Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Preview-9783804740549 A39068104
Preview-9783804740549 A39068104
Mutschler Arzneimittelwirkungen
Der zukunftsweisende Klassiker
Seit einem halben Jahrhundert ist „Der Mutschler“ das Standardwerk
der Pharmakologie und Toxikologie – immer mit dem Blick nach vorne und
am Puls der Zeit.
Die bewährte Quelle für das gesamte Wissen rund um Arzneimittelwirkungen: Geisslinger / Menzel / Gudermann / Hinz / Ruth
für Studium und Praxis.
Mutschler
Arzneimittelwirkungen
Geisslinger / Menzel / Gudermann / Hinz / Ruth
Mutschler Arzneimittelwirkungen – Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie Pharmakologie
Klinische Pharmakologie
11. A U F L A GE
ISBN 978-3-8047-3663-4
www.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de
Symbol-Wegweiser
Enzym-gekoppelte Rezeptoren
Morphin Arzneistoff
Liganden Rezeptor-Tyrosinkinase
P
Neurotransmitter/Hormon
(gespeichert, freigesetzt)
Rezeptor mit assoziierter
P
P
Tyrosinkinase
Enzym
DNA Rezeptor-Guanylylcyclase
RNA Ionenkanäle
L Liganden-gesteuerte
Ribosom
spannungsabhängige
Protein
Carrier
Endothelzelle
Uniporter
Epithelzelle
Antiporter („Austauscher“)
Antigen
Antikörper Symporter
Gs
ATP bidirektional
Gi-gekoppelt
Gi
Strukturformel-Farbcode
Strukturformel-Beispiel
Strukturabweichung gegen-
über einer Analogsubstanz
Geisslinger / Menzel / Gudermann / Hinz / Ruth
Mutschler Arzneimittelwirkungen
Geisslinger / Menzel / Gudermann / Hinz / Ruth
Mutschler
Arzneimittelwirkungen
Pharmakologie – Klinische Pharmakologie –
Toxikologie
Begründet von Ernst Mutschler, Mainz
Bearbeitet von
Prof. Dr. med. Thomas Gudermann Prof. Dr. rer. nat. Burkhard Hinz
Ludwig-Maximilians-Universität München Universitätsmedizin Rostock
Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Goethestr. 33 Schillingallee 70
80336 München 18057 Rostock
Hinweis:
Um die Lesbarkeit dieses Buchs zu verbessern, verzichten
wir auf die gleichzeitige Nennung männlicher und
weiblicher Sprachformen. Alle Formen schließen Männer
und Frauen ein.
Die genannten Fertigarzneimittel stellen lediglich eine
Auswahl dar.
Alle Angaben in diesem Werk wurden sorgfältig geprüft. 11. Auflage 2020
Dennoch können die Autoren und der Verlag keine Gewähr ISBN 978-3-8047-3663-4 (Print)
für deren Richtigkeit übernehmen. ISBN 978-3-8047-4054-9 (E-Book, PDF)
ISBN 978-3-8047-4055-6 (EPUB)
Ein Markenzeichen kann markenrechtlich geschützt sein,
auch wenn ein Hinweis auf etwa bestehende Schutzrechte © 2020 Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH
fehlt. Birkenwaldstraße 44, 70191 Stuttgart
www.wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbiblio- Printed in Germany
thek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Satz: abavo GmbH, Buchloe
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; Druck und Bindung: aprinta druck GmbH, Wemding
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter Umschlagabbildung: shutterstock_576971971,
https://portal.dnb.de abrufbar. shutterstock_1357436006, shutterstock_383265349
Umschlaggestaltung: deblik, Berlin
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Indexing: Publishing and more, Birkenau (verantwortlich:
Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt Walter Greulich)
insbesondere für Übersetzungen, Nachdrucke, Mikrover- Grafiken: Dr. Eltamash Israr für Agonist media, Frankfurt/M.
filmungen oder vergleichbare Verfahren sowie für die Bearbeitungen und Grafikneuerstellungen von Angelika
Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Kramer, Stuttgart auf Grundlage des Grafikkonzepts von
Dr. E. Israr
Strukturformeln: Dr. Carsten D. Siebert, Frankfurt/M
Vorwort V
Vorwort
Tempora mutantur, nos et mutamur in illis. Besonderen Wert legten wir wieder auf ein schlüssi-
Seit mehr als 40 Jahren sind die von Herrn Professor ges didaktisches Konzept, einen klaren Duktus, eine
Dr. Dr. Dr. h .c. mult. Ernst Mutschler begründeten, in einheitliche Gliederung der Kapitel, prägnante Darstel-
10 Auflagen erschienenen „Arzneimittelwirkungen“ für lung und gute Verständlichkeit des Textes unter Berück-
Generationen von Studierenden der Pharmazie, Medi- sichtigung der evidenzbasierten Medizin und der aktu-
zin, Zahnmedizin und anderer Naturwissenschaften ellen Leitlinien klinischer Fachgesellschaften. Unverän-
das Standardwerk für den Erwerb des notwendigen dert blieb auch die einheitliche Gliederung der Kapitel
pharmakologischen und pharmakotherapeutischen sowie die den einzelnen Kapiteln vorangestellten kur-
Wissens. Darüber hinaus sind die „Arzneimittelwir- zen Einführungen in die Grundlagen der Anatomie,
kungen“ für im Beruf stehende Ärzte, Apotheker, Zahn- Physiologie und Pathophysiologie. Speziell für Nicht-
ärzte, Biologen und Chemiker eine viel benutzte zuver- mediziner sollen dadurch die für das Verständnis phar-
lässige und praxisrelevante Informationsquelle. Mit der makologischer Wirkungen wichtigen medizinischen
nun vorliegenden 11. Auflage hat Herr Professor Mut- Grundkenntnisse in integrierter Form vermittelt wer-
schler „sein Buch“ in neue Hände gegeben. Das ist für den.
uns Autoren eine Ehre, aber auch Herausforderung und Der in den Gegenstandskatalogen des Instituts für
Verpflichtung zugleich. Wir danken ihm sehr herzlich Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen für
für sein Vertrauen und werden das Buch in seinem die Prüfungen in den Fächern Pharmakologie, Klini-
Sinne fortführen und auch weiterentwickeln. sche Pharmakologie und Toxikologie geforderte Stoff
Die Beurteilung von Arzneimittelwirkungen gehört ist vollständig enthalten.
für Ärzte, Zahnärzte und Apotheker zum beruflichen Die Strukturformeln der Arzneistoffe wurden wie-
Alltag. Dabei hat sich das für die Fachgebiete Pharma- derum dankenswerterweise von Herrn Dr. C. Siebert
kologie und Klinische Pharmakologie relevante Wissen nach den Empfehlungen der International Union of
in den letzten Jahren infolge vieler Neueinführungen Pure and Applied Chemistry (IUPAC) gezeichnet. Für
innovativer Arzneimittel, der Aufklärung von Wir- das Sachregister, das erstmalig nicht von den Autoren
kungsmechanismen, aber auch zusätzlicher Erfahrun- erstellt wurde, bedanken wir uns bei Herrn Walter
gen mit altbewährten Substanzen rasant vermehrt. Greulich und seinem Team.
Wie in den vorangegangenen Auflagen haben wir Unser aufrichtiger Dank gilt außerdem zahlreichen
auch in der 11. Auflage das große Gebiet der Pharma- Kolleginnen und Kollegen für die kritische Durchsicht
kologie, Klinischen Pharmakologie und Toxikologie der Manuskripte sowie für wertvolle Anregungen und
aktualisiert, ergänzt und erweitert. Wir haben versucht, Verbesserungsvorschläge. Unseren (Post-)Doktoran-
das Wissen korrekt, praxisrelevant, übersichtlich, ver- dinnen und Doktoranden danken wir sehr herzlich für
ständlich, einprägsam, aber auch kritisch darzustellen. die Korrektur der Druckfahnen.
Um dies bestmöglich umzusetzen, haben wir eine kom- Nicht zuletzt haben wir dem Verlag – und hier
plett neue Gliederung gewählt, die noch mehr als bisher besonders Frau Marlene Bareiß, Frau Luise Keller,
die indikationsbezogene Pharmakotherapie in den Mit- Frau Natascha Wenzel, Frau Annika Piepenburg, Herrn
telpunkt stellt. Das vorliegende Buch ist dementspre- Dr. Tim Kersebohm und Herrn Dr. Eberhard Scholz –
chend in 17 große Bereiche (A bis Q) eingeteilt: Grund- für die fruchtbare und vertrauensvolle Zusammen-
lagen, Nervensystem, Gefäßsystem und Kreislauf, Herz, arbeit zu danken.
Blut, Respirationstrakt, Gastrointestinaltrakt, Niere Zuversichtlich hoffen wir, dass auch die 11. Auflage
und Elektrolythaushalt mit Urogenitaltrakt, endokrines des beliebten Standardwerks eine positive Resonanz
System, Immunsystem, Tumorerkrankungen, Haut, finden wird. Gleichwohl freuen wir uns über Anregun-
Auge, Infektionskrankheiten, Diagnostika, Mikronähr- gen, Verbesserungsvorschläge und konstruktive Kritik
stoffe und Vergiftungen. Jeder Bereich ist wiederum aus dem Leserkreis.
unter pharmakotherapeutischen Aspekten in Kapitel Zu allerletzt gilt unser größter Dank noch einmal
untergliedert, sodass die „Arzneimittelwirkungen“ nun Herrn Professor Mutschler für sein Vertrauen. Ihm
letztendlich insgesamt 91 Kapitel umfassen. Diese Ein- widmen wir diese 11. Auflage.
teilung trägt auch den Fragen der medizinischen und
pharmazeutischen Staatsexamina Rechnung, bei denen Gerd Geisslinger, Frankfurt am Main,
die pharmakologischen Fragen meist anhand von Fall- Sabine Menzel, Bad Soden am Taunus,
beispielen im diagnostischen und therapeutischen Thomas Gudermann, München,
Gesamtkonzept geprüft werden. Darüber hinaus Burkhard Hinz, Rostock,
ermöglicht diese kompakte Kapiteldarstellung einen Peter Ruth Tübingen,
schnellen Überblick über ein bestimmtes Fachgebiet. im Dezember 2019
Inhaltsverzeichnis VII
Inhaltsverzeichnis
Vorwort .......................................................................... V
TEIL A GRUNDLAGEN
1.5.7 Einfluss von Alter und Geschlecht auf die Gamma-Aminobuttersäure ...................................... 60
2.5.1 Qualitative und quantitative Struktur-Wirkungs- 5.1.1 Additive QT-Intervall-Verlängerung ...................... 132
3.1 Polymorphismen von 5.2.1 Interaktionen bei der Resorption ........................... 137
Biotransformationsenzymen .............................. 111 5.2.2 Interaktionen bei der Metabolisierung ................ 137
3.1.1 Polymorphe CYP-Enzyme .......................................... 112 5.2.3 Transporterbasierte Interaktionen ......................... 141
3.1.2 Polymorphe N-Acetyltransferase ............................ 112 5.2.4 Sonstige Interaktionen bei der Ausscheidung ... 144
3.2.2 Weitere Polymorphismen .......................................... 114 6.1.1 Einsatzgebiete der somatischen Gentherapie .... 145
6.1.2 Gentransfer mittels viraler Vektoren ..................... 145
3.3 Genetische Varianten in 6.1.3 Gentherapeutika .......................................................... 147
der Pharmakodynamik .......................................... 115
Inhaltsverzeichnis IX
TEIL B NERVENSYSTEM
9.4.2 Butyrophenone und Diphenylbutylpiperidine .... 194 11.1 Bipolare Störungen ................................................. 219
12.2 Übersicht über Arzneistoffe zur Therapie 15.1.5 Schmerzreaktionen ..................................................... 258
12.2.1 Benzodiazepine ............................................................ 226 15.1.7 Prinzipien der Schmerztherapie ............................. 259
12.2.2 Buspiron ......................................................................... 230 15.2 Pathophysiologie des Fiebers ............................. 260
12.2.3 Hydroxyzin ..................................................................... 231
15.3 Nichtopioide Analgetika der WHO-Stufe 1 .... 261
12.2.4 Opipramol ...................................................................... 231
15.3.1 Klassifizierung nichtopioider
12.2.5 Antidepressiva .............................................................. 231
Analgetika ...................................................................... 261
12.2.6 Pregabalin ...................................................................... 231
15.3.2 Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) ............... 261
12.2.7 Niedrig dosierte Antipsychotika .............................. 232
Acetylsalicylsäure (ASS) ............................................... 265
12.3 Therapiestrategie bei Angststörungen .......... 232 Essigsäure-Derivate ..................................................... 266
2-Arylpropionsäure-Derivate .................................. 267
13 Hypnotika ............................................................ 233
Oxicame ........................................................................... 268
13.1 Physiologische Grundlagen ................................. 233 15.3.3 COX-2-selektive nichtsteroidale Antiphlogistika
19.3 Zentral angreifende Muskelrelaxanzien ....... 314 24.1.2 Mutterkornalkaloide ................................................... 353
24.1.3 Phenoxybenzamin ...................................................... 354
20 Antiepileptika (Antikonvulsiva) ........ 315
24.2 β-Adrenozeptor-Antagonisten
20.1 Pathophysiologische Grundlagen .................... 315
(Betablocker) ............................................................... 355
20.2 Übersicht über Antiepileptika ............................ 317
24.3 Antisympathotonika ............................................... 358
20.2.1 Natriumkanäle blockierende Antiepileptika ...... 319
24.3.1 α2-Adrenozeptor-Agonisten .................................... 358
20.2.2 Calciumkanäle blockierende Antiepileptika ....... 322
24.3.2 Reserpin .......................................................................... 359
20.2.3 GABA-verstärkende Antiepileptika ........................ 323
20.2.4 Sonstige Antiepileptika .............................................. 325 25 Parasympathomimetika .......................... 361
20.3.2 Therapie des Status epilepticus .............................. 328 25.2 Cholinesterasehemmer .......................................... 361
XII Inhaltsverzeichnis
28.1 Pathophysiologische Grundlagen .................... 376 30.1 Pathophysiologische Grundlagen .................... 396
TEIL D HERZ
TEIL E BLUT
36.1 Zelluläre Bestandteile ............................................ 461 37.1 Hemmstoffe der Cyclooxygenase-1 ................. 472
36.1.1 Erythrozyten .................................................................. 461 37.2 ADP-Rezeptor-Antagonisten .............................. 474
36.1.2 Leukozyten ..................................................................... 464
37.3 Phosphodiesterasehemmer
36.1.3 Thrombozyten ............................................................... 465
(PDE-Hemmer) ........................................................... 476
36.2 Blutplasma, Blutserum .......................................... 466 37.4 Glykoprotein-(GP-)IIb/IIIa-Antagonisten .... 477
36.3 Hämostase (Blutstillung) ...................................... 467 37.5 Anhang: sonstige Antithrombotika ................ 478
36.3.1 Primäre und sekundäre Hämostase ...................... 467
36.3.2 Hämorrhagische Diathese ......................................... 470
38 Antikoagulanzien ......................................... 479
36.3.3 Thrombose und Embolie ........................................... 470 38.1 Antikoagulanzien im Überblick ......................... 479
XIV Inhaltsverzeichnis
TEIL F RESPIRATIONSTRAKT
45.3 Therapiestrategie bei allergischer Rhinitis .... 535 47.1 Pathophysiologische Grundlagen .................... 540
TEIL G GASTROINTESTINALTRAKT
48.2 Magen ............................................................................ 545 51.1.2 Osmotisch wirkende Laxanzien ............................... 567
48.2.1 Anatomie des Magens ................................................ 545 51.1.3 Wasserbindende Laxanzien ...................................... 568
48.2.2 Magenmotilität und -entleerung .......................... 545 51.1.4 Antiresorptiv und hydragog wirkende
54.1 Aufbau eines Nephrons ......................................... 593 56.2 Therapeutische Anwendung von Kalium-,
54.2 Glomeruläre Filtration, Primärharnbildung 594 Calcium- und Magnesiumsalzen ...................... 621
56.2.1 Kaliumpräparate .......................................................... 621
54.3 Tubuläre Transportprozesse,
56.2.2 Calciumpräparate ......................................................... 621
Endharnbildung ........................................................ 595
56.2.3 Magnesiumpräparate ................................................. 621
54.3.1 Tubuläre Resorption .................................................... 596
54.3.2 Tubuläre Sekretion ....................................................... 598 56.3 Säure-Basen-Haushalt .......................................... 621
56.3.1 Regulation des Säure-Basen-Haushalts .............. 622
54.4 Regulation der Nierenfunktion ......................... 598
56.3.2 Störungen des Säure-Basen-Haushalts ............... 622
54.4.1 Regulation der glomerulären Filtrationsrate ...... 599
56.3.3 Therapie von Störungen des Säure-Basen-
54.4.2 Regulation der Wasserausscheidung ..................... 599
Haushalts ........................................................................ 622
54.4.3 Regulation der Na+-Ausscheidung ........................ 600
54.4.4 Regulation des Säure-Basen- 57 Prostatamittel ................................................. 624
Gleichgewichts ............................................................. 601
57.1 Anatomische Grundlagen ..................................... 624
55 Diuretika .............................................................. 602 57.2 Pathophysiologische Grundlagen
55.1 Übersicht über Diuretika ....................................... 602 des benignen Prostatasyndroms (BPS) .......... 624
55.2 Thiazide und Thiazid-Analoga .......................... 605 57.3 Übersicht über Prostatamittel ............................ 625
57.3.1 α1-Adrenozeptor-Antagonisten .............................. 625
55.3 Schleifendiuretika .................................................... 607
57.3.2 Testosteron-5α-Reduktase-Inhibitoren .............. 625
55.4 Kaliumsparende Diuretika ................................... 610 57.3.3 Tadalafil .......................................................................... 626
55.4.1 Aldosteronrezeptor-Antagonisten ......................... 610
57.3.4 Phytopharmaka ............................................................ 626
55.4.2 Triamteren, Amilorid ................................................... 611
57.4 Pharmakotherapie des benignen
55.5 Diuretika mit speziellen Indikationen ........... 612
Prostatasyndroms ..................................................... 627
55.5.1 Carboanhydratasehemmer ....................................... 612
55.5.2 Osmodiuretika ............................................................... 613 58 Inkontinenzbehandlung ........................ 628
55.5.3 Tolvaptan ........................................................................ 613 58.1 Anatomie der Harnblase ....................................... 628
60.2 Übersicht über Antidiabetika ............................. 665 62.5 Osteoporose ................................................................. 695
60.3 Insuline und Insulin-Analoga ........................... 666 62.5.1 Formen der Osteoporose ........................................... 695
60.3.1 Insulinbehandlungsformen ..................................... 668 62.5.2 Physiologie des Knochenstoffwechsels ................ 696
62.5.3 Einteilung der Osteoporosemittel .......................... 697
60.4 Insulinotrope Antidiabetika ............................... 669
62.5.4 Arzneimittel mit hemmender Wirkung
60.4.1 Sulfonylharnstoffe ....................................................... 669
auf den Knochenabbau ............................................. 697
60.4.2 Glinide ............................................................................. 670
Bisphosphonate ........................................................... 697
60.5 Inkretinbasierte Antidiabetika .......................... 671 Denosumab .................................................................... 701
60.5.1 GLP-1-Rezeptor-Agonisten (Inkretinmimetika) 671 62.5.5 Arzneimittel mit stimulierender Wirkung
60.5.2 DPP-4-Inhibitoren (Gliptine) .................................. 673 auf den Knochenaufbau ........................................... 701
XVIII Inhaltsverzeichnis
63.1.6 Störungen der Nebennierenrindenfunktion ...... 710 65.5 Wirkungen der Gestagene ................................... 733
63.2 Glucocorticoide als Arzneistoffe ........................ 712 65.6 Gestagene und Antigestagene
63.3 Mineralocorticoide als Arzneistoffe ................. 717 als Arzneistoffe .......................................................... 734
65.6.1 Gestagene ...................................................................... 734
63.4 Therapie von Funktionsstörungen
65.6.2 Antigestagene ............................................................... 735
der Nebennierenrinde ........................................... 717
65.6.3 Selektive Progesteronrezeptor-
64 Männliche Sexualhormone und Modulatoren (SPRM) .................................................... 735
davon abgeleitete Pharmaka ............. 719
65.7 Der ovarielle und menstruelle Zyklus ............. 736
64.1 Physiologische Grundlagen ................................. 719
65.8 Hormonelle Steuerung von Schwangerschaft,
64.1.1 Biosynthese und Kinetik der Androgene ............. 719
Geburt und Laktation ............................................. 737
64.1.2 Androgenwirkungen ................................................... 719
65.9 Gynäkologische Erkrankungen .......................... 737
64.2 Androgene als Arzneistoffe ................................. 721
65.10 Hormonelle Kontrazeptiva ................................... 738
64.2.1 Testosteron und Testosteron-Derivate .................. 721
65.11 Hormonersatztherapie in
64.2.2 Anabolika ....................................................................... 721
der Postmenopause ................................................ 743
64.3 Antiandrogene als Arzneistoffe ......................... 722
65.12 Pharmakotherapie von Zyklusstörungen ..... 744
64.3.1 Androgenrezeptor-Antagonisten ........................... 722
65.13 Uteruswirksame Substanzen .............................. 744
64.3.2 5α-Reduktasehemmer ............................................... 723
65.13.1 Oxytocin .......................................................................... 744
64.3.3 Androgen-Biosynthese-Inhibitor .......................... 723
65.13.2 Carbetocin ...................................................................... 745
65 Weibliche Sexualhormone und 65.13.3 Prostaglandin-Derivate ............................................. 745
davon abgeleitete Pharmaka ............. 725 65.13.4 Mutterkornalkaloide ................................................... 746
65.13.5 Tokolytika ....................................................................... 746
TEIL J IMMUNSYSTEM
70.1 Erkrankungen des rheumatischen 71 Therapie der multiplen Sklerose ..... 816
Formenkreises ............................................................ 788
71.1 Pathophysiologische Grundlagen .................... 816
70.1.1 Rheumatoide Arthritis (RA) ....................................... 788
70.1.2 Seronegative Spondyloarthritiden ......................... 790
71.2 Therapie des akuten Schubs ............................... 817
TEIL K TUMORERKRANKUNGEN
72.6 Das Tumorgewebe und seine Gewebe- 73.3.2 EGFR-Tyrosinkinase-Inhibitoren ............................ 874
73.2.1 Differenzierungsinduktoren ..................................... 867 73.8 Hormone und Hormon-Antagonisten ........... 901
Retinoide ........................................................................ 867 73.8.1 GnRH-Analoga und GnRH-Antagonisten ............. 901
Bexaroten ....................................................................... 867 73.8.2 Estrogene ........................................................................ 902
Arsentrioxid .................................................................... 867 73.8.3 Antiestrogene ................................................................ 902
73.2.2 Thalidomid, Lenalidomid, Pomalidomid ............ 868 Selektive Estrogenrezeptor-Modulatoren
73.2.3 Mifamurtid ..................................................................... 869 (SERM) .............................................................................. 902
73.2.4 Proteasom-Inhibitoren .............................................. 869 Estrogenrezeptor-Antagonist ................................... 903
73.2.5 Asparaginase ................................................................. 870 Aromatasehemmer ...................................................... 904
73.2.6 Enzyminhibitoren im Zellkern ................................. 870 73.8.4 Gestagene ...................................................................... 904
Ribonucleosiddiphosphat-Reduktase- 73.8.5 Antiandrogene .............................................................. 905
Hemmstoffe ................................................................... 870 73.8.6 Glucocorticoide ............................................................ 906
Poly-ADP-Ribose-Polymerase-Hemmstoffe ....... 871
73.9 Supportive Pharmakotherapie in
Histon-Deacetylase-Inhibitoren ............................. 872
der Onkologie ............................................................. 906
73.12 Radioaktive Isotope ................................................ 907 73.13.6 Multiples Myelom ........................................................ 912
73.13.7 Chronisch lymphatische Leukämie ........................ 913
73.13 Pharmakotherapie ausgewählter
73.13.8 Chronisch myeloische Leukämie ............................. 913
Tumorerkrankungen ............................................... 908
73.13.9 Akute Leukämien ......................................................... 913
73.13.1 Mammakarzinom ......................................................... 908
73.13.2 Prostatakarzinom ......................................................... 909 73.14 Strategien zur individualisierten
73.13.3 Kolonkarzinom ............................................................. 909 Tumortherapie ........................................................... 914
73.13.4 Nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom ................... 910 73.15 Kombinationstherapie mit Zytostatika ......... 915
TEIL L HAUT
TEIL M AUGE
79.1 Anatomie des Auges ................................................ 963 80.2 Arzneistoffe zur Therapie der
Makuladegeneration .............................................. 972
79.2 Pupillenreaktionen und intraokulärer
80.2.1 Therapie der trockenen AMD .................................... 972
Druck ............................................................................... 966
80.2.2 Therapie der feuchten AMD ...................................... 972
79.3 Funktion der Photosensoren .............................. 967
80.3 Sonstige Ophthalmika ............................................ 973
80 Ophthalmika ..................................................... 968
80.3.1 Mydriatika ...................................................................... 973
80.1 Glaukommittel ........................................................... 968 80.3.2 Lokalanästhetische Ophthalmika ........................... 974
80.1.1 Pathophysiologische Grundlagen .......................... 968 80.3.3 Antiinfektive Ophthalmika ....................................... 974
80.1.2 Übersicht über Antiglaukomatosa .......................... 969 80.3.4 Antiphlogistische Ophthalmika ............................... 975
80.1.3 Prostaglandin-Analoga ............................................. 969 80.3.5 Antiallergische Ophthalmika .................................... 975
80.1.4 β-Adrenozeptor-Antagonisten ............................... 970 80.3.6 Sympathomimetika als Dekongestiva ................... 975
80.1.5 α2-Adrenozeptor-Agonisten .................................... 970 80.3.7 Dexpanthenol ............................................................... 976
80.1.6 Parasympathomimetika (Miotika) .......................... 971 80.3.8 Filmbildner .................................................................... 976
TEIL N INFEKTIONSKRANKHEITEN
82.12 Anhang: Steckbrief Antibiotika ......................... 1040 84.5 Antiretrovirale Virostatika .................................... 1071
84.5.1 HIV und AIDS .................................................................. 1071
83 Antituberkulotika ......................................... 1041 84.5.2 Entry-Inhibitoren (Eintrittshemmer) .................... 1073
87.2 Anthelminthika ......................................................... 1117 88.2 Anwendung von Desinfektionsmitteln .......... 1128
88.2.1 Instrumenten-, Flächen-, Wäsche- und
87.2.1 Albendazol und Mebendazol ................................... 1117
Händedesinfektion ..................................................... 1128
87.2.2 Praziquantel .................................................................. 1119
88.2.2 Wundantiseptika .......................................................... 1128
TEIL O DIAGNOSTIKA
TEIL P MIKRONÄHRSTOFFE
TEIL Q VERGIFTUNGEN
Teil A
Grundlagen
1 Pharmakokinetik ......................................................................................................................... 3
2 Pharmakodynamik ..................................................................................................................... 45
1 Pharmakokinetik
Die Wirkung eines Arzneistoffs hängt von vielen Faktoren und insbesondere auch von seiner Phar-
makokinetik ab. Die Pharmakokinetik beschreibt die Resorption (Aufnahme in den Körper), die
Verteilung im Körper sowie seine Elimination, sei es durch Metabolisierung oder durch unverän-
derte Ausscheidung über die Nieren oder via Fäzes. Ein wichtiger Parameter, der die Elimination
eines Arzneistoffs charakterisiert, ist die Halbwertszeit. Ist sie aufgrund von Leber- oder Nieren-
funktionsstörungen oder wegen Interaktionen mit anderen Arzneistoffen verlängert, ist in der
Regel eine Dosisreduktion erforderlich, um Nebenwirkungen zu vermeiden.
1
Die Wirkung eines Arzneimittels ist das Ergebnis zahl-
reicher, meist sehr komplexer Vorgänge im Organismus. pharmazeutische
In der Regel liegt ihr eine Reaktionskette zugrunde, die Phase
in drei Phasen unterteilt wird: Die pharmazeutische,
pharmakokinetische und pharmakodynamische Phase. Applikation
In Ⴜ Abb. 1.1 sind die wichtigsten Vorgänge, die nach
oraler Gabe eines Arzneimittels im Organismus ablau-
fen, schematisch dargestellt. Zerfall der Arzneiform
Die pharmazeutische Phase umfasst – bei den am Auflösung der Wirkstoffe
meisten verwendeten festen Arzneiformen – den Zer-
fall der Arzneiform und die Auflösung der Arzneistoffe.
pharmakokinetische
Sie wird daher vorwiegend von den galenischen Eigen- Phase
schaften des Arzneimittels bestimmt.
Die Pharmakokinetik beschreibt den zeitlichen Ver- Resorption
lauf von Arzneistoffkonzentrationen im Organismus
(Was macht der Organismus mit dem Pharmakon?).
Zur pharmakokinetischen Phase gehören die Teilpro- Biotransformation
zesse:
Resorption (Absorption),
Verteilung und
Elimination. Verteilung
Unter Resorption versteht man die Aufnahme eines Arz-
neistoffs in den Organismus. Die Verteilung beschreibt
den Stofftransport vom Blut in die Gewebe. Als Elimina-
Speicherung Ausscheidung
tion werden die Prozesse bezeichnet, die zu einer Kon-
zentrationsabnahme des Arzneistoffs im Organismus
Wirkort
führen; dazu gehören die Biotransformation (Metaboli- (Rezeptoren)
sierung) und die Ausscheidung (Exkretion).
Zusammen bestimmen die pharmazeutische und pharmakodynamische
pharmakokinetische Phase die Beziehung zwischen Phase
einer gegebenen Dosis und der erreichten Konzentra-
tion des Arzneistoffs im Organismus. pharmakologischer
Effekt
Die pharmakodynamische Phase wird durch die
Wechselwirkung des Pharmakons mit seinem Zielmo-
lekül (Target) und die sich anschließende Beeinflussung Wirksamkeit
toxische Wirkung
der Signaltransduktion bestimmt, an deren Ende der (klinische Wirkung)
pharmakologische Effekt steht (Was macht das Phar-
makon mit dem Organismus?). Ⴜ Abb. 1.1 Bei oraler Gabe eines Arzneimittels im Orga-
nismus ablaufende Vorgänge
4 1 Pharmakokinetik
O O
P CH3
H3C O O O
N CH3
O H
O
– + CH3
H3C
O
Darmlumen
OAT (organic anion transporters), OCT (organic cat- fungieren als Effluxpumpen für zahlreiche endogene
ion transporters) und die MATE (multi-drug and toxin Substrate und viele Arzneistoffe und deren Metaboliten.
extrusion transporters), die sich alle in weitere Unter- Ein pharmakologisch besonders relevanter und sehr
familien untergliedern lassen. OATP nehmen beispiels- gut untersuchter Effluxtransporter der ABC-Familie ist
weise Arzneistoffe aus dem intestinalen Lumen in En- P-gp (P-Glykoprotein, permeability glycoprotein), das
terozyten und aus dem Blut in Hepatozyten sowie in das im Rahmen der Resistenzentwicklung von Tumoren
Endothel der Blut-Hirn-Schranke (Ⴉ Kap. 1.4.2) auf. gegen Zytostatika entdeckt wurde. P-gp ist in der Lage,
OAT und OCT schleusen Arzneistoffmoleküle aus dem bestimmte Zytostatika aus dem Inneren der Tumorzelle
Blut in die Zellen des proximalen Tubulus der Niere (tu- herauszupumpen und so die Konzentration in der Tu-
buläre Sekretion) und in Hepatozyten (wichtig für die morzelle zu reduzieren. P-gp ist ein membranständiges
Metabolisierung) und sind daher besonders für die Protein, das durch das Multi-Drug-Resistance-Gen
Ausscheidung von Arzneistoffen von Bedeutung. (MDR1) kodiert wird. Es besteht aus zwei Hälften mit je
MATE können an den Zellen des renalen proximalen 6 transmembranären Domänen, in jeder Hälfte ist im
Tubulus sowie an Hepatozyten sowohl als Aufnahme- zytoplasmatischen Teil eine ATP-Bindungsstelle lokali-
als auch als Effluxtransporter fungieren. siert (Ⴜ Abb. 1.6, Ⴜ Abb. 1.7).
Der Transport erfolgt entweder als Carrier-vermit- P-gp ist für die Pharmakokinetik zahlreicher Sub-
telter Transport entlang eines elektrochemischen Gra- stanzen sehr wichtig, weil es in vielen Geweben physio-
dienten (z. B. als Symport oder Antiport) oder sekundär logisch exprimiert wird, wie beispielsweise im Darm
aktiv, d. h. angetrieben von Ionengradienten, die durch oder im Gehirn, wo es durch den Substanzefflux eine
ATP-abhängige Pumpen generiert werden, gegen ein Barrierefunktion ausübt. Außerdem ist es in Leber und
Konzentrationsgefälle. Niere an der Elimination (Ⴉ Kap. 1.6.2, Ⴉ Kap. 1.6.3)
zahlreicher Arzneistoffe beteiligt (Clearancefunktion).
Transportproteine vom ABC-Typ. Bei den ABC-Trans- Der P-gp-bedingte Arzneistoffefflux führt dazu, dass:
portern wurden bisher mehr als 50 Vertreter identifi- Onkologika, die P-gp-Substrate (z. B. Doxorubicin,
ziert, die in 7 Familien unterteilt sind (ABCA bis Paclitaxel) sind, aufgrund einer Überexpression von
ABCG). Alle Transporter dieses Typs haben ATP-bin- P-gp in den Tumorzellen nicht in diese gelangen
dende Sequenz-Motive, an die ein oder zwei ATP ge- und somit nicht wirken können,
bunden werden und an denen die energieliefernde Arzneistoffe, die P-gp-Substrate sind, eine niedri-
ATP-Hydrolyse stattfindet, die für die Konformations- gere orale Bioverfügbarkeit (Ⴉ Kap. 1.7.1) haben, da
änderung des Transportproteins erforderlich ist. Sie
1.2 Applikationsarten 7
extrazellulär A B C
Glykosylierung „inside open“ „outside open“
ATP ATP T T T T T T
M M M M M M
NH2 D D D D D D
COOH
N N N N N N
intrazellulär B B B B
D D
B B
D D D D
ADP ADP
Ⴜ Abb. 1.6 Lokalisation von P-gp (P-Glykoprotein) in der
Zellmembran Substrat Pi Pi
P
ATP
sie durch intestinales P-gp zumindest teilweise an Ⴜ Abb. 1.7 Mechanismus des P-gp-vermittelten Trans-
der Resorption gehindert werden, ports in schematischer Darstellung. A Der Arzneistoff bin- 1
Arzneistoffe, die P-gp-Substrate sind, die Blut-Hirn- det an eine Substratbindestelle, daraufhin bindet ATP an
Schranke nicht ausreichend permeieren und somit die Nucleotid-Bindungsstelle (NBD). B Konformationsän-
derung der transmembranären Domäne (TMD) durch
das zentrale Nervensystem nicht erreichen,
ATP-Hydrolyse. C Durch Spaltung eines weiteren ATP-Mo-
klinisch relevante Interaktionen auftreten können,
leküls wird der Ausgangszustand wiederhergestellt und
wenn mehrere P-gp-Substrate gleichzeitig bzw. ein der Arzneistoff freigesetzt. Nach Mansoori
P-gp-Substrat mit einem P-gp-Inhibitor oder P-gp-
Induktor gegeben werden. dem Ort, an dem das Pharmakon wirken soll, und dem
Weitere wichtige ABC-Transporter sind z. B. MRP Zustand des Patienten (z. B. i. v. Gabe bei Bewusstlosig-
(multidrug resistance-associated proteins) mit weiteren keit).
Unterfamilien (MRP 1–5) und BCRP (breast cancer re- Eine lokale oder topische Applikation auf oder in
sistance protein). bestimmte Körperstellen ist dann indiziert, wenn die
Wirkung auf den Applikationsort beschränkt sein soll,
Inhibition und Induktion von Transportproteinen. sodass der Gesamtorganismus möglichst wenig beein-
Eine Transporterinhibition erfolgt meist als kompeti- flusst wird. Wird dagegen eine systemische Wirkung
tive Hemmung bei entsprechend hoher Affinität des In- angestrebt, muss der Arzneistoff entweder direkt in die
hibitors zur Substratbindungsstelle am Transportpro- Blutbahn injiziert oder in resorbierbarer Form z. B. per-
tein oder (seltener) nichtkompetitiv als allosterische oral appliziert werden.
Hemmung, verursacht durch eine reversible Konforma-
tionsänderung des Transportproteins, die dazu führt, Topische (lokale) Applikation. Beispiele für eine topi-
dass das Substrat nicht mehr gebunden werden kann. In sche Applikation sind u. a. die Lokalbehandlung von
vielen Fällen wird der Inhibitor – auch bei kompetitiver Augen- und Hauterkrankungen sowie die pulmonale
Hemmung – selbst nicht transportiert. Anwendung von Arzneistoffen in Form von Aerosolen
Eine Transporterhemmung kann erwünscht sein, z. B. (z. B. Broncholytika). Der Vorteil einer topischen Appli-
um die Bioverfügbarkeit oder die ZNS-Gängigkeit von P- kation besteht vor allem darin, dass die erforderliche
gp-Substraten zu erhöhen oder die Resistenz von Tumo- therapeutische Dosis niedriger liegt als bei einer ande-
ren gegen Onkologika zu durchbrechen. Daher befinden ren, z. B. der p. o. Gabe, und daher systemische Wirkun-
sich P-gp-Inhibitoren mit unterschiedlichen Hemm- gen in geringerem Umfang auftreten.
mechanismen seit Jahren in der klinischen Forschung.
Auf der anderen Seite kann eine Hemmung von Parenterale Applikation. Von parenteraler Applikation
Transportern klinisch relevante Wechselwirkungen spricht man, wenn die Resorption unter Umgehung des
(Ⴉ Kap. 5.2.4) von Arzneistoffen zur Folge haben. Magen-Darm-Trakts erfolgt (z. B. i. v., i. m., s. c.).
Die intravasale, meist intravenöse (i. v.), seltener in-
traarterielle (i. a.) Injektion bzw. Infusion ist dadurch
1.2 Applikationsarten gekennzeichnet, dass exakt dosiert werden kann und
der Arzneistoff sehr rasch den Wirkort erreicht. Diese
Applikationsort und Applikationsart (႒ Tab. 1.1) rich- Applikationsform ist daher vor allem dann, wenn der
ten sich nach den physikalischen und chemischen Zeitfaktor besonders bedeutsam ist, z. B. in Notfällen
Eigenschaften des Arzneistoffs, dem gewünschten Wir- indiziert. Durch die rasche Verdünnung im Blut und
kungseintritt und der gewünschten Wirkdauer, nach durch dessen große Pufferkapazität sind die Anforde-
8 1 Pharmakokinetik
႒ Tab. 1.1 Applikationsarten (Auswahl) neiformen (Tabletten, Dragees, Kapseln u. a.) relativ
leicht hergestellt werden können und der Patient sie
Applikationsort Applikationsart
außerdem meist bevorzugt.
Applikation auf Haut oder Schleimhaut
Rektale Applikation. Eine rektale Applikation weist
Mund- und Zungen- bukkal, lingual, sublingual
eine sehr unterschiedliche und im Vergleich zur oralen
schleimhaut
Gabe meist auch niedrigere Resorptionsquote (s. u.)
Magen- und Darm- enteral = peroral (p. o.) auf. Dennoch ist bei Säuglingen und Kleinkindern die
schleimhaut rektale Anwendung z. B. von Antipyretika sinnvoll.
Außerdem werden bei Patienten, die zu Erbrechen oder
Rektumschleimhaut rektal
Magenstörungen neigen (z. B. bei Migräne), rektale
Nasenschleimhaut nasal Arzneiformen eingesetzt.
Darm Galle
A A -Konjugat A -Konjugat
Sekretion
Hydrolyse
A A
Magen
entero- entero-
A gastraler hepatischer
Kreislauf Kreislauf
A A A -Konjugat
Phase-II-Reaktion
Blut Leber 1
1.3.1 Resorption bei oraler Applikation den Speichel gelangen. Wie bei der Ausscheidung mit
Nach oraler Gabe findet die Resorption im Wesentli- der Galle oder in den Magen kann der im Speichel ent-
chen im oberen Dünndarm statt, der durch Schleim- haltene Arzneistoff nach dem Verschlucken im Darm
hautfalten, -zotten und -krypten sowie Mikrovilli eine wieder resorbiert werden.
besonders große resorbierende Oberfläche aufweist.
Der pH-Wert reicht von schwach sauer im Duodenum Orale Arzneiformen mit modifizierter Wirkstofffreiset-
bis zu schwach alkalisch in tieferen Dünndarmab- zung. Säureempfindliche Stoffe müssen vor der Ein-
schnitten, daher liegen sowohl von schwachen Säuren wirkung der Magensäure geschützt werden. Dies ge-
als auch von schwachen Basen ausreichende Anteile in lingt durch Arzneiformen mit magensaftresistenten
nichtionisierter und damit resorbierbarer Form vor. Überzügen, die sich erst im leicht alkalischen Milieu
Die Verweilzeit des Arzneistoffs im Magen ist vom des Dünndarms auflösen. Magensaftresistente Tablet-
Füllungszustand und den im Magen befindlichen sons- ten dürfen nicht geteilt, zerkleinert oder zerkaut wer-
tigen Inhaltsstoffen abhängig: Rasche Entleerung bei den, da sonst die Schutzwirkung des Überzugs verloren
Gabe des Arzneimittels in den leeren Magen, verzögerte geht. Die Dragierung von Tabletten mit unlöslichen
Abgabe bei gleichzeitiger Nahrungszufuhr. Filmbildnern oder Diffusionsüberzügen führt zu einer
Nach der Resorption aus den verschiedenen Darm- verzögerten Wirkstofffreigabe, wodurch eine Wir-
abschnitten gelangen oral applizierte Wirkstoffe über kungsverlängerung erzielt wird (Retardformulierun-
die Pfortader in die Leber. Dort kann bei entsprechen- gen). Neuere Retardarzneiformen auf Basis von Ma-
den Substanzeigenschaften ein erheblicher Anteil meta- trixsystemen oder Pelletformulierungen (Multiple-
bolisiert werden (First-Pass-Effekt, Ⴉ Kap. 1.5.5). Hoch- Unit-Systeme, in Kapseln oder Tabletten) zeichnen sich
lipophile Stoffe können auch zusammen mit Lipiden durch eine gleichförmige Freisetzung des Wirkstoffs
(z. B. Cholesterol) in Form von Chylomikronen in das über einen längeren Zeitraum (von mehreren Stunden
Lymphsystem aufgenommen werden. bis zu einem Tag) aus. Eine kontrollierte Wirkstofffrei-
Stoffe, die mit der Galle in den Zwölffingerdarm aus- gabe ist außerdem durch sog. orale osmotische Systeme
geschieden werden, können in tieferliegenden Darmab- (Oros-Systeme) möglich, bei denen die Freisetzung mit
schnitten teilweise oder ganz rückresorbiert werden. konstanter Geschwindigkeit durch osmotischen Druck
Man spricht dann von einem enterohepatischen Kreis- erfolgt.
lauf (Ⴜ Abb. 1.8). Retardarzneiformen dürfen meist nicht zerkleinert
Ein enterogastraler Kreislauf liegt vor, wenn basi- oder zerkaut werden, um ein sog. Dose dumping
sche Substanzen aus dem Blut in den Magen übertreten (Überdosierung durch plötzliche Freisetzung der ge-
und dann im Dünndarm teilweise rückresorbiert wer- samten Dosis) zu vermeiden. Neuere Systeme sind oft
den. teilbar, Tabletten mit Retardüberzügen dagegen nicht.
Arzneistoffe können außerdem durch passive Diffu- Ein besonders schneller Wirkungseintritt wird mit
sion oder durch aktiven Transport aus dem Plasma in sog. Schmelztabletten (oral dispersible tablets, ODT,
10 1 Pharmakokinetik
z. B. mit Loperamid, Lorazepam) erzielt. Es handelt sich guale Applikation nur bei leicht resorbierbaren Sub-
dabei in der Regel um Lyophilisate, die bereits in der stanzen und bei niedrigen erforderlichen Dosen in Be-
Mundhöhle innerhalb von Sekunden zerfallen und tracht. Verschiedene Arzneiformen stehen dafür zur
ohne Wasser geschluckt werden können. Bei sehr lipo- Verfügung. Glyceroltrinitrat z. B. wird in Form von Zer-
philen Arzneistoffen kann dabei bereits eine beträchtli- beißkapseln oder als Spray zur Anwendung in der
che Arzneistoffmenge über die Mundschleimhaut (s. u.) Mundhöhle bei Angina-pectoris-Anfällen eingesetzt.
resorbiert werden. Buprenorphin, das nach oraler Applikation wegen aus-
geprägter First-Pass-Metabolisierung (Ⴉ Kap. 1.5.5)
1.3.2 Resorption bei rektaler, vaginaler, nicht systemisch bioverfügbar ist, kann in Form von
bukkaler/sublingualer, nasaler und Sublingualtabletten zur Substitutionstherapie bei Opi-
pulmonaler Applikation atabhängigkeit angewendet werden. Orodispersible
Resorption bei rektaler Applikation Filme (ODF), z. B. mit dem Analgetikum Fentanyl, zer-
Bei der rektalen Applikation liegt die Resorptionsquote fallen innerhalb von Sekunden im Mund und der Arz-
in der Regel deutlich niedriger als bei p. o. Gabe und ist neistoff kann rasch über die Mundschleimhaut resor-
außerdem stärkeren intra- und interindividuellen biert werden.
Schwankungen unterworfen. Die primäre Leberpassage
wird großenteils umgangen, da die in den unteren zwei Resorption bei nasaler Applikation
Dritteln des Rektums resorbierten Anteile direkt in die Die Nasenschleimhaut besitzt ähnlich wie die Mund-
untere Hohlvene und damit nicht in die zur Leber füh- schleimhaut gute Resorptionseigenschaften. Wie bei
rende Pfortader gelangen. Für Arzneistoffe, die bereits bukkaler/sublingualer Applikation wird auch bei nasa-
bei der ersten Leberpassage umfangreich metabolisiert ler Applikation eine präsystemische Elimination im
werden, können die Plasmaspiegel dadurch nach rekta- Magen-Darm-Trakt und in der Leber umgangen. Al-
ler Applikation höher sein als nach p. o. Applikation der lerdings ist die Nasenschleimhaut sehr empfindlich,
gleichen Dosis. wodurch eine intranasale Dauertherapie erschwert
Beispiele für rektal angewendete Arzneistoffe sind wird.
Paracetamol-Fieberzäpfchen für Säuglinge und Klein- Die Resorption durch die Nasenschleimhaut wird
kinder, Metoclopramid-Zäpfchen für Patienten mit z. B. bei der Anwendung von Peptiden genutzt, die bei
Übelkeit und Erbrechen sowie Diazepam-Zäpfchen für oraler Applikation im Magen-Darm-Kanal durch Pro-
Patienten mit akuten Angst- und Erregungszuständen. teasen zerstört werden würden (z. B. Desmopressin-Lö-
sung zur Therapie des Diabetes insipidus). Ein Grippe-
Resorption bei vaginaler Applikation Impfstoff für Kinder (Fluenz® Tetra Nasenspray) ist ein
Die Vaginalschleimhaut stellt ein gutes Resorptions- Beispiel für nasal applizierte Impfstoffe. Fentanyl er-
organ dar. Lokale Estrogene (meist Estriol), die z. B. bei reicht in Form eines Nasensprays – ähnlich wie bei buk-
Genitalatrophie in der Menopause eingesetzt werden, kaler Applikation – einen raschen Wirkungseintritt.
werden unter Umgehung der ersten Leberpassage re- Bei topischer Anwendung schleimhautabschwellen-
sorbiert und erreichen bei gleicher Dosis 10-fach hö- der Arzneimittel bei Rhinitis (z. B. Nasentropfen mit
here Plasmaspiegel als nach oraler Applikation. Eine α-Sympathomimetika, Ⴉ Kap. 23.2.1), ist zu berücksich-
hauptsächlich lokale Wirkung ohne systemische tigen, dass bei hoher Dosierung infolge der Resorption
Nebenwirkungen ist daher nur bei sehr niedrigen Do- auch systemische Effekte, z. B. Blutdruckanstieg und
sierungen gewährleistet. Das Gleiche gilt für Vaginal- reflektorische Bradykardie auftreten können. Gefährdet
ringe mit Estradiol zur Empfängnisverhütung. sind vor allem Säuglinge.
Andererseits scheint Clotrimazol, ein Antimykoti- Die nasale Applikation ist außerdem als Applika-
kum, nicht in nennenswertem Umfang vaginal resor- tionsweg zur Umgehung der Blut-Hirn-Schranke
biert zu werden. Es ist auch zur Therapie von Vaginal- Gegenstand experimenteller Forschung. Arzneistoffe
mykosen in der Schwangerschaft zugelassen. sollen nach intranasaler Applikation direkt von der Nase
in den Liquor bzw. ins Gehirn gelangen (Ⴉ Kap. 1.4.2).
Resorption bei bukkaler/sublingualer Applikation
Die gut vaskularisierte Schleimhaut der Mund- und Ra- Resorption bei pulmonaler Applikation
chenhöhle besitzt für lipophile, nichtionisierte Stoffe Die Lunge ist mit ihrer großen Alveolaroberfläche von
gute Resorptionseigenschaften (bukkale, sublinguale 70–100 m2 zur Resorption von gasförmigen Stoffen
Applikation). Günstig ist, dass die Einwirkung von Ver- (z. B. Narkosegasen, Ⴉ Kap. 18.3), Flüssigkeiten und
dauungssäften des Magen-Darm-Kanals entfällt und Feststoffen befähigt.
der Arzneistoff nicht unmittelbar nach der Resorption Bei lokaler Therapie im Bereich der Atemwege (z. B.
die Leber passiert. Wegen der relativ geringen Resorp- bei Asthma bronchiale), kann es daher – wenn auch
tionsfläche kommt jedoch eine bukkale oder sublin- heute selten – zu systemischen Wirkungen kommen.
1.4 Verteilung 11
1.3.3 Resorption bei dermaler Applikation Parenterale Depotarzneiformen (z. B. in Form von
Die Resorbierbarkeit durch die intakte Haut, die phy- öligen Lösungen oder Kristallsuspensionen) können
siologischerweise keine resorptiven Aufgaben besitzt, intramuskulär (z. B. Benzylpenicillin-Benzathin, Glu-
ist gering. Das nicht kapillarisierte Stratum corneum cocorticoide) oder subkutan (z. B. Insuline) appliziert
mit einem sehr niedrigen Wassergehalt (ca. 10 %) und werden. Die Wirkstoffe werden aus den Gewebedepots
einer hohen Konzentration apolarer Lipide stellt die über einen längeren Zeitraum freigesetzt, wirksame
hauptsächliche Resorptionsbarriere dar. Die höchste Plasmaspiegel können z. T. über mehrere Tage bis Wo-
Resorptionsquote bei kutaner Applikation besitzen vor- chen erreicht werden.
wiegend lipidlösliche Substanzen, die gleichzeitig noch
eine gewisse Wasserlöslichkeit aufweisen. Hydrophile
Stoffe, aber auch Fette und Öle, werden dagegen kutan 1.4 Verteilung
nur wenig resorbiert.
Durch Erhöhung der Hauttemperatur, ferner durch Die Verteilung (Distribution) ist als reversibler Sub-
einige Lösungsmittel (z. B. Dimethylsulfoxid) sowie stanztransport von einem Teil des Körpers in einen an-
durch verstärkte Hydratation (Wassereinlagerung, z. B. deren definiert. Sie hängt von zahlreichen Variablen ab,
mit harnstoffhaltigen Zubereitungen), kann die Haut- z. B. von der Durchblutung der Organe und Gewebe, 1
resorption verbessert werden. Auch in entzündeten der Durchlässigkeit der Membranen und der pH-Diffe-
Hautgebieten ist die Resorptionsquote erhöht. Durch renz von Plasma und Gewebe. Von den Stoffeigenschaf-
mechanische, chemische oder thermische Schädigung ten ist neben der Molekülgröße und Löslichkeit insbe-
der Hautoberfläche, z. B. bei Verletzungen oder Ver- sondere die Bindung an Plasma- und Gewebeproteine
brennungen, wird das Stratum corneum und damit die bedeutsam.
Resorptionsbarriere beseitigt. Ist ein Pharmakon in die Blutbahn gelangt, wird es
im Gefäßsystem mit dem Blutstrom weitertranspor-
Transdermale therapeutische Systeme (TTS). Transder- tiert. Infolge des Konzentrationsgefälles vom Blut zum
male therapeutische Systeme, die als Pflaster auf die Gewebe verlässt es die Blutbahn und verteilt sich im
Haut geklebt werden, stellen für einige Substanzen mit Organismus so lange, bis die freien, proteinungebunde-
niedriger Dosierung (Tagesdosen bis ca. 10 mg) eine Al- nen Plasma- und Gewebekonzentrationen gleich sind
ternative zur oralen Gabe dar. Durch die gleichmäßige (passive Diffusion vorausgesetzt). Dann ist das Vertei-
Wirkstoffabgabe können mit dieser Applikationsform lungsgleichgewicht erreicht, d. h. es diffundiert pro
annähernd konstante Plasmaspiegel über einen relativ Zeiteinheit genauso viel Arzneistoff aus dem Plasma in
langen Zeitraum (mehrere Tage) erreicht werden, auch das Gewebe wie umgekehrt aus dem Gewebe zurück ins
lässt sich eine präsystemische Elimination umgehen. Plasma, von wo aus dann die Elimination erfolgt.
Derzeit sind solche Zubereitungen z. B. mit Glyceroltri- Vor Erreichen des Verteilungsgleichgewichts wird
nitrat, Sexualhormonen, Opioiden (Buprenorphin, die Verteilung in hohem Maß von der Durchblutung
Fentanyl) und Nicotin im Handel. der Organe und Gewebe bestimmt. Das bedeutet, dass
stark kapillarisierte Organe (z. B. Leber, Gehirn) zu An-
1.3.4 Resorption bei subkutaner und fang des Verteilungsprozesses eine größere Arzneistoff-
intramuskulärer Applikation menge aufnehmen als schlecht durchblutete Bereiche
Die Resorptionsgeschwindigkeit hängt hierbei in (z. B. Fettgewebe). Im Verlauf des Verteilungsprozesses
hohem Maß vom Konzentrationsgradienten und damit stellt sich das Verteilungsgleichgewicht dann aber un-
von der Durchblutung des resorbierenden Gewebes ab: abhängig von der Stärke der Durchblutung ein.
Je stärker die Durchblutung, desto höher ist der Kon- Unter funktionellen Gesichtspunkten kann der Or-
zentrationsgradient wegen des raschen Stoffabtrans- ganismus in verschiedene Verteilungsräume (Kompar-
ports mit dem Blut. Da die Muskulatur sehr stark vasku- timente, Ⴉ Kap. 1.9) eingeteilt werden.
larisiert ist, erfolgt die Resorption nach i. m. Applikation Zum Intrazellularraum (ca. 75 % des Körperge-
normalerweise sehr rasch. Die Unterhaut ist dagegen wichts) gehören die intrazelluläre Flüssigkeit und die
weniger gut durchblutet, die Wirkstoffe werden daher festen Zellbestandteile (Ⴜ Abb. 1.9). Der Extrazellular-
nach s. c. Gabe in der Regel langsamer resorbiert. raum (ca. 25 % des Körpergewichts) wird weiter unter-
Auch lipidunlösliche, hydrophile Substanzen kön- teilt in das Plasmawasser (ca. 4 % des Körpergewichts),
nen vielfach schnell transkapillär diffundieren, da bei den interstitiellen Raum (ca. 16–20 % des Körperge-
einem Teil der Kapillaren die Resorption durch ein wichts) und die transzelluläre Flüssigkeit (ca. 1,5 % des
Porenendothel erleichtert ist. Selbst bei Verbindungen Körpergewichts). Unter der Bezeichnung Gesamtkör-
mit höherer Molekularmasse ist dies möglich (z. B. s. c. perwasser versteht man die gesamte Flüssigkeit des Or-
Injektion von Insulin). ganismus (bei einem Patienten mit 70 kg KG etwa 42 l).
12 1 Pharmakokinetik
Intrazellularraum Extrazellularraum
Gesamtkörperwasser
႒ Tab. 1.2 Ursachen einer veränderten Konzentration von zahlreiche Blutschranken im Körper (z. B. Blut-Luft-
Albumin und saurem α1-Glykoprotein Schranke, Blut-Knochenmark-Schranke, Blut-Hoden-
Albumin ↓ Saures α1-Glykoprotein ↑
Schranke), von pharmakologischem Interesse sind je-
doch vor allem die Blut-Hirn-Schranke, die Blut-Li-
Unterernährung rheumatoide Arthritis quor-Schranke und die Plazentaschranke.
Leberzirrhose Morbus Crohn
Blut-Hirn-Schranke
Verbrennungen akuter Myokardinfarkt Hirnkapillaren bestehen aus einem Endothel, umgeben
von einer Basalmembran mit eingelagerten Perizyten
nephrotisches Syndrom Verbrennungen und aufgelagerten Astrozytenfortsätzen (Ⴜ Abb. 1.11).
Niereninsuffizienz Infektionskrankheiten Die eigentliche Diffusionsbarriere zwischen Blut und
Extrazellularraum des ZNS stellt das Kapillarendothel
Hyperthyreose Fettsucht dar, bei dem die Zellen durch sog. Tight junctions lü-
ckenlos miteinander verbunden sind. An der Ausbildung
Albumin ↑ Saures α1-Glykoprotein ↓
dieser interzellulären Verbindungen sind Transmem-
Hypothyreose orale Kontrazeptiva, Leber- branproteine (z. B. Claudine, Occludin und junctional 1
zirrhose adhesion molecules) beteiligt, die ein Permeations-
hindernis darstellen bzw. die Permeation kontrollieren.
dung. Dies bedingt, dass – von Ausnahmen abgesehen Für eine funktionierende Blut-Hirn-Schranke ist
– nur die freie Form an die eigentlichen Wirkorte ge- eine enge Koordination von Endothelzellen, Perizyten,
langt und damit wirksam wird. Andererseits stellt der Astrozyten, Neuronen und Gliazellen erforderlich. Die
gebundene Anteil eine Speicherform dar, aus der bei Gesamtheit dieser Strukturen wird deshalb auch als
einer Konzentrationserniedrigung der freien Form neurovaskuläre Einheit (neurovascular unit, NVU) be-
(z. B. durch Biotransformation) zur Wiederherstellung zeichnet.
des Gleichgewichts (innerhalb von Millisekunden) Arz- Lipidlösliche Stoffe können die Blut-Hirn-Schranke
neistoffmoleküle freigesetzt werden. im Allgemeinen gut durch transzelluläre Diffusion
überwinden (Ⴜ Abb. 1.12), lipidunlösliche können sie
Verdrängung aus der Proteinbindung. Befinden sich dagegen nicht passieren, sofern keine aktiven Trans-
gleichzeitig mehrere Pharmaka im Blut, besteht die portmechanismen (Ⴉ Kap. 1.1.3) bestehen. Eine para-
Möglichkeit einer Konkurrenz um die Bindungsstellen. zelluläre Diffusion ist bei intakter Blut-Hirn-Schranke
Die Substanz mit der höheren Affinität bzw. Konzentra- aufgrund der Tight junctions kaum möglich. Bei ent-
tion kann den anderen Arzneistoff aus der Proteinbin- zündlichen Prozessen nimmt allerdings die Integrität
dung verdrängen und damit dessen freien Anteil erhö- der Blut-Hirn-Schranke ab und ihre Permeabilität zu,
hen sowie als Folge Wirkstärke und Wirkdauer beein- sodass dann auch solche Stoffe in das ZNS eindringen,
flussen, vor allem wenn der gebundene Anteil > 90 % welche die Barriere normalerweise nicht überwinden
beträgt. Fällt die Proteinbindung eines Arzneistoffs bei- können.
spielsweise von 99 % auf 95 % ab, erhöht sich die freie, Aufnahmetransporter ermöglichen den Übertritt
wirksame Form von 1 % auf 5 %, also um den Faktor 5. verschiedener Substanzen, z. B. von Glucose oder Amino-
Allerdings wird aufgrund des erhöhten freien Anteils
auch die Elimination verstärkt und damit die initiale
Blut Tight junction
Wirkungszunahme der verdrängten Substanz begrenzt. lipophiler Arzneistoff
Nach erneuter Gleichgewichtseinstellung liegt die Ge- Basal- Perizyt
membran
samtkonzentration dann niedriger als vor der Gabe der
Endothel-
konkurrierenden Substanz. zelle
Klinisch relevante Interaktionen, basierend auf der
Verdrängung aus der Eiweißbindung, sind relativ sel-
ten. Arzneistoffe, für die sie beschrieben sind, sind z. B.
Phenytoin (erhöhtes Nebenwirkungsrisiko bei gleich- Neuron Astrozyt Mikroglia
zeitiger Gabe von Valproinsäure) und Warfarin (erhöh-
tes Blutungsrisiko bei Phenylbutazon-Gabe).
Blut
Gehirn
säuren, aber auch von Arzneistoffen (z. B. über (Beispiele sind Antiepileptika, Parkinsonmittel, Psy-
OATP1A2, OATP2B1, Ⴉ Kap. 1.1.4) aus dem Blut ins chopharmaka und Opioide).
Endothel sowie vom Endothel ins Gehirn (z. B. OCTN, Besonders wichtig ist die Penetration der Blut-Hirn-
OAT3). Auch eine Reihe von ABC-Transportproteinen Schranke außerdem für Onkologika zur Therapie von
(P-gp, BCRP, MRP) wurde identifiziert, die einen akti- Hirntumoren.
ven Auswärtstransport von Pharmaka bewirken und so Da eine chemische Modifikation des Wirkstoffmole-
zum Schutz des ZNS beitragen (auch metabolisierende küls (z. B. in Richtung höhere Lipophilie, verminderte
Enzyme, z. B. CYP und UGT sind in Endothelzellen der Affinität zu Efflux- bzw. erhöhte Affinität zu Aufnah-
Hirnkapillaren enthalten). metransportern) für eine bessere Penetration der Blut-
Größere Moleküle, wie z. B. Insulin oder Transferrin Hirn-Schranke oft nicht möglich ist, verfolgt die klini-
werden durch Rezeptor-vermittelte Transzytose aufge- sche Forschung heute im Wesentlichen zwei Wege: Zum
nommen. Nach Bindung an die entsprechenden Rezep- einen strebt man die Blockade von Effluxtransportern
toren werden die Substrat-Rezeptor-Komplexe interna- (z. B. P-gp) mit Inhibitoren an, die selbst möglichst
lisiert und durch die Endothelzelle geschleust. Bei der keine Wirkungen und Nebenwirkungen besitzen. Zum
Adsorptions-vermittelten Transzytose handelt es sich anderen werden kleine Arzneistoffmoleküle in Nano-
um einen kationischen Transport. Die Zelloberfläche partikel (sog. Vektor-gekoppelte Darreichungssysteme)
ist aufgrund von Glykoproteinen negativ geladen, so- verpackt, die schließlich so beschaffen sind, dass sie mit-
dass positiv geladene Peptide oder Proteine unspezi- tels Transzytose transportiert werden können.
fisch gebunden und nach Internalisierung durch die Darüber hinaus befinden sich verschiedene Strate-
Zelle transportiert werden können. gien, die Blut-Hirn-Schranke gezielt zu öffnen, um den
Für die Pharmakotherapie hat die Blut-Hirn- Arzneistofftransport ins ZNS zu gewährleisten, ohne
Schranke Vor- und Nachteile zugleich: Einerseits gibt es dabei deren Schutzfunktion nennenswert zu beein-
Arzneistoffe, die die Blut-Hirn-Schranke nicht perme- trächtigen, in der klinischen Forschung. Vielverspre-
ieren sollen, um zentralnervöse Nebenwirkungen mög- chende Versuchsansätze sind dabei eine vorüberge-
lichst zu vermeiden. Dies lässt sich zumindest in man- hende osmotische Öffnung der Blut-Hirn-Schranke
chen Fällen durch Veränderung der Molekülstruktur sowie eine Öffnung mittels Elektrostimulation, mit fo-
steuern: Quartäre Ammoniumverbindungen können kussiertem Ultraschall oder mit Nanomagneten (funk-
beispielsweise als hydrophile Substanzen die Blut-Hirn- tionelle Magnetotherapie).
Schranke nicht überqueren. Dies hat man u. a. bei eini- Außerdem steht ein neuer Applikationsweg unter
gen peripher wirkenden Anticholinergika (z. B. bei uro- Umgehung der Blut-Hirn-Schranke im Fokus der For-
logischen und gastrointestinalen Spasmolytika oder schung: Die „Nase-Gehirn-Route“ (nose to brain, N2B),
Bronchospasmolytika) genutzt, um das Risiko für un- bei der der Arzneistoff in den oberen Teil der Nase ap-
erwünschte zentrale anticholinerge Effekte (z. B. Kon- pliziert wird und unter Umgehung der Blut-Hirn-
zentrationsstörungen, Verwirrtheit) zu minimieren. Schranke über die N. olfactorius und trigeminus in die
Andererseits liegt für manche Pharmaka der Wirkort Cerebrospinalflüssigkeit oder direkt ins Gehirn gelangt.
im ZNS, z. B. bei neurologischen und neurodegenerati- Im Gegensatz zur intrathekalen Applikation ist die
ven Erkrankungen, sodass ein Übertritt über die Blut- N2B-Applikation – sollte sie sich in Zukunft etablieren
Hirn-Schranke für die Wirksamkeit Voraussetzung ist – minimal invasiv.
1.5 Biotransformation (Metabolisierung) 15
Oxidationsreaktionen
Arzneistoff Von besonderer Bedeutung für die Biotransformation
sind Oxidationsreaktionen, an denen Oxidasen, Mono-
Oxidation oxygenasen und Dioxygenasen beteiligt sind. Oxidasen
Phase-I-Reaktion Reduktion
Hydrolyse oxidieren durch Entzug von Wasserstoff bzw. Elektro-
nen. Durch Monooxygenasen wird ein Sauerstoffatom
Phase-I-Metabolit
von einem Sauerstoffmolekül in den Fremdstoff einge-
Konjugation mit baut und das andere zu Wasser reduziert. Dioxygenasen
akt. Glucuronsäure
Phase-II-Reaktion akt. Schwefelsäure führen dagegen beide Atome eines Sauerstoffmoleküls
akt. Essigsäure, in das Xenobiotikum ein.
Aminosäuren u.a.
Phase-II-Metabolit Cytochrom P450. Die weitaus größte Bedeutung für die
oxidative Biotransformation von Pharmaka besitzen
mikrosomale Monooxygenasen, die Hämproteine vom
Ⴜ Abb. 1.13 Die wichtigsten Vorgänge bei der Biotransfor-
mation Typ Cytochrom P450 enthalten. Die Bezeichnung Cy-
tochrom P450 beruht auf der starken Absorption von
Ⴜ Abb. 1.14 zeigt den Anteil von Metabolisierungsre- Licht der Wellenlänge 450 nm (nach Reduktion mit Na-
aktionen an den Haupteliminationswegen von Arznei- triumdithionit und Equilibrierung mit CO).
stoffen. Bei der Umwandlung eines Substrats (PH) durch Mo-
Als Phase-I-Reaktionen werden die Biotransforma- nooxygenasen wird dieses zunächst an Cytochrom P450
tionsreaktionen bezeichnet, bei denen das Arzneistoff- mit dreiwertigem Eisen gebunden. Nun erfolgt über eine
molekül oxidativ, reduktiv oder hydrolytisch verändert Elektronentransferkette, in der NADPH und ein Flavo-
wird, während bei den Phase-II-Reaktionen eine protein nachgewiesen sind, die Übertragung eines Elek-
Kopplung (Konjugation) des Arzneistoffmoleküls bzw. trons auf das Eisen (unter Oxidation von NADPH), wo-
eines bereits durch eine Phase-I-Reaktion entstandenen durch dieses im Cytochrom P450 zweiwertig wird. Nach
Metaboliten mit einer körpereigenen Substanz erfolgt Anlagerung von molekularem Sauerstoff und Aufnahme
(Ⴜ Abb. 1.13). In vielen Fällen wird erst durch eine Pha- eines weiteren Elektrons über eine zweite Transferkette
se-I-Reaktion die Voraussetzung für eine Konjugations- zerfällt der ternäre Komplex unter Regeneration von Cy-
reaktion geschaffen. tochrom P450 mit dreiwertigem Eisen in das hy-
In der neueren Literatur werden aktive transmem- droxylierte Substrat (POH) und Wasser (Ⴜ Abb. 1.15).
branäre Transportprozesse, die der Elimination aus der Zusammenfassend ergibt sich:
Zelle dienen, als Phase-III-Reaktionen bezeichnet.
PH + O 2 + NADPH + H + → POH + H 2O + NADP +
1.5.1 Phase-I-Reaktionen
Eine Übersicht über die wichtigsten Phase-I-Reaktio- Es gibt eine Vielzahl solcher Cytochrom-P450-Enzyme
nen gibt ႒ Tab. 1.3. (CYP), die sich hinsichtlich ihrer Substratspezifität, der
am jeweiligen Expressionsort vorhandenen Menge
50
25
0
hepatisch CYP-Metabolisierung 3A4
renal andere Phase-I- alle anderen
andere Reaktionen (z.B. 1A2, 2B6,
Phase-II-Reaktionen 2C9, 2C19, 2D6)
andere
1.5 Biotransformation (Metabolisierung) 17
Oxidationen R1 R1
C S C O
O
R2 R2
R CH2OH R R COOH
H
R1 R3 R1 R3
P P
Oxidation von Alkoholen Benzylalkohol, Pyridoxin R2 S R2 O
und Aldehyden
R1 R1 R3
3 + R R
N R N
2 -
R R2 O von Nitrogruppen Nitrazepam
R1 R1 R1 O O
R1 COOH + HO R2
S S O S
R1 O R2
R2 R2 R2 O
႒ Tab. 1.3 Phase-I-Reaktionen (Fortsetzung) Sonstige oxidierende Enzyme. Weitere wichtige oxidie-
rende Enzyme sind die:
Reaktionen Substratbeispiele Alkohol-Dehydrogenase, die Alkohole (z. B. Etha-
nol) zu Aldehyden dehydriert,
O
Aldehydoxidase, die Aldehyde in Säuren überführt
R1 COOH + H2 N R
2
R1 N R2 und die
H
Monoaminoxidase, die vor allem biogene Amine
(z. B. Catecholamine) oxidativ biotransformiert.
von Säureamiden Procainamid
Reduktionen
H O R2 H O R2
C C + HO R 3 Im Vergleich zu den Oxidationen spielen Reduktionen
3 bei der Biotransformation nur eine untergeordnete Rolle.
R1 O R R 1 OH
Carbonylverbindungen können durch die Alkohol-
von Acetalen (Glykosiden) Anthraglykoside, herzwirk-
Dehydrogenase oder zytoplasmatische Aldo-Keto-Re-
duktase zu Alkoholen reduziert werden. Für die Spaltung
same Glykoside
von Azoverbindungen zu den primären Aminen über die 1
R2 R3 Hydrazo-Zwischenstufe scheinen mehrere Enzyme, u. a.
R1 R3
R 1
R4
die NADPH-Cytochrom-P450-Reduktase, in Betracht
R2 O R4 zu kommen. Noch nicht ganz geklärt sind auch die an der
OH OH
Reduktion von Nitroverbindungen zu den entsprechen-
von Epoxiden Carbamazepin-Metabolit
den Aminen beteiligten Enzyme.
Toxikologisch bedeutsam ist die reduktive Dehalo-
Sonstige genierung von aliphatischen chlor-, brom- oder iod-
haltigen Substanzen, z. B. von Tetrachlorkohlenstoff
COOH H H
+ CO2 (Ⴉ Kap. 91.13.2).
1
R1 R2 R R2
Biohydrolysen
Decarboxylierung Histidin, Levodopa, Wichtige biohydrolytische Reaktionen sind:
α-Methyldopa die Spaltung von Estern und Amiden zu Säuren und
Alkoholen bzw. Aminen durch Esterasen bzw.
Primäre und sekundäre Amine werden beispiels- Amidasen,
weise in Hydroxylamine und tertiäre Amine in N-Oxide die Umwandlung von Epoxiden zu vicinalen Diolen
umgewandelt. durch Epoxidhydratasen (syn. Epoxidhydrolasen),
Von den 5 FMO-Familien ist FMO3 für den Arznei- die Hydrolyse von Acetalen (Glykosiden) durch
stoffmetabolismus von Bedeutung, welches in der Glykosidasen sowie
(adulten) Leber stark exprimiert wird. Verglichen mit die Hydrolyse von Glucuroniden durch
den CYP-Enzymen ist die Anzahl von Arzneistoffen, Glucuronidasen.
die von FMO metabolisiert werden, allerdings relativ Ester und Amide werden von den gleichen Enzymen
gering. Die Antipsychotika Clozapin, Loxapin und Zi- hydrolysiert, Ester allerdings wesentlich schneller als
prasidon, die H2-Antihistaminika Cimetidin und Ra- Amide. Diese Enzyme kommen sowohl intra- als auch
nitidin sowie Tamoxifen, Amphetamin und Diphenhy- extrazellulär, mikrosomal gebunden und in gelöster
dramin sind Beispiele für Arzneistoffe, die unter Betei- Form vor. Für den Fremdstoff-Metabolismus sind
ligung von FMO3 metabolisiert werden. Pseudocholinesterasen und sog. Aliesterasen, die vor-
FMO-Enzyme sind nicht leicht induzierbar und wiegend aliphatische Ester und Amide spalten sowie
hemmbar, mit klinisch relevanten Interaktionen ist Arylesterasen, zu denen Ester und Amide mit aromati-
daher nicht zu rechnen. schen Resten eine hohe Affinität besitzen, wesentlich.
Mutationen im FMO3-Gen sind die Ursache für das Auch Darmbakterien besitzen hydrolytische En-
sog. Fischgeruch-Syndrom, die Trimethylaminurie. zyme. Sie bewirken insbesondere eine Spaltung von
Dabei handelt es sich um eine autosomal rezessiv ver- Phase-II-Metaboliten in den tieferen Darmabschnitten.
erbte Stoffwechselstörung, bei der das im Körper ent- Sofern der freigesetzte Wirkstoff dort resorbiert werden
stehende und nach altem Fisch riechende Trime- kann, tritt ein enterohepatischer Kreislauf auf
thylamin nicht in das geruchlose Trimethylamin-N- (Ⴜ Abb. 1.8).
Oxid umgewandelt werden kann und daher über Urin Epoxidhydratasen, die in einem Multienzymkom-
und Schweiß ausgeschieden wird. plex zusammen mit Monooxygenasen vorkommen, be-
20 1 Pharmakokinetik
sitzen für den Abbau von Epoxiden Bedeutung. Es ent- ႒ Tab. 1.4 Phase-II-Reaktionen
stehen vicinale Diole.
Konjugation Substratbeispiele
Neben der oben beschriebenen reduktiven Dehalo-
genierung ist eine hydrolytische Spaltung von C-Cl-Bin- HOOC O O P P Ur idin HOOC O O R
dungen möglich, als Reaktionsprodukt entsteht der ent- H OR +
sprechende Alkohol. HO OH HO OH
OH OH
N Adenosyl
curonsäure auftreten (Acylmigration). CH3
OH N
OH
2B7 Codein, Ibuprofen, Ketoprofen, Lorazepam, 1
Morphin, Naproxen
H
O
2B10 Nicotin
Benzoesäure Hippursäure
2B15 Oxazepam, Paracetamol
Xb Xb
AIP
AhR AhR
P HSP90 HSP90
CAR
Ⴜ Abb. 1.19 Stark vereinfachte schematische Darstellung der Enzyminduktion über nukleäre Rezeptoren (Xenosensor-
Aktivierung): A PXR (Pregnan-X-Rezeptor) und RXR (9-cis-Retinolsäurerezeptor) kommen hauptsächlich im Zellkern vor;
nach Ligandenbindung dimerisiert PXR mit RXR zum Heterodimer, bindet an die DNA und startet damit die Transkription.
B CAR (Konstitutiver Androstanrezeptor) befindet sich überwiegend in phosphorylierter Form im Zytosol. Die Liganden-
bindung begünstigt die Dephosphorylierung und die Translokation in den Zellkern. Dort wird analog zum PXR das Hete-
rodimer mit RXR gebildet und nach Bindung an die DNA die Transkription gestartet.
C AhR (Arylhydrocarbonrezeptor) ist in inaktiviertem Zustand im Zytosol u. a. an 2 Hitzeschockproteine (HSP90) und AIP
(AhR inhibiting protein) gebunden; nach Ligandenbindung wird AhR aus dem Komplex freigesetzt und transloziert in
den Zellkern, wo er mit ARNT (AhR nuclear translocator) ein Heterodimer bildet und nach Bindung an die DNA die Tran-
skription initiiert. PBRE phenobarbital response element, PXRE PXR response element, Xb Xenobiotikum, XRE xenobiotic
response element. Nach Klotz
risierungsdomäne, DNA-Bindungsdomäne sowie eine tal, Primidon, Phenytoin), Rifampicin und Johannis-
Transaktivierungsdomäne auf. kraut. Induktionseffekte machen sich im Fall von
Die Superfamilie der nukleären Rezeptoren umfasst 48 CYP3A4 nach 1–2 Tagen bemerkbar – das ist die Zeit,
Proteine. Für die Pharmakokinetik von Arzneistoffen die für die Enzymneusynthese benötigt wird, maximale
besonders wichtige nukleäre Rezeptoren sind der Enzymmengen sind frühestens nach etwa 6 Tagen er-
Pregnan-X-Rezeptor (PXR) und der reicht. Genauso dauert es nach Absetzen des Induktors
konstitutive Androstanrezeptor (CAR), noch mindestens 6 Tage bis die CYP3A4-Menge wieder
da diese von Arzneistoffen aktiviert werden können auf ihr normales Ausgangsniveau abgefallen ist (CYP3A4
(႒ Tab. 1.6). PXR und CAR kommen vor allem in der hat eine Halbwertszeit von ca. 30–70 Stunden).
Leber, im Gastrointestinaltrakt und in der Niere vor. Für die medikamentöse Therapie ergeben sich aus der
Eine vermehrte Expression von Arzneistoff metaboli- Enzyminduktion folgende Konsequenzen:
sierenden Enzymen und Transportern kann ferner durch Bei einer längerdauernden Medikation mit Enzym-
den Farnesoid-X-Rezeptor (FXR), die Peroxisom-Proli- induktoren kommt es zu einer Erniedrigung der zu
ferator-aktivierten Rezeptoren α und γ (PPARα und γ), Beginn der Behandlung mit einer bestimmten Dosis
durch den vor allem im Gastrointestinaltrakt lokalisier- erreichbaren Arzneistoffkonzentration im Plasma.
ten Vitamin-D-Rezeptor (VDR) sowie den zytosoli- Sind die Abbauprodukte weniger aktiv als die Aus-
schen Ah-Rezeptor (Ah, aryl hydrocarbons) und den gangssubstanz, wird die Wirkung vermindert, besit-
Glucocorticoidrezeptor vermittelt werden (႒ Tab. 1.6). zen sie stärkere Effekte (Prodrugs), nimmt sie zu
Weitere nukleäre Rezeptoren, die die Expression von (s. u.).
CYP-Enzymen, UGT und Transportern beeinflussen Manche CYP-Enzyme (wie z. B. CYP1A1 und
können, sind der Nfr-2 (nuclear factor-erythroid 2 rela- CYP1A2) sind in der Lage, chemische Karzinogene
ted factor 2), der bei oxidativem Stress aktiviert wird, zu bioaktivieren, sodass eine Induktion zu einem er-
und der HNF1α (hepatocyte nuclear factor 1α). höhten Tumorrisiko führen kann. Induktoren dieser
Zu den klinisch relevanten CYP-Induktoren zählen Enzyme werden in der Arzneimittelentwicklung
u. a. einige Antiepileptika (Carbamazepin, Phenobarbi- daher besonders kritisch betrachtet.
24 1 Pharmakokinetik
Arzneistoff
Efflux
Zur intestinalen Elimination können ferner Efflux- thromycin → Erythromycinethylsuccinat), hohem First-
transporter (z. B. P-gp) in den Enterozyten beitragen, Pass-Effekt, kurzer Wirkdauer oder ungenügender
die den Arzneistoff aus den Zellen herauspumpen und Verteilung in Zielorgane (z. B. Dopamin → Levodopa)
somit an der Resorption hindern. sinnvoll sein. Meist wird bei der Entwicklung von Pro-
Einem ausgeprägten prähepatischen First-Pass-Ef- drugs so vorgegangen, dass eine im Wirkstoff vorhan-
fekt unterliegen z. B. bestimmte Statine (Simvastatin, dene funktionelle Gruppe (z. B. eine OH- oder Amino-
Lovastatin) und PDE-5-Hemmer (z. B. Sildenafil, Var- gruppe) mit einer geeigneten Verbindung (z. B. einer
denafil) sowie einige Calciumkanalblocker (z. B. Ni- Carbonsäure) umgesetzt wird, die dann im Organismus
trendipin, Felodipin). wieder abgespalten werden kann.
Prähepatischer und hepatischer First-Pass-Effekt be- Werden im Rahmen der Biotransformation toxische
stimmen das Ausmaß der präsystemischen Elimina- Metaboliten gebildet, spricht man von Biotoxifizierung
tion eines Arzneistoffs. Arzneistoffe mit ausgeprägter (Ⴜ Abb. 1.21). Toxische Metaboliten von Arzneistoffen
präsystemischer Elimination und dadurch bedingter treten insbesondere dann auf, wenn infolge von (zu)
niedriger oraler Bioverfügbarkeit (Ⴉ Kap. 1.7.1) haben hohen Dosen die Kapazität der Biotransformationsreak-
ein relativ hohes Interaktionsrisiko (Ⴉ Kap. 5.2.2): Eine tionen (Glucuronidierung, Sulfatierung), die in der Regel
Hemmung der CYP-Enzyme des Gastrointestinaltrakts zu untoxischen Abbauprodukten führen, nicht mehr aus-
und/oder der Leber reduziert den First-Pass-Effekt und reicht (vgl. Paracetamol-Intoxikation, Ⴉ Kap. 15.3.5).
erhöht dadurch den bioverfügbaren Anteil des Arznei-
stoffs. Eine Induktion dieser Enzyme kann zu einer 1.5.7 Einfluss von Alter und Geschlecht auf
starken Zunahme des First-Pass-Effekts und damit zu die Biotransformation
einer verminderten systemischen Verfügbarkeit und Alterseinflüsse auf die Biotransformation machen sich
Wirkungsabschwächung (ggf. bis zum Wirkungsver- insbesondere bei Neugeborenen und bei älteren Men-
lust) führen. schen bemerkbar.
Beim Neugeborenen – und in noch stärkerem Maße
1.5.6 Bioaktivierung und Biotoxifizierung beim Frühgeborenen – ist die Ausstattung mit einigen
Die Biotransformation von Arzneistoffen führt in der Enzymen, die an der Biotransformation beteiligt sind,
Regel zu einer Wirkungsabschwächung bzw. vollständi- noch unzureichend. So werden beispielsweise die Glu-
gen Inaktivierung, bei Prodrugs kommt es dagegen zu curonyltransferasen erst um den Zeitpunkt der Geburt
einer Bioaktivierung (Ⴜ Abb. 1.21). gebildet, das Neugeborene ist daher zu Glucuronidie-
Unter Prodrugs versteht man Substanzen, die selbst rungsreaktionen nur bedingt fähig. Bei Kindern im
biologisch weitgehend inaktiv sind, die aber im Orga- Alter von 1–8 Jahren ist dagegen die Biotransforma-
nismus – enzymatisch oder nichtenzymatisch – in eine tionsrate im Vergleich zu Erwachsenen erhöht, woran
aktive Form umgewandelt werden. vermutlich zumindest teilweise das bei Kindern grö-
Die Entwicklung von Prodrugs kann beispielsweise ßere Verhältnis von Leber- zu Körpergewicht beteiligt
bei unzureichender Resorption des Wirkstoffs (z. B. Ce- ist.
furoxim → Cefuroximaxetil, Dabigatran → Dabigatrane- Bisher wurde angenommen, dass CYP-vermittelte
texilat) oder auch bei schlechtem Geschmack (z. B. Ery- Reaktionen im höheren Lebensalter durch eine Ab-
26 1 Pharmakokinetik
H3CO HO
O H Bioaktivierung O H
CH3 CH3
N N
HO HO
Codein Morphin
O O
CH2OH CH2OH
CH3 CH3
O OH HO OH
CH3 H CH3 H
Bioaktivierung
H H H H
O O
OC2H5 OC2H5
O P S O P O
OC2H5 Biotoxifizierung OC2H5
O2N O2N
OH
NH2 NH2
Biotoxifizierung
nahme der Enzymaktivität langsamer ablaufen. Neuere Die klinischen Konsequenzen sind bisher unklar, da es
Untersuchungen konnten diese Befunde jedoch nicht aber aus einer Reihe klinischer Studien Hinweise auf
bestätigen, sondern deuten eher darauf hin, dass die ein geschlechtsabhängiges Ansprechen auf eine Phar-
normale Enzymfunktion im Alter erhalten bleibt. Auch makotherapie gibt, werden diese Fragestellungen zu-
die Induzierbarkeit von Phase-I-Enzymen und Trans- künftig eine wichtige Rolle spielen.
portproteinen (z. B. von CYP3A4 und P-gp) ist bei älte-
ren Patienten nicht eingeschränkt. Es ist vielmehr
davon auszugehen, dass der geringere Leberblutfluss 1.6 Ausscheidung
älterer Menschen (bedingt durch das abnehmende
Herzzeitvolumen) zu einer Abnahme der Clearance Die Ausscheidung (Exkretion) eines Pharmakons bzw.
führt. Diese Annahme wird durch die Beobachtung ge- seiner Metaboliten führt – wie die Biotransformation –
stützt, dass insbesondere Substanzen mit hoher Clea- zur Abnahme der Wirkstoffkonzentration im Körper.
rance (high clearance drugs, Ⴉ Kap. 1.7.3) im Alter ver- Sie hängt zum einen von den physikalisch-chemischen
langsamt ausgeschieden werden. Eigenschaften (z. B. Molekularmasse, pKa-Wert) der
Andererseits ist im Alter oft die Eiweißbindung auszuscheidenden Substanz, zum anderen vom Vor-
wegen einer verringerten Plasmaalbuminkonzentration handensein spezifischer Transportproteine (s. o.) ab
erniedrigt; dadurch steigt der freie Anteil des Arznei- und erfolgt im Wesentlichen:
stoffs, und die Biotransformationsgeschwindigkeit intestinal (mit den Fäzes),
kann zunehmen. hepatisch/biliär (ebenfalls mit den Fäzes) und/oder
Es gibt zunehmend Befunde dafür, dass sich Frauen renal (mit dem Urin).
und Männer hinsichtlich der Expression verstoffwech- Der Ausscheidung von Pharmaka über die Lunge (pul-
selnder Enzyme und Transportproteine unterscheiden. monal) oder durch die Haut kommt eine deutlich gerin-
So konnte gezeigt werden, dass z. B. CYP3A4, das sehr gere Bedeutung zu. Die Ausscheidung in die Mutter-
viele Arzneistoffe metabolisiert, bei Frauen in etwa milch ist vor allem von toxikologischem Interesse, da in
doppelt so großer Menge in der Leber vorhanden ist. die Muttermilch ausgeschiedene Arzneistoffe beim
1.6 Ausscheidung 27
SLC
SLC
SLC
bulus sezerniert zu werden, muss eine Substanz zu-
nächst aus dem Blutstrom über einen basolateralen
Transporter aufgenommen werden, um dann auf der
Ph nz
ABC apikalen Seite, wiederum durch ein Transportprotein,
as ym
E
e-
Gallen- in den Urin sezerniert zu werden (Ⴜ Abb. 1.5).
I-
Ph Enz
(apikal)
e-
C
AB über SLC-Transporter wie OCTN2 (carnitine/organic
Hepatozyt
cation transporter) oder durch P-gp in den Urin ausge-
schieden.
ABC
A BC
BC
႒ Tab. 1.7 Primär unverändert renal eliminierte Phar- Harn gewonnen. Beide Flüssigkeiten sind gut zugäng-
maka1 (Beispiele) lich, und die Konzentration im Blut, dem Transport-
Stoffgruppe Arzneistoff
organ, spiegelt die kinetischen Vorgänge im Organismus
wider. Zur Gewinnung der Konzentrations-Zeit-Kurven
ACE-Hemmer Enalapril, Lisinopril, Quinapril als Resultanten der verschiedenen pharmakokinetischen
Teilprozesse sind wiederholte Bestimmungen der Arz-
Antibiotika Penicilline, Cephalosporine,
neistoffkonzentration notwendig.
Glykopeptide, Aminoglykoside
Die verschiedenen Parameter werden, vorrangig
Antidiabetika Metformin, Sitagliptin nach ihrer Bedeutung für die verschiedenen pharmako-
kinetischen Teilprozesse (Resorption, Verteilung, Eli-
Antiepileptika Levetiracetam, Gabapentin,
mination) geordnet, beschrieben.
Pregabalin, Vigabatrin
ons-Zeit-Kurve (AUC) der aufgenommenen Sub- duktase, befindet sich, wie bereits in Ⴉ Kap. 1.6.2
stanzmenge entspricht. Das bedeutet, dass bei gleicher erwähnt, in den Hepatozyten, also vor der systemischen
Dosis und vollständiger Resorption in das Blut die Flä- Zirkulation, sodass das Ausmaß der Bioverfügbarkeit
chen unter den Kurven bei i. v. Injektion und z. B. oraler keine Rückschlüsse auf die Wirksamkeit zulässt. Aller-
Applikation gleich sind (Prinzip der korrespondieren- dings ist die wichtigste Nebenwirkung der Statine eine
den Flächen). Störung der quergestreiften Muskulatur (Myopathie,
Um die Bioverfügbarkeit einer Substanz nach belie- Rhabdomyolyse), die sie über den Blutweg erreichen.
biger Applikation zu bestimmen, wird der Wirkstoff zu- Bei Statinen ist daher bei höherer Bioverfügbarkeit mit
nächst i. v. injiziert, um eine 100%ige Bioverfügbarkeit verminderter Wirksamkeit und vermehrten Nebenwir-
zu gewährleisten. In einem zweiten Versuch wird die kungen zu rechnen.
gleiche Dosis beispielsweise oral appliziert. Danach
werden die Flächen unter beiden Konzentrations-Zeit- Bioäquivalenz. Zwei Arzneimittel mit identischen
Kurven (AUC) berechnet. Wirkstoffen gelten als bioäquivalent, d. h. wirkungs-
Das Ausmaß der Bioverfügbarkeit erhält man dann gleich, wenn sie sich bezüglich ihrer Bioverfügbarkeit
nach folgender Gleichung: (AUC) und der Geschwindigkeit der Resorption nicht
bzw. nur wenig (≤ 20 %) unterscheiden. Relevante Para-
AUC
F = _ x
AUC i. v.
∙ 100 [%] meter für die Geschwindigkeit der Resorption sind die
maximale Plasmakonzentration (Cmax) und die Zeit
AUCx Fläche unter der Kurve bei beliebiger Applikation zwischen Applikation und Erreichen der maximalen
AUCi. v. Fläche unter der Kurve bei intravenöser Applikation Plasmakonzentration (tmax). Bei Gabe identischer
Dosen ist tmax umso kleiner und Cmax umso größer, je
Der auf diese Weise ermittelte Wert wird als absolute höher die Resorptionsgeschwindigkeit ist.
Bioverfügbarkeit bezeichnet. Untersuchungen zur Bioäquivalenz spielen bei der
Steht keine Arzneiform zur intravenösen Applika- Zulassung von Generika (Nachahmerpräparaten) eine
tion zur Verfügung, kann die relative Bioverfügbarkeit entscheidende Rolle, da ein Generikum nur dann zuge-
Frel eines Präparats dadurch bestimmt werden, dass lassen wird, wenn dieses die Bioäquivalenzkriterien er-
man die Fläche unter der Plasmaspiegel-Zeit-Kurve des füllt.
zu untersuchenden Präparats auf die eines Standardprä-
parats bezieht: 1.7.2 Verteilungsvolumen
Unter dem Verteilungsvolumen (V, [l]) versteht man
AUC
F rel = _ x
AUC Standard
∙ 100 [%] eine fiktive Größe, die die Arzneistoffmenge (X) im
Körper und die Plasmakonzentration (C) in Relation
setzt:
Wichtige Faktoren, die die Bioverfügbarkeit bestim-
X
men, sind neben den Eigenschaften der Arzneiform des V = _
C
l []
betreffenden Präparats die Resorptionseigenschaften
des freigesetzten Arzneistoffs sowie nach oraler Appli-
kation das Ausmaß seiner präsystemischen Elimination Multipliziert man die Plasmakonzentration mit dem
(First-Pass-Effekt, Ⴉ Kap. 1.5.5). Verteilungsvolumen, so erhält man – als reale Größe –
Die Bioverfügbarkeit und damit auch die Wirksam- die Substanzmenge im Organismus.
keit eines Arzneistoffs können bei gleicher Dosierung Ist das Verteilungsvolumen eines Arzneistoffs sehr
in Abhängigkeit von der galenischen Zubereitung z. T. groß, bedeutet es, dass sich ein großer Teil der Substanz
erheblich schwanken. Als Beispiele für Arzneistoffe, bei nicht im Plasma, sondern in peripheren Geweben be-
denen relevante Unterschiede in der Bioverfügbarkeit findet, ist es dagegen sehr klein, hält sich der überwie-
bei verschiedenen Handelspräparaten nachgewiesen gende Teil des Arzneistoffs im Plasma auf (z. B. bei
wurden, seien Acetylsalicylsäure, Allopurinol, Digoxin, hoher Plasmaproteinbindung).
Glibenclamid, Ibuprofen und Tetracyclin genannt. Das Verteilungsvolumen kann identisch sein mit
In der Regel wird eine möglichst hohe Bioverfügbar- dem Plasmavolumen (ca. 3 l), der extrazellulären Flüs-
keit eines Arzneistoffs, z. B. nach oraler Applikation, sigkeit (0,25 l/kg KG) oder dem Gesamtkörperwasser
angestrebt, weil dadurch niedrigere Dosierungen genü- (ca. 0,6 l/kg KG). Es kann aber auch das Gesamtvolu-
gen und auch die AUC-Werte normalerweise weniger men des Körpers weit übersteigen. Dies ist dann ein
inter- und intraindividuell schwanken. Eine Arznei- Hinweis darauf, dass die betreffende (meist lipophile)
stoffgruppe, bei der eine hohe Bioverfügbarkeit da- Substanz in bestimmten Geweben, z. B. durch Bindung
gegen unerwünscht ist, stellen beispielsweise die Sta- an Gewebeproteine, angereichert wird. Als sog. tiefe
tine dar. Das Zielenzym der Statine, die HMG-CoA-Re- Kompartimente werden Gewebe bezeichnet, aus denen
1.7 Pharmakokinetische Parameter 31
႒ Tab. 1.8 Verteilungsvolumina (Beispiele) Die Organclearance erhält man aus dem Produkt der
Organdurchblutung Q und dem Extraktionsquotienten
Verteilungsvolumen1 Arzneistoffe
E:
< 0,5 l/kg KG Aminoglykoside, Cephalospo-
rine, NSAID, Penicilline CL Organ = Q ∙ E
CL H = Q H ∙ E H
der Arzneistoff über lange Zeit nur langsam wieder ins
Plasma abgegeben wird, woraus gegebenenfalls eine
QH
EH
Leberdurchblutung
Extraktionsquotient der Leber
1
Depotfunktion mit verlängerter Wirkung resultiert.
Das Ausmaß der Verteilung eines Arzneistoffs, und Bezüglich der hepatischen Clearance lassen sich zwei
damit die Größe des Verteilungsvolumens ergibt sich Hauptgruppen von Arzneistoffen unterscheiden:
aus dem Zusammenspiel von Hydrophilie bzw. Li- high clearance drugs und
pophilie einerseits und der Bindung an Plasma- oder low clearance drugs.
Gewebeproteine andererseits. Vereinfacht zusammen- Bei der ersten Gruppe, den sog. high clearance drugs,
gefasst ist das Verteilungsvolumen umso kleiner je hy- hängt die Elimination vorwiegend von der Leberdurch-
drophiler die Substanz und je größer die Plasma- blutung ab und ist somit perfusionslimitiert. Der Ex-
proteinbindung ist und umso größer je lipophiler die traktionsquotient liegt hier über 0,8, d. h. nahezu der
Substanz und je größer die Bindung an Gewebepro- gesamte Wirkstoff wird bei einer Leberpassage aus dem
teine ist. Beispiele für Verteilungsvolumina von Arz- Blut extrahiert.
neistoffen sind in ႒ Tab. 1.8 aufgeführt. In der Praxis ist Bei der zweiten Gruppe, den sog. low clearance drugs,
das Verteilungsvolumen für die Berechnung der An- mit einem Extraktionsquotienten < 0,2 ist vor allem die
fangsdosis (z. B. bei einer Infusion, Ⴉ Kap. 1.8.3) wich- Enzymkapazität der Leber der geschwindigkeitsbestim-
tig. mende Schritt (kapazitätslimitierte Clearance).
Beispiele für perfusionslimitiert eliminierte Sub-
1.7.3 Clearance stanzen sind Propranolol und Lidocain, Beispiele für
Die Clearance (CL, [ml/min bzw. l/h]) bezeichnet das kapazitätslimitiert eliminierte Arzneistoffe Diazepam
virtuelle Blutvolumen (Plasmavolumen), das pro Zeit- und Phenprocoumon.
einheit von der betreffenden Substanz befreit (geklärt) Die renale Clearance ist, der allgemeinen Clearance-
wird. Definition entsprechend, das Blutvolumen, das pro
Die Gesamtkörperclearance (CL) wird bestimmt, Zeiteinheit durch die Niere von dem betreffenden Stoff
indem man die Dosis (D) bzw. deren bioverfügbaren völlig befreit wird. Man kann sie nach der folgenden
Anteil (s. o.) durch die Fläche unter der Kurve (AUC) Formel berechnen:
dividiert:
Ae(∞) Ae(∞) ∙ CL
CL R = _
AUC
= _ Dosis
D
CL = _
AUC
Ae(∞) Amount excreted; Menge des im Urin unverändert bis zum Zeit-
punkt unendlich ausgeschiedenen Arzneistoffs
Sofern ein Stoff ausschließlich durch ein Organ elimi- Die Clearance, insbesondere die Gesamtkörperclea-
niert wird, ist die Gesamtkörperclearance gleich der rance, ist deshalb für die praktische Therapie von hoher
Organclearance. In den meisten Fällen setzt sich jedoch Relevanz, weil sie neben der Dosierung die entschei-
die Gesamtkörperclearance aus mehreren Teilclea- dende Determinante für die Höhe des mittleren (ave-
rances zusammen, von denen die wichtigsten die hepa- rage) Plasmaspiegels im Steady-state (Cssav) bei Dauer-
tische (CLH) und die renale (CLR) Clearance sind. medikation ist (Ⴉ Kap. 1.8.2). Eine Erniedrigung der CL
führt unmittelbar zu einer Erhöhung von Cssav und
CL = CL R + CL H + CL x damit bei Arzneistoffen mit geringer therapeutischer
Breite (Ⴉ Kap. 1.8.4) zu einer Erhöhung des Intoxika-
tionsrisikos. Außerdem bestimmt die Clearance die
32 1 Pharmakokinetik
Halbwertszeit (s. u.): Bei einer Erhöhung der Clearance Die Angabe der Halbwertszeit eines Arzneistoffs ist
z. B. im Rahmen einer Enzyminduktion (Ⴉ Kap. 1.5.3) nur dann möglich, wenn eine Kinetik 1. Ordnung vor-
sinkt die Halbwertszeit, während bei reduzierter Clea- liegt und damit der pro Zeiteinheit eliminierte Anteil
rance, z. B. bei einer Enzyminhibition infolge einer Arz- der Substanz (z. B. 50 % nach 1 Halbwertszeit) konstant
neimittelwechselwirkung, mit einer Verlängerung der ist. Da bei der Anwendung von Arzneimitteln norma-
Halbwertszeit zu rechnen ist. lerweise verhältnismäßig niedrige Plasmakonzentratio-
nen erreicht werden, erfolgt die Arzneistoffelimination
1.7.4 Eliminationshalbwertszeit in der Regel nach einer solchen Kinetik 1. Ordnung,
Die Eliminationshalbwertszeit (t½), auch als terminale und es liegt der Normalfall einer linearen Kinetik vor.
Eliminationshalbwertszeit, Plasmahalbwertszeit oder Mithilfe der Halbwertszeit lässt sich abschätzen,
vereinfacht als Halbwertszeit bezeichnet, ist die Zeit, wann eine Substanz den Organismus wieder vollständig
in der die Plasmakonzentration auf die Hälfte des ur- verlassen hat. Das ist in der Regel nach etwa 5 Halb-
sprünglichen Wertes abfällt. Man kann sie entweder aus wertszeiten (HWZ) der Fall. Zur Veranschaulichung:
Plasmaspiegel-Zeit-Kurven (in semilogarithmischer Wird unmittelbar nach i. v. Gabe eine Plasmakonzen-
Darstellung) ablesen (Ⴜ Abb. 1.25) oder nach der folgen- tration von 100 μg/ml gemessen (Verteilungsgleichge-
den Gleichung berechnen: wicht vorausgesetzt), beträgt sie nach 1 HWZ 50 μg/ml,
nach 2 HWZ 25 μg/ml, nach 3 HWZ 12,5 μg/ml, nach 4
ln2 0,693
t½ = _ = _ HWZ 6,25 μg/ml und nach 5 HWZ nur noch etwa
k el k el
3,13 μg/ml.
kel Eliminationsgeschwindigkeitskonstante Umgekehrt kann bei einer Infusion oder bei Mehr-
fachapplikation eines Arzneistoffs anhand der Halb-
Die Eliminationsgeschwindigkeitskonstante kel wird wertszeit vorhergesagt werden, wann ein Fließgleichge-
aus der Steigung der Geraden berechnet (Ⴜ Abb. 1.25). wicht (Steady-state, Ⴉ Kap. 1.8.3) erreicht wird. Auch
Umgekehrt kann anhand obiger Gleichung, wenn die dies ist nach etwa 5 Halbwertszeiten der Fall. Bei der
Halbwertszeit grafisch ermittelt wurde, auch die wiederholten Applikation von Arzneistoffen, also bei
Eliminationsgeschwindigkeitskonstante berechnet wer- jeder längeren Therapie liefert die Halbwertszeit die
den. Grundlage für die Bestimmung von Dosis und Dosie-
rungsintervall.
A B
log C log C
10 10
\2 ದ \1 Nel
ದ
[2 ದ [1 ˨1
\2
Plasmakonzentration
Plasmakonzentration
2 2
\1 ˨Z
1 1
t1⁄2
t1⁄2
[1 [2
0,1 0,1
Zeit (t) Zeit (t)
Ⴜ Abb. 1.25 A Grafische Ermittlung von t½. Durch die Auswahl eines Konzentrationswerts auf der Geraden und des hal-
ben Konzentrationswerts auf dieser kann die für den Konzentrationsabfall nötige Zeit (t½) auf der X-Achse abgelesen
werden. Außerdem kann aus der Steigung der Geraden die Eliminationsgeschwindigkeitskonstante kel berechnet wer-
den. B Zeigt der Abfall der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve einen biphasischen Verlauf, ist neben der Eliminations-
phase λz auch eine Verteilungsphase λ1 zu erkennen. Die Halbwertszeit muss dann aus der Eliminationsphase abgelesen
werden, da dann das Verteilungsgleichwicht erreicht ist und die Abnahme der Kurve hauptsächlich durch die Elimina-
tion bestimmt wird.
1.8 Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufe 33
Die Halbwertszeit eines Arzneistoffs wird durch sein konstant ist und der pro Zeiteinheit ausgeschiedene
Verteilungsvolumen und durch seine Clearance be- Anteil der Substanz abhängig von der Substanzkonzen-
stimmt. So führen ein niedriges Verteilungsvolumen tration. Die Halbwertszeit ist also nicht wie bei einer
und eine hohe Clearance zu einer kurzen Halbwertszeit Kinetik 1. Ordnung konstant, sondern sie ist dosis- bzw.
einer Substanz, während ein Arzneistoff mit dem glei- konzentrationsabhängig.
chen Verteilungsvolumen, aber mit geringerer Clea- Das bekannteste Beispiel für eine solche nichtlineare
rance eine längere Halbwertszeit besitzt. Den Zusam- Eliminationskinetik stellt die Ethanol-Elimination
menhang zwischen Clearance, Verteilungsvolumen (Ⴉ Kap. 91.2.1) dar, die mit konstanter Geschwindigkeit
und Halbwertszeit zeigt Ⴜ Abb. 1.26. abläuft (Abnahme der Blutalkoholkonzentration ca.
Die Halbwertszeit ist für einen Arzneistoff konstant 0,1 ‰/h). Auch bei Phenytoin oder Salicylsäure beob-
(kel, s. o.) und somit unabhängig von der Applikations- achtet man bei Dosiserhöhung überproportional starke
art. Wird die Halbwertszeit allerdings nach Applikation Anstiege der Steady-state-Konzentration infolge Sub-
von Depot- und Retardpräparaten ermittelt, resultie- stratsättigung der abbauenden Enzyme.
ren oft längere Halbwertszeiten als bei schnell freiset-
zenden Präparaten des gleichen Wirkstoffs. Der Grund
dafür liegt in der verzögerten Resorption, die langsamer 1.8 Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufe 1
abläuft als die Elimination (weshalb die Resorption den
Abfall der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve bestimmt; 1.8.1 Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufe
Flip-Flop-Kinetik). Die anhand von Depot- und Re- nach Einmalgabe
tardpräparaten ermittelte Halbwertszeit gibt dann also Wird eine Substanz durch intravenöse Injektion direkt in
nicht die Eliminationshalbwertszeit des Arzneistoffs an die Blutbahn gebracht, fallen die Blutspiegelwerte durch
und sie ist auch nicht konstant, sondern abhängig von Verteilungs- und Eliminationsprozesse, die gleichzeitig
der Freisetzungskinetik der jeweiligen Arzneiformulie- stattfinden, zunächst rasch ab. Ist das Verteilungsgleich-
rung. Wie die (Eliminations-)Halbwertszeit bei schnell gewicht (Ⴉ Kap. 1.4) erreicht, liegen die Plasmakonzentra-
freisetzenden Präparaten wird sie für die Ermittlung tionen bei halblogarithmischer Darstellung (Ⴜ Abb. 1.25 B)
von Dosis und Dosierungsintervall von Depot- und Re- auf einer (weniger steil verlaufenden) Geraden, welche die
tardpräparaten herangezogen. Elimination charakterisiert.
Auch bei oraler Gabe laufen ebenso wie bei anderen
Nichtlineare Eliminationskinetik, Kinetik 0. Ordnung. Applikationsarten, bei denen eine Resorption erfolgt,
Bei Applikation hoher Dosen kann es bei einigen Wirk- Resorptions-, Verteilungs- und Eliminationsprozesse
stoffen vorkommen, dass deren Elimination aufgrund nebeneinander (parallel) ab (Ⴜ Abb. 1.28). Der aufstei-
einer Sättigung der metabolisierenden Enzyme nicht gende Ast der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve ist das
mehr einer Kinetik 1. Ordnung entspricht (Ⴉ Kap. 1.10.1). Ergebnis von Resorption, Verteilung und Elimination.
Es liegt dann eine Kinetik 0. Ordnung vor, d. h., dass Der anfängliche Abfall der Kurve in halblogarithmi-
die pro Zeiteinheit ausgeschiedene Substanzmenge
C
100
1h 10 h 100 h 10
Acetylsalicylsäure
Amiodaron
Plasmakonzentration
0
10
Clearance (l/h)
1000 h 5
1,0
Warfarin D
Digitoxin
10000 h 1
0,1
10 100 1000 10000
Verteilungsvolumen (l) Zeit
Ⴜ Abb. 1.26 Verteilungsvolumen und Clearance bestim- Ⴜ Abb. 1.27 Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve nach i. v.
men die Halbwertszeit (gestrichelte Linien). Nach Rowland Injektion (lineare Darstellung)
34 1 Pharmakokinetik
Cssmin
gangene Dosis erreichten Konzentration (Ⴜ Abb. 1.29).
AUC
Plasmakonzentration
τ
AUC
Zeit (t)
Plasmakonzentration
derholter Gabe wird als Kumulation bezeichnet. Das
Ausmaß der Kumulation hängt vom sog. relativen Do-
sierungsintervall ε ab:
τ
ε = _
t½
τ Dosierungsintervall
t½ Halbwertszeit 0 1 2 3 4 5 6 0 1 2 3 4 5
t1⁄2
Je kleiner ε ist, umso größer ist das Ausmaß der Kumu-
lation bei Mehrfachapplikation, d. h. die Plasmaspiegel
im Steady-state sind dann in der Regel um ein Vielfa- Ⴜ Abb. 1.31 Plasmakonzentrations-Zeit-Verlauf bei einer
ches größer als nach Einmalgabe der gleichen Dosis. Infusion
1
1.8.3 Plasmakonzentrations-Zeit-Verlauf rance von Bedeutung und zwar muss pro Zeiteinheit
bei einer Infusion diejenige Dosis appliziert werden, die im gleichen Zeit-
Einen weitgehend konstanten Blutspiegel kann man raum durch Clearanceprozesse eliminiert wird:
durch eine Dauertropfinfusion erzielen, bei der eine
konstante Arzneistoffmenge pro Zeiteinheit injiziert D M = CL ∙ C ss
wird. Insbesondere bei schnell eliminierten Arzneistof- DM Erhaltungsdosis
fen (z. B. Nitroprussidnatrium) ist eine solche Applika- CL Clearance
tionsform vorteilhaft. Eine Infusion hat den in Css, Konzentration im Steady-state
Plasmakonzentration
minimale
toxische
Konzentration
minimale
wirksame
Konzentration
800 1200 1600 2000 000 400 800 1200 1600 2000 000 400
Uhrzeit
Ⴜ Abb. 1.33 Plasmaspiegelverläufe nach 4-mal täglicher Gabe zweier verschiedener Dosen eines Pharmakons. Nach
Rowland
male therapeutische Konzentration gegeben, die der dem therapeutischen Konzentrationsbereich des indi-
minimalen toxischen Konzentration, d. h. der Konzen- viduellen Patienten (s. o.).
tration, bei der erste toxische Symptome auftreten, ent- Der dosisbezogene Referenzbereich gibt den Kon-
spricht. Der Bereich zwischen minimaler therapeuti- zentrationsbereich an, der für einen Arzneistoff bei
scher und minimaler toxischer Konzentration wird als einer bestimmten Dosis im Blut zu erwarten ist. Abwei-
therapeutischer Konzentrationsbereich (oft nicht ganz chungen können beispielsweise durch mangelnde Pa-
korrekt auch als therapeutische Breite, Ⴉ Kap. 2.4.1) be- tientencompliance, Interaktionen oder auch durch al-
zeichnet. ters- oder krankheitsbedingt veränderte Verteilung,
Das Zeitintervall, in dem der Plasmaspiegel über Metabolisierung oder Ausscheidung begründet sein.
einem vorgegebenen Wert, z. B. der minimalen thera- Ein therapeutisches Drugmonitoring wird in folgenden
peutischen Wirkstoffkonzentration, liegt, wird als Pla- Fällen empfohlen bzw. durchgeführt:
teauzeit bezeichnet. bei Arzneistoffen mit geringer therapeutischer
In Ⴜ Abb. 1.33 sind Plasmaspiegelverläufe nach 4-mal Breite, wenn eine enge Beziehung zwischen Wirk-
täglicher Gabe zweier verschiedener Dosen eines Phar- stoffkonzentration und Effekt, d. h. Wirkung oder
makons mit gleichem Dosierungsintervall dargestellt: unerwünschter Wirkung besteht. Beispiele für Arz-
Während bei der hohen Dosierung die minimale toxi- neistoffe mit geringer therapeutischer Breite sind
sche Konzentration am Abend überschritten wird, wird z. B. Aminoglykosid-Antibiotika (z. B. Gentamicin),
bei beiden Dosierungen die minimale therapeutische Vancomycin, Digoxin, Ciclosporin und Lithium,
Konzentration am Morgen unterschritten. Das Beispiel bei großen inter- und intraindividuellen Plasma-
macht die Schwierigkeiten einer optimalen Dosierung konzentrationsschwankungen, z. B. durch geneti-
bei Arzneistoffen mit geringer therapeutischer Breite sche Polymorphismen metabolisierender Enzyme,
über den gesamten Tagesverlauf deutlich. Enzyminduktion, Enzymsättigung (nichtlineare Ki-
netik, Ⴉ Kap. 1.10.1) sowie aufgrund von pharmako-
1.8.5 Therapeutisches Drugmonitoring kinetischen Interaktionen. Beispiele für Arzneistoffe
Unter therapeutischem Drugmonitoring (TDM) ver- mit großer pharmakokinetischer Variabilität finden
steht man die Bestimmung von Plasmaspiegeln mit sich vor allem in der Gruppe der Antidepressiva,
dem Ziel, zu einem bestimmten Zeitpunkt Informatio- Antipsychotika und Antiepileptika,
nen über die individuelle Pharmakokinetik des betref- wenn der Therapieerfolg aufgrund des Krankheits-
fenden Patienten zu bekommen und dadurch, falls er- verlaufs nur schwer zu beurteilen ist. Dies trifft bei-
forderlich, die Dosierung gezielt anpassen zu können. spielsweise für die Therapie der Epilepsie zu, da epi-
Dabei ist der therapeutische Referenzbereich die leptische Anfälle in unregelmäßigen Abständen auf-
Grundlage für die Bewertung von Wirksamkeit und un- treten und von anfallsfreien Intervallen unter-
erwünschten Wirkungen. Dieser entspricht im Idealfall
1.8 Plasmakonzentrations-Zeit-Verläufe 37
brochen sind, die keinen Rückschluss auf die ႒ Tab. 1.9 Therapeutische Plasmaspiegelbereiche ausge-
Wirksamkeit der Therapie zulassen, wählter Pharmaka1
zur Überwachung der Adhärenz (Patientencompli- Wirkstoff Therapeutischer Bereich
ance), wenn der erwünschte pharmakologische Ef-
fekt nicht leicht ermittelt werden kann oder auch Antibiotika
zeitlich verzögert eintritt. Dies ist z. B. bei der The-
Gentamicin 15–25 μg/ml (Cssmax),
rapie mit Psychopharmaka der Fall, bei der schät-
< 1 μg/ml (Cssmin)
zungsweise bis zu zwei Drittel der Patienten eine
mangelnde Compliance aufweisen. Tobramycin 15–25 μg/ml (Cssmax),
Die Blutentnahme zur Bestimmung der Plasmakonzen- < 1 μg/ml (Cssmin)
tration erfolgt meist unmittelbar vor Applikation der
Vancomycin 10–20 μg/ml
nächsten Dosis, d. h., dass die Talspiegel quantifiziert
werden. Sollen Maximalspiegel erfasst werden, ist der Antidepressiva
Zeitpunkt der Blutentnahme u. a. von der Applikations-
art abhängig. Bei intravenöser Gabe z. B. von Gentami- Amitriptylin (+ Nortripty- 80–200 ng/ml
Dosis und Zeitpunkt der letzten Applikation auch die Clozapin 350–600 ng/ml
Behandlungsdauer, Körpergewicht sowie Alter und Be-
gleiterkrankungen des Patienten zu berücksichtigen. Haloperidol 1–10 ng/ml
In ႒ Tab. 1.10 sind darüber hinaus für einige Arznei-
Olanzapin 20–80 ng/ml
stoffe die Faktoren zur Berechnung des dosisbezogenen
Referenzbereichs aufgelistet. Die applizierte Dosis muss Quetiapin 100–500 ng/ml
jeweils mit den angegebenen Quotienten C/Dlow und C/
Bronchospasmolytika
Dhigh multipliziert werden, um den zu erwartenden
Plasmaspiegelbereich zu erhalten. Theophyllin 8–15 μg/ml
Auch Speichelproben können prinzipiell für ein the-
rapeutisches Drugmonitoring verwendet werden. Ein Kardiaka
Vorteil ist, dass deren Gewinnung keinen invasiven Digoxin 0,5–2,5 ng/ml
Eingriff erfordert. Voraussetzung dafür ist allerdings,
dass die Speichelkonzentrationen des Arzneistoffs mit Digitoxin 10–25 ng/ml
den Plasmakonzentrationen korrelieren. Dies ist in der
Amiodaron 0,5–1,5 μg/ml
Regel bei neutralen Arzneistoffen der Fall. Speichel ent-
hält nahezu keine Eiweiße, sein Wirkstoffgehalt ist also Immunsuppressiva
bei neutralen Stoffen gleich der ungebundenen Sub-
stanz im Plasma. Abweichungen ergeben sich aber bei Ciclosporin A 100–250 ng/ml
schwachen Säuren oder Basen, da der Speichel meist Sirolimus 4–20 ng/ml
einen etwas niedrigeren pH-Wert als das Plasma auf-
weist. Nachteile stellen ferner die Variabilität von Spei- Tacrolimus 5–15 ng/ml
chelfluss und Speichel-pH-Wert sowie ggf. Störungen
Stimmungsstabilisierer
durch Speisereste dar, sodass die Messungen aus Spei-
chel im Vergleich zu Plasma ungenauer sind. Speichel- Lithium 4–8 μg/ml
proben werden bislang nur für eine relativ kleine An- 1 nach https://itp.med.uni-rostock.de und Klein
zahl von Arzneistoffen (z. B. für Carbamazepin, Me-
thylphenidat) routinemäßig analysiert, therapeutische
38 1 Pharmakokinetik
C2
und dosisbezogene Referenzbereiche sind in den meis-
ten Fällen nicht etabliert.
Ein therapeutisches Drugmonitoring ist grundsätz- A Einkompartiment-Modell
lich nicht erforderlich, wenn die Pharmakodynamik B Zweikompartiment-Modell
eines Wirkstoffs gut bestimmt werden kann, wie z. B. C1 zentrales Kompartiment
C2 peripheres Kompartiment
die Senkung der Blutglucosekonzentration durch Insu- k10 Eliminationsgeschwindigkeitskonstante
lin oder die Erhöhung des INR-Werts durch Vitamin- (gesprochen k eins-null; syn. kel)
K-Antagonisten wie Phenprocoumon (Marcumar®). k12 Transferkonstante für den Transport von C1 nach C2
k21 Transferkonstante für den Transport von C2 nach C1
Unter einem pharmakokinetischen Modell versteht Transportorgan Blut verhält, und periphere Komparti-
man eine mathematische Beziehung, die die Konzentra- mente. Geht der Substanzaustausch zwischen einem
tions-Zeit-Verläufe in dem zu untersuchenden System peripheren Kompartiment und dem zentralen Kom-
wiedergibt. Im strengen Sinn stellt daher jede mathe- partiment sehr langsam vor sich, spricht man von
matische Gleichung, die Wirkstoffkonzentrationen im einem tiefen Kompartiment.
Organismus beschreibt und stets eine Vereinfachung
des komplexen Geschehens beinhaltet, ein kinetisches Einkompartiment-Modell nach i. v. Injektion
Modell dar. Üblicherweise versteht man jedoch unter Da durch intravenöse Injektion eine Substanz direkt in
pharmakokinetischen Modellen nur solche mathemati- die Blutbahn eingebracht wird, ist die Pharmakokine-
schen Beziehungen, bei denen der Organismus in ein- tik nach einmaliger i. v. Gabe am einfachsten zu analy-
zelne Verteilungsräume (Kompartimente) unterteilt sieren.
wird. Innerhalb eines Verteilungsraums sind defini- So lange die Konzentration der Substanz, die elimi-
tionsgemäß die jeweiligen proteinungebundenen Wirk- niert wird, gering ist im Verhältnis zu der zur Sättigung
stoffkonzentrationen identisch. Die ablaufenden Trans- des Eliminationssystems erforderlichen Konzentration,
portvorgänge können durch Blockdiagramme anschau- ist die pro Zeiteinheit eliminierte Menge proportional der
lich dargestellt werden. Substanzkonzentration im Plasma und der von der Sub-
stanz pro Zeiteinheit eliminierte Anteil (nicht die Menge!)
1.9.1 Ein- und Zweikompartiment-Modelle konstant (Kinetik 1. Ordnung). Da bei der Anwendung
Ein sog. Einkompartiment-Modell liegt vor, wenn von Arzneimitteln normalerweise verhältnismäßig nied-
sich ein Arzneistoff nach Applikation sofort gleichmä- rige Konzentrationen erreicht werden, erfolgt die Arznei-
ßig in dem ihm zugänglichen Verteilungsraum verteilt stoffelimination somit in der Regel nach einer Kinetik 1.
(Ⴜ Abb. 1.34 A). Das Einkompartiment-Modell wird als Ordnung. Bei Vorliegen eines Einkompartiment-Modells
offen bezeichnet, wenn Eliminationsvorgänge möglich erhält man in diesem Fall für die Abnahmegeschwindig-
sind. keit des Plasmaspiegels folgende Gleichung:
Beim Zwei- oder Mehrkompartiment-Modell
dC
(Ⴜ Abb. 1.34 B) erfolgt die Verteilung des Arzneistoffs in v el = – _ = k el ∙ C
dt
die für ihn zugänglichen Verteilungsräume mit unter-
schiedlicher Geschwindigkeit. Man unterscheidet dabei vel Eliminationsgeschwindigkeit
kel Eliminationsgeschwindigkeitskonstante
das zentrale Kompartiment, das sich kinetisch wie das
C Plasmaspiegel zur Zeit t
1.9 Pharmakokinetische Modelle 39
delle), deren Grundlage sehr viele einzelne physiologi- makokinetische Parameter zu ermitteln, den weiteren
sche Parameter (Organvolumen, Blutfluss, Verteilungs- Verlauf der Plasmakonzentrationen annähernd vorher-
koeffizienten, etc.) bilden, anhand derer pharmakokine- zusagen sowie die Präzision der Vorhersage zu berech-
tische Kenngrößen simuliert werden können. nen.
Für die Arzneistoffentwicklung sind PBPK-Modelle Wenn die klinische Situation häufige Blutentnah-
besonders wertvoll, da sie bei Kenntnis der entspre- men verbietet (z. B. in der pädiatrischen Onkologie)
chenden physiologischen Grundlagen eine bessere oder im Rahmen eines therapeutischen Drugmonito-
Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen auf rings Anpassungen an individuelle Konzentrati-
den Menschen sowie auch von Erwachsenen auf Kinder onsverläufe notwendig sind, ist die Methode von gro-
ermöglichen. Darüber hinaus erlauben solche Modelle ßem Wert.
auch den Einfluss einer eingeschränkten Organfunk-
tion genauer vorherzusagen. Selbst Arzneistoffinterak-
tionen können virtuell simuliert werden, vorausgesetzt, 1.10 Besonderheiten der Pharmakokinetik
die entsprechenden Parameter wie Transportmechanis-
men und eliminierende Enzyme sind bekannt. 1.10.1 Nichtlineare Kinetik
Bei den bisher beschriebenen kinetischen Vorgängen
1.9.3 Populationskinetische Modelle wurde davon ausgegangen, dass diese – weitgehend un-
(popPK) abhängig von der applizierten Dosis – nach einer Kine-
In der klassischen Pharmakokinetik werden die Plas- tik 1. Ordnung ablaufen. Trifft dies zu, so liegt der Nor-
makonzentrationen einzelner Probanden zur Berech- malfall einer linearen Kinetik vor.
nung pharmakokinetischer Parameter (z. B. Clearance, Vor allem nach Gabe hoher Dosen einiger Wirk-
Halbwertszeit) herangezogen. Mittelwerte und Stan- stoffe kann es jedoch vorkommen, dass deren kineti-
dardabweichungen dieser Parameter geben Hinweise sches Verhalten nicht mehr einer Kinetik 1. Ordnung
darauf, mit welcher Variabilität in einer relativ homo- (Ⴉ Kap. 1.7.4) entspricht. Gründe für eine solche nicht-
genen Population (z. B. gesunde Probanden oder lineare Kinetik können in nahezu allen Teilprozessen –
Gruppe von Patienten mit einer bestimmten Erkran- also bei der Resorption, Verteilung und Elimination –
kung) zu rechnen ist. Dafür sind viele Blutentnahmen liegen, wobei die hierfür verantwortlichen Mechanis-
über einen längeren Zeitraum (mind. 4–5 Halbwerts- men bei den einzelnen Prozessen meist ähnlich sind
zeiten des Arzneistoffs) erforderlich. (႒ Tab. 1.11).
Die klassischen pharmakokinetischen Berechnun- Im Vordergrund stehen die Sättigung von metaboli-
gen sind somit mit zwei Nachteilen verbunden: 1) Im sierenden Enzymen sowie die begrenzte Bindungskapa-
Praxis- bzw. Klinikalltag ist es in der Regel zu aufwen- zität von Transportproteinen.
dig, für einen individuellen Patienten pharmakokineti- So nimmt bei hohen Dosen die Resorptionsquote
sche Parameter eines Arzneistoffs beispielsweise für ein nicht proportional zu, wenn ein Transportprotein, das an
therapeutisches Drugmonitoring (s. o.) zu bestimmen. der Aufnahme aus dem Gastrointestinaltrakt beteiligt ist,
2) Es gibt Patientenpopulationen, z. B. Kinder, bei gesättigt ist. Zu einer überproportionalen Zunahme der
denen die Anzahl der Blutentnahmen aus ethischen Wirkstoffmenge im Organismus kommt es dagegen,
und physiologischen Gründen limitiert ist. wenn die Bioverfügbarkeit durch einen starken First-
Daher nutzt man dafür heute computerbasierte Pass-Effekt limitiert wird und die daran beteiligten En-
populationskinetische Modelle (z. B. NONMEM, zymsysteme nahe dem Sättigungsbereich arbeiten.
non-linear mixed effect modeling), die auf Informatio- Bei limitierter Kapazität der Eiweißbindung bewirkt
nen aus routinemäßig bestimmten pharmakokineti- eine Dosiserhöhung die Zunahme des freien Anteils der
schen Parametern aus sehr heterogenen Kollektiven Wirksubstanz im Plasma. Dadurch verteilt sich die Sub-
(Populationen) basieren (empirische Methode). Dabei stanz stärker in die Gewebe, d. h. das Verteilungsvolu-
werden sämtliche verfügbaren pharmakokinetischen men steigt. Da die Elimination in der Regel auf den
Informationen verwendet und es wird ein mathema- freien Wirkstoff beschränkt ist, nimmt die Halbwerts-
tisch-statistisches Modell gesucht, das zu diesen Daten zeit ab, und die Gesamtkonzentration steigt weniger an,
passt und die Realität möglichst gut beschreibt. Unter als es bei linearer Kinetik zu erwarten wäre.
Berücksichtigung physiologischer Parameter (z. B. Nie- Bei einer Sättigung der metabolisierenden Enzyme
renfunktion, Alter, Geschlecht, Phänotyp) können steigen die Plasmaspiegel mit zunehmender Dosis stär-
dann pharmakokinetische Parameter mithilfe dieses ker an als dies bei einer Kinetik 1. Ordnung der Fall
Modells geschätzt werden. Wie bei der PBPK (s. o.) han- wäre. Überproportional starke Anstiege der Steady-
delt es sich also auch bei der Populationskinetik um ein state-Konzentration infolge Substratsättigung der ab-
In-silico-Modell. Mit dieser Methode ist es möglich, auf bauenden Enzyme beobachtet man beispielsweise bei
Basis weniger Datenpunkte für einen Patienten phar- Phenytoin oder Salicylsäure.
1.10 Besonderheiten der Pharmakokinetik 41
႒ Tab. 1.11 Ursachen nichtlinearer Kinetik den Enantiomere sind mit Ausnahme der Drehung li-
near polarisierten Lichts identisch, unterscheiden sich
Prozess Mechanismus Beispiele
aber in ihrer dreidimensionalen Anordnung. Die Inter-
Resorption Sättigung des Ascorbinsäure, Beta- aktion mit einem ebenfalls chiralen körpereigenen Pro-
Transporters lactam-Antibiotika, tein (z. B. einem Rezeptor) kann daher zu unterschied-
Riboflavin lichen Effekten der beiden Enantiomere führen. In der
Pharmakokinetik sind dementsprechend Unterschiede
First-Pass- Enzymsättigung 5-Fluorouracil, Hy-
Effekt dralazin, Proprano-
zwischen den Enantiomeren bei solchen kinetischen
lol, Verapamil Prozessen zu erwarten, bei denen chirale körpereigene
Makromoleküle beteiligt sind und mit den Enantiome-
Plasma- begrenzte Bin- Ceftriaxon, Disopyr- ren Diastereomere mit unterschiedlichen physikoche-
eiweiß- dungskapazität amid, Prednisolon, mischen Eigenschaften bilden.
bindung von Plasma- Valproinsäure In der Resorption als einem häufig passiven Diffu-
proteinen
sionsvorgang unterscheiden sich Enantiomere nur sel-
Bindung an – Ciclosporin ten. Da l-Dopa und l-Methotrexat aber aktiv transpor-
Erythrozyten tiert werden, ist es verständlich, dass sie rascher und 1
auch zu einem höheren Prozentsatz als die nicht aktiv
Metaboli- Enzymsättigung Ethanol, Phenytoin, aufgenommenen d-Formen resorbiert werden.
sierung Salicylsäure
Etwas häufiger als bei der Resorption treten Unter-
Mangel an Ko- Paracetamol schiede in der Plasmaproteinbindung von Enantiome-
substrat ren auf. So bindet beispielsweise Plasmaalbumin bevor-
zugt (R)-Propranolol, saures α1-Glykoprotein dagegen
Produkthemmung Dicoumarol (S)-Propranolol. Für l-Tryptophan wurde eine etwa
Autoinduktion Carbamazepin, 100-fach stärkere Albuminbindung als für den d-Anti-
Rifampicin poden nachgewiesen. Auch in ihrer Bindung an Gewe-
beproteine können sich Enantiomere unterscheiden.
tubuläre Sättigung des p-Aminohippursäure Die stärksten Unterschiede in der Enantiomeren-
Sekretion Transporters kinetik findet man jedoch bei der Biotransformation.
tubuläre Sättigung des Riboflavin Durch Bindung eines Racemats an die optisch aktiven
Rückresorp- Transporters metabolisierenden Enzyme entstehen diastereomere
tion Enzym-Substrat-Komplexe mit der Folge, dass die bei-
den Enantiomere mit unterschiedlicher Geschwindig-
keit und damit in verschiedenem Ausmaß biotransfor-
Das bekannteste Beispiel für eine nichtlineare Kine- miert werden können. Klinisch aufgefallen sind solche
tik mit Substratsättigung stellt, wie mehrfach erwähnt, Effekte beispielsweise bei als Racemat appliziertem Ve-
die Ethanol-Elimination (Ⴉ Kap. 91.2.1) dar, die mit rapamil, bei dem die intravenöse Gabe von 10 mg zum
konstanter Geschwindigkeit abläuft, da das abbauende gleichen Effekt (Verlängerung der Überleitungszeit im
Enzym, die Alkohol-Dehydrogenase, schon bei niedri- Herzen) führt wie die orale Gabe von 80 mg. Die deut-
gen Blutalkoholkonzentrationen im Sättigungsbereich lich schwächere Wirkung von (racemischem) Verapa-
arbeitet. mil nach oraler Gabe ist dadurch erklärbar, dass das
Als weitere mögliche Ursache von Nichtlinearität wirksamere (S)-Enantiomer einem größeren hepati-
der Pharmakokinetik sei die Sättigung von Transport- schen First-Pass-Effekt unterliegt und deshalb deutlich
proteinen in der Niere genannt, die für die aktive Sekre- niedrigere Plasmakonzentrationen (Ⴜ Abb. 1.36) als
tion von Arzneistoffen in die Nierentubuli bzw. die ak- nach intravenöser Verabreichung erreicht.
tive Rückresorption verantwortlich sind. Eine besondere Form der stereoselektiven Metaboli-
Da sich das Ausmaß der unproportionalen Konzen- sierung stellt die chirale Inversion dar. Darunter ver-
trationsänderungen von Arzneistoffen mit nichtlinea- steht man die metabolische Umwandlung eines Enan-
rer Kinetik nicht genau abschätzen lässt, ist die korrekte tiomers in das andere. Dieser Sonderfall tritt u. a. bei
Dosierung solcher Pharmaka schwieriger als die von einigen nichtsteroidalen Antiphlogistika/Antirheuma-
Substanzen mit linearer Kinetik. tika (Ⴉ Kap. 15.3.2) vom Typ der 2-Arylpropionsäuren
auf. So wird z. B. (R)-Ibuprofen im Organismus weitge-
1.10.2 Kinetik chiraler Substanzen hend in das stärker wirksame (S)-Ibuprofen umgewan-
Eine Vielzahl von klinisch relevanten Arzneistoffen delt (Ⴜ Abb. 1.37).
wird in Form von Racematen, die aus gleichen Teilen Außer den beschriebenen unterschiedlichen phar-
von zwei Enantiomeren bestehen, eingesetzt. Die bei- makodynamischen und pharmakokinetischen Eigen-
42 1 Pharmakokinetik
(R)-(–)-Ibuprofen (R)-(–)-Ibuprofen-CoA
2-Arylpropionyl-
CoA-Epimerase
Arzneistoff Q0 Arzneistoff Q0
Da nur wenige Arzneimittelstudien Menschen über low, go slow). Erschwerend kommt hinzu, dass alte
65 Jahre einbeziehen, mangelt es oft an evidenzbasier- Menschen aufgrund einer Multimorbidität in der Regel
ten Daten zur Pharmakokinetik in den Fachinformatio- mehrere Medikamente gleichzeitig einnehmen, sodass
nen der Arzneimittel. Daher ist insbesondere zu Beginn auch mit pharmakokinetischen Interaktionen gerech-
einer Pharmakotherapie stets Vorsicht geboten (start net werden muss.
45
2 Pharmakodynamik
Die Pharmakodynamik beschreibt die Wirkung und den Wirkungsmechanismus von Arzneistoffen
am tierischen oder menschlichen Organismus sowie an Mikroorganismen und Parasiten. Spezifisch
wirkende Substanzen wie z. B. Neurotransmitter, Mediatoren, Hormone und Zytokine interagieren
mit definierten körpereigenen Zielmolekülen. Diese Interaktion kann mit den Methoden der Phar-
makodynamik exakt beschrieben werden. Die meisten Arzneistoffwirkungen beruhen auf charak-
teristischen Wirkungsmechanismen, die für ein Verständnis der oftmals komplexen Medikamen-
tenwirkungen in der Klinik essenziell sind. Die Grundzüge der Pharmakodynamik bilden daher die
Grundlage für eine rationale Arzneimitteltherapie.
႒ Tab. 2.1 Wirkungsmechanismen von Pharmaka ႒ Tab. 2.1 Wirkungsmechanismen von Pharmaka
Art des Me- Beispiele Art des Me- Beispiele
chanismus chanismus
Amine (z. B. Noradrenalin, Dopamin, Histamin, Se- ႒ Tab. 2.2 Effekte bei Aktivierung des Parasympathikus
rotonin), an verschiedenen Organen
Aminosäuren (z. B. Glycin, γ-Aminobuttersäure, Organ oder Organsystem Parasympathikuswirkungen
Glutamat),
Peptide (z. B. Endorphine und Enkephaline, Sub- Auge
stanz P, Somatostatin, Calcitonin Gene-Related Pep-
M. sphincter pupillae Miosis
tide) und
gasförmige Transmitter (NO, CO, H2S). Ziliarmuskel Kontraktion, Nahakkommo-
Histamin und Serotonin, die auch als Zellmediatoren dation
wirken, werden weiter unten in diesem Kapitel näher
Tränendrüse Sekretion ↑
besprochen.
Herz
Acetylcholin
Durch eine Erregung des Parasympathikus werden vor Sinusknoten Herzfrequenz ↓
allem trophotrope Reaktionen hervorgerufen, die der Vorhofmuskulatur Kontraktilität ↓
Restitution des Organismus dienen. In ႒ Tab. 2.2 sind
die Effekte bei Aktivierung des Parasympathikus an den AV-Knoten Überleitungsgeschwindigkeit
einzelnen Organen zusammengestellt. ↓
2
Gefäße
Parasympathische Erregungsübertragung. Vom Zen-
tralnervensystem ausgehende parasympathische Fasern Genitale Vasodilatation
ziehen zu den parasympathischen Ganglien. Dort wird
Magen-Darm-Trakt
der Nervenimpuls durch Acetylcholin als Neurotrans-
mitter auf das postganglionäre Neuron umgeschaltet, Speicheldrüsen starke seröse Sekretion
dessen Erregung in den parasympathischen Nervenen-
digungen zur Acetylcholinfreisetzung führt (Ⴜ Abb. 2.1). Verdauungsdrüsen Sekretionssteigerung
Nach Diffusion durch den synaptischen Spalt erregt Gallenwege Kontraktion
Acetylcholin die parasympathischen Rezeptoren (Mus-
carinrezeptoren, m-Cholinozeptoren) des Erfolgs- Motilität bzw. Tonus ↑
organs und löst damit den jeweiligen Effekt aus.
Sphinkteren Erschlaffung
Bronchialsystem
Drüsen Sekretionssteigerung
parasympathisches Pankreas
Ganglion
Acini Sekretion ↑
postganglionäres
Neuron Acetylcholinfreisetzung, -speicherung und -abbau.
Die Erregung von parasympathischen Nervenfasern
setzt Acetylcholin frei. Nach der Freisetzung wird es
Acetylcholin
rasch durch die (spezifische) Acetylcholinesterase
(Acetylcholinhydrolase), die in der prä- und postsynap-
tischen Membran lokalisiert ist, zu unwirksamem Cho-
glatte Muskelzellen Kontraktion
Drüsen Sekretion
lin und Essigsäure abgebaut. Cholin wird – durch akti-
ven Transport – wieder in das Axon aufgenommen, Es-
Ⴜ Abb. 2.1 Parasympathische Erregungsübertragung in sigsäure mit dem Blut abtransportiert. Aus Cholin und
schematischer Darstellung Acetyl-CoA wird dann durch das Enzym Cholinacetyl-
48 2 Pharmakodynamik
Symporter
Cholin
+
Cholin + Essigsäure
Acetyl-Coenzym A
Cholinacetyltransferase
Na+
ACh Anti-
Ca2+ porter
AChE- Acetylcholin-
Hemmer esterase
ACh
M2, M4
Speicher-
vesikel
Botulinumtoxin A
Gi
Ca2+ Ca2+ Rezeptoren ACh
ACh
Agonisten Antagonisten Agonisten Antagonisten
Ⴜ Abb. 2.2 Pharmakologische Intervention an der cholinergen Synapse. ACh Acetylcholin, AChE Acetylcholinesterase,
G G-Protein
transferase wieder Acetylcholin gebildet und aus dem 5-HT3-Rezeptor sowie die GABAA- und Glycinrezepto-
Axoplasma über einen Protonen-Acetylcholin-Anti- ren umfasst. Die Zusammensetzung der n-Cholinozep-
porter in neurosekretorische Speichervesikel aufge- toren unterscheidet sich zelltypspezifisch, was sich in
nommen (Ⴜ Abb. 2.2). unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften
Neben der Membrangebundenen, spezifischen Ace- wiederspiegelt. Die Hauptform im adulten Muskel be-
tylcholinesterase kommt im Blut und in der Leber eine steht aus (α1)2β1δε-, in Ganglien aus (α3)2(β2)3-, im
unspezifische Cholinesterase (Pseudocholinesterase, zentralen Nervensystem aus (α4)2(β2)3- und (α7)5-
Butyrylcholinesterase) vor, durch die neben Acetylcho- Untereinheiten (Ⴜ Abb. 2.38).
lin auch andere Cholinester, z. B. Suxamethoniumchlo- Die Muscarinrezeptoren (m-Cholinozeptoren) sind
rid (Ⴉ Kap. 19.2.2), hydrolysiert werden. Die Funktion dagegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die neben
der unspezifischen Cholinesterase besteht vor allem Acetylcholin auch durch Muscarin aktiviert werden kön-
darin, eine Acetylcholinwirkung entfernt vom Freiset- nen. Von ihnen existieren 5 Subtypen: M1-Rezeptoren
zungsort zu verhindern. kommen vorrangig in neuronalen Strukturen (ZNS,
Ganglien) vor. Sie sind an Gedächtnis- und Lernvorgän-
Acetylcholinrezeptoren. Acetylcholin wirkt als Neuro- gen sowie an der ganglionären Übertragung beteiligt.
transmitter an Synapsen des Zentralnervensystems, an M2-Rezeptoren sind besonders am Herzen (Erniedri-
den parasympathischen Ganglien und am postganglio- gung der Herzfrequenz), M3-Rezeptoren an der glatten
nären Parasympathikus. Ferner bewirkt es die Erregungs- Muskulatur (Kontraktion) und den exokrinen Drüsen
übertragung an den sympathischen Ganglien und an den (Sekretion) funktionell bedeutsam. M4-Rezeptoren wur-
Endplatten der quergestreiften Muskulatur. Acetylcholin den u. a. im Vorderhirn, Hippocampus und Striatum ge-
stimuliert hierbei Nicotin- oder Muscarinrezeptoren. funden, doch ist ihre physiologische Funktion noch nicht
Bei den Nicotinrezeptoren (syn. n-Cholinozepto- eindeutig geklärt. Nachweislich sind sie am Schmerzge-
ren) handelt es sich um ligandengesteuerte Ionenka- schehen beteiligt. Die vor allem im Zentralnervensystem
näle, die, wie aus dem Namen hervorgeht, außer durch gefundenen M5-Rezeptoren sind möglicherweise für die
Acetylcholin auch durch Nicotin erregt werden kön- Vasodilatation zerebraler Arteriolen und die Dopamin-
nen. Sie kommen in Neuronen von ZNS und Ganglien freisetzung im Striatum von Bedeutung.
sowie an der neuromuskulären Endplatte vor und set-
zen sich aus 5 Untereinheiten zusammen. Sie gehören Prä- und postsynaptische Muscarinrezeptoren. Wie
zur Familie der Cystein-loop-Rezeptoren, die auch den bei anderen Synapsen sind bei der parasympathischen
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 49
rung eingesetzt werden. Andere Parasympatholytika über das ergotrope (d. h. die Leistung steigernde) Reak-
werden zur Therapie der Harninkontinenz angewendet tionen ausgelöst werden. Der Sympathikus, der in das
(z. B. Oxybutynin, Darifenacin). Die quartäre Ammo- sympatho-nervale und das sympatho-adrenale System
niumverbindung Butylscopolaminiumbromid dient unterteilt werden kann, befähigt den Organismus zur
zur Behandlung von Spasmen der glatten Muskulatur Auseinandersetzung mit der Umwelt.
vor allem des Gastrointestinaltrakts. Eine systematische Von verschiedenen Kernen im Hirnstamm, insbe-
Darstellung der Parasympatholytika findet sich in sondere vom Locus coeruleus in der Brücke ausgehende
Ⴉ Kap. 26. sympathische Fasern ziehen zu den sympathischen
Eine Lebensmittelvergiftung mit den von Clostri- Ganglien bzw. zum Nebennierenmark (Ⴜ Abb. 2.3). In
dium botulinum gebildeten Neurotoxinen, den Botuli- den Ganglien wird durch den Neurotransmitter Acetyl-
numtoxinen, ist stets lebensbedrohlich (Ⴉ Kap. 91.5.2). cholin der Nervenimpuls auf das postganglionäre
Allerdings werden die rekombinanten Toxine auch the- Neuron umgeschaltet, dessen Erregung in den sympa-
rapeutisch eingesetzt. Clostridium botulinum (Ona- thischen Varikositäten zur Depolarisation der
botulinum) Toxin Typ A hemmt die Ca2+-abhängige Axoplasmamembran führt. Die dadurch hervorgeru-
Acetylcholinfreisetzung an der cholinergen Synapse fene Öffnung von spannungsabhängigen N-Typ-Ca2+
(Ⴜ Abb. 2.2) und führt dadurch zu einer irreversiblen -Kanälen und der damit verbundene Einstrom von Cal-
Hemmung der neuromuskulären Übertragung. Lokal cium bewirkt die Verschmelzung von Vesikeln mit der
appliziert, kann es zur Blepharospasmus-(Lidkrampf-) Axoplasmamembran und die Freisetzung des Neuro-
Behandlung, zur Therapie der dystonen Kontraktionen transmitters Noradrenalin in den synaptischen Spalt.
der periorbitalen Muskulatur sowie bei anderen spasti- In Stress- und Notfallsituationen werden – wiederum
schen Zuständen der quergestreiften Muskulatur einge- unter Vermittlung von Acetylcholin als Neurotransmit-
setzt werden. Clostridium-botulinum-Toxin wird außer- ter – aus dem Nebennierenmark Adrenalin und unter-
dem als sog. Anti-Aging-Spritze zur vorübergehenden geordnet auch Noradrenalin in die Blutbahn freigesetzt
Faltenglättung im Gesichtsbereich eingesetzt, wenn und gelangen auf dem Blutweg zu den Erfolgsorganen.
diese Falten eine erhebliche psychologische Belastung
für die Personen darstellen (Ⴉ Kap. 19.2.4). Synthese, Speicherung und Freisetzung der Catechol-
amine. Die Catecholamine Dopamin, Noradrenalin
Adrenalin und Noradrenalin und Adrenalin werden im Organismus auf folgende
Adrenalin und Noradrenalin sind zentrale Neurotrans- Weise synthetisiert (Ⴜ Abb. 2.4): Tyrosin wird in das Axo-
mitter des vegetativen sympathischen Nervensystems, plasma aufgenommen, dort mittels Tyrosin-Hydroxylase
am aromatischen Kern zu Dihydroxyphenylalanin
(Dopa) hydroxyliert und dieses anschließend durch die
Zentralnervensystem Dopa-Decarboxylase zu Dopamin decarboxyliert. Do-
pamin gelangt nunmehr durch aktiven Transport in
Speichervesikel, wo es die Dopamin-β-Hydroxylase in
der Seitenkette zu Noradrenalin hydroxyliert. Eine wei-
präganglionäres tere Umwandlung zu Adrenalin ist – außer im Gehirn –
Neuron in den sympathischen Nervenendigungen nicht mög-
lich, da diesen die N-Methyltransferase fehlt, die Nor-
Acetylcholin adrenalin in Adrenalin überführt.
In den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks
sympathisches Neben- dagegen, in denen die N-Methyltransferase vorhanden
Ganglion nierenmark ist, wird aus Noradrenalin durch Methylierung am
Stickstoff Adrenalin gebildet.
postganglionäres Ausschüttung von Adrenalin Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt in der
Neuron und Noradrenalin in die Blutbahn Synthesekette ist die Aktivität der Tyrosin-Hydroxylase.
Wird vermehrt Noradrenalin freigesetzt, steigt auch die
Aktivität dieses Enzyms, sinkt dagegen die Noradrena-
Noradrenalin
linfreisetzung, nimmt die Enzymaktivität ab.
Die neuronale Speicherung von Noradrenalin in Vesi-
keln des Axoplasmas erfolgt mittels eines vesikulären
glatte Muskelzellen Monoamintransporters (VMAT), der in zwei Isoformen,
VMAT1 und VMAT2, vorkommt. VMAT1 wird vor
Ⴜ Abb. 2.3 Erregungsübertragung im sympathischen Ner- allem im peripheren Nervensystem exprimiert sowie in
vensystem neuroendokrinen Zellen des Nebennierenmarks.
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 51
Dopamin-˟-
Hydroxylase
OH OH
H N-Methyl-
HO N Transferase HO NH2
CH3
HO HO
Adrenalin Noradrenalin
VMAT2 wird von monoaminergen Zellen im zentralen elektrochemische Na+-Gradient als Triebkraft genutzt 2
Nervensystem sowie in Nervenzellen des Sympathikus wird. Etwa 20 % des Transmitters werden durch den ex-
exprimiert, hat eine deutlich höhere Affinität zu Dopa- traneuralen Monoamintransporter (EMT) in nicht
min, Noradrenalin und Adrenalin als VMAT1 und wird neurale Zellen aufgenommen. Der Transporter gehört
reversibel durch Tetrabenazin gehemmt. Es kommt zu zur großen Familie der organischen Kationentranspor-
einer Entleerung der Speicher von Monoaminen im zen- ter (OCT). Die Wiederaufnahme des Transmitters in
tralen Nervensystem. Tetrabenazin wird bei hyperkineti- das Axoplasma ist nicht nur für die schnelle Beendi-
schen Bewegungsstörungen bei Chorea Huntington ein- gung der Wirkung von Bedeutung, sondern verhindert
gesetzt (Ⴉ Kap. 21.4.1). An der Transmitterspeicherung ist auch eine zu starke Entleerung der Speicher. Polymor-
ferner eine Mg2+-abhängige Protonenpumpe (V-ATPase) phismen im Gen von NAT, die zu verminderter Expres-
beteiligt, die unter ATP-Verbrauch eine hohe intravesiku- sion oder Aktivität dieses Transporters führen, wurden
läre Protonenkonzentration aufrechterhält und dadurch mit ADHS (Ⴉ Kap. 14.3), psychiatrischen Störungen
im Speichergranulum zu einer Protonierung von Norad- und orthostatischer Dysregulation assoziiert. Der Nor-
renalin führt. Reserpin blockiert die Protonenpumpe adrenalintransporter ist eine wichtige pharmakologi-
und hebt das Speichervermögen der Granula für Cate- sche Zielstruktur für nichtselektive Monoamin-Wie-
cholamine auf. Reserpin wurde zur Behandlung der es- deraufnahmehemmer (z. B. Amitriptylin, Imipramin)
senziellen Hypertonie eingesetzt und hat erhebliche zen- und für selektive Serotonin/Noradrenalin-Wiederauf-
tralnervöse Nebenwirkungen (Ⴉ Kap. 24.3.2). nahmehemmer (Venlafaxin, Duloxetin), die bei der Be-
Kommt es zu einer Depolarisation der Axoplasma- handlung der Depression (Ⴉ Kap. 10) und des neuropa-
membran, wird Noradrenalin – in der Regel mit einem thischen Schmerzes (Ⴉ Kap. 15.7) eingesetzt werden.
Kotransmitter (z. B. ATP, Neuropeptid Y) – exozyto- Der Abbau erfolgt durch Methylierung der m-stän-
tisch in den synaptischen Spalt abgegeben. Ein Teil digen phenolischen OH-Gruppe mittels Catechol-O-
davon löst eine Erregung postsynaptischer Rezeptoren Methyltransferase (COMT) sowie durch oxidative
im Erfolgsorgan – und damit die eigentliche Wirkung Desaminierung über Monoaminoxidasen (MAO,
– aus. Ein anderer Teil erregt präsynaptische sympathi- Ⴜ Abb. 2.5). Monoaminoxidasehemmer kommen bei
sche Rezeptoren und beeinflusst damit im Sinne eines der Behandlung der Depression (Tranylcypromin,
Feedback-Mechanismus die Neurotransmitterfreiset- Moclobemid, Ⴉ Kap. 10.7) und des Morbus Parkinson
zung (s. u.). (z. B. Selegilin, Ⴉ Kap. 21.2.3) zum Einsatz.
Der Abbau durch COMT zu dem bereits pharmako-
Wiederaufnahme und Abbau von Noradrenalin. Die logisch unwirksamen Normetanephrin findet extra-
sehr rasche Inaktivierung der freigesetzten Über- neuronal im Synapsenbereich, ferner in der Leber statt.
trägersubstanz erfolgt vorwiegend (zu ca. 80 %) durch Normetanephrin wird dann – über den Aldehyd – in
Wiederaufnahme in das Axoplasma durch den Norad- der Peripherie weiter zu Vanillinmandelsäure und im
renalintransporter (NAT; s. auch unter Antidepressiva ZNS zu 3-Methoxy-4-hydroxy-phenylethylenglycol
Ⴉ Kap. 10). NAT gehört zu einer Familie von Neuro- metabolisiert.
transmittertransportern (NAT, DAT, SERT etc.) die ver- Die oxidative Desaminierung durch die MAO läuft
schiedene Amin-Neurotransmitter im Kotransport mit dagegen in den Mitochondrien ab, und zwar vor allem in
NaCl spezifisch in das Neuron befördern, wobei der den Mitochondrien der Nervenendigungen, daneben in
52 2 Pharmakodynamik
OH Noradrenalin Normetanephrin OH
COMT
HO NH2 H3CO NH2
HO HO
MA
MA
O
OH OH
3,4-Dihydroxy- 3-Methoxy-
HO O phenylglycolaldehyd 4-hydroxy- H3CO O
phenylglycol-
H aldehyd H
HO HO
Ox . Re
d. . Ox d.
Re
OH OH OH OH
HO OH HO O H3CO O H3CO OH
COMT
OH OH
HO HO HO HO
3,4-Dihydroxy- 3,4-Dihydroxy- Vanillinmandelsäure 3-Methoxy-4-hydroxy-
phenylethylenglycol mandelsäure (DOMA) (VMS) phenylethylenglycol (MOPEG)
(DOPEG)
COMT
denen der Zellen im Synapsenbereich und der Leber. Da an ihrer Zelloberfläche. In ႒ Tab. 2.3 sind wichtige über
die Substanzen dabei aber zuerst die Mitochondrien- Adrenozeptoren ausgelöste Sympathikuswirkungen zu-
membran überwinden müssen, erfolgen diese Reaktio- sammengestellt. Die unterschiedliche Signaltransduk-
nen langsamer als die O-Methylierung. tion nach Stimulation dieser Rezeptoren und damit ihr
Nur sehr kleine Mengen des in den synaptischen Wirkungsmechanismus sind nachstehend beschrieben
Spalt abgegebenen Noradrenalins gelangen in die Blut- (Ⴜ Abb. 2.6).
bahn, wodurch die Wirkung lokal begrenzt bleibt. Die Adrenozeptoren sind G-Protein-gekoppelte Rezep-
Metaboliten werden dagegen ins Blut abgegeben und toren, deren Signaltransduktion je nach Rezeptortyp
vorwiegend renal ausgeschieden. Die Menge der im unterschiedlich ist (Ⴜ Abb. 2.6). Die Erregung von
Urin ausgeschiedenen Catecholamine und ihrer Meta- β-Rezeptoren bewirkt – vermittelt über ein stimulieren-
boliten lässt daher Aussagen über die Aktivität des sym- des G-Protein – eine Aktivierung der Adenylylcyclase
pathischen Systems sowie diagnostische Rückschlüsse und damit die vermehrte Bildung von cAMP. Dieses ak-
auf bestimmte Erkrankungen zu, die mit einer erhöhten tiviert die cAMP-abhängige Proteinkinase, die am Her-
oder erniedrigten sympathischen Aktivität einhergehen. zen spannungsabhängige Ca2+-Kanäle phosphoryliert.
Dadurch kommt es – β1-Rezeptor-vermittelt – zu einem
Adrenozeptoren. An den sympathischen Synapsen verstärkten Einstrom von Ca2+-Ionen in die Zelle.
kommen zwei Hauptgruppen von Adrenozeptoren, die Außerdem nimmt die Ca2+-Aufnahme in das sarkoplas-
α- und β-Rezeptoren, vor, die nochmals in α1- und α2- matische Retikulum und damit der Füllungsgrad der
sowie β1-, β2- und β3-Rezeptoren unterteilt werden. Ca2+-Speicher zu. Die cAMP-abhängige Proteinkinase
Molekularbiologische Untersuchungen ergaben darü- phosphoryliert in Herzmuskelzellen Phospholamban
ber hinaus, dass von den α1- und α2-Rezeptoren noch- und hebt damit dessen hemmende Wirkung auf die in
mals Subtypen existieren: die Membran des sarkoplasmatischen Retikulums inte-
α1-Rezeptoren mit den Subtypen α1A, α1B und α1D, grierte Ca2+-Pumpe SERCA (sarcoplasmic/endoplas-
α2-Rezeptoren mit den Subtypen α2A, α2B und α2C mic reticulum calcium ATPase) auf.
und In vielen Geweben der glatten Muskulatur wird da-
β-Rezeptoren mit den Subtypen β1, β2 und β3. gegen über β2-Rezeptoren cAMP-Kinase vermittelt,
Die meisten Zellen des menschlichen Körpers expri- durch Phosphorylierung des kleinen GTP-bindenden
mieren mindestens einen der 9 Adrenozeptor-Subtypen Proteins Rho das Zytoskelett reorganisiert, die Phos-
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 53
Auge Magen-Darm-Trakt
Gefäße Haut 2
Haut, Schleimhaut Vasokonstriktion α1 Schweißdrüsen Sekretion cholinerg
phorylierung der Myosin-Leichtketten gehemmt und und nachfolgender Phosphorylierung der Hormon-
die Konzentration der zytosolischen Ca2+-Ionen herab- sensitiven Lipase hervorgerufen wird.
gesetzt, was zu einer Relaxation führt. Über β2-Rezep- Die Stimulation von α1-Rezeptoren an Arterien und
toren werden auch Stoffwechseleffekte hervorgerufen, Arteriolen viszeraler Organe führt hingegen zur Erhö-
die u. a. eine Erhöhung der Serumkonzentrationen von hung der intrazellulären Ca2+-Konzentration. Und zwar
Glucose, Lactat und Fettsäuren zur Folge haben. Eine werden in diesem Fall infolge einer G-Protein-vermit-
Stimulation von β3-Rezeptoren bewirkt u. a. eine Lipo- telten Aktivierung von Phospholipase C vermehrt Ino-
lyse in Adipozyten, die über eine Gs-Protein-vermittelte sitoltrisphosphat (IP3) und Diacylglycerol (DAG) gebil-
Aktivierung der PKA und eine Gi-Protein-vermittelte det, die Ca2+-Ionen aus dem sarkoplasmatischen Reti-
Aktivierung der extrazellulär regulierten Kinase (ERK) kulum freisetzen.
54 2 Pharmakodynamik
Ca2+
EER Änderung der
P L-Typ-
Relaxation AT RhoA Zytoskelett-
Organisation Ca2+-Kanal
G
s RyR
cAMP PKA SR
˟2 Ca2+
L
PKA
˟2-Agonisten
Noradrenalin
Kontraktion Ca2+
cAMP
Gs
˞2 Gi
˟1
˟1-Blocker
2+ Bronchialbaum Herz
Ca
Noradrenalin, Adrenalin
Blutweg
Sympathikus-
Axonterminale
Sympathikus-
Axonterminale
N-Typ-
Ca2+-Kanal Koronarien
Ca2+ Arterien,
Arteriolen Noradrenalin, Adrenalin
˟2
˞2 G
s
Gi
Ca2+
ER Relaxation cA
cAMP
Noradrenalin ATP
PKA
˞1-Blocker ˞1 Änderung
Gq IP3 der Zytoskelett-
Organisation RhoA
Ca2+
IP3R
CaM L
Kontraktion ER
MLCK
Ⴜ Abb. 2.6 Beispiele physiologischer Wirkungen, die über α- und β-Adrenozeptoren vermittelt werden. Noradrenalin
und Adrenalin aus dem Nebennierenmark und Noradrenalin aus Nervenendigungen sympathischer Neurone führen
über Stimulation von β2-Rezeptoren zur Relaxation der Bronchialmuskulatur und der Koronargefäße. Die Stimulation
von β1-Rezeptoren der Herzmuskulatur erhöht die Kontraktionskraft des Herzens. Die Arterien und Arteriolen viszeraler
Organe werden durch Stimulation von α1-Rezeptoren mit Noradrenalin und Adrenalin kontrahiert. Die Stimulation von
α2-Rezeptoren an den Axonterminalen der Sympathikusneurone hemmt N-Typ-Ca2+-Kanäle und die Noradrenalinfrei-
setzung. CaM Calmodulin, ER endoplasmatisches Retikulum, IP3R Inositoltrisphosphatrezeptor, MLCK Myosin-Leichtket-
tenkinase, PKA Proteinkinase A, Rho A kleines G-Protein Rho A, RyR Ryanodinrezeptor, SR sarkoplasmatisches Retikulum
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 55
Tyrosin
+
Na
Dopamin
Ca2+
Hyperpolarisation
VMAT2
NA
Monoaminoxidasehemmer MAO
nicht selektive Monoamin- NA
Wiederaufnahmehemmer K+ α2-adrenerge Rezeptoren
NA
NAT
selektive Serotonin/
Gi
Noradrenalin-Wieder- negatives
Abbau- Ca2+ Feedback
aufnahmehemmer
produkte
NA
Agonisten Antagonisten
Agonisten Antagonisten
NA
α1-adrenerge β-adrenerge 2
Rezeptoren Rezeptoren
postsynaptische Membran
Gq Gs
PLC ൹ Ca2+൹ AC൹ cAMP ൹
Ⴜ Abb. 2.7 Medikamentöse Beeinflussung der noradrenergen Synapse. AC Adenylylcyclase, cAMP cyclisches Adenosin-
monophosphat, MAO Monaminoxidase, NA Noradrenalin, NAT Noradrenalin-Transporter, VMAT vesikularer Monoamin-
transporter, PLC Phospholipase C
႒ Tab. 2.4 Relative Wirkstärken von Adrenalin (A) und der Koronararterien einen Angina-pectoris-Anfall her-
Noradrenalin (NA) an verschiedenen Adrenozeptoren vorrufen kann. Aufgrund der β2-agonistischen Wir-
Rezeptorsubtyp Wirkstärke
kung (insbesondere an den Gefäßen der Skelettmusku-
latur) kommt es zur Abnahme des peripheren Gefäß-
α1 A ≈ NA widerstands und des diastolischen Blutdrucks. Der
mittlere arterielle Blutdruck bleibt dabei meist unver-
α2 A ≥ NA
ändert. An den Bronchien wird β2-vermittelt eine Bron-
β1 NA ≥ A chodilatation hervorgerufen. Adrenalin kann die Blut-
Hirn-Schranke nicht passieren. Die nach Adrenalin-
β2 A > NA gaben beobachteten zentralen Wirkungen (z. B.
β3 NA > A Angstzustände) sind somit rein reflektorisch.
Mit ansteigender Adrenalin-Dosierung treten zu-
nehmend α-adrenerge Wirkungen auf. Hohe Dosen
Adrenozeptor-Agonisten (> 10 μg pro Minute beim Erwachsenen) führen zur
Als natürlich im Organismus vorkommendes direktes ausgeprägten peripheren Vasokonstriktion und kardia-
Sympathomimetikum und Adrenozeptor-Agonist wirkt len Stimulation, was mit Zunahme des peripheren Wi-
Noradrenalin (Norepinephrin; Arterenol®) bevorzugt derstands, Blutdrucksteigerung, Tachykardie und Ar-
auf α1-, α2- und β1-Rezeptoren und hat nur eine geringe rhythmie verbunden ist.
Affinität zu β2- und β3-Rezeptoren. Die Applikation be- In den Stoffwechsel greift Adrenalin durch Erregung
wirkt eine allgemeine Vasokonstriktion – mit Ausnahme von β-Adrenozeptoren und damit, wie oben beschrie-
der Koronararterien – und erhöht den systolischen und ben, durch Aktivierung der Adenylylcyclase ein. Das
diastolischen Blutdruck. Während am isolierten Organ unter der Einwirkung dieses Enzyms aus ATP gebildete
die Herzfrequenz und das Herzminutenvolumen durch cAMP aktiviert seinerseits die Proteinkinase A, welche
Noradrenalin ebenfalls zunehmen, tritt in vivo Brady- die Bildung einer aktiven Leber- und Muskelphosphor-
kardie auf. Dieser zunächst überraschende Befund ist ylase aus inaktiven Vorstufen auslöst. Durch die Phos-
dadurch zu erklären, dass die Blutdruckerhöhung reflek- phorylasen wird der Abbau von Glykogen zu Glucose-
torisch über Pressorezeptoren zu einer parasympathi- 1-phosphat und Isomerisierung zu Glucose-6-phosphat
schen Gegenregulation über den Nervus vagus am Her- in der Leber und der Skelettmuskulatur katalysiert. In
zen führt. Schaltet man durch Gabe eines Parasympatho- der Leber entsteht durch Dephosphorylierung Glucose,
lytikums, z. B. Atropin, diese Gegenregulation aus, die an das Blut abgegeben wird: Der Blutzuckerspiegel
werden auch in vivo die Herzfrequenz und das Herzzeit- steigt. Im Skelettmuskel, dem die Glucose-6-phospha-
volumen durch Noradrenalin gesteigert. Da Noradrena- tase fehlt, wird Glucose-6-phosphat glykolytisch abge-
lin nur eine schwache agonistische Wirkung an den baut. Als Endprodukt der Glykolyse erscheint vermehrt
β2-Rezeptoren der glatten Muskulatur besitzt, ist seine Milchsäure im Blut.
erschlaffende Wirkung auf die Darm- und Bronchial- Die lipolytische Wirkung von Adrenalin beruht
muskulatur nur wenig ausgeprägt. Auch die Erhöhung ebenfalls auf der Aktivierung der Adenylylcyclase und
des Blutzuckerspiegels ist gering. damit der Bildung von cAMP. Dieses aktiviert eine Li-
Adrenalin (Epinephrin, z. B. Suprarenin®) stimuliert pase des Fettgewebes, wodurch der Gehalt des Blutes an
alle α- und β-Rezeptor-Typen. Nach Applikation von freien Fettsäuren zunimmt.
Adrenalin überwiegen in Abhängigkeit von der ver-
wendeten Dosis α- oder β-adrenerge Effekte. Indikationen. Noradrenalin ist aufgrund seiner vaso-
In niedriger Adrenalin-Dosis (< 2 μg pro Minute konstriktorischen Wirkung beim neurogenen und
beim Erwachsenen) stehen über β1- und β2-Rezeptoren septischen Schock (Ⴉ Kap. 29.1) sowie als Zusatz zu Lo-
vermittelte Wirkungen im Vordergrund, da β-Rezep- kalanästhetika (Ⴉ Kap. 17.1) indiziert. Bei der erstge-
toren auf geringere Adrenalin-Dosen ansprechen als nannten Indikation ist eine Dauertropfinfusion am ge-
α-Rezeptoren. Am Herzen werden durch Stimulation eignetsten, da nach einer Injektion die Blutdruckerhö-
von β1-Rezeptoren Herzkraft und Herzfrequenz gestei- hung nur wenige Minuten anhält. Oral appliziert ist
gert (positiv inotrope und chronotrope Wirkung), wo- Noradrenalin wegen eines hohen First-Pass-Effekts na-
durch das Herzzeitvolumen und der systolische Blut- hezu unwirksam.
druck ansteigen. Größere Adrenalin-Dosen fördern Adrenalin wird bei anaphylaktischem und septi-
außerdem die heterotope Reizbildung. Als Folge davon schem Schock sowie lokal zur Gefäßverengung verwen-
können Extrasystolen und sogar Kammerflimmern det. Bei Herz-Kreislauf-Stillstand erfolgt die Injektion
auftreten. Bei der Anwendung von Adrenalin ist ferner von Adrenalin intravenös (allenfalls in Ausnahmefällen
zu berücksichtigen, dass es den myokardialen Sauer- intrakardial!) stets nach den primären Maßnahmen der
stoffverbrauch erhöht und daher trotz der Erweiterung assistierten Beatmung und der Herzmassage sowie
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 57
ohne deren Unterbrechung. Intratracheal wird es als adrenalin nicht ausreichend nachgebildet werden kann
Zusatztherapeutikum bei akuter Atemnot (z. B. infolge und somit immer weniger Überträgersubstanz frei-
einer Laryngotracheitis) und bei allergischen Reaktio- gesetzt wird (Tachyphylaxie). Zu den indirekten
nen angewendet. Sympathomimetika zählen u. a. die Amphetamine
(Ⴉ Kap. 14.1.2) als Psychostimulans und Cocain als äl-
Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Als Neben- testes Lokalanästhetikum (Ⴉ Kap. 17.1.2), das jedoch als
wirkungen können insbesondere kardiovaskuläre (z. B. Suchtdroge von größerer Bedeutung ist.
pektanginöse Beschwerden, Myokardschädigung, Tachy-
kardie, Arrhythmie, Blutdruckanstieg), metabolische Sympatholytika
(Hyperglykämie, metabolische Azidose), renale (Oligu- Es handelt sich um Antagonisten an adrenergen Rezep-
rie, Anurie) und lokale (ischämische Nekrosen im An- toren. Je nach Rezeptorselektivität unterscheidet man
wendungsgebiet) Störungen auftreten. Obwohl Noradre- zwischen α1- und β-Adrenozeptor-Antagonisten.
nalin und Adrenalin die Blut-Hirn-Schranke nicht über- α1-Adrenozeptor-Antagonisten (Doxazosin, Tera-
winden, können reflektorisch ZNS-Störungen (Unruhe, zosin) werden aufgrund ihrer peripheren vasodilatie-
Angst, psychotische Zustände) ausgelöst werden. renden Eigenschaften seit Langem zur Therapie der
Noradrenalin und Adrenalin sind kontraindiziert Hypertonie eingesetzt. Urapidil, das intravenös zur
bei Hypertonie, paroxysmaler Tachykardie, hochfre- Therapie von hypertensiven Notfällen verabreicht wird,
quenter Arrhythmie, Koronar- und Herzmuskelerkran- weist neben der peripheren α1-antagonistischen Wir- 2
kungen, Cor pulmonale, sklerotischen Gefäßverände- kung eine zentrale Wirkkomponente auf, die auf eine
rungen, Engwinkelglaukom, Hyperthyreose, Phäo- Stimulation von 5-HT1A-Rezeptoren zurückgeführt
chromozytom, Prostataadenom mit Restharnbildung wird. Neben der Hypertonie sind Blasenentleerungsstö-
und schweren Nierenfunktionsstörungen. In Notfallsi- rungen im Rahmen eines benignen Prostatasyndroms
tuationen kann jedoch die Applikation auch bei Vorlie- (BPS) ein weiteres Indikationsgebiet von α1-Adreno-
gen von Kontraindikationen gerechtfertigt sein. zeptor-Antagonisten. Zu diesem Zweck wird Tamsulo-
sin oder Silodosin verwendet, die eine besonders hohe
Synthetische direkte Sympathomimetika Affinität zu den in der Prostata bevorzugt vorkommen-
Direkte Sympathomimetika (Ⴉ Kap. 23.2) erregen wie den α1A-Rezeptoren besitzen und daher nur unterge-
Noradrenalin und Adrenalin Adrenozeptoren. Je nach ordnet blutdrucksenkend wirken.
Rezeptorselektivität unterscheidet man zwischen α- und/ β-Adrenozeptor-Antagonisten (Betablocker, β-Adre-
oder β-Adrenozeptor-Agonisten. Die lokal angewende- nozeptorblocker, β-Rezeptorenblocker) hemmen kom-
ten α1/α2-Adrenozeptor-Agonisten Oxymetazolin, Tra- petitiv β-Adrenozeptoren. Prinzipiell wird zwischen
mazolin und Xylometazolin werden insbesondere auf- nichtselektiven (Propranolol, Penbutolol), β1-selektiven
grund ihrer vasokonstriktorischen Wirkung eingesetzt, (z. B. Metoprolol, Bisoprolol) und β-Adrenozeptor-Ant-
z. B. zur Schleimhautabschwellung bei Schnupfen, aller- agonisten mit vasodilatierender Komponente (z. B. Car-
gischer oder vasomotorischer Rhinitis. Der α1-Agonist vedilol, Nebivolol) unterschieden (Ⴉ Kap. 24.2). Thera-
Midodrin wird systemisch zur Behandlung neurogener peutisch erwünscht ist bei den meisten Indikationen vor
hypotoner Blutdruckstörungen eingesetzt, wenn alle ver- allem die β1-Blockade. Durch Blockade von β1-Rezepto-
fügbaren sonstigen Maßnahmen ausgeschöpft sind. Der ren wird die positiv inotrope und chronotrope Wirkung
α1-Agonist Phenylephrin ist in niedriger Dosierung in der Catecholamine am Herzen aufgehoben. Wichtige In-
einigen Paracetamol-Kombinationspräparaten enthalten, dikationen von Betablockern sind essenzielle Hyperto-
die zur systemischen Anwendung bei Erkältungen und nie, koronare Herzkrankheit, Angina pectoris, akuter
grippalen Infekten vermarktet werden. Herzinfarkt, Reinfarktprophylaxe, tachykarde Herz-
β2-Sympathomimetika (z. B. Fenoterol, Salbutamol, rhythmusstörungen (z. B. supraventrikuläre Extrasysto-
Terbutalin, Formoterol, Salmeterol, Bambuterol) die- lie und Tachykardie), funktionelle Herz-Kreislauf-Be-
nen vor allem der Therapie des Asthma bronchiale schwerden sowie mittelgradige bis schwere chronische
(Ⴉ Kap. 42.3.1) und der COPD (Ⴉ Kap. 43.2.1). Herzinsuffizienz. Einige ZNS-gängige Betablocker (v. a.
Propranolol und Metoprolol) kommen bei der Migrä-
Indirekte Sympathomimetika neprophylaxe zur Anwendung. Gut wasserlösliche Beta-
Diese Substanzen setzen Noradrenalin aus den Spei- blocker (z. B. Timolol, Metipranolol, Levobunolol) wer-
chergranula der sympathischen Nervenendigungen frei den als Augentropfen bei Glaukom und anderen Augen-
und/oder hemmen die Wiederaufnahme von Noradre- krankheiten eingesetzt.
nalin aus dem synaptischen Spalt in das Axoplasma.
Durch die gesteigerte Noradrenalinkonzentration an Antisympathotonika
den Rezeptoren wird der Sympathikustonus erhöht. Bei Antisympathotonika (Ⴉ Kap. 24.3) verringern die Sym-
wiederholten Gaben nimmt die Wirkung ab, da Nor- pathikusaktivität durch Erregung von α2-Rezeptoren
58 2 Pharmakodynamik
oder Blockade des aktiven Transports aus dem Axo- Dopaminrezeptoren. Dopamin übt seine Wirkung
plasma in die synaptischen Vesikel. Die Imidazol-Deri- über 5 Dopaminrezeptoren, D1 bis D5, aus, die allesamt
vate Clonidin und Moxonidin gelangen aufgrund ihrer G-Protein-gekoppelte Rezeptoren sind. Die ursprüng-
Lipophilie rasch ins ZNS und stimulieren postsynap- liche D1-Familie besteht aus D1- und D5-Rezeptoren,
tische α2A-Adrenozeptoren. Dadurch kommt es zu einer während D2-, D3- und D4-Rezeptoren die D2-Familie
Verminderung der Sympathikusaktivität und einer bilden. Darüber hinaus sind Spleißvarianten, die zu
Steigerung des Vagustonus mit einer erwünschten Blut- kurzen und langen D2-Isoformen führen, und geneti-
drucksenkung. Moxonidin wirkt darüber hinaus als sche Polymorphismen des D4-Rezeptors beschrieben.
Agonist an sog. Imidazolinrezeptoren (Typ I1) in der Die D1- und D5-Rezeptoren koppeln an das stimula-
Medulla oblongata, einer wichtigen Schaltstelle für torische G-Protein Gs und aktivieren die Adenylylcyclase
sympathische Impulse. Die Bindung an diese Rezepto- und damit die vermehrte Bildung von cAMP, das als
ren bewirkt ebenfalls eine Hemmung der peripheren second messenger z. B. über die cAMP-abhängige Prote-
Sympathikusaktivität. α-Methyldopa wird durch akti- inkinase zahlreiche Zellfunktionen steuert. D2-, D3- und
ven Transport in das Zentralnervensystem aufgenom- D4-Rezeptoren sind Gi/o-gekoppelt, aktivieren in Neuro-
men und dort in α-Methylnoradrenalin umgewandelt, nen Kaliumkanäle und hemmen neuronale spannungs-
das eine hohe Affinität zu α2-Adrenozeptoren besitzt. abhängige Ca2+-Kanäle sowie Adenylylcyclasen. Abhän-
Methyldopa dient vor allem als Antihypertonikum in gig vom Zellkontext können die Mitglieder der D2-Fami-
der Schwangerschaft. Reserpin blockiert die Protonen- lie auch Phospholipase C aktivieren und einen
pumpe der Monoamin-Speichervesikel in den sympa- intrazellulären Ca2+-Transienten auslösen (႒ Tab. 2.5).
thischen Nervenendigungen und führt zu einer Trans- Im Gehirn sind die Dopaminrezeptoren in unter-
mitterverarmung der Granula. Die Substanz wurde zur schiedlichen Regionen exprimiert, wobei die Expres-
Behandlung der essenziellen Hypertonie eingesetzt und sion oft überlappend ist. D1-Rezeptoren sind vornehm-
hat erhebliche zentralnervöse Nebenwirkungen. lich in Neuronen exprimiert, die dopaminerg innerviert
sind, d. h. in Striatum, limbischem System, Thalamus
Dopamin und Hypothalamus. D2-Rezeptoren haben ein ähnli-
Der Neurotransmitter Dopamin nimmt in der Pharma- ches Verteilungsmuster und sind in dopaminergen
kologie eine wichtige Stellung ein, da er in der Patho- Neuronen auch präsynaptisch anzutreffen, wo sie auf
physiologie einer Reihe von Erkrankungen wie Morbus den Axonterminalen als inhibitorische Autorezeptoren
Parkinson, Schizophrenie sowie bei endokrinen fungieren. D3-, D4- und D5-Rezeptoren finden sich im
Erkrankungen mit Hyperprolactinämie als Symptom Striatum und im limbischen System, wobei D4-Rezep-
eine zentrale Rolle spielt. Im Gehirn können vier dop- toren weniger hoch exprimiert sind und auch im Cor-
aminerge Systeme identifiziert werden: tex vorkommen.
Das nigrostriatale System enthält etwa 75 % des Dop- Dopaminrezeptoren kommen auch in der Körperpe-
amins im Gehirn und besteht aus dopaminergen ripherie vor. Der D1-Rezeptor ist für die dopaminabhän-
Neuronen, die von der Substantia nigra ins Striatum gige Vasodilatation vor allem in der Niere verantwortlich
ziehen und die extrapyramidale Motorik steuern. und steigert die Nierenperfusion. In höherer Dosierung
Das mesolimbische System umfasst dopaminerge wird die myokardiale Kontraktilität gesteigert.
Neurone, die von der Area tegmentalis ventralis des
Mittelhirns in das limbische System, insbesondere den Dopaminwirkungen. In der Körperperipherie dilatiert
Nucleus accumbens und die Amygdala, projizieren. Dopamin (Generika) in Dosierungen von 1–2 μg/kg KG/
Das mesokortikale System projiziert von der Area min die Mesenterial- und Nierengefäße durch Stimulation
tegmentalis ventralis in den frontalen Cortex. von D1-Rezeptoren, woraus eine vermehrte Nierendurch-
Das tuberoinfundibuläre System besteht aus blutung und gesteigerte Diurese resultieren. Bei Dosie-
Neuronen, die aus dem ventralen Hypothalamus in rungen von 2–10 μg/kg KG/min kommt es zusätzlich zu
die Eminentia mediana und die Hypophyse ziehen, einer Erregung von β-Rezeptoren mit Zunahme des Herz-
um dort die Hormonfreisetzung zu regulieren. minutenvolumens. Bei Dosierungen von mehr als 10 μg/
Die Synthese von Dopamin aus der Aminosäure Tyro- kg KG/min tritt durch Stimulation von α-Adrenozeptoren
sin ist in Ⴜ Abb. 2.4 dargestellt. In dopaminergen Neuro- zusätzlich eine periphere Vasokonstriktion auf, die in
nen fehlt das Enzym Dopamin-β-Hydroxylase, sodass Kombination mit dem erhöhten Herzminutenvolumen zu
der Transmitter Dopamin in den Speichervesikeln einem Anstieg des Blutdrucks führt.
akkumuliert. Dopamin ist die unmittelbare Vorstufe Bei längerer Anwendung nimmt die Wirkung wegen
der anderen Catecholamine Noradrenalin und Adrena- Desensibilisierung ab. Während Dopamin früher häu-
lin. Die Freisetzung und Speicherung des Dopamins fig bei Schockpatienten in der Intensivmedizin ange-
sind bei Adrenalin und Noradrenalin (s. o.) näher be- wendet wurde, hat es bei dieser Indikation wegen der
schrieben. Auslösung von Herzrhythmusstörungen sowie von im-
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 59
munsuppressiven Wirkungen zunehmend an Bedeu- gie des Morbus Parkinson bedeutsam ist (Ⴉ Kap. 21).
tung in der Schocktherapie verloren. Durch den Niedergang dopaminerger Neurone in der
Das strukturverwandte Dobutamin (Generika, Substantia nigra bleibt die Dopaminwirkung im Stria-
Ⴜ Abb. 2.8) vermittelt seine Wirkungen nicht über Do- tum aus, sodass die klassischen motorischen Symptome
paminrezeptoren. Die positive Inotropie erklärt sich resultieren. Dies erklärt auch die häufigste Nebenwir-
durch die agonistische Wirkung an kardialen β1-Rezep- kung zahlreicher Antipsychotika, die neben dem D2-Re- 2
toren, wodurch es zu positiver Chronotropie und Kon- zeptor-Antagonismus im mesolimbischen System auch
traktilitätssteigerung mit Anstieg des Herzminuten- D2-Rezeptoren im nigrostriatalen System blockieren.
volumens kommt. Dobutamin besitzt ferner eine ago- Im ZNS aktiviert Dopamin das Belohnungssystem
nistische Wirkung an β2- und – in geringerem Maß und kann beim Menschen euphorische Gefühle hervor-
– α1-Rezeptoren in der Peripherie. Der systemische rufen. Daher spielt Dopamin beim Suchtverhalten eine
Gefäßwiderstand, bei höheren Dosen auch der pulmo- wichtige Rolle. Die Dopaminwirkungen in den meso-
nale Gefäßwiderstand, nehmen ab. Bei kardiogenem limbischen und mesokortikalen Systemen beeinflussen
Schock (Ⴉ Kap. 29.1.3) ist das Mittel der 1. Wahl Dobut- direkt Denken, Emotionen und Verhalten. Gesteigerte
amin. Bei kontinuierlicher Gabe kommt es nach etwa 2 Aktivität in diesen Systemen ist charakteristisch für die
Tagen wie bei Dopamin durch Desensibilisierung zu Schizophrenie und äußert sich in Affekt- und Denkstö-
einer Wirkungsabschwächung. rungen sowie Halluzinationen. Somit lässt sich zumin-
Im ZNS lassen sich die vielfältigen Effekte im Großen dest teilweise die therapeutische Wirkung von Antipsy-
und Ganzen den verschiedenen dopaminergen Syste- chotika durch Antagonismus an Dopaminrezeptoren
men zuordnen. der D2-Familie erklären.
Das nigrostriatale System ist für die motorische Im tuberohypophysären System steuert Dopamin,
Kontrolle verantwortlich. das aus dem Thalamus freigesetzt wird, die Hormonse-
Die mesolimbischen und mesokortikalen Systeme kretion der Hypophyse, vor allem des Prolactins, da es
beeinflussen Verhalten und Empfinden. als „Prolactin-Inhibiting-Hormon“ wirkt. Diese Regu-
Das tuberohypophysäre System ist an der endokri- lation ist klinisch relevant, da die Therapie mit vielen
nen Kontrolle beteiligt. Antipsychotika durch Hemmung von D2-Rezeptoren
Dopamin spielt eine zentrale Rolle in der Steuerung der zu einer Hyperprolactinämie mit nachfolgender Galak-
extrapyramidalen Motorik, was für die Pathophysiolo- torrhö auch beim Mann führen kann. Da Prolactin
auch die Freisetzung der Gonadotropine LH und FSH
aus der Hypophyse hemmt, geht eine Hyperprolactin-
HO NH2 ämie bei der Frau mit Ovulationsstörungen, Amenor-
rhö und Infertilität einher.
HO
O D2-Rezeptoren werden auch in der Chemorezeptor-
Dopamin Triggerzone in der Medulla oblongata exprimiert und
sind an der Initiierung des Brechreizes beteiligt. Des-
OH halb haben nahezu alle Dopaminrezeptor-Agonisten
H und Dopamin selbst eine emetische Wirkung, während
HO N
Dopaminrezeptor-Antagonisten antiemetisch wirken.
CH3
HO
An Dopaminrezeptoren angreifende Wirkstoffe
Dobutamin Eine zentrale Komponente der Pharmakotherapie des
Morbus Parkinson sind dopaminerge Agonisten. Es wird
Ⴜ Abb. 2.8 Strukturformeln: Dopamin und Dobutamin zwischen Ergot-Derivaten wie z. B. Bromocriptin, Caber-
60 2 Pharmakodynamik
golin, Lisurid und Non-Ergot-Derivaten wie Pramipexol, GABA-Rezeptoren. GABA übt seine Wirkung an zwei
Ropinirol, Piribedil unterschieden (Ⴉ Kap. 21.2.4). Ferner unterschiedlichen Rezeptortypen aus:
kommen Dopamin-Agonisten im Rahmen der Therapie GABAA-Rezeptoren sind ligandengesteuerte Ionen-
der Hyperprolactinämie und des Restless-Legs-Syndroms kanäle der Cys-loop-Familie (Ⴜ Abb. 2.38),
zum Einsatz. GABAB-Rezeptoren sind G-Protein-gekoppelte Re-
Dopaminerge Antagonisten werden als klassische zeptoren der Klasse C (Ⴉ Kap. 2.2.1).
Antipsychotika (z. B. Fluphenazin, Haloperidol, Perphe- GABAA-Rezeptoren sind Proteinkomplexe, die sich aus
nazin) eingesetzt. Allerdings blockieren die Antipsycho- 5 Untereinheiten zusammensetzen, die die Plasmamem-
tika (Ⴉ Kap. 9) nicht ausschließlich Dopaminrezeptoren, bran jeweils 4-mal durchspannen. Insgesamt wurden 19
vor allem D2- und D3-Rezeptoren, sondern je nach Prä- verschiedene Untereinheiten identifiziert (6α, 3β, 3γ,
parat viele weitere Neurotransmitterrezeptoren wie 1δ, 1ε, 1π, 1θ und 3ρ), aus denen sich eine große Zahl
Serotonin-, H1-Histamin-, muscarine und α1-adrenerge möglicher Kombinationen theoretisch ableiten lässt,
Rezeptoren. Allerdings besteht ein direkter Zusammen- die im nativen Gewebe aber nicht alle nachweisbar sind.
hang zwischen der antipsychotischen Wirkung und der Ein Pentamer setzt sich in der Regel aus zwei α-, zwei
Potenz an D2-Rezeptoren. Diese Beobachtung unter- β- und einer γ-Untereinheit zusammen und die häu-
stützt die Hypothese, dass bei Schizophrenie eine Über- figste Kombination besteht aus α1β2γ2. Die verschiede-
aktivität im mesolimbischen und mesokortikalen System nen Untereinheiten sind kreisförmig mit der Sequenz
vorherrscht. Allerdings werden auch wichtige Neben- α-β-α-β-γ (von außerhalb der Zelle betrachtet) um eine
wirkungen wie die extrapyramidal-motorischen Symp- zentrale Kanalpore angeordnet. Die GABA-Bindestelle
tome (EPS) über D2-Rezeptoren vermittelt. Bei den liegt jeweils zwischen der α- und β-Untereinheit,
hochpotenten klassischen Antipsychotika ist daher das während die Benzodiazepin-Bindungstasche von den
Risiko für EPS und Hyperprolactinämie besonders hoch. α- und γ-Untereinheiten gebildet wird, sodass Benzo-
Eine weitere Indikation für den Einsatz dopaminerger diazepine als allosterische Modulatoren des GABAA-
Antagonisten ist Übelkeit und Erbrechen. Durch den Ant- Rezeptor-Komplexes wirken. Die verschiedenen α-Un-
agonismus am D2-Rezeptor haben klassische Antipsycho- tereinheiten bestimmen differenziell das Wirkprofil
tika wie z. B. Haloperidol und Droperidol, aber auch Pro- von Benzodiazepinen (Ⴉ Kap. 12.2.1). Daraus ergibt
kinetika wie Metoclopramid und Domperidon eine anti- sich die Möglichkeit, neuartige Substanzen mit selekti-
emetische Wirkung. Wie zu erwarten, kann auch bei ven Benzodiazepinwirkungen und weniger un-
dieser Indikation EPS auftreten (Ⴉ Kap. 52). erwünschten Wirkungen zu entwickeln.
GABAA-Rezeptoren sind primär postsynaptisch lo-
2.1.2 Neurotransmitter – Aminosäuren kalisiert und zwar sowohl direkt in der postsynap-
Gamma-Aminobuttersäure tischen Membran als auch außerhalb der Synapse. Sie
Gamma-Aminobuttersäure (GABA) ist der wichtigste vermitteln schnelle (Lokalisation innerhalb der Sy-
inhibitorische Neurotransmitter im Gehirn. Im Hirn- napse) und tonische (Lokalisation außerhalb der
stamm und im Rückenmark kommt Glycin ebenfalls Synapse) postsynaptische Inhibition. Extrasynaptische
eine wichtige inhibitorische Rolle zu. GABA kommt vor GABAA-Rezeptoren enthalten α4/6- und δ-Unterein-
allem im Gehirn und dort in höchster Konzentration heiten und reagieren sensitiv auf Allgemeinanästhetika
im nigrostriatalen System vor. Es wird aus der Amino- (Ⴉ Kap. 18) und Alkohol.
säure Glutamat durch das Enzym Glutamat-Decarb- Der GABAA-Rezeptor funktioniert als Chloridkanal.
oxylase (GAD) gebildet, das einen Marker GABAerger Da das Cl–-Gleichgewichtspotenzial in Neuronen nega-
Neurone im Gehirn darstellt. Etwa 20 % aller ZNS- tiver als das Ruhemembranpotenzial ist, führt eine Li-
Neurone sind GABAerg, die meisten von ihnen inhibi- ganden-induzierte Erhöhung der Cl–-Leitfähigkeit zu
torische Interneurone. GABA fungiert in etwa 30 % einem Einstrom von Cl–-Ionen und zur Hyperpolarisa-
aller Synapsen des ZNS als Neurotransmitter und na- tion des Neurons, wodurch seine Erregbarkeit herabge-
hezu alle Neurone reagieren auf seinen inhibitorischen setzt wird.
Effekt. GABAB-Rezeptoren gehören zu den metabotropen
Neurotransmitterrezeptoren und sind prä-, postsynap-
tisch lokalisiert, koppeln Gi/o-Proteine, aktivieren Ka-
O
liumkanäle und hemmen neuronale spannungsabhän-
NH2
O
HO gige Ca2+-Kanäle sowie Adenylylcyclasen. Sie sind also
klassische inhibitorische G-Protein-gekoppelte Rezep-
GABA toren mit gleichem Wirkungsmechanismus wie M2-
muscarine und D2-Dopaminrezeptoren.
Ⴜ Abb. 2.9 Strukturformel: γ-Aminobuttersäure (gamma- Ein funktioneller GABAB-Rezeptor ist ein Dimer aus
aminobytyric acid, GABA) zwei Untereinheiten, GABAB1 und GABAB2. Vier Iso-
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 61
torische Wirkung, in dem sie die intrazelluläre Ca2+- Der Glycinrezeptor ist ein ligandengesteuerter Ionen-
Konzentration erhöhen. Die metabotropen Rezeptoren kanal, der dem GABAA-Rezeptor ähnelt und als Cl–-Ka-
der Gruppen 2 und 3 sind präsynaptisch lokalisiert und nal zur Familie der pentameren Cys-loop-Proteine ge-
reduzieren als inhibitorische Rezeptoren die neuronale hört. Metabotrope Glycinrezeptoren gibt es nicht. Fünf
Erregbarkeit. Als Autorezeptoren auf glutamatergen α- und eine β-Untereinheit sind bekannt und die Rezep-
Nervenendigungen inhibieren sie die Transmitterfrei- torkomplexe setzen sich aus fünf homomeren α-Unter-
setzung. einheiten oder aus α/β-Heteromeren zusammen. Die
Bindestelle für Glycin und Strychnin befindet sich auf der
An Glutamatrezeptoren angreifende Wirkstoffe. Wie α-Untereinheit. Glycinrezeptoren sind an der Regulation
bereits erwähnt, weist der NMDA-Rezeptor Bindungs- des Atemrhythmus, an der motorischen Kontrolle und
stellen für das Kurznarkotikum Ketamin auf, das gut der Regulation des Muskeltonus sowie an der Verarbei-
analgetisch wirkt und zur Narkoseeinleitung, bei kurz- tung von Schmerzsignalen beteiligt. Spezifisch wirkende
dauernden und hier vor allem bei sehr schmerzhaften Pharmaka am Glycinrezeptor gibt es bisher nicht.
Eingriffen (z. B. bei Verbrennungen) sowie in der Not- Tetanustoxin ist wie die Botulinumtoxine ein clos-
fall- und Katastrophenmedizin bei Massenverletzungen tridiales Neurotoxin, das als Zink-Endopeptidase be-
indiziert ist (Ⴉ Kap. 18.2.4). stimmte Exozytoseproteine (sog. SNARE-Proteine,
Memantin ist ein unkompetitiver Antagonist an Ⴜ Abb. 91.11) spaltet und damit die Neurotransmission
NMDA-Rezeptoren, der zur Behandlung der modera- unterbindet. Tetanustoxin hemmt im Rückenmark die 2
ten bis schweren Alzheimer-Demenz zugelassen ist Glycinfreisetzung aus inhibitorischen Interneuronen.
(Ⴉ Kap. 22.2.2). Dies führt zu einer Übererregbarkeit der Motoneurone
Als nichtkompetitiver AMPA-Rezeptor-Antagonist und dem klinischen Bild des Wundstarrkrampfs.
wurde Perampanel zugelassen, das als Antiepileptikum Glycin wird mithilfe zweier Transporter, GlyT1 und
zum Einsatz kommt (Ⴉ Kap. 20.2.4). GlyT2, aus dem synaptischen Spalt entfernt. Während
Die Entwicklung selektiver Antagonisten an meta- GlyT2 auf Glycin-Neuronen lokalisiert ist, befindet sich
botropen Glutamatrezeptoren hat sich als schwierig er- GlyT1 vornehmlich auf Astrozyten.
wiesen und bisher noch nicht zur Zulassung von Medi-
kamenten geführt. Auch die Entwicklung von Agonis- β-Alanin, Asparaginsäure, Cystein, Taurin
ten und positiven allosterischen Modulatoren von Weitere Aminosäuren, die als Neurotransmitter fungie-
Glutamatrezeptoren befindet sich trotz vielverspre- ren, sind β-Alanin, Asparaginsäure, Cystein und Taurin.
chender Indikationen zurzeit noch im experimentellen
Stadium. Zahlreiche experimentelle Antagonisten, β-Alanin. β-Alanin (Ⴜ Abb. 2.13) kommt natürlicher-
Agonisten sowie positive und negative allosterische weise im ZNS vor und erfüllt die klassischen Kriterien
Modulatoren stehen zur Verfügung. eines Neurotransmitters. Die Aminosäure wird nach
elektrischer Stimulation in einem Ca2+-abhängigen
Glycin Prozess synaptisch freigesetzt und inhibiert die neuro-
Die Aminosäure Glycin (Ⴜ Abb. 2.12) ist ein wichtiger nale Erregbarkeit. Die pharmakologischen Effekte und
inhibitorischer Neurotransmitter im Hirnstamm und das Verteilungsmuster des β-Alanins in Gehirn und Rü-
im Rückenmark, wo er vor allem die Motoneurone des ckenmark entsprechen den Eigenschaften des Glycins.
Vorderhorns hemmt. Strychnin hemmt als kompetiti- Die Effekte werden aber nicht primär über Glycinrezep-
ver Antagonist die Glycinwirkung an seinem Rezeptor. toren vermittelt und es werden weitere Angriffspunkte
Es kommt zu einer verstärkten Exzitation von Rücken- an GABA- und NMDA-Rezeptoren diskutiert.
marksneuronen mit Muskelzittern, schweren Krämpfen In den letzten Jahren hat β-Alanin vor allem als Nah-
und Atemnot bei Vergiftung (Ⴉ Kap. 91.7.1). Am rungsergänzungsmittel zur Stimulation des Muskelauf-
NMDA-Rezeptor wirkt Glycin neben dem eigentlichen baus und zur Verhinderung des Muskelabbaus im Alter
Agonisten Glutaminsäure durch Andocken an eine spe- Verbreitung gefunden. Erwünschte und unerwünschte
zielle Glycin-Bindestelle stimulierend. Wirkungen dieser Supplementation sind noch nicht ab-
schließend beurteilbar.
O O
H2N
OH H2N OH
Glycin β-Alanin
O
In Kombination mit Coffein ist Taurin in hoher Kon-
zentration in Energydrinks vorhanden. Da Taurin im
O
OH Gehirn eher dämpfend wirkt, könnte es für die beruhi-
OH NH2 gende Wirkung nach dem Abklingen der erregenden
Coffein-Effekte verantwortlich sein.
Asparaginsäure
2.1.3 Neurotransmitter – Purine
Ⴜ Abb. 2.14 Strukturformel: Asparaginsäure Purin-Nucleoside und -Nucleotide (Ⴜ Abb. 2.17) spielen
eine entscheidende Rolle in der DNA- und RNA-Syn-
O
these und im Energiestoffwechsel der Zelle. ATP ist
nicht nur zentraler Energieträger, sondern im zentralen
HO SH und peripheren Nervensystem auch Neurotransmitter.
NH2 In der Körperperipherie sind purinerge Signalmecha-
Cystein nismen an vielen Regulationsprozessen, wie der Kon-
trolle des koronaren Blutflusses und der Myokardfunk-
tion sowie der Thrombozytenaggregation und der Im-
Ⴜ Abb. 2.15 Strukturformel: Cystein
munantwort, beteiligt.
O O
Purinerge Rezeptoren. Die biologischen Wirkungen
S
HO
O NH2 der Purine werden durch drei Klassen von Rezeptoren
vermittelt (႒ Tab. 2.6):
Taurin
Adenosinrezeptoren (auch P1-Rezeptoren genannt)
sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren,
Ⴜ Abb. 2.16 Strukturformel: Taurin
metabotrope P2Y-Rezeptoren sind ebenfalls G-Pro- von Na+ und Ca2+ in die Zelle mit nachfolgender
tein-gekoppelt, Depolarisation und Aktivierung Ca2+-abhängiger
ionotrope P2X-Rezeptoren sind trimere (auch hete- Signalwege.
rotrimere) liganden-(ATP-)gesteuerte Kationenka-
näle; nach ATP-Bindung kommt es zum Einstrom
Adenosinrezeptoren (P1)
P2Y1 Gq Ag: ADP > ATP, Nervensystem, Herz, Ge- Vasokonstriktion, Thrombozyten-
Ant: Suramin fäße, Thrombozyten aggregation
P2Y2 Gq Ag: UTP > ATP, ZNS, Epithelien, Endothe- Cl–- und Schleimsekretion, Vaso-
Ant: Suramin lien dilatation
P2Y4 Gq Ag: UTP > ATP (Partial- ZNS, Epithelien, Endothe- Cl–- und Schleimsekretion, Vaso-
agonist), lien dilatation
Ant: ATP
P2Y6 Gq Ag: UDP >> UTP > ADP, Niere, Epithelzellen, Im- Natriurese
Ant: Suramin munzellen
P2Y13 Gi/o Ag: ADP >> ATP, Nervensystem, Herz, Ge- Vasokonstriktion, Thrombozyten-
Ant: 2MeSAMP fäße, Thrombozyten aggregation
Ionotrope P2X-Rezeptoren
P2X4
P2X5
P2X6
P2X7
Adenosin. Extrazelluläres Adenosin stammt zum einen Der selektive A2A-Rezeptor-Agonist Regadenoson
direkt aus intrazellulären Quellen, zum anderen durch ist als Diagnostikum zum pharmakologischen Stresstest
Hydrolyse aus freigesetztem ATP oder ADP durch Nu- bei Untersuchungen der Myokardperfusion bei Er-
cleotidasen. Extrazelluläres Adenosin kann durch equi- wachsenen zugelassen. Die Substanz ist ein koronarer
librierende Nukleosidtransporter, z. B. ENT1, in die Vasodilatator und simuliert so die Auswirkungen kör-
Zelle aufgenommen werden. Die Inaktivierung von perlicher Anstrengung.
Adenosin zu Inosin erfolgt durch das Enzym Adeno- Dipyridamol blockiert die Adenosin-Aufnahme in
sin-Desaminase. die Zelle, erhöht damit seine extrazelluläre Konzentra-
Im Herz inhibiert Adenosin die Schrittmacherakti- tion und kommt als vasodilatierendes Medikament
vität des Herzens und die AV-Überleitung. In der Lunge zum Einsatz (Ⴉ Kap. 37.3).
hat Adenosin über den A2A-Rezeptor einen protektiven Das Methylxanthin Theophyllin wird als Broncho-
und antiinflammatorischen Effekt. Vermittelt durch spasmolytikum beim Asthma bronchiale eingesetzt
den A1-Rezeptor bewirkt Adenosin beim Asthma bron- (Ⴉ Kap. 42.3.1). In hohen Konzentrationen hemmt es
chiale eine vermehrte Mukusproduktion, Bronchokon- Phosphodiesterasen, welche cyclische Nucleotide spal-
striktion, Leukozytenaktivierung und Mastzell-Degra- ten, und führt so zu erhöhten intrazellulären Konzen-
nulation, zu der auch der A2B-Rezeptor beiträgt. Im trationen von cAMP und cGMP. Darüber hinaus wirkt
ZNS haben der A1- und der A2A-Rezeptor einen hem- Theophyllin als Antagonist an Adenosinrezeptoren,
menden Effekt auf Neurone. deren Stimulation zu Bronchokonstriktion und Hist-
aminfreisetzung führt. Wegen ausgeprägten kardialen
ADP. In Thrombozyten wird ADP und ATP in hohen Nebenwirkungen (Herzrhythmusstörungen) findet
Konzentrationen in Vesikeln gespeichert. Freigesetztes Theophyllin in den neuesten Leitlinien zur Asthmathe-
ADP bewirkt die Aggregation der Blutplättchen durch rapie keine Berücksichtigung mehr.
Aktivierung der P2Y1- und P2Y12-Rezeptoren. Die stimulierende Wirkung von Coffein und Theo-
phyllin im ZNS wird durch Antagonisierung zentral
ATP. Die wichtigsten Rezeptoren für ATP gehören zur dämpfender A1- und A2A-Rezeptoren vermittelt.
P2X-Familie. Die Bindung von zwei oder drei ATP-Mo- Da freigesetztes ADP die Thrombozytenaggregation
lekülen aktiviert die P2X-Kationenkanäle. ATP wird in fördert und dieser Effekt vor allem durch den P2Y12-Re-
allen Zellen in millimolaren Konzentrationen gespei- zeptor vermittelt wird, wurden Antagonisten am
chert und kann bei Schädigung freigesetzt werden: P2Y12-Rezeptor als Thrombozytenaggregationshem-
durch vesikuläre Freisetzung, durch ATP-Transporter mer entwickelt (Ⴉ Kap. 37.2). Clopidogrel, Prasugrel,
oder durch Pannexin- oder Connexin-Kanäle in der Ticlopidin und Ticagrelor sind Beispiele für klinisch
Plasmamembran. eingesetzte ADP-Hemmstoffe.
Im peripheren Nervensystem ist ATP sowohl ein
primärer eigener Neurotransmitter, wird aber auch als 2.1.4 Neurotransmitter – Peptide
Kotransmitter z. B. zusammen mit Noradrenalin freige- Neuropeptide funktionieren im ZNS eher als Modulato-
setzt. Zu einigen physiologischen Effekte, die adrener- ren, denn als rasche Neurotransmitter. Eine Vielzahl ver-
gen Neuronen zugeschrieben werden (Ⴉ Kap. 2.1.1), schiedener Neuropeptide wurde im ZNS nachgewiesen
trägt ATP als Kotransmitter bei. Sowohl P2X- als auch und mit vielfältigen Funktionen wie der Analgesie, Ler-
P2Y-Rezeptoren werden mit der Schmerzwahrneh- nen und Gedächtnis, Regulation der Hirndurchblutung
mung und der Entwicklung neuropathischer Schmer- sowie Sozialverhalten in Verbindung gebracht. Einige we-
zen in Verbindung gebracht. nige Neuropeptide werden an dieser Stelle besprochen.
Auf Zellen des Immunsystems sind vor allem
P2X-Rezeptoren weit verbreitet und beeinflussen Che- Endorphine und Enkephaline
motaxis, Freisetzung von Entzündungsmediatoren und Endorphine und Enkephaline sind endogene Opioid-
T-Zell-Funktion. Möglicherweise ist der P2X7-Rezep- peptide und körpereigene Agonisten an Rezeptoren des
tor eine neue therapeutische Zielstruktur in der Be- schmerzhemmenden Systems, den Opioidrezeptoren.
handlung chronischer Entzündungsprozesse. Zu diesen Poly- und Oligopeptiden gehören:
β-Endorphin mit 31 Aminosäuren,
An purinergen Rezeptoren angreifende Wirkstoffe. Zur Dynorphine mit 17 bzw. 13 Aminosäuren sowie
Terminierung supraventrikulärer Tachykardien wird die Pentapeptide Methionin- und Leucin-Enkephalin
Adenosin als Agonist aller 4 Adenosinrezeptoren als (Met- und Leu-Enkephalin), die den 5 N-terminalen
Bolus injiziert (Ⴉ Kap. 35.2.5). Aufgrund seiner kurzen Aminosäuren der Endorphine (Met-Enkephalin)
Halbwertszeit von nur wenigen Sekunden wird diese bzw. der Dynorphine (Leu-Enkephalin) entsprechen.
therapeutische Maßnahme als äußerst sicher einge- Endogene Opioidpeptide entstehen im Gehirn, der
schätzt. Hypophyse sowie dem Nebennierenmark durch pro-
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 67
β-LPH
JP ACTH γ-LPH
Prä- POMC
Signal-
M-
M-
M-
M-
M-
L-E
M-
peptid
EN
EN
EN
EN
EN
EN
NK
K
K-
K-
RG
RF
L
Neo END DYN A DYN B
Prä- Pro DYN 2
Signal-
L-E
L-E
L-E
peptid
NK
NK
NK
Ⴜ Abb. 2.18 Vorläuferproteine endogener Opioide. ACTH adrenocorticotropes Hormon, CLIP corticotropin-like interme-
diate peptide, DYN A Dynorphin A, DYN B Dynorphin B, β-END β-Endorphin, ENK Enkephalin, JP joining peptide, L-ENK
Leu-Enkephalin, γ-LPH γ-Lipotropin, M-ENK Met-Enkephalin, M-ENK-RGL Met-Enkephalin-Arg-Gly-Leu, M-ENK-RF
Met-Enkephalin-Arg-Phe, MSH α-, β-, γ-Melanozyten-stimulierende Hormone, Neo-END Neo-Endorphin
teolytische Prozessierung von drei Vorläuferproteinen, durch Proteasen hydrolysiert und sind deshalb nur bei in-
dem Proopiomelanocortin (POMC), dem Proenkepha- traventrikulärer Injektion analgetisch wirksam.
lin und dem Prodynorphin (Ⴜ Abb. 2.18).
Endogene Opioidpeptide und Opioide greifen an den- Substanz P
selben Rezeptoren, den Opioidrezeptoren, an (Ⴉ Kap. 15.4). Substanz P ist ein Peptid und gehört zur Familie der Ta-
Diese Substanzen besitzen daher gleiche pharmakodyna- chykinine, die Funktionen als Neurotransmitter und
mische Eigenschaften. Sie unterscheiden sich lediglich in Gewebshormone haben (Ⴜ Abb. 2.19). Zu den Tachyki-
ihrem pharmakokinetischen Verhalten. Die Enkephaline ninen werden u. a. Substanz P, Neurokinin A, Neuroki-
werden beispielsweise als Peptide im Plasma sehr rasch nin B, Neuropepid K und Neuropeptid Y gezählt. Die
H2N O
O
H H
H2N N N
N N
H O
O NH
O
O O H
NH N
O H2N O
O NH
N O O
H
N
H2N NH2
O
NH H3C CH3
SCH3
HN NH2
Substanz P
Tachykininrezeptoren. Substanz P und die anderen die Ausschüttung von Wachstumshormon (growth hor-
Peptide der Familie interagieren mit drei G-Protein-ge- mone, GH) und Thyreoidea-stimulierendem Hormon
koppelten Rezeptoren, NK1, NK2 und NK3, die allesamt (TSH). Somatostatin wird in den δ-Zellen der Bauch-
an Gq-Proteine koppeln und über den Effektor PLC in- speicheldrüse und in anderen Zellen des Magen-Darm-
trazelluläre Ca2+-Transiente auslösen. NK1-Rezeptoren Trakts gebildet und hemmt im Pankreas die Sekretion
nehmen im zweiten Neuron der Schmerzbahn im Hin- von Insulin, Glucagon und weiteren gastrointestinalen
terhorn des Rückenmarks den Schmerzimpuls aus den Hormonen. Zudem wird die Magensäuresekretion und
afferenten Nozizeptoren auf. NK1-Rezeptoren findet die Sekretion des exokrinen Pankreas unterdrückt.
man ferner in der Chemorezeptor-Triggerzone der
Area postrema und auf sensorischen Vagusfasern im Somatostatinrezeptoren. Somatostatin übt seine Wir-
Gastrointestinaltrakt. Ihre Aktivierung stimuliert den kung über 5 Somatostatinrezeptoren aus (SST1–5-Re-
Brechreiz. Die Stimulation von NK1-Rezeptoren auf zeptoren), bei denen es sich um inhibitorische Gi/o-ge-
dem Endothel führt zur NO-Bildung, Vasodilatation koppelte Rezeptoren handelt. Endogene Liganden die-
und Erhöhung der Gefäßpermeabilität. ser Rezeptoren sind Somatostatin-14 und -28.
Die Stimulation von NK2-Rezeptoren auf der glatten Möglicherweise ist Cortistatin-14 ebenfalls ein endoge-
Darmmuskulatur führt direkt zur Kontraktion, wäh- ner Ligand der Somatostatinrezeptoren.
rend NK3-Rezeptoren auf den cholinergen Neuronen
des enterischen Nervensystems lokalisiert sind und An Somatostatinrezeptoren angreifende Wirkstoffe.
über eine Freisetzung von Acetylcholin indirekt eine Somatostatin hemmt nicht nur die Freisetzung von
Kontraktion auslösen. Wachstumshormon, sondern auch die Sekretion von
Peptidhormonen des Gastrointestinaltrakts, z. B. die
An Tachykininrezeptoren angreifende Wirkstoffe. The- von Gastrin, Insulin und Glucagon (Ⴉ Kap. 60.1.2). Bei
rapeutisch werden NK1-Rezeptor-Antagonisten wie der Therapie von Ulkusblutungen und Blutungen in-
Aprepitant, Fosaprepitant und Netupitant aufgrund folge einer erosiven Gastritis hat es sich dementspre-
ihrer starken antiemetischen Wirkung bei der Behand- chend als wirksam erwiesen. Außerdem wird Somato-
lung von Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer zy- statin zur Prophylaxe von postoperativen Komplikatio-
tostatischen Chemotherapie eingesetzt. NK1-Rezeptor- nen nach chirurgischen Eingriffen am Pankreas sowie
Antagonisten unterdrücken wirksam das verzögerte zur Sekretionshemmung bei Pankreas- und oberen
Zytostatika-induzierte Erbrechen, während 5-HT3- Darmfisteln eingesetzt.
Rezeptor-Antagonisten beim frühen Zytostatika-indu- Synthetische Somatostatin-Analoga mit höherer Ak-
zierten Erbrechen effektiver sind. tivität und einer wesentlich längeren Halbwertszeit als
Somatostatin, z. B. Lanreotid und Octreotid, dienen
Somatostatin außer zur Akromegalie-Therapie der Behandlung von
Somatostatin ist ein Neurotransmitter und Neuropep- endokrin aktiven gastrointestinalen Tumoren (Karzi-
tid, das in der Regio intermedia des Hypothalamus ge- noiden, VIPomen, Glucagonomen). Da Octreotid, das
bildet wird und zu den Release-Inhibiting-Hormonen vor allem durch Bindung an den SST2-Rezeptor wirkt,
(Hemmhormone) gezählt wird, die die Ausschüttung auch die exokrine Pankreassekretion hemmt, wird es
von Hypophysenhormonen blockieren (Ⴜ Abb. 2.20). So ferner prä- und perioperativ zur Pankreatitisprophy-
unterdrückt Somatostatin im Hypophsenvorderlappen laxe bei Pankreasoperationen eingesetzt.
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 69
führt. Da CB1-Rezeptoren vor allem präsynaptisch lo- atrischer Nebenwirkungen wie Depression wurde die
kalisiert sind, bewirken sie – ähnlich wie Opioidrezep- Substanz vom Markt genommen.
toren – eine Hemmung der Transmitterfreisetzung. Al-
lerdings können Cannabinoide über CB1-Rezeptoren 2.1.6 Stickstoffmonoxid (NO), Kohlenstoff-
durch Hemmung inhibitorischer Neurone (Disinhibi- monoxid (CO), Schwefelwasserstoff
tion), z. B. GABAerger Interneurone im Hippocampus (H2S)
und der Amygdala, ähnlich wie Opioide an ihren Re- Neben Aminen, Aminosäuren und Peptiden sind auch
zeptoren auch verschiedene neuronale Netze aktiveren. gasförmige Substanzen wichtige Botenstoffe Im Orga-
In der Peripherie wurde der CB1-Rezeptor auf Endo- nismus.
thelzellen, Adipozyten und peripheren Nerven gefun-
den. Stickstoffmonoxid (NO). Als lokal gebildeter Mediator
Der CB2-Rezeptor ist hauptsächlich auf immunkom- reguliert NO zahlreiche Körperfunktionen. NO wird
petenten Zellen des hämatopoetischen Systems (Lym- durch drei NO-Synthasen (NOS) hergestellt:
phozyten, Monozyten und Gewebsmastzellen), in den Eine induzierte Form (iNOS oder NOS2) wird in
Tonsillen, dem Thymus und der Milz nachweisbar. Makrophagen, Neutrophilen, Gefäßmuskel- und
CB2-Rezeptoren finden sich im ZNS auch in der Mikro- Endothelzellen durch Entzündungsstimuli, z. B.
glia, deren Aktivierung zu chronischen Schmerzen bei- durch Zytokinfreisetzung, exprimiert. NOS2 kann
tragen kann. große Mengen von NO produzieren.
Neben G-Protein-gekoppelten Rezeptoren binden ei- Daneben gibt es zwei konstitutiv exprimierte Iso-
nige Endocannabinoide auch an ionotrope Cannabi- formen, die unter physiologischen Bedingungen in
noidrezeptoren, z. B. an intrazelluläre Domänen einiger Neuronen (nNOS oder NOS1) und im Endothel
Ionenkanäle der TRP-(transient-receptor-potential)- (eNOS oder NOS3) zu finden sind. Ihre Aufgabe ist
Familie (TRPV1–4, TRPA1, TRPM8), aktivieren diese die physiologische Feinregulation durch niedrige
Ionenkanäle und üben ihre Wirkung unabhängig von NO-Produktion.
CB1- und CB2-Rezeptoren aus. Weiterhin wurden modu- Die Aktivität der konstitutiven Isoformen wird durch
latorische Effekte auf weitere spannungs- (z. B. L-Typ Ca2+/Calmodulin reguliert. Aus dem Substrat Arginin,
Ca2+-Kanäle) und ligandengesteuerte Ionenkanäle (wie das in Endothelzellen als Aminosäure unter physiologi-
z. B. 5-HT3-Serotonin-, GABA-, Glycinrezeptoren) be- schen Bedingungen in hoher Konzentration vorkommt,
schrieben. werden durch die NOS Citrullin und NO gebildet,
wobei der Stickstoff im NO aus der terminalen Gua-
An Cannabinoidrezeptoren angreifende Wirkstoffe. nidino-Gruppe des Arginins stammt. Die Kontrolle der
Dronabinol, ein Stereoisomer von Δ9-Tetrahydrocanna- konstitutiven NOS-Aktivität erfolgt zum einen durch
binol (THC), wird als Cannabinoidrezeptor-Agonist ad- unterschiedliche Stimuli von Endothelzellen wie Re-
ditiv in der Schmerztherapie von einigen Schmerzthera- zeptoragonisten, z. B. Acetylcholin, Bradykinin, ATP,
peuten eingesetzt. Es bindet unselektiv an die Cannabi- aber auch mechanische Stimuli wie blutflussbedingte
noidrezeptoren und beeinflusst dadurch die Freisetzung Scherkräfte, die rezeptorvermittelt die intrazelluläre
von Neurotransmittern. Bisher ist in Deutschland noch Ca2+-Konzentration erhöhen. Zum anderen wird in En-
kein Dronabinol-Fertigarzneimittel im Handel, doch dothelzellen u. a. durch mechanische Stimulation eine
steht es als verschreibungsfähige Rezeptursubstanz (auf Serin/Threonin-Proteinkinase (Proteinkinase B, Akt)
Betäubungsmittelrezept!) zur Verfügung. aktiviert, die NOS phosphoryliert und die Sensitivität
Ein aus dem Dickextrakt von Cannabis sativa herge- gegenüber Ca2+/Calmodulin deutlich erhöht. Auch
stelltes Spray zur bukkalen Anwendung steht Multiple- Phosphorylierung durch die cAMP-abhängige Protein-
Sklerose-Patienten mit mittelschwerer bis schwerer kinase und verschiedene Tyrosinkinasen wurde mit ge-
Spastik zur Symptomverbesserung zur Verfügung. Die steigerter NOS-Aktivität in Verbindung gebracht. Pro-
Hauptbestandteile dieses Fertigpräparats sind THC teinkinase C inhibiert die endotheliale NOS.
und Cannabidiol. Die NOS2 (iNOS) wird durch Entzündungsmediato-
Nabilon ist ein vollsynthetisches THC-Derivat und ren wie LPS und inflammatorische Zytokine sowie durch
ist zur Therapie von Chemotherapie-induzierter Übel- Interferon-γ induziert und ist Ca2+-unabhängig. Die In-
keit und Erbrechen bei erwachsenen Patienten zugelas- duktion von NOS2 kann durch Glucocorticoide und
sen, die nicht adäquat auf andere antiemetische Präpa- durch einige Zytokine wie TGF-β unterdrückt werden.
rate ansprechen. Auch dieser Wirkstoff fällt unter das Gebildetes NO reagiert mit molekularem Sauerstoff
Betäubungsmittelgesetz. und Wasser, wodurch Verbindungen mit Nitrit (NO2–)
Rimonabant ist ein selektiver CB1-Rezeptor-Ant- und Nitrat (NO3–) entstehen. Niedrige NO-Konzentrati-
agonist, der in Europa für die Behandlung der Adiposi- onen sind relativ stabil und können daher als fraktionier-
tas zugelassen war. Aufgrund schwerwiegender psychi- tes exhaliertes Stickstoffmonoxid (FeNO) als Entzün-
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 71
dungsmarker zur Therapieplanung bei Lungenerkran- siten und auch von Tumorzellen. Zu den molekularen
kungen, z. B. Asthma, gemessen werden. Strukturelle NO-Mechanismen gehört die Nitrosylierung von Nuc-
Veränderungen in den NOS in pathologischen Situatio- leinsäuren und Proteinen und die Reaktion mit
nen können zur Entkopplung des Enzyms mit der Über- Häm-Enzymen, z. B. der Cytochrom c-Oxidase. Im
tragung von Elektronen auf molekularen Sauerstoff füh- letztgenannten Fall konkurriert NO mit Sauerstoff und
ren, sodass Superoxid-Anionen (O2–) anstelle des NO beeinflusst damit die Zellatmung.
gebildet werden. Superoxid-Anionen und NO bilden das NO kann im Sinne eines autokrinen Mechanismus als
toxische Peroxynitrit-Anion (ONOO–), das zusammen lokaler Mediator auf die NO produzierende Zelle zu-
mit reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) als nitrosativer rückwirken oder in benachbarte Zellen gelangen, z. B.
Stress erhebliche Zellschäden verursachen kann. von der Endothelzelle in die darunter liegende Gefäß-
Wie zuvor erläutert, reagiert NO mit Metallen (z. B. muskelzelle. Zu den relevantesten zellulären Effekten
Eisen in Häm enthaltenden Proteinen wie Hämoglo- von NO als Botenstoff gehört die Aktivierung der lösli-
bin), Thiolen und verschiedenen Sauerstoffspezies und chen Guanylylcyclase (sGC), die den second messenger
kann Proteine, Lipide und DNA modifizieren. Die zyto- cGMP synthetisiert. Es handelt sich um ein heterodime-
toxischen NO-Effekte beruhen auf den chemischen res Protein, das eine Hämgruppe enthält, mit der NO
Eigenschaften von NO als freiem Radikal und sind von reagiert. Viele physiologische NO-Effekte in den Blut-
zentraler Bedeutung für die unspezifische Pathogenab- gefäßen und im Gehirn sind durch cGMP vermittelt.
wehr durch Zellen des angeborenen Immunsystems, cGMP hat im Wesentlichen drei zelluläre Effektoren: 2
z. B. für die Abwehr von Viren, Bakterien, Pilzen, Para- cGMP-abhängige Proteinkinase G,
ANP
Stickstoffmonoxid
GCA
sGC
cGMP
GTP
GTP
o-
sph
Pho erase 5
t
dies Ca2+
GMP
PKG IP3-Rezeptor
P IRAG L
PK
G
2+ M
ph yo Ca2+
Ca Myosin os sin ER
ph - P
P ata
se
PK P
G Aktin
P K+-Kanal
K+
Relaxation der glatten
Muskelzelle
Ⴜ Abb. 2.22 Die membranständige Guanylylcyclase (GCA) als Rezeptor für das atriale natriuretische Peptid (ANP) und
lösliche (sGC) Guanylylcyclase als Rezeptor für NO regulieren die zytosolische cGMP-Konzentration. Die Aktivierung von
Proteinkinase G (PKG) durch cGMP führt über drei Hauptwege zur Relaxation glatter Muskeln, z. B. von Gefäßen: Phos-
phorylierung von IRAG (IP3-Rezeptor assoziiertem PKG-Substrat) hemmt die Ca2+-Freisetzung aus dem Endoplasmati-
schen Retikulum (ER), Aktivierung der Myosinphosphatase durch PKG bewirkt eine Dephosphorylierung der Myosinköpfe
und Stimulation Ca2+-aktivierter K+-Kanäle, hyperpolarisiert dadurch die Zelle und senkt die Öffnungswahrscheinlich-
keit spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle.
72 2 Pharmakodynamik
cGMP-gesteuerte Ionenkanäle, die in Photorezep- die neuronale Entwicklung und die synaptische Plasti-
torzellen der Retina, in einzelnen olfaktorischen zität im ZNS postuliert.
Neuronen und im Epithel der renalen Sammelrohre
vorkommen, NO-Pharmaka. Das Gas NO selbst ist zusammen mit an-
cGMP-gesteuerte Phosphodiesterasen (z. B. PDE-2 deren geeigneten Wirkstoffen im Rahmen der künstli-
und PDE-3). chen Beatmung zur Behandlung von Neugeborenen mit
Auch Membranrezeptoren mit Guanylylcyclase- hypoxischer respiratorischer Insuffizienz indiziert, die
Aktivität, z. B. die Rezeptoren für natriuretische Pep- mit Anzeichen einer pulmonalen Hypertonie einhergeht.
tide (ANP, BNP und CNP), einer Familie von Peptid- Inhaliertes NO dilatiert die Blutgefäße in den ventilierten
hormonen mit harntreibender, natriuretischer und Alveolen und reduziert das Shunting, d. h. den Fluss von
blutdrucksenkender Wirkung, können aus GTP cGMP pulmonal arteriellem Blut durch nicht-ventilierte Alveo-
bilden. Man unterscheidet drei Rezeptorsubtypen: len, in denen keine Oxygenierung des Blutes stattfinden
GC-A (Typ A/R1), GC-B (Typ B/R1) und GC-C (Typ kann. Auch wird es bei der Behandlung einer pulmona-
C/R2). ANP und BNP stimulieren GC-A, BNP ist der len Hypertonie bei Kindern und Erwachsenen eingesetzt,
primäre Ligand für GC-B. Die intestinalen Hormone um selektiv den pulmonal-arteriellen Druck zu senken.
Guanylin und Uroguanylin haben GC-C als Rezeptor Als Koronartherapeutika werden Nitrate als NO-Do-
und modulieren die Sekretion von Wasser und Elektro- natoren wie (z. B. Glyceroltrinitrat, Isosorbitdinitrat,
lyten in der Niere. BNP und sein biologisch inaktives Isosorbitmononitrat, Pentaerythyltetranitrat) eingesetzt,
Signalpeptid NT-proBNP werden aus den Herzmuskel- um durch venöses Pooling eine Vorlastsenkung des Her-
zellen in das Blut sezerniert. Die größte Bedeutung be- zens zu erreichen. Gleichzeitig wird durch Dilatation der
sitzen die Marker zur Diagnose einer akuten Herzinsuf- großen Arterienstämme der Aortendruck erniedrigt,
fizienz. der periphere Widerstand und die systolische Wand-
Die cGMP-Wirkung wird in der glatten Muskulatur spannung nehmen ab (Afterload-Reduktion = Nachlast-
durch die cGMP-spezifische PDE-5 beendet, die cGMP senkung). Außerdem dilatieren Nitrate die epikardialen
zu GMP abbaut. Die Mechanismen, die zur NO/ Koronararterien und heben Koronarspasmen auf.
cGMP-vermittelten Relaxation der glatten Muskulatur Den NO/cGMP-Signalweg stimuliert auch Rioci-
führen, sind in Ⴜ Abb. 2.22 dargestellt und beruhen auf guat, ein Aktivator der löslichen Guanylylcyclase, der
einer: zur Behandlung der pulmonalen Hypertonie eingesetzt
PKG-vermittelten Reduktion der Ca2+-Freisetzung wird. Riociguat verfügt über einen dualen Wirkungs-
aus dem endoplasmatischen/sarkoplasmatischen mechanismus. Durch Stabilisierung der NO-sGC-Bin-
Retikulum, dung erhöht es die Empfindlichkeit von sGC gegen en-
der Aktivierung der Myosinphosphatase durch dogenes NO. Außerdem stimuliert es sGC auch direkt
PKG-Phosphorylierung und und unabhängig von NO. Riociguat führt so zu einer
der PKG-vermittelten Stimulation Ca2+-abhängiger erhöhten cGMP-Produktion und damit zur Vasodilata-
K+-Kanäle mit nachfolgender Hyperpolarisation der tion pulmonaler Gefäße. An weiteren direkten Aktiva-
glatten Muskelzelle, verringerter Offenwahrschein- toren der Guanylylcyclase wird intensiv gearbeitet.
lichkeit spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle und ver- Auch das Therapieprinzip der cGMP-vermittelten
mindertem Einstrom von kontraktilem Ca2+. Vasodilatation durch PDE-5-Hemmer hat Eingang in
Spezifische kardiovaskuläre Effekte von NO werden in die Behandlung der pulmonalen Hypertonie gefunden.
Ⴉ Kap. 33.2.1 beschrieben. Für das ursprünglich zur Behandlung der erektilen
In Widerstandsgefäßen kommt es zur kontinuierli- Dysfunktion zugelassene Sildenafil und Tadalafil be-
chen, basalen Aktivierung des NO/cGMP-Signalwegs, steht auch eine Zulassung bei pulmonaler arterieller
was zum Absenken des peripheren Widerstands und Hypertonie.
des Blutdrucks führt. Die Störung der Endothelfunk-
tion, z. B. im Rahmen der Atherosklerose oder bei Dia- Schwefelwasserstoff. H2S wird aus Cystein gebildet.
betes mellitus, beeinträchtigt die NO-Bildung, den Das beteiligte Enzym, Cystathion-γ-Lyase, ist im Ge-
cGMP-Anstieg in der glatten Gefäßmuskulatur und hirn (Hippocampus und Cerebellum) hoch exprimiert
damit die Fluss- oder Agonist-induzierte Vasodilata- und darüber hinaus in der Peripherie in Leber, Niere
tion, sodass ein erhöhter peripherer Gefäßwiderstand und Blutgefäßen. Das Enzym wird durch Entzündungs-
und möglicherweise eine arterielle Hypertonie entsteht. mediatoren wie LPS und TNF-α reguliert.
Hinsichtlich neuronaler Effekte ist NO in zahlrei- Im kardiovaskulären System hat H2S eine ähnliche
chen Geweben ein non-adrenerger, non-cholinerger Funktion wie NO und führt zur Vasodilatation durch
(NANC) Neurotransmitter, z. B. in den oberen Atem- Aktivierung des KATP-Kanals in der glatten Muskulatur.
wegen, dem Gastrointestinaltrakt und dem Corpus ca- Im Nervensystem beeinflusst H2S die Schmerzwahr-
vernosum des Penis. Ferner wird eine Rolle von NO für nehmung, indem spannungsabhängige T-Typ-Ca2+-
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 73
Kanäle moduliert werden. In der Körperperipherie sind den Lungen, der Haut und im Magen-Darm-Kanal. In
möglicherweise TRP-Kanäle (TRPA1, TRPV1, TRPC6), den Mastzellen und basophilen Granulozyten wird
die durch H2S aktiviert werden, an der Entwicklung Histamin in protonierter Form, an Anionen – z. B. an
einer Hyperalgesie beteiligt. Heparin oder Proteoglykane – gebunden gespeichert.
Eine Reihe zytotoxischer (hohe H2S-Konzentrati- Seine Freisetzung aus dieser Speicherform erfolgt bei
onen) und auch zytoprotektiver Effekte (niedrige H2S- Zerstörung von Zellen (z. B. bei Verletzungen), IgE-ver-
Konzentration) wurden in verschiedenen Zelltypen mittelt bei Überempfindlichkeitsreaktionen sowie IgE-
und Geweben beschrieben. In vielerlei Hinsicht sind unabhängig durch verschiedene chemische Substanzen,
die H2S-Effekte denen des NO ähnlich. Eine klinisch sog. Histaminliberatoren (s. u.). Freies Histamin wird
verwertbare Pharmakologie ist noch nicht entwickelt. dann sehr rasch durch oxidative Desaminierung mittels
Histaminase, ferner durch Methylierung der NH-
Kohlenstoffmonoxid. CO wird zusammen mit Biliver- Gruppe und Oxidation der gebildeten Metaboliten mit-
din durch die Häm-Oxygenase synthetisiert. Es gibt tels Monoaminoxidase abgebaut.
Hinweise darauf, dass es sich bei CO um ein Signalmo-
lekül im kardiovaskulären System und im Nervensys- Histaminliberatoren. Einige Arzneistoffe sind in der
tem handelt. Der vaskuläre Tonus von Gehirngefäßen Lage, Histamin freizusetzen. Hierzu gehören Morphin,
soll von CO zusammen mit NO reguliert werden. Die iodhaltige Röntgenkontrastmittel und Plasmaersatz-
physiologische und pathophysiologische Rolle von CO mittel (z. B. Hydroxyethylstärke). Ein weiterer Hist- 2
bedarf weiterer gründlicher Aufklärung, bevor spezifi- aminliberator ist Mastoparan, ein Bestandteil des Wes-
sche pharmakologische Zielstrukturen identifiziert pengifts (Ⴉ Kap. 91.8.2), das G-Proteine aktiviert und
werden können. dadurch ebenfalls zu einer IgE-unabhängigen Hist-
aminfreisetzung führt.
2.1.7 Mediatoren
Mediatoren (Autakoide) sind aus bestimmten Zellen Histaminrezeptoren und -wirkungen. Histamin greift
bzw. Zellverbänden freigesetzte Substanzen (Gewebs- an 4 verschiedenen, G-Protein-gekoppelten Rezeptoren
hormone), die vorwiegend auf benachbarte Zellen ein- an, die als H1-, H2-, H3- und H4-Rezeptoren bezeichnet
wirken, d. h. insbesondere parakrine Effekte hervorru- werden (Ⴜ Abb. 2.24).
fen. Zu ihnen werden gerechnet: Die Stimulation von H1-Rezeptoren bewirkt durch
Histamin, Aktivierung der Phospholipase C einen Blutdruckabfall
Serotonin, infolge der Vasodilatation von Arteriolen. Zudem erhöht
die Stoffe der Arachidonsäurekaskade (Prostaglan- Histamin über denselben Transduktionsweg die „Kapil-
dine, Thromboxan A2, Prostacyclin, Leukotriene, larpermeabilität“ und damit den Übertritt von Plasma-
Epoxyeicosatriensäuren), proteinen, Plasmawasser und zellulären Blutbestandtei-
der Plättchen-aktivierende Faktor (PAF) und len in das Gewebe durch Kontraktion von Endothelzel-
die Kinine. len der Venolen. Die Vasodilatation und die erhöhte
Histamin und Serotonin wirken, außer als Mediato- Kapillarpermeabilität tragen zur Entwicklung eines ana-
ren, auch als Neurotransmitter. Zytokine, Chemokine phylaktischen Schocks bei. Weiterhin erleichtert Hist-
und Interferone (s. u.) zählen nicht zu den Mediatoren, amin die Leukozytenmigration durch Bildung von Ad-
obwohl sie ebenfalls parakrin wirken. häsionsproteinen an der Oberfläche der Endothelzellen,
wodurch Pathogene in infiziertem Gewebe angegriffen
Histamin und entzündliche Reaktionen begünstigt werden. Durch
Vorkommen, Freisetzung und Abbau. Histamin ist ein Stimulation afferenter Neurone löst Histamin ferner
biogenes Amin, das die Funktion eines lokalen Media- Juckreiz aus. Außerdem kontrahiert es die glatte Musku-
tors und eines Neurotransmitters hat (Ⴜ Abb. 2.23). Es latur von Bronchien und Darm. Im ZNS sind H1-Rezep-
kommt als Decarboxylierungsprodukt der Aminosäure toren an gesteigerter Aufmerksamkeit und am Erhalt des
Histidin im menschlichen Organismus in allen Gewe- Wachzustands sowie an der Regulation der Nahrungs-
ben vor. Die höchsten Konzentrationen findet man in aufnahme (Appetithemmung) beteiligt.
Die Erregung von H2-Rezeptoren führt durch Akti-
vierung der Adenylylcyclase zur Erhöhung der Herzfre-
N quenz und zur Zunahme der Kontraktilität des Herzens
HN
NH2 sowie zur Steigerung der Drüsensekretion, insbeson-
dere in der Magenschleimhaut. H2-Rezeptoren regulie-
Histamin ren ferner die Zellproliferation und -differenzierung.
Im Immunsystem verschiebt Histamin, vorwiegend
Ⴜ Abb. 2.23 Strukturformel: Histamin durch eine Stimulation von H2-Rezeptoren, die TH1/
74 2 Pharmakodynamik
A Allergen NO
Histamin Gefäßlumen
H1
Gq Ca2+൹ CaM eNOS
IP3 L
ER
IP3R
Mastzelle
Endothelzelle
NO
B
Allergen Histamin
H1
Gq
Ca2+൹ CaM MLCK
IP3 L
ER Kontraktion
IP3R
Mastzelle Bronchialmuskelzelle
(glatte Muskulatur)
C
Gs
K+
H2
AC
DAG
H3
cAMPൻ PKC
Gi
Adenylyl- K+
K+
cyclase
AT
P postsynaptische Neurone
Na+
Glutamat
PKAൻ
NMDA-
Rezeptor
L
glutamaterges Neuron
H3
on
Adenylyl-
cyclase
Ⴜ Abb. 2.24 Beispiele für die Wirkungen von Histamin. A Aus Mastzellen freigesetztes Histamin relaxiert Gefäße über
die Bildung von NO. Die histaminerge Stimulation des Endothels bewirkt über eine Änderung der Kapillarpermeabilität
ferner eine Exsudatbildung. B In der Bronchialmuskulatur führt im Gegensatz zur Gefäßmuskulatur die Stimulation von
H1-Rezeptoren zur Kontraktion. C Im ZNS kommen H1-, H2-, H3-Rezeptoren vor. Die Signalwege nach der Aktivierung
von H1-Rezeptoren bewirken eine Stimulation der Na+/K+-ATPase und die Hemmung eines K+-Kanals. Beide Effekte
üben exzitatorische Wirkungen auf das betreffende Neuron aus, ähnlich wie die Aktivierung von H2-Rezeptoren, die
durch Stimulation der Adenylylcyclase (AC) zu einer Erhöhung des intrazellulären cAMP führt. H3-Rezeptoren hemmen
als auto- und hetero-inhibitorische Rezeptoren die Freisetzung von Histamin und anderen Neurotransmittern. CaM Cal-
modulin, DAG Diacylglycerol, IP3R IP3-Rezeptor, MLCK Myosin-Leichtkettenkinase, PKA Proteinkinase A, PKC Proteinkinase
C, PKG Proteinkinase G, sGC lösliche Guanylylcyclase
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 75
TH2-Balance zugunsten einer TH2-Antwort. Zudem Während die sog. 1. Generation der H1-Antihista-
wird durch H2-Rezeptoren die Suppressoraktivität re- minika (z. B. Diphenhydramin, Dimenhydrinat, Cle-
gulatorischer T-Zellen angeregt, wodurch die immuno- mastin) nicht nur periphere, sondern auch zentrale
logische Toleranz aufrechterhalten wird. H1-Rezeptoren blockiert, wirken die Antihistaminika
Bei den H3-Rezeptoren handelt es sich um präsy- der 2. Generation (z. B. Cetiricin, Desloratadin, Fexofe-
naptische Histaminrezeptoren verschiedener ZNS- nadin) aufgrund geringerer Lipophilie nahezu selektiv
Neurone, deren Erregung die Histamin-, Noradrena- an peripheren H1-Rezeptoren. H1-Antihistaminika
lin-, Serotonin-, und Acetylcholinfreisetzung hemmt. heben kompetitiv die Wirkungen von Histamin an
H3-Rezeptoren sind ferner an zahlreichen nervalen H1-Rezeptoren auf und wirken juckreizlindernd, anti-
Funktionen wie Kognition, Schlaf-Wach-Status und ödematös und antierythematös. Wirkstoffe der 1. Ge-
Regulation der Energiehomöostase beteiligt. neration, deutlich weniger dagegen die der 2. Genera-
Der H4-Rezeptor wird vornehmlich in T-Lympho- tion, wirken infolge der Blockade zentraler H1-Rezep-
zyten, eosinophilen Granulozyten und Mastzellen ex- toren sedierend. Reaktionsvermögen, Psychomotorik
primiert, woraus sich seine pro-inflammatorische Rolle und Kognition sind beeinträchtigt. Einige Substanzen
ableiten lässt. Auch gibt es Hinweise darauf, dass er eine mit stärker sedierender Wirkung, z. B. Promethazin,
Rolle bei der Differenzierung myeloischer Stammzellen Diphenhydramin, Doxylamin oder Hydroxyzin sind
spielt. Dementsprechend könnten H4-Rezeptor-Ant- bei Schlafstörungen indiziert (Ⴉ Kap. 13.3.3). Diphenhy-
agonisten als eine neue Klasse von Arzneistoffen zur dramin und insbesondere Dimenhydrinat eignen sich 2
Behandlung der rheumatoiden Arthritis, der Colitis ul- zur Prophylaxe und Behandlung von Übelkeit und Er-
cerosa, des Asthma bronchiale und des chronischen brechen (Ⴉ Kap. 52.2.1), letzteres auch bei Kinetosen.
Juckreizes von Bedeutung sein. Über eine Kopplung an H2-Antihistaminika (Cimetidin, Ranitidin, Famoti-
Gi-Proteine vermittelt der H4-Rezeptor eine Hemmung din) blockieren kompetitiv die H2-Rezeptoren von Hist-
der Adenylylcyclase sowie über Gβγ-Untereinheiten amin an den Belegzellen der Magenschleimhaut. Sie
eine Stimulation der Phospholipase C. hemmen sowohl die basale als auch die Histamin-
stimulierte Säuresekretion. Darüber hinaus unterdrücken
Pathophysiologische Bedeutung von Histamin. Gelangt sie nichtkompetitiv die Vagus- und Gastrin-induzierte
Histamin in die Haut, z. B. bei Insektenstichen oder Kon- Säurefreisetzung. H2-Antihistaminika sind zur Ulkusthe-
takt mit Brennnesselhaaren, entsteht infolge Vasodilata- rapie und -rezidivprophylaxe indiziert (Ⴉ Kap. 49.2.2).
tion eine schmerzhafte Rötung und wegen gesteigerter Der H3-Antagonist (Ⴉ Kap. 14.4.4) Pitolisant ist zur
Kapillarpermeabilität eine juckende Quaddel. Behandlung von Erwachsenen mit Narkolepsie und
Besondere Bedeutung kommt Histamin bei aller- Schlafapnoe indiziert. Der Wirkstoff erhöht die Aktivi-
gischen Reaktionen vom Soforttyp zu. Durch die Hist- tät von Histamin-Neuronen, die im ZNS für die Erhal-
aminfreisetzung kann eine allergische Urtikaria (Nes- tung des Wachzustands verantwortlich sind.
selsucht) oder ein Quincke-Ödem (Ⴉ Kap. 75.2), in
schweren Fällen ein anaphylaktischer Schock auftreten. Serotonin
Auch beim Endotoxinschock, bei Entzündungen und Biosynthese, Abbau und Vorkommen. Serotonin (5-Hy-
Verbrennungen findet man eine Degranulierung der droxytryptamin, 5-HT) kommt in zahlreichen pflanzli-
Mastzellen und eine erhöhte Histaminkonzentration chen und tierischen Geweben vor. Es entsteht im Orga-
im Blut. Personen mit einer genetischen Disposition nismus aus der essenziellen Aminosäure Tryptophan
zur Bildung von IgE-Antikörpern (Atopiker) gegen durch Hydroxylierung zu 5-Hydroxytryptophan und an-
häufige und daher normalerweise tolerierte Antigene schließende Decarboxylierung (Ⴜ Abb. 2.25). Der letzte
können – zeitgleich oder nacheinander – an einem ato- Biosyntheseschritt erfolgt unter dem Einfluss der Do-
pischen Ekzem, einer saisonalen (Heuschnupfen) oder pa-Decarboxylase, d. h. des Enzyms, das auch für die
andauernden (perennialen) allergischen Rhinitis Umwandlung von l-Dopa zu Dopamin verantwortlich
(Ⴉ Kap. 45) oder einem Asthma bronchiale erkranken. ist. Am Beginn des Hauptabbauwegs steht die Umwand-
Größere Mengen von exogen zugeführtem Hist- lung von 5-HT zu 5-Hydroxyindolylacetaldehyd durch
amin, wie sie beispielsweise in verdorbenem Fisch vor- Monoaminoxidase A. Dieser Aldehyd wird durch Alde-
kommen, führen zu Atemnot, Blutdruckabfall, Rötung hydoxidase vorwiegend zu 5-Hydroxyindolylessigsäure
der Haut, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen oder oxidiert und in dieser Form renal eliminiert.
Durchfall. Im Organismus von Säugetieren liegt 5-HT sowohl
neuronal als auch extraneuronal vor. Das neuronal ge-
An Histaminrezeptoren angreifende Wirkstoffe. Eine speicherte Serotonin, das in weiten Teilen des Gehirns,
therapeutische Bedeutung besitzt Histamin nicht. Es vor allem in den Raphe-Kernen sowie im gesamten
dient jedoch als Positivkontrolle bei Allergietests an der Gastrointestinaltrakt vorkommt, wirkt dort als Neuro-
Haut. transmitter.
76 2 Pharmakodynamik
COOH COOH
COOH MAO
HO ADH
CHO
N
H HO
5-Hydroxyindolyl-
N
essigsäure H
OH
-DH 5-Hydroxyindolyl-
Alk acetaldehyd
HO
N
H
5-Hydroxytryptophol
Ⴜ Abb. 2.25 Biosynthese und Biotransformation von Serotonin. ADH Aldehyd-Dehydrogenase, Alk-DH Alkohol-Dehy-
drogenase, MAO Monoaminoxidase, OH-Trp-DC 5-Hydroxytryptophan-Decarboxylase, Trp-H Tryptophan-Hydroxylase
Extraneuronal wird Serotonin in großen Mengen in keinen anderen Neurotransmitter konnten bislang so
den enterochromaffinen Zellen des Dünndarms syn- viele unterschiedliche Rezeptoren nachgewiesen wer-
thetisiert und gespeichert. Eine Dehnung der Darm- den wie für Serotonin. Diese können in 5-HT1- bis
wand infolge eines Druckanstiegs im Lumen setzt dar- 5-HT7-Rezeptoren unterteilt werden, von denen noch-
aus 5-HT frei. Daneben geben die enterochromaffinen mals Subtypen existieren.
Zellen Serotonin an Thrombozyten ab, wenn diese die Mit Ausnahme der 5-HT3-Rezeptoren, bei denen es
Darmgefäße passieren. Bei der primären Hämostase sich um ligandengesteuerte Ionenkanäle handelt, gehö-
bewirkt aus Blutplättchen freigesetztes Serotonin eine ren alle anderen Serotoninrezeptoren zur Gruppe der
lokale Vasokonstriktion. G-Protein-gekoppelten Rezeptoren.
Die Stimulation von 5-HT1-Rezeptoren, die als in-
Physiologische Serotoninwirkungen und Serotoninre- hibitorische Rezeptoren im Zentralnervensystem weit
zeptoren. Serotonin ruft eine Vielzahl unterschiedli- verbreitet sind, hemmt die Adenylylcyclase und damit
cher Wirkungen hervor. Es erhöht die Kontraktilität der die cAMP-Bildung, kann aber auch zellkontextabhän-
Darmmuskulatur, löst durch die Erregung von Nozi- gig zu einer Aktivierung der Phospholipase C und
zeptoren Schmerz aus und greift in wichtige Funktio- damit über die Bildung von Inositoltrisphosphat und
nen des Zentralnervensystems ein. Die in Tierversu- Diacylglycerol zur Freisetzung von Ca2+-Ionen aus int-
chen beobachteten bronchokonstriktorischen und razellulären Speichern führen.
uteruskontrahierenden Wirkungen von Serotonin sind Neuronale 5-HT1A-Rezeptoren, die prä- und postsy-
beim Menschen nur sehr schwach ausgeprägt. naptisch an Somata, Dendriten, Axonen und Nervenen-
Am kardiovaskulären System wirkt Serotonin so- digungen vorkommen, sind inhibitorische Autorezep-
wohl vasokonstriktorisch als auch vasodilatierend. toren bzw. erhöhen nach Aktivierung möglicherweise
Während in Lunge und Nieren die gefäßkontrahierende durch Disinhibition die Dopaminfreisetzung im prä-
Wirkung im Vordergrund steht, dominiert in der Ske- frontalen Cortex, Striatum und Hippocampus, worauf
lettmuskulatur die blutgefäßerweiternde Wirkung. zumindest teilweise die Verbesserung der Negativsymp-
Neben seinen direkten Gefäßeffekten vermag Serotonin tome von Schizophrenen durch Aripiprazol beruht.
durch Angriff am autonomen Nervensystem, den Blut- Durch Erregung von 5-HT1B-Rezeptoren werden
druck zu senken. Meningealgefäße und Koronarien kontrahiert. Auch die
Ursache für die Vielfalt der Effekte ist die große Zahl Erregung der an den Meningealgefäßen vorkommenden
unterschiedlicher Serotoninrezeptoren (႒ Tab. 2.7). Für 5-HT1D-Rezeptoren führt zur Vasokonstriktion. Ferner
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 77
hemmt die Erregung dieser Rezeptoren die Freisetzung Beim Karzinoid handelt es sich um eine vorwiegend
entzündungsfördernder Peptide. 5-HT1D-Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt auftretende, relativ seltene
sind als präsynaptische inhibitorische Rezeptoren in (semi-)maligne Entartung enterochromaffiner Zellen,
Neuronen exprimiert, die den Tonus der Meningealarte- die u. a. zu einer vermehrten Serotoninfreisetzung und
rien steuern. Durch Aktivierung von K+-Kanälen, Inhi- einem charakteristischen Krankheitsbild (Karzinoid-
bition neuronaler spannungsabhängiger Ca2+-Kanäle syndrom oder Serotoninsyndrom) führt. Insbesondere
und der Adenylylcyclase wird die Ausschüttung des Pep- kommt es zu Diarrhöen mit kolikartigen Leibschmer-
tidtransmitters CGRP (calcitonin gene related peptide) zen, Bronchospasmus, Oligurie, Ödemen und Endo-
gehemmt. CGRP bindet auf der glatten Gefäßmuskulatur kardfibrose mit Klappenverdickung sowie einer anfalls-
an seinen Gs-gekoppelten CGRP-Rezeptor, bestehend weise auftretenden Rötung (Flush) von Gesicht, Hals
aus dem Komplex des calcitonin receptor-like receptor und Oberkörper.
(CRLR) und dem Rezeptoraktivitäts-modifizierenden
Protein RAMP1, und dilatiert als eine der potentesten ge- Therapeutischer Einsatz von Serotoninagonisten und
fäßerweiternden Substanzen die Meningealarterien. -antagonisten. Der Agonismus an 5-HT1A-Rezepto-
Indem die Ausschüttung von CGRP durch Aktivierung ren wird als Teilwirkung der Blutdrucksenkung durch
des präsynaptischen 5-HT1D-Rezeptors verringert wird, Urapidil (Ⴉ Kap. 28.2.6) sowie der anxiolytischen Wir-
trägt er indirekt zur Gefäßkontraktion bei. kung von Buspiron (Ⴉ Kap. 12.2.2) angesehen.
In ihrer Mehrzahl werden die vasokonstriktorischen 5-HT1B/5-HT1D-Agonisten (Triptane, z. B. Sumatrip- 2
Effekte jedoch über den peripher lokalisierten 5-HT2A- tan, Naratriptan) eignen sich besonders zur Therapie
Rezeptor vermittelt. Auch Thrombozyten exprimieren des akuten Migräneanfalls (Ⴉ Kap. 16.2.1). Bei der Mi-
diese Rezeptoren, deren Stimulation die Thrombozy- gräneprophylaxe durch Dihydroergotamin sind Seroto-
tenaggregation fördert. Im ZNS ist der 5-HT2A-Rezep- nin-agonistische und -antagonistische Effekte an
tor an der korrekten Perzeption von Umweltreizen be- 5-HT2-Rezeptorsubtypen von Bedeutung. Bei Appetit-
teiligt. Bei Überaktivität, z. B. bei Schizophrenie, oder mangel kann der 5-HT2-Antagonist Cyproheptadin
Stimulation durch den 5-HT2A-Rezeptor-Agonisten eingesetzt werden. Im Rahmen der Behandlung der De-
Lysergsäurediethylamid (LSD) kommt es zu Halluzina- pression wird die agonistische Wirkung von 5-HT
tionen und Wahnvorstellungen. selbst ausgenutzt, indem die Konzentration im Gehirn
Die Erregung neuronaler 5-HT3-Rezeptoren be- durch selektive 5-HT-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
wirkt eine Ausschüttung verschiedener Neurotransmit- wie Sertralin und Citalopram gehemmt wird. Ein weite-
ter (z. B. Noradrenalin oder Substanz P). 5-HT3-Rezep- rer therapeutischer Ansatz besteht in der Hemmung
toren sind auf diese Weise an der Auslösung einer Reihe des Serotoninabbaus durch reversible selektive Blo-
von reflektorischen Vorgängen beteiligt. Sie kommen ckade der Monoaminoxidase A (MAO-A) durch Mo-
u. a. in der Area postrema der Medulla oblongata clobemid. Durch eine Überdosierung oder die Kombi-
(Brechzentrum) sowie an afferenten Vagusfasern und nation von MAO-A-Hemmern mit anderen Medika-
damit in Nachbarschaft der enterochromaffinen Zellen menten, die die Serotonin-Wiederaufnahme hemmen,
(ECL-Zellen) des Darms vor. Durch Stimulation dieser z. B. Tramadol (Ⴉ Kap. 15.4.4), kann ein Serotoninsyn-
Rezeptoren ruft Serotonin, wenn es im Rahmen einer drom (s. o.) ausgelöst werden. Der 5-HT4-Agonist Pru-
Chemotherapie mit Zytostatika oder infolge einer Be- caloprid (Ⴉ Kap. 51.1.5) ist zur Behandlung der chroni-
strahlung durch Untergang von ECL-Zellen in großen schen Verstopfung bei Frauen indiziert, die mit Laxan-
Mengen freigesetzt wird, starke Übelkeit und z. T. sehr zien keine ausreichende Wirkung erzielen.
schweres Erbrechen hervor. Auch die freien Nervenen- Eine massive Freisetzung von gespeichertem Seroto-
digungen der Schmerzfasern tragen 5-HT3-Rezeptoren. nin mit unvermeidlicher Tachyphylaxie und Erschöp-
Serotonin löst daher durch Nozizeptorstimulation auch fung wird durch 3,4-Methylendioxy-N-methylamphe-
Schmerzen aus. tamin (MDMA, Ecstasy) erreicht, das als Partydroge
5-HT4-Rezeptoren kommen im ZNS und Gastroin- zur Stimmungsverbesserung weltweit verbreitet ist. Der
testinaltrakt vor. Ihre Stimulation erhöht direkt sowie Wirkungsmechanismus ist analog dem der indirekten
über eine verstärkte Acetylcholinfreisetzung die Darm- Sympathomimetika (Ⴉ Kap. 23). MDMA hat ein gewis-
motilität. ses psychisches Abhängigkeitspotenzial.
Der gemischte 5-HT1A-Rezeptor-Agonist/5-HT2A-
Pathophysiologische Aspekte. Eine pathophysiologi- Rezeptor-Antagonist Flibanserin aktiviert neuronale
sche Bedeutung besitzt Serotonin insbesondere bei der Schaltkreise, die das sexuelle Interesse von Frauen posi-
Migräne (Ⴉ Kap. 16). Daneben wird seine Beteiligung tiv verstärken sollen. Die Substanz ist in den USA zur
bei bestimmten Arrhythmieformen, beim plötzlichen Behandlung der hypoactive sexual desire disorder
Herz- und Kindstod, bei Angst und Depressionen sowie (HSDD) der Frau zugelassen, nicht aber in Deutsch-
bei der Regulation des Appetits diskutiert. land. Als häufige Nebenwirkungen der „Pink Viagra“
78 2 Pharmakodynamik
Lymphozyten Immunmodulation
Thrombozyten Aggregation
Schmerzfasern Schmerz
ZNS Dopaminfreisetzung
genannten Pille werden Schwindel, Schläfrigkeit, Übel- dere an entzündlichen Reaktionen, beteiligt. Anders als
keit und Erschöpfung verzeichnet. Histamin und Serotonin werden Eicosanoide nicht ve-
5-HT2A- und 5-HT2C-antagonistische Wirkungen sikulär gespeichert. Sie entstehen vielmehr erst bei Be-
sind sehr wahrscheinlich an der antipsychotischen darf aus ihrer Vorstufe, der Arachidonsäure (all-cis-
Wirkung atypischer Antipsychotika wie Clozapin 5,8,11,14-Eicosatetraensäure). Diese kommt nur in ge-
(Ⴉ Kap. 9.5) beteiligt. 5-HT3-Antagonisten (Setrone, ringer Menge frei vor, der größte Teil ist in die
Ⴉ Kap. 52.2.4) erlangten große Bedeutung beim Zytosta- Phospholipide der Zellmembranen eingebaut. Auf
tika- und Strahlen-induzierten Erbrechen. Reize der verschiedensten Art, insbesondere nach zell-
schädigenden Noxen, wird Arachidonsäure durch Akti-
Eicosanoide vierung von Phospholipase A2 freigesetzt und anschlie-
Eine weitere wichtige Gruppe von Mediatoren bilden ßend oxidativ biotransformiert, wobei folgende Pro-
die Eicosanoide. Sie sind an zahlreichen physiologi- dukte entstehen:
schen und pathophysiologischen Prozessen, insbeson-
Membranphospholipide
PLA2 2
Arachidonsäure
COX-1 COX-2
PGG2
COX-1 COX-2
PGH2
Ⴜ Abb. 2.26 Bildungswege, Rezeptoren und physiologische Effekte von Prostaglandinen. Membranphospholipide wer-
den über Phospholipase A2 zu Arachidonsäure umgesetzt, die Substrat für die Cyclooxygenasen 1 und 2 ist. Diese gene-
rieren die Prostaglandinvorstufen PGG2 und PGH2, aus denen sich enzymatisch (mittels Synthasen) die physiologisch
wirksamen Prostaglandine bilden. PLA2 Phospholipase A2, IP-R, TP-R, FP-R, DP-R, EP-R Prostanoidrezeptoren
80 2 Pharmakodynamik
Prostaglandine (PGD, PGE, PGF), Prostacyclin im Magen, die antiaggregatorische und vasodilatie-
(PGI) und Thromboxan A2 (TXA2) auf dem Cyclo- rende Wirkung von PGI2 und PGE2, die Nieren-
oxygenase-Weg und durchblutung fördernde und tubuläre Na+-Resorption
Leukotriene (LTB, LTC und LTD) auf dem Lipoxy- hemmende Wirkung von PGE2 sowie die uteruskon-
genase-Weg (s. u.). trahierende Wirkung von PGE2 und PGF2α von thera-
peutischer Relevanz.
Substanzen des Cyclooxygenase-Wegs
Katalysiert durch die Cyclooxygenase (COX; mit den Metabolisierung. Die Inaktivierung von Prostaglan-
beiden Isoformen COX-1 und COX-2, Ⴉ Kap. 15.3.2) dinen erfolgt sehr rasch durch verschiedene intrazel-
entsteht aus Arachidonsäure zunächst Prostaglan- luläre Enzyme, insbesondere durch die 15-Hy-
dinendoperoxid PGG2, das in PGH2 überführt wird. droxyprostaglandin-Dehydrogenase und die Δ13-
Aus PGH2 können dann Prostaglandine (PG) in zahl- Reduktase. Die höchste PG-Dehydrogenase-Aktivität
reichen Geweben, Thromboxan A2 (TXA2) in Throm- findet man in der Lunge, der Milz und den Nieren, die
bozyten und Prostacyclin (PGI2) im Gefäßendothel ge- höchste Reduktaseaktivität im Fettgewebe. Bereits nach
bildet werden (Ⴜ Abb. 2.26). Durch Prostaglandintrans- einer einzigen Lungenpassage sind Prostaglandine
porter werden die synthetisierten Prostaglandine aus nicht mehr im Blut nachweisbar. Die Plasmahalbwerts-
den Zellen freigesetzt. zeit übersteigt meist 1 Minute nicht. Die bereits nicht
mehr aktiven Primärmetaboliten werden wie andere
Prostanoidrezeptoren. Die genannten Substanzen des Fettsäuren durch β-Oxidation weiter abgebaut.
Cyclooxygenase-Wegs, die Prostanoide, greifen an spe-
zifischen G-Protein-gekoppelten Rezeptoren an. Eine Therapeutische Anwendung. Wegen ihrer Wirkung auf
Stimulation der Rezeptoren von PGD2 und PGI2 akti- die Uterus- und Gefäßmuskulatur werden natürliche
viert die Adenylylcyclase, während nach Erregung der und synthetische Vertreter der Gruppen PGE und PGF
EP-Rezeptoren – in Abhängigkeit vom jeweiligen Sub- als Arzneistoffe eingesetzt (႒ Tab. 2.8).
typ – die cAMP-Bildung sowohl zu- als auch abnehmen Alprostadil ist aufgrund seiner vasodilatierenden
kann. Eine Aktivierung der Rezeptoren von TXA2 und Wirkung bei erektiler Dysfunktion und bei schweren
PGF2α führt über die Bildung von Inositoltrisphosphat Formen der arteriellen Verschlusskrankheit indiziert
(IP3) und Diacylglycerol zu einem Anstieg der intrazel- (Ⴉ Kap. 31.1.1). Die Anwendung erfolgt lokal durch In-
lulären Ca2+-Konzentration. Das komplexe Bild der jektion in den Schwellkörper bzw. systemisch durch in-
Prostaglandineffekte – die verschiedenen Substanzen travenöse Infusion. Eine weitere Indikation ist die vorü-
wirken teilweise synergistisch, teilweise antagonistisch bergehende Offenhaltung des Ductus arteriosus Botalli
(Ⴜ Abb. 2.26) – beruht auf dem Vorkommen mehrerer zur Steigerung der pulmonalen Durchblutung bei Neu-
Prostaglandinrezeptortypen im selben Organ, der geborenen mit angeborenen Herzfehlern bis eine korri-
gleichzeitigen Bildung verschiedener Prostanoide und gierende Operation durchgeführt werden kann.
oft auch einer nur begrenzten Rezeptorselektivität. Dinoproston, Sulproston und Misoprostol dienen
aufgrund ihrer uteruskontrahierenden Wirkung zur
Prostaglandine Auslösung eines Aborts in der Frühschwangerschaft.
Der Name Prostaglandine (PG) beruht darauf, dass Während der Geburt beschleunigen sie die Öffnung des
diese Substanzen zunächst im Sekret der Prostata ge- Muttermunds. Im Anschluss an die Geburt dienen sie
funden wurden. Sie kommen aber nicht nur dort, son- der Behandlung atonischer Uterusblutungen. Die Ap-
dern in allen Organen vor. Physiologisch bzw. patho- plikation erfolgt intravenös oder vaginal/intrazervikal.
physiologisch bedeutsam sind PGD2, PGE2 und PGF2α. Misoprostol wird eingesetzt zur Geburtseinleitung
Die Freisetzung der Prostaglandine wird neuronal, bei Frauen ab der vollendeten 36. Schwangerschaftswo-
durch verschiedene Mediatorstoffe (z. B. Histamin) che, bei denen eine möglichst rasche Entbindung ange-
oder durch gastrointestinale Hormone (z. B. Gastrin) strebt werden muss. Allerdings kann Misoprostol eine
ausgelöst. Auch Noradrenalin setzt Prostaglandine frei, exzessive uterine Tachysystolie auslösen, die möglicher-
die ihrerseits die Noradrenalinliberation aus adrener- weise nicht auf eine tokolytische Behandlung anspricht.
gen Neuronen hemmen. Es muss in diesem Fall die Behandlung mit Misoprostol
unverzüglich beendet und eine Tokolyse begonnen
Wirkungen. Die vielfältigen physiologischen und pa- werden.
thophysiologischen Wirkungen der Prostaglandine Darüber hinaus wird Misoprostol zur Ulkusprophy-
beim Menschen sind in Ⴜ Abb. 2.26 zusammengefasst. laxe bei Therapien mit NSAID (Ⴉ Kap. 15.3.2) infolge
Neben der in Ⴉ Kap. 15 beschriebenen Beteiligung der seiner Wirkungen auf die Säure- und Schleimsekretion
Prostaglandine an Schmerz und Entzündung sind die im Magen in fixer Kombination mit Diclofenac einge-
Effekte von PGE2 auf die Säure- und Schleimsekretion setzt.
2.1 Endogene Liganden an Pharmakon-Zielstrukturen 81
O a) z. B. CAVER- Nalador®
COOH JECT®, O
b) MUSE®, NHSO 2CH3
CH3
c) Minprog®, O
HO OH d) prostavasin® O
HO OH
a, b) erektile Dysfunktion a) 10–40 μg in
c) Offenhaltung des Ductus arteriosus den Schwell-
Botalli körper, Aborteinleitung, atonische Nachblu- bis zu 1 mg
d) periphere arterielle Verschluss- b) initial 3–6 μg/ tungen nach Geburt und Abort
krankheit kg KG/h,
c) 250–1000 μg Sulproston 2h
intraurethral,
2
d) 20–40 (–80) a) in Arthrotec®
μg als Infu- O forte,
COOCH3 b) MISODEL®
sion/Tag
HO CH3
CH3
Alprostadil 0,1–0,2 h
HO
O z. B. PROPRESS®
COOH
CH3 a) Ulkusprophylaxe bei Gabe von a) 0,2–0,6 mg/
Diclofenac Tag,
HO OH b) Geburtseinleitung; Aborteinlei- b) 200 μg
tung, atonische Nachblutungen nach
Geburtseinleitung 3–10 mg Geburt und Abort
FLAP
5-LOX
PLA2
Arachidonsäure
Leukozyt, 5-HPETE
Mastzelle,
Thrombozyt
Leukotrien A4
Leukotrien B4 Leukotrien C4
2
Leukotrien C4 Leukotrien D4 Leukotrien E4
Leukotrien B4
BL
T
Montelukast CysLT
Leukozyt Gq
Gq
IP3/Ca2+ IP3/Ca2+
Ⴜ Abb. 2.27 Leukozyten, Mastzellen, Thrombozyten und Tumorzellen sind in der Lage, Leukotriene zu bilden. Aus Phos-
pholipiden der Zellmembran wird mittels Phospholipase A2 (PLA2) Arachidonsäure gebildet, die durch 5-Lipoxygenase
(5-LOX) weiter zu 5-Hydroperoxy-Eicosatetraensäure (5-HPETE) umgesetzt wird. Die Aktivität der 5-LOX wird durch FLAP
(5-Lipoxygenase-aktivierendes Protein) reguliert. 5-HPETE wird in Leukotrien A4 umgewandelt, aus dem wiederum
Leukotrien B4 und C4 entstehen. Mittels eines spezifischen Transporters gelangen die Leukotriene aus der Zelle heraus.
Leukotrien B4 bewirkt über die Aktivierung des BLT-Rezeptors eine Chemotaxis von Entzündungszellen, während Leuko-
trien C4 zu Leukotrien D4 und E4 umgewandelt werden kann. Die drei letzteren Leukotriene enthalten Cystein (= Cysteinyl-
Leukotriene) und binden an den CysLT1-Rezeptor, wodurch die Kontraktion der Bronchialmuskulatur, die Mukusproduk-
tion in Drüsenzellen und die Migration von Eosinophilen stimuliert werden. BLT-Rezeptor Leukotrien-B4-Rezeptor
hemmer (z. B. das in Deutschland nicht zugelassene Zi- Ihre Wirkung kommt durch Stimulation von Brady-
leuton) allerdings bislang enttäuscht. kininrezeptoren zustande, von denen zwei Subtypen –
B1 und B2 – bekannt sind. Für die oben genannten Ef-
Substanzen des Cytochrom-P450-Wegs fekte ist der B2-Rezeptor verantwortlich. Beide Rezep-
Epoxyeicosatriensäuren (EETs) sind kurzlebige Media- toren gehören zur Familie der G-Protein-gekoppelten
toren, die in verschiedenen Zellen durch spezifische Rezeptoren. Inositoltrisphosphat und Diacylglycerol
Cytochrom P450-Enzyme, den Cytochrom P450-Ep- sind second messenger. Eine Aktivierung der Phospho-
oxygenasen, aus der Arachidonsäure gebildet werden. lipase A2 und damit die vermehrte Bildung von Prosta-
EETs werden rasch durch ein weit verbreitetes Enzym, glandin E2 bzw. Prostacyclin trägt zur Vasodilatation
die lösliche Epoxidhydrolase (sEH), zu inaktiven Meta- sowie zur Kontraktion der Darmmuskulatur bei.
boliten abgebaut.
In der systemischen Zirkulation ist eine Rolle der Physiologische und pathophysiologische Bedeutung.
EETs für die endothelabhängige Vasodilatation be- Der B2-Rezeptor und damit wahrscheinlich auch Bra-
schrieben, während sie im Lungenkreislauf durch ihre dykinin sind für die funktionsgerechte Entwicklung der
Expression in Gefäßmuskelzellen vasokonstriktorisch Niere verantwortlich, während der B1-Rezeptor eine es-
wirken können. Weitere Bedeutung könnten EETs für senzielle physiologische Rolle bei der Auslösung einer
die Pathogenese des Herzinfarkts, des Schlaganfalls, inflammatorischen Antwort auf chemische und ther-
chronischer Entzündungsprozesse und neuropathi- mische nozizeptorische Reize spielt. Kinine können so
scher Schmerzen haben. als Mediatoren für die Erregung von Schmerzrezepto-
Aufgrund der großen Zahl verschiedener Epoxyge- ren und damit als Schmerzauslöser wirken sowie bei
nasen und Substrate neben der Arachidonsäure ist das lokalen Entzündungsvorgängen an den charakteristi-
pharmakologische Potenzial der Substanzen des Cyto- schen Symptomen (Mehrdurchblutung, Ödembildung
chrom-P450-Wegs zurzeit schwer einzuschätzen. und Schmerz) mitwirken. Ferner nimmt man an, dass
der Schock bei schwerer Pankreatitis durch Kallikrein-
Kinine (Bradykinin, Kallidin) freisetzung aus dem zerstörten Pankreasgewebe mitver-
Zu den Kininen, biologisch aktiven Peptiden, gehören ursacht wird. Relevant ist unter pharmakotherapeuti-
das Nonapeptid Bradykinin sowie das Dekapeptid Kal- schen Gesichtspunkten die Auslösung von Reizhusten
lidin. Kinine werden im Blutplasma aus einem α2- unter einer Behandlung mit ACE-Hemmern durch Bra-
Globulin, dem Kininogen, durch Serin-Proteasen, den dykinin (Ⴉ Kap. 28.2.1).
sog. Kallikreinen, abgespalten. Die inaktiven Vorstufen
der Kallikreine, die Präkallikreine (Kallikreinogene), Aprotinin. Das Polypeptid ist ein aus 58 Aminosäuren
kommen in verschiedenen Organen und Geweben, z. B. bestehender Inhibitor von Kallikrein und anderer Pro-
im Pankreas und Blutplasma, vor. Die Aktivierung von teasen (z. B. Trypsin, Chymotrypsin, Plasmin). Es wird
Plasma-Präkallikrein bewirkt der Hageman-Faktor in der Chirurgie als Bestandteil von Gewebeklebern
(Faktor XII des Blutgerinnungssystems, Ⴉ Kap. 36.3.1). eingesetzt. Dabei verhindert es aufgrund seiner antifi-
Bei der enzymatischen Spaltung von Kininogen durch brinolytischen Eigenschaften einen zu raschen Abbau
Plasmakallikrein entsteht Bradykinin, durch das ent- von Fibringerinnseln durch Plasmin (Ⴉ Kap. 39.2.1).
sprechende Pankreasenzym dagegen Kallidin. Der
Abbau der biologisch wirksamen Kinine erfolgt in den Plättchen-aktivierender Faktor (PAF)
Geweben und im Blut innerhalb von Minuten durch Der Name Plättchen-aktivierender Faktor geht auf den
spezifische Peptidasen (Kininasen). Kininase I spaltet erstmaligen Nachweis dieser Substanz in Thrombozy-
eine, Kininase II (identisch mit dem Angiotensin-Kon- ten zurück.
versionsenzym, ACE) zwei Aminosäuren vom C-termi- Zur Bildung von PAF bedarf es der Aktivierung der
nalen Ende des Peptids ab. Insgesamt betrachtet hat das Phospholipase A2, z. B. durch Thrombin bzw. Fibrino-
Kallikrein-Kinin-System Ähnlichkeit mit dem Renin- gen und Calciumionen. PAF ist nicht nur an der Throm-
Angiotensin-Aldosteron-System. bozytenaggregation beteiligt, sondern führt auch zu
Bronchokonstriktion, Blutdruckabfall und erhöhter
Wirkungen. Die Kinine sind außerordentlich wirksame Gefäßpermeabilität sowie zu Thrombo- und Leukope-
Verbindungen. Sie erhöhen das Herzzeitvolumen, be- nie. Seine Wirkung kommt nach Bindung an einen
wirken eine periphere Vasodilatation und senken da- membranständigen Rezeptor, der an Gq- sowie an Gi/o-
durch den Blutdruck. Ferner steigern sie die Kapillar- Proteine koppelt, durch Aktivierung der Phospholipase
permeabilität und können so zu Ödemen führen, haben C zustande. Im Plasma bzw. in nichtaktivierten Zellen
eine starke bronchokonstriktorische Wirkung und sind wird PAF durch PAF-Acetylhydrolase deacetyliert und
in der Lage, die glatte Muskulatur des Darms sowohl zu nach erneuter Acylierung mit Arachidonsäure als
kontrahieren als auch zu relaxieren. PAF-Präkursor gespeichert. Zur PAF-Bildung sind
2.2 Rezeptor-vermittelte Pharmakonwirkungen 85
neben Thrombozyten aktivierte Entzündungszellen be- den an eine spezifische Bindungsstelle entweder direkt
fähigt. (z. B. durch Öffnung eines Ionenkanals oder Stimula-
tion einer Rezeptor-Tyrosinkinase) oder auch über eine
Physiologische und pathophysiologische Bedeutung. Rezeptor-vermittelte Signaltransduktion (Rezeptor-
Physiologisch bedeutsam ist die Beteiligung von PAF an Effektor-Kopplung) einen Effekt (E) hervorzurufen
der Hämostase. Pathophysiologisch wird eine Beteili- vermögen.
gung bei der Entstehung einer Thrombose angenom- Entsprechend dieser Definition lautet die Grund-
men. Ferner trägt PAF durch seine bronchokonstrikto- gleichung einer Ligand-(L-)Rezeptor-(R-)Interaktion:
rischen und chemotaktischen Wirkungen zum Bron-
chialasthma bei. Auch eine Beteiligung an entzündlichen L + R ⇆ [LR] → → E
und allergischen Hauterkrankungen ist wahrscheinlich.
Bei Patienten mit Anaphylaxie ist PAF erhöht und kor- Einem (pharmakologischen) Rezeptor kommt somit
reliert mit der Schwere der Reaktion. PAF-Acetylhy- eine duale Funktion zu:
drolase ist dagegen, insbesondere bei tödlich verlaufen- die Signalerkennung durch Wechselwirkung mit
der Erdnuss-Allergie, vermindert. dem Liganden und Bildung des Ligand-Rezeptor-
Komplexes und
2.1.8 Hormone die direkte oder indirekte Auslösung eines Effekts.
Neben dem vegetativen Nervensystem verfügt der tieri- Die Zahl pharmakologischer Rezeptoren ist, wie die an- 2
sche und menschliche Organismus über eine weitere derer körpereigener, funktionaler Moleküle, begrenzt,
Regulationsmöglichkeit, die hormonelle Steuerung. die Ligandenbindung daher sättigbar. Letztere ist ferner
Während im Nervensystem die Informationsübertra- stereoselektiv und im Gegensatz zu enzymatischen Re-
gung lokal begrenzt chemisch und elektrisch erfolgt aktionen ohne chemische Veränderung des Liganden
(Ⴉ Kap. 8), werden die Hormone von spezialisierten (in- reversibel.
kretorischen) Drüsenzellen gebildet, auf einen Stimulus Rezeptoren besitzen für den Pharmakologen wie die
hin freigesetzt, um in oftmals weit entfernten Organen Enzyme für den Biochemiker besondere Bedeutung.
und Geweben spezifische Wirkungen hervorzurufen. Auch gibt es zahlreiche Parallelen zwischen Rezeptoren
Hormone und im endokrinen System angreifende und Enzymen. In der Enzymologie unterscheidet man
Pharmaka werden in Ⴉ Kap. 59. behandelt. zwischen dem gesamten Enzymmolekül und seinem
aktiven Zentrum, d. h. jenem Molekülteil, der an der
2.1.9 Immunmediatoren (Zytokine) Reaktion mit dem Substrat beteiligt ist. Analog dazu
Immunmodulatoren sind Stoffe, welche die Aktivität kann zwischen dem Rezeptormolekül als Ganzem und
des Immunsystems beeinflussen. seinen Bindungsstellen differenziert werden.
Zytokine sind körpereigene regulatorisch wirkende Aufgrund dieser ähnlichen Eigenschaften werden
Proteine oder Glykoproteine. Ihre Wirkung wird über von einigen pharmakologischen Autoren auch Enzyme
membranständige Rezeptoren (Zytokinrezeptoren; zu den Rezeptoren gerechnet. Hier wird an der klassi-
s. u.) parakrin und autokrin, teilweise auch endokrin schen Rezeptordefinition und damit der Trennung von
vermittelt. Rezeptoren und Enzymen festgehalten.
Im Wesentlichen lassen sich 5 Gruppen immunmodu-
lierender Zytokine unterscheiden: Rezeptorisolierung, -strukturaufklärung, -transfektion
Interleukine (IL), und -expression. Wegen der meist sehr geringen Re-
Interferone (IFN), zeptordichte im Gewebe schien die Isolierung reiner
Tumornekrosefaktoren (TNF), Rezeptormoleküle lange Zeit utopisch. Durch gentech-
koloniestimulierende Faktoren und die nologische Verfahren sowie mit aufwendigen Iso-
Chemokine. lierungsmethoden (u. a. Solubilisierung der Rezeptor-
Zytokine werden ausführlich in Ⴉ Kap. 68.1 dargestellt. proteine mit nichtionischen Detergenzien, Affinitäts-
chromatographie, Ionenaustauschchromatographie)
konnten nunmehr jedoch zahlreiche Rezeptorgene klo-
2.2 Rezeptor-vermittelte Pharmakon- niert, Rezeptoren isoliert und ihre Aminosäuresequenz
wirkungen aufgeklärt werden. Außerdem konnte durch Einbrin-
gen von Rezeptorgenen in Zellen, die ursprünglich
2.2.1 Rezeptoren nicht über diese Art von Rezeptoren verfügten (z. B. Fi-
Unter pharmakologischen Rezeptoren versteht man broblasten), eine entsprechende Rezeptorexpression er-
intrazelluläre oder membranständige Proteine bzw. aus reicht werden. Schließlich führte die Sequenzierung
mehreren Proteinen zusammengesetzte Komplexe, die ganzer Genome dazu, dass aufgrund von Homologien
nach Bindung eines (endogenen oder exogenen) Ligan- viele neue Rezeptoren identifiziert werden konnten,
86 2 Pharmakodynamik
deren biologische Funktion allerdings teilweise noch tritt mit Nicotin- und Muscarinrezeptoren, von denen
nicht aufgeklärt ist und für die noch keine physiologi- ebenfalls wieder Subtypen existieren, in Wechselwirkung.
schen oder pharmakologischen Liganden bekannt sind Besonders zahlreiche Subtypen wurden bei den Seroto-
(sog. Orphanrezeptoren). ninrezeptoren (႒ Tab. 2.7) gefunden. Von den intrazellulä-
Wichtige methodische Fortschritte der letzten Jahre ren Estrogen- und Progesteronrezeptoren existieren je-
bestanden in der Optimierung und Weiterentwicklung weils (mindestens) zwei Subtypen (α und β).
von Verfahren zur Aufklärung der Proteinstruktur Die Natur arbeitet somit gleichsam mit Hauptschlüs-
pharmakologischer Rezeptoren. Mit Kristallstrukturana- seln, den physiologischen Liganden, an Einzelschlös-
lyse, hochauflösender NMR-Spektroskopie und der sern, den Rezeptorsubtypen.
Kryoelektronenmikroskopie konnte die Tertiärstruktur
vieler Rezeptorproteine aufgeklärt werden. Jede der er- Rezeptorreserve. Zur Signalweiterleitung benötigt der
wähnten Techniken hat intrinsische Vor- und Nachteile. aktive Rezeptor einen Effektor mit hoher Affinität zur
Während mit der Röntgenkristallographie Proteinstruk- aktiven und geringer Affinität zur inaktiven Rezeptor-
turen mit besonders hoher Auflösung (etwa 2 Å) auf ato- konformation. Stehen weniger Effektoren als Rezepto-
marer Ebene aufgeklärt werden können, sind die Struk- ren zur Verfügung, kann vielfach die maximale Wir-
turen jedoch statisch und zeigen keine Konforma- kung durch Kopplung nur eines Teils von aktiven
tionsänderungen, z. B. nach Ligandenbindung, wenn Rezeptoren an deren Effektoren erzielt werden. Experi-
nicht separate Kristallstrukturen, z. B. Agonist-versus- mentell äußert sich die Rezeptorreserve in einer Links-
Antagonist-gebundene Rezeptoren, miteinander vergli- verschiebung (in Richtung geringerer Ligandenkonzen-
chen werden. trationen) der Konzentrations-Wirkungs- gegenüber
Die Strukturaufklärung mit NMR-Spektroskopie in der Liganden-Bindungskurve. Die Rezeptoren, die
Lösung ist auf kleinere Proteine (bis etwa 30 kDa) be- nicht an der Kopplung beteiligt sind, werden als Rezep-
schränkt, erlaubt aber Aussagen über dynamische Ände- torreserve bezeichnet. Durch Variation der Rezeptorre-
rungen im Protein. Mit Festkörper-NMR-Spektroskopie serve kann die Empfindlichkeit einer Zelle gegenüber
lassen sich Proteine untersuchen, die weder eine hohe einem Pharmakon erhöht oder erniedrigt werden.
Ordnung wie in einem Kristall aufweisen noch löslich
sind. So können Proteine in einer physiologischen Lipid- Desensibilisierung, Rezeptor-Down- und -Up-Regula-
umgebung bei Raumtemperatur studiert werden. Mit tion. Die Intensität des durch eine bestimmte
diesem Ansatz gelang es, eine Reihe von Mem- Ligandenkonzentration ausgelösten Signals ist nicht
branproteinen u. a. auch Ionenkanäle zu untersuchen. konstant, sondern sie kann – bei verschiedenen Rezep-
Eine Revolution in der Strukturaufklärung von toren unterschiedlich stark ausgeprägt – bei anhalten-
Membranproteinen wurde durch methodische Fort- der Rezeptorstimulation abnehmen: In diesem Fall
schritte bei der Entwicklung neuer Detektoren und op- kommt es zur Desensibilisierung, d. h. zur Abnahme
timierter Datenanalyse in der Kryoelektronenmikro- der Empfindlichkeit des Systems.
skopie erreicht. In wenigen Jahren konnte die hochauf- Der Desensibilisierung liegen mehrere Mechanis-
gelöste dreidimensionale Struktur von einer Vielzahl men zugrunde. So bewirkt beispielsweise die Aktivie-
von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren und Ionenka- rung membranständiger G-Protein-gekoppelter Rezep-
nälen gelöst werden. Die Strukturinformationen haben toren nach Rezeptorstimulation außer dem eigentli-
die Möglichkeiten eines computerbasierten in silico- chen Effekt auch eine Rezeptor-Phosphorylierung.
Screening nach neuen Liganden deutlich erweitert. Dadurch steigt die Affinität dieser Rezeptoren zu intra-
zellulären Proteinen (Arrestinen). Die Arrestin-Bin-
Rezeptorsubtypen. In der Enzymologie werden Enzyme, dung blockiert die weitere Signalübermittlung durch
die dieselben Substrate umsetzen, sich aber in ihren Km- G-Protein-vermittelte Rezeptoren und leitet die Inter-
und Vmax-Werten unterscheiden, als Isoenzyme bezeich- nalisierung der gebundenen Rezeptoren durch Endozy-
net. In analoger Weise können auch bei den Rezeptoren tose ein. Zudem kann die Signalweitergabe auf neue ar-
verschiedene Typen und Subtypen unterschieden werden: restinabhängige Signalwege, z. B. die MAP-Kinasekas-
Für praktisch jeden Neurotransmitter, aber auch für Hor- kade (Ⴜ Abb. 2.41), umgeleitet werden. Liganden an
mone, Vitamine, Wachstumsfaktoren u. a. wurden in ihrer G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, die vornehmlich
Struktur zwar ähnliche, aber sowohl mit klassischen phar- arrestinabhängige Signalwege aktivieren, werden als
makologischen als auch mit molekularbiologischen Me- funktional selektive (biased) Agonisten bezeichnet.
thoden eindeutig unterscheidbare Rezeptoren, d. h. Re- Arrestine binden auch an andere Klassen von Mem-
zeptoren mit unterschiedlicher Aminosäuresequenz, branrezeptoren und zahlreiche andere Signalproteine.
nachgewiesen. Beispielsweise interagiert Noradrenalin Außerdem ändert sich die Zahl der Rezeptoren in
mit α- und β-Adrenozeptoren, die nochmals in verschie- Abhängigkeit vom Funktionszustand des Organismus
dene Subtypen unterteilt werden können. Acetylcholin bzw. des betreffenden Organs. In Gegenwart anhaltend
2.2 Rezeptor-vermittelte Pharmakonwirkungen 87
hoher Konzentrationen stimulierender Liganden findet Ferner kann in diesem Zusammenhang die gestörte
man eine Erniedrigung der Zahl aktiver Rezeptoren Bildung von LDL-Rezeptoren als Ursache der familiär
durch Internalisierung und verstärkten Abbau (Rezep- bedingten Hypercholesterolämie (Ⴉ Kap. 30) und der
tor-Down-Regulation). Prinzipiell ist es jedoch für ei- Adiuretinrezeptor-Defekt beim renalen Diabetes insi-
nige Rezeptoren, vor allem für Peptidhormonrezepto- pidus (Ⴉ Kap. 55.6.2) genannt werden.
ren, möglich, auch nach erfolgter Internalisierung für Der zu der Familie der epidermalen Wachstumsfak-
eine gewisse Zeit ein G-Protein-Signal in der Zelle wei- torrezeptoren gehörende HER2/neu-Rezeptor spielt eine
terzuleiten. Ein relevantes Beispiel einer Rezeptor- wichtige Rolle in der Diagnostik und Behandlung des
Down-Regulation ist die Abnahme der β-Adrenozep- Mammakarzinoms. Bei etwa 20 % aller Mammakarzi-
torzahl bei Herzinsuffizienz aufgrund einer Erhöhung nome ist er stark überexprimiert und in seiner Wirkung
der Catecholaminkonzentration im Blut (Hypercate- verstärkt, was sich in rascherem Tumorwachstum und
cholaminämie). Zur Desensibilisierung tragen ferner einer ungünstigeren Prognose äußert (Ⴉ Kap. 73.5.2).
eine verringerte Expression der Rezeptorgene und ein
beschleunigter Abbau von Rezeptor-mRNA bei. 2.2.2 Agonisten, Antagonisten
Ein Schutz der Rezeptoren gegen Aktivierung und In gleicher Weise wie physiologische Liganden können
damit eine Senkung des Rezeptorverbrauchs, z. B. durch auch Pharmaka als exogene Liganden mit Rezeptoren
Gabe von Rezeptorenblockern (kompetitiven Antago- interagieren. Die Voraussetzung für eine solche Phar-
nisten), Denervierung oder einen Mangel an Neuro- makon-Rezeptor-Wechselwirkung ist die Bildung eines 2
transmittern, vergrößert dagegen die Rezeptorzahl (Re- Pharmakon-(P)-Rezeptor-(R)-Komplexes:
zeptor-Up-Regulation). Wirkstoffe, die indirekt auf ein
bestimmtes System einwirken, können ebenfalls dessen P + R ⇆ [PR]
Rezeptorendichte verändern (heterologe Up- bzw.
Down-Regulation). Als Beispiele seien die Zunahme Ob und in welchem Ausmaß dieser Komplex gebildet
der Oxytocinrezeptoren unter Estrogen-Gabe und wird, hängt von der Affinität des Pharmakons zum Re-
deren Abnahme unter Progesteroneinwirkung sowie zeptor ab: Je höher die Affinität, desto größer ist die
die Zunahme der Zahl von β-Rezeptoren, beispiels- Tendenz des Pharmakons zur Bildung eines Komplexes
weise im Herzmuskel, bei Gabe von Schilddrüsenhor- mit dem Rezeptor. Ein Parameter für die Affinität ist die
monen genannt. Diesen Befunden entspricht dann eine Affinitätskonstante KD, die auch als Dissoziationskon-
veränderte Gewebeempfindlichkeit gegen Oxytocin stante bezeichnet wird. Nach dem Massenwirkungsge-
bzw. Adrenalin/Noradrenalin. setz ist:
Rezeptorsysteme erweisen sich somit hinsichtlich
[P] ∙ [R] k
ihrer Anpassungsfähigkeit an verschiedene Bedingun- KD = _ [PR]
= _2
k1
gen als ebenso flexibel wie die Enzymsysteme (vgl. En-
zyminduktion oder Enzymhemmung bei Biotransfor-
mationsreaktionen). wobei [P] die freie Pharmakonkonzentration, [R] die
freie Rezeptorkonzentration, [PR] die Pharmakon-
Krankheitsbedingte Veränderungen der Rezeptorfunk- Rezeptor-Komplex-Konzentration, k1 die Assoziations-
tion. Abweichungen von der normalen Rezeptorfunk- geschwindigkeitskonstante und k2 die Dissoziations-
tion kommen bei pathologischen Zuständen vor. Ein geschwindigkeitskonstante bedeuten.
typisches Beispiel einer Rezeptor-Autoimmunkrank- Wesentlich ist ferner die Unterscheidung zwischen:
heit ist die Myasthenia gravis, bei der Autoantikörper Substanzen, die sowohl an den Rezeptor binden als
gegen die cholinergen Rezeptoren (n-Cholinozeptoren, auch ihn stimulieren, den Agonisten,
Ⴉ Kap. 2.1.1) der motorischen Endplatte gebildet wer-
den. Durch die Bindung der Antikörper an die Rezepto- P + R → [PR] → → E
ren sind diese zu einer Wechselwirkung mit dem
Neurotransmitter nicht mehr befähigt. Die Folge ist und
eine Muskelschwäche. Stoffen, die einen Rezeptor-vermittelten Effekt ab-
Auch dem Morbus Basedow (Ⴉ Kap. 61.3.3) liegt schwächen oder ganz verhindern, den Antagonisten.
eine Rezeptor-Autoimmunkrankheit zugrunde, und
zwar werden hierbei Antikörper gegen Thyrotropinre- Pharmakon-Rezeptor-Bindung. Für die Bindung eines
zeptoren gebildet, die – anders als die oben beschriebe- Wirkstoffs an einen Rezeptor kommen alle Bindungsar-
nen Antikörper – stimulierende Eigenschaften besitzen ten (z. B. Ionenbindungen, Wasserstoffbrückenbindun-
und somit nach Bindung an die Rezeptoren die Schild- gen, hydrophobe Bindungen durch van-der-Waals-
drüse zu verstärkter Hormonproduktion anregen. Kräfte) in Betracht. Fast immer sind verschiedene Bin-
dungsarten gleichzeitig an der Interaktion beteiligt. Für
88 2 Pharmakodynamik
die primäre Phase des Zusammentretens von Pharma- sen, wird intrinsische Aktivität (intrinsic activity, i. a.)
kon und Rezeptor sind bei ionisierbaren Verbindungen genannt. Diese ist ein Maß für die maximale Wirkung,
(Basen, Säuren) Ionenbindungen von entscheidender die mit einer Substanz in dem jeweiligen biologischen
Bedeutung, da deren Bindungskräfte – verglichen mit System erreichbar ist.
anderen Bindungsarten – die größte Reichweite besitzen. Ein Agonist ist ein Pharmakon, das sowohl Affinität
Für die sich daran anschließende (reversible) Fixierung als auch intrinsische Aktivität besitzt. Meist wird dabei
sind dagegen vorwiegend Dipol-Dipol-, Wasserstoffbrü- die intrinsische Aktivität als relative intrinsische Akti-
cken- und hydrophobe Bindungen verantwortlich. vität α angegeben. Diese ist dem Quotienten aus dem
von dem Agonisten ausgelösten Effekt EA und dem in
Zwei-Zustände-Modell. Bei der bisherigen Beschrei-
bung der Ligand-Rezeptor-Wechselwirkung wurde
nichts darüber ausgesagt, welche physikochemischen Ruhezustand (R) aktiver Zustand (R*)
Veränderungen dabei auftreten. Vorstellungen hierzu,
die insbesondere für G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
A
(Ⴉ Kap. 2.2.4) als gültig angesehen werden, wurden im
stark vereinfachenden Zwei-Zustände-Modell zusam-
mengefasst (Ⴜ Abb. 2.28). Danach liegt ein Rezeptor in
mindestens zwei Zuständen (Konformationen), im in-
aktiven Ruhezustand (R) und aktiven Zustand (R*) vor.
Mit großer Wahrscheinlichkeit gibt es ein Kontinuum
von Rezeptorkonformationen mit mehreren aktiven
Zuständen. Die Konformationen stehen im dynami-
schen Gleichgewicht, d. h. zu einem gegebenen Zeit- B
punkt wird es immer eine bestimmte Fraktion aktiver
(R*) und inaktiver (R) Rezeptoren zugleich in der Zelle
geben. In Abwesenheit eines (endogenen oder exoge-
nen) Liganden ist das Gleichgewicht meist weitgehend
zur inaktiven Seite verschoben. Die Rezeptoren, die sich
auch ohne Ligand im aktiven Zustand befinden, werden
als konstitutiv aktive Rezeptoren bezeichnet. Diese
kommen physiologisch vor, können aber auch durch C
Mutationen entstehen.
Diesem Modell entsprechend sind:
Agonisten Substanzen, die bevorzugt an den Rezep-
tor im aktiven Zustand binden und das Gleichge-
wicht weitgehend zu dieser Seite verschieben,
(kompetitive, s. u.) Antagonisten Verbindungen,
die durch vorrangige Interaktion mit dem inaktiven
D
Rezeptor dessen Aktivierung verhindern und damit
das in der ruhenden Zelle vorherrschende Gleichge-
wicht stabilisieren, und
inverse Agonisten Wirkstoffe, die an konstitutiv ak-
tive Rezeptoren binden, das Gleichgewicht in Rich-
tung inaktiver Zustand verschieben und den Anteil
konstitutiv aktiver Rezeptoren noch stärker als im
Ruhezustand erniedrigen. In der Regel wirken in-
verse Agonisten wie Antagonisten.
Harmalin, ein psychoaktives Indolalkaloid, bindet bei-
spielsweise als inverser Agonist an GABAA-Rezeptoren Ⴜ Abb. 2.28 Zwei-Zustände-Modell. A Kein Ligand vor-
handen, Rezeptoren annähernd vollständig im Ruhezu-
und stabilisiert dadurch die inaktive Konformation die-
stand; B bei Anwesenheit eines vollen Agonisten Gleich-
ses Rezeptors. Die Folge ist ein angstauslösender Effekt. gewicht weitgehend zum aktiven Zustand verschoben;
C bei Anwesenheit eines partiellen Agonisten/Antago-
Volle und partielle Agonisten nisten Gleichgewicht weniger stark zum aktiven Zustand
Die Fähigkeit eines Pharmakons, nach der Bildung des verschoben; D bei Anwesenheit eines (vollen) Antago-
Komplexes mit einem Rezeptor eine Wirkung auszulö- nisten Verschiebung des Gleichgewichts zum Ruhezustand
2.2 Rezeptor-vermittelte Pharmakonwirkungen 89
dem biologischen System maximal möglichen Effekt Em schaften besitzen: Bei Anwesenheit von Konzentrationen
proportional: eines vollen Agonisten, die einen größeren Effekt hervor-
rufen, als es der i. a. des partiellen Agonisten entspricht,
E
∝=_
E
A schwächt dieser die Wirkung des vollen Agonisten ab
m
(partielle antagonistische Wirkung). Bei niedrigen Kon-
zentrationen oder Abwesenheit eines vollen Agonisten
Die maximale relative intrinsische Aktivität ergibt sich aus: wirkt ein partieller Agonist dagegen agonistisch.
EA
_ Antagonisten
Em
= 1
Antagonisten lassen sich in folgende Typen unterteilen:
kompetitive (Ⴜ Abb. 2.29 B),
Agonisten mit einer i. a. von 1 werden volle Agonisten, nichtkompetitive (Ⴜ Abb. 2.29 C),
Wirkstoffe mit einer i. a. größer 0 kleiner 1 partielle Ago- funktionelle (Ⴜ Abb. 2.32) und
nisten genannt. Letztere nehmen eine Mittelstellung zwi- chemische (Ⴜ Abb. 2.33).
schen vollen Agonisten und Antagonisten ein, da sie wie
volle Agonisten, jedoch weniger stark als diese, das Kompetitive Antagonisten. Diese sind in gleicher Weise
Gleichgewicht von inaktivem zu aktivem Rezeptor nach wie Agonisten in der Lage, sich an Rezeptoren anzula-
rechts verlagern (Ⴜ Abb. 2.28 C). Dieses Verhalten ist der gern, zu denen sie Affinität besitzen. Im Gegensatz zu 2
Grund dafür, dass partielle Agonisten dualistisch wirken, Agonisten sind sie aber nicht befähigt, einen Effekt aus-
d. h. sowohl agonistische als auch antagonistische Eigen- zulösen. Sie weisen keine intrinsische Aktivität auf:
Signal-
+ Effekt
transduktion
Rezeptor Agonist
B kompetitive Hemmung
keine Signal-
+ kein Effekt
transduktion
Rezeptor kompetitiver
Antagonist
C nichtkompetitive Hemmung
verminderte
verminderter
+ + Signal-
Effekt
transduktion
Rezeptor Agonist nicht-
kompetitiver
Antagonist
nichtkompetitiver
Antagonist
verminderte
verminderter
+ Signal-
Effekt
transduktion
Rezeptor Agonist
0,5
nicht!
Typische nichtkompetitive Antagonisten sind Ket-
amin (Ⴉ Kap. 18.2.4) am NMDA-Rezeptor und Palono-
setron (Ⴉ Kap. 52.2.4) am 5-HT3-Rezeptor.
Eine Unterform des nichtkompetitiven ist der un-
0
10-8 10-7 10-6 10-5
kompetitive Antagonismus. Unkompetitve Antago-
nisten unterscheiden sich von nichtkompetitiven Ant-
M (A)
agonisten darin, dass sie eine Rezeptoraktivierung
durch einen Agonisten erfordern, bevor sie durch allos-
0: Konzentrations-Wirkungs-Kurve von A in terische Bindung hemmend wirken können. Die
Abwesenheit von B
Hemmwirkung des unkompetitiven Antagonisten
1 und 2: Konzentrations-Wirkungs-Kurve von A in hängt dabei wesentlich von der Konzentration des be-
Gegenwart von B; bei 2 die dreifache treffenden Agonisten ab: je höher der agonistische Ef-
Konzentration von B wie bei 1
fekt, umso größer ist auch die antagonistische Wirkung.
Beispiele für unkompetitive Antagonisten am
Ⴜ Abb. 2.30 Einfluss steigender Konzentrationen eines
NMDA-Rezeptor sind Amantadin (Ⴉ Kap. 21.2.6,
kompetitiven Antagonisten B auf die Konzentrations-
Wirkungs-Kurve eines Agonisten A. Auf der Ordinate der Ⴉ Kap. 84.2.2) und Memantin (Ⴉ Kap. 22.2.2).
durch A + B hervorgerufene Effekt EAB im Verhältnis zum
maximal erreichbaren Effekt Em, auf der Abszisse die mo- Funktionelle Antagonisten. Von einem funktionellen
lare Konzentration von A Antagonisten spricht man dann, wenn dieser als Ago-
2.2 Rezeptor-vermittelte Pharmakonwirkungen 91
Agonist +
(A)
1
Effekt
–
EAB/Em
0,5 Agonist
2 (B)
0
10-8 10-7 10-6 10-5
Agonist kein
M (A) (z. B. Heparin) Effekt
0: Konzentrations-Wirkungs-Kurve von A in + 2
Abwesenheit von B'
chemischer Antagonist
1 und 2: Konzentrations-Wirkungs-Kurve von A in (Protamin u. a.)
Gegenwart von B'; bei 2 die dreifache
Konzentration von B' wie bei 1
Ligand
Transkriptions-
Ligand-Hormon-
faktor
Rezeptor-Komplex
Zellkern
Transkription
keine
Transkription Bindung
mRNA
mRNA keine Transkription
Proteine
Ribosom Ribosom
Zellantwort
Ⴜ Abb. 2.35 Signaltransduktion bei intrazellulären Rezeptoren. Näheres s. Text. HSP Hitzeschockprotein
2.2 Rezeptor-vermittelte Pharmakonwirkungen 93
nach Dimerisierung von zwei gleichen oder zwei ver- gruppe gehören zahlreiche, für die medikamentöse
schiedenen Rezeptoren (Bildung von Homo- oder Hete- Therapie besonders wichtige Neurotransmitterrezep-
rodimeren) – bindet nun die DNA-bindende Domäne toren, u. a.:
des Rezeptors über sog. Zinkfinger an die Promotorre- Adenosin-,
gion der DNA. Vier Cysteine im Rezeptorprotein bilden adrenerge,
nämlich durch Komplexierung von Zinkionen eine fin- ATP- (P2Y-),
gerförmige Struktur aus, die für die Bindung an spezifi- Dopamin-,
sche DNA-Sequenzen, z. B. Estrogen- (ERE) oder Glu- GABAB-,
cocorticoid-Response-Elemente (GRE), und damit für metabotrope Glutamat-,
die Aktivierung der Genexpression verantwortlich sind. Histamin-,
Verbindet sich dagegen der Hormon-Rezeptor-Kom- Muscarin- (m-Cholinozeptoren),
plex mit einem anderen Transkriptionsfaktor, so wird Opioid- und
dieser inaktiviert. Als Folge davon unterbleibt die ent- Serotoninrezeptoren (mit Ausnahme von
sprechende Transkription, d. h. der Wirkstoff hemmt in 5-HT3-Rezeptoren, s. u.).
diesem Fall die Genexpression. Auch eine Reihe von Hormon- und Mediatorrezepto-
Die beschriebene Genregulation durch intrazelluläre ren (z. B. von Adiuretin-, Angiotensin-II-, Glucagon-,
Rezeptoren lässt sich am Beispiel der Glucocorticoide Somatostatin-, Prostaglandin-, Gonadoliberin- und
verdeutlichen. Deren antientzündliche Wirkung kommt Gonadotropinrezeptoren) zählt hierzu. 2
zumindest teilweise durch verminderte Expression pro- Ⴜ Abb. 2.36 ist zu entnehmen, dass G-Protein-gekop-
inflammatorischer Genprodukte, z. B. Interleukin-2 pelte Rezeptoren 7 helikale transmembranäre Domä-
und Cyclooxygenase-2, zustande. nen sowie je 3 extra- und intrazelluläre Schleifen auf-
weisen. Sie werden deshalb auch heptahelikale Rezep-
2.2.4 Membranständige Rezeptoren toren genannt.
Die membranständigen Rezeptoren können unterteilt
werden in:
G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, β2-Rezeptor Ligand
Ionenkanäle (spannungs-, ligandengesteuerte) und
Rezeptorproteinkinasen (Enzym-assoziierte Rezep-
toren).
G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR) sind im
menschlichen Genom mit etwa 800 Genen nicht nur die
größte Gruppe innerhalb der Familie der Mem-
branrezeptoren, sondern auch die Gruppe mit der
höchsten Vielfalt (Diversität). Sie vermitteln dem Zell-
inneren Informationen über verschiedene extrazelluläre
Stimuli. Aufgrund ihrer Primärsequenzhomologie kön-
nen sie verschiedenen Subfamilien zugeordnet werden,
unter denen die Rhodopsin-Familie, zu der z. B. die α-
Gβ
und β-Adrenozeptoren gezählt werden, mit Abstand die
größte ist (etwa 85 % aller Rezeptorgene). Man geht
davon aus, dass etwa 35 % aller zugelassenen Pharmaka
ihre Wirkung über G-Protein-gekoppelte Rezeptoren Gγ
entfalten, womit sie die größte pharmakologisch rele- Gαs
vante Rezeptorfamilie darstellen. Zieht man Seh-, Ge-
ruchs- und Geschmacksrezeptoren ab, dann sind
für etwa 100 der verbleibenden 360 Rezeptoren die phy- Ⴜ Abb. 2.36 Kristallografisch analysierte Struktur des β2-
siologischen endogenen Liganden unbekannt. Diese adrenergen Rezeptors im aktivierten Zustand und in ge-
rade eingetretener Interaktion mit dem heterotrimeren
Orphanrezeptoren stellen potenzielle neue pharmako-
G-Protein. Die Bindung eines Liganden unterbricht eine
logische Zielstrukturen dar.
ionische Interaktion zwischen Transmembrandomäne 3
Die Bezeichnung G-Protein-gekoppelte Rezeptoren und 6. Als Folge reorganisiert sich der β2-Rezeptor und er-
rührt daher, dass sie, wie nachstehend beschrieben, mit möglicht die Aktivierung des G-Proteins durch Bindung
einem Guanin-Nucleotid bindenden Kopplungspro- von dessen α-Untereinheit in dem zwischenhelikalen
tein (G-Protein) interagieren. Zu dieser Rezeptor- Raum. Nach Chung
94 2 Pharmakodynamik
Die Signalübertragung erfolgt bei den G-Protein-ge- der RGS-Proteine (Regulatoren der G-Protein-Signal-
koppelten Rezeptoren in der Weise, dass, wie erwähnt, gebung) gehörenden Gruppe von Enzymen, erheblich
ein G-Protein (Guanin-Nucleotid bindendes Protein) beschleunigt. Mit der GTP-Spaltung kehrt das System
nach Andocken des Liganden an den Rezeptor und der in den Ruhezustand zurück.
dadurch bewirkten Konformationsänderung des Rezep- Wichtige, durch G-Proteine beeinflussbare Effektor-
tors (Ⴜ Abb. 2.36) die weitere Reaktionskaskade auslöst. proteine sind die:
Dabei funktioniert der Rezeptor als Guaninnucleotid- Adenylylcyclasen, deren Stimulation die Bildung
Austauschfaktor, d. h. er bewirkt den Austausch von ge- von cyclischem Adenosinmonophosphat (cAMP)
bundenem GDP zu GTP, wodurch das G-Protein akti- bewirkt,
viert wird. Sowohl die GTP-beladene α-Untereinheit als Phospholipasen C, die durch Spaltung von Phos-
auch die aus dem Heterotrimer freigesetzten βγ- phatidyl-inositol-4,5-diphosphat die beiden second
Untereinheiten sind eigenständige Signalproteine und messenger Inositol-1,4,5-triphosphat (IP3) und Di-
können zelluläre Effektoren aktivieren. Dabei kann das acylglycerol (DAG) bildet,
G-Protein einen Ionenkanal direkt beeinflussen oder Phosphodiesterase VI, die das für den Sehvorgang
durch Interaktion mit einem Enzym die Bildung eines essenzielle cGMP spaltet,
sekundären Botenstoffs (s. u.) induzieren oder hemmen Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3-Kinase), die
und dadurch weitere Reaktionen hervorrufen über die Proteinkinase B (PKB) zahlreiche zelluläre
(Ⴜ Abb. 2.37). Diesen vielfältigen Funktionen entspre- Funktionen reguliert, und
chend, gibt es eine Vielzahl verschiedener G-Proteine, Kalium- und neuronale Calciumkanäle, deren Akti-
z. B. Cyclasen-stimulierende (Gs-Proteine), Cyclasen- vität durch βγ-Untereinheiten stimuliert bzw. ge-
inhibierende (Gi/o-Proteine) oder Phospholipase-C- hemmt wird.
aktivierende G-Proteine (Gq-Proteine). G-Proteine der Die durch die Enzymreaktionen gebildeten sekundären
vierten Familie, die G12/13-Proteine, beeinflussen durch Botenstoffe wie z. B. cAMP, IP3 und DAG lösen dann
Aktivierung der monomeren GTPase Rho das Zytoske- Folgereaktionen aus, u. a. die Aktivierung von Protein-
lett. In vielen Fällen sind für die Bindung des Rezeptors kinasen und damit die Phosphorylierung von Proteinen
an das jeweilige G-Protein insbesondere die dritte intra- sowie die Freisetzung von Calciumionen.
zelluläre Schleife und der intrazelluläre C-Terminus des Die Einschaltung eines sekundären Botenstoffs er-
Rezeptors verantwortlich. Die G-Protein-Bindungsstel- möglicht eine effektive Signalverstärkung. Außerdem
len im Rezeptor entscheiden auch darüber, an welches können verschiedene Zielzellen, je nach ihrer Ausstat-
der in der Zelle vorhandenen verschiedenen G-Proteine tung mit Rezeptoren und (sekundären) botenstoffab-
die Bindung erfolgt. hängigen Enzymen, unterschiedlich auf ein Hormon
Die G-Proteine stellen eine Familie heterotrimerer oder einen Transmitter reagieren.
Proteine dar, die aus einer α- und einer βγ-Untereinheit Die beiden am häufigsten vorkommenden und am
bestehen (Ⴜ Abb. 2.37). Die α-Untereinheit besitzt die längsten bekannten sekundären Botenstoffe sind cAMP
Bindungsstelle für Guanin-Nucleotide Guanosindi- und Inositoltrisphosphat (IP3).
phosphat (GDP) bzw. Guanosintriphosphat (GTP), die cAMP wirkt als Aktivator der Proteinkinase A
hydrophobe βγ-Untereinheit verankert das G-Protein (PKA), die zahlreiche Wirkungen im Stoffwechsel und
in der Membran. Im Ruhezustand bilden die Unterein- bei der Genexpression hervorruft.
heiten einen gemeinsamen, nicht mit dem Rezeptor IP3 bewirkt über die Aktivierung von IP3-Rezeptor-
verbundenen Proteinkomplex, in dem GDP an die kanälen im endoplasmatischen Retikulum die Freiset-
α-Untereinheit gebunden ist. Bei Stimulation des be- zung von Ca2+ aus intrazellulären Ca2+-Speichern. Di-
treffenden membranständigen Rezeptors verbindet sich acylglycerol ist ein Aktivator der Ca2+-abhängigen Pro-
zunächst das G-Protein mit dem Rezeptor und GDP teinkinase C (PKC) und bestimmter TRPC-Kanäle,
wird gegen GTP ausgetauscht. Dann trennen sich die deren Aktivierung den Einstrom von Na+ und Ca2+ in
α- und die βγ-Untereinheit, und die noch immer die Zelle bewirkt.
GTP-enthaltende α-Untereinheit sowie die davon dis-
soziierte βγ-Untereinheit aktivieren (im Falle eines Ionenkanäle
Gs-Proteins) oder blockieren (im Falle eines Gi-Pro- Ionenkanäle, an deren Bildung insgesamt etwa 300
teins) ihre Effektor-(Ziel-)Proteine. Die Signalübertra- Gene beteiligt sind, gehören zu den großen Familien
gung wird dadurch beendet, dass die α-Untereinheit der Signaltransduktionsproteine. Zahlenmäßig stehen
nach der Bindung von GTP die Eigenschaften einer sie nach den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren und
GTPase erlangt und dadurch das angelagerte GTP in den Proteinkinasen (> 500 Proteinkinasen im mensch-
GDP und anorganisches Phosphat gespalten wird. Die- lichen Genom) an dritter Stelle. Bei einer Vielzahl bio-
ser Hydrolyseprozess wird durch sog. GAP-Proteine logischer Prozesse spielen sie eine wichtige Rolle, z. B.
(GTPase aktivierende Proteine), einer zur Superfamilie bei der Bildung von Aktionspotenzialen, Kontraktionen
2.2 Rezeptor-vermittelte Pharmakonwirkungen 95
A Agonist
A
Rezeptor
tor-
Effekteine ˠ pEffektor-
roteine
pro G˞
˟ Ionenkanäle,
GTP PI3-Kinasen,
Phospholipasen,
Adenylylcyclasen,
Rezeptorkinasen,
MAP-Kinasen
GTP GTP GTP GTP
G˞i G˞s G˞q G˞12,13
Ionenkanäle, Adenylyl- Phospho- Rho
Adenylylcyclasen, cyclasen lipasen (Zytoskelett)
Phospholipasen
A
B 1
2
Rezeptor ˠ
˞
- ˟
or
e kt ine GDP
Eff rote
p
2
ˠ
4
˟
Rezeptor
GTP
˞
GDP
+ P
Rezeptor
A
P
GD
A ˞
Eff rot
p
ek ein
˟
to e
ˠ
r-
˟ GTP
Effek ˞ or-
prot tor- ˠ
eine Effeket ine
prot
Rezeptor
3 A
Ⴜ Abb. 2.37 A Diversität der Signaltransduktionswege G-Protein-gekoppelter Rezeptoren. Aktivierung eines G-Protein-
gekoppelten Rezeptors durch einen Agonisten resultiert in der Dissoziation des heterotrimeren G-Proteins in die Gα-
und die βγ-Untereinheit, nachdem an der α-Untereinheit gebundenes GDP gegen GTP ausgetauscht wurde. G-Protein-
gekoppelte Rezeptoren assoziieren in der Regel mit einer bestimmten Gα-Untereinheit, von denen die vier wichtigsten
dargestellt sind. Distinkte Gα-Untereinheiten aktivieren oder hemmen unterschiedliche Effektorsysteme, u. a. Ionen-
kanäle, Phospholipasen, Adenylylcyclasen und GTP-bindende Proteine wie Rho, welches die Struktur des Zytoskeletts
reguliert. PI3-Kinasen Phosphatidylinositoltriphosphat-Kinasen. B Zyklus der Aktivierung und Inaktivierung eines
heterotrimeren G-Proteins. Nach Bindung des Agonisten an den 7-Transmembranrezeptor (1) kommt es durch Austausch
von GDP gegen GTP (2) zur Dissoziation des G-Proteins (3) und nachfolgend zur Aktivierung von Effektorproteinen, die
letztlich die zelluläre Antwort (Vasokonstriktion, Sekretion, Zellproliferation) vermitteln. Durch die intrinsische GTPase-
Aktivität der Gα-Untereinheit wird GTP zu GDP gespalten (4). Das G-Protein assoziiert wieder zum Heterotrimer, der
Agonist diffundiert vom Rezeptor ab und ist wieder im inaktiven Zustand. P anorganisches Phosphat
der Herz-, Skelett- und glatten Muskulatur, epithelia- zystische Fibrose, Migräne, kongenitalen Hyperinsu-
lem Transport, T-Zell-Aktivierung oder Insulinsekre- linismus oder bestimmte Epilepsieformen verantwort-
tion. Ihre Gene sind in Säugerorganismen hochkonser- lich.
viert. Andererseits sind Mutationen dieser Gene für Die Ionenkanäle sind integrale, aus mehreren Unter-
zahlreiche Erkrankungen wie z. B. Long-QT-Syndrom, einheiten zusammengesetzte Zellmembranproteine, die
96 2 Pharmakodynamik
Ionenkanals folgt dann eine langsamere Inaktivierungs- Diese haben eine wichtige Schrittmacherfunktion in
phase, die meist noch während der Depolarisations- bzw. Zellen mit rhythmischer Aktivität, z. B. im Sinusknoten
Repolarisationsphase abgeschlossen ist. und in bestimmten Neuronen.
Neben den durch Depolarisation geöffneten Kanä- Beispiele für spannungsgesteuerte Ionenkanäle sind:
len existieren spannungsabhängige Ionenkanäle, die Na+-,
durch Hyperpolarisation der Zellmembran und durch Ca2+-(L-Typ-, N-Typ-, T-Typ-, P/Q-Typ-) und
cyclische Nucleotide (HCN-Kanäle) aktiviert werden. K+-(Kv-, hERG-, KCNQ-, Kir-)Kanäle.
I II III IV
Na+
geschlossener
Na+-Kanal
Membran-
Repolarisation Membran-
oder -Hyper- Depolarisation
polarisation
Na+
Na+
inaktivierter offener
Na+-Kanal Na+-Kanal
Ⴜ Abb. 2.39 A Struktur eines spannungsabhängigen Na+-Kanals. Das Proteinmolekül besteht aus etwa 2000 Aminosäu-
ren mit 4 repetitiven Domänen, die jeweils 6 Transmembransegmente enthalten. Das jeweils 4. Segment dieser Domä-
nen weist einen hohen Anteil positiv geladener Aminosäuren wie Arginin und Lysin auf. Diese Segmente verändern die
Konformation des Na+-Kanals, wenn ein Aktionspotenzial an der Stelle der Zellmembran eintrifft, wo sich der Na+-Ka-
nal befindet. Die Schleifen zwischen den Transmembransegmenten 5 und 6 repräsentieren die Innenauskleidung der
Kanalpore in der Zellmembran. Auf der zytosolischen Seite liegende Abschnitte des Kanalproteins können durch intra-
zelluläre Proteinkinasen phosphoryliert werden, was die Regulation der Aktivität des Kanals ermöglicht. B Tetramere
Kristallstruktur eines spannungsabhängigen Na+-Kanals in Aufsicht von oben, die Achse des Kanalproteins ist senkrecht
zur Ansichtsebene. Die 4 Domänen sind in unterschiedlichen Farben dargestellt. Die Spannungssensoren der 4 Domä-
nen umrahmen das Zentrum des Ionenkanals. Sie dilatieren die zentrale Pore durch Schwenkbewegungen um ein
Scharnier an der Basis der Ionenkanalpore. C Grundsätzlich werden drei verschiedene Zustände eines spannungsab-
hängigen Na+-Kanals unterschieden. Nach Eintreffen eines Aktionspotenzials öffnet sich der Na+-Kanal aus dem Ruhe-
zustand (geschlossen), wird jedoch nach wenigen Millisekunden inaktiviert. Erst bei der Repolarisation der Zellmem-
bran durch die Aktivierung von K+-Kanälen erfolgt eine Konformationsänderung, die das Kanalprotein wieder in den
aktivierbaren Ausgangszustand (geschlossen) zurückbringt.
98 2 Pharmakodynamik
Am Beispiel der Herzmuskelzelle lässt sich die Bedeu- ration, Genexpression und Apoptose. Das STIM1/
tung solcher Kanäle verdeutlichen. Der Einstrom von Orai-System könnte zukünftig zahlreiche neue thera-
Na+-Ionen in eine Herzmuskelzelle ermöglicht die ra- peutische Angriffspunkte bieten.
sche Depolarisation der Membran, die notwendig ist,
damit sich spannungsabhängige L-Typ-Ca2+-Kanäle Transient-Receptor-Potential-(TRP)-Ionenkanäle
öffnen. Die dadurch in die Zelle einfließenden Calci- Initial wurden auch TRP-Ionenkanäle als mögliche
umionen führen nun zur Ca2+-Freisetzung aus dem sar- Speicher-gesteuerte Kanäle diskutiert (Ⴜ Abb. 2.40). Bei
koplasmatischen Retikulum und ermöglichen die Ini- ihnen handelt es sich um für Kationen (Ca2+, Na+, K+)
tiation der Kontraktion von Kardiomyozyten. Durch permeable Kanäle, die mit 27 Mitgliedern beim Men-
die Depolarisation ebenfalls aktivierte K+-Kanäle re- schen eine der größten Ionenkanalfamilien im mensch-
polarisieren die Zellmembran und ermöglichen, dass lichen Genom bilden. Strukturell haben alle TRP-Ka-
zuvor inaktivierte Na+- und Ca2+-Kanäle durch Konfor- näle einen ähnlichen Aufbau aus sechs Transmem-
mationsänderung wieder in den aktivierbaren Zustand branregionen. Vier solcher Untereinheiten lagern sich
übergehen und damit für eine nachfolgende Erregung zu einem Kanalkomplex zusammen.
wieder verfügbar sind. Viele TRP-Kanäle sind auf sensorischen Neuronen
Der Durchtritt von Natriumionen durch spannungs- exprimiert und wurden daher primär mit sensorischen
abhängige Natriumkanäle lässt sich mit Tetrodotoxin Prozessen, wie der Schmerz- und Temperaturwahrneh-
bereits in einer Konzentration von 10–9–10–8 mol/l se- mung, in Verbindung gebracht. Sie sind vielseitige zel-
lektiv aufheben. Das Gift wird von Bakterien, u. a. von luläre Sensoren, die durch physikalische (Temperatur)
Pseudomonas-Arten, gebildet und von einer Reihe von
Tieren, z. B. dem japanischen Kugelfisch Fugu, einigen
anderen Kugel- und Kofferfischen, australischen Tin-
tenfischen sowie verschiedenen Froscharten über die
Nahrungskette oder von den Symbionten aufgenom- Ca2+
men und in verschiedenen Organen, vor allem in Ova- Ca2+
Ag
rien und der Leber, gespeichert.
TRPC
Orai
TRPC
PLC G R
Ca2+-Speicher-regulierte Ionenkanäle
Die Aktivierung der Phospholipase C führt zur Produk- DAG Arachidon-
tion des second messenger IP3 und zum Ca2+-Ausstrom säure
STIM1
aus dem endoplasmatischen Retikulum. Die transiente
Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration wird –
IP3 Ca2+
in nicht-erregbaren Zellen verstärkt durch Ca2+-Ein- Ca2+ R Ca2+
IP 3
strom aus dem Extrazellulärraum. Die Identität der Io-
nenkanäle, die für diesen Speicher-gesteuerten
zelluläre
Ca2+-Einstrom verantwortlich sind, war lange Zeit un- Effekte
bekannt. Seit Kurzem weiß man, dass im Wesentlichen
Orai-Kanäle in der Plasmamembran für den Spei- Ⴜ Abb. 2.40 Speicher-gesteuerter Ca2+-Einstrom. Aktivie-
cher-gesteuerten Ca2+-Einstrom (store-operated Ca2+ rung eines Gq-gekoppelten Rezeptors führt zur Stimula-
tion der PLC und Bildung der second messenger IP3 und
entry, SOCE) verantwortlich sind (Ⴜ Abb. 2.40).
DAG. IP3 bindet an den IP3R, der Ca2+ aus dem ER entlässt.
Die Abnahme der Ca2+-Konzentration im endoplas-
DAG aktiviert TRPC-Kanäle, die von außen Ca2+ in die Zelle
matischen Retikulum führt in der ER-Membran zur As- leiten. Über beide Mechanismen kommt es zu einer tran-
soziierung von Ca2+-Sensor-Proteinen, STIM1 und sienten Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration.
STIM2, die daraufhin in der Plasmamembran direkt Die Erniedrigung der intraluminalen Ca2+-Konzentration
mit Orai-Kanälen interagieren und diese aktivieren. im ER führt zur Zusammenlagerung von STIM-Proteinen,
Jede Orai-Kanal-Untereinheit in der Plasmamembran die durch direkte Protein-Protein-Interaktion mit
hat 4 Transmembranregionen und intrazelluläre N- Orai-Kanälen in der Plasmamembran diese Kanäle akti-
und C-Termini. Ein funktioneller Orai-Kanalkomplex vieren, wodurch es zu einem lang anhaltenden Ca2+-
setzt sich aus 6 Orai-Untereinheiten zusammen. Es sind Einstrom kommt. Möglicherweise können bestimmte
3 Orai-Isoformen, Orai 1–3, bekannt, die expressions- Orai-Kanäle auch durch Arachidonsäure aktiviert werden.
Auch eine direkte STIM-TRPC-Interaktion wurde beschrie-
und zelltypabhängig zusammen mit den STIM-Pro-
ben, sodass auch TRPC-Kanäle unter bestimmten Bedin-
teinen die Eigenschaften des Speicher-gesteuerten
gungen zum Speicher-gesteuerten Ca2+-Influx beitragen
Ca2+-Einstroms bestimmen. könnten. Ag Agonist, DAG Diacylglycerin, ER endoplasma-
Der Speicher-gesteuerte Ca2+-Einstrom reguliert tisches Retikulum, IP3 Inositoltrisphosphat, IP3R Inositol-
zahlreiche zelluläre Funktionen wie Migration, Prolife- trisphosphatrezeptor
2.2 Rezeptor-vermittelte Pharmakonwirkungen 99
B 2
A C
EGF EGF EGF
EGF
P P
P P GRB RAS
SOS RAF
aktiv
v P
kti MAPKK
ina MAPKK
P Thr
MAPK
MAPK
P Tyr
Transkriptionsfaktor-
Phosphorylierung Wachstum
Differenzierung
Gentran- Proteine
ELK skription Entwicklung
P
Zellkern
Ⴜ Abb. 2.41 Signaltransduktion des epidermalen Wachstumsfaktors (EGF) über den EGF-Rezeptor. A Nach Stimulation
des Rezeptors kommt es B zur Dimerisierung und Autophosphorylierung von Tyrosinresten an zytosolischen Domänen
des Rezeptors. Adapterproteine wie GRB und SOS werden nun rekrutiert und binden C an die phosphorylierten Tyrosin-
reste des EGF-Rezeptors. Aktiviertes SOS-Protein stimuliert das kleine GTP-bindende Protein RAS, welches wiederum die
Serin-Threonin-Kinase RAF aktiviert. Dadurch wird die Mitogen-aktivierte Proteinkinase-Kinase (MAPKK) stimuliert,
welche nachfolgend die MAP-Kinase an Tyrosin- und Threoninresten phosphoryliert. Die aktivierte MAPK wird in den
Zellkern transloziert und phosphoryliert unterschiedliche Transkriptionsfaktoren (ELK u. a.). Dadurch wird die Transkrip-
tion Wachstumsfaktor-stimulierter Gene ermöglicht. Deren Translation in Proteine führt zur Proliferation der Zelle.
100 2 Pharmakodynamik
und am zytosolischen Proteinteil eine Domäne mit der toren (z. B. vaskulärem endothelialem Wachstumsfaktor,
Eigenschaft einer Tyrosinkinase besitzen und somit so- epidermalem Wachstumsfaktor, Fibroblastenwachstums-
wohl die Funktion eines Rezeptors als auch die eines faktor, Plättchen-abstammendem Wachstumsfaktor).
Enzyms ausüben. Insulin- und IGF-1-Rezeptoren sind sehr ähnlich:
An der weiteren Signaltransduktion sind Mitogen-ak- Sie bestehen aus je zwei α- und β-Untereinheiten, die
tivierte-Proteinkinasen (MAP-Kinasen) beteiligt. Da sie über Disulfidbrücken miteinander verbunden sind. Re-
eine Vielzahl zellulärer Aktivitäten wie Genexpression, zeptoren von anderen Wachstumsfaktoren sind da-
Mitose, Differenzierung und Apoptose/Non-Apoptose gegen monomere Proteine. Nach Ligandenbindung
regulieren, sind sie für den Gesamtorganismus von gro- kommt es dann aber auch bei diesen zur Dimerisierung
ßer Bedeutung. So ist beispielsweise ihre proliferations- und anschließend wie beim Insulin- und IGF-1-Rezep-
fördernde Wirkung für die Signaltransduktion der meis- tor zur Autophosphorylierung von Tyrosinresten im
ten Onkogene (Ⴉ Kap. 72) entscheidend. zytosolischen Abschnitt des Rezeptors. Dadurch wer-
MAP-Kinasen werden in 4 Gruppen unterteilt: in den Andockstellen für Signalproteine generiert, die an
extrazelluläre Signal-regulierte Kinasen (ERK), c-Jun- die phosphorylierten Tyrosinreste des Rezeptors bin-
N-terminale Kinasen (JNK), p38-Kinasen und als be- den. Auf diese Weise sind Rezeptor-Tyrosinkinasen an
sondere ERK-Form ERK5. Die Signalkaskade von ERK die RAS-Signalkaskade gekoppelt, die Zellwachstum
wird hauptsächlich von Wachstumsfaktoren stimuliert. und -proliferation steuert.
JNK und p38-Kinasen sind aktiv in Anwesenheit von
Stress-Stimuli wie Zytokinfreisetzung, UV-Strahlung, Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen
Hitze- oder osmotischem Schock. ERK5 wird dagegen Bei den Rezeptoren mit assoziierten Tyrosinkinasen
sowohl durch Wachstumsfaktoren als auch durch (Ⴜ Abb. 2.42) handelt es sich wie bei den Wachstumsfak-
Stress-Stimuli aktiviert. torrezeptoren um monomere Membranproteine mit
Zu den Rezeptoren mit Tyrosinkinase-Aktivität ge- einer transmembranären Region, die wiederum nach
hören die Rezeptoren von Insulin (Ⴉ Kap. 60.1.2), von Ligandenbindung dimerisieren, doch weist diese Re-
IGF-1 sowie von verschiedenen anderen Wachstumsfak- zeptorgruppe keine eigene Tyrosinkinasedomäne auf.
Erythropoetin-
A rezeptor
Erythropoetin
P P JAK
JAK JAK Tyr
r STAT
-Ty
JAK Tyr
-
Tyr ADP Tyr P
ATP
STAT
ATP Tyr P
JAK
Proliferation und
Regulation der Differenzierung
Gentranskription von Erythrozyten-
Zellkern Vorläuferzellen
ADP
Ⴜ Abb. 2.42 Schema eines Rezeptors mit assoziierter Tyrosinkinase (z. B. des Erythropoetinrezeptors). A Nach Aktivie-
rung des Rezeptors durch Erythropoetin wird der Rezeptor an zytosolischen Abschnitten durch die Tyrosinkinase JAK
phosphoryliert. B JAK bindet an die phosphorylierten Domänen des Rezeptors und ist nun in der Lage, Signalproteine
wie STAT zu phosphorylieren. Aktivierte STAT-Proteine permeieren die Kernmembran und regulieren die Gentranskrip-
tion, was in diesem Fall die Proliferation und Differenzierung von Erythrozyten aus Vorläuferzellen ermöglicht.
2.2 Rezeptor-vermittelte Pharmakonwirkungen 101
Rezeptor-Serin/Threoninkinase
A
TGF-˟
R-I R-II
˟
TG
F- R-II
I
R-
P
ATP
P P
ATP
ADP P smad2 smad4
ADP P
Protein smad2 P
Proliferation P
P
Protein
Differenzierung
Transkription
Apoptose
Ⴜ Abb. 2.43 Modell des Liganden-induzierten TGF-β-Rezeptor-Komplexes. Rezeptoren dieser Familie spielen eine
wichtige Rolle für Zellwachstum und Differenzierung. A Eine TGF-β-abhängige Aktivierung des TGF-β-Rezeptors I (R-I)
über Phosphorylierung durch TGF-β-Rezeptor II (R-II) führt zu einer schnellen Phosphorylierung von Smad2. Der Name
der Smad-Proteine leitet sich von den sie kodierenden Genen ab, die in genetischen Studien an Drosophila und C. ele-
gans erstmals identifiziert wurden. Das Drosophila-Gen wird als mad (mother against decapentaplegic), das Gen in C.
elegans als sma (small body size) bezeichnet. Die Kombination dieser beiden Bezeichnungen kreiert den Namen Smad.
B Die Phosphorylierung von Smad2 bewirkt nach Heterooligodimerisierung mit Smad4 eine Translokation dieses Kom-
plexes in den Zellkern, wo dieser nach Interaktion mit weiteren nukleären Faktoren als Transkriptionsfaktor wirkt.
102 2 Pharmakodynamik
Antidepressiva (Ⴉ Kap. 10), Diuretika (Ⴉ Kap. 55), herz- zelluläre Schlüsselfunktionen wie Proliferation, Diffe-
wirksame Glykoside (Ⴉ Kap. 34.3.8) und Protonenpum- renzierung, Apoptose und Anti-Apoptose sowie Neuri-
penhemmer (Ⴉ Kap. 49.2.1) dar. Antidepressiva hemmen tenwachstum. Mutationen mit erhöhter Enzymaktivität
den aktiven (Rück-)Transport von Noradrenalin und/ oder Überexpression dieser Enzyme werden als Ursa-
oder Serotonin. Diuretika sind als selektive Elektrolyt- che verschiedener Tumorerkrankungen und benigner
transport-Inhibitoren zu charakterisieren: Schleifendiu- Hyperplasien angesehen. So sind zahlreiche Onkogene
retika vom Furosemid-Typ blockieren den Na+/K+/2Cl–-, (Ⴉ Kap. 72.2.1) mutierte Tyrosinkinasen. Die Bedeu-
Thiazide den Na+/Cl–-Symporter. Herzwirksame Glyko- tung von Tyrosinkinasen bei anderen Erkrankungen
side hemmen den Auswärtstransport von Natriumionen zeigt sich ferner z. B. bei entzündlichen Prozessen und
vom Intrazellularraum in den Extrazellularraum sowie Diabetes mellitus. Ihre Zahl wird auf mehr als 500 Ver-
den Einwärtstransport (extrazellulär/intrazellulär) von treter geschätzt.
Kaliumionen durch Blockade der Natrium-Kalium- Auch zahlreiche Antiinfektiva entfalten ihre Wirkung
Pumpe (Na+/K+-ATPase). Die als Ulkustherapeutika ver- durch selektive Enzymhemmung bei Mikroorganismen,
wendeten Protonenpumpenhemmer unterdrücken die z. B. Penicilline und andere Betalactam-Antibiotika
Salzsäureproduktion im Magen durch die Hemmung der durch die Hemmung von Transpeptidasen (Ⴉ Kap. 82.3.1),
Protonen-Kalium-Pumpe (H+/K+-ATPase). Gyrasehemmer durch Wechselwirkung mit der DNA-Gy-
rase (Ⴉ Kap. 82), Azol-Antimykotika durch eine Blockade
2.3.2 Pharmakonwirkungen an Enzymen der Lanosteroldemethylase (Ⴉ Kap. 85.1) oder Virostatika 2
Zahlreiche Wirkungen von Arzneistoffen beruhen auf gegen HIV durch Interaktion mit viralen Polymerasen
der Hemmung oder (seltener) der Aktivierung von En- oder Proteasen (Ⴉ Kap. 84.5).
zymen. Ähnlich wie bei der Pharmakon-Rezeptor-
Interaktion kommt es dabei zunächst zur Bildung eines Enzymaktivierung. Eine Enzymaktivierung wird meist
Pharmakon-Enzym-Komplexes und dadurch, je nach durch die oben genannten 2. (sekundären) Botenstoffe
Art des Arzneistoffs, zur Enzymblockade oder Enzym- wie cAMP, cGMP oder Ca2+ bewirkt. Nitrate bzw.
aktivierung. NO-Donatoren (Ⴉ Kap. 33.2.1) aktivieren über Stick-
stoffmonoxid (NO) die lösliche Guanylylcyclase
Enzymhemmung. Eine durch Pharmaka ausgelöste En- (Ⴜ Abb. 2.22). Die Wirkung einer Reihe von Gerin-
zymhemmung kann kompetitiv oder nichtkompetitiv nungsfaktoren (Ⴉ Kap. 36.3.1) bei der Blutgerinnung
sein. Eine kompetitive Hemmung liegt vor, wenn der beruht darauf, dass sie inaktive in aktive Proteasen
Arzneistoff mit dem Substrat um dessen Bindungsstelle überführen. Fibrinolytika (Ⴉ Kap. 39.1) wandeln Plas-
reversibel konkurriert. Bei der nichtkompetitiven Hem- minogen in Plasmin, ebenfalls eine Protease, um.
mung reagiert der Arzneistoff irreversibel mit dem akti-
ven Zentrum oder es wird die auf die Bildung des Sub-
strat-Enzym-Komplexes folgende Reaktion und nicht 2.4 Dosis- bzw. Konzentrations-
die Bindung des Substrats an das Enzym unterdrückt. Wirkungs-Beziehungen
Wichtige Beispiele enzymblockierender Pharmaka
sind die: Untersuchungen über die Beziehung zwischen der
Monoaminoxidasehemmer (Ⴉ Kap. 10.7), Dosis bzw. der Konzentration können auf zwei Arten
nichtsteroidalen Antiphlogistika als Hemmstoffe erfolgen: In Abhängigkeit von der Dosis wird entweder
der Cyclooxygenasen (Ⴉ Kap. 15.3), die Häufigkeit eines Effekts an einem Kollektiv (sog.
Urikostatika als Xanthinoxidase-Inhibitoren Dosis-Häufigkeits-Beziehung) oder die Wirkstärke
(Ⴉ Kap. 70.9.3), eines Effekts an einem Versuchsobjekt (Dosis- bzw.
indirekten Parasympathomimetika als Cholinestera- Konzentrations-Wirkungs-Beziehung im engeren
sehemmer (Ⴉ Kap. 25.2), Sinn) geprüft. Im ersten Fall nimmt die Zahl der Ver-
Hydroxy-Methyl-Glutaryl-Coenzym-A-Reduktase- suchsobjekte, die den erwarteten Effekt zeigen, im zwei-
Inhibitoren (HMG-CoA-Reduktase-lnhibitoren, ten Fall die Wirkstärke bis zu einem Maximum zu.
CSE-Hemmer, Statine, Ⴉ Kap. 30.2.1), Stellt man die bei solchen Untersuchungen gewonne-
Phosphodiesterasehemmer (Ⴉ Kap. 31.3.1), nen Ergebnisse in einem Koordinatensystem (Abszisse:
Angiotensin-Konversionsenzym-Hemmer Dosis bzw. Konzentration, Ordinate: Effekt) grafisch
(ACE-Hemmer, Ⴉ Kap. 28.2.1) und dar, erhält man Dosis- bzw. Konzentrations-Wirkungs-
Tyrosinkinase-Inhibitoren (Ⴉ Kap. 73.3). Kurven. Bei der Auswertung dieser Kurven interessiert
Intrazellulär lokalisierte Tyrosinkinasen ohne eigene vor allem:
Rezeptordomäne (Non-Rezeptor-Tyrosinkinasen) sind die Schwellendosis, d. h. die kleinste Dosis, bei der
an zahlreichen Signaltransduktionsprozessen beteiligt ein Effekt sichtbar wird,
und regulieren ähnlich wie Rezeptor-Tyrosinkinasen der erreichbare Maximaleffekt,
104 2 Pharmakodynamik
die zum Erreichen des Maximaleffekts erforderliche In einigen Fällen weist das Dosis-Wirkungs-Dia-
(minimale) Dosis und gramm zwei Peaks auf. Man spricht dann von einer bi-
die Steigung der Kurve, die ein Maß für den Dosis- modalen Kurve. Aus einer solchen Kurve geht hervor,
bereich zwischen Wirkungseintritt und maximaler dass kein homogenes Kollektiv vorliegt, sondern zwei
Wirkung ist: bei geringer Steigung ist dieser groß, abgrenzbare Gruppen existieren, die verschieden emp-
bei großer Steigung klein. findlich gegenüber der Prüfsubstanz sind und für die
jeweils die ED50 bestimmt werden kann.
Dosis-Wirkungs-Beziehungen am Kollektiv. Untersu-
chungen zur Ermittlung von Dosis-Wirkungs-Bezie- Dosis-Wirkungs-Beziehungen am Individuum. Die
hungen werden bei der Arzneimittelentwicklung sowohl Charakteristika der Dosis-Wirkungs-Kurve bei Unter-
in der präklinischen als auch in der klinischen Phase suchungen am Individuum können in der Regel auf der
(Ⴉ Kap. 7) durchgeführt. Auch bei allgemeinen toxikolo- Basis des Massenwirkungsgesetzes erklärt werden.
gischen oder gewerbetoxikologischen Untersuchungen Trägt man die Dosis logarithmisch auf der Abszisse und
ist dieses Vorgehen üblich. Die Untersuchungsergebnisse die Stärke des Effekts linear auf der Ordinate auf, erhält
können in einer sog. Häufigkeitsverteilungskurve dar- man meist eine S-förmige Kurve.
gestellt werden. In einer solchen Kurve wird die Dosis, Bei Agonisten ermöglicht die Kurve sowohl die Be-
bei der 50 % der Individuen reagieren, als Maß für die stimmung der Wirkstärke als auch die der intrinsischen
Aktivität (ED50) der untersuchten Substanzen benutzt. Aktivität: Die Lage der Kurve auf der x-Achse ist ein
Die in Ⴜ Abb. 2.45 vorliegende symmetrische Vertei- Maß für die Wirkstärke, die Größe des Maximaleffekts
lung ist bei biologischen Vorgängen eher die Ausnahme ein Maß für die intrinsische Aktivität.
als die Regel. In der Praxis wird gewöhnlich eine asym- In Ⴜ Abb. 2.47 sind die Konzentrations-Wirkungs-
metrische Verteilung gefunden. Trägt man in einem Kurven von verschiedenen Parasympathomimetika
solchen Fall die Dosis in logarithmischem Maßstab auf, (Ⴉ Kap. 25) am isolierten Ileum des Meerschweinchens
erhält man häufig wieder eine symmetrische Kurve. dargestellt. Den Kurven ist zu entnehmen, dass:
Die Standardabweichung σ ist ein Maß für die Streu- Acetylcholin eine größere Wirkstärke besitzt, d. h. in
ung der Werte um die ED50, den Mittelwert, und ist so niedrigeren Dosen wirkt als Carbachol und Pilocar-
definiert, dass der Teil der Kurve von ED50 – σ bis ED50 pin (höhere Potenz),
+ σ 68 % aller Einzelwerte umschließt. Der entspre- mit Carbachol derselbe Maximaleffekt wie mit Ace-
chende Teil von ED50 – 2σ bis ED50 + 2σ umfasst 95,4 % tylcholin, allerdings erst durch höhere Dosen, er-
der Einzelwerte (Ⴜ Abb. 2.46). reicht werden kann (gleiche Effektivität) und
die Pilocarpin-Kurve ein geringeres Maximum auf-
weist, was bedeutet, dass auch mit höchsten
140 Pilocarpinkonzentrationen nicht dieselbe maximale
1000 Individuen
Anzahl der reagierenden Individuen
80
Anzahl der reagierenden Individuen (%)
60
40 100
80
20
60
10 40 70 100
0 130 160 190 40
ED50 20
-3˰ -2˰ -1˰ +1˰ +2˰ +3˰
Dosis (mg) 0
33,3 100 300
LD
therapeutischer Quotient = _ 50
ED 50
100 A B C D 100
+ +
Todesrate in%
Wirkung in %
50 50
+ +
Ⴜ Abb. 2.48 Grafische Darstellung der unterschiedlichen therapeutischen Breite zweier Pharmaka mit gleichen thera-
peutischen Quotienten LD50/ED50. Auf der Ordinate die Wirkung bzw. die Todesrate in %, auf der Abszisse die Dosis in g/g
Tier. Die ED75 und LD25 sind durch + markiert.
Wirklichkeit ganz erhebliche Unterschiede in der thera- ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Effekte im linearen
peutischen Sicherheit der beiden Pharmaka trotz schein- Bereich der Kurve liegen. Um zu einer zuverlässigen
bar gleicher „therapeutischer Breite“ vorliegen. Aussage zu kommen, muss somit die Wirkungssteige-
Eine absolut zuverlässige Aussage über die therapeu- rung mithilfe der zugehörigen Dosis-Wirkungs- bzw.
tische Sicherheit ist somit nur aus dem gesamten Ver- Konzentrations-Wirkungs-Kurve beurteilt werden.
lauf der Dosis-Wirkungs- und der Dosis-Letalitäts- Erst danach lässt sich sicher entscheiden, ob eine Kom-
Kurve und nicht durch Ermittlung eines bestimmten bination additiv, überadditiv oder subadditiv wirkt,
Quotienten möglich. d. h., dass im letztgenannten Fall die Kombination
schwächer wirkt als die Einzelsubstanzen.
2.4.2 Synergismus Überadditiven Synergismus beobachtet man bei-
Ein Synergismus liegt vor, wenn bei der gleichzeitigen spielsweise bei der gleichzeitigen Gabe eines Schleifen-
Anwendung von zwei oder mehr Wirkstoffen der ge- und eines Thiazid-Diuretikums (vgl. konsekutive Ne-
messene Effekt der Kombination größer ist als die Wir- phronblockade, Ⴉ Kap. 55) oder bei der allerdings kon-
kung der jeweiligen Einzelsubstanz. Addieren sich die traindizierten Kombination eines MAO-Hemmers und
Einzeleffekte, d. h. entspricht die Gesamtwirkung der eines Sympathomimetikums (vgl. Blutdruckkrisen,
Summe der Einzelwirkungen, so spricht man von einem Ⴉ Kap. 28.3.3).
additiven Effekt.
Ist der Gesamteffekt geringer als die Summe der Ein- 2.4.3 Gewöhnung (Toleranzentwicklung)
zeleffekte, so spricht man von subadditivem oder nega- und Tachyphylaxie
tivem Synergismus. In der Toxikologie versteht man Von Gewöhnung oder Toleranzentwicklung spricht
unter einer Potenzierung, dass eine Substanz, die selbst man, wenn nach wiederholter Zufuhr eines Arznei-
keine toxische Wirkung hat, die Toxizität einer anderen stoffs die Dosis erhöht werden muss, um die gleiche
Substanz verstärkt. Wirkung wie bei der ersten Applikation zu erreichen.
Voraussetzung für den Synergismus kann ein An- Dabei wird zwischen pharmakokinetischer und phar-
griff der Wirkstoffe an unterschiedlichen Rezeptor- makodynamischer Toleranzentwicklung unterschie-
bzw. Effektorsystemen sein. Bei der Beurteilung eines den.
solchen Effekts muss jedoch berücksichtigt werden, Bei der pharmakokinetischen Toleranzentwicklung
dass, wie beschrieben, die Dosis-Wirkungs- bzw. Kon- beruht die Wirkungsabnahme vorwiegend auf einer
zentrations-Wirkungs-Kurven meist nichtlinear, son- Enzyminduktion (bei Prodrugs u. U. aber auch auf einer
dern sigmoid verlaufen. Es ist daher unzulässig, ohne verringerten Biotransformation), bei der pharmakody-
weiteres zu folgern, dass eine Potenzierung vorliegt, namischen Toleranzentwicklung auf einer Änderung
wenn die beobachtete Wirkung nichtlinear mit der Ad- der Rezeptorendichte (Rezeptorzahl) und/oder einer
dition der Einzeldosen korreliert ist. Ein solcher Schluss Veränderung der Rezeptorempfindlichkeit bzw. der