkstoffabgabe verbunden.
Nervengewebe · Kapitell· Histologie 81

Axon -------+ Abb. 3-27.


Schema einer typischen Synapse zwischen
Axon und Perikaryon

Es werden zahlreiche verschiedene Typen von Synapsen unterschieden. Fol-


gende Begriffe beschreiben die Einteilung von Synapsen vereinfacht:
• interneuronale Synapsen: Synapsen zwischen verschiedenen Neuronen,
• neuromuskuläre (myoneurale) Synapsen: Synapsen zwischen Axonen und der
quergestreiften Muskulatur, spezielle Bezeichnung: motorische Endplatte,
• neuroglanduläre Synapsen: Synapsen zwischen Axonen und Drüsenzellen und
• Synapse en passant: Synapsen zwischen Nervenzellen und der glatten Mus-
kulatur.
• Weiterhin wird zwischen erregenden (exzitatorischen) und hemmenden (inhi-
bitorischen) Synapsen unterschieden.

Transmittersubstanzen
Ob eine Synapse zum erregenden oder zum hemmenden Typ gehört, hängt von Transmittersubstanzen sind z. B. Adrenalin
der Natur der Transmittersubstanz ab. Adrenalin und Noradrenalin (Vorkommen und Noradrenalin sowie Azetylcholin. Je
in sog. adrenergen Synapsen) sowie Azetylcholin (Vorkommen in sog. choliner- nach Transmittersubstanz unterscheidet
gen Synapsen) sind erregende Transmittersubstanzen. Als eine hemmende man hemmende und erregende Synapsen
Transmittersubstanz konnte z. B. die Aminosäure Glyzin bestimmt werden. Es
sind jedoch sowohl noch weitere erregende als auch hemmende Transmittersub-
stanzen vorhanden.
Allein im menschlichen Hirn sind ca. 10' 4 Synapsen (eine 1 mit 14 Nullen)
vorhanden; im Durchschnitt erhält jedes Neuron ca. 100 Synapsen von anderen
Zellen und bildet seinerseits selbst ca. 100 Synapsen mit anderen Zellen. Daraus
wird deutlich, wie groß die Zahl der Schaltungsmöglichkeiten im ZNS ist.

3.7.4 Neuroglia

Die Nervenzellen haben die Aufgabe, Nervenimpulse zu leiten. Das ist nur mög- Aufgaben der Neuroglia
lich, wenn die einzelnen Nervenfasern gegeneinander isoliert sind. Sonst würden • Isolation gegenüber anderen
die Nervenimpulse wahllos auf andere Nerven springen. Die Isolation der Ner- Nervenzellen
venzellen gegeneinander ist die wichtigste Aufgabe der Neuroglia (Abb. 3-28). • Stützfunktion
Daneben hat sie Stützfunktionen, hat am Stoffaustausch sowie am Zellabbau und • Stoffaustausch
Narbenbildung bei pathologischen Prozessen teil. Somit kommen der Glia, neben • Zellabbau
der Isolationsfunktion, ähnliche Aufgaben zu wie dem Bindegewebe in den Or- • Narbenbildung
ganen (Stroma) .
82

Arten der Glia Es werden 2 prinzipielle Arten der Glia unterschieden:


• zentrale Glia • zentrale Glia (im Zentralnervensystem), z. B. Oligodendroglia-Zellen,
• periphere Glia • periphere Glia (im peripheren Nervensystem), z. B. Schwann- Zellen.

Für weitere Details s. Kap. 5.

3.7.5 Degeneration und Regeneration

Nach der Durchtrennung einer Nervenfaser kommt es meist zur Degeneration


des distalen Segments, d. h. des hinter der Durchtrennungsstelle gelegenen Seg-
ments, während das proximale Segment, d. h. vor der Durchtrennungsstelle gele-
gen, weiterhin mit dem Perikaryon in Verbindung steht und deshalb nur teilweise
degeneriert (Abb. 3-29).
• Degeneration Sobald Perikaryen von einer Verletzung betroffen sind, degeneriert das ge-
Abbau, Rückbildung von Zellen samte Neuron. Regeneration wird nur im peripheren Nervensystem in nennens-
und Geweben wertem Umfang beobachtet. Im Zentralnervensystem ist keine Regeneration
• Regeneration möglich. Bei der Regeneration eines Nerven wächst der proximale Axonstumpf
Wiederaufbau von zerstörtem Gewebe distalwärts. Der Erfolg der Regeneration hängt nun davon ab, ob der Axonstumpf
die bei der Degeneration des distalen Segmentes zurückgebliebenen Schwann-
Amputation Zellen findet und an diesen entlang in die Peripherie wachsen kann. Geschieht
operative Entfernung eines Körperteiles dies nicht, kommt es zur Ausbildung einer starken Aufzweigung der »suchenden«
Axonenden (eine Art Knoten, Amputationsneurinom). Dies erklärt die gröEere
Empfindlichkeit gegenüber Berührung und schmerzauslösenden Reizen an
einem Amputationsstumpf.

Abb. 3-28.
Oligodendrozyten sind eine der 4 Arten
vo n Gliazellen im Zentralnervensystem.
Sie bauen die Myelinscheide auf. Im
Unterschied zu den Schwann-Zellen des
peripheren Nervensystems können sie um
mehrere Axone gleichzeitig eine Myelin-
scheide bilden
Nervengewebe · Kapitel 3 · Histologie 83

Abb. 3-29.
Multipolares Neuron am Beispiel einer
motorischen Nervenzelle. Der Zellkörper
{Perikaryon) befindet sich im Rückenmark
{d. h. im ZNS), und das Axon verläuft vom
Rückenmark bis zum innervierten Muskel
in der Peripherie. Es kann dementspre-
chend bis über einen Meter lang sein.
Im Bereich des ZNS wird die Myelinschei-
de des Axons von Oligodendrozyten,
in der Peripherie hingegen von Schwann-
Zellen gebildet. Die motorische Endplatte
ist die Synapse zwischen motorischer
Nervenzelle und Skelettmuskelfaser.
Eine Kollaterale ist eine Verzweigung des
Axons, die häufig Synapsen mit anderen
Neuronen bildet

peripheres Nervensystem

Schwann·Zelle
Endverzweigung

... _.. _.. _


84
3.8 Fragen und Zusammenfassun g zur Histologie

Welche Gewebearten kennen Epithelgewebe, Muskelgewebe, Binde- und Stützgewebe,


Sie? Nervengewebe.

Wie viele Keimblätter gibt es 3 Keimblätter: Ektoderm, Mesoderm, Entoderm.


und wie heißen sie?

Durch welchen Vorgang wird ein Durch Determination wird ein Teil der genetischen
Teil der genetischen Information Information während der Entwicklung abgeschaltet. Damit
in den Zellen während der können sich Gewebearten nicht mehr in andere Gewebearten
Entwicklung abgeschaltet? umwandeln.
Was resultiert aus dieser
Abschaltung?

Welche Epithelarten kennen Sie? Oberfiächenepithel, Drüsenepithel, Sinnesepithel

An welchen Oberflächen befin- Es begrenzt innere und äußere Oberflächen in Form


det sich das Oberflächenepithel? von Haut oder Schleimhaut.

Wie wird das Oberflächenepithel Auf Grund der Anzahl der Schichten: einschichtig, mehr-
eingeteilt? reihig, mehrschichtig, sowie der Beschaffenheit und Form
der äußersten Zellschicht:
• platt, kubisch, prismatisch,
• verhornt und unverhornt und
• mit oder ohne Zilien.

Drüsenepithelien: Es werden endokrine Drüsen (ohne Ausführgang) von


Welche grundlegenden exokrinen Drüsen (mit Ausführgang) unterschieden.
Drüsentypen kennen Sie? Die exokrinen Drüsen können einfach, verzweigt oder
zusammengesetzt sein.

Welche Drüsenformen kennen Die Drüsenform kann tubulös, alveolär, azinös, tubuloalveolär
Sie? Wie bezeichnet man dick- oder tubuloazinös sein. Man unterscheidet seröses
flüssiges und dünnflüssiges (dünnflüssiges) von mukösem (dickflüssigem) Sekret.
Sekret?

Auf welche Arten können Man unterscheidet merokrine (ohne größeren Substanz-
Sekrete ausgeschleust werden verlust), apokrine (mit Substanzverlust) und holokrine Sekre-
(Sekretionsformen)? tion (ganze Zellen umgewandelt zu Sekret).

Was ist das gemeinsame Merk· Der Besitz von viel geformter und ungeformter
mal von Binde- und Stütz- Interzeiiularsubstanz.
gewebe?
Welche Zellen werden
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 3 · Histologie 85
typischerweise als Zellen
• Freie Bindegewebszellen: Makrophagen, Lymphozyten,
des Bindegewebes bezeichnet?
Plasmazellen, Granulozyten.
• Fixe Bindegewebszellen: Retikulumzellen, Fettzellen, Fibro-
zyten, Knorpel- und Knochenzellen.
Welche Arten der geformten ln-
terzellularsubstanz kennen Sie? Kollagene, elastische und retikuläre Fasern.

Welche Eigenschaften weisen


die verschiedenen Fasertypen • Kollagene Fasern sind ausgesprochen zugfest (6 kg/mm 2 ) .
auf? • Elastische Fasern lassen sich auf 150 o/o ihrer Ausgangslänge
reversibel dehnen.
• Retikuläre Fasern {Kollagenfasern vom Typ lll) bilden
feinste Netze um Zellen und Gefäße etc.
Welche Arten des Fettgewebes
kennen Sie? Was sind die Bau- und Speicherfett (weißes Fett). Baufett wird nur bei
wichtigsten Merkmale
extremen Hungerzuständen eingeschmolzen, Speicherfett
wird u. a. im Unterhautfettgewebe und in der Bauchhöhle ein-
des Fettgewebes?
gelagert. Braunes Fett dient der zitterfreien Wärmebildung
(nur sehr wenig vorhanden). Weiße Fettzellen besitzen meist
nur einen sehr großen Fetttropfen (univakuoläres Fett).
Braune Fettzellen besitzen meist viele einzelne Fetttropfen
(plurivakuoläres Fett).

Welche Arten von Bindegewebe • Lockeres faseriges Bindegewebe (im ganzen Körper als inter-
kennen Sie? Wo befinden sich stitielles Gewebe zwischen den Organen),
die einzelnen Bindegewebs- • straffes faseriges Bindegewebe (in Sehnen, Faszien, Liga-
arten? menten, Organkapseln).

Welche Knorpelarten kennen Es wird unterschieden zwischen


Sie? Nennen Sie Beispiele! • hyalinem Knorpel: z. B. Rippenknorpel und an den Gelenk-
enden,
• elastischem Knorpel: z. B. in der Ohrmuschel, im Kehlkopf,
• faserigem Knorpel: z. B. in der Symphyse, in den Band-
scheiben.

Hohe mechanische Belastbarkeit, praktisch keine Blutgefäße


Was sind die typischen
und deshalb nur sehr langsamer Stoffwechsel, sehr viel Kolla-
Merkmale von Knorpel?
gen in der Interzellularsubstanz (durch Chondroitinschwefel-
säure im hyalinen und im elastischen Knorpel maskiert).
Elastischer Knorpel enthält zusätzlich elastische Fasern, fase-
riger Knorpel enthält wenig Chondroitinschwefelsäure, die
Kollagenfasern sind deshalb relativ gut sichtbar.

Geflechtknochen kommt während der Entwicklung, sonst nur


Welche Arten von Knochen in einigen Schädelknochen und während der Knochen-
kennen Sie? heilung vor. Lamellenknochen ist der typische erwachsene
Knochen: er ist aus Osteonen mit ihren Speziallamellen
aufgebaut.
86 Nennen Sie die verschiedenen
lamellenarten im Knochen!
Speziallamellen, Schaltlamellen, General- oder Grund-
lamellen
Wo finden sich Speziallamellen,
Schaltlamellen und General-
In den Osteonen der Kompakta sind die Speziallamellen,
lamellen?
zwischen den Osteonen und in der Spongiosa befinden sich
die Schaltlamellen. Generallamellen begrenzen die Knochen
nach außen und in den Röhrenknochen auch nach innen
gegen die Markhöhle.
Wie sind Osteone aufgebaut?
Wie entstehen Schaltlamellen? Osteone bestehen aus mehreren bis vielen Schichten von
konzentrischen Speziallamellen um ein zentrales Havers-
Blutgefäß. Zwischen den Schichten der Speziallamellen befin-
den sich die eingemauerten Osteozyten. Knochen unterliegt
Um-,Ab- und Aufbauvorgängen . Beim Abbau von Osteonen
bleiben Reste von Speziallamellen (ohne versorgendes
Havers-Gefäß) stehen; dies sind die Schaltlamellen.
Welche Arten der Verknöche-
Desmale Ossifikation: aus dem Bindegewebe. Perichondrale
rung (Ossifikation) kennen Sie?
und enchondrale Ossifikation: Ersatz von Knorpel. Bei der
Ossifikation wird Osteoid gebildet, das durch Einlagerung
von Kalziumphosphat in Form von Hydroxylapatitkristallen
zu Knochen wird.

Wo geschieht das In der Epiphysenfuge, d. h. der Wachstumszone zwischen


Längenwachstum? Epiphyse und Diaphyse. Diese verknöchert spätestens
im 23. Lebensjahr, später ist kein Längenwachstum mehr
möglich.

Nennen Sie die verschiedenen • Glatte Muskulatur (unwillkürlich, in der Wand von Hohl-
Arten des Muskelgewebes organen),
mit den wichtigsten Merkmalen! • Skelettmuskulatur (quergestreift, willkürlich, Grundlage
des Bewegungsapparates) und
• Herzmuskulatur (quergestreift, unwillkürlich).

Die in allen Muskelzellen vorhandenen Myofilamente:


Welche Moleküle stellen die
Aktin und Myosin. Sie liegen vor:
Grundlage der Kontraktion dar?
• in der glatten Muskulatur mit geringem Ordnungsgrad
• in der quergestreiften Muskulatur in Form von
Sarkomeren.

Skelettmuskulatur besitzt vielkernige Muskelfasern, die aus


Was sind die wichtigsten Zusammenschluss von vielen Einzelzellen entstanden sind.
Unterschiede zwischen der Herz- Sie ist willkürlich zu betätigen, ihre Zellkerne liegen am Rand
und der Skelettmuskulatur? der Muskelfasern.
Herzmuskulatur besteht aus verzweigten Einzelzellen, die
durch Glanzstreifen miteinander verbunden sind. Glanz-
streifen gewährleisten den mechanischen Kontakt und redu-
zieren den elektrischen Widerstand bei der Erregungsleitung.
Was ist die Baueinheit Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 3 ·Histologie 87
des Nervengewebes?
Das Neuron ist die Baueinheit, es weist 3 Bestandteile auf:
Wie ist diese aufgebaut?
Dendrit, Perikaryon mit dem Zellkern, Neurit (Axon).

Welche Typen von Nervenzellen


(Neurone) kennen Sie? Man unterscheidet uni-, bi-, multi- und pseudounipolare
Nervenzellen.
Wie heißt die Zellart, die im
Nervensystem Bindegewebs- Gliazellen, sie sind im Nervensystem für die Isolation,
funktion wahrnimmt? Ernährung, Schutz etc. vorhanden.

Wie isolieren Gliazellen


die Nervenzellen? Sie bilden Myelinscheiden.

Was ist der Unterschied


Gut myelinisierte (markhaltige) Nerven sind schnellleitend
zwischen gut myelinisierten
(bis 120 m/s), unmyelinisierte Nerven (markarm) sind lang-
und unmyelinisierten Nerven-
sam (ca. 0,5 m/s). Bei markhaltigen Nerven wird die Schnel-
fasern?
ligkeit durch saltatorische Erregungsleitung erreicht: die Er-
regung springt von einem Ranvier-Schnürring zum nächsten.

Wie kommunizieren Nerven- Über Synapsen, das sind Stellen an denen Transmittersub-
zellen untereinander und mit stanz über die präsynaptische Membran in den synaptischen
anderen Zellen? Spalt ausgeschüttet werden und dort an der postsynaptischen
Membran eine Veränderung des Membranpotentials aus-
lösen.

Was ist ein Nerv? In einem Nerv sind viele Nervenfasern (Neurite mit ihrer
Gliahülle) von Bindegewebe zusammengefasst. Bei diesen
handelt es sich sowohl um aufsteigende als auch um ab-
steigende Nervenfasern.
ewegungsapparat

4.1 Knochen 91
4.1.1 Knochenarten 91
4.1.2 Bau der Spongiosa 92
4.1.3 Knochenwachstum 92

4.2 Verbindungen von Skelettteilen (Junkturen) 93


4.2.1 Synarthrosen 94
4.2.2 Diarthrosen 94

4.3 Bewegungshemmung 102

4.4 Hilfseinrichtungen des Bewegungsapparates 104

4.5 Einteilung der Muskulatur 105


4.5.1 Muskeltätigkeit 105
4.5.2 Punctum fixum/Punctum mobile 109
4.5.3 Zerlegung der Muskelkraft 109

4.6 Skelett 113


4.6.1 Schädel 113
4.6.2 Rumpf 118
4.6.3 Extremitäten 125
4.6.4 Gelenke 135

4.7 Muskulatur 136


4.7.1 Muskeln an Kopf und ventralem Hals 138
4.7.2 Dorsale Muskulatur an Kopf, Hals und Rücken 142
4.7.3 Brustkorbmuskulatur (Thoraxmuskulatur) 145
4.7.4 Bauchmuskeln (Abdominalmuskulatur) 147
4.7.5 Beckenboden 148
4.7.6 Schultergürtelmuskulatur 150
4.7.7 Schultermuskulatur 152
4.7.8 Armmuskulatur 154
4.7.9 Handmuskulatur 160
4.7.10 Hüftmuskulatur 163
4.7.11 Beinmuskulatur 166
4.7.12 Fußmuskeln 172
4.7.13 Einteilung der Extremitätenmuskulatur nach der Funktion 173

4.8 Fragen und Zusammenfassung


zum allgemeinen Bewegungsapparat 177
90

4 Bewegungsapparat

Lernziele
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
.,. Zwischen aktivem und passivem Bewegungsapparat unterscheiden
.,. Die Hilfseinrichtungen des Bewegungsapparates beschreiben
.,. Den Knochenaufbau und Knochenwachstum erklären
.,. Die verschiedenen Gelenktypen und ihre Funktionen unterscheiden
.,. Die Ebenen des Körpers und die Lagebegriffe für verschiedene Körperregionen
benennen
.,. Die Muskulatur in ihrer Funktion und ihre Einteilung verstehen
.,. Die verschiedenen Bewegungstypen nennen
.,. Die wichtigsten Knochen des mensch lichen Skeletts bezeichnen
.,. Die wichtigsten Gelenke und die sie bewegenden Muskeln nennen

Allgemeiner Teil

Der Bewegungsapparat des Menschen hat zahlreiche Funktionen: Zum einen


können wir uns mit seiner Hilfe in der Umwelt bewegen, zum anderen verschafft
er dem Menschen die Fähigkeit, au f die Umwelt ein zuwirken, sei es direkt oder
mit Werkzeugen, Musikinstrumenten etc. Außerdem ermöglicht der Bewegungs-
apparat die Kommunikation mit der Umwelt in Form von Sprache und Mimik
nonverbal oder nonverbal per Handbewegungen, Körperhaltung etc.
nicht sprachli ch (»ohne Sprache«) Da nur relativ wenige Menschen an Krankheiten des Bewegungsapparates
sterben, liegt die Versuchung nahe, bei diesem Th ema den bewu ssten Mut zur
Lücke zu zeigen. Dabei wird aber vergessen, wie viele Menschen an Erkrankun-
gen des Bewegungsapparates leiden, v. a. an Erkrankungen der Gelenke und
rheumatischen Beschwerden.
Der Bewegungsapparat wird in einen akti ven und einen passiven Teil unterteilt:
• Passiver Bewegungsapparat: Skelett • passiver Bewegungsapparat: Skelett (Knochen) und seine Verbindungen,
und seine Verbindungen • aktiver Bewegungsapparat: Muskeln, Hilfseinrich tungen, wie z.B. Sehnen und
• Aktiver Bewegungsapparat: Mu skeln Schleimbeutel.
und Hilfseinrichtungen
Die Anteile des Bewegungsapparates werden im klinischen Alltag fast aus-
schließlich mit den lateinischen Fachbegriffen genannt; die teilweise sehr um-
ständlich klingenden deutschen Übersetzungen werden so gut wie nicht ver-
wandt. So wird eher vom M. biceps brachii gesproche n als vom >>zweiköpfigen
Oberarmmuskel<< oder der Processus coracoideus genannt al s der deutsche Be-
griff »Rabenschnabelfortsatz«. Desh alb ist es wichtig, die entsprechenden Fach-
ausdrücke (auch ohne Lateinkenntnisse) zu kennen. Zur Erleichterung sind die
Knochen · Kapitel4 · Bewegungsapparat 91

für den Bewegungsapparat notwendigen Begriffe sowie einige häufig gebrauchte


Abkürzungen als Übersicht in der Umschlaginnenseite zusammengestellt.

4.1 Knochen

4.1.1 Knochenarten

Knochen werden nach ihrer Form folgendermaßen unterschieden: Einteilung der Knochen:
• Röhrenknochen (röhrenförmige Knochen), z. B. Finger, Oberarmknochen, • Röhrenknochen
• würfelförmige Knochen, z. B. Handwurzel- und Fußwurzelknochen, • würfelförmige
• platte Knochen, z. B. Schädelknochen, Schulterblatt. • platte Knochen

An einem Röhrenknochen werden dje beiden Epiphysen (Gelenkenden) und die Anteile eines Röhrenknochens:
Diaphyse (Schaft) unterschieden. Die Gelenkenden sind mit hyaljnem Knorpel • Epiphyse (Gelenkende)
(s. 3·4-1) überzogen. Außen ist der Knochen von Knochenhaut, dem Periost, über- • Diaphyse (Schaft )
zogen. Im Inneren der Epiphysen befindet sich die Spongiosa (Knochenbälk- • Periost (Knochenhaut)
chen) die aus Lamellenknochen bestehen. Im Schaft befindet sich die Markhöhle • Spongiosa (Knochenbälkchen)
(Cavum medullare). Der Schaft ist aus der Kompakta aufgebaut, die ihrerseits aus • Markhöhle
LamelJen knochen besteht. In der Markhöhle und zwischen den Spongiosabälk- • Kompakta
chen liegt das Knochenmark. Beim Erwachsenen ist das Knochenmark der Röh-
renknochen nicht mehr blutbildend (rotes Knochenmark), sondern in Fettmark
umgewandelt (gelbes Fettmark). Blutbildung findet beim Erwachsenen in den
würfelförmigen und platten Knochen statt (s. Abb. 6-2 in Kap. Blut).
Knochen sind allgemein nach dem »Minimax-Prinzip« aufgebaut, d.h. mit Minimax-Prinzip:
einem Minimum an Material erreichen sie ein Maximum an Festigkeit. So besit- Mit einem Minimum an Material erreichen
zen die Röhrenknochen eine Markhöhle in den Bereichen, in denen weiteres Knoche n ein Maximum an Festigkeit
Knochenmaterial keine zusätzliche Festigkeit bewirken würde.
Vereinfacht kann das an einem Gummistab demonstriert werden (Abb. 4-1):
Nimmt man den Gummistab in beide Hände und biegt ihn, wird die konvexe
Seite gedehnt, die konkave Seite hingegen gestaucht. In der Grenzregion zwischen
den beiden Seiten muss offensichtlich eine Zone vorhanden sein, in der sich die
beiden Kräfte (Stauchung/Dehnung) gegenseitig aufheben. Hier ist der Gummi-
balken weder auf Zug noch auf Druck beansprucht (Nulllinie) . Im Grenzbereich
zwischen Dehnung und Stauchung heben sich die Kräfte gegenseitig auf. Dort
kann also auf Material verzichtet werden. Material, das hier vorhanden ist, trägt
lediglich zum Gewicht des Gummistabes bei, aber nicht zu seiner Festigkeit. Die-
ses Prinzip wird auch in den Knochen angewendet, z. B. bei den Röhrenknochen,

Abb. 4-1 .
Wird ein Gummistab gebogen, entstehen
auf der konvexen Seite (oben) Zugkräfte
und auf der konkaven Seite (unten) Druck-
kräfte. ln der gestrichelten Mittellinie heben
sich Druck und Zug gegenseitig auf. Hier
kann ohne Festigkeitsverlust Material ge-
spart werden, wie das z. 8. beim Röhren-
knochen der Fall ist
92

bei denen im Zentrum ebenfalls kein Knochenmaterial für die Festigkeit not-
wendig ist. Somit kann mit wenig Material ein Optimum an Festigkeit erreicht
werden. Gleichzeitig kann in dem vo rhandenen Hohlraum Knochenmark einge-
lagert werden. Ähnlich sind auch andere Knochen aufgebaut, z. B. platte Knochen
Osteon wie die Skapula (Schulterblatt). Die Skapula besitzt einen relativ starken äußeren
Baueinheit des Knochens Rand und ist im Zentrum so dünn, dass der Knoch en hier bei der Betrachtung
mit Speziallamellen und zentralem gegen eine Lichtquelle durchsichtig erscheint. Auch die Baueinheit des Knochens,
Havers-Biutgefäß das Osteon, ist nach einem ähnlichen Prinzip aufgebaut.

4.1.2 Bau der Spongiosa

Trajektorien = Krafteinwirkungslinien: Wird ein Gummiball mit 2 Fingern zusammengedrückt, sodass er fast flachge-
Linien, die der Verlaufsrichtung der Kräfte drückt ist, entstehen in ihm Zug- und Druckkräfte. Dies wird verständlich, wenn
des größten Zugs und des größten Drucks man sich einen waagerechten und einen senkrechten Balken in diesem Gum -
entsprechen miball vorstellt. Der senkrechte Balken wird durch den Daumendruck gestaucht,
gleichzeitig verformt sich der Gummiball so, dass er breiter wird. Der waage-
rechte Balken wird dabei gleichzeitig gedehnt. Bei mechanischer Beanspruchung
entstehen in einem Körper Zug- und Druckkräfte, die rechtwinklig zueinander
verlaufen. Linien, die der Verlaufsrichtung der Kräfte des größten Zugs und des
größten Drucks entsprechen, werden Trajektorien genannt. Trajektorien werden
auch als Krafteinwirkungslinien bezeichnet (Abb. 4-2).
Die Spongiosa in den Epiphysen der Röhrenknochen und im Inneren aller
anderen Knochen, ist entlang den Krafteinwirkungslinien angeordnet. Deshalb
spricht man auch von einem trajektoriellen Bau. Dabei spielt es keine Rolle, ob
dies im Kopf des Femurs (Oberschenkelknochen), im Beckenknochen oder in ei-
nem Wirbelkörper ist, die Spongiosa ist immer trajektoriell aufgebaut (Abb. 4-3).

4.1.3 Knochenwachstum

• Längenwachstum über Epiphysenfuge Einige wichtige Prinzipien des Knochenwachstums werden am Röhrenknochen
• Dickenwachstum durch Apposit ion deutlich. Der Röhrenknochen hat während des Wachstums zwisch en seinen bei-
den Epiphysen und der Diaphyse je eine Wachstum szone, die Epiphysenfuge ge-

Abb.4-2.
Schnittbild durch 2 Wirbel mit ihrem
wurfeiförmigen Knochenteil (Wirbel- Wirbel körper
(Kompalda)
körper). Im Wirbelkörper orientieren sich
die Knochenbälkchen der Spongiosa
entlang der Kraftlinien (Trajektorien). Bandscheibe
Dies wird als trajektorieller Bau bezeich- Gallertkern
net. ln den Hohlräumen der Spongiosa (Nucleus pulpcsus)

befindet sich auch beim Erwachsenen Wirbelbogen


rotes, d. h. blutbildendes Knochenmark Spongiosa
Verbindungen von Skelemeilen · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 93

nannt wird. Hier wird Knorpel gebildet, der durch enchondrale Ossifikation ver-
knöchert (s. J.s.J). Das Wachstumshormon Somatotropin (s.Abschn.12-4.3) wirkt
fördernd auf die Epiphysenfugen und bewirkt damit das Längenwachstum.
Sobald die Epiphysenfugen geschlossen sind, kann kein weiteres Längenwachs-
tum erfolgen. Diese endgültige Verknöcherung der Wachstumszone erfolgt meist
zwischen dem 21. und 23. Lebensjahr.
Im Unterschied zum Längenwachstum, bei dem der Knochen durch inter- Bei der Apposition wird neugebildeter
stitielle Anlagerung von Knochensubstanz (d. h. zwischen die einzelnen Zellen) Knochen von außen angelagert
gebildet wird, erfolgt Dickenwachstum durch sog. Apposition. Bei der Apposition
wird neugebildeter Knochen von außen angelagert. Dem steht allerdings ein
gleichzeitiger Abbau des Knochens von innen, durch die Osteoklasten, gegen-
über. Ohne den gleichzeitigen Abbau der Osteoklasten würde der Knochen zu
dick und damit das Skelett zu schwer. Für die Verwirklichung des Minimax-Prin-
zips ist also der Abbau durch Ostecklasten notwendig. Damit wird klar, warum Ostecklasten
ein kindlicher Röhrenknochen durchaus in der Markhöhle des entsprechenden knochenabbauende Zellen
Knochens eines Erwachsenen Platz finden würde.

4.2 Verbindungen von Skelettteilen (Junkturen)

je nach Art der Verbindung von Skelettteilen (Junkturen) unterscheidet man: Synarthrosen =Unechte Gelenke bzw.
Synarthrosen (Haften bzw. unechte Gelenke) und Diarthrosen (echte Gelenke) . Haften
Bei den Diarthrosen besteht zwischen den Knochenteilen ein Gelenkspalt Diarthrosen =Echte Gelenke
Dementsprechend werden Synarthrosen als unechte Gelenke oder Haften und
Diarthrosen als echte Gelenke bezeichnet.

Epiphyse
(Gelenkende) Abb.4-3.
Schnitt d urch die Region des Oberschen-
kelkopfes. Die äußere Kompakta besteht
aus Osteonen mit Speziallamellen, die
Spongiosa hingegen aus Resten von
Osteonen, die beim Knochenumbau
entlang den Krafteinwirkungslinien
Gelenkknorpel
(Trajektorien) stehengeblieben sind.
Dadurch wird ein trajektorieller Bau des
Knochens erreicht. Die verknöcherten
Epiphysenfugen stellen die ehemaligen
Wachstumszonen dar

Schaft
(Diaphyse)
Periost
(Knochenhaut)
4.2.1 Synarthrosen

Unterteilung von Synarthrosen Bei den Synarthrosen sind die Knochenteile durch ein Verbindungsmaterial an-
• Syndesmosen: Verbindung von einandergeheftet. Es werden 3 Formen von Synarthrosen unterschieden: Syndes-
Knochen dW'dt Bindegewetle, mosen, Synchondrosen, Synostosen.
z.B. SUturen
• Synchondrosen: Verbindung Syndesmosen
von Knoc:hen durch Knorpel. Bei den Syndesmosen sind die Knochen durch Bindegewebe miteinander ver-
z.B. Bandscheibe, Symphyse bunden.
• Synostosen: Verbindung von Knochen Beispiel: Membrana interossea (eine straffe Bindegewebemembran) zwischen
durch Knochen, z.B. Im Hüftbeln den beiden Unterarm- bzw. Unterschenkelknochen. Ebenfalls zu den Syndesmo-
(Os coxae, Os ischii, Os ilii, Os pubis) sen werden die gerechnet. SUturensind Verbindungen (Nähte) zwischen
den einzelnen Schädelknochen (s. Abschn. 4.6.1), z. B. die Sutura lambdoidea
(Lambdanaht) und die Sutura sagittalis (Pfeilnaht). Bei den Suturen befinden
sich kleine Mengen von Bindegewebe zwischen den Schädelknochen, die eine
minimal federnde Bewegung zwischen den einzelnen Knochen ermöglichen und
damit bei Schlägen u. ä. auf den Kopf eine gewisse Schutzwirkung geben.

Synchondrosen
Bei den Synchondrosen besteht das verbindende Material aus Knorpel.
Beispiel: Die Zwischenwirbelscheibe (Discus intervertebralis: Bandscheibe),
die Gelenkscheibe am Sternaklavikulargelenk (Discus articularis), aber auch die
Verbindungen der Rippen mit dem Brustbein oder die Symphyse (Schamfuge)
zwischen den beiden Schambeinen.

Synostosen
Bei den Synostosen besteht das verbindende Material aus Knochen.
Beispiel: Epiphysenfugen, bei denen nach Abschluss des Wachstums der
Knorpel durch Knochen ersetzt wird und damit die Epiphysen durch Synostosen
mit der Diaphyse verbunden sind. Ein weiteres Beispiel für Synostosen ist das
Hüftbein (Os coxae ), das während der Entwicklung aus 3 einzelnen Knochen ent-
steht (Os ilii, Os pubis und Os ischii), die nach Abschluss des Wachstums in der
Hüftgelenkpfanne knöchern miteinander verbunden sind.
pathologisch krankhaft Unter pathologischen Bedingungen und als Abweichung von der normalen
Entwicklung können allerdings auch echte Gelenke durch »Synostosierung« ver-
steifen, indem die Knochen des Gelenks sich durch Verknöcherung miteinander
verbinden. Beispiel: Sakralisation eines Lendenwirbels; dabei verschmilzt ein
sonst freier Lendenwirbel mit dem Kreuzbein.

4.2.2 Diarthrosen

Zeichen echter Gelenke Alle echten Gelenke, dieDiarthrosen. sind prinzipiell nach dem gleichen Schema
• Mindestens 2 Gelenkkörper gebaut und besitzen mindestens 3 konstante Gelenkanteile (Abb. 4-4).
mit Gelenkknorpel
• Gelenkspalt mit Synovia
• Gelenkkapsel
Verbindungen von Skelettteilen · Kapitel4 • Bewegungsapparat 95

Abb. 4-4.
Echtes Gelenk (Diarthrose) mit den typi-
schen Anteilen: 2 miteinander artikulieren-
Gele~ kschleimbeutel - ---11+1' de (gelenkbildende) Knochen, ein Gelenk-
(Bursa articularis) spalt und eine GelenkkapseL Ausstülpun-
Blutgefäß gen der Gelenkkapsel werden als Gelenk-
Nerv schleimbeutel (Bursa articularis) bezeich-
Gelenkspalt
mit Gelenkflüssigkelt net. Sie stellen Reserveräume für das Aus-
(Synovia) weichen der Gelenkflüs.s igkeit bei Bewe-
Gelenkkapsel gungen dar

Konstante Gelenkbestandteile
Damit ein Gelenk als echtes Gelenk (Diarthrose) bezeichnet werden kann, müs-
sen 3 konstante Gelenkanteile vorhanden sein (obligatorisch):
• mindestens 2 Gelenkkörper mit aufgelagertem Gelenkknorpel,
• ein Gelenkspalt mit Gelenkflüssigkeit (Synovia),
• eine Gelenkkapsel (aus straffem Bindegewebe mit einer zarten Gelenkinnen-
haut, der Synovialmembran).
Die Synovia dient als >>Gelenkschmiere«. Sie wird von den Gefäßen der Gelenk-
kapsel gebildet und enthält neben Plasmabestandteilen reichlich Hyaluronsäure.
Hyaluronsäure wird von den Zellen der Kapselwand sezerniert und verleiht der
Synovia ihre Schmiereigenschaft. Die Gelenkkapsel ist mit vielen Reservefalten
ausgestattet, damit sie bei entsprechenden Bewegungen nicht zu stark einschrän-
kend wirkt und umgekehrt nicht allzu stark gedehnt werden muss, um Bewegun-
gen zu ermöglichen. Trotzdem schränkt die Gelenkkapsel vielfach das Bewe-
gungsausmaß ein (Kapselhemmung; s. Abschn. 4.3).

Inkonstante Gelenkanteile
Neben den konstanten gibt es eine Reihe von inkonstanten Gelenkanteilen. Diese inkonstant
sind fakultativ, d. h. sie können am Gelenk vorhanden sein oder fehlen. Sind sie in diesem Fall: nicht immer vorhanden
vorhanden, sind sie bei allen Individuen vorhanden. Damit stehen sie im Unter-
schied z. B. zu fakultativen Muskeln, die bei einem Menschen vorhanden sein
können, bei einem anderen jedoch nicht. Die 6 inkonstanten Gelenkanteile wer- 6 inkonstante Gelenkanteile
den im Folgenden beschrieben. • Gelenkband (Ligamentum articulare)
• Gelenklippe (Labrum articulare)
Gelenkband (Ligamentum articulare) • Meniskus (Meniscus articularis)
Mit den Gelenkbändern werden die Gelenkkapseln verstärkt oder Bewegungen • Bandscheibe (Discus articularis)
begrenzt. Das stärkste Gelenkband des Körpers, das Ligamentum iliofemorale • Gelenkschleimbeutel (Bursa articularis}
(s. Abb. 4-5), hat eine Tragkraft von 350 kg. • Gelenkmuskel (M. articularis)
96

Abb. 4-5.
-....- - - - - - - - Darmbeinschaufel
Das Hüftgelenk (Art. coxae) besitzt 3 ver- (Osilium)
lllolemoralband
stärkende Bänder (Singular: Ligamentum
(lig. iliofemorale)
articulare, Plural: Ligamenta articularia),
durch die die Gelenkkapsel verstärkt und
das Bewegungsausmaß gehemmt wird. ln
großer Knochen-
dieser Abbildung, die das Gelenk von vor- vorsprung -----/
ne zeigt, ist das stärkste dieser 3 Bänder, (Trochanter major)

das lliofemoralband (lig. iliofemorale), zu


sehen
Oberschenkel·
knochen (Femur) kleiner Knochenvorsprung
(Trochanter minor)

Gelenklippe (Labrum articulare)


Es dient der Vergrößerung der Auflagefläche eines Gelenks, wenn der Gelenkkopf
größer ist als die knöcherne Gelenkpfanne.
Beispiel; Labrum glenoidale am Schultergelenk oder Labrum acetabulare am
Hüftgelenk (Abb. 4-6).

Gelenkscheibe (Discus articularis)


Durch einen Diskus (Scheibe) werden inkongruente (nicht aufeinanderpassen-
de) Gelenkenden einander angeglichen, gleichzeitig wird die Kontaktfläche ver-
größert (Abb. 4-7), z. B. Bandscheibe.

Meniskus
Die Menisken (Meniscus articularis, halbmondförmiger Gelenkknorpel) haben
die gleiche Aufgabe wie die Disken.
Beispiel: die beiden Menisken im Kniegelenk. Der mediale (zur Mitte des Kör-
pers gelegene) Meniskus ist mit dem medialen Kollateralband verwachsen. Zu-
sammen mit dem nicht verwachsenen lateralen (seitlich, außen liegenden) Kolla-
teralhand stabilisieren sie das Kniegelenk (Abb. 4-8). Durch die Verwachsung des
medialen Meniskus kann er häufiger als der laterale von den Kondylen (Gelenk-
knorren) überrollt und dabei verletzt werden (2o -mal häufiger als der laterale).

Schleimbeutel (Bursa articularis, Ausstülpung der Gelenkkapseil


In die Bursa kann bei bestimmten Bewegungen die Synovia ausweichen, damit
wird eine Druckerhöhung in der Gelenkhöhle (Cavum articulare) vermieden.
Beispiel: Bursa suprapatellaris (Schleimbeutel oberhalb des Kniegelenks; s. Abb.
4-4 u.Abb. 4-6).
Verbindungen von Skelettteilen · Kapitel4 · Bewegungsapparat 97

Abb. 4-6.
Um die Auflagefläche bei Gelenken zu
vergrößern, können Gelenklippen
(Labrum articulare) vorhanden sein.
Beim hier gezeigten Beispiel handelt es
sich um ein Schnittbild durch das Hüft-
gelenk. Die Pfeile weisen auf die Gelenk-
lippen hin

Abb. 4-7.
Sehninbild durch das Kiefergelenk, bei
dem die Ungleichheiten des Gelenks
durch eine Knorpelscheibe (Diskus) ausge-
Bandscheibe - -- _..,'i'"":: glichen werden und das Gelenk damit in
(Discus articularis)
Gelenkknorpel 2 Teilgelenke unterteilt wird
Gelenkknorpel Gelenkkapsel

Gelenkkapsel

Gelenkfortsatz
des Unterkiefers

Sehne des Abb. 4-8.


l\-11~\----\------ 4-köpligen Ungleichheiten zwischen den gelenkbil-
Oberschenkel·
muskels denden Flächen können durch halbmond-
Oberschenkel ----H~r.J förmige Knorpelstücke (Meniskus) ausge-
(Femur)
glichen werden. Im Schnittbild durch das
Kniegelenk ist einer der beiden Menisken
zu sehen. Der auf der unteren rechten Sei-
te bezeichnete Schleimbeutel hat keine
Verbindung zum Gelenk, ebenso wie der
Gelenkknorpel Schleimbeutel, der direkt vor der Knie-
scheibe zu sehen ist

Gelenkknorpel

Schienbein
(Tibia)
98

Gelenkmuskel (M. articularis)


Hierbei handelt es sich meist um Fasern eines Muskels, der in direkter Nähe über
das Gelenk hinwegzieht. Einige Fasern setzen an der Gelenkkapsel an. Dadurch
wird verhindert, dass bei Kontraktion des Muskels, aus der z. B. eine Beugung
(Flexion) resultiert, die relativ weite Gelenkkapsel eingeklemmt wird.
Beispiel: Der M. brachialis zieht auf der Flexorenseite über das Ellenbogen-
gelenk hinweg; dabei dienen Fasern als M. articularis (Abb. 4-9).

Abb. 4-9.
Damit bei Muskelkontraktionen und den
daraus result ierenden Knochenbewe-
gungen die Gelenkkapsel nicht im
Gelenkspalt eingeklemmt wird, ziehen
Fasern des entsprechenden Muskels
zusätzlich an dieser Kapsel und diese
bei einer Kontraktion aus dem Weg

Einteilung der Diarthrosen

Einteilung der Diarthrosen Prinzipielle Einteilung


• einfache Gelenke mit 2 beteiligten Aufgrund der Anzahl der Knochen, die am Aufbau eines Gelenks beteiligt sind,
Knochen unterscheidet man:
• zusammengesetzte Gelenke mit mehr • einfache Gelenke (Articulatio simplex) mit nur 2 beteiligten Knochen, Beispiel:
als 2 beteiligten Knochen Schultergelenk, Fingergelenke,
• zusammengesetzte Gelenke (Articulatio composita) mit mehr als 2 beteiligten
Knochen, Beispiel: Ellenbogengelenk, Handgelenke.

Einteilung nach Form der Gelenkkörper


• Reguläres Gelenk (Articulatio regularis): Die Gelenkkörper besitzen die Form
eines Rotationskörpers (z. B. Kugel, Zylinder), Beispiel: Schultergelenk.
• Irreguläres Gelenk (Articulatio irregularis): Die beteiligten Gelenkkörper be-
stehen nicht aus Rotationskörpern, Beispiel: Art. sacroiliaca (Gelenk zwischen
Kreuzbein und Hüftbein).

Dreht man einen Gegenstand um seine Achse, entsteht das Bild eines Rotations-
körpers. Dreht man einen Kreis um eine Achse, die durch einen Punkt auf der
Kreisperipherie und das Zentrum verläuft, entsteht das Bild einer Kugel. Allen
Rotationskörpern ist gemeinsam, dass sie aus der Richtung der Erzeugerachse
betrachtet eine kreisrunde Peripherie aufweisen.
Verbindungen von Skelemeilen · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 99

Freiheitsgrade der Bewegung in echten Gelenken


Das Steuerrad eines Autos kann man nach links oder rechts drehen. Um diese Be-
wegung zu beschreiben, wird das Begriffspaar links/rechts benötigt. Das Steuer-
rad dreht sich um eine Achse. Dementsprechend hat ein Steuerrad einen Frei-
heitsgrad der Bewegung. Der Steuerknüppel eines Flugzeugs lässt sich demge-
genüber schon um 2 Hauptachsen des Raums bewegen. Es werden also 2 Be-
griffspaare benötigt, um diese Bewegungen zu beschreiben: vorne/hinten und
links/rechts. Ein Steuerknüppel hat dementsprechend 2 Freiheitsgrade der Bewe-
gung. Wenn man den Steuerknüppel auch noch um die eigene Längsachse drehen
könnte, hätte er 3 Freiheitsgrade der Bewegung.
Ein Gelenk, das sich um eine Achse bewegen kann, hat einen Freiheitsgrad.
Bei 2 Achsen sind es 2 Freiheitsgrade und bei 3 Achsen (mehr Hauptachsen sind
nicht möglich) 3 Freiheitsgrade. Die Gelenke, die sich aus Rotationskörpern auf-
bauen - also reguläre Gelenke - können nach ihrer Form weiter unterteilt werden.

Kugelgelenk (Art. sphaeroidea) Die wichtigsten regulären Gelenke


Dieser Gelenktyp hat 3 Freiheitsgrade, d. h. 3 Hauptachsen der Bewegung. Ent- • Kugelgelenk
sprechend können hier für die möglichen Bewegungen 3 Begriffspaare verwen- • Eigelenk
det werden: • Scharniergelenk
1. Anteversion (Bewegung nach vorne) I Retroversion (Bewegung nach hinten, • Zapfengelenk
z. B. beim Armpendeln), • Sattelgelenk
2. Abduktion/Adduktion (Bewegung vom Körper zur Seite und aus dieser seit-
lichen Stellung wieder an den Körper heran),
3· Innenrotation/Außenrotation (Bewegung in der Längsachse des Oberarmes).

Eine Spezialversion des Kugelgelenks ist das Nussgelenk (Enarthrosis sphaero-


idea), bei dem der Gelenkkopf zu mehr als 50 o/o von der Gelenkpfanne umfasst
wird (Beispiel: Hüftgelenk) . Die Nussgelenke haben ebenfalls 3 Freiheitsgrade
der Bewegung (Abb. 4-10).

Eigelenk (Art. ellipsoidea)


Dieser Gelenktyp hat 2 Freiheitsgrade, die den beiden Hauptachsen der Bewe-
gung entsprechen (Abb. 4-11). Wenn man ein Ei in einer eiförmigen Gelenkpfan-

c'
Abb. 4-10.
Schema eines Kugelgelenks (Articulatio

(
sphaeroidea). bei dem zusätzlich zu den
beiden durch die pfeiJe bezeichneten Be-

- . wegungsmöglichkeiten der Knochen vor


und hinter die Papierebene bewegt wer-
den kann. Damit gi bt es 3 Freiheitsgrade
I

der Bewegung. Im Falle eines Nussgelenks


(Enarthrosis sphaeroidea) würde die Ge-
lenkpfanneden Gelenkkopf zu mehr als 'r
• 50 % umfassen
100

ne bewegen wollte, könnte man das nur in der Längsachse und in einer Achse, die
senkrecht auf dieser Längsachse steht. Beispiel: oberes Kopfgelenk (Art. atlan-
tooccipitalis), proximales Handgelenk (Art. radiocarpea).

Scharniergelenk (Gynglimus)
Ein Scharniergelenk besitzt eine zylinderförmige Walze, auf der eine Führungs-
leiste vorhanden ist (Abb. 4-12). Dadurch ist das Gelenk nur in einer Achse zu be-
wegen, hat also nur einen Freiheitsgrad. Es ist vergleichbar mit einer Schranktür,
die durch ein Scharnier befestigt ist und lediglich auf- und zugemacht werden
kann. Beispiel: Fingerzwischengelenke (Art. interphalangeales), Teil des Ellenbo-
gengelenks (Art. humeroulnaris).

Abb.4-11. Zapfengelenk (Art. trochoidea)


Schema eines Eigelenks (Articulatio ellip- Der Gelenkkörper ist ebenfalls, wie beim Scharniergelenk, eine zylinderförmige
soidea). Ein Eigelenk hat 2 Freiheitsgrade Walze, allerdings ohne Führungsleiste (Abb. 4-13). Die Gelenkachse ist anders
der Bewegung wie d urch die beiden orientiert: sie verläuft parallel zur Oberfläche der Walze, d. h. in ihrer Längsachse.
P{eife angedeutet. Im Gegensatz zum Beispiel: Teil des Ellenbogengelenks (Art. radioulnaris proximalis).
Kugelgelenk kann es nicht in der Längs-
achse der beteiligten Knochen gedreht Sattelgelenk (Art. sellaris)
werden Hierbei sind die miteinander artikulierenden Gelenkflächen so ausgebildet wie
ein Sattel und der daraufsitzende Reiter (Abb. 4-14). Entsprechend sind die Be-
wegungsmöglichkeiten: Der Reiter kann nach links und rechts rutschen sowie
nach vorn und nach hinten kippen. Ähnlich verhält es sich beim Sattelgelenk, das
damit 2 Freiheitsgrade der Bewegung aufweist. Beispiel: Daumensattelgelenk
(Art. carpometacarpea pollicis).

Abb. 4-12. Abb.4-13. Abb.4-14.


Scharniergelenk mit einem Freiheitsgrad Zapfen- oder Radgelenk. Auch hier ist nur Sattelgelenk mit 2 Freiheitsgraden der
der Bewegung. Durch die Führungsrinne ein Freiheitsgrad der Bewegung vorhan- Bewegung. So wie ein Reiter auf dem
im Gelenk kann hier nur eine scharnierarti- den, d. h., die beteiligten Knochen können Pferd nach vorne und nach hinten sow ie
ge Bewegung durchgeführt werden, die nur in der Längsachse umeinander be- nach links und nach rechts kippen kann,
der Bewegung beim Öffnen und Schließen wegt werden (P{ei/e) sind auch im Sattelgelenk 2 Bewegungs-
einer Türe entspricht paare möglich
Verbindungen von Skelettteilen · Kapitel4 · Bewegungsapparat 101

Amphiarthrosen
Die Amphiarthrosen stellen einen Spezialfall der Diarthrosen dar. Sie gehören zu Amphiarthrosen
den echten Gelenken, haben allerdings ein sehr eingeschränktes Bewegungsaus- auch Wackelgelenk
maß. Amphiarthrosen können praktisch nur federnd wirken. Eine eigentliche
Bewegung wie in anderen Gelenken findet nicht statt. Dies ist bedingt durch eine
sehr knappe, straffe Gelenkkapsel und teilweise auch durch unregelmäßige Ge-
lenkflächen, die ineinander verkeilt sind. Beispiel: Kreuzbein-Hüftbein-Gelenk
(Art. sacroiliaca).

Gelenkstabilität Kräfte für die Gelenkstabilität


Lässt man ein Bein frei hängen, ohne die Muskeln zu betätigen, zieht sein ganzes • Adhäsion
Gewicht von mehreren Kilogramm (ca. 12 kg) nach unten. Trotzdem bleibt das • Muskeln
Bein in seiner Gelenkpfanne. Für die Gelenkstabilität sind verschiedene Kräfte • Bänder
verantwortlich: • Luftdruck

Adhäsion
Werden 2 Glasplatten befeuchtet und aufeinandergelegt, lassen sie sich nur sehr
schwer voneinander trennen. Dies wird durch Kräfte auf molekularer Ebene be-
wirkt. Die Moleküle ziehen sich gegenseitig an. Dies wird als Adhäsion (Aneinan-
derhaften) bezeichnet. Ein ähnlicher Vorgang läuft in den Gelenken ab.

Muskeln
Die Kraft der Muskeln kann in eine Bewegungskomponente und eine Gelenk-
komponente zerlegt werden (s. Abschn. 4.6.3): die Gelenkkomponente ist für den
Zusammenhalt des Gelenks mitverantwortlich. Bei Muskeln, die direkt über das
Gelenk hinwegziehen, d. h. die Gelenkkapsel berühren, ist die Gelenkkomponen-
te am größten (s. Kräfteparallelogramm, Abb. 4-22).

Bänder
Die Gelenkkapseln werden durch Bänder, die sog. Ligamente verstärkt. In gewis-
sen Stellungen der Gelenke verlaufen die Bänder sehr nahe an den Gelenkkör-
pern vorbei, sodass sie eine wesentliche Stabilisierung der Gelenke bewirken. Die
Bezeichnung von Bändern beinhaltet immer die verbindenden Knochen, z.B. Li-
gamentum iliofemorale: Band zwischen Os ilii (Hüftbein) und Femur (Ober-
schenkelknochen).

Luftdruck
Die Gelenkkapsel schließt luftdicht ab. Wenn die beiden Gelenkkörper auseinan-
dergezogen würden, käme es zu einem Vakuum im Gelenkraum. Dies ist mit ei-
nem Saugnapf auf einer Scheibe zu vergleichen. Die Kraft, die auf den Saugnapf
einwirkt, entspricht dem atmosphärischen Druck - das sind ziemlich genau
1 kg/cm 2 • Auf das Hüftgelenk und das Bein übertragen bedeutet dies, dass ca.

15 kg Druck auf das Hüftgelenk einwirken, das Bein demgegenüber jedoch nur
ca. 12 kg Gewicht hat. Der Luftdruck stellt also eine wichtige Komponente des Ge-
lenkzusammenhalts dar.
102

Der Luftdruck wird überwunden, wenn man z. B. an den Fingern kräftig


zieht. Dann verlieren die beiden miteinander artikulierenden Knochenflächen
den Kontakt, und es entsteht das bekannte, knacksende Geräusch.
Trotz dieser Mechanismen des Gelenkzusammenhalts kann es zu extremen
Belastungen kommen, bei denen der Gelenkzusammenhalt nicht mehr gewähr-
leistet ist. Wenn in diesen Situationen die Gelenkkapsel gezerrt wird, redet man
von einer Verstauchung (Distorsion), die z. T. sogar d ie Bänder des Gelenks mit-
betreffen kann. Wird der Kontakt der miteinander artikulierenden Knochen auf-
gehoben, spricht man von einer Verrenkung (Luxation).

4.3 Bewegungshemmung
Abb.4-1S.
Beispiel für die knöcherne Hemmung
Die Bewegung in einem Gelenk kann physiologischerweise gehemmt sein, d. h.
der Bewegung wie sie am Humeroulnar-
das Ausmaß der Bewegung ist eingeschränkt.
gelenk (Teil des Ellenbogengelenks) vor-
kommt . Bei Bewegung der Elle (Ulna) in
Knochenhemmung
Pfeilrichtung wird das Olekranon (Kno-
Beim Strecken des Armes im Ellenbogengelenk stößt der Processus olecrani, ein
chenpunkt am Ende der Ulna) gegen
Knochenfortsatz der Ulna (Elle), in der Fossa olecrani des Humerus (Oberarm-
den Oberarmknochen (Humerus) stoßen
knochen) auf Widerstand, sodass eine Streckung über diesen Punkt hinaus nicht
möglich ist. Dies wird als Knochenhemmung bezeichnet (Abb. 4-15).

Bandhemmung
Verschiedene Arten der Bewegungs- Wird das Becken beim aufrechten Stand nach hinte n abgewinkelt, kommt man
hemmung schnell an den Endpunkt dieser Bewegung. Dies wird durch das Strecken eines
• Knochenhemmung sehr starken Ligamentes erreicht, des Lig. iliofemorale (Abb. 4-16). Dies wird als
• Bandhemmung Bandhemmung bezeichnet. Die Bandhemmung entlastet u. a. die Muskulatur
• Weichteilhemmung und verhindert eine Überstreckung des Gelenks.
• Kapselhemmung
• Passive Insuffizienz Weichteilhemmung
• Aktive Insuffizienz Bei der Beugung des Armes im Ellenbogengelenk kommt es zum Anschlagen des
Unterarmes an der Oberarmmuskulatur, besonders, wenn der M. biceps brachii
gut ausgebildet ist. Dadurch wird die Beugung gestoppt. Dies nennt man Weich-
teilhemmung (Abb. 4-17).

=>·
111 - Abb. 4-1 6.
Bandhemmung am Beisp iel des lliofemo-
ralbandes (Ligamentum iliofemorale).
Durch dieses Band wird das Abkippen des
Beckens nach hinten verhindert. Das llio-
femoralband ist das stärkste Band im
menschlichen Körper, es hat eine Belast-
barkeit von ca. 350 kg

..
Bewegungshemmung · Kapitel4 · Bewegungsapparat 1 03

Abb.4-17.
Weichteilhemmung am Beispiel der
Unt erarm- und Oberarmmuskulatur.
Wenn der Arm in Richtung des gebogenen
Pfeils bewegt wird, stoßen im Bereich
der geraden Pfeilspitzen Oberarm- und
Unterarmmuskulatur aufeinander
und beenden so die Bew egung

Kapselhemmung
Beim Drehen des Oberarmes um seine Längsachse, nach vorne oder nach hinten,
wird die Gelenkkapsel gespannt und damit eine weitere Drehung verhindert.
Dies ist die Kapselhemmung.

Passive Insuffizienz
Beim Heben des gestreckten Beines nach vorne werden Muskeln auf der Rück-
seite des Beines gedehnt (ischiokrurale Gruppe). Von einem gewissen Punkt an lschiokrurale Gruppe:
kann nicht weiter gedehnt werden, obwohl die Muskeln, die das Heben des Beines M. biceps femori s, M. semimembranosus
nach vorn bewirken, sich noch weiter zusammenziehen (kontrahieren) könnten und M. semitendinosus
(Abb. 4-18). Da dies ein passiver Vorgang ist (die Muskeln werden passiv bis zum
Maximum gedehnt), bezeichnet man ihn als passive Insuffizienz. Insuffizienz
ungenügende Leistung
Aktive Insuffizienz
Man kann sich nicht selbst mit der Ferse in das Gesäß treten, es sei denn, man
würde Anlauf nehmen. Bei einer langsamen Bewegung des Unterschenkels kann
das Gesäß nicht mit der Ferse berührt werden. Bei Nachhilfe von Hand oder mit
entsprechendem Schwung wäre das aber möglich (Abb. 4-19). Dies beruht darauf,
dass sich die Muskelgruppe (auch hier die ischiakrurale Muskulatur) aktiv nicht
weiter verkürzen kann. Diese Muskeln sind damit also aktiv insuffizient.

Abb.4-18.
Die ischiakrurale Muskelgruppe (M. biceps
femoris, M. semimembranosus und
M. semitend inosus) als Beispiel für die
passive Insuffizienz. Bei Anheben des
gestreckten Beins nach vorne (Ante-
version) kann diese Muskelgruppe passiv
nicht weiter gedehnt werden
104

Abb.4-19.
Die ischiakrurale Muskelgruppe (M. biceps
femoris, M. semimembranosus und
M. semitendinosus) als Beispiel für die
aktive Insuffizienz. Es ist nicht möglich,
diese Muskelgruppe aktiv so stark zu ver-
kürzen, dass man mit der Ferse das Gesäß
erreichen kann, lediglich mit Schwung ist
das möglich

4.4 Hilfseinrichtungen des Bewegungsapparates

Hilfseinrichtungen des Bewegungs· Der Bewegungsapparat verfügt über verschiedene Hilfseinrichtungen: Faszien
apparates und Umlenkungen.
• Faszien
• Umlenkungen Faszien
Faszien sind Membranen aus straffem kollagenem Bindegewebe, die Organe um-
hüllen, z. B. Muskulatur, und teilweise am Skelett ansetzen. Durch Faszien werden
die Muskeln gegeneinander abgegrenzt, v. a. wenn es sich um Muskelgruppen mit
unterschiedlicher Funktion handelt, z. B. Trennung der Flexoren (Beugemuskeln)
von den Extensoren (Streckmuskeln). Eine Faszie bedeckt die Muskeln auch
gegen die äußere Oberfläche.

Umlenkungen
• Fibröse Umlenkungen, z.B. Retinakul um Muskeln müssen, um wirksam werden zu können, Gelenke überbrücken. Dafür
• Knöcherne Umlenkungen in Form von kann es nötig sein, dass sie umgelenkt werden müssen. Diese Umlenkung über
Sesambeinen Knochen hinweg kann geschehen
• durch Knochen, sog. knöcherne Umlenkung (Trochlea ossea), oder
• mittels bindegewebiger Strukturen, sog. fibröse Umlenkung (Trochlea fibrosa).

Fibröse Umlenkungen werden meist als Retinakulum bezeichnet. Der Strecker


der großen Zehe (M. extensor haUucis longus), der von der Unterschenkelregion
auf dem Fußrücken zur großen Zehe (Hallux) verläuft, würde sich bei einer
Kontraktion unweigerlich aus der Region des Fußrückens fortbewegen, wenn er
nicht durch ein entsprechendes Retinakulum gehalten würde.
Sehnen, die über knöcherne Umlenkungen verlaufen, stehen unter starker
Belastung, sodass sie vielfach an den betreffenden Stellen Knorpel einbauen oder
sogar verknöchern. Die daraus entstehenden Knochenstücke heißen Sesambei-
ne. Das größte Sesambein des menschlichen Körpers ist die Kniescheibe (Patella).
Einteilung der Muskulatur · Kapitel4 • Bewegungsapparat 1 OS

Die Sehnen werden zusätzlich geschützt: Schutz von Sehnen durch Schleimbeutel
• bei knöcherner Umlenkung häufig durch einen Schleimbeutel (Bursa) und und Sehnenscheide
• bei fibröser Umlenkung durch eine Sehnenscheide (Vagina tendinis).

4.5 Einteilung der Muskulatur

Am Muskel wird zwischen einem fleischigen und einem sehnigen Teil unter- Mögliche Ei nteilungen nach:
schieden, d. h., die Sehne wird als Teil des Muskels betrachtet. Der Muskel nimmt • Zah l und Anordnung der Muskelteile,
seinen Ursprung am Rumpf oder in Rumpfnähe (Origo) mit einer Ursprungs- z. B. zweiköpfig
sehne und setzt am rumpfferneren Knochen (Insertio) an. Dieser »Ansatzkno- • Form und Anordnung der Muskelfasern,
chen« wird durch die Muskeltätigkeit bewegt. z. B. spindelförmige, gefiederte Muskeln
• Eine gebräuchliche Einteilung der Muskeln berücksichtigt Zahl und Anord- • Funkt ion und Lage, z. B. Extensoren und
nung der Muskel teile: So spricht man von einköpfigen, zweiköpfigen und mehr-
köpfigen Muskeln. Teilweise werden die Teile des Muskels als Bauch bezeichnet.
Dann spricht man von einbäuchigen, zweibäuchigen oder mehrbäuchigen
Muskeln.
• Außerdem werden Muskeln nach ihrer Form und Anordnung ihrer Fasern
eingeteilt: So unterscheidet man spindeiförmige Muskeln (M. fusiformis), ge-
fiederte Muskeln (M. uni-, bipennatus) und flächige Muskeln (M. planus). Dies
sind allerdings nur Formbezeichnungen, die bei der Benennung der einzelnen
Muskeln meist nicht verwendet werden. Ausnahmen sind jedoch vorhanden,
z. B. M. deltoideus ( deltaförmiger Muskel am Schultergelenk), M. biceps brachii
(zweiköpfiger Oberarmmuskel).
• Viel häufiger werden die Muskeln nach ihrer Funktion und Lage bezeichnet,
z. B. der M. extensor pollicis brevis (kurzer Strecker des Daumens) oder der
M. Ievator ani (Heber des Anus} etc.
• AUgemein werden Muskeln, die beugen, als Flexoren (Beuger) und Muskeln, die
strecken, als Extensoren (Strecker) bezeichnet. Ringförmige Muskeln ver-
schließen meist Körperöffnungen und werden als M. sphincter (Schließmuskel)
bezeichnet.

4.5.1 Muskeltätigkeit

Isotonische und isometrische Kontraktion Formen der Muskelkontraktionen


Ein Muskel kann seine Länge verändern durch Kontraktion (Zusammenziehung) • isometrisch
oder durch Dilatation (Dehnung). Die Dehnung wird meist durch einen • Flexoren
Gegenspieler bewirkt, der Antagonist genannt wird. Unterstützen sich 2 Muskeln • exzentrisch
in ihrer Wirkung, bezeichnet man sie als Synergisten. Ein typisches Beispiel • konzentrisch
dafür ist die Wirkung der Muskeln am Oberarm: Der M. biceps brachii (zweiköp-
figer Oberarmmuskel) und der M. brachialis (Armbeuger) sind in Bezug auf die
Armbeugung Synergisten, d. h. sie unterstützen sich gegenseitig und bewirken
beide eine Flexion (Beugung) im Ellenbogengelenk. Der M. triceps brachii (drei-
köpfiger Oberarmmuskel) der auf der Rückseite des Oberarms liegt, wirkt auf die
beiden anderen Muskeln als Antagonist, da er eine Extension (Streckung) im
Ellenbogengelenk bewirkt.
Eine Erhöhung der Muskelspannung entsteht durch eine größere Kraftent-
wicklung. Dies führt bei nicht fixierten Gliedmaßen zu einer Muskelverkürzung.
Eine entsprechende Muskeltätigkeit bezeichnet man als isotonisch (mit gleich-
106

• Isotonisch: Erhöhung der Muskel- bleibender Kraft). Demgegenüber wird die Kraftanstrengung, die nicht zu einer
spannung mit Muskelverkürzung Verkürzung, sondern nur zu einer Erhöhung der Muskelspannung führt, isome-
• Isometrisch: Erhöhung der Muskel- trisch (mit gleichbleibender Länge) genannt. Dies ist z. B. der Fall bei dem Ver-
spannung ohne Muskelverkürzung such, die eigenen, ineinandergekrallten Hände auseinanderzuziehen. Man kann
praktisch die meisten Muskeln sowohl isotonisch wie isometrisch betätigen.
Damit besteht auch für bettlägerige Patienten die Möglichkeit, ihren Körper zu
betätigen, sie können isometrische Übungen durchführen. Kurze isometrische
Übungen ( ca. 10-12 s dauernde isometrische Kontraktionen) stellen bereits einen
Entwicklungsreiz für die Muskulatur dar, die darauf ähnlich reagiert wie auf den
isotonischen Reiz.

Exzentrische Kontraktion Exzentrische Kontraktion


Muskelanspannung mit Dehnung Wird ein Muskeltrotz Anspannung verlängert, d.h. unter Arbeit gedehnt, nennt
man das eine exzentrische Bewegung. Exzentrische Bewegungen kommen häufig
vor, z. B. wenn man einen schweren Gegenstand langsam auf den Boden stellt
(oder allgemein bei bremsenden Bewegungen). Dabei ist der Muskel kontrahiert,
wird jedoch trotzdem gedehnt. Geschieht dies bei einem ermüdeten Muskel, der
relativ wenig ATP-Moleki.ile enthält, kommt es nach heutiger Auffassung zu ei-
nem Muskelkater.Dieser entsteht durch passive Verlängerung der Sarkomere. Da
die ATP-Moleküle gebraucht werden, um die Aktin-Myosin-Verbindung zu lösen
(s. unten Kontraktion der Muskulatur),kommt es in diesem Fall bei ihrem Fehlen
zum Reißen dieser Verbindungen. Reines konzentrisches Training (z. B. Fahrrad
fahren) führt kaum zu nennenswertem Muskelkater, da hier keine passive Ver-
längerung durch eine Bremsbewegung zustande kommt. Fehlt ATP, führen kon-
zentrische Bewegungen jedoch zu Krämpfen.

Kraftentwicklung
Die maximale Kraft emes gut trainierten Muskels beträgt zwischen 5 und
10 kg/cm 2 Faserquerschnitt Die Kraft eines Muskels errechnet sich aus dem phy-
siologischen Querschnitt. Dieser Querschnitt muss nicht immer mit dem Mus-
kel- bzw. anatomischen Querschnitt übereinstimmen.
• Anatomischer Querschnitt: Er erfolgt quer zur Verlaufsrichtung des Muskels.
• Physiologischer Querschnitt: Dies ist der eigentliche Faserquerschnitt (also
quer zur Verlaufsrichtung der Muskelfasern). Bei schrägem Faserverlauf kann
er durchaus wesentlich über dem anatomischen Querschnitt liegen.

Ablauf der Muskelkontraktion Kontraktion der Muskulatur, Grundlagen und Steuerung


• Ausschüttung von ACH an motorischer Die Skelettm uskulatur ist der Willkürmotorik unterworfen (s. Abschn. 5 .10) und
Endplatte wird letztlich über d ie Motoneurone zur Kontraktion veranlasst. Die Motoneuro-
• Endplattenpotential ne stehen über die motorischen Endplatten mit den Muskelfasern in Kontakt.
• Aktionspotential bis zur Muskelfaser Motorische Endplatten sind spezifische Synapsen der Skelettmuskulatur. Durch
• Ausschüttung von Kalzium die Ausschüttung von Azetylcholin (ACH) an den Endplatten kommt es zur
• Bindung an Troponin und Auslösung Ausbildung eines Endplattenpotentials (EPP). Bei einer entsprechenden Höhe
einer Muskelkontrakt ion des EPP wird au tomatisch ein Aktionspotential ausgelöst, das sich entlang der
Oberfläche der Muskelfaser ausbreitet. Über die Transversaltubuli (Abb. 4-20) der
Muskelfasern wird es bis in das Innere der Muskelfasern geleitet. Das führt zu ei-
ner Ausschütt ung von Kalzium aus den Zisternen des sarkoplasmatischen Reti-
kuJums. Dam it steht in den Muskelfasern Kalzium zur Verfügung, um den Kai-
Einteilung der Muskulatur· Kapitel4 · Bewegungsapparat 107

Abb.4-20.
Schnittzeichnung durch eine Muskelfaser,
mit mehreren Myofibrillen. Transversal-
tubuli durchdringen die Muskelfaser und
leiten somit die einlaufende Erregung an
die Zisternen des sarkoplasmatischen
Retikulums. Aus diesen Zisternen wird als
Trans· --<~­ Folge das für die Kontraktion notwendige
versallubuli
Kalzium ausgeschüttet
(T-Tubuli)

sarko-
plasmatisches
Retikulum
-=--
- - - ---'1

ziumschalter des Troponin zu betätigen (Abb. 4-21a). Dabei kann unter Abspal-
tung eines Phosphatrestes vom Adenosintriphosphat (ATP) eine Muskelkontrak- ATP erforderlich für die Lösung
tion stattfinden. Dabei knicken die Köpfchen des Myosins, die am Aktin gebun- der Myosin-Aktin-Verbindung
den sind, ab und schieben sich somit weiter zwischen die Aktinfilamente hinein.
Zum Lösen der Verbindung und zum Beginn eines weiteren Hineinschiebens
braucht es pro Köpfchen je ein weiteres ATP-Molekül. Fehlt ATP, bleibt die starre
Verbindung erhalten. Dies kann sich beim lebenden Menschen in einem Krampf
äußern. Bei Toten führt der langsam auftretende ATP-Mangel zur Totenstarre, die
erst wieder aufgelöst wird, wenn die Aktin-Myosin-Verbindung durch post-
mortale allgemeine Auflösung des Gewebes und der Zellen gelöst wird.
Sobald die Kalziumionen unter physiologischen Bedingungen bei Lebenden
wieder über eine in den Membranen sitzende Kalziumpumpe in das sarkoplas-
matische Retikulum zurückgepumpt worden sind, kommt es zur Muskelrelaxa-
tion (Muskelentspannung).
Auf einen einzelnen ervenimpuls folgt nur eine Einzelzuckung. Treffen vie-
le Reize hintereinander ein, summieren sich diese und es kommt zu vielen Kon-
traktionen und damit zu einem Spannungsanstieg im Muskel. Verschmelzen die
Einzelzuckungen fast vollständig miteinander, entsteht eine Dauerkontraktion,
die als Tetanus bezeichnet wird. Im Unterschied zum Skelettmuskel ist der Herz-
muskel nicht tetanisierbar. Das wäre auch katastrophal, da eine Dauerkontrak-
tion nicht der rhythmisch notwendigen Muskelkontraktion des Herzens ent-
spricht.
Die Verbindung von einlaufendem Nervenimpuls und daraus resultierender
Muskelkontraktion wird als elektromechanische Koppelung bezeichnet (Abb. 4-21b).
108

Abb. 4-21a, b.
Durch den Nervenimpuls an der motori-
schen End platte, vermittelt an die Zister-
nen des sarkoplasmatischen Retikulums
kommt es zu einer Ausschüttung von Kal-
zium, das sich mit dem Troponin bindet
(a). Dadurch erfolgt eine Veränderung am
Troponin die in ihrer Folge zu einer Ver-
lagerung führt (b). Damit kann der
Tropemyosinfaden die Bindungsstelle für
das Myosin freigeben t,.md eine Kontrak-
tion ermöglichen. Diese Verbindung
zwischen einlaufendem Nervenimpuls
und anschließender Kontraktion, die über
die Kalziumausschüttung ermöglicht wird, b

bezeichnet man als elektromechanische


Koppelung.

Muskel- und Sehnenspindeln reg istrieren Die einzelnen Motoneurone versorgen je nach Köperregion untersch iedlich
Ausmaß der Kontraktion und Muskel- viele Muskelfasern und fassen sie damit zu motorischen Einheiten zusammen. So
dehnung zur Bewegungskontrolle kann eine motorische Einheit in den äußeren Augenmuskel n nur etwa ein halbes
Dutzend Muskelfasern umfassen, in anderen Muskeln, z. B. im M. quadriceps fe-
moris können das mehrere hundert Muskelfasern sein, die alle von der gleichen
Nervenfaser versorgt werden. Im letzteren Fall heißt das, dass bei einem einzigen
Nervenimpul s sich gleichzeitig einige hundert Muskelfasern kontrahieren. Ne-
ben den efferenten Impulsen (aus dem Zentralnerven system absteigenden ), die
Befehle für die Muskelkontra ktion geben, existieren noch afferente (aufsteigen-
de) Impulse. Diese kommen aus spezifischen Rezeptoren (für die Reizaufnahm e
spezialisierte Zellen), die im Muskel als Muskelspinde ln und in den Sehnen als
Sehnenspinde ln bezeichnet werden (s. Kap. 5, Nervensystem ). Diese Rezeptoren
registrieren das Ausmaß der Kontraktion und Dehnung der Muskeln und helfen
bei der Bewegungsko ntrolle (teils bewusst, teils unbewusst und reflektorisch) . An
der Bewegungs- und Haltungskont rolle sind aber auch Gleichgewich ts-, Lage-
und Bewegungsre zeptoren des lnnenohres, Rezeptoren in den Gelenkkapsel n
und d er Haut sowie d ie optische n Kontrollmech anismen (Auge) beteiligt.

Funktionen der Muskulatur


Aufgaben der Muskulatur Die Hauptaufgabe der Skelettmusku latur ist die Bewegung von Körperteilen m it
• Bewegung dem Ziel der Fortbewegung in der Umwelt und zur Einwirkung auf die Umwelt.
• Erzeugung von Wärme Da Muskelkontra ktionen stets Wärme freisetzen, ist die Muskulatur auch für den
• Muskelpumpe Wärmeh aushalt des Körpers von Bedeutung. Somit ist es nachvollziehb ar, dass
man bei Kälte zittert, da der Körper auf diese Weise versucht, vermehrt Wä rme zu
erzeugen.
Weiterhin hat die Muskulatur im Kreislaufsyste m eine Bedeutung: durch die
komprimieren zusammendrücken Muskelkontra ktion werden venöse Gefäße komprimiert. Werden Venen kompri-
miert, wird Blut verdrängt, die sog. Muskelpump e.ve nenklappen, die als Ventil
Einteilung der Musku latur · Kapitel4 · Bewegungsapparat 109

wirken (s. Abschn. 7-2.4), regeln dabei die Fließrichtung des Blutes; somit führt
eine Kompression der Venen zwangsläufig zu einem Rückstrom des Blutes
Richtung Herz.

4.5.2 Punctum fixum/Punctum mobile

Die Wirkungen der Muskeln auf den menschlichen Körper hängen u. a. auch da-
von ab, ob die entsprechenden Gliedmaßen ftxiert (fest, ruhig) oder frei beweg-
lich sind. Wirft man einen Ball, ist der bewegliche Punkt, der Punctum mobile, die
Hand und der feste Punkt, der Punctum fixum, das Schultergelenk. Bei einem
Klimmzug ist der feste Punkt die Hand und der bewegliche Punkt die Schulter.
Ähnlich ist es bei den Beinen: Hier spricht man von einem Standbein, wenn der
Fuß auf dem Boden steht, und von einem Spielbein, wenn der Fuß frei bewegt
werden kann. Dementsprechend unterschiedlich ist die aus einer Muskelkon-
traktion resultierende Bewegung.

4.5.3 Zerlegung der Muskelkraft

Will man über einen Fluss schwimmen, wird man sich auf der anderen Seite des
Flusses einen Punkt suchen, den man erreichen will. Durch die Kraft des Stromes Teilkräfte der Muskelkontraktion:
wird man allerdings weit von diesem Punkt flussabwärts getrieben. Die Linie, die • Bewegungskomponen te
aus den Kraftanstrengungen der Schwimmbewegungen und der Kraft des Flus- • Gelenkkomponente
ses resultiert, wird als Resultante bezeichnet. Die einwirkenden Kräfte werden
Vektoren genannt. Um die Resultante zu berechnen, muss die Größe der Vektoren
bekannt sein, d. h. die Stärke der beiden Teilkräfte (Schwimmer und Strom). Das
ist eine relativ komp lizierte Rechnung, die man für die Muskulatur zum Glück
nicht ausführen muss, da die Resultante bekannt ist. Sie entspricht genau der Ver-
laufsrichtungdes Muskels. Unbekannt hingegen ist das Kräfteverhältnis der bei-
den Teilkräfte. Die Muskelkraft kann unterteilt werden in eine Bewegungskom-
ponente (die zur Verfügung stehende Kraft) und eine Gelenkkomponente, die
für den Gelenkzusammenhalt sehr wichtig ist.
Um die Größe der beiden Kräfte zu ermitteln, bedient man sich des Kräfte-
parallelogramms: Beispielhaft wird dies am Arm demonstriert. In den Abbildun-
gen 4-22a, b ist schematisch der M. brachialis in seiner Verlaufsrichtung einge-

Abb. 4-22a,b.
Anhand des Kräfteparallelogramms lässt
sich am Beispiel des Arms darstellen, dass
bei gestrecktem Arm (b) eine größere Ge-
lenkkomponente (G) und bei angewinkel-
tem Arm (a) eine größere Bewegungs-
komponente (8) vorhanden ist. Der rote
Pfeil kennzeichnet jeweils den Verlauf des
Muskels (hier z. B. M. brachialis) und damit
die Resultante des Kräftepa rallelogramms
G G
8 b
110

zeichnet. Er entspricht also der Resultante. Aus dem dargestellten Kräfteparalle-


logramm wird deutlich, dass beim leicht gestreckten Arm die Gelenkkompo-
nente sehr viel größer ist als die Bewegungskomponente, d. h., dass die Kraftent-
wicklung für eine Leistung nur relativ gering ist. Bei angewinkeltem Arm steht
eine große Bewegungskomponente einer kleinen Gelenkkomponente gegenüber.
Praktisch wendet man dies automatisch an: Niemand hebt einen schweren
Gegenstand mit gestrecktem Arm auf, weil dabei die Bewegungskomponente des
M. brachialis praktisch Null beträgt und die gesamte Kraft des Muskels nur als
Gelenkkomponente zur Verfügung steht.
Die Wirkung eines Muskels ist aber auch abhängig von der Länge seines
Hebelarms.

Je näher der Muskelansatz bei der Gelenkachse liegt, desto weniger muss er sich
verkürzen, aber desto stärker muss er kontrahieren (d. h. Kraft entwickeln), uro
eine bestimmte Hubhöhe zu erzielen. Daraus folgt. dass bei gegebener Kontrak-
tionskraft ein Muskel um so mehr Last bewegen kann, je weiter seine Ansatz-
stelle von der Gelenkachse entfernt ist.
Skelett · Kapitel4 · Bewegungsapparat 111

Spezieller Teil

Der spezielle Teil des Bewegungsapparates befasst sich mit den Skelettteilen
(Abb. 4-23) und Muskeln der einzelnen Körperregionen sowie ihrem Zusammen-
spiel. Auch die Durchtrittsöffnungen an der Schädelbasis werden in diesem Ab-
schnitt erwähnt. Sie haben zwar keinen direkten Bezug zum Bewegungsapparat;
da jedoch der Schädel in diesem Kapitel dargestellt wird, erscheint es richtig, hier
kurz auf die Schädelbasis einzugehen.

Schädel mit dem Abb.4-23.


-·-·fi
-!-~
Hinterhauptbein

,. .. .
Dorsalansicht eines Skeletts
(Os occipitale)
•' 1
.
Unterkiefer
,-
Halswirbel
(Mandibula)
(Zervikalwirbel) ~

Schlüsselbein 1.Aippe h
(Ciavicula)
Oberarmknochen
Schulterhöhe
(Akromion)

(Humerus) .!!
Rippe SchulterblaU
,-
(Costa) (Scapula)
'
Lendenwirbelsäule
(Lumbalwirbel·
Brustwirbelsäule
(Thorakalwirbel · .. : -- -.
...
silule) säule)
:
Darmbein Elle
(Osilii) (U lna)

Kreuzbein Speiche
(Os sacrum) (Radius)
Handwurzel· ... "-

.
knochen MIHelhand·
(Karpalknochen) knochen

. '"
(Metakarpal·
Steißbein knochen)
(Os coccygis)
Oberschenkel-
knochen
Kniegelenk mit (Femur)
den Menisci
laterale Gelenk-
fläche des Ober·
SChenkelknochens
(Condylus lateralis)
J..,
:... .,.
......
Wadenbein
(Fibula) Schienbein
(llbia)
.•
MiHelfuß·
knochen
Fersenbein (Metatarsal-
~~
~

(Calcaneus) knochen
112

Um die genaue Position von Körperteilen zu bezeichnen, muss deren Lage-


beziehung genannt werden. Das gleiche gilt für die Ebenen des Körpers. Für bei-
des gibt es eine Sammlung von Begriffen, die für das Lernen der Körperstruktu-
ren und insbesondere des Bewegungsapparates Voraussetzung ist. Abbildungen
4-24-4-26 fassen die verschiedenen Lage- und Richtungsbegriffe am Körper so-
wie die verschiedenen Ebenen zusammen. Zum schnellen Nachschlagen sind die
wichtigsten Begriffe auf der Innenseite des Einbandes aufgeführt.
Am Körper werden 4 große Regionen unterschieden:
• Kopf (Caput),
• Hals (Collum),
• Rumpf (Truncus),
• Arme und Beine (Extremitäten).

Im folgenden werden zuerst die Skelettanteile, also die Knochen, die Gelenke und
anschließend die Muskeln mit ihrer Funktion beschrieben. Sowohl beim Skelett

kranial

kranial

anterior posterior

ventral dorsal

distal

proximal

kaudal

distal

kaudal

Abb. 4-24. Abb. 4-25.


Darstellung der verschiedenen Lage- und Richtungsbegriffe Darstellung der verschiedenen Lage- und Richtungsbegriffe
am Körper in der Vorderansicht (Ventralansicht) am Körper in der Seitenansicht (Lateralansicht)
Skelett · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 113

Abb. 4-26.
Darstellung verschiedener Ebenen
im Körper

als auch bei den Muskeln wird auf Vollständigkeit zugunsren der funktionellen
Übersicht verzichtet, womit die wichtigsten Anteile des Bewegungsapparates im
Zusammenhang deutlich werden.

4.6 Skelett

4.6.1 Schädel

Der menschliche Schädel besteht aus 28 Knochen. Davon sind 6 die kleinsten
Knochen des Körpers, die Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbü-
gel), je 3 im linken und 3 im rechten Mittelohr. Diese werden im Kapitel 16 Sin-
nesorgane (Ohr) dargestellt. Von den restlichen 22 Knochen werden im folgen-
den nur die wichtigsten dargestellt. Die meisten Schädelknochen sind auf den
Abbildungen zu sehen, sie werden deshalb im Text nur kurz erwähnt.
Wo 2 oder mehr Schädelknochen aneinanderstoßen, befinden sich die Schä-
delnähte, die sog. Suturen (s. Abb. 4-30). Die wichtigsten sind die Sutura lamb-
doidea, die Sutura coronalis und ctie Sutura sagittalis. Die Sutura lambdoidea be- Wichtige Suturen des Schädels
findet sich zwischen den beiden Scheitelbeinen (Os parietale) und dem Hinter- • Sutura lambdoidea (Lambdanaht}
hauptbein (Os occipitale). Die Sutura sagittalis befindet sich zwischen den bei- • Sutura coronalis (Kronennaht)
den Scheitelbeinen in der Mitte des Schädeldaches. Die Sutura coronalis schließ- • Sutura sagittalis (Pfeilnaht}
lich befindet sich zwischen dem Stirnbein und den beiden Scheitelbeinen.
114

, Ansicht des Schädels von oben


Der Aufbau des Schädels ist in der Ansicht von oben am deutlichsten erkennbar
(Abb. 4-27).Aus dieser Perspektive sind 4 Knochen und die o. g. Suturen zu sehen:
• das Stirnbein (Os frontale),
• zwei Scheitelbeine (Os parietale),
• das Hinterhauptbein (Os occipitale).

•Große ·Öffnungen des Schädels Frontalansicht des Schädels


-Augenhöhlen (Orbita) In der Frontalansicht sind die verschiedenen Schädelknochen mit ihren Öffnun-
- Nasenöffnung (Apertura piriformis) gen zu sehen (Abb. 4-28). Die größten Öffnungen sind die Augenhöhlen (Orbita),
- Mundöffnung (Os) die birnenförmige Nasenöffnung (Apertura piriformis) und die Mundöffnung
• Kleine Öffnungen für die Endäste (Os). Jeweils 3 kleinere Öffnungen sind auf beiden Seiten in einer Linie zu sehen:
des N_ trigeminus die Öffnungen für die 3 Endäste des N. trigeminus, nämlich für den
• N. ophthalmicus (Foramen supraorbitale),
Frontalansicht des Schädels • N. maxillaris (Foramen infraorbitale) und
• Os frontale (Stirnbein) • N. mandibularis (Foramen mentale).
• Oberkieferknochen (Maxilla)
• Unterkiefer (Mandibula) Das Os frontale (Stirnbein) bildet die Stirn und begrenzt die vordere Schädelgru-
• Jochbein (Os zygomaticum) be nach vorne (frontal), außerdem bildet es den oberen Rand der Augenhöhle.
• Nasenknochen (Os nasale) Ein großer Teil des vorderen Gesichtsschädels wird durch den Oberkieferkno-
chen (Maxilla) gebildet. Dieser Knochen bildet die mediale und untere Begren-
zung der Augenhöhle. Der Oberkieferknochen besitzt einen zahntragenden Teil
(Processus alveolaris), der mit seinen Zahnfachern (Alveolen) die Oberkiefer-
zähne trägt. Der Unterkiefer (Mandibula) besitzt ebenfalls einen zahntragenden

..
... Stirnbein
(Os frontale)

Kronennaht
(Sutura coronalis)

Stirnbein Einbuchtung
(Os frontale) N. supraorbitaUs
(lncisura supra-
orbitalis)

Öffnung für den Jochbein


N. infraorbitaUs (Os zygo-
Scheitelbein (Foramen infra- maticum)
(Os parietale) orb~ale)
untere Nasen-
muschel
(Concha nasalis
inferior)
Schädelnaht '
zwischen Scheitelbein Öffnung für den
und Hinterhauptbein Hinterhauptbein N. mentalis
(Sutura lambdoidea) (Os occipitale) (Foramen mentale)

Abb. 4-27. Abb-4-28.


Aufsicht auf einen Schädel von oben. Die Schädelnähte (Suturen) Schädel in der Frontalansicht Der N_supraorbitalis ist ein Endast
sind aus Stabilitätsgründen sehr stark miteinander verzahnt des N. ophthalmicus, der N. infraorbitalis des N. maxillaris

.. und der N. mentalis ist ein Endast des N. mandibularis. Alle 3 sind
ihrerseits Aste des N. trigeminus
Skelett· Kapitel 4 · Bewegungsapparat 11 S

Teil (Pars alveolaris), der auf dem Korpus (Körper) des Unterk iefers sitzt. Hinten
steigt der Unterkiefer mit seinem Unterkieferast (Ramus), der den Gelenkfort-
satz trägt, gegen das Kiefergelenk auf.
Der Gelenkfortsatz (Processus condylaris) bildet mit einer Vertiefung auf der
Schädelunterseite (Fossa mandibularis) das Kiefergelenk. Vor dem Kiefergelenk
befindet sich ein Knochenfortsatz (Processus coronoideus) für den Ansatz des
größten Kaumuskels, den Schläfenmuskel (M. temporalis). Relativ klein sind die
beiden Nasenknochen, Os nasale, die den oberen Bereich der Nasenöffnung
begrenzen; sie grenzen oben an das Stirnbein und seitlich an den Oberkiefer-
knochen. Weiter seitlich ist zwischen dem Stirnbein und dem Oberkiefer das
Jochbein (Os zygomaticum) eingefügt. Es bildet den seitlichen Rand und einen
Teil des Unterrandes der Augenhöhle. Das Jochbein ist der eigentliche Backen-
knochen, der bei den verschiedenen Menschenrassen sehr unterschiedlich aus-
geprägt ist.

Seitenansicht des Schädels Seitenansicht des Schädels


In der Seitenansicht sieht man neben den bisher schon beschriebenen Knochen • Scheitelbein (Os parietale)
das Scheitelbein (Os parietale), das einen Großteil des Schädeldaches bildet, und • Hinterhauptbein (Os occi pitale)
das Hinterhauptbein (Os occipitale), das den hinteren (dorsalen) Pol des Schä- • Schläfenbein (Os temporale)
dels bildet (Abb. 4-29). Es ist mit dem Scheitelbein durch die Sutura lambdoidea • Felsenbein (Pars petrosa)
verbunden. Ein weiterer in der Seitenansicht sichtbarer Knochen ist das Schlä- • Warzenfortsatz (Processus mastoideus)
fenbein (Os temporale), das in der unteren seitlichen Schädelregion liegt. Das
Loch im unteren Teil des Schläfenbeins ist clie Öffnung des äußeren Gehörganges
(Porus acusticus externus). Zum Schläfenbein gehört auch das Felsenbein (Pars
petrosa), in dem sich das Innenohr mit dem Hörorgan und dem Gleichgewichts-
organ befindet. Im unteren hinteren Teil des Schläfenbeins ist der Warzenfortsatz
(Processus mastoideus) zu sehen, an dem der Kopfwender entspringt (M. sterno-
cleidomastoideus). Vom Schläfenbein geht ein Fortsatz (Processus zygomaticus)
ab, der mit einem Fortsatz des Jochbeins (Processus temporalis) gemeinsam den
Jochbogen (Arcus zygomaticus) bildet. Unterhalb des Jochbogens verläuft der
Schläfenmuskel (M. temporalis) als Kaumuskel zum Unterkiefer.

Stirnbein Abb. 4-29.


Scheitelbein (Os frontale)
(Os parietale) Schädel in der Seitenansicht
Keilbein
(Os
Schläfenbein sphenoidale)
(Os temporale)

Nasenbein
Hinterhauptbein (Os nasale)
(Os occipitale) __.._ _ _ Jochbeln

(Os zygo-
äußerer
maticum)
Gehörgang
(Meatus acuslicus Oberl<iefer
extemus) (Maxilla)

Warzenfortsatz
(Processus
mastoideus)
116

Strukturen der Schädelbasis


An der Schädelbasis treten wichtige Leitungsbahnen in die Schädelhöhle hinein
und aus dieser heraus, deshalb wird diese kurz von innen nach außen beschrie-
ben (Abb. 4-30 ).

Ansicht der inneren Schädelbasis


Werden die Schädelkalotte, d. h. das Dach des Schädels, eröffnet und die Weich-
teile entfernt, blickt man in 4 Räume des Schädelinneren (Abb. 4-31 ):
• die vordere Schädelgrube (Fossa cranii anterior),
• die beiden mittleren Schädelgruben (Fossa cranii media) und
• die hintere Schädelgrube (Fossa cranii posterior).

Vordere Schädelgrube Der Boden der vorderen Schädelgrube wird zu einem Großteil vom Stirnbein ge-
• Stirnbein (Os frontale) bildet. Zwischen den beiden Fortsätzen des Stirnbeines liegt das Siebbein (Os
• Siebbein (Os ethmoidale) mit ethmoidale) mit der Siebbeinplatte (Lamina cribrosa), durch deren Löcher die
Siebbeinplatte (Lamina cribrosa) Riechfäden (Fila olfactoria) nach unten in die Nasenhöhle eintreten. Die Grenze
und Riechfäden zwischen der vorderen und der mittleren Schädelgrube wird durch das Keilbein
• Keilbein (Os sphenoidale): Grenze (Os sphenoidale) mit seinen beiden Keilbeinflügeln gebildet. Im Keilbein liegt
zwischen vorderer und mittlerer die Öffnung der Augenhöhle, der optische Kanal (Canalis opticus) und es bildet
Schädelgrube die Grube (Fossa hypophysialis), in der die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) liegt.
Der Boden der mittleren Schädelgrube wird zum größten Teil durch das
Mittlere Schädelgruben Schläfenbein (Os temporale) gebildet. Im linken sowie dem rechten Teil der
• Schläfenbein (Os temporale) mittleren Schädelgrube befinden sich wic htige Öffnungen für den Durchtritt von
• Felsenbein mit Innenohr Nerven und Gefäßen. Auf beiden Seiten tritt jeweils die innere Karotisarterie (A.
• Wichtige Durchtrittsstellen von Nerven carotis interna) durch den Karotiskanal (Canalis caroticus) hindurch. Das runde
und Gefäßen Loch (Foramen rotundum) ist Durchtrittsöffnung für denN . maxillaris; das ovale
Loch (Foramen ovale) für denN. mandib ularis. Die innere Gehöröffnung (Porus

Abb.4-30. Pfeilnaht
'j>---~'::"'11~----
Schädel in der Dorsalansicht Scheitelbein (Sutura sagittalis)
(Os parietale)

ve~.~-~-- Lambdanaht
(Sutura
lambdoidea)
Hinterhauptbein - -llft----.r-- -
(Os occipitale)

Schläfenbein - --lf-
(Os temporale)

,..--AM~ -.'1-- - Warzenfortsatz


(Processus
mastoideus)
Öffnung des ------\-1• ,~
Unterkiefer-
kanals für den
N. alveolaris
-.....-- - - - Unterkiefer
inferior (Mandibula)
(Foramen
mandibulae)
Skelett· Kapitel 4 · Bewegungsapparat 117

Hahnenkamm (Crista galli) Abb.4-31.


hier befestigt die Hirnsichel
Einblick in den eröffneten Schädel
Siebplatte
vordere Schädel-
grube
(Lamina von oben mit der Innenansicht
cribrosa)
(Fossa cranii der Schädelbasis
anterior)
Hypophysen-
Kana.l des grube
(Fossa hypo-
physialis)

rundes Loch
(Foramen Abdruck der
rotundum A. meningea
fürden medla
N. maxillaris) zerissenes Loch
(Foramen
ovales Loch
lacerum)

Felsenbein des
Sen Iaienbeins
Jochöffnung (Pars petrosa)
(Foramen
jugulare)
Furche des
Sinus sigmoideus
(Sulcus slnus
hintere Schädel-
sigmoidei)
grube
(Fossa cranii
posterior)
großes Hinterhauptloch
(Foramen magnum)

acusticus internus) wird vom . facialisund dem N. statoacusticus benutzt. Eine


weitere wichtige Öffnung dient dem Abfluss des venösen Blutes aus dem Schädel,
das Foramen jugulare.
Die hintere Schädelgrube wird hauptsächlich durch das Hinterhauptbein Hintere Schädelgrube
gebildet, das das größte Loch in der Schädelbasis begrenzt: das große Hinter- • Hinterhauptbein (Os occipitale)
hauptloch, das Foramen magnum. Hier tritt der Hirnstamm mit dem Rücken- mit Foramen magnum
mark in Verbindung.
Bei einer Verletzung der Schädelbasis (z. B. Schädelbasisbruch) besteht im-
mer die Gefahr, dass auch die durchtretenden Leitungsbahnen, also Nerven und
Gefäße, betroffen sind und dies lebensbedrohlich sein kann.

Ansicht der äußeren Schädelbasis


Bei Aufsicht von unten auf die von allen Weichteilen befreite Schädelbasis ist
ebenfalls eine große Anzahl von Öffnungen zu sehen, die dem Durchtritt von
Leitungsbahnen dienen (Abb. 4-32).
Im Gaumenbereich ist die Öffnung für den N. nasopalatinus (Foramen incisi-
vum) zu sehen. Oberhalb des hinteren Gaumenendes sind die inneren Nasenöff-
nungen (Choanen) vorhanden, die durch das Nasenseptum voneinander ge-
trennt sind. Links und rechts davon sind die Löcher für denN. mandibularis, das
Foramen ovale, und für die A. meningea media, das Foramen spinosum. Etwas
weiter nach hinten liegt die äußere Öffnung des Karotiskanals (Canalis caroticus)
für den Durchtritt der A. carotis interna, die das Schädelinnere mit Blut versorgt.
Seitlich von diesen 3 zuletzt genannten Löchern liegt die Grube des Kiefergelenks
(Fossa mandibularis), direkt dahinter der Eingang in den äußeren Gehörgang
118

Abb.4·32. Oberkiefer Öffnung für den N. nasopalatinus


Ansicht der Schädelbasis von außen. (Maxilla) (Canalls lncisivus)
Das zerrissene Loch (Foramen lacerum) untere Augen· / Gaumenbeln
höhlenspalte (Os palatinum)
ist beim Lebenden durch Faserknorpel (Fissura orbitaUs
inferior) ovales Loch
verschlossen. (Foramen ovale)
= AustriHsort für
innere Nasen· denN. mandlbularis
öffnung
(Choanen) Loch für den
Flügelfortsatz Austrittder
(Processus ---+-'\'-:,_..,.,.._~,..- l A. meningea media
pterygoideus) (Foramen spinosum)

Grube des Loch des


Gehörganges
(Perus acusticus
extemus)
Griffelfort· äußeres Karotisloch
(für den DurchtriH
satz
(Prooessus
styloideus) I
1 der A. carotis Interna)

Warzenfortsatz Gelenkfläche des


(Prooessus oberen Kopfgelenkes
mastoideus) (Condylus occipltalis)

zerissenes Loch Ursprungsfläche der Nacken·


(Foramen lacerum) und Ruckenmuskulatur

(Porus acusticus externus). Auf der Ansicht von unten sind deutlich die beiden
Gelenkknorren des oberen Kopfgelenks (Articulatio atlantooccipitalis) zu sehen.
Zwischen ihnen liegt das größte Loch in der Schädelbasis, das große Hinter-
hauptloch (Foramen magnum), für die Verbindung von Hirnstamm und Rücken-
mark. Hinter dem Hinterhauptloch ist eine große Ursprungsfläche der Nacken-
und Rückenmuskulatur vorhanden.

Bei Verletzungen der Schädelbasis ist der Canalis caroticus (Eintrittsort der
Karotisarterie) stark gefährdet, weil Blutungen in diesem Bereich nur schwer
gestoppt werden können und innerhalb von Minuten zum Tode führen können.

Zungenbein
In der Halsregion direkt unterhalb des Schädels befindet sich das Zungenbein, Os
hyoideum (s. Abb. 4-55). Fährt man mit dem Finger am Mundboden entlang,
• suprahyale Muskeln Richtung Hals, tastet man das Zungenbein in der Verlängerung des Mundbodens.
oberhalb des Zungenbeins gelegene Das Zungenbein ist ein einzelner, isolierter Knochen und dient als Ansatz für die
Muskeln Muskulatur. Von oben her setzen Muskeln an, die man zur Mundbodenmuskula-
• infrahyale Muskeln tur, sog. suprahyale Muskeln rechnet. Von unten sind es Muskeln, die zwischen
unterhalb des Zungenbeins gelegene dem Zungenbein und dem Brustbein verlaufen, sie heißen untere Zungenbein-
Muskeln muskeln, sog. infrahyale Muskeln.

Das Skelett des Rumpfes besteht aus dem Brustkorb (Thorax) mit der Wirbelsäule
(Columna vertebralis) und dem Becken (pelvis).
Skelett · Kapitel4 · Bewegungsapparat 119

Wirbelsäule
Die Funktionen der Wirbelsäule sind vielfältig:
• Stützen bzw. Tragen von Kopf und Rumpf,
• Schutz des Rückenmarks,
• Austrittsort für die Spinalnerven,
• Ort des Ansatzes und Ursprungs von Muskeln,
• Beweglichkeit von Kopf und Rumpf.

Um all diesen Aufgaben gerecht zu werden, ist die Wirbelsäule aus 33-34 Wirbel- Aufbau der Wirbelsäule
körpern aufgebaut. Die meisten dieser Wirbelkörper sind separate einzelne Kno- • 7 Halswirbel (Zervikalwirbel = C1 - C7l
chen, wovon einige miteinander verwachsen sind. Im Halsbereich sind 7 Halswir- • 12 Brustwirbel
bel (Zervikalwirbel), im Brustbereich 12 Brustwirbel (Thorakalwirbel) und im (Thorakalwirbel =Thl - Th12)
Lendenbereich 5 Lendenwirbel (Lumbalwirbel) vorhanden. Im Bereich d es • 5 Lendenwirbel (Lu mbalwirbel =L1- LS)
Kreuzbeins sind 5 Wirbelkörper zum Kreuzbein (Os sacrum) miteinander ver- • Kreuzbein (Os sacrum) aus 5 Wirbel-
wachsen, an das sich noch das Steißbein (Os coccygis) mit 4-5 Wirbeln an- körpern
schließt, die ebenfalls häufig miteinander verwachsen sind (Abb. 4-33). Man • Steißbein (Os coccyqis) aus 4- 5 Wirbeln
spricht auch von der Halswirbelsäule (HWS), der Brustwirbelsäule (BWS) und verschmolzen
der Lendenwirbelsäule (LWS).
Die Wirbel der einzelnen Regionen sind unterschiedlich aufgebaut, sodass
man deutlich Halsw irbel von Brust- und Lendenwirbeln unterscheiden kann. Die
Wirbel weisen Forts ätze auf, an denen Muskeln für die Bewegung der Wirbel-
säule ansetzen; an den Brustwirbeln sind hier die Rippen befestigt.

ve ntral do rsal Abb.4-33.

L
~ Seitenansicht der Wirbelsäule. Im Hals-
Halslordose Halswirbelsäule und im Lendenbereich ist je eine nach

J (Zervikalwirbel)
dorsal gerichtete Konkavität vorhanden,
die als Lordose bezeichnet wird. Im Brust-
und im Kreuzbeinbereich ist je eine nach
ventral gerichtete Konkavität vorhanden,
die als Kyphose bezeichnet wird
Brustwirbelsäule
Brustkyphose (Thorakalwirbel)

Lendenwirbelsäule
Lendenlordose (Lumbalwlrbel)

Sakral- und
Kokzygealkyphose
J=:J
Kreuzbein
(Sakralwirbel)
Steißbein
(Kokzygealwirbel)
120

Die Bezeichnung von Wirbeln wird meist abgekürzt nach der Region mit
C (cervikal), Th (thorakal) oder L (lumbal) und mit der entsprechenden Zahl
bezeichnet. Mit C4 wird der 4. Halswirbel benannt, Th8 steht für den
8. Brustwirbel, und L2 bezeichnet den 2. Lendenwirbel.

Wirbelbau Allgemeiner Bauplan der Wirbel


• Wirbelkörper Mit Ausnahme des Atlas besitzen d ie Wirbel einen Wirbelkörper, der von kranial
• Querfortsätze (Processus transversus} nach kaudal, d. h. von den Halswirbeln zu den Lumbalwirbeln, größer wird, ent-
• Wirbelbogen mit Dornfortsatz sprechend dem Gewicht, das er tragen muss (Abb. 4-34) . Die einzelnen Wirbel-
(Processus spinosus} körper sind durch Bandscheiben, sog. Discus intervertebralis miteinander ver-
• Zwischenwirbelloch (Foramen bunden. Vom Wirbelkörper gehen nach beiden Seiten Querfortsätze (Processus
intervertebrale) transversus) und nach dorsal der Wirbelbogen ab. Vom Wirbelbogen entspringt
ein Dornfortsatz (Processus spinosus),der durch die Haut des Rückens sieht- und
tastbar ist. Seitlich der Wirbeln befinden sich halbbogenförmige Ausschnitte, je-
weils in Richtung auf den oberen und unteren Wirbel. Zwei benachbar te Wirbel
bilden auf d iese Weise ein sog. Zwischenwirbelloch (Foramen intervertebrale),
durch das die Spinalnerven aufbeiden Seiten der Wirbelsäule austreten (Abb. 4-34).

• Atlas = 1. Halswirbel mit Dens axis Halswirbel


• Axis = 2. Halswirbel Die Wirbelkörper der Halswirbel sind klein, der Dornfortsatz ist gespalten, und
der Querfortsatz weist ein Loch auf, durch das die A. vertebralis verläuft. Die
beiden obersten Halswirbel heißen Atlas (t. Halswirbel) und Axis (2. Halswirbel).
Der Atlas besteht lediglich aus einem relativ großen Wirbelbogen, in den links
und rechts je eine Auflagefläche für die Gelenkbestandteile des Hinterhaupt-
beines (Condylus occipitalis) eingefügt sind. Im Unterschied zum Atlas ist beim
2. Halswirbel (Axis) bereits ein relativ kleiner Wirbelkörper vorhanden, von dem
eine zahnartige Struktur nach oben in den vom Wirbelbogen des Atlas gebilde-
ten Wirbelkanal verläuft, der sog. Dens axis. Der Atlas dreht sich um diesen, z. B.
beim Bewegen des Kopfes von links nach rechts.
Langer Dornfortsatz des 7. Halswirbels Alle anderen Halswirbel haben einen Wirbelkörper. Der 7- Halswirbel hat
(Vertebra prominens} sieht- und tastbar einen besonders langen Dornfortsatz, der bis an die Körperoberfläche direkt un-
terhalb der Haut gelangt und damit gut sieht- und tastbar wird, weshalb er her-
vorstehender Wirbel, Vertebra prominens, heißt. Bei Berührung der Haut in der
Nackenregion ohne Druck ist er der erste spürbare Wirbel.

Brustwirbel
Die Dornfortsätze der Brustwirbel sind meist nach unten gerichtet, sodass die
oberen Dornfortsätze schuppena rtig über die Dornfortsätze des jeweils darunter
gelegenen Wirbels reichen. An den Querfortsätzen der Brustwirbel sind Ko ntakt-
flächen für die Rippen vorhanden. Da die Rippen mit je 2 Kontaktflächen die
Wirbel berüh ren, ist an den Wirbelkörpern noch eine zusätzliche Gelenkfläche
ausgebildet.

Lendenwirbel
Die Wirbelkörper der Lendenwirbel sind wegen des zu tragenden Gewichtes am
größten. Anstelle der Querfortsätze, die hier bis auf einen kleinen Rest verkümmert
sind, besitzen die Lendenwirbel sog. Rippenfortsätze (Processus costarius), die
ähnlich aussehen und von der Entwicklung her eigentlich den Rippen entsprechen.
Skelett · Kapitel4 · Bewegungsapparat 121

Gelenkflachen Abb.4-34.
11/t\--- - - - - - Gelenkfläche Seitenansicht eines Brustwirbels.
für den nächst- Die Dornfortsätze der Brustwirbel sind
höheren Wirbel
nach unten gerichtet, sodass sie den
<::Mo~--- Querfortsatz
(Processus Körper des darunte r gelegenen Wirbels
transversus) dachziegelartig überdecken

Domfortsatz
(Discus intervertebralis) (Processus
Ausschnitt spinosus)
(bildet mit dem
nächsten Wirbel das
Zwischenwirbelloch)

Bandscheiben Bau der Bandscheibe


Die Bandscheiben (Discus intervertebralis) sind aus Faserknor pel aufgebaut • Faserring (Anulus fibrosus)
(s. Abb. 4-2). Außen bestehen sie aus einem stark mit Kollagenfasern durchsetz- • Gallertkern (Nucleus pulposus)
ten Faserring (Anulus fibrosus), innen ist ein Gallertkern (Nucleus pulposus) vor-
handen. Durch die Gewichtsbelastung des aufrechten Ganges, beim Tragen von
Gegenständen etc. verliert der Gallertkern während des Tages an Flüssigkeit,
sodass die Körpergröße abends ca. 1- 2 cm weniger beträgt als morgens. Bei
geringerer Belastung, z. B. nachts, kann er sich mit Flüssigkeit vollsaugen und
erreicht damit einen höheren Quellungsdruck. Hält der äußere Faserring der
Bandscheibe den Belastungen nicht stand, kann es zum Austritt des Gallertkerns
in den Wirbelkanal oder Richtung der Zwischenwirbellöcher kommen, ein sog.
Bandscheibenvorfall. So kann die Bandscheibe das Rückenmark oder die austre-
tenden Spinal nerven quetschten und Funktionsausfälle folgen, z. B. Lähmungen
oder Gefühllosigkeit in den von den beeinträchtigten Nerven versorgten Ge-
bieten.

Bauplan und Bewegungen der Wirbelsäule


Krümmungen der Wirbelsäule
Krümmungen der Wirbelsäule
• Halslordose
Durch die Form der einzelnen Wirbelkörper ergibt sich in der Hals- und Len-
• Lendenlordose
denwirbelsäule eine nach ventral konvexe und nach do rsal konkave Wölbung: die
sog. Halslordose und Lendenlordose; diese sind beim seitlich stehenden Men- • Brustkyphose
schen gut erkennbar (s. Abb. 4-33). Bei der Brustwirbelsäule und im Sakralbe- • Sakralkyphose
reich ist die Wölbung genau umgekehrt, d. h. dorsal konvex und ventral konkav,
• ventral bauchwärts
die sog. Brustkyphose und Sakralkyphose. Diese Wölbungen federn die Wirbel-
• konvex nach außen gewölbt
säule in Längsrichtung gegen Belastungen ab. Von vorne bzw. hinten betrachtet
• dorsal rückenwärts
bildet die Wirbelsäule eine gerade Linie. Seitliche Abweichungen von dieser Linie
• konkav nach innen gewölbt
sind nicht physiologisch, sie werden als Skoliose bezeichnet.

Beweg Iichkeit
Benachbarte Wirbel sind über die Bandscheiben und je zwei Gelenkfortsätze
miteinander verbunden. Die Gelenkfortsätze entspringen in Höhe der Querfort-
sätze. Diese Gelenkfortsätze erlauben je nach Region unterschiedliche Bewegun-
gen: Die Beweglichkeit ist in der Hals- und Lendenwirbelsäule am größten, hier
122

ist Vor- und Rückwärtsbeugen möglich. Drehbewegungen sind besonders gut in


der Halswirbelsäule und weniger gut in der Brustwirbelsäule möglich. Drehbe-
wegungen des Kopfes im oberen Kopfgelenk (Articulatio atlantooccipitalis) sind
meist gekoppelt mit Drehbewegungen der Halswirbelsäule. Die Brustwirbelsäule
ist weniger gut beweglich, da die Rippen vorne arn Brustbein und hinten an der
Wirbelsäule befestigt sind und dadurch die Beweglichkeit einschränken.

Bau der Rippen Brustbein und Rippen


• Kopf (Caput} Die 1.-10. Rippe hat je einen knöchernen und einen knorpeligen Anteil. Die 11.
• Hals (Collum) und 12. Rippe besitzt lediglich eine kleine Knorpelspitze an ihrem freien Ende.
• Körper (Corpus} Die knöchernen Teile aller Rippen lassen einen Kopf (Caput), einen Hals (Col-
lum) und einen Körper (Corpus) erkennen. Am Kopf und am Übergang zwischen
Hals und Körper, dem Rippenhöcker (Tuberculum), befindet sich jeweils eine
Gelenkfläche. Die Gelenkfläche des Kopfes ist am Wirbelkörper, die Gelenkfläche
des Höckers am Querfortsatz des Wirbels befestigt. Zwischen diesen beiden
Gelenkflächen verläuft die Achse der Bewegung. Der Rippenkörper verläuft von
dieser Achse ausgehend im Bogen nach vorne unten, sodass bei einer Bewegung
der Rippen um die Achse zwischen Kopf und Höcker automatisch der Brustraum
vergrößert wird (Abb. 4-35 u. Abb. 4-36).
Bau des Brustbeines (Sternum} Das Brustbein (Sternum) besteht aus 3 Teilen: dem Griff (Manubrium), dem
• Griff (Manubrium} Körper (Corpus) und dem Schwertfortsatz (Processus xiphoideus). Zwischen
• Körper (Corpus} Griff und Körper befindet sich eine leichte Abknickung, dadurch ergibt sich ein
• Schwertfortsatz (Processus xiphoideus} nach innen offener Winkel, der Angulus sterni (Abb. 4-36). Am Griff finden sich
• Gelenkflächen für Schlüsselbein und auf jeder Seite 3 Gelenkflächen: die oberste Gelenkfläche gehört zum Gelenk mit
Rippen dem Schlüsselbein. Die beiden folgenden gehören zum Gelenk mit der 1. und der
2. Rippe, wobei die 2 . Rippe genau zwischen Griff und Körper ansetzt. Am Körper
des Brustbeins sind noch weitere 6 Gelenkflächen für die 2.- 7. Rippe vorgesehen.
Der Schwertfortsatz ist bei Jugendlichen meist noch knorpelig und verknöchert
erst im Erwachsenenalter. Bei gleicher Körpergröße ist das Sternum des Mannes
meist etwas schlanker und schmaler als bei der Frau.

Abb.4-35. Schlussetbein
Brustkorb in der Ansicht von ventral. (Ciavicula)
Schulterhöhe
Im unteren Teil ist das Zwerchfell (Akromion)
eingezeichnet
Brustbein
(Sternum) ~~1~i==r:~~~~~~·:~rl7-- Gelenkpfanne
des Schulter·
gelenks
(Cavitas
glenoidalis)

Schwert- ----~All;;-== .,.IE::i""-i-ir


fortsalz
(Processus
xiphoideus)
B 'l-- - - Rippenbogen
Zwerchfell (Arcus costalis)
(Diaphragma)
Skelett · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 123

Abb. 4-36.
Rippe in der Dorsalansicht. Die Rippen
hängen nach unten. Die Bewegungsachse
Bewegungs·
achse verläuft zwischen dem Kopf und der
2. Gelenkfläche, sodass sich bei der
Einatmungsbewegung die Rippe um diese
Achse nach oben bewegt und damit den
Brustraum vergrößert

Brustkorb (Thorax) Thorax besteht aus


Auch der Brustkorb, der Thorax, gehört zum Rumpfskelett. Er wird durch die • 12 Brustwirbeln
12 Brustwirbel, den 12 Rippen und dem ventral gelegenen Brustbein (Sternum) • 12 Rippen
aufgebaut. Die Wirbelsäule ist dabei wichtiger Träger und funktioneller Bestand- • Brustbein (Sternum)
teil des Thorax.
Der Thorax ist an der Wirbelsäule aufgehängt. Von ihr entspringen auf jeder 12 Rippenpaare

Seite 12 Rippen. Die 1.- 7. Rippe sind über Knorpelzwischenstücke (Rippenknor- • 7 echte Rippen direkt mit dem Brustbein
pel) direkt mit dem Brustbein verbunden und werden auch echte Rippe n ge- verbunden
nannt. Die 8.-1o. Rippe ist über Knorpel, der in den Knorpelbogen der 7. Rippe • 3 falsche Rippen indirekt mit dem
einstrahlt, indirekt mit dem Brustbein verbunden und werden fa lsche Rippen Brustbein verbunden
genannt. Die n. und 12. Rippe ist relativ kurz und deshalb gar nicht mit dem • 2 freie Rippen ohne Verbindung
Brustbein verbunden. Sie werden deshalb als freie Rippen bezeichnet. Die ober- zum Brustbein
ste Rippe bildet eine obere Brustkorböffnung, durch die Luftröhre, Speiseröhre
und verschiedene Leitungsbahnen vom Brustkorb in den Hals treten. Die 10. Rip-
pe, die als letzte Rippe noch indirekt mit dem Brustbein verbunden ist, bildet die
untere Brustkorböffnung (s. Abb. 4-36).

Becken • Großes Becken: Darmbein (Os ilii) mit


Das Becken bildet einen sog. Beckengürtel, der aus den beiden Hüftbe ine n (Os Darmbeinschaufel
coxae, auch Hüftknochen) und dem Kreuzbein (Os sacrum) besteht (Abb. 4-37 • Kleines Becken: Schambein (Os pubis)
und Abb. 4-38). Es wird ein kleines Becken von einem großen Becken unter- und Sitzbein {Os ischii)
schieden, die Grenze liegt auf Höhe der sog. Linea terminalis. • Grenzlinie zwischen großem und
Das Hüftbein bildet sich während der Entwicklung aus 3 verschiedenen Kno- kleinem Becken: Linea terminalis
chen, die miteinander synostosieren: das Schambein (Os pubis), das Darmbe in
(Os ilii) und das Sitzbein (Os ischii). Die Grenze zwischen diesen 3 Knochen liegt synostosieren
ziemlich genau im Zentrum der Pfanne des Hüftgelenks. Das Darmbein bildet eine knöcherne Verbindung bilden
mit seiner Darmbeinschaufel das g roße Becken. Das Schambein und das Sitzbein
bilden das kleine Becken. Am Sitzbein befindet sich der Sitzbeinhöcker (Tuber
ischiadicum), der beim Sitzen durch die Haut tastbar ist.
Die beiden Hüftbeine sind ventral miteinander verbunden, durch eine faser-
knorpelige Platte, die Symphyse (Schambeinfuge). Hinten sind sie mit dem
Kreuzbein über ein nur wenig bewegliches, irreguläres Gelenk, das Kre uzbein-
124

Abb. 4-37a, b. Kreuzbein-Darmbein-Gelenk


Gegenüberstellung von weiblichem (a) (Articulatio sacroiliaca)

und männlichem Becken (b ). Beim wei b-


querer Becken- Darmbeinkamm
lichen Becken muss die Passage eines durchmesser (Crista lliaca)
Kindes möglich sein, es hat deshalb einen (Diameter
transversal
größeren Durchmesser und einen größe- schräger Becken-
durchmesser
ren Winkel zwischen den beiden Scharn- (Diameter obllqua)
beinbögen ( 1 Arcus pubis), als das beim
Längsdurchmesser ---..:::l:!l"'!o!~~--!iJ"-i?' Gelenkpfanne
männlichen Becken (2 Angulus subpubi- des Beckens des Hüftgelenks
cus) der Fall ist (Conjugata vera) (Fossa acetabull)

verstopftes Loch
a (Foramen
obturatum)

am weitesten ventraler Punkt des Kreuzbeins


(Promontorium)

vorderer unterer vorderer oberer


Darmbeinstachel Darmbeinstachel
(Spina iliaca (Spina lllaca
anterior inferior) anterior superior)

Schambeinfuge
(Symphyse)
mit Schamfugen- Grenzlinie
knorpel ----~~~,...:~~r;:::~ zwischen
(Discus inter- großem und
pubicus) kleinem Becken
(Unea terminalis)
b

Darmbein-Gelenk (Articulatio sacroiliaca, Iliosakralgelenk (ISG), s. Abb. 4-37)


zu m Beckengürtel verbunden. Wegen seiner geringen Beweglichkeit wird dieses
Amphiarthrosen Gelen k zu den Amphiarthrosen (s. Abschn. 4-3-2) gerechnet. Zwischen Schambein
Gelenk mit eingeschränkter Beweglichkeit u nd Sitzbein befindet sich das Foramen obturatum, übersetzt >>verstopftes
Loch«(Abb. 4-37). Eine Bindegewebsplatte und 2 dort entspringende Muskeln
verschließen dieses und es ist ein typisches Beispiel für das Minimax-Prinzip:
Dort, wo keine Kräfte einwirken, ist keine Knochensubstanz notwendig (s. Ab-
sehn. 4.1.1).
Die unteren Schambeinäste beider Hüftbeine schließen zwischen sich einen
nach unten offenen Winkel ein, der bei der Frau (Arcus pubis) deutlich größer ist
als beim Mann (Angulus subpubicus). Das weibliche Becken ist dadurch weiter
und für einen Geburtsvorgang geeignet. Dieser typische Geschlechtsunterschied
kann als eine von verschiedenen Möglichkeiten genutzt werden, um das Ge-
Hüft bein mit seiner Gelenkpfanne schlecht von unbekannten Skeletten zu bestimmen.
Grundlage für das Hüftgelenk Das Hüftbein stellt mit seiner Gelenkpfanne (Fossa acetabuli) die Grundlage
für das Hüftgelenk dar. Das Hüftgelenk ist ein Nussgelenk (s. Abschn. 4.2.2), da
am Rand der Gelenkpfanne eine knorpelige Gelenklippe (Labrum acetabulare)
ist, die den Kopf des Hüftgelenks über den Äquator hinaus fasst.
Skelett · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 125

Abb. 4-38.
Darmbeinschaufel - - - ------zL----,
(Aia ossis ilii) Seitenansicht des Hüftbeins (Os coxae),
das während der Entwicklung aus
vorderer
oberer Darm- 3 Knochen entstanden ist: dem Darmbein
- .h' - - - - beinstachel
(Spina iliaca
(Os ilii), dem Sitzbein (Os ischii) und dem
anterior superior) Schambein (Os pubis)

Gelenkpfanne des
HOltgelenks
(Fossa acetabuli) 11ft.- - - - - Gelenkfläche des
Hüftgelenks
(Facies Iunatal
verstopftes Loch
(Foramen
obturatum)

Sitzbein ------------];--"\"'-~
(Os ischil)

Sitzbeinhöcker - - - - - - - - ''-c
(Tuber
lschiadicum)

4.6.3 Extremitäten

Bein

Das Skelett des Beines besteht aus dem Oberschenkelknochen (Femur) und den
beiden Unterschenkelknochen: Schienbein (Tibia) und Wadenbein (Fibula),
sowie den Fußknochen. Die Fußknochen werden unterteilt in die Fußwurzel-
knochen (Tarsalknochen), die Mittelfußknochen (Metatarsalknochen) und die
eigentlichen Zehenglieder (Phalanx).

Oberschenkelknochen (Femur) Bau des Femur


Das Femur besitzt einen kugelförmigen Kopf (Caput), der über einen Hals • Kopf (Caputl
(Collum) mit dem Schaft (Diaphyse) verbunden ist (Abb. 4-39). Der Winkel • Hals (Collum)
zwischen Hals und Schaft (Kollodiaphysenwinkel) beträgt beim Neugeborenen • Schaft (Diaphyse)
ca. 150°, beim Erwachsenen ca. 120°-130°. Bei der Frau ist er wegen des breiteren • Trochanter major und Trochanter minor
Beckens etwas kleiner als beim Mann. Im Laufe des Lebens wird dieser Winkel • Kondylen
bei beiden Geschlechtern deutlich kleiner, sodass er im Alter nur noch 110° oder
weniger beträgt. Deshalb kann es u.a. im Alter relativ leicht zu einem Schenkel-
halsbruch kommen.
Zwischen Hals und Schaft weist der Femur seitlich oben und etwas weiter
unten auf der Rückseite einen größeren und kleineren Höcker auf: an diesen,
dem Trochantermajor und dem Trochanter minor setzt die Muskulatur an. Distal
hat der Femur zwei sog. Kondylen (Gelenkknorren), die Gelenkflächen für die
Verbindung mit dem Schienbein (Tibia) zum Kniegelenk bilden. Diese Gelenk-
flächen haben einen fast spiraligen Verlauf, wodurch die Seitenbänder bei einer
Beugung im Kniegelenk entspannt und damit eine Innenrotation und Außen-
rotation des Unterschenkels möglich werden.
126

Abb.4-39. Oberschenkelkopf - --.."C....-


Rechter Oberschenkelknochen (das (Caput femoris) 11''\--- - großer Roll-
hügel
Femur) in Ventralansicht (links) und in (Trochanter
Dorsalansicht (rechts). Der große Rollhügel großer Roll- major)
Hügel
ist von außen tastbar (Trochanler
major)

C:lll-----:>" Anheftungs-
linie der
Muskeln
Oberschenkel- - - --\-- (Unea aspera)
schalt
(Corpus temoris)

Gelenkfläche - -- - - '1-irl
für die
Kniescheibe
(Facies patellaris) mediale Gelenkfläche laterale Gelenkfläche
(Condylus medialis) (Condylus lateralls)

Kniescheibe (Patella)
Sesambein Die Kniescheibe, das größte Sesambein (s. Abschn. 4.4.1) des Körpers, ist Teil des
in Sehnen eingebetteter Knochen zur Kniegelenks (Abb. 4-40). Sie ist in die Sehne des M. quadriceps femoris (4-köpfi-
Entlastung der Sehne ger Oberschenkelmuskel) eingebaut, um sie bei einer Beugung vor Verletzung am
Knochen zu schützen. Die Kniescheibe ist ein flacher Knochen, der eine breite,
nach proximal gerichtete Basis und eine nach distal gerichtete Spitze aufweist.
Die Gelenkfläche ist von Knorpel überzogen und hat mit der Gelenkfläche des
Femurs Kontakt.

Schienbein (Tibia) bildet Schienbein (Tibia)


• Kondylen als Anteil des Kniegelenks Das Schienbein verbreitert sich an seinem proximalen Ende durch die beiden
• Ansatzstellen für vorderes und hinteres Kondylen (Gelenkknorren) Condylus medialis und Condylus lateralis, die Teil des
Kreuzband sowie Menisken Kniegelenks sind (Abb. 4-41). Zwischen den beiden Kondylen liegt eine knöcher-
• Tuberositas tibiae als Ansatzstelle ne Erhebung (Eminentia intercondylaris). Vor und hinter dieser Erhebung (Area
des M. quadriceps femoris intercondylaris anterior und Area intercondylaris posterior) setzen das vordere
• Gelenkfläche für oberes Sprunggelenk und das hintere Kreuzband sowie die Menisken an. Der Schaft des Schienbeines
• mediale Seite bildet den Innenknöchel gleicht einer dreieckigen Säule, mit einer vorderen Kante (Margo anterior), einer
lateralen (Margo lateralis) und einer medialen Kante (Margo medialis). Die vor-
dere Kante ist am Unterschenkelleicht durch die Haut zu tasten. Am oberen Ende
ist die vordere Kante aufgeraut; diese Stelle wird Tuberositas tibiae genannt. Hier
setzt über die Patellarsehne der M. quadriceps femo ris an. Das distale Ende der
Tibia trägt ebenfalls eine Gelenkfläche für das obere Sprunggelenk. Die mediale
Seite des Knochens bildet den inneren Knöchel (Maileolus medialis), der gemein-
Skelett · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 127

obere Kante ---+-- - Gelenkfläche der Abb.4-40.


der Kniescheibe Kniescheibe Kniescheibe in Vorderansicht (links)
(Basis patellae) (Facies articularis)
und Hinteransicht (rechts)

Vorderfläche der
Kniescheibe ,, ..~'----- Spitze der Knie·
(Facies anterior scheibe
patellae) (Apex patellae)

sam mit dem äußeren Knöchel (Malleolus lateralis) des Wadenbeins die Malleo-
Iengabel bildet.

Wadenbein (Fibula)
Das im Vergleich zum Schienbein schlanke Wadenbein besteht aus einem Kopf Wadenbein (Fibula) bildet
(Caput), einem langen dünnen Schaft (Diaphyse) und am d istalen Ende aus dem • Distales Ende: den Außenknöchel
ä ußere n Knöchel (Malleolus lateralis). Der Kopf des Wadenbeins ist nicht Teil des • Syndesmose mit Tibia
Kniegelenks, er steht nur über eine Gelenkfläche in Kontakt mit dem Schienbein • Schienbein-Wadenbein-Gelenk
(Abb. 4-41). Am distalen Ende besteht ebenfalls Kontakt mit dem Schienbein in (Articulatio tibiofibularis)

Gelenkflächen für den Oberschenkel Abb.4-41 .


(Facles articularis superior)
Vorderansicht der Knochen des rechten
Unterschenkels: links das Wadenbein
Kopf des Wadenbeins (Fibula), rechts das Schienbein (Tibia)
(Capul fibulae) Ansatzstelle der Knie-
scheibensehne
(Tuberositas tibiae)

Schienbeinkante
(Margo anlerior tibiae)

innerer Knöchel
äußerer Knöchel - - - ---NI::m (Malleolus medialis)
(Malleolus lateralis)
Gelenkflächen für das Sprungbein
(Facles articulares)
128

Syndesmose Form einer Syndesmose. In beiden Kontaktbereichen, d. h. im proximalen


unechtes Gelenk mit Bindegewebe Schienbein-Wadenbein-Gelenk (Articulatio tibiofibularis) sow ie in der distalen
Syndesmose, können wegen der starken Befestigung durch Bänder kaum
Bewegungen ausgeführt werden. Es findet praktisch nur eine Federung statt.

Wadenbein (Fibula) und Schienbein (Tibia) bilden die Malleolengabel,


ein wichtigerTeil des oberen Sprunggelenks.

Fußwurzelknochen (Ossa tarsi)


Insgesamt 7 Knochen bilden die Fußwurzel (Abb. 4-42 u. Abb. 4-43): Sprungbein
(Talus), Fersenbein (Calcaneus), Kahnbein (Os naviculare), Würfelbein (Os cu-
boideum) sowie 3 Keilbeine (Singular: Os cuneiforme, Plural: Ossa cuneiformia) .
• Oberes Sprunggelenk: Sprungbein Von diesen 7 Fußwurzelknochen bilden v. a. die 3 Erstgenannten die Sprung-
(Talus) und Malleoiengabel gelenke. Das Sprungbein (Talus) bildet mit der Malleoiengabel das obere Sprung-
• Unteres Sprunggelenk: Sprungbein gelenk (Articulatio talocruralis). Dabei ist besonders die Trochlea tali (Sprung-
(Talus), Fersenbein (Calcaneus) beinrolle) wichtig, da sie eine Scharnierbewegung ermöglicht. Die Trochlea tali
und Kahnbein (Os naviculare) ist vorne breit und hinten schmal, sodass bei der feststehenden Breite der
Malleoiengabel das dorsalflektierte Gelenk die größere Stabilität aufweist. Bei-
spiel Skifahren: Ski lassen sich besser führen, wenn man in die Knie geht und
damit die breite Stelle des Sprungbeins zwischen den beiden Malleoien sitzt. Das
untere Sprunggelenk besteht aus 2 Teilen: Ein Teilgelenk besteht aus Sprungbein
und Fersenbein (Articulatio subtalaris), der zweite Teil besteht aus Sprungbein-
kopf, dem Fersenbein und dem Kahnbein (Articulatio talocalcaneonavicularis).

Abb. 4-42.
Fußskelett des rechten Fußes von oben.
Endglieder der Zehen
Auf der Sprungbeinrolle (Trochlea tali) (Singular: Phalanx
distalis
ruht und bewegt sich der Unterschenkel. Grundglieder der Zehen
Plural: Phalanges (Singular: Phalanx
Die Bewegungen des unteren und des distales) - - -- -- --lir1 proxlmalis
Plural: Phalanges
oberen Sprungbeingelenks führen in proximales)
Mittelglieder der Zehen
Kombination zur sog. Maulschellen-
(Singular: Phalanx
bewegung, wie sie bei der Hand bei einer media
Plural: Phalanges Mittelfußknochen
Ohrfeige (Maulschelle) ausgeführt wird. mediales) (Singular: Os metatarsi
Plural: Ossa metatarsi
1 inneres Keilbein
(Os cuneiforme mediale), 1
2
2 mittleres Keilbein
3
(Os cuneiforme intermedium), Würfelbeln ------+~?
(Os cuboideum) Kahnbein
3 äußeres Keilbein (Os naviculare)
(Os cuneiforme laterale) Fersenbein
(Calcaneus) Sprungbeinkopf
(Caput tall)
Sprungbeinrolle - - -- -- /,.,.._:!7."-.__
(Trochlea tali) _ ..._..,.....~~--+---- Gelenkachse des oberen
Sprunggelenks
Skelett · Kapitel4 · Bewegungsapparat 129

Im unteren Sprunggelenk, d. h. den beiden Teilgelenken in Kombination, ist das


Heben und Senken von lateralem und medialem Fußrand möglich. Wirken obe-
res und unteres Sprunggelenk zusammen, kommt es zu der kombinierten Bewe-
gung, die man als >>Maulschellenbewegung« bezeichnet. Die 3 Keilbeine bilden
das Fußgewölbe, das bei Bewegung das Körpergewicht abfedert.

Mittelfußknochen (Ossa metatarsi)


Die 5 Mittelfußknochen sind Röhrenknochen, an denen eine Basis (Basis), ein
Schaft (Diaphyse) und ein Kopf (Caput) unterschieden wird (Abb. 4-42 u.
Abb. 4-43) . Die Basis ist gelenkig mit den Fußwurzelknochen verbunden. Der
Kopf artikuliert mit den Zehenknochen. artikuliert bildet ein Gelenk

Zehen
Die Zehen sind mit Ausnahme der großen Zehe (Hallux) 3-gliedrig (Abb. 4-42 u.
Abb. 4-43). Sie bestehen aus einem Grundglied (Phalanx proximalis), einem Mit-
telglied (Phalanx media) und einem Endglied (Phalanx distalis). Das Endglied
wird auch agelglied genannt; dieses trägt eine kappenartige Rauigkeit (Tube-
rositas phalangis distalis), an der der Tastballen befestigt ist.

Fußgewölbe
Das Fußgewölbe ist ein Ergebnis der Umwandlung vom Greiffuß der Menschen -
affen zum Standfuß des Menschen. Es ist gekennzeichnet durch das Quer-
gewölbe und das Längsgewölbe (Abb. 4-43). Das Fußgewölbe wird durch Form
und Lagerung der Fußknochen gebildet und zusätzlich durch Ligamente und
Muskeln unterstützt. Es federt das Körpergewicht ab.

inneres Keilbeln mittleres Keilbein Kahnbein innerer Knöchel Abb. 4-43.


(Os cuneilonne (Os cuneifonne (Os naviculare) (Malleolus
medialls) intermedium) medialls) Rechtes Fußskelett in Seitenansicht.
Die große Zehe hat wie bei der Hand
Sprungbein-
Mittelfuß- rolle nur 2 Glieder: Grundglied und Endglied
knochen (Trochlea tall)
(Os metatarsl)
Sprungbein
(Talus)
Fersenbein-
höcker
(Tuber
calcanei)

Sesambein Würtelbein Fersenbein


(Schaltknochen) (Os cuboideum) (Calcaneus)
(Os sesamoideum)

Schultergürtel und Arm


Im Unterschied zum Hüftgelenk, bei dem das Bein knöchern mit dem Becken
und dadurch mit dem Rumpf verbunden ist (feste Verbindung), ist das Schulter-
gelenk nur indirekt mit dem Rumpf verbunden. Der Schultergürtel ist durch
3 Knochen aufgebaut, die allerdings noch keinen eigentlichen Gürtel ausmachen;
dieser entsteht erst durch den Verschluss mit den Rautenmuskeln (Mm. rhom-
boidei; s. Abb. 4-57 u. Abb. 4-69 ).
130

Die 3 Knochen des Schultergürtels sind:


Schulterblatt (Scapula),
• Oberarmknochen (Humerus),
• Schlüsselbein (Clavicula).

Schulterblatt (Scapula)
Die Form des Schulterblattes ist - von hinten betrachtet - fast die eines auf die
Spitze gestellten Dreiecks (Abb. 4-44 u. Abb. 4-45). Man unterscheidet einen me-
dialen, einen lateralen und einen oberen Rand (Margo medialis, lateralis und Su-
perior) sowie einen medialen, lateralen und unteren Winkel (Angulus medialis,
lateralis und inferior). Das Schulterblatt hat 2 große Knochenvorsprünge, die
dem Muskelansatz dienen:
1. Die Schulterhöhe (Acromion), d ie aus der Schultergräte (Spina scapulae) her-

vorgeht, und
2 . den Processus coracoideus (Rabenschnabelfortsatz), an dem z. B. der kurze
Kopf des M. biceps brachii (zweiköpfiger Oberarmmuskel) entspringt.
Die Gelenkpfanne für den Kopf des Oberarmknochens ist, gemessen an seiner
Größe, relativ klein, deshalb befindet sich hier noch eine knorpelige Gelenk-
lippe (Labrum glenoidale), um die Gelenkpfanne zu vergrößern. Der vordere
Rand der Schulterhöhe hat eine Gelenkfläche für den Kontakt mit dem Schlüs-
selbein.

Schlüsselbein (Ciavicula)
Das Schlüsselbein ist nicht direkt Bestandteil des Schultergelenks (Abb. 4-46). Es
gehört jedoch zum knöchernen Teil des Schultergürtels. Über das Schlüsselbein
(dem das Schulterblatt anliegt) ist der Arm mit dem Rumpf verbunden. Das
Schlüsselbein sorgt für den richtigen Abstand der Schulter vom Rumpf, sodass
der Arm frei am Körper schwingen kann. Das Schlüsselbein ist ein fast S-förmi-

Abb.4-44. oberer Rand Schulterhöcker


Ventralansicht des linken Schulterblattes (Margo superior) (Acromion)

(Scapula)
medialer Winkel Rabenschnabel·
(Angulus medialis) fortsalZ
(Processus
coracoideus)

Gelenkpfanne
(Cavitas glenoidalis)
Fläche lür den ----t+--T--:---:.~­
M. subscapularis
+--- - - - - lateraler Rand
(Margo lateralls)

medialer Rand - - - --'1


(Margo medialis)
Skelett · Kapitel4 · Bewegungsapparat 131

SChulterhöhe - - --11' RabenS<:hnabel· Abb. 4-45.


(Acromion) fortsalz Dorsalansicht des linken Schulterblattes
(Processus
coracoldeus) (Scapula)

Gelenkpfanne für -----1'~'ß


----->-\- - Fläche fur den
M. Supraspinalus
den Humerus
~:;i~::IIII'JI-- SChultergräte
(Spina scapulae)

Fläche für den _ _ _ _ _ _,.,_,H-- -


M. Infraspinalus

, .__ _ _ _ medialer Rand


(Margo medialis)
lateraler Rand
(Margo lateralis)

...-.1--- - - - - - - unterer Winkel


(Angulus inferior)

ger Knochen, mit 2 Gelenkenden. Ein Gelenkende steht mit dem Schulterblatt,
das andere nach medial gerichtete Gelenkende mit dem Brustbein in Kontakt.

Oberarmknochen (Humerus) Merkmale des Oberarmknochens


Der Oberarmknochen ist ein typischer Röhrenknochen, der aus 2 Gelenkenden (Humerus)
und einem dazwischen liegenden Schaft aufgebaut ist (Abb. 4-47) . Am proxima- • anatomischer Hals
len Gelenkende befindet sich der Kopf des Humerus (Caput humeri), der mit ei- • chirurgischer Hals
nem breiten, kurzen Hals (Collum anatomicum) direkt auf dem Schaft sitzt. Von • großer Höcker
ventral betrachtet sieht man direkt unterhalb des Kopfes 2 Höcker: am Tuber- • kleiner Höcker
culum majus und Tuberculum minus setzen Muskeln an . Zwischen beiden befin-
det sich eine Rinne, durch die d ie Sehne des langen Bizepskopfes über den Ober-
armkopfzieht und so das Gelenk stabilisiert. Direkt unterhalb der beiden Höcker
befindet sich eine weniger breite Stelle des Schaftes, die bei Brüchen des Ober-

Gelenkfläche für das Brustbein


(Facies articularis slemalis) Abb. 4-46.

I Aufsicht auf das linke Schlüsselbein


(Ciavicula) von oben

Gelenkfläche für die Schulterhöhe


(Facies articularis acromialis)
132

Abb. 4-47. Oberarmkopf


Rechter Oberarmknochen (Humerus), (Caput humeri)

von hinten (links) und von vorne (rechts)


dargestellt. Der anatomische Hals kleiner Höcker
großer Höcker (Tuberculum
(Collum anatomicum) liegt direkt unter (Tuberculum majus) minus)
dem Kopf und ist relativ breit. Bei einem chirurgischer Hals
Oberarmbruch bricht der Knochen häufig (Collum chirurgicum)
Rinne für die
an der als chirurgischer Hals (Collum Sehne des
langen Bizeps·
chirurgicum) bezeichneten Stelle kopfes
(Sulcus inter·
Rinne des - - --1- tubercularis)
Ansatzstelle des
N. radlaUs H-- -- Deltamuskels - - -11
(Sulcus (Tuberositas
nervi radialis) deltoidea)

ltl-- - - Oberarmschalt - - --1


innerer
(Corpus humeri)
Muskel-
ursprungs·
knarren
(Epicondylus
medialis)

Rinne des
N. ulnaris
(Sulcus - -----:!IIIIIIP.IJ
nervi ulnaris)

Gelenkköpfchen für die Speiche


(Capitulum humerl)

armes häufig betroffen ist und deshalb als chirurgischer Hals, Collum chirurgicum,
bezeichnet wird. Ungefähr in der Mitte der Diaphyse befindet sich lateral eine
Rauigkeit, die Tuberositas deltoidea, die dem Ansatz des M. deltoideus dient.
Das Ellenbogengelenk besteht aus Das distale Gelenkende des Oberarmknoche ns hat 2 Gelenkflächen, die das zu-
3 Teilgelenken sammengesetzte Gelenk des Ellenbogengelen ks (Articulatio cubiti) bilden. Eine
• Oberarm-Speichen-Gelenk Gelenkfläche steht mit der Speiche in Verbindung (Capitulurn humeri), die zweite
• Oberarm-Ellen-Gelenk Gelenkfläche dient dem Kontakt mit der Elle. Sie hat die Form eines typischen
• proximales Ellen-Speichen-Gele nk Scharniergelenk s (Trochlea humeri), mit einer entsprechenden Führungsrinne.

Eile (Ulna) bildet Elle (Ulna)


• 2 Gelenke mit der Speiche (Radius) Die Elle ist ebenfalls ein Röhrenknochen (Abb. 4-48). Sie weist an ihrem proximalen
• Ellenbogen (Oiecranonl als Ende das Gegenstück zur Scharniergelenkf läche des Oberarmknoche ns auf (Incisu-
Muskelansatz ra trochlearis). Nach dorsal folgt der knöcherne Teil des Ellenbogens (Olecranon), an
dem der M. t riceps brachii ansetzt (dreiköpfiger Oberarmmuskel) . Da die Elle
außerdem 2 Gelenke mit der Speiche bildet (Articulatio humeroulnaris proximalis
und distalis), besitzt s ie sowohl am proximalen als auch am distalen Ende eine
Gelenkfläche für die Speiche. Am distalen Ende ist außerdem ein stiftartiger Fortsatz
vorhanden, d er von außen durch die Haut tastbar ist, der Processus styloideus.
Skelett · Kapitel4 · Bewegungsapparat 133

Speiche (Radius)
Speiche (Radius) bildet
Die Speiche, d ie wie die anderen Armknochen ein Röhrenknochen ist, besitzt am
proximalen Ende eine Vertiefung für das Köpfchen des Oberarmknochens • proximales Ellen-Speichen-Gelenk
• distales Ellen-Speichen-Gelenk
(Abb. 4-48). Der freie Rand dieser Vertiefung dient zudem als Kontakt mit der
• Oberarm-Speichen-Gelenk
Elle im proximalen Ellen-Speichen-Gelenk. Kurz unterhalb des proximalen Endes
der Speiche befindet sich eine größere Unebenheit (Tuberositas radii), die dem und istTeil des

Ansatz des M. biceps brachii (zweiköpfiger Oberarmmuskel) dient. Am distalen • proximalen Handgelenks

Ende der Speiche sind ebenfalls 2 Gelenkflächen vorhanden: Die eine Fläche hat
Kontakt mit der Elle, die andere ist Teil des proximalen Handgelenks. Auch an der
Speiche sitzt ein stiftartiger Fortsatz, der von außen durch d ie Haut tastbar ist,
der Processus styloideus.

Handwurzelknochen (Ossa carpi)


Die würfelförmigen Knochen der Handwurzel bestehen aus 2 Reihen von je
4 Knochen der proximalen und der distalen Reihe (Abb. 4-49). Die proximale
Reihe setzt sich von der Daumenseite (radial) zur Kleinfingerseite (ulnar) zu-
sammen aus Kahnbein (Os scaphoideum), Mondbein (Os lunatum), Dreiecksbein
(Os triquetrum) und Erbsenbein (Os pisiforme), das auf dem Dreiecksbein liegt.
Das Erbsenbein ist ein Sesambein und ist ulnar gut von der Handflächenseite aus
zu tasten.
Die zweite (distale) Reihe von Handwurzelknochen besteht, ebenfalls von
radial nach ulnar, aus dem großen Vielecksbein (Os trapezium), dem kleinen
Vielecksbein (Os trapezoideum), dem Kopfbein (Os capitatum) und dem Haken-
bein (Os hamatum). Zwischen der proximalen Reihe von Handwurzelknochen

Gelenkflächen für Abb. 4-48.


Gelenkfläche IOr den
das proximale
Speichen-Ellen-Gelenk
Soll.#-- Oberarmknochen Die beiden Unterarmknochen des rechten
(lncisura trochtearis)
(Articulatio radioulnaris Arms in der Ansicht von vorne: links d ie
proximalis)
Speiche (Radius), rechts d ie Eile (Ulna)
Höcker für die - -- - -- ...--'- 11
Bizepssehne
(Tuberosltas radii)

Gelenkflächen fOr
das distale
Speichen-Ellen-

V
Gelenk
(Articulatio radio-
ulnaris distalis)

Speichengriffelfortsatz Ellengriffelfortsatz
(Processus stytoideus - - -\-,,..,...._.."'111111!!, _- - (Processus
radii) styloideus ulnae)
134

und dem Unterarm befindet sich das proximale Handgelenk, ein Eigelenk. Das
distale Handgelenk ist ein unregelmäßiges Gelenk, das eine S-förmige Form hat.

Mittelhandknochen (Ossa metacarpi)


• Basis der Mittelhandknochen bilden die Die distale Reihe von Handwurzelknochen steht in Kontakt mit den Mittelhand-
Gelenke mi t den Handwurzelknochen knochen (Abb. 4-49). Es sind kurze Röhrenknochen, die einen Großteil des
• Basis von Mi ttelhandknochen ist Te il Handrückens und des Handtellers ausmachen. Sie bestehen, ähnlich wie die Mit-
des Daumensattelgelenks telfußknochen, aus einer Basis, einem Schaft (Diaphyse) und einem Kopf (Ca-
• Ko pf der Mittelhandknochen bilden pul). Die Basis bildet Gelenke mit den Handwurze lknochen, der Kopf bildet Ge-
Gelenke mit den proximalen Gliedern lenke mit den proximalen Gliedern der Finger. Bildet man mit der Hand eine
der Finger Faust, entsprechen die am Handrücken sichtbaren Knöchel den Köpfe n der Mit-
telhandknochen. Die Mittelhandknochen 2-5 sind durch Bänder miteinander
verbunden, sodass nur geringgradige Bewegungen möglich sind. Hingegen ist
der Mittelhandknochen 1 stark beweglich. Seine Basis ist Teil des Daumensat!el-
gelenks (s. unten).

Fingerknochen
An den Fingern unterscheidet man jeweils Grundglied (Phalanx proximalis),
Mittelglied (Phalanx media) und Endglied (Phalanx distalis), das auch Nagel-
glied genannt wird (Abb. 4-49). Der Daumen (Pollex) besteht lediglich aus
Grundglied und Endglied. Der unterste Knochen des Daumens, der im Bereich
des Daumenballens (Thenar) liegt, ist bereits ein Mittelh andknochen. Er ist im
Unterschied zu den anderen Mittelhandknochen relativ frei b eweglich und be-
sitzt ein Sattelgelenk mit 2 Freiheitsgraden. Die Fingerzwischengelenke sind rei -
ne Scharniergelenke mit einem Freiheitsgrad.

Abb. 4-49.
Endglieder der Finger -------114~--"F.ll!..
Blick auf den Hand rücken (Dorsa lansicht) (Singular: Phalanx
distalis Grundglieder
der rechten Hand
Plural: Phalanges der Finger
distales) (Singular. Phalanx
proximalis
Mitleiglieder
Plural: Phalanges
der Finger
proximales)
{Singular: Phalanx
media
Plural: Phalanges
mediae) Knochen der Minel-
hand
(Ossa metacarpi)
großes Vieleckbein
(Os trapezium )
Hakenbein
(Os hamatum)
kleines Vieleckbein
(Os trapezoideum) Erbsenbein
(Os pisiforme)

Kahnbein ~~~~~\---- Mondbein


(Os scaphoideum) (Os lunatum)

Speiche - - - - - - - - - - --\'r - "r-'1--- - - - Elle


(Radius) (Ulna)
Skelett · Kapitel4 • Bewegungsapparat 135

4.6.4 Gelenke

Tabelle 4-1. ln Tabelle 4-1 sind die wichtigsten Gelenke des Körpers mit ihren Freiheitsgraden und ihren Besonderheiten wie Menisken.
Bänder etc. aufgeführt.

Gelenk Gelenktyp Freiheitsgrade Besonderheiten


der Bewegung

Articulatio humeri Kugelgelenk 3 Muskelsicherung Gelenklippe vorhanden (l.<lbrum glenoidale)


(Schultergelenk)

Articulatio cubiti Zusammengesetztes Kollateralbänder


(EIIenbogengelenk) Gelenk (3 Gelenke)
• Articulatio humeroulnaris Scharniergelenk
(Oberarm-Ellen-Gelenk) Form: Kugelgelenk;
• Articulatio humeroradialis Funktion: eingeschränkt 2
(Oberarm-Speichen- auf Beugung/Streckung
Gelenk) und Einwärts-/Auswärts-
drehung
• Articulatio radioulnaris Rad- oder Zapfengelenk
proximalis (oberes Ellen-
Speichen-Gelenk)

Articulatio coxae Nussgelenk 3 Knöcherne Sicherung und Bändersicherung (Lig. iliofemorale,


(Hüftgelenk) Lig. pubofemorale, lig. ischiofemorale) Gelenklippe vorhanden

Articulatio genus Drehscharniergelenk 2 Bändersicherung durch Kreuzbänder (Singular: Ligamentum


(Kniegelenk) cruciatum, Plural: Ligamenta cruciata) und Kollateralbänder
(Ligamentum collaterale mediale und Ligamentum collaterale
laterale), 2 Menisken vorhanden (Meniscus medialis: weniger
beweglich, da mit dem medialen Kollateralband verwachsen
20-mal häufiger verletzt; Meniscus lateralis: gut beweglich)

Articulatio talocruralis Scharniergelenk Durch die Form des Talus und die unbewegliche Malleoien-
(oberes Sprunggelenk) gabel ist das Gelenk stabiler in der Dorsalflexion als in der
Plantarflexion

Articulatio talotarsalis Zusammengesetztes Achse der Bewegung läuft durch die beiden Teilgelenke,
(unteres Sprunggelenk) Gelenk (2 Teilgelenkel von denen jedes einen separaten Gelenkraum besitzt

Articulatio radiocarpalis Eigelenk 2 Diskus vorhanden zwischen der Elle und der proximalen Reihe
(proximales Handgelenk) von Handwurzelknochen

Articulatio mediocarpalis Unregelmäßiges Gelenk 3 ( sehr einge- Wird praktisch nur in Kombination mit dem proximalen
(distales Handgelenk) schränkt im Handgelenk betätigt
Bewegungs-
umfang)

Articulatio inter- Scharniergelenk Kollateralbänder


phalangealis
(Finger- und Zehenzwi-
schengelenkel

Articulatio metacarpo- Kugelgelenk. Drehung 3 Starke Kollateralbänder


phalangealis jedoch in der Längsachse
(Finger- und Zehengrund- nur passiv möglich, da
gelenkel Muskeln dafür fehlen

Articulatio carpometa- Sattelgelenk 2 Gelenk zwischen dem frei beweglichen Mittelhandknochen


carpalis pollicis (Os metacarpale 1) und dem großen Vieleckbein (Os trapezium)
(Daumensattelgelenk)
136

4.7 Muskulatur

Im folgenden Text werden die wichtigsten Muskeln in Tabellen aufgeführt und


ihre Funktion genannt. Dabei sollte deutlich unterschieden werden zwischen der
genannten Einzelwirkung eines Muskels und eint:r funktionellen Wirkung, die
aus der Kombination von vielen Muskeln entsteht, wie sie im Bewegungsablauf
typisch ist. Die Kenntnis von Ursprung und Ansatz der Muskeln geht über die
notwendige Kenntnis des Bewegungsapparates hinaus und wird deshalb nur in
Einzelfällen besprochen. Im klinischen Gebrauch werden die Muskeln meistens
nur mit ihren lateinischen Fachbegriffen bezeichnet; deshalb werden diese im
Text und den Abbildungen zuerst genannt und die - meist unübliche -deutsche
Bezeichnung in Klammern (Abb. 4-50 u. Abb. 4-51).

Abb. 4-50.
Muskelmensch in Ventralansicht
Gesichtsmuskeln M. stemocleido-
(mimische mastoidaus
Muskulatur) (Kopfwender)

M. trapezius
(Kapuzenmuskel)
M. deltoidaus
(Deltamuskel)
M. pectoralis major
(großer Brustmuskeil
M. biceps brachll
(zweiköpfiger M. serratus anterior
Oberarmmuskeil (vorderer
Sägemuskeil
t- M. brachioradialis M. rectus abdominis
(Oberarmspeichen- (gerader
muskel) Bauchmuskeil
. Adduktoren Flexoren
(Heranzieher des (Beugemuskeln)
Oberschenkels)
M. obliquus ab-
domlnls extemus
M. sartorius {äußerer schräger
(Schneidermuskel) Bauchmuskeil

M. tensor fasciae
M. vastus medialis latae
(mittlerer Schenkel- (Spanner der Ober-
muskel) schenkelfaszie)
Kniescheibe M. vastus lateralis
(Patella) (äußerer
'Ir Schenkelmuskeil
Kniescheiben-
sehne M. rectus femoris
(Patellarsehne) (gerader
Schenkelmuskeil
Extensoren
(Strecker)

Mm. peronaei

..
(Wadenbeinmuskeln)
~

<f Retlnaculum
(fibröse Umlenkung)
Muskulatur · Kapitel4 · Bewegungsapparat 137

Die meisten Muskeln verbinden 2 oder mehr Knochen miteinander und


überqueren dabei eine entsprechende Anzahl von Gelenken, die bei der Muskel-
kontraktion bewegt werden. Eine Ausnahme bilden die Gesichtsmuskeln (mimi-
sche Muskulatur), die die Gesichtsknochen mit der darüber liegenden Haut ver-
binden. So können diese Muskeln die Haut bewegen. In der Entwicklung von ein-
facheren zu komplizierteren Lebewesen (Phylogenese) dienten die Gesichtsmus-
keln lediglich der Schließung oder Kontrolle von Öffnungen im Schädel, nämlich
der Lippen, der Augen, der Ohren und der Nase. Eine mimische Funktion folgte
erst sehr spät in der Entwicklungsgeschichte und ist nur beim Menschen und
seinen nächsten Verwandten, den Menschenaffen, zu finden.

Abb.4-51.
Muskelmensch in Dorsalansicht
7. Halswirtlei M. stemocleido-
mastoideus
(Koptwender)
M. deltoidaus
(Deltamuskel) • - - - - - - M. splenius capitis
(Riemenmuskulatur)

M. trapezius
(Kapuzenmuskel)
M. triceps brachii
(dreiköpfiger
Oberarmmuskel) M. infraspinatus
(Untergrätenmuskel)
M. latissimus dorsi - - - - --.1111[
(breiter
M. obliquus ab·
Rückenmuskel)
dominis elCtemus
(äußerer schräger
Extensoren Bauchmuskel)
Strecker des
Unterarms)

M. glutaeus maKimus
(großer Gesäßmuskel)
M. semitendinosus
(Halbsehnenmuskel)
"""!-~~'---- M. adductor magnus
(großer
M. biceps temoris
(zweiköpfiger Ober· -----:::--=---.-1 Schenkelanzjeher)
schenkelmuskel)
M. semi· t-t-- - - - M. gracilis
(Schlankmuskel)

..
membranosus
(Halbmembran-
muskel)
.•
M. gastrocnemius
(Zwillingswaden·
muskel) ..,...,.r-~--- Tendo calcaneus
(Achillessehne)

Mm. peronaei
(Wadenbeinmuskeln) M. solaus
(Schollenmuskel)
138

4.7.1 Muskeln an Kopf und ventralem Hals

Gesichtsmuskeln (mimische Muskulatur)


Die Gesichtsmuskeln können in 4 Gruppen eingeteilt werden, basierend auf ihrer
ursprünglichen Funktion als Öffner oder Schließer der verschiedenen Kopf-
öffnungen. Diese Funktion üben die Gesichtsmuskeln teilweise immer noch aus,
die Mimik ist jedoch als Teil der nicht an Worte gebundenen Kommunikation
(nonverbale Kommunikation) beim Menschen als weitere wichtige Funktion da-
zugekommen. Angefangen von verschiedenen Gefühlsäußerungen wie Wut,
Freude, Ärger, bis hin zu den sehr differenzierten Gesichtsausdrücken, wie z. B.
Bewunderung, Neugierde oder Zweifel, können wir mit der mimischen Muskula -
tur sehr viel mitteilen. Ein kleines Beispiel verdeutlicht die Wichtigkeit der
Mimik für zwischenmenschliche Beziehungen. Auch wenn man im freundlichs-
ten Ton sagt: »>ch freue mich, dich zu sehen« und die Mimik genau das Gegenteil
vermittelt, wird man weniger unseren Worten als unserem Gesichtsausdruck
glauben (Abb. 4-52 u. Abb. 4-53).
Als einer der wichtigsten Muskeln für die zwischenmenschlichen Beziehun-
gen kann der M.zygomaticus major bezeichnet werden, der eigentliche Lachmus-
kel, der unserem Gesicht einen freundlichen, strahlenden Ausdruck vermittelt.
Vermieden werden sollte hingegen der Gebrauch des M. depressor anguli oris
(Herabzieher des Mundwinkels), weil damit ein griesgrämiger Gesichtsausdruck
entsteht (auch 20-nach-8-Gesicht genannt). In Tabelle 4-2 sind die wichtigsten
mimischen Muskeln mit ihrer Funktion aufgeführt.

Kaumuskulatur
Ebenfalls am Kopf vorhanden, allerdings nicht zur mimischen Muskulatur zu
rechnen, ist die Kaumuskulatur (s. Abb. 4-53, Abb. 4-54 und Tabelle 4-3). Insge-
samt 4 Muskeln sind am Kauvorgang beteiligt:
• M. pterygoideus lateralis,
• M. pterygoideus medialis,
•· M. temporalis und
•· M. masseter.

Von diesen 4 Muskeln ist lediglich ein Teil des M. pterygoideus lateralis (äußerer
Flügelmuskeil in der Lage den Mund zu öffnen.

Obere Zungenbeinmuskeln (suprahyale Muskulatur)


Die oberen Zungenbeinmuskeln (Abb. 4-55) werden als Mundbodenmuskulatur
bezeichnet. Der Mundboden wird durch den M. mylohyoideus (Kieferzungen-
beinmuskel) verschlossen, der zwischen der Innenseite des Kinns und dem
Zungenbein verläuft. Ebenfalls zur Mundbodenmuskulatur werden der M. genio-
hyoideus (Kinnzungenbeinmuskel), der M. stylohyoideus (Griffelzungenbein-
muskel) und der M. digastricus (2-bäuchiger Kiefer muskel) gerechnet. Wird das
Zungenbein fixiert (Punctum fixum), dienen diese Muskeln als Mundöffner,
wenn das Zungenbein beweglich ist (Punctum mobile), dienen diese Muskeln als
Heber des Mundbodens.
Muskulatur · Kapitel4 · Bewegungsapparat 139

M. epicranlus, M. corrugator Abb. 4-52.


Venter frontalis supercilil
(Schädelhauben- (Stimrunzler) Mimische Muskulatur. Im Unterschied zu
muskel, Stimteil)
M. temporoparletalis anderen Skelettmuskeln verbindet die
Schlidelhauben-
mimische Muskulatur nicht zwischen
muskel, Schläfen-
scheitelteil) 2 Knochen, sondern sie strahlt in die
M. nasalls Gesichtshaut ein, die damit bewegt
(Nasenmuskel)
werden kann (Mimik). Auf der linken
M. zygomaticus Gesichtshälfte (rechte Bildseite) ist ein Teil
major und minor
(großer und kleiner der oberflächlichen Muskulatur sowie der
Jochbeinmuskeil Wangenfettpfropf nicht gezeichnet
M. masseter
(Kau muskel)
M. buccinator
(Wangenmuskel)

M. ortlicularis oris
(Mundringmuskel)
M. mentalis
(Kinnmuskel)
Depressor labil lnlerioris Platysma
(Senker der Unterlippe) (Halshautmuskel)

Gaiea aponeurotica M. epicranius, Venter frontans


(Sc:häo:lell1auber1mlJSk•el, Stimteil) Abb.4-53.
(zentrale Sch!idelsehne)
Muskulatur im Kopf- und Halsbereich
M. temporalis M. orbicularis oculi
(Schläfenmuskel) (Lidringmuskel) in Seitenansicht. Oer M. temporalis
M. temporoparietalis M. corrugator (Schläfenmuskel) und der M. masseter
(Schädelhauben- supercilii
(Stimrunzler)
(Kaumuskel) gehören beide zur Gruppe
muskel, Schläfen-
scheitelteil) der Kaumuskeln
M. nasalis
(Nasenmuskel)

M. zygomaticus
M. epicranius, major und minor
Venter occipitalis (großer und kleiner
Jochbeinmuskeil
(Schädelhauben·
muskel, Hinter- M. orbicularis oris
hauptteil) (Mundringmuskel)
M. auricularis M. depressor
posterlor anguli oris
(hinterer ""'"' ' '~""' (Senker des
Mundwinkels)
M. risorius
(Lachmuskel)
M. stemocleido-
mastoldeus M. trapezlos lntrahyale Muskeln
(Kopfwender) (Kapuzenmuskel ) (Unlerzungenbelnmuskeln)

Halsmuskulatur
Die im ventralen Bereich des Halses gelegene Muskulatur (Tabelle 4-4) ka nn in
3 Schichten eingeteilt werden: die oberflächliche, die mittlere und die tiefe
Schicht.
Oberflächliche Schicht (s. Abb. 4-55): In der oberflächlichen Schicht liegen das
Platysma (Halshautmuskel) und der M. sternocleidomastoideus (Kopfwender).
Das Platysma ist ein breitflächiger Muskel, der direkt unter der Haut liegt und
140

Tabelle 4·2. Mimische Muskulatur

Funktion

Muskeln im Bereich der Udspalte

M. orbicularis oculi {Lidringmuskel) Lidschlagreflex und fester Verschluss des Augenlids


M. corrugator supercilii {Stimrunzler) Zieht Haut der Brauen nach unten, erzeugt längsverlaufende Furche

Muskeln im Bereich der Nase

M. procerus (Stimsenker) Erzeugt quere Falte oben an der Nasenwurzel


M. nasalis (Nasenmuskell Verkleinerung des Nasenloches

Muskeln im Bereich der Mundöffnung

M. orbicularis oris {Mundringmuskel) Schwache Kontraktion -+ Lippen liegen aufeinander


starke Kontraktion -+ Lippen werden rüsselförmig nach vorne geschoben
M. buccinator (Wangenmuskel) Bildet die muskuläre Grundlage der Wange, hilft Nahrung beim Kauvorgang
verschieben, wird als Trompetermuskel bezeichnet
M. levator labii superioris (Heber der Oberlippe) Hebt die Oberlippe
M. zygomaticus major (großer Jochbeinmuskeil Lachmuskel, hebt die Mundwinkel
M. zygomaticus minor (kleiner Jochbeinmuskeil Hebt die Oberlippe
M. risorius (Lachmuskel; der eigentliche Lachmuskel ist Zieht die Mundwinkel nach hinten (Lächeln)
jedoch der M. zygomaticus major)
M. depressor anguli oris (Senker des Mundwinkels) Zieht die Mundwinkel nach unten
M. depressor labii inferioris (Senker der Unterlippe) Zieht die Unterlippe nach unten
M. mentalis (Kinnmuskel) Erzeugt bei starker Ausbildung das Grübchen im Kinn

Muskeln im Bereich der Ohren


(nu r schwach entwickelt, untrai n i ert)

M. auricularis superior {oberer Ohrmuskeil Zieht das Ohr nach oben


M. auricularis anterior {vorderer Ohrmuskeil Zieht das Ohr nach vorne
M. auricularis posterior {hinterer Ohrmuskeil Zieht das Ohr nach hinten

Muskeln im Bereich des Schädeldaches

M. epicranius (Schädelhaubenmuskel) besteht aus Vorderer Bauch -+ Falten der Stirne, Heben der Augenbrauen
vorderem und hinterem Bauch (M. occipitofrontalis) Hinterer Bauch -+ Spannung der zentralen Sehne (Galea aponeurotica)
sowie dem seitlichen Bauch (M. temporoparietalis) Seitlicher Bauch -+ Heben des Ohres, Spannung der zentralen Sehne
(Galea aponeurotica)

vom Unterkiefer über das Schlüsselbein bis auf die Brust verläuft. Kontrahiert
sich das Platysma, wird der Hals dicker und breiter. Der M. sternocleidomastoi·
deus (Kopfwender) teilt sich in 2 Muskelstränge. Sie entspringen gemeinsam vom
Warzenfortsatz des Schläfenbeins. Ein Strang zieht zum Brustbein, der andere
zum Schlüsselbein. Bei einseitiger Betätigung wendet er den Kopf zur Gegensei-
te. Bei beidseitiger Kontraktion wird das Gesicht nach oben gerichtet. Sein Mus-
kelkörper ist v. a. bei schlankeren Menschen sehr deutlich in seinem schrägen
Verlauf über den Hals zu sehen.
Mittlere Schicht (s. Abb. 4-55): In der mittleren Schicht der ventralen Hals-
muskeln liegen die unteren Zungenbeinmuskeln, die sog. infrahyalen Muskeln.
Sie sind an der Feststellung (als Punctum ftxum) des Zungenbeines und an der
Muskulatur - Kapitel 4 · Bewegungsapparat 141

M. pterygoideus lateralis Abb. 4-54.


(oberer und unterer Kopf des
äußeren Flügelmuskels) Tiefe Kaumuskeln, M. pterygoideus
Articulatio medialis (innerer Flügelmuskeil und
temporo-
M. pterygoideus lateralis (äußerer
mandibularis
(Kiefergelenk) Flügelmuskel). Der Jochbogen und der
Unterkieferast sind aufgeschnitten
gezeichnet, um einen besseren Blick auf
diese Muskeln zu ermöglichen. Der
M. buccinator (Wangenmuskel), manch-
M. pterygoideus Wangenmuskel mal als Trompetermuskel bezeichnet,
medlalls (M. buccinator)
(Innerer FIOgelmuskel)
bildet die Grundlage der Wange

Hebung und Senkung des Kehlkopfes beteiligt. Wenn diese Muskeln das Zungen-
bein fixieren, können sie als Hilfsmuskeln den Mund öffnen.
Tiefe Schicht: In der tiefen Schicht der ventralen Halsmuskeln liegen die Ska- Skalenusgruppe gehört mit dem
lenusgruppe und die prävertebralen Halsmuskeln. Die Skalenusgruppe hebt die Zwerchfell zur Einatemmuskulatur
beiden oberen Rippen und - bei gleichzeitiger Kontraktion der äußeren Zwi- (Atemhilfsmuskulatur)
Sehenrippenmuskeln- den gesamten Thorax. Damit ist sie nach dem Zwerchfell
die wichtigste Einatemmuskulatur (Atemhilfsmuskulatur). Durch eine Lücke
zwischen dem M. scalenus anterior und M. scalenus medjus zieht ein Gefäß-
Nerven-Strang (Plexus brachialis und A. subclavia) aus dem Brustraum über die
1. Rippe in die Achselhöhle und damit in den Arm. Die prävertebralen Mus ke ln
ermöglichen hauptsächlich die Drehung und Neigung der Wirbelsäule im Hals-
bereich.

Tabelle 4-3. Kaumuskulatur

Muskel Funktion

M. temporalis (Schläfenmuskel) auf der Heben und Zurückziehen des Unterkiefers


Schläfenseite, setzt am Processus coro-
noideus des Unterkiefers an

M. masseter (Kaumuskel) beim Heben und Nachvorneschieben


Zusammenpressen der Zähne deutlich des Unterkiefers
als Muskelwulst im Bereich
des Unterkieferwinkels zu tasten

M. pterygoideus medialis (innerer Heben und Nachvorneschieben


Flügelmuskeil auf der Innenseite des Unterkiefers
des Unterkiefers

M. pterygoideus lateralis (äußerer Ein Teil ~ Senken des Unterkiefers,


Flügelmuskeil besteht aus 2 Teilen beide Tei le ~ Steuerung der Öffnung
(liegt auf Muskel der Innenseite
des Unterkiefers auf der Höhe
des Kiefergelenks)
142

Abb.4-55. M. mylohyoldeus M. dlgastricus


(Kieferzungen- (zweibauchiger
Halsmuskulatur in Ventralansicht;
belnmuskel) Kiefermuskeil
oben ist der Rand des Unterkiefers
M. stylohyoideus
(Gritfelzungen-
-----.L-. Jf-- - - - vorderer Bauch
,__ _ _ _ hinterer Bauch
zu sehen
beinmuskel)
- - - - - M. Ievator
Oshyoideum scapulae
(Zungenbein) (Heber des
Schulterblatts)
M. omohyoideus
(Schulterzungen- M.longus capltis
beinmuskel) (langer Kopfmuskeil
Cartilago Mm. scalenl
thyroidea (Aippenheber)
(Schildknorpel)
Schlüsselbein
(Ciavicula)

Schilddrüse.
M. omohyoldeus
(Giandula
(Schulterzungen-
thyroidea)
beinmuskulatur
unterer Bauch) M. stemocleido- M. subclavlus
mastoideus M. stemohyoideus (Unterschlüssel-
(Kopfwender) (Brustzungenbeinmuskel) beinmuskulatur)

4.7.2 Dorsale Muskulatur an Kopf, Hals und Rücken

Auch die Muskulatur an Kopf, Hals und Rücken (Abb. 4-56-Abb. 4-58, Tabelle 4-5)
kann nach unterschiedlichen Gesichtspunkten gegliedert werden. Die folgende Glie-
derung geht primär auf die Lage der Muskeln ein. Wenn nötig, wird der eine oder an-
dere Muskel erneut in einem stärker funktionellen Zusammenhang aufgeführt.
2 große Gruppen der Rückenmuskulatur Die Rückenmuskulatur kann in 2 größere Gruppen unterteilt werden. Die
• Oberflächliche Rückenmuskulatur eine Gruppe besteht aus den oberflächlichen Rückenmuskeln, die dorsale Schul-
(dorsale Schultergürtelmuskulat ur) tergürtelmuskulatur heißt, weil sie auf den Schultergürtel einwirken. Die andere
• Tiefe (echte) Rückenmuskulatur Gruppe besteht aus den tiefen Rückenmuskeln, die im Unterschied zu den ober-
flächlichen Muskeln echte Rückenmuskulatur genannt werden. Die echte Rücken-
muskulatur (genuine oder autochthone Rückenmuskulatur) wird in ihrer Ge-
samtheit häufig als Aufrichter der Wirbelsäule (M. erector spinae) bezeichnet, da
sie u. a. für das Aufrichten und Halten der Wirbelsäule verantwortlich ist. Dane-
ben ist die echte Rückenmuskulatur für die Dreh - und seitlichen eigebewegun-
gen der Wirbelsäule verantwortlich.

Oberflächliche Rückenmuskulatur
Oberflächliche Rückenmuskulatur Die oberflächliche Rückenmuskulatur besteht im wesentlichen aus 4 Muskeln,
• M. trilpezius (Kapuzenmuskel) die auf jeder Körperseite vorhanden sind. Diese Muskeln entspringen am
• M. lat issimus dorse Rumpf, wirken aber auch auf den Schultergürtel und Arm, sodass sie als dorsa-
(breiter Rückenmuskeil le Schultergürtelmuskulatur bezeichnet werden.
• M. Ievator scapulae (Schulterblattheber) Der M. trapezius (Kapuzenmuskel) ist dreieckig geformt. Zusammen bilden die
• Mm. rhomboidei (Rautenmuskeln) Muskeln beider Seiten ein Trapez. Sie bestehen jeweils aus 3 verschiedenen
Anteilen: einem vom Kopf bis zur Schultergräte absteigenden Teil, einem quer-
verlaufenden Teil und einem zur Schultergräte aufsteigenden Teil, die alle ent-
sprechend ihrer Verlaufsrichtung unterschiedlich wirken. Der aufsteigende
und der absteigende Teil bewirken gemeinsam eine Drehung des Schulterblatts.
Muskulatur · Kapitel 4 · Bewegungsapparat
143

• Der M. latissimus dorsi (breiter Rückenmuskeil wirkt direkt auf den Arm. Er
kann v. a. beim erhobenen Arm eine kräftige Rückführung durchführen, z. B.
beim Holzhacken (Holzhackermuskel); da er aber auch an der Einwärtsdre-
hung beteiligt ist, nennt man ihn auch Schürzenbindemuskel oder Frackta-
schenmuskeL Er führt den Arm unter gleichzeitiger Einwärtsdrehung nach
hinten.
• Der M.levator scapulae (Schulterblattheber) zieht von den ersten 4 Halswirbeln
zum Schulterblatt. Er hebt nicht nur, sondern kann das Schulterblatt auch dre-
hen; er ist dabei Gegenspieler des M. serratus anterior (vorderer Sägemuskel),
der unter dem Abschnitt Schultergürtelmuskeln erläutert wird (s. Abb. 4-57).
• Die Mm. rhomboidei (Rautenmuskeln) stellen den muskulären Anteil des
Schultergürtels dar, der - wie eine Gürtelschnalle - den Schultergürtel ver-
schließt und damit muskulär am Brustkorb befestigt.

Tiefe (echte) Rückenmuskulatur


Bei der echten Rückenmuskulatur (s. Abb. 4-58), auch autochthone Rückenmus- Echte Rückenmuskulatur
kulatur genannt, kann man aufgrund der Lage der Muskeln zunächst 2 größere • Lateraler Muskelstrang
Systeme erkennen: • Medialer Muskelstrang
• den lateralen Muskelstrang, bestehend aus dem M. iliocostalis (Darmbein- • Kurze Nackenmuskeln
rippenmuskel), dem M. longissimus (längster Muskel) und dem M. splenius
(Riemenmuskel). Der M. iliocostalis (Darmbeinrippenmuskel) besteht aus
einem Lenden -, einem Brust- und einem HalsteiL Der längste Muskel besteht
aus einem Brust-, einem Hals- und einem KopfteiL Der M. splenius besteht je-
doch nur aus einem Hals- und einem Kopfteil,
• den medialen Muskelstrang, bestehend aus einem Geradsystem und einem
Schrägsystem von Muskeln (wegen der Verlaufsrichtung so bezeichnet). Zum
Geradsystem rechnet man die Mm. interspinales (Zwischendornmuskeln), die

Tabelle 4-4. Ventrale Halsmuskulatur

Funktion

Oberflächliche Schicht

Platysma (Halshautmuskel) Spannung der Haut im Halsbereich


M. sternocleidomastoideus (Kopfwender) Einseitig: Wenden des Kopfes auf die Gegenseite
Beidseitig: Gesicht nach oben richten
Mittlere Schicht

M. sternohyoideus (Brustzungenbeinmuskel) Herabziehen des Zungenbeins


M. stemothyroideus (Brustbeinschildknorpelmuskel) Herabziehen des Kehlkopfes
M. thyrohyoideus (Schildknorpelzungenbeinmuskel) Anheben des Kehlkopfes beim Schlucken
M. omohyoideus (Schulterzungenbeinmuskel) Herabziehen des Zungenbeins, Spannung der Halsfaszie

Tiefe Schicht

M. scalenus anterior (vorderer Treppenmuskeil Hebung der 1. Rippe und Seitwärtsdrehung des Halses
M. scalenus medius (mittlerer Treppenmuskeil Hebung de r 1. Ri ppe und Seitwärtsneigung des Halses
M. scalenus posterior (hinterer Treppenmuskeil Hebung der 2. Rippe und Seitwärtsneigung des Halses
M. rectus capitis anterior (vorderer gerader Kopfmuskeil Neigung des Kopfes
M. longus capitis (langer Kopfmuskeil Vor- und Seitwärtsneigung von Kopf und Hals
M. longus colli (langer Halsmuskeil Vor- und Seitwärtsdrehung des Halses
144

Abb.4-56. M. deltoidaus
M. stemocleido- Pars acromialls
Oberflächliche Schicht mastoidel.ls · (Deltamuskel
der ROckenmuskulatur (Kopfwender) SchultefhOhenteil)

M. trape.zius
Schultergrille
Pars descendens
- (Spina seapulae)
(absteigender Teil
des Kapuzen·
muskels) M. teres major
(großer
M. deltoidaus ------ Rundmuskeil
Pars spinans
(Deltamuskel
M. latisslmus dorsi
Schultergratentell) (breiter
ROckenmuskeil
M. trape.zius ~
Pars aseendans
(aufsteigender Teil Crista lliaca
des Kapuzen· _ (Rand der
muskels) Darmbeinschaufel)

M. obUquus extemus · - M. glutaeus


abdominis maximus
(äußerer schräger (großer Gesäß-
Bauchmuskeil muskel)

Mm. intertransversarii (Zwischenquerfortsatzmuskeln) und den M. spinalis


( Dornmuskel). Diese Muskeln weisen einen geraden Verlauf auf und verbinden,
wie in ihrem Namen angedeutet, Querfortsätze (Mm. intertransversarii) oder
Dornfortsätze (Mm. interspinales und M. spinalis) verschiedener Wirbel mit-
einander.
Zum Schrägsystem werden die Mm. rotatores (Wirbeldreher), der M. multifidus
(vielgespaltener Rückenmuskeil und der M. semispinalis (Halbdornmuskel) ge-
rechnet.
• Ebenfalls zur tiefen Rückenmuskulatur gehören die kurzen Nackenmuskeln. Sie
sind verantwortlich für die Bewegungen zwischen dem 1. Halswirbel (Atlas) und
dem Hinterhauptbein (Os occipitale) sowie dem 1. und 2. Halswirbel (Axis). Sie
liegen in der Tiefe unter dem kräftigen M. semispinalis (Halbdornmuskel). Da-
bei handelt es sich um den M. rectus capitis posterior major (hinterer großer

Abb. 4-57.
Dorsalansicht der Halsmuskulatur. Auf der
M. splenius capilis · M. semispinalis capilis
linken Seite ist der M. trapezius zu sehen, (Kopfteil des (Kopftell des
Riemenmuskels) Halbdommuskels)
auf der rechten Seite ist er entfernt
um den Aufblick auf die darunter liegende M. stemocleido- - M. splenlus cervlcls
mastoidaus · (Helstell des
Muskulatur zu ermöglichen (Kopfwender) Aiemenmuskels)

M. trape.zius Processus spinosus


(Kapuzenmuskel) · (7. Halswirbeldom)

M. Ievator scapulae
Mm. fhomboidei - · (Heberdes
(Rautenmuskeln) Schulterblatts)
Muskulatur · Kapitel4 · Bewegungsapparat 145

M. long.issimus capitis Abb.4-58.


Mm. Interspinales
(Kopheil des längsten
(Zwischendom-
muskeln)
Rückenmuskels) Tiefe Schicht der Rückenmuskulatur
M. Ievator scapulae
mit lateralem Muskelstrang (rechte Seite)
M. semispinalis (Heber des Schulterblatts) und medialem Strang (linke Seite)
cervicis
(Halsteil des Halb· M. semispinalis capitis
dommuskels) (Kopfteil des Halbdorn-
muskels)
M. semispinalis -------,;&!'!;~
thoracis M. longissimus
(Brustteil des Halb- cervicis
dommuskels) (Halsteil des längsten
Rückenmuskels)
Zwerchfell
(Diaphragma) M. iliocostalis cervicis
(Halsteil des Darm·
Mm. lntenrans- beinrippenmuskels)
M. splenius
(Dommuskel)

M. longissimus
M. quadratus thoracis
tumbarum (Brustteil des längsten
(viereckiger ROckenmuskels)
Lendenmuskeil
M. lliocosta.lis
lumborum
M. multifidus (Lendenteil des Darm·
tumbarum beinrippenmuskels)
(Lendenteil des
vielgespaltenen Erector spinae
Muskels) (zusammengefasst:
Aufrichter der
Wirbelsäule)

gerader Kopfmuskel), den M. rectus capitis posterior minor (hinterer kleiner ge-
rader Kopfmuskel), den M. obliquus capitis superior (oberer schräger Kopfmus-
keil und den M. obliquus capitis inferior (unterer schräger Kopfmuskel).

4.7.3 Brustkorbmuskulatur (Thoraxmuskulatur) • Muskeln zur Inspiration:


Diaphragma (Zwerchfell)
Die Muskulatur des Brustkorbes (Thora.x:muskulatur; Abb. 4-59 u. Abb. 4-60, und Mm. intercostales externi
Tabelle 4-6) dient fast ausschließlich der Atmung. Der wichtigste Muskel für die (äußere Zwischenrippenmuskeln)
Atmung ist das Zwerchfell (Diaphragma), das als querverlaufende halbkugel- • Muskeln zur Exspiration:
förmige Muskelplatte zwischen Brustkorb und Bauchhöhle liegt. Das Zwerchfell Mm. intercostales interni
entspringt vom unteren Rand des Brustkorbes. Die Muskelfasern ziehen zur zen- (innere Zwischenrippenmuskeln)
tralen Bindegewebsplatte (Centrum tendineum), die u. a. die Durchtrittsöffnung
für die untere Hohlvene bildet (s. Abb. 4-77). Auf der Bindegewebsplatte liegt im
Brustraum das Herz, das mit seinem Herzbeutel am Zwerchfell verwachsen ist.
Bei der Kontraktion des Zwerchfells kommt es zu einer Vergrößerung des Brust-
raums und damit zwangsläufig zu einer Einatmung (Inspiration) . Weitere wich-
tige Muskeln für die Einatmung sind die Mm. intercostales externi (äußere
Zwischenrippenmuskeln). Sie verlaufen zwischen den Rippen so, dass sich bei
fiXierter 1. Rippe (durch die Treppenmuskeln, Mm. scaleni) die jeweils tieferen
Rippen heben und somit den Brustraum vergrößern (Einatmung). Die Mm. inter-
costales interni (innere Zwischenrippenmuskeln) verlaufen in entgegengesetzter
Richtung und bewirken damit das Gegenteil: bei nicht fixierter 1. Rippe senken
sie die Rippen und verkleinern den Brustraum (Ausatmung, Exspiration). Die
Zwischenrippenmuskulatur wird auch Interkostalmuskulatur genannt.
146

Funktion

Oberflächliche ROckenmuskulatur
(dorsale Schultergürtelmuskulatur)

• M. trapezius (Kapuzenmuskeil
- Absteigender Teil Heben der Schulter
- Querverlaufender Teil Zurückziehen der Schulter
- Aufsteigender Teil Senken der Schulter
- AlleTeile Drehen des Schulterblattes (für die Elevation des Armes, s. Tabelle 4-14)
• M. latissimus dorsi (breiter Rückenmuskeil Rückführung und Einwärtsdrehung des Armes
• M. Ievator scapulae (Schulterblanheber) Hebt das Schulterblatt und dreht den unteren Winkel nach medial
• M. rhomboideus majorund minor (großer Rautenmuskel Sind Teil des Schultergürtels, ziehen das Schulterblatt nach medial
und kleiner Rautenmuskeil und oben, Antagonisten des vorderen Sägemuskels

Tiefe Rückenmuskulatur
(echte Rückenmuskulatur, Erector spinae)

Lateraler Muskelstrang
• M. iliocostalis (Darmbeinrippenmuskel)
- lendenteil Streckung und Seitwärtsneigen der Lendenwirbelsäule
- Brustteil Seitwärtsneigung der Brustwirbelsäule
- Halsteil Seitwärtsneigung der Halswirbelsäule
• M. longissimus (längster Rückenmuskeil
- Brustteil Seitwärtsneigung, Streckung und Rückwärtsneigung der Brustwirbelsäule
- Halstell Seitwärtsneigung des Halses
- Kopfteil Seitwärtsneigung, Rückwärtsneigung des Kopfes sowie Gesichtsdrehung
zur gleichen Seite
• M. splenius (Riemenmuskel) Halsteil und Kopfteil Rückwärtsneigung und Kopfdrehung zur gleichen Seite

Medialer Muskelstrang (Geradsystem)


• Mm. interspinales (Zwischendornmuskeln) Streckung und Rückwärtsneigung des Rumpfes
• Mm. intertransversarii (Zwischenquerfortsatzmuskelnl Seitwärtsneigung des Rumpfes, Stabilisierung der Wirbelsäule
• M. spinalls (Dornmuskel) Streckung und Rückwärtsneigung des Rumpfes

Medialer Strang (Schrägsystem)


• Mm. rotatores (Wirbeldreher) Drehung des Rumpfes
• M. multifidus (vielgespaltener Muskel) Streckung und Rückwärtsneigung des Rumpfes
• M. semispinalis (Halbdornmuskel) Streckung und Rückwärtsneigung des Rumpfes

Kurze Nackenmuskeln Beidseitig gemeinsam: Rückwärtsneigung des Kopfes


• M. rectus capitis posterior major Rückwärtsneigung des Kopfes, Drehung des Gesichtes nach außen
(hinterer großer gerader Kopfmuskeil
• M. rectus capitis posterior minor Rückwärtsneigung des Kopfes
(hinterer kleiner gerader Kopfmuskeil
• M. obliquus capitis Superior (oberer schräger Kopfmuskeil Rückwärtsneigung und Seitwärtsneigung des Kopfes
• M. obliquus capitis inferior (unterer schräger Kopfmuskeil Drehung des Gesichts nach außen
Muskulatur· Kapitel4 · Bewegungsapparat 147

Abb. 4-59.
~~t~~5;~~;:~---- 1. Brustwirbel Atemmuskeln. Auf der oberen linken Seite
sind die Mm. intercostales (Zwischen-
Mm. intercostales -=----Jik'
extemi
ßi~!l!l! 11..----===-- Mm. intercostales rippenmuskeln) in 2 1nterkostalräumen
inteml
(äußere Zwischen-
rippenmuskeln)
(innere Zwischen- eingezeichnet. Zur besseren Darstellung
rippenmuskeln)
des Zwerchfells (Diaphragma) sind die
unteren Rippen nicht eingezeichnet
untere Hohlvene
Zwerchfellkuppel (Vena cava inferior)

Zwerchfell - - --JI Speiseröhre


(Diaphragma) (Oesophagus)

Aona

Domfortsätze Abb. 4-60.


(Processus """',-------6-~1'
spinales) Handgriff des Mm. intercostales interni und
Brustbeins Mm. intercostales externi (innere
~------- (Manubrium stemi)
und äußere Zwischenrippenmuskeln)
Mm. lntercostales
-=:!~~~~~~tii~
Mm. intereostales
extemi
intemi
(innere Zwischen-
(äußere Zwischen- rippenmuskeln)
rippenmuskeln)
Rippenknorpel

Schwerttonsatz
(Processus
xiphoideus)

4.7.4 Bauchmuskeln (Abdominalmuskulatur)

Die Wirbelsäule wird von 2 größeren Muskelgruppen bewegt: den Rücken-


muskeln und deren Gegenspielern, den Bauchmuskeln. Daneben sind die Bauch-
muskeln am Aufbau der seitlichen, vorderen und hinteren Bauchwand beteiligt.
Mit Ausnahme des viereckigen Lendenmuskels sind d ie Bauchmuskeln nach
ihrer Verlaufsrichtung und Lage benannt. Die Bauchmuskeln stellen aber auch -
wie die Rückenmuskeln - Teil einer Muskelkette dar, die von den Fußmuskeln bis
zum Hinterhaupt reicht und die für den aufrechten Gang verantwortlich ist
(AbdominaJmuskulatur; Abb. 4-61 u. Abb. 4-62, Tabelle 4-7).
Die Bauchmuskeln beteiligen sich alle an der Bauchpresse. Die Wirkung der
Bauchpresse hängt von der Stimmritze ab. Ist diese geschlossen, führt die Bauch-
presse zu einer Erhöhung des Bauchrauminnendrucks. Ist die Stimmritze geöff-
net, führt sie zu e iner VerkJeinerung des Brustraums und damit zur Ausatmung.
148

Abb. 4-61 .
Bauchmuskeln von der rechten Seite
M. pectoralis major
betrachtet. Der M. latissimus dorsi (breiter M. serra.tus anterior - --1 (großer Brustmuskeil
(vorderer sagemuskell
Rückenmuskeil und der M. pectoralis
major (großer Brustmuskel) sind bei
erhobenem Arm gezeichnet
M. obliquus extemus
abdominis
M. latissimus dorsi - - - ---111111 (Außerer schrAger
(bre~er Ruckenmuskeil Bauchmuskeil

oberflächliche
Bauchfaszie
Darmbeinkamm - -- - - ---'r- ....!.-1-- - - - (Fascia superficialis
(Crista iliaca) abdominisl

Tabelle 4·6. Brustkorbmuskulatur (Atemmuskeln)

Muskel Funktion

• Diaphragma (Zwerchfell) Vergrößerung des Brustraums zu Lasten


des Bauchraums (Einatmung)
• Mm. intercostales externi Vergrößerung des Brustraumes durch
(äußere Zwischenrippenmuskeln) Anheben der Rippen (Einatmung)
• Mm. intercostales interni Verkleinerung des Brustraumes durch
(innere Zwischenrippenmuskeln) Senken der Rippen (Ausatmung)

Die Muskeln der Bauchpresse werden deshalb auch als Hilfsmuskeln der Aus·
atmung bezeichnet.

4.7.5 Beckenboden

Muskulatur des Beckenbodens Das Becken bildet einen knöchernen Rin g wie bei den Beckenknochen bereits
• Diaphragma pelvis beschrieben. Dieser knöcherne Ring ist nach oben offen und hat damit eine Ver-
• Diaphragma urogenitale bindung zur Bauchhöhle für den Durchtritt von Gefäßen und Organen. Nach un-
ten ist der Beckengürtel ebenfalls offen, deshalb ist es wichtig, dass hier mus-
kulöse und bindegewebige Strukturen einen Beckenboden bilden. Der Becken-
boden wird durch 2 Muskelplatten mit den dazugehörigen Faszien gebildet
(Abb. 4-63 und Abb. 4-64).
Die kräftigere dieser beiden Platten wird durch den M. Ievator ani (After-
heber) gebildet, der von der seitlichen Innenwand des kleinen Beckens, auf der
Höhe des verstopften Lochs (Foramen obturaturn) entspringt. Hinten ist er mit
dem Steißbein verbunden, vorne mit den Schambeinen. Zwischen dem von
beiden Seiten trichterförmig in die Mitte ziehenden Muskel ist eine spaltförmige
Öffnung vorhanden, das Levatortor. Hier treten Darm, Harnwege und Ge-
schlechtsorgane durch. Der M. Ievator ani wird in seiner Gesamtheit als Dia·
phragma pelvis bezeichnet.
Muskulatur · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 149

Abb. 4-62.
M. pectoralis major
Bauchmuskulatur. Auf der linken Seite
(großer Brustmuskeil
ist die Scheide des M. rectus abdominis
(gerader Bauchmuskeil eröffnet. sodass
die 5 Bäuche des Muskels mit ihren
Reklusscheide Zwischensehnen zu sehen sind

Bauchnabel
Darmbeinkamm (Umbilicus)
(Crista lliacal
M. obliquus
extemus abdominis

---..u.
Leistenband (äußerer schräger
(Ligamentum Bauchmuskeil
inguinale)

M. pyramidalis
(Pyramidenmuskel)

Im vorderen Bereich, dort wo die Harnwege und Geschlechtsorgane durch


das Levatortor hindurchtreten, ist die 2. Muskelplatte vorhanden, die von den bei-
den Schambeinen entspringt und damit eine dreieckige Form bekommt. Diese
Muskelplatte besteht aus 2 Muskeln, dem M. transversus perinei profundus (tiefer
Dammmuskel) und dem M. transversus perinei superficialis (oberflächlicher
Dammmuskel), der den freien Rand der dreieckigen Muskelplatte nach dorsal
bildet. Diese beiden Muskeln nennt man zusammen Diaphragma urogenitale.
Als Abspaltung des M.levator ani (Afterheber) liegt auf dem Beckenboden im
hinteren Bereich der M. sphincter ani externus (äußerer Schließmuskel des End-
darms). Dieser Muskel ist ein willkürlicher Schließmuskel, im Gegensatz zum
inneren Schließmuskel (s. Kap. 10, Verdauungssystem ). Auf dem Beckenboden ist

Tabelle 4-7. Bauchmuskeln (Abdominalmuskulaturl

Muskel Funktion

• M. obliquus externus abdominis Drehung und Seitwärtsneigung des Rumpfes,


(äußerer schräger Bauchmuskeil Senkung der Rippen, Bauchpresse

• M. obliquus internus abdominis Beugung und Seitwärtsneigung des Rumpfes,


(innerer schräger Bauchmuskeil Senkung der Rippen, Bauchpresse

• M. transversus abdominis Bauchpresse


(querer Bauchmuskeil
• M. rectus abdominis Beugung des Rumpfes, Hebung des Beckens,
(gerader Bauchmuskeil Bauchpresse

• M. pyramidalis Spannung der mittleren Zone der Rektus-


(Pyramidenmuskell scheide (Linea albal, nicht immer vorhanden
• M. quadratus lumberum Senkung der Rippen und Seitwärtsneigung
(viereckiger Lendenmuskeil des Rumpfes
150

Abb. 4-63. Harnröhre


M. bulbospongiosus
(Urethra)
Beckenbodenmuskeln der Frau (Zwiebelschwamm-
Scheide muskel)
(Vagina)

M. ischio· -----1~"... M. sphincter


cavemosus ani externus
(Sitzbeinkammer- (äußerer Anus-
muskel) ringmuskel)

M. transversus
H.-:r!-1-- M . Ievator ani
(Afterheber)

M . glutaeus
maximus
Steißbein (großer
(Os coccygis) Gesäßmuskel)

Abb. 4-64. M. transversus perinei M. ischiocavemosus


Beckenbodenmuskeln des Mannes. Die superficialis (Sitzbeinkammer-
(oberflächlicher muskel)
Region zwischen Peniswurzel und Anus Dammmuskel)
M. bulbospongiosus
wird als Damm (Perineum) bezeichnet rtfr:'§r-- - (Zwiebelschwamm-
M. sphincter
muskel)
ani extemus
(äußerer Anus- M. transversus
ringmuskel) perlnel profundus
(tiefer Damm-
M. glutaeus maxlmus muskel)
(großer
Gesäßmuskel) M. Ievator ani
(Aftertleber)
Steißbein
Anus
(Os coccygis)

außerdem der M. bulbospongiosus (Zwiebelschwammmuskel) vorhanden, der


bei der Frau den Vorhof und beim Mann den Penisschwellkörper umgreift. Auf
beiden Seiten des Beckenbodens liegt direkt unterhalb des Sitzbeinrandes der
M. ischiocavernosus (Sitzbeinschwellkörpermuskel). Er zieht bei der Frau bis zur
Klitoris und beim Mann bis zum Penisschwellkörper.
Ein wichtiger Teil des Beckenbodens ist in der Dammregion (Perineum) eine
zentrale Sehnen platte, das Centrum tendineum. Diese besteht aus straffem kolla-
genem Bindegewebe, in das glatte Muskulatur eingewoben ist. Im Centrum ten-
dineum laufen Fasern verschiedener Beckenbodenmuskeln zusammen: M. Ieva-
tor ani, M. transversus perinei profundus, M. sphincter ani externus, M. bulbo-
spongiosus. Durch d iese Muskeln ist das Centrum tendineum nach allen Seiten
gespannt und verleiht dem Damm seine Festigkeit.

4.7.6 Schultergürtelmuskulatur

Der knöcherne Schultergürtel wird durch die Mm. rhomboidei ( Rautenmuskeln)


geschlossen (Tabelle 4-8). Daneben wirken die meisten Muskeln auf den Schul-
tergürtel ein, die auf der einen Seite helfen, den Schultergürtel am Rumpf zu
Muskulatur · Kapitel4 · Bewegungsapparat 151

Tabelle 4-8. Schultergürtelmuskulatur

Muskel Funktion

Ventrale Gruppe

• M. pedoralis major (großer Brustmuskeil Alle Teile gemeinsam bewirken:


-Pars clavicularis (Schlüsselbeinteil) Anziehen des Armes an den Rumpf (Adduktion),
- Pars sternocostalis (Brustbein-Rippenteill Bewegung des Armes nach vorne (Anteversion)
und Innendrehung des Armes (lnnenrotat ionl
- Pars abdominalis (Bauchtelll bei seitlich aufgestütztem Arm: Atemhilfsmuskel
für die Einatmung, Antagonist des M.latissimus dorsi

• M. pedoralis minor (kleiner Brustmuskeil Zieht das Schulterblatt nach vorne, unten
• M. subclavius (Unterschlüsselbeinmuskell Stemmt das Schlüsselbein gegen das Brustbein
• M. serratus anterior (vorderer Sägemuskeil Dreht das Schulterblatt, gemeinsam mit dem Kapuzenmuskel
(M. trapezius), dadurch wird die Elevation ermöglicht
• M. coracobrachialis (Hakenarmmuskel) Bewegung des Arms nach vorn (Anteversion), wirkt als
Gelenkmuskel (drückt den Oberarmkopf in die Gelenkpfanne}

Dorsale Gruppe

• M. trapezius (Kapuzenmuskeil
- Absteigender Teil Heben der Schulter
- Querverlaufender Teil Zurückziehen der Schulter
- AufsteigenderTeil Senken der Schulter
- Ab- und aufsteigenderTeil Drehen des Schulterblattes gemeinsam mit M. serratus anterior
(für die Elevation des Armes, s. Tabelle 4-14}
• M. latissimus dorsi (breiter Rückenmuskeil Rückführung und Einwärtsdrehung des Armes
• M.levator scapulae (Schulterblattheber) Hebt das Schulterblatt und dreht den unteren Winkel nach medial
• M. rhomboideus majorund minor Sind Teil des Schultergürtels, ziehen das Schulterblatt nach medial
(großer und kleiner Rautenmuskeil und oben, Antagonisten des vorderen Sägemuskels

befestigen, auf der anderen Seite aber auch für die große Beweglichkeit des
Armes verantwortlich sind, also auf den Arm direkt einwirken.
Man unterscheidet an der Schultergürtelmuskula tur eine ventrale und eine
dorsale Muskelgruppe.

Ventrale Schultergürtelmuskulatur
Ventralliegen der M . pectoralis majorund minor (großer und kleiner Brustmus-
kel), der M. subclavius (Unterschlüsselbeinmu skel) sowie der M. serratus anterior
(vorderer Sägemuskel; Abb. 4-65). Der große Brustmuskel zieht vom Schlüssel-
bein und der vorderen Brustwand an den Oberarm. Der kleine Brustmuskelliegt
direkt unter dem großen Brustmuskel, entspringt allerdings von der 2.-5. Rippe
und zieht zum Processus coracoideus (Rabenschnabelfortsatz) des Schulter-
blatts. Ebenfalls am Rabenschabelfortsatz setzt der M. coracobrachialis (Haken-
152

M. slemocleido- M. trapezius
Abb. 4-65.
mastoideus (Kapuzenmuskeil
Vorderansicht des Oberkörpers mit ober- (Kopfwenderl

flächlicher und tiefer Brustmuskulatur Schlüsselbein ----::~~


(Ciavicula)

M. deltoidaus M. pectoralis minor


(Deltamuskel) (kleiner Brustmuskeil

M. biceps brachii
(zweiköpfiger
Oberarmmuskeil

M. coracobrachialis
M. pectoralis major
(Hakenarmmuskell
(großer Brustmuskeil

M. serratus anterior
(vorderer Sägemuskel)

armmuskel) an, der vom Oberarm entspringt. Der M. subclavius (Unterschlüssel-


beinmuskel) zieht von der 1. Rippe an das Schlüsselbein und sichert damit den
Zusammenhalt zwischen Schlüsselbein und Brustbein.

Dorsale Schultergürtelmuskulatur
Die dorsalen Schultergürtelmuskeln gehören zur Gruppe der oberflächlichen
Rückenmuskeln. Wie dort beschrieben rechnet man die folgenden Muskeln dazu:
• M. trapezius (Kapuzenmuskel),
• Mm. rhomboidei majorund minor (großer und kleiner Rautenmuskel),
• M.levator scapulae (Schulterheber) sowie
• M.latissimus dorsi (breiter Rückenmuskel).

4.7.7 Schultermuskulatur

Die Schultermuskulatur bildet einen Muskelmantel, der das Schultergelenk stabili-


siert (Tabelle 4-9). Die Muskeln, die wie eine Manschette um die Kapsel liegen, wer-
den wegen ihrer Wirkung auf den Oberarm als Rotatorenmanschette bezeichnet.
Zu der Schultermuskulatur rechnet man den M. deltoideus (Deltamuskel;
Abb. 4-66), der mit seinen 3 Anteilen das Schultergelenk von hinten, an der Seite
und von vorne bedeckt. Diese 3 Anteile sind:
• Pars spinalis (SchultergrätenteiJ),
• Pars acromialis (Schulterhöhenteil) und
• Pars clavicularis (Schlüsselbeinteil).

Alle 3 Teile setzen über eine gemeinsame Sehne am Oberarmknochen an. Mit
seinen 3 Teilen ist der M. deltoideus an den meisten Armbewegungen beteiligt
(s. Tabelle 4-9).
Die eigentliche Rotatorenmanschette (Abb. 4-67 - Abb. 4-70) besteht aus:
• M. supraspinatus (Obergrätenmuskel),
• M. infraspinatus (Untergrätenmuskel),
• M. teres minor (kleiner Rundmuskel) und
• M. subscapularis (Unterschulterblattmuskel).
Muskulatur · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 1 53

Tabelle 4-9. Schultermuskulatur

Muskel Funktion

M. deltoldeus (Deltamuskel)
- Pars spinalis (Schultergrätenteil) Bewegt den Arm nach hinten (Retroversion),
Außendrehung (Außenrotation)
- Pars acromialis (Schulterhöhen teil) Wegführen des Arms vom Körper zur Seite
(Abduktion)
-Pars clavicularis (Schlüsselbeinteil) Bewegt den Arm nach vorne (Anteversion),
Innendrehung (lnnenrotation)

M. supraspinatos (Obergrätenmuskel)• Wegführen des Arms vom Körper zur Seite


(Abduktion}, Außendrehung (Außenrotation)

M. infraspinatus (Untergrätenmuskel}" Stärkster Außendreher (Außenrotator)

M. teres minor (kleiner runder Muskel)• Außendrehung (Außenrotation) und Heran-


führen des Arms an den Körper (Adduktion}

M. teres major (großer runder Muskel) Innendrehung (lnnenrotation), Heranführen


des Arms an den Körper (Adduktion), bewegt
den Arm nach hinten (Retroversion)

M. subscapularis (Unterschulterblatt- Stärkster Innendreher (lnnenrotator},


muskel)• Heranführen des Arms an den Körper
(Adduktion}

• Muskeln der Rotatorenmanschette.

Schulterhöhe Abb. 4-66.


M. stemocleidomastoideus
(Acromion)
(Kopfwender) Rechte Seitenansicht von Oberkörper

- - - -- M . deltoidaus undArm
(Deltamuskel)
, _ _ _ _ M . pectoralis major
(großer Brustmusket)

M. serratus anterior
(vorderer Sägemuskeil
M. blceps brachii
(zweiköpfiger
Oberarmmuskeil
M. brachialis
(Armbeuger)
M. extensor carpi
Ellenbogen radialis longus
(Oiecranon) (langer radialer
Handstrecker)
M. brachioradialis
(Oberarmspeichenmuskel)
verschiedene
Daumenmuskeln M. extensor carpi
fibröse Umlenkung radialis brevis
(kurzer radialer
(Aetinaculum)
Handstrecker)
154

Abb.4-67.
iiliiiiiiiiii.:?=?':::r~~.--- Schlüsselbein
M. deltoidaus - - - - - --I.IIJI'?. (Ciavicula)
Vorderansicht des Oberarms
Pars acromialis
mit Innenansicht des Schulterblatts. (Deltamuskel M. deltoidaus
Schulterhöhenteil) Pars clavlcularis
Der Oberkörper steht mit seiner Dorsalseite (Deltamuskel
M. pectoralis major - - - -•:dl'• Schlüsselbeintell)
in direktem Kontakt mit der Innenseite (Schnittrand des
d es Schulterblatts großen Brustmuskels) M. coracobrachialis
(Hakenarmmuskel)
M. biceps brachii
Caput longum M. subscapularis
(langer Kopf des (Unterschulter·
zweiköpfigen blattmuskel)
Oberarmmuskels)
M. teres major
M. biceps brachii (großer Rundmuskeil
Caput breve
(kurzer Kopf des M. latisslmus dorsi
zweiköpfigen (Schnittrand des br~iten
Oberarmmuskels) Rückenmuskels)
M. brachialis L - - -- - - -
(Armbeuger) M. triceps brachii
(dreiköpfiger
Oberarmmuskeil

4.7.8 Armmuskulatur

Die Muskulatur des Arms wird unterteilt in Oberarmmuskulatur und Unterarm-


muskulatur (s. Abb. 4-66, Tabelle 4-10 ). Die Oberarmmuskulatur hat Einfluss auf
das Schultergelenk und auf das Ellenbogengelenk; die Unterarmmuskulatur auf
das Ellenbogengelenk, die Handgelenke und die Finger.

Abb. 4-68. M. supraspinatus _ _ _ _ Schulterhöhe


Hinteransicht von Oberarm (Obergratenmuskel) (Acromion)

und Schulterblatt M. deltoidaus


Spina scapulae - - - ---1-c
(Schultergräte) Pars acromialis
(Schulterhöhenteil
M. Infraspinalus - - -- -h des Deltamuskels)
(Untergrätenmuskel)
M. deltoideus
innerer Rand des _____, Pars spinalis
(Schultergratentell
Schullertllattes des Deltamuskels)
(Marge medialis)
M_ triceps brachii
Caput laterale
(äußerer Kopf des
dreiköpfigen
Oberarmmuskels)

_ _ _ M. triceps brachii
~..,.....__

Caput mediale
M. triceps brachii (innerer Kopf des
Caput longum dreiköpfigen
(langer Kopf des dreiköpfigen Oberarmmuskels)
Oberarmmuskels)
Ellenbogen
(Oiecranon)
Muskulatur · Kapite14 · Bewegungsapparat 155

Abb. 4-69.
. Hinteransicht des Oberkörpers
mit verschiedenen Muskeln
des Schultergürtels
M. rhomboidaus minor
M. Supraspinalus :-ft-- - - (kleiner Rautenmuskeil
(Oberarmgrätenmuskel)
Hf-- - - M. rhomboidaus major
großer Rautenmuskeil

-.-- - - M. teres major


(großer Rundmuskeil
M. Infraspinalus
(Untergriitenmuskel)
-t>-- -- M. latissimus dorsi
(breiter Rückenmuskeil

l lt-- - - 12. Brustwirbel

M. obliquus extemus - - - - -- - ,
abdominis
(äußerer schräger
Bauchmuskeil
' -~b-f-i---- Darmbein
(Osilii)

Oberarmmuskeln
Am Oberarm ist clie Muskulatur durch Septen in eine dorsale Extensorenloge Septen Trennwände aus straffem kolla-
(Streckerloge) und eine ventrale Flexorenloge (Beugerloge) getrennt (s.Abb. 4-67 genen Bindegewebe
und Abb. 4-68). Die Beugerloge enthält den M. biceps brachii (zweiköpfiger Ober-
armmuskel) und den M. brachialis (Armbeuger). Vom Schultergürtel verläuft im
gleichen Bereich der M. coracobrachialis (Hakenarmmuskel).

Abb. 4-70.
Vorder-Seiten-Ansicht der Schulter-
-~~";}--- Processus coracoideus gelenkregion. Die Ansätze des M. sub-
(Rabenschnabelfortsatz)
M. Infraspinalus scapularis (Unterschulterblattmuskel)
(Untergrätenmuskel)
M. supraspinatus und des M. supraspinatus (Obergräten-
Tuberculum majus (Obergrätenmuskel)
muskel) sowie des M. teres minor
(großer Höcker)
(kleiner Rundmuskeil am Humerus
kleiner Höcker
(Tuberculum minus) (Oberarmknochen) sind zu sehen

Oberarmknochen -----J~
(Humerus)
+ - - - --" M. subscapularis
(U nterschulter·
blattmuskel)
156

Tabelle 4-10. Armmuskulatur

Muskel Funktion

Oberarmmuskeln

M. biceps brachii (zweiköpfiger Oberarmmuskeil Beugung im Ellenbogengelenk, Supination (Umwendbewegung des


Caput breve (kurzer Kopf) Unterarms: Daumen außen) zusätzlich Sicherung des Schultergelenks
Caput longum (langer Kopf)
M. brachialis (Armbeuger) Beugung im Ellenbogengelenk
M. triceps brachii (drei köpfiger Oberarmmuskel, Armstrecker) Alle Köpfe: Streckung im Ellenbogengelenk
Caput laterale (lateraler Kopf)
Caput mediale (medialer Kopf)
Caput longum (langer Kopf) Wirkt im Ellenbogengelenk und auf das Schultergelenk, hilft bei der
Adduktion und der Retroversion

Ventrale Muskeln des Unterarms (Beuger, Flexoren)

Oberflächliche Schicht
M. pronator teres (runder Einwärtsdreher) Einwärtsdrehung von Unterarm und Hand (Pronation)
M. flexor carpi radialis (radialer Handbeuger) Bewegung der Hand auf die radiale Seite (Radialabduktion),
Beugung der Hand
M. palmaris longus (langer Hohlhandmuskel) Spannung der Hohlhandsehnenplatte
M. flexor carpis ulnaris (ulnarer Handbeuger) Bewegung der Hand auf die ulnare Seite (Uinarabduktion),
Beugung der Hand

Miniere Schicht
M. flexor digitorum superficialis (oberflächlicher Fingerbeuger) Beugung im Hand·, Fingergrund· und Fingermittelgelenk

Tiefe Schicht
M. flexor digitorum profundus (tiefer Fingerbeuger) Beugung im Hand·, Fingergrund·, Fingermitte l- und Fingerendgelenk
M. flexor poilleis longus (langer Daumenbeuger) Beugung im Handgelenk und in allen Daumengelenken
M. pronator quadratus (viereckiger Einwärtsdreher) Einwärtsdrehung des Unterarms und der Hand (Pronation)

Radiale Muskeln am Unterarm

M. extensor carpi radialis longus (langer radialer Handstrecker) AbwinkeJung der Hand nach oben (Dorsalflexion) Bewegung
der Hand auf die radiale Seite (Radialabduktion ) schwacher Beuger
im Ellenbogengelenk
M. extensor carpi radialis brevis (kurzer radialer Handstrecker) AbwinkeJung der Hand nach oben (Dorsalflexion) schwacher Beuger
im Ellenbogengelenk
M. brachioradialis (Oberarmspeichenmuskel) Beugung im Ellenbogengelenk

Dorsale Muskeln am Unterarm (Strecker, Extensoren)

M. extensor digitorum (langer Fingerstrecker) AbwinkeJung der Hand nach oben (Dorsalflexion),
Streckung der Finger
M. extensor dlgiti minimi (Kieinfingerstrecker) Streckung des kleinen Fingers
M. extensor carpi ulnaris (ulnarer Handstrecker) AbwinkeJung der Hand nach oben (Dorsalflexion),
Bewegung der Hand auf die ulnare Seite (Uinarabduktion)
M. supinator (Auswärtsdreher) Auswärtsdrehung der Hand: Daumen außen (Supination)
M. abductor pollicis longus (langer Daumenspreizer) Abspreizung des Daumens
M. extensor pollicis longus (langer Daumenstrecker) Streckt den Daumen
M. extensor pollicis brevis (kurzer Daumenstrecker) Streckt den Daumen
M. extensor indicis (Zeigefingerstrecker) Streckt den Zeigefinger
--------
Muskulatur· Kapitel4 · Bewegungsapparat 157

Der M. biceps brachii besitzt einen langen und einen kurzen Kopf. Der lange
Bizepskopf entspringt oberhalb der Gelenkpfanne des Schultergelenks. Seine
Sehne liegt dabei innerhalb der Gelenkkapsel und läuft über den Oberarmkopf
hinweg, sodass sie einen wichtigen Teil der Sicherung des Schultergelenks nach
oben (Dach des Schultergelenks) darstellt. Der kurze Bizepskopf entspringt am
Processus coracoideus (mit dem M. coracobrachialis) und zieht in die gemeinsa-
me Sehne. Beide Bizepsköpfe sind über diese Sehne am Radius (Speiche) befes-
tigt. Beim Umwenden des Unterarms wird die Sehne am sich in der Längsachse
drehenden Radius aufgerollt, und damit kann der zweiköpfige Oberarmmuskel
an der Umwendung des Unterarms teilnehmen. Der in der Tiefe gelegene M. bra-
chialis (Armbeuger) zieht von der Vorderseite des Oberarms zur Ulna (Elle) und
kann damit nur auf den Scharniergelenkteil (Articulatio humeroulnaris) des
Ellenbogengelenks (Articulatio cubiti) wirken.
Die Streckerloge, auf der Dorsalseite des Arms, enthält nur den M. triceps
brachii (dreiköpfiger Oberarmmuskel). Wie sein Name besagt, besitzt er 3 Köpfe.
Der lange Kopf entspringt vom Schulterblatt, direkt unterhalb der Gelenkpfanne.
Der mediale und laterale Kopf entspringen beide vom Schaft des Oberarmkno-
chens. Alle 3 Köpfe vereinigen sich in einer gemeinsamen Sehne, die am Olekra-
non (knöcherner Höcker des äußeren Ellenbogens), d. h. an der Elle, ansetzt. Der
lange Kopf wirkt auf das Schultergelenk, indem er an der Bewegung des Ober-
arms nach hinten (Retroversion) beteiligt ist. Alle 3 Köpfe strecken das Ellen-
bogengelenk Der dreiköpfige Oberarmmuskel ist der einzige Strecker des Ellen-
bogengelenks.

Der M. biceps brachii (zweiköpfiger Oberarmmuskeil und der M. triceps brachii


(dreiköpfiger Oberarmmuskeil sind Antagonisten (Gegenspieler), da der zwei-
köpfige das Gelenk beugt und der dreiköpfige streckt.

Unterarmmuskeln
Auch am Unterarm liegen die Muskeln in eigenen Fächern oder Logen, die durch Unterarmmuskeln
bindegewebige Septen voneinander getrennt sind. Hier finden sich 3 Muskel- • Dorsale Muskelgruppe
gruppen: dorsale, ventrale und radiale Muskelgruppen. • Ventrale Muskelgruppe
• Radiale Muskelgruppe
Ventrale Beuger am Unterarm
In der ventralen Beugerloge sind die Muskeln in 3 Schichten angeordnet: ober-
flächliche, mittlere und tiefe Schicht (Abb. 4-71 und Abb. 4-72)
• In der oberflächlichen Schicht liegen der M. pronator teres (runder Einwärts-
dreher), der M. flexor carpi radialis (radialer Handbeugemuskel), der M. flexor
carpi ulnaris (ulnarer Handbeuger) und der M. palmaris longus (langer Hohl-
handmuskel). Der lange Hohlhandmuskel ist fakultativ bei ca. der Hälfte aller fakultativ
Menschen vorhanden. Er lässt sich leicht durch die Haut tasten, da seine Sehne muss nicht vorhanden sein
neben der Sehne des M. flexor carpi radialis (radialer Handbeugemuskel) in
der Mitte zwischen radialer und ulnarer Seite des Unterarms bis an die Ober-
fläche tritt. Seine Funktion ist es, die flächige Sehne der Hohlhand (Palmar-
aponeurose) zu spannen. Gelegentlich kommt er nur an einem Arm vor.
• In der mittleren Schicht der ventralen Muskelgruppe befindet sich der M. flexor
digitorum superficialis (oberflächliche Fingerbeuger), der mit 3 Köpfen ent-
springt und sich in 4 Sehnen aufteilt. Diese laufen an die Mittelglieder des
158

Abb.4-71.
M. biceps brachil
Ventralansicht des Unterarms (zweiköpfiger
Oberarmmuskeil
mit den Handbeugern
M. brachioradialis
(Oberarmspeichen- M. pronator teres
muskel) (runder Einwärtsdreher)

M. flexor dlgltorum M. palmaris longus


Superficialls (langer Hohlhandspanner)
(oberflächlicher
Fingerbeuger)
M. flexor carpi radialls
(radialer Handbeuger)
M. flexor pollicis longus
(langer Daumenbeuger)
M. flexor carpi ulnaris
(ulnarer Handbeuger~
M. pronator quadratus
(viereckiger Einwärtsdreher)

Daumenballen - -- - - - - - -61!:. Hohlhandsehnenplatte


(Thenar) (Palmaraponeurose)

Abb. 4-72. M. biceps brachll - - -- - - - - '


Ventralansicht des Unterarms (zweiköpfiger Oberarmmuskel) M. brachialls
(Armbeuger)
mit den Fingerbeugern

M. brachioradialis
(Oberarmspeichenmuskel)
M. flexor digitorum
profundus
(tiefer Fingerbeuger)

M. flexorpoilleis longus - - - - --trlit


(langer Daumenbeuger)
M. tlexor carpl ulnarls
(Sehne des ulnaren
M. pronator quadratus Handbeugers)
(viereckiger Einwärtsdreher)

M. tlexor carpi radialis


(Sehne des radialen M. abductor digiti minimi
Handbeugers) (Kielnfingersprelzer)

M. abductor pollicis brevis


(kurzer Daumenspreizer)

M. llexor pollicis brevis Mm. lumbricales


(kurzer Daumenbeuger) (Handwurmmuskeln)

2.-5. Fingers. In der tiefen Schicht befindet sich der M. flexor digitorum profun-
dus (tiefer Fingerbeuger), der mit 4 Sehnen an d ie Endglieder des 2.-5. Fingers
läuft. Ebenfalls in der tiefen Schicht befin den sich der M. pronator quadratus
(viereckiger Einwärtsdreher) und der M. flexor pollicis longus (lan ger Daumen-
beuger).
Muskulatur· Kapitel 4 · Bewegungsapparat 159

Radiale Muskeln am Unterarm


In der radialen Gruppe sind 3 Muskeln vorhanden: der M. extensor carpi radialis
longus (langer radialer Handstrecker ) und der M. extensor carpi radialis brevis
(kurzer radialer Handstrecker ); diese beiden gehören, wie der Name schon an-
deutet, zu den Streckern im Handgelenk, im Ellenbogenge lenk hingegen können
sie sich als schwache Beuger betätigen. Der 3. Muskel der radialen Gruppe gehört
lediglich zu den Beugern, es ist der M. brachioradiali s (Oberarmspe ichenmuskel),
der im Ellenbogenge lenk beugt (s. Abb. 4-71 und Abb. 4-72).

Dorsale Strecker am Unterarm


In der dorsalen Muskelloge sind eine oberflächliche und eine tiefe Schicht vor-
handen (Abb. 4-73 und Abb. 4-74).
• Oberflächlich liegen der M. extensor digitorum (Fingerstreck er), der M. exten-
sor digiti minimi (Kieinfingerstrecker) und der M. extensor carpi ulnaris (ulna-
rer Handstrecker ). Vom Kleinfingerst recker wird scherzhaft behauptet, dass er
bei älteren Engländerinn en, nach jahrelangem Training an der Teetasse, beson-
ders gut ausgebildet sein soll.
• In der tiefen Schicht der dorsalen Muskelloge liegen der M. supinator (Aus-
wärtsdreher), der M. abductor pollicis longus (langer Daumensprei zer), der
M. extensor pollicis brevis (kurzer Daumenstrec ker), der M. extensor pollicis
longus (langer Daumenstrec ker) und der M. extensor indicis (Zeigefinger-
strecker).

M. triceps brachii P'-- - - - M. brachioradialis Abb. 4-73.


(dreiköpfiger Oberarmmuskeil (Oberarmspeichenmuskel) Dorsalansicht des Unterarms
\ \l'i,\,111-- - - - - M. extensor carpi mit den oberflächlichen Streckern
radiaUs longus
(langer radialer Handstrecker)
M. extensor carpi ulnaris - - ----!'*1'""
(ulnarer Handstrecker)
• 1- - - - - M. extensor carpi
radialis brevis
(kurzer radialer Handstrecker)
M. extensor digiti minimi - - - - -
(Kielnfingerstreeker)

l ••~t.'----- M. abductor pollieis longus


M. extensor digitorum ------11,._1\\1\'\~t­ (langer Daumenspreizer)
(Fingerstrecker)
M. extensor poilleis brevis
(kurzer Daumenstrecker)
fibröse Umlenkung
(Retinaeulum) "Tabatiere anatomique"

M. extensor poilleis longus


(langer Daumenstrecker)
160

Abb. 4-74.
Dorsalansicht des Unterarms
mit den tiefen Streckern
M. supinator - - - - - - --A'
(Auswärtsdreher)

H ll+- - - M. abductor poilleis longus


(langer Daumenspreizer)
M. extensor indicis
(Zeigefingerstrecker)

M. extensor poilleis longus - - - - - 1 --\lHc'l.


(langer Daumenstrecker) ,~.+---- M. extensor pollicis brevis
(kurzer Daumenstrecker)

""--~ M. extensor pollicis


brevls und longus
(Sehne des kurzen und
Sehne des langen
Daumenstreckers)

tabakverbrauchern gerne als »Schnupftabakdose<< zum Einstreuen von Schnupf-


tabak für das Schnupfen verwendet wird. Sie hat deshalb den fran zösischen
Namen tabatü:re anatomique bekommen (anatomische Tabakdose).

Umwendbewegungen des Unterarms


und der Hand (Pronation und Supination)
In den beiden Speichenellengelenken, dem proximalen und dem distalen Ra-
dioulnargelenk, finden die Umwendbewegungen des Unterarmes statt, die
zwangsläufig zu einer Stellungsänderung der Hand führen. Die Auswärtsdrehung
führt zur Drehung der Hand, sodass die Handfläche nach vorne schaut. Dies wird
als Supination bezeichnet. Bei der Supination befindet sich der Daumen auf der
Außenseite der Hand. Die Gegenbewegung, d. h. die Einwärtsdrehung des
Unterarms oder Pronation, führt zur Drehung der Hand, sodass die Handfläche
nach hinten schaut und der Daumen sich auf der Innenseite befindet.

4.7.9 Handmuskulatur

Handmuskulatur In der Handfläche befindet sich eine größere Zahl an Muskeln für die Finger-
• Muskeln des Daumenballens bewegungen, die in Muskeln des Daumenballens (Thenar), des Kleinfinger-
• Muskeln des Kleinfingerballens ballens (Hypothenar) und Muskeln der Handfläche eingeteilt werden können
• Muskeln der Handfläche (s. Abb. 4-71,4-72 und 4-75).
• Der Daumenballen wird von 4 kleinen Muskeln gebildet, die alle den Daumen
bewegen. Davon ist besonders der M. opponens pollicis (Daumengegensteller)
zu erwähnen, der mit seinem Gegenstück auf dem KleinfingerbaUen dem
M. opponens digiti minimi (Kleinfingergegensteller) die Gegenüberstellung
(Opposition) von Kleinfinger und Daumen er möglicht, eine Fähigkeit, die fü r
Muskulatur · Kapitel4 · Bewegungsapparat 161

Abb.4-75.
fibröse Umlenkung Muskeln der Handinnenfläche
M. abductor pollicis brevis (Retinaculum)
(Palmarfläche); FD M. flexor digitorum
(kurzer Daumenspreizer)
M. abductor digiti superficiaUs (oberflächlicher
minimi
(Kieinfingerspreizer) Fingerbeuger)
M. opponens poilleis
(Gegensteller des - - - - '
Daumens) M. flexor digiti minimi
(Kieinfingerbeuger)
M. flexor pollicis brevis
(kur2er Daumenbeuger) M. opponens digili
minimi
(Gegensteller des
M. adductor poilleis Kleinfingers)
(Oaumenheranzieher)

Mm. lumbricales
(Wurmmuskeln)

die Funktion der Hand als Greiforgan von größter Bedeutung ist. Außerdem
gehören der M. abductor pollicis brevis (kurzer DaumenspreizeT), der M. flexor
pollicis brevis (kurzer Daumenbeuger) und der M.adductor pollicis (Daumen-
heranzieher) zur Muskulatur des Daumenballens .
• Auf dem Kleinfingerballen sind außer dem erwähnten M. opponens digiti
minimi (Gegensteller des Kleinfingers) ein M. palmaris brevis (kurzer Hohl-
handmuskel), ein M. abductor digiti minimi (Kleinfingerspreizer) und ein
M. flexor digiti minimi (kurzer Kleinfingerbeuger) vorhanden .
• ln der Handfläche direkt sind die Mm. lumbricales (Wurmmuskeln) und die
Mm. interossei (Zwischenknochenrnuskeln) zu nennen. Die Mm. lumbricales
sind in der Lage, die Finger in den Fingergrundgelenken zu beugen und durch
den Verlauf ihrer Sehnen gleichzeitig in den Fingerzwischengelenken zu strek-
ken. Sie haben einen transportablen Ursprung, d. h. sie entspringen von den
Sehnen der langen Fingerbeuger und sind damit in ihrer Wirkung abhängig
von der Stellung dieser Sehnen. Die dorsalen Zwischenknochenmuskeln kön-
nen die Finger spreizen (Abduktion) und die palmaren (auf der Handflächen-
seite liegenden) können die Finger zusammenziehen (Adduktion).

Karpaltunnel
Auf der Innenseite (Palmarseite) der Hand wird im Bereich der Karpalknochen,
zwischen dem Erbsenbein (Os pisiforme) und dem Kahnbein (Os scaphoideum)
ein Kanal gebildet, der beim Lebenden u. a. von einem straffen Retinakulum
überdeckt ist und damit zum Karpaltunnel wird. Durch diesen Karpaltunnel
ziehen die Sehnen der tiefen und oberflächlichen Beuger sowie der N. medianus
(Abb. 4-76a, b). Wird dieser Nerv zu stark gedrückt, kann es zu Ausfallerschei-
nungen wie Lähmungen und Sensibilitätsstörungen kommen. Dies kann ver-
schiedene Ursachen haben, tritt in den Anfangsstadien v. a. während der Nacht
und am frühen Morgen auf und wird als Karpaltunnelsyndrom bezeichnet.
162

Abb.4-76a. Flexorensehnen vor


Ansicht der Palmarseite der rechten Hand. dem I

Zwischen dem Daumenballen und dem


Kleinfingerballen ist das straffe Retina-
kulum der Beuger zu sehen, das den
Karpalkanal bedeckt und ihn damit zum
Karpaltunnel macht

M. abductor - - - - - ,f-.
pollicis brevis
(kurzer Daumen-
abstrecker) M. abductor
digiti minimi
(Abstrecker des
Kleinfingers)

Mm. lumbricales
(Wurmmuskeln)

Abb. 4-76b. Flexorensehnen Retinakut.um


im Karpetkanal der Flexoren
Schnitt durch die Handwurzelregion
auf der Höhe des Karpaltunnels.
Der N. medianus, der gemeinsam mit den
Sehnen der tiefen und oberflächlichen N. medianus
Beuger durch den Karpaltunnel zieht,
kann bei zu starkem Druck von den
umgebenden Strukturen in seiner
Os scaphoideum ~-~~~;~~~:r.
Funktion beeinträchtigt werden (Kahnbein)
(Karpaltunnelsyndrom)

Sehnen der
b Extensoren
Muskulatur · Kapitel4 • Bewegungsapparat 163

4.7 .1 0 Hüftmuskulatur

Bei der Hüftmuskulatur (Tabelle 4-11) unterscheidet man eine dorsale Hüftmus-
kulatur mit einer oberflächlichen und einer tiefen Gruppe von der ventralen
Hüftmuskulatur. Diese Unterscheidung basiert auf der Lage der Muskulatur.

Ventrale Hüftmuskeln
Die Gruppe der ventralen Hüftmuskeln besteht aus 2 Muskeln, die eine gemein-
same Sehne bilden und mit dieser am Trochanter minor (kleiner Höcker) des
Oberschenkelknochens ansetzen (Abb. 4-77). Die beiden Muskeln sind der M.ilia-
cus (Darmbeinmuskel) und der M. psoas major (großer Lendenmuskel). Der
Darmbeinmuskel entspringt auf der Darmbeinschaufel des großen Beckens, der
Lendenmuskel von den Rippenfortsätzen der Lendenwirbel. Gemeinsam werden
diese beiden Muskeln als M.iliopsoas (Hüftlendenmuskel) bezeichnet. Sie gelan-
gen über den Beckenrand an den Oberschenkel und sind somit in der Lage, eine
Beugung (Flexion) im Hüftgelenk und eine Auswärtsdrehung (Außenrotation)
durchzuführen.

Tabelle 4-1 1. Hüftmuskulatur

Muskel Funktion

Ventrale Hüftmuskeln

M. psoas major (großer Lendenmuskeil und M. iliacus Beugung im Hüftgelenk, Außendrehung des Oberschenkels.
(Darmbeinmuskel) Neigung der Wirbelsäule auf die Seite. Bei beidseitiger Kontraktion
beide zusammen: M. iliopsoas (Hüftlendenmuskel) und feststehenden Beinen: Neigung des Oberkörpers nach vorne

Dorsale Hüftmuskeln (oberflächliche Schicht)

M. glutaeus maximus (großer Gesäßmuskel) Streckung im Hüftgelenk, Sicherung des Hüftgelenks, Außen-
drehung des Oberschenkels
M. glutaeus medius und minimus Abspreizung (Abduktion) des Oberschenkelsam Spielbein,
(mittlerer und kleiner Gesäßmuskel) Sicherung des Beckensam Standbein, Einwärts- und Außendrehung
des Oberschenkels
M. tensor fasciae latae (Spanner der Oberschenkelfaszie) Spannung der Oberschenkelfaszie, Innendrehung des
Oberschenkels, Schlußrotation (im Kniegelenk)

Dorsale Hüftmuskeln (tiefe Schicht)

M. piriformis (birnenförmiger Muskel) Außendrehung des Oberschenkels, Abspreizung des Oberschenkels


(Abduktion), Rückziehen des Oberschenkels (Retroversion)
M. obturator internus (innerer Hüftlochmuskel) Außendrehung des Oberschenkels, im Stand: Heranziehen
des Oberschenkels (Adduktion), bei gebeugtem Hüftgelenk:
Abspreizen des Oberschenkels (Abduktion)
M. obturator externus (äußerer Hüftlochmuskel) Außendrehung des Oberschenkels, Heranziehen des Oberschenkels
(Adduktion)
Mm. gemelli (Zwillingsmuskeln) Außendrehung des Oberschenkels, Heranziehen des Oberschenkels
(Adduktion)
M. quadratus femoris (viereckiger Oberschenkelmuskeil Außendrehung des Oberschenkels, Heranziehen des Oberschenkels
(Adduktion)
164

Abb.4-77. Speiseröhre
Zwerchfell
Innenansicht des Bauchraums mit den (Diaphragma)
(Oesophagus)
Bindegewebe-
ventralen Hüftmuskeln und der Loch der unteren zentrum
Unterfläche des Zwerchfells. Der obere Hohlvene (Centrum
tendineum)
Rand der Abbildung wird durch den
Aorta
Rippenbogen gebildet
Rippenbogen ~~~~ Zwerchfell
(Diaphragma)
M. psoas minor
M. quadratus
(kleiner Ler1de1~- ---~ :__ _ _ lumborum
muskel) (viereckiger
M. transversus Lendenmuskeil
abdominis Darmbelnkamm
(querer Bauch- (Crista iliaca)
muskel)
M. psoas minor
M. psoas major (kleiner Lenden-
(großer Lenden- muskel)
muskel)
vorderster Punkt M. iliacus
des untersten ( Darmbeinmuskeil
Lendenwirbels
:;......~1--- M. rectus
(Promontorium)
a.bdomlnis
(gerader Bauch-
muskel)

Dorsale Hüftmuskulatur
Oberflächliche Schicht Oberflächliche Schicht (Abb. 4-78 u. Abb. 4-79): Zur oberflächlichen Schicht der
• M. glutaeus maximus dorsalen Hüftmuskulatur rechnet man den M.glutaeus maximus (großer Gesäß-
• M. glutaeus medius muskel), den M. glutaeus medius (mittlerer Gesäßmuskel) und den M. glutaeus
• M. glutaeus minimus minimus (kleiner Gesäßmuskel) sowie den M. tensor fasciae latae (Spanner der
• M. tensor fasciae latae Oberschenkelfaszie). Der große Gesäßmuskel ist beim Menschen wegen des auf-
rechten Gangs besonders gut ausgebildet. Er ist der wichtigste Strecker im Hüft-
gelenk und wird beim Treppensteigen und beim Aufstehen aus dem Sitzen
betätigt. Außerdem hält er das Becken und verhindert das Vornüberkippen des
Rumpfes. Der mittlere Gesäßmuskel und der kleine Gesäßmuskelliegen überein-
ander an der Außenseite der DarmbeinschaufeL Sie sind beim Spielbein für das
Abspreizen des Beins verantwortlich und beim Standbein für das Halten des
Beckens in der Horizontalen. Bei einer Lähmung dieser Muskeln entsteht ein
entenähnlicher Watschelgang, bei dem das Becken bei jedem Schritt abknickt.
Der M. tensor fasciae latae (Spanner der Oberschenkelfaszie) zieht in eine seit-
liche Verstärkung der Oberflächenfaszie, die bis zum Unterschenkelläuft (Trac-
tus iliotibialis), womit u. a. eine Verriegelung (Schlussrotation) des Kniegelenks
bei der vollständigen Streckung ermöglicht wird. Gleichzeitig nimmt er an der
Innenrotation des Oberschenkels teil.
Tiefschicht Tiefe Schicht (Abb. 4-So): Die tiefe Schicht der dorsalen Hüftmuskeln besteht
• Außenrotatoren aus einer Gruppe von Muskeln, die für die Feineinstellung der Außendrehung des
Oberschenkels verantwortlich ist. Diese Muskeln werden deshalb als kleine
Außendreher oder Außenrotatoren bezeichnet. Die Kraft für die Außendrehung
kommt vom großen Gesäßmuskel.
Muskulatur · Kapitel4 · Bewegungsapparat 165

Darmbeinkamm - - - - - - - - - Abb. 4-78.


(Cris!a iliaca)
- - - - M. glutaeus medius Oberflächliche Schicht der dorsalen
(mittlerer Gesäßmuskel) Hüftmuskeln und Muskeln
Kreuzbein - - -- - - - --4
(Ossacrum) der ischiakruralen Gruppe
- - - M. glutaeus maximus
(großer Gesäßmuskel)

M. gracilis
(Schlankmuskel)

ischiakrurale Gruppe
(Sitzbein-Unterschenkel·. -==-- -' • - - - - M. vastus lateralls
muskelgruppe (äußerer Schenkelmuskel)

M. semi!endinosus - - - - - --11-
(Halbsehnenmuskel)

M. semimembranosus
(Halbmembranmuskel)

M. gastrocnemius M. gastrocnemius
Caput mediale 4-- - - - - Caput laterale
(Zwllllngswadenmuskel (Zwillingswadenmuskel
Innerer Kopf) äußerer Kopf)

M. obliquus abdominis - - - --\,. .!',1 Abb. 4-79.


extemus Seitenansicht des rechten Oberschenkels
(äußerer schräger ~Ai.l,.___ Darmbeinkamm
Bauchmuskel) (Crista iliaca) und der Gesäßregion

Mrl-- - M. sartonus
M. glutaeus maximus (Schneidermuskel)
(großer Gesäßmuskel) 4-- - - M. tensor fasciae latae
Spanner der Ober-
llächenfaszie)

M. rec!us femoris
(gerader Schenkelmuskeil
M. blceps femoris
Caput longum
(langer Kopf des M. vastus lateralis
zweik.öpfigen Ober- (äußerer Schenkelmuskeil
schenkelmuskels)
M. biceps femoris
Capu!breve
M. semlmembranosus - - - - - - (kurzer Kopf des zwei-
(Halbmembranmuskel) köpfigen Oberschenkel-
muskels)

M. gastrocnemius Kniescheibe
(Zwillingswadenmuskel) (Patella)

Zu den kleinen Außendrehern rechnet man


den M. piriformis (birnenförmiger Muskel),
• den M. obturator internus (innerer Hüftlochmuskel),
• die Mm.gemelli (Zwillingsmuskeln),
• den M. quadratus femoris (viereckiger Schenkelmuskel) und
• den M. obturator externus (äußerer Hüftlochmuskel).
166

-..... . Abb. 4-80.


Dorsalansicht des Oberschenkels
M. glutaeus maximus
(großer Gesäl'lmuskel)
M. glulaeus medius
(mittlerer Gesäl'lmuskel)

mit der tiefen Muskelschicht. Mm. gemelli ..-t- - - M. glutaeus minlmus

.
(Zwillingsmuskeln) (kleiner Gesäßmuskel)
den kleinen Außenrollern
' M. piriformis
(bimförmiger Muskel)
Sitzbeinhöcker - - - - - -\t M. quadratus femoris
(Tuber ischiadicum) (viereckiger
Oberschenkelmuskel)
ischiakrurale Gruppe ! - - - - - M. glutaeus maximus
(Sitzbein-Unterschenkei- (großer Gesäßmuskel)
Muskelgruppe)
M. adductor minimus
M. semltendinosus - - - - - (kleiner Anzieher des
(Halbsehnenmuskel) Oberschenkels (Variante))
M. biceps femoris M. vastus lateralls •
(zweiköpfiger (äußerer Schenkelmuskel) '
Oberschenkelmuskel)

M. semimembranosus
(Halbmembranmuskel)

Der M. obturator externus liegt ganz in der Tiefe und wird von den anderen
Außenrotatoren noch überdeckt. Insgesamt liegen die Außenrotatoren unter dem
großen Gesäßmuskel, sie verlaufen vom Beckengürtel an den Oberschenkel.

4.7.11 Beinmuskulatur

Oberschenkelmuskulatur
Die Muskulatur des Oberschenkels kann in 3 Gruppen unterteilt werden
Oberschenkelmuskulatu r (Tabelle 4-12):
• Extensoren • eine ventrale Gruppe: sog. Extensoren (Strecker),
• Flexoren • eine dorsale Gruppe: sog. Flexoren (Beuger),
• Adduktoren • eine mediale Gruppe: sog. Adduktoren (Heranzieher des Oberschenkels).

Ventrale Oberschenkelmuskeln (Extensoren )


Zu den Extensoren rechnet man 2 Muskeln (Abb. 4-81):
• M. sartorius (Schneidermuskel) und
• M. quadriceps femoris (vierköpfiger Oberschenkelmuskel).

Der M. sartorius verläuft lateral vom Beckenrand schraubenförmig über den


Oberschenkel auf die mediale Seite des Unterschenkels. Somit überquert er 2 Ge-
lenke, das Hüft- und Kniegelenk und ist an deren Bewegung beteiligt. Da er im
Schneidersitz, d. h. beim Sitzen amBoden mit gekreuzten Unterschenkeln, relativ
deutlich unter der Haut zu sehen ist, wird er als Schneidermuskel bezeichnet. Der
M. quadriceps femoris besitzt, wie der Name besagt, 4 Köpfe, die alle gemeinsam
am Unterschenkel über die Kniescheibensehne (Patellarsehne) ansetzen. Ein
Kopf, der M. rectus femoris (gerader Oberschenkelmuskel), entspringt bereits
vom Darmbein und ist damit ebenfalls zweigelenkig.
Muskulatur · Kapitel4 · Bewegungsapparat 167

Tabelle 4-12. Oberschenkelmuskulatur

Muskel Funktion

Ventrale Oberschenkelmuskeln

M. quadriceps femoris (vierköpfiger Oberschenkelmuskeil Streckung im Kniegelenk


bestehend aus:
M. rectus femoris (gerader Schenkelmuskeil Beugung im Hüftgelenk
M. vastus lateralis (äußerer Schenkelmuskeil Die 3 Vastus-Köpfe: Streckung im Kniegelenk
M. vastus intermedius (mittlerer Schenkelmuskeil
M. vastus medlalis (innerer Schenkelmuskeil
M. sartorius (Schneidermuskel) Beugung im Hüftgelenk. Beugung im Kniegelenk. Innendrehung
des Unterschenkels

Dorsale Oberschenkelmuskeln (ischiokrurale Muskeln)

M. biceps femoris (zweiköpfiger Oberschenkelmuskeil Streckung im Hüftgelenk, Beugung im Kniegelenk. Außendrehung


bestehend aus Caput breve (kurzer Kopf) und des Unterschenkels
Caput longum (langer Kopf)
M. semitendinosus (Halbsehnenmuskel) Stre<kung im Hüftgelenk, Beugung im Kniegelenk. Innendrehung
des Unterschenkels
M. semimembranosus (Halbmembranmuskel) Streckung im Hüftgelenk. Beugung im Kniegelenk, Innendrehung
des Unterschenkels

Mediale Oberschenkelmuskeln (Schenkelanzieher, Adduktoren)

M. pectineus (Kammmuskel) Beugung im Hüftgelenk. Heranziehen des Oberschenkels (Adduktion),


Außendrehung des Oberschenkels (Außenrotation)
M. adductor magnus (großer Schenkelanzieher) Durch 2 Ansatzorte am Oberschenkelknochen sowohl Außen- als auch
Innendrehung des Oberschenkels (Außen- und lnnenrotation),
Heranziehen des Oberschenkels (Adduktion)
M. adductor longus (langer Schenkelanzieher) Heranziehen des Oberschenkels (Adduktion), Außendrehung
des Oberschenkels (Außenrotation)
M. adductor brevis (kurzer Schenkelanzieher) Heranziehen des Oberschenkels (Adduktion)
M. gracilis (Schlankmuskel) Bei gestrecktem Knie: Heranziehen des Oberschenkels und Beugung
des Hüftgelenks, Beugung im Kniegelenk

Dorsale Oberschenkelmuskeln (Flexoren)


Die Flexoren bestehen aus 3 Muskeln. Sie haben einen gemeinsamen Ursprung am
Sitzbeinhöcker (Tuber ischiadicum) und verlaufen an den Unterschenkel (Crus).
Deshalb werden sie auch als ischiokrurale Gruppe bezeichnet. Dazu gehören der
M. semimembranosus (Halbmembranmuskel), der M. semitendinosus (Halbseh-
nenmuskel) und der zweiköpfige M. biceps femoris (Oberschenkelmuskel). Die
ischiakrurale Gruppe wird ebenfaUs zu den zweigelenkigen Muskeln gerechnet,
da sie das Hüftgelenk und das Kn iegelenk bewegen. Der kurze Kopf des zweiköp-
figen Oberschenkelmuskels ist nur eingelenkig, da er vom Oberschenkel direkt
entspringt und damit nur auf das Kniegelenk wirkt (Abb. 4-78).
168

Abb.4-81. ,• ..__ _ _ _ M. psoas major


M.lllacus
Ventralansicht des Oberschenkels. (Darmbeinmuskel) (Lendenmuskel)
Oberhalb des Leistenbandes sind einige
ventrale Hüftmuskeln dargestellt M. tensor lasclae latae - - --lf Leistenband
(Spanner der (Ligamentum Inguinale)
Obertlächenlaszie)
M. pectineus
(Kammmuskel)
M. rectus lemoris - - - - M. adductor longus
(gerader Schenkelmuskel) (langer Anzieher)

M. sartorius M. gracilis
(Schneidermuskel) (Schlankmuskel)

M. vastus lateralis M. vastus medialis


(äußerer Schenkelmuskel) (innerer Schenkelmuskeil

Mediale Oberschenkelmuskeln (Adduktoren)


Die Hauptaufgabe der Adduktoren ist das Heranziehen des Oberschenkels zur
Mitte. Diese Muskelgruppe füllt das zwischen Oberschenkelknochen und Becken
bestehende dreieckige Feld vollständig aus. Man rechnet zu dieser Gruppe
Abb. 4-78 und 4-81):
• M. pectineus (Kammmuskel),
• M. adductor magnus (großer Schenkelanzieher),
• M. adductor longus (langer Schenkelanzieher),
• M. gracilis (Schlankmuskel) und
• M. adductor brevis (kurzer Schenkelanzieher).

Neben der Aufgabe des Schenkelanziehens sind diese Muskeln Gegenspieler des
mittleren und kleinen Gesäßmuskels (M. glutaeus medius und M. glutaeus mini-
mus), indem sie das Becken nach unten ziehen. Der M. gracilis ist ein zweigelen-
kiger Muskel, der symphysennah vom unteren Schambeinast entspringt und an
den Unterschenkel zieht.
Unterschenkelmuskulatur
• Dorsale Gruppe= Beuger Unterschenkelmuskulatur
• Ventrale Gruppe = Strecker Die Unterschenkelmuskulatur kann in eine dorsale Gruppe der Beuger, eine ven-
• Laterale Gruppe = Peronaeusgruppe trale Gruppe der Strecker und eine laterale Gruppe, die Peronaeusgruppe, einge-
teilt werden (Tabelle 4-13). Bei der dorsalen Gruppe unterscheidet man weiter
eine oberflächliche und eine tiefe Gruppe. Zwischen den 3 Gruppen befi nden sich
Trennwände (Septen) aus straffem kollagenem Bindegewebe.
Muskulatur · Kapitel4 • Bewegungsapparat 169

Funktion

Dorsale Unterschenkelmuskulatur (oberflächliche Schicht)

M. gastrocnemius (Zwillingswadenmuskell mit 2 Köpfen: Beugung im Kniegelenk. Plantarflexion im oberen Sprunggelenk


Caput laterale, Caput mediale
M. soleus (Schollenmuskel) Plantarflexion im oberen Sprunggelenk
M. plantans (Sohlenspanner) geringe Beugung im Kniegelenk und unbedeutende Beteiligung
an der Plantarflexion im oberen Sprunggelenk

Dorsale Unterschenkelmuskeln (tiefe Schicht)

M. flexor hallucis longus (langer Großzehenbeuger) Fußbeugung nach unten (Piantarflexion), Hebung des medialen
Fußrandes (Supination)
M. flexor digitoium longus (langer Zehenbeuger) Fußbeugung nach unten (Piantarflexion), Hebung des medialen
Fußrandes (Supination)
M. tibialis posterior (hinterer Schienbeinmuskeil Fußbeugung nach unten (Piantarflexion), Hebung des medialen
Fußrandes (Supination)

Ventrale Unterschenkelmuskeln

M. extensor hallucis longus (langer Großzehenstrecker) Streckung der Großzehe, Beugung der Sprunggelenke nach oben
(Dorsalflexion), Mitwirkung bei Hebung (Supination) und Senkung
(Pronation) des medialen Fußrandes
M. extensor digitorum longus (langer Zehenstrecker) Beugung der Sprunggelenke nach oben (Dorsalflexion), Senkung
des medialen Fußrandes (Pronation)
M. tibialis anterior (vorderer Schienbeinmuskeil Beugung der Sprunggelenke nach oben (Dorsalflexion), Hebung
des medialen Fußrandes (Supination)

Laterale Unterschenkelmuskeln (Peronaeusgruppe)

M. peronaeus longus (langer Wadenbeinmuskeil Bewegung der Fußsohle nach unten (Piantarflexion), Senkung
des medialen Fußrandes (Pronation)
M. peronaeus brevis (kurzer Wadenbeinmuskeil Bewegung der Fußsohle nach unten (Piantarflexion), Senkung
des medialen Fußrandes (Pronation)

Dorsale Unterschenkelmuskulatur
Oberflächliche Schicht (Abb. 4-82): Die oberflächliche Schicht der dorsalen
Unterschenkelmuskulatur besteht aus der vielfach als M. triceps surae (dreiköpfi-
ger Wadenmuskeil bezeichneten Gruppe von 2 Muskeln:
• M. gastrocnemius (Zwillingswadenmuskel) und
• M. soleus (Schollenmuskel).

Der M. grastrocnemius hat 2 Köpfe, die beide am Oberschenkel entspringen und


über die Achillessehne am Fersenbeinhöcker (Tuber calcanei) ansetzen. Damit
beugt dieser Muskel das Kniegelenk und bewirkt im oberen Sprunggelenk eine
Plantarflexion (Streckung des Fußes nach unten). Ebenfalls in die gleiche Sehne
mündet der vom Wadenbein und Schienbein entspringende M. soleus.
170

Abb. 4-82. M. biceps femoris


Dorsalansicht des Unterschenkels. (zweiköpfiger
Oberschenkelmuskeil
Der M. gastrocnemius (Zwillingswaden-
M. plantans
muskel) ist geschnitten, um den Blick auf (Sohlenspanner)
die darunterliegende Muskulatur zu er-
möglichen
M. soleus
(Schollenmuskel)

M. gastrocnemlus
(Zwillingswadenmuskel)

M. peronaeus longus
(langer Wadenbeinmu~kel)

M. digijorum longus - - - - - - 10 1
(langer Zehenbeuger)

fibröse Umlenkung
(Retinaculum)
Fersenbeinhöcker ------~llii.,6'
(Tuber calcanei)

Zur gleichen Muskelgruppe wird noch der M. plantaris (Sohlenspann er) ge-
rechnet, dessen lange Sehne am medialen Rand des Schollenmuskels verläuft und
ebenfalls in die Achillessehne einstrahlt.
Tiefe Schicht (Abb. 4-82): Die tiefe Schicht der dorsalen Unterschenkelmus-
kulatur besteht aus 3 Muskeln:
• Plantarflexion Streckung des Fußes • M. flexor hallucis longus (langer Großzehenbeuger),
nach unten • M. tibialis posterior (hinterer Schienbeinmuskeil und
• Supination Heben des medialen • M. flexor digitorum longus (langer Zehenbeuger).
Fußrandes Alle 3 Muskeln wirken auf die Sprunggelenke: Sie können eine Plantarflexion
und eine Supination durchführen.

Ventrale Unterschenkelmuskulatur
Die ventrale Unterschenkelmuskulatur besteht aus 3 Muskeln (Abb. 4-83 und
Abb. 4-84):
• dem M. extensor hallucis longus (langer Großzehenstrecker),
• dem M. extensor digitorum longus (langer Zehenstrecker) und
dem M. tibialis anterior (vorderer Schienbeinmuskel).
• Alle 3 Muskeln zählen aufgrundihrer Lage zu den Streckern (Extensoren). Sie
beugen den Fuß nach oben (Dorsalflexion), was beim Namen »Strecker<< zu-
nächst verwirrt.

Laterale Unterschenkelmuskeln (Peronäusgruppe)


Auf der lateralen Seite des Unterschenkels befinden sich in emer eigenen
Muskelloge 2 Muskeln, die als Peronäusgruppe bezeichnet werden (Abb. 4-84):
• M. peronaeus longus (langer Wadenbeinmuskel) und
• M. brevis (kurzer Wadenbeinmuskel).
Muskulatur · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 171

Kniescheibe - - -- - - - -- """'fa ""- Abb.4-83.


(Patella)
Ventralansicht
der Unterschenkelmuskulatur

M. peronaeus longus
(langer Wadenbeinmuskeil
M. gastrocnemius
(Zwillingswadenmuskel)
M. tibialis anterior - - - - - -;
(vorderer Schienbeinmuskeil
M. soleus
(Schollenmuskel)
Schienbein
(Tibia)

Tendo musculi tibialls


anterioris
(Sehne des vorderen
fibröse Umlenkung
Schienbeinmuskels)
(Aetinaculum)

-----------\rlrJ~7t---- innerer Knöchel


äußerer Knöchel (Malleolus medialis)
(Malleolus lateralis)

Abb.4-84.
~"''lr-tit------ M. vastus lateralis
(äußerer Schenkelmuskeil
Seitenansicht der Muskulatur des rechten
Unterschenkels
1)•- - - - - - Kniescheibe
Wadenbeinkopf - - - - -71-r (Patella)
(Caput fibulae)

Kniescheibensehne
M. gastrocnemius - - - -
(Ligamentum patellae)
(Zwlllingswadenmuskel)

11--- - - - - - M. peronaeus longus


(langer Wadenbeinmuskeil
M. solaus
(Schollenmuskel) ' - - - - - - - - M. tibialis anterior
(vorderer Schienbeinmuskeil

'H- - - - - - - - - M. peronaeus brevis


(kurzer Wadenbeinmuskeil

M. extensor digitorum
longus

Fersenbeinhöcker - - - - ·lfl'l-'
(langer Zehenstrecker)
'
(Tuber calcanei)
172

Sie entspringen auf der Lateralseite des Unterschenkels und laufen dorsal von der
Bewegungsachse der Sprunggelenke auf die Fußsohle. Der M. peronaeus longus
überquert dabei die Fußsohle, um am medialen Rand anzusetzen. Der M. pero-
naeus brevis hingegen läuft an den lateralen Rand. Durch den Verlauf dorsal der
Bewegungsachse führen diese Muskeln eine Bewegung der Fußsohle nach unten
(Plantarflexion) und eine Senkung des medialen Fußrandes (Pronation) durch.

4.7.12 Fußmuskeln

Es wird zwischen der Muskulatur des Fußrückens und der Muskulatur der
Fußsohle unterschieden.

Muskeln des Fußrückens


Auf dem Fußrücken befinden sich einerseits die Sehnen der langen Strecker
(Extensoren), die ihre Muskelbäuche am Unterschenkel haben und andererseits
die Muskelbäuche der kurzen Strecker (s. Abb. 4-84}. Diese entspringen vom
Fersenbein und spalten sich auf in 3 Muskelbäuche des M. extensor digitorum
brevis (kurzer Zehenstrecker) und einen M. extensor hallucis brevis (kurzer
Großzehenstrecker). Der kurze Zehenstrecker setzt über Sehnen an der 2.-4.
Zehe an und streckt diese. Der Großzehenstrecker setzt über eine Sehne an der
großen Zehe an und streckt diese.

Muskulatur der Fußsohle


Die Muskulatur der Fußsohle kann in 3 Bereiche gegliedert werden (Abb. 4-85):
• Muskeln des Großzehenballens,
• Muskeln des Kleinzehenballens und
• Muskeln der Sohlenmitte, d ie ihrerseits in 3 übereinanderliegenden Schichten
vorhanden sind.

Muskeln des Großzehenballens


Da an der Fußsohle keine Gegenüberstellung von Großzehe und Kleinzehe ge-
braucht wird, sind keine entsprechenden Gegenstellmuskeln, wie an der Hand,
vorhanden. Zu den 3 Muskeln des Großzehenballens zählen (s. Abb. 4-85):
• M. abductor hallucis (Abspreizer der Großzehe),
• M. flexor hallucis brevis (kurzer Großzehenbeuger) und
• M. adductor hallucis brevis (Großzehenanzieher).

Muskeln des Kleinzehenballens


Auf der Fußsohle der Kleinzehenseite sind 2 Muskeln vorhanden, die die Klein-
zehe bewegen (s. Abb. 4-85):
• M. abductor digiti minimi (Kleinzehenabspreizer) und
• M. flexor digiti minimi brevis (kurzer Kleinzehenbeuger).

Muskeln der Sohlenmitte


In der oberflächlichen Schicht liegt der M. flexor digitorum brevis (kurzer Zehen-
beuger). In der mittleren Schicht liegt der M. quadratus plantae (Sohlenviereck-
muskel}, der vom Fersenbein entspringt und an der schräg verlaufenden Sehne
des langen Zehenbeugers ansetzt (Abb. 4-85). Ähnlich wie an der Hand sind auch
Muskulatur · Kapitel 4 · Bewegungsapparat 173

Abb. 4-85.
Oberflächliche Muskulatur der linken
Fußsohle (Pianta pedis)
Mm. lumbricales
(Fußwurmmuskeln)

M. flexor hallucis brevis


M. flexor digiti miniml - -- -++1 (kurzer Großzehenbeuger)
(Kieinzehenbeuger)
M. tlexor digitorum brevis
(kleiner Zehenbeuger)

M. abductor hallucis
(Großzehenspreizer)

Sehnenrest der
Plantaraponeurose

hier Mm. lumbricales (Wurmmuskeln) vorhanden, die einen transportablen Ur-


sprung besitzen. Sie entspringen von der Medialseite der langen Zehenbeuger-
sehne und laufen an die Grundglieder der Zehen, die sie im Grundglied beugen
und im Mittel- und Endglied strecken können. In der tiefen Schicht befinden sich
die Mm. interossei dorsales und plantares (Zwischenknochenmuskeln). Die dor-
salen Muskeln sind für die Spreizung und die plantaren für das Heranziehen der
Zehen verantwortlich.

4.7 .13 Einteilung der Extremitätenmuskulatur


nach der Funktion

Für den Arm und das Bein ist es sinnvoll, eine tabellarische Zusammenstellung
der beteiligten Muskeln an den entsprechenden Bewegungen aufzuführen, damit
bei Bedarf die Muskeln rasch zugeordnet werden können (Tabelle 4-14).
Bei den verschiedenen Bewegungspaaren, z. B. Beugung und Streckung, über-
wiegt eine Gruppe von Muskeln. Dies wird z. B. an der Hand erkennbar, wo die
Beuger in der Wirkung die Strecker deutlich überwiegen, dementsprechend sind
die Finger in Ruhestellung gebeugt. Das gleiche gilt für das Ellenbogengelenk
Die Arme sind leicht angewinkelt, bedingt durch die Tatsache, dass die Beuger
den einzigen vorhandenen Strecker (M. triceps brachii) überwiegen.
174

Tabelle 4-14. Funktionelle Einteilung der Extremitätenmuskulatur

Funktionseinheit Bewegung Beteiligte Muskeln

Muskeln für die Arm- Abduktion (vom Körper weg bewegen) M. deltoideus (Pars acromialis)
bewegungen (Schulter- M. supraspinatus
gelenk) M. biceps brachii (Caput longum)

Adduktion (an den Körper heranziehen) M. deltoideus (Pars clavicularis und Pars spinalis)
M. pectoralis major
M. lat issimus dorsi
M. teres major
M. coracobrachialis
M. biceps brachii (Caput breve)
M. triceps brachii (Caput longum)
M. deltoideus (Pars clavicularis)

Anteversion (Bewegung des Armes nach vorne) M. pectoralis major, M. biceps brachii (Caput breve)
M. t riceps brachii (Caput longum)

Retroversion (Bewegung des Armes nach hinten) M. deltoideus (Pars spinalis)


M. latissimus dorsi
M. teres major

Außenrotat ion (Außendrehung) M. t riceps brachii (Caput longum)


M. deltoideus (Pars spinalis)
M. infraspinatus
M. teres maj or

Innenrotation (lnnendrehung) M. deltoideus (Pars clavicularis)


M. subscapularis
M. teres major
M. pectoralis major
M. latissimus dorsi
M. biceps brachii (Caput longum)

Elevation (Heben des Armes über 90• hinaus) ermög- M. deltoideus (Pars acromialis)
licht durch die Drehung des Schulterblatts M. serratus anterior
M. t rapezius (Pars ascendens und Pars descendens)

Muskeln Fixat ion des Schultergürtels M. subclavius


des Schultergürtels Mm. rhomboidei
M. trapezius (gesamthaft)

Drehung der Skapula (für die Elevation) M. serratus anterior


M. trapezius (Pars ascendens und Pars descendens)

Hebung der Skapula M. Ievator scapulae


M. pectoralis minor

Abwärtsbew egung des Schultergürtels M. trapezius (Pars ascendens)

Aufwärtsbewegung des Schultergürtels M. trapezius (Pars descendens)


Muskulatur · Kapitel4 · Bewegungsap parat 175

Tabelle 4-14. Funktionelle Einteilung der Extremitätenmuskulatur (Fortsetzung)

Funktionseinheit Bewegung Beteiligte Muskeln

Muskeln des Ellen- Flexion (Beugung) M. biceps brachii


bogengelenks M. brachialis
(Humeroulnargelenk) M. brachioradialis

Extension (Streckung) M. triceps brachii

Muskeln der Gelenke Supination (Auswärtsdrehung des Unterarms M. biceps brachii


zwischen Eile und der Hand: Daumen außen) M. supinator
und Speiche M. brachioradialis (von Extrem- in Mittelstellung)
(Radioulnargelenke)

Pronation (Einwärtsdrehung des Unterarms M. pronator teres


und der Hand: Daumen innen) M. pronator quadratus
M. brachioradialis (von Extrem- in Minelstellung)

Muskeln des Hüft- Fixation des Beckens (beim Standbein) M. glutaeus medius und minimus
gelenks M. tensor fasciae latae
M. piriformis
M. Obturator internus

Abduktion l Abspreizung des Beines, beim Spielbein) M. glutaeus medius und minimus
M. tensor fasciae latae
M. piriformis
M. obturator internus

Adduktion (Heranziehen des Beines) M. adductor magnus


M. adductor longus
M. adductor brevis
M. gracilis
M. pectineus

Extension (Streckung) M. glutaeus maximus


M. glutaeus medius und minimus
ijeweils mit ihrem hinteren Teil)
M. adductor magnus
M. piriformis
M. semimembranosus
M. semitendinosus
M. biceps femoris (Caput longum)

Flexion (Beugung) M. iliopsoas


M. tensor fasciae latae
M. pectineus
M. adductor longus
M. adductor b revis
M. gracilis
M. rectus femoris
M. sartorius
176

Tabelle 4- 14. Funktionelle Einteilung der Extremitätenmuskulatur (Fortsetzung)

Funktionseinheit Bewegung Beteiligte Muskeln

Innenrotation IInnendrehung des Oberschenkels) M. glutaeus medius und minimus


(mit ihren vorderen Fasern)
M. tensor fasciae latae
M. adductor magnus (mit einem Teil)

Außenrotation (Außendrehung des Oberschenkels) M. glutaeus maximus


M. quadratus femoris
M. obturator intemus
M. glutaeus medius und minimus
(mit ihren hinteren Fasern)
M. iliopsoas
alle Adduktoren außer M. gracilis

Muskeln des Knie- Extension (Streckung) M. quadriceps femoris bestehend aus:


gelenks M. rectus femoris
(besonders bei gestrecktem Hüftgelenk)
M. vastus lateralis
M. vastus intermedius
M. vastus medialis
M. semitendinosus

Flexion (Beugung) M. semimembranosus


M. biceps femoris
M. gracilis
M. sartorius
M. gastrocnemius

Innenrotation (lnnendrehungl des Unterschenkels M. semitendinosus


M. semimembranosus
M. gracilis
M. sartorius
M. biceps femoris

Muskeln Außenrotation (Außendrehung) des Unterschenkels M. tibialis anterior


der Sprunggelenke

Dorsalflexion (Streckung): Bewegung der Fußspitze M. extensor digitorum longus


nachoben M. extensor hallucis longus

Plantarflexion (Beugung): Bewegung der Fußspitze M. tibialis posterior


nach unten M. flexor digitorum longus
M. flexor hallucis longus

Pronation (Hebung des lateralen Fußrandes) M. peronaeus longus


M. peronaeus brevis
M. extensor digitorum longus
M. gastrocnemius

Supination (Hebung des medialen Fußrandes) M.soleus


M. tibialis posterior

j ___ _
M. tibialis anterior
M. flexor digitorum longus
M. flexor hallucis longus
Fragen und Zusammenfassung · Kapite14 · Bewegungsapparat 177

Eine Zusammenfassung des speziellen Teils des Bewegungs-


apparates käme einer Wiederholung des Textes und der
Abbildungen gleich, was nicht sinnvoll erscheint. Es wird des-
halb nur der allgerneine Teil des Bewegungsapparates mit
Fragen und entsprechenden Antworten zusammengefasst.

Wie unterteilen Sie den • In einen passiven Teil mit dem Skelett und seinen Verbin-
Bewegungsapparat? dungen und
• in einen aktiven Teil mit den Muskeln und ihren Hilfsem-
richtungen (Sehnen etc. ).

Wie sind Knochen aufgebaut? Sie sind nach dem Minimax-Prinzip aufgebaut, d. h. überall
dort, wo es aufgrund der Kräfteverhältnisse möglich ist, ist
Knochengewebe durch eine Markhöhle ersetzt worden.

Was ist ein trajektorieller Entsprechend dem Minimax-Prinzip ist die Spongiosa ent-
Knochenbau? lang der Krafteinwirkungslinien (Trakjektorien) angeordnet.
Somit kann außerhalb dieser Trakjektorien Knochenmaterial
gespart werden.

Wo findet das Längenwachstum Im Bereich der Epiphysenfugen, die bis zum Ende der Wachs-
der Röhrenknochen statt? tumsphase knorpelig bleiben und erst nach Abschluss des
Längenwachstums verknöchern.

Welche Arten von Knochen- • Unechte Gelenke (Synarthrosen) mit Bindegewebe


verbindungen kennen Sie? (Syndesmosen), Knorpel (Synchondrosen) und Knochen
(Synostosen) als Verbindungsmaterial.
• Echte Gelenke (Diarthrosen) mit mindestens 2 Gelenk-
körpern, einem Gelenkspalt und einer Gelenk.kapsel.

Welche inkonstanten • Gelenkband (Ligamentum articulare),


Gelenkanteile der • Gelenklippe (Labrum articulare),
Diarthrosen kennen Sie? • Meniskus (Meniscus articularis),
• Bandscheibe (Discus articularis),
• Gelenkschleimbeutel {Bursa articularis),
• Gelenkmuskel (M. articularis).

Nach der Anzahl der Gelenkkörper:


• einfach (2 beteiligte Gelenkkörper),
• zusammengesetzt mit 3 oder mehr beteiligten Gelenk-
körpern).

Nach der Form der Gelenkkörper:


• mit Rotationskörpern = regulär,
• mit unregelmäßigen Gelenkkörpern = irregulär.
-·1

178 Nennen Sie die wichtigsten


Typen der regulären Gelenke!
• Kugelgelenk,
• Eigelenk,
• Scharniergelenk,
• Zapfengelenk,
• Sattelgelenk.
Wie viele Freiheitsgrade hat
ein Kugelgelenk, nennen Sie
3 Freiheitsgrade:
die Bewegungspaare! • Abduktion/ Adduktion,
• Anteversion/Retroversion,
• Innenrotation/ Außenrotation.
Was sind Amphiarthrosen?
Echte Gelenke, mit einem stark eingeschränkten Bewegungs-
ausmaß. Sie wirken meist nur federnd. Beispiel: lliosakralge-
lenk (Art. sacroiliaca)
Welche Kräfte sind für den
Gelenkzusammenhalt • Adhäsion,
verantwortlich? • Muskeln,
• Bänder und
• als stärkste Kraft der Luftdruck.
Welche Bewegungshemmungen
kennen Sie? • Knochenhemmung,
• Bandhemmung,
• Weichteilhemmung,
• Kapselhemmung,
• passive Insuffizienz,
• aktive Insuffizienz.

Nennen Sie die verschiedenen • Faszien,

,.
Hilfseinrichtungen des • Umlenkungen (knöchern und fibrös),
Bewegungsapparates! • Schleimbeutel und

• Sehnenscheiden.
~
Welche Arten der Muskel- • Isotonische (bei gleichbleibender Kraft),
kontraktion kennen Sie? • isometrische (bei gleichbleibender Länge),
• exzentrische (bei Verlängerung unter Kraftaufwand).

Was sind Synergisten, Synergisten unterstützen einander in der Bewegung. Sie er-
was Antagonisten möglichen die gleiche Art der Bewegung z. B. eine Flexion.
bei den Muskeln? Antagonisten arbeiten gegeneinander, d. h. einer führt z. B. die
Flexion aus, der andere das Gegenteil, die Extension.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel4 · Bewegungsapparat 179
Was verstehen Sie unter dem
Begriff der elektromechanischen Die zwangsläufige Verbindung eines Nervenimpulses mit
Koppelung? einer Muskelkontraktion. Dies wird durch die Kalziumaus-
schüttung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum als Ant-
wort auf einen Nervenimpuls ermöglicht. Das Kalzium schal-
tet das Troponin, sodass die Bindungsstelle am Aktin für das
Myosinköpfchen frei wird. Bei der anschließenden Abspal-
tung eines Phosphatrestes vom ATP (Adenosintriphosphat)
wird Energie frei, die für das Ineinanderschieben der Myo-
filamente (Aktin und Myosin) verwendet wird.
Wie entsteht Muskelkater?
Für das Lösen des Myosinköpfchens vom Aktin muss ATP
vorhanden sein. Bei exzentrischen Bewegungen (Verlänge-
rung der Muskelfasern unter Kraftaufwand) führt ATP-Man-
gel zum Reißen der Myosin-Aktin-Verbindung, das Resultat
ist Muskelkater.
Zerlegung der Muskelkompo-
Beim angewinkelten Arm ist die Komponente für den Gelenk-
nenten: Wie kann am Beispiel
zusammenhalt relativ klein gegenüber der Bewegungskompo-
des Arms eine möglichst große
nente. Beim ausgestreckten Arm hingegen ist die Bewegungs-
Bewegungskomponente
komponente sehr klein und die Gelenkkomponente maximal
erreicht werden? groß.
5 Nervensystem

5.1 Einteilung des Nervensystems 182


5.2
5.3 .
I_ Entwicklung des Nervensystems 184
Nervenzellen
186
185
5.3.1 Synapsen
5.3.2 Erregbarkeit und Erregungsleitung 188
5.4 Neuroglia 192
5.4.1 Periphere Glia 192 ·-
5.4.2 Zentrale Glia 192
5.5 Rückenmark 194
5.5.1 Entstehung und Aufbau des Rückenmarks 194
5.5.2 Spinalnerven 196
5.5.3 Hautfelder (Dermatome) 198

',.
5.5.4 Qualitäten peripherer Nerven 199
5.6 Hirnnerven 200
5.7 Gehirn 202

5.7.1 .. Entwicklung des Gehirns 202
5.7.2 Liquor und Hirnventrikel 204
5.7.3 Hüllen des zentralen Nervensystem s 206
5.7.4 Hirnabschnitte 207
5.8 Regulation wichtiger Funktionen 220
5.9 Reflexe 221
5.9.1 Eigenreflex (monosynaptischer Reflex) 222
5.9.2 Fremdreflex (polysynaptischer Reflex) 223
5.9.3 Gegenüberstellung von Eigen- und Fremdreflex 224
5.10 Regulation der Motorik 224
5.10.1 Willkürmotorik (pyramidalmotorisches System) 224
5.10.2 Unwillkürmotorik (extrapyramidalmotorisches System) 225
5.11 Schmerz 227
5.11.1 Schmerzkomponenten 227
5.1 1.2 Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) 227
5.11.3 Schmerzbahnen (Afferenzen) 228
5.11.4 Kontrolle der Schmerzrezeption (Schmerzwahrnehmung) 229
5.12 Limbisches System 230
5.13 Gedächtnis 230
5.14 Vegetatives Nervensystem 231
5.14.1 Sympathikus 232
5.14.2 Parasympathikus 234
5.14.3 Regulation durch das vegetative Nervensystem 235
5.15 Elektroenzephalogramm (EEG) 236
5.16 Schlaf 237
5.17 Fragen und Zusammenfassung zum Nervensystem 240
182

5 Nervensystem

Lernziel übersieht
Nach der Lektüre d ieses Kapitels können Sie:
Das Nervensystem in seine Anteile einteilen
Die Entwicklung des Nervensyste ms e rklären
Die Grundlagen der Erregbarkeit und Erregungsleitung beschreiben
Die Neuroglia und ihre Funktionen erklären
Das Zentralnervensystem und das periphere Nervensystem u nterscheiden
Die Herkunft der peripheren Nerven und ihren Aufbau erklären
Die wichtigsten Nerven und Nervenplexus nennen
Die Hirnnerven und ihre Funktione n sowie Aufbau und die Funktion des Gehirns
mit Großhirn und Kleinhirn aufzählen
Reflexe erklären und unterscheiden zwischen Fre md- und Eigenreflex
Verschiedene Funktionen des Nervensyste ms wie Motorik, Schmerz, Gedächtnis
e rklären
Das vegetative Nervensystem mit seinen Wirkungen auf die Organe beschreiben
Das Elektroenzephalogramm und die ve rschiedenen Schlafstadien verstehen

5.1 Einteilung des Nervensystems

Um die ve rschied enen Bestandteile eines derart komplexen Systems, wie es der
Effektorische Systeme menschliche Körper darstellt, miteinander zu koordinieren und in einen geord-
Organe, die direkt tätig werden und damit neten Funktionsablauf zu integrieren, muss ein übergeordnetes Kontrollsystem
einen Effekt erreichen, z. B. Muskeln, die vorhanden sein. Diese Aufgabe wird vom Nervensystem ausgeführt. Es ermög-
sich kontrahieren, Drüsen, die ein Sekret licht, die Außenwelt mit der Innenwelt des Organismus sowie die inneren Regu-
ausschütten lationen des Organismus untereinander zu verknüpfen.
Vom Nervensystem werden Reize über Rezeptoren aufgenommen (Augen ,
Ohren, Haut etc. ), in Erregungen umgewandelt und - nach entsprechender Um-
schaltung - effektarischen Systemen (Muskeln, Drüsen) zugeleitet. Durch Ver-
mittlung des Nervensystems erfolgt auf jeden Reiz eine entsprechende Antwort,
die in ihrer Gesamtheit als Grundlage für die Erhaltung des Lebens angesehen
werden können.

• zerebrospinal auf das Gehi rn und das Das Nerven system gliedert sich in 2 Anteile:
Rückenmark bezogen • das animale (zerebrospinale) Nervensystem (bewusst, willk ürlich ),
• animal eigentlich tierisch, hier ist • d as vegetative Nervensystem (meist unbewusst, unw illkürlich ).
gemeint: willkürlich
• vegetativ eigentlich pflanzlich, hier ist Die Unterscheidung der beiden Systeme beruht auf ihren unterschiedlichen
gemeint: unwillkürlich Funktionen (Tabelle 5-1):
Einteilung des Nervensystems · Kapitel S · Nervensystem 183

Plexus brachialis Plexus Iumbaiis Plexus sacralis

N. phrenicus Nerven für die soma-


Nerven für die soma- N. ischiadicus
Zwerchfellinner- tomotorische und tomotorische und mit seinen beiden
vation (Atmung) somatasensible somatasensible Hauptästen:
Innervation von ArmInnervation der N. tibialis und
und Hand Unterbauchregion N. fibularis
und des Ober-
N. musculocutaneus schenkels N. tibialis,
z. B. für den z. B. Flexoren
M. biceps N. femoralis, am Unterschenkel
z. B. für den M. qua-
N. radialis driceps femoris N. fibularis,
für die Extensoren z. B. für die
an Oberarm und N. obturatorius, Extensoren
Unterarm z. B. für die Adduk- am Unterschenkel
toren
N. medianus
für die meisten
Flexorenam
Unterarm

N. ulnaris
für die Flexoren auf
der Kleinfingerseite
des Unterarms

Die Aufgabe des animalen (zerebrospinalen) Systems besteht u. a. darin, Um- Einteilung nach der Funktion
weltreize aufzunehmen, sie zu verarbeiten und durch Muskelinnervation auf die • Animales Nervensystem
Umweltreize zu reagieren; es unterliegt in großem Ausmaß unserer willkürlichen - Wahrnehmung und Verarbeitung
Kontrolle. Das vegetative Nervensystem reguliert und koordiniert die Funktion von Umweltreizen
innerer Organe so, dass ihre Tätigkeit den jeweiligen Bedürfnissen des Gesamt- - Reaktion auf Umweltreize durch
organismus angepasst wird; es reagiert also unwillkürlich (unbewusst) und kann Muskelinnervation
nur in geringem Maße willkürlich beeinflusst werden; deshalb wird es auch als - weitgehend willkürlich
autonomes Nervensystem bezeichnet. • Vegetatives Nervensystem
Eine andere, häufig vorgenommene Einteilung geht weniger auf die Funktion - Requlation und Koordination
als auf die Lage des Nervensystems ein und unterscheidet einen zentralen und der Funktion innerer Organe
peripheren Anteil. Der zentrale Anteil, das Zentralnervensystem (ZNS) besteht - überwiegend unwillkürlich
aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Als peripheres Nervensystem (PNS) wird (daher »autonomes« Nervensystem)
Nervensubstanz außerhalb dieser Zentralorgane zusammengefasst. Dabei han-
delt es sich nicht um eine kompakte Masse wie das Gehirn und das Rückenmark, Einteilung nach Lage
sondern um einzelne Nerven und die mit diesen Nerven verbundenen Ansamm- • Zentrales Nervensystem (ZNS):
lungen von Nervenzellkörpern, die Ganglien (Abb. 5-1). Gehirn und Rückenmark
• Peripheres Nervensystem (PNSJ:
Nervensubstanz au ßerhalb der Zentral-
organe (einzelne Nerven und Ganglien)
184

Abb. 5-1.
Darstellung des Gehirns, des Rücken-
marks und der wichtigsten peripheren
Nerven. Die Vermischung von
Nervenfasern aus verschiedenen
N. musculo·
Rückenmarkabschnitten wird als cutaneus
Plexus bezeichnet N. radlalis

sacralis
N. ischiadicus - - - - -- - - -ftl-li

N. lernoralis

5.2 Entwicklung des Nervensystems

Entwicklungsstrukturen Die Ausbildung des ervensystems beginnt beim menschlichen Embryo zu


• Neuralplatte einem sehr frühen Zeitpunkt. Bereits in der J. Embryonalwoche bildet sich im
• Neuralwülste Bereich des äußeren Keimblattes (Ektoderm) eine Verdickung, die als Neural·
• Neuralrinne platte bezeichnet wird. Die Ränder dieser Neuralplatte stülpen sich nach außen
• Neuralrohr und bilden so in der Längsrichtung des Embryos die Neuralwülste, zwischen
• Neuralleiste denen eine Vertiefung liegt, die Neuralrinne. Die Neuralrinne senkt sich weiter
ab, und die Neuralwülste verschmelzen miteinander. Dadurch wird die Neural-
rinne zum Neuralrohr, wobei der Verschmelzungsvorgang in der Mitte des Em-
• kranial kopfwärts bryos beginnt und dann sowohl nach kranial als auch nach kaudal fortschreitet.
• kaudal schwanzwärts Im kranialen Anteil des Neuralrohrs, dem späteren Gehirn, nimmt die Zahl der
neugebildeten Zellen rascher zu als im kaudalen Teil, dem späteren Rückenmark
(Abb. 5-2).
Während der Bildung des Neuralrohrs durch Verschmelzung der Neural-
wülste wandern aus diesen auf beiden Seiten Zellen aus, die je einen Zellstrang
bilden, die Neuralleisten. Aus diesen Neuralleisten entstehen im Laufe der wei-
teren Entwicklung die Anteile des peripheren Nervensystems (Abb. 5-3).
neurogen Aber auch sog. neurogene Elemente, die z. T. augerhalb des Nervensystems
aus dem Nervengewebe gebildet liegen, gehen aus den Neuralleisten hervor. Zu diesen gehören die Melanozyten,
die als Pigmentzellen der Haut und den Haaren ihre Farbe geben.
Nervenzellen · Kapitel 5 · Nervensystem 185

Abb. 5-2.
Entwicklung des Nervensystems:
Schnittrand
des Amnion Dorsalansichten menschlicher Embryonen
Neuralplane
zwischen dem 19. und 22. Tag der
Entwicklung. Man sieht deutlich die
Entwicklung von der Neuralrinne bis zum
Neuralrohr

Neuralleiste

vordere Öffnung des Neuralrohrs

Chorda

Neuralrinne

hinlere Öffnung des Neuralrohrs

Missbildungen Spinalganglien

Der Verschluss der Neuralrinne oder die Zellvermehrung kann d urch innere oder
durch äußere Faktoren gestört sein. Es kommt dann zu Missbildungen wie z. B.
Fehlen (Anenzephalus) oder zu geringe Entwicklung (Mikrozephalus) des Ge-
hirns und zur Spina bifida. Bei der Spina bifida ist der Verschluss des Neuralroh rs
mangelhaft verschlossen oder fehlt; Folge ist ein offener WirbelkanaL Eine Spina
bifida ist häufig genetisch bedingt und scheint von Umweltfaktoren abzuhängen.
In den USA liegt die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Spina bifida auf d ie Welt zu Abb. 5-3.
bringen, bei ca. 1: 1.500, in einigen Regionen im Westen Englands kann sie auf bis Querschnitte aus der gleichen Entwick-
zu 1: 100 ansteigen. Du rch eine ausreichende Zufuhr von Folsäure in der Früh- lungsperiode wie in Abb. 5-2 dargestellt,
schwangerschaft kann das Risiko einer solchen Missbildung erheblich redu ziert an denen die Entwicklung von der Neu-
werden. ralrinne zum Neuralrohr deutlich wird

5.3 Nervenzellen

Die Einteilung des Nervensystems in einen peripheren und einen zentralen An-
teil ist willkürlich und lediglich d urch deren Lage zu erklären. Das Nervensystem
bildet von der Funktion und von der zugrunde liegenden Struktur her eine Ein-
heit. Der strukturelle und funktionelle Grundbaustein des Ner vensystems ist-
186

wie in allen anderen Systemen des Körpers - die Zelle. Die Zellen des Nerven-
systems werden meist als Neurone oder gelegentlich als Neurozyten bezeichnet.
Von anderen Körperzellen unterscheiden sie sich nicht nur aufgrundihrer Struk-
tur, sondern v. a. aufgrund einiger funktioneller Merkmale.

Die Merkmale von Nervenzellen (Neurone) sind:


• Spezialisierung für Erregungsleitung,
• extreme Empfindlichkeit gegenüber Sauerstoffmangel,
• vermehrungsunfähig, abgestorbene Zellen werden nicht ersetzt.

Aufbau des Neurons Ein typisches Neuron besteht aus einem Zellkörper sowie verschiedenen Zellaus-
• Zellkörper: läufern. Der Zellkörper wird Perikaryon oder Soma genannt. Er besitzt einen
- Zellkern mit Nukleolus großen Zellkern mit einem zentral gelegenen Nukleolus. Im Perikaryon befinden
- Perikaryon mit Nissi-Schollen sich lichtmikroskopisch sichtbare Granula, die der Zelle ein scholliges Ausseijen
• Zellausläufer: geben. Nach ihrem Entdecker werden diese Granula Nissi-Schollen genannt. Sie
- Dendriten bestehen aus rauem endoplasmatischem Retikulum (mit Ribosomen besetzt).
- Axon bzw. Neurit Vom Perikaryon entspringen mehrere kürzere ZeiJausläufer, sodass einige
Zellen wie ein Baum bzw. Strauch mit Ästen aussehen; deshalb werden sie Den-
driten (Äste) genannt. Die Dendriten nehmen Impulse von anderen Neuronen
auf und leiten sie zum Perikaryon. Von einer Zone des Perikaryons, in der sich
kein raues endoplasmatisches Retikulum befindet und Ursprungskegel genannt
wird, entspringt ein einzelner langer Zellausläufer, der Neurit (auch Axon ge-
nannt). Über den Neuriten werden Nervenimpulse vom Perikaryon zu den Den-
driten anderer Neurone, zu Muskeln oder Drüsen abgeleitet. Die Neuriten wach-
sen zum Teil in die Peripherie (z. B. vom Rückenmark bis zu den Muskeln). Sie
können bis zu 1,20 m lang sein, wobei ihr Durchmesser teilweise nur 5-20 flm be-
trägt.
polar Damit ist ein Neuron grundsätzlich polar gegliedert, was seiner physiolo-
mit Polen ausgestattet, d. h. Regionen, die gischen Funktion entspricht, nämlich Erregung, d. h. einen Nervenimpuls, am Pol
sich deutlich von anderen unterscheiden der einen Seite (Dendrit) aufzunehmen und sie am Pol der anderen Seite (Neurit)
abzugeben. Die beiden Pole werden als Rezeptorpol (Dendrit) und Effektorpol
(Neurit) bezeichnet (Abb. 5-4a-c).

5.3.1 Synapsen

Die Übertragung eines Nervenimpulses von einer Zelle auf die andere erfolgt
durch Synapsen. Die Neuriten enden meist mit zahlreichen kleinen Auftreibun-
gen, den Endknöpfchen, die Boutons heißen. Zusammen mit der Membran des
folgenden Neurons, dem diese Boutons anliegen, bilden sie die Synapse, an der
die Übertragung der Erregung von einer Zelle auf die andere erfolgt (s. Ab-
sehn. 3-7-3).
Den Synapsen kommt eine Ventilfunktion zu, da sie die Erregung nur in eine
Richtung leiten. Damit wird durch die Funktion der Synapsen eine geordnete
Tätigkeit des Nervensystems überhaupt erst ermöglicht (Abb. 5-5).

Man unterscheidet allgemein:


• erregende und
• hemmende Synapsen.
Nervenzellen · Kapitel 5 ·Nervensystem 187

Haut Abb. 5-4a-c.


Darstellung verschiedener Neuronen-
typen.
a Multipolares Motoneuron mit myelini-
siertem Axon,
b pseudounipolares Neuron mit dendriti-
schem und neuritisehern Ausläufer, beide
sind myelinisiert; das Perikaryon dieser
pseudounipolaren Neurone befindet sich
dendritischer
Ausläufer im Spinalganglion,
c multipolaresvegetatives Neuron, dessen
Axon nicht myelinisiert ist
Perikaryon

unmyelinisierte
Nervenfaser

Endauf·
zweigung
(z.B. motorische
Endplatte)

a b c

postsynaptische Membran
Abb. 5-5.
Endknöpfchen, das mit der Folgezelle eine
Endknöpfchen Synapse bildet. Eine Synapse besteht aus
der präsynaptischen Membran, dem
synaptischen Spalt und der postsynap-

präsynaptische
Membran
---+-- ---11•• ._,,.. . . _ tischen Membran in der Folgezelle, auf die
der Impuls übertragen werden kann. Im
Endknöpfchen befinden sich synaptische
Bläschen mit Oberträgersubstanz

synaptlsche Bläschen mit erregender Überträgersubstanz


188

• präsynaptisch vor der Synapse liegend Eine Hemmung kann präsynaptisch oder postsynaptisch erfolgen:
• postsynaptisch hinter der Synapse Präsynaptisch ist sie, wenn die Ausschüttung des Transmitters reduziert oder
liegend verhindert wird. Postsynaptisch ist sie, wenn die Hemmung an der postsynapti-
schen Membran (Membran der Folgezelle) erfolgt. Dies kann bedeuten, dass ein
HemmendeTransmittersubstanzen: nachfolgender erregender Impuls aus einem anderen Neuron ohne Wirksamkeit
Glyzin oder (gamma) y-Amino- bleibt oder dass ein stärkerer Impuls nötig wird. Für die postsynaptische Hem-
Buttersäure (GABA) mung sind verschiedene Transmittersubstanzen gefunden worden, z. B. die Ami-
nosäure Glyzin oder ein Aminosäurederivat, die y- Amino-Buttersäure (GABA).
Transmitter Die meisten Nervenzellen bilden mehrere Synapsen mit anderen Nervenzellen
Überträgersubstanz und erhalten gleichzeitig hemmende oder erregende Impulse von anderen Zellen.
Allein im Gehirn gibt es schätzungsweise 10' 4 Synapsen; damit erhält einer-
• Konvergenz auf einen gemeinsamen seits jedes Neuron im Durchschnitt etwa 100 Zuleitungen (Konvergenz) und gibt
Punkt zustrebend andererseits an etwa 100 Neurone Verbindungen ab (Divergenz). Hierbei handelt
• Divergenz von einem Punkt aus- es sich jedoch um Durchschnittswerte. Die Zahl der Synapsen pro Einzelzelle
gehend, abweichend schwankt zwischen 1 Synapse im Mittelhirn und mehreren tausend, z. B. an einer
motorischen Vorderhornzelle des Rückenmarks, an der bis zu 5 .500 Synapsen an-
liegen. Bei einer derartigen Zelle sind bis zu 40% ihrer Zellmembran von synap-
tischen Endknöpfchen bedeckt (Abb. 5-6).
Synapsen scheinen »lernfähig<<oder trainierbar zu sein. Praktisch unbenutz-
te Synapsen funktionieren nur schlecht. Häufig benutzte Synapsen hingegen
funktionieren sehr rasch, d. h. die Erregungsübertragung läuft an ihnen besser.

5.3.2 Erregbarkeit und Erregungsleitung

Physiologischer Nervenreiz meist Nervenzellen können im Unterschied zu den meisten anderen Zellen sehr leicht
chemisch oder mechanisch
erregt werden. Sie haben eine sog. niedrige Erregbarkeitsschwell e. Der Reiz, der
dabei zu einer Erregung führt, kann im Experiment elektrisch sein; unter
physiologischen Bedingungen ist er jedoch meist chemisch oder mechanisch.
Die Impulse, die durch solche Reize entstehen, werden entlang eines Neuriten
einer Nervenzelle bis zu seinem Ende weitergeleitet. Diese Leitung ist ein aktiver,
energieverbrauchender Prozess. Der Impuls bewegt sich bei dieser Leitung mit

Abb.S-6.
Perikaryon einer Nervenzelle mit einer
größeren Zah l von Endknöpfchen
verschiedener Neurone, die hier mit dem
Perikaryon Synapsen bilden
Nervenzellen · Kapitel 5 · Nervensystem 189

einer konstanten Stärke und Geschwindigkeit am Nerv entlang. Grundlage für


diese Impulsleitung ist die Veränderung im Membran potential.

Ruhemembranpotential
Führt man von 2 Elektroden, die mit einem Verstärker und einem Oszillographen Ruhemembranpotential;
verbunden sind, eine Elektrode in das Zellinnere einer Nervenzelle und lässt die • Membranpotential einer Zelle
andere auf der Außenseite der Zelle, kann man über den Oszillographen eine im nichterregten Zustand
dauernde Potentialdifferenz zwischen dem Inneren der Zelle und der Außenseite (d. h. im Ruhezustand)
messen. Dies wird als sog. Ruhepotential bezeichnet; hierbei ist die Zelle nicht • Kaliumionen-Konzentration intrazellulär
erregt, also in Ruhe. Ist keine Potentialdifferenz messbar, ist die Zelle nicht mehr 3o-mal höher als extrazellulär
lebensfähig.

Das Membranpotential einer Zelle im nichterregten Zustand wird als Ruhemem-


branpotential bezeichnet. Bei Nervenzellen beträgt das Ruhemembranpotential
ca. - 70 mV. Es wird als negatives Potential bezeichnet, da das Innere der Zellen
gegenüber dem Äußeren negativ geladen ist.
Ruhemembranpotential;
Das Ruhemembranpotential einer Zelle entsteht primär durch das Ausströmen
von Kaliumionen. Innerhalb der Zelle (intrazellulär) besteht eine ca. 30-mal hö-
here Konzentration an positiv geladenen Kaliumionen als außerhalb (extrazel-
lulär). Die Kaliumionen haben somit die Tendenz, dem Konzentrationsgradien-
ten folgend aus der Zelle zu strömen. Dabei bleiben negativ geladene Proteine in
der Zelle zurück, für die - aufgrund ihrer Größe und ihrer negativen Ladung -
die Zellmembran undurchlässig ist. Somit entsteht also durch den Ausstrom von
positiven Ladungen (K+) ein Überschuss an negativen Ladungen im Inneren der
Zelle. Sobald die Ladungsdifferenz zwischen Zellinnerem und Extrazellularraum
eine gewisse Größe erreicht hat, können keine weiteren Kaliumionen ausströ-
men. Das System steht dann im Gleichgewicht, das je nach Zellart zu einem un-
terschiedlichen Ruhemembranpotential führt: Nervenzellen: -70 m V, Herzmus- Ruhemembranpotential;
kelzellen: -8o mV, Skelettmuskelfasern: --90 mV. Das Gleichgewicht ist Ausdruck • Nervenzellen: - 70mV
des ausgewogenen Kräfteverhältnisses zwischen nach innen gerichtetem La- • Herzmuskelzellen: - 80 mV
dungsgradienten und nach außen gerichtetem Konzentrationsgradienten. Die • Skelenmuskelfasern: - 90 mV
Ionenströme treten prinzipiell nur lokal an der Zellmembran auf und beeinflus-
sen die Ionenverteilung im Zellinneren nur unwesentlich.

Aktionspotential
Dem Ruhemembranpotential wird das Aktionspotential gegenübergestellt. Das Aktionspotential: Membranpotentia l einer
Aktionspotential ist das Membranpotential einer Zelle im erregten Zustand. Das Zelle im erregten Zustand
Aktionspotential entsteht, sobald ein Reiz über eine Nervenfaser geleitet wird.
Wird aus einem synaptischen Endknöpfchen genügend Transmittersubstanz
freigesetzt (z. B. Azetylcholin oder Noradrenalin), verändert sich das Membran-
potential an der postsynaptischen Membran in charakteristischer Weise:
Es kommt zunächst zu einer Depolarisation von ca. 15 m V, d. h., das Mem-
branpotential steigt von -70 mV auf -55 mV an. Diesen Punkt bezeichnet man
als »Zündschwelle« (>>firing Ievel«). Von diesem Punkt aus kommt es ohne weite-
re Zufuhr von Transmittersubstanz zu einem sehr raschen Anstieg des Membran-
potentials auf ungefähr + 35 m V und zu einer sofort darauf folgenden Rückkehr
(Repolarisation) bis auf das Niveau des Ruhemembranpotentials, d. h. -70 m V.
190

Dieser Wert kann sogar kurzfristig noch unterschritten werden (Hyperpolari-


sation).

Das Aktionspotential ist also die gesamte Veränderung des Membranpotentials


während der Leitung eines Impulses (Abb. 5-7a - d):
• zuerst ein relativ »langsames« Ansteigen bis zur Schwelle
(Depolarisation bis zur Zündschwelle =Aufstrich),
• dann ein sofortiges Überschießen bis auf ca. + 35 mV (»overshoot«)
• und daran anschließendes Absinken auf -70 mV (Repolarisation).
Alles-oder-Nichts-Gesetz:
Erreic ht die anfä ngliche Depolarisation Die anfängliche Depolarisation muss mindestens 15 m V betragen, d. h. das Ruhe-
- 55 mV, kommt es unter allen Umständen membranpotential muss bis auf -55 m V ansteigen, da es sonst nicht zu einem
zu einem Aktions poten tial Aktionspotential kommt. Erreicht die anfängliche Depolarisation -55 m V,
kommt es unter allen Umständen zu einem Aktionspotential: diese Tatsache wird
Einstro m von Natriumionen in die Zelle als »Alles-oder-Nichts-Gesetz« bezeichnet.
verursacht Potentialänderung Der fast explosionsartige Anstieg des Potentials auf ca. +35 m V wird durch
eine plötzliche Änderung der Permeabilität der Zellmembran für Natriumionen
Permeabilität Durchlässigkeit erreicht. Bei einem Ruhemembranpotential von - 70 m V ist die Zellmembran

Abb. 5-7a-d .
Darstellung des Aktionspotentials. Im
oberen Teil der Abbildungsind die Ionen-
ströme als Grundlage von Depolarisation
und Repolarisation zu sehen.
a Natriumeinstrom während der Depola-
risation,
b Kaliumausstrom während der Repola-
risation,
c Darstellung der Potentialänderungen
Depolarisation
während des gesamten Aktionspotentials
0 ---····--------···
mit einem Kathodenstrahloszillographen,
d Mess- und Reizanordnung für die Ablei- Schwelle
mV
tung eines Aktionspotentials von einem
Axon
- 55

-70
Latenzperiode

Kathodenstrahl·
elektrischer
Stimulus

Axon Mikroelektrode im Axon


d
Nervenzellen · Kapitel 5 ·Nervensystem 191

praktisch undurchlässig für Natriumionen, die im Extrazellularraum in ca. 15fach


höherer Konzentration als in der Zelle vorliegen. Von einer gewissen Höhe der in-
trazellulären Natriumkonzentration nimmt die Permeabilität der Zellmembran
für Natriumionen wieder ab und für Kaliumionen gleichzeitig zu, sodass es zu ei-
ner Umkehr des Prozesses kommt und damit zu einer Rückkehr zum normalen
RuhemembranpotentiaL
Die plötzliche Änderung des Membranpotentials wird durch eine Öffnung
der Natriumkanäle in der Zellmembran ermöglicht. Diese Ionenkanäle werden Ionenkanäle werden durch Kanalproteine
durch Kanalproteine gebildet, die im Ruhezustand geschlossen sind. Es handelt gebildet
sich bei den Kanalproteinen um Proteine, die so in die bimolekulare Lipidschicht
der Zellmembran eingebaut sind, dass sie diese durchdringen und damit Extra-
zellularraum und Intrazellularraum verbinden (Abb. 5-8). Durch eine genügende
Menge an erregender Transmittersubstanz (z. B. Azetylcholin) werden einige die-
ser Kanäle geöffnet, und die daraus resultierende Membranpotentialänd erung
führt nach dem Alles-oder-Nichts-Gesetz zur vollständigen Öffnung aller Natri-
umkanäle. Für den gegen den Natriumioneneinstrom erfolgenden Kaliumionen-
ausstrom ist ein ähnlicher Mechanismus vorhanden.
Damit die Zellen nicht irgendwann funktionsuntüchtig werden durch den bei
jedem Aktionspotential erfolgenden Natriumeinstrom und Kaliumausstrom, ist
eine Natrium-Kalium-Pump e in den Membranen einbaut. Diese pumpt die Ionen Natrium-Kalium-Pumpe stellt durch
wieder zurück und stellt so das Gleichgewicht wieder her, das zum Aufrecht- Rückpu mpen der Ionen das Gleichgewicht
erhalten des Ruhemembranpotentials erforderlich ist. wieder her
Die Veränderungen des Membranpotentials während der Erregungsleitung
sind lokal, z. B. nur an der postsynaptischen Membran einer Nervenzelle. Sie
pflanzen sich dann aber automatisch entlang der gesamten Zellmembran fort, bis
sie an den vom Neuriten gebildeten Endknöpfchen ankommen und dort zur
Ausschüttung von Transmittersubstanz führen. Während des Aktionspotentials Refraktä rperiode:
und der direkt darauf folgenden kurzen Phase, dem Nach potential, das sogar zu Abfall des Membranpotentials unter
einer sog. Hyperpolarisation führen kann (Abfall des Membranpotentials unter - 70 mV, z. B. bis - 80 mV
- 70 mV, z. B. bis -So mV), ist die Reizschwelle eines Neurons derart verändert,
dass auch der stärkste Reiz wirkungslos bleibt und nicht zu einem sofortigen Refraktärperiode:
zweiten Aktionspotential führt. Diesen Zeitraum, in dem die Natriumkanäle Zeitraum, in dem die Natriumkanäle inak·
inaktiviert sind und keine Natriumionen mehr fließen können, weshalb die Neu- tiviert sind und keine Natriumionen mehr
rone kurzzeitig nicht erregt werden können, bezeichnet man als Refraktär- fließen können
periode. Die gesamte Zeitspanne (Beginn des Aktionspotentials bis zum Ende
der Refraktärperiode) liegt im Bereich von nur wenigen Millisekunden. Millisekunden 1 ms = 1 tausendste!
Sekunde

Kanalprotein
Abb. 5-8.
Diese Abbildung zeigt links einen

--
g eschlossenen Ionenkanal im bimole·
Zellmembran kularen Lipidfilm einer Zellmembran,
(bimolekularer
Upidfilm) rechts ist der Ionenkanal geöffnet und
ermöglicht damit den Eintritt von Ionen
in die Zelle, z. B. von Natrium während
geschIossen offen
des Aktionspotentials
192

Leitungsgeschwindigkeit: Geschwindig- Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Aktionspotential über die ganze Ner-
keit, mit der ein Aktionspotential über die venfaser ausbrei tet, hängt zum großen Teil von der Isolierung der ervenfasern
Nervenzellen hinweg transportiert wird ab. So leiten myelinisierte Fasern bis zu 250-mal schneller als nichtmyelinisierte
(zwischen 0,5- 120 m/s) Fasern. Die l eitungsgeschwindigkeit von motorischen ervenfasern (Steuerung
der aktiven Muskelbewegungen) beträgt bis zu 120 m/s. Dagegen liegt die Lei-
Saltatorische Erregungsleitung tungsgeschwindigkeit von Schmerzfasern bei ca. 0,5 m/s. Für die schnelle Leitung
von Ranvier-Schnürring zu Ranvier- ist v. a. die sog. saltatorische Erregungsleitung von Bedeutung: Dabei springt die
Schnürring hüpfende (einen Salto Depolarisation von einem Ranvier-Schnürring zum anderen, und somit muss
ausführende) Erregungsleitung nicht die gesamte Länge eines Neuriten langsam durchlaufen werden (s. Abschn.
3-7-2).

5.4 Neuroglia

Funktionen der Neuroglia Die Aufgabe der Nervenzellen besteht darin, Impulse zu leiten. Damit diese
• Isolation Impulse nicht wahllos von einer Nervenzelle auf die andere überspringen kön-
• Stützfunktion nen, müssen die Nervenzellen und ihre Ausläufer gegeneinander isoliert sein.
• Stoffaustausch Diese Aufgabe wird von verschiedenen Zellen erfüllt, die m an unter dem
• Abbau und Neubildung Begr iff Neuroglia zusammenfasst. Neben der Isolation von Nervenzellen hat die
Glia noch andere Aufgaben, wie sie in anderen Organen vom Bindegewebe über-
nommen werden: z. B. Stützfunktion, Stoffaustausch und - bei pathologischen
Prozessen- Abbau u nd Narbenbildung.

Man unterscheidet 2 prinzipielle Arten von Glia:


• periphere Glia im peripheren Nervensystem,
• zentrale Glia im zentralen Nervensystem.

5.4.1 Periphere Glia

2 Zelltypen der peripheren Glia Die p eriphere Glia umschließt die Nervenfasern und Nervenzellkörper in der
• Schwann-Zellen Peripherie. Es werden 2 verschiedene Zelltypen unterschieden.
• Mantel- oder Hüllzellen • Schwann·Zellen isolieren die Neuriten der einzelnen Neurone gegeneinander,
entweder in Form einer Myelinscheide (vgl. Kap . .3, Histologie) oder indem sie
lediglich den Neuriten mit ihrem Zellleib umbetten und damit von anderen
Neuriten isolieren.
• Mantel- und Hüllzellen isolieren in den Ganglien die Perikaryen einzelner
Neurone gegeneinander und gegenüber den verschiedenen Ausläufern der
Neurone.

4 Zelltypen der zentralen Glia 5.4.2 Zentrale Glia


• Oligodendroglia
• Astrozyten Die zentrale Glia gliedert sich in 4 verschiedene Zelltypen.
• Mikroglia
• Ependymzellen Oligodendroglia
Die Oligodendroglia ist für die Markscheidenbildung (Myelinisierung) verant-
Oligodendroglia: bildet Markscheiden wortlich, d. h. für die Isolierung der Zellausläufer der Nervenzellen gegenein-
ander. Im Unterschied zur peripheren Glia, bei der die Schwann-Zellen nur um
ein einziges Axon eine Scheide bilden, kann eine einzelne Oligodendrogliazelle
Neuroglia . KapitelS· Nervensystem 193

Markscheiden um 3-5 verschiedene Fortsätze bilden. Sie sendet dafür Ausläufer


an verschiedene Neuriten, die dort jeweils in einem kurzen Abschnitt eine
Myelinscheide bilden. Auch im zentralen Nervensystem mit seinen Oligodendro-
zyten folgt eine Zelle auf die andere, sodass zwischen den von einzelnen Zellen
myelinisierten Abschnitten jeweils ein Ranvier-Schnürring vorhanden ist
(s. Abb. 3-28).

Astrozyten
Die wichtigste Aufgabe der Astrozyten ist es, die Zusammensetzung des extra- Astrozyten: regulieren extrazelluläres
zellulären Milieus zu regulieren. Außerdem bilden die Ast rozyten die äußere Milieu
Begrenzung der Hirnsubstanz und der Rückenmarksubstanz. Sie füllen die
Räume zwischen den Perikaryen, Dendriten und Neuriten vollständig aus.
Man unterscheidet faserige Astrozyten von protoplasmatischen Astrozyten
(Abb. 5-9). Die faserigen Astrozyten mit relativ dünnen Zellausläufern kommen
v. a. in der weißen Substanz vor, d. h. dort, wo primär die Neuriten der Nervenzel-
len sind. Die protoplasmatischen Astrozyten mit relativ kräftigen Zellausläufern
kommen dagegen v. a. in der grauen Substanz vor, dort wo die Perikaryen der
Nervenzellen liegen.
Früher war man der Auffassung, dass Astrozyten die Blut-Hirn-Schranke auf- Blut-Hirn-Schranke: Durch Kapillar-
bauen. Heute weiß man, dass dies durch das Kapillarendothel geschieht, das für endothelgebildete Barriere, die
sehr viele Stoffe eine absolut dichte Barriere darstellt, die nicht überwunden z. B. von Bakterien, Viren und Toxinen etc.
werden kann, z. B. von Bakterien, Viren und Toxinen. Dies ist einerseits ein nicht überwunden werden kann
großer Vorteil. Andererseits hat die Blut-Hirn-Schranke den Nachteil, dass gewis-
se Medikamente wie z. B. Antibiotika oder Tuberkulostatika ebenfalls nicht ins
Gehirn gelangen können. Sie müssen dann direkt z. B. in die Ventrikel oder den
Rückenmarkkanal injiziert werden.

Abb. S-9.
Zur zentralen Glia gehörender proloplas-
matischer Astrozyt, der mit seinen platten-
förmigen Ausläufe rn eine Grenzschicht
um eine Kapillare bildet

prolo-
plasmatischer
Astrozyt
194

Mikroglia: Abräumzellen Mikroglia


Die Zellen der Mikroglia werden Hortega-Zellen genannt. Sie haben die Funktion
perivaskulär um die Gefäße herum von »Abräumzellen<<, die v. a. bei pathologischen Bedingungen perivaskulär
vermehrt auftreten. Sie sind in der Lage, durch Phagozytose körpereigene und
körperfremde Bestandteile abzubauen.

Ependymzellen: kleiden Innenräume Ependymzellen


des ZNS aus Die Ependymzellen kleiden die Innenräume des Zentralnervensystems aus.
Damit sind sie als innere Oberfläche in den Ventrikeln des Gehirns und im Zen-
tralkanal des Rückenmarks vorhanden.

5.5 Rückenmark

5.5.1 Entstehung und Aufbau des Rückenmarks

Lage des Rückenmarks Aus dem größten Teil des Neuralrohrs ist während der Entwicklung das Rücken-
• im Wirbelkanal geschützt mark (Medulla spinalis) hervorgegangen. Es liegt im Wirbelkanal optimal ge-
• reicht vom großen Foramen magnum schützt und reicht dort vom großen Hinterhauptloch (Foramen magnum) bis zur
bis zur Höhe des 2. Lendenwirbels Höhe des 2 . Lendenwirbels. Es ist ca. 40- 45 cm lang.
Während der frühen Embryonalzeit wird das Rückenmark in der gesamten
Entwicklung des Rückenmarks: Länge der Wirbelsäule angelegt. Jedoch wächst die Wirbelsäule anschließend
An lage in der Embryonalzeit in Form stärker als das Rückenmark, sodass unterhalb des 2. Lendenwirbels keine kom-
des Neuralrohres pakte Masse mehr vorliegt. Es ftnden sich nur noch sog. Wurzelfäden (Fila radi-
(zwischen dem 22. u nd 28. Tag) cularia), die nach Austritt durch die Zwischenwirbellöcher zu den Spinalnerven
werden (Abb. 5-10). In ihrer Gesamtheit nennt man diese Wurzelfäden Pferde-
schweif oder Cauda equina.
Aufbau des Rückenmarks: Kompakter Das Rückenmark ist ein kompakter Strang in der Stärke eines Fingers, der
Strang in der Stärke eines Fingers. mit sowohl in der Zervikalgegend als auch in der Lumbalgegend etwas verdickt ist.
Anschwellungen in der Zervikalgegend Diese Anschwellungen werden als lntumescentia cervicalis und lntumescentia
und in der Lumbalgegend lumbatis bezeichnet. Sie sind durch die große Anzahl von Motoneuronen (moto-
r ische Nervenzellen) bedingt, deren Perikaryen hier versammelt sind. Von hier
ausgehend, senden sie ihre langen Fortsätze zu den Muskeln der Extremitäten.
Auf der gesamten Länge der Wirbelsäule treten seitlich - durch die Zwischen-
wirbellöcher - die Spinalnerven aus, jeweils paarweise auf beiden Seiten. Deshalb
spricht man von Spinalnervenpaaren (s. Abb. 5-1).
Schmetterlingsfigur des Rückenmarks An einem Schnitt durch das Rückenmark erkennt man, dass es du rch ein bin-
durch graue Substanz und weiße degewebiges Septum dorsale und durch einen tiefen vorderen Einschnitt, die
Substanz Fissura mediana anterior, in 2 symmetrische Hälften gegliedert ist. Deutlich tritt
auf einem derartigen Schnitt eine graue schmetterlingsförmige Innenzone
hervor, die von einer weißen Außenzone umgeben ist. Die graue Substanz besteht
hauptsächlich aus den Nervenzellkörpern, den Perikaryen; die weiße Substanz
enthält aufsteigende oder absteigende Leitungsbahnen, d. h. Bündel von erven-
Gliederung der grauen Substanz fasern (Abb. 5-11).
im Rückenmark Die graue Substanz (Schmetterlingsfigur) besteht auf jeder Seite aus einem
• Vorderhorn (Cornu anterius) Vorderhorn (Cornu anterius), einem Hinterhorn (Cornu posterius) und einem
• Hinterhorn (Cornu post erius) verbindenden Seitenhorn (Cornu laterale). Dreidimensional betrachtet, handelt
• Verbindendes Seitenhorn es sich bei den Hörnern um Zellsäulen, die durch ein Mittelstück verbunden
(Cornu laterale) sind.
Rückenmark · Kapitel 5 · Nervensystem 195

Rückenmarksegmente
Abb. 5-10.
Längsschnitt durch d ie Wirbelsäule mit
7 Zervikalwirbel
eingezeichnetem Rückenmark. Das
Rückenmark ist nur bis auf die Höhe von
L1- Ll kompakt. weiter gegen das
Kreuzbein zu besteht es nur noch aus
12 Thorakal· den Wurzelfäden {Fila radicularia) des
segmente
12 Thorakalwirbel Pferdeschweifs {Cauda equina).
Als Rückenmarksegment e (Zervikal-
bis Sakralsegmente) sind die Regionen
des kompakten Rückenmarks bezeichnet.
aus denen die Wurzelfäden aus dem
Rückenmark in den Wirbelkanal eintreten

5 Lumbalwirbel
Pferdeschweif

I (Cauda equina)

I
Kreuzbeln
(Os sacrum)

Steißbeln
(Os coccygis)

Die graue Substanz des Rückenmarks gliedert sich also in eine schmale Hin-
tersäule (Columna posterior), eine breite Vordersäule (Columna anterior) und
eine spitze, kleine Seitensäule (Columna lateralis). Die Seitensäule kommt aller-
dings nur im Brustmark sowie in den angrenzenden Markabschnitten vor. Das
Verbindungsstück, das die Zellsäulen der grauen Substanz miteinander verbin-

Abb. 5-11 .
2 Segmente des Rückenmarks. Gezeigt

Zentralkanal
sind die Verbindungen der peripheren
Wurzelfäden Nerven zum Rückenmark. ln der hinteren
(Fila radicularia)
• r - - - -- - - - Hinterhorn
Wurzel ziehen die aufsteigenden Nerven-
~~----------- Vorderhorn
~..---------- Seitenstrang fasern, in der vorderen Wurzel d ie abstei-
genden Nervenfasern. Die graue Substanz
Vorderstrang des Rückenmarks ist als schmetterlings-
artige Figur aus der weißen Substanz her-
Spinalnerv
vorstehend gezeichnet. ln der grauen

vordere Wurzel
Substanz unterscheidet man ein
(Radix ventralis) Hinterhorn von einem Vorderhorn. Die
vordere Spalte weiße Substanz gliedert sich in einen
(Fissura mediane)
Vorderstrang, einen Seitenstrang und
einen Hinterstrang (auf dieser Zeichnung
nicht sichtbar)
196

Gliederung der weißen Substanz det, enthält einen Zentralkanal, der von Ependym ausgekleidet ist (s. Abschn.
Im Rückf!ßmark 5-4-2). Durch den Verlauf der Zellsäulen sowie den Eintritt von Nervenfasern in
• Vorderstrang (funiculus anteriod das Hinterhorn und den Austritt von Fasern aus dem Vorderhorn wird die weiße
• Seltenstrang (Funiculus lateralis) Substanz, die ja die graue Substanz umgibt, in 3 Zonen oder Stränge gegliedert.
• Hinterstrang (Funiculus posteriot) Auf diese Weise lassen sich in jeder Rückenmarkhälfte 3 Stränge abgrenzen.
Innerhalb dieser Stränge sind auf- und absteigende Nervenfasern entspre-
chend ihrer Funktion in einzelnen Bündeln zusammengefasst. Diese Faserbün-
• Tractus Faserzug, Strang del, die sich nicht scharf gegeneinander abgrenzen lassen, werden als Tractus be-
• Kortex Rinde zeichnet. Sie sind nach dem Ursprung und Ziel ihres Verlaufs benannt; so z. B. der
• Medulla Mark Tractuscorticospinalis, der aus der Hirnrinde (Kortex) ins Rückenmark (Medulla
spinalis) verläuft. Er ist eine wichtige Leitungsbahn für die Motorik.

5.5.2 Spinalnerven

Begriffsklärungen für das Verständnis zum Verlauf von Nerven


• Als sensibel werden Impulse bezeichnet, die von niederen Sinnesorganen stam-
men, so z. B. Tastsinn, Wärme- und KälteempfindeiL
• Als sensorisch werden Impulse bezeichnet, die von höheren Sinnesorganen
stammen, z. B. von den Augen oder den Ohren.
• Afferenzen kommen aus der Peripherie und werden ins zentrale Nervensystem
geleitet. Es handelt sich um sensible und sensorische Qualitäten.
• Efferenzen kommen aus dem zentralen Nervensystem und werden in die Peri-
pherie geleitet. Es handelt sich um motorische und sekretorische (die Drüsen-
tätigkeit regulierende) Qualitäten.

2 Wurzeln der Spinalnerven: Die Nervenfasern, die das Rückenmark verlassen, stammen aus 2 Wurzeln: der
• vordere Wunel (Radix ventralls} vorderen Wurzel (Radix ventralis) und der hinteren Wurzel (Radix dorsalis). Jede
• hintere Wune! (Radix dorsalis) Wurzel besteht aus einer größeren Anzahl einzelner Wurzelfäden (Fila radicula-
ria), die, kurz bevor sich die beiden Wurzeln einander nähern, zu einheitlichen
Strängen verschmelzen.
Ganglion In derhinteren Wurzei(Radix dorsalis) befindet sich-aufgrundder hier vor-
Ansammlung von Perikaryen handenen Perikaryen - eine Anschwellung, das Ganglion spinale Hier sitzen die
Perikaryen der sensiblen Neurone, die Impulse aus dem peripheren ins zentrale
• Hintere Wurzel (Radix dorsalis} Nervensystem leiten. Kurz hinter dem vereinigt sich die hintere
mit Ganglien mit der vorderen Wurzel zum Spinalnerv. Auf jeder Seite tritt je 1 Spinalnerv
• Hintere Wune! des Spinalnerven durch die Zwischenwirbellöcher aus (Abb. 5-12). In der hinteren Wurzel des
mit afferenten Fasern Spinalnervs verlaufen Fasern, die Impulse vom peripheren Nervensystem zum
• Vordere Wunel mit efferenten fasern Rückenmark leiten. Sie werden dementsprechend als afferente Fasern bezeich-
net.
afferent aufsteigend In der vorderen Wurzel der Spinalnerven hingegen verlaufen Fasern, die
efferent absteigend Nervenimpulse vom Rückenmark zur Peripherie- also in umgekehrter Richtung
- leiten und dementsprechend als efferente Fasern bezeichnet werden.

Anteile eines Spinalnervs


•Somatomotorische Fasern: Efferenzen aus dem Vorderhorn für die Skelett-
muskulatur,
• somatosensible Fasern: Afferenzen sensibler Neurone, die ins Hinterhorn
ziehen,
Rückenmark · Kapitel 5 · Nervensystem 1 97

• viszeramotorische Fasern: Efferenzen aus dem Seitenhorn für die Organe und
die Vasomotorik,
• viszerasensible Fasern: Afferenzen sensibler Neurone aus den Organen.

Die afferenten und efferenten Fasern der Organe gehören zum vegetativen
Nervensystem und werden dort näher erläutert (s. Abschn. 5.14).

Periphere Innervation
Die Zahl der Spinalnervenpaare entspricht der Zahl der Wirbel. Eine Ausnahme Spinalnervenpaare
gibt es lediglich im Halsbereich, da hier 8 Halsnervenpaare vorkommen (bei • 8 Halsnerven (Nn. cervicales)
7 Halswirbeln). Somit verlassen den Wirbelkanal auf jeder Seite: • 12 Brustnerven (Nn. thoracici)
• 8 Halsnerven (Nn. cervicales) • 5 Lendennerven {Nn. lumbales)
• 12 Brustnerven (Nn. thoracici) • S Kreuzbeinnerven {Nn. sacrales)
• 5 Lendennerven (Nn.lumbales) • 1- 2 Steißbeinnerven (Nn. coccygei).
• 5 Kreuzbeinnerven (Nn. sacrales)
• 1-2 Steißbeinnerven (Nn. coccygei). Jeder Spinalnerv teilt sich in 4 Äste auf

Nachdem die Spinalnerven den Wirbelkanal durch die Zwischenwirbellöcher Ast


verlassen haben, teilen sie sich in 4 Äste. Ramus, Plural: Rami
• Ramus dorsalis: hinterer Ast, der sensibel die Haut des Rückens und motorisch
die sog. autochthone Rückenmuskulatur (den M. erector spinae) versorgt.
• Ramus ventralis:vorderer Ast für die sensible und motorische Innervation des
Rumpfes und der Extremitäten.
• Ramus communicans albus: Dieser Ast stellt eine Verbindung mit dem vegeta-
tiven Nervensystem dar; er läuft zum sympathischen Grenzstrang (s. Abschn.
5.14, Vegetatives Nervensystem).
• Ramus meningeus: Dieser Ast versorgt die Rückenmarkhäute.

Abb. 5-11.
Darstellung der Spinalnervenpaare im
grauer Verbindungsast hintere Wurzel
(Radix dorsalis) Th orakalbereich. Der Spinalnerv gibt ei-
(Ramus communicans
griseus) Grenzstrang des vordere Wurzel
(Radix ventralis) nen hinteren Ast (Radix dorsalis) für die
Ast zur ROcken- Sympathikus
Haut des Rückens und die Rückenmusku-
latur, einen vorderen Ast (Radix ventralis)
für die Haut der Körpervorderseite und die
Interkostalmuskulatur sowie einen
Rückenmarkhautast (Ramus meningeus)
für die Versorgung der Rückenmarkhäute
ab. Der weiße Verbindungsast (Ramus
communicans albus) mit d en myelinisier-
ten präganglionären Fasern und der graue
Verbindungsast (Ramus communicans
griseus) mit den markarmen postgang-
lionären Fasern stellen d ie Verbindung
zum Grenzstrang, einem sympathischen
Teil des vegetativen Nervensystems, her
198

Große Nervenplexus Die vorderen Äste der Spinalnerven (Rami ventrales) haben das größte Versor-
• Plexus cervicalis, gungsgebiet. Im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins
• Plexus brachialis, bilden sie große Nervengeflechte, die als Plexus bezeichnet werden . Dabei kommt
• Plexus lumbalis und es zu einer ausgiebigen Vermischung der in den einzelnen Rami vent rales enthal-
• Plexus sacralis. tenen Fasern, sodass die peripheren Nerven schließlich aus Fasern mehrerer Ra-
mi ventrales zusammengesetzt sind. Die so entstandenen Geflechte heißen Ner-
venplexus.
Zu den großen Nervenplexus gehören:
• Plexus cervicalis,
• Plexus brachialis,
• Plexus lumbalis und
• Plexus sacralis.
Gelegentlich werden der Plexus lumbalis und der Plexus sacralis zum Plexus
lumbosacralis zusammengefasst.

Periphere Nerven
Aus den verschiedenen Plexus gehen periphere Nerven hervor. Die wichtigsten
sind in Tabelle5-1 zusammengestellt.
Größter Nerv des Köpers: Der N. ischiadicus ist der größte Nerv des Körpers. Er kann fast die Stärke
N. ischiadicus (Ischias-Nerv} eines kleinen Fingers haben. Bedeckt vom M. glutaeus maximus tritt er aus dem
kleinen Becken auf die Körperrückseite aus und teilt sich während seines Verlau-
N. fibularis fes auf der Rückseite des Oberschenkels in seine beiden Hauptäste, den N. tibia-
N. peronaeus (letzterer Begriff häufiger in lis und denN. peronaeus (N. fibularis).
der Klinik verwendet} Die Spinalnerven des Brustmarkes bilden keine Plexus. Sie verlaufen jeweils
zwischen den Rippen und versorgen sensibel die Haut über dem Brustkorb und
Spinalnerven im Brustbereich bilden keine die Bauchhaut und motorisch die Interkostalmuskulatur (Zwischenrippenmus-
Plexus kulatur) und die Bauchmuskeln.

Eingeschlafene Arme oder Beine: Nerven sind durch das sie umgebende Peri-
und Epineurium (vgl. Kap. 3, Histologie) locker und verschieblieh in ihre Umge-
bung eingebaut, sodass sie bei Kontraktionen der Muskulatur nicht gequetscht
werden. Sind sie allerdings einem längerdauernden Zug oder Druck ausgesetzt,
z. B. beim Übereinanderschlagen der Beine, kann eine- meist vorübergehende -
Teillähmung auftreten, durch die die Erregungsleitung stark erschwert oder ge-
hemmt ist. Die Muskeln werden nicht mehr ausreichend innerviert, und die Haut
wird unangenehm überempfindlich, was allgemein als »Ameisenkribbeln« oder
>>Eingeschlafensein<< bezeichnet wird.

5.5.3 Hautfelder (Dermatome)

Prinzipiell erfolgt die sensible Versorgung der Haut so, dass jedes Rückenmark-
segment die afferenten Signale aus einem bestimmten Hautstreifen des
Hinterkopfes, Halses, Rumpfes oder der Extremitäten erhält.

Das von einem Rückenmarksegment sensibel innervierte Hautfeld wird


Dermatom genannt. Insgesamt gibt es 30 Dermatome, die entsprechend dem
Austrittsort des zugehörigen Spinalnerven segmental von C 2
(2. Zervikalsegment) bisS 5 (5. Sakralsegment) bezeichnet werden.
Rückenmark · Kapitel 5 • Nervensystem 199

Tabelle5-1 Die aus den verschiedenen Plexus hervorgehenden peripheren Nerven

Plexus Periphere Nerven und wichtigste Funktion

Plexus cervicalis N. phrenicus Zwerchfellinnervation (Atmung)

Plexus brachialis Nerven für die somatornotorische und


somatasensible Innervation von Arm und Hand

N. musculocutaneus z. B. für den M. biceps

N. radialis für die Extensoren an Oberarm


und Unterarm

N. medianus für die meisten Flexoren


am Unterarm

N. ulnaris für die Flexoren auf der


Kleinfingerseite des Unterarms

Plexus lumbalis Nerven für die somatornotorische


und somatasensible Innervation
der Unterbauchregion und des Oberschenkels

N. femoralis z. B. für den M. quadriceps femoris

N. obturatorius z. B. für die Adduktoren

Plexus sacralis N. ischiadicus mit seinen beiden Hauptästen:

N. tibialis und N. fibularis

N. tibialis z. B. Flexoren am Unterschenkel

N. fibularis z. B. für die Extensoren


am Unterschenkel

Das 1. Zervikalsegment besitzt keine sensible Wurzel, sodass auch kein entspre-
chendes Dermatom existiert. Die Karte der Dermatome bzw. der Verlauf der
Grenzlinien zwischen den einzelnen Dermatomen ist bei Rückenmarkläsionen
für die gerraue Lokalisation des Nerven von großer Bedeutung (Abb. 5-13).
Durch die Plexusbildung sind in den peripheren Nerven Fasern aus verschie-
Abb. S-13.
denen Rückenmarksegmenten vorhanden, sodass die von ihnen versorgten
Auf der rechten Körperseite sind die
Hautfelder nicht identisch mit den von einzelnen Segmenten versorgten Derma-
Hautfelder (Dermatome) eingezeichnet,
tomen sind.
die von den entsprechenden Rücken-

Qualitäten peripherer Nerven marksegmenten versorgt werden. Auf


5.5.4
der linken Körperseite sind die den ent-
sprechenden Nerven zugeordneten
Im Kap. 3 (Histologie) wurden bereits die Nervenfasern grob unterteilt in mark-
Hautfelder eingezeichnet. Die Haut-
haltig und marklos. Das ist allerdings nur ein sehr einfaches Einteilungskrite-
nerven enthalten von mehreren
rium. Für die gerraue Definition der Qualität und Funktion der verschiedenen
Rückenmarksegmenten ihre Zuflüsse,
Nervenfasern ist eine differenziertere Einteilung notwendig. Aufgrund der
sodass die Felder der Hautnerven nicht
Funktion, des Faserquerschnittes (der durch die Funktion bedingt ist), und der
mit den Dermatomen übereinst immen
daraus resultierenden Leitungsgeschwindigkeit werden 6 verschiedene Typen
von Nervenfasern unterschieden (Tabelle 5-2).
200

Tabelle 5-2. Nervenfasertypen

Typ Funktion Querschnitt Leitungs-


geschwindigkeit

Aa Motorisch (efferent) zur 151Jm 70-120 m/s


Skelettmuskulatur
Afferenz von Muskelspindel

Aß Afferenz von Hautrezeptoren 81Jm 30- 70 m/s


(Berührung und Druck)

Ay Motorisch (efferent) zu 51Jm 15- 30 m/s


Muskelspindel

Aö Afferenz von Hautrezeptoren >31Jm 12-30 m/s


für Temperatur und Schmerz
(1. Schmerz)

B vegetativ präganglionär 31Jm 3- 15 m/s

C(marklos) Schmerzfasern (2. Schmerz) l1Jm 0,5- 2 m/s


vegetativ postganglionär

12 Hirnnerven 5.6 Hirnnerven


• I. Bulbus olfactorius (Riechnerv)
• II. N. opticus (Sehnerv) Die Hirnnerven gehören ebenfalls zum peripheren Nervensystem. Im Unter-
• 111. N. oculomotorius schied zu den bisher behandelten Nerven verlaufen sie jedoch nicht über das
(Augenmuskelnerv) Rückenmark, sondern treten direkt aus dem Gehirn aus. Sie werden mit den
• IV. N. trochlearis (gewundener Nerv) römischen Zahlen von I-XII bezeichnet. Der I. und II. Hirnnerv, der Bulbus olfac-
• V. N. trigeminus (Drillingsnerv) torius und der N. opticus sind strenggenommen keine Nerven, sondern in die
• VI. N. abducens (wegführender Nerv) Peripherie verlagerte Hirnteile (Abb. 5-14).
• VII. N. facialis (Gesicht snerv)
• VIII. N. statoacusticus I. Hirnnerv: Bulbus olfactorius
(Gleichgewichts-Gehör-Nerv) Vom I. Hirnnerv gehen als Nervenfasern sog. Riechfäden (Fila olfactoria) aus.
• IX N. glossopharyngeus Nachneuerem Verständnis werden sie als die eigentlichen - unter römisch I zu-
(Zungen-Rachen-Nerv) sammengefassten - Hirnnerven betrachtet. Sie treten durch die Siebbeinplatte
• X. N. vagus aus der vorderen Schädelgrube in die Nasenhöhle ein und innervieren dort sen -
(umherschweifender Nerv) sorisch die Regio olfactoria, das RiechepitheL
• XI. N. accessorius
(hinzutretender Nerv) II. Hirnnerv: N. opticus
• XII. N. hypoglossus (Unterzungennerv) Der N. opticus (Sehnerv) versorgt sensorisch die Netzhaut, indem seine Fasern
die an den Stäbchen und Zapfen aufgenommenen Impulse an das Gehirn weiter-
leiten.
Akkomodation
Einstellung des optischen Apparates 111. Hirnnerv: N. oculomotorius
auf die genaue Entfernung eines Er versorgt motorisch die äußeren Augenmuskeln (Ausnahme: M. obliquus
betrachteten Gegenstandes superior und M. rectus lateralis, s. unten). Außerdem verlaufen in diesem Nerv
Parasympathikusfasern für die Akkommodation des Auges sowie für die Pupil-
lenverengung.
Hirnnerven · KapitelS· Nervensystem 201

Abb. 5-14.
Aufsicht auf die Hirnbasis von unten. Hier
sind die Abgänge der 12 Hirnnerven zu
sehen. Die Hirnnerven sind, entsprechend
ihrem Austrinsort, von vorn (nasal) nach
hinten (okzipital) mit den römischen
Ziffern I- XII bezeichnet. Die wichtigsten
Versorgungsgebiete sind jeweils am Ende
des einzelnen Hirnnervs angegeben
(Erläuterungen s. Text)

IV. Hirnnerv: N. trochlearis


Motorischer Nerv für die Versorgung des oberen schrägen Augenmuskels, M. ob-
liquus superior, der über eine Trochlea (Umlenkrolle) an das Auge gelangt.

V. Hirnnerv: N. trigeminus
Dieser Nerv hat sowohl sensible als auch motorische Funktionen. Er besitzt
3 Hauptäste:
1. N. ophthalmicus (V.), der durch die Augenhöhle hindurch sensible Fasern für
die Hautinnervation der Stirn und des Nasenrückens führt;
2. N. maxillaris (V,), der sensible Fasern für die Innervation der Zähne des
Oberkiefers sowie der Nasenhöhle und der Haut des Oberkiefers führt;
3· N. mandibularis (V3 ), der den motorischen Anteil des N. trigeminus für die
Innervation der Kaumuskulatur sowie sensible Fasern für die Zähne und die
Haut des Unterkiefers enthält.
202

VI. Hirnnerv: N. abducens


Das ist der dritte motorische Nerv für die Augenmuskulatur. Dieser Nerv
innerviert den M. rectus lateralis, der eine Abduktion des Auges, d. h. eine Seit-
wärtsbewegung bewirkt.

VII. Hirnnerv: N. facialis


Dieser Nerv bildet einen Plexus in der Ohrspeicheldrüse (Giandula parotidea)
Platysma und schickt verschiedene Äste an die mimische Muskulatur und das Platysma.
flächiger Hautmuskel am Hals Bei Verletzungen oder Operationen in Nähe oder an der Ohrspeicheldrüse kann
dieser Nerv verletzt werden. Folge ist, dass die mimische Muskulatur der betrof-
fenen Gesichtshälfte ausfällt. Ebenfalls mit dem N. facialisverlaufen sensorische
Fasern für das vordere Drittel der Zunge und parasympathische (sekretorische)
Fasern für die Glandula submandibularis und die Glandula sublingualis.

VIII. Hirnnerv: N. statoacusticus


Dieser Nerv wird als N. vestibulocochlearis bezeichnet. Er hat sowohl sensorische
Fasern, die Afferenzen vom Gleichgewichtsorgan (Vestibularapparat) leiten, als
Cochlea auch sensorische Fasern, die Afferenzen vom Corti-Organ (Hörorgan), das sich
Schnecke in der Cochlea befindet, leiten.

IX. Hirnnerv: N. glossopharyngeus


Dieser Nerv hat sensorische sowie motorische Fasern. Seine sensorischen Fasern
versorgen die hinteren zwei Drittel der Zunge; seine motorischen Fasern die
Rachenmuskulatur (den Pharynx). Sekretorische Fasern versorgen die Glandula
parotidea (Ohrspeicheldrüse).

X. Hirnnerv: N. vagus
Dieser Nerv hat motorische und vegetative Funktionen. Er versorgt vegetativ das
Herz, die Lunge und große Teile des Magen-Darm-Traktes. Er ist der Hauptnerv
des Parasympathikus. Motorisch versorgt er als N.laryngeus recurrens die Kehl-
kopfmuskulatur. Außerdem sendet er einen kleinen sensiblen Ast zum äußeren
Gehörgang.

XI. Hirnnerv: N. accessorius


Dies ist ein motorischer Nerv, der den M. trapezius und den M. sternocleido-
mastoideus versorgt.

XII. Hirnnerv: N. hypoglossus


Der N. hypoglossus als motorischer Nerv versorgt die Zungenmuskulatur.

3 Primäre Hirnbläschen entwickeln sich 5.7 Gehirn


über 5 sekundäre Hirnbläschen zu

5 Hirnabschnitten: 5.7.1 Entwicklung des Gehirns


• Endhirn !Telenzephalon)
• Zwischenhirn (Dienzephalon) Nach Verschluss des vorderen Teiles des Neuralrohres weitet sich dieses zu 3 hin-
• Mittelhirn (Mesenzephalon) tereinander liegenden Bläschen aus, den primä ren Hirnbläschen:
• Hinterhirn (Metenzephalon) •· Vorderhirnbläschen (Prosenzephalon),
• Nachhirn (Myelenzephalon). •· Mittelhirnbläschen (Mesenzephalon) und
•· Rautenhirnbläschen (Rhombenzephalon).
Gehirn · Kapitel 5 · Nervensystem 203

Von den 3 Hirnbläschen ist das Mittelhirnbläschen am wenigsten stark ausgewei-


tet. Am Prosenzephalon entwickeln sich sehr frühzeitig 2 seitliche Ausstülpun-
gen, die Endhirnbläschen (Telenzephalon). Dadurch wird der hinterste Teil des Enzephalon
Prosenzephalons von diesen beiden Bläschen eingezwängt und bildet als eigen- Gehirn, mit einer entsprechenden Vorsilbe
ständige Struktur das Zwischenhirn (Dienzephalon). Damit sind aus den 3 pri- wird der jeweilige Hirnteil bezeichnet, z. B.
mären Hirnbläschen 5 sekundäre Hirnbläschen entstanden: Telenzephalon (Endhirn, Großhirn)
• Endhirn (Telenzephalon; 2 Bläschen),
• Zwischenhirn (Dienzephalon),
• Mittelhirn (Mesenzephalon),
• Rautenhirn (Rhombenzephalon).

Durch weitere Entwicklung entstehen in der Region des Rautenhirns(Rhomben-


zephalon):
• Hinterhirn (Metenzephalon) mit Brücke (Pons) und Kleinhirn (Cerebellum)
und
• Nachhirn (Myelenzephalon).

Damit haben sich folgende Hirnabschnitte entwickelt (Abb. 5-15a, b):


• Endhirn (Telenzephalon),
• Zwischenhirn (Dienzephalon),
• Mittelhirn (Mesenzephalon),
• Hinterhirn (Metenzephalon) und
• Nachhirn (Myelenzephalon). Das Nachhirn (Myelenzephalon) wird häufig als
Medulla oblongata (verlänger tes Mark) bezeichnet, da es am Foramen mag-
num in das Rückenmark mündet.

Im Verlauf der weiteren Entwicklung zeigt das Gewebe der Hirnbläschen ein ge-
steigertes Wachstum (es proliferiert), und die vorhandenen Hohlräume werden Proliferation
bis auf kleine Bereiche (s. unten) mit Hirngewebe gefüllt. Vermehrung eines Gewebes durch
Wachstum, Sprossung

Nachhirn Abb. 5-1Sa, b.


Entwicklung des Gehirns zum Zeitpunkt
der 4 . Entwicklungswoche. Aus dem
Mittelhirn
Zwischenhirn
Neuralrohr im späteren Gehirn haben sich
Augenbecher
zu diesem Zeitpunkt bereits die Hirnbläs-
Zwischenhirn Augenbecher
chen entwickelt.
Mittelhirn ----1~
Endhirn a Hirnbläschen in Dorsalansicht; im
Hinlemim --~~•
Zwischenhirn (Dienzephalon) ist bereits
Nachhirn der Augenbecher für die weitere
Entwicklung des Auges ausgestülpt,
b Neuralrohr in Seitenansicht des Embryos

a b
204

Abb. 5-16.
Seitenventrikel
Darstellung der Hirnventrikel in Seiten-
..
(Vorderhom)
ansicht von links. Die Ventrikel sind durch-
scheinend gezeichnet. Die beiden Seiten-
l ventrikel sind untereinander, aber auch
• mit dem 3. Ventrikel durch einen Verbin-
dungsgang (Foramen interventriculare)
verbunden. Der 3. Ventrikel steht über
einen weiteren Verbindungsgang (Aquae-
ductus) mit dem 4. Ventrikel in Verbin- und dem 3. Ventrikel
dung. Der4. Ventrikel ist schließlich über (Foramen interventriculare) Verbindungsgang
eine mittlere und 2 seitliche Öffnungen zwischen dem
3. und 4 . Ventrikel
(s. Abb. 5-17) mit dem Spinnwebsraum (Aquaeductus)
(Spatium subarachnoideum) der Hirn-
"r häute verbunden

5.7.2 Liquor und Hirnventrikel

Aufgrund der Entwicklung der Hirnabschnitte als Bläschen (die sich aus dem
Neuralrohr ausgestülpt haben) entstehen Hohlräume, die im ausgereiften Gehirn
bestehen bleiben. Diese werden als Ventrikel bzw. Ventrikelsystem bezeichnet
(Abb. 5-16).
Ventrikelsystem • In den beiden Ausstülpungen des Endhirns, d. h. in den Großhirnhemisphären,
• 1. und 2. Ventrikel (Seitenventrikel) liegt je ein Seitenventrikel, die als 1. und 2. Ventrikel bezeichnet werden.
in Großhirnhemisphären • In der Mitte des Zwischenhirns liegt der 3. Ventrikel, dessen hinteres (kaudales)
• 3. Ventrikel im Zwischenhirn Ende in den Aquädukt mündet, eine Verbindung zwischen dem 3· und 4· Ven-
mit Aquädukt zum trikel. Sie ensteht durch das Wachstum von Zellmassen im Bereich des Mittel-
• 4. Ventrikel im Rautenhirn hirns, wodurch das vorhandene Lumen des Neuralrohres eingeengt wird.
• Der 4. Ventrikel liegt im Rautenhirn (Rhombenzephalon) und hat die Form
eines Zeltes. Der Boden dieses Ventrikels ist rhombenförmig und wird deshalb
Fossa rhomboidea oder Rautengrube genannt. Der 4. Ventrikel verjüngt sich
nach kaudal ebenfalls durch Gewebeproliferation zum Zentralkanal des
Rückenmarks. Die Ventrikel sowie der Zentralkanal werden von Ependym
ausgekleidet (Glia-Art). Im Kindesalter sind Ventrikel sehr eng; sie werden im
Laufe des Lebens weiter.

Liquor cerebrospinalis
• Liquor Flüssigkeit; Die Hirnventrikel sind mit einer Flüssigkeit gefüllt, dem Liquor cerebrospinalis.
• Liquor cerebrospinalis Flüssigkeit Er wird meist nur in der Kurzform als Liquor bezeichnet.
von Gehirn und Rückenmark Liquor wird in speziellen, zottenartigen Adergeflechten, dem Plexus choro-
ideus, gebildet, die in die Ventrikel hineinhängen. Die Adergeflechte entstehen
durch das Einwachsen von Gefäßen in die Ventrikel. Die Ventrikel nehmen als
Einstülpung der Ventrikelwand das Ependym mit und sind durch eine von
kubischen Epithelzellen gebildete Schicht überzogen. Die Zotten der Aderge-
flechte finden sich nur an bestimmten Stellen der Ventrikel: an einigen Stellen
der beiden Seitenventrikeln, am Dach d es 3· Ventrikels und im 4. Ventrikel vor d er
Gehirn · Kapitel 5 · Nervensystem 205

Kleinhirnunterseite. Liquor fließt über Verbindungen des Ventrikelsystems mit


den Hirnhäuten in den Subarachnoidalraum (Raum zwischen den Hirnhäuten).
Damit sind Gehirn und Rückenmark von Liquor umgeben und werden vor Stoß
geschützt.
Die gesamte Liquormenge beträgt ca. 150 ml. Da die Tagesproduktion unge-
fähr 500 ml beträgt, wird Liquor ca. 3-mal täglich ersetzt. Liquor ist eine eiweiß-
arme, wässrige Flüssigkeit, die nur wenige Lymphozyten enthält (ca. 6/mm3 ).
Außerdem ist er ein Ultrafiltrat des Blutes mit einer Osmolarität, die der des
Blutes entspricht.

Bei seiner Bildung muss Liquor 3 Schichten durchdringen: Blut-Liquor-Schranke


• das Kapillarendothel, Permeabilitätsbarriere: Schranke
• die Basalmembran und fü r den Durchtritt
• das PlexusepitheL

Diese 3 Schichten bilden die Blut-Liquor-Schranke (Abb. 5-17) und stellen für vie-
le Stoffe eine Permeabilitätsbarriere (Schranke für den Durchtritt) dar. Somit
schützen sie das Hirngewebe vor dem Eindringen von Bakterien, Toxinen etc.
Der Rückfluss des gebildeten Liquor cerebrospinalis ins Blut geschieht über
Ausstülpungen der Spinnwebshaut, d ie in die venösen Blutleiter der harten Hirn-
haut, die Sinus durae matris, hineinragen (s. Abb. 5-17). Diese Spinnwebszotten
(Arachnoidalzotten, Granulationes arachnoideae) ermöglichen eine Zirkulation
des im Plexus choroideus gebildeten Liquors und verhindern dadurch einen
Überdruck im Ventrikelsystem.
Bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems kann sowohl die Zusam-
mensetzung des Liquors als auch die Zahl der in ihm vorhandenen Zellen ver-
ändert sein. Deshalb ist die Untersuchung des Liquors von diagnostischer Be-
deutung. Die Gewinnung von Liquor erfolgt über eine Lumbalpunktion oder ei-
ne Subokzipitalpunktion.
Bei der Lumbalpunktion wird eine Kanüle zwischen 2 untere Lendenwirbel in • Punktion Einführen einer Kanüle
den Wirbelkanal und in den Liquorraum eingeführt. In dieser Höhe liegen die zur Entnahme von Flüssigkeit;
Fasern der Cauda equina ( Wurzelfäden der Spinalnerven), die beim Eindringen • lumbal bezogen auf die Lumbalregion
der Kanüle ausweichen können. = Lendenregion

Bei der Subokzipitalpunktion wird zwischen Hinterhaupt und Atlas (oberster • subokzipital unterhalb des Okziputs
Halswirbel) eingestochen in eine Erweiterung des Liquorraums zwischen Klein- (Hinterhauptbein)
hirnunterseire und dem verlängerten Mark (Cisterna cerebellomedullaris). Direkt
darunter liegt allerdings die Medulla oblongata mit lebenswichtigen Zentren, so-
dass man - wenn immer möglich - eher eine Lumbalpunktion durchführt.
Auf beiden Wegen (Subokzipital- und Lumbalpunktion) können Arzneimit-
tel direkt in den Liquor eingebracht oder die Hirnventrikel mit Luft gefüllt wer-
den. Dabei gelangt die in den Liquorraum gegebene Luft über ein Loch in den 4·
Hirnventrikel, um von dort weiter in die übrigen Ventrikel einzudringen. Die luft-
gefüllten Ventrikel lassen sich dann mit einer Röntgenaufnahme darstellen
(Ventrikulographie). So können Tumoren, Blutungen, narbige Veränderungen
oder andere mit einer Anschwellung einzelner Hirnteile verbundene Krankheiten
erkannt werden, die die physiologische Form der Ventrikel verändern. Heutzutage
wird meist die cerebrale Computertomographie (CCT) oder Kernspinto-
mographie vorgezogen, für die die Ventrikel nicht mit Luft gefüllt werden müssen.
206

Abb. S-17.
harte Hirnhaut
Durch die Lagerung des Gehirns in den (Dura mater)
Hirnhäuten und die Füllung des Spinn- Spinnwebhaut
websraums (Spatium subarachnoideum) (Arachnoidea)

mit Hirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor


cerebrospinalis) ist das Gehirn schwim-
mend in der Schädelhöhle befestigt. Der
vorhandene Auftrieb reduziert das wirksa- weiche Hirnhaut - - - --.::- -.111""
me Gehirngewicht von ca. 1350 g auf ca. (Pia mater)

50 g. Der Liquor wird am Adergeflecht der


Ventrikel gebildet und steht über Öffnun-
gen im Ventrikelsystem (Apertura lateralis Spinnwebszene
und Apertura mediana, beide im 4. Ventri- (Arachnoidalzone)

kel) mit dem Spinnwebsraum in Verbin-


dung. Aus dem Spinnwebsraum gelangt
er über die Spinnwebszotten (Granulatio- Adergeflecht
(Plexus choroideus)
nes arachnoideae) in die venösen Blut-
leiter (z. B. Sinus sagittalis Superior), womit
der Kreislauf dieser Flüssigkeit geschlos-
sen ist

Verbindung des
Ventrikelsystems
Verbindung zwischen den mit dem Spinn-
Seitenventrikeln und dem websraum
3. Ventrikel
(Foramen interventriculare)
harte Rückenmarl<haut
Verbindung des (Dura mater)
Ventrikelsystems Zentralkanal
mit dem Spinnwebsraum im RückenmarK
(Apertura mediana)

5.7.3 Hüllen des zentralen Nervensystems


Hüllen des ZNS
• Harte Hirnhaut Die Zentralorgane des Nervensystems, also das Gehirn und das Rückenmark,
(Dura mater encephali) sind von 2 bindegewebigen Hüllen umgeben: der harten und der weichen Hirn-
• Harte Rückenmarkhaut bzw. Rückenmarkhaut Die harte Hirnhaut wird als Duramater encephali, die har-
(Dura mater spinalis) te Rückenmarkhaut als Dura mater spinalis bezeichnet. Unter der harten Hirn-
• Weiche Hirnhaut bestehend aus haut liegt eine zweite Schicht, die weiche Hirnhaut. Diese teilt sich in 2 Schichten,
• Spinnwebehaut (Arachnoidea) und die sog. Spinnwebhaut (Arachnoidea) und die eigentliche weiche Hirn- oder
• eigentliche weiche Hirn- oder Rückenmarkhaut (Pia mater), die direkt auf der Oberfläche des Rückenmarks
Rückenmarkhaut (Pia mater) oder des Hirngewebes liegt (s. Abb. 5-17). Zwischen der Arachnoidea und der Pia
mater liegt ein Bindegeweberaum, der Subarachnoidalra um. Er steht mit den
Hirnventrikeln über Öffnungen, die sich im Bereich der Rautengrube befinden,
in Verbindung. Diese Öffnungen sind cüe seitlichen Öffnungen (Aperturae latera-
les) und die mittlere Öffnung (Apertura mediana) des 4· Ventrikels. In den Sub-
arachnoidalraum fließt der Liquor cerebrospinalis aus dem Ventrikelsystem
hinein, wodurch Gehirn und Rückenmark im Liquor schwimmen.
Gehirn · Kapitel 5 · Nervensystem 207

Im Unterschied zur harten Hirnhaut (Dura mater encephali) ist die harte
Rückenmarkhaut (Dura mater spinalis) in ein äußeres und ein inneres Blatt ge-
teilt, zwischen denen ein Spaltraum, das Cavum epidurale, liegt. Dieses enthält
neben Fett und Lymphgefäßen ein d ichtes Venengeflecht. Bei Bewegungen der
Wirbelsäule bildet das Cavum epidurale ein Polster um das Rückenmark. Das
äußere Blatt der harten Rückenmarkshaut entspricht dem Periost (Knochenhaut).
Die Hirnhäute (Meningen) und der im Subarachnoidalraum vorhandene Meningen und Liquor schützen Gehirn
Liquor schützen das Gehirn und das Rückenmark vor Stoß und Schlag sowie und Rückenmark vor Stößen und
gegen hohe Temperaturen. Gehirn und Rückenmark schwimmen in einem Flüs- Temperatur
sigkeitsmanteL Da ein in Flüssigkeit eingetauchter Körper so viel an Gewicht
verliert wie er an Flüssigkeit verdrängt (Auftrieb), sind Gehirn und Rückenmark Meninx Hirnhaut, Rückenmarkshaut,
nahezu schwerelos aufgehängt. Das menschliche Gehirn wiegt in Luft ca. 1350 g, eingedeutschter Plural: Meningen
in der Liquorflüssigkeit dagegen nur noch 50 g. Ohne die Schutzfunktion des Li-
quors und der Meningen könnten bereits geringe Krafteinwirkungen das Gehirn
schädigen. So würde z. B. ein einfacher Boxhieb ausreichen, um eine mechanische
Hirnschädigung hervorzurufen.

5.7.4 Hirnabschnitte

Das Gehirn des erwachsenen Menschen hat ein mittleres Gewicht von ca. 1350 g.
Es ist von den Hirnhäuten und dem Liquor umgeben und füllt die knöcherne
Schädelhöhle aus. Die definitiven Hirnabschnitte, die sich während der Entwick-
lung durch entsprechendes differenzielles Wachstum aus den Hirnbläschen ge-
bildet haben, sind in der Übersicht zusammengefasst (Abb. 5-18):

Hirnabschnitte • Nachhirn (Myelenzephalon bzw. Medulla oblongata)


• Hinterhirn (Metenzephalon)
• Brücke (Pons)
• Kleinhirn (Cerebellum)
• Mittelhirn (Mesenzephalon),
• Zwischenhirn (Dienzephalon)
• Endhirn (Telenzephalon)

3. Ventrikel
Abb. 5-18.
Bei einem Medianschnitt durch das Gehirn
wird d ie linke von der rechten Hirnhälfte
getrennt. Diese Abbildung zeigt die rechte
Hirnhälfte in Aufsicht aus der Mitte.
Kleinhirn
(Cerebellum) Die verschiedenen Hirnabschnitte sind
farblieh unterschieden. Den größten Teil
ni mmt das Endhirn (Telenzephalon) ein

ROckenmark
Mittelhirn BrOcke (Medulla spinalis)
(Pons) verlängertes Mark
(Mesencephalon) (Medulla oblongata)
208

In diesen Hirnabschnitten unterscheidet man eb enfalls - wie im Rückenmark -


graue und weiße Substanz. Die weiße Substanz (Substantia alba) wird durch my-
elinisierte und nichtmyelinisierte Nervenfasern gebildet, d ie graue Substanz
(Substantia grisea) hingegen durch Ansammlungen von Perikarya (Zellkörpern) .
Je nach Lokalisation der grauen Substan z spricht man von:
• Rinde (Kortex) und
• Kerngebiet (Nukleus) .

Im Mittelhirn liegt graue Substanz, auch um den Aquädukt, relativ ze ntral. Diese
bezeichnet man als Substantia grisea centralis.

Nachhirn (Medulla oblongata, Myelenzephalon)


Das »verlängerte Mark«, die Medulla oblongata (auch Nachhirn), ist die Verbin-
• Pyramidenbahnen als leitungsbahnen dung zwischen Rückenmark und Hi nterhirn . Es reicht von der Brücke bis zum
für die Willkürmotorik Foramen magnum und hat damit eine Länge von ca. 3 cm. Schaut man von vo rne
• Extrapyramidenbahnen als auf die Medulla oblongata ist ein Einschnitt sich tbar, der sich vom Rückenmark
leitungsbahnen fü r die nichwillkürliche bis zur Medulla oblongata fortsetzt: d ie Fissura mediana anterior. Diese Fissur
Motorik trennt 2 Erhebungen voneinander, die Pyramiden. In den Pyramiden verlaufen
Fasern der Leitungsbahnen für die Willkürmotorik, die deshalb Pyramidenbahn
heißt (s. Abschn . 5.10).
Seitlich von den Pyramiden liegen 2 Vorwölbungen, die Oliven. Das sind
Umschaltzentren, die die unwillkürliche Motorik überwachen. Da die Fasern für
die Überwachung der nichtwillkürlichen Motorik außerhalb der Pyramidenbah-
nen laufen, wird sie als Extrapyramidalmotorik bezeich net (Abb. 5-19a, b). Zwi-
schen den Pyramiden und den Oliven sowie seitlich von den Oliven treten Fasern
der Hirnnerven VI-Xll aus.

Abb. 5- 19a, b .
Diese beiden Hirnabschnitte entsprechen
dem untersten Teil der Ab b. S-18. a ist von
ventral und b von dorsal gezeichnet. Die
römischen Ziffern bezeichnen die entspre-
chenden Hirnnerven. Hirn· ~r-----f-- 111 iiiiiiiii• W-f-- Vierhügelplatte
a Der N. troch learis (IV) ist der einzige schenke1 IV ---r-----.. (Lamina tectalis)

Hirnnerv, der dorsal austritt. Unterhalb der Brücke V


(Pons) Schnittflache
Pyramiden ist die Kreuzung der Fasern der der Kleinhirn-
schenkel
Willkürmotorik zu sehen (Pyramidenkreu-
zung). Hier kreuzen die Fasern der linken
Fissura _
mediana
___,= ---"!<±- -7-- Rautengrube
(Fossa rhom-
und rechten Hirnhälfte jeweils auf die Olive ---=-"'"' boidea)
ver1ilnger1es
Gegenseite. Die Oliven sind wichtige
Mari< (Medulla
Schaltstellen für die Unwill kürmotorik oblongata)
(Extrapyramidalmotorik). - - - - Sulcus
a b medlanus
b Die Rautengrube stellt den Boden des
4. Ventrikels dar. Sie ist nur zu sehen,
wenn, wie auf dieser Zeichnung, das
Kleinhirn entfernt worden ist
Gehirn • Kapitel 5 · Nervensystem 209

Von hinten betrachtet wird die Medulla oblongata (Nachhirn) größtenteils


vom Kleinhirn überdeckt. Nach Abtrennung des Kleinhirns wird die Medulla
oblongata und die Rautengrube (Fossa rhomboidea) als Boden des IV. Hirnven-
trikels sichtbar. Unterhalb der Fossa rhomboidea sind links und rechts 2 Vorwöl-
bungen vorhanden. Sie enthalten Nervenzellgruppen, in denen sensible Hinter-
strangbahnen des Rückenmarks umgeschaltet werden. Dies sind der mediale
Nucleus gracilis und der laterale Nucleus cuneatus. Die Rautengrube wird im
unteren Teil von der Medulla oblongata und im oberen Teil vom Metenzephalon
gebildet. In beiden Regionen sind verschiedene Erhebungen vorhanden, die
durch die Kerne der von hier ausgehenden Hirnnerven gebildet werden. Man un-
terscheidet Ursprungskerne (Nuclei originis), von denen die motorischen Fasern
der Hirnnervenkerne ausgehen, und Endkerne (Nuclei terminationis), an denen
die sensiblen Fasern der Hirnnerven enden.
In der Medulla oblongata befindet sich die sog. Formatio reticularis als Teil Atemzentrum, Kreislaufzentrum

des vegetativen Systems, zu dem Atemzentrum, Kreislaufzentrum etc. gerechnet und wichtige Reflexzentren liegen

werden (s. Abschn. 5.8, Formatio reticularis). Außerdem sind in der Medulla ob- in der Medulla oblongata

longata verschiedene Reflexzentren lokalisiert, z. B. für den Saugreflex, Schluck-


reflex, Hustenreflex, Lidschlussreflex etc.

Hinterhirn (Metenzephalon)
Zum Hinterhirn (Metenzephalon) zählt man die Brücke (Pons) und das Klein- Hinterhirn (Metenzephalon) besteht aus

hirn (Cerebellum; s. Abb. 5-2oa, b ). Brücke (Pons) und Kleinhirn (Cerebellum)

Kleinhirnflocke Abb. S-20a, b.


(Fiocculus)
Darstellung des Kleinhirns.
a Außenansicht Ein Teil der Brücke (Pons)
Horizontalspalte
(Fissura und des Kleinhirns (Zerebellum) sind nicht
horlzontalis) dargestellt, um den Aufblick auf die Klein-
Windungen des hirnstiele zu ermöglichen, mit denen das
Kleinhirns
(Folia cerebelli) Kleinhirn mit dem Großhirn verbunden ist.
b Sehn in durch das Kleinhirn auf der Höhe
Kleinhirnmandel der Kleinhirnkerne. Der Nucleus dentatus
(Tonsille cerebelli) (gezähnter Kern) ist der größte Kleinhirn-
a Kleinhirnwurm
(Vermis cerebelll) kern

Rautengrube
4. Ventrikel

Nuclei
globosi

Nucleus
b emboliformis
210

Brücke (Pons)
Die Brücke bildet den ventralliegenden Anteil des Hinterhirns. Sie ist von der
Hirnbasis als großer, weißer Wulst sichtbar. Die Brücke wird hauptsächlich von
queren, die Mittellinie kreuzenden Faserzügen gebildet, zwischen de ne n die
Brückenkerne (Nuclei pontis) liegen.

Die Brücke dient der Umschaltung zwischen Kleinhirn und Großhirn, d. h . , sie ist
Schaltstation der Bahnen, die die Großhirnrinde mit der Kleinhirnrinde verbinden.

Das Kleinhirn ist für den Gleichgewichts- Kleinhirn (Cerebellum)


sinn und die Koordination der Motorik Das Kleinhirn (Cereb ellum) liegt in d er hinteren Schädelgrube. Es wird von einer
zuständig Duplikatur der Hirnhäute, dem Tentorium cerebelli, überdacht. Seine Vorder-
fläche bildet das Dach der Rautengrube, also des 4, Ventrikels. Über die Klein-
Duplikatur Verdoppelung hirnstiele steht das Kleinhirn in Verbindung mit dem Mittelhirn, der Brücke \..)nd
dem verlängerten Rückenmark. Es besteht aus 2 Klei nhirn hemisphären, zwischen
Hemisphäre die ein mittlerer unpaarer Teil, der Wurm (Vermis), eingeschaltet ist.
Halbkugel, im Gehirn: Hirnhälfte Die Oberfläche von Wurm und Hemisph ären zeigt zahlreiche schmale Win-
dungen und Furchen mit dem Ziel d er Oberflächenvergrößerung. Durch diese
Sagittalschnitt Furchen erscheint das Kleinhirn bei einem Sagittalschnitt baumartig verzweigt;
Schnitt parallel zur Sutura sagittalis eine Konfiguration, die man als Lebensbaum (Arbor vitae) bezeichnet, da man
(längsnaht zwischen den beiden früher der irrigen Annahme war, dass sich hier der Sitz des Lebens befindet.
Scheitelbeinen) Das Kleinhirn ist in eine außen gelagerte graue Rinde und eine innen lie-
gende weiße Markzone unterteilt, in der sich Kleinhirnkerne (Ansamml ungen
Kleinhirnkerne: Ansammlungen von Perikaryen) befinden (s. Abb. 5-zob ). Der bedeutendste dieser ist der Nucleus
von Perikaryen in der weißen Markzone

Abb.S-21 . Kömerzellschicht Purkinje-Zellen


Ausschnitt aus der Kleinhirnrinde. Oie
Kleinhirnrinde hat einen 3-schichtigen
Aufbau. Außen liegt die Molekularschicht
(Stratum moleculare), in der Mitte die
Purkinje-Zellschicht, die auf dieser Zeich-
nung durch eine durchgehende Reihe von
Punkten dargestellt ist, im Inneren liegt
die Körnerzellschicht (Stratum granulare).
Die Körnerzellen gehören zu den kleinsten
Zellen des menschlichen Körpers. Das
Mark enthält die weiße Substanz, d. h. die
Ausläufer der Neurene mit ihren Hüllen
Gehirn · K.lpitel 5 ·Nervensystem 211

dentatus (gezähnter Kern). Er ist stark gefaltet und stellt eine wichtige Ver-
bindung zum Nucleus ruber (roter Kern) des Mittelhirns und zum Thalamus des
Zwischenhirns dar. Weitere, ebenfalls paarige Hirnkerne sind:
• Nucleus emboliformis,
• Nucleus globosus und
• Nucleus fastigii.

Im Kleinhirn ist die graue Substanz nicht nur in den vorher erwähnten Kern-
gebieten, sondern v. a. in der Rinde vorhanden.
Die Rinde hat einen typischen 3-schichtigen Aufbau. Von außen nach innen
wird die Kleinhirnrinde durch folgende Schichten gebildet (Abb. 5-21):
• Molekularschicht (Stratum moleculare), Schichten der Kleinhirnrinde
• Ganglienzellschicht (Purkinje-Zellschicht, Stratum ganglionare), • Molekularschicht (Stratum moleculare)
• Körnerzellschicht (Stratum granulosum). • Gang lienzellschicht (Purkinje-
Zellschicht, Stratum ganglionare)
In die Kleinhirnrinde gelangen im Wesentlichen 2 Afferenzen (Erregungen von • Körnerzellschicht (Stratum granulosum)
der Peripherie): eine über die sog. Moosfasern und die zweite über die Kletter-
fasern (Abb. 5-22). Die Moosfasern werden an den Zellen des Stratum granulare • Afferenzen der Kleinhirnrinde:
umgeschaltet, deren Ausläufer bis in das Stratum moleculare gelangen und dort eine über Moosfasern und eine zweite
als Parallelfasern verlaufen. Die Parallelfasern werden über Synapsen entweder über die Kletterfasern
direkt auf die Dendriten der Purkinje-Zellen umgeschaltet oder gelangen an die-
se erst nach Umschaltung über Korbzellen. Die Kletteriasern gelangen direkt an
die Zellen im Stratum ganglionare, indem sie Synapsen mit den Dendriten der
Purkinje-Zellen bilden.

Abb. 5-22.
Ins Kleinhirn gelangen 2 aufsteigende
Nervenfaserarten (Afferenzen); Die
Moos- und die Kletterfasern. Die Moos-
Molekular-
schicht fasern werden an den Körnerzellen (1) um-
geschaltet. Die Neuriten der Körnerzellen
steigen in d ie Molekularschicht auf, wo sie
-t-------- sich als Parallelfasern verzweigen, um
Ganglien-
zellsehicht direkt oder über Korbzellen (2) an die Pur-
kinje-Zelten (3) zu gelangen. Die Kletter-
fasern steigen direkt bis in die Molekular-
schicht auf, um dort an den Dendriten der
Körner- Purkinje-Zelten umgeschaltet zu werden.
schicht
Sie können aber auch über Sternzellen (4)

. t an die Purkinje-Zelte geschaltet sein. Der

I
~
Neurit der Purkinje-Zellen ist die einzige
~
I
. absteigende Nervenfaser (Efferenz) aus
dem Kleinhirn
212

• Efferenzen der Kleinh irnrinde: Impulse, Die efferenten Impulse dagegen verlassen das Kleinhirn nur über die Neu-
die das Klein hirn über die Neuriten riten der Zellen aus der Ganglienzellschicht, den Purkinje-Zellen. Das sind multi-
der Purkinje-Zelten verlassen polare Zellen, die ein großes Perikaryon besitzen, von dem in Richtung Moleku-
larschicht 1-2 spalierbaumartig sich verzweigende Dendriten abgehen. Die Den-
dritenbäumchen der Purkinje-Zellen stehen senkrecht zum Verlauf der Klein-
hirnwindungen. Sie werden über Ausläufer der Körnerzellen aus dem Stratum
granulare in Form von Parallelfasern miteinander verbunden (s. Abb. 5-22). Die
efferenten Bahnen der Purkinje-Zellneuriten werden an den Kleinhirnkernen
umgeschaltet oder laufen ohne Umschaltung zu den Kernen des Vestibular-
apparats.

Das Kleinhirn hält das Körpergleichgewicht aufrecht und koordiniert gezielte


Bewegungen, ohne sie jedoch auszulösen. Somit kann das Kleinhirn als Regula-
tionsorgan für die Motorik bezeichnet werden. Eine gestörte Kleinhirnfunktion
kann z. B. durch den Finger-Nasen-Versuch überprüft werden: Der Patient muss
versuchen, bei geschlossenen Augen seinen Finger an d ie Nasenspitze zu legen,
was bei einem Kleinhirndefekt häufig nicht gelingt, da der Finger in einer Zick-
zacklinie an der Nase vorbeigeführt wird.

Mittelhirn (Mesenzephalon)
Das Mittelhirn (Mesenzephalon) liegt zwischen Hinter- und Zwischenhirn (Met-
und Dienzephalon). Es besteht aus 3 großen Struktureinheiten (Abb. 5-23).
Der hintere Teil, das Dach (Tectum), wird von der Vierhügelplatte (Lamina
tectalis) gebildet. Die 2 oberen Hügel (CollicuJi superiores) der Vierhügelplatte

Abb. 5-23.
Schnitt durch das Mittelhirn (Mesenzepha -
lon) in einer Region, wo die wichtigsten
Mittelhirnbestandteile zu sehen sind. Im
Dach (Tectum) sind 2 Kerne der Vierhügel-
platte (Lamina tectalis) getroffen. Die Hau-
be (Tegmentum) enthält den roten Kern
(Nucleus ruber), der Teil der Unwillkürmo-
torik (Extrapyramidalmotorik) ist. Die Hirn-
schenkel (Crura cerebri) enthalten die Bah-
nen, über die das Endhirn mit dem
Rückenmark verbunden ist, z.B. die Bah-
nen der Willkürmotorik (Pyramidalmoto-
rik). Der schwarze Kern (Substantia nigra)
ist wie der rote Kern wichtige Umschalt- Crus cerebri Substantia nigra
station für die Unwillkürmotorik. An der
Grenze zwischen Haube und Dach befin-
det sich in der Mitte der Aquädukt, der
den 3. mit dem 4. Hirnventrikel verbindet
Gehirn · Kapitel 5 · Nervensystem 21 3

sind Schaltstellen der Sehbahn und die 2 unteren Hügel (Colliculi inferiores) Anteile des Mittelhirns
Schaltstellen der Hörbahn. Aus diesen Schaltstellen verlaufen Seh- und Hörre- • Dach (Tectum)
flexe zum Rückenmark. Zwischen Dach (Tectum) und den Hirnschenkeln (Crura • Haube (Tegmentum)
cerebri) ist die Haube (Tegmentum) geschaltet, die wichtige Kerngebiete für die • Hirnschenkel (Crura cerebri)
Extrapyramidalmotorik enthält: • Vierhügelplatte mit Schaltstellen
• roter Kern (Nucleus ruber), für Sehbahn und Hörbahn
• schwarzer Kern (Substantia nigra).

Unter der Haube liegen die Hirnschenkel, in deren Mitte jeweils links und rechts
die Pyramidenbahn verläuft. Die Pyramidenbahn ist zu beiden Seiten von den
Bahnen umgeben, die die Großhirnrinde über die Brücke mit der Kleinhirnrinde
verbinden (Tractus corticopontini). Zwischen Haube und Dach läuft der Aquä-
dukt hindurch, der den 3· mit dem 4. Ventrikel verbindet. In seiner ähe liegen
weitere Kerne, der motorische Kern des N. oculomotorius und des N. trochlearis.

Zwischenhirn (Dienzephalon}
Während der Entwicklung des Gehirns hat sich aus dem vordersten der 3 primä- Kerngebiete des Zwischenhirns
ren Hirnbläschen (dem Prosenzephalon) links und rechts je ein Endhirnbläschen • Thalamus (Sehhügel)
(Telenzephalon) ausgestülpt. Dadurch wurde der hintere Teil des Vorderhirns • Epithalamus (auf dem Thalamus/Seh-
zwischen dem Endhirn und dem Mittelhirn eingezwängt und das Zwischenhirn hügel liegenderTeil des Zwischenhirns)
kommt um den 3. Hirnventrikel zu liegen. Es wird dabei von den beiden Groß- • Metathalamus (seitlich vom Thalamus
hirnhälften umfasst (s. Abb. 5-15). Am Zwischenhirn werden topographisch und liegenderTeil des Zwischenhirns)
funktionell vier verschiedene Kerngebiete (Ansammlungen von Zellkernen) un- • Hypothalamus (unter dem Thalamus
terschieden (s. Abb. 5-24 u. Abb. 5-25). liegender Teil des Zwischenhirns)

Thalamus
lm Dienzephalon beider Gehirnhälften liegen komplex gegliederte Kerngrup-
pen, die Thalamus genannt werden. Die meisten Sinnesbahnen enden gekreuzt
im Thalamus der gegenseitigen Hirnhälfte. Durch Faserbündel ist der Thalamus
mit dem Kleinhirn, dem Pallidum (s. Basalganglien), dem Corpus striatum (s. Ba-
salganglien) und dem Hypothalamus verbunden. Besonders wichtig ist die Ver-
bindung mit der Hirnrinde, mit der der Thalamus über den Stabkranz (Radiatio
thalami) verbunden ist.

Die zahlreichen Faserverbindungen des Thalamus weisen auf seine zentrale Faserbündel verbindet Thalamus
Funktion hin. Er ist in die meisten Systeme direkt oder indirekt eingeschaltet und mit Kleinhirn, Pallidum, Corpus striatum
stellt daher kein einheitliches Gebilde dar.ln grober Einteilung kann man und Hypothalamus
folgende Kerngruppen des Thalamus unterscheiden: dorsale, mediale, laterale
und ventrale. Sie sind ihrerseits aus ca. 100 einzelnen Kernen zusammengesetzt.
DerThalamus ist das wichtigste unbewusst arbeitende Integrationszentrum der
allgemeinen Sensibilität. Hier sind die Schaltstellen (das Tor zum Bewusstsein)
für Tastempfindung, Temperaturempfindung, Schmerzempfindung und Tiefen-
sensibilität lokalisiert.

Um den Thalamus gruppieren sich dorsal der Epithalamus, lateral der Metatha-
lamus und ventral der Hypothalamus.
214

Epithalamus
Als Epithalamus wird der Anteil des Zwischenhirns (Dienzephalon) bezeichnet,
der an der Hinterwand des 3. Ventrikels über der Vierhügelplatte (Lamina tec-
talis) lokalisiert ist. Er besteht aus
• den Zügeln (Habenula) ei ner Schaltstätte für Imp ulse der Riechbahn und
• der Epiphyse (Corpus p ineale, Zirbeldrüse).

Die Epiphyse kontrolliert die Reifung Die Epiphyse ist bei niederen Wirbeltieren ein lichtempfindliches Organ. Beim
von Genita lien und produziert Melatonin Menschen hat die Epiphyse die Funktion, die Ausreifung de r Genitalien bis zur
Pubertät zu hemmen. Des Weiteren produziert die Epiphyse Melatonin, d as eine
Rolle bei der Regulation von Zirkadianrhythmen (Tagesrhythmen) und der sog.
Photoperiodik hat. Die Tätigkeit der Epiphyse wird über den Lichteinfall ins Auge
gesteuert. So ist b ei Helligkeit der Melatoninspiegel reduziert und bei Dunkelheit
erhöht.

Metathalamus
Als Metathalamus werden der late rale (Corpus geniculatum laterale) und der
mediale Kniehöcker (Corpus geniculatum mediale) bezeichnet. Sie sind wichtige
Umschaltstellen der Sehbahn (lateral) und der Hörbahn (medial; Abb. 5-24) und
damit Schaltstationen für Reflexe.

Hypothalamus
Hypothalamus Der Hypothalamus bildet schließlich die unterste Ansammlung von Ganglienzel -
• mit wichtigen Zentren des vegetativen len und damit den Boden des Zwischenhirns. In ihm liegen übergeordnete Zen-
Nervensystems tren des vegetativen Nervensystems, z. B. ein Zentrum für den Wasserhaushalt,
• beinhaltet Kerngebiete, die Hormone die Steuerung der Körpertemperatur, ein Zentrum für die Regulation der Nah-
produzieren rungsaufnahme und des Stoffwechsels ganz allgemein sowie ein Kreislaufzent rum.

Abb. 5-24.
Dorsalansicht der Region des Zwischen-
hirns (Dienzephalon) und des Mittelhirns
(Mesenzephalon). Die beiden oberen der
Vierhügel (Singular: Colliculus superior, geschweifter Kem
Zügel (Nucleus caudatus)
Plural: Colliculi superiores) sind Schaltsta- {Habenula)
tion der Sehbahn, die beiden unteren der
Vierhügel (Singular: Colliculus inferior, Thalamus

Plura l: Colliculi inferiores) sind Schaltsta-


seitlicher Kniehöcker
tionen der Hörbahn. Die Zirbeld rüse (Cor- (Corpus geniculatum
laterale)
pus pineale) ist der Produktionsort von
mittlerer Kniehöcker
Melatonin. Sie befindet sich am Dach des (Corpus geniculatum
mediale)
111. Ventrikels. Die schlitzartige Öffnung unterer Hügel
{Colliculus inferior)
oberhalb der Zirbeldrüse führt in den
Kleinhirnstiel
111. Ventrikel. Der seitliche Kniehöcker (Cor-
pus geniculatum laterale) istTeil der Seh-
bahn, und der miniere Kniehöcker (Corpus
geniculatum mediale) ist Teil der Hörbahn
Gehirn · Kapitel 5 · Nervensystem 21 5

Abb. 5-25.
Area dorsalis
Region des Hypothalamus mit seinen
verschiedenen Kerngebieten. Die Kern-
Nucleus posterior
gebiete des Nucleus dorsomedialis, ven-
laterale Zone des tromedialis und infundibularis (blau) sind
Hypothalamus
funktionell mit dem Hypophysenvorder-
Nucleus dorsomedialis lappen verbunden. Die Kerngebiete des
Nucleus ventromedialls Nucleus paraventricularis und supraopti-
Nucleus supraopticus
cus (gelb) sind funktionell mit dem Hypo-
Sehnervenkreuzung - -----.,'11--
(Chiasma opticum) Corpus mamlllare
physenhinterlappen verbunden (für beide
Verbindungen s. Kap. 12, Endokrinologie)

Außerdem liegen im markarmen Hypothalamus Kerngebiete, die einen Teil


des endokrinen Regulationssystems darstellen (Abb. 5-25). Dazu gehören der Nuc-
leus supraopticus und der Nucleus paraventricularis. Sie sind für die Bildung der
Hormone der Neurohypophyse verantwortlich (ADH und Oxytozin). Des Weite-
ren befinden sich hier Kerngebie te, in denen die )) Releasing-Faktoren<< (Liberine Portalkreislauf
s. Kap. 12) hergestellt werden. Dies sind der Nucleus dorsomedialis, ventromedia- zwei hintereinander geschaltete
lis und infundibularis. Die 3 letztgenannten Kerngebiete sind mü der Adeno- Kapillarkreisläufe (Kapilla re, Ven e,
hypophyse über einen Portal kreislauf verbunden (s. Kap. 12, Endokrinologie). Kapillare)

Endhirn (Telenzephalon)
Der Aufbau des Endhirns wird an einem Fronta lschnitt am deutlichsten (Abb. 5- Frontalschnitt
26) . Hier wird ersichtlich, dass das Endhirn aus 2 Großhirnhemisphären aufge- Schnitt parallel zur Stirnebene

Längsspalte zwischen Abb. 5-26.


den beiden Hirnhälften
(Fissura longitudinalls) Frontalschnitt durch Endhirn
geschweifter Kern
(Nucleus caudatus)
Balken (Telenzephalon) und Zwischenhirn
(Corpus callosum)
(Dienzephalon) auf der Höhe der Basal-
ganglien. Der Balken (Corpus callosum) ist
Thalamus
die wichtigste Verbindung (Kommissur)
zwischen den beiden Großhirnhemi-
Schalenkern
Vormauer sphären. Schalenkern (Putamen) und blei-
(Ciaustrum)
(Putamen) cher Kern (Pallidum) bilden zusammen
den Linsenkern (Nucleus lentiformis)
bleicher Kem _:• lllllli::-"T""t
(Pallidum)
~·~~~-_!_--\<L Mandelkern
(Corpus
amygdaloldeum)

Trichterder Sehnervenbahn
Hirnanhangdrüse (Tractus opticus)
(lnfundibulum)
216

Aufbau des Endhirns: baut ist, die wie ein Mantel (Pallium) das Zwischenhirn und Teile des Hirn-
• 2 Großhirnhemisphären d urch Fissura stamms überdecken. Die beiden Großhirnhemisphären sind durch einen tiefen
longitudinalis getrennt Einschnitt, die Fissura longitudinalis, voneinander getrennt. Die Oberfläche der
• Sulci (Furchen) Hemisphären wird durch Furchen, sog. Sulci, und Windungen, sog. Gyri, geglie-
• Gyri (Windungen) dert. Aufbeiden Seiten liegt in jeder Großhirnhemisphäre ein Sulcus lateralis, der
einen tiefen Einschnitt bildet und sich zur sog. Fossa lateralis erweitert. An der
inneren Fläche dieser Grube liegt die Insel (Insula).

Graue Substanz (Hirnrinde, Kortex)


ln der weißen Substanz liegen Durch Furchen (Suki; Einzahl: Sulcus) und Windungen (Gyri; Einzahl: Gyrus)
Basalganglien (graue Substanz) wird die Großhirnoberfläche ca. 3-mal vergrößert. Die graue Substanz (auch
Hirnrinde, Kortex), ist außen angelagert und wird durch die Bildung der Furchen
subkortikal ebenfalls mit in die Tiefe des Gehirns hineingezogen. Im Inneren des Gehirns
unterhalb der Rinde (sub= unter, liegen die weiße Substanz (Hirnmark) sowie als subkortikale Kerne die Basal-
Kortex= Rinde) ganglien.

Zu den Basalganglien rechnet man:


• Nucleus caudatus,
• Putamen,
• Pallidum (Globus pallidus},
• Corpus amygdaloideum (Mandelkern, Amygdala),
• Claustrum.

Nucleus caudatus und Putamen sind durch die Capsula interna voneinander ge-
trennt, sie werden häufig zusammengefasst als Corpus striatum (Streifenkörper).
Die Capsula interna ist eine Zone aus markhaltigen Fasern, die die Großhirn-
rinde mit tieferen Hirnabschnitten verbindet.

Der Streifenkörper (Corpus striatum) ist eine wichtige Schaltstelle des extra-
pyramidalmotorischen Systems. Ihm kommt bei der Regulation der Motorik
eine hemmende, dem Pallidum (Globus pallidus) hingegen eine fördernde
Funktion zu.

• Das Striatu m hemmt die Bewegung Bei Ausfall des Corpus striatum kommt es zu Hyperkinese, d. h. einer Bewegungs-
• Das Pallidum fördert Bewegung unruhe, wie sinnloses Drehen von Kopf und Rumpf u. ä. Bei Ausfall des Globus
pallidus hingegen kommt es zur Hypokinese, einer Bewegungsarmut, bei der Be-
wegungen sehr langsam ausgeführt werden.
Der Mandelkern (Corpus amygdaloideum) befindet sich auf der Innenseite
des Temporallappens. Funktionell ist dieser Kern dem limbisehen System zuge-
ordnet (s. Abschn. 5.12).

Zellschichten der Hirnrinde


Schichten der Hirnrinde
Der Kortex (graue Substanz) der Großhirnhemisphäre gliedert sich in 6 Rinden-
(Rindenzellschichten)
zellschichten (auch Kortexschichten). Durch Silberimprägnation, Zellfärbung
oder Markscheidenfärbung können diese sichtbar gemacht werden (s.Abb. 5-27a-c).
• I molekulare Schicht
Abhängig von ihrem Aufbau, also je nach Vorliegen einzelner Rindenzell-
(Lamina molecularis)
schichten oder der Ausprägung der Markscheiden, lassen sich insgesamt über
• II äußere Körnerschicht
200 verschiedene Rindenfelder erkennen.
(Lamina granularis externa)
Gehl rn · Kapitel S · Nervensystem 2 17

Abb. S-27a-c.
1: Molekularschicht

J
Das Endhirn (Telenzephalon) hat e inen
6-schichtigen Rindenbau. Die 6 Schichten
II: Außere KOrnerschicht
sind auf den 3 Teilen der Abbildung mit

~ "'~"'"~"':]
unterschiedlichen Färbemethoden

"'' ..... dargestellt.


a Darstellung der Nervenzellen mit ihren

IV: Innere KOrnerschicht J Ausläufern (Silberimprägnation),


b Darstellung der Perlkaryen
(Färbung der Nissi-Substanz),
c Darstellung der weißen Substanz
(Myelinscheidenfärbung)

VI: multiforme Schicht

a b c

ln se nsiblen ode r sensorischen Rindenarealen überwiegen Körnerzellschichten; • 111 äußere Pyra midenschicht
sie sind als Endpunkt von Sin ne sempfindungen a nzusehen. ln den motorischen (Lamina pyramidalis}
Rindenarea len überwiegen Pyramidenzellen. Sie gelten als Ausgangspunkt der • IV innere Körnerschicht
Mot orik. (Lamina granularis interna}
• V innere Pyramidenschicht (Lamina
Die Setz-Riesenzellen der 5· Rindenzellschicht (innere Pyramidenschicht) sind ganglionaris), im motorischen Kortex
beispielsweise ein typisches Kennzeichen für den motorischen Kortex, d. h. für mit besonders großen
den Aufbau der Rindensubstanz des Gyrus praecentralis (vordere Zentralwin- Pyramidenzellen (Setz-Riesenzellen)
dung). • VI multiforme Schicht
(Lamina multiformis).
Hirnlappen (Lobi) und Rindenfelder
Jede Großhirnhemisphäre wird in 5 Abschnitte (Endhirnlappen) unterteilt, die Setz-Riesenzellen
bis auf die Insel in Abb. 5-28 eingezeichnet sind: Ausgangspunkt der Willkürmotorik
• Frontal- bzw. Stirnlappen (Lobus frontalis), (Pyramiden bahn)
• Scheitella ppen (Lobus parietalis),
• Hinterhau ptlappen (Lobus occipitalis),
• Schläfenlappen (Lobus temporalis) und
• Insel (Insula). Aufgaben des Frontal- und Stirnlappens
• Motorik, auch motorisches
Der Frontal- bzw. Stirnlappen reicht von der Stirn bis zum Sulcus centralis, einem Sprachzentrum
tiefen Einschnitt, der vom Sulcus lateralis bis zur Fissura longitudinalis verläuft. • vorausschauendes menschliches
Die Rindenfelder im hinteren Frontallappen haben überwiegend eine motori- • Handeln
sche Funktion. Besonders wichtig sind h ierbei die Windung Gyrus praecentralis • soziale Intelligenz
(vordere Zentralwindung) und ihre Umgebung, der Ausgangspunkt der Willkür- • moralisches und soziales Handeln
motorik. In der Pars triangularis, der unteren Frontalwindung (Gyrus frontalis • zukunftsorientiertes Handeln
inferior) in der linken Hirnhemisphäre, liegt das motorische Sprachzentrum, das (Willenskraft) etc.
218

Broca-Zentrum (Abb. 5-28). Bei Rechtshändern ist das motorische Sprachzen-


trum prinzipiell nur auf der Linken Seite, bei Linkshändern meist auch links. Es
kann jedoch gelegentlich rechts oder sogar auf beiden Seiten lokalisiert sein. Die
Rindenfelder im vorderen Bereich des Frontallappens sind u. a. fü r das voraus-
schauende menschliche Handeln, die soziale Intelligenz, das moralische und so-
ziale Handeln, das zukunftsorientierte Handeln (Willenskrakft) etc. zuständig.
Hinter dem Sukus centra.lis beginnt der Parietal- bzw. Scheitellappen. In
Aufgaben des Parietallappens seiner vordersten Windung (Gyrus postcentralis) und den angrenzenden Regio-
• somatische Sensibilität nen enden die sensiblen Bahnen. Diese Rindenfelder sind primär für die somati-
(Körperfühlsphäre) sche Sensibilität zuständig. Sie werden daher als Körperfühlsphäre bezeichnet
(Abb. 5-28).
Der Temporal- bzw. Schläfenlappen enthält unterhalb des SuJcus lateralis an
Aufgaben des Temporallappens seiner dorsalen Fläche 2 querverlaufende Windungen (Heschl-Querwindungen),
• Lesen in denen die Hörbahnen enden. Weiter hinten liegt in der oberen Schläfenwin-
• Sprachverständnis dung die Rindenregion für das Sprachverständnis, das sensorische Sprachzen-
• Hören trum (Wernicke-Zentrum).lm Bereich des Gyrus anguJaris, der das obere hinte-
re Ende des Sukus temporalis superior umfasst liegt das lesezentrum.
Im Hinterhaupt bzw. Okzipitallappen verläuft an der medialen Fläche, die der
Aufgabe des Hinterhauptlappens anderen Großhirnhemisphäre zugewandt ist, der Sulcus cakarinus. In der Rin-
• Sehen denregion, die den Sulcus calcarinus umgibt und am hinteren Hirnpol in die
Konvexität übergeht, enden die Sehbahnen. Hier ist das primäre Sehzentrum lo-
kalisiert (Abb. 5-28). Diese Region wird als Area striata bezeichnet, da die innere
Körnerschicht (Lamina granularis interna) durch myelinisierte Nervenfasern
unterteilt ist, sodass man auf Hirnschnitten schon von bloßem Auge einen
weißen Streifen in dieser Region sehen kann.
Die lnsula liegt in der Tiefe der Seitenfurche (SuJcus lateralis) und ist von
Windungen des Temporallappens umgeben, sodass sie am intakten Gehirn von
außen nicht zu sehen ist. Über die Funktion der Inselrinde ist wenig bekannt.
Man weiß jedoch, dass bei Verletzungen der Inselrinde Übelkeit, Speichelfluss
und Veränderungen im Blutdruck auftreten können.

motorische Rinde Zentralfurche


Abb. 5-28. (Gyrus praecentralls) (Sulcus centralis)
Endhirnhemisphäre in der Seitenansicht. sensible Rinde
(Gyrus postcentralis)
4 der 5 Hirnlappen sind hier sichtbar. Der
5. Hirnlappen (die lnsula) liegt in der Tiefe Scheitellappen
(lobus parietalis)
(s. Abb. 5-27) und kann von au ßen nicht
gesehen werden. Hervorgehoben sind
Hinter1appen
außerdem die wichtigsten Hirnregionen (Lobus occipitalis)
mit ihren Funktionen, z. 8. das Broca-Zen-
trum (motorisches Sprachzentrum) im Sahrinde
(Sulcus
Stirnlappen motorisches
calcarinus)
Sprachzentrum
(Broca·Zentrum)
sensorisches
Seitenfurche
Sprachzentrum
(Sulcus lateralis) akustische Sprachregion Schläfenlappen (Gyrus angularis,
(Lobus temporalis)
(Heschi·Ouerwindungen) Wernlcke·Zentrum)
Gehirn · KapitelS· Nervensystem 219

Experimente mit Reizen in verschiedenen Rindenfeldern zeigten, dass die


Rindenfelder in Projektionsfelder gegliedert sind, d. h. bestimmte Rindenareale
sind bestimmten Muskelgruppen oder sensiblen Arealen des Körpers zuzuord-
nen. Eine solche Zuordnung von Arealen des zentralen Nervensystems zu Struk-
turen in der Peripherie wird als somatotopische Gliederung oder Somatotopie Somatotopie: Zuordnung von Arealen
bezeichnet (Abb. 5-29 ). Eine somatatopische Gliederung ist sowohl im motori- des zentralen Nervensystems
sehen als auch im sensiblen Kortex vorhanden. zu Strukturen in der Peripherie

Weiße Substanz (Hirnmark) Fasertypen der weißen Substanz


Die weiße Substanz des Endhirns besteht zum größten Teil aus markhaltigen • Kommissurenfasern
Nervenfasern, die sich in verschiedenen Richtungen durchflechten. Auf Horizon- • Assoziationsfasern
talschnitten durch die Hemisphären sind in den Gebieten oberhalb der Basal- • Projektionsfasern
ganglien große Zonen mit Fasern zu sehen, die direkt unter der Rindensubstanz
beginnen und aufgrundihrer Form als Centrum semiovale bezeichnet werden. Je Centrum semiovale
nach Funktion unterscheidet man 3 verschiedene Fasertypen. halbovales Zentrum = weiße Substanz

Kommissurenfasern
Die Kommissurenfasern verbinden gleiche Rindenareale der beiden Hemisphä-
ren miteinander. Die wichtigste Kommissur ist das Corpus callosum (Balken),
das am Boden der Fissura longitudinalis die beiden Hemisphären verbindet
(s. Abb. 5-26). Durch das Corpus callosum verlaufen Fasern für vielfältige Verbin-
dungen zwischen den beiden Hirnhälften. Besonders wichtig sind die Fasern, die
die motorischen Rindenfelder in den beiden Hemisphären verbinden.

Da die Fasern der linken Hemisphäre für d ie Innervation der rechten Körper-
hälfte und d ie Fasern der rechten Hemisphäre für die der linken Körperhälfte
verantwortlich sind, hat z. B. d ie linke Hemisphäre für einen Rechtshä nder die
größere Bedeutung als d ie rechte.

Ab b. 5 · 29.
Zuordnung der verschiedenen Körper-
regionen zu den motorischen und sen-
siblen Hirnrindengebieten (Somatotopie);
links Darstellung der sensiblen Hirnwin-
dung (Gyrus postcentralis), d ie hinter dem
Sulcus centralis liegt; rechts Darstellung
der motorischen Hirnwindung (Gyrus
praecentralis), die vor dem Sulcus centralis
liegt (zur Lage des Sulcus centralis und der

l_h,
r
15!/
Gyrus praecentray- - ~
beiden angrenzenden Hirnwindungen
s. Abb. 5-28). Entsprechend ihrer Bedeu-
tung sind Gesicht und Hand in beiden
----------------- Hirnwindungen mit einem größeren Areal
repräsentiert als z. B. Rumpf und Beine
220

Bei Durchtrennunge n der Kommissuren zwischen dem rechten und dem linken
motorischen Kortex (Gyrus praecentralis) können deshalb Bewegungsunsic her-
heiten auftreten, sog. Dyspraxien. Diese Störungen äußern sich v. a. bei komp-
lizierten Bewegungen wie Grüßen, Winken oder Drohen mit der Hand, nicht
jedoch b ei einfachen Bewegungen wie Heben, Tragen etc.
Weitere Kommissurenfas ern sind in der Commissura anterior sowie in der
Commissura fornicis vorhanden.
Assoziationsfase rn: Die Assoziationsfase rn verbinden Rindenfelder inner-
halb einer Hemisphäre m iteinander. Dabei gibt es längere und kürzere Assozia-
tionsbahnen. Die kürzeren Bahnen werden durch Bogenfasern (Fibrae arcuatae)
gebildet, bei lä ngeren Bahnen redet man von Faszikeln, z. B. Fasciculus frontooc-
cipitalis superior, der vom lateralen Stirn- zum Scheitel- und Hinterhauptlapp en
verläuft.
Projektionsfaser n: Projektionsfaser n sind lange Faserzüge, die zur Groß-
hirnrinde ziehen (z. B. sensible Bahnen) oder von der Großhirnrinde ausgehen
(z. B. die motorische Pyramidenbahn) . Durch die Basalganglien werden diese
Capsula interna: hier sind die meisten Bahnen zu einer schmalen Faserplatte, der Capsula interna, zusammengedrü ckt,
Projektionsfasern zusammengefasst die auf der einen Seite vom Nucleus caudatus und vom Thalamus, auf der an-
deren Seite vom Putamen und dem Pallidum (zusammen Nucleus lentiformis)
begrenzt wird. In der Capsula interna verlaufen die meisten Projektionsbahn en.
Von hier gelangen sie in die Hirnschenkel (Crura cerebri). Ein kleiner Teil der
Projektionsbahn en verläuft durch die Capsula externa; diese Fasern vereini-
gen sich unterhalb des Nucleus lentiformis wieder mit den Fasern der Capsula
interna.

5.8 Regulation wichtiger Funktionen

Lebenswichtige Zentren in der Formatio Vom Nachhirn (Medulla oblongata) über das Hinterhirn (Metenzephalon) und
reticularis: Atemzentrum und Kreislauf- Mittelhirn (Mesenzephalon ) bis zum Zwisch enhirn (Dienzephalon) zieht sich ein
zentrum Netzwerk von weißer und grauer Substanz mit sehr verst reut liegenden Ner ven-
zellen. Dieses Netzwerk bezeichnet man als Formatio reticularis. Im Bereich des
Tegmentums (im Mittelhirn) ist die Formatio reticularis am stärksten entwickelt
(Abb. 5-30).
In der Formatio reticularis liegen die lebenswichtigen Zentren Atemzentrum
und das Kreislaufzentrum .
Zentraler Atmungsrhythmus ist weit- Das Atemzentrum ist unter Normalbedingun gen, d. h. in Ruhelage, weitge-
gehend selbstgesteuert (Autorhythmie). hend selbstgesteuert (Autorhythmie). So existieren in diesem Gebiet Neurone für
Während der Aktivität der einen Zell- die Inspiration und für die Exspiration. Durch abwechselnd salvenartige Entla-
gruppe ist die andere jeweils gehemmt dungen gewährleisten diese Neurone einen zentralen Atemrhythmus (rhyth-
mische Folge von Atemphasen). Während die eine Zellgruppe aktiv ist, ist die an-
• Inspiration Einatmung dere jeweils gehemmt. Dieser zentrale Atmungsrhythm us kann zusätzlich durch
• Exspiration Ausatmung periphere Einflüsse unterstützt werden, z. B. durch den Hering-Breuer-Reflex
(s. Kap. 9, Atmungssystem) . Des weiteren wird das Atemzentrum über Sauer-
stoffmangel und CO, -Partialdruck reguliert und beeinflusst. atürlich kann der
Atemrhythmus auch willkürlich beeinflusst werden.
Das Kreislaufzentrum - ebenfalls in der Formatio reticularis lokalisiert -
steuert die Frequenz des Herzschlages und die Kontraktionskraft des Herzens. Es
Reflexe · KapitelS· Nervensystem 221

Abb. 5-30.
Medianschnitt durch die Region des
Hirnstamms. Hier befinden sich die
funktionell wichtigen Kerngebiete
(z. B. das Atemzentrum) der Formatio
reticularis. Die Formatio reticularis
erstreckt sich vom Zwischenhirn
(Dienzephalon) am oberen Rand der
Abbild ung bis zum verlängerten Mark
(Medulla oblongata) im unteren Drittel
der Abbildung

Kerngebiete
der Formatio
reticularis

wird durch den C0 2 -Partialdruck und den pH-Wert des Blutes sowie durch Deh-
nungsrezepto ren im Karotissinus und im Aortenbogen gesteuert, die auf den
Blutdruck reagieren.
Besondere Bedeutung hat die Formatio reticularis auch auf den Grad der Be-
wusstseinshelligkeit, da sie durch Verbindungen zur Großhirnrinde den Wach-
heitsgrad (im Sinne einer Weckwirkung) beeinflusst. Damit ist sie am Bewusst-
seinszustand wesentlich beteiligt. Die Formatio reticularis ist Teil des aufsteigen-
den retikulären Aktivierungssystems (ARAS), das am Morgen beim Aufwachen
erst durch Verbindung zu verschiedenen höheren Zentren (Thalamus und Groß-
hirnrinde) das Bewusstsein »einschaltet«. Unterbrechung des ARAS, z. B. durch
Narkose, führt zur Bewusstlosigkeit.

5.9 Reflexe

Die kleinste selbständige Baueinheit des Nervensystems ist das Neuron. Dem- Reflexbogen: einfachste funktionelle
gegenüber ist die einfachste funktionelle Einheit des Nervensystems der Reflex- Einheit des Nervensystems
bogen. Der Reflexbogen ermöglicht es, auf einen Stimulus (Reiz) eine Reflexant-
wort zu geben. Der Reflexbogen besteht im einfachsten Fall aus einem Rezeptor,
einem afferenten (sensiblen) euron, einem efferenten (motorischen) Neuron
und einem Effektor (z. B. Muskel).
Man unterscheidet Eigenreflexe (monosynaptisch) von Fremdreflexen (po ly- • monosynaptisch mit einer Synapse
synaptisch). Trifft ein Aktionspotential auf einen Rezeptor, wird dieses im affe- • polysynaptisch mit mehreren
renten Schenkel des Reflexbogens zum Rückenmark geleitet und dort direkt Synapsen
(monosynaptisch) oder über Zwischenneurone (polysynaptisch) auf den effe-
renten Schenkel umgeschaltet. Der efferente Schenkelleitet dieses Signal an den
Effektor (Muskel), der sich daraufhin kontrahiert.
222

5.9.1 Eigenreflex (monosynaptischer Reflex)

Jede Muskeltätigkeit wird durch ein Regelsystem ermögli cht, d as im einfachste n


Fall aus einem affe renten und einem efferente n Sche nkel sowie dem Muskel b e-
Sensornotorisch steht. Dieses System wird als sensornotorischer Funktionskreis bezeichnet. Er ist
sowohl di e Sinne, als auch die Motorik be- die Grundlage für alle Arten der Motorik, a ngefangen von einfache n >> reflektori -
treffend schen<< Muskelzuckungen über Gleichgewichtsreaktionen, erle rnte Bewegunge n,
bis hin zur b ewussten Willkürmotorik.
Für die Regelung einfache r motorischer Ablä ufe ist das Rückenm a rk zustän -
di g. Je komplexer die Bewegungen sind, desto höh ere Hirnzentren sch alten sich
in die einfachen Leitungsböge n des Rückenmarks ein; desto lä nger wird di e Lei-
tungshahn des sensornotorisch en Systems und desto mehr Neuron e sind an der
Regelung beteiligt.

Anteile eines Reflexbogens Das e infachste, auf dem Niveau des Rückenmarks geregelte System, ist der
• Rezeptor monosynaptische Reflex (Eigenreflex). Unter dem Begriff Reflex versteht man
• Afferentes Neuron eine stets gleich bleibende Reaktion des Organismus auf einen bestimmten
• Efferentes Neuron sensiblen Reiz. So löst ein kurzer Schlag auf e ine Sehne bei Wiederholung immer
• Effektor (Muskel) gleich bleibende kurze Muskelkontraktionen aus. Ein derartiger Reflex ist z. B.
der Patellarsehnenreflex oder der Achillessehnenreflex.ln Abbildung 5-31 ist
der Patellarsehnenreflex beschrieben und dargestellt. Da sich der Muskel kon -
trahiert, auf dessen Sehne der Reiz erfolgt, wird d iese Art von Reflex Eigenreflex
genannt. Es handelt sich hierbei um einen Reflexbogen.

Im Muskel befinden sich Dehnungsrezeptoren in Form von sog. Muskelspindeln .


Diese werden bei Schlag auf die Sehne gereizt und leiten den Impuls über ein af-
ferentes Neuron ins Rückenmark. Die afferente Faser tritt über die hintere Wur-
zel ins Rückenmark und wird über eine Synapse im Vorderhorn auf eine moto-

Abb. 5-31.
Reflexbogen des Eigenreflexes (mono- afferentes Neuron
Muskelspindel (Rezeptor)
synaptischer Reflexbogen) am Beispiel des
Patellarsehnenreflexes. Durch Schlag auf
die unterhalb der Kniescheibe liegende
Kniescheibe
Patellarsehne kommt es zur Dehn ung der
Muskelspindel, die einen Impuls über das
afferente Neuron ins Rückenmark hinein
sendet. Bevor d ieser Impuls im Gehirn
motorisches Neuron
registriert worden ist, kommt es auf der
Höhe des Rückenmarks schon zur
Umschaltung auf den efferenten Schenkel
des Reflexbogens, der als Motoneuron
den gleichen Muskel in nerviert, in dem die
Muskelspindelliegt Das Resultat ist eine
Muskelzuckung, die zur Entlastung der
Muskelspindel führt
Reflexe · Kapitel 5 · Nervensystem 22 3

rische Vorderhornzelle umgeschaltet; deren Motoaxon (motorisches Axon) läuft


als efferente Faser zurück an den Muskel. Dort wird über eine motorische End-
platte der Muskel zur Kontraktion veranlasst, sodass die Muskelspindel nicht
mehr gedehnt ist.
Unter normalen Bedingungen wird der Eigenreflex natürlich nicht durch ei- Langanhaltende Kontraktionen werden
nen Reflexhammer ausgelöst, sondern durch eine plötzliche passive Überdeh- durch Hemmungsmechanismen
nung einer Muskelgruppe, z. B. beim Einknicken des Knies. Der Körper kann in verhindert
einem solchen Moment auf schnellstem Weg (über den kurzen Reflexbogen) der
Störung entgegenwirken, ohne dass hierbei primär das Bewusstsein eingeschal-
tet werden muss. Damit jedoch eine langanhaltende Kontraktion verhindert
wird, müssen Hemmungsmechanismen vorhanden sein, die die reflektorische
Muskeltätigkeit begrenzen. Dies wird erreicht durch:
• die Kontraktion des Muskels, der der Dehnung der Muskelspindel entgegen-
wirkt,
• einen in der Sehne vorhandenen Rezeptor, den sog. Golgi-Rezeptor oder Seh-
nenspindeL Dieser reagiert nach Dehnung mit einem Impuls, der über ein
zweites afferentes Neuron ebenfalls ins Hinterhorn des Rückenmarks gelangt,
dort ein inhibitorisches Zwischenneuron (hemmendes Zwischenneuron) er-
reicht, das seinerseits am Motoneuron des Vorderhorns über eine Synapse das
Motoneuron hemmt. Das inhibitorische Zwischenneuron, auch Renshaw-Zelle
genannt, führt zu einer Hyperpolarisierung des Motoneurons, sodass damit
eine zu starke Spannungsentwicklung des Muskels verhindert wird. Ebenfalls
über inhibitorische Zwischenneurone werden antagonistische Muskeln ge-
hemmt.

Die Pyramidalmotorik sowie die Extrapyramidalmotorik nutzen die gleiche mo- • Pyramidalmotorik Willkürmotorik
torische Endstrecke. Beide wirken also auf das Motoneuron in der Vordersäule • Extrapyramidalmotorik Unwillkür-
des Rückenmarks ein. motorik

5.9.2 Fremdreflex (polysynaptischer Reflex)

Dem Eigenreflex kann der Fremdreflex (polysynaptischer Reflex) gegenüber-


gestellt werden.

Beim Fremdreflex sind meist mehrere Neuronein den Reflexbogen einge-


schaltet. Typisch für den polysynaptischen Reflex ist, dass er über mehrere
Rückenmarksegmente läuft. Die Regulation geschieht zwar immer noch auf dem
Niveau des Rückenmarks, allerdings sind 3-4 oder mehr Segmente daran
beteiligt. Bei diesem polysynaptischen Reflex spricht man von Fremdreflex, weil
Rezeptor und Effektor nicht im gleichen Organ liegen (Abb. 5-32).

Ein bekannter Fremdreflex ist z. B. das automatische Zurückziehen der Hand bei Beispiel Fremdreflex
Verbrennung, Verletzung etc. Bei starkem Hitzereiz zieht man die Hand bereits • Automatisches Zurückziehen der Hand
»automatisch« zurück, bevor man sich des Schmerzes bewusst geworden ist. Die bei Verbrennung. Verletzung etc.
neuronale Schaltung verläuft so, dass in der Haut gelegene Rezeptoren Nerven- • Lidschlussreflex
impulse über ein afferentes Neuron in das Hinterhorn des Rückenmarks leiten, • Selbststeuerung der Atembewegung
wo sie über ein Schaltneuron auf mehrere Motoneurone der gleichen Seite wei-
tergeleitet werden; bei starkem Reiz sogar auf die Neurone der Gegenseite. Folge
224

Abb. S-32 .
Reflexbogen des Fremdreflexes {polysyn- Verbindung ins Gehirn motorische Endplatte

'
aptischer Reflexbogen). Bei einer Verlet- im Effektormuskel

zung leiten die Schmerzrezeptoren den


Impuls über ein afferentes Neuron ins
Rückenmark. Hier wird er über ein Zwi-
schenneuron umgeschaltet auf ein Moto-
neuron, das sofort die Kontraktion des
dazugehörigen Muskels (hier z. B. des
M. biceps femoris) veranlasst, sodass der
Fuß zurückgezogen wird. Dies geschieht
afferentes Neuron --~~==::-=======u
teilweise schon, bevor der Schmerz im (freie Nerven-
Gehirn richtig wahrgenommen wird. Da endigungen =
Rezeptor)
Rezeptor (freie Nervenendigungen) und
Effektor (Muskel) nicht im gleichen Organ
liegen, bezeichnet man diesen Reflex als
Fremdreflex

ist eine biologisch zweckmäßige Bewegung (z. B. Rückzug der Hand). In Abbil-
dung 5-32 ist der Reflexbogen eines Fremdreflexes dargestellt. Neben diesen
Schutzreflexen, zu denen z. B. der Lidschlussreflex gehört, existiert noch eine gro-
ße Anzahl von Fremdreflexen, die durch das autonome Nervensystem gesteuert
werden, z. B. der Hering-Breuer-Reflex für die Selbststeuerung der Atembewe-
gung (s. Kap. 9 Atmungsapparat).

5.9.3 Gegenüberstellung von Eigen- und Fremdreflex

Da Fremdreflexe über mehrere Synapsen geschaltet werden, haben sie eine län-
gere Reflexzeit als Eigenreflexe. Sie sind im Gegensatz zu diesen ermüdbar, und
die Reflexantwort besteht in einer längerdauernden Muskelkontraktion.

5.10 Regulation der Motorik

Die höheren sensornotorischen Systeme werden durch höher gelegene Zentren


reguliert, so z. B. Gleichgewichtsreaktionen durch das Rhombenzephalon. Dabei
liegen die Rezeptoren für die Kontrolle des Gleichgewichtes zum Großteil im
Innenohr, im Vestibularapparat (s. Abschn. 16.3). Die Extrapyramidalmotorik
wird durch die Basalganglien, die Mittelhirnkerne und das Kleinhirn gesteuert.
Die Willkürmotorik wird schließlich durch das Großhirn, den motorischen Kor-
tex, gesteuert.

5.10.1 Willkürmotorik (pyramidal motorisches System)

Für die übergeordnete Kontrolle der Motorik, insbesondere der Willkürmotorik,


sind der Gyrus praecentralis (zentrale Hirnwindung) und seine angrenzenden
Regionen von großer Bedeutung. Obwohl ein wichtiger Impuls von diesen
Regulat ion der Motorik · Kapitel 5 · Nervensystem 225

Regionen ausgeht, weiß man heute, dass der Bewegungsantrieb und der Bewe-
gungsplan nicht von diesen Rindengebieten stammen. Aufgrund neuerer Befun-
de ist man ZU der Ansicht gekommen, dass das limbisehe System (s. Abschn. s.u) Limbisches System
sehr stark an diesem Antriebs- und Planungsprozess beteiligt ist und die motori- wichtiges Steuerungszentrum für Emotio-
schen Rindengebiete im Gyrus praecentralis die Funktion von Schaltstätten ha- nen, Motivation, Nahrungsaufnahme etc.
ben, in denen der Bewegungsplan in Impulsmuster zur Aktivierung der beteilig-
ten Muskulatur umgesetzt wird. Diese Impulse leitet die sog. Pyramidenbahn, die
von der motorischen Rinde ausgeht und zu den Segmenten des Rückenmarks
verläuft.
Von den ca. 1 Mio. Pyramidenzellen des Gyrus praecentralis verlaufen die
Axone ohne Unterbrechung bis ins Rückenmark. Sie sind daher z. T. über 1 m
lang. Sie ziehen dabei zunächst durch die Großhirnschenkel und die Brücke bis
zur Medulla oblongata, wo sie als pyramidenförmige Stränge an der Vorderseite
des Hirnstamms zu sehen sind. Durch diese Pyramiden hat die Bahn ihren Hirnstamm
Namen erhalten; der genaueVerlauf ist Abbildung 5-33 zu entnehmen. Medulla oblongata, Pans, Mesenzephalon

5.1 0.2 Unwillkürmotorik


(extrapyramidalmotorisches System)
Das extrapyramidale System koordiniert
Neben dem Pyramidenbahnsystem ist eine zweite Einrichtung, das extrapyra- Muskelaktivität u.a. bei zielgerichteten
midalmotorische System, an der Steuerung der Motorik beteiligt. Die Bahnen Bewegungen und steuert automatisierte
dieses Systems gehen ebenfalls vom motorischen Kortex sowie von anderen Bewegungsabläufe

Abb. 5-33.
Schema der Bahnen der Willkürmotorik
(Pyramidalmotorik). lm motorischen
Kortex (Gyrus praecentralis) beginnt die
Pyramidenbahn. Sie läuft zwischen Stria-
tum/Pallidum und Thalamus durch die
innere Kapsel (Capsula interna) und
anschließend durch den Hirnstamm.lm
Hirnstamm kreuzen ca. 75% der Fasern auf
die andere Seite (Decussatio pyramidum),
wo sie im Tractus corticospinalis lateralis
bis auf die Höhe ihres Austrittsegments
laufen. Ungefähr 25% der Fasern der
Pyramidenbahn laufen auf der gleichen
Seite weiter im Tractus corticospinalis
anterior und kreuzen erst auf der Höhe
ihres Austrittsegments auf die andere
Seite des Rückenmarks
226

supraspinal supraspinalen Zentren aus und erreich en nach mehrfacher Umschaltung das
oberhalb des Rückenmarks gelegen Rückenmark (Abb. 5-34).
Die wichtigsten Umschaltstationen auf diesem Weg sind die Basalganglien,
Umschaltstationen der Extrapyramidal-
Corpus striatum (in der Kurzform: Striatum) und Pallidum, die Mittelhirnkerne
motorik {Nucleus ruber und die Substantia nigra) sowie der Olivenkern und Teile der For-
• Basalganglien
matio reticularis. Außerdem sind Kerne des Vestibularapparates sowie das Klein-
• Mittelhirnkerne
hirn maßgeblich an dieser Extrapyramidalmotorik beteiligt. Die vom moto-
• Oliven
rischen Kortex und den Basalganglien ausgehenden Axone enden in der For-
• Formatio reticularis
matio reticularis im Hirnstamm und aktivieren hier den Tractus reticulospinalis
lateralis bzw. medialis auf der Gegenseite (s. Abb. 5-34).

Das extrapyramidalmotorische System koordiniert Muskelaktivität bei


zielgerichteten Bewegungen und steuert automatisierte Bewegungsabläufe,
z. B. das Mitschwingen der Arme beim Gehen. Außerdem werden durch diese~
System die Bewegungen den äußeren Bedingungen angepasst. Gleichzeitig
wird für eine Aufrechterhaltung des Gleichgewichts gesorgt. Das Kleinhirn hat
dabei die wichtige Funktion der Koordination. Es ist zu diesem Zweck mit den
anderen motorischen Zentren verbunden und erhält Informationen aus
praktisch allen Sinnesorganen.

Abb. 5-34.
Schema der Bahnen der Unwill kürmotorik
(Extrapyramidalmotorik). Die Impulse
kommen aus dem motorischen Kortex,
werden in den Basalganglien (Striatum
und Pallidum) umgeschaltet, kreuzen im
Hirnstamm (im Mesenzephalon) auf die
andere Seite, werden an Nucleus ruber
und Substantia nigra umgeschaltet und
verlaufen dann über verschiedene Tractus
bis auf die Höhe ihres Austrittsegments.
Der Tractus rubrospinalis wird zur Haupt-
sache vom Kleinhirn beeinflusst, der Trac-
tus vestibulospinalis erhält Impulse aus
dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr Zervikalmarl<

Tractus rubrosplnalls
_'7"'-J,..-l::tl- Tractus reticulospinalis
~ medialis
Tractus
vestibulospinalls
Lumbalmarl<
Schmerz · Kapitel 5 · Nervensystem 227

5.11 Schmerz

Mehr als soo/o aller Patienten in der ärztlichen Praxis klagen über Schmerzen. Das
zeigt, dass Schmerz ein großes medizinisches Problem ist, das auch unter sozia-
len und wirtschaftlichen Aspekten betrachtet werden muss. Schätzungsweise re-
sultieren z. B. weltweit pro Jahr ca. 100 Mio. Krankheitstage allein aufgrund von
Rückenschmerzen.

5.11.1 Schmerzkomponenten

Da Schmerz nur unlustbetonte Gefühle auslöst, ist man geneigt, den Schmerz, die
Schmerzreaktion und das Schmerzleiden miteinander zu koppeln und als Einheit
aufzufassen. Mit geziehen Versuchen lässt sich jedoch feststellen, dass die Reak-
tionen auf den Schmerz und die Schmerzkomponenten weitgehend voneinander
unabhängig sind. So unterscheidet man eine
• sensible, diskriminierende Komponente, d. h. die Sinnesempfindung, die über
Ort, Dauer und Stärke des Schmerzes Auskunft gibt,
• affektive (emotionelle) Komponente,d. h. unsere Bewertung des Schmerzes, die
großen Einfluss hat auf unser Wohlbefinden,
•vegetative Komponente, wie z. B. Schweißausbrüche, Pulsjagen, Blutdruck-
anstieg, Veränderungen der Atmung,
• motorische Komponente, d. h. Wegziehen des verletzten Gliedes sowie Mimik.

Aufgrund des Entstehungsortes kann der Schmerz zunächst in einen somati- Schmerzeinteilung
schen (vom Bewegungsapparat und der Körperoberfläche stammenden) und ei- • Somatischer Schmerz
nen viszeralen (aus den Organen stammenden) Schmerz unterteilt werden. Der • Oberflächenschmerz (von der Haut)
Oberflächenschmerz lässt sich noch in einen 1. scharfen (gut lokalisierbaren) - 1. Schmerz: scharf
und einen 2. dumpfen (schlecht lokalisierbaren) Schmerz unterteilen; der 1. - 2. Schmerz: du mpf
Schmerz klingt meist nach Unterbrechung der Reizung rasch ab. Der 2. Schmerz • Tiefenschme rz (von den Mus keln,
ist vielfach brennend und klingt nur langsam ab. Gelenken, Bindegewebe, Knochen)
Der viszerale Schmerz hat seinen Ursprung in den Organen, z. B. Gallenkolik, • Viszeraler Schmerz
Ulkusschmerz, Blähungen, Blinddarmentzündung und ist meist schwer loka-
lisierbar. Für diesen Schmerz ist es charakteristisch, dass praktisch keinerlei
Adaptation an den Schmerz erfolgt, wie das bei anderen Sinnesempfindungen Adaptation Anpassung
der Fall ist. Im Gegenteil, es lässt sich feststellen, dass die Schmerzschwelle mit
der Häufigkeit des schmerzauslösenden Reizes eher noch sinkt.

5.11.2 Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren)

Sinn von Schmerz ist, den Körper über schädliche Einflüsse (Noxen) zu infor-
mieren. Deshalb wird Auslösung, Weiterleitung und Verarbeitung von Schmerz Nozizeption: lat. nocere: schaden;
als Nozizeption bezeichnet. Wegen der Vielfalt der verschiedenen Schmerzreize capere, captus fassen, nehmen
hatte man ursprünglich angenommen, dass es keine speziellen Schmerzrezep-
toren gebe, sondern dass praktisch alle Rezeptoren in der Lage seien, bei Über-
schreiten einer Reizschwelle einen entsprechenden Schmerz zu empfangen und
weiterzuleiten. Versucht man allerdings, mit einer feinen Nadel die Schmerzre-
zeptoren in der Haut zu lokalisieren, stellt man fest, dass es ca. 9-mal mehr
Schmerzpunkte als Tastpunkte in der Haut gibt. Allein schon deshalb können
also Tastrezeptoren unmöglich gleichzeitig Schmerzrezeptoren sein.
228

Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) Heute ist bekannt, dass die Schmerzrezeptoren freien Nervenendigungen
Freie Nervenendigungen, die durch unter-
entsprechen; somit besitzen sie keine spezielle Rezeptorstruktur. Die freien Ner-
venendigungen können durch verschiedene Reizqualitäten erregt werden, sie
schiedliche Reize erregt werden
sind polymodaL So können die gleichen Rezeptoren durch Säure, Hitze, mecha-
polymodal nische Stimulation etc. erregt werden.
auf viele verschiedene Arten Schmerz kann im Körper mit verschiedenen Substanzen ausgelöst werden:
z. B. durch einen Abfall des pH-Wertes (unter 6,o ), einen Anstieg der extra-
Schmerzauslösende Faktoren zellulären Kaliumkonzentration (größer als 20 mmol/1), durch Azetylcholin,
• pH-Werte (unter 6,0) Serotonin, Histamin, Bradykinin. Die 4letztgenannten Substanzen werden häufig
• Extrazelluläre Kaliumkonzentration bei Verletzungen aus Zellen des Verletzungsgebiets freigesetzt. Von besonderer
(größer als 20 mmol/1) Bedeutung für die Schmerzauslösung ist das Prostagtandin E1 • Diese Substanz
• Azetylcholin löst zwar nicht den Schmerz direkt aus; Schmerzrezeptoren werden allerdings
• Serotonin durch Prostaglandin sensibilisiert, sodass sie bei einer Schmerzauslösung hefti-
• Histamin ger reagieren. Die Bildung von Prostaglandin, die in verschiedenen Geweben
• Bradykinin stattfindet, kann durch die Gabe von Azetylsalicylsäure (Aspirin) gehemm t wer-
den. Dadurch wird die schmerzauslösende Wirkung von Serotonin, Histamin
Prostaglandin wirkt als Mediator, und Bradykinin vermindert. Prostaglandin wird auch Vermittler (Mediator) der
der Schmerzauslöser sensibilisiert Schmerzauslösung genannt.
Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) bilden bei Reizung zunächst ein Rezep-
torpotential, das in eine Folge vo n Aktionspotentialen transformiert wird, deren
Frequenz von der Stärke des Reizes abhängt.

5.11.3 Schmerzbahnen (Afferenzen)

Die Schmerzafferenzen (Schmerzbahnen) verlaufen von den Schmerzrezeptoren


• A6-Fasern leiten den 1. Schmerz über die Aö- und die C-Fasern zum Rückenmark. Dabei sind die Aö-Fasern offen-
(scharfen) sichtlich für die Leitung des 1. Schmerzes und die C-Fasern für die Leitung des
• ( -Fasern leiten den 2. Schmerz 2. Schmerzes verantwortlich. Bei Gabe von Lokalanästhetika wie Procain wird

(dumpfen) dies deutlich. Procain blockiert primär d ie C-Fasern und damit zuerst den
2. Schmerz und unterdrückt erst bei höheren Konzentrationen schließlich auch
den 1. Schmerz.
Die afferenten Fasern des 1. Neurons enden zunächst im Hinterhorn des
Rückenmarks. Ihre Perikaryen liegen im Spinalganglion (pseudounipolare Neu-
rone) und produzieren eine Transmittersubstanz, die sog. Substanz P. Diese er-
Substanz P regt im Rückenmark das 2. Neuron der Schmerzbahn. Wird die gleiche Substanz
Überträgersubstanz des 2. Neurons an der peripheren Endigung, d. h. der freien ervenendigung in der Haut, abge-
der Schmerzbahn geben, fördert sie die Durchblutung und sensibilisiert gleichzeitig die Schmerz-
rezeptoren. Dies scheint u.a. Ursache dafür zu sein, dass bei chronischen Schmer-
zen der Prozess unabhängig vom auslösenden Reiz über längere Zeit bestehen
kann.
Die Fasern des 2 . Neurons kreuzen auf die Gegenseite und ziehen dann im
Vorderseitenstrang (Tractus spinothalamicus lateralis) aufwärts. Die letzte
Umschaltung auf ein 3. Neuron erfolgt im lateralen Kerngebiet des Thalamus
( ucleus ventralis posterolateralis). Von hier aus gelangen die Schmerzimpulse
zu den sensiblen Projektionsfeldern des Gyrus postcentralis und damit in unser
Bewusstsein.
Schmerz· Kapitel 5 ·Nervensystem 229

Daneben sind noch eine Reihe weiterer Zentren an der Schmerzbewertung


und -Verarbeitung beteiligt. So ist z. B. das ARAS (aufsteigendes retikuläres Akti-
vierungssystem, s. Abschn. 5.8) an der Bewertung des Schmerzerlebnisses betei-
ligt. Die durch den Schmerz ausgelösten emotionellen Reaktionen werden über
das limbisehe System, unter Beteiligung der dort vorhandenen Unlustareale ge-
steuert. Die vegetativen Reaktionen werden hingegen über den Hypothalamus
gesteuert. Einige dieser erwähnten Systeme erhalten ihre Signale aus dem Tha-
lamus, andere, v. a. im Bereich des Hirnstamms (z. B. das ARAS), direkt über die
afferenten Schmerzbahnen.

Zusammenfassung der Schmerzleitung: Schmerz wird über 3 Neurone geleitet.


Die entstehenden Impulse werden zunächst über die Ao- oder die C-Fasern ins
Rückenmark geleitet, wo sie über ein 2. Neuron auf die Gegenseite kreuzen und
dann über den Tractus spinothalamicus lateralis in den Thalamus aufsteigen.
Von dort aus gelangen die Impulse mit einem 3. Neuron in den Gyrus postcen-
tralis der Hirnrinde.

5.11.4 Kontrolle der Schmerzrezeption


(Schmerzwahrnehmung)

Das nozizeptive System (schmerzverarbeitende System) untersteht auch einer


Kontrolle durch hemmende Mechanismen. Neben den Afferenzen existieren
auch Efferenzen, die als schmerzhemmende absteigende Systeme bezeichnet
werden. Durch sie werden Schmerzsignale reguliert.
Die Fasern des efferenten Systems gehen dabei vom zentralen Höhlengrau Efferente Fasern für die
(Substantia grisea centralis), das im Mittelhirn um den Aquaeductus liegt, aus. Schmerzhemmung
Die Reizung dieser Areale hat eine analgetische Wirkung, die einer Menge von • in der Substantia grisea centralis
ca. 10-50 mg Morphin pro kg Körpergewicht entspricht. Ein weiteres Zentrum • im Nucleus raphe magnus
für die Regulation von Efferenzen ist die Region des großen Raphekerns (Nu-
deus raphe magnus), der sich ebenfalls im Mittelhirn befindet. Beide Kern- analgetisch
gebiete werden auch als periaquäduktielle Zellregionen (»neben dem Aquädukt schmerzlindernd
liegend«) bezeichnet.
Von beiden Regionen ziehen Fasern in das Hinterhorn des Rückenmarks, wo Fasern von periaquäduktiellen
sie Enkephalin und Endorphin (körpereigene morphinähnliche Substanzen) fre i- Zellregionen produzieren
setzen und damit die Schmerzempfindung über die spinathalamisehen Bahnen morphinähnliche Substanzen
(Bahnen zwischen dem Rückenmark und dem Thalamus) beeinflussen können. zur Schmerzhemmung: Enkephalin
Dies ist u. a. über die Hemmung der Freisetzung von Substanz P möglich. und Endorphin
Die Einnahme von Morphinen stoppt die körpereigene Produktion von En-
kephalin und Endorphin. Bei Missbrauch von Morphin (z.B. Heroin) als Droge, Wirkung von Morphinen: stoppen die
produziert der Körper diese nicht mehr bei einem Suchtmittelentzug. Folge ist, körpereigene Produktion von Enkephalin
dass die physiologischerweise durch Enkephalin und Endorphin unterdrückten und Endorphin
Schmerzen in Gelenken, Organen und anderen Körperregionen voll zum Tragen
kommen können. Damit sind Schmerzen Folgen des Entzugs.
230

5.12 Limbisches System

Funktionen des limbisehen Systems Der Begriff >>limbisches System<<fasst Strukturen zusammen, die das Corpus cal-
• Nahrungsaufnahme losum (Balken) wie einen Saum (= Limbus) umgeben. Diese Hirngebiete sind
• Sexualverhalten entwicklungsgeschichtlich sehr alt und machen bei niederen Säugern (z. B. Rat-
• Kontrolle biologischer Rhythmen ten) noch den allergrößten Teil des Telenzephalons aus (Abb. 5-35). Früher war
• Emotionelle Reaktionen man der Meinung, dass das limbisehe System lediglich Hirnanteile sind, die für
• Koordination von Gedächtnis die Riechfunktion zuständig sind. Aktuelle Erkenntnisse haben gezeigt, dass das
• Motivation limbisehe System noch wesentlich mehr Funktionen hat als nur die Riechfunk-
tion: Das limbisehe System beeinflusst das Verhalten bei Nahrungsaufnahme, das
Sexualverhalten, die Kontrolle biologischer Rhythmen, und emotionelle Reaktio-
nen, wie Wut, Angst, Lust und Unlust, aber auch Motivation. Gleichzeitig koordi-
niert das limbisehe System Gedächtnisvorgänge sowie den Übergang vom Kurz-
zeit- zum Langzeitgedächtnis.

ln Versuchen mit Ratten wurden in bestimmten Arealen des limbisehen Systems


Elektroden eingepflanzt, die sie durch Tastendruck selbst stimulieren konnten.
Die Tiere zogen dabei die Selbststimulation sogar der Nahrungsaufnahme und
dem Trinken vor, um das limbisehe System als übergeordnetes Zentrum positi-
ver Gefühle zu stimulieren.

5.13 Gedächtnis

Speicherformen des Gedächtnisses Über die eigentliche Art und Weise, in der die Gedächtnisinhalte (Engramme) in
• sensorisches Gedächtnis unserem Gehirn gespeichert sind, d. h. über die strukturelle oder molekulare Ba-
• Kurzzeitgedächtnis und sis des Gedächtnisses, ist bisher nur sehr wenig bekannt.
• Langzei tgedächtnis
Was die Speicherformen anbelangt, so sind mindestens 3 verschiedene Speicher-
formen bekannt:
• sensorisches Gedächtnis,
• Kurzzeitgedächtnis,
• Langzeitgedächtnis.

Das sensorische Gedächtnis kann auch als Ultrakurzzeitgedächtnis bezeichnet


werden. Es ist aktiv während man etwas hört, anschaut oder handelt. Sein Inhalt

.
•.
Abb.S-35 .
Darstellung des limbisehen Systems bei
Ratte, Katze, Affe und Mensch. Hier wird
deutlich, dass das limbisehe System
bei Menschen nur einen kleinen Teil
'

..~
des Endhirns ausmacht, bei der Ratte
hingegen den größten Teil
;J
'""' Mensch
Vegetatives Nervensystem · KapitelS· Nervensystem 231

wird meist nach weniger als einer Sekunde wieder gelöscht. Falls der vorhandene Das sensorische Gedächtnis ist permanent
Inhalt wichtig genug ist, wird er in das Kurzzeitgedächtnis übernommen. aktiv; Verweildauer der Information:
Das Kurzzeitgedächtnis behält seinen Inhalt während einiger Sekunden bis weniger als 1 Sekunde
zu einigen Minuten. Die Anzahl der gespeicherten Informationen ist limitiert; bei
Zahlen z. B. für die meisten Menschen maximal 7-stellige Zahlen. Durch Grup- Begrenzte Zahl an Informationen im
pierung der Information kann mehr gespeichert werden; Zahlen z. B. durch 2er- Kurzzeitgedächtnis; Verweildauer einige
oder 3er-Gruppen. Die Grundlage für das Kurzzeitgedächtnis liegt wahrschein- Sekunden bis einige Minuten
lich in der Veränderung von Membranpotentialen. Die Veränderungen des Mem-
branpotentials können jederzeit durch die Ankunft von neuen Informationen,
also Signalen, aufgehoben oder geändert werden, womit der Gedächtnisinhalt
verloren geht.
Wenn die Informationen des Kurzzeitgedächtnisses wichtig genug sind oder Wichtige Informationen gelangen ins
für wichtig gehalten werden, können sie in das Langzeitgedächtnis eingespeichert Langzeitgedächtnis. Den Übergang regelt
werden. Am Übergang des Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis ist das limbisehe der Hippocampus
System beteiligt. Hier sind es im Speziellen der Hippocampus und der Mandelkern
(Corpus amygdaloideum). Beide liegen im Temporallappen. Ist der Temporallap- Hippocampus
pen verletzt oder gestört, kann der Übergang vom Kurzzeit- in das Langzeitge- Ammonshorn, Teil des limbisehen
dächtnis nicht mehr funktionieren. Patienten mit einer derartigen Störung kön- Systems und Sitz wichtiger Riechhirn-
nen sich Sekunden nach einem Ereignis schon nicht mehr an dieses erinnern. funktionen
Im Langzeitgedächtnis sind ein Gedächtnisteil für Fakten von einem Ge-
dächtnisteil für Tätigkeiten zu unterscheiden. lm Gedächtnisteil für Fakten Langzeitgedächtnis: Faktengedächtnisteil
werden Namen, Plätze, Ereignisse gespeichert; im Gedächtnisteil für Tätigkeiten und Tätigkeitsgedächtnisteil
Abläufe wie Fahrrad fahren, Schlittschuh laufen, Tennis spielen etc. Inhalte des
Gedächtnisteil für Tätigkeiten werden v. a. im Kleinhirn und im frontal vor dem
motorischen Kortex liegenden Teil des Großhirns gespeichert.

5.14 Vegetatives Nervensystem

Das vegetative Nervensystem reguliert und koordiniert die Funktion der inneren
Organe. Dafür stehen 2 Fasersysteme zur Verfügung: der Sympathikus und der
Parasympathikus.

Das vegetative Nervensystem (Sympathikus und Parasympathikus) ist, ebenso


wie das somatische, auf der Basis eines Reflexbogens organisiert. Impulse, die in
den Organen entstehen, werden über afferente Neurone ins zentrale Nerven-
system (ZNS) geleitet, dort auf verschiedenen Ebenen umgeschaltet und über
2 efferente Neurone zu den viszeralen Organen geleitet. Das erste aus dem ZNS
austretende Neuron zieht zu einem vegetativen Ganglion und wird dort umge-
schaltet auf ein zweites, zum Erfolgsorgan ziehendes Neuron (Abb. 5-36). • präganglionär vor dem Ganglion
Wegen ihrer Lage zum Ganglion werden die beiden Neurone als prägang- gelegen
lionäres bzw. postganglionäres Neuron bezeichnet. Die Zellkörper des prägang- • postganglionär hinter dem Ganglion
lionären Neurons sind in den Seitenhörnern des Rückenmarks und in den ent- gelegen
sprechenden Kerngebieten verschiedener Hirnnerven lokalisiert.
Präganglionäre Axone (Zellausläufer) sind myelinisierte Fasern; postgang- Myelin
lionäre Axone sind nichtmyelinisierte Fasern. Da jedes präganglionäre Neuron Isolationsschicht um Nervenausläufer in
auf mehrere postganglionäre Neurone umgeschaltet wird, besitzen vegetative der Peripherie durch Schwann-Zellen, im
Effekte diffusen Charakter. Deshalb sind Eingeweideschmerzen schwer genau zu ZNS durch Oligodendrogliazellen gebildet
lokalisieren.
232

Abb. S-36.
Schema der verschiedenen Anteile des
Nervensystems. Es zeigt deutlich, dass im
somatischen Nervensystem (auf d ie
Skelettmuskulatur einwirkend) nur ein
efferentes Neuron (Motoneuro n) vor-
handen ist (oben). Im Sympathi kus und im
Parasympathikus hingegen (Mitte und un-
ten) sind 2 efferente Neurone vorhanden.
Ein präganglionäres Neuron wird in einem
praganglionär
Ganglion a uf ein postganglionäres Neuron
umgeschaltet. Im Sympathikus ist das prä-
l
ganglionäre Neuron kurz und das post-
ganglionäre lang, im Pa rasympathikus ist
es umgekehrt

Trotz dieser gemeinsamen Merkmale des Sympathikus und des Parasympa-


thikus haben die beiden Systeme wesentliche Unterschiede in Lage und Wirkung
wie in Tabelle5-3 und Abb. 5-37 verdeutlicht wird.

5.14.1 Sympathikus

Die präganglionären Neurone des Sympathikus nehmen ihren Ursprung im


Seitenhorn des thorakalen und oberen lumbalen Rückenmarks. Sie ziehen von
Sympathische Fasern dort als myelinisierte, weiße Fasern im Ramus communicans albus zum sympa-
• Ursprung im Seitenhorn des thorakalen thischen Ganglion.
und oberen lumbalen Rückenmarks Die sympathischen Ganglien liegen beiderseits direkt neben der Wirbelsäule
• als Grenzstrang entlang der Wirbelsäule in Form des Grenzstranges (Trunc us sympathicus) vor. Der Grenzstrang bes teht
(paravertebrale Ganglien) aus segmental angeordneten Ganglien, die kettenartig durch Nervenfasern mit-
einander verbunden sind. Da die Ganglien direkt neben der Wirbelsäule liegen,
• paravertebral: heißen sie paravertebrale Ganglien. Ihnen stehen die prävertebralen Ganglien
para =neben; vertebra =Wirbelsäule gegenüber, die innerhalb großer Nervengeflechte (Plexus) im Brust-, Bauch- und
Beckenbereich liegen.
• prävertebral: Der Grenzstrang besteht aus:
prä= vor; vertebra =Wirbelsä ule • Halsteil (3 Ganglien),
• Brustteil (12 Ganglien),
Teile des Grenzstranges: Hals-, Brust-, • Lendenteil (4-5 Ganglien),
Lenden-, Kreuzbein- und Steißbeinteil • Kreuzbeinteil (4-5 Ganglien),
• Steißbeinteil (1 unpaares Ganglion).

Sympathische Versorgung von Organen


Ramus communicans albus Eine direkte Faserversorgung über einen Ramus communicans albus ist nur im
weißer Verbindungsast Brustteil und im oberen Lendenteil vorhanden, die anderen Ganglien werden
(weiß= myelinisiert) auf- oder absteigend ebenfalls durch den Brust- oder Lendenteil versorgt.
Kopf- und Brustorgane: Die Ursprungskerne der präganglionären Fasern des
Sympathikus, die die Kopf- und Brustorgane versorgen, liegen im oberen Thora-
Vegetatives Nervensystem · Kapitel 5 · Nervensystem 233

Abb. 5-37.
Parasympathikus Gegenüberstellung von Sympathikus
Sympathikus
(links) und Parasympathikus (rechts). Der
Mesencephalon
Sympathikus besteht aus einem thora-
kolumbalen System, dessen prägang-
lionäre Neurone ihren Ursprung im Thora-
X
kal- und Lumbalbereich nehmen. Diese
werden meist in den Grenzstrangganglien
~ oder in den prävertebralen Ganglien
~ (Ganglion coeliacum, Ganglion mesenteri-
cum superius, Ganglion mesentericum
inferius) der Bauchhöhle umgeschaltet auf
die postganglionären Neurone. Der Pa(jl-
]l sympathikus besteht aus einem krania-
l!!
~ sakralen System, dessen präganglionäre
Neurone aus dem Hirnstamm und Sakral-
bereich stammen. Seine Fasern werden
im Kopfbereich in 4 parasympathischen
Ganglien umgeschaltet, im Bauch- und
...
~ Beckenbereichjedoch vielfach in intra-
E
3 muralen Ganglien (in der Organwand ge-
I
legen). Für die meisten Organe besteht
I eine Doppelversorgung über Sympathikus
und Parasympathikus. Die römischen Zah-
len stehen für die entsprechenden Hirn-
nerven, über die verschiedene parasym-
Hamblase und Geschled11SOrgane pathische Fasern verlaufen:
ROckenmar1<
111 =N. oculomotorius, VII =N. facialis,
IX= N. glossopharyngeus, X= N. vagus

kalbereich. Die Fasern für den Kopf werden im obersten Grenzstrangganglion


( Ggl. cervicale superius) umgeschaltet, die Fasern für den Brustbereich hingegen
im 3. Grenzstrangganglion (Ggl. cervicale inferius), das meist mit dem 1. Brust-
ganglion ( Ggl. thoracicum I) zum Sternganglion ( Ggl. stellatum) verschmilzt. Ein
Großteil der Fasern für den Kopf verläuft mit der A. carotis interna als Plexus ca-
roticus internus. Von der A. carotis interna und ihren Ästen verlaufen die Fasern
direkt zu den versorgten Organen, wie z. B. den Speicheldrüsen, den Schleimhäu-
ten und dem M. dilatator pupillae.
Bauch- und Beckenorgane: Die präganglionären Fasern, die die Bauch- und
Beckenorgane versorgen, ziehen durch die Grenzstrangganglien hindurch und
werden erst in prävertebralen Ganglien (vor d er Wirbelsäule liegend) in der Kör-
permitte umgeschaltet. Es h andelt sich um unpaare Ganglien.
Folgende 3 prävertebralen Ganglien versorgen die Brust- und Beckenorgane:
• Ganglion coeliacum,
• Ganglion mesentericum superius und
• Ganglion mesentericum inferius.
234

Tabelle S-3. Unterschiede zwischen Sympathikus und Parasympathikus

Merkmal Sympathikus Parasympathikus

Ursprung 1. Neuron Thorakal und lumbal Kranial und sakral


(präganglionär)

Lage der Ganglien Paravertebral (neben lntramural (in der


der Wirbelsäule) Wand der Organe
prävertebral gelegen)
Postganglionäre Noradrenalin Azetylcholin
Transmittersubstanz (adrenerges System) (cholinerges System)
Wirkung auf Ergotrop Trophotrop
Erfolgsorgane (leistungsbezogen) (ernährungsbezogen)

• Postgang/ionäre Fasern Mit Ausnahme dieser prävertebralen Ganglien ist es für den Sympathikus ty-
des Sympathikus sind länger pisch, dass die Ganglien, in denen die präganglionären auf die postganglionären
als die pränglionären Fasern umgeschaltet werden, relativ nahe beim ZNS (dem Rückenmark) liegen,
• Postganglionäre Fasern verlaufen also in den Ganglien des Grenzstranges (Truncus sympathicus) . Damit sind die
teilweise mit den Spinalnerven postganglionären Fasern erheblich länger als die präganglionären.
zu den Organen Die nicht myelinisierten postganglionären Fasern erscheinen grau. Sie führen
nicht nur zu den Organen, sondern teilweise auch mit den Spinalnerven in die
Peripherie, wo sie z. B. an Gefaßwänden und Schweißdrüsen enden. Diese in die
Ramus communicans griseus Peripherie verlaufenden Fasern gelangen über den Ramus communicans griseus
grauer Verbindungsast (der sich vom Ramus communicans albusdurch seine graue Farbe unterschei-
{grau= unmyelinisiert) det) zu den Spinalnerven.

Transmittersubstanzen und Rezeptoren


• Präganglionäre Transmittersubstanz Die präganglionäre Transmittersubstanz des Sympathikus ist das Azetylcholin;
für Sympathikus und Parasympathikus: dieses ist ebenso die präganglionäre Transmittersubstanz des Parasympathikus
Azetylcholin (s. unten). Postganglionär hingegen unterscheiden sich die beiden Anteile des ve-
• Postganglionäre Transmittersubstanz getativen Nervensystems dadurch, dass der Sympathikus Noradrenalin und der
für Sympathikus: Parasympathikus Azetylcholin als Transmittersubstanz einsetzt. Wegen der un-
Noradrenalin --+ adrenerges System terschiedlichen postganglionären Transmittersubstanz spricht man von einem
• Postganglionäre Transmittersubstanz cholinergen System beim Parasympathikus und einem adrenergen System beim
für Parasympathikus: Sympathikus. Beim adrenergen System wird die Wirkung am Erfolgsorgan über
Azetylcholin --+ cholinerges System 2 verschiedene Rezeptoren vermittelt: a -Rezeptoren und P-Rezeptoren.
a -Rezeptoren reagieren auf Noradrenalin; P-Rezeptoren auf Adrenalin. Meist
• a-Rezeptoren: wirken erregend durch wirken die <X-Rezeptoren erregend und die 13-Rezeptoren hemmend. So ver-
Noradrena lin ursachen <X-Rezeptoren z. B. an Blutgefäßen eine Vasokonstriktion (Verengung
• ß-Rezeptoren: wirken hemmend durch von Gefäßen), ß-Rezeptoren eine Vasodilatation (Erweiterung von Gefäßen).
Adrenalin
5.14.2 Parasympathikus

Die präganglionären parasympathischen Neurone liegen z. T. im Hirnstamm und


z. T. im Sakralmark Deshalb nennt man den Parasympathikus auch kraniosakra-
les System.
Vegetatives Nervensystem · Kapitel 5 · Nervensystem 235

Die Fasern des kranialen Teiles (vom Hirnstamm) verlaufen mit den Hirn-
nerven N. oculomotorius, N. trigeminus, N. facialisund N. glossopharyngeus zu
den Erfolgsorganen. Die Umschaltung der präganglionären auf die postganglio-
nären Fasern erfolgt in 4 parasympathischen Kopfganglien:
• Ganglion ciliare (in der Augenhöhle),
• Ganglion pterygopalatinum (in der Fossa pterygopalatina),
• Ganglion submandibulare (unterhalb der Mandibula),
• Ganglion oticum (medial vom Ramus mandibulae).

Brust- und Bauchorgane: Die Fasern für die Brust- und Bauchorgane verlaufen N. vagus = Hauptnerv des Para-
im N. vagus (X. Hirnnerv) der seinerseits aus dem kranialen Teil des Parasympa- sympathikus
thikus stammt. Der N. vagusist der Hauptnerv des Parasympathikus. Er zieht mit
seinen Fasern durch den gesamten Brust- und Bauchraum und versorgt die dort
liegenden Organe einschließlich des Dickdarms (bis zum Ende des Querkolons).
Die Fasern aus dem sakralen Parasympathikus verlaufen über die Nn. splanchni-
ci pelvini, die gelegentlich unter dem Sammelbegriff des N. pelvicus zusammen-
gefasst werden. Aus dem sakralen Teil werden der Dickdarm vom Ende des Quer- • Parasympathische präganglionäre
kolons bis zum Rektum und die Harnblase sowie die Geschlechtsorgane para- Fasern sind sehr lang, da sie erst in der
sympathisch versorgt. Nähe der Erfolgsorgane umgeschaltet
lm Unterschied zu den sympathischen sind die parasympathischen prägang-
werden
lionären Fasern sehr lang, da sie meist in der Nähe der Erfolgsorgane oder in die- • Parasympathische postganglionäre
sen selbst (intramurale Ganglien) umgeschaltet werden. So werden z. B. im Ma-
Fasern sind sehr kurz
gen-Darm-Trakt die Fasern des N. vagus im Plexus myentericus und im Plexus • Transmittersubstanz ist das Azetylcholin
submucosus umgeschaltet (s. Kap. 10, Verdauungsapparat). Die postganglionären
Fasern sind dementsprechend sehr kurz. Die Transmittersubstanz der prä- und intramural
postganglionären Fasern ist das Azetylcholin. in der Wand der Organe gelegen

5.14.3 Regulation durch das vegetative Nervensystem

Bei den meisten Erfolgsorganen des vegetativen Nervensystems ist die Wirkung Sympathikus und Parasympathikus wirken
von Sympathikus und Parasympathikus antagonistisch, also entgegengesetzt (Ta- antagonistisch:
belle 5-4). Allgemein gilt, dass der Sympathikus den Körper äußeren Belastungen • Sympathikus steigert Aktivität
anpasst, indem zur Aktivitätssteigerung Energieumsatz, Blutdruck, Herzfrequenz • Parasympathikus fördert Ruhe
etc. positiv beeinflusst werden. Deshalb wird die sympathische Reaktionslage des und Erholung
Körpers als ergotrop (leistungsfördernd) bezeichnet.
Der Parasympathikus hingegen fördert die Erholung des Körpers und hilft, • ergotrop leistungsfördernd
Leistungsreserven wieder aufzubauen. Unter seiner Wirkung werden Blutdruck • trophotrop ernährungs-, erholungs-
und Herzfrequenz gesenkt, Darm- und Drüsentätigkeit aktiviert, Glykogen in der bezogen
Leber aufgebaut und die Ausscheidungsrate (z. B. in der Niere) erhöht. Die para-
sympathische Reaktionslage des Körpers wird deshalb als trophotrop (der Er-
nährung zugewandt) bezeichnet.
Der Sympathikus, der die Aktivität und Aufmerksamkeit steigert, überwiegt
am Tag. Der Parasympathikus, der die Bewusstseinshelligkeit reduziert, über-
wiegt in der Nacht.
Ein Großteil der Regulation des vegetativen Nervensystems verläuft über Autonome Reflexe: Regulation
autonome Reflexe. Diese Reflexe laufen wie Fremd- und Eigenreflexe über Re- des vegetativen Nervensystems
flexbögen. Sie laufen also über Rezeptoren und afferente Neurone, werden um-
geschaltet auf efferente Neurone und gelangen über Assoziationszellen an Effek-
236

Tabelle S-4. Überblick über die Wirkungen von Sympathikus und Parasympathikus
auf die verschiedenen Organe

Organ/Korperteil Sympathikus Parasympathikus

Gehirn (indirekt) Bewusstseinssteigerung Bewusstseinsdämpfung


Auge Pupillenerweiterung Pupillenverengung
Akkommodation
Kopfgefäße Vasokonstriktion Vasodilatation
Herz Schlagbeschleunigung Schlagverlangsamung
Verkürzung der Verlängerung der
Überleitungszeit Überleitungszeit
Koronarerweiterung
Steigerung der
Kontraktionskraft
Lunge Bronchodilatation Bronchokonstriktion'
Magen Peristaltikhemmung Peristaltikförderung
Darm Peristaltikhemmung Peristaltikförderung
Leber Glykogenabbau Glykogenspeicherung
Dickdarm Kotverhalten Defäkation
Blase Harnverhalten Harnentleerung
Genitale Ejakulation Erektion

torzellen, die dadurch in charakteristischer Weise beeinflusst werden. Beispiel


Blutdruckregulation:
In der Wand der herznahen großen Arterien sitzen Druckrezeptoren (Baro-,
Pressorezeptoren), die Schwankungen im arteriellen Blutdruck über afferente
Neurone in das verlängerte Mark (Medulla oblongata) melden . Hier werden
Assoziation Assoziationsneurone eingeschaltet, die die einlaufende Information verarbeiten
Koppelung, Verbindung und entsprechende Aktionspotentiale über efferente Neurone (Fasern des Sym-
pathikus- bzw. Parasympathikus) zurück zum Herzen schicken. Am Herzen füh-
ren diese Impulse je nach Abweichung entweder zu einer Erhöhung oder Ernie-
drigung der Herzfrequenz und/oder der Schlagkraft; gleichzeitig werden über
diesen Reflex die peripheren Gefäße beeinflusst und der Blutdruck konstant ge-
halten.
Für die Aufrechterhaltung der Homöostase ist u. a. der Hypothalamus (ein
Teil des Zwischenhirns mit vegetativem Anteil) verantwortlich. Hier werden die
verschiedenen hormonellen und vegetativen Regulationsmechanismen koordi-
Homöostase niert (s. auch Kap. 12, Endokrinologie). Homöostase bezeichnet einen Gleichge-
Selbstregulation in einem biologischen wichtszustand des inneren Milieus, z. B. für die Körpertemperatur, die Ionenkon-
Fließgleichgewicht mit dem Ziel zentration in den Flüssigkeitsräumen, die Glukosekonzentration im Blut etc. Dies
der Aufrechterhaltung des Systems ist Voraussetzung für das Funktionieren von allen Zellen und damit von Leben.

5.15 Elektroenzephalogramm (EEG)

Von der Schädeloberfläche können durch Anlegen von Elektroden elektrische


• bipolar zweipolig Ströme abgeleitet werden. Erfolgt dies mit 2 differenten Elektroden, spricht man
• unipolar einpolig von einer bipolaren Ableitung. Erfolgt es mit einer differenten und einer indiffe-
Schlaf · Kapitel 5 · Nervensystem 237

renten Elektrode, spricht man von einer UnipolarenAbleitung (Abb. 5-38a-c). Die Hirnstromwellen und -frequenzen
abgeleiteten Ströme werden über einen Verstärker auf einem Kathodenstrahl- • a-(Aipha)-Wellen: 8- 13 Hz
oszillographen sichtbar gemacht. Es handelt sich dabei um die Summe der ver- • ß-(Beta}-Wellen: 14-30Hz
schiedenen hemmenden und erregenden Impulse (Aktionspotentiale), die unter • 1'}-(Theta)-Wellen: 4-7 Hz
der Schädelkalotte von den Hirnregionen und ihrer schier unendlichen Zahl • 6-(Delta)-Wellen: 0,5- 3 Hz
einzelner Neuronen entstehen. Die verschiedenen Frequenzen der Hirnströme
(Wellen) in Abhängigkeit von Lebensalter und Wachzustand sind ind Abbildung
5-38a-c dargestellt.

bipolar unipolar Frequenz Abb. 5-38a-c.


(Hz) a Darstellung der unipolaren und bipola-
a
8-13 ~ ren Ableitung eines Elektroenzephalo-
14-30

4-7
"
~
ll
~
gramms (EEG),
b Darstellung der 4 physiologischen
Wellenformen [a-(Aipha-), ß-(Beta-),
0,5-3 ~
8--(Theta-) und y-(Gamma-)Wellen] mit
differente indifferente ihren Frequenzen,
Elektroden Etek1roden 1 s
c verschiedene pathologische Wellen-
8 b c
formen wie siez. B. bei Epilepsie auftreten

Bei der Ableitung des EEG sollte der Patient die Augen geschlossen halten,
da so nst über senso rische Impulse von der Retina (Netzhaut des Auges) in
die Hirnrinde der a-Rhythmus blockiert wird und nur noch der hochfrequente
ß-Rhythmus gemessen werden kann.

Bei Säuglingen und Kleinkindern überwiegen die 6- und ,3-- Wellen. Mit zu-
nehmender Reife kommt es zur Ausbildung von a- und ß-Wellen. Beim Erwach-
senen überwiegen in entspanntem Zustand a-Wellen, bei angespannter Auf-
merksamkeit v. a. ß-Wellen. Im Schlaf überwiegen die 6-Wellen mit ihrer relativ
niedrigen Frequenz. Auch verschiedene pathologische Zustände können zum
Überwiegen der 6-Wellen führen, z. B. Hypoxie, Hypoglykämie, Hirn ödem, Epi-
lepsie (Abb. 5-39). Auch Pharmaka können die Frequenzen der Hirnströme stark
beeinflussen. So wird z. B. unter geringen Dosen von Barbituraten (Schlafmittel)
die Aufmerksamkeit erhöht, d. h., die Frequenz verschiebt sich zunächst in Rich-
tung der a- Wellen und verändert sich dann bei höheren Dosen über ,3-- Wellen zu
6-Wellen. Narkose und Koma sind gekennzeichnet durch 6-Wellen von ca. einer
Schwingung pro Sekunde und weniger (Abb. 5-39).

5.16 Schlaf

Der Schlaf ist gekennzeichnet durch das Vorkommen verschiedener Schlafsta- Schlafstadien:
dien, die im Laufe einer Nacht mehrfach durchlaufen werden. Aufgrund des EEG- • 5 Schlafphasen von A (Phase des
Bildes werden 5 Stadien A-E unterteilt, wobei A die Phase des Wachseins und E Wachseins) bis E(Phase des Tiefschlafs.)
die Phase des Tiefschlafs mit 6-Wellen darstellt (Abb. 5-40 ). • Besondere Phase ist der REM-Schlaf
Eine besondere Phase ist der REM-Schlaf. Das EEG zeigt während des REM-
Schlafs eine typische niederamplitudige B-Phasen-Frequenz, die sonst nur wäh- REM >>rapid eye movement«
238

Abb. S-39.
Darstellung der verschiedenen Wellenfor-
men des EEG (Eiektroenzephalogramm)
mit ihrer Bedeutung. Beim Kind überwie-
gendie li--Wellen, beim Erwachsenen
unter Entspannung die a -Wellen und bei
Aufmerksamkeit die ß-Wellen. Im Schlaf
sind es v. a. b-Wellen, d ie auftreten Säugling Erwachsener

Schlaf Entspannung Aufmerllsamkeit


11

Narlmse
Koma Hypokapnle, Hypoxie, Hypoglykämie
Himödem. Himtumor, Epilepsie (kleine Dosen)
Barbituratwirllung
• (große Dosen)

rend des Einschlafens auftritt. Die Herzfrequenz und die Atemfrequenz sind er-
höht, und das Elektrookulogramm(EOG) zeigt h eftige Augenbewegungen. Trotz-
dem sind Schlaftiefe und Muskeltonus (schlaff) ähnlich wie beim Tiefschlaf.
paradox widersinnig, ungewöhnlich Deshalb nennt man die Phase des REM-Schlafs paradoxen Schlaf.
Weckt man Personen zum Zeitpunkt des REM-Schlafs, erinnern sie sich deut-
lich an Träume. Somit kann man annehmen, dass während der Phase des REM-
Schlafs geträumt wird. Die REM-Schlafphasen treten ca. 5- bis 6-mal pro Nacht
auf und dauern bis zu 20 min. In REM-Phasen kommt es außerdem, offensicht-
lich unabhängig vom Trauminhalt, zu Erektionen des Penis und einer Mehr-
durchblutung der Klitoris. Ersteres ist beim Mann auch dann der Fall, wenn psy-
chogene Impotenz (d. h. Unfähigkeit zur Erektion) vorliegt. Als psychogen wird
die Impotenz bezeichnet, wenn keine organischen Veränderungen als Ursache in
Betracht kommen.

Bei vielen Menschen sinkt im Laufe des Lebens der Bedarf an Gesamtschlaf, und
die Phasen des eigentlichen Tiefschlafs nehmen ab. Dadurch schlafen ältere
Menschen häufig weniger und auch weniger tief; sie haben einen »leichteren«
Schlaf.

Schlafstörungen: Ein- und Schlafstörungen


Durchschlafstörungen (lnsomnia) Ein- und Durchschlafstörungen, sog.lnsomnia können bei jüngeren Personen je-
den Alters beobachtet werden. Besonders häufig werden Schlafstörungen berich-
lnsomnia tet, wenn die subjektiven Erwartungen an Schlaflänge und Schlaftiefe n icht mit
Schlafstörung der objektiven Schlafqualität übereinstimmt. In diesen Fällen ist trotzdem häufig
(Somnus =lateinisch: der Schlaf) ein der Norm entsprechendes Schlafprofil vorhanden, d . h. d ie Erwartungshal-
tung ist einfach zu hoch. Umgekehrt gibt es ein stark gesteigertes Schlafbedürfnis
(Hypersomnia). Die Hypersamnie kann gelegentlieb pathologische Formen an-
Schlaf · Kapitel S · Nervensystem
239

Abb.S-40.
A Gegenüberstellung der verschiedenen
.,
c B Schlafphasen und ihrer typischen EEG-

"'
iii c Stadien und verschiedener Körper-
6w D funktionen. EOG Elektrookulogramm
w
E (Ableitung der Augenbewegungen), ~

EMG Elektromyogramm (Ableitung des


Muskeltonus), REM »rapid eye movement«
(Phasen schneller Augenbewegungen,
EOG wie sie mit dem EOG gemessen werden
EMG können). Während einer Nacht werden die
[11min]
REM-Phasen ca. 5- bis 6-mal durchlaufen.
80
Während der REM-Phasen ist die Herz-
.,c
N

::>
70 frequenz erhöht, und die 6-Wellen des
w
"E.,
Schlafs werden von ß· und {}-Wellen ab-
60 gelöst. Weitere Erläuterungen s. Text
r
so

nehmen mit unkontrollierbaren Schlafattacken während des Tages (Narkolepsie)


die zwischen wenigen Sekunden bis ca. 30 min dauern können. Damit ist vielfach
ein starker Tonusverlust der Muskulatur verbunden.
Schlafwandeln (Somnambulismus) tritt v. a. bei Kindern und Jugendlichen
auf, die beim Übergang vom Delta- in den Theta-Schlaf, also vor dem Eintritt in
die REM-Phase, mit geöffneten Augen umhergehen und dabei nicht ansprechbar
sind. Nach dem Aufwecken haben sie meist Mühe mit der Orientierung und
können sich nicht an Träume oder an das Schlafwandeln erinnern.
240 5.17 Fragen und Zusammenfassung zum Nervensystem

Wie wird das Nervensystem Das Nervensystem besteht aus einem zerebrospinalen und
eingeteilt? einem vegetativen AnteiL Sowohl der zerebrospinale Teil des
Nervensystems als auch der vegetative setzt sich aus einem
zentralen (ZNS) und einem peripheren (PNS) Anteil
zusammen.

Welches Keimblatt bildet die Das Ektoderm, aus ihm gehen das Neuralrohr und die Neu-
Ausgangsstrukturen des ralleisten hervor.
Nervensystems und wie heißen
diese?

Was sind die typischen Nervenzellen sind spezialisiert für die Erregungsleitung,
Merkmale der Nervenzellen? extrem empfindlich gegenüber Sauerstoffmangel und können
sich nicht mehr mitotisch teilen.

Welche Funktion hat die Glia? Nervenzellen und ihre Ausläufer werden durch Glia gegen-
Welche Gliaarten kennen Sie? einander isoliert. Gliazellen regulieren das innere Milieu,
dienen dem Stoffaustausch und sind am Abbau und der
Narbenbildung beteiligt. Die Glia des PNS besteht aus
Schwann-Zellen und Mantelzellen. Die Glia des ZNS besteht
aus Oligodendrozyten, Astrozyten, Mikroglia und
Ependymzellen.

Was ist die Funktion der Synap- Synapsen übertragen die Erregung von der präsynaptischen
sen? Nennen sie die 2 wichtig- auf die postsynaptische Zelle. Man unterscheidet erregende
sten Synapsentypen! von hemmenden Synapsen.

Was ist ein Ruhemembran- Das Ruhemembranpotential der Zellen kommt durch das
potential und was ein Aktions- Ausströmen von positiv geladenen Kaliumionen und die
potential? negative Ladung der intrazellulären Proteine zustande. Das
Aktionspotential basiert auf einem Einstrom von Na+-lonen.
Die Permeabilität der Membranen wird durch eine
Depolarisation bis an die Schwelle (-55 m V) ermöglicht.
Von der Schwelle an läuft das Aktionspotential unter allen
Umständen ab (Alles-oder-Nichts-Gesetz).

Wie ist das Rückenmark aufge- Das Rückenmark enthält im Inneren die graue Substanz
baut und strukturiert? (Schmetterlingsfigur), der außen die weiße Substanz in Form
von Leitungsbahnen angelagert ist. Das Rückenmark ist nur
bis auf die Höhe des 1.- 2. Lumbalwirbels kompakt, weiter
kaudal besteht der Inhalt des Wirbelkanals aus Wurzelfäden
(Cauda equina).
Die graue Substanz des Rückenmarks wird unterteilt
in ein Vorderhorn, ein Hinterhorn und im Brustmark
in ein Seitenhorn.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 5 · Nervensystem 241

Die weiße Substanz des Rückenmarks wird unterteilt in einen


Vorderstrang, einen Seitenstrang und einen Hinterstrang.
Was ist ein Spinalnerv, wie ist er
aufgebaut? Die Spinalnerven entstehen durch den Zusammenschluss von
Nervenfasern aus dem Vorderhorn (vordere Wurzel) und dem
Hinterhorn (hintere Wurzel). In Form von Wurzelfäden ver-
lassen sie das Rückenmark, um als periphere Nerven (Spinal-
nervenpaare) auf jeder Körperseite durch die Zwischen-
wirbellöcher auszutreten. In der hinteren Wurzel befindet
sich das Spinalganglion, das die Perikarya der afferenten sen-
siblen Nerven enthält. Ein Spinalnerv enthält: somatasensible
und viszerosensible Fasern (Afferenzen) sowie somatornoto-
rische und viszeramotorische Fasern (Efferenzen). Es sind
8 Halsnervenpaare (Nn. cervicales), 12 Brustnervenpaare
(Nn. thoracici), 5 Lendennervenpaare (Nn.lumbales),
5 Kreuzbeinnervenpaare (Nn. sacrales) und
1-2 Steißbeinnervenpaare (Nn. coccygei) vorhanden.
Spinalnerven geben 3 größere Äste ab:
• Ramus dorsalis (sensible und motorische Versorgung
dorsaler Bereiche, z. B. Erector spinae),
• Ramus ventralis (sensible und motorische Versorgung
des Rumpfes und der Gliedmaßen),
• Ramus communicans albus
(Verbindung zum sympathischen Grenzstrang).

Was ist ein Nervenplexus? Durch Vermischung der in den Rami ventrales vorhandenen
Nennen Sie die wichtigsten, Nervenfasern kommt es zur Plexusbildung.
mit ihren Hauptnerven und den • Plexus cervicalis: N. phrenicus (Diaphragma)
dazugehörigen Funktionen • Plexus brachialis: N. musculocutaneus (M. biceps),
N. radialis (Extensoren an Ober- und Unterarm),
N. medianus (Flexoren am Unterarm),
N. ulnaris (ulnare Flexoren am Unterarm)
• Plexus lumbalis: N. femoralis (M. quadriceps femoris),
N. obturatorius (Adduktoren am Oberschenkel)
• Plexus sacralis: N. ischiadicus mit 2 Ästen:
N. fibularis (Extensoren am Unterschenkel),
T. tibialis (Flexoren am Unterschenkel)

Dermatome sind Hautareale (insgesamt 30 ), die segmental


Erklären Sie den Begriff
vom entsprechenden Spinalnerven versorgt werden.
des Dermatoms! Die Kenntnis der Dermatome ist wichtig für die Lokalisation
von Rückenmarkläsionen.
Nennen Sie die verschiedenen
242
Hirnnerven mit den wichtigsten
Funktionen!
Direkt aus dem Gehirn austretende, in die Peripherie
verlaufende Nerven werden als Hirnnerven bezeichnet.
Man unterscheidet 12 Hirnnervenpaare (I-XII).
• I. Bulbus olfactorius (Riechnerv)
• II. N. opticus (Sehnerv)
• III N. oculomotorius (Augenmuskelnerv)
• IV. N. trochlearis
.-..
-~

(Augenmuskelnerv: M. obliquus superior)


• V. N. trigeminus (Sensibilität Gesicht und Kopf)
• VI. N. abducens (Augenrnuskelnerv: M. rectus lateralis)
• VII N. facialis (mimische Muskulatur)
• VIII. N. statoacusticus (Ohr und Vestibularapparat)
• IX. N. glossopharyngeus (sensorisch hintere 2/3 der
Zunge, motorisch Pharynxmusk. )
• X. N. vagus (Hauptnerv des Parasympathikus)
• XI. N. accessorius
(M. sternocleidomastoideus, M. trapezius)
• XII. N. hypoglossus (motorisch Zungenmuskulatur)
Wie wird das Gehirn eingeteilt?
Das Gehirn besteht aus dem Endhirn (Telenzephalon), dem
Zwischenhirn (Dienzephalon), dem Mittelhirn (Mesenzepha-
. ) lon), dem Hinterhirn (Metenzephalon) und dem Nachhirn
(Myelenzephalon, Medulla oblongata).
Was ist Liquor cerebrospinalis
Liquor ist eine zell-und proteinarme Flüssigkeit. Insgesamt
und wo wird er gebildet?
werden 150 ml in ca. 2 Tagen umgesetzt. Liquor kann durch
Subokzipital-oder Lumbalpunktion gewonnen werden.
Durch Liquor im Subarachnoidalraum wird das wirksame
Gewicht des Gehirns von 1350 g auf 50 g reduziert (Auftrieb).
Im Gehirn befinden sich insgesamt 4 mit Liquor
cerebrospinalis gefüllte Ventrikel. Der 3. und der 4. Ventrikel
•• I
sind über den Aquädukt miteinander verbunden. Liquor wird
im Plexus choroideus gebildet und fließt aus dem Ventrikel-
system in den Subarachnoidalraum, von wo aus er über
Blutgefäße wieder aufgenommen wird.

Die Bestandteile des Zentralnervensystems (Gehirn und


Welche Schichten der Hirnhäute
Rückenmark) sind von Hirn- und Rückenmarkhäuten
kennen Sie, welche Funktion
umgeben: Pia mater (weiche Hirnhaut), liegt direkt auf dem
haben sie?
Hirngewebe. Darüber befindet sich die Arachnoidea,
..... (I,. (Spinnwebshaut) dann folgt nach außen die Duramater
(harte Hirnhaut). Zwischen Arachnoidea und Pia mater
befindet sich der mit Liquor gefüllte Subarachnoidalraum.
Nennen Sie die einzelnen Fragen und Zusammenfassung · Kapitel S · Nervensystem 243
Hirnabschnitte mit ihren
wichtigsten Strukturen! Die Duramater spinalis (harte Rückenmarkhaut) ist in 2 Blät-
ter geteilt, zwischen denen sich im Fettgewebe (im Cavum
epidurale) ein venöser Plexus befindet.
Die Medulla oblongata (Nachhirn, verlängertes Mark) ist die
Verbindung zwischen Gehirn und Rückenmark. Sie hat eine
Länge von ca. 3 cm. Bei Anblick von ventral sieht man Vorwöl-
bungen: die Pyramiden (hier verlaufen Fasern der Pyrami-
denbahn: Willkürmotorik) und die Oliven (hier liegt der
Nucleus olivaris: Schaltzentrum der Extrapyramidalmotorik).
Auf der Dorsalseite bildet die Medulla oblongata einen Teil
der Fossa rhomboidea, die ihrerseits den Boden des 4· Ventri-
kels bildet.
Das Metenzephalon (Hinterhirn) besteht aus Pons (Brücke)
und Cerebellum (Kleinhirn). In der Brücke befinden sich
querverlaufende Faserzüge und die Brückenkerne (Nuclei
pontis). Die Brücke ist Schaltstation der Bahnen, welche die
Großhirnrinde mit der Kleinhirnrinde verbinden. Das Klein-
hirn (Cerebellum) steht über die Kleinhirnstiele in Verbin-
dung mit dem Mittelhirn, der Brücke und dem Rückenmark.
Die Rinde des Kleinhirns ist 3-schichtig; von außen nach
innen: Stratum moleculare (mit Parallelfasern), Stratum
ganglionare (mit Purkinje-Zellen), Stratum granulare (mit
Körnerzellen). Über die Moosfasern und die Kletterfasern
gelangen die Afferenzen ins Kleinhirn. Über die Purkinje-
Zellneuriten werden die efferenten Impulse zu den Kleinhirn-
kernen (Nucleus dentatus, Nucleus emboliformis, Nucleus
fastigii, Nucleus globosus) geleitet, wo sie umgeschaltet
werden (2 Afferenzen, 1 Efferenz). Das Kleinhirn ist an der
Aufrechterhaltung des Körpergleichgewichtes beteiligt und
koordiniert gezielte Bewegungen, ohne sie jedoch auszulösen.
Es ist ein Regulationsorgan der Motorik.
Das Mesenzephalon (Mittelhirn) besteht aus dem Dach
(Tectum), der Haube (Tegmentum) und den Hirnschenkeln
( Crura cerebri). Das Dach wird aus der Vierhügelplatte gebil-
det. Die Colliculi superiores sind Schaltstellen der Sehbahn,
die Colliculi inferiores sind Schaltstellen der Hörbahn. In der
Haube befinden sich Nucleus ruber und Substantia nigra.
Beides sind Schaltzentren der Extrapyramidalmotorik Im
Zentrum der Hirnschenkelliegt die Pyramidenbahn (Will-
kürmotorik).
Das Dienzephalon (Zwischenhirn) besteht aus Thalamus,
Epithalamus, Metathalamus und Hypothalamus. Der Thala-
mus ist das wichtigste unbewusst arbeitende Integrations-
zentrum der allgemeinen Sensibilität. Der Epithalamus
besteht aus der Epiphyse (Zirbeldrüse) und der Habenula
(Zügel). Der Metathalamus besteht aus Corpus geniculatum
laterale (Schaltzentrum der Sehbahn) und Corpus genicula-
tum mediale (Schaltzentrum der Hörbahn). Der Hypothala-
244

mus ist wichtiges Regulationszentrum des vegetativen


Nervensystems und des endokrinen Systems.
Die Formatio reticularis (»Schaltzentrale<<) zieht sich netz-
artig mit verschiedenen Kernstrukturen von der Medulla
oblongata bis in das Dienzephalon hinein. In ihr sind Regula-
tionszentren für die Atmung, den Kreislauf etc.lokalisiert.
Ebenso ist das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem
(ARAS), das für die Weckreaktion und den Grad der Bewusst-
seinshelligkeitverantwortlich ist, in der Formatio reticularis
lokalisiert. Durch Unterbrechung des ARAS, z. B. durch
Narkose, kommt es zur Bewusstlosigkeit.
Die Oberfläche des Telenzephalons (Endhirn ) ist durch
Windungen (Gyri) und Furchen (Sulci) 3-mal vergrößert. Das
Telenzephalon besteht aus 5 Lappen (Lobi): Lobus frontalis,
Lobus parietalis, Lobus temporalis, Lobus occipitalis und
Insula.
Die graue Substanz liegt in der Rinde sowie in den Basal-
ganglien.
Wie ist die Rinde (Kortex)
des Telenzephalons aufgebaut? Die Rinde ist in den meisten Bereichen des Telenzephalons
6-schichtig; von außen nach innen: Molekularschicht, äußere
Körnerschicht, äußere Pyramidenschicht, innere Körner-
schicht, innere Pyramidenschicht und multiforme Schicht.

Welche Basalganglien kennen


Zu den Basalganglien werden gerechnet: Nucleus caudatus,
Sie?
Putamen (beide zusammen als Corpus striatum oder kurz
Striatum bezeichnet), Globus pallidus (Pallidum), Corpus
amygdaloideum (Amygdala = Mandelkern) und Claustrum.

Nennen Sie die Aufgaben Das Striatum hemmt die Bewegung, das Pallidum fördert sie.
des Striatum und des Pallidum
in Bezug auf die Motorik!

Wo liegen der motorische, wo Im Gyrus praecentralis (vor dem Sulcus centralis) liegt der
der sensible Kortex? Wo liegt motorische Kortex. Im Gyrus postcentralis liegt der sensible
das motorische Sprachzentrum, Kortex. Die Körperregionen sind in diesen Gyri somatato-
die primäre Hörrinde, pisch angeordnet. Die Heschl-Querwindungen im Temporal-
lappen sind die primäre Hörrinde. Das ßroca-Sprachzentrum
das sensorische Sprachzentrum,
ist für die Motorik der Sprache verantwortlich. Das Wernicke-
die Sehrinde?
Zentrumist die sensorische Sprachregion. Im Sulcus
calcarinus liegt die Sehrinde.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 5 · Nervensystem 245
Wie ist die weiße Substanz
aufgebaut und welche
Sie besteht aus Nervenfasern und ihren Hüllen (zentrale
Fasertypen kennen Sie? Glia). Man unterscheidet Kommissurenfasern, Assoziations-
fasern, Projektionsfasern. Kommissurenfasern verbinden die
2 Hirnhälften miteinander. Assoziationsfasern verbinden

Kortexareale innerhalb der gleichen Hirnhälfte. Projektions-


fasern verbinden eine Hirnhälfte mit der gegenseitigen
Körperhälfte.
Nennen Sie 2 Arten von Reflexen
und geben Sie die wichtigsten
Man unterscheidet den monosynaptischen oder Eigenreflex
und den polysynaptischen oder Fremdreflex. Beim Eigen-
Merkmale an!
reflex liegen Rezeptor (z. B. Muskelspindel) und Effektor
(Muskel) im gleichen Organ. Beim Fremdreflex liegen sie in
verschiedenen Organen (z. B. Haut und Muskel). Polysynapti-
sche Reflexe sind ermüdbar, monosynaptische Reflexe nicht.

Wie wird die Motorik reguliert? Man unterscheidet die Willkürmotorik (Pyramidalmotorik)
von der Unwillkürmotorik (Extrapyramidalmotorik).
Bewegungsantrieb und Bewegungsplan gehen meist von
subkortikalen Regionen aus (z. B.limbisches System).
Willkürmotorik: Der eigentliche Impuls der Willkürmotorik
stammt aus dem Gyrus praecentralis (motorischer Kortex).
Von hier aus laufen die Fasern über die Capsula interna und
kreuzen zu 75% im Bereich der Medulla oblongata in der
Pyramidenkreuzung auf die Gegenseite. Sie verlaufen dann
als Tractus corticospinalis lateralis bis auf die Höhe des
Rückenmarks, wo sie auf die Motoneurone umgeschaltet
werden. Diese treten in den Wurzelfäden der Spinalnerven
aus. Die restlichen 25% der Fasern verlaufen im Tractus
corticospinalis anterior und kreuzen dann ebenfalls dort,
wo sie im Spinalnerv das Rückenmark verlassen.
Unwillkürmotorik: Die Fasern der Extrapyramidalmotorik
laufen über das Striatum und das Pallidum zum Hirnstamm,
wo sie in der Substantia nigra und dem Nucleus ruber
umgeschaltet werden. Sie verlaufen weiter über den Tractus
reticulospinalis lateralis und medialis der Gegenseite.
Kleinhirn und Vestibularapparat (Gleichgewichtsorgan des
Innenohrs) sind maßgeblich an der Extrapyramidalmotorik
beteiligt. Ihre Aufgabe ist es, die Muskelaktivität bei ziel-
gerichteten Bewegungen zu koordinieren und automatisierte
Bewegungsabläufe zu steuern.
Beide Systeme, sowohl die Pyramidalmotorik als auch die
Extrapyramidalmotorik, benutzen die gleiche motorische
Endstrecke, d. h. das motorische Neuron mit Ursprung im
Vorderhorn des Rückenmarks.

Man unterscheidet beim Schmerz 4 verschiedene


Komponenten: eine sensible, affektive, vegetative und
motorische Komponente.
Welche Schmerzkomponenten
kennen Sie?
246 Wie wird die sensible Kompo-
nente des Schmerzes unterteilt?
Man unterscheidet einen somatischen vom viszeralen
Schmerz. Der somatische Schmerz lässt sich unterteilen in
Oberflächen- und Tiefenschmerz. Der Oberflächenschmerz
tritt als 1. Schmerz (scharf, gut lokalisierbar) und als
2. Schmerz (dumpf, schlecht lokalisierbar) auf.
Nennen Sie die Schmerzrezep-
toren und die körpereigenen Die Rezeptoren des Schmerzes (Nozizeptoren) sind die freien
schmerzauslösenden Sub- Nervenendigungen. Körpereigene schmerzauslösende
stanzen! Substanzen sind: Azetylcholin, Seroton in, Histamin,
Bradykinin. Prostagland in sensibilisiert die Schmerz-
rezeptoren.
Wie ist die afferente Schmerz-
bahn aufgebaut, über welche Sie besteht aus 3 Neuronen. Schmerzen verlaufen über die Aö-
Fasern wird der Schmerz (L Schmerz) und die C-Fasern (2. Schmerz). Azetylsalizyl-
geleitet? säure hemmt die Bildung von Prostagtandin und reduziert
damit die schmerzauslösende Wirkung. Schmerzrezeptoren
adaptieren nicht. An der Bewertung des Schmerzes ist das
limbisehe System mit seinen Unlustarealen beteiligt. Die
Substanz P ist Transmittersubstanz für die Übertragung vom
1. auf das 2. Neuron der Schmerzbahn. Nach Umschaltung auf

das 3· Neuron der Schmerzbahn endet dieses im Gyrus


postcentralis. Kontrolle der Schmerzrezeption geschieht über
das zentrale Höhlengrau und den groBen Raphekern über die
Freisetzung von Endorphinen.

Was sind die Aufgaben Das limbisehe System umgibt den Balken wie ein Saum
des limbisehen Systems? (Limbus). Es steuert u. a. emotionelle Reaktionen (Lust,
Unlust, Angst, Wut etc.) und ist an der Koordination von
Gedächtnisvorgängen, wie dem Übergang vom Kurzzeit- ins
Langzeitgedächtnis, beteiligt.

Welche Arten von Gedächtnis Das Gedächtnis weist 3 verschiedene Speicherformen auf: das
kennen Sie? sensorische, das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis. Das
sensorische Gedächtnis wird meist nach weniger als 1 s
gelöscht, wenn sein Inhalt nicht von besonderer Wichtigkeit
ist. Das Kurzzeitgedächtnis behält seine n Inhalt nur wenige
Minuten, die Anzahl der gespeicherten Informationen ist
limitiert. Am Übergang vom Kurzzeit- in das Langzeit-
gedächtnis ist das limbisehe System beteiligt. Im Langzeit-
gedächtnis kann ein Faktengedächtnis (z. B. Na men, Plätze
etc.) von einem Tätigkeitsgedächtnis (z. B. Fahrrad fahren,
Tennisspielen etc.) unterschieden werden. Das Fakten-
gedächtnis befindet sich im Temporallappen, das Tätigkeits-
gedächtnis im Kleinhirn und im frontal vor dem Gyrus
praecentralis gelegenen Großhirn.
Fragen und Zusammenfassung· Kapitel 5 · Nervensystem 247
Welche Anteile hat das
vegetative Nervensystem? Das vegetative Nervensystem setzt sich aus Sympathikus und
Beschreiben Sie seinen Bau! Parasympathikus zusammen. Durch das vegetative Nerven-
system werden vegetative Funktionen gesteuert.
Der Sympathikus wird entsprechend dem Ursprung seiner
präganglionären Fasern als thorakolumbales System bezeich-
net. Die präganglionären Fasern werden zum größten Teil in
den Grenzstrangganglien auf postganglionäre Fasern umge-
schaltet. Einige Fasern für die Bauchregion werden in 3 un-
paaren Ganglien umgeschaltet: Ganglion mesentericum
superius, Ganglion mesentericum inferius, Ganglion coelia-
cum. Diese 3 Ganglien werden den paravertebralen Ganglien
des Grenzstranges als prävertebrale Ganglien gegenüber-
gestellt. Die postganglionäre Transmittersubstanz des
Sympathikus ist das Noradrenalin. Die Wirkung des Sympa-
thikus ist leistungsbezogen (ergotrop). Die Rezeptoren für die
Sympathikuswirkung werden in a- und ß-Rezeptoren
unterteilt. Die a-Rezeptoren vermitteln meist die erregende
und die ß-Rezeptoren die hemmende Wirkung des
Sympathikus.
Der Parasympathikuswird entsprechend dem Ursprung
seiner präganglionären Fasern als kraniosakrales System
bezeichnet. Die präganglionären Fasern werden im Kopf-
bereich in 4 Ganglien umgeschaltet: Ganglion ciliare,
Ganglion pterygopalatinum, Ganglion submandibulare,
Ganglion oticum. Der Hauptnerv des Parasympathikus ist der
Hirnnerv X (N. vagus). Ein Großteil der Parasympathikus-
fasern wird in intramuralen (in der Wand der Organe
gelegenen) Ganglien umgeschaltet, z. B. Plexus submucosus,
Plexus myentericus etc. Die postganglionäre Transmitter-
substanz des Parasympathikus ist das Azetylcholin. Die
Wirkung des Parasympathikus ist ernährungs- und
erholungsbezogen ( trophotrop ).

Das Elektroenzephalogramm ist die Ableitung der Hirn-


Was versteht man unter dem
ströme, die durch Summation der Aktionspotentiale der
Begriff des Elektroenzephalo-
Hirnneurone entstehen.
gramms (EEG)?
Man unterscheidet
• a-Wellen (8-13Hz),
• ß-Wellen (14-30Hz),
• 8-- Wellen (4-7Hz) und
• ö- Wellen ( 0,5-3 Hz).
ö- Wellen sind beim Gesunden nur im Schlaf vorhanden.
ß-Wellen entsprechen der Aufmerksamkeit, a- Wellen der
Entspannung, 8-- Wellen überwiegen bei Kindern und
Säuglingen.
248 Welche Schlafstadien kennen
Sie?
Das Elektroenzephalogramm (EEG) kann beim Übergang
zum Schlaf in 5 Phasen unterteilt werden, die von A-E
bezeichnet werden. A ist die Phase des Wachse ins, E die Phase
des Tiefschlafs.
Was ist REM-Schlaf?

5- bis 6-mal pro Nacht wird eine Phase durchlaufen, deren


Muskeltonus und Schlaftiefe dem Tiefschlaf entsprechen,
deren EEG-Wellen, Atemfrequenz und Herzrhythmus jedoch
der B-Phase (Einschlafen) entsprechen. In diesen Schlaf-
phasen kommt es zu heftigen Augenbewegungen (»rapid eye
movement«, REM); deshalb wird dieser Schlaf REM-Schlaf
genannt. In den REM-Phasen träumt der Mensch.
Was ist Narkolepsie?
Ein anfallsweiser, unüberwindlicher Schlafzwang während
des Tages von wenigen Sekunden bis 30 min Dauer, dabei ist
die Muskulatur meist schlaff (Tonusverlust).
Knochenmark und Blutbildung 252
Erythrozyten (rote Blutkör chen) 253
Entstehung und Anzahl 253
6.2.2 Form und Größe 253
6.2.3 Hämoglobin 254
6.2.4 Gastransport 255
6.2.5 Osmotische Empfindlichkei t der Erythrozyten 255
6.3 Leukozyten (weiße Blutkörperchen ) 255
6.3.1 Granulozyten 256
63.2 Monozyten 257
63.3 Lymphozyten 257
6.4 Thrombozyten 257
6.5 Stimulierende Faktoren der Blutbildung 258
6.6 Blutsenkungsg eschwindigkeit (BSG) 258
6.7 Mittleres korpuskuläres Hämoglobin (MCH) 259
6. Blutgruppen 259
6.8.1 Das ABO-System 259
6.8.2 Das Rhesussystem 261
.9 Blutplasma und seine Bestandteile 262
6.9.1 Plasmaproteine 262
6.9.2 Elektrophorese 263
6.9.3 Bindungsfähigk eit des Albumins 264
6.9.4 Pathoproteinäm ien 264
6.9.5 Zelluläre Proteine im Blut 265
6.9.6 Lipide im Blut 265
6.9.7 Glukose im Blut 266
6.9.8 Reststickstoff im Blut 267
6.9.9 Weitere Plasmabestandteile 267
6.10 Wasser- und Elektrolythaush alt 267
6.10.1 Osmotischer Druck 268
6.10.2 Kolloidosmotisc her Druck 269
6.10.3 Hydrostatische r Druck 269
6.10.4 Veränderungen im Wasser- und Elektrolythaush alt 270
6.11 Säure-Basen-Haushalt 272
6.11 .1 Puffersystem des Blutes 272
6.11 .2 Ausscheidungsmechanismen 273
6.12 Blutstillung, Blutgerinnung, Fibrinolyse 274
6.12.1 Blutstillung 274
6.12.2 Blutgerinnung (sekundäre Hämostase) 275
6.12.3 Gerinnungshem mung 276
6.12.4 Fibrinolyse 277
6.1 2.5 Gerinnungsstör ungen (Koagulopathie n) 278
6.13 Fragen und Zusammenfassung zum Blut 279
250

6 Blut

Lernzielübersicht
Nach de r Lektüre dieses Kapitels können Sie:
.,. Die Funktionen des Blutes aufzählen
.,. Die geformten und ungeformten Blutbestandteile unterscheiden
.,. Die Bildungsorte der Blut körperchen während der Kind heit und im Erwachsenen-
alter nennen
.,. Aufbau und Funktion des Hämoglobins erklären
.,. Über Form, Größe, Anza hl und Funktion der Erythrozyten Auskunft geben
.,. Die Blutgruppen und Blutgruppenunvert räglichkeit e rklären
.,. Die Inhaltsstoffe des Blutplasmas und des Blutserums angeben
.,. Die Beteiligung des Blutesam Säure-/Basenhaushalt
und am Wasser-/Eiektrolythaushalt verstehen
.,. Die wesentlichen Prinzipien von Blutstillung, Blutgerinnung und Fibrinolyse erklären

Funktionen und Einteilung des Blutes


Blut ist im Wesentlichen ein Transportmittel, das über die Transportfunktion
Funktionen des Blutes: hinaus auch an anderen Aufgaben beteiligt ist. Die wichtigsten Funktionen des
• Transport von Nahrungsbestandteilen Blutes sind:
• Transportmittel für Atemgase • Transport der Atemgase 0 , und CO, zwischen Gewebe und Lunge,
• Ausscheidung • Transport von im Verdauungstrakt resorbierten Nahrungsbestandteilen an
• Temperaturregulation den Ort des Verbrauchs oder der Speicherung.
• Transport von Hormonen
und Immunzellen Weitere wichtige Funktionen sind:
• Regulation des inneren Milieus • Exkretion: Transport von Stoffwechselendprodukten 10 die Niere zur Aus-
scheidung (s. Kap. 11, Niere und ableitende Harnwege).
•Temperaturregulation: Das Blut ist Transportmittel für die im Körperinneren
erzeugte Wärme, die über die Körperoberfläche abgegeben werde n ka nn
(s. Kap. 15, Temperaturregulation).
• Hormonhaushalt: Mit dem Blut werden die Hormone der endokrinen Drüsen
an die Zielorgane transportiert (s. Kap. 12 , Endokrinologie).
• Abwehrvorgänge: Die an der Abwehr beteiligten Zellen (Leukozyten) wandern
aus dem Blut in die Gewebe ein (s. Kap. 8, Immunologie) .
• Reaulation des inneren Milieus: Über das Blut, das mit den anderen Körper-
räumen (Interzellularraum, Intrazellularraum) im Austausch steht, wird das
innere Milieu konstant gehalten.

Alle diese Aufgaben haben eine Transport- und/oder Verteilerfunktion. Deshalb


fließt das Blut in einem Verteilersystem, den Gefäßen, die gemeinsam mit dem
Herzen einen geschlossenen Kreislauf bilden (s. Kap. 7, Herz-Kreislauf-System).
Kapitel 6 · Blut 251

Die Blutmenge eines Menschen korreliert mit dem Körpergewicht; sie beträgt Die Blutmenge beträgt 8% des
8% des Körpergewichts. Das entspricht einer Blutmenge von 4-6l bei einem Kör- Körpergewichts. Das entspricht einer
pergewicht von 50-70 kg. Diese Blutmenge ist allerdings während des Tages Blutmenge von 4--6 I bei einem
Schwankungen unterworfen, da sie von 2 Faktoren abhängt: Körpergewicht von 50- 70 kg
• Wasseraufnahme (Trinkmenge) und
• Wasserabgabe (Harn, Schweiß, Atemluft). Korrelation Wechselbeziehung

Der Verlust von 500 ml Blut (z. B. Blutspende; ca.wo/o des Blutvolumens) führt bei
einem normalgewichtigen Individuum (mindestens 50 kg) nicht zu funktionel-
len Veränderungen im Herz-Kreislauf-System. Bei Verlust von ca. 30% der
Gesamtblutmenge treten jedoch deutliche Schocksymptome auf. Der Verlust von
50% ist ohne sofortige Substitution (Ersatz) tödlich.

Zusammensetzung des Blutes


Wird Blut zentrifugiert, so sinken die geformten Blutbestandteile (Blutkörper- Hämatokrit: volumenmäßiger Anteil (45%)
chen) auf den Boden; im Überstand verbleibt eine blassgelbe, klare Flüssigkeit, der geformten Blutbestandteile
das Blutplasma. Das Blutplasma beträgt ca. 55% des Gesamtblutes, der volu- (Blutkörperchen)
menmäßige Anteil der Blutkörperchen beträgt 45%; er wird als Hämatokrit be-
zeichnet (s. unten). Dieser Wert schwankt mit den täglichen Schwankungen des
Wassergehaltes.
Der Hämatokrit bei Frauen liegt unterhalb des Wertes von Männern bei ca. Blutzusammensetzung
41-43%. Neugeborene haben einen Hämatokrit von ca. 56% und Kleinkinder • Hämatokrit: ca. 45% (geformte
einen Wert von ca. 37%. Bestandteile, Blutkörperchen)
Die Blutkörperchen (Abb. 6-Ja-c) sind: • Blutplasma: ca. 55% (flüssiger Teil
• Erythrozyten (rote Blutkörperchen), des Blutes ohne Blutkörperchen)
• Granulozyten",
• Monozyten",
• Lymphozytena und
• Thrombozyten (Blutplättchen).
["=Leukozyten (weiße Blutkörperchen)]

Ery1hrozyt Leukozyten Thrombozyten Abb. 6- 1 a- c.

.
Darstellung der geformten Blutelemente.
ln (a) ist ein rotes Blutkörperchen
I
, *'...... (Erythrozyt) in der Aufsicht und der Seiten-

' '-
' ansicht dargestellt. Die Granulozyten, wie
auch die Monozyten und die Lympho-
zyten {b), gehören zu den weißen
Monozyt Blutkörperchen (Leukozyten). Die
Blutplättchen {Thrombozyten (c) sind
eosinophiler Granulozyt
abgeschnürte Zytoplasmabereiche
der Stammzellen, d. h. der Riesenzellen
Lymphozyt
des Knochenmarks (Megakaryozyten)

basophller Granulozyt

a b c
252

Abb. 6-2.
Darstellung der Blut bildenden
Knochenmarksbereiche beim Kind und
beim Erwachsenen. Beim Kind wird in den
langen Röhrenknochen noch Blut
gebi ldet, beim Erwachsenen befindet sich
in diesen das Fenmark. Blutbildung findet
beim Erwachsenen nur noch in den
würfelförmigen und den planen Knochen
statt

6.1 Knochenmark und Blutbildung

Während der Entwicklung im mütterlichen Körper wird beim Fetus an verschie-


denen Orten Blut gebildet, z. B. in der Milz und in der Leber.
Beim Kind und beim Erwachsenen wird Blut ausschließlich im Knochen-
Blut bildendes Knothenmark = mark gebildet. Das Blut bildende Knochenmark wird als rotes Knochenmark
rotes Knochenmark bezeichnet. Beim Kind findet sich rotes Knochenmark noch in den meisten Kno-
chen, auch in den langen Röhrenknochen. Beim Erwachsenen wird das Mark im
Schaft der langen Röhrenknochen in gelbes Fettmark umgewandelt, das nicht
mehr an der Blutbildung teilnimmt. Somit enthalten beim Erwachsenen nur
noch die platten und würfelförmigen Knochen sowie die Enden der langen
Röhrenknochen Blut bildendes Mark (Abb. 6-2). Das Gesamtgewicht des blut-
bildenden Knochenmarks beträgt beim Erwachsenen durchschnittlich 1.400 g.
Retikuläres Bindegewebe Das Grundgerüst des roten Knochenmarks besteht aus retikulärem Binde-
netzartiger Verband, ähnlich dem gewebe, in dessen Maschen die Blut bildenden Zellen liegen. Als Stammzelle
Mesenchym, mit retikulären Fasern aller roten und weißen Blutkörperchen gilt der Hämozyt, eine noch wenig dif-
ferenzierte Ausgangszelle, aus der sich alle Blutzellen entwickeln können.
Zahl der pro Tag gebildeten Anhand der Lebensdauer der einzelnen Blutkörperchen und der Menge an
Blutkörperchen: Zelltypen lässt sich errechnen, dass im roten Knochenmark pro Tag ca. 250 Mrd.
• ca. 250 Mrd. Erythrozyten Erythrozyten (ca. 2,8 Mio./Sekunde), 15 Mrd. Granulozyten, 15 Mrd. Monozyten
(ca. 2,8 MioJSekunde) und 500 Mrd. Thrombozyten produziert werden . Die gleiche Anzahl von Blut-
• 15 Mrd. Granulozyten zellen muss entsprechend täglich abgebaut werden, damit ein Gleichgewicht auf-
• 15 Mrd. Monozyten rechterhalten bleibt.
• 500 Mrd. Thrombozyten
Erythrozyten (rote Blutkörperchen) · Kapitel6 · Blut 253

Die durchschnittliche Anzahl geformter Blutbestandteile pro Kubikmilli-


meter (mm') Blut eines Erwachsenen beträgt:
• 4,6 Mio. Erythrozyten (Frau)
• 5,2 Mio. Erythrozyten (Mann),
• 4.ooo-9.000 Leukozyten,
• 2oo.ooo-3oo.ooo Thrombozyten.

6.2 Erythrozyten (rote Blutkörperchen)

Die Hauptmenge der geformten Blutbestandteile bilden die roten Blutkörper- Hauptaufgabe der Erythrozyten:
chen (Erythrozyten). Im Blut kommen rund 700-mal mehr rote als weiße Blut- • Transport von o, und co,
körperchen vor. Hauptaufgabe der Erythrozyten ist der Gastransport im Rahmen
der Atmung, indem sie Sauerstoff (0,) und Kohlendioxid (C0 das Gas der Koh-
2,

lensäure) an Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) gebunden transportieren.


Erythrozyten entstehen aus kernhaltigen Vorstufen und haben eine Lebens-
dauer von ca. 120 Tagen. Danach werden sie abgebaut und ihr Hämoglobin ent- Lebensdauer der Erythrozyten:
weder wieder verwertet oder mit der Galle in den Darm ausgeschieden, wo es ca. 120 Tage
nach bakterieller Umwandlung die Braunfärbung des Stuhles (Faezes) hervorruft.

6.2.1 Entstehung und Anzahl

Die Erythrozyten entstehen durch mitotische Teilung aus Stammzellen. Sie reifen
über verschiedene Stufen zu kernlosen Erythrozyten heran. Reife Erythrozyten ent-
halten keinerlei Organellen. Ihr Inneres ist sowohl im Licht- als auch im Elektronen-
mikroskop homogen und enthält nur den roten Blutfarbstoff, das Hämoglobin.
In Form von Retikulozyten - bereits kernlose, mit noch sehr wenigen Orga- Retikulo;cyten: Bereits kernlose,
nellen besetzte Formen - gelangen die frisch gebildeten Erythrozyten in den mit wenigen Organellen besetzte
Blutkreislauf. Hier reifen sie vollständig zu Erythrozyten, indem sie ihre Orga- Entwicklungsstadien der Erythrozyten
nellen abbauen.
Die durchschnittliche Anzahl von Erythrozyten beträgt bei Frauen 4,6 Mio.
Erythrozyten, bei Männern 5,2 Mio. Erythrozyten pro mm' .

6.2.2 Form und Größe

Erythrozyten sind bikonkave, kernlose Scheiben, die einen Durchmesser von ca. Gesamtoberfläche aller Erythrozyten
7,5 }.Im aufweisen (Abb. 6-3). Sie besitzen eine Randdicke von ca. 2 }.Im und eine 3.800 m2
Zentrumsdicke von ca. 1 }.Im.
Durch ihre spezielle Form wird ihre Hauptaufgabe - Gastransport und Gas-
austausch - wesentlich begünstigt, da die Gase im Inneren nur kurze Strecken
überwinden müssen. Die Gesamtoberfläche aller Erythrozyten im Blut eines
Menschen kann auf ca. J.Soo m 2 (!) berechnet werden. Erythrozyten sind sehr
flexibel, sie können beim Durchfließen enger Kapillaren häufig die Form eines
Napfes annehmen. Deshalb ist es ihnen möglich, Blutgefäße zu durchfließen, die
einen Durchmesser von weniger als 7,5 }.Im aufweisen.
254

Abb.6·3.
Rasterelektronenmikroskopische Aufnah-
me von Erythrozyten. Die Napfform, be-
dingt durch den Verlust des Zellkerns. ist
deutlich zu sehen. Bei den, auf den und
um die Erythrozyten vorhandenen faden-
förmigen und körnchenartigen Strukturen
handelt es sich um Fibrin

6.2.3 Hämoglobin

Der wichtigste Inhaltsstoff der Erythrozyten (ca. 90%) ist das Hämoglobin (Hb).
Die restlichen 10% sind andere Proteine, die u. a. für die Energiegewinnung der
Erythrozyten verantwortlich sind. Hämoglobin besteht aus 4 Untereinheiten.
Eisenion im Häm-Molekül Jede dieser Untereinheiten ist aus einem Häm-Molekül aufgebaut, das an eine
Polypeptidkette gebunden ist. Es sind beim Erwachsenen 2 a- und 2 ß-Ketten
Polypeptidkette vorhanden (Abb. 6-4a, b). Das Häm-Molekül besteht aus einem Porphyrinring, in
Kette von Aminosäuren durch dessen Zentrum ein 2wertiges Eisenion vorhanden ist. Die 4 Untereinheiten
Peptidbindung miteinander verbunden falten sich zu einem globulären Protein. In jedem Häm-Molekiil ist ein Eisenion
vorhanden, sodass ein Hämoglobinmolekül insgesamt 4 Eisenionen aufweist; sie
globulär kugelig verursachen den metallischen Geschmack von Blut. Damit kommt im mensch-
lichen Körper ca. 4 g Eisen vor, die Hälfte davon in gebundener Form im Hämo-
globin. Um eine konstante Neubildung von Hämoglobin zu ermöglichen, muss
der Körper ausreichend mit Eisen versorgt sein. Wenn nicht genügend Eisen zu-

Abb. 6-4 a, b. Harneglobin


a Schematische Darstellung des Hämoglo- ll- Kette Härn-Molekül ~
binmoleküls. Die 4 Proteinketten (beim Er-
wachsenen 2 a - und 2 ß-Ketten) enthalten
je ein Häm-Molekül. Dieses ist in der Lage.
CH3 cH2c H2cooH I
mit seinem 2wertigen Eisen Sauerstoff re-
versibel zu binden. Die Molekülstruktur
des Häm-Moleküls ist in b mit dem zentra- CH3

len 2wertigen Eisen dargestellt

a- Kette

a
Harn-Molekül a- Kette

b

Eisen
~--------------------------~
Erythrozyten (rote Blutkörperchen) · Kapitel 6 · Blut 255

geführt wird, kann dies v. a. bei Frauen, die mit dem Menstruationsblut regel-
mäßig Eisen verlieren, zu Blutarmut (Anämie) führen.
Embryonales und fetales Hämoglobin weichen in ihrem Aufbau und in der • Embryo bis einschließlich 8. Woche
größeren Fähigkeit, Sauerstoff zu binden, vom nachgeburtlich vorhandenen Hä- ! Fetus ab 9. Woche

moglebin ab.

6.2.4 Gastransport

Die wichtigste Aufgabe der Erythrozyten ist der Gastransport, wozu sie durch
Form und Gehalt an Hämoglobin ideal geeignet sind. Bei Anlagerung von Sauer-
stoff an das Eisenion nimmt das Hämoglobin eine hellrote Farbe an; es wird dann
Oxyhämoglobin genannt.
Diese 0 , -Aufnahme verändert nicht die Wertigkeit des Eisens. Sie ist also kei- Oxidation
ne Oxidation, weshalb der Vorgang als Oxygenation (Sauerstoff-Aufnahme) Bindung an Sauerstoff unter Abgabe
bezeichnet wird. Nach Abgabe des Sauerstoffs wird desoxygeniertes Hämoglobin von Elektronen= Verbrennung
dunkelrot und schimmert dann bläulich durch die Gefäßwände der Venen und
durch die Haut. Im Gegensatz zum 0 , wird C0 2 für den Transport nicht an das
Eisen, sondern an die Polypeptidketten des Hämoglobins gebunden.
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang der Gehalt der Erythrozyten Carboanhydrase ist an der Umsetzung
an Carboanhydrase. Dieses Enzym ist an der Umsetzung von Kohlendioxid (CO, ) von Kohlendioxid (C02 ) und Wasser (H2 0 )
und Wasser (H, O) zu Bikarbonat (HCO; ) und Wasserstoffionen (H+) beteiligt. In zu Bikarbonat (HCO;) und Wasserstoff-
Form von Bikarbonat wird der Hauptanteil des CO, in den Erythrozyten trans- ionen (W) beteiligt
portiert. Die Umsetzung von CO, und H ,O zu Bikarbonat und Wasserstoffionen Bikarbonat transportiert den Hauptanteil
läuft in den Erythrozyten unter der Wirkung der Carboanhydrase ca. 10.ooo-mal des C02 in den Erythrozyten
schneller ab, als das im Plasma der Fall wäre. ln der Lunge kommt es unter der
Wirkung der Carboanhydrase zur umgekehrten Reaktion, sodass C0 und H, O 2

gebildet werden.
Das in den Erythrozyten gebildete Bikarbonat (HCoJ-) wird z. T. im Plasma
zur Lunge transportiert. Die in den Erythrozyten transportierte Menge ist größer
als die Menge des direkt an Hämoglobin gebundenen CO,.

6.2.5 Osmotische Empfindlichkeit der Erythrozyten

Erythrozyten reagieren sehr stark auf Veränderungen des osmotischen Drucks Elektrolyte
(s. Abschn. 6.1 0.1) in ihrer Umgebung. Werden sie in stark hypotone Lösungen Substanzen, die in wässriger Lösung
(mit geringem osmotischem Druck} eingebracht (z. B. destilliertes Wasser, das als negative (Anionen) oder als positive
keine Elektrolyte enthält}, strömt so lange Wasser in die Erythrozyten, bis sie (Kationen) Ionen vorliegen
platzen. Dieser Vorgang wird Hämolyse genannt. Infusionslösungen sollten
deshalb immer mit dem Blutisoton sein (d. h. den gleichen osmotischen Druck lsotonie
besitzen; Beispiel: physiologische Kochsalzlösung, 0,9% NaCI}. Zustand gleicher molekularer
Konzentration
Eine Hämolyse kann aber auch durch andere Ursachen h ervorgerufen werden,
z. B. Schlangengifte und Bakterientoxine. Hämolyse
Auflösung roter Blutkörperchen
6.3 Leukozyten (weiße Blutkörperchen)
Toxin
Von den vorhandenen Leukozyten zirkulieren nur ca. 5% im Blutkreislauf, der von einem lebenden Organismus
Rest (95%) befindet sich in den Geweben und den Organen des lymphatischen produzierter Gift- oder Schadstoff
Systems (s. Kap. 8, Immunologie) sowie im Knochenmark. Von dort können sie
256

bei Bedarf auswandern und ins Blut gelangen, wo sie nur eine kurze Verweildauer
von wenigen Tagen haben.

6.3.1 Granulozyten

3 Arten von Granulozyten Die größte Gruppe der Leukozyten sind die Granulozyten. Alle Granulozyten
• Neutrophile Granulozyten besitzen körnchenartige Strukturen, sog. Granula, im Zytoplasma, denen sie
• Eosinophile Granutozyt,en ihren Namen verdanken. Man unterscheidet nach Färbbarkeit, Struktur und
• Basophile Granulozyten Funktion 3 verschiedene Arten von Granulozyten.

• NeutrophRe sind an der unspezlfischen Neutrophile


der Phagozytose und ihren Gehalt an Neutrophile (neutrophile Granulozyten) machen ca. 55-70% der Leukozyten aus.
Abwehr beteiligt durch die Fähigkeit Sie haben einen Durchmesser von ca. 12 pm; ihre Granula lassen sich nur
Enzymen schwach anfärben. Es handelt sich bei diesen Granula hauptsächlich um Lysoso-
• 55-70% der Leukozyten men mit hohem Gehalt an verdauenden Enzymen, z. B. Hydrolasen und Pro-
teasen, die in der Lage sind, Proteine zu spalten.
Amöben Die neutrophilen Granulozyten zeigen eine amöbenartige Beweglichkeit,
Einzeller, die sich durch durch die sie ausgezeichnet befähigt sind, die Blutgefäße zu verlassen und in das
Zytoplasmaausläufer fortbewegen umgebende Gewebe einzudringen. Diesen Vorgang nennt man Diapedese.
Die Neutrophilen sind wichtige Funktionsträger derunspezifischen Abwehr,
Phagozytose da sie Fremdmaterial, Gewebetrümmer und Krankheitserreger unschädlich
Vorgang der Aufnahme von Material machen (phagozytieren) können (s. Kap. 8).
in Zellen Nach dem Verlassen des Knochenmarks bleiben die Neutrophilen während
ca. 10-12 h im Blut, um dann ins Gewebe auszuwandern. Im Gewebe sind sie ca.
1-2 Tage lang lebensfähig. Neutrophile produzieren das Enzym Lysozym, das von
ihnen ausgeschüttet wird, um an der Zerstörung von Bakterien mitzuwirken
(unspezifische humorale Abwehr, s. Abschn. 8.2.2).

• Eomophile können Antigen-Anti· Eosinophile


körper-Komplexe phagozytieren Sie machen ca. 2-4% der Leukozyten aus. Die Eosinophilen sind mit 14 pm
• 2-49& der Leukozyten Durchmesser etwas größer als die Neutrophilen. Sie enthalten im Zytoplasma re-
lativ große Granula, die sich gut mit sauren Farbstoffen, z. B. Eosin (rot), anfärben
Antigen-Antikörper-Komplexe lassen. Die Eosinophilen sind ebenfalls amöbenartig beweglich.
entstehen durch Bindung von Sie können Antigen-Antikörper-Komplexe (s. Kap. 8) sowie artfremdes Ei-
körperfremden Substanzen mit spezifisch weiß gut phagozytieren und mit eiweißabbauenden (proteolytischen) Enzymen,
gegen sie gerichteten Proteinen die in den Granula enthalten sind, verdauen.

• Basophlle sind die kleinsten Basophile


Granulozyten Sie machen ca. 0,5-1% der Leukozyten aus. Die Basophilen sind die kleinsten
• enthalten Histamin und Heparin Granulozyten und besitzen nur einen Durchmesser von ca. 8 pm. Sie enthalten
• 0,5-19& der Leukozyten als einzige keine lytischen Enzyme und sind deshalb nicht an der Phagozytose
(Unschädlichmachung von Fremdstoffen) beteiligt. Ihre Granula lassen sich mit
Histamin basischen Farbstoffen dunkelviolett färben. Sie enthalten Histamin und Heparin.
Substanz die allergische Reaktionen Über die Funktion der Basophilen ist nur wenig bekannt. Früher wurde vermutet,
auslösen kann dass sie von den im Gewebe vorhandenen Mastzellen abstammen. Heute geht
man davon aus, dass sie aus eigenen Vorläuferzellen entstehen. Basophile
lgE nehmen jedoch auch an !gE-verursachten Abwehrvorgängen teil, wie die Mast-
ImmunglobulinE, ein Antikörper zellen.
Leukozyten (weiße Blutkörperchen) · Kapitel6 · Blut 257

6.3.2 Monozyten

Eine weitere im Knochenmark gebildete Zellart sind die Monozyten. Sie sind die • Monozyten als größte Blutzellen
größten Blutzellen und haben teilweise einen Durchmesser von 20 J.lm. Sie ma- • können phagozytieren
chen ca. 4-6% der Leukozyten aus. Ihr Zellkern ist vielfach nierenförmig und • 4- 6% der Leukozyten
liegt meist am Rand der Zellen. Monozyten sind ebenfalls sehr amöboid beweg-
lich und phagozytieren sehr große Partikel, z. B. tote Blutzellen. Monozyten hal-
ten sich meist nur kurze Zeit (direkt nach ihrer Bildung) im Blutkreislauf auf.
Sie wandern in das Gewebe ein, wo sie sich in Makrophagenumwandeln. Mo- Makrophagen:
nozyten und die aus ihnen hervorgehenden Gewebemakrophagen (Histiozyten, Monozyten, die aus dem Blut in das
Kupffer-Sternzellen, Alveolarmakrophagen, Peritonealmakrophagen etc.) haben Gewebe einwandern und sich dort
die höchste Phagozytoserate. differenzieren

6.3.3 Lymphozyten

Obwohl die Anzahl der Lymphozyten unter den im Blut zirkulierenden Leuko- • Lymphozyten sind wesentlich an der
zyten ca. 25-40% ausmacht, ist nur ungefähr 1% der im Körper vorhandenen spezifischen Abwehr beteiligt
Lymphozyten in der Blutbahn. Die restlichen 99% befinden sich in den lympha- • 25-40% der Leukozyten, davon nur 99%
tischen Organen und in den Geweben. in lymphatischen Organen und Gewebe
Die Lymphozyten besitzen nur einen sehr schmalen Zytoplasmasaum um
den stark anfärbbaren Kern und keine zytoplasmatischen Granula. Sie enthalten
zahlreiche Ribosomen. Dies ist ein Zeichen, dass die Zellen zur Proteinsynthese
befähigt sind. Sie spielen eine wesentliche Rolle bei der spezifischen Abwehr.

6.4 Thrombozyten

Nicht zu den Leukozyten gerechnet werden geformte Blutbestandteile, deren • Thrombozyten sind »Bruchstücke« von
deutsche Bezeichnung »Blutplättchen<< (Thrombozyten) treffend ist, da es sich Riesenzellen des Knochenmarks
bei den Thrombozyten nicht um vollständige Zellen handelt. Es sind lediglich • Wesentlich an der Blutgerinnung
ZeHbruch stücke, die von RiesenzeHen des Knochenmarks, den Megakaryozyten, beteiligt durch Gehalt an
abgegeben werden. Damit besitzen die Thrombozyten keinen Zellkern. Rand- Plättchenfaktor III und an der Bildung
bereiche der Megakaryozyten, die mit den typischen Granula der Thrombozyten vom weißen Thrombus
gefüllt sind, werden in großer Zahl abgeschnürt und in die Blutbahn abgegeben.
Eine Riesenzelle des Knochenmarks kann ca. 1.000 Thrombozyten bilden.
Thrombozyten sind flach, unregelmäßig rund und haben einen Durchmesser
von ca. 1-4 J.lm und eine Höhe von ungefähr 0,5-0,75 J.lm. Sie enthalten neben an -
deren Inhaltsstoffen z. B. Adenosindiphosphat (ADP) und Serotonin. Sie sind an
der Blutgerinnung beteiligt und dort ein wichtiger Faktor bei der Bildung des
weißen Thrombus (s. Abschn. 6.12.1), der in der Blutstillung eine Rolle spielt. In
der Plättchenmembran (der ä ußeren begrenzenden Membran) befindet sich
außerdem ein Phospholipidkomplex, der Plättchenfaktor 111, der ebenfalls für d ie
Blutgerinnung wichtig ist. Bei einer Verletzung der Gefäßwand werden Throm-
bozyten aktiviert. Ihre Verweildauer im Blut beträgt ca. 5-9 Tage.
258

6.5 Stimulierende Faktoren der Blutbildung

Faktoren der Blutbildung Die Bildung von Erythrozyten wird durch innere und äußere Faktoren stimu-
• Exogen: Eisen, Vitamin B 12• Folsäure, liert. Die wichtigsten exogenen (äußeren) Faktoren sind:
Kobalt • Eisen,
• Endogen: Erythropoietin • Vitamin Bu (>>extrinsic factor<<),
• Folsäure,
• Kobalt (Bestandteil von Vitamin B,J.

Der wichtigste endogene (innere) Faktor ist: Erythropoietin (EPO) . Erythro-


poietin ist ein Hormon, das in der Niere produziert wird. Die Bildung dieses
Hormons wird durch einen relativen Sauerstoffmangel (z. B. bei Aufenthalt in
großer Höhe) sowie durch Blutverlust induziert.
Erythropoietin zu Dopingzwecken erhöht Je mehr Erythrozyten vorhanden sind, desto mehr Sauerstoff kann transpor-
den Hämatokritwert und verändert damit tiert werden und desto größer ist die Leistung. Deshalb wurde von Sportlern zur
u. a. die Fließeigenschaft des Blutes Steigerung der Leistungsfähigkeit Erythropoietin injiziert. Durch die Zunahme
dramatisch der Erythrozytenzahl wird jedoch der Hämatokritwert auf Werte von weit über
so% erhöht. Diese hohen Werte sind lebensbedrohlich, da u. a. die Fließeigen-
schaften des Blutes dramatisch verändert werden und damit eine Thrombose-
gefahr erhöht ist. Die Verabreichung von Erythropoietin zur Leistungssteigerung
(Doping) ist verboten; deshalb werden Sportler mit einem Hämatokritwert von
über so% von einigen Sportarten ausgeschlossen, da dies als Nachweis von Do-
ping mit Erythropoietin angesehen wird.

6.6 Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG)

Die Blutgerinnung kann durch den Zusatz von Natriumzitrat in einer Blutprobe
verhindert werden. Folge ist, dass die Blutzellen aufgrund ihrer größeren Dichte
im Reagenzglas zu Boden sinken. Die Dichte der Blutzellen beträgt 1,1 g/ml, die
Dichte von Blutplasma 1,03 g/ml. Deshalb trennen sich geformte von ungeformten
Blutbestandteilen. Bei der Bestimmung des Hämatokrites wird diese Trennung
durch Zentrifugalkraft beschleunigt. Bei der Bestimmung der Blutsenkungs-
geschwindigkeit (BSG) spielt lediglich die Erdanziehungskraft eine Bedeutung.
Zur Bestimmung der BSG wird das mit Natriumzitrat versetzte Blut in
200 mm lange Spezialpipetten gebracht. Die Pipetten werden senkrecht auf-
gestellt. Nach 1 bzw. 2 Stunden wird die BSG in mm abgelesen. Die Normwerte
sind in Tabelle 6-1 angegeben.
Hohe Werte bedeuten, dass die Blutbestandteile schnell absinken. Eine Er-
BSG als unspezifischer Suchtest höhung der Normwerte ist Zeichen einer krankhaften Veränderung. Die Schwere
für Erkrankungen und als Überwachung der Krankheit steht allerdings nicht immer mit dem Ausmaß einer BSG-Er-
des Krankheitsverlaufes höhung in Zusammenhang; und nicht jede Krankheit führt zu einer erhöhten
• Eine erhöhte BSG wird durch BSG. Der diagnostische Wert der BSG besteht darin, dass sie als unspezifischer
Agglomerine hervorgerufen Krankheitssuchtest und als Test für den Krankheitsverlauf eingesetzt werden
kann.
Agglomeration Ursache für eine BSG-Erhöhung ist eine Agglomeration von Erythrozyten
reversible Zusammenballung durch Agglomerine. Agglomerine sind Proteine, die physiologisch vorkommen,
von Blutzellen jedoch unter pathologischen Bedingungen vermehrt auftreten. Es können aber
auch rein pathologische Proteine sein, die beim Gesunden nicht vorkommen.
Blutgruppen · Kapitel 6 · Blut 259

Tabelle 6-1 . Normwerte der Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) beim Mann


und bei der Frau

BSG-Werte Frau Mann

Nach:
1h - Smm - Smm
2h - 20mm - 15mm

6.7 Mittleres korpuskuläres Hämoglobin (MCH)

Zur Beurteilung der Bluteigenschaften wird der Hämoglobingehalt (Hb) der ein-
zelnen Erythrozyten herangezogen. Dabei wird die Einheit Pikogramm (pg) ver- 1 Pikogramm
wendet. Der Gehalt an Hämoglobin wird nach folgenden Werten unterschieden: 10 12 g, d.h. 1 genthält 1012 pg
• hypochrom: Hb <28 pg,
• normal: Hb = 28-32 pg und
• hyperchrom: Hb > 32 pg.

6.8 Blutgruppen

Erythrozyten tragen an ihrer Oberfläche eine Vielzahl spezieller Moleküle, die ei-
nen sog. antigenen Charakter besitzen; d. h. gegen diese Antigene die können Antigen
Antikörper gebildet werden (s. Abschn. 8.2). Dabei besteht, wie bei anderen Substanz, die der Körper als fremd erkennt
Körperzellen auch, eine Immuntoleranz gegen eigene Erythrozytenantigene. Die und eine Immunreaktion hervorruft
Erythrozytenantigene bilden die Grundlage für Blutgruppen. Mit spezifischen
Untersuchungsmethoden können mehr als 30 verschiedene Blutgruppensysteme Immuntoleranz
bestimmt werden, von denen v. a. das ABO (A-B-Null)- und das Rhesussystem ei- Duldung von Substanzen, die eigentlich
ne besondere klinische Bedeutung haben. eine Immunreaktion auslösen können

6.8.1 Das ABO-System

Die spezifischen antigenen Determinanten, also spezifische Bindungsstellen für • Blutgruppe A besitzt Agglutinogen A
Antikörper (s. Kap. 8) an der Erythrozytenmembran für das ABO-System sind auf der Erythrozytenmembran
Glykosphingolipide, die man als Agglutinogene bezeichnet. Der molekulare Auf- • Blutgruppe B besitzt Agglutinogen B
bau dieser Agglutinogene ist genetisch festgelegt, d. h. er wird vererbt. Diese Ag- auf der Erythrozytenmembran
glutinogene bezeichnet man als A und B. Sie können auch kombiniert als AB vor- • Blutgruppe 0 besitzt keine
kommen. Die Blutgruppe 0 (Null) weist keine Agglutinogene auf. Die gegen die Agglutinogene
Agglutinogene (also gegen A und B) gebildeten Antikörper werden Agglutinine
genannt. Da bei der Blutgruppe 0 keine Agglutinogene vorhanden sind, werden Glykosphingolipide
gegen diese Blutgruppe keine Agglutinine gebildet. Lipide bestehend aus Sphingosin, einer
langkettigen Fettsäure und einem
Agglutinogene: Moleküle mit Antigencharakter auf der Erythrozytenmembran. Zuckermolekül
Agglutinine: gegen Erythrozytenantigene gerichtete Antikörper, die als Anti-
agglutinogene bezeichnet werden.

Die Agglutinine gehören zur Gruppe der Immunglobuline M (IgM). Sie entstehen Immunglobulin (lg) Antikörper
einige Monate nach der Geburt. Angestoßen wird deren Bildung durch den Kon-
takt mit nichtpathogenen Bakterien, die physiologischerweise im Darm vorkom-
men. Sie besitzen die selben Glykosphingolipide wie die Membranen der Ery-
260

throzyten. Das Blut enthält nur solche Agglutinine, die nicht gegen die eigenen
Erythrozytenantigene gerichtet sind (Abb. 6-5).
Im Blut eines Menschen mit Blutgruppe A findet sich das Agglutinin (Anti-B)
gegen die Blutgruppensubstanz B; im Blut eines Menschen mit Blutgruppe B
Agglutinin (Anti -A) gegen die Blutgruppensubstan z der Blutgruppe A etc .
(Tabelle 6-2).
Werden Erythrozyten einer bestimmten Blutgruppe mit Blut zusammen-

Tabelle 6- 2. Erythrozytenantigene und dagegen gerichtete Antikörper

Agglutinogen Agglutinin
(Antigen auf Erythrozyt) (Antikörper im Blut)

0 Anti-A. Anti-B
A Anti-B
B Anti-A
AB keine

gebracht, das Agglutinine (Antikörper) gegen diese enthält, so kommt es zur


Agglutination (Abb. 6-6a, b ). Dabei ballen sich die Erythrozyten zusammen und
hämolysieren anschließend (lösen sich auf). Bei der Transfusion gruppenunglei-
chen Blutes kann es daher zu schweren Transfusions zwischenfällen kommen
• Majorreaktion: wenn der Empfänger (Transfusionsschock und sogar Tod), besonders dann, wenn der Empfänger An-
Ant ikörper (Agglutinine) gegen tikörper (Agglutinine) gegen das Spenderblut aufweist. Diese Reaktion nennt
Spenderblut aufweist man Majorreaktion.Eine Minorreaktion tritt dagegen auf, wenn das Spenderblut
• Minorreaktion: wenn das Spenderblut Antikörper gegen die Empfängererythrozyten b esitzt.
Antikörper gegen die Lässt man die Minorreaktion außer acht, so kann man die Blutgruppe 0 als
Empfängererythrozyten besitzt Universalspender und die Blutgruppe AB als Universalempfänger bezeichnen.

Abb. 6-5.
Schematische Darstellung von Erythro- Blutgruppe A Blutgruppe B Blutgruppe AB Blutgruppe o
zyten der 4 Blutgruppen. Auf den Erythro-
kein Agglutinogen
zyten der Blutgruppen A, B und AB befin-
den sich Agg lutinogene (antigenartige
Moleküle}, die Blutgruppe 0 hingegen
besitzt keine derartigen Agglutinogene.
Im Blut plasma der entsprechenden
Blu tgruppe befinden sich gegen fremde
Blutgruppen gerichtete Agglutinine I Agglut.inin B 1 Agglutlnin A 1 kein Agglutinin Agglulinin A+B

~~
Y ~ Yr~~~Y=======:
(Antikörpe r). Die Ausnahme bildet hier die

Yl
Blutgruppe AB, da hier nur gegen die
Blutgruppe 0 gerichtete Antikörper gebil-
det werden könnten, diese jedoch keine
Agg lutinine besitzt. Die Antikörper sind
Im Plasma I
jeweils direkt unterhalb der entsprechen -
den Blutgruppe dargestellt
Blutgruppen · Kapitel 6 · Blut 261

Wegen der Minorreaktion wird allerdings- wenn möglich- immer gruppenglei-


ches Blut transfundiert. Nur in äußersten Notfällen wird auf Blut ausgewichen,
das Agglutinine (Antikörper) gegen das Empfängerblut enthält.

Häufigkeit von Blutgruppen


Die Häufigkeit der einzelnen Blutgruppen sieht in verschiedenen Kontinenten (mit Einschränkung)
sehr unterschiedlich aus. Für Europa gelten folgende Zahlen: • Blutgruppe 0 = Universalspender
• Blutgruppe A 43% • Blutgruppe AB = Universalempfänger
• Blutgruppe 0 40%
• Blutgruppe B 12%
• Blutgruppe AB 5%

6.8.2 Das Rhesussystem

Bei der Übertragung von Rhesusaffenblut auf Meerschweinchen wurde nachge-


wiesen, dass die Meerschweinchen Agglutinine (Antikörper) gegen das Affenblut
bilden. Man isolierte diese Antikörper und fügte sie im Labor menschlichem Blut
zu.Diese Antikörper führten bei 85% der Menschen zu einer Agglutination, bei • Rhesusfaktor: spezifische Agglutino-
den restlichen 15% jedoch nicht. Da diese Agglutinogene zuerst beim Rhesusaf- gene, die zuerst beim Rhesusaffen ent-
fen entdeckt worden waren, bezeichnet man sie als Rhesusfaktor. Menschen, de- deckt wurden
ren Blut diese Faktoren enthalten, sind rhesuspositiv (Rh oder Rh+). Menschen, • Vorliegen von Agglutinogenen:
deren Blut diese Faktoren nicht enthält, sind rhesusnegativ (rh oder Rh- ). Von rhesuspositiv (Rh oder Rh+)
der Genetik her bezeichnet den vorhandenen Rhesusfaktor (Rh+) auch mit D; • Fehlen von Agglutinogenen: rhesus-
den fehlenden (Rh- ) als d. negativ (rh oder Rh-)

Abb. 6-6a, b.
Darstellung der Blutgruppenverträglich-
keit in a und der Blutgruppenunverträg-
lichkeit in b . Bei Unverträglichkeit kommt
es durch Bindung der Agglutinogene mit
den Agg lut ininen zu einer Agglutination
Spenderblut Agglutinin B
Blutgruppe A Im Empfänger
mit Blutgruppe A

keine Agglutination
a

+
Spenderblut Agglutinln A
Blutgruppe A Im Empfänger
mit Blutgruppe B
Agglutination
durch die Blutgruppenunverträglichkeit
b
262

Wegen der Verwechslungsmöglichkeit sollte der Rhesusfaktor nicht mit Groß-


bzw. Kleinschreibung geschrieben werden, sondern ein Plus (+) bzw. ein Minus
(-) dazugesetzt werden.

Rhesus-lnkompatibilität: Unverträg lich- Im Unterschied zu den Agglutininen gegen ABO -Agglutinogene werden die Ag-
keit von rhesuspositivem mit rhesus- glutinine gegen Rhesusfaktoren nicht durch Kon takt mit Bakterien in den ersten
negativem Blut Lebensmonaten induziert, sondern sie entstehen erst nach einem vorausgegange-
nen Kontakt mit rhesuspositivem Blut. Dies nennt man Rhesus-lnkompatibilität.
induzieren auslösen, veranla ssen Rhesuspositive Individuen bilden selbstverständlich keine Antirhesusagglu-
tinine. Die Ant ikörperb ildung tritt also nur bei rhesusnegativen Individuen auf.
Eine einmalige Bluttransfusion von Rh+ -Blut auf ein Rh-Individuum kann des-
halb ohne Zwischenfälle verlaufen. Vorsicht ist trot zdem geboten, da Antikörper
nicht erst nach massivem Kontakt (wie bei ein er Bluttransfusion) gebildet wer-
den, sondern bereits kleinste Blutmengen ausreichen, z. B. bei der Geburt von ei-
nem Rh+-Kind von einer Rh-Mutter, die Antikörperbildung anzuregen. Das
nächste Kind dieser Mutter ist durch eine Hämolyse stark gefährdet, da die Anti-
körper die Plazentaschranke (Schranke zwischen mütterlichem und kindlichem
Blut) überwinden können. Im Körper des Kindes verursachen die mütterlichen
Antikörper eine Hämolyse, die einen starken Anstieg des Bilirubins nach sich
zieht, die sog. Rhesus-Erythroblastose (z. B. Morbus haemolyticus neonatorum).
Folgen können Gehirnschäden bis zum intrauterin en Fruchttod sein .

6.9 Blutplasma und seine Bestandteile

• Blutplasma: 7-9%ige wässrige Lösung, Das normale Plasmavolumen beträgt ca. 4,5% des Körpergewichts, das sind mehr
deren normales Vol umen ca. 4,5% des als 3 I bei einem 70 kg schweren Menschen. Das Blutplasma ist eine blassgelbe,
Körpergewichts beträgt kl are 7-9%ige wässrige Lösung. Wasser macht also die Hauptm enge des Blutes
• Blutserum: Blutplasma ohne Fibrinogen aus. Die Zusammensetzung der im Plasma gelösten Bestandteile hat eine große
Bedeutung für Diagnose, Prognose und Behandlungskontrolle vieler Krankhei-
ten. Deshalb ist es wichtig, sowohl die qualitative als auch die quantitative Zu -
sammensetzung des Plasmas unter normalen, d. h. nichtpathologischen Bedin-
gungen zu kennen.
Dem Begriff Blutplasma steht de r Begriff Blutserum gegenüber. Das ist Blut-
plasma, aus dem das Fibrinogen entfernt worden ist. Fibrinogen ist ein Protein,
das bei der Blutgerinnung eine wesentliche Rolle spielt (s. Abschn. 6.9.2).

6.9.1 Plasmaproteine

Funktionen der Plasmaproteine Den Hauptanteil der gelösten Stoffe im Blut bilden die Plasmaproteine (Eiweiße
• Trägerproteine für den Substanz- im Blutplasma). Der Gesamtproteingehalt des Pl asmas beträgt 6-Sg/loo ml. Plas-
transport maproteine sind ein komplexes Gemisch aus vorwiegend zusammengesetzten
• Puffer für den pH-We rt Proteinen wie Glykoproteine und Lipoproteine. Ihre Zahl wird auf über 100 ge-
• Träger des onkotischen Drucks schätzt. In ihrer Zahl und Funktion sind immer noch nicht alle Plasmaproteine
• Gerinnungsproteine für die bekannt. Plasmaproteine übernehmen folgende Funktionen:
Blutgerinnung • Trägerproteine für den Transport von Substanzen,
• Antikörperbildung • Puffer für den pH- Wert des Blutes,
• Proteinreserve • Träger des onkotischen Drucks,
• Gerinnungsproteine für die Blutgerinnung,
Blutplasma und seine Bestandteile · Kapitel6. Blut 263

• Antikörper für die Immunfunktionen,


• Proteinreserve für die Ernährung des Körper; jedoch nur unter extremen
Hungerzuständen.

Einige dieser Funktionen werden weiter unten näher beschrieben.

6.9.2 Elektrophorese

Um die Plasmaproteine qualitativ und quantitativ zu untersuchen, müssen sie


isoliert, d. h. voneinander getrennt werden. Eine einfache Methode der Trennung
ist die Trägerelektrophorese. Proteine sind unterschiedlich groß und besitzen
unterschiedliche elektrische Ladungen. Aufgrund dieser Eigenschaften können
sie voneinander getrennt werden. Die Trennung geschieht wie in Abb. 6-7a-c be-
schrieben und dargestellt.
Auf diese Art können 5 verschiedene Gruppen von Plasmaproteinen von-
einander getrennt werden. In Tabelle 6-3 sind die 5 Proteingruppen sowie das
Fibrinogen, das häufig mit den Gammaglobulinen (y-Globuline) wandert, auf-
geführt.

Auftragungsort des Serums Abb. 6-7a- c.


Elektrophoretische Trennung der
positiver negativer
verschiedenen Plasmaproteine.
Pol Pol a Plasma (in der Klinik meist Serum} wird
z. B. auf eine mit Gel überzogene Träger-
platte gebracht. die mit einem negativen
a
(Kathode} und einem positiven elektri-
schen Pol (Anode} verbunden ist. Im Be-
reich der Kathode wird das Plasma aufge-
tragen. Die Proteine sind negativ geladen
Albumin
und wandern deshalb vom negativen Pol,
entsprechend ihrer Ladung und Größe.
zum positiven Pol;
b zeigt das Verteilungsmuster, das mit
Globuline einem Dichtemessgerät (Densitometer}
aufgrundder Vertei lung auf dem Papier-
streifen (c) gemessen wurde

c 8
264

Mit der Immunelektrophorese werden die Trägerelektrophorese und die


Möglichkeit der Bildung von Antigen-Antikörper-Komplexen miteinander kom-
biniert. Elektrophoretisch getrennte Proteine werden mit Antikörpern in Kontakt
gebracht. Dadurch wird eine Ausfällung (Präzipitation) bewirkt, die zu einer
mondsichelartigen Ansammlung von Immunkomplexen am Fällungsort führt.
Auf diese Art ist es möglich, bis zu 40 verschiedene Proteine zu identifizieren.

6.9.3 Bindungsfähigkeit des Albumins

Albumin als Transportmolekül Albumin besitzt eine ausgesprochene Fähigkeit zur Wasserbindung. Deshalb ist
es an der Regulation des kolloidosmotischen Drucks (s. Abschn. 6.10.2) und des
Wassergehaltes des Blutes entscheidend beteiligt. Es fungiert als Transportmo-
lekül für niedermolekulare, wasserunlösliche Substanzen. Ein einziges Albumin-
molekül kann 20-25 Bilirubinmoleküle, 9 Stearinsäuremoleküle oder 5 Salizyl-
säuremoleküle reversibel binden. Aber auch verschiedene andere Substanzen,
z. B. Penizillin, werden an Albumin gebunden transportiert.

6.9.4 Pathoproteinämien

Pathoproteinämien Bei bestimmten Krankheiten kann die Zusammensetzung der Plasmaproteine


• Dysproteinämie: Abweichung der mehr oder weniger stark von der »normalen« Proteinzusammensetzung abwei-
Proteinzusammensetzung nach oben chen. Dies wird als Pathoproteinämie bezeichnet. Man unterscheidet Dys-, De-
oder unten fekt- und Paraproteinämie.
• Hypoproteinämie: Mangel an der • Dysproteinämie: Sind die in Tabelle 6-3 angegebenen Verhältniszahlen für die
Gesamtmenge von Plasmaproteinen einzelnen Proteine und Proteinfraktionen verschoben, ist also mehr oder we-
• Defektproteinämie: Mangel oder Fehlen niger als normal von einem Protein vorhanden, spricht man von einer Dys-
eines oder mehrerer Plasmaproteine proteinämie. So sind z. B. bei akuten Entzündungen die a,-und a,-Globuline
• Paraproteinämien: Proteine, die erhöht, bei chronischen Entzündungen hingegen die y-Giobuline.
physiologischerweise nicht vorkommen • Unterernährung, Nierenerkrankungen und Resorptionsstörungen im Darm
können zu einer Erniedrigung der Gesamtproteinmenge im Blut führen. Dies
wird als Hypoproteinämie bezeichnet. Da die meisten Plasmaproteine in der
Leber synthetisiert werden, können Leberfunktionsstörungen zu einer Verän-
derung der Proteinzusammensetzung (z. B. Hypoproteinämie) führen.
• Defektproteinämie: Als Defektproteinämie wird der Mangel oder das Fehlen
eines oder mehrerer Plasmaproteine bezeichnet. Es handelt sich dabei

Tabelle 6 -3. Menge und Funktion verschiedener Plasmaproteine

Protein Menge im Funktion


BlutplasmaJglt]

Albumin 45 Osmoregulation, Transport


a,-Giobuline 5 z. B. Lipidtransport (durch das a ,-Lipoprotein)
a 2 -Giobuline 4 z. B. Kupfertransport (durch das Zäruloplasmin)
ß-Giobuline 4,5 z. B. Eisentransport (durch das Transferrin)
Fibrinogen 3 Blutgerinnung
y-Giobulin (lgA, lgE etc.) 7 Abwehrfunktion (Antikörper)
Blutplasma und seine Bestandteile · Kapitel6 · Blut 265

hauptsächlich um genetisch bedingte Defekte, bei denen ein oder mehrere Pro-
teine nicht gebildet werden können. Eine typische Defektproteinämie ist das
Fehlen des kupfertransportierenden Zäruloplasmins, das zum M. Wilson führt. M. Wilson
• Paraproteinä mien: Bei einigen Erkrankungen kommt es zur Bildung von Pro- Kupferspeicherkrankheit mit Ausfällen z. B.
teinen, die normalerweise im Blut gar nicht oder nur unterhalb der Nachweis- in der Unwillkürmotorik
grenze vorkommen. In einem solchen Fall spricht man von einer Paraprotein-
ämie. Ein bekanntes Protein dieser Art ist das Bence-Jones-Protein, das beim Plasmozytom
multiplen Myelom (Piasmozytom) auftritt und mit dem Urin ausgeschieden wird. bösartiges Wuchern von Plasmazellen

6.9.5 Zelluläre Proteine im Blut

Unter physiologischen Bedingungen sterben im menschlichen Körper fortlau-


fend Zellen der verschiedenen Organe. Diese werden z. T. wieder ersetzt. Nach
dem Zelluntergang gelangen Proteine ins Blut, bei denen es sich meist um En-
zyme handelt. Von besonderer Bedeutung sind die Enzyme aus der Gruppe der
Dehydrogenasen und der Gruppe der Transaminasen. Dies sind z. B.:
• LDH: Laktatdehydrogenase,
• GLDH: Glutamatdehydrogenase,
• HBDH: Hydroxybutyratdehydrogenase,
• GOT: Glutamat-Oxalacetat-Transaminase,
• GPT: Glutamat-Pyruvat-Transaminase.
• CK: Kreatinkinase.

Mit der Bestimmung der zellulären Proteine im Blut kann ein Organschaden dia-
gnostiziert werden. Dabei kommt es zu einer Veränderung des typischen Enzym-
musters. Aus dieser Veränderung kann man Rückschlüsse ziehen auf die Art der
Schädigung. So führen z. B. Schäden an der quergestreiften Muskulatur (z. B.
Herzinfarkt) zur vermehrten Freisetzung von CK und HBDH. Bei Schädigung der
Leber (z. B. Leberzirrhose) wird v. a. GPT und GLDH vermehrt freigesetzt.

6.9.6 Lipide im Blut

Im Plasma erscheinen nach der Nahrungsaufnahme Lipide in Form von kleinen Wichtige Plasmalipide
Fetttropfen, die sog. Chylomikronen. Sie werden aus dem Darm in das Lymph- • Triglyzeride
gefäßsystem aufgenommen und über den Venenwinkel (Ductus thoracicus) ins • Cholesterin
Blut transportiert. Sie sind für eine Trübung des Blutes nach der Nahrungs- • Freie Fettsäuren
aufnahme verantwortlich, sog. postalimentäre Lipämie. • HOL (»high density Iipoprotein«)
Die Chylomikronen werden unter der Wirkung der Lipoproteinlipase abge- • VLDL (»very low density Iipoprotein«)
baut. Das Plasma klärt sich dabei, weshalb die Lipoproteinlipase auch Klärfaktor • LDL (»low density Iipoprotein«)
genannt wird. Die Chylomikronen sind Zusammenlagerungen von verschiede- • Phospholipide
nen Lipiden (u. a. Lipoproteine, Phospholipide etc.); sie enthalten relativ viele
Triglyzeride.
Neben den zusammengesetzten Chylomikronen kommen im Blut noch
andere Lipide bzw. Lipoproteine vor (s. Randspalte).
Die freien Fettsäuren werden meist an Albumin gebunden transportiert.
VLDL ist ein Lipoprotein mit sehr geringer Dichte, es besteht zu mehr als soo/o
aus Triglyzeriden sowie aus gleichen Anteilen Cholesterin und Phospholipiden.
Es ist das Transportvehikel für endogene Glyzeride.
266

LDL entsteht aus VLDL durch Abspaltung von Triglyzeriden; praktisch die
Hälfte dieses Moleküls besteht aus Cholesterin.
HOL enthält nur wenig Lipid und besteht fast zur Hälfte aus Protein. Aufgrund
seines niedrigen Cholesteringehaltes ist es ebenfalls in der Lage, freies (schädli-
ches) Cholesterin aus dem Blut aufzunehmen und in die Leber zu transportieren,
wo der eigentliche Stoffwechsel des Cholesterins stattfindet.
Somit ist HDL in besonderem Maß an der Regulation der zellulären Cho-
lesterinbilanz beteiligt. Es wird vielfach als >>gutes« Fett bezeichnet und damit
dem »schlechten« LDL gegenübergestellt.
•Gutes« Fett (HOL): reguliert die Die Angaben für Normwerte der einzelnen Lipoproteine schwanken, und
Cholesterinbilanz im Sinne einer besonders die Bedeutung der Werte wird nicht einheitlich beurteilt. In der letzten
Erniedrigung Zeit setzt sich die Auffassung durch, dass der Wert für Gesamtcholesterin unter-
«Schlechtes• Fett (LOL): reguliert die halb von 5,2 mmol/lliegen sollte. Außerdem ist der Quotient von Gesamt-Cho-
Cholesterinbilanz im Sinne einer lesterin zu HOL-Cholesterin von großer Bedeutung; er sollte <s sein.
Erhöhung Liegt der Cholesteringehalt des Serums über 5,2 mmol/1 (200 mg/wo ml) und
der Cholesterin-HOL-Quotient über 5, steigt das Risiko für die Entwicklung einer
Cholesteringehalt und koronare koronaren Herzkrankheit (KH K).
Herzkrankheit: Das Risiko einer Gelegentlich findet man immer noch Angaben über die Menge der Gesamt-
koronaren Herzerkrankung ist erhöht, lipide, die im Normbereich ca. 570 mg/100 mJ betragen. Wichtiger ist allerdings
wenn der Cholesteringehalt des Serums die Bestimmung der Triglyzeride, da sie zur Diagnostik von Fettstoffwechsel-
über 5,2 mmolll (200 mg/ 100 ml) und der störungen herangezogen werden können. Die Menge der Triglyzeride im Serum
Cholesterin-HOL-Quotient überS liegt sollte im Normbereich zwischen ca. 0.85 bis 1.95 mmol/1 betragen (ca. bis
150 mg/wo ml). Die Zusammensetzung der Lipide im Serum ist sehr stark
abhängig von genetischen (vererbten) Faktoren sowie vorn Alter, von der Rasse,
den Essgewohnheiten und dem Geschlecht.

6.9.7 Glukose im Blut

Glukose ist einer der wichtigsten Nährstoffe im Blut. Das Gehirn ist fast aus-
schließlich auf die Verbrennung von Glukose für die Energiegewinnung ange-
wiesen (s. Kap. 9, Atmungsapparat). Die Glukosekonzentration im Blut ist wäh-
rend des gesamten Lebens relativ konstant und unabhängig von Alter und Ge-
schlecht.
Glukosequellen: Durch Bilanzversuche konnte festgestellt werden, dass der Mensch ca. 300 rng
• Verdauung (Nahrungsglukose) Glukose pro Kilogramm Körpergewicht pro Stunde (300 mg Glukose/kg KG/h)
• Leberglykogen (Abbau der Reserven) braucht. Die nötige Glukose wird von der Leber bereitgestellt und stammt aus
• Glukoneogenese (vom Körper neu 3 verschiedenen Quellen: Verdauung, Leberglykogen, Glukoneogenese.
aufgebaute Glukose) Nach 12 h Fasten beträgt der Blutzuckerwert 3,33- 5,55 mmol (6o- 1oo mg
• Bei Bedarf baut der Körper nötigenfalls /100 rnl). Nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit steigt der Blutzuckerwert auf
andere Kohlenhydrate und Proteine 6,66-7,15 mrnol/1 an (120-130 mg/wo ml), um dann nach ca. 2 h wieder auf den
in Glukose um Normalwert abzusinken.
Diese Blutzuckerwerte müssen unter allen Umständen eingehalten werden,
da eine Hypoglykämie zu zentralnervösen AusfaJJerscheinungen, hypoglykämi-
schem Schock und Koma mit Todesfolge führen kann. Der Körper baut deshalb
notfalls andere Kohlenhydrate in Glukose um. Bei Bedarf baut der Körper sogar
Glukoneogenese Proteine ab, um aus den damit frei werdenden glukoplastischen Aminosäuren
Neubildung von Glukose neue Glukose aufzubauen. Diese Prozesse werden als Glukoneogenese bezeichnet.
Wasser- und Elektrolythaushalt · Kapitel6 ·Blut 267

Steigt der venöse Blutzuckerwert über 8,88 mmol/1 (160 mg/100 ml) an, wird
Glukose mit dem Harn ausgeschieden, da die sog. Nierenschwelle erreicht ist. Das
bedeutet, dass die Niere nicht mehr die gesamte Glukose aus dem Primärharn (s.
Kap. 11 Harnapparat) rückresorbieren kann. Ursache ist ein Insulinmangel durch Diabetes: Insulinmangel durch
eine Minderproduktion von Insulin in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas), der mangelnde Insulinproduktion
sog. Diabetes mellitus. Durch den Insulinmangel kann Glukose nicht mehr in die in der Bauchspeicheldrüse
Zellen aufgenommen werden; d. h. die Glukosekonzentration im Blut steigt an,
was in der Niere zum überschreiten der Nierenschwelle führt. Demgegenüber
wird ein Versagen des Transportmechanismus in der Niere als renaler Diabetes
bezeichnet. Hier liegt die Störung in der Niere und nicht an einem Insulin -
mangel.

6.9.8 Reststickstoff im Blut

Proteine sind die wichtigsten Stickstoffträger im Körper. Werden Proteine, z. B. Harnpflichtige Substanzen
durch Ausfällung, aus dem Serum entfernt, bleibt ein eiweißfreies Filtrat zurück. • Harnstoff
In diesem finden sich stickstoffhaltige, wasserlösliche Verbindungen, die als • Kreatinin
Reststickstoff bezeichnet werden. Beim Reststickstoff handelt es sich teils um • Harnsäure
Aminosäuren (Bausteine der Proteine) teils um Endprodukte des Intermediär-
stoffwechsels (Zwischenstoffwechsel). Diese werden als harnpflichtige Substan-
zen ausgeschieden. Für die klinische Diagnostik sind v. a. 3 stickstoffhaltige Stoff-
wechselendprodukte im Blut von Bedeutung (Tabelle 6-4). Tabelle 6-4. Reststickstoff im Blut
• Harnstoff ist das Endprodukt des Aminosäure- und Proteinstoffwechsels.
Substanz Konzentration
• Kreatinin ist ein Endprodukt des Stoffwechsels in der Muskulatur.
• Harnsäure ist Endprodukt des Nukleinsäurestoffwechsels. Wird im Körper zu Harnstoff 4mmolll
viel Harnsäure zurückbehalten, kann sich Harnsäure z.B. in Gelenken oder der Kreatin in 1001Jmol/l
Niere einlagern. Es kommt zur Gicht. Harnsäure 3001Jmol/l

Aminosäuren selbst werden meist quantitativ in den Nierentubuli rückresorbiert


und nicht mit dem Harn ausgeschieden.

6.9.9 Weitere Plasmabestandteile

Im Blut bzw. Plasma zirkulieren noch weitere Substanzen für die Versorgung, z. B.
Vitamine, Hormone, Spurenelemente und Elektrolyte. Die Hormone werden ge-
sondert in Kap. 12 (Endokrinologie) beschrieben. Die Elektrolyte bilden zusam- Elektrolyte
men mit dem Wasser eine funktionelle Einheit, deshalb werden sie im Folgenden Substanzen, die in wässriger Lösung
genauer besprochen. als negative (Anionen) oder als positive
(Kationen) Ionen vorliegen
6.10 Wasser- und Elektrolythaushalt

Wasser ist absolut lebensnotwendig. Es gibt Lebewesen, die ohne Licht und ohne
Sauerstoff existieren können, es gibt jedoch kein Lebewesen, das ohne Wasser
über längere Zeit überlebt. Der Mensch ist bei einem Wasserverlust von no/o nicht
mehr lebensfähig. Dieser Wasserverlust entspricht einer Durstperiode von
6-7 Tagen unter normalen Klimabedingungen. Unter Wüstenbedingungen ist
dieser Verlust bereits nach ca. 3 Tagen erreicht.
268

Kompartimente des Körpers: Der menschliche Körper besteht zu ca. 75% aus Wasser. Dabei verteilt sich das
• Blut Wasser auf 3 große Kompartimente des Körper: Blut, Interstitium und Intrazellu-
• Interstitium (Interzellularraum, larraum (Tabelle 6-s). Dabei stehen die Flüssigkeitsräume über Mechanismen der
Zwischenzellraum) Wasseraufnahme und -abgabe mit der Außenwelt in Verbindung.
• Intrazellularraum (Raum innerhalb
der Zellen)
Tabelle 6-5. Wasserverteilung im Körper

Kompartiment Wasseranteil in (I] Prozentualer Anteil

Blut 3-4 4-5


Interstitium 10- 15 15- 20
Intrazellularraum 28- 35 40- 50

Treibende Kräfte für den Austausch unter den Flüssigkeitsräumen im Körper


sind die folgende Drucksysteme: osmotischer, kolloidosmotischer und hydrosta-
tischer Druck

6.10.1 Osmotischer Druck

Drucksysteme im menschlichen Körper Unter Osmose versteht man die Bewegung von Molekülen in Lösungen
• osmotischer Druck, (z. B. Wasser) durch eine semipermeable (halbdurchlässig) Membran.
• kolloidosmotischer Druck und Semipermeable Membranen sind durchlässig für das Lösungsmittel selbst,
• hydrostatischer Druck. nicht aber für die Moleküle der gelösten Substanz.

In der Regel besteht die Tendenz, dass das Lösungsmittel auf die Seite der Mem-
bran diffundiert (eindringt), auf der die höhere Konzentration eines gelösten
Stoffs besteht, um so die Druckunterschiede (Kon zentrationsunterschiede) aus-
Osmotischer Druck entsteht durch das zugleichen (Abb. 6-Sa- c). Osmotischer Druck in einer Lösung entsteht durch das
Aufeinanderprallen von Molekülen Aufeinanderprallen der gelösten Moleküle. Je höher die Konzentration an gelös-
in einer Lösung ter Substanz ist, desto öfter prallen die Moleküle aufeinander und desto höher ist
der osmotische Druck.
In einem Röhrensystem,in dem sich eine semipermeable Membran zwischen
2 Kompartimenten mit unterschiedlicher Konzentration an gelöster Substanz

befindet, kommt es automatisch zu einem Flüssigkeitsübertritt von der Seite mit


der niedrigeren Kon zentration auf die Seite mit der höheren Kon zentration. Übt
man auf die Seite der höheren Kon zentration Druck aus, kann man die Flüssig-
keitsbewegung zum Stehen bringen. Der Druck, der die Flüssigkeitsbewegung
gerade zum Stehen bringt, wird als effektiver osmotischer Druck der Lösung be-
zeichnet. Ebenso wie andere Erscheinungen, z.B. Dampfdruckerniedrigung, Ge-
frierpunkterniedrigung, Siedepunkterhöhung, hängt auch der osmotische Druck
vorwiegend von der Zahl der Teilchen in einer Lösung und nicht von der Art (z. B.
Ionen oder Moleküle) der Teilchen ab.
Bei den Elektrolyten ,die in Lösung Elektronen aufnehmen oder abgeben und
damit negativ oder positiv geladen sind, handelt es sich nicht um Moleküle, die
gelöst sind, sondern um negativ oder positiv geladene Ionen.
Der osmotisch e Druck ist von der Anzahl der gelösten Teilchen abhängig.
Diese Eigenschaft weisen alle Lösungen auf. Der osmotische Druck hat sowohl
Wasser- und Elektrolythaushalt · Kapitel6 ·Blut 269

Abb. 6-Sa-c.
Lösung im Demonstration des osmotischen Drucks
Gleichgewicht
(osmotischer an einer ha lbdurchlässigen (semiper-
3% Salzlösung Druck = Gewicht meablen) Membran.
(l.B. NaCI) steigender Pegel der Wassersäule)
/ a Die Salzlösung wird, nur durch eine
halbdurchlässige Membran getren nt,
in destilliertes Wasser gegeben.
b Hier kommt es durch den Druck der
gelösten Salzionen zum Eindringen von
Wasser in die Salzlösung.
Wenn das Gleichgewicht erreicht ist (c).
entspricht die Höhe der Wassersäule dem
osmotischen Druck der Salzlösung

destilliertes Wasser Wasser strömt ein


a b c

außerhalb der Zelle, im Interstitium, als auch in den intrazellulären Komparti-


menten (Golgi-Apparat, Mitochondrien, RER etc.) seine Bedeutung.

6.1 0.2 Kolloidosmotischer Druck

Der kolloidosmotische oder onkotische Druck entsteht nach den gleichen Prin- Kolloidosmotischer Druck: verursacht
zipien wie der osmotische Druck. Er bezeichnet den Druck, der im Blutgefäß- durch Proteine in Blutgefäßen
system unter der Wirkung von Proteinen auftritt.
Die Wand der Blutgefäße, v. a. der Kapillaren, ist an den meisten Orten un-
durchlässig für die in kolloidaler Form vorliegenden Plasmaproteine, sodass die- Kolloid
se einen Druck von ca. 25 mmHg auf die Kapillarwand ausüben. Durch diesen sehr feine, gleichmäßige Verteilung einer
Druck entsteht eine Sogwirkung auf die Flüssigkeit außerhalb der Gefäße. Dies Substanz in einer Lösung
ist die Grundlage für den Rücktransport von Flüssigkeit in das Blutgefäßsystem.

6.1 0.3 Hydrostatischer Druck

Der hydrostatische Druck wird durch die Herzkontraktion und den Gefäßtonus Hydrostatischer Druck: hervorgerufen
(Spannung der Muskulatur der Gefäßwand) hervorgerufen. Er ist hauptsächlich durch Herzkontraktion und Gefäßtonus
für den Flüssigkeitsstrom aus Kapillaren in das lnterstitium (Zwischenzellraum)
hinein verantwortlich.
Der Druck im arteriellen Teil des Kapillarschenkels ist größer als der Druck Kolloidosmotischer Druck
im Interstitium, sodass konstant ein Übertritt von Flüssigkeit in das Interstitium und hydrostatischer Druck beeinflussen
stattfindet. Umgekehrt findet im venösen Teil der Kapillaren ein Rückstrom der sich im Kapillarbett gegenseitig
Flüssigkeit in das Blutgefäß statt. Dieser Rückstrom ist dadurch bedingt, dass im und gewährleisten den Flüssigkeits-
venösen Schenkel der Kapillaren der kolloidosmotische (onkotische) Druck mit und Stoffaustausch
20-30 mmHg größer ist als der hydrostatische Druck mit ca. 16 mmHg. Damit
sind im Bereich der Kapillarversorgung v. a. der hydrostatische und der kolloi-
dosmotische Druck für den konstant ablaufenden Flüssigkeitsaustausch verant-
wortlich. Auf diese Weise wird die Versorgung der Gewebe mit Substraten und
270

der Abtransport von Stoffwechselendprodukten sichergestellt. Ein Teil der Flüs-


sigkeit im Interzellularraum wird über die LymphgefäEe abtransportiert. Abbil-
dung 6-9 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Ist der Zufluss von Flüssigkeit
gröEer als der Abtransport, kommt es zu einer Flüssigkeitsansammlung im Ge-
webe, die man als ödem bezeichnet.

6.1 0.4 Veränderungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes

Eine Erhöhung der Zahl von osmotisch wirksamen Teilchen in einem Komparti-
ment oder auch nur in einer Region eines Kompartiments zieht sofort eine ent-
sprechende Flüssigkeitsverschiebung von einem Kompartiment in das andere
nach sich und umgekehrt. Damit sind der Wasserhaushalt und der Elektrolyt-
haushalt zwangsläufig aneinander gekoppelt.
Der osmotische Druck im Intrazellularraum ist deutlich höher als der Druck
im Interstitium und im Blutplasma. Er wird über aktive Transportmechanismen
aufrechterhalten, die gleichzeitig für die Aufrechterhaltung des entsprechenden
Membranpotentials verantwortlich sind. Ohne Aufrechterhaltung des Me mbran-
potentials würden di e Zellen sofort absterben.

Der Wasser- und Elektrolythaushalt des Körpers wird über Zentren


des Zwischenhirns (Dienzephalon) gesteuert.

Im Zwischenhirn wird die Konzentration der Körperflüssigkeiten, v. a. im Blut,


gemessen und je nach Bedarf ein Regelimpuls für die Aufnahme (Trinken) oder
Abgabe (Harn) von Wasser gegeben. Ein Ausgleich des Wasser- und Elektrolyt-
haushaltes ist auf zweierlei Weise möglich:
Veränderung der Flüssigkeitsmenge und damit auch der Elektrolytkonzentration,
Veränderung der Elektrolytzusammensetzung in einem Kompartiment.

Abb. 6-9 .
Darstellung der Druckverhältnisse vom
arteriellen Schenkel über die Kapillaren
Arteriole Kapillare Venole
bis hin zum venösen Schenkel des Gefäß- (37 mm Hg mm Hg kolloid-
(25 (17 mm Hg
systems. Der Blutdruck überwiegt in der Blutdruck) osmotischer Druck) Blutdruck)

Arteriole den onkotischen Druck um


12 mmHg. Dementsprechend wird im
arteriennahen Bereich der Kapillare (zwi-
schen Arteriole und Venole) Flüssigkeit
ausgepresst. Im venennahen Bereich
hingegen überwiegt der nach innen ge-
richtete Sog des onkotischen Drucks, so-
dass Flüssigkeit wieder in die Kapillaren
zurückgezogen wird. Die Pfeile geben die
relative Größe und die Richtung des Lymphgefäß
Flüssigkeitsstroms an. Das Lymphgefäß
führt zusätzlich Flüssigkeit aus dem
Gewebe über die Lymphbahn ab
Wasser- un d Elektrolythaushallt · Kapitel6 · Blut 271

Die Organe, die di ese Veränderungen vornehmen b zw. die auf den Wasser- und
Elektrolythaush alt Einfluss haben, sind:
• die Nieren,
• verschiedene Ho rm ondr üsen (Nebennierenrinde, Hypophysenhinterlapp en,
Nebenschilddrüse),
• die Haut und
• di e Lungen.

Die Verteilung der wichtigen Elektrolyte im Körp er zeigt Tab elle 6-6. Die Summe
der An ionen und Kation en in den einzelnen Kompartimenten ist gleich.
Natrium macht den Hauptteil der positiv geladenen Ionen aus, es ist wichtig Wichtige Elektrolyte
für die osmotische Regulation. Kalium zusammen mit Natrium ist wesentlich für • Natrium
die Erregungsleitung (s. Kap. 5). Mangel an Kal ium führt zu Herzrhythmus- • Kalium
störungen und Muskelschwäche. Kalzium ist wichtig für Knochenstoffwechsel, • Kalzium
Blutgerinnung und Muskelkontraktion. Chlorid macht den Hauptteil der negativ • Ch lorid
geladenen Ionen aus, es ist wie Natrium wichtig bei der osmotischen Regulation. • Bikarbonat
Bikarbonat spielt eine wichtige Rolle im Säure-Basen-Haushalt . Phosphat ist • Phosphat
wichtig für den Knochenstoffwechsel, Energiehaushalt (ATP) und als Puffer-
substanz im Blut.
Die Gesamtheit der sowohl im Interstitium als auch im Plasma gelösten
Teilchen ist maßgebend für den osmotischen Druck in diesen Kompartimenten. Osmotischer Druck physiologischer,
Im Normalfall beträgt dieser Druck ca. 290 mOsmol. Lösungen, die die gleiche d. h. isotoner Lösungen: 290 mOsmol
Anzahl gelöster Teilchen enthalten wie das Blut und dam it den gleichen osmoti-
schen Druck ausüben, nennt man physiologische Lösungen. Eine solche Lösung
ist z. B. eine o,go/oige NaCl-Lösung.

• Lösungen m it dem g leichen osmotischen Druck wie Blut nennt man isoton,
• Lösungen mit niedrigerem osmotischen Druck hypoton und
• Lösungen mit höherem osmotischem Druck hyperton.

Tabelle 6-6. Verteilung wichtiger Elektrolyte im Körper

Elektrolyte Serum [mval/1] Interzellularraum/


Interstitium [mval/1]

Kationen
Natrium 142 145 10
Kalium 4 4 160
Kalzium 5 5 2
Magnesium 2 2 26
Gesamt 153 156 198

Amonen
Chlorid 101 114 3
Bikarbonat 27 31 10
Phosphat 2 2 100
Sulfat 20
Organische Säuren 16 65
Gesamt 153 156 198
272

6.11 Säure-Basen-Haushalt

pH-Wert bezeichnet den negativen Der pH-Wert (s. Abschn. 1.4.3) des arteriellen Blutes beträgt 7>4 (physiologische
Logarithmus der Wasserstoffionen- Schwankungsbreite 7.38- 7.42); im venösen Blut liegt er mit 7,38 nur geringfügig
konzentration (H+ -Ionen) darunter. Sehr viele Lebensvorgänge sind äußerst »pH-empfindlich<<, d. h. sie lau-
fen nur bei genau eingehaltenem pH-Wert ab. Die noch mit dem Leben vereinba-
Maximale Schwankungsbreite des pH- re maximale Schwankungsbreite der H+ -Konzentration der Extrazellularflüssig-
Wertes zwischen: 7,0 und 7,7 keit liegt im pH-Bereich zwischen 7,0 und 7,7; vom Minimum bis zum Maximum
entspricht das einem 7fachen Konzentrationsunterschied.

6.11.1 Puffersystem des Blutes

Die im Stoffwechsel anfallenden Säuren, die bei Hyperventilation abnehmende


H,CO,-Konzentration (Bikarbonat) und der Säureverlust beim Erbrechen von
Magensaft (um nur einige Beispiele zu nennen) verändern den pH-Wert des Blu-
tes, der vom Körper normalerweise ausgeglichen werden kann. Die Fähigkeit des
Körpers, sich den Schwankunge n des Säure-Basen-Haushaltes anzupassen, be-
ruht auf 2 grundsätzlich verschiedenen Mechanismen:
Ausgleichmechanismen bei pH-Wert- • 1. den physikalisch-chemischen Eigenschaften des Blutes (Pufferfähigkeit) und
Schwankungen • 2. den Regulationssystemen (Lunge, Niere). Lunge und Niere können durch
• Pufferfähigkeit des Blutes eine veränderte Ausscheidung saurer Valenzen das Säure-Basen-Verhältnis
• Regulationssysteme: Lunge, Niere beeinflussen.

• Anstieg von Säuren pH-Wert sinkt __, Fallen vermehrt Säuren im Kör per an oder werden aufgenommen, sinkt d er pH-
Blut sauer Wert des Blutes, d as Blut wird sauer. Verliert der Körper Säure durch Erbrechen
• Verlust von Säuren __, pH-Wert steigt - oder durch gesteigerte Abgabe von CO., steigt der pH-Wert, d as Blut wird alka-
Blut alkalisch lisch. Beide pH-Wert Abweichungen können in einem gewissen Rahmen durch
sog. Puffersubstanzen im Blut ausgeglichen werden. Diese Puffersubstanzen sind
in der Lage, je nach Bedarf H+-Ionen (Protonen) aufzunehmen o der abzugeben
und damit stabilisierend in die H+-Ionenkonzentration einzugreifen. Es g ibt ve r-
schiedene Puffer, die im Blut wirksam sind. Die wichtigsten sind:
Wichtigste Puffer • Bikarbonat: H 2 C0 3 steht mit H t + HCO, im Gleichgewicht. H 2 CO, ist die
• Bikarbonat protonierte Form, H++HCO; ist die dissoziierte (getrennte) Form.
• Hämoglobin • Hämoglobin (Hb): Bei Hb steht die protonierte Form HHb im Gleichgewicht
• Protein mit der dissoziierten (getrennten) Form H • + Hb .
• Protein: Hier steht ebenfalls die protonierte Form (HProt) mit der dissoziierten
protoniert hier: mit einem zusätzlichen Form (H ' +Pror-) im Gleichgewicht.
Wasserstoffion ( H ")
Am Beispiel des Bikarbonats, das den wichtigsten Puffer im Blut darstellt, soll die
Blutpufferung erklärt werden:
H,CO, ist die Kohlensäure, HCO; (Bikarbonat) ist das Salz dieser Säure. Im
Blut befinden sich von beiden große Mengen, die im Gleichgewicht stehen wie
oben angeführt. Werden zu diesem Gleichgewichtssystem H '-Ionen gegeben,
bindet der größte Teil davon an HCO; , das damit zu H,CO, wird. Damit wird ein
Ansteigen der H +-Konzentration, also ein Abfall des pH-Wertes verhindert. Wer-
den aus dem Blut H t -Ionen entfernt, dissoziiert die Kohlensäure (H CO ,), und es
2

entstehen Bikarbonat (HCO~) und H+-Tonen. Damit wird ein Anstieg des pH-
Säure-Basen-Haushalt · Kapit el 6 · Blut 273

Wertes verhindert. Steigt die Produktion von C0 2 im Gewebe an, z. B. durch Mus-
kelarbeit, wird dieses C0 2 zunächst in den Erythrozyten mit Hilfe der Karbo-
anhydrase zu Bikarbonat umgewandelt. Bei dieser Umwandlung entsteht das er-
wähnte H+-Ion. In der Lunge wird unter der Wirkung der Karboanhydrase das
Bikarbonat wieder in C0 2 zurückverwandelt, das als Gas abgeatmet werden
kann. Bei dieser Umwandlung wird das H+-Ion wieder gebunden und damit eine
Übersäuerung des Blutes verhindert. Umgekehrt kann bei einer Hyperventi-
lation mit gesteigerter C0 2-Abatmung auch zu viel H+ gebunden werden, sodass
es zu einem Anstieg des pH-Wertes im Blut kommt.

6.11.2 Ausscheidungsmechanismen

Neben den Puffersystemen des Blutes sind es v. a. die Ausscheidungsmechanis-


men über die Niere oder die Lunge, die für eine Aufrechterhaltung des Säure-
Basen -Gleichgewichts sorgen.
Die Niere ist in der Lage, je nach Erfordernis des Stoffwechsels mehr oder
weniger H+ und Bikarbonat auszuscheiden. Bei Hyperventilation infolge alveo-
lärer Hypoxie scheidet die Niere vermehrt Bikarbonat aus und ermöglicht so,
dass der pH-Wert des Blutes bei erniedrigtem arteriellem C0 2-Wert nicht über-
mäßig ansteigt. Umgekehrt kann die Niere bei Anstieg des arteriellen C0 2-Wer- Hypoxie
tes H+-Ionen ausscheiden und so eine Übersäuerung des Blutes verhindern. Sauerstoffmangel, z. B. in großer Höhe
Durch die Funktion der Lunge nimmt das Bikarbonat eine besondere Stel-
lung unter den Puffern ein, da es ZU H20 und co 2 zerfällt, wobei das co2über die
Lungen abgeatmet werden kann.
Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts werden als Alkalose bzw. Azidose be-
zeichnet.
• Alkalose: Anstieg des pH-Wertes (Verschiebung in den basischen/alkalischen Alkalose und Azidose: Störungen
Bereich), des Säure-Basen-Gleichgewichts
• Azidose: Abfall des pH-Wertes (Verschiebung in den sauren Bereich).
Acidum Säure
Je nach Ursache einer solchen Störung spricht man von einer respiratorischen
(durch die Atmung hervorgerufenen) bzw. metabolischen (durch den Stoffwech-
sel bedingten) Alkalose und Azidose (Ursachen s. Tabelle 6-7).

Tabelle 6-7. Ursachen der respiratorischen und metabolischen Alkalose bzw. Azidose

Ursache Alkalose Azidose

Respiratorisch Hyperventilation Hypoventilation


Metabolisch z. B. andauerndes starkes abnorm hohe
Erbrechen, Säureproduktion
übermäßige Alkalizufuhr (z. B. bei Diabetes
mit der Nahrung mellitus)

Allgemein : Abnahme Allgemein : Zunahme


der W -lonenkonzentration der H ~-lonenkonzentration
274

6.12 Blutstillung, Blutgerinnung, Fibrinolyse

Zu Beginn dieses Kapitels wurde erwähnt, dass ein Blutverlust von 30% bereits
lebensbedrohend sein kann und ein Blutverlust von soo/o ohne sofortige Hilfs-
maßnahmen tödlich verläuft. Es müssen also Mech anismen vorhanden sein , die
bei normalen Verletzungen einen zu großen Blutverlust verhindern könn en. Um-
gekehrt darf es nicht zu einer Blutgerinnung in de n Gefäßen komm en, da diese
ebenfalls nicht mit dem Leben vereinbar ist. In 10 ml Blut befind en sich genügend
gerinnungsauslösende Stoffe , um das gesa mte Blut inn erh alb von Sekund en ge-
rinnen zu lassen.

6.12.1 Blutstillung

Fakto ren der Hämostase


Die Blutstillung wird auch als Hämostase bezeichnet. Man unterscheidet ~ine
• Blu tgefäße
primäre und eine sekundäre Hämostase:
• Thrombozyten
Die primäre Hämostase führt zur Bildung eines reversiblen Thrombus, die se-
• Gerinnungsvorgang kundäre Hämostase umfasst die eigentliche Blutgerinnung, die zur Bildung eines
irreversiblen (nicht auflösbaren) Thrombus führt. An der Härnostase sind 3 ver-
weißer Thrombus schiedene Faktoren beteiligt: Blutgefäße, Blutplättchen (Thrombozyten) und
auflösbarer Blutpfropf eigentlicher Gerinnungsvorgang (sekundäre Hämostase).
Bei einer Verletzung werden Substanzen aus der Gefäßwand freigesetzt, die
eine Konstriktion (Zusammenziehung) der Gefaßwand bewirken. Dies führt be-
reits zu einer Blutstillung.
Die Vasokonstriktion (Gefäßverengung) kann so stark sein, dass sogar bei
einer Durchtrennung eines Gefäßes von der Größe der A. radialis die Blutung
zum Stehen kommt. Bei Verletzungen in Längsrichtung des Gefaßes und bei un-
vollständiger Durchtrennung kommt dieser Mechanismus allerdings nicht voll
zur Wirkung, sodass eine Versorgung des verletzten Gefäßes auf jeden Fall
schnellstens vorgenommen werden muss.
Gleichzeitig mit der Vasokonstriktion kommt es zur Bildung eines noch re-
reversibel versiblen Thrombozytenpfropfes, den sog. weißen Thrombus. Durch die Gefäß-
rückgängig zu machen, umkehrbar verletzung werden mit dem Einreißen des Endothels subendotheliale kollagene
Fasern freigelegt. Diese Fasern zeigen Ladungseigenschaften, die sich stark un-
terscheiden von denen der Thrombozyten. Dadurch werden die Thrombozyten
angezogen und lagern sich massiv am Kollagen an. Als Folge dieser Anlagerung
setzen die Thrombozyten ADP (Adenosindiphosphat) und Seroton in frei.
• ADP lockt Thrombozyten chemotaktisch ADP dient der chemotaktische n Anlockung weiterer Thrombozyten; Sero-
an tonin führt zu einer Gefäßkonstriktion. Mit einem weißen Thrombus kann ein
• Seroton in führt zur Vasokonstriktion verletztes Gefäß nicht dauerhaft verschlossen werden. Beim Nachlassen der
Vasokonstriktion und dem daraus resultierenden Anstieg des lokalen Blutdrucks
Chemotaxis wird der reversible Thrombozytenpfropf unweigerlich wieder herausgepresst.
durch einen chemisc hen Reiz au sgelöst e Die Zeit von der Verletzung bis zum Ende der Blutung wird als Blutungszeit
Beweg un g, auf den Reiz zu oder von ihm bezeichnet. Bei kleineren peripheren Gefäßen beträgt sie ca. 2 min. Die Blu-
fort tungszeit gibt Auskunft über die Funktion der Thrombozyten; sie kann etwas
über einen Mangel an Thrombozyten oder eine gestörte Funktion der Thrombo-
Blutungszeit: Zeit von der Verletzung zyten aussagen.
bis zum Ende der Blutung
Blutstillung, Blutgerinnung, Fibrinolyse · Kapitel6 · Blut 275

6.12.2 Blutgerinnung (sekundäre Hämostase)

Die Vorgänge, die einen weißen Thrombus in einen roten Thrombus überführen
und damit aus einem reversiblen einen irreversiblen Thrombus machen, be-
zeichnet man als Blutgerinnung.

An der Blutgerinnung sind 12 verschiedene Faktoren beteiligt. Sie haben Eigen- Gerinnungsfakt oren: Faktor I- V und
namen, werden aber auch der Reihenfolge ihrer Entdeckung nach mit den römi- VII-XIII
schen Zahlen von I- XIII bezeichnet. Die Nummerierung der Faktoren stimmt
nicht mit der Reihenfolge ihrer Beteiligung am Gerinnungsvorgang überein. Der
Faktor VI wurde nach seiner Entdeckung wieder aus der Nummerierung genom-
men, weil er mit dem bereits entdeckten Faktor V identisch war.

Mit Ausnahme des Faktors IV (Kalzium, Ca>+) sind alle Faktoren Proteine, die
hauptsächlich eine Enzymwirkung haben und meist in einer inaktiven Form im
Plasma, in den Thrombozyten oder im Gewebe vorliegen. Sobald die Faktoren
aktiviert worden sind, werden sie mit einem kleinen a (aktiv) bezeichnet, z. B.
entspricht der Faktor !Xa der aktiven Plasmathromboplastinkomponente.
Die Blutgerinnung kann über 2 Systeme in Gang gesetzt werden:
• Intravasales (»intrinsic«) System: Es kommt über den Kontakt des Blutes mit 2 Systeme der Blutgerinnung:
den unter dem Gefäßendothel gelegenen Kollagenfibrillen zustande. • Intravasales (intrinsic) System
• Extravasales (»extrinsic«) System: Es wird über die Zerstörung von Gewebe in • Extravasales (extrinsic) System
Gang gesetzt.

Nicht alle der 12 Faktoren werden bei beiden Systemen benötigt. Hat die Blut-
gerinnung begonnen, gleicht das Geschehen einer Kettenreaktion, bei der ein
aktivierter Faktor die Aktivierung des nächsten Faktors bewirkt, dieser dann
wiederum die Aktivierung des nachfolgenden Faktors usw. Im Zentrum des Vor-
ganges steht der aktivierte Faktor X (Xa), der als Prothrombinaktivator bezeich-
net wird. Er wird durch beide Systeme (intra- und extravasal) produziert und
setzt die weiteren Abläufe in Gang.
Bei der Blutgerinnung unterscheidet man 3 Phasen: Das extravasale System Phasen der Blutgerinnung
unterscheidet sich vom intravasalen lediglich in der Vorphase. Phase 1 und 2iau- • Vorphase -+ Bildung von Faktor Xa
fen in beiden Systemen identisch ab. Die Vorphase führt zur Bildung des oben er- • Phase 1 ~ Bildung von Faktor lla
wähnten zentralen Faktors Xa. In der anschließenden Phase 1 kommt es unter • Phase 2 ~ Bildung von Faktor Ia
der Wirkung von Faktor Xa zur Bildung von Thrombin aus Prothrombin.
In Phase 2 wird aus dem im Blut zirkuJierenden Fibrinogen das Fibrin ge-
bildet. Dies geschieht unter der Wirkung von Thrombin. Das Produkt der Gerin-
nung (Fibrin) besteht aus fadigem Protein, das die korpuskulären Blutbestand-
teile miteinander verbindet und damit ein Ausschwemmen verhindert. Nach der
Bildung des Fibrins muss dieses allerdings noch stabilisiert werden. Dies ge-
schieht unter der Wirkung des Faktors XIII, der eine Vernetzung der Fibrin-
untereinheiten verursacht. Damit werden »kovalente« (chemisch äußerst stabile)
Bindungen geknüpft, die nur sehr schwer wieder zu lösen sind (Abb. 6-10).
Nach dieser eigentlichen Gerinnung während der sog. Nachgerinnung Nachgerinnung: Zeit nach der eigentli-
kommt es nach einiger Zeit noch zur Retraktion; dabei ziehen sich die Fibrin- chen Gerinnung; es kommt zur Retraktion
faden zusammen und werden teilweise molekuJar gefaltet. Damit nähern sich die
Wundränder einander, und die Wunde wird besser verschJossen. Äußeres
276

Abb. 6-10.
Schema der Blutgerinnung. Im Zentrum

s•
der Gerinnung steht der auf 2 Arten Kontaktfläche

(intravaskulär und extravaskulär) aktlvier-


bare Faktor X, der in seiner aktivierten
Form zusammen mit Phospholipid (PI),
dem Faktor V und Kalzium (Cif ) als
"'"'
'"e-
.r::.
g 0
Prothrombinumwandlungsfaktor
bezeichnet wird. ln Phase 1 wandelt er
Prothrombin in Thrombin um, das dann
seinerseits in Phase 2 Fibrinogen in Fibrin
umwandelt. Das Fibrin wird unter der
Wirkung von Faktor XIII vernetzt und
damit stabilisiert
Fibrin vernetzt

Zeichen der Retraktion ist das Erscheinen einiger Tropfen Flüssigkeit auf dem ro-
ten Thrombus, die durch die Retraktion aus dem Thrombus ausgepresst werden.
Der Vorgang der Retraktion ist auf das Vorhandensein funktionstüchtiger
• ATP =Adenosintriphosphat Thrombozyten angewiesen, die außer ATP (das neben dem bereits erwähnten
• ADP = Adenosindiphosphat ADP vorhanden ist) noch ein muskelfilamentähnliches Protein enthalten. Die
einzelnen Faktoren für die Blutgerinnung sind in Tabelle 6-8 zusammengestellt.

Tabelle 6-8. Faktoren der Blutgerinnung

Faktor Bezeichnung

Fibrinogen
II Prothrombin
111 Thromboplastin
IV Kalzium
V Akzeleratorglobulin
VII Prokonvertin
VIII Antihämophiles Globulin A
IX Christmas-Faktor
X Stuart-Prower-Faktor
XI Plasmathromboplastinantezedent(Rosenthai-Faktor)
XII Hagemann-Faktor (Oberflächenfaktor)
XIII Laki-Lorand-Faktor (fibrinstabilisierender Faktor)

6.12.3 Gerinnungshemmung

Inhibitoren hemmen die Aktivität des Die Aktivität des Gerinnungssystems muss bei Bedarf gehemmt werden können.
Gerinnungssystems. Wichtigste Dies geschieht physiologischerweise durch Inhibitoren (Hemmstoffe), die dafür
Inhibitoren: Antithrombin 111 in sorgen, dass die Gerinnung sich nicht über den zur Blutungsstillung notwen-
Verbindung mit Heparin und Protein C digen Bereich hinaus ausbrei ten kann.
Slutstillung, Blutgerinnung, Fibrinolyse · Kapitel6 ·Blut 277

Die beiden wichtigsten Inhibitoren sind:


• Antithrombin III in Verbindung mit Heparin,
• Protein C.

Diese Inhibitoren können aktivierte Gerinnungsfaktoren neutralisieren. Dane-


ben hat die Verdünnung durch das Blut selbst eine gewisse Schutzfunktion. Die
Gerinnung wird als Koagulation bezeichnet; die Gerinnungshemmung als
Antikoagulation. Klinisch ist v. a. die Hemmung der Blutgerinnung durch Medi- Antikoagulanzien
kamente, sog. Antikoagulanzien, von Bedeutung. Es werden direkte und indirekte • Direkt (sofort) wirkende, z. B. Heparin
Antikoagulanzien unterschieden. • Indirekt wirkende, z. B. Dicumarol
Zu den direkt wirkenden Antikoagulanzien wird das Heparin gerechnet. He-
parin ist eine körpereigene Substanz, die zuerst in der Leber entdeckt wurde
(Leber: Hepar). Die heute zu therapeutischen Zwecken verwendeten Heparin-
präparate werden aus Schweinedarm hergestellt. Heparin wird im Körper u. a.
von Mastzellen ausgeschüttet und bildet mit dem bereits im Blut vorhandenen
Kofaktor Antithrombin III das Antithrombin. Dieses blockiert die Thrombin-
wirkung. Somit kann Fibrinogen nicht mehr in Fibrin überführt werden. Nach
der Gabe von therapeutischen Heparindosen hält die Gerinnungshemmung
mehrere Stunden an. Durch die Gabe eines Heparinantidots (Antidot= Gegen-
mittel) kann die Heparinwirkung sofort aufgehoben werden. Die Heparinantido-
te können sich an die Schwefelsäure des Heparins anlagern und somit inaktive
Komplexe bilden. Hierfür werden stark basische Polypeptide eingesetzt, z. B.
Protamin. Heute wird vielfach ein niedermolekulares Heparinfragment zur Anti-
koagulation verwendet. Dieses hemmt den Faktor Xa und wirkt länger.
Die indirekt wirkenden Antikoagulanzien hemmen in der Leber die Bildung • Heparin bildet mit Antithrombin 111 das
der notwendigen Gerinnungsfaktoren. Für die Synthese einiger Gerinnungs- Antithrombin, welches die Thrombin-
faktoren (II, VII, IX, X) wird Vitamin K benötigt. Durch Gabe von Vitamin-K- wirkung blockiert
Antagonisten wird Vitamin K verdrängt. Somit können die Gerinnungsfaktoren • Vitamin-K-Antagonisten verhindern die
nicht mehr produziert werden. Entsprechend ihrer Konzentration im Blut und Bildung von Gerinnungsfaktoren in der
ihrer Halbwertszeit sinkt ihre Konzentration langsam ab. Innerhalb 24-36 h setzt Leber
die Wirkung dieser indirekt wirkenden Antikoagulanzien ein. Eines der wich-
tigsten ist das Dicumarol, ein Oxidationsprodukt des Cumarins. Dicumarol ent- Dicumarol
steht z. B. in faulendem Heu oder Klee. Durch massive Gabe von Vitamin K kön- indirekt wirkendes Antikoagulans
nen Dicumarol oder andere indirekt wirkende Antikoagulanzien wieder aus der
Leber verdrängt werden, sodass dieser Prozess innerhalb weniger Stunden rever-
sibel ist.

6.12.4 Fibrinolyse

Dem System der Blutgerinnung steht das fibrinolytische System gegenüber. Seine
Aufgabe ist es,
• die Fibrineinlagerungen in Grenzen zu halten und so die Bildung von Throm-
ben in den Gefäßen zu verhindern sowie
• an verletzten Stellen abgelagertes Fibrin durch das fibrinelytische System ab-
zubauen und so die Reparatur von Gewebsdefekten durch zelluläre Elemente
einzuleiten.
278

Unter normalen Bedingungen steht das fibrinolytische System mit dem Gerin-
nungssystem im Gleichgewicht, sodass es zu einem ständigen Abbau des Fibrins,
das an verschiedenen Stellen des Körpers in den Gefäßen gebildet wird, kommt.
Plasmin löst Fibrin in Fibrinspaltprodukte Bei der Fibrinolyse wird ein im Blut vorhandenes Protein, das Plasminogen,
bei der Fibrinolyse entweder über Plasmaaktivatoren oder durch Gewebeaktivatoren in Plasmin
überführt. Plasmin löst Fibrin in lösliche Spaltprodukte, die Fibrinopeptide (z. B.
D-Dimer), auf. Plasmin wird durch das Vorhandensein eines Antiplasmins in sei-
ner Aktivität gehemmt. Da sich Plasmin jedoch aufgrundeiner besonderen Affi-
nität v. a. im Inneren von Blutgerinnseln ansammelt, das Antiplasmin hingegen
nicht, kann Plasmin dort ungehindert arbeiten und führt schließlich zur Auflö-
sung von Thromben. Da hierbei immer auch die Fibrinolyse aktiviert wird, kann
Thrombose bei fehlender Erhöhung des D-Dimers im Blut der Patienten, eine Thrombose
Blutgerinnsel in einem Gefäß ausgeschlossen werden .

6.12.5 Gerinnungsstörungen (Koagulopathien)

Durch den Mangel eines oder mehrerer Gerinnungsfaktoren kann die Gerinnung
erheblich gestört werden. Eine Ausnahme bildet das Kalzium (Faktor IV), da bei
seiner Verminderung die Symptome der Erregbarkeilssteigerung (Tetanie) schon
lebensbedrohlich sind, bevor die benötigte Menge für den Gerinnungsvorgang
unterschritten wird.
Man unterscheidet zwischen angeborenen und erworbenen Störungen der
Blutgerinnung: Die angeborenen Störungen betreffen meist einen einzelnen
Faktor und weisen einen typischen Erbgang auf. Die erworbenen Störungen
betreffen vielfach mehrere Faktoren.
Gerinnungsstörungen: • Die bekannteste unter den angeborenen Gerinnungsstörungen ist die Hämo-
• Bluterkrankheit: Hämophilie A, philie A (»Bluterkrankheit«). Sie beruht auf einem Mangel an Faktor VIII. Trotz
• Hämophilie B, ihrer Seltenheit ist diese Hämophilie schon sehr frühzeitig bekannt geworden,
• Verbrauchskoagulopathie da sie wegen ihres typischen Erbgangs im europäischen Hochadel verbreitet
war. Bei der Hämophilie B fehlt der Faktor IX, den man Christmas-Faktor
heterosomal nennt. Beide Gendefekte (Hämophilie A und 13) werden heterosomal rezessiv
auf die Geschlechtschromosomen über das X-Chromosom vererbt; d. h., Frauen sind nur Trägerinnen des defek-
bezogen ten Gens, bei Männern hingegen manifestiert sich die Krankheit zwangsläufig,
da sie kein zweites (gesundes) X-Chromosom aufweisen.
Die erworbenen Gerinnungsstörungen basieren meist auf der Unfähigkeit der
Leber, die entsprechenden Faktoren zu synthetisieren, sei es durch einen Le-
Koagulopathie berschaden oder durch einen Vitamin-K-MangeL Bei Verbrauchskoagulopa-
Krankheit bedingt durch eine thien sind ebenfalls nicht genügend Gerinnungsfaktoren im Blut, sodass da-
Gerinnungsstörung durch die Neigung zu Blutungen erhöht ist. Dies wird durch eine große Nei-
gung zur Bildung intravasaler Gerinnsel bedingt. Diese Gerinnsel werden meist
durch eine gesteigerte Fibrinolyse wieder aufgelöst, sodass sie keine schädigen-
de Wirkung aufweisen. Der Verbrauch an Gerinnungsfaktoren ist dabei aber so
hoch, dass die Leber nicht mehr genügend nachliefern kann und daraus eine
Blutungsneigung resultiert.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 6 · Blut 279

6.13 Fragen und Zusammenfassung zum Blut

Wie berechnen Sie die normale Die normale Blutmenge entspricht 8% des Körpergewichts,
Blutmenge eines Menschen? also 4-6 I bei 50-70 kg.
Wie viel Liter sind das ?

Wie bezeichnet man den Anteil Der Hämatokrit beträgt ca. 45% beim Mann, 41-43% bei der
der geformten Blutbestandteile Frau. Plasma ergänzt auf 100%, d. h. beim Mann 55%, bei der
am Gesamtblut wie groß sind Frau 57-59%.
die entsprechenden Werte für
Mann und Frau?

Welche geformten Blutbestand- • Erythrozyten. Anzahl: beim Mann 5,2 Mio., bei der Frau
teile kennen Sie, in welcher 4,6Mio.
Menge kommen sie im Blut vor? • Leukozyten. Anzahl pro mm 3 : 4.000- 9.000
• Thrombozyten. Anzahl pro mm 3 : 2oo.ooo- 300.ooo

Was ist Hämoglobin? Der Inhalt der Erythrozyten besteht zu 90% aus Hämoglobin.
Welche Aufgabe hat es? Hämoglobin ist ein Protein, das aus 4 Untereinheiten auf-
gebaut ist. Die funktionelle Gruppe am Hämoglobin ist ein
Porphyrinring, in dessen Zentrum sich zwertiges Eisen befin-
det, das Sauerstoff reversibel binden kann.

Was wissen Sie über das Das rote Knochenmark ist beim Kind und Erwachsenen der
Knochenmark? eigentliche Ort der Blutbildung. Beim Erwachsenen findet die
Blutbildung jedoch nicht mehr in den langen Röhrenknochen
statt, weil deren Mark sich in Fettmark (gelbes Knochen-
mark) umwandelt hat. Beim Erwachsenen befindet sich rotes
Knochenmark nur noch in den Gelenken den, den würfelför-
migen und einigen plattenförmigen Knochen. Die Gesamt-
menge des Blut bildenden Knochenmarks beträgt beim Er-
wachsenen ca. 1.400 g. Pro Tag werden ca. 250 Mrd. Erythro-
zyten gebildet und die gleiche Menge alter Erythrozyten wie-
der abgebaut.

Welche weißen Blutkörperchen Die Granulozyten (Granula enthaltende Zellen), die in neu-
(Leukozyten) kennen Sie? trophile, eosinophile und basophile Granulozyten unterteilt
werden. Außerdem die Monozyten, aus denen bei Bedarf
Makrophagen hervorgehen. B-und T-Lymphozyten werden
ebenfalls zu den Leukozyten gerechnet.

Was sind Blutplättchen (Throm- Thrombozyten sind durch Abschnürung von Riesenzellen des
bozyten) und wie entstehen sie? Knochenmarks (Megakaryozyten) entstanden. Es sind keine
Zellen, da sie keinen Zellkern enthalten. Sie nehmen an der
Blutgerinnung und an der Bildung des weißen Thrombus teil
und enthalten u. a. Adenosindiphosphat (ADP) und Seroto-
n in.
280 Welche Bedeutung hat die
Blutsenkungsgeschwindigkeit?
Die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) kann Auskunft
geben über den Krankheitsverlauf. Bei einigen Krankheiten
Wie groß ist der Normalwert ist sie durch Agglomerine erhöht.
des mittleren korpuskulären
Hämoglobins {MCH)? 28-32 pg (Pikogramm), liegt dieser Wert darunter wird das als
hypochrom, liegt er darüber wird das als hyperchrom be-
zeichnet.
Welche Blutgruppen kennen
Sie? Was ist charakteristisch
Agglutinogene auf den Erythrozytenmembranen (antigene
für die einzelnen Blutgruppen?
Determinanten) können die Eigenschaften A, B, AB und 0
(Null) aufweisen (ABO-System). Gegen fremde Agglutinogene
können Antikörper (Agglutinine) gebildet werden. Die Blut-
gruppe 0 weist schwache antigene Eigenschaften auf, sodass
gegen sie keine Agglutinine gebildet werden.
Was für Blutgruppen-
Unverträglichkeitsreaktionen • Die Majorreaktion: wenn bei der Transfusion gruppen-
kennen Sie? ungleichen Blutes der Empfänger Agglutinine (Antikörper)
gegen das Spenderblut besitzt.
• Die Minorreaktion, wenn der Spender Agglutinine gegen das
Empfängerblut besitzt.

Was versteht man unter dem Unter dem Begriff Rhesusfaktor versteht man antigen wir-
kende Moleküle, die bei 85% der Menschen in ihren Erythro-
Begriff Rhesusfaktor?
zytenmembranen vorkommen (rhesus-positiv, Rh +). Gegen
diesen Faktor können die restlichen 15% (rhesus-negativ, Rh-)
einen Antikörper bilden (Kontakt vorausgesetzt). Bei Schwan-
gerschaften einer rhesusnegativen Mutter mit einem rhesus-
positiven Kind kann es zu Problemen kommen.

Blutplasma ist der nicht geformte Anteil des Blutes, je nach


Was ist Blutplasma? Hämatokrit 55-59%. Die Menge des Blutplasmas beträgt ca.
Was hat es für Eigenschaften 4,5% des Körpergewichts. Serum ist Plasma ohne Fibrinogen.
und welche Inhaltsstoffe Plasma ist eine 7-9%ige wässrige Lösung. Proteine machen
kommen in ihm vor? den Hauptanteil der gelösten Stoffe aus (6-8 g/wo ml). Mit
Elektrophorese lassen sich 5 verschiedene Gruppen von Pro-
teinen trennen: Albumin, cx,-Globuline, CX 2 -Globuline, ß-Glo-
buline, y-Globuline (Fibrinogen wandert bei der Elektropho-
rese mit den y-Globulinen). Die meisten Plasmaproteine ha-
ben Transportaufgaben. Ein Albuminmolekül kann 25 Bili-
rubinmoleküle transportieren, Albumin ist auch für den
onkotischen Druck verantwortlich.
Bei Pathoproteinämien ist die Zusammensetzung der Plasma-
proteine verändert. Man unterscheidet Dys-, Para- und
Defektproteinämien.
Zelluläre Proteine im Plasma sind Ausdruck eines physiolo-
gischen (und pathologischen) Zelluntergangs, bei dem En-
zyme ins Blut gelangen. Bei Herzinfarkt sind HBDH und CK
erhöht, bei Leberzirrhose GPT und GLDH.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel6 ·Blut 281

Lipide im Plasma sind Triglyzeride, Cholesterin, freie Fett-


säuren, HOL-Cholesterin (»gutes Cholesterin«), VDL, LOL-
Choiesterin (»schlechtes Cholesterin«) und Phospholipide.
Der Cholesteringehalt des Serums sollte unter 5,2 mmol/1
(200 mg/wo ml) liegen.
Glukose wird als Substrat für die Energiegewinnung (ATP)
benötigt. Der Nüchternwert sollte zwischen 3,33 mmol/1 und
5,55 mmol/1 (6o-1oo mg/wo ml) liegen. Bei Bedarfwerden
die Glykogenreserven mobilisiert oder der Weg der Gluko-
neogenese beschritten (Umwandlung von anderen Kohlen-
hydraten und Proteinen in Glukose).
Stickstoffhaltige Substanzen, die nach Ausfällung der Proteine
(die Stickstoff enthalten) noch im Blut vorhanden sind, wer-
den als Rest-N bezeichnet. Von Bedeutung sind Kreatinirr
(Muskelstoffwechsel), Harnstoff (Aminosäuren- und Protein-
stoffwechsel) und Harnsäure (Nukleinsäurestoffwechsel).
Warum werden Wasser- und
Beide Haushalte sind zwangsläufig wegen des osmotischen
Elektrolythaushalt meist im
Ausgleichs an semipermeablen Membranen aneinander ge-
gleichen Atemzug genannt?
koppelt.

Was sind die treibenden Kräfte


Die treibenden Kräfte zwischen dem Blut, dem Interstitium
im Wasser- und Elektrolyt- und dem Intrazellularraum sind: osmotischer, onkotischer
haushalt? und hydrostatischer Druck. Osmotischer und onkotischer
Druck sind lediglich von der Anzahl gelöster Teilchen in der
entsprechenden Flüssigkeit abhängig. Der onkotische Druck
beträgt 25 mmHg und sorgt für einen Rückstrom von Flüs-
sigkeit im venennahen Kapillarbereich.

Was sind Anionen, was sind Beide gehören zu den Elektrolyten. Anionen sind negativ ge-
Kationen? Nennen Sie einige laden und wandern bei der Elektrolyse zum positiven Pol
Beispiele! (zur Anode), Kationen sind positiv geladen und wandern bei
der Elektrolyse zum negativen Pol (zur Kathode).
• Beispiel Kationen: Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium.
• Beispiel Anionen: Chlorid, Bikarbonat, Phosphat, Sulfat.
Die Summe der Anionen (negativ geladene Ionen) und der
Kationen (positiv geladene Ionen) ist in den einzelnen Kom-
partimenten gleich groß.

Der pH-Wert des arteriellen Blutes beträgt 7,4. Bei Werten


Welchen pH-Wert weist das arte-
unterhalb 7,0 und oberhalb 7,7 tritt der Tod ein. Dies ent-
rielle Blut auf? Wie wird dieser spricht einer 7fachen Konzentrationsänderung der H+-Ionen.
Wert konstant gehalten? Durch Puffersubstanzen im Blut wird der Wert zwischen 7,38
und 7,42 konstant gehalten. Von den Puffersubstanzen werden
je nach Bedarf H+-Ionen aufgenommen oder abgegeben, um
diese Konstanz zu ermöglichen. Die wichtigsten Puffersub-
stanzen des Blutes sind: Bikarbonat, Protein, Hämoglobin.
Abweichungen des pH-Wertes werden je nach Entstehung als
282

respiratorische oder metabolische Alkalose bzw. Azidose


bezeichnet.
Wie groß darf ein eventueller
Blutverlust maximal sein?
Ein 30%iger Blutverlust ist lebensbedrohlich, ein so%iger
Welche Mechanismen sind tödlich. Deshalb verfügt der Körper über 2 Mechanismen der
vorhanden, um einen Blutverlust Hämostase (Blutstillung):
minimal zu halten? • Primäre Hämostase führt zur Gefäßkonstriktion (Serotonin
der Thrombozyten) und zur Bildung eines weißen Throm-
bus (reversibel).
• Die eigentliche Blutgerinnung ist die sekundäre Hämostase.
Sie führt zur Bildung des irreversiblen roten Thrombus. Die
sekundäre Hämostase kann in 3 Phasen unterteilt werden:
• Vorphase: Sie kann auf 2 Wegen in Gang gesetzt werden (»ex-
trinsic«/extravasal oder »intrinsic«/intravasal). Sie führt zur
Bildung des Prothrombinumwandlungsfaktors.
• Phase 1: Der Prothrombinumwandlungsfaktor wandelt Pro-
thrombin in Thrombin um.
• Phase 2: Unter der Wirkung von Thrombin wird Fibrinogen
in Fibrin umgewandelt.

Wie läuft die eigentliche An der Blutgerinnung sind 12 Gerinnungsfaktoren beteiligt


Blutgerinnung ab? (nummeriert mit den römischen Zahlen I-V und VII-XIII).
Ein Großteil der Gerinnungsfaktoren sind Proteine, die inak-
tiv vorliegen und unter Bedingungen der Gerinnung zunächst
aktiviert werden müssen. Im Zentrum steht der Faktor X, der
im intravasalen und im extravasalen System als aktivierter
Faktor Xa Teil des Prothrombinaktivators ist. Unter seiner
Wirkung wird in der Phase 1 Prothrombin in Thrombin um-
gewandelt, das seinerseits in der Phase 2 Fibrinogen in Fibrin
umwandeln kann. Unter der Wirkung von Faktor XIII wird
Fibrin stabilisiert. In der Nachgerinnung kommt es zur
Retraktion des Fibrins, damit nähern sich die Wundränder,
und es wird Flüssigkeit ausgepresst.

Die Gerinnungshemmung läuft physiologischerweise unter


der Wirkung von Antithrombin III und Protein C ab.
Auf welche Arten kann die Ge-
Für die therapeutische Gerinnungshemmung (Antikoagula-
rinnung gehemmt werden?
tion) werden direkt und indirekt wirkende Antikoagulanzien
eingesetzt.
• Direkt wirkendes Antikoagulans: Heparin. Es bildet zusam-
men mit einem Blutfaktor das Antithrombin, das die Bildung
von Fibrin hemmt. Heparinwirkung kann durch basische
Polypeptide aufgehoben werden, z. B. durch Protamin. Nie-
dermolekulare Heparinfragmente hemmen den Faktor Xa.
• Indirekt wirkende Antikoagulanzien: Vitamin-K-Antago-
nisten, z. B. Dicumarol. Es verdrängt Vitamin K aus der Le-
ber, wo es für die Synthese der Gerinnungsfaktoren benö-
tigt wird. Die Wirkung tritt nach 24-36 heinund kann
durch hochdosiertes VitaminK aufgehoben werden.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 6 · Blut 283
Durch welchen Vorgang wird
Fibrin abgebaut? Wie wird dieser Fibrinolyse hält physiologischerweise die Fibrineinlagerung
Vorgang begrenzt? in Grenzen, löst außerdem vorhandenes Fibrin auf und leitet
damit die Reparatur von Gewebsdefekten ein. Fibrinolyse
steht normalerweise mit der Gerinnung im Gleichgewicht.
Plasmin baut Fibrin in Fibrinepeptide ab, die löslich sind.
Antiplasmin hält die Aktivität des Plasmins in Grenzen. Plas-
min kann gut in Thromben eindringen, Antiplasmin nicht.
Somit kann Plasmin Thromben von innen heraus auflösen.
Nennen Sie die beiden Haupt-
arten der Gerinnungsstörung Bei Fehlen einzelner oder mehrerer Gerinnungsfaktoren
(Koagulopathie)! kommt es zur Gerinnungsstörung.
• Angeborene Gerinnungsstörung: Hämophilie A
(Faktor VIII fehlt) und Hämophilie B (Faktor IX fehlt).
• Erworbene Gerinnungsstörung: Leberschaden oder Vitamin-
K-Mangel. In beiden Fällen können Gerinnungsfaktoren nicht
produziert werden.
7 Herz-Kreislauf-System

7.1 Herz (Cor) 287


7.1.1 Herzwand 289
7.1.2 Herzinnenräume 290
7 .1.3 Herzklappen und Herzskelett 291
7.1.4 Herzmuskel (Myokard) 292
7.1.5 Herzmechanik 293
7.1.6 Herztöne 295
7.1 .7 Pumpleistung des Herzens 295
7.1.8 Reizbildung und Erregungsleitung 296
7.1.9 Vegetative Herznerven 299
7.1.10 Elektrokardiogramm (EKG) 299

7.2 Blutgefäßsystem 301


7.2.1 Aufbau des Blutgefäßsystems und Blutfluss 301
7.2.2 Wandbau der Gefäße 302
7.2.3 Gefäßarten 304
7.2.4 Spezielle Gefäße und Gefäßverbindungen 305
7.2.5 Pulswelle, Blutdruck und Blutdruckregulation 306

7.3 Makroskopische Anatomie des Gefäßsystems 311


7.3.1 Arterien des Körperstamms 311
7.3.2 Venen des Körperstamms 312
7.3.3 Gefäße und Gefäßversorgung der Extremitäten 313

7.4 Fragen und Zusammenfassung zu Herz/Kreislauf 318


286

7 Herz-Kreislauf-System

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
~ Die Lage, die Form und die Größe des Herzens beschreiben
~ Die Herzwände,die Herzinnenräume und die Herzklappen in ihrem Aufbau
und ihrer Funktion verstehen
~ Die Blutversorgung des Herzens erklären und die wichtigsten Äste
derHerzgefußenennen
~ Die Zusammenhänge zwischen Herzmechanik und Blutdruck erklären
~ Die Grundlagen der Reizbildung und der Erregungsleitung verstehen
~ Die Zusammenhänge zwischen Erregungsleitung und EKG aufzeigen
~ Die Pumpleistung des Herzens und die Regulation des Herzminutenvolumens
verstehen
~ Die Pulswelle,den Blutdruck und die Blutdruckregulation erklären
~ Die größeren Gefäße sowohl auf der arteriellen als auch auf der venösen Seite
nennen
~ Die verschiedenen Gefäße und Gefäßabschnitte bezeichnen
~ Die treibenden Kräfte für den Austausch im Kapillargebiet nennen
~ Den Einfluss des vegetativen Nervensystems auf das Herz und den Kreislauf
verstehen

Das Herz-Kreislauf-System ist verantwortlich für die Zirkulation des Blutes


und damit für Blutversorgung der Organe. Ohne ein funktionierendes Kreislauf-
system können die Organe unseres Körpers nicht ihre Aufgaben erfüllen.

Anteile des Kreislaufsystems Das Herz einer gesunden Person mit einem Gewicht von 70 kg pumpt pro Minute
• Herz als Pumpe ca. 5,6 I Blut, d. h. pro Tag ca. 8.ooo I. Umgerechnet auf eine durchschnittliche
• Arterien und Kapillaren als Verteiler- Lebensdauer von 75 Jahren ergibt das eine Menge von rund 220 Mio. I. Da das
system, Herz aber unter körperlicher Belastung wesentlich mehr pumpt, liegt die effektiv
• Venen und Lymphgefäße während eines Lebens umgewälzte Menge Blut deutlich höher. Setzt der Herz-
als Rückleitungssystem, schlag nur wenige Minuten aus, ist das Leben in Gefahr, da die Organe, v. a. das
• Blut als Transportmittel. Gehirn, dringend auf die Versorgung mit Sauerstoff angewiesen si nd. Wie im
Kap. 6 (Blut) bereits gesehen, ist das Kreislaufsystem v. a. ein Tra nsportsystem,
mit dessen Hilfe der notwendige Transport von und zu den Organen sowie die
Feinverteilung aller beteiligten Stoffe vo rgenommen wird. Für die Durchführung
dieser vielfältigen Transportaufgaben ist ein geschlossenes Kreislaufsystem
nötig. Dieses besteht aus 4 Teilen: Arterien und Kapillaren als Verteilersystem,
Venen und Lymphgefäßen als Rückleitungssystem, dem Herz als Pumpe und
dem Blut als Transportmittel.
Herz (Cor} · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 287

7.1 Herz (Cor)

Durch das Herz werden 2 hintereinander geschaltete Kreisläufe angetrieben. Lage des Herzens:
Dementsprechend ist das Herz in 2 Abschnitte gegliedert, die man als das »rech- • hinter dem Brustbein im Mediastinum
te HerZ<< und das >>linke Herz<< bezeichnet. Beide sind durch die Herzscheide- Aufteilung des Herzens:
wand, das Septum, voneinander getrennt. Das rechte Herz betätigt den kleinen • rechtes Herz betätigt den Lungen-
Kreislauf (Lungenkreislauf), das linke Herz betätigt den großen Kreislauf kreislauf
(Körperkreislauf). Um ihre Funktion auszuüben, könnten die beiden Herzen • linkes Herz betätigt den Körperkreislauf
durchaus voneinander getrennt in verschiedenen Körperregionen liegen. Durch
die Zusammenlegung wird allerdings die Koordination der Aktionen von linkem
und rechtem Herzen vereinfacht (Abb. 7-1).
Schematisiert (Abb. 7-2) hat das Herz die Form eines Kegels mit abgerunde-
ter Spitze. Die Basis des Kegels zeigt im Körper nach hinten oben und die Spitze
nach vorne unten. Sie berührt auf der Höhe der Medioklavikularlinie im 5· Inter- Medioklavikularlinie
kostalraum (Zwischenrippenraum) die vordere Brustwand. Linie, die senkrecht du rch die Mitte des
Wird vom Kontaktpunkt der Herzspitze mit der Brustwand eine Linie durch Schlüsselbeines gezogen verläuft; unge
das Herz gezogen, sodass diese Linie durch die Mitte der Herzbasis verläuft, ist fähr identisch mit der Mamillarlinie,
diese Achse ca. 40° geneigt - sowohl zur Horizontal- als auch zur Vertikalebene. durch die Brustwarze verlaufend
Da das Herz in Abhängigkeit von den Atembewegungen ständig seine Lage
ändert, variiert allerdings diese Achse mit den Atembewegungen.

Abb. 7-1 .
obere Körpemälfte
Schema des großen und des kleinen
Kreislaufs sowie des Lymphgefäßsystems.
Die Pfeile geben die Strömungsrichtung
an. Die Leber wird sowohl über die Leber-
arterie (A. hepatica} als auch über die
Pfortader (V. portae} versorgt. Die Auf-
zweigungen der gezeichneten Gefäße
stellen das Kapillarsystem dar

Lymph-
gefäßsystem

untere Körperhälfte
288

Abb. 7· 2.
Darstellung des Herzens, von vorne
betrachtet. Die Herzspitze (Apex) zeigt
nach vorne unten, die Achse des Herzens
obere Hohlvene
liegt damit sch räg im Körper. Die beiden rJ. cava superior)
Herzohren sind Teil der Herzvorhöfe _ _ ___...,,.. liarterien
nke Pulmonal-
rechte
Pulmonal-
arterien li nke Pulmonal-
. ..__--::;::::-- venen
rechtes Herzohr li nkes Herzohr
(Auricula dextra) (Auricula sinistra)

rechter Vorhof '"~-"'k---- vordere lnter-


ventrikulararterie
rechte (Ramus inter·
Herzkranzarterie ventricularis
(A. coronarla dextra) anterior)

rechte Kammer - ..• r-- linke


Herzkammer
untere Hohlvene
(V. cava inferior) Herzspitze (Apex)

Das Herz liegt im Mediastinum (Mediastinum anterius), dem vorderen Mit-


telfellraum, dem Raum direkt hinter dem Sterntun (Brustbein) und zwischen den
Lungenflügeln. Die Unterseite hat direkten Kontakt zu der zentralen Bindegewe-
beplatte (Centrum tendineum) des Diaphragmas (Zwerchfells). Die Umhüllung
des Herzens, der Herzbeutel, ist mit seinem äußeren Blatt (Perikard) mit dem
Diaphragma verwachsen.
Das Herz sitzt zwischen den beiden Lungenflügeln, sodass zwei Drittellinks
Medianebene der Medianebene und ein Drittel rechts der Medianebene liegen . Die rechte
Ebene, die den Körper in der Längs- Begrenzung des Herzens liegt ca. fingerbreit rechts vom rechten Brustbeinrand
achse in zwei gleiche Hälften teilt (Abb. 7-3).

Abb. 7-3.
Pulmonalklappe
Lage des Herzens im Mediastinum.
Mitratklappe
Die rech te Herzkontur ragt über den
linke
Rand des Stern ums nach rechts hinaus.
Die Herzspitze liegt auf der Hö he des
5. lnterkostalraums. Die in der Ventilebene
eingezeichneten Ringe stellen die
Herzklappen dar

5. Inter·
kostalraum

rechte Kammer
Herz (Cor) • Kapitel7 ·Hetz-Kreislauf-System 289

Das Herz hat ca. die 1,5fache Größe der Faust seines Trägers. Sein Gewicht ist Größe und Gewicht des Herzens:
abhängig vom Trainingszustand und vom Lebensalter. Es beträgt durchschnitt- 1,5fache Größe der Faust seines Trägers
lich 280 g bei der Frau und 330 g beim Mann; bei trainierten Sportlern kann es und durchschnittliches Gewicht von
auf 500-700 g vergrößert sein. 280g (Frau) bzw. 330 g (Mann)

7.1.1 Herzwand

Bei einem Schnitt durch die Herzwand wird ersichtlich, dass das Herz mit seinen Schichten der Herzwand
Hüllen aus 4 Schichten aufgebaut ist. Von innen nach außen sind das: • Endokard (Herzinnenwand)
Das Endokard (Herzinnenwand), das die Hohlräume des Herzens auskleidet, • Myokard (Herzmuskulatur)
besteht aus einem Endothel und einer darunter liegenden Schicht aus Bindege- • Eplkard (Innere Schicht des Herzbeutels)
webe. Das Endothel entspricht dem auch in Gefäßen vorhandenen PlattenepitheL • Perltcard (äußere Schicht des
Es überzieht die Innenräume des Herzens vollkommen glatt, sodass das Blut un- Herzbeutels)
gehindert durchfließen kann und so die Gefahr von einer Thrombenbildung an
der Herzinnenwand durch Strömungwiderstände verhindert wird.
Die zweite und wichtigste Schicht ist das Myokard(Herzmuskulatur). Es be-
steht aus quer gestreifter Muskulatur, unterliegt jedoch nicht der Willkürmotorik
wie die Skelettmuskulatur (s. Kap. 3, Histologie). Im Unterschied zum Skelett-
muskel sind im Herzmuskel keine vielkernigen Synzytien vorhanden. Die Zell-
kerne liegen zentral in den verzweigten Herzmuskelzellen. Diese sind über Glanz- Glanzstreifen (Discus intercalaris)
streifen (Disci intercalares) miteinander verbunden. Diese Glanzstreifen haben Verbindung zwischen den Herz-
eine Doppelfunktion: muskelzellen, bestehend aus einem
• Erhöhung der mechanischen Haftfähigkeit der Zellen untereinander und mechanischen Haftteil und einem
• Herabsetzung des elektrischen Widerstandes zwischen den Zellen. Nexus (»gap junction«) zur Erhöhung
der elektrischen Leitfähigkeit
Dadurch wird die Erregungsausbreitung über das gesamte Myokard erleichtert.
Nach außen folgen auf das Myokard 2Schichten des Herzbeutels; die innere
(Epikard) und die äußere Schicht (Perikard).
Das Epikard ist das viszerale Blatt des Herzbeutels. Es überzieht die gesamte • viszeral die Eingeweide betreffend,
Oberfläche des Herzens und steht mit dem Myokard entweder direkt oder über hier: das innere Blatt (des Herz-
kleine Fettpolster in Kontakt. Die Fettpolster dienen dem Ausgleich von Uneben- beutels) betreffend
heiten der Herzoberfläche. In der Region der Herzbasis, an der Stelle, wo die • parietal die Wand betreffend, hier:
Gefäße in das Herz hinein oder von diesem weg führen, geht das Epikard in das das äußere Blatt (des Herzbeutels)
Perikard über. Zwischen beiden befindet sich ein seröser Gleitspalt, dessen Funk- betreffend
tion es ist, die Verschieblichkeit des Herzens während der Herzaktionen zu
gewährleisten.
Das Perikard ist das parietale Blatt und mit dem Diaphragma (Zwerchfell)
und der Brustwand mit seiner Umgebung verwachsen, ansonsten nur locker in
seine Umgebung eingebaut.
Der Herzbeutel wird nicht nur durch seinen Inhalt, sondern auch durch den
im Brustraum herrschenden Unterdruck weitgehalten. Im Unterschied zum Epi-
kard ist das Perikard nur sehr wenig dehnbar, da es aus straffem kollagenem Bin-
degewebe aufgebaut ist. Bei Stichverletzungen des Herzens kann es deshalb zu
einer Kompression des Herzens kommen, und zwar durch Blut, das in den Spalt
zwischen Epikard und Perikard ausgetreten ist. In einem solchen Fall spricht
man von einer Hemamponade;sie verläuft meist tödlich.
290

7.1.2 Herzinnenräume

Sowohl das linke als auch das rechte Herz besitzen je ein Atrium (Vorhof) und
einen Ventrikel (Kammer).
2 Vorhöfe Der rechte Vorhof nimmt das aus dem großen Körperkreislauf zurückströ-
• Rechter Vorhof: nim mt venöses Blut aus mende Blut auf. Dieses Blut ist venöses Blut, d. h., 0 -arm (sauerstoff-arm) und
2

dem großen Körperkreisla uf auf C0 2 -reich (kohlendioxid-reich) . Es wird über die obere und untere Hohlvene
• Linker Vorhof: nim mt arterialisiertes Blut (V. cavasuperiorund V. cava inferior) aus der oberen und unteren Körperregion
aus dem Lungenkreislauf auf zum Herzen zurück transportiert. Zusätzlich mündet in den rechten Vorhof der
Sinus coronarius, über den venöses Blut aus dem Herzmuskel selbst fließt.
Sinus coronarius Aus dem rechten Vorhof fließt das Blut in die rechte Kammer, von der es
die flaschenartig erweiterte Sammel- durch eine Klappe getrennt ist. Diese Klappe hat die Funktion eines Ventils und
vene der Herzkranzgefäße kann wie die anderen Ventile des Herzens - je nach Herzaktion - geöffnet oder
geschlossen sein. Aus der rechten Herzkammer wird das Blut ebenfalls durch
eine Klappe in die Lunge gepumpt. Nach Durchlaufen der Lungen gelangt das
arterialisiertes Blut arterialisierte Blut zum Herz zurück. Es mündet über 2 linke (Vv. pulmonales
mit Sauerstoff angereichertes Blut sinistrae) und 2 rechte Venen (Vv. pulmonales dextrae) in den linken Vorhof
(Abb. 7-4).
Aus dem linken Vorhof gelangt das Blut in die linke Kammer, die vom Vorhof
ebenfalls durch eine Klappe getrennt ist. Aus der linken Kammer gelangt das Blut
Aorta schließlich über eine Klappe in die Aorta und damit in den großen Körperkreis-
große Körperschlagader lauf (s. Abb. 7-1).
Der Widerstand im Körperkreislauf, gegen den das Blut aus dem linken Herz
ausgepumpt werden muss, ist viel größer als der Widerstand im Lungenkreislauf,
gegen den das Blut aus dem rechten Herz ausgepumpt werden muss. Deshalb ist
die Wand des linken Ventrikels mit ca. 1 cm doppelt so dick wie die Wand des

Abb. 7-4.
Schnitt durch das Herz von der Basis
zur Herzspitze, bei dem beide Vorhöfe
obere Hohlvene
und beide Kammern getroffen sind. (V. cava superior)
Truncus pu lmonaUs
Vom Boden der Kammern entspringen die
Pulmonalklappe - - - - - -
Papillarmuskeln, die über Sehnenfäden linke Pulmonalarterie
(Chordae tendineae) an der Trikuspida l-
und der Mitra Iklappe ansetzen linke Pulmonatvenen

'2-~....._,=:::;;if-f--- Aortenklappe
Mitratklappe
Papillarmuskeln Sehnenfäden
(Cordae tendineae)
Papillarmuskeln

linke Kammer

Fleischtrabekel
lnterventnkutarseptum
(Trabeculae cameae)
Herz (Cor) · Kapitel?· Herz-Kreislauf-System 291

rechten Ventrikels. Die Muskulatur der Vorhöfe ist dagegen nur sehr dünn, da die
Funktion der Vorhöfe größtenteils passiv ist. Die Wände der Vorhöfe sind glatt.
Die Wand, die zwischen den beiden Herzen liegt, besteht aus einem bindege-
webigen und einem muskulären Teil. Der muskuläre Teil ist besonders in den
Kammern (Ventrikel) stark ausgebildet. Die Kammerscheidewand wird als
Septum interventriculare bezeichnet (s. Abb. 7-4).
Als Vergrößerung der Vorhöfe sind die Herzohren (Auricula dextra und
sinistra)' zu verstehen. Ihre Innenwand wird durch kammartige Muskeln (Mm.
pectinati) gebildet.
Die Innenwand der Herzkammern ist ebenfalls durch bälckchenartige Mus- Papillarmuskeln
kelzüge geformt. Diese Muskelbälckchen werden hier Trabekel (Trabeculae car- fingerartig aus dem Herzboden ziehen-
neae) genannt (s. Abb. 7-4). Von diesen Trabekeln ziehen vom Boden des Ventri- de Muskeln, die über die Sehnenfäden
kels papillenartige Muskeln an die Klappen zwischen Vorhof und Kammer, die mit den Segelklappen verbunden sind
Papillarmuskeln (Mm. papillares). (Papilla, lateinisch: Wärzchen)
Sie haften über Chordae tendineae an den Segelklappen an. So sorgen sie
dafür, dass die Segelklappen bei einer Kontraktion des Herzmuskels nicht auf die Chordae tendineae
andere Seite umschlagen können. Damit wird eine gleichbleibende Strömungs- Sehnenfäden, die die Papillarmuskeln
richtung gewährleistet. mit den Segelklappen verbinden

7.1.3 Herzklappen und Herzskelett

Die Strömungsrichtung des Blutes wird durch die Herzklappen gewährleistet. Je 4 Herzklappen
eine Klappe befmdet sich im rechten und im linken Herz zwischen Vorhof und • Trikuspidalklappe: zwischen rechtem
Kammer sowie zwischen der Kammer und dem großen bzw. dem kleinen Kreis- Vorhof und rechter Kammer
lauf (Tabelle 7-1). • Pulmonalklappe: zwischen rechter
Diese 4 Klappen funktionieren als Ventile. Sie sind jeweils von einem binde- Kammer und A. pulmonalis
gewebartigen Ring umgeben, der zwischen den einzelnen Klappen in dreieckige • Mitralklappe: zwischen linkem Vorhof
Faserplatten übergeht. Das gesamte Bindegewebe dieser Region wird als Herz- und linker Kammer
skelett bezeichnet. Die 4 Klappen befinden sich hier ungefähr auf einer Ebene; • Aorten klappe: zwischen linker Kammer
man nennt sie deshalb Ventilebene (Abb. 7-5). Das Herzskelett dient als Ansatz- und Aorta
punkt für die Muskulatur der Vorhöfe, die von hier nach oben zieht, sowie für die
Muskulatur der Kammern, die von hier nach unten zieht. Das Herzskelett selbst
wird weder von Muskelfasern noch von Gefäßen durchbrachen. Lediglich die Fa-
sern des Erregungsleitungssystems durchbrechen das Bindegewebe des Herzske-
letts, indem sie vom rechten Vorhof zu den Kammern ziehen.

Tabelle 7-1. Lage und Bezeichnung der Herzklappen

Lage Rechts links

Zwischen Vorhof Trikuspidalklappe Bikuspidalklappe


und Kammer (3-Segelklappe) (Mitralklappe, 2-Segelklappe)
Zwischen Kammer Pulmonalklappe
und A. pulmonalis (Taschenklappe)
Zwischen Kammer Aortenklappe (Taschenklappe)
und Aorta
292

Abb. 7-5. Pulmonalklappe Abgang der Lungenar1erie


Aufsicht auf die Ventilebene des Herzens, (Truncus pulmonalis)

aus Richtung der Herzvorhöfe, die hier vordere lnterventrikularanerie Aonenktappe


(R. interventricularis anterior)
nicht dargestellt sind. Im Körper liegt die Abgang der rechten
oben gezeichnete Pulmonalklappe Herzkranzarterie

ventra l. Das Erregungsleitungssystem rechte Herzkranzarterie


(A. coronaria dextra)
durchbricht das Herzskelen. Deutlich sind
die Abgänge der Herzkranzgefäße aus der bindegewebiges
Aorta zu sehen. ln der Venti lebene liegt große Herzvene Herzskelett
(V. cardiaca magna)
ein System aus Bindegewebsfasern, das
Herzskelett, das die Herzklappen umgibt Mitratklappe Erregungsleitungs·
und damit befestigt system

Herzskelett Trfkuspidalklappe

mittlere Herzvene
(V. cardiaca media) hintere lnterventrikutaranerie
(R. interventricularis posterior)

7.1.4 Herzmuskel (Myokard)

3 Schichten der Herzmuskulatur Die Faserzüge des Myokards, die vom Herzskelett zur Herzspitze ziehen, weisen
• Schrägfasern einen komplizierten Verlauf auf. Außen sind Schrägfasern, innen Längsfasern
• Längsfasern
und in der Mitte Ringfasern vorhanden, die schraubenförmig auf die Herzspitze
• Ringfasern zulaufen.
Dabei gehen die Fasern der einzelnen Schichten ineinander über, sodass alle
3 Schichten miteinander verbunden sind. Dadurch wird eine gleichmäßige
Verkleinerung der Herzinnenräume ermöglicht, die der Austreibung des Blutes
dient. Wegen der größeren Kraftentwicklung des linken Herzens ist die Wand des
linken Herzens deutlich stärker als die des rechten Herzens (s. Abb. 7-4).

Blutversorgung des Herzens Blutversorgung des Herzmuskels (Myokard)


• A. coronaria sinistra Im Unterschied zum Skelettmuskel, dem es möglich ist, eine Sauerstoffschuld
(l inke HerzkranzarterieI einzugehen und diese später in einer Erholungsphase wieder abzubauen, ist der
• A. coronaria dextra Herzmuskel auf eine kontinuierliche Versorgung mit sauerstoffreichem Blut
(rechte Herzkranzarterie) angewiesen. Dafür genügt keinesfalls die Diffusion aus den Innenräumen des
• Ramus ci rcu mflexus Herzens. Das Blut des rechten Herzens ist zudem noch sauerstoffarm. Die
• Ramus interventricularis posterior Versorgung des Myokards geschieht deshalb über ein eigenes Gefäßsystem, die
(hintere lnterventrikulararterie) 2 Herzkranzarterien (Koronararterien).
• Ra mus interventricularis anterior Sie entsprigen aus der Aorta, direkt nach ihrem Abgang aus dem Herzen.
(vo rd ere lnterventrikulararterie) Diese beiden Gefäße verlaufen in der Herzkranzfurche (Sulcus coronarius)
zwischen den Kammern und den Vorhöfen. Von hier aus geben die Herzkranz-
arterien verschiedene Äste ab, die das Myokard versorgen (Abb. 7-6). Die wich-
tigsten Äste sind der Ramus interventricularis anterior (aus der linken Herz-
kranzarterie) und der Ramus interventricularis posterior (im Normalfall aus der
rechten Herzkranzarterie ).
Herz (Cor) · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 293

Abb. 7-6.
Darstellung der Herzkranzgefäße mit ihren
wichtigsten Ästen. Die linke und rechte
linkes Herzohr
(Auricula sinislra) Herzkranzarterie entspringen aus der
Aortenklappe Aorta direkt oberhalb der Aorten klappe.
linke
Herzkranzarterie
Die Herzkranzbucht (Sinus coronarius) be-
findet sich auf der Dorsalseite des Herzens
rechte Herzkranz· -t--:-..:__--~;o.n Aamus
arterie circumflexus und ist desha lb nur schemenhaft gezeich-
net. Sie ist ein venöses Gefäß, über das die
....--=----I"'A-.-11._- Herz.kranzbucht
(Sinus coronarius)
meisten Herzvenen in den rechten Vorhof
münden
hintere
lnlervenlrikulararterie

Zwischen den beiden Herzkranzarterien bestehen Anastomosen, sodass sie Anastomosen


anatomisch betrachtet keine Endarterien sind. Diese Anastomosen sind aller- Verbindung zwischen 2 Hohlräumen,
dings nur gering leistungsfähig. Daher kann bei Ausfall einer Herzkranzarterie hier: zwischen 2 Blutgefäßen
ihr Versorgungsgebiet nicht von der anderen Herzkranzarterie übernommen
werden. Sie werden deshalb als funktionelle Endarterien bezeichnet.

Je nach Belastung des Körpers und Schnelligkeit des Herzschlags werden


zwischen 5 und 10% des gesamten Blutvolumens in die Koronararterien ab-
gegeben. Dabei ist die Durchblutung des Myokards phasischen Schwankungen
unterworfen: Während der Kontraktion des Myokards ist die Versorgung ver-
mindert, während der Erschlaffung erhöht. • Kontraktion Verkleinerung eines
Hohlorgans durch Zu sa mmenziehen
Zu Beginn der Kontraktion ist z. B. der Einstrom in das linke Herzkranzgefäß fast der Organmu skulatur
vollständig unterbrochen. Während der Dilatation sind die Gefäße dann erwei- • Dilatation Erweiterung eines Hohl-
tert und können stärker durchblutet werden. Relativer Sauerstoffmangel ist ein org anes durch Erschlaffung
sehr stark dilatierend wirkender Faktor. der Organmuskulatur

7.1.5 Herzmechanik

Die Kontraktion der Herzwand wird Systole, die Erschlaffung wird Diastole Phasen der Herzmechanik
genannt. Die einzelne Herzaktion beginnt mit einer Kontraktion der Vorhöfe • Systole: Kontraktion des Herzens
(Vorhofsystole) , durch die die Ventilebene, bei offenen Segelklappen, über das • Diastole: Erschlaffung des Herzens
Blut vorhofwärts hinweggezogen wird (Abb. 7-7a, b ).
Ungefähr 30% des Inhalts der Ventrikel werden durch die Vorhofsystole in die
Kammern hineinbefördert 70% der Ventrikelfüllung geschehen passiv während
der Kammerdiastole, durch den bei der Erschlaffung erfolgenden Einstrom des
Blutes in das Herz. Gleichzeitig steigt die Ventilebene auf, sodass sie sich über das
in den Vorhöfen vorhandene Blut stülpt.
294

Abb. 7-7a, b. Aorten· und Pulmonal- Aorten· und Pulmonal·


klappen geschlossen klappen offen
Pumpvorgang des Herzens. a Vorhof-
kontraktion bei gleichzeitiger Diastole der
/'
Kammer. b Kammerkontraktion (Systole)
bei gleichzeitigem Einstrom von Blut in
den Vorhof.
Die Kammern arbeiten als Druck-Saug-
pumpe. Die inne ren Pfeile geben die
Strömungsrichtung des Blutes an. Die
äußeren Pfeile zeigen die gleichzeitig er-
folgende Verschiebung der Ventilebene,
durch die ein Großteil des Blutvolumens
in die Kammer {a) und in den Vorhof (b)
verschoben wird Segelklappen offen b Segelklappen geschlossen
a

AV-Rhythmus Bei jedem Herzschlag folgt auf die Systole der Vorhöfe (bei gleichzeitiger
nach Ausfall des SA-Knotens Diastole der Kammern) die Systole der Kammern (b ei gleichzeitige r Diastole der
(Sinuatrialknoten) übernimmt Vorhöfe). Kontrahieren sich Vorhöfe und Kammern gleichzeitig, z. B. bei AV-
der langsamere AV-Knoten Rhythmus, können die Ventrikel durch die Vorhö fe nicht mit Blut gefüllt werden.
(Atrioventriku Ia rknoten) Es folgt eine Leistungsverminderung des Herzens. Be i 75 Schlägen/min. liegt zwi -
die Schrittmacherfunktion schen 2 Kontraktionen der Herzmuskulatur eine Pause von 0,4_ s.
Die Systole der Kammern wird in 2 Phasen unterteilt.
2 Systolephasen Während der Anspannungsphase kommt es zunächst zu einer isovolumetri-
• Anspannungsphase: durch schen Kontraktion. Das bedeutet: Der Herzmuskel zieht sich zusammen, die Se-
isovolumetrische Kontraktion gelklappen schließen sich. Der Inhalt des Herzens, das Blut, ist nicht kompri-
• Austreibungsphase: Nach Öffnen der mierbar, d. h. es kann in seinem Volumen nicht verkleinert werden. Deshalb wird
Taschenklappen durch hohen Druck die Kontraktion isovolumetrisch genannt (gleich bleibendes Volumen) .
wird das Blut ausgetrieben Der Druck des Blutes, das vom Myokard umschlossen ist, steigt hingegen steil
an bis zu dem Punkt, an dem er mindestens gleich hoch wie oder höher als im
isovolumetrisch anschließenden arteriellen Teil des Gefäßsystems ist. Dann öffnen sich durch den
mit gleich bleibendem Volumen hohen Druck die Taschenklappen und die Austreibungsphase beginnt, d. h. das
Blut wird ausgetrieben. Gegen Ende der Austreibu n gsphase (auch Ende der
Systole) liegt der ventrikuläre Blutdruck wieder etwas unterhalb d es arteriellen
Druckes.

Tabelle 7-2. Druckverhältnisse während der Herzaktion

Abschnitt Systole [mmHg] Diastole [mmHg)

Linke Kammer 120 2-8


Aorta 120 80
Rechte Kammer 25 Q-4
Pul monalarterie 25 15
Herz (Cor) · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 295

Durch die vermittelte kinetische Energie (Trägheit des Blutes) wird trotzdem kinetisch
noch ein wenig mehr Blut ausgetrieben. Aufgrund des höheren arteriellen Bewegung oder Bewegungsabläufe
Drucks kommt es dann aber sofort zum Verschluss der Taschenklappen, sodass betreffend
kein Blut mehr in die Kammern zurückströmen kann (Tabelle 7-2).
Die Vorgänge während eines Herzschlags laufen im linken und im rechten
Herz analog ab, jedoch mit einer geringen zeitlichen Verschiebung, die durch
unterschiedliche Erregungsausbreitung und durch Unterschiede des Blutdrucks
in der Aorta und der Pulmonalarterie bedingt sind.

7.1.6 Herztöne

Es wird deutlich unterschieden zwischen Herztönen und Herzgeräuschen: Herz- Herztöne sind physiologisch,
töne sind physiologisch, Herzgerä usche dagegen sind pathologisch und beruhen Herzgeräusche sind pathologisch
meist auf einem Defekt, z. B. an den Herzklappen.
Unter Normalbedingungen sind während der Herzkontraktion 2 Herztöne zu Ursachen von Herztönen
hören: • Tieferer Ton: Anspannungston
• Die beginnende Kammersystole erzeugt den 1. tieferen Anspannungston. • Höherer Ton: Schluss der Taschen-
Dieser Ton hat eine Frequenz von ca. 25-45 Hz (Schwingungen pro Sekunde) klappen
und entsteht durch die Schwingung der geschlossenen Segelklappen sowie der
gesamten Ventrikelwand bei der Kontraktion um den inkompressiblen Inhalt. inkompressibel
• Der 2. Herzton ist kürzer und besitzt eine etwas höhere Frequenz von ca. 50 Hz. kann nicht auf ein kleineres Volumen zu-
Er wird verursacht durch den Aorten- und Pulmonalklappenschluss (bei des sammengedrückt werden
Taschenklappen). Durch zeitliche Verschiebung von Aorten- und Pulmonal-
klappenschlusskann es zu einer Spaltung (Verdoppelung) des 2. Herztons kom-
men.

Unter besonderen Umständen können noch ein 3. und ein 4. Herzton vorhanden
sem:
• Der 3· evtl. vorhandene Herzton kommt durch den diastolischen Bluteinstrom
in den Ventrikel zustande.
• Der 4. Herzton kann durch eine Schwingung der Vorhofmuskulatur entstehen.

7.1.7 Pumpleistung des Herzens

Die Blutmenge, die pro Herzaktion von jeder Herzkammer (Ventrikel) gefördert • Schlagvolumen (SV): Blut menge, die
wird, bezeichnet man als Schlagvolumen {SV). Es beträgt bei einem Menschen pro Herzaktion von jeder Herzkammer
durchschnittlicher Größe in Ruhe und Rückenlage ca. 8o ml. gefördert wird
Die Förderleistung des Herzens pro Zeiteinheit (pro Minute) wird als Herz- • Herzminutenvolumen (HMV):
min utenvolumen (HMV) bezeichnet. Unter den oben genannten Bedingungen Förderleistung des Herzens pro Minute;
beträgt das HMV ca. 5,61/min (So ml x 70 Schläge/min.). ca. 5,6 1/ min. (80 ml X 70 Schläge/rn in)
Die Anpassung des HMV an die jeweiligen Erfordernisse erfolgt durch Ände-
rung des Schlagvolumens und/oder durch Änderung der Frequenz des Herz-
schlags. Dabei wird das Schlagvolumen durch 3 Mechanismen verändert:
1. die Länge der Herzmuskelfasern (Vordehnung),

2. den Druck in der Aorta (peripherer Widerstand) und


3- die Sympathikuswirkung (Kontraktilitätszunahme des Myokards). Kontraktilität
Fähigkeit der Muskeln sich zusammen-
zuziehen
296

Eine Sympathikusreizung verstärkt bei einer gegebenen Faserlänge die Kraft der
Myokardkontraktion. Kräftigere Systolen bei unveränderter Faserlänge vergrö-
endsystolisch ßern allerdings das Schlagvolumen auf Kosten des endsystolischen Restvolu-
am Ende einer Herzkontraktion mens.
Das heißt nichts anderes, als dass mehr Blut ausgestoßen wird und dement-
sprechend weniger Blut im Ventrikel am Ende der Systole zurückbleibt. Dies wie-
derum bedeutet, dass die Vordehnung des Myokards geringer ist. Das Verhältnis
zwischen Länge und Spannung der Muskelfasern ist beim Myokard ähnlich wie
beim SkelettmuskeL
Frank-Starling-Mechanismus: Bei Dehnung des Muskels nimmt seine Spannung bis zu einem Maximum zu,
Beziehung zwischen dem enddiastoli- um dann bei noch stärkerer Dehnung wieder abzunehmen. Diese Zusammen-
schen Volumen und der Kraft des Herz- hänge sind im Frank-Starling-Mechanismus formuliert worden:
muskels
Frank-Sta rling-Mechanismus: Die Kraft der Kont raktion ist proportional 'd er
initialen Lä nge der Herzmuskelfaser. Die Lä nge der Herzmuske lfaser (Vordeh-
nung) ist proportional zum e nddiastolischen Volume n, d. h. der Ventrikelfüllung.

Die Funktion des Herzens ist normalerweise so geregelt, dass beim Anstieg des
venösen Rückstroms zum Herz der diastolische Einstrom größer wird, woraus ei-
ne größere Vordehnung resultiert. Dies führt zu einer größeren Kraft; dement-
sprechend kontrahiert der Herzmuskel kräftiger und kann mehr Blut ausstoßen.
Venöser Rückstrom zu m Herzen erfolgt Während körperlicher Arbeit nimmt der venöse Rückstrom zu, und zwar
durch die Muskelpumpe (Druck der durch die Muskelpumpe (Druck der Muskulatur auf die Gefäße) und durch die
Muskulatur auf die Gefäße) und durch verstärkte Atmung, die durch den im Brustkorb erzeugten Unterdruck den Rück-
die Atmung fluss fördert. Zusätzlich wird in der arbeitenden Muskulatur durch Stoffwechsel-
produkte, die zu einer arteriellen Gefäßdilatation führen, der periphere Wider-
stand reduziert. Das Ergebnis ist ein rascher und deutlicher Anstieg des
HMV. Ober den Frank-Starling-Mechanismus wird eine Erhöhung oder Ernied-
rigung des peripheren Widerstandes im Sinne einer Autoregulation ausgegli-
chen.
Am Ende der Systole (Kontraktion) bleiben im Ventrikel durchschnittlich
70 ml Blut am endsystolischen Volumen zurück. Dies ist ein normaler Vorgang,
der zu der nötigen Vordehnung der Myokardfasern führt.

7.1.8 Reizbildung und Erregungsleitung

Strukturen des Erregungsleitungs- Das Erregungsleitungssystem besteht aus verschiedenen Strukturen, die in
systems Abb. 7-8 zu sehen sind. Vom Sinusknoten, dem Schrittmacher des Herzrhythmus,
• Sinusknoten (SA-Knoten, Schrinmacher) geht die Erregung aus, läuft dann über die Vorhofmuskulatur zum AV-Knoten
• AV-Knoten und von dort über das His-Bündel zu den Purkinjefasern.
• His-Bündel Die Herzmuskulatur benötigt zur Kontraktion (ebenso wie die Skelettmus-
• Purkinje-Fasern (Endaufzweigung) kulatur und die glatte Muskulatur) einen nervösen Impuls. Wird das Herz ausrei-
chend mit Sauerstoff, Energie und Elektrolyten versorgt, ka nn es auch außerhalb
des Körpers schlagen. Daran wird deutlich, dass der nervöse Impuls für den
Herzschlag nicht von außen an das Herz gelangt, sondern vom Herzen direkt
Autorhythmie stammt. Die rhythmische Folge der Herzkontraktionen wird deshalb als Auto-
die Fähigkeit, ohne äußeren Reiz rhythmie bezeichnet. Grund für die Autorhythmie ist, dass gewisse Regionen des
rhythmische Erregungen zu erzeugen Herzens ein instabiles Membranpotential (s. Abschn. 5.3.2) aufweisen, das nach
Herz (Cor) · Kapitel7 ·Herz-Kreislauf-System 297

Abb. 7-8.
Erregungsleitungssystem des Herzens.
Der Sch rittmacher der Herzfrequenz ist
der Sinusknoten (SA-Knoten, Sinoatrial-
knoten). Der Atrioventrikularknoten (AV-
linke Kammer Knoten) wird über die Vorhofmuskulatur
erregt und leitet den Impuls weiter über
Purkinje-Fasern
das His-Bündel mit seinen Schenkeln bis
Kammer-
linker und rechter zu den Purkinje-Fasern. Die P{eile zeigen
scheidewand
Schenkel (Septum d ie Erregungsausbreitung in den Vor-
lnterventriculare)
höfen an

jedem Impuls vom Ruhepotential spontan wieder bis zur »Schwelle« absinkt, an
der automatisch ein Aktionspotential abläuft.
Ein Aktionspotential ist Voraussetzung für die Myokardkontraktion. In ande-
ren Geweben wird ein Nervenimpuls immer über Nervenfasern geleitet, die im
Herzen nicht zu finden sind. Die Zellen, die die im Herz gebildeten Impulse wei-
terleiten, sind modifizierte Muskelfasern, die relativ wenige kontraktile Fibrillen
enthalten und größer sind als die anderen Herzmuskelzellen. Wegen ihrer Ähn-
lichkeit mit den normalen Myokardzellen sind die Zellen der Erregungsleitung
lange Zeit übersehen worden.
Auf Grund der spezifischen Art der Erregungsausbreitung und Erregungslei-
tung verlaufen die Kontraktionen im Herzen so, dass sich die Vorhöfe zwangs-
läufig vor den Kammern kontrahieren.
Der tatsächliche Impuls für die Erregung entsteht in der Wand des rechten • Sinusknoten: liegt in der Wand des
Vorhofs, am Übergang zur oberen Hohlvene (V. cava superior). Dieses Gebiet rechten Vorhofes und ist Schrittmacher
wird als Sinusknoten (Sinuatrialknoten = SA-Knoten oder Keith-Flack-Knoten) des Herzens
bezeichnet. Der Sinusknoten ist also der eigentliche Schrittmacher der Herz- • AV-Knoten: liegt zwischen rechtem
aktionen. Vorhof und Kammer in der Wand
Neben dem Sinusknoten ist noch eine andere Gewebezone zur Autorhythmie des rechten Vorhofes
befähigt, das Gewebe des AV-Knotens (Atrioventrikularknoten oder Aschoff-
Tawara-Knoten). Der AV-Knoten liegt unmittelbar oberhalb und neben der Trikus- Trikuspidalklappe
pidalklappe im Vorhofbereich. Zwischen Sinusknoten und AV-Knoten besteht Segelklappe zwischen rechtem Vorhof
keine direkte Verbindung. Die Erregungsausbreitung erfolgt nur über die Vor- und rechter Kammer
hofmuskulatur. Dies ist sinnvoll, da die Ausbreitung über das Myokard etwas
langsamer ist als über das Erregungsleitungssystem.
Dies sowie eine kurze Verzögerung der Weiterleitung durch den AV- Knoten
machen die »Überleitungszeit« aus, die gewährleistet, dass der Vorhof sich vor Überleitungszeit Die Erregungsausbrei-
der Kammer kontrah iert. Sobald der AV-Knoten erregt ist, leitet er die Erregung tung zwischen SA- und AV-Knoten erfolgt
über das Erregungsleitungssystem an das restliche Myokard weiter. nur über die Vorhofmuskulatur, der AV-
Zum Erregungsleitungssystem (aus den erwähnten mod ifizierten Muskelfa- Knoten verzögert die Weiterleitung
sern bestehend) gehören das His-Bündel, das sich in 2 Schenkel aufteilt, die links
298

und rechts im Kammerseptum verlaufen und sich in die Purkinje-Fasern tm


Bereich der Herzspitze aufspalten (s. Abb. 7-8).

Ersatzrhythmen
Fällt der Sinusknoten als Schrittmacher aus, kann diese Funktion theoretisch
vom AV-Knoten übernommen werden, man spricht dann vom sog.AV-Rhythmus.
Seine Entladungsfrequenz liegt allerdings deutlich unterhalb der des Sinuskno-
tens, d. h. das Herz schlägt deutlich langsamer. Das Myokard selbst ist auch zur
Autorhythmie befähigt; allerdings liegt seine Frequenz noch tiefer als die Fre-
quenz des AV-Knotens. Mit ihr wäre die Funktionstüchtigkeit des Herzens nicht
mehr gewährleistet.

Die Frequenzen des Herzens unter vegetativem Einfluss betragen:


Sinusknotenfrequenz: 60-80 Herzschläge/min,
AV-Knotenfrequenz: 40-60 Herzschläge/min,
Myokardfrequenz: 30-40 Herzschläge/min.

Herzschrittmacher: Einsatz, sobald Ist unter pathologischen Bedingungen die Schrittmacherfunktion nicht mehr
Vorhöfe und Kammern nicht mehr vom Sinusknoten gewährleistet und wird z. B. vom AV-Knoten übernommen, ar-
synchron arbeiten und die Leistung beiten Vorhöfe und Kammern nicht mehr synchron (es fehlt die Überleitungs-
des Herzens beeinträchtigt ist zeit), und die Leistung des Herzens ist beeinträchtigt. Deshalb muss in solchen
Fällen ein künstlicher Herzschrittmacher eingesetzt werden.

Elektromechanische Koppelung und Refraktärzeit


Zwischen der Schrittmacherregion der Herzens, also zwischen dem Sinusknoten
und dem AV-Knoten, sowie den übrigen Anteilen des Erregungsleitungssystems
besteht lediglich über die Muskulatur des rechten Vorhofs eine Verbindung. Beim
Myokard löst das vom SA-Knoten ausgehende Aktionspotential ebenso eine
Kontraktion aus wie das Aktionspotential beim Skelettmuskel (siehe Kap. 4·5·1
und Abb. 4-21), d. h. es kommt zwangsläufig zu einer elektromechanischen Kop-
pelung. Anders als im Skelettmuskel, bei dem die Kontraktion erst einsetzt, wenn
Refraktärzeit: Zeit, in der der Herzmuskel
das Aktionspotential schon praktisch zu Ende ist, kommt es im Herzmuskel zu
auch bei stärkstem Impuls nicht erregt
werden kann einer überlappung dieser beiden Vorgänge.
Eine erneute Kontraktion kann erst entstehen, wenn eine neue Erregung ein-
Tetanus trifft, diese wiederum kann erst nach Ablauf der s~g. Refraktärzeit erfo~gen. In
Wundstarrkrampf, davon abg eleitet: dieser Zeit kann der Herzmuskel auch bei stärkstem Impuls nicht erregt werden.
langanh alten de (starre) Kontrakti on . Damit ist der Herzmuskel nicht tetanisierbar wie der SkelettmuskeL
Nicht tetanisierbar heißt: nicht zu einer
Dauerkontraktion anregbar Bedeutung von Kalzium und Kalium
Das einlaufende Aktionspotential, das ausgehend vom Erregungsleitungssystem
Wirkung von Kalzium über die Glanzstreifen an die einzelnen Herzmuskelzellen weitergegeben wird,
• löst nach Freisetzung Kontraktion aus führt über den damit ausgelösten Kalziumeinstrom zu einer elektromechani-
(Triggereffekt) schen Koppelung. Anders als im Skelettmuskel stammt das Kalzium aber nicht
• verursacht Auffülleffekt durch weiteres nur aus dem sarkoplasmatischen Retikulum, sondern wird praktisch gleichzeitig
Einströmen zur Bereitstellung für die mit der Ausschüttung aus diesem auch durch Kalziumkanäle der Zellmembran in
nächste Kontraktion die Zellen transportiert.
• beeinflusst Kontraktionskraft Den ersten Vorgang der Auslösung der Kontraktion über die Kalziumfreisct-
des Myokards zung bezeichnet man alSTriggereffekt,das weitere Einströmen von Kalzium über
Herz (Cor) · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 299

die Membranen, zur Bereitstellung für die nächste Kontraktion, bezeichnet man
als Auffülleffekt. Für die Erschlaffung der Myokardzellen wird das Kalzium wie-
der in die Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums zurück transportiert Sympathomimetika
und gleichzeitig über eine Kalziumpumpe aus den Zellen transportiert. Substanzen, die wie Adrenalin/
Die Kontraktionskraft des Herzens kann durch den Ein- und Ausstrom von Noradrenalin (Überträgerstoffe des
Kalzium beeinflusst werden. So wird der Einstrom von Kalzium z. B. durch Kal- Sympathikus) an den postganglionären
ziumantagonisten (>>Gegenspieler<< von Kalzium) und Sympathomimetika und Nervenendigungen des Sympathikus
der Ausstrom von Kalzium durch Herzglykoside (z. B. Digitalis) beeinflusst. wirken
Von den vielen anderen im Interstitium vorkommenden Ionen ist unter ande-
ren das Ka lium für das Herz von Bedeutung. Kalium führt in geringen Konzentra- Wirkung von Ka li um
tionen (4-8 mmol/1) zu einer Erhöhung der Erregbarkeit und der Leitungsge- • erhöht die Erregbarkeit und Leitungs-
schwindigkeit und gleichzeitig zur Dämpfung der Reizbildung in Gebieten außer- des Sinusknoten
halb des SA-Knotens. In höheren Konzentrationen, über 10 mmol!l oder durch • dämpft Reizbildung außerhalb
kardioplege Lösungen (Lösung mit hohem Kaliumgehalt, die den Herzstillstand des Sinusknoten
bewirkt) kommt es hingegen zu zunehmender Beeinträchtigung der Erregungs- • führt in hohen Konzentrationen
leitung und schließlich zu einer Lähmung des Sinusknotens. Ein Effekt, der bei zum Herzstillstand
Herzoperationen zur Ruhigstellung des Herzens genutzt wird. Für die Aufrechter-
haltung des Kreislaufes wird dann eine Herz-Lungen-Maschine eingesetzt.

7.1.9 Vegetative Herznerven

Herznerven sind diejenigen Nerven, die von außen an das Herz gelangen und es
in seiner Aktivität beeinflussen. Es sind Fasern des Sympathikus und des Para- • Sympathikus fördert die Hemätigkeit
sympathikus. Sie üben einen regelnden Einfluss auf die Herzaktivität aus. Dies • Parasympathikus hemmt die
wird deutlich, wenn ein Herz aus dem Körper entnommen und damit vom re- Hemätigkeit (führt zur
gelnden Einfluss des vegetativen Nervensystems befreit wird; dann schnellt der Leistungsverminderung)
Rhythmus von ca. 70 SchJägen/min. auf 100 Schläge/min. in die Höhe.
Sympathikus und Parasympathikus (die beiden Antagonisten im vegetativen
Nervensystem) beeinflussen die Schlagfrequenz, die Kraftentwicklung, den
Erregungsablauf und die Erregba rkeitsschwelle. Der Sympathikus fördert die
Herztätigkeit im positiven Sinne, der Parasympathikus dagegen hemmt die Herz-
tätigkeit im Sinne einer Leistungsverringerun g.
Die Transmittersubstanzen des Sympathikus und Parasympathikus haben
dementsprechend eine große Wirkung auf die Herztätigkeit. So ist z. B. das
Azetylcholin (Überträgersubstanz des Parasympathikus) noch in einer Verdün-
nung von 1: 1.ooo.ooo herzwirksam und dämpft die Herztätigkeit. Der Sympathi-
kus hat einen besonders wichtigen Effekt auf den Herzmuskel. Er greift fördernd
in die Prozesse der elektromechanischen Koppelung ein.

7 .1.1 0 Elektrokardiogramm (EKG)

Wie alle anderen lebenden Zellen haben die Myokardzellen ein Ruhemembran- Potentialschwankungen des Aktions-
potent ial; es beträgt - 80 m V. Durch ein rhythmisches Absinken dieses Ruhe- potentialskönnen an der Körper-
membranpotentials bis an den >>firing Ievel<< (Zündschwelle) bei -55 m V kommt aberfläche gemessen werden
es im Sinusknotens zur Ausbildung von Aktionspotentialen. Über die Glanzstrei-
fen (Disci intercalares, Abschn. 7.1.1) zwischen den einzelnen Herzmuskelzellen
sowie über das Erregungsleitungssystems können sich diese sehr rasch über das
gesamte Myokard ausbreiten. Dadurch wird die Kontraktion aller Herzmuskel-
300

zellen ausgelöst. Die Geschwindigkeit, mit der das Membranpotential bis zur
Schwelle absinkt, die sog. Depolarisationsgeschwindig keit, ist verantwortlich für
die Schnelligkeit des Herzschlags.
Das Aktionspotential, das sich rhythmisch über den Herzmuskel ausbreitet,
gelangt auch an die Körperoberfläche, da es über die Körperflüssigkeiten weiter-
geleitet wird. In den Körperflüssigkeiten befmden sich Elektrolyte, die - als gute
elektrische Leiter - eine Ausbreitung der Potentialänderungen bis an die Körper-
oberfläche ermöglichen. Die an der Oberfläche messbaren Potentialschwankun-
gen betragen ca. 1 m V, sie können durch entsprechende Geräte verstärkt und auf-
gezeichnet werden. Die Potentialschwankungen entsprechen der algebraischen
Summe aller gebildeten Aktionspotentiale.

Das an der Körperoberfläche gemessene EKG ist ein Zeichen der Herzerregung
und nicht der Muskelkontraktion.

Die eigentliche Muskelkontraktion ist allerdings durch die elektromechanische


Koppelung gewährleistet, durch die sich der Muskel bei Erregung zwangsläufig
kontrahieren muss. Für die Messung des EKG werden 2 verschiedene Messme-
thoden angewandt.

Messmethoden des EKGs Unipolare Ableitung


• Unipolare Ableitung (nach Wilson) Bei der unipolaren Ableitung werden 3 Extremitätenableitungen durch Wider-
• Bipolare Ableitung (nach Einthoven) stände miteinander verbunden. Dadurch heben sich die messbaren Schwankun-
gen gegenseitig auf, und die daraus resultierende Ableitung wird als indifferent
bezeichnet. An 6 verschiedenen, genau definierten Orten der Brustwand (V,-VJ
wird eine differente Elektrode angelegt. Gemessen werden die Schwankungen
zwischen differenter und indifferenter Elektrode.

Bipolare Ableitung
Bei der bipolaren Ableitung werden die Potentialänderungen jeweils zwischen
2 Extremitäten gemessen. Hierbei gilt:

Ableitung I: rechter Arm-linker Arm,


Ableitung II: rechter Arm-linker Fuß,
Ableitung III: linker Arm- linker Fuß.

Durch die Erregungsausbreitung, der Depolarisation, und den Erregungsrück-


gang, der Repolarisation, kommt ein typisches Muster von Surnmenpotential-
PR Vorhofdepolarisation schwankungen zustande; diese werden als Elektrokardiogramm (EKG) bezeich-
QRS Ventrikeldepolarisation net (Abb. 7-9 zeigt ein typisches EKG bei einer bipolaren Ableitung li).
QT Depolarisation Die einzelnen Zacken und Ausschläge beim EKG werden mit den Buchstaben
und Repolarisation P, Q, R, 5, T bezeichnet. Dabei sind v. a. die Intervalle zwischen den Zacken von
der Ventrikel
Bedeutung.
ST Repolarisation
der Ventrikel
Die Überleitungszeit ist die Zeit vom Beginn der Vorhoferregung bis zum
PQ Überleitungszeit Beginn der Kammererregung. Diese Zeit beträgt weniger als 0 ,2 s. Sie ist notwen-
dig, um die Vorhofkontraktion vor der Kammerkontraktion ablaufen zu lassen,
und ist bedingt durch die Verzögerung der Erregungsleitung im AV-Knoten.
Blutgefäßsystem · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 301

Abb. 7-9.
8. Elektrokardiogramm (EKG) einer bipolaren
~ a. 0>
2
.X
Ableitung (nach Einthoven). Der gestri-
~
0
.!!1 .!!1
a; .n (!)
rh
~
f/l
a;
:;: chelte Teil der Kurve entspricht der
~
a.
6a. a:
0
j.!.
f/l j.!.
Eichung von 1 mV. Die U-Welle ist nicht
immer vorhanden und entspricht wahr·
Eichung scheinlieh der Repolarisierung
1mv n R
der Papillarmuskeln; zur Bedeutung
I I
I I der Intervalles. Tabelle 7-3
I I
I I
I I
I I
I I
I I
I
+ (U)
I
................
o ...J

s
< 0.1 s < 0,1 s

PO·InteMIII
Dauer <0,2s
0,32.0,398

Die normale Ruheherzfrequenz beträgt ca. 70- 80 Schlägelmin. Im Schlaf • Ruheherzfrequenz 70- 80 Schlägeimin
schlägt das Herz langsamer. Durch Arbeit, Schmerz, Emotionen, Fieber, Alkohol • Tachykardie: Herzfrequenz
etc. wird der Herzrhythmus erhöht. über 1oo Schlägei min
Eine Verminderung der Herzfrequenz unter 6o Schlägeimin nennt man • Bradykardie: Herzfrequenz
Bradykardie, eine Erhöhung über 100 Schlägeimin Tachykardie. Bradykardie unter 60 Schlägeimin
kommt häufig bei sportlich sehr aktiven Personen vor, die ein sog. Sportler-
herz haben: großes Herz, großes Schlagvolumen, Schlagfrequenz zwischen
40-60 Schläge/min.

7.2 Blutgefäßsystem

7.2.1 Aufbau des Blutgefäßsystems und Blutfluss

Die Funktion des Kreislaufs ist zwingend an das Vorhandensein eines Gefäß-
systems gebunden. In das Gefäßsystem sind das linke und das rechte Herz als
Pumpen eingefügt.
Das vom linken Herz ausströmende Blut verteilt sich auf die parallel gesch al- Körperkreislauf: Das vom linken Herz
teten Organ e und wird nach dem Durchlaufen der Organe zum rechten Herz ausströmende Blut verteilt sich auf die
zurückgeführt. Dieser Abschnitt des Kreislaufs wird als großer oder Körperkreis- parallel geschalteten Organe und wird
lauf bezeichnet. nach dem Durchlaufen der Organe zum
rechten Herz zurückgeführt
302

Das vom rechten Herz weitertransportierte Blut fließt durch das Lungenge-
fäßsystem und gelangt dann wieder zum linken Herz zurück. Dieser Abschnitt
Lungenkreislauf: Das vom rechten Herz des Gefäßsystems wird als kleiner oder Lungenkreislauf bezeichnet.
weitertransportierte Blut fließt durch Die Gesamtmenge des Blutes ist nicht ausreichend, um alle Organe gleichzei-
das Lungengefäßsystem und gelangt tig maximal zu versorgen. Deshalb kann die Versorgung der einzelnen Organe
zum linken Herz zurück sehr stark variieren. Zusätzlich ist die Verteilung des Blutes in den einzelnen Or-
ganen und Abschnitten des Kreislaufs vom Bedarf und der Funktion abhängig.
Bei starker Muskeltätigkeit wird die Blutzufuhr zu inneren Organen reduziert,
und die Muskelgefäße weiten sich, damit möglichst viel Blut die Muskulatur mit
Sauerstoff versorgen kann.

Gefäßsystem
• Arterien: Gefäße, die Blut vom Herz Gefaße, die das Blut dem Herz zuführen, werden als Venen bezeichnet; Gefäße,
wegführen die das Blut vom Herz wegführen, werden als Arterien bezeichnet. Die großen
• Venen: Gefäße, die Blut dem Herz Arterien teilen sich in kleine Arterien auf, aus denen die Arteriolen hervorgehen.
Diese münden in Kapillaren ein. In den Kapillaren findet der Stoffaustausch zwi-
zuführen
• Kapillaren: in ihnen fi ndet der
schen Blut und Gewebe statt. Aus den Kapillaren fließt das Blut in Venolen (auch
Stoffaustausch statt Venulen genannt), von denen mehrere zu kleinen Venen zusammenfließen, die
ihrerseits in große Venen münden. Die großen Venen bringen das Blut zum Herz
zurück.
Arterie ll es Blut ist hell, Auf Abbildungen des Blutgefäßsystems werden Gefäße mit sauerstoffhalti-
venöses Blut ist dunkler gem Blut üblicherweise rot und Gefäße mit sauerstoffarmem Blut blau gezeich-
net. Grund dafür ist, dass Blut mit hohem Sauerstoffgehalt heller wirkt und das
Blut der Venen mit geringem Sauerstoffgehalt dunkel. Somit erscheinen auch im
großen Kreislauf Arterienaufgrund des hohen Sauerstoffgehalts heller als Venen
und es wird demnach von venösem und arterialisiertem Blut gesprochen. Bei
starker Kälte zeigt sich dies durch die Verfärbung von Fingern oder der Lippen.
Im Gegensatz zu den Verhältnissen im großen Kreislauf ist im kleinen Kreis -
lauf das Blut in den Venen jedoch sauerstoffhaltig und in den Arterien sauer-
stoffarm.

Die Bezeichnung Arterie und Vene bezieht sich nicht auf den Sauerstoffgehalt,
sondern darauf, dass das Blut vom Herz weg oder auf dieses zu transportiert
wird.

7.2.2 Wandbau der Gefäße

Schichten der Gefäßwände Blut, das vom Herz wegtransportiert wird, hat einen höheren hydrostatischen
• Intima Druck als Blut, das zum Herz zurücktransportiert wird. Dementsprechend ist die
• Media Gefäßwand sehr unterschiedlichen mechanischen Belastungen ausgesetzt. Dies
• Adventitia führt zu einem unterschiedlichen Wandbau der einzelnen Gefäßtypen. Auf ei-
nem histologischen Schnitt wird der Aufbau der Gefäße deutlich: Be i größeren
Gefäßen (Arterien und Venen) unterscheidet man 3 Schichten wie auf Abb. 7-10
und Abb. 7-11 zu sehen ist.
Blutgefäßsystem · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 303

Abb. 7-10.
Schnitt durch die Wand einer Arterie. Auf
der linken Hälfte der Zeichnung ist eine
normale Übersichtsfärbung dargestellt,
auf der rechten Hälfte eine Färbung, die
speziell elastische Fasern hervorhebt.
Damit wird deutlich, dass die elastischen
Fasern nicht nur in der Membrana elastica
internavorhanden sind, sondern auch in
der Muskulatur und dem Bindegewebe
der Adventitia. Endothel, Subendothel
und Membrana elastica internabilden zu-

.
Vasa vasorum . ,.- .•. \.,
sammen die Intima. Im äußersten Teil qer
~ . -~
o . .. Adventitia sind Fettzellen vorhanden. Die
Vasa vasorum (Gefäße der Gefäße) sind für
die Blutversorgung der Gefäßwand
verantwortlich

Adventitia Media
Abb. 7-11 .
Typischer Gefäßaufbau mit den Schichten
der Intima, der Media und der Adventitia

Vasa vaserum Membran a Endothel


elastica intema

Intima

Intima
Die Intima ist die innerste Schicht der Gefäße. Sie setzt sich aus dem Endothel
(einschichtiges Plattenepithel), den subendothelialen Kollagenfasern sowie einer subendothelial
elastischen Membran, der Elastica interna zusammen. Je nach Größe des Gefäßes unte rhalb des Endoth els (nach auße n)
ist die Elastica interna stärker oder schwächer ausgebildet.

Media
Die Media ist eine Schicht von zirkulär und spiralförmig angeordneten glatten
Muskelzellen, zwischen denen Bindegewebsfasern liegen. Neben Kollagenfasern
sind dies v. a. elastische Fasern.
304

Adventitia
Die Adventitia baut die Gefäße in die Umgebung ein. Sie ist eine Schicht aus Bin-
degewebezellen und -fasern , in der häufig Fettzellen vorkommen. Außerdem
verlaufen in dieser Schicht die versorgenden Nervenfasern und Gefäße.

7.2.3 Gefäßarten

Arteriolen
Große herzna he An erien Die großen herznahen Arterien (Aorta, Truncus brachiocephalicus, A. subclavia,
vom elastischen Typ A. carotis communis) sind durch eine dicke Intima und durch dichte elastische
• Aorta Netze innerhalb der Media gekennzeichnet (s. Abb. 7-11).
• Truncus brachiocephalicus Sie sind aufgrund der elastischen Fasern sehr stark reversibel dehnbar und
• A. subclavia werden deshalb als Arterien vom elastischen Typ bezeichnet. Diese Arterien ha-
• A. carotis communis ben eine große Bedeutung für den kontinuierlichen Blutfluss in den peripheren
Gefäßabschnitten.
An erien vom elastischen Typ Mit jeder Systole des Herzens wird ein Blutvolumen von 70-140 ml in das ar-
durch elastische Fasern stark dehn bar terielle System ausgeworfen. Die dadurch hervorgerufenen rhythmischen Volu -
sind bedeutend für den kontinuierlichen menschwankungen setzen sich jedoch nicht bis in die peripheren Gefäßabschnit-
Blutfluss te fort, sondern werden infolge der elastischen Wandeigenschaften der Aorta und
der herznahen Arterien gedämpft. Während der Austreibungsphase des Herzens
speichern diese Gefäße einen Teil des ausgeworfenen Schlagvolumens durch
Ausdehnung ihres Lumens. Bei sinkendem Gefäßinnendruck im Verlauf der Dia -
stole wird das gespeicherte Volumen an die anschließenden Gefäßabschnitte wei-
Windkesselfunktion: tergegeben. Man bezeichnet das als Windkesselfunktion (in Analogie zu den in
Das ges peicherte Volumen wird bei früheren Jahrhunderten bei der Feuerwehr verwendeten Windkesseln). Sie tritt
sinkendem Gefäßinnendruck im Verlauf prin zipiell nur bei den Arterien vom elastischen Typ auf.
der Diastole an die anschließenden Mit größerer Entfernung vom Herz nehmen in der Media di e elastischen Fa-
Gefäßabschnitte weitergegeben sern ab und die glatten Muskelfasern zu. Dadurch besitzen diese Gefäße eine ge-
ringere Dehnbarkeit in ihrer Wand, aber eine größere Kraft der glatten Muskulatur.
Widerstandsgefäße: Man bezeichnet sie als Widerstandsgefäße oder Gefäße vom muskulären Typ.
Gefäße mit einer geringeren Dehnbarkeit Die Wand der größeren Gefäße ist so dick, dass diese nicht m ehr vollständig
in ihre r Wand, aber einer größeren Kraft von innen durch d as strömende Blut ernährt werden können. Deshalb sind in der
der glatten Muskulatur Wand größerer Gefäße eigene Gefäßäste vorhanden, die die Ernährung und
Versorgung der Gefäßwand übernehmen. Sie verlaufen meist in der Adventitia
und der Media. Sie werden als Vasa vasorum (Gefäße der Gefäße) bezeichnet
(s. Abb. 7-10).
Kleinere Arterien, die kurz vor dem Kapillargebiet liegen, werden Arte riolen
• Arteriolen: kleinere Arterien, genannt. Die kleinsten Arteriolen, die direkt in die Kapillaren überleiten, heißen
die kurz vor dem Kapillargebiet liegen Metarteriolen (s. Abb. 7-12). Kleine Venen, die direkt an das Kapillargebiet an-
• Venolen: kleine Venen, schließen, werden genannt (ebenfalls gebräuchlich: Venulen).
die direkt an das Kapillargebiet
anschließen Venolen
Venen haben eine wesentlich dünnere Wand als gleichgroße Arterien aus dem
gleichen Stromgebiet. Auch bei ihnen kann man eine Intima, eine Media und eine
Adventitia unterscheiden. Charakteristisch für die Venenwand ist eine dünne
und aufgelockerte Media, die meist deutlich weniger Muskelfasern als die Arte-
rienwand enthält. Durch das Vorhandensein von elastischem und kollagenem
Bindegewebe sind die Muskelzellen bündelweise auseinander gedrängt.
Blutgefäßsystem · Kapitel7 · Herz-Kreislauf-System 305

Abb. 7-12.
Venole Zwischen der Arteriole und der Venole
befi ndet sich das Kapi llarnetz. Vor dem
Beginn de r Kapi llaren befindet sich in der
venöses Ende des
Kapillargebietes
Arteriole ein ringförmiger Schließmuskel
(präkapillärer Sphinkter), der d ie Blut-
versorg ung des Kapillargebietes drosseln
kann

Kapillaren
In den Kapillaren findet der eigentliche Stoff- und Gasaustausch statt. Somit stel- Nur 5% des zirkulierenden Blutes sind
len die Kapillaren den funktionell wichtigsten Teil des Kreislaufsystems dar, auch in den Kapillaren enthalten
wenn sie nur ca. so/o des gesamten zirkulierenden Blutes beinhalten. Ihre Wan-
dung besteht praktisch nur noch aus der Intima (s. Abb. 7-11), d. h., es ist nur noch
das Endothel mit einer Basallamina vorhanden. Je nach Organ kann das Endo-
thel Lücken aufweisen (z.B. in der Leber) oder vollständig geschlossen sein (z.B.
beim Gehirn).
Kapillaren, die stark ausgeweitet sind und mit ihren Buchten wesentlich zur
Strömungsverlangsamung beitragen, werden als sinusoide Kapillaren oder Sinu- Sinusoide: Kapillaren, die stark
soide bezeichnet. In ihrem Endothel sind Poren vorhanden, die so groß sind, dass ausgeweitet sind und mit ihren Buchten
Blutplasma hindurchtreten kann. Sinusaide kommen z. B. in der Milz und in der zur Strömungsverlangsamung beitragen
Leber vor.

7.2.4 Spezielle Gefäße und Gefäßverbindungen

Venenarten Venenarten
Bei den Venen werden 2 prinzipielle Arten unterschieden, Hautvenen und Be- • Hautvenen: verlaufen oberflächlich
gleitvenen. und einzeln
Bei den Hautvenen handelt es sich um unpaare oberflächlich gelegene Venen, • Begleitvenen: verlaufen tiefer
die in der Subkutis (Unterhaut) verlaufen. Sie weisen eine große Zahl von Ana- und kommen paarweise vor
stomosen (Verbindungen) untereinander auf und sind durch ihre Lage direkt an
der Temperaturregulation beteiligt.
Die tiefer gelegenen Begleitvenen sind paarige Venen, die jeweils mit einer
gleichnamigen Arterie verlaufen und ebenfalls sehr viele Anastomosen unter-
einander aufweisen. Diese Anastomosen laufen quer von einem Teil des Venen-
paares zum anderen, sodass diese Venen »Strickleitervenen« genannt werden. Die Strickleitervenen: Anastomosen, die ein
Begleitvenen liegen meist mit kleineren oder mittleren Arterien in einer gemein- Venenpaar miteinander verbinden
samen Gefaßscheide aus Bindegewebe. Durch diese »arteriovenöse Koppelung«
kann die Pulswelle in der Arterie das Lumen der Venen beim Vorbeistreichen zu-
sammengedrücken; dadurch wird das Blut in der Vene verschoben. Damit das
Blut nur in Richtung des Herzens fließt, sind in den Venen ventilartige Klappen, Venenklappen regulieren den Blutfluss
Venenklappen, vorhanden (s. dazu Abb. 7-14a, b). Richtung Herz
306

Förderung de~ venösen Rückstrome~ Weitere wichtige Mechanismen für die Bewegung des Blutes in den Venen
durch sind die Muskelpumpe und die Atmung: Durch die Muskelpumpe werden die
• Muskelpumpe Gefäße in den Muskeln zusammengedrückt, und das Blut fließt aufgrund der
• atmungsbedingten Unterdruck Venenklappen herzwärts. Die Atmung bewirkt einen Unterdruck Brust raum, hält
• arteriovenöse Koppelung so das Lumen der Hohlvene offen und begünstigt damit den Blutfluss zum Herzen.

Kollateralkreislauf
Als Kollateralkreislauf bezeichnet man die Verbindung zwischen 2 Arterien, sog.
arterioarterielle Anastomosen. Sie gewährleisten die Blutversorgung einer
Körperregion, wenn z.B. über eines der beiden Gefäße des Kollateralkreislaufs
aus physiologischen oder pathologischen Gründen nur noch wenig oder kein
Blut mehr fließt. Ein derartiger Kollateralkreislauf ist z. B. am Arm zwischen A.
radialis und A. ulnaris in Form der Hohlhandbögen vorhanden (s. Abschn. 7-3-3).
Fehlen im Stromgebiet arterioarterielle Anastomosen, werden die entsprechen-
den Arterien als Endarterien bezeichnet.

3 Typen von Anastomosen Anastomosen


• Arterioarterielle Anastomosen Verbindungen von Gefäßen untereinander, ohne dazwischengeschaltetes Kapil-
(zwischen Arterie und Arterie) larnetz, werden als Anastomosen bezeichnet. Es werden 3 verschiedene Typen
• Arteriovenöse Anastomosen von Anastomosen unterschieden.
(zwischen Arterie und Vene) Zu den arterioarteriellen Anastomosen gehören die Kollateralkreisläufe. Ar-
• Venevenöse Anastomosen teriovenöse Anastomosen sind Kurzschlüsse zwischen Arterien und Venen, die
(zwischen Vene und Vene) dafür sorgen, die eigentlich zu geringe Menge des vorhandenen Blutes im Körper
optimal zu verteilen. So wird bei Bedarf der Magen-Darm-Trakt über arterie-
venöse Anastomosen nur schwach versorgt, um stattdessen das Blut z. B. ver-
mehrt in die Muskulatur zu leiten. Reguliert wird der Blutfluss hierbei über spe-
Sphinkter zieHe sphinkterartige Muskelzüge in der Media der Gefäße, die bei Bedarf kon-
ringförmiger Schließmuskel trahiert werden können.
Venovenöse Anastomosen sind die Venengeflechte in und um verschiedene
Organe sowie die Hautvenen in der Subkutis. Sie garantieren unter allen Um-
ständen das Abfließen des Blutes, auch wenn z. B. in der Haut durch Liegen, Auf-
stützen, Sitzen etc. die Venen einer Region so stark komprimiert sind, dass ein
Blutdurchfluss nicht mehr möglich ist. Bei besonders ausgeprägten Anastomosen
zwischen Venen spricht man von einem Venenplexus.

Portokavale Anastomosen
Portokavale Anastomosen Bei einer Durchflussbehinderung des Blutes der V. portae durch die Leber, z. B.
Verbindungen zwischen der V. portae + bei Leberzirrhose, fließt das Blut in einem Umgehungskreislauf, in sog. portoka-
der V. cara unter Umgehung der Leber valen Anastomosen. Diese können z. T. ebenfalls Varizen bilden (s. Kap. 7-3·3
S. 316), z. B. die Oesophagusvarizen oder im Analbereich die Hämorrhoiden.

7.2.5 Pulswelle, Blutdruck und Blutdruckregulation

• Pulswelle erzeugt von Druckanstieg Wird Blut aus dem Herz ausgeworfen, kommt es zu einer Pulswelle,die sich we-
im Gefäßsystem sentlich rascher über die Gefäßwände fortsetzt als der eigentliche Blutfluss in den
• Die Pulswellengeschwindigkeit nimmt Gefäßen selbst. Pulswelle und Blutfluss haben zwar die gleiche Ursache, nämlich
mit der Entfernung vom Herz zu den durch die Kontraktion erfolgten Ausstoß von Blut, sind jedoch völlig unter-
(von 4 m/s auf bis zu 9 m/s) schiedliche Phänomene. Die Pulswelle entsteht durch den Druckanstieg im
Blutgefäßsystem, der Blutfluss durch den Ausstoß des Blutes.
Blutgefäßsystem · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 307

Die Pulswellengeschwindigkeit nimmt mit der Entfernung vom Herz zu. In


der Nähe des Herzens beträgt sie ca. 4-5 m/s. In den Arterien des Unterschenkels
steigt sie bis auf 9 m/s an. Dies hängt u. a. mit der Zunahme des Widerstandes in
den peripheren Gefäßen bzw. der Abnahme der Elastizität zusammen (s. Ab-
sehn. 7.2.3, Gefäßarten).
Die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes hingegen hängt u. a. vom Ge-
samtquerschnitt der Blutgefäße in den verschiedenen Stromgebieten ab. Diese
Zusammenhänge sind in der Abb. 7-13 dargestellt.
Der Blutdruck selbst ist unter Ruhebedingungen abhängig vom peripheren Blutdruck: abhängig vom peripheren
Widerstand und dieser ist wiederum u. a. abhängig vom Alter des Individuums. Widerstand und vom Alter
Die Elastizität der Gefäße nimmt mit dem Alter ab, der Widerstand dementspre- des Individuums
chend zu, sodass der Blutdruck steigt.
übersteigt der Blutdruck einen maximalen Wert, spricht man von einer Hy- Hypertonie: zu hoher Blutdruck

pertonie (Hypertonie = zu hoher Druck oder zu hohe Spannung, im Falle des WHO-Standard Blutdruckwerte: systolisch
Blutkreislaufs: zu hoher Blutdruck). Diese ist nach WHO-Standard erreicht bei ei- 160 mmHg und diastolisch 95 mmHg
nem Wert von systolisch 160 mmHg und diastolisch 95 mmHg. Diese starre Ein-
teilung berücksichtigt allerdings nicht die altersabhängigen Veränderungen, so- WHO
dass die folgende Bezeichnung der oberen Normgrenze sinnvoller erscheint: World Health Organisation
• bis zum 40. Lebensjahr 140/90 mmHg, (Weltges und heitsorga n i satio n)
• bis zum 50. Lebensjahr 150/90 mmHg,
• bis zum 6o. Lebensjahr 160/95 mmHg.

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Darstellung der Zusammenhänge
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der Gefäße und der Strömungs-
geschwindigkeit in den einzelnen
Gefäßabschnitten

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308

Abb. 7-14.
Viele Arterien verlaufen mit 2 (d. h. paari-
gen) Begleitvenen in derselben Binde-
gewebsscheide. Damit wird d ie arterio-
venöse Koppelung des venösen Rück-
stroms des Blutes ermöglicht. Die Puls-
welle der Arterie führt zum Zusammen-
drücken der venösen Gefäße, deren Blut
dadurch weiter transportiert wird.
Die Richtung des Bl utflusses ist durch
die Venenklappen geregelt
Bindegewebs-
seheide

Hypotonie: zu niedriger Blutdruck


Von einer Hypotonie spricht man bei einem systolischen Wert von unter
(unter 100 mmHg systolisch) wommHg.
Unter Normalbedingungen beträgt der Blutdruck im rechten Vorhof ungefahr
Zentralvenendruck: Blutdruck im rechten 0-4 mmHg, dieser Druck wird als Zentralvenendruck (ZVD) bezeichnet. Da die
Vorhof von ungefähr 0- 4 mmHg Erdanziehung einen Einfluss auf das fließende Blut ausübt, ist der Blutdruck einer
stehenden Person im venösen Stromgebiet des Körpers oberhalb der Herzebene
vielfach negativ und unterhalb der Herzebene, z. B. in den Beinen relativ hoch.
So kann der Blutdruck in den Venen des Kopfes durchaus negative Werte bis ca.
-10 mmHg und in den Beinvenen gelegentlich Werte bis zu 90 mmHg erreichen.
Schock: mangelhafte Blutversorgung Als Schock oder Kreislaufkollaps wird meist eine mangelhafte Versorgung
einzelner Körperregionen oder des einzelner Körperregionen oder des gesamten Körpers bezeichnet. Der Blutdruck
gesamten Körpers ist dabei meist nur sehr niedrig oder schlecht messbar. Ein Kreislaufkollaps kann
verschiedene Ursachen haben, z. B. Blutverlust, Plasmaverlust, fehlender oder
mangelhafter Tonus der Gefäßwände.
Der Gefaßtonus wird über das Nervensystem aufrechterhalten, sodass auch
ein Ausfall der entsprechenden Regulationszentren zu einer maximalen Weitstel-
lung der peripheren Gefaße führen kann und damit nicht mehr genügend Blut
zum Herz zurückfließt. Die maximale Weitstellung der Gefäße (z. B. in der Haut)
kann allerdings auch bei überlastung der Wärmeabgabemechanismen auftreten
und dann zu einem Hitzekollaps führen.

Lokale Regulationsmechanismen Lokale Regulation der Blutversorung und des Blutdrucks


• Präkapilläre Sphinkter Die Regulation des Blutflusses und des Blutdrucks ist für die optimale Versor-
• Stoffwechselprodukte gung der abhängigen Gewebe von großer Bedeutung, da die Blutversorgung dem
• Stickoxid-Produktion jeweiligen Bedarf angepasst werden kann. Für die lokale Regulation des Blutflus-
ses stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung.
•Präkapilläre Sphinkter (vor dem Kapillargebiet gelegene Ringmuskeln in den
kleinsten Arteriolen), die die Durchströmung des hinter dem Ringmuskel gele-
genen Gebiete regulieren können;
• Stoffwechselprodukte, die z. B. bei Sauerstoffmangel entstehen, führen zu einer
Dilatation (Erweiterung) der versorgenden Gefäße, sodass der Blutfluss erhöht
wird.
Blutgefäßsystem · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 309

• Das Endothel ist an der Produktion von Stickoxid (NO), einer stark vasodilato- • vasodilatatorisch gefäßweitstellend
risch wirkenden Substanz beteiligt. Außerdem ist es in der Lage einen sehr star- • vasokonstriktorisch gefäßengstellend
ken vasokonstrikorischen Wirkstoff, das Endothel in, zu produzieren. Nitrogly-
zerin, das als Medikament eine stark vasodilatorische Wirkung entfaltet, wirkt
über die Freisetzung von NO.

Nervöse Kontrolle des Gefäßwandtonus


Die arteriellen und venösen Gefäße sind mit Muskelzellen und Nervenfasern
ausgestattet. Über die Nervenfasern werden die Muskelzellen innerviert. In den
meisten Körperregionen sind dies Fasern des Sympathikus und in den Gefäßen
der Skelettmuskeln zusätzlich Fasern des Parasympathikus. Die Fasern stammen
aus dem Vasomotorenzentrum des verlängerten Marks (Medulla oblongata). Der
überträgerstoff im Sympathikus ist das Noradrenalin, im Parasympathikus das
Azetylcholin.
Die sympathische Innervation führt in den meisten Körperregionen zu einer
Vasokonstriktion. Eine Ausnahme bildet der Herzmuskel; hier führt der Sympa- • Vasekonstriktion Gefäßverengung
thikus zu einerVasodilatation. Da konstant Impulse aus dem Sympathikus an die • Vasedilatation Gefäßerweiterung
Gefäßwände gelangen, sind diese tonisch kontrahiert (weisen eine konstante
Muskelspannung auf). Die in der Skelettmuskulatur vorhandenen parasympathi-
schen Fasern führen zu einer Erweiterung der Gefäße. Sie sind nicht tonisch Tonus
aktiv. Eine Verletzung der sympathischen Fasern führt automatisch zu einer Spannung, tonisch: unter Spannung
Gefäßerweiterung, da der Tonus nach Verletzung sofort nachlässt.
Die sympathische Innervation, die zu einer Erhöhung der Muskelspannung
in der Gefäßwand und damit des peripheren Widerstandes führt, tritt meist
kombiniert sowohl an den Arterien als auch an den Venen auf. Wäre das nicht so,
könnte eine Erhöhung des Muskeltonus an den Arterien zu einem Versacken des
Blutes im venösen Schenkel des Blutgefäßsystems führen, und der venöse Rück-
strom wäre gefährdet.

Generelle Regulation des Blutdrucks


Für die generelle Blutdruckregulation stehen dem Körper ebenfalls verschiedene
Mechanismen - chemische, hormonelle und nervöse - zur Verfügung.
Besonders wichtig ist die Regulation über Barorezeptoren (Druck- oder Pres- Lage von Barorezeptorn:
sorezeptoren). Im Bereich des Aortenbogens und im Bereich einer Erweiterung • Aortenbogen
in der A. carotisinternabefindet sich je eine Region mit Druckrezeptoren, die bei • A. carotis interna
einem normalen Blutdruck mit einer konstanten, aber niedrigen Entladungsrate
einen Impuls an das Kreislaufregulationszentrum im verlängerten Mark (Medul-
la oblongata) senden. Bei einer Blutdruckerhöhung reagieren diese Druckrezep-
toren mit einer erhöhten Entladungsfrequenz der Neurone in das verlängerte
Mark hinein.
Dies führt zu einer Abnahme der Sympathikusaktivität und einer Zunahme
der Parasympathikusaktivität Sympathikusaktivität steigert die Herztätigkeit • Sympathikusaktivität: fü hrt zur
(Schlagfrequenz, Schlagvolumen etc.), unter Parasympathikuseinfluss wird die Steigerung der Herztätigkeit
Herzleistung reduziert (s. Abschn. 5.14, Vegetatives Nervensystem). Bei vermin- (Schlagfrequenz, Schlagvolumen etc.)
derter Aktivität der Druckrezeptoren, d. h. bei einem Druckabfall, laufen entge- • Parasympathikusaktivität: führt zur
gengesetzte Mechanismen ab, um den Blutdruck wieder zu erhöhen. Das System Reduktion der Herzleistung
der Druckregulation über die Druckrezeptoren und den nachgeschalteten nervö-
310

senRegelkreisist im eigentlichen Sinn ein Reflex mit dem dazugehörigen Reflex-


bogen (s. Abschn. 5.9, Reflexe).
Dieser in sich geschlossene Regelkreis, der je nach Ausgangslage zur Aktivie-
rung von Sympathikus oder Parasympathikus führt, kann als homöostatische
Selbststeuerung bezeichnet werden. Bei akuten Abweichungen des arteriellen
Blutdrucks wird mit diesem Regelkreis das Gleichgewicht wieder hergestellt.
Über den gleichen Mechanismus wird z. T. die Anpassung des Blutdrucks und
Orthostase die Umverteilung des Blutes beim Übergang vom Liegen zum Stehen (Orthosta-
aufrechtes Stehen se) durchgeführt. Bei diesem Vorgang versacken zunächst einmal ca. 400-600 ml
Blut aus dem Brust- und Bauchraum in den Beingefäßen, das führt über die
Druckabnahme im Bereich der Druckrezeptoren zur Gege nregulation u. a. über
eine Erhöhung des Gefäßtonus und eine Steigerung des Herzzeitvolumens
(Schlagvolumen mal Frequenz pro Minute).
Neben diesen hier aufgeführten sind noch eine Vielzahl weiterer Mechanis-
men an der Blutdruckregulation und Regulation der Blutversorgung beteiligt,
deren Behandlung aber den Rahmen dieses Buchs sprengen würde.

Messung des Blutdrucks


Blutdruckmessung nach Riva-Rocci Die Messung des Blutdruckes erfolgt in den meisten Fällen über die Methode von
Riva-Rocci. Bei dieser unblutigen Messung legt man eine aufpumpbare Man-
schette um den Oberarm in der Höhe des Herzens (damit die Messung nicht
durch den hydrostatischen Druck, d. h. den Druck der stehenden Blutsäule ver-
fälscht wird). Die Manschette wird aufgepumpt, sodass die Arterien des Armes
durch den starken Druck zusammengedrückt werden und kein Blut mehr hin-
durchfließen kann.
Über ein Ventil wird anschließend der Druck in der Manschette reduziert.
Gleichzeitig wird in der Ellenbeuge mit dem Stethoskop das Strömungsgeräusch
abgehört. Hörbar ist dabei das Geräusch, welches beim systolischen Blutdruck
entsteht, wenn gerade ein wenig Blut durch die Blutdruckspitze in die zusam-
Korotkow-Geräusch: Mit dem Stethoskop mengedrückte Arterie fließen kann. Sobald dieses sog. Korotkow-Geräusch hör-
hörbares Strömungsgeräusch in kompri· bar ist, liest man am Manometer den entsprechenden systolischen Druck ab. Bei
mierten Arterien, das bei d er Systole kurz weiterem Ablassen der Luft wird nun der Druck an dem Punkt gemessen, an dem
vor dem Verschluss und direkt nach dem das Blut wieder frei fließen kann und keinerlei Geräusch mehr hörbar ist. Dies
erneuten Öffnen zu hören ist entspricht dem diastolischen Blutdruck. Mit dieser Methode lassen sich leicht
und schnell die Werte für den systolischen und den diastolischen Blutdruck er-
mitteln.
Auskultation Neben dieser auskultatorischen Methode, die auf dem Korotkow-Geräusch
diagnostisches Abhören von Organen basiert, gibt es heute automatische Messmethoden, die oszillometrisch den Blut-
mit der Ohr oder dem Stethoskop fluss messen und damit einfacher für den Hausgebrauch einzusetzen sind, z. B.
mit Unterarm- oder sogar Fingermanschetten.
Der Blutdruck kann ebenso über eine in die Arterie gelegte Kanüle und ein
daran angeschlossenes Drucksystem mit Manometer direkt gemessen werden.
Diese Messung wird auch als blutige Messung bezeichnet und erfolgt zur konti-
nuierlichen Blutdruckmessung.
Makroskopische Anatomie des Gefäßsystems · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 311

7.3 Makroskopische Anatomie des Gefäßsystems

Viele Gefäße werden nach der Körperregion benannt, die sie durchlaufen.
Deshalb hat häufig die Weiterführung eines Gefäßes in der folgenden Region
einen anderen Namen. Die meisten Arterien, selbst wenn es sich um Seitenäste
eines größeren Gefäßes handelt, besitzen einen eigenen Namen. Die Venen
haben mit wenigen Ausnahmen immer den gleichen Namen wie die Arterien,
die sie b'egleiten.

7.3.1 Arterien des Körperstamms

Die größte Arterie des Körpers nimmt ihren Ausgang vorn linken Herzen. Sie
heißt Aorta oder große Körperschlagader (Abb. 7-15). Sie hat ungefähr die Form Aorta: größte Arterie des Körpers

eines Spazierstocks und steigt zunächst vom Herz auf als Aorta ascendens (auf- Aortenbogen: Bogen der Aorta kurz nach

steigende Körperschlagader), bildet nach wenigen Zentimetern den Aorten- ihrem Abgang vom Herzen
bogen (Arcus aortae), der wieder nach unten führt als Aorta descendens (abstei-
gende Körperschlagader). Bis zum Durchtritt durch das Zwerchfell heißt die

gemeinsamer Stamm der gemeinsamer Stamm


rechten A. carotis communis der Karotisarterien Abb. 7-15.
und der A. subclavia dextra Darstellung d er Hauptäst e der großen
(Truncus brachiocephalicus) -;;..c:::ii;Co'»'!~ ~~~---..i::::::.._
A rterien. Die Bezeichnung d er Gefäße
linke Unterschlüssel-
Aortenbogen
beinarterie st eht m eist im Zusamm enhang m it der
Abgang der Aorta aus (A. subeievia sinistra)
dem Herzen Körperreg ion, durch d ie d as entsp rechen-
bei der Frau
Brustaorta ---~:....,F-/t"?""""' Eierstockarterie, d e Gefäß v erläuft
(Aorta thoracica} beim Mann Hodenarterie
Nierenarterie --------'t-1 (A. ovarica, A. testicularis)
(A. renalis)
Achselarterie
obere und untere (A. axillaris)
Mesenterialarterie
(A. mesenterica superior """- - - Radialarterie
und Inferior) (A. radialis)

Ulnararterie
(A. ulnaris}
gemeinsame
Beckenschlagader
(A. iliaca communis dextra) j
gemeinsamer Stamm der
innere Beckenarterie

1
Leber-, Milz- und linken
(A. iliaca Interna)
Magenarterie
(Truncus coeliacus)
Oberschenkelarterie
(A. femoralis)

äußere Beckenarterie
(A. iliaca externa)
•••r-r---- vordere Schienbeinarterie
(A. tibialis anterior)
hintere Schienbeinarterie
(A. tibialis posterior)
312

Aorta ascendens Brustaorta (Aorta thoracica); nach dem Durchtritt durch das
Zwerchfell Bauchaorta (Aorta abdominalis). In Höhe des 4· Lendenwirbels teilt
sich die Aorta abdominalis in eine rechte und eine linke A. iliaca communis, aus
denen die Arterien für das Becken, A. iliaca interna, und die Arterien für die un-
teren Gliedmaßen, A. iliaca externa, hervorgehen.
Große Gefäßstämme aus dem Aonen-
bogen: Vom Arcus aortae gehen 3 große Arterienstämme ab:
• Truncus brachiocephalicus 1. Truncus brachiocephalicus, der sich teilt in die A. subclavia dextra für den
• A. subclavia sinistra rechten Arm und die A. carotis communis dextra für die rechte Kopfhälfte,
• A. carotis communis sinistra 2. A. subclavia sinistra, die den linken Arm versorgt,
3- A. carotis communis sinistra, die die linke Kopfhälfte versorgt.

Die Aorta thoracica gibt paarige Zwischenrippenarterien ab, die in den Inter-
Äste der Aona abdominalis kostalräumen verlaufen und die Muskulatur und die Haut des Thorax versorgen.
• Paarige Äste Aus der Aorta abdominalis entspringen die ebenfalls paarigen Arterien zum
- A. phrenica, Zwerchfell (A. phrenica), zu den Nieren (A. renalis) und zu den Keimdrüsen
- A. renalis (A. ovarica bzw. A. testicularis). Außerdem gibt die Aorta abdominalis 3 groge
- A. ovarica bzw. A. testicularis unpaare Äste an die Eingeweide ab:
• Unpaare Äste • den Truncus coeliacus, für die Versorgung von Magen, oberem Duodenum,
- Truncus coeliacus Leber, Milz und Pankreas,
- A. mesenterica inferior • die A.mesenterica superior und
- A. mesenterica inferior • die A. mesenterica inferiorfür die Versorgung der anderen Darmabschnitte.

7.3.2 Venen des Körperstamms

Das Blut, das auf jeder Seite vom Kopf und Hals durch die V.jugularis interna und
vom Arm durch die V. subclavia zurückströmt, sammelt sich auf beiden Seiten in
einer V. brachiocephalica. Die rechte und die linke V. brachiocephalica vereinigen
sich zur V. cava superior, der oberen Hohlvene, die von oben in den rechten
Vorhof des Herzens einmündet (Abb. 7-16).
V. cava inferior: Vereinigung der linken Das Blut, das aus den Beinen und dem Becken zurückfließt, läuft über die linke
und rechten V. iliaca communis und die rechte V. iliaca communis, die sich zur V. cava inferior, der unteren Hohl-
vene, vereinigen. Die V. cava inferior nimmt während ihres Aufstiegs zum Herz
das Blut der paarigen Baucheingeweide auf und mündet ebenfalls in den rechten
Vorhof.
V. portae sammelt Blut aus großen Teilen Das Blut aus großen Teilen des Magen-Darm-Traktes, der Milz und des Pank-
des Magen-Darm-Traktes, der Milz und reas wird in der V. portae gesammelt, durchströmt dann die Leber und fließt mit
des Pankreas den Lebervenen (Vv. hepaticae) ebenfalls in die V. cava inferior. Zwischen den Ve-
nensystemen der oberen und der unteren Körperhälfte bestehen Anastomosen,
die im Fall einer Behinderung des venösen Rückflusses einen Kollateralkreislauf
zwischen V. cava inferior und V. cava superior ermöglichen. Die beiden wich-
tigsten Anastomosen sind die V. hemiazygos auf der linken und die V. azygos auf
der rechten Körperseite.
Makroskopische Anatomie des Gefäßsystems · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 313

innere Drosselvene - - - - - --11 UnterschiOsselbeinvene Abb. 7-16.


(V. jugularis interna) (V. subclavia)
Darstellung der wichtigsten großen Venen
,..-.&-:~~~;>~~""<---- Kopf-Arm-Vene
obere Hohlvene (V. brachiocephalica) des Körpers
(V. cava superior)

(V. azygos)
"-~Wl-T- Lebervenen
(Vv. hepaticae)
Nierenvene --------'~
(V. renalis) ~:::......-'r-"r-..,__"__ untere Hohlvene
(V. cava inferior)
gemeinsame Be<;kel1vene· - - -t{\;-
(A. lliaca communis)

Oberschenkelvene
(V. femoralls)

innere Beckenvene
(V. iliaca interna)

7.3.3 Gefäße und Gefäßversorgung der Extremitäten

Armarterien Wichtige Arterien des Armes

Die arterielle Blutversorgung des Armes stammt aus der A. subclavia, die - wie • A. subclavia
ihr Name besagt - unter der Klavikula (Schlüsselbein) hindurchläuf t und in der • A. axillaris
Region der Achselhöhle A.axillaris heißt. Nach Obertritt an den Oberarm wird sie • A. brachialis
zur A. brachialis, die als wichtigsten Ast die tiefe Oberarmarter ie, die A. profunda • A. radialis
brachii, abgibt. Ungefähr auf Höhe des Ellenbogens teilt sie sich in eine A. radialis • A. ulnaris
und eine A. ulnaris, die für die Versorgung des Unterarmes und der Hand verant-
wortlich sind. Kurz nachdem sich die A. brachialis in die A. radialis und die A. ul-
naris geteilt hat, gibt jede dieser Arterien verschiedene rückläufige Arterienäste • Stenose Einengung eines Gefäßes
ab, die weiter oben am Arm mit der A. brachialis anastomosieren. Diese rückläu-
oder eines Kanals
figen Arterien gehören zum Kollateralkreislauf des Armes. Im Falle einer Stenose • Obstruktion Verstopfung eines Hohl·
oder Obstruktion der A. brachialis können sie die Blutversorgung des Armes organs, z. B. eines Gefäßes
weitgehend sicherstellen.
In der Hand befinden sich 2 wichtige Anastomosen zwischen der A. radialis Hohlhandboge n: Tiefer und oberflächli-
und die A. ulnaris: der tiefe und der oberflächliche Hohlhandbog en (Arcus pal- cher Hohlhandbogen, der in Hand aus der
maris profundusun d Arcus palmaris superficialis). Aus dem tiefen Hohlhandbo- A. radialis und der A. ulnaris gebildet wird
gen (Arcus palmaris profundus) gehen die Fingerarterien, die A. digitalis palma-
314

Abb. 7-17.
gemeinsamer Stamm
Arterien d es Armes der Him - und Gesichtskarotis
Unterschlüssel- ----------;;;;:::::~::iif!fll(-- (A.carolis communis)
beinarterie
(A. subclavia)
gemeinsamer Stamm für die
rechte Karotis und die rechte
Unterschlüsselbeinarterie
(Truncus brach locephalicus)

innere Brustarterie
tiefe Oberarmarterie ---r----.• (A. thoracica Interna)
(A. prolunda brachii)

Oberarmarterie - - -_____,.____",_.. Unterschulterblanarterie


(A. brachlalls) (A. s~bclavia)

Speichenarterie - -f#-1-#.j
(A. radlalls)
Fß-----,L-- Ellenarterie
(A. ul naris)

__.---- - tiefer Hohlhandbogen


(Arcus palmaris profundus)

~~~~~t------- oberflächlicher Hohlhandbogen


- (Arcus palmaris superlicialls)

'171/n i'INl!---- - - - - - Fingerarterie


(A. digitalls palmaris)

ris (Singular), hervor. Wegen der Hohlhandbögen als Anastomosen ist bei einer
Verletzung der A. radialis oder der A. ulnaris, die Verletzungsstelle sowohl proxi-
mal (zum Körperstamm hin) als auch distal (vom Körperstamm entfernt) zu un-
terbinden, da sonst die Blutung nicht zum Stehen kommt (Abb. 7-17).

Armvenen
Wichtige Hautvenen des Armes Das venöse Blut des Unterarmes wird hauptsächlich in den tief liegenden Be-
• V. cephalica gleitvenen gesammelt. Ein Teil fließt über die kleinen und kleinsten Hautvenen
• V. basilica ab, deren Blut im Wesentlichen in 2 großen Hautvenen gesammelt wird:
• V. intermedia cubiti • Das Blut der Radialseite des Unterarmes sammelt sich in der V. cephalica, die
oberhalb des M. deltoideus in die V. axillaris mündet.
Wichtige Begleitvenen des Armes • Das Blut der Ulnarseite sammelt sich in der V. basilica, die unterhalb des M. del-
• V. radialis toideus in die V. brachialis mündet.
• V. ulnaris
• V. brachialis Die V. brachialis geht über in die V. axillaris. Der weitere Verlauf ist: V. subclavia,
• V. axillaris V. brachiocephalica, V. cava superior, rechter Vorhof.
• V. subclavia
ln der Ellenbeuge besteht eine Anastomose zwischen derV.cephalica und der
V. basilica, die V. intermedia cubiti. Als Hautvene ist sie sehr gut sichtbar und
deshalb als Einstichstelle für Injektionen oder Blutentnahmen geeignet. Dies ist
jedoch nicht immer möglich, da die V. intermedia cubiti - wie alle Hautvenen -
eine große Variabilität von Individuum zu Individuum zeigt. Deshalb ist sie
manchmal nur sehr klein oder gar nicht vorhanden (Abb. 7-1 8).
Makroskopische Anatomie des Gefäßsystems · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 31 5

Unterschlüsselbeinvene
Innere Jochvene Abb. 7-18.
(V.jugularls intema)
(V. subclavia) Venen des Armes. Die nicht gezeichneten
Hautvenen variieren so stark in ihrer Aus-
,;.+-=--a , - - - - Achsel vene
(V. axillaris) bildung und in ihrem Verlauf, dass sie sich
bei den meisten Menschen deutlich von-
einander unterscheiden; man müsste für
koplwärtslaufende Vene jeden Menschen ein eigenes Bild zeich·
(V. cephalica)
Königsvene nen. Die V. basilaris und die V. cephalica
(V. basilaris)
sind jedoch bei den meisten Menschen
Oberarmvene - - - --fl'-1•
(V. brachialis) vorhanden. Die V. Intermedia cubiti wird
gelegentlich immer noch als V. mediana

Speichenvene Verbindungsvene der


cubiti bezeichnet
(V. radialis) Ellenbeuge
(V. Intermedia cubiti)

Ellenvene
(V. ulnaris)

Beinarterien Wichtige Arterien des Beines


Aus der Aorta gehen die rechte und die linke A. iliaca communis hervor, die sich • A. iliaca communis
jeweils in 2 Äste teilen: • A. iliaca externa
1. die A. iliaca interna, die die Beckenorgane versorgt, und • A. femoralis
2. die A. iliaca externa, die ihrerseits das Bein versorgt. • A. poplitea
• A. tibialis anterior
Die A. iliaca externa läuft unter dem Ligamentum inguinale (Leistenband) hin- • A. tibialis posterior
durch auf die Vorderseite des Oberschenkels und wird dort zur A. femoralis; ein • A. peronea
weiterer Ast verläuft tiefer als A. femoris profunda . Die A. femoralis gibt verschie-
dene kleinere Äste ab, die den Oberschenkel versorgen.
Kurz bevor die A. femoralis den Oberschenkel verlässt, läuft sie durch den
Adduktorenkanal auf die Rückseite des Kniegelenks und bildet dort die A. pop- Adduktorenkanal
litea. Damit folgt sie einem wichtigen Prinzip: Arterien ziehen immer auf der Kanal mit einer Membran überzogen
Beugeseite über ein Gelenk hinweg, damit sie bei der Beugung mechanisch nicht zwischen den Adduktoren, der von
gefährdet werden, z. B. durch Zug oder Quetschung. der Oberschenkelvorderseite
Aus der A. poplitea gehen 3 wichtige Äste für die Versorgung des Unterschen- in die Kniekehle führt
kels und des Fußes hervor:
1. die A. tibialis anterior, die auf der Vorderseite des Unterschenkels verläuft,
2. die A. peronea , die auf der Außenseite des Unterschenkels verläuft,

3· die A. tibialis posterior, deren Endäste die Fußsohle versorgen (Abb. 7-19 ).
316

Abb. 7-19.
Bauchaorta
Arterien des Beines gemeinsame Beckenanerie - -- +--.-_,..___., - '- (Aorta abdom1nalls)
(A. iliaca communis)

Knlelcehlenartene -----__:HI~;l
(A. popl;teo)

al!- - - - Zehenartene
(A. d•g•talis)

Beinvenen
Beinvenen Neben den tief gelegenen Begleitvenen, die wie am Arm paarig die versorgenden
• Wichtige Hautvenen des Beines Arterien begleiten, sind am Bein regelmäßig 2 große Hautvenen vorhanden.
- V. saphena magna Die V. saphena magna entsorgt auf der Medialseite des Beines und mündet im
- V. saphena parva Oberschenkelbereich in die V. femoralis. Die V. saphena parva entsorgt im Late-
• Wichtige Begleitvenen des Beines ralbereich des Unterschenkels und mündet in die V. poplitea, die ihrerseits nach
- V. poplitea Durchtritt durch den Adduktorenkanal zur V. femoralis wird.
- V. femoralis Bei entsprechender Prädisposition (Neigung) sowie bei einer Abflussbehin-
derung können sich Krampfadern bzw. sog. Varizen bilden; dabei erweitert sich
die Vene auf Grund einer Wand- und/oder Venenklappenschwäche. Varizen sind
auch an anderen Venen des Körpers auftreten, z.B. am Anus oder Ösophagus. An
den Beinen sind immer Äste der V. saphena magna und/oder Äste der V. saphena
parva betroffen (Abb. 7 - 20 ). Die Begleitvenen des Beines werden analog zu den
Arterien des Beines bezeichnet und sind im Unterschenkel paarig vorhanden.
Makroskopische Anatomie des Gefäßsystems · Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 317

Abb. 7-20.
gemeinsame Beckenvene
(V. lllaca communis) Venen des Beines. Auch die Hautvenen
des Beines, wie Hautvenen allgemein, sind
individuell so unterschiedlich, dass kein
gilltiges Schema gezeichnet werden kann.
Deshalb sind auf dieser Abbildung nur die
standardmäßig vorhandene V. saphena
große Hautvene magna und die V. saphena parva
der Beininnenseite
ODerschenkelvene dargestellt
(V. femoralls) (V. saphena magna)

• -ft- - - - - - Kniekehlenvene
(V. poplitea)
kleine Hautvene des
Unterschenkels lt-H-- - - - - - hintere Schienbeinvene
(V. saphena parva) (V. tibialis posterior)

vordere Schienbeinvene ------W~IIfi'------- große Hautvene der


(V. libialls anlerior) Beininnenseite
(V. saphena magna)

Fußrückenvenen

Venenbogen des Fußrückens


(Arcus venosus dorsalis pedis) - - - Zehenvene
(V. digitalis)
318
7.4 Fragen und Zusammenfassung zu Herz/Kreislauf

Nennen Sie Größe, Lage, Gewicht Das Herz liegt im Mediastinum auf dem Zwerchfell. Die Herz-
und Hüllen des Herzen! spitze berührt auf der Medioklavikularlinie den s.lnter-
kostalraum. Das durchschnittliche Herzgewicht beträgt 280 g
(Frau) bzw. 330 g (Mann). Der rechte Herzrand überragt das
Brustbein um Fingerbreite. Die Herzwand besteht von innen
nach außen aus: Endokard, Myokard, Epika.rd, Perikard. Das
Epikard ist das viszerale Blatt des Herzbeutels, das Perikard
das parietale. Das Perikard ist mit der zentralen Binde-
gewebsplatte des Zwerchfells (Centrum tendineurn) ver-
wachsen.

Wie unterteilen Sie das Herz Es gibt ein rechtes und ein linkes Herz. Das rechte Herz treibt
und seine Innenräume? den kleinen Kreislauf an, das linke Herz den großen. Rechtes
und linkes Herz sind durch das Herzseptum voneinand er
getrennt. Beide besitzen einen Vorhof (Atrium) und eine
Kammer (Ventrikel).

Wie wird die Strömungs richtung Durch Klappen (Ventile). Atrium und Ventrikel sind durch
im Herz sichergestellt? die Segelklappen voneinand er getrennt.
Wie heißen die entspreche nden • links: Mitral- oder Bikuspidalklappe,
Vorrichtungen? o rechts: Trikuspida lklappe.

Die Ventrikel sind vom dahinterlie genden Gefäßabschnitt


durch die Taschenklappen getrennt.
o links: Aortenklap pe,

o rechts: Pulrnonalk lappe.

Die Herzklappe n (Ventile) liegen in einer Ebene, der Ventil-


ebene. Sie sind von Bindegewebefasern, an denen die Musku-
latur ansetzt, umgeben. Diese Bindegewebefasern werden als
Herzskelett bezeichnet.

Wie heißen die Gefäße, die den Das Myokard wird durch 2 Herzkranzgefäße versorgt: die lin-
Herzmuskel (Myokard) ver- ke Herzkranz arterie (A. coronaria sinistra) und die rechte
sorgen? Wie groß ist die Menge Herzkranz arterie (A. coronaria dextra). Die beiden wichtigs-
an Blut, die der Herzmuskel ten Endäste dieser Gefäße sind: Ramus interventri cularis an-
pro Minute erhält? terior und posterior. Die Herzkranzgefaße sind funktionelle
Endarterie n. Je nach Belastung werden zwischen 5 und 10%
des HMV ins Myokard gepumpt, das keine Sauerstoffschuld
eingehen kann.

Wie nennt man die Erschlaffung Die Kontraktion des Myokards heißt Systole, die Erschlaffung
und wie die Kontraktion Diastole. Während der Vorhofsystole wird die Ventilebene
des Myokards? verlagert. Dabei werden die Kammern zu 30% gefüllt. Die
restlichen 70% strömen während der Kammerdiastole nach.
Was wissen Sie über die Puls- Fragen und Zusammenfassung· Kapitel 7 · Herz-Kreislauf-System 319
welle?
Das Herz arbeitet als Saug- und Druckpumpe.
Die Pulswelle entsteht durch den Druckanstieg in der Aorta
als Resultat der Herzkontraktion. Sie pflanzt sich in herz-
nahen Gefäßen mit einer Geschwindigkeit von ca. 4-5 m/s
und in herzfernen Gefäßen mit bis zu 9 m/s fort.
Wie groß sind Werte für den
arteriellen Blutdruck bei Systole
Der arterielle Blutdruck im großen Kreislauf beträgt im
und Diastole?
Normalfalluo/8o mmHg (Systole/Diastole) und im Lungen-
kreislauf 25!15 mmHg. In Abhängigkeit vom Alter werden
Normgrenzen des Blutdrucks definiert, z. B. 160/95 mmHg
bei 6o-Jährigen. Als Hypotonie bezeichnet man einen
systolischen Wert von unter 100 mmHg.
Was versteht man unter dem
Begriff Zentralvenendruck Der Blutdruck im rechten Vorhof mit 0-4 mmHg wird als
(ZVD)? Zentralvenendruck (ZVD) bezeichnet.

Was geschieht bei einem


Kreislaufkollaps? Bei Schock oder Kreislaufkollaps ist der Blutdruck meist sehr
niedrig oder nicht messbar. Dies wird z. B. ausgelöst durch
größeren Blutverlust oder maximale Weitstellung peripherer
Gefäße. In beiden Fällen kommt nicht genügend Blut zum
Herz zurück.

Wie wird der Blutdruck


Lokal wird der Blutdruck durch präkapilläre Sphinkter
reguliert? (Schließmuskeln) oder Stoffwechselprodukte reguliert,
z. B. NO (Stickoxid) oder Endothelin.
Die zentrale Kontrolle des Blutdrucks geschieht zur Haupt-
sache über den Sympathikus, der eine tonische Kontraktion
der Gefäßwandmuskulatur bewirkt. Seine Fasern entspringen
aus dem Vasomotorenzentrum der Medulla oblongata. Akti-
vierung der Sympathikusfasern führt zu einer Erhöhung des
Blutdrucks, vermittelt über eine Vasokonstriktion (Ausnahme
Herzmuskel: hier führt sie zu einer Vasodilatation).
Die generelle Regulation des Blutdrucks wird chemisch, hor-
monell und nervös durchgeführt. Besonders wichtig ist die Re-
gulation über Druckrezeptoren im Bereich des Aortenbogens
und der A. carotis interna, die einen Reflexbogen darstellt.
Dieser Reflexbogen ist Teil einer homöostatischen Selbststeue-
rung. Sie ist an der Anpassung des Blutdrucks beim Übergang
vom Liegen zum Stehen (Orthostase) beteiligt.

Die gängigste unblutige Messmethode des Blutdrucks ist die


Wie wird der Blutdruck Messung nach Riva-Rocci mit einer Armmanschette. Sie wird
gemessen? auskultatorisch durchgeführt, der systolische Druck wird
beim Entstehen eines Geräusches (Korotkow-Geräusch) im
Augenblick des ersten Durchfließens von Blut durch das kom-
primierte Gefäß abgelesen. Beim Aufhören dieses Geräusches
(freier Blutfluss durch ein unkomprimiertes Gefäß) wird der
320

diastolische Druck abgelesen. Oszillometrische Methoden er-


lauben eine automatische Messung ohne auskultatorische
Kontrolle.
Welcher Unterschied besteht in
Bezug auf die elektromechani-
Der Herzmuskel ist nicht tetanisierbar.
sche Koppelung zwischen
Skelettmuskel und Herzmuskel?

Was geschieht während


der Kammersystole? Die Kammersystole besteht aus Anspannungs- und Austrei-
bungszeit Während der Anspannungszeit kommt es zu einer
isovolumetrischen Kontraktion, die der intraventrikulären
Druckerhöhung dient. Sobald der arterielle Druck erreicht ist,
öffnen sich die Taschenklappen, und die Austreibungszeit
beginnt.
Wo entsteht die Erregung
und wie wird sie weitergeleitet? Die Erregung des Myokards geht vom Sinusknoten
(Schrittmacherregion) aus, wird durch Erregung des
Myokards, d. h. der Muskelzellen an den AV-Knoten weiter-
geleitet, um von hier aus über das His-Bündel (Stamm und
2 Schenkel) in die Endaufzweigungen, die Purkinje-Fasern

zu gelangen.

Wie groß ist die normale


Pumpleistung = Herzminutenvolumen (HMV) =
Pumpleistung des Herzens? Schlagvolumen (SV) x Frequenz.
Wie wird sie geregelt?
SV in Ruhe und Rückenlage: ca. So ml,
Frequenz (F) ca. 70/min.

HMV = SV x F = So ml x 70/min. = ca. 5,6 1/min.

Das SV wird durch den Frank-Starling-Mechanismus gere-


gelt. Dieser besagt, dass die Kraft der Kontraktion proportio-
nal der Länge der Herzmuskelfaser ist und die Länge vom
enddiastolischen Volumen abhängt.
Die vegetativen Herznerven (Sympathikus/Parasympathikus)
modulieren die Herzfrequenz, die Kraftentwicklung, die
Erregbarkeilsschwelle sowie den Erregungsablauf nach oben
(Sympathikus) oder unten (Parasympathikus).

Der 1. Ton: 25-45Hz ist der Anspannungston; er entsteht


Wie entstehen die Herztöne? durch die isovolumetrische Kontraktion der Ventrikel-
muskulatur um den Blutinhalt
Der 2. Ton: 50 Hz, wird durch den Schluss der Taschenklappen
erzeugt.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitell · Herz-Kreislauf-System 321
Was ist ein Elektrokardiogramm
(EKG) und wie entsteht es?
Das Elektrokardiogramm ist die Ableitung von Summen-
potentialen der Herzdepolarisation und Repolarisation an der
Körperoberfläche. Die Ausschläge des EKG werden mit den
Buchstaben P, Q, R, S, T bezeichnet. Man unterscheidet uni-
polare (Wilson V,-V6 ) und bipolare Ableitungen
(Einthoven I, II, III).
Bedeutung der Intervalle: PR = Vorhofdepolarisation,
QRS = Ventrikeldepolarisation, QT = Depolarisation und
Repolarisation der Ventrikel, ST = Repolarisation der
Ventrikel, PQ = Überleitungszeit
Wie sind Arterien, wie Venen
aufgebaut? Der Aufbau von Arterien und Venen ist ähnlich: Beide besit-
zen eine Intima (Endothel, Elastica interna), Media (glatte
Muskelfasern, elastische Fasern) und Adventitia (Binde-
gewebe, Fett). Bei Arterien sind aufgrunddes höheren Innen-
drucks v. a. die Intima und die Media stärker gebaut als bei
Venen.
Herznahe Arterien besitzen viele elastische Fasern in der Me-
dia. Sie gehören zu den elastischen Arterien und haben eine
Windkesselfunktion.
Herzferne Arterien besitzen eine muskelstarke Media und
werden als Arterien vom muskulären Typ zu den Widerstands-
gefäßen gerechnet. Der eigentliche Stoffaustausch findet in
den Kapillaren statt. Sie enthalten nur so/o des Blutes. Kapilla-
ren besitzen lediglich die Intima. Je nach Stromgebiet können
sie vollständig geschlossen, fenestriert oder buchtenartig er-
weitert sein (Sinusoide).
Im Unterschied zu Arterien besitzen Venen Klappen, die die
Strömungsrichtung vorgeben.
Durch einen Kollateralkreislauf wird die arterielle Versorgung
von 2 oder mehreren Arterien gewährleistet (z. B. A. ulnaris,
A. radialis). Anastomosen sind Kurzschlüsse zwischen Gefä-
ßen. Meist sind es Kurzschlüsse zwischen Arterien und Venen
ohne dazwischen geschaltetes Kapillargebiet Anastomosen
zwischen Arterien nennt man Kollateralkreislauf, Anasto-
mosen zwischen Venen heißen Plexus. Begleitvenen sind meist
paarig (Ausnahme: große herznahe Venen). Hautvenen sind
unpaar, liegen in der Subkutis und sind sehr variabel.

Aortenbogen (gibt ab: Truncus brachiocephalicus, A. subda-


Nennen Sie die großen Arterien
via sinistra, A. carotis communis sinistra), Aorta thoracica,
des Körperstamms!
Aorta abdominalis,A. iliaca communis (dextra und sinistra),
A. iliaca internaund externa (dextra und sinistra).

Äste der A. abdominalis


• paarig: A. phrenica, A. renalis, A. ovarica bzw. A. testicularis,
• unpaar: Truncus coeliacus, A. mesenterica superior,
A. mesenterica inferior.
322 Nennen Sie die großen Venen
des Körperstamms!
• Vom Kopf und Arm: V. jugularis interna, V. subclavia (Arm),
V. brachiocephalica, V. cava superior.
Aus der unteren Körperregion (Beine und Bauchraum):
V. portae in die Leber (Magen-Darm-Trakt) Vv. hepaticae,
V. cava inferior.
• Aus den unteren Extremitäten: V. iliaca externa.
• Aus dem unteren Bauchraum: V. iliaca interna; V. iliaca
externa und internabilden die V. iliaca communis, die in die
V. cava inferior mündet.
Nennen Sie die Gefäße
des Armes! • Arterien: A. subclavia, A. ax illaris, A. brachialis. Die A. bra-
chialis gibt die A. profunda brachii ab und spaltet sich dann
in A. radialis und A. ulnaris.
• Hautvenen: V. cephalica (von der Radialseite), V. basilica
(von der Ulnarseite).
Nennen Sie die Beingefäße!
• Arterien: A. iliaca externa, A. femoralis, A. tibialis anterior,
A. tibialis posterior, A. fibularis (peronea).
• Hautvenen: V. saphena magna (Medialseite), V. saphena par-
va ( Lateralseite ).
8.1 Abwehrzellen und Abwehrorgane 324
8.1.1 Lymphgefäßsystem 325
8.1.2 Lymphknoten 326
8.1.3 Lymphfollikel 328
8.1.4 Milz (Lien, Splen} 328
8.1.5 Mandeln (Tonsillen) 330
8.1.6 Thymus (Bries} 331
8.1 .7 Granulozyten und Monozyten 333
8.1.8 Lymphozyten 333

8.2 Abwehrmechanismen 336


8.2.1 Unspezifisch humorale Abwehr 336
8.2.2 Unspezifisch zelluläre Abwehr 337
8.2.3 Spezifisch humorale Abwehr 337
8.2.4 Spezifisch zelluläre Abwehr 341

8.3 Überempfindlichkeitsreaktionen 343

r 8.4 Immunität 346


""' ~i

8.5 Immuntoleranz 347


~-
8.6 Aids und HIV 348

8.7 't Fragen und Zusammenfassung


zur Immunologie 350
324

8 Immunologie

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
... Die Abwehrzellen und die Abwehrorgane nennen.
... Die verschiedenen lymphatischen Organe nennen und ihren Aufbau erklären.
... Die Abwehrmechanismen erläutern.
... Den Haupt-Histokompatibilitäts-Komplex und die CD-Oberflächenmoleküle
erklären.
... Die Antigenpräsentation erklären.
... Allergische Reaktionen einteilen und ihre Ursache erklären.
... Aktive und passive Immunisierung erläutern
... Immunsuppression und Immuntoleranz verstehen.
J
t ..
..._

Der menschliche Körper wird in allen Lebenslagen und an allen Orten mit Krank-
heitserregern und Fremdstoffen konfrontiert. Deshalb muss er in der Lage sein,
sich gegen Bakterien, Viren, Pilze, Einzeller, artfremdes Protein (z. B. bei einem
Bienenstich) sowie Fremdkörper zu wehren. Die physiologischen Mechanismen,
die dafür zur Verfügung stehen, werden als Abwehrmechanismen bezeichnet.
Durch erfolgreiche Abwehrmechanismen kann der menschliche Körper im-
mun gegen Krankheitserreger werden. Aus dem lateinischen Wort immun (UD-
Humoral empfänglich) leitet sich der Begriff der [mmunologie ab. Abwehrmechanismen
an Flüssigkeit gebunden (z. B. Blut oder lassen sich in ein spezifisches und ein unspezifisches System einteilen (Tabelle 8-1).
lnterzellularflüssigkeit) Beide Systeme verfügen über je eine humorale und eine zelluläre Komponente.

8.1 Abwehrzellen und Abwehrorgane

Wie alle Lebensvorgänge sind auch die Abwehrmechanismen an Flüssigkeiten


gebunden. Die beiden Systeme, in denen im menschlichen Körper Flüssigkeit
transportiert wird und in denen die Abwehr zum Teil stattfindet, sind
• das Lymphsystem und
• der Blutkreislauf
mit den angeschlossenen entsprechenden Organen.
Abwehrorgane (lymphatische Organe)
• Thymus Voraussetzung für das Verständnis der Abwehrvorgänge ist demnach die Kennt-
• Knochenmark nis der Organe und Zellsysteme des Blutkreislaufs und des Lymphsystems. Die
• Lymphknoten Gefäße des Blutkreislaufs werden in Kap. 7 (Herz-Kreislauf-System) besprochen.
• Milz In diesem Kapitel wird auf die Abwehrzellen (Leukozyten, s. auch Kap. 6.3,
• Tonsillen (Mandeln) Abb. 6-1) sowie auf die Abwehrorgane eingegangen.
• Lymphfollikel
Abwehrzellen und Abwehrorgane · Kapitel S ·Immunologie 325

Tabelle 8-1. Einteilung der Abwehrmechanismen

Abwehrsystem Zelluläre Abwehr Humorale Abwehr

Unspezifisch Phagozytose von Fremdmate- Eiweißkörper und Glykoproteine im


rial durch Leukozyten und Blut reagieren mit Fremdmaterial
Zellen des monozytären und machen es dadurch unwirksam
Phagozytensystems (MPS)"

Spezifisch T-lymphozyten 8-Lymphozyten

"Früher wurde das MPS als retikuloendotheliales System bezeichnet.

Zu den Abwehrzellen gehören: Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten. Abwehrzellen


Zu den Organen der Immunabwehr zählen: Thymus, Knochenmark, Lymphkno- • Granulozyten
ten, Milz, Tonsillen (Mandeln) und Lymphfollikel. Von besonderer Bedeutung für • Monozyten
das Lymphsystem ist die Lymphbahn, deren morphologische Grundlage das • Lymphozyten
Lymphgefäßsystem ist.

8.1.1 Lymphgefäßsystem

Nährstoffe und Elektrolyte, die zu den Geweben und Zellen transportiert werden,
können meist nur in gelöster Form aus den Blutkapillaren austreten. Dabei wird
gleichzeitig viel Flüssigkeit aus den Gefäßen in die Gewebe, also den Interzellu-
larraum, transpor tiert. Mit dieser Flüssigkeit gelangen nicht nur Nährstoffe und
Elektrolyte in die Zellen, sondern werden auch die aus dem Zellstoffwechsel an-
fallenden Zwischen- und Endprodukte abtransportiert. Zum Teil geschieht dieser
Abtransport über den Blutkreislauf, z. T. auch über die Lymphgefäße. Die Flüssig-
keit in den Lymphgefäßen bezeichnet man als Lymphe. Sie ist nicht identisch mit Bestandteile der Lymphe

der Interzellularflüssigkeit (Gewebeflüssigkeit), da viele Bestandteile der Gewebe- • Wasser


flüssigkeit nicht in das Lymphgefäßsystem gelangen können. • Elektrolyte
Das Lymphgefäßsystem fangt im Bindegewebe in praktisch allen Regionen • Proteine
des Körpers mit blind beginnenden Kapillaren an. Lediglich Gehirn und Rücken- • Lymphozyten (wenige)
mark verfügen mit dem Liquor (s. Abschn. 7-7.2) über ein eigenes System des Flüs-
sigkeitsaustausches. Liquor cerebrospinalis
Ein eigentliches Pumporgan wie das Herz im Blutkreislauf gibt es im Lymph- Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit
gefaßsystem nicht. Der Transport der Lymphe kommt auf folgende Art zustande:
• In das Gefaßsystem sind zahlreiche Klappen eingebaut, die als Ventile funktio- Tran sport der Lymphe durch:
nieren und somit einen Rückstrom unmöglich machen. Dadurch wird die • Lymphklappen
Richtung des Lymphstroms bestimmt. • Kontraktion größerer Lymphgefäße
• Der eigentliche Flüssigkeitsstrom wird durch Kontraktion der größeren • Kompression durch die Skelett-
Lymphgefäße verursacht, die durch Muskulatur in der Wand dieser Gefäße muskulatur
hervorgerufen wird.
• Außerdem werden die Lymphgefäße bei normalen Bewegungen durch die Mus-
keln komprimiert, wodurch ebenfalls der Lymphstrom vorangetrieben wird.

Das Lymphgefäßsystem mündet in das Blutgefäßsystem, und zwar im sog.


Venenwinkel zwischen V. jugularis interna sinistra und V. subclavia sinistra als
Ductus thoracicus (Brustmilchgang). Dieser beginnt auf der Höhe des 1. Lumbal-
326

• Ductus thoracicus (Brustmilchgang): wirbels mit der Cisterna chyli, einer Erweiterung, die durch den Zusammenfluss
mündet im linken Venenwinkel und verschiedener Lymphgefäße aus der unteren Körperhälfte gebildet wird. Auf der
fängt Lymphe aus unterer Körperregion rechten Körperseite mündet ein sehr kurzer Gang ebenfalls in den Venenwinkel
auf zwischen V. jugularis interna dextra und V. subclavia dextra; dies ist der Ductus
• Ductus lymphaticus dexter lymphaticus dexter (Lymphgang).
(Lymphgang): kurzer Lymphgang, lm Unterschied zum geschlossenen Blutkreislauf ist das Lymphgefäßsystem
der im rechten Venenwinkel mündet offen: es beginnt im Gewebe und endet im VenenwinkeL
und Lymphe aus dem rechten Arm
und Kopf aufnimmt 8.1.2 Lymphknoten

Zwischen 500 bis 1.000 Lymphknoten In das Lymphsystem sind Lymphknoten (Nodus lymphaticus) eingeschaltet, die
ebenfalls mit Klappen ausgestattet sind (Abb. 8-1). Der menschliche Körper be-
Aufbau von Lymphknoten: sitzt zwischen 500 und t.ooo einzelne Lymphknoten mit einem Gesamtgewicht
• Bindegewebekapsel von ca. 50- 60 g. Der einzelne Lymphknoten ist ein rundlich bis bohnenförmiges
• Trabekel mit lymphatischem Gewebe
Körperchen, das mehrere Millimeter groß ist und von einer Bindegewebekapsel
• Hilum umschlossen wird (Abb. 8-z) .
• mehrere zuführende Gefäße Von dieser Kapsel strahlen Bindegewebebälkchen (Trabekel) ins Innere des
• 1- 2 abführende Gefäße Lymphknotens. An einer Seite des Lymphknotens ist meist eine Einbuchtung
vorhanden (Hilum); hier treten die Blutgefäße ein und aus, und das abführende
Lymphgefäß (Vas efferens) verlässt den Lymphknoten. Mehrere zuführende
Lymphgefäße (Singular: Vas afferens, Plural: Vasa afferentia) treten normaler-
weise auf der dem Hilum gegenüberliegenden Seite in den Lymphknoten ein.

Abb. 8-1.
Die Abbildung zeigt die wichtigsten
regionären Lymphknoten zusammen mit
den größeren Lymphbahnen. ln die
Cisterna chyli münden die Lymphbahnen
der unteren Körperhälfte. Die Lymphe des
rechten Arms und der rechten Kopfhälfte
münden im rechten VenenwinkeL Alle
~~~~~~~[~~- Venenwinkel
....: Mündung desmit
Brustmilchganges
anderen Lymphbahnen münden im linken (Ductus thoracicus)
VenenwinkeL Der Venenwinkel wird
axilläre Lymphknoten
auf beiden Körperseiten jeweils von der
V. subclavia und der V. jugularis interna
gebildet
Beginn des
Brustmilchganges
(Cisterna chyli)
Abwehrzellen und Abwehrorgane · Kapitel 8 · Immunologie 327

zuführendes Abb. 8·2.


(afferentes)
Lymphgefäß
Schnitt durch einen Lymphknoten
mit mehreren zuführenden und einem
abführenden Lymphgefäß.
Das abführende Gefäß tritt am Hilum aus.
Lymphfollikel
ln den Lymphgefäßen befinden sich
Marksinus
Lymphklappen zur Regelung der
Flussrichtung der Lymphe.
Kapsel
ln den Lymphfollikeln befinden sich
B· Lymphozyten und in der Zone direkt
unterhalb der Lymphfollikel (parakortikale
Bindegewebs-
balken Zone) T-Lymphozyten
(Trabekel)
abführendes (efferentes) Lymphgefäß

Zwischen den einzelnen Trabekeln liegt lymphatisches Gewebe, das der Neu-
bildung von Lymphozyten dient- der sog. Lymphopoese - und an Abwehrmecha-
nismen beteiligt ist. Das lymphatische Gewebe gliedert sich in Rinde und Mark.
Zwischen der Rinde und der Bindegewebekapsel des Lymphknotens befmdet
sich der Randsinus, ein unregelmäßig geformtes Leitungssystem, das die Lymphe
aus den Vasa afferentia aufnimmt und über verschiedene Intermediärsinus und
Marksinus schließlich in das Vas efferens mündet. Im Rindenbereich der Lymph-
knoten liegen die Rinden.knötchen, die sog. Lymphfollikel; das sind Anhäufungen
von Lymphozyten (s. unten). Die Sinus der Lymphknoten sind mit endothelarti- Sinus Bucht
gen ZeUen ausgekleidet, den sog. Uferzellen. Diese gehören dem monozytären
Phagozytensystem (MPS) an und sind zu einer ausgeprägten Phagozytose be-
fäh igt (s. Abb. 8-2). In den Sinus selbst fmden sich v. a. Leukozyten (Granulozyten,
Monozyten, Lymphozyten).

Aufgaben der Lymphknoten Aufgaben von Lymphknoten


Die Lymphknoten haben 2 Hauptaufgaben: • Filtration der Lymphe
• Filtration der Lymphe und • Bildung neuer Lymphozyten
• Bildung neuer Lymphozyten.

Bei der Filtration wird die Lymphe von Fremdkörpern wie Krankheitserregern
oder partikulären Verunreinigungen über Phagozytose gereinigt, z. B. Rußparti-
keln aus der Lunge.
Lymphknoten, die ihren Lymphzufluss aus bestimmten Organen oder Kör-
perregionen erhalten, werden als regionäre Lymphknoten bezeichnet. Ihre regionär eine Körperregion betreffend,
Schwellung oder Verhärtung (dadurch werden sie häufig unter der Haut tastbar) auf diese beschränkt
lässt meist auf deren Aktivität im Rahmen pathologischer Veränderungen schlie-
ßen, z. B. bei Entzündungen, selten Krebsgeschwulste.
328

8.1.3 Lymphfollikel

Lymphfollikel: Ansammlung Außer dem Thymus (s. Abschn. 8.1.6) besitzen alle lymphatischen Geweben
von Lymphozyten Lymphfollikel. Häufig können einzelne oder mehrere Follikel auch in anderen
Geweben vorkommen, z.B. im Magen-Darm-Trakt, der im Rahmen der Abwehr
eine spezielle Aufgabe hat.
Ein Lymphfollikel besteht aus einer größeren Ansammlung von Lympho-
zyten, die in einem Grundgerüst aus retikulären Zellen liegen. Meist besitzen
Lymphfollikel einen dunklen Wall, der durch Anhäufung von Lymphozyten, mit
stark farbenden Kernen und nur wenig Zytoplasma, hervorgerufen wird. Dieser
Wall umgibt ein helles Zentrum - das sog. Reaktionszentrum -,in dem nur weni-
ge Lymphozyten liegen.
• Primärfollikel: Follikel ohne Follikel mit einem Reaktionszentrum werden als Sekundärfollikel bezeich-
Reaktionszentrum net. Die Zentren können neu entstehen und wieder verschwinden. Sie fehlen bei
• Sekundärfollikel: Follikel mit Feten und Neugeborenen sowie bei steril aufgezogenen Tieren. Follikel ohne Re-
Reaktionszentrum aktionszentren nennt man PrimärfollikeL Nach Kontakt mit Reizen, die eine Ab-
wehrreaktion auslösen, bilden sich in diesen Primärfollikeln ebenfalls Reaktions-
zentren, woraus man schließt, dass diese Reaktionszentren eine Folge des Ab-
wehrprozesses sind.

8.1.4 Milz (Lien, Splen)

Lage und Bau der Milz


Die Milz befindet sich auf der linken Körperseite im hinteren, oberen Bauchraum
unter dem Zwerchfell in Höhe der 9.-11. Rippe. Sie wiegt ca. 150 g. Die Milz ist von
intraperitoneal einer Kapsel umgeben, die ihrerseits von Peritoneum (Bauchfell) überzogen ist.
(innerhalb des Bauchfellraumes gelegen Damit ist die Milz ein intraperitoneal gelegenes Organ (Abb. 8-3).
Analog zu anderen Organen bezeichnet man bei der Milz den Ort, an dem die
Gefäße ein- und austreten, als Gefäßpforte (Hilum). Das Hilum und ein Teil des

Abb.8·3.
Lage der Milz in der linken Oberbauch-
region. Die Achse der Milz verläuft parallel
zur 10. Rippe

Milz

Umschlagfalte des
Brustfells
(Pleura parietalls)
Abwehrzellen und Abwehrorgane · Kapitel S· Immunologie 329

großen Netzes (Omentum majus) bilden eine lockere Befestigung der Milz. So ent-
steht eine große Verschieblichkeit, die bei der z. T. variablen Größe der Milz nötig
ist. Unter normalen Bedingungen hat die Milz die Größe einer geschlossenen
Faust, bei Erkrankung kann sie jedoch auf ca. die doppelte Größe anschwellen.

Milzparenchym
Das Parenchym der Milz (Organgewebe) besteht aus roter und weißer Pulpa. Milzparenchym
Schneidet man eine frische Milz auf, so erkennt man unter der Bindegewebekap- • Weiße Pulpa: lym phatisches Gewebe
sel ein weiches rotes Gewebe (rote Pulpa), das von einer großen Anzahl von eben und Lym phfolli kel
noch sichtbaren Punkten (weiße Pulpa) durchsetzt ist. • Rote Pulpa: Hohlraumsystem aus
• Die weiße Pulpa besteht aus lymphatischem Gewebe, das um die arteriellen Pulpasträngen und Sinus
Gefäße in Form von Scheiden angeordnet ist, sowie aus einer Vielzahl von
Lymphfollikeln, die über die ganze Milz verstreut sind.
• Die rote Pulpa stellt ein Hohlraumsystem dar, das sich aus schwammartig an-
geordneten Pulpasträngen und großen Sinus (Bluträumen) zusammensetzt.

Obwohl nur die weiße Pulpa zum lymphatischen Gewebe gerechnet wird, ist die
Milz das Organ mit der größten Ansammlung von lymphatischem Gewebe. Sie
enthält etwa genauso viellymphatisches Gewebe, wie in allen Lymphknoten
vorhanden ist. Im Gegensatz zu den Lymphknoten ist die Milz allerdings nicht in
die Lymphbahn, sondern in den Blutkreislauf eingeschaltet.

Die Milzkapsel ist ca. 0,1 mm dick und besteht, wie andere Organkapseln, aus ei-
nem straffen geflechtartigen Bindegewebe. Vom Hilum aus ziehen kräftige Bin-
degewebefaserzüge (Trabekel) in die Tiefe des Organs. Innerhalb dieser Trabekel
laufen Arterien und Venen, die sich wie die Trabekel stark verzweigen und dabei
immer dünner werden. Es sind Äste der A. und V. splenica. Von der Kapsel strah-
len ebenfalls kleine Trabekel in die Tiefe des Organs, die allerdings gefäßlos sind.

Milzstroma
Die Gesamtheit der Trabekel bilden das Stroma der Milz; die rote und weiße • Stroma de r Milz: Gesamtheit
Pulpa das Parenchym. In den Maschen des Stromagerüstes liegt das Parenchym. derTrabekel
Nachdem die Arterien sich in den verzweigten Trabekeln mehrfach aufgegabelt • Parenchym der Milz: rote und weiße
haben, treten sie aus den Trabekeln in die Pulpa ein. Hier werden sie - als Scheide Pulpa
- von lymphoretikulärem Gewebe umgeben. Auf ihrer Endstrecke verlaufen die
Arterien durch Lymphfollikel hindurch. Nach dem Durchgang durch die Lymph- • Stroma Bindegewebe eines Organs
follikel fließt das Blut in erweiterten venösen Räumen, den Milzsinus. Das sind • Parenchym organspezifisches Gewebe
weite Röhren, deren Wände von Retikulumzellen ausgekleidet sind, die den Ufer- eines Organs
zellen der Lymphknoten ähneln. Durch die Sinus kommt es zu einer Verlang-
samung der Strombahn. Aus den Sinus fließt das Blut in die Milzvenen, die eben- Milzsinus
falls, wie die Arterien, in den Trabekeln verlaufen; schließlich gelangt es über die buchtenartige Gefäßräume der Milz
V. splenica in die V. portae (Abb. 8-4).
Die Retikulumzellen kleiden die Sinuswände nicht geschlossen aus. So kön-
nen die Blutzellen aus den Sinus in das lockere Maschenwerk des Milzretikulums
austreten und von dort wieder zurück in den Blutkreislauf gelangen.
Das Milzretikulum bildet einen Blutschwamm (rote Pulpa), der vorüberge-
hend Erythrozyten aufnehmen und - falls nötig - sie bei entsprechendem Alter
(ca.120 Tage) abbauen kann. Das Hämoglobin der abgebauten Erythrozyten wird Hämoglobin Blutfarbstoff
330

Abb.S-4. Hülsenkapillaren Milzkapsel


Schnitt durch die Milz. Die Lymphfollikel
und die Gefäßscheiden stellen die weiße Milzsinus
(venöse
- -t.- rote Pulpa
Lymphfolllkel
Pulpa dar, die Milzsinus (sind nur in der Blutkammem)
oberen Hälfte eingezeichnet) und das blut-
gefüllte Maschenwerk des Milzgrund-
gerüsts stellen die rote Pulpa dar. Hülsen- weiße Pulpa

kapillaren sind spezifische Milzblutgefäße

Grundgewebe aus Bindegewebsbalken mit Gefäßen


retikulärem Bindegewebe (Trabekel)

Biliverdin, Bilirubin von den Retikulumzellen der Milzpulpa zunächst in Biliverdin und dann weiter in
Abbauprodukte des Hämoglobins Bilirubin umgewandelt. Bilirubin gelangt mit dem Blut der V. portae (Pfortader)
in die Leber und wird dort von den Leberzellen in die Gallenkapillaren ausge-
schieden.
Der offene Kreislauf der Milz birgt bei Der offene Kreislauf der Milz ist einmalig im Körper. Im Falle einer Verlet-
Verletzungen die Gefahr der inneren zung, z. B. nach einem Stich oder bei einem Milzriss nach einer stumpfen Einwir-
Verblutung kung, besteht jedoch die Gefahr einer nicht stillbaren und daher tödlichen Blu-
tung in die Bauchhöhle; deshalb muss die Milz dann meist entfernt werden (Sple-
nektomie). Dies ist jedoch möglich, da die Milz nicht lebensnotwendig ist. Ihre
Aufgaben können von anderen lymphatischen Organen übernommen werden.

Hauptaufgaben der Milz:


• Teilnahme an Abwehrreaktionen durch die Lymphfollikel,
• Phagozytose (Auflösung und Unschädlichmachung) von Fremdmaterial durch
die Zellen des monozytären Phagozytensystem (MPS),
• Abbau von überalterten Erythrozyten (Lebensdauer ca. 120 Tage).

8.1.5 Mandeln (Tonsillen)

Mandeln = lympheepitheliale Organe Der Rachenraum besteht aus 3 Etagen (s. Kap. 9, Atmungsapparat) . In der oberen
und mittleren Etage befmden sich als lymphatische Organe die Mandeln, deren
Tonsillen (Mandeln des Rachenringes) Bezeichnung alle von der Gaumenmandel (Tonsilla palatina) abgeleitet sind.
• Gaumenmandel: Tonsilla palatina In den Mandeln liegen Lymphfollikel, wie sie zahlreich im gesamten Verdau-
• Zungenmandel: Tonsilla Iinguaiis ungstrakt zu finden sind. Die Lymphfollikel der Mandeln stehen meist in enger
• Rachenmandel: Tonsilla pharyngealis Beziehung zu den Epithelien (oberste Zellschicht/Deckgewebe), die innere Ober-
• Tubenmandel: Tonsilla tubaria flächen auskleiden. Sehr oft unterwandern sie sogar diese Epithelien, weshalb
man die Mandeln als lymphoepitheliale Organe bezeichnet.
Unterwandern Lymphozyten das Epithel, sog. Lymphozyten-Infiltration, wird
dieses teilweise aufgelöst, sodass >>physiologische Wunden << entstehen. Diese
Wunden können z. B. Bakterien als Angriffsort dienen, was an diesen Stellen so-
fort entsprechende Abwehrmechanismen aktiviert.
Zu den Mandeln zählen 4 verschiedene Ansammlungen von lymphatischen
Gewebe im Rachenraum (Abb. 8-s).
Abwehrzellen und Abwehrorgane · Kapitel 8 · Immunologie 331

Abb. 8-5.
Medianschnitt durch die untere
Kopfregion. Die Mandeln des
lymphatischen Rachenrings,
Rachenmandel Rachenmandel, Gaumenmandel,
(Tonsilla pharyngealis)
Zungenmandel und Tubenmandel.
• f'f:;-t'\- Tubenmandel sind eingezeichnet. Die Tubenmandel
(Tonsilla tubaria)
befindet sich am Rand des Eingangs
in die Ohrtrompete (Tuba auditiva)

:.;:::._-tt-~~i-- Zungenmandel
(Tonsille Iinguaiis)

Gaumenmandel (Tonsilla palatina}


Die Gaumenmandelliegt als paariges Organ links und rechts zwischen den bei-
den Gaumenbögen und ist von einer bindegewebigen Kapsel umgeben. Bei einer Tonsillektomie
Tonsillektomie wird sie aus dieser herausgelöst. Mandelentfernung

Zungenmandel (Tonsilla Iinguaiis} Zungenbälge


Die Tonsilla Iingualis ist ein unpaares Organ und besteht aus einer Vielzahl von wulstige Erhebungen am Zungengrund,
sog. Zungenbälgen, die sich am Zungengrund hinter dem V-linguae (s. Ab- hervorgerufen durch unterliegendes
sehn. 10.2.1, Zunge, sowie Abb. 10-3) befinden. lymphatisches Gewebe

Rachenmandel (Tonsilla pharyngealis)


Die Rachenmandelliegt am Rachendach hinter den Nasengängen (Pars nasalis
pharyngis; s. Abschn. 9.4.3) und ist ebenfalls ein unpaares Organ. v. a. bei Kindern
kann sie sehr groß werden und verlegt dann den Atemweg durch die Nase, was als
Polypen bezeichnet wird. Diese können operativ entfernt werden; bis zum Er- Polyp
wachsenenalter bilden sie sich aber oft zurück. gestielte Schleimhautwucherung

Tubenmandel (Tonsilla tubaria}


Bei der Tonsilla tubaria handelt es sich um lymphatisches Gewebe an der Öffnung
der linken und rechten Tuba auditiva (Ohrtrompete); sie ist paarig angelegt.
Neben diesen 4 Tonsillen befindet sich in der seitlichen Rachenwand häufig
noch zusätzliches lymphatisches Gewebe: der Seitenstrang.

8.1.6 Thymus (Bries)


Mediastinum
Der Thymus gehört ebenfalls zu den lymphoepithelialen Organen, da er sich Mittelfellraum (Raum in der Mitte
während der Entwicklung aus dem Epithel der 3. und 4· Schlundtasche bildet. Er des Brustkorbes hinter dem Brustbein
liegt im Mediastinum, über dem Herzbeutel und direkt unterhalb des Sternums zwischen den beiden Lungenflügeln)
332

(Brustbein). Der Thymus ist während der Kindheit am größten; mit der Pubertät
beginnt er sich zurückzubilden. Beim Erwachsenen ist nur noch ein Fettkörper
(retrosternaler Fettkörper) mit sehr wenig Thymusgewebe vorhanden. Den
Vorgang dieser Organrückbildung bezeichnet man als Involution. Es gibt eine
normale Altersinvolution und eine durch Krankheit bedingte Involution, z. B. bei
Kindern irrfolge schwerer auszehrender Krankheiten.
• Rinde des Thymus: zahlreiche Der kindliche Thymus zeigt einen Läppchenbau, dessen Grundgerüst aus ei-
Lymphozyten ohne Lymphfollikel nem lockeren lymphoepithelialen Zellverband besteht. Man unterscheidet beim
• Mark des Thymus: lymphoepitheliale Thymus in jedem Läppchen eine Rinde vom Mark (Abb. 8-6a). In der Rinde sind
Zellen und Hassalkörperchen zahlreiche Lymphozyten eingelagert, im Mark überwiegen die lymphoepithelia-
len Zellen des Grundgerüstes. Die Lymphozyten des Thymus bilden im Unter-
schied zu anderen lymphatischen Organen keine Lymphfollikel (weder primäre
noch sekundäre).
In der Markzone lagern sich häufig Retikulumzellen zwiebelschalenföonig
umeinander, wobei die Zellen im Inneren zugrundegehen (Abb. 8-6b). Diese
Strukturen nennt man Hassaii-Körperchen. Die Bedeutung der Hassall-Körper-
ehen ist noch nicht eindeutig geklärt. Man fasst sie teilweise als Reaktionszentren
auf. Bis zur Pubertät nimmt die Zahl der Hassall-Körperehen auf ca. 1,5 Mio. zu;
sie reduziert sich bis zum Erwachsenenalter auf ca. o,s Mio und sinkt im Grei-
senalter auf ungefähr so.ooo. Zu diesem Zeitpunkt i.st nur noch wenig Thymus-
gewebe im Fettkörper vorhanden (Abb. 8-6c). Schwere Krankheiten führen zu ei-
ner Reduktion der Hassall-Körperchen, entzündliche Prozesse hingegen führen
zu einer starken Erhöhung.

Bei Kindern reifen im Thymus die T-Lymphozyten und durchlaufen verschiedene


Stadien der Oberflächenantigenbildung. Sie werden damit zu immunkompeten-
ten Zellen. Eine Entfernung des Thymus vor dieser Reifung führt zu schweren
Immundefekten oder zum Tode.

Rinde Mark FeHgewebe Hassall-Körperehen


Abb. 8-6a-c.
I
Schnitte durch den Thymus.
a Kindlicher Thymus, mit voll entwickelter
Rinde und deutlichem Mark.
b Hassall-Körperehen aus dem Markbe-
reich in starker Vergrößerung. Die Hassall-
Körperehen bestehen aus zwiebelschalen-
artig umeinander gelagerte Retikulum-
zellen.
c Thymus eines Erwachsenen. Die Rinde
ist du rch Rückbildung (Involution) zurück-
gebildet und durch Fettgewebe ersetzt
worden a b c
Abwehrzellen und Abwehrorgane · KapitelS · Immunologie 333

8.1.7 Granulozyten und Monozyten

Die Gruppe der weißen Blutkörperchen besteht aus Granulozyten, Monozyten • Neutrophile und eosinophile

und Lymphozyten (s. Abschn. 6.3 für weitere Details). An der unspezifischen Ab- Granulozyten: unspezifische Abwehr
wehr sind die neutrophilen und die eosinophilen Granulozyten als Mikrophagen • Monozyten: unspezifische und
beteiligt. Bei den Monozyten sind es v. a. deren Abkömmlinge, die sich in den ver- spezifische Abwehr
schiedenen Geweben zu Makrophagen und Histiozyten differenzieren. Sie sind
sowohl an der spezifischen als auch an der unspezifischen Abwehr beteiligt. Als • Mikrophagen Zellen, die nur kleine
Träger der spezifischen Abwehr werden die ebenfalls zu den Leukozyten gehör- Partikel phagozytieren können
enden Lymphozyten im folgenden Abschnitt gesondert erläutert. • Makrophagen Zellen, die große
Partikel phagozytieren können und eine
8.1.8 Lymphozyten hohe Phagozytoserate haben

Für die spezifische Abwehr sind die Lymphozyten verantwortlich. Es werden Hauptarten der Lymphozyten

2 verschiedene Arten von Lymphozyten unterschieden: B-Lymphozyten und • B-Lymphozyten


I-Lymphozyten. Beide Lymphozytenarten entstehen während der Entwicklung • T-Lymphozyten
aus einer gemeinsamen Stammzelle. Sie werden allerdings an unterschiedlichen
Orten für ihre weitere Aufgabe geprägt. Immunologische Prägung:
Die T-Lymphozyten erhalten ihre immunologische Prägung im Thymus (des- • T-Lymphozyten im Thymus
halb »T«). Als lympathische Stammzellen wandern sie in den Thymus ein und • B-Lymphozyten im Knochenmark
reifen dort zu T-Lymphozyten,die nach dieser Prägung in verschiedene lympha-
tische Organe auswandern können, um dort ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Die 8-Lymphozyten erhalten beim Menschen ihre immunologische Prägung
im Knochenmark. Bei Vögeln wurden B-Lymphozyten genauer untersucht. Hier
erhalten sie ihre Prägung in der Bursa fabricii, einem Organ, das dem Menschen
fehlt; jedoch bei der Namensgebung (deshalb >>B«) der Lymphozyten Pate stand.

T-Lymphozyten
Durch ihre Prägung im Thymus sind die I-Lymphozyten mit Oberflächenrezep- Oberflächenrezeptoren der T-Lympho·
toren ausgestattet, die für ihre spezifische Funktion wichtig sind. Aufgrund die- zyten ermöglichen die Bindung von
ser Oberflächenrezeptoren sind sie in der Lage, Antigene (s. Abschn. 8.2.3) direkt Antigenen
an ihre Oberfläche zu binden. Bis zur Rückbildung des Thymus sind genügend I-
Lymphozyten gebildet und geprägt worden. Sie wandern in andere lymphatische T-Lymphozyten
Organe aus, deren Besiedelung mit Lymphozyten dementsprechend aus beiden • werden im Thymus »geprägt«
Lymphozytenarten (B und T) besteht. • "pendeln« zwischen Blut
I-Lymphozyten sind meist in Bewegung. Sie pendeln zwischen den lympha- und lymphatischen Organen
tischen Organen, die sie nach der Auswanderung aus dem Thymus besiedeln,
und dem Blut hin und her. Ihre Verweildauer im Blut ist meist nur sehr kurz
(ca.1 Stunde).
Der Thymus ist beim Erwachsenen weitgehend zurückgebildet; seine Aufga-
be übernimmt die Haut. Intensive Sonnenbestrahlung führt zu einem ungünsti-
geren Verlauf von Infektionskrankheiten, da dabei die Stimulierung der I-Lym-
phozyten gehemmt wird.
Entfernt man bei Tieren den Thymus (Thymektomie) vor dem Zeitpunkt, zu
dem die Thymuszellen im Thymus ihre Prägung erfahren, kommt es zu einem
verlangsamten Wachstum und einem allgemein schlechten Gesundheitszustand.
Dies führt bei den meisten Tieren zum Tode. Werden die thymektomierten Tiere
jedoch schwanger, verbessert sich ihr Gesundheitszustand bis zur Geburt und
334

verschlechtert sich danach wieder. Dies kann offensichtlich darauf zurückge-


führt werden, dass der Thymus der heranreifenden Feten die Funktion des feh-
lenden mütterlichen Thymus übernehmen kann.

Einteilung der T-Lymphozyten


Die I-Lymphozyten sind eine funktionell uneinheitliche Zellgruppe, die sich in
mehrere weitere Zelltypen unterteilen lässt.

T-Zellen

T-Effektorzellen T-Regulatorzellen

T-Lymphozyten T-Helferzellen
ZytotoxischeT-Zellen T-Suppressorzellen
Natürliche Killerzellen

T-Effektorzellen
Die Effektorzellen umfassen die eigentlichen I-Lymphozyten sowie einige Unter-
gruppen.
Eine Untergruppe der Effektorzellen sind die zytotoxischen T-Zellen, die das
• Zytotoxische T-Zellen: bilden Perfarin Protein Perforin bilden. Mit Hilfe von Perforin können sie Membranen von körper-
und können so körperfremde Zelle zer- fremden Zellen perforieren, sodass diese »angebohrten« Zellen zugrunde gehen.
stören Eine weitere Art von zytotoxischen Zellen sind die natürlichen Killerzellen
• Killerzellen: Zytotoxische Zellen, (natural killer cells); relativ große, mit Granula versehene Lymphozyten, die kör-
die körpereigene infizierte Zellen pereigene infizierte Zellen oder Tumorzellen zerstören können.
oder Tumorzellen zerstören können
• T-Helferzellen: stimulieren Vermehrung T-Regulatorzellen
von B-Lymphozyten und lösen ihre Zu den T-Regulatorzellen gehören die T-Helferzellen, die die B-Lymphozyten zur
Differenzierung in Plasmazellen aus Vermehrung stimulieren und ihre Differenzierung in Plasmazellen (s. S. 339) aus-
lösen. Dies kann direkt oder indirekt erfolgen: Direkt erfolgt der Kontakt von
Zelle zu Zelle; indirekt wirken die T-Helferzellen über die Abgabe von Signalstof-
fen - sog. Zytokine - ,die speziell als lnterleukine (IL1, IL2 etc. ) bezeichnet wer-
Interleukin den. Besonders das Interleukin 2 (IL2) beeinflusst das Wachstum der B-Zellen.
Signalstoffe des Immunsystems Die T-Suppressorzellen nehmen Einfluss auf die T-Helferzellen, indem sie ih-
re Aktivität hemmen. Dazu müssen sie allerdings selbst zunächst von den T-Hel-
T-Suppressorzellen wirken auf die ferzellen aktiviert worden sein. Damit entsteht ein Regelkreis, in dem sich die Ak-
T-Helferzellen, indem sie ihre Aktivität tivitäten der beiden Zelltypen selbst regulieren.
hemmen
8-Lymphozyten
B-Lymphozyten lassen sich morphologisch nicht von I-Lymphozyten unter-
scheiden; jedoch anhand ihres Vorkommens und ihren Eigenschaften, wie in Ta-
belle 8-2 aufgeführt.
lmmunoblasten: durch Immunkontakt Als Teil einer Antwort auf Kontakt mit Antigenen (s. Abschn. 8.2.3) wandeln
aktivierte B-Lymphozyten, aus denen sich B-Lymphozyten in Immunoblasten um, aus denen Plasmazellen hervorge-
Plasmazellen hervorgehen hen (Abb. 8-7). Die Plasmazellen bilden Antikörper, durch die Antigene gebun-
Plasmazellen: verantwortlich für die den und damit meist unschädlich gemacht werden.
Bildung von Antikörpern
Abwehrzellen und Abwehrorgane · Kapitel 8 · Immunologie
335
Tabelle 8-2 Unterscheidung derB- und T-Lymphozyten nach ihrem Vorkommen und ihren
Eigenschaften

B-Lymphozyten T-Lymphozyten

Vorkommen Rindengebiete der Gefäßscheiden in der Milz


Lymphknoten Lymphfollikel
(Reaktionszentren)
Direkt unterhalb der Rinde
der Lymphknoten
(parakortikale Zone)

Eigenschaft Ortsgebundene Zellen Meist in Bewegung befindli-


che Zellen (wandern aus
dem Thymus in andere
Organe)

Gedächtniszellen
B- und T-Lymphozyten können nach Kontakt mit einem Antigen aktiviert wer-
den (s. S. 337) und spezifische Reaktionen durchlaufen. Eine der möglichen Reak-
tionen ist die Bildung von Gedächtniszellen; diese nehmen selbst nicht an den
Abwehrreaktionen teil, sind jedoch bei einem späteren wiederholten Kontakt in
der Lage, durch Umwandlung in Abwehrzellen relativ rasch zu reagieren.

raues endoplasmatisches
Abb. S-7.
Retikulum (RER)
Plasmazelle mit stark aktivem Synthese-
apparat (raues endoplasmatisches Reti-
kulum und Golgi-Apparat). Die Plasma-
zellen entwickeln sich aus B-Lymphozyten.
Eine Verwandtschaft mit diesen ist auf-
grund der Morphologie der Plasmazelle
nur schwer nachvollziehbar
336

8.2 Abwehrmechanismen

Bestandteile der unspezifischen 8.2.1 Unspezifisch humorale Abwehr


humoralen Abwehr
• Komplementsystem Die unspezifisch humorale Abwehr bedient sich einiger Substanzen, die entwe-
• Lysozym der im Blut ständig zirkulieren oder aber aus geschädigten phagozytierenden
• Interferon Zellen freigesetzt werden.
• Akute-Phase-Proteine
Komplementsystem
humoral auf dem Flüssigkeitswege Besonders wichtig für die unspezifisch humorale Abwehr sind die Faktoren des
(Humor, Iatein .: Flüssigkeit) Komplementsystems. Hierbei handelt es sich um ca. 20 verschiedene Glykopro-
teine (Verbindungen aus einem Eiweißbestandteil und einem Kohlenhydratan-
Kaskade teil), die kaskadenartig auf 2 Arten aktiviert werden können:
hintereinander geschaltete Wasserfälle • 1. Klassische Kaskade: Sie wird durch Antigen-Antikörper-Komplexe in Gang
(der jeweils vorhergehende fließt in den gesetzt.
nächsten) • 2. Alternative Kaskade: Sie wird durch Bakterien, Viren, Pilze und Protozoen,
die über das Properdinsystem wirken, in Gang gesetzt.

Abwehrreaktionen des Nach Aktivierung des Komplementsystems kommt es zu folgenden Abwehrreak-


Komplementsystems tionen:
• Stimulierung von Abwehrzellen, • Zellen mit Abwehrfunktionen werden stimuliert, z. B. Makrophagen.
z. B. Makrophagen • Phagozytose wird eingeleitet durch Opsonisierung (s. unten), und die Makro-
• Einleitung von Phagozytose • phagenkooperation (s. unten) wird in Gang gesetzt.
• Auflösung von fremden Organismen • Fremde Organismen werden aufgelöst (Bakterien, Protozoen etc.).
• Auflösung von Antigen-Antikörper- • Antigen-Antikörper-Komplexe (Immunkomplexe) werden aufgelöst.
Komplexen
Lysozym
Gramfärbung Lysozym ist ein Enzym, das beim Zerfall von phagozytierenden Zellen freigesetzt
Basis einer Unterscheidungsmethode wird. Es ist in der Lage, die Wände von grampositiven Bakterien zu schädigen,
mittels Anfärbung zwischen grampositi- sodass die Bakterien auslaufen und zugrunde gehen. Lysozym kommt v. a. im
ven (z. B. Staphylokokken, Streptokokken) Bronchialschleim und in der Tränenflüssigkeit vor.
und gramnegativen Bakterien (z. B. Koli-
bakterien, Salmonellen) Interferon
Interferon ist ein Glykoprotein, das von verschiedenen Zellen als Folge einer
Interferon Wechselwirkung mit Viren gebildet werden kann. Es kann die Vermehrung von
• wirkt antiviral Viren verhindern. Diesen Effekt nennt man antiviraL Interferon wirkt dabei un-
• aktiviert zytotoxische T-Zellen spezifisch auf die meisten RNA- und DNA-Viren. Dies ist meist der erste in Gang
• hemmt Vermehrung von Tumorzellen gesetzte Wirkmechanismus bei einer Virusinfektion. Daneben kann Interferon
zytotoxische T-Zellen aktivieren und die Vermehrung von Tumorzellen hemmen.
antiviral gegen Viren gerichtet
Akute-Phase-Proteine
Akute-Phase-Proteine Nach Gewebeschädigung oder während einer Entzündungsreaktion treten im
• bewirken Opsonierung von Mikro- Körper eine Reihe von Proteinen auf, die als »Akute-Phase-Proteine<< bezeichnet
• organismen für die Phagozytose werden. Ein sehr wichtiges Protein dieser Reihe ist das CRP (Calcium-reaktives
Protein). Die Haupteigenschaft dieses Proteins ist seine (von Kalzium abhängige)
Fähigkeit, sich an Mikroorganismen zu binden, wodurch die klassische Kaskade
Opsonisierung des Komplementsystems in Gang gesetzt wird. Als Folge davon wird die Ober-
Vorbereitung einer Mahlzeit fläche des Mikroorganismus mit einem Faktor des Komplementsystems überzo-
gen und so für die Phagozytose durch Phagozyten vorbereitet, bzw. opsonisiert.
8.2.2 Unspezifisch zelluläre Abwehr

Die unspezifisch zelluläre Abwehr beruht auf der Phagozytosetätigkeit verschie-


dener Leukozyten.

Abwehrvorgang
Bakterientoxine, Zerfallsprodukte körpereigener Zellen oder Stoffe, die von kör-
perfremden Zellen abgegeben werden, locken phagozytoseaktive Zellen an. Die-
sen Vorgang nennt man Chemotaxis. Die phagozytierenden Zellen umfließen mit
ihrem Zytoplasma das aufzunehmende Partikel (Bakterium, Virus etc.) und neh- Chemotaxis
men es von Zellmembranbestandteilen umhüllt ins Zytoplasma auf. von chem. Substanzen ausgehender Reiz,
Im Zytoplasma werden dann in dieses Phagolysosom Enzyme abgegeben der z. B. Einzeller oder bewegliche Zellen
und das Partikel verdaut. Wo dies nicht möglich ist, bleiben Restkörper vorhan- anzieht oder abstößt
den oder werden z. T. wieder ausgestoßen.
Phagolysosomen
8.2.3 Spezifisch humorale Abwehr nach Phagozytose entstandene
Lysosomen, in die weitere verdauende
Begriffe der Immunologie Enzyme abgegeben werden können
Häufig genügen die Mechanismen der unspezifischen Abwehr, die als erster
Schutzwall eingeschaltet werden, nicht, um eine durch Krankheitserreger hervor- Lysosom
gerufene Entzündung unter Kontrolle zu bringen. Deshalb muss der Körper spe- Organellen, die mit verdauenden
zifische Abwehrmechanismen einsetzen. Bei diesen spezifischen Abwehrmecha- Enzymen ausgerüstet sind und der
nismen spielen die Lymphozyten die zentrale Rolle, sowohl bei der zellulären wie intrazellulären Verdauung dienen
bei der humoralen Komponente. Um die Abläufe der spezifischen Abwehr besser
verstehen zu können, müssen zunächst einige Begriffe erklärt werden.

Ein Immunogen ist eine Substanz, die bei Kontakt mit immunkompetenten Zel-
len in der Lage ist, an diesen Zellen eine Immunreaktion auszulösen. Im Bereich
der Lipide, Proteine und Kohlenhydrate sind das Moleküle, die eine relative Mo-
lekülmasse von über 10.ooo haben. Strukturen, die eine kleinere relative Mole-
külmasse haben, können selbständig keine Immunantwort auslösen. Sie müssen
dazu an ein größeres Molekül gebunden sein, z. B. an ein Plasmaprotein. Diese
kleinen Moleküle, die alleine keine Immunreaktion auslösen können, heißen
. Antigene können also nur unter gewissen Bedingungen eine Immunreak-
tion auslösen, während Immunogene dies immer bewirken.
Außer der Größe eines Immunagens (durch die relative Molekülmasse be-
dingt), muss für die Auslösung einer Immunreaktion noch eine zweite Voraus-
setzung erfüllt sein: Es muss eine besondere chemische Gruppierung verschiede-
ner Atome vorhanden sein; eine sog. 11 c~l s

bezeichnet. Dies ist die Grundlage für das Erkennen von »fremd<< und >>eigen<<,
ohne die der Körper Immunreaktionen gegen sich selbst auslösen würde.

Durch den Kontakt mit Immunogenen werden verschiedene Immunantworten


hervorgerufen. Eine davon ist die Produktion von spezifischen Proteinen, die
eine dem Antigen genau komplementäre (ergänzende) Gruppe von Molekülen
(Paratop) besitzen. Diese Moleküle heißen Antikörper und sind Proteine aus der y-Giobuline
Gruppe der y-Giobuline (y =Gamma). Proteingruppe im Blutplasma
338

Antikörper sind in der Lage, mit antigenen Determinanten im Sinne des


Schlüssel-Schloss-Prinzips zu reagieren. Sie sind somit streng spezifisch jeweils
für eine einzelne antigene Determinante programmiert, mit der sie reagieren
können, um einen Antigen-Antikörper-Komplex bzw. Imm un komplex zu bilden.
Antigen-Antikörper-Komplexe sind entweder unschädlich oder können leicht
phagozytiert werden.

Monoklonale Antikörper
Normalerweise tragen Immunogene immer mehrere antigene Determinanten,
Klon sodass nach einem Kontakt mit einem Immunogen meist verschiedene Antikör-
genetisch einheitliche per gegen dieses Immunogen gebildet werden. Die verschiedenen Antikörper
Nachkommengruppe, durch werden jeweils von einem Klon (von der gleichen Mutterzelle abstammende
ungeschlechtliche Vermehrung Tochterzellen) gebildet. Man nennt dies polyklonale Immunantwort
entstanden Vor einigen Jahren ist es gelungen, einzelne isolierte B-Lymphozyten mit Tu-
morzellen zu fusionieren (vereinigen) . Die daraus entstandenen Zellen haben die
• polyklonal von verschiedenen Möglichkeit, Antikörper zu bilden und gleichzeitig di e Fähigkeit der permanen -
Zellklonen abstammend ten Zellteilung. Alle aus ihnen hervorgehenden Zellen haben die gleiche Infor-
• monoklonal von einem Zellklon ab- mation, z. B. die Information, einen einzigen Antikörper zu bilden. Es handelt
stammend sich bei diesen Zellen um einen Klon. Somit produzieren die geklonten Zellen in
Zellkultur ständig einen einzigen spezifischen Antikörper. Man nennt diese Anti -
körper monoklonal.

Haupt-Histokompatibilitäts-Komplex und Zelloberflächen rezeptoren


der Leukozyten
Haupt-Histokompatibilitäts-Komplex Bei Transplantationsversuchen wurde festgestellt, dass sich auf Zelloberflächen
• Gewebsantigene zur Erkennu ng Gewebsantigene befinden. Diese Gewebsantigene wurden zunächst bei Leuko-
von fremd und eigen zyten näher beschrieben und deshalb humane Leukozyten Antigene HLA) ge-
• Hilfsmoleküle bei der nannt. Heute bezeichnet man sie als Haupt-Histokompatibilitäts-Komplex-Mole-
Antigenpräsentation küle oder >>major histocompatibility complex« (M CH). Diese zellständigen Anti-
• 2 Arten: MHCI und MHCII gene sind auf der einen Seite die Grundlage für die Erkennung von fremd und
eigen. Auf der anderen Seite sind sie Hilfsmoleküle, die bei der Antigenpräsenta-
tion (s. unten) eine wichtige Rolle spielen.
Es werden 2 Haupthistokompatibilitäts-Moleküle unterschieden: MHCI und
MHCII. Die MHC-Moleküle werden durch eine spezifische Region auf dem
Chromosom 6 kodiert. Diese Genregion hat den Namen des Haupt-Histokompa-
tibilitäts-Komplexes erhalten. In den Genen dieser Region liegt die Information
für die Produktion der MHC-Moleküle.
MHCI-Moleküle finden sich auf der Oberfläche fast aller kernhaltigen
menschlichen Zellen; MHCII-Moleküle hingegen auf B-Lymphozyten und akti-
vierten T-Lymphozyten, nicht hingegen auf ruhenden T-Lymphozyten.
Oberfl ächenmoleküle Neben dem MHCI- und MHCII-Oberflächenmolekülen gibt es auf den Ober-
• MHCI·Oberflächenmoleküle flächen der Zellen des Immunsystems eine große Zahl von spezifischen Mo-
• MHCII-Oberflächenmoleküle lekülen, die - gemäß einer internationalen übereinkunft - in das System der
• CD (•duster of differentiation•) »duster of differentiation« (CD, Differenzierungsgruppe) eingeteilt werden. Die-
als Rezeptoren für Antigene se Oberflächenmoleküle dienen u. a. als Rezeptoren fü r Antigene. In diesem CD -
System, in dem bis heute schon über So verschieden e Oberflächenmoleküle klas-
sifiziert sind, stellen z. B. CD4 den Rezeptor für das MHCII-Molekül und CD, den
Rezeptor für das MHCI-Molekül dar. Die T-Helferzellen tragen CD4 an ihrer
Oberfläche, die zytotoxischen T-Zellen CD8.
T-Lymphozyten benötigen die Hilfe von anderen Zellen, um Antigene zu erken-
nen. Diese sog. antigenpräsentierenden Zellen nehmen Antigene auf und bauen
sie in einer unschädlichen Form, gebunden an die Haupt-Histokompatibilitäts-
Moleküle, in ihre Membranen ein. In dieser Form werden sie den T-Lymphozyten
präsentiert, die daraufhin mit einer Immunantwort reagieren können, d. h. sie
können sich in die T-Effektorzellen umwandeln. Körperfremde Antigene werden
von den antigenpräsentierenden Zellen aufgenommen, in kurze Bestandteile ab-
gebaut und dann gemeinsam mit dem MHC-Komplex an der Zelloberfläche prä-
sentiert.
Zu den antigenpräsentierenden Zellen für körperfremde (exogene) Antigene
gehören v. a. die , aber auch B-Lymphozyten. Wegen der Beteili-
gung von Makrophagen an der Antigenpräsentation wurde dies früher als Ma-
krophagenkooperation bezeichnet.
Neben den körperfremden Antigenen können allerdings auch körpereigene
(endogene) Antigene von praktisch allen Körperzellen präsentiert werden. Dies
geschieht v. a. bei pathologisch veränderten Zellen, z. B. Tumorzellen, deren
Oberflächenmarker im - durch die Krankheit - veränderten Zustand von den
immunkompetenten Zellen als >>fremd<< betrachtet werden. Damit sind diese ver-
änderten körpereigenen Antigene in der Lage, zytotoxische T-Zellen anzulocken,
die in der Folge die entarteten Zellen zerstören.

Verschiedene Zellen des Immunsystems können Signalstoffe produzieren, die auf


andere Zellen wirken und diese in ihrer Abwehraufgabe stärken.
Sie werden im Immunsystem als Lymphokine bezeichnet. Demgegenüber ist
die Bezeichnung Zytokine auch auf solche Substanzen zutreffend, die nicht di-
rekt im Zusammenhang mit dem Immunsystem stehen. Zu den Lymphokinen
werden v. a. die verschiedenen Arten der Interleukirre (IL) gerechnet:
(IL-1) ist z. B. an der Vermehrung bereits aktivierter Lymphozyten
(B und T) sowie an der Ausbildung von Fieber beteiligt.
(IL-2) stimuliert das Wachstum von aktivierten Lymphozyten
(Bund T).
(IL-3) fördert die Neubildung von B-und T-Lymphozyten.

Plasmazellen und Gedächtniszellen


Treffen ein B-Lymphozyt und ein Immunogen zum 1. Mal zusammen, wandelt
sich der B-Lymphozyt in einen um. Aus diesem gehen an-
schließend durch mitotische Teilung 2 verschiedene Zellarten hervor:
sind die eigentlichen Produzenten der Antikörper, die jeweils ge-
gen ein Antigen gebildet werden. Bei jedem Kontakt mit neuen bzw. anderen
Antigenen werden jeweils spezifische Antikörper gegen diese gebildet; d. h. bei
jedem Kontakt mit einem neuen Antigen entstehen Immunoblasten, die wie-
derum zu Gedächtniszellen und Plasmazellen werden. Besonderes Kennzei-
chen der Plasmazellen ist ein stark ausgebildeter Syntheseapparat in Form von
Golgi-Apparat (s. Abb. 8-7) und rauem endoplasmatischem Retikulum
(s. Kap. 2, Zytologie). Rein rechnerisch ist die Plasmazelle in der Lage, mit
ihrem Syntheseapparat bis zu 2.ooo identische Antikörper pro Sekunde zu
produzieren.
340

• Gedächtniszellen können noch nach Jahren ein Antigen wieder erkennen,


wenn der Körper diesem erneut ausgesetzt ist. Diese Wiederbegegnung verläuft
dann anders als die Erstbegegnung: Beim wiederholten Kontakt mit einem
fmmunogen kann sehr schnell von einer Stammzelle eine größere Anzahl von
identischen Plasmazellen gebildet werden, von denen jede die gleiche Informa-
tion für die Bildung der entsprechenden Antikörper besitzt (Klon).

Antikörper
5 Immunglobuline Durch die sog. Immunelektrophorese (s. Abschn. 6.9.2) können insgesamt 5 ver-
• lgG: Prototyp der Immunglobuline schiedene Klassen von Antikörpern unterschieden werden. Die Antikörper wer-
• lgA: Abwehrvorgänge an den als Immunglobuline bezeichnet, die Abkürzung lautet lg.
Schleimhäuten; Vorkommen in Tränen, • Das lgG kann als Prototyp der Immunglobuline betrachtet werden (Abb. 8-8).
Speichel, Muttermilch Es ist symmetrisch gebaut und besteht aus 4 Proteinketten (2 leichten und
• lgM: tritt als erstes lg bei einer 2 schweren). Die Bindungsstelle für das Antigen sitzt auf der Seite der Amino-
Immunisierung auf gruppe (NH, ). Hier befmdet sich eine sog. »variable Domäne« des Antikörpers.
• lgD: Oberflächenrezeptor bei der Diese ist genau komplementär zum Antigen, gegen das der Antikörper gebildet
Reifung von Lymphozyten worden ist. Hier passt das Epitop des Antigens entsprechend dem Schlüssel-
• lgE: tritt bei Parasitenbefall auf Schloss-Prinzip genau hinein. Diese Zone wird Paratop genannt. Das Paratop
des Antikörpers passt nicht nur genau auf das Epitop des Antigens; es ist sogar
• Paratop: Zone, in die das Epitop des spezifisch für dieses Epitop gebaut. Je nach Antigen muss also der Körper in der
Antigens nach dem Schlüssel-Schloss- Lage sein, eine riesige Zahl von spezifischen Antikörpern mit sehr verschiede-
Prinzip passt nen Bindungsstellen (Paratopen) in der variablen Domäne des Antikörpers zu
• Epitop: antigene Determinante; Teil des bilden. Durch den symmetrischen Bau des Antikörpers hat dieser 2 Antigen-
Antigens, der die Unterscheidung bindungsstellen:
zwischen fremd und eigen ermöglicht Sie sitzen auf dem Teil des Antikörpers, den man als Fab-Teil (Fragment, das
Antigen bindet) bezeichnet. Dem Fab-Teil steht der Fe-Teil (»crystallizing frag-
ment«; Fragment, das kristallisiert) gegenüber. Der Fe-Teil ist z. B. verantwort-

Abb.S-8.
Stark schematisierte Zeichnung eines
zellständigen Antikörpers. Die Zelle und
der Antikörper sind nicht maßstabs- leichte Kene
gerecht gezeichnet (der Antikörper ist
zur Verdeutlichung überdimensioniert).
Die variable Region am Fab-Teil (»frag- Fab·Teil

ment antigen binding«) besitzt Bindungs-


stellen, die jeweils ganz spezifisch für le-
diglich ein bestimmtes Antigen aufgebaut
sind. Am Fe-Teil (ofragment crystallizing«)
sitzt der Bindungsort für den Rezeptor an durch die Komplement·
bindung wird die
der Zellmembran und der Bindungsort für Komplementkaskade
gestartet
das Komplement. Bindung des Komple- Zellmembran
ments an den Fe-Teil führt zu r Auslösung
der Komplementkaskade
Abwehrmechanismen · KapitelS · Immunologie 341

lieh für die Passage von Antikörpern durch die Plazenta, wodurch das neuge-
borene Kind bereits geschützt ist. Daneben setzt der Fe-Teil die Komplement-
kaskade (s. Absch. 8.2.1) in Gang.
• lgA ist auf die Abwehrvorgänge an Schleimhautoberflächen spezialisiert und Sekretantikörper
wird dementsprechend als Sekretantikörper bezeichnet. Es kommt in der Trä- Antikörper der über
nenflüssigkeit, im Speichel und in der Muttermilch vor. Schleimhautoberflächen sezerniert wird
• lgM ist der größte der 5 Antikörper und tritt bei einer Immunisierung immer zu-
erst auf. Während IgG gebildet wird, nimmt die Konzentration von IgM rasch ab.
• lgD spielt als Oberflächenrezeptor bei der Reifung von B-Lymphozyten eine
Rolle.
• lgE tritt bei Parasitenbefall auf, z. B. bei Wurmerkrankungen. Außerdem ist IgE
an Allergieerscheinungen (s. Abschn. 8.3) beteiligt.

Die 5 Immunglobulinklassen unterscheiden sich durch weitere Eigenschaften:


durch ihre relative Molekülmasse, ihre Lebensdauer, ihr Vorkommen sowie ihre
Bakterien- und Virushemmung etc.

Antigen-Antikörper-Reaktion
Antikörper können mit den spezifischen antigenen Determinanten, gegen die sie lmmunkomplexe: Verbindungen von
gebildet wurden, reagieren. Dadurch entstehen Antigen-Antikörper-Komplexe Antigen mit körpereigenen Antikörper,
(lmmunkomplexe). Durch diese Bindung an Antikörper verlieren Antigene meist die unschädlich sind
ihre schädigende Wirkung für den Organismus. Antigen-Antikörper-Komplexe
können präzipitieren (ausfallen), agglutinieren und lysiert (aufgelöst) werden. • Agglutination Verklebung antigen-
tragender Teilchen
8.2.4 Spezifisch zelluläre Abwehr • Lysis hier: Auflösung von Zellen
oder Bakterien
T-Lymphozyten sind für die spezifischen zellulären Abwehrmechanismen ver-
antwortlich (s. Tabelle 8-1). Sie besitzen an ihrer Oberfläche Strukturen, die den Spezifisch zelluläre Abwehr:
komplementären Gruppen (Paratop) auf den Antikörpern entsprechen. Die Bi!- • T-Lymphozyten
dungdieser Moleküle wird ebenfalls erst durch den Kontakt mit lmmunogenen
bewirkt; die Information für ihre Bildung wird dann von einer Zelle auf die an-
dere, d. h. die Tochterzelle, weitergegeben. lmmunogen
Wie bei den B-Lymphozyten bildet sich nach einem Erstkontakt mit einem Molekül, das eine Immunreaktion auslösen
Immunogen ein T-Lymphozyt, der einen Klon von T-Lymphozyten (in diesem kann
Fall T-Effektorzellen) hervorbringt, die alle an ihrer Oberfläche eine dem Anti-
gen komplementäre Gruppe besitzen.
Einige der neugebildeten Tochterzellen stellen langlebige Gedächtniszellen
dar. Diese Zellen haben ebenso wie die Gedächtniszellen der B-Lymphozytenpo-
pulation die Eigenschaft, bei erneutem Kontakt mit dem gleichen Antigen schnell
und u. U. heftig zu reagieren. Sie haben »gelernt«, sich mit einem bestimmten
Antigen zu verbinden, das auf diese Weise unschädlich gemacht wird. Besonders
stimulierend für die Aktivierung der T-Lymphozyten ist die Antigenpräsentation
durch Makrophagen.
Für eine optimale Immunantwort ist meist die Zusammenarbeit zwischen T-
und B-Lymphozyten nötig. So sind einerseits z. B. die T-Helferzellendafür verant-
wortlich, die B-Lymphozyten zu einer raschen Antikörperproduktion zu stimu-
lieren. Andererseits wird durch die T-Suppressorzellen die Antikörperproduk-
tion gehemmt. Offensichtlich wird für eine optimale Immunantwort die richtige
342

Abb.S-9.
Knochenmark
Schema der zellulären und humoralen IL-3

spezifischen Abwehrreaktionen. /L- 1, JL-2


Stammzellen
und IL-3 steht jeweils für die verschie-
denen lnterleukinarten, die von den Zellen
r-----1/
produziert werden, um die aufgeführten
Reaktionen auszulösen. So ist Interleukin 1
Thymus I
{/L- 7) an der Antigenpräsentation beteiligt,
die im Zentrum der Zeichnung aufgeführt
ist. Eine Bursa fabricii existiert beim
Menschen nicht, man nimmt deshalb an,
• •n•••••••••~••~•• ••• •••n•••,,\

dass das Knochenmark die Aufgabe der


Prägung von B-Lymphozyten übernimmt

T-lmmuno· B-lmmuno·
blast blast

sensL ilsierte /
T·Lymphozylen

Zellen

'---IL_·2---- ~1~Ji ::::IL=-2==~


ll-3 Lymphokine IL-3

AntikOrper
zelluläre Immunhai humorale lmmunilat

Konzentration von Antikörpern bei einer gegebenen Menge von Antigenen be-
nötigt. Sind mehr Antikörper vorhanden als gebraucht werden, um einen
Immunkomplex zu bilden, läuft die Reaktion ebenfalls schlecht ab. Somit wird al-
so die optimale Menge von Antikörpern durch die Einwirkung von I -Zellen re-
guliert Deshalb werden diese beiden Zellarten auch T-Regulatorzellen genannt
(Abb. 8-9). Welche der beiden Lymphozytenarten nach Antigenkontakt an der
Immunantwort beteiligt ist, hängt von den chemischen und physikalischen
Eigenschaften des Antigens ab. Bei der Transplantatabstoßung (s. S. 345) und bei
der Tumorabwehr sind es v. a. die I-Lymphozyten, die aktiv werden.
Überempfindlichkeitsreaktionen · Kapitel 8 · Immunologie 343

8.3 Überempfindlichkeitsreaktionen

Allergie
Der Begriff >>Allergie<< bezeichnet eine veränderte Reaktionslage des Körpers ge- Überempfindlichkeitsreaktionen
genüber bestimmten Antigenen, die als Allergene bezeichnet werden. Dies kann • Anaphylaktische Reaktion
eine fehlende, eine abgeschwächte oder eine verstärkte Reaktion sein. Trotz die- (allergische Reaktion Typ I)
ser ursprünglichen Definition des Wortes Allergie hat sich der Gebrauch im Sin- • Zytotoxische Reaktion
ne einer Überempfindlichkeitsreaktion durchgesetzt. Man unterscheidet 4 Arten (allergische Reaktion Typ II)
von Überempfindlichkeitsreaktionen. • Immunkomplexreaktion
(allergische Reaktion Typ II I)
Anaphylaktische Reaktion (allergische Reaktion Typ 1), • Reaktion vom verzögerten Typ
Überempfindlichkeitsreaktion vom Soforttyp (allergische Reilktion Typ IV)
Ein 1. Kontakt mit einem Antigen verläuft in einer Antigen-Antikörper-Reaktion,
die ohne äußerlich feststellbare Symptome abläuft. Ein 2. und jeder weitere Kon- Allergen
takt führt ebenfalls zu einer stummen Reaktion, bei der das Antigen unschädlich Allergie auslösender Stoff
gemacht wird.
In einigen FäHen kann es bei einer 2. und jeder weiteren Reaktion zu einer Allergische Reaktion
Überempfindlichkeitsreaktion kommen, d. h. zu einer allergischen Reaktion . Der • Sensibilisierung: Erstkontakt mit einem
Erstkontakt mit einem Allergen wird als Sensibilisierung bezeichnet. Bei einer Allergen und Bildung von lgE
derartigen Sensibilisierung werden v. a. Immunglobuline vom Typ IgE gebildet. • lgE binden sich an Oberflächen
Diese Antikörper setzen sich auf die Oberfläche von Mastzellen fest. Mastzellen von Mastzellen
enthalten in ihren Granula Histamin, Seroton in und Heparin. Die IgE-Antikörper • Bei erneutem Antigen-Kontakt
binden sich an die Mastzellen mit dem Fe-Teil, sodass die Antigenbindungsstel- Degranulation durch Milstzellen
len am Fab-Teil noch frei sind. Bei einem nächsten Kontakt mit dem Antigen bin- und Ausschütten von Histamin,
det sich dieses an den Fab-Teil. Das führt zu einer Veränderung der Membranei- Serotonin und Heparin
genschaften der Mastzellen. • Ausbildunq von Sekundärreaktionen
Diese schütten ihre Granula aus; diesen Vorgang bezeichnet man als Degra-
nulation . Dadurch werden die gefäßaktiven Wirkstoffe Histamin, Serotonin und Perme<Jbilität Durchlässigkeit
Heparin freigesetzt, die innerhalb kürzester Zeit zu starken Sekundärreaktionen
führen: v. a. Gefäßerweiterung und Steigerung der Gefäßpermeabilität. Als Folge Ödem Ansammlung von extrazellulärer
bilden sich Ödeme und Urtikaria. Diese anaphylaktische Reaktion ist häufig ört- Flüssigkeit
lich begrenzt, z. B. bei Heuschnupfen, Asthma bronchiale etc. Tritt sie jedoch ge-
neralisiert, d. h. im gesamten Körper auf, kann es zu lebensbedrohenden Reak- Urtikaria Nesselsucht
tionen kommen.
Die Erweiterung der Blutgefäße im gesamten Körper führt zu Blutdruckabfall
und Kreislaufkollaps; zudem kommt es zu Krämpfen der Bronchialmuskulatur.
Beides führt - ohne ärztliche Hilfe - zum Tod beim anaphylaktischen Schock.
Auslöser eines anaphylaktischen Schocks können Medikamentenunverträglich-
keit (z. B. Penizillin) oder ein Bienen-/Wespenstich sein. Die Heftigkeit der ana-
phylaktischen Reaktion steigert sich von Mal zu Mal, kann jedoch bereits beim 2.
Mal zum anaphylaktischen Schock führen (Abb. 8-wa-c).
Es besteht bis heute noch keine Klarheit darüber, warum gewisse Personen al-
lergisch reagieren und andere nicht. Man nimmt jedoch an, dass die T-Suppres-
sorzellen eine wesentliche Rolle dabei spielen. Sie sind in der Lage, die Produk-
tion von IgE zu supprimieren (zu unterdrücken) oder auf einem niedrigen
Niveau zu halten. Führen T-Suppressorzellen diese Aufgabe nicht optimal durch,
wird zu viel IgE produziert, und es kommt zur Freisetzung von Histamin durch
die Mastzellen. Was allerdings der Grund für diese Fehlfunktion im Einzelfall
sein könnte, ist nicht bekannt.
344

Abb. 8-1Oa-c.
Darstellung des Ablaufs von der Bildung
einer Plasmazelle (a), die Antikörper Antigen wird an die
Oberfläche von
produziert, über die Bindung der Anti- B-Lymphozyten
Plasmazelle gebunden und ver-
körper auf der Mastzellenoberfläche (b), anlaßt deren
bis zur Freisetzung von Histamin und Umwandlung in
Plasmazellen
Heparin aus Mastzellen (c). Der wichtige
'
Schritt dabei ist die Überbrückung der '
4-.V~ Antikörpersekretion
Antikörperbindungsstellen auf der Mast-
~~
zelle durch die Antigene. Dadurch kommt
'
he,~....
(. . .
es zu einer Histamin- und Heparinfrei-
setzung und einer anschließenden aller-
gischen Reaktion -~·.
~..-.\) .

:ee ••';'·::•
-:·:·~ Antikörper werden

········,···:·
....f\~·:··'·.
von Mastzellen
I ••• .... gebunden

~;:···

Freiset2ung von
Histamin und
Heparin

Zytotoxische Reaktion (allergische Reaktion Typ II)


Zytotoxische Reaktion: hervorgerufen Diese Art der allergischen Reaktion wird durch Bindung von IgG und IgM an
durch Bindung von lgG und lgM zellständige Antigene ausgelöst. Ein typischer Vertreter dieser Reaktion ist die
an Antigene Unverträglichkeitsreaktion bei der Transfusion von Blut einer falschen Blutgrup-
pe. Auch Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) vom Typ I dürfte auf zytotoxische
Reaktionen zurückzuführen sein.

Immunkomplexreaktion (allergische Reaktion Typ 111)


lmmunkomplexreaktion: hervorgerufen Dies sind Reaktionen, die durch Antigen-Antikörper-Komplexe (Immunkomplexe)
durch Antigen-Antikörper-Komplexe ausgelöst werden. Hierbei sind die Immunkomplexe selbst die Auslöser der Krank-
heitserscheinungen. Je nachdem, welcher Teil (Antigen oder Antikörper) bei dieser
Reaktion überwiegt, kommt es zu einer lokalen oder generalisierten Wirkung.
• überwiegen Antikörper, kommt es an der Eintrittsstelle der Antigene zu einer
lokalen Reaktion. Dies können Lungenerkrankungen sein, wie z. B. die Farmer-
lunge oder die Vogelzüchterlunge. Bei der Farmerlunge kommt es durch den
wiederholten Kontakt mit verschimmeltem Heu, bei der Vogelzüchterlunge
durch wiederholten Kontakt mit Exkrementen von Tauben und Hühnern zu
einer Überempfindlichkeitsreaktion in der Lunge.
Überempfindlichkeitsreaktionen · Kapitel 8 · Immunologie 345

• überwiegen Antigene, sodass nicht genügend Antikörper vorhanden sind, um


sie gleich an der Eintrittsstelle in den Körper abzufangen, kommt es zu einer
generalisierten Überempfindlichkeitsreaktion. In Organen mit starker Durch-
blutung werden die Immunkomplexe in der Gefäßwand eingelagert Daraus
können Entzündungen in den Gefäßwänden entstehen. In der Niere kann es
z. B. zu einer Glomerulonephritis kommen; eine Erkrankung der Nierenkör-
perehen (Glomeruli).

Desensibilisierung
Um eine allergische Reaktion zu vermeiden, gibt es 2 Möglichkeiten:
• 1. die Allergenkarenz und
• 2 . die Desensibilisierung.

Allergenkarenz bedeutet völlige Vermeidung von Kontakten mit dem entspre- Lebensmittelunverträglichkeit:
chenden Allergen. Das ist häufig leichter gesagt als getan, da viele Allergene in Keine echte Allergie, sondern
allen Lebensbereichen vorkommen. Bei einigen Allergien ist die Allergenkarenz Überempfindlichkeit gegenüber
durchaus realisierbar, z. B. bei Fisch- und Schalentierallergien. Bereits bei einer Stoffwechselprodukten
Milchallergie ist es schwieriger, denn viele Nahrungsmittel werden aus Milch
oder Milchprodukten hergestellt Bei einer Glutenallergie ist es noch wesentlich Karenz
schwieriger, da in vielen Lebensmitteln Getreidestärke enthalten ist. Bei verschie- Ausschaltung, hier: sich von etwas fern
denen Lebensmittelallergien (z. B. der Allergie auf Milchprodukte) ist das Ab- halten
wehrsystem gar nicht beteiligt, da es sich lediglich um das Fehlen eines Enzyms
handelt.
Bei der Milchallergie fehlt z. B. Laktase, sodass Milchzucker nicht richtig ab- Laktase
gebaut werden kann. Dies wiederum führt zur Diarrhö (Durchfall). Da es sich Enzym zum Abbau von Milchzucker
hierbei nicht um echte Allergien handelt, werden diese Krankheiten als Lebens-
mittelunverträglichkeiten bezeichnet. Milcheiweiß kann allerdings zu echten
Allergien führen, diese sind jedoch sehr selten.
Bei der Desensibilisierung wird das Allergen in zunächst geringen, dann aber Desensibilisieren
steigenden Dosen unter die Haut appliziert, um neben IgE auch IgG gegen das unempfindlich machen
Allergen zu induzieren. IgG reagiert nicht mit den Mastzellen, sondern ist in der
Lage, die Allergene abzufangen, bevor sie mit den IgE-Molekülen auf der Mast-
zellmembran reagieren können. Gleichzeitig werden bei der Desensibilisierung
noch zusätzliche T-Suppressorzellen gebildet, die die IgE-Produktion regulieren.

Reaktionen vom verzögerten Typ {allergische Reaktion Typ IV)


Die Reaktionen vom verzögerten Typ werden als Spätreaktionen bezeichnet, da Spätreaktionen: Reaktionen
sie im Unterschied zu den allergischen Reaktionen vom Typ 1-III frühestens vom verzögerten Typ
einen Tag nach Allergenkontakt ihren Höhepunkt erreichen. Die Typ-IV-Reak-
tionen werden durch sensibilisierte T-Zellen hervorgerufen. Es scheinen ver-
schiedene T-Zellen beteiligt zu sein.

Akute TransplantatabstoßunQ
Die akute Transplantatabstoßung ist der Prototyp der Typ-IV-Reaktionen. Diese
Art der Überempfindlichkeitsreaktion gewinnt mit der Zunahme von Transplan-
tationen zunehmend an Bedeutung. Nach einer Organtransplantation werden die
transplantierten Organe um so intensiver und schneller abgestoßen, je weniger
346

Determinante die Gewebsantigene des Empfängers denjenigen des Spenders entsprechen. Als
antigene Determinante: Epitop, d. h. der Gewebsantigenebezeichnet man die an fast allen Zellen des Körpers vorhande-
Teil eines Antigens der die Erkennung nen, in den Zellmembranen sitzenden antigenen Determinanten.
zwischen fremd und eigen ermöglicht Die bekanntesten antigenen Determinanten dieser Art sitzen auf den roten
Blutkörperchen und bilden die Grundlage der verschiedenen Blutgruppen (aber
auch die Grundlage für die zytotoxische Reaktion). Allgemein bezeichnet man
die Gewebsantigene als HLA (>>human leukocyte antigen<<, menschliches Leuko-
zytenantigen, s. MHC Abschn. 8.2.3).
MHC-System Das MHC-System hat so zahlreiche verschiedene Bausteine, dass deren Kom-
System der Haupthistokompatibilitäts- bination Tausende individueller >>Antigenmosaike« liefert. Daher ist es so schwer,
moleküle einen Organspender zu finden, dessen MHC-System mit dem des Empfängers
identisch ist. Deshalb muss bei Transplantationen eine möglichst weitgehende
Übereinstimmung genügen und die T-Zellreaktionen mit Medikamenten unter-
drückt werden, durch eine sog. Immunsuppression. Dies geschieht heute - trotz
verschiedener Nebenwirkungen- relativ erfolgreich, z. B. mit Ciclosporin A (von
niederen Pilzen gewonnene Substanz; s. Abschn. 8.5, lmmuntoleranz).

Kontaktallergien der Haut


Kontaktallergien können besonders nach wiederholten Kontakten mit Chroma-
ten, Messing, Kupfer, Nickelsalzen, Haarfärbemitteln, Desinfektionsmitteln etc.
auftreten. Einige dieser allergenen Substanzen gehören zu den Metallen, sodass
man auch von Metallallergien redet. Bei besonders empfindlichen Personen kann
das so weit gehen, dass sie nicht einmal Goldschmuck tragen können. Im Gold,
das zu Schmuck verarbeitet wird (18 Karat), sind erhebliche Mengen unedler
Metalle enthalten, durch die es zum einen härter wird und mit deren Hilfe zum
anderen Farbtöne erzeugt werden können, die in reinem Gold nicht vorkommen.

Überempfindlichkeitsreaktion gegenüber Tuberkulin


Mantoux-Probe: Test Reaktion gegenüber Die Reaktion gegenüber Tuberkulin (Bestandteil der Zellwand von Tuberkulose-
Tuberkulin bakterien), das bei der Mantoux-Probeintrakutan verabreicht wird, gehört eben-
falls zum verzögerten Typ. Dabei kommt es bei einer Person, die gegen Tuberku-
lose immun ist, zu einer geröteten Hautverdickung an der lnjektionsstelle. Zeigt
sich 24-48 h nach Injektion keine Reaktion, liegt im Allgemeinen keine Immuni-
tät gegen Tuberkulose vor.

8.4 Immunität

Immunität bezeichnet die Fähigkeit des Körpers,, ein Antigen (z_ B. Rötelnviren)
unschädlich zu machen, ohne dass dabei eine krankhafte Reaktion auftritt.

Kinderkrankheiten führen zur Immunität, Der Körper ist dann gegen dieses Antigen immun. Bei Kinderkrankheiten be-
z. B. Mumps, Röteln, Windpocken, Masern, steht zeitlebens eine Immunität gegen eine Wiedererkrankung, weil der immun-
Keuchhusten etc. ologische Schutz, der während der Erkrankung im Kindesalter aufgebaut wurde,
so lange anhält, dass man bei wiederhohem Kontakt mit dem Antigen nicht noch
einmal erkranken kann. Dies ist z. B. der Fall bei Mumps, Röteln, Windpocken,
Masern, Keuchhusten etc.
Wesentlich für die Immunisierung sind die Gedächtniszellen, die bei einem er-
Immunglobuline Antikörper neuten Kontakt sofort mit der Produktion von Immunglobulinen beginnen können.
Da Immunität durch das Vorhandensein von Antikörpern vermittelt wird,
kann man die entsprechenden Antikörper auch von außen zuführen. Diesen
Vorgang nennt man oder passive Impfung. Dabei wird
die y-Globulinfraktion aus dem Blut eines immunisierten Individuums isoliert
und einem nicht immunisierten Individuum verabreicht, das damit vorüberge-
hend ebenfalls immun ist. Allerdings werden diese Antikörper, die sich in der
y-Globulinfraktion befinden, in einigen Tagen bis Wochen wieder abgebaut, so-
dass man mit der passiven Immunisierung keinen bleibenden Schutz erhält.
Diese Immunisierung eignet sich v. a. bei kurzfristig geplanten Reisen in Gebiete,
in denen gewisse Krankheiten endemisch sind (nur dort begrenzt vorkommen)
und damit die Zeit für eine aktive Immunisierung zu kurz und die Gefahr einer
Ansteckung vorhanden ist.
Bei der oder Impfung werden dem Körper unschäd-
lich gemachte Antigene oder die antigenen Determinanten von Erregern zuge-
führt. Es handelt sich dabei um abgeschwächte oder tote Erreger, deren antigene
Determinanten noch intakt sind. So bildet der Körper Immunglobuline gegen die
Erreger, ohne der Gefahr einer Infektion ausgesetzt zu sein. Bei einem effektiv
stattfindenden Kontakt mit den lebenden Erregern ist der Körper dann mit Anti-
körpern und den dazugehörigen Gedächtniszellen ausgestattet. Ein lebenslanger
Schutz ist leider nicht bei allen Erregern möglich, da die zirkulierenden Antikör-
per abgebaut werden. Offensichtlich verschwinden die Gedächtniszellen nach
und nach, oder es werden von Anfang an zu wenige gebildet. Deshalb müssen
manche Impfungen nach Ablauf einiger Monate bis Jahre wiederholt werden
(z. B. Polio-, Tetanusimpfung).

8.5 Immuntoleranz

Bildet der Körper nach Kontakt mit antigenen Determinanten keine Antikörper,
liegt eine Immuntoleranz vor. Dies kann u. U. erwünscht sein, z. B. bei Organ-
transplantationen.
Ist die Verträglichkeit des implantierten Gewebes nicht gewährleistet, muss
das Immunsystem gezielt unterdrückt oder ausgeschaltet werden. Diesen Vor- alkylierende Substanz
gang nennt man Immunsuppression kann durch Ciclospo- Substanzen die eine Alkylgruppe ein-
rin A, alkylierende Substanzen, Glukokortikoide, Antimetaboliten und ionisie- führen, hier: Zytostatika, d. h. Substanzen,
rende Strahlung erreicht werden. die die Zellteilung unterbinden
Der Körper zeigt seinen eigenen Geweben gegenüber eine natürliche Immun-
toleranz. Diese ist auf eine Antigenerkennung in der Embryonalzeit (Zeit der Antimetaboliten
Frühentwicklung bis zum Ende der 8. Woche) zurückzuführen. Alle körpereige- Substanzen die zytostatisch wirken, indem
nen Gewebe, die zu diesem frühen Zeitpunkt der Entwicklung im Körper vor- sie körpereigene Moleküle im
handen sind, werden als eigen erkannt. Es können aber auch Erreger sein, die Stoffwechsel verdrängen (zytostatisch
dann zeitlebens nicht mehr als fremd erkannt werden und dementsprechend heißt, die Zellteilung hemmend)
nicht unschädlich gemacht werden können. Ein von der Natur durchgeführtes
Experiment zeigt die Wirkung dieser embryonalen Antigenerkennung sehr deut- ionisierende Strahlung
lich: Strahlen, die beim Durchtritt durch
Bei Kühen kommt es im Falle von 2-eiigen Zwillingen gelegentlich zu einem Substanzen zur Bildung von Ionen führen,
gemeinsamen plazentaren Blutkreislauf. Dabei tauschen die Zwillinge gegensei- z. B. radioaktive Strahlung
tig ihre Blutkörperchen aus. Nach der Geburt lassen sich dann alle Organe des
einen Kalbes ohne Probleme und ohne Abstoßungsreaktion auf das andere Kalb
348

transplantieren, da das transplantierte Gewebe au fgrund der embryonalen


Antigenerkennung als »eigen<< betrachtet wird. Bei 2-eiigen Kälbern, die keinen
gemeinsamen plazentaren Blutkreislauf aufweisen, würden die Transplantate
größtenteils abgestoßen werden.
Autoimmunkran kheit: Toleranzverlust Verliert der Körper die Toleranz seinem eigenem Gewebe gegenüber, wird
des Körpers gegenüber seinem eigenem dies als Autoimmunkrankheit bezeichnet. Autoimmunkrankheiten kommen mit
Gewebe zunehmendem Alter häufiger vor. Man rechnet zu den Autoimmunkrankheiten
z. B. die Hashimoto-Thyreoiditis (Schilddrüsenerkrankung) oder den Diabetes
mellitus vom Typ I (Zuckerkrankheit). Insgesamt sind bis heute ca. 6o verschie-
dene Autoimmunkrankheiten bekannt, z.B: Pemphigus, Lupus erythematodes,
Myasthenia gravis, rheumatoide Arthritis etc.. Über die Ursachen ist z. T. noch
sehr wenig bekannt.

8.6 Aids und HIV

Aids Aids - »acquired immune deficiency syndrome« - bezeichnet einen erworbenen


Erworbener Defekt des Immunsystems Defekt des Immunsystems, das durch das humane Immunodefizienzvirus (HIV)
durch HI-Virus ausgelöst wird. HIV bindet bevorzugt an Zellen des Typs CD4 (T-Helferzellen,
s. Abschn. 8.2.3), jedoch nicht an Zellen des Typs CD8 (zy totoxische T-Zellen).
Als Folge werden die CD4-Zellen (gelegentlich als T, -Zellen bezeichnet) zer-
stört. Eine stark verringerte Zahl von (04-Zellen, bei gleichzeitig unveränderter
Zahl von CD8-Zellen, ist dementsprechend meist ein deutliches Zeichen für eine
HIV-Infektion.
1981 war man wegen des vermehrten Auftretens einer sehr seltenen Krank-
heit, der Pneumocystis-carinii-Pneumonie , zuerst auf Aids aufmerksam gewor-
den, ohne jedoch zu wissen, worum es sich handelte. Heute ist bekannt, dass Aids
Retroviren durch ein Retrovirus übertragen wird. Der Infektionsweg ist ähnlich dem der He-
Viren, die für die Transkription eine patitis B. Das Vollbild der Krankheit Aids tritt Monate bis Jahre nach der Infek-
spezielle Form der Transkriptase besitzen tion auf. Die Einteilung der verschiedenen AIDS-Stadien hat im Laufe der Jahre
(reverse Transkriptase) variiert. Zur Zeit ist folgende von den Centers for Disease Control herausgegebe-
ne Einteilung gültig: A, B, C sowie die auf immunologischen Befunden beruhen-
de Einteilung 1, 2, 3 (Anzahl der CD4-Zellen).
Aids-Stadien: A, B, C sowie die auf immun- Im Stadium A sind die infizierten Personen Ausscheider, die Infektion ver-
ologischen Befunden beruhende läuft jedoch meist klinisch stumm. Die Milz und die Lymphknoten sind ver-
Einteilung 1, 2, 3 (Anzahl der C04-Zellen) größert. Diese Phase kann von wenigen Monaten bis zu 10 Jahren dauern.
Im Stadium B sind typische HIV-assoziierte Krankheiten vorhanden (ARC =
Candidiasis »aids related complex<<) wie Fieber, Durchfall, Nachtschweiß, verschiedene Karzi-
Pilzerkrankung, Befall mit z. B. Candida nome, Candidiasis etc.
albicans Im Stadium ( kommt es schließlich zum Vollbild Aids. Unter dem Vollbild
Aids versteht man schwer verlaufende, opportunistische Infektionen und/oder
Sarkom ein Kaposi-Sarkom in Verbindung mit immunologischen Veränderungen .
bösartiger metastasierender Tumor, Eine der Infektionen, die unter dem Vollbild Aids auftritt, ist die Pneumo-
der seinen Ursprung in mesenchymalen cystis-carinii-Pneumonie.
Geweben hat Während bei Gesunden die Anzahl von CD4-Lymphozyten rund 8oo-J200/!11
beträgt, ist sie im Stadium 1 bereits auf bis zu soo/11l zurückgegangen, im Sta-
Pneumocystis-carinii-Pneumonie dium 2 beträgt sie zwischen 200 und 499/111 und im Stadium 3 schließlich ist die
durch Protozoen (Sporozoen) hervor- CD4-Anzahl kleiner als 200/111.
gerufene Art der Lungenentzündung
Aids und HIV · Kapitel 8 · Immunologie 349

Die eigentliche Todesursache bei Aids ist nicht auf die direkte Wirkung der Nachweis des Erkrankungsstadium
Viren auf den menschlichen Körper zurückzuführen, sondern auf die sekun- bei Aids: Anzahl der CD4-Zellzahl
dären (opportunistischen) Infektionen, die aufgrundeiner Infektion auftreten.
Diese Infektionen werden u. a. durch das Fehlen von T-Helferzellen (CD4-Zellen)
ermöglicht.
Da Aids einen ähnlichen Infektionsweg wie die Hepatitis-B hat, ist die Mög-
lichkeit, sich davor zu schützen, relativ einfach. Die meisten Infektionen mit Aids
erfolgen durch unsaubere Spritzen bei Drogenabhängigen sowie durch unge-
schützten Geschlechtsverkehr mit Aids-/HIV-Infizierten. Die Ansteckungen von
Blutern und Transfusionsempfängern über infizierte Blutkonserven und Gerin-
nungsmittel, die es vor einigen Jahren noch gab, sind in der Zwischenzeit fast völ-
lig auszuschließen, da heute alle Blutkonserven auf Aids getestet werden.
Die Testmethoden der 3. Generation erlauben heute einen direkten Nachweis
des Erregers. Eine absolute Sicherheit ist bei den meist üblichen Nachweisen von
Antikörpern gegen das HI-Virus erst nach ca.12 Wochen möglich. Das ist immer
noch ein Problem bei Blutspenden, die vor diesem Zeitpunkt erfolgt sind.
350
8.7 Fragen und Zusammenfassung zur Immunologie

Nennen Sie die Abwehrzellen Primär lymphatische Organe sind Knochenmark und Thy-
und Abwehrorganel mus. Von hier aus werden die sekundär lymphatischen
Organe besiedelt: Milz, Lymphknoten, Tonsillen, Lymph-
follikel. Zu den Abwehrzellen werden die Granulozyten, die
Monozyten und insbesondere die Lymphozyten gerechnet.
Alle diese Zellen gehören zur Gruppe der Leukozyten.

Beschreiben Sie das Lymph- Das Lymphgefäßsyst em hat einen Anfang (blind beginnende
gefäßsystem vom Beginn Lymphkapillare n in fast allen Körperregionen ) und ein Ende
bis zur Mündung! (im Venenwinkel zwischen V. jugularis internaund V. subcla-
via; im Gegensatz zum Blutgefäßsystem, das in sich geschlos-
sen ist). Der Brustmilchgang (Ductus thoracicus), ein Haupt-
lymphgefäß, beginnt auf Höhe des 1. Lumbalwirbels mit der
Cisterna chyli und endet im linken VenenwinkeL Der rechte
Lymphgang (Ductus lymphaticus dexter) beginnt in der Hals-
region und mündet im rechten VenenwinkeL

Was sind Lymphknoten? Das sind in die Lymphgefäße eingeschaltete Filterstationen


der Lymphe. Sie dienen der Lymphozytenne ubildung.

Was sind Lymphfollikel? Mit Ausnahme des Thymus sind in allen lymphatischen Ge-
Wo befinden sie sich? weben Lymphfollikel vorhanden. Dies sind Ansammlungen
von Lymphozyten in einem retikulären Grundgerüst Als
primär werden sie vor dem Kontakt mit Krankheitserreg ern
und als sekundär, nach Kontakt mit Krankheitserreg ern ge-
nannt. Sekundäre LymphfoUikel besitzen ein Reaktions-
zentrum und einen LymphozytenwalL

Wie ist die Milz aufgebaut? Das Parenchym der Milz besteht aus roter und weißer Pulpa.
Die rote Pulpa setzt sich aus den Blutsinus und dem bluthalti-
gen retikulären Grundgerüst zusammen. Die weiße Pulpa be-
steht aus Lymphfollikeln (B-Lymphozyten ) und den lympha-
tischen Scheiden um die Blutgefäße (T-Lymphozyten ).
Die Milz ist in den Blutkreislauf eingeschaltet.

Welche Funktionen hat die Milz? Die Funktionen der Milz sind: Abwehrreaktion en durch Lym-
phozyten, Phagozytose von Fremdmaterial, Abbau von über-
alterten Erythrozyten (>12o d).

Wie heißen die verschiedenen Die 4 Tonsillen (Tonsilla palatina, Lingualis, pharyngealis und
Mandeln und welche Aufgabe tubaria) sind als lymphatischer Ring um den Rachen ange-
haben sie? ordnet. Dort durchwandern die Lymphozyten das bedecken-
de Epithel und bilden damit eine physiologische Wunde: hier
können die Lymphozyten sofort Kontakt mit eindringenden
Keimen aufnehmen.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 8 · Immunologie 351
Wie ist derThymus aufgebaut?
Welche Aufgabe hat er?
Der Thymus liegt über dem Herzbeutel im Mediastinum. Bei
Kindern hat er seine größte Ausdehnung. Im Alter wird er
durch Involution in einen Fettkörper zurückgebildet. Durch
Bindegewebe ist der Thymus in Läppchen gegliedert. Der
Thymus besteht aus Rinde und Mark. In der Rinde sind v. a.
T-Lymphozyten vorhanden, die hier ihre Prägung erhalten.
Im Mark tritt das retikuläre Grundgerüst deutlich in Erschei-
nung; hier kommen Hassall-Körperehen vor. Der Verlust des
Thymus vor Prägung der Lymphozyten führt unweigerlich
zum Tode.
Welche Zellart ist der Träger
der Abwehr? Die Abwehr wird von Leukozyten durchgeführt. Man unter-
scheidet: Lymphozyten (B und T), Monozyten (Stammzelle
der Makrophagen) und Granulozyten (Basophile und Mikro-
phagen: Neutrophile, Eosinophile).
Nennen Sie die verschiedenen
Es werden B-Lymphozyten und T-Lymphozyten unterschie-
Lymphozytenarten!
den. Die T-Lymphozyten lassen sich weiter unterteilen in:
• T-Effektorzellen
- Normale T-Lymphozyten,
- zytotoxische Zellen und
- natürliche Killerzellen.
• T-Regulatorzellen
- T-Helferzellen und
- T-Suppressorzellen.
B-und T-Lymphozyten können Gedächtniszellen bilden,
die bei einem wiederholten Antigenkontakt sehr rasch mit
Abwehrvorgängen reagieren können.

Welche Abwehrmechanismen Unspezifisch und spezifisch humoral sowie unspezifisch und


kennen Sie? Wie funktionieren sie? spezifisch zellulär.
Unspezifisch humorale Abwehr: Komplementsystem mit ca.
20 verschiedenen Glykoproteinen. Die klassische Kaskade der
Komplementaktivierung wird durch Immunkomplexe in
Gang gesetzt. Die alternative Kaskade geschieht über Bakte-
rien, Viren, Pilze etc., die das System aktivieren. Lysozym
kann grampositive Bakterien auflösen. Interferon wirkt anti-
viral. Die »Akute-Phase-Proteine« sind in der Lage, sich an
Mikroorganismen zu binden und können damit die klassi-
sche Kaskade des Komplementsystems in Gang sezten.
Daraus resultiert eine Opsonisierung der Mikroorganismen
und anschließende Phagozytose.
Unspezifisch zelluläre Abwehr: Mikrophagen und Makropha-
gen phagozytieren Fremdkörper; durch Chemotaxis finden
sie den Weg, durch Opsonisierung wird ihre Phagozytose-
bereitschaft erhöht.
352 Was sind lmmunogene?

Immunogene können an immunkompetenten Zellen eine Im-


munreaktion auslösen. Dafür ist die antigene Determinante
(Epitop) verantwortlich. Antigene mit einer relativen Mo-
lekülmasse kleiner als 1o.ooo müssen sich für die Auslösung
einer Immunreaktion zuerst an ein größeres Molekül bindeiL
Was sind Antikörper? Wie sind sie
eingeteilt? Wie sind sie aufgebaut? Antikörper werden als Teil der Immunantwort von Plasma-
zellen gebildet, die aus B-Lymphozyten über Immunoblasten
entstehen. Es gibt 5 verschiedene Klassen von Antikörpern
(Immunoglobuline, Ig). Dies sind: IgG, IgA, IgD, IgE, lgM. Ver-
bindungen von lmmunoglobulinen mit Antigenen bezeichnet
man als Antigen-Antikörper-Komplexe oder als Immunkom-
plexe. Ein Antikörper hat einen Fab-Teil und einen Fe-Teil.
Am Fab-Teil sitzen 2 Antigenbindungsstellen.
Beschreiben Sie den Haupt-
Histokompatibilitäts-Komplex Als Haupt-Histokompatibilitäts-Kornplex (MHC) bezeichnet
und die CD-Oberflächenmoleküle! man die auf praktisch allen Körperzellen vorkommenden Ge-
websantigene. Sie stellen die Grundlage für die Erkennung
von fremd und eigen dar. Es werden 2 Molekülarten unter-
schieden: MHCI und MHCII. MHCI kommen auf praktisch
allen kernhaltigen Zellen vor, MHCI 1 kommen auf B- Lym-
phozyten und aktivierten T-Lymphozyten vor. Auf Zellen des
Immunsystems finden sich außerdem weitere Oberflächen-
moleküle, die als Antigenrezeptoren fungieren können. Sie
werden als Differenzierungsgruppen (»duster of differentia-
tion«, CD) bezeichnet. T-Helferzellen tragen CD4 und zyto-
toxische T-Zellen CD8 an ihrer OberJ1äche.

Was sind antigenpräsentierende Makrophagen und B-Lymphozyten können Antigene aufneh-


Zellen? men und sie an MHC-Moleküle gebunden an ihrer Zellober-
fläche den T-Lymphozyten >>präsentieren«. Diese wandeln
sich daraufhin sofort in T-Effektorzellen um. Diese Antigen-
präsentation beschleunigt die Abwehrvorgänge.

Nennen Sie Signalstoffe Von Zellen des Immunsystems können Signalstoffe produ-
des Immunsystems und einige ziert werden, die mit dem Sammelbegriff als Lymphokine
bezeichnet werden. Besonders wichtig sind die Interleukine
ihrer Aufgaben!
(IL-1, IL-2, IL-3). IL-1 ist u. a. an der Bildung von Fieber betei-
ligt. IL-3 fördert die Neubildung von Lymphozyten.

Bei Erstbegegnung eines B-Lymphozyten mit einem Immu-


Wie läuft die spezifisch humorale
nogen wandelt sich der Lymphozyt in einen Immunoblasten
Abwehr ab? um; aus diesem gehen Plasmazellen und Gedächtniszellen
hervor. Plasmazellen produzieren Antikörper, Gedächtniszel-
len können sich bei einem Zweitkontakt mit dem gleichen
Immunogen relativ rasch in Plasmazellen umwandeln und
sofort mit der Antikörperbildung beginnen. Für eine optimale
Wirkung der Antigene auf die Lymphozyten (Bund T) wird
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel S· Immunologie
353
die Antigenpräsentation benötigt. Die Makrophagen präsen-
tieren die Antigene auf ihrer Zellmembran gebunden an die
MHC-Moleküle den Lymphozyten in einer optimalen Form.
Dadurch läuft die Immunreaktion viel besser und rascher ab.
Gegen jedes Antigen wird ein spezifischer Antikörper gebil-
det, der nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip nur auf dieses
Antigen passt. Die Stelle des Antikörpers, in die das Epitop
des Antigens genau hinein passt, wird Paratop genannt.
Beschreiben Sie die spezifisch
zelluläre Abwehr! Sie wird durch I-Lymphozyten vermittelt. Typisches Beispiel
Welche Aufgaben haben ist die Transplantatabstoßung. Diese wird durch I-Effektor-
die verschiedenen Zellen? zellen ausgeführt. Auch I-Zellen bilden Gedächtniszellen. Die
I-Regulatorzellen (Helfer- und Suppressorzellen) sind für
eine Regulation der B-Lymphozyten verantwortlich, die da-
durch eine genau dosierte (optimale) Menge an Antikörpern
bilden. Bei den I-Zellen sitzen die antikörperähnlichen
Strukturen direkt auf der Zelloberfläche.
Nennen Sie die verschiedenen
Überempfindlichkeitsreaktionen! Bei den Überempfindlichkeitsreaktionen unterscheidet man:
Beschreiben Sie die Abläufe! • anaphylaktische Reaktion (Typ I),
• zytotoxische Reaktion (Typ II),
• Immunkomplexreaktion (Typ III) und
• Reaktion vom verzögerten Typ (Typ IV).
Bei der anaphylaktischen Reaktion werden nach einer Sensi-
bilisierung der Mastzellen durch IgE-Besatz, bei einem Zweit-
kontakt durch das Allergen, die Bindungsstellen überbrückt.
Dadurch kommt es zu einer Degranulation der Mastzellen.
Dies kann Urtikaria oder einen anaphylaktischen Schock zur
Folge haben. Todesursache beim anaphylaktischen Schock ist
meist ein Krampf der Bronchialmuskulatur, verbunden mit
einem Kreislaufkollaps.
Bei der zytotoxischen Reaktion werden IgG und IgM an zell-
ständige Antigene gebunden. Beispiel: Unverträglichkeits-
reaktion bei der Transfusion von gruppenungleichem Blut.
Immunkomplexreaktionen können durch Antigen-Antikör-
per-Komplexe ausgelöst werden. Lokale Reaktionen werden
von generalisierten Reaktionen unterschieden.
Bei lokalen Reaktionen überwiegen die Antikörper, bei gene-
ralisierten Reaktionen die Antigene. Beispiel für lokale Reak-
tionen: Vogelzüchter- und Farmerlunge; Beispiel für generali-
sierte Reaktion: Glomerulonephritis.
Reaktionen vom verzögerten Typ werden durch I-Zellen her-
vorgerufen. Zu diesem Typ zählen:
• Kontaktallergien und
• Transplantatabstoßungen.

Desensibilisierung und Allergenkarenz sind die beiden einzi-


Wie können allergische gen Möglichkeiten, allergische Reaktionen zu vermeiden.
Reaktionen vermieden werden?
354
Erklären Sie die Begriffe
Immunsuppression, Immunität,
Durch Immunsuppression kann eine Transplantatabstogung
Immuntoleranz und Autoimmun-
vermieden werden.
krankheit!
Immunität kann aktiv durch Impfung mit abgeschwächten
oder toten Erregern erreicht werden, passiv durch Impfung
mit der y-Globulinfraktion eines bereits immunisierten
Individuums.
Immuntoleranz besteht gegenüber eigenen Geweben. Dies
wird erreicht durch die Antigenerkennung während der Em-
bryonalphase der Entwicklung. Es kommt immer wieder vor,
dass das Immunsystem eigene Organe angreift und schwächt
oder zerstört. Dies wird als Autoimmunkrankheit bezeichnet.
Sie beruht auf einem Fehler im Immunsystem.
9 Atmungss stem

9.1 Respiratorischer Quotient 357

9.2 Formen der Atmung 357

9.3 Anteile des Atmungssystem s 358


9.3.1 Nase und Nasenhöhle 358
9.3.2 Nasennebenhöhlen 362
9.3.3 Rachen (Pharynx) 364
9.3.4 Kehlkopf (Larynx) 364
9.3.5 Luftröhre (Trachea) 367
9.3.6 Bronchialbaum (Arbor bronchialis) 368
9.3.7 Lunge und Brustfell 370
9.3.8 Brustkorb (Thorax) 376

9.4 Physiologie der Atmung 379


9.4.1 Lungenvolumina und Lungenkapazitäten 379
9.4.2 Atemzeitvolumen und alveoläre Ventilation 381
9.4.3 Lungenfunktionsprüfungen 382
9.4.4 Austausch der Atemgase 383

9.5 Hämoglobin 385

9.6 Atmungsregulation

9.7 Fragen und Zusammenfassung


zum Atmungssystem 388
356

9 Atmungssystem

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
... Die Bedeutung der Atm ung im Rahmen der Energiegewinnung erklären
... Die Anteile des Atmungssystems und ihre Bedeutung für die Atmung nennen
... Die Bedeutung der Nase für die Geruchswahrnehmung d iskut ieren
.,. Den Kehlkopf und die Stimmbildung erklären
.,. Die Lungen in ihrer Funktion des Gasaustausches beschreiben
.,. Die Atemmuskulatur und die Atemhilfsmuskulatur aufzählen
.,. Die Atemvolumina und ihre Bedeutung für die alveoläre Ventilation diskutieren
... Die Atemgase und die treibenden Kräfte für den Gasaustausch nennen
... Die Bedeutung des Hämoglobins für d en Gastransport erklären
.,. Die Regulation der Atm ung und die verschiedenen Einflüsse auf das Atemzentrum
diskutieren

Für fast alle Vorgänge im menschlichen Körper wird Energie benötigt. Dies be-
ginnt bereits bei scheinbar unbedeutenden chemischen Prozessen innerhalb ein-
zelner Zellen und geht hin bis zu den Bewegungsabläufen.
aerob Die Energie wird durch aeroben Abbau (oxidativen), d. h. durch >>Verbren-
unter Vorhandensein oder mit Verbrauch nung« der Nahrung gewonnen. Es ist auch möglich, Energie ohne die Anwesen-
von Sauerstoff heit von Sauerstoff, durch den anaeroben Abbau , z. B. von Glukose zu p roduzie-
ren. Anaerober Abbau ist allerdings nicht sehr ökonomisch, da für den Gewinn
anaerob der gleichen Energiemenge die 15fache Menge an Glukose abgebaut werden
ohne Vorhandensein oder Verbrauch muss. Deshalb wird Energie zum großen Teil durch aeroben Abbau gewonnen
von Sauerstoff und nur unter Verhältnissen, bei denen mehr Energie verbraucht wird als durch
aeroben Abbau nachgeliefert werden kann; z. B. wird bei großer körperlicher
Anstrengung auf den anaeroben Abbau um geschaltet ..

Glukose ist das wichtigste Substrat für die Energiegewinnung.

1 mol Beim oxidativen Abbau von 1 molGlukoseergibt sich ein Gewinn an freier Ener-
die Menge eines Stoffs, die der relativen gie von ca. 2.900 kJ. Diese freie Energie wird entweder in den Zellen direkt für
Molekülmasse in Gramm entspricht, energieverbrauchende Prozesse oder für die Produktion des energiereich en Mo-
d.h. 1 mol Glukose= 180,2 g leküls Aden osintriphosphat (ATP) verwendet.
Adenosint riphosphat (ATP) kann in den Zellen in molekularer Form gespei-
kJ chert werden. ATP ist ein Nukleotid, an das 3 Phosphatreste gekoppelt sind. Der
Kilojoule: Einheit der Arbeit, Energie, Aufbau verläuft von AMP (Adenosinmonophosphat) über ADP (Adenosindi-
Wärme. 1 Kilojoule = 4.1855 Kilokalorien phosphat) bis zum ATP. Erst die Koppelung eines 3. Phosphatrestes macht das
Molekül zu einem Energiespeicher, dessen Energie b ei Bedarf durch Abspaltung
Respiratorischer Quotient· Kapitel9 · Atmungssystem 357

dieses Phosphatrestes wieder freigesetzt wird und damit für Arbeit in den Zellen
zur Verfügung steht. Die Energie, die beim anaeroben Abbau aus 1 mol Glukose Anaerober Abbau: hoher Verbr<lUCh
freigesetzt wird, entspricht lediglich ca. 200 kJ. Trotzdem kommt es in verschie- an Glukose, geringer Energiegewinn
denen Geweben immer wieder zu einem anaeroben Abbau der Glukose, z. B. im
Knorpel oder bei Sauerstoffmangel im Muskel.

Den oxidativen Abbau von Glukose kann man mit einer vereinfachten Formel • ADP: Adenosindiphosphat
darstellen: • ATP: Adenosintriphosphat
• P: Phosphat
ADP + P +Glukose+ 0 2 -7 C0 2 + H,O + ATP • 0 ,: Sauerstoff
• col: Kohlendioxid
Die biologische Oxidation der Nahrung, wie auch die Bildung von ATP, findet in (Gas der Kohlensäure)
den »Kraftwerken« der Zelle, den Mitochondrien, statt (s. Abschn. 2.3.2). • H2 0: Wasser
• Glukose: C6H 120 6
9.1 Respiratorischer Quotient

Aus dem oxidativen Abbau von Nahrung resultiert CO, (Kolhendioxid) und H, O
(Wasser); abgesehen von der Energie, die dabei möglicherweise in Form von ATP
gespeichert wird. Je nach Grundmolekül, das verbrannt wird, benötigt der Kör-
per dafür mehr oder weniger Sauerstoff. Dementsprechend ist das Verhältnis von
ausgeatmetem CO, zu eingeatmetem 0 2 größer oder kleiner. Dieses Verhältnis
C0,/0 2 bezeichnet man als respiratorischen Quotienten (RQ). Er hat bei der Ver- Respiratorischer Quotient
brennung von Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten gerrau bekannte Werte: • Verhältnis von ausgeatmeten Kohlen-
• Kohlenhydrat: RQ =1,0 dioxid und eingeatmeten Sauerstoff
•· Protein: RQ = o,8 und • RQ des Gehirns: 0,99, da fast
•· Fett: RQ = 0,7 ausschließlich Glukose verbrannt wird

Bei Kohlenhydraten liegen Sauerstoff und Wasserstoff chemisch im gleichen Ver-


hältnis vor; deshalb beträgt der RQ 1, 0. Bei Fett und Protein dagegen muss für die
Wasserbildung (H 0) zusätzlich Sauerstoff zugeführt werden. Der RQ der einzel-
2

nen Gewebearten ist im Körper teilweise unabhängig von der aufgenommenen


Nahrung. So beträgt der RQ des Gehirns 0,99. Daraus kann geschlossen werden,
dass Hirngewebe praktisch ausschließlich Kohlenhydrate verbrennt und daher
auf die Versorgung mit Glukose angewiesen ist.

9.2 Formen der Atmung

Der für die Verbrennung von Nahrungsbaustirren benötigte Sauerstoff (O,) wird
über die Atmung bereitgestellt; Kohlendioxid (CO,), das bei der Oxidation der
Nahrung entsteht, ausgeatmet.

Man unterscheidet 2 Formen der Atmung: Formen der Atmung


• Lungenatmung (äußere Atmung): Aufnahme von 0 , in die Lunge und Abgabe • Lungenatmung: äußere Atmung
von CO, aus dem Blut in die Lungen und von dort an die Luft. • Gewebeatmung: innere Atmung
• Gewebeatmung (innere Atmung): Verbrennungsvorgänge in den Zellen, bei
denen 0, aus dem Blut aufgenommen und CO, abgegeben wird.
358

Zwischen den Orten, an denen die innere bzw. äußere Atmung stattfindet, muss
das Gas transportiert werden; dies übernimmt das Blut. Dabei sind die roten
Blutkörperchen Transportmittel der Atemgase 0 .. und C0 2 • Der eigentliche
Atemvorgang bei der äußeren Atmung ist der Gasaustausch.

9.3 Anteile des Atmungssystems

• Luftleitungssystem: Für die Atmung stehen dem Körper verschiedene Organe zur Verfügung (Abb. 9-
Nase bis Bronchialbaum I). Diese werden entsprechend ihrer Aufgabe unterteilt in ein Luftleitungssystem
• Diffusionssystem: Gasaustauschfläche und ein Diffusionssystem. Von besonderer Bedeutung für die Atemmechanik ist
der Alveolen der Brustkorb (Thorax); deshalb gehört er auch zu den beteiligten Organen:
• Nase, Nasenhöhle (Cavitas nasi),
• Nasennebenhöhlen (Sinus paranasales),
• Rachen (Pharynx),
• Kehlkopf (Larynx),
• Luftröhre (Trachea),
• Bronchialbaum (Arbor bronchialis),
• Lunge (Singular: Pulmo, Plural: Pulmones) und
• Brustkorb (Thorax) .

Der Bereich von der Nase bis zum Bronchialbaum ist das Luftleitungssystem. Die
Gasaustauschfläche der Lungenbläschen (Alveolen) wird als Diffusionssystem
bezeichnet

9.3.1 Nase und Nasenhöhle

Funktionen der Nasenhöhle Die äußere Nase wird durch das Os nasale und die knorpeligen Nasenflügel so-
• Befeuchtung der Atemluft wie einige kleinere Knorpelstücke gebildet. Die gesamte Nase ist von Gesichts-
• Erwärmung der Atemluft haut überzogen. Die Nasenlöcher (Nares) führen über den Nasenvorhof (Vesti-
• Reinigung der Atemluft bulum nasi) in die Nasenhöhle (Cavitas nasi). Der Nasenvorhof wird durch einen
• Geruchswahrnehmung GrenzwaU (Limen nasi) von der Nasenhöhle getrennt. Der Nasenvorhof ist mit
spezialisierten Haaren, den Vibrissae, ausgestattet, die vor eindringenden Fremd-
körper schützen.
Nasenmuscheln: Die Nasenhöhle wird durch die Nasenscheidewand, das Septum nasi, in
• Obere Naschenmuschel 2 Höhlen unterteilt, die untereinander nicht in direkter Verbindung stehen

• Mittlere Naschenmuschel (Abb. 9-2). Die Scheidewand ist aus Knorpel und Knochen aufgebaut:
• Untere Naschenmuschel • Im hinteren und oberen Teil besteht sie aus den Knochen, Lamina perpendicu-
laris (Siebbeinlamelle) des Os ethmoidale und dem Vomer (Pflugscharbein).
• Im vorderen und unteren Teil besteht sie aus einer Knorpellamelle.

Von der Seitenwand ragen jeweils 3 Nasenmuscheln (Singular: Concha nasalis) in


die beiden Nasenhöhlen hinein, wodurch unterhalb der Muscheln 3 Nasengänge
(Meatus nasi) gebildet werden. Im Bereich der 3 Nasenmuscheln ist die Schleim-
haut durch ein ausgeprägtes Gefäßnetz zu einer Art Schwellkörper ausgebildet.
Dieser kann bei Infektionen (Schnupfen) stark anschwellen und die Nasengänge
so stark einengen, dass die Luftpassage erschwert oder unmöglich gemacht wird
Anteile des Atmungssystems · Kapitel9 · Atmungssystem 359

Keilbeinhöhle Abb. 9· 1 a, b .
(Sinus sphenoidalis) Übersichtszeichnung der Organe
Stirnhöhle des Atmungssystems.
(Sinus lrontalls)
a Medianschnin des Kopfes, auf dem
Hirnanhangdruse (Hypophyse)
m"'"''"
rNasenmuschel
(Concha nasalis die Nasenhöhle mit den Nasenmuscheln
U11lere l superior, media.
Kehlkopfdeckel (Epiglottis) inferior) eingezeichnet ist.
Eingang zur b Ventralansicht des Brustkorbs. Die
Ohrtrompete
Luftröhre (Trachea) --------IIH.~ Knochen des Brustkorbs und die Organe
Zunge
a des Oberbauchs sind als Orientierungs-
hilfe angegeben. Die Ausdehnung der
Reserveräume der Lunge (z. B. Recessus
costadiaphragmaticus) entspricht den
dunkelblau dargestellten Regionen

1---\-- -- Herzbucht
(lncisura
cardiaca)

Herzkontur

Leber Reserveraum
(Recessus costo-
Gallenblase mediaslinalis)

Schwertfortsatz des Brustbeins Milz


Magen
b (Processus xiphoideus)

Abb. 9-2.
Siebbeinzellen - ------...c--- ' Schnitt durch die Nasenhöhle und die
(Cellulae ethmoidales)
angrenzenden Siebbeinzellen (Cellulae
Nasenseptum
ethmoidales) sowie die Kieferhöhlen
(Lamina obere
Nasenmuschel (Singular: Sinus maxillaris, Plural: Sinus
perpendicularis)
maxillares). Die rechte Hälfte der Abbil-
miniere dung zeigt den Zustand bei einer
Nasenmuschel
Erkältung mit geschwollenem Epithel
untere
Nasenmuschel

(Sinus maxillaris)

unterer Nasengang Pflugscharbein


(Meatus nasi inferior) (Vomer)
360

(Abb. 9-2, rechter Teil). Am Kiesselbach-Fieck im Bereich des Nasenseptums ist


die Durchblutung besonders ausgeprägt. Von hier können spontan Blutungen
ausgehen.
Hiatus semilunaris Unter der mittleren Nasenmuschel befindet sich der Hiatus semilunaris, eine
halbmondförmiger Schlitz in der Wand Öffnung mit Verbindung zur Stirnhöhle, zur Kieferhöhle und zu den Siebbein-
des mittleren Nasenganges zellen. Unterhalb der unteren Nasenmuschel liegt die Öffnung des Tränennasen-
ganges (Ductus nasolacrimalis).

Die Nasenhöhlen werden durch folgende Strukturen begrenzt (Abb. 9-3):


• Oben: durch die Siebplatte (Lamina cribrosa) des Os ethmoidale.
Hier treten die Riechfäden des N. olfactorius in die Nasenhöhle ein. Die Riech-
• fädenkommen aus der vorderen Schädelgrube und durchbrechen in der Sieb-
platte den Knochen .
Unten: durch den harten und weichen Gaumen (Palatum dunnn und Palatum
malle).
• Lateral: durch die Siebbeinzellen (Cellulae ethmoidales) des Os ethmoidale
sowie durch die 3 Nasenmuscheln.
• Medial: durch die Nasenscheidewand (Septum nasi).
• Hinten: die Nasenhöhlen gehen hinten über die mneren Nasenlöcher
(Choanen) in den Pharynx (Pars nasalis) über.

Die Nasenhöhle kann aufgrund ihrer Anatomie und Ausstattung folgende


Funktionen wahrnehmen:
• Befeuchtung der Atemluft,
• Erwärmung der Atemluft,
• Reinigung der Atemluft und
• Geruchswahrnehmung,

Abb. 9-3. StirnhOhle


Riechnerv (Sinus frontalis)
Blick auf die linke Wand der Nasenhöhle (Bulbus olfactorius)
mit den 3 Nasenmuscheln (Singular:
Concha nasalis, Plural: Conchae nasales).
Im oberen Teil der Zeichnung sind die
Riechfäden (Fila olfactoria) zu sehen, die Nasenmuschel
vom Riechnerv (Bulbus olfactorius) aus der
vorderen Schädelgrube in die Nasenhöhle
an das Riechepithel (Regio olfactoria)
ziehen

Zäpfchen haner Gaumen


(Uvula) (Palatum durum)
Anteile des Atmungssystems · Kapitel 9 · Atmungssystem
361

Epithel der Nasenhöhle


Aufgrund der epithelialen Auskleidung der Nasenhöhle unterscheidet man eine
Regio respiratoria von einer Regio olfactoria.
Die Regio respiratoria hat eine Fläche von ca. 140 cm' und wird von respira- Regio olfactoria
torischem Epit hel überzogen, wie die meisten Anteile des Luftleitungssystems. • Mit respiratorischen Epithel überzogen
Nicht nur die Seitenwände mit den Nasenmuscheln, sondern auch das Septum (mit Flimmerzellen und Becherzellen)
wird von respiratorischem Epithel überzogen. Es besteht aus Flimmerzellen und • Fläche ca. 140 cm 2
Becherzellen (Abb. 9-4). Die Becherzellen sezernieren ein schleimiges Sekret, das
Fremdkörp er, die in d ie Nasenhöhle gelangen, abfangen; anschließend können Regie respiratoria
die Flimmerzellen diese aus der Nasenhöhle transportieren. • Mit olfaktorischem Epithel überzogen
Demgegenüber hat die Regio olfactoria nur eine Fläche von ca. 5 cm•. Sie ist • Fläche ca. 5 cm 2
mit o lfaktorischem Epithel (Schicht aus Riechzellen) überzogen, das auf d ie
Geruchswahrnehmung spezialisiert ist. Die Sinneszellen haben Fortsätze, d ie
Riechfäden, d ie durch die Siebplatte des Siebbeins (Os ethmoidale) m it dem
N. olfactorius verbunden sind.
Bei manchen Tieren, z. B. Hunden, ist fast die gesamte Nasenhöhle von olfak- Makrosmatiker
torischem Epithel überzogen. Solche Tiere werden als Makrosmatiker bezeichnet. Lebewesen mit relativ gut ausgebildetem
Der Mensch mit seiner kleinen Regio olfactoria ist dagegen ein Mikrosmatiker. Geruchssinn, z. B. Hund
Beim Menschen beträgt die berechnete Anzahl der Sinneszellen ca. 10 7 , beim Mikrosmatiker
Hund sind es ca. 3 x 108 • Lebewesen mit relativ gering ausgebilde-
tem Geruchssinn, z. B. Mensch
Geruchswahrnehmung
Die meisten Menschen können etwa 2.000-4.00 0 verschiedene Gerüche unter- Unterscheidung von bis zu 4.000
scheiden. Es soll Personen geb en, die bis zu 7.0 0 0 verschiedene geruchswirksame verschiedenen Gerüchen möglich
Stoffe unterscheiden können. Die reine Unterscheidungsfähigkeit zwischen
2 Stoffen und die Möglichkeit, einen gewissen Stoff über das Geruchsgedächtnis
zuordnen zu können, stellen 2 unterschiedliche Leistungen dar, die in unter-
schiedlichen Regionen des Gehirns lokalisiert sind.

Abb. 9-4.
Rasterelektrone nmikroskopische
Aufnahme des respiratorischen Epithe ls
aus der Luftröhre (Trachea). Die Flimmer-
zellen sind durch einen Besatz mit langen
Zilien gekennzeichnet, d ie Becherzellen
besitzen an ihrer Oberfläche kurze, stum-
meiförmige Mikrovilli (Aufnahme Gianni
Morson)
362

Wie der eigentliche Prozess der Geruchswahrnehmung und Geruchsidentifi-


zierung vor sich geht, ist noch weitgehend ungeklärt. Man nimmt an, dass auf die
einzelnen Geruchskomponenten jeweils nur wenige Zellen reagieren und dass es
das Muster dieser verschiedenen Zellen ist, das registriert werden kann und das
für die Unterscheidung zwischen den Geruchskomponenten verantwortlich ist.

Geruchswirksame Stoffe
Die meisten geruchswirksamen Stoffe besitzen 3-20 Kohlenstoffatome. Die Emp-
Merkaptan findlichkeit für die einzelnen Stoffe ist sehr unterschiedlich. Für Merkaptane be-
übelriechende alkoholartige chemische sitzen die Menschen eine außerordentlich tiefe Schwelle der Wahrnehmung.
Verbindu ng, die u. a. zur Arzneimittel- Bereits in einer Konzentration von weniger als to· '' mg/1 Atemluft wird von vie-
herstellung verwendet wird len Menschen die Geruchskomponente des Knoblauchs,das Methylmerkaptan,
wahrgenommen. Für Buttersäure, die z. B. nach bakterieller Zersetzung im
Schweiß vorkommt, ist die Schwelle bereits 1.ooo-mal höher, sie liegt bei
w· ' mg/1 Atemluft. In einer ähnlichen Größenordnung liegt die Schwelle für
Skatol, einer Geruchskomponente des Stuhls.

Die Unterscheidungsfähigkeit für Geruchsintensitäten ist nur sehr gering


ausgebildet. Es bedarf in den meisten Fällen e iner Konzentrationsänderung
von mindestens 30%, ehe der Mensch einen Unterschied feststellen kann.

Hormone
Bei der Geruchswahrnehmung spielen auch Hormone eine Rolle. Es gibt Stoffe
(z. B. Exaltolid, eine mögliche Komponente von Parfums), die von Frauen nach
Ovariektomie Ovariektomie nicht mehr und von Männern nie wahrgenommen werden kön-
Entfernung der Eierstöcke nen. Frauen im reproduktionsfähigen Alter nehmen sie dagegen am stärksten
zum Zeitpunkt des Eisprungs (Ovulation) wahr.

Schmerzkomponenten
Reflektorischer Atemsto pp als Schutz- Zur Eigenart gewisser geruchswirksamer Stoffe gehört es auch, dass sie Schmerz-
mechanismus komponenten enthalten, also einen Schmerzreiz auslösen können. Sie können bei
geringer Ausprägung zum Charakter der Geruchskomponente beitragen (Bei-
spiele: Pfefferminze, Senf), bei stärkerer Ausprägung jedoch zu einem reflektori-
schen Atemstopp führen (Beispiel: Salzsäure). Durch den Atemstopp wird er-
reicht, dass dem Riechepithel keine weitere Luft zugeführt wird - ein Schutz-
mechanismus, der verhindern soll, dass schädi gende Stoffe mit der Atemluft in
die Lungen gelangen können.

Nasennebenhöhlen 9.3.2 Nasennebenhöhlen


• Stirnhöhle (Sinus front alis)
• Kieferhöhle (Sinus maxillaris) In den Knochen des Schädels liegen pneumatisierte Räume, die mit der Nasen-
• Keilbeinhöhle (Sinus sphenoidalis) höhle in Verbindung stehen. Sie werden Nasennebenhöhlen (Sinus paranasales)
• Siebbeinlabyrint h (Sinus ethmoidalis) genannt und sind paarig angelegt. Wie die Nasenhöhle sdbst sind auch sie mit
oder Siebbeinzellen respiratorischem Epithel ausgekleidet. Wie in den Abb. 9-5 und 9-6 ersichtlich,
(Cellulae et hmoidales) werden 4 Nasennebenhöhlen unterschieden.
Die Nasennebenhöhlen haben folgende Funktionen:
Pneumatisiert • Gewichtsersparnis des Schädel,
mit Luft gefüllt • Erwärmung der Atemluft und
• Funktion als Resonanzorgan.
Anteile des Atmungssystems · Kapitel 9 · Atmungssystem 363

Abb. 9-5.
Projektion der Nasenhöhle und der
Nasennebenhöhlen auf die Oberfläche
des Kopfes. Von den Nasennebenhöhlen
ist die weiter hinten liegende Kei lbein-
- - - --il•- Stirnhöhle höhle (Sinus sphenoidalis) nicht einge-
(Sinus frontalis)
Siebbeinzellen - - - - ln-:>r+---1:'1iiiii....._-
zeichnet, da sie in der Projektion
(Cellulae ethmoidales) die anderen überlagern würde

Nasenhöhle ----0-:--f-i'f-- Kieferhöhle


(Cavitas nasi) (Sinus maxillaris)

Abb. 9-6.
Nasenmuscheln :--- - - Keilbeinhöhle
(Conchae nasales) (Sinus sphenoidalis) Medianschnitt durch die Rachenregion
mit dem oberen Teil der Atemwege. Der
Rachen (Pharynx) ist mit seinen 3 Etagen
r\-11~-- Rachenmandel
Gaumenmandel (Tonsilla pharyngealis) (Nasenteil. Mundteil, Kehlkopfteil) durch
(Tonsilla palatina) stärkere Linien hervorgehoben. Vor der
111,~'------ Nasenteil des Rachens
(Pars nasalis pharyngis) Rachenmandelliegt der von einem Wulst
Zungenmandel
(Tonsilla Iinguaiis)
markierte Eingang zur Ohrtrompete
fJ#I_,.t+-- -- - Mundteil des Rachens
(Pars oralis pharyngis) (Tuba auditiva)
Zungenbein
(Os hyoideum)
~M-'FO~---- Kehlkopfteil des Rachens
Kehlkopfdeckel - -- -f+-+t-.rllr. (Pars laryngea pharyngis)
(Epiglottis)

Schildknorpel - - - -- H rt
(Cartilago thyroidea) \JilJ~\t~~==-- Ringknorpel
~ (Cartllago cricoidea)

Schilddrüse - - -- ---/.,IIJI \lt\1-


(Giandula thyroidea)
\-\---\.1!11~-- Luftröhre
(Trachea)

Durch ihre Verbindung mit der Nasenhöhle sind die Nasennebenhöhlen bei In-
fektionen ebenfalls sehr häufig in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem kann es
durch die Nähe zu anderen Schädelstrukturen, z. B. Augenhöhle und Schädel-
grube, zu einer Infektionsausbreitung bis in diese Räume hinein kommen.
364

9.3.3 Rachen (Pharynx)

Etagen des Rachens Hinter den inneren Nasenlöchern (Choanen) beginnt der Pharynx (Rachen).
• Pars oralis Dieser wird in 3 Etagen unterteilt (s. Abb. 9-6).
• Pars nasalis Pars nasalis
• Pars laryngea In die Pars nasaJis mündet links und rechts jeweils die Ohrtrompete (Tuba audi-
tiva). Sie verbindet den Pharynx mit dem Mittelohr und ermöglicht den Druck-
Druckausgleich über die Ohrtrompete ausgleich bei Luftdruckänderungen (Bergfahrt, Lift im Wolkenkratzer etc.). Dies
ist nötig, um die Funktion des Trommelfells aufrechtzuerhalten. Durch die Ohr-
trompete können jedoch auch Entzündungen des Halsraums in das Mittelohr
übergreifen.
Am Rachendach liegt die Tonsilla pharyngealis (Rachenmandel), die v. a. bei
Polyp Kindern relativ groß werden kann und dann die Luftpassage, als Polyp, behin-
gestielte epitheliale Wucherung dert. Meist bildet sich die Tonsilla pharyngealis während der Pubertär weitge-
hend zurück.

Pars oralis
Pars oralis: Kreuzung von Luft- und An die Pars nasalis schließt sich direkt die Pars oralis an; die Grenze liegt unge-
Nahrungsweg fähr am Ende des Gaumensegels. In der Pars oralis kreuzen Luft- und Nahrungs-
weg. Deshalb sind beim Schluckakt komplizierte Bewegungsabläufe notwendig,
damit die Nahrung nicht in die Luftwege gerät (s. Abschn. 10. 1.1). Die untere
Grenze der Pars oralis liegt auf der Höhe des oberen Endes des Kehldeckels.

Pars laryngea
Der unterste Abschnitt des Rachens, die Pars laryngea, ist gleichzeitig der längste;
er beginnt am Kehldeckel und geht hinter dem Ringknorpel (Cartilago cricoidea)
in die Speiseröhre (Ösophagus) über. In der Pars laryngea liegt der Eingang zum
Kehlkopf und damit der Eingang in die unteren Luftwege.

9.3.4 Kehlkopf (Larynx)

Aufbau
Kehlkopfskelett Der Kehlkopf (Larynx) besteht aus einem knorpeligen Skelett, dessen Anteile
• Kehldeckel (Epiglottis) durch Bänder und Gelenke miteinander verbunden sind. Dieser ruht auf dem
• 2 Stellknorpel (Cartilago arytaenoidea) Ringknorpel, der ringförmig auf hufeisenförmigen Spangen der Luftröhre sitzt.
• Schildknorpel (Cartilago thyroidea) Der Ringknorpel trägt auf beiden Seiten den Schildknorpel und hinten die bei-
• Ringknorpel (Cartilago cricoidea). den Stellknorpel. An der Schildknorpelinnenseite ist der Kehldeckel bindegewe-
big befestigt.
Oberhalb des Kehlkopfes liegt das Zungenbein (Os hyoideum), das wie eine
Zwischensehne in die Mundbodenmuskulatur und die Halsmuskulatur einge-
schaltet ist (Abb. 9-7). Das Zungenbein ist mit dem Schildknorpel über die Mem-
brana thyrohyoidea verbunden. Ober den Ringknorpel ist das Kehlkopfskelett
mit der Trachea verbunden. Der Ringknorpel ähnelt in seiner Form einem
Siegelring, dessen Siegelplatte im Kehlkopfskelett nach hinten zeigt (Abb. 9-8).
Der Zusammenschluss dieser beiden Platten bildet vorne den Adamsapfel (Pro-
minentia laryngea). Ebenfalls auf dem Ringknorpel ruhen hinten die beiden
Stellknorpel, während der Kehldeckel von der vorderen Innenseite des Schild-
knorpels entspringt.
Anteile des Atmungssystems · Kapitel9 · Atmungssystem 365

Zungenbeln Abb.9-7.
(Os hyoideum)
Lagebeziehung von Keh lkopf (Larynx)
und Zungenbein (Os hyoideum) bei erho-
oberes Hom des
Membran zwischen - - - ·ft!W ffil.m benem Kinn. Kehlkopf und Zungenbein
Schildknorpels
Zungenbein und
(Comu superius) sind durch Membranen und Bänder mit-
Schildknorpel
(Membrana thyrohyoidea)
Band zwischen einander verbunden
Zungenbein
und Schildknorpel
(Ligamentum
Schildknorpel - - - - - -
thyrohyoideum)
(Cartilago thyroidea)

Ringknorpel -------....:t,~a­
(Cartilago cricoidea) Knorpelspangen der
Luftröhre
(Plural : Cartilagines
• '---------::::=:> tracheales;
Singular. Cartilago
trachealis)

Zwischen den einzelnen Kehlkopfknorpeln verlaufen elastische Bänder. Da- Conus elasticus
von ist v. a. der Conus elasticus zwischen Ring- und Schildknorpel von Bedeu- bindegewebige elastische Membran
tung, da er Teil des Verschlusssystems der oberen gegen die unteren Luftwege ist zwi schen Ringknorpel und Stimmbändern
(Abb. 9-8 u. 9-9).
Der obere freie Rand des Conus elasticus bildet die Stimmbänder (Ligamen- • Stimmbänder (Ligamentum vocale)
turn vocale), die sich von einem Fortsatz des Stellknorpels bis zum Schildknorpel verlaufen zwischen Stellknorpel
ziehen. Im Stimmband verläuft ein Muskel (M. vocalis), der die Spannung der und Schildknorpel
Stimmbänder verändern kann. • M. vocalis verändert Spannung
der Stimmbänder

Zungenbein Abb.9-8.
OurchtrinsöHnung für den
(Os hyoideum)
N. laryngeus superior Seitenansicht des Keh lkopfes (Larynx).

Membran zwischen - - - .I--I-- \WffilNifl-- - Kehldeckel


Im oberen Teil ist ein Medianschnitt
Zungenbein und (Epiglottis) gezeichnet, beginnend in der Region
Schildknorpel
(Membrana thyrohyoidea) des Stimmbandes ist der untere Teil des

Schildknorpel
Kehlkopfes nach Abtragung der rechten
(Cartllago thyroidea) Schildknorpelplane in Außenansicht
dargestellt
Stellknorpel
(Plural: Cartilagines trtfmb'- - - - Membran zwischen
arytaenoideae Stimmritze und
Singular: Cartilago Ringknorpel
arytaenoidea) (Conus elaslicus)

Knorpelspange der
Ringknorpel Luftröhre
(Cartilago cricoidea) (Cartilago trachealis)
366

Abb. 9-9a-d.
Stellknorpel Schildknorpel Stimmband
Aufsicht auf die Stimmritze (Rima glottidis (Cartilago (Cartilago thyroidea) (Ligamentum
arytaenoldea) vocate)
oder Glottis) von oben. Von der Innenseite
des Schi ldknorpels (Cartilago thyroidea) Conus elasticus

verläuft das Stimmband (Ligamentum


vocale) an die Stellknorpel (Singular:
Cartilago arytaenoidea, Plural: Cartilagines
arytaenoideae). Zwischen dem Stimm-
band und dem Ringknorpe l (Cartilago
cricoidea) verläuft eine Membran (Conus a b
elasticus), die die unteren Luftwege gegen
das Stimmband zu abschließt.
a Normale Ruheatmung,
b forcierte Atmung,
c Stimmbildung (Phonation),
d Flüstersprache

c d

Glottis Der stimmbildende Teil des Kehlkopfes wird Glottis genannt. Die Atemluft
stimmbild ender Teil des Kehlkopfes muss den Spaltraum zwischen den beiden Stimmbändern (Stimmritze, Rima
glotticlis) passieren (s. Abb. 9-9). Die Öffnung der Stimmritze wird durch mehre-
re Muskeln geschlossen, z. B. M. cricoarytaenoideus lateralis, auch als Lateralis
bezeichnet, und M. thyroarytaenoideus; jedoch nur durch einen einzigen Muskel
offen gehalten, den M. cricoarytaenoideus posterior. Er wird meist als Postikus
bezeichnet. Bei einer Postikuslähmung kommt es durch Überwiegen der Schließ-
muskeln zu einem Atemstopp.
Kann eine Lähmung der Kehlkopfmuskulatur nicht sofort beseitigt werden,
kommt als lebensrettende Maßnahme meist nur eine Tracheotomie (Luftröh-
renschnitt) oder eine Koniotomie (Schnitt durch den Conus elasticus) in Frage.
Ab dem 5· Lebensjahr bis zum Beginn der Pubertät wächst der Kehlkopf nur
unwesentlich . Mit Einsetzen der Pubertät kommt es unter der Wirkung der Ge-
schlechtshormone zu einem verstärkten Wachstum, das v. a. beim heranwachsen-
den Mann zu einer starken Vergrößerung des Kehlkopfes (der Adamsapfel wird
sichtbar) mit Verlängerung der Stimmbänder führt. Durch ein ungleichmäßiges
Stimmbruch durch unregelmäßiges Wachstum der beiden Stimmbänder kommt es dann zu den Doppel tönen, clie so
Wachstum der Stimmbänder typisch für die Zeit des Stimmbruchs sind.
Der Kehlkopf wird durch Äste des N. vagus versorgt: der N.laryngeus super-
Innervation des Larynx: N. laryngeus iorversorgt den äußeren Kehlkopf, der N.laryngeus recurrens versorgt den in-
recurrens und N. laryngeus Superior · neren Kehlkopf.

Funktionen des Kehlkopfes


Der Kehlkopf übt 3 wesentliche Funktionen aus:
• Stimmbildung,
• Pforte der Atemluft (wichtiger Verschluss bei der Bauchp resse),
• Schutz der unteren Luftwege durch den Hustenreflex.
Anteile des Atmungssystems · Kapitel9 · Atmungssystem 367

Stimmbildung
Die Stimmbildung (Phonation) geschieht zu einem wesentlichen Teil an den • Tonhöhe durch Schwingungen
Stimmbändern. Diese werden durch die vorbeiströmende Luft in Schwingungen (Frequenz) der Stimmbänder
versetzt. Wie bei einem Musikinstrument unterscheidet man bei der Stimmbil- • Lautstärke wird durch Amplitude
dung ein Anblasrohr von einem Ansatzrohr. Dabei bilden die Lunge und die Tra- beeinflusst
chea das Anblasrohr, Pharynx, Mund-, Nasen-, Nasennebenhöhlen das Ansatzrohr).
An der Glottis wird die Grundfrequenz der Vokale gebildet; dabei ist die Fre-
quenz der Schwingungen des Ligamentum vocale durch die Form und Spannung Frequenz
der Stimmbänder gegeben. Die Frequenz der Schwingungen bestimmt die Ton- Anzahl Schwingungen pro Sekunde
höhe, die Amplitude ist verantwortlich für die Lautstärke. Amplitude
Ausmaß der Schwingungen
Die Glottis hat bei Mann und Frau eine unterschiedliche Grundfrequenz:
• Bei der Frau liegt sie bei 200-300 Hz, Hz= Hertz
• beim Mann bei ca. 100-130 Hz. Schwingungen pro Sekunde

Erst durch Obertöne (Formanten) werden größere Unterschiede bedingt. Die


Frequenzen der Formanten liegen zwischen 200 und 4.000 Hz. Der größere Teil
der Sprache liegt in einem Bereich zwischen 1.000 und 4.000 Hz, das ist genau
der Bereich, in dem das menschliche Ohr die größte Empfindlichkeit aufweist
(s. Kap. 16, Ohr).
Konsonanten werden durch Unterbrechung des Luftstroms gebildet, z. B.
durch Zähne, Zunge, Gaumen oder Lippen. Stimmhafte Konsonanten, z. B. M
oder N, werden mit gleichzeitiger Schwingung der Stimmbänder ausgeführt.
Die Flüstersprache kommt ebenfalls ohne Stimmbänder zustande. Die Arti-
kulation erfolgt dabei durch Veränderungen im Ansatzrohr, d. h. in Mundhöhle,
Pharynx etc. Da die Öffnung der Glottis bei der Flüstersprache größer ist als bei
der stimmhaften Sprache, muss bei der Flüstersprache öfter Luft geholt werden.

Verschluss des Kehlkopfes und Hustenreflex


Der Verschluss des Kehlkopfes erfolgt:
• Aktiv: Verschluss der Glottis, z. B. bei Reizgasen, oder reflexartig bei Kontakt
der Schleimhaut am Kehlkopfeingang durch Nahrungspartikel etc.
• Passiv: Beim Schluckakt wird der Kehlkopf nach oben gezogen, die Zunge
drückt den Kehldeckel dann nach unten.

Bei Eindringen von Fremdkörpern in die unteren Luftwege oder bei vorhande-
nem Schleim kommt es zum Verschluss der Glottis mit anschließender Anspan-
nung sämtlicher exspiratorischer Muskeln (Ausatemmuskel). Dadurch wird ein
sehr großer Druck aufgebaut. Die Glottis öffnet sich dann explosionsartig, wo-
durch es zu Geschwindigkeiten der austretenden Luft von bis zu 120 m/s kommt.
Die Fremdkörper oder Schleim werden ausgehustet.

9.3.5 Luftröhre (Trachea)

An den Ringknorpel des Kehlkopfes schließt sich die Luftröhre (Trachea) an.
Vom Ringknorpel bis zur Gabelung in die beiden Hauptbronchien ist die Luft- Mediastinum
röhre ca. 12 cm lang (Abb. 9-10). Die Luftröhre liegt im Mediastinum, vor der Mittelfellraum, Bereich zwischen
Speiseröhre, mit der sie bindegewebig verbunden ist. Die Luftröhre ist ein biegsa- den beiden Lungenflügeln
368

Abb. 9-1 Oa- c.


Kehlkopf (Larynx), Luftröhre (Trachea) rechter Hauptbronchus
(Bronchus principalis dexter)
und Bronchialbaum (Arbor bronchialis). Schildknorpel
(Cartilago
a Zeichnung bei Aufsicht von vorne,
thyroidea) linker Hauptbronchus
sodass zwischen Ringknorpel (Bronchus principalis
sinister)
(Cartilago cricoidea) und Schildknorpel
(Cartilago thyroidea) der Conus elasticus
(s. auch Abb. 9-9) zu sehen ist. Knorpelspangen
b Darstellung der Aufgabelung der der Trachea
(Cartilagines
Trachea (Bifurcatio tracheae) in die Haupt-. tracheales)
Lappen- und Segmentbronchien, bei
Aufsicht von hinten (Dorsalansicht). ln der ringförmiges - - -
Ligament b
Dorsalansicht sieht man auch den blau (Ligamentum Segmentbronchus
anulare)
eingezeichneten membra nartigen Schleimhaut
(Mukosa) M. trachealls
Wandteil (Paries membranaceus) der
Luftröhre, in dem sich der Luftröhren-
muskel (M. trachealis) befindet.
c Querschnitt durch die Luftröhre auf der
Höhe einer Knorpelspange

8 c Trachealknorpel

mes Rohr, das je nach Kopfstellung beträchtliche Lageveränderungen mitmachen


muss. Es kann durch Zug bis zu 4 cm verlängert werde n.
Die Luftröhre hat eine hufeisenfö rmige Struktur (s. Abb. 9-10c). Sie wird aus
ca. 15-20 Knorpelspangen aufgebaut, die untereinander durch bindegewebige
Ligamente (Singular: Ligamentum anulare, Plural: Ligamenta anularia) verbun-
den sind. Die beiden Enden der Knorpelspangen sind durch eine bindegewebige
Paries membranaceus Platte, in der sich der glatteM. trachealis befindet, verschlossen. Dieser Teil wird
Membranwand als Paries membranaceus bezeichnet.
Das Lumen d er Luftröhre wird von respiratorischem Epithel ausgekleidet.
Respiratorisches Epithel Durch den Flimmerschlag seiner Flimmerzellen gewährleiste n di ese, d ass kleine-
Epithel mit Flimmerzellen und re Staubpartikel bis auf die Höhe des Kehlkopfes transportiert und von dort aus-
Becherzellen in den Luftwegen gehustet werden. Bei starken Rauchern ist das Flimmerepithel meist zerstört.
Folge ist, dass Fremdpartikel, wie z. B. Kondensat aus den Zigaretten, nur noch
Kondensat ausgehustet werden können.
feste Bestandteile des Zigarettenrauchs
9.3.6 Bronchialbaum (Arbor bronchialis)

Auf der Höhe des 5· Thorakalwirbels teilt sich die Trachea in einen linken und ei-
nen rechten Hauptbronchus, die beide am Lungenhilum in die Lunge eintreten
und sich aufgabeln in Lappenbronchien (Abb. 9-10b ). Entsprechend der Anzahl
der Lungenlappen sind rechts 3 Lappenbronchien und links nur 2 vorhanden.
Anteile des Atmungssystems · Kapitel 9 · Atmungssystem 369

Der linke Hauptbronch us ist weniger steil, etwas länger und ein wenig enger Bau des Bronchialbaums
als der rechte Hauptbronchu s. Deshalb sind Fremdkörper , d ie in die Lunge gera- • Rechter und linker Hauptbronchus
ten, im steileren und weiteren rechten Hauptbronch us zu finden. Aus den Lap- • Lappenbronchien {rechts: 3, links: 2)
penbronchien gehen die Segmentbron chien hervor: Links 9, rechts 10. In mehre- • Segmentbronchien (rechts: 10, links: 9)
ren Teilungen verkleinert sich jetzt das Lumen der nachfolgende n Bronchien, • Endbronchien
zunächst der Endbronchien , dann der Bronchioli. • Bronchiolen
Wie bei der Trachea muss das Lumen der Bronchien offen gehalten werden.
Deshalb sind Knorpelstück e in die Wand der Bronchien eingelagert. Im Gegen- Bronchus, Bronchien
satz zu der Trachea sind die Knorpelstück e nicht in der Form von Spangen, son- Verzweigungen der Luftröhre in die Lunge
dern lediglich als Wandverstärk ungselemente in die Bronchien eingebaut. hinein
Ein weiteres wichtiges Charakteristi kum der Bronchienwa nd sind die dort
vorhandenen Muskelfasern . Der Obergang von den Bronchien in die Bronchioli Luftleitendes System
ist gekennzeichn et durch den Wegfall der Knorpelstück e. Die Muskelfasern lau- Nase
fen fast ringförmig in der Wand der Bronchioli. An die Bronchioli schließen sich • Rachen {Pharynx)
die Bronchioli terminales an. • Kehlkopf (Larynx)
Bis zu den Bronchioli terminales wird das System als luftleitendes System be- • Luftröhre (Trachea)
zeichnet, an das sich das gasaustausch ende System anschließt. Im Bereich zwi- • Hauptbronchus
schen dem gasleitenden und dem gasaustausch enden System befindet sich eine • Lappenbronchus
Übergangszon e, in der bereits vereinzelte Alveolen vorhanden sind. In dieser • Segmentbronchus mit Asten
Zone vergrößert sich der Gesamtquers chnitt der luftleitenden und gasaustau- • Bronchiolus
schenden Strukturen massiv (Abb. 9-11). • Bronchiolus terminalis

Abb.9·11.
Schema der luftleitenden und der gasaus-
tauschenden {respiratorischen) Abschnitte
der Atemwege. Unter Z ist die Zahl der
Teilungsschritte {eine Luftröhre, 2 Haupt-
bronchien etc.) aufgeführt. Auf der rech-
ten Seite der Abbildung ist der Gesamt-
querschnitt der einzelnen Abschnitte
angegeben. BR Bronchien, BL Bronchioli
(kleinere Bronchien), TBL terminale
Bronchioli, BLR respiratorische Bronchioli,
DA Ductus alveolares {Aiveolengänge),
A Alveolen (Lungenbläschen). ln der Über-
gangszone, d. h. zwischen dem 17. und
19. Teilungsschritt, befinden sich sowohl
luftleitende als auch gasaustausche nde
Abschnitte der Luftwege

0 100 200 300 400


Gesamtquerschnitt (cm2)
370

Gasaustauschendes System Zum gasaustauschenden System rechnet man den Bronchiolus respiratorius,
• Bronchiolus respiratorius den Ductus alveolaris und die Alveolen (Lungenbläschen). Mehrere Alveolen zu-
• Ductus alveolaris sammengefasst werden auch als Saccus alveolaris (Lungenbläschensack) be-
• Alveolen zeichnet. Abbildung 9-11 zeigt eine Übersicht über das luftleitende und das gas-
austauschende System.

9.3.7 Lunge und Brustfell

Lunge
Die Lunge (Pulmones) besteht aus 2 Lungenflügeln, die lediglich durch die Auf-
spaltung der Trachea in die beiden Hauptbronchien miteinander verbunden
Mediastinum sind. Die Lungenflügel füllen den Raum rechts und links des Mediastinums aus.
Mittelfellraum, Raum zwischen den Die Außenflächen liegen der inneren Thoraxwand an, die Unterflächen liegen auf
beiden Lungenflügeln dem Zwerchfell (Diaphragma).
Der linke Lungenflügel besteht aus 2, der rechte aus 3 Lungenlappen. Das Herz
• Rechter Lungenflügel aus 2 Lungen- liegt mit zwei Dritteln seiner Größe links von der Körpermitte. Dies dürfte der
lappen Grund dafür sein, dass der Lunge auf der linken Seite eines von 10 Segmenten
• Linker Lungenflügel aus 3 Lungen- fehlt (Abb. 9-12).
lappen

Abb. 9-12.
Aufsicht auf die Lunge von vorne (Ventral -
Schildknorpel
ansicht). Die Grenzen der Lungen lappen
(Cartilago thyroidea)
sind eingezeichnet, rechts sind 3 Lappen
und links nur 2 Lappen vorhanden. Die
größten Äste des Bronchialbaums sind
durchscheinend gezeichnet. Am linken
Oberlappen
Lungenflügel ist die Aussparung fü r das
Herz (lncisura cardiaca) zu sehen

Mittellappen

Unterlappen
Anteile des Atmungssystems · Kapitel9 · Atmungssystem 371

Man unterscheidet an der Lunge eine Basis (Basis pulmonis) von einer Spitze
(Apex pulmonis; Abb. 9-13). Die Spitze der Lunge ragt bis über das Schlüsselbein
empor und kann in der Schlüsselbeingrube gut abgehört werden. Hier ist die
Lunge auch nur schlecht geschützt, sodass Verletzungen in diesem Bereich leicht
zu einem Pneumothorax (s. unten) führen können.

Die Flächen der Lunge werden entsprechend ihrem Kontakt als


• Fades· diaphragmatica (Zwerchfellfläche),
• Fades costalis (den Rippen zugewandte Fläche) und
• Fades medialis (gegen die Körpermitte gerichtete Fläche) bezeichnet.

Im Bereich der Facies medialis befindet sich das Lungenhilum,an dem die Haupt-
bronchien sowie die Gefäße in die Lunge ein- und austreten (Abb. 9-13 u. Abb. 9-
14). Hier liegen wichtigen Lymphknoten (Nodi lymphatici bronchopulmonales).
Bei krankhafter Vergrößerung können sie in einer Röntgenaufnahmen Schatten
bilden. In ihnen wird Staub, der aus der Lunge mit Alveolarmakrophagen ab-
transportiert wird, teilweise eingelagert. Dadurch vergrößern sich die Lymph-
knoten im Laufe eines Lebens und nehmen häufig eine dunkle Färbung an.

Lungenspitze Abb. 9-13.


(Apex pulmonis)
Medialansicht des rechten Lungenfl ügels.
Die 3 Lungenlappen sind deutlich zu
sehen. Das Lungenband (Ligamentum
pulmonale) stellt den Schnittrand des
Lungenhilum mit Lungenfells (Pleura visceralis) dar. Hier
Gefäßen und
Fissura horizontans - --
Hauptbronchus schlägt das Brustfell (Pleura parietalis) auf
(Grenzfurche zwischen das Lungenfell um
2 Lungenlappen)

Ligamentum
pulmonale
Fissura obliqua - ---11-f
(Grenzfurche
zwischen
2 Lungenlappen)

Lungenbasis - - -- - -- - '
372

Abb. 9-14. Lungenspitze - - - - - - - - - - - ,


Medialan sicht des linken Lungenflügels. (Apex pulmonis)

Der Schninrand des Lungenbandes


(Ligamentum pulmon ale) läuft, wie beim
rechten Lungenflügel, um das Lungen-
hilum herum und stellt auch hier die Lungenhilum mit
Gelaßen und
Umsch lagsfalte zwischen Lungenfell Hau ptbronchus
(Pl eura vi sceral is) und Bru stfell (Pleura
parietalis) dar
Herzbucht
(tmpressi o cardiaca)
Abdruck der Ao r1a

Fissura obllqua
(Grenzfurche zwischen
2 LungenlappenI

' -....,;..,..~:...__ _ _ _ Lungenunterflache


(Fades diaphragmatica)

Brustfell
viszeral Das Brustfell (Pleura) besteht ähnlich dem Bauchfell aus einem viszeralen und
die Eingeweide betreffend, einem parietalen Blatt. Das viszerale Blatt (Pleura visceralis, Pleura pulmonalis,
hier: die Lunge umhüllend Lungenfell) überzieht die Lungen vollständig und geht im Bereich des Lungen-
hilums in das parietale Blatt über, das den Thoraxraum auskleidet.
Pleuraspalt liegt zwische n Pleura visceralis Zwischen den beiden Pleurablättern Liegt ein dünner Gleitspalt, der Pleura-
und Pleura parietalis spalt, in dem sich wenig Flüssigkeit befindet- gerade genug, dass sich die beiden
Pleurablätter nicht voneinander lösen, sondern nur aufeinander gleiten.
parietal Das parietale Blatt der Pleura (Pleura parietalis, Rippenfell) ist an einigen
die Wand betreffend, Orten deutlich größer als das viszerale Blatt. So entstehen Reserveräume, in die
hier: die Brustraumwand auskleidend hinein sich die Lunge bei maximaler Inspiration (Einatmung) ausdehnen kann.

Vor allem 2 dieser Reserveräume sind von Bedeutung:


1. Recessus costodiaphragmaticus (zwischen den Rippen und dem Diaphragma),
2. Recessus costomediastinalis (zwischen den Rippen und dem Mediastinum).

Auch bei maximaler Inspiration sind die Reserveräume immer etwas größer als
die Lunge (s. Abb. 9-1). Die Flüssigkeit im Pleuraspalt führt zur Haftung der
Pleura visceralis (Lungenfell) auf der Pleura parietalis (Rippenfell). Dadurch
muss die Lunge zwangsläufig allen Bewegungen des Brustkorb es folgen. Dies
wird zum einen durch den Flüssigkeitsfilm gewährleistet, zum anderen durch
den Unterdruck, der im Pleuraspalt herrscht, der sog. Donders-Oruck oder intra-
pleuraler Druck. So wird die Lunge durch den Druck der Atemluft an die Wand
der Pleurahöhle gepresst. Der intrapleurale Druck beträgt -·3 bis - 8 mmHg. Die
Unversehrtheil der Pleura ist also eine der Voraussetzungen für das Funktionie-
ren der Atemmechanik
Anteile des Atmungssystems · Kapitel 9 · Atmungssystem 373

Wird die Pleura verletzt, z. B. durch einen Stich, so kollabiert die Lunge auf- Pneumothorax: Kollaps der Lunge
grundihrer Elastizität, die durch die elastischen Fasern gegeben ist, sofort (sog. durch Verlust des intrapleuralen Druckes
Pneumothorax). Damit wird das Lungenvolumen auf ein Drittel verkleinert; die (Donders-Druck)
Lunge kann den Atem exkursionen des Brustkorbes nicht mehr folgen. Damit ist
die Atemfunktion stark b eeinträchtigt bzw. bei beidseitigem Pneumothorax voll-
ständig aufgehoben.

Alveolen (Lungenbläschen)
Beide Lungenflügel haben zusammen ca. 300 Mio. Alveolen (Abb. 9-15- Abb. 9-
17). Sie stellen den eigentlichen Ort des Gasaustauschs dar. Alveolen sind bläs-
chenartige Erweiterungen. Sie haben einen Durchmesser von ca. 0,2 mm, vari-
ieren bei der Ein- und Ausatmungjedoch in ihrer Größe. Durch die Alveolen wird
die innere Oberfläche der Lungen auf ca. So- 100 m• vergrößert. Bei maximaler
Einatmung kann die innere Oberfläche einer gut trainierten Lunge ca. 130 m• be-
tragen.
Die Wand der Alveolen (AJveolarepithel) wird von 2 Zellarten gebildet: den Alveolarepithel besteht aus
Pneumozyten Typ I und den Pneumozyten Typ II: Die Pneumozyten Typ I stellen Pneumozyten I und Pneumozyten II
das eigentliche Alveolarepithel dar, sie begrenzen die Alveolen. Die Pneumozyten
Typ II sind in geringerer Anzahl vorhanden. Sie produzieren eine Substanz, die
Surfactant genannt wird. Der Surfactant besteht aus einer Mischung von Pro-
teinen und Lipiden. Die wichtigsten Lipide für die Funktion des Surfactants sind
Lezithine, u. a. das Dipalmitoyllezithin (DPL).
Das Alveolarepithel ist vollständig mit Surfactant überzogen. Er p asst die
Oberflächenspannung der Alveolen dem Exspirations- (Ausatmung) und Inspi-
rationszustand (Einatmung) an und verhindern, dass die Alveolen weder platzen
noch kollabieren.

Abb. 9 -15.
Schnittbild durch das Lungengewebe.
Die dunklen Zellspitzen im oberen Teil der
Abbildung stellen die Flimmerhärchen des
respiratorischen Epithels dar. Die glatten
Muskelzellen (rot) können sich bei Bron-
chialasthma (Asthma bronchiale) kontra-
hieren und damit den Ein- und Ausstrom
der Luft behindern; Details zu den Lungen-
bläschen (Alveolen) s. Abb. 9-16 u. 9-17

u~
~
Wand zwischen den Alveolen
(Septum interalveolare)
374

Abb. 9-16.
Detailzeichnung der Lungenbläschen
(Aveolen) und ihrer Blutversorgung.
ln der Lungenarterie, die vom Herzen
kommt, fließt sauerstoffarmes (venöses)
c--- -- arteriell
loa-- - - venös
Blut. ln der Lungenvene, die zum Herzen ...rr-~~lt'-~~
zurückführt, fließt sauerstoffreiches
(arterialisiertes) Blut. Der Gasaustausch Lungenvene

findet im Bereich der Lungenbläschen


statt und ist durch den Übergang vom
blauen (sauerstoffarm) zum roten
(sauerstoffreich) Blut gekennzeichnet

Abb. 9-17.
: ~*i-1111------- Wand zwischen den
Aufgeschnittenes Lungenbläschen Alveolen
(Septum lnteralveolare)
(Alveole). in deroberen Abbildung sind
2 Alveolarmakrophagen (Abräum- oder Pneumozyte
Typ II
Fresszellen) eingezeichnet. Der oben
markierte Ausschnitt ist unten vergrößert Alveolarmakrophage
dargestellt. Er zeigt die Wand zwischen
Blut kapi llare und Luftbläschen, über die
hinweg die Diffusion der Atemgase statt-
findet. Die Pneumozyten Typ II sind die
Produzenten des Surfactants. ln der unte-
ren Detailzeichnung ist ein Pneumozyt
Typ I eingezeichnet. Dieser Zelltyp stellt
das normale auskleidende Alveola repithel
dar

Surfactantmangel bei Frühgeborenen Die Bedeutung des Surfactants für die Atmung zeigt sich besonders bei
führt zum Atemnot-Syndrom Frühgeborenen. Vor der 32. Schwangerschaftswoche ist der Surfactant nur un-
vollständig ausgebildet, sodass die Alveolen wegen der großen Oberflächen-
spannung rasch kollabieren und damit eine selbständige Atmung nicht möglich
ist. Die Atemarbeit ist entsprechend groß und Ermüdung der Atemmuskulatur
häufig die Todesursache beim »Atemnot-Syn drom«der Frühgeborenen.
Anteile des Atmungssystems · Kapitel 9 · Atmungssystem 37 5

Neben den Pneumozyten Typ I und II befinden sich im Alveolarepithel häu-


fig auch Alveolarmakrophagen (Abb. 9-17). Sie sind aus den Septen zwischen den
Alveolen (Interalveolarsepten) eingewandert. Sie phagozytieren in die Lungen
gelangte Staub- und Schmutzpartikel sowie Surfactantreste und bauen diese ab.
Sie dienen damit der Selbstreinigung der Lunge. Darüber hinaus sind sie aber
auch an der Abwehr beteiligt, indem sie Viren und Bakterien nach Phagozytose
abbauen.Alveolarmakrophagen werden mit dem Auswurf (Sputum) ausgehustet.
Die Pneumozyten (Typ I und II) sitzen wie jedes Epithel auf einer Basalmem-
bran. Sie teilen die Basalmembran häufig mit dem Kapillarendothel der benach-
barten Kapillaren, die die Alveolen netzartig umspannen (Abb. 9-17).
Durch den anatomischen Bau müssen beim Gasaustausch 7 Schichten über
die sog. Luft-Blut-Schranke (Abb. 9-17) überwunden werden:
• Surfactant,
• Alveolarepithel,
• Basalmembran,
• Interstitium,
• Kapillarendothel,
• Blutplasma und
• Erythrozytenmembran.

Gefäße der Lunge


Die Lungengefäße (Abb. 9-18) bestehen aus 2 Teilen: Vasa privata versorgt die die • Vasa privata (Bronchialarterien und
Lunge direkt; Vasa publica übernimmt die Arterialisierung des Blutes. Bronchialvenen): versorgen die Lunge
Die Lungenarterie (A. pulrnonalis) und die Lungenvenen (Vv. pulmonales) selbst (Organkreislauf}
bilden insgesamt den kleinen Kreislauf (Lungenkreislauf) und stellen die Vasa • Vasa publica (Lungearterien und
publica dar. Die Lungenarterie führt aus der rechten Herzkammer das sauerstof- Lungenvenen): versorgen
farme Blut in die Lunge, die Lungenvenen führen das sauerstoffreiche Blut aus Körperkreislauf
der Lunge in den linken Vorhof. Die Lungenarterien verzweigen sich parallel zum • Lungenarterien (A. pulmonalis) führen
Bronchialbaum, die Lungenvenen hingegen verlaufen außerhalb des Bronchial- sauerstoffarmes Blut in die Lunge
baums in den Bindegewebssepten zwischen den Lungenläppchen. Erst kurz vor • Lungenvenen (Vv. pulmonales) führen
dem Lungenhilum treten sie ebenfalls an den Bronchialbaum heran. Lungenve- sauerstoffreiches Blut in den linken
nen besitzen keine Venenklappen. Vorhof
Im Unterschied zu den Lungenarterien und Lungenvenen, die der Versorgung • Lungenvenen und Lungenarterien
des gesamten Organismus dienen, sind die Bronchialarterien (Rr. bronchiales) versorgen den Kreislauf
und Bronchialvenen (Vv. bronchiales) lediglich für die Versorgung der Lunge • Bronchialarterien und Bronchialvenen
selbst zuständig (Vasa privata). Die Äste für die linke Lunge entspringen direkt versorgen Lunge selbst
aus der Brustaorta, die Äste für die rechte Lunge gehen aus der 3· oder 4. Inter-
kostalarterie hervor. Zwischen den Zweigen der Vasa privata und der Vasa publi-
ca kommen regelmäßig kleine Anastomosen vor (s. Abb. 9-18).
Kommt es zum Verschluss von einer Lungenarterie oder ihrer Äste, führt dies
zu einer Lungenembolie.ursache kann ein Embolus sein, der z. B. durch Fett, Luft Embolus
oder einen Thrombus entsteht. Dadurch wird der Blutfluss zur Lunge unterbro- Gefäßpropf, Material das ein Gefäß
chen, und sie kann nicht m ehr mit Sauerstoff versorgt werden. Folge ist, dass ein verstopft
Teil der Lunge zwar belüftet, aber nicht durchblutet wird. Werden größere Areale
der Lunge nicht mehr mit Blut versorgt, führt das zu akuter Atemnot und
schließlich zum Tode.
376

Abb. 9-18. A. bronchialis


Schema der Lungengefäße. Die Farbe der (Bronchi~arterien)

Gefäße basiert auf dem Sauerstoffgehalt. - -H · - - - A. pulmonaUs


(Bronchialarterien)
Das Blut der Bronchialarterien fließt in
I:::On,;h.- - - V. pulmonalis
Kapillarnetze, die mit den Kapillarnetzen (Pulmonalvene)
der Alveolen in Verbindung stehen.
Außerdem sind in der Pleura regelmäßig
Anastomosen zwischen Bronchialarterien
und Pulmonalvenen vorhanden

9.3.8 Brustkorb (Thorax)

Knochen des Brustkorbes Der Brustkorb wird aus folgenden Knochen gebildet: den Brustwirbeln, dem
• Brustwirbelsäule Brustbein und den Rippen. Diese sind hinten an der Wirbelsäule über 2 Gelenk-
• Rippen (Costae) flächen so befestigt, dass beim Heben der Rippen in der Gelenkachse der Brust-
• Brustbein (Sternum) korb vergrößert wird; beim Senken der Rippen der Brustkorb verkleinert wird
(Abb. 9-19).

Abb. 9-19.
Ausschnitt des Brustkorbs mit 2 Rippen,
die hinten am Wirbel und vorne am
Brustbein befestigt sind.A Verlaufsrich-
tung der für die Ausatmung verantwortli-
chen inneren Zwischenrippenmuskeln
(Mm. intercostales interni), 8 Verlaufsrich-
tung der für die Einatmung verantwort-
lichen äußeren Zwischenrippenmuskeln
(Mm. intercostales externi). Durch die ge-
strichelten Rechtecke ist der Effekt der ent-
sprechenden Muskeln dargestellt. Bei der
Ausatmung (A) wird der Rippenbogen und
damit der Brustkorb gesenkt, bei Ein-
atmung (8) wird der Rippenbogen und
damit der Brustkorb gehoben
Anteile des Atmungssystems · Kapitel 9 · Atmungssystem 377

Atemmuskulatur und Atemtechnik


Aufgrund ihrer Elastizität und des Donders-Druck (negativer intrapleuraler
Druck) passt sich die Lunge der Verkleinerung oder Vergrößerung des Brust-
raums an. Dadurch wird Luft in die Lunge hinein- oder aus ihr herausgetrieben.
Während der Inspiration (Einatmung) und der Exspiration (Ausatmung) gleiten
die Flächen der Pleura visceralis (Lungenfell) und der Pleura parietalis (Rippen-
fell) frei gegeneinander, ohne dass sie sich voneinander lösen können. Wegen der
Elastizität der Lungen ist bei ruhiger Atmung die Inspiration ein aktiver, die Ex-
spiration ein passiver Vorgang. Deshalb sind bei ruhiger Atmung v. a. die Muskeln
von Bedeutung, die eine Vergrößerung des Thoraxraums bewirken können.

Inspiration
Für die Atmung ist das Zwerchfell (Diaphragma) von großer Bedeutung. Auf- • Inspiration: aktiver Vorgang
grund seiner gegen den Thoraxraum liegenden konvexen Form flacht das • Exspiration: passiver Vorgang
Zwerchfell bei einer Kontraktion ab und der Brustraum wird vergrößert. Dies ist
bei ruhiger Atmung für ca. 75% der Volumenveränderung der Lunge verantwort-
lich. Das Diaphragma wirkt dabei wie der Stempel einer Pumpe. Das Bewegungs-
ausmaß kann zwischen 1,5 cm und 7 cm schwanken (Abb. 9-20), abhängig von
der Art der Atmung (ruhige oder forcierte Atmung).
Neben dem Diaphragma sind es v. a. die Mm. intercostales exte rni, die den
Brustraum vergrößern.
Voraussetzung für eine optimale Wirkung dieser Muskeln ist die Beteiligung Vergrößerung des Brustkorbes
der Muskeln, die den Brustkorb im oberen Bereich fiXieren: die Mm. scaleni und • durch Mm. intercostales externi
der M. sternocleidomastoideus (Abb. 9-21). Bei einer Kontraktion heben die Mm. und Diaphragma und
intercostales externi die Rippen nach oben, sodass der Brustkorb vergrößert • Fixierung des Brustkorbes durch die
wird. Bei ruhiger Atmung können entweder die Mm. intercostales externi oder Mm. scaleni und den M. sternocleido-
das Diaphragma allein eine ausreichende Ventilation (Belüftung) der Lunge auf- mastoideus
rechterhalten.

Abb. 9-20.
Darstellung der Ein- und Ausatmung
(Inspiration und Exspiration) unter der
Beteiligung des Zwerchfells (Diaphragma).
Bei Kontraktion des Zwerchfells kommt es
zum Senken der Zwerchfellkuppel, d. h.
zur Vergrößerung des Brustraums und da-
mit zur Einatmung. Beim Nachlassen der
Kontraktion erfolgt das Gegenteil

u Inspirationsstellung
Exspirationsstellung
378

Abb. 9-21.
Darstellung der wichtigsten Muskeln der
Einatmung (Inspiration). Die Treppen-
muske ln (Mm. scaleni), der Kopfwender
Kopfwender
Treppenmuskel
(M. sternocleidomastoideus) und de r (Mm. scaleni)
(M. sternocleido-
mastoideus)
kleine Brustmuskel (M. pectoralis minor)
werden auch als Atemhilfsmuskeln
beze ichnet. Durch ihre Wirkung wird
der Brustkorb von oben fixiert, sodass
die äußeren Zwischenrippenmuskeln
(Mm. intercostales externi) ihre ver-
größernde Wirkung auf den Brustkorb
ausüben können

äußere Zwischen- kleiner Brustmuskel


rippenmuskeln 0 (M. pectoralis minor)
(Mm. intercostales
exteml)

Brustatmung Je nachdem welche Muskeln überwiegen, spricht man von Bauchatmung


• Vor allem Kontraktion des Diaphragmas oder Brustatmung. Bei der Brustatmung sind es v. a. die Mm. intercosta1es exter-
costales externi ni, bei der Bauchatmung v. a . das Diaphragma. Bei Frauen und v. a. bei Säuglingen
• Überwiegt bei Frauen und Kindern und Kindern überwiegt in der Regel d ie Brustatrnung, bei Männern hingegen die
Bauchatmung Bauchatmung.
• Vor allem Kontraktion des Diaphragmas An einer forcierten Einatmung können weitere Muskeln beteiligt sein:

• Überwiegt bei Männern • 1. pectoralis rnajor,


Atemhilfsmukulatur • 1. pectoralis rninor.
• M. pectoralis major
• M. pectoralis minor Zusammen mit den Mm. scaJeni und dem M. sternocleidornastoideus werden sie
• Mm. scaleni als Atemhilfsmuskeln bezeichnet. Damit der M. pectoraJis rnajor optimal wirken
• M. stemocleidomastoideus kann, müssen die Arme in der Hüfte aufgestützt werden, da er vorn Brustkorb
Paraplegiker entspringt und arn Arm ansetzt.
doppelseitig gelähmter Mensch Das Diaphragma wird durch den N. phrenicus innerviert. Der N. phrenicus
(meist an den unteren Gliedmaßen) verlässt den Wirbelkanal bereits auf der Höhe des 4. Zervikalwirbels. Bei Ver-
Tetraplegiker letzungen der Wirbelsäule unterhalb des 4- Zervikalwirbels ist er deshalb ni cht
an allen 4 Gliedmaßen gelähmter Mensch betroffen, sodass Paraplegiker und Tetraplegiker weiterhin selbständig atmen
Muskeln der Bauchpresse können.
• M. obliquus externus und internus
abdominis Exspiration
• M. transversus abdominis Bei der Ruheatmung genügen die Elastizität der Lunge sowie der intraabdomina-
• M. rectus abdominis le Druck für eine geregelte Ausatmung. Durch den im Bauchraum vorhandenen
Druck wird das Diaphragma n ach o ben verschoben. Dies und di e Rückstellkräfte
Bauchpresse der elastischen Fasern führen zu einer Verkleinerung des Brustraums. Bei for-
Kontraktion der Bauchmuskeln unter cierter Atmung genügen diese Kräfte nicht. Dann werden v. a. die Mm. intercosta-
gleichzeitigem Verschluss der Stimmritze, les interni und die Muskeln der Bauchpresse eingesetzt (Abb. 9-22). Durch
sodass ein Druck im Bauchraum aufge- Kontraktion der Bauchwandmuskulatur wird der intraabdominale Druck er-
baut wird höht. Dadurch kehrt das Diaphragma rascher in seine Ausgangslage zurück.
Physiolog ie der Atmung · Kapitel9 · Atmungssystem 379

Abb. 9-22.
Atemhilfsmuskeln fü r d ie Ausatmung
(Exspiration). Für die norma le Ausatmung
innere Zwischen· unter Ruhebedingunge n reichen die
rippenmuskein gerader Bauchmuskel
(Mm. intercostales (M. rectus abdomi nis) elastischen Kräfte innerhalb der Lunge
lntemi) aus, sodass es bei Nachlassen der Kon-
traktion der Einatmungsmuskeln automa-
t isch zur Ausatmung kommt. Unter
forcierter Atmung werd en d ie hier ein-
gezeichneten Muskeln wirksam. Bei ge-
schlossener Stimmri tze (Glottis) sind diese
Muskeln auch für die Bauchpresse verant-
wortlich

äußerer schräger innerer schräger


Bauchmuskel Bauchmuskel
(M. obliquus externus (M. obllquus intemus
abdominis) abdominis)

9.4 Physiologie der Atmung

9.4.1 Lungenvolumina und Lungenkapazitäten

Das Atemvolumen ist die Luftmenge, die bei jeder Inspiration ein- und bei der Atemvolumina
Exspiration ausgeatmet wird. Ein Atemzug besteht aus Inspiration und Exspira- • Inspiratorisches Reservevolumen
tion; das wird als Atemzugvolumen bezeichnet. • Exspiratorisches Reservevolumen
Nach der normalen Einatmung in Ruhe kann zusätzlich noch eine relativ • Resid ualvolumen
große Luftmenge bis zur maximalen Aufnahmekapazität der Lunge eingeatmet
werden. Dies ist das inspiratorische Reservevolumen. Das Volumen, das nach nor-
maler Exspiration noch zusätzlich ausgeatmet werden kann, ist das exspiratori-
sche Reservevolumen. Auch nach maximaler Exspiration bleibt immer noch ein
Restvolumen in der Lunge zurück, das sog. Residualvolumen. Das verhindert, dass
bei einer maximalen Ausatmung rue Lunge kollabiert, d . h. rue Wände der Alveo-
len würden sich gegenseitig berühren, und die Lunge wäre funktionsunfähig.
Die Summe von inspiratorischem, exspiratorischem Reservevolumen und
Atemvolumen wird als Vitalkapazität bezeichnet (Abb. 9-23) . Das Volumen, das Vitalkapazität
am Gasaustausch in keiner Weise beteiligt ist, da es nur rue Räume des luftleiten- • Atemzugvol umen
den Systems füllt (Nasenhöhle, Rachenraum, Kehlkopf, Trachea und Bronchial- • Inspiratorisches Reservevolumen
baum), wird als Totraum bezeichnet. Exspiratorisches Reservevolumen
Residualvolumen und exspiratorisches Reservevolumen werden gemeinsam • Residualvolumen
als funktionelles Residualvolumen bezeichnet, da das exspiratorische Reserve-
volumen bei der normalen Ruheatmung nicht ausgeatmet wird. Das funktionelle
Residualvolumen beträgt ca. 2.300 ml.
Die Volumina b zw. Kapazitäten der Lungenräume sind in Tabelle 9-1 zusam- Spirometer
mengeste!Jt. Die Messung der Lungen- und Atemvolumina erfolgt mit einem Apparat zur Mess ung des geatm eten
Spi ro meter (Abb. 9-24). Gasvolumens
380

Abb. 9-23.
Lungenvolumina, dargestellt anhand
eines riesigen Lungenbläschens, das stell-
vertretend für die Gesamtheit der Lungen-
bläschen steht. Die einzelnen Vo lumina
sind in den kleineren Abbildungen separat
dargestellt, die jeweils nicht dazugehöri-
gen Ante ile der Totalkapazität sind weiß
gezeichnet

Inspirationskapazität Atemvolumen funktionelle


Residualkapazität

Abb. 9-24. maximale Inspirationslage

Lungenvolumina, wie sie mit dem


Spirometer gemessen werden. Tl< VK
TKTotalkapazität, VKVitalkapazität, 3.000 ml

RV Residualvolumen, IK Inspirations-
kapazi tät, FRKfunktionelle Residual -
350·500 ml
kapazität, IRV inspiratorisches Reserve-
volumen, AV Atemvolumen, ERV exspirato- 1.100ml
risches Reservevolumen
maximale Exspirationslage
1.200ml

Tabelle 9-1. Verschiedene Lungenräume und ihre Kapazitäten bzw. Volumina

Kapazität (mll

Lungenraum Kapazität [mll


Totraum 150
Residualvolumen 1.200
Exspiratorisches Reservevolumen 1.100
Atemvolumen 350-500
Inspiratorisches Reservevolumen 3.000
Funktionelle Residualkapazität 2.300
Vitalkapazität" Mann 4.500
Vltalkapazitä Frau 3.600

a Bei der angegebenen Vitalkapazität hand elt es sich lediglich um Durchschnitt swerte, da die
Vitalkapazität von verschiedenen Parametern abhängt, z. B. Alter, Geschlecht, Körpergröße,
Körperstellung, Trainingszustand, Ra sse et c.
Physiologie der Atmung · Kapitel9 · Atmungssystem 381

9.4.2 Atemzeitvolumen und alveoläre Ventilation

Aus der Atemfrequenz (F) und dem Atemvolumen (AV) errechnet sich das Atemfrequenzen
Atemzeitvolumen (Produkt aus beiden: AV x F). Bei ruhiger At mung beträgt das • Erwachsene: 10- 18/min
Atemvolumen bei einem Erwachsenen durchschnittlich 500 ml u nd die Atem- • Kinder: 20- 30/min
frequenz ca. 14/min. Individuelle Abweichungen (10- 18/min) sind keine Selten- • Kleinkinder: 30-40/mi n
heit. Deutlich höhere Atemfrequenzen findet man bei Kindern. • Neugeborende: 40-50/min
Für die Ruheatmung eines Erwachsenen ergibt sich demnach ein Atemzeit-
volumen (AZV) von 7. 000 ml/min (14 x 500 ml). Bei körperlicher Anstrengung
kann das Atemzeitvolumen bis aut 100 1/min ansteigen.
Für d ie Beurteilung der Atmung kommt dem Atemzeitvolumen nur eine be-
dingte Bedeutung zu, da es keine Kenngröße des Atemeffekts, d. h. der alveolären Alveoläre Ventilation
Ventilation, ist. Für die Effektivität der Atmung ist die Relation des Totraums pro Atemzug eingeatmetes Volumen
(Volumen, das am Gasaustausch nicht teilnimmt) zum Atemzeitvolumen von abzüglich des Totraumvolumens
größter Bedeutung.
Eine frequente (schnelle) und flache Atmung führt zu einem geringerem
Atemeffekt als eine langsame und tiefe Atmung, da nach Abzug des jeweiligen
Totraumvolumens die erreichte alveoläre Ventilation niedriger ist. Tabelle 9-2
macht dies deutlich. Im Beispiel der frequenten, flachen Atmung resultiert ent-
sprechend eine alveoläre Ventilation von 1.500 ml gegenüber 4.500 ml bei tiefer
langsamer Atmung. Beide weisen jedoch ein Atemzeitvolumen von 6.ooo ml!min
auf. Für die Prax is ist daraus zu schließen, dass z. B. beim Tauchen ein Schnorchel
nicht zu lang sein darf, da sonst nur Luft im vergrößerten Totraum hin- und her-
geschoben wird, ohne eine genügende alveoläre Ventilation zu gewährleisten.
Durch pathologische Veränderungen kann die Lungenbelüftung gestört sein.
Diagnostisch werden diese Störungen in 2 Gruppen unterteilt: die restriktiven Restriktive Störungen
und die obstruktiven Ventilationsstörungen. • Lunge kann sich nicht ausdehnen
Als restriktive Störungen gelten z. B. die Verwachsung von Brustfell (Pleura • Vitalkapazität ist verringert
parietalis) und Lungenfell (Pleura visceralis) oder eine Verkleinerung des belüf-
teten Raums bei Lung e nfibrose. Dadurch kann die Lunge nicht maximal Obstruktive Störungen
vergrößert werden, und als Resultat ist die Vitalkapazität verringert. • Atemwege sind verengt
Obstruktive Ventilationsstörungen treten bei einer Verengung der Atemwege • Funktionelle Residualkapazität ist
u. a. bei Schleimansammlungen in den Bronchien (z. B. bei chronischer Bron- erhöht
chitis) oder bei Verkrampfung der Bronchialmuskulatur (Asthma bronchiale)
auf. Bei einer obstruktiven Ventilationsstörung muss der Patient ständig gegen Fibrose
einen erhöhten Widerstand ausatmen. In der Folge kommt es in fortgeschritte- krankhafte Bindegewebsvermehrung
nen Stadien zu einer Überblähung d er Lungen m it gleichzeitiger Vergröß erung
der funktionellen Residualkapazität. Funktionelle Residualkapazität
Residualvolumen plus exspiratorisches
Reservevolumen

Frequente, flache Atmung Langsame, tiefe Atmung

Atemfrequenz 30/min 10/min


Atemvolumen 200ml 600ml
Atemzeitvolumen 6.000ml 6.000ml
Totraum x Frequenz 4.500 mt/min 1.500 ml/ min
Alveoläre Ventilation 1.500 ml/min 4.500 ml/min
382

9.4.3 Lungenfunktionsprüfungen

lungenfunktionsprüfungen: Für die Beurteilung der Lungenfunktion stehen verschiedene Methoden zur
• Messung der Atemfrequenz Verfügung:
• Messung der Vi talkapazität •Messung der Atemfrequenz (F),
• Perkussionsuntersuchung • Messung der Vitalkapazität (VK),
• Auskultation • Perkussionsuntersuchung : Untersuchung der belüfteten Gebiete der Lunge
• Röntgen durch Abhören des Klopfschalls,
• Sekundenvolumen • Auskultation :Abhören der Atemgeräusche mit dem Stethoskop,
• Atemgrenzwert • Röntgenuntersuchung: normale Übersichtsaufnahme oder Computertomo-
gramm.

Von besonderer Bedeutung sind noch folgende Werte:


• das Sekundenvolumen oder der Atemstoßtest nach Tiffeneau: Hierbei wird
nach maximaler Inspiration die während 1 s maximal ausgeatmete Luft-
menge gemessen. Sie sollte ca. 70-80% der Vitalkapazität betragen, d. h.
}.ooo-}.6oo ml. Liegt die Menge der ausgeatmeten Luft unterhalb dieser Größe,
ist der Atemwegwiderstand erhöht (Abb. 9-25a, b ).
• Atemgrenzwert: Zu seiner Ermittlung wird die maximal mögliche Menge der
Atemluft während 10 s gemessen und dann auf 1 min umgerechnet. Der
Atemgrenzwert sollte das 18- bis 2ofache der Vitalkapazität betragen, d. h. ca.
80-90 l!min. Der Atemgrenzwert ist sowohl bei restriktiven als auch bei ob-
struktiven Ventilationsstörungen verringert. Bei gleichzeitiger Verringerung
von Vitalkapazität und Atemgrenzwert liegt meist eine restriktive Ventila-
tionsstörung vor. Bei gleichzeitiger Verringerung des Sekundenvolumens und
des Atemgrenzwertes liegt in der Regel eine obstruktive Ventilationsstörung
vor.

Abb. 9-25a, b.
Darstellung der Messung des relative SekundenkapaziW 70%
4
Sekundenvolumens (auch als relative
Sekundenkapazität bezeichnet), ~ 3
Q)
a bei einem Jugendlichen, E
:::>

b bei einem älteren Menschen. ~ 2

Beim älteren Menschen ist das Sekunden-


volumen reduziert. Links ist das Volumen
in Litern angegeben 0 8

=c: 3
Q)
E
:::>
2
~
Physiologie der Atmung · Kapitel 9 · Atmungssystem 383

9.4.4 Austausch der Atemgase

Luft ist ein Gemisch aus verschiedenen Gasen (gerundete Prozentzahlen): Stick- Zusammenset;~;ung der Luft
stoff (N ,): 78%, Sauerstoff (0 2 ): 21%, Kohlensäure ( C0 2 ): 0,04%, Edelgase (Argon, • Stickstoff (N2 }: 78%
Xenon, Helium) 1%. • Sauerstoff (02}: 21 %
• Kohlendixid (CO, }: 0,04%
Nach dem Gasgesetz von Dalton übt jedes Gas in einem Gasgemisch einen • Edelgase (Argon, Xenon, Helium}: 1%.
Teildrutk, den sog. Partialdruck aus, der seinem Anteil am Gesamtvolumen,
d. h. seiner Konzentration entspricht.

Der Partialdruck wird in mmHg (Millimeter Quecksilbersäule) angegeben. Die


Einheit für Druck (p) ist Pascal (Pa). Sie wird in Newton pro Quadratmeter
(N/m 2) gemessen. Nicht mehr empfohlen werden folgende Einheiten: atm, bar,
Torr, mmH 2 0 und mmHg. Im medizinischen Bereich findet mmHg jedoch im-
mer noch breite Verwendung. Im Folgenden wird daher einheitlich die Größe
mmHg verwendet.

Umrechnungsgrößen:
1 mmHg = 1 Torr = 133,322 Pa
1 bar = 100.000 Pa

Der Gesamtluftdruck eines Ortes ist von seiner Höhe über dem Meeresspiegel
abhängig. Je höher die Lage, desto dünner wird die Luft, und desto geringer ist
der Luftdruck. Auf Meereshöhe (NN) beträgt der Normaldruck 760 mmHg
(=1.013mb). Bereits in 3.000 m Höhe beträgt der Luftdruck nur noch 525 mmHg
(=700mb).
Anhand der Konzentration der Gase in der Atemluft lässt sich auch der je-
weilige Partialdruck errechnen. Für Sauerstoff beträgt der Partialdruck bei
760 mmHg bei NN, ausgehend von der Konzentration des Sauerstoffs in der
Atemluft von 21%:

760 x 0,21 = 160 mmHg

Dieser Wert von 160 mmHg berücksichtigt allerdings nicht, dass Luft auch Alveoläre Partialdrücke
Wasserdampf enthält, der die Luftfeuchtigkeit bestimmt. Wird der Luft die • PA0 2= 100 mmHg
Feuchtigkeit entzogen, beträgt der durchschnittliche Partialdruck der Umge- • PA H2 0 = 47 mmHg
bungsluft für Sauerstoff noch 150 mmHg. So lässt sich selbstverständlich auch • PAC02 = 40 mmHg
der Partialdruck der Gase in der Alveolarluft berechnen. Hier beträgt die relative
Luftfeuchtigkeit wo%, d. h. die Luft ist vollständig mit Wasserdampf gesättigt. Luftfeuchtigkeit
Der Partialdruck der Gase in den Alveolen wird abgekürzt als PA geschrieben meist als relative Luftfeuchtigkeit angege-
und hat folgende Normalwerte: ben, d. h. relativ zur Feuchtigkeit, die bei
der gegebenen Temperatur maximal in
PA 0 2 = 100 mmHg (Partialdruck von Sauerstoff), der Luft vorhanden sein kann. Bei tiefen
PA H20 = 47 mmHg (Partialdruck von Wasser, Temperaturen sinkt die maximale
PA co2 = 40 mmHg (Partialdruck von Kohlendioxid) Feuchtigkeit
384

Austausch der Atemgase und Diffusionskapazität


Die treibenden Kräfte des Gasaustausches durch Diffusion, sowohl bei der
äußeren als auch bei der inneren Atmung, sind lediglich die Konzentrations-
unterschiede zwischen den einzelnen Kompartimenten (z. B. alveoläre Luft, Blut,
Partialdruckdifferenzen Gewebe etc.) bzw. die aus ihnen resultierenden Partialdruckdifferenzen. Das be-
sind die treibenden Kräfte für den deutet, dass ein Gas immer die Tendenz hat, sich von einem Ort mit hohem
Gasaustausch Partialdruck, an dem es sehr oft mit Nachbarmolekülen zusammenstößt, an ei-
nen Ort mit niedrigem Partialdruck zu begeben, an dem die Häufigkeit der Zu-
sammenstöße reduziert ist. Die Partialdrücke der Gase der einzelnen Komparti-
mente des Körpers sind in Abb. 9-26 dargestellt.

Die Partialdruckdifferenz ist die treibende Kraft für den Gasaustausch.

Für eine optimale Diffusion müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:


• Die Austauschfläche muss groß sein.
• Der Diffusionsweg muss klein sein.
• Die Partialdruckdifferenz sollte möglichst groß sein.

Die Diffusionskapazität der Lungen ist für Kohlendioxid ca. 20-mal größer als für
Sauerstoff. Das bedeutet, dass auch bei Verschlechterung der Bedingungen Kohlen-
dioxid immer noch ausreichend diffundieren kann und abgeatmet werden kann.
Treten Diffusionsstörungen auf, z. B. durch pathologische Verkleinerung der
Atelektase Austauschfläche (Atelektase, Durchblutungsstörung etc.) oder durch Vergröße-
Bereich mit nicht entfalteten oder rung des Diffusionswegs (Lungenfibrose), so ist davon primär die 0 2 -Diffusion
kollabierten Lungenalveolen betroffen.

Abb. 9-26. Einatmungsluft Ausatmungstun

Partialdruck der Atemgase in den


einzelnen Räumen (Kompartimenten).
Im großen Kreislauf sind im Gewebe die 47,0

Kapillaren zwischen Arterien und Venen 565.o I


eingeschaltet. Der kleine Kreislauf verläuft
zwischen rechter und linker Herzhälfte.
Die für das Verständnis wichtigen Werte
rechte Herzhälfte linke Herzhälfte
von CO, und 0 , sind farblieh hervorgeho-
ben. Alle Zahlenangaben sind in mmHg.
Für CO, reicht eine Partialdruckdifferenz c
Q)
c:
von 46 mmHg im venösen Blut zu ~
40 mmHg in den Alveolen, um den
Kapillaren
Austausch durchzuführen. Zwischen

,,,,
dem arteriellen Blut und dem Gewebe
beträgt die Differenz für CO, ebenfalls
·•.
nur6 mmHg
®4
H20 47,0

N2 573,0
Gewebe
Atmungsregulation · Kapitel 9 · Atmungssystem 385

9.5 Hämoglobin

Für den Transport des Sauerstoffs im Blut sind die Erythrozyten mit ihrem Hämoglobin
Gehalt an Hämoglobin verantwortlich. Hämoglobin ist ein Protein, das aus • Protein aus 4 Untereinheiten
4 Untereinheiten aufgebaut ist (s. Abschn. 6.2.3). Durch die Eisenionen (Fe2+ ) pro • Eisenionen binden 0 ,-Moleküle
Hämoglobinmolekül können 4 0 -Moleküle reversibel gebunden werden. Dem-
2 • Blutkonzentration: ca. 15 g/100 ml
entsprechend beträgt die Bindungsfähigkeit des Hämoglobins für Sauerstoff ma-
ximal 1,34 ml 0 2 pro 1 g Hämoglobin. Die Konzentration des Hämoglobins be-
trägt ca. 15 g/100 ml Blut. Somit können in 100 ml maximal19,5 ml 0 2 gebunden
sein (15 g x 1,34 ml OJ. Die Menge des im Blutplasma gelösten 0 (d. h. nicht an
2

Hämoglobin gebundenen) ist gering, sie beträgt nur ca. 0,3 ml/100 ml Blut. Im
venösen Blut sind lediglich 15,2 ml 0 2 pro 100 ml vorhanden, d. h. 4,6 ml/100 ml
sind im Bereich der Kapillaren ins Gewebe diffundiert.

9.6 Atmungsregulation

Je nach körperlicher Aktivität und Stoffwechsellage hat der Körper einen unter- Anpassung der Atmung durch
schiedlichen Sauerstoff-Bedarf und produziert entsprechend unterschiedlich • Atemtiefe
viel Kohlendioxid. Also muss die Atmung den aktuellen Bedürfnissen angepasst • Atemfrequenz
werden. Das Ziel der Anpassung ist es,
• die Atemtiefe und Atemfrequenz möglichst ökonomisch zu regulieren, d. h. den
Aufwand so gering wie möglich zu halten ;
• die Atmung beim Sprechen, Schlucken, Singen etc. anzupassen;
• sowohl in Ruhe als auch unter Belastung, z. B. körperliche Arbeit, eine optima-
le 0 Versorgung zu gewährleisten.
2 -

Die beiden Parameter, auf die - im Sinne einer Regulation - Einfluss genommen
werden kann, sind die Atemtiefe und die Atemfrequenz.

Atemzentrum und Einflüsse auf Atemrhythmus


Im Rhombenzephalon liegt das Atemzentrum, in dem exspiratorische und inspi- Rhombenzephalon
ratarische Neurone unterschieden werden können (Abb. 9-27). Inspiration und Rautenhirn, das von der Brücke (Pans)
Exspiration werden durch eine wechselnde Folge von salvenartigen Entladungen bis zum Rückenmark reicht
der inspiratorischen und exspiratorischen Neurone ausgelöst. Durch die Aktivi-
tät der einen Neuronengruppe wird die andere Neuronengruppe gehemmt. Die Einfluss auf Atemrhythmus
Signale der Neurone werden über Nerven (z. B. den N. phrenicus, der das Dia- • Hering-Breuer-Reflex über Dehnungs-
phragma innerviert) an die entsprechenden Muskeln geleitet, die je nach Impuls rezeptorender Lunge
kontrahieren oder erschlaffen. • Zentrale und periphere Chemo-
Die wechselnde Entladung der inspiratorischen und exspiratorischen Neu- rezeptoren
rone bestimmen einen zentralen Atemrhythmus. Dieser zentrale Atmungs-
rhythmus wird durch exogene Veränderungen beeinflusst (Abb. 9-28).
So befinden sich z. B. in der Lunge Dehnungsrezeptoren, die auf eine gewisse
Atemtiefe (bedingt durch die Aufblähung der Lunge) reagieren und ein Signal an
das Atemzentrum leiten, wodurch der Übergang von der Inspiration zur
Exspiration bewirkt wird. Daneben existieren in der Lunge Rezeptoren, die die
Ausatmungstiefe registrieren und an das Atmungszentrum weiterleiten, wo-
durch der Obergang von der Exspiration zur Inspiration bewirkt wird. Diese
Selbstregulation der Atemtätigkeit, die unter Normalbedingungen die Tiefe der
Ein- und Ausatmung begrenzt, nennt man Hering-Breuer-Reflex.
386

Abb. 9-27.
Die linkeSeire der Abbildung zeigt den
Hirnstamm von dorsal mit dem Rautenhirn
(Rhombenzephalon). Hier befindet sich das
Atemzentrum mit den inspiratorischen und
exspirCltorischen Kerngebieten und ihren
Neuronen. Auf der rechten Seite der Abbil-
dung ist die Ableitung der Erregung aus
diesen Kerngebieten während der Inspira-
tion und Exspiration graphisch dargestellt.
Während der Einatmung (Inspiration) sind
die inspiratorischen Kerngebiete aktiv,
während der Ausatmung (Exspiration) sind
die exspiratorischen Kerngebiete mit ihren
Neuronen aktiv. Aktivität der einen Neuro-
ne führt jeweils zur Hemmung der Aktivität
der anderen Neurone

Abb. 9-28.
Darstellung der verschiedenen Einflüsse willkürliche Beeinflussung
durch Großhirnrinde
auf das Atemzentrum im Hirnstamm. Die
führende Regelgröße ist der Partialdruck
für CO, (pCO,)
emotionelle Einflüsse
Chemorezeptoren: über das limbisehe _ __:::::::._......,
(pC02• pH) System
Karotiskörperehen

Aortenkörperehen

zentrale
Chemorezeptoren
(pC02. pH)

Dehnungsrezeptoren ----------==--------~
in der Lunge
(Hering-Breuer-Reflex)

Mechanorezeploren ln
Muskeln und Gelenken

Schmerzrezeptoren
Atmungsregulation · Kapitel9 • Atmungssystem 387

Neben dieser mechanisch-reflektorischen Regulation der Atmung existieren


noch andere Mechanismen, von denen v. a. die chemische Regulation von großer
Bedeutung ist.
Zentrale (im Hirnstamm gelegene) und periphere Chemorezeptore n überwa- Chemorezeptor
chen die Partialdrücke für CO, und 0 , (pO" pCO, ) sowie den pH-Wert des arte- durch chemische Stoffe erregbarer
riellen Blutes und vergleichen diese mit den Sollwerten (p0, =90 mmHg, Rezeptor
pC0, =4o mmHg, pH-Wert=7,38; Abb. 9-29a- c). Abweichungen der Ist-Werte
von den Sollwerten veranlassen das Atemzentrum zu einer Aktivitätsänderung,
sodass über die Atemmuskulatur das Atemzeitvolumen verändert wird.
Die peripheren Chemorezeptore n Liegen in sog. Paraganglien; das sind An- Periphere Chemorezeptoren
sammlungen von modifizierten Nervenzellen, die aus dem vegetativen Nerven- • Karotiskörperehen (Giomus carotieum)
system hervorgegangen sind und die Nervenimpulse zum Atemzentrum leiten • Aortenkörperehen (Paraganglion supra-
können. Je ein Paraganglion liegt an der Teilungsstelle der linken und der rechten cardiale)
Halsschlagader (A. carotis communis); es wird als Karotiskörperehen (Glomus Maßgebende Größe für die chemische
caroticum) bezeichnet. Weitere Paraganglien liegen im Bereich des Aortenbo- Atemkontrolle ist der p. C02
gens und heißen Aortenkörperehen (Paraganglion supracardiale).
Paraganglion
Die führende Regelgröße für die chemische Atmungskontrolle ist der Partial- aus dem peripheren Nervensystem stam-
druck des arteriellen C0 2 (paC0 2 ). Durch Veränderungen des 0 2 -Partialdrucks mende, von einer bindegewebig en Hülle
und des pH-Wertes im Blut können nur geringe Änderungen des Atemzeit- umgebenen Zellansa mmlung, durch die
volumens bewirkt werden. entweder Überträgerstoffe abgeben wer-
Die Abkürzungen pAC02 bzw. p. C0 2 und pA02 bzw. p.c02 dürfen nicht miteinan- den können oder die al s Rezeptoren tätig
der verwechselt werden: das kleine a steht für »arteriell«, während das große A sind
»alveolär« bedeutet.

Als unsoezifische Einflüsse auf die Atmung werden eine Reihe von Reizen be- Unspezifische Einflüsse
zeichnet, die zwar die Atemtätigkeit beeinflussen, jedoch nicht im eigentlichen • Schmerz- und Temperaturreize
Sinn regulieren. Dies sind z. B. Schmerz- und Temperaturreize, aber auch arterielle • Druckreize über Druckrezeptoren
Druckreize. Die Druckreize werden durch Druckrezeptoren (Presso- oder Bare- • Hormone (z.B. Adrenalin, Progesteron)
rezeptoren) des Kreislaufsystems vermittelt und wirken ebenfalls auf das Atem-
zentrum. Auch Hormone können die Atemtätigkeit steigern. So wird die Aktivität
des Atemzentrums unter der Wirkung von Adrenalin und Progesteron erhöht.

60 Abb. 9-29a- c.
<= Darstellung des Atemminutenvolu mens
E
::. 60 (AMV) in Relat ion zum Partialdruck für CO,
c:
"'
E
:J im Blut (a) zum pH-Wert des Bluts (b) und
g 40 zum Partialdruck für 0 , im Blut (c). Wird
"'
ß!
:J
.s der Part ialdruck von CO, experimentell
E 20
E konstant gehalten, fällt d ie entsprechende
=i"' »Antwort« deutlicher aus, als in den
0 Teil abbildungen b und c mit der oberen
40 50 60 70 60 7.40 7 .35 7.30 7.25 7 .20 7.15 90 70 50 30 10
Pac 02 (mmHg)
Kurve im Gegensatz zur physiologischen
pH P3o2 (mm Hg)
Kurve dargestellt ist
a b (
9.7 Fragen und Zusammenfassung zum Atmungssystem
388

Was ist das wichtigste Substrat Ein großer Teil der Energie, die der Körper für alle Lebens-
für die Energiegewinnung? äußerungen benötigt, wird durch dje Verbrennung von
Was wird bei der Energie- Glukose produziert. Bei der Verbrennung wird ATP
gewinnung hergestellt? (Adenosintriphosphat) gebildet.

Was versteht man unter dem Je nach Art der Nahrung, die der Körper verbrennt, ändert
Begriff >>respi ratarischer sich das Verhältnis des abgegebenen Kohlendioxids (CO,)
Quotient«? zum aufgenommenen Sauerstoff (OJ. Dieses Verhältnis wird
als respiratorischer Quotient (RQ) bezeichnet. Bei reiner
Kohlenhydratnahrung beträgt der RQ =1,0, d. h. es wird ge-
nau so viel Sauerstoff aufgenommen, wie C0 abgegeben _
2

wird. Bei Protein beträgt der RQ =o,B und bei Fett RQ = 0,7-

Welche Formen der Atmung Lungenatmung: äußere Atmung; Gewebeatmung: innere


kennen Sie? Atmung.

Welche Organe und Organ- Die Nasenhöhle, die Nasennebenhöblen, der Rachen, der
bestandteile werden zum Kehlkopf, die Luftröhre (Trachea), der Bronchialbaum, die
Atmungssystem gerechnet? Lunge mit den Alveolen, der Brustkorb, die Atemmuskeln.

Wie ist die Nasenhöhle aufge- Am Eingang jn rue Nasenhöhle befindet sieb der Nasenvor-
baut? Wie wird sie begrenzt hof, in dem Vibrissae als Schutz gegen eindringende Fremd-
und wie ist sie ausgekleidet? körper dienen. Die Nasenhöhle wird durch das Nasenseptum
in 2 Teile unterteilt. Das Nasenseptum besteht aus einer Knor-
pellamelle sowie dem Vomer und der Lamina perpendicularis
des Os ethmoidale. Von der Seitenwand ragen 3 Nasen-
muscheln in die Nasenhöhle. Die Nasenhöhle ist mit respira-
torischem Epithel ausgekleidet. Ausnahme: Regio olfactoria
ca. 5 cm', rue mit olfaktorischem Epithel (Riechzellen) aus-
gekleidet ist.

Nennen Sie die Nasenneben- Sinus frontalis, Sinus maxmaris, Sinus sphenoidalis und
höhlen und geben Sie ihre Cellulae ethmoidales.
Funktionen an! Aufgaben :
• Gewichtsersparnis,
• Erwärmung der Atemluft und
• Resonanzorgan.

Nennen Sie die Etagen Der Pharynx besteht aus 3 Etagen: Pars nasalis, Pars oralis,
des Rachens (Pharynx)! Pars laryngea.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel9 · Atmungssystem 389
Wie ist der Kehlkopf (Larynx)
aufgebaut?
Das >>Skelett<< des Kehlkopfes besteht aus 5 Knorpeln:
Epiglottis, Schildknorpel, Ringknorpel und 2 Stellknorpel.
Der stimmbildende Teil des Kehlkopfes wird Glottis genannt.
Wichtigster Bestandteil der Glottis ist das Ligamentum vocale,
das durch den M. vocalis in seiner Spannung verändert
werden kann. Der Postikus ist der Öffner der Stimmritze.
Der N.laryngeus recurrens ist für die Stimmbildung verant-
wortlich.
Welche Funktionen hat der
Kehlkopf? • Pforte der Atemluft (Bauchpresse),
• Schutz der unteren Luftwege (Hustenreflex) und
• Phonation (Stimmbildung).
Wie ist die Luftröhre (Trachea)
aufgebaut? Sie ist ca. 12 cm lang und wird durch hufeisenförmige
Spangen aus hyalinem. Knorpel offen gehalten; ca.
15-20 Knorpelspangen werden durch bindegewebige
Ligamente untereinander zusammengehalten. Die Enden der
Knorpelspangen werden durch eine Bindegewebeplatte mit
dem M. trachealis verschlossen. Die Trachea wird durch respi-
ratorisches Epithel ausgekleidet. Sie teilt sich in die beiden
Hauptbronchien.
Wie ist der Bronchialbaum
Er beginnt mit der Teilung der Luftröhre auf der Höhe des
gegliedert?
5. Thorakalwirbels. Die beiden Hauptbronchien teilen sich in
je 10 Segmentbronchien, die sich ihrerseits über Bronchioli in
Bronchioli terminales verzweigen. In der Wand der Bronchien
befindet sich Muskulatur; die Wand wird durch Knorpel-
stücke stabilisiert. Bronchioli besitzen keine Knorpelstücke
mehr, sondern nur noch glatte Muskulatur. Der Bereich von
der Nase bis zum Bronchiolus terminalis wird als luftleiten-
des System bezeichnet.

Wie ist das gasaustauschende Das gasaustauschendes System wird vom Bronchiolus respi-
System der Lunge aufgebaut? ratorius, Ductus alveolaris und von den Alveolen gebildet. Die
300 Mio. Alveolen beider Lungenhälften vergrößern die innere
Oberfläche auf ca. 100m 2 • Die Alveolen werden von 2 Zell-
arten gebildet: Pneumozyten Typ I und II. Pneumozyten Typ
I stellen das Alveolarepithel dar. Pneumozyten Typ II bilden
den Surfactant, der die Oberflächenspannung der Alveolen
ihrem Durchmesser anpasst.

Die Lunge besteht aus 2 Lungenflügeln; der rechte ist aus 3,


Beschreiben Sie den Aufbau
der linke aus 2 Lappen aufgebaut. Jeder Lungenflügel besitzt
der Lunge!
eine Basis und einen Apex. Die Lunge ist von 2 Schichten der
Pleura umgeben: Die Pleura visceralis (Lungenfell) überdeckt
die Lunge und geht am Hilus in die Pleura parietalis (Rippen-
fell) über, die den Brustraum auskleidet. Zwischen beiden
befindet sich ein mit Pleuraflüssigkeit gefüllter Gleitspalt,
in dem ein Unterdruck herrscht (-3 bis -8 mmHg).
390
Welche Funktion hat der
Gleitspalt zwischen parietalem
Gleitspalt und Unterdruck bewirken, dass die Lunge den
und viszeralem Blatt der Pleura?
Bewegungen des Brustkorbes (Atmungsexkursionen) folgen
muss. Reserveräume der Pleura sind der Recessus costo-
diaphragmaticus und der Recessus costomediastinalis.
Nennen Sie die wichtigsten
Atemmuskeln für die Einatmung Das Diaphragma (Zwerchfell) und die Mm. intercostales
und Ausatmung! externi. Für die forcierte Ausatmung sind die Muskeln
der Bauchpresse und die Mm. intercostales interni wichtig.
Die Mm. scaleni, M. sternocleidomastoideus sowie der
M. pectoralis majorund M. pectoralis minor werden als
Atemhilfsmuskeln bezeichnet.
Welche Grundfrequenzen haben
die Stimme von Mann und Frau? Bei der Frau beträgt die Grundfrequenz 200-300 Hz, beim
Mann 100-130 Hz. Die Frequenzen der Formanten liegen
zwischen 200 und 4.000 Hz.
ln welchem Frequenzbereich
liegt die Sprache? Was ist die Die Sprachfrequenz beträgt ca. 1.000 Hz. In diesem Bereich
Begründung dafür? besitzt das Ohr die größte Empfindlichkeit.

Wie werden Vokale,


Vokale werden durch Schwingungen der Stimmbänder er-
wie Konsonanten erzeugt?
zeugt, Konsonanten durch Unterbrechung des Luftstromes an
Zunge, Gaumen, Zähnen, Lippen. Bei stimmhaften Konso-
nanten schwingen gleichzeitig die Stimmbänder mit.

ln welchem Teil des Atmungs- Sie erfolgt über die 10 7 Sinneszellen des olfaktorischen
systems findet die Geruchs- Epithels, deren Ausläufer über die Siebplatte mit dem Bulbus
wahrnehmung statt? olfactorius (Riechnerv) verbunden sind.

Nennen Sie das Hauptmerkmal Sie besitzen meist zwischen 3 und 20 C-Atomcn.
der meisten geruchswirksamen
Stoffe!

Wie gut kann der Mensch zwischen Die Fähigkeit, zwischen Geruchsintensitäten zu unter-
unterschiedlichen Geruchsintensi- scheiden, ist nur gering ausgebildet. Die Anpassung ist bei
täten unterscheiden? Wie groß ist der Geruchswahrnehmung sehr ausgeprägt.
die Anpassungsfähigkeit (Adap-
tation) an eine entsprechende
Geruchskomponente?

Das gesamte Lungenvolumen beträgt ca. 6.ooo ml. Es wird


Nennen Sie alle Ihnen bekannten
unterteilt in das inspiratorische (3.000 ml) und exspiratori-
Lungenvolumina!
sche Reservevolumen (1.100 ml) sowie das Atemvolumen
350-500 ml. Alle 3 zusammen werden als Vitalkapazität (beim
Mann 4.500 ml) bezeichnet. Auch bei stärkster Ausatmung
verbleibt ein (notwendiges) Residualvolumen ( Restvolumen
bei maximaler Exspiration; 1.200 ml). Außerdem ist das
Totraumvolumen (150 ml) in den gasleitenden Abschnitten
des Atmungssystems vorhanden.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel9 • Atmungssystem
Was bezeichnet man als 391
alveoläre Ventilation?
Die wichtigste Kenngröße der Atmung ist die alveoläre
Ventilation:
Atemzeitvolumen - Totraumvolumen x Atemfrequenz
Nennen Sie die wichtigsten
Lungenfunktionsprüfungenl
Wichtige Lungenfunktionsprüfungen sind Messung von:
• Atemfrequenz,
• Vitalkapazität (3.600-4.500 ml),
• Atemgrenzwert (18 bis 20 x Vitalkapazität),
• Atemstoßtest (8oo/o Vitalkapazität) sowie
• Auskultation,
• Perkussion und
• Röntgenübersichtsaufnahme.
Was ist der Partialdruck
der Atemgase? Welche Aufgabe Der Partialdruck errechnet sich aus dem Anteil der Gase
kommt der Partialdruckdifferenz an der Luft (0 2 = 21%, N2 = 78%, C0 2 = o,o4o/o).
zu? Die Partialdruckdifferenz zwischen den einzelnen
Kompartimenten (arterielles und venöses Blut, Alveolen,
Gewebe) ist die treibende Kraft für die Diffusion der Gase.
Welche optimalen Diffusions-
bedingungen braucht der • Austauschfläche möglichst groß,
• Diffusionsweg möglichst klein und
Austausch der Atemgase?
• Partialdruckdifferenz möglichst groß.
Die Diffusionskapazität für C0 2 der Lunge ist ca. 20-mal
größer als die für ol.

Wie ist Hämoglobin aufgebaut Der rote Blutfarbstoff Hämoglobin ist der einzige Inhalt der
und was ist seine Aufgabe? Erythrozyten. Er besteht aus 4 Untereinheiten, die jeweils ein
2wertiges Eisenion im Zentrum besitzen. Das Eisenion kann
0 , reversibel binden. 1 g Hämoglobin bindet 1,34 ml 0 2 •
In 100 ml arteriellem Blut sind ca. 15 g Hämoglobin vorhan-
den, die dementsprechend maximal19,5 ml 0 2 binden
können. Venöses Blut bindet lediglich 15,2 ml 0 2 pro 100 ml.
392
Was ist die Aufgabe
der Atmungsregulation? Die Atmungsregulation passt die Atmung der Aktivität und
Wie wird die Atmung reguliert? Stoffwechsellage des Körpers durch Veränderung des
Atemzeitvolumens an.
Im Rhombenzephalon befindet sich das Atemzentrum mit
seinen inspiratorischen und exspiratorischen Neuronen.
Diese bestimmen den »Zentralen AtmungsrhythmuS<<.
Der zentrale Atmungsrhythmus wird durch periphere
Einflüsse stabilisiert und reguliert:
• Mechanisch-reflektorisch: Hering-Breuer-Reflex mit
Rezeptoren die die Ein- und Ausatmungstiefe registrieren.
Dadurch kommt es zur Begrenzung der normalen
Atemexkursionen.
• Chemisch über zentrale Sensoren und periphere
Rezeptoren. Diese ermitteln den Partialdruck für CO,
(führende Regelgröße), für 0, und den pH- Wert. Bei
Abweichungen von den Sollwerten (pC0, =40 mmHg,
p0, =90 mmHg und pH-Wert=7,38) wird die Atmung ange-
passt.

Welche anderen unspezifischen Unspezifische Atmungseinflüsse sind Blutdruck, Schmerz,


Einflüsse auf die Atmung kennen Temperatur, Adrenalin und Progesteron.
Sie?
10 Verda ngssystem
10.1 Organ~ des Verdauungssystems 395
1 0.1.1 Mundhöhle 396
10.1.2 Rachen (Pharynx) 403
10.1.3 Magen-Darm-Trakt 404
10.1.4 Speiseröhre (Ösophagus) 405
10.1.5 Magen (Ventriculus, Gaster) 406
10.1.6 Dünndarm 412
10.1.7 Dickdarm 417
10.1.8 Leber und Galle 420
10.1.9 Gallenwege und Gallenblase 424
10.1.10 Bauchspeicheldrüse (Pankreas) 426

10.2 Nahrungsbestandteile 428


10.2.1 Lipide 428
10.2.2 Proteine 429
10.2.3 Kohlenhydrate 430
10.2.4 Vitamine 430
10.2.5 Spurenelemente 432
10.2.6 Ballaststoffe 433

10.3 Enzymatischer Abbau der Nahrung 433

1 0.4 Resorption der Nahrung 435

10.5 Fragen und Zusammenfassung zum Verdauungssystem 437


394

10 Verdauungss ystem

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
"' Die verschiedenen an der Verdauung beteiligten Organe nennen
• Den Aufbau und die Funktion der verschiedenen Verdauungsorgane erklären
8~~~~ .. Die Phasen der Magensaftsekretion und die Art ihrer Auslösung bezeichnen
• Die Bedeutung des »intrinsic factors« für die Blutbildung diskutieren
• Den Begriff Peritoneum definieren und die Beziehung der verschiedenen Organe
des Bauchraums zum Peritoneum beschreiben
Die Leber in ihrem Aufbau und ihre Bedeutung für den Körper darstellen
Den Aufbau und die Funktion des Pankreas erläutern
Die Bedeutung der wichtigsten Nahrungsbestandteile und die Art ihrer Verdauung
und Resorption beschreiben

Um existieren zu kö nnen, benötigt der Körper Nahrung in Form vo n Eiweißen


(Proteinen), Fetten (Lipiden) und Zucker (Kohlenhydraten) sowie Vi tami ne, Elek-
trolyte und Spurenelemente. Ko hlenhydrate, Proteine und Lipide kann der Kör-
per so, wie sie natürliche rweise in der Nahrung vorkommen, nicht weiterverwen-
de n, da pflanzliche und tierische Proteine, Lipide und Kohlenhydrate z. T. eine
völlig andere Zusammensetzung haben als die menschlichen. Deshalb ist es not -
wendig, dass die Nahrungsbestandteile in ihre Untereinheiten bzw. Bausteine zer-
legt werden. Hierzu muss die Nahrung zun ächst mechanisch zerkleinert, enzyma-
tisch gespalten und damit in ihre Bausteine zerlegt werden. Anschließend können
s ie von den Wänden des Magen-Darm-Traktes (Gastrointestinaltrakt) aufgenom-
men (resorbiert) werden. All diese Aufgaben übernimmt der Verdauungsapparat.
Die Untereinheiten der 3 Substanzklassen Proteine, Lipide, Kohlenhydrate spie-
len bei der Aufspaltung und Resorption eine besondere Rolle:
• bei den Proteinen: die Aminosäuren,
• bei den Lipiden: die Fettsäuren und
• bei den Kohlenhydraten: die einzelnen Zuckermoleküle.

An die Verdauung schließt sich die Reso rption (Aufnahme) an. Hierbei nimmt
Untereinheiten der wichtigsten das Epithel (Deckgewebe) der Darmwand die augespalteten Bausteine aus dem
Nahrungsbestandteile Darminhalt auf. Mit der Resorption werden die Endprodukte der Verdauung so-
• Proteine~ Aminosäuren wie das aus der Verdauung resultierende Wasser (aus der Nahrung, den Ver-
• Upide ~ Fettsäuren dauungssäften etc.), die Mineralstoffe und Vitamine aus dem Darmlumen über
• KohiPnhydrate -4Zuckermoleküle die Darmschleimhaut in das Blut oder die Lymphe aufgenommen. Nach der
Resorption können aus den Untereinheiten der Nahrung körpereigene Lipide,
Kohlenhyd rate und Proteine zusammengesetzt werden. Durch den Abbau von
Untereinheiten gewinnt der Körper Energie.
Organe des Verdauungssystems · Kapitel l 0 · Verdauungssystem 395

10.1 Organe des Verdauungssystems

In den folgenden Abschnitten werden Struktur, Funktion und Zusammenspiel


der Organe des Verdauungssystems erläutert (s. Tabelle 10-1 und Abb. 10-1).

Tabelle 1o-1 . Bestandteile des Verdauungssystems

Deutscher Begriff Fachausdruck Beschreibung im Abschnitt

Mundhöhle Cavitas oris 10.1.1


Schlund oder Rachen Pharynx 10.1.2
Speiseröhre Ösophagus 10.1.4
Magen Gaster, Ventriculus 10.1.5
Dünndarm Intestinum tenue 10.1.6
Leber Hepar 10.1.8
Gallenblase Vesica biliaris 10.1.9
Bauchspeicheldrüse Pankreas 10.1.10
Dickdarm Intestinum crassum 10.1 .7

Abb. l0-1.
Übersicht über die Organe
des Verdauungssystems

Rachen
(Pharynx)
Mundhöhle
(Cavitas oris) Speicheldrüsen

Speiseröhre
(Oesophagus)

Leber - - - + ---Ir-----,
(Hepar) Magen
(Venter. Gaster)

Gallenblase Bauchspeichel-
(Vesica biliarls) drüse
(Pancreas)

Dünndarm
(Intestinum
Wurmfortsatz -+---+--+- --""'\-\ tenue)
(Appendix
vermiformis)
Dickdarm
(Intestinum
Mastdarm crassum)
(Rectum)
396

10.1.1 Mundhöhle

Die Mundhöhle wird wie folgt begrenzt:


• seitlich von den Wangen,
• vorne durch die Lippen,
• unten durch den Mundboden,
• oben durch den Gaumen (weich und hart) und
• hinten vom Übergang in den Rachen (Pharynx, Pars oralis).

Inhalt der Mundhöhle Am Obergang zum Pharynx (Rachen) liegen die beiden Gaumenbögen; zwi-
• Zähne schen ihnen befindet sich auf jeder Seite die Tonsilla palatina (Gaumenmandel).
• Zunge Den Raum zwischen den Zähnen und zahntragenden Kieferfortsätzen einerseits
• Speicheldrüsen und den Lippen und Wangen andererseits bezeichnet man als Mundvorhof
(Vestibulum oris). Zu der Mundhöhle gehören die Zähne, die Zunge sowie di~ in
die Mundhöhle mündenden Speicheldrüsen. Die Mundhöhle ist von Schleimhaut
ausgekleidet. Diese besteht aus mehrschichtigem unverhorntem Plattenepithel,
das auf dem Zungenrücken in ein leicht verhorntes mehrschichtiges Platten-
epithel übergeht.
Der Mundboden wird von einer Muskelplatte gebildet, dem Diaphragma oris.
Der wichtigste Muskel dieser Muskelplatte ist der M. mylohyoideus, der mit
2 Teilen von der Innenseite der Mandibula (Unterkiefer) entspringt und sich in

der Mitte in einer bindegewebigen Zone (Raphe mylohyoidea) vereinigt.

Die Hauptmasse des Zungenkörpers besteht aus Muskulatur. Man unterscheidet


• Binnenmuskulatur verläuft innerhalb Binnenmuskulatur und Außenmuskulatur. Die Binnenmuskulatur verläuft nur
der Zunge innerhalb der Zunge, die Außenmuskulatur strahlt von außen in die Zunge ein.
• Außenmuskulatur strahlt von außen Die Zungenmuskulatur ist quer gestreift und unterliegt der Willkürmotorik. Die
in die Zunge ein Fasern der Binnenmuskulatur werden unterteilt in longitudinale, transversale
und vertikale Züge, die sich gegenseitig durchdringen.
• transversal horizontal Die Zunge wird beim Zurückziehen durch Kontraktion der longitudinalen Fa-
• longitudinal längsverlaufend sern und der einstrahlenden Außenmuskeln dicker und wirkt so wie der Stempel
• vertikal senkrecht einer Saugpumpe. Dies ist die Grundlage für den Saugakt beim Stillen. Die Verlän-
gerung der Zunge (Hinausstrecken) ermöglichen die transversalen und vertikalen
Faserzüge, die dabei gleichzeitig die Zunge dünner werden lassen. Bei der Kon-
traktion von jeweils 2 der 3 Zungenbinnenmuskeln wird der 3· Muskel gedehnt.
Die Zunge hat einen frei beweglichen Zungenrücken und einen befestigten
Zungengrund, der das hintere Drittel der Zunge ausmacht und zum Pharynx
überleitet. Die gesamte Zunge ist von einer Schleimhaut überzogen, die auf der
Unterseite nur locker auf dem darunter liegenden Bindegewebe befestigt ist
(Abb. 10-2). In der Mitte läuft die Schleimhaut der Unterseite in das Zungen-
bändchen (Frenulum linguae) zusammen. Beidseitig davon verläuft am Mund-
boden je eine Falte, die Plica Sublingualis (Unterzungenfalte), unter der eine
Speicheldrüse liegt, die GlanduJa Sublingualis (s. unten).
Im vorderen Teil der Plica Sublingualis befindet sich jeweils links und rechts
vom Frenulum eine Öffnung, die Caruncula sublingualis, auf der die Glandula
submandibularis (Unterkieferdrüse) mündet. Auf dem Zungenrücken ist das
Schleimhautbindegewebe straff und die Schleimhaut damit unversch ieblich.
Organe des Verdauungssystems · KapitellO · Verdauungssystem 397

Zungenspeicheldruse Abb. 10-2.


/ (Giandula Iinguaiis)
Blick in die Mundhöhle bei erhobener

Oberlippe -----~ Zunge. Auf der rechten Seite ist die


(Labium superius) Schleimhaut der Zungenunterseite nicht
ZungennaiV
(N . Iinguaiis) eingezeichnet, sodass die am Zungen-
boden verlaufenden Gefäße und Nerven
tiefe Zungenarterie
und tiefe Zungenvene sichtbar sind. Auf der Unterzungenfalte
(A. und V.
Zungenbändchen profund a linguae)
{Piica sublingualis) münden die Aus-
(Frenulum llnguae) füh rungsgänge der Unterzungendrüse
Ausführungsgang der (Giandula sublingualis) und auf dem
Unlerzungenfalte Unterkieferdrüse
(Piica sublingualis) (Ductus Unterzungenwärzchen der Ausführungs-
submandibularis)
gang der Unterkieferdrüse (Giandula sub-
Mundvorhof ---~ mandibularis)
(Vestibulum oris)
Öffnung der
Unterkieferdruse
auf dem
Unterzungenwärzchen
(Caruncula subllngualis)

Dadurch ist die mechanische Belastbarkeit der Zunge besser. Hier befindet sich
eine große Zahl von Nervenendigungen, die die Zunge zu einem empfindlichen
Tastorgan machen, das noch feinste Unebenheiten wahrnehmen kann. Folge der
dichten Anordnung dieser Nervenendigungen ist, dass abgetastete Gegenstände
mit der Zunge größer erscheinen. Auf dem Zungenrücken bildet die Schleimhaut
verschiedene Arten von Papillen, die teils mechanische Aufgaben zu erfüllen ha- Papilla,lateinisch
ben, teils die Träger der Geschmacksknospen sind. Es werden 4 verschiedene Wärzchen
Arten von Papillen unterschieden, die in Abb. 10-3 dargestellt sind.
Die Papillae filiformes (Fadenpapillen) sind die häufigsten, sie haben eine Zungenpapillen

mechanische Funktion. Ihre Spitzen sind nach hinten gegen den Pharynx gerich - • Pilzpapi llen (Papillae fungiformes)
tet und verursachen die Rauigkeit der Zunge. Dadurch haftet die Nahrung besser • Fadenpapillen (Papillae filiformes)
und wird beim Schlucken nach hinten geschoben. Zwischen den Papillae ftlifor- • Blattpapillen (Papillae fo liatae)
mes sind die Papillae fungiformes (Pilzpapillen) eingestreut, die beim Kind und • Wallpapi llen (Papillae va llatae)
Jugendlichen noch Geschmacksknospen tragen.
Die Papillae vallatae (Wa1lpapillen) sind V-formig parallel zur Grenzfurche Geschmacksknospen: Ansammlung
(Sulcus terminalis) angeordnet, die den Übergang des Zungengrundes in den von Sinneszellen für die Wahrnehmung
Zungenrücken markiert. Insgesamt sind ca. 8-12 dieser Papillae vallatae vorhan - von Geschmacksstoffen
den. Sie sind von einem Graben, dem Papillengraben, und einem daran
anschließenden Wall von Schleimhaut umgeben. In der Tiefe des Grabens liegen
ebenfalls Geschmacksknospen. In den Graben münden von unten Spüldrüsen,
durch welche die Geschmacksstoffe mit einem dünnflüssigen Sekret von dort
wieder fortgespült werden. Damit wird anderen Geschmacksstoffen der Zugang
ermöglicht.
Die Papillae foliatae (Blattpapillen) schließlich liegen am hinteren seitlichen
Zungenrand, sie sind ebenfalls mit Geschmacksknospen besetzt.
Hinter der Grenzfurche beginnt der Zungengrund, in dem sich lymphati-
sches Gewebe befmdet, das man als Tonsilla Iinguaiis (Zungenmandel) bezeich-
net. Sie gehört zum lymphatischen Rachenring (s. Kap. 8, Immunologie).
398

Abb. 10-3 a- c.
a Aufsicht auf den Zungenrücken mit den
verschiedenen Papillen. Die Wallpapillen
(Papillae vallatae) stehen V-förmig und
bilden mit der Grenzfurche zwischen Zun-
genrücken und Zungenwurzel (mit der Blattpapillen - - - - -
(Papillae foliatae)
Zungenmandel) das Zungen-V (V-Iinguae).
b Fadenpapillen (Papille filiformes) und ~--- Zungenmandel
(Tonsilla Iinguaiis)
Pilzpapillen (Papillae fungiformes),
c Wallpapille (Papilla va llata) und
Anschnin der Zungenmandel (Tonsilla
Iinguaiis)

Kehlkopfdeckel
a (EpigloHis)
Fadenpapille
(Papilla filiformis)

Lymphfollikel
der Zungenmandel

Pilzpapille
(Papilla
fungiformis)

Spüldrüsen

b Zungenmuskulatur c Wallpapille (Papilla vallatae)

Geschmack
4 Qualitäten des Geschmacks: Es lassen sich 4 Grundqualitäten des Geschmacks unterscheiden: süiS, sauer, sal-
• süß zig und bitter. Diese 4 Grundqualitäten lassen sich nicht eindeutig einer Zungen-
• sauer region zuordnen, entsprechende ältere Aussagen haben sich als falsch erwiesen.
• salzig Jede Geschmacksknospe ist für mehrere Geschmacksqualitäten empfindlich. Ne-
• biner ben den 4 Grundqualitäten werden noch Sinneszellen für metallischen und alka-
lischen Geschmack vermutet. Japanische Wissenschaftler konnten den Nachweis
erbringen, dass noch eine weitere Geschmacksempfindung, die für das Natrium-
salz der Glutaminsäure (Glutam at), vorhanden ist. Dieser Geschmacksqualität
haben sie den Namen Umami gegeben. Die unterschiedlichen Geschmacksqua-
litäten können speziellen durch entsprechende Substanzen erregten Rezeptor-
zellen zugeordnet werden.

Die Kieferfortsätze enthalten Aussparungen, die Alveolen (Zahnfacher). In diesen


sind die Zähne mit einem speziellen Halteapparat, dem Parodontium, befestigt.
Man unterscheidet am einzelnen Zahn eine Krone (Corona), die das Zahnfleisch
(Gingiva) überragt, von einer Wurzel (Radix), die in der Alveole steckt (Abb.10-4).
Die Krone ist von Zahnschmelz überzogen, der härtesten Substanz im
Zahnschmelz als härteste Substanz
menschlichen Körper. Der Zahnschmelz besteht zu 96o/o aus anorganischer
des Körpers
Substanz, die sich hauptsächlich aus Kalziumphosphat zusammensetzt und totes,
Organe des Verdauungssystems · Kapitel10 · Verdauungssystem
399

Abb. 10-4.
Schmelz Schnittbild durch einen Schneidezahn im
(Enamelum) Zahnfach (Zahnalveole). Das Zahnfleisch
Zahnkrone Retzius-Streifen (Gingiva) enthält keinerlei Muskulatur
(Fleisch), sondern lediglich Bindegewebe.
Zahnbein Das Saumepithel ist der Teil des Zahn-
(Dentin)
fleischs, der dem Zahn zugewandt ist.
Zahnhals
Saumepithel Die Retzius-Streifen im Zahnschmelz ent-
Pulpa sprechen Wachstumslinien, d ie während
der Schmelzbildung durch Wachstums-
Zahnbildner - - - schübe zustande kommen
(Odontoblasten) Wurzelhaut
(Desmodontium)
Zahnfleisch
(Gingiva)
Zement
(Cementum)
Wurzelkanal
Wurzelspitze
(Apex)
Alveolarl<nochen

unempfindliches und nicht regenerationsfähiges Material darstellt. Der Zahn-


schmelz kann im Laufe der Lebensjahre abgekaut werden (Attrition) oder durch • Attrition Zahnabrieb durch
zusätzliche mechanische Belastung, z. B. Druck der Pfeife beim Rauchen, abge- Kaufunktion
rieben werden (Abra sio n), sodass das darunter liegende Zahnbein (Dentin) zum • Abrasion Zahnabrieb durch zusätzliche
Vorschein kommt. Zahnbelastung
Das Dentin hat eine knochenähnliche Zusammensetzung. Im Unterschied zu den
Osteozyten (Knochenzellen), die sich selbst einmauern (s. Abschn. 3.5.1), bleiben
die Odontoblaste n im Inneren des Zahns in der Pulpahöhle liegen, sodass nur Odentoblasten
ihre Ausläufer durch das Dentin eingemauert werden. Diese Ausläufer liegen in zahnbeinbildende Zellen
dünnen Dentinkanälchen. Die Pulpahöh le enthält neben den Orlontoblasten v. a.
Bindegewebe und Nerven sowie die versorgenden Gefäße. Diese gelan gen durch • Pulpa Mark
den Wurzelkanal in die Pulpahöhle. Bei mehrwurzeligen Zähnen (z. B. bei den
Backenzähnen) hat jede Wurzel einen solchen Wurzelkanal, die dann in eine ge-
meinsame Pulpahöhle münden.
An der Wurzel ist das Dentin von Zement umgeben, das ebenfalls eine ähnli-
che Zusammensetzung wie der Knochen hat. Zement dient dem Einbau des Zahns
in die Alveole des Kiefers. Das Zement ist umgeben von der Wurzelhaut (Desmo-
dontium), die die Wurzel wie ein elastisches Kissen umspannt. Obwohl diese Haut
nur ca. 1oo pm dick ist, enthält sie zahlreiche Blut- und Lymphgefäße sowie Ner-
ven. Bei einer Entzündung der Wu rzelhaut wird der Zahn etwas aus der Alveole
herausgedrückt, sodass beim Zubeißen d ie Schmerzen noch verstärkt werden.
Die Befestigung des Zahns in der Alveole erfolgt durch kollagene Fasern, die
sowohl in den Kieferknochen als auch in das Zement als sog. Sharpey-Fasern ein-
strahlen. Aufgrund der Faseranordnung ist der Zahn zwar ziemlich fest, aber
400

doch bis zu einem gewissen Grad federnd in die Alveole eingebaut. Die Kollagen-
fasern verlaufen dabei so, dass Druck auf den Zahn (beim Beißen) in Zug umge-
wandelt wird. Den Ort, an dem das Zement in den Zahnschmelz übergeht, be-
zeichnet man als Zahnhals (Collum).
Parodontium Alveolarknochen, Desmodontium und Zement werden zusammen auch als
• Alveolarknochen Parodontium bezeich net.
• Desmodontium Das Zahnfleisch (Gingiva) besteht nur aus Mundhöhlenepithel und dem dar-
• Zement" unter liegenden Bindegewebe, stellt also kein Fleisch (Muskelgewebe) im eigent-
lichen Sinne dar. Der dem Zahn anliegende Teil der Gingiva heißt SaumepitheL
Es umschließt den unteren Teil der Zahnkrone dicht. Dies wird durch seine Be-
festigung mit kollagenen Fasern, die weiter unten am Zement ansetzen, und
durch ringförmige, um den Zahnhals laufende Fasern erreicht. Lockert sich die-
se Befestigung, kann eine Zahnfleischtasche entstehen. Dies ist ein idealer Be-
reich für die Bildung von Fäulnisherden. Sehr häufig finden sich im Zahnfleisch
Ansammlungen von Lymphozyten. Sie übernehmen die Infektionsabwehr und
werden als Zahnfleischtonsille bezeichnet.

Gebiss
Das endgültige Gebiss besteht aus 32 Zähnen: 8 Schneidezähnen (Dentes inci-
sivi), 4 Eckzähnen (Dentes canini), 8 Backenzähnen (Dentes praemolares),
12 Mahlzähnen (Dentes molares).

Der hinterste Mahlzahn (Weisheitszahn) zeigt oft Rückbildungserscheinun-


gen: Häufig ist er gar nicht vorhanden oder erst im Erwachsenenalter ausgebildet.
M ilchgebiss Das Milchgebiss besitzt lediglich 20 Zähne: 8 Schneidezähne (Dentes incisi-
• 8 Schneidezähne (Dentes incisivi) vi), 4 Eckzähne (Dentes canini), 8 Mahlzähne (Dentes molares).
• 4 Eckzähne (Oentes canini) Der 1. Mahlzahn des endgültigen Gebisses wird ca. im 6.-7- Lebensjahr gebil-
• 8 Mahlzähne (Dentes molares) det. Die 1. Zahnlücke entsteht meist zwischen dem 7- und 8. Lebensjahr (mit dem
Ausfall eines Schneidezahns, Dens incisivus). Damit ist der 1. Mahlzahn fast noch
Endgültiges Gebiss ein verspäteter Milchzahn. Dies dürfte der Grund sein, warum er häufig schlecht
• 8 Schneidezähne (Dentes incisivi) ausgebildet ist.
• 4 Eckzähne (Dentes canini) Benachbarte Zähne berühren sich mit ihren Kronen nahe der Kaufläche,
• 8 Backenzähne (Dentes praemolares) während zum Zahnhals hin Lücken bleiben, die durch Zahnfleisch ausgefüllt
• 12 Mahlzähne (Dentes molares) sind. Beim Biss treffen sich die Zähne des Oberkiefers mit den Zähnen des Unter-
kiefers normalerweise so, dass sie leicht gegeneinander verschoben sind. Damit
treffen die jeweiligen Kauspitzen nicht genau aufeinander.

Kauvorgang und Schluckakt


Am Kauvorgang sind neben der eigentlichen Kaumuskulatur (s. Kap. 4, Bewe-
gungsapparat) die Zähne, die Zunge, die Wangen, der Mundboden und der Gau-
men beteiligt. Durch Bewegungen von Zunge, Lippen und Wangen wird die ah-
rung immer wieder zwischen die Zähne geschoben und zwischen diesen durch
Schneide- und Mahlbewegungen zerkleinert. Während des Kauvorgangs wird die
Nahrung mit Speichel du rchmischt und damit gleitfähig gemacht.
Durch Zungenbewegungen nach hinten wird der Schluckakt eingeleitet, der
den Bissen (Bolus) in die Speiseröhre (Ösophagus) befördert. Ab einem gewissen
reflektorisch unwillkürlich Punkt verläuft der Schluckakt reflektorisch. Der 1. Teil des Schluckens besteht in
einer willkürlichen Zungenbewegung, die den Bissen in Richtung Pharynx
schiebt. Durch Berührung der Gaumenbögen, des Zungengrundes oder der Ra-
Organe des Verdauungssystems · Kapitell O· Verdauungssystem 401

ehenhinterwand wird der reflektorische Teil des Schluckens ausgelöst. Dabei muss
zunächst die Verbindung zum Nasenraum durch Heben des Gaumensegels ver-
schlossen werden. Danach erfolgt der Verschluss des Kehlkopfeinganges durch
Vorschieben des Kehlkopfes und Umklappen des Kehldeckels (Epiglottis). Beides
verhindert, dass Nahrung in die Luftröhre gelangt, da im Rachen der Speiseweg
den Luftweg kreuzt. Durch Betätigung der Rachenmuskulatur findet anschlie-
ßend der Transport des Bissens in den oberen Abschnitt des Ösophagus statt.
Am Schluckakt sind ca. 20 verschiedene Muskeln beteiligt, die unter Kontrolle
eines Schluckzentrums koordiniert werden, das in der Medulla oblongata Medulla oblongata
(s. Kap. 5, Nervensystem) liegt. Kurzfristiger Atemstillstand und Verschluss der ein Teil des Hirnstamms kurz vor dem
Stimmritze sind Teil des Schluckreflexes. Übergang in das Rückenmark

LuftschI ucken
Wird während des Essens Luft geschluckt (Aerophagie), wird diese wieder regur- Aerophagie
gitiert (aufgestoßen), resorbiert (in der Darmwand) oder zum größten Teil mit Luftschlucken
dem Darminhalt bis in den Dickdarm befördert. Hier vermischt sie sich mit dem
von Darmbakterien gebildeten Wasserstoff, Schwefelwasserstoff, Methan und Regurgitation
Kohlendioxid und wird über den Anus nach außen abgegeben (Flatus). Rückfluss von Inhalt eines Hohlorgans,
hier des Magens
Speicheldrüsen
Der Mundspeichel wird von 2 histologisch gut voneinander unterscheidbaren Speichelformen
Zelltypen produziert: Der eine Zelltyp produziert enzymhaltigen, dünnflüssigen • Enzymhaltiger, dünnfl üssiger
Verdauungs- und Verdünnungsspeichel, der andere einen schleimhaltigen Gleit- Verdauungs- und Verdünnungsspeichel
speichel. In der Mundhöhle liegen 3 größere paarige und eine große Anzahl klei- • Schleimhaitiger Gleitspeichel
nerer Speicheldrüsen (Abb. 10-5).
Die größte dieser paarigen Speicheldrüsen ist die Ohrspeicheldrüse (Glandu-
la parotidea bzw. Parotis). Sie liegt beidseits zwischen dem aufsteigenden Unter-
kieferast und dem äußeren Gehörgang. Ihr Ausführungsgang mündet im Mund-
vorhof gegenüber dem 2. oberen Backenzahn.
Auf seinem Weg dorthin überquert der Ausführungsgang den M. m asseter
(Kaumuskel) und durchbricht den Wangenmuskel (M. buccinator). Die Drüse ist
zusammen mit dem M. massetervon einer derben Faszie umhüllt (Fascia masse-

Abb. 10-5.
Lage der 3 großen Speicheldrüsen
der Mundhöhle

Ohrspeicheldruse
(Giandula parotidea)

Unterkieferdrüse
(Giandula submandibularis)
402

SpE!icheldrüsen terica) und wird bei jeder Kieferbewegung zwischen Muskel und Faszie massiert,
• Ohrspeicheldrüse wodurch die Ausschüttung ihres Sekretes veranlasst wird. Die Parotis ist, wie die
(Giandula parotidea bzw. Parotis) meisten Drüsen, sehr weich, sodass sie von außen nicht getastet werden kann. Bei
• Unterzungendrüse Entzündungen kann sie jedoch stark anschwellen, sodass der Fasziensack, der sie
(Giandula sublingualis) umgibt, prall gefüllt ist und die Drüse durch die Haut getastet werden kann. In ei-
• UnterkiE!ferdrüsE! nem solchen Fall schmerzt die Drüse bei jeder Bewegung des Kiefers, da sie nicht
(Giandula submandibularis) ausweichen kann. Eine der häufigsten Erkrankungen der Parotis ist der Mumps
(Parotitis epidemica), eine Entzündung, die durch Viren verursacht wird.
Die Unterzungendrüse (Glandula sublingualis) ist ebenfalls eine paarige
Speicheldrüse, die beiderseits unterhalb der Zunge auf dem Mundboden liegt. Sie
produziert einen schleimigen Speichel, der mit mehreren Ausführgängen auf bei-
den Seiten der Zunge, im Bereich der Plica sublingualis, in die Mundhöhle gelangt.
Die Unterkieferdrüse (Glandula submandibularis) ist die 3· paarige Speichel-
drüse. Sie liegt unterhalb des Mundbodens jeweils neben dem Unterkiefer und
wird ebenfalls durch ihre Lage bei jeder Kieferbewegung massiert, sodass der
Speichel ausgepresst wird. Es kann sogar passieren, dass beim Öffnen des Mundes
(z. B. beim Gähnen) das größtenteils dünnflüssige Sekret dieser Drüse in einem
weiten Bogen zu beiden Seiten des Frenulums (»Zungenbändchen«) herausspritzt.
• mukös schleimig Die Unterkieferdrüse ist eine gemischte Drüse, die sowohl muköses (schlei-
• serös dünnflüssig miges) als auch seröses (wässriges) Sekret produziert. Die serösen Zellen sitzen
kappenartig auf den schleimproduzierenden Zellen. So können sie das muköse
Sekret ausspülen.

Speichelsekretion
Die 3 großen paarigen Speicheldrüsen sowie einige weitere kleinere Drüsen pro-
duzieren gemeinsam ca. 1-1,5 I Speichel pro Tag. Die Speichelzusammensetzung
ist abhängig von der Art der Nahrung: Durch trockene Speisen wird die Sekre-
tion eines dünnflüssigen Spülspeichels bewirkt; flüssigkeitshaltige Speisen regen
die Sekretion eines dickflüssigen Verdauungsspeichels an.
Ptyalin spaltet Kohlenhydrate bereits Speichel enthält ein kohlenhydratspaltendes Enzym, die a-Amylase, die in
im Mund Form von Ptyalin abgegeben wird. Daneben enthält Speichel v. a. Muzin, einen
Schleim, der hauptsächlich aus Glykoprotein besteht. Die Wirkung des kohlen-
hydratspaltenden Enzyms Ptyalin wird bei längerem Kauen von Brot deutlich:
dabei wird aus der Stärke des Brots Maltose freigesetzt, die leicht süßlich
schmeckt.

Speichelfunktionen Speichel hat 3 wesentliche Funktionen zu erfüllen:


• Erhöhung der Gleitfähigkeit 1. Erhöhung der Gleitfähigkeit der Nahrung,

der Nahrung 2. Reinigung der Mundhöhle und

• Reinigung der Mundhöhle 3. Teilnahme an der Verdauung von Kohlenhydraten.


• Teilnahme an der Verdauung
von Kohlenhydraten Speichel ist durch Bikarbonat gepuffert und hält damit den pH-Wert im Bereich
zwischen 6,2 und 7.4 konstant. Bei stark saurem Speichel (niedriger pH-Wert)
Bikarbonat wird Kalzium aus den Zähnen gelöst.
Salz der Kohlensäure, H2 CO, Bei einem zu hohen pH-Wert wird Zahnstein gebildet, besonders in der Nähe
der Ausführungsgänge der Speicheldrüsen. Zahnstein ist eine harte Ablagerung
von Kalziumsalzen an der Oberfläche von Zähnen, in die zusätzlich noch
Speisereste vermengt sein können.
Organe des Verdauungssystems · Kapitell 0 · Verdauungssystem 403

Sekretion von Speichel


• Sympathikus: fördert Bildung von dünnflüssigem Speichel
• Parasympathikus: fördert Bildung von dickflüssigem Speichel

Die Sekretion des Speichels wird reflektorisch ausgelöst. Der auslösende Reiz ist
der Kontakt der Nahrung mit dem Schleimhautepithel der Mundhöhle. Der
Geruch oder die Vorstellung einer Speise können - bekanntlich - ebenfalls zu
vermehrtem Speichelfluss führen: >>Das Wasser läuft einem im Munde zusam-
men«. Auch ohne Nahrungsaufnahme findet eine basale Speichelsekretion statt
(Ruhesekretion). Die Aktivierung des Parasympathikus bewirkt die Absonde-
rung eines dünnflüssigen Speichels, die Aktivierung des Sympathikus hingegen
die Absonderung eines dickflüssigen Speichels (zu Sympathikus und Parasympa-
thikus s. Kap. s, Nervensystem).

Gaumen (Palatum durum und molle)


Das Dach der Mundhöhle wird in den vorderen zwei Dritteln durch den harten
Gaumen und im hinteren Drittel durch den weichen Gaumen gebildet.
Der harte Gaumen (Palatum du rum) entsteht durch die Knochenfortsätze der Harter Gaumen
Maxilla Oberkiefer) und im hinteren Teil, kurz vor dem Obergang in den weichen • Knochenfortsätze des Maxilla
Gaumen, durch eine horizontal verlaufende Knochenplatte des Os palatinum • Knochenplatte des Os palatinum
(Gaumenbein). Die Knochen des harten Gaumens sind von Knochenbaut (Pe-
riost ) und Schleimbaut überzogen, die in der Nähe der Zähne unverschieblich
befestigt sind und in das Zahnfleisch übergehen. Weiter hinten am harten Gau-
men liegt zwischen Periost und Schleimhaut ein Feld von kleinen Schleim-
drüsen, die Glandulae palatinae; diese produzieren ein muköses Sekret, das als
Gleitschleim für die Passage der Nahrung wirkt.
Der weiche Gaumen (Palatum molle) hängt hinten vom harten Gaumen se- Weicher Gaumen: 2 GaumEmsegel
gelförrnig herab und wird deshalb auch als Velum palatinum oder Gaumensegel mit Zäpfchen
bezeichnet. In erschlafftem Zustand liegt das Gaumensegel auf dem Zungen-
grund. Es bildet 2 Gaumenbögen, die im Zäpfchen (Uvula) münden. Im Gaumen-
segel sowie in der Uvula verlaufen Muskeln, die am Schluckakt beteiligt sind.
Durch den Verlauf der Gaumenbögen, zwischen denen auf beiden Seiten die
Tonsilla palatina (Gaumenmandel) liegt, wird die Rachenenge gebildet, der mus-
kulös verschließbare Eingang zum Pharynx.

10.1.2 Rachen (Pharynx)

Der Pharynx ist ein ca. 12 cm langer Muskel schlauch, der an der Schädelbasis auf-
gehängt ist. Er geht in den Ösophagus (Speiseröhre) über. Die hintere Rachen-
wand ist flach und ohne Lücken bzw. Öffnungen. Vorne sind dagegen 3 Öffnungen
vorhanden; diese bilden den Zugang zur Mundhöhle, zur Nasenhöhle und zum
Kehlkopf. Dementsprechend wi rd der Pharynx in 3 Etagen unterteilt wie in
Abb. 9-6 dargestellt ist.
In der Pars oralis kreuzen sich Atem- und Speiseweg. Beim Neugeborenen Pharynxetagen
steht der Kehldeckel noch hoch im Pharynx, sodass die Nahrung seitlich am • Pars nasalis (im Bereich der Nasenhöhle)
Kehldeckel, durch den Recessus piriformis, vorbeizieht, ohne den Luftweg zu ge- • Pars oralis (Zugang zur Mundhöhle)
fährden. Säuglinge können aus diesem Grund gleichzeitig trinken und atmen. • Pars laryngea (Zugang zum Kehlkopf)
Während der weiteren Entwicklung wird der Rachen höher, und der Kehlkopf
404

liegt tiefer, sodass es zu einer Kreuzung von Atem- und Speiseweg kommt.
Deshalb muss während des Schluckvorgangs der Atemweg kurzfristig abgesperrt
werden. Dies geschieht unwillkürlich und ist Teil des Schluckakts.

10.1.3 Magen-Darm-Trakt

Die verschiedenen röhrenförmigen Abschnitte des Verdauungstraktes haben ei-


nen generellen Bauplan, der- abgesehen von kleineren Unterschieden im Wand-
bau und der Ausbildung eines Oberflächenreliefs - in allen Bereichen identisch
ist. Damit kommen vom Ösophagus bis zum Rektum überall die gleichen Schich-
ten in der Wand des Verdauungstraktes vor (Abb. 10-6).

Schichten des Magen-Darm-Traktes Mukosa


• Schleimhaut (Mukosa) Zur Mukosa (Schleimhaut) gehören:
• Unterschleimhaut (Submukosa) • das Epithel (Deckgewebe)
• Muskelhaut (Muskularis) • das darunter liegende Bindegewebe (die Propria) und
• Bauchfell oder Bindegewebe • im Magen-Darm-Trakt eine dünne Schleimhautmuskelschicht
(Serosa oder Adventitia) (Lamina muscularis mucosae).

Submukosa
Plexus submucosus Meissner: innerviert Die Submukosa ist das unter der Schleimhautmuskelschicht liegende Bindegewe-
Schleimhautmuskelschicht be. In der Submukosa liegt ein Nervenplexus, der Plexus submucosus Meissner.
Dieser innerviert die Schleimhautmuskelschicht. Je nach Abschnitt des Magen-
Darm-Traktes sind in der Submukosa auch Drüsen vorhanden, z. B. im Duode-
num die Brunner-Drüsen.

Abb. 10-6. Gekröse Auerbach·Nervenplexus


(Mesenterium) Nerv (Plexus myentericus)
Schema des Magen-Darm-Traktes (am
Beispiel des Darms) mit seinen verschie- Meissner-Nervenplexus
(Plexus submucosus)
denen Schichten. Über das Gekröse
(Mesenterium) gelangen die versorgen-
den und entsorgenden Gefäße und
Nerven an das Darmrohr. Die dargestell-
ten Drüsen in der Sub mukosa deuten
Schleimhaut
darauf hin. dass es sich um einen Aus- (Mukosa)
schnitt des Zwölffingerdarms {Duode- Epithel
num) mit den Brunner-Drüsen handelt. (Lamina epithelialis)

L
Der Auerbach-Piexus ist für die Peristaltik Bindegewebe
\\ gewebe (Lamina propria)
des Darms und der Meissner-Piexus ist für (Submucosa)

die Schleimhautmuskulatur (Zotten- ~ Muskelhaut


Schleimhautmuskel
(Lamina muscufaris
mucosae)
pumpe) und die Innervation der Drüsen gewebe (Muskularls)
Bauchfell - Ringmuskel
verantwortlich (Peritoneum) - Längsmuskeil
Organe des Verdauungssystems ·Kapitell 0 · Verdauungssystem 405

Muskularis
Die Muskularis (Muskelhaut) ist zweischichtig: innen verläuft eine Ringmuskel- Plexus myentericus Auerbach versorgen
schiebt, außen eine Längsmuskelschicht. Diese Muskelschichten sind die Grund- Ring- und Längsmuskelschicht
Iage für den peristaltischen Transport im Magen-Darm-Trakt. Zwischen den bei-
den Muskelschichten verläuft ein weiterer Nervenplexus, der Plexus myentericus peristaltisch
Auerbach, der für die nervöse Versorgung der beiden Muskelschichten verant- wellenförmig fortschreitend
wortlieh ist.

Bauchfellüberzug (Peritoneum) und Bindegewebszone (Adventitia)


Je nach Lage des Organs ist ein Bauchfellüberzug, das Peritoneum, vorhanden.
Die äußere epitheliale Schicht des Peritoneums wird als Serosa bezeichnet Serosa: Epithelanteil des Peritoneums
(s. auch Anschn. 10.1.6). Der Brustteil der Speiseröhre (Ösophagus) ist z. B. mit
einer Bindegewebszone (Adventitia) in die Umgebung eingebettet, der Bauchteil
hingegen ist mit Serosa überzogen. Eine Adventitia überzieht das entsprechende Adventitia: Bindegewebe zur Einbettung
Organ inlmer dann, wenn keine Serosa vorhanden ist. in die Umgebung; an Organen vorhanden,
die nicht von Peritoneum bzw. Pleura
10.1.4 Speiseröhre (Ösophagus) überzogen sind

Die Speiseröhre ist ein ca. 25 cm langer, muskulärer Schlauch, der hinter der
Luftröhre und vor der Wirbelsäule verläuft (Abb. 10-7). Ihr Wandbau entspricht
dem typischen Bau des Magen-Darm-Traktes. Beim Erwachsenen beträgt der Weg
von der vorderen Zahnreihe bis zum Mageneingang ca. 40 cm. Entsprechend

SpeiserOhre - - - - - - - - - - - ,
(Ösophagus) Abb. 10-7.
Luftröhre Verlauf der Speiseröhre (Ösophagus), die
(Trachea) zwischen Luftröhre (Trachea) und Wirbel-
säule (Columna vertebralis) liegt und
durch das Zwerchfell (Diaphragma) aus
Aortenbogen dem Brustraum (Thorax) in den Bauch-
(Arcus aonae) raum (Abdomen) eintritt. Im Bereich des
rechter --------:r+''A~Ir"
Hauptbronchus Aortenbogens befindet sich die engste
(Bronchus linker Hauptbronchus
principalis dexter) (Bronchus principalis Stelle in der Speiseröhrenpassage
sinister)
Bindegewebszentrum
des Zwerchfells Brustaorta
(Centrum tendineum) (Aorta thoracica)
SpeiserOhre
(Oesophagus)
Durchtrittsöffnung ----~
der unteren Hohlvene
(Foramen venae cavae)
Bauchteil der
SpeiserOhre
Erweiterung am
Mageneingang
(Pars cardiaca)
Gefäßstamm für die
Bauchaorta Magen-Darm-
(Aona abdominalis) Vensorgung
(Truncus coeliacus)
406

seiner Funktion als Gleitrohr zum Magen ist der Ösophagus mit einem
mehrschichtigen unverhornten Plattenepithel ausgekleidet, in das mehrere in der
Submukosa gelegene Schleimdrüsen (Glandulae oesophageae) münden, die mit
ihrem Sekret die Gleitfähigkeit erhöhen. Im oberen Drittel besteht die Ring- und
Längsmuskulatur aus quer gestreiften, im mittleren Drittel teilweise aus glatten
Muskelfasern. Im unteren Drittel sind nur noch glatte Muskelfasern vorhanden.
Die quer gestreiften Muskelfasern des Ösophagus unterliegen nicht der
Willkürmotorik

3 Engstellen im Ösophagus Ösophaguspassage


• Oberer Ösophagussphinkter Im oberen und unteren Abschnitt der Speiseröhre befinden sich Engstellen durch
• Unterer Ösophagussphinkter Verstärkungen der Muskulatur, die als oberer und unterer Ösophagussphinkter
• Aortenenge bezeichnet werden. An anderen Orten ist der Ösophagusaufgrund des im Brust-
raum herrschenden Unterdrucks nicht verschlossen. Neben dem unteren und
Sphinkter dem oberen Ösophagussphinkter liegt noch eine dritte Engstelle im Ösophagus:
ringförmiger Schließmuskel die Aortenenge. Sie wird durch den Aortenbogen hervorgerufen, der mit dem
linken Bronchus den Ösophagus komprimiert.
Während des Schluckaktes erschlafft der obere Ösophagussphinkter. Da-
durch wird der Eintritt der Nahrung in die Speiseröh re ermöglicht. Der weitere
Transport erfolgt dann durch eine in Richtung Magen fortschreitende Kontrak-
tionswelle, der eine Erschlaffungswelle voraus läuft. Dieser Vorgang - Kombina-
tion einer Erschlaffung mit nachfolgender Kontraktion - heißt Peristaltik und ist
Voraussetzung für den Transport durch den Verdauungstrakt. Die Peristaltik
läuft normalerweise in Wellen ab. Hat eine Peristaltikwelle den unteren Ösopha-
gussphinkter erreicht, öffnet sich dieser, und der Bolus gelangt in den Magen. Der
Transportvorgang durch den Ösophagus untersteht zentralnervöser Kontrolle,
die steuernden Nervenimpulse gelangen über denN. vaguszur Ösophagusmus-
kulatur.

10.1.5 Magen (Ventriculus, Gaster)

Makroskopische Abschnitte des Magens Anatomie


• Kardia (Pars cardiaca , Mageneingang) Der Ösophagus mündet nach seinem Du rchtritt durch das Diaphragma (Zwerch-
• Fundus (Magen kuppet, die links die fell) in den Magen. Der Magen ist in ungefülltem Zustand ca. 20 cm lang. Äußer-
Kardia überragt) lich unterscheidet er sich von den folgenden Darm abschnitten durch sein e Form
• Korpus (Korpus, Magenkörper) und seine beiden Mesenterien Omenturn maius und Omenturn minus (großes
• Ant rum (Erweiterung am und kleines Netz). Man unterscheidet am Magen makroskopisch folgende Ab-
Magenausgang) schnitte, die in Abb. 10-8 dargestellt sind.
• Pylorus (Canalis pyloricus, Auch der leere Magen führt zeitweise Kontraktionen aus (Magenknurren).
Magenpförtner) Diese Hungerkontraktionen sind aber keine geordneten peristaltischen Wellen.
Die Magenentleerung findet portionsweise durch kräftige peristaltische Wellen
Mesenterium im Antrumbereich, bei gleichzeitiger Öffnung des Pylorus, statt. Die Entlee rung
Aufh ängestruktur des Mage n-Dar m- ist unmittelbar nach ein er Mahl zeit am intensivsten und wird dann immer
Traktes, die aus einer Verd oppelung schwächer. Von dieser Entleerung ist jedoch nur de r Mageninhalt betroffen, der
des Perito neum s best eht, bereits vor der gerade stattfindenden Nahrungsaufn ahme vorhanden war. Der
zeitliche Ablauf der Entleerung hängt allgemein von der Menge, der Zusammen-
setzung, der Aufbereitung und der Teilchengröße der Nahrung ab. Während brei-
förmige Nahrung bereits nach relativ kurzer Zeit entleert wird, kann die Verweil-
dauer schlecht gekauter oder fettrei cher Nahrung bis zu 5 h betragen.
Organe des Verdauungssystems · KapitellO · Verdauungssystem 407

Erweiterung am
Abb. 10-8.
Speiseröhre : ; - - - - - - - - -
Mageneingang Magen (Ventriculus, Gaster) mit seinen
(Oesophagus) (Pars cardiaca)
makroskopischen Bestandteilen. ln der
Magenkuppel
unterer Speiseröhren· - - - - - - - . . :
(Fundus)
Magenkuppel (Fundus) befindet sich auch
Schließmuskel
Serosa be i gefülltem Magen eine Gas blase. Die
(Peritoneum) Speiseröhre (Ösophagus) mündet in eine
Magenkörper Erweiterung beim Mageneingang (Pars
(Corpus)
Längsmuskulatur cardiaca). Die einzelnen Schichten des
Ringmuskulatur
Magen-Darm-Traktes sind eingezeichnet.
Im unteren Teil der Abbildung sind die
Zwölflingerdarm Unterschleimhaut-
(Duodenum) bindegewebe Falten der Magenschleimhaut zu sehen.
(Submucosa) Am Magenpförtner (Pylorus) geht der
Erweiterung am
große Kurvatur
Schleimhaut Magen in den Zwölffingerdarm (DuoQ.e-
Magenausgang (Mucosa)
(Antrum) (Curvatura major) num) über

Histologie
An der Kardia geht das mehrschichtige Plattenepithel des Ösophagus in ein ein- Magendrüsen
reihiges Zylinderepithel über, das den Magen auskleidet. Die Schleimhautober- • Fundusdrüsen
fläche zeigt außer den Falten (Grobrelief) noch zahlreiche millimetergroße Fel- • Kardiadrüsen
der (Areae gastricae, Feinrelief) sowie mit der Lupe erkennbare punkt- und • Pylorusdrüsen
schlitzförmige Grübchen (Foveolae gastricae; Abb. 10-9a-c).
In jedes Grübchen münden mehrere Magendrüsen (Glandulae gastricae). Es sind
Einsenkungen des Oberflächenepithels in die Bindegewebeschicht der Schleim-
haut (Propria), die bis zur Schleimhautmuskulatur (Lamina muscularis muco-
sae) reichen. In den einzelnen Magenregionen unterscheiden sie sich hinsichtlich
ihrer Funktion, ihrer zellulären Zusammensetzung und ihrer Form. Magendrüsen
können in Fundusdrüsen, Kardiadrüsen und Pylorusdrüsen unterteilt werden.
Die Drüsen im Bereich von Fundus und Korpus sind gestreckt, dicht angeordnet
und enthalten 3 Zellarten, sog. heterokrine Drüse, wie in Abb. 10-9c dargestellt.
Im Drüsenhals liegen hauptsächlich die Nebenzellen. Sie bilden einen neutra-
len Schleim und damit eine Schutzschicht für das Epithel, das ohne ausreichende
Schleimproduktion dem sehr aggressiven Magensaft ausgesetzt wäre. Im Mittel-
stück der Drüsen liegen die Hauptzellen: Sie bilden die proteolytischen (eiweiß-
verdauenden) Enzyme des Magensaftes. Die Belegzellen sind vom Drüsenlumen
etwas abgedrängt und stehen mit diesem durch intrazelluläre Sekretkanälchen in
Verbindung. Sie produzieren Salzsäure (HCI) und »intrinsic factor« (s. unten).
Kardiadrüsen liegen in einer ca. 1-2 cm breiten Zone direkt um den Magen- Zellarten der Magendrüsen
eingang verteilt. Sie gleichen in der Form den Fundus- und Korpusdrüsen, besit- • Nebenzellen (neutraler Schleim
zen jedoch nur einen Zelltyp (homokrine Drüse), der Schleim bildet, sodass sau- und Schutz vor Magensaft)
rer Mageninhalt das Epithel der Magenwand nicht zerstört. • Hauptzellen (proteolytische Enzyme)
Die Grübchen der Schleimhaut im Bereich des Antrum sind tiefer als die der • Belegzellen
übrigen Magenregionen. Die Zellen der hier gelegenen Drüsen bilden ebenfalls (Salzsäure und »intrinsic factor«)
hauptsächlich Schleim. Mit Spezialfarbungen lassen sich jedoch auch basalgekörn-
te Zellen darstellen, die sog. G-Zellen (Gastrin-Zellen). Diese produzieren das Gastrin-Zellen (G-Zellen) im Antrum
Gewebehormon Gastrin. Wie in den anderen Regionen des Magen-Darm-Traktes, produzieren Gastrin
so kommen auch im Magen in der Propria häufig Lymphfollikel vor (Abb. 10-9a).
408

Abb. 10-9a- c. Öffnung der Magendrüsen


(Fovea gastrica)
Histologische Strukturen der Magen-
Schleimhaut
schleimhaut. (Mukosa)
a Feinrelief der Magenschleimhaut mit
den punktförmigen Öffnungen der Unterschleimhaut-
bindegewebe
Magendrüsen (Singular: Foveola gastrica).
(Submukosa)
Lymphfollikel kommen Oberall im Magen-
Lymphfollikel
Darm-Trakt, als Ausdruck von Abwehr- Muskelhaut
(Muskularis)
vorgängen, vor.
Magendrüsen
b Die Magendrüsen der Magenkuppel (Giandulae Blutgefäße der
(Fundus) und des Magenkörpers (Korpus) gaslricae) Submukosa
sind heterokrine Drüsen (d. h. sie produ- \

(Lamina propria) Schleimhautmuskulatur


zieren mehrere Sekretbestandteile). a (Lamina muscularis mucosae)
c Darstellung einer heterokrinen Drüse MOndung der
mit 3 verschiedene sekretorischen Zellen Magendrüse
Mündung der (Foveola gastrica)
(Hauptzellen, Belegzellen und Neben- Magendrüse
zellen) (Foveola gastrica)

Belegzelle

Schleimhaut-
muskulatur
(Lamina
muscularis Hauptzelle
mucosae)

b c

Magensaftsekretion
Salzsäuresekretion
Ein wesentlicher Bestandteil des Magensaftes ist Salzsäure. Durch die Säure wird
ein pH-Wert des Magensaftes von ca. 1 erreicht. Die Salzsäure wird von den
Belegzellen der Korpus- und Fundusdrüsen produziert. Dabei vollbringen diese
Zellen eine erstaunliche Leistung, da sie unter allen Umständen in ihrem Inneren
einen pH-Wert von ca. 7,2 aufrechterhalten müssen, um selbst funktionieren zu
ional können. Daher erfolgt der Wasserstofftransport nicht in ionaler Form, sondern
in Form von Ionen, d. h. elektrisch gebunden. Erst beim Transport über die Zellmembran hinweg geschieht die
geladene Teilchen Umwandlung in Wasserstoffionen (H Man nimmt an, dass entweder H 0 oder
1
). 2

organische Verbindungen (z. B. Glukose) Lieferanten für die H • -Ionen sind. Fest
steht, dass für jedes ausgeschiedene W ein OH (Hydroxylion) in der Zelle ve r-
Dissoziation bleibt (H 0 ~ H"• + OH ). Dieses OW wird durch ein H neutralisiert, das aus
2
1

reversibler Zerfall einer chemischen der Dissoziation von H 2 C0 3 (Kohlensäure) stammt (s. auch Kap. 9, Atmungs-
Verbindung in Moleküle, Atome oder system), entsprechend folgendem Schema:
Ionen
Organe des Verdauungssystems · Kapitel10 · Verdauungssystem 409

Das Chiaridion (Cl-Ion) stammt aus der interstitiellen Flüssigkeit. Sein Trans-
port aus der Zelle hinaus ist aus Gründen der Elektroneutralität streng an den
H+-Transport gekoppelt. Das venöse Blut des Magens weist einen relativ h ohen
Gehalt an HC0 3 - auf. Während Phasen hoher H+ -Sekretion kann das Blut deshalb
einen leicht alkalischen pH-Wert annehmen.

Die Salzsäure des Magensaftes hat folgende Aufgaben: Aufgaben der Salzsäure im Magen
• Aktivierung von inaktiven Enzymvorstufen, • Aktivierung von Enzymvorstufen
• Schaffung eines optimalen pH-Wertes für die Enzymwirkung, • Optimaler pH-Wert für die Enzym-
• Denaturierung (Wasserentzug) von Proteinen, wirkung
• durch Denaturierung auch Abtötung von Bakterien. • Denaturierung von Proteinen
• Abtötung von Bakterien
Pepsinogensekretion
Pepsirrogen ist die inaktive Vorstufe des proteolytischen Enzyms Pepsin. Es wird Proteolyse
in den Hauptzellen der Magendrüsen produziert, in denen es in Form von sog. Eiweißabbau durch Spaltung der Proteine
Zymogengranula (Zymogen= Proenzym= inaktive Vorstufe eines Enzyms) ge-
speichert wird. Nach der Freisetzung aus den Hauptzellen wird Pepsirrogen Autokatalyse
durch die Abspaltung von Inhibitoren (Hemmstoffen) zu Pepsin aktiviert. Diese chemischer Vorgang bei dem die ent-
Reaktion wird durch die Salzsäure eingeleitet und läuft dann autokatalytisch stehende Substanz selbst Katalysator ist.
weiter. Das heißt, sie kann nach der ersten Salzsäurebeteiligung auch ohne Katalysator
Salzsäure weiterlaufen. Substanz die einen chemischen Vorgang
beschleunigt oder herbeiführt ohne selbst
Muzinbildung dabei verbraucht zu werden
Die Oberflächenzellen der Magenwand, die Zellen der Kardiadrüsen und der
Drüsen im Pylorusgebiet sowie die Nebenzellen produzieren den Magenschleim
(Muzin) . Muzin enthält Glykoproteine, die eine gute Haftung des Schleims an der Muzin schützt Magenschleimhaut
Magenwand ermöglichen. Der Schleim überzieht die Magenwände und schützt vor Pepsin und Salzsäure
gegen die Selbstverdauung des Magens durch Pepsin und Salzsäure.

lntrinsic factor
Der Magensaft enthält außer den bereits erwähnten Anteilen noch ein Iebens- lntrinsic factor ermöglicht Aufnahme
wichtiges Glykoprotein, das >>intrinsic factor<< (von innen zugeführter Faktor) ge- des extrinsic factors (Vitamin B, 2 )
nannt wird. Es wird von den Belegzellen gebildet. Ohne dieses Glykoprotein kann
Vitamin B" , der sog. »extrinsic factorc< (von außen zugeführter Faktor), nicht aus
dem Verdauungstrakt aufgenommen werden. Das FehJen des »intrinsic factors«
verursacht eine schwere Störung des Blut bildenden Systems, die sog. perniziöse
Anämie, da Vitamin B, an der Blutbildung beteiligt ist. Verabreicht man Vitamin
2 Anämie
B12 jedoch parenteral, d. h. unter Umgehung des Verdauungssystems, kann der Blutarmut, Hämoglobinmangel = Mangel
Körper wieder ausreichend Erythrozten bilden. an roten Blutkörperchen

Regulation der Magensaftsekretion


Die Magendrüsen produzieren pro Tag ca. 3 .000 ml Magensaft (Sekretion). Auch Phasen der Magensaftsekretion
im nüchternen Zustand findet eine Basissekretion von ca. 5-15 ml!h statt. Dieses • Kephale Phase
Basissekret enthält weder Pepsin noch HCI. Es ist neutral bis leicht alkalisch und • Gastrische Phase
enthält Wasser, Schleim sowie Elektrolyte. Die vermehrte Sekretion des Magen- • Intestinale Phase
saftes steht immer in Zusammenhang mit der Naluungsaufnahme. Man teilt die
Magensaftsekretion in 3 Phasen ein (Abb. 10-10).
410

Abb. 10- 10.


Schema der Magensaftsekretion m it ihren
3 Phasen: kephale, gastrische und intesti-
kephale Phase
nale Phase. Bei Übertritt von Mageninhalt
in den Zwölffingerdarm (links unten im
Anschluss an den Magen gezeichnet) mit
einem pH-Wert > 4 w ird Gastrin freige-
setzt, das über den Blutweg die Sekretion
von Salzsäure anregt. Umgekehrt führt ein
pH-Wert < 4 zu einer Freisetzung von
gastrische Phase
Sekretin, das ;~ uf dem Blutweg die Se-
kretion von Salzsäure hemmt und gleich-
zeitig die Bildung von Pepsinegen anregt

intestinale Phase

Kephale Phase Kephale Phase


• Geruch und Geschmack aktivieren Die kephale Sekretionsphase steht unter dem Einfluss nervöser lmpulse aus dem
N. Vagus Gehirn. Geruchs- und Geschmacksempfindungen lösen reflektorisch eine Sekre-
~ Freisetzung von Azetylcholin tion aus. Auch der Anblick oder die Vorstellung von Speisen wirkt sekretions-
~ Stimulation der HCI- und Pepsine- fördernd. Der N. vagus (der X. Hirn nerv und gleichzeitig Hauptnerv des Para-
gensekretion sowie Freisetzung sympathikus) leitet d ie entsprechenden Im pulse in die Magenwand. Dadurch
von Gastrin wird Azetylcholin fre igesetzt, das d ie HCI- und Pepsinogensekretion d irekt sti-
muliert. Außerdem bewirkt d ie Vagusaktivierung, dass G-Zellen Gastrin freiset-
Azetylcholin zen. Gastrin gelangt dann auf dem Blutweg zu den Belegzellen und regt diese
Überträgersubstanz z. B. im ebenfalls zur Sekretion an.
Parasympathikus
Gastrische Phase
Gastrische Phase Die gastrische Phase der Magensaftsekretion wird durch direkten Kontakt der
Kontakt der Nahrung mit Magenwand ~ Nahrung mit der Magenwand ausgelöst. Die mechanische Dehnung bewirkt eine
Sekretion von Magensaft Sekretion von Magensaft. Daneben können aber auch chemische Reize (z. B.
Produkte der Eiweißverdauung, Alkohol oder Kaffee), eine Gastrinsekretion aus-
lösen. Deshalb hat es einen stimulierenden Einfluss auf die Magensaftsekretion,
wenn man vor dem Essen einen Aperitif trinkt.

Intestinale Phase
Intestinale Phase Die intestinale Phase setzt ein, sobald Bruchstücke der Eiweißverdauung in das
• Freisetzung von Gastrin durch Duodenum (Zwölffingerdarm) gelangen und hier ebenfalls die Sekretion von
Eiweißverdauung im Duodenum Gastrin auslösen, das auch in der Schleimhaut des Zwölffingerdarms gebildet
• Sekretin hemmt die HCI-Bildung wird. Es gelangt dann auf dem Blutweg in die Magenwand und bedingt einen
Anstieg der Magensaftsekretion. Sobald jedoch saurer Mageninhalt (pH < 4) ins
Duodenum übertritt, führt dies zur Freisetzung des Hormons Sekretin, das die
HCI-Bildung hemmt.
Organe des Verdauungssystems ·Kapitel 10 · Verdauungssystem 411

Bedingter Reflex und psychische Einflüsse


Bestimmte Umweltsignale können die Magensaftsekretion ebenfalls auslösen.
Dies nennt man einen bedingten oder auch konditionierten Reflex, d. h. eine
Reaktion ist an eine bestimmte Situation gekoppelt. Beim Menschen können die
unterschiedlichste Signale einen derartigen Reflex auslösen, z. B. Tellerklappern
beim Tischdecken, der Ton eines Tischgongs etc. auch Emotionen haben einen
Einfluss auf die Magensaftsekretion und die Magenmotilität Aggressionen, Är-
ger oder Stress verursachen eine Tonussteigerung der Wandmuskulatur, eine
Erhöhung der Magensaftsekretion und eine stärkere Durchblutung des Magens.
Trauer oder Furcht können das Gegenteil bewirken.
Die emotionalen Reize werden ebenfalls über denN. vagusgeleitet

Gastrointestinale Hormone
Gastrointestinale Hormone werden im Gastrointestinaltrakt (Magen-Darm-
Trakt) und in der Bauchspeicheldrüse produziert. Sie beeinflussen die Funktion
der Verdauungsorgane und gehören in die Gruppe der aglandulären Hormone (s. aglandulär
Kap. 12, Endokrinologie). Alle gastrointestinalen Hormone sind Polypeptide, sie nicht in Drüsen (Giandula) sondern
sind also aus mehreren Aminosäuren aufgebaut. Neben Gastrin und Sekretin sind von verstreuten Einzelzellen gebildet
z. B. Motilin und Cholezystokinin-Pankreozymin (CCK-PZ) von Bedeutung. Moti-
lin stimuliert die Darmmotilität und CCK-PZ die Ausschüttung von Gallenflüs- Muskeltätigkeit im Magen-Darm-Trakt
sigkeit und Pankreassekret CCK-PZ wird heute meist einfach als CCK bezeichnet. • Peristaltik und Antiperistaltik
• Propulsive Persistaltik
Peristaltik • Segmentalion
Die Peristaltik ist die Grundlage des Transports von Nahrung durch den Magen-
Darm-Trakt. Zusätzlich dient sie aber auch der Durchmischung der Nahrung mit Peristaltische und antiperistaltische
den Magen- und Darmsäften. Außerdem ermöglichen die Bewegungen des Bewegungen: peristaltische
Darmrohrs den notwendigen Kontakt des Darminhalts mit der Darmwand, wo- (wellenförmige) Bewegungen treten
durch die Resorption, d. h. die eigentliche Aufnahme der Nahrungsbestandteile in ebenso wie die gegenläufigen,
den Körper, ermöglicht wird. Man unterscheidet 3 typische Aktivitäten der antiperistaltischen Bewegungen an
Muskulatur im Magen-Darm-Trakt (MDT). kurzen Abschnitten des Magen-Darm-
Propulsive Peristaltik: Sie dient dem Transport über weitere Strecken. Durch Traktes auf. Durch sie wird der Magen-
sie wird schließlich auch der Stuhl (die Fäzes) aus dem Darm entleert. Darm-Inhalt vorwärts und rückwärts
Sehr häufig treten an einem Ort des Darmrohrs auch vereinzelte Kontraktio- geschoben.
nen auf, die nicht weitergeleitet werden und deshalb keine größeren Verschie-
bungen des Chymus (Speisebrei) bewirken. Sie werden als Segmentationen be- propulsiv forttreibend
zeichnet und dienen der Durchknetung des Darminhalts (Abb.1o-na, b).

Abb. 10-11 a, b.
Schema der Peristaltik am Beispiel des
Darmrohrs.
a
a Rhythmische Segmentationen, die ring-
förmig, ohne sich fortzupflanzen, den
Darminhalt (Chymus) durchkneten.
b Propulsive Peristaltik, bei der einer sich
fortpflanzenden Kontraktionswelle eine
b Erschlaffungswelle vorauseilt
412

Magenmotilität
Motilität Entleerung und Motilitä t des Magens werden durch Nervengeflechte (Plexus) in
das Bewegungsvermögen (im Magen- der Magenwand gesteuert. Diese enthalten Nervenfasern des Sympathikus und
Darm-Trakt als reflektorische/unwillkür- des Parasympathikus. Die sympathischen Fasern stammen aus dem Plexus coe-
liche Muskelbewegungen) liacus, die parasympathischen Fasern sind Äste des N. vagus. Mechanischer Kon -
takt der Nahrung mit der Magenwand löst reflektorisch peristaltische Kontrak-
tionen aus.

• Parasympathikus (Äste des N. vagus) Parasympathikuswirkung: parasympathische Nervenimpulse, die über den
steigert die Magenmotilität N. vagusgeleitet werden,steigern erheblich die Motilität. Die Parasympathikus-
• Sympathikus (Plexus coeliacus) hemmt wirkung kann durch Verabreichung eines Parasympatholytikums (Wirkung des
die Magenmotilität Parasympathikus aufhebende Substanz), z. B. Atropin (giftiges Alkaloid der Toll-
kirsche, in niedriger Dosierung auch als Heilmittel gebraucht), aufgehoben wer-
den. Dadurch wird der Muskeltonus vermindert und die Peristaltik gehemmt . ~

Sympathikuswirkung: Unter Sympathikuswirkung wird die Magenmotilität


gehemmt. Das erklärt auch, dass starker Stress, z. B. durch Aufregung
oder Belastung, die Darmentleerung hemmen kann.

Die Entleerung des Magens erfolgt, vermittelt durch denN. vagus, auf reflektori-
schem Wege. Allerdings wird der zeitliche Ablauf des Entleerungsvorgangs vom
Füllungszustand des ersten Dünndarmabschnitts beeinflusst. Auch eine hohe
Konzentration von Fettsäuren sowie ein großer Säuregehalt im Duodenum hem-
men den Entleerungsreflex. Diese Hemmung verursachen gastrointestinale Hor-
mone, besonders Sekretin und CCK-PZ, die in der Dünndarmschleimhaut gebil-
det werden und auf dem Blutweg zum Magen gelangen.

10.1.6 Dünndarm

Abschnitte des Dünndarms


Abschnitte des Dünndarms An den Magenausgang schließt sich direkt der Dünndarm an, der sich in
• Zwölffingerdarm (Duodenum) 3 Abschnitte unterteilen lässt. Makroskopisch sind diese Abschnitte nur schwer
• Leerdarm (Jejunum) voneinander zu unterscheiden. Sie gehen kontinuierlich ineinander über. Je nach
• Krummdarm (Ileum) Kontraktionszustand der Ring- und Längsmuskulatur beträgt die Länge des ge-
samten Dünndarms ca. 4-6 m.
Duodenum Das Duodenum ist der kürzeste Teil des Dünndarms, seine Länge beträgt nur
• Länge ca. 24- 30 cm ca. 25- 30 cm. Der Anfangsteil des Duodenums ist erweitert zum Bulbus duodeni.
• Ausführungsgang des Pankreas (Ductus Das Duodenum hat die Form eines C, das den Kopfteil des Pankreas (Bauch-
pancreaticus) und der Gallenblase speicheldrüse) umschließt. In den absteigenden Schenkel mündet der Ausführ-
(Ductus choledochus) mündet hier gang des Pankreas, der Ductus pancreaticus, und der Ausführgang der Gallen-
• Brunner-Drüsen produzieren alkalisches blase, der Ductus choledochus. Beide Gänge münden in ein gemeinsames
Sekret Endstück auf der Papilla duodeni major, die einen Schließmuskel (Sphinkter) be-
sitzt. Ist ein zusätzlicher Pankreasgang vorhanden (Ductus pancreaticus accesso-
rius), mündet dieser auf einer eigenen Papilla duodeni minor (s. Abb. 10-24).
In der Submukosa des Duodenums liegen die Brunner-Drüsen (Glandulae
duodenales), die für die Produktion eines leicht alkalischen Sekrets ve rantwort-
lich sind. Durch das Sekret dieser Drüsen wird der saure Mageninhalt neutrali -
siert, damit die Enzyme der Verdauungssäfte des Darms richtig arb eiten können .
Organe des Verdauungssystems · Kapitell 0 · Verdauungssystem
413

An das Duodenum schließt sich das Jejunum an, das ca. 2/5 der Gesamtlänge Jejunum
des Dünndarms ausmacht. Die Bezeichnung Jejunum oder Leerdarm ist auf die • 2/5 der Länge des Dünndarms
Tatsache zurückzuführen, dass dieser Darmabschnitt durch Peristaltik noch • Hohe Schleimhautfalten
nach dem Tode eines Menschen in der Leiche regelmäßig leer ist.
Die restlichen 3/5 des Dünndarms werden durch das Ileum gebildet, wobei der Ileum
Übergang vom Jejunum fließend ist. Die Bezeichnung Ileum deutet auf den stark • 3/5 der Länge des Dünndarms
geschlängelten Verlauf dieses Darmabschnitts hin. Makroskopisch lassen sich das • Niedrige Schleimhautfalten
Jejunum und das Ileum praktisch nicht voneinander unterscheiden (Abb. 10- 12). • Lymphfollikel
Histologisch ist aber eine Unterscheidung aufgrundder Höhe der Schleimhaut-
falten (höher im Jejunum) und der Lymphfollikel im Ileum gut möglich. Eileo, griechisch ich krümme mich

Mesenterium
Die gesamte Bauchhöhle ist von einem dünnen einschichtigen Epithel, dem • parietal die Körper-, Organwand
Peritoneum (Bauchfell), ausgekleidet. Diese Epithelauskleidung, die auch Serosa betreffend
genannt wird, besteht aus einem parietalen und einem viszeralen Blatt. • viszeral die Eingeweide betreffend
Das parietale Blatt bedeckt die Wände des Bauchraums. Es schlägt im Bereich
der Organe in das viszerale Blatt um, das die Organe umgibt. Durch diese Ab-
faltung von der Wand der Bauchhöhle entsteht eine Verdoppelung des Bauchfells,
der sog. Peritonealduplikatur. In ihr verlaufen die versorgenden Gefäße und
Nerven. Die Peritonealduplikatur dient u. a. der Fixierung bzw. Aufhängung des
umhüllten Organs und wird als Meso bezeichnet, z. B. Mesosalpinx (Meso des Ei-
leiters) und Mesovar (Meso des Eierstocks). Für die Darmschlingen, die von Peri-
toneum umgeben sind, lautet die entsprechende Bezeichnung Mesenterium
(Dünndarmgekröse).

Abb. 10-12.
querverlaufender Teil großes Netz
des Kolons (Omentum majus) Organe des Bauchraums. Um die Aufsicht

l
(Colon transversum) auf die dorsale Körperwand mit der
Wurzel des Gekröses (Radix mesenterii) zu
ermöglichen, sind das Querkolon (Colon
Haustren transversum) nach oben und die Bestand-
Tänie
(Taenla libera) teile des Dünndarms auf die rechte

linke Kolon· Körperseite geschlagen worden


flexur
(Fiexura coli
sinistra)

Harnleiter

....W,f RR"'-"*1.,---• -f-+- S-förmiger Teil


des Kolons
(Colon
slgmoldeum)
Blinddarm - - -1-"
(Zaekum)
414

Peritonealverhältnisse Für viele Operationen oder bei pathologischen Veränderungen der Organe
• Intraperitoneal: das Organ ist von im Bauchraum ist es wichtig zu wissen, ob das Organ innerhalb oder außerhalb
Peritoneum umhüllt der Hülle des Peritoneums liegt. Man bezeichnet dies als intra-, retro- oder extra-
• Retroperitoneal: das Organ ist nur auf peritoneale Lage.
einer Seite von Peritoneum bedeckt Das Duodenum ist nicht vollständig von Peritoneum umgeben und liegt da-
• Extraperitoneal: das Organ hat keine mit retroperitoneal. Deshalb ist die Beweglichkeit des Duodenums relativ stark
Beziehung zum Peritoneum eingeschränkt. Jejunum und Ileum hingegen sind durch ihre Mesenterien frei be-
weglich aufgehängt (Abb. 10-13). Die Wurzel dieses Mesenteriums (Radix mesen-
terii) verläuft vor der Wirbelsäule auf einer Länge von ca. zo cm schräg von links
oben nach rechts unten. Das freie, den Darm beinhaltende Stück des Mesente-
riums ist ca. 4- 6 cm lang und in krausen Falten angeordnet. Dies erklärt den
deutschen Namen >>Gekröse« für das Mesenterium. Ileum und }ejunum liegen
also im Gegensatz zum Duodenum intraperitoneal.

Blutversorgung des Dünndarms


Blutversorgung des Dünndarms über Äste Zwischen den beiden Schichten des Mesenteriums, die das Peritoneum bilden,
der A. mesenterica superior liegt nicht nur Bindegewebe, dort verlaufen auch die Nerve n und die versorgen-
den Gefäße. Bei den Gefäßen handelt es sich um Äste der A. mesenterica superi-
or, die aus der Aorta abdominalis entspringt. Der venöse Rückfluss übernimmt
die V. mesenterica superior, die in die V. portae mündet, deren Blut die Leber

Abb. 10-13. Zwerchfell


--t;::t;~~m- nackte Zone
Med ianschnitt durch den Bauchraum. (Diaphragma) ;;n der Leber
(Area nuda)
Von der Wurzel des Gekröses (Radix
Leber Speiseröhre
mesenterii) verläuft das Bauchfell (Hepar) (Öesophagus)
(Peritoneum) um die verschiedenen
._.,Zii:HHJ~91t-- Netzbeutel
Bestandteile d es Dünn- und Dickdarms, kleines Netz ---n- (Bursa omentalis)
(Omentum minus)
sodass ihre Lage im Bauchraum gleich Wi:::!~~:r-~t::=-- Bauchspeichel-
bleibend gewährleistet ist. Die Darm- Magen - - - -+l- drüse
(Gaster, Venter) (Pankreas)
schlingen liegen dadurch zum größten
Zwölffinger-
Teil intraperitoneal, und das Gekröse wirkt Ouer1<olon - - -..w..
darm
(Colon
w ie ein Aufhängeapparat für den Darm. (Duodenum)
transversum)
Leber und Magen sind ebenfalls vom DOnndarm
llr-..-"""""~•-te"--::lrr....___ Bauchfell
(Intestinum (Peritoneum
Bauchfell umgeben parietale)
tenue)

Wurzel des
großes Netz Gekröses
(Omentum majus) (Radix mesenterii)

Harnblase
(Vesica urinaria) r-t--t--1"- Mastdarm
(Rektum)
Schamfuge
(Symphysis pubis) VorsteherdrOse
(Prostata)
Organe des Verdauungssystems · Kapitel 10 · Verdauungssystem 415

durchströmt. Auch die Lymphgefäße verlaufen in den Mesenterien. Sie werden


als Chylusgefäße bezeichnet. Die Lymphe dieser Gefaße fließt über die Cisterna
chyli ab (s. Kap. 8, Immunologie).

Aufbau der Dünndarmschleimhaut


Oberflächenvergrößerung
Die Hauptaufgabe der Schleimbaut des Dünndarms besteht in der Resorption
der Nahrungsbestandteile. Die innere Oberfläche des Darmrohrs beträgt ohne
Oberflächenvergrößerung ca. 0,33 m•. Diese Fläche würde bei weitem nicht aus-
reichen, um die erforderliche Resorptionskapazität des Dünndarms zu gewähr-
leisten. Deshalb wird die innere Oberfläche des Dünndarms durch verschiedene
Faktoren vergrößert.
In einer 1. Stufe der Oberflächenvergrößerung ist die Schleimhaut in zirkulä- Faktoren der Oberflächenvergrößerung
re Falten geworfen, die Kerckring-Falten. Sie sind am aufgeschnittenen Darm mit 1. Kerckring-Falten
bloßem Auge sichtbar, da sie eine Höhe von bis zu 8 mm haben. Auf diesen Falten 2. Zotten
befinden sich fingerförmige Ausstülpungen, die Zotten (Abb. 10-14a, b), die den 3. Mikrovilli
2. Vergrößerungsfaktor darstellen. Diese Zotten sind auch in Gebieten vorhan-
den, in denen keine Kerckring- Falten vorkommen. Das Epithel der Zotten be-
steht v. a. aus Saumzellen, den sog. Enterozyten. Auf der dem Lumen zugewand- Enterozyten
ten Oberfläche tragen die Enterozyten einen dichten Besatz aus Mikrovilli, die die Saumzellen des Darmepithels
3· Stufe der Oberflächenvergrößerung darstellen.
Diese Faktoren vergrößern die ursprüngliche Oberfläche von ca. 0,33 m• auf
eine Oberfläche von ca. 200 m• und damit um das 6oofache. Die Oberfläche wird
von einem einschichtigen Zylinderepithel gebildet, das vorwiegend Enterozyten
enthält, in die vereinzelt schleimproduzierende Becherzellen eingestreut sind.

Blutversorgung und lymphfluss des Darmepithels


Dicht unter dem Epithelliegt ein engmaschiges Kapillarnetz. Dieses übernimmt Zottenpumpe fördert Rückfluss
neben der Blutversorgung der Zotten hauptsächlich die Aufnahme der resorbier- der Lym phe ins Lymphsystem
ten Stoffe. über arteriovenöse Anastomosen kann das Kapillarnetz teilweise von
der Durchblutung abgeschnitten werden, sodass die durchströmende Blutmenge
gerade noch ausreicht, den Ruhestoffwechsel der Epithelzellen zu gewährleisten.

Gekröse Abb. 10· 14a, b.


(Mesenterium) - ----"F='If!'-
a Schnitt durch den Dünndarm am
Beispiel des Leerdarms (Jejunum) m it d en
Kerckring-Falten und den darauf sitzen-
den Zotten. Durch die Falten und Zotten
ist die innere Oberfläche des Darmrohres
bereits deutlich vergrößert (b), die auf
den Saumzellen (Enterozyten} sitzenden
M ikrovilli stellen einen weiteren Faktor
der Oberflächenvergrößerung dar

a b
416

Chylus Im Zentrum jeder Zotte findet sich ein Lymphgefäß, durch das der Chylus ge-
Darmlymphe leitet wird. Für die Bewegung der Zotten und den Rückfluss der Lymphe ist u. a.
die Tätigkeit der Lamina muscularis mucosae verantwortlich, die deshalb auch
Zottenpumpe genannt wird. Bei Kontraktion der Lamina muscularis mucosae,
Drüsen des Dünndarms die bis in die Zotten hineinreicht, werden die Zotten verkürzt und dementspre-
• Lieberkühn-Drüsen mit Paneth- chend der Inhalt ausgepumpt. Durch Lymphklappen wird gewährleistet, dass die
Körnerzellen und Becherzellen Lymphe nicht zurückfließen kann.
• Endokrine Zellen Zwischen den Zotten senken sich tubuläre Drüsen, die Lieberkühn-Orüsen
• Peyer-Piaques oder -Krypten in die Tiefe. Am Boden dieser Drüsenschläuche liegen gekörnte
Zellen, die Paneth-Körnerzellen. Diese enthalten u. a. Lysozym, das antibakteriell
wirkt (s. Kap. 8, Immunologie). Daneben sind in den Lieberkühn-Krypten eben-
falls Becherzellen vorhanden, die Schleim produzieren (Abb. Io-Isa, b).

Abb. 10-15 a, b.
Darstellung einer Zotte (a) und einer
Krypte (b). Zwischen die Saumzellen Saumzellen
(Enterozyten) sind schleimproduzierende (Enterozyten)

Becherzellen eingestreut. Die Paneth- Becherzellen


Zellen produzieren einen Teil des Ver- Schleimhaut-
dauungssattes bindegewebe
(Lamina propria)

Kapillare

Hormonzellen

Paneth-
Zellen

Saumzellen
(Enterozyten)
a b

Außerdem sind v. a. in den oberen Dün ndarmabschnitten (Duodenum) noch


verschiedene endokrine Zellen vorhanden, die z. B. Gastrin, Sekretin, CCK
(Cholezystokinin) und andere gastrointestinale Hormone produzieren.
Im gesamten Verdauungstrakt kommen vereinzelte Lymphfollikel vor, die der
Abwehr dienen. Im Ileum sind sie häufig zu ganzen Platten angeordnet, den
Peyer-Piaques (Lymphfollikelaggregate), die meist auf der dem Mesenterium ge-
genüberliegenden Seite liegen (Abb. 10-16).

Dünndarmmotilität
Die Dünndarmmotilität hat folgende 2 Wirkungen:
1. Durchmischung der Nahrung als Chymus (Darmbrei) mit den im Dünndarm

gebildeten und in den Dünndarm abgegebenen Verdauungssäften.


2. Kontakt der Zellen des Saumepithels mit den mechanisch und enzymatisch

zerkleinerten Nahrungsbestandteilen, um diese zu resorbieren.


Organe des Verdauungssystems · Kapitel 10 · Verdauungssystem 417

Mesenterium Abb. 10-16.


Schleimhaut Ringmuskulatur Schnitt durch das Ileum. Auf der dem
(Mukosa)
I Mesenterium gegenüberliegenden Seite
befinden sich Lymphfollikelplatten,
die Peyer-Piaques

Längsmuskulatur Peyer-Piaques
(Lymphfolllkelaggregate)

10.1.7 Dickdarm
Abschnitte des Dickdarms
Abschnitte des Dickdarms • Zäkum (Blinddarm) mit Appendix
An den Dünndarm schließt sich der Dickdarm (Intestinum crassum) an. Er bildet Zäkum (Blinddarm) mit Appendix
den letzten Teil des Intestinaltraktes und besteht aus 4 Abschnitten (Abb. 10-17). • vermiformis (Wurmfortsatz)
Die Länge des Dickdarms beträgt etwa 150 cm. Da das Ileum in einem rechten • Rektum (Mastdarm oder Enddarm)
Winkel in den Dickdarm mündet, beginnt der unter dieser Mündung liegende
Teil blind. Deshalb wird er auch als Blinddarm (Zäkum) bezeichnet. An den

ThXII Abb. 10-17.


Übersicht über den Dickdarm,
rechte Kolonflexur der mit dem Blinddarm (Zäkum) beginnt
(Fiexura coli dextra)
und am Mastdarm (Rektum) mündet
querverlaufendes
aufsteigendes - - -+- Kolon
Kolon (Colon transversum)
(Colon ascendens)

Blinddarm
(Zaekum)

Mastdarm
(Rektum)
418

Blinddarm schließt sich der durchschnittlich ca. 9 cm lange und etwa 0,5-1 cm
dicke Wurmfortsatz an, der sog. Appendix vermiformis. Der Wurmfortsatz geht
von der zur Körpermitte gerichteten Seite des Blinddarms ab. Sowohl dieser
Abgang als auch die Länge des Wurmfortsatzes sind individuell sehr variabel. In
der Wand der Appendix vermiformis liegen zahlreiche Lymphfollikeln. Am
Obergang zwischen Dünndarm und Dickdarm befmdet sich die Valva ilealis, eine
ventilartige, muskuläre Sperreinrichtung, die den Obertritt von Darminhalt aus
dem Dünndarm in den Dickdarm steuern kann (Abb. 10- 18).

Kolon
Abschnitte d es Kolons Das Kolon beginnt oberhalb der Ansatzstelle des Ileumsam Dickdarm. Man un-
• Colon ascendens (aufsteigender Teil) terscheidet 4 Abschnitte:
• Colon transversum • Colon ascendens (aufsteigender Teil),
(querverlaufender Teil) • Colon transversum (querverlaufender Teil),
• Colon descendens (absteigender Teil) • Colon descendens (absteigender Teil) und
• Colon sigmoideum ($-förmigerTeil) • Colon sigmoideum (S-förmiger Teil).

Kennzeichen des Kolons Das Kolon hat eine Länge von ca. 120 cm und eine Weite des Lumens (Durch-
• Tänien messer) von ca. 6-8 cm. Ein besonderes Kennzeichen dieses Darmabschnitts sind
• Haustren die Tänien und die Haustren. Die 3 Tänien (Taenia libera, omentalis und mesoco-
• Fettanhängsel Jica) sind oberflächlich gelegene Streifen der äußeren Längsmuskulatur. Die
Muskelspannung der Tänien und die Kontraktion der Ringmuskulatur lassen
Einschnürungen entstehen, zwischen denen sich die Darmwand ausbuchtet. Die-
se Ausbuchtungen nennt man Haustren. Durch die Einschnürungen entstehen
auf der Innenseite des Darmrohrs Falten, die ins Darmlumen ragen (Plicae serni-
lunares).

Abb. 10-18.
Tänie -----~....:::::::rry.-- aufsteigendes Kolon
Mündung des Krummdarms (Ileum) in den (Taenia libera) (Colon ascendens)
Blinddarm (Zäkum) mit der Krummdarm-
klappe (Valva ilealis). Im unteren Blind- (Piicae semilunares)
darmteil ist die Mündung des Wurmfort-
satzes (Appendix vermifo rmis) zu sehen. Krummdarmklappe
Durch die Kont raktion der Ringmuskulatur (Valva ilealis)

entst ehen die Haustren und im Inneren


die Falten (Piicae semilunares). Die Längs-
muskulatur ist zu Streifen zusammen-
Lymphfolllkel
gefasst, die als Tänien bezeichnet werden Blinddarm ---ii-c:--:-.,.----''-'--7~....,.""o:o
(Zaekum)

Öffnung des
Wurmfortsatzes

Krummdarm
(Ileum)
Wurmfortsatz
(Appendix vermiformis)
Organe des Verdauungssystems · KapitellO · Verdauungssystem 419

Ein weiteres Charakteristikum des Kolons sind die Fettanhängsel (Appen-


dices epiploicae), deren Ausbildung stark vom Ernährungszustand abhängt.
Korpulente Personen haben große und stark mit Fett gefüllte FettanhängseL

Rektum
Das Rektum ist der letzte Teil des Dickdarms. Es liegt unterhalb des Peritoneums
(subperitoneal). Äußerlich unterscheidet es sich vom Kolon durch das Fehlen der
Fettanlrängsel, der Haustren und der Tänien.
Die äußere Längsmuskelschicht besteht beim Rektum aus einer durchgehen- Kennzeichen des Rektums
den Schicht. Aus der inneren Ringmuskelschicht hat sich im Bereich des Anus ein • Durchgehende Längsmuskelschicht
Schließmuskel (Sphinkter) abgespalten, der M. sphincter ani internus. Ihm steht ohne Tänien und Haustren
auf der Außenseite ein äußerer Schließmuskel aus quer gestreifter Muskulatur • Innerer und äußerer Schließmuskel
gegenüber, der M. sphincter ani externus. Dieser Muskel kann willkürlich betätigt (M. sphincter ani internus
werden, ein Vorgang, der im Kindesalter erst mühsam erlernt werden muss. und M. sphincter ani externus)
Das Rektum beginnt mit einer Erweiterung, der Ampulla recti. Am Ende des • Keine Darmzotten
Rektums, im Bereich der Zona haemorrhoidalis, liegt unter der Schleimhaut ein
venöser Plexus, der ebenfalls den Anus verschließt. Bei Vorliegen einer Binde-
gewebsschwäche und weiteren begünstigenden Faktoren (z. B. langzeitiges Sit-
zen, Schwangerschaft etc.) kann es zu knotenartigen Erweiterungen der Gefäße
der Zona haemorrhoidalis kommen, die als Hämorrhoiden bezeichnet werden.
Die Schleimhaut des gesamten Dickdarms weist keine Zotten auf, dafür hat sie
besonders ausgeprägte Krypten.

Aufgabe des Dickdarms


Die Hauptaufgabe des Dickdarms ist die Wasserresorption zur Eindickung der Hauptaufgabe des Dickdarms:
Fäzes. Dadurch werden die vielen Liter Speichel, Magensaft und Verdauungssäfte Wasserresorption
sowie die mit dem Trinken aufgenommene Flüssigkeit nicht ausgeschieden und
bleiben dem Körper erhalten. Damit der eingedickte Stuhl gut weiter transpor-
tiert werden kann, sind im Epithel des Enddarms besonders viele Becherzellen
vorhanden, deren Schleim die Gleitfähigkeit gewährleistet.

Dickdarmmotilität und Defäkation


Die Bewegungen der Dickdarmwand bewirken eine Durchknetung des Darmin-
haltes und schaffen damit die Voraussetzung für den hier stattfindenden Flüssig-
keitsentzug. Dabei laufen langsame peristaltische Bewegungen der Ringmusku-
latur fast konstant ab. Diesen Bewegungen überlagern sich 1- bis 3-mal am Tag
große peristaltische Wellen (propulsive Peristaltik), die vom Zäkum ausgehen
und bis zum Colon sigmoideum ziehen. Sie treten insbesondere nach der Nah-
rungsaufnahme auf und verschieben den Darminhalt in Richtung Rektum. Alle
Bewegungen stehen unter der Kontrolle eines Nervenplexus, den Plexus myen-
tericus. Dabei übt der Parasympathikus einen fördernden und der Sympathikus
einen hemmenden Einfluss aus.
Die Defäkation (Stuhlentleerung) stellt einen willkürlich beeinflussbaren,
reflektorischen Vorgang dar. Die Reizung von Dehnungsrezeptoren im Rektum
löst Nervenimpulse aus, die über afferente Fasern zum Centrum anospinale im
Sakralmark geleitet werden. Von hier aus werden parasympathische Fasern akti- Sakralmark
viert, die eine Erschlaffung der glatten Muskulatur des inneren Sphinkter bewir- unterer Teil des Rückenmarks
ken. Die Darmentleerung kann jedoch nur eintreten, wenn gleichzeitig der unter
420

willkürlichem Einfluss stehende äußere Sphinkter entspannt und der Druck im


Bauchraum durch Kontraktion der Bauchmuskulatur und Senkung des Zwerch-
fells erhöht wird. Diesen Vorgang nennt man Bauch presse. Die Bauchpresse ist
nur wirksam, wenn gleichzeitig die Glottis des Kehlkopfes verschl ossen wird, da
sonst lediglich das Zwerchfell nach oben verschoben und als Resultat der Bauch-
presse eine Verkleinerung der Lungen erfolgen würde.

10.1.8 Leber und Galle

Aufgaben der Leber Die Leber hat zahlreiche wichtige Funktionen und gilt als das zentrale Organ des
• Produktion von Plasmaproteinen Stoffwechsels. Die Aufgaben der Leber sind Folgende:
• Entgiftung und Abbau von Substanzen • Produktion der Plasmaproteine,
• Bildung von Galle • Entgiftung und Abbau, teilweise Ausscheidung von körpereigenen und körper-
fremden Substanzen,
• Bildung der Galle.

Im Folgenden wird hauptsächlich darauf eingegangen, wie die Leber durch die
Bildung der Galle an der Verdauung beteiligt ist. Die anderen Funktionen (z. B.
Synthese der Plasmaproteine) werden in anderen Kapiteln besprochen.

Makroskopie der Leber


Die Vielzahl der Funktionen erklärt auch die Größe der Leber. Beim Erwachse-
nen beträgt ihr Gewicht ca. 1,5 kg. Die Leber liegt zu einem großen Teil unter der
rechten Zwerchfellkuppel, ein kleinerer Teil zieht über die Mittellinie des Körpers
bis auf die Vorderfläche des Magens. Der untere Leberrand verläuft schräg von
rechts unten nach links oben, bis auf die Höhe des 7· Rippenknorpels.
4 Leberlappen Die Leber besteht aus 4 Lappen: Die Grenze zwischen Lobus dexter und Lobus
• Lobus dexter (rechter Lappen, sinister ist bei Vorderansicht gut zu sehen, da sie entlang dem Ligamentum falci-
der größte Lappen) forme (Sichelband) verläuft, durch das die Leber mit der vorderen Bauchwand
• Lobus sinister (linker Lappen) verbunden ist. Der Lobus quadratus und der Lobus caudatus sind nur von der
• Lobus quadratus Unterseite oder bei Dorsalansicht zu sehen (Abb.10-19a, b).
• Lobus caudatus Auf der Unterseite der Leber liegt die Gefäßpforte, die Porta hepatis (in ande-
ren Organen als Hilum bezeichnet). Hier treten die beiden die Leber versorgen-
Leberpforte (Porta hepatis) den Gefäße und die Nerven ein sowie die Lymphgefäße und der Gallengang
• Versorgende Gefäße (Ductus hepaticus) aus.
• Nerven Ein Teil der oberen und hinteren Fläche der Leber liegt dem Zwerchfell direkt
• Lymphgefäße an und ist mit diesem verwachsen. Da die Leber hier nicht von Peritoneum über-
• Gallengang (Ducuts hepaticus) zogen ist, wird dieses Gebiet »nackte Zone« genannt (Area nuda). Der größte Teil
der Leber ist jedoch von Bauchfell überzogen; deshalb liegt die Leber intraperito-
neal. Die Unterfläche der Leber berührt die benachbarten Bauchorgane Magen,
Duodenum, rechte Niere und Dickdarm.
Blutversorgung der Leber über A. hepatica Die Leber wird von 2 Gefäßen mit Blut versorgt: Rund 75% des Blutes, das die
und V. portae Leber durchströmt, stammen aus der V. portae (Pfortader). Die V. portae sammelt
das Blut aus einem großen Teil des Magen-Darm-Traktes sowie der Milz und
dem Pankreas. Dieses Blut ist somit angereichert mit Nahrungsbestandteilen,
Bilirubin Hormonen aus dem Pankreas und Bilirubin aus dem Abbau der Erythrozyten in
Abbauprodukt des Blutfarbstoffs der Milz. Das venöse Blut der Pfortader enthält relativ wenig Sauerstoff, da es be-
Hämoglobin reits den Kapillarkreislauf der entsprechenden Organe durchflossen hat. Deshalb
Organe des Verdauungssystems · Kapitell 0 · Verdauungssystem 421

Abb. 1 0-19a, b.
untere Hohlvene
(Vena cava inferior) a Leber von vorne (ventral). Die Gallen-
blasenspitze überragt den unteren
rechter Lappen
(Lobus dexter) Leberrand. Durch das Sichelband (Liga-
mentum falciforme) wird die Leber in
linker Lappen
(Lobus sinister) einen rechten und einen linken Lappen
geteilt. Im unteren freien Rand (auf der
Rückseite der Länge nach sichtbar) sitzt
das runde Leberband (Ligamentum teres
hepatis).
rundes Leberband b Leber von der Unterseite dargestellt, mit
(Ligamentum teres hepalis)
Aufblick auf die Leberpforte (Porta hepa-
Gallenblase
a (Vesica biliaris) tis). Auf der linken Seite oberhalb der
Leberpforte befindet sich das Venenband
geschwänzter Lappen untere Hohlvene nackte Zone (Ligamentum venosum). Das Ligamentum
(Lobus caudatus) (Vena cava inferior) (Area nuda) teres hepatis (die verödete Nabelvene)
Venenband und das Ligamentum venosum (verödeter
(Ligamentum
venosum) Ductus venosus) sind beides Reste des
embryonalen Kreislaufs.
Durch den Kontakt mit verschiedenen
rechter Lappen Organen entstehen auf der Unterseite der
(Lobus dexte r)
Leber (b) Abdrücke (I mpressionen), so im
rechten Lappen ein Nierenabdruck
(lmpressio rena lis) und im linken Leber-
lappen ein Magenabdruck (lmpressio
gastrica). Die nackte Zone (Area nuda)
stellt die Kontaktfläche mit dem Zwerch-
quadratischer Lappen Gallenblase
b (Lobus quadratus) (Vesica biliaris) fell dar. Hier ist die Leber ohne Bauchfell-
überzug

stammen die restlichen 25% der Blutversorgung aus der mit Sauerstoff angerei-
cherten A. hepatica. Der Abfluss des Blutes aus der Leber geschieht über die V. he-
patica. Von dort wird es in die untere Hohlvene (V. cava inferior) geleitet.

Histologie der Leber


Die Leber ist aus Leberläppchen (Lobuli hepatis) aufgebaut (Abb. 10-20). Dies
sind unregelmäßig geformte, meist polygonale (vieleckige) Bauelemente mit ei-
nem Durchmesser von ca. 1,5- 2 mm. Ungefähr 50.ooo-10o.ooo solcher Läppchen
machen die Gesamtheit der Leber aus.
Überall dort, wo 3 oder mehr dieser Läppchen zusammenstoßen, bilden sieb Pariportalfeld mit Glisson-Trias
Periportalfelder (s. Abb. 10-20). In Bindegewebe eingebettet, führen sie je einen • •Treffpunkt« von 3 und mehr
Ast der V. portae, der A. hepatica und des Gallengangsystems. Diese 3 Strukturen Leberläppchen
werden zusammen als Glissen-Trias bezeichnet. Aus den Blutgefäßen der Glisson- • Führen Ast der V. portae, der A. hepatica
Trias fließt das Blut über kleine Gefäßäste in die Sinusaide (Abb. 10-21). und des Gallengangs
Sinusaide sind Leberkapillaren, die sich von anderen Kapillaren dadurch un-
terscheiden, dass sie sehr buchtenreich sind und ihr Endothel gefenstert ist.
422

Abb. 10-20.
Dreidimensionale Darstellung eines
Leberläppchens (Lobulus hepatis). An den Ast der A. hepatica

Eckpunkten des Läppchens verlaufen je


ein Ast der A. hepatica, der V. portae und Ast der V. portae
ein Gallengang im periportalen Feld
Gallengang

Sinuseide
~----- Netz der Gallenkapillaren
(Canallcull blliferi)
Stumpf einer Zentralvene

Bindegewebe
Septen des periportalen Feldes

Sammelvene, Wurzel der V. hepatica

Glisson-Trias Zentralvene
Abb. 10-21 . (Vena centralis)
Schnittbild durch mehrere Leberläppchen.
Hier wird die radiäre Anordnung der Leberzell-
Sinusaide um die Zentralvene deutlich. balken

Zwischen den Sinusaiden befinden sich


die Leberzellbalken mit den Leberzellen
(Hepatozyten). Die Glisson-Trias Ue ein Ast Ga.llen-
kaplllaren
der A. hepatica, V. port.a e und des Gallen-
gangs) befindet sich im periportalen Feld.
Die Gallenkapillaren verlaufen innerhalb
der Leberzellbalken
Ast der Portalvene

Astder Leberarterie
kapillare
(Sinusoid)

Zwischen den Sinusaiden liegen die Hepatozyten (Leberzellen), die p lattenartig


um ein zentrales Gefäß angeordnet sind. Das Blut, das die Sinusoide durch-
strömt, fließt über das zentrale Gefaß, die V. centralis, ab, um schließlich über die
V. hepatica aus der Leber zu fließen und in die V. cava infe rior zu gelangen. Die
Lebersinusaide anastomosieren (vernetzen sich) sehr stark miteinander.
Kupffer-Sternzellen phagozytieren Das Endothel, das die Wand der Lebersinusaide bildet, besteht aus 2 verschie-
und können die Leber verlassen denen Zellarten: den gefenste rten Endothelzellen (Mehrzahl der Zellen) und den
Kupffer-Sternzellen, die dem mononukleäres Phagozytensystem (MPS) angehö-
ren, da sie eine große Phagozytoseaktivität aufweisen. Bei Bedarf können sich die
Organe des Verdauungssystems · KapitellO · Verdauungssystem 423

Kupffe r-Sternzellen aus dem Endothelzellverband lösen. Sie runden sich ab und
gehen ins zirkulierende Blut über; so können sie die Leber verlassen. Die Wand
der Lebersinusoide ist durch einen kleinen, spaltförmigen Raum, de n Disse-
Raum, von den Leberzellen getrennt (Abb. 10-22) .
Die Hepatozyten (Leberzellen) tragen an ihrer Oberfläche Mikrovilli, die in Disse-Raum
den Disse-Raum hineinragen und somit direkt mit den Stoffen Kontakt haben, Spaltraum zwischen Endothel und
die über die Lücken der Kapillarwand in den Disse-Raum gelangt sind. Durch die Hepatocyten dient der Strömungs-
Ausbuchtungen de r Sinusoide und durch die Öffnungen des Endothels zum verlangsamung
Disse-Raum wird die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes bzw. des Blutplasmas
verlangsamt. Damit steht der Leber mehr Zeit zur Verfügung, die nötigen
Bestandteile aus dem Blut aufzunehmen. Die Hepatozyten sind zu Zellplatten zu-
sammengelagert.
Zwischen den einzelnen Zellen dieser Zellplatten befmden sich die Gallen-
kapillaren, die durch Auffaltung der Leberzellmembran entstanden sind. Da-
durch befinden sich jeweils zwischen 2 aneinander stoßenden Hepatozyten Ka-
nälchen, die vollständig durch Zellkontakte (z. B. »tight junctions«) abgedichtet
sind. Die Gallenkapillaren haben somit keine eigene Wand; ihre Wand wird viel-
mehr durch die Membran der Leberzellen gebildet. Die Gallenkapillaren begin-
nen im Zentrum der Lobuli und verlaufen bis zum Periportalfeld. Während ihres
Verlaufs zur Peripherie vernetzen sie sich (anastomosieren) stark miteinander.
Im Periportalfeld münden die Gallenkapillaren in Gallengänge, die eine eige-
ne, durch Epithelzellen gebildete, Wand besitzen. Unter physiologischen Bedin-
gungen kommt die Galle nie mit dem Blut in Berührung, da die >>tight junctions«
die Gallenkapillaren abdichten. Bei einem Ikterus können die Zellkontakte aller- Ikterus
dings reißen, und damit Gallenfarbstoff (Bilirubin und Biliverdin) ins Blut gelan- Gallestau
gen. Dies führt bei einer erhöhten Blutkonzentration zur Gelbsucht (Gelbfärbung
der Haut und Skleren).

Erythrozyt Abb. 10-22.


Sinusendolhel Disse-Raum Leberzelle (Hepatozyt). An 3 Seiten der
Sinusoid - - - - --\/ir- Leberzelle sind Gallenkapillaren zwisch en
raues endo- benachbarten Zellen ausgebi ldet, deren
plasmaUsaches
Reti kulum
Wand lediglich aus den Leberzellmem-

Lysosom
branen besteht. ln den Disse-Raum, der
über Lücken im Endothel mit dem Lumen
Golgi·Komplex der Sinusaide in Verb indung steht, ragen
Mikrovilli der Leberzellen hinein

Kern - -

Zellkontakt Golgi·Komplex Oisse-Raum


424

10.1 .9 Gallenwege und Gallenblase

Aufbau
extrahepatisch An der Leberpforte beginnen die ext rahepatischen Gallenwege mit einem rech-
außerhalb der Leber gelegen ten und einem linken LebergaUengang (Ductus hepaticus dexter und sinister),
die sich zu einem gemeinsamen Ductus hepaticus communis vereinigen.
Ductus hepaticus communis (Lebergang) Der Ductus hepaticus communis ist ca. 4- 6 cm lang. Er vereinigt sich seiner-
vereinigt sich mit dem Ductus cysticus seits mit dem Ductus cysticus (Blasengang) der GaUenblase zum Ductus chole-
(Biasengang) zum Ductus choledochus dochus (HauptgaUengang), der hinter dem Bulbus duodeni zum absteigenden
(Hauptgallengang) Teil des Duodenums läuft, um gemeinsam mit dem Ductus pancreaticus (Pank-
reasgang) auf der Papilla duodeni major (Zwölffingerdarmwarze) zu münden.
Diese Mündung wird von einem Ringmuskel verschlossen (Sphincter ampullae).
Kurz vor der Vereinigung der beiden Gänge miteinander besitzt jeder noch einen
eigenen Sphinkter, der eine individuelle Regulierung erlaubt.

Gallenblase
Die Gallenblase (Vesica biliaris (veraltet Vesica fellea)] ist ein birnenförmiger,
etwa 8- 12 cm langer und 4-5 cm breiter, dünnwandiger Sack, der über den Ductus
cysticus - quasi im Nebenschluss - mit den GaUenwegen verbunden ist. Man
unterscheidet einen Hals, Körper und GaUenblasengrund (Collum, Corpus und
Fundus). Der Gallenblasengrund überragt auf der Unterseite die Leber und steht
mit der Bauchwand in Berührung (Abb. 10-23).

Abb. l0-23. 14!!i::::..C'"N"<---- Blasengrund


Gallenblase (Vesica biliaris). die über den (Fundus)

Blasengang (Ductus cysticus) mit dem


Lebergang (Ductus hepaticus communis)
verbunden ist, der nach dieser Verbin-
dung zum Hauptgallengang (Ductus
choledochus) wird

Blasenhals
(Collum)
Lebergang
(Ductus hepaticus
communis)

Blasengang
(Ductus cysticus)

Hauptgallengang - - - -/.#.
(Ductus choledochus)
Organe des Verdauungssystems · Kapitell 0 · Verdauungssystem 425

Die Schleimhaut der Gallenblase bildet Falten, die häufig miteinander ver- Schleimhaut der Galle in Falten gelegt,
schmolzen sind, sodass Schleimhautnischen und Tunnel zustande kommen. um die Oberfläche zu vergrößern
Diese Faltenbildung vergrößert die innere Oberfläche der Gallenblase. Einige
Zellen des Gallenblasenepithels sezernieren (sondern ab) schleimiges Glyko-
protein, das die Epitheloberfläche vor der ätzenden Wirkung der Galle schützt.
Die in der Wand der Gallenblase vorkommende glatte Muskulatur dient dazu, bei
Bedarf Galle auszutreiben. Die Muskelfasern verlaufen deshalb spiralförmig.

Galle und Gallensekretion


Die täglich von den Hepatozyten (Leberzellen) produzierte Gallenmenge beträgt
ca. 6oo- 8oo ml. Gallenfluss und Zusammensetzung der Galle variieren in
Abhängigkeit von der Art und Menge der Nahrungszufuhr. Die Galle ist mit dem
Blutisoton und besitzt einen pH-Wert von 7,4-8,5. Hauptbestandteil der Galle ist isoton
Wasser, das ca. 95% des Volumens ausmacht. gleiche molekulare Konzentrationen
Die Galle hat folgen Zusammensetzung: Gallensäuren, Gallenfarbstoffe, Cho- von Lösungen
lesterin und Phospholipide (hauptsächlich Lezithin). Mit der Galle werden auch
verschiedene Medikamente sowie Produkte des Intermediärstoffwechsels (z. B. Galle
Abbauprodukte der Hormone) ausgeschieden. Die Gallensäuren in Form der • 600-800 ml Galle pro Tag
Cholsäure und der Chenodesoxycholsäure entstehen in der Leber aus Cholesterin. • pH-Wert von 7,4-8,5
Die wichtigste physiologische Funktion der Gallensäuren ist die Emulgierung
(Verteilung) und Dispergierung (Zerkleinerung) von wasserunlöslichen Verbin- Zusammensetzung
dungen, z. B. Fetten. Dadurch wird die durch Enzyme angreifbare Oberfläche der • Gallensäuren
Fette stark vergrößert, die damit erst der Verdauung zugänglich werden. Gallen- • Gallenfarbstoffe
säuren sind außerdem an der Aktivierung der Pankreaslipase (fettspaltendes • Cholesterin
Enzym) beteiligt. Die von der Leber mit der Galle ausgeschiedenen Gallensäuren • Phospholipide (hauptsächlich Lezithin)
werden zu ca. 95% im unteren TeiJ des Ileums rückresorbiert
Sie gelangen mit dem Blut der V. portae wieder in die Leber und werden dort
erneut mit der Galle ausgeschieden. Dieser Vorgang wird als enterohepatischer Enterohepatischer Kreislauf: Resorption
Kreislauf bezeichnet. Seine Bedeutung liegt darin, dass täglich nur ca. 5% der für von Galle im Ileum und Rücktransport
den Verdauungsvorgang wichtigen Gallensäuren verloren gehen. Der Verlust über V. portae in die Gallenblase
wird durch Neusynthese ausgeglichen.
Die in der Galle vorhandenen Gallenfarbstoffe stammen aus dem Abbau von Gallenfarbstoffe u. Umwandlungs-
Hämoglobin (Blutfarbstoff) und anderen Hämoproteinen (z. B. Myoglobin, Zyto- produkte
chrom etc.). Der bei diesem Abbau zuerst auftretende Farbstoff ist das Biliverdin • Biliverdin
(grün), das durch Hydrierung (Anlagerung von Wasserstoff) zu Bilirubin, dem • Bilirubin
wichtigsten Gallenfarbstoff, reduziert wird. Im Darm erfolgt dann die Umwand- • Sterkobilin
lung über verschiedene Zwischenstufen zu einem Farbstoff, der Sterkobilin ge- • Urobilin
nannt wird und dem Kot seine typische Farbe gibt. Für die Untersuchung im
Labor wird unterschieden zwischen direktem und indirektem Bilirubi n. Direktes • Direktes Bilirubin: an Glukuronsäure
Bilirubin (sekundäres) ist an Glukuronsäure gekoppelt und deshalb wasserlöslich gekoppelt, dadurch wasserlöslich
und nierengängig. Indirektes Bilirubin (primäres) ist wasserunlöslich und damit und nierengängig
auch nicht nierengängig. Urobilin schließlich ist ein Bilirubin-Abbauprodukt, das • Indirektes Bilirubin: wasserunlöslich
sowohl mit dem Stuhl, als auch mit dem Harn ausgeschieden wird. Es ist ver- und nicht nierengängig
mehrt bei Lebererkrankungen und bei erhöhtem Abbau von roten Blutkörper-
chen vorhanden, fehlt hingegen bei Verschluss der GaUenwege (Ikterus).
Die Gallenblase speichert die Galle, die bei Bedarf relativ rasch in größeren
Mengen zur Verfügung steht. Um die Galle besser auf kleinem Raum speichern
zu können, wird ihr Flüssigkeit entzogen. Damit wird sie - bis zu einem gewissen
Grad - eingedickt.
426

10.1.1 0 Bauchspeicheldrüse (Pankreas)

Aufbau
• Exokriner Anteil des Pankreas: Sekretion von Verdauu ngsenzymen
• Endokriner Anteil (Inselorgan): Produktion von Insul in und Glukagon

• Exokrine Drüse Die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) ist eine exokrine Drüse, in deren Gewebe en-
Drüse mit Ausführungsgang dokrine Zellinseln eingestreut sind. Die Gesamtheit dieser endokrinen Anteile
• Endokrine Drüse des Pankreas heißt Inselorgan und produziert Insulin und Glukagon; 2 Hormone,
Drüse, die Hormone an das Blut abgibt die den Kohlenhydratstoffwechsel beeinflussen. Die exokrinen Anteile des Pank-
reas sind hingegen verantwortlich für die Sekretion von Verdauungsenzymen.
Das Pankreas hat ein durchschnittliches Gewicht von 70-90 g; es hat die Form
eines verdickten L und liegt hinter dem Magen in der oberen Bauchhöhle. Dort
spannt es sich mit einer Länge von ca. 25 cm zwischen dem C des Duodenums
und der Milz aus.
Teile des Pankreas Man unterscheidet am Pankreas 3 Anteile (Abb. 10-24).
• Caput !Kopf) Der Kopf, Caput, liegt im C des Duodenums; der Körper, Corpus, überquert in
• Corpus (Körper) Höhe der beiden ersten Lendenwirbelkörper die Wirbelsäule; der Schwanz,
• Cauda (Schwanz) Cauda, reicht bis an das Milzhilum. Das Pankreas ist nur auf der Vorderseite von
Peritoneum bedeckt und liegt somit retroperitoneal. Es ist von einem kapselähn-
lichen Bindegewebe umgeben, das sich in den Drüsenkörper hineinzieht und so-
makroskopisch sichtbare Läppchen bildet, die an der Oberfläche durch Vorbuch-
tungen deutlich erkennbar sind.
azinös Das Drüsengewebe des Pankreas ist aus einzelnen azinösen Drüsenstücken
beerenförmig gebildet (Abb. 10-25). Die kleinste Einheit dieser Acini (Singular: Acinus) sind die
Azinuszellen, die in ihrem apikalen (an der Spitze) Zytoplasma sog. Zymogen-
Acinus granula enthalten, mit inaktiven Vorstufen der Pankreasenzyme.
ein beerenförmiges, englumiges
Drüsenendstück

Abb. 10-24.
Körper der Bauchspeicheldrüse
Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Der Kopf (Corpus pancreatis)
Pankreasgang
der Bauchspeicheldrüse liegt im C-förmi- (Ductus pancreaticus)
gen Zwölffingerdarm (Duodenum). Hauptgallengang I Schwanz der Bauchspeicheldrüse
(Cauda pancreatls)
Im Zwölffingerdarm münden der Aus- (Ductus choledochus)
Zwölffingerdarm --~~:
~:l\:-~~~r~l!!~-~~,-~~!!11111!!~~!
führungsgang der Bauchspeicheldrüse (Duodenum)
(Ductus pancreaticus) und der Gallen-
Darm-Gang (Ductus choledochus) auf der
Zwölffingerdarmwarze (Papilla duodeni
maj or) Zwölflinger· --1~~~}~
darmwarze
(Papilla duodenl
major)

Kopf der Bauchspeicheldrüse


Pankreasgang (Caput pancreatis)
(Ductus pancreaticus)
Organe des Verdauungssystems · Kapitel10 · Verdauungssystem 4 27

o ·Zellen Drüsenendstücke Abb. 10-25.


Langerhans-Insel (Giukagonproduzenten)
Schnitt durch die sezernierenden Drüsen-
I
endstücke (Azini) des exokrinen Pankreas.
Im Zent rum ist eine Langerhans-Insel an-
geschnitten, die zum endokrinen Pankreas
gehört und in ihren u-Zellen Glukagon
und in ihren ~-Zellen Insulin produziert

Pankreasgang - -- - -......".&
(Ductus
pancreaticus)
I
ll·Zellen
in den Zwölffingerdarm (lnsulinproduzenten)
ins Blut

Pankreassekretion
Pro Tag werden vom Pankreas durchschnittlich ca. 2.ooo ml Sekret produziert.
Pankreassekret ist isotonisch mit dem Blut und weist einen pH-Wert von 8-8,4
auf. Dieser alkalische pH-Wert ist auf einen hohen Gehalt an Bikarbonat zurück-
zuführen.

Der hohe pH-Wert von Galle und Pankreassaft neutralisiert den sauren Magen-
inhalt. Nur so können die im Duodenum und den weiteren Dünndarmabschnit-
ten vorhandenen Enzyme ihre volle Wirkung entfalten. Für die meisten dieser
Enzyme liegt das Wirkungsoptimum in einem pH-Bereich zwischen 7 und 8.

Neben verschiedenen Elektrolyten enthält das Pankreassekret v. a. Verdauungs- Eiweißspaltende Pankreasenzyme


enzyme. Diese Enzyme liegen in den Azinuszellen m eist in inaktiver Form vor, • Trypsin
damit die Zellen nicht selbst verdaut werden. Erst durch die Wirkung des • Chymotrypsin
Dünndarmmilieus durch Säure und Pankreasenzyme etc. werden sie aktiviert. • Karboxypeptidase
• Elastase
Das Pankreas produziert 3 Gruppen von Enzymen:
1. eiweißspaltend: Trypsin, Chymotrypsin, Karboxypeptidase, Elastase, Fettspaltende Pankreasenzyme
2. fettspaltend: Pankreaslipase, Phospholipase, diverse Esterasen und • Pankreaslipase
3· kohlenhydratspaltend: a-Amylase. • Phospholipase
• Diverse Esterasen
Das Pankreas sezerniert auch ohne Nahrungsaufnahme geringe Mengen von
Bauchspeichel, sog. Basalsekretion. Während der Nahrungsaufnahme wird die Kohlenhydratspaltendes Pankreasenzym:
Sekretion reflektorisch durch denN. vagus verstärkt. Die weitere Sekretion wird u-Amylase
dann durch Freisetzung von gastrointestinalen Hormonen geregelt: Sekret in und
Cholezystokinin (CCK). Sekretin bewirkt die Ausscheidung größerer Mengen Sekret in fördert Ausscheidung von stark
eines stark alkalischen, aber enzymarmen Sekrets; CCK löst die Sekretion eines alkalischem, enzymarmen Sekret
enzymreichen Pankreassekrets aus. CCK löst die Sekretion von enzymreichem
Pankreassekret aus
428

10.2 Nahrungsbestandteile

Die wichtigsten Grundbausteine des menschlichen Kö rpers und der menschli-


chen Nahrung sind Lipide, Kohlenhydrate und Proteine (s. Abschn. 1.4.4). Sie wer-
den meist in einer Form mit der Nahrung aufgenommen, die nicht dem Autbau
im menschlichen Körper entspricht. Deshalb müssen sie zunächst durch enzy-
m atischen Abbau in ihre Untereinheiten zerlegt werden, die dann wieder zu kö r-
pergerechten eigenen Substanzen aufgebaut werden können.

10.2.1 Lipide

Lipide bestehen zu 95% aus Triglyzeriden. Dies sind Glyzerinmoleküle, an die


3 Fettsäuremoleküle gebunden sind. Die Fettsäuremoleküle können ungesättigt
und gesättigt sein. Weisen die Moleküle zwischen den einzelnen Kohlen'stoffato-
men ihrer Kette lediglich einfache Bindungen auf, werden sie als gesättigt bezeich-
net. Besitzen sie Doppelbindungen, bezeichnet man sie als ungesättigt. Eine Über-
sicht über das Vorkommen von Fettsäuren verschiedenen Ölen zeigt Tabelle 10-2.
Gesättigte Fettsäuren Haben Fettsäuren zwei oder mehr Doppelbindungen, bezeichnet man sie als
• schlechter abzubauen; erhöhen mehrfach-ungesättigte Fettsäuren. Diese Fettsäuren werden auch esse ntielle
Cholesterinspiegel Fettsäuren genannt, weil der Körper sie zwar benötigt, aber nicht selbst herstel-
len kann. Sie sind Ausgangsstoffe für die Herstellung von Prostaglandinen, wer-
Mehrfach ungesättigte Fettsäuren den in die Zellmembranen eingebaut und im Mitochondrienstoffwechsel benö-
(= essentielle Fettsäuren) tigt. Ein Teil der mit der Nahrung aufgenommenen Fettsäuren sollte deshalb
• leicht abzubauen; für Prostaglandin- mehrfach ungesättigt sein, z. B. Linol-, Linolen- und Arachidonsäure. Ungesättig-
stoffwechsel notwendig; erhöhen te Fettsäuren lassen sich zum einen leichter abbauen als gesättigte Fettsäuren,
Cholesterinspiegel nicht zum anderen tragen sie auch nicht zur Erhöhung des Cholesterinspiegels bei.
Deshalb sollte die Nahrung einen größeren Teil an ungesättigten Fettsäuren ent-
essentiell halten. Die Diskussion über die Bedeutung der Fettsäuren in Zusammenhang mit
lebensnotwendig, kann vom Körper nicht koronaren Herzerkrankungen ist allerdings noch lange nicht abgeschlossen.
hergestellt werden In der letzten Zeit werden die sog. Trans-Fette, die in vielen Nahrungsfetten
verwendet werden, ursächlich für eine Erhöhung des LDL (»schlechtes Fett<<) und
eine Erniedrigung des HDL (»gutes Fett<<) verantwortlich gemacht (s. Abschn.
6.9.6). Trans-Fette basieren auf mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die durch
Hydrogenation Hydrogenation verfestigt werden. Folge ist, dass Fette streichfähig werden oder
Beifügung von Wasserstoff (H) die Haltbarkeit von Produkten wie Kuchen, Kekse, Brot etc. erhöht wird. Auch
viele Frittieröle enthalten Trans-Fett.

Tabelle 1o-2. Vorkommen der verschiedenen Fettsäuren

Ungesättigte Fettsäuren Gesättigte Fettsäuren

Olivenöl Fleisch
Erdnussöl Eier
Fisch Nüsse
Sonnenblumenöl Palmenöl
Maisöl Milchprodukte
Rapsöl
Nah rungsbestandteile · KapitellO · Verdauungssystem 429

Menschen, in mediterranen Ländern verwenden fast ausschließlich Olivenöl mediterran


zum Kochen, das reich an einfach ungesättigten Fettsäuren ist. Nachweislich tre- zum Mittelmeer gehörend, auf die
ten weniger ko ronare Herzkrankheiten bei Menschen in mediterranen Ländern Mittelmeerländer bezogen
auf als in nö rdlicheren Ländern. Zur mediterra nen Ernährung gehö ren neben
dem Olivenöl noch weitere Faktoren: u. a. eine Reduktion der Menge an rotem
Fleisch (nur 1 Mal pro Woche) und v. a. mehr Gemüse.
Fette bestehen neben den oben erwähnten 95% Triglyzeriden in den restlichen
5% zum größten Teil aus Cholesterin, das nicht in pflanzlichen, wohl aber in tieri-
schen Nahrungsmitteln vorkommt. Außerdem benötigt der Körper noch Phospho-
lipide, die z. B. im Lezithin vorkommen , d as in einer großen Anzahl von Nahrungs- Lezithin als Quelle für Phospholipide
mitteln enthalten ist. Lezithin, das häufig zur Emulsionierung in der Nahrungs-
mittelverarbeitung verwendet wird, stammt zu einem großen Teil aus Sojabohnen.

10.2.2 Proteine

Im m enschlichen Kö rper existiert eine Vielzahl unte rschiedlicher Proteine


(Eiweiße), deren Grundbau stein e die Aminosäuren sin d . Diese Bau steine b estim -
men den spezifischen Aulbau des jeweiligen Proteins.
Die Aminosäuren werden bei der Proteinsynthese an den Ribosomen zu-
nächst durch Peptidbindungen zu Ketten aneinander gereiht, die anschließend, Peptidbindung
z. B. durch Auffaltung, unterschiedliche dreidimension ale Strukturen bilden. Die Bindungen zwischen dem Aminoende
Reihenfolge der Aminosäuren und ihre Gesamtzahl ist vera ntwo rtlich für die Art einer Aminosä ure und dem Karboxylende
des Proteins, das synthetisiert worden ist. Insgesamt existieren 20 verschiedene einer zweiten Aminosäure
Aminosäure n (s. Tabelle 10-3).

Tabelle 10-3. Aminosäuren

Aminosäure Besonderheit

Alanin Glukoplastisch
Arginin Glukoplastisch
Asparagin
Aspartat Glukoplastisch
Cystein Glukoplastisch
Glutamat Glukoplastisch
Glutamin
Glycin
Histidin
Isoleuein Essentiell
Leuein Essentiell
Lysin Essentiell
Methionin Essentiell
Phenylalanin Essentiell
Prolin Glukoplastisch
Serin Glukoplastisch
Threonin Essentiell
Tryptophan Essentiell
Tyrosin
Valin Essentiell, glukoplastisch
430

8 essentielle Aminosäuren Es gibt Proteine, die nur aus wenigen, sich immer wiederholenden Amino-
• lsoleuzin säuren zusammengesetzt sind, z. B. Kollagen das sehr viel Prolin und Lysin ent-
• Lysin hält. Um aus fremdem Protein körpereigenes Protein herstellen zu können, müs-
• leuzin sen aus den mit der Nahrung aufgenommenen Protei nen zunächst die einzelnen
• Methionin Aminosäuren abgespalten werden. Diese können resorbiert und im Körper wie-
• Phenylalanin der zu körpereigenen Proteinen zusammengesetzt werden.
• Threonin Von den 20 verschiedenen Aminosäuren können 12 durch Umbau und Neu-
• Tryptop ha n synthese selbst im menschlichen Körper hergestellt werden. 8 Aminosäuren kann
• Valin der Körper nicht selbst herstellen, sie müssen von außen mit der Nahrung in den
Körper gelangen. Diese Aminosäuren werden deshalb als essentielle Amino-
säuren bezeichnet. Dies sind Isoleuzin, Leuzin, Lysin, Methionin, Phenylalanin,
Threonin, Tryptophan und Valin.

10.2.3 Kohlenhydrate

Formen von Kohlenhydraten Zu den Kohlenhydraten rechnet man Monosaccharide (Einfachzucker), Disac-
• Monosaccharide (Einfachzucker), charide (Zweifachzucker) und Polysaccharide (Vielfachzucker). Die wichtigsten
z. 8. Glukose, Fruktose Kohlenhydrate in der Nahrung sind:
• Disaccharide (Zweifachzucker), • Glykogen: Polysaccharid der Glukose,
z. B. Maltose, Laktose, Saccharose • Glukose: Traubenzucker (Monosaccharid),
• Polysaccharide (Vielfachzucker), • Maltose: Disaccharid der Glukose,
z. B. Amylopektin • Laktose: Milchzucker (Disaccharid),
• Fruktose: Fruchtzucker (Monosaccharid),
• Saccharose: Kochzucker (Disaccharid aus Glukose und Fruktose),
• Amylopektin: pflanzliches Polysaccharid der Glukose, in der Stärke vorhanden.

Glukose als wichtigster Energielieferant Für die Energieproduktion ist die Glukose das wichtigste Kohlenhydrat, da die
Energieproduktion des Körpers zu einem Großteil von der Verbrennung von
Glukose abhängt (s. Kap. 9, Atmung).
Ist nicht genügend Glukose vorhan den, kann der Körper Glukose entweder
durch Umbau von anderen Zuckerarten oder durch Neusynthese herstellen. Für
die Neusynthese, die Glukoneogenese, müssen jedoch so genannte glukoplasti-
sche Aminosäuren (z. B. Alanin, Arginin , Glutamin, Prolin, Serin) vorhanden
sein. Für den Umbau in Glukose sind also Aminosäuren notwendig, die meist
durch Proteinabbau (z. B. aus der Muskulatur) zur Verfügung gestellt werden. Bei
Diäten zur Gewichtsreduktion, die häufig auf ein er reduzierten Kalorienaufnah-
me und damit auf einer reduzierten Glukoseaufnahme beruhen, muss deshalb
die Muskulatur ausreichend betätigt werden, um dem Abbau von Muskelprotein
entgegenzuwirken. Schließlich ist es ja das Fett, das in einer Diät abgebaut wer-
den soll und nicht die Muskulatur.

10.2.4 Vitamine

Vitamine sind für den Stoffwechsel notwendige Substanzen, die der Körper in der
Regel nicht oder nicht vollständig selbst herstellen kann. Vitamine müssen deshalb
mit der Nahrung zugeführt werden. Im Falle Vitamin K und Folsäure bezieht
der Körper diese von Darmbakterien, die diese beiden Vitamine im Rahmen ihres
eigenen Stoffwechsels herstellen und dann in das Darmlumen abgeben. Vitamine
Nahrungsbestandteile · Kapitel10 · Verdauungssystem 431

sind an verschiedenen enzymatischen Reaktionen im Stoffwechsel beteiligt, sei es


als Teil der Enzyme oder als so genannte Co-Faktoren, die an den Enzymen vor-
handen sein müssen, damit diese ihre Funktion ausführen können. Folge eines
Vitaminmangels ist ein für jedes Vitamin typisches Krankheitsbild (s. Tabelle 10-
4). Einige Vitamine sind hitzelabil, d. h. dass sie beim Kochen zerstört werden.

Tabelle 10-4. Vitamine, deren Vorkommen, Funktion, Tagesbedarf und mögliche Mangelerscheinung

Name Quelle Funktion Tagesbedarf Mangelerscheinung Besonderheiten

Fettlösliche Vitamine
VitaminA Leber, Milchfett, Synthese des Rhodopsins 1- 1.5 mg Nachtblindheit, Störung Kann in der Leber gespeichert
(Retinol) Karotten (Sehpurpur), der Epithelverhornung werden
Epithelverhornung
Vitamin D Milchfett, Eigelb, Fördert die Kalzium- 5- 10 jJg Störungen im Knochen- Kann in der Haut aus Vorstufen
(Kalziferol) Lebertran resorption Stoffwechsel, Rachitis unter der Wirkung von UV-'
Strahlung gebildet werden,
s. auch Abschn. 12.6.2
VitaminE Weizenkeime, Antioxidanz. Oxidation- mind.30mg, Ausfall des Oxidation- Wird als Schutz gegen Zell-
(Tokopherol) Pflanzenöle hemmung besser über schutzes begünstigt Schädigungen empfohlen, u. a.
lOOmg Krankheiten z. B. Herz- zur Reduktion des Krebs- und
infarkt Infarktrisikos
VitaminK Grünes Gemüse, Benötigt zur Bildung 1 mg Störungen der Blutge- Mangel z. B. bei Schädigung
Darmbakterien von Gerinnungsfaktoren rinnung der Darmbakterien durch
z. B. Prothrombin Antibiotika

Wasserlösliche Vitamine
Vitamin B, Schalenvon Fördert den Kohlenhy- 1-2 mg Beriberi-Krankheit: Hypovitaminose v. a. bei ein-
(Thiamin) Getreide, Reis dratstoffwechsel, Nerven· Störungen im ZNS + PNS seitiger Ernährung
und Fleisch tätigkeit und Herzaktivität mit geschältem Reis in Asien
Vitamin B. Milch, Fleisch, Über die Flavinenzyme 1-2 mg Hauterkrankungen,
(Riboflavin, Pflanzen wirkt es auf den gesam· Linsentrübung, Horn-
Laktoflavin) ten Stoffwechsel und die hautschäden, Störungen
Hormonproduktion im vegetativen NS
Vitamin B6 Getreide, Fördert den Aminosäure- 2mg Sehr selten, z. B. Pigment·
(Pyridoxin) Fleisch, Leber Stoffwechsel störungen,
Hauterkrankungen
Vitamin B,. Fleisch, Leber Fördert Bildung roter 5- lOiJg Perniziöse Anämie Benötigt für die Resorption den
(Kobalamin} Blutkörperchen »intrinsic factor«, der von den
Belegzellen des Magens gebil·
det wird, Vitamin B,. kann in
der Leber gespeichert werden
Folsäure Gemüse. Leber, Fördert die Bildung 1 mg Störungen im Blutbild, Der Bedarf wird z. T. durch
(Vitamin M) Milch der roten Blutkörperchen perniziöse Anämie (ähn· Produktion der Darmbakterien
und der Nukleinsäuren lieh Vitamin-B,.-Mangel) gedeckt
Vitamin H Leber, Niere, U.a. notwendig bei der 1-2mg Sehr selten, u. a. Hauter- Mangel z. B. bei Schädigung
(Biotin) Eigelb Fettsäuresynthese und krankungen der Darmbakterien durch
bei der Übertragung von Antibiotika
Kohlensäureresten
(Karboxylgruppen)
Niazin Getreide, Reis, Bestandteil von Koenzy- 20mg Pellagra (Hauterkrankung) -
(Nikotinsäure, Leber, Fleisch men, Hautschutzfaktor
Vitamin PP)
Panthothensäure Gemüse, Getrei· 10mg Uncharakteristisch Wird u. a. durch Darmbakterien
de, Hefe, Leber produziert
Vitamin C Bestandteil des Wichtig für die Gefäßab- 60mg Bindegewebsschäden, Vitamin C ist hitzelabil, d. h. es
(Askorbinsäure) Koenzym·A dichtung, Blutungsneigung, Skorbut wird bei langdauernder
Frisches Obst Kollagensynthese und (u. a. Müdigkeit, Erhitzung zerstört. Vitamin C
und Gemüse Oxidationshemmung Muskelschmerz. spontane kann im Körper nicht ge-
Blutungen, Mangel an speichert werden
lnterzellularsubstanz)

NS Nervensystem, PNS peripheres Nervensystem, ZNS Zentralnervensystem


432

• Wasserlösliche Vitamine: B. C und H Es werden fettlösliche Vitamine von wasserlöslichen Vitaminen unterschie-
• Fettlösliche Vitamine: A. 0, E und K den. Zu den wasserlöslichen gehören die Vitamine B, C und H, zu den fettlösli-
chen die Vitamine A, D, E und K. Für die Resorption, d. h. die Aufnahme der fett-
löslichen Vitamine im Darm, sind geringe Mengen an Fett bei der Nahrungs-
Galenik aufnahme notwendig. Dies wird bei der Galenik von Vitaminpräparaten heute in
Wissenschaft, die sich mit der der Regel berücksichtigt, sodass z. B. Vitamin E bereits in Rhizinusöl gelöst in
Zubereitung, Formgebung und technolo- Kapseln angeboten wird. Fettlösliche Vitamine werden am besten in Gegenwart
gischen Prüfung der Arzneimittel befasst von Gallensäuren und Pankreassekret resorbiert. Beide werden ausgeschüttet so-
bald sich Fett im Darm befindet.
• Avitaminose = völliges Fehlen eines Bei völligem Fehlen eines oder mehrerer Vitamine spricht man von Avitami-
oder mehrerer Vitamine nosen. Hypovitaminosen hingegen bezeichnen den Zustand, in dem ein Vitamin
• Hypovitaminose = Mangel an Vitamin in zu geringer Konzentration im Körper vorhanden ist. Liegt ein Vitamin in zu
• Hypervitaminose = Vitaminüberschuss hoher Dosis im Körper vor, wird dies als Hypervitaminose bezeichnet. Bei allen 3
genannten Zuständen können typische Krankheitsbilder vorkommen. ' Dies.. ist
v. a. bei 2 Vitaminen der Fall: Bei einer Vitamin-A-Hypervitaminose kommt es zu
Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Reizbarkeit, Schr unden im Mundwinkel,
Haarausfall, Fieber etc. Die Krankheit ist bei Erwachsenen sehr selten und
kommt v. a. bei Säuglingen und Kleinkindern vor. Eine Vitamin-0 -Hypervita-
minose führt wegen der Bedeutung des Vitamins im Kalziumstoffwechsel (s. Ab -
sehn. 12.6.2) zu einer hohen Konzentration von Kalzium im Blut. Kalzium lagert
sich dann u. a. in den Gefaßwänden ab, sodass daraus ernsthafte Probleme im
Bereich der Herz- und Lungengefäße (Bildung von Plaques und Verlust der
Elastizität in den elastischen Gefäßen), aber auch in Form von Steinbildungen in
der Niere entstehen können.

10.2.5 Spurenelemente

Neben den bisher erwähnten Stoffen, die mit der Nahrung meist in größeren
Mengen aufgenommen wird, gibt es auch einige, die nur in sehr geringen Mengen
vorhanden sind, die Spurenelemente. Einige davon sind essentiell; andere gelan-
gen eher zufällig, akzidentiell, in den Körper. Manche davon sind entbehrlich und
in entsprechenden Konzentrationen sogar toxisch (giftig). Zu den essentiellen Spu-
renelementen gehören u. a. Eisen und Jod (s. Tabelle 10-5). Zu den entbehrlichen
gehören u. a. Aluminium, Gold, Silber und Brom. Eindeutig giftig sind hingegen
verschiedene Schwermetalle wie Blei, Kadmium und Quecksilber. Auch essentielle
Spurenelemente können abhängig von der Konzentration giftig wirken.ln höheren

Tabelle 10-5. Spurenelemente

Element Mangelerscheinung Tagesbedarf

Eisen Blutarmut (Hämoglobinmangel) 0,5-5 mg


Fluor Karies 1 mg
Jod Kropf, Schilddüsenunterfunktion 0,1 - 0,2mg
Kobalt Blutarmut ca. 500 }lg
Kupfer Blutarmut, Wachstumsstörungen 1-2mg
Mangan Knochenmissbildungen, Unfruchtbarkeit 2-5 mg
Seien Störungen des Abwehrsystems ca.6011g
Enzymatischer Abbau der Nahrung · Kapitell 0 · Verdauungssystem 433

Konzentration ist z. B. Kobalt hochgiftig, in den üblicherweise aufgenommenen


Mengen von weniger als 1 mg/Tag ist es von großer Bedeutung für die Blutbildung.

10.2.6 Ballaststoffe

Mit der Nahrung werden auch nichtverdaubare Substanzen aufgenommen, die Ballaststoffe

Ballaststoffe. Zu ihnen gehören: Zellulose, Lignin und Pektin. Die Mehrzahl der • Zellulose
Ballaststoffe stammt aus pflanzlichen Geweben. • Lignin
Man unterscheidet wasserlösliche von wasserunlöslichen Ballaststoffen. Die • Pektin
wasserlöslichen werden von den Bakterien abgebaut und dienen damit einer
Erhöhung der BakterienzahL Die wasserunlöslichen dienen vor allem der Darm-
peristaltik: Ein Teil von ihnen kann durch die Bindung von Wasser quellen. Ins-
gesamt erhöhen Ballaststoffe das Volumen des Nahrungsbreis im Darm. So regen
sie die Darmbewegung an. Fehlen Ballaststoffe oder genügend Flüssigkeit zum
Quellen kann dies zu Darmverstopfung führen. Des Weiteren beschleunigen
Ballaststoffe den Transport des Nahrungsbreis durch den Darm. Damit werden
evtl. vorhandene Giftstoffe ebenfalls schneller transportiert und können weniger
lang auf die Darmschleimhaut einwirken. Damit sinkt das Erkrankungsrisiko
z. B. für Darmkrebs.
Einige Ballaststoffe werden durch die Darmbakterien abgebaut und dienen so Funktion der Ballaststoffe
den Darmbakterien als Nahrung und damit der Stabilisierung ihrer Zahl. Ohne ei- • Anregung der Peristaltik durch
ne genügende Anzahl von Darmbakterien können verschiedene Vitamine nicht Quellvermögen
produziert werden. Auch die bakterielle Aufspaltung einiger Nahrungsbestand- • Beschleunigung der Darmpassage
teile ist für die anschließende Resorption sehr wichtig. Es muss also täglich eine auch von Giftstoffen
genügend große Menge an Ballaststoffen mit der Nahrung aufgenommen werden.
Die Mindestmenge an Ballaststoffen, die pro Tag aufgenommen werden soll-
te, beträgt ca. 30 g. Für eine geregelte Verdauung und als Vorbeugung von Darm-
krankheiten wird allerdings ein Vielfaches dieser Menge verbunden mit einer
täglichen Flüssigkeitszufuhr von mindestens 1.5 l empfohlen.

10.3 Enzymatischer Abbau der Nahrung

Hauptaufgabe der Verdauungsorgane ist es, die Nahrung in ihre Untereinheiten


zu zerlegen und anschließend zu resorbieren. Die Verdauung umfasst die Zerklei-
nerung in der Mundhöhle durch den Kauapparat, und den enzymatischen Abbau Abbau von Fetten
durch die Enzyme der Verdauungssäfte. Dieser Abbau beginnt bereits mit der • Dispergierung und Emulgierung
EinspeicheJung in der Mundhöhle. Dann schließen sich die Enzyme des Magen- durch Gallensäuren
saftes und des Pankreas an . Außerdem werden in der Wand des Dünndarms • Enzymatischer Abbau durch
Enzyme gebildet, die ebenfalls an der Verdauung teilnehmen. Die Wirkung der Pankreaslipase ~ Fettsäuren
einzelnen Verdauungsenzyme ist an den 3 Hauptnahrungsbestandteilen Kohlen- und Glyzerin
hydrat, Protein und Lipid in den Abb.1o-26-Abb.to-28 dargestellt. • Resorption durch Enterozyten ~
Für den Abbau der Fette (Triglyzeride) werden die Fetttröpfchen durch die Gal- Chylomikronen
lensäuren zunächst in kleinste Fettpartikel aufgespalten, die sog. Dispergierung und • Aufnahme und Abtransport
Emulgierung. Dadurch wird die Oberfläche der Fettpartikel vergrößert, wodurch ins Lymphsystem
sie für den anschließenden enzymatischen Abbau durch die Pankreaslipase besser
zugänglich sind. Hierbei entstehen Fettsäuren und Glyzerin. Beide werden in die Chylomikronen
Enterozyten (Darmepithelzellen) aufgenommen, dort zu Chylomikronen umgebaut klein e Fetttröpfchen mit einer
und dann über das Lymphgefaßsystem abtransportiert (s. Kap. 8, Immunologie). Proteinhüll e
434

Abb.l0-26.
Speichel·ct·Amylase
Speichelamylase und Pankreasamylase aus dem

~
bauen Glykogen und Stärke (aus tierischer Pankreas

und pflanzlicher Nahrung) in ihre Bau-


einheiten ab. Größere Zuckermoleküle
werden dabei in Monosaccharide (z. B.
Glukose, Fruktose) zerlegt; diese werden
anschließend von den Saumzellen
(Enterozyten) aufgenommen und gelan-
gen über die Portalvene in den Kreislauf

Duodenum

Abb. 10-27.
Fene -~
Die Gallensäuren emulgieren Fette und
dispergieren sie, sodass sie fü r die
(Triglyzeride) J
Pankreaslipase besser angreifbar sind. Die aus der
Gallenblase
Pankreaslipase verdaut die Triglyzeride zu
Glyzerin und Fettsäuren, die von den
Saumzellen (Enterozyten) aufgenommen Gallensäure

werden. Sie können als kurzkettige und


mittelkettige Fettsäuren in die Darmzellen
transportiert werden. ln den Enterozyten ausdem
werden Glyzerin und Fettsäuren in Tri- t
kurzkenijje
Pankreas

glyzeride aufgebaut und dann zu Chylo-


Fansauren
mikronen verpackt, die über die Lymph- +MCT

gefäße abtransportiert werden. Mittel-


kettige Fettsäuren können wie die kurz-
kettigen, aber auch direkt über die Portal-
Duodenum
vene transportiert werden

Abbau von Kohlenhydraten Eine Ausnahme bilden die mittelketticJen Triglyzeride (MCT), die auch unge-
• a-Amylase spaltet Zuckermoleküle spalten von den Enterozyten aufgenommen werden können. Sie werden, wie die
bereits im Mund kurzkettigen Fettsäuren, direkt über die Portalve ne abtransportiert. Bei Fehlen
• Pankreasamylase übernimmt weitere oder Unterfunktion der entsprechenden Enzyme können diätetisch verwendete
Spaltung mittelkettige Triglyzeride auch ohne Spaltung resorbiert und über die Portalvene
• Maltase abtransportiert werden.
• Saccharidasen Die Ko rde nhyd rate werden in ihre diversen Zuckermoleküle wie Trauben-
zucker (Glukose), Milchzucker (Laktose) sowie Fruchtzucker (Fruktose) gespal-
ten. Beim enzymatischen Abbau werden aus den vorhandenen >>Vielzuckern<<
Enzymatischer Abbau der Nahrung · Kapitel 10 · Verdauungssystem 435

Abb. 10-28.
Die Sa lzsäure im Magen denaturiert
Magen Proteine (Denaturierung: Entzug des
Hydratmantels); anschließend erfolgt die
aus dem Spaltung in Pepitide und Aminosäuren
Pankreas
durch Pepsin im Magen, durch Trypsin
; und andere Enzyme weiter im Dünndarm.
Trypsin
Duodenum Die Aminosäuren we rden über die Entero-
Chymotrypsin
Carboxypeptidase zyten aufgenommen und ins Blu t der
Portalvene transportiert

Jejunum

Epithelzelle
(Enterozyt)

(Polysacchariden) zunächst »Wenigzucker« (Oligosaccharide) und dann meist


Einfachzucker (Monosaccharide), die als solche resorbiert werden. Die dazu nöti-
gen Enzyme stammen aus dem Speichel (a-Amylase), dem Pankreassekret (Pank-
reasamylase), aber auch aus den Enterozyten des Darmepithels, z. B. Saccharase,
die das Disaccharid Saccharose (Kochzucker) in Fruktose und Glukose spaltet.
Proteine werden zunächst im Magen durch die Salzsäure denaturiert, hierbei Abbau von Proteinen
wird der Hydrathülle die außen anliegenden Wassermoleküle entzogen. Danach • Denaturierung durch Salzsäure
können sie unter der Wirkung der eiweißspaltenden Enzyme in Polypeptide (be- im Magen
stehend aus vielen Aminosäuren), dann in Oligopeptide (bestehend aus wenigen • Aufspaltung durch eiweißspaltende
Aminosäuren) und schließlich direkt in einzelne Aminosäuren zerlegt werden. Enzyme (aus Magen, Pankreas und
Darm) in Polypeptide - t Oligopeptide
Diese eiweißspaltenden Enzyme stammen aus: und Aminosäuren
• dem Magen: Pepsin,
• dem Pankreas: Trypsin, Chymotrypsin, Karboxypeptidase, sowie
• den Enterozyten des Darmepithels: Peptidasen.

Die aus diesem Abbau resultierenden Aminosäuren werden schließlich über die
Enterozyten aufgenommen und über die Portalvene in die Leber transportiert.

10.4 Resorption der Nahrung

Die durch enzymatischen Abbau freigesetzten Untereinheiten der Proteine,


Lipide und Kohlenhydrate werden zum größten Teil in den oberen Darmab-
schnitten Duodenum und im oberen Teil des Jejunums resorbiert. Der untere Teil
des Jejunums und das Ileum stellen hauptsächlich eine Resorptionsreserve dar.
Hier kann bei Hunger die Nahrung weitestgehend verwertet werden. Ein Teil der
Resorption erfolgt passiv durch Mechanismen wie z. B. Diffusion; ein anderer
436

Teil erfolgt aktiv unter Energieverbrauch. So wird z. B. für die rasche (notwendi-
ge) Resorption von Glukose ein aktiver Transportmechanismus eingesetzt.
Pfortadersystem: das venöse Blut, das aus Der größte Teil der resorbierten Nahrungsbestandteile wird über das
dem Kapillarkreislauf des Darms stammt, P1ortadersystem zunächst in die Leber transportiert. Erst nachdem die Leber
wird in einen zweiten Kapillarkreislauf der dem Pfortaderblut die notwendigen Nahrungsbestandteile entnommen hat, ge-
Leber eingespeist langt das Blut über den Kreislauf zu den anderen Organen.
Lipide werden nach der Nahrungsaufnahme im Darm resorbiert. Dabei wer-
Resorption von Lipiden den Chylomikronen gebildet. Chylomikronen sind tröpfchenförmige, wasserun-
• Bildung von Chylomikronen lösliche, von einer Membran umhüllte Fetttröpchen. Diese können von den
• Aufnahme im Ductus thoracicus Lymphgefäßen aufgenommen und über den Ductus thoracicus abtransportiert
-+ im Venenwinkel Übergang ins Blut werden. Sie färben die Lymphe weißlich, weshalb der Ductus thoracicus auch
Brustmilchgang genannt wird. Im Venenwinkel (zwischen linker V. subdavia und
linker V. jugularis interna) gelangt die Lymphe dann in das Blut. über den
Resorptionsmechanismus im Darm werden ebenso Vitamine, Elektrolyte .und
Spurenelemente aus der Nahrung (dem Chymus) aufgenommen.
Pro Tag werden ca. 10 l Flüssigkeit aus dem Chymus resorbiert. Ein großer
Teil stammt aus den Verdauungssäften. über den Stuhl wird pro Tag ca. 150 ml
Flüssigkeit ausgeschieden. Daraus folgt, dass der größte Teil der Flüssigkeit, die
in der Nahrung und den Verdauungssäften vorhanden ist, resorbiert wird. Dies
übernimmt größtenteils der Dickdarm (s. Abschn. 10.1.7).
Fragen und Zusammenfassung · KapitellO · Verdauungssystem 437

10.5 Fragen und Zusammenfassung zum Verdauungssystem

Was sind die Aufgaben • Zerlegung der Nahrung (eigentliche Verdauung) in resor-
des Verdauungssystems? bierbare Untereinheiten,
• Aufnahme (Resorption) dieser Untereinheiten über das
DarmepitheL

Welche Anteile werden Mundvorhof, Zunge, Zähne, Speicheldrüsen


zur Mundhöhle gerechnet?

Wodurch ist der Mundvorhof Gegen außen durch die Wangen/Lippen, gegen die Mund-
begrenzt? höhle durch die Zähne.

Wie ist die Zunge aufgebaut? Sie ist ein mit Schleimhaut bedeckter Muskelkörper;
sie besteht aus:
• Binnenmuskulatur (innerhalb der Zunge verlaufende
Fasern) und
• Außenmuskulatur (von außen einstrahlende Muskulatur).

Die Schleimhaut des Zungenrückens besteht aus einem


mehrschichtigen,leicht verhornten PlattenepitheL
In der Schleimhaut des Zungenrückens befinden sich:
• Papillae filiformes (Fadenpapillen),
• Papillae foliatae (Blattpapillen),
• Papillae vallatae (Wallpapillen) und
• Papillae fungiformes (Pilzpapillen).
Im Zungengrund liegt die Tonsilla Iingualis (»Zungen-
mandel«).

Wie ist ein typischer Zahn Er besteht aus einer Krone und einer Wurzel. Die Krone ist
aufgebaut? mit Schmelz überzogen und überragt das Zahnfleisch
(Gingiva). Die Wurzel ist mit Zement überzogen und befindet
sich in der knöchernen Zahnalveole. Unter dem Schmelz und
dem Zement liegt das Dentin. Dentin wird von Odontoblasten
gebildet, die mit ihrem Zellkörper in der Zahnpulpa liegen.
Das Desmodontium (Wurzelhaut) befestigt den Zahn in der
ZahnaJveole. Die Sharpey-Fasern des Desmodontiums sind
schräg angeordnet, sodass sie Druck in Zug umwandeln
können.

Welche Zähne umfasst Es umfasst 32 Zähne (8 Schneidezähne, 4 Eckzähne,


das endgültige Gebiss? 8 Backenzähne und 12 Mahlzähne).
438
Welche großen Speicheldrüsen
kennen Sie? Was sind die Die Ohrspeicheldrüse (Glandula parotidea) liegt in einer
wichtigsten Merkmale? gemeinsamen Faszie mit dem M. masseter. Sie produziert
einen dünnflüssigen (serösen) enzymhaltigen Speichel
(a-Amylase). Ihr Ausführgang mündet in der Backe gegen-
über dem 2. Backenzahn.
Die Unterkieferdrüse (Glandula submandibularis) liegt innen
neben dem Unterkiefer. Sie produziert eine Mischung aus
serösem und mukösem Speichel. Ihr Ausführgang mündet
links und rechts neben dem Frenulum linguae (Zungenbänd-
chen) auf der Caruncula.
Die Unterzungendrüse (Glandula sublingualis) liegt unter-
halb der Zunge auf dem Mundboden. Sie produziert ein
muköses Sekret (Gleitspeichel) und mündet mit mehreren
Öffnungen auf der Plica sublingualis.

Wie viel Speichel wird pro Tag


Pro Tag werden ca. 1- 1,5l Speichel produziert, der einen pH-
produziert? Wie wird die Wert zwischen 6,2 und 7,4 hat. Durch Parasympathikus-
Absonderung des Speichels wirkung wird die Absonderung eines dünnflüssigen, enzym-
reguliert? haltigen Speichels angeregt, durch die Sympathikuswirkung
die Absonderung eines dickflüssigen Gleitspeichels.

Welche Anteile weist Man unterscheidet einen harten Gaumen (Palatum durum)
der Gaumen auf? von einem weichen (Palatum malle). Der harte Gaumen hat
eine knöcherne Grundlage, der weiche Gaumen besteht aus
Epithel, Bindegewebe und Muskulatur. Der weiche Gaumen
geht in das Gaumensegel mit dem Zäpfchen über (Uvula).
Im Bereich der Gaumenschleimhaut münden muköse
Glandulae palatinae (Gaumendrüsen), die einen Gleitspeichel
produzieren.

Der Rachen besteht aus 3 Abschnitten:


Welche Abschnitte rechnet man
• hinter der Nasenhöhle: Pars nasalis,
zum Rachen (Pharynx)?
• hinter der Mundhöhle: Pars oralis und
• hinter dem Kehlkopf: Pars laryngea.

In der Pars oralis.


ln welchem Teil des Pharynx
kreuzen der Luft- und der
Speiseweg?
Die röhrenförmigen Hohlorgane des Magen-Darm-Traktes
Wie sieht der typische Bauplan weisen alle einen gemeinsamen Bauplan auf, von innen nach
des Magen-Darm-Traktes aus? außen bestehen sie aus:
• Mukosa (Epithel, Propria und Lamina muscularis mucosae),
• Submukosa (Bindegewebe mit Plexus submucosus),
• Muskularis (innere Ring-, äußere Längsmuskulatur mit
• dazwischenliegendem Plexus myentericus) und
• Adventitia (Bindegewebe) oder Serosa (Peritonealüberzug).
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel10 · Verdauungssystem 439
Was sind die Merkmale
des Ösophagus? Er ist mit einem mehrschichtig unverhornten Plattenepithel
ausgekleidet. In das sternförmige Lumen münden muköse
Ösophagusdrüsen. Der Ösophagus weist 3 Engstellen
auf:
• den oberen Ösophagussphinkter,
• die Aortenenge und
• den unteren Ösophagussphinkter.
Welche makroskopischen
Bestandteile des Magens kennen Der Magen wird unterteilt in:
Sie? • die Pars cardiaca (am Mageneingang),
• den Fundus (Magenkuppel),
• den Korpus (Magenkörper),
• das Antrum (Erweiterung im Bereich des Magenausgangs)
und
• den Pylorus (Magenpförtner).

Durch den gekrümmten Verlauf entsteht eine konkave kleine


Kurvatur und eine konvexe große Kurvatur. Von der kleinen
Kurvatur erstreckt sich das kleine Netz (Omentum minus) bis
zur Leber, von der großen Kurvatur nimmt das große Netz
(Omentum majus) seinen Ursprung.

Wie ist die Magenschleimhaut Die Magenschleimhaut besteht aus einem einschichtigen
aufgebaut? Zylinderepithel, das Felder (Areae gastricae) und Grübchen
(Foveolae gastricae) aufweist. In die Foveolae gastricae
münden die Magendrüsen (Glandulae gastricae). Es werden
schleimproduzierende homokrine Drüsen (Pars pylorica,
Pars cardiaca) von heterokrinen Drüsen unterschieden
(Korpus, Fundus).

Welche Zelltypen sind in den Die heterokrinen Drüsen produzieren Schleim (Nebenzellen),
heterokrinen Magendrüsen vor- Pepsirrogen (Hauptzellen) und Salzsäure (Belegzellen). Basal-
gekörnte G-Zellen produzieren Gastrin. In den Belegzellen
handen und was produzieren
wird außerdem der >>intrinsic factor« (ein Glykoprotein) ge-
diese?
bildet, der für die Aufnahme von Vitamin Bn verantwortlich
ist.

Die Magendrüsen produzieren pro Tag ca. 3 I Magensaft. Auch


Wie viel Magensaft wird pro Tag, nüchtern werden 5-15 ml Magensaft pro Stunde sezerniert.
wie viel in Ruhe produziert?
In Ruhe ist der Magensaft neutral. Nach HCI-Sekretion wird
Welchen pH-Wert hat der ein pH-Wert von ca. 1 erreicht.
Magensaft?
HCl aktiviert Pepsin aus Pepsinogen, denaturiert Proteine
Welche Funktion hat der und tötet Bakterien. Pepsin spaltet Eiweiße (Proteine) in
Magensaft? Polypeptide, die dann durch Einwirkung weiterer Enzyme in
Aminosäuren gespalten werden können. Muzin dient dem
Schutz der Magenschleimhaut.
440
Wie wird die Magensaft-
sekretion reguliert? Bei der Regulation der Magensaftsekretion unterscheidet
Welche Phasen kennen Sie? man 3 Phasen:
• kephale Phase,
• gastrische Phase und
• intestinale Phase.

Über denN. vaguswird sowohl die kephale wie auch die


gastrische Phase vermittelt. Gastrointestinale Hormone sind
an der Regulation beteiligt: Gastrin regt die Sekretion von
HCl an, Sekretin bewirkt die HCI-Hemmung und regt die
Pepsinogensekretion an.
Was ist Peristaltik?
Peristaltik ist die Grundlage des Transportes von Nahrung
durch den Magen-Darm-Trakt. Sie besteht aus einer
Erschlaffungswelle, der sofort eine Kontraktionswelle der
Ring- und Längsmuskulatur folgt.
Man unterscheidet: Segmentationen von Peristaltik und
Antiperistaltik Propulsive Peristaltik verschiebt den
Darminhalt über größere Strecken.

Welche Anteile unterscheidet


Er besteht aus Duodenum (Zwölffingerdarm), Jejunum
man am Dünndarm? (Leerdarm) und Ileum (Krummdarm).

Was ist charakteristisch für den Im Duodenum mündet der Ductus choledochus (Galle) und
Zwöffingerdarm? der Ductus pancreaticus (Verdauungssaft des Pankreas). Die
Glandulae duodenales produzieren ein alkalisches Sekret, das
den sauren Mageninhalt neutralisiert.

Durch welche Faktoren wird die Die Dünndarmoberfläche ist durch Falten, Zotten, Krypten
innere Oberfläche des Darms und Mikrovilli stark vergrößert (von 0,33 m·' auf 200m'!).
vergrößert?

Was ist ein Mesenterium?


Ein Großteil des Darms ist von Peritoneum (Bauchfell) über-
zogen. Der Wandteil (Peritoneum parietale) schlägt an der
Radix mesenterii auf den Organteil (Peritoneum viscerale)
über und bildet dabei eine Duplikatur, das Mesenterium
(Darmgekröse) . Dieses führt Gefäße und Nerven an das
Darmrohr heran und dient der Aufhängung des Darms.

Über die A. mesenterica superior.


Wie erfolgt die Blutversorgung
des Dünndarms?
Es besteht aus Enterozyten (mit Mikrovilli besetzt) und
Welche Zellarten bilden Becherzellen (Schleimproduktion).
dasEp~helderDünndarm ­
schleimhaut?
Fragen und Zusammenfassung · Kapitell 0 · Verdauungssystem 441
Wo befindet sich ein Großteil
der Lymphgefäße des Darms? Die Lymphgefäße verlaufen in den Zotten (Chylusgefäße),
Wie wird die Lymphe aus diesen die durch Muskelfasern der Lamina muscularis mucosae
Gefäßen transportiert? »gepumpt« werden können (Zottenpumpe).

Wo beginnt der Dickdarm?


Am Ende des Dünndarm sitzt die Valva ilealis (»Blinddarm-
klappe<<). Sie mündet in den Blinddarm, mit dem der Dick-
darm beginnt.
Welche Darmteile rechnet man
zum Dickdarm? Der Dickdarm besteht aus:
• Blinddarm,
• Kolon (ascendens, transversum, descendens, sigmoideum)
und
• Rektum.

Am Blinddarm hängt der Wurmfortsatz


(Appendix vermiformis).
Was ist typisch für den Aufbau
Im Dickdarm sind keine Zotten vorhanden, nur Krypten. Das
des Dickdarms?
Epithel besitzt neben den resorbierenden Zellen auch sehr
viele schleimproduzierende Becherzellen. Von außen können
3 typische Merkmale gesehen werden: die Tänien (Längs-
muskelzüge), die Haustren (Ausbuchtungen zwischen den
nach innen gerichteten Falten) und Fettanhängsel (Appen-
dices epiploicae)

Was ist die Hauptfunktion Die Wasserrückresorption, d. h. Eindickung des Chymus.


des Dickdarms? Um die Gleitfähigkeit der Fäzes zu erhalten, sind sehr viele
Becherzellen im Epithel vorhanden.

Wie läuft der Defäkationsreflex Bei Füllung des Rektums wird über afferente Nervenfasern in
ab? der Wand der Ampulla recti ein Impuls ins Centrum anospi-
nale des Rückenmarks und von dort aus an den glatten, un-
willkürlichen M. sphincter ani internus geleitet. Die Darm-
entleerung kann jedoch nur bei gleichzeitiger Entspannung
des willkürlichen M. sphincter ani externus und Anwendung
der Bauchpresse erfolgen.

Die Leber besteht aus 4 Lappen:


Aus wie vielen Lappen ist
• Lobus dexter,
die Leber aufgebaut?
• Lobus sinister,
Wie heißen sie?
• Lobus quadratus und
• Lobus caudatus.

Sie ist zum größten Teil von Peritoneum überzogen;


ln welchem Verhältnis steht Ausnahme: Area nuda, die direkt mit dem Diaphragma
die Leber zum Peritoneum? in Kontakt steht.
442
Wie wird die Leber mit Blut
versorgt?
An der Leberpforte treten die V. portae (nährstoffreich, 75%)
und die A. hepatica (sauerstoffreich, 25%) in die Leber ein.
Was ist die Baueinheit
der Leber?
Das Leberläppchen (Lobulus). Es besteht aus radiär um eine
Wie ist diese aufgebaut?
Zentralvene angeordneten Platten von Hepatozyten (Leber-
zellen). Zwischen den Platten verlaufen die Sinusaide (gefen-
sterte unregelmäßige Leberkapillaren). Zwischen dem Endo-
thel und den Hepatozyten liegt der Disse-Raum. Zwischen
den Hepatozyten verlaufen die Gallenkapillaren, die keine
eigene Wand besitzen. Sie werden nur von der Hepatozyten-
membran begrenzt. Die Blutversorgung der Lobuli erfolgt
durch Äste der A. hepatica und der V. portae, die zusammen
mit einem Gallengang (mit eigener Wand) im periportalen
Feld die Glisson-Trias bilden. Die Wand der Lebersinusaide
wird von gefenstertem Endothel und von Kupffer-Zellen, die
zum MPS (mononukleäres Phagozytensystem) gehören,
gebildet.

Welche Funktion hat die


Sie speichert die von der Leber produzierte Galle.
Gallenblase (Vesica biliaris}?

Aus welchen Gangsystemen Der linke und der rechte Ductus hepaticus münden in einen
bestehen die extrahepatischen gemeinsamen Ductus hepaticus communis; von diesem führt
Gallenwege? der Ductus cysticus in die Gallenblase. Nach Abgang des
Ductus cysticus wird der Ductus hepaticus communis zum
Ductus choledochus, der im Duodenum mündet.

Wie viel Galle wird pro Tag Pro Tag werden von der Leber ca. 6oo-8oo ml Galle gebildet.
in der Leber gebildet?

Nennen Sie die wichtigsten • Gallensäuren (Emulgierung und Dispergierung von Lipiden),
• Gallenfarbstoffe (Biliverdin, Bilirubin aus dem Hämoglo-
Inhaltsstoffe der Galle?
binabbau),
• Cholesterin,
• Phospholipide (Lezithin) und Enzyme.

Durch den enterohepatischen Kreislauf, in dem 95% im Darm


Wie spart der Körper rückresorbiert werden. Somit müssen pro Tag lediglich 5%
Gallensäuren ein? der Gallensäuren neu produziert werden.

Am L-förmigen Pankreas unterscheidet man: Caput, Corpus,


Wie ist die Bauchspeicheldrüse Cauda. Die Cauda läuft bis zur Milz, der Caput liegt im C des
(Pankreas} aufgebaut? Duodenums. Der Ductus pancreaticus mündet im Duodenum
auf der Papilla duodeni.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel l 0 · Verdauungssystem 443
Welche Funktionen hat das
Pankreas?
Es ist eine exokrine Drüse, die endokrine Inseln enthält
(Glukagon, Insulin). Die Drüsenendstücke des exokrinen
Pankreas (Azini) bilden den Pankreassaft in Form von
Zymogengranula, die inaktive Vorstufen von Enzymen ent-
halten.
Welche Enzyme werden im
Pankreas gebildet? ln welche Es werden proteolytische (eiweißzersetzend) Enzyme ge-
Gruppen kann man diese bildet:
Enzyme einteilen? • Trypsin,
• Chymotrypsin,
• Karboxypeptidase und
• Elastase.
Es werden lipolytisch (fettzersetzend) wirkende Enzyme
gebildet:
• Pankreaslipase,
• Phospholipase und
• diverse Esterasen.
Es wird ein kohlenhydratspaltendes Enzym gebildet:
die a-Amylase.

Welche Wirkung haben


Proteolytische Enzyme zerlegen die Proteine und Peptide in
Pankreas-Enzyme?
Aminosäuren.
Lipolytische Enzyme (Lipasen) setzen aus den Lipiden
(Triglyzeride) Fettsäuren, Glyzerin und Monoglyzeride frei.
Kohlenhydratspaltende Enzyme zerlegen Stärke, Glykogen
und hochmolekulare Zucker in Glukose und niedermole-
kulare Zuckermoleküle.

Was ist die Aufgabe Mit der Resorption werden die Untereinheiten der Nahrung
der Resorption? in den Körper aufgenommen, um dann in körpereigene
Proteine, Lipide und Kohlenhydrate umgebaut zu werden.
Gleichzeitig werden dem Chymus Elektrolyte, Vitamine und
Spurenelemente entnommen; sie sind für den Körper lebens-
notwendig.

Proteine (Eiweisse), Lipide (Fette) Kohlenhydrate (z. B. ver-


Welches sind die 3 Haupt-
schiedene Zucker)
nahrungsbestandteile?

Triglyzeride; sie bestehen aus einem Glyzerinmolekül und


Welche Fettart macht
3 Fettsäuremolekülen
den Hauptteil der Lipide aus
und wie ist sie aufgebaut?
Gesättigte Fettsäuren weisen zwischen den Kohlenstoff-
Was ist der Unterschied atomen lediglich Einfachbindungen auf, ungesättigte hinge-
zwischen gesättigten gen Doppelbindungen. Ungesättigte Fettsäuren rechnet man
und ungesättigten Fettsäuren? zu den essentiellen Fettsäuren, die vom Körper nicht selbst
aufgebaut werden können.
444
Welche Nahrungsmittel ent-
halten Cholesterin?
Cholesterin ist nur in tierischen Nahrungsmitteln enthalten,
nicht jedoch in pflanzlichen.
Aus welchen Bausteinen sind die
Proteine aufgebaut? Wie nennt
Proteine sind aus Aminosäuren aufgebaut, von denen es 20
man die Bindungsart zwischen
verschiedene gibt. Diese sind durch Peptidbindungen mitein-
den Bausteinen? ander verbunden.

Nennen Sie die wichtigsten


Kohlenhydrate! Glykogen, Glukose, Maltose, Laktose, Fruktose, Saccharose,
Amylopektin.
Wie reagiert der Körper
auf Glukosemangel? Er mobilisiert Glukose aus den Glykogenspeichern. Wenn
diese bereits entleert sind, kann der Körper durch Umbau
aus anderen Kohlenhydraten oder aus den glukoplastischen
Aminosäuen selbst Glukose aufbauen.
Was sind Vitamine?
Vitamine sind für den Stoffwechsel notwendige Substanzen,
die der Körper nicht oder nicht in ausreichender Menge her-
stellen kann.

Nennen Sie einige wichtige


• Vitamin A verhindert Nachtblindheit und Störungen der
Vitame und geben Sie ihre
Epithelverhornung.
Funktion der entsprechenden
• Vitamin C ist notwendig für die Produktion der Interzellu-
Ausfallerscheinungen an!
larsubstanz, des Kollagens und für die Gefäßabdichtung.
• VitaminK ist notwendig für die Produktion von Gerin-
nungsfaktoren, z. B. Prothrornbin.
• VitaminE ist wichtig als Zellschutzfaktor, es hemmt Oxida-
tionen.
• Vitamin D ist notwendig für den Einbau von Kalzium in die
Knochen.
• Vitamin B'" verhindert Störungen in der Blutbildung.

Was sind Spurenelemente, Spurenelemente sind Substanzen, die nur in sehr geringen
nennen Sie einige wichtige! Mengen im Körper vorkommen. Man unterscheidet essentiel-
le (notwendige) von akzidentellen (zufällige) und schädlichen
(toxische) Spurenelementen.
• Essentiell: Jod, Kobalt,
• akzidentell: z. B. Aluminium, Gold, Silber, Brom,
• toxisch: z. B. Blei, Kadmium, Quecksilber.

Ballaststoffe werden mit der Nahrung aufgenommen, nicht


Was sind Ballaststoffe? verdaut und dementsprechend auch nicht resorbiert. Der
Für welche Aufgaben benötigt Körper benötigt sie v. a. zur Funktion der Darmperistaltik.
sie der Körper?
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 10 • Verdauungssystem 445
Welche Minimalmenge an
Ballaststoffen sollte pro Tag
Mindestens 30 g, besser jedoch ein Vielfaches dieser Menge.
mit der Nahrung aufgenommen
werden?

Wie werden Fette im Magen-


Darm-Trakt abgebaut Durch Gallensäuren werden sie dispergiert und emulgiert,
und verarbeitet? um dann durch die Pankreaslipase in Fettsäuren und
Glyzerin gespalten zu werden. Durch die Enterozyten werden
diese resorbiert, in Chylomikronen umgebaut und über das
Lymphgefäßsystem (Ductus thoracicus) abtransportiert.
Mittelkettige Triglyzeride (MCT) können auch ungespalten
von den Enterozyten aufgenommen werden.
Wie werden Kohlenhydrate
im Magen-Darm-Trakt Durch entsprechende Enzyme werden aus den Polysacchari-
abgebaut? den zunächst Oligosaccharide und dann Monosaccharide ab-
gespalten, die dann resorbiert werden können. Die Enzyme
dazu stammen aus dem Speichel (cx-Amylase), dem Pankreas
(Pancreas-Amylase) und den Enterozyten (z. B. Saccharase).

Wie funktioniert der Protein-


Nach der Denaturierung im Magen, durch Salzsäure, werden
abbau im Magen-Darm-Trakt?
die Proteine in Polypeptide, dann Oligopeptide und schließ-
lich in Aminosäuren gespalten, die resorbiert werden. Die da-
zu nötigen Enzyme stammen zu einem großen Teil aus dem
Pankreas (Trypsin, Chymotrypsin, Karboxypeptidase) oder
aus den Enterozyten (Peptidasen).

Wo erfolgt die Resorption Der größte Teil der Resorption geschieht im Duodenum und
der Nahrungsbestandteile? im oberen Teil des Jejunums. Der untere Teil des Jejunums
und das Ileum dienen als Resorptionsreserve. Dort kann in
Hungerzuständen noch sehr viel zusätzlich resorbiert
werden.
11 Nieren und ableitend
Harnwe

11.1 Anatomie der Niere 449


11.1.1 Größe, Form und Lage 449
11.1.2 Befestigung und Beweglichkeit der Niere 450
11.1..3 Anteile der Niere 450
11 .1.4 Gefäßversorgung der Niere 452
11.1.5 Mikroskopische Anatomie und Histologie der Niere 454
11 .1.6 Sammelsystem 458

11.2 Anatomie der ableitenden Harnwege 458


11.2.1 Nierenbecken (Pelvis renalis, Pyelon) 458
11.2.2 Harnleiter (Ureter) 460
11.2.3 Harnblase (Vesica urinaria) 461
11.2.4 Harnröhre (Urethra) 462

1 1.3 Physiologie der Niere 464


11.3.1 Ultrafiltration und Primärharnbildung 464
1 1.3.2 Autoregulation der Nierendurchblutung 467
11.3.3 Clearance und Transportmechnismen der Niere 468
11 .3.4 Regulationsmechanismus der Niere 473
11.3.5 Gegenstromprinzip 477
1 1.3.6 Harnausscheidung (Diurese) 479
11.3.7 Endokrine Funktion der Niere 480
11.3.8 Eigenschaften des Harns 482

11.4 Fragen und Zusammenfassung


zu Nieren und ableitenden Harnwegen 483
448

11 Nieren und ableitende Harnwege


Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
... Die Niere mit ihren Bau- und Funktionsstrukturen verstehen
.,.. Die Gefäßversorgu ng der Niere als Grund lage der Harnbereitung erklären
... Das Nierenkörperehen in seiner Funktio n der Ultrafiltration verstehen
.,.. Die ableitenden Harnwege in ihrer Struktu r und Funktion erklären
.,.. Die Ultrafiltration, die glomeruläre Filtrationsrate und die Clearance erläutern
.,.. Den Wasser- und Elektrolythaushalt der Niere verstehen
.,.. Den Säure-Basen-Hausha lt und seine Regulation darstellen
... Das Gegenstromprinzip der Niere und seine Bedeutung für die Harnkonzentrierung
erklären
... Die Funktion des juxtaglomerulären Apparats und seine Bedeutung
für den Natriumhaushalt verstehen

Die Organe des Harnsystems h abe n zum eine n exkretorische (ausscheide nde )
Funktion, zum anderen sind sie für die Regulation des Wasser-Elektrolyt-Haus -
halts und des Säure-Basen-Haushalts verantwortlich. Außerdem ist die Niere als
endokrin endokrines Organ tätig. Die Tabelle 11-1 ne nnt d ie wichtigsten Funktionen, die
Hormone direkt ins Blut absondernd das System der Harnorgane ausführt ode r an denen es teilnimmt. Diese Auf-
gaben leisten folgende Organe (s. Abb. 11-1).

Harnorgane Tabelle 11 -1. Funktionen des Harnsystems


• Niere (Ren)
• Nierenbecken• (Pelvis, Pyelon) Funktion Betroffen
• Harnleiter' (Ureter)
Exkretion Harnstoff
• Harnblase• (Vesica urinaria)
Harnsäure
• Harnröhre• (Urethra) Kreatinin
(• ableitende Harnwege) Giftstoffe
Pharmaka etc.

Regulation Wasser-Elektrolyt-Haushalt (osmotischer Druck)


Säure-Basen-Haushalt

Hormonsekretion Ren in
Erythropoietin
Vitamin-0 -Hormon
Anatomie der Niere · Kapitel11 · Nieren und ableitende Harnwege 449

Abb. 11-1.
Leber Milz
(Lien)
Ventralansicht der inneren Organe des
(Hepar)
Harnsystems und ihre Lage im Körper
Niere
(Ren)

untere Hohlvene
(Vena cava inferior)
:......_-+----- Bauchaorta
(Aorta abdominalis)

Beckenarterie
(Arteria iliaca
communis)
Harnblase -------~~­ Beckenvene
(Vesica urinaria) (Vena iliaca
externa)

11 .1 Anatomie der Niere

11.1.1 Größe, Form und Lage

Größe: Die Niere ist 12 cm lang, 6 cm breit und 3-4 cm hoch und ca. 150 g schwer.
Form: Ihre Form ist allgemein so gut bekannt, dass daraus der geläufige
Ausdruck »nierenförmig« entstanden ist (Abb. u-2}.
Lage: Die beiden Nieren liegen in der Lendengegend beiderseits der
Wirbelsäule und hinter dem Bauchfell, d. h. retroperitoneal. Mit ihrem oberen
Pol grenzt die linke Niere an die n. Rippe, die rechte Niere liegt etwas tiefer und
reicht mit ihrem oberen Pol deshalb nur bis an die 12. Rippe. Auf beiden Nieren

oberer Nierenpol - - - - - - . . . , Abb. 11 -2.


(Extremitas superior)
Ventralansicht der rechten Niere. Das
Nierenbecken befindet sich hinter dem

Nierenkapsel
Gefäßstiel und ist damit operativ gut zu-
(Capsula renalis) gänglich. Der äußere Teil der Nierenkapsel

Nierenpforte
(Capsula fibrosa) ist nur mit wenigen
(Hilum) Bindegewebsfasern mit der Niere verbun-
den und kann bei einer Dekapsulation
Nierenanerie
(Arteria renalis) entfernt werden

Nierenvene
(Vena renalis)

Nierenbecken
(Pelvis renalis)

Harnleiter
(Ureter)
unterer Nierenpol - -
(Extremitas inferior)
450

sitzt am oberen Pol die Nebenniere (s. Kap.12, Endokrinologie). Oberhalb der lin-
ken Niere liegt die Milz, oberhalb der rechten Niere die Leber. Der untere Pol der
Nieren reicht in die Gegend des 3. Lendenwirbels, links ca. 4 nn und rechts ca.
2,5 cm oberhalb des Darmbeinkamms (Crista iliaca ).
An der medialen Seite sind die Nieren stark eingebuchtet. Hier treten die
Arterien und die vegetativen Nerven ein; die Venen und Lymphgefäge sowie das
Nierenbecken treten dagegen aus. Dieses Gebiet wird wie bei a nderen Organen
Hilum auch als Hilum bezeichnet. Die Einbuchtung der medialen Nierenseite, die nach
Organpforte Entfernung der entsprechenden zu- und ableitenden Strukturen verbleibt, wird
Nierenbucht oder Nierensinus (Sinus renalis) genannt.

11.1.2 Befestigung und Beweglichkeit der Niere

Durch die unmittelbare Nähe zum Zwerchfell bewegen sich die Nieren, bei jedem
Atemzug nach oben und nach unten. Dabei beträgt die maximale Lageverschie-
bung zwischen Inspiration (Einatmung) und Exspiration (Ausatmung) ca. 3 cm.
Die Lageveränderung der Niere findet auch beim Übergang zwischen Stehen,
Sitzen und Liegen statt und wird durch den relativ lockeren Einbau der Niere in
Faszie das retroperitoneale Fettgewebe ermöglicht. Dieses Fettgewebe wird von einer
derbe, bindegewebige Hülle eines Organs Faszie umschlossen. Die Faszie ist nach medial und kaudal hin offen.
Die Nieren sind in Fett eingebettet. Zum einen Teil ist es Baufett (innerer Teil)
und zum anderen Teil Speicherfett (äußerer Teil). Bei langdauernden Hunger-
zuständen, Mangelernährung und unter pathologischen Bedingungen kann zu-
nächst das Speicherfett und schließlich auch das Baufett eingeschmolzen werden.
Einbettung der Niere teils in Baufett, teils Die Folge ist eine größere Beweglichkeit der Niere, die dann als Wanderniere
in Speicherfett oder Ren mobilis bezeichnet wird.
Für eine gewisse Lagebeständigkeit der Niere sind neben dem Fettkörper
auch der Gefäßstiel und der Bauchhöhleninnendruck verantwortlich. Bänder zur
Befestigung - wie bei anderen Organen - sind b ei den Niere n nicht vorhanden.
Durch die Lage der Nieren di rekt unterhalb der 11. bzw. 12. Rippe besteht bei
Trauma stumpfen Traumen mit Rippenbrüchen - vor allem der unteren Rippen - auch
den Körper schädigende Einwirkung immer die Gefahr einer Nierenverletzung.

11.1.3 Anteile der Niere

Strukturen der Niere Ein Längsschnitt durch die Nieren (Abb. 11-3) zeigt scho n makroskopisch eine
• Kapsel (Capsula fibrosa)• Schichtung.
• Rinde (Cortex renalis)
• Mark (Medulla renalis) Nierenkapsel
• Nierenbecken (Pelvis renalis) Die Nieren sind von einer zweischichtigen fibrösen Kapsel überzogen:
• außen:Tunica fibrosa (Fibrosa):Sie besteht aus derbem Bindegewebe.
• innen: Tunica subfibrosa (Subfibrosa):Sie ist von glatten Muskelzellen durch-
zogen und mit der Nierenoberfläche verwachsen.

Die äußere Fibrosa (Tunica fibrosa) ist nur durch lockere Bindegewebefasern mit
der Subfibrosa verbunden, sodass sie von dieser abgestreift werden kann.
Eine Dehnung der Niere führt zu einem Druck auf die Nierenkapsel, die sehr
viele schmerzleitende Nervenfasern enthält und damit der eigentliche Ort der
Anatomie der Niere· Kapitel11 · Nieren und ableitende Harnwege 451

Nierenkapsel -~ ----~ Abb. 11 -3.


(Capsula renalis)
-~---- Nierenrinde
(Cor1ex renalis) Längsschnitt durch die Niere, auf dem die
Unterteilung in Rinde und Mark deutlich
wird. Die Rinde besteht aus dem äußeren
helleren Randgebiet und den zwischen
die Markpyramiden reichenden Bertini-
Fett in der
Nierenbucht Säulen. Die Spitzen der Markpyramiden,
die Nierenpapillen, werden von den
Nierenbucht
(Sinus renalis) Nierenkelchen umgriffen, die damit den
Nierenkelche aus den Papillenspitzen herausträufeln-
Glomeruli (Singular: den Harn aufnehmen und in das Nieren-
Calix renalis)
becken weiterleiten
Nierenbecken
(Pelvis renalls)

Markpapille
Harnleiter
(Ureter)

Empfindung von Nierenschmerzen ist. Das Nierenparenchym selbst enthält keine Parenchym
Schmerzfasern. Nierenkoliken z. B. werden durch die Schmerzfasern der Kapsel Gewebe mit organspezifischer Funktion
empfunden. Wenn bei Stauungsnieren extreme Schmerzen auftreten und die Ge-
fahr einer Nierenkompression (Q Jetschung) besteht, kann es nötig werden, die
Nierenkapsel zu entfernen. Dies wird als Dekapsulation bezeichnet (s. Abb. n-2). Dekapsulation
Die äußere Schicht (Tunica fibrosa) besteht v. a. aus Kollagen fasern, die nur Entfernung der Nierenkapsel
sehr wenig dehnbar sind. Desha1b kann bei einer Stauungsniere das Nieren-
parenchym gequetscht (komprimiert) werden. Die Folge ist eine Degeneration
(Rückbildung) einzelner Nierenb<·zirke oder der ganzen Niere.

Nierenrinde und Nierenmarlt


Ein Längsschnitt durch die Nieren zeigt ihren Autbau deutlich (s. Abb. 11-3): Unter Nierenrinde
der bindegewebigen Nierenkapsel liegt eine ca. 1 cm breite braune Zone, in der • Nierenkörperehen
auch mit bloßem Auge eine Vielzahl feinster dunkelroter Punkte sichtbar ist. Diese • Gewundene Anteile der Nieren-
Zone ist die Nierenrinde (Cortex renalis), die roten Pünktchen die Nierenkörper- kanälchen
chen (Corpuscula renalia). Außer den Nierenkörperehen entllält die Rinde die ge- • Gefäße
wundenen Anteile der Nierenkanälchen und eine große Anzalll von Gefäßen.
Die Nierenrinde sitzt auf Markpyramiden (Pyramides renales) und umgreift
diese mit sog. Bertini-Säulen (Columnae renales), die bis an das Nierenhilum her-
anreichen. Die Rinde ist also nicht nur auf den äußeren Bereich der Niere be-
grenzt, sondern sitzt kappenförmig auf den Markpyramiden und reicht damit bis
in das Innere der Niere, d. h. bis an das Nierenbecken heran. Die Spitzen der
Markpyramiden ragen in das Nierenbecken hinein und bilden die Nierenpapillen
(Papillae renales).
452

Nierenmark Auf einem Nierenschnitt sieht man bei näherer Betrachtung, wie die Rinden-
• Sammelrohre substanz die Markpyramiden umgreift und gleichzeitig von den Markpyramiden
• gerader Teil der Nierenkanälchen auch sog. Markstrahlen in die Rinde aufsteigen. Markpyramiden und Markstrah-
• gerad e Gefäße len weisen eine Längsstreifung auf. Diese Längsstreifung entsteht durch paralle-
le Anordnung der geraden Anteile der Nierenkanälchen sowie durch die
Sammelrohre (s. Abschn. II.I.6) und die Kapillaren. Damit wird die Gliederung
der Niere in Rinde und Mark verständlich:
• Die Rinde enthält hauptsächlich die Nierenkörperehen und die gewundenen
Anteile der Nierenkanälchen.
• Das Mark enthält v. a. die Sammelrohre und die geraden Teile der Nieren-
kanälchen.

Entsprechend dem Aufbau des Marks in Pyramiden, die an der Spitze zusam-
menlaufen (konvergieren), fließen die Sammetrohre ebenfalls konvergierend upd
in ihrer Zahl abnehmend auf die Spitze der Pyramide zu. Hier münden sie in sog.
Ductus papillares (Papillengänge), die in einer Art Siebplatte (Area cribrosa)
schließlich in die Nierenkelche münden.

Nierenbecken
5- 20 Nierenkelche b ilden Das Nierenbecken (Pelvis renalis) kleidet, quasi als Futter, den Nierensinus aus.
das Nierenbecken Im Bereich der Spitzen der Markpyramiden (Papillen) ist das Nierenbecken fest
mit der Niere verwachsen, sodass es sich becherartig über die einzelnen Papillen
stülpt. Damit liegen die Spitzen der Markpyramiden in einer kelchartigen Ein-
stülpung des Nierenbeckens. Deshalb werden die Einstülpungen auch Nieren-
kelche (Singular: Calix renalis) genannt. Zwischen den einzelnen Papillen liegt
das Nierenbecken locker auf einer fettreichen Bindegewebeschicht. Je nach An-
zahl der Nierenpapillen münden ca. 5 - 20 Nierenkelche in das Nierenbecken. Der
griechische Name für Nierenbecken ist Pyelon. Daraus leiten sich verschiedene
in der Klinik gebräuchliche Bezeichnungen ab, z. B. Pyelogramm (Röntgenauf-
nahme des Nierenbeckens), Pyelitis (Nierenbeckenentzündung).

11.1.4 Gefäßversorgung der Niere

Arterieller Teil Die Gefäßversorgung der Niere ist komplex, da dieselben Gefäße auf der einen
• Nierenarterie {A. renalis) Seite der Funktion und auf der anderen Seite der Ernährung der Niere dienen.
• Segmentarterie {A. interlo baris) Die linke und die rechte Nierenarterie (A. renalis sinistra und A. renalis dextra)
• Bogenarterie {A. arcuata) sind Äste der unteren Aorta abdominalis (Körperschlagader). Sie treten am
• Radiärarterie {A. interlobularis) Hilum der jeweils zugehörigen linken oder rechten Niere ein, wo sie sich in
• Zuführende Arterie {A. afferens) 5 Hauptäste, die Segmentarterien, aufteilen.
• Glomeruluskapillarschlinge Morphologisch und funktionell sind die Segmentarterien Endarterien. Mit
• Abführende Arterie {A. efferens) dem lateinischen Namen heißt die einzelne Segmentarterie A. interlobaris. Aus
• Kapillarnetz ihr geht die Bogenarterie hervor (A. arcuata), die radiär gestellte, in die Rinde
verlaufende Radiärarterien (A. interlobularis) abgibt. Aus diesen Radiärarterien
Venöser Teil entspringen viele zuführende Arterien, die Arteriola bzw. das Vas atferens. Diese
• RCJdiärvene (V. interlo buiCJris) münden schließlich in den für die Funktion der Niere wichtigen Glomerulus, ein
• Bogenvene {V. arcuata) Knäuel von Kapillaren, aus dem im Nierenkörperehen der Primärharn abftltriert
• Segmentvene 0/. interlobaris) wird. Dem Glomerulus schließt sich die abführende Arterie, die Arteriola bzw.
• Nierenvene {V. renalis)
Anatomie der Niere · Kapitel 11 · Nieren und ableitende Harnwege 453

das Vas efferens an, die in ein Kapillarnetz übergeht, aus dem der venöse
Schenkel des Nierengefäßsystems hervorgeht (s. unten). Schematisch können die
Nierengefäße wie folgt dargestellt werden (Abb. 11-4).

Die A. renalis entspringt aus der Aorta abdominalis, die V. renalis mündet
in die V. cava inferior.

Neben den Verbindungen zwische1 Arterien und Venen, die über den Glome-
rulus laufen, sind in der Niere viele direkte Verbindungen zwischen Arterien und
Venen vorhanden (Anastomosen). Das Mark wird über gestreckte Gefäße ver-
sorgt (Arteriolae rectae), die entweder aus der A. efferens oder aus der A. arcuata
hervorgehen. Nach Aufzweigung in ein Kapillarnetz fließt das Blut aus dem Mark
wieder über gestreckte Venen (Venulae rectae) in die Bogenvenen zurück
(s.Abb.u-4).

Vena interlobaris zuführendes Gefäß Arteria lntertobaris Abb. 11-4.


(Vas afferens)
Gefäßversorgung der Niere. Die beiden
Pfeile geben die Flussrichtung des Blutes

h~~~==-~Kapillarknäuel in der A. und V. interlobaris an, aus denen


(Glomerulus) die A. und V. arcuata (Bogenarterie und
Rinde
Bogenvene) hervorgehen. Diese verlaufen
an der Grenze zwischen Rinde und Mark.
Zwischen dem Vas afferens (zuführende
Arterie) und dem Vas efferens (abführen-
de Arterie) ist ein Kapillarknäuel (Glomeru-
lus) eingeschaltet . Zusammen mit der
Bowman-Kapsel bilden die Kapillarknäuel
das Nierenkörperehen

Mark

1-- - ---::::",. Vasa recta


(Arteriolae rectae)
454

11.1.5 Mikroskopische Anatomie und Histologie der Niere

Nephron
Teile des Nephrons Die morphologische Baueinheit der Niere ist das Nephron. Es besteht aus dem
• Nierenkörperehen (Corpusculum renale) Nierenkörperehen (Corpusculum renale) und dem dazugehörigen Nierenkanäl-
mit Bowman-Kapsel und Glomerulus chen (Tubulus renalis) mit seinen gewundenen (Pars convoluta) und geraden
• Proximaler Tubulus mit Pars recta (Pars recta) Anteilen bis zu dessen Einmündung in das Sammetrohr (Abb. u-5).
und Pars ascendens Pars recta des proximalen Tubulus und Pars recta des distalen Tubulus wer-
• lntermediärtubulus mit Pars descendens den mit dem Intermediärtubulus zur Henle-Schleife zusammengefasst. Jede
und Pars ascendens menschliche Niere enthält ungefähr eine Million Nephrone, die gemeinsam den
• Distaler Tubulus mit Pcns recta und Pars größten Teil des Nierenparenchyms ausmachen.
convoluta

a b

Abb. 11 -Sa, b.
a Schema des Nephrons und des
Sammelrohrs. Das Nephron besteht aus
proximalem Tubulus, lntermediärtubulus
und distalem Tubulus. Die geraden
Bestandteile des Nephrons (Singular: Pars proximaler Tubulus
recta, Plural: Partes rectae) befinden sich
im Mark oder in den Markstrahlen, die ge-
wundenen Bestandteile (Singular: Pars
convoluta, Plural: Partes convolutae) be-
finden sich in der Rinde.
Unter b sind die histologischen Merkmale
der Nephronabschnitte und des Sammel- distaler Tubulus
rohrs dargestellt. Für den proximalen
Tubulus ist ein Bürstensaum aus Mikrovilli

~
typisch, der distale Tubulus weist eine
basale Streifung auf, die aus Mitochondrien
und interdigitierenden Zellausläufern be-
steht

lntermediärtubulus
.
~
..
Ii

••
.
.
.
~-
.
-
'
Anatomie der Niere· Kapitel11 · Nieren und ableitende Harnwege 455

Nierenkörperehen
Das Nierenkörperehen (Corpusculum renale) ist ca. 200- 300 tJm groß und ma- Nierenkörperehen aus
kroskopisch gerade noch als roter Punkt im Nierenschnitt sichtbar (die Auflö- • Glomerulus
sungsgrenze des Auges liegt bei ca. 100 11m). Seine Bestandteile sind der Glome- • Bowman-Kapsel
rulus und die Bowman-Kapsel.
Der Glomerulus ist eine Ansammlung von ca. 30 Kapillarschlingen, die aus j.lm

dem Vas afferens hervorgehen und den blindsackähnlichen Anfangsteil des Mikrometer= 10 " m = der millionste Teil
Tubulussystems einstülpen, sodass ein doppelwandiger Becher, die Bowman- eines Meters
Kapsel, entsteht. Der Ort, an dem diese Kapsel eingestülpt wird, heißt GefäßpoL
Hier tritt das Vas afferens (Arteriola afferens) in die Kapsel ein; nach Bildung des • Gefäßpol: Eintritt der Vas afferens
Glomerulus tritt sie als Vas efferens (Arteriola efferens) hier auch wieder aus in die Bowman-Kapsel
(Abb. 11-6). • Harnpol: Primärharn fließt in
Auf der anderen Seite des Nierenkörperchens, gegenüber dem Gefäß pol, liegt Tubulussystem
der Harnpol. Hier fließt der aus dem Blut abfiltrierte Primärharn in das Tubulus-
system (Abb. n -6). Vas
Wird die Wand der Bowman-Kapsel eingestülpt, legt sich der den Kapillar- Gefäß
schlingen benachbarte Teil der Kapsel sehr eng an die einzelnen Schlingen.
Dadurch entsteht zwischen dem so gebildeten Glomerulus und der seitlichen
Wand der Kapsel ein Spaltraum, der Kapselraum. In diesen wird der Primärharn
filtriert. Der Teil der Kapsel, der das Nierenkörperehen nach außen begrenzt, ist
das parietale Blatt der Bowman-Kapsel. Der Teil, der die Glomeruluskapillaren
bedeckt, ist das viszerale Blatt (Abb. 11-7). Parietales und viszerales Blatt gehen
am Gefäßpol ineinander über.

Abb. 11 -6.
Nierenkörperehen (Corpusculum renale)
mit dem juxtaglomerulären Apparat.
dichter Fleck
(Macula densa) Dieser besteht aus der Macula densa
(dichter Fleck), dem Polkissen und den
abfuhrendes Lacis-Zellen (extraglomeruläres Mesan-
Gefäß
(Vas eHerens)
gium). Am oberen Teil des Nierenkörper-
chans befindet sich der Gefäßpol, an dem
die Gefäße (Vas afferens und Vas efferens)
.-~-._.lk--- glomeruläre ein- und austreten. Am unteren Teil der
Basalmembran
Kapsel befindet sich der Harnpol, an dem
Kapselraum der Primärharn aus dem Kapselraum in
(hier fließt den proximalen Tubulus fließt. Die eigent-
Primärham)
lichen Mesangiumzellen (innerhalb des
Nierenkörperchens) gehören zum Auf-
Füßchenzellen· hängeapparatdes Nierenkörperchens und
ausläufer
(Podozyten- sind am Abbau der glomulären Basal-
ausläufer) membran beteiligt. Die Füßchenzellen
(Podozyten) bilden mit der glomerulären
proximaler Tubulus - -- - -
Basalmembran und dem Kapillarendothel
das Filter für die Primärharnbildung
456

Abb. l l -7.
Detailzeichnung zweier Kapillarschlingen Fließrichtung
des Ultrafiltrats
des Glomerulus mit Darstellung des
(Primärham)
Nierenfilters. Der innere Teil des Filters
wird durch das mit Poren versehene
Kapillarendothel gebildet. Die glomerulä- Füßchenzelle
Ausläufer einer
re Basalmembran steht in direktem (Podozyt)
Füßchenzelle
Kontakt m it den Zellen des Mesangiums (Podozyten·
ausläuler))
und kann durch d iese im Rahmen der '---'---~- Kapillar­
endothel
Erneuerung abgebaut werden (s. auch mit Pore
Abb. 11·6). Der äußere Teil des Nieren-
fi lters wird durch die miteinander ver- Lumen der
glomeruläre G lomerulus·
zahnten Ausläufer der Füßchenzellen Basalmembran --~?i kapillare •
(Podozyten) gebildet. Die Kapillarschlin- (GBM)

gen ragen in den Kapselraum hinein, sie Endothelzelle


werden von Primärharn umgeben Mesangiumzelle

Die Zellen des viszeralen Blatts sind außerordentlich stark verästelt und be-
decken mit ihren Ausläufern (Fußfortsätze) die zwischen ihnen und dem Endothel
der Kapillaren gelegene Basalmembran vollständig. Damit kommt ihnen (im wei-
Podozyten ter unten besprochenen Filtrationsvorgang) eine entscheidende Rolle zu. Wegen
Füßchenzellen ihrer Fußfortsätze werden diese Zellen Füßchenzellen oder Podozyten genannt.
Das Kapillarendothel des Glomerulus ist gefenstert; seine Poren haben eine
nm Größe von ca. 20-30 nm.
Nanometer = 1o-9 m = der milliardste Die Basalmembran zwischen Endothel und Podozyten sieht im Elektronen-
Teil eines Meters mikroskop zwar homogen aus (Abb.ll-8), weist abtr trotzdem Poren auf, die eine
Größe zwischen 7 und 12 nm besitzen. Die zwischen den Fußfortsätzen der
Podozyten liegenden Zwischenräume haben eine Größe von ca. 8 nm.
Zwischen den Kapillarschlingen befinden sich Zellen, deren Gesamtheit als
Aufhängeapparat des Glomerulus oder als Mesangium bezeichnet wird. Die
Zellen heißen Mesangiozyten (s. Abb.u-7). Sie sind am Abbau der glomerulären
Basalmembran beteiligt, die von 2 Seiten, dem Kapillarendothel und den
Podozyten, aufgebaut wird. Die Mesangiozyten sind für die Aufrechterhaltung
des Gleichgewichts zwischen Aufbau und Abbau zuständig. Sie dürfen nicht ver-
wechselt werden mit den außerhalb des Nierenkörperchens, zwischen A. afferens
und A. efferens liegenden Zellen des extraglomerulären Mesangiums (s. unten).
Die Gesamtlänge der Glomeruluskapillarschlingen beträgt ca. 25 km pro
Niere. Bei einem durchschnittlichen Durchmesser der Kapillaren von 10 J..Lm er-
gibt sich für beide Nieren zusammen eine Filtrationsfläche von 1,5 m' . über diese
enorme Fläche wird der Primärharn (ca. 150- 18o UTag) gebildet. Da die Kapillar-
schlingen, die den Primärharn abfütrieren, innerhalb des Nierenkörperehen lie-
gen, wird es auch als Primärharnbildner bezeichnet. Als Sekundärharnbildner
• Primärharnbildner: Nierenkörperehen werden die Nierentubuli und die Sammelrohre bezeichnet.
• Sekundärharnbildner: Nierentubuli
und Sammelrohre
Anatomie der Niere · Kapitel11 · Nieren und ableitende Harnwege 457

Abb.ll -8.
Stark vergrößerte Zeichnung des Nieren-
Podozyten-
filters mit Blickrichtung aus dem Kapsel-
ausläufer
raum auf die Podozyten (Füßchenzellen).
Podozyten-
schlitz mit Die glomeruläre Basalmembran ist
Diaphragma
3-schichtig. Der Schlitz zwischen den
Ausläufern der Podozyten wird durch das
Lumen der
Glomerulus-
- -1•-• Schlitzdiaphragma überdeckt. Durch das
kapillare
Fenster auf der linken Seite blickt man in
das Lumen der Glomeruluskapillare und
auf das Kapillarendothel der gegenüber-
liegenden Gefäßseite mit seinen Poren.
Einige Poren können mit einem Diaphrag-
ma verschlossen sein
Kapselraum
mit Primar-
harn

Nierentubulus (Nierenkanälchen)
Obwohl der Primärharn durch die Nierenkanälchen fließt, zählen diese nicht
zum ableitenden Harnsystem, sondern gehören im eigentlichen Sinn zum harn-
bildenden System.
In den Tubuli laufen alle Prozesse ab, die aus Primärharn den Sekundärharn Sekretion
in der Form werden lassen, in der er dann als Urin ausgeschieden wird. Dabei Absonderung von biologisch wichtigen
wird der in den Nierenkörperehen ab filtrierte Primärharn durch Sekretion sowie Stoffen
aktive und passive Rückresorption derart verändert, dass daraus die 1,5 l Harn
entstehen, die der Mensch durchschnittlich pro Tag abgibt. Diese unterschied- Rückresorption
lichen Vorgänge wie Sekretion, aktive und passive Rückresorption spiegeln sich »Rück« weil es sich um bereits filtrierte
in der Bauweise der einzelnen Tubulusabschnitte wider. also schon in den Kapselraum abgege-
Der Nierentubulus (Tubulus renalis) ist in der Regel mehrere Zentimeter lang bene Substanzen handelt, die wieder
und unverzweigt. Er beginnt am Harnpol des Nierenkörperchens und ist aus zurückgeholt werden
einem einschichtigen Epithel aufgebaut, das auf einer Basallamina sitzt. Der
Nierentubulus wird in 3 Abschnitte unterteilt. Diese Abschnitte unterscheiden Tubulusabschnitte:
sich hinsichtlich der Anordnung (gewunden oder gestreckt) und hinsichtlich der • Proximaler Tubulus
Strukturen ihrer Epithelzellen deutlich voneinander. • lntermediärtubulus
Der proximale Tubulus ist ca. 15 mm lang. Er beginnt am Harnpol des Nieren- • Distaler Tubulus
körperchens mit der Pars convoluta, die in der Umgebung des Nierenkörper-
chens ein Knäuel bildet. Der Pars convoluta schließt sich die Pars recta an, die Proximaler Tubulus
mehr oder weniger gestreckt im Mark oder in den Markstrahlen verläuft. Mor- • 15 mm lang
phologisch sind die Zellen des proximalen Tubulus durch ein hohes kubisches • Pars convoluta -t Pars recta
Epithel gekennzeichnet, dessen Zellgrenzen im Lichtmikroskop nicht klar her- • Hohes kubisches Epithel mit Mikrovilli
vortreten. Die an die Tubuluslichtung grenzende Oberfläche der Zellen ist mit ei-
nem aus Mikrovilli (fingerartige Ausstülpungen) bestehenden >>Bürstensaum« proximal
besetzt. An der Zellbasis ist eine deutliche Streifung sichtbar, die durch Einstül- nahe beim Körper, nahe beim Organ
pung der Zellmembran hervorgerufen wird, in die zahlreiche längsgestellte Mito-
chondrien eingelagert sind (s. Abb. 11-5). Dies wird basale Streifung oder basales
458

lntermediärtubulus Labyrinth genannt und ist Ausdruck der starken Transportaktivit ät dieser Zellen.
• Unterschiedliche Länge Die Mitochondrien stellen als Kraftwerke der Zellen die Energie für den Trans-
• Verläuft immer gestreckt port zur Verfügung.
• Zieht haarnadelförmig durch das Der lntermediä rtubulus ist unterschiedlich lang. Seine Länge ist abhängig da-
Nierenmark von, ob er zu einem marknahen oder zu einem weiter oben in der Rinde gelegenen
Korpuskulum gehört. Er kann bis zu 10 mm lang sein. Dieser Abschnitt ist immer
intermediär gestreckt (nicht gewunden) und zieht haarnadelformig durch das Mark hindurch.
dazwischen liegend Wegen seines sehr dünnen Epithels hat er den kleinsten Querschnitt im Tubulus-
system. Die Zellkerne springen buckelartig ins Lumen vor. Das Zytoplasma ist im
Lumen Vergleich zu den beiden anderen Tubulusabschnitt en relativ arm an Organellen.
Lichtung eines Hohlorgans Der d ista le Tubulus ist ca. 12 mm lang und setzt mit seiner Pars recta den wie-
der aus dem Mark aufsteigenden Schenkel des Intermediärtubu lus fort. Er kehrt
Proximaler Tubulus in die Nähe des zugehörigen Nierenkörperche ns zurück und bildet in dessen
• ca. 12 mm lang Umgebung die knäuelformige Pars convoluta. Im Gegensatz zum proximalen Tu-
• Bildet knäuelförmige Pars convoluta bulus trägt der distale Tubulus an seiner freien Oberfläche keinen Bürstensaum,
• Epithel ohne Bürstensaum er ist somit im Lichtmikroskop scharf abgegrenzt (s. Abb. n-5). Sein Lumen ist
• Bildet Macula densa weiter, die Epithelzellen sind niedriger und heller. Am Obergang der Pars recta in
die Pars convoluta legt sich die Wand des Tubulus der Wand der Arteriola affe-
distal rens an und bildet hier die Macula densa. Sie gehört zum sog. juxtaglomerulär en
weiter entfernt vom Körper, weiter Apparat, der weiter unten im Zusammenhang mit den endokrinen Funktionen
entfernt vom Organ der Niere besprochen wird. Der distale Tubulus mündet über einen Verbin-
dungstubulus, der selbst schon Teil des Sammelsystems ist, in das Sammelrohr.
juxtaglomerulär
juxta: neben, nahe bei d. h. neben dem 11.1.6 Sammelsystem
Kapillarknäuel
Die Sammelrohre stellen den in der Niere gelegenen Teil des ableitenden Harn-
Sammelrohre: ableitendes Harnsystem systems dar. Sie sind etwa 20-22 mm lang und liegen entweder in den Mar k-
in der Niere pyramiden oder in den Markstrahlen, je nachdem ob sie den Harn aus subkap-
sulären oder aus juxta medullären Nierenkörperehe n aufnehmen.
subkapsulär In das einzelne Sammelrohr münden während seines Verlaufs viele Nieren-
unter der Kapsel gelegenen kanälchen ein. Gegen die Papillenspitze laufen die einzelnen Sammelrohre zu-
sammen und münden in größere Rohre, deren Durchmesser zunimmt. Dies sind
juxtamedullär die Papillengänge (Singular: Ductus papillaris).
nahe beim Mark gelegen Die Sammelrohre sind aus einem einsch ichtigen Epithel aufgebaut und wei-
sen keine besonderen Strukturme rkmale auf. Die Papillengänge münden in der
Area cribrosa oder Siebplatte in die Nierenkelche ein.Von h ier aus fließt der
Harn dann über das Nierenbecken in den Harnleiter (Ureter).

11.2 Anatomie der ableitenden Harnwege

Die ableitenden Harnwege transportieren oder speichern den Harn kurzfris tig,
verändern ihn aber n icht mehr.

Anteile der ableitenden Harnwege 11.2.1 Nierenbecken (Pelvis renalis, Pyelon)


• Nierenbecken (Pelvis renalis, Pyelon)
• Harnleiter (Ureter) Die Nierenkelche sind Teil des Nierenbeckens. Sie stülpen sich über die Mark-
• Harnblase (Vesica urinaria) papillen, um den aus den Papillengängen t räufelnden Harn aufzuneh men. Die
• Harnröhre (Urethra) Anzahl der Nierenkelche kann je nach Anzahl der vorhandenen Markpapillen
zwischen 5 und 2 0 schwanken.
Anatomie der ableitenden Harnwege · Kapitel11 • Nieren und ableitende Harnwege 459

Von außen ordnen sich Muskelfasern ringförmig um die Nierenkelche an.


Diese Muskelfasern wirken bei den peristaltischen Bewegungen mit, die dem
Harn austreiben. Gleichzeitig verhindern diese Muskeln einen Rückstrom des
Harns in die Papillengänge.

Man unterscheidet 2 Nierenbeckenformen (Abb. n-9): Nierenbeckenformen


• ampulläres Nierenbecken (trichterförmig, weit), • ampullär
• dendritisches Nierenbecken (verästelt, eng). • dendritisch

Die Durchschnittsgröße des Nierenbeckens liegt bei 3-8 cm 3 Fassungsvermögen.


Das Nierenbecken ist vollständig von Obergangsepithel ausgekleidet. Da Über-
gangsepithel im gesamten ableitenden Harnsystem vorkommt, wird es auch Uro-
thel genannt. Es ist ein mehrschichtiges Epithel, das sich den unterschiedlichen
Dehnungs- bzw. Füllungszuständen der Blase anpasst. Typisch für das Über-
gangsepithel ist die oberste Zellschicht Sie wird von großen, häufig mehrkerni-
gen Deckzellen gebildet. Der nach innen gerichtete oberste Teil der Zellen besteht
aus einer dünnen Schicht, die im Lichtmikroskop homogen erscheint, der Crusta.
Die Funktion der Crusta besteht darin, die Zellen gegen die unterschiedli-
chen Osmolaritäten und Säuregrade des abfließenden Harns zu schützen. Die
Bildung der Crusta ist eine direkte Reaktion des Epithels auf de_n Harn.
Experimentell kann man nachweisen, dass sich auch bei anderen Schleimhäuten
eine Crusta bildet, wenn längere Zeit Harn einwirkt.

Abb. 11-9a, b.
Darstellung zwei er typischer Formen
des Nierenbeckens.
a ampulläres Nierenbecken,
b dendritisches Nierenbecken. Unten ist

renalis) jeweils das Röntgenbild gezeigt. das aus


der Aufnahme (Pyelogramm) eines mit
Kontrastmittel gefüllten Nierenbeckens
resultiert

Harnleiter
(Ureter)

a b
460

11.2.2 Harnleiter (Ureter)

Der Harnleiter (Ureter) übernimmt den Harn aus dem Nierenbecken und beför-
dert ihn in kleinen Portionen (durch peristaltische Wellen) in die Harnblase. Der
Ureter ist ein ovales, röhrenförmiges muskulöses Organ, das einen Durchmesser
von 4-7 mm hat. Die Länge des Harnleiters hängt von der Körpergröße des ein-
zelnen Individuums ab. Durchschnittlich beträgt sie beim Mann ca. 30 cm, bei
der Frau entsprechend weniger.

Abschnitte des Harnleiters Abschnitte


• Bauchteil (Pars abdominalis) Der Harnleiter hat zwei Abschnitte.
• Beckenteil (Pars pelvina)
Bauchteil (Pars abdominalis)
retroperitoneal Dieser Teilliegt wie die Niere selbst retroperitoneal. Er verläuft auf der Ober-
hinter dem Bauchfell fläche des Psoasmuskels und unterkreuzt bei der Frau die Vasa ovarica (Gefäße
des Eierstocks), beim Mann die Vasa testicularia (Gefäße des Hodens). Im
lliosakralgelenk Bereich des lliosakralgelenks (ISG) überkreuzen die beiden Harnleiter die Vasa
Art. sacroiliaca, Darmbein-Kreuzbein- iliaca. Gleichzeitig ändern sie ihren Verlauf. Sie biegen um und legen sich der
Gelenk Wand des kleinen Beckens an. Jetzt spricht man von der Pars pelvina.
Pars= Teil, Pelvis =Becken
Beckenteil (Pars pelvina)
subperitoneal Dieser Teilliegt subperitoneal, d. h. ebenfalls nicht innerhalb des Bauchfells. Die
unterhalb des Peritoneums beiden Harnleiter nähern sich nun in ihrem Verlauf, treten in die Blasenwand ein
(im aufrechten Stand) und verlaufen noch einige Zentimeter in der Blasenwand, ehe sie in das Blasenin-
nere münden. Dadurch liegen ihre Mündungsstellen näher beieinander (2,5 cm)
als ihre Eintrittsstellen (5 cm).
Daraus resultiert ein schräger Verlauf innerhalb der Harnblasenwand. Bei
starker Blasenfüllung ist dies von Vorteil, weil so automatisch durch den Druck
des Blaseninhalts die Einmündungsstellen verschlossen werden. So wird ein
Harnrückfluss verhindert, bei dem ggf. Keime in die Ureter verschleppt werden.

Harnleiterwand Aufbau
• Schleimhaut (Tunica mucosa) Die Schleimhaut wird aus dem Obergangsepithel und dem darunter liegen-
• Muskelhaut (Tunica muscularis) den Bindegewebe gebildet. Im normalerweise kont rahie rten Querschnitt des
• Bindegewebe (Adventitia) Harnleiters ist das Epithel in Längsfalten geworfen, sodass das Lumen ein stern-
förmiges Aussehen erhält Diese Schleimhautfalten sind Reservefalten, die sich
kontrahiert bei der erforderlichen Dehnung während des Harntransports glätten.
durch Muskelwirkung zusammengezogen Die Muskelhaut besteht aus 2 Schichten: einer inneren Längs- und einer
äußeren Ringmuskulatur (umgekehrt wie im Darm). Durch peristaltische Kon-
traktionen (Peristaltik), die bereits im Nierenbecken beginnen, wird der Harn
durch den Harnleiter in die Harnblase transportiert. Diese peristaltischen
Kontraktionen finden durchschnittlich 3- bis 6-mal/min statt.
Peristaltik Während seines Transports hat der Harn 3 Engstellen im Har nleiter zu über-
wellenförmiger Transport in Hohlorganen winden (Abb. n-10), die insbesondere bei Steinen (Nierensteine, Uretersteine)
Hindernisse darstellen. Die 1. Enge des Harnleiters liegt gleich beim Abgang aus
Während seines Transports hat der Harn 3 Engstellen im Harnleiter zu über-
winden (Abb. 11-10), die insbesondere bei Steinen (Nierensteine, Uretersteine)
Hindernisse darstellen. Die 1. Enge des Harnleiters liegt gleich beim Abgang aus
Anatomie der ableitenden Harnwege · Kapitelll ·Nieren und ableitende Harnwege 461

Abb.11-10.
Harnleiter (Ureter) mit Bauchtei l (Pars ab-
dominalis) und Beckenteil (Pars pelvina).
Nierenbecken
Beide Teile sind ungefähr gleich lang. Der
Bauchteil erscheint länger, weil er ge-
oberer Engpass
streckt verläuft. Im Verlauf des Harnleiters
bestehen 3 Engpässe. Der obere Engpass
Harnleiter entsteht beim Hinzukommen der Ring-
(Ureter)
muskulatur am Übergang vom Nieren-
becken in den Harnleiter, der mittlere
große Beckengeläße Engpass entsteht beim Abknicken des
(A . und V. lliaca
Bauchteils in den Beckenteil, und der un-
mittlerer tere Engpass entsteht beim Eingang in die
Engpass
Harnblasenwand. Wenn hier z. B. Nieren-
steine stecken bleiben, sind sie nur sehr
schwer zugänglich. Der Hinweiswich im
Bereich des unteren Engpasses weist u.a.
auch auf die Öffnung des Ureters in die
Harnblase hin

dem Nierenbecken, die 2. bei der Überkreuzung der großen Beckengefäße, die 3. Engstellen des Harnleiters
und ausgeprägteste liegt an der Einmündungsstelle in die Blase. Hier ist es am 1. Abgang aus dem Nierenbeckens
schwierigsten, Steine (prävesikale Uretersteine) operativ zu entfernen. 2. Überkreuzung der großen
Durch die Bindegewebehülle (Adventitia) sind die Harnleiter locker und ver- Beckengefäße
schieblieh in ihre Umgebung eingebaut. Im Bindegewebe der Adventitia verlau- 3. Einmündungsstelle in die Blase
fen auch die Nerven sowie Blut- und Lymphgefäße.

11.2.3 Harnblase {Vesica urinaria)

Form und Größe der Harnblase als Hohlorgan sind vom Füllungszustand abhän-
gig. Ihre Aufgabe liegt darin, den Harn zwischen 2 Miktionen (Harnentleerung)
zu sammeln. Im gefüllten Zustand hat die Harnblase eine fast kugelige Form, ent-
leert sieht sie von vorn eher herzförmig oder taschenförmig aus. Die Harnblase
liegt subperitoneal bzw. präperitoneal. Das Bauchfell bedeckt bei der leeren Blase
nur ihre Oberfläche, bei gefüllter Blase auch ihre Rückseite.
Die Harnblase liegt im kleinen Becken hinter der Schamfuge; beim Mann vor
dem Rektum (Mastdarm) und oberhalb der Prostata (Vo rsteherdrüse), bei der
Frau vor Scheide und Gebärmutter.

Bindegewebehülle
Bei stärkster Füllung kann die Blase ca. 1l Flüssigkeit aufnehmen. Dies ist allerdings
schmerzhaft und mit der Gefahr eines Rückstaus in die Harnleiter verbunden.
Das normale Volumen der Harnblase beträgt lediglich 250-500 ml. Eine Bla-
senfüllung in dieser Größenordnung bewirkt bereits eine automatische Kontrak-
tion der Blasenmuskulatur, die nur durch aktive Betätigung der Schließmusku-
latur, die der Willkürmotorik unterworfen ist, eingedämmt werden kann. Des-
462
halb empfiehlt es sich, für Blasenspülungen nicht mehr als ca. 120 ml Flüssigkeit
zu verwenden, um die Wandmuskulatur nicht zur Kontraktion zu reizen.

Aufbau der Harnblasenwand


Aufbau der Harnblasenwand
1. Schleimhaut (Tunica mucosa)
Die Harnblasenwand besteht aus 3 funktionellen Schichten.
2. Muskelhaut (Tunica muscularis)
Die Schleimhaut kann mit einem Zystoskop (Blasenspiegel) direkt am Men-
3. Peritoneum (Tunica serosa) an den
schen beobachtet werden. Sie ist rötlich gefärbt und weist mehr oder weniger
Stellen, an denen die Harnblase von deutliche Falten auf. Am Boden der Blase findet sich ein dreieckiges Feld mit völ-
lig glatter (faltenfreier) Schleimhaut, dem sog. Trigon um vesicae (Blasendreieck).
Peritoneum überzogen ist, oder
Die 3 Eckpunkten werden von den Harnleiteröffnungen und der Harnröhren-
Bindegewebe (Tunica adventitia) an
öffnung gebildet. Auch in der Harnblase besteht das Schleimhautepithel aus
den Stellen, an denen kein Peritoneal-
Obergangsepithel mit den typischen crustabildenden Deckzellen, die vor dem
überzug besteht
ätzenden und hypertonen Harn schützen.
Die Muskulatur der Harnblasenwand wird durch den komplex gebauten und
stark verwobenen Detrusormuskel oder M. detrusor gebildet, der aus glatter
Muskulatur besteht. Bei seiner Kontraktion entleert er zusammen mit der Bauch-
presse die Harnblase vollständig. Das Verbleiben von Restharn ist pathologisch
und kommt bei Abflusshindernissen, z. B. bei größeren Prostataadenomen, regel-
Adenom
mäßigvor.
Tumor des drüsenbildenden Epithels
Aus dem M. detrusor geht eine Muskelschlinge hervor, die von hinten kom-
mend eine im Boden der Harnblase gelegene Öffnung, das Orificium vesicae, um-
kreist. Dieser Muskel heißt M. sphincter vesicae, der bei Kontraktion des M. de-
trusor erschlafft. Dadurch öffnet sich das sonst automatisch verschlossene Orifi-
zium. Gekoppelt mit diesem Mechanismus ist der gleichzeitige Verschluss der
Ureterschlitze, sodass durch Kontraktion des Harnblasenmuskels (M. detrusor)
kein Ha.rn in die Harnleiter zurückfließen kann. Etwas weiter distal vom
M. sphincter vesicaeliegt der quer gestreifte und damit der Willkürmotorik un-
terworfene Teil des Blasenverschlussmechanismus: der M. sphincter urethrae.
Dieser Muskel ist eine Abspaltung der tiefen Beckenbodenmuskulatur (des
M. transversus perinei profundus). Durch Betätigung dieses Muskels ist es mög-
lich, die Miktion (Harnentleerung) zu kontrollieren. Kleinkinder müssen dies erst
mühsam lernen.
Unter dem Einfluss des Sympathikus erschlafft die Blasenwandmuskulatur,
Wirkung vegetativer Nerven
und die Harnröhrenöffnung (das Orifizium) verschließt sich. Unter dem Einfluss
auf die Blase
des Parasympathikus kontrahiert die Wandmuskulatur, und das Orifizium öffnet
• Sympathikus: Blasenmuskulatur
sich. Die Miktion wird wahrscheinlich durch eine willkürliche Erschlaffung des
erschlafft M. sphincter urethrae und der gesamten Beckenbodenmuskulatur eingeleitet.
• Parasympathikus: Blasenmuskulatur
Dadurch kommt eine Zugwirkung auf den Blasenmuskel zustande, der sich da-
kontrahiert sich
rauf zu kontrahieren beginnt. Gleichzeitig setzt die Bauchpresse ein, die den
Harnfluss beschleunigt. Der normalerweise erreichbare Harnfluss sollte nicht
unter 20 ml/s liegen; darunter liegende Werte deuten auf ein Abflusshindernis
hin und sind pathologisch.

11.2.4 Harnröhre (Urethra)

Die Harnröhre bildet den letzten Teil der harnableitenden Wege. Sie leitet den
Harn von der Harnblase bis zur Körperöffnung. Beim Mann liegt diese Öffnung
auf der Penisspitze, bei der Frau im Vorhof der Vagina, unterhalb der Klitoris.
Anatomie der ableitenden Harnwege · Kapitel 11 · Nieren und ableitende Harnwege 463

Die Harnröhre zeigt wesentliche geschlechtsspezifische Unterschiede, sodass


die männliche Harnröhre (Urethra masculina) und die weibliche Harnröhre
(Urethra feminina) getrennt betrachtet werden.

Weibliche Harnröhre (Urethra feminina)


Die weibliche Harnröhre ist lediglich 3-5 cm lang; ihr Lumen ist weiter als das
der männlichen. Deshalb können pathogene Keime rascher in die Harnblase ge-
langen und somit sind Harnblasenentzündungen bei der Frau wesentlich häufi-
ger als beim Mann.
Die weibliche Harnröhre verläuft meist in schwachem Bogen entlang dem
Hinterrand der Schambeinfuge (Symphyse; Abb. 11-11).
Die Schleimhaut besteht am blasennahen Teil aus Übergangsepithel, dem
weiter nach außen ein mehrreihiges Zylinderepithel folgt. Die Schleimhaut ist in
Falten gelegt, die das Lumen der Urethra normalerweise verschließen. In das
Epithel münden kleine muköse Drüsen, die Glandulae urethrales. Die weibliche
Harnröhre mündet in den Scheidenvorhof (s. Abb. 13-10).

Männliche Harnröhre (Urethra masculina)


Durch die Einmündung des Samenwegs und der Geschlechtsdrüsen wird die
männliche Harnröhre zur Harn-Samen-Röhre (Abb. 11-12). Sie ist ca. 25-30 cm
lang und wird in 4 Teile gegliedert (Abb. 11-13).
Pars intramuralis: Dieser Teil beinhaltet die innere Harnröhrenöffnung (Os- Anteile der männlichen Harnröhre
tium urethrae internum), Liegt direkt in der Blasenwand und ist entsprechend • Pars intramuralis
kurz. • Pars prostatica

Pars prostatica: Das ist der weiteste Teil der Harnröhre (ca. 1 cm weit), ca. • Pars membranacea
3-3,5 cm lang und liegt innerhalb der Vorsteherdrüse (Prostata). Hier liegt auch • Pars spongiosa
der ca. 2 cm lange Samenhügel, auf dem die beiden Spritzkanälchen (Singular:
Ductus ejaculatorius) münden. Erst durch diese Mündungen wird der weitere
Teil der Urethra masculina zur Harn-Samen-Röhre.

Peritoneum
Abb. 11 -11 .
Medianschnitt durch ein weibliches

'\'io1L~.-f-l:- Kreuzbein
Becken. Der Douglas-Raum (Excavatio
(Os sacrum) rectouterina) ist der tiefste Punkt in der
Harnblase weiblichen Bauchhöhle. Bei Füllung der
(Vesica urinaria)
Blase steigt diese über den Rand der
Schamfuge --~---::'\­ Symphyse auf
(Symphysis) Scheidengewölbe
tiefer Becken (Fomix vaginae)
bodenmuskel
(M. transversus
perinel profundus)

Kitzler ~­
(Kiitoris)

Harnröhre Scheideneingang Bindegewebeplane Im


(Urethra) (lntronus vaginae) Dammbereich
(Cenlrum tendineum)
464

Abb. 11-12.
Männliche Harnblase (Vesica urinaria) in Projektion des
Samenleiters Projektion des
der Frontalebene geschnitten. Die hinter (Ductus deferens) Samenbläschens
der Harnblase gelegenen Organe (Harn-
leiter und Samenblase) sind in der Projek-
tion auf die hintere Harnblasenwand ge-
zeichnet. Oben ist die Harnblase vom Peri-
toneum bedeckt. Im Bereich des Samen-
Muskel der Harnblase
hügels der Vorsteherdrüse (Prostata) mün- {M. detnusor)
den links und rechts jeweils der Spritz-
kanal (Ductus ejaculatorius) sowie die
Blasendreieck ---=~~
Gänge der Vorsteherdrüse. in der Mitte, un- (Trigonum vesicae)
terhalb der Mündungen des Spritzkanals Oftnung des HamleitElrS
{Ostium ureteris)
befindet sich der Utriculus prostaticus, ein
Mündung des Spritzkanals
Überbleibsel der Gänge, die sich bei der {Ductus ejaculatorius)
Frau zur Gebärmutter entwickeln. Die
Mündung des
Pfeile im Bereich des Trigonum vesicae Utriculus prostaticus
MOndungen der Prostatadrüsen
(Biasendreieck) zeigen auf den Verlauf der
Faszie der
Öffnungs- (links) und der Verschlussmus- Vorsteherdrüse
Samenhügel
keln (rechts) für die Harnleiter {Colllculus seminalis)

Pars membranacea: ein kurzer Teil von ca. 1 cm Länge, mit dem die Harn-
röhre die Muskulatur des Beckenbodens durchstößt (den M. transversus perinei
profundus).
Pars spongiosa: Mit ca. 25 cm ist das der längste Teil; er ist in den Harnröhren-
schwellkörper eingebettet. Dieser Teil mündet an der Penisspitze in der Fossa na-
vicularis, einer buchtartigen Erweiterung.
Das Epithel der männlichen Harnröhre besteht nur bis zur Pars prostatica aus
ObergangsepitheL Auf dem weiteren Weg nach außen wird es durch ein mehr-
reihiges hochzylindrisches Epithel ersetzt, das schließlich an der Eichel (Glans
penis) in ein mehrschichtig verhorntes Plattenepithel übergeht.
Der S-fö r mige Verlauf der männlichen Harnröhreaufgrund der Prostata er-
schwert eine Katheterisierung. Zum leichteren Einführen und Schutz vor
Verletzungen muss deshalb der Penis beim Einführen des Katheters zuerst nach
oben, dann nach unten bewegt werden. Auf diese Art folgt der Katheter dem ge-
krümmten Lauf der männlichen Harnröhre.

11.3 Physiologie der Niere

11.3.1 Ultrafiltration und Primärharnbildung

Um die Nierenfunktion zu verstehen, müssen zunächst die Primärharnbildung


und die Filtration des Blutes in der Niere erklärt werden.
Physiologie der Niere · Kapitel 11 • Nieren und ableitende Harnwege 465

Abb. 11 - 13.
Harnleiter - --f-
(Ureter) Schnitt durch die männliche Harnblase
Öffnungdes und den Penis. Im Blasendreieck [frigo-
Harnleiters
num vesicae) ist die Wand der Harnblase
(Ostium
ureteris) nicht in Falten geworfen wie im restlichen
Teil der Harnblase, sondern glatt. Hier

Innere Harn-
sitzen auch die Verschluss- und Öffnungs-
rOhrenöffnung mechanismen der Harnblase. Die Harn-
blase ist im Verhältnis wesentlich kleiner
Prostata gezeichnet als der Penis

Pars
Beckenboden- prostatica
muskel
(M_transversus
---==iil:;==}liiifE~ii- Pars -~;:;::;;;::::=
membranacea
perinei
profundus)
Schenkeldes
Glandula Penlsschwell-
bulbourethralis
(mit Ausführungs-
gang)

Zwiebel des Penis


(Bulbus penis)
HarnrOhren-
Harnröhren- bestandteile
schwellkörper
(Corpus
sponglosum penis)

Penisschwell- ---+-lill•
kOrper Pars
(Corpus spongiosa
cavemosum
penis)

Urethraldrüsen
(Giandulae
urethrales)

Eichel
(Glans penis)

- - -- - Ostium urethrae
extern um
_j

Nierenfilter
Das Blut wird zunächst in der Niere filtriert. Dazu muss es durch 3 Schichten Anteile des Nierenfilters:
fließen, das sog. Nierenfilter (s. Abb. u -8): Endothel der Kapillare (Blutgefäß), • Endothel der Kapillare (Blutgefäß)
Basalmembran des Glomerulum und Podozyten (FüßchenzeiJen) der Bowmann- • Basalmembran des Glomerulus
KapseL Die durchschnittliche Porengröße dieses 3fachen Filters beträgt ca. 10 nm. • Podo-zyten \Füßch enze\\e n)
Wegen dieser extrem kleinen Porengröße spricht man von einer Ultrafiltration. der Bowmann-Kapsel
Das Filtrat des Blutes nach Passieren dieser Schichten ist das sog. Ultrafiltrat.
466

Faktoren, die das Vorkommen Bereits um 1750 wurde beobachtet, dass auf Schnitten durch gekochte Nieren
von Protein im Urin verhindern: Eiweißgerinnsel im Kapselraum (Bowmann-Kapsel) fehlen und deshalb das Ultra-
• Größe der Filterporen filtrat eiweißfrei sein muss. Die Erklärung dafür ist folgende: Substanzen bis zu ei-
• negative Ladung der GBM ner maximalen relativen Molekülmasse von ca. 65.000 können die Poren der
• negative Ladung der Proteine Schichten des Nierenfilters passieren und gelangen in das Ultrafiltrat Viele Plas-
maproteine sind jedoch größer, also hochmolekular, z. B. hat Albumin eine relative
Molekülmasse von 69.000. Niedermolekulare Proteine und Polypeptide passieren
also das Nierenfilter leichter; sind jedoch nur in geringer Plasmakonzentration
vorhanden. Deshalb enthält das Ultrafiltrat auch nur Spuren von Eiweiß. Bei einer
Erkrankung der Nieren kann die Permeabilität des GlomeruJusftlters erhöht sein,
sodass Plasmaproteine dann in den Harn gelangen und nachgewiesen werden kön-
nen. ln diesem Fall spricht man von einer Albuminurie - wenn Albumin im Harn
vorliegt- oder allgemeiner von einer Proteinurie -wenn Eiweiß im Harn vorliegt.
Neben der Größe der Poren entscheiden aber auch die Ladungseigenschaften
von Proteinen über die Durchlässigkeit des Nierenfilters. Proteine sind allgemein
negativ geladen, d.h. sowohl die Proteine von Membranen als auch Plasmapro-
GBM teine. Die glomeruläre Basalmembran (GBM) wird von den Podozyten der Bow-
glomeruläre Basa lmembran man-Kapsel als auch vom Kapillarendothel aufgebaut, ist deshalb fast 10-maJ
dicker als die Basallamina normaler Epithelien (s. Abb. 11-7) und hat eine stark
negative elektrische Ladung. Da sich negative Ladungen gegenseitig abstoßen,
werden viele Proteine trotz geringer Größe gar nicht erst durch die Membran,
also durch die Poren des Nierenfilters transportiert.
Die Poren des Kapillarendothels sind hingegen gerade so groß, dass keinerlei
Blutzellen hindurchtreten können.

Filtrationsdruck
Voraussetzung für die Filtration (Filterungsvorgang) ist ein gewisser Druck, mit
dem das Blut die Nierenkapillaren durchströmen muss. Beim Menschen beträgt
der Blutdruck in den Glomeruluskapillaren ca. 50 mmHg. Diesem kapillaren Blut-
druck wirken der Flüssigkeitsdruck des Primärharns (Ultrafiltrat) sowie der os-
motische Gradient zwischen Kapillarblut und Primärharn entgegen. Dieser os-
motische Gradient entsteht durch den onkotischen Druck (s. Abschn. 6.10.2) der
Plasmaproteine, die im Blut vorkommen, im Primärharn hingegen fehlen. Ad-
diert man die einzelnen Werte dieser Drücke, erhält man den sog. effektiven
Filtrationsdruck (Nettoftltrationsdruck) von ca. 15 mmHg. Dieser effektive Filtra-
tionsdruck ist die treibende Kraft für die Produktion des Primärharns.

Kapillardruck so
Ultrafiltrat - 10
onkotischer Druck -25
Nettofiltrationsdruck 15 mmHg

Renaler Blutfluss: ca. 700 mllmin Renaler Plasmafluss und glomeruläre Filtrationsrate
Der Primärharn ist ein Ultrafiltrat des Blutplasmas. Deshalb ist natürlich auch die
Hämatokrit Gesamtmenge des Blutes, das die Niere durchströmt, für die Bildung des Primär-
Anteil der Erythrozyten am Gesamtblut, harns von Bedeutung. In körperlicher Ruhe erhält die Niere ca. 1,3 l Blut/min. Das
ausgedrückt in Volumenprozent sind mehr als 20% des Herzminutenvolumens (HMV) . Bei einem Hämatokrit
(s. Kap. 6, Blut) von 45% ergibt sich ein renaler Plasmafluss:RPF) von 700 ml!min.
Physiologie der Niere · Kapitel 11 · Nieren und ableitende Harnwege 467

Die sog. glomeruläre Filtrationsrate (GFR) ist ein Parameter für die Leis- Glomeruläre Filtrationsrate (GFR):
tungsfähigkeit der Glomeruli hinsichtlich ihrer Filtrationsfahigkeit. Sie wird da- ca. 125 ml/min = 180 lffag
durch gemessen, dass die Ausscheidungsrate einer Substanz durch die Niere be-
stimmt wird. Die Substanz darf dabei weder aus dem Primärharn rückresorbiert
noch zusätzlich in die Nierenkanälchen sezerniert werden. Eine solche Substanz
ist z. B. das Inulin (Substanz aus Dahliengewächsen). Es wird intravenös injiziert,
bis eine konstante arterielle Plasmakonzentration erreicht ist. Die Formel zur
Berechnung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) sieht folgendermaßen aus:

UI,.·V U,": Konzentration des Inulins im Harn,


GFR= - -
PI,. V: Harnvolumen pro Minute,
P,": Plasmakonzentration des Inulins.

Beim Einsetzen von konkreten Zahlen, wie sie auf einem Mann zutreffen, erhält
man folgende Ergebnisse:

U 1,. = 1.250 mg/100 ml


V = 1 ml/min
P1,. = 10 mg/wo ml

Die Formellautet dann:

1250 mg/100 ml·l ml/min


- --=--- - - - - = 125 ml/min
10 mg/100 ml

Die glomeruläre Filtrationsrate beträgt 125 ml/min. Das sind 7,5 1/h oder 1So 1/
Tag. Wird dies in Relation zur täglich abgegebenen Harnmenge von ca.1-1,51/Tag
gesetzt, wird deutlich, dass ungefähr 99% des Primärharns in den Nierenkanäl-
chen und den Sammetrohren rückresorbiert werden.

11.3.2 Autoregulation der Nierendurchblutung

Man müßte annehmen können, dass zwischen Blutdruck (der für den Filtrations-
druck verantwortlich ist) und glomerulärer Filtrationsrate ein direkter Zusam-
menhang besteht, also die GFR proportional zum Blutdruck ansteigt oder abfällt.
Eigenartigerweise besteht dieser Zusammenhang jedoch nur bei einem Blut-
druck (arteriell in der Niere gemessen) unter So mmHg und über 220 mmHg
systolisch, also in unphysiologischen Bereichen.
Zwischen Werten von So mmHg und 220 mmHg bleiben sowohl RPF (renaler
Plasmafluss) als auch GFR (glomeruläre Filtrationsrate) ziemlich konstant. Die
zu erwartende Beziehung zwischen Druck und Durchblutung wird also nicht be-
obachtet. Dieses Phänomen wird Autoregulation genannt (Abb.n-14) und beruht myogen
auf der sog. Therorie der »myogenen« Autoregulation: von der Muskulatur ausgehend
468

Abb.11 -14a, b.
a Im physiologischen Bereich zwischen 80 RBF
4
und 200 mmHg sind durch die Autoregu- renaler Blutfluss

lation der Nierendurchblutung sowohl die


glomeruläre Filtrationsrate (GFR) als auch
der renale Plasmafluss (RPF) konstant.
Trotzdem kommt es zu einer Erhöhung
des Harnflusses {b), weil das Nierenmark
nicht der Autoregulation unterliegt und RPF

durch die höhere Markdurchblutung der renaler Plasmafluss

osmotische Gradient zwischen Sammel-


rohr und Mark reduziert ist. Dieser Gra-
dient ist für die Harnmenge eine führende
Größe
GFR
...... ------------------------
glomeruläre Filtrationsrate

•• •

a 0 50 100 150 200

0 .02 J
0,03
0.01
~
~
~~---.-----.----~
, --~=r
0 ~-----r
b 0 50 100 150 200 [mmHgJ
arterieller Druck

Isolierte (a lso ohne nervöse Versorgung) und perfundierte Nieren zeigen diese
Autoregulation ebenfalls. Sie ist also nicht an nervöse Mechanismen gebunden.
Medikamente, die die glatte Muskulatur, d. h. die Muskulatur der Gefäßwände
(z. B. Procain), lähmen, heben diese Autoregulation jedoch auf. Die Autoregula-
tion ist deshalb wahrscheinlich als direkte Reaktion der Gefäßmuskulatur im
Bereich der afferenten Arteriole zu verstehen: deshalb der Ausdruck ))myogen«.

Die myogene Autoregulation der Nierendurchblutung trifft nur auf die Nieren-
rinde, nicht jedoch auf das Nierenmark zu. Steigt der Blutdruck, erhöht sich auch
die Markdurchblutung; als Resultat erhöht sich der Harnfluss; meist verbunden
mit einer Reduktion der Harnkonzentration. Diesen Vorgang bezeichnet man als
Diurese Druckdiurese. Bei pathologischer einseitiger Nierenarterienstenose, die zu einem
Harnausscheidung Hochdruck in der Niere selbst führt, steht die gesunde zweite Niere unter erhöh-
tem Druck und zeigt dann die Symptome einer Druckdiurese. Folge ist eine er-
Stenose höhte Wasser- und Natriumausscheidung.
Einengung, Verengung
11.3.3 Clearance und Transportmechnismen der Niere

Die Ausscheidungsfähigkeit der Nieren für eine gewisse Substanz wird a ls


Clearance dieser Substanz bezeichnet.
Physiologie der Niere · Kapitelll · Nieren und ableitende Harnwege 469

Für die Berechnung der Clearance gilt die gleiche Form el wie für die Berechnung
der glomulären Filtrationsrate (GFR). Ob Clearance und GFR jedoch gleich groß
sind oder nicht, hä ngt u. a. davon ab, ob dje Substanz im Tubulussystem b ei der
Aufbereitung des Sekundärharns zusätzlich beim Durchfließen der Tubulus-
abschnitte in den Primärharn sezerniert (abgegeben) oder beim Durchfließen
zusätzlich aus dem Primärharn rückresorbiert (entnommen) wird oder nicht.
Ist dies der Fall, was für viele Substanzen zutrifft (siehe unten), dient die
Berechnung der Clearance hauptsächlich als Index für die Nierenfunktion. Das
bedeutet, es lässt sich durch die Ermittlung einer zu niedrigen oder zu hohen
Clearance feststellen, ob eine gestörte Nierenfunktion vorliegt.

Harnbildung im Tubulus
Die Bildung des Primärharns ist Aufgabe der Glomeruli. Dies erfolgt - wie bei
den Austauschvorgängen an den Kapillaren im übrigen Körper - durch passive
Filtration. Die Glomerulusfunktion kann deshalb nicht zur ReguJation der che-
mischen Zusammensetzung der Körperflüssigkeiten, also dem sog. inneren
Milieu beitragen. Diese erfolgt fast ausschließlich durch die Funktion des Tubu-
lussystems sowie zu einem gewissen Anteil durch Vorgänge im Sammelrohr.

Die Tubuluszellen können durch 3 verschiedene Vorgänge die Zusammensetzung Prinzipien der Harnbereitung im Tubulus
des inneren Milieus steuern (Abb. 11-15): • Sekretion
• Sekretion: Die Tubuluszellen geben eine Substanz zusätzlich in den Primärharn • Rückresorption
ab. Beispiel: Paraaminohippursäure (PAH) . • Filtration
• Rückresorption: Die Tubuluszellen nehmen die Substanz aus dem Primärharn
wieder auf und geben sie an das Blut ab. Beispiel: Glukose.
• Filtration: Diese Substanz wird von den Tubuluszellen weder sezerniert noch
rückresorbiert Beispiel: Inulin.

Abb. 11 -15 3 - C.
Paraaminohippursäure
a Inulin b Glukose c (PAH ) Schematische Darstellung der Filtration
(a), Rückresorption (b ) und Sekretion (c).

1_,"_.
Wenn lediglich filtriert wird, entspricht die
Clearance der glomerulären Filtrationsrate
."..:.' .
·- (GFR), wenn vollständig rückresorbiert
,.,., wird, ist die Clearance Null, wenn voll·
ständig sezerniert wird, entspricht
die Clearance dem rena len Plasmafluss
(RPF)

distaler Tubulus

Clearance: 125 II1Vn*1 glomeruiAre 600 mVmin ranaler


0
Filtrationsrate Plasmaftuss
470

Berechnungen
Die Menge einer Substanz, die in der Niere filtriert wird, ist das Produkt der
Glomerulären Filtrationsrate (GFR) und des Plasmaspiegels dieser Substanz. Die
Menge der mit dem Harn ausgeschiedenen Substanz hängt hingegen von ihrer
Behandlung im Tubulussystem ab. Sie ist gleich der filtrierten Menge plus der
Nettomenge des tra nstubulären Transports, d . h. der resorbierten oder sezernier-
ten Menge. Mit einer einfachen Formel ausgedrückt heißt das:

GFR: glomuläre Filtrationsratc,


P, : Plasmakonzentra tion der Substa nz X,
T, : Nettomenge des transtubulären Transports der Substanz X,
U, : Konzentration der Substanz X im Harn,
V: Harnvolumen pro Minute.

Sekretion
Verschiedene, v. a. körperfremde Substanzen werden im Sinne einer Entgiftung
über den Vorgang der Sekretion so vollständig aus dem Kreislauf herausgelöst
(extrahiert), dass das Blut bei einer einmaligen Passage durch die Niere (Neph-
ron) davon vollständig gereinigt wird. Eine derartige Substanz ist z. B. die Para-
aminohippursäure (PAH). Sie ist deshalb besonders gut zum Nachweis und zur
Beurteilung der tubulären Sekretion geeignet. Wird diese Substanz injiziert, ge-
langt sie mit dem arteriellen Blut in ei ner bestimmten Konzentration in den
Glomerulus, die man mit PPAII bezeichnet. Die Ultrafiltration entzieht nun dem
Plasma eine Flüssigkeitsmenge mit der gleichen Konzentration. Ebenso enthält
Vas efferens das aus dem Glomerulus ausfließende Blut im Vas efferens die gleiche Konzen-
abführendes Gefäß, hier: aus dem tration. Aus diesem Blut wird jetzt allerdings die gesamte verbleibende Menge
Glomerulus wegführend PAH während des Vorbeiströmensan den Tubuluszellen durch diese entfernt und
in den Urin überführt, sodass die PAH-Konzentration im venösen Blut (d. h.
beim Ausfluss aus der Niere) gleich Null ist. Somit wird die gesamte, dem
Nephron zugeführte PAH bei einer Passage des Blutes durch 2 Mechanismen in
der Niere entfernt:
durch die Filtration,
transtubulär und zum weitaus größeren Teil durch den transtubulären Transport, hier durch
durch die Wand des Tubulus hindurch Sekretion.

Berechnung des renalen Plasmaflusses


Mit der Paraaminohippursäure lässt sich auch der renale Plasmafluss (RPF) be-
stimmen. Der RPF ist ein wichtiges Maß für die Nierendurchblutung. Er wird mit
folgender Formel berechnet:

U 1•.." 1: Konzentrat ion der PAH im Urin ,


UPAH ·V =RPF
V: Harnvolumen pro Minute,
PPAH
P,.,",: Konzentration der PAH im Plasma.
Physiologie der Niere · Kapitel11 · Nieren und ableitende Harnwege 471

Setzt man konkrete Zahlen in die Formel ein (Beispiel):


UPAH = 14 mg/ml,
V = 1 ml/min und
PPAoJ = o,o2 mg/ml,

dann lautet die Formel:

14 mg/ml·1 ml/min
- ----'=----- - - - = 700 ml/min
0,02 mg/ml

Berechnung des renalen Blutflusses


In unserem Beispiel beträgt also der renale Plasmafluss 700 ml/min. Unter
Zuhilfenahme des Hämatokritwertes lässt sich somit auch der renale Blutfluss RBF (rena ler Blutfluss) = 1.273 ml/min
(Blutmenge) wie folgt errechnen:

100 700 ml/min · 100


Blutmenge = RPF = = - - - -- - = 1273 ml/min
100 - 45 55

Somit wurde über die PAH-Clearance der renale Plasmafluss und unter Zuhilfe-
nahme des Hämatokritwertes auch der renale Blutfluss (Nierendurchblutung) er-
rechnet (1.273 ml/min).
Neben der Paraaminohippursäure werden auch andere körperfremde Sub-
stanzen (z. B. Penizillin, Phenolrot) sowie körpereigene Stoffe (z. B. Steroide oder
s-Hydroxyindolazetat, ein wichtiges Abbauprodukt des Serotonins) sezerniert.
Im Rahmen der Regulation des Elektrolythaushalts und des Säure-Basen-Haus-
halts (s. Abschn. 11.3-4) werden auch Ionen aktiv sezerniert. Nicht alle Substanzen
werden bereits bei einem Durchgang durch die Niere vollständig aus dem Blut
entfernt, wie im obigen Beispiel die PAH. Die Sekretionsrate für einzelne Sub-
stanzen kann beträchtlich schwanken.

Rückresorption
Der Vorgang der Rückresorption soll am Beispiel der Glukose verdeutlicht wer-
den: Bei gesunden Individuen wird über den Harn nur eine ganz geringe Menge Glukose kann den Nierenfilter frei
Glukose ausgeschieden. Daraus könnte man schließen, dass Glukose nicht den passieren
Filter des Glomerulus passieren kann. Glukose ist jedoch ein kleines Molekül, das
ohne weiteres den Nierenfilter passieren könnte. Im Ultrafiltrat des Primärharns
erscheint Glukose in der gleichen Konzentration wie im Plasma. Aufgrund der
Plasmakonzentration und der GFR lässt sich die pro Zeiteinheit filtrierte Menge
berechnen: 100 mg/min. Wird also im Harn keine Glukose nachgewiesen, im
Ultrafiltrat hingegen 100 mg/min abfiltriert, so muss ein anderer Mechanismus
vorhanden sein, der die gesamte filtrierte Glukose zurück ins Blut transportiert.
Dieser Mechan ismus ist die aktive Rückresorption, daru nter versteht man einen
energieverbrauchenden trans memb ranalen Transportvorgang.
ü ber eine Mikropunktion kann nachgewiesen werden, dass Glukose zu 99o/o
in der Pars convoluta des proximalen Tubulus resorbiert wird. Die M ikropunk-
tion ist eine wichtige experimentelle Nierenuntersuchung. Dabei werden die ein-
zelnen Tubulusabschnitte mit einer Mikrokapillare direkt angestochen. Auf diese
Weise erhält man Flüssigkeit aus dem Tubulussystem, deren Zusammensetzung
untersucht werden kann.
472

Substanzen, die im Tubulussystem aktiv Substanzen, die im Tubulussystem aktiv rückresorbiert werden sind: Gluko-
rückresorbiert werden se, Aminosäuren, Ketonkörper (Azetoazetat, ß-Hydroxybutyrat etc.), Sulfat,
• Glukose Harnsäure, Askorbinsäure, Kreatin, Elektrolyte (z. B. Na+, K+, Phosphat).
• Aminosäuren Im Gegensatz zur Sekretion, bei der ein Transportmechanismus für praktisch
• Ketonkörper (Azetoacetat, alle sezernierten Substanzen verantwortlich ist, gibt es für die Rückresorption
ß-Hydroxybutyrat etc.) verschiedene Transportmechanismen.
• Sulfat
• Harnsäure Nierenschwelle und Transportmaximum
• Askorbinsäure Wie bei jedem Transportvorgang kann auch bei der Glukoserückresorption eine
• Kreatin Sättigung beobachtet werden. Man spricht von einem Transportmaximum (Tm).
• Elektrolyte (z.B. Na•, K•, Phosphat) Für Glukose wird dies als Tm8 bezeichnet. Das Transportmaximum von Glukose
ist erreicht, wenn mehr Glukose im Ultrafiltrat (bzw. im Plasma) vorhanden ist,
Transportmaximum für Glukose als das TubuJussystem rückresorbieren kann (Abb. 11-16a- c). Das Tm 8 beträgt
• 375 mg/min beim Mann beim Mann ca. 375 mglmin, bei der Frau ca. 300 mg/min. Wird das Transport-
• 300 mg/min bei der Frau maximum überschritten, die Glukosekonzentration im Plasma also zu hoch ist,
wird Glukose über den Harn ausgeschieden. Die Plasmakonzentration, bei der
Nierenschwelle für Glukose dies eintritt, wird als Nierenschwelle bezeichnet. Die Nierenschwelle für Glukose
• 8,88 mmol/1 liegt bei 8,88 mmol/1 (160 mg/100 ml). Sie ist von großer Bedeutung, da der
Nachweis von Glukose im Harn ein wichtiger Indikator für die Zuckerkrankheit
(Diabetes mellitus) ist.
In Fällen, in denen die Rückresorption von Glukose in den Tubuli gestört ist,
spricht man von einem renalen Diabetes. Hier erscheint Glukose bereits im Harn,
bevor der Plasmaspiegel eine entsprechende Höhe erreicht hat.

Abb. 11-16a-c. a b c
Darstellung des Transportmaximums (Tm)
am Beispiel der Glukose.
a Die Anzahl der filtrierten Teilchen liegt
deutlich unterhalb der Transportmöglich-
keit des Transportsystems.
b Die Anzahl der filtrierten Teilchen ent-
spricht genau der Transportmöglichkeit
des Systems, d. h. das System ist gesättigt,
es arbeitet am Transportmaximum.
c Die Anzahl der filtrierten Teilchen ist
deutlich größer als die Transportmög lich-
keit des Systems, das Transportmaximum
ist überschritten, es werden gelöste Teil-
chen mit dem System ausgeschieden. Dies
würde am Beispiel der Glukose bedeuten,
dass Glukose im Harn erscheint. Auf dem
Diagramm der unreren Abbildungshälfte
stellt 1 den fi ltrierten, 2 den rückresorbier-
ten und 3 den ausgeschiedenen Anteil dar
Physiologie der Niere · Kapitelll · Nieren und ableitende Harnwege 473

Zusammenfassend lässt sich festhalten:


• Die Nierenschwelle bezeichnet eine Menge pro Volumen (z. B. Glukosekonzen-
tration im Blut).
• Das Transportmaximum bezeichnet eine Menge pro Zeiteinheit (die maximal
transportiert werden kann).

Für die meisten aktiv rückresorbierten Substanzen liegt der Transportmechanis-


mus im proximalen Tubulus. Ausnahme: der Transportmechanismus für die Na•-
Rückresorption, der im distalen Tubulus und im Sammetrohr lokalisiert ist.

Filtration
Die 3. Möglichkeit der Ausscheidung in der Niere läuft ohne eine Veränderung
des Primärharns durch die Tubuluszellen. Dies ist die reine Filtration. Dieser
Vorgang wurde bereits bei der Inulinclearance, d. h. der Methode zur Bestim-
mung der GFR (glomeruläre Filtrationsrate), besprochen (s. Abschn. 11.3.1).

11.3.4 Regulationsmechanismus der Niere

Die Niere hat durch die unterschiedlichen Transportmöglichkeiten und Filtrations-


vorgänge Einfluss auf den Wasser-, Elektrolyt- sowie den Säure-Basen-Haushalt.

Wasserhaushalt
Durch Umrechnung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) auf den Zeitraum Antidiurese
von 24 h wird deutlich, dass in der Niere pro Tag ca. 180 1Primärharn produziert Hemmung der Harnbildung
werden. Der größte Teil muss wieder rückresorbiert werden. Dabei kann die
Niere dieselbe Menge an gelösten Substanzen pro 24 h sowohl in einem Harn- Wasserdiurese
volumen von 500 ml mit einer Konzentration von 1.400 mosmol ausscheiden Ausscheidung großer Harnmengen mit
(Antidiurese) oder in einem Volumen von 23,3 1 mit einer Konzentration von geringer osmotischer Konzentration
30 mosmol ausscheiden (Wasserdiurese).

Dieses Beispiel zeigt 2 wesentliche Mechanismen auf:


• Auch wenn das Harnvolumen 23,3 I beträgt, werden noch mindestens 88% des
filtrierten Wassers rückresorbiert
• Die Menge des filtrierten Wassers kann verändert werden, ohne dass die Menge
der pro Tag ausgeschiedenen gelösten Substanzen davon betroffen wird.

In beiden Beispielen (soo ml mit 1.400 mosmol und 23,3 1 mit 30 mosmol) wird
gerrau die gleiche Menge an gelösten Teilchen ausgeschieden. Dies ist für den
Wasserhaushalt und die Regulation der Osmolalität der Körperflüssigkeit von Osmolalität
großer Bedeutung. die osmolare Konzentration
Aus Mikropunktionsuntersuchungen weiß man, dass die Tubulusflüssigkeit (angegeben in Osmol) pro kg Wasser
mindestens bis zum Ende des proximalen Tubulus isoton bleibt, d. h. dass sie den
gleichen osmotischen Wert aufweist wie das Blut. Wird die Konzentration des lsotonie
Inulins am Ende des proximalen Tubulus gemessen, stellt sich allerdings heraus, Zustand mit gleicher osmotischer
dass sie 4-mal höher ist als die Plasmakonzentration. Inulin wird jedoch weder Konzentration
sezerniert noch rückresorbiert Hat sich seine Konzentration also erhöht, muss
aus dem Tubulus eine entsprechende Menge an Wasser rückresorbiert worden
sein. Da die Tubulusflüssigkeit am Ende des proximalen Tubulus immer noch
474

isoton ist, muss mit dem Wasser eine entsprechende Menge gelöster Substanzen
rückresorbiert worden sein.
Die Wasserrückresorption geschieht, wie aus der Inulinkonzentration hervor-
geht, zu 75o/o im proximalen Tubulus. Der proximale Tubulus nimmt damit clie
Grobregulation der Harnzusammensetzung vor. Die Feinregulation erfolgt dage-
gen im distalen Tubulus und - was clie Wasserausscheidung anbelangt - auch im
Sammelrohr.
Wirkung des ADH Die Veränderung des Flüssigkeitsvolumens und der Osmolalität des Harns im
(ant idiuretisches Hormon): distalen Tubulus und im Sammetrohr hängt von dem sog. antidiuretischen Hor-
Bildung geringer Mengen an konzent rier- mon (ADH) ab, das im Hypophysenhinterlappen produziert wird (s. Abschn.
tem Harn 12-4-4). Es wird gelegentlich auch als Vasopressin-ADH bezeichnet. Dieses Hor-
mon erhöht die Permeabilität der Sammelrohre für Wasser. In der Gegenwart
ADH-Mangel dieses Hormons werden geringe Mengen konzentrierten Harns, bei seinem Feh-
bewirkt die Bildung großer Harnmengen len große Mengen verdünnten Harns ausgeschieden. Durch verschiedene Mecha-
(Diabetes insipidus) nismen, die über das Gegenstromprinzip funktionieren oder daran gekoppelt
sind, ist das Interstitium (Zwischenzellraum) in den Markpyramiden stark hy-
perton. Somit strömt Wasser aus den Sammelrohren in das Markinterstitium, so-
bald durch ADH die Wasserpermeabilität der Sammelrohre erhöht worden ist.
Die treibende Kraft ist der osmotische Gradient zwischen Sammelrohr und dem
Markinterstitium. Aus dem Mark wird das Wasser mit dem Blut wieder abtrans-
portiert. Somit ist das ADH mitverantwortlich für die Regulation der täglich aus-
geschiedenen Harnmenge. Bei Mangel an ADH können bis zu 12% der GFR über
den Harn ausgeschieden werden. Dieser große Wasserverlust muss über die
Aufnahme einer entsprechend großen Wassermenge kompensiert werden. Bei ei-
nem Diabetes insipidus (Wasserharnruhr, unstillbarer Durst) - bei dieser Er-
krankung fehlt ADH- kann es zu täglichen Harnmengen von über 20 I kommen.
Allgemein wird eine stark erhöhte Harnmenge als Polyurie und eine stark erhöh-
te Flüssigkeitsaufnahme als Polydipsie bezeichnet.

Elektrolythaushalt
Wasser- und Elektrolythaushalt sind wegen der Tendenz des osmotischen Aus-
semipermeabel gleichs an semipermeablen Membranen immer eng miteinander verbunden. Die
halbdurchlässig, d. h. durchlässig für das mit dem Ultrafiltrat pro Tag aus dem Blut herausgepresste Menge an Elektrolyten
Lösungsmittel (hier Wasser), nicht durch- beträgt rund das wfache der im Extrazellulärraum des Körpers überhaupt vor-
lässig für die gelöste Substanz handenen Menge an Elektrolyten. Ohne quantitativ leistungsfähige und qualita-
tiv fein regulierende Mechanismen der tubulären Rückresorption würden die
Elektrolytverluste mit dem Harn rasch zum Tod füh ren.

Grundumsatz Rückresorption im proximalen Tubulus


Energieverbrauch einer seit 12 h nüchter- Zentrale Rolle bei der Rückresorption von Elektrolyten spielt das Natrium.
nen, völlig entspannten Person bei 20"( Natrium wird über einen aktiven transtubulären Transport aus dem Primärharn
entnommen. Dies ist ein energieverbrauchender Prozess, der ca. 10% des Grund-
Gradient umsatzes beansprucht. Bedenkt man, dass pro Tag mit dem Harn ein e Menge von
Konzentrationsgefälle ca.1,4 kg Natrium abfiltriert wird und der größte Teil davon rückresorbiert wird,
ist dieser Energieverbrauch natürlich nicht erstaunlich.
Elektroneutralität Den positiv geladenen Natriumionen (Na+), die aktiv transportiert werden,
Zustand ohne Veränderung folgen andere, negativ geladene Ionen (z. B. Chlorid, Cl ) entlang einem elektri-
der elektrischen Ladung schen Gradienten passiv nach. Auf diese Weise wird die nötige Elektroneutralität
Physiologie der Niere · Kapitel 11 ·Nieren und ableitende Harnwege 475

des Transportprozesses gewährleistet. Ebenso zieht das transportierte Natrium


Wasser durch osmotische Kräfte passiv in die Blutbahn zurück. Die gesamte
Rückresorption in den oberen Tubulusabschnitten verläuft isoosmotisch und ist isoosmotisch
qualitativ wie quantitativ unabhängig von der jeweiligen Bilanz des Elektrolyt- mit gleichem osmotischen Druck
und Wasserhaushalts. (isotonisch)

Rückresorption im distalen Tubulus und Aldosteron-Mechanismus


Im Gegensatz dazu steht die Rückresorption im distalen Tubulus. Hier wird
ebenfalls Natrium rückresorbiert, allerdings wird hier die Rückresorption durch
das Hormon Aldosteron und andere ebenfalls aus der Nebennierenrinde (NNR)
stammende Mineralokortikoide gesteuert (s. Abschn. 12.7.2). Relativer Natrium-
mangel oder Blutverlust rufen die Sekretion von Aldosteron aus der Neben-
nierenrinde hervor. Bei der Freisetzung von Aldosteron spielt der juxtaglome-
ruläre Apparat eine Rolle (s. Abschn.11.3.7).
Die Wirkung des Aldosterons besteht darin, dass die Natriumpumpe im Natriumpumpe
distalen Tubulus aktiviert wird und somit vermehrt Natrium rückresorbiert wer- membranständiger Pumpmechanismus,
den kann. Bei diesem Prozess wird die Elektroneutraliät gewährleistet, indem für der Natrium transportiert
jedes in den lnterstitialraum transportierte Na+ -Ion ein K+ -Ion (Kalium) aus die-
sem heraustransportiert wird. Damit steht der distale Tubulus im Gegensatz zum
proximalen Tubulus, in dem dies über passives Nachdiffundieren von Chlorid-
ionen erfolgt. Auf diese Weise ist im distalen Tubulus der Natriumtransport an
die Kaliumsekretion gekoppelt (Natrium-Kaliumpumpe). Durch Aldosteron wird
also nicht nur vermehrt Natrium zurückgesaugt (rückresorbiert), sondern auch
vermehrt Kalium ausgeschieden (sezerniert) .
Mit dem Aldosteronmechanismus und der ADH- Wirkung verfügt die Niere
über die Möglichkeit, den Wasser- und Elektrolythaushalt den jeweiligen Erfor-
dernissen anzupassen.

Säure-Basen-Haushalt
Der Säure-Basen-Haushalt des Körpers wird durch 2 Mechanismen reguliert:
1. respiratorische Regulation (s. Kap. 8, Atmungssystem) und
2. metabolische bzw. renale Regulation, die in der Niere abläuft.

Die einzelnen Vorgänge bei der Regulation des Säure-Basen-Haushalts sind


äußerst komplex; deshalb werden im Folgenden nur die wesentlichen Grund-
prinzipien dargestellt.
In Abhängigkeit von der metabolischen Ausgangslage hat die Niere verschie-
dene Möglichkeiten, regulatorisch einzugreifen. Die beiden wichtigsten Mecha-
nismen sind:
• Bei Azidose wird das gesamte filtrierte Bikarbonat wieder rückresorbiert und Azidose
die entstandene Säure in Form von H+ (Wasserstoffionen) oder NH; (Ammo- Zustand mit erniedrigtem pH-Wert
niumionen) ausgeschieden.
• Bei Alkalose wird von dem filtrierten Bikarbonat ein entsprechender Teil nicht Alkalose
rückresorbiert, sondern mit dem Harn ausgeschieden. Zustand mit erhöhtem pH-Wert

Wie die Zellen des Magens sind auch die Zellen des Tubulussystems in der Lage,
H+-lonen auszuscheiden. Dies geschieht über einen Mechanismus, bei dem für
jedes H+-Ion, das aus den Zellen heraustransportiert wird, ein Na+-lon in die
476

Zellen hineintransportiert wird. Damit wird auf der einen Seite das für den
Körper wichtige Natrium rückresorbiert, auf der anderen Seite auch die nötige
Elektroneutralität des Transports gewährleistet.
Im Unterschied zur Natrium-Kalium-Pumpe (Na-K-Pumpe; s. oben), die auf
• basal der basalen Seite der Zellen liegt, ist die Natrium-Wasserstoff-Pumpe (Na-H-
an der Zellbasis, d. h. bei röhren- Pumpe) auf der luminalen Seite der Zellen lokalisiert. Da die Niere nur in einem
förmigen Organen gegen außen begrenzten Rahmen gegen einen H +-Gradienten arbeiten kann (bis pH 4,5), müs-
• luminal sen die in den Harn transportierten H'-Ionen gebunden werden. Ansonsten
an das Lumen angrenzend, d. h. gegen würde der pH-Wert von 4,5 ziemlich schnell erreicht, und es könnte kein weiterer
innen Transport erfolgen.
Um eine Übersäuerung des Harns zu vermeiden, stehen verschiedene Puffer-
systeme zur Verfügung: Natriumhydrogenphosphat, Bikarbonat und Ammonium
(Abb. 11-17 u. Abb. 11-18). Der pH-Wert des Harns bewegt sich durch Zusammen-
wirken der Säuresekretion und der Puffersysteme in den physiologischen Gren-
zen von pH 4,5 bis 8,2.
Die Bikarbonatrückresorption ist im Wesentlichen an die Sekretion von H '-
Ionen gekoppelt. Die im Tubulus vorhandenen HCO,-Ionen verbinden sich mit
H• -ronen zu H 2 CO,,das in H 2 0 und CO , zerfällt.
C0 kann leicht durch Membranen diffundieren. Es gelangt in die Tubulus-
2

zellen zurück. Dort entsteht in Verbindung mit H 0 wieder HCO~. Nach Um-
2

wandlung in NaHCOv unter Verwendung von Na+, das im Gegenzug zur H'-
Sekretion in die Tubuluszellen gelangt, wird das NaHC0 3 ins Blut abgegeben.
Die Regulation des pH-Werts im Blut erfolgt relativ rasch über die Aus-
atmung von C0 2 • Die Regulation über die Niere mit Säureausscheidung und Bi-
karbonatrückresorption verläuft langsam und kann sich über mehrere Tage er-
strecken.

Abb. 11-17.
Schematische Darstellung der H -Aus-
scheidung am Beispiel des Natrium- Nlerentubulus

phosphats. Das im Tubuluslumen vorhan-


dene Dinatriumhydrogenphosphat
(Na,HPO.l wird durch entsprechende
Abspaltung von Na+ und Anlagerung
von H• in Natriumdihydrogenphosphat
(NaH,P04 ) umgewandelt. Das mit CA be-
schriftete Dreieck stellt das Enzym Carbo-
anhydrase dar, das u.a. die Spaltung von
H,O zu Wund OW katalysiert. Das aus der
Spaltung entstehende OH-Ion verbindet
sich innerhalb der Zelle mit CO, zu HCO; ;
dieses wird an das Kapillarblut abgege-
ben. Das Schaufelrad stellt den Ort
des aktiven (energieverbrauchenden)
Transports über die Zellmembran dar
Physiologie der Niere · Kapitel11 · Nieren und ableitende Harnwege 477

Nierentubulus Abb. 11 -18 a, b .


Schematische Darstellung der pH -Regula-
tion am Beispiel der Bikarbonatrück-
resorption (a) und der pH-Regu lation un-
ter gleichzeitiger Stickstoffausscheidung
in Form von Ammo niumionen (NH;; b).
Das mit CA beschriftete Dreieck stellt das
Enzym Carboanhydrase dar, das u.a. die
Spaltung von H,O zu W und OW kata ly-
siert. Die Glutami nsäure (eine Amino-
säure) ist der Lieferant der Aminogruppe
NH.., die sich mit H+ zum Ammoniumion
8 (NH; l verbindet. Das Schaufelrad stellt
den Ort des aktiven (energieverbrauchen -
den) Transports über d ie Zellmembran dar

11.3.5 Gegenstromprinzip

In der Technik wird das Gegenstromprinzip häufig genutzt, deshalb soll ein klei-
ner Vergleich aus der Technik helfen, das Grundprinzip zu verstehen:
Legt man um ein Wasserrohr, durch das eine Menge von 10 ml Wasserimin
fließt, eine Heizmanschette mit einem Heizwert von 100 Cal!min, kann man die
Temperatur des Wassers maximal um 10°C erhöhen. Wird das Wasserrohr aller-
dings U-förmig gebogen, sodass die beiden Rohrteile einander eng anliegen,
kann vorübergehend eine wesentlich höhere Temperatur erreicht werden. Die
Heizquelle ist in diesem Beispiel am untersten Punkt des Us angeordnet. Auf die-
se Art kann das kalte absteigende Wasser vom warmen aufsteigenden Wasser des
anderen Schenkels bereits aufgewärmt werden. In der Region der Heizman-
schette kann so eine Temperatur von nahezu l00°C erreicht werden, obwohl das
ausfließende Wasser ebenfalls nur eine Temperatur hat, die 10°C über der Tempe-
ratur des einlaufenden Wassers liegt. Die relativ starke Erhöhung der Temperatur
im Bereich der Heizmanschette wird durch das sog. Gegenstromprinzip erreicht
(Abb. 11-19).
In der Niere kommt ebenfalls das Gegenstromprinzip zur Wirkung: Es basiert
hier v. a. darauf, dass über die Membranen des Tubulussystems zwar aktiv
478

Abb. 11 -19 a. b.
10~
Schema des Gegenstromprinzips am
Beispiel einer Heizmanschette (a) und
einer Heizkalotte (b) verdeutlicht. Bei ' -~eJ
•-
gleicher Heizleistung von 100 Cal/min
kann bei Ausnutzung des Gegenstrom-
• -·1
prinzips (b) die Temperatur am Kehrpunkt
• -•1
•-• •I
des U-förmigen Rohres vorübergehend
bis auf fast 1oo•c angehoben werden.

••
Bei einem reinen Durchlaufsystem ohne

·-- -~
Gegenstrom kommt es lediglich zu einer
Aufheizung von 30 auf 4o•c

Cl ~-G !J
~
f/ ~ ~~
a
, , , .. .._
Elektrolyte (v. a. Natrium) transportiert werden können, jedoch die aus dem
Mark wiederaufsteigenden Anteile der Henle-Schleife für Wasser ziemlich un-
durchlässig sind. Somit kann aus dem aufsteigenden Schenkel Natrium (Na') in
den absteigenden Schenkel der Henle-Schleife transportiert we rden, ohne dass
Wasser passiv nachfolgt.
Interstitium Durch das Gegenstromprinzip werden im Interstitium der Markpyramide os~
hier: Raum zwischen den Zellen motische Werte von bis zu 1.400 mosmol erreicht. Diese hohen Werte bilden wie-
des Nierenmarks derum die Grundlage für die Wasserrückresorption aus den Sammelrohren.
Erhöhen die Sammetrohre durch ADH- Wirkung ihre Permeabilität, folgt Wasser
dem osmotischen Gradienten und fließt ins Markinterstitium ein. Von hier wird
es mit dem Blut der Gefäße wieder in den Körper zurückgeführt.
Harn ist physiologischerweise stark hyp erton, d. h. er hat einen höheren os-
Hypertonie motischen Druck als das Blutplasma. Diese Hypertonie des Harns ist jedoch
mit höherem Druck als es der Norm nicht allein durch die Permeabilität der Samrnelrohre zu erreichen. Sie erfolgt da-
entspricht durch, dass gelöste Teilchen aktiv aus dem Harn entfernt und nach dem Gegen-
stromprinzip in den Markpyramiden konzentriert werden. Dadurch entsteht ein
Konzentrationsgradient zwischen dem Harn der Sammetrohre und dem Mark~
interstitium, der die treibende Kraft für das Eindringen des Wassers aus dem
Sammetrohr ins Mark darstellt (Abb. 11-20 ) . Der Wasserstrom ins Mark ist kein
aktiver Transportvorgang, sondern er folgt passiv durch den besteh enden osmo-
tischen Gradienten.
Physiologie der Niere · Kapitelll · Nieren und ableit ende Harnwege 479

Abb. 11 -20.
Darstellung der Wirkung des Gegenstrom-
prinzips im Nierenmark. Der aufsteigende
Schenkel des lntermediärtubulus führt
zwar intensiven Na • -Transport durch,
H,O kann jedoch nicht passiv folgen,
da die Wand für H,O undurchlässig ist.
Dadurch kommt es zu einer Anreicherung
von Na• im Interstitium des Marks auf
Werte von über 1.200 mosmol (1,2 osmol).
Das bedeutet, dass H,O aus dem Sammel-
rohr, das unter der Wirkung von antidiure-
t ischem Hormon (ADH) für H,O durch läs-
sig ist, dem Konzentrationsgradie'n ten ~
folgend ins Markinterstitium eindringen
kann. Von dort wird es mit dem Blut der
geraden Gefäße (Vasa recta) abtranspor-
t iert und bleibt somit dem Körper erhal-
t en. Eine wichtige Voraussetzung für das

--
Funktionieren des Gegenstromprinzips ist
Henle-Schleife Vasa recta Sammetrohr
also die Undurchlässigkeit des aufsteigen-
aktiver Transport, H2 0 folgt passiv nach
den Teils des lntermediärtubulus für
Wasser

11.3.6 Harnausscheidung (Diurese)


Hauptarten der Harnausscheidung
Je nach Ausgangslage im Körper werden 2 Hauptarten der Harnausscheidung (Diurese)
unterschieden: • Wasserdiurese
• Osmotische Diurese
Wasserdiurese
Im Hypothalamus (s. Kap. 5, Nervensystem) befinden sich spezifische Zellen, die ADH
auf osmotische Veränderungen des Plasmas reagieren. Bei Verdünnung des antidiuretisches Hormon
Plasmas, d. h. Ab sinken der Osmolalität des Plasmas durch Aufnahme großer
Wassermengen, verhindern diese Osmorezeptoren eine Ausschüttung des ADH,
sodass die Permeabilität der Sammelrohre für Wasser abnimmt. Auf diese Art
wird vermehrt Wasser ausgeschieden. Da die Halbwertszeit des ADH nur ca.
18 min beträgt, funktioniert dieses System innerhalb von ca. 15-20 min.

Das Trinken größerer Mengen hypotoner Lösungen bewirkt eine Erhöhung


der Wasserausscheidung. Dieses Phänomen wird als Wasserdiurese bezeichnet.

Alkoholische Diurese
Die alkoholische Diurese kann als Spezialfall der Wasserdiurese angesehen wer-
den. Nach Genuss von Alkohol wird die ADH-Ausschüttung in der Hypophyse
gehemmt. Dies ist eine direkte Wirkung des Alkohols, die im Unterschied zur
Wasserdiurese nicht über die hypothalamisehen Osmorezeptoren bewirkt wird.
Durch die verminderte ADH-Ausschüttung wird in den Sammelrohren die
Permeabilität nicht erhöht und vermehrt Wasser ausgeschieden.
480

Osmotische Diurese
Die osmotische Diurese ist das >>Gegenstück« zur Wasserdiurese. Sie tritt ein,
wenn zu viele osmotisch wirksame Teilchen im Harn zurückbleiben, d. h. nicht
rückresorbi ert werden. Diese Teilchen üben einen merklichen osmotischen Ef-
fekt aus, indem sie Wasser im Harn zurückbehalten. Durch die osmotisch wirk-
samen Teilchen verkleinert sich der osmotische Gradient zwischen Markinter-
Mannitol stitium und Sammelrohren, sodass aus den Sammelrohren weniger Wasser ins
ein süß schmeckender Zucker, mit Markinterstitium zurückdringen kann.
6 Kohlenstoffatomen; u.a. als Zuckerersatz Osmotische Diurese kann z. B. durch Mannitol, das filtriert, aber nicht rück-
für Diabetiker resorbiert wird, hervorgerufen werden, aber auch durch eine Überkonzentration
von normalen Filtratbestand teilen. So is t z. H. die beim Diabetes mellitus beste-
Polyurie hende Polyurie (mit daraus resultierendem verstärktem Durstgefühl) ein Ergeb-
übermäßige Harnausscheidung nis der osmotischen Diurese. Da das Glukosetransportmaximum (Tmg) der Niere
überschritten worden ist, ist im Harn mehr Glukose vorhanden, als rückresor-
Glukosurie biert werden kann (Giukosurie). Die in den Tubuli verbleibe nde Glukose hält
Ausscheidung von Glukose mit dem Harn Wasser zurück, sodass als Resultat vermehrt Harn ausgeschieden wird.

11.3.7 Endokrine Funktion der Niere

Juxtaglomerulärer Apparat
Am Gefäßpol des Nierenkörperchens sind verschiedene Zelldifferenzierungen
vorhanden, die man unter dem Begriff »juxtaglomerulärer Apparat<< zusammen-
Komponenten des juxtaglomerulären fasst Der juxtaglomeruläre App a rat setzt sich aus 3 Anteilen zusammen.
Apparats
• vaskuläre Komponente Vaskuläre Komponente
• tubuläre Komponente Kurz vor Eintritt der Arteriola afferens in den Glomerulus befindet sich in der
• mesangiale Komponente Wand des Gefäßes eine Spezialisierung, das Polkissen. Die Media (eigentlich aus
Muskelzellen aufgebaut) ist zu Epithelzellen modifiziert, die nur noch entfernt an
Myozyt Myozyten erinnern. Im Inneren dieser Zellen liegen Sekretgranula, die ein
glatte Muskelzelle (in der Gefäßwand) Hormon enthalten, das Ren in. Das Polkissen stellt die vaskuläre Komponente des
juxtaglomerulären Apparats dar (da es in der Gefäßwand liegt; Abb.u-21).

Abb. 11· 21 .
Der juxtaglomeruläre Apparat, dargestellt Reninzellen
- - - - - - distaler Tubulus

anhand einer Detailzeichnung aus der des Pol-


kissens dichter Reck
Region des Gefäßpols eines Nierenkörper-
(Macula densa)
chens (als Übersicht s. Abb. 11-6). Die
3 Bestandteile des juxtaglomerulären Ap- abiOhrendes
parats sind das Polkissen im zuführenden Gefäß
(Vas afferens) (Vas efferens)
Gefäß (links), der dichte Fleck (Macula
densa) im distalen Tubulus (Mitte) und die Bowman- - - -...,...
Kapsel
Lacis-Zellen (extraglomeruläres Mesan- Lacis-Zellen
(extra-
gium) zwischen zuführendem und ab- glomeruläres
füh rendem Gefäß (rechts). Die Zellen des Mesangium)

Polkissens enthalte n Ren in, das Teil des Glomerulus


(Kapillar·
Renin-Angiotensin-Aidosteron-Systems ist schlinge)
Physiologie der Niere · Kapitel 1 1 • Nieren und ableitende Harnwege 481

Tubuläre Komponente
In der Nähe des Polkissens liegt die tubuläre Komponente, die Macula densa, ei-
ne Differenzierung des distalen Tubulus. Dies ist eine Platte von Epithelzellen in
der Wand des distalen Tubulus, in der die Zellkerne relativ dicht beieinander ste-
hen (deshalb Macula densa: dichter Fleck). Die Macula densa transportiert
Natrium in eine Gruppe von Zellen, die zwischen den Zellen der Wand der
Macula densa und dem Polkissen liegen.

Mesangiale Komponente
Die Zellen, die zwischen Macula densa und A. afferens liegen, sind die Lacis-
Zellen, d. h. die Zellen des extraglomerulären Mesangiums; sie stellen die mesa n-
giale Komponente dar. Diese Zellen können die jeweilige Natriumkonzentration
registrieren. Bei zu geringer Natriumkonzentration stimulieren sie die Zellen des
Polkissens zur Abgabe von Ren in.
Sowohl Natriummangel als auch zu geringe Nierendurchblutung führen zu
einer Renmausschüttung aus dem Polkissen. Unter der Wirkung von Ren in wird
das im Blut zirkulierende Angiotensinogen in Angiotensin I umgewandelt. Angiotensin II
Angiotensin I wird durch ein Enzym (»Converting-Enzym«) in Angiotensin II ist die stärkste körpereigene blutdruck·
umgewandelt. steigernde Substanz

Angiotensin II wirkt auf 2 Arten: Auf der einen Seite setzt es Aldosteron aus der
Nebennierenrinde frei, da raus folgt eine vermehrte Natriumrückresorption.
Auf der anderen Seite ist Angiotensin II das stärkste heute bekannte blutdruck-
steigernde Mittel. Es wirkt v. a . lokal in der Niere, indem es die Wandzellen
der Arteriola efferens veranlasst, das Gefäßlumen zu verengen. Dadurch wird
der Filtrationsdruck im Glomerulus gesteigert.

Die vermehrte Natriumrückresorption durch Aldosteron bedingt auch eine pas- Aldosteron
sive Rückresorption von Wasser. Dadurch wird das Flüssigkeitsvolumen im Plas- Mineralocorticoid aus der Nebennieren-
ma erhöht. Dies verhindert die Eindickung des Blutes und erhöht indirekt den rinde, Substanz, die eine Erhöhung
Blutdruck. Ist der Natriumgehalt des Blutes zu gering wird auch zu wenig Wasser der Na-Rückresorption bewirkt
im Blut zurückbehalten, sodass das Blut bei Natriummangel dicker wird.

Erythropoietin
Zu den endokrinen Aufgaben der Niere gehört auch die Bildung des Hormons
Erythropoietin (EPO). Es wird in der Nierenrinde gebildet und stimuliert die
Erythrozytenbildung im Knochenmark. Erythropoietin ist ein Glykoprotein mit
einer relativen Molekülmasse von 30-400. Unter seiner Wirkung steigt die Anzahl
der zirkulierenden Erythrozyten. Die auslösenden Faktoren für die Sekretion des
EPO sind Anämie, Hypoxie sowie eine Erhöhung des Kobaltspiegels im Blut Anämie
(s. Kap. 6, Blut). Blutarmut durch Mangel an Hämoglobin
und/oder Mangel an roten Blutkörperchen
Vitamin-0-Hormon
In den Zellen des proximalen Tubulus wird aus einer bereits in der Leber umge- Hypoxie
bauten Form des Vitamin D, das Vitamin-D-Hormon gebildet, auch als zu tiefer Sauerstoff-Partialdruck
Cholekalziferol bezeichnet. Dieses Hormon ist gemeinsam mit Parathormon und im arteriellen Blut
Kalzitonin an der Regulation des Kalziumhaushalts beteiligt (s. Abschn. 12.6.2) .
482

11.3.8 Eigenschaften des Harns

Die Untersuchung des Harns gehört zu den Routinemethoden. Störungen im


Stoffwechsel äußern sich häufig in einer Änderung der Zusammensetzung, Farbe
oder Menge des Harns.
Menschlicher Harn ist normalerweise klar und gelblich. Beim Schütteln
schäumt er; wird er stehengelassen, kann sich ein leichter wolkiger Niederschlag
bilden. Harn enthält Spuren von Eiweiß, das von abgestoßenen Harnwegsepithel-
zellen stammt. Beim Abkühlen des Harns kann aus stark konzentriertem Harn
Urat ein Sediment von Urat ausfallen, das sich beim Erwärmen wieder löst.
Salz der Harnsäure Das spezifische Gewicht des Harns ist ebenfalls eine leicht zu untersuchende
Eigenschaft, die über die Konzentrationsfähigkeit der Nier Auskunft gibt. Das
spezifische Gewicht beträgt im Mittel J.Ot6- 1.o2o und kann bei extrem konzen-
triertem Harn bis auf 1.035 ansteigen. Heute sind häufig osmometrische Messun-
gen üblich, da sie wesentlich genauer sind. Die osmotische Konzentration kan n
bei einer Wasserdiurese bei 50 mosmol und bei einer Antidiurese bei 1.400 mos-
molliegen . Bei verschiedenen Formen der Nierenschädigung verliert die Niere
die Fähigkeit, die Harnkonzentration den Erfordernissen des Flüssigkeitshaus-
halts anzupassen. Das spezifische Gewicht des Harns entspricht dann der Osmo-
lalität des Ultrafiltrats (ca. 1. 010 = lsosthenu rie, ca. 290 mosmol).
Der pH-Wert des Harns liegt normalerweise bei 5,5. Je nach Kost kann er aber
auch bis auf 4,5 sinken oder über 8 steigen. Ein Anstieg ist z. B. bei rein vegetari-
scher Ernährung zu beachten, ein Abfall v. a. bei eiweißreicher Kost (wegen der
im Protein enthaltenen Aminosäuren).

Harnuntersuchung
Gängige Harnuntersuchungen
Für die normale Untersuchung des Harns stehen folgende Methoden zur Verfü-
• Eiweißprobe gung: Eiweißprobe, Zuckerprobe und Sedimentuntersuchung.
• Zuckerprobe Bei der Sedimentuntersuchung unterscheidet man normale und pathologi-
• Sedimentuntersuchung sche Bestandteile (Tabelle 11-2).
Mit Schnelltestmethoden (Teststreifen) lassen sich heute innerhalb von Mi-
nuten Aussagen über pH-Wert, vorhandene Bakterien, Blut, Zucker etc. machen.

Tabelle 11·2. Normale und pathologische Bestandteile bei der Sedimentuntersuchung

Normale Harnbestandteile Pathologische Harnbestandteile

Harnsäurekristalle (Urate) Erythrozyten (einzelne)

Kalziumoxalatkristalle Erythrozytenzylinder

Phosphat (z. B. Ammonium-Magnesium- Leukozyten (einzelne), Leukozytenzylinder


Phosphat)

Epithelzellen aus dem äußeren Epithelzellen der ab leitenden Harnwege


Geschlechtsbereich
Fragen und Zusammenfassung · Kapitelll ·Nieren und ableitende Harnwege 483

11.4 Fragen und Zusammenfassung zu Nieren


und ableitenden Harnwegen

Welches sind die harnbereiten- Die Nieren werden als harnbereitend, das Nierenbecken,
den und die harnableitenden der Harnleiter, die Harnblase und die Harnröhre als harn-
Organe? ableitend bezeichnet.

Welche Aufgaben haben die • Harnbereitung


Nieren? • Exkretion (z. B. Harnstoff, Harnsäure, Pharmaka etc.),
• Regulation des inneren Milieus (Wasser-Elektrolyt-
Haushalt, Säure-Basen-Haushalt) und
• Hormonsekretion (Renin, Erythropoietin, Vitamin -D-
Hormon).

Wo befinden sich die beiden Die beiden Nieren liegen retroperitoneallinks und rechts
Nieren und wie sind sie in ihre der Wirbelsäule. Die linke Niere liegt mit ihrem oberen Pol
Umgebung eingebaut? auf der Höhe der 11. Rippe, die rechte Niere auf der Höhe
der 12. Rippe. Die Nieren sind verschieblieh in die Umgebung
eingebaut. Zwischen Inspiration und Exspiration variieren sie
um 3-4 cm in ihrer Position. Sie werden v. a. durch das umge-
bende Fettgewebe in ihrer Position gehalten.

Was geschieht bei einer Dekap- Die Tunica fibrosa der Nierenkapsel wird von der Tunica sub-
sulation?Warum führt man eine fibrosa, mit der sie nur locker verbunden ist, abgestreift.
Dekapsulation durch? Nierenschmerzen werden nur über die Nierenkapsel wahrge-
nommen, das Nierenparenchym selbst enthält keine Schmerz-
fasern. Deshalb kann bei chronischen Nierenschmerzen
(z. B. durch Schwellung) die Dekapsulation Abhilfe schaffen.

Welche Nierenzonen kennen Die Nierenrinde enthält die gewundenen Anteile der Nephro-
Sie? Wie sind die Nierenzonen ne, die Nierenkörperehen sowie Gefäße. Das Mark besteht aus
aufgebaut? Markpyramiden, in denen sich die geraden Anteile der Neph-
rone (Henle-Schleife), die Sammelrohre und gestreckt verlau-
fende Gefäße befinden. Von den Markpyramiden verlaufen
Markstrahlen in die Rinde. Die Rinde umgibt die Markpyra-
miden vollständig, sodass diese isoliert sind.

Wo münden die Sammelrohre? Auf der Siebplatte münden die Sammelrohre der ca. 5-20 Mark-
pyramiden mit ihren Papillen in die Nierenkelche,
die ihrerseits Teil des Nierenbeckens sind.

Welche Nierengefäße sind für • A. afferens (zuführende Arterie),


die Primärharnbildung von be- • Glomerulus (Kapillarschlingen) und
sonderer Bedeutung? • A. efferens (abführende Arterie).
484 Was ist ein Nephron,
aus welchen Teilen besteht es?
Das Nephron ist die morphologische Baueinheit der Niere.
Es besteht aus:
• Nierenkörperehen (Corpusculum renis) mit Bowman -
Kapsel und Glomerulus,
• proximalem Tubulus mit Pars convoluta und Pars recta,
• Intermediärtubulus mit Pars descendens und Pars ascen-
dens sowie
• distalem Tubulus mit Pars recta und Pars convoluta.
Wie ist die Bowman-Kapsel
aufgebaut?
Die Bowman-Kapsel besteht aus einem dünnen parietalen
und einem zu Podozyten (Füßchenzellen) differenzierten
viszeralen Blatt. Die Podozyten sind Teil des Nierenfilters.
Was sind die funktionsspezifi-
schen Merkmale des proximalen Er hat auf der IuminaJen Seite einen ausgeprägten Bürsten-
Tubulus? saum (Mikrovilli) und auf der basalen Seite sehr deutliche
Interdigitationen und Einfaltungen, in denen sich Mitochon-
drien befinden (basale Streifung). Bürstensaum und basale
Streifung sind Ausdruck der hohen Transportaktivität des
proximalen Tubulus.
Was wissen Sie über den
Intermediä rtu bu lus? Der Intermediärtubulus ist der dünnste Teil des Nephrons,
er besitzt weder basale Streifung noch Mikrovilli . Mit seiner
Pars descendens (absteigender Teil) und seiner Pars ascen -
dens (aufsteigender Teil) ist er die morphologische Grund-
lage des Gegenstrommechanismus.

Wie ist der distale Tubulus


Er besitzt auf der luminalen Seite nur wenige Mikrovilli und
aufgebaut?
auf der basalen Seite eine noch deutlichere basale Streifung
als der proximale Tubulus, mit vielen Mitochondrien für die
Energieproduktion .

Was geschieht mit dem Harn, Er wird ohne weitere Verarbeitung (als Sekundärharn) von
der aus den Markpapillen den Nierenkelchen aufgenommen und in das Nierenbecken
träufelt? geleitet.

Welche Nierenbeckentypen Man unterscheidet ein dendritisches (englumig, verzweigt)


kennen Sie? von einem ampullären Nierenbecken (weitlumig, unver-
zweigt).
Wie sind die Harnleiter aufg~
Fragen und Zusammenfassung · Kapitelll · Nieren und ableitende Harnwege 485
baut?
Es sind ovale, röhrenförmige Hohlorgane mit einem Durch-
messer von ca. 4-7 mm. Sie verbinden die Niere mit der Harn-
blase und sind ca. 29-30 cm lang. Sie werden entsprechend
ihrem Verlauf in eine jeweils gleichlange Pars abdominalis
(Bauchteil) und eine Pars pelvina (Beckenteil) unterteilt.
Die Harnleiter sind aus einer Schleimhaut (Tunica mucosa),
einer Muskelhaut (Tunica muscularis) und einer bindegewebi-
gen äußeren Hülle (Adventitia) aufgebaut. Die Schleimhaut
besteht aus Übergangsepithel (mit Deckzellen und Crusta).
Die Muskelhaut besteht aus einer inneren Längs- und einer
äußeren Ringmuskulatur. Durch die Muskelschichten wird der
peristaltische Harntransport (3- bis 6-mal/min) ermöglicht.
Welche Engstellen im Harnleiter
kennen Sie? Warum können • Am Übergang vom Nierenbecken in den Harnleiter,
diese von Bedeutung sein? • am Übergang der Pars abdominalis in die Pars pelvina und
• beim Eintritt der Harnleiter in die Harnblase.
Diese Engstellen sind klinisch von Bedeutung, weil hier
Nierensteine festsitzen können.
Was ist die Funktion der Harn-
Die Harnblase dient der Sammlung des Harns zwischen
blase. Wie ist sie aufgebaut?
2 Entleerungen (Miktionen). Sie besitzt eine Schleimhaut,
eine Muskelhaut und Adventitia. Die Muskulatur ist 3schichtig
und wird als M. detrusor (Austreiber) bezeichnet. Die Harn-
blase liegt im kleinen Becken hinter der Schamfuge und ist
nur auf der Oberseite (cranial) von Peritoneum bedeckt.

Wie ist die Harnblase verschlos- Die Harnblase ist durch einen inneren glatten (M. sphincter
sen? Wie kommt es zu einer vesicae) und einen äußeren quer gestreiften Muskel
Harnblasenentleerung (M. sphincter urethrae) verschlossen. Sympathikuseinfluss
(Miktion)? Wie ist die normale führt zu einer Erschlaffung des M. detrusor und zu einer
Harnflussmenge pro Sekunde? Kontraktion des M. sphincter vesicae.
Parasympathikuseinfluss führt zum Austreiben des Harns.
Der Vorgang wird durch die Bauchpresse unterstützt.
Normalerweise sollten Harnflussmengen von 20 ml/s erreicht
werden.

Sie ist nur ca. 3-5 cm lang (deshalb leichter Aufstieg von
Wie ist die Urethra feminina
Bakterien in die Harnblase) und folgt in schwachem Bogen
(weibliche Harnröhre) aufge-
dem Hinterrand der Schamfuge. In das Lumen der Urethra
baut?
femininamünden muköse Drüsen (Glandulae urethrales).
Sie mündet unterhalb der Klitoris in den ScheidenvorhoL

Sie besteht aus einer Pars intramuralis (in der Harnblasen-


Aus welchen Teilstücken ist die wand), einer Pars prostatica (in der Prostata), einer Pars
Urethra masculina (männliche membranacea (im Beckenbodenmuskel, M. transversus pe-
Harnröhre) aufgebaut? rinei profundus) und einer Pars spongiosa (im Corpus spon-
giosum). Die Pars spongiosa mündet an der Penisspitze mit
der Fossa navicularis.
486
Beschreiben Sie das Nierenfilter!

Es besteht aus 3 Schichten:


1. dem Kapillarendothel mit Poren,
2. der glomerulären Basalmembran und
3. den Podozy ten mit ihren lnterdigitationen und dem
Schlitzdiaphragma.
Die durchschnittliche Porengröße des Nierenfilters beträgt
ca. 10 nm ( 1 Nanometer= 10 "mm). Wegen der elektrischen
Ladung der Filterporen können auch geladene Partikel, die
kleiner sind als 10 nm, nicht durch das Filter verloren gehen.
Albumin mit einer relativen Molekülmasse von ca. 6g.ooo
kann das Filter nicht passieren und erscheint nicht im Ultra-
filtrat. Bei Proteinurie ist das Nierenfilter defekt.
Was ist die treibende Kraft für
die Filtration und wie groß ist Der Nettofiltrationsdruck beträgt 15 mmHg. Er entsteht durch
sie? den Kapillardruck (so mmHg), von dem der Druck des Ultra-
filtrats (10 mmHg) und der onkotische Druck (25 mmHg) ab-
gezogen werden müssen.
Was ist die glomeruläre
Die glomeruläre Filtrationsrate ist die Menge Ultrafiltrat
Filtrationsrate (GFR)?
(Primärharn), die pro Minute gebildet wird. Sie kann durch
Wie kann sie berechnet werden?
die lnulinclearance berechnet werden (in der Praxis wird
Wie groß ist sie?
meist die Kreatinin-Clearance berechnet). Sie beträgt
125 ml!min (180 I Primärharn/Tag). Dementsprechend beträgt
der renale Plasmafluss (RPF) 700 ml/min und der renale
Blutfluss (RBF) 1.270 ml/min .

Was ist die Clearance? Die Clearance bezeichnet d ie Ausscheidungsfähigkeit der


Wovon hängt sie ab? Niere für eine gewisse Substanz. Die Größe der Clearance
hängt davon ab, wie die entsprechende Substanz im Tubulus-
system verarbeitet wird. Die Möglichkeiten sind:
• reine Filtration (Beispiel: Inulin),
• Rückresorption (Beispiel: Glukose) und
• Sekretion (Beispiel: Paraaminohippursäure, PAH).

Was versteht man unter der Die Durchblutung der Nierenrinde unterliegt einer myogenen
Autoregulation der Autoregulation, die durch Zusammenwirken der Muskulatur
im Vas afferensund Vas effe rens zustande kommt. Im Druck-
Nierendurchblutung?
bereich zwischen So und 200 mmHg verändern sich GFR, re-
naler Plasmafluss und renaler Blutfluss nicht. Die Markdurch-
blutung unterliegt nicht der Autoregulation, sodass ein er-
höhter Blutdruck zu einer Erhöhung des Harnflusses führt
(Druckdiurese) .
Fragen und Zusammenfassung· Kapitelll ·Nieren und ableitende Harnwege 487
Was versteht man unter dem
BegriffTransportmaximum
Die Rückresorption unterliegt der Transportmöglichkeit der
und was unter der Nieren-
Niere. Wenn diese erschöpft ist (Transportmaximum), er-
schwelle?
scheint die entsprechende Substanz im Harn (Nierenschwelle
ist erreicht). Die Nierenschwelle (Konzentration im Blut =
Menge pro Volumen) für Glukose beträgt 8,88 mmol/1. Das
Transportmaximum (transportierte Menge pro Zeiteinheit)
für Glukose beträgt 300 mg/min. Bei 8,88 mmol/1 Blut ist das
Transportmaximum der Niere erreicht, und Glukose kann
nicht mehr rückresorbiert werden; sie erscheint im Harn.
Was ist der minimale und was
der maximale Wert in Litern, Die Niere kann die gleiche Menge an gelöster Substanz in
in denen die Niere gelöste 500 ml oder in maximal 23 I (z. B. bei Diabetes insipidus) aus-
Substanz ausscheiden kann? scheiden. Dieser Wert hängt von der Menge an vorhandenem
Wovon hängt dieser Wert ab? ADH (antidiuretisches Hormon) ab.

Was schließt man aus der


Dass Wasser den rückresorbierten Primärharnbestandteilen
Tatsache, dass das Ultrafiltrat
passiv folgt.
bis zum Ende des proximalen
Tubulus isoton ist, obwohl große
Mengen an gelösten Substanzen
rückresorbiert worden sind?

Aufwelchen Fakten beruht Das Gegenstromprinzip basiert auf 2 Fakten:


das Gegenstromprinzip? 1. Der Intermediärtubulus transportiert aktiv Na ... vom auf-

steigenden in den absteigenden Schenkel.


2. Wasser kann nicht, wie sonst üblich, folgen, da dieser Teil

des Tubulus für Wasser undurchlässig ist.

Was istWasserdiurese? Sie beruht auf der fehlenden oder reduzierten Wirkung von
ADH (antidiuretisches Hormon). Über Osmorezeptoren wird
die Ausschüttung von ADH reguliert. Wenig oder kein ADH
hat Wasserdiurese zur Folge, da die Sammelrohrpermeabilität
reduziert oder aufgehoben ist.

Sie ist ein Spezialfall der Wasserdiurese, da Alkohol die Aus-


Was versteht man unter dem
schüttung von ADH vermindert. Dadurch kommt es zu einem
Begriff der alkoholischen
erhöhten Harnfluss.
Diurese?

Sie kommt durch zu viele osmotisch wirksame Teilchen im


Erklären Sie die osmotische
Harn zustande. Dadurch wird der Gradient zwischen Sam-
Diurese! melrohr und Markinterstitium reduziert, sodass weniger
Wasser diesem Gradienten folgend ins Mark einströmt. Das
kann u. a. bei Diabetes mellitus der Fall sein, wenn sich zu
viele Glukosemoleküle im Harn befinden.
488
Warum werden Wasser- und
Elektrolythaushalt in der Regel
Durch die Tendenz des osmotischen Ausgleichs an semiper-
gemeinsam erklärt?
meablen Membranen sind Wasser- und Elektrolythaushalt
immer eng miteinander verbunden.
Wie groß ist die täglich in der
Niere filtrierte Menge an Elektro-
Sie beträgt rund das wfache der im Extrazellularraum vor-
lyten?Was folgert daraus? handenen Elektrolytmenge. Entsprechend hoch ist die Rück-
resorptionsrate. Natrium nimmt eine zentrale Stellung ein .
10% des Grundumsatzes werden für die aktive Natriumrück-
resorptionbeansprucht (ca. 1,4 kg Natrium).
Wie wird die Elektroneutratlität
des Elektrolyttransports sicher- Die notwendige Elektroneutralität des Natriumtransports
gestellt? wird entweder durch passiv nachströmendes Cl- oder durch
im Austausch auf die Gegenseite transportiertes K' oder H+
ermöglicht.
Wie reagiert die Niere auf eine
Azidose, wie auf eine Alkalose? Bei azidotischer (saurer) Ausgangslage wird das gesamte
filtrierte Bikarbonat wieder rückresorbiert, und es werden
saure Valenzen in Form von H+ oder NH4+ (Ammonium-
ionen) ausgeschieden.
Bei alkalotischer (basischer) Ausgangslage wird vom filtrier-
ten Bikarbonat nur ein Teil rückresorbiert

ln welchen Bereichen bewegt


Der pH-Wert des Harns schwankt maximal zwischen 4,5 und
sich der mögliche pH-Wert des
8,2. Der Normalwert beträgt 5,5. Der limitierende pH-Wert für
Harns? Wo liegt der limitierende die Abgabe von H+ den Tubuluszellen beträgt 4,5.
pH-Wert für die Abgabe von W?

Aus welchen Bestandteilen Der juxtaglomeruläre Apparat besteht aus


besteht der juxtaglomeruläre • Polkissen (vaskuläre Komponente),
Apparat? Was ist seine Aufgabe? • Macula densa (tubuläre Komponente des distalen Tubulus)
und
• Lacis-Zellen (mesangiale Komponente).
Die Macula densa transportiert Na+ in den Bereich der Lacis-
Zellen. Bei zu geringer Na+-Konzentration lösen die Lacis-
Zellen an den Zellen des Polkissens die Sekretion von Renin-
granula aus. Renin bewirkt die Umwandlung von Angio-
tensinogen in Angiotensin I. Angiotensin I wird durch ein
Enzym (>>Converting-Enzym<<) in Angiotensin Il umgewan-
delt. Angiotensin II ist die stärkste blutdrucksteigernde Sub-
stanz des menschlichen Körpers. Sie bewirkt eine Regulation
des Filtrationsdrucks im Nierenkörperchen. Gleichzeitig wird
unter der Wirkung von Angiotensin Il Aldosteron aus der
Nebennierenrinde freigesetzt. Dies bewirkt eine Erhöhung
der Natriumrückresorption, das damit dem Körper weiterhin
zur Verfügung steht. Wegen der Koppelung der Natriumrück-
resorption und dem passiv nachfolgenden Wasser wird Renin
auch bei Blutverlust ausgeschüttet. Dadurch wird Wasser ver-
mehrt im Körper zurückbehalten; so kann wenigstens das
Fragen und Zusammenfassung · Kapitelll ·Nieren und ableitende Harnwege 489

Blutvolumen erhöht werden, bis durch entsprechende


Neubildung der verloren gegangenen Zellen das Volumen
wieder ausgeglichen wird.
Was ist Erythropoietin? Welche
Aufgabe hat es? Was löst seine Erythropoietin ist ein in der Niere produziertes Glykoprotein,
Bildung aus? das als Hormon wirkt. Es fördert die Bildung von roten
Blutkörperchen. Auslösende Faktoren für die Sekretion
von Erythropoietin sind Hypoxie, Anämie und die Erhöhung
des Kobaltspiegels im Blut.
Welches weitere Hormon wird
In den Zellen des proximalen Tubulus wird das Vitamin-D-
in der Niere produziert?
Hormon produziert. Es ist mit dem Parathormon und dem
Welche Aufgabe hat es?
Kalzitonin an der Regulation des Kalziumhaushalts beteiligt.
12 Endokrinologie

12.1 Regulation der Körperfunktionen 492

12.2 Endokrine Organe 493

12.3 Hormone 494


12.3.1 Einteilungsmöglichkeiten der Hormone 494
12.3.2 Regulationsmechanismen 497
12.3.3 Wirkmechanismen der Hormone 498
12.3.4 Medizinische Bedeutung der Hormone 500
12.3.5 Permissive Hormonwirkungen 500

12.4 Hypothalamus-Hypophysen-System 500


12.4.1 Hypophyse 500
12.4.2 Hypothalamus 501
12.4.3 Hormone des Hypophysenvorderlappens (Adenohypophyse) 502
12.4.4 Hormone des Hypophysenhinterlappens 507

, 2.5 Schilddrüse 51 0
12.5.1 Anatomie 51 0
12.5.2 Bau 511
12.5.3 Hormone der Schilddrüse 511
12.5.4 (-Zellen der Schilddrüse 515

12.6 Nebenschilddrüse 51 S
12.6.1 Lage und Bau 51 5
12.6.2 Hormon und Hormonwirkungen 516

12.7 Nebennieren 517


12.7.1 Lage und Entwicklung 517
12.7.2 Nebennierenrinde 517
12.7.3 Nebennierenmark 524

12.8 Endokrines Pankreas 525


12.8.1 Hormone des endokrinen Pankreas 526
12.8.2 Regulation der Blutzuckerkonzentration 527

12.9 Zirbeldrüse (Epiphyse) 529


12.9.1 Die Epiphyse und ihre Zelltypen 529
12.9.2 Wirkungen des Metatonins 529

12.10 Fragen und Zusammenfassung zur Endokrinologie 530


492

12 Endokrinologie

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
.,.. Das Prinzip der inneren Sekretion erklären
.,.. Den Begriff des Hormons definieren
.,.. Hormone in Stoffklassen einteilen
.,.. Das Regu lationsprinzip des hypothalamo-hypophysären Systems verstehen
.,.. Die 3 wichtigen Funktionsprinzi pien der Hormone beschreiben
.,.. Die einzelnen endokrinen Drüsen in Bau und Funktion erklären
.,.. Verschiedene Formen der Unter- und Überfunktion der Hormondrüsen erklären

12.1 Regulation der Körperfunktionen

Steuersysteme des Körpers:


Der menschliche Körper ist mit 2 Steuersystemen ausgestattet, die sämtliche
• Nervensystem Aktivitäten des Organismus regulieren und koordinieren. Das eine System ist
• endokrines System das Nervensystem (s. Kap. 5, Nervensystem). Das andere ist das endokrine
System. Es besteht aus einer Anzahl von Drüsen und Zellen, die Wirkstoffe zur
Regulation von Körperaktivitäten bilden. Diese Wirkstoffe nennt man Hormone.
Die Drüsen und Gewebe, die diese Hormone herstellen, bilden das endokrine
System. Die lehre von den Hormonen heißt dementsprechend Endokrinologie'.

Das Nervensystem kann man mit einer komplizierten technischen Einrichtung


vergleichen, in der Informationen auf dem Leitungsweg übertragen und verar-
beitet werden. Die Nachrichten werden als eine Folge von Nervenimpulsen über
die Nervenbahnen geleitet und lösen im Erfolgsorgan eine bestimmte, sofort er-
folgende, kurzdauernde Reaktion aus.
Das endokrine System kann demgegenüber mit einem drahtlosen Kommuni-
kationssystem verglichen werden. Der Inhalt der Nachrichten ist dabei in der
chemischen Struktur hochspezialisierter Substanzen verschlüsselt, die auf dem
Blutweg die Körperzellen erreichen und sie zu bestimmten Reaktionen veranlas-
sen. Die Auslösung der Reaktion benötigt in der Regel Zeit, die Reaktion selbst ist
vielfach von längerer Dauer.

' Das Wort Endokrinologie leitet sich aus dem C riechischen ab und bedeutet: die Lehre der
inneren Sekretion.
Endokrine Organe · Kapitel12 · Endokrinolog ie 493

12.2 Endokrine Organe

Die wichtigsten endokrinen Organe werden in diesem Kapitel behandelt


(Abb. 12-1). Dabei handelt es sich um folgende Organe:

Medizinischer Fachausdruck Deutscher Begriff

Hypothalamus Vegetativer Regelteil des Zwischenhirns


Hypophyse oder Glandula pituitaria Hirnanhangsdrüse
Epiphyse oder Corpus pineale Zirbeldrüse
Glandula thyroidea Schilddrüse
Singular. Glandula parathyroidea; Nebenschilddrüsen
Plural: Glandulae parathyroideae
Singular. Glandula suprarenalis; Nebennieren
Plural: Glandulae suprarenales
Pankreas Bauchspeicheldrüse

Weitere hormonproduzierende Organe werden in anderen Kapiteln behandelt,


z. B. die Keimdrüsen (Gonaden) im Kap. 13, Geschlechtsorgane und Fortpflan-
zung.

Abb. 12- 1.
Regulationszentrum
des Zwischenhirns Übersicht über die Lage der wichtigsten
fA&.U.:,--- -- - (Hypothalamus)
endokrinen Organe im menschlichen
Hirnanhangdrüse
Körper
Nebenschilddrüsen (Hypophyse)
(hinter der Schilddrü)s;;
e)l=====.;;;:;:;~pj1l..S::::.....,....._ _ _ _ Schilddrüse
(Giandula thyroidea)
(Singular:
Glandula parathyroidea)

a.,.....-1--!---- - - Nebennieren
(Singular:
Glandula suprarenalis)

Bauchspeicheldruse
bei der Frau: - - - - - i - - 1 - - 1 - -.,.",.r'
(Pankreas)
Eierstock (Ovar)

beim Mann: - - - - - + : - - . - t t - - -01


Hoden (Testis)
494

12.3 Hormone

Hormone sind Regulationsstoffe, die vom Körper in speziellen Organen (endo-


krinen Drüsen) hergestellt werden, über die Blutbahn ein oder mehrere Erfolgs-
organe erreichen und deren Stoffwechsel in spezieller Weise beeinflussen.

Für die Beeinflussung sind meist nur sehr geringe Hormonkonzentrationen not-
Mol wendig. In der Regel werden weniger als to-' mmol/1 (Millimol pro Liter) benö-
Einheit, die so viele Teilchen enthält, wie tigt, um eine spezifische Wirkung zu erzeugen. Von der absoluten Menge her ge-
es der relativen Molekülmasse in Gramm seh en sind das je nach relativer Molekülmasse von <1 ).lg ( 10 '' g) bis zu mehreren
entspricht; Millimol =tausendst e! Mol Milligramm (mg; 10- ' g).

12.3.1 Einteilungsmöglichkeiten der Hormone

Einteilung nach der chemischen Struktur


Aufgrund ihrer chemisch en Struktur unterscheidet man 3 Hauptgruppen von
Hormonen.

Steroidhormone
Hormoneinteilu ng nach der chemischen Dies sind Hormone, die alle vom Steranringsystem (Abb. 12-2a) abgeleitet sind.
Struktur Zu den Steroidhormonen gehö.r en v. a. die Geschlechtshormone und die Neben-
• Steroidhormone nierenrindenhormone (NNR-Hormone). Die gleiche Grundstruktur weisen aber
• Aminosäurederivate auch andere Substanzen auf, die nicht zu den Hormonen gerechnet werden, z. B.
• Proteo- und Pept idhormone Cholesterin, Vitamin D und Gallensäuren. Für die unterschiedliche Wirkung d ie-
ser Moleküle sind die Anzahl der C-Atome sowie die Bindungsart und die räum-
Steranring liche Verteilung der reaktiven Gruppen am Steranringsystem verantwortlich.
viergliedriges Ringsystem mit drei 6er-
Ringen und einem Ser-Ring Aminosäurederivate
Dies sind Hormone, die sich vom Grundbaustein der Proteine, d. h. den Amino-
Derivat säuren, ableiten. Dazu gehören so unterschiedliche Wirkstoffe wie Adrenalin und
von einem Stammmolekül abgeleitete das Schilddrüsenhormon (s. Abb. 12-2b), die sich beide aus der Aminosäure
Substanz Tyrosin ableiten.

Peptid- und Proteohormone


Das sind Hormone, die aus wenigen bis sehr vielen Aminosäuren zusammenge-
setzt werde n (s. Abb. 12-2c, d). Wenige Aminosäuren ergeben zusammengesetzt
ein Peptid, viele Aminosäuren ergeben zusammengesetzt ein Protein.
In diese Gruppe gehören z. B. die Hypophysenhormone, die Pankreashormo-
release ne, das Parathormon (Hormon der Nebenschilddrüse) und die meisten hypotha-
englisch, die Freisetzung

Einteilung nach dem Entstehungsort


Eine andere Einteilung der Hormone ist unter Berücksichtigung ihres Entste-
hungsortes möglich (Abb. 12-3). Diese Einteilung zeigt ein wesentliches Prinzip
der Endokrinologie, die Eigenregulation des endokrinen Systems. Unter Zuhilfe-
nahme dieser Einteilung ergeben sich 4 Gruppen von Hormonen .
Hormone· Kapitell2 · Endokrinologie 495

Abb. 12-2a- d.

_h_ _h_
I I
CH 3 Darstellung verschiedener Hormonarten.
I
C= O HO y 0 p~CH,- bH-COOH
NH 2
a Steranring der Stereidhormone
am Beispiel des Gelbkörperhormons
I I (Progesteron).
Thyroxin (T•)
b Beispiel zweier Hormone, die von

h _h_
I I Aminosäuren abgeleitet sind. Am T3
0 NH2

HO-v-0 p CH,-b..-COOH (Trijodthyronin) befinden sich 3 und am


T4 (Thyroxin) 4 Jodatome.

a c Beispiel zweier Peptidhormone, die aus


Progesteron b I Trijodthyronin (TJ)
9 Aminosäuren aufgebaut sind. Das

H we henauslösende Oxytozin unterscheidet


H
\. \. sich vom antidiuretischen Hormon
/ Cys -Tyr"'- / Cys - Tyr"'-
(Adiuretin) lediglich durch 2 Aminosäuren
S ile S Phe

I
s
+
Gin
I
S Gin
lle lsoleuzi n und Leu Leuzin beim
Oxytozin; am gleichen Ort sitzen

"" Cys

+
Asn / "-.. Cys - Asn /
beim Ad iuretin Phe Phenylalan in
und Arg Argin in.
d Das Bauchspeicheldrüsenhormon
Pro - Leu - Gl y - NH 2 Pro - Arg - Gly - NH 2
Insulin ist aus 2 Peptidketten aufgebaut,
c Oxytozin Adiuretin die über 2 Disulfidbrücken (5- S) miteinan-
der verbunden sind. Die verschiedenen
~H2 ~H2 ~H2 ~H2 Aminosäuren der Peptidketten sind
Gly-lle- Vai- Giu-Giu-Cys- 5 -S - Cys- Ser- Leu - Tyr - Giu- Leu - Giu- Asp- Tyr - Cys- Asp jeweils durch 3 Buchstaben gekenn-
r
I I I

?~ / 10 zeichnet
S A8 - Ser S

"I /
I I
Phe - Vai- Asp - Giu - His - Leu S Vai - Giu-Aia-Leu-Tyr -Leu-Vai - Cys - Giy
I
Cys Leu Glu
\_ / I
Gly - Ser - His ~rg
930 - Lys - Pro - Thr - Tyr - Phe- Phe - Giy
d Insulin

Releasingfaktoren oder Liberine


Der Hypothalamus (als Teil des Zentralnervensystems) stellt die Verbindung zwi- Hormoneinteilung nach dem
schen schnell arbeitendem Nervensystem und langsam arbeitender Hormon- Entstehungsort
steuerung her. In einigen Hypothalamuskernen (Ansammlung von Nervenzellen, • Releasingfaktoren
s. Kap. 5, Nervensystem) werden Neurosekrete (Releasingfaktoren oder Liberine) • Glandotrope Hormone
gebildet. Diese Hormone wirken auf den Hypophysenvorderlappen, der den an- • Effektorische Hormone
deren Hormondrüsen übergeordnet ist, indem sie die Neubildung und/oder Ab- • Gewebshormone
gabe von dort gespeicherten sog. glandotropen Hormonen (s. unten) auslösen. (aglanduläre Hormone)

Glandotrope Hormone
Mit dem Begriff glandotrop bezeichnet man Hormone, die >>drüsenwirksam« sind,
d. h. sie wirken auf die der Hypophysenwirkung unterstellten Hormondrüsen und
veranlassen diese, effektorische Hormone (s. unten) in die Blutbahn abzugeben.
496

Abb. 12-3.
- Hvoothalamus
Schema der Regulation im hypothalamo-
hypophysären System. Ein Liberin
(Releasinghormon) wird im Hypothalamus
freigesetzt, wirkt auf den Hypophysen-
vorderlappen, der seinerseits ein glando-
tropes Hormon freisetzt. Dies wiederum
wirkt auf eine untergeordnete periphere
Drüse, die selbst ein effektarisches
Hormon produziert, das im Zielorgan,
dem Gewebe, seine Wirkung entfaltet. glandotropes Hormon
Voraussetzung für diese Wi rkung ist das
Vorhandensein von Rezeptoren im
Gewebe. Der Blutspiegel des effektari- periphere Drüse

schen Hormons wirkt im Sinne einer


Rückkoppelung auf den Hypothalamus
elfektorisches Hormon
und führt dort zur Beendigung der
Liberinproduktion. Dieses Schema ver-
deutlicht die Einteilung der Hormone
nach dem Herkunftsort

Effektorische Hormone
effektarisch Die effektarischen Hormone (Drüsenhormone) schließlich wirken direkt auf die
eine Wirkung entfalten Gewebe der Zielorgane, da sie hier den Stoffwechsel der betroffenen Zellen be-
einflussen.

Gewebshormone
Die Gewebshormone (aglanduläre Hormone) gewinnen heute zunehmend an
Bedeutung, weil man ihre Funktionen immer besser versteht. Diese Hormone
werden mehr oder weniger diffus in verschiedenen Gewebearten gebildet und
entfalten im gleichen Gewebe oder in Nachbarorganen ihre Wirkung. Das Beson-
dere an di esen Gewebshormonen ist die Tatsache, dass sie vielfach in Organen
produziert werden, die andere Aufgabe n h ab en als die Ho rmonb ildung, d ie also
nicht zu den eigentlichen endokrinen Organen gerechnet werden.
Häufig werden in dieser Gruppe der Gewebshormone auch die gastrointesti-
nalen Hormone, z. B. Gastrin, Sekret in, Motilin, CCK etc. (s. Kap. 10, Verdauungs-
system) genannt, die allerdings nicht nur lokal sondern auch über den Blutweg
wirken und deshalb besser als aglanduläre Hormone bezeichnet werden.
Eine weitere Einteilung der Hormo ne - n ach ihrer Wirkung auf den Stoff-
wechsel - ist praktisch nicht möglich, denn einerseits erzeugen oft mehrere
Hormone ähnliche Stoffwechselwirkungen, andererseits werden die Stoffwech-
selwirkungen eines Hormons von fördernden oder hemmenden Einflüssen des
antagonistisch Nervensystems überlagert. Außerdem können antagonistische Hormonwirkun-
gegensätzlich, entgegengesetzt gen die typische Stoffwechselwirkung eines Hormons verdecken.
Hormone · Kapitel12 · Endokrinologie 497

12.3.2 Regulationsmechanismen

FÜI einen Teil der Hormone lässt sich entsprechend ihrer Wirkungsweise ein
Schema aufstellen, das einen 3-stufigen, hierarchischen Aufbau zeigt (Abb. 12-4):
An der Spitze steht ein Regulationszentrum, das sich im Hypothalamus be- Hypothalamus
findet. Ein hier von sekretorischen Nervenzellen gebildetes 1. Hormon, das als als oberster Regler im endokrinen System
Releasinghormon oder Liberin bezeichnet wird, gelangt in den Hypophysenvor-
derlappen und steuert dort die Bildung und Freisetzung (»release«) eines 2. Hor-
mons, des Hypophysenhormons. Dieses beeinflusst eine periphere (außerhalb
des Gehirns liegende) endokrine Drüse und wird deshalb glandotropes Hormon
genannt. Unter der Wirkung des glandotropen Hormons wird aus der peripheren
Drüse ein 3· Hormon freigesetzt, das sich mit dem Blutstrom über den ganzen
Körper verteilt und in den Zellen der Erfolgsorgane eine spezifische Reaktion
auslöst. Dieses Hormon wird als effektarisches Hormon bezeichnet.
Die Menge des zirkulierenden effektorischen Hormons, der Ist-Wert, wird im Dreistufiger Regelmechanismus
Hypothalamus gemessen und mit dem Soll-Wert verglichen. Je nach Resultat wer- • Releasinghormon
den dann vom Hypothalamus stimulierende Hormone (Releasingfaktoren oder • glandotropes Hormon
Liberine) oder hemmende Hormone (lnhibitingfaktoren oder Statine) an den • effektorisches Hormon
Hypophysenvorderlappen abgegeben, der dann mit einer Erhöhung oder Ernied-
rigung der Sekretionsrate des dazugehörigen glandotropen Hormons reagiert.
Damit ist der Regelkreis geschlossen (s. Abb. 12-4).
Andere Hormone unterliegen nicht diesem 3-stufigen Regelrnechanismus,
sondern werden vielfach direkt über die Menge des gebildeten Hormons oder die
dadurch bewirkte Stoffwechselreaktion gesteuert. Für diese Hormone werden bei
der folgenden Beschreibung entsprechende Beispiele genannt.

Abb. 12-4 .
Soll· Wert
Liberin
Konkretes Beispiel der Hormonregulation
mit dem Hypothalamus als Regler. Hier
Ist-Wert Hypothalamus
wird der Soli-Wert mit dem Ist· Wert des
Hormons verglichen. Im Falle eines Hor-
mondefizits wird Liberin freigesetzt, das
auf die Hypophyse wirkt. Die Hypophyse
Hormon· setzt z. B. ACTH (adrenokortikotropes
rezeptoren
Hormon) frei, das auf das geregelte
System (Blut mit der peripheren Drüse,
in diesem Beispiel die Nebennierenrinde)
Regelgröße
Hormonspiegel einwirkt. Die Regelgröße (Hormon, z. B.
z.B. Kortisol· glandotropes Hormon
z. B. ACTH Kortisol als Antwort auf das ACTH) wirkt
konzentration
über Rezeptoren auf das Gewebe. Die
geregeHes System: nicht an Rezeptoren gebundene Hormon-
menge wird im Hypothalamus zum Ver-
periphere DrOse gleich des Soll-Werts mit dem Ist-Wert ver·
(z .B. Nebennieren·
rinde) wendet
Hormoninaktivierung
Damit Hormone nicht durch ständige Bildung (Synthese) und Abgabe an die
Blutbahn im Körper zu hohe Konzentrationen erreichen, werden sie vielfach
durch Veränderung im Erfolgsorgan unwirksam gemacht (inaktiviert). Sie kön-
nen aber auch in der Leber durch Umbau in verwandte Stoffe inaktiviert oder mit
dem Harn ausgeschieden werden.

12.3.3 Wirkmechanismen der Hormone

Der eigentliche Wirkungsort der Hormone ist die Zelle und deren Stoffwechsel.
Es lassen sich dabei 3 Eingriffe in den Stoffwechsel unterscheiden:

Hormone können die Permeabilität der Zellmembranen oder der Membranen


subzellulärer Partikel (z. B. Lysosomen) verändern. Dadurch wird die Stoffaufnah-
me in die Zelle oder die Abgabe von Zellinhalt in den Extrazellulärraum erhöht.

Permeabilität Hormone können verschiedene, bereits in den Zellen vorhandene, inaktive Enzy-
Durchlässigkeit me aktivieren. Damit werden diese Enzyme in Gang gesetzt und führen die von
ihnen abhängigen Stoffwechselreaktionen durch. Die Erhöhung der Membran-
durchlässigkeit und die Enzymaktivierung erfolgen in allen Erfolgsorganen
mehr oder weniger unabhängig vom Hormon auf die gleiche Art: Es wird an der
cAMP Zellmembran eine Substanz aktiviert, das cAMP, das seinerseits die weiteren
zyklisches Adenonsinmonophosphat Vorgänge in der Zelle auslöst.
Die unterschiedliche Wirkung der einzelnen Hormone beruht dann einer-
seits auf dem Rezeptor (s. unten) der entsprechenden Zelle und andererseits auf
dem durch das cAMP ausgelösten intrazellulären Mechanismus. Die Zellen rea-
gieren also, trotz in vielen Fällen identischer cAMP-Auslösung, mit der Aktivie-
rung unterschiedlicher Enzyme.

Hormone können im Zellkern die auf den Chromosomen liegenden Gene akti-
mRNA vieren. Dies führt zur Bildung von mRNA (s. Abschn. 2.3.2). mRNA-Synthese und
Messenger-Ribonukleinsäure Proteinsynthese (z.B. Enzymsynthese) sind aneinander gekoppelt. So kann die
intrazelluläre Enzymkonzentration durch Ankurbelung der Enzymproduktion
erhöht werden. Bei der Genaktivierung verbindet sich das Hormon im Zellkern
mit einem Proteinmolekül (Suppressor), das die DNA auf den Genen verdeckt,
sodass sie nicht abgelesen werden können. Durch die Verbindung des Hormons
mit dem Protein wird das Gen »frei« und die Bildung von mRNA ermöglicht.

Zielorgane und Rezeptorwirkung


Die meisten Hormone wirken nur auf bestimmte Organe und Gewebe, die man
selektiv Ziel- oder Erfolgsorgane nennt. Der Grund für diese selektive Wirkung liegt dar-
auswählend, gezielt in, dass nur die entsprechenden Organe und Gewebe in ihren Zellen und Zell-
membranen Moleküle besitzen, die in der Lage sind, mit dem Hormonmolekül zu
reagieren.
Hormone · Kapitel12 · Endokrinologie 499

Diese Moleküle nennt man Rezeptoren. Treten die Rezeptoren mit dem Hor- Rezeptor
mon in Verbindung, löst dies meist eine typische Reaktion in den Zellen aus. So hier: spezifisches Memb ranmolekül,
wird z. B. unter der Wirkung von Adrenalin an den Leberzellmembranen zykli- das Signale empfängt und in den Zellen
sches Adenosinmonophosphat (cAMP) gebildet, das in den Leberzellen die Phos- Wirkungen auslöst
phorylase aktiviert. Phosphorylase führt dann zum Abbau des Leberglykogens
(Abb. 12-5).

Abb. 12-5.
Schema der möglichen Hormonwirkun-
gen auf zellulärer Ebene. Die Hormone
wirken an der Zellmembran über Rezep-
toren nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip.
Nur bei Vorhandensein des richtigen
Rezeptormoleküls kann das Hormon die
Bildung von cAMP (zyklisches Adenosin-
monophosphat) verursachen. cAMP kann
Steigerung vorhandene Enzyme aktivieren oder die
der Permeabilität
Zellmembrandurchlässigkeit (Permeabili-
Aktivierung von Enzymsystemen
(z.B. Phosphorylase. Upase) tät) steigern. Die Bildung von Enzymen,
die nicht vorliegen, kann über eine Bin-
dung des Hormons mit Repressoren im
Zellkern ausgelöst werden. Die Repres-
soren werden bei diesem Vorgang vom
Chromosom gelöst, sodass das entspre-
chende Gen abgelesen werden kann. Dies
führt zur Bildung von mRNA (messenger
Ribonukleinsäure) im Zellkern, der sog.
Transkription. ln das Zytoplasma ausge-
schleust, führt die mRNA an den Ribo-
somen zur Proteinsynthese. Unten rechts
ist dieser Vorgang anhand von 4 Riboso-
Proteinsynthese men abgebildet. Der entstehende Prorein-
faden ist rechts am längsten, da dort
schon die gesamte Information der mRNA
umgesetzt worden ist
(Translation, s. Kap. 2, Zytologie)
500

12.3.4 Medizinische Bedeutung der Hormone

Als Regulatoren des Stoffwechsels, des Wasser- und Elektrolythaushaltes, des


Wachstums, der sexuellen Entwicklung und der Sexualfunktion sind Hormone
lebenswichtige Wirkstoffe. Ihr völliges Fehlen führt in vielen Fällen zum Tode.
Viel häufiger als das völlige Fehlen von Hormonen tritt aber eine Unter- oder
Oberfunktion der Hormondrüsen auf. Das kann zu stark gestörten Organfunktio-
nen mit den entsprechenden Krankheitsbildern und z. I. lebensbedrohlichen Zu-
ständen führen. Daher ist die Funktionsprüfung der Hormondrüsen von großer
Bedeutung. Man bedient sich dazu hauptsächlich zweier Möglichkeiten:
1. quantitativer Hormonbestimmung im Blut und
2. Messung von hormonabhängigen Stoffwechselvorgängen.

12.3.5 Permissive Hormonwirkungen

Vielfach sind Hormonwirkungen direkt dosisabhängig, d. h. bei einer höheren


Konzentration wird eine stärkere Wirkung erzielt. Einige Hormonwirkungen er-
fol gen allerdings nicht aufgrundder Dosisabhängigkeit, sondern durch das Zu-
sammenwirken zweier Hormone. Das bedeutet, dass diese Hormone zum
Erreichen ihres optimalen Effekts ein zweites Hormon als Kofaktor bzw. als Vor-
bedingung ihrer eigenen Wirkung benötigen. Dieses Zusammen spiel nennt man
permissiv permissive Wirkung. Ein Beispiel dafür ist die permissive Wirkung von Kortisol
eng I. zulassend, ermöglichend auf den Gefäßtonus.
Der Gefäßtonus wird prinzipiell von Noradrenalin gesteuert, es muss jedoch
Gefäßtonus auch Kortisol (als Kofaktor) vorhanden sein, damit es zu einer optimalen Wir-
Spannung der Gefäßwand, die durch die kung kommt. Eine Erhöhung der Kortisolkonzentration über den Punkt, an dem
Wirkung der glatten Muskulatur hervorge- die Wirkung überhaupt eintritt, verstärkt die Reaktion jedoch nicht.
rufen wird
12.4 Hypothalamus-Hypophysen-System

Die vegetativen Regulationen der Körperfunktionen werden z. T. über das endo-


krine System und z. T. über das vegetative Nervensystem vermittelt. Das Zusam-
menspiel dieser beiden Systeme erfordert eine enge Koordination, für die der Hy-
pothalamus verantwortlich ist. Hier liegen die übergeordneten vegetativen Zen-
tren, die einerseits die Aktivität des Nervensystems (Sympathikus und Para-
sympathikus) und andererseits die Hormonabgabe der Hypophyse beeinflussen,

Hypothalamus und Hypophyse bilden eine übergeordnete Funktionseinheit für


verschiedene (nicht alle) hormonale Regulationen. Diese werden als Hypothala-
mus-Hypophysen-System (auch hypothalamohypophysäres System) bezeichnet.

12.4.1 Hypophyse

Die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) ist ein o,6 g schweres Organ, das in einer
Grube des Keilbeins (Os sphenoidale), der Hypophysengrube, liegt. Über den
Hypophysenstiel ist die Drüse mit dem Boden des Zwischenhirns (Dienzepha-
lon) verbunden.
Hypothalamus-Hypophysen-System · Kapitel12 ·Endokrinologie 50 1

Die Hypophyse gliedert sich in 2 Hauptanteile. Hypophysenanteile


Diese beiden Anteile sind entwicklungsgeschichtlich sehr verschieden ent- • Hypophysenhinterlappen (HHL) oder
standen. Die größere Adenohypophyse (Hypophysenvorderlappen, HVL) ist eine Neurohypophyse
abgeschnürte Ausstülpung des primitiven Rachendachs (Rathke-Tasche), die • Hypophysenvorderlappen (HVL) oder
Neurohypophyse (Hypophysenhinterlappen, HHL) ist aus einer Ausstülpung des Adenohypophyse
Zwischenhirnbodens (im Bereich des III. Ventrikels) entstanden. Zwischen Vor-
der- und Hinterlappen der Hypophyse lässt sich noch ein schmaler Zwischen-
lappen (Pars intermedial mit zahlreichen kleinen Zysten abgrenzen.
Das histologische Bild der Hypophyse ist durch ihre entwicklungsgeschicht-
liche Herkunft geprägt. Die Neurohypophyse besteht aus Gliagewebe, das von
marklosen Nervenfasern und Gefäßen durchzogen wird. Die Adenohypophyse
dagegen ist aus Epithelzellen aufgebaut, die zu größeren Verbänden zusammen-
gefasst und von Kapillaren umgeben sind. Aufgrund ihrer Anfärbbarkeit lassen
sich in der Adenohypophyse schon mit einfachen Methoden 3 verschiedene Zell-
typen darstellen:
• azidophile a-(Alpha- )Zellen (mit sauren Farbstoffen färbbar),
• basophile b-(Beta-)Zellen (mit basischen Farbstoffen leicht färbbar),
• chromophobe g-(Gamma-)Zellen (schwer bzw. gar nicht färbbar).

12.4.2 Hypothalamus

Der Hypothalamus (Teil des Zwischenhirns oder Dienzephalons) gliedert sich in Zelltypen der Adenohypophyse
einen Teil mit markreichen Nervenfasern, zu dem die Corpora mamillaria gehö- • Azidophile a -(Aipha-)Zellen
ren, und in einen Teil mit markarmen Fasern, der in der Nähe der Hypophyse lo- • Basophile ß-(Beta-)Zellen
kalisiert ist. Für die Regulation der vegetativen Funktionen ist v. a. der markarme • Chromophobe y-(Gamma-)Zellen
(aber zellreiche) Hypothalamus zuständig. Dementsprechend finden sich hier
mehrere Kerngebiete, d. h. Ansammlungen von Neuronen (Nervenzellen). Von Corpora mamillaria
diesen Nervenkernen im Bereich des Hypothalamus besitzen 2 eine besondere Singular: Corpus mamillare: erbsengroße
Bedeutung: Erhebungen auf beiden Seiten
• der Nucleus supraopticus, der oberhalb des Chiasma opt icum liegt, der Hi rn basis, Teil des Riechhirns
• der Nucleus paraventricularis, der dem 111. Hirnve ntrikel benachbart ist.
Chiasma opticum
Von beiden Kernen ziehen markarme Nervenfasern zum Hypophysenhinter- Sehnervenkreuzung
Iappen (Neurohypophyse). Ein in den Neuronen dieser Kerne gebildetes Neuro-
sekret, das Hormone bzw. deren Vorstufen enthält, wird auf dem Weg über diese Hirnventrikel
Nervenfasern zur Neurohypophyse transportiert. Hohlraumsystem im Gehirn
Der Hypophysenvorderlappen (Adenohypophyse) hat keine Nervenverbin-
dungen zum Hypothalamus, hier geschieht die Regulation auf dem Blutweg Auf die Neurohypophyse wirkende
(Abb. 12-6). Die Grundlage dafür liegt in der Kapillarversorgung der Adenohypo- Nervenkerne im Hypothalamus
physe. Die Kapillaren des unteren Hypothalamusgebiets münden in ein sog. • Nucleus supraopticus
Pfortadersystem, das sich im Hypophysenvorderlappen zu einem zweiten Ka- • Nucleus paraventricularis
pillarnetz verzweigt. Auf diesem Weg gelangen im Hypothalamus gebildete Hor-
mone (Releasingfaktoren/Liberine) in den Hypophysenvorderlappen. Die Relea-
singfaktoren werden ebenfalls in hypothalamisehen Ansammlungen von Ner-
venzellkörpern gebildet. Drei solche Kerngebiete oder Nervenkerne sind für die
Adenohypophyse wichtig (Abb. 12-7).
502

Abb.12·6. hypothalamisehe Geläße


Verbindung des Hypothalamus mit dem
Hypophysenvorderlappen (Adenohypo-
physe) über die Blutbahn. Beim Durch-
laufen des 1. Kapillarnetzes im Hypo-
thalamus werden liberine (Releasing-
hormone) ins Blut aufgenommen und
nach Transport über kurze Portalvenen
1. Kapillarnetz des ~==::::.1~~
in das 2. Kapillarnetz des Hypophysen· Portalkreislaufs
vorderlappens eingespeist. Hier wirken sie
induzierend auf die Bildung von glando- ,.__ , _____ lange Portalvenen
kurze Portalvenen der Hypophyse
tropen, gonadotropen oder effektarischen der Hypophyse
Hormonen. ln Analogie zum Portalkreis-
lauf der Leber (s. Kap. 10, Verdauungs-
Kapillarnetz im - - - -• -Vln..l"ll 2. Kapillarnetz des
system), bei dem auch 2 Kapillarnetze hin· Hinter1appen Portalkreislaufs
tereinander geschaltet sind, wird diese
Verbindung zwischen Hypothalamus und
untere Hypophysenarterie - - - - ;tl
Hypophyse auf dem Blutweg ebenfalls als (A_hypophysialis inferior)
Pfortadersystem bezeichnet

Abb. 12-7.
Darstellung hypothalamischer Kern- Area dorsalis

gebiete. Für die Verbindung mit dem


Nucfeus posterior
Hypophysenvorderlappen (Adenohypo-
physe) auf dem Blutweg sind der Nucleus
laterale Zone des
dorsomedialis, Nucleus ventromedialis +-+--- Hypothalamus
Nucleus anterior
und Nucleus infundibularis (blau) wichtig, Nucleus dorsomedialis

für die Verbindung des Hypothalamus mit Nucleus praeopticus ----..,~~----....'<>'f ----.,.r7J"9< - - - - - - Nucleus ventromedialis

dem Hypophysenhinterlappen (Neuro- Nucleus supraopticus

hypophyse) auf dem Nervenweg der Sehnervenkreuzung - ----,#--


(Chiasma opticum)
Nucleus supraopticus und der Nucleus
paraventricularis (gelb)
Hypophyse Nuclei tuberales

12.4.3 Hormone des Hypophysenvorderlappens

Auf die Adenohypophyse wirkende Bei der Hormonbildung im Hypophysenvorderlappen (Adenohypophyse) kön-
Nervenkerne des Hypothalamus nen histologisch 3 Zellarten unterschieden werden:
• Nucleus dorsomedialis Azidophile Zellen: Sie lassen sich mit sauren Farbstoffen gut farben (azido-
• Nucleus ventromedialis phil) und bilden Wachstumshormon (STH) und Prolaktin (PRL).
• Nucleus infundibularis
Basophile Zellen: Sie lassen sich mit basischen Farbstoffen gut färben (baso-
phil) und bilden das follikelstimulierende Hormon (FSH), das luteinisierende
Hypothalamus-Hypophysen-System · Kapite112 · Endokrinologie
503

Hormon (LH), das thyroideastimulierende Hormon (TSH) und das adrenokorti-


kotrope Hormon (ACTH).
Chromophobe Zellen: Sie sin<;l schwer anfärbbar (chromophob) und werden
als erschöpfte Sekretzellen in der Erholungsphase und als Reservezellen angese-
hen. Sie machen den größten Teil der Zellen im Hypophysenvorderlappen aus. Hormone des Hypophysenvorder-
Die Hormone des Hypophysenvorderlappens können ihrem Wirkungsort lappens
entsprechend unterteilt werden in (Abb. 12-8): • Glandotrope Hormone: TSH, ACTH
2 glandotrope Hormone (TSH und ACTH), • Gonadotrope Hormone: LH, FSH
2 gonadotrope Hormone (LH und FSH) sowie • Effektorische Hormone: STH,
3 effektarische Hormone (STH, Prolaktin und MSH). Prolaktin, MSH

Abb. 12-8.
Übersicht über die wichtigsten Zielorgane
der einzelnen Hormone sowie Darstellung
der Verbindung zwischen Hypothalamus
hypothalamisehe
Kerngebiete mit seinen Kerngebieten und dem
Hypophysenvorderlappen. Unten rechts
ist die Bauchspeicheldrüse eingezeichnet,
deren Hormon Insulin aufbauend auf
Muskulatur und Fett wirkt.
Thyroideastimulierendes Hormon (TSH)
und adrenokortikotropes Hormon (ACTH)
werden als glandotrope Hormone be-
~~r::J;::.:::::====~ Ponalvenen
(Verbindung mit zeichnet. Follikelstimulierendes Hormon
Kapillarnetz
des Vorderlappens) (FSH) und luteinisierendes Hormon (LH)
werden als gonadotrope Hormone be-
zeichnet, da sie auf die Geschlechtsdrüsen
(Gonaden) einwirken. Prolaktin, soma-
totropes Hormon (STH) und melanozyten-
stimulierendes Hormon (MSH) werden als
effektarische Hormone bezeichnet.
ln diesen Kerngebieten werden ADH +
Oxytozin STH-Liberin, LH-Liberin, TSH-
Liberin, FSH-Liberin und ACTH-Liberin ge-
bildet. Die links unten eingezeichneten
Pfeile stehen jeweils für ein entsprechen-
des Hormon. Aus der Schilddrüse sind es
Thyroxin und Trijodthyronin, aus der
Nebennierenrinde Mineralokortikoide,
Glukokortikoide und Androgene, aus dem
Hoden ist es Testosteron, und aus dem
Ovar sind es Östrogen und Progesteron,
die alle über den Blutspiegel auf Hypo-
BauchspeicheldrOse physe und Hypothalamus im Sinne einer
Rückkoppelung wirken
504

Glandotrope Hormone
Glandotrope Hormone Thyroideastimu lierendes Hormon (TSH)
• thyroideastimulierendes Hormon (T~H ) TSH stimuliert die Produktion und Abgabe von Schilddrüsenhormon. TSH ist
• adrenokortikot ropes Hormon (ACTH) das Musterbeispiel der hypothalamohypophysären Regulation, da sein Blutwert
relativ konstant gehalten wird - im Unterschied zu anderen Hormonen, die eine
wechselnde Konzentration aufweisen. Je nach Menge des ausgeschütteten Hor-
mons kann sich die Schilddrüse vergrößern oder verkleinern und mehr oder we-
niger Hormon produzieren (s. S. 514).

Adrenokortikot ropes Hormon (ACTH)


Die ACTH-bildenden Zellen werden auch als POMC-Zellen bezeichnet (Präopio-
melanocortin-Zellen), da sie ein großes Vorläuferprotein produzieren, aus dem
verschiedene Hormone abgespalten und bei Bedarf abgegeben werden. Zu diesen
Hormonen gehören neben dem ACTH das MSH (Melanozytenstimulierendes
Hormon; s. S. 506) und das ß-Endorphin (s. Kap. 5, Nervensystem).
ACTH, das wichtigste Spaltprodukt des Vorläuferproteins, stimuliert das
Wachstum der Nebennierenrinde (NNR) und fördert die Sekretion der Neben-
nierenrindenhormone. Es beeinflusst hauptsächlich die Sekretion der Glukokor-
tikoide (Kortisol und Kortikosteron) der Zona fasciculata und der Androgene der
Zona reticularis in der Nebennierenrinde, hat aber nur beschränkten Einfluss auf
die Bildung der Mineralokortikoide in der Zona glomerulosa (s. Abschn. 12.7.2,
Hormone der Nebennierenrinde). Da ACTH v. a. die Sekretion von Kortisol be-
einflusst, ist es nicht verwunderlich, dass die Kortisolmenge im Blut die Regel-
größe für die ACTH-Ausschüttung ist. Damit ist der Regelkreis geschlossen.

Gonadotrope Hormone
Gonadotrope Hormone In der Gruppe der glandotropen, also auf untergeordnete Hormondrüsen wir-
• follikelstimulierendes Hormon (FSH) kender Hormone, befinden sich 2 Hormone, die auch als gonadotrope Hormone
• luteinisierendes Hormon (LH) bezeichnet werden: LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (follikelstimulieren-
des Hormon). Sie werden deshalb als gonadotrop bezeichnet, weil sie auf die
Gonaden Gonaden wirken. Beide Hormone sind sowohl beim Mann als auch bei der Frau
Keimdrüsen (Hoden und Ovar) vorhanden und bei beiden Geschlechtern in ihrer Struktur identisch.

Follikelstimulierendes Hormon (FSH)


Follikel FSH bewirkt das Wachstum der Follikel im Eierstock (Ovar). Es führt zur Reifung
bläschenartiges Gebilde; hier: Reifestadien der Primär- in Sekundär- und Tertiärfollikel und regt damit die Östrogenpro-
der Eizelle duktion an. Beim Mann stimuliert dieses Hormon die Entwicklung der Hoden-
kanälchen und die Reifung der Spermien.

Luteinisierendes Hormon (LH)


LH bewirkt bei der Frau die Ovulation (Eisprung) und führt im zurückbleiben-
den Teil des Follikels zur Ausbildung eines Gelbkörpers (Corpus luteum) und da-
mit zur Synthese des Gelbkörperhormons (Progesterons). Beim Mann heißt das
LH »interstitial cell stimulating hormone« (ICSH); es regt die zwischen den
Hodenkanälchen gelegenen Leydig-Zwischenzellen zur Bildung von Testosteron
an (s. Kap. 13, Geschlechtsorgane und Fortpflanzung).
Hypothalamus-Hypophysen-System · Kapitel 12 ·Endokrinologie SOS

Effektorische Hormone
Vom Hypophysenvorderlappen werden neben den glandotropen (und gona- Effektorische Hormone
dotropen) Hormonen auch Hormone abgegeben, die effektarisch wirken, d. h. di- • somatotropes Hormon (STH)
rekt Gewebereaktionen hervorrufen (Adenohypophyse). • Prolaktin
• melanozytenstimulierendes Hormon
Somatotropes Hormon (STH) (MSH)
Das wichtigste effektarische Hormon ist STH, das Wachstumshormon.
Das STH ist ein typisches Beispiel für ein Proteohormon, es besteht aus einer
Kette von 190 Aminosäuren. Seine Wirksamkeit ist streng artspezifisch, sodass
etwa aus Rinderhypophysen gewonnenes STH beim Menschen wirkungslos
bleibt, obwohl sich nur wenige Aminosäuren im Rinder-STH vom menschlichen
STH unterscheiden.
STH besitzt ein sehr breites Wirkungsspektrum: Es steigert den Aminosäure-
transport durch die Zellmembranen und stimuliert die Bildung von Ribonuklein-
säuren und damit die Proteinsynthese. Es hat eine anabole Wirkung. Beim Ju- anabol
gendlichen steigert es die Aktivität des Epiphysenknorpels und damit das Län- aufbauend
genwachstum, indem es u. a. die Osteoblasten (Knochenbildungszellen) stimu-
liert. Die Wirkung auf die Knochen wird über Somatomedine bewirkt. Diese Po- Epiphysenknorpel
lypeptide werden unter dem Einfluss von STH in der Leber und der Niere gebildet Knorpel der Wachstumszone
und wirken stimulierend auf den EpiphysenknorpeL Außerdem haben die Soma- in den langen Röhrenknochen
tomedine eine insulinartige Wirkung (s. Abschn. 12.8, Endokrines Pankreas).
Beim Erwachsenen fördert STH das appositionelle Knoehenwaehstum. Die Appositionelles Knochenwachstum
volle Wirkung des STH wird aber nur erreicht, wenn gleichzeitig Schilddrüsen-, durch äußere Anlagerung erfolgendes
Nebennierenrinden- und Sexualhormone in physiologischen Konzentrationen Wachstum
vorhanden sind (permissive Wirkungen).
Somatotropes Hormon mobilisiert außerdem das Depotfett, es setzt Fettsäuren
frei und steigert die Fettverbrennung. Daneben hemmt es den Glukoseabbau, so
dass der Blutzuckerspiegel ansteigt, dessen Höhe im Hypothalamus gemessen wird.

5TH-Überschuss und STH-Mangel


Wird vor dem Schluss der Epiphysen zuviel STH produziert, kommt es zum • 5TH-überschuss
Riesenwuchs (Gigantismus). Dabei sind Körpergrößen bis über 2,40 m gemessen --+ Riesenwuchs
worden. ..... Akromeglie
Nach dem Schluss der Epiphysenfugen ist kein Längenwachstum mehr mög- • 5TH-Mangel
Lieh; die Folgen sind Knochen- und Weichteilvergrößerungen, die in ihrer Ge- ..... Minderwuchs
samtheit als Akromegalie bezeichnet werden (Abb. 12-9). Menschen, die unter
Akromegalie leiden, haben in der Regel vergrößerte Körperspitzen (Akren) wie
Hände und Füße, einen vergrößerten Unterkiefer (Progenie) sowie hyperostoti- hyperastatisch
sehe Skelettveränderungen. Weichteile und Eingeweide sind ebenfalls vergrö- zu viel Knochen bildend
ßert. Da die zu hohe Produktionsrate von STH meist durch Hypophysentumoren
hervorgerufen wird, ist auch die Hypophyse stark vergrößert. Dann kann durch
Druck auf die Kreuzung des N. opticus (Chiasma opticum), die über der Hypo-
physe liegt, auch das seitliche Gesichtsfeld eingeengt werden (bitemporale Hemi-
anopsie).
Ein Mangel an STH während der Wachstumsperiode führt zu normal propor-
tioniertem Minderwuchs und kann durch eine Unterfunktion der Hypophyse
(Hypopituitarismus, hypophysärer Minderwuchs) ausgelöst werden. Ein dispro-
portionierter Minderwuchs ist z. B. beim endemischen Kretinismus (durch Man-
gel an Schilddrüsenhormon) vorhanden.
506

Abb. 12-9.
Typisches Bild der Akromegalie, die durch
Wucherung der 5TH-bildenden Zellen des - - Gesichtsfeldveränderungen
(bitemporale Hemianopsie)'
Hypophysenvorderlappens entsteht. Es
wird nach Schluss der Epiphysenfugen zu-
' - - Prognathie und
r--' akromegales Gesicht
viel Wachstumshormon in den Körper ab- osteoarthritische - - - - - - r -
Wirbelveränderungen
gegeben, was zu den gezeigten Verände-
rungen führt. Durch den Druck des Hypo-
physenadenoms auf die Kreuzung des :r------ Gynäkomastie und Laktation
N. opticus (Chiasma opticum) kommt es
auch zu einer Einschränkung des Gesichts-
feldes auf den Seiten, die als Halbseiten-
blindheit (bitemporale Hemianopsie) be-
zeichnet wird (s. Kästchen unten rechts, in
vergrößerte Hände
dem die dunklen Hälften für die erblinde-
te Region stehen). Gynäkomastie ist eine
Brustentwicklung beim Mann, Laktation
bezeichnet die Milchproduktion, Progna-
thie einen vorstehenden Unterkiefer.
Hirsutismus bezeichnet eine starke
Behaarung bitemporale Hemianopsie'

vergrößerte Füße

Prolaktin
Prolaktin gehört ebenfalls zu den in der Adenohypophyse gebildeten Hormonen.
Es wird zwar sowohl beim Mann als auch bei der Frau gebildet, eine Funktion ist
jedoch nur bei der Frau bekannt. Prolaktin wirkt gegen Ende der Schwanger-
schaft auf die Brustdrüse und stimuliert dort die Milchproduktion. Vorausset-
zung für die Wirkung ist, dass während der Schwangerschaft unter dem Einfluss
von Östrogen und Progesteron bereits die Milchgänge und die sezernierenden
Endstücke des Drüsengewebes gebildet worden sind. Die gemeinsame Wirkung
aller 3 Hormone kann zu einer starken Vergrößerung der Brust führen.
Stillt eine Frau nach der Geburt ihr Kind vollständig, wirkt Prolaktin in den
ersten Monaten ovulationshemmend (Eisprung verhindernd). Diese schwanger-
schaftsverhütende Wirkung ist zwar meistens recht zuverlässig, aber nicht im-
mer. Eine überhöhte Prolaktinvermehrung (pathologisch) ist gelegentlich bei
jungen Frauen ein Grund für eine Sterilität. Diese kann durch prolaktinhem-
mende Medikamente beseitigt werden.

Melanozytenstimulierendes Hormon (MSH)


BeiAmphibien wird MSH v. a. im Hypophysenzwischenlappen (Pars intermedia) ge-
bildet und wirkt bei ihnen auf die Pigmentzellen der Haut (Melanozyten) ein. Am-
phibien können ihre Hautfarbe dem Untergrund anpassen, indem die Melanozyten
unter MSH-Wirkung ihre Ausläufer ausstrecken, sodass die Haut dunkler wird.
Hypothalamus-Hypophysen-System · Kapitel12 · Endokrinologie 507

Beim Menschen wird MSH, das während der ACTH-Produktion aus dem ge-
meinsamen Vorläuferprotein abgespalten wird, ebenfalls im Zwischenlappen,
aber auch im Vorderlappen gebildet. MSH hat beim Menschen allerdings nur eine
sehr untergeordnete Bedeutung für die Pigmentierung der Haut. Eine Stimula-
tion der Melanozyten (s. Abb. 14-3) mit vermehrter Pigmentbildung geschieht
v. a. durch UV-Strahlen (s. Kap. 14, Haut und Anhangsorgane) .
Eine massive Überproduktion an ACTH (z. B. bei M. Addison, s. Abschn.
12.7.2) bewirkt durch die oben erwähnte Koppelung an die MSH-Bildung aller-
dings auch beim Menschen eine verstärkte Pigmentation der Haut und der
Mundhöhlenschleimhaut.

12.4.4 Hormone des Hypophysenhinterlappens

Vom Hypophysenhinterlappen (HHL, Neurohypophyse) werden 2 Hormone ab- Hormone des Hypophysenhinterlappens
gegeben, die direkt auf periphere Organe einwirken. Da keine weitere Drüse in • Antidiuretisches Hormon (AOH)
den hormonalen Regelkreis eingeschaltet ist, zählen beide Hormone zu den ef- • Oxytozin
fektorischen Hormonen. Diese 2 Hormone sind das antidiuretische Hormon oder
ADH und Oxytozin (gelegentlich auch als Ozytozin bezeichnet).
Beide Hormone werden im Hypothalamus in den Kerngebieten des Nucleus
supraopticus und des Nucleus paraventricularis gebildet; sie werden auf dem
Nervenweg, d. h. über die Axone der Nervenzellen, in die Neurohypophyse trans- Axon
portiert (Abb. 12-10), wo sie gespeichert und bei Bedarf abgegeben werden. Die Neurit= vom Nervenzellkörper aus-
Neurohypophyse bildet also selbst keine Hormone, sondern setzt sie nur bei gehende Nervenfaser
Bedarf frei.

Abb. 12-10.

Nucleus Verbindung zwischen dem Hypothalamus


paraventricularis und dem Hypophysenhinterlappen
Nucleus (Neurohypophyse). Die im Nucleus supra-
supraopticus
opticus und im Nucleus paraventricularis
gebildeten Hormone (ADH und Oxytozin)
werden über Nervenfasern in den Hypo-
Axone, verbinden
physenhinterJappen geleitet, wo sie bei
zwischen Hypo-
thalamus und Hypophysenstil Bedarf freigesetzt werden können
Hypophyse

Hintertappen -----~ ~---- Mittellappen


(Neurohypophyse) (Pars intermedial

Kolloidzysten :___ _ _ _ Vorderlappen


des Mittelteils (Adenohypophyse)
508

Antidiuretisches Hormon (ADH)


Das ADH ist ein Peptidhormon, das aus 9 Aminosäuren besteht. Es wird wegen
seiner Wirkung auf die Nierenfunktion als antidiuretisches Hormon bezeichnet.
• ADH fördert Harnkonzentrierung Seine Aufgabe besteht darin, die Harnkonzentrierung zu fördern (s. auch Kap. 11,
• Kontrolle der Hormonwirkung über Nieren und ableitende Harnwege).
Barorezeptoren und Osmorezeptoren
Die Kontrolle über die Hormonwirkung erfolgt 2fach:
• über Barorezeptoren (Druckrezeptoren) in den Vorhöfen des Herzens und
• über Osmorezeptoren im Hypothalamus, die laufend den osmotischen Druck
des Blutes überwachen.

Der osmotische Druck des Blutes ist vom Wassergehalt des Blutes stark abhängig.
Somit wird die ADH-Wirkung über das Blutvolumen und über den osmotischen
Druck des Blutes kontrolliert. Dabei genügt ein e Zunahme des osmotischen
Drucks um 1%, um eine vermehrte ADH-Ausschüttung zu veranlasse n.
Das ADH erhöht die Permeabilität am distalen Tubulus und am Sammetrohr
(s. Abschn. 11.3.4), sodass vermehrt Wasser in das Interstitium (Zwischenzell-
raum) und damit in das Blut aufgenommen wird. Daraus folgt eine Verminde-
rung des osmotischen Drucks. Als Resultat kommt es zu Wirkungen auf den
Hypothalamus, die zu einer Verminderung der ADH-Bildung und -Ausschüttung
führen. Beide werden also über die Soll-Wert-Kontrolle des osmotischen Drucks
im Hypothalamus reguliert.

ADH -Mangel ADH-Mangel


• führt zu großen Harnmengen Unterfunktion bzw. ADH-Mangel führt zum Diabetes insipidus. Bei dieser auch
• großer Wasseraufnahme Wasserharnruhr genannten Krankheit kann es zu Harnmengen bis zu 23 I/Tag
(Diabetes insipidus) kommen. Die Betroffenen leiden unter unstillbarem Durst. Damit derartige
Patienten aufgrund des Flüssigkeitsverlustes nicht verdursten, müssen sie die ab-
gegebene Flüssigkeitsmenge durch konstantes Trinken ausgleichen.Als einfaches
Peptidhormon kann ADH in ausreichenden Mengen synthetisch produziert wer-
den, sodass Diabetes insipidus heute eine therapierbare Krankheit ist. Bei genü-
gend hohem ADH-Spiegel im Blut beträgt die tägliche Normalharnmenge ca.I,5l.
Die Bildung von ADH wird durch Angst, Schmerz, Nikotin etc. stimuliert und
durch Alkohol gehemmt (alkoholische Diurese; s. Kap. 11, Nieren und ableitende
Harnwege).

Oxytozin
Oxytozin bewirkt Das zweite Neurohypophysenhormon ist Oxytozin (Ozytozin). Es ist ein dem
• Kont raktionen der Uterusmuskulatur ADH ähnliches Hormon, bei dem lediglich 2 Aminosäuren anders sind. Ebenso
undWehen wie ADH wird auch Oxytozin im Hypothalamus gebildet und gelangt auf dem
• Milchabgabe aus der Brust Nervenweg in die Neurohypophyse; von dort wird es bei Bedarf abgegeben.
Oxytozin bewirkt die rhythmischen Kontraktionen der glatten Uterusmus-
kulatur, die Wehen gegen Ende der Schwangerschaft, die schließlich zur Austrei-
bung des Kindes führen. Der Beginn dieser Kontraktionen wird wahrscheinlich
durch die Konzentration der weiblichen Sexualhormone bestimmt, die gegen
Zervix Ende der Schwangerschaft stark ansteigt. Sobald im Zervixbereich des Uterus
Hals (s. Kap. 13, Geschlechtsorgane und Fortpflanzung) durch mechanischen Kontakt
Rezeptoren angeregt werden, führt dies über das Nervensystem zur Oxytozinaus-
Schilddrüse · Kapitel 12 · Endokrinologie 509

schüttung (Abb. 12- 11). Auf dem Blutweg gelangt das Oxytozin zur glatten Mus-
kulatur der Gebärmutter (dem Myometrium) und veranlasst diese zu Kontrak-
tionen, die dann zur Austreibung des Kindes während der Geburt führen.
Inzwischen wird auch ein anderer Auslösemechanismus für den Geburtsvor-
gang diskutiert: Das Kind produziert gegen Ende der Schwangerschaft eine grö-
ßere Menge an ACTH, das auf die Nebennierenrinde wirkt. Dort werden Gluko-
kortikoide produziert, die in die Plazenta gelangen und die Sekretion von Pro-
gesteron reduzieren, aber auch die Bildung von Prostaglandinen induzieren. Die-
se wirken auf die Muskulatur der Gebärmutter und lösen die Gebärmutterkon-
traktionen, also die Wehen, aus.
Eine weitere Funktion des Oxytozins ist die Beeinflussung der Milchabgabe Auslösung der Milchabgabe:
aus der Brustdrüse. Durch Prolaktin wird gegen Ende der Schwangerschaft die • durch Oxytozin
Synthese der Milchsekrete in Gang gesetzt. Taktile Reize (z. B. Saugen) lösen den • vermittelt über taktile Reize

Abb. 12-11 .
Schematische Darstellung der Oxytozin-
wirkung. Taktile Reize, die über das
Rückenmark bis in die Region des Hypo-
thalamus geleitet werden, lösen die
Sekretion von Oxytozin aus. Dieses ge-
Transport von Oxytozln
in den Axonen
langt über die Blutbahn an die Uterus-
muskulatur, wo es Wehen auslöst oder an
die Myoepithelien der Brustdrüse, die es
zur Kontraktion veranlasst, wodurch die
Milch ausgetrieben wird

Kontraktion der
Myoepithelzellen
~

afferenter Impuls
von der Brustwarze

Auslösung
derWehen

afferenter Impuls
vom Gebärmutterhals
510

Milchaustreibungsreflex auf dem Nervenweg aus. Es wird vermehrt Oxytozin


Myoepithelien ausgeschüttet, wodurch die Myoepithelien der Brustdrüse zur Kontraktion und
Zellen in Drüsenendstücken damit zur Milchaustreibung anregt werden. Dies erleichtert dem Säugling den
Saugvorgang.

12.5 Schilddrüse

12.5.1 Anatomie

Anteile der Schilddrüsen: Die Schilddrüse (Glandula thyroidea) besteht aus 2 ovalen Drüsenlappen, die auf
• linker Lappen beiden Seiten der Luftröhre in Höhe des 2.- 4. Trachealknorpels liegen und teil-
• rechter Lappen weise direkt an den Schildknorpel des Kehlkopfes angrenzen (Abb. 12-12). Diese
• Isthmus beiden Drüsenlappen sind über eine schmale Gewebebrücke, den Isthmus, auf
• Pyramidenlappen der Vorderseite der Luftröhre miteinander verbunden. Aus dem Isthmus steigt in
(nicht immer vorhanden) 50% der Fälle noch ein schmaler ))Pyramidenlappen«, der Lobus pyramidalis,
nach oben in Richtung Zungenbein.
Die Schilddrüse entsteht während der Entwicklung des Embryos aus einer
Vertiefung im Zungenbereich, die sich als Ductus thyroglossus (Zungen-Schild-
drüsen-Gang) bis auf die Höhe des 2.- 4. Trachealknorpels senkt und dort die bei-
den Schilddrüsenlappen und den Isthmus bildet. Der Lobus pyramidalis, wenn
vorhanden, ist ein Überbleibsel aus diesem Entwicklungsablauf. Im Bereich der
Zunge bleibt zeitlebens das Foramen caecum (blindes Loch) bestehen, das den
Abgangsort des Ductus thyroglossus markiert.
Sonographie Individuell schwankt die Größe der Schilddrüse. Das sonegraphisch be-
Ultraschalldiagnostik stimmte Volumen der Schilddrüse beträgt bei Frauen im Durchschnitt 20 ml und
bei Männern 25 ml.

Abb. 12-12.
Zungenbein
Ventralansicht der Organe der Halsregion (Os hyoideum)
mit den Lagebeziehungen von Schild-
drüse (Giandula thyroidea), Blutgefäßen
und Luftröhre Cfrachea). Der vom mittle- '-• •- -- - - obere
Kehlkopf - - - - - Schilddrusenarterie
renDrüsenteil (Isthmus) nach oben verlau- (Larynx) (A. thyroidea superior)
fende Strang ist nicht immer ausgebildet.
Schilddrüse
Es ist der Pyramidenlappen, der als Rest (Giandula
Seiten· - -f:.-
thyroidea) lappen
der Schilddrüsenentwicklung aus dem
Zungen-Schilddrüsen-Gang (Ductus thy-
untere Schilddrusen·
roglossus) gelegentlich bestehen bleibt arterie
(A. thyroidea
inferior)

Schilddrüsenvenen

1 1 - - - - - - X. Hirnnerv
(N. vagus)
Schilddrüse · Kapitel12 ·Endokrinologie 511

12.5.2 Bau

Das Drüsengewebe besteht aus bläschenförmigen Follikeln, die unregelmäßig ge-


staltet sind. Die Wand dieser Follikel wird aus einem geschlossenen einschichti-
gen Epithel gebildet. Im Inneren der Follikel befindet sich eine homogene Masse,
das Kolloid, in dem die Schilddrüsenhormone enthalten sind. Diese werden in Kolloid
den Epithelzellen der Follikel gebildet und in die Follikel in einer Speicherform, Zustandsform einer Substanz mit
dem Thyroglobulin abgegeben, das in seiner Gesamtheit das Kolloid ausmacht. gleichmäßiger Verteilung kleinster Partikel
Bei Bedarf kann das Kolloid verflüssigt werden, wobei die an das Thyroglobulin
gebundenen Hormone abgespalten werden. Inaktive Follikel zeichnen sich durch Thyroglobulin:
ein flaches Epithel und große Mengen an homogen verteiltem Kolloid aus. Speicherform der Schilddrüsenhormone
Sekretorisch aktive Follikel haben demgegenüber ein hohes Epithel und ein va- (T,, T4 ) in Verbindung mit einem Protein
kuolisiertes Kolloid. Entsprechend ihrer Funktion - als endokrine Drüse - ist die
Schilddrüse reichlich mit Gefäßen versorgt (Abb. 12-13).

12.5.3 Hormone der Schilddrüse

Von den Follikelepithelzellen werden 2 Hormone gebildet, die für den Stoffwech-
sel des gesamten Körpers von größter Bedeutung sind:
• Thyroxin (Tetrajodthyronin, T 4 ) und
• Trijodthyronin (TJ

Die beiden Hormone Thyroxin und Trijodthyronin leiten sich von der Amino- Schilddrüsenhormone
säure Ty rosin ab. T 3 enthält 3 und T 4 4 Jodatome (s. Abb. 12-2b). Das für die bei- • Thyroxin (T.)
den Hormone benötigte Jod wird von den Follikelepithelzellen aus dem Blut ent- • Trijodthyronin (T3 )
nommen. Dies geschieht gegen hohe Konzentrationsgradienten da in den Zellen

Abb. 12-13.
C-Zelle - - - - Venole
Ausschnittzeichnung des Schilddrüsen-
Kolloid im Follikel
gewebes. Es sind 3 Schilddrüsenfollikel zu
sehen. Der linke obere Follikel ragt aus der
Außenansicht des - 111._'-"'l Schnittfläche heraus, sodass das Follikel-
Follikelepithels
epithel und eine kalzitoninproduzierende
Arterie
C-Zelle von außen zu sehen sind. Der rech-
te obere Follikel ist mit Kolloid gefüllt.
Beim unteren Follikel ist die Innenseite
des Follikelepithels zu sehen. Alle Follikel
C-Zelle - - ---1
sind typischerweise von einem gut ausge-
bildeten Kapillarnetz umgeben

Kapillarschlingen
um Follikel
512

des Follikelepithels bis zu 1.ooo-mal mehr Jod vorhanden ist als außerhalb. Das
Jodid Jod wird über aktiven Transport- mit derJodid pumpe -in die Zellen gebracht.
ionale Form des Jods 98% des im Körper zirkulierenden Jods wird von der Schilddrüse aufgenommen
und dort in die entsprechenden Hormone eingebaut. Die Biosynthese von T, und
T 4 ist von einer ausreichenden Jodzufuhr durch die Nahrung abhängig. in ver-
schiedenen Ländern, in denen teilweise zu wenig Jod im Trinkwasser enthalten
ist, hat man sich zu einer allgemeinen Jodierung d es Kochsalzes entschlossen
(z. B. in der Schweiz).

Biologische Wirkungen von T3 und T4

Die Hauptfunktion von Thyroxin und Trijodthyronin ist die Beschleunigung der
oxidativen Stoffwechselvorgänge in den meisten Zellen. Die s führt zu einer
Steigerung des Energieverbrauchs und des Grundumsatzes. Kohlenhyd rate,
Proteine un d Fette sind davon gleichermaßen betroffen.

Die Hormonwirkung besteht in einer Aktivierung von Enzymen, v. a. der Mito-


chondrienenzyme. Die Steigerung der Mitochondrienaktivität führt zu einem er-
höhten Sauerstoffverbrauch; dies bezeichnet man als ka lorigene Wirkung. Die
durch T, erreichte Wirkung ist bei gleicher Ho r monkonzentration ca. smal höher
als die durch T 4 erreichbare Wirkung. Dagegen ist die Wirkungsdauer von T , er-
heblich länger als die von T,.

Regulation der Schi lddrüsen hormone Regulation der Hormonkonzentration


• Niedriger Blutspiegel bewirkt Frei- Das Schema der hierarchisch gegliederten Regulationspyramide, Hypothalamus
setzung von TRH - Hypophyse - periphere Drüse - Blutkonzentration des Hormons, findet auch
--> Ausschünung TSH b ei den Schilddrüsenhormonen Anwendung (s. Abb. 12-3 u. Abb. 12-4): Durch
-+ Jodaufnahme in Schilddrüse Verringerung des Blutspiegels wird das Liberin TRH (Thyreotropin-Releasing-
-. Freisetzung von T3 , T. hormon) im Hypothalamus freigesetzt.
Dieses Liberin wird auf dem Blutweg in die Adenohypophyse transportiert
(Pfortadersystem). Hier bewirkt es die Ausschüttung von TSH (die Schilddrüse
stimulierendes Hormon). TSH wiederum stimuliert die Aufnahme von Jod in die
Schilddrüse, aktiviert die Jodierung von Tyrosin und setzt gleichzeitig T3 und T4
aus dem Kolloid frei, die dann an das Blut abgegeben werden. Im zirkulierenden
Blut sind T3 und T4 an Proteine gebunden, v. a. an Albumin und ein spezifisches
a -Globulin. Das auf diese Weise gebundene Hormon wird als PBI (»protein-bo-
und iodine<<, proteingebundenes Jod) bezeichnet. Im Gewebe kann das PB! T,
und T 4 abgeben, sodass diese ihre Wirkung entfalten können.
Aus diagnostischen Gründen ist es vielfach notwendig, sowohl das TSH als
RIA, Radio-Immunoassay auch, bei dessen Erhöhung, die frei zirkulierende Menge von T, und T, zu be-
Methode für die Messung von kleinsten stimmen. Diese Messung wird u. a. mit Radio-Immunoassay (RIA) oder Enzyme-
Mengen, basiert auf einer Immunreaktion lmmunoassay (EIA) durchgeführt.
mit radioaktiv markierten Substanzen
Störungen der Schilddrüsenfunktion
EIA, Enzyme-lmmunoassay Die Bedeutung der meisten endokrinen Organe ist erst durch Funktionsstörun -
ähnlich dem RIA, jedoch mit zusätzlicher gen dieser Organe erfasst und verstanden worden. Auch bei der Schilddrüse sind
Bestimmung eines gekoppelten Enzyms die beiden wichtigsten Störungen die Über- und die Unterfunktion.
Schilddrüse · Kapitel12 ·Endokrinologie 513

Schilddrüsenunterfunktion
Die Ursachen der Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) sind entweder Störungen der Schilddrüsenfunktion
• ein Mangel an Jod oder • Hypothyreose
• eine eigentliche Drüsenunterfunktion, d. h. die Unfähigkeit der Drüse, die Hor- • Hyperthyreose
mone T3 und T 4 herzustellen.

Ein völliges oder teilweises Fehlen der Drüse (Aplasie) kann ebenfalls dramati- Aplasie
sche Folgen haben. Je nach Ursache und Beginn der Hypothyreose ergeben sich angeborenes Fehlen eines Organs
unterschiedliche Auswirkungen. Bei Auftritt im Erwachsenenalter ist eine Be-
handlung durch Gabe von Schilddrüsenhormonen in den meisten Fällen möglich.
Es gibt folgende Formen der Schilddrüsenunterfunktion:
Endemischer Kretinismus: Diese Form der Schilddrüsenunterfunktion kommt Formen der Schilddrüsenunterfunktion
v. a. in Regionen mit mangelndem Jodgehalt des Trinkwassers vor. Dies führt bei • Endemischer Kretinismus
der betroffenen Bevölkerung zu einer Schilddrüsenvergrößerung (Struma oder • Sporadischer Kretinismus
Kropf). Da irrfolge Jodmangels zu wenig Thyroxin und Trijodthyronin ausge- • Myxödem
schüttet werden, sezerniert die Hypophyse konstant TSH (Thyrotropin), welches
das Wachstum der Schilddrüse fördert. endemisch:
Werden Frauen mit derartigem Jodmangelkropf schwanger, besteht beim örtlich begrenztes Auftreten, z. B. einer
sich entwickelnden Fetus ebenfalls eine Jodmangelsituation, die irreversible Krankheit
Entwicklungsstörungen zur Folge hat: disproportionierter Minderwuchs, faltiges
Gesicht, wulstige Lippen, übergroße Zunge, trockene schuppige Haut, geistige disproportioniert
Behinderung und vielfach Taubheit. mit Proportionen, die nicht den normalen
Allgemein sind der Grundumsatz, die Körpertemperatur und der Herzschlag Körpermaßen entsprechen
reduziert. Solche Menschen wurden früher als Kretins bezeichnet. Da diese
Schäden schon während der Entwicklung aufgetreten sind, können sie auch
durch postnatale Verabreichung von Hormonen nicht mehr behoben werden. postnatal
Um so wichtiger ist es, schon während der Schwangerschaft eine ausreichende nachgeburtlich
Jodversorgung der werdenden Mutter zu gewährleisten. Dies ist besonders wich-
tig, da das gesamte Gebiet Deutschlands und größere Teile der Schweiz als Jod-
mangelgebiet gelten, d. h. als Gebiet, in dem die Jodversorgung über das Trink-
wasser nicht ausreicht. Da der Jodbedarf während der Schwangerschaft ansteigt,
sollte jede Schwangere Jod in Tablettenform zu sich nehmen.
Sporadischer Kretinismus: Anders sieht die Situation bei genetisch bedingten sporadisch
Störungen der Schilddrüsenfunktion aus, z. B. wenn beim Kind die Schilddrüse gelegentlich, selten
fehlt. Da diese Kinder während des intrauterinen Lebens über die Mutter ausrei-
chend mit Hormonen versorgt waren, kann die rechtzeitige Gabe von Hormonen intrauterin
nach der Geburt zu normaler geistiger und körperlicher Entwicklung führen. in der Gebärmutter
Das Problem bei diesen Kindern liegt darin, dass derart genetisch bedingte
Unterfunktionen vielfach erst nach Auftreten von entsprechenden Fehlentwick-
lungen entdeckt werden. Dann ist es für eine Korrektur meist schon zu spät. Die
sich auf diese Art entwickelnden Formen der Schilddrüsenunterfunktion werden
als sporadischer Kretinismus bezeichnet.
Um dies zu verhindern, wird heute in vielen Ländern der Nachweis von TSH
bei den Neugeborenen durchgeführt. Man geht davon aus, dass eins von 4.ooo
Neugeborenen von einer Form der Schilddrüsenunterfunktion betroffen ist.
Myxödem: Kommt es beim Erwachsenen zur Schilddrüsenunterfunktion, so Glykosaminoglykane
werden vermehrt Glykosaminoglykane und Wasser in das subkutane Bindege- Polysaccharide, meist sulfatiert, z. B.
webe eingelagert. Dies führt zu einer teigigen Schwellung der Haut und wird als Heparansulfat, Chondroitinsulfat
514

Myxödem bezeichnet. Ebenfalls kennzeichnend für das Myxödem ist eine Reduk-
tion des Grundumsatzes (bis 40%), der Herzfrequenz, Körpertemperatur und der
geistigen Beweglichkeit. Die davon betroffenen Patienten sind körperlich und gei-
stig verlangsamt. Durch Gabe von Schilddrüsenhormon ist das Myxödem heilbar.

Schilddrüsenüberfunktion
Bei einer Überfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose) ist die Ausschüttung
von Schilddrüsenhormon gesteigert. Dadurch sind der Grundumsatz, die Kör-
pertemperatur, Herzfrequenz und Erregbarkeit heraufgesetzt. Die Patienten
schwitzen sehr leicht und leiden unter Gedankenjagen und Schlaflosigkeit. Der
Stickstoffbilanz erhöhte Grundumsatz etc. h at häufig eine negative Stickstoffbilanz zur Folge und
Differenz zwischen dem mit der Nahrung damit den Abbau von körpereigenem Protein, was schließlich zur Abmagerung
aufgenommenen Stickstoff (Protein- führt.
Stickstoff) und der Abgabe von Stickstoff Vielfach (nicht immer) ist bei Hyperthyreose auch ein charakteristisches
mit dem Stuhl und v. a. mit dem Harn. Hervortreten der Augäpfel (Exophthalmus) vorhanden. Diese Form der Hyper-
Negative Stickstoffbilanz heißt, es wird thyreose wird M. Basedow (Basedow-Krankheit) genannt. In diesen Fällen wird
mehr Stickstoff abgegeben wie aufge- sowohl die Hyperthyreose als auch der Exophthalmus durch ein Lymphozyten-
nommen. produkt hervorgerufen, das TSI. Dieses TSI unterliegt nicht der hypothalamohy-
pophysären Kontrolle und kann deshalb ungehindert die Schilddrüse stimulie-
Exophthalmus ren. Das Hervortreten der Augäpfel ist durch eine Verdickung der Augenmuskeln
das krankhafte Hervortreten (z. T. bis zum Sfachen Volumen der Muskeln) bedingt.
des Augapfels aus der Augenhöhle Hyperthyreose kann meistens durch teilweise operative Entfernung der
Schilddrüse oder durch Gabe von bremsenden Medikamenten (Thyreostatika)
M. gut behandelt werden.
Morbus = lateinisch, Krankheit
Kropf
TSI Der Regelkreis Hypothalamus - Hypophyse - Schilddrüse - Thyroxinspiegel im
Thyroidea-stimulierendes Immunglobulin Blut führt normalerweise zu einem Gleichgewicht zwischen Schilddrüsenstimu-
lation und ThyroxinspiegeL Wird dieser Regelkreis aus verschiedenen Gründen
unterbrochen, z. B. wenn sich zu wenig Jod im Trinkwasser befindet, sodass kein
Thyroxin (oder kein T3 ) gebildet werden kann, wird vermehrt schilddrüsensti-
mulierendes Hormon (TSH) ausgeschüttet, das u. a. zu vermehrtem Wachstum
des Schilddrüsengewebes führen kann. Als Folge davon vergrößert sich die
Schilddrüse einseitig, knotenartig oder auch als ganzes Organ. Dies ist die weit
verbreitete Erklärung für die Entwicklung eines Kropfes. Auf Grundneuerer Un-
tersuchungen lässt sich aber ein anderer Mechanismus für den Jodmangelkropf
verantwortlich machen, nämlich eine direkte Wirkung des jodmangels auf das
Schilddrüsengewebe ohne dazwischen geschaltetes TSH.
Medizinisch wird der Kropf als Struma bezeichnet. In Deutschland leiden ca.
10% der Bevölkerung unter einer durch Jodmangel bedingten Vergrößerung der
Schilddrüse. Die Verwendung von jodiertem Kochsalz kann in vielen Fällen
Abhilfe schaffen. Der generelle Einsatz von jodiertem Kochsalz hat z. B. in der
Schweiz die früher recht häufigen jodmangelkröpfe in der Bevölkerung fast voll-
ständig zum Verschwinden gebracht. Für das Jahr 1995 hat die Weltgesundheits-
organisation berechnet, dass ca. 750 Mio. Personen auf der Welt an einem Jodman-
gelkropf litten, was mit der Gabe von jodiertem Salz hätte vermieden werden
können.
Nebenschilddrüse · Kapitel12 · Endokrinologie S 1S

12.5.4 (-Zellen der Schilddrüse

Zwischen den Follikeln und den Gefäßen, welche die Follikel engmaschig um-
spannen, befinden sich sog. C-Zellen oder parafollikuläre Zellen (s. Abb. 12-13).
Diese Zellen sind in Gruppen angeordnet und produzieren ein spezielles Hor-
mon, das nicht in den Follikeln gespeichert wird. Dieses Hormon das Kalzitonin, Kalzitonin ist ein partieller Gegenspieler
ist ein Peptidhormon. Kalzitonin bewirkt eine Senkung des Kalziumspiegels im (Antagonist) des Parathormons
Blut und ist damit ein partieller Antagonist des Parathormons. Es wird deshalb
zusammen mit dem Parathormon bei der Schilderung der Nebenschilddrüse
(Parathyroidea) behandelt.

12.6 Nebenschilddrüse

12.6.1 Lage und Bau

Die Nebenschilddrüsen (Singular: Glandula parathyroidea) sind winzige, unge-


fähr linsengroße Drüsen, die auf der Hinterseite des rechten und linken Schild-
drüsenlappens liegen. Sie werden häufig auch als Epithelkörperchen bezeichnet,
da sie einen epithelialen Aufbau haben. Meist sind auf jeder Seite 2 Drüsen (eine
obere und eine untere) vorhanden, also insgesamt 4· Es können jedoch auch nur
2 oder aber auch 6 dieser Epithelkörperchen vorhanden sein. Zusammen haben

diese Drüsen in der Regel ein Gewicht von ca. 150 mg (Abb. 12-14). Sie sind in die
Bindegewebekapsel der Schilddrüse eingeschlossen und wurden deshalb erst re-
lativ spät entdeckt.
Man unterscheidet 3 verschiedene Drüsenzelltypen.
Die hellen Hauptzellen werden als die aktiven Hormonbildner angesehen, sie Zelltypen der Nebenschilddrüse
enthalten größere Mengen an Glykogen. Die dunklen Hauptzellen sind wahr- • Helle Hauptzellen
scheinlich erschöpfte helle Hauptzellen. Die oxyphilen Zellen enthalten sehr vie- • Dunkle Hauptzellen
le Mitochondrien. Über die Funktion dieser Zellen ist nichts bekannt. • Oxyphile Zellen

Abb. 12-14.
Dorsalansicht der Schilddrüse. Oben ist
die Rachenmuskulatur (Pharynxmusku-
latur) zu sehen, d ie unten in die Wand der
Speiseröhre (Ösophagus) übergeht. Inner-
obere NebenschllddrOse
obere Nebenschilddrüse halb der Organkapsel der Schilddrüse
liegen die 4 Nebenschilddrüsen (2 obere
und 2 untere)
516

12.6.2 Hormon und Hormonwirkungen

Hormon der Nebenschilddrüse In den Zellen der Nebenschilddrüsen wird Parathormon , ein Polypeptid, produ-
• Parathormon ziert. Die Aufgabe des Parathormons besteht darin, den Kalzium - und Phosphat-
haushalt des Körpers zu regulieren, d. h. auf normale Werte einzustellen. Um dies
zu erreichen, greift das Hormon an 3 Orten an:
• Im Darm: Hier fördert es die Kalziumresorption. Daraus resultiert ein erhöhter
Kalziumspiegel im Blut.
• An den Nierentubuli: Hier hemmt es die Phosphatresorption. Daraus resultiert
eine erhöhte Ausscheidung von Phosphat.
Hydroxylapatit • In den Zellen der Nebenschilddrüsen wird Parathormon , ein Polypeptid, produ-
Kristallform des Kalziumphosphats, wie es damit eine Entmineralisierung des Knochens, da die Osteoklasten stimuliert
in den Hartsubstanzen des Körpers einge- werden Knochengewebe abzubauen .
lagert ist
Unter der Wirkung des Parathormons erhöht sich also der Kalziumspiegel im
Ostecklasten Blut. Durch gleichzeitig erhöhte renale (in der Ni ere erfolgende) Phosphataus-
knochenabbauende Zellen scheidung bleibt eine Erhöhung des Phosphatspiegels aus.

Kalzitonin
Partieller Antagonist Das in den C-Zellen der Schilddrüse produzierte Kalzitonin ist ein partieller Ant-
Gegenspieler in Teilbereichen agonist des Parathormons, da es nur auf den Kal ziumgehalt des Blutes, aber nicht
auf den Phosphatgehalt einwirkt.
Bei zu hohem Kalziumgehalt des Blutes wird Kalzitonin aus den C-Zellen aus-
Osteoblasten geschüttet und mobilisiert die Osteoblasten, die durch Einbau von Hydroxylapatit
knochenaufbauende Zellen (besteht aus Kalzium und Phosphat) in den Knochen den Kalziumspiegel senken.
Kreuzweise beeinflussen sich auch Parathormon und Kalzitonin: Ein niedri-
ger Kalziumspiegel führt zur Ausschüttung von Parathormon, ein hoher Kal-
ziumspiegel zur Ausschüttung von Kalzitonin.

Vitamin-D-Hormon
Das Vitamin-D-Hormon entsteht durch Hydroxylierung (Anhängung einer OH-
Gruppe) an das Vitamin D, Diese Hydroxylierung erfolgt zunächst in der Leber
und dann noch einmal, an einer anderen Molekülposition, in den Zellen des pro -
ximalen Tubulus der Niere. Die Bildung des Hormons wird durch die Ausschüt-
tung von Parathormon stimuliert. Sobald Vitamin -D-Hormon gebildet worden
ist, wirkt es im Darm und ermöglicht dort die Aufnahme von Kal zium. Somit wird
also die Parathormonwirkung auf den Darm erst durch das Vitamin-D-Hormon
ermöglicht. Bei zu geringem Vitamin-D-Spiegel ist auch die Kal ziumaufnahme
aus dem Darm zu gering. Dies führt z. B. in der Kindheit zum Krankheitsbild der
Rachitis (Knochenverformung durch Kalziummangel). Um das zu verhindern,
wird Säuglingen häufig eine höher dosierte Menge an Vitamin D gegeben. Das der
Rachitis entsprechende Krankheitsbild bei Erwachsenen ist die Osteomalazie.

Störungen der Nebenschilddrüsenfunktion


Hypoparathyroidismus
Unter dem Begriff Hypoparathyroidismus versteht man die Unterfunktion der
Nebenschilddrüsen. Unterfunktionen durch primäre Erkrankungen der Neben -
schilddrüsen sind sehr selten, ih re Ursache ist noch nicht eindeutig geklärt.
Nebennieren· Kapitel12 · Endokrinologie 517

Sekundäre Unterfunktion kommt häufiger nach ausgedehnten Schilddrüsenope-


rationen vor, bei denen die Nebenschilddrüse oder Gefäße für deren Blutversor-
gung verletzt wurden.
Daraus resultiert eine Hypokalzämie und eine Hyperphosphatämie. Es wird Hypokalzämie
zu wenig Kalzium resorbiert und zu wenig Phosphat ausgeschieden. Die Hypo- verminderter Kalziumgehalt des Blutes
kalzämie mündet schließlich in eine Tetanie, d . h. der Kalziummangel führt zu ei-
ner Obererregbarkeit des Nervensystems mit Dauerkontraktion der Muskulatur. Hyperphosphatämie
Ohne Kalziumgabe führt dies unweigerlich zum Tod. Erhöhung des Phosphatgehaltes im Blut

Hyperparathyroidismus
Unter dem Begriff Hyperparathyroidismus versteht man die Überfunktion der
Nebenschilddrüsen. Eine Oberfunktion ist meist durch krankhafte Wucherun-
gen (Adenome) verursacht und führt zu Hyperkalzämie. und Hypophosphat- Adenom
ämie. Unter der Wirkung des vermehrt ausgeschütteten Parathormons werden Tumor mit Ursprung im drüsenbildenden
aus dem Skelett Kalzium und Phosphat mobilisiert. Die Folge ist eine Knochen- Epithel
erkrankungmit Bildung von Zysten im Knochen (Ostitis cystica fibrosa). Da sich
Kalzium in der Niere (als Steine) oder in den Papillen ablagert, kann die Hyperkalzämie
Funktion der Niere in erheblichem Maße beeinträchtigt sein. erhöhter Kalziumgehalt des Blutes
Hyperparathyroidismus kann in der Regel nur durch operative Entfernung
des Drüsengewebes behoben werden. Hypophosphatämie
verminderter Phosphatgehalt des Blutes
12.7 Nebennieren

12.7.1 Lage und Entwicklung

Die Nebennieren (Giandulae suprarenales) sind 2 pyramidenförmige Drüsen, die


locker auf dem oberen Pol der Nieren sitzen und zusammen ca. 10 g wiegen.
Wenn die Nieren während der Entwicklung nicht an den Ort aufsteigen, an dem
sie auf die Nebennieren treffen, sind die Nebennieren dennoch am richtigen Ort
vorhanden. Nieren und Nebennieren hängen also von ihrer Lage her gesehen
nicht voneinander ab.
Die Nebennieren bestehen aus je 2 Hormondrüsen (Abb. 12-15) verschiede-
nen entwicklungsgeschichtlichen Ursprungs und unterschiedlicher Funktion.
Die Nebennierenrinde entwickelt sich aus einer Epithelwucherung des Meso-
derms (mittleres Keimblatt). Das Nebennierenmark ist entwicklungsgeschicht-
lich von gleicher Herkunft wie das sympathische Nervensystem, es ist aus dem
Ektoderm (äußeres Keimblatt) hervorgegangen.

12.7.2 Nebennierenrinde

Bau der Nebennierenrinde Hormondrüsen der Nebenniere


Die Nebennierenrinde (NNR) umfasst ca. So% der Nebennierensubstanz. Sie • Nebennierenrinde (NNR}
gliedert sich histologisch in 3 Zonen, die mehr oder weniger fließend ineinander • Nebennierenmark (NNM}
übergehen (s. Abb. 12-15):
Zona glomerulosa: Sie liegt in Form von Zellnestern in der äußeren Rinde, Zonen der Nebennierenrinde
d. h. unter der OrgankapseL • Zona glomerulosa
Zona fasciculata: Das ist der mittlere und breiteste Abschnitt der NNR. Die • Zona fasciculata
Zellen dieser Zone sind in radiären Streifen angeordnet. • Zona reticularis
S18

Abb. 12· 15a- c.


Nebennieren. Nebennierenarterien

a zeigt die Lage der Nebennieren auf dem


oberen Nierenpol,
b ein Schnittbild durch die Nebenniere,
auf dem das Nebennierenmark und die
Nebennierenrinde mit ihren 3 Schichten
zu sehen sind.
c zeigt einen zweigeteilten histologischen
Schnitt durch die Nebenniere. Auf der lin-
ken Hälfte ist das Gewebe von der Kapsel Nebennierenarterien Zona
{Singular; A. sm>rar·en••lisl
bis ins Mark dargestellt. auf der rechten
Hälfte die Blutgefäße von Rinde und Mark

Neben-

nierenmar1<
(Adrenalin Drosselvene mit
und Nor· LängsmuskelzOgen
Nebennierenrinde adrenalin)
b c

Zona reticularis: Das ist die marknahe innerste Zone, deren Zellen emen
lockeren, pigmentreichen, netzartigen Verband darstellen.

Hormone der Nebennierenrinde


Die 3 Zonen der NNR bilden unte rschiedliche Hormone (Tabelle 12 -1).

Als Kortikoide bezeichnet man Steroidhormone der Nebennierenrinde (Kortex:


Rinde}. Bisher wurden schon ca. SO verschiedene Verbindungen aus der NNR iso-
liert, die alle ausnahmslos zu den Steroiden gehören und sich dementsprechend
vom Steranring (s. Abb. 12-2) ableiten lassen. Die Vorstufen dieser Hormone
werden in der Regel über Cholesterin aufgebaut, das seinerseits ein Steran-
ringsystem als Grundstruktur besitzt.

Tabelle 12-1 . Hormone der 3 Zonen der Nebenrinde

Zone Hormongruppe Wichtigste Hormone

Zona glomerulosa Mineralokortikoide Aldosteron

Zona fasciculata Glukokortikoide Kortisol

Zona reticularis Androgene Dehydroepiandrosteron (DHEA)


Nebennieren · Kapitel12 · Endokrinologie S 19

Regulation der NNR-Hormone


Neben äußeren Faktoren, wie Stress etc., ist es v. a. die Menge des frei (d. h. nicht
an Transkortin, ein o:-Globulin, gebundenen) zirkulierenden Kortisols (ca. 10%
der Gesamtmenge), das im Sinne einer Regulation auf den Hypothalamus wirkt
(Abb. 12-16). Bei einer Abnahme des freien Kortisols wird im Hypothalamus das
Kortikoliberin (»corticotropin releasing hormone«, CRH) freigesetzt, das über
das Pfortadersystem in den Hypophysenvorderlappen gelangt, wo es die Freiset-
zung von ACTH (adrenokortikotropes Hormon) bewirkt. ACTH seinerseits sti-
muliert in der Nebennierenrinde die Ausschüttung von Glukokortikoiden.

Glukokortikoide
Die beiden wichtigsten Glukokortikoide sind Kortisol und Kortikosteron . Sie sind Wichtigste Glukokortikoide
normalerweise in einem typischen Verhältnis von 7: 1 (Kortisol:Kortikosteron) • Kortisol
vorhanden. Der Hauptanteil dieser Hormone ist im Plasma an ein o:-Globulin • Kortikosteron
(Transkortin) gebunden. In dieser Form sind die Hormone inaktiv; sie können
ihre Wirkung erst entfalten, wenn sie vom Trägerprotein (Transkortin) abge-
trennt sind.

Abb. 12-16.
Regulation der Kort.i solfreisetzung. Aus
Hypothalamus dem Hypothalamus wird ein Kortikotro-
pin-Releasing-Hormon freigesetzt, das im
Hypophysenvorderlappen die Produktion
von ACTH (adrenokortikotropes Hormon)
releasing-
Hormon
bewirkt. Das ACTH wirkt auf die Zona fas-

+ ciculata der Nebennierenrinde und regt

I
dort die Produktion des Kortisols an. Die
[ Hypopllysenvordertappen Menge des im Blut zirkul ierenden Kortisols
wird im Sinne einer Rückkoppelung ge-
messen und im Hypothalamus mit dem
I Sollwert verglichen

Nebennierenrinde
(Zona fasciculata)

Kortisol

....----~ 81
520

Wirkungen der Glukokortikoide


Physiologische Hauptwirkungen Unter normalen physiologischen Bedingungen stehen 2 Wirkungen der Gluko-
der Glukokortikoide kortikoide im Vordergrund:
• Förderung des Proteinabbaus • Förderung des Proteinabbaus, verbunden mit starker Glukoneogenese (Neu-
• Hemmung der Glukoseverwertung bildung von Zucker) aus den freigesetzten Aminosäuren,
• Hemmung der Glukoseverwertung in den Zellen und daraus resultierender
Anstieg des Blutzuckerspiegels (letzteres v. a. bei therapeutisch hohen Dosen).

Daneben ist aber noch eine Anzahl anderer, z. T. weniger augenfälliger Wirkun-
gen der Glukokortikoide bekannt:
• Steigerung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und daraus resultierende
Wasserdiurese,
• Erhöhung der Magensäure und damit Herabsetzung der Schleimhautresistenz
(Magengeschwüre),
• Reduktion der Eosinophilen und der Lymphozyten,
• Erhöhung der Erythrozytenzahl und der Neutrophilen,
• Erhöhung der zentralnervösen Erregbarkeit,
• Steigerung der Widerstandsfähigkeit gegen Stress,
• vielseitige permissive Wirkungen, z. B. Steigerung der Wirkung von Noradrenalin

Pharmakologische Wirkungen der Glukokortikoide: Von besonderer Bedeutung


sind die pharmakologischen Wirkungen der Glukokortikoide, d. h. die Wirkung
von unphysiologisch hohen, therapeutischen Dosen, also ihr Einsatz als Arznei-
stoff.

Diese therapeutischen Wirkungen sind:


Therapeutische Wirkungen • Entzündungshemmung: durch Herabsetzung der Leukozyteninfiltration und
der Glukokortikoide: Stabilisierung aller Zellmembranen,
• entzündungshemmend • antiallergische Wirkung: durch verminderte Antikörperbildung und Vermin-
• antiallergisch wirkend derung der Histaminfreisetzung.

Histamin ist für viele Symptome bei allergischen Krankheiten verantwortlich


(s. Kap. 8). Es kommt in Mastzellen und basophilen Granulozyten vor und führt
u. a. zu Gefäßdilatation (Erweiterung) und Blutdruckabfall sowie zur Konstrik-
tion (Zusammenziehen) der glatten Muskulatur z. B. im Bronchialbereich.

Bei Infektionskrankheiten ist Glukokortikoidmedikation nicht ungefährlich.


Die Symptome der Krankheit, z. B. Entzündungszeichen, verschwinden zwar,
aber die Bakterien können sich dennoch im Körper ausbreiten. Dies entzieht sich
durch den Wegfall der Symptome aber einer Diagnose, sodass die Gabe von
Antibiotika unter Umständen zu spät erfolgt.

Mineralokortikoide
In der Zona glomerulosa der NNR werden die Mineralokort ikoide gebildet. Das
wichtigste Mineralokortikoid ist das Aldosteron. Wie die anderen NNR-Hormo-
ne gehört auch das Aldosteron zu den Steroidhormonen. Mineralokortikoide,
v.a. aber das Aldosteron, sind an der Regulation des Elektrolyt- und Wasser-
haushaltes beteiligt. Die primäre Wirkung des Aldosterons besteht in einer Erhö-
Nebennieren · Kapitel12 · Endokrinologie 521

hung der Natriumrückresorption in der Niere (s. Abschn. 11.3.4). Unter der Wir-
kung des Aldosterons werden Enzyme gebildet, die für den ATP-abhängigen
Natriumtransport verantwortlich sind. Mit dem transportierten Natrium wird
gleichzeitig Wasser rückresorbiert, das dem Natrium unter Einhaltung der Iso-
tonizität (d. h. des gleichen osmotischen Drucks) passiv folgt. Gleichzeitig wird
die Kalium-(K+-) und Wasserstoff-(H+-) Ionenausscheidung gefördert und damit
der Ham angesäuert.
Regulation der Aldosteronkonzentration im Blut: Die Aldosteronsekretion
kann über verschiedene Wege beeinflusst bzw. reguliert werden. Von wesentlicher
Stimulus, Plural Stimuli
Bedeutung sind jedoch 2 Stimuli:
Reiz, Reize
• Natriummangel,
• Abnahme des Blutvolumens.

Bei Natriummangel und Abnahme der Nierendurchblutung (z. B. nach Blutver-


Reninfreisetzung bewirkt
lust) wird in den juxtaglomerulären Zellen der Niere (s. Abschn.n.3.7) Ren in frei-
• Umwandlung von Angiotensinogen
gesetzt. Das Renin wirkt auf das bereits im Blut vorhandene Angiotensinogen und
in Angiotensin I
wandelt es in Angiotensin I um. Unter der Wirkung des ebenfalls im Blut vorhan-
• Umwandlung von Angiotensin I
denen »Konvertierungsenzyms« (»converting enzyme«) wird Angiotensin I in
in Angiotensin II
Angiotensin II umgewandelt. Dabei handelt es sich um die stärkste blutdruckstei-
(durch Konvertierungsenzym)
gernde Substanz des Körpers. Außerdem bewirkt Angiotensin II in der Neben-
• Freisetzung von Aldosteron durch die
nierenrindedie Freisetzung des Mineralokortikoids Aldosteron. Auf dem Blutweg
Wirkung von Angiotensin II
gelangt das Aldosteron in die Niere, wo es eine Erhöhung der Natriumrückre-
sorption in Gang setzt. Dem rückresorbierten Natrium folgt Wasser passiv nach, • Erhöhung der Natrium-Rückresorption

sodass sich das Blutvolumen vergrößert. Auf diese Art kann z. B. bei Blutverlust durch Aldosteron in der Niere
sowohl Volumen ersetzt, als auch ein Natriummangel ausgeglichen werden.

Androgene
In der Zona reticularis werden Androgene produziert, z. B. das DHEA (Dehydro-
epiandrosteron). Dies sind ebenfalls Kortikoide, die zu den Stereiden gehören.
Androgene haben vermännlichende Wirkung und kommen sowohl beim Mann
als auch bei der Frau vor. Unter physiologischen Bedingungen sind diese NNR-
Androgene jedoch von untergeordneter funktioneller Bedeutung. Erst unter pa-
thologischen Verhältnissen können sie eine größere Bedeutung erlangen (s. adre-
nogenitales Syndrom,Abb.t2-18).

Störungen der Funktion der Nebennierenrinde


Wie bei den anderen Hormondrüsen können auch bei der Nebennierenrinde
2 Formen der Funktionsstörung unterschieden werden: Unter- und überfunktion.

NNR- Unterfunktion
Funktionsstörungen der NNR
Die Unterfunktion der NNR wi.rd auch als NNR-Insuffizienz bezeichnet. Es wird
zwischen einer primären und einer sekundären NNR-Insuffizienz unterschieden: • NNR-Insuffizienz (Addison-Krankheit)
• NNR-Überfunktion (Cushing-Syndrom)
Primär wird sie genannt, wenn die NNR selbst geschädigt ist oder nur einge-
schränkt funktioniert. Sekundär ist die NNR-Insuffizienz, wenn zu wenig ACTH • Adrenogenitales Syndrom

abgesondert wird. Die sekundäre Wirkung des ACTH-Mangels ist ein NNR-
Hormonmangel. Ein absoluter Mangel an NNR-Hormonen ist tödlich. Da sich ei- Insuffizienz

ne solche Mangelsituation jedoch meist langsam entwickelt, kann bei rechtzeiti- ungenügende Leistung eines Organs
ger Diagnose eine entsprechende Hormontherapie ein setzen.
522

Die primäre Form der NNR-Insuffizienz wird als M. Addison (Addison-


Krankheit) bezeichnet. Sie wird als solche erkannt, wenn mindestens 90°;\, des
NNR-Gewebes zerstört oder funktionsunfähig sind. Bei der Addison-Krankheit
sind sowohl Glukokortikoide als auch Mineralokortikoide betroffen. Zeichen ei-
Azidose ner sich entwickelnden NNR-Insuffizienz sind Müdigkeit, Schwäche, Erbrechen,
Störung des Säure-/ Basengleichgewichtes Muskelkrämpfe, psychische Störungen, verstärkte Pigmentation von Haut und
zugunsten der Säuren Schleimhaut, Azidose, Tachykardie, Hypotonie etc.
Da bei der sekundären NNR-Insuffizienz die Ursache im ACTH-Mangelliegt, die
Tachykardie Mineralokortikoide jedoch nur unwesentlich durch ACTH stimuliert werden, treten
Ruhepulsfrequenz von über 100 in diesem Fall in der Regel keine Mineralokortikoid-Mangelerscheinungen auf.

Hypotonie NNR-Überfunktion
Absinkendes Blutdrucks auf unter 100/60 Die Oberfunktion der NNR hat ebenfalls ein typisches klinisches Bild zur Folge,
das als Cushing-Syndrom bezeichnet wird (Abb. 12-17). Dieses Krankheitsbild. ist
Syndrom die Folge einer überhöhten Produktion von Glukokortikoiden, besonders des
verschiedene in der Regel gemeinsam Kortisols. Charakteristisch für das Cushing-Syndrom sind ein ausdruckslos wir-
auhret ende Anomalien/ pathologische kendes, sog. »Vollmondgesicht<<, Stammfettsucht (d. h. starke Fettpolster an
Veränderungen, die zu einem Rumpf und Kopf bei relativ dünnen oder normalen Extremitäten), Striae (strei-
Krankheitsbild gehören fenartige Brüche des Bindegewebes in der Unterhaut) in der Bauch- und Hüft-
gegend, geringe Entwicklung der Muskulatur etc.

Abb. 12- 17.


Typische Cushing-Syndrom-Patientin. Die
dargestellten Veränderungen entstehen
durch zu hohe Mengen an zirkulierenden
Glukokortikoiden (primär durch Kortisol)
t+-+---- Quetschungen mit
Ecchymosen
(Hautblutungen)

+------ geringe Entwicklung


der Muskulatur

schlechte Wundheilung
Nebennieren · Kapitel12 · Endokrinologie 523

Als Ausdruck einer starken Kortisolwirkung kommt es zu übermäßigem


Proteinabbau und zum Abbau der Knochenmatrix, aus dem vielfach eine Osteo- Osteoporose
porose resultiert. Als Auswirkung des Proteinabbaus ist mit dem Cushing-Syn- Knochenerkrankung mit Verringerung der
drom in der Regel eine schlechte Wundheilung verbunden. Knochenmasse und erhöhter Bruchgefahr

Adrenogenitales Syndrom
Irrfolge einer angeborenen Störung der Glukokortikoidproduktion in der Zona
fasciculata gelangt zu wenig Kortisol ins Blut, sodass die Hypophyse konstant
AGH in großen Mengen ausschüttet. ACTH regt normalerweise sowohl die Zona
fasciculata zur Bildung von Glukokortikoiden als auch die Zona reticularis zur
Bildung von Androgenen an. Dabei wird die Androgenbildung auch durch die
Menge des zirkulierenden freien Kortisols reguliert (hoher Kortisolspiegel, ge-
ringe ACTH-Ausschüttung und umgekehrt). Da aber durch die Unterfunktion
der Zona fasciculata kein Kortisol produziert wird, verursacht die große Menge
an ACTH eine Überfunktion der Zona reticularis, sodass große Mengen an
And rogenen gebildet werden. Bei Mädchen führt dies schließlich zum Virilismus Virilismus
(Abb. 12-18). Bei Jungen kommt es zur vorzeitigen Ausbildung der sekundären Vermännlichung des äußeren Genitale,
Geschlechtsmerkmale und einer Überentwicklung des äußeren Genitale ohne männliche Behaarung (Hirsutismus),
entsprechende Entwicklung der Keimdrüsen. männlicher Körperbau etc.

,..._~~----- Glatzenbildung mit


zurückweichendem Abb. 12-18.
Haaransatz Bild einer Patientin mit adrenogenitalem
Syndrom. Durch die großen Mengen an
Androgenen aus der Zona reticularis der
Nebennierenrinde kommt es zu Vermän n-
lichu ng (Virilismus) mit starker Behaarung
(Hirsutismus) und männlicher Statur

männlicher
Schamhaarwuchs

vergrößerte Klitoris
524

12.7.3 Nebennierenmark

Entstehung und Bau


Hormone des Nebennierenmarks Das Nebennierenmark (NNM) ist entwicklungsgeschichtlich aus dem Ektoderm
• Adrenalin (äußeres Keimblatt) hervorgegangen und steht in enger Beziehung zum sympa-
• Noradrenalin thischen Nervensystem. Die Zellen des Marks lassen sich mit Chromsalzen anfär-
ben. Deshalb werden sie als chromaffi ne (phäochrome) Zellen bezeichnet. Mit
chromaffin spezifischen Färbungen kann man 2 verschiedene Zelltypen unterscheiden, denen
sich mit Chromsalzen färbend die Hormone Adrenalin und Noradrenalin zugeordnet sind. Diese Zellen werden
als modifizierte Sympathikuszellen aufgefasst. Sie werden mit Fasern des Sym-
phäochrom pathikus versorgt, deren Reizung eine Hormonausschüttung bewirkt. Die beiden
sich dunkel färbend Hormone Adrenalin und Noradrenalin werden zu einer Stoffgruppe gerechnet,
die man als Katecholamine bezeichnet, die ihrerseits zu den Aminosäurederivaten
gehören. Sie leiten sich durch entsprechenden Umbau von der Aminosäure
Tyrosin ab. Adrenalin hat eine Methylgruppe (CH3 ) mehr als Noradrenalin.

Beide Hormone beeinflussen in erster Linie das Herz-Kreislauf-System (s. Abb.


12-19). Adrenalin hat eine positive Wirkung auf das Herzzeitvolumen. Noradre-
nalin hingegen erhöht hauptsächlich den peripheren Gefäßwiderstand. Somit
Systole steigert es auch den systolischen und diastolischen Blutdruck. Noradrenalin
Kontraktionsphase des Herzmuskels wirkt im Sympathikus auch als Transmittersubstanz.
Adrenalin hat eine größere Wirkung auf den Stoffwechsel; es ist in der Lage,
Diastole durch Mobilisierung des Glykogens aus der Leber die Blutglukosekonzentration
Erschlaffungsphase des Herzmuskels zu erhöhen. Allgemein beeinflusst Adrenalin die Mechanismen, die eine erhöhte
Leistung des Körpers ermöglichen positiv (Abb.12-19).

Steuerung der Hormonabgabe


Die Menge des abgegebenen Hormons wird praktisch nur auf nervösem Weg ge-
steuert. Unter Ruhebedingungen ist die Sekretionsrate gering; bei physischen
und psychischen Belastungen steigt sie jedoch an. Gesteigerte NNM-Sekretion
kommt in Stresssituationen vor und ist als Alarmbereitschaft zu interpretieren,
Katecholamine da die erhöhte Katecholaminausschüttung nicht nur Energiereserven mobili-
Stoffgruppe, zu der Adrenalin siert, sondern auch zu erhöhter Aktivität des Gehirns führt. Sehr hohe Adrenalin-
und Noradrenalin gehören ausschüttung verursacht außerdem Angstgefühl.

Über-/Unterfunktion
Da die beiden Substanzen Adrenalin und Noradrenalin auch an anderen Orten
des Körpers gebildet werden (als Transmittersubstanzen an den Nervenendi-
Paraganglien gungen des sympathischen Nervensystems sowie in den Paraganglien), kommt
sich vom peripheren vegetativen eine Unterfunktion praktisch nicht vor.
Nervensystem herleitende »Ganglien« Überfunktion ist meist Folge von Katecholamin produzierenden Tumoren,
aus hormonal aktiven, epithelartigen dem sog. Phäochromozytom.Diese Tumoren selbst sind harmlos, jedoch kann
Zellverbänden ihre Hormonproduktion lebensbedrohend sein, da sie den Blutdruck sehr stark
erhöht.
Endokrines Pankreas · Kapitel 12 · Endokrinologie 525

Abb. 12-19.
Vergleich und Darstellung der wichtigsten
Wirkungen von Adrenalin und Noradrena-
Nebennierenmark lin aus dem Nebennierenmark. Prinzipiell
kommt es unter der Wirkung dieser Hor-
mone zu einer Leistungssteigerung. Bei
Adrenalin ist es eine allgemeine Leistungs-
steigerung in den meisten Organen, bei
Adrenalin Noradrenalin steht v. a. der Blutdruck-
anstieg im Vordergrund

Zunahme des Herzzeitvolumens


Blutdruckanstieg

Grundumsatzsteigerung

Erweiterung der Bronchien

Hemmung des Magen-Oarm-Trak1es

Glykogenolyse

Steigerung der zentralnervösen Erregbarkeil

12.8 Endokrines Pankreas

Das Pankreas (die Bauchspeicheldrüse) ist eine Drüse mit äußerer und innerer
Sekretion. Das endokrine Pankreas produziert die Hormone Insulin und Gluka-
gon, die ans Blut abgegeben werden (innere Sekretion). Das exokrine Pankreas
produziert Verdauungsenzyme, die über einen Ausführungsgang in das Duode-
num abgegeben werden (äußere Sekretion; s. Kap. 10, Verdauungssystem). Im
Folgenden soll nur das endokrine Pankreas betrachtet werden.
Die Zellen des endokrinen Pankreas sind während der Entwicklung aus dem
exokrinen Pankreas hervorgegangen und liegen in Gruppen über die ganze
Bauchspeicheldrüse verstreut. Im histologischen Schnitt sieht das aus wie Ge-
526

websinseln zwischen den exokrinen Zellen . Deshalb wird die Gesamtheit dieser
1- 2 Mio. Inseln als Inselorgan bezeichnet. Nach ihrem Entdecker werden diese
Inseln auch Langerhans-Inseln genannt. Im Schwanzteil der Bauchspeicheldrüse
liegen die meisten Inseln, im Korpus (Körper) weniger und im Kopf schließlich
die wenigsten (Abb. 12-20 ).

12.8.1 Hormone des endokrinen Pankreas

Hormone des endokrinen Pankreas Mit entsprechenden Methoden lassen sich 2 verschiedene Zelltypen in den Inseln
• Insulin (ß-Zellen) unterscheiden: die a -Zellen und die ß-Zellen (Abb. 12-20).
• Glukagon (a-Zellen) • Die a-Zellen machen 20% der Inselzellen aus; sie produzieren das Hormon
Glukagon.
• Die ß-Zellen machen 8o% der Zellen aus; sie produzieren das Hormon Insulin.

Insulin und seine Stoffwechselwirkungen


Insulin ist ein Polypeptid, das aus 51 Aminosäuren zusammengesetzt ist; diese
wiederum sind in 2 Peptidketten miteinander verbunden. Die Insuline verschie-
dener Tierarten unterscheiden sich nur geringfügig. Sie sind in ihrer biologi-
schen Wirkung deshalb auch für den Menschen brauchbar (v. a. Schwein). Dies ist
die Grundlage für die Herstellung großer Mengen von Schweine-Insulin zu thera-
peutischen Zwecken. Heute ist es auch möglich, mit gentechnisch veränderten
Bakterien ein humanes (menschliches) Insulin produzieren zu lassen. Obwohl
der Aufbau dieses gentechnisch produzierten Humaninsulins mit dem Aufbau
Hypoglykämie des physiologischen menschlichen Insulins identisch ist, muss es viel genauer
Blutzuckerspiegel unterhalb 3,33 mmol/1 dosiert werden als tierisches Insulin, da die Gefahr einer rasch - ohne
Vorwarnung - auftretenden Hypoglykämie besteht.

Abb. 1 2-20 a-c.


Bauchspeicheldrüse (Pankreas) mit Kopf,
Körper und Schwanz (a).
Die schwarzen Punkte auf der Oberfläche
der Bauchspeicheldrüse sollen die unge-
fähre Verteilung der Langerhans-Inseln
andeuten, im Schwanzteil ist ihre Anzahl Kopf
(Capul
am größten. pancrealis)
b zeigt eine Langerhans-Insel innerhalb
a
des Gewebes der exokrinen Bauchspei-
~-Zelle a-Zelle
cheldrüse, c stellt die beiden Zelltypen I
des endokrinen Pankreas dar; die a -Zellen
produzieren Glukagon, die ß-Zellen
produzieren Insulin

Langerhans-Inseln exokrine
b mil a - und ~-Zellen c Kapillare Drüsenzelle
Endokrines Pankreas · Kapitel 12 · Endokrinologie 527

Unabhängig von der Hormonwirkung kann durch das tierische Insulin eine
allergische Reaktion hervorgerufen werden. Bei Unverträglichkeit des Schweine-
insulins muss dann menschliches Insulin verwendet werden .

Insulin ist ein lebenswichtiges Hormon, dessen Ausfall unweigerlich zum Tod
führt. Die Hauptaufgabe des Insulins besteht darin, die Glukoseverwertung zu
steigern. Dies geschieht durch Förderung des Glukosetransports über die Zell-
membranen hinweg und durch Stimulierung der Glukoseverbrennung. Außer-
dem fördert Insulin die Bildung von Glykogen in der Leber und in den Muskeln
sowie die Protein- und Lipidbildung aus Kohlenhydraten. Es hat somit anabole
(aufbauende) Wirkung 1 •

In ihrer Gesamtheit haben alle diese Vorgänge den Effekt, dass der Blutzuckerspie-
gel sinkt, indem Glukose entweder abgebaut oder in die entsprechenden Depots
eingebaut wird. Weiterhin fördert Insulin den Einbau von freien Fettsäuren in das
Depotfett. Insulin wirkt also dem Fettabbau (Lipolyse) entgegen (antilipolytische Lipolyse
Wirkung) und verhindert damit gleichzeitig die Bildung von Ketonkörpern (z. B. Mobilisierung von körpereigenem Fett,
Azetoazetat und Azeton, die bei Diabetikern mit der Atemluft ausgeatmet werden Fettabbau
und den typischen unangenehm azetonartigen Geruch bewirken).
antilipolytisch
Glukagon und seine Stoffwechselwirkungen dem Fettabbau entgegen wirkend
Das in den a-Zellen des Inselorgans produzierte Glukagon ist ebenfalls ein Poly-
peptidhormon. Es besteht aus einer Kette von 29 Aminosäuren. Glukagon kann
als Antagonist des Insulins angesehen werden, da es den Glykogenabbau fördert Antagonist
und damit den Blutzuckerspiegel erhöht. Im Gegensatz zu Adrenalin, das u. a. den Gegenspieler
Abbau von Leber- und Muskelglykogen bewirkt, fördert Glukagon lediglich den
Abbau des Leberglykogens. Auf den Fettstoffwechsel wirkt Glukagon im Sinne
einer Förderung der Fettsäureoxidation, also fettspaltend (lipolytisch).

12.8.2 Regulation der Blutzuckerkonzentration

Die Glukosekonzentration im Blut wird normalerweise auf einem Wert zwischen


3,33 und 5,55 mmol/1 (60-100 mg/wo ml) konstant gehalten. Obwohl durch wech-
selnde Kohlenhydrataufnahme mit der Nahrung und Veränderungen der Glukose-
oxidationsrate, die bei Arbeit um ein Vielfaches ansteigen kann, ständig Abwei-
chungen von diesem Soll-Wert auftreten, ist das Regelsystem meist in der Lage,
dies sofort wieder auszugleichen. Nur eine massive Kohlenhydratzufuhr kann
u. U. einen vorübergehenden Anstieg des Blutzuckerspiegels auf 6,66-7,15 mmol/1
bewirken. Dies nennt man alimentäre oder postprandiale Hyperglykämie. • alimentär
Die Blutglukoseko nzentration kann als eine Resultante aus glukoseliefernden ernährungsbedingt
und -verbrauchenden Vorgängen im Organismus aufgefasst werden. • postprandial
Zu den Prozessen, die Glukose liefern, zählen: nach Nahrungsaufnahme
• Glukosezufuhr (mit der Nahrung),
• Glykogenabbau,
• Galaktoseumbau,
• Fruktoseumbau und
• Glukoneogenese (Neubildung von Glukose z. B. aus Aminosäuren).

' Anabolie: Aufbauphase des Stoffwechsels; Metabolie: Umbauphase des Stoffwech-


sels; Katabolie: Abbauphase des Stoffwechsels.
528

Wichtige Hormone des Glukosestoff- Glukoseverbrauchende Prozesse sind:


wechsels • Glukoseoxidation,
• Insulin • Glykogenaufbau und
• Glukagon • Fettbildung.
• Adrenalin
• Somatotropin (STH) Durch Aktivierung oder Hemmung der einzelnen, vorwiegend hormonell ge-
• Glukokortikoide (z. B. Kortisol) steuerten Vorgänge wird das System auf dem vorgegebenen Soll-Wert des Blut-
zuckerspiegels konstant gehalten. Eine wesentliche Funktion bei dieser Regula-
tion hat das Insulin. Steigt die Glukosekonzentration im Blut (z. B. nach Nah-
rungsaufnahme), so wird Insulin in verstärktem Maße sezerniert und damit der
Blutzuckerwert wieder gesenkt.
Daneben sind aber auch Adrenalin, Glukagon, Somatotropin (STH) und die
Glukokortikoide an der Blutzuckerregulation beteiligt. Diese 3 Antagonisten des
Insulins werden vermehrt freigesetzt, wenn die Glukosekonzentration unter den
Normalwert absinkt. Dadurch wird ein Konzentrationsanstieg eingeleitet. Die
Ausschüttung dieser 3 Hormone erfolgt unter der Kontrolle des Hypothalamus, in
dem die Höhe des Glukosespiegels von glukoseempfindlichen Zellen (sog. Gtuko-
staten) gemessen wird.
Kortisol und Thyroxin sind offensichtlich an der Regulation nicht beteiligt.

Hypoglykämien

Unter Hypoglykämie versteht man den stark herabgesetzten Zuckergehalt des


Blutes (Biutzuckerspiegel <3,33 mmol/1).

• exogen Es wird dabei zwischen exogenen und endogenen Hypoglykämien unterschie-


von außen in den Körper gelangend den. Exogene Hypoglykämien können durch unsachgemäße Medikationen auf-
• endogen treten (zu hohe Dosen an Insulin oder oralen Antidiabetika) sowie nach exzessi-
im Körper entstehend vem Alkoholgenuss durch Hemmung der Glukoneogenese.
• glykolytisch Den endogenen Hypoglykämien liegen verschiedene Ursachen zugrunde:
Glukose abbauend z. B. insulinbildende lnselzelltumoren, schwere Lebererkrankungen mit Glukose-
bildungsstörungen und angeborene Stoffwechselerkrankungen mit Störung der
glykotytischen Enzyme.
Rascher Blutzuckerabfall führt infolge sympathischer Gegenregulation
(Adrenalinausschüttung) zu Unruhe, Angstgefühl, Übelkeit, Zittern und Schwit-
zen. Hinzu kommen zentralnervöse Symptome wie Verwirrtheit, Sprach- und
Sehstörungen. Sehr niedrige Blutzuckerwerte schließlich führen zum hypoglykä-
mischen Schock (Koma). Dieser ist meist die Folge einer Insulinüberdosierung.

Hyperglykämien

Unter Hyperglykämie versteht man den erhöhten Zuckergehalt des Blutes.

Die wichtigste Ursache für eine Hyperglykämie ist der Diabetes mellitus
(Zuckerkrankheit); er stellt die häufigste Stoffwechselerkrankung dar (2- 3o/o der
Bevölkerung). Die Ursache des Diabetes mellitus ist ein relativer oder absoluter
Insulinmanget Dadurch kommt es zu charakteristischen Störungen des Kohlen-
hydrat-, Fett- und Eiweißstoffwechsels. Im Vordergrund stehen dabei allerdings
Zirbeldrüse · Kapitel12 · Endokrinologie 529

die Störungen der Glukoseverwertung mit den daraus resultierenden Folgen.


Eine der wichtigsten Spätfolgen von Diabetes mellitus ist die Mikroangiopathie,
eine krankhafte Veränderung der kleinen und kleinsten Gefäße. Durch Mikro-
angiopathien können an verschiedenen Orten wie in der Netzhaut des Auges,
dem Innenohr, der Niere schwere Störungen auftreten, die zu Blindheit, Taubheit,
Proteinverlust etc. führen.

Es wird heute zwischen 2 Arten des Diabetes mellitus unterschieden: Formen des Diabetes mellitus
• Diabetes vom Typ 1: tritt meist schon bei Jugendlichen unter 20 Jahren auf und • Typ I (insulinabhängig)
wird als Autoimmunkrankheit interpretiert. • Typ II (nicht insulinabhängig)
• Diabetes vom Typ II: tritt meist erst nach dem 40. Lebensjahr auf und ist häufig
(ca. 8o%) mit starkem Übergewicht (Typ Ilb) gekoppelt. Typ I wird auch als in-
sulinabhängig und Typ II als nicht insulinabhängig bezeichnet.

12.9 Zirbeldrüse (Epiphyse)

12.9.1 Die Epiphyse und ihre Zelltypen

Am Dach des J. Ventrikels befindet sich eine pinienzapfenartige Ausstülpung, die Ventrikel
Zirbeldrüse (Corpus pineale, Epiphyse). Das organspezifische Gewebe (Paren- hier: Gehirnkammer
chym) der Zirbeldrüse besteht aus den Zirbeldrüsenzellen (Pinealozyten) und
den Zwischenzellen (interstitielle Zellen). Die interstitiellen Zellen sind wahr-
scheinlich umgewandelte Gliazellen (Astrozyten, s. Kap. 5, Nervensystem). Die
Pinealozyten bilden Strang- und kugelförmige Zellgr uppen, die von den intersti-
tiellen Zellen umgeben sind. Pinealozyten sind über lange Zellausläufer mit den
Blutgefäßen verbunden. Sie sind die Produzenten des Melatonins.

12.9.2 Wirkungen des Melatonins

Bei Amphlbien stellt das Melatonin den Antagonisten des MSH (melanozytensti- Wichtigste Funktion des Melatonins:
mulierendes Hormon) dar (s. Abschn. 12-4-3). Das Melatonin veranlasst die Melano- Steuerung der Tagesrhythmen
zyten zum Zurückziehen ihrer Zellausläufer, dadurch wird die Haut der Tiere heller. (biologische Uhr)
Bei Säugetieren und im besonderen beim Menschen steuert die Zirbeldrüse
mit ihrem Hormon Melatonin Tagesrhythmen und bildet damit eine biologische
Uhr. Bei Dunkelheit wird viel Melatonin produziert, bei Tageslicht sehr wenig.
Die Rezeptoren für die Lichtempfindlichkeit sind die Photorezeptoren der
Netzhaut (s. Kap. 16, Sinnesorgane). Es konnte gezeigt werden, dass Melatonin in
der Lage ist, die Probleme der raschen Zeitverschiebung (»jet lag«), wie sie bei
Langstreckenflügen auftreten, zu mildern bzw. in kürzester Zeit vollständig zu
beheben. Offensichtlich scheint ein höherer Melantoninspiegel die »innere Uhr«
auf den Nachtrhythmus einzustellen. Das erklärt auch die schlafinduzierende
Wirkung des Melatonins. Außerdem übt Melatonin einen hemmenden Einfluss
auf die Entwicklung der Keimdrüsen aus. Dies wird deutlich an jugendlichen Pubertas praecox
Patienten mit einer durch einen Tumor zerstörten Epiphyse, die eine verfrühte vor dem 8. Lebensjahr einsetzende
(Pubertas praecox) und stärkere Entwicklung der Keimdrüsen und des äußeren Pubertät
Genitales aufweisen. Wegen der vielen, möglicherweise auch noch unbekannten
Wirkungen ist von einer konstanten Einnahme von Melatoninpräparaten, wie sie
in den USA und als Resultat diverser Fernsehberichte auch in Europa in Mode ge-
kommen ist, jedoch abzuraten.
-•.

530
12.10 Fragen und Zusammenfassung zur Endokrinologie

Was versteht man unter dem Endokrinologie ist die Lehre der inneren Sekretion.
Begriff »Endokrinologie«? Endokrine Drüsen sind Drüsen ohne Ausführgang, die ihre
Wirkstoffe über das Interstitium an das Blut abgeben.

Wie definieren Sie den Begriff Hormone sind Regulationsstoffe, die in den endokrinen
Hormon? Drüsen hergestellt werden. Sie gelangen über die Blutbahn
an ein oder mehrere Erfolgsorgane und beeinflussen deren
Stoffwechsel in charakteristischer Weise.

Wie werden Hormone üblicher- Aufgrund der chemischen Struktur der verschiedenen
weise eingeteilt? Hormone unterscheidet man: Steroidhormone,
Aminosäurederivate, Proteo- und Peptidhormone:
• Steroidhormone: Dazu gehören die Geschlechtshormone
und die Nebennierenrindenhormone. Sie besitzen einen
Steranring als Grundstruktur (wie Cholesterin, Vitamin D
und die Gallensäuren).
• Aminosäurederivate: Sie leiten sich von Aminosäuren ab;
Beispiel: Adrenalin, Schilddrüsenhormon.
• Proteo- und Peptidhormone: Sie bestehen aus wenigen bis
sehr vielen Aminosäuren. Dazu gehören u. a. die Hypo-
physenhormone, die Releasingfaktoren, Parathormon,
Insulin und Glukagon.
Aufgrund ihres Entstehungsortes und ihrer hierarchischen
Strukturierung kann ein Teil der Hormone eingeteilt werden
in: Releasingfaktoren oder Liberine, glandotrope Hormone,
effektarische Hormone, Gewebshormone.

Was sind Releasingfaktoren Hypothalamisehe Wirkstoffe, die auf die untergeordnete


oder Liberine? Adenohypophyse wirken und diese zur Sekretion von
glandotropen oder effektarischen Hormonen veranlassen.

Was sind glandotrope Hormone? Hypophysäre Hormone, die auf periphere Drüsen
(Glandulae) wirken und diese zur Produktion von glandulä-
ren oder effektarischen Hormonen (z. B. in der Schilddrüse
T3 und T4) veranlassen.

Was sind glanduläre oder effek- Hormone, die von peripheren Drüsen gebildet werden
tarische Hormone? und direkt auf die Zellen der Zielorgane wirken, deren
Stoffwechsel sie charakteristisch beeinflussen.

Was sind Gewebshormone? Eine Gruppe von Hormonen, die in den einzelnen Geweben
gebildet werden, meist in diffus verteilten hormonproduzie-
renden Zellen, die direkt auf das umgebende Gewebe wirken.
Beispiel sind die gastrointestinalen Hormone, z. B. Gastrin
und Sekretin (s. auch Kap. 10, Verdauungssystem).
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel12 · Endokrinologie 531
Was sind aglanduläre Hormone?

Das sind Hormone, die zwar ähnlich wie die Gewebshormone


gebildet werden, aber auch über den Blutweg abgegeben wer-
den können, um so andere Organe zu beeinflussen.
Wie werden Hormone reguliert?

Die Regulation eines Teils der Hormone geschieht über einen


3-stufigen Regulationsmechanismus:
An der Spitze steht der Hypothalamus mit seinen Releasing-
faktoren, die in der Adenohypophyse die Freisetzung von
glandotropen Hormonen bewirken, die ihrerseits auf eine
periphere Drüse wirken, die dann ein effektarisches Hormon
produziert.
Wie wird die Hormonwirkung
begrenzt? Damit Hormone nicht zu hohe Konzentrationen erreichen
und ihre Wirkung begrenzt werden kann, kommt es vielfach
zur Hormoninaktivierung im Erfolgsorgan oder zum Abbau
in der Leber.
Über welche Mechanismen
wirken die Hormone? Es werden 3 Wirkungsmechanismen unterschieden:
• Permeabilitätsänderungen,
• Enzymaktivierung,
• Genaktivierung.

Was muss an den Zielorganen


Hormone wirken an den »Zielorganen« nur, wenn diese mit
vorhanden sein, damit die spezifischen Hormonrezeptoren ausgestattet sind.
Hormone wirken können?

Was versteht man unter einer Dies bedeutet, dass als Vorbedingung für die Wirkung
permissiven Wirkung? mancher Hormone die vorausgegangene Einwirkung eines
zweiten Hormons nötig ist.

Wie teilt man den Hypothalamus Im Hypothalamus unterscheidet man einen markreichen Teil
ein? Welche Bereiche haben eine mit vielen Nervenfasern und einen markarmen Teil mit vie-
Bedeutung für das endokrine len Kerngebieten. Im markarmen Teil sind diverse vegetative
Regulationszentren vorhanden (s. Kap. s, Nervensystem).
System?
Der Nucleus supraopticus und der Nucleus paraventricularis
sind über Nervenbahnen mit der Neurohypophyse (Hypo-
physenhinterlappen) verbunden. In den beiden Kerngebieten
wird Oxytozin und ADH (antidiuretisches Hormon) gebildet,
über Axone transportiert und in der Neurohypophyse bei
Bedarf freigesetzt:

Es wirkt bei der schwangeren Frau auf die Uterusmuskulatur


Was bewirkt das Hormon und leitet damit die Wehen ein. In der laktierenden Brust-
Oxytozin? drüse wirkt es kontrahierend auf die Myoepithelien, die da-
mit zur Milchaustreibung veranlasst werden.
532 Was bewirkt das Hormon ADH?

Es wirkt u. a. auf die Sammelrohre der Niere (s. Kap. 11, Nie-
ren und ableitende Harnwege) und führt dort zur Permeabili-
tät oder zur Permeabilitätserhöhung für Wasser, das damit
unter dem vorhandenen hohen osmotischen Gradienten ins
Nierenmark strömen kann und so dem Körper erhalten
bleibt. Wenn zu wenig ADH gebildet oder abgegeben wird,
kommt es zu Diabetes insipidus (Wasserharnruhr) mit
Wasserabgabe bis 20 1/Tag.
Wie entsteht die Hypophyse
und wie wird sie unterteilt? Sie entsteht während der Entwicklung als Ausstülpung
des Rachendachs und als Ausstülpung des li I. Ventrikels
(s. Kap. 5, Nervensystem) . Beide Teile treffen sich und bilden
die Adenohypophyse (aus dem Rachendach) und die Neuro-
hypophyse (aus dem Boden des Dienzephalon). Zwischen
beiden liegt die Pars intermedia.
Wo befindet sich die Hypo-
physe? Wie schwer ist sie? Sie liegt in der Hypophysengrube auf dem Türkensattel und
wiegt ca. o,6 g.
Wie ist die Adenohypophyse mit
Sie ist über einen Portalkreislauf (ähnlich wie bei der Leber)
dem Hypothalamus verbunden?
mit dem markarmen Hypothalamus verbunden. Aus den
Welche Bedeutung hat diese
Kerngebieten des Nucleus ventromedialis, dorsomedialis und
Verbindung?
infundibularis gelangen Releasingfaktoren auf dem Blutweg
in die Adenohypophyse, die dadurch zur Bildung glandotro-
per und effektarischer Hormone angeregt wird.

Welche glandotropen Hormone • TSH ( schilddrüsenstimulierendes Hormon),


der Hypophyse kennen Sie? • ACTH (adrenokortikotropes Hormon) sowie
• FSH (follikelstimulierendes Hormon) und
• LH (luteinisierendes Hormon).
Die beiden letzten werden auch als gonadotrope Hormone
bezeichnet, da sie auf die Gonaden (Hoden und Eierstock)
wirken (s. auch Kap. 13, Geschlechtsorgane und
Fortpflanzung).
Fragen und Zusammenfassung · Kapitell2 ·Endokrinologie 533
Nennen Sie die effektarischen
Hormone der Hypophyse Aus dem Hypophysenvorderlappen und aus der Pars interme-
und ihre Funktion! dia der Hypophyse stammt das MSH (melanozytenstimulie-
rendes Hormon), das beim Menschen nur untergeordnete
Bedeutung hat. Zusammen mit STH (somatotropes Hormon)
und Prolaktin wird es als effektarisches Hormon bezeichnet.
STH (somatotropes Hormon) hat eine anabole Wirkung. Es
fördert die Proteinsynthese, hemmt die Glukoseverwertung
und führt zum Abbau von Depotfett. STH fördert den Kno-
chenaufbau. 5TH-Überschuss führt beim Kind und Jugend-
lichen zu Gigantismus, da die Epiphysenfugen der Röhren-
knochen noch nicht geschlossen sind. Beim Erwachsenen
führt es zu Akromegalie. 5TH-Mangel während der Wachs-
tumsperiode führt zu hypophysärem Minderwuchs.
Prolaktin fördert am Ende der Schwangerschaft die Milch-
bildung in der Brustdrüse.

Was wissen Sie über Bau


Die Schilddrüse (Glandula thyroidea) besteht aus einem lin-
und Lage der Schilddrüse?
ken und einem rechten Lappen, die miteinander über den
Isthmus verbunden sind. Sie liegt auf beiden Seiten der
Trachea (2.-4. Trachealknorpel). Ein fakultativer Pyramiden-
lappen (Lobus pyramidalis) entsteht durch eine mangelhafte
Rückbildung des Ductus thyroglossus, der vom Foramen
caecum der Zunge ausgehend die Entwicklung der Schild-
drüse markiert.

Welche Hormone werden Das Drüsengewebe besteht aus Follikeln, die mit Kolloid ge-
in der Schilddrüse produziert füllt sind. Im Kolloid sind die Hormone T3 und T4 an Thyro-
und welche Funktion haben sie? globulin (ein Protein) gebunden. Bei Bedarf können sie davon
abgespalten werden und gelangen dann in die Blutbahn.
T3 enthält pro Molekül3 Atome Jod, T4 enthält 4 Atome Jod.
Die Bildung beider ist von einer ausreichenden Jodzufuhr mit
der Nahrung oder dem Wasser abhängig. 98% des Jods im
Körper werden in die Schilddrüse mit der Jodidpumpe trans-
portiert. T3 hat eine stärkere, T4 eine längere Wirkung zur
Folge.T3 und T4 bewirken eine Beschleunigung aller oxidati-
ven Stoffwechselvorgänge. Dies führt zu einer Steigerung des
Energiebedarfs und des Grundumsatzes. Davon sind Prote-
ine, Fette und Kohlenhydrate gleichermaßen betroffen.

Die Regulation des Blutspiegels von T3 und T4 geschieht im


Wie wird die Hormonproduktion Sinne der klassischen, hierarchisch gegliederten Pyramide
in der Schilddrüse geregelt? (Hypothalamus, Hypophyse, periphere Drüse); wichtig dabei
ist das TSH.
534 Was bezeichnet man mit dem
Begriff Hypothyreose?
Die Unterfunktion der Schilddrüse, sie tritt in 3 Formen auf:
• endemischer Kretinismus (wegen der jodierung von
Kochsalz heute selten),
• sporadischer Kretinismus (Fehlen der Schilddrüse) und
• Myxödem (kann durch Gabe von T , und T, geheilt werden).
Was ist eine Hyperthyreose?
Eine Überfunktion der Schilddrüse; sie führt u. a. zu stark er-
höhtem Grundumsatz, erhöhter Herzfrequenz, Körpertempe-
ratur, Erregbarkeit und Gedanken jagen. Wenn es zur Bildung
eines von Lymphozyten produzierten Antigens (TSI) kommt,
das die Schilddrüse unabhängig vom Hypothalamus-Hypo-
physen-Regelkreis stimuliert, kann dieses Antigen die äuße-
ren Augenmuskeln verdicken. Die Folge davon ist ein Hervor-
treten der Augäpfel (Exophthalmus). Hyperthyreose mit
Exophthalmus wird als M. Basedow bezeichnet.
Was wissen Sie über Bau,
Die beiden oberen und die beiden unteren Nebenschild-
Lage und Gewicht der Neben-
drüsen sitzen auf der Rückseite der Schilddrüse, in die Faszie
schilddrüsen
der Schilddrüse eingebaut. Sie wiegen zusammen nur 150 mg
(Giandulae parathyroideae)?
und haben einen typischen epithelartigen Aufbau.

Welches Hormon wird in den


Das Parathormon; es wirkt an 3 Orten:
Nebenschilddrüsen produziert
• Abbau von Hydroxylapatit im Knochen (durch die
und wie wirkt es? Mobilisierung der Osteoklasten; dies führt zu einer
Erhöhung des Kalziumspiegels),
• Hemmung der Phosphatrückresorption in der Niere
(damit erhöhte Ausscheidung von Phosphat),
• Erhöhung der Kalziumresorption im Darm .
Ziel der Parathormonwirkung ist eine Erhöhung des Kalzium-
spiegels im Blut.

Was sind C-Zellen? Es sind parafollikuläre Zellen der Schilddrüse. Sie produzie-
ren Kalzitonin, das als partieller Antagonist des Parat-
hormons wirkt, da es zwar über Aktivierung der Osteoblasten
zum Einbau von Kalzium in die Knochen führt, aber keinen
Einfluss auf die Phosphatausscheidung in der Niere hat.

Die Bildung von Vitamin-D-Hormon wird durch Parathor-


Was bewirkt das Vitamin-D-
mon stimuliert. Vitamin-D-Hormon fördert die Aufnahme
Hormon? Welches Hormon
von Kalzium aus dem Darm.
stimuliert seine Bildung?
Die Nebennieren bestehen aus 2 funktionell und entwick-
Wie sind die Nebennieren aufge· lungsgeschichtlich unterschiedlichen Anteilen:
baut? Nebennierenrinde (NNR, aus dem Mesoderm) und
Nebennierenmark (NNM, aus dem Nervensystem entstan-
den). Beieie Anteile haben endokrine Funktion.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitell2 ·Endokrinologie 535
Aus welchen Schichten besteht
die Nebennierenrinde? Die Nebennierenrinde (NNR) besteht aus: Zona glomerulosa
(Mineralokortikoide), Zona fasciculata (Glukokortikoide),
Zona reticularis (Androgene).
Nennen Sie die wichtigsten
Vertreter der NNR-Hormone • Der wichtigste Vertreter der Mineralokortikoide ist das
und ihre Wirkung? Aldosteron. Es wird bei Natriummangel über das Nieren-
hormon Renin (mit den Zwischenstufen: Angiotensinogen,
Angiotensin I, Angiotensin II) freigesetzt und bewirkt eine
Erhöhung der Elektrolytrückresorption in der Niere.
• Die wichtigsten Vertreter der Glukokortikoide sind Kortisol
und Kortikosteron, die im Verhältnis 7:1 im Körper vorkom-
men. Glukokortikoide bewirken physiologischerweise eine
Vielzahl von Mechanismen; die wichtigsten sind: Förderung
des Proteinabbaus und Neubildung von Blutzucker durch
Umbau von Aminosäuren sowie Hemmung der Glukose-
verwertung.
In therapeutischen Dosen eingesetzt, kommt es zu 2 wichti-
gen pharmakologischen Wirkungen: Entzündungshemmung
(Herabsetzung der Leukozyteninfiltration und Stabilisierung
der Zellmembranen), antiallergische Wirkung (verminderte
Antikörperbildung und reduzierte Histaminfreisetzung).
• NNR-Androgene sind unter normalen Bedingungen von
untergeordneter Bedeutung. Der wichtigste Vertreter ist das
DHEA (Dehydroepiandrosteron) Beim adrenogenitalen
Syndrom (Überfunktion der NNR durch Fehlsteuerung)
führen Androgene bei der Frau zu Virilismus (Vermänn-
lichung) mit Hirsutismus (männliche Behaarung), männ-
lichem Körperbau, männlicher Brustdrüse etc.

Welche Folgen haben die Über- • Überfunktion der Zona fasciculata (Glukokortikoide) führt
bzw. Unterfunktion der NNR? zum Cushing-Syndrom (Vollmondgesicht, Knochenabbau
mit Osteoporose, Proteinabbau mit schlechter Wundheilung,
Stammfettsucht, Ecchymosen, Striae in der Bauchhaut etc.
• Unterfunktion wird als NNR-Insuffizienz bezeichnet. Die
primäre NNR-Insuffizienz (M. Addison) entsteht, wenn
mindestens 90% der NNR nicht mehr funktionstüchtig
oder zerstört sind. Es sind in diesem Fall Mineralo- als auch
Glukokortikoide betroffen. Bei der sekundären Form
(ACTH-Mangel) sind v. a. die Glukokortikoide betroffen, da
die Mineralokortikoide praktisch nicht durch ACTH stimu-
liert werden.
Wichtige Symptome einer sich entwickelnden NNR-Tnsuffi-
zienz sind: Müdigkeit, Schwäche, Muskelkrämpfe, verstärkte
Pigmentation der Haut und Schleimhaut, psychische Störun-
gen etc.
536
Welche Zellen des Nebennieren-
marks sind Hormonproduzenten
Die hormonproduzierenden Zellen des Nebennierenmarks
und welche Hormone produzie- sind die chromaffinen oder phäochromen Zellen. Sie produ-
ren sie? zieren Adrenalin und Noradrenalin.

Welche Wirkungen haben


Adrenalin und Noradrenalin? • Adrenalin: Zunahme des Herzminutenvolumens (HMV),
Erweiterung der Bronchien, Steigerung des Glykogenabbaus
(zur Energieproduktion) und Steigerung der zentralner-
vösen Erregbarkeit.
• Noradrenalin: Erhöhung des Blutdrucks.
Gibt es Unterfunktion und Über-
funktion bei den Hormonen • Unterfunktionen sind praktisch nicht bekannt, da beide
des NNM? Hormone auch an anderen Orten des Körpers gebildet
werden, z. B. als Transmittersubstanz (Noradrenalin).
• Durch einen gutartigen Tumor (Phäochromozytom)
können Adrenalin und Noradrenalin in lebensbedrohender
Menge produziert werden.

ln welcher Verbindung steht das


Die Zellen des endokrinen Pankreas sind während der Ent-
endokrine Pankreas (Bauch-
wicklung aus den Zellen des exokrinen Pankreas (s. Kap. 10,
speicheldrüse) zum exokrinen
Verdauungssystem) hervo rgegangen. Sie liegen v. a. im
Pankreas?
Schwanz der Bauchspeicheldrüse (Cauda pancreatis), in ca.
1-2 Mio. Langerhans-lnseln.

Was ist die Aufgabe der endo- Sie bestehen aus glukagonproduzierenden a-Zellen (2o%)
krinen Langerhans-lnseln? und insulinproduzierenden ß-Zellen (So%).

Welche Wirkungen haben Insulin • Insulin steigert die Glukoseverwertung. Es fördert den
und Glukagon? Transport von Glukose in die Zellen und stimuliert die
Glukoseoxidation. Außerdem fördert es die Bildung von
Glykogen sowie die Synthese von Protein und Lipid aus
Kohlenhydraten.
• Glukagon ist ein Antagonist des Insulins. Es fördert den
Abbau von Glykogen in Muskulatur und Leber sowie die
Fettverbrennung (Lipolyse ).
Wie wird die Blutzuckerkonzen-
Die Glukosekonzentration im Blut wird in der Regel zwischen
tration reguliert?
3,33 und 5,55 mmol/1 konstant gehalten. Daran sind glukose-
verbrauchende (Glukoseoxidation, Glykogenaufbau, Fett-
bildung) und glukoseliefernde Mechanismen (Glukosezufuhr,
Glykogenabbau, Galaktoseumbau, Fruktoseumbau, Glukoneo-
genese) beteiligt.
Die Aufrechterhaltung des notwendigen Glukosespiegels im
Blut geschieht unter der Beteiligung von Insulin und Gluka-
gon (diese beiden sind führend) sowie von Adrenalin und
STH.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel12 ·Endokrinologie 537
Was versteht man unter dem
Begriff der Hypoglykämie? Bei einer Hypoglykämie liegen bei Blutzuckerwerten unter
3,33 mmol/1 vor. Man unterscheidet endogene und exogene
Hypoglykämien. Endogene Hypoglykämien treten z. B. bei
Inselzelltumoren auf, exogene entstehen v. a. durch Überdo-
sierung von gespritztem Insulin.
Was versteht man unter dem
Begriff der Hyperglykämie? Einen zu hohen Blutzuckergehalt Dieser entsteht in den
meisten Fällen durch Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit).
Es handelt sich dabei um einen relativen oder absoluten
InsulinmangeL Neben Störungen des Fett- und Proteinstoff-
wechsels kommt es v. a. zu Störungen im Kohlenhydratstoff-
wechsel. Dies führt u. a. als Spätfolge zu Mikroangiopathien.
Wo liegt die Zirbeldrüse
Die Zirbeldrüse sitzt, als Ausstülpung, am Dach des 3. Hirn-
(Epiphyse, Corpus pineale)
ventrikels. Sie besteht aus Zirbeldrüsenzellen (Pinealozyten)
und was ist ihre Aufgabe?
und Zwischenzellen (interstitielle Zellen). Sie produziert das
Hormon Melatonin, das bei der Regulation von Tagesrhyth-
men (biologische Uhr) und der Hemmung der Keimdrüsen-
entwicklung bis zur Pubertät wirksam ist.
13 Geschlechtsorgane
und Fortpflanzu n

13.1 Geschlechtsmerkmale 540


13.1 .1 Geschlechtliche Differenzierung
13.1 .2 Pubertät 542

13.2 Weibliche Geschlechtsorgane 542


13.2.1 Innere Geschlechtsorgane der Frau 542
13.2.2 Äußere Geschlechtsorgane der Frau 557
13.2.3 Sekundäre weibliche Geschlechtsmerkmale 559

13.3 Männliche Geschlechtsorgane 564


\_
.. 13.3.1 Innere Geschlechtsorgane des Mannes 564
13.3.2 Äußere Geschlechtsorgane des Mannes 570

13.4 Fortpflanzung 572
13.4.1 Geschlechtsverkehr 572
13A.2 Befruchtung 573
13.4.3 Bildung des Keimbläschens (Biastozyste) 574
13.4.4 Plazenta 576
13.4.5 Schwangerschaft und Entwicklung des Kindes 577

13.5 Fragen und Zusammenfassung


zu Geschlechtsorganen und Fortpflanzung 580
540

13 Geschlechtsorgane und Fortpflanzung

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
...Die primären, sekundären und tertiären Geschlechtsunterschiede nennen
...Die geschlechtliche Entwicklung aus einem Indifferenzstadium erklären
...Den »kleinen Unterschied« zwischen Mann und Frau und die Möglichkeit
der chromosomalen Fehlverteilung d iskutieren
• ...Die weiblichen und männlichen primären und sekundären Geschlechtsorgane
in Bau und Funktion erläutern
...Die Follikelreifung und die Bedeutung der Follikelatresie verstehen
...Die Eileiter in ihrer Struktur und ihrer Funktion darstellen
...Das Endometrium und seine Beteiligung am weiblichen Menstruationszyklus
'P. diskutieren
... Die Bedeutung der Hormone für den weiblichen Zyklus erläutern
... Den Bau der Vagina als Basis für ihre Doppelfunktion verstehen
... Den Aufbau der weiblichen Brust und ih re Aufgabe der Milchproduktion erklären
... Den Aufbau des Hodens und die Spermienproduktion erläutern
... Den Hodena bstieg als Voraussetzung für die Spermien produktion verstehen
... Die Beteiligung der akzessorischen Geschlechtsdrüsen an der Bildung
des Ejakulates erklären
.,.. Die verschiedenen Phasen des Geschlechtsverkehrs erläutern
.,.. Den Aufba u der Plazenta und die frühen Entwicklungsstadien
der befruchteten Eizelle erläutern

13.1 Geschlechtsmerkmale

Die Unterscheidungsmerkmale zwischen Mann und Frau werden als Ge-


schlechtsmerkmale bezeichnet.
• Primäre Geschlechtsmerkmale: bereits Man unterscheidet zwischen primären, sekundären und tertiären Geschlechts-
bei der Geburt vorhanden merkmalen:
Sekundäre Geschlechtsmerkmale: ent- • Primär werden d ie Geschlechtsunterschiede genannt, wenn sie schon zum Zeit-
wickeln sich erst während der Pubertät punkt der Geburt vorhanden sind. Es handelt sich bei den primären Ge-
• Tertiäre Gechlechtsmerkmale: unter- schlechtsmerkmalen sowohl um die inneren (Hoden, Eierstöcke etc.) als auch
schiedliche Leistung der einzelnen die äußeren Geschlechtsorgane (Penis, Schamlippen etc.), die beim Neugebore-
Organe bei Mann und Frau nen schon ausgebildet sind.
• Die sekundären Geschlechtsmerkmale entwickeln sich erst zum Zeitpunkt der
Pubertät unter der Wirkung der dann vermehrt im Körper produzierten Ge-
schlechtshormone. Unter ihrer Wirkung entwickelt sich die weibliche Brust
und die Schambehaarung; die geschlechtsspezifische Körperbehaarung, unter-
Geschlechtsmerkmale · Kapitel 13 · Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 541

schiedliche Proportionen im Bau des Kehlkopfes, eine typisch männliche bzw.


weibliche Verteilung der subkutanen Fettpolster etc. bilden sich aus.
• Als tertiäre Geschlechtsmerkmale bezeichnet man die unterschiedliche Leis-
tung der einzelnen Organe bei der Frau und beim Mann, z. B.:
- die glomeruläre Filtrationsrate (GFR), eine Funktionsgröße der Niere, die bei
der Frau niedriger ist als beim Mann,
- die Anzahl der Erythrozyten pro mm' Blut, die ca. 4,6 Mio. bei der Frau und
ca. 5,2 Mio. beim Mann beträgt.

Der eigentliche >>kleine<< Unterschied zwischen Frau und Mann liegt jedoch, wie Heterosomenpaar

schon in den Kap. 2 und Kap. 3 (Zytologie und Histologie) beschrieben, in der ge- • XX-Chromosomen bei der Frau
netischen Konstitution, d. h. im Vorhandensein der entsprechenden Chromoso- • XY·Chromosomen beim Mann
men (Heterosomenpaar). Dies sind die 2 X-Chromosomen bei der Frau und das
XV-Paar beim Mann. Streng genommen ist das Vorhandensein oder Fehlen des Y- Heterosomenpaar
Chromosoms der entscheidende Faktor in der Entwicklung von Mann und Frau. Paar der Geschlechtschromosomen
(im Unterschied dazu die Autosomen,
13.1.1 Geschlechtliche Differenzierung die nicht geschlechtsbestimmend sind)

Vergleicht man einen weiblichen und einen männlichen Embryo während der
4. bis 8. Entwicklungswoche, kann man aufgrund der ausgebildeten inneren und
äußeren Strukturen keinen Unterschied zwischen beiden feststellen. Dies liegt
daran, dass alle Teile der Geschlechtsortgane bei beiden Geschlechtern zunächst
indifferent angelegt werden. Man spricht deshalb von einem lndifferenzstadium. indifferent
Von der 9. Entwicklungswoche an beginnen sich die beiden Geschlechter un- neutral, noch nicht differenziert
terschiedlich zu entwickeln. Erst gegen Ende des 4· Monats sind die Unterschiede
jedoch so deutlich, dass auf dem Ultraschallbild eine Identifikation des Ge-
schlechts möglich ist.
Die oben erwähnte Zusammensetzung der Chromosomen ist für die ge-
schlechtliche Differenzierung verantwortlich. Neben dem Normalfall mit XX
(weiblich) oder XY (männlich) sind allerdings viele Abweichungen bekannt, die auf Intersexualität
einer Fehlverteilung der Heterosomen basieren. So können zusätzliche Chromoso- zwischen den beiden Geschlechtern
men vorhanden sein (XXY, XYY etc.); es kann aber auch ein X- bzw. das Y-Chro- stehend, z. B. mit Ausprägung von sowohl
mosom fehlen (XO, Turner-Syndrom). Ein sehr häufiger Fall der chromosomal be- weiblichen als auch männlichen
dingten Intersexualität ist das Klinefelter-Syndrom (XXY), das mit einer Häufigkeit Geschlechtsmerkmalen, hier: mit einer
von ca. l:t.ooo auftritt. Patienten mit dem Klinefelter-Syndrom weisen einen eu- Fehlverteilung der Heterosomen
nuchoiden Hochwuchs und eine feminine Fettverteilung auf. Ihre Hoden sind nicht
voll entwickelt und können keine befruchtungsfähigen Spermien bilden. eunuchoid
Neben einer Chromosomenfehlverteilung können auch andere Faktoren zur ähnlich wie ein Eunuch, d. h. wie ein
Intersexualität führen. Zum Beispiel kann bei normalem Chromosomensatz eine kastrierter Haremswächter
test ikuläre Feminisierung auftreten, d. h. das Individuum weist ein weibliches
Erscheinungsbild auf, besitzt aber nur eine blind endende Vagina, und anstelle testikulär
von Eierstöcken sind lediglich rudimentäre Hoden in der Bauchhöhle vorhan- auf die Hoden bezogen, Testi kel= Testis =
den. Ein solcher Fall wird als Pseudohermaphroditismus bezeichnet. Hoden
Echter Hermaphroditismus besteht dann, wenn gleichzeitig Eierstöcke und
Hoden vorhanden sind. Dies kann bei niederen Wirbeltieren (z. B. Fröschen) re- Hermaphroditismus
lativ häufig beobachtet werden, kommt beim Menschen allerdings nicht vor. nach den griechischen Göttern Hermes
(Kriegsgott) und Aphrodite (Liebesgöttin)
bezeichnet
542

13.1.2 Pubertät

Der Beginn der Pubertät (Zeit der Geschlechtsreife) ist gekennzeichnet durch ei-
ne vermehrte Bildung von Geschlechtshormonen in den entsprechenden Drüsen.
So werden z. B. im Ovar (Eierstock) vermehrt Östrogen und im Hoden vermehrt
Testosteron gebildet.
Veränderungen der Pubertät Diese Hormonproduktion wird durch die Ausschüttung von übergeordneten
• Bildung der Geschlechtshormone Hormonen aus der Hirnanhangsdrüse in Gang gesetzt. Die Folge sind verschie-
• puberale Streckung den e Veränderungen im Körper. Besonders auffällig ist die >>puberale Streckung<<,
• Beginn der apokrinen Schweißdrüsen- ein durch die Hormon e ausgelöster Wachstumsschub. Der Kehlkopf des Mannes
sekretion ändert seine Dimensionen, dadurch kommt es zum Stimmbruch (s. Kap. 9,
• Regelblutung Atmungssystem). Die apokrinen Schweißdrüsen (Duftdrüsen), mit ihrem alkali-
• Ejakulation schen, durch Bakterien zersetzbaren Sekret, be ginn en mit der Schweißproduk-
• Geschlechtstrieb tion. In Europa liegt der Beginn der Pubertät bei der Frau zwischen dem 10. und
14. Lebensjahr, beim Mann in der Regel etwas später, zwischen dem 12. und
14. Lebensjahr. In diese Zeit fällt auch das Erwachen des Geschlechtstriebs; es zei -
gen sich die Wirkungen der Hormone auf die Geschlechtsorgane. Die hormonel-
len Veränderungen äußern sich bei der Frau in der ersten Regelblutung (Me-
narche ) und beim Mann in der Möglichkeit zum Samenerguss (Ejakulation}.

13.2 Weibliche Geschlechtsorgane

Primäre innere Geschlechtsorgane Die primären weiblichen Geschlechtsmerkmale sind bereits zum Zeitpunkt der
der Frau Geburt vorhanden (Abb. 13-1). Man rechnet dazu sowohl die inneren als auch die
• Eierstock (Ovari um) äußeren Geschlechtsorgane.
• Eileiter (Tuba uterina) Die inneren Geschlechtsorgane liegen im weiblichen Becken in einer Dupli-
• Gebärmutter (Uterus) katur (Verdoppelung) des Peritoneums, die als quergestellte Platte zwischen dem
• Scheide (Vagina) Rektum und der Harnblase eingeschoben ist (Abb. 13-2). Diese Peritonealdupli -
• Akzessorische Drüsen: kleine katur wird in ihrer Gesamtheit als Ligamentum latum (breites Mutterband) be-
Vorhofdrüsen (Giand ulae vestibulares zeichnet. Durch das Ligamentum latum werden die einzelnen Organ e überzogen.
minores), große Vorhofdrüsen
(Giandulae vestibulares majores) 13.2.1 Innere Geschlechtsorgane der Frau

Primäre äußere Geschlechtsorgane Eierstöcke


der Frau Anatomie der Eierstöcke
• Schamberg (Mons pubis) Die Eierstöcke (Ovarien) liegen auf jeder Seite des kleinen Beckens m emer
• Kleine Schamlippe (Labium minus, Grube (Fossa ovarica), die sich zwischen den beiden großen Beckenarterien b e-
Plural: Labia minora) findet (A. iliaca externa und A. iliaca interna).
• Große Schamlippe (Labium majus, Sie haben die Form und Größe einer Mandel mit ihrer Schale (ca. 3 cm lang).
Plural: Labia majora) Durch das Ligamentum latum bedeckt, sind sie mit diesem über das Mesovar
• Scheidenvorhof (Vestibulum vaginae) (ebenfalls eine Peritonealduplikatur) verbunden . Neben dem Mesovar sind
• Kitzler (Klitoris) 2 Ligamente vorhanden, die das Ovar befestigen: das Lig. ovarii proprium und

das Lig. Suspensorium ovarii.


Peritoneum
Bauchfell Struktur und Funktion der Eierstöcke
Der Peritonealüberzug der Ovarien wird als Keimepithel bezeichnet. Direkt un-
ter dem Keimepithelliegt eine schwache kollagenfaserige Kapsel, di e Tunica al-
buginea. Das Ovar wird in eine Rinde und ein Mark unterteilt. Im Mark befinden
sich v. a. die zu- und abführenden Gefäße. Die für die Funktion der Ovarien wich -
Weibliche Geschlechtsmerkmale· Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 543

Eierstockarterie - -
(A. ovarica) Abb. 13-1.
Erweiterung Übersicht über die inneren und äußeren
des Eileiters
(Ampulla) weiblichen Geschlechtsorgane

1+--Fiß~'-1-- Eierstock
(Ovar)

Eileiter
(Tuba utenna)

Gebärmunerenge
(Isthmus)

Gebärmunerhals
(Cervix uteri)

Scheide
(Vagina)

Kitzler
(Ciitoris)

=----- kleine Schamlippe


Harnröhrenöftnung / (Labium minus)

Bartholln-Drüse
(Giandula bulbo·
urethralis)

Abb. 13-2.
Gebärmuner Douglas-Raum Medianschnitt durch ein weibliches
Gebärmuner-
(Uterus) (Excavatio rectouterina)
schleimhaul Becken mit den Beckenorganen. Der
(Endometrium)
Douglas-Raum (Excavatio rectouterina)
"Gii.\-1-!M'--+1.-- Kreuzbein
stellt den tiefsten Punkt der weiblichen
(Ossacrum)
Harnblase Bauchhöhle dar. Die Gebärmutter (Uterus)
(Vesica urinarfa)
ist gegenüber der Scheide nach vorne ge-
neigt (Anteversio) und in sich selbst nach
""'--""-~,_---1- Mastdarm
(Rektum) vorne gebogen (Anteflexio)

Vaginalteil
(Portio vaginalis)

Scheide äußerer Schließmuskel


(Vagina) (M. sphincter ani e><lernus)
544

tigen Strukturen liegen im Rindenbereich. Das Bindegewebe der Rinde ist in


starken Wirbeln angeordnet. Zwischen den Bindegewebestrukturen liegen die
Keimzellen. Zur Zeit der Geburt sind in beiden Eierstöcken ca. 1 Mio. Keimzellen
vorhanden. Während des weiteren Lebens werden keine zusätzlichen Keimzellen
mehr produziert, im Gegenteil, ein großer Teil dieser Keimzellen geht im Laufe
des Lebens zugrunde (Follikelatresie).
Follikel Die Keimzellen liegen in der Rinde in Form von Follikeln, die während des
epithelumgebenes, bläschenartiges weiteren Lebens verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen. Die einzelnen
Gebilde Follikelstadien sind auf den Abb. 13-3 und Abb. 13-4 dargestellt.
Primordialfollikel: bestehen aus der Keimzelle und einer dünnen, teilweise
Follikelstadien unvollständigen Schicht von umgebenden Epithelzellen, die als Follikelepithel-
• Primordialfollikel zellen bezeichnet werden.
• Primärfollikel Primärfollikel: besitzen einen vollständigen, einschichtigen Oberzug von ku-
• Sekundärfollikel bischen Follikelepithelzellen.
• Tertiärfollikel Sekundärfollikel: besitzen einen mehrschichtigen Oberzug von Follikelepi-
• Graaf·Follikel theL Zwischen dem Follikelepithel und der Eizelle befindet sich eine Glashaut, die
Zona pe!Jucida.
Tertiärfollikel: besitzen einen Hohlraum im Follikel, das Antrum folliculi, das
eine proteinreiche Flüssigkeit enthält, den Liquor folliculi. Das Follikelepithel ist
im Bereich des Eihügels (Cumulus oophorus) in den Hohlraum vorgewölbt. Im
Cumulus oophorus befindet sich die Eizelle (Oozyte). Die Zellen, die die Eizelle
strahlenkranzförmig umgeben, werden als Corona radiata bezeichnet. Sie werden
beim Eisprung zusammen m it der EizelJe ausgestoßen.
Graaf-Follikel: sprungreife Follikel, die einen Durchmesser von bis über 1 cm
besitzen. Sie wölben die Oberfläche des Ovars deutlich aus, sodass bei Betrachtung
von außen eine bevorstehende Ovulation (Eisprung) daran erkannt werden kann.

Innere Binde· Follikelhöhle äußere Binde·


Abb.13·3. gewebsschicht (Antrum folliculi) gewebsschicht
Follikel-
(Theca Interna) (Theca externa)
Schematisierter Schn itt durch einen Eier- epithelzel len Eihügel
(Granulosa) (Cumulus
stock. Die hier gezeigten verschiede nen oophorus)
Stadien der Follikelreifung und des Ab-
uneröffneter ----,J~ ~---- Primärlollikel
baus sind in dieser Art nicht gleichzeitig
Follikel .,;n-.,=--...:...-.~--- Graat-Follikel
im Eierstock vorhande n, v. a. t ritt nicht ein (Atresie) f----;H-!'l!;..__,.--'~-- Eizelle
reifer Foll ikel (Graaf-Follikel) ge meinsam (Oozyte)
Tertlärtollikel
mit einem Gelbkörper auf. Der unten ge-
Rinde
zeichnete Gefäßstiel ist, wie das ganze (Cortex)
Organ, von Bauchfe ll umgeben. Im Mark Gelbkörper
(Corpus luteum)
befinden sich größere Gefäße, jedoch kei-
ne Entwicklungsstadien der Follikel. Die Bindegewebs-
Follikel und die Reifung svorgänge sind kapsel
(Tunica albuginea)
ausschließlich in der Rinde des Eierstoc ks
anzut reffen Mark ------!'f-->-<~11"11'1~:......=... ~:......."---- uneröttneter Fo llikel
(Medulla) (Atresie)

\U--4--~~---- Weißkörper
(Corpus al bicans)
Weibliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel 13 · Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 545

Abb. 13-4.
Primordialfollikel
Schema der Entwicklungsvorgänge im
Eierstock (Ovar) vom Primordialfollikel
Primärfollikel
über den Eisprung bis hin zum Weiß-
körper (Corpus albicans)

(Corpus luteum) Sekundärfollikel

BindegewebshOlle
EihOgel
(Theca intema und
(Cumulus
Theca extema)
oophorus) Graaf-Follikel

Um den Tertiärfollikel als auch um den Graaf-Follikel ist das umgebende


Bindegewebe in 2 Schichten organisiert: die zellreiche innere Schicht (Theca in-
terna) und die faserreiche äußere Schicht (Theca externa).
Die zellreiche Theca interna produziert gemeinsam mit den Follikelepithel-
zellen Geschlechtshormone, vornehmlich Östrogene.
Die verschiedenen Stadien der Follikelreifung werden nacheinander durch-
laufen. Unter der Wirkung der Hypophysenhormone treten jeweils nur wenige
Follikel gleichzeitig in diesen Reifungsprozess ein.
Bereits zum Zeitpunkt der Geburt haben die Keimzellen mit der Meiose be- Meiose
gonnen. Die Meiose ist notwendig, um aus den diploiden Oogonien (mit 46 Chro- Reduktionsteilung, Zellteilung
mosomen) die haploiden Eizellen (mit 23 Chromosomen) entstehen zu lassen: von Keimzellen
Zunächst treten die unreifen Eizellen (primäre Oozyten) in die Prophase der
1. Reifeteilung ein. In ihr können sie bis zum Ende des Klimakteriums verweilen, Klimakterium
es sei denn, sie entwickeln sich weiter zu sprungreifen Keimzellen. Da dieses Sta- Wechseljahre
dium so lange dauern kann, hat es einen eigenen Namen bekommen: Diktyotän.
Bereits im Diktyotän paaren sich die homologen Chromosomen (s. Kap. 2, Diktyotän
Zytologie). Dies kann bei Frauen über 34 Jahren vermehrt dazu führen, dass in bis zu so Jahre dauernde Prophase
den weiteren Stadien der Keimzellbildung die Chromosomen nicht mehr ausein- der 1. Reifeteilung
ander weichen können (chromosomale Nondisjunction) .
Das wiederum führt zu Trisomien, z. B. Down Syndrom (früher als Mongolo- Trisomie
ismus bezeichnet). Deshalb ist man in vielen Ländern dazu übergegangen, Vorhandensein von überzähligen
schwangeren Frauen, die älter als 34 Jahre sind, eine Untersuchung vorzuschla- Chromosomen
gen, durch die eine Trisomie entdeckt werden kann.
Bei Frauen im Alter von ca. 20 Jahren liegt die Häufigkeit einer Geburt mit einer
Trisomie 21 (Down Syndrom) bei ca. 1:1.500. Bei der Trisomie 21 sind drei Chromo-
546

somen 21 vorhanden, an statt wie sonst nur 2 Chromosomen dieses Typs. Das Risiko
steigt mit zunehmendem Alter massiv an, sodass bei Frauen, die bei der Geburt ih-
res Kindes bereits 34 Jahre und älter sind eine Zunahme des Down Syndroms auf
ca. 1:350 und bei einem Alter von 45 Jahren auf ca.I: 25 beobachtet werden kann.
Sobald der Tertiärfollikel reif ist, verlässt die primäre Oozyte das Diktyotän-
stadium und setzt die 1. Reifeteilung fort. Aus dieser Teilung gehen 2 unterschied-
liche Tochterzellen hervor, die je 23 Chromosomen besitzen. ln jedem dieser
Reduplikation 23 Chromosomen ist allerdings die DNA bereits identisch redupliziert.
identische Verdoppelung Eine der beiden Tochterzellen, die aus dieser Teilung hervorgehen, enthält das
gesamte Zytoplasma; sie wird als sekundäre Oozyte bezeichnet. Die andere
Polkörperehen Tochterzelle enthält praktisch nur den Kern; sie wird als Polkörperehen bezeich-
aus der Oozyte ausgestoßene Kerne, net und liegt vorläufig zwischen der Zona pellucida und der Oozyte.
die zur Reduktion der Chromosomenzahl In der Re~el schließt sich die 2. Reifeteilung der 1. Reifeteilung sofort an. Sie
der Oozyte auf 23 führen wird jedoch nur vollendet, wenn die Eizelle befruchtet wird, da diese sonst dege-
neriert. Bei der 2. Reifeteilung wird schließlich der DNA-Gehalt der Oozyte auf
den haploiden Wert reduziert (Meiose), und die Oozyte enthält nur noch
23 Chromosomen, deren DNA noch nicht identisch redupliziert ist. Die Reduk-
tion geschieht durch die Bildung eines weiteren Polkörperchens. Danach erfüllen
die beiden Polkörperehen keine Aufgabe mehr und degenerieren vollständig.

Eisprung
Eisprung Unter der Wirkung von 2 Hormonen aus der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse)
• durch FSH + LH reifen d ie Follikel zu wachsen die Sekundärfollikel zu Tertiär- und Graaf-Follikeln. Diese beiden Hor-
Graaf-Follikeln mone sind FSH (follikelstimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hor-
• durch anschließende Verdauung mon; s. Kap. 12, Endokrinologie). FSH ist für den Beginn der Follikelreifung ver-
der Tunica albuginea und Druckanst ieg antwortlich, FSH und LH gemeinsam für die abschließende Reifung. Durch einen
im Follikel kommt es zum Eisprung weiteren Anstieg des LH gegen die Mitte des Zyklus kommt es zum Eisprung
(Ovulation). Bei den geringen Mengen von Hypophysenhormon, die jeweils im
Blut zirkulieren, sind nur wenige Oozyten von diesem Reifungsprozess betroffen.
In den Tagen kurz vor der Ovulation wird einer der vorhandenen Tertiärfol-
likel zum Graaf-Follikel. Die Vorwölbung der Ovaroberfläche bewirkt eine starke
Belastung der Tunica albuginea. Zusätzlich kommt es unter Enzymwirkung zu
einer leichten Verdauung der Tunica albuginea. Im Inneren des Follikels spaltet
ein anderes Enzym die Proteine in Peptide. Durch diese Erhöhung der Anzahl der
osmotisch wirksamen Teilchen steigt der intrafollikuläre Druck an.
All diese Faktoren gemeinsam führen dazu, dass der Graaf-Follikel platzt und
die Eizelle mitsamt der anhängenden Corona radiata ausgespült wird.

Corpus luteum
Unter der Wirkung des LH werden die nach der Ovulation im Graaf-Follikel
zurückbleibenden Follikelepithelzellen (Granuiosazellen) innerhalb weniger
Tage in Corpus-luteum-Zellen umgebaut.
Gelbkörper bildet Progesteron Der Name Corpus luteum (Gelbkörper) kommt von den leuchtend gelben
Lipiden, die in den Zellen des Corpus luteum synthetisiert werden. Diese Lipide
Progesteron werden für die Synthese des Steroidhormons Progesteron benötigt. Cholesterin,
Gelbkörperhormon, Steroidhormon ein wichtiges Lipid im menschlichen Körper, und Sieraidhormone (z. B. Neben-
der 2. Zyklushälfte nierenrindenhormone und Geschlechtshormone) haben das gleiche Grundge-
rüst (s. Abb. 1-6 u. Abb. 12-2).
Weibliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 547

Wenn keine Befruchtung der Eizelle stattgefunden hat, bleibt das Corpus lute-
um während ca. 2 Wochen funktionstüchtig und sondert Progesteron ab. Danach
geht es zugrunde. Ein solches Corpus luteum bezeichnet man als Corpus luteum Das Corpus luteum menstruationis bleibt
menstruationis (Menstruationsgelbkörper), weil am Ende eines solchen Zyklus die während 2 Wochen funktionstüchtig.
Menstruation einsetzt. Aus diesem Corpus luteum geht durch Abbau ein weißliches Das Corpus luteum graviditatis bildet
Gebilde hervor, das Corpus albicans, das schließlich vollständig abgebaut wird. während der ersten 3 Schwangerschafts-
Neben dem Gelbkörperhormon (Progesteron) wird vom Gelbkörper auch monate Hormon
reichlich Östrogen gebildet. Dies ist v. a. im Schwangerschaftsgelbkörper von Be-
deutung, der für die Aufrechterhaltung eines hohen Östrogen- und Progesteron-
spiegels während der ersten 3 Monate verantwortlich ist.
Im Fal.le der Befruchtung einer Eizelle und nachfolgender Implantation des Implantation
Keimlings bleibt das Corpus luteum bis zum 4· Monat der Schwangerschaft (Gra- Einpflanzung, Einnistung (auch Nidation
vidität) funktionstüchtig. Das ausgeschüttete Progesteron sorgt u. a. dafür, dass genannt)
keine weitere Ovulation eintritt. Ein solches Corpus luteum nennt man Corpus
luteum graviditatis (Schwangerschaftsgelbkörper). Stellt es die Hormonproduk-
tion endgültig ein, wird seine Funktion durch die Plazenta übernommen, die
dann selbst in der Lage ist, vermehrt Hormone zu produzieren.

Follikelatresie
Während der fruchtbaren Periode im Leben einer Frau (von der Menarche bis Die atresierenden Follikel sind die
zum Ende des Klimakteriums) werden in der Regel maximal 400 Eizellen reif. Hauptquelle des Östrogens
Etwa t.ooo.ooo Eizellen sind bei der Geburt bereits angelegt; d. h . der überwie-
gende Teil der Eizellen gelangt nicht zur Ovulation, die Zellen bleiben uneröffnet
(atretisch) . ln diesem Fall degenerieren sowohl die Eizelle als auch das Follikel-
epithel. Dieser Vorgang wird Follikelatresie genannt; er ist funktionell sehr wich-
tig. Bei der Follikelat resie werden zwar keine befruchtungsfähigen Eizellen gebil-
det, wohl aber funktionstüchtige, östrogenbildende Thekazellen, die in diesem
Zusammenhang als Thekaorgane bezeichnet werden. Durch den ständigen Un-
tergang einzelner Follikel entstehen somit ständig neue Östrogenquellen. Die
atresierenden Follikel sind damit verantwortlich für die Aufrechterhaltung des
nötigen Östrogenspiegels im weiblichen Körper.
Salpinx
Eileiter griechischer Begriff für Tuba uterina, meist
ln einem der beiden Eileiter (Tuba uterina, Salpinx) findet die Befruchtung statt. in Zusammensetzungen oder Ableitungen
Deshalb müssen die Eileiter das richtige Milieu für die Befruchtung bereitstellen gebraucht wie Mesosalpinx
sowie die Eizelle nach dem Eisprung von der Oberfläche des Ovars abnehmen (Aufhängeband des Eileiters) oder
und in die Gebärmutter leiten. Außerdem werden d urch die Eileiter die Sper mien Salpingitis (Eileiterentzü ndung)
an den Ort der Befruchtung geleitet.
Der Bau der beiden Eileiter ist für diese Funktionen optimal. Sie besitzen eine 4 Abschnitte des Eileiters
durchschnittliche Länge von ca. 12 cm und sind vom Ligamentum latum überzo- • lnfundibulum mit den Fimbrien
gen, das hier die Mesosalpinx bildet. Die Eileiter beginnen am Ovar und laufen auf (Trichter mit Fransen)
die Gebärmutte r zu, in die sie im Bereich des Tubenwinkels münden (s. Abb.13-1). • Ampulla (Ampulle)
Am Eileiter werden 4 große Abschnitte unterschieden, die auf den Abb. 13-5 • Isthmus (verengte Stelle)
und Abb. 13-6 dargestellt sind. • Pars intramuralis
Das lnfundibulum ist der Anfangsteil der Tuba uterina, hier befindet sich die (in der Wand der Gebärmutter)
Öffnung in die Bauchhöhle. Es ist trichterförmig und läuft in Fimbrien (Fransen)
aus. Die größte dieser Fimbrien (Fimbria ovarica) ist konstant mit der Oberfläche lnfundibulum
des Ovars verbunden. Neben der Fimbria ovarica sind noch ca. 10-15 weitere Trichter
548

Abb. 13-Sa, b. Wandteil


(Pars intramuralis)
Lage und Bau der Eileiter (Tuba uterina).
8 Schleimhaut
Unter a ist eine Dorsalansicht von
Gebärmutter (Uterus), Eierstöcken
Muskelschicht
(Ovarien) und Eileiter (Tuba uterina) vor
(Tunica muscularis) ----f-flr.::i~
der Harnblase (Vesica urinaria) gezeichnet
(Dorsalansicht).
b stellt die histologischen Schnittbilder Erweiterung
der einzelnen Abschnitte des Eileiters dar. des Eileiters
(Ampulla)
ln der Ampulla (Erweiterung des Trichter
(lnfundibulum)
Anfangsteils) sind die Schleimhautfalten
besonders ausgeprägt, hier findet in der
Regel die Befruchtung der Eizelle statt.
Die beiden Eileiter und die Gebärmutter
sind vom Ligamentum latum überzogen,
das auch die Mesosalpinx und das
Mesovar bildet Schleimhautfalten

Eierstock
Abb. 13-6. (Ovar)
Frontalschnitt durch die Gebärmutter
(Uterus) mit den beiden Eileitern (Singular:
Tuba uterina). Der Vaginalteil der
Gebärmutter ragt in die Scheide (Vagina)
hinein und wird deshalb mit dem
Fachausdruck Portio vaginalis und in der Gebärmutterkörper ---,

L
(Corpus uteri)
Kurzform als Portio bezeichnet. Die
Gebärmutterschleimhaut
Gebärmutterhöhle (Cavitas uteri) ist voll- Gebärmutterhals (Endometrium)
(Cervix uterl)
ständig von der Gebärmutterschleimhaut
(Endometrium) ausgekleidet Vaginalteil _ _ J - {
(Portio vaginalis) ~
Scheide Schnittrand des breiten
(Vagina) Mutterbandes
(Ligamentum latum)
Muttermuna

Fimbrien vorhanden, die frei beweglich und ohne Verbindung mit dem Ovar sind.
Die Aufgabe des Infundibulums mit seinen Fimbrien ist es, sich an die Stelle des
Ovars, an der der Eisprung stattfindet, anzulegen und das ovulierte Ei aufzuneh-
men, damit es sicher in die Gebärmutter und nicht in die Bauchhöhle gelangt.
Weibliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel 13 · Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 549

Dem Infundibulum folgt die Ampulle (Ampulla tubae), die ca. 2/3 der Ge- Ampulle
samtlänge der Tuba uterina ausmacht. Die Ampulle hat den größten Querschnitt, bauchige, flaschenartige Erweiterung
hier ist das Tubenlumen am weitesten. ln der Ampulla findet normalerweise die eines Hohlorgans
Befruchtung des ovulierten Eies statt. Die lichte Weite der Ampulle beträgt ca.
4-10 mm, sie ist aber durch viele Schleimhautfalten gekennzeichnet (s. Abb.
13-sa). Isthmus
Auf die Ampulle folgt ein relativ kurzer verengter Teil, der Isthmus. Der Isth- Engstelle in einem Hohlorgan
mus führt bis in den Uterus hinein.
Dort liegt der kürzeste Teil der Tube mit dem engsten Querschnitt, die Pars Pars intramuralis
intramuralis. in der Wand gelegener Teil
Die Wand des Eileiters besteht aus 3 Schichten: der Schleimhaut (Tunica muco-
sa), der Muskulatur (Tunica muscularis) und dem Peritonealüberzug (Tunica serosa) Schichten der Eileiterwand
Die Schleimhaut (Tunica mucosa) besteht aus einem durchgehend einschich- • Schleimhaut (Tunica mucosa)
tigen, hochprismatischen Flimmerepithel, das zwischen den Ziliarzellen auch • Muskulatur (Tunica muscularis)
Sekretzellen enthält. Die Ziliarzellen erzeugen einen hauptsächlich in Richtung • Peritonealüberzug (Tunica serosa)
Uterus gerichteten Flimmerschlag. Gegen diesen Flimmerschlag und den von
ihm erzeugten leichten Flüssigkeitsstrom schwimmen die Spermien an. Sie kön- Ziliarzellen
nen nur gegen den Strom schwimmen (positive Rheotaxie). Zellen mit Flimmerhärchen
Zwischen die Ziliarzellen sind die Sekretzellen unregelmäßig eingestreut. Sie
sorgen mit ihrem Sekret für eine Ernährung des befruchteten Eies während seiner Rheotaxie
Wanderung durch den Eileiter (Tubenwanderung), die mehrere Tage dauert durch einen mechanischen Reiz
(4-6 Tage). Die Ernährung von außen ist in dieser Zeit für den Keim von großer ausgelöste Bewegung, positiv: auf den
Bedeutung, da er selbst zu wenig Energiereserven für seine Entwicklung mit sich Reiz zu, negativ: von diesem Reiz fort
trägt.
Im Querschnitt durch den Eileiter wird deutlich, dass die Schleimhaut stark
gefaltet ist, es sind Primär-, Sekundär- und Tertiärfalten vorhanden. Besonders
im Ampullenbereich sind die Schleimhautfalten sehr ausgeprägt und füllen prak-
tisch das ganze Lumen der Ampulle aus (Abb. 13-sa). Im Isthmusbereich sind die
Falten deutlich weniger stark ausgebildet, und in der Pars intramuralis schließ-
lich fehlen sie fast ganz.
Die Muskulatur der Tuba uterina lässt sich in 2 unscharf voneinander trenn-
bare Muskelschichten teilen: eine innere, längs angeordnete und eine äußere,
mehr ringförmig orientierte Muskelschicht Diese beiden Muskelschichten sind Peristaltik
in der Lage, eine Peristaltik und Antiperistaltik zu erzeugen, die sowohl dem Transport über ein röhrenförmiges
Eitransport in den Uterus als auch und dem Spermientransport vom Uterus bis Hohlorgan, bei dem eine Kontraktions-
in die Ampulle dienen. welle auf eine Erschlaffungswelle folgt
Auf den Querschnitten wird auch deutlich, dass unter der Tunica serosanoch und damit der Inhalt des Organs weiter-
eine bindegewebige Schicht (Tela subserosa) vorhanden ist, die bei den Peristal- geschoben wird
tikbewegungen des Eileiters für die nötige Verschieblichkeit gegenüber der Um-
gebung sorgt.

Gebärmutter
Die beiden Eileiter münden von links und rechts in die Gebärmutter (Pars intra-
muralis). Die Gebärmutter (Uterus) ist ein muskuläres Organ, das als »Frucht-
halter« dient. Die im Inneren der Gebärmutter liegende Schleimhaut (Endo-
metrium) dient der Ernährung der sich entwickelnden Frucht (s. Abb. 13-6 u.
Abb. 13-7a-d). Die Uterusmuskulatur passt sich der wachsenden Größe des
Keims an und dient bei der Geburt der Austreibung des Kindes.
550

Abb. 1 3-7a- d.
Gebärmutterschleimhaut (Endometrium)

~
wäh rend versch iedener Zyklusphasen .
Oben als Längsschnitt, unten als Quer-
Funktionsteil
schnitt durch die Endometriumsdrüsen (Stratum
• lunctionale)
gezeichnet.
a Frühe Proliferationsphase, das Epithel ist
niedrig;
b mittlere Proliferationsphase, das Epithel
ist stark in der Höhe gewachsen, im unte-
ren Bild sind Mitosen zu sehen;
c frühe Sekretionsphase, das Lumen der
Drüsen ist erweitert, im Querschnittsbild
des Drüsentubulus sind basale Vakuolen,
d. h. Glykogenansammlungen, zu sehen;
d späte Sekretionsphase, im Lumen der
Drüsen sind Drüsensekrete vorhanden, die a b c d
Kontur der Drüsen erscheint im Längs-
schnitt »sägeblattartig«

Anatomie des Uterus


Die Gebärmutter hat die Form einer auf die Spitze gestellten Birne. Sie liegt im
kleinen Becken zwischen Harnblase und Enddarm. Dadurch entstehen 2 Aus-
buchtungen im Beckenbereich: die Excavatio rectouterina zwischen Rektum und
Uterus und die Excavatio vesicouterina zwischen Harnblase und Uterus. Die
Excavatio rectouterina wird auch Douglas-Raum genannt. Sie stellt den tiefsten
Punkt der weiblichen Bauchhöhle dar.
Die Gebärmutter wird in ihrer Lage durch die Beckenbodenmuskulatur (M.
transversus perinei profundus, s. Kap. 4, Bewegungsapparat) gestützt und gehal-
ten. Der Uterus hat eine Größe von ca. 6,5-8 cm. Er sitzt auf der Scheide, in die er
mit einem Teil, der Portio vaginalis, hineinragt. Der Uterus ist vom Ligamentum
latum (breites Mutterband) überzogen, eine AbfaJtung des Bauchfells (Perito-
neum), die auch die Eierstöcke und Eileiter überzieht. Damit liegt der Uterus zum
intraperitoneal größten Teil intraperitoneal. An den Orten, an denen der Uterus nicht vom
von Bauchfell (Peritoneum) umgeben Peritoneum überzogen ist, sitzt er durch Bänder verankert im subperitonealen
Bindegewebe. Außerdem ist im oberen Bereich des Uterus links und rechts je ein
»rundes Mutterband<< (Ligamentum teres uteri) vorhanden, das durch den
Leistenkanal zur großen Schamlippe zieht. Diese beiden Bänder bewirken die ge-
Anteversio genüber der Scheide nach vorne geneigte Stellung (Anteversio) der Gebärmutter.
Neigung nach vorne Zusätzlich ist die Gebärmutter noch in sich selbst nach vorne abgewinkelt (Ante-
flexio, s. Abb. 13-2). Somit liegt sie zum größten Teil auf der Harnblase und folgt
Anteflexio dieser bei ihren Füllungs- und Entleerungsbewegungen. Trotz der Befestigung
Beugung nach vorne durch das Ligamentum latum, das Ligamentum te res uteri sowie die anderen
Bänder im subperitonealen Bindegewebsraum besitzt der Uterus eine relativ
große Lageverschieblichkeit, soda ss man nicht von einer Normallage, sondern
von einer normalen Ausgangslage reden kann .
Weibliche Geschlechtsmerkmale · Kapite113 · Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 5 51

Man unterscheidet an der Gebärmutter 4 verschiedene Abschnitte, die auf


der Abb. 13-6 dargestellt sind.
Der Gebärmuttergrund ist der oberste Teil, der mit seiner Kuppe die Ein- Abschnitte der Gebärmutter
mündungen der Eileiter überragt. An den Gebärmuttergrund schließt sich der Gebärmuttergrund (Fundus uteri)
Gebärmutterkörper an. Er macht den größten Teil der Gebärmutter aus. Der · Gebärmutterkörper (Corpus uteri)
Gebärmutterkörper verjüngt sich nach unten und geht in den Gebärmutterhals · Gebärmutterhals (Cervix uteri)
über. Die Verengung zwischen Gebärmutterkörper und Gebärmutterhals ist die • Scheidenteil (Portio vaginalis)
Gebärmutterenge (Isthmus uteri, Abb. 13-1). Der unterste Teil des Gebärmutter-
halses ragt als Portio vaginalis in die Scheide hinein. In der Portio liegt auch der
Muttermund, die äußere Öffnung des Uterus, durch die bei einer Geburt das Kind
ausgetrieben wird und durch die die Spermien für die Befruchtung eindringen
müssen. Der Muttermund ist durch einen Schleimpfropf (Zervikalschleim) nor-
malerweise verschlossen. Die Aufgabe des Pfropfes ist es u. a., Bakterien am Ein-
tritt in die Gebärmutter zu hindern. Dies geschieht auch durch einen niedrigen
pH-Wert (ca. 4,5) in der Scheide. Bei Frauen, die noch nicht geboren haben, ist
der Muttermund eine runde Öffnung. Nach der Geburt wird daraus ein querer
Spalt, an dem eine vordere und eine hintere Lippe (dorsal und ventral) unter-
schieden werden.

Wandbau des Uterus


Auf einem Längsschnitt durch den Uterus, parallel zum Verlauf des Ligamentum
latum, wird der Wandbau des Uterus deutlich. In der Wand des Uterus können 4
verschiedenen Schichten unterschieden werden (s. Abb. 13-6) .
Das Perimetrium ist der äußere Überzug durch das Peritoneum. Es ist fest mit Schichten der Uteruswand
der darunter liegenden Muskulatur verwachsen. Am seitlichen Uterusrand geht • Perimetrium
das Perimetrium in das Ligamentum latum über. • Parametrium
An den Orten, an denen die Gebärmutter nicht von Peritoneum überzogen • Myometrium
ist, steht sie mit Bindegewebe in Kontakt, das hier Parametrium genannt wird. • Endometrium
Dies ist an den seitlichen Rändern (wo das Perimetrium in das Ligamentum
latum übergeht) sowie im Bereich des Gebärmutterhalses der Fall.
Den stärksten Anteil an der Uteruswand hat die Muskulatur, das Myome-
trium. Im Normalfall beträgt die Wandstärke mindestens 10 mm. Es sind 3 stark
miteinander verwobene Muskelschichten vorhanden. Der teilweise recht kompli-
zierte, vielfach spiralige Verlauf der Muskelfasern ermöglicht während der
Schwangerschaft eine enorme Weiterstellung der Fasern, sodass das Uteruslu-
men der Größe des Fetus angepasst werden kann. Während der Schwangerschaft
hypertrophieren die Muskelfasern außerdem auf die ca. wfache Größe, d. h. von
50 flm auf ungefähr 500 pm. Solange keine Schwangerschaft vorliegt, ist die
Uterusmuskulatur praktisch funktionslos.
Die innerste Schicht des Uterus ist das Endometrium, die Uterusschleimhaut.
Sie dient im Korpus- und Fundusbereich der Einnistung des befruchteten Eies.
Um dies zu ermöglichen, ist sie zyklischen Veränderungen unterworfen, die dazu
führen, dass sie größtenteils abgestoßen (während der Menstruation) und an-
schließend wieder neu aufgebaut wird.
Auf einem Schnitt durch den Uterus parallel zum Ligamentum latum ist zu er-
kennen, dass die Uterushöhle vollständig mit einer Schleimhaut, dem Endo-
metrium, ausgekleidet ist (Abb. 13-6). Im Bereich von Fundus und Korpus wird die
Schleimhaut bei jeder Menstruation abgestoßen, im Zervixbereich dagegen nicht.
552

In der Zervixschleimhaut liegen die Schleimdrüsen (Glandulae cervicales), die den


Schleimpfropf des äußeren Muttermundes bilden. Das Zervixepithel ist in weitaus
geringerem Maße den zyklischen Veränderungen unterworfen. In Abhängigkeit
Hormonwirkung auf den Zervikal· vom Zykluszeitpunkt ändert sich jedoch die Konsistenz des Zervikalschleims.
schleim: Unter dem Einfluss von Östrogen (1. Zyklushälfte) lässt er sich zu relativ langen
Östrogen Fäden ziehen, unter dem Einfluss von Progesteron (2. Zyklushälfte) ist das nicht
• Spinnbarkelt möglich. Die Fähigkeit, sich zu einem Faden ziehen zu lassen, wird als »Spinnbar-
• Farnkrautmuster keit« bezeichnet. Das Ausmaß der Spinnbarkeit gibt also Auskunft über den Zyk-
Progesteron luszeitpunkt Während der 1. Zyklushälfte und zum Zeitpunkt der Ovulation lässt
• keine Fadenbildung sich der Zervixschleim zu einem Farnkrautmuster auf einem Objektträger kristal-
(d. h. keine Spinnbarkeit) lisieren. In der 2. Zyklushälfte ist dies nicht mehr möglich. Auch das Farnkraut-
• kein Farnkrautmuster (stattdessen muster kann zur Bestimmung des Zykluszeitpunktes verwendet werden.
unregelmäßige Kristalle)
Aufbau des Endometriums
Endometriumschichten Die Uterusschleimhaut sitzt direkt auf der Uterusmuskulatur auf (Abb. 13-7). Sie
• Stratum basale (vielfach auch nur Basalis trägt an der Oberfläche ein einschichtiges prismatisches Epithel, in das stellen-
genannt) weise Inseln mit Ziliarzellen eingestreut sind. Das Oberflächenepithel geht in das
• Stratum functionale (vielfach auch nur Drüsenepithel über, das die Uterusdrüsen (Glandulae uterinae) bildet. Dies sind
Funktionalls genannt) tubulöse unverzweigte Drüsen, die sich gestreckt in die Tiefe der Mukosa senken
und teilweise bis in die Muskulatur hineinreichen. Die Wand der Uterusdrüsen
wird ebenfalls aus einem einschichtigen Epithel gebildet, das ähnlich strukturiert
Stroma ist wie das OberflächenepitheL Das Drüsenepithel ist von Stroma umgeben, das
interstitielles Bindegewebe eines Organs zellreich und faserarm ist. In diesem Bindegewebe verlaufen vielfaltige Gefaße.
Am Endometrium werden 2 Schichten unterschieden.
Das Stratum basale sitzt direkt auf der Muskulatur. Es nimmt an den zykli-
schen Veränderungen nur in geringem Maße teil und wird auch während der
Menstruation nicht abgestoßen. Aus ihm heraus regeneriert das neue Endo-
metrium. Die Basalis hat eine Höhe von ca. 1 mm.
Das Stratum functionale kann als eigentliches Zielorgan für die im Ovar ge-
bildeten Hormone angesehen werden. Die zyklischen Veränderungen sind direkt
korrelierbar mit den Veränderungen des Hormonspiegels der ovariellen Hormo-
ne (Östrogen und Progesteron). Gegen Ende des endometriellen Zyklus erreicht
die gesamte Mukosa (Funktionalis und Basalis) eine Höhe von ca. 8-n mm.
Gefäße des Endometriums Für die zyklischen Veränderungen spielt die Blutversorgung des Endome-
• Basalarterien triums eine wichtige Rolle. Diese erfolgt über die A. uterina, aus der nach einigen
• Spiralarterien Aufzweigungen die Basalarterien hervorgehen. Sie verlaufen an der Grenze zwi-
schen Myometrium und Basalis in geradem Verlauf in die Mukosa hinein. Aus
den Basalarterien gehen die Spiralarterien hervor, die sich unter Abgabe von
Arteriolen spiralartig bis unter die Oberfläche des Endometriums schlängeln.
Auf ihrem Weg dorthin versorgen sie ein ausgedehntes Kapillarnetz. Die
Spiralarterien haben die Möglichkeit, sich zu kontrahieren und damit die
Blutversorgung der Funktionalis stark zu reduzieren oder ga r zu stoppen.

Menstruationszyklus
Die Dauer eines durchschnittlichen Menstruationszyklus beträgt ca. 28 Tage
(Abb. 13-8). Dieser Wert kann jedoch je nach Individuum, Lebensrhythmus etc.
deutlich nach unten oder oben abweichen, ohne dass es sich dabei um eine pa-
thologische Veränderung handelt.
Weibliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 553

Abb. 13-8.
Darstellung der Zusammenhänge zwi-
schen Hormonausschüttung aus der
Hypophyse, Entwicklung der Follikel-
stadien und der Gelbkörperreifung, dem
daraus resultierenden Blutspiegel von
Östrogen und Progesteron sowie der vom
Östrogen- und Progesteronspiegel abhän-
gigen Entwicklung des Endometriums.
Unten ist mit den angegebenen Tagen
(4. , 14. , 28. ) eine zeitliche Korrelation
der Ereignisse gegeben

Uteriner Zyklus Phasen des uterinen Zyklus

Der uterine Zyklus (Gebärmutterzyklus) kann in 4 Phasen unterteilt werden. • Proliferationsphase (Phase der
Da der Menstruationszyklus am besten in Relation zum 1. Blutungstag be- Erneuerung) 5.- 14. Tag
rechnet werden kann, wird dieser Tag auch als 1. Tag des Zyklus bezeichnet, ob- • Sekretionsphase (Phase der
wohl die Desquamation (Abstoßung, s. unten) des Endometriums ja eigentlich Sekretbildung) 15.- 28. Tag
einen Endpunkt der zyklischen Abläufe darstellt. In der folgenden Beschreibung • Ischämiephase (Phase der »Blutleere«)
soll deshalb die Neubildung des Endometriums an den Anfang gesteHt werden. einige Stunden am 28. Tag
Proliferationsphase: Unter der Wirkung des von den Follikeln im Ovar gebil- • Desquamationsphase (Phase der
deten Östrogens kommt es in der Funktionalis zu einer Prolife ration. Die Abstoßung) 1.-4. Tag
Proliferation nimmt ihren Ausgang von Drüsenstümpfen, die in der Basalis lie-
gen und mit ihrem untersten Teil im Myometrium verankert sind. Aus diesen Proliferation
Drüsenstümpfe n wächst das n eu e Oberfläch enepithel aus. Vermehrung von Gewebe durch
Sprossung oder Wucherung
554

Die Proliferationsphase dauert m eist vom 5. -14. Tag des Zyklus. In dieser Zeit
wächst die Schleimhaut bis zu 8- n mm an. Ein deutliches Zeichen der Prolifera-
tionsphase sind die häufigen Mitosen, die sowohl im Stroma als auch im Bereich
des Drüsen- und Oberflächenepithels ablaufe n.
Die Drüsentubuli verlaufen zu diesem Zeitpunkt noch gestreckt und zeigen
keinerlei Anzeichen einer Sekretion. Ihr Epithel ist prismatisch , die Drüsenlumi-
na sind eng. Um den 14. Zyklustag herum kommt es im Ovar unter der Wirkung
des Hypophysenvorderlappenhormons LH (luteinisierendes Hormon) zu einem
Follikelsprung und im Anschluss daran zur Bildung des Corpus luteum. Das
Prämenstruelle Hyperthermie äußerlich feststellbare Zeichen dafür, dass eine Ovulation stattgefunden hat, ist
An stieg der Basaltemperatur nach der ein Anstieg der Basaltemperatur (prämenstruelle Hyperthermie), der zwischen
Ovulation, d. h. vor der Menstruation 0,2 und 0,5°C ausmacht (s. Abb. 15-2).
Sekretionsphase: Die Sekretionsphase dauert vom 15. -28. Tag des Zyklus. Sie
wird v. a. durch das im Corpus luteum gebildete Progesteron bestimmt. Das Pro-
gesteron bewirkt noch ein geringes weiteres Wachstum des Drüsenepithels. Dies
führt zu einer SchlängeJung der Drüsentubuli. Die EpithelzeHen beginnen mit
der Bildung eines Sekrets, das v. a. Glykogen enthält. Das Sekret ist wichtig für
Implantation den Stoffwechsel eines sich evtl. implantierenden Keims. Die Drüsentubuli er-
Einnistung der befruchteten Eizelle weitern sich und erscheinen schließlich im Längsschnitt gezähnt. Man spricht
in die Gebärmutterschleimhaut von einer Sägeblattkontur, die als Zeichen einer fortgeschrittenen Sekretions-
phase gewertet wird.
Die Spiralarterien des Stromas wachsen und spiralisieren sich stärker. Im Stro-
Prädeziduazellen und Körnchenzellen ma differenzieren sich die Zellen in Prädeziduazellen. Gleichzeitig bilden sich aus
(large granular lymphocytes) sind am einwandernden Lymphozyten Körnchenzellen (K-Zellen), die nach heutiger Auf-
Aufbau der Grenzschicht zwischen Mutter fassung auch als große granulierte Lymphozyten bezeichnet werden (LGL, »!arge
und Kind beteiligt granular lymphocytes«). Beide Zellarten, die PrädeziduazelJen und die Körn-
chenzellen, sind beim Aufbau der Grenzschicht zwischen mütterlichem und kind-
lichem Gewebe von Bedeutung. Auf der einen Seite darf sich der (evtl.) implantie-
rende Keim nicht zu weit in das mütterliche Gewebe einnisten, auf der anderen
Seite darf das mit körperfremden antigenen Determinanten ausgestattete Gewebe
des sich entwickelnden Embryos nicht abgestoßen werden. Dafür sorgen die bei-
den Stromazellarten. Die Sekretionsphase dauert vom 15. - 28. Tag.
lschämiephase: Wird das Corpus luteum nicht durch eine Schwangerschaft
als Corpus luteum graviditatis in Funktion gehalten, hört es spätestens 2 Wochen
nach der Ovulation mit der Sekretion von Progesteron auf. Durch diesen Ab-
bruch der Progesteronsekretion kommt es zu Veränderungen im Endometrium,
besonders in der Wand der Spiralarterien. An der Grenze zwischen Basalis und
Funktionalis kontrahieren sich die Spiralarterien, sodass der Blutfluss unterbun-
den wird. Ohne Blutfluss kann die Funktionalis ihren Stoffwechsel nicht aufrech-
terhalten; sie fängt an zu degenerieren. Die Blutleere der Funktionalis hat zur
Prägung des Begriffs Ischämiephase geführt. Die Ischämiephase dauert nur we-
nige Stunden. Durch die Kontraktion wird auch die Muskulatur der Gefäße nicht
mehr ausreichend versorgt und verliert an Kraft.
Desquamationsphase: Durch die Schädigungen, die während der Ischämie-
phase in der Funktionalis und besonders in den oberen Abschnitten der nicht
Desquamation mehr durchbluteten Gefäße entstanden sind, kommt es zur Desquamation. Die
Abstossung von Epithel- oder Funktionalis ist nicht mehr funktionstüchti g. Die Gefäßwände können dem Blut-
Schleim hautschichten druck nicht mehr sta ndhalten, sodass sich die Kontraktionen lösen und Blut über
Weibliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 555

die geschädigten Gefäßwände ins Stroma (Bindegewebe des Endometriums)


fließt. Dadurch wird die Funktionalis in das Uteruslumen hinein abgeschwemmt.
Das während der Menstruation ausgestoßene Blut koaguliert nicht, denn dies
würde zur Verstopfung des Uteruslumens führen . Menstruationsblut enthält fi- Uteruslumen
brinolytische Faktoren und nur wenige Thrombozyten. Die Desquamationspha- Lichtung der Gebärmutter
se dauert vom 1.- 4. Tag des Zyklus.

Ovarieller Zyklus
Der Ho rmonabfall kurz vor Beginn der Menstruation löst bei manchen Frauen ein
prämenstruelles Syndrom (PMS) aus. Hierbei handelt es sich um eine Vielzahl ver-
schiedener Beschwerden, die einzeln oder gemeinsam auftreten können. Im Vor-
dergrund steht meist eine veränderte Stimmungslage, die z. B. mit Schmerzen in
der Brust, Migräne, Völlegefühl, Verdauungsstörungen etc. verbunden sein kan n.
Während der Menstruation werden ca. 30- 50 mJ Blut abgegeben. Im Falle ei-
ner Hypermenorrhö kann die Blutmenge allerdings ein Mehrfaches dieses Wertes Hypermenorrhö
betragen. übermäßig starke Menstruation
Die Dauer der Menstruation von ca. 4- 5 Tagen scheint auch von äußeren Fak-
toren beeinflusst zu werden, u. a. durch einen hektischen Lebensrhythmus. So
sind z. B. in New York Menstruationsblutungen von 6-7 Tagen keine Seltenheit.
Wehenartige Kontraktionen der Uterusmuskulatur können den Menstrua-
tionsschmerz hervorrufen. Außerdem kann durch die Tuba uterina Blut in die
Bauchhöhle gelangen und eine schmerzhaften Peritonealreizung auslösen.
Während der Schwangerschaft kommt es nicht zu Menstruationen. Nach der
Geburt eines Kindes tritt die 1. Menstruation bei nichtstillenden Müttern meist erst
nach ca. 6 Wochen wieder auf. Bei Stillenden tritt die Menstruation vielfach erst
nach dem Ende der Stillperiode wieder auf. Trotzdem kann es in dieser Zeit zu
Ovulationen kommen; es besteht also kein absolut sicherer Schutz vor Empfängnis.
Die verschiedenen Phasen des Menstruationszyklus stehen eindeutig unter
dem Einfluss der im Eierstock gebildeten Hormone. Menstruationszyklen treten
in der Regel zwischen dem 10. und 45· Lebensjahr auf.
Die Menarche ist die 1. Menstruationsblutung im Leben einer Frau.
Während des Klimakteriums hören die Eireifungen und die damit verbundenen
Hormonausschüttungen langsam auf. Die Schwankungen im Hormonspiegel kön-
nen Hitzewallungen und Gemütsschwankungen bis hin zu Depressionen auslösen.
Eine Östrogenersatztherapie kann solche Beschwerden der Wechseljahre lindern.
Vor allem soll damit aber einer Osteoporose entgegen gewirkt werden, die bei Osteoporose
Frauen im postklimakterischen Alter (Menopause) häufig auftritt. Dabei handelt Systemerkrankung des Skeletts mit
es sich um den Lebensabschnitt, in dem kein uteriner oder ovarieller Zyklus Reduktion der Knochenmasse und erhöh-
mehr abläuft. Im Ovar befinden sich dann keine Keimzellen mehr, und das Endo- ter Gefahr eines Knochenbruchs.
metrium weist nur wenige inaktive Drüsen auf.
Menopause
Scheide Lebensabschnitt nach dem Klimakterium
Der Uterus ragt mit seinem untersten Teil, der Portio vaginalis, meist kurz Portio
genannt, in die Scheide (Vagina) hinein . Die Portio wird dementsprechend vom
oberen Scheidenteil umgriffen. An der Portio kommt es gelegentlich zur Karzi-
nombildung, die auch als Kaliumkarzinom bezeichnet wird. Kaliumkarzinom
Die Scheide dient zum einen als Begattungsorgan, und damit zur Aufnahme Krebs des Uterurshalses
der ejakulierten Samenflüssigkeit, zum anderen als GeburtskanaL Um diese
556

Funktionen erfüllen zu können, ist die Scheide sehr elastisch; sie lässt sich deh-
nen, ist verformbar und legt sich trotzdem beim Geschlechtsakt fest um den
Penis. Bei der Geburt ist die Scheide dagegen locker und nachgiebig, um den
kindlichen Kopf und Körper passieren zu lasseiL

Anatomie der Vagina


Die Vagina ist ein 8-12 cm langer häutig-muskulärer Schlauch (Abb. 13-9). Das
blinde Ende dieses Schlauchs umgibt als Scheidengewölbe (Fornix vaginae) ring-
förmig die Portio vaginalis des Uterus. Der dorsal liegende Teil, das hintere
Scheidengewölbe, grenzt an den tiefsten Punkt des Peritonealraums, an die
Excavatio rectouterina (Douglas-Raum).
Normalerweise liegen die Wände der Vagina flach aufeinander und bilden ei-
nen H-förmigen schmalen Spalt. Unter der Wirkung einer schwachen Muskel-
schicht ist die Wand in Falten geworfen (Rugae vaginales), die als Reservefalten
für den Geburtsvorgang angesehen werden können, aber auch beim Geschlechts-
akt (Koitus) als Reibfläche für den Penis dien en. Vor dem ersten Koitus ist die
Vagina nach außen durch eine Schleimhautplatte, das Hymen (s. unten) unvoll-
ständig verschlossen. Beim ersten Eindringen eines Penis (Immissio penis) wird
dieses Häutchen bis auf kleine Reste zerstört (Defloration), ein Vorgang, der
schmerzhaft sein kann und vielfach zu einer kleinen Blutung führt.

Bau derVaginalwand
Schichten der Vaginalwand Die Wand der Scheide ist aus 2 Schichten aufgebaut (Abb. 13-1 u. Abb. 13-9).
• Tunica mucosa Das Epithel der Tunica mucosa ist ein mehrschichtiges unverhorntes Platten-
• Tunica muscularis epithel. Die oberen Zellagen schilfern konstant ab und werden durch Neubildung
aus der basalen Zellschicht ersetzt. je nach Zykluszeitpunkt ändern die Zellen der

Gebärmutter
(Corpus uteri)
Eileiter
{Tuba uterina)

MuHarmund - --"=----1*"'
(Ostium uteri) ~..-=~=-- vaginaler Teil des
Gebärmutterhalses
(Portio vaginalis)

Abb. 13-9 a, b.
Schnitt durch den weiblichen Genitaltrakt, ausgehend vom
Douglas-Raum (Excavatio rectouterina), dem tiefsten Punkt in der
weiblichen Bauchhöhle (a). Der Muttermund ist als breiter Spalt aus-
kleine Schamlippe
äußere Öffnung gebildet, so wie er nach mehreren Geburten aussieht. Bei Frauen,
(Labium minus)
de r Harnröhre
die noch nicht geboren haben, ist er meist punktförmig. Die
große Schamlippe Kitzler
(Labium majus) (Klitoris) Schleimhautfalten der Vagina lwand können sich bei einem
Geburtsvorgang strecken und dienen somit als ReseNefalten für die
a Vergrößerung des Geburtskanals. Die Vaginalwand ist mit Haken
auf die Seite gezogen, um einen besseren Einblick zu ermöglichen.
Der Pfeil (b) gibt die Blickrichtung der Zeichnung a an.
Weibliche Geschlechtsmerkmale· Kapkel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 557

Vaginalwand ihre Struktur, sodass sie auch für die Zyklusdiagnostik herangezo-
gen werden können. Auffallend ist der hohe Gehalt an Glykogen in den oberen
Zellagen. Das Glykogen dient den physiologischerweise in der Scheide vorhande-
nen Milchsäurebakterien (Lactobacillus vaginalis oder Döderlein-Stäbchen) als
Nahrung. Das Glykogen der abgeschilferten Epithelzellen wird von den Bakte-
rien zu Milchsäure zersetzt. Dadurch entsteht in der Scheidenflüssigkeit ein pH-
Wert von 4,5, der als Säureschutz eine Besiedelung der Vagina mit pathogenen
Keimen verhindern kann. Bei massivem Auftreten von pathogenen Keimen, z. B.
durch den Geschlechtsverkehr eingeführten Bakterien, ist dieser Säureschutz je-
doch überfordert.
Im Vaginalepithel sind keinerlei Drüsen vorhanden. Bei der Scheidenflüssig-
keit handelt es sich um Sekrete aus den oberen Bereichen des Genitaltrakts sowie
ein Transsudat der in der Scheidenwand liegenden Blutgefäße. Beim Koitus wer- Transsudat
den diese Gefäße stärker durchblutet, sodass vermehrt Transsudat durch die außerhalb von Gefäßen vorkommendes,
Wand der Scheide tritt. Dies dient der Lubrikation der Scheide. Die Propria eiweißarmes und fibrinfreies Filtrat
(Schleimhautbindegewebe) der Tunica mucosa ist aufgrundder großen Anzahl des Blutes
feiner Blutgefäße sehr gut durchblutet.
Die Tunica muscularis besteht nur aus wenigen Fasern glatter Muskelzellen, Lubrikation
die von Bindegewebezügen durchsetzt sind. Die Muskulatur geht ohne scharfe Erhöhung der Gleitfähigkeit
Begrenzung in adventitielles Bindegewebe über, das die Vagina mit der Urethra
(Harnröhre) fest, mit den übrigen Organen des subperitonealen Raums (z. B. adventitiell
Rektum) aber nur locker verbindet. Die Scheide mündet in den Scheidenvorhof auf die Adventitia d. h. (Bindegewebe,
(Vestibulum vaginae), der Teil der äußeren Geschlechtsorgane ist. das Gefäße und Organe in ihre Umgebung
einbettet) bezogen
Akzessorische Geschlechtsdrüsen
Im Bereich der Harnröhrenöffnung liegen im Scheidenvorhof die Ausführungs- subperitonealer Raum
gänge kleiner muköser Drüsen, die der Vorhofbefeuchtung dienen. Sie werden als Bereich unter dem Boden der Bauchhöhle
kleine Vorhofdrüsen bezeichnet (Glandulae vestibulares minores). Diese Drüsen
werden v. a. dann auffällig, wenn pathogene Keime in sie eindringen und sie sich pathogen krankmachend
entzünden.
Neben den kleinen Vorhofdrüsen sind große Vorhofdrüsenvorhanden (Glan-
dula vestibularis major), die auch mit dem Eigennamen Bartholin-Drüsen be-
zeichnet werden. Das sind 2 ca. bohnengroße Drüsen, die in der Beckenboden-
muskulatur liegen. Die Ausführungsgänge der Drüsen münden im unteren Drittel
auf der Innenseite der kleinen Schamlippen. Das Sekret der Bartholin-Drüsen ist
leicht alkalisch und befeuchtet den Vorhof während sexueller Erregung ebenfalls.

13.2.2 Äußere Geschlechtsorgane der Frau

Die äußeren Geschlechtsorgane der Frau werden in ihrer Gesamtheit als Vulva
bezeichnet (Abb.13-10).

Schamberg
Der Schamberg (Mons pubis) als Teil der Vulva wölbt sich über der Symphyse vor
(Abb.13-10).
Er wird durch subkutanes Fettgewebe gebildet, das in dieser Region stärker subkutan unter der Haut gelegen
als in den angrenzenden Gebieten vorhanden ist. Die Haut des Schambergs wird
durch Schamhaare bedeckt. Neben Talgdrüsen, die in die Trichter der Scham-
558

Abb. l3-10.
Äußere weibliche Genitalorgane. Damit
bei einer Geburt der Dammbereich zwi-
schen Vagina und Anus nicht reißt, wird
Kitzlervorhaut
häufig seitlich davon ein schräger Damm- a-~il":"::----,r----:--- (Praeputium
schnitt (Episiotomie) durchgeführt clllorldis)
Kitzler (Klitoris) - - - - -----li-'S!!S!J"#j'M.'
._._~~-+---'---- kleine Schamlippe
Harnröhrenöffnung -----...~~ (Labium minus)

große Schamlippe _ _ ___;_--lf--- ·•·\" Jungfernhäutchen


(Labium majus) (Hymen)

Damm ------~-f~~~--­
(Perineum)

apokrin haare münden, sind im Bereich des Mons pubis auch apokrine Schweißdrüsen
Abgabe von Sekret, das von einer (Duftdrüsen) vorhanden, die allerdings beim Menschen ihre Bedeutung weitge-
Membran umhüllt ist hend verloren haben (die Schweißdrüsen werden im Kap. 14, Haut und Anhangs-
organe, ausführlich behandelt).

Schamlippen
An den Schamlippen (Mons pubis) schließen sich nach unten, zu beiden Seiten
der Schamspalte (Rima pudendi), die großen Schamlippen an (Plural: Labia ma-
jora pudendi). Die großen Schamlippen sind fettreiche Hautfalten, die entwick-
lungsgeschichtlich dem Hodensack des Mannes entsprechen. Auf ihrer Außen-
merokrin seite tragen sie Schamhaare sowie apokrine und merokrine Schweißdrüsen. Auf
Abgabe von Sekret ohne Membranhülle der Innenseite fehlen die Haare, es sind jedoch freie Talgdrüsen vorhanden. An
der Innenseite der großen Schamlippen liegen die kleinen Schamlippen (Labia
minora pudendi). Sie umfassen den Scheideneingang. Die kleinen Schamlippen
sind ähnlich gebaut wie die Innenseite der großen Schamlippen. Sie sind nicht
behaart, tragen ein leicht verhorntes Plattenepithel und besitzen ebenfalls freie
Talgdrüsen. Entwicklungsgeschichtlich entsprechen sie der Haut des Penis.
Duplikatur Die kleinen Schamlippen sind schlaffe Hautduplikaturen, die im Gegensatz
Verdoppelung zu den großen Schamlippen keine Subkutis (s. Kap.14, Haut und Anhangsorgane)
enthalten. Im oberen Teil sind die kleinen Schamlippen aufgespalten. Die daraus
entstehenden Hautfalten der beiden Schamlippen vereinigen sich oberhalb und
Präputium unterhalb des Kitzlers (Glans clitoridis) und bilden auf diese Art eine Schutz-
Vorhaut kappe (Präputium), ähnlich der männlichen Vorhaut.

Scheidenvorhof
Die kleinen Schamlippen umgeben den Scheidenvorhof (Vestibulum vaginae).
Der Vorhof wird gegen die Scheide durch das Hymen, eine halbmondförmige
Hautfalte (>>Jungfernhäutchen<<), begrenzt. Die Ausbildung des Hymens ist indi-
Weibliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel 13 · Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 559

viduell sehr verschieden. Sie reicht von völligem Fehlen bis zu völligem Ver-
schluss der Scheide. Beide Extremfälle treten allerdings nur sehr selten auf. Die
nach der Durchstoßung des Hymens und v. a. nach einer Geburt noch vorhande-
nen Reste werden als Carunculae hymenalesbezeichnet Im Bereich des Vorhofs
münden die kleinen und großen Vorhofdrüsen. Zwischen der Klitoris und der
Scheide mündet die Harnröhre (Urethra) in den Vorhof (s. Abb. 13-10 ).

Kitzler
Der Kitzler (Klitoris, Glans clitoridis) ist Teil des Klitorisschwellkörpers (Corpus
cavernosum clitoridis), der mit 2 Ästen auf beiden Seiten unter dem Schambein
beginnt. Diese beiden Äste verschmelzen miteinander und bilden die Klitoris
(Glans clitoridis; s. Abb. 13-10 ). Der gesamte Schwellkörper inklusive Klitoris be-
steht aus Hohlräumen, die während sexueller Erregung mit Blut gefüllt werden.
Dadurch wird die Klitoris aus den Hautfalten der Vorhaut herausgeschoben. Sie
ist irrfolge ihres Nervenreichtums sehr empfindlich. Neben Tastkörperchen kom-
men v. a. Genitalnervenkörperchen vor. Genitalnervenkörperchen
Unterhalb der Klitoris, d. h. zwischen Klitoris und Vaginamündung, befindet spezielle Nervenendigungen im Bereich
sich die Harnröhrenmündung. Zu beiden Seiten des Scheidenvorhofs liegen an der Genitalorgane für die Druck- und
der Basis der kleinen Schamlippen die Vorhofschwellkörper (Singular: Bulbus Tastempfindung
vestibuli). Sie enthalten ebenfalls Hohlräume, die sich während sexueller Erre-
gung mit Blut füllen, wodurch die kleinen Schamlippen stärker an den Penis ge-
drückt werden.

13.2.3 Sekundäre weibliche Geschlechtsmerkmale

Brustdrüse
Im folgenden Abschnitt wird die Brustdrüse (Mamma) als sekundäres weibliches
Geschlechtsmerkmal behandelt, obwohl sie von der Herkunft her (als Hautdrüse)
eigentlich in Kap. 14, Haut und Anhangsorgane, gehört.
Nach den Brustdrüsen bzw. ihrer Funktion ist eine ganze Tierklasse benannt
worden: die Säugetiere (Mammalia).
Die Brustdrüse ist die größte Hautdrüse. Ihr Sekret, die Muttermilch, dient der
Ernährung des Säuglings. Sie ist damit die einzige Drüse, deren Sekret nicht für
den eigenen Körperbedarf produziert wird. Die Entwicklung von der kindlichen
Brustdrüse zur weiblichen Brust wird durch die Geschlechtshormone gesteuert.

Anatomie der Brustdrüse


Die Brustdrüse liegt verschieblieh auf der Faszie des M. pectoralis major (Abb. 13-
na, b ), in Höhe der 3. -7. Rippe. Bei der unreifen Brustdrüse sowie bei der männ-
lichen Brustdrüse (die zeitlebens auf der kindlichen Entwicklungsstufe stehen
bleibt), liegt die Brustwarze (Papilla mammae, klinisch: Mamille) auf der Höhe
des 4· lnterkostalraums. Durch ein Aufhängeband (Ligamentum suspensorium Interkostalraum
mammae) ist die Brust an der Faszie des M. pectoralis aufgehängt. Daneben sind Zwischenrippenraum
in der Brust Bindegewebezüge vorhanden, die ebenfalls an der Faszie ansetzen.
Form und Größe der Brust sind sehr variabel und hängen von vielen Fakto- Konstitution
ren ab, z. B. ethnischer Zugehörigkeit, Alter, vorangegangener Schwangerschaf- Gesamtheit der anatomischen und phy-
ten, Hormonspiegel im Blut sowie allgemeiner Konstitution. siologischen Eigenschaften eines
Individuums
560

Abb. 13-11 a, b . Warzenhol Montgomery·

Weibliche Brustdrüse mit den Drüsen-


lappen,
a -------==----- (Areola mammae) Knötchen
(Giandula areolaris)

a in der Aufsicht.
b in einem Sagittalschnitt dargestellt. großer Brvstmuskel - - +--'.._r -
(M. pectoralis major)
Die Brustwarze befindet sich bei einer
jugendlich-straffen Brust auf der Höhe des
4. Zwischenrippenraums (Interkostal raum)

Milchbucht
(Sinus lactiler)

Milchbucht
(Sinus lactiler)
Milchgang
(Ductus lactiler)
b

Der Busen (Sinus mammarum) ist die Vertiefung zwischen beiden Brüsten
und nicht- wie fälschlicherweise oft angenommen wird - die Brust selbst.

Bau der Brust


Die Brustdrüse besteht aus einem Drüsenkörper, der in 15- 20 Lappen aufgeteilt
ist. Zwischen den einzelnen Lappen liegt Bindegewebe, das je nach Individuum
mehr oder weniger mit Fett durchsetzt ist. In der nichtstillenden Brust (Mamma
non lactans) bestimmt v. a. der Fettkörper durch seine Größe die Brustgröße,
nicht das Drüsengewebe selbst.
Während der Schwangerschaft und der anschließenden Stillperiode ist eine
Größenzunahme v. a. durch Vermehrung des Drüsengewebes bedingt. Die ein-
zelnen Drüsenlappen sind radiär um die Brustwarze angeordnet. Jeder dieser
Weibliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel 1 3 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 561

Lappen stellt eine Einzeldrüse dar, die vom Typ her zu den tubuloalveo lären
Drüsen gehört. Jede dieser Drüsen besitzt einen Milchgang (Ductus lactifer). Aufbau der Brustdrüse:
Dies ist ein verzweigtes, teilweise bis zu 2 mm weites Röhrchen, in das das Drü- • 15 bis 20 Drüsenlappen umgeben
sensekret, aus den Alveolen (Drüsenend stücke) kommend, fließt. Die Milchgänge von Fettgewebe
münden in Milchbuchten (Sinus lactiferi, s. Abb. 13-ua, b); das sind Erweiterun - • sezernierende Drüsenendstücke
gen kurz vor der Brustwarze. Die Milchbuchten können zwischen 7- 8 mm weit münden in Milchgänge
werden und dienen z. Z. der Milchabson derung als Behälter. Ehe sie in die Brust- • Milchgänge münden in Milchbuchten
warze münden, verengen sich die Milchbuchten wieder. • die Milchbuchten münden auf der
Die Brustwarze (Papilla mammae) ist ein konischer Vorsprung, der von ei- Brustwarze
nem pigmentier ten Warzenhof (Areola mammae} umgeben ist. Auf dem War-
zenhof münden ca. 10- 15 kreisförmig um die Warze angeordnet e kleine Drüsen,
die Montgomery-Knötchen (Glandulae areolares). Sie ähneln in ihrem Bau den
Milchdrüsen und ermögliche n während des Stillvorgangs den für das Saugen
nötigen hermetisch en Verschluss zwischen Mund des Säuglings und Warzenhof.
Dafür sondern sie während des Saugaktes eine geringe Menge Flüssigkeit ab.
In der Warze und im Warzenhof verlaufen Bündel von glatter Muskulatur, die
sich bei Berührung der Brustwarze kontrahiere n und damit zur Erektion der
Brustwarze führen . Dies erleichtert den Saugvorgang. Hohlwarzen oder Flach-
warzen, die sich nicht aufstellen (erigieren) können, bereiten häufig Schwierig-
keiten beim Stillen.

Entwicklung der Brust


In Frühstadien der menschlichen Entwicklung ist auf jeder Körperseite eine
Milchleiste vorhanden (Abb. 13-12). Eine solche Milchleiste besteht auch bei an-
deren Säugern und führt bei diesen zur Entwicklung einer größeren Anzahl von
Brustdrüsen.
Beim Menschen entwickelt sich normalerwe ise nur das 4· Paar dieser em-
bryonalen Brustdrüsen, die anderen bilden sich wieder zurück. Gelegentlich
kann es jedoch vorkommen , dass durch Fehlentwicklung überzählige Brustdrü-
sen (Hypermastie) oder häufiger noch überzählige Brustwarzen (Hyperthelie)
ausgebildet werden. Diese akzessorisc hen Warzen oder Drüsen liegen immer in akzessorisch
der als Milchleiste bezeichneten Region. zusätzlich, überzählig

Funktion der Brustdrüse


Aufgrund der Funktion und der damit verbundene n Struktur der Brustdrüse un-
terscheidet man eine laktierende (Mamma lactans, milchgebende Drüse) von ei-
ner nichtlaktierenden Brustdrüse (Mamma non lactans, nichtmilchg ebende
Brustdrüse).
Die Brüste entwickeln sich während der Pubertät unter dem Einfluss der weib-
lichen Hormone. Östrogen bewirkt das Aussprossen der Milchgänge und Pro-
gesteron das Wachstum der Alveolen (Drüsenendstücke). Dabei kann es auch zu
einer überschießenden Reaktion kommen. Große Brüste z. Z. der Pubertät bilden
sich aber häufig nach Abfall des Hormonspiegels in späteren Jahren wieder zu-
rück. Die eigentliche Entwicklung des Drüsengewebes, d. h . der milchproduzie-
renden Gewebe (sezernierende Drüsenendstücke), setzt erst z. Z. einer Schwan-
gerschaft ein. Nach der Pubertät sind die Drüsengänge meist noch ohne Lumen
und die Drüsenalveolen als sezernierende Endstücke gar nicht vorhanden.
562

Abb. 13-12.
Milch leiste, auf die Körperoberfläche ge-
zeichnet. Entlang dieser Leiste können
zusätzliche Brustwarzen (Hyperthelie)
oder zusätzliche Brustdrüsen (Hyper-
mastie) vorkommen. Im Normalfall ist nur
das 4. Paar der 7- 8 embryonal vorhan-
denen Anlagen ausgebildet

Projektion der Milchleiste


mit akzessorischen Mamillen

akzessorische Mamillen

Während der Schwangerschaft sprießen unter der Wirkung von ovariellen


und plazentaren Hormonen die Drüsengänge aus und die Alveolen bilden sich, in
denen nach der Geburt die Milch produziert wird (s. Tabelle 13-1). Unter der Wir-
kung des Hypophysenhormons Prolaktin wird nach der Geburt die Milchproduk-
tion gesteuert. In den Alveolen werden 2 verschiedene Sekretgranula gebildet; die
einen enthalten Protein, die anderen Lipid (s. Kap. 3).

Tabelle 13-1. Wirkungen der Hormone auf die Brustdrüse

Hormon Wirkung

Östrogen Wachstum der Milchgänge, Vorbedingung für Progesteronwirkung

Progesteron Alveolenwachstum (Alveolen: Drüsenendstücke)

Prolaktin Fördert Milchproduktion

Oxytozin Fördert Milchfluss durch Kontraktion der Myoepithelien


Weibliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel13 · Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 563

Die Alveolen sind von kontraktilen Zellen umgeben (s. Kap. 3, Histologie),
den Myoepithelien, die sich unter der Wirkung des Hypophysenhormons Oxy-
tozin (Ocytocin) kontrahieren und dadurch die Milch austreiben ..
Gegen Ende der Schwangerschaft produzieren die Brustdrüsen zunächst Ko-
lostrum, eine Vormilch, die anders als die eigentliche Milch sehr viel Proteine und
wenig Fett enthält. Außerdem enthält Kolostrum auch Antikörper. Dies ist sehr
wichtig, da das Neugeborene selbst noch keine Antikörper bildet. Erst ca. 3 Tage
nach der 'Geburt schießt die eigentliche Milch ein, die weniger Eiweiß und mehr
Fett enthält.
In der Mamma non lactans sind praktisch keine Drüsenendstücke vorhan-
den, d. h. das Drüsengewebe besteht v. a. aus Milchgängen und Milchbuchten.

Muttermilch
Die Lipide der Muttermilch liegen in kleinen membranumschlossenen Tröpfchen
vor, d. h. sie sind emulgiert. Dadurch kommt die weiße Farbe der Milch zustande.
Die Zusammensetzung der Muttermilch ist in Tabelle 13-2 angegeben.
Das wichtigste Milchprotein ist das Kasein, das unter Hitzeeinwirkung nicht
denaturiert, jedoch unter Säureeinwirkung. Es macht ca. 2/3 des Milcheiweißes aus. Denaturierung
Andere Milchproteine, z. B. Laktalbumin und Laktoglobulin denaturieren un- nicht umkehrbare Strukturveränderung
ter Hitzeeinwirkung. Dadurch entsteht die Milchhaut von Proteinen, in der Regel durch
Da Milch praktisch kein Eisen enthält, ist eine ausschließliche Ernährung mit Wasserentzug
Muttermilch über mehr als 6 Monate nicht zu empfehlen. Für die ersten 6 Monate
verfügt der Säugling in der Regel über genügend Eisenreserven in seinem Körper. Milchproteine
Wenn sich eine stillende Frau normal ernährt, ist die Muttermilch in ihrer • Kasein
Zusammensetzung nicht sehr beeinflussbar, lediglich der Gehalt an Vitaminen • Laktalbumin
kann stark variieren. Vorsicht ist allerdings bei Medikamenten und Alkohol wäh- • Laktoglobulin
rend der Stillperiode geboten, da beide leicht in die Milch übertreten. Ebenso
können verschiedene ätherische Öle und Aromastoffe in die Milch gelangen.
Säuglinge lehnen z. B. eine übermäßig mit Geschmackstoffen angereicherte Mut-
termilch ab, wie sie u. a. ein ausgiebiger Konsum von Orangen hervorbringt.

Tabelle 13-2. Zusammensetzung der Muttermilch

Bestandteil Menge/ Anteil

Proteine 1- 2%

Lipide 3-4%

Zucker 6-7%

Elektrolyte 0,2%

Wasser 87%

Nährwert 280 k.J/ 100 ml


564

13.3 Männliche Geschlechtsorgane

Primäre innere Geschlechtsorgane Wie bei der Frau sind auch beim Mann die primären Geschlechtsmerkmale be-
des Mannes reits zum Zeitpunkt der Geburt vorhanden. Dazu gehören die inneren und
• Hoden (Testis) äußeren Geschlechtsorgane, wie sie in Abb. 13-13 dargestellt sind.
• Nebenhoden (Epididymis)
• Samenleiter (Ductus deferens) 13.3.1 Innere Geschlechtsorgane des Mannes
• Akzessorische Drüsen:
Cowper-Drüse (Giandula Hoden
bulbourethralis) Anatomie
Vorsteherdrüse (Prostata) Die Hoden (Testis) haben wie die Ovarien eine Doppelfunktion. Auf der einen
Samenbläschen (Vesicula seminalis) Seite sind sie verantwortlich für die Keimzellenbildung, auf der anderen Seite
funktionieren sie als Hormonproduzenten.
Primäre äußere Geschlechtsorgane Die ausgewachsenen Hoden haben ungefähr die Form und Größe eines klei-
des Mannes nen Hühnereies. Sie liegen außerhalb der Bauchhöhle in einer Hauttasche, dem
• Glied (lateinisch Penis, griechisch Hodensack oder Skrotum. Oben auf den Hoden und entlang ihrer Rückseite Lie-
Phallus) gen die Nebenhoden. Das Gewicht eines einzelnen Hodens beträgt zwischen 30
• Hodensack (Skrotum) und 50 g. In der Länge misst ein Hoden ca. 4-5 cm. Der Jjnke Hoden ist oft etwas
größer als der rechte und steht gewöhnlich auch etwas tiefer im Hodensack.

Bau und Funktion des Hodens


Die Hoden sind außen von einer derben Bindegewebehülle (Tunica albuginea)
Septum (eingedeutschter Plural Septen) umgeben. Von ihr strahlen radiär Septen auf einen Bindegewebekörper zu, das
Scheidewand Mediastinum testis (Abb. 13-14). Diese Scheidewände sind v. a. im unreifen Hoden

Ab b. 13-13. Sa menbläschen Mastdann


(Vesicula seminalis) (Rektum)
Medianschnitt durch den männlichen
Beckenbereich. Der Samenleiter befindet
sich eigentlich außerhalb der Schnitt-
ebene, ist aber w egen der Verdeutlichung
der Zusammenhänge m it eingezeichnet
worden. Auf der Höhe des Samenleiters
sind deshalb auch 2 Anschnitte des
Schambeins (Os pubis) und d ie äußere
Harnblasenwand dargestellt

Öffnung des
Mastdanns
(Anus)

Vorhaut /
(Präputium)
Hodensack
(Skrotum)
Männliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 565

Abb. 13-14a-c.
a Hoden mit Nebenhoden. Oie ableiten-
den Gänge (Plural: Ductuli efferentes) lei-
ten die Spermien aus dem Hoden in den
Kopf
Samenkanalehen
Basalmembran (Akrosom)
Nebenhodengang (Ductus epididymidis),
(Tubulus seminilerusl
der seine rseits im Samenleiter (OuctusNas
deferens) mündet.
b zeigt ein Samenkanälchen (Tubulus
seminifer) des Hodens mit verschiedenen
Reifungsstadien von der Spermatogonie
bis hin zum reifen Spermium.
c stellt ein ganzes Spermium und sein
Kopf und Mittelstückteil dar. Im Mittel-
Samenleiter Hodenlappen
stück ist eine Kette von Mitochondrien um
(Ductus oder (Lobuli tesbs)
Schwanz
den Zentralteil gewunden. Auf dem Kopf
Vas deferens)
Nebenhoden sitzt die Kopfkappe (Akrosom), in der sich
Spermatiden
(Epididymis)
die für die Durchdringung der Eihüllen
a b c notwendigen Enzyme befinden (Akrosin,
koronapenetrierendes Enzym und Hyalu-
ronidase). Die gestrichelten Linien weisen
auf den verwendeten Ausschnitt für die
Detailzeichnungen (b und c) hin

stark ausgebildet. Im reifen Hoden sind sie nur noch unvollständig vorhanden. Hodenstrukturen
Zwischen den Scheidewänden liegen die Hodenkanälchen (Tubuli seminiferi), in • Tunica albuginea
denen die Keimzellen gebildet werden. Die Gesamtlänge aller Hodenkanälchen • Septen, welche den Hoden unterteilen in
wird auf ca. 200- 300 m geschätzt. Die Hodenkanälchen sind stark gewunden. Sie • Lobuli
stellen eine Schlaufe dar, die in einen kurzen, geraden Anteil mündet, der seiner- • Tubuli seminiferi (Hodenkanälchen),
seits im Bereich des Mediastinum testis in das Hodennetz (Rete testis) übergeht. diese münden im
Das Hodennetz ist ein System von weiten spaltförmigen Kanälen. Mit dem • Rete testis (Hoden netz)
Hodennetz beginnen die eigentlichen ableitenden Samenwege. Das Hodennetz • diese münden in den Ductuli efferentes
geht über die ableitenden Kanälchen (Ductuli efferentes; ca. 12- 20) in den (ableitende Kanälchen)
Nebenhodengang über, der wiederum in den Samenleiter mündet (s. unten).

Spermienbildung
In den Hodenkanälchen (Tubuli seminiferi) liegen die samenbildenden Zellen,
die Spermatogooien (Ursamenzellen). Das Epithel der Hodenkanälchen ist so
angelegt, dass die am wenigsten entwickelten Zellen in einem mehrschichtigen
Epithel an der Basis liegen, direkt auf der Basalmembran.
Die am weitesten entwickelten Stadien hingegen liegen auf der IuminaJe n Lumina!
Seite des Epithels. Während der Reifung zu Spermien wandern die Zellen von der gegen das Lu men zu
Basalmembran nach oben, um dort bei entsprechender Reife in das Lumen abge- (Lumen: die Lichtung)
geben zu werden, von wo aus sie zunächst in den Nebenhoden gelangen. Die ei-
gentlichen Stammzellen der Spermienbildung sind die Spermatogonien, die sich
vom Beginn der Pubertät bis zum Lebensende konstant durch Mitose teilen.
Dadurch werden 2 Zelltypen gebildet, die Spermatogooien A (die sich weiter mit-
566

otisch teilen) und die Sperrnatogenien B (die in die Meiose eintreten). Diese un-
terschiedliche Funktion der Spermatogooien A und B ist unbedingt notwendig,
weil es sonst geschehen könnte, dass alle Spermatogooien in die weitere Reifung
eintreten und damit keine Stammzellen für zukünftige Spermienproduktion
zurückbleiben.
Durch die Meiose resultieren aus einer Spermatogonie B, über verschiedene
Haploider Chromosomensatz Zwischenstadien, 4 Spermien, die alle nur einen haploiden Chromosomensatz
besteht aus 23 Chromosomen, im besitzen. An der Reifung der verschiedenen Zwischenstadien, bis hin zum reifen
Gegensatz zu den diploiden Körperzellen Spermium, sind Sertoli-Zellen maßgeblich beteiligt. Sie erfüllen die Funktion ei-
mit 46 Chromosomen ner Arnmenzelle, die während der Reifung die Zellen mit ihrem Zytoplasma
umfließt. Von der Spermatide (schwanzlose Vorstufe des Spermiums) bis hin
zum reifen Spermium stehen die Sertoli-Zellen in engem Kontakt mit den unter-
schiedlichen Entwicklungsstadien (s. Abb. 13-14).

Hormonproduktion
Durch Hypophysenhormon ICSH (»interstitial cell stimulating hormone«) ge-
steuert, das mit dem LH (luteinisierendes Hormon der Frau) identisch ist, neh-
men im interstitiellen Bindegewebe liegende Zellen zum Zeitpunkt der Pubertät
ihre Funktion auf. Diese Zellen werden nach ihrem Entdecker auch als leydig-
Zwischenzellen bezeichnet. Sie sind verantwortlich für die Bildung von Testoste-
Wirkungen des Testosterons ron, das primäre männliche Geschlechtshormon. Testosteron ist für die Ausbil-
• Bildung der sekundären dung der sekundären Geschlechtsmerkmale verantwortlich und spielt auch bei
Geschlechtsmerkmale der Reifung der Samenzellen eine bedeutende Rolle. Auch für die Steuerung des
• Reifung der Samenzellen Geschlechtstriebs hat Testosteron eine große Bedeutung.
• Steuerung des Geschlechtstriebes
Spermien
Aufbau der Spermien Während der Reifung von der Spermatogonie bis zum reifen Spermium verlieren
• Kopf mit Akrosom die Zellen den größten Teil ihres Zytoplasmas. Das reife Spermium besteht aus
• Halsteil Kopf, Hals, Mittelstück und Schwanz (s. Abb.13-14).
• Mittelstück mit Mitochondrien Der Kopf enthält praktisch nur noch den Zellkern der Spermatide mit den
und Achsenfaden dicht gepackten Chromosomen. Oben auf dem Kopf sitzt eine aus dem Golgi-
• Schwanz mit Achsenfaden Apparat hervorgegangene Kopfkappe, das Akrosom. Es enthält Enzyme (Hyalu-
ronidase, Akrosin, »corona penetrating enzyme«), die für den Befruchtungsvor-
gang von größter Bedeutung sind.
Über einen engen Halsteil ist der Kopf mit dem Mittelstück verbunden. Das
Mittelstück enthält den Achsenfaden (wichtig für die Bewegung des Spermiums),
um den herum Mitochondrien als Energielieferanten angeordnet sind. Der läng-
ste Teil des Spermiums, der Schwanz, ist ebenfalls vom Achsenfaden durchzogen,
er enthält praktisch keine weiteren Strukturen. Der Achsenfaden besteht aus
Mikrotubuli, die durch kontraktile Proteine eine Bewegung des Spermien-
schwanzes ermöglichen. Der Kopf hat eine Länge von ca. 3-5 J.UD• ist in der
Aufsicht oval, von der Seite betrachtet birnenförmig. Das Mittelstück ist ca. 6 J.lm
lang, und der Schwanz hat eine Länge von 30- 40 J.Lm.

Abstieg der Hoden


Die Hoden liegen während der Entwicklung in der Bauchhöhle. Erst am Ende der
Fetalzeit treten sie in den Hodensack ein. Hierbei werden sie vom unteren
Keimdrüsenband (Gubernaculum testis) geleitet. Durch diesen Vorgang werden
Männliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel13 · Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 567

sie der intraabdominalen Körperwärme entzogen, die ca. 3-5°C über der Tempe- intraabdominal
ratur im Hodensack liegt. Die tiefere Temperatur des Hodensacks ist notwendig in der Bauchhöhle
für die Spermienbildung.
Erfolgt der Abstieg der Hoden (Descensus testis) nicht, spricht man von
Kryptorchismus (Hodenhochstand). Kryptarehe Hoden können zwar keine Sper-
mien bilden, aber Testosteron.
Die Hoden sollten am Beginn des 8. Schwangerschaftsmonats im äußeren Äußerer Leistenring
Leistenring liegen, also schon durch den Leistenkanal hindurchgetreten sein. Am gegen die Köperoberfläche gerichtetes
Anfang des 9. Monats sollten sie im Skrotum liegen. Zum Zeitpunkt der Geburt lie- Ende des Leistenkanals
gen aber bei ca.1o/o der reifen Neugeborenen und bei ca. 25% der Frühgeburten die
Hoden noch nicht im Skrotum. Meist erfolgt jedoch noch im 1. Lebensjahr der
Deszensus bis in den Hodensack. Bei den verbleibenden 0,5% der Neugeborenen Descensus
muss schon im 2. Lebensjahr eine Hormonbehandlung und, wenn diese nichts Abstieg
nützt, eine Operation erfolgen, weil sonst Sterilität droht. Der Deszensus nimmt
seinen Weg entlang der hinteren Wand einer Peritonealausstülpung, die in den Hodenhüllen
Hodensack hineinreicht. Diese Verbindung mit dem Bauchraum verödet in der • Epiorchium (inneres Blatt)
Regel. Geschieht das nicht, können Darmschlingen bis in das Skrotum gelangen • Periorchium (äußeres Blatt)
(Bruch). Verödet die Verbindung mit dem Bauchraum nur teilweise, können aus
den Resten flüssigkeitsgefüllte Zysten werden; diese bezeichnet man als Hydrozele. Zyste
Aus der Peritonealausstülpung, die während des Descensus testis mit in den abgeschlossener Gewebshohl raum,
Hodensack gelangt, bildet sich um die Hoden und Nebenhoden ein doppelwan- der mit Flüssigkeit gefüllt ist
diger Serosaüberzug, die Hodenhüllen. Dadurch wird die Beweglichkeit der
Hoden und Nebenhoden gewährleistet. Das innere Blatt dieses Überzugs ist das Hydrozele
Epiorchium, das äußere Blatt das Periorchium. Zwischen beiden ist eine geringe Zyst e in einer serösen Höhle
Menge an Flüssigkeit vorhanden.

Nebenhoden
Die Nebenhoden (Epididymis) sitzen auf und hinter den Hoden, mit denen sie Bestandteile des Nebenhodens
fest verwachsen sind. Am Nebenhoden unterscheidet m an 3 Teile. • Kopfteil (Caput epididymidis)

Der Kopfteil sitzt oben dem Hoden auf un d enthält v. a. die Ductuli efferentes • Körp er (Corpus epididymidis)

(ausführende Gänge) und einen Teil des Nebenhodenganges. • Schwanz (Cauda epididymidis)
Der Körper verjüngt sich entlang der Hinterseite des Hodens und geht über in
den Nebenhodenschwanz, der seinerseits in den Ductus (Vas) deferens (Samen-
leiter) mündet.
Im Körper und im Schwanz befindet sich ein unverzweigtes stark gewunde-
nes Gangsystem, das der endgültigen Reifung der Spermien un d ihrer Speiche-
rung dient, der Nebenhodengang. Er schlängelt sich durch das ganze Organ und
hat eine Gesamtlänge von ca. 5 m.
Im Nebenhoden machen die Spermien einen letzten Reifungsprozess durch,
indem sie ihre endgültige Form annehmen, d. h. letzte Zytoplasmabezirke ab-
schnüren. Da der Energievorrat der Spermien nur sehr beschränkt ist, dürfen sie
sich nicht bewegen, bevor sie sich nicht in den weiblichen Genitalien b efinden.
Deshalb gibt der Nebenhodengang ein leicht saures Sekret ab, das u. a. die Sper-
mien in ihrer Beweglichkeit hemmt. Sie können bei saurem pH-Wert keine
Eigenbewegung durchführen. Erst durch die - während der Ejakulation beige-
fügten - alkalischen Sekrete werden sie mobil.
Die eigentliche Speicherung der Spermien geschieht im Nebenhodengang-
teil, der sich im Nebenhodenschwanz befindet. Von hier werden sie durch
568

Kontraktion der Muskulatur im Nebenhodengang peristaltisch in den Samen-


leiter (Ductus deferens) transportiert.

Samenleiter
Vasektomie Für den Samenleiter (Ductus deferens) wird auch der Begriff Vas deferens ver-
Unterbindung des Samenleiters wendet, von dem sich der BegriffVasektomie ableitet.
Der Samenleiter schließt sich an den Nebenhodengang an. Er ist ein ca.
3-4 mm dickes sehr muskelstarkes Hohlorgan, das die Spermien während der
Ejakulation (Austreibung der Samenflüssigkeit) transportiert. Die Länge des
Samenleiters beträgt ca. 50-60 cm. Er läuft, in Fortsetzung des Nebenhoden-
schwanzes, vom unteren Hodenpol am Nebenhoden entlang aufwärts. Gemein-
sam mit der Hodenarterie (A. testicularis), den dazugehörigen Venen (Plexus
Muskelschichten des Samenleiters pampiniformis) und verschiedenen Nerven bildet er den Samenstrang (Funicu-
• innere Längsmus kelschicht lus spermaticus). Dieser ist vom Hodenhebermuskel (M. cremaster) und ver-
• mittlere Ringmuskelschicht schiedenen Bindegewebehüllen umschlossen. All diese im Samenstrang zusam-
• äußere Längsm uskelschicht mengefassten Gebilde ziehen über die Leistenregion durch den Leistenkanal
(Canalis inguinalis) , d. h. von außen, in die Bauchhöhle hinein . Hier erreicht der
Samenleiter unter dem Harnblasenboden die Vorsteherdrüse (Prostata) und
mündet innerhalb dieser Drüse auf dem Samenhügel (Colliculus seminalis).
Die Wand des Ductus deferens ist sehr muskelstark, da 3 Muskelschichten
vorhanden sind.
Dadurch erhält der Ductus deferens fast eine knorpelige Konsistenz. Die
Schichten der Muskulatur sind spiralig gewunden und stehen untereinander in
Verbindung.

Akzessorische Geschlechtsdrüsen
Samenbläschen
Einige Zentimeter vor der Prostata erweitern sich die Samenleiter zur Ampulle
(Ampulla ductus deferentis). Bevor sie in der Prostata münden, nehmen sie noch
die Ausführgänge des Samenbläschens (Vesicula seminalis) auf (Abb. 13-13 u.
Abb. 13-15). Diese ca. 4-5 cm lange, bauchig gewundene Drüse bildet ein alkali-
sches Sekret, das zusammen mit dem Prostatasekret die Hauptmenge des Ejaku-
lats ausmacht. Die alkalische Reaktion des Sekrets fördert die Beweglichkeit der
Spermien, die ja - da aus saurem Milieu kommend - zuerst mobilisiert werden
müssen.
Die Prostaglandine des Ejakulats stammen Die im Körper weit verbreiteten Prostaglandine wurden zuerst in der Samen-
aus der Vesicula seminalis flüssigkeit entdeckt. Sie stammen jedoch nicht, wie anfangs angenommen, aus
(Samenbläschen) der Prostata, sondern aus dem Samenbläschen. Prostaglandine haben vielfältige
Wirkungen, so wirken sie z. B. sowohl entspannend als auch kontrahierend auf
die Eingeweidemuskulatur.
Der letzte Teil des Vas deferens liegt in der Prostata und heißt Spritzkanal
(Ductus ejaculatorius). Das Lumen dieses Spritzkanals ist sehr eng, dadurch erhält
das Ejakulat eine hohe Beschleunigung, bevor es in die Harnröhre mündet, die da-
mit zur Harnsamenröhre wird. Diese Beschleunigung unterstützt den Transport
des Ejakulats, sodass es bis an die Körperoberfläche gelangen kann. Von besonde-
rer Bedeutung für die Ejakulationsind auch die während des Orgasmus stattfin-
denden 3-10 rhythmischen Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur.
Männliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 569

Samenbläschen Abb. 13-15.


(Veslcula seminalis)
Samenleiter Ventralansicht der inneren und äußeren
(Ductus deferens)
männlichen Geschlechtsorgane. Die Harn-
Spritzkanal samemöhre ist in aufgeschnittenem Zu-
Harnblase (Ductus
(Vesica urinaria) stand gezeichnet. Auf der rechten Abbil-
ejaculatorius)
dungsseite ist der Samenstrang (Funiculus
Vorsteherdrüse - 1 ; 1 ' - - -----J• -" spermaticus) gezeichnet mit Samenleiter
(Prostata) Samenstrang im
Leistenkanal und dem Venenplexus (Plexus pampinifor-
Samenhagel
(Colliculus mis). Auf der oberen rechten Abbildungs-
MI-- - - - - - Hodenarterie
semlnatis) (A. testicularis) hälfte ist anstatt der Harnblase (wie links
Harnsamenröhre ~ffi------- Venenplexus zu sehen) das hi nter der Harnblase liegen-
(Plexus
pampiniformis)
de Samenbläschen (Vesicula seminalis)
und der Samenleiter (Ductus deferens)
Glied - - - - - - - \ - - \ , - - - - - - { 1
abgebildet
(Penis)
!r-- - - - - - Hodenheber
Nebenhodenkopf (M. cremasler)
(Caput epididymidis)

Nebenhoden 11--- - - - - äußerer


(Epididymis) Hodenbeutel
(Periorchium)
Eichel - - - -----'<
(Glans penis) -l.~f------ glatter Muskel
(Tunica dartos)
':r.,. ; < - - - - - - - Hodensack
(Skrotum)

Vorsteherdrüse
Die Vorsteherdrüse (Prostata) hat ihren Namen der Tatsache zu verdanken, dass
sie vor der Harnblase steht (Abb. 13-13 u. Abb. 13-15). Sie umschließt ringförmig
das aus der Harnblase austretende Stück der Harnröhre (Pars prostatica). Die
Prostata hat ungefähr die Größe einer Esskastanie. Sie besteht aus ca. 30-50 tu-
buloalveolären Einzeldrüsen, die ein glasiges, leicht saures Sekret sezernieren.
Gelegentlich dickt das Sekret bereits im Lumen der Drüse ein und gibt damit
Anlass zur Bildung von Prostatasteinen.
Die Ausführungsgänge der Prostata münden links und rechts des Colliculus
seminalis (»Samenhügel«) in die Harnsamenröhre. Die Prostata besitzt einen
östrogenabhängigen Innenteil und einen testosteronabhängigen AußenteiL Der
Innenteil ist für die benigne physiologische Prostatahyperplasie verantwortlich, benigne
die im Alter gelegentlich das Lumen der Harnröhre beengt. Der Außenteil kann gutartig
in Form eines Prostatakarzinoms entarten.
Prostatahyperplasie
Cowper-Drüsen Größenzunahme der Prostata durch
Die Glandulae bulbourethrales (Cowper-Drüsen) entsprechen den Vorhofdrüsen Vermehrung der organspezifischen Zellen
(Bartholin-Drüsen) der Frau. Sie sind ebenfalls paarig und liegen wie bei der
Frau in der Beckenbodenmuskulatur. Sie sezernieren kurz vor der eigentlichen
Ejakulation ein schleimiges Sekret, das die Urinreste in der Harnröhre neutrali-
siert. Das Sekret ist wasserklar und alkalisch.
570

Samenflüssigkeit
Ejakulat Die Samenflüssigkeit (Ejakulat) ist eine dickflüssige glasig-weißliche Flüssigkeit,
• 2-3 ml die aus dem Sekret des Hodens mit den darin schwimmenden Spermien sowie
• pH 7.5 (> 8.0) der Flüssigkeit aus Samenbläschen und Prostata besteht. Bei einer Ejakulation
• 200-300 Mio. Spermien werden ca. 2-3 ml Flüssigkeit ausgestoßen. Dies geschieht durch die Kontraktion
der glatten Muskulatur in Nebenhoden, Samenleiter, Samenbläschen und Prosta-
ta. Gleichzeitig zieht sich die tiefe Beckenbodenmuskulatur rhythmisch zusam-
men, sodass das Ejakulat eine große Beschleunigung erfährt.
Das Ejakulat hat einen alkalischen pH-Wert (7,5), der die Beweglichkeit der
Spermien ermöglicht. Kurze Zeit nach der Ejakulation verflüssigt sich das
Ejakulat, in diesem Zustand liegt der pH- Wert über 8,0. Im Ejakulat befinden sich
ca. 200-300 Mio. Spermien, die aus dem Samenspeicher des Nebenhodens stam-
men. Ein folgendes zweites und drittes Ejakulat enthält in der Regel weniger
Spermien; dies bedeutet aber nicht unbedingt, dass weitere Ejakulate nicht mehr
zu einer Befruchtung führen können.
Im Unterschied zum Menstruationszyklus der Frau werden beim Mann kon-
tinuierlich, ohne zyklischen Ablauf, Spermien gebildet. Auch wenn die Menge an
Spermien ca. ab dem 25. Lebensjahr stetig abnimmt, kann die Zeugungsfähigkeit
bis ins hohe Alter erhalten bleiben. Eine dem Klimakterium der Frau vergleich -
bare Phase des Lebens gibt es beim Mann nicht. Neuere Befunde weisen aller-
dings darauf hin, dass die Hormonproduktion (Testosteron) bei Männern über
so Jahren häufig stark reduziert ist. Dies kann u. U. ebenfalls zu vielfältigen
Reaktionen führen.

13.3.2 Äußere Geschlechtsorgane des Mannes

Hodensack
Der Hodensack (Skrotum; Abb. 13-13 u. Abb. 13-15) ist eine Fortsetzung der
Bauchhaut, allerdings mit einem anderen Aufbau. Im Unterschied zur Bauchhaut
enthält die Haut des Skrotums keinerlei subkutanes Fettgewebe. Anstelle des
Fettgewebes ist eine spezielle Muskelschicht aus glatter Muskulatur vorhanden,
die Tunica dartos. Diese Muskelschicht ist die Grundlage der Temperaturregu-
lation im Skrotum. Durch Kontraktion der Muskelzellen kann die Oberfläche
stark gerunzelt und damit verkleinert werden, sodass die Wärmeabgabe redu-
ziert ist. Umgekehrt kann sich bei hoher Wärme die Haut stark dehnen, sodass
sie fast glatt wird, um damit - durch die größere Oberfläche - eine größere
Wärmeabgabe zu erreichen.
In der Mitte des Skrotums ist eine Naht vorhanden, die Raphe scroti,die aus
der Verschmelzung der Geschlechtswülste der indifferenten Anlage der äußeren
Geschlechtsorgane stammt. Bei der Frau entwickeln sich die Geschlechtswülste
in die großen Schamlippen.

Glied
Funktionen des Penis Anatomie
• Entleerung der Harnblase Durch seinen Bau ist das männlichen Glied (Penis) in der Lage, so unterschiedli-
als beweglicher Schlauch che Funktionen wie die Harnentleerung und den Geschlechtsakt durchzuführen.
• Einführung in die Vag ina zur Rein äußerlich unterscheidet man am Penis den Schaft (Corpus penis) und
Samenentleerung als versteiftes Glied die Eichel (Glans penis) mit der Vorhaut (Präputium; Abb. 13-16).
Männliche Geschlechtsmerkmale · Kapitel 13 · Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 571

Bindegewebssepten Abb. 13-16 a, b.


Vorhaut
/ (Präputium)
Längsschnitt (a) und Querschnitt (b) durch
den Penis. ln a wird deutlich, dass de r
Penisschwell-
körper Eichel
Penisschwellkörper (Corpus cavernosum)
(Corpus (Glans penis) von bindegewebigen Septen unterkam-
cavemosum)
mert ist. Der Harnröhrenschwellkörper
(Corpus spongiosum) ist schwächer aus-
gebildet als der Penisschwellkörper, damit
während der Ejakulation das Lume n nicht
Harnröhrenschwellkörper Erweijerung der Harnsamenröhre
a (Corpus spongiosum) (Fossa navicularis) vollständig verschlossen wird

Bindegewebsscheidewand
(Septum)

lll'•'IU'IR--l+-- Penisschwellkörper
(Corpus cavernosum)

Harnsamenröhre - - - 7-.#;...___ Harnröhrenschwellkörper


(Urethra masculina) (Corpus spongiosum)

Die Haut des Schaftes ist sehr dehnbar und verschieblich. Sie muss sich den Abschnitte des Penis
verschiedenen Dehnungszuständen anpassen können. Der Vorderteil der Penis- • Schaft (Corpus penis)
haut, das Präputium, ist eine Hautduplikatur, die die Eichel bedeckt und schützt • Eichel (Glans penis)
und als Reservefalte dient. Ist die Vorhaut zu eng, sodass sie nicht über die Eichel • Vorhaut (Präputium)
geschoben werden kann, redet man von einer Phimose. Wird bei einer Phimose
die Vorhaut gewaltsam zurückgezogen, kann die Glans penis eingeschnürt und
von der Blutversorgung abgeschnitten werden. Eine Vorhautverengung führt zu
Problemen bei der Kohabitation (Beischlaf) . Aus diesen Gründen muss eine
Phimose durch einen kleinen Eingriff behoben werden.
Das Smegma, eine talgige, gelblich-weiße Masse, die aus der Absonderung
der Vorhautdrüsen und aus abgeschilferten Epithelzellen und deren durch Bakte-
rien gebildeten Zersetzungsprodukten besteht, kann im Falle einer Phimose Ent-
zündungen verursachen (Balanitis).
In warmen Ländern, in denen das Smegma rascher durch Bakterien zersetzt
wird als in gemäßigten Klimazonen, beugt man schon seit Jahrhunderten sol-
chen Zuständen durch Beschneidungen (Zirkumzision) vor.
Der Schaft des Penis ist aus 2 verschiedenen Bestandteilen aufgebaut, wie auf
der Abb. 13-16 zu sehen ist.
Das Corpus cavernosum entspringt mit 2 Ästen unterhalb des Schambeins. Bestandteile des Penis
Die beiden Äste vereinigen sich an der Wurzel des Penis. Auf der Unterseite des • Penisschwellkörper
Cor pus cavernosum verläuft eine Furche, in der das Corpus spongiosum liegt. (Corpus cavernosum)
Das Corpus spongiosum nimmt seinen Anfang mit der Zwiebel (Bulbus penis) • Harnröhrenschwellkörper
und endet vorn in der Eichel (Glans penis). Im Inneren des Corpus spongiosum (Corpus spongiosum)
liegt der letzte Teil der Harnsamenröhre (Pars spongiosa, s. Abb.n-13).
Sowohl das Corpus cavernosum als auch das Corpus spongiosum sind aus
schwammartigen Hohlräumen aufgebaut, die Blut stauen können. Über das zu-
führende Gefäß, die A. dorsalis penis und ihren tiefen Ast, die A. profunda penis,
werden spiralartige Arterien (Aa. helicinae) im Schwellkörper versorgt, die eine
starke Füllung des Organs ermöglichen. Voraussetzung hierfür ist allerdings die
Betätigung von Drosselmechanismen, die den venösen Abfluss erschweren. Dies
Erektion führt zwangsläufig zur Erektion, d. h. der Versteifung des Penis.
Aufrichten des Penis, der Klitoris oder der Unterstützt wird die Erektion durch straffes kollagenes Bindegewebe um das
Brustwarzen. in den beiden ersten Fällen Corpus cavernosum herum, das der Blutfüllung Widerstand leistet und damit für
durch Blutstau in den Schwellkörpern den Druckaufbau mitverantwortlich ist.
Das Corpus spongiosum enthält die Harnsamenröhre, die während der
Ejakulation Samenflüssigkeit passieren lassen muss. Es darf aus diesem Grund
nicht so stark erigieren wie das Corpus cavernosum, sonst wäre der Transport
des Ejakulats nicht mehr möglich.

13.4 Fortpflanzung

13.4.1 Geschlechtsverkehr

Für die Befruchtung einer Eizelle ist in der Regel der Geschlechtsverkehr (Koha-
bitation) die Voraussetzung. Die Potentia coeundi (Fähigkeit zum Geschlechts-
verkehr) setzt beim Mann voraus, dass der Penis erigiert, und bei der Frau, dass
sich die Vagina erweitert und feucht wird.
Prinzipiell kann der Reaktionsablauf beim Geschlechtsakt in folgende 4 Pha-
sen unterteilt werden:

Die Erregungsphase kann auf verschiedene Arten positiv beeinflusst werden,


z. B. durch optische, olfaktorische, mechanische und psychische Reize, die alle
schließlich über Teile des vegetativen Nervensystems im Sakralbereich (Para-
sympathikus) und im Beckenbereich (Sympathikus) das Erfolgsorgan (Vagina/
Penis) beeinflussen. Beim Mann führt dies zur Erektion, bei der Frau zur Erwei-
Transsudat terung der Vagina und zu vermehrter Transsudatbildung aus den Blutgefäßen der
außerhalb von Gefäßen vorkommendes, Vaginalwand.
eiweißarmes und fibrinfreies Filtrat
des Blutes
In der Plateauphase findet bei der Frau eine massive Blutstauung in der Vaginal-
wand und in den Schwellkörpern statt. Beim Mann schwillt der Glanspenis wei-
ter an und gegen Ende der Plateauphase wird das Sekret der Cowper-Drüsen
ausgestoßen. Dieses Sekret wird gelegentlich auch als Liebestropfen bezeichnet.

Die Orgasmusphase entspricht beim Mann der Ejakulation und dauert nur weni-
ge Sekunden. Während der Ejakulation kontraktiert sich die Muskulatur des
Beckenbodens sowie sämtliche glatten Muskelzellen in den an der Ejakulatbil-
dung beteiligten Organen. Mit wenigen Kontraktionen der beteiligten Muskula-
tur (3 bis maximal10) wird das Ejakulat ausgestoßen.
Fortpflanzung· Kapftel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 573

Bei der Frau bildet sich eine orgastische Manschette in der Vaginalwand, be-
dingt durch vermehrte Füllung der Venen. Außerdem treten rhythmische Kon-
traktionen der Vaginalmuskulatur, der Beckenbodenmuskulatur und der Uterus-
muskulatur auf, die im Abstand von ca. o,8 s aufeinander folgen. Die Orgasmus-
phase kann bei der Frau wesentlich länger dauern als beim Mann.
Gleichzeitig werden bei beiden Geschlechtern, durch die Genitalnervenkör-
perchen im Genitalbereich vermittelt, die Nerven maximal gereizt. Dies löst ei-
nerseits die reflexartig ablaufenden Muskelkontraktionen aus und wird anderer-
seits als Höhepunkt des Geschlechtsaktes empfunden.
Im Unterschied zum Mann, empfindet die Frau meist eine ganze Reihe von
Orgasmen direkt hintereinander und kann auch häufig nach kurzer Zeit einige
weitere Orgasmen erreichen.

Rückbildungsphase
In der Rückbildungsphase nimmt bei der Frau der Muskeltonus in den beteilig-
ten Organen wieder ab, die Schwellkörper entleeren sich, und die Blutmenge im
kleinen Becken wird reduziert.
Beim Mann leert sich durch nervöse Gegenregulation der Schwellkörper
ebenfalls und damit erschlafft und verkleinert sich der Penis. Die Rückbildungs-
phase dauert beim Mann wesentlich kürzer als bei der Frau. Während der Rück-
bildungsphase ist die Frau häufig sehr empfänglich für Zärtlichkeiten und kann
mit Enttäuschung reagieren, wenn der Mann, bedingt durch die kurze Rückbil-
dungsphase, sich von ihr abwendet.

13.4.2 Befruchtung

Mit der Ejakulation werden die Spermien in die Nähe des äußeren Gebärmutter- Voraussetzungen filr eine Befruchtung
mundes gebracht. Von hier aus müssen sie den Pfropf aus Zervikalschleim durch- • VerflOU!gung des Schleimpfropfes
dringen, um in den Uterus zu gelangen. Dies gelingt ihnen nur mit Hilfe einer im Zervix durch ÖStrogen
Eigenbewegung, dem Schlängeln des Spermienschwanzes. Der Schleimpfropf ist • Kapuitation der Spermien
nur durchdringbar, wenn er noch unter der Wirkung des maximalen Östrogen- mit Akrosomreaktlon
spiegels steht, d. h. nur um den Zeitpunkt der Ovulation. • Durchdringung der Zone pellucide
Sobald Progesteron auf den Schleimpfropf einwirkt, wird er unpassierbar für • Eindringen des Spermiums in die Eizelle
die Spermien. Spermien sind ca. 1,5 Tage lang in der Lage, eine Eizelle zu be-
fruchten. Danach zeigen sie zwar noch Zeichen von Aktivität, sind aber nicht
mehr zu einer Befruchtung (Fertilisation) fähig.
Bevor es zu einer Befruchtung kommen kann, müssen die Spermien aller-
dings einen Reifungsprozess durchmachen, der ihre Befruchtungskapazität erst
in Gang setzt. Dies geschieht durch den Kontakt mit den Flüssigkeiten der weib-
lichen Genitalien. Dieser Prozess wird als Kapazitation bezeichnet. Teil der
Kapazitation ist die Akrosomreaktion, bei der die Enzyme des Akrosoms akti- Akrosom
viert werden. Die Spermien sind dadurch in der Lage, bei Kontakt mit einer Kopfkappe des Spermiums mit Enzymen
Eizelle die Corona radiata und die Zona pellucida sowie die Eizellmembran zu gefüllt
durchdringen. In dem Moment, in dem ein Spermium als erstes die Zona pelluci-
da durchdrungen hat und mit seinem Kopfteil in das Ei eingedrungen ist, kommt
es zu einer Blockierung der Zona pellucida und der Zellmembran, sodass keine
weiteren Spermien eindringen können. Dieser Polyspermieblock ist absolut not-
wendig, um eine weitere Befruchtung und damit einen zusätzlichen haploiden
Chromosomensatz in einer Eizelle zu verhindern (Abb.13-17a, b).
574

Abb. 13-17a, b.
Verschiedene Stadien der Befruchtung a
einer Eizelle. Akrosom
ln a sind noch die Zellen d es Ei hügels
(Cumulus oophorus) eingezeichnet, die als
Strahlenkranz (Corona radiata) der ovulier- Zellmembran
ten Eizelle anhaften. Zuerst muss das der Oozyte

Spermium die Zellen d es Strahlenkranzes Strahlenkranz --W~


(Corona radiata)
durchdringen, dann die Zona pellucida
und zum Schluss die Oozytenmembran.
Zona pellucida
Erst wenn d ies geschieht, wird die
2. Reifeteilung vollendet. eindringendes
Die im Polkörperehen dargestellte Zell- Spermium
Polkörperehen
teilung (b) findet nur in seltenen Fällen
noch statt, da das Polkörperehen in der
Regel voher deg eneriert

Zum Zeitpunkt d er Befruchtung beendet die Eizelle die 2. Re ifeteilung, und


das 2. Polkörperehen wird abgeschnürt. Der Spermienkopf quillt im Eiplasma
und bildet ein Bläschen. Mittelstück und Schwanz werden in der Regel abge-
stoßen. Nach der 2. Reifeteilung bildet sich aus d e m Eikern der weibliche Vorkern
und aus dem Spermienkopf der männliche Vorkern. Die befruchtete Eizelle ist
damit wieder diploid (46 Chromosomen).
Sie beginnt nun mit den mitotischen Zellteilungen, indem sich die beiden
homolog Vorkerne auflösen und die homologen Chromosomen paaren. Die weiteren Vor-
übereinstimmend, sich entsprechend, gänge mit vielfältigen Mitosen führen schließlich zur Ausbildung des Embryos
hier: die gleichen mütterlichen und väter· und seiner Hüllen.
Iichen Chromosomen
13.4.3 Bildung des Keimbläschens (Biastozyste)

Aus der 1. Teilung geht das 2-Zellstadium hervor (s. Abb. 3.1), dann entstehen das
4- und das 8-Zellstadium. Bereits zu diesem Zeitpunkt (nach der 3. Teilung) kann
man größere und kleinere Zellen unterscheiden (je 4).
Die kleinen Zellen bilden den Embryoblasten, aus dem der Embryo gebildet
wird.
Die größeren Zellen bilden den Trophoblasten, aus dem der kindliche Anteil
der Plazenta gebildet wird.
Anteile der Blastozyste (Keimbläschen)
Es schließen sich weitere Zellteilungen an, an denen beide Zellarten teilneh-
• Trophoblastzellen (äußere Schicht)
men. Die Trophoblastzellen hüllen schließlich die Embryoblastzellen ein. Sie eilen
• Embryoblastzellen (innen Schicht) auch in der Entwicklung etwas voraus, sodass sie eine Höhle, das Blastozöl, bilden.
• Blastozystenhöhle Damit wird der Keimling zum Keimbläschen oder Blastozyste (Abb. 13-18).
Rund 100 h nach der Befruchtung gelangt die Blastozyste von der Thba uteri-
na in die Uterushöhle. Ungefähr 5- 6 Tage nach der Ovulation kommt es zur
Implantation (Einnistung) der Blastozyste in das Endometrium (Abb. 13-19), in
dem bereits Deziduazellen und Körnchenzellen gebildet worden sind. Bei der
Implantation dringen die Trophoblastzellen zwischen die Epithelzellen der
Fortpflanzung· Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 575

Abb. 13-18.
Blastozyste, mit ihren Bestandtei len
(Trophoblast, Embryoblast und Blt~sto­

zystenhöhle) beim Vorgt~ng der Ein-


vielkernige
Zellmasse nistung (Implantation) in die Gebär-
(Synzytium) Gebärmutter-
schleimhaut mutterschleimhaut (Endometrium ). Der
(Endometrium)
eindringende Trophoblast bildet eine viel-
Zellschichi des kernige Zellmasse (Synzytiotrophoblast,
Trophoblasten
(Zytotrophoblast) Synzytium) und eine zellhaltige Schicht
(Zytotrophoblast)

Höhle der Bla.s tozyste


(Blastozöl)
Trophoblast

ältere Blastozyste junge Btastozyste Morula 2-Zellen-Stadlum Abb. 13-19.


(4 .Tag) (3.Tag) 16-Zellen-Stadium
/ Entwicklungsstadien der Eizelle. Vom
Eisprung (Ovulation ) über die Befruchtung
bis hin zur Einnistung (Implantation) ver-
gehen in der Regel 5-6 Tage. Während
dieser Zeit entwickelt sich die befruchtete
Eizelle (Zygote) bis zur Blastozyste. Ovar
und Eileiter sind in untersch iedlichem
Maßstt~b gezeichnet

frisch ovulierte Eizelle


mit Corona radiata

Sekundärfollikel Tertiärfollikel

Uterusschleimhaut ein. Dieses Eindringen wird sowohl durch Enzyme aus der
Blastozyste als auch durch Sekret der Körnchenzellen erleichtert, wodurch das
Endometrium gelockert wird. Amnion
Kurze Zeit nach dem Eindringen der Blastozyste in das Endometrium bildet vom Ektoderm ausgehende innere
der Embryoblast 3 Schichten aus, die Keimblätter. Man unterscheidet Entoderm, Fruchthülle, eine flache Epithelschicht,
Mesoderm und Ektoderm (s. Kap. 3, Histologie). die die Amnionhöhle, einen mit Flüssigkeit
Gleichzeitig bildet das äußere Keimblatt das Amnion, das zusammen mit dem gefüllten Raum umgibt
Chorion (kindlicher Teil der Plazenta) und der Dezidua die Embryonalhüllen
entstehen lässt. Die Zellen des Trophoblasten bilden den fetalen Anteil der Pla- Dezidua
zenta, das Chorion. Der mütterliche Anteil der Plazenta geht aus den Dezidua- aus den Stromazellen des Endometriums
zellen hervor. In den Abb. 3-1 und Abb. 13-19 sind die Entwicklungsstadien der hervorgegangener mütterliche Anteil
Eizelle zusammenfassend dargestellt. der Plazenta
576

Implantationsorte
Die Blastozyste nistet sich normalerweise in der oberen Hälfte der vorderen oder
hinteren Uteruswand ein. Bei tieferer Implantation kann es zur Ausbildung einer
Placenta praevia (d. h. vor dem Geburtskanal liegende Plazenta) kommen, was
bei der Geburt zum Zerreißen der Plazenta oder der Nabelschnur führt. Da die
Plazenta sich während der Geburt noch nicht gelöst hat, besteht die Gefahr, dass
die Mutter verblutet.
Außer dieser zu tiefen Implantationsstelle kann sich der befruchtete Keim
noch an verschiedenen anderen Orten einnisten.
Diese Schwangerschaften werden als Extrauteringraviditäten(EUG) bezeich-
extrauterin net. Extrauterine Implantationsorte können in der Bauchhöhle, in der Tuba uteri-
außerhalb der Gebärmutter na oder auf dem Ovar liegen.
Eine Extrauteringravidität gefährdet eine schwangere Frau sehr. Deshalb
muss die Schwangerschaft mit einem Eingriff beendet werden.

13.4.4 Plazenta

Anteile der Plazenta Eine vollständig ausgebildete Plazenta (»Mutterkuchen«) besteht aus einem müt-
• mütterlicher Anteil aus Dezidua terlichen und einem kindlichen Anteil. Der mütterliche Anteil geht aus der Dezi-
hervorgehend dua (mütterliches Gewebe) hervor, der kindliche Anteil aus dem Trophoblasten
• kindlicher Anteil aus Trophob last (s. oben). Auf der kindlichen Seite befindet sich die Chorionplatte, der auf der
hervorgehend mütterlichen Seite die Basalplatte gegenübersteht (Abb.13-20 ). Die Chorionplatte
ist durch Gefäße, die in der Nabelschnur verlaufen (A. und V. umbilicalis), mit
dem kindlichen Kreislauf verbunden. Von der Chorionplatte gehen vielfaltig ver-
zweigte Zottenbäume ab, die in den mütterlichen Blutraum tauchen. Dieser inter-
villöse Blutraum wird über Spiralarterien aus dem Bereich des Myometriums
versorgt und über entsprechende Venen entsorgt. Den Boden des intervillösen
Raums bildet die Basalplatte, die zum größten Teil aus mütterlichem Gewebe
(Dezidua) besteht.
Damit tauchen die Plazentazotten in einen eigens dafür geschaffenen, mit
Blut gefüllten Raum ein. Sie bringen so die kindlichen Gefaße in größtmögliche
Nähe zum mütterlichen Blut, ohne dass ein direkter Kontakt zwischen kindli-
chem und mütterlichem Blut besteht. Für den Austausch muss die Plazenta-
barriere überwunden werden. Sie besteht aus dem Synzytiotrophoblast (ein die
Plazentazotten bedeckendes Epithel), dem anschließenden Bindegewebe und
dem Endothel der darunter liegenden Blutgefäße. Über die Plazentabarriere hin-
weg können auch Antikörper transportiert werden, die dem Neugeborenen in
den ersten Wochen und Monaten den nötigen Immunschutz geben.
Hormone der Plazenta Eine wichtige Funktion der Plazenta ist die Bildung von Östrogenen und Gesta-
• Öst rogen genen (z. B. Progesteron), eine Aufgabe, die die Plazenta vom Schwangerschafts-
• Progesteron gelbkörper im 3· - 4- Schwangerschaftsmonat übernimmt. Außerdem bildet sie das
• Plazentalaktegen brustdrüsenanregende menschliche Plazentalaktogen (HPL: humanes Plazentalak-
togen).
Um die Funktion der Plazenta zu überprüfen, wird u. a. die Konzentration der
Östrogene und des HPL im mütterlichen Blut bestimmt.
Fortpflanzung · Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 577

Abb. 13-20a, b.
Schema einer Plazenta.
a Im Bereich der Nabelschnur verlaufen
Spiralarterie - - - - - - - - - 2 Arterien (Singular: A. umbilicalis) und
eine Vene (V. umbilicalis). Von der Cho-
rionplatte (auf der kindlichen Seite) ragen
miteinander die Plazentazotten in den mütterlichen
vernetzte
Blutraum (intervillöser Raum), der über
Zonen
Spiralarterien versorgt und über venen-
artige Spalten entsorgt wird (Pfeilrich-
tung). Auf der linken Seite ist der vollstän-
Chorionplane dige Zottenbaum, in der Mitte die Blutver-
a sorgung von der mütterlichen Seite und
auf der rechten Abbildungsseite die kind-
liche Blutversorgung eingezeichnet. Die
Plazentasepten unterkammern die von
den Zottenbäumen (Singular: Kotyledo)
ausgefüllten intervillösen Räume.
ln der Teilabbildung b ist die Gebärmutter
mit dem Fetus kurz vor der Geburt
gezeichnet. Der kindliche Kopf liegt zu
diesem Zeitpunkt in der Regel in der Nähe
des inneren Muttermundes. Die Nabel-
Basalplane
schnur verbindet den Fetus mit der
Plazenta. Die Basalplatte ist der mütter-
liche Anteil der Plazenta, der aus der
GebärmuHerhals --....:...-_:__ Dezidua hervorgegangen ist
(Cervix uteri)

lU-- - - - - - - - Scheide
b (Vagina)

13.4.5 Schwangerschaft und Entwicklung des Kindes

Gerechnet vom 1. Tag der letzten Menstruation beträgt die Schwangerschafts- Schwangerschaftsdauer
dauer normalerweise 280 Tage oder 40 Wochen. Gerechnet vom eigentlichen ab letzter Menstruation:
Zeitpunkt der Befruchtung beträgt sie jedoch nur 266 Tage oder 38 Wochen. 280 Tage oder 40 Wochen
Meist ist die Menstruation genauer bestimmbar als der Tag der Befruchtung, so- ab eigentlicher Befruchtung:
dass man vielfach von der Menstruation ausgehend das Alter der sich ent- 266 Tage oder 38 Wochen
wickelnden Schwangerschaft berechnet.
Die Entwicklungsperiode zwischen der Befruchtung und dem Ende des
2.Entwicklungsmonats wird als Embryonalperiode bezeichnet. Entsprechend
heißt die sich entwickelnde Frucht in diesem Zeitraum auch Embryo. Vom
578

3· Entwicklungsmonat an bezeichnet man den Entwicklungszeitraum als Fetal-


periode und den sich entwickelnden Keim als Fetus (oder Fötus).
Entwicklungsabschnitte Sehr häufig wird allerdings im täglichen Sprachgebrauch die Grenze zwi-
des Ungeborenen schen Embryonal- und Fetalperiode nur sehr ungenau gezogen .
• Embryonalperiode (Befruchtung Abweichend von den Angaben in Tabelle 13-3 und von der Berechnung der
bis 2. Monat) Schwangerschaftsdauer kann es vorkommen, dass Kinder geboren werden, die
• Fetalperiode (ab 3. Monat) für ihre Entwicklung zu klein und zu leicht sind. Dies bezeichnet man mit dem
englischen Ausdruck »Small for date«, was so viel heißt wie: klein für das Alter.
Die Ursachen dafür können mannigfach sein, z. B. eine gestörte Plazentafunktion
oder starker Tabakkonsum der Mutter.
Umgekehrt ist bekannt, dass Kinder von Frauen mit Zuckerkrankheit in der
Regel deutlich größer und schwerer sind, als in Tabelle 13-3 angegeben. Der
Grund dafür könnte in einer zu hohen (kompensatorischen) Insulinausschüt-
tung beim Fetus liegen, die wahrscheinlich eine Wachstumssteigerung auslöst.
Je nach Entwicklungszeitpunkt der unterschiedlichen Strukturen wie z. B. der
Keimblätter oder der aus ihnen hervorgehenden Organe, können innere und
äußere Faktoren die Entwicklung eines Kindes erheblich beeinträchtigen oder
sogar schädigen. Eine Übersicht über die wichtigsten Zeiträume und die mögli-
chen Schäden bei der Einwirkung von schädigenden Faktoren ist in Abb. 13-21
dargestellt.

Tabelle 13-3. Längenwachstum und Gewichtsentwicklung in der Fetalperiode. Die hier


aufgeführten Werte sind Durchschnittswerte, die je nach Individuum nach oben und nach
unten abweichen können.

Woche Scheitel-Steiß-Länge Gewicht


[cm) (g]

9- 12 5-8 10-45
13- 16 9- 14 60- 200
17- 20 15- 19 250-450
21 - 24 20-23 500- 820
25- 28 24-27 900-1 .300
29- 32 28- 30 1.400- 2.100
33- 36 31 - 34 2.200- 2.900
37-40 35- 36 3.000- 3.400
Fortpflanzung · Kapitel13 · Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 5 79

Abb. 13-21.
Darstellung der Entwicklung, angefangen
beim 2-Zellstadium über die Embryonal-
periode bis zur Fetalperiode. Die Balken
stellen die kritischen Phasen für die ent-
sprechenden Organsysteme während der
Entwicklung dar. ln den dunkler gefärbten
Abschnitten sind diese Organsysteme be-
sonders empfänglich für schädigende
Einflüsse, wodurch Veränderungen oder
Missbildungen entstehen können; sie blei-
ben allerdings auch in den heller gefärb-
ten Abschnitten schädigenden Einflüssen
gegenüber empfänglich
580 13.5 Fragen und Zusammenfassung
zu Geschlechtsorganen und Fortpflanzung

Wie definieren Sie die primären, Die primären Geschlechtsmerkmale sind bereits bei der
sekundären und tertiären Geburt vorhanden. Die sekundären Gesch lechtsmerkmale
Geschlechtsmerkmale? entwickeln sieb während der Pubertät. Die tertiären Merk-
male bestehen in den unterschiedlichen Organleistungen.

Was ist der eigentliche primäre Die genetische Konstitution mit entweder XX-Chromosomen
Unterschied zwischen Mann bei der Frau oder XY-Chromosomen beim Mann. Embryonal
und Frau? werden die Geschlechtsorgane beider Geschlechter gleich an-
gelegt. Geschlechtsbestimmend ist das Y-Chromosom.

Was versteht man unter Intersexualität ist eine chromosomale Fehlverteilung, z. B.


Intersexualität? XXY, oder eine der vorhandenen Chromosomenzahl nicht
entsprechende Entwicklung. Im ersten Fall spricht man von
einer genotypischen Intersexualität, die die Fehlverteilung der
Heterosomen betrifft. 1m zweiten Fall von einer phänotypi-
schen IntersexuaHtät, die die äußere Erscheinu ng betrifft.

Was sind die auslösenden Fakto- Sie wird durch eine vermehrte Ausschüttung von
renfür den Beginn der Pubertät? Geschlechtshormonen bewirkt.

Wie heißt der peritoneale Über- Er heißt Ligamentum latum und legt sich mit einer
zugder inneren weiblichen Umschlagsfalte um Ovar und Tuba uterina und führt somit
Geschlechtsorgane? Wie ist er zur Bildung je eines Meso (Mesovar, Mesosalpinx).
mit den umhüllten Organen
verbunden?

Was ist die Funktion der Ovarien Die Ovarien (Eierstöcke) bilden Oozyten (Keimzellen) und
und wie sind sie aufgebaut? dienen als Hormonproduzenten (Östrogen und Progesteron).
Man unterscheidet eine Rinde mit den Oozyten von einem
Mark mit Bindegewebe und größeren Blutgefäßen. Die
Oozyten liegen in Follikeln, die entsprechend ihrer Entwick-
lung in Primordial-, Primär-, Sekundär-, Tertiär- und Graaf-
Follikel eingeteilt werden.

Welche Vorgänge führen zu Durch FSH- und LH-Wirkung kommt es zur Ovulation
einer Ovulation? Was geschieht (Eisprung). Nach der Ovulation bildet sich aus dem Follikel-
anschließend? epithel mit seiner Theka das Corpus luteum (Gelbkörper), das
Progesteron und Östrogen sezerniert. Ohne Schwangerschaft
funktioniert das Corpus luteum 2 Wochen, bei Schwanger-
schaft bis zum 4. Monat. Atretische Follikel sind an der Östro-
genbildung beteiligt.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 581
Was ist das Diktyotän?
Welche Bedeutung hat es Die Oozyten befinden sich vom Zeitpunkt der Geburt bis
in Bezug aufTrisomien? zum Beginn der Follikelreifung im Diktyotän. Dies kann bis
zu 50 Jahre dauern und führt bei Nachkommen gelegentlich
zu Trisomien (chromosomale Nondisjunction). Das Risiko für
Trisomien steigt stark bei Müttern, die über 35 Jahre alt sind.
Wann findet die 2. Reifeteilung
statt? Kurz vor der Ovulation kommt es zur 2. Reifeteilung, die zum
haploiden Chromosomensatz führt. Sie wird nur vollendet,
wenn die Eizelle befruchtet ist.
Welche Funktion hat die Tuba
uterina (Eileiter)? Sie dient als Ort der Befruchtung, da sie sowohl die ovulierten
Eizellen mitsamt ihrer Corona radiata als auch die Spermien
aufnimmt.
Wie ist die Tuba uterina
Die Tuba uterinabesteht aus Infundibulum mit den Fimbrien,
aufgebaut?
der Ampulle (hier findet die Befruchtung statt), dem Isthmus
und der Pars intramuralis. Sie besitzt eine innere Auskleidung
mit einer Mukosa, eine Muskelzellen enthaltende Muskularis
und einen äußeren Überzug aus Peritonealepithel des Liga-
mentum latum. Neben Flimmerepithelzellen befinden sich
in der Mukosa auch Sekretzellen (Ernährung des ovulierten
Eies).

Nennen Sie die Bestandteile Der Uterus besteht aus Fundus, Korpus, Zervix und Portio
des Uterus und die Schichten vaginalis (die in die Vagina ragt). Die Wand wird aufgebaut
seiner Wand! aus Perimetrium (Ligamentum-latum-Überzug), Parametrium,
Myometrium und Endometrium. In perimetriumfreien Be-
zirken befindet sich das Parametrium.

Welche Veränderungen laufen Das Endometrium besteht aus Funktionalis und Basalis. Die
im Endometrium während Funktionalis ist Zielorgan der ovariellen Hormone. Die Proli-
des Zyklus ab? ferationsphase steht unter Östrogen-, die Sekretionsphase un-
ter Progesteroneinfluss. Im Stroma entstehen während der
Sekretionsphase K-Zellen und Prädeziduazellen, die ohne
Implantation funktionslos bleiben. Durch den Hormonabfall
am Ende der Sekretionsphase kommt es zunächst zu einer
Ischämie (Blutleere) und einer anschließenden Desquama-
tion (Abstoßung). Der 1. Tag der Blutung wird als 1. Tag des
Monatszyklus gerechnet. Im Anschluss an die Desquamation
findet aus der Basalis eine Regeneration (Proliferation) des
Endometriums statt.

Die Menarche ist die 1. Menstruationsblutung, das Klimak-


Was bedeuten die Begriffe
terium die Zeit der Wechseljahre, die Menopause ist der
Menarche, Klimakterium auf das Klimakterium folgende Abschnitt ohne ovariellen
und Menopause? und uterinen Zyklus.
582 Wie ist die Vagina aufgebaut?
Welche Funktionen hat sie?
Sie ist ein mit einer Schleimhaut ausgekleideter muskulärer
Schlauch, dessen Wände relativ dünn sind. Sie ist in Falten
geworfen, die bei der Geburt als Reservefalten dienen.
Die Muskulatur dient der Anpassung an den Penis während
des Koitus. Die Vagina fungiert als Begattungsorgan
Nennen Sie eine Begründung und GeburtskanaL
für den hohen Glykogengehalt
Das Glykogen wird durch Bakterien (Lactobacillus vaginalis)
des Vaginalepithels!
zu Milchsäure abgebaut, die als Säureschutz gegen Bakterien
dient.
Wie kommt es zur Befeuchtung
der Vagina?
Die Befeuchtung entsteht v. a. durch Transsudation aus den
Venen der Vaginalwand.
Welche Bestandteile rechnet
man zu den äußeren weiblichen Die großen und kleinen Schamlippen, den Vorhof, die Klitoris
Genitalorganen (Vulva)? und den Schamberg (Mons pubis).

Beschreiben Sie die Strukturen


des Vaginavorhofs! Der Vorhof wird von der Vagina durch das Hymen oder deren
Reste, die Carunculae hymenales, getrennt. Im Vorhof befin-
det sich die Klitoris, sie ist der vereinigte äußere Teilzweier
Schwellkörper. Außen wird der Vorhof durch die großen
Schamlippen begrenzt. Der Vaginaeingang wird von den klei-
nen Schamlippen umsäumt. Zwischen den großen und den
kleinen Schamlippen liegen in der Tiefe links und rechts die
Vorhofschwellkörper, die bei geschlechtlicher Erregung mit
Blut gefüllt werden und damit die kleinen Schamlippen beim
Geschlechtsakt an den Penis drücken. In den Vorhof münden
die Glandulae vestibulares majores (große Vorhofdrüsen im
unteren Teil des Labium minus), die der Befeuchtung des
Vorhofs dienen .

Aus welcher embryonalen Die Mamma (Brustdrüse) entsteht aus der embryonalen
Anlage entwickeln sich 4· Anlage auf der Milchleiste. Die anderen Anlagen werden
die Brustdrüsen? in der Regel wieder zurückgebildet.

Beschreiben Sie den Aufbau der Sie ist aus 15-20 Lappen aufgebaut, die im Zustand der
reifen weiblichen Brustdrüse! Mamma non lactans (nichtmilchgebende Brustdrüse) fast
keine Drüsenendstücke aufweisen, sondern v. a. aus Ductus
lactiferi und Sinus lactiferi bestehen. Der größte Teil der
Brust besteht in der Mamma non lactans aus Fettgewebe.

Östrogen lässt die Ductus lactiferi (Milchgänge) wachsen,


Welche Hormonwirkungen
Progesteron lässt die Alveolen wachsen. Unter der Wirkung
auf die Brustdrüse können Sie von Prolaktin kommt es am Ende der Schwangerschaft zur
nennen? Milchbildung. Oxytozin treibt die _'vlilch über Kontraktion
der Myoepithelien aus.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel 13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung
583
Was bezeichnet man als
Montgomery-Knötchen?
Auf dem pigmentierten Warzenhof sitzen die Warzenhof-
drüsen (Glandulae areolares oder Montgomery-Knötchen),
ihr Sekret bewirkt beim Stillvorgang eine Abclichtung der
Lippen auf der Brusthaut.
Wie ist die Muttermilch
zusammengesetzt? Sie enthält 1-2% Protein, 3-4% Lipid, 6-7% Zucker,
87'Jio Wasser und 0,2% Elektrolyte. Sie hat einen Nährwert
von ca. 280 kJ/wo ml.
Wie sind die Hoden aufgebaut.
Warum liegen sie außerhalb Sie sind 4-5 cm lang, 30-50 g schwer und liegen außerhalb
der Körperhöhle? der Bauchhöhle im Skrotum (Hodensack), da die Spermien-
reifung eine tiefere Temperatur als in der Bauchhöhle erfor-
dert. Außen sind sie von einer derben Bindegewebehülle
(Tunica albuginea) umgeben. Von dieser strahlen Septen
(Wände) auf das Mediastinum testis. Zwischen den Septen
befinden sich Tubuli seminiferi, die über das Hodennetz (Rete
testis) und die ableitenden Kanälchen (Ductuli efferentes)
mit dem Nebenhodengang verbunden sind. In den Hoden-
kanälchen (Tubuli seminiferi) entstehen aus Spermatogonien
über diverse Reifungsschritte die Spermien mit ihrem haploi-
den Chromosomensatz. Sertoli-Zellen unterstützen die Rei-
fung als Ammenzellen.

Welche andere Funktion, Zwischen den Tubuli seminiferi liegen die Leydig-Zwischen-
neben der Spermienbildung, zellen, die das männliche Geschlechtshormon, das Testoste-
haben die Hoden? ron, produzieren.

Beschreiben Sie die Struktur Sie bestehen aus Kopf, Hals, Mittelstück und Schwanz (Haupt-
der Spermien! stück). Im Kopfbefinden sich die Chromosomen in konden-
siertem Zustand. Darüber sitzt das Akrosom, das für die Be-
fruchtung wichtig ist.

Welche Funkton hat der Neben- Im Nebenhoden müssen die Spermien ausreifen. Sie werden
hoden?Wie wird die Bewegung hier in einem sauren Milieu gespeichert, damit sie nicht
der Spermien im Nebenhoden durch Bewegung ihre Energie verbrauchen.
verhindert?

An den Nebenhodengang schließt der Samenleiter (Ductus


Beschreiben Sie die vom Neben-
deferens) an. Er ist ca. 50 cm lang und mündet mit dem
hoden aus weiterleitenden
Spritzkanal auf dem Samenhügel (Colliculus seminalis) der
Strukturen (die ableitenden
Prostata in der Harnröhre. Vor dem Spritzkanal wird die
Samenwege)! Ampulle gebildet, in die auch das Samenbläschen (Vesicula
seminalis) mündet. Die Muskulatur des Samenleiters ist 3-
schichtig und dient der Peristaltik, mit der die Spermien
transportiert werden.
584
Wie ist die Prostata aufgebaut?
Welchen pH-Wert hat das
Die Vorsteherdrüse (Prostata) besteht aus 30 - 50 Einzel-
Prostatasekret?
drüsen, die neben dem Colliculus seminalis in die Harn-
samemöhre münden. Das Sekret der Prostata ist alkalisch,
es fördert die Beweglichkeit der Spermien.
Was bezeichnet man
als Ejakulat?
Die bei einem Orgasmus ausgestoßene Samenflüssigkeit. ln
2- 3ml befinden sich 200-300 Mio. Spermien. Das Ejakulat
hat einen pH-Wert von ca. 7,5 bis über 8,o. Neben den Sper-
mien enthält es die Flüssigkeit aus Nebenhoden, Vesicula
seminalis und Prostata.
Was ist die Funktion des Sekrets
der Cowper-Drüsen? Es dient der Neutralisation und Befeuchtung der Harnsamen-
röhre.
Beschreiben Sie wichtige Merk-
male der Haut des Skrotums In der Haut des Skrotums (Hodensack) befindet sich die
(Hodensack)! Tunica dartos (spezielle Muskelschicht), durch die die Ober-
fläche verkleinert werden kann - zur Regulation der Tem-
peratur. Das Skrotum entspricht den großen Schamlippen
der Frau.

Wie ist der Penis aufgebaut?


Er ist außen von einer Hautschicht überzogen und enthält
innen das Corpus cavernosum und das Corpus spongiosum.
Das Corpus cavernosum (Penisschwellkörper) ist der Haupt-
träger der Erektion, das Corpus spongiosum (Harnröhren-
schwellkörper) enthält die Harnsamenröhre, die auch wäh-
rend der Erektion durchgängig bleiben muss. Durch ver-
mehrten Zufluss und gedrosselten Abfluss des Blutes kommt
es zur Erektion.

Welche Phasen des Geschlechts- Der Reaktionsablauf des Geschlechtsverkehrs (Kohabitation)


aktes kennen Sie? Was sind die wird in 4 Phasen unterteilt: Erregungsphase, Plateauphase,
wichtigsten Merkmale? Orgasmusphase, Rückbildungsphase. Während der Erre-
gungsphase kommt es zu einer stärkeren Durchblutung der
Geschlechtsorgane, v. a. der Schwellkörper und zu vermehrter
Transsudation der Vagina. Während der Orgasmusphase
kommt es zu rhythmischen Kontraktionen der Becken-
bodenmuskulatur und der Muskulatur der ableitenden
Samenwege. Das führt zur Ejakulation beim Mann, wodurch
das Ejakulat im Fornix der Vagina deponiert wird. In der
Rückbildungsphase kommt es zur nervösen Gegenregulation,
sodass die Blutfülle in den Geschlechtsorganen und v. a. in
den Schwellkörpern auf ein normales Maß zurückgeführt
und damit die Erektion von Penis und Klitoris beendet wird.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel13 ·Geschlechtsorgane und Fortpflanzung 585
Was sind die Voraussetzungen
für eine Befruchtung? Auf der weiblichen Seite das Vorhandensein eines befruch-
tungsfähigen Eies, auf der männlichen Seite eine Deposition
von Spermien im weiblichen Genitaltrakt (im Fornix vaginae)
und die daran anschließende Kapazitation der Spermien.
Darunter versteht man alle im weiblichen Genitaltrakt ablau-
fenden physiologischen Vorgänge, die den Samenfaden be-
fruchtungsfähig machen. Ein Teil der Kapazitation ist die
Akrosomreaktion; durch sie wird das Spermium in die Lage
versetzt, die Eizelle zu befruchten.
Wo findet die Befruchtung
normalerweise statt? Wie wird Die Befruchtung findet in der Ampulle der Tuba uterina
verhindert, dass mehr als ein (Eileiter) statt. Sobald ein Spermium die Zona pellucida
Spermium in eine Eizelle durchdrungen hat und von der Eizelle aufgenommen worden
ist, kommt es zum Polyspermieblock, der abrupt das weitere
eindringt?
Eindringen von Spermien verhindert.

Wie kommt es zur Bildung


Die befruchtete Eizelle bildet einen mütterlichen und einen
der Blastozyste (Keimbläschen)?
väterlichen Vorkern, die homologen Chromosomen paaren
sich, und durch mitotische Teilungen kommt es zunächst zur
Bildung eines Zellhaufens (Morula). Daraus entsteht
schließlich die Blastozyste mit der Blastozystenhöhle, dem
äußeren Trophoblasten und dem inneren Embryoblasten.

Was geht aus dem Tropho- Der Embryoblast wird zum Embryo, der Trophoblast bildet
blasten und was aus dem den kindlichen Anteil der Plazenta.
Embryoblasten hervor?

Nach welchem Zeitraum nach Die Blastozyste wird nach 4,5-6 Tagen (Tubenwanderung) im
der Befruchtung kommt es zur Endometrium implantiert. Das Endometrium ist zu diesem
Einnistung? Wie wird ein zu Zeitpunkt optimal auf eine Implantation vorbereitet. Die
tiefes Eindringen der Blasto- Deziduazellen bilden einen wichtigen Teil der uteroplazenta-
zyste, aber auch ihre Abstoßung ren Grenzschicht, die ein zu tiefes Eindringen der Blastozyste
verhindert? und eine Abstoßungsreaktion verhindert.

Die Plazenta besteht aus der Chorionplatte mit dem Zotten-


Aus welchen Bestandteilen
baum und der Basalplatte mit der Dezidua.
besteht die Plazenta?
Die Zotten des Zottenbaums baden im mütterlichen Blut des
Wie findet der Austausch intervillösen Raums. Über die Plazenta hinweg findet der
zwischen Mutter und Kind Austausch zwischen Kind und Mutter statt. Auch Antikörper
statt? können die Plazentabarriere überwinden.

Schwangerschaften außerhalb des Uterus, durch die die


Was versteht man unter dem Mutter in höchstem Maß gefährdet wird. Sie müssen durch
Begriff der Extrauterin- einen Schwangerschaftsabbruch beendet werden.
gravidität?
14

14.1 Behaarte und unbehaarte Haut 589


14.1.1 Oberhaut 590
14.1.2 Lederhaut 592

14.2 Unterhaut 592

14.3 Altersveränderungen der Haut

14.4 Hautanhangsgebilde 593


14.4.1 Haare 593
14.4.2 Nägel 595
14.4.3 Hautdrüsen

14.5 Hautrezeptoren 598


14.5.1 Druckempfindung 598
14.5.2 Berührungsempfindung 598
14.5.3 Vibrationsempfindung 599
14.5.4 Temperaturrezeptoren 599
14.5.5 Schmerzrezeptoren 600

14.6 Fragen und Zusammenfassung


zu Haut und Anhangsorganen 601
588

14 Haut und Anhangsorgane

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
.,.. Die Haut als das g rößte Organ des Körpers verstehen
.,.. Die Unterschiede zwischen leisten- und Felderhaut aufzählen
.,.. Die Schichten der Haut benennen und ihre Reifungsprozesse erklären
.,.. Die Hautanhangsorgane wie Haare oder Nägel beschreiben
.,.. Die Hautdrüsen und ihre Sekretionsarten bezeichnen
.,.. Die Hautrezeptoren mit ihrem Aufbau beschreiben und ihre Funktion nennen

Die Haut bedeckt die äußere Körperoberfläche und bildet damit die Gren ze zwi-
schen Körperinnerem und Umwelt. Dementsprechend kommt der Haut ei ne
große Bedeutung zu, die sich in ih ren vielfältigen Fun ktionen d eutlich zeigt:

Funktionen der Haut Funktionen der Haut


• Schutzfunktion • Schutzfunktion gegen mechanische, chemische, thermische, bakterielle Ein-
• Temperaturregulation flüsse etc.,
• Regulation des Wasserhaushaltes • Temperaturregulationüber Schweißsekretion, Strahlung etc.,
• Sinnesorgan • Regulation d es Wasserhaushaltes über Wasserretention und Wasserabgabe,
• Kommunikationsorgan • Sinnesorgan: Tastsinn, Temperatursinn und
• Austausch- und Atmungsfunktion • Kommunikationsorgan: Erröten, Erblassen etc.

Neben diesen vielen Funktionen ist die Haut ab<~ r auch am Gasaustausch (At-
mung) sowie an der Ausscheidung von Elektrolyten, z. B. Salz im Schweiß, betei-
ligt. Während die Verluste an Wasser (bis zu 18 I/Tag z. B. bei Hitze o der körper-
licher Anstrengung) und d amit auch an Sal zen, erheblich sein kann, macht die
Sauerstoffaufnahme über die Haut nur ca.1% des Ruhebedarfes aus.
Die Haut als gesamtes Organ hat eine Größe von ca. 1,5-1 ,8 m ', wobei diese
Fläche von der Größe des einzelnen Individuums abhängt.
Das Hautorgan spielt in der Klinik und in der Pathologie eine große Rolle. Dies
hängt mit der leichten Zugänglichkeil der Haut und der Vielzahl der bekannten
Hautaffektion Hautaffektionen zusammen. Ausgedehntere Hautverbrennungen verursachen ei-
Befall, Erkrankung der Haut nen großen Eiweiß- und Flüssigkeitsverlust und bedeuten eine hohe Infektions-
gefah r. Dies macht deutlich, welche wichtige Funktion die Haut als Schutzorgan hat.
Die Haut dient auch als Eingangsort in den Körper. Eine Reihe von Molekü-
transdermal len, bis zu einer relativen Molekülmasse von ca. 1.0 0 0 , kann über die Haut (d. h.
über die Haut transdermall verabreicht werden.
Behaarte und unbehaarte Hau t · Kapitel14 · Haut und Anhangsorgane 589

Dies macht man sich u. a. mit Östrogenpflaster oder Pflastern gegen Reise- ns, transdermales therapeutisches
krankheit in Form von sog. transdermalen therapeutischen Systemen (TTS) zu- System
nutze. Die Haut ist wie das Nervensystem, mit dem sie funktionell zusammen- Pflaster, die über die Haut Wirkstoffe
gehört, ein Abkömmling des äußeren Keimblatts (Ektoderm) . abgeben
Zur Haut rechnet man auch die Hautanhangsgebilde: Hautdrüsen, Schweiß-
drüsen, Brustdrüsen, Talgdrüsen, Duftdrüsen, Haare, Nägel (s. unten). Weil die
Brustdrüse mit der Funktion der weiblichen Genitalien zusammenhängt, wurde
sie bereits im Kapitel über die Geschlechtsorgane behandelt (s. Kap. 13).

14.1 Behaarte und unbehaarte Haut

Schon bei oberflächlicher Betrachtung fällt auf, dass der Körper von 2 Hauttypen • Behaarte Haut: Felderhaut
bedeckt ist: von behaarter und unbehaarter Haut. • Unbehaarte Haut: Leistenhaut
Die behaarte Haut wird als Felderhaut (Abb. 14-1) und die unbehaarte Haut
als Leistenhaut (Abb. 14-2) bezeichnet.
• Felderhaut Durch rillenförmige Furchen werden praktisch überall, mit
Ausnahme der Fußsohlen und der Handflächen, felderartige Bereiche mar-
kiert. In diesen Furchen stehen die Haare.
• Leistenhaut Leistenartige Aufwölbungen an Handflächen und Fußsohlen ge-
ben der Leistenhaut ihr typisches Aussehen. Die Fingerabdrücke sind durch
diese Leisten bedingt. Sie sind individuell so unterschiedlich ausgebildet, dass
es wahrscheinlich keine 2 Menschen auf der Welt gibt, die genau die gleichen
Fingerabdrücke aufweisen, eineiige Zwillinge ausgenommen.

Abb. 14-1.
Schnitt durch die Felderhaut (behaart).
Die merokrinen Schweißdrüsen münden
Öffnung einer direkt an der Oberfläche, die holokrinen
Schweißdruse
(Pore) Talgdrüsen münden in die Haartrichter.
Der Aufrichter des Haares (M. arrector pili)
zieht von der Haarwurzel ins Stratum
papillare der Lederhaut (Korium). ln der
Subkutis befindet sich das Unterhautfen-
gewebe. ln der Unterhaut sind zwei
Lamellenkörperehen eingezeichnet

Haarfollikel

Nervenfaser - - ----...,..--="""--::!
Bindegewebe-- - .:.....;;; (
septum
(Retinacutum)
subkutanes - - --c:--
Fettgewebe
590

Abb. 14-2.
Schichten der Epidermis am Beispiel der
stark verhornenden Leistenhaut ln den
Bindegewebspapillen der Lederhaut
(Stratum papillare des Koriums) verlaufen
die versorgenden Blutkapillaren

Stratum spinosum

Bindegewebspapille
der Lederhaut
(Stratum papillare
des Koriums) Blutkapillare

Hautschichten Felder- und Leistenhaut weisen in Bezug auf die Haut- und Unterhautschichten
• Epidermis (Oberhaut) die gleiche Struktur auf: Die eigentliche Haut (Kutis) besteht aus 2 Schichten, aus
• Korium (Lederhaut) der Oberhaut oder Epidermis und der Lederhaut oder Korium bzw. Dermis. Je
nach mechanischer Belastung der einzelnen Hautbereiche (z. B. Bauchhaut und
Haut der Handflächen) sind Epidermis und Korium mehr oder weniger fest mit-
einander verzahnt. Die Ausstülpungen der Epidermis werden als Epithelleisten,
die komplementären Ausstülpungen des Koriums hingegen als Bindegewebs-
papillen bezeichnet. Das Korium geht ohne feste Grenze in die Unterhaut oder
Subkutis über, die funktionell - aber nicht entwicklungsgeschichtlich - zur Haut
gehört.

14.1.1 Oberhaut

Schichten der Epidermis Die Oberhaut (Epidermis) ist ein sehr dyna misches Gewebe, das konstant erneu-
(von innen nach außen) ert wird. Durch kontinuierliche Abschilferung und Neubildung ihrer Zellen be-
• Stratum basale dingt, besteht die Epidermis aus 5 Schichte n (s. Abb. 14-2).
• Stratum spinosum Stratum basale und Stratum spinosum werden häufig als Regenerations-
• Stratum granulosum schicht (Stratum germinativum) zusammengefasst. Als Verhornungsschichten
• Stratum lucidum bezeichnet man Stratum granulosum und Stratum lucidum.
• Stratum corneum
Stratum basale
Im Stratum basale laufen konstant Mitosen ab. Damit werden an der Hautober-
fläche die im Stratum corneum (verhornte Schicht) abgeschilferten Zellen er-
setzt. Durch Reifungsvorgänge werden aus den im Stratum basale neugebildeten
Zellen schließlich die verhornten Zellen des Stratum corneum. In diesem Rei-
fungsprozess werden der Reihe nach, über verschiedene Entwicklungsstufen, die
Hautschichten durchlaufen. Abgeschilferte Zellen, die oben abgestoßen werden,
werden unten neu gebildet.
Behaarte und un behaarte Haut · Kapitel14 ·Haut und Anhangsorgane 591

Pigmentzellen
Im Stratum basale sind neben den sich mitotisch teilenden Hautzellen (Keratino-
zyten) auch Melanozyten (Pigmentzellen) vorhanden. Diese geben Melanin-
granula (Pigmentkörnchen) an die Zellen des Stratum basale und des Stratum
spinosum ab. Dadurch können die empfindlichen Mitosen des Stratum basale vor
den energiereichen Sonnenstrahlen geschützt werden. Durch Sonneneinstrah-
lung wird die Pigmentproduktion angeregt. Bei dunkelhäutigen Rassen sind
Melaningranula in allen Schichten der Haut vorhanden, bei hellhäutigen nur im
Stratum basale (Abb. 14-3).

Stratum spinosum
Im Stratum spinosum (Stachelzellschicht) sind die Zellen durch Desmosomen Desmosom
fest miteinander verbunden. Gleichzeitig weisen sie große Interzellularspalten Verbindungsstellen zwischen Zellen
auf, wodurch ein stechapfelförmiges Aussehen entsteht.
interzellular
Stratum granulosum zwischen den Zellen
Im Stratum granulosum bilden die Zellen Keratohyalingranula und Tonofilamen-
te. Das sind weiche Vorstufen der Hornsubstanz (Keratin), aus der das Stratum Granula
corneum besteht. Gleichzeitig kommt es zur Bildung und Ausstoßung von Iipid- körnchenartige Teilchen
haltigen Granula (MCG: >>m embrane coating granules<<). Die MCGs stellen einen
wichtigen Teil der Wasserregulationsfunktion der Haut dar, indem sie den Tonefilamente
Interzellularraum so abdichten, dass der Körper nicht zu viel Wasser verliert. fädige Eiweißmoleküle

Stratum lucidum Keratin


Das Stratum lucidum ist in stark verhornender Haut besonders ausgeprägt, also hochpolymeres Gerüstprotein
in der Leistenhaut (Handflächen und Fußsohlen). Während der Verhornung wer- in Hornsubstanzen
den die Zellen zunächst im Stratum granulare und dann im Stratum lucidum so
verändert, dass sie fast homogen aussehen. Dies geschieht durch Abbau der
Organellen (Zellbestandteile) und Verbindung von Keratohyalingranula und
Tonofilamenten Keratin.

l verhornte Schicht
(Stratum corneum)

Körnerschicht
(Stratum granulosum)
Abb. 14-3.
Pigmentzellen im Stratum basale der
Oberhaut (Epidermis). Die Pigmentzel len
>>impfen« Melaningranula in die Zellen des
Stratum basale und des Stratum spino-
sum, verbleiben jedoch selbst innerhalb
des Stratum basa le

'.l!>:,&].:t;-'.1~ Stachelzellschicht
(Stratum spinosum)

Basalzellschicht
(Stratum basale)

Bindegewebspapille Epithelleiste
592

Stratum corneum
In der äußersten Schicht (Stratum corneum) sind praktisch keine Zellen mehr zu
identifizieren. Die Zellkerne und alle Organellen sind ab- und umgebaut, sodass
die Keratin enthaltenden Zellen des Stratum corneum kaum noch Zellgrenzen
aufweisen. Damit deutet praktisch nichts mehr auf die zelluläre Herkunft dieser
Schicht hin.

14.1.2 Lederhaut

Schichten der Lederhaut Direkt unter der Basalmembran der Epidermis beginnt die Lederhaut, das sog.
• Stratum papillare Korium. Es besteht hauptsächlich aus Bindegewebe und gliedert sich entspre-
• Stratum reticulare chend der Dichte und der Anordnung der Fasern in 2 Schichten. Das Binde-
gewebe des Koriums ist von einem dichten Flechtwerk elastischer und kollagener
Fasern durchzogen. Durch diese Fasern ist die Haut stabil und trotzdem elastisch
verformbar.
Das Stratum papillare verdankt seinen Namen der papillenartigen (warz-
enähnlichen) Ausstülpungen gegen die Epidermis, die mit den Epithelleisten ver-
zahnt sind. In den Bindegewebspapillen des Stratum papillare liegen häufig
Kapillaren sowie Tastkörperchen (s. Abb. 14-7). Die Kapillaren dienen der Ver-
sorgung der Haut. Durch ihre Nähe zur Hautoberfläche spielen sie bei der Beur-
teilung der Haut eine wichtige Rolle. Eine stärkere Durchblutung kann z. B. zu ei-
ner Rötung (z. B. bei einer Entzündung) und eine mangelnde Sauerstoffversor-
Zyanose gung (z. B. bei schlechter Durchblutung) zu einer Blaufcirbung führen (Zyanose).
bläuliche Verfärbung der Haut (oder auch Die Menge der Fasern ist im Stratum papillare geringer als im Stratum reti-
der Schleimhaut), die durch einen hohen culare. Die Kollagenfasern sind in beiden Schichten in einer spezifischen Aus-
Gehalt an sauerstoffarmem Blut zustande richtung angeordnet. Dadurch entstehen zwischen den Faserbündeln charakteri-
kommt stische Spaltlinien, die v. a. bei Operationen von Bedeutung sind. Quer zum Ver-
lauf der Spaltlinien geschnittene Wunden klaffen und verheilen schlechter. Der
Chirurg wird deshalb -wenn immer möglich - parallel zum Spaltlinienverlauf in
die Haut einschneiden.
Im Stratum reticulare sind nur wenige Zellen vorhanden. Dafür befinden sich
darin umso mehr Kollagenfasern, die der Haut ihre Festigkeit geben. Dies ist bei
tierischer Haut die Grundlage für ihre Gerbfahigkeit und ihre Umwandlung in
Leder, weshalb das Korium auf Deutsch als Lederhaut bezeichnet wird.

14.2 Unterhaut

Merkmale der Unterhaut Die Unterhaut (Subkutis) gehört eigentlich nicht mehr zur Haut. Sie ist aber
• Fettgewebe funktionell mit ihr verbunden, z. B. durch die von der Subkutis ausgehende Ver-
• Haarzwiebeln schieblichkeit der Haut.
• Vater-Pacini·Lamellenkörperchen Ein wesentliches Charakteristikum der Unterhaut ist das Vorhandensein von
Fettgewebe. Dabei handelt es sich z. T. um Baufett (Fußsohle), zum größten Teil
Speicherfett jedoch um Speicherfett.
Fett, das bei entsprechender Diät Die lokalen Unterschiede (z. B. Bauch und Handrücken) sind genetisch be-
(reduzierte Kalorien) abgebaut werden dingt und bleiben auch bei einer Transplantation bestehen. Wird Bauchhaut auf
kann den Handrücken verpflanzt, bildet sich bei einem ernährungsbedingten Über-
angebot an Kalorien auch auf dem Handrücken ein »Bäuchlein«. Das Fett der
Subkutis ist durch Bindegewebezüge steppkissenartig unterkammert.
Hautanhangsgebilde · Kapitel14 ·Haut und Anhangsorgane 593

Neben der Funktion als Fettspeicher (»Notvorrat«) dient das Fett der Subku- Funktionen des Unterhaut-Fettgewebes
tis aber auch der Isolation. Dies ist besonders für die Temperaturregulation von • Temperaturregulation
großer Bedeutung (s. Kap. 15, Temperaturregulation). Bei Übergewicht ist die • Fettspeicherung
Schicht des subkutanen Fettgewebes überall am Körper verstärkt. Es kann in der • mechanische Belastbarkeit
Bauch- und Hüftregion mehrere Zentimeter stark werden. • Verankerung der Kopf- und Pubertäts-
In der Subkutis Liegen die Haarzwiebeln sowie die Vater-Pacini-Lamellenkör- haare
perchen. Das sind Rezeptoren für den Vibrationssinn (s. Abschn. 14.5, Hautrezep- • Sitz der Lamellenkörperehen
toren).
An mechanisch stark belasteten Orten (im Bereich der Leistenhaut, also an
den Handflächen und den Fußsohlen) sowie an funktionell wichtigen Orten (mi-
mische Muskulatur) ist die Subkutis relativ straff mit dem Korium verbunden.
An einigen Orten fehlt das Fett der Subkutis weitgehend (z. B. Augenlid, Penis,
kleine Schamlippen).

14.3 Altersveränderungen der Haut

Im Alter nimmt die Elastizität der Haut ab. Die Abnahme wird durch einen Abbau
der elastischen Fasern verursacht. Außerdem wird das Stratum papillare redu-
ziert. Die Schweiß- und Talgdrüsen verringern ihre Sekretion, was zu einer
trockenen Haut führt. Die Melanozytentätigkeit nimmt fast überall in der Haut
ab. In einigen Bereichen, z. B. Gesicht und Handrücken, nimmt sie jedoch zu, so-
dass hier die bekannten Altersflecken entstehen.

14.4 Hautanhangsgebilde

14.4.1 Haare

Beim ungeborenen Kind beginnt die Haarbildung mit einem trichterförmigen Hautanhangsgebilde
Einwachsen der Haut in das darunter liegende Gewebe. Dadurch werden die • Haare
Haartrichter gebildet und alle Schichten, auch die Regenerationsschichten (Stra- • Nägel
turn basale und Stratum spinosum), in die Tiefe gesenkt. Dort werden sie umge- • Talgdrüsen
wandelt, sodass sie in der Lage sind, Haare zu bilden. • Schweißdrüsen
Haare bestehen- wie auch die Haut - aus Keratin . Allerdings ist bei Haaren • Duftdrüsen
die Anordnung der Keratinmoleküle etwas anders als bei den verhornten • Brustdrüse
Hautschichten. Aus den Regenerationsschichten werden im Bereich der Subkutis
die Haarzwiebeln, aus denen das Haar gebildet wird. Die Haarzwiebeln sind Wichtige Haarbestandteile
leicht angeschwollene Zonen am Ende des Haartrichters; sie werden über eine • Haarwurzel
Bindegewebspapille ernährt. Am Haar unterscheidet man die Haarwurzel , die in • Haararten
einer Wurzelscheide im Haartrichter sitzt, und den Haarschaft, der über die
Ebene der Haut hinausragt (Abb. 14-4).
Die während des vorgeburtlichen Lebens gebildeten Haare werden als Haararten
Lanugohaare bezeichnet. Sie wurzeln im Korium und verlieren sich meist kurz • Lanugohaare
nach der Geburt und werden durch die Terminalhaare ersetzt. • Terminalhaare
Zu den Terminalhaaren gehören die Haare des Kopfes, die Pubertätshaare
(Scham-, Bart- und Achselhaare) und die Körperhaare. Die Kopf- und Pubertäts-
haare wurzeln in der Subkutis, die Körperhaare wurzeln - ähnlich wie die
Lanugohaare des Fetus - im Korium.
594

Abb. 14-4.
Schnitt durch die behaarte Felderhaut Die Haarschaft
Aufrichtermuskeln (Singular: M. arrector
pili) der Haare sind deutlich zu sehen. Auf
der linken Seite der Abbildung ist ein Haarmuskel
(M. arrector pili)
Kolbenhaar eingezeichnet, das bereits
VJJ~~- TalgdrO se
innerhalb des Haartrichters nach oben
gerutscht ist und demnächst ausfallen merokrine
Schweißdrüse
wird. Darunter ist an der Haarpapille
bereits ein neues Haar entstanden

Ersatzhaar Papille Haarzwiebel Haarfollikel

Die Körperbehaarung des Menschen besteht aus relativ kleinen Haaren, die
als Überreste einer ausgedehnten Körperbehaarung (wie z. B. bei Affen) betrach-
tet werden können. Sie sind im Gesicht, auf dem Rumpf und den Extremitäten
vorhanden. Auf der Streckerseite der Extremitäten sind sie meist stärker ausge-
bildet als auf der Beugerseite. Bei Personen mit starker Behaarung an Brust und
Rücken zeigen sich diese Überreste einer ausgedehnteren Körperbehaarung be-
sonders deutlich.
In den Haartrichter münden Talgdrüsen, die Glandulae sebaceae. Sie sondern
für die Einfettung der Haut und der Haare über holokrine Sekretion Talg ab (s.
unten).
Unterhalb der Talgdrüsen setzt ein Muskel an, der vom Haar an die Hautober-
fläche zieht: der M. arrector pili ( Aufrichter des Haares). Dies ist v. a. im Bereich
der Körperhaare der Fall, nicht jedoch bei den Kopfhaaren und den Pubertäts-
haaren. Bei Tieren dient der M. arrector pili dazu, bei Kälte das Haar aufzurich-
ten und damit zwischen die Haare und den Körper eine schützende und isolie-
rende Luftschicht treten zu lassen. Als ein Überrest dieser bei Tieren vorhande-
nen Funktion bildet sich beim Menschen die »Gänsehaut« (z. B. beim Frieren),
bei der sich alle vorhandenen Mm. arrectores pilorum kontrahieren.
Haare erreichen ein Alter von mehreren Jahren. Sie weisen ein tägliches
Wachstum von ca. 0,2- 0,3 mm auf. Gegen das Lebensende eines Haares löst es
sich von der Bindegewebspapille und gleitet im Haartrichter langsam nach
außen. Gleichzeitig bildet sich an der Haarbasis eine kolbenartige Auftreibung,
das Kolbenhaar. Kolbenhaare können über längere Zeit noch im Haartrichter
verbleiben, während gleichzeitig an der Bindegewebspapille ein neues Haar ge-
bildet wird. Pro Tag verliert man im Durchschnitt ca. 50- 80 Kopfhaare. Größere
Ursachen der Haarfarbe individuelle und auch jahreszeitliche Schwankungen sind jedoch normal.
• Einlagerung von Pigment oder
Die Haarfarbe wird durch eingelagerte Pigmente und auch durch rötlichen
rötlichem Farbstoff
Farbstoff bestimmt. Beim Ergrauen hört die Pigmentfarbstoffeinlagerung auf.
• grau: Stop der Pigmenteinlagerung
Beim weißen Haar wird anstelle des Pigments Luft eingelagert, die durch einen
• weiß: Einlagerung von Luft
anderen Brechungsindex die weiße Farbe verursacht.
Hautanhangsgebilde · Kapitel 14 · Haut und Anhangsorgane 595

Haare stehen schräg in der Haut. Meist sind sie gruppenweise mit der glei-
chen Verlaufsrichtung angeordnet. Ändert sich die Verlaufsrichtung, entstehen
Haarwirbel .

14.4.2 Nägel

Die Nägel (Ungues) dienen als Widerlager der Fingerbeeren. Ohne Nägel ist eine
Greif- und Haltefunktion der Finger nur sehr schwer möglich und sogar
schmerzhaft, z. B. wenn ein Nagel verloren geht. Besonders für die Tastfunktion
der Finger ist das Widerlager der Nagelplatte unerlässlich, da die Tastfahigkeit
ohne Nagel stark reduziert ist.
Der Nagel sitzt in der hufeisenförmigen Nageltasche, deren Rand die
Nagelplatte als Nagelwall umgibt. Die weißliche Zone, die unter der Nagelplatte
sichtbar ist, die halbmondförmige Lunula , ist Teil der Nagelmatrix, die für die Die Nagelmatrix ist für die Nagelbildung
Nagelbildung verantwortlich ist. Vom freien Rand des Nagelwalls wird ein feines verantwortlich
Häutchen gebildet, das sich besonders im hinteren Teil über den Nagel schiebt.
Dies ist das Eponychium (Abb. 14-5a-c). Verletzung oder Zerstörung der Nagel-
matrix führt zu einem bleibenden Verlust des Nagels, da nur sie für die Bildung
des Nagels verantwortlich ist. Der vor der Lunula gelegene, rötlich durchschim-
mernde Teil des Nagelbetts ist nicht am Aufbau des Nagels beteiligt, er dient le-
diglich als Gleitlager für die nach vorne wachsende Nagelplatte.
Der Nagel entspricht den verhornten Schichten der Haut. Er wird von den
Regenerationsschichten der Epidermis gebildet, die in Form der Matrix spezi-
fisch differenziert ist.

Abb. 14-Sa-c.
Nagelplatte Nagel an einem Fingerendglied.
Nagelfalz Nagelwall a Aufsicht von oben. Die Lunula, die weiß-
liehe, z. T. von der Haut bedeckte Zone ist
Lunula Teil der Nagelmat rix, die für die
Nagelhaut (Möndchen)
(Eponychium) Nagelbildung verantwortlich ist.
Nagelwurzel b Querschnitt durch das Nagelglied, an
a
dem deutlich wird, dass sich zwischen
Nagelplatte Nagelfalz Haut und dem Knochen v.a. Fettgewebe
befindet.
Knochen Nagelwall
c Längsschnitt durch das Nagelglied mit
Fettgewebe Haut Nagelwurzel und Nagelmatrix. Der Nagel
gleitet bei seinem Wachstum auf dem
b
Nagelbett in Richtung Fingerspitze

Nagelhaut
(Eponychium)
Nagelplatte
Nageltasche
Nagelbett

Fettgewebe
c Haut
596

14.4.3 Hautdrüsen

Hautdrüsen In der Haut kommen 3 verschiedene Drüsen vor.


• holokrine Talgdrüsen
• merokrine Schweißdrüsen Holokrine Talgdrüsen
• apokrine Duftdrüsen Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind Talgdrüsen meist mit Haaren verbun-
den, da sie in die Haartrichter einmünden (s. oben). An den Lippen und den klei-
Holokrine Sekretion nen Schamlippen münden sie jedoch mit einem eigenen Ausführungsgang an die
die Zellen der Talgdrüsen lösen sich bei Oberfläche der Haut. Die Talgdrüsen sondern ein Sekret nach dem holokrinen
der Sekretbildung gänzlich auf Sekretionsmodus ab (s. Abschn. 3. 2.2 und Abb. 14-6).
Talgdrüsen werden durch Androgene (vermännlichende Hormo ne, d ie so-
wohl beim Mann als auch bei der Frau gebildet werden) stimuliert und sezernie-
ren dementsprechend bei beiden Geschlechtern erst vermehrt nach der Pubertät.
Bei einer Abflussbehinderung, die v. a. während der Pubertät vorkommt, wer-
den Mitesser gebildet (Singular: Comedo, Plural: Comedones). Durch den unter
der Talgdrüse verlaufenden glatten Muskel (M. arrecto r pili) können die Talg-
drüsen stärker ausgepresst werde n.

Abb. 14-6.
Darstellung der verschiedenen Haut-
drüsen und ihre Relation zum Haar. Die
holokrinen (Talgdrüsen) und die apokri-
nen Drüsen (Duftdrüsen) münden in den
Haartrichter, die merokrine Schweißdrüse
mündet an der Hautoberfläche. Der
Aufrichtermuskel des Haares (M. arrector Ausführungsgang

pili) zieht direkt unterhalb der Talgdrüse


hindurch und führt bei einer Kontraktion Melanozyt
auch zum Auspressen der Talgdrüse Ausführungs·
gang
Talgdrüse

apokrine ------<-~
Schweißdrüse
(Duftdrüse) =.-~=~.,...._- Unterhautfettgewebe
(Subkutis)
Hautanhangsgebilde · Kapitel 14 · Haut und Anhangsorgane 597

Merokrine Schweißdrüsen
Entwicklungsgeschichtlich betrachtet sind die merokrinen Schweißdrüsen rela- Merokrine Sekretion

tiv junge Drüsen, da sie nur bei den Primaten vorkommen. Diese Schweißdrüsen die Drüsen sondern ihren Inhalt ohne
liegen an der Grenze zwischen Korium und Subkutis. Es handelt sich um unver- sichtbaren Substanzverlust der Zellen ab
zweigte, geknäuelte Drüsen, die deshalb häufig Knäueldrüsen genannt werden.
Ihre Ausführungsgänge laufen an die Spitze der Epithelzapfen der Haut, wo sie Primat
sich dann ohne eigenen Ausführungsgang durch die Schichten der Epidermis die am höchsten stehende Ordnung
schlängeln, um dann mit einer Pore auf einer Leiste im Bereich der Handflächen der Säugetiere, zu denen der Mensch,
und Fußsohlen oder in einem Feld der Felderhaut zu münden. die Halbaffen und die Affen gehören
Über den ganzen Körper verteilt sind etwa 2-3 Mio. Schweißdrüsen vorhan-
den (das entspricht ca. 360 Drüsen pro cm 2 ). Dunkelhäutige weisen z. T. die dop-
pelten Werte auf. An den Fußsohlen und den Handflächen sind die meisten
Drüsen vorhanden. Diese Drüsen haben eine wesentliche Funktion bei der
Temperaturregulation (s. Kap. 15, Temperaturregulation). Ihr Sekret verdunstet
an der Körperoberfläche und führt damit zu einer Abkühlung.
Das Sekret der merokrinen Drüsen ist mit einem pH-Wert von ca. 4,5 sauer
und wirkt damit antibakteriell. Es baut so den Säureschutzmantel der Haut auf.
Der Sekretionsmodus dieser Drüsen ist merokrin, d. h. ohne lichtmikroskopisch
sichtbaren Substanzverlust

Apokrine Schweiß- oder Duftdrüsen


Apokrine Duft oder Schweißdrüsen sind bei Tieren häufig über die ganze Kör- Aprokrine Sekretion
peroberfläche verteilt. Beim Menschen kommen sie lediglich in speziellen Regio- Sekretabgabe mit sichtbarem
nen vor. Substanzverlust der Zellen
In der Axilla (Achselhöhle) sind apokrine Schweißdrüsen besonders ausge-
prägt, bei der Frau stärker als beim Mann. Diese Drüsen münden ebenfalls in den Vorkommen der apokrinen Duftdrüsen
Haartrichter, z. B. der Achselhaare, und sezernieren ein alkalisches Sekret, Dieses • Auf dem Mons pubis (»Schamberg«)
Sekret bildet keinen Schutz gegen Bakterien; es ist im Gegenteil durch Bakterien • An den großen Schamlippen
leicht zersetzbar. Dies führt zum typischen Schweißgeruch (der von den bakte- • ln der Achselhöhle
riellen Zersetzungsprodukten des apokrinen Sekretes ausgeht, z. B. von Butter- • Auf der Brustwarze und dem Warzenhof
säure). Da das Sekret der apokrinen Drüsen die Bakterienvermehrung nicht • ln der Analregion
hemmt, entstehen Schweißdrüsenabszesse in der Regel bei diesem Drüsentyp.
Auch die apokrinen Drüsen reifen durch Geschlechtshormone, die während
der Pubertät vermehrt gebildet werden. Daher gibt es bei Kindern vor der
Pubertät keinen typischen Schweißgeruch.
Die apokrinen Schweißdrüsen werden auch als Duftdrüsen bezeichnet, da sie
v. a. im Tierreich einen ganz speziellen Duft absondern, der z. B. bei Hunden
perianal besonders stark ist. Auch beim Menschen sind mit dem Duft der perianal
Duftdrüsen Geruchsmerkmale verbunden, die dazu führen können, dass man je- um den Anus
manden gut oder gar nicht »riechen« kann, auch wenn die entsprechenden
Konzentrationen der geruchswirksamen Stoffe meist unterhalb der Schwelle lie-
gen, die sie uns bewusst werden lässt.
598

14.5 Hautrezeptoren

Hautrezeptoren Die Haut kann als das größte Sinnesorgan des Körpers bezeichnet werden. In ihr
• Druckrezeptoren liegen dje Rezeptoren der afferenten Bahnen für Wärme-, Kälte-, Druck-, Berüh-
• Berührungsrezeptoren rungs- und auch Schmerzempfindung. Entsprechend der durch die Haut vermit-
• Vibrationsrezeptoren telten Sinnesqualitäten werden auch ihre Rezeptoren eingeteilt.
• Temperaturrezeptoren Druck-, Berührungs- und Vibrationsrezeptoren werden als Mechanorezepto-
• Schmerzrezeptoren ren bezeichnet, da sie mechanische Reizqualitäten aufnehmen (perzipieren).

14.5.1 Druckempfindung

Druckempfindung wird über die Merkei-Zellen und die Ruffini-Körperchen ver-


Druckrezeptoren mittelt.
• Merkei-Zellen Merkei-Zellen sitzen in der Haut und z. T. auch in der Schleimhaut bei m~hr­
• Ruffini-Körperchen schichtigen Plattenepithelien im Stratum basale. Hier können sie in Form von
Zellgruppen die Merke!-Tastscheiben bilden.
Die Ruffini-Körperchen kommen in der Leisten- und in der Felderhaut sowie
an den Gelenkkapseln vor. In der Haut befinden sie sich meist im Stratum reticu-
lare. Die Ruffini-Körperchen sind Aufzweigungen mehrerer Nervenfasern, die
durch eine Bindegewebekapsel zusammengefasst werden.
Adaption Sie fungieren als langsam adaptierende Dehnungsrezeptoren. (Bei dem
Anpassung an andauernde Reize Vorgang der Adaptation wird schließlich kein Reiz mehr wahrgenommen; z. B.
adaptiert der Geruchssinn sehr schnell, das hat zur Folge, dass man gleich blei-
bende Gerüche nicht mehr wahrnimmt).

14.5.2 Berührungsempfindung

Berührungsrezeptoren Die Berührungsempfindung wird über die Meissner-Tastkörperchen und Ner-


• Meissner-Körperchen venendigungen um Haarwurzeln vermittelt.
• Nervenmanschetten Die Meissner-Körperchenkommen in den Bindegewebspapillen der Leisten-
haut, d. h. in der Schleimhaut der Mundhöhle sowie im Bereich des Lippenrots
vor (Abb. 14-7). Sie werden durch Schichten von Schwann-Zellen gebildet, zwi-
unmyelinisiert schen denen unmyelinisierte Axone (s. Abschn. 5-4-1 u. Abschn. 3-7-2) verlaufen.
ohne Myelinscheide, d. h. wenig bis gar Das Ganze wird von einer feinen Bindegewebskapsel umgeben . Über Kollagen-
nicht isolierte Nervenfasern fasern sind die Meissner-Körperchen mit der Basalmembran der Epidermis ver-
bunden, sodass jede Berührung der Haut zu einer mechanischen Verformung des
Körperchens führt, die ein Aktionspotential auslöst.
Die Nervenmanschetten bestehen aus Nervenfasern, die um Haartrichter ge-
wickelt sind. Bereits eine leichte Berührung eines Haares führt zu einer Bewe-
gung der Haarwurzel und löst damit einen Nervenimpuls dieser Nervendigun-
gen aus.
Hautrezeptoren · Kapitel14 ·Haut und Anhangsorgane 599

Abb. 14-7.
Meissner-Tastkörperchen in einer Binde-
Basalzellschicht
der Oberhaut
gewebspapilledes Stratum papillare. Die
(Stratum basale Tastzellen (Schwann-Zellen) sind überein-
der Epidermis)
ander geschichtet. Zwischen ihnen verlau-
fen die Endverzweigungen der Nerven-
fasern . Durch Kollagenfasern sind die Tast-
zellen mit der Basalmembran der Epider-
mis verbunden. Auf diese Weise können
die kleinsten Bewegungen wahrgenom-
men werden, die über die Tastzellen an
die Nervenzellen weitergeleitet werden

14.5.3 Vibrationsempfindung

Vibration wird über die größten der Mechanorezeptoren wahrgenommen, die Vibrationsrezeptoren
Vater-Pacini-Körperchen (Abb. 14-8). Sie bestehen aus einem Dend riten, um den • Vater-Pacini-Körperchen
herum die Schwann-Zellen den Innenkolben bilden. Dieser wird von bis zu 70
zwiebelschalenartig angeordneten feinen Bindegewebslamellen (Zellausläufern) Dendrit
umgeben, die den Außenkolben bilden. verzweigter Fortsatz einer Nervenzelle
Wegen des zwiebelähnlichen Aufbaus werden die Vater-Pacini-Körperchen
auch als Lamellenkörperehen bezeichnet. Sie können Schwingungen zwischen 40
und 1.000 Hz wahrn ehmen.

14.5.4 Temperaturrezeptoren

Über die Struktur der Temperaturrezeptoren ist noch wenig bekannt. Es handelt Temperaturrezeptoren
sich um freie Nervenendigungen, die meist unmyelinisiert sind. Kälterezeptoren • Freie Nervenendigungen
reagieren maximal auf Reize zwischen 17 und 36°C. Sie liegen di rekt unterhalb (Kälte-, Wärmerezeptoren)
der Epidermis und vermitteln v. a. die Qual ität der Temperaturveränder ung.
Wärmerezeptoren liegen im Korium und reagieren mit maximalen Nerven-
impulsen bei Temperaturen zwischen 40-47°C. Wärme- und Kälterezeptoren
reagieren aber auch in Bereichen, die über oder unter den genannten Werten lie-
gen. Temperaturrezeptoren zeigen eine ausgeprägte Adaptation (Anpassung).
600

Abb. 14-8.
Vater-Pacini-Körperchen mit dem dendri-
tischen Ende einer Nervenzelle, das hier
zum Innenkolben verdickt ist. Der Innen-
kolben dient der Reizaufnahme. Die
Lamellenschichten dämpfen die Vibra-
tionen unterhalb der Schwelle von ca.
40Hz, sodass niederfrequente Schwin-
gungen nicht wahrgenommen werden

IP"'-- -- blndegewebige
Hülle
Dendrit - -- -

14.5.5 Schmerzrezeptoren

Schmerzrezeptoren Die Schmerzrezeptoren sind freie Nervenendigungen, die 1m Korium, in der


• Freie Nervenendigungen Subkutis, aber auch bis in die unverhornten Schichten der Epidermis vorkom-
men. Sie werden als freie Nervenendigungen bezeichnet, weil sie völlig unbe-
einige Wirksubstanzen deckt und freiliegend sind. Ihre Erregung erfolgt meist durch verletzungsbeding-
der Schmerzrezeptoren te Freisetzung von körpereigenen Substanzen, z. B. Prostaglandinen, Histamin,
• Prostaglandine Serotonin. Die Verletzungen können das Gewebe oder die Nervenendigungen
• Histamin selbst betreffen. Im Gegensatz zu anderen Rezeptoren adaptieren Schmerzrezep-
• Serotonin toren praktisch nicht.
Fragen und Zusamme nfassung · Kapitel14 ·Haut und Anhangsorgane 601

14.6 Fragen und Zusammenfassung zu Haut und Anhangsorganen

Welche Aufgaben hat die Haut? Sie fungiert als Schutzorgan gegen mechanische, thermische,
chemische, bakterielle Einflüsse etc.; sie ist an der Tempera-
turregulation und der Regulation des Wasserhaushaltes be-
teiligt; sie dient als Sinnes- und als Kommunikationsorg an.

Was rechnet man zu den Hautdrüsen, Brustdrüse, Haare, Nägel.


Hautanhangsgebilden ?

Welche Hautarten kennen Sie? Es wird zwischen 2 Arten der Haut unterschieden:
• Leistenhaut (Fußsohlen, Handflächen) und
• Felderhaut (behaarte Haut).

Wie ist die Haut aufgebaut? Die Haut besteht aus Epidermis und Korium. Die Unterhaut
(Subkutis) gehört nicht zur Haut, ist aber funktionell mit ihr
verbunden.

Aus welchen Schichten setzt sich Von innen nach außen: Stratum basale, Stratum spinosum,
die Epidermis zusammen? Stratum granulosum, Stratum lucidum, Stratum corneum.

Beschreiben Sie die wichtigsten Stratum basale: Die Regeneration der Haut erfolgt durch
Eigenschaften der Epidermis- Mitosen im Stratum basale. Hier befinden sich auch Melano-
schichten! zyten, die Pigmentgranula an die Zellen der Epidermis abge-
ben und damit die empfindlichen Mitosestadien vor der
schädlichen UV-Strahlung schützen.
Stratum granulosum: Im Stratum granulosum werden
Keratohyalingranula und Tonoftlamente gebildet, die
GrundJage des Keratins. Die ebenfalls gebildeten MCG
(>~membrane coating granules«) sind lipidhaltig. Sie werden
ausgestoßen und dienen der Abclichtung des
Interzellularraums.
Stratum lucidurn: In dieser >~hellen Schicht« werden die intra-
zellulären Strukturen definitiv abgebaut; sie ist bei stark ver-
hornenden Hautzonen (Fußsohle und Handfläche) besonders
ausgeprägt.
Stratum corneum: Das Stratum corneum lässt keinerlei
Zellen mehr erkennen. Im Bereich der Felderhaut ist es weni-
ger stark ausgebildet als im Bereich der Leistenhaut.
602
Aus welchen Schichten setzt sich
das Korium (Lederhaut)
Stratum papillare: Hier sind Bindegewebspapillen mit den
zusammen und wie sind sie
Epithelleisten verzahnt (besonders ausgeprägt in der Leisten-
aufgebaut? haut). Kapillaren und Meissner-Tastkörperchen liegen eben-
falls im Stratum papillare.
Stratum reticulare: Die Kollagenfasern des Stratum reticulare
sind die Grundlage für die Gerbfähigkeit der Haut. Sie sind in
deutlicher Orientierung angeordnet. Daraus entstehen die
Spaltlinien der Haut.

Was versteht man unter dem Die Subkutis besteht aus steppkissenartig gekammertem
Begriff der Subkutis? Wie ist sie Fettgewebe: dem subkutanen Fettgewebe. Mit Ausnahme
aufgebaut? der Fußsohlen und der Handflächen wird das subkutane Fett
zum Speicherfett gerechnet. Neben seiner Funktion als
Energiespeicher dient es v. a. der thermischen Isolation. In
der Subkutis liegen die Haarzwiebeln sowie die Vater-Pacini-
Lamellenkörperchen.

Im Alter kommt es zu einer Abnahme der elastischen Fasern


Wie verändert sich die Haut
der Haut (v. a. im Korium) und damit zu einer Abnahme der
im Alter?
Elastizität der Haut. Außerdem verringern die Schweißdrüsen
und Talgdrüsen ihre Tätigkeit. Daraus ergibt sich die trockene
Haut des Alters. An einigen Orten (Handflächen, Gesicht) ent-
steht das Alterspigment

Die Haare entstehen durch trichterförmige Einsenkungen


Wie entstehen die Haare? der Haut bis in die Subkutis. Die Regenerationsschichten der
Haut werden damit zu Haarbildungsschichten. Am Haar un-
terscheidet man den Haarschaft, der über die Haut heraus-
ragt, und die Haarwurzel, die im Haartrichter steckt. Im unte-
ren Wurzelbereich liegt die Haarzwiebel als Verdickung. Von
der Haarzwiebel geht das Wachstum der Haare aus.

Dies sind Haare, die ihren Kontakt zur Haarpapille (Binde-


Was sind Kolbenhaare? gewebe) verloren haben und längere Zeit im Haartrichter
stecken bleiben können, bevor sie von der bindegewebigen
Haarpapille und der neu gebildeten Haarzwiebel, d. h. dem
neugebildeten Haar herausgestoßen werden.

Die vor der Geburt gebildeten Haare werden als Lanugohaare


bezeichnet. Sie verlieren sich nach der Geburt. Sie reichen mit
Welche Haartypen gibt es?
ihren Haarzwiebeln nur bis in das Korium hinein. Die Termi -
nalhaare sind als Körperhaare ebenfalls nur bis ins Korium
verwurzelt, als Kopfhaare und als Pubertätshaare (Bart-,
Achsel- und Schamhaare) reichen sie hingegen mit ihren
Wurzeln bis in die Subkutis hine in.
Fragen und Zusammenfassung· Kapitel14 ·Haut und Anhangsorgane 603
Welche Funktionen haben die
Nägel? Wie sind sie aufgebaut?
Die Nägel dienen als Widerlager für Tast- und Greiffunktio-
nen. Der Nagel besteht aus einer Nagelplatte, die mit einer
Nagelwurzel in der Nageltasche sitzt. Die Nagelplatte wird
vom Nagelwall umgeben, von dem ein feines Häutchen gebil-
det wird, das Eponychium. Der Boden der Nageltasche wird
von der Nagelmatrix gebildet, die im vorderen Teil als weiße
halbmondförmige Zone (Lunula) durch den Nagel sichtbar
ist. Die Nagelmatrix bildet den Nagel.
Welche Hautdrüsen gibt es?
Man unterscheidet 3 verschiedene Hautdrüsen:
• merokrine Schweißdrüsen,
• apokrine Duftdrüsen (Axilla, Mons pubis, perianale Region,
um die Brustwarze) und
• holokrine Talgdrüsen (meist in Haartrichter mündend, aber
auch im Bereich des Lippenrots und an den kleinen Scham-
lippen, am ganzen Körper verteilt).
Welche Hautrezeptoren gibt es?
Die in der Haut vorhandenen Hautrezeptoren werden unter-
teilt in:
• Druckrezeptoren (Merkel-Zellen, Ruffini-Körperchen),
• Berührungsrezeptoren (Meissner-Tastkörperchen,
Nervenmanschetten um Haarwurzeln),
• Vibrationsrezeptoren (Vater-Pacini-Lamellenkörperchen),
• Temperaturrezeptoren (freie Nervenendigungen),
• Schmerzrezeptoren (freie Nervenendigungen).
15 Temperaturregulation

15.1 Kern- und Schalentemp eratur 606

15.2 Wärmebildu ng 607

15.3 Wärmeabgab e 608


15.3.1 Wärmeleitun g und Wärmebewe gung 609
15.3.2 Wärmestrah lung 609
15.3.3 Wasserverdu nstung 609

15.4 Regulation der Körpertemp eratur 610


15.4.1 Fieber 610
15.4.2 Hypertherm ie/Hypotherm ie 612

15.5 Fragen und Zusammenfa ssung


zur Temperaturr egulation 613

I
606

15 Temperaturregulation

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
~ Kern- und Schalentemperatur diskutieren
~ Die Mechanismen der Wärmebildung und der Wärmeabgabe erklären
~ Die Regulation der Körpertemperatur beschreiben
~ Fieber und die an seiner Entstehung beteiligten Vorgänge verstehen
~ Die Folgen von Unterkühlung und Übererwärmung des Körpers nennen

Der Mensch gehört zu den Lebewesen, die ihre Körpertemperatur relativ unab-
hängig von der Außentemperatur über weite Bereiche konstant halten können.
Diese Konstanz der Körpertemperatur ist nur möglich, wenn sich die Mechanis-
men der Wärmeproduktion und der Wärmeabgabe im Gleichgewicht befinden.

Eine gleich bleibende Körpertemperatur ist eine Grundvoraussetzung für die


normale Körperfunktion der konstantwarmen Lebewesen (Warmblüter), da die
Enzymfunktionen des Organismus nur innerhalb sehr engerTemperaturgrenzen
optimal gewährleistet sind.

Demgegenüber sind z. B. Reptilien und Amphibien wechselwarm,d. h. sie sind


mit ihrer Körpertemperatur abhängig von der Umgebungstemperatur.
Bei Warmblütern, zu denen auch der Mensch gehört, ist eine Abweichung der
Temperaturkonstanz vom normalen Bereich nur beim Fieber gegeben. Fieber
tritt bei den meisten Infektionskrankheiten als Begleiterscheinung sowohl beim
Menschen als auch b ei Tieren auf.

15.1 Kern- und Schalentemperatur

In menschlichen Körperinneren wird durch Verbrennung von Nahrungsbestand-


teilen Wärme produziert. Am Ort der Wärmeproduktion ist es am wärmsten, ge-
Temperaturgradient gen die Körperoberfläche nimmt die Temperatur ab. Es besteht also ein Tempera-
Temperaturgefälle zwischen Zonen mit turgradient von innen nach außen. Daneben besteht noch ein Temperatur-
hoherund Zon en mit tiefer Temperatur gradient von proximal nach distal, d. h. in der Schulterregion ist es wärmer als an
den Fingerspitzen.
Verbindet man die Punkte des Körpers, die die gleiche Temperatur haben,
miteinander, dann erhiilt man dreidimensionale Gebilde, die ein Temperaturge-
fälle darstellen (Abb. 15-1). Dabei wird deutlich, dass der Mensch einen Körper-
kern besitzen, der relativ gleich bleibend warm ist (Kerntemperatur), und eine
Körperschale, die je nach Außentemperatur wärmer oder kälter sein kann. Als
Wärm ebildung · KapitellS· Temperaturregulation 607

·- Abb. 15-1a, b.
Zonen mit gleicher Temperatur (Isother-
men), auf der Körperoberfläche einge-
zeichnet. Hell ist die Zone der Schalen-
temperatur, dunkel die Zone der Kern-
temperatur;
a entspricht den Verhä ltnissen bei tiefen
Außentemperaturen,
b entspricht den Verhältnissen bei hohen
Außentemperaturen

Körperschale bezeichnet man die Haut und die Extremitäten, als Körperkern das • Körperkern: Rumpfinneres,
Innere des Rumpfes und des Kopfes. Schädelhöhle (gleich bleibend warm)
Bei hohen Außentemperaturen ist das Temperaturgefälle zwischen Kern und • Körperschale: Haut und Extremitäten
Schale nur gering, bei tiefen Außentemperaturen dagegen ist es relativ groß. Vor (wechselnde Temperatur)
allem die Temperatur der Extremitäten liegt dann deutlich unterhalb der Kern-
temperatur (Abb. 15-1).

Temperaturmessung
Als Maß für die Kerntemperatur wird meist die Rektaltemperatur benutzt. • Rektaltemperatu r = Temperatur im
Oft genügt es aber, die Axillartemperatur oder die Oraltemperatur zu messen. Rektum (Enddarm)
Beide Temperaturen schwanken allerdings stärker als die Rektaltemperatur. Auch die • Axillartempertur = Temperatur in der
Kerntemperatur unterliegt Schwankungen, die eine deutliche Tagesrhythmik zeigen; Achselhöhle
das Minimum liegt am frühen Morgen und das Maximum am späten Nachmittag. • Oraltemperatur = Temperatur in der
Die Amplitude dieser Schwankungen (d. h. der Abstand zwischen Minimum Mundhöhle
und Maximum} beträgt im Durchschnitt ca. l°C (Abb.15-2). Diese Schwankungen
werden durch einen e ndogenen Rhythmus erzeugt, den man als biologische Uhr endogen
bezeichnet, die sich bei Zeitverschiebungen, z. B. bei Langstreckenflügen (>>jet im Körper entstehend
lag<<), erst nach einigen Tagen wieder der Lokalzeit anpasst.

1 5.2 Wärmebildung

Die Wärmebildung im Körper basiert v. a. auf den konstant ablaufenden Stoffwech-


selvorgängen (Grundumsatz). Sie ist aber auch abhängig von der Außentemperatur. Grundumsatz
Bei Temperaturen zwischen 28 und 30°C und einer relativen Luftfeuchtigkeit Energiemenge, die der Körper bei völliger
von ca. 50% wird die Wärmebildung bei einem unbekleideten Menschen, der sich Ruhe zur Erhaltung der Lebensvorgänge
in Ruhe befindet, ein Minimum aufweisen. Sobald die Temperatur sinkt, steigt die verbraucht
608

Abb. 15-2.
[' C)
Schwankungen der Tagestemperaturen 37,4
einer Frau, unten vor dem Eisprung (prä-
ovulatorisch). oben nach dem Eisprung ~
st
(postovulatorisch). Auch bei Männern tritt 37,2
eine ähnliche Tagesrhythmik der
"'
:I:
Körpertemperatur auf, allerdings ohne
Temperatursprung wie bei der Frau wäh- 37,0
rend des monatlichen Zyklus. Die tiefste
Temperatur wird nachts um 3.00 h, die
höchste Temperatur abends um 19.00 h
erreicht. Die Amplitude (Aussch lag) der
Temperaturkurve beträgt ca. o,s•c

18 24 6 12 Uhr
Tageszelt

Wärmebildung an. Sie steigt in dem Maß, das nötig ist, den Verlust von Körper-
wärme auszugleichen. Die Zunahme der Wärmebildung wird zunächst durch ei-
ne Erhöhung des Muskeltonus erreicht. Genügt diese nicht mehr, kommt es zum
Kältezittern. Das ist eine rhythmische Kontraktion der Muskulatur, wodurch
Wärme produziert wird. Bei starker körperlicher Arbeit kann die Wärmepro-
duktion durch die Muskeltätigkeit auf den wfachen Wert gesteigert werden und
dann 90% der gesamten Wärmeproduktion betragen.
Trotz der wechselnden Außentemperaturen muss die Körpertemperatur im
Bereich zwischen 29 und 43oC unbedingt geregelt werden. Tiefere und höhere
Temperaturen sind in der Regel tödlich. Das bedeutet, dass Unterkühlung und
Überhitzung bis zu diesen Grenztemperaturen gerade noch mit dem Leben zu
vereinbaren sind. In der Regel wird allerdings eine Normaltemperatur von
37 ± o,sac strikt eingehalten.
Temperaturwerte Damit es nicht zu einer Überhitzung oder Unterkühlung des Körpers kommt,
• Physiologische Körpertemperatur. müssen Regelmechanismen die Temperaturkonstanz gewährleisten. Dabei muss
37±0,5' ( v. a. die Wärme, die bei der Muskelarbeit entsteht, abgeleitet werden, weil man
• Grenzen der Körpertemperatur: 29-43' ( den Körper nicht gegen Wärme schützen kann, wie das bei Kälte möglich ist.
Wärmeabgabe · KapitellS· Temperaturregulation 609

15.3 Wärmeabgabe
Mechanismen der Wärmeabgabe
Für die Wärmeabgabe stehen dem Körper verschiedene Mechanismen zur Verfü- • Wärmeleitung und Wärmebewegung
gung. (Konvektion)
• Wärmestrahlung
15.3.1 Wärmeleitung und Wärmebewegung • Wasserverdunstung

Durch Wärmeleitung und Wärmebewegung (Konvektion) werden ca. 25% der Konvektion
Gesamtwärme abgegeben. Dabei geschieht Folgendes: Die Wärme wird durch di- Mitführung, hier von Wärme
rekten Kontakt der Körperoberfläche mit der Luft abgegeben. Diese erwärmte mit der Luftströmung
Luft wird durch Wärmebewegung vom Körper weggeführt Auch innerhalb des
Körpers wird die Wärme durch Konvektionweitergeleitet, hier aber durch den
Transport über das Blut. Eine Wärmeleitung an die Haut ist nur dann sinnvoll
bzw. möglich, wenn die Hauttemperatur niedriger als die Kerntemperatur ist.
Die Gefäße spielen bei der Wärmeleitung eine große Rolle, da Wärmeleitung
über das Gewebe nur sehr schlecht funktioniert. Durch Erweiterung (Vasodilata- Vasodilatation
tion) bzw. Verengung (Vasokonstriktion) der peripheren Gefäße wird die Menge Erweiterung von Gefäßen
der Wärmeleitung über die Haut reguliert.
Vasokonstriktion
15.3.2 Wärmestrahlung Verengung von Gefäßen

Der größte Teil der Wärme wird durch Wärmestrahlung abgegeben. Im Normal-
fall sind das 45% der Gesamtwärme.
Diese Wärmestrahlung wird in Form von langwelliger Strahlung (Infrarot) Infrarot
vom Körper weggeführt. Dieser Vorgang ähnelt der Wirkung, die die Wärme- langwellige elektromagnetische
strahlung eines geheizten Ofens in einem kalten Raum hat. Auch wenn die Luft- Strahlung, die sich im Spektrum unterhalb
temperatur nicht ausreicht, den Körper zu wärmen, empfängt er doch die direk- dem Rot des sichtbaren Lichts befindet
te Wärmestrahlung.

15.3.3 Wasserverdunstung

Mit der Wasserverdunstung werden ca. 20% der Gesamtwärme an der Hautober- Tägliche Wasserverdunstung:
fläche sowie weitere 10% über die Atemwege abgegeben. Auf diese Art werden ca. ca. 1.000 ml über Haut und Atemwege
1.ooo ml ( = 11) Flüssigkeit/Tag verdunstet. Dies entspricht der Wärmeabgabe von
einem Drittel des Grundumsatzes. Bei Bedarf kann die Flüssigkeitsverdunstung
durch Schweißsekretion noch wesentlich erhöht werden.
Bei Außentemperaturen, die über der Körpertemperatur liegen, kann Wärme
fast nur noch über die Wasserverdunstung abgeführt werden. Bei so hohen
Temperaturen funktionieren die Mechanismen der Wärmestrahlung und Wär-
meleitung nicht mehr bzw. der Wirkmechanismus kehrt um, d. h. unserem Kör-
per wird zusätzlich Wärme zugeführt.
Für den Wärmeaustausch haben Umweltfaktoren wie das Klima eine große Wichtige Klimafaktoren beim
Bedeutung. Dazu gehören die Lufttemperatur, die Luftfeuchtigkeit, die Windge- Wärmeaustausch
schwindigkeit sowie die Temperatur anderer strahlender Körper in unserer nä- • Lufttemperatur
heren Umgebung (z. B. Wohnungswände, Ofen). Vor allem die Luftfeuchtigkeit • Luftfeuchtigkeit
darf in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden. Zum einen leitet eine mit Was- • Windgeschwindigkeit
ser gesättigte Luft viel besser, zum anderen kann bei hoher Luftfeuchtigkeit prak-
tisch kein Wasser mehr verdunstet werden, da die Luft keine Feuchtigkeit mehr
610

aufnehmen kann. Das erklärt auch, warum sowohl Kälte als auch Hitze bei gerin-
ger Luftfeuchtigkeit besser ertragen werden können.

1 5.4 Regulation der Körpertemperatur

Zentrale Regulat ion der Körper- Die eigentliche Steuerung der Prozesse der Wärmebildung und -abgabe ge-
t emperatur: Thermoregulationszentrum schieht in einer Region des Zwischenhirns (Dienzephalon), im Hypothalamus.
im Hypothalamus Hier befindet sich das Thermoregulationszentrum. In diesem Zentrum wird der
Ist-Wert (d. h. die effektiv vorhandene Körpertemperatur) mit einem vorgegebe-
Hypothalamus nen Soll-Wert (37°C) verglichen. Weicht der Ist-Wert vom Soll-Wert ab, werden
Region des Zwischenhirns in der viele Steuersignale gegeben, die im Körper zum Einschalten verschiedener Regelme-
vegetative Funktionen gesteuert werden chanismen fiihren.Daraus ergibt sich ein Regelkreis (Abb. 15-3). In einem derar-
tigen System werden die Faktoren, die zum Verstellen des Regelkreises führen
(z. B. Wärmebelastung, Kältebelastung, körperliche Arbeit, psychische Faktoren)
als Störgrößen bezeichnet.
Vasemotorik Von großer Bedeutung in diesem geregelten System (dem Körper) sind die
Bewegung sprozesse der Blutgefäße, d. h. Gefäßverengung und Gefäßerweiterung (Vasomotorik), die die periphere Wär-
Verengung und Erweiterung der Gefäße meabgabe regeln. Dies geschieht auf nervösem Wege,. d. h. die Steuersignale aus
dem Hypothalamus gelangen über Nerven an die Muskulatur der Gefäße, aber
auch an die Schweißdrüsen, die damit in ihrer Sekretion gesteuert werden.

15.4.1 Fieber
Fiebererzeugende Stoffe (Pyrogene)

• exogene Pyrogene (z. B. Viren, Fieber ist, wie bereits erwähnt, eine regelmäßig auftretende Begleiterscheinung
Bestandteile der Bakterienmembran) der meisten Infektionskrankheiten. Es wird durch fiebererzeugende Stoffe, die
• endogene Pyrogene (z. B. lnterleukine, Pyrogene, ausgelöst. Dabei unterscheidet man zwischen körpereigenen ( endoge-
Interferone, Prostaglandine) nen) und von außen zugeführten (exogenen) Pyrogenen.
• Es existieren eine Vielzahl von exogenen Pyrogenen,
teile der Bakterienmembranen (Lipopolysaccharide), die am Anfang einer Ket-
te von Reaktionen stehen, durch die schließlich Fieber erzeugt wird. Diese exo-

Abb. 15-3.
Soll-Wen
Schema des Regelkreises für die Tempera-
turregulation. lm Thermoregulations- lst·Wen
zentrum des Hypothalamus (Hirnregion)
wird der Ist-Wert mit dem Soli-Wert ver-
glichen, und dem Resultat entsprechend
Steuersignale
werden Steuersignale an das geregelte
System abgegeben. Diese führen entwe- geregeltes System

der zur Wärmebildung oder zur Wärme- WArmebildung


1-
abgabe Körperl<em--1 Vasomotorik
Korpenemperatur
Schweißsekretion
...
~
t StörgrOßen
(z.B. WArmebelastung)
Regulation der Körpertemperatur · KapitellS · Temperaturregulation 611

genen Pyrogene lösen das Fieber nicht selbst aus. Sie veranlassen die Makro- Makrophagen
phagen und andere Leukozyten dazu, endogene Pyrogene auszuschütten. aus Monozyten (eine Form von weißen
• Die endogenen Pyrogene gehören zu den Wirkstoffen des Immunsystems, z. B. Blutkörperchen) hervorgegangene Zellen,
die lnterleukine (IL-1, IL-6) oder Interferone (s. Kap. 8, Immunologie). Diese die zur Phagozytose (Aufnahme von
Substanzen setzen Immunvorgänge in Gang und lösen in einer Region des Teilchen) befähigt sind
Gehirns (wahrscheinlich im Hypothalamus) die Bildung von Prostaglandinen
(Prostaglandin E aus (Abb. 15-4). In einer anderen Region des Hypothalamus
2 ) lnterleukine
befindet sich das Thermoregulationszentrum (s. Abschn. 15.4). Hier wird durch Signalstoffe des Immunsystems
das Prostaglandin der Soll-Wert der Temperaturregulation nach oben verstellt.
Als Folge wird die Körpertemperatur dann auf einem höheren Niveau regu- Interferone
liert, z. B. auf 39°C anstaU auf 37°C. körpereigene Substanzen, die die
Virusvermehrung hemmen
Unmittelbar nach der Wirkung der endogenen Pyrogene wirkt die normale Kör-
pertemperatur wie eine Unterkühlungstemperatur. Sie löst eine Vasokonstriktion Prostaglandine
(Verengung) der Hautgefäße, ein subjektives Kälteempfinden und evtl. Kältezit- aus Arachidonsäure gebildete Substanzen
tern (Schüttelfrost) aus. Bei Rückkehr zur normalen Körpertemperatur wird die mit vielfältigen Wirkungen
erhöhte Temperatur als zu warm empfunden. Schweißausbrüche, Erweiterung
der Hautgefäße und ein subjektives Wärmeempfinden sind charakteristisch für
die Entfieberungsphase.
In Bezug auf die Nützlichkeit des Fiebers hat man bisher noch keine plausible
Erklärung finden können. Möglicherweise könnte es sich dabei um eine Herauf-
setzung der Reaktionsgeschwindigkeit handeln, wie man sie aus der Chemie
kennt. Die Abwehrmechan ismen könnten damit auch rascher funktionieren.

Abb.lS-4.
Schema der Entstehung von Fieber. Exo-
gene Pyrogene (z. B. Viren, Bakterien) ver-
anlassen Phagozyten, Wirksubstanzen
(z. B. lnterleukin 1) abzugeben, wodurch
die Bildung von Prostaglandin E, ausge-
löst wird. Prostaglandin E2 kann über zyk-
lisches AMP (cAMP) im Thermoregula-
tionszentrum des Hypothalamus den Soli-
Wert heraufsetzen. Dadurch werden die
Mechanismen der Wärmeproduktion und
Wärmeabgabe beeinflusst, sodass Fieber
entsteht
612

Fieber ist auf jeden Fall ein typisches Merkmal der Warmblüter, da es nicht nur
beim Menschen, sondern bei allen untersuchten warmblütigen Tierarten vor-
kommt.

15.4.2 Hyperthermie/Hypothermie

• Hyperthermie: Überwärmung Eine passive Übererwärmung des Körpersdurch Wärmezufuhr bezeichnet man
des Körpers als Hyperthermie. Der Soll-Wert der Kerntemperatur bleibt dabei unverändert.
• Hypothermie: Unterkühlung Der Temperaturanstieg wird durch die Überlastung der Wärmeabgabemecha-
des Körpers nismen verursacht. Bei langdauernder Hyperthermie mit Temperaturen von
40- 41°C kommt es wegen der maximalen Erweiterung der Hautgefäße zu einem
Kreislaufkollaps (Hitzekollaps). Durch die maximale Gefäßweitstellung in der
Peripherie ist im Zentrum des Körperkreislaufs nicht mehr genügend Blut vor-
handen.
Übersteigt die Wärmeabgabe über längere Zeit die Wärmeproduktion, z. B.
wenn der Körper ohne entsprechenden Schutz durch Kleidung der Kälte ausge-
setzt ist, kommt es zu einer Untertemperatur bzw. Unterkühlung (Hypothermie).
Bei Rektaltemperaturen bis 35°C reagiert der Körper mit Kältezittern. Die
Muskelkontraktionen führen zur Wärmebildung. Bei Temperaturen zwischen
34 und J0°C wird der Betroffene teilnahmslos; gleichzeitig entwickelt sich eine
Muskelstarre. Bei Temperaturen unterhalb 29°C schließlich kommt es zum
Kammerflimmern (der Herzkammern), bis schließlich der Tod eintritt.

Folgen der Hyperthermie


Aus einem Wärmestau kann eine Bewusstlosigkeit resultieren, die als Hitzschlag
bezeichnet wird. Die Haut ist dann blass und trocken. Steigt die Temperatur des
Körpers noch weiter an, so tritt bei ca. 43°C der Tod ein, bei dem dann meist ein
Hirnödem vorliegt. Um einen weiteren Anstieg der Körpertemperatur zu verhin-
dern, muss die betroffene Person sofort gekühlt werden, z. B. Kleidung entfernen,
Haut mit Wasser oder- falls vorhanden- Schnee und eventuell Eis kühlen. Dabei
sollte die Körpertemperatur allerdings kontrolliert werden, damit keine Hypo-
thermie erzeugt wird.
Fragen und Zusammenfassung · KapitellS· Temperaturregulation 613

15.5 Fragen und Zusammenfassung zur Temperaturregulation

Wie bezeichnet man den Der Mensch gehört zu den konstantwarmen Lebewesen
Menschen in Bezug auf seinen (Warmblüter).
Temperaturhaushalt?

Welche Regionen können Eine Kernregion (Schädelhöhle und Rumpfinneres) und eine
am Körper in Bezug Schalenregion (Haut und Extremitäten).
auf die Temperaturregulation
unterscheiden werden?

Wie unterscheidet sich die Die Kerntemperatur wird mit geringen Schwankungen auf
Temperaturregulation in diesen ca. 37°C geregelt. Die Schalentemperatur kann stärker
beiden Regionen? schwanken. Bei warmen Außentemperaturen wird die Zone
der Kerntemperatur größer (s. Abb. 15-1).

Wie wird die Konstanz der Die Konstanz der Körpertemperatur wird durch ein
Körpertemperatur erreicht? Gleichgewicht zwischen Wärmeproduktion und
Wärmeabgabe erreicht.

Welche Mechanismen Wärmeproduktion entsteht durch die Verbrennung von


der Wärmeproduktion Nahrung in den Organen, durch Stoffwechselvorgänge, aber
und der Wärmeabgabe auch durch Muskelkontraktionen (bis zu 90% der
kennen Sie? Gesamtwärme).
Wärmeabgabe ist über 3 verschiedene Mechanismen möglich:
• Wärmeleitung und Konvektion (ca. 25% der Gesamtwärme),
• Wärmestrahlung (45%) und
• Wasserverdunstung (30%).

Wie kann die Wasser- Bei Bedarf kann die Wasserverdunstung durch zusätzliche
verdunstung erhöht werden? Schweißsekretion wesentlich erhöht werden . Bei
Außentemperaturen oberhalb der Körpertemperatur kann
Wärme nur noch über Schweißsekretion und
Wasserverdunstung abgeführt werden.

Wo ist das Zentrum Das Thermoregulationszentrum befindet sich im


für die Temperaturregulation? Hypothalamus.

Wie wird die Körpertemperatur Im Thermoregulationszentrum wird der SoU-Wert der Kör-
geregelt? pertemperatur mit dem Ist-Wert verglichen. Abweichungen
führen zu SteuersignaJen an die Gefäße (Vasokonstriktion
bzw. Vasodilatation), an die Muskulatur (Erhöhung des Mus-
keltonus) und an Schweißdrüsen (Regulation der Schweiß-
sekretion).
614
Wie kommt es zur Entstehung
von Fieber?
Am Anfang der Fieberauslösung stehen exogene Pyrogene
(Bakterien, Viren etc.), die Makrophagen und andere Leuko-
zyten zur Ausschüttung von endogenen Pyrogenen (Inter-
leukine, Interferone) veranlassen. Unter der Wirkung deren-
dogenen Pyrogene wird Prostaglandin E2 gebildet. Dadurch
verstellt sich der Soll-Wert im Thermoregulationszentrum
nach oben. Somit wird die Körpertempe ratur bei Fieber auf
einem höheren Niveau geregelt.
Was sind die Folgen einer
Hyperthermie? Hyperthermie kann durch maximale Dilatation der Haut-
gefäße zum Hitzekollaps führen. Bei längerem Anhalten der
Hyperthermie kommt es zu einem Hitzschlag (Bewusstseins-
trübung, blasse trockene Haut).
Sinnesorg

16.1 Auge 617


16.1.1 Schichten des Augapfels 617
16.1.2 Glaskörper und linse 623
16.1.3 Augenhintergrund 624

.
16.1.4 Hilfsapparat der Augen 624
j
16.1.5 Augenmuskeln 625
16.1 .6 Akkommodation 627
16.1.7 Sehvorgang 627
16.1.8 Augenfehler 629
16.1.9 Pupillenreflex 631
16.1.10 Sehbahn 631
16.1 .11 Gesichtsfeld und räumliches Sehen 633
16.1 .12 Sehschärfe 633
16.1.13 Abbildungen auf der Netzhaut 634

16.2 Ohr 634


16.2.1 Abschnitte des Ohrs 634
16.2.2 Schall, Schallreize und Hörempfindung 638
16.2.3 Objektives Schalltrauma und subjektive Hörbelästigung 639
16.2.4 Hörvorgang 641
16.2.5 Hörbahn 642
16.2.6 Hörstörungen 642
16.2.7 Räumliches Hören 643

16.3 Gleichgewichtsorgan 643


16.3.1 Bestandteile des Gleichgewichtsorgans 643
16.3.2 Bogengänge 643
16.3.3 Vestibulum 645
16.3.4 Vestibuläre Bahnen 645

16.4 Fragen und Zusammenfassung zu den Sinnesorganen 647


616

16 Sinnesorgane

Lernzielübersicht
Nach der Lektüre dieses Kapitels können Sie:
.,.. Zwischen Wahrnehmung und Empfindung unterscheiden
.,.. Den Aufbau des Auges beschreiben
.,.. Die Bauelemente des Auges in ihrer Funktion erläutern
.,.. Den Sehvorgang erklären
.,.. Altersveränderungen am Auge deuten
.,.. Gängige Augenfehler erklären
.,.. Das Ohr und seine Abschnitte (Außenohr, Mittelohr,lnnenohr) darstellen
.,.. Das Trommelfell, die Gehörknöchelchen und die Schnecke als Grundlage

,
des Hörvorganges beschreiben
.,.. Das Corti-Organ als eigentliches Hörorgan erklären
.,.. Zwischen Schall, Schallreiz und Hörempfindung unterscheiden
.,.. Hörstörungen verstehen
.,.. Die Bestandteile des Vestibularargans und ihre Funktion erläutern

Das 1. Kapitel (Einführung und Grundlagen) machte deutlich, dass die Fähigkeit,
Reize aus der Umwelt aufzunehmen, ein wichtiges Kennzeichen des Lebens ist,
das bereits einzellige Lebensformen aufweisen. Der menschliche Körper besitzt
sogar eine Vielzahl von Zellen, die auf die Reizaufnahme spezialisiert sind. Diese
Zellen nennt man Rezeptorzellen oder in der Kurzform Rezeptoren. Für die ver-
schiedenen Umweltreize wie Schall, Licht, Wärme, Berührung etc. gibt es jeweils
spezialisierte Rezeptoren. Um diese Rezeptoren zu erregen, muss ein Reiz auf sie
einwirken, der ihnen entspricht, z. B. erregt Licht die Rezeptoren des Auges.
• adäquat angemessen, entsprechend, Einen derartigen Reiz bezeichnet man als adäquaten Reiz. Die Rezeptorzellen
spezifisch zugehörig des Auges können allerdings auch durch einen inadäquaten Reiz erregt werden,
• inadäquat nicht angemessen z. B. durch Druck auf den Augapfel oder Schlag auf den Kopf. Auch diese Reize
wirken auf die Rezeptorzellen des Auges, und zwar so, dass sie ebenfalls den
Eindruck von »Licht« vermitteln.
Mit diesen Beispielen wird deutlich, dass jedes Sinnesorgan - unabhängig
vom auslösenden Reiz - nur eine Sinnesqualität vermitteln kann, d. h. die ihm ei-
gene spezifische SinnesqualitätA lso Licht beim Auge, Töne oder Geräusche beim
Ohr etc. Es wird aber auch klar, dass die Empfindung einer Sinnesqualität sowohl
durch adäquate wie auch inadäquate Reize hervorgerufen werden kann.
Die Reize, die unsere Sinnesorgane erregen, verursachen in der Regel ein
afferent Rezeptorpotentia l, das über eine oder mehrere afferente Nervenfasern in das
zuführend, zuleitend Gehirn gelangt und dort in eine Empfindung umgesetzt wird. Dabei spielt es für
die Empfindung keine Rolle, an welcher Stelle der <1fferenten Nervenf<~ser ein
Auge · Kapitel16 · Sinnesorgane 617

Impuls vermittelt wird. Im Gehirn wird ein über die entsprechende Nervenbahn
einlaufendes Signal immer so interpretiert, als käme es vom eigentlichen
Rezeptor.
Dieses Phänomen ist allen bekannt, die sich schon einmal am >>Narrenbein<< Narrenbein
denN. ulnaris angestoßen haben und dabei den Eindruck hatten, sich am kleinen »elektrischer Knochen«, oberflächlich auf
Finger elektrisiert zu haben. Dieses Phänomen ist z. B. auch für den Phantom- dem Epikondylus medialis des
schmerz verantwortlich, bei dem ein amputiertes Bein immer noch ))Schmerzen<< Ellenbogen s gelegener Teil des N. ulnaris
bereiten kann, wenn die entsprechenden Nervenfasern am Amputationsstumpf
gereizt werden. Auch in diesem Fall werden die Impulse der afferenten Fasern im
Gehirn so interpretiert, als seien sie z. B. vom Fuß gekommen, obwohl d ieser ef-
fektiv nicht mehr vorhanden ist.
In der Alltagssprache werden die beiden Begriffe Empfindung und Wahrneh-
mung sehr häufig synonym verwendet. In der Sinnesphysiologie lassen sich al-
lerdings beide Begriffe deutlich gegeneinander abgrenzen. Die Empfindung ba- Emofinduna ist die im Gehirn einlaufende
siert auf dem afferenten Impuls und führt zu einer Informat ion im Gehirn. Die Information
Wahrnehmung hingegen wird stark von unseren Erfahrungen geprägt und kann Wahrnehmung ist die Interpretation
daher bei gleicher Sinnesempfindung bei verschiedenen Personen unterschied- der Empfindung
lich ausfallen. Ein Beispiel sind Sprachen, die für uns sehr fremd klingen, d. h.
wenn wir sie bisher noch nie gehört haben. Obwohl wir gerrau dasselbe hören wie
ein Kenner der Sprache, können wir mit der Klangfolge und dem Gehörten nichts
anfangen, ja wir sind meist nicht einmal in der Lage, das Gehörte lautmalerisch
richtig wiederzugeben. Ein anderes Beispiel ist die Musik, die für einen Mens-
chen eine Bereicherung darstellt, für den nächsten hingegen nur Lärm bedeutet,
obwohl beide dasselbe über ihre Rezeptoren und die afferenten Fasern der Hör- Hörbahn
bahn empfangen. Die Wahrnehmung ist demnach, im Gegensatz zur Empfin- Kette von Neuronen aus dem Ohr
dung, kein passives Gegenstück des auf uns einwirkenden Reizes, sondern Kenn- bis in die Hörrinde
zeichen der aktiven Leistung unseres Gehirns. Wahrnehmung ist also deutlich
von der Erfahrung beeinflusst und stellt eine vom Gehirn vorgenommene Inter-
pretation der Empfindung dar.
Von den vielen verschiedenen Sinnesorganen des menschlichen Körpers sind
einige bereits in anderen Kapiteln dargestellt worden, z. B. der Tastsinn im Kap. 15
(Haut), die Schmerzempfindung im Kap. 5 (Nervensystem; s. auch Tabelle 16-1).
Zwei der wichtigsten Sinnesorgane sind das Auge und das Ohr mit dem Gehör-
organ und dem Gleichgewichtsorgan, die in diesem Kapitel speziell behandelt
werden.

16.1 Auge

Das Auge (Augapfel= Bulbus oculi) liegt in der Augenhöhle (Orbita) in einen
Fettkörper (Corpus adiposum orbitae) eingebettet. Durch die Augenmuskeln
kann das Auge in diesem Fettkörper wie in einem Kugelgelenk bewegt werden.

16.1.1 Schichten des Augapfels

Der Augapfel (Bulbus oculi) hat mit Ausnahme der Hornhautregion, die stärker
gekrümmt ist, eine nahezu kugelförmige Gestalt. Er besteht aus 3 Schichten
(Abb. 16-1).
618

Tabelle 16-1. Sinnesorgane (Auswahl)

Sinnesmodalität (Organ) Empfindungsqualität Reizqualiltät Rezeptortyp

Sehen (Auge) Helligkeit. Dunkelheit, Farben Elektromagnetische Strahlen Photorezeptoren


40Q-700 nm (Stäbchen und Zapfen)

Hören (Ohr) Tonfrequenzen, Lautstärke 2Q-20.000 Hz Haarzellen im Corti Organ

Riechen (Regio olfactoria) Verschiedene GerUche Chemische Substanzen Chemorezeptoren


(häufig mit (-Atomen)

Geschmackssinn (Zunge) sauer, salzig, sUß, bitter Ionen Chemorezeptoren

Gleichgewichtssinn Körperlage, örperbeschleunigung, Mechanische Einwirkungen Mechanorezeptoren an den


(Vestibularapparat) relative Lage und Beschleunigung auf den Körper Gelenken, vestibuläre
von Körperteilen Rezeptoren im Innenohr ,

Tastsinn (Haut) Druck, BerUhrung, VIbration Mechanische Einwirkungen Mechanorezeptoren,


aufdie Haut z. B. Meissner-, Vater-Pacini-
Körperchen

Temperatursinn Kälte, Wärme Elektromagnetische St rahlung Thermorezeptoren


7Qo-900nm (u.a. freie Nervenendigungen)

Schmerz Schmerz Gewebeschädigende oder Nozizeptoren


(freie Nervenendigungen) als solche empfundene (freie Nervenendigungen)
Einwirkungen

Abb. 16-1. Bindehaut Zonulafasern Linse Ziliarkörper


(Konjunktiva) (Corpus ciliare)
Schema des Augapfels, das in einigen
Aspekten als Schnitt, in anderen Aspekten Öftnerder
Pupille
in der Aufsicht dargestellt ist. Zwischen (M. dilatator
der Linse und der Netzhaut des Auges puplllae)

befindet sich der Glaskörper. Der Schnitt Schließmuskel


der Pupille
führt durch die Region des blinden Flecks
(M. sphincter
(Austritt der Fasern des N. opticus). Die puplllae)

3 Schichten der Wand des Augapfels


(innere, miniere und äußere Augenhaut)
sind eingezeichnet. Im vorderen Teil des Hornhaut Zentralgefäße
(Kornea) der Netzhaut
Augapfels ist die Linse durch die Zonula-
Regenbogenhaut
fasern in ihrer Lage befestigt. Die Iris un- (Iris)

terteilt den Raum vor der Linse in eine vor- äußere Augenhaut
hintere (Tunica fibrosa)
dere und eine hintere Augenkammer hier: Sklera
Augenkammer

Ziliarmuskel
innere Augenhaut mittlere Augenhaut
(Tunica nervosa) (Tunica vasculosa)
hier: Retina hier: Chorioidea
Auge · Kapitel16 · Sinnesorgane 619

Äußere Augenhaut Schichten des Augapfels


Im hinteren Teil besteht die äußere Augenhaut (Tunica fibrosa) aus einer derben • Äußere Augenhaut (Tunica fibrosa)
bindegewebigen Lederhaut, der Sklera. Sie ist weiß durch die straff geordneten • Mittlere Augenhaut (Tunica vasculosa)
Kollagenfasern, die den größten Teil des Materials der äußeren Augenhaut bil- • Innere Augenhaut (Tunica nervosa
den. Die Sklera ist vorne von Bindehaut, der Konjunktiva überzogen, die am oder interna)
Hornhautrand (Limbus corneae) in die Hornhaut (Kornea)übergeht.
Die Hornhaut besteht aus einem mehrschichtigen unverhornten Plattenepi- Abschnitte der äußeren Augehaut
thel, unter dem sich eine breite bindegewebige Schicht, das Stroma der Hornhaut, • Sklera
befindet. • Konjunktiva
Gegen die Iris zu ist die Hornhaut von einem einschichtigen Plattenepithel, • Hornahut
dem Hornhautendothel, überzogen. Das Hornhautendothel begrenzt die vordere
Augenkammer.

Mittlere Augenhaut
Die mittlere Augenhaut (Tunica vasculosa) besteht aus 3 Abschnitten: Im hinte- Abschnitte der mittleren Augenhaut
ren Bereich ist es die Aderhaut (Choroidea), im vorderen Bereich sind es der • Aderhaut (Choroidea)
Ziliarkörper (Corpus ciliare) und die Iris (Regenbogenhaut). • Iris (Regenbogenhaut)
Die Aderhaut führt den Hauptteil der Gefäße, die die Ernährung fast aller • Ziliarkörper (Corpus ciliare)
Schichten des Auges ermöglichen. Ihre Gefäße sind für die Versorgung der Skle-
ra, der Choroidea und der äußersten Schichten (Photorezeptoren) der Retina
(Netzhaut) verantwortlich. Die Letztere hat im Bereich der Choroidea ein eigenes
Kapillarnetz (Lamina choroidocapillaris) aufgebaut, das direkt dem Pigmentepi-
thel anliegt (s. unten). Die inneren Schichten der Retina werden durch ein eige-
nes Kapillarnetz versorgt.
Die Iris stellt die - einem Photoapparat vergleichbare - Blendenöffnung des Irismuskeln
Auges dar. Je nach Lichtintensität kann sie vergrößert oder verkleinert werden, • M. sphincter pupillae
um so die optimale Menge des Lichteinfalls auf die Retina zu gewährleisten. Sie • M. dilatator pupillae
ist auf der Vorderseite nicht von einem Epithel bedeckt, sodass der Betrachter der
Iris direkt auf das nach außen gerichtete Stroma schaut. Der hinterste Teil der Iris
ist pigmentiert, in Richtung Glaskörper ist sie auf ihrer Rückseite zusätzlich vom
Pigmentepithel der Retina bedeckt. In das Bindegewebe der Iris (Stroma) sind
2 Muskeln integriert:
• M. sphincter pupillae (Schließmuskel der Pupille) und
• M. dilatator pupillae (Öffner der Pupille).

Der Schließmuskel der Pupille wird durch den Parasympathikus innerviert


der Öffner der Pupille durch den Sympathikus.

In Anpassung an die Helligkeit des Lichts regeln diese beiden glatten Muskeln die
Weite der Pupille, indem sie die Iris mehr oder weniger öffnen. Im Irisstroma
kann Pigment eingelagert sein, das für die Farbe der Iris (braun oder grün), also
für die Augenfarbe verantwortlich ist. Bei blauen Augen fehlt in der Regel das
Pigment, sodass die Blutgefäße und die pigmentierte Hinterseite der Iris blau
durchschimmern. Bei Albinos ist überhaupt kein Pigment im Auge vorhanden,
sodass die Gefäße des Augenhintergrundes rot hindurchschimmern.
DerZiliarkörper ist Teil der mittleren Augenhaut, er befindet sich hinter der
Iris und damit in der hinteren Augenkammer (s. unten; Abb.16-2), der kranzartig
(Orbiculus ciliaris) die Linse des Auges umgibt. Vom Ziliarkörper verlaufen feine
620

Abb. 16-2. ,..,_- -- äußere


Schnitt durch die Region des Kammer- Augenhaut
(Sklera)
winkels (Angulus iridocornealis).lm Bindehaut mittlere
Ziliarkörper befindet sich der M. ciliaris, (Konjunktiva) Augenhaut
(Chorioidea)
der für die Akkomodation des Auges
innere
wichtig ist. Vom Ziliarkörper verlaufen die Augenhaut
Zonulafasern an die Linse. Im oberen (Retina)

Bereich der Abbildung ist der Übergang t._,i'Jri"tt..-- - - - -- - Ziliarmuskel


(M. ciliaris)
des lichtempfindlichen Teils der Netzhaut Regenbogenhaut - --+.....-,
(Iris) I'P'' I- - -- -- - - Ziliarkörper
(Pars optica, gelb) in den blinden Teil der (Corpus ciliare)
Netzhaut (Pars caeca, blau) zu sehen. hintere - - - -+-+-"
Augenkammer
Dieser wellenförmige Rand wird als Ora
serrata bezeichnet. Im Kammerwinkel
vordere - ---1
befindet sich der Schlemm-Kanal, über Augenkammer
den das vom Ziliarkörper gebildete
Hornhaut
Kammerwasser abfließt (Kornea)

Fasern an die Linse, die Zonulafasern (Fibrae zonulares). Über die Zonulafasern
ist die Linse in ihrer Lage fiXiert. Im Ziliarkörper befindet sich der Ziliarmuskel
(M. ciliaris), der den Ziliarkörper bei Kontraktion der Linse nähert und dadurch
die Zonulafasern entspannt. Die Kontraktion dieses Muskels ist die Grundlage
Transsudat für die »Scharfstellung« (Akkommodatio n) des Auges (s. Abschn. 16.1.6). Der
Flüssigkeit in Hohlräumen, die aus den Ziliarkörper produziert die Flüssigkeit der Augenkammern, die Kammerwasser
benachbarten Gefäßen stammt genannt wird und eine Absonderung (Transsudat) aus den Gefäßen des Ziliar-
körpers darstellt.

Kammerwinke l
• Die Iris teilt den Raum zwischen Horn-
Durch die Iris wird der Raum zwischen Hornhaut und Glaskörper in eine vorde-
haut und Glaskörper in die vordere re und eine hintere Augenkammer unterteilt (Abb. 16-3). Dabei endet die Iris an
und hintere Augenkammer der Stelle, an der die Sklera in die Hornhaut übergeht. Vor der Iris liegt der
• Kammerwinkel = zwischen Iris und Kammerwinkel (Angulus iridocornealis), d. h. der Winkel zwischen lris und
Hornhaut Hornhaut. Hier sind reusenartige Bindegewebezüg e vorhanden, die in ihrer
• Über den Schlemm-Kanal fließt das Gesamtheit als Ligamentum pectinatum bezeichnet werden. Die zwischen den
Kammerwasser ins Blutgefäßsystem Bindegewebezüg en liegenden Spalträume werden Fontana-Räume genannt. Die
Fontana-Räume verengen sich in Richtung Sklera und münden schließlich in den
Schlemm-Kanal. über den Schlemm-Kanal wird das Kammerwasser in das
Blutgefaßsystem geführt. Da Kammerwasser fortlaufend produziert wird, muss
es auch fortlaufend abfließen können.
Ein Verschluss des Schlemm-Kanals führt zu einem erhöhten Augeninnen-
druck, der bei längerem Bestehen ein Glaukom (grüner Star) verursachen kann.
Der normale Augeninnendruc k beträgt ca. 15-22 mmHg. Werte über 25 mmHg
sind pathologisch.
Auge · Kapitel16 · Sinnesorgane 621

miniere Augenhaut Abb. 16·3.


mitGeläßen Vereinfachtes Schema der Netzhaut
(Retina) mit den wichtigsten Schichten.
Pigmentepithel

j
Die Stäbchen und Zapfen (Rezeptoren für
I Licht) stellen das 1. Neuron der Sehbahn
dar, die Zellen der inneren Körperschicht
Photorezeptoren
(1. Neuron) das 2. Neuron (bipolare Zellen) und die
Zellen der Ganglienzellschicht des N. opti-
cus das 3. Neuron. Der Pfeil bezeichnet die
Richtung des Lichteinfalls
J äußere plexiforme
Schicht

l bipolare Nerven-
zellen
_j (2. Neuron)
--,
amakrine Zelle
J
....,
innere plexiforme
Schicht

Ganglienzellschicht
(3. Neuron)
Ganglienzelle
Nervenfaserschicht
_j
Oberfläche der
Netzhaut

Richtung des Lichteinfalls

Innere Augenhaut
Die innere Augenhaut (Thnica interna) setzt sich aus 2 Blättern zusammen, dem Schichten der inneren Augenhaut
Pigmentepithel und der Retina. • Pigmentepithel
• Retina (Netzhaut)
Pigmentepithel
Das Pigmentepithel steht in engem Kontakt mit den Sinneszellen der Netzhaut
(Retina). Wi rd der Kontakt zwischen beiden unterbrochen, z. B. bei einer Netz-
hautablösung (Ablatio retinae), verlieren die Lichtrezeptoren ihre Funktions-
tüchtigkeit, und das Auge erblindet. Netzhautablösungen können heute häufig
mit Laserbehandlung wieder behoben werden.

Netzhaut
Die Netzhaut (Retina) besteht im hinteren Augenbereich aus dem lichtempfindli- Netzhautablösungen führen zu einer
chen Teil (Pars optica retinae), der am Rand des Ziliarkörpers (Ora serrata) in Erblindung
den blinden Teil (Pars caeca retinae) übergeht. Der blinde Teil (Pars caeca) über-
deckt den Ziliarkörper und die der hinteren Augenkammer zugewandte Seite der
Iris.
622

Wichtige Nervenzellschichten der Retina Im lichtempfindlichen Teil der Retina sind 3 Nervenzellschichten vorhanden:
• Photorezeptoren (außen, vom Licht ab- • außen (vom Licht abgewandt): Schicht der Photorezeptoren (Stratum neuro-
gewandt), d. h. Stäbchen und Zapfen epitheliale),
• Bipolare Nervenzellen (in der Mitte) • in der Mitte: Schicht der bipolaren Nervenzellen (Stratum ganglionare retinae),
• Ganglienzellschicht (innen, dem Licht • innen (dem Licht zugewandt): Schicht der multi polaren Nervenzellen (Ganglien-
zugewandt) zellschicht, Stratumganglionare nervi optici). Von hier gehen die Nervenfasern
aus, die am blinden Fleck die Sklera durchbrechen und denN. opticus bilden.

Insgesamt besteht der lichtempfindliche Teil der Retina (Pars optica) aus
10 Schichten. Da aber für das Verständnis der Funkti on des Auges nicht alle diese
Schichten von Bedeutung sind, werden hier nur di e wichtigsten Schichten der
Retina behandelt und in Abb. 16-3 dargestellt.
Die eigentliche lichtempfindliche Schicht der Retina ist beim menschlichen
Auge vom Licht abgewandt. Es ist das Stratum neuroepitheliale mit den Photo-
rezeptoren. Man unterscheidet 2 Arten von Rezeptoren:
• die Stäbchen für das Dämmerungssehen (skotopisches Sehen) und
• die Zapfen für das Farbsehen (photopisch es Sehen) .

Photorezeptoren Es sind ca. 7 Mio. Zapfen und ca. 120 Mio. Stäbchen im Auge vorhanden (Abb. 16-
• Stäbchen (Dämmerungssehen) 4)- An diesen Photorezeptoren unterscheidet man ein lichtempfindliches Außen-
• Zapfen (Farbsehen) glied, das durch dicht an dicht gelage rte membranbegre nzte Scheibchen (Singu-

Abb. 16-4.
Rezeptoren des Auges, links ein Zapfen
und rechts ein Stäbchen. Im unteren Teil
lichtempfindlicher
der Zeichnung ist die Synapsenzone mit Abschnitt:
Bildung des Rezeptor-
den Zellen des 2. Neurons der Sehbahn
potentials
(bipolare Zellen) eingezeichnet. Im Außen-
glied liegen die Disci (Membranscheib-
chen), die für die Umwand lung des
Sehfarbstoffs während des Sehvorgangs
verantwortlich sind
Innenglied
metabolischer Abschnitt:
Protein· und Phospholipid-
synthese sowie Energie-
gewinnung

äußere plexiforme Schicht:


Synapsen mit bipolaren Zellen
Auge · Kapitel16 ·Sinnesorgane
623

lar: Discus, Plural: Disci) gebildet wird, von einem Innenglied, das den Zyto-
plasmateil oberhalb des Zellkerns umfasst. In den Scheibchen befindet sich der
Sehfarbstoff, der für den Sehvorgang nötig ist (s. Abschn. 16.1.7).
Bereits in der Retina sind mehrere Nervenzellen im Sinne einer Neuronen-
kette hintereinander geschaltet. Von den Photorezeptoren (1. Neuron) wird der
gebildete Impuls auf die bipolaren Zellen (Stratum ganglionare retinae) übertra-
gen (2. Neuron), die den Impuls ihrerseits an die muttipolaren Zellen (Ganglien-
zellschicht) weiterleiten (3. Neuron). Außerdem befinden sich in der Retina noch
verschiedene andere Zellen, die für vielfältige Verschaltungen benötigt werden.
Zu diesen Zellen zählen die Horizontalzellen und die amakrinen Zellen (s. Abb.
16-J).
Der großen Zahl von Stäbchen und Zapfen (insgesamt ca. 130 Mio.) stehen Neuronenkette in der Retina
nur ca. 1 Mio. Zellen im Bereich des 3· Neurons (multipolare Zellen) gegenüber. • 1. Neuron: Photorezeptoren
Das bedeutet, dass die eingehenden Impulse der Rezeptoren im Verhältnis 1: 130 • 2. Neuron: bipolare Zellen
auf die multipolaren Zellen weitergeleitet werden (Konvergenz). Lediglich im • 3. Neuron: multi polare Zellen
Bereich der Fovea centralis (Zone des schärfsten Sehens, s. unten) liegt eine Ver-
schaltung 1: 1 vor.

16.1.2 Glaskörper und Linse

Glaskörper
Der weitaus größte Teil des Augapfels wird vom Glaskörper (Corpus vitreum)
ausgefüllt. Dies ist eine gallertige Masse, die aus Proteoglykanen, Glykosamino- Proteoglykane
glykanen und ca. 98% Wasser besteht. Der Glaskörper füllt also den Raum zwi- hochmolekulare Substanzen des Körpers,
sehen Linse (Lens) und Retina mit einer farblosen und glasklaren Substanz aus. bei denen Glykosaminoglykane
Diese Distanz zwischen Linse und Retina ist wegen der Brechungseigenschaften mit Proteinen verbunden sind
des Auges notwendig. Die Länge des Augapfels muss gerrau auf die Brechkraft des
Auges abgestimmt sein, da bei zu kurzem Augapfel (zu kurze Brennweite) eine Glykosaminoglykane
Weitsichtigkeit und bei zu langem Augapfel (zu lange Brennweite) eine Kurz- Seitenketten der Proteoglykane aus
Sichtigkeit entsteht (s. Abschn. 16.1.8). unverzweigten Polysaccharidketten
Im Glaskörper finden sich bei fast allen Individuen winzige kleine Trübungen
oder Reste von Gefäßen (als Überreste aus der Entwicklung), die zum »Mücken- Brennweite
sehen« (»mouches volantes«) führen können. Abstand zwischen Linsenmitte und dem
Brennpunkt, in dem sich die durch die
Linse Linsenkraft gebrochenen Strahlen treffen
Die Linse ist bikonvex, wobei die vordere Krümmung weniger stark ist als die
hintere, dem Glaskörper zugewandte Krümmung. • konvex
Von den ursprünglichen Zellen, aus denen die Linse entstanden ist, sind in nach außen gekrümmt
der reifen Linse nur noch wenige vorhanden, da sich die Zellen zum größten Teil • bikonvex
in Linsenfasern umgewandelt haben. Außen ist die Linse von einer aus Glykopro- auf beiden Seiten nach außen gekrümmt
teinen aufgebauten Linsenkapsel überzogen, unter der auf der Vorderseite der
Linse ein Linsenepithel liegt. Hinten wurde dieses Linsenepithel in die Linsen-
fasern umgewandelt.
Die Linsenfasern stellen u. a. die Grundlage für die Elastizität der Linse dar,
die. für die Akkommodation des Auges notwendig ist (s. Abschn. 16.1.6).
624

Durch die Linse und den Glaskörper hindurch kann der Augenhintergrund di-
rekt beobachtet werden (Abb. 16-5). Er erscheint bei der Augenspiegelung oran-
Blinder Fleck ge-rot. Auf der nasalen Seite des Augenhintergrundes liegt der »blinde Fleck«, ein
• Rezeptoren fehlen Ort, an dem keine Rezeptoren vorhanden sind. Hier treten die Gefaße ein und
• Gefäße treten ein und aus aus, und hier verlassen die Fasern des N. opticus den Bulbus.
• Fasern des N. opticus verlassen Bulbus Die Gefäße, die hier ein- und austreten, sind für die Versorgung der gegen den
Glaskörper gerichteten 2/3 der Retina verantwortlich. Die gegen das Pigment-
epithel gerichtete Retinaschicht der Photorezeptoren wird von einem eigenen
Kapillarnetz der Aderhaut, der Choroidokapillaris versorgt.
Genau in der optischen Achse liegt der gelbe Fleck (Macula lutea), in dessen
Fovea centralis =Zone des schärfsten Zentrum sich eine Vertiefung befmdet, die Zone des schärfsten Sehens, die Fovea
Sehens centralis. In der Fovea centraUs sind die Schichten der Retina reduziert und die
abgehenden Nervenfasern auf die Seite gelagert, sodass die vom Licht abgewand-
ten Rezeptoren besser erreicht werden können. Hier befinden sich fast aus-
schließlich Zapfen, die über die bipolaren mit den muttipolaren Ganglienzellen
der Retina 1 : 1 verschaltet sind.

16.1.4 Hilfsapparat der Augen

Zum Hilfsapparat der Augen rechnet man die Augenlider, die Bindehaut und die
Tränendrüsen.
HUfsapparat der Augen Die Tränendrüsen müssen ständig Flüssigkeit produzieren, deren Salzgehalt
• Augenlider gerrau abgestimmt ist, damit der Quellungsdruck der Hornhaut aufrechterhalten
• Bindehaut bleiben kann. Weist die Hornhaut nicht den richtigen Quellungsdruck auf, wird
• Tränendrüsen sie trübe. Die Tränendrüse (Glandula lacrimalis) jedes Auges liegt in der Augen-
höhle oben, lateral vom Augapfel. Unter der Wirkung des Parasympathikus wird
die Tränenflüssigkeit ausgeschieden. Die Verteilung der Tränenflüssigkeit erfolgt
durch den Lidschlag. Unter Normalbedingungen fließt die Tränenflüssigkeit im
medialen Augenwinkel über 2 kleine Öffnungen im Lidrand ab, die in den
Tränennasengang münden. Der Tränennasengang (Ductus nasolacrimalis) mün-
det unterhalb der unteren Nasenmuschel in die Nasenhöhle. Psychische Einflüsse

Abb. 16-5.
Augenhintergrund, wie er bei einer
Augenspiegelung zu sehen ist . P blinder
Fleck (Papilla nervi optici), hier treten
die Fasern des N. opticus aus, A Arterie,
V Vene, F Stelle des schärfsten Sehens
(Fovea centralis). Die Zeichnung ist stark
schematisiert, der Ring um den blinden
Fleck ist lediglich zur Verdeutlichung
gezeichnet
Auge · Kapitel16 ·Sinnesorgane 625

können die Tränendrüsen so stark aktivieren, dass ihr Sekret nicht mehr über
den Tränennasengang abfließen kann, sondern als Tränen über den Lidrand
fließt.
Am Hornhautrand (Limbus corneae) beginnt der überzug des Auges mit
Bindehaut (Konjunktiva), die sich auf der Innenseite der Augenlider fortsetzt.
Die Bindehaut besteht aus einem mehrschichtigen unverhornten PlattenepitheL
Die Lider schützen das Auge nach außen. Sie bestehen aus einer bindegewebi-
gen Plane (Tarsus), auf der ein Sphinktermuskel (M. orbicularis oculi) liegt
(s. Kap. 4, Abb. 4-50). Im Tarsus befinden sich große Talgdrüsen, die Meibom-
Drüsen (Glandulae tarsales). Ihr Sekret dient der Einfettung des Lidrandes.
Außen ist das Lid von einem mehrschichtigen verhornten Plattenepithel (Haut)
überzogen, auf der Innenseite von Bindehaut.

16.1.5 Augenmuskeln

Die Bewegung der Augen geschieht unter dem Einfluss von 6 eigenen Augen- Äußere Augenmuskeln
muskeln; davon sind 4 gerade und 2 schräg: • Oberer gerader Augenmuskel
• Unterer gerader Augenmuskel
Äußere Augenmuskeln (Abb. 16-6): • Innerer gerader Augenmuskel
• oberer gerader Augenmuskel (M. rectus superior), • Äußerer gerader Augenmuskel
• unterer gerader Augenmuskel (M. rectus inferior), • Oberer schräger Augenmuskel
• innerer gerader Augenmuskel (M. rectus medialis), • Unterer schräger Augenmuskel
• äußerer gerader Augenmuskel (M. rectus lateralis),
• oberer schräger Augenmuskel (M. obliquus superior),
• unterer schräger Augenmuskel (M. obliquus inferior).

Die 4 geraden und der obere schräge Augenmuskel entspringen einem Sehnen-
ring, der den N. opticus bei seinem Eintritt in die Augenhöhle umgreift. Der obe-
re schräge Augenmuskel gelangt über eine an der medialen Wand der Augen-
höhle vorhandene Umlenkrolle (Trochlea) an den Augapfel. Der untere schräge
Augenmuskel entspringt von der medialen Wand der Augenhöhle.

_ ...... oberer schräger Augenmuskel Abb. 16-6.


(M. obliquus superior)
oberer gerader Augenmuskel
Äußere Augenmuskeln. Der schräge obere
(M. rectus superior) Augenmuskel (M. obliquus superior) zieht
Umlenkrolle
(Trochlea) über eine Umlenkrolle (Trochlea) an das
Auge

seitlicher gerader
Augenmuskel
(M. rectus lateralls)

unterer schräger
Augenmuskel
(M. obliquus inferior)

Heber des Augenlids unterer gerader


(M. Ievator palpebrae Augenmuskel
superioris) (M. rectus inferior)
626

Innervation der Augenmuskeln Mit Ausnahme des M. obliquus superiorund des M. rectus lateralis werden al-
• N. oculomotorius (111. Hirnnerv) le Augenmuskeln vom N. oculomotorius innerviert (III. Hirnnerv). Der M. rectus
• N. trochlearis (IV. Hirnnerv) lateralis hat einen eigenen Nerv (N. abducens: VI. Hirnnerv). Auch der M. obli-
• N. abducens (VI. Hirnnerv) quus superior, der über die Trochlea bewegt wird, wird über einen eigenen Nerv
(N. trochlearis: IV. Hirnnerv) innerviert.
Ein weiterer Muskel in der Augenhöhle dient nicht der eigentlichen Bewe-
gung des Auges, sondern seinem Öffnen durch Heben des oberen Lides. Dies ist
der M. Ievator palpebrae, seine Sehne strahlt bis in das Augenlid ein. Er ist auch
durch den N. oculomotorius innerviert.
Für die Weite der Lidspalte ist ein glatter Muskel verantwortlich, der direkt im
Augenlid sitzt, der M. tarsalis . Er wird durch den Sympathikus innerviert. Ist er
gelähmt, resultiert daraus eine enge Lidspalte (Ptosis).

Augenbewegungen
Durch die äußeren Augenmuskeln können 4 verschiedene Arten der Bewegung
durchgeführt werden.
Augenbewegungen Sakkadep: Die Sakkaden sind ruckartige Augenbewegungen, die beim Wech-
• Sakkaden (Zuckungen) seln des Blicks von einem Objektpunkt zum nächsten oder von einem Objekt
• Glatte Folgebewegungen zum anderen durchgeführt werden. Der fiXierte Punkt wird sprunghaft gewech-
• Vestibuläre Bewegungen selt, das Auge gleitet dabei nicht langsam von einem Punkt zum nächsten.
• Konvergenzbewegungen Glatte Folgebewegungen: Glatte Folgebewegungen dienen dem Verfolgen ei-
nes bewegten Objektes mit den Augen. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Bewe-
gung echt ist - wie bei einem vorbeifahrenden Auto - oder nur scheinbar - wie
bei der ))vorbeifahrenden« Landschaft am Fenster eines Zuges.
Vestibuläre Bewegungen: Die vestibulären Bewegungen sind Anpassungs-
bewegungen, die dem Fixieren eines Objektes bei bewegtem Kopf dienen. Man
kann einen Blickpunkt auch bei schnellem Schütteln des Kopfes oder bei schnel-
ler Karussellfahrt fixieren. Dies wird durch die Bogengänge des Gleichgewichts-
organs (Vestibularapparat) gesteuert (s. Abschn. 16.3).
Konvergenzbewegungen : Durch die Konvergenzbewegungen wird die Seh-
achse zusammengeführt (konvergiert), wenn sich der Blick auf ein nahegelege-
nes Objekt richtet.
All diese Bewegungen müssen in hohem Maße miteinander koordiniert sein,
d. h. sie müssen für beide Augen gleichmäßig erfolgen. Nur dadurch wird ge-
währleistet, dass die entsprechenden Bildpunkte auf korrespondierenden Netz-
hautstellen abgebildet werden. Ist dies nicht der Fall, kommt es zu Doppelbildern
(Diplopie). Doppelbilder kann man selbst durch vorsichtigen Druck auf einen
Augapfel sehr leicht erzeugen, sodass er sich dabei verschiebt.
Das Koordinationssystem für die Augenbewegungen ist sehr komplex. An der
Koordination sind viele Regionen des ZNS beteiligt:
• die Kerne der Augennerven, die Vestibulariskerne,
• das Kleinhirn,
• die Colliculi superiores,
• die Formatio reticularis (mesenzephaler Teil) und
• die Sehrindengebiete des Endhirns.
Auge · Kapitel16 · Sinnesorgane 627

16.1 .6 Akkommodation

Das Auge ist in der Lage, unterschiedlich weit entfernte Gegenstände scharf auf
der Retina abzubilden. Diese Akkomodation (Anpassung) des optischen Appara-
tes ist durch eine Veränderung der Brechkraft des Auges möglich. Man unter-
scheidet eine Nahakkommodation von einer Fernakkommodation.
Nahakkommodation: Hier kontrahiert sich der Ziliarmuskel (M. ciliaris), und Akkomodation
dadurch werden die Zonulafasern entspannt. Das führt bei der Elastizität der • Nahakkomodation
Linse zu einer stärkeren Krümmung, v. a. der Vorderfläche. Dadurch wird die • Fernakkomodation
Brechkraft des Auges erhöht, und der entsprechende Gegenstand kann scharf auf
der Retina abgebildet werden.
fernak_kommodation; Die Fernakkommodation kann auch als Akkommoda-
tionsruhe bezeichnet werden. Hierbei ist der M. ciliaris nicht kontrahiert; dem-
entsprechend sind die ZonuJafasern gespannt. Dadurch steht die Linse unter ei-
ner Zugwirkung, durch die sie abgeplattet wird. Dies ist gleichbedeutend mit ei-
ner Verringerung der Brechkraft und dementsprechend mit der scharfen
Abbildung von Gegenständen in der Ferne.
Die Gesamtbrechkraft des Auges beträgt ca. 6o Dioptrien. Als Dioptrie (dpt) Dioptrie
wird die Brechkraft bezeichnet, die sich aus dem reziproken Wert der Brennweite 1 : Brennweite [m) = Brechkraft [dpt]
(1 geteilt durch die Brennweite in Metern) errechnet.
Die Akkommodationsbreite (Einstellbreite von ganz nah bis unendlich) des
jugendlichen Auges beträgt ca. 14 dpt. Somit besitzen Jugendliche eine Gesamt-
brechkraft des Auges von über 70 dpt.
Da die Elastizität der Linse mit zunehmendem Alter abnimmt, verschlechtert
sich die Akkommodationsfähigkeit des Auges, die dann als Altersweitsichtigkeit
(Presbyopie) bezeichnet wird (s. Abschn. 16.1.8).

16.1 .7 Sehvorgang

Der eigentliche Sehvorgang läuft unter der Umwandlung von Sehfarbstoff ab.

Dabei kommt es zu einem Nervenimpuls, der über denN. opticus ins Gehirn ge-
leitet und dort als Lichtempfindung wahrgenommen wird. Ein wichtiger Sehfarb-
stoff ist das Rhodopsin (Sehpurpur), das aus 11-cis-Retinal und einem Protein,
dem Opsin, besteht. Durch Lichtwirkung wird das Rhodopsin umgewandelt in
All-trans-Retina! und Opsin. Bei diesem Vorgang kommt es zur Auslösung des
Nervenimpulses. Durch Enzymwirkung kann das Rhodopsin wieder aus den un-
ter Lichteinwirkung entstandenen Stoffen aufgebaut werden. Rhodopsin ist der Funktion der Rezeptoren
Sehfarbstoff der Stäbchen, die für das Dämmerungssehen verantwortlich sind. • Stäbchen: Dämmerungssehen
Neben Rhodopsin gibt es noch verschiedene weitere Sehfarbstoffe, die den • Zapfen: Farbensehen
Zapfen zugeordnet werden können. Sie sind an der Farbwahrnehmung beteiligt.
Die Farbwahrnehmung basiert auf der Unterscheidungsfähigkeit für verschiede-
ne Wellenlängen des Lichts. Für das Farbensehen bestehen verschiedene Theo-
rien, z. B. die Young-Helmholtz-Theorie:
628

Bei dieser Theorie des Farbensehens geht man davon aus, dass 3 verschiede-
ne Zapfentypen, für Rot, Grün und Blauviolett, vorhanden sind (Dreifarben-
theorie). Farbenblinde besitzen wahrscheinlich defekte Farbrezeptoren. Man un-
terscheidet verschiedene Formen der Farbenblindheit, die in den meisten Fällen
Farbschwäche keine eigentliche Farbenblindheit, sondern eine Farbschwäche ist. Durch den
Farbenblindheit spezifischen Erbgang der Farbenblindheit - rezessiv über das X-Chromosom -
• wird über das X-Chromosom vererbt sind hauptsächlich Männer (90% ) davon betroffen. Frauen hingegen fungieren
• betrifft hauptsächlich Männer (1 0 %) m eist nur als Träger des entsprech enden Gens, da sie den Fehler durch ein intak-
tes zweites X-Chromosom ausgleichen können. Fast jeder 10. Mann ist von einer
Farbschwäche betroffen (8%). Diese kann sich als totale Farbenblindheit (ganz
selten), Rot-, Blau- oder Grünschwäche äußern. Am weitesten verbreitet ist eine
kombinierte Rot-Grün-Schwäche.

Hell- und Dunkeladaptation


Adaptation Das Auge besitzt eine ausgesprochen gute Fähigkeit zur Adaptation an unter-
Anpassung schiedliche Reizintensitäteil (Abb. 16-7). Abgesehen von der Anpassung durch die
Weite der Pupille können die Photorezeptoren selbst adaptieren. Es wird eine
Dunkeladaptation von einer Helladaptation unterschieden.
Adaptation der Photorezeptoren Dunkeladaptation: Sie dauert relativ lange. Zuerst adaptieren die Zapfen,
• Dunkeladaption d ann die Stäbchen. Die maximale Adaptation ist innerhalb von ca . 20 min er-
• Helladaption reicht. Nachtblinde Menschen (Nachtblindheit: Hemeralopie) haben keine Stäb-
chenadaptation, sodass sie ihre m aximale Anpassu ng (die für Nachtsehen nicht
aus reicht) bereits nach ca. 6 min erreicht haben. Nachblindh eit tritt u. a. bei
Mangel an Vitamin A (Vorstufe des Retina!) auf.
• Photopisches Sehen: Sehvorgang bei viel Licht
• Skotopisches Sehen: Sehvorgang in der Dunkelheit

Das Auge ist in der Lage, elektromagnetische Wellen im Bereich zwischen 68o nm
(Rot) und 400 nm (Blauviolett) wahrzunehmen. Beim helladaptierten Auge

Abb. 16-7. 9

Kurve der Dunkeladaptation des Auges. Adaptation bei totaler Fart>enblindheit

a ist die Kurve einer Normalsichtigen


a (nur Stäbchen vorhanden)

(d. h. vollkommen farbtüchtigen) Person; Q)


7
bist die Kurve einer absolut farbenbl inden ..,
~
;;;
N
·o; Zapfenadaptation
Person; c zeigt, dass die Zapfen nach ca.
c 6 (normale Versuchsperson)
10 min ihre maximale Dunkeladaptation ~
a; ...............................................................
c
~
erreicht haben. Da Farbenblinde nur Stäb- .r:.
0 5
IJJ
chen als funktionstüchtige Rezeptoren be- "'
.<!
1;j 4
sitzen, deckt sich ihre Dunkeladaptation ~
Stäbchenadaptation
C> (normale Versuchsperson)
mit der Dunkeladaptatio n der Stäbchen 0
2 3
Normalsichtiger (ab)
2

0 10 20 30 40 50 min
Zeit de r Dunkeladaptation
Auge· Kapitel16 · Sinnesorgane 629

(photopisches Sehen) liegt die größte Empfindlichkeit bei 555 nm, d. h. bei gelb-
grün, beim dunkeladaptierten Auge (skotopisches Sehen) hingegen kommt es zu
einer Verschiebung zu 507 nm, d. h. blaugrün.
Helladaptation (vom Dunklen ins Helle): Dabei tritt zunächst eine kurzfristi-
ge Blendung auf. Nach ca. 15-60 s haben sich allerdings die Photorezeptoren um-
gestellt und die Pupille ist weitgehend verengt, sodass dann das Wahrnehmungs-
vermögen wieder voll gewährleistet ist.

16.1.8 Augenfehler

Zerr- oder Stabsichtigkeit


Zerr- oder Stabsichtigkeit (Astigmatismus) ist weit verbreitet. Beim Astigmatis- Häufige Augenfehler
mus wird ein Punkt nicht punktförmig, sondern leicht verzogen, also strichför- • Zerr- oder Stabsichtigkeit
mig, abgebildet. Dieser Fehler entsteht durch unterschiedliche Krümmungsra- (Astigmatismus)
dien in den lichtbrechenden Strukturen, meist in der Hornhaut. • Kurzsichtigkeit (Myopie)
Astigmatismus kann durch das Tragen von Brillen, die in der vertikalen Ebe- • Weitsichtigkeit (Hypermetropie)
ne einen anderen Krümmungsradius als in der horizontalen Ebene eingeschlif- • Altersweitsichtigkeit (Presbyopie)
fen haben, in der Regel behoben werden. • Schielen (Strabismus)

Kurzsichtigkeit
Kurzsichtigkeit (Myopie) besteht bei einem Augapfel, der in der optischen Achse Kurzsichtigkeit wird durch eine
einen zu großen Durchmesser aufweist (Abb. 16-Sa-c). In diesem Fall wird das Zerstreuungslinse behoben
Bild von weit entfernt liegenden Gegenständen schon vor der Netzhaut scharf ab-
gebildet. Neben der zu langen Achse des Auges ist eine Brechungsanomalie der konkav
brechenden Medie eine weitere Ursache für Kurzsichtigkeit. nach innen gewölbt
• Kurzsichtigkeit kann durch das Tragen einer Zerstreuungslinse (konkav ge-
schliffen) behoben werden.

Abb. 16-Ba- c.
Kurzsichtiges Auge (Myopie). Zur Verdeut-
lichung ist der Augapfel stärker verlängert,
unscharfes
Bild als das bei Kurzsichtigen der Fall wäre.
a Die abbildenden Strahlen kreuzen schon
a Femakkomodation
vor der Netzhaut.
b Durch Nahakkommodation entsteht ein
scharfes Bild.
scharfes Bild c Das gleiche kann mit einer Streuungs-
linse (mit negativer Dioptrienzahl) erreicht
b Nahakkomodation werden

scharfes Bild
630

Weitsichtigkeit
Weitsichtigkeit wird durch eine Sammel- Die Weitsichtigkeit (Hypermetropie) besteht bei einem Augapfel, der in der opti-
linse behoben schen Achse einen zu kurzen Durchmesser aufweist (Abb. 16-9a-d). In diesem
Fall wird das Bild von Gegenständen aus der Nähe erst hinter der Netzhaut abge-
bildet. Wie bei der Kurzsichtigkeit kann die Weitsichtigkeit auch durch Fehler im
Brechungsapparat des Auges zustande kommen. Die angeborene Weitsichtigkeit
ist ganz deutlich von der Altersweitsichtigkeit(Presbyopie) zu unterscheiden, die
durch die reduzierte Elastizität der Linse entsteht.
bikonvex • Weitsichtigkeit kann durch das Tragen einer Sammellinse (bikonvex geschlif-
auf beiden Seiten nach außen gewölbt fen) behoben werden.

Altersweitsichtigkeit
Auch bei Entspannung der Zonulafasern kann sich die Linse emes älteren
Menschen nicht mehr genügend krümmen. Dann können zwar Gegenstände, die
weit entfernt sind, immer noch gut gesehen werden, Dinge aus der Nähe dagegen
nicht. Bei einer beginnenden Altersweitsichtigkeit (Presbyopie) werden »die
Arme nach und nach zu kurz«, da die Gegenstä nde immer weiter vom Auge weg-
gehalten werden müssen, um sie noch scharf zu sehen.
• Ältere Personen, deren Augen sonst normalsichtig (emmetrop) sind, müssen
dann Brillen mit Sammellinsen tragen, die bikonvex geschliffen sind.

Abb. 16-9a-d.
Weitsichtiges Auge (Hypermetropie). Der
Augapfel ist zu kurz, dementsprechend
unscharfes
wird ein Abbild eines entfernten Gegen- Bild
standes bei Fernakkommodation hinter
a Fernakkomodation
der Netzhaut abgebildet (a).
Weitsichtige müssen deshalb nahakkom- nahe
GegenstAnde:
modieren, damit wenigstens weit entfern- unscharfes
te Gegenstände scharf abgebildet werden Bild
feme
(b ). Gegonslilnde:
b Nahakkomodation scharfes Bild
Bei Gegenständen aus der Nähe reicht die
Akkommodationsbreite nicht, um sie
scharf abzubilden. Erst bei Verwendung
ferne
einer Brille mit Sammellinse reicht die GegeMIAnde:
+ dpt scharfes Bild
vorhandene Akkommodationsbreite,
um sowohl ferne (c) als auch nahe (d ) c + Brille und Fernakkomodation

Gegenstände scharf abzubilden

nahe
Gegenstände:
scharfes Bild

d + Brille und Nahakkomodation


Auge · Kapitel16 · Sinnesorgane 631

Schielen
Ein starkes Abweichen der beiden Augenachsen voneinander wird als Schielen Schielarten
(Strabismus) bezeichnet. In vielen Fällen ist das Gehirn in der Lage, die beiden • Lähmungsschielen
nicht miteinander übereinstimmenden Bilder, die aus den gegeneinander ver- • Begleitschielen
schobenen Achsen entstehen, so zur Deckung zu bringen, dass die schielende • Latentes Schielen
Person ein einheitliches Bild sieht. Bei sehr starkem Schielen ist das allerdings
nicht möglich, dann kommt es zu Doppelbildern.
Es wird zwischen 3 verschiedenen Arten des Schielens unterschieden.
Das Lähmungsschielen kommt durch Lähmung eines oder meh rerer
Augenmuskeln zustande. Das Begleitschielen ist Folge einer Funktionsschwäche
des nervösen Regulationssystems, das die Augenbewegungen koordiniert. Das la-
tente Schielen wird in der Regel durch die Wirkung eines oder mehrerer Muskeln
kompensiert. Bei Müdigkeit, Alkoholeinwirkung oder Betrachtung unterschied-
licher Bilder mit dem linken und dem rechten Auge kann das latente Schielen al-
lerdings vorübergehend zur Bildung von Doppelbildern führen.
• Durch gezielte chirurgische Kürzung eines Augenmuskels oder durch Training
der Augenmuskulatur können verschiedene Formen des Schielens behoben
werden.

16.1.9 Pupillenreflex

Pupillenverengung: Bei Lichteinfall verengt sich reflexartig die Pupille (Miosis).


Diese Reaktion erfolgt immer bei beiden Augen, auch dann, wenn das Licht nur
ein Auge erreicht (konsensuelle Lichtreaktion). konsensuell
Bei der Nahakkommodation verengen sich die Pupillen ebenfalls reflexartig, reflektorisch ausgelöste gleichsinnige
um so eine größere Tiefenschärfe zu erreichen, die bei Nahakkommodation Reaktion auch auf der Körpergegenseite
nötig ist. Die Pupillenverengung kommt unter der Wirkung des Parasympathikus
zustande. • Pupillenverengung = Miosis
• Die Gabe eines Parasympathomimetikums, z. B. Pilocarpin, führt zu einer • Pupillenerweiterung = Mydriasis
Pupillenverengung.
Mimetikum
Pupillenerweiterung: Eine Erweiterung der Pupille, die sog. Mydriasis, kommt Substanz, die die Wirkung einer anderen
unter Wirkung des Sympathikus zustande. Deshalb sind bei Schreckreaktionen Substanz imitiert- hier also die Wirkung
meist auch die Pupillen erweitert. von Azetylcholin, dem Überträgerstoff
• Die Gabe eines Parasympatholytikums, z. B. Atropin, bewirkt eine Erweiterung des Parasympathikus
der Pupille.
lytikum
16.1.1 0 Sehbahn eine Substanz, die die Wirkung einer
anderen Substanz- hier Azetylcholin,
Die gebündelten 3. Neurone der Sehbahn, die durch die Sklera im Bereich des den Wirkstoff des Parasympathikus-
blinden Flecks hindurchtreten, verlaufen im N. opticus. Dab ei liegen die Fasern auflöst bzw. verhindert
aus der Netzhautperipherie in der Regel an der Oberfläche des Nerven und die
aus der Fovea centralis im Zentrum des Nerven (s. Abschn. 16.1.3).
Auf der Höhe des Zwischenhirnbodens b ilden die Nerven der beiden Augen
die Sehnervenkreuzung, das Chiasma opticum: Hier kreuzen die Fasern der late-
ralen Gesichtsfelder, die von den nasalen Augenhälften kommen, auf die
Gegenseite. Zusammen mit den ungekreuzten Fasern der Gegenseite, die vom
medialen Gesichtsfeld, d. h. aus der lateralen Augenhälfte stammen, bilden sie
632

den Tractus opticus.Ein Großteil der Fasern läuft dann bis zum lateralen Knie -
höcker (Corpus geniculatum laterale), wo sie auf das 4. Neuron der Sehbahn um -
geschaltet werden.
Dieses Neuron zieht als Sehstrahlung (Radiatio optica) durch das Marklager
Area striata des Endhirns an das Rindengebiet der Area striata, die sich im Bereich des Sulcus
gestreifte Zone, Sehrrinde, die einen calcarinus im Hinterhauptlappen (Lobus occipitalis) befindet (s. Kap. 5 Nerven-
zusätzlichen hellen Streifen im Stratum system). Die restlichen Fasern, die nicht zum lateralen Kniehöcker verlaufen, zie-
granulare intern um aufweist hen zu den oberen Hügeln der Vierhügelplatte (Colliculi superiores). Dort wer-
den sie umgeschaltet und sind Teil der Reflexbahnen für Pupillen- und Akkom-
Sulcus calcarinus modationsreflex. Ein Schema der Sehbahn zeigt Abb. 16-10.
Hirnfurche in der sich die Sehrinde
befindet

Akkommodationsreflex
Reflex der zur automatischen
Scharfstellung des Auges führt

Abb. 16-10.
Schema der Sehba hn. Vor den Augen ist
das Gesichtsfeld eingezeichnet. Die je-
we ils gleich gefärbten Areale e ntsprechen
Schallstationen des
den gleichen Ges ichtsfe ld hälften. Auf bei- Pupillenreflexbogens

den Seiten ist außen die Bahn fü r den


Pupillenreflexbogen dargestellt. Es
handel t sich hier um einen pa rasympat hi-
schen Reflex, de r im Gang lion ciliare um- Netzhaut
geschaltet wird . Die Ziffern 1- 3 bezeich- (Retina)

nen mögliche Verletzungen (Läsione n) der


Seh bah n: 1 totale Erblindu ng des rechten
Sehnervenkreuzung
Auges (Amaurose), 2 beidseitige Halb- (Chiasma opticum)
seite nbli ndheit (b itempo rale He mia nop- Sehbahn
(Tractus opticus)
sie), 3 beidseitige Halbseiten bli ndheit der parasympathischer
Tell des N. oculo-
gleichen Gesichtshä lfte n (homonyme motorius
Hemianopsie). Auf der rechten Seite der lateraler Kniehöcker (N.III)
(Corpus geniculatum
Abbildung sind die verschiedenen Schalt- laterale) obere Vierhügelplatte
statione n des Pupille nreflexbogens a uf- (Colliculus superior)

geführt
Sahstrahlung
(Radiatio optlca)

Hirnrinde
(Kortex)
accessorius
(Edinger Westphal)
Area striata im
Sulcus calcarinus
Auge · Kapitel16 · Sinnesorgane 633

16.1.11 Gesichtsfeld und räumliches Sehen

Das Gesichtsfeld ist der gesamte von einem unbewegten Auge aufgenommene
Teil der Umwelt. Es wird als monokular bezeichnet. Das binokulare Gesichtsfeld • monokular
ist demzufolge das mit 2 unbewegten Augen aufgenommene Gesichtsfeld. Das ein Auge betreffend
Gesichtsfeld kann mit Hilfe der Perimetrie ausgemessen werden und gibt Auf- • binokular
schluss über Defekte des Auges, des Leitungsapparats oder der Rindenfelder des zwei Augen betreffend
Gehirns.
Mit einem Auge ist das räumliche Sehen eingeschränkt. Einäugige müssen Perimetrie
sich deshalb unter Zuhilfenahme verschiedener Faktoren räumlich orientieren, z. Vermessung des Gesichtsfeldes mit einem
B. Perspektive, Erfahrungswerte, Dunst, Größenunterschiede etc. Perimeter, durch das die äußeren Grenzen
des Gesichtsfeldes bestimmt werden
Beim räumlichen Sehen (binokular) mit beiden Augen überschneiden sich die
Gesichtsfelder des linken und rechten Auges erheblich, mit Ausnahme der seitli-
chen (temporalen) Bereiche. Diese Überschneidung ist die Voraussetzung für das
räumliche Bild. Der räumliche, 3-dimensionale Effekt des binokularen Sehens
entsteht durch Übereinanderlagernzweier leicht verschiedener Bilder. Diese
werden bei der zentralen Verarbeitung (in der Sehrinde) zu einem einzigen Bild
vereinigt, das dann den räumlichen Eindruck vermittelt.

16.1.12 Sehschärfe

Räumliches Auflösungsvermögen

Das Auflösungsvermögen des Auges wird als Sehschärfe (Visus) bezeichnet. Man
versteht darunter die Fähigkeit des Auges, 2 Punkte mit dem kleinstmöglichen
Abstand noch als getrennte Punkte zu erkennen, also aufzulösen.
Auflösungsvermögen
Als Faustregel gilt, dass das funktionstüchtige menschliche Auge gerade noch ei- • Räumlich
nen Zehntelmillimeter auflösen kann. Die Auflösungsgrenze ist durch den Abstand • Zeitlich
der Zapfen in der Zone des schärfsten Sehens (Fovea centralis) bedingt. In der
Regel geht man davon aus, dass 2 Punkte, die 1,5 mm voneinander entfernt sind,
noch aus einem Abstand von 5 m als getrennt wahrgenommen werden können.
In definierten Einheiten ausgedrückt beträgt die Sehschärfe (Visus) bei guter
Beleuchtung 1 Winkelminute, das ist der 6o. Teil eines Grades.

Zeitliches Auflösungsvermögen
Neben der räumlichen Auflösung besitzt unser Auge auch ein zeitliches
Auflösungsvermögen, das auf der Trägheit der Photorezeptoren beruht. Die nied-
rigste Frequenz, bei der aufeinanderfolgende Reize zu einem kontinuierlichen
Empfindungsablauf führen, wird als Verschmelzungsfrequenz bezeichnet. Die
Verschmelzungsfrequenz ist abhängig von der Leuchtdichte.
Bei wenig Licht, z. B. bei einer Filmvorführung, reicht eine Frequenz von Hz, Hertz
20 Hz (Hertz), damit das Auge sie als kontinuierlichen Ablauf empfindet. Ältere Anzahl Schwingungen oder Ereignisse
Fernsehgeräte weisen eine Frequenz von 30 Bildern/s auf, moderne Geräte wer- pro Sekunde
den inzwischen mit einer Frequenz von 100 Bildern/s ausgestattet. Bei hellem
Tageslicht ist dagegen eine Frequenz von mindestens 6o Bildern/s nötig, damit
die Bilder nicht mehr als Flackern wahrgenommen werden.
634

16.1.13 Abbildungen auf der Netzhaut

Aufgrund der physikalischen Gegebenheiten funktioniert das abbildende System


des Auges ähnlich wie die Linse eines Photoapparats. Durch den Strahlengang in
den brechenden Medien (Hornhaut, Linse etc.) entst<:ht auf der Netzhaut ein um-
gekehrtes verkleinertes Bild, das man eigentlich als auf dem Kopf stehend emp-
finden müßte. Verschaltungen in unserem Zentralnervensystem bewirken aber,
dass das Bild der Netzhaut als aufrecht stehend wahrgenommen wird.
Prismenbrillen Bei Versuchen mit Prismenbrillen, die ein auf dem Kopf stehendes Bild der
Umkehrbrillen, bei denen die Bildumkehr Umwelt liefern, konnte man feststellen, dass die Träger nach ca. 3 Wochen Gewöh-
(um 180°) durch ein Prisma erreicht wird nungszeit plötzlich das von der Prismenbrille gelieferte Bild als aufrecht stehend
empfanden.

16.2 Ohr

Das Ohr besitzt als Hörorgan für die zwischenmenschliche Kommunikation


größte Bedeutung. Im Kindesalter taub gewordene Menschen verlieren relativ
rasch nicht nur die Sprache, sondern auch ihr Denk· und Assoziationsvermögen,
denn die Anregungen für das Denken stammen zum gröBten Teil aus den akusti-
schen Wahrnehmungen. Anders als bei einer Erblindung, bei der die Intelligenz
der Betroffenen nicht im Entferntesten zu leiden scheint, kommt es bei einer
Ertaubung ohne entsprechende Förderung der Betroffenen häufig auch zu einem
deutlichen Intelligenzverlust

16.2.1 Abschnitte des Ohrs

Das Ohr besteht aus 3 Abschnitten (Abb.16-u), dem äußeren Ohr (Auris externa),
dem Mittelohr (Auris medial und dem Innenohr (Auris interna).
Abschnitte des Ohrs
• Äußeres Ohr (Auris externa) Äußeres Ohr
• Mittelohr (Auris medial Das äußere Ohr (Auris externa) besteht aus der Ohrmuschel, dem äuBeren
• Innenohr (Auris interna) Gehörgang und dem Trommelfell.

Abb. 16-11. Schl!lenbein (Os tempo<ale)


Überblick über die Bestandteile des Ohres
(äußeres Ohr, Mittelohr und lnnenohr). Vestlbulamerv
(N. veslibulart$)
Im Innenohr sind 2 der 3 Bogengänge aus Hörnerv
(N. cochteans)
dieser Blickrichtung deutlich zu sehen.
Schnecke
Der N. vestibulocochlearis wird auch als (Kochlea)

N. statoacusticus bezeichnet, da er sowohl


akustische als auch der Statik d ienende
Imp ulse vermittelt
rundes F enster
(F'enestra eoehtearis)
Ohr · Kapitel16 ·Sinnesorgane
635

Ohrmuschel
Die Ohrmuschel (Auricula) ist eine trichterförmige Hautfalte, die den äußeren Bestandteile des äußeren Ohrs
Gehörgang umschließt; sie wird durch ein Skelett aus elastischem Knorpel form- • Ohrmuschel
stabil gehalten. Die Form des Ohres ist individuell großen Unterschieden unter- • äußerer Gehörgang
worfen, obwohl die einzelnen Bestandteile wie Ohrläppchen, Knorpelgrundge- • Trommelfell
rüst, Ohrspirale (Helix, Abb. 16-12) etc. bei allen Ohren erkennbar sind. Der
Ohrknorpel geht in den Knorpel des äußeren Gehörgangs über.

Äußerer Gehörgang
Beim Erwachsenen weist der äußere Gehörgang (Meatus acusticus externus) ei-
ne Länge von 30-35 mm auf. Das äußere Drittel ist aus Knorpel aufgebaut, die in-
neren 2/3 liegen im Knochen des Schläfenbeins. Der Gehörgang ist leicht S-för-
mig gebogen. Im Bereich der knorpeligen Wand münden Zeruminaldrüsen in
den äußeren Gehörgang (Glandulae ceruminales), die das Ohrschmalz abson-
dern. Ohrschmalz kann verhärten, aber auch im weichen Zustand gelegentlich
den Ohrgang verschließen. Dadurch wird das Gehör wesentlich beeinträchtigt,
sodass das Schmalz umgehend entfernt werden muss. Vor dem Trommelfell er-
weitert sich der äußere Gehörgang leicht. In unmittelbarer Nähe des äußeren
Gehörgangs befindet sich das Kiefergelenk. Schläge auf den Unterkiefer können
deshalb auch den äußeren Gehörgang zerstören.

Das Trommelfell
Das Trommelfell (Membrana tympani) grenzt den äußeren Gehörgang von der Das Trommelfell sitzt zwischen äußerem
Paukenhöhle (Cavum tympani) des Mittelohrs ab. Es besteht aus einer ovalen Gehörg;mg und der Paukenhöhle
Membran, die einen Durchmesser von ca. 1 cm und eine Dicke von ca. 0,1 cm auf-
weist. Das Trommelfell ist schräg in den Gehörgang gestellt, sodass es mit seiner
Außenfläche nach vorn unten geneigt ist. Dementsprechend ist der äußere Ge-
hörgang hinten oben ca. 6 mm kürzer als vorn unten. Bereits auf der Außenseite
des Trommelfells kann man die innere Verwachsung mit dem Hammer

Abb . 16-12.
Abbildung einer rechten Ohrmuschel
mit ihren Bestandteilen
dreieckige Grube
Ohrhöcker (Fossa triangularis)
(Tuberculum auriculare)
1- - - - - , - - - - Schneckenschenkel
(Crus hellcis)
äußerer Ohrrand
(Helix) lt-----;-- - - Vorsprung vor dem
Gehörgang
Ohrwulst
(Tragus)
(AntiheliK)

Einschnitt
kleiner Wulst (lncisura lnter1ragica)
(Antitragus)
- '-1- - - - - Ohrläppchen
(Lobu lus auricularis)
636

(Malleus), einem der Gehörknöchelchen, sehen. Dies wird als Trommelfellnabel


(Umbo) bezeichnet.

Mittelohr
Paukenhöhle
Bestandteile des Mittelohrs Das Mittelohr (Auris media) besteht aus einem System von luftgefüllten Räumen,
• Paukenhöhle deren zentraler Teil die Paukenhöhle (Cavum tympani) bildet (s. Abb. 16-u).
• Gehörknöchelchen Über die Ohrtrompete (Tuba auditiva) ist die Paukenhöhle mit dem Rachenraum
• Ohrtrompete verbunden. Hier öffnet sich die Ohrtrompete bei jedem Schluckvorgang durch
die von ihr ausgehenden Pharynxmuskeln und bewirkt damit einen Druckaus-
Pharynxmuskeln gleich zwischen Mittelohr und der Umgebungsluft Dies ist für die auditive Wahr-
Rachenmuskeln nehmung (das Hören) von großer Bedeutung, da sonst das Trommelfell je nach
Druckverhältnissen entweder nach innen oder nach außen gespannt wäre und
deshalb nicht optimal auf die eintreffenden Schallwellen reagieren könnte.

Gehörknöchelchen
In der Paukenhöhle sind die Gehörknöchelchen (Plural: Ossicula auditoria)
durch kleine Ligamente an der oberen Wand befestigt und werden so in der
Schwebe gehalten (Abb.16-13).
Gehörknöchelchen Direkt am Trommelfell sitzt der Hammer (Malleus), der dort mit seinem Griff
• Hammer (Malleus) befestigt ist und so den äußeren Abdruck (Trommelfellnabel) verursacht. Mit sei-
• Amboss (lncus) nem Kopf steht der Hammer mit dem Amboss (lncus) in gelenkiger Verbindung.
• Steigbügel (Stapes) Dieser wiederum bildet am Köpfchen des Steigbügels (Stapes) ein Gelenk. Über
die beiden Bügel ist das Steigbügelköpfchen mit der Steigbügelplatte verbunden.
Die Steigbügelplatte hat eine ovale Form und verschließt eine kleine Öffnung in

Abb. 16-13.
Mittelohr und lnnenohr, H Hammer Gleichgewichtsorgan
(Malleus), A Amboss (lncus), 5 Steigbügel
(Stapes). Die Pfeile zeigen die Schwin-
gungsrichtung an, die durch den Schall
erzeugt wird. Die gestrichelten Linien
zeigen die Verschiebung des Trommel-
fells, des Hammers, des Amboss und des Hellkotrema
Steigbügels während der Schwingung.
oberer Kanal
Rechts oben sind die 3 Bogengänge ein- (Scala vestibuli)
gezeichnet. Im Bereich des Helicotremas minlerer Kanal
(Scala media)
gehen die Scala vestibuli und die Scala
unterer Kanal
tympani ineinander über (Scala tympani)
rundes
Fenster
Basilarmembran

Ohr· --~..o~~~lll""::-r.r-.,;;:.,;:a<._..,..__.,..irf"=­
trompete
Parilymphe

äußeres Ohr '


1 Minelohr Innenohr
Endolymphe
Ohr · Kapitel16 · Sinnesorgane 637

der Mittelohrwand, das ovale Fenster (Fenestra vestibuli, s. Abb. 16-13). Etwas un-
terhalb des ovalen Fensters Liegt eine weitere Öffnung, die wie das ovale Fenster
ins Innenohr führt. Dies ist das runde Fenster (Fenestra cochleae). Da es nicht
wie das ovale Fenster durch eine Knochenplatte (Steigbügelplatte), sondern
durch eine Membran verschlossen ist, gleicht das runde Fenster alle Bewegun-
gen, die durch die Steigbügelplatte ausgelöst werden, in der Flüssigkeit der Scala
vestibuli und Scala tympani durch Aus- und Einbuchtung in die Paukenhöhle aus
(s. unten).
Muskeln des Mittelohrs
Die Beweglichkeit der Gehörknöchelchen wird durch 2 Muskeln beeinflusst,
• M. stapedius
die damit direkt die Schallwellenübertragung dämpfen oder verstärken. Dies
• M. tensor tympani
sind der M. stapedius (Steigbügelmuskel) und der M. tensor tympani (Spannmus-
kel des Trommelfells). Der M. stapedius ist der kleinste Muskel des Körpers; er
wirkt dämpfend. Der M. tensor tympani wirkt verstärkend.

Ohrtrompete
Die Ohrtrompete (Tuba auditiva) kann zumindest funktionell zum Mittelohr ge-
rechnet werden, da sie, wie bereits erwähnt, für den notwendigen Druckausgleich
sorgt. Sie ist von respiratorische m Epithel ausgekleidet. Der Flimmerschlag der Respiratorisches Epithel
Zilien ist gegen den Pharynx gerichtet, sodass ein geringer Flüssigkeitsstrom Epithel das die luftleitenden Wege aus-
kontinuierlich in Richtung Pharynx läuft. kleidet und aus Flimmerzellen sowie
Becherzellen besteht
Innenohr
Das Innenohr (Auris interna) liegt im Felsenbein (Pars petrosa), das zum Schlä- Bestandteile des Innenohrs
fenbein (Os temporale) gehört. Es besteht aus mehreren Gängen und Hohl- • Labyrinth mit
räumen, die als Labyrinth bezeichnet werden (s. Abb. 16-13). In dem durch den • Hörorgan (Corti·Organ) und
Knochen geformten knöchernen Labyrinth befindet sich das häutige Labyrinth, • Gleichgewichtsorgan
das der Knochenwand wie ein Futter aufsitzt. Im Labyrinth sitzen das eigentliche (Vestibularapparat)
Hörorgan und das Gleichgewichtsorgan, die man beide zusammen als statoaku-
stisches Organ bezeichnet. Das Hörorgan befindet sich in der Schnecke (Cochlea,
Abb.16-14a, b), das Gleichgewichtsorgan in den 3 Bogengängen (Singular: Ductus
semicircularis) und in 2 Bläschen (Utriculus und Sacculus).
Zwischen dem knöchernen und dem häutigen Labyrinth der Bogengänge so-
wie in den äußeren Räumen der Schnecke befindet sich eine Na+-reiche
Flüssigkeit, die Perilymphe. Innerhalb des häutigen Labyrinthes der Bogengänge
und im mittleren Teil der Schnecke befmdet sich eine K+-reiche Flüssigkeit, die
Endolymphe.

Hörorgan
Die knöcherne Schnecke besteht aus einem kegelförmig gewundenen Gang, der Kanalsystem des Innenohrs
sich um die zentrale Schneckenspindel (Modiolus) ca. zweieinhalbmal windet. In • Scala vestibuli (obere Kanal)
dieser knöchernen Schnecke befmdet sich die häutige Kochlea, die in 3 überein- • Scala tympani (unterer Kanal)
anderliegende Kanäle gegliedert ist und das Hörorgan, auch Organon spirale • Ductus cochlearis (mittlerer Kanal)
oder Corti-Organ genannt, beinhaltet (Abb. 16-14): • Scala vestibuli (Oberer Kanal):
Scala tympani (unterer Kanal): Er grenzt an das runde Fenster. Seide Kanäle Er grenzt an das ovale Fenster.
sind mit Perilymphe gefüllt, an der Schneckenspitze gehen sie ineinander über
(Helicotrema).
Ductus cochlearis (mittlerer Kanal): Er liegt zwischen Scala vestibuli und
Scala tympani durch Membranen abgetrennt. Gegen die Scala tympani (nach un-
638

Abb. 16-14a, b. Knochen oberer Kanal minlerer Kanal Tektorial- Reissner·


Schnitt durch die Schnecke des lnnenohrs. (Scala veslibull) (Ductus cochleans} membran Membran

a Darstellung der Schneckenspindel eines


Schneckenganges (Cochlea) m it einge-
zeichneter Lage der 3 Gänge: Scala vesti-
buli, Ductus cochlearis, Scala tym pani. Die
Perikaryen des ersten afferenten Neurons
der Hörbahn liegen im Ganglion spirale
(a}. Im Ductus cochlearis (a, b } befindet
sich das Corti-Organ, das von der Basilar-
membran und der Reissner-Membran
begrenzt w ird . Im Corti-Organ (b ) begin- I
unterer Kanal Ganglion Basilar- unterer Kanal Nerven- Cor1i· Stria
nen die Nervenfasern der Hörbahn an den (Scala tympani) membran (Scala tympani) fasem Organ vascularis-
Sinneszellen (innere und äußere Haar- a b
zellen, s. Abb. 16-15)

ten) ist die Scalamedia durch die Basilarmembran getrennt, gegen die Scala ve-
stibuli (nach oben) ist sie durch die Reissner-Membran getrennt. Im Ductus
cochlearis beftndet sich das Corti-Organ, das von Endolymphe (s. oben) umgeben
ist. Die äußere Wand des Ductus cochlearis wird von Epithel gebildet, das von
Kapillaren durchzogen wird (einzigartig im Körper), die Stria vascularis. Die
Stria vascularis ist für die Bildung der Endolymphe verantwortlich.
Im eigentlichen Hörorgan, dem Corti-Organ (Abb. 16-15) befinden sich die
Sinneszellen, über die Schallwellen aufgenommen werden. Diese Sinneszellen
sind oben von einer Dachmembran bedeckt (Membrana tectoria). Von den
Sinneszellen, die auch als Haarzellen bezeichnet werden, ragen Sinneshärchen in
die gallertige Membrana tectoria hinein.
Zum Gleichgewichtsorgan s. Abschn. 16.3.

16.2.2 Schall, Schallreize und Hörempfindung

Der eigentliche Reiz, den das Ohr besonders wahrnimmt, ist die Schwingung der
Luft, der Schall. Die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde wird meist in Hertz
(Hz) ausgedrückt. Hohe Töne haben hohe Frequenzen, tiefe Töne haben niedrige
Frequenzen.
Grenzen der Wahrnehmung Die Grenze der Wahrnehmung für entsprechende Frequenzen liegt beim
• Infraschall: Schwingungen unter 20 Hz Kind zwischen 20 und 20.000 Hz. Schwingungen unterhalb von 20 Hz werden als
• Ultraschall: Schwingungen oberhalb Infraschall bezeichnet und können nicht mehr wahrgenommen werden. Schwin-
von 20.000 Hz gungen oberhalb von 2o.ooo Hz werden als Ultraschall bezeichnet und können
ebenfalls nicht wahrgenommen werden. Die untere FrequenzschwelJe für die
Wahrnehmung von Schwingungen ändert sich im Laufe des Lebens nur wenig.
Die obere hingegen kann - etwa ab dem 40. Lebensjahr - stark absinken und
dann bis auf 8.ooo oder w.ooo Hz reduziert sein. Dieser Vorgang ist physiolo-
gisch, er wird Presbyakusis genannt.
Ohr· Kapitel16 · Sinnesorgane 639

Bildner der Endolymphe Kapillare Im Epithel Abb. 16-15.


Tektorial· innere Pfeilerzellen
Haarzellen
(Stria vascularis)
membran
äußere
Eigentliches Hörorgan (Corti·Organ). Hier
beginnen die Nervenfasern der Hörbahn
an den Sinneszellen (innere und äußere
Haarzellen). Der Schall erzeugt eine
Wellenbewegung in der Endolymphe,
die zu einer Abscherung der Sinneshaare
gegenüber der Tektorialmembran führt.
Dadurch entsteht der Impuls, der über
die Hörbahn in die Hörrinde des Gehirns
geleitet wird. Die Stria vascularis ist ein mit
Kapillaren versehenes Epithel (einzigartig
im Körper), das für die Produktion der
Endolymphe verantwortlich ist

Basllarmembran
(Membrana basilarls)
innere Spiralfurche
(Sulcus spiralls äußere Spiralfurche
intemus) (Sulcus spiralis extemus)

Die Hörbarkeit eines Schallereignisses hängt aber auch von der Schallinten-
sität ab. Das Maß für die Schallintensität ist die Amplitude der Schwingung. Die
Schallintensität wird in der Regel auf 2 Arten angegeben:
• in Phon (als Lautstärkepegel) und
• in Dezibel (als Schalldruckpegel).

Die Phonangabe bezieht sich auf das subjektive Empfinden eines Schallereignis-
ses; die Dezibelangabe (db) berücksichtigt hingegen den physikalisch effektiven
(objektiven) Schalldruck Bei Tonfrequenzen von 1.000 Hz entsprechen die bei-
den Werte einander (s. Abb. 16-16).
Die Hörschwelle, d. h. der Punkt des geringsten gerade noch wahrnehmbaren Hörschwelle:
Schalldrucks, ist von der Frequenz abhängig: Bei 20 Hz ist ein wesentlich höherer ca. 4 Phon
Schalldruck nötig als z. B. bei 16.ooo Hz. Die größte Empfindlichkeit (d. h. die größte Empfindlichkeit des Ohrs:
niedrigste Schwelle) liegt für das Ohr im Bereich zwischen 2.ooo und 4.000 Hz, 2.000 bis 4.000 Hz
also in dem Bereich, der von der Sprache verwendet wird. In Phon angegeben
liegt die mittlere Hörschwelle bei ca. 4 Phon (Tabelle 16-2).

16.2.3 Objektives Schalltrauma und subjektive


Hörbelästigung

Geräusche an oder oberhalb der Schmerzgrenze können einen bleibenden Ge-


hörschaden (Schalltraurna) verursachen. Dies gilt auch für langdauernde Be-
schallung im Bereich oberhalb 90 Phon. Kurzfristige Beschallung an der
Schmerzgrenze kann zu einer reversiblen Schädigung führen, die sich meist in
einer erhöhten Hörschwelle äußert.
640

Abb. 16-16. Schalldruck Schalldruckpegel Lautstärkepegel


[Pa = Nlm2j [dB SPL] [phon]
Kurven gleicher Lautstärke (Isophone), in
2·1o2 140
Relation zur Frequenz dargestellt. Auf der
linken Seite ist der Schalldruckpegel (SDP) 2·1 0 1 120

in Dezibel (dB) angegeben, auf der rechten 100


2 100
Seite der Lautstärkepegel (LSP} in Phon.
Bei 1.000 Hz entsprechen die Dezibel- 2-1Q-"1 60 60
werte der Phon stärke. Im Zentrum der
2·1Q-"2 60 60
Abbildung ist der Hauptsprachbereich
2·1o-'1 40
farblieh markiert. Er entspricht im Bereich 40
20
von 2.000- 4.000 Hz auch der größten
2 -10.... 20 4
Empfindlichkeit des Ohrs
2·10-5 0

! 31 ,5 125 500

Frequenz [Hz]

Tabelle 16-2. Lautstärkepegel verschiedener Geräusche in Phon

Geräusch Phon

Hörschwelle 4
Flüstern 10
Normale Sprache 5Q-65
Normaler Verkehrslärm 70
Presslufthammer (2 m Entfernung} 100- 120
Diskomusik 100- 125
Schmerzgrenze ca. 130

Im Gegensatz zu diesen objektiven Schädigungen durch Lärm ist die subjek-


tive Belästigung nur sehr schwer zu erfassen. Sie hängt zu einem großen Teil
nicht vom Lautstärkepegel, sondern von der psychischen Einstellung gegenüber
der Schallquelle bzw. dem Geräusch ab. Dies zeigt z. B. die Reaktion auf das
Spielen eines Musikinstrumentes in einem Mehrfamilienhaus. Der Lautstärke-
pegel stört dabei meist nicht, da er in der Regel sehr tief ist, sondern es ist mehr
die Tatsache, dass überhaupt gespielt wird bzw. der Zeitpunkt, zu dem gespielt
wird, die zur »Lärmbelästigung« führen. Töne und Klänge werden subjektiv
weniger als Belästigung empfunden als Geräusche.
Töne haben nur eine einzige Frequenz (z. B. 400 Hz); Klänge enthalten meh-
rere Frequenzen; meist sind die dabei vorhandenen Obertöne ganzzahlige Viel-
fache der Grundfrequenz (400, Soo, 1. 200, 1.6oo Hz etc.). Geräusche schließlich
enthalten große Anteile der Frequenzen des Hörbereichs. Sie lassen meist keine
Periodizität Periodizität der Schwingungen wie bei Tönen und Klängen erkennen. Aus diesem
regelmäßige Wiederkehr Grund werden Geräusche meist als unangenehm empfunden.
Ohr · Kapitel16 · Sinnesorgane 641

16.2.4 Hörvorgang

Das Trommelfell nimmt den Schall auf und gibt die Schwingungsenergie durch
die Gehörknöchelchenkette verstärkt an die Perilymphe der Scala vestibuli wei-
ter. Bei der Übertragung des Schalls von der Luft auf die Flüssigkeit der Lymphe
kommt es zu einem Reflexionsverlust, der allerdings durch die Verstärkerwir-
kung des Mittelohrs fast ausgeglichen wird. Zum einen ist die Trommelfellfläche
erheblich größer als die Steigbügelplatte, zum anderen wird durch die
Hebelarmwirkung der Gehörknöchelchen eine Druckerhöhung erreicht.
Die Schwingungen der Steigbügelplatte setzen sich in der Perilymphe in
Form von Wanderwellen fort (Abb. 16-17). Diese Wanderwellen haben entspre-
chend ihrer Frequenz ein bestimmtes Wellenmaximum. Je höher die Frequenz,
desto näher befindet sich dieses Maximum am ovalen Fenster (oder an der
Steigbügelplatte). Durch das Wellenmaximum wird die Basilarmembran des
Ductus cochlearis bewegt, sodass die in der Membrana tectoria eingebetteten
Sinneshaare des Corti-Organs abgebogen werden. Dabei entsteht der eigentliche
Impuls, der über denN. cochlearis in das Gehirn geleitet wird. Je nach Frequenz
der eintreffenden Schwingung wird jeweils ein anderer Bereich der Basilar-
membran durch das Wellenmaximum der Wanderwelle bewegt und dementspre-
chend eine andere Tonhöhe erzeugt.

Abb. 16-17a, b.
Wanderwellen
a im Schnitt,
b dreidimensional. Auf der linken Seite
befindet sich das ovale Fenster mit der
Steigbügelplatte, auf der rechten Seite der
Übergang von der Scala vestibuli in die
Scala tympani (Helicotrema). Im Bereich
des Maximums der Wellenamplitude
kommt es zu einem Ausschwingen der
Basilarmembran und dementsprechend
zur Einwirkung von Scherkräften auf die
in der Tektorialmembran steckenden
Sinneshaare des Corti-Organs
642

16.2.5 Hörbahn

Stationen innerhalb der Hörbahn Die von den Haarzellen im Corti-Organ (Sinneszellen) kommenden Nerven-
• Certi-Organ impulse werden über afferente Fasern weitergeleitet. Diese Fasern teilen sich in
• Nucleus cochlearis ihrem Verlauf. Ein Teil verläuft zum Nucleus cochlearis posterior, ein anderer Teil
- anterior zum Nucleus cochlearis anterior. Vom letzteren zieht beidseitig eine ventrale
- posterior Bahn zur Olive (mit ihrem lateralen S-formigen Segment und ihrem medialen
• Olive kleineren Kern) . Die Fasern werden im gleichseitigen und im gegenseitigen
• Schleifenkern Schleifenkern (Nucleus lemnisci lateralis) umgeschaltet und ziehen dann über
• untere 4-Hügel den unteren Hügel der Vierhügelplatte (Colliculus inferior) zum medialen Knie-
• medialer Kniehöcker höcker (Corpus geniculatum medjale).
• Hörrinde Von hier aus gelangen sie zur primären Hörrinde. Diese liegt im oberen
Temporallappen in den Heschl-Querwindungen. Die Fasern aus dem Nucleus
cochlearis posterior kreuzen direk t zum lateralen Schleifenkern der Gegenseite,
um dann von hier aus wie die anderen Fasern weiterzulaufen. Bis zur primären
Hörrinde besteht die Hörbahn somit aus mindestens 5 oder 6 Neuronen, die hin-
tereinandergeschaltet sind. Daneben sind vielfältige, z. T. auch rückläufige Ver-
schaltungen vorhanden, die für Reflexe, v. a. aber auch für die zentrale Verarbei -
tung der Impulse, vorhanden sind (Abb.16-18).

16.2.6 Hörstörungen
Hörstörungen
• Schalleitungsstörungen Die Hörstörungen können je nach Ursache in 3 Gruppen unterteilt werden.
• Schallempfindungsstörungen Schalleitungsstörungen: Hier liegt die Schädigung im äußeren Ohr oder im
• Hörbahnschäden Mittelohr, also im Schalleitungsapparat Dies kann durch einen Ohrschmalz-
pfropf bedingt sein oder das Trommelfell oder die Gehörknöchelchen betreffen.
Schallempfindungsstörungen: Hier liegt die Ursache im lnnenohr, also im
Corti-Organ mit seinen Haarzellen.

Abb. 16·18. obere Vierhügel medialer Kniehöcker


(Colliculus Superior) (Corpus geniculatum
Vereinfachtes Schema der Hörbahn mit
mediale)
den wichtigsten aufsteigenden (afferen-
ten) Stationen. Die primäre Hörrinde (im
Detail rechts oben) befindet sich in den
Heschi-Querwindungen des Temporal-
lappens. Links unten ist eine Sinneszelle
aus dem Corti-Organ mit ihren Sinnes- seillicher Schleif· 4--t-~llla!H
kern primäre Hörrinde
haaren dargestellt, zu Details der Hörbahn (Nucleus lemnisci
lateralis)
s. Text
Nucleus cochlearis posterior

Nucleus cochlearis anterior

Haarzelle im
Corti-Organ
Nucleus corporis
trapezoidei
Gleichgewichtsorgan · Kapitel16 · Sinnesorgane 643

Hörbahnschäden: Die Ursachen liegen im Bereich der Hörbahn, z. B. kann die


Schädigung durch einen Tumor verursacht werden, der bewirkt, dass die Impulse
nicht mehr richtig oder gar nicht über die diversen Teilstrecken der Hörbahn lau-
fen können.

16.2.7 Räumliches Hören

Die physikalische Grundlage für räumliches Hören ist die seitliche Anordnung
der Ohren am Kopf. Deshalb ist meist ein Ohr näher, das andere weiter von der
Schallquelle entfernt, sodass der Schall am gegenüberliegenden Ohr mit einer
kurzen zeitlichen Verzögerung eintrifft. Dabei ist auch meist die Intensität etwas
abgeschwächt. Dies wird offensichtlich vom verarbeitenden Zentralnervensys-
tem ausgewertet und als Grundlage für das räumliche Hören genutzt. Die auftre-
tenden zeitlichen Differenzen zwischen linkem und rechtem Ohr sind allerdings
so klein, dass es schwerfällt, sich vorzustellen, wie die Auswertung einer derart
kleinen Differenz möglich ist. Die Zeitverzögerung zwischen links und rechts be-
trägt ca. eine Zehntausendstelsekunde (10- 4 s). In der Unterhaltungselektronik
macht man sich die Lautstärken- und Zeitdifferenzen für die Darstellung eines
Raumklanges zunutze. Es wird angenommen, dass auch die durch Reflexion der
Schallwellen (von umgebenden Wänden, Gegenständen, Pflanzen etc.) hervorge-
rufenen Effekte stark zur räumlichen Hörempfindung beitragen.

16.3 Gleichgewichtsorgan

16.3.1 Bestandteile des Gleichgewichtsorgans

Sowohl entwicklungsgeschichtlich als auch topographisch sind die Bestandteile Bestandteile des Vestibularapparats
des Gleichgewichtsorgans (Vestibularapparat) im Innenohr eng mit dem Hör- • 3 Bogengänge
organ verbunden. Außerdem ist der Vestibularapparat über einen Endolymphe • Vestibulum mit 2 Aussackungen
enthaltenden Verbindungsgang mit dem Ductus cochlearis der Cochlea verbun- (Utriculus, Sacculus}
den (Ductus reuniens; s. Abb. 16-n). Das Gleichgewichtsorgan stellt ein kompli-
ziertes Schlauchsystem dar, das mit Flüssigkeit (Endolymphe) gefüllt ist. Es be-
steht aus 2 Anteilen (Abb. 16-19): den 3 Bogengängen (Singular: Ductus semicir-
cularis) und dem Vestibulum mit 2 Aussackungen (Utriculus und Sacculus).

16.3.2 Bogengänge

Die 3 Bogengänge sind halbkreisförmige, in den 3 Ebenen des Raumes senkrecht


aufeinanderstehende Schläuche, die über einen größeren Raum (Utriculus) mit-
einander verbunden sind. An jedem der 3 Bogengänge befindet sich kurz vor sei-
ner Mündung in den Utriculus eine Erweiterung, die Ampulla. Hier sind auf ei-
ner kammartigen Erhebung Sinneszellen vorhanden. Die kammartige Erhebung
sowie die Sinneszellen bilden die Crista ampullaris.
Die Sinneszellen sind mit einem gallertigen Hut, der Cupula, bedeckt, in den
die Sinneshaare eintauchen. Die Cupula weist das gleiche spezifische Gewicht auf
wie die Endolymphe, weshalb sie bei linearen Bewegungen (entlang einer Achse)
nicht bewegt wird.
644

Abb. 16-19.
Vestibularorgan mit den 3 Bogengängen, ........--...~-~~--~-.:::---::::=- vertikale
dem Utriculus sowie dem Sacculus. ln den Bogengänge

Bogengängen sind die Cupulae der Crista


ampullaris, im Sacculus und Utriculus die
....,".....__ horizontaler
Sinnesfelder (Macula sacculi und Macula Bogengang
utriculil dargestellt Cupulae
c...-,,_~-==:;:.c;~-- Macula utriculi

Macula saccull

Teile des
Hörapparates

- Parilymphe r==J Endolymphe

Der adäquate Reiz für die Sinneshaare ist eine relative Bewegung der Endo-
lymphe; dadurch wird die Cupula aus ihrer Ruhestellung gebracht. Dies
ge-
schieht bei nichtger adlinigen , also bei Drehbew egungen des Kopfes: Die
Endo-
lymphe der Bogengänge bleibt aufgrun dihrer Trägheit stehen, sodass
die
Cupula mit den Sinneshaaren in die Gegenri chtung der Bewegung abgekni
ckt
wird. Die dabei entstehenden Scherkräfte lösen einen Nervenim puls aus
(Abb. 16-20).

Abb. 16-20.
Einfluss der Kopfdreh ung in pfei/richtung
auf die Cupula der horizonta len Bogen-
gänge. Bei einer derartige n Bewegun g
bleibt die Endolymp he stehen, während
sich die Bogengä nge mit dem Kopf bewe-
gen. Dies führt zur Biegung der Cupula-
zellen, deren Impuls die Meldung über die
Stellung des Kopfes im Raum an höherge-
legene Zentren ist. Diese Zentren steuern
die Muskulatur, z. B. die Muskeln der
Augen, die beim Kopfdreh en ohne
Probleme den gleichen Punkt fixieren
können
Gleichgewichtsorgan · Kapitel16 · Sinnesorgane 645

16.3.3 Vestibulum

Im Vestibulum liegen 2 endolymphgefüllte Säckchen, Utriculus und Sacculus, in Vestibulum


denen sich Sinnesfelder (hier als Macula, d. h. Fleck bezeichnet) befmden. Das Vorhof
Sinnesfeld des Utriculus (Macula utriculi) steht horizontal, das des Sacculus
(Macula sacculi) senkrecht zur Körperachse. In diesen Sinnesfeldern sind eben-
falls Sinneszellen vorhanden, die mit ihren Sinneshaaren in eine gaJJertige
Membrän eintauchen. Diese Deckmembran wird durch Statokonien (Otolithen),
sog. Kalksteinchen, beschwert. Dadurch wird die Deckmembran bedeutend
schwerer als die Endolymphe. Dies ist notwendig, damit der adäquate Reiz, die
negative oder positive Linearbeschleunigung, optimal wirken kann. Drehbewe- Linearbeschleunigung
gungenwie bei den Bogengängen haben keinen Einfluss auf die Sinneszellen von geradlinige Beschleunigung, beim
Sacculus und Utriculus. Gleichmäßig hohe Geschwindigkeit wird von ihnen nicht Beschleunigen und beim Bremsen
wahrgenommen, sondern die Veränderung der Geschwindigkeit, sei es durch
Beschleunigung oder durch Abbremsen.

Wegen der horizontalen Lage der Sinneszellen des Utriculus werden sie primär
durch Horizontalbeschleunigungen erregt. Ebenso werden die vertikalliegen-
den Sinneszellen des Sacculus primär durch Vertikalbeschleunigungen erregt.

16.3.4 Vestibuläre Bahnen

Aus den Utriculus- und Sacculusrezeptoren und den Rezeptoren der Bogengänge
werden die Impulse über den N. vestibularis geleitet. Dieser Nerv ist Teil des
VIII. Hirnnervs (N. statoacusticus bzw. N. vestibulocochlearis). Er entsteht aus
den Fasern des Ganglion vestibulare und vereinigt sich dann mit dem N. acusti-
cus (N. cochlearis). Auch ohne die auf die Sinneszellen einwirkenden Be-
schleunigungskräfte läuft über den N. vestibularis eine Ruheaktivität von ca.
10- 40 Impulsen/s. Diese Ruheaktivität wird je nach Ausscherungsrichtung der
Sinneszellen erhöht oder gedämpft. Dadurch wird das Zentralnervensystem
ständig über die Kopfstellung im Raum sowie über die Beschleunigung bzw.
Verzögerung in horizontaler wie auch in vertikaler Richtung informiert (hori-
zontal z. B. bei Autofahrten, vertikal z. B. bei Liftfahrten).
Die Vestibularisfasern des N. statoacusticus enden vorwiegend in der Me-
dulla oblongata (verlängertes Mark) an den dort liegenden Vestibulariskernen.
Am gleichen Ort enden afferente Fasern von Rezeptoren der Halsmuskeln und
Halsgelenke, die Informationen über die Stellung des Kopfes- relativ zum Rumpf
- vermitteln. Von den Vestibulariskernen gehen sekundäre Vestibularisbahnen
zum Rückenmark (Tractus vestibulospinalis), zum Kleinhirn, zur Formatio reti-
cularis sowie zu den Kerngebieten der Augenmuskelnerven.

Damit dient der Vestibularapparat der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts,


der Fixation der Augen bei Kopfbewegungen und der Tonuseinstellung
bei verschiedenen Körperstellungen.

Nystagmus Nystagmus
Die Fixierung der Augen auf einen Blickpunkt beim Drehen auf einem Drehstuhl unwillkürliche, rhythmische Bewegung
bezeichnet man als vestibulären Nystagmus. Damit ist trotz ständiger Stellungs- des Auges
646
veränderungvon Kopf und Körper eine optische Orientierung im Raum gewähr-
leistet. Es kommt dabei zunächst zu einer langsamen Folgebewegung mit an-
schließender ruckartiger Fixierung eines neues Punktes.
Daneben gibt es noch den optokinetischen Nystagmus. Dieser kommt durch
relative Bewegungen der Umwelt (Eisenbahnfahrt) zustande.

Vestibuläre Störungen
Reisekrankheit (Kinetose) tritt bei unphysiologischen und ungewohnten Erre-
gungen des Vestibularapparats auf. Eine Kinetose entsteht meist, wenn über die
Augen eintreffende Informationen nicht mehr mit den Informationen aus dem
Vestibularapparat übereinstimmen. So empfmdet z. B. der Schiffsreisende in sei-
ner Kabine die Schlingerbewegungen des Schiffs über seinen Vestibularapparat;
über die Augen sieht er dagegen die unbewegten Wände seiner Kabine. Die Fol-
gen sind häufig Unwohlsein, Schwindel, Erbrechen und auch Schweißausbrüc~e.
Hypothalamus
Diese Reaktionen werden über den Hypothalamus gesteuert, der ebenfalls Ner-
Teil des Zw ischenhirns fü r die Regulation
venfasern aus dem Vestibularapparat empfängt.
vegetativer Funktionen
Ein akuter einseitiger Ausfall des Vestibularapparats äußert sich in langan-
haltendem Drehschwindel und gleichzeitiger Fallneigung auf die erkrankte Seite.
Bei chronischem Ausfall besteht allerdings die Möglichkeit der Kompensation
durch die visuelle Orientierung, sodass diese Patienten bei ausreichender Hellig-
keit symptomlos sind. Im Dunkeln, wenn die visuelle Orientierung nicht möglich
ist, zeigen sie jedoch ausgesprochene Gleichgewichts- und Bewegungsstörungen.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel16 ·Sinnesorgane 647

16.4 Fragen und Zusammenfassung zu den Sinnesorganen

Auge

Aus welchen Schichten besteht Das Auge besteht aus 3 Schichten: äußere Augenhaut (1\lnica
der Augapfel? fibrosa), mittlere Augenhaut (Tunica vasculosa), innere
Augenhaut (Tunica nervosa).

Wie sind die Schichten Die äußere Augenhaut (Tunica fibrosa) besteht im vorderen
des Augapfels aufgebaut? Augenbereich aus der Hornhaut (Cornea) und im hinteren
aus der Lederhaut (Sklera).
Die mittlere Augenhaut (1\lnica vasculosa)wird im hinteren
Bereich aus der Aderhaut (Choroidea) gebildet, im vorderen
Augenbereich aus Ziliarkörper (Corpus ciliare} und der

..
Regenbogenhaut (Iris).
.·,...
.......... - - Die innere Augenhaut (Tunica nervosa) besteht aus der
Retina und ihrem PigmentepitheL Man unterscheidet einen
vorderen blinden Teil (Pars caeca) und einen hinteren licht-
.1.' empfindlichen Teil (Pars optica) .

Wo befinden sich die Augen- Zwischen Hornhaut und Glaskörper befindet sich die
kammern? Wie sind sie Augenkammer. Durch die Iris wird sie unterteilt in vordere
begrenzt? und hintere Augenkammer. In der Augenkammer befindet
sich Karnmerwasser, das im Ziliarkörper gebildet wird und
über die Fontana-Räume in den Schlemm-Kanal abfließt. Das
Ligamentum pectinatum begrenzt die Fontana-Räume. Es be-
findet sich im Kammerwinkel (Angulus iridocornealis).

Was geschieht bei einer Es entsteht Überdruck, der zum Glaukom (grüner Star)
Abflussbehinderung führen kann. Der Normaldruck im Auge beträgt ca.
des Kammerwassers? 15- 22 mmHg.

Wieviele Nervenzellschichten Es sind 3 Nervenzellschichten vorhanden:


sind in der Pars optica der Retina • Das 1. Neuron wird durch die Photorezeptoren gebildet,
vorhanden und durch welche • das 2. Neuron durch die bipolaren Zellen und
Zellen werden diese Schichten • das 3· Neuron durch die multipolaren Zellen.
gebildet?

Welche lichtempfindlichen • Stäbchenzellen sind Photorezeptoren für das Dämmerungs-


Rezeptorzellen kennen Sie? sehen.
Welche Aufgaben haben diese • Zapfenzellen sind Photorezeptoren für das Farbsehen.
Zellen?

Durch welchen Vorgang kommt In den Außengliedern der Photorezeptorzellen befindet sich
es zur Lichtempfindung? in Membranscheibeben der Sehfarbstoff. Durch Lichteinwir·
kung wird der Sehfarbstoff umgewandelt und damit ein Ner-
venimpuls erzeugt.
648
Aus was besteht der Glaskörper?
Welche Funktion hat er?
Der Glaskörper besteht aus Proteoglykanen, Glukosamino-
glykanen und 98% Wasser. Er ist Distanzhalter für den Raum
zwischen Linse und Retina, der wegen der Brennweite des
Auges nötig ist.
Was geschieht bei Fernakkom-
modation, was bei Nahakkom- Die Linse ist elastisch, durch Zonulafasern wird sie bei Fern-
modation? akkommodation gespannt gehalten. Bei Nahakkommodation
kommt es durch Kontraktion des M. ciliaris zur Entspannung
der Zonulafasern, und die Linse verstärkt ihre Wölbung und
damit ihre Brechkraft.
Wie ist der Augenhintergrund
aufgebaut? Am Augenhintergrund sind der blinde Fleck (Papilla nervi
optici) und der gelbe Fleck (Macula lutea) mit der Zone des
schärfsten Sehens (Fovea centralis) lokalisiert. Die gegen in-
nen gerichteten 2/3 der Retina werden von innen mit Blut ver-
sorgt. Die Gefäße sind von außen durch die Pupille sichtbar.
Was zählt zum Hilfsapparat
Lider, Tränenapparat und Bindehaut.
des Auges?

Wie heißen die verschiedenen


Die Augen werden durch 6 äußere Muskeln bewegt (4 gerade
Augenmuskeln und durch
und 2 schräge). Bis auf den oberen schrägen Augenmuskel
welche Nerven werden sie (N. trochlearis) und den äußeren geraden Muskel (N. abdu-
innerviert? cens) werden sie durch denN. oculomotorius versorgt.

Welche Augenbewegungen Sakkaden, glatte Folgebewegungen, vestibuläre Bewegungen


unterscheidet man? und Konvergenzbewegungen.

Wie lange dauert die voll- Die Dunkeladaptation ca. 20 min, die Helladaptation nur
ständige Dunkeladaptation, wenige Sekunden.
wie lange die Helladaptation?

Wodurch wird Nachtblindheit Nachtblinde (Hemeralope) haben keine Stäbchenadaptation


(meist wegen Vitamin-A-Mangels).
verursacht?

Das Auge nimmt elektromagnetische Wellen im Bereich


ln welchen Bereichen
zwischen 400 und 68o nm wahr. Beim helladaptierten Auge
hat das Auge seine größte
liegt die größte Empfindlichkeit bei 555 nm (gelbgrün),
Empfindlichkeit? beim dunkeladaptierten Auge bei 507 nm (blaugrün).

Zerr oder Stabsichtigkeit (Astigmatismus), Kurzsichtigkeit


Nennen Sie einige häufige (Myopie), Weitsichtigkeit (Hypermetropie) und Schielen
Augenfehl er! (Strabismus).

Der Pupillenreflex führt bei Lichteinfall automatisch


Was versteht man unter dem bei beiden Augen zur Pupillenverengung (Miosis) .
Begriff Pupillenreflex?
Nennen Sie die verschiedenen
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel16 · Sinnesorgane 649
Stationen der Sehbahn!
Die Sehbahn verläuft über denN. opticus, Chiasma opticum,
Tractus opticus zum seitlichen Kniehöcker (Corpus genicula-
tum laterale). Dort wird das 3. Neuron auf das 4. Neuron um-
geschaltet, das dann als Sehstrahlung (Radiatio optica) zur
Sehrinde, der Area striata, im Sulcus calcarinus läuft.
Wie und warum wird das
Gesichtsfeld gemessen? Das Gesichtsfeld kann mit Hilfe der Perimetrie gemessen
werden. Es gibt Aufschluss über Defekte des Auges, des
Leitungsapparats oder der Rindenfelder des Gehirns.
Wo liegt die räumliche und die
zeitliche Auflösungsgrenze Das räumliche Auflösungsvermögen des Auges liegt bei ca.
des Auges? 1 Winkelminute (60. Teil eines Grades). Das zeitliche
Auflösungsvermögen liegt bei ca. 15-20 Bildern/s.

Ohr und Gleichgewichtsorgan


Nennen Sie die Abschnitte
Am Ohr unterscheidet man 3 Anteile: das äußere Ohr (Auris
des Ohrs und ihre wichtigsten
externa), das Mittelohr (Auris media) und das Innenohr
Merkmale!
(Auris interna).
Zum äußeren Ohr rechnet man: die Ohrmuschel, den Gehör-
gang (Meatus acusticus externus) und das Trommelfell
(Membrana tympani). Der äußere Gehörgang weist eine
Länge von 30-35 mm auf, im äußeren Drittel ist er knorpelig,
die inneren zwei Drittel sind knöchern. In den Ohrgang mün-
den Zeruminaldrüsen (Ohrschmalz). Das Trommelfell hat ei-
nen Durchmesser von 1 cm und eine Stärke von 1 mm. Es
steht schräg im Gehörgang von hinten oben nach vorn unten.
Das Mittelohr besteht aus luftgefüllten Räumen; der größte
Raum, die Paukenhöhle (Cavum tympani), enthält die Gehör-
knöchelchen: Hammer (Malleus),Amboss (Incus) und Steig-
bügel (Stapes). Durch die Ohrtrompete (Tuba auditiva)
kommt ein Druckausgleich zwischen Umgebungsluft und
Paukenhöhle zustande. Der Hammergriff ist am Trommelfell
befestigt, die Steigbügelplatte am ovalen Fenster, das zum
Innenohr führt.
Das Innenohr liegt im Felsenbein (Pars petrosa). Es besteht
aus einem knöchernen Labyrinth, das von einem häutigen
Labyrinth ausgekleidet ist. Das häutige Labyrinth bildet das
Gehör- und das Gleichgewichtsorgan.

Es besteht aus einem schneckenartig gewundenen Gang mit


Wie ist die Schnecke (Cochlea) 2,5 Windungen. In diesem Gang befinden sich 3 übereinan-
des Innenohrs aufgebaut? derliegende Kanäle. Die Scala vestibuli grenzt an das ovale
Fenster (Steigbügelplatte) der Paukenhöhle, die Scala tympa-
ni mit der Membran des runden Fensters reicht ebenfalls an
die Paukenhöhle. Zwischen beiden liegt der Ductus cochlea-
ris, der Träger des eigentlichen Corti-Organs.
650 Wie funktioniert das Corti-
Organ?
Im Corti-Organ befinden sich Sinneszellen, die mit Sinnes-
härchen in die Membrana tectoria (Deckmembran) eintau-
chen. Das Corti-Organ sitzt auf der Basilarmembran. Der
Ductus cochlearis ist gegen die Scala vestibuli durch die
Reissner-Membran abgetrennt. Durch Wanderwellen, die
über das Formen ovale auf die Perilymphe übertragen wer-
den, kommt es am Ort des Wellenmaximums, das der Ton-
höhe entspricht, zur Bewegung der Basilarmembran. Dies
führt zur Abscherung der Sinneshaare in der Tektorialmem-
bran und verursacht einen Nervenimpuls, der ins ZNS weiter-
geleitet wird und dort die Hörempfindung auslöst.
Wo liegen die Grenzen
der Wahrnehmung des Die Grenzen der Wahrnehmung des menschlichen Ohres lie-
menschlichen Ohrs? gen beim Kind zwischen 20 und 2.o.ooo Hz. Die obere Wahr-
nehmungsschwelle sinkt im Laufe des Lebens auf ca. die
Hälfte (Presbyakusis).
Die Hörschwelle liegt bei ca. 4 Phon, Flüstersprache bei
10 Phon, normale Sprache bei 50--65 Phon und die Schmerz-

grenze bei 130 Phon.


Durch Schall hervorgerufener Hörschaden (Schalltraumal
kann bereits bei längerer Beschallung mit 90 Phon entstehen.

Nennen Sie die Stationen


Die Hörbahn verläuft über den Nucleus cochlearis posterior
der Hörbahn!
und anterior, über die obere Olive zum Colliculus inferior,
dann weiter über das Corpus geniculatum laterale zur pri-
mären Hörrinde (Heschl-Querwindungen des Temporal-
lappens). Es sind in der Hörbahn mindestens 5 Neurone
hintereinander geschaltet.

Welche Arten der Hörstörung Hörstörungen können als Schallleitungsstörungen, SchaH-


unterscheiden Sie? empfindungsstörungen oder Hörbahnschäden verursacht
werden.

Was sind die Ursachen Das räumliche Hören kommt durch Intensitätsunterschiede
für das räumliche Hören? und zeitliche Verzögerung zwischen linkem und rechtem Ohr
zustande.

Das Gleichgewichtsorgan besteht aus den 3 Bogengängen so-


Welche Bestandteile gehören
wie dem Sacculus und dem Utriculus.ln den Bogengängen ist
zum Gleichgewichtsorgan?
je eine Crista ampullaris vorhanden, die auf Drehbewegungen
reagiert. Im Sacculus und Utriculus sind Sinnesfelder vorhan-
den (Macula utriculi und Macula sacculi), die auf Linear-
beschleunigung (negativ oder positiv) reagieren.
Fragen und Zusammenfassung · Kapitel16 ·Sinnesorgane 651
Wie verlaufen die Fasern
der Vestibula risbahn?
Sie verlaufen über denN. vestibularis an die vestibulären
Kerngebiete der Medulla oblongata (verlängertes Mark). Hier
enden andere afferente Fasern von den Halsmuskeln und
Halsgelenken. Als sekundäre Vestibularisbahn gehen Verbin-
dungen zum Kleinhirn, zur Formatio reticularis, zum
Rückenmark und zu den Kernen der Augenmuskelnerven.
Welche Funktion hat der
Vestibularapparat? Er dient der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts, der
Fixation der Augen bei Kopfbewegungen und der Tonus-
einstellung bei verschiedenen Körperbewegungen.
Welche Arten von Nystagmus
werden unterschieden? Man unterscheidet einen vestibulären von einem optokineti-
schem Nystagmus.
Nennen Sie eine wichtige
vestibuläre Störung?
Die Kinetose (Bewegungskrankheit), am besten bekannt in
der Form der Reisekrankheit. Sie entstehen durch die Dis-
krepanz zwischen den optischen und vestibulären Nerven-
impulsen.
Stichwortverzeichn ·s
Kursiv gesetzte Seitenzahlen verweisen auf Begri ffe in Abbildungen und Abbildungslegenden.

A. axillaris 313 - spezifisch zelluläre 341 - Fernakkommodation 627


A. brachialis 313 - spezifische 257 - Nahakkommodation 627
A. Carotis communis dextra 312 - unspezifisch humorale 336 Akkommodationsbreite 627
A. carotis com munis sinistra 312 - unspezifisch zelluläre 337 Akkommodationsrefle.x 632
A. carotis interna 117 - unspezifische 256, 333 Akromegalie 505,506
A. digitalis palmaris 313, 314 Abwehrmechanismen 324, 336, 337, 341 Akromion 130, 131, 154
A. femoralis 315 Abwehrorgane 324 Akrosin 566
A. femoris profunda 315 Abwehrreaktionen 342 Akrosom 566 , 573
A. hepatica 420 Abwehrzellen 324 Akrosomreaktion 573
A. i.liaca communis 312 Achillessehne 138, 171 Aktin 72. 74, 108
A. iliaca externa 312, 315 Achillessehnenreflex 222 Aktinfilamente 72, 73
A. iliaca interna 312, 315 ACTH (s. auch adrenokortikotropes Aktionspotential 189, 190, 300
A. mesenterica inferior 312 Hormon) 503, 504 aktive Immunisierung 347
A. mesenterica superior 312, 414 Adaptation 5, 628 aktive Insuffizienz 103
A. peronea 315 - Dunkeladaptation 628 Aktivierungssystem (ARAS) 221, 229
A. poplitea 315 - Hell- und Dunkeladaptation 628 akustische Sprachregion 218
A. profunda brachü 313 - Helladaptation 628 Akute-Phase-Protein 336
A. profunda linguae 397 Adduktion 99 Albumin 264
A. pulmonalis 375.376 Adduktor 168 Albuminurie 466
A. radialis 313 Adduktorenkanal 315 Aldosteron 475, 481, 520
A. renalis 453 Adenohypophyse 501 Aldosteronkonzentration im Blut 521
A. subclavia 313 Adenosindiphosphat (ADP) 257, 274 Alkalose 273, 475
A. subclavia dextra 312 Adenosintriphosphat (ATP) 25, 107,276, Allele 38
A. subclavia sinistra 312 356 Allergene 343
A. tibialis anterior 315 Adergeflecht 206 Allergenkarenz 345
A. tibialis posterior 315 ADH (s.auch antidiuretisches Hormon) Allergie 343-346
A. ulnaris 313 474.479.507,508 - Glutenallergie 345
A. uterina 552 ADH -Einwirkung 479 - Kontaktallergie der Haut 346
ABO-System 259 ADH-Mangel 508 allergische Reaktion Typ I 343
Abbau 356, 433-435 ADP (s. auch Adenosindiphosphat) 257, allergische Reaktion Typ II 344
- aerober 356 274 allergische Reaktion Typ UI 344
- anaerober 356 Adrenalin 81, 524,525, 528 allergische Reaktion Typ rv 345
- enzymatischer 434 - Hormonabgabe 524 Alles-oder-Nichts-Gesetz 190
- von Kohlenhydraten 434 - Wirkungen 524.525 Altersflecken 593
- von Nahrung 433 adrenerges System 234 Altersweitsichtigkeit 627, 630
- von Proteinen 435 adrenokonikotropes Hormon (ACTH) Alveolarmakrophagen 375
Abduktion 99 503,504 Alveolen 373.374
Abduktoren 136 Adventitia 303, 304 - Oberflächenspannu ng der 373
Ableitung 300 Afferenzen 196 amakrine Zellen 623
- bipolare 300 Afte.r heber 148, 150 Amboss 636
- unipolare 300 Agglomeration 258 Aminosäurederivate 494
Abrasion 399 Agglomerine 258 Aminosäuren 11, 12, 429, 429, 430
Abspreizer der Großzehe 172 Agglutination 260, 261 - y-Amino-Buttersäure (GABA) t88
Abspreizer der Kleinzehe 172 Agglutinine 259 - essentielle 12, 430
Abspreizer des Daumens 159, 159, 160 - Antirhesusagglutinine 262 Amnion 575
Abstrecker des Daumens 162 Agglutinogene 259 Amnionhöhle 50
Abstrecker des Kleinfingers 162 - Antiagglutinogene 259 Amphiarthrosen 101, 124
Abwehr 256, 257, 333. 336, 337, 341 Aids 348 Ampulla 548
- Immunabwehr 325 Aids-Stadien 348 Ampulla recti 419
- spezifisch humorale 337 Akkommodation 627 Ampulla tubae 549
654
Ampulle 549 - Brustaorta 312 Atemvolumen 379, 380
Amputationsneurinom 82 Aorta abdominalis 312 Atemzeitvolumen 381
Amputationsstumpf 82 Aorta ascendens 311 Atemzentrum 220, 385,386
Amylase 402 Aorta descendens 311 - Einflüsse 386
- a-Amylase 402 Aorta thoracica 312 Atlas 120
Anabolismus 4 Aortenbogen 288, 311, 405 Atmung 357, 378, 381
Anämie, perniziöse 409 Aortenenge 406 - Bauchatmung 378
Anaphase 35, 36 Aortenklappe 288, 290, 292 - Brustatmung 378
anaphylaktische Reaktion 343 Aortenkörperehen 387 - Formen 357
anaphylaktischer Schock 343 Apertura mediana 206 - Gewebeatmung 357
Anastomosen 293, 306 Aperturae laterales 206 - Lungenatmung 357
- arterioarterielle 306 apokrin 56 - Ruheatmung 381
- arteriovenöse 306 apokrine Schweißdrüse 597 Atom 6
- venovenöse 306 apokrine Sekretion 56,56 ATP (s. auch Adenosintriphosphat) 25,
Anatomie, Definition 2 Aponeurose 63 107, 276, 356
- makroskopische 2 - Palmaraponeurose 157, 158 Atrium 290
- mikroskopische 2 Apparat, juxtaglomerulärer 480 Attrition 399
Androgene 521, 523 Appendix vermiformis 413, 417 Auflösungsvermögen 17, 633
androgenitales Syndrom 523,523 appositionelles Wachstum 64 - räumliches 633
Anenzephalus 185 Aquädukt 204 - zeitliches 633
Angiotensin I 481, 521 Arachnoidalzotte 206 Aufspaltungsregel 40
Angiotensin II 481, 521 Arachnoidea 206 Augapfel 617, 618
Angiotensinogen 481, 521 ARAS (s. auch Aktivierungssystem) 221, - Schichten 617
Angulus sterni 122 229 Auge 617, 618, 629, 630
Angulus subpubicus 124 Arcus pubis 124 - kurzsichtiges 629
Anion 7 Arcus zygomaticus 115 - weitsichtiges 630
Anspannungsphase 294 Area intercondylaris anterior 126 Augenbewegungen 626
Anspannungstarr 295 Area intercondylaris posterior 126 - Koordination 626
Antagonisten 105 Area striata 218, 632 Augenfarbe 619
- Vitamin-K-Antagonisten 277 Arm 129 Augenfehler 629
Anteflexio 550 Armarterien 314 Augenhaut 618, 619, 621
Anteversio 550 Armbeuger 153, 154, 155 - äußere 619
Anteversion 99 Armmuskulatur 154 - innere 621
Antiagglutinogene 259 Armvene 315 - mittlere 619
Antidiurese 473 Arterien 293, 302,303, 304, 306, 311,311, Augenhintergrund 624, 624
antidiuretisches Hormon (ADH) 474, 479, 314,316, 552 Augenhöhle 114
507,508 - Basalarterien 552 Augenkammer 618,620
- ADH-Einwirkung 479 - des Armes 314 Augenmuskel 625, 625, 626
- ADH-Mangel 508 - des Beines 316 - Innervation 626
Antigen-Antikörper-Komplex 338 - des Körperstamms 311 Auricula sinistra 288
Antigen-Antikörper-Reaktion 341 - Endarterien 293, 306 auskultatorisch 310
Antigene 337, 338, 346 - große 311 Ausscheidung 476
- Gewebsantigene 346 - Spiralarterien 552 - Harnausscheidung 479
- humane Leukozyten Antigene (HLA) 338 - vom elastischen Typ 304 Ausscheidungsmechanismen 273
antigene Determinante 337, 346 Arteriolae rectae 453, 453 Außenroller 166
antigenpräsentierende Zellen 339 Arteriolen 302, 304 Außenrotation 99
Antikoagulanzien 277 arteriovenöse Koppelung 305,308 Außenrotatoren 164
- indirekt wirkende 277 Arthrosen 93, 94, 95, 98, 101, 124 Austreibungsphase 294
Antikoagulation 277 - Amphiarthrosen 101, 124 Auswärtsdreher 160
Antikörper 337, 338, 340, 341 - Diarthrosen 93, 94, 95, 98 Autoimmunkrankheit 348
- Antigen-Antikörper-Komplex 338 - Synarthrosen 93, 94 Autolyse 27
- Antigen-Antikörper-Reaktion 341 Articulatio sacroiliaca 124, 124 autonomer Reflex 235
- monoklonale 338 Assoziationsfasern 220 Autophagie 26, 26
- polyklonale 338 Assoziationsneuron 236 Autoregulation 467, 468
- Sekretantikörper 341 Astigmatismus 629 - der Nierendurchblutung 467, 468
Antimetaboliten 347 A-Streifen 73,74 Autorhythmie 296
Antirhesusagglutinine 262 Astrozyten 193 Autosomen 31
antiviral 336 - faserige 193 Avitaminose 432
Anulus fibrosus 121 - proloplasmatische 193 AV -Knoten 296, 297, 297
Anusringmuskel 150 Atemfrequenz 381 AV- Rhythmus 294, 298
- äußerer 150 Atemgase 383 Axillartemperatur 607
Anzieher 168, 168, 172 Atemgrenzwert 382 Axis 120
- Großzehenanzieher 172 Atemhilfsmuskeln 378,378, 379 Axon 77, 78, 186
- langer 168 Atemmuskulatur 147, 377 - Moloaxon 223
- Schenkelanzieher 168 Atemrhythmus 385 Azetylcholin 81, 309
Aorta 290, 290, 312 Atemstopp 362 Azidose 273, 475
- Bauchaorta 312 Atemtechnik 377 Azinus 426
Stichwortverzeichnis 655

Backenz.ah n 400 - Konvergenzbewegungen 626 - extravasales (extrinsic) System 275


Bahnen 645 - Sakkaden 626 - Faktoren 275, 276
- Lynnphbah nen 326 - vestibuläre 626 - intravasales (intrinsic) System 275
- vestibuläre 645 Bewegungsapparat 90 - Phasen 275
Balken 207, 215, 219 - aktiver 90 - Schema 276
Ballaststoffe 433 - passiver 90 Blutgruppen 259, 261
- Lignin 433 Bewegungshemmung 102, 103 - Häufigkeit 261
- Mindestmenge 433 - aktive Insuffizienz 103 Blutgruppensysteme 259
- Pektin 433 - Bandhemmung 102 Blutgruppenverträglichkeit 261
- Zellulose 433 - Kapselhemmung 103 Blut-Hirn-Schranke 193
Bänder 63, 101 - Knochenhemmung 102 Blutkörperchen 251, 251, 253, 255
Bandhemmung 102 - passive Insuffizienz 103, 103 - rote 253
Bandscheiben 92, 120, 121 - Weichteilhemmung 102 - weiße 255
BandscheibenvorraH 121 Bewegungskomponente 109 Blutleiter, venöser 206
Barerezeptoren 309 Bewusstlosigkeit 221 Blut-Liquor-Schranke 205
Ban-Körperehen 32 Bewusstsein 221 Blutmenge 251
Bar!holin-Drüse 543, 557 Bewusstseinshelligkeit 221 Blutplasma 251, 262
Basalarterien 552 Bikarbonat 255, 272, 476 Blutplättchen 257
basale Streifung 457 - Rü ckresorption 477 Blutraum, intervillöser 576
Basalganglien 216 Bilirubin 330, 420, 425 Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) 258
Basalkörnchen 27 Biliverdin 330, 425 Blutserum 262
Basalmembran 455, 456, 466 bimolekulare Lipidschicht 19 Blutstillung 274
- glomeruläre 455, 456, 466 bimolekularer Lipidfilm 20 Blutungszeit 274
Basalplatte 576,577 Bindegewebe 48, 57, 59, 61- 63, 6], 64 Blutversorgung 308
Base 8 - faseriges 62 - Regulation 308
Basedow-Krankheit 514 - Funktion 57 Blutzuckerkonzentration 527
Basilarmembran 638, 639, 641 - lockeres faseriges 59, 62, 63 - Regulation 527
Basophile 256 - retikuläres 61 Blutzuckerwert 266
Bauchaorta 312 - straffes faseriges 63 B-Lymphozyten 333, 334
Bauchalmung 378 - straffes kollagenes 64 Bogenfasern 220
Bauchfellüberzug 405 Bindegewebspapille 590 Bogengänge 643,644
Bauchmuskel 136, 147, 148, 149, 155, 164 Bindegewebszellen 57 Bowman-Kapsel 455
- äußerer schräger 148, 155 - ftxe 57 Bradyka.r die 301
- gerader 136, 149 - freie 57 bradytroph 64
- querer 164 Bindehaut 618, 619, 625 Brechkraft 627
Bauchmuskulatur 149 biologische Uhr 529, 607 Brennweite 623
Bauchpresse 147,378,419 bipolare Ableitung JOO Broca-Zentrum 218, 218
Bauchspeicheldrüse 395, 426, 426 bipolare Nervenzellen 79 Bronchialarterie 375
Baufett 61, 62, 592 birnenförmiger Muskel 165, 166 Bronchialbaum 368
Becken n8, 124 Bläschen 187, 202, 568, 574 - Hauptbronchus 368, 368
- männliches 124 - Keimbläschen 574 - Lappenbronchien 368
- weibliches 124 - Mittelhirnbläschen 202 Bronchialvene 375
Beckenboden 148 - Rautenhirnbläschen 202 Bronchien 368, 369
Beckenbodenmuskel 150 - Samenbläschen 568 - Endbronchien 369
Beckengürtel 123 - synaptische 187 - Lappenbronchien 368
bedingter Reflex 411 - Vorderhirnbläschen 202 - Segmentbronchien 369
Befruchtung 573 Bläschentransport 21 Bronchioli 369
Begleitschielen 631 Blasendreieck 464, 465 Brücke 203, 207- 209, 210
Begleitvene 305 Blasenfüllung 461 Brunner-Drüsen 404, 404, 412
Bein 109, 125 Blastomeren 49 Brust ;6o, ;61
- Spielbein 109 Blastozyste so. 574,575 - Bau 560
- Standbein 109 Blattpapille 397.398 - Drüsengewebe 560
Beinarterien 316 bleicher Kern 215 - Entwicklung ;61
Beinmuskulatur 166 Blinddarm 413, 417,418 - Fettkörper 560
Beinvene 316, 31J blinder Fleck 622, 624 Brustaorta 312
Belegzelle 407,408 Blut 250, 307 Brustatmung 378
Bence-jones-Protein 265 - Funktionen 250 Brustbein 122, 122, 123
Bertini-Säulen 451 - Strömungsgeschwindigkeit 307 Brustdrüse 559, 560, 561,562
Beschleunigung 645 Blutbestandteile 253 - Funktion 561
- Horizontalbeschleunigung 645 Blutbildung 252, 258 - Wirkung der Hormone 562
- Linearbeschleunigung 645 - stimulierende Faktoren 258 Brustfell 370, 372
- Vertikalbeschleunigung 645 Blutdruck 306-310,307 Brustkorb 118, 123, 376
Beschneidung 571 - Regulation 306, 308, 309 Brustkyphose 119, 121
Setz-Riesenzellen 217 - WHO -Standard 307 Brustmilchgang 325
Bewegungen 626 Blutfluss, renaler 471 Brustmuskel 136, 148, 149, 152
- Augenbewegungen 626 Blutgefaßsystem 301 - großer 136, 148, 149, 152
- Folgebewegungen 626 Blutgerinnung 274, 275, 276 - kleiner 152
656

Brustmuskulatur 152 Chylomikronen 265, 433, 436 Dach 212


Brustwarze 560, 561 Chylus 415 - Mittelhirn 212
Brustwirbel 119, 120,121 Chylusgefäße 414 Dämmerungssehen 627
Brustzungenbeinmuskel 142 Claustrum 215 Dammmuskel 149, 150
BSG (s. auch Blutsenkungsgeschwindigkeit) Clavicula 122, 142 - oberflächlicher 149
258 Clearance 468, 469 - tiefer 149, 150
Bulbus olfactorius 200 duster of differentiation (CD) 338 Darmbein 123
Bursa articularis 96, 97 Cochlea 638 Darmbeinkamm 124
Bursa fabricii 333 Colliculus inferior 642 Darmbeinmuskel 163, 164, 168
Colliculus semina1is 464, 465, 569 Darmbeinrippenmuskel 143
Colliculus superior 212 Darmbeinschaufel 125
Collum 125 Daumenabspreizer 159, 159, 160
Calcaneus 128,J28, 129 Collum anatomicum 131, 132 Daumenabstrecker, kurzer 162
Calcium-reaktives-Protein (CRP) 336 Collum chirurgicum 132, 132 Daumenbillen 158, 160
cAMP (s. auch zyklisches Colon ascendens 418 Daumenbeuger 158, 161, 161
Adenosinmonophosphat) 498, 499, 6JJ Colon descendens 418 - kurzer 158, 161, 161
Canalis caroticus 117 Colon sigmoideum 418 - langer 158
Capsula externa 220 Colon transversum 414, 418 Daumengegensteiler 160, 161
Capsula interna 215, 220 Columna anterior 195 Daumenheranzieher 161, 161
Caput 125 Columna lateralis 195 Daumenspreizer 158, 159, 159, 160, 161, 161
Caput fibulae 171 Columna posterior 195 - kurzer 158, 161, 161
Caput humeri 131 Columna renalis 451 - langer 159, 159, 160
Caput tali 128 Columna vertebralis 118 Daumenstrecker 159,159, 160
Carboanhydrase 255, 476, 477 Comedo 596 - kurzer 159, 160
Caruncula Sublingualis 397 Computertomographie 205 - langer 159, 160
Cauda equina 194, 195 Concha nasalis inferior 114 Def<ikation 419
Cavum epidurale 207 Conjugata vera 124 Defektproteinämie 264
CCK (s. auch Cholezystokinin- Conus elasticus 365.365 Defloration 556
Pankreozymin) 411, 412, 427 Cor 287 Degranulation 343
CCK-PZ (s. auch Cholezystokinin- Cordaetendineae 290 Dehnungsrezeptoren 598
Pankreozymin) 411, 412, 427 Cornu anterius 194 Dehydroepiandrosteron (DHEA) 521
CD (s. auch duster of differentiation) 338 Cornu laterale 194 Dehydrogenasen 265
Centrum semiovale 219 Cornu posterius 194 Dekapsulation 451
Centrum tendineum 145, 150 corona penetrating enzyme 566 Deltamuskel 138, 153
Cerebellum 203, 207, 210 Corona radjata 544, 546, 574 Denaturierung 563
Cervikalwirbel 119 Corpus albicans 547 Dendriten 77, 77, 186
Cervix uteri 543 Corpus amygdaloideuro 215, 216 Dens axis 120
Chemorezeptoren 387 Corpus callosum 207, 215, 219 Dentin 399
Chemotaxis 337 Corpus cavernosum 571,571 Depolarisation 189, 300
Chiasma opticum 631 Corpus cavernosum penis 465 Dermatome 198, 199
Choanen 117 Corpus geniculatum mediale 642 Desensibilisierung 345
Cholesterin 11, 266, 429 Corpus luteum 545, 546 desmale Verknöcherung 68
Cholezystokinin-Pankreozymin (CCK oder Corpus luteum graviditatis 547 Desmodontium 399
CCK-PZ) 411, 412, 427 Corpus luteum menstruationis 547 Desmosomen 21
cholinerges System 234 Corpus pineale 214 Desoxyribonukleinsäure (D S; DNA) 12,
chondrale Verknöcherung 69 Corpus spongiosum 571,571 12
Chondroblasten 64 Corpus spongiosum penis 465 Desquamationsphase 554
Chondroitinsulfat 65 Corpus striatum 213, 216 Determinante, antigene 337
Chondrone 64 Corpusculum renale 455 determiniert 49
Cbondrozyten 64 Corti-Organ 637, 638, 639 Dezibel 639
Chordae tendineae 291 Cowper-Drüsen 569, 572 Dezidua 575, 576, 577
Chorionplatte 576 Crista arnpullaris 643 DHEA (s. auch Dehydroepiandrosteron)
chromaffine Zellen 524 Crista iliaca 124 521
Chromatiden 33 CRP (s. auch Calcium-reaktives-Protein) Diabetes 267, 344, 472, 474, 508, 528, 529
Chromatin 30,30 336 - insipidus 474, 508
- Sexchromatin 32 Crura cerebri 213 - mellitus 267, 344, 472, 528
Chromonema 35 Crus cerebri 212 - renaler 267, 472
Chromosomen 31, 31, 33 Crusta 53, 459 - Typ I 529
- Geschlechtschromosomen 31 Cumulus oophorus 574 - Typ II 529
Chromosomenmutation 34 Cupula 643 Diameter obliqua 124
- nummerische 34 Cushing-Syndrom 522,522 Diameter transversa 124
- strukturelle 34 C-Zellen 515, 516 Diapedese 256
Chromosomensatz 36 Diaphragma 145, 147, 164
- diploider 36 Diaphragma pelvis 148
- haploider 36 Diaphyse 91, 93, 125
Stichwortverzeichnis 657

Diarthrosen 93, 94, 95, 98 Drüsen 53-55, 407, 557, 572, 596,596, 597, - Funktion 542
- Einteilung 98 624,625,635 - Struktur 542
Diastole 293 - Bartholin-Drüse 543, 557 Eigelenk 99, 100
Dickdarm 395, 417, 417, 419 - Bauchspeicheldrüse 395, 426, 426 Eigenreflex 221, 222
- Aufgabe 419 - Brunner-Drüsen 404, 404, 412 Eihügel 574
Dickdarmmotilität 419 - Brustdrüse 559,560, 561,562 Eileiter 543, 547
Dickenwachstum 93 - Cowper-Drüsen 569, 572 Einwärtsdreher 158
Dicumarol 277 - Duftdrüse 596, 597 - runder 158
Diencephalon 207 - endokrine 53 - viereckiger 158
Differenzierung 49, 541 - exokrine 53 Eisprung 545, 546
- geschlechtliche 541 - Geschlechtsdrüse 557 Eiweiße 10
Differenzierungsgruppe 338 - heterokrine 407 Ejakulat 570
Diffusion 20 - homokrine 407 Ejakulation 568
- erleichterte 20 - Lieberkühn-Drüsen 415 EKG (s. auch Elektrokardiogramm) 299,
- passive 20 Magendrüse 407,408 )00,301
Diffusionskapazität 384 - Meibom-Drüsen 625 Ektoderm 49
dihybride Kreuzung 38, 39 - muköse 55 Elastica interna 303, 303
Diktyosomen 24, 24 - Nebenschilddrüse 515,515, 517 Elektroenzephalogramm (EEG) 236, 237,
Diktyotän 545 - Ohrspeicheldrüse 401, 401 2]8
Dilatation 105, 293, 309, 609 - Schilddrüse 5IO,SJO, 511 Elektrokardiogramm (EKG) 299', 300,.JOI
- Vasodilatation 309, 609 - Schweißdrüse 597 Elektrolyte 7, 267, 271
diploid 31 - seröse 55 Elektrolythaushalt 267, 270, 474
diploider Chromosomensatz 36 - Speicheldrüse 401 elektromechanische Koppelung 107, 298
Disci intercalares 75, 289 - Talgdrüse 55, 56, 596, 596 Elektron 6
Discus articularis 96 - Tränendrüse 624 elektronenmikroskopische Präparation 18
disproportionierter Minderwuchs 505 - Unterkieferdrüse 401, 402 Elektrookulogramm (EOG) 238
Disse-Ra um 422, 423 - Unterzungendrüse 401, 402 Elektrophorese 263, 263
distaler Tubulus 454, 458, 475, 480 - Urethraldrüse 465 Element 6
- Rückresorption 475 - Uterusdrüsen 552 Elementarpartikel 25, 26
Diurese 468, 473, 479, 480 - verzweigte 54 Elle 132,133
- alkoholische 479 - Vorhofdrüsen 557 Ellenbogen 132
- Antidiurese 473 - Zeruminaldrüse 635 Ellenbogengelenk 132
- Druckdiurese 468 - Zirbeldrüse 214, 529 Ellen-Speichen-Gelenk 133
- osmotische 480 - Zungenspeicheldrüse 397 Embryoblast 49,50, 574
- Wasserdiurese 473, 479 - zusammengesetzte 54 embryonales Hämoglobin 255
DNA 12 Drüsenepithel 53 Embryonalperiode 579
Döderlein-Stäbchen 557 Ductuli efferentes 565 Eminentia intercondylaris 126
dominant 38 Ductus choledochus 412, 424, 424 Empfmdung 617
Donders-Druck 372, 377 Ductus cochlearis 637 Endarterien 293, 306
Doping 258 Ductus cysticus 424 Endbronchien 369
Doppelspirale 32 Ductus ejaculatorius 463,564 endemischer Kretinismus 513
Dornfortsatz 120, 121 Ductus hepaticus communis 424 Endhirn 203, 207, 215
Dorsalflexion 170 Ductus lymphaticus dexter 326 Endkerne 209
Dottersack so Ductus pancreaticus 412 Endknöpfchen So, 186, 187, 188
Douglas-Raum 463,543, 550, 556 Ductus thoracicus 325, 436 Endokard 289
Dreiecksbein 133, 134 Dunkeladaptation 628 Endokrinologie 492
dreiköpfiger Oberarmmuskel 138, 153 Dünndarm 395, 412, 413, 414, 414 Endolymphe 637. 644
dreiköpfiger Wadenmuskel 169 - Abschnitte 412 Endometrium 550, 551,553
Drosselvene 518 - Blutversorgung 414 Endoneurium 79, 8o
Druck 268, 269, 269, 372, 378 - Oberflächenvergrößerung 414 endoplasmatisches Retikulum (ER) 22, 23
- Blutdruck 306-310, 307 Dünndarmmotilität 417 - ER-Zisternen 22
- Donders-Druck 372, 377 Duodenum 412, 413, 426 - glattes (SER) 23
- Filtrationsdruck 466 Dura mater 206, 206 - raues (RER) 23
- hydrostatischer 269 Dyspraxien 220 Endorphin 229
- intraabdomi.n aler 378 Dysproteinämie 264 Endothel 52
- intrapleuraler 372 Endozytose 21
- kolloidosmotischer 269 End platte, motorische 81, 83
- Nettofiltrationsdruck 466 Endplattenpotential 106
- osmotischer 268, 269 Ebenen im Körper 113 endsystolisches Volumen 296
- osmotischer Druck 268, 269 Eckzahn 400 Enkephalin 229
- Partialdruck 383 EEG (s. auch Elektroenzephalogramm) enterohepatischer Kreislauf 425
- Zentralvenendruck (ZVD) 308 236, 237. 23 Entoderm 49
Druckausgleich 364 Effektorpol 186 Enzymaktivierung 498
- bei Luftdruckänderungen 364 Efferenzen 196 Enzyme 435
Druckdiurese 468 Eichel 564 , 570 - corona penetrating enzyme 566
drumstick 32 Eierstöcke 542, 543, 544 - eiweißspaltende 435
658

EOG (s. auch Elektrookulogramm} 238 extrapyramidalmotorisches System 225 fetales Hämoglobin 255
Eosinophile 256 Extrauteringravidität 576 Fetalperiode 578, 579
eosinophiler Granulozyt 63 extravasales (extrinsic} System 275 Fettanhängsel 418
Ependym 204 extrinsic factor 409 Fette 10,266,428,592
Ependymzelle 194 exzentrische Kontraktion 106 - Baufett 592
Epidermis 590, 590,591 - gutes Fett 266, 428
Epiglottis 365 eutralfette 10
Epikard 289 - schlechtes Fett 428
Epineurium So Fab-Teil 340 Fettgewebe 61, 62
Epiphyse 91, 93, 214, 529 Fadenpapille 397 - braunes 62
Epiphysenfuge 69, 93, 93 Faktoren 228 - weißes 62
Epithalamus 214 - Blutgerinnungsfaktoren 275, 276 Fettkörper 332
Epithel 51, 51, 52, 53 - Releasingfaktoren 495 - retrosternaler 332
- Drüsenepithel 53 - schmerzauslösende 228 fettlösliche Vitamine 432
- einschichtiges hochprismatisches 52 - stimulierende Faktoren 258 Fettsäuren 265, 428
- einschichtiges isoprismatisches falsche Rippen 123 - essentielle 428
(kubisches} 52 Farbenblindheit 628 - gesättigte 428
- einschichtiges Plattenepithel 52 Farbensehen 627 - ungesättigte 428
- Einteilung 51 Farbschwäche 628 Fetttropfen 29
- Flimmerepithel 52 Farmerlunge 344 Fettzelle 63
- kubisches 52 Farnkrautmuster 552 Fetus 578
- mehrreihiges hochprismatisches 52 Faserbündel, kollagene 64 Fibrae arcuatae 220
- Myoepithel 54 faseriges Bindegewebe 62 Fibrae zonulares 619
- Oberflächenepithel 50,51 Faserknorpel 65 Fibrin 275
- Pigmentepithel 621 Fasern 58-61, 63, 66, 196, 197 Fibrinogen 262
- Plattenepithel 51, 52 - Assoziationsfasern 220 Fibrinolyse 274, 277, 278
- Übergangsepithel 53, 459 - Bogenfasern 220 Fibrinopeptide 278
Epithelgewebe 48 - elastische 61, 63 Fibroblast 58
Epithelkörperchen 515 - Kletterfasern 211 fibröse Umlenkungen 104, 136
Epithelleisten 590 - kollagene ;8, 66 Fibrozyt 59
Epitop 337, 340 - Kommissurenfasern 219, 220 Fibula 125, 127
EPO (s. auch Erythropoietin} 258, 481 - Moosfasern 211 Fieber 606, 610, 611
Eponychium 595 - Muskelfaser 72,74 - Entstehung 611
ER (s. auch endoplasmatisches Retikulum} - Nervenfaser 78, 80, 82 Fila olfactoria 116, 200
22,23 - Parallelfasern 211 Fila radicularia 195
Erbsenbein 133, 134, 162 - Projektionsfasern 220 Filialgeneration 38
Erektion 572 - Purkinjefasern 296, 297 Filtration 327, 469, 469, 473
ergotrop 235 - retikuläre 6o - Lymphe 327
Ernährung, mediterrane 429 - Sharpey-Fasern 399 Filtrationsdruck 466
Erregbarkeilsschwelle 188 - Skelettmuskelfasern 189 - Nenoftltrationsdruck 466
erregende Synapsen t86 - somatornotorische 196 Filtrationsrate 466, 467
Erregungsleitung 192, 297 - somatosensible 196 - glomeruläre (GFR} 466, 467
- saltatorische 192 - viszeromotorische 197 Fimbria ovarica 547
Erregungsleitungssystem 297 - viszerosensible 197 Fimbrien 548
Erregungsphase 572 - Zonulafasern 618, 619, 620 Fingerabdrücke 589
Ersatzrhythmen 298 Faserring 121 Fingerbeuger, oberflächlicher 158
erworbene Gerinnungsstörung 278 Faszien 63, 104 Fingerknochen 134
Erythropoietin (EPO} 258, 481 Fe-Teil 340 Fingerstrecker 153, 159
Erythrozyten 253, 254 - lgA 341 firing Ievei 189
- Anzahl 253 Felderhaut 589,594 fixe Bindegewebszellen 57
- Form 253 Felsenbein 115, ll7 Fleck 622, 624
- Größe 253 - des Schläfenbeins ll7 - blinder 622, 624
ER-Zisternen 22 Femur 125, 126 - gelber 624
essentielle Aminosäuren 12,430 - Caput 125 Flexion 105
Evolution 33, 41 - Collum 125 Flimmerepithel 52
Excavatio rectouterina 463, 543, 556 - Diaphyse 125 Flimmerhaare 27
Exkretion 55 - Hals 125 Flocculus 209
Exophthalmus 514 - Kopf 125 Flügelfortsatz 118
Exozytose 21 - Schaft 125 Flüstersprache 367
expiratorisches Reservevolumen 379 Fenster 637 Folgebewegungen 626
Exportprotein 37 - ovales 637 Follikel 328, 544, 545
Exspiration 377, 378 - rundes 637 - Graaf-Follikel 544.545
Extension 105 Fernakkommodation 627 - Haarfollikel 596
extraglomeruläres Mesangium 456, 480, Fersenbein 128, 128, 129 - Lymphfollikel 328
481 Fersenbeinhöcker 128, 171 - Primärfollikel 328, 544, 545
Extrapyramidalmotorik 208, 213, 223,226 Fertilisation 573 - Sekundärfollikel 328, 544,545
Stichwortverzeichnis 659

- Tertiärfollikel 544,545 - Spinalganglion 195, 197 - Radgelenk wo


Follikelatresie 547 - Sternganglion 233 - reguläres 98, 99
follikelstimulierendes Hormon (FSH) 502, Ganglienzellschicht 211, 2ll - Sattelgelenk 100, 100
504,546 Ganglion ciliare 235 - Scharniergelenk 100, 100
Fontana-Räume 620 Ganglion coeliacum 233 - Sprunggelenk 128
Foramen caecum 510 Ganglion mesentericum inferius 233 - unechtes 93
Foramen infraorbitale 114, 114 Ganglion mesentericum superius 233 - Zapfengelenk 100, 100
Foramen jugulare 117 Ganglion oticum 235 - zusammengesetztes 98
Foramen magnum 117, ll7, 118 Ganglion ptcrygopalatinum 235 Gelenkanteile 95
Foramen mentale 114, 114 Ganglion spinale 196 - inkonstante 95
Foramen obturatum 124, 125 Ganglion stellatum 233 - konstante 95
Foramen ovale 116, 117, 117, 118 Ganglion submandibulare 235 Gelenkband 95
Foramen rotundum 116, 117 Gänsehaut 594 Gelenkkapsel 95, 95
Foramen spinosum 117, 118 gap junction 22, 22 Gelenkkomponente 109
Foramen supraorbitale 114 Gasaustausch 358 Gelenklippe 96, 124
Foramen venae cavae 164 Gasgesetz 383 Gelenkmuskel 98
Formatio reticularis 209, 220, 221 Gastrin 407, 411 Gelenkpfanne 124
Fossa acetabuli 124 Gastrin-Zelle 407 Gelenkscheibe 96
Fossa mandibularis 117 gastrointestinale Hormone 411, 496 Gelenkstabilität 101
Fossa rhomboidea 204, 208 Gaumen 403 - Adhäsion 101
Fovea centralis 624 - harter 403 - Bänder 101
Frank-Starling-Mcchanismus 296 - weicher 403 - Luftdruck 101
freie Rippen 123 Gaumenbein 118 - Muskeln 10 1
Freiheitsgrade 99 Gaumenbögen 403 Gen 32
Fremdreflex 221, 223, 224 Gaumenmandel 330, 331 , 331,363 Genaktivierung 498
Frontallappen 217 Gaumensegel 403 Generallamellen 67, 67
Fruktose 9 Gebärmutter 548, 549 Genitalnervenkörperchen 559,573
FSH (s. auch follikelstimu lierendes Gebärmutterhals 543, 551 Genmutation 34
Hormon) 502, 504, 546 Gebiss 400 Genotyp 37
funktionelle Residualkapazität 381 Gedächtnis 230, 231 Geräusche 640
funktionelles Residualvolumen 379 - Kurzzeitgedächtnis 231 Gerinnungshemmung 276
Funktionsprotein 37 - Langzeitgedächtnis 231 Gerinnungsstörung 278
Füßchenzelle 455, 456 - sensorisches 230 - angeborene 278
Fußgewölbe 129 Gedächtniszellen 335, 339, 340 - erworbene 278
Fußmuskel 172 Gefaßarten 304 Gerinnungsvorgang 274
Fußrücken 172 - Gefäße vom muskulären Typ 304 Geruchswahrnehmung 361, 362
Fußsohle 172 - Widerstandsgefaße 304 - Hormone 362
Fußwurmwurzeln 173 Gefaße 302 - Schmerzkomponenten 362
Fußwurzelknochen 125 - Chylusgefaße 414 geruchswirksame Stoffe 362
- Herzkranzgefäße 293 Gesamtlipide 266
- Wandbau 302 Gesäßmuskel 138, 150, 166
- Widerstandsgefaße 304 - großer 138, 150
GABA (s. auch y-Amino-Buttersäure) 188 Gefaße der Gefaße 304 - kleiner 166
Galea aponeurotica 139 Gefaßsystem 302 - mittlerer 166
Galle 420, 4 25 Gefaßwandtonus 309 geschlechtliche Differenzierung 541
Gallenblase 424, 424 Geflechtknochen 66 Geschlechtschromosomen 31
Gallenfarbstoff 425 Gegenstromprinzip 477, 479 Geschlechtsdrüsen, akzessorische 557
- Biliverdin 425 Gehörgang 115, 118, 635 Geschlechtsmerkmale 540, 559
- Bilirubin 425 - äußerer us - primäre 540
- Sterkobilin 425 Gehörknöchelchen 636 - sekundäre 540
Gallengang 422 gelber Fleck 624 - sekundäre weibl iche 559
Gallenkanälchen 423 Gelbkörper 545 - tertiäre 540
Gallenkapillaren 423 Gelbkörperhormon 547 Geschlechtsorgane 542, 564,569
Gallensäure 425, 433 Gelbsucht 423 - der Frau 542
- Funktion 425 Gelenk 93, 98- 100 - des Mannes 564, 569
Gallensekretion 425 - echtes 93 Geschlechtsverkehr 572
Gallenwege 424 - Eigelenk 99, 100 - Erregungsphase 572
Gallertkern 121 - einfaches 98 - Orgasmusphase 572
Gameten 36 - Hüftgelenk 125 - Plateauphase 572
Ganglien 195,197, 216, 232, 233, 235, 387 - irreguläres 98 - Rückbildungsphase 572
- Basalganglion 216 - Kiefergelenk 115, 117 Geschmack 398
- intramurale 235 - Kopfgelenk 122, 139, 139, 142, 144 Geschmacksknospen 397
- Kopfganglion 235 - Kreuzbein-Darmbein-Gelenk 123, 124, geschweifter Kern 214, 215
- Paraganglion 387 124 Gesichtsfeld 633
- paravertebrale 232 - Kugelgelenk 99, 99 Gesichtsmuskeln 138
- prävertebrale 232, 233 - Nussgelenk 99 Gewebe 48, 57, 6 1-63, 76
660

- Bindegewebe 48, 57, 61- 63 - eosinophile 63 - spezifisches Gewicht 482


- Epithelgewebe 48 graue Substanz 194, 208 Harnapparat 448, 449
- Fellgewebe 61, 62 gra uer Verbindungsast 197 - Fu nktionen 448
- Muskelgewebe 48 Grenzstrang 197, 232 Harna usscheidung 479
- Nervengewebe 48, 76 Griffelfortsatz 118 Harnblase 461, 464, 465
- Stützgewebe 48, 57 Großzehenabspreizer 172 - männliche 465
Gewebeatmung 357 Großzehenanzieher 172 - Volumen 461
Gewebekultur 17 Großzehenballen 172 Harnblasenwand 462
Gewebsantigene 346 Großzehenbeuger 170, 172, 173 Ha rnfluss 462
Gewebshormone 496 - kurzer 172, 173 Harnleiter 451, 460, 461
gezähnter Kern 211 - langer 170 - Aufbau 460
GFR (s. auch glomeruläre Filtrationsrate) GroßzehenspreizeT 173 - Bauchteil 460
466, 467 Großzehenstrecker,langer 170 - Beckenteil 460
Gicht 267 Grundsubstanz, a morphe 66 - Engstellen 460
Gigantismus 50 5 Grundumsatz 607 ha rnpflichtige Substa nzen 267
Gingiva 400 Gyrus angularis 218 Harnpol 455
glandotropes Hormon 495, 497, 504 Gyrus postcentralis 218, 218, 219 Ha rnröhre 463, 463
Glandula areolaris 560, 561 Gyrus praecentralis 217, 218, 219 - männliche 463
Glandula gastrica 407 - weibliche 463
Glandula parathyroidea 515 Harnröhrenschwellkö rper 464, 465,571
Glandula parotidea 401 Harn-Samen-Röh re 463
Glandula sublingualis 402 Haararten 593 Harnsäure 267
Glandula submandibularis 402 - Lanugohaare 593 Harnstoff 267
Glandulae urethrales 463 - Terminalhaare 593 Harnunte rs uchung 482
Glans ditoridis 559 Haare 593 Harnwege 458
Glanspenis 564, 570 Haarfarbe 594, 594 harte Hirnhaut 206,206
Glanzstreifen 75, 76, 289 Haarfollikel 596 harte Rückenmarkhaut 206
Glaskörper 623 Haarschaft 593 Hassall- Körperehen 332
glattes endoplasmatisches Retikulum (SER) Haartrichter 593 Haube 213
2J Haarwurzel 593 Hauptbronchus 368,368, 369
Glaukom 620 Haarzwiebel 596, 593 Haupthistokompatibilitäts komplex 338
Gleichgewichtsorgan 637, 643 Hakenarmmuskel 151, 152, 152, 154, 155 Hauptzelle 407,515
Glia 82, 192 Hakenbein 133, 134 Haustren 413, 418
- periphere 82, 192 Halbmembranmuskel 165, 166, 167 Haut 346, 588-593
- zen trale 82, 192 Halbsehnenmuskel 165, 166, 167 - Altersverä nderungen 593
Gliazellen 77 Halslordose 119 , 121 - behaarte 589
Glied 570 Halsmuskulatur 139, 144 - Felderhaut 589,594
Glisson-Trias 421 Halswirbel 119, 120 - Funkt ionen 588
glomeruläre Basalmembran 455, 456, 466 Hämatokrit 251, 258 - Größe 588
glomerulä re Filtrationsrate (GFR) 466, Hammer 636 - Kontaktallergie 346
467 Häm-Molekül 254, 254 - Lederhaut 592
- Formel 467 Hä moglobin 253- 255, 254, 259, 272, 385 - Leistenhaut 589
- Inulin 467 - Bindungsfah igkeit 385 - Oberhaut 590
Glomerulus 452, 455 - embryonales 255 - Pigmentzellen 591
- Vas a fferens 452 - fetal es 255 - unbehaarte 589
- Vas efferens 452 - mittleres korpuskuläres (MCH) 259 - Unterhaut 592
Glomus caroticum 387 Hämolyse 255 Ha utanhangsgebilde 589, 593
Glollis 366 Hämorrhoiden 419 Hautfelder 198, 199
Glukagon 527, 528 Hämostase 274, 275 Hautrezeptoren 598
- Stoffwechselwirkungen 527 - primäre 274 Hautschichten 590
Glukokortikoide 504, 519, 520 - sekundäre 274, 275 Hautvene 305
- Wirkungen 520 Hä mozyt 252 Havers-Kanal 67, 67 , 68
Glukoneogenese 266, 430 Handbeuger 158 HDL (s. a uch high density Iipoprotein)
Glukosam inoglykane 50, 58 - radialer 158 266,428
Glukose 9,266,430 - ulnarer 158 Heber des Schulterblatts 144
- im Blut 266 Handmuskulatur 160 Hell- und Dunkeladaptation 628
Glukoseverwertung 527 Handstrecker 153, 159, 159 Helladaptation 628
Glukosurie 480 - langer radialer 153 hemmende Synapsen 186
Glutenallergie 345 - ulnarer 159, 159 Henle-Schleife 454
Glykogen 9, 28 Handwurzelknochen 133 Heparin 256, 277
Glyzeri n 10 haploid 31 Hepa rina ntidot 277
Glyzerinmolekül 10 haploider Chromosomensatz 36 Hepatozyt 421, 423, 423
Golgi-Apparat 24,24 Ha rn 478, 482 Heranzieher des Oberschenkels 136
gonadotropes Hormon 504 - Eigenschaften 482 Hering-Breuer-Reflex 385
Graaf-Follikel 544, 545 - Hypertonie 478 Hermaphroditismus 541
Granulationes arachnoidales 205 - Konzentration 482 Herz 287, 289, 293. 299
Granulozyten 63, 256, 333 - p H-Wert 482 - Dilatation 293
- Gewicht 2H9 Hodenkanälchen 565 - Hörbahnschäden 643
- Größe 2H9 Hodennetz 565 - Schallempfindungsstörungen 642
- Kontraktion 293 Hodensack 564, 570 - Schallleitungsstörungen 642
Herzbeutel 288 Hohlhandbogen 313 Hortega-Zelle 194
Herzgeräusche 295 Hohlhandmuskel 161 Hörvorgang 641
Herzkammer 288 Hohlhandspanner, langer 158 Hüftbein 123, 125
Herzklappe 291, 291 Hohlvene 288, 290 Hüftgelenk 125
Herzkrankheit, koronare (KHK) 266 - obere 288,290 - Gelenkfläche 125
Herzkranzarterie 292, 292 - untere 288 Hüftlendenmuskel 163
Herzkranzfurche 292 holokrin 56 Hüftlochmuskel 165, 166
Herzkranzgefäße 293 Homöostase 8, 236 - äußerer 165
Herz-Kreislauf-System 286 homozygot 38 - innerer 165, 166
Herzmechanik 293 Hörbahn 642, 642 Hüftmuskulatur 163,164
Herzminutenvolumen 295 Hörbahnschäden 643 - ventrale 163, 164
Herzmuskel 292 Hören 643 humane Leukozyten Antigene (HLA) 338
- Blutversorgung 292 - räumliches 643 Humerus 131,132
Herzmuskulatur 71, 75 Horizontalbeschleunigung 645 Hustenreflex 367
Herznerv, vegetativer 299 Horizontalzellen 623 HVL (s. auch Hypophysenvorderlappen)
Herzohr 288 Hormon 411, 494-498, 495, 496, 500-508, 501, 502, 503
Herzskelett 291, 292 511-518,547 Hyaluronidase 566
Herztamponade 289 - adrenokortikotropes (AC:TH) 503, 504 hydrostatischer Druck 269
Herztöne 295 - aglanduläres 411, 496 Hydroxylapatit 66
Herzwand 289 - antidiuretisches (ADH) 474,479, Hydrozele 567
Heschl-Querwindungen 218 507, 508 Hymen 556, 558,558
Heterophagie 26, 26 - effektorisches 496, 497 hyperchrom 259
Heterosomen 31, 541 - Enzymaktivierung 498 Hyperglykämie 527, 52H
heterozygot 38 - follikelstimulierendes (FSH) 502, 504, Hyperkalzämie 517
HHL (s. auch Hypophysenhinterlappen) 546 Hyperkinese 216
501, 507 - gastrointestinales 411, 496 H ypermastie 561
Hiatus semilunaris 360 - Gelbkörperhormon 547 Hypermenorrhö 555
high density Iipoprotein (HOL) 266, 428 - Genaktivierung 498 Hypermetropie 630, 630
Hinterhaupt 218 - Gewebshormon 496 Hyperparathyroidismus 517
Hinterhauptbein 114,114, us, 115,116 - glandotropes 495, 497, 504 Hyperphosphatämie 517
Hinterhauptloch 117, 117, u8 - gonadotropes 504 Hyperpolarisation 190, 191
- großes 117, n8 - luteinisierendes (LH) 502-504, 546, 554 Hypersomnia 238
Hinterhirn 203,203, 209 - medizinische Bedeutung soo Hyperthelie 561
Hinterhorn 194, 195 - melanozytenstimulierendes (MSH) 504, Hyperthermie 612
Hinterlappen 218 506 - Folgen 612
Hintersäule 195 - NNR-Hormone 519 Hyperthyreose 514
Hippocampus 231 - Östrogen 547 Hypertonie 307, 478
Hirnabschnitt 207 - Parathormon 515, 516 Hyperventilation 273
Hirnhaut 206,206, 207 - Peptidhormon 494 Hypervitaminose 432
- harte 206, 206 - Permeabilitätsänderungen 498 hypochrom 259
- weiche 206 - Progesteron 547 Hypoglykämie 266, 526, 528
Hirnlappen 217 - Proteohormon 494 hypoglykämischer Schock 528
Hirnnerv 200,201 - Regelkreis 497 Hypokalzämie 517
Hirnrinde 216 - Regulation 496, 497 Hypokinese 216
Hirnschenkel 213 - Releasinghormon 497 Hypoparathyroidismus 516
Hirnventrikel 204,204 - Schilddrüsenhormone 5u, 512 Hypophosphatämie 517
Hirsutismus 506,523 - somatotropes (STH) 502, 505 Hypophyse 215, soo, 501,503
His-Bündel 296, 297,297 - Steroidhormon 494, 518 - Adenohypophyse 501
Histamin 256,520 - thyroideastimulierendes (TSH) 503, - Neurohypophyse 501,503
Histologie 16, 17,454 504, 512 Hypophysengrube 117
- der Niere 454 - Vitamin-0-Hormon 481,516 Hypophysenhinterlappen (HHL) 501, 507
- Methoden 17 - Wachstumshormon (STH) 502,505 Hypophysentumore 505
Hitzekollaps 308 - Wirkmechanismen 498 Hypophysenvorderlappen (HVL) 501, 502,
HlV 348 Hormoninaktivierung 498 503
HLA (s. auch humane Leukozyten Antigene) Hormonkonzentration 494, 512 - Hormone des 502
338 - Regulation 512 Hypoproteinämie 264
Höcker 155 Hormonproduktion 566 Hypothalamus 214, 501,502,503, 610
- großer 155 Hormonwirkungen 499, soo Hypothalamus-Hypophysen-System 500
- kleiner 155 - permissive soo Hypothermie 612
Hoden 564 Hornhaut 618, 619 Hypothyreose 513
- Bau 564 Hörorgan 637, 639 Hypotonie 308
- Funktion 564 Hörschwelle 639 Hypovitaminose 432
Hodenhochstand 567 Hörstörungen 642, 643 Hypoxie 273
662
ICSH 504 intramurale Ganglien 235 Katabolismus 4
lgD 341 intravasales (intrinsic) System 275 Katechoramine 524
lgE 256, 341 intrinsic factor 407, 409 Kation 7
lgM (s. auch Immunglobuline M) 259. 341 lntumescentia cervicalis 194 Katzcnschrei-Syndrom 34
Ikterus 423 lntumescentia lumbalis 194 Kaumuskel 138, 141
lleum 41 2,413,416,416 Inulin 467,469 Kauvorgang 400
- Lymph follikel 416 Insulin 526, 528 Kehldeckel 365
lliofemoralband 96 Insulinmangel 528 Kehlkopf 364
Immunabwehr 325 Involution 332 - Skelett 364
- Organe 325 Ionenkanal 191, 191 Kehlkopfdeckel 365
Immunelektrophorese 264,340 Iris 618,619 Keilbein 114, 115, u6, 128, 129, 162
Immunglobuline 340, 346 irreguläres Gelenk 98 Keilbeinhöhle 331,358,360, 362,363
Immunglobulin M (lgM) 259, 341 Ischämiephase 554 Keimbläschen 574
Immunglobulinklassen 341 ischiakrurale Gruppe 165, 166, 167 Keimblätter 575
Immunisierung 347 ischiakrurale Muskelgruppe 104 Keimscheibe 49, 50
- aktive 347 isometrisch 106 Keimzellen 544
- passive 347 isometrische Kontraktion 105 Keith-Fiack-Knoten 297
Immunität 346 Isophone 640 Keratin 593
Immunkomplex 338, 344 isoton 271 Keratohyalingranula 591
Immunkomplexreaktion 344 isotonisch 105 Kerckring-Falten 415, 415
Immunoblasten 334 isotonische Kontraktion 105 Kern 211, 213, 214, 215, 216
Immunegene 337,341 Isotop 7 - bleicher 215
Immunsuppression 347 isovolumetrische Kontraktion 294 - geschweifter 214, 215
Immuntoleranz 259, 347 Isthmus 548 - gezähnter 211
Implantation 574,575 I-Streifen 73,74 - Mandel.kern 215, 216
Implantationsorte 576 - roter 211, 213
inadäquater Reiz 616 - Schalenkern 215
lncisura supraorbitalis 114 - schwarzer 213
Incus 636 )ejunum 412, 413 Kernkörperehen 32
Indifferenzstadium 541 )et lag 529 Kernmembran 30,30
infrahyale Muskeln 118 Jochbein 114 , 115, 115 Kernporen 30, 30
Infraschall 638 Jochbogen 115, Kerntemperatur 6o6
Infundibulum 547 Jodmangel 514 KHK (s. auch koronare Herzkrankheit)
inkonstante Gelenkanteile 95 Jungfernhäutchen 558 266
Innenohr 6J6, 637, 638 juxtaglomerulärer Apparat 480 Kiefergelenk 115, 117
- Schnecke 638 Kieferhöhle 359, 362
Innenrotation 99 Kieferzungenbeinmuskel 142
innere Augenhaut 621 Kiesselbach-Fleck 360
Insel 216 Kahnbein 128, 128, 129, 133, 134 Killerzellen 334
Inselorgan 526 Kallus 70, 70 Kinetose 646
lnsomnia 238 Kälterezeptoren 599 Kinerosomen 27
Inspiration 377.377 Kältezittern 611 Kinozilien 28
inspiratorisches Reservevolumen 379 Kalzitonin 515, 516 Kitt-Substanz 68
Insuffizienz 103 Kalziumeinstrom 298 Kitzler 558, 559
- aktive 103 Kammer Kitzlerschwellkörper 543
- passive 103, 103 - linke 290 klassische Kaskade 336
Insula 218 - rechte 290 Klavikula 130
Insulin 526, 528 Kammerscheidewand 291 Kleinfingerabstrecker 162
lnsulinmangel;28 Kammerwinkel 620, 620 Kleinfingerbeuger, kurzer 161
Interferone 336, 611 Kammmuskel 168, 168 Kleinfingergegensteller 160, 161
Interkostalmuskulatur 145 Kapazitation 573 KleinfingerspreizeT 158, 161, 161
Interkostalnerv 197 Kapillaren 59, 302, 305,305 Kleinfingerstrecker 159, 159
lnterleukine 334, 339, 611 - Gallenkapillaren 423 Kleinhirn 203, 207, 210
Intermediärsinus 327 Kaposi-Sarkom 348 Kleinhirnflocke 209
lntermediärtubulus 454, 458 Kapsel, innere 215 Kleinhirnhemisphäre 210
interneuronale Synapse 81 Kapselhemmung 103 Kleinhirnmandel 209
Interphase 35 Kapselraum 455, 455 Kleinhirnrinde 210
Intersexualität 541 Kapuzenmuskel 1J8, 142, 144 Kleinhirnstiel 209
interstitielles Wachstum Karotiskörperehen 387 Kleinhirnwurm 209
l nterstitium 269 Karotisloch 118 kleinste Nervenzellen 79
Interventrikularseptum 290 Karpal.kanal 162 Kleinzehenabspreizer 172
intervillöser Blutraum 576 Karpaltunnel 161, 162 Kleinzehenballen 172
intervillöser Raum 577 Karpal!unnelsyndrom 161 Kleinzehenbeuger, kurzer 172, 173
Interzellularsubstanz 58 Karyoplasma 30 KleinzehenspreizeT 173
- geformte 58 Kaskade 336 Kletterfasern 211
- ungeformte 58 - alternative 336 Klimakterium 555
Intima 303,303 - klassische 336 Klinefelter-Syndrom 541
Stichwortverzeichnis 663

Klitoris 558, 559 Kontaktallergie der Haut 346 Kurvatur


Klitorisschwellkörper 559 Kontraktion 105, 106, 293, 294 - große 407
Klon 338 - exzentrische 106 - kleine 407
Kniehöcker 642 - isometrische 105 Kurzsichtigkeit 629
Kniescheibe 97, 126 - isotonische 105 Kurzzeitgedächtnis 231
Knöchel 127, 127, 129 - isovolumetrische 294
Knochen 66, 67, 70, 91 - konzentrische 106
- chemische Analyse 66 Kontraktionskraft 299
- Fingerknochen 134 Konvektion 609 Labium majus 558
- Fußwurzelknochen 125 Konvergenzbewegungen 626 Labium minus 558
- Geflechtknochen 66 Konzentration des Harns 482 Labrum acetabulare 124
- Handwurzelknochen 133 konzentrische Kontraktion 106 Labrum articulare 96
- Kollagenfasern 66 Kopfbein 133, 134 Labyrinth 637
- Lamellenknochen 67 Kopfganglien 235 Lachmuskel 138, 139
- Oberarmknochen 131, 132 Kopfgelenk 122, 139, 139, 142, 144 Lacis-Zellen 455, 480
- Oberkieferknochen 114 Kopfkappe 566 Lactobacillus vaginalis 557
- Oberschenkelknochen 125, 126 Kopfteil 567 Lagebegriff, am Körper 112
- Regeneration 70 Koppelung 107, 298,308 Lähmungsschielen 631
- Röhrenknochen 91 - arteriovenöse JOB Lambdanaht 116
- Tarsalknochen 125 - elektromechanische 107, 298 Lamellen 67
Knochenarten 66, 91 Korium 590, 592 - Generallamellen 67, 67
Knochenentwicklung 68 Kornea 618, 619 - Schaltlamellen 67,67
Knochenfraktur 70 Körnerschicht 211, 217 - Speziallamellen 67, 67, 68
Knochenhemmung 102 - äußere 217 Lamellenknochen 67
Knochenmark 91, 252 - innere 217 Lamellenkörperehen 599
- blutbildendes 252, 252 Körnerzellschicht 210, 211 Lamina cribrosa 116, 117
- gelbes 252 Koronararterie 292 Lamina muscularis mucosae 415
- Gesamtgewicht 252 koronare Herzkrankheit (KHK) 266 Lamina tectalis 208, 212, 214
- rotes 252 Korotkow 310 Längenwachstum 69, 93
Knochenumbau 71 Körperbehaarung 594 Langerhans-Inseln 526
knöcherne Umlenkungen 104 Körperkreislauf 301 Langzeitgedächtnis 231
Knorpel 65 Körpertemperatur 6oS, 610 Lanugohaare 593
- elastischer 65 - Regulation 610 Lappenbronchien 368
- Faserknorpel 65 Kortex 216, 225, 226 latentes Schielen 631
- hyaliner 65 - motorischer 225, 226 Lautstärkepegel 640
- Ringknorpel 364.365 Kortikoide 518 LDL (s. auch low density Iipoprotein) 266,
- Schildknorpel 364,365, 366 Kortikosteron 519 428
- Stellknorpel 364.365,366 Kortisol 519,519,522 Leben 3, 5
Knorpelarten 64 Kotyledo 577 Lebensmittelunverträglichkeit 345
Koagulation 277 Kraftentwicklung 106 Leber 395, 414, 420, 421, 421
Koagulopathien 278 KräfteparaJJelogramm 109 - Histologie 421
kodominant 38 Krampf 107 - Makroskopie 420
Kohlenhydrate 9, 430, 434 kranlosakrales System 234 Leberläppchen 422
- enzymatischer Abbau 434 Kreatinin 267 Leberlappen 420
Koklygealkyphose 119 Kreislauf 287, 425 Leberpforte 420
Kolbenhaar 594, 594 - enterohepatischer 425 Leberzelle 423, 423
Kollagen 58, 59 - Schema 287 Lederhaut 592
- Periodik 59 Kreislaufkollaps 308 Leistenband 168
- Zugfestigkeit 59 Kreislaufzentrum 220 Leistenhaut 589
Kollagenfaserbündel 58, 59, 64 Kretinismus 513 Leistenring 567
Kollagenfasern 58, 66 - endemischer 513 Lendenlordose u9, 121
Kollagen-Typ-111 6o, 6o - sporadischer 513 Lendenmuskel 163, 164, 168
Kollateralkreislauf 306 Kreuzband 126 - großer 163, 164
Kollodiaphysenwinkel 125 Kreuzbein 123 - kleiner 164
Kolloid 511 Kreuzbein-Darmbein-Gelenk 123, 124, 124 - viereckiger 164
kolloidosmotischer Druck 269 Kreuzung 38 Lendenwirbel 119, 120
Kaliumkarzinom 555 - dihybride 38, 39 Lendenwirbelsäule (LWS) 119
Kolon 418 - monohybride 38 Lesezentrum 218
Kolostrum 563 - polyhybride 38 Letalmutation 33
Kommissurenfasern 219, 220 - trihybride 38 Leukozyten 255
Kompakta 67, 67, 91 Kronennaht 114 Leukozyteninfiltration 520
Komplementsystem 336 Kropf 514 Levatortor 148
konditionierter Reflex 411 Krypte 416 Leydig-Zwischenzellen 566
Koniotomie 366 Kryptorchismus 567 Lezithin 429
Konjunktiva 619 Kugelgelenk 99, 9 LH (s. auch luteinisierendes Hormon)
konstantwarm 6o6 Kupffer-Sternzellen 422 502- 504, 546. 554
664

Liberine 495, 497 Lunula 595 M. extensor digitorum longus 170, 171
Lichtmikroskop 18 luteinisierendes Hormon (LH) 502- 504, M. extensor hallucis brevis 172
- Auflösungsgrenze 18 546.554 M. extensor hallucis longus 170
Lid 625 LWS (s. auch Lendenwirbelsäule) 119 M. extensor indicis 159, 160
Lieberkühn-Drüsen 415 Lymphbahnen 326 M. extensor pollicis brevis 159, 159, 160
Ligamentum articulare 95 Lymphe 325.327 M. extensor pollicis longus 159, 160
Ligamentum iliofemorale 95, 96 - Filtration 327 M. flexor carpi radialis 157, 158
Ligamentum inguinale 168 Lymphfollikel 327, 328 M. flexor carpi ulnaris 157, 158
Ligamentum latum 550 Lyrnphgang 326 M. flexor digiti minimi 161, 161, 173
Ligamentum pectinatum 620 Lymphgefäß 326 M. flexor digiti minimi brevis 172
Ligamentum teres uteri 550 - abführendes 326 M. flexor digitorum brevis 172, 173
Ligamentum vocale 365, 365,366 - zuführendes 326 M. flexor digitorum longus 170
Lignin 433 Lymphgefäßsystem 325 M. flexor digitorum profundus 158, 158
limbisches System 225, 230, 230 Lymphknoten 326>326, 327 M. flexor digitorum superficialis 157, 158,
- Funktionen 230 - Aufgaben 327 161
Linea aspera 126 Lymphokine 339 M. flexor hallucis brevis 172
Linea terminalis 123 Lymphopoese 327 M. flexor hallucis longus 158, 170, 173
Linearbeschleunigung 645 Lymphozyten 257, 333, 334, 341 M. flexor pollicis brevis 158, 161, 161
linke Kammer 290 - B-Lymphozyten 333, 334 M. flexor pollicis longus 158
Linse 618, 620 , 623 - T-Lymphozyten 333,341 M. gastrocnemius 136, 138, 166, 169, qo, 171
Lipiddoppelschicht 19 Lymphozyten-Infiltration 330 M. gastrocnemius, Caput mediale 165
Lipide 10,29,265,428 Lyrnphsystem 324 M. geniohyoideus 138
- im Blut 265 Lysosomen 24, 25 M. glutaeus maximus 138, 150, 164, 165
Lipidschicht 19 Lysozym 256, 336 M. glutaeus medius 164, 165, 166
- bimolekulare 19 M. glutaeus minimus 164, 166
Lipofuszin 75 M. gracilis 165, 168, 168
Lipofuszingranula 28 M. iliacus 163, 164, 168
Lipoproteinlipase 265 M. abductor digiti minimi 158, 161, 161, 162, M. iliocostalis 143
Liquor 204 172,173 M. iliopsoas 163
Liquor cerebrospinalis 204 M. abductor hallucis 172, 173 M. infraspinatus 152, 154
Liquormenge 205 M. abductor pollicis brevis 158, 161, 161, 162 M. ischiocavernosus 150
Lobus frontalis 217, 218 M. abductor pollicis longu s 159, 159, 160 M. latissimus dorsi 138, 143, 144 , 145, 148,
Lobus occipitalis 218 M. Addison 522 152,155
Lobus parietalis 218 M. adductor brevis 168 M. Ievator ani 148, 150, 150
Lobus pyramidalis 510 M. adductor hallucis brevis 172 M. Ievator palpebrae 626
Lobus temporalis 218 M. adductor longus 168, 168 M. Ievator scapulae 143, 144, 152, 155
Loch 116, u7, H8 M. adductor magnus 168 M. longissimus 143
- ovales 116, u 7, H8 M. adductor pollicis 161, 161 M. masseter 138, 139
- rundes 116, 117 M. arrector pili 594 M. multifidus 144
Lordose H9, 121 M. articularis 98 M. mylohyoideus 138, 142, 396
- Halslordose ug, 121 M. Basedow 514 M. obliquus capitis inferior 145
- Lenden.lordose Hg, 121 M. biceps brachii 153, 154 M. obliquus capitis superior 145
low density Iipoprotein (LDL) 266, 428 M. biceps femoris 165, 166, 167 M. obliquus externus abdominis 148, 149,
Lubrikation 557 M. brachialis 153, 154, 155, 157 155
Luft, Zusammensetzung 383 M. brachioradialis 153, 158, 159 M. obHquus inferior 625
Luft -Blut-Schranke 375 M. buccinator 139, 141 M. obliquus Superior 625
Luftröhre 367 M. bulbospongiosus 150, 150 M. obturator externus 165, 166
Luftschlucken 401 M. carpi radialis brevis 159, 159 M. Obturator internus 165, 166
Lumbalpunktion 205 M. carpi radialis longus 159, 159 M. opponens digiti minimi 160, 161
Lumbalwirbel 119 M. ciliaris 620 M. opponens poUicis 160, 161
Lunge 344, 370-372, 370, 375 M. coracobrachialis 151, 152, 154. 155 M. orbicularis oris 139
- Farmerlunge 344 M. cremaster 568 M. palmaris brevis 161
- Gefäße 375 M. deltoideus 138, 144 , 145, 152, 153, 154 M. palmaris longus 157. 158
- Recessus costodiaphragmaticus 372 - Pars acromialis 152 M. peclineus 168, 168
- Recessus costomediastinalis 372 - Pars clavicularis 152 M. pectoralis major 136, 148, 149, 151, 152,
- Reserveräume 372 - Pars spinalis 152 378,560
- Vogelzüchterlunge 344 M. depressor anguli oris 138, 139 M. pectoralis minor 151, 152, 378
Lungenarterie 375 M. detrusor 462, 464 M. peroneus brevis 170, 171
Lungenatmung 357 M. digastricus 138, 142 M. peroneus longus 170, qo, 171
Lungenembolie 375 M. dilatator pupiUae 619 M. piriformis 165, 166
Lungenflügel 370 M. epicranius 139 M. plantaris 170, qo
Lungenfunktionsprüfung 382 M. erector spinae 142 M. pronator quadratus 158, 158
Lungengewebe 373 M. extensor carpi radialis longus 153 M. pronator teres 158
Lungenkreislauf 302 M. extensor carpi ulnaris 159, 159 M. psoas major 163, 164 , 168
Lungenspitze 358 M. extensor digiti minimi 159, 159 M. psoas minor 164
Lungenvene 375 M. extensor digitorum 153, 159, 159 M. pterygoideus lateralis 138, 141
Lungenvolumina 380 M. extensor digitorum brevis 172 M. pterygoideus medialis 138, 141
Stichwortverzeichnis 665

M. quadratus femoris 165, 166 Magenpförtner 407 Membran 19, 20, 30, 30, 81, 455, 456, 466,
M. quadratus lumborum 164 Magensaftsekretion 408-410, 410 638, 6]9, 641
M. quadratus plantae 172 - Gastrin 410 - Basalmembran 455, 456, 466
M. quadriceps femoris 126,166 - gastrische Phase 410 - Basilarmembran 638, 639, 641
M. rectus abdominis 136,149 - intestinale Phase 410 - Kernmembran 30,30
M. rectus capitis posterior major 144 - kephale Phase 410 - postsynaptische 81
M. rectus capitis posterior minor 145 - N. vagus 410 - präsynaptische 81
M. rectus femoris 136,165, 166,168 - Phasen 409 - Reissner-Membran 638
M. rectus inferior 625 - Sekretin 410 - Tektorialmembran 639
M. rectus lateralis 625 Magenschleimhaut 408 - Zellmembran 19, 20
M. rectus medialis 625 Mahlzahn 400 Membrana interossea 94
M. rectus superior 625 major histocompatibility complex (MHC) membrane coating granules 591
M. rhomboidei major 152 338 Membranpotential 189
M. rhomboidei minor 152, 155 - MHCI 338 Membrantransport 20
M. risorius 139 - MHCJI 338 Menarche 542, 555
M. sartorius 1J6, 166, 168 - MHC-System 346 Mendel-Regel 39, 40
M. scalenus anterior 141 Majorreaktion 260 - Aufspaltungsregel 40
M. scalenus medius 141 Makrophagen 59, 257, 333, 339 - Unabhängigkeitsregel 40
M. semimembranosus 165, 166, 167 - Alveolarmakrophagen 375 - Uniformitätsregel 39, 40
M. semispinalis 144 Makrosmatiker 361 Meningen 207
M. semitendinosus 165, 166, 167 Malleoiengabel 127 Meniskus 96, 97
M. serratus anterior 143, 148, 149, 151, 152 Malleolus lateralis 127, 171 Menopause 555
M. soleus 136, 169, 170, 171 Malleolus medialis 126, 129, 171 Menstruation 555
M. sphincter ani externus 149, 150, 150, 419 Malleus 636 - Dauer 555
M. sphincter ani internus 419 Mandelkern 215, 116 Menstruationsgelbkörper 547
M. sphincter pupillae 619 Mandeln 330 Menstruationszyklus 552
M. sphincter urethrae 462 Mandibula 114, 115, 116 Merkaptane 362
M. sphincter vesicae 462 Mannitol 480 Merkel-Zellen 598
M. spinalis 144 männliche Harnblase 465 merokrin 55
M. splenius 143 männliche Harnröhre 463 merokrine Sekretion 55, 56
M. stapedius 637 Manschette, orgastische 573 Mesangiozyten 456
M. sternocleidomastoideus 139, 140, 142, Mantel- und Hüllzellen 192 Mesangium 456, 480,481
144. 145> 377 Manubrium 122 - extraglomeruläres 456, 480, 481
M. sternohyoideus 142 Mark, verlängertes 207 Mesangium-Zelle 455, 456
M. stylohyoideus 138 markhaltige Nervenfasern 78 Mesencephalon 207
M. subclavius 142, 151, 152 marklose Nervenfasern 78 Mesenchym 57
M. subscapularis 152, 154, 155 Markpyramide 451, 451 Mesenterium 404, 406, 413, 415
M. supinator 159, 160 Markscheidenbildung 192 - Duodenum 413
M. supraspinatus 152, 154, 155 Marksinus 327 - Ileum 413
M. tarsalis 626 Markstrahlen 451, 452 - Jejunum 413
M. temporalis 115, 138, 139 Mastzelle 63, 343 - Omenturn maius 406
M. temporoparietalis 139 Maulschellenbewegung 129 - Omenturn minus 406
M. tensor fasciae latae 164, 165, 168 Maxilla 114, 115, 118 - Wurzel 413
M. tensor tympani 637 MCH (s. auch mittleres korpuskuläres Mesenzephalon 202, 212
M. teres major 154 Hämoglobin) 259 Mesoderm 49
M. teres minor 152, 154 Meatus acusticus externus 115 Mesosalpinx 547
M. tibialis anterior 170, 171 Mechanismen 270, 273k 324, 336, 337, 341 Mesothel 52
M. tibialis posterior 170 - Abwehrmechanismen 324, 336, 337, 341 messenger-RNA (mRNA) 37
M. trachealis 368 - Ausscheidungsmechanismen 273 Metabolismus 4
M. transversus abdominis 164 - Transportmechanismen 270 Metaphase 35, 36
M. transversus perinei profundus 149, 150, Mechanorezeptoren 598 Metatarsalknochen 125
150, 550 Media 303,303 Metathalamus 214
M. transversus perinei superficialis 149 Mediastinum 288, 331 Metenzephalon 203, 209
M. trapezius 138, 142, 144, 145, 152 Medioklavikularlinie 287 MHC (s. auch major histocompatibility
M. triceps brachii 138, 153, 154 mediterrane Ernährung 429 complex) 338
M. triceps surae 169 Medulla oblongata 203,207, 208 MHCI 338
M. vastus lateralis 165, 168 Medulla spinalis 196 MHCII 338
M. vastus medialis 168 Megakaryozyten 257 MHC-System 346
M. vocalis 365 Meibom-Drüsen 625 Mikroangiopathie 529
M. zygomaticus major 138, 139 Meiose 36 Mikroglia 194
Macula densa 455, 458, 480, 481 Meissner-Körperchen 598 Mikrophagen 333
Magen 395, 406, 407, 414 Meissner-Tastkörperchen 599 Mikropunktion 470
Magen-Darm-Trakt 404,404 Melanozyten 591 Mikrosmatiker 361
Magendrüse 407, 408 melanozytenstimulierendes Hormon (MSH) Mikrovilli 21
Magenmotilität 412 504, 506 Mikrozephalus 185
- Parasympathikus 412 Melatonin 214, 529 Miktion 462
- Sympathikus 412 - Wirkungen 529 Milchbucht 560, 561
666

Milchgang s6o, 561 Moloneuron 187 - Schenkelmuskel 136, 165, 165, 168
Milchgebiss 400 - muttipolares 187 - Schienbeinmuskel 170
Milchleiste 561,562 Motorik 224 - Schläfenmuskel 115, 139
Milchsäurebakterien 557 - Regulation der 224 - Schlankmuskel 165, 168
Milz 328, 328, 330 motorische Endplatte 81, 83 - Sohlenviereckmuskel 172
- Hauptaufgaben 330 motorische Rinde 218 - suprahyaler Muskel 118, 138
- offener Kreislauf 330 motorischer Kortex 225 - Unterarmmuskel 157
Milzparenchym 329 motorisches Sprachzentrum 218 - Untergrätenmuskel 152, 154
Milzsinus 329 mouches volantes 623 - Unterschlüsselbeinmuskel 142, 151, 152
Milzstroma 329 mRNA (s. auch messenger-RNA) 37 - Unterschulterblattmuskel 152, 154, 155
Mimik 138 MSH (s. auch melanozytenstimulierendes - Wadenbeinmuskel 136, 170, 171
mimische Muskulatur 138 Hormon) 504, 506 - Wadenmuskel 169
Minderwuchs 505 Mückensehen 623 - Wurmmuskel 161, 161, 162, 173
- disproportionierter 505 mukös 55 - Ziliarmuskel 620
- proportionierter 505 Mukosa 404 - Zungenbeinmuskel 138, 140
Mineralokortikoide 504, 520 Mundboden 396 - Zwiebelschwammmuskel 150
Minimax-Prinzip 91 Mundbodenmuskulatur 138 - Zwischenknochenmuskel 161
Minorreaktion 260 Mundhöhle 395 , 396 - Zwischenrippenmuskel 147
Miosis 631 Mundringmuskel 139 Muskelpumpe 108, 296, 306
Mitesser 596 Mundvorhof 396, 397 Muskelspindel 108,222, 222
Mitochondrien 25 Muskelfaser 72, 74 Muskul2.ris 405
Mitose 35, 35, 36 Muskelgewebe 48, 71 Muskulatur 71, 73, 75, 105, 138, 139, 142, 143,
Mitralklappe 288, 290, 292 Muskelgruppe, ischiakrurale 104 149, 1)0- 152, 154>160, J66, 168- 170, 172
Mittelfußknochen 125, 128, 129, 129 Muskelkater 106 - Armmuskulatur 154
Mittelhandknochen 134 Muskelkontraktion 107 - AIernmuskulatur 147, 377
Mittelhirn 203, 207, 212 - Adenosintriphosphat (A TP) 107, 276 - Bauchmuskulatur 149
Mittelhirnbläschen 202 Muskelkraft 109 - Beinmuskulatur 166
mittelkettige Triglyzeride 434 - Vektoren 109 - Brustmuskulatur 152
Mittelohr 636, 636 Muskeln 101, 118, 138, 140-143, 147, 147, 148, - der Fußsohle 172
mittleres korpuskuläres Hämoglobin 150, 155, 157, 163,165,166, 172, 626 - der Sohlenmitte 172
(MCH) 259 - Anusringmuskel 150 - des f'ußrückens 172
Mm. gemelli 165, 166 - Atemhilfsmuskel 378,378, 379 - des Croßzehenballens 172
Mm. intercostales externi 145, 147, 377 - Atemmuskel 147 - des Kleinzehenballens 172
Mm. intercostales interni 145, 147 - Augenmuskel 625, 625, 626 - Einteilung 105
Mm. interossei 161 - Bauchmuskel 136, 147, 148, 149, 155, 164 - glatte 71, 73
Mm. interossei dorsales 173 - Beckenbodenmuskel 150 - Halsmuskulatur 139, 144
Mm. interossei plantares 173 - birnenförmiger Muskel 165, 166 - Handmuskulatur 160
Mm. intertransversarii 144 - Dammmuskel 149, 150 - Herzmuskulatur 71, 75
Mm. lumbricales 161, 161, 162, 173, 173 - Darmbeinmuskel 163, 164, 168 - Hüftmuskulatur 163, 164
Mm. papillares 291 - Gesichtsmuskel 138 - Interkostalmuskulatur 145
Mm. peronaei 136 - Hakenarmmuskel 151, 152, 152, 154, 155 - Kaumuskulatur 138
Mm. rhomboidei 143, 144, 150 - Halbmembranmuskel 165,166, 167 - mimische 138
Mm. rotatores 144 - Halbsehnenmuskel 165, 166, 167 - Mundbodenm uskulatur
Mm. scaleni 142 - Herzmuskel 292 - Oberschenkelmuskulatur 166
Molekül 6, 7 - Hohlhandmuskel 161 - quergestreifte 71
- Glyzerinmolekül 10 - Hüftlendenmuskel 163 - Rückenmuskulatur 142, 143, 144
- Häm-Molekül 254,254 - Hüftlochmuskel 165, 166 - Schultergürtelmuskulatur 142, 150-152
- Troponinmolekül 72 - Hüftmuskel 163, 164 - Skelettmuskulatur 71
Molekularschicht 210, 211, 211, 217 - infrahyaler Muskel 118 - suprahyale 138
Molekülmasse, relative (RMM) 11 - Kammmuskel 168,168 - Unterschenkelmuskulatur 168-170
Mondbein 133, 134 - Kapuzenmuskel 142 Mutation 33, 34
Mongolismus 34 - Kaumuskeln 138 - Genmutation 34
monohybride Kreuzung 38 - Kieferzungenbeinmuskel 142 - Letalmutation 33
monoklonale Antikörper 338 - Lachmuskel 138 - nummerische Chromosomenmutation
mononukleäres Phagozytensystem (MPS) - längster Muskel 143 34
327 - Lendenmuskel 163, 164, 168 - strukturelle Chromosomenmutation 34
monosynaptischer Reflex 222 - Oberarmmuskel138, 153, 155 Muttermikh 563
Monozyten 63, 257, 333 - Oberarmspeichenmuskel 153, 158 - Zusammensetzung 563
Mons pubis 557, 558 - Obergrätenmuskel 152, 154, 155 Muttermund 551
Montgomery-Knötchen 560 - Oberschenkelmuskel 166- 168, 166 Muzin 409
Moosfasern 211 - Papillarmuskel 290, 291 Mydriasis 631
Morbus haemolyticus neonatorum 262 - prävertebraler Muskel 141 Myelenzephalon 203
Morbus Wilson 265 - Rautenmuskel 143, 144, 150, 152, 155 Myelinisierung 192
Morbus Basedow 514 - Riemenmuskel 143 Myelinscheide 78
Morula 49 - Rückenmuskel 138, 143, 144, 148, 155 Myoepithel 54
Motilin 411 - Rundmuskel 152,154 Myoepithelzellen 56
Motoaxon 223 - Sägemuskel 143, 148, 149, 1.52 Myofibrillen 74, 107
Stichwortverzeichnis 667
Myoglobin 75 Nasenseptum 359 - Moloneuron 187
Myokard 289, 292 Nasenvorhof 360 - multipolares 83
Myometrium 551 Natrium-Kalium-Pumpe 191, 476 - postganglionäres 231
Myopie 629, 629 Natriumpumpe 475 - präganglionäres 231
Myosin 72, 74 , 108 Natriumzitrat 258 - pseudounipolares 187
Myosinfilamente 72, 73 Nebenhoden 564,564, 567 - Zwischenneuron 223
Myxödem 513 Nebenhodengang 567 Neurosekret 501
Nebenhodenschwanz 567 Neutralfette 10
Nebennieren 517,518 Neutron 6
Nebennierenmark (NNM) 524 Neutrophile 256
N. abducens 202 Nebennierenrinde 517, 518 Niere 449, 449, 450, 452, 453, 454, 456, 470,
N. accessorius 202 - Hormone 518 473
N. facialis 184, 202 Nebenschilddrüse 515,515, 517 - Anatomie 449
N. femoralis 184 - Hauptzellen 515 - Anteile 450
N. fibularis 184 - oxyphile Zellen 515 - Befestigung 450
N. glossopharyngeus 202 - Oberfunktion 517 - Beweglichkeit 450
N. hypoglossus 202 Nebenschilddrüsenfunktion 516 - Filtrationsfläche 456
N. ischiadicus 184, 198 - Störungen 516 - Gefäßversorgung 452, 453
N. laryngeus recurrens 366 Nebenzelle 407 - Histologie 454
N. laryngeus superior 366 Nephron 454 - Nierenarterie 452
N. mandibularis 201 - Teile 454 - Regulationsmechanismus 473
N. maxillaris 201 Nerven 79, 80, 200 - Segmentarterie 452
N. medianus 162, 184 - afferente 79 - Sekretion 470
N. musculocutaneus 184 - efferente 79 Nierenarterie 452
N. nasopalatinus 117 - Herznerv 299 Nierenbecken 449, 451, 452, 458, 459
N. oculomotorius 200 - Hirnnerv 200, 201 - ampulläres 459
N. ophthalmicus 201 - Interkostalnerv 197 - dendritisches 459
N. opticus 200, 631 - periphere 79, 8o Nierenbeckenformen 459
N. peronaeus 198 - Spinalnerv 194, 195, 196, 197 Nierenbucht 451
N. phrenicus 378 Nervenendigungen 599, 600 Nierendurchblutung 467, 468
N. radialis 184 - freie 599, 6oo - Autoregulation 467, 468
N. statoacusticus 202 Nervenfasern 78, 8o, 82 Nierenfilter 457, 465
N. tibialis 184 - Degeneration 82 Nierenkanälchen 457
N. trigeminus 114, 201 - markhaltige 78 Nierenkapsel 449, 450, 451
- drei Endäste 114 - marklose 78 Nierenkelche 451, 452
N. trochlearis 201 - Regeneration 82 Nierenkörperehen 451, 455, 455
N. ulnaris 162, 184 Nervengellecht 198 - Kapselraum 455, 455
N. vagus 202, 235, 366 Nervengewebe 48, 76 Nierenpapille 451
- N.laryngeus recurrens 366 Nervenmanschetten 598 Nierenparenchym 451
- N. laryngeus superior 366 Nervenplexus 198 Nierenpforte 449
N. vestibularis 645 Nervensystem 182- 185, 231 Nierenrinde 451, 451
Nachgerinnung 275 - animales 182, 183 Nierensäule 451
Nachhirn 203, 203, 208 - Entwicklung 184, 185 Nierenschwelle 267, 472
Nachpotential 191 - peripheres (PNS) 183 - Glukose 472
Nägel 595 - vegetatives 182, 183, 231 Nierensinus 450
Nagelmatrix 595 Nervenzellen 77, 79 Nierentubulus 457
Nagelplatte 595 - bipolare 79 - Rückresorption 457
Nagelwall 595 - größte 79 - Sekretion 457
Nahakkommodation 627 - kleinste 79 Nissl-Schollen 77, 77, 186
Nahrung 433, 435 - multipolare 79 issi-Substanz 78
- Abbau 433 - pseudounipolare 79 n. splanchnici pelvini 235
- Resorption 435 - unipolare 79 NNM (s. auch Nebennierenmark) 524
Nahrungsbestandteile 428 Nettofiltrationsdruck 466 NNR-Hormone 519
Narkolepsie 239 Netzhaut 621, 621 - Regulation 519
Narrenbein 617 Neuralleiste 184, 185 NNR-Insuffizienz 521
Nase 359 Neuralplatte 184, 185 NNR-Oberfunktion 522
Nasenbein 115 Neuralrinne 184, 185 NNR-Unterfunktion 521
Nasengäng 359 Neuralrohr 184 Noradrenalin 81, 309, 524,525
Nasenhöhle 359-361 euralwülste 184 - Hormonabgabe 524
- Epithel 361 Neurit 77, 78, 186 - Wirkungen 524,525
- Funktionen 360 Neurofibrillen 77 Nozizeptoren 227
Nasenknochen 115 neuroglanduläre Synapse 81 ucleus caudatus 214 , 216
Nasenmuschel JI4, 358- 360, 359 Neuroglia 81, 192 ucleus cochlearis anterior 642
- untere 114 Neurohypophyse 501,503 Nucleus cochlearis posterior 642
Nasennebenhöhlen 362 neuromuskuläre Synapse 81 Nucleus cueatus 209
- Funktionen 362 Neuron 77, 83, 187, 187, 223, 231, 236 Nucleus dentatus 209, 211
Nasenscheidewand 359 - Assoziationsneuron 236 Nucleus dorsomedialis 215, 215
668

Nucleus gracilis 209 Oozyte 546 Oxygenation 255


Nucleus infundibularis 215,215 Opsonisierung 336 Oxyhämoglobin 255
Nucleus paraventricularis 215, 215, 501 optokinetischer Nystagmus 646 oxyphile Zellen 515
Nucleus pulposus 92, 121 Oraltemperatur 607 Oxytozin 507-509,509, 563
Nucleus ruber 211, 2u, 213,226 Orbita 114 - Milchabgabe 509
Nucleus supraopticus 215, 215, 501 Organe 324, 325, 493, 542, 564,569, 618 - Wirkung 509
Nucleus ventromedialis 215, 215 - der Immunabwehr 324, 325
Nukleinsäuren 12, 12 - endokrine 493
- Desoxyribonukleinsäure (DNS; DNA) - Geschlechtsorgane ;42, 564.569
12, 12 - Sinnesorgane 618 PAH (s. auch Paraaminohippursäure)
- Ribonukleinsäure (R S; R A) 12, 12 organische Substanz 8 469,470
ukleolus 32 Organkapseln 63 Pallidum 213, 215
Nukleoliden 32 Orgasmusphase 572 Palmaraponeurose 157, 158
nummeriscbe Chromosomenmutation 34 orgastische Manschette 573 Paneth-Körperzellen 415, 416
Nussgelenk 99 Orthostase 310 Pankreas 395,426,426,427,427,525, 526
Nystagmus 645, 646 Os capitatum 133, 134 - a-Zelle 427
- optokinetischer 646 Os coxae 123, 125 - ß-Zelle 427
- vestibulärer 645 Os cuboideum 128, 128 - endokrines 525, 526
Os cuneiforme 128, 129 - Enzyme 427
Os ethmoidale u6 - exokrines 525
Os frontale 114, 114, 115 - Hormone des 526
Oberarmknochen 131, 132 Os hamatum 133, 134 Pankreassekretion 427
Oberarmmuskel 138, 153, 155 Os hyoideum 118 Papilla duodeni major 412
- dreiköpfiger 138, 153 Os ilii 123 Papillarmuskel 290, 291
- zweiköpfiger 153 Os ischii 123, 125 Papillen 397,398, 451, 590
Oberarmspeichenmuskel 153, 158 Os lunaturn 133. 134 - Bindegewebspapille 590
Obergrätenmuskel 152, 154. 155 Os nasale 115, 115, 359 - Blattpapille 397, 398
Oberhaut 590 Os naviculare 128, 128, 129 - Fadenpapille 397
Oberkiefer 115, 118 Os occipitale 114, 115, 116 - Nierenpapille 451
Oberkieferknochen 114 Os palatinum 118 - Pilzpapille 397.398
Oberschenkelhals 126 Os parietale 114-116 - Wallpapille 397.398
Oberschenkelknochen 125, 126 Os pisiforme 133, 134, 162 Papillengänge 452, 458
- Caput 125 Os pubis 123, 125 Paraaminohippursäure (PAH) 469,470
- Collum 125 Os sacrum 123 paradoxer Schlaf 238
- Diaphyse 125 Os scaphoideum 133, 134, 162 parafollikuläre Zellen 515
- Hals 125 Os Sphenoidale 114, 115, 116 Paraganglien 387
- Kopf 125 Os temporale 115, 115, 116 Paraganglion supracardiale 387
- Schaft 125 Os trapezium 133, 134 Parallelfasern 211
Oberschenkelmuskel 166-168, 166 Os trapezoideum 133 Parametrium 551
- Adduktor 168 Os triquerrum 133, 134 Paraplasma 28
- dorsaler 167 Os zygomaticum 114, 115, 115 Paraproteinämie 265
- gerader 166 Osmose 268 Parasympathikus 231, 233, 235, 236, 412
- medialer 168 osmotische Diurese 480 - Wirkung 236
- viereckiger 166 osmotischer Druck 268, 269 parasympathische Kopfganglien 235
- vierköpfiger 166 Ösophagus 405 Parathormon 515, 516
- zweiköpfiger 166 Ösophagussphinkter 406 Paratop 340
Oberschenkelmuskulatur 166 Ossa carpi 133 paravertebrale Ganglien 232
Oberschenkelschaft 126 Ossa metacarpi 134 Parenchym 49, ; 6, 329
obstruktive Ventilationsstörung 381 Ossa metatarsi 129, 129 - Milzparenchym 329
Ödem 270, 343 Ossifikation 68 - Nierenparenchym 451
Orlontoblasten 399 Osteoblasten 516 Parentalgeneration 38
Oesophagus 395 Osteoid 68 Parietallappen 218
Ohr 634, 636, 636, 637 Osteoklasten 69, 70, 516 Parodontium 400
- äußeres 634 Osteomalazie 516 Pars acromialis 152
- Innenohr 636,637 Osteon 67, 67 Pars clavicularis 152
- Mittelohr 636, 636 Osteoporose 523, 555 Pars petrosa 115, 117
Ohrmuschel 635, 635 Osteozyten 66, 68 Pars spinalis 152
Ohrschmalz 635 Östrogen 11, 547, 552 Pars triangularis 217
Ohrspeicheldruse 401, 401 OtoLithen 645 Partialdruck 383
Ohrtrompete 364, 636, 637 ovales Fenster 637 Partialdruckdifferenz 384
Okzipitallappen 218 ovales Loch 116, 117, 118 passive Immunisierung 347
Olecranon 132 ovarieller Zyklus 555 passive Insuffizienz 103, 103
Oligodendroglia 192 Ovarien 542,543 Patella 97 , 126
OligodendrogLia-Zellen 78 - Funktion 542 Patellarsehne 166
Oligodendrozyt 82 - Struktur 542 Patellarsehnenreflex 222
Oligopeptid u overshoot 190 Pathoproteinämie 264, 265
Olive 208, 208, 642 Ovulation 545, 545 - Defektproteinämie 264
Stichwortverzeichnis 669
- Dysproteinämie 264 - exogene 29 Portalkreislauf 215
- Hypoproteinämie 264 Pigmentepithel 621 Portio 54S, 555
- Paraproteinämie 265 Pigmentzellen 591 Portio vaginalis 550, 551
Paukenhöhle 636 Pilzpapille 397>398 Porus acusticus externus 11S
PB! (s. auch protein-bound iodine) 512 Placenta praevia 576 postganglionäres Neuron 231
Pektin 433 Plantarflexion 170, 172 Postikus 366
Pelvis n8 Plasma 28, 30, 251, 262 postsynaptische Membran 81
Penis 570, 571 - Blutplasma 251, 262 Potentialschwankung 300
Penisschwellkörper 465, 571 - Karyoplasma 30 präganglionäres Neuron 231
Pepsin 409 - Paraplasma 28 präkapilläre Sphinkter 308
Pepsinogen 409 Plasmabestandteile 267 prämenstruelle Hyperthermie 554
Peptid n Plasmafluss 466, 470 prämenstruelles Syndrom (PMS) 555
- Oligopeptid n - renaler 466, 470 Präopiomelanocortin-Zellen 504
- Polypeptid n Plasmaprotein 262, 264 Präparation 18
Peptidhormone 494 - Gesamtproteingehalt 262 - elektronenmikroskopische 18
Perforin 334 Plasmazelle 63, 334, 335, 339 Präputium 564, 570
perichondrale Verknöcherung 69 Plasmin 278 präsynaptische Membran 81
Perichondrium 65 Plasminogen 278 prävertebrale Ganglien 232, 233
Perikard 289 Plateauphase 572 prävertebrale Muskeln 141
Perikaryon 77, 77, 186, 1S7 Plättchenfaktor III 257 Presbyakusis 638
Perilymphe 637 Plattenepithel 51, 52 Presbyopie 627, 630
Perimetrie 633 - einschichtiges 52 primäre Geschlechtsmerkmale 540
Perineurium 79, So , 551 Platysma 139, 202 primäre Hämostase 274
Periost 67, 67, 91 Plazenta 576,577 Primärfollikel 328, 544,545
periphere Glia 82, 192 Plazentabarriere 576 Primärharnbildung 464
periphere Nerven 79, So Plazentalaktogen 576 PRL (s. auch Prolaktin) 502, 506, 562
peripheres Nervensystem (PNS) 183 Plazentazotten 577 Processus coracoideus 130, 130, 155
Periportalfelder 421 Pleura 372 Processus mastoideus 115, 116, 118
Peristaltik 4ll, 411 Pleuraspalt 372 Processus spinosus 121
- propulsive 4ll Plexus 198 Processus styloideus 118, 132
- Segmentalionen 4ll - Nervenplexus 198 Processus transversus 121
Peritoneum 405 Plexus brachialis 1S4, 198 Processus xiphoideus 122
Permeabilitätsänderungen 498 Plexus caroticus internus 233 Progesteron 546, 547, 552, 554
permissive Hormonwirkungen 500 Plexus cervicalis 1S4, 198 Prognathie 506
perniziöse Anämie 409 Plexus choroideus 204, 206 Projektionsfasern 220
Peronäusgruppe 170 Plexus lumbalis 198 Prokollagen 59
Peroxisomen 27 Plexus lumbosacralis 184 Prolaktin (PRL) 502, 506, 562
Peyer-Plaques 416, 416 Plexus myentericus 235, 419 Proliferationsphase 553
Pfeilnaht 114, 116 Plexus myentericus Auerbach 405 Promontorium 124
Pferdeschweif 195 Plexus sacralis 198 Pronation 160, 172
Pfortader 420 Plexus submucosus 235 Prophase 35, 35
Pfortadersystem 501,502 Plexus submucosus Meissner 404 proportionierter Minderwuchs 505
Phagolysosom 337 Plica sublingualis 396 propulsive Peristaltik 4ll
Phagozytensystem 327 PMS (s. auch prämenstruelles Syndrom) Prosenzephalon 202
- mononukleäres (MPS) 327 555 Prostaglandin E, 228
Phagozytose 21 Pneumocystis-carinii-Pneumonie 348 Prostaglandine 568, 6n
Phalanx 125 Pneumonie 348 Prostatahyperplasie 569
Phänotyp 37, 38 - Pneumocystis-carinii-Pneumonie 348 Protamin 277
Phantomschmerz 617 Pneumothorax 373 Proteinbiosynthese 38
Phäochromozytom 524 Pneumozyten Typ I 373 protein-bound iodine (PB!) 512
Pharynx 364,403 Pneumozyten Typ II 373, 374 Proteine 10, n, 37, 265, 272, 429, 435
- Pars oralis 403 PNS (s. auch peripheres Nervensystem) - Abbau 435
- Recessus piriformis 403 183 - Akute-Phase-Protein 336
Phasen der Blutgerinnung 275 Podozyt 455, 456, 456 - Aminosäuren 429, 430
Phimose 571 Polkissen 480 - Bence-jones-Protein 265
Phon 639 Polkörperehen 36, 546, 574,574 - Calcium-reaktives- Protein (CRP) 336
photopisch 622 Polydipsie 474 - Exportprotein 37
photopisches Sehen 628 polyhybride Kreuzung 38 - Funktionsprotein 37
Photorezeptoren 622 polyklonale Antikörper 338 - high density Iipoprotein (HDL) 266, 428
pH-Regulation 477 Polypen 331, 364 - im Blut 265
pH-Wert 8, 271,482 Polypeptid n - low den sity Iipoprotein (LDL) 266,428
- des Harns 482 Polyspermieblock 573 - Plasmaprotein 262, 264
Physiologie 3 polysynaptischer Reflex 223 - Ribonukleoprotein 23
physiologische Lösungen 271 Polyurie 474, 480 - Strukturprotein 37
Pia mater 206 POMC-Zellen 504 - very low density Iipoprotein (VLDL) 265
Pigmente 29 Pons 203, 207-209, 210 Proteinsynthese 37
- endogene 29 Porta hepatis 420 Proteinuri e 466
670

Proteoglykane 50, 58 radialer Handbeuger 158 Reifeteilung 546, 574


Proteehormone 494 Radiatio thalami 213 Reisekrankheit 646
Prothrombinaktivator 275 Radius 133, 133 Reissner-Membran 638
Proton 6 Radix dorsalis 195, 196 Reiz 6t6
proloplasmatische Astrozyten 193 Radix mesenterii 413, 414 - adäquater 616
proximaler Tubulus 454, 457, 474 Radix ventralis 195 - inadäquater 6t6
- Rückresorption 474 Ramus communicans albus 197, 232 Rektaltemperatur 607
Pseudohermaphroditismus 541 Ramus communicans griseus 197, 234 Rektum 418, 419
pseudounipolare Nervenzellen 79 Ramus dorsalis 197 - Kennzeichen 419
pseudounipolares Neuron 187 Ramus meningeus 197 Rektusscheide 149
Ptyalin 402 Ramus ventralis 197 relative Molekülmasse (RMM) 11
Puberlas praeco" 529 Randsinus 327 Releasingfaktoren 495
Pubertät 542, 561 Ranvier-Schnürring 79, 82,187, 192 Releasinghormon 497
Puffersubstanz 8, 272 Raphe scroti 570 REM-Schlaf 237, 238
Puffersystem 271 raues endoplasmatisches Retikulum (RER) renaler Blutfluss 471
- des Blutes 271 23 - Formel 471
Pulmonalarterie 288 Raum, intervillöser 577 renaler Diabetes 267, 472
Pulmonalklappe 290, 292 räumliches Auflösungsvermögen 633 renaler Plasmafluss 466, 470
Pulmonalvene 288 räumliches Hören 643 - Formel 470
Pulpa 329 räumliches Sehen 633 Ren in 480, 521
- rote 329 Rautengrube 208 Renshaw-Zelle 223
- weiße 329 Rautenhirn 203 Repolarisation 189, 300
Pulpahöhle 399 Rautenh irnbläschen 202 RER (s. auch raues endoplasmatisches
Pulswelle 306 Rautenmuskel 143, 144, 150, 152, 155 Retikulum) 23
Pulswellengeschwindigkeit 307 - großer 155 Reserveraum 377
Pumpleistung 295 - kleiner 155 Reservevolumen 379
Puncrum fixum 109 Reaktion 343- 345 - exspiratorisches 379
Punctum mobile 109 - allergische Reaktion Typ I 343 - inspiratorisches 379
Punktion 471 - allergische Reaktion Typ II 344 Residualkapazität, funktionelle 381
- Mikropunktion 471 - allergische Reaktion Typ lii 344 Residualvolumen, funktionelles 379
Pupillenerweiterung 631 - allergische Reaktion Typ IV 345 Resorption 394, 435
Pupillenrefle" 631 - anaphylaktische 343 - Nahrung 435
Pupillenverengung 631 - Immunkomplexreaktion 344 respiratorischer Quotient 357
Purkinjefasern 296, 297 - vom verzögerten Typ 345 Restharn 462
Purkinje-Zellen 210, 212 - Spätreaktionen 345 restriktive Ventilationsstörung 381
Purkinje-Zellschicht 211 - Überempfindlichkeitsreak tion 345 Reststickstoff 267
Puramen 215, 216 - zytotoxische 344 - im Blut 267
Pylorus 407 Reaktionszentrum 328 Rete testis 565
Pyramidalmotorik 223, 225 rechte Kammer 290 retikuläre Fasern 6o
pyramidalmotorisches System 224 Reduktionsteilung 37 retikuläres Bindegewebe 61
Pyramiden 208, 208 Reduplikation 34, 35, 36 Retikulozyten 253
Pyramidenbahn 208, 213, 225 Reflex 221- 223, 222, 224, 235, 367, 385, 411, Retikulum 22, 23
Pyramidenkreuzung 208 631,632 - endoplasmatisches (ER) 22, 23
Pyramidenschicht 217, 217 - Achillessehnenreflex 222 Retikulumzelle 60, 329
- äußere 217 - Akkommodationsreflex 632 Retina 622
- innere 217 Akkommodationsreflex 632 Retinaculum 136
Pyrogene 610 - autonomer 235 Retraktion 275
- endogene 610 - bedingter 411 retrosternaler Fettkörper 332
- exogene 610 - Eigenreflex 221, 222 Retroversion 99
- Fremdreflex 221, 223, 224 Retrovirus 348
- Hering-Breuer-Reflex 385 Rezeptoren 21, 499, 616
- Hustenreflex 367 - a- Rezeptoren 234
Querfortsatz 120, 121 - konditionierter 411 - P-Rezeptoren 234
quergestreifte Muskulatur 71 - monosyttaptischer 222 - Barorezeptoren 309
Quotient, respiratorischer 357 - Patellarsehnenreflex 222 - Chemorezeptoren 387
- polysynaptischer 223 - Dehnungsrezeptoren 598
- Pupillenreflex 631 - Hautrezeptoren 598
Reflexbogen 221, 222, 224 - Kälterezeptoren 599
Rabenschnabelfortsatz 130, 155 Refraktärperiode 191 - Mechanorezeptoren 598
Rachen 364,403 Refraktärzeit 298 - Photorezeptoren 622
- Etagen 364 Regeneration des Knochens 70 - Schmerzrezeptoren 227, 6oo
- Pars oralis 403 Regio olfactoria 361 - Temperaturrezeptoren 599
- Recessus piriformis 403 Regio respiratoria 361 - Wärmerezeptoren 599
Rachenmandel 331.331,J60,J63, 364 Regulation 308, 309 Rezeptorpol 186
Rach itis 516 - der Blutversorgung 308 Rezeptorwirkung 498
Radgelenk 100 - des Blutdrucks 308, 309 rezessiv 38
Stichwortverzeichn is 671
Rheotaxie 549 Sacculus 643, 644, 645 - innerer 168
Rhesus-Erythroblastose 262 Sägeblattkontur 554 - viereckiger 165
Rhesusfaktor 261 Sägemuskel 143, 148, 149, 152 Schicht, multiforme 217
Rhesus-Inkompatibilität 262 - vorderer 143, 148, 149, 152 Schielen 631
Rhesussystem 261 Sakkaden 626 - Begleitschielen 631
Rhodopsin 627 SA-Knoten 297,297 - Lähmungsschielen 631
Rhombenenzephalon 202, 203 Sakralkyphose 119, 121 - latentes 631
Rhythmus 237 saltatorische Erregungsleitung 192 Schienbein 125, 126
- a -Rhythmus 237 Salze 8 Schienbeinmuskel 170
- P-Rhythmus 237 Salzsäuresekretion 408 - hinterer 170
- Atemrhythmus 385 Samenbläschen 568 - vorderer 170
- AV -Rhythmus 294. 298 Samenflüssigkeit 570 Schienenbeinkante 127
Ribonukleinsäure (RNS; RNA) 12,12 Samenhügel 463, 464, 465, 569 Schilddrüse 510,510, 511
Ribonukleoprotein 23 Samenleiter 564, 568 - Sau 511
Ribosomen 22, 23 Samenstrang 568 - Drüsenlappen 510
Richtungsbegriff 112 Sammelrohre 454, 458, 478 - Hormone 511, 512
- am Körper 112 - ADH-Wirkung 478 Schilddrüsenfollike.l 511
Riechfaden 116, 200, 361 Sammelsystem 458 Schilddrüsenhormo ne 511, 512
Riemenmuskel 143 Sarkom 348 - Regulation der Hormonkonzentrat ion
Riesenwuchs 505 Sarkomer 73, 74 512
Rinde 218 Sattelgelenk 100, 100 Schilddrüsenüberfu nktion 514
- motorische 218 Säure 8 Schilddrüsenunterf unktion 513
- sensible 218 Säure-Basen-Gleichgewicht 273 Schildknorpel 364, 365, 366
Rindenfelder 216, 217 Säure-Basen-Haushalt 271, 475 Schlaf 237, 238
Ringknorpel 364.365 Säureschutzmantel 597 - paradoxer 238
Rippen 123 Scala tympani 637 - REM -Schlaf 237, 238
- echte 123 Scapula 130, 131 Schlafattacke 239
- falsche 123 Schädel 115, 116 Schläfenbein 115, 116, 115-117
- freie 123 Schädelbasis 116, 117, 117, 118 Schläfenlappen 218, 218
Rippenheber 142 - äußere 117, 118 Schläfenmuskel 115, 139
Rippenkörper 123 - Innenansicht 117 Schlafphase 239
Riva-Rocci 310 - innere 116 Schlafstadien 237
RMM (s. auch relative Molekülmasse) n Schädelgrube 116, 117 Schlafstörung 238
RNA 12,12 - hintere 116 Schlafwandeln 239
Röhrenknochen 91 - mittlere 116 Schlagvolumen 295
Rotation 99 - vordere 116 Schlankmuskel 165,168
- Außenrotation 99 Schädelhaubenmusk el 139 schlechtes Fett 428
- Innenrotation 99 Schädelsehne 139 Schleifenkern 642
Rotationskörper 98 Schalenkern 215 Schleimbeutel 96, 97
Rotatorenmanschette 152 Schalentemperatur 606 Schlemm-Kanal 620
rote Blutkörperchen 253 Schall 638 Schlitzdiaphragma 457
rote Pulpa 329 - Infraschall 638 Schluckakt 400
roter Kern 211, 213 - Ultraschall 638 Schluckzentrum 401
Rot-Grün-Schwäche 628 Schalldruckpegel 640 Schlüsselbein 122, 130, 131, 142
Rückbildungsphase 573 Schallempfindungs störungen 642 Schmerz 227, 228, 617
Rückenmark 194, 195, 203 Schallleitungsstörun gen 642 - 1. Schmerz 228
Rückenmarkhaut, harte 206 Schalltrauma 639 - 2. Schmerz 228
Rückenmuskel 138, 143, 144, 148, 155 Schaltlamellen 67, 67 - Oberflächenschmer z 227
- breiter 138, 143, 144. 148, 155 Schambein 123, 125 - Phantomschmerz 617
Rückenmuskulatur 142, 143, 144 Schambeinfuge 123, U4 - somatischer 227
- echte 142 Schamberg 557,558 - Tiefenschmerz 227
- oberflächliche Schicht der 144 Schamlippen 543 ,558,558 - viszeraler 227
Rückresorption 469, 469, 471 - große 558 schmerzauslösende Faktoren 228
Rückstrom, venöser 296 - kleine 543,558 Schmerzbahn 228
Ruffini-Körperchen 598 Scharniergelenk 100, 100 Schmerzkomponen ten 227
Ruheatmung 381 Scheide 543, 555 - affektive (emotionelle) Komponente
Ruheherzfrequenz 301 Scheidenvorhof 558 227
Ruhemembranpotential 189, 299 Scheitelbein 114, 1.14, 115 - motorische Komponente 227
- Herzmuskelzellen 189 Scheitellappen 218, 218 - sensible, diskrimierende Komponente
- Nervenzellen 189 Schenkela nzieher 168 227
- Skelettmuskelfasern 189 - großer 168 - vegetative Komponente 227
rundes Fenster 637 - kurzer 168 Schmerzleitung 229
rundes Loch 116, 117 - langer 168 Schmerzrezeption 229
Rundmuskel 152, 154 Schenkelmuskel 136, 165, 165, 168 - Endorphin 229
- großer 154 - äußerer 165, 168 - Enkephalin 229
- kleiner 152, 154 - gerader 136, 165, 168 - Kontrolle 229
672
Schmerzrezeptoren 227, 6oo - Speichelsekretion 402 somatase nsible Fasern 196
Schnecke des Innenohrs 638 Sekretionsformen 55 Somatotopie 219,219
Schneidermuskel 136, 166, 168 Sekretionsphase 554 somatotropes Hormon (STH) 502, 505
Schneidezahn 400 Sektion 2 Somatotropin 528
Schock 308,343,528 sekundäre Geschlechtsmerkmale 540 Somnambulismus 239
- anaphylaktischer 343 sekundäre Hämostase 274, 275 Spaltlinien 592
- hypoglykämischer 528 sekundäre weibliche Geschlechtsmerkmale Spanner der Oberflächenfaszie 165, 168
Schollenmuskel 136, 169, 170, 171 559 Spann er der Oberschenkelfaszie 164
Schulterblatt 130, 130, 131 Sekundärfollikel 328, 544, 545 Spätreaktionen 345
Schulterblattheber 143, 155 Sekundenvolumen 382, 382 Speiche 133, 133
Schultergräte 130, 131, 154 Selbststeuerung 310 Speichel 402, 403
Schultergürtel 129 Selektion 41 - Funktio nen 402
Schultergürtelmuskulatur 142,150- 152 Senker des Mundwinkels 139 - Sekretion 403
- dorsale 151, 152 Sensibilisierung 343 Speicheldrüse 401
- ventrale 151 sensible Rinde 218 Speichelsekretion 402
Schulterheber 152 sensornotorisch 222 Speicherfett 61, 592
Schulterhöcker 130 sensorisches Gedächtnis 230 Speiseröhre 395, 405
Schulterhöhe 130, 131, 154 sensorisches Sprachzentrum 21/l Spermatide 566
Schüttelfrost 611 Septum interventriculare 291 Sperma togonien 565
Schwangerschaftsgelbkörper 547 SER (s. auch glattes endoplasmatisches Spermatogonien A 565
Schwann-Zellen 78, 79, 192 Retikulum) 23 Spermatogonicn B 566
schwarzer Kern 213 serös 55 Spermien 566
Schweißdrüse 597 Serosa 413 - Kopfkappe 566
- apokrine 597 seröse Drüse 55 Spermienbildung 565
- merokrine 597 Seroton in 257, 274 Speziallamellen 67, 67, 68
Schweißgeruch 597 Sertoli-Zellen 566 Sphinkter, präkapillärc 308
Schwellkörper 572 Sesambeine 104, 126 Spielbein 109
- Harnröhrenschwellkörper 464, 465,571 Sexchromatin 32 Spina bifida 185
- Kitzlerschwellkörper 543 Sharpey- Fasern 399 Spina scapulae 130, IJI, 154
- Klitorisschwellkörper 559 Siebbein 116 Spinalganglion 195, 197
- Penisschwellkörper 465,571 Siebbeinlabyrinth 362 Spinalnerv 194, 195, 196, 197
- Vorhofschwellkörper 543 Siebbeinplatte 116 Spinalnerwnpaar 197
Segmentarterie 452 Siebbeinzellen 359 Spinnbarkeil 552
Segmentbronchien 369 Siebplatte 117 Spinnwebhaut 206, 206
Sehbahn 631 Sinnesorgane 618 Spinnwehszotten 205, 206
Sehen 627, 628, 633 Sinnesqualität 616 Spiralarterien 552
- Dämmerungssehen 627 Sinus 327, 329 Spongiosa 67, 68, 91, 92, 93
- Farbensehen 627 - Intermediärsinus 327 sporadischer Kretinismus 513
- Mückensehen 623 - Marksinus 327 Sprachregion 218
- photopisches 628 - Milzsinus 329 - akustische 218
- räumliches 633 - Randsinus 327 Sprachzentrum 217, 218, 218
- skotopisches 628 Sinus coronarius 290 - motorisches 218
Sehnen 63, 75 Sinus durae matris 205 - sensorisches 218
Sehnenfäden 290 Sinus renalis 450 Sprit zkanal 463,564
Sehnenspindel 108, 223 Sinus sphenoidalis 33 1 Sprungbein 128,129
Sehrinde 218, 632 Sinusknoten 296, 297 Sprungbeinkopf 128
Sehschärfe 633 Sinusaide 305, 421 Sprungbeinrolle 128, 129
Sehvorgang 627 Sitzbein 123, 125 Sprunggelenk 128
Sehzentrum 218 Sitzbeinhöcker 123, 125 - oberes 128
Seitenbänder 125 Sitzbein-Unterschenkel-Muskelgruppe - unteres 128
Seitenfurche 218 165,166 Spurenelemente 432
Seitenhorn 194 Skalenusgruppe 141 - akzidentelle 432
Seitensäule 195 Skelett 111 - essentielle 432
Seitenstrang 195 Skelettmuskulatur 71 Stäbchen 621, 622
Seitenventrikel 204 Sklera 619 Stabkranz 213
Sekret 55 Skoliose 121 Stabsichtigkeit 629
Sekretantikörper 341 skotopisch 622 Stammzellen 253
Sekretin 411, 412, 427 skotopisches Sehen 628 Standbein 109
Sekretion 55, 56, 56, 469, 469 Skrotun1 564,564,570 Stapes 6.36
- apokrine 56, 56 Smegma 571 Star, grüner 620
- Gallensekretion 425 Soforttyp 343 Statokonim 645
- holokrine 56 Sohlenspanner 170, 170 Steigbügel 636
- Magensaftsekretion 408 - 410,410 Sohlenviereckmuskel 172 Stellknorpel 364,365,366
- merokrine 55,56 somatischer Schmerz 227 Steranring 10, 11
- Pankreassekretion 427 Somatomedine 505 Sterkobilin 425
- Salzsäuresekretion 408 somatornotorische Fasern 196 Sterngangi1.ion 233
Stichwortverzeichnis
673

Sternum 122, 122, 123 - Wirkung 236, 295 - Tagestemperatur 608


Steroide 10 Sympathomimetika 299 Temperaturmessung 607
Stereidhormone 494, 518 Symphyse 123, 124 Temperaturregulation 597, 610
STH (s. auch Wachstumshormon oder Synapsen So, 81, 81, 186, 187, 188 Temperaturrezeptoren 599
somatotropes Hormon) 502, 505 - erregende 186 Temporallappen 218
Stickstoftbilanz 514 - hemmende 186 Terminalhaare 593
Stimmband 365,365, 366 - interneuronale 81 tertiäre Geschlechtsmerkmale 540
Stimmbildung 367 - neuroglanduläre 81 Tertiärfollikel 544,545
- Konsonanten 367 - neuromuskuläre 81 Tetanus 107
- Lautstärke 367 - postsynaptische Membran 81 Thalamus 213, 214, 215
- Obertöne 367 - präsynaptische Membran 81 Theca interna 545
- Tonhöhe 367 - Synapse en passant 81 T-Helferzellen 334,341
- Vokale 367 - synaptischer Spalt 81 Thenar 158, 160
Stimmbruch 366 synaptische Bläschen 187 Thermoregulationszentrum 610
Stimmritze 366 synaptischer Spalt 81 Thorakalwirbel 119
Stirnbein 114,114, 115 Synarthrosen 93, 94 thorakolumbales System 233
Stirnhöhle 358,360, 362 Synchondrosen 94 Thorax 118, 123,376
Stirnlappen 218 Syndesmosen 94 Thrombin 275
Stoffe, geruchswirksame 362 Syndrom 523 Thrombose 278
Stoffwechsel 4 - andregenitales 523,523 Thrombozyten 257, 274
Stratum basale 590 - Cushing-Syndrom 522,522 Thrombus, weißer 274
Stratum corneum 592 - Karpaltunnelsyndrom 161 Thymus 331.332
Stratumganglionare 211 - Katzensehrci-Syndrom 34 thyroideastimulierendes Hormon (TSH)
Stratum granulosum 211, 591 - Klinefelter-Syndrom 541 503. 504, 512
Stratum lucidum 591 - prämenstruelles Syndrom (PMS) 555 Thyrox.in 512
Stratum moleculare 211 Synergisten 105 - Wirkung 512
Stratum papillare 592 Synostosen 94 Tibia 125, 126
Stratum reticulare 592 Synovia 95 Tiefenschmerz 227
Stratum spinosum 591 Synzytiotrophoblast 576 tight junction . 21, 22
Streifenkörper 216 System 224, 225, 230, 233, 234, 275 T -Lymphozyten 333, 341
Streifung, basale 457 - adrenerges 234 Töne 640
Strickleitervene 305 - cholinerges 234 Tonofilamente 591
Stroma 49, 329 - extrapyramidalmotorisches 225 Tonsilla palatina 330, 331, 331
- Milzstroma 329 - extravasales (extrinsic) 275 Tonsilla cerebelli 209
Strömungsgeschwindigkeit des Blutes 307 - intravasales (intrinsic) 275 Tonsilla Iingualis 331.331
strukturelle Chromosomenmutation 34 - kraninsakrales 234 Tonsilla pharyngealis 331, JJl, 364
Strukturprotein 37 - limbisches 230, 230 Tonsilla tubaria 331, 331
Struma 514 - pyramidalmotorisches 224 Tonsillektomie 331
Stützgewebe 57 - thorakolumbales 233 Tonsillen 330
- Funktion 57 Systole 293, 294 - Gaumenmandel 330, 331,331
Subarachnoidalraum 205, 206 - Rachenmandel 3)1,JJI
Subkutis 590,596 - Tubenmandel 33l,JJI
Submukosa 404 - Zungenmandel 331,JJI
Subokzipitalpunktion 205 T3 512 Tonus 72
Substantia nigra 212, 213 T4 512 Totalkapazität 380
Substanzen 8, 81, 194, 208, 219, 267 Tabatiere ana tomique 159, 160 Totenstarre 107
- anorganische 8 Tachykardie 301 Totraum 379
- graue 194, 208 Tagestemperatur 608 Trabeculae carneae 291
- harnpflichtige 267 Talgdrüse 55 , 56, 596,596 Trabekel 291
- organische 8 Talus 128, 129 Trachea 367,J68,J70, 371
- Puffersubstanz 8 Tänie 413, 418 Tracheotomie 366
- Substanz P 228 Tarsalknochen 125 Tractus corticospinalis anterior 225
- Transmittersubstanz 81 Teeturn 212, 212 Tractus corticospinalis lateralis 225
- weiße 208, 219 - Mittelhirn 212 Tractus iliotibialis 164
Sulcus calcarinus 218, 632 T -Effektorzellen 334 Tractus reticulospinalis lateralis 226
Sulcus centralis 218 Tegmentum 212, 213 Tractus reticulospinalis medialis 226
Sulcus coronarius 292 Tektorialmembran 639 Tractus spinothalamicus lateralis 228
Sulcus lateralis 218, 218 Telenzephalon 203, 207, 215 Trägerelektrophorese 263
Supination 160, 170 Telophase 35.36 Trajektorien 92
suprahyale Muskeln 118, 138 Temperatur 6o6- 6o8, 610 Trä nendrüsen 624
Surfactant 373 - Axillartemperatur 607 Tränennasengang 360
Sutura coronalis 113, l14 - Kerntemperatur 6o6 Transaminasen 265
Sutura lambdoidea 94, 113, 114, 116 - Körpertemperatur 6o8, 610 transdermal 588
Sutura sagittalis 94, 113, 114, 116 - Oraltemperatur 607 transdermales therapeutisches System
Sutur en 94, 113 - Rektaltemperatur 607 (TTS) ;89
Sympathikus 231, 232, 233, 236, 295, 412 - Schalentemperatur 6o6 Trans- Fette 428
674

Transfusion 260 Überempfindlichkeitsreaktion 343, 345, V. iliaca communis 312


- Zwischenfalle 260 346 V. intermedia cubiti 314
Transkortin 519 - gegenüber Tuberkulin 346 V. jugularis interna 312
Transkription 37, 38 Obergangsepithel 53, 459 V. poplitea 316
Translation 37, 38 Oberleitungszeit 297, 300 V. portae 312,420
Transmittersubstanzen 81, 234 Ulna 132, 133 V. profunda linguae 397
Transplantatabstoßung 342,345 ulnarer Handbeuger 158 V. pulmonalis 375,J76
Transport 21 ulnarer Handstrecker 159, 159 V. renalis 453
- aktiver 21 Ultrafiltrat 466 V. saphcna magna 316.317
- Bläschentransport 21 - Proteine 466 V. saphena parva 316, JlJ
Transportmaximum 472, 472 Ultrafiltration 464, 465 V. subclavia 312
Transportmechanismen 270 Ultraschall 638 Vagina 543, 555, 556
Transsudat 557,620 Umami 398 Vaginalwand 556
Transversal tubuli 107 Umlenkungen 104, 136 Valva ilealis 417, 418
T-Regulatorzellen 334,342 - fibröse 104, 136 Varizen 316
TRH 512 - knöcherne 104 Vas afferens 452, 453. 480
Triggereffekt 298 Unabhängigkeitsregel 40 Vas deferens 568
T riglyzeride 266, 434 Uniformitätsregel 39, 40 Vas efferens 452, 453. 455, 480
- mittelkettige 434 unipolare Ableitung 300 Vasa recta 453
Trigon um vesicae 462, 464, 465 unipolare Nervenzellen 79 Vasa vasorum 304
trihybride Kreuzung 38 Unterarmmuskeln 157 Vasektomie 568
Trijodthyronin 512 untere Hohlvene 288 Vasodilatation 309, 609
- Wirkung 512 untere Nasenmuschel 114 Vasokonstriktion 274,309,609
Trikuspidalklappe 288, 290, 297 unteres Sprunggelenk 128 Vasomotorik 610
TripJett 32 Untergrätenmuskel 152, 154 Vater- Pacini-Lamellenkörperchen 593,
Trisomien 545 Unterhaut 592 599, 6oo
Trochanter major 125, 126 Unterkiefer 114, 115, 116 vegetativer Herznerv 299
Trochanter minor 125, 126 Unterkieferdrüse 401, 402 vegetatives Nervensystem 182, 183, 231
Trochlea tali 128, 128, 129 Unterkühlung 612 Venen 302, 305> 312,313, 315, 316, JlJ
Trommelfell 635 Unterschenkelmuskulatur 168-170 - Begleitvene 305
Trophoblasten 49, so, 574, 576 - dorsale 169 - Bronchialvene 375
trophotrop 235 - laterale 170 - des Armes 315
Tropomyosin 72, 72, 108 - tiefe Schicht 170 - des Beines 316.317
Troponin 72, 108 - ventrale 170 - des Körperstamms 312
Troponinmolekül 72 Unterschlüsselbeinmuskel 142, 151, 152 - Drosselvene 518
Truncus brachiocephalicus 312 Unterschulterblattmuskel 152, 154, 155 - große 313
Truncus coeliacus 312, 405 Unterzungendrüse 401, 402 - Hautvene 305
Truncus pulmonalis 290 Unterzungenfalte 397 - Hohlvene 288, 290
Truncus sympathicus 232 Unwillkürmotorik 225, 226 - Lungenvene 375
TSH (s. auch thyroideastimulierendes Ureter 451, 460, 461 - Pulmonalvene 288
Hormon) 503, 504, 512 Urethrafeminina 463 - Strickleitervene 305
T-Suppressorzellen 334, 341 Urethra masculina 463 Venenarten 305
TTS (s. auch transdermales therapeutisches Urethraldrüse 465 Venenklappe 108,305
System) 589 Urathel 459 Venenplexus 306
Tuba auditiva 364, 636, 637 Ursprungskegel 77, 186 Venenwinkel 325
Tuba uteri.na 543, 549 Ursprungskerne 209 Venolen 302, 304
- Muskulatur 549 Urtikaria 343 venöser Blutleiter 206
- Peristaltik 549 uteriner Zyklus 553 venöser Rückstrom 296
Tubenmandel 331,331 Uterus 548 venovenöse Anastomosen 306
Tuben-Wanderung 575 Uterusdrüsen 552 Ventilation, alveoläre 381
Tuber calcanei 128, 171 Utriculus 643, 644, 645 Ventilationsstörung 381
Tuber ischiadicum 123, 125 Uvula 403 - obstruktive 381
Tuberculum majus 131, 132, 155 - restriktive 381
Tuberculum minus 131, 132, 155 Ventilebene 288, 291,294
Tuberku.lin 346 - Verschiebung 294
- Überempfindlichkeitsreaktion 346 V. axillaris 314 Ventrikel 204, 290
Tuberositas tibiae 126 V. azygos 312 - 1. Ventrikel 204
Tubuli seminiferi 565 V. basilica 314 - 2. Ventrikel 204
Tubulus 454, 457, 458, 474, 475, 480 V. brachialis 314 - 3. Ventrikel 204
- distaler 454, 458, 475, 480 V. brachiocephalica 312 - 4· Ventrikel 204
- lntermediärtubulus 454, 458 V. cavainferior 288,312 Ventrikulographie 205
ierentubulus 457 V. cava superior 288, 290, 312 Verbindu.ngsast, grauer 197
- proximaler 454, 457, 474 V. cephalica 314 Verbrauchskoagulopathien 278
Tunica dartos 570 V. femoralis 316 Verdauung 394
I-Zellen 334 V. hemiazygos 312 Verknöcherung 68, 69
- zytotoxische 334 V. hepatica 421 - chondrale 69
Stichwortverzeichnis 675

- desmale 68 Wachstum 5, 64 Wirbelsäule 118, 119, 119, 195


- perichondrale 69 - appositionelles 64 - Lendenwirbelsäule (LWS ) 119
verlängertes Mark 207 - interstitielles 64 Würfelbein 128, 128
Vermis cerebelli 209 Wachstumshormon (STH) 502, 505 Wurmfortsatz 413, 417, 418
Verrenkung 102 Wadenbein 125, 127, 127 Wurmmuskeln 161, 161, 162, 173
Verstauchung 102 Wadenbeinkopf 171 Wurzel 195, 196, 413
Vertebra prominens 120 Wadenbeinmuskel 136, 170,171 - hintere 196
Vertikalbeschleunigung 645 - langer 170, 171 - vordere 195
very low density Iipoprotein (VLDL) 265 - kurz.e r 171 Wurzelfaden 194, 195
verzweigte Drüsen 54 Wadenmuskel, dreiköpfiger 169 Wurzelhaut 399
Vesicula seminalis 568 Wahrnehmung 617 Wurzelkanal 399
Vestibularapparat 643, 646 Wallpapille 397.398
- Ausfall 646 Wandbau der Gefaße 302
vestibuläre Bahnen 645 Wanderwelle 641
vestibuläre Bewegungen 626 - Wellenmaximum 641 Young-Helmholtz-Theorie 627
vestibulärer Nystagmus 645 Wangenmuskel 139
Vestibulariskerne 645 Wärmeabgabe 609
Vestibularorgan 644 Wärmebildung 607
Vestibulum 645 Wärmeleitung 609 Zahnbein 399
Vestibulum vaginae 558 Wärmerezeptoren 599 Zähne 398,400
Vibrationsempfindung 599 Wärmestrahlung 609 - Backenzahn 400
Vielecksbein 133, 134 Warzenfortsatz 115, u6, n8 - Eckzahn 400
- großes 134 Warzenhof 560 - Mahlzahn 400
viereckiger Einwärtsdreher 158 Wa.sser- und Elektrolythaushalt 267, 270 - Schneidezahn 400
viereckiger Lendenmuskel 164 Wasserdiurese 473, 479 - Weisheitszahn 400
viereckiger Oberschenkelmuskel 166 Wasserharnruhr 474 Zahnfleisch 400
viereckiger Schenkelmuskel 165 Wasserhaushalt 267, 270, 473 Zahnfleischtonsille 400
Vierhügelplatte 208, 212, 214, 642 wasserlösliche Vitamine 432 Zahnregulierung 71
vierköpfiger Oberschenkelmuskel 166 Wasserrückresorption 474 Zäkum 417
Virilismus 523 Wasserstoffionenkonzentration 8 Zäpfchen 403
Virus 348 Wasserverdunstung 609 Zapfen 621, 622
- Retrovirus 348 Wasserverteilung 268 Zapfengelenk 100, wo
Viskosität 54 wechselwarm 6o6 Zehen 129
viszeraler Schmerz 227 weibliche Harnröhre 463 Zehenbeuger 170, 172, 173
viszeramotorische Fasern 197 weiche Hirnhaut 206 - kleiner 173
viszerasensible Fasern 197 Weichteilhemmung 102, 103 - kurzer 172
Vitalkapazität 379, 380 Weisheitszahn 400 - langer 170
Viiamin-D-Hormon 481, 516 weiße Blutkörperchen 255 Zehenglieder 125
Vitamine 430-432 weiße Pulpa 329 Zehenstrecker,langer 170,J71
- fettlösliche 432 weiße Substanz 208, 219 Zeigefingerstrecker 159, 160
- Funktion 431 weißer Thrombus 274 zeitliches Auflösungsvermögen 633
- Tagesbedarf 431 Weitsichtigkeit 630 Zellbestandteile 18
- Vorkommen 431 - Altersweitsichtigkeit 627, 630 Zellen 16, 18, 63
- wasserlösliche 432 Wellen 237 - Abwehrzellen 324
Vitamin-K-Antagonisten 277 - a-Welle 237 - amakrine 623
VLDL (s. auch very low density Iipoprotein) - ß-Welle 237 - antigenpräsentierende 339
265 - 6-Welle 237 - Beiz-Riesenzellen 217
Vogelzüchterlunge 344 - ~- Welle 237 - Bindegewebszellen 57
Volkmann-Kanal 67,68 Wellenmaximum 641 - chromaffme 524
Volumen, endsystolisches 296 Wernicke-Zentrum 218, 218 - C-Zellen 515, 516
vordere Schädelgrube 116 WHO-Standard, Blutdruck 307 - Gedächtniszellen 335, 339, 340
vordere Wurzel 195 Widerstandsgefaße 304 - Gliazellen 77
vorderer Sägemuskel 143, 148, 152 Willkürmotorik 224. 225 - Größe 16
vorderer Schienbeinmuskel 170, 171 Windkesselfunktion 304 - Hauptzellen 515
Vorderhirnbläschen 202 Wirbel 119, 120, 121 - Horizontalzellen 623
Vorderhorn 194, 195 - Brustwirbel 119, 120, 121 - Keimzellen 544
Vordersäule, breite 195 - Cervikalwirbel 119 - Killerzellen 334
Vorderstrang 195 - Dornfortsatz 120 - Kupffer-Sternzellen 422
Vorhaut 564,570 - Halswirbel 119, 120 - Lacis-ZeUen 455,480
Vorhof 288, 290 - Lendenwirbel 119, 120 - Leydig-Zwischenzellen 566
Vorhofdrüsen 557 - Lumbalwirbel 119 - Mantel - und Hüllzellen 192
Vorhofschwellkörper 543 - Querfortsatz 120 - Mastzelle 63
Vormauer 215 - Thorakalwirbel ll9 - Merkel-Zellen 598
Vulva 557 - Wirbelbogen 120 - Monozyt 63
Wirbelbogen 120 - Myoepithelzellen 56
Wirbelkörper 92 , 120, 121 - Nervenzellen 77, 79
- Oligodendroglia-Zellen Zentriolenpaar 27 Zungenspci.cheldrüse 397
- oxyphile Zellen 515 Zentromer 31, 33 ZVD (s. auch Zentralvenendruck) 308
- Paneth-Zellen 415,416 Zerrsichtigkeit 629 zweiköpfiger Oberarmmuskel 153
- parafollikuläre 515 Zeruminaldrüsen 635 zweiköpfiger Oberschenkelmuskel 106
- Pigmentzellen 591 Zervikalschleim 552, 573 Zwerchfell 145, 147, 164
- Plasmazelle 63 Ziliarkörper 618, 619, 620 Zwiebelschwammmuskel 150
- POMC-Zellen 504 Ziliarmuskel 620 Zwillingsmuskel 165, 166
- Präopiomelanocortin -Zellen Zilien 28 Zwillings'-'adenmuskel 136, 138, 166, 169,
- Purkinje-Zellen 210, 212 Zirbeldrüse 214, 529 170, IJl
- Retikulumzellen 6o, 329 Zirkumzision 571 Zwillingswadenmuskel innerer Kopf 165
- Schwann-Zellen 78, 79, 192 ZNS (s. auch Zentralnervensystem) Zwischenhirn 203, 207, 213
- Sertoli-Zellen 566 Zona fasciculata 517,518 Zwischenknochenmuskel 161
- Siebbeinzellen 359 Zona glomerulosa 517,518 Zwischenneuron 223
- Stammzellen 253 Zona haemorrhoidalis 419 Zwischenrippenmuskel 1.p
- T-Effektorzellen 334 Zona pellucida 573 - äuflercr 147
- T-Helferzellen 334,341 Zona reticularis 518,518 - innerer 147
- T-Regulatorzellen 334, 342 Zonulafasern 618, 619, 620 Zwischenwirbelloch 120
- T-Suppressorzellen 334, 341 Zotten 415, 415, 416 Zyanose 592
- T-Zellen 334 - Arachnoidalzotte 206 Zygote 37, 49
Zellkern 29,3 o - Plazentazotten 577 zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP)
Zellkontakte 21 - Spinnwehszotten 205, 206 498, 499, 6IJ
Zellmembran 19, 20 Zottenpumpe 415 Zyklus 552, 553, 555
Zellorganellen 22 Z-Streifen 7}, 74 - Menstruationszyklus 552
Zellteilung 35 Zucker 9 - ovarieller 555
Zellulose 433 Zündschwelle 189 - uteriner 553
Zement 399 Zunge 396 Zymogengranula 409
zentrale Glia 82, 192 Zungenbälgen 331 Zytokinc 334, 339
Zentralfurche 218 Zungenbändchen 396,397 Zytologie 16, 17
Zentralnervensystem (ZNS) 183 Zungenbein 118, 365 - Methoden 17
Zentralvenendruck (ZVD) 308 Zungenbeinmuskeln 138, 140 zytotoxische Reaktion 344
Zentriolen 27, 27 Zungenmandel 331,331,363,398 zytotoxische T-Zellen 334
.. Der Körper in Zahlen
..
,
Blutdruck während der Herzaktion Pumpleistung des Herzens

Abschnitt Systole Diastole Herzfrequenz 60- 80/ min


linke Kammer 120 mmHg 2 - 8 mmHg Schlagvolumen (SV) 80ml
\.: ..1
~
Aorta 120 mmHg 80 mmHg Herzminutenvolumen (HMV) 5600ml/ min
rechte Kammer 25 mmHg 0 - 4 mmHg Tagesvolumen (in Ruhe) ca. 8000 I

..
Pulmonalarterie 25 mmHg 15 mmHg Volumen in 80 Lebensj ahren ca. 300 Mio.l
ZVD (Zentralvenendruck) 0 - 4 mmHg 0-4 mmHg
• !:
Obere Blutdruck-Normwerte nach WHO
bis 40 Jahre 140/90 mmHg Größe verschiedener Oberflächen
bis SO Jahre 150/ 90 mmHg
bis 60 Jahre 160/95 mmHg Organ Größe
Körperoberfläche ca. 1,5 !.. 1,8 r:rt 2
Lungenalveolen ca. 100-125m 2
innere Darmoberfläche ca. 200 m 2
Nierenwerte Gesamtaustauschfläche ca. 600 m 2
aller Kapillaren
Wert Besonderes alle Erythrozyten ca. 3000 m 2
glomeruläre Filtrationsrate (GFR} 125 ml/min Primärharn
tägliche Urinmenge 1,5 I/Tag
Primärharn 180 I/Tag Tagesmenge der GFR
renaler Plasmafluss (RPF) 700 ml/ min Lungenräume und Lungenvolumina
renaler Blutfluss (RBF) 1270 ml/min Gesamtmenge des
Blutes, das die Niere Atemfrequenz 12 - 15/ min
pro min erhält Atemzugvolumen SOOml
inspiratorisches Reserve-
Nierenschwelle für Glukose 8, 88 mMol/ 1 160 mg/ 100 ml volumen 3000ml
Transportmaximum für Glukose 375 mg/ min exspiratorisches Reserve-

-
1
minimale Harnkonzentration 30 mosmol Wasserdiurese •1 volumen 1100ml
J _m_a_x_im
_a_l_e_H_a_rn
_k_o_n_z_e_n_tr_a_ti_o_n________
14
_o_o__
m_o_s_m_o_I---A
-n--tid ~
- i-u-re_s_e________
Residualvolumen
Totraum
1200ml
150 ml
Vitalkapazität cf 4600ml
~ 3600 ml
Bildung von Flüssigkeiten im Magen-Darm-Trakt

Flüssigkeit Menge Besonderes


Speichel 1000- 1500ml pro Tag pH 6,2-7.4
Magensaft 3000 ml pro Tag Gesamtsekretion bei Aktivität
5- 15 ml pro Stunde (Ruhesekretion)
l

1.
.
T
Galle
Pankreassaft
600- 800 ml pro Tag
2000 ml pro Tag
pH 7,4 - 8,5
pH 8,0 - 8,5

... Die angegebenen Werte entsprechen Durchschnittswerten, die sowohl


zwischen Mann und Frau als auch innerhalb der Altersgruppen abweichen
können.

1 ...

•.
Blut und Blutbestandteile

Blutmenge 8% des Körpergewichts


4 - 6 I bei 50-70 kg Körpergewicht
Hämatokrit ca.45%
Anzahl Erythrozyten (pro mm 3) cf 5,2 Mio. (±0,9 Mio.)
!fl 4,6 Mio. (±0,6 Mio.)
Hämoglobin ca. 14,5 g/100 ml

MCH 28 - 32 pg (Pikogramm)
(mittleres korpuskuläres Hämoglobin:
Gehalt des einzelnen Erythrozyten)
MCV (mittleres korpuskuläres Volumen) 87 pm 3
Anzahl Leukozyten (pro mm3) 3500 - 9000
Anzahl Thrombozyten (pro mm3) 200 000 - 300 000

Produktion pro Tag ca. 250 Mrd. Erythrozyten


ca. 15 Mrd. Granulozyten
ca. 15 Mrd. Monozyten
ca. 500 Mrd. Thrombozyten

Blutsenkungsgeschwindigkeit cf 1 Stunde bis 5 mm


2 Stunden bis 15 mm
!fl 1 Stunde bis 8 mm
2 Stunden bis 20 mm

Ausgewählte Blutwerte

Glukose (nüchtern) 3,33-5,55 mmol/1 (60 - 100 mg/100 ml)


Glukose (nach Mahlzeit) 6,66 - 7,15 mmol/1 (120-130 mg/100 ml)
( -reaktives Protein bis 10 mg/1
Natrium 132-145 mmol/1
Kalium 3,6 - 5,0 mmol/1
Kalzium (gesamt) 2,2 - 2,6 mmol/1
Gesamteiweiß 62 - 83 gll

Harnstoff cf 3,0-7,8 mmolll


!fl 3.4 - 8,7 mmolll
Kreatin in cf 45 - 95 pmolll
!fl 60 - 117 pmol/1
Kreatinin-Ciearance 79,8-100 mllmin
Bilirubin total cf 5,0-18,0 pmolll
!fl 5,0-26,0 pmolll

Harnsäure cf 175 - 359 pmol/1


!fl 258 - 491 pmol/1
Cholesterin (gesamt) < 5,2 mmol/1
HOL-Cholesterin cf 1,0-2,5 mmol/1
!fl 0,8-1,9 mmol/1
Triglyzeride bis 2,3 mmol/1

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