Ausgabe 97 (06/18)

November 2018 – Januar 2019

€ 6,00 (DE) • € 6,50 (EU)
ISSN 1619-9421

www.blickpunktmusical.de

Anastasia Plakat »Sherlock Holmes –

Next Generation« in Heftmitte

Hinreißendes Broadway-Musical in Stuttgart

Das Licht auf der Piazza in Radebeul Flashdance on Tour

Go Trabi Go in Dresden Murder Ballad in Wien
Drewitz & Jhaveri zu »Die fabelhafte Welt der Amélie« 40-45 Spektakel-Musical in Puurs
 HIGHLIGHTS SHOW BOAT
MUSICAL 2019
Musik von JEROME KERN
Buch und Songtexte von
OSCAR HAMMERSTEIN II
Nach dem Roman „Show Boat“
von Edna Ferber
Deutsche Fassung
von Frank Thannhäuser
23. Februar – 30. März 2019
Stadttheater

KUSS DER
SPINNENFRAU
KISS OF THE SPIDER WOMAN
Ein Musical
Buch von TERRENCE MCNALLY
nach dem Roman von Manuel Puig
Gesangstexte von FRED EBB
Musik von JOHN KANDER
Deutsch von Michael Kunze

Zelotes E. Toliver 3. August – 1. September 2019

Stadttheater

BÜHNE BADEN
Theaterplatz 7, A-2500 Baden
T +43 2252 22522
www.buehnebaden.at

Foto: Lukas Beck Entgeltliche Anzeige

West Side
Story

Jetzt in der Oper Dortmund!

Jerome Robbins
Nach einer Idee von

Buch von Arthur Laurents

Musik von Leonard Bernstein
Gesangstexte vonStephen Sondheim
Deutsche Fassung von Frank Thannhäuser und Nico Rabenald mit englischen Songtexten

Karten & Infos: 0231 / 50 27 222 oder www.theaterdo.de

 MUSICAL

JASPER IN
DEADLAND
MUSICAL VON RYAN SCOTT OLIVER UND HUNTER FOSTER
BART DE CLERCQ Inszenierung und Choreografie
NICOLO SOLLER als Jasper

ab 19. Januar 2019 | TfN · Theater für Niedersachsen

Tickets: 05121 1693-1693 | www.tfn-online.de | bei allen bekannten VVK-Stellen

Inhalt
Ausgabe 97 (06/18), November 2018 – Januar 2019
… kurz vorweg
Liebe Leser,
Sie halten die letzte Ausgabe des Jahres
2018 in den Händen, die mit 112 Sei-
ten randvoll ist. Im deutschsprachigen
Raum gab es in den letzten zwei Mo-
naten zahlreiche Uraufführungen und
deutschsprachige Erstaufführungen.
Denn es sind schon lange nicht mehr
nur die großen Musicalhäuser, die Erst-
aufführungen auf die Beine stellen.
Dieser Entwicklung zollt auch die
Deutsche Musical Akademie mit der
Vergabe des Deutschen Musical Thea-
ter Preises 2018 Respekt. Wir berich-
ten von der Preisverleihung und zei-
gen die Macher und Kreativen, die im
vergangenen Jahr ganz unterschied-
lichste neue Musicals auf die Bühne
gebracht haben.
Unser Topthema ist ein gelungener
Broadway-Transfer von drei erfahre-
nen Musicalpersönlichkeiten. Fern von
Kitsch lässt es einen zauberhaft und me-
lodisch in eine andere Welt abtauchen.
Wir alle haben das ab und zu nötig.
Original-deutsch-deutsche-Geschichte
kam in Dresden zur Uraufführung, in
Arnstadt widmete man sich einem be-
rühmten Komponisten und in Köln kam
ein neues Mundart-Comedy-Musical
auf die Bühne. Weit zurück reichen die
Wurzeln einer rockigen deutschspra-
chigen Erstaufführung in Oberhausen
und ein intelligentes psychologisches
Beziehungsdrama kam in Radebeul
erstmals in deutscher Sprache zur Auf-
führung. Dazu kommen erfolgreiche
Überarbeitungen und Nachspielpre-
mieren in Gießen, Füssen, Hamburg,
München, Wiesbaden sowie eine lite-
rarische Uraufführung in Wien.
Als besondere Draufgabe gibt es in der
Mitte des Heftes ein Plakat zu einer
Uraufführung im Januar 2019 in Ham-
burg: »Sherlock Holmes – Next Gene-
ration« löst einen ganz kniffligen Fall.
Wir wünschen allen Lesern frohe Fest-
tage und ein gutes neues Jahr. Bei die-
ser Musicalvielfalt erwarten wir das
Jahr 2019 und unsere 100. Ausgabe
mit Spannung.
Herzlichst,
Ihr
Oliver Wünsch
und die Redaktion der
blickpunkt musical
Titelfoto:
»Anastasia« Stuttgart
Foto: Stage Entertainment / Johan Persson
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Inhalt
Plakat »Sherlock Holmes –
Next Generation« in Heftmitte
Topthema Konzert & Entertainment
6 DSE Anastasia am Palladium Theater Stuttgart 84 Thomas Borchert & Navina Heyne:
It Takes Two im Schlosspark Theater Berlin
Musicals in Deutschland 82 Musical Tenors: Older But Not Wiser
60 3 Musketiere vom Jungen Staatsmusical Wiesbaden im Admiralspalast Berlin
46 UA Bach – Der Rebell am Theater Arnstadt Vis-à-Vis
22 DSE Bat Out of Hell im Metronom Theater Oberhausen
86 Christoph Drewitz & Ratan Julian Jhaveri über
59 Bleib doch bis zum Sonntag im Pfalztheater »Die fabelhafte Welt der Amélie« in München
Kaiserslautern
48 DSE Cinderella im Prinzregententheater München Film & Fernsehen
34 DSE Das Licht auf der Piazza am Theater Radebeul 88 Anna und die Apokalypse – Zombie-
26 Der Medicus am Deutschen Theater in München Weihnachtsmusical
38 Der Ring in Ludwigs Festspielhaus in Füssen 91 Smallfoot – Musicalischer Animationsfilm
54 Die Addams Family am TfN Hildesheim 90 Tabaluga – Der Film mit der Musik von Peter Maffay
44 UA Do Laachs Do Dich Kapott im Scala Theater Köln Rubriken
42 Doktor Schiwago am Theater Pforzheim
80 Einspielungen
14 Flashdance on Tour im Theater am Großmarkt 78 Premierenblick•
in Hamburg
109 Neues auf unitedmusicals.de, Ausblick &
40 Ghost im Operettenhaus Hamburg Impressum
18 UA Go Trabi Go an der Comödie Dresden
52 My Fair Lady am Theater Bielefeld 74
53 My Fair Lady am Hessischen Staatstheater Wiesbaden
58 Piaf am Theater Trier
50 Pumuckl am Stadttheater Gießen
30 UA VIVID Grand Show im Friedrichstadt-Palast Berlin
64 Neues aus Deutschland
Musicals in Österreich
74 ÖEA Bodyguard im Ronacher Wien
68 UA Heidi in Halle E des Museumsquartiers Wien
72 ÖEA Murder Ballad in der Sargfabrik Wien
70 Total verunsichert – Die Erste Allgemeine 48
Musikkomödie im Theater in der Innenstadt Linz
76 Neues aus Österreich
Musicals in Europa
92 UA 40-45 Spektakel Musical im Pop-up Theater in
Puurs B
94 Chicago neue französische Fassung im Théâtre du
Mogador Paris
95 Neues aus Europa
Musicals in den USA
98 USEA Girl From the North Country im Public
Theatre am Off-Broadway 98
100 Oklahoma! Revival im St. Ann‘s Warehouse New York
96 Neues aus den USA
Musicals in Großbritannien
108 Camelot mit dem LMTO im Palladium London
104 Company im Gielgud Theatre London
106 UA Wise Children am The Old Vic London
103 Neues aus Großbritannien
Einblick
62 8. Europäisches Jugend Musical Festival in Abb. oben:
Herxheim 1. »Bodyguard« Wien
10 Deutscher Musical Theater Preis 2018 mit Foto: VBW / Deen van Meer
Gewinnern und Laudatoren 2. »Cinderella« München
Foto: Jean-Marc Turmes
3. »Girl From the North Country« New York
Foto: Joan Marcus
5

Zauberhaftes Märchen, zutiefst menschlich
Deutschsprachige Erstaufführung von »Anastasia« in Stuttgart
Abb. oben:
›Im Dezember vor Jahren‹ – Durch
das Öffnen der Spieluhr wird die
Vergangenheit lebendig, mit Anja
(Judith Caspari, Mitte), Zarin
Alexandra (Susanna Panzner, Mitte l.)
und Zar Nicholaus II. (Mark Luykx)
sowie Ensemble
Abb. unten:
›Finale‹ – Prinzessin und Dieb,
Anja (Judith Caspari, l.) geht ihren
eigenen Weg mit Dimitri (Milan van
Waardenburg, r.)
Fotos (2): Stage Entertainment /
Johan Persson
6 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Topthema
D ie letzten Worte der Zarenmutter (Daniela Ziegler)
an ihre Lieblingsenkelin, der sie zum Abschied eine
Spieldose schenkt, lauten: »Nicht vergessen, Anastasia:
Paris!« Dorthin zieht sich in der Filmvorlage und auch
im Musical »Anastasia« die Mutter des letzten Zaren
von Russland zurück, bevor bei einem privaten Ball der
Winterpalast in St. Petersburg von der roten Armee ge-
stürmt und die Familie festgenommen und erschossen
wird. Da sich das Gerücht von Anastasias Überleben
hält, hofft auch die Zarenmutter weiter und setzt eine
hohe Belohnung aus. Das ruft Betrüger und Hochstap-
lerinnen auf den Plan.
Diese verkürzte Handlung ist historisch nicht ganz
richtig, da Maria Fjodorowna nach dem Tod ihres Soh-
nes in Dänemark lebte. Doch das Broadway-Musical
von Stephen Flaherty (Musik), Lynn Ahrens (Liedtexte)
und Terrence McNally (Buch) beruht nicht auf russi-
scher Geschichte, sondern auf dem märchenhaften US-
Animationsfilm von Don Bluth und Gary Goldman aus
den Studios von 20th Century Fox (1998), für den Fla-
herty und Ahrens bereits Songs geschrieben hatten. Zur
Zeit des Films war der Mythos um Anastasias Schicksal
noch lebendig. Vergleichbar einem Disney-Film gibt es
kleine Helferlein und böse Widersacher (Rasputin-Fi-
gur mit Fledermaus), die in der Bühnenfassung fehlen.
Terrence McNally legt den Fokus wie bei einem Ent-
wicklungsroman auf die menschliche Ausbildung der
Protagonisten: allen voran die junge Anja auf der Suche
nach sich selbst und ihrer Familie. Flaherty und Ahrens
haben 15 weitere Songs für das Musical geschrieben
und die bestehenden für die musikalische Aufführung
überarbeitet. 2016 brachte der künstlerische Leiter der
Hartford Stage, Regisseur Darko Tresnjak, in Hartford,
Conneticut das Stück zur Uraufführung und überwach-
te 2017 auch den erfolgreichen Broadway-Transfer.
Am 15. November 2018 feierte »Anastasia« unter
Leitung von Carline Brouwer, die den Europa-Transfer
des Musicals auch in Stuttgart als Regisseurin betreut,
Deutschlandpremiere am Palladium Theater. Die groß-
teils gelungene, deutschsprachige Fassung erstellten
Wolfgang Adenberg (Liedtexte) und Ruth Deny (Dialo-
ge), wobei insbesondere die Reime für die Adaption der
Liedtexte eine Herausforderung bildeten.
Anjas Schicksal bewegt sich zwischen Russland und
Frankreich. Flaherty fängt die beiden Welten musika-
lisch ein, was dem studierten Pianisten, dem russische
Komponisten vertraut sind, nicht schwer fiel. Auch er-
forschte er, wie er in einem SWR-Interview verriet, den
reichhaltigen russischen Chorgesang, was im ersten Akt
in den Ensemblenummern spürbar ist. ›Der letzte Tanz
der Romanovs‹ vereint beispielsweise musikalisch und
in den Choreographien von Denise Holland Behtke,
die sich organisch einfügen und manche Längen in den
Szenen auflockern, Elemente russischen Volkstanzes
mit Wiener Walzer. Für den melodischen Klangtep-
pich sorgt das Orchester unter der Leitung von Boris
Ritter und ein gut abgestimmter Sound, in dem jedes
Wort klar verständlich ist. Der musikalische Tenor
des gesamten Stückes bleibt trotz des dramatischen
Hintergrundes und gesellschaftskritischer Momente
eher heiter. ›Was redet man in St. Petersburg‹: Nach
der Russischen Revolution herrschen die Bolschewiki
und St. Petersburg wird in »Leningrad« umbenannt
– »anderer Name, selber Hunger«, wie der junge Fäl-
scher Dimitri (Milan van Waardenburg) so treffend
bemerkt. Als Dimitri von der Belohnung der Zaren-
mutter erfährt, überredet er seinen guten Freund Wlad
Popow (ein liebenswerter Komödiant und gesanglich
tadellos: Thorsten Tinney) dazu, eine Schauspielerin
zu suchen, die Anastasia spielen kann. Währenddessen
suchen Spione nach Adligen, Ärzte putzen jetzt Flure
und die Verstaatlichung des Eigentums führt zu einer
 Topthema

extremen Wohnungsnot. Zu den neuen Machthabern
gehört auch Gleb (Mathias Edenborn), der von der
gleichmachenden Mission des Kommunismus über-
zeugt ist. Er ist der Sohn eines Leibgardisten, der an
der Erschießung der Romanov-Familie beteiligt war.
Gleb verehrt seinen Vater als Helden, da er die besei-
tigte, »die immer nur nahmen und niemals gaben«: die
Romanovs. Er ist keine stereotype Figur wie Rasputin
in der Filmvorlage, sondern ein Mensch mit Gefühlen,
der die Straßenfegerin Anja (Judith Caspari) beruhigt,
die sich wegen einer Fehlzündung erschreckt hat, weil
sie diese für einen Schuss hielt. Kurz darauf taucht sie
bei Dimitri auf, der in einem alten Privattheater des
Yusopov-Palastes residiert. ›Im Traum‹ sprechen Schat-
ten der Vergangenheit zu ihr, die sie nicht einordnen
kann. Und irgendetwas sagt ihr, dass sie nach Paris
fahren muss, daher braucht sie Ausreisepapiere. Anja
mit sie alle Russland verlassen können. Dimitri schenkt
ihr eine Spieluhr, die er einem Händler abgekauft hat,
um Anjas Hintergrund zu untermauern. Im Gegensatz
zu ihm hat sie keine Schwierigkeiten, diese zu öffnen:
Mit der Melodie von ›Im Dezember vor Jahren‹ blickt
Anja in die Vergangenheit und ahnt, dass sie wirklich
Anastasia ist. Die Ausreisewilligen, die sich auf dem
Bahnhof einfinden, nehmen mit ›Mein Land‹, einer
schwermütigen chorischen Liebeserklärung, Abschied
von ihrem Russland. Aus dem starken Ensemble sticht
Mark Luykx als Vorsänger mit seiner schönen Stimme
heraus, der hier den Grafen Ipolitov verkörpert. Bevor
dieser in den Zug steigt, küsst er Anja die Hand. Kurz
darauf wird er ermordet. Den Freunden gelingt die
Flucht, verfolgt von Gleb, dem sein Vorgesetzter befoh-
len hat, Anja tot oder lebendig nach Russland zurück-
zubringen. Die junge Frau richtet all ihre Hoffnungen
Anastasia
Stephen Flaherty / Lynn Ahrens /
Terrence McNally
Deutsch von Wolfgang Adenberg &
Ruth Deny
Stage Entertainment
Palladium Theater Stuttgart
Deutschsprachige Erstaufführung:
15. November 2018
Regie ........................ Carline Brouwer
Musikalische Leitung .......... Boris Ritter
Musik. Supervision ........ Bernhard Volk
Choreographie .... Denise Holland Behtke
Kampf-Choreographie ........... Jeff Barry
Bühnenbild .............. Alexander Dodge
Kostüme ................... Reto Tuchschmid
Haar- &
Perückendesign .... Charles G. LaPointe
Lichtdesign .................. Donald Holder
Videodesign .................... Aaron Rhyne

erklärt, ihr Gedächtnis verloren zu haben, hat aber das
Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Wlad über-
zeugt Dimitri, sie zu engagieren. Während Anja lernt,
Anastasia zu sein, gibt es immer wieder Momente, in
denen sie Einzelheiten weiß, die sie nicht von Wlad,
der während der Monarchie unter falscher Identität mit
dem Adel verkehrte, wissen kann. Sie lernt im Hand-
umdrehen Tanzen, und Französisch, die Sprache des
russischen Adels, fliegt ihr zu. Durch Spione erfährt
Gleb von Dimitris Vorhaben (›Gerüchte überall‹) und
lädt Anja vor. Er versucht, sie einzuschüchtern, ob-
wohl sie ihm wider Willen sympathisch ist (›Die Newa
fließt‹). Dimitri und Anja kommen sich während eines
Spaziergangs in ›Mein Petersburg‹ näher, beide sind im
Elend aufgewachsen, elternlos und mussten kämpfen,
um zu überleben. ›Jemand, dem ich vertrau‹: Anja gibt
ihren neuen Freunden einen wohlbehüteten Schatz, da-
auf Paris: ›Reise durch die Zeit‹.
Mit ›Paris‹ eröffnet sich im zweiten Akt eine neue
musikalische Welt der 1920er Jahre, in der geswingt
und Charleston getanzt wird. Als Gleb Paris erreicht,
erhält er keinen Zutritt zum Newa Club, in dem sich
die russischen Emigranten treffen, um von dem ›Land,
das einmal war‹ zu träumen. Hier trifft Wlad zwischen
russischen Tänzen und Tango Argentino auf seine ehe-
malige Flamme Lily (stimmlich und als Mover einfach
eine Wucht: Jacqueline Braun). Tinney und Braun legen
ein hinreißend leidenschaftliches, komödiantisches ›Die
Gräfin und der Bürgersmann‹ hin. Wlad verliebt sich
neu, hofft aber auch, durch Zofe Lily Zugang zur Zaren-
mutter zu bekommen. ›Schließ die Tür‹: Letztere will
sich nicht länger mit der Hoffnung quälen, Anastasia
doch noch zu finden. Die »Kaiserin der Russen« fürch-
tet jeden Brief, der Hoffnung bringt: »Ein neuer Tag,
Anja ................................ Judith Caspari
Kleine Anastasia /
Alexej ...................... Lotta Anna Rubin /
Jana Berg u. a.
Dimitri ............ Milan van Waardenburg
Wlad ............................. Thorsten Tinney
Gleb ......................... Mathias Edenborn
Zarenmutter .................. Daniela Ziegler
Lily ............................ Jacqueline Braun
Zarin Alexandra........... Susanna Panzner
Zar Nicholaus II. / Graf Ipolitow /
Graf Gregory ...................... Mark Luykx
Graf Leopold ............... Jon Goldsworthy
Anastasia Romanov ..... Mariana Hidemi
Maria Romanov .... Annakathrin Naderer
Tatiana Romanov ......... Anastasia Stojko
Olga Romanov .............. Christina Gibbs
Odette .......................... Carmen Danen
Prinz Siegfried .................. Luca Giaccio
Baron von Rotbart.... Duncan William Saul
In weiteren Rollen:
Alexandra-Yaoano Alexandrowa, John-
ny Galeandro, Katja Hentschel, Fabian
Kaiser, Bradley Parsons, Alessandro
Ripamonti, Laura Robinson (Dance
Captain), Pieter Tredoux, Céline Vogt,
Vanessa Wilcek, Kirill Zolygin
Viggiano, Larissa Windegger

Abb. links von oben:

1. Reise durch die Zeit‹ – Anja
(Judith Caspari) spürt, dass in Paris
viele Antworten auf sie warten
2. Im Newa Club treffen Wlad
(Thorsten Tinney, Mitte l.) und
Lily (Jacqueline Braun, Mitte r.)
zusammen und träumen mit ihren
Landsleuten von dem ›Land, das
einmal war‹
Fotos (2): Stage Entertainment /
Johan Persson

blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019 7


Abb. oben von links:
1. Dimitri (Milan van Waardenburg)
zeigt Anja (Judith Caspari): ›Mein
Petersburg‹
2. ›Prolog: Im Dezember vor Jah-
ren‹ – Die kleine Anastasia (Lotta
Anna Rubin) muss Abschied von ih-
rer Nana, der Zarenmutter (Daniela
Ziegler), nehmen
3. ›Im Ballett‹ »Schwanensee«, mit
Odette (Carmen Danen) und Prinz
Siegfried (Luca Giaccio), in der Pa-
riser Oper entdeckt die Zarenmutter
(Daniela Ziegler, Loge l. Mitte) Anja
(Judith Caspari, Loge r. Mitte) in der
Loge gegenüber
Fotos (3): Stage Entertainment /
Johan Persson
8 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Topthema
eine neue Hochstaplerin«. Daniela Ziegler interpretiert
ihr Solo eindrucksvoll und spielt die Zarenmutter zu-
gleich verletzlich und königlich. Sie etabliert ihre Figur
so überzeugend, dass ein entsetztes Raunen durch das
Publikum geht, als Milan van Waardenburg als Dimitri
die Zarenmutter mit einem Tritt auf ihre Schleppe zum
Stehenbleiben zwingt.
Dimitri erzählt Anja begeistert von seiner kindlichen
Begegnung mit Anastasia (berührendes Duett ›Unter all
den Menschen‹), Anja erinnert sich und Dimitri begreift,
dass sie Anastasia ist. Milan van Waardenburg überzeugt
mit einer klangvollen, tragenden Stimme und legt eine
mitreißende Spielfreude an den Tag. Scheint Dimitri
anfangs auf seinen Vorteil bedacht, lässt er doch zuneh-
mend Herzensgüte erkennen. Am Ende zeigt er Stär-
ke und Selbstlosigkeit, wenn er sich der Zarenmutter,
der »fiesen alten Frau«, entgegenstellt und darum
kämpft, dass Anja respektiert wird. Wie ihn die Zaren-
mutter kurz vor Ende so schön zitiert: »Dass sie Anastasia
ist, ist mir Belohnung genug.«
Doch noch ein Mann ist mit Anjas Schicksal ver-
bunden: Gleb. Dieser steht kurz vor ihrer öffentlichen
Vorstellung als Anastasia mit gezückter Waffe vor Anja
und kann nicht verstehen, wie sie glaubt, Anastasia sein
zu dürfen. Die Romanov-Ära muss beendet sein, zum
Wohl seines neuen Russlands. Mathias Edenborn legt
eine immense Leidenschaft und Tiefe in seine Rolle
und artikuliert überaus präzise. So kommt es zu einer
gesanglich wie schauspielerisch bewegenden Konfronta-
tion mit Judith Caspari als Anja, die gerade ihre Identität
wiedergefunden hat und nicht so schnell bereit ist, diese
wieder aufzugeben: ›Doch/Die Newa fließt – Reprise‹.
Judith Caspari begeistert mit einer strahlend schönen
Stimme und meistert offenbar spielerisch die Partitur. Je
mehr sie in die Rolle hineinkommt, bewegt sie auch mit
ihrer Darstellung der starken jungen Frau, die sich nach
Wärme und Halt im Leben sehnt und schließlich durch
die Liebe ihren eigenen Weg findet.
Bei allen drei – mit Wlad und Lily fünf – Haupt-
rollen muss von einem glücklichen Typecasting Carline
Brouwers gesprochen werden. Auch zeigt sich, dass jun-
ge, fähige Darsteller mit sehr guten Stimmen auf deut-
schen Bühnen spielen.
Für den zauberhaften Eindruck von »Anastasia« ist
das faszinierende Zusammenspiel von Bühnenbild (Ale-
xander Dodge), Projektionen (Aaron Rhyne), Licht
(Donald Holder) und Kostümen (Reto Tuchschmid)
verantwortlich. Letztere sind inspiriert von historischen
Vorbildern und bilden den Stand der Person im jeweili-
gen Länderkontext ab. Das Bühnenbild ist ein Gesamt-
kunstwerk aus einem traditionellen Bühnenbau mit drei
Drehtellern und einer 8 x 12 Meter messenden LED-
Videowand. So ist ein geradezu filmischer Szenenablauf
möglich, bei dem die Videos den Zuschauer in das Ge-
schehen hineinziehen. Er nimmt am Zarenball teil, fährt
im schwenkbaren Wagen mit dem Zug durch Russland,
schwelgt in einem Traum von Kirschblüten vor Paris
oder blickt im historischen St. Petersburg auf einer Brü-
cke über die Newa. Das Bühnenbild wirkt ungeheuer
lebendig, durchaus märchenhaft, aber nicht kitschig.
»Anastasia« ist ein Märchen für Erwachsene und junge
Menschen mit mitreißender Musik und berührenden
Figuren.
Barbara Kern
 #WeAreMusical

DAS MUSICAL BUCH

Titus Hoffmann
MIT DEN HITS VON Christian Struppeck
R A I N H A RD REGIE
FENDRICH Andreas Gergen

Foto VBW © Oliver Gast 2018

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AUSTRIA .MUSICALVIENNA . AT

Deutscher Musical Theaterpreis 2018
Laudatoren und Preisträger in Schmidts Tivoli in Hamburg
Abb. oben:
Alle Preisträger und Laudatoren
auf der Bühne zum Ende der
Preisverleihung
Abb. unten:
Corny Littmann, Hausherr
im Schmidt Theater
Fotos (2): Morris Mac Matzen
10
Einblick
W ie eine Eiche steht er auf der Bühne und über-
zeugt sehr charmant mit Witz sowie tief-
schwarzem Humor. Er ist ein Tausendsassa und dem
Hamburger Schmidt-Publikum aus verschiedensten
Produktionen bekannt. Wer also könnte besser die En-
tourage der deutschen Musicalwelt durch den Abend
führen als Comedian, Musicaldarsteller, Autor und Re-
gisseur Ole Lehmann? Er kann es ganz besonders gut.
Mit seinem Charme eröffnet er flott und galant, mit
dem ein oder anderen Seitenhieb in Richtung Musical-
großkonzern und dem Genre allgemein, diesen wunder-
baren Abend. Das sorgt für viele Lacher und erdet erst
mal wieder nach den ganzen »Bussi, Bussis« im Foyer.
Unter den zahlreichen Gästen befinden sich unter
anderem Rolf Zuckowski, Gayle Tufts, Pia Douwes,
Gitte Hænning, Dr. Michael Kunze und viele andere
sowie zahlreiche Darsteller aus den Produktionen unse-
res Landes. Sie alle sind zum 5. Mal zusammengekom-
men, um den deutschen Musicalpreis auszuloben und
dem Genre die Würdigung zuteilwerden zu lassen, die es
auch verdient. In 14 Kategorien wurde nominiert.
Das Schmidt Theater ist in Rot-Gold getaucht und
die Tische sind liebevoll hergerichtet. Es ist einfach im-
mer wieder schön, ins Hamburger Tivoli zu kommen.
Nach einem flotten Auszug aus dem Musical »Heiße
Ecke«, des 15 Jahre laufenden Dauerbrenners in Eigen-
produktion, betritt Hausherr Corny Littmann »seine«
Bühne. Er begrüßt die Gäste und weist auf die Wich-
tigkeit guter Unterhaltung in der heutigen Zeit hin.
Deshalb regt er zum Mut an, neue deutsche Erstauf-
führungen zu produzieren und nicht ausschließlich auf
Kommerz zu setzen.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Alexandra Hölzer und Jens Ochmann übernehmen.
Sie bilden den Vorsitz der immer noch recht jungen
Deutschen Musical Akademie, gegründet 2013, einem
Netzwerk, dessen Ziel es ist, einen regen Austausch un-
ter Kulturschaffenden zu leben und dem Genre Musical
ein ideelles und künstlerisches Zuhause zu bieten. Zu
den Mitgliedern der Akademie gehören Darsteller, Au-
toren, Übersetzer, Komponisten, Regisseure, Dramatur-
gen, Choreographen, Musikalische Leiter, Produzenten
und Veranstalter.
Hölzer betont die Seriosität des Auswahlverfahrens
zum heutigen Abend und muss herzlich lachen, das
Auditorium reagiert ebenso schmunzelnd. Letztlich
werden aber das Wahlverfahren zum/r »Beste/n Dar-
steller/in«, zur »Besten Komposition«, zu den »Besten
Liedtexten« und dem »Besten Musical« noch geradlinig
und ausführlich erläutert.
Das durch die Regie von Craig Simmons und Pro-
duktionsleiter Jens Ochmann in eine clevere Form ge-
gossene Programm beginnt: Es ist schnell und wechselt
zwischen Programmpunkt, Laudator und Preisträger
zum nächsten Liveact. Musik unterbricht diejenigen
Preisträger, die sich doch eine Spur zu lang freuen. Auch
das, ein cleverer Schachzug. Die Band klingt nicht nur
fantastisch, nein, sie spielt unter der musikalischen Lei-
tung von Tom van Hasselt auch wunderbar dynamisch
auf und schafft es, den Titeln den Originalsound zu ver-
passen. So ist dieser Band für viele Gänsehautmomente
zu danken.
Zu hören sind die Showauszüge wie ›Zzaun Müller‹
aus »Zzaun! – Das Nachbarschaftsmusical« (Marcus
Günzel), ›Letterland / Bloß nicht bewegen‹ aus »Erwin
 Einblick

Kannes – Trost der Frauen« (Alexander Prosek, Mary-

sol Ximénez-Carrillo, Sandra Pangl, Tim Müller, Jür-
gen Brehm, Valentina Inzko Fink, Kara Kemeny, Jens
Krause, Elisabeth Köstner) und ›Ein Herz aus Gold‹
aus »Herz aus Gold« (Chris Murray), dem ersten Show-
stopper des Abends: Chris Murrays wunderbare Stim-
me durchdringt nicht nur Herzen aus Gold, sondern
erreicht auch die Herzen der heute anwesenden Gäste.
Vor der Pause steht dann die lang in Hamburg erwar-
tete Pia Douwes mit »ihrem« Song aus dem Transgen-
dermusical »Ein wenig Farbe« (Musik und Text: Rory
Six) mit rührend leisen und ungewohnten Tönen auf
der Bühne. Ihre Stimme begeistert auch in den ruhigen
Registern in alter Manier. Großartig, wie ausdrucksstark Alexandra Hölzer und Jens Ochmann
bilden den Vorstand der Deutschen Marcus Günzel mit ›Zzaun Müller‹ aus
und fokussiert sie sich heute Abend präsentiert. Nicht
Musical Akademie »Zzaun! – Das Nachbarschaftsmusical«
umsonst ist sie geladen, um den Ehrenpreis der Akade-
mie entgegenzunehmen.
Mit ›Du wachst nie mehr auf‹ aus »Dornröschen«
(Kerstin Ibald) eröffnet der zweite Teil der Veranstaltung.
Danach springen mit ›Das passt einfach nicht‹ Janne
Marie Peters und Evangelos Sargantzo über die Bühne,
spielend und tanzend agieren sie auf Holzkisten, die sie
wohl aus dem Schmidtchen mitgebracht haben, denn
von dort stammt die Musicalproduktion »Jana & Janis«.
Den vielen freiwilligen Helfern des Abends vor, neben
und hinter der Bühne ist es im Übrigen zu verdanken,
dass alles so reibungslos funktioniert. Sie alle arbeiten
heute ohne Gage.
Zum Ende des Programms wird es noch einmal
märchenhaft und ein flotter ›Gestiefelter Kater‹ (Florian
›Letterland / Bloß nicht bewegen‹ aus »Erwin Kannes – Trost der
Stanek) flaniert über die Bühne.
Frauen« mit (v.l.): Jürgen Brehm, Alexander Prosek, Tim Müller
Mit ›Spraysong‹ und ›Ganz schön knapp‹ schafft es
das Münchener Ensemble der Stage Produktion von
»Fack ju Göhte« (Johanna Spantzel, Robin Cadet, Max
Hemmersdorfer, Lukas Sandmann, Rebekka Corcodel,
Susi Studentkowski, Anthony Curtis Kirby, Stephanie
Steffens, Kiara Brunken, Fabian Kaiser, Kevin Schmid),
die nächsten Standing Ovation Showstopper des Abends
zu kreieren. Sie spielen und singen auf den Punkt und
das junge Ensemble versprüht eine wahnsinnige Spiel-
freude, die ansteckt.
Um es auch in diesem Artikel kurz zu machen –
nominiert wurden dieses Jahr
Als Bestes Musical: »Fack ju Göhte – Se Mjusicäl«
(Stage Entertainment, Werk 7, Theater im Werksvier-
tel München), »Herz aus Gold – Das Fugger Musical« Pia Douwes berührt mit einem Lied
(Staatstheater Augsburg) und »Jana & Janis – Sag ein- Chris Murray mit dem Titelsong aus dem Transgendermusical »Ein
fach Jein«, Schmidtchen. Theater. Reeperbahn Ham- von »Herz aus Gold« wenig Farbe«
burg
Für das Beste Revival: »Der gestiefelte Kater« (Next
Liberty Jugendtheater, Graz, Österreich), »Erwin Kan-
nes – Trost der Frauen (Letterland)« (Theater für Nie-
dersachsen, Hildesheim) und »Stella – Das blonde Ge-
spenst vom Kurfürstendamm« (Stadttheater Ingolstadt)
Für die Beste Komposition: Nicolas Rebscher, Kevin
Schroeder, Simon Triebel (»Fack ju Göhte – Se Mjusi-
cäl«), Stephan Kanyar (»Herz aus Gold – Das Fugger
Musical«) und Lukas Nimscheck (»Jana & Janis – Sag
einfach Jein«)
Für das Beste Buch: Nicolas Rebscher, Kevin Schro-
eder, Simon Triebel (»Fack ju Göhte – Se Mjusicäl«), Janne Marie Peters und Evangelos
Constanze Behrends (»Jana & Janis – Sag einfach Jein«) Sargantzo mit dem Song ›Das passt
Kerstin Ibald eröffnet den zweiten Teil einfach nicht‹ aus »Jana & Janis – Sag
und Peter Lund (»Welcome to Hell«) des Abends mit ›Du wachst nie mehr einfach Jein«
Für die Besten Liedtexte: Nicolas Rebscher, Kevin auf‹ aus »Dornröschen« Fotos (7): Morris Mac Matzen
Schroeder, Simon Triebel (»Fack ju Göhte – Se Mjusicäl«),

blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019 11

 Einblick

Abb. oben: Lukas Nimscheck und Franziska Kuropka (»Jana & Für das Beste Kostümbild & Beste Maskenbild:
Das Münchener Ensemble von Janis – Sag einfach Jein«) und Alexander Kuchinka Rebeca Monteiro Neves (»Der gestiefelte Kater«), Bet-
»Fack ju Göhte« (Johanna Spantzel,
(»Zzaun! – Das Nachbarschaftsmusical«) tina Köpp (»Erwin Kannes – Trost der Frauen [Letter-
Robin Cadet, Max Hemmersdorfer,
Lukas Sandmann, Rebekka Cor- Für das Beste Musikalische Arrangement: Stephan land]«), Sven Bindseil, Jürgen Endres (»Herz aus Gold
codel, Susi Studentkowski, Anthony Kanyar (»Herz aus Gold – Das Fugger Musical«), Wolf- – Das Fugger Musical«)
Curtis Kirby, Stephanie Steffens, gang Böhmer (»Jedermann – Ein Musical vom Ster- Als Beste Darstellerin in einer Hauptrolle: Pia Douwes
Kiara Brunken, Fabian Kaiser, Kevin benlernen«), Manfred Honetschläger, Peter Christian (»Ein wenig Farbe«), Johanna Spantzel (»Fack ju Göhte
Schmid) mit dem ›Spraysong‹ Feigel, Alexander Kuchinka (»Zzaun! – Das Nachbar- – Se Mjusicäl«), Janne Marie Peters (»Jana & Janis – Sag
Abb. unten von oben links: schaftsmusical«) einfach Jein«)
1. Thomas Zaufke (r.) gratuliert Ste- Für die Beste Regie: Werner Sobotka (»Cinderella passt Als Bester Darsteller in einer Hauptrolle: Florian Stanek
phan Kanyar zur »Besten Kompo- was nicht«), Werner Bauer (»Erwin Kannes – Trost der (»Der gestiefelte Kater«), Alexander Prosek (»Erwin
sition« von »Herz aus Gold – Das Frauen [Letterland]«) und Peter Lund (»Welcome to Kannes – Trost der Frauen [Letterland]«), Chris Murray
Fugger Musical«
Hell«) (»Herz aus Gold – Das Fugger Musical«)
2. Roman Rehor nimmt auch stell-
vertretend für Sarah-Katharina Karl Für die Beste Choreographie: Bart De Clercq (»Dorn- Als Beste Darstellerin in einer Nebenrolle: Patricia
den Preis für das »Beste Bühnen- röschen«), Fredrik »Benke« Rydman (»Fack ju Göhte Nessy (»Cinderella passt was nicht«), Kerstin Ibald
bild« für »Aus Tradition anders – – Se Mjusicäl«) und Danny Costello (»Zzaun! – Das (»Dornröschen«), Franziska Becker (»Erwin Kannes –
Das Lilienmusical« entgegen Nachbarschaftsmusical«) Trost der Frauen [Letterland]«)
3. Sven Bindseil erhält den Preis für
Für das Beste Bühnenbild: Sarah-Katharina Karl und Als Bester Darsteller in einer Nebenrolle: Christoph
das »Beste Kostümbild« und »Beste
Maskenbild« – auch posthum für Roman Rehor (»Aus Tradition anders – Das Lilienmu- Marti (»Coco – Ein Transgendermusical«), Jürgen
Jürgen Endres (†2018) – für »Herz sical«), Karel Spanhak (»Herz aus Gold – Das Fugger Brehm (»Erwin Kannes – Trost der Frauen [Letter-
aus Gold – Das Fugger Musical« Musical«), Walter Vogelweider (»Zzaun! – Das Nachbar- land]«), Robin Cadet (»Fack ju Göhte – Se Mjusicäl«)
4. Der Preis für das »Beste Buch« schaftsmusical«)
geht an Peter Lund (»Welcome
to Hell«)
5. Franziska Kuropka (l.) und Lukas
Nimscheck (r.) freuen sich zusam-
men mit Laudator Michael Alexan-
der Rinz über die Auszeichnung für
die »Besten Liedtexte« von »Jana &
Janis – Sag einfach Jein«
6. Werner Sobotka erhält den Preis
für die »Beste Regie« (»Cinderella
passt was nicht«)
7. Drew Sarich darf den Preis an
die »Beste Darstellerin in einer
Hauptrolle« an Janne Marie Peters
überreichen
Fotos (7): Morris Mac Matzen

12 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019


Thomas Zaufke gratuliert Stephan Kanyar zur »Bes-
ten Komposition«. Jane Comerford & Nik Breiden-
bach gratulieren Roman Rehor auch stellvertretend für
Sarah-Katharina Karl vom Staatstheater Darmstadt und
dem »Lilienmusical« für das »Beste Bühnenbild« und
Frank-Alva Bücheler übergibt die Preise für das »Beste
Kostümbild« und »Beste Maskenbild« an Sven Bindseil
(auch posthume Ehrung für Jürgen Endres †2018) für
die Augsburger Uraufführung »Herz aus Gold«. Peter
Scholz überreicht den Preis fürs »Beste Buch« an Peter
Lund (»Welcome to Hell«, Neuköllner Oper Berlin),
Michael Alexander Rinz überreicht Franziska Kuropka
& Lukas Nimscheck die Auszeichnung für die »Besten
Liedtexte« und das Publikum tobt. »Was ist eigentlich
eine Nebenrolle?«, wird erörtert und dann prämiert:
Elena Zvirbulis übergibt den Preis an Franziska Becker
für Marie-Luise Reich in »Erwin Kannes – Trost der
Frauen (Letterland)«, Eric Minsk prämiert Christoph
Marti (»Coco – Ein Transgendermusical«), auch das
»Beste Revival« geht nach Hildesheim und Gayle Tufts
seziert ihre eigenen Antriebe und Revivals.
Rainer Bielfeldt ehrt Stephan Kanyar auch noch für
das »Beste musikalische Arrangement«. Rührend Cho-
reograph Jonathan Huor, der in seiner Laudatio von
seiner Reise aus Kambodscha nach Europa berichtet,
bei der er die Leidenschaft zum Tanz entdeckte – er
ehrt heute Preisträger Danny Costello für die »Beste
Choreographie« zu »Zzaun! – Das Nachbarschaftsmu-
sical«. Frank Lorenz Engel zeichnet Werner Sobotka
für die »Beste Regie« (»Cinderella passt was nicht«,
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Einblick
Theater der Jugend, Wien) aus, Drew Sarich ruft Mu-
sicalkollegin Janne Marie Peters als »Beste Darstellerin
in einer Hauptrolle« auf die Bühne und Ex-»Wicked«-
Star Roberta Valentini als männliches Pendant Flo-
rian Stanek für »Der gestiefelte Kater« (Next Liberty
Jugendtheater, Graz).
Zum Schluss übergibt eine sichtbar gerührte Gitte
Hænning den Preis für das »Beste Musical« an das En-
semble der Stage Produktion »Fack ju Göhte«. Der Saal
steht Kopf.
Eigentlich ist die Stimmung nun am Höhepunkt an-
gekommen, stünde da nicht noch der Ehrenpreis aus.
Ole Lehmann legt sich noch einmal so richtig ins Zeug
und singt die holländische Fassung von ›Ich gehör‘ nur
mir‹ aus »Elisabeth«, ihrer Paraderolle, und dann ist es
soweit: Dr. Michael Kunze ehrt die 54-jährige Ausnah-
mekünstlerin Pia Douwes. In seiner Rede berichtet er
davon, wie vor 26 Jahren die Douwes die »Elisabeth«-
Premiere ganz groß machte und wie sehr sie mit ihrer
Art auch jedes Theater-Ensemble zusammenhält. Der
Ehrenpreis wird von Pia Douwes voller Rührung in
Empfang genommen.
Ein glanzvoller Abend geht zuneige, mit Beiträgen,
die noch viel mehr Lust machen auf bestes Musik-
theater. Drücken wir die Daumen, dass 2018/2019 noch
viele gute Produktionen das Licht der deutschen Bühnen-
bretter erleben, die heute geehrten Produktionen
waren jedenfalls schon richtig gut.
Stefan Schön
Abb. oben von oben links:
1. Roberta Valentini freut sich mit
dem Preisträger Florian Stanek als
»Bester Darsteller in einer Haupt-
rolle« für die Titelrolle in »Der
gestiefelte Kater«
2. Elena Zvirbulis und Eric Minsk prä-
mieren die »Beste(n) Nebenrolle(n)«:
Franziska Becker für Marie-Luise
Reich in »Erwin Kannes – Trost der
Frauen (Letterland)« und Christoph
Marti für seine Rollen in »Coco – Ein
Transgendermusical«
3. Choreograph Jonathan Huor hält
die Laudatio auf Danny Costello
für die »Beste Choreographie« zu
»Zzaun! – Das Nachbarschaftsmusical«
4. Seinen zweiten Preis für das
»Beste Musikalische Arrangement«
von »Herz aus Gold – Das Fugger
Musical« erhält Stephan Kanyar aus
den Händen von Rainer Bielfeldt
5. Michael Kunze hält die Laudatio
auf Pia Douwes, …
6. … die aus seinen Händen den
Ehrenpreis der Deutschen Musical
Akademie erhält
7. Pia Douwes sichtlich stolz mit
ihrem Ehrenpreis
Fotos (7): Morris Mac Matzen
13
 Musicals in Deutschland

80er-Jahre-Feeling gepaart mit dem kühlen

Charme des Großmarkts
»Flashdance« auf Deutschland-Tour in Hamburg

Abb. oben:
Wasserszene vor der Pause: Alex
Owens (Nadja Scheiwiller)
Foto: 2Entertain / Morris Mac Matzen

Flashdance (Tour)
Robbie Roth / Robert Cary /
Tom Hedley

Songs in englischer
und deutscher Sprache
Deutsch von Anja Hauptmann
2Entertain Germany
Theater am Großmarkt Hamburg
Premiere: 20. September 2018
Regie ................................ Anders Albien
Asscociate Direction ................... Marcel
Meyer-Landgrebe
Musik. Leitung .......... Damian Omansen
Choreographie ............. Jennie Widegren
Bühnenbild ........................ Andreas Bini
Kostüme ......................... Claudia Valorzi
Maske ............................. Doreen Kindler
Lichtdesign ........................... Palle Palmé
Videodesign ................ Johann Larsson &
Philipp Sundbom
Sounddesign ................ Oskar Johansson
Alex Owens ............. Nadja Scheiwiller /
Hannah Leser (nicht in Hamburg)
Nick Hurley .................... Sasha Di Capri
Hannah............................ Regina Venus /
Gitte Hænning
Jimmy ........................ Konstantin Busack
C.C. ................................. Michael Sattler
Louise / Ms Wilde ............. Tanja Rübcke
Gloria .................. Ann-Sophie Dürmeyer
Kiki ................................. Samantha Klots
Tess .............................. Olivia Kate Ward
Harry ............................... Joachim Kaiser
In weiteren Rollen:
Claudia Artner, Perry Beenen,
Christopher Bergström, Tobias Berroth,
Giulia Fabris, Alexandra Farkic,
Kim-David Hammann, Karin Hellqvist,
Clara Mills-Karzel, Tilda Kristiansson,
Vasilios Manis, Janina Moser,
Kim Pastor, Ira Theofanidis, Sigrid Vik,
Kristian Vindenes
D
er erste Herbstwind fegt über das Gelände des
Hamburger Großmarktes. Die Besucher verharren
aufgrund des kleinen Garderobenfoyers des Hamburger
Mehr! Theaters noch in ihren Autos und warten ge-
spannt darauf, dass sich die großen, weißen Flügeltü-
ren des Haupthauses öffnen, und freuen sich auf dieses
neue, große Musical in der Hansestadt, für das schon
einiges an Werbung gemacht wurde. Hoffentlich wird
uns tänzerisch eingeheizt, ist von einer Dame an der
Garderobe zu vernehmen.
Es ist die 6. Vorstellung von »Flashdance« seit der
Vorpremiere am 19. September. Der Mut des neuen
Produzententeams, 2Entertain Germany (deutscher Ab-
leger des schwedischen Pendants), in Zeiten des Karten-
Überangebots eine neue Großproduktion in Hamburg
zu starten, ist ein Grund zur Freude.
Die Uraufführung der Musicaladaption von »Flash-
dance«, die auf dem Kinohit aus dem Jahre 1983 be-
ruht, ging im Juli 2008 im Theatre Royal in Plymouth
über die Bühne. Ergänzende Musik für die Musicalver-
sion stammt von Robbie Roth, der zusammen mit Ro-
bert Cary auch die Liedtexte verfasste. Das Buch schrieb
Robert Cary zusammen mit Tom Hedley.
Die deutschsprachige Erstaufführung des Werkes
fand am 9. November 2013 im Le Théâtre Kriens-Luzern
in der Schweiz statt. Hier und auch in Chemnitz stand
die nun auch zur Hamburger Besetzung gehörende
Nadja Scheiwiller (Zweitbesetzung) bereits als Alex
Owens auf der Bühne. In der Hamburger Version, einer
überarbeiteten Fassung der Stockholmer Produktion aus
den Jahren 2014 und 2015, stellt Nadja Scheiwiller vom
ersten Moment an die treibende Kraft des Abends dar.
Hannah Leser, eine Musicalnewcomerin und die eigent-
liche Erstbesetzung der Produktion, war kurz vor der
Premiere verletzungsbedingt ausgefallen.
In weiteren wichtigen Rollen spielen Sasha Di Ca-
pri als charmanter Liebhaber Nick Hurley, Konstantin
Busack als junger witziger Nachwuchs-Comedian Jim-
my und Ann-Sophie Dürmeyer, die als ehemalige Euro-
vision-Song-Contest-Kandidatin nun ihr Musicaldebüt
als Alex Owens‘ Freundin Gloria gibt, sowie Regina
Venus, die am heutigen Abend Hannah, eine alternde
Ballettdiva, verkörpert.
In wichtigen Nebenrollen sind Michael Sattler als
durchtriebener Clubbesitzer C.C., Joachim Kaiser als
Barbesitzer Harry und Tanja Rübcke in einer Doppel-
rolle als Krankenschwester und Schuldirektorin, neben
Samantha Klots als Kiki und Olivia Kate Ward als sexy
Vamp Tess zu sehen.
Die Story ist schnell erzählt: Die in einer Indus-
triefabrik als Schweißerin tätige Alex(andra) Owens
träumt von einer klassischen Tanzkarriere. Dank der
ungewollten Förderung durch ihren Chef Nick Hur-
ley, mit dem sie eine Beziehung eingeht, erhält sie die
Chance, an einem Casting an der renommierten Shipley
Dance Academy teilzunehmen. Mit Unterstützung ih-
rer Freundin Hannah, einer alternden Tanzlehrerin,
überwindet sie ihre Ängste und kann am Ende die Jury
mit einer eigenen Choreographie zu ›What a Feeling‹
aus dem »Flashdance«-Album (ausgezeichnet mit einem
Oscar und Golden Globe für das beste Filmalbum des
Jahres) überzeugen.

14 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019


Den Rezensenten und augenscheinlich auch viele
andere Zuschauer kann diese Produktion an diesem
Abend nur in Teilen erreichen, da der Ton es vom ers-
ten Moment an leider nicht schafft, eine Atmosphäre
im Mehr! Theater zu kreieren. Erst ist es viel zu leise,
dann knackt es unaufhörlich und auch die produzier-
ten Einspieler wirken so schlecht abgemischt, dass zum
Beispiel das eingespielte Geräusch eines Handys oder
der fallenden Cola-Dose im Getränkeautomaten auf der
Bühne zum unangenehmen Hörmoment avanciert. Die
Darsteller-Ports (Mikrofone) fallen streckenweise aus
und Texte verhallen. Im Verlauf des ersten Aktes wird
die Show dann aufgrund des Soundproblems komplett
unterbrochen und die Zuschauer sitzen 5 Minuten im
dunklen Theaterraum. Immerhin bittet eine Stimme aus
dem Off, auf den Plätzen zu bleiben. Leider ohne Licht,
sodass zu beobachten ist, dass viele Besucher im Dun-
keln zu den Toiletten wandern.
Das Lichtdesign der Produktion (Palle Palmé) schafft
es zeitweise, sehr gute Momente zu kreieren, jedoch
wirkt das Gesamtkonzept nicht schlüssig. Die LED-
Projektionsflächen, fast so groß wie bei einem Helene-
Fischer-Konzert, werden durch die zwei Verfolger von
vorne zu weißen, nackten LED-Flächen, da das darauf
gezeigte Bühnenbild bei Beleuchtung von vorne ver-
schwindet. Hier kommt an der einen oder anderen Stel-
le der Wunsch nach mehr Intimität und Momenten, die
die Darsteller in ihrer Performance unterstützen, auf.
Besonders in den Randspielplätzen würde es reichen,
nur diesen kleinen Bereich fokussiert auszuleuchten.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
Das Bühnenbild (Andreas Bini) kommt bombas-
tisch daher: zwei seitliche, große Eisenpfeiler, die der
Eisenfabrik die ganze Zeit über ein Gesicht geben,
und flexible Elemente, die seitlich und bühnenmittig
zum Einsatz kommen, um unterschiedliche Spielorte
darzustellen. Bei einzelnen Nummern kommt noch
eine dreh- und fahrbare Brücke mit Lichtleisten zum
Einsatz. Das erfahrene Musicalpublikum denkt sicher
sofort an »Starlight Express« in Bochum. Alles in allem
wirkt die Bühne aber sehr praktisch und gut gelöst für
eine Tour-Produktion. Das Timing der Regie und die
Übergänge stimmen, dem eigenen Empfinden nach,
an diesem Abend noch nicht ganz und nach der Pause
kommt hinzu, dass eine Zuliefer-Tür zum Hambur-
ger Großmarkt die ganze Zeit offensteht und man
von Reihe 8 aus herrlich dem Transport von Bananen-
kisten anstatt der heißen Tanzszenen auf der Bühne
zuschauen kann.
Die sieben Musiker unter der Leitung von Damian
Omansen spielen dynamisch auf, können in dieser
Vorstellung jedoch durch die bereits geschilderten Ton-
probleme nur mäßig wirken. Die links und rechts an der
Bühne dem Zuschauerraum sehr zugewandten Orches-
ter-Monitore zeigen Omansen bei der Arbeit, wie er mit
dem Kopf nickt und Keyboard spielt.
Die Ausstattung der Produktion und die Kostüme
lassen viele gute Ideen erblicken (beispielsweise die ro-
safarbenen Glitzerkleider der Girls) und schaffen insge-
samt ein liebevoll gestaltetes und abwechslungsreiches
Gesamtbild.
Abb. oben:
Muss er seinen Laden schließen?
Barbesitzer Harry (Joachim Kaiser)
Abb. unten von oben links:
1. Liebesduett – Alex Owens (Nadja
Scheiwiller) und Nick Hurley
(Sascha Di Capri)
2. Das »Flashdance«-Ensemble
zusammen mit Nadja Scheiwiller
(Mitte) als Alex Owens
3. Alex Owens (Nadja Scheiwiller, l.)
erkundigt sich nach den harten Auf-
nahmebedingungen bei Schuldirek-
torin Ms Wilde (Tanja Rübcke, r.)
4. Alex Owens (Nadja Scheiwiller,
3.v.l.) neben den sexy Vamps (v.l.):
Kiki (Samantha Klots), Tess (Olivia
Kate Ward) und Gloria (Ann-Sophie
Dürmeyer)
Fotos (5): 2Entertain / Morris Mac Matzen
15

Abb. oben von oben links:
1. Harry (Joachim Kaiser, r.) und
Club Besitzer C.C. (Michael Sattler,
Mitte) diskutieren über Macht
und Club-Girl Gloria (Ann-Sophie
Dürmeyer)
2. Alex (Nadja Scheiwiller, l.) bei
ihrer Mentorin und Lehrerin
Hannah (Gitte Hænning, in der bes.
Vorst. Regina Venus)
3. Casting ist harte Arbeit, Alex
(Nadja Scheiwiller, 2.v.r.) zwischen
den Ballett-Grazien der Shipley
Academy (Ensemble)
4. Gloria (Ann-Sophie Dürmeyer)
muss unter Drogeneinsatz in C.C.s
Club alles geben
Fotos (4): 2Entertain / Morris Mac Matzen
16
Musicals in Deutschland
Nadja Scheiwiller begeistert als Alex Owens mit
großer Spielfreude, tänzerischer Leidenschaft und
kraftvollen Spielszenen. Sie legt ihre Rolle der Alex
von stark bis zerbrechlich an und explodiert geradezu
beim großen Vortanzen zum Schluss. Trotz flachen
Plots und einfacher Dialoge gelingt es ihr, die ver-
schiedensten Facetten ihrer Rolle zu zeigen, und sie
begeistert auch stimmlich mit ihrem großen Solo.
Zur Pause hin hat man mit der »Wasserszene« wirk-
lich einmal kurz das Gefühl, im Film und nicht im
Musical zu versinken.
Sasha Di Capri singt mit starkem Rock-Bariton und
überzeugt auch in Auftritt und Erscheinung. Die Da-
men im Saal erfreuen sich überdies an seinem austrai-
nierten Körper.
Regina Venus überzeugt als Hannah durch star-
kes Schauspiel. Wie wohl Gitte Hænning in der Rolle
klingt? Möglicherweise ein Grund, noch ein zweites Mal
in die Vorstellung zu gehen.
Jimmy, gespielt von Konstantin Busack, kommt
frisch und frech daher und gibt den Nachwuchs-Co-
median auf den Punkt. Das Publikum reagiert zöger-
lich, schließt ihn aber beim Erkennen des Rollenprofils
und im weiteren Verlauf der Vorstellung nachhaltig ins
Herz. Michael Sattler gelingt es als Clubboss C.C., ein
Frösteln zu erzeugen, auch wenn er laut Programmheft
privat ein eher angenehmer Zeitgenosse sein soll.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Stimmlich begeistern vor allem Ann-Sophie Dür-
meyer (Gloria), Samantha Klots (Kiki) und Olivia Kate
Ward (Tess), die gemeinsam unter anderem auch den
Showstopper ›Maniac‹ singen.
Die Choreographie von Jennie Widegren kommt
mit vielen frischen Überraschungen daher, unter ande-
rem einer Tanzszene, die sich auf dem Rücken liegend
auf der Bühne abspielt, während diese Szene auf die
LED-Wände projiziert wird. Ein sehr guter Moment!
Die Tanznummern wirken energetisch stark und
dynamisch und passen zum Stil der 80er Jahre, ohne
oldfashioned zu wirken. Sie unterstützen das junge und
gut ausgesuchte Ensemble.
Um Hannah aus der Show zu zitieren: »Es gibt eine
Zeit in Deinem Leben, wo alles möglich ist. Und dann
gibt es eine Zeit in Deinem Leben, wo nichts mehr
möglich ist. Ergreife also Deine Chance.«
Dieses tolle Team hat auf jeden Fall noch die Chan-
ce, die Übergänge technisch etwas zu straffen und vor
allem den Sound zu überprüfen.
Wenn dann das wirklich tolle Set auch atmosphä-
risch szenengerecht eingesetzt wird, kann »Flashdance«
noch zu dem besonders angekündigten und versproche-
nen »What a feeling« führen.
Mut sollte belohnt werden und daher müssen dieser
tollen Produktion einfach die Daumen gedrückt werden.
Stefan Schön
 Musical Play von John Debney
ab 24. November 2018 in der Felsenreitschule
Buch von Hannah Friedman / Liedtexte von Siedah Garrett, Michael Weiner
und Alan Zachary / Nach einer Idee von Richard Kraft

Musikalische Leitung John Debney / Robin Davis ∙ Inszenierung Andreas Gergen

Choreographie Kim Duddy ∙ Bühne fettFilm ∙ Kostüme Regina Schill

TICKETS: Salzburger Landestheater +43 (0)662 / 87 15 12 - 222 / www.salzburger-landestheater.at


Versteckt die Bananen, die Sachsen kommen!
Uraufführung von »Go Trabi Go« an der Comödie Dresden
Abb. oben:
Bevor wieder jeder seinen eigenen
Weg geht, gibt es zum Abschied
ein Selfie, als Erinnerung an die
chaotische Reise – (vorne v.l.): Rita
Struutz (Anja Pahl), Udo Struutz
(Lorenz Liebold), Alfons Amberger
(Thomas Zigon), Doreen (Silvana
Schollmeyer); (hinten v.l.): Jacque-
line (Lucille-Mareen Mayr), Bernd
Amberger (Tim Ludwig), Gerda
Amberger (Maren Kern), Maggie
(Samantha Turton)
Foto: Robert Jentzsch
Go Trabi Go –
Die Sachsen kommen!
Dominik Walenciak / Carsten Golbeck /
Christian Kühn
Comödie Dresden
Uraufführung: 14. September 2018
Regie ..................................... Katja Wolff
Musik. Leitung ....... Dominik Walenciak
Choreographie ................... Jörn-Felix Alt
Bühnenbild ...................... Karel Spanhak
Kostüme .......................... Saskia Wunsch
Dramaturgie ................. Carsten Golbeck
Udo Struutz ..................... Lorenz Liebold
Rita Struutz .............................. Anja Pahl
Jacqueline Struutz ... Lucille-Mareen Mayr
Bernd Amberger u. a............. Tim Ludwig
Alfons Amberger u. a........ Thomas Zigon
Gerda Amberger u. a. ........ Maren Kern /
Paulina Plucinski (3./16.10. und 22.11.)
Gino u. a. ........................ Adriano Sanzo
Maggie u. a. ................. Samantha Turton
Doreen u. a. ......... Silvana Schollmeyer
18
Musicals in Deutschland
J acqueline? Jacqueline, wo bleibste denne?« Mit diesen
Worten beginnt »Go Trabi Go« – ein Film über die
Wende, der als einer der ersten seiner Art im Jahr 1991
in der sächsischen Landeshauptstadt seine Premiere fei-
erte. 27 Jahre später kann es keinen besseren Ort als die
Comödie in Dresden geben, damit die Uraufführung
der musikalischen Road-Komödie nach dem gleichna-
migen Film von Peter Timm und Reinhard Koloss mit
ebendiesen Worten ihre erste Spielzeit einläutet.
Familie Struutz aus Bitterfeld hat nach dem Fall
der Mauer ein großes Ziel: Italien. Für den passionier-
ten Deutschlehrer Udo (Lorenz Liebold) gibt es dafür
natürlich nur Goethes Reise nach Neapel als perfekten
Reiseführer, um Urlaub in ebenjener Stadt zu machen.
Vollkommen unvoreingenommen macht er sich mit
seinem himmelblauen Trabant Schorsch, seiner Frau
Rita (Anja Pahl) und der 17-jährigen Tochter Jacqueline
(Lucille-Mareen Mayr) auf in ein unbekanntes Land.
Während Mama und Tochter auf den Papa war-
ten, wird dem Publikum mit einer beschwingten Pop-
Nummer die Bitterfelder Plattensiedlung vorgestellt.
Die tratschende Nachbarin will dabei sicherstellen, dass
an alles gedacht wird – die Hausordnung macht sich in
Abwesenheit der Familie Struutz schließlich nicht allei-
ne. Und Moskitos soll es in Europa massenhaft geben,
sodass noch die Gardine dem Reisegepäck hinzugefügt
wird. Nachdem Udo endlich mit Schorsch vorfährt, al-
les seinen Platz in dem Trabant gefunden hat und die
Klamotten-Frage ausgekämpft wurde, kann die turbu-
lente Reise losgehen. Mit »Opas neuem Japaner« wird
dabei alles auf Polaroid festgehalten, um keine der auf-
regenden Erlebnisse in Vergessenheit geraten zu lassen.
Erster Halt: Regensburg. Die liebe Verwandtschaft
besuchen, die so gar nichts von dem Besuch der Sach-
sen hält und die Torte direkt im Schrank versteckt. Spä-
testens jetzt bleibt kein Auge mehr trocken, wird mit
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
einer Mischung aus bayerischer Volksmusik und Polka
so manches Klischee aufgefahren, ohne dabei überzogen
zu wirken. Immerhin begrüßt Gerda Amberger (Maren
Kern) ihre Schwester gebürtig mit den Worten »Mir
Sachsen mir sin helle, das wees de ganze Weld, und sim-
mor ma ni helle, dann hammor uns verschdelld.« Wäh-
rend Bernd Amberger (Tim Ludwig) die Übernachtung
im Wohnwagen als Schnäppchen präsentiert, langweilt
Sohn Alfons (Thomas Zigon) die quirlige und hippe Jac-
queline mit seinem Computer. Sowohl die Requisiten
als auch die stilsicheren Kostüme von Saskia Wunsch
transportieren einen dabei direkt in die Anfänge der
1990er Jahre zurück. Wie die Fahrt selbst, zieht sich das
durch das gesamte Stück hindurch und vermittelt einen
nostalgischen Charme, der einen von Anfang an in sei-
nen Bann zieht.
Während der Weiterfahrt fängt Schorsch kurz vor
München plötzlich an, aus der Motorhaube raus zu
qualmen. Diagnose: Die Zündvorrichtung hat es er-
wischt. Bei dem Solo »Schorsch und Udo« von Lorenz
Liebold zeigt sich, dass dessen gesangliche Darbietung
etwas hinter denen der anderen Darsteller zurückste-
cken muss. Dennoch verleiht er dem Charakter Persön-
lichkeit, haucht ihm Leben ein. Es geht nicht darum,
eine Kopie der Darstellungen aus dem Film zu erstellen,
sondern die Einzigartigkeit der Figuren für das Publi-
kum erlebbar, greifbar zu machen, und das gelingt nicht
nur ihm auf eindrucksvolle Art und Weise.
Mit der »Trabi-Peep-Show« wird nicht nur die Rei-
sekasse gerettet, die von der Operation verschlungen
wurde, sondern obendrein die Belastbarkeit des Sach-
senporsche und Udos Nerven getestet. Beide bestehen
mit Bravour und so wird in München in der Pension
»Sachsenruh« übernachtet. Während Papa und Toch-
ter schlafen, bekommt Rita kein Auge zu. Die Ballade
»Meine ganze Welt« von Anja Pahl verursacht Gänse-

haut. Gleichzeitig verleiht sie ihrem Charakter zusätzli-
che Tiefe. Bis dahin immer in ihrer kleinen Welt lebend,
stellt sie sich die Frage, angespornt durch die Reise und
die offene Art von Jacqui, ob es nicht mehr geben muss
und ob es das Risiko vielleicht wert ist, sich zu verän-
dern, um sich weiterhin treu bleiben zu können.
Allerdings ist nicht alles »easy, peasy an der Isar«, wie
ein Dreh für einen Werbespot es einen glauben machen
will, und eine empörte Frau sollte Man(n) lieber nicht
ans Steuer lassen, wenn ihm sein Wagen lieb ist.
Während Schorsch eine neue Stoßstange benötigt,
geht Rita auf Drängen ihrer Tochter mit dieser shoppen
und macht einen ersten Schritt in Richtung Verände-
rung, indem sie einen sündhaft aussehenden Badeanzug
erwirbt. Wenngleich die Kaufentscheidung am Ende
durch das hochnäsige Personal bewirkt wurde, ist sie
dennoch zufrieden mit ihrem Einkauf. Gleichzeitig
weiß Jacqueline den überzeugten Münchner Herren mit
charmantem Witz zu kontern.
Den anschließenden, beschwerlichen Weg den Brenner
hinauf kann der Trabant ganz entspannt huckepack bei
einem Fernfahrer genießen. Währenddessen muss sich
Udo zahlreiche Witze über seine Rennpappe anhören,
was ihm stark auf das Gemüt drückt. Der Anblick des
Gardasees relativiert die Strapazen und das Camping-
zelt auf Schorschs Dach darf endlich aufgebaut werden.
Durch die lange Reise erschöpft, fällt der männliche
Teil der Familie alsbald in einen tiefen Schlaf, wäh-
rend Jacqui ihre Mutter kurzerhand in ihre eigenen
Klamotten steckt und auf eine Party mitnimmt, zu der
sie der schnuckelige Italiener Gino (Adriano Sanzo)
eingeladen hat. Leider müssen die Zuschauer auf eine
Tanzdarbietung à la Claudia Schmutzler (im Film)
verzichten. Jedoch kann man sehr gut nachvollziehen,
warum sich Rita der Anziehung des Gigolos nicht
entziehen kann und sich zu sanfter Musik, die sich an
peppigen Italiano-Sound anschließt, in seinen Armen
wiegen lässt. Etwas, das Jacqueline gar nicht gefällt,
und als es am nächsten Morgen zum Eklat mit ihrem
Vater kommt, packt sie kurzerhand ihre Sachen und
lässt ihre Eltern sprachlos zurück.
Lucille-Mareen Mayr zeigt von Anfang an, dass sie
ihre Rolle als Jacqueline – immer einen frechen Spruch
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
auf den Lippen und vor jugendlicher Begeisterung sprü-
hend – lebt, und bietet gesanglich ebenfalls eine aus-
drucksstarke Leistung dar, die in einem leidenschaftli-
chen und dennoch gefühlvollen Solo ihren Höhepunkt
erreicht. Sie will einfach fliegen und sich von Wolken
kriegen lassen, frei sein und nicht zurückblicken, den
langweiligen Ansichten ihrer Eltern entfliehen. Leichter
gesagt als getan. Denn sie erkennt auch, dass die Familie
ihr alles bedeutet. Sie schlägt das Angebot der lebens-
frohen Maggie (Samantha Turton) aus, sie nach Rom zu
begleiten, einfach in den Tag hinein zu leben und keine
Gedanken an das Morgen zu verschwenden. Stattdes-
sen besorgt sie für Schorsch neue Reifen – seine alten
wurden still und heimlich des Nachts entwendet – und
versöhnt sich mit ihren Eltern, die sie kurzerhand für
Abb. oben:
die Weiterreise nach Rom zur Copilotin erheben, froh, Udo Struutz (Lorenz Liebold) wird
ihre Jacqui gesund und munter wiederzuhaben. angst und bange, dass es seine
Kaum in Rom angekommen, wird »Opas neuer Ja- geliebte Rennpappe vielleicht nicht
paner« von einem Taschendieb entwendet. Jacqueline überlebt
Foto: Robert Jentzsch
nimmt kurzerhand die Verfolgung auf, Rita auf den
Fersen, während Udo seine Runden dreht und sich für
die italienische Wegerklärung zur »Spanischen Treppe«
auf Russisch bedankt. Währenddessen ist die Verfolgung
des Diebes von Erfolg gekrönt. Neben dem Fotoappa-
rat gelangt eine Menge Geld in den Besitz von Mutter
und Tochter, die sich nach einem erfolglosen Besuch auf
dem Polizeirevier davon einen schönen Abend machen,
wobei Rita sich – nach kurzem Drängen von Jacqueline
– sowohl ein neues Outfit als auch einen neuen Haar-
schnitt gönnt. Udo hingegen wird des Nachts von heiß-
blütigen Italienerinnen überrascht, die total auf seinen
Trabi abfahren. Allerdings tut Schorsch dieser wilde Ritt
alles andere als gut.
Auf den Stufen der Freitreppe, die zur Piazza di Spa-
Abb. unten von links:
gna führt, kommt es schlussendlich zu so manch über-
1. Udo Struutz (Lorenz Liebold)
raschenden Offenbarungen in einem Duett, das zeigt, stellt fest, dass Man(n) seiner Frau
dass manche Veränderungen notwendig sind, um zu besser nicht das Steuer überlassen
alter Schönheit zurückkehren zu können. sollte
Christian Kühn hat sich mit seinem Buch sehr am 2. Jacqueline (Lucille-Mareen Mayr,
Film orientiert. Etliche Textpassagen finden Verwen- Mitte) ist von dem Gespräch ihrer
Eltern Udo (Lorenz Liebold, r.) und
dung, die einen sofort die filmische Version vor Augen
Rita (Anja Pahl, l.) nicht allzu sehr
haben lassen. Dennoch ist das Bühnenstück unter der begeistert
Regie von Katja Wolff keine Kopie, sondern viel mehr. Fotos (3): Robert Jentzsch
19
 Musicals in Deutschland
Das vorläufige Ende der Reise wird von allen leidenschaftlich gefeiert – (vorne v.l.):
Rita (Anja Pahl) und Udo Struutz (Lorenz Liebold); (Mitte v.l.): Gino (Adriano Sanzo),
Jacqueline (Lucille-Mareen Mayr), Gerda Amberger (Maren Kern), Alfons Amberger
(Thomas Zigon), Doreen (Silvana Schollmeyer); (hinten v.l.): Maggie (Samantha Turton),
Bernd Amberger (Tim Ludwig)
Udo (Lorenz Liebold, l.) und Jacqueline (Lucille-Mareen Mayr, Mitte)
liefern sich einen letzten Fight um die Kleiderwahl, ehe es mit Rita
(Anja Pahl, r.) auf nach Italien geht
Gino (Adriano Sanzo, r.) und seine Freunde (vorne v.l.: Maren Kern,
Thomas Zigon, Samantha Turton; hinten v.l.: Tim Ludwig, Silvana
Schollmeyer) laden zur italienischen Party ein
20
Die Musik von Dominik Walenciak mit den Songtexten
von Carsten Golbeck erschafft ganz neue Welten. Im
Zusammenspiel mit der Choreographie von Jörn-Felix
Alt wird die Geschichte fast spielerisch einfach auf die
Bühne übertragen und schafft es gleichzeitig, manche
gedehnten Phrasen der Vorlage aufzupeppen. Besonders
die Zusammenraffung des Endes ist dafür ein sehr gutes
Beispiel. Zum Teil sicher den Möglichkeiten der Umset-
zung geschuldet, ist dies jedoch der Moment, an dem
der Film beginnt, langatmig zu werden, während die
Musical-Fassung in einem frischen und mitreißenden
Finale gipfelt. Spätestens jetzt hält es auch den letzten
Zuschauer nicht mehr auf seinem Sitz: »Und seh'n wir
uns nicht in der Welt, dann seh'n wir uns in Bitterfeld.«
Das minimalistische Bühnenbild von Karel Spanhak
macht es bisweilen schwierig, die Welt zu sehen. Im
Vergleich zum Film fehlt etwas das Flair der Reise, die
unterschiedlichen Aussichten von München, Rom und
Neapel. Ebenso ist es schwierig, sich unter der »Trabi-
Peep-Show« etwas vorzustellen, wenngleich man das
Gefühl bekommt, Teil des Events zu sein. Dafür werden
die kleinen Bühnen links und rechts hervorragend mitein-
gebunden. Jedoch bietet das Bühnenbild auch Raum für
die eigene Fantasie. Durch die Musik wird man auf eine an-
dere Art der Reise mitgenommen, die sehr gut dazu passt.
In dem Stück geht es ebenso darum, die eigene Neugierde
anzufachen, bereit für das Unbekannte zu sein und einfach
etwas zu wagen, sich persönlichem Neuland zu stellen.
Neben all dem Witz, den Klischees und dem ver-
dammt guten sächsischen Dialekt schafft es das Musi-
cal, den Charme des Films auf einer ganz eigenen Ebene
auszudrücken, den Zuschauer von seinem Sitz abzuho-
len und auf eine besondere Reise mitzunehmen, die sich
niemand entgehen lassen sollte.
Eva Baldauf
Udo Struutz (Lorenz Liebold) liest in seinem Reiseführer »Italienische
Reise« von J. W. von Goethe
Fotos: (4): Robert Jentzsch
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
 SOLOKONZERT

PIA DOUWES
PIA DOUWES
After all this time

25.
MÄRZ 2019
19.30 UHR

Raimundtheater
Wien
I A L G U E ST S
E C
WITH SP r ew Sarich
e r & D
Uwe Krög
Foto: Simone Leonhartsberger

Liebe heilt alle Wunden
Deutsche Fassung von »Bat Out of Hell« im Metronom Theater in Oberhausen
Abb. oben:
Strat (Robin Reitsma) flüchtet mit
Raven (Sarah Kornfeld, in der bes.
Vorst. Maureen Mac Gillavry) auf
dem Motorrad, als »Deep End« von
Falcos Leuten angegriffen wird
Abb. unten:
Verzehrende Leidenschaft zwischen
Strat (Robin Reitsma) und Raven
(Sarah Kornfeld, in der bes. Vorst.
Maureen Mc Gilavry)
Fotos (2): Stage Entertainment / Specular
22
Musicals in Deutschland
D as Musical »Bat Out of Hell« als Jukebox-Musical
zu bezeichnen ist falsch. Die Songs von Jim Stein-
man, die von Meat Loaf gesungen auf dem 1977er
Album »Bat Out of Hell« erschienen, waren für das
Musical »Neverland« gedacht, das er sich als »Rock‘n‘
Roll-Update« von J. M. Barries »Peter Pan« erdacht hat-
te. Doch die Erben von Barrie widersetzten sich seiner
Idee. Es folgten noch zwei weitere »Bat«-Alben: »Back
Into Hell« (1993) mit dem Hitsong ›I‘d Do Anything
For Love (But I Won‘t Do That)‹ und »The Monster Is
Loose« (2006).
Die Idee eines Musicals ließ Steinman nie los. Nach
einem Workshop in New York 2015 wurde die Show
schlussendlich 2017 in Manchester uraufgeführt mit
Andrew Polec als Strat und Rob Fowler als Falco.
Steinman ließ sich für seine Geschichte offenbar von
dem französischen Kult-Musical »Starmania« (Musik:
Michel Berger) inspirieren. Hier heißt die vom Diktator
Zéro Janvier beherrschte futuristische Stadt Monopolis
– in »Bat Out of Hell« Obsidian und ihr Herrscher Fal-
co (Alex Melcher). In »Starmania« kämpften die »Étoiles
Noires / Schwarze Sterne« unter ihrem Führer Johnny
Rockfort gegen den Terror. In Steinmans Show heißen
sie »The Lost«, in Anspielung auf die »Lost Boys« aus
»Peter Pan« (ihr Anführer ist Strat: Robin Reitsma). Im
unterirdischen Rebellen-Versteck »Deep End« hängt ein
U-Bahn-Schild mit der Aufschrift »81st Street – Mu-
seum of Natural History«, das sich in Wirklichkeit in
Manhattan befindet. Obsidian ist also New York. Ursa-
chen für die jugendlichen Proteste sucht man hingegen
in »Bat Out of Hell« vergebens, ebenso bleibt unklar,
was Falco im Schilde führt.
Die »The Lost«: unter anderem Tink (Tom van der
Ven) – in Anspielung auf die Fee Tinkerbell (Glöckchen)
–, Zahara (Aisata Blackman), Jagwire (Luca Maus),
Ledoux (Michael Moore) und Blake (Lorenzo di Giro-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
lamo) protestieren vor den Falco-Towers, der Residenz
von Falco. Falcos Soldaten drängen sie zurück und einer
von ihnen reißt Strat das T-Shirt vom Körper. Falcos
Tochter Raven (in der besuchten Vorstellung: Maureen
Mac Gillavry) hebt es auf und ihr Blick streift den von
Strat. Ihre Mutter Sloane (in der besuchten Vorstellung:
Franziska Schuster) zieht sie aus einem Handgemenge
zurück, in das sich Falco einmischt. Ledoux schlägt ihm
eine Flasche über den Kopf.
Viele unlogische Begebenheiten sorgen für Kopf-
schütteln. So erzählt Sloane ihrer Tochter, dass es einmal
einen chemischen Krieg gab. Dadurch blieb die DNA
der Jugendlichen stehen, und sie froren in ihrem jeweili-
gen Alter ein – eine unglaubliche, biologische Reaktion.
Zudem sollen Erdbeben die Stadt zerstört haben.
Im »Deep End« beklagt sich Tink, dass er in der Pu-
bertät steckengeblieben ist und nicht weiß, was körperli-
che Liebe ist. Jagwire hat ein Auge auf Zahara geworfen,
die jedoch eher auf Strat steht, wobei auch Tink seine
Liebe zu diesem bezeugt, als er ihn küsst.
Auf einer Party zu Ravens 18. Geburtstag tragen
die Diener kitschige, blonde Perücken, Luftballons
hängen überall herum und ein Kuchen steht auf ei-
nem Tisch. Doch Raven will nur eins, im Tunnel-
system unter der Stadt nach Strat suchen, was Vater
Falco ihr verbietet. Sie reißt die Tischdecke herunter
und ein Cabrio kommt zum Vorschein. Zu ›Paradise
by the Dashboard Light‹ lassen Sloane und Falco ihre
Kleider bis auf die Unterwäsche fallen und lieben sich
auf dem Kofferraumdeckel. Ein Fußballspiel wird ein-
gespielt, und die Lakaien werden zu seinen Spielern.
Raven stürzt empört herein und drückt den Wagen
in den (fiktiven) Orchestergraben, aus dem Musiker
mit ihren zerstörten Instrumenten herausspringen. So
gibt es wenigstens einen humorvollen Moment in der
Geschichte.

Die Eltern entschuldigen sich bei Raven. Ein Zim-
mermädchen – es ist Zahara, die diese Stellung nutzt,
um zu spionieren – gibt ihr Schlaftabletten mit einem
Traumhemmer. Strat besucht die schlafende Raven, als
diese erwacht. Ehe beide zu ›Aus dem Nichts hast du
Liebe gemacht‹ ihre erste Nacht zusammen verbringen
können, stürzt Zahara herein und erzählt, dass Falcos
Soldaten das »Deep End« angreifen. Strat und Raven
entkommen auf einem Motorrad, das Jagwire vorge-
fahren hat, und singen den Titelsong. Jagwire wird fest-
genommen, Raven kehrt nach Hause zurück, während
Strat blutend auf der Bühne liegen bleibt. In der Pause
wird er auf einer Bahre weggetragen.
Ein Großteil der »The Lost« ist eingesperrt. Falco
foltert Jagwire mit einem Elektroschocker und meint:
›Im Schweineland ist der Metzger der King‹. Zahara
zeigt den »The Lost«, Raven und Sloane das blutige
T-Shirt von Strat und erklärt, dass er starb. Raven sitzt
deprimiert in ihrem Zimmer und beklagt ihre verlorene
Liebe mit ›Der Himmel ist weit‹. Sloane versucht, sie
zu trösten.
Im Gefängnis erinnern sich die Jugendlichen an bes-
sere Zeiten, aber ›Im Rückspiegel erschein‘n die Dinge
oft sehr viel größer als sie sind‹. Sloane hat die Machen-
schaften ihres Mannes satt und befreit die Rebellen.
Eine weitere Szene sorgt für Kopfschütteln: Zahara
zapft Raven heimlich Blut ab, das sie an Strat überträgt!
Gibt es keine Blutgruppen in Obsidian? Die Macher
der deutschen Fassung hatten sicher genug Zeit, all die-
se Ungereimtheiten auszumerzen und durch logische
Handlungen zu ersetzen.
Tink ist ebenfalls ins Zimmer geschlichen. Er zer-
stört aus Eifersucht ein Kissen und sticht ein Messer in
ein Foto von Raven. Zahara, Raven und auch Tink er-
reichen das Versteck, in dem Strat gepflegt wird.
Zahara kehrt zurück, um Ravens Sachen zu holen.
Falco überrascht sie und horcht sie nach Ravens Unter-
schlupf aus. Sloane stellt sich gegen ihren Mann und
droht, ihn zu verlassen. Zahara richtet eine Pistole auf
Falco und verlässt mit Sloane die Wohnung. Die »The
Lost« entdecken einen genesenden Strat und kurz dar-
auf wird die Hochzeit zwischen Strat und Raven zele-
briert. Ihre erste Nacht verbringen beide in einer Art
Spiegelzimmer über dem Tunnel.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
Tink sucht in seiner Verzweiflung Falco auf. Gegen
Mammon – ein Wort, das Tink aufgeschnappt hat, aber
dessen Bedeutung er nicht kennt – und das Verspre-
chen, dass den »The Lost« nichts passieren wird, ver-
rät er, wo Raven sich aufhält. Falcos Miliz durchbricht
eine Mauer im »Deep End« und Falco offenbart mit
vorgehaltener Pistole – jene, die Zahara zurückließ –
seinen Deal mit Tink, den er »Stink« nennt, und be-
fiehlt den Rebellen, Raven gehen zu lassen. Es kommt
zum Kampf. Tink will Falco von einer Gewalttat abhal-
ten, als sich ein Schuss löst und Tink tödlich getroffen
zusammensinkt. Die Szene endet damit, dass Falcos
Truppe abzieht, während die Rebellen Tink von der
Bühne tragen.
Raven ist zurück in ihrem Zimmer, als Falco sie um
Verzeihung bittet, denn er habe Tink nicht töten wollen.
Sloane steht vor den Türmen und denkt an vergangene
Zeiten zurück. Strat schleicht sich heimlich in Ravens
Zimmer. Ihm tut ebenfalls alles leid, was geschehen ist.
Er liebt Raven immer noch, doch diese gibt zu beden-
ken, dass sie altern wird. Was wird sein, wenn sie 38 ist?
Wird Strat sie noch immer lieben? Doch die Sache mit
dem Altwerden ist Strat egal.
Zu ›I‘d Do Anything For Love (But I Won‘t Do
That)‹, das anfangs in englischer Sprache gesungen
wird, wie noch andere Songs, während es dann zu ›Ich
würd‘ aus Liebe alles tun‹ wird, finden sowohl Strat und
Raven, Jagwire und Zahara als auch Sloane und Falco
wieder zusammen. Sloane stößt dabei Falco in ein Was-
serbecken auf der Bühne. Er taucht wieder auf, geläu-
tert, als hätte ihn Johannes der Täufer im Jordan getauft
und von allen Sünden reingewaschen. Liebe heilt an-
scheinend doch alle Wunden, selbst die Menschen, die
tyrannisiert, gefoltert und getötet haben ...
Die Produktion in Oberhausen ist eine 1:1-Kopie
der Londoner Fassung. Auf der Bühne erstreckt sich
das Gebäude der Falco-Towers auf etwa 17 Metern. Im
ersten Stock befindet sich das Zimmer von Raven, aus
dem live-gefilmte Bilder auf eine Leinwand oder gar das
ganze Gebäude selbst projiziert werden. Der unterste
Teil lässt sich in den Salon des Hauses transformieren
oder in die Bar im »Deep End«. Ein Tunnel befindet
sich etwa in der Mitte der Bühne und das Wasserbecken
direkt am Bühnenrand.
Bat Out of Hell
Jim Steinman
Songs teils in englischer
und deutscher Sprache
Deutsch von Frank Ramond &
Roland Schimmelpfennig
Stage Entertainment
Metronom Theater Oberhausen
Deutschsprachige Erstaufführung:
8. November 2018
Regisseur ............................ Jay Scheib
Associate Direction ............ Nick Evans
Musical Direction .......... Robert Emery
Musical Supervision ...... Michael Reed
Choreographie .............. Emma Portner
As. Choreography ....... Michael Naylor
Ausstattung ........................ Jon Bausor
Kostüme .................... Meentje Nielsen
Lichtdesign .............. Patrick Woodroffe
Videodesign ......................... Finn Ross
Sounddesign ................. Gareth Owen
Kamera ................... Hannah Usemann
Strat ............................. Robin Reitsma
Raven ............. Maureen Mac Gillavry /
Sarah Kornfeld
Falco .............................. Alex Melcher
Sloane .................. Franziska Schuster /
Willemijn Verkaik
Tink ........................... Tom van der Ven
Zahara ........ .............. Aisata Blackman
Jagwire .... Luca Maus / Benet Monteiro
Ledoux......... ............... Michael Moore
Blake ................. Lorenzo di Girolamo
In weiteren Rollen:
April van Amelsvoort, René Becker,
Antonio Calanna, Jacob Fearey,
Rhys George, Vinicius Gomes
(Fight Captain), Jessica Lapp, Gonzalo
Campos Lopez, Masengu Kanyinda,
Charlie Knight, Jolijn van de Pol,
Bathoni Puplampu, Anna Julia Rogers,
Ida Linnéa Svanberg, Niall Swords,
Bethany Terry, Karen Walker, Tarquinn
White, Carl van Wegberg,
Sander van Wissen
Abb. unten von links:
1. Strat (Robin Reitsma) und Raven
(Sarah Kornfeld, in der bes. Vorst.
Maureen Mac Gilavry), die sein
blutiges T-Shirt trägt
2. Strat (Robin Reitsma, l.) und die
Bande der ewig jungen »The Lost«
vor den Falco-Towers
Fotos (2): Stage Entertainment / Specular
23

Abb. oben von links:
1. ›Im Rückspiegel erschein'n die
Dinge oft sehr viel größer als sie
sind‹ – Zahara (Aisata Blackman)
und Jagwire (Benet Monteiro, in
der bes. Vorst. Luca Maus), der von
Falco gefoltert wurde
2. ›Wo tut mir der Schmerz
am meisten weh‹ – Falco (Alex
Melcher) wurde von seiner Frau
verlassen
3. Sloane (Willemijn Verkaik, in der
bes. Vorst. Franziska Schuster) ist auf
der Seite der »The Lost« und befreit
die Rebellen aus dem Gefängnis
4. Strat (Robin Reitsma) singt den
Titelsong
Fotos (4): Stage Entertainment / Specular
24
Musicals in Deutschland
Alex Melcher braucht sein Können nicht mehr zu be-
weisen. Er singt diesen Tyrannen Falco auf eine beeindru-
ckende Art und Weise. Als Solist hat er seinen besten Mo-
ment mit ›Wo tut mir der Schmerz am meisten weh‹ und
ganz sadistisch erklingt ›Im Schweineland ist der Metzger
der King‹. Zusammen mit Franziska Schuster, die eben-
falls stimmlich großartig ist, trumpft er mit ›Wer braucht
die Jugend‹ und ›Paradise by the Dashboard Light‹ auf.
Zweitbesetzung Maureen Mac Gillavry musste be-
reits bei der Premiere im zweiten Akt Sarah Kornfeld
als Raven ersetzen, die erkrankt war. Sie spielt mit Über-
zeugung den Teenager, der das Leben im Turm satthat.
Ihr gesanglicher Höhepunkt ist das emotionale ›Der
Himmel ist weit‹.
Robin Reitsma gibt einen energischen Strat ab,
der aber mit zunehmender Liebe zahmer wird. Seine
Glanzlichter sind ›Bat Out of Hell‹ und im Duett mit
Maureen Mac Gillavry ›Aus dem Nichts hast du Liebe
gemacht‹. Stimmlich sehr stark sind auch Aisata Black-
man, die einstige Rachel Marron in »Bodyguard«, und
Luca Maus, der an diesem Abend Jagwire spielt.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Die Übersetzungen der Liedtexte durch Frank Ra-
mond kann man als geglückt bezeichnen, zumal eini-
ge Originaltexte recht kompliziert sind. Einige Lieder
kommen dem Zuschauer bekannt vor, weil Jim Stein-
man auch die Songs zu »Tanz der Vampire« kompo-
nierte und diese somit dieselbe Tonalität haben. So
heißt Krolocks Lied ›Die unstillbare Gier‹ im Original
›Objects in the Rear View Mirror May Appear Closer
Than They Are‹, was im Deutschen zu ›Im Rückspiegel
erschein'n die Dinge oft sehr viel größer als sie sind‹
wurde und einen der stärksten Momente im Musical
darstellt.
Einen Sinn hinter der Geschichte sucht man sowohl
in London im Dominion Theatre als auch in Oberhau-
sen vergebens. Am Ende muss man in beiden Theatern
feststellen, dass es die grandiosen Stimmen der Haupt-
darsteller und Hauptdarstellerinnen, die Choreographien
von Emma Portner und die wunderbare Tonkulisse sind,
die dafür sorgen, dass man auf seinem Stuhl sitzen bleibt.
Christian Spielmann
Abonnement für nur

28
Sechs Ausgaben
Preis für Deutschland
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(05/18)
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Es fühlt sich nach Heimat an
»Der Medicus« am Deutschen Theater in München
Abb. oben:
Mit seiner Diagnose beeindruckt
Rob (Patrick Stanke, l.) nicht nur
Mirdin (Kristian Luca, Mitte), son-
dern vor allem Ibn Sina (Reinhard
Brussmann, r.)
Abb. unten von links :
1. Der junge Rob (l.) fühlt bereits
den Tod seiner Mutter (Caroline
Zins, 2.v.l.). Eine Gabe, die für ihn
zum Fluch wird
Fotos (2): Spotlight Musicals
2. Mehr als Jahrmarkttricks kann der
Bader (Sebastian Lohse, r.) seinem
Lehrling Rob (Patrick Stanke, l.)
nicht beibringen
Foto: Spotlight Musicals /
Michael Eloy Werthmueller
26
Musicals in Deutschland
A m schönsten ist es immer noch zuhause. Das wissen
wir nicht erst seit »Der Zauberer von Oz«. Und so
verfehlt der Appell ans Herz auch im Finale von »Der
Medicus« nicht seine Wirkung, wenn alle Charaktere
des Stücks noch einmal zusammenkommen – egal, ob
tot oder noch am Leben – und in einer großen, pa-
thosgeschwängerten Schlussapotheose (am Theater ein
wirkungsvolles [verherrlichendes] Schlussbild, Anm. d.
Red.) noch einmal die Liebe zu Heimat und Familie
hochleben lassen. Mit ihrer Musical-Fassung von Noah
Gordons gleichnamigem Bestseller haben Komponist
Dennis Martin und Produzent Peter Scholz bei sich
zuhause in Fulda 2016 einen veritablen Hit gelandet,
der die Fans dort seit der Uraufführung bereits in mehr
als 200 ausverkauften Vorstellungen begeisterte. Grund
genug für die Chefetage des Deutschen Theaters, die
Erfolgsproduktion auch für eine limitierte Serie nach
München zu holen.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Getreu dem zentralen Thema »Heimat« nun mit
zwei neuen Hauptdarstellern, die beide ihr Studium
in München absolviert haben. Im Fokus steht hier na-
türlich vor allem Patrick Stanke in der Titelrolle des
englischen Bader-Gehilfen Rob Cole, der im frühen
Mittelalter zu einer steinigen Reise in den Nahen Os-
ten aufbricht, um dort beim berühmtesten Arzt seiner
Zeit zu studieren. Er hat bereits im Sommer für eine
Vorstellung in Fulda als Gast auf der Bühne gestanden,
um das Stück und die Medicus-Familie kennenzuler-
nen, ehe er die Partie nun in Vollzeit übernahm. Und
wer damals schon dabei war, wird merken, dass die
Rolle inzwischen Zeit hatte, auch in ihm zu arbeiten,
und er sich keineswegs nur auf seine kräftige Stimme
und sympathische Bühnenausstrahlung verlässt. Stanke
nimmt sich im zweiten Anlauf vor allem in den Dialog-
szenen mehr Zeit, um kleine Nuancen aufzuspüren und
Rob seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Wobei ihm
 Musicals in Deutschland

glaubwürdig der Wandel vom jungen Heißsporn zum
treusorgenden Familienvater gelingt.
Im Gegensatz zur eher glücklosen Verfilmung des Stof-
fes vertraut die von Regisseur Holger Hauer farbenreich in
Szene gesetzte Musicalfassung, die in München von Co-
Autor Christopher Jilo aufbereitet wurde, keineswegs nur
auf Schauwerte. Im Gegenteil, sie bleibt deutlich näher
am Roman und lässt so auch die zahlreichen Nebencha-
raktere wieder zu ihrem Recht kommen, denen Rob auf
seinem orientalischen Abenteuer begegnet. Als zweiter
Neuzugang mit Münchner Wurzeln überzeugt Barbara
Obermeier als ebenso stolze wie selbstbewusste Schottin
Mary, die für Rob zur großen Liebe seines Lebens wer-
den soll. Obermeier sorgt dabei mit dem wehmütigen
›Kilmarnock‹ für eines der ersten vokalen Highlights des
Abends und liefert einen klug gesetzten Ruhepol nach
Stankes druckvoll herausgeschleudertem Signature-Song
›Mein Weg‹. Ansonsten ist es um die Frauen des Stücks
nicht allzu gut bestellt, was allerdings überwiegend an der
sehr auf die männlichen Charaktere fokussierten Vorlage
liegt und den Autoren nicht anzulasten ist. Umso mehr
Respekt muss Caroline Zins und Sharon Isabelle Rupa
gezollt werden, denen es gelingt, mit ihren kurzen Auftrit-
ten als Robs todgeweihte Mutter beziehungsweise als Fara
nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben.
Während Sebastian Lohse als alter Bader zu Be-
ginn noch relativ blass wirkt und erst in seiner zweiten
Rolle als gestrenger Verwalter Quandrasseh allmählich
aus sich herausgeht, bildet der Ibn Sina von Reinhard
Brussmann auch in München ein weiteres Kraftzen-
trum der Aufführung. Der Österreicher verleiht dem
»König der Ärzte« mit seinem klassisch geführten Tenor
einerseits die nötige Autorität, stattet ihn aber anderer-
seits mit menschlicher Wärme aus und wird dafür am
Ende ähnlich gefeiert wie Kristian Lucas und Christian
Schöne, die Robs Studienkollegen Mirdin und Karim
Profil verleihen: Der eine als mitfühlender Freund, der
andere als von Macht verführter Widersacher. Vor al-
lem Schöne darf da genüsslich den egomanischen Bö-
sewicht heraushängen lassen. Obwohl es sein vertanztes
Schachspiel vielleicht nicht unbedingt gebraucht hätte,
das auf der Musicalbühne – von »Elisabeth« bis hin zum
jüngst ebenfalls von Holger Hauer inszenierten »Herz
aus Gold« in Augsburg – schon öfters als Metapher für
höfische Ränkespiele herhalten musste. Überhaupt blei-
ben diesmal ausgerechnet die sich stark wiederholenden
Choreographien von Kim Duddy eine Spur zu sehr der
Routine verhaftet und damit unter der von ihr selbst an-
dernorts immer wieder hoch angelegten Messlatte. Was
die Darsteller jedoch nicht davon abhält, sich mit Haut
Der Medicus
Dennis Martin / Christoph Jilo /
Marian Lux / Wolfgang Adenberg
Spotlight Musicals
Deutsches Theater München
Premiere: 8. November 2018
Regie ...... Holger Hauer & Christoph Jilo
Musikalische Leitung ........ Inga Hilsberg
Musikarrangements ....... Michael Reed &
Roy Moore
Choreographie ..................... Kim Duddy
Bühnenbild ................ Christoph Weyers
Kostüme ............................... Ulli Kremer
Maskenbild .................. Elke Quirmbach
Licht ................................. Pia Virolainen
Videodesign ................... Petr Hloušek &
Bastian Goetz
Sounddesign ............ Maximilian Becker
Dramaturgie ...................... Christoph Jilo
Rob Cole .......................... Patrick Stanke
Mary Cullen ............. Barbara Obermeier
Ibn Sina ................. Reinhard Brussmann
Karim ........................... Christian Schöne
Mirdin Askari ................... Kristian Lucas
Bader / Quandrasseh ..... Sebastian Lohse
Cullen /
Großwesir ......... Léon van Leeuwenberg
Fara ....................... Sharon Isabelle Rupa
Mutter ............................... Caroline Zins
Samuel / Kleiner Rob ...... Colin Badura /
Jonas Nestler /
Maximilian Lukas Schmalhofer
Anne Mary .................. Josephine Härle /
Mia Löwe / Zehra Sandikci
Claire ..... Emma Dippel / Tita Engelschalk /
Marlene Heide / Lena Weileder
In weiteren Rollen:
Jörg Alt, John Baldoz, Michael Beck,
Thomas Christ, Martin Enenkel,
Farid Halim, Sascha Laue, Denys
Magda, Andreas Nützl, Denise
Obedekah, Torsten Paul, Stephan R.
Przywara, Tara Randell, Martin Ruppel,
Jenny Schlensker (Dance Captain),
Steven Seale, Nicole Sydow, Michelle
Tönnies, Marjeta Urch, Andrea
Viggiano, Larissa Windegger

Abb. von oben links:

1. Für Rob (Patrick Stanke) ist Mary
(Barbara Obermeier) die große
Liebe seines Lebens
2. Nach seiner Ankunft in Isfahan
muss sich Rob (Patrick Stanke, Mitte
mit Ensemble) erst an die orientali-
schen Gepflogenheiten gewöhnen
3. Als Student Ibn Sinas ist Rob
(Patrick Stanke, 2.v.l.) am Ziel seiner
Wünsche
Fotos (3): Susanne Brill
4. Mit ›Ala Schah‹ feiert Karim
(Christian Schöne, Mitte mit Ensem-
ble) seine Ernennung zum Schah
von Persien
Foto: Spotlight Musicals

blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019 27


Abb. von oben links:
1. Rob Cole (Patrick Stanke) ist wie-
der mit Mary Cullen (Barbara
Obermeier) vereint
2. In Ibn Sina (Reinhard Brussmann, l.)
findet Rob (Patrick Stanke, r.) einen
Lehrer und Freund
3. Nach seiner Ernennung zum
Schah besucht Karim (Christian
Schöne, l.) noch einmal seinen
Lehrer (Reinhard Brussmann, r.) und
seine Studienkollegen (Patrick Stan-
ke, 2.v.l., Kristian Lucas, 2.v.r.)
4. Ibn Sina (Reinhard Brussmann, l.)
opfert sich, um Rob (Patrick
Stanke, r.) vor der Strafe der
Mullahs zu retten
5. Noch genießen Mirdin (Kristian
Lucas, l.), Karim (Christian Schöne,
Mitte) und Rob (Patrick Stanke, r.
mit Ensemble) gemeinsam das
Nachtleben
Fotos: Susanne Brill (1.) /
Spotlight Musicals / Michael Eloy
Werthmueller (2., 3., 5.) /
Spotlight Musicals (4.)
28
Musicals in Deutschland
und Haaren hineinzuwerfen und das Publikum mit ih-
rer Energie mehr als einmal anzustecken. Und so sind
die stehenden Ovationen, die das Ensemble am Ende
einfährt, mehr als gerechtfertigt.
Komponist Dennis Martin und seine Mitstreiter
erfinden das Genre mit ihrem »Medicus« zwar nicht
unbedingt neu, wissen aber genau, welchen Gesetzen es
folgt, und schütteln dabei sogar den einen oder ande-
ren Ohrwurm aus dem Ärmel, der sich dank mehrfa-
cher Wiederholung in die Gehörgänge gräbt. Stilistisch
ist da alles dabei, von der schmachtenden Ballade, über
Klezmer-Töne und schottische Folklore, bis hin zu An-
leihen bei Disneys »Aladdin«, sobald es Richtung Orient
geht. Wobei manches ethnische Klischee vielleicht auch
ein bisschen zu sehr strapaziert wird und gerade Robs
Ankunft in Isfahan haarscharf an der Grenze der poli-
tischen Korrektheit entlang schrammt. Dass trotzdem
vor allem die großen Ensemblenummern zünden, liegt
zu einem nicht unwesentlichen Teil am breiten sinfoni-
schen Sound, der hier aus dem Graben tönt. Denn im
Gegensatz zu Fulda, wo man mit aufwändig produzier-
ten Orchesteraufnahmen arbeitete, sind in der Münch-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
ner Spielserie die Kölner Symphoniker live im Einsatz,
die unter der versierten Leitung von Inga Hilsberg die
Darsteller fordern, ihnen aber auch Freiheiten geben,
die beim durchgetakteten Halbplayback kaum möglich
sind. Für das gut aufeinander eingespielte Ensemble
einerseits sicher eine Herausforderung, aber auch ein
positiver Energieschub, welcher der Aufführung guttut.
Zumal die Musikerinnen und Musiker bei den üppigen
Klangwolken voll in ihrem Element zu sein scheinen.
All jene, die mit den epischen Shows der 80er und 90er
groß wurden, dürfen sich hier auch musikalisch sehr zu-
hause fühlen. Und zwischen den ganzen Jukebox-Mu-
sicals, die in der laufenden Saison die Bühne des Deut-
schen Theater »zierten«, ist diese nostalgisch vertraut
anmutende Produktion in jedem Fall eine willkommene
Abwechslung, die in Nachfolge von »Der Glöckner von
Notre Dame« zeigt, dass sich das Publikum eben nicht
nur mit verkaufsfördernden Feel-Good-Shows begeis-
tern lässt, die nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner
schielen. Diese Vielseitigkeit braucht das Genre.
Tobias Hell

 Musicals in Deutschland
Bildgewaltige Show in Berlin
Uraufführung von »VIVID Grand Show« im Friedrichstadt-Palast
Abb. oben:
Kickline A ls am 9. Oktober 2008 mit »Qi – Eine Palast-
Phantasie« die neue Ära des Friedrichstadt-Palast
begann, erlebte man eine Wiederauferstehung, die bis
jetzt ihresgleichen gesucht hatte. Nun jedoch, fast auf
den Tag genau 10 Jahre später, am 11. Oktober 2018,
feierte »VIVID Grand Show« mit dem Zusatz »Eine
Liebeserklärung an das Leben« ihren großen Auftritt.
Seit »Qi« wurde im steten Rhythmus von 2 Jahren
eine neue Show präsentiert, wobei einen zuweilen das
Gefühl beschlich, irgendwie dasselbe zu sehen. Auch
wenn die Qualität stets exzellent war, fehlten meist die
Überraschungen.
»VIVID Grand Show« ist anders, auch wenn die
DNA des Friedrichstadt-Palast erhalten geblieben und
unverkennbar ist.
Abb. unten:
Krista Monson als Autorin sowie Regisseurin und
Passion and Breath ihrem Co-Autor sowie Co-Regisseur Oliver Hoppmann
Fotos (2): Brinkhoff / Mögenburg gelingt es, eine bildgewaltige und opulente Show zu
30 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
kreieren, die Krista Monsons langjährige Zusammen-
arbeit mit dem »Cirque du Soleil« erkennen lässt, aber
zweifelsfrei den Friedrichstadt-Palast in allen seinen Fa-
cetten präsentiert. Stellenweise gelingt es einem nicht,
alles auf der Bühne, auf den Seitenbühnen und im Zu-
schauerraum wahrzunehmen und zu verarbeiten. Man
ist »gezwungen«, sich die Show ein zweites oder drittes
Mal anzusehen, um die noch so kleinen Momente auf-
zusaugen. Das Bühnenbild von Michael Cotten nutzt
den schon üppigen Bühnenraum aus. Durch eine va-
riable, verschiebbare, riesige und auch drehbare Kons-
truktion mit Treppen, Podesten, Hubpodien und Auf-
zügen wandelt sich der gesamte bespielte Raum mit der
Unterstützung der Videos von Maxin10sity sowie der
Beleuchtung und den Laser-Effekten von Chris Moylan
fast blitzartig in eine andere Umgebung und Atmosphä-
re. Philip Treacy hat verwegene und skurrile Hutkreatio-
nen geschaffen und Stefano Canulli Kostüme gestaltet,
 Musicals in Deutschland

die sich nahtlos einfügen und doch frech, bunt und
bissig sind. Musikalisch haben Dave Kochanski, Jasmin
Shakeri und das Duo Arne Schumann/Josef Bach einen
spacigen und technolastigen Klang geschaffen, der sich
nicht in die Gehörgänge einbrennt, sondern verpufft.
Cedric Beattys Sound ist fast schon zu perfekt.
Zur DNA des Friedrichstadt-Palast gehört natürlich
das hauseigene üppige Ballett, welches von insgesamt
fünf Choreographen unter der Leitung von Alexandra
Georgieva in Szene gesetzt wird. Hierbei werden diese
zusätzlich von einem Akrobatik-Choreographie-Team
und einem Stunt-Koordinator unterstützt. Insgesamt ist
es schwierig, neue Sachen zu erfinden. Viel entscheiden-
der ist in diesem Zusammenhang das Verschmelzen zwi-
schen Geschichte, Bühne mit Licht, Kostümen, Musik
und Choreographie als Ganzes, welches die Zuschauer
erstaunen lässt.
Die ausgewählten Solisten sind zum Großteil ausge-
bildete Musicaldarsteller, die ihre Klasse sowohl stimm-
lich als auch darstellerisch auf Knopfdruck abrufen kön-
nen. Dem einen oder der anderen hätte man einen Song
mehr gegönnt, aber hier dabei zu sein ist schon eine
Ehre. In die Geschichte sind auch die Artisten integriert,
wobei »The Navas Troupe« mit ihren zwei Todesrädern
und das Flugartisten-»Duo Sky Angels«, das sich gegen-
seitig nur mit den Zähnen hält, hervorzuheben sind.
Es gibt sogar eine Geschichte und so muss man sich
wohl damit auseinandersetzen, dass »VIVID« schon mehr
als eine Revue ist und stellenweise ein Musical darstellt:
Im Zuschauerraum sitzt das junge Mädchen R‘eye
mit ihrem Vater (Jimmy Slonina) und zu Beginn der
Show beschwert sich der Vater beim Saalpersonal vehe-
ment darüber, dass ein Fremder seine Tochter auf die
Bühne bringen will, und möchte dies verhindern. Dies
VIVID Grand Show
Arne Schumann / Josef Bach /
Dave Kochanski / Jasmin Shakeri /
Kim Sanders / Krista Monson /
Oliver Hoppmann
Dr. Berndt Schmidt
Friedrichstadt-Palast Berlin
Uraufführung: 10. Oktober 2018
Regie .............................. Krista Monson &
Oliver Hoppmann
Comedic Act Design & Character
Coaching ..................... Shannan Calcutt &
Jimmy Slonina
Musikalische Leitung &
Music Supervision ............ Daniel Behrens
Arrangements ....................... Jens Brück &
Robin Hoffmann
Choreographie Supervision &
Leitung der
Ballettsolistinnen ..... Alexandra Georgieva
Choreographie ....... Alexandra Georgieva,
Dean Lee, Leo Mujić, Fredrik Benke
Rydman, Denis We
Choreographie-
Akrobatik ............... Edesia Moreno Barata
Choreographie
Sway Poles......................... »Strange Fruit«
Stunt Coordination ........ Matthias Günther
Bühnenbild ...................... Michael Cotten
Kostüme ........................... Stefano Canulli
Kopfschmuck &
Design-Regie ........................ Philip Treacy
Lichtdesign .......................... Chris Moylan
Visuelle Spezialeffekte ....... Michael Curry
Videodesign .......................... Maxin10sity
Sounddesign ....................... Cedric Beatty
R‘eye ........................ Devi-Ananda Dahm
Androidonna ............. Glacéia Henderson
The Entertainer ................. Andreas Bieber
Glamour Girl .................... Sarah Manesse
The Guru
(Marble Painting) .............. Mehmet Yilmaz
Father of R‘eye /
The Explorer ...................... Jimmy Slonina
MJ ................................. Mikael Johansson
Young R‘eye ................ Friederike Cordes /
Amily Fetter / Amelie Klein /
Maya Kornev / Marieza Kuhnke /
Mieke Makatsch / Janell Matuschek /
Maria Nurewa / Ino Thanou-Koletsi /
Uliana Voronova / Sofia Zubkova
In weiteren Rollen ............. Amber Schoop
Ballettsolistinnen: ............. Adriana Bernic,
Nina Makogonova, Arielle Martin,
Anudari Nyamsuren, Sofia Rita Schabus
Artisten:
Contortion Act ........... »Troupe Ayasgalan«
Aerial Pole Act ...... »Artem Lyubanevych«
Iron Jaw Act .................. »Duo Sky Angels«
Double Wheels
of Steel Act ................. »The Navas Troupe

Abb. von oben links:

1. Jungle Grasfrau
Foto: Robert Grischek
2. Zebra Woman
Foto: Dennis Weinboerner
3. Jungle Extravaganza
4. The Entertainer (Andreas Bieber)
5. Jungle Gold
Fotos (3., 4., 5.): Nady El-Tounsy

blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019 31

 Musicals in Deutschland
Abb. von oben: gelingt ihm jedoch nicht und so folgt er seiner Toch-
1. Jungle Extravaganza Kostüme ter. R‘eye ist mittlerweile gefangen genommen wor-
Foto: Robert Grischek
2. Prismatic-Release
den und wird durch Königin Androidonna (Glacéia
Foto: Brinkhoff / Mögenburg Henderson) in eine Androidin transformiert und ihrer
Androiden-Armee gleichgeschaltet. The Guru (Meh-
met Yilmaz) präsentiert eine aus der Türkei bekannte
Ebru-Malkunst und schlägt die Zuschauer in seinen
Bann. Hier lässt sich viel hineininterpretieren. Ob dies
nun auch R‘eye hilft, sich nicht verloren zu fühlen und
sich daran festzuhalten, dass sie ein Mensch ist, sei da-
hingestellt. Auf einer weiteren Ebene begegnen wir The
Entertainer (Andreas Bieber) und Glamour Girl (Sarah
32 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Manesse), die uns und R‘eye vom Leben berichten und
ihr auch die Kraft für den Weg zurück ins menschli-
che Leben geben sollen. Im Finale Grande gelingt es
schließlich R‘eye (Devi-Ananda Dahm), sich aus ih-
rem Androiden-Dasein zu befreien. Jeder sollte seiner
Phantasie freien Lauf lassen und aus den erzählten klei-
nen Geschichten sein Verständnis ziehen. Eins ist aber
auf alle Fälle eine Botschaft: Das Leben als Mensch
und das Zusammenleben aller auf dem Planeten
Erde sind lebenswert – »VIVID«.
Oliver Wünsch
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Liebe so facettenreich wie das Leben selbst
Deutschsprachige Erstaufführung von »Das Licht auf der Piazza« an den
Landesbühnen Sachsen Radebeul
Abb. oben:
Clara Johnson (Anna Preckeler, l.)
wird von ihrer Mutter Margaret
Johnson (Sarah Schütz, r.) getröstet
Foto: LBS / Matthias Rietschel
Das Licht auf der Piazza
Adam Guettel / Craig Lucas
Deutsch von Roman Hinze
Landesbühnen Sachsen
Hauptbühne Radebeul
Deutschsprachige Erstaufführung:
22. September 2018
Regie, Ausstattung &
Licht ........................... Sebastian Ritschel
Musikalische Leitung .... Hans-Peter Preu
Musik. Einstud. ............... Thomas Gläser,
Thomas Tuchscheerer & Anja Greve
Choreinstudierung .... Sebastian Matthias
Fischer & Karl Bernewitz
Choreographie ....... Simon Eichenberger
Dramaturgie ...................... Gisela Zürner
Margaret Johnson ............... Sarah Schütz
Clara Johnson ................. Anna Preckeler
Fabrizio Naccarelli ......... Gero Wendorff
Giuseppe Naccarelli ............ Edward Lee
Franca Naccarelli ........... Kirsten Labonte
Signora Naccarelli ................. Antje Kahn
Signor Naccarelli ............. Patrick Imhof /
Michael König
Roy Johnson .................... Steffen Pietsch
Priester ......................... Andreas Petzoldt
Tour Guide .... Tabea Drechsler-Reckmann
Opernchor der Landesbühnen Sachsen
34
Musicals in Deutschland
I talien in den 1950er Jahren: Der Zuschauer findet sich
im kulturellen Florenz wieder, genauer auf der Piazza
della Signoria. In einem kunstvollen Rahmen wird man
durch das lebendige Museum geführt und bekommt auf
eine melodische Art die künstlerische Hochburg Italiens
präsentiert. Wir lernen die wohlhabende Margaret John-
son (Sarah Schütz) und ihre Tochter Clara (Anna Precke-
ler) kennen, die fern der amerikanischen Heimat einen
Kultururlaub verbringen. Ein Windhauch trägt Claras
Hut hinfort und er landet zu Füßen des charismatischen
Italieners Fabrizio Naccarelli (Gero Wendorff). Ganz un-
beholfen nähern sich die beiden an und die Liebe auf
den ersten Blick lässt beider Gesichter erstrahlen.
Wäre Liebe so einfach, dann würde das Stück an die-
ser Stelle enden, noch bevor es richtig begonnen hat,
aber von Liebesschmalz ist »Das Licht auf der Piazza«
ebenso weit entfernt wie von einem typischen Musical-
Stück aus dem Hause Disney. Diese Besonderheiten
machen das Stück zu einer glanzvollen Perle, die nicht
umsonst am Broadway gefeiert und mit zahlreichen
Tony Awards ausgezeichnet wurde. Elizabeth Spencers
Erzählung »The Light in the Piazza« lieferte den Grund-
stock, auf dem der gleichnamige Film basiert, und über
40 Jahre später feierte das herausragende Musical in
Seattle seine Uraufführung, ehe es über Chicago schließ-
lich am Broadway zu vollem Glanz erstrahlte. Nach dem
Libretto von Craig Lucas komponierte Adam Guettel
die Musik und schrieb die dazugehörigen Texte. Mu-
tig bezog er dabei in klassisch moderne Klänge und
gefühlvolle Musical-Melodien Anleihen aus der Oper
ein und erschuf eine Orchestrierung, die alles andere als
gewöhnlich ist. Diese Außergewöhnlichkeit hat Sebasti-
an Ritschel, Operndirektor der Landesbühnen Sachsen,
nun als deutschsprachige Erstaufführung, mit der Über-
setzung von Roman Hinze, in den Freistaat geholt, die
am 22. September 2018 ihre Premiere feierte.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Die romantische Liebesbeziehung zwischen Clara
und Fabrizio steht gleichwohl im Vordergrund, doch ist
Liebe so facettenreich wie das Leben selbst und das Mu-
sical zeigt nuanciert die Vielschichtigkeit des Gefühls
auf. Ein weiterer Aspekt dreht sich um die Beziehung
zwischen Mutter und Tochter. Man merkt bereits beim
ersten Lied ›Kunst und Geschichten‹, dass Clara ein-
zigartig ist: sprunghaft und naiv wirkend, etwas Kind-
liches an sich habend und die Welt mit offenen Augen
sehend. Ihre Mutter wirkt beschützend, hat Angst, sie
aus den Augen zu verlieren, was bei dem erwachsenen
Alter der Tochter überbehütend und fremdartig wirkt.
Mit der Zeit wird der Grund offenbart: An Claras 12.
Geburtstag kam es zu einem folgenschweren Unfall,
der ihre geistige Entwicklung nahezu zum Stillstand
gebracht hat. Margaret macht sich seitdem Vorwürfe
und versucht, ihre Tochter vor den Gefahren der Welt
zu schützen. Eingebettet in einen Kokon aus überfür-
sorglicher Mutterliebe, soll sie von den Enttäuschungen
des Lebens ferngehalten werden, sodass Margaret Claras
Werdegang einem Regiebuch gleich plant. Da sich in
der Heimat erste Liebeleien anbahnten und diese nicht
in das Konzept der Mutter hineinpassten, traten sie kur-
zerhand die Reise nach Italien an, unter dem Vorwand,
Clara die Kultur näher zu bringen sowie zu zeigen, wo
Vater und Mutter die Flitterwochen verbracht haben.
Jene Urlaubsplanung wird mit Fabrizios Auftauchen ge-
hörig durcheinandergewirbelt.
Margaret versucht von Anfang an, die Romanze zu
torpedieren. Die bisweilen fadenscheinigen Ausflüchte,
warum beide sich nicht sehen können, lassen gelungene
komödiantische Aspekte im ansonsten eher ernsten
Stück zu Tage treten. Ebenso belustigend ist mitanzu-
sehen, wie Fabrizios Bruder Giuseppe (Edward Lee)
versucht, ihm den amerikanischen Stil beizubringen,
was in einer Lehrstunde in romantischer Konversation

von Giuseppes Frau Franca (Kirsten Labonte) endet.
Obwohl die Familie alleine durch die Erzählungen des
smarten Italieners von der neuen Freundin eingenom-
men ist, sind dessen Bruder und seine Schwägerin un-
geeignet, ihn in Liebesdingen zu beraten, hat Giusep-
pe doch seine Frau bereits mehrmals betrogen. Franca
Naccarelli verleiht ihrer Verbitterung temperamentvoll
Ausdruck und ihre desillusionierten Ansichten in punc-
to Liebe führen später zu einer handfesten Auseinan-
dersetzung mit Clara, die die Amerikanerin für sich
entscheiden kann und damit gleichzeitig Francas Res-
pekt gewinnen lässt.
Bei einem Besuch bei Familie Naccarelli wird Mar-
garet mit Leidenschaft und Herzenswärme empfangen,
der sie sich nur schwer entziehen kann. Zwar ist Signor
Naccarelli (Patrick Imhof ) der Patriarch der Familie und
die Liebe zu seiner Frau ehrlich, doch Signora Nacca-
relli (Antje Kahn) ist das Herz der Familie, die die Fäden
in der Hand hat. Im Gegensatz zu dieser typisch italie-
nischen Familie steht das Eheleben der Amerikanerin,
was bei einem Telefonat mit ihrem Mann Roy Johnson
(Steffen Pietsch) spürbar wird. Er verdient das Geld und
sie hat sich nach seinen Ansichten zu richten. Dazu
hat er kein Interesse, sich weiter mit der Unvollkom-
menheit seiner Tochter auseinanderzusetzen. Margaret
bleibt mit dem Gefühl der Leere zurück, fragt: ›Wann
war die Liebe tot?‹ Aufgrund dessen versucht sie nach
der Verlobung von Clara mit Fabrizio umso vehemen-
ter, die Hochzeit zu verhindern, scheitert jedoch an
Claras Durchsetzungskraft und dem neu erworbenen
Selbstbewusstsein. ›Das Licht auf der Piazza‹ weist ihr
den Weg und so lässt sie ihre Mutter sprachlos zurück.
Margaret muss erkennen, dass die Fesseln, die sie ihrer
Tochter auferlegt hat, ihre Entwicklung vielleicht mehr
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
gehemmt haben als der Unfall damals. Anders kann sie
sich das Aufblühen von Clara nicht erklären, das fast
spielerische Lernen der italienischen Sprache und den
Willen, zukünftig eigene Entscheidungen treffen zu
wollen. Daraufhin löst sich die Mutter aus den Fängen
ihres in der Ferne verweilenden Mannes und kämpft
von da an wirklich für das Glück ihrer Tochter. War es
doch immer das, was sie für diese wollte – dass sie glück-
lich ist, auch wenn es bedeutet, loslassen zu müssen und
einen langen Sinn im eigenen Leben zu verlieren. Fa-
brizio und Clara scheinen endlich der Einfachheit und
Ehrlichkeit ihrer Liebe nachgehen zu können, würde
Signor Naccarelli nicht plötzlich ein Umstand bewusst,
der das neue Liebesglück bedroht.
Sebastian Ritschel, der sowohl für die Regie als auch
die Kostüme und das Bühnenbild verantwortlich zeich-
net, ist eine umwerfende Inszenierung gelungen. Ins-
besondere die eingefrorenen Szenen im Hintergrund,
während eine Person ihre Geschichte dem Publikum
näherbringt, lassen das Stück filmisch wirken. Zudem
bewirkt es, dass man sich als Zuschauer angesprochen
fühlt, als wäre man selbst etwas Besonderes.
Das Bühnenbild mit den Bilderrahmen ist schlicht
gehalten, ermöglicht durch die passenden Bildwechsel
und Lichtgestaltung dennoch unheimliche Tiefe – ins-
besondere bei dem Telefonat des Ehepaars Johnson wird
die Entfernung trotz der räumlichen Nähe greifbar un-
terstützt – und bildet konsequent den Rahmen ab, in
den Margaret ihre Tochter gesteckt hat. Die Rahmen
symbolisieren auch Claras Eingeschlossenheit, erzeugen
Dramatik, als sich diese in der Stadt verirrt, und geben
im passenden Moment der Freiheit, die ihrem Geist
innewohnt, nach. Zusätzlich sorgen Mobiliar und Kos-
tüme für eine Reise in die 1950er Jahre und spiegeln
Abb. oben:
Clara Johnson (Anna Preckeler) und
Fabrizio Naccarelli (Gero Wendorff)
versichern sich vor dem großen
Moment noch einmal ihre Liebe
Foto: LBS / Matthias Rietschel
Abb. unten von oben links:
1. Margaret Johnson (Sarah Schütz)
erklärt ihrer Tochter Clara Johnson
(Anna Preckeler) die verschiedenen
Kunstobjekte
2. Fabrizio Naccarelli (Gero
Wendorff, 2.v.l.) und Clara Johnson
(Anna Preckeler, 2.v.r.) besprechen
mit Signor Naccarelli (Michael König,
i. d. bes. Vorst. Patrick Imhof, l.) und
Margaret Johnson (Sarah Schütz, r.)
die Hochzeitsprobe
3. Clara Johnson (Anna Preckeler)
betrachtet das Licht auf der Piazza,
wie es die verschiedenen Sehens-
würdigkeiten beleuchtet
4. Clara Johnson (Anna Preckeler,
vorne r.) bekommt von den Sorgen
ihrer Mutter Margaret Johnson
(Sarah Schütz, vorne l.) und den Bli-
cken der Besucher (Chor) nichts mit
Fotos (4): LBS / Pawel Sosnowski
35

Abb. oben von oben links:
1. Margaret Johnson (Sarah Schütz)
versucht, Signor Naccarelli (Michael
König, i. d. bes. Vorst. Patrick Imhof)
zu erklären, was das Besondere an
ihrer Tochter ist
2. Margaret Johnson (Sarah Schütz, l.)
lernt Signor Naccarelli (Michael
König, i. d. bes. Vorst. Patrick Imhof)
und Signora Naccarelli (Antje Kahn)
kennen und deren italienische
Leidenschaft
3. Clara Johnson (Anna Preckeler)
und Fabrizio Naccarelli (Gero Wen-
dorff) freuen sich über die scheinbar
gelungene Hochzeitsprobe
Fotos (3): LBS / Pawel Sosnowski
4. Clara Johnson (Anna Preckeler)
und Fabrizio Naccarelli (Gero Wen-
dorff) haben sich vor ihrer Familie
(Ensemble) das Jawort gegeben
Foto: LBS / Matthias Rietschel
36
Musicals in Deutschland
die gesellschaftlichen und kulturellen Begebenheiten
eindrucksvoll wieder.
Ritschel gestaltet die Figuren bis ins letzte Detail
aus, mit viel Liebe – und einem ganz eigenen Humor.
Einen Humor, den Sarah Schütz als Margaret Johnson
wundervoll trocken zur Schau stellt. Sie schafft es, den
Facettenreichtum ihrer Figur situationsgerecht dar-
zustellen, und man kann sich in die besorgte Mutter
hineinversetzen. Ihre Zerrissenheit, ihre Entwicklung
zu innerer Größe und der eigenen Betroffenheit über
den Verlust von Liebe und Sinn im Leben werden nach-
vollziehbar dargestellt und für das Publikum greifbar
gemacht. Ebenso holt sie den Zuschauer gesanglich ab,
lässt das Stück gefühlvoll mit dem ›Märchen‹ über die
Liebe ausklingen.
Auch Anna Preckeler brilliert in ihrer Rolle als Clara.
Man kauft ihr das Naive, das Verspielte und das immer
wieder durchbrechende trotzig Kindliche ab. Es wird
von ihr nicht übertrieben zur Schau gestellt, sondern
fügt sich harmonisch in die Geschichte ein, sodass ei-
nem zwar bewusst ist, dass Clara anders ist, die genauen
Umstände sich aber erst im Laufe des Stückes als Puzz-
leteile zusammenfügen. Gesanglich nimmt Preckeler ei-
nen mit auf eine liebevolle Reise, die dennoch mit viel
Kraft das Selbstbewusstsein und die Entwicklung von
Clara – speziell bei der Darbietung des titelgebenden
Liedes – widerspiegelt.
Gero Wendorff als Fabrizio Naccarelli ist der Traum
von einem Schwiegersohn. Charmant, witzig, auf-
merksam, und seine Darbietung von ›Das seh‘ ich in
dir‹ zeugt von der innigen Liebe, die er Clara entgegen-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
bringt, sodass einem das Herz aufgeht, ohne dabei ro-
mantischem Kitsch zu erliegen.
In der Vorstellung vom 4. November 2018 porträ-
tiert Patrick Imhof Fabrizios Vater für den krankheits-
bedingt ausgefallenen Michael König. Als Patriarch der
Familie übernimmt er für Leib und Seele der Familie die
Verantwortung und ist nur schwer von festen Konven-
tionen abzubringen. Man merkt ihm die Kürze der Zeit,
in der er diese Partitur erlernt hat, in keinem Moment
an. Gesangs- und stilsicher haucht er dem Sinnbild
eines italienischen Padre Leben ein. Ebenso verleihen
Antje Kahn (Signora Naccarelli), Edward Lee (Giuseppe
Naccarelli) und Kirsten Labonte (Franca Naccarelli) ih-
ren Charakteren Profil und tragen nicht unwesentlich
zu dieser gelungenen Inszenierung bei.
Die Elbland Philharmonie Sachsen musiziert unter
der musikalischen Leitung von Hans-Peter Preu auf
höchstem Niveau. Die differenzierten Kompositionen
mit Anlehnungen aus der Oper erklingen wohltuend im
Ohr und runden das Musical ebenso ab wie die sichere
und überzeugende Leistung des Opernchors der Lan-
desbühnen Sachsen.
»Das Licht auf der Piazza« ist kein typisches Main-
stream-Musical, doch wer sich darauf einlässt, begibt
sich auf eine psychologisch tiefgehende Reise, die sowohl
von dem Gedanken an Liebe als auch von Toleranz und
Mitgefühl getragen wird. Sie bringt einen zum Nachden-
ken und Adam Guettels Musik zeigt, dass Klassik und
Moderne sich klangvoll miteinander vereinen lassen.
Eva Baldauf

Ein Ring, sie zu knechten
Frank Nimsgerns »Der Ring« in Füssen
Abb. oben:
Die Rheinamazonen (v.l.): Lust
(Kristin Backes), Zärtlichkeit (Kathy
Savannah Krause), Schmerz (Ste-
fanie Gröning) spielen mit Zwerg
Alberich (Chris Murray)
Foto: Michael Böhmländer
Der Ring
Frank Nimsgern / Daniel Call
Big Dimension & Frank Nimsgern
Ludwigs Festspielhaus Füssen
Premiere: 5. Oktober 2018
Regie ......................... Reinhardt Friese
Musikalische Leitung ... Frank Nimsgern
Choreographie ........... Marvin A. Smith
Bühnenbild ........... Herbert Buckmiller
Kostüme .............. Annette Mahlenberg
Maske ........................... Maja Storbeck
Lichtdesign ......................... Tino Tiesler
Sounddesign ................... Kai Becker &
Clayton DeGuerre
Wotan ............................. Jan Ammann
Alberich .......................... Chris Murray
Siegfried .................. Christopher Brose
Brunhild .......................... Anke Fiedler
Zärtlichkeit ...... Kathy Savannah Krause
Schmerz .................... Stefanie Gröning
Lust ............................... Kristin Backes
In weiteren Rollen:
Sonja Anzenhofer, Sandra Behrends,
Julia Böhmländer, Sophie Böhmländer,
Nicole Buhl, Günther Kirchner, Florian
Kügle, Marcus G. Kulp, Pia Weirather
Tänzer:
Kristy Ann Butry, Marlou Düster,
Gregor Continanza, Valerio Croce,
Michael Mike Fiech, Julie Martin,
Michaela Praher, Sebastian Wunder,
Ann-Kathrin Wurche
Luftakrobatin: Vera Maria Horn
38
Musicals in Deutschland
N ach der erfolgreichen Überarbeitung vor zwei Jah-
ren im Theater Hof (vgl. blimu 06/2016) brachte
Frank Nimsgern eine auf dieser Produktion basierende
Neuinszenierung seines Rockmusicals »Der Ring« in
Ludwigs Festspielhaus in Füssen.
Geschickt komprimiert Autor Daniel Call die mehr
als 18 Stunden von Wagners Opernzyklus auf drei Stun-
den, in denen die Handlung mit stets hohem Tempo
voranschreitet: Gott Wotan (Jan Ammann) hat den
Schatz der Nibelungen und den Ring der Macht im
Rhein versenkt. Seine drei Töchter, die Rheinamazonen
(Kathy Savannah Krause, Kristin Backes und Stefanie
Gröning), sollen ihn bewachen. Doch nach über 1000
Jahren langweilen sich die Damen und so gelingt es dem
Zwerg Alberich (Chris Murray), der durch einen Hecht
in die Tiefen des Rheins geführt wurde, den Ring, der
ihn zum gottgleichen Herrscher über die Menschheit
macht, an sich zu nehmen.
Währenddessen hat sich Gott Wotan durch die Rie-
sen Sturm und Wind Walhalla bauen lassen. Diese for-
dern als Bezahlung den Ring der Macht. Da sich dieser
aber im Besitz des Zwerges befindet, muss Gott Wotan
hinab in die Unterwelt steigen. Mit einer List gelingt
es ihm, dem Zwerg den Ring zu entreißen. Zwerg
Alberich hat sich aus dem Gold auch eine Tarnkappe
gemacht, die Wotan ebenfalls an sich nimmt und den
Riesen übergibt.
Wotan, gelangweilt, arrogant und herrschsüchtig,
wird von seiner Tochter Brunhild getadelt. Daraufhin
nimmt er ihr die Göttlichkeit und schließt sie in einen
Ring aus Feuer, symbolisiert durch einen riesigen Kron-
leuchter, ein, aus dem sie nur durch einen Gott wieder
befreit werden kann. Die Riesen geraten indessen über
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
den Schatz in Streit. Sturm siegt über Wind und ver-
wandelt sich durch die Tarnkappe in einen Drachen, in
dessen Magen sich der Ring befindet.
Alberich, der Zwerg, der den Ring gerne zurück-
haben möchte, schmiedet einen Menschen aus Stahl:
seinen Sohn Siegfried. Ihn schickt er los, den Drachen
zu töten und ihm den Ring zurückzubringen. Siegfried
gelingt es, den Drachen zu erschlagen und den Ring an
sich zu nehmen.
Mit dem Ring an der Hand gelingt es ihm, Brunhild
wieder zum Leben zu erwecken. Doch auch er verfällt
der Gier nach Macht.
Die Menschen verlangen von ihm: »Sei Gott!«, weil
sie, wie Alberich schlau bemerkt, Führung brauchen
und Wotan in seiner selbst ernannten Herrlichkeit alle
anderen Götter umgebracht hat. Doch Siegfried besiegt
Wotan und macht auch ihn zum Sterblichen. Um wieder
göttlich zu werden, versucht Wotan, Alberich zum Mord
an Siegfried anzustiften. Doch als er dies auch Brunhild
vorschlägt, tötet sie Wotan, ihren eigenen Vater.
Um der Jugend und der Liebe den Weg frei zu ma-
chen, bittet Brunhild Siegfried, auch seinen »Vater«, den
Zwerg Alberich, zu töten, was der auch tut. Nachdem er
auch den Ring an die Rheinamazonen zurückgegeben
hat, können Brunhild und Siegfried ein Leben in Frie-
den beginnen.
So kompakt wie in diesem Musical wird die älteste
deutsche Heldensage wohl nirgends erzählt und daher
verlangt die bildgewaltige Show auf der monumentalen
Bühne vom Zuschauer ungeteilte Aufmerksamkeit.
Nimsgerns rockige Musik verarbeitet geschickt
Zitate aus Wagner-Opern, bedient sich bei Funk und
Soul und wechselt auch in gewaltige Orchesterklänge,

welche mit der Filmmusik von Hans Zimmer pro-
blemlos mithalten können. Leider fallen dagegen die
Texte von Daniel Call ab, die weiterhin den Schwach-
punkt des Stücks bilden. Seine einfachen Reime und
immer wieder nach demselben Muster gebauten Lied-
texte bedienen leider die Komplexität der Musik nur
unzureichend.
Die bereits aus Hof bekannten Elemente der Büh-
ne wie der Salon des gesunkenen Kreuzfahrtschiffs
auf dem Grund des Rheins als Hauptmotiv sowie der
Kronleuchter kommen in Füssen erneut zum Einsatz,
gleichzeitig wird aber auch die einmalige technische
Raffinesse des Musicaltheaters genutzt und so wird
der Würmsee aus »Ludwig2« kurzerhand zum Rhein,
in welchem Zwerg Alberich auf die Suche nach dem
Schatz geht.
Diese neue Produktion zeigt auch, welchen qualita-
tiven Unterschied es für ein Rock/Pop-Musical macht,
wenn statt des Hausensembles eines Mehrspartenthea-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
ters echte Musicaldarsteller auch im Ensemble spielen,
die den Dreiklang von Schauspiel, Tanz und Gesang
wirklich beherrschen. Dies ist auch zwingend erforder-
lich, denn Choreograph Marvin A. Smith, in Deutsch-
land vor allem bekannt für seine Arbeit mit Popstar
Helene Fischer, fordert dem Ensemble in rasanten
und teils akrobatischen Choreographien körperliche
Höchstleistungen ab.
Die hervorragenden Darsteller um Jan Ammann und
Chris Murray sind die Garanten dafür, dass bei dieser
Übernahme vom öffentlichen Stadttheater Hof ins pri-
vate Festspielhaus am Ende keiner der Zuschauer beim
minutenlangen Schlussapplaus auf seinem Platz sitzen
bleibt. Bei diesem gelungenen Gesamteindruck kann
auch verziehen werden, dass die orchestrale Musik und
der Chor deutlich als solche hörbar, voraufgezeichnet
zugespielt werden.
Kurt Richter
Abb. unten von oben links:
1. Siegfried (Christopher Brose)
und Wotan (Jan Ammann) stacheln
einander auf zu einem Kampf auf
Leben und Tod
2. Wotan (Jan Ammann) hat Brun-
hilde (Anke Fiedler) in einen ewigen
Schlaf versetzt, aus dem nur ein Gott
sie erlösen kann
3. Zwerg Alberich (Chris Murray) hat
den Ring der Macht gefunden
4. Siegfried (Christopher Brose) tötet
im Auftrag seines Schöpfers den
Drachen Fafner, den, bestehend
aus Einzelteilen, Tänzer zum Leben
erwecken
5. Siegfried (Christopher Brose)
vor Wotans Residenz oberhalb des
Rheins – Ludwigs Festspielhaus
verfügt über die Möglichkeit für
herrliche Wasserspiele
Fotos: Michael Böhmländer (2., 4., 5.),
Ingrid Kernbach (3.), Frank Nimsgern (1.)
39

Ein Krimi um Liebe, Macht und die ganz
großen Gefühle »Ghost – Nachricht von Sam« in Hamburg
Abb. oben:
Das Liebespaar Molly (Roberta
Valentini) und Sam (Riccardo
Greco) bezieht seine erste
gemeinsame Wohnung in Brooklyn
Fotos: Stage Entertainment / Morris Mac Matzen
Ghost – Nachricht von Sam
Dave Stewart / Glen Ballard /
Bruce Joel Rubin
Deutsch von Roman Hinze &
Ruth Deny
Stage Entertainment
Operettenhaus Hamburg
Premiere: 28. Oktober 2018
Regie ......................... Matthias Davids
Musik. Leitung ................. Shay Cohen
Musik. Supervision .... Ratan Julian Jhaveri
Orchestrierung .......... David Abbinanti
Choreographie .................... Lee Proud
Kostüme ............................... Leo Kulaš
Bühnenbild &
Videodesign.................... Hans Kudlich
Lichtdesign ............. Michael Grundner
Illusionsdesign.................. Nils Bennett
Sounddesign....... Andreas Hammerich
Molly Jensen .............. Roberta Valentini
Sam Wheat .................. Riccardo Greco
Oda Mae Brown ..... Marion Campbell /
Amber Schoop
Carl Brunner ....................... John Vooijs
Clara ................................ Enny de Alba
Louise ........................... Tamara Wörner
Krankenhaus-Geist ............... Rob Pelzer
U-Bahn-Geist .................. Marius Bingel
Willie Lopez...................... Mischa Kiek
In weiteren Rollen:
Philip Anderson, Anja Backhus, Alex
Belilinkx, Alan Byland, Rachel Colley,
Kristel Constant, David Eisinger, Ni-
colas Heiber, Emma Hunter, Guiliano
Mercoli, André Naujoks, Philipp
Nowicki, Kayleigh Stephenson, Lanie
Sumalinog, Pieck van der Kaaden,
Rosalie Simone van Wengerden
40
Musicals in Deutschland
E in gleißender Schein strahlt aus dem Stage Operet-
tenhaus Hamburg hinaus auf die dunkle und schon
winterlich anmutende Reeperbahn. Funkelnd spiegelt
sich das Licht der glitzernden Kristalllampen mit dem
Licht der Scheinwerfer an der aufgebauten Pressewand
mit Töpferscheibe und kreiert diese ganz besondere
Atmosphäre, die die Zuschauer an diesem Abend will-
kommen heißt.
Es ist Galapremiere: Stage Entertainment hat sich
dazu entschlossen, »Ghost – Nachricht von Sam«, ein
Stück voller Gefühl, Spannung und Humor, im Über-
gang zwischen »Kinky Boots« und dem neuen West-
End-Hit »Tina – The Musical« für 11 Wochen nach
Hamburg zu bringen.
Zuvor lief die Produktion im Berliner Theater des
Westens und davor wurde diese Fassung am Landesthea-
ter Linz entwickelt. In englischer Fassung war »Ghost –
The Musical« ein Riesenerfolg am The English Theatre
in Frankfurt am Main.
Für Hamburg hat das Kreativteam nochmals neu be-
setzt und kluge Entscheidungen getroffen. In der Rolle
der Molly Jensen steht eine der starken Musicaldamen
unseres Landes auf der Bühne: Roberta Valentini. Musi-
calliebhaber kennen sie unter anderem aus Oberhausen,
wo sie die Hexe Elphaba in »Wicked – Die Hexen von
Oz« spielte. Ihr steht in der Rolle des Liebhabers und als
Charmeur des Abends, Sam Wheat, Riccardo Greco zur
Seite, der diese Rolle bereits in Linz kreiert hat und auch
auf der deutschsprachigen Cast-CD zu hören ist.
Überhaupt ist das ganze Projekt, die Zusammenar-
beit des Staatstheaters Linz, mit eigenen Werkstätten
und eigenem Team, mit einem Großkonzern wie der
Stage Entertainment einmalig. Die Schaffung einer sol-
chen Projektaufteilung und das Erreichen verschiedens-
ter Synergien gab es in dieser Form so zuvor noch nicht
im deutschsprachigen Raum. Das Ergebnis kann sich in
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
der nun für Hamburg nochmals angefassten und noch
feiner geschliffenen Version wirklich sehen lassen.
Flott und dynamisch spielt das 8-köpfige Orches-
ter unter der Leitung von Broder Kühne auf. Anfangs
klingt der Sound am Premierenabend etwas verhalten,
was gerade der ›Ouvertüre‹ bei den großen Bögen Kraft
raubt, zieht dann aber im weiteren Verlauf des Stückes
auf das gewohnte Spitzenniveau des Hauses an. Da der
Ton in Berlin in den sozialen Medien öfters bemängelt
wurde, kann mit Freude berichtet werden, dass der Ton
in Hamburg sehr unter die Haut geht.
Die Stücke der Komposition, wie zum Beispiel ›Jetzt
und Hier‹, ›Gestohlener Traum‹ und ›Lass mich nicht
geh‘n‹, sind eingängig und gehen gut ins Ohr, gepaart
mit den immer wieder anklingenden Auszügen des wohl
romantischsten Liebesliedes aller Zeiten, der ›Unchai-
ned Melody‹.
Die Geschichte des weltbekannten Films mit Patrick
Swayze, Demi Moore und Whoopi Goldberg in den
Hauptrollen funktioniert auf der Bühne noch emotio-
naler und für den Zuschauer viel greifbarer als im Film.
Ein junges Paar (Molly und Sam, durchweg tolle
Stimmen von Roberta Valentini und Riccardo Greco)
bezieht gemeinsam ein Loft, die junge Liebe ist spürbar
und steht am Zenit. Doch dann passiert das Unfassbare:
Sam kommt bei einem Überfall ums Leben und gerät in
eine Zwischenebene, in der so einige Geister existieren,
die noch nicht loslassen können und etwas in der Welt
regeln müssen oder dort für immer feststecken. Sam
sucht sich deshalb ein Medium, Oda Mae Brown, in
der Bühnenfassung herrlich gespielt und gesungen von
Marion Campbell, um so zu Molly, seiner großen Liebe,
noch einmal Kontakt aufnehmen zu können.
Ein Krimi um Liebe, Macht und die ganz großen
Gefühle beginnt. An der einen oder anderen Stelle wir-
ken die Dialoge eine Spur zu platt und zerstören die

zuvor hart erspielte Glaubhaftigkeit. Das wurde in der
Frankfurter Inszenierung der englischen Fassung besser
gelöst. Im Gesamten stimmt das Spieltempo aber vor-
züglich und die Regie hat schnelle Bilder geschaffen.
Das wirklich praktische und schön in die Tiefe gearbei-
tete Bühnenbild funktioniert reibungslos und die seit-
lich einfahrenden Elemente greifen wie die Rädchen
eines Uhrwerks ineinander. Eindrucksvolle Spezialef-
fekte bereichern die Illusionen, die in dieser Show ent-
stehen. Tolle Effekt-Momente innerhalb der Show sind
zum Beispiel ein sich drehender U-Bahn Waggon, in
dem die Zeitungen der Reisenden plötzlich wegfliegen,
während Sam mit dem U-Bahn-Geist kämpft, oder
wenn Sam das erste Mal durch Türen geht: Zip Zap
(Technik zur Weitergabe von Energie, Anm. d. Red.).
Wo sich beim »Phantom der Oper« noch der Spiegel
seitlich öffnet und durch Nebel das Durchschreiten er-
möglicht wird, kann man bei »Ghost« nicht wirklich
erkennen, wie der Trick funktioniert, und sieht zuerst
Sams Hand und dann den Körper verschwinden. Die
Szene in Carls Büro ist auch sehr gut gemacht, als Carl
durch den imaginär anwesenden Sam plötzlich wie von
Geisterhand an der Wand nach oben gezogen wird.
Die Regie hat hier jeweils ein gutes Tempo inszeniert
und macht die Illusion damit perfekt.
Das Ensemble kann in den wenigen Gruppensze-
nen wie ›Mehr‹ oder ›Auf ein Wunder warten wir‹, cho-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
reographiert von Lee Proud, zeigen, was in ihm steckt, Abb. unten von oben links:
und tut dies auch. Die Energie dieses Casts ist bis in 1. Oda Mae (Marion Campbell, l.)
die letzte Reihe spürbar, die Schrittfolgen sind auf den berichtet Molly (Roberta Valentini, r.),
dass Sam (Riccardo Greco, Mitte)
Punkt platziert.
als Geist noch auf Erden weilt, wäh-
Es gibt viele sehr ruhige und auch tief bewegende rend dieser aus dem Hintergrund
Momente an diesem Abend. Ein Verdienst aller an der zusieht
Produktion Beteiligten. Der Durchschnitts-Musicalbe- 2. Sams bester Freund, Carl Brunner
sucher erwartet sicher nicht, sich in einer Broadway- (John Vooijs, Mitte mit Ensemble),
kämpft an der Wall Street um seine
show per se mit dem Thema Abschied und Vergänglich-
Karriere
keit auseinandersetzen zu können. 3. ›Hier ist kein Raum‹ – Der
Dieses Kreativ-Team hat aber großartig gearbeitet Krankenhaus-Geist (Rob Pelzer)
und es geschafft, wunderbare Momente zu kredenzen, erklärt Sam seine Existenz
und verquickt Krimi mit Liebe, Spaß und den Ab- 4. Der U-Bahn-Geist (Marius
schiedsthemen des Lebens. Bingel) kämpft um sein Recht und
fokussiert seine Kräfte
Das Publikum im Operettenhaus hat die ein oder
5. Carl Brunner (John Voojis)
andere Träne fließen lassen und diese »Ghost«-Ham- ist als Banker in kriminelle
burg-Premiere mit tosendem Beifall honoriert. Machenschaften verwickelt
Und wer weiß – vielleicht war es ja anfangs doch Fotos (5): Stage Entertainment /
Morris Mac Matzen
nicht nur ein gleißendes Scheinwerferlicht, das den
Redakteur auf dem Weg ins Operettenhaus Hamburg
auf der Reeperbahn so geblendet hat. Vielleicht war es
ja auch ein »kleiner Geist«, der »Hallo!« sagen wollte –
Nach der heutigen Vorstellung kann ich an diesem Ge-
danken großen Gefallen finden. »Die Liebe in Dir, die
nimmst Du mit«.
Stefan Schön
41
 Musicals in Deutschland

Ein Arzt zwischen den Fronten

»Doktor Schiwago« als Musical am Theater Pforzheim

Doktor Schiwago
Lucy Simon / Michael Korie /
Amy Powers / Michael Weller
Deutsch von Sabine Ruflair &
Jürgen Hartmann
Theater Pforzheim – Großes Haus Jurij Schiwago (Paul Jadach) heiratet Tonia (Natasha Sallès)
Premiere: 28. September 2018 Foto: Sabine Haymann
Regie .......................... Tobias Materna
Musik. Leitung ............... Philipp Haag

Choreographie ................. Janne Geest
Bühnenbild ............... Jörg Brombacher
Kostüme ............................. Ruth Groß
Jurij Andréitsch Schiwago ..... Paul Jadach /
Kurosch Abbasi
Lara ..... Femke Soetenga / Anna Gütter
Viktor Ippolitowitsch Komarovskij ........
Spencer Mason
Pascha Antipov, später Strelnikow ........
Ingo Wagner / Julian Culemann
Antonina Gromeko, genannt Tonia .......
Natasha Sallès / Stamatia Gerothanasi
Anna Iwanowna Gromeko ...................
Lilian Huynen
Alexander Alexandritsch Gromeko .......
Klaus Geber
Amalja Karlowna Guichard,
Laras Mutter.............. Manuela Wagner
Olga ................ Stamatia Gerothanasi /
Natasha Sallès
Gints / Funktionär 2 .......... Frank Traub
Liberius ......................... Holger Wecht
Janko .......... Enes Sahin / Ingo Wagner
Warja ................... Angela D'Antuono /
Gitte Pleyer
Tusia .......................... Rigobert Störkle
Markel ............................... Karel Pajer
Tusias Verlobte / Marfa ...... Angela Kalcher
Funktionär 3 /
Sprecher des Volkstribunals ..................
Steffen Fichtner
Soldat 2 / Partisan ............ Lothar Helm
Staatsanwalt Kornakow ..... Thorsten Klein
Nikolaj / Mischa /
Quartiermeister ............. Dorlir Ahmeti
Bahnhofsvorsteher ............. Ivan Zlabek
Junge Lara /
Katharina, Laras Tochter .... Liliane Friedl /
Cora Frank / Laura Jung
Junge Tonia ...... Swaantje Schwarzien /
Helena Barneveld / Marie Näher
Junger Jurij / Sascha ..... Roman Ziems /
Elias El-Idrissi / Tobias Kienzle
Chor, Extrachor & Statisterie des
Theaters Pforzheim
D
avid Leans Monumentalfilm »Doktor Schiwago«
(1965), nach dem Roman von Boris Pasternak,
zählt sicher zu den besten Filmen aller Zeiten und mit
dem Aussprechen des Titels erklingt gleichzeitig eine
der schönsten Filmmelodien, ›Lara's Theme‹, eine Kom-
position von Maurice Jarre. Komponistin Lucy Simon
(»Der geheime Garten«) erschuf 2006 »Doctor Zhivago
– A New Musical«, das Des McAnuff im La Jolla Play-
house im kalifornischen San Diego inszenierte. Nach
Vorstellungen in Australien (2010) überarbeitet, erlebte
die Show 2015 am Broadway nur 26 Previews und 23
Vorstellungen. Nach der deutschsprachigen Erstauffüh-
rung in Leipzig inszenierte Tobias Materna das Musical
in einer gekürzten Fassung am Theater Pforzheim.
In Moskau begräbt man den einst reichen Vater
des jungen Jurij Andréitsch Schiwago (Roman Ziems).
Unter den Trauernden weilt auch der undurchsichtige
Rechtsanwalt Komarovskij (Spencer Mason), der Jurij
in die Obhut von Alexander (Klaus Geber) und Anna
Gromeko (Lilian Huynen) übergibt, die eine Tochter
haben: Antonina, genannt Tonia (Swaantje Schwarzien).
In einem Schneideratelier kümmert sich Komarovskij
derweilen ebenfalls um das Wohlergehen von Amalja
Karlowna Guichard (Manuela Wagner) und ihrer Toch-
ter Larissa, genannt Lara (Liliane Friedl).
Zum Lied ›Schwarz-Weiß‹ werden aus den Kindern
Erwachsene. Jurij Schiwago (Paul Jadach) ist Arzt und
Dichter geworden, der Tonia (Natasha Sallès) heiraten
soll, und Lara (Femke Soetenga) lebt in einer Beziehung
mit dem revolutionären Pawel Pawlowitsch Antipov,
genannt Pascha (Ingo Wagner), während sie auch von
Komarovskij begehrt wird.
Als Schiwago kurz davor ist, zu heiraten, zwingt ihn
der Aufstand, welcher gegen den Zaren und seine Armee
tobt, noch einmal hinaus auf die Straße. Er behandelt
einige Verletzte, als ihm Pascha und Lara begegnen.
Direkt danach taucht Lara bei seiner Hochzeitsfeier auf
und schießt auf Komarovskij. Sie verfehlt ihn, wird aber
auf sein Drängen hin nicht verhaftet. Ein Blick von ihr
genügt Schiwago, dass er Lara nicht mehr aus seinen
Gedanken streichen kann.
Lara heiratet Pascha und in der Hochzeitsnacht ver-
sucht sie, ihm mit dem Lied ›Wenn die Geige sang‹ von
Komarovskijs sexuellen Übergriffen zu erzählen. Doch
für Pascha ist dies zu viel, er rennt davon. Im selben Mo-
ment steht Schiwago vor der Tür, um herauszufinden,
weshalb Lara auf Komarovskij geschossen hat. Doch
Lara will nur ihrem Ehemann folgen.
Schiwago wird einberufen und nimmt mit dem
melancholischen ›Sieh zum Mond‹ von seiner Frau Ab-
schied. In einem Lazarett geht der junge Arzt seinem
Beruf nach, wobei er Lara wiedertrifft, die hier als Kran-
kenschwester arbeitet. Sie glaubt, dass Pascha tot ist, und
hat inzwischen Schiwagos Gedichte gelesen, was diesen
überrascht. Pascha fordert inzwischen von seinen Män-
nern, alles im Kampf gegen die Deutschen zu geben.
Ein wunderbarer Moment ist das Anstimmen des be-
rühmten ›Lara's Theme‹ von Schwester Olga (Stamatia
Gerothanasi) auf dem Akkordeon. Sie singt das Lied auf
Russisch, ›Lubow' moja‹, ehe alle den neuen deutschen Text
von Sabine Ruflair singen: ›Dort, wo der Flieder blüht‹.
Schiwago und Lara wollen die Verletzten mit Hilfe
eines Zugs evakuieren, darunter auch der junge Soldat
Janko (Enes Sahin). Als er stirbt, finden sie einen Brief
an seine geliebte Katharina, den sie gemeinsam lesen
(›Jetzt‹), bevor er mit den Ankommenden in den Zug
steigt. Die Soldaten unter ihren Führern Pascha und
Liberius (Holger Wecht) singen das patriotische Lied
›Vorwärts Marsch‹. Später stimmen sie das nachdenkli-
chere ›Blut auf dem Schnee‹ an.

42 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019


Einige Zeit später ist Schiwago wieder in Moskau
und sieht seinen Sohn Sascha (Roman Ziems) zum ers-
ten Mal. Tonia und ihre Familie leben auf dem Dach-
boden ihres eigenen Hauses, das beschlagnahmt wurde,
und müssen hungern.
Jurij Schiwago muss sich vor dem Komitee für kul-
turelle Angelegenheiten wegen seiner Gedichte recht-
fertigen, die nicht parteigerecht sind. Im Komitee tagt
auch Komarovskij, der dem Beschuldigten geschickt
beisteht. Allerdings demonstriert das Komitee seine
Macht und lässt Nikolaj (Dorlir Ahmeti), Schiwagos
ersten Verleger, hängen. Die Familie entscheidet sich,
Moskau zu verlassen und in ein Haus auf dem Land zu
ziehen. Mit dem Zug fahren sie nach Jurjatino unweit
ihres neuen Heims.
Pascha, der sich nun Strelnikow nennt, ist der Kom-
mandant der roten Partisanen, die um Jurjatino brutal
und gnadenlos herrschen. Schiwago wird ihm nach sei-
nem Eintreffen vorgeführt. Strelnikow erklärt ihm, der
ihn nicht erkennt, dass seine Zeit als Bourgeois vorbei
sei. Er will auch wissen, ob er Larissa Antipova kennt.
Dabei behauptet auch er, dass deren Mann gestorben
sei. Da Schiwago angibt, mit Lara gearbeitet zu haben,
wird er freigelassen.
Er besucht die Bibliothek, in der Lara als Bibliothe-
karin arbeitet. Ihre Liebe geht in die nächste Phase: der
erste innige Kuss und der erste Beischlaf. Lara beichtet
ihm, dass Strelnikow ihr Ehemann ist. Als die Partisanen
einen Arzt brauchen, landet Schiwago in ihrem Lager,
ohne dass er sich von Tonia verabschieden konnte. To-
nia besucht Lara, um sie nach dem Verbleib ihres Man-
nes zu fragen.
Nachdem Schiwago eine durchgedrehte Frau, Kuba-
richa (Lilian Huynen), die sich den Hals aufgeschnitten
hatte, erschießen musste, um ihr Leid zu beenden, ver-
lässt er die Partisanen und erreicht erschöpft Jurjatino.
Lara pflegt ihn gesund und übergibt ihm einen Brief von
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
Tonia, aus dem hervorgeht, dass die Familie nach dem
Tod von Tonias Vater zurück nach Moskau gereist ist.
Unterdessen wird Strelnikow vom Volksgericht zum
Tode verurteilt. Komarovskij hat Lara und Schiwago
gefunden und bietet ihnen an, mit ihm nach Osten zu
fahren. Durch einen Trick gelingt es Schiwago, Lara zu
dieser Fahrt zu überreden, während er zurückbleibt. Der
totgeglaubte Strelnikow taucht kurz darauf auf, er weiß
von Laras Affäre und dass sie ihn nicht genug liebte. Da-
rauf erschießt er sich selbst. Das Musical endet ein paar
Jahre später auf einem Friedhof in Moskau. Schiwago
ist tot und an seinem Begräbnis nehmen Lara und ihre/
seine Tochter Katharina (Liliane Friedl) teil.
Die Inszenierung kommt mit wenigen Requisiten
aus sowie einem multifunktionellen Stahlgerippe, das
je nach Szene zu einem Haus, einem Bahnhof, einem
Wirtshaus oder einer Kaserne wird. Leider fehlen Zeit-
angaben und Erklärungen zu den verschiedenen Kon-
flikten. Speziell das Alter der Kinder stimmt nicht mit
den Daten der Geschichte überein und irgendwann sind
alle Revoluzzer gleich gut und böse.
Das grobe Gerüst des Filmdrehbuchs wurde beibe-
halten, wobei die Musik auch hier die Emotionen eini-
ger Szenen erschafft, so bei den Duetten von Lara und
Schiwago (›Jetzt‹ und ›Jenseits aller Zeit‹). Abb. oben:
Paul Jadach gefällt stimmlich als Doktor Schiwago, Jurij Schiwago (Paul Jadach) im
auch wenn er schauspielerisch bei einigen Szenen etwas Lazarett
hölzern wirkt, was auch seiner Größe geschuldet ist.
Abb. unten von links:
Femke Soetenga ist ohne Tadel, sowohl im Gesang als
1. Jurij Schiwago (Paul Jadach), Anna
auch im Schauspiel. Natasha Sallès überzeugt ebenfalls. Gromeko (Lilian Huynen) und der
Ingo Wagner spielt sicher die fieseste Rolle, aber das Quartiermeister (Dorlir Ahmeti)
macht er auf sehr überzeugende Art. Somit zeigt sich 2 Jurij Schiwago (Paul Jadach) sitzt
»Doktor Schiwago« in Pforzheim zwar nicht als meis- neben dem toten Strelnikow (Ingo
terhaftes musikalisches Gegenstück des Films, aber als Wagner)
3. Jurij Schiwago (Kurosch Abbasi, in
sehenswertes Musical.
der bes. Vorst. Paul Jadach) und Lara
(Femke Soetenga)
Christian Spielmann Fotos (4): Sabine Haymann
43

Mit Witz, Charme und ganz viel Liebe
»Do Laachs Do Dich Kapott« als Uraufführung des Kölner Scala Theaters
›Urlaub op däm Buurehoff‹ – Sieglinde Ärmsau (Hilde Schmitz,
2.v.l. und Ensemble) genießt ihre »Agrikultur-Kur« in der Eifel
Foto: Thomas Schmidt
Do Laachs Do Dich Kapott
Diverse Komponisten / Ralf Borgartz
Scala Theater Köln
Uraufführung: 20. September 2018
Regie .............................. Ralf Borgartz
Co-Regie ......................... Malte Fuhrer
Musik. Leitung ............ Christian Wilke
Musikproduktion .... Carsten Schmidt &
Christian Wilke
Choreographie .............. Eveline Gorter
Dance Captain ............. Svenja Schulte
Bühnenbild ................... Lena Sofuoglu
Kostüme ............................ Karin Wirtz
Lichtdesign .................. Jonas Anders &
Oliver Schell
Ton ..................... Florian Sandmeier &
Ben Streibig
Griet Kleinapfel / Tante Mathilde /
Torwart ....................... Sophie Russel /
Barbara Nöske
Jan vom Pferd / Hannes / Pfarrer /
Fußballer ...................... Ralf Borgartz /
Malte Fuhrer
Heiderose De Halsnitvoll / Schaf /
Fußballer ................ Elke Schlimbach /
Kirstin Hesse
Opa / Max Liebergott / Kater /
Fußballer .................. Arne Hoffmann /
Lucas Theisen
Sieglinde Ärmsau /
Mutter Geiss ............... Hilde Schmitz /
Barbara Nöske
Peter Zollstock / Hennes /
Herr Saftig ............Maximilian Wieler /
Malte Fuhrer
Gudrun Kneifer / Melki / Schwein /
Fußballer .................. Sylvia Bartusek /
Svenja Schulte
Mariechen / Milki / Biene /
Frl. Fleutmann /
Fußballer ................ Laura Trompetter /
Svenja Schulte
44
Musicals in Deutschland
S o eine »Agrikultur-Kur« in der Eifel ist schon was
Feines für den gestressten (Kölner) Stadtbürger. Be-
sonders Urlaube auf dem Bauernhof stehen dabei ganz
oben auf dem Trendbarometer. »Warum denn in die
Ferne schweifen, wo das Schöne liegt so nah?«, fragt sich
auch Sieglinde Ärmsau (Hilde Schmitz) und quartiert
sich zwecks Naherholung im berühmten Wallfahrtsort
»St. Kimmenich an der Fimsch« auf dem kleinen Land-
gut der Bäuerin Griet Kleinapfel (Sophie Russel) ein.
Hier scheint die Welt noch in Ordnung, reduzieren sich
Griets Sorgen doch (zumindest vorerst) auf die beson-
ders üppige Pflaumenernte und ihren alljährlichen Auf-
tritt als Kimmenichs Schutzheilige. Immerhin hat ihre
vermeintlich unbefleckte Empfängnis der inzwischen
erwachsenen Tochter Mariechen (Laura Trompetter) das
Eifeler Kaff erst zu einem Wallfahrtsort werden lassen.
Auch die direkt neben Griets Klohäuschen entspringen-
de, besonders würzig riechende Heilquelle ist weit über
die Dorfgrenzen bekannt. Wen wundert‘s, dass schon
bald die Kölner Stadtverwaltung auf Griets ländliches
Kleinod aufmerksam wird. ›Dat Wasser vun Kölle‹ ist
nämlich gar nicht so gut wie eingangs im gleichnamigen
Lied der Kölner Kultband »Bläck Fööss« besungen. Als
campingfreudige Kleinfamilie getarnt, machen sich des-
halb drei Mitarbeiter, darunter Jan vom Pferd (Ralf Bor-
gartz), nach Kimmenich auf, um vor Ort die Weichen
für eine Eingemeindung zu stellen und so ungehindert
eine von der Heilquelle ausgehende Pipeline direkt in
die Kölner Innenstadt verlegen zu können. Hätte da
nicht auch Kimmenichs kirchliche Obrigkeit ein Wört-
chen mitzureden. Sollte Griets Tochter Mariechen näm-
lich einer alten Testamentsverfügung zur Folge nicht –
wie vorgesehen – ins Kloster gehen, würde das Landgut
samt Heilquelle an die Gemeinde fallen. Prompt taucht
Mariechen mit neuem Freund (Arne Hoffmann) und
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
einem »nonnenuntauglichen Malheurchen« unter dem
Herzen in Kimmenich auf. Mutter Griet hat jedoch ge-
rade ganz andere Probleme, erkennt sie doch in Jan vom
Pferd eine frühere Jugendliebe wieder. Bei all dem nun
einsetzenden Chaos liegt jedoch noch etwas ganz ande-
res in der Luft, das sogar die Welt von Gockel Hannes
(ebenfalls Ralf Borgartz) und Geißbock Hennes (Maxi-
milian Wieler) gehörig auf den Kopf stellen wird: Jede
Menge Liebe …
Man sollte meinen, dass nach den immensen Erfol-
gen des Scala Theaters in den letzten Jahren eine Stei-
gerung kaum noch möglich ist. Doch mit »Do Lachs
Do Dich Kapott« hat Regisseur und Autor Ralf Borgartz
(Co-Regie: Malte Fuhrer) nicht nur einen erneuten
Coup gelandet, sondern noch eine gewaltige Schippe
obendrauflegen können. Neben dem für das Kölsche
Lustspielhaus typischen derb-frivolen Klamauk besticht
die neue Musicalrevue durch mehrere, intelligent inei-
nander verwobene Handlungsstränge, mitreißende und
theatralisch hervorragend aufgearbeitete Songs Kölscher
Originale wie »Brings« oder »Bläck Fööss« (Musikali-
sche Leitung: Christian Wilke), tolle Choreographien
(Eveline Gorter, Dance Captain: Svenja Schulte) und
eine herausragende Leistung des gesamten Ensembles,
in das sich auch die beiden Neuzugänge Maximilian
Wieler und Laura Trompetter bestens integriert haben.
Pro Vorstellungsabend agieren jeweils acht Darsteller
in insgesamt 28 unterschiedlichen Rollen inmitten der
ideenreich ausgestalteten Kulissen (Bühnenbild: Lena
Sofuoglu) von Griets kleinem Eifeler Bauernhof samt
Kuhstall und doppeltürigem Klohäuschen, das sogar –
mit wenigen Handgriffen um die heimatlichen Dom-
spitzen erweitert – der Kölnhymne ›Du bes Kölle‹ von
Tommy Engel den nötigen Lokalk(l)olorit verleiht.
Eine derart tempogeladene Show wie »Do Lachs Do

Dich Kapott«, mit anspruchsvollen Choreographien
(hier seien besonders der Schuhplattler ›Kölsche Junge
bütze joot‹ und das Fußball-Ballett des 1. FC Köln zu
›Mir stonn zesamme‹ genannt) und unzähligen Umzü-
gen hinter der zweistöckigen Bühne, fordert nicht nur
einen hohen körperlichen Einsatz der Darsteller, son-
dern auch strapazierfähige, schnell austauschbare Kos-
tüme. Die von Karin Wirtz entworfenen Bühnenoutfits
bestechen darüber hinaus durch eine fantasievolle Um-
setzung und großen Ideenreichtum. Dies gilt insbeson-
dere für die Kostüme der Hoftiere, für die es mit der
amourösen, gegen alle Widerstände kämpfenden Bezie-
hung zwischen Gockel Hannes und Geißbock Hennes
sogar einen eigenen Handlungsstrang gibt. Die hierbei
vom gesamten Ensemble grandios umgesetzte Interpre-
tation des aktuellen »Brings«-Hits ›Liebe gewinnt‹ am
Ende des ersten Aktes wird so zum zentralen Motto des
gesamten Stücks.
Es würde leider den Rahmen des Artikels sprengen,
auf jede Darstellerleistung ausführlich einzugehen, ver-
dient wäre es allemal. Denn die einzelnen Charaktere
sind bis in die kleinste Nebenrolle vortrefflich besetzt:
Laura Trompetter und Sylvia Bartusek zeigen in diver-
sen Rollen nicht nur tänzerisches und gesangliches Kön-
nen, sondern auch großes komödiantisches Talent. Als
von einer Tanzkarriere träumendes Hausschwein legt
Bartusek zudem gemeinsam mit ›Katerballerino‹ Arne
Hoffmann einen eindrucksvollen Pas de deux auf die
Bühne, der trotz beabsichtigter Komik das große tän-
zerische Potential beider zeigt. Als vermeintlich seniler
Opa mit militärischen Ambitionen und Mariechens in
Nonnenkleidung versteckter, heimlicher Freund Max
präsentiert sich Arne Hoffmann zudem schauspielerisch
gekonnt in zwei Rollen, die unterschiedlicher nicht sein
könnten. Mit unnachahmlicher Mimik und treffsiche-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
rer Pointensetzung zeigt sich Hilde Schmitz als Sieglinde Abb. unten von links:
Ärmsau, die – ihrem Nachnamen gerecht werdend – als 1. ›Die Liebe gewinnt‹ und trifft Hahn
Hannes (Ralf Borgartz) und Geiss-
Trainerin des 1. FC Köln endet. Diesjähriger Publi-
bock Hennes (Maximilian Wieler)
kumsliebling ist wohl Neuzugang Maximilian Wieler, mitten ins Herz
der sowohl in der Rolle des zwielichtigen Peter Zollstock 2. ›Ich ben dodurch‹ – Am Ende wird
als auch des liebenswerten Geißbocks Hennes mit enor- alles gut … und Jan (Ralf Borgartz)
mer Ausstrahlung und kraftvoller Stimme zu überzeu- und Griet (Sophie Russel) treten
gen weiß. Gleich mehrere gesangliche Highlights liefert endlich vor den Traualtar
3 ›Kölsche Junge bütze joot‹ – Doch
Elke Schlimbach als Heiderose De Halsnitvoll. Mit be-
das Techtelmechtel von Max (Arne
eindruckender Gesangsstimme meistert sie anspruchs- Hoffmann) und Mariechen (Laura
volle Balladen wie ›Helau‹ (nach ›Hello‹ von Adele) Trompetter) ist leider nicht ganz
und ›Bei uns doheim‹ von den »Bläck Fööss«. Star des folgenlos geblieben
Abends ist jedoch die unnachahmliche Travestiekünst- 4. ›Wenn de Sonn schön schingk‹,
lerin Sophie Russel, die hier mit grandiosem Spiel und geht‘s einem direkt doppelt so gut,
das wissen auch Peter Zollstock
großer Bühnenpräsenz sowohl als Griet Kleinapfel als (Maximilian Wieler, l.), Jan vom Pferd
auch als stolzes Zirkuspferd Tante Mathilde das Publi- (Ralf Borgartz, Mitte) und der Opa
kum in den Bann zieht. Natürlich darf an dieser Stel- (Arne Hoffmann, r.)
le auch Ralf Borgartz selbst nicht unerwähnt bleiben, Fotos (4): Thomas Schmidt
steht er doch neben seinen Funktionen als Stückautor
und Regisseur als vollwertiges Ensemblemitglied auf der
Bühne. Hierbei verhilft er als Jan vom Pferd mit viel
Charme, Witz und gleichwohl schauspielerischem wie
gesanglichem Können seiner Liebe für Griet zu einem
verdienten Happy End. Und auch der von Borgartz
ebenso überzeugend verkörperte, schillernd bunte Go-
ckel Hannes findet am Ende seinen Platz an Hennes‘
Seite … als zukünftige »Spielerfrau«.
Bereits vor Stückpremiere Ende September durfte
sich das Scala Theater über ausverkaufte Vorstellungen
bis Jahresende freuen. Die von den Zuschauern gesetz-
ten Vorschusslorbeeren sind jedenfalls nicht umsonst,
denn »Do Laachs Do Dich Kapott« hat das Zeug zum
neuen Publikumshit.
Susanne Baum
45

Neuentdeckung eines Musikgenies für jedermann
Uraufführung von »Bach – Der Rebell« am Theater Arnstadt
Abb. oben:
Die Bewohner Arnstadts (v.l.: Nadine
Kühn, Niklas Lundßien, Astrid
Andresen, Adrian Burri, Ramona
Akgören, Mario Zuber, Hannah Rühl)
feiern ein fröhliches Fest und stoßen
auf die Zukunft an
Foto: Frank Sitter
Bach – Der Rebell
Marko Formanek / Nadine Kühn /
Andrew Robb / Niklas Lundßien /
Henning Wölk
Theater Arnstadt in Kooperation mit
Grossstadt Entertainment
Theater Arnstadt
Theater im Schlossgarten
Uraufführung: 21. September 2018
Regie ............................. Nadine Kühn
Musik. Leitung ..... Maximilian Reinhard
Bühnenbild ................ Marie Benker &
Oliver Meier
Kostüme ......................... Sergio Abajur
J. S. Bach ............................. Adrian Burri /
Jendrik Sigwart
J. S. Bach als Kind ............. Hannah Rühl /
Andrea Esser
General-Superintendent ............. Christian
Schöne / Valentino Karl
Maria Barbara Bach ...... Ramona Akgören
Johann Jacob Bach ........ Niklas Lundßien
Bürgermeister ........................ Mario Zube
Dietrich Buxtehude ........ Andreas Goebel
Anna Buxtehude .............. Astrid Andresen
Anna Magdalena Wilcke .... Nadine Kühn
Herzog Wilhelm Ernst .......... Mario Zuber
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Musicals in Deutschland
A rnstadt, die älteste Stadt Thüringens, ist haupt-
sächlich Klassikliebhabern bekannt, zählt sie doch
zu einer der fünf Thüringer Bachstädte. Bach – DER
Bach? Genau der! Johann Sebastian Bach hatte mit 18
Jahren in Arnstadt seine erste Anstellung als Organist.
Weithin zählt Bach als Musikgenie seiner Zeit zu den
bedeutendsten Komponisten, und Legenden, wie Mo-
zart und Beethoven haben sich von seinen Schöpfungen
inspirieren lassen. Die Werke des Thomaskantors sind
heute nicht mehr aus dem Repertoire der klassischen
Musik wegzudenken.
Was also haben sich Oliver Meier (Intendant
Theater Arnstadt) und Frank Sitter (Produzent Gross-
stadt Entertainment) dabei gedacht, ein Musical über
das Klassikgenie auf die Arnstädter Bühne zu bringen?
Vermutlich, dass Bach auch einmal jung an Jahren war
und turbulente Zeiten erlebt hat, die es wert sind, er-
zählt zu werden. Gemeinsam ist ihnen mit den Autoren
Andrew Robb, Nadine Kühn (Liedtexte), Niklas Lun-
dßien und dem Komponisten Marko Formanek, unter
der musikalischen Leitung von Maximilian Reinhard,
eine aus modernen Pop- und Rocksongs bestehende
Hommage gelungen, die ihresgleichen sucht und selbst
für die jüngere Generation Spaß und so manchen Ohr-
wurm verspricht. Nebenbei kann diese Neuentdeckung
eines klassischen Musikgenies fast problemlos mit den
Musical-Produktionen der namhaften Bühnen mithal-
ten. Gerade die Umsetzung an der ersten Wirkungs-
stätte Bachs versprüht einen besonderen Charme. Als
Kirchenbesucher ist man Teil des Stückes und erlebt
hautnah das erste Orgelspiel mit, wird Zeuge mehre-
rer Kirchengerichte und begleitet den ambitionierten
Künstler auf seinem steinigen Weg in die allseits be-
kannte, glorreiche Zukunft.
Im zarten Alter von 9 Jahren wird Johann Sebas-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
tian Bach (Hannah Rühl) zur Vollwaise. Von diesem
Schicksalsschlag lässt er sich nicht unterkriegen, findet
›Einen Platz in dieser Welt‹, kann sich allerdings nicht
in ›Die Gesellschaft‹ integrieren und bricht mit ›Alten
Traditionen‹, was insbesondere beim Arnstädter Gene-
ral-Superintendenten (Christian Schöne) viel Unmut
erzeugt. Dieser bleibt zeitlebens Bachs (Adrian Burri)
Gegenspieler und bringt diesen mehr als einmal – er-
folglos – vor das Kirchengericht. ›Die Zeit in Lübeck‹
bei Dietrich Buxtehude (Andreas Goebel) eröffnet Bach
neue Welten. Jedoch kann er mit den Avancen von Bux-
tehudes Tochter Anna (Astrid Andresen) nichts anfan-
gen, hat er doch sein Herz bereits an eine andere verlo-
ren. ›Ein Stadtfest in Arnstadt‹ offenbart, dass Johann
Sebastians Bruder Johann Jacob (Niklas Lundßien) sich
ebenfalls in Maria Barbara (Ramona Akgören) verliebt
hat, jedoch gegen den Jüngeren keine Chance hat, was
zu einem kurzzeitigen Bruch der beiden Brüder führt.
Um alldem zu entkommen, beschließt das Neuehe-
paar, sein Glück in Mühlhausen zu versuchen. Nach-
dem die dortige Kirche abbrennt, erhält Bach eine An-
stellung am Weimarer Hof von Herzog Wilhelm Ernst
(Mario Zuber) auf Lebenszeit. Allerdings fühlt der
rastlose Bach sich in den Zwängen der höfischen Ge-
sellschaft alles andere als wohl, ist der Meinung, ›Mu-
sik schließt man nicht ein‹, und erhält erst durch Anna
Magdalena Wilcke (Nadine Kühn) neue Inspiration
und neuen Lebensmut. Wäre doch nur ›Liebe so leicht
wie Musik‹. Rebellisch, wie Bach ist, kann er nicht um-
hin, das Angebot des Fürsten von Köthen anzunehmen,
für ihn nicht nur weltliche Musik zu komponieren, was
ihn letzten Endes ins Gefängnis bringt, nicht ahnend,
welch schicksalhafte Wendung ihm währenddessen wi-
derfahren wird. Dieser dramaturgische Höhepunkt des
Musicals schließt die Haupthandlung in sich ab, und es

öffnet sich sprichwörtlich eine Tür, wo sich eine andere
schließt. ›Wir sind Musik‹ lehrt den Zuschauer auf sub-
tile Art und Weise: »Der Glaube allein lässt nicht alles
gescheh‘n. Man muss auch bereit sein, den Schritt zu
geh‘n.«
Den richtigen Schritt bezüglich der musikalischen
Umsetzung ist Komponist Marko Formanek auf jeden
Fall gegangen, seine teilweise raffinierte Musik bleibt
im Ohr und viele Kompositionen von Bach führen den
Zuschauer durch die einzelnen Szenenwechsel. Die Be-
setzung des Musicals wurde in hohem Maße treffend
ausgewählt: Mit Adrian Burri steht ein Bach auf der
Bühne, dem man den frischen und rebellischen Wind,
den dieser in die Gesellschaft bringt, abnimmt und der
die innere Zerrissenheit bei Hofe in Weimar ausdrucks-
stark darstellt. Ebenso strahlt er die notwendige Kraft
aus, derer es bedarf, um sich gegen die festgefahrenen
Ansichten der Stadtbewohner zu behaupten. Er strotzt
nur so von dem Willen, etwas zu verändern, und wirkt
dabei selbstbewusst und entschlossen, aber keinesfalls
überheblich. Bei dem Duett mit Niklas Lundßien (Jo-
hann Jacob Bach): ›Alles wird neu‹, überzeugen beide
mit gesanglicher Stimmkraft. Auf gleicher Ebene kann
Christian Schöne als General-Superintendent mithal-
ten. Seine Interpretationen von ›Alte Traditionen‹ und
›Du entkommst mir nicht‹ vermitteln mit Gänsehaut,
wie extrem er sich durch die aufmüpfige Art Bachs he-
rabgewürdigt fühlt: er, der von Gott berufen wurde.
Sein Kampf mit Burri ist nur ein Höhepunkt des Mu-
sicals. Ramona Akgörens Darstellung der Maria Bar-
bara Bach zeigt glaubhaft deren Entwicklung von der
mädchenhaften, unbekümmerten Frau zur sorgenden
Ehefrau, der das Glück ihres Mannes am Herzen liegt
und die weiß, dass sie ihm nicht mehr das geben kann,
was er braucht. Mario Zuber schafft den Sprung zwi-
schen dem patriarchischen Bürgermeister Arnstadts,
den die Meinung der Kirche nicht viel interessiert, und
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
dem Weimarer Herzog Wilhelm Ernst mit seinen ganz
besonders amüsanten Attitüden. Abgerundet wird das
kleine, hochwertige Ensemble mit Andreas Goebel, As-
trid Andresen und Hannah Rühl, die musikalisch und
darstellerisch mit den anderen besonders in den Ensem-
ble-Nummern ›Unsere Zukunft‹ und ›Wir sind Musik‹
harmonieren und dem Zuschauer im Gedächtnis blei-
ben. Nadine Kühn, die ebenfalls im Stück mitwirkt, hat
nicht nur die Liedtexte geschrieben, die sowohl in die
barocke als auch die heutige Zeit passen, sondern führt
ferner Regie. Ein Spagat, der ihr gelingt. Neben klei-
neren Anekdoten, wie der leibhaftigen Darstellung des
Bach‘schen Denkmals auf dem Arnstädter Marktplatz,
finden viele wahre Begebenheiten aus Bachs frühen
Jahren Einzug und dennoch wird der Lebensweg getreu
dem Titel des Stückes der Handlung und der Dramatur-
gie entsprechend angepasst. Bach-Kenner dürften sich
daran nicht stören, entsteht dadurch eine rundherum in
sich abgeschlossene Geschichte, die besser als jeder Mu- Abb. oben:
sikunterricht Begeisterung für den Komponisten we- In Bachs (Adrian Burri, r.) düsterster
cken kann und dem Zuschauer einen eindrucksvollen Stunde schließen er und der
Abend beschert. General-Superintendant (Christian
Trotz aller Moderne versetzen vor allem die Kostü- Schöne, l.) so etwas wie Frieden
me von Sergio Abajur, aber auch das Bühnenbild von
Abb. unten von oben links:
Marie Benker und Oliver Meier das Geschehen in die 1. ›Alles wird neu‹ ist die feste
barocke Zeit. Dadurch entsteht eine Spiegelung, die Überzeugung von J. S. Bach (Adrian
demonstriert, dass klassische Musik damals wie heute Burri, r.), der damit auch seinen
funktioniert. Einziger Wermutstropfen waren einige Bruder Johann Jacob (Niklas Lund-
ßien, l.) überzeugen kann
Versprecher verschiedener Darsteller sowie die zeitweili-
2. Der General-Superintendant
gen Stimmübersteuerungen während einiger Ensemble- (Christian Schöne) erhofft sich
Lieder durch die Tontechnik. göttlichen Beistand im Umgang mit
Nichtsdestotrotz ist das Musical eine absolute Emp- dem jungen Bach
fehlung und es wird sich zeigen, ob sein Weg ähnlich 3 Anna Buxtehude (Astrid Andresen)
dem von Bach selbst verlaufen wird. Zu wünschen ist es wähnt sich schon im Hochzeitstaumel
4. Anna Magdalena Wilcke (Nadine
den Produzenten und dem Cast allemal.
Kühn) singt sich nicht nur in die
Herzen der Zuschauer
Eva Baldauf Fotos (5): Frank Sitter
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Mut zum Träumen
Deutsche Erstaufführung von Rodgers
& Hammersteins II. »Cinderella« am Prinzregententheater München
Auf dem Ball trifft Ella (Joanna Lissai) ihren Prinzen Christopher (Julian Schier)
Foto: Jean-Marc Turmes
Cinderella
Adam Guettel / Craig Lucas
Deutsch von Roman Hinze
Theaterakademie August Everding &
Münchner Rundfunkorchester
Prinzregententheater München
Deutschsprachige Erstaufführung:
31. Oktober 2018
Regie ............................. Andreas Gergen
Musik. Leitung ..... Joseph R. Olefirowicz
Choreographie ............... Danny Costello
Bühnenbild .................... Stephan Prattes
Kostüme ............................... Ulli Kremer
Produktionsleitung Maske ..... Daniel Riedl
Licht ............................. Georg Boeshenz
Ton ............................ Miriam Reinhardt,
Matthias Schaaf & Christian Späth
Dramaturgie .................... Jana Gmelin &
Katharina Engel
Ella ............ Joanna Lissai / Tamara Pascual
Christopher ......................... Julian Schier /
Tobias Stemmer
Madame ....................... Miriam Neumaier
Sebastian ........................... Jörg Neubauer
Marie .................................. Sophie Mefan
Gabrielle ................. Katharina Wollmann
Charlotte ............................ Patrizia Unger
Jean-Michel .... Lean Fargel / Florian Koller
Graf Dingelstein ............... Chris W. Young
In weiteren Rollen:
Delia Rachel Bauen, Christian Bock,
Marcella d‘Agostino, Madina Frey,
Simon Tobias Hauser, Elvin Karakurt,
Fabiana Christin Locke, Sarah K.
Martlmüller, Martina Oliveira, Naomi
Peil, Nikals Schurz, Alexander Sichel,
Edward Roland Serban
Off-Chor:
Manuel Grabowski, Larissa Hartmann,
Vanessa Heinz, Jacob Hetzner,
Frank Kühfuss, Sarah Sonnenschein,
Julia Taschler, Klaudia Zajac
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Musicals in Deutschland
K inder brauchen Märchen«, das behauptete einst
der Psychologe Bruno Bettelheim, der mit seinem
gleichnamigen Buch unter anderem Stephen Sondheim
zu »Into the Woods« inspirierte. Doch ist man jemals zu
alt für Märchen? Das Duo Rodgers & Hammerstein II.
hätte wohl mit einem überzeugten »Nein« geantwor-
tet. Gelang ihnen mit ihrer »Cinderella« doch eine im
wahrsten Sinne des Wortes zauberhafte Vertonung der
aus Kindertagen bekannten Story, die bei ihrer deutsch-
sprachigen Erstaufführung nun Jung und Alt gleicher-
maßen begeisterte.
Ursprünglich im Jahre 1957 für ein Fernsehspecial
mit Julie Andrews konzipiert, wurde das Musical in Fol-
ge gleich zweimal neu verfilmt, ehe es 2013 endlich zu
späten Broadway-Ehren gelangte. In einer überarbeite-
ten Version, für die der Dramatiker und Drehbuchautor
Douglas Carter Beane die sozialkritischen Aspekte ver-
stärkte und die Personenkonstellationen noch einmal ein
wenig durcheinanderwirbelte. Die eingängigen Songs des
legendären Autoren-Duos, wie ›My Own Little Corner‹
oder ›Impossible‹, bleiben dabei natürlich weitgehend
unangetastet und dürfen auch im Prinzregententheater
ihre Magie entfalten. Denn was die musikalische Seite
angeht, hat man hier keine Kosten und Mühen gescheut.
Gilt es mit dieser Premiere doch nicht nur, das 25-jährige
Bestehen der Theaterakademie August Everding, sondern
ebenfalls den 90. Geburtstag ihres Gründers zu feiern.
Deshalb hat man sich aus diesem Anlass das Münchner
Rundfunkorchester mit ins Boot geholt, das die farben-
reiche Partitur in einer neuen, sinfonisch noch einmal
zusätzlich aufgepolsterten Instrumentierung von William
Ward Murta erstrahlen lässt. Denn wenn es einen Kom-
ponisten gibt, bei dem gar nicht genug Geigen im Gra-
ben sitzen können, dann wohl Richard Rodgers.
Trotz orchestralem Bombast kommt diese »Cin-
derella« in der Inszenierung von Andreas Gergen aber
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
dennoch erfreulich geerdet daher. In einem zeitgemä-
ßen Outfit fern aller Märchenklischees, ohne dadurch
an Poesie zu verlieren. Noch bevor Dirigent Josef R.
Olefirowicz mit dem Rundfunkorchester in die Vollen
gehen und im süffigen Broadwaysound baden kann,
wiegt man sich da auf der Bühne zunächst noch zu
wummernden Technoklängen, während Bardame Cin-
derella leere Flaschen von der Tanzfläche einsammelt.
Gergen und sein Team schufen hier eine Rahmenhand-
lung, die das Stück in unsere Zeit holt, ohne ihm dabei
Gewalt anzutun, und dabei ganz auf die Fantasie des
Publikums baut.
Doch selbst nachdem Cinderella sich in ihre Traum-
welt flüchtet, wird der Kitschfaktor erfreulich nied-
rig gehalten und ein Kräftemessen mit der opulenten
Partitur vermieden, wo es nur geht. Das beginnt schon
mit Ausstatter Stephan Prattes, der am oberen Ende der
bühnenfüllenden Treppe eine Wand aus Bierkästen baut
und klugerweise auf jegliche Disney- oder Neuschwan-
stein-Anleihen verzichtet. Weil Adel aber natürlich
trotzdem verpflichtet, ist es immerhin Hofbräu! Ist diese
royale Fassade nach der Ouvertüre erst einmal krachend
in sich zusammengestürzt, werden die einzelnen Kästen
immer wieder fantasievoll neu gestapelt, um die wech-
selnden Schauplätze anzudeuten. Auch die Kutsche oder
das Pferd des Prinzen, der hier als Quarterback des ört-
lichen Footballteams daherkommt, lassen sich daraus
problemlos zusammenbauen und entlocken dem Publi-
kum so manches Schmunzeln. Gleiches gilt für die teil-
weise absichtlich entzauberten Tricks der guten Fee, die
von Sophie Mefan ebenso warmherzig wie augenzwin-
kernd verkörpert wird. Frei nach ihrem Motto: »Man
muss nicht immer warten, bis alles perfekt ist!«
Das perfekte Gegengewicht zu ihr liefert dagegen
eindeutig die Akademie-Absolventin Miriam Neumaier,
die in der Rolle der zickigen Stiefmutter nun an ihre

Ausbildungsstätte zurückkehrt. War sie hier zu Studien-
zeiten meist auf die großen tragischen Rollen abonniert,
genießt sie es nun sichtlich, endlich einmal alle Hem-
mungen fallen zu lassen, und gibt zusammen mit Jörg
Neubauer – einem weiteren Akademie-Heimkehrer –
ein herrlich perfides Paar ab. Wobei er als intriganter,
irgendwo zwischen Harald Glööckler und Professor
Moriarty angesiedelter Minister mit leiseren Tönen ar-
beitet und seine Pointen subtil zu setzen weiß.
Ordentlich aufdrehen darf dagegen Patrizia Unger
als ständig zu kurz kommende Stiefschwester in der
zweiten Reihe: eine großartige Komödiantin, die herr-
lich uneitel den Trampel der Familie gibt und sich da-
mit zielsicher ins Rampenlicht und in die Herzen des
Publikums manövriert. Auf ihre Art ähnlich überdreht
und beinahe aus einer Folge von »Sex and the City« ent-
sprungen erscheint daneben Katharina Wollmann, die
ihre dankbare Rolle ebenfalls zu melken versteht, dabei
aber vor allem flexibel auf ihre beiden Spielpartner re-
agiert. Denn während Lean Fargel aus dem Revoluzzer
Jean-Michel fast schon einen Mini Che Guevara macht,
ist Florian Koller in derselben Rolle eher der gehemmte,
aber liebenswerte Nerd, der sich von seiner Angebeteten
erst noch aus der Reserve locken lassen muss.
Interessant ist es natürlich auch, die beiden Titel-
heldinnen miteinander zu vergleichen. Wobei es nicht
darum geht, die beiden jungen Damen gegeneinander
auszuspielen. Denn dafür sind sie zum Glück zu ver-
schieden in Stimme und Erscheinung. Hat man Julie
Andrews im Ohr, bietet Tamara Pascual einen denkbar
starken Gegenentwurf. Weniger klassisch, dafür mit
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
kräftigem Musical-Belt, verleiht sie der Rolle eine neue Abb. unten von oben links:
Note, die in dieser Produktion perfekt aufgeht. Wobei 1. Gabrielle (Katharina Wollmann)
es für die Regiearbeit spricht, dass auch Alternativbe- fordert von Möchtegern-Revoluzzer,
Jean-Michel (Florian Koller) mehr
setzung Joanna Lissai sich keineswegs verbiegen muss
Selbstbewusstsein
und mit luftig leichten Sopranhöhen ihr eigenes und 2. Charlotte (Patrizia Unger, Mitte
trotz aller Unterschiede kaum weniger überzeugendes mit Ensemble) hat die Nase voll
Rollenporträt entwickeln darf. Kontrastdramaturgie ist davon, dass ihr immer die Männer
auch beim ebenfalls doppelt besetzten Prinzen angesagt. weggeschnappt werden
3. Für ihre guten Taten wird Ella
Wo Tobias Stemmer am Premierenabend auf die große
(Tamara Pascual) von Marie (Sophie
Charmeoffensive setzt und sich sanft einschmeichelnd Mefan) noch belohnt werden
in Tamara Pascuals Herz zu singen versucht, hat es sein 4. Noch flüchtet Ella (Tamara Pas-
Kollege schon deutlich schwerer, sich stimmlich neben cual) vor ihrem Prinzen, aber das
seiner Partnerin Joanna Lissai zu behaupten, kann aber Happy End ist trotzdem vorpro-
zumindest mit komödiantischem Timing punkten. grammiert
5. Prinz Christopher (Tobias Stem-
»Cinderella« mag mit Ausnahme der eingangs er-
mer, hinten) durchschaut die Pläne
wähnten Nummern vielleicht nicht die stärkste Partitur von Madame (Miriam Neumaier)
von Rodgers & Hammerstein II. sein und die deutsche und Sebastian (Jörg Neubauer, r.)
Übersetzung teilweise etwas ungelenk daherkommen, Fotos (5): Jean-Marc Turmes
doch der süffige Broadwaysound, der hier aus dem Gra-
ben strömt, lässt einen über diese kleinen Makel gerne
hinwegsehen. Ebenso wie das energiegeladene junge En-
semble, das einen immer wieder staunen lässt, wie gut
sich dank Danny Costellos kreativer Choreographien
über die eigentlich höchst tanzunfreundliche Treppen-
konstruktion wirbeln lässt. Dramaturgische Schwächen
werden so selbstbewusst überspielt und, wenn die Rah-
menhandlung am Ende clever aufgelöst wird, ist das Pu-
blikum ermutigt, vielleicht auch selbst wieder mal ein
wenig zu träumen.
Tobias Hell
49

Denn alles, was sich reimt, ist gut
»Pumuckl« am Stadttheater Gießen
Abb. oben:
»Aber sa‘mer zufrieden«, denkt
Meister Eder (Tomi Wendt, r.), da
bleibt der Pumuckl (Tom Schimon,
l.) an seinem Leimtopf kleben und
wirbelt alles durcheinander
Foto: Rolf K. Wegst
Pumuckl – Das Musical
Franz Wittenbrink / Anne X. Weber
Stadttheater Gießen – Großes Haus
Premiere: 3. November 2018
Regie ................................ Oliver Pauli
Musik. Leitung .... Andreas Kowalewitz
Chorleitung .................. Martin Gärtner
Choreographie ............. Anthony Taylor
Bühnenbild .................... Monika Gora
Kostüme .......................... Thomas Döll
Maske .......................... Josefa Dobrick
Licht .................................. Kati Moritz
Video ......................... Martin Przybilla
Puppenbau .................. Silke von Patay
Dramaturgie .......................... Christian
Münch-Cordellier
Pumuckl ....................... Tom Schimon /
Christian Schleinzer
Meister Eder ..................... Tomi Wendt
Frau Steinhauser /
Gräfin ....................... Michaela Christl
Gerti Schmitt /
Lehrerin .................... Sonja Herrmann
Hanna ............................... Lilly Stahl /
Maja Gandenberger
Schlosser Schmitt ......... Markus Rührer
Chauffeur / Schubert ..... Marcus Licher
Butler Jakob / Bartel ....... Chul-Ho Jang
Vroni / Wirtin ......... Michaela Wehrum
Vreni /
Monika Steinhauser ..... Johanna Malecki
Kinder- und Jugendchor
des Stadttheater Gießen
50
Musicals in Deutschland
D er Pumuckl ist von München ins hessische Gießen
umgezogen. Dort feierte am 3. November 2018
das »Pumuckl«-Musical von Franz Wittenbrink und
Anne X. Weber am Stadttheater in einer Neuinszenie-
rung von Oliver Pauli Premiere. Mit dem Pumuckl, so
könnte man meinen, ist auch Andreas Kowalewitz nach
Gießen gegangen, der bereits bei der Münchner Urauf-
führung (vgl. blimu 03/18) im April 2018 die musika-
lische Leitung innehatte. Doch das Stadttheater Gießen
gehört ohnehin zu Kowalewitz‘ Wirkungsstätten, der
unter anderem »Cabaret« und »Kuss der Spinnenfrau«
musikalisch betreute. Unter seiner Leitung spielt das
Philharmonische Orchester Gießen jetzt Wittenbrinks
neckische Partitur mit ihren Rhythmus- und Stilwech-
seln, in der die Blasinstrumente ein Gespräch miteinan-
der zu führen scheinen, wobei die Tuba den Ton angibt.
In diesem Musical gibt es philosophierende und auf
aktuelle Politik anspielende (zum Teil etwas gewollte)
Wortspiele wie: »Spahn oder nicht Spahn, das ist hier
die Frage«. Und natürlich Reime, getreu dem Pumuckl-
Motto: »Denn alles, was sich reimt, ist gut«. Doch der
kleine, wendige Nachfahre der Klabauter, den die 2015
verstorbene Ellis Kaut 1962 für ein Hörspiel im Baye-
rischen Rundfunk erfunden hat, scheint auch mit der
Partitur Schabernack getrieben zu haben: Da klingen
Walzer, Volkstanz und Hip-Hop an, es swingt und man
wähnt sich kurzzeitig in einem Bach-Oratorium oder ei-
ner Wagner-Oper. Sogar der Fandango wird rhythmisch
und gesangstechnisch zitiert, aber all das wird durch
Unterbrechung ironisiert. Natürlich fehlt auch die be-
rühmte Titelmusik der Verfilmung von 1979 (Fritz
Muschler) nicht: ›Hurra, hurra, der Pumuckl ist da‹.
Auch sie ist spielerisch bearbeitet mit neuem Text, wird
zum Hintergrundmotiv und erst zum Schluss ausgespielt.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Das Musical erzählt auf der Grundlage dreier Pu-
muckl-Episoden »Spuk in der Werkstatt«, »Das Schloss-
gespenst« und »Der große Krach« von der Sichtbarwer-
dung Pumuckls (Tom Schimon), seinen teils derben
Streichen in der Werkstatt von Meister Eder (Tomi
Wendt). Es folgt eine Klamauk-Episode im gräflichen
Schloss, in dem es spuken soll. Abgesehen von den
menschlichen Standuhren (Kinder- und Jugendchor
des Stadttheater Gießen), denen Pumuckl ihre Pendel
stiehlt, damit die Zeit nicht vergeht, und einer Hallo-
ween-Szene ist diese Geschichte für die Handlung un-
wichtig. Zudem wird die Figur des asiatischen Butlers
Jakob (Chul-Ho Jang), der in seiner Höflichkeit und in
seinen Bewegungen extrem überzeichnet wird, zu einer
Persiflage, über die sich nicht mehr lachen lässt. Gleiches
gilt für den Igor-Verschnitt (»Frankenstein Junior«) des
Chauffeur (Marcus Licher), der immerhin eher skurril
als lächerlich wirkt. Zurück in der Werkstatt, kommt
es wegen einer eifersüchtigen Missetat des Kobolds zu
einem heftigen Streit, der mit seinem Rauswurf endet.
Doch Pumuckl und Meister Eder vermissen einander –
das sind die berührendsten, weil menschlichsten Mo-
mente im Stück.
Der besagte spielerische Umgang mit Noten und
Worten erfordert ein sicheres Timing von den Dar-
stellern, das vor allem Tom Schimon als Pumuckl be-
herrscht, weshalb selbst die flacheren Wortspiele zum
Lachen reizen. Gesanglich ist die Rolle eine Heraus-
forderung, denn es geht mit verfremdeter Stimme in
große Höhen, welche der Tenor sicher meistert. Noch
eine ganz andere Herausforderung besteht in einem
Regiekniff von Oliver Pauli, der dem Darsteller eine
Puppe (gebaut von Silke von Patay) zur Seite stellt, die
das Spiel belebt. Nachdem Pumuckl an dem Leimtopf

kleben blieb, ist der Kobold allein für den Meister Eder
sichtbar und muss bei ihm bleiben: »Koboldgesetz«.
Immer wenn beide alleine sind und der Kobold sicht-
bar, spielt daher Tomi Wendt als Eder mit der Puppe,
die Tom Schimon auf halber Höhe führt. Dabei bewegt
Schimon sich mit der Puppe vor dem Körper auf ei-
nem Drehstuhl oder hüpfend und tanzend auf eigenen
Beinen fort. Das funktioniert wunderbar, zumal Tomi
Wendt mit ihr auf Augenhöhe »kommuniziert«. Wendt
verfügt über einen tiefen, warmen Bariton und spielt
einen zunächst sehr zurückhaltenden Meister Eder,
der sich zwar mit seinem Gast schnell arrangiert, aber
erst nach und nach Gefühle zeigt: Etwa wenn er ihm
ein Bett schreinert, damit er nicht in den Sägespänen
schlafen muss. Dass dieser die liebevolle Arbeit nicht
würdigt, ist ein entscheidender Punkt für die spätere
Trennung. Wenn andere Personen in die Werkstatt
kommen, wird der Pumuckl unsichtbar und das Ge-
räusch dabei klingt wie im Hörspiel beziehungsweise in
der Verfilmung: Schimon spielt jetzt ohne Puppe. Mi-
chaela Christl verkörpert Frau Steinhauser (und auch
die Gräfin), eine sympathisch überdrehte Dame, die ein
Faible für den Herrn Eder hat, was dank des Zwetsch-
genkerne spuckenden Pumuckls zu einer witzigen Sze-
ne führt, in der sich beide etwas näher kommen. Noch
zu erwähnen ist deren Enkelin Hanna (in der besuch-
ten Vorstellung lebendig verkörpert von Lilly Stahl), die
unter ihrer seltsam steifen Mutter (Johanna Malecki)
sichtlich leidet, auch weil diese sie in der Öffentlichkeit
kritisiert. An nichts darf sie sich einfach erfreuen. Unter
dem Einfluss der Großmutter und der Koboldstreiche
scheint sich das zu ändern, auch wenn nicht ganz klar
ersichtlich ist, weshalb.
Das ganze Stück ist bayerisch: Auch wenn sich andere
Dialekte wie etwa das Wienerische der Frau Steinhauser
(Michaela Christl) finden, überwiegt doch die bayeri-
sche Mundart – keine Sorge, alle sind klar verständlich.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
Das ist insofern schlüssig, da der Pumuckl eine bayeri-
sche Schöpfung ist und das Ganze in München spielt.
In Gießen liegt die Schreinerei des Meister Eder auf
dem Weg zum Wendelstein (wie die Schilder anzeigen),
zu welchem die gestresste Lehrerin Gerti (überzeugend
genervt: Sonja Herrmann) ihre Schüler am Wandertag
führt. Die Handlung spielt augenscheinlich in der Ge-
genwart, worauf insbesondere die Kleidung (Thomas
Döll) der Schulkinder hindeutet, wobei ihr halbwegs
artiges Aufzeigen mit den Worten »Frau Lehrerin« etwas
daran zweifeln lässt …
Das Bühnenbild von Monika Gora besteht aus mit
liebevollen Details bemalten Elementen, die von oben
herabschweben. Sie stellen die Edersche Werkstatt dar,
die in dieser Form im Inneren mit allen Einzelheiten
wie Werkbank, Sägeblock, Leimtopf, Truhe etc. ausge-
stattet ist. Es gibt noch einen Biergarten mit Brauerei-
ausschank (wie kann es anders sein) und natürlich das
gräfliche Schloss mit Säulen, einem Gemälde des Mär-
chenkönigs und einer Ritterrüstung. In einer wichtigen
Hintergrundszene wird die Vergangenheit des Pumuckl
lebendig, der auf dem Meer zwischen den von außen
bewegten Wellenelementen treibt, ein Boot schwebt he-
rab und nimmt ihn auf, worauf die vorher traditionelle
Theaterlandschaft mittels Videoeinspielungen (Martin
Przybilla) zu einem bewegten Bild wird. Es zeigt, wie
der Klabauter an Land gespült wird und mit »Holdrio«
seiner Liebe zu den Bergen Ausdruck verleiht. Da Schif-
fe heute großteils aus Metall und Plastik gebaut sind,
wie er seinem Meister Eder sagt, hat er ein neues Zuhau-
se gesucht, in dem Holz wieder eine Rolle spielt – die
Schreinerei des Herrn Eder mit ihren Sägespänen.
Wenn Sie den reimenden Kobold lieben, der nicht
nur Kinder zum Lachen bringt, besuchen Sie ihn im
Stadttheater Gießen.
Barbara Kern
Abb. unten von oben links:
1. Auf den Sägespänen ausgerutscht,
sind sich Frau Steinhauser (Michaela
Christl, l.) und Meister Eder (Tomi
Wendt, Mitte) auf einmal nahe,
beobachtet vom Pumuckl (Tom
Schimon, r.)
2. »Hurra, ein Wandertag ist
wunderbar«, aber weniger für die
gestresste Lehrerin (Sonja Herrmann)
der Schüler (Kinder- und Jugend-
chor des Stadttheaters Gießen)
3. Pumuckl (Tom Schimon, Mitte) hört
zu, wie der Schlosser Schmitt (Markus
Rührer, r.) seiner Frau Gerti (Sonja
Herrmann) von einem perfiden Plan
berichtet
4. Fassungslos schauen Monika
Steinhauser (Johanna Malecki, l.)
und ihre Tochter Hanna (Lilly Stahl,
2.v.l.) den fliegenden Zwetschgen-
kernen nach, denn den Pumuckl
(Tom Schimon, vorne) können sie
nicht sehen, hinten (v.l.): Meister
Eder (Tomi Wendt) und Frau Stein-
hauser (Michaela Christl)
Fotos (4): Rolf K. Wegst
51

Das Eliza-Experiment
»My Fair Lady« am Theater Bielefeld
Abb. oben:
1. Vater Alfred (Dirk Audehm) und
Eliza Doolitle (Theresa Christahl) in
den Straßen von London
2. »Jawohl, jetzt hat sie‘s!« ist der
wohl bekannteste Spruch aus »My
Fair Lady«, wenn Eliza Doolitle
(Theresa Christahl, l.) zum ersten
Mal unter den strengen Augen von
Oberst Pickering (Kai Hufnagel,
Mitte) und Prof. Higgins (Alexander
Franzen, r.) einen Satz über Grün-
zeug dialektfrei ausspricht
Fotos (2): Bettina Stöß
My Fair Lady
Frederick Loewe / Alan Jay Lerner
Deutsch von Robert Gilbert
Theater Bielefeld
Premiere: 21. September 2018
Regie .............................. Thomas Winter
Musik.Leitung ........ William Ward Murta
Choreinstudierung .............. Hagen Enke
Choreographie .................. Thomas Klotz
Ausstattung ........................ Ulv Jakobsen
Dramaturgie ....... Jón Philipp von Linden
Professor Henry Higgins ........ Alexander
Franzen / Nikolaj Alexander Brucker
Eliza Doolittle ............. Theresa Christahl
Oberst Hugh Pickering ....... Kai Hufnagel
Alfred P. Doolittle .............. Dirk Audehm
Freddy Eynsford-Hill .............. Lorin Wey
Mrs Pearce .................... Melanie Kreuter
Mrs Higgins ..................... Monika Mayer
Mrs Eynsford-Hill .... Christin Enke-Mollnar
In weiteren Rollen:
Michaela Ataalla, Annika Brönstrup,
In-Kwon Choi, Mark Coles, Vera
Freese, Krzysztof Gornowicz, Young
Sung Im, Tae-Woon Jung, Lutz Laible,
Seung-Koo Lim, Vladimir
Lortkipanidze, Sofio Maskharashvili,
Ramon Riemarzik, Carlos Horacio
Rivas, Dumitru-Bogdan Sandu, Elena
Schneider, Paata Tsivtsivadze
52
Musicals in Deutschland
P rof. Henry Higgins ist ein Wissenschaftler par excel-
lence. Seine Liebe zur Sprachwissenschaft, mit der er
jeden Einwohner Londons anhand seines Akzents bis auf
die Straße seiner Geburt geographisch und gesellschaft-
lich einzuordnen versteht, gipfelt in einer Wette mit sei-
nem Seelenverwandten Oberst Hugh Pickering, bei der
er ein gewöhnliches Blumenmädchen in kürzester Zeit
durch die hohe Kunst der Sprache in die gesellschaft-
liche Oberschicht bringen und als Prinzessin verkaufen
will. Thomas Winter zeigt seit dem 21. September 2018
in seiner Inszenierung des Musical-Klassikers »My Fair
Lady« am Theater Bielefeld Alexander Franzen (alternie-
rend Nikolaj Alexander Brucker) als einen exzentrisch-
selbstverliebten Perfektionisten, der sein Experiment
Eliza Doolittle als reine Sache ansieht. Dabei erkennt er
viel zu spät, dass das menschliche Wesen, das eine Ker-
zenflamme mit stimmhaftem H einfach nicht zum Fla-
ckern bringen will, viel mehr ist als schwingende Stimm-
bänder. Ohne Feingefühl peitscht er Eliza bis an sein
Ziel und bemerkt dabei weder, dass Eliza Gefühle für
ihn hegt, noch, dass aus der Gassengöre eine feine Dame
geworden ist, die trotzdem ihren Platz in der Gesellschaft
noch lange nicht gefunden hat.
Der Musical-Klassiker mit den unzähligen Hits aus
der Feder von Frederick Loewe, die unter der musika-
lischen Leitung von William Ward Murta durch einige
kleine Variationen der Musikarrangements aufhorchen
lassen, gefällt in seiner psychologischen Tiefe und über-
zeugt gerade auch in den schauspielerischen Dialogen.
Kai Hufnagel als Oberst Pickering bildet einen ver-
mittelnden Ruhepol zu den unermüdlichen Sprachlek-
tionen von Higgins, doch selbst mit Haushälterin Mrs
Pearce (Melanie Kreuter) stoßen alle gutgemeinten Rat-
schläge auf taube Ohren. Wenn Theresa Christahl als
Eliza, die einen wundervollen Berliner Dialekt von sich
gibt und deren Stimme nur selten einen Tick mehr Kraft
und Volumen haben könnte, wutentbrannt bei ›Wart‘s
nur ab!‹ Henry Higgins am liebsten einem Erschießungs-
kommando vorführen will, kann dies jeder Zuschauer
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
bestens nachvollziehen. Und trotzdem sitzt tief in Hig-
gins verborgen ein liebenswerter Mensch, der Eliza bei
›Es grünt so grün‹ motivieren kann, dass sie die ganze
Nacht nur tanzen will, oder der ihr bezaubernde Kleider
für das Pferderennen in Ascot und den Diplomatenball
schenkt. Kein Wunder, dass sie ihrem Verehrer Freddy
Eynsford-Hill den Laufpass gibt, gespielt von Lorin Wey
als anhänglicher Stalker, der tagelang in der Straße, wo
Eliza lebt, herumlungert, aber ansonsten zu nichts zu
gebrauchen ist. Die einzige Person, die Eliza versteht
und ihrem komplizierten Sohn den Kopf zurechtrücken
kann, ist Mrs Higgins, die von Monika Mayer souve-
rän und sympathisch personifiziert wird. Dirk Audehm
überzeugt gesanglich sowie schauspielerisch als Elizas
Vater Alfred P. Doolittle und holt aus seiner Rolle mehr
heraus, als sie eigentlich zu bieten hat.
Den visuellen Rahmen des Stückes setzt Ulv Jakob-
sen neben zeitgemäßen Kostümen mit einer gut durch-
dachten Drehbühne, deren Innenseite die funktio-
nell-gemütliche 2 Etagen-Wohnung von Prof. Higgins
beherbergt, während die Außenfassade Londons Stra-
ßen zeigt. Nach hinten geschoben, werden das Pferde-
rennen in Ascot, der Gartenpavillon von Mrs Higgins
oder der Diplomatenball mit Kronleuchter und Trep-
pe nur stilisiert angedeutet. Die Choreographien von
Thomas Klotz unterstreichen einige Szenen, ohne sich
zu sehr in den Vordergrund zu drängen.
Nach einigen musical-ischen Experimenten wie
»Das Molekül« und »Frühlings Erwachen« kehrt mit
»My Fair Lady« ein bodenständiger Musical-Klassiker
ans Theater Bielefeld zurück, auf den das Publikum
augenscheinlich gewartet hat, waren doch noch vor der
Premiere bereits alle Vorstellungen bis Silvester ausver-
kauft. Dank der gelungenen Charakterdarstellung hebt
sich diese »Lady« von zahlreichen anderen Inszenie-
rungen ab und ist mehr als nur die Aneinanderreihung
unsterblicher Evergreens.
Stephan Drewianka

Im Dunkeln hört man (nicht) besser
»My Fair Lady« am Hessischen Staatstheater Wiesbaden
D em ungarischen Filmproduzenten Gabriel Pascal
(1894-1954), der 1938 George Bernard Shaws
Theaterstück »Pygmalion« verfilmte, ist das Musical
»My Fair Lady« zu verdanken, das neben der Shaw-
Vorlage auch auf Pascals Verfilmung basiert. Pascal war
es, der aus dem »Pygmalion«-Stoff unbedingt ein Musi-
cal machen wollte und den Kontakt zu Alan Jay Lerner
suchte. Leider erlebte er die Uraufführung »seines« Mu-
sicals (1956) mit der Musik von Frederick Loewe oder
gar dessen Siegeszug nicht mehr.
Der filmische Hintergrund inspirierte die serbische
Opern- und Schauspielregisseurin Beka Savić zur Regie
von »My Fair Lady«, das am 27. Oktober 2018 Premiere
am Großen Haus des Hessischen Staatstheaters Wies-
baden feierte. Oberst Pickering (in sich ruhend: Uwe
Kraus) kommt hier aus einem Filmpalast, an dessen
Front sich Filmplakate der späten 1930er Jahre abwech-
seln. Zum Schluss hängt dort die Ankündigung von Pas-
cals Verfilmung von »Pygmalion«, womit sich ein Kreis
schließt. Auch die pantomimischen Tänzer des Jungen
Staatsmusicals als Straßenartisten/Gaukler passen zum
Cinema-Thema. Ihre Kostüme (Claudia Jenatsch) sind
angelehnt an Leinwandfiguren, unter anderem an den
Voodoopriester Baron Samedi (»Leben und Sterben
lassen«) und die Schausteller Gelsomina und Zampano
aus Fellinis »La Strada« (1954). Sie vertanzen mit den
Choreographien von Myriam Lifka gekonnt instrumen-
tale Motivwiederholungen wie ›Ich hätt‘ getanzt heut‘
Nacht‹ und verweisen pantomimisch auf die zentralen
Personen einer Szene. Die Mitglieder des Musicalen-
sembles sorgen zudem für eine erfreuliche Auflockerung
der schauspiellastigen Inszenierung, deren Spielweise
stellenweise überzeichnet wirkt. Leider gilt das vor allem
anfangs auch für Mira Benser als Eliza, die in ihrer Kör-
perlichkeit offenbar die Unsicherheit der jungen Frau
ausdrücken soll, aber fast klamaukig wirkt.
Einen Hauch Musicalfeeling bringt Björn Breckhei-
mer in seiner Darstellung des Freddy Eynsford-Hill ein.
Breckheimer verleiht der an sich undankbaren Rolle
Profil. Auch er himmelt Eliza an, aber es wirkt glaub-
würdig. Gegenüber der Drohgebärde von Alfred P. Doo-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
little gibt er im Grease-/James-Dean-Outfit sogar Elizas
Beschützer. In einer Gene-Kelly-Nummer tanzt er sin-
gend über die Straße im beeindruckenden Bühnenbild
von Bettina Neuhaus. Diese lässt Higgins‘ Bibliothek
buchstäblich in den Himmel wachsen, gestaltet einen
tropischen Wintergarten für Mrs Higgins und kreiert
gemeinsam mit Andreas Franks Licht sowie Farbkon-
trasten atmosphärische Stimmungen. Das Ganze spielt
in den 1950er/60er Jahren.
Der Opernchor bildet die Londoner Gesellschaft
ab und macht in Claudia Jenatschs Kostümen und vor
allem Hüten, welche geschmückten Vogelköpfen von
Wiedehopf über Eisvogel bis Kakadu nachempfunden
sind, eine gute Figur. Außerdem stellen die Sänger den
griechischen Chor – hier in Gestalt des Personals, das
Higgins‘ Rücksichtslosigkeit gegenüber Eliza anmahnt.
Die Chorsolisten waren am Premierenabend als einzige
über die Musik hörbar, welche das Orchester unter Lei-
tung von Christoph Stiller klangvoll, aber nicht extrem
druckvoll aufspielte. Die Schauspielsänger vom Haus,
einschließlich Intendant Eric Uwe Laufenberg als ego-
zentrischer, rücksichtsloser Professor Higgins und Mira
Benser als intelligente, am Ende selbstbewusste Eliza,
die sich klar gegen den uneinsichtigen Higgins entschei-
det, waren ab Mitte des Parketts schwer zu verstehen.
Das erlaubte es dem Publikum nicht, sich in Loewes
mitreißende Melodien und Lerners von Shaw inspi-
rierte, witzige Liedtexte (übersetzt von Robert Gilbert)
fallenzulassen. Bis auf Björn Breckheimer, der in seinem
Solo ein Mikroport trug, sangen alle Schauspieler un-
verstärkt – eine Anweisung von Laufenberg selbst. Da-
mit wurde ein Raumklang, der nur durch gleichmäßige
Abmischung von Musikern und Sängern entsteht, ver-
schenkt und die Inszenierung noch mehr auf die sprit-
zigen Dialoge ausgerichtet, in denen alle, insbesondere
Petra Welteroth als Mrs Pearce und Michael Birnbaum
als Alfred P. Doolittle, überzeugten. Nein, Professor
Higgins: Im Dunkeln hört man nicht immer besser.
Das Klangkonzept sollte im Sinne aller Mitwirkenden
überdacht werden.
Barbara Kern
Abb. oben:
1. Vor dem Kino: Alfred P. Doolittle
(Michael Birnbaum, Mitte), umgeben
von Gauklern/Straßenartisten (Anna
Heldmaier, l., Norman Hofmann,
vorne l., Mike Burs, vorne r.) und
Opernchor
2. Eliza Doolittle (Mira Benser) und ihr
Beschützer Freddy Eynsford-Hill (Björn
Breckheimer)
Fotos (2): Karl & Monika Forster
My Fair Lady
Frederick Loewe / Alan Jay Lerner
Deutsch von Robert Gilbert
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Großes Haus
Premiere: 27. Oktober 2018
Regie ..................................... Beka Savić
Musikalische Leitung .... Christoph Stiller
Chorleitung ........................ Albert Horne
Choreographie .................. Myriam Lifka
Bühnenbild .................. Bettina Neuhaus
Kostüme ....................... Claudia Jenatsch
Licht ................................. Andreas Frank
Dramaturgie ................... Katja Leclerc &
Laura Weber
Professor
Henry Higgins ....... Uwe Eric Laufenberg
Eliza Doolittle ..................... Mira Benser
Alfred P. Doolittle ...... Michael Birnbaum
Oberst Pickering ................... Uwe Kraus
Freddy Eynsford-Hill .... Björn Breckheimer
Mrs Higgins .......... Margit Schulte-Tigges
Mrs Pearce ..................... Petra Welteroth
Mrs Eynsford-Hill ................ Petra Urban
Zoltan Karpathy ........ Klaus Krückemeyer
In weiteren Rollen:
Christian Balzer, Ines Behrendt,
Thomas Braun, Jochen Elbert,
Vladimir Emelin, John Holyoke,
Patrick James Hurley, Kyoung-Soon
Kim, Sebastian Link, Aldomir Mollov,
Osvaldo Navarro-Turres, Oliver
Steinmetz, Martin Stoschka,
Michaela Wielgus, Sławomir Wielgus
Straßenartisten/Gaukler: Mike Burs,
Anna Heldmaier, Norman Hofmann,
Ilka Ludwig, Stella Monogenes,
Viktoria Reese, David Rothe
53
 Musicals in Deutschland

Bist Du ein Addams?

»Die Addams Family« am Theater für Niedersachsen Hildesheim

›Sag‘ die Wahrheit‹ – Die Familien Addams und Beineke

spielen »das Spiel« (v.l.): Onkel Fester (Jens Krause),
Grandma (Lisa Maria Hörl), Wednesday (Sandra Pangl),
Pugsley (Johannes Osenberg), Morticia (Marysol Ximé-
nez-Carrillo) und Gomez Addams (Alexander Prosek),
Lucas (Nicolo Soller), Alice (Elisabeth Köstner) und Mal
Beineke (Gerald Michel)
Foto: T.Behind-Photographics

W er kennt sie nicht – Die Addams Family? Die ex-

Die Addams Family
Andrew Lippa / Marshall Brickman /
Rick Elice
Deutsch von Anja Hauptmann
Theater für Niedersachsen
Stadttheater Hildesheim
Großes Haus
Premiere: 3. November 2018
Regie ................................... April Hailer
Musik. Leitung ........... Andreas Unsicker
Choreographie ................. Annika Dickel
Ausstattung ............... Esther Bätschmann
Dramaturgie ......................... Julia Hoppe
Gomez Addams ............ Alexander Prosek
Morticia
Addams ........... Marysol Ximénez-Carrillo
Wednesday Addams ............ Sandra Pangl
Pugsley Addams ......... Johannes Osenberg
Onkel Fester ........................... Jens Krause
Grandma .......................... Lisa Maria Hörl
Lurch ............................. Michael Günther
Mal Beineke ...................... Gerald Michel
Alice Beineke ................. Elisabeth Köstner
Lucas Beineke /
Das eiskalte Händchen ........ Nicolo Soller
Ahnen:
Elisabeth Böhme, Dana Dietrich,
Michel Fehrmann, Annika Flindt,
Wolfram Föppl, Anna Hüter, Selina
Hyz, Torben Kirchner, Linda Krischke,
Victoria Momberg, Valeria Pagano,
Jonathan Reitze
zentrische Familie aus Amerika, die etwas anders
ist als alle anderen.
Die Familienoberhäupter Morticia und Gomez Ad-
dams wohnen mit ihren Kindern Wednesday und Pugs-
ley, Onkel Fester, Grandma und dem Diener Lurch in
einem der dunkleren Viertel New Yorks. Die Straßenla-
ternen leuchten in dieser Straße nicht, auch verirrt sich
niemand in diese Gegend. Sie lieben die Dunkelheit,
heulen den Mond an und reißen zuerst die Blüten von
den Stängeln, bevor sie die »Blumen« in die Vase stellen.
In dieser Familie passiert nun das Unvorstellbare: Die
selbsternannte Prinzessin der Nacht, Wednesday, hat
sich verliebt. Und das in einen »normalen« Jungen, Lu-
cas Beineke. Sie haben sich im Central Park kennenge-
lernt, als sie gerade das Abendessen, einen Fasan, mit ih-
rer Armbrust erlegte. Mit diesem neuen Lebensumstand
muss nun die ganze Familie Addams klar kommen, aber
auch die Familie Beineke muss lernen, mit der neuen
Situation umzugehen, dass ihr einziger Sohn eine Toch-
ter der Nacht liebt und auch noch heiraten will. Bei dem
Kennenlern-Dinner im Hause Addams beginnt nun der
Lauf einer Geschichte, deren Ausgang sich wohl keiner
so vorgestellt hatte.
Das Theater für Niedersachsen ist nach dem Zelt-
palast Merzig, in dem 2014 die deutschsprachige Erst-
aufführung stattfand, nun eine nächste Spielstätte, die
sich des Broadway-Erfolgs annimmt. Viele Staats- und
Stadttheater führen das beliebte Musical auf, da kann
man fast denken, dass es irgendwann langweilig wird,
doch das ist ganz und gar nicht der Fall. Der Stoff gibt
viele Möglichkeiten verschiedener Inszenierungen. Die
Inszenierung in Hildesheim ist eine der besseren, die
man in Deutschland sehen kann. Das verdankt sie nicht
unbedingt der Besetzung, sondern viel mehr dem ein-
drucksvollen Bühnenbild. Im Hintergrund der Bühne
sind deckenlange Satin-Stoffbahnen aufgehängt, die in
gleichmäßigen Abständen Knoten in sich haben. Diese
werden durch verschiedene Farben mal in dunkles Lila,
mal in giftiges Grün getaucht. Ein wenig angelehnt an
die Comics der Addams sind die Bäume, die aufgeklappt
werden können und so einen 3D-Effekt haben. Dazu
kommen vier rollbare Treppenbauten: zwei kleinere und
zwei größere, die, nebeneinander aufgestellt, wie ein
kleiner Berg von links nach rechts überquert werden
können. Diese vier Bauten sind unabhängig voneinan-
der auf der ganzen Bühne einsetzbar und können viele
verschiedene Szenenbilder und Räume darstellen. Das
Schöne dabei ist, dass die Darsteller selbst diese Bauten
schieben und die Umbauten in die Story eingearbeitet
sind. So entstehen keine langen Umbaupausen. Durch
das hohle Innenleben der Bauten sind auch Auf- und
Abgänge durchführbar.
Die Darsteller fühlen sich in dieser Szenerie merklich
wohl. Die Spielfreude ist zu spüren, trotz der sehr ober-
flächlich angelegten Rollen. Jeder für sich hat zwar eine
Idee der Rolle, doch ein großes Ganzes entsteht leider
nicht. So fühlen sich die Szenen einzeln geprobt und
aneinandergesetzt an, ohne dass ein roter Faden in der
Geschichte entsteht.

54 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019


Die Kostüme passen sich dem Bühnenbild wun-
derbar an. Keine modernen Ausflüge und komischen
Versuche, sondern klassisch gehaltene, dem Charakter
entsprechende Kostüme, die denen aus den bekannten
Comics und Filmen angepasst sind.
Die Darsteller, das feste Ensemble des Theaters, sind
nicht durchweg perfekt in den Rollen eingesetzt. Sandra
Pangl ist nicht die Wednesday, die man kennt oder wie
man sie sich vorstellt. Durch ihr kindliches Gehabe ver-
liert die Rolle an Tiefe und ist nur noch als oberflächliche,
aufmüpfige Teenagerin zu sehen. In ihrem Solo im ersten
Akt, ›Neue Wege‹, kann sie mit ihrem schwachen Belt
nicht überzeugen. Johannes Osenberg als ihr kleinerer
Bruder Pugsley ist spielerisch ein überzeugender Pugsley,
doch auch er kann sein Solo ›Was wär‘ wenn‹ nicht über-
zeugend singen. Ihm fehlen die Gegensätze, das Spiel des
Hin- und Hergerissenen – auf der einen Seite der verletz-
te Bruder, der seine Schwester nicht verlieren will, und
auf der anderen Seite der Entschlossene, der einen Plan
schmiedet, um das zu verhindern. Pugsley wirkt immer
nur genervt und böse, das wird auf die Dauer langwei-
lig. Alexander Prosek als Gomez Addams überzeugt im
Schauspiel in der Rolle des heißblütigen Spaniers. Er hat
in den Dialogen einen schönen spanischen Akzent, nur
leider verliert er diesen im Gesang. Marysol Ximénez-
Carrillo spielt die Morticia leider zu überzogen. Mit ih-
rer »Hau drauf – exakten Aussprache« wirkt sie, als ent-
spränge sie der ganz alten Schauspiel-Schule, der Filme
aus den 40er-Jahren, in denen man noch sehr übertrieben
gespielt hat. Das wirkt auf der kleinen Bühne des TfN
eher komisch, dabei ist die Darstellerin dermaßen auf die
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
Aussprache fixiert, dass der Text eher aufgesagt wirkt. Eine Abb. unten von oben links:
wirkliche Enttäuschung in der Besetzung ist Lisa Maria 1. Familie Beineke, Mal (Gerald Mi-
Hörl als Grandma. Das meint nicht sie persönlich, aber chel, 2.v.l.), Alice (Elisabeth Köstner,
2.v.r.) und Lucas (Nicolo Soller, r.),
der eigentliche Witz an der Rolle ist, dass sie von einem
werden vom Buttler Lurch (Michael
Mann gespielt wird. Dieser Witz ist durch diese Besetzung Günther, l.) der Familie Addams
leider vertan, und Hildesheim ist kein Einzelfall. empfangen
Dagegen sind Gerald Michel als Mal Beineke und 2. Gomez Addams (Alexander
Elisabeth Köstner als Alice Beineke hervorragend be- Prosek, r.) führt dem entsetzten Mal
Beineke (Gerald Michel, l.) seinen
setzt. Sie stellen das Ehepaar Beineke so großartig mit
Folterstuhl vor
dem richtigen Ausgleich von Witz und Ernst dar, dass 3. Wednesday (Sandra Pangl, l.)
sie fast zu den stillen Stars der Produktion werden. Ge- quält ihren Bruder Pugsley (Johan-
sanglich überzeugen die beiden durchweg: Vor allem nes Osenberg, r.), der es sichtlich
Elisabeth Köstner zeigt bei ihrem Solo ›Das Warten‹ genießt
alle Facetten ihrer Stimme, ob klassisch oder Belt, dieser 4. ›Vertrauen sich blind, Lucas
Beineke (Nicolo Soller, l.) und
Song ist ein Genuss zu hören und zu sehen.
Wednesday (Sandra Pangl, r.)Fotos
Eine weitere Sache, die diese Produktion erst Recht (4): T.Behind-Photographics
zu den Besseren werden lässt, ist das Orchester unter
der Leitung von Andreas Unsicker. Das 12-köpfige Live-
Orchester steht einem voll besetzten Orchester in nichts
nach. Die Instrumente harmonisieren sehr gut unterei-
nander, was auch der guten Aussteuerung zu verdanken
ist. Ein satter, voller Sound lässt den Abend sehr gut
durchhalten.
Wer das Musical »Die Addams Family« noch nie ge-
sehen hat, kann gerne nach Hildesheim kommen, um
einen Eindruck zu bekommen. Nicht ganz perfekt, wie
es ein Liebhaber vom Original kennt, aber um mitreden
zu können, hat er hier eine gute Gelegenheit, sich das
Musical anzuschauen.
Vincent Kleen
55

Das Leben des »Spatz von Paris«
Pam Gems‘ »Piaf« am Theater Trier
Abb. oben:
1. Édith Piaf (Vasiliki Roussi) im
Cabaret »Gerny’s«. Im Hintergrund
Louis Leplée (Martin Geisen)
2. Édith Piaf (Vasiliki Roussi) bei
einem ihrer Konzerte
Fotos (2): Marco Piecuch
Piaf
Div. Komponisten & Liedtexter /
Pam Gems
Neue Fassung für das
Theater Trier von Ulf Dietrich
Deutsch von Angela Kingsford Röhl
Theater Trier – Großes Haus
Premiere: 27. Oktober 2018
Regie .................................... Ulf Dietrich
Musik. Leitung ............. Andrew Hannan
Ausstattung....................... Martina Lebert
Dramaturgie ...... Philipp Matthias Müller
Édith Piaf .............................. Vasiliki Roussi
Toine ....................... Marsha Zimmermann
Marlene / Madeleine ......... Stephanie Theiß
Manager u. a. ...................... Michael Hiller
Leplée / Pierre u. a............... Martin Geisen
Marcel / Polizist u. a. ................... Paul Hess
Angelo / Théo u. a....................... Dimetrio-
Giovanni Rupp
Eddie u. a. .............................. Robin Jentys
58
Musicals in Deutschland
D ie britische Theaterautorin Pam Gems (1925–
2011) schrieb 1978 das Schauspiel mit Musik
»Piaf«, eine Art Biografie der legendären Sängerin Édith
Piaf (1915–1963). Am Theater Trier inszenierte Ulf
Dietrich seine 2016er-Produktion aus Stuttgart neu,
mit der gleichen Hauptdarstellerin, Vasiliki Roussi.
Ein Pianist, Andrew Hannan, ein Cellist, Gleb Le-
vin, und ein Akkordeonist, Alexander Konrad, nehmen
auf einem Podest Platz. Édith Piafs Manager (Michael
Hiller) kündigt ihren Auftritt an. Eine alte Frau betritt
die Bühne und versucht, ein Lied zu singen, hat den
Text aber vergessen. Der Manager kann sie gerade noch
auffangen, ehe sie umkippt.
Rückblende in die 1930er Jahre: Roussi verkörpert
nun eine junge, quirlige Édith Giovanna Gassion, wie
Piaf richtig heißt, und singt in den Straßen von Paris.
Der Kabarettbesitzer Louis Leplée (Martin Geisen)
wird auf sie aufmerksam. In seinem Etablissement, dem
Gerny‘s, überzeugt sie die Gäste mit ihrem Gesang, aber
ihren Namen mag Leplée nicht und nennt sie »la môme
Piaf« (»die Spatz-Göre«). Édith lebt und arbeitet mit
ihrer Freundin Toine (Marsha Zimmermann) in einem
Bordell. Sie legt oft eine vulgäre Sprache an den Tag und
greift des Öfteren den Männern in den Schritt – selbst
im fortgeschrittenen Alter –, um sie auf ihre willigen
Absichten aufmerksam zu machen.
Kurz nachdem sie des Mordes an Leplée angeklagt
wird, bricht der Zweite Weltkrieg aus. Zusammen mit
Toine macht sie deutsche Soldaten an, um Lebensmittel
zu erhalten. Nach dem Krieg wird sie ein Star und lernt
den verheirateten Boxer Marcel Cerdan (Paul Hess)
kennen, die Liebe ihres Lebens. Cerdan stirbt jedoch bei
einem Flugzeugabsturz. Der erste Akt endet daher mit
dem ergreifenden ›Mon Dieu‹, in dem sie Gott bittet,
ihren Liebsten noch für ein paar Tage bei ihr zu lassen.
Vasiliki Roussi steigert sich derart emotional mit diesem
Lied, dass es unter die Haut geht. Dagegen waren Lieder
wie ›Mon manège à moi‹ oder ›Sous le ciel de Paris‹ zu-
vor einfach nur unterhaltsam, aber auch diese legere Art
beherrscht Roussi vorzüglich.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Am Anfang des zweiten Akts wird Édith in der New
Yorker Carnegie Hall ausgepfiffen. In ihrer Garderobe
taucht Marlene Dietrich (Stephanie Theiß) auf, die ihr
deutlich macht, dass sie sich ändern muss, wenn sie dem
amerikanischen Publikum gefallen will. Es folgt eine
nächtliche Tour durch die Bars, und Marlene singt ›The
Boys in the Backroom‹, während Édith fünf Männer
mit in ihr Zimmer nimmt.
Bald ist Édith wieder in Paris. Die Folgen eines Auto-
unfalls sind Schmerzen, die sie mit Morphium zu lin-
dern versucht. Sie hat einen neuen Freund, Angelo
(Dimetrio-Giovanni Rupp). Ein zweiter Unfall macht
sie definitiv abhängig von Drogen und Alkohol. Sie
macht eine erste Entziehungskur.
Auf der Bühne wiederholt sich die Anfangsszene.
Dann sitzt sie in einem Rollstuhl, während sie ein Fan
besucht, der 20 Jahre jüngere Théo Sarapo (auch Rupp),
den sie heiratet. Auch Toine besucht sie noch ein letztes
Mal, bevor Édith in ihrer und Théos Anwesenheit stirbt.
Im Stück steht sie noch einmal von ihrem Totenbett auf
und singt die Hymne an ihr Leben schlechthin: ›Non,
je ne regrette rien‹ – ich bereue nichts, weder das Gute
noch das Böse, das man mir angetan hat.
Vasiliki Roussi singt ein einwandfreies Französisch,
mit einem Timbre, das an Piaf erinnert, und mit im-
mensem Gefühl. Die Liedtexte sagen im Kontext
des Stückes viel über Piafs Gefühle aus. Roussi wirkt
energisch, vulgär, liebestoll und verletzlich. Sie macht
Männer an und setzt sich zitternd eine Spritze. Sie
spielt Édith Piaf sehr souverän, die im realen Leben
sicher keine Diva war.
Schade ist, dass viele Namen der Beteiligten verfälscht
wurden, zum Beispiel hieß Édiths Freundin Momone
und Angelo war Yves Montand. Oft werden nur die Vor-
namen genannt. Es ging der Autorin somit nicht um eine
historisch korrekte Biografie Piafs, sondern eher um die
tragischen Stationen ihres Lebens, wie ihre Affären oder
die Abhängigkeit von Drogen und Alkohol.
Christian Spielmann

Männer, Liebe, Einsamkeit
»Bleib doch bis zum Sonntag« im Pfalztheater Kaiserslautern
A ndrew Lloyd Webber präsentierte »Tell Me on a
Sunday« erstmals 1979 bei einem privaten Musik-
festival auf seinem Landsitz in Sydmonton. Obwohl
die Idee von Tim Rice stammte, schrieb Don Black die
Liedtexte. Die BBC verfilmte das Musical am 28. Januar
1980 im Royalty Theatre in London mit Marti Webb
als Mädchen, und strahlte es bereits am 12. Februar aus.
1982 kombinierte Lloyd Webber das Fernsehmusical
mit »Variations«, das er für seinen Bruder, den Cellis-
ten Julian, komponiert hatte und das auf dem »A-Moll-
Caprice« von Niccolò Paganini basiert. Als »Song and
Dance« wurde die Show 1982 in London uraufgeführt,
wobei der zweite Teil nur getanzt war.
Im Pfalztheater in Kaiserslautern inszenierte Astrid
Vosberg nun das Musical »Bleib noch bis zum Sonntag«
auf der kleinen Werkstattbühne des Theaters mit einer
Live-Band in der Mitte der Bühne. Vorne ist ein Lauf-
steg mit seitlichen Treppen. Scheinwerfer strahlen im
Hintergrund ein immer andersfarbiges Licht durch die
Fenster der gezeichneten Hochhäuser von New York.
Die einzige Darstellerin der Show ist Adrienn
Čunka. Im Original hat die Frau keinen Namen. In
»Song and Dance« hieß sie dann Emma, aber in Kai-
serslautern scheint sie Adrienn zu heißen. Als sie den
Saal zusammen mit dem Keyboarder Anton Legkii
betritt, nennt sie diesen Jo, der Name ihres Freundes.
Kurz darauf hängt sie ein Blatt mit einem gezeichneten
Herzen auf, mit den Buchstaben »A« und »J«. Vor dem
Abflug von Frankfurt-Hahn nach New York (!) telefo-
niert sie mit ihrer Mama und meint: ›Sorg‘ dich bloß
nicht zu sehr‹ (›Take That Look off Your Face‹). In New
York macht sie mit Jo Schluss und lernt den Filmpro-
duzenten Sheldon kennen, der sie mitnimmt nach Hol-
lywood. Im Badeanzug liegt sie am Pool – ein kleiner
aufblasbarer Swimmingpool mitten im Orchester. Eine
Sekretärin von Sheldon (Kerstin Hölzle; sie sitzt bei der
Band) nimmt ihren Anruf entgegen und erklärt, dass
Sheldon beschäftigt ist, und wünscht: »Have a Nice
Day«. Mit ›Ich hab‘ geglaubt, dass du mich liebst‹ endet
auch diese Affäre.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Deutschland
Die junge Frau kehrt nach New York zurück und
lernt Simon kennen. Er scheint es ihr angetan zu haben,
was aus ›Ein rätselhaftes Lied‹ (›Unexpected Song‹) her-
Abb. oben von links:
1. Adrienn Čunka singt die Lieder mit
den jeweils richtigen Gefühlen
2. Adrienn (Adrienn Čunka) auf dem
vorgeht. Lloyd Webber komponierte diesen Song 1981. Weg zum Flughafen
Fotos (2): Hans-Jürgen Brehm-Seufert
Er wurde 1984 in die Broadway-Fassung von »Song and
Dance« integriert und ist seit 2006 ein Bestandteil von
»Tell Me on a Sunday«.
Sie ist überglücklich, was Ausdruck im Malen eines
Bildes findet. Simon ist für ein paar Wochen fort und
sie hofft: ›Komm bald mit demselben Blick zurück‹.
Doch der Anruf einer angeblichen Freundin bringt sie
aus der Ruhe: Simon soll eine andere haben. Sie weint
und zerstört das Bild. Aus der Reprise von ›Take That
Look off Your Face‹ wird nun ›Freu dich bloß nicht zu
früh‹ (die Version von Gitte Hænning 1980) und ihr
Wunsch ›Bleib noch bis zum Sonntag‹ erfüllt sich nicht.
Die Einsamkeit hat sie wieder.
Eine neue Bekanntschaft mit einem verheirateten
Mann bricht sie selbst ab, denn sie will nicht, dass er
sich scheiden lässt, um ihr Bilderbuchglück zu reali-
sieren, was er ihretwegen ohnehin nicht tun würde.
So wird sie ihren Weg gehen und sich nicht von einem
Mann herumkommandieren lassen.
Adrienn Čunka ist ein wahres Energiebündel. Sie Tell Me on a Sunday
rennt die Treppen hoch, zieht sich mehrmals um – (Bleib doch bis zum Sonntag)
im Hintergrundbild befinden sich zusätzlich zwei Andrew Lloyd Webber / Don Black
Schränke und ein Schrankbett (Ausstattung: Thomas Deutsch von Michael Kunze
Dörfler) – und singt die Lieder mit den jeweils rich- Pfalztheater Kaiserslautern
tigen Gefühlen, mal ausgelassen, mal traurig oder gar Werkstattbühne
weinend. Besonders stark sind die zwei verschiedenen Premiere: 25. Oktober 2018
Versionen von ›Take That Look off Your Face‹, dem Regie ............................ Astrid Vosberg
Hitsong des Musicals, und dem emotionalen ›Ein rät- Musik. Leitung ................ Anton Legkii
Ausstattung ................. Thomas Dörfler
selhaftes Lied‹. Informationen über ihr Liebesleben Licht .......................... Manfred Wilking
und ihr Leben allgemein in den Staaten erhält der Zu- Dramaturgie ............. Andrea Wittstock
schauer aus einer Reihe von Briefen, die Adrienn an Die junge
ihre Mutter schreibt. Frau Adrienn ............... Adrienn Čunka
Sekretärin .................... Kerstin Hölzle /
Die Inszenierung von ›Bleib noch bis zum Sonntag‹
Michaela Lübke /
in Kaiserslautern überzeugt auf ganzer Linie. Jessica Schauer
Jo / Keyboard ................ Anton Legkii /
Frank Kersting
Christian Spielmann
59

Helden und Heldinnen im schwungvollen
Abenteuermusical
»3 Musketiere« am Staatstheater Wiesbaden
3 Musketiere
Rob & Ferdi Bolland / Paul Bogaev /
Gerard Cox / Jan-Simon Minkema /
Petra van der Eerden / André Breedland
Deutsch von Wolfgang Adenberg &
Ruth Deny
Junges Staatsmusical
Hessisches Staatstheater Wiesbaden –
Kleines Haus
Premiere: 28. September 2018
Regie & Choreographie ....... Iris Limbarth
Musikalische Leitung ........ Frank Bangert
Gesangseinstudierung ...... Ulrich Bareiss
Kampf-Choreographie ............ Atef Vogel
Dance Captain ................. Denia Gilberg
Bühnenbild ..................... Britta Lammers
Kostüme ............................... Heike Korn
Lichtdesign ................... Steffen Hilbricht
Video ................................ Gérard Naziri
D'Artagnan .................... Benjamin Link /
Tim Speckhardt
Athos /
D'Artagnans Vater ........ Tim Speckhardt /
Norman Hofmann
Porthos ...................... Benjamin Geipel /
Leonard Linzer
Aramis ......................... Immanuel Mich /
Brandon Miller
Kardinal Richelieu ............ Rainer Maaß /
Peter Emig
Milady de Winter ......... Felicitas Geipel /
Viktoria Reese
Königin Anna
von Österreich ................... Meike Roth /
Ilka Ludwig
Constance Bonacieux .... Denia Gilberg /
Lisa Krämer
Rochefort ............... Norman Dobrovsky /
David Gentner
Lord Buckingham ......... Brandon Miller /
Immanuel Mich
König Ludwig .............. Dennis Fritzinger
James u. a. ................ Camillo Guthmann
Conférencier ................. Helen Graffert /
Viviana Indraccolo
In weiteren Rollen:
Rosali Bauroth, Yannic Noel Blauert,
Joris Brauburger, Coco Brell, Ben
Elsäßer, Helena Finatzer, Yara Mimi
Höhn, Janina Jost, Katharina Hofmann,
Nick Malkewitz, Lisa Schaar, Christian
Sattler, Nisha Virmani
60
Musicals in Deutschland
Athos (Tim Speckhardt, l.) hört zu, wie D'Artagnan (Benjamin Link, 2.v.l.), Porthos
(Benjamin Geipel, 3.v.l.) und Aramis (Immanuel Mich, 4.v.l.) über die Liebe sprechen
Foto: Christine Tritschler
K
ennen Schüler der heutigen Zeit noch den Abenteuer-
roman »Les Trois Mousquetaires« von Alexandre
Dumas und seinen draufgängerischen, etwas naiven
Helden? Der unter dem Einfluss Kardinal Richelieus
ausgerechnet ein Musketier des Königs werden möchte,
sich in eine Hofdame der Königin verliebt und schließ-
lich unter Einsatz seines Lebens inmitten der Hugenot-
tenkriege gegen eine intrigante Spionin des Kardinals
kämpft? Wahrscheinlich kennen ihn doch noch einige,
dank der zahllosen Verfilmungen vom ersten französi-
schen Stummfilm 1921 bis zur jüngsten Variation von
Paul W. S. Anderson (2011). Doch selbst wenn nicht, so
ist das erfolgreiche Muster auch in den Heldengeschich-
ten heutiger Zeit, wie zum Beispiel in »Harry Potter«, zu
finden: junger Held, treue Freunde, böser Widersacher
und intrigante Milady.
Wenn dann die Geschichte noch wie bei Rob und
Ferdi Bollands (Musik und Liedtexte) Musical mit mit-
reißender Pop-Rock-Musik unterlegt ist – für die Adap-
tion des Romans sorgte André Breedland –, ergibt das
eine gute Grundlage für einen unterhaltsamen Abend.
Regisseurin und Choreographin Iris Limbarth hat
in den letzten Jahren die Musical-Nachwuchs-Sparte
des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden zu erfolgrei-
chen Aufführungen geführt. Jedes Mal wird für das
neue Stück aufwendig gecastet, wobei das professio-
nelle Kreativteam auch auf »alte Hasen« zurückgreifen
kann, die hier gerne zum Wiederholungstäter werden.
Manch ein Talent ist von hier in die professionelle
Ausbildung gegangen und verdient heute seinen Le-
bensunterhalt als Musicaldarsteller, wie beispielsweise
Stefanie Köhm, Sonja Dengler, Jan Rekeszus oder
Kurosch Abbasi.
Am 28. September feierte nun »3 Musketiere«
im Kleinen Haus in Wiesbaden Premiere mit einem
stimmungsvoll ins Licht (Steffen Hilbricht) gesetzten
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Bühnenbild von Britta Lammers, unterstützt von gezielt
sparsam eingesetzten Videoprojektionen von Gérard
Naziri. Letztere untermalen die Ritte der Musketiere
auf dem Weg nach Calais und die gefahrvolle Schiffs-
reise D'Artagnans eindrucksvoll. Den Hintergrund
bildet ein französisches Landschaftsgemälde, das von
Jean-Baptiste Camille Corot inspiriert sein könnte, mit
einem Fluss und der Silhouette eines Chateaus in gold-
farbenem Rahmen. An diese schließt sich ein fahrbares
Treppen-/Terrassenelement und ein Podest mit Thron
an, während links die Tour in die Gastwirtschaft führt
und rechts der mit Bourbonenlilie gekennzeichnete
Schlosseingang ist. Weitere Großrequisiten wie Thron,
Bett, Strohballen etc. vervollständigen die Ausstattung,
die in einem historisch stimmigen Kostümbild (Heike
Korn) gipfelt, dessen teils prachtvollen Gewänder des
Königspaares oder des Kardinals aus dem Vollen schöp-
fen. Das erleichtert das Eintauchen in die Abenteuer
des jungen D'Artagnan, den Benjamin Link in großer
Spielfreude mit Naivität, draufgängerischem Mut und
Verlegenheit im rechten Moment ausstattet, dass es
eine Freude ist. Er beherrscht auch die geschickt einge-
setzten Kampf-Choreographien von Atef Vogel, wobei
er zeitweise mit zwei »Degen« hantiert – so gut, dass
Porthos in einer Szene genüsslich einen Apfel essend zu-
schaut. Auch gesanglich zeigt er sich der großen Rolle
überwiegend gewachsen. Stimmlich mit erstaunlicher
Tiefe überzeugt auch Rainer Maaß als Kardinal Riche-
lieu, der dem fanatischen Geistlichen, der überzeugt ist,
für Frankreichs Wohl über Leichen zu gehen, ein präg-
nantes Profil verleiht. Da die Maske ihn sehr alt macht,
kommt nicht ganz überzeugend rüber, dass Richelieu
sich wider Willen zu Milady de Winter hingezogen
fühlt. Möglicherweise ist das aber auch nicht gewollt,
denn Milady de Winter wird von Felicitas Geipel sehr
beweglich, aber auch sehr straight gespielt. Da bleibt
 Musicals in Deutschland

wenig Raum für Gefühle, obwohl sich Milady nichts

mehr wünscht, als von ihrer ungerechten Brandmar-
kung als Hure rehabilitiert zu werden. Erst nachdem sie
Constance vergiftet hat und unverhofft ihrem Gelieb-
ten und nun Richter Athos gegenübersteht, lässt Gei-
pel hinter die toughe Fassade ihrer Figur schauen. Ihrer
Hinrichtung kommt sie auf interessante Weise zuvor.
Gesanglich ist die Partie eine Herausforderung, der sich
Geipel überzeugend stellt. Zuweilen wechselt sie etwas
abrupt zwischen Kopf- und Beltstimme. In ihrer Dar-
stellung wie mit ihrem gesanglichen Vortrag bezaubert
Denia Gilberg als Constance Bonacieux nicht nur den
verliebten D'Artagnan. Gilberg und Link harmonieren
sehr schön miteinander (›Alles‹), auch in den Szenen
voller Situationskomik. Als D'Artagnan seiner Ange-
beteten unverhofft in einem Gasthof begegnet, erzeugt
sein spontaner Ausruf »Ich könnte euch küssen« minu-
tenlanges Gelächter im Publikum. Was nicht zuletzt da-
ran liegt, dass Camillo Guthmann als James (schwuler
Majordomus von Lord Buckingham) ihn spontan an-
strahlt. Es ist nicht die einzige Stelle, an der Guthmann, Constance (Denia Gilberg, l.) versichert ihrer Königin Anna (Meike Roth) ihrer und
welcher nicht nur als James heraussticht, ein hinreißen- ihres Freundes Hilfe
der Komödiant ist. In der gleichen Szene verdient aber
auch der theatrale Vortrag von ›So ganz im Geheimen‹ – es besonders schade, dass sie im großen Frauentrio ›Wer
gesungen von Helena Finatzer (Sängerin) mit Lisa kann schon ohne Liebe sein‹ etwas untergeht.
Schaar und Yara Mimi Höhn (Huren) – eigens Erwäh- Unbedingt genannt werden müssen die beiden
nung. Tim Speckhardt verkörpert an diesem Abend das Vaudeville-Theater-Szenen, die im Musical den Hand-
ernste Musketier, das Milady einst verjagt hatte, nach- lungsrahmen bilden. Der Conférencier der Schausteller-
dem er das Brandzeichen als Hure auf ihrer Schulter truppe ist in Wiesbaden weiblich besetzt, an der ersten
entdeckte. Leider verunglückt das bewegende Solo der Premiere überzeugte hier mit ihrem präsenten Auftreten
Figur am Premierenabend durch fehlende Worte und Helen Graffert. Insgesamt begeistert das Ensemble mit
am Ende auch Stimme, was gar nicht zu dem an sich Spielfreude und setzt die choreographierten Szenen,
guten Sänger passt und vermutlich der Nervosität ge- mit denen Limbarth die plurale Gesellschaft abbildet,
schuldet war. Den väterlichen Freund von D'Artagnan ebenso wie die ans französische Menuett angelehnten
spielt Speckhardt überzeugend und auch die ehrliche, Tänze gelungen um. Selbst zwei kleine Mikroportaus-
ablehnende Haltung gegenüber Richelieus Ambitionen fälle werden professionell überspielt, auch wenn das An-
auf den Thron. Benjamin Geipel beweist als Porthos reichen eines Handmikros inmitten der Kriegstreiber- Abb. oben:
einmal mehr sein komödiantisches Talent und sicheres szene ›Glaubt mir‹ etwas skurril wirkte. Leider verpuffte Constance (Denia Gilberg) beklagt
Timing, und Immanuel Mich spielt Aramis als adligen hier etwas die Wirkung der Szene, die ansonsten durch ihre Gefangenschaft
Charmeur, der ebenso elegant fechtet, wie er seine ge- Einsatz eines roten Tuches zur Verwandlung spannend Abb. unten von links:
winnende Art gezielt einzusetzen weiß. Bei dem Motto- gestaltet ist. 1. Kardinal Richelieu (Rainer Maaß)
Trio ›Einer für alle‹ ergibt sich ein schöner Zusammen- Immer wieder wird während der Vorstellung die bedroht Milady de Winter (Felicitas
klang. Meike Roth verkörpert die unglückliche Königin 6-köpfige Band eingeblendet, die schwung- und groß- Geipel) und legt ihr Brandzeichen
Anna, die bewegend um die Zuneigung ihres königlichen teils druckvoll die rhythmische Musik umsetzt. Alles in frei
2. ›Alle für einen‹ – (v.l.): Athos (Tim
Gemahls ringt und Opfer des Ränkespiels Richelieus zu allem ein Abend, der Lust auf mehr macht.
Speckhardt), Aramis (Immanuel
werden droht. Auch gesanglich wächst die Darstellerin im Mich), Porthos (Benjamin Link)
Laufe des Abends immer mehr in ihrer Rolle. Deshalb ist Barbara Kern Fotos (4): Christine Tritschler

blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019 61


Talentschmiede für junge Musicalbegeisterte
8. Europäisches Jugend Musical Festival in Herxheim
Abb. oben:
Szene aus »Paradoxa und die
zerbrochene Zeit«
Foto: Christian Spielmann
Die Preisträger 2018
Gold-Award als beste Gesamtproduk-
tion in der Kategorie bis 13 Jahre:
»Shrek Jr.«
Silber-Award in dieser Kategorie:
»Anastasia«
Gold-Award in der Jugend-Kategorie:
»Paradoxa und die zerbrochene Zeit«
Silber-Award in dieser Kategorie:
»Der kleine Prinz«
Bronze-Award in dieser Kategorie:
»SnoWhite«
Ein Sonderpreis ging an das Orchester
der Reutlingener Musical AG.
Bester Sänger bis 13 Jahre:
Mika Licht in »Anastasia«
Beste Sängerin bis 13 Jahre:
Lou Vogel in »Shrek Jr.«
Beste Sängerin bis 24 Jahre:
Vanessa Schöpfer in »Shrek Jr.«
Bester Sänger bis 24 Jahre:
Janik Oelsch in »Paradoxa«
Bester Schauspieler bis 13 Jahre:
Felix Stankus in »Anastasia«
Beste Schauspielerin bis 13 Jahre:
Lou Vogel in »Shrek Jr.«
Beste Schauspielerin bis 24 Jahre:
Lena Lafitte in »Der kleine Prinz«
Bester Schauspieler bis 24 Jahre:
Antoine Schneider in »Der kleine Prinz«
Siegerin im Rookie-Song-Contest:
Lou Vogel aus Cham (Schweiz)
Sieger im Song-Contest:
Ujjol Teichmann aus Herxheim
62
Einblick
U m das zehnjährige Bestehen des Kinder- und Ju-
gendchors »Südpfalzlerchen« aus Herxheim (bei
Landau) zu feiern, kam die Idee auf, ein Fest für alle
Musical-begeisterten Jugendlichen zu organisieren. Das
erste Jugend Musical Festival wurde schließlich 2004 in
Herxheim abgehalten. Es war ein großer Erfolg, und
alle waren erstaunt über die Qualitäten der gebotenen
Aufführungen. Somit war klar, dass weitere Ausgaben
folgen mussten.
2006 wurde aus dem deutschen Festival ein eu-
ropäisches, offen für alle Vereinigungen, die sich dem
Musical verschworen haben. Im Zweijahresrhythmus
sollte es immer in einer anderen Stadt stattfinden. Aber
außer 2016, wo es im schweizerischen Cham gastierte,
war immer Herxheim der Austragungsort, so auch vom
29. September bis 3. Oktober 2018.
Festivalleiter Dr. Klaus Eichenlaub konnte rund 300
Jugendliche begrüßen, stammend aus Merzig (GaS &
stage – Musicalproduktion, aus dem Gymnasium am
Stefansberg), Zug (Schweiz; Musicalschule VoiceSteps),
Reutlingen (BZN-Musical-AG), Cottbus (Cottbuser
Kindermusical), Freiburg (Musical- und Schauspiel-
schule) und Herxheim (Südpfalzlerchen).
Im Pamina-Schulzentrum fanden Workshops zu
den Themen Gesang, Schauspiel, Tanz, Regie, Kompo-
sition und Schminken statt. Professionelle aus diesen
Bereichen teilten ihr Wissen mit den Jugendlichen,
die unglaublich begeistert waren. Die Dozenten waren
Markus Hanse (Musicaldarsteller, Vocal Coach) und
Julian Wejwar (Musicaldarsteller, Choreograph), Jut-
ta Gückel (Sängerin, Gesangspädagogin), Marty Beck
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
(Leitung Musicalklasse Bruchsaal, Choreographin und
Regisseurin), Christina Maria Brenner (Musicaldarstel-
lerin) und Miriam Meißner (Musicaldarstellerin), Don-
na Yvonne Wünschel (Choreographin), Tristan Fabian
(Fechter), Maite Tritschler (Theaterpädagogin), Daniela
Milli (Maskenbildnerin) sowie die Airbrush-Künstler
Ramona Vörös und Christian Ulrich. Dazu kommen
die Sängerin und Songwriterin Linda Stark und der
Komponist und Autor Richard Filz sowie der Musiker
Clemens Kuhn.
In der Hauptjury saßen die Schweizer Musicaldar-
stellerin Eveline Suter, die Gesangspädagogin und Kom-
ponistin Martina Freytag, der Komponist und Musik-
pädagoge Bertram Schattel, Schauspieler und Regisseur
Thomas Sachsenmaier sowie Massimo Gerace, der Lei-
ter der Freiburger Musical- und Schauspielschule. Sie
mussten fünf Musicals beurteilen, die in der Herxhei-
mer Festhalle von den einzelnen Gruppen gespielt wur-
den, und sie leiteten ebenfalls verschiedene Workshops.
Die »Südpfalzlerchen« eröffneten das Festival mit
einem neuen Musical, »Anastasia« (Musik: Thomas
Blaeschke; Buch und Gesangstexte: Thomas Blaeschke,
Nina Arena und Sara Dähn). Am Sonntag, den 30. Sep-
tember präsentierte das Ensemble aus Merzig »Der klei-
ne Prinz« (Musik: Jean-Claude Séférian; Texte: Martin
Doehlmann).
Erst am dritten Tag war der Kritiker der blickpunkt
musical vor Ort und staunte nicht schlecht, als am
Abend »Shrek Jr.« gespielt wurde, das Musical von Jeani-
ne Tesori (Musik) und David Lindsay-Abaire (Buch
und Texte) in einer Lizenzfassung für Jugendliche. Die

Gruppe aus Zug spielte das Musical nach dem Dream-
Works-Animationsfilm einfach perfekt. Einige Dialoge
waren umgeschrieben worden und regten in der Haupt-
sache die Erwachsenen zu Lachsalven an. Eine junge
Dame stand als Esel auf der Bühne: die 13-jährige Lou
Vogel. Sie spielte frech, voller Energie und mit einem
unglaublichen Minenspiel den besten Freund von Oger
Shrek (Louisa Dossenbach). Bewundernswert waren die
Kostüme und das Make-up, speziell das des Drachen
(Vanessa Schöpfer).
Im Anschluss spielte das Bildungszentrum Reut-
lingen Nord (BZN) das Frank-Nimsgern-Musical
»SnoWhite – Was wirklich geschah«. Hier waren die
Kostüme, das Make-up und die Choreographie eine
Augenweide. Diese Truppe wurde als einzige von einem
Orchester live begleitet (Leitung: Michael Manz). Sehr
überzeugend sang Larissa Kinkel die Königin. Moritz
Hertler war schauspielerisch als Minitou hervorragend,
aber gesanglich muss er, genau wie Mert Meral als Jäger
und Jenny Steinbrenner als Schneewittchen, noch an
der Stimme arbeiten.
Am vierten Tag stand »Paradoxa und die zerbro-
chene Zeit« (Musik, Buch und Texte: Torsten Karow)
vom Kindermusical Cottbus auf dem Programm. Die
Geschichte der Erfindung von Professor Timeless (Ja-
nik Oelsch), eines Apparats, dem Timebroker, mit dem
die Zeit verändert werden kann, wendet sich eher an
Erwachsene. Der fiese Salvatorus Pig (Lars Schnorr)
und seine Assistentin Obscura (Jil Mattig) klauen den
Timebroker. Nun gerät die Zeit aus den Fugen und löst
ein Paradoxon aus, das als Paradoxa (Adele Stopp) per-
sonifiziert wird. Interessant und lustig waren noch die
Figuren Tick (Anika Spieß) und Tack (Franziska Pabel).
Hier stimmte ebenfalls alles: Gesang, Spiel, Tanz und
Kostüme. Die Kompositionen von Torsten Karow wa-
ren überaus gut.
Dieser vierte Abend ging mit einer Darbietung der
Musical- und Schauspielschule aus Freiburg weiter. Acht
junge Damen und ein junger Mann zeigten ihr Kön-
nen. Danach fand das Finale des Gesangswettbewerbs
statt, das von der Schweizer Fernsehproduzentin Nicole
Simmen moderiert wurde. Zehn Singende hatten sich
im Vorfeld qualifiziert und zeigten ihr Können nun vor
einer Jury, die aus Markus Hanse, Jutta Gückel und
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Einblick
Christina Maria Brenner bestand. Die Jugendlichen
Wissenswert
waren hier in zwei Kategorien eingeteilt: bis 14 Jahre
im Rookie-Song-Contest und bis 24 im Song-Contest. Das Festival ist für die Gruppen
mit Teilnehmerbeiträgen für jedes
Neben den ausgezeichneten Sängern Vanessa Schöpfer
Mitglied verbunden und die Auf-
und Janik Oelsch war es wiederum Lou Vogel, die mit
tretenden tragen selbst die Kosten
dem Lied ›I Dreamed a Dream‹ aus »Les Misérables«
ihrer Aufführung. Daher steht der
das Publikum begeisterte. Nicht nur die Besucher wa-
Wettbewerb um den dort verlie-
ren von ihrem Riesentalent überzeugt, sondern auch die
henen Deutschen Jugend Musical
beiden Jurys, die am letzten Tag gleich drei Preise an
Preis (nicht zu verwechseln mit
die Tochter von Nicole Simmen überreichten: als beste
dem Deutschen Musical Preis) in
Schauspielerin und Sängerin in einem Musical und als der Realität nicht für alle talentier-
Siegerin im Rookie-Song-Contest. Während des Festi- ten Ensembles offen, von denen es
vals konnte man nur staunen, mit welcher Begeisterung im deutschsprachigen Raum noch
sich die Jugendlichen für Musicals interessieren und viel mehr gibt, als dort auftreten.
wie gut verschiedene von ihnen bereits sind. Zu hoffen
bleibt, dass sie das Interesse nicht verlieren und uns an
großen Theatern in fünf oder zehn Jahren genauso be-
geistern werden. 2020 wird das Festival in Schwäbisch
Gmünd organisiert.
Eveline Suter nahm sich im Anschluss etwas Zeit,
um ein paar Fragen zu beantworten. Sie war bereits in
Cham in der Jury und sagte sofort zu, als sie gefragt
wurde, nach Herxheim zu kommen. Dafür kam sie
extra aus New York, wo sie ihren Wohnsitz hat, nach
Deutschland angereist. Auf die Frage, wie wichtig eine
solche Aufgabe für sie sei, antwortete sie: »Ich bewun-
dere Leute, die das unentgeltlich machen. Ich bin auf-
gewachsen mit Kunst und kann gar nicht genug beto-
nen, wie wichtig es für ein Kind ist, die Möglichkeit zu
haben, zu singen, zu tanzen und zu spielen. Das ist in
meinen Augen unbezahlbar.«
In Herxheim leitete sie einen Workshop zum The-
ma Schauspiel nach der Methode von Lee Strasberg,
der Schauspieler wie James Dean, Paul Newman oder
Abb. oben:
Al Pacino unterrichtete. »Lee Strasberg hat auch viele Lou Vogel beim Song Contest
Musicaldarsteller unterrichtet«, erklärte sie. »Für das
Musical ist es ganz wichtig, dass das Schauspiel stark Abb. unten von links:
rüberkommt. Wir als Schauspieler sollen glauben, was 1. Szene aus »Shrek Jr.«: Oger Shrek
(Luisa Dossenbach) macht seiner
wir singen und spielen. Die Zuschauer sollen dies auch geliebten Fiona (Anik Uebelhardt)
glauben. Diese Technik wendet man seit Jahrzehnten etwas zu essen
an. Mir hat das wahnsinnig geholfen für meine Rollen- 2. Larissa Kinkel als Königin im
arbeit.« Frank-Nimsgern-Musical
»SnoWhite – Was wirklich geschah«
3. Lou Vogel als Esel in »Shrek Jr.«
Christian Spielmann Fotos (4): Christian Spielmann
63
 Musicals in Deutschland

Neues aus Deutschland

zusammengestellt von Barbara Kern

»Sherlock Holmes – Next Generation« Hauptdarstellerin von »Tina Turner« 2019

2019 in Hamburg in Hamburg
Am 21. Januar 2019 feiert das »Sherlock Tina Turner stellte bei ihrem ersten öffentlichen
Holmes«-Musical von Christian Heckelsmüller Auftritt in Hamburg seit 2009 Kristina Love als
(Musik und Liedtexte) und Ideengeber sowie Darstellerin der Titelrolle von »Tina Turner – Das
Buchautor Rudi Reschke, mit seinen beiden Co- Musical« vor. Am 3. März feiert das biographi-
Autoren Joachim Quirin und Theodor Reichardt, sche Musical von Tina Turner und Stage Enter-
seine szenische Uraufführung im F1rst Stage tainment seine deutschsprachige Erstaufführung
Theater in Hamburg. Previews finden am 19. und im Operettenhaus in Hamburg.
20. Januar statt. Mit starker Stimme, Power und Charme über-
Konzertante Tryout-Vorstellungen in Ham- zeugte Kristina Love nicht nur das Casting-Team
burg und Bad Hersfeld (2017) bestärkten Rudi von ihren Qualitäten, sondern auch den Welt-
Reschke und sein Produktionsteam darin, das star höchstpersönlich. Am 24. Oktober 2018
Stück auf die Bühne zu bringen. sorgte der erste Auftritt der Tina-Darstellerin für
In dem Musicalthriller geht es um die Suche Deutschland mit ›Proud Mary‹ und ›Simply the
nach dem berühmtesten Diamanten der Welt, Best‹ für Gänsehautmomente beim Publikum des
das Auge des Horus. Es ist aber auch ein Musical exklusiven Showcases.
über das Miteinander der Generationen: Im Jahr Kristina Love porträtiert Tina von den be-
1910 ermittelt nicht nur das in die Jahre gekom- scheidenen Anfängen bis zu ihrem Durchbruch
mene Erfolgsduo Sherlock Holmes und Dr. Wat- als international gefeierte »Queen of Rock«. Mit
son, das nichts von seinem Spürsinn verloren hat, dem Star verbindet Kristina Love ihre Kindheit
sondern auch die neue Generation (John und in den amerikanischen Südstaaten und dass bei-
Catherine) kämpft gegen das Böse. Jung trifft de ihre Gesangslaufbahn im kirchlichen Gospel-
auf Alt, Tradition auf Moderne und Männer in chor ihrer Kirche begannen und Deutschland für
tradierten Rollen sehen sich mit selbstbewussten Zum Ensemble gehören auch Maike Jacobs und sie ein neuer Lebensabschnitt bedeutete. Beide
Frauen konfrontiert. Währenddessen wird Sher- Alexandra Donarski. ziehen aus ihrer Liebe zur Musik viel Kraft. Sie
lock von den Schatten der Vergangenheit einge- Gespielt wird im F1rst Stage Theater vom 19. kennt den dramatischen Werdegang von Tina
holt: Seine einzige Liebe, Irene Adler, hat ihm ein Januar bis 1. März 2019 an ausgewählten Termi- Turner und bewundert sie dafür, wie sie ihren
Vermächtnis hinterlassen, das nach über 20 Jah- nen. Weitere Spielorte sind in Planung. Weg trotzdem gegangen ist, und betont im Inter-
ren endlich erfüllt werden will … Dabei taucht Mehr auf: www.sherlckholmes-musical.de view, dass Tina Turner als afroamerikanische Frau
auch ein totgeglaubter Erzfeind wieder auf.
Die Rolle des Sherlock Holmes teilen sich
Ethan Freeman und Gerhard Karzel. Dr. Watson
wird von Frank Logemann, Alexander di Cap-
ri und Olaf Meyer alternierend verkörpert. Die
Next Generation in der Figur des John teilen sich
John Vooijs und Merlin Fargel. Catherine wird
von Alice Wittmer gespielt. Susanne Elisabeth
Walbaum und – von Anfang an dabei – Stepha-
nie Tschöppe verkörpern die mysteriöse Mrs Ma-
son. Iris Schumacher und Yvonne Köstler sind als
Miss Hudson zu sehen. Annette Lubosch, Jeanne
Marie Nigl und Yvonne Köstler spielen alternie-
rend Lady Margaret Chamberlain. Nivaldo All-
ves, Darrin Lamont Byrd und Claudio Maniscal-
co schlüpfen in die Rolle von Aleister Crowley.
Olaf Meyer, Gerhard Karzel und Michael Clau-
der geben Inspector Lestrade Profil und Claudio
Maniscalco, Darrin Lamont Byrd sowie Marco
Heinrich verkörpern Mr Kurayami.
In weiteren Rollen spielen André Regazzoni
und Samuel Hoi-Ming Chung u. a. Mr Fog. Mi-
chael Clauder ist neben seiner Position als Fight
Captain u. a. als Moriarty und O‘Neil, Marco
Heinrich als Mayor Strong sowie Premier und Kristina Love und Tina Turner performen gemeinsam ›Simply the Best‹
Sabine Barthelmeß als Sunday Moon sowie Irene Foto: Foto: Stage Entertainment / Morris Mac Matzen
Adler zu sehen.

64 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019

 Musicals in Deutschland

ein großes Vorbild für sie und andere Frauen dar- Gary Adler und Michael Patrick Walker und das der sie groß in seinem neuen Film herausbringen
stellt. Die Rolle der Tina jeden Tag auf der Büh- Buch Kevin Del Aguila. Das Ganze folgt einer möchte, und der großen Liebe zu dem schüchter-
ne spielen zu dürfen, bedeutet für die 29-jährige Idee von Marc Kessler und Ken Davenport. nen Pianisten Joey, der den Titelsong schreiben
Darstellerin, die wie Tina Turner auch schon die Die deutsche Adaption übernahm Laura soll, entscheiden muss.
Acid Queen in »The Who‘s Tommy« gespielt hat, Friedrich Tejero (»In the Heights«). Am 25. Mai 2016 kam »Paramour – The
eine große Ehre und Freude. Bei der deutschsprachigen Erstaufführung Cirque du Soleil-Musical« am The Lyric The-
Mehr auf: www.stage-entertainment.de verantwortet Michael Heller die Regie und ge- atre in New York zur Uraufführung (vgl. blimu
meinsam mit Christopher Bolam lässt er die Boyz 05/2016). Die Musik für das Hollywood-Back-
tanzen. Die musikalische Leitung hat Lidia Ka- stage-Musical schrieben Guy Dubuc und Marc
lendareva. Es spielt eine 4-köpfige Band. Lessard, bekannt als »Bob & Bill«. Weitere Musik
Mehr auf: www.offstage-germany.de und die Liedtexte der 10 Originalsongs verfasste
Andreas Carlsson, das Buch schrieb West Hyler.
Hauptdarsteller von »Paramour« 2019 in Eine sechsköpfige Band spielt live die 10
Hamburg Originalsongs und die untermalende Musik.
Im April 2019 feiert »Paramour«, das ästhetische Live-Projektionen, die Activeon Actionkameras
Artistik-Musical des Cirque du Soleil und Stage aufnehmen – von einer Liveübertragung aus dem
Entertainment, seine deutschsprachige Erstauf- Orchestergraben bis hin zu Videos, die berühm-
führung im Theater Neue Flora in Hamburg unter te, historische Filmplakate nachstellen –, werden
Regie von Originalregisseur Philippe Decouflé. gezeigt. Diese Verschmelzung von Bühnenkunst
Pasquale Aleardi (zuletzt als Billy Flynn in und Videoprojektion ist eine Spezialität von
»Chicago« in Stuttgart), Anton Zetterholm (Ti- Regisseur Philippe Decouflé.
telrolle in »Tarzan«, Enjolras in »Les Misérab- In den Szenenbildern wird auf diverse Film-
les« im Londoner West End) und Vajèn van den genres angespielt: Historienfilme, wie die ägypti-
Bosch (Gloria Estefan in »On Your Feet« in den schen Monumentalfilme und Western, Film Noir
Niederlanden) übernehmen die Hauptrollen des sowie Horror-Klassiker. Mit Verfolgungsszenen
Gruppenbild »Altar Boyz« Filmregisseurs AJ, des Musikers Joey und der jun- im Zuschauerraum und Abseilen der Luftakro-
Foto: Alex Bach
gen Schauspielerin Indigo James. baten über dem Publikum wird die vierte Wand
Die Show spielt zur Zeit der goldenen Ära durchbrochen. Das 38-köpfige Ensemble besteht
»Altar Boyz« Januar 2019 in der Bar jeder Hollywoods und verbindet Weltklasse-Artis- aus 23 Akrobaten und 15 Darstellern. Für das
Vernunft in Berlin tik und prachtvolle Ausstattung der Filme der Training der Akrobaten wird die Neue Flora ein
Am 15. Januar 2019 feiert die Musical-Comedy- 1920er Jahre mit einer Dreiecksgeschichte, in komplettes Trainingscenter einrichten.
Show »Altar Boyz« als Produktion von OFFstage der sich der angehende Star Indigo zwischen AJ, Mehr auf: www.stage-entertainment.de
Germany ihre deutschsprachige Erstaufführung
in Berlin, wo sie vom 15. bis 20. Januar sowie 21.
bis 24. März zu sehen sein wird. Am 20. und 22.
April ist sie im F1rst Stage Theater in Hamburg
zu Gast.
Die fiktive katholische Boy-Band am Abend
ihrer Dernierenvorstellung wird verkörpert von
Tobias Bieri (Matthew), Martin Mulders (Marc),
Christopher Bolam (Luke), Daniel Tejeda (Juan)
und Tom Schimon (Abraham). Vier der Mitglie-
der tragen die Namen der Evangelisten: Matthew
ist der Frontmann und gründete die Band. Mark
(Martin Mulders) ist ein einfühlsamer Junge mit
einem Geheimnis und einem Faible für Cher.
Mit seinem großen Interesse an Messwein ist
Lukas (Christopher Bolam) der Bad Boy der
Gruppe, hat aber trotzdem ein großes Herz. Juan
(Daniel Tejeda) ist ein lateinamerikanischer Wai-
senjunge, der Frauenherzen höherschlagen lässt.
Das fünfte Mitglied Abraham (Tom Schimon),
der sich als Jude nicht so ganz sicher ist, wieso er
überhaupt in der Band ist, schreibt die Songtexte
der Band.
Die »Altar Boyz« sprechen das Publikum
immer wieder direkt an und beziehen auch den
Veranstaltungsort sowie die Spielstätte mit ein.
Während der Show wenden sie sich immer wie-
der einer Maschine zu – dem Soul Sensor DX-
12. Diese Maschine hat ein Display, welches die
Anzahl an »belasteten« Seelen im Theater anzeigt.
Die »Altar Boyz« ist ein Konzert im Stück wie (v.l.): Anton Zetterholm, Vajèn van den Bosch und Pasquale Aleardi
auch umgekehrt, berührt und wartet mit reich- Foto: Foto: Stage Entertainment / Morris Mac Matzen
lich Humor auf. Musik und Liedtexte schrieben

blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019 65


Wolfgang Hofmann
Foto: Clingenburg Festspiele
Neuer Intendant für die Clingenburg-
Festspiele 2019
Ab der Saison 2019 wird Wolfgang Hofmann In-
tendant der Clingenburg Festspiele. Professionel-
les Freilicht-Theater am bayerischen Untermain:
Theater, was begeistert! ist das Konzept des neuen
Leiters der Festspiele.
Intendant Marcel Krohn verabschiedet sich
nach 10 Jahren Zusammenarbeit mit dem Verein
der Clingenburg-Festspiele, nachdem er zahlrei-
che Eigenproduktionen auf die Bühne der Bur-
gruine Klingenberg gebracht hat.
Wolfgang Hofmann ist gebürtiger Wormser
und in der Pfalz aufgewachsen. Nach dem Abitur
begann er ein Studium der Philosophie, Rhetorik
und Theologie an der Universität Tübingen. 1982
wurde an der Universität Gießen der Studiengang
der Angewandten Theaterwissenschaft gegrün-
det, Wolfgang Hofmann wechselte dorthin und
studierte bei George Tabori, Heiner Müller und
Adolf Dresen. Er begann als Regieassistent am
von Peter Stoltzenberg geleiteten Theater der Stadt
Heidelberg, wo er bereits im zweiten Jahr drei ei-
gene Inszenierungen verantwortete und danach
Hausregisseur wurde. Nach 7 Jahren arbeitete er
eine Zeit lang als freier Regisseur und dann 8 Jahre
für das Schauspiel am Stadttheater Bremerhaven.
Danach wirkte er als freier Regisseuer an Theatern
von Oldenburg bis Würzburg, Hildesheim bis
Stuttgart. Zum Schauspiel kam Musik- und Frei-
lichttheater, das ihn besonders reizt: Ob bei den
Schloss-Festspielen Neersen, auf dem Burgplatz
zu Braunschweig, in der Stiftsruine Bad Hersfeld
oder auf der Götzenburg in Jagsthausen. Hof-
mann: »Die Arbeit außerhalb eines festgebauten,
mit allen technischen Mitteln (und Hilfsmitteln)
versehenen Theaterhauses hat mich unmittelbar
fasziniert. … Wenn die Vorstellung bei spätem
Tageslicht beginnt und in der Dunkelheit endet;
wenn dann Scheinwerfer das Geschehen kenntlich
machen, während die Umgebung im Nächtlichen
von Minute zu Minute unschärfer wird; wenn der
Wind zum Mitspieler wird, die untergehende Son-
ne, der Mond, die Sterne, das Firmament.«
Für die Festspielzeit 2019 hat Wolfgang Hof-
mann mit den Verantwortlichen des Vereins
Richard O‘Briens »The Rocky Horror Show«
66
Musicals in Deutschland
(Premiere am 7. Juni 2019) ausgesucht. Geplant
sind 20 Vorstellungen.
Mehr auf: www.clingenburg-festspiele.de
69. Bad Hersfelder Festspiele 2019 mit
»Funny Girl« und »Hair«
Unter dem Motto »Geschichten von Liebe und
Widerstand« starten die Bad Hersfelder Festspie-
le am 5. Juli 2019 mit Intendant Joern Hinkels
Inszenierung von Franz Kafkas »Der Prozess«.
Am 12. Juli ist mit »Funny Girl« von Jule
Styne (Musik), Isobal Lennart (Buch) und Bob
Merrill (Liedtexte) in der deutschen Fassung von
Heidi Zerning auf der Bühne der Stiftsruine die
erste Musicalpremiere der Festspielsaison zu er-
leben: Stefan Huber (zuletzt »Titanic« 2016/17)
inszeniert mit musikalischer Leitung von Chris-
toph Wohlleben.
»Funny Girl« erzählt vom hässlichen Entlein,
das zum Broadway-Schwan wird – die Geschich-
te der unscheinbaren, unbeholfenen Fanny, die
durch die Darstellung von Barbra Streisand im
gleichnamigen Film aus dem Jahre 1968 einem
breiten Publikum bekannt wurde. Dass Barbra
Streisand die Rolle bereits ein Jahr vorher in der
Broadway-Premiere auf der Bühne verkörpert
hatte, ist weniger bekannt.
Mit Biss und Glück schafft es Fanny Brice in
die Truppe der Ziegfeld Follies und avanciert vom
Pausenclown zum Star. Alle Träume scheinen in
Erfüllung zu gehen. Eine große Karriere, ein
wunderbarer, attraktiver Mann – der sich dann
aber als leichtsinniger Spieler entpuppt. Das Mu-
sical blickt mit bissigem Humor hinter die Ku-
lissen der Glamourwelt des Broadways und zeigt
berührend die Höhen und Tiefen in der Karriere
des Revue-Stars.
Am 16. August feiert Gil Mehmerts Inszenie-
rung von »Hair« aus dem Jahr 2017 Wiederauf-
nahme-Premiere in der Stiftsruine und lässt das
Woodstock-Feeling des Tribal-Rock-Musicals
von Galt MacDermot, Gerome Ragni und James
Rado mit den Choreographien von Melissa King
Sandra Leitner ist Münchens Amélie
Foto: Stage Entertainment
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
und unter musikalischer Leitung von Bandleader
Christoph Wohlleben erneut aufleben.
Mehr auf: www.bad-hersfelder-festspiele.de
Darstellerin der Titelrolle von »Die fabel-
hafte Welt der Amélie«
Das ist Sandra Leitner (Laura Schnabelstedt in
»Fack ju Göhte«). Sie bleibt dem WERK7 Thea-
ter in Münchens Werksviertel treu, das in Zu-
kunft Pariser Flair tragen wird, und verkörpert
ab Februar Amélie Poulain in der neuen Stage
Produktion. Am 14. Februar 2019 feiert dort das
Musical »Amélie« mit Musik von Daniel Messé,
Musik sowie Liedtexten von Nathan Tysen und
Buch von Craig Lucas seine deutschsprachige
Erstaufführung. Auch Yann Tiersens musikalische
Schöpfungen für den erfolgreichen französischen
Film mit dem Originaltitel »Le fabuleux destin
d‘Amélie Poulain« (2001) finden Verwendung.
Die deutsche Adaption für die Europapremiere
unternahm Heiko Wohlgemuth.
Die 22-jährige Darstellerin Sandra Leitner aus
dem nordhessischen Ehringshausen bei Wetzlar
schloss ihre Ausbildung zur Musicaldarstellerin
2016 an der Academy of Stage Arts in Oberur-
sel im Taunus ab und stand bei den Clingenburg
Festspielen unter anderem in »Cabaret« und
»Aladdin« auf der Bühne, bevor sie 2017 Laura
Schnabelstedt in der Uraufführung von »Fack ju
Göhte – Se Mjusicäl« verkörperte und ein Zu-
hause in München fand.
Amélie Poulain ist für Leitner eine absolute
Traumrolle: »Amélie verzaubert! Auch mich! Der
Zauber liegt in Amélie selbst. In ihrer fabelhaften
Welt, in der sie lebt und die sie sich baut. Und
in ihrem französischen Charme und ihrer kindli-
chen Naivität«, so Sandra Leitner. »Wir erzählen
mit ›Amélie‹ ein modernes Märchen. Die Story
von einer starken, aber doch so verletzlichen Frau.
›Amélie‹ ist ein sehr weibliches, buntes Märchen,
das in unserer heutigen berechenbaren und oft kal-
ten Welt sehr, sehr gut tut. Frauen wie Männern!«
Mehr auf: www.stage-entertainment.de

Deine Welt sind die Berge
»Heidi – Das Musical« uraufgeführt in der Halle E im Wiener Museumsquartier
Abb. oben:
Schwieriger Start – Der Alm-Öhi
(Uwe Kröger) beäugt Heidi (Vanessa
Zips) kritisch
Foto: Lukas Beck
Heidi
Michael Schanze / Hans Dieter Schreeb
Wolfgang Werner
Museumsquartier Wien – Halle E
Uraufführung: 10. Oktober 2018
Regie & Bühnenbild ...... Manfred Waba
Musik. Leitung ........... Clemens Schaller
Choreographie ................ Michael Kropf
Kostüme, Make-up, Perücken &
Video .................... Gerlinde Brendinger
Make-up-Design & Perücken .... Kordula
Lingler
Licht ..................................... Paul Legat
Heidi................................. Vanessa Zips
Geißenpeter ................. Stephan Luethy
Alm-Öhi ............................ Uwe Kröger
Klara ...................... Rebecca Soumagné
Bürgermeister / Herr Sesemann /
Johanna Spyri ................. Alfons Haider
Frl. Rottenmeier ............ Maya Hakvoort
Dr. Clarsen / Studienrat .... Klaus Brantzen
Großmutter......................... Inez Timmer
Sebastian......................... Nicolas Huart
Herr Kandidat ................... Frank Brunet
Barbel / Köchin .............. Isabell Pannagl
Dete ........................ Daniela Sandhofer
Tinette ................................ Katrin Fuchs
Pfarrer ........................... Gerhard Karzel
In weiteren Rollen:
Sascha Ahrens, Christoph Apfelbeck,
Veronika Rivo, Markus Schiefer,
David Schuler, Tom Wagenhammer,
Carmen Wiederstein, Theresa Wollnitzke
Tanzensemble:
Agnes Nagy, Robert Petak, Valer
Somai, Viktoria Soos, Josefine Tyler,
Andreas Adrian Zszabo
68
Musicals in Österreich
N eben Schokolade, Uhren und dem Käse sind
sie vermutlich die größten Exportschlager der
Schweiz: Die Geschichten des kleinen Mädchens Heidi
wurden in mehr als 50 Sprachen übersetzt und haben
in vielen Nationen, wie der Türkei und Japan, bis heute
Kultstatus und verbreiten das Flair der kleinen Alpenre-
publik in der ganzen Welt. In Wien feierte jetzt »Heidi
– Das Musical« seine Weltpremiere. Es stammt von kei-
nem Geringeren als der Showmaster-Legende Michael
Schanze (Musik) und dem Berliner Autor Hans Dieter
Schreeb (Buch).
Nicht zum ersten Mal wurde die Geschichte, die
1880 von der Schweizer Autorin Johanna Spyri verfasst
wurde, adaptiert. Inzwischen gibt es viele weitere, teil-
weise kitschige Erzählungen mit dem kleinen Schweizer
Mädchen. Daneben entstand mit »Heidi« von Regisseur
Frederick A. Thomson bereits 1920 die erste Leinwand-
fassung – damals noch als Stummfilm. Zahlreiche an-
dere Produktionen in den USA, China, Deutschland,
der Schweiz, Österreich oder Großbritannien folgten.
Seit den 50er Jahren ist Heidi die Hauptfigur mehre-
rer Fernsehserien. Die deutsch-japanisch-österreichische
Zeichentrick-Produktion von 1978 orientiert sich stark
an der literarischen Vorlage. Die 26 Episoden sind vie-
len, genau wie der Titelsong von Gitti & Erika, den
die meisten Zeile für Zeile mitjodeln können, noch in
guter Erinnerung. Seit 2005, zuletzt 2015 wurde der
Stoff mehrfach auf einer Musicalbühne umgesetzt. Am
23. Juli 2005 feierte die Version von Shaun McKenna
(Text) und Stephen Keeling (Musik), nach einer Idee
von Stefan Mens, ihre Weltpremiere im schweizerischen
Walenstadt. Im gleichen Jahr kreierten auch Christian
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Berg und Stephan Sulke »Heidi … ein Bergmusical«,
das beim Cuxhavener Sommertheater uraufgeführt wur-
de und dieses Jahr auf der Freilichtbühne Hallenberg zu
sehen war.
Unter freiem Himmel war auch die Uraufführung
von Claus Martins »Heidi«-Bearbeitung 2006 im
nordrhein-westfälischen Coesfeld zu sehen. Andrew
Bond wollte 2012 mit »Heidi – Das Musical für Kin-
der« insbesondere ein junges Publikum ansprechen. Seit
dem 10. Oktober 2018 hat die Welt nun ein »Heidi«-
Musical mehr. Die Version von Hans Dieter Schreeb
und Michael Schanze wartet mit einem sehr prominen-
ten Cast auf. Neben den Urgesteinen Uwe Kröger und
Maya Hakvoort ist auch die österreichische TV-Legende
Alfons Haider mit von der Partie.
Stimmlich ist »Heidi – Das Musical« überraschend
gut. Sowohl Vanessa Zips in der Titelrolle des aufge-
weckten Mädchens Heidi als auch Rebecca Soumagné
als ihre neue Freundin, die Bankierstochter Klara, sin-
gen, nicht zuletzt bei ihrem Duett ›Die große Welt‹, sehr
gefühlvoll und klar. Auch Uwe Kröger darf in Oktavbe-
reichen singen, in denen er sein Können fehlerfrei unter
Beweis stellen kann. Showtalent Alfons Haider führt
zwischen den Szenen als erzählende Autorin Johanna
Spyri durch die Handlung.
Waisenkind Heidi wird von ihrer Tante Dete (Da-
niela Sandhofer) – diese hat gerade eine neue Stellung
in Frankfurt angenommen – zu ihrem Großvater väter-
licherseits ins schweizerische Maienfeld gebracht. Dort
lebt der Eigenbrötler zurückgezogen auf einer Alm. Seit
Jahren plagen ihn – was er bisher niemandem erzählt hat
– unbegründete Schuldgefühle wegen und Trauer über

den tragischen Tod seines Sohnes und seiner Schwieger-
tochter (›Öhis Ballade‹). Nach anfänglichen Schwierig-
keiten taut der alte Alm-Öhi (Uwe Kröger) jedoch unter
Heidis Frohnatur auf. Dem Mädchen gelingt es nicht
nur, das Herz ihres Großvaters zu erweichen, sondern
sie findet auch im Geißenpeter (Stephan Luethy) einen
richtig guten Freund. Das unbeschwerte Leben auf der
Alm hält aber nicht lange an. Heidi muss ein Jahr später
mit Tante Dete nach Frankfurt, wo sie der an den Roll-
stuhl gefesselten Klara Sesemann (Rebecca Soumagné,
gesanglich auf sehr hohem Niveau) eine Freundin und
Gefährtin sein soll. Doch das Leben im feinen Frankfurt
ist von Disziplin, adretter Kleidung und Französisch-
unterricht geprägt. Allen voran macht Frl. Rottenmeier
(Maya Hakvoort) – streng und komisch zugleich – Hei-
di das Leben nicht gerade leicht.
Trotz Standing Ovations bleibt das Musical stark
hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die Figuren sind
einfach gestrickt, eindimensional angelegt und wirken
stellenweise überzeichnet. Besonders das junge Publi-
kum dürfte für das Leading Team im Fokus gestanden
haben. Michael Schanze, der neben Peter Lustig und
Rolf Zuckowski in seiner Hochzeit dafür bekannt war,
intelligente Unterhaltung für Kinder zu schaffen, hätte
sich mehr trauen können. Nur wenige der Schanze-
Songs erfüllen die Erwartungen. Das Duett ›Die große
Welt‹ lässt immerhin kurzzeitig das berühmte Musi-
cal-Gänsehautfeeling aufkommen. Die siebenköpfige
Band unter der Leitung von Clemens Schaller spielt so-
lide auf, reißt aber auch nicht unbedingt vom Hocker
Musicals in Österreich
in der fast ausverkauften Halle E im Museumsquartier.
Die Dialoge wirken flach und einfachste Sachverhalte
(Öhi ist schlecht gelaunt / Peter hat Hunger) werden
mehrfach wiederholt. Die Gruselszene rund um den
Titel ›Gespenster‹ wird den Kindern im Publikum
vorher erklärt, sodass das letzte Fünkchen Spannung
selbst in diesem Moment verloren geht. Auch das Büh-
nenbild (Manfred Waba) bleibt in Klischees hängen,
wenn Heidi beispielsweise zu Füßen einer Matterhorn-
Silhouette aufwächst. Hochwertige Leinwandprojek-
tionen zeigen wechselnd alle Schauplätze und ermög-
lichen einen schnellen Tausch von Tag und Nacht so-
wie den Wandel der Jahreszeiten. Die Choreographien
von Michael Kropf sind ausbaufähig. Einzig die En-
semblenummer ›In diesem Haus herrscht Disziplin‹
mit Steppeinlage kurz vor der Pause ist ein optisches
und tänzerisches Highlight. Die Kostüme (Gerlinde
Brendinger) sind zwar schön und opulent, aber auch
hier hat man sich mit Dirndl und historisierendem
Biedermeier-Look für das Naheliegendste entschieden.
Technisch hakte es hin und wieder bei der Inszenie-
rung an diesem Abend. Einige Mikrofone wurden zu
spät aufgedreht, dafür war der Umbau hinter dem Vor-
hang – trotz eingespielter Videosequenz – zwischen
den Szenen deutlich zu hören. Insgesamt ein netter
Familienabend, der einige Witze und Lacher bereit-
hält, die aber nicht von langer Hand geplant wurde.
Wer mehr erwartet, wird hier enttäuscht.
Manuel Sommerfeld
Abb. unten von oben links:
1. Heidi (Vanessa Zips, Mitte) wird
von ihrer Tante Dete (Daniela Sand-
hofer, l.) zu ihrem Großvater, dem
Alm-Öhi (Uwe Kröger, r.), gebracht
2. ›Ankunfts G‘stanzl‹ – Der Bürger-
meister (Alfons Haider, vorne Mitte)
und seine Gemeinde (Ensemble)
begrüßen die internationalen Gäste
(Ensemble) am Bahnhof Maienfeld
3. ›Ich habe dich‹ – Heidi (Vanessa
Zips) und Peter (Stephan Luethy)
haben beim Ziegenhüten auf der
Hochalm viel Spass
4. ›In diesem Haus herrscht Diszip-
lin‹ – Selbst im Nachthemd herrscht
Frl. Rottenmeier (Maya Hakvoort, r.)
mit strengem Regiment über die
Angestellten (Ensemble)
5. Die Frankfurterin Klara (Rebecca
Soumangné, l.) hat ein schweres
Schicksal, findet aber Halt durch
ihre Großmutter (Inez Timmer)
Fotos(5): Lukas Beck
69

Küss die Hand ...
»Total verunsichert – Die Erste Allgemeine Musikkomödie« in Linz
Abb. oben von links:
1. Die Erzählerin (Isabella Mach)
führt durch die Geschichte
2. ›3 weiße Tauben‹ – Eberhardt
(Alexander Knaipp, l.) steht vor dem
jüngsten Gericht, der Tod ( Michael
Kuttnig, Mitte) und Gott (Isabella
Mach, r.) urteilen über ihn
Foto: Theater in der Innenstadt
Total verunsichert – Die Erste
Allgemeine Musikkomödie
Diverse Komponisten der »EAV« /
Benedikt Karasek
Theater in der Innenstadt Linz
Wiederaufnahme-Premiere:
13. September 2018
Regie ......................... Benedikt Karasek
Musikalische Leitung ........ Julia Preglau
Choreographie ........... Markus Aschauer
Bühnenbild ................. Nik Raspotnik &
Gabriela Billy
Lichtdesign & Ton ..... Manuel Pfarrhofer
Eberhardt ................ Alexander Knaipp /
Stefan Parzer
Der Tod / Vater ............. Michael Kuttnig
Großvater /
Franz Sandler ............... Oliver Roitinger
Erzähler / Gott ................ Isabella Mach
Marie Schotterklau, Eberhardts Chefin /
Mutter ............................... Julia Preglau
Julia / Diebisbald Plotzen ... Christiane
Burghofer
70
Musicals in Österreich
M itte der 1980er kam man an dieser Band nicht
vorbei: Mit Hits wie ›Ba-Ba-Banküberfall‹ oder
›Märchenprinz‹ stürmte die österreichische Band »Ers-
te Allgemeine Verunsicherung« die Charts im gesamten
deutschsprachigen Raum. Ihre Hits sind eine Mixtur
aus anekdotenreichen Texten, gepaart mit gesellschafts-
kritischen Kommentaren. Der junge Theatermacher Be-
nedikt Karasek hat die Austro-Pop-Klassiker neu belebt
und bringt sie in seinem Musical »Total verunsichert –
Die erste Allgemeine Musikkomödie« auf die Bühne. Im
Theater in der Innenstadt im österreichischen Linz ist
die Hommage zu erleben.
Das Theater befindet sich im Zentrum der oberös-
terreichischen Landeshauptstadt. Unscheinbar in einem
Hinterhof versteckt sich in dem Haus ein wahres Kultur-
juwel, das mit der leichten Steigung im Zuschauerraum
an einen Kinosaal erinnert. An 23 Tischen finden die
Zuschauer vor einer kleinen Bühne Platz. Mit einem
Schnürboden ausgestattet, lässt sich trotz kleinem Raum
viel umsetzen. Genauso wandlungsfähig wie die Kulis-
sen ist auch das Ensemble bei »Total verunsichert – Die
erste Allgemeine Musikkomödie«. Die sechs Schauspie-
ler schlüpfen in zahlreiche Rollen, welche für die Hand-
lung notwendig sind: Das Leben des jungen Eberhardt
(Alexander Knaipp) geht eigentlich dem Ende zu. Schi-
kaniert von seiner Chefin (Julia Preglau) und verlassen
von der Familie und seiner großen Liebe Julia (Christiane
Burghofer), bekommt er ungewöhnlichen Besuch. Der
Tod (Michael Kuttnig) höchstpersönlich klopft an die
Tür des Glücklosen. Allerdings ist auch Gevatter Tod
mit seinen rot-weiß gestreiften Ringelstrümpfen nicht
fehlerfrei. Der schreckhafte Genosse hat Angst im Dun-
keln und nimmt durch ein Missgeschick den falschen
Kandidaten mit ins Jenseits. Außerdem verliert er dabei
seinen Ring, der ihm ungewöhnliche Kräfte verleiht.
Einmal scheint der menschliche Pechvogel Glück zu
haben, denn Eberhardt findet das seltene und wertvolle
Schmuckstück und erhält ungeahnte Kräfte. Mit dieser
neuen Macht erlebt er so manche Überraschung, stat-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
tet der Mafia in Italien einen Besuch ab, und selbst das
Geheimnis, wie der twitternde Baulöwe Donald Trump
es bis in das höchste Amt der Vereinigten Staaten von
Amerika schaffen konnte, wird gelüftet. Am Ende steht
Eberhardt schließlich vor dem Schöpfer (Isabella Mach)
selbst und legt sich mit ihr an, denn Gott ist im Stück
natürlich kein alter Mann mit Bart, sondern eine von
ihrer eigenen Schöpfung genervte junge Frau.
Diese wilde Idee stammt aus der Feder des Theater-
wissenschaftlers Benedikt Karasek. Er hat in den vergan-
genen zwei Jahren mit seinem Kollegen Jérôme Berg und
Marika Lichter (Musicaldarstellerin, Künstleragentin) als
Intendantin den Musicalsommer Winzendorf ins Leben
gerufen. Sein Stück »Total verunsichert – Die erste Allge-
meine Musikkomödie«, das er selbst auch als Regisseur
auf die Linzer Bühne brachte, hat er mit allerlei kreati-
ven Ideen umgesetzt. Mit beweglichen Elementen, die
die Schauspieler selbst als Kulissenteile verschieben kön-
nen, gelingen schnelle Szenenwechsel. Auch das Publi-
kum wird immer wieder miteinbezogen. So gibt es einen
Handkuss bei ›Küss die Hand schöne Frau‹ oder einzel-
ne Gäste werden angeflirtet, auch stößt der Obdachlose
mit einem Herrn in der ersten Reihe an. Gesanglich hat
das kleine Ensemble an manchen Stellen Ausbaupoten-
tial, es passt jedoch zu dem direkten Charme der Songs
der »Erste Allgemeine Verunsicherung«. Besonders die
Choreographien von Markus Aschauer zeigen, was
selbst in kleinen Theaterhäusern möglich ist. ›Fata Mor-
gana‹, ›Heiße Nächte in Palermo‹ sowie ›Der Tod‹ oder
auch ›Sandlerkönig Eberhardt‹: Phantasievoll und ener-
giegeladen werden die »EAV«-Klassiker in ambitionier-
ten Bewegungen auf der kompakten Bühne umgesetzt.
Highlight ist der Partykracher ›3 weiße Tauben‹, der
nach Jubel des Publikums noch während des Stücks eine
kleine Zugabe bekommt. Nach rund zweieinhalb Stunden
gibt es vom ausverkauften Haus langanhaltenden Applaus
für das sehr kurzweilige und abwechslungsreiche Stück.
Manuel Sommerfeld
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190104002130F5 am 04.01.2019 über http://www.united-kiosk.de

Kann denn Liebe tödlich sein?
»Murder Ballad« als österreichische Erstaufführung in der Wiener Sargfabrik
Abb. oben:
Zu Beginn lauschen Tom (Markus
Neugebauer), Sara (Linda Koprow-
ski) und Michael (Michael Konicek)
der Mordballade der Erzählerin
Foto: Roman Kornfeld
Murder Ballad
Julia Jordan / Juliana Nash
Deutsch von Holger Hauer
Sandra Becher
Sargfabrik Wien
Österreichische Erstaufführung:
6. Oktober 2018
Regie.......................... Benedikt Karasek
Musik. Leitung ..... Ronald G. Sedlaczek
Tom....................... Markus Neugebauer
Sara............................. Linda Koprowski
Michael ...................... Michael Konicek
Erzählerin............................ Sandra Bell
72
Musicals in Österreich
K ein Klatschen, keine Pause. Nicht einmal die Zeit
für Szenenapplaus bleibt in dem Musical, das so ra-
sant erzählt ist, wie es die Stadt ist, in der es spielt und
aus der es kommt: New York. »Murder Ballad« erzählt
die Geschichte einer Frau, die zwei Männer gleichzeitig
liebt. Die deutsche Fassung feierte am 6. Oktober 2018
österreichische Erstaufführung in der Wiener Sargfabrik.
Die Geburtsstunde des Kammermusicals war am
15. November 2012 am Off-Broadway. Buch und Musik
stammen von Julia Jordan, die darin eigene Erfahrungen
verarbeitet hat. Bei den Liedtexten erhielt sie Unterstüt-
zung von Indie-Rock-Singer-Songwriterin Juliana Nash.
Schon nach der Premiere war schnell klar, dass die nur
wenige Abende andauernde Spielzeit verlängert werden
würde. Letztendlich fiel am 16. Dezember – zwei Wo-
chen später als geplant – der letzte Vorhang. Auch eine
Aufnahme der ersten Inszenierung wurde von der Off-
Broadwayshow aus dem Manhattan Theatre Club in der
43. Straße in New York veröffentlicht. Vom Frühjahr bis
zum Sommer 2013, nur wenige Monate nach der ersten
Inszenierung, war »Murder Ballad« im Herzen Manhat-
tans, am ersten Theaterhaus des Broadways, dem Union
Square Theatre, erneut zu erleben. 2014 zog das Stück
nach Houston im US-Bundesstaat Texas und 2016 fei-
erte es seine Premiere auf dem europäischen Kontinent,
im Londoner West End. Im vergangenen Jahr konnte
man es in Argentinien erleben, und in diesem Jahr war
es mit der Inszenierung in Lüneburg das erste Mal in
Deutschland zu sehen.
In Wien hat sich Regisseur Benedikt Karasek dem
Stück in der Übersetzung von Holger Hauer angenom-
men und es auf die kleine Kellerbühne in der Sargfa-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
brik im 15. Wiener Gemeindebezirk gebracht. Gleich
zu Beginn des Stücks wird in der ›Mordballade‹ erzählt,
dass am Ende einer stirbt, auch wenn alle vier Prota-
gonisten der festen Überzeugung sind: »Gott sei Dank,
mich erwischt es nicht.« Bis zum Schluss wird in dem
Musicalthriller mit der Spannung gespielt, wer denn der
Mörder ist und wer stirbt. Sara, die in Wien von Linda
Koprowski verkörpert wird, lernt in dem Stück in New
York den draufgängerischen Barkeeper Tom (Markus
Neugebauer) kennen. Die beiden geben sich ganz dem
Puls der Großstadt hin. Sie träumen als Musiker und
Schauspielerin von der großen Karriere und machen die
Nacht zum Tag. Dazu passend sind die modernen Kos-
tüme in Jeans, Leggins und Lederjacke. Doch irgend-
wann sind nicht nur die Nacht und der Rausch vorbei,
sondern es kommt das böse Erwachen in der Beziehung
und Herzen brechen. Auf der Straße stößt die be-
schwipste Sara, die inzwischen wieder Single ist, zufällig
auf Michael (Michael Konicek). Belesen und eher ruhig,
scheint er das genaue Gegenteil ihres letzten Freundes
zu sein. Dennoch fasziniert sie dieser Mann, der sie
nach Hause bringt, damit sie ihren Rausch ausschlafen
kann. Beim Duett ›Versprechen‹ kommen sich Sara und
Michael allmählich näher. Dann geht alles ganz flott:
die beiden werden ein Paar, ziehen zusammen, heiraten
und bekommen Nachwuchs. Aber auch sie sind mit den
Problemen des Alltags konfrontiert. Kleine Streitigkei-
ten über die richtige Erziehung ihrer Tochter belasten
die Beziehung. Schließlich sehnt Sara sich nach der Ver-
gangenheit zurück. Sie greift zum Telefon und meldet
sich wieder bei Tom, der inzwischen Barkeeper in seiner
eigenen Bar ist. Aus einem kurzen Treffen wird mehr.

Die Glut erhält frische Luft und die Liebe entflammt
erneut in einer wilden Affäre. Koprowski und Neuge-
bauer performen den Song ›Mund Tattoo‹ besonders
stimmgewaltig und eindrucksvoll. Michael bekommt
Wind von dem Seitensprung und ringt um seine klei-
ne Familie und seine Sara. Es beginnt ein mörderischer
Kampf. Durch das gesamte Stück führt Sandra Bell als
Erzählerin. Alle spielen sehr intensiv, sehr impulsiv und
scheuen sich auch nicht davor, mit vollem Umfang ihre
Stimme in den Raum zu schmettern. Beim Titel ›Sehn-
sucht‹ singen die vier Charaktere sehr gefühlvoll mal
abwechselnd und mal gemeinsam.
Durch die kleine Bühne und den kompakten Zu-
schauerraum ist das Publikum direkt mit der Handlung
konfrontiert. Mimik und Gestik sind, genau wie das
detaillierte Spiel der Darsteller, intensiv zu erleben und
ziehen jeden einzelnen in den Bann. Auch wenn die
Handelnden mit Mikrofonen ausgestattet sind, sind
ihre Stimmen immer auch in Reinform zu hören. Die
Darsteller agieren auf einer fast leeren Bühne. Weiße
und schwarze aufklappbare Ledersitzwürfel dienen zu-
sammengeschoben als Bett, übereinandergestapelt als
Tresen und aufgeklappt als Wiege für das Baby, was
die Handlung und die Personen weiter in den Vorder-
grund rückt. Zudem löst sich das Geschehen dadurch
von seinem konkreten Spielort New York und wird all-
gemeingültig. Es wird gut verdeutlicht, wie aus Liebe
Hass, Wut und schließlich sogar ein Mord entstehen
können – nicht nur in New York, nicht nur in Wien,
sondern an jedem Ort der Welt, wenn es zwischen-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Österreich
menschliche Beziehungen gibt. Die insgesamt vier Mu-
siker haben auf der Bühne hinter der Spielebene Platz
gefunden und spielen unter der Leitung von Ronald
Sedlaczek. Das Stück ist komplett mit poppigen Rock-
songs teilweise in Jazzmanier durchkomponiert. Die
Lieder haben kein konkretes Ende und keinen Anfang.
Sie verschmelzen in melodischen Bridges, in denen Ge-
spräche zwischen den Darstellern stattfinden oder die
Erzählerin die Geschichte erklärt. Es bleibt auch hier
dem Publikum keine Minute, keine Sekunde, um Luft
zu holen und das Gesehene noch einmal nachklingen
zu lassen oder reflektieren zu können. Rasant erzählt,
geht es jedes Mal fast ohne Brüche in die nächste Szene, Abb. oben:
in die nächste Gefühlswelt, in das nächste Drama der Die Erzählerin (Sandra Bell) führt
einzelnen Figuren. mal geheimnisvoll, mal ironisch
Nicht einmal 90 Minuten dauert die Inszenierung durch die Handlung des Bezie-
hungs-Thriller-Musicals
in Wien, die auch mit Hilfe von Crowdfunding zu-
stande gekommen ist und schließlich vom Publikum Abb. unten von oben links:
mit Standing Ovations bedacht wird. Jeder einzelne 1. Wilde Gefühle zwischen Tom
Moment ist vollgepackt. Dem Leading Team und dem (Markus Neugebauer) und Sara
Cast ist es gelungen, die Inszenierung äußerst spannend (Linda Koprowski)
und abwechslungsreich zu gestalten und Stimmen zu 2. Ein ungleiches Paar sind anfangs
der schüchterne Michael (Michael
präsentieren, die für eine so kleine Aufführung eine Konicek) und die wilde Sara (Linda
sehr beachtliche Qualität aufweisen. In der Tradition Koprowski)
der Aufführungsgeschichte bleibend, ist auch in Wien 3. Tom (Markus Neugebauer) bringt
»Murder Ballad« trotz seiner Beliebtheit nur kurz zu Michael (Michael Konicek) beinahe um
sehen. Am 28. Oktober 2018 fand bereits wieder die 4. ›Langsam, ganz langsam – Reprise‹
– Trotz des Betrugs kämpft Michael
Derniere statt.
(Michael Konicek) um seine Frau
Sara (Linda Koprowski)
Manuel Sommerfeld Fotos (5): Roman Kornfeld
73

Die One-Woman-Show
»Bodyguard« als österreichische Erstaufführung im Wiener Ronacher
Bodyguard
Diverse Komponisten / Chris Egan /
Alexander Dinelaris
Deutsch von Tobias Rohe
Vereinigte Bühnen Wien
Ronacher
Österreichische Erstaufführung:
27. September 2018
Regie............................ Thea Sharrrock &
Frank Thompson
Musikalische Leitung ..... Herbert Pichler
Musical Supervision &
Gesangsarr. .............. Michael Dixon &
Richard Beadle
Orchestrierung ....................... Chris Egan
Choreographie .................... Karen Bruce
Ausstattung ............................ Tim Hatley
Maske &
Perückendesign ............ Campbell Young
Lichtdesign ................... Mike Henderson
Videodesign ................. Duncan McLean
Sounddesign ................. Richard Brooker
Rachel Marron ............ Patricia Meeden /
Tertia Botha
Frank Farmer ............................... Jo Weil
Nicki Marron .............. Ana Milva Gomes
Bill Devaney .................... Martin Muliar
Sy Spector.............. Andreas Kammerzelt
Stalker .................. Maximilian A. Ortner
Tony Scibelli ................. Nicolas Tenerani
Ray Court ...................... Peter Windhofer
Fletcher ...................... Samuel Hollinek /
Malik Camara / Gabriel Egolum /
Mthokozisi Nkomo /
Siya Urbanitsch-Schlacher
In weiteren Rollen:
Danielo Aiello, Ulrich Allroggen,
Arltan Andzhaev, Kalon Badenhorst,
Brett Baxter, Tamsyn Blake, Dominique
Brooks-Daw, Charlotte Coggin, Luke
Cooper, Philipp Dietrich, Lucy-Marie
Fitzgerald, Natalie Jane Hall, Jordan
Hinchliffe (Dance Captain), DeAngelo
Jones, Peter Kratochvil, Mariano
Manzella, Kate Moss, Jahlisa Nikitser,
Charlotte Perry, Susie Porter, Mariano
Skroce, Emma Jane Smith, Delano
Spenrath, Lisa Katharina Toh
74
Musicals in Österreich
›I Will Always Love You‹ – Rachel (Patricia Meeden) beim furiosen Finale
Foto: VBW / Deen van Meer
S
eit dem 27. September 2018 hat Wien ein neues
Ensuite-Musical. »Bodyguard« hat mit seiner öster-
reichischen Erstaufführung ein schweres Erbe in der
Hauptstadt der Alpenrepublik: Im Ronacher-Theater
tritt es nach der Sommerpause die Nachfolge von »Tanz
der Vampire« an. Das Kult-Musical hatte in den ver-
gangenen Monaten allabendlich für ein ausverkauftes
Haus gesorgt. Auch bei der zweiten Musicalbühne, dem
Raimund Theater, lässt das Reinhard-Fendrich-Musical
»I Am From Austria« die Kassen klingeln. Der Start von
»Bodyguard« scheint aber geglückt: Zum Saisonstart
wurden fast 90.000 Tickets verkauft – Das neue Stück
in Österreich kommt aus dem Stand unter die Top 3
der Musicals mit den meisten Vorverkaufszahlen in der
Geschichte der Vereinigten Bühnen Wien.
Das Jukebox-Musical aus der Feder von Alexander
Dinelaris (Buch) ist vollgepackt mit Songs von Whitney
Houston – ausschließlich mit Songs von Whitney Hous-
ton. Die Handlung, die Regisseurin Thea Sharrock und
ihr Associate Director Frank Thompson auf die Bühne
in Wien gebracht haben, hält sich weitestgehend an die
Story des gleichnamigen Hollywood-Blockbuster-Vor-
bildes aus dem Jahr 1992, in dem die Soul-Diva per-
sönlich an der Seite von Kevin Costner die Hauptrolle
hatte. Die CD des Films ist bis heute mit 44 Millionen
verkauften Exemplaren der meistverkaufte Soundtrack
überhaupt: Der fiktive Popstar Rachel Marron wird von
einem unbekannten Stalker bedroht. Zu ihrem Schutz
engagiert ihr Management einen Bodyguard. Der hat
aber nicht nur mit der Bedrohung, sondern auch mit
dem feurigen Temperament der Sängerin zu kämpfen.
Doch während die Gefahr immer näher rückt, verlieben
sich die beiden ineinander.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Das Ronacher präsentiert sich in der neuen Saison mit
einer veränderten Ausstattung. Der Orchestergraben ist
verschwunden und das große VBW-Orchester spielt zwei
Stockwerke unter der Bühne. Das Schloss von Graf von
Krolock ist einer modernen Show-Bühne gewichen, die
es durch bewegliche passepartoutähnliche Elemente er-
möglicht, immer nur einen Ausschnitt zu zeigen und die-
se während einer Szene zu verändern. Kleine und intime
Momente erreichen höchst destilliert das Publikum. Bei
den Konzerten, die Superstar Rachel Marron gibt, zeigt
das Lichtdesign (Mark Henderson), was möglich ist, und
das Theater in der Wiener Innenstadt erlebt ein bombas-
tisches Spektakel, das seinesgleichen sucht.
Die Hauptrolle in Wien hat die deutsche Sängerin
Patricia Meeden übernommen. Bereits in Köln konnte
sich der Zuschauer über die ehemalige Voice-of-Germa-
ny-Kandidatin freuen, die ihre Ausbildung als Tänze-
rin begonnen hatte. Sie singt mit starker und sicherer
Stimme, hat Power und tanzt die sehr ambitionierten
Choreographien perfekt. Bis zum Schlussapplaus will
aber das Gefühl nicht weichen, dass sich das Wiener
Publikum eigentlich Ana Milva Gomes als ›Queen of
the Night‹ in der Hauptrolle gewünscht hätte. Letztere
darf zwar als Cover den Star Rachel Marron verkörpern,
gecastet wurde sie aber für die Rolle von Rachel Mar-
rons Schwester Nicki, in der sie die meiste Zeit zu sehen
sein wird.
In der männlichen Hauptrolle findet sich der »Verbo-
tene-Liebe«-Star Jo Weil wieder, der auf der Bühne des
Ronacher sein Musicaldebüt gibt. Bodyguard Frank Far-
mer kann mit der Schickimicki-Welt nichts anfangen.
Im grellen Licht der Scheinwerfer, das die Pailletten-
kleider (Ausstattung Tim Hatley) funkeln lässt, wirkt

der Leibwächter ein wenig hölzern. Er hat der geballten
Frauenpower auf der Bühne nicht viel entgegenzuset-
zen. Ob dies an Weil liegt oder den Regieanweisungen
zuzuschreiben ist, bleibt unklar. Die weiteren Personen
rund um Rachel, wie ihr Manager Bill (Martin Muliar),
PR-Berater Sy (Andreas Kammerzelt) oder der bisherige
Security Tony (Nicolas Tenerani), bleiben Randfiguren
und sind reine Sprechrollen.
Höhepunkte des Musicals sind zum einen die gro-
ßen Ensembleszenen und Up-tempo-Nummern, wie
›How Will I Know‹ und im Finale zum Schlussapplaus
›I Wanna Dance With Somebody‹. Ins Akrobatische
reichende, rasante Choreographien von Karen Bruce,
die zu den powervollen Klängen von 22 Musikern
unter der Leitung von Dirigent Herbert Pichler be-
merkenswert auf Weltklasseniveau performt werden,
reißen das Publikum von den Sitzen. Zum anderen
beeindrucken die Stimmen der zwei Hauptdarstelle-
rinnen, die als einzige von den namentlichen Rollen
auch im Ensemble mitsingen. Ihre Balladen wie der
Welthit ›I Will Always Love You‹ und ›Run to You‹
lassen Gänsehautmomente entstehen.
Als Stalker tritt Maximilian A. Ortner in Erschei-
nung. Er versteht es, mit seinen plötzlichen und un-
erwarteten Auftritten sowie seiner bedrohlich-ruhigen
Ausstrahlung und fast ganz ohne Worte dem Publikum
das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Besonders der
Moment, wenn er der Sängerin im Club gefährlich nahe
kommt, ist hervorragend umgesetzt. In Slow Motion
erlebt das Publikum jeden Bruchteil dieser spannenden
Momente mit und sieht – von den handelnden Perso-
nen unbemerkt –, wie er sich aus der Masse der Schat-
ten der umgebenden Clubgäste löst und plötzlich mit
einem Messer neben der Sängerin steht.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Österreich
Heimlicher Star des Abends ist jedoch der junge Sa- Abb. unten von links:
muel Hollinek in der Rolle von Rachels Sohn Fletcher. 1. ›Saving All My Love For You‹ –
Schon in den letzten Jahren haben die Vereinigten Frank Farmer (Jo Weil) besucht
Nicki Marron (Ana Milva Gomes)
Bühnen Wien Kinder auf die Bühne gebracht – egal
bei einem ihrer Clubauftritte, was in
ob bei Konzerten oder bei Produktionen wie »Mary ihr falsche Hoffnungen erweckt
Poppins«. Dieses Mal haben sie aber ein Juwel gefun- 2. Sind Rachel (Patricia Meeden,
den. Die Spielfreude von Samuel Hollinek ist über- l.) und Nicki Marron (Ana Milva
wältigend. Er hält in den Choreographien bei seinen Gomes, r.) tatsächlich ein Herz und
eine Seele?
erwachsenen Kollegen nicht nur kinderleicht mit, son-
3. ›I'm Every Woman‹ – Rachel
dern tanzt diese an die Wand und schafft es, sich im (Patricia Meeden und Ensemble) bei
Laufe des Stücks weiter zu steigern. Im Sturm erobert einem ihrer spektakulären Konzerte
er mit seiner Professionalität die Herzen der Zuschauer. 4. Erste Flirtversuche: Rachel
Wien hat es endlich geschafft, in diesem Segment auf ei- (Patricia Meeden) präsentiert sich
ner Ebene mit der britischen »Billy Elliot«-Produktion zur Abwechslung vor Bodyguard
Frank Farmer (Jo Weil) von ihrer
gleichzuziehen.
charmanten Seite
Das Musical ist keine eierlegende Wollmilchsau. Fotos (4): VBW / Deen van Meer
Neben den starken Momenten hat es auch Schwächen.
Die Story hat nicht so viel Spannung wie etwa »Rebec-
ca«. Tiefer gehende Handlungsstränge, etwa die Kind-
heit des Bodyguards, die Minderwertigkeitskomplexe
von Rachels Schwester Nicki, die Mutter-Sohn-Bezie-
hung zwischen Rachel und Fletcher und die generelle
Frage, wo der Vater ist, werden zwar angeschnitten,
aber nicht weiter verfolgt. Mancher mag hier den Tief-
gang vermissen. Hilfreich wäre es sicherlich gewesen,
die Songs der Popdiva neu zu arrangieren und so dem
Stück eine persönliche Note zu verleihen. Trotz der
tollen Stimmen von Meeden und Gomes fehlt es zwi-
schendurch etwas an gesungener Abwechslung. Nach
fast drei Stunden freut sich jeder nicht eingefleischte
Whitney-Houston-Fan auf die Rückreise aus dem mu-
sikalischen 80er/90er-Flashback.
Manuel Sommerfeld
75

Neues aus Österreich
zusammengestellt von Barbara Kern
Sieben Jahre »The Sound of Music« am
Salzburger Landestheater
Am 23. Oktober 2011 feierte die überarbeitete
Fassung des Musicals von Richard Rodgers und
Oscar Hammerstein II ihre Erstaufführung am
Salzburger Landestheater in der neuen deutsch-
sprachigen Fassung von Heiko Wohlgemuth und
Kevin Schroeder. Regie führten Andreas Gergen,
der spätere langjährige Operndirektor des Hau-
ses, und Christian Struppeck, heute Musical-
Intendant der Vereinigten Bühnen Wien. Ihnen
gelang es, auch das kritische Salzburger Publi-
kum, das ein gespaltenes Verhältnis zur Geschich-
te der Trapp-Familie hat, mit ihrer entkitschten
und entstaubten, mitreißenden Inszenierung zu
begeistern. Von 2011 an war »The Sound of Mu-
sic« aus Salzburg nicht mehr wegzudenken.
Die Rolle der Novizin Maria Rainer und
späteren Maria von Trapp prägte Wietske van
Tongeren gemeinsam mit Uwe Kröger, der den
gestrengen, aber liebevollen Kapitän Georg von
Trapp verkörperte. Später spielte auch Milica
Jovanović die Rolle der Maria Rainer. Ein wich-
tiger Bestandteil der Salzburger Aufführung wa-
ren aber auch immer die jungen Darsteller, die
alternierend die 6 Kinderrollen spielten und jede
Darstellerin der Maria herausforderten, erstaun-
ten und erfreuten. Da war Leben auf der Bühne.
Auf Grundlage des Romans »The Trapp Fami-
ly Singers« von Maria Augusta Trapp (1949) und
der deutschen Verfilmung »Die Trapp-Familie«
(1956) verfassten seinerzeit Richard Rodgers
(Musik), Oscar Hammerstein II (Liedtexte) ge-
»The Sound of Music« in Salzburg 2011
Foto: Christina Canaval
76
Musicals in Österreich
Designed by Musicalsommer Winzendorf
meinsam mit einem Buch von Howard Lindsay
und Russel Crouse »The Sound of Music« für
Bühnen- und Filmstar Julie Andrews. Am 16.
November 1959 kam das Stück im Lunt-Fon-
tanne Theatre am Broadway auf die Bühne. 1961
spielte es im Londoner West End, die deutsche
Erstaufführung fand 1962 am Theater für Nie-
dersachsen in Hildesheim statt, während es bis
2004 dauerte, bis das Musical in Österreich erst-
mals an der Wiener Volksoper zu sehen war.
Vom 22. Dezember 2018 bis 16. Juni 2019 ist
»The Sound of Music« nach sieben Jahren in der
achten und vorläufig letzten Spielzeit am Salzbur-
ger Landestheater zu sehen.
Mehr auf: www.salzburger-landestheater.at
blickpunkt
190104002130F5 am 04.01.2019 musical 06/18, November
über http://www.united-kiosk.de
Wildhorns »Carmen« im Sommer 2019
beim Musicalsommer Winzendorf
Am 2. und 3. Oktober 2008 feierte »Carmen –
Das Musical« Uraufführung am Prager Hudební
divadlo Karlín. Nun bringen Intendantin Marika
Lichter und die Produzenten Jérôme Berg und
Benedikt Karasek ab 27. Juni 2019 (Premiere)
die deutschsprachige Erstaufführung in die male-
rische Steinbruchkulisse von Winzendorf. Damit
kommt 2019 das erste Mal eine deutschsprachige
Erstaufführung auf die niederösterreichische Frei-
lichtbühne.
Regie führt Erik Petersen (vgl. das Interview
in blimu 04/2018) bei der leidenschaftlichen Ge-
schichte um Loyalität, Verrat, Treue und Betrug,
Liebe und Hass, Leben und Tod, dessen Ende
schicksalhaft ist.
Auf Grundlage von Prosper Mérimées Ro-
man verfasste Frank Wildhorn (»Jekyll & Hyde«,
»Dracula«, »Rudolf – Affaire Mayerling«) mit
»Carmen« eine sinnlich intensive Komposition,
die moderne Musical-Klänge mit feurigen Fla-
menco-Rhythmen und gefühlsvollen Gitarrenbe-
gleitungen verschmelzen lässt. Das Buch schrieb
Norman Allen, die Original-Liedtexte stammen
von Jack Murphy.
Die Autoren konzipierten das Musical im
Rahmen einer großen Zirkusshow, daher erwartet
die Zuschauer bei der Inszenierung des Musical-
sommer Winzendorf ein Feuerwerk aus Artistik,
Akrobatik, Flamenco und Magie. Gespielt wird
bis 21. Juli 2019.
Mehr auf: www.musicalsommer-winzendorf.at
»Weihnachtsengel küsst man nicht« in der
Wiener Theatercouch
2016 war das Weihnachtsmusical von Rory
Six schon einmal in der Theatercouch zu se-
hen. Jetzt kehrt es zurück u. a. mit Linda Hold,
2018 – Januar 2019

Katrin Mersch und Rory Six in tragenden Rollen.
Basierend auf dem gleichnamigen Weihnachtsro-
man von Sophie Andresky, schrieb Rory Six eine
Musicalkomödie, die alle Weihnachts- und Ge-
schlechterklischees aufs Korn nimmt, untermalt
von Popsongs und Balladen – zur Einstimmung
auf das eigene Weihnachtsfest.
Lina hasst die Weihnachtszeit. Dann soll sie
als ehemaliges Prada-Model als Weihnachtsengel
verkleidet Werbung für Salami machen und dabei
auch noch Rentier Katla einen Kuss auf die be-
haarte Schnauze geben. Rentierbauer Rudi macht
die Sache mit seinen unbeholfenen Annäherungs-
versuchen nicht gerade besser und Lina lässt das
Fotoshooting schließlich platzen. Damit macht
sie ihrer besten Freundin, Agentin und Kupplerin
Anette einen Strich durch die Rechnung: Diese
hatte während des Shootings ein Überraschungs-
date mit einem Filmproduzenten arrangiert. Rudi
soll Manfred vertrösten, doch dieser will Lina für
sich gewinnen und lockt sie auf seinen Bauernhof
fernab jeglicher Zivilisation. Doch dann tauchen
dort auch Manfred und Anette auf, die jeweils
ihre eigenen Gründe haben und sich zueinander
hingezogen fühlen, es aber nie zugeben würden.
Dann kommt der Schnee – Chaos, Liebeswirrun-
gen und ein Weihnachtsfest der besonderen Art
sind vorprogrammiert.
Mehr auf: www.theatercouch.at
»Der Graf von Monte Christo« erstmals in
Österreich auf der Felsenbühne Staatz
Zur Feier von 20 Jahre Musical auf der Felsen-
bühne Staatz bringt Intendant und Regisseur
Werner Auer die österreichische Erstaufführung
von Frank Wildhorns und Jack Murphys Musical
»Der Graf von Monte Christo«, welches auf dem
gleichnamigen romantischen Abenteuer-Roman
von Alexandre Dumas basiert.
Geplante Spielzeit ist vom 26. Juli bis 17. Au-
gust 2019.
Mit dem Wildhorn-Musical präsentiert die
niederösterreichische Open-Air-Bühne bereits
die fünfte österreichische Erstaufführung – zuvor
waren bereits »Artus – Excalibur«, »3 Musketie-
re«, »Titanic« und »The Scarlet Pimpernel« hier
erstmals zu sehen.
»Der Graf von Monte Christo« wurde 2009
am Theater St. Gallen uraufgeführt und war seit
2012 in der Fassung von Kevin Schroeder auch
Designed by agentur3
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Österreich
BREAKING FREE
A TRIBUTE TO
18. JULI BIS 4. AUGUST 2019
auf deutschen Bühnen zu sehen. Sie erzählt
vom Schicksal des Marseiller Kapitäns Edmond
Dantès, der seine Verhaftung als Bonapartist
Neid, Missgunst und Egoismus seiner Umgebung
zu verdanken hat. Er verbringt unschuldig lange
Jahre im legendären Château d‘If und geht bei
dem italienischen Gelehrten Abbé Faria in die
Lehre, der ihm auch den Weg zu einem Schatz
eröffnet. Farias Tod ermöglicht ihm die Flucht.
Nach Jahren des Studiums und kluger Investition
seines Reichtums taucht er verwandelt in der
Identität eines Graf von Monte Christo wieder
auf, belohnt die, die ihm halfen, und nimmt
Rache an den Verrätern. Schließlich begegnet er
auch seiner großen Liebe Mercédès wieder, die
mit einem seiner Erzfeinde verbunden ist. Sie er-
kennt ihn als einzige …
Mehr auf: www.felsenbuehne-staatz.at
»Breaking Free – A Tribute to Queen« beim
Sommermusical 2019 in Bad Leonfelden
2014 feierte »Breaking Free« am Linzer Landes-
theater Uraufführung als Produktion der Musical
Theatre Academy (MTA) Puchenau in Koope-
ration mit dem Popularmusikinstitut Puchenau,
der Anton Bruckner Privatuniversität und dem
Landestheater Linz. Eine überarbeitete Fassung
erlebt ihre Premiere beim Sommermusical Bad
Leonfelden 2019. Das neue Textbuch schrieb
Verena Koch, Regie und künstlerische Gesamtlei-
tung übernimmt Susanne Kerbl, die musikalische
Leitung hat Gottfried Angerer und choreogra-
phieren wird Alexander Novikov.
Der Abend erzählt, wie schwer es heutzutage
ist, sich nicht von Castingshows blenden zu las-
sen, ins Drogenmilieu und somit an den Rand
der Gesellschaft abzurutschen, zu lernen, sich
selbst treu zu bleiben, und doch neue Wege ein-
zuschlagen, Konventionen und alteingesessene
Meinungen über Bord zu werfen, oder auch aus
bestehenden Strukturen auszubrechen.
In dem »Queen«-Musical sind Hits wie ›We
Will Rock You‹, ›I Want to Break Free‹, ›We
Are the Champions‹ und ›Bohemian Rhapsody‹
zu hören.
Mehr auf: www.badleonfelden.at
»Schlager, Tanz & Firlefanz« im Wiener
Metropol(di)
»Schlager, Tanz und Firlefanz« im Flair und mit
Hits der 50er und 60er Jahre heißt es seit dem 17.
November im Metropoldi, der Kleinkunst-Bühne
des Metropols, dem ehemaligen Hernalser Stadt-
theater. Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Diese
Erfahrung machen auch die zwei befreundeten
Pärchen, die beim Fünfuhrtee im Tanzcafé ausge-
rechnet ihren 20. Hochzeitstag dazu nutzen wol-
len, heimlich still und leise aus ihrem allzu braven
Ehealltag auszuscheren. Welche Rolle dabei eine
geheimnisvolle Französin, eine angemietete Sex-
bombe oder ein skurriler Frauen-Jäger spielen
und wer schließlich mit wem und warum und
weshalb, dies zeigt die augenzwinkernde Schlager-
Revue nach einem Buch der »Kernölamazonen«-
Autorin Michaela Riedl-Schlosser, in Szene ge-
setzt von Alexander Kuchinka und stilecht musi-
kalisch einstudiert von Markus Richter. Es spielen
und singen: Katrin Mersch, Tina Schöltzke, Alex-
ander Kuchinka und Markus Richter.
Mehr auf: www.wiener-metropol.at
»Falco – Rock Me Again« zum 60. Geburts-
tag wieder im Theater in der Innenstadt Linz
Falco hat genug davon, im Himmel für betrunkene
Autofahrer dahin zu vegetieren. Er möchte endlich
in den wohlverdienten Musikerhimmel. Doch zu-
vor muss er beweisen, dass er würdig ist, sich die-
sen mit Größen wie Hendrix, Bowie oder Elvis zu
teilen. Daher kehrt er in Begleitung seiner Mutter
und seines Mentors Wolfgang Amadeus Mozart
auf die Erde zurück, um sein Können zu zeigen.
Das tut er unter anderem im Fernsehstudio, beim
Open Air oder als Sidekick von Andreas Gabalier.
Ob ihm seine Hits wie ›Jeanny‹, ›Rock Me Amade-
us‹ oder ›Der Kommissar‹ dabei helfen werden? Die
Falco-Show schrieb Werner Rohrhofer. Regie führt
Benedikt Karasek und die Choreographien steuert
Markus Aschauer bei. Wiederaufnahme wird am
17. Januar 2019 gefeiert. Es spielen Nik Raspotnik
(Falco), Michael Kuttnig (Wolfgang Amadeus Mo-
zart), Michaela Vögerle (Erzengel) und Birgit Koch
(Falcos Mutter).
Mehr auf: www.theater-innenstadt.at
 Premierenblick

Premieren Dezember 2018 & Januar 2019

Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Informationen finden Sie auf www.unitedmusicals.de

Ab in den Wald Frau Sissy auf großer Fahrt My Fair Lady

Stephen Sondheim / James Lapine Diverse Komponisten / Wolfgang-David Sebastian Frederick Loewe / Alan Jay Lerner
Deutsch von Michael Kunze Deutsch von Robert Gilbert
Theater in der Grünen Zitadelle Magdeburg
Landestheater Coburg Silvestershow: 31. Dezember 2018 Staatsoperette Dresden
Premiere: 8. Dezember 2018 www.theater-zitadelle.com Premiere: 26. Januar 2019
www.landestheater-coburg.de www.staatsoperette.de
Für mich soll‘s rote Rosen regnen
Altar Boyz William Ward Murta / James Edward Lyons Non(n)sens
Gary Adler / Michael Patrick Walker / Schauspielbühnen Stuttgart Dan Goggin
Kevin Del Aguila Komödie im Marquard Deutsch von Markus Weber & Thomas Woitkewitsch
Deutsch von Laura Friedrich Tejero Premiere: 18. Januar 2019 Überarbeitete Neufassung von Benjamin Baumann
OFFstage Germany www.schauspielbuehnen.de Theater Lüneburg
Bar jeder Vernunft Berlin Studiobühne T.NT
Deutschsprachige Erstaufführung: 15. Januar 2019 Hair Premiere: 12. Januar 2019
www.offstage-germany.de Drew Sarich Galt MacDermot / Gerome Ragni / James Rado www.theater-lueneburg.de
hat seinen Vertrag der Titelrolle von »Rocky« in Ham- von Nico Rabenald & Walter Brandin
Deutsch
CatchburgMe If You
bis Mai Can und wird im Oktober 2013 Schauspielbühnen Stuttgart
2014 verlängert On the Town
in der konzertanten, deutschsprachigen Erstaufführung
Marc Shaiman / Scott Wittman / Terrence McNally Altes Schauspielhaus Leonard Bernstein / Betty Comden /
von »Love Never Dies« in Wien auf der Bühne stehen.
Deutsch von Werner Sobotka Premiere: 7. Dezember 2018 Adolph Green / Jerome Robbins
Geboren in St. Louis, Missouri (USA), absolvierte er
Deutsch von Claus H. Henneberg
seineTheater
Altonaer Ausbildung in Musik, Schauspiel und Tanz am www.schauspielbuehnen.de
Hamburg
in Zusammenarbeit mit John Neumeier
Boston
Premiere: 20. Conservatory
Dezember 2018 und stand in New York erstmals
im Musical auf der Bühne, u. a. in »Joseph and the
www.altonaer-theater.de
Hallo, Dolly! Oper Leipzig
Amazing Technicolour Dreamcoat«, »Tony n‘ Tina‘s Musikalische Komödie
Jerry Herman / Michael Stewart
Wedding« und »Jesus Christ Superstar«. Die Rolle Premiere: 26. Januar 2019
Das Lächeln einer Sommernacht Deutsch von Robert Gilbert
des Quasimodo in »Der Glöckner von Notre Dame«
führte ihn 1999 nach Berlin. Zu seinen Haupt- und Ti-
Tiroler Landestheater Innsbruck www.oper-leipzig.de
Stephen Sondheim / Hugh Wheeler
telrollen
Deutsch in Deutschland,
von Eckart Hachfeld Österreich und der SchweizPremiere: 15. Dezember 2018
gehören Berger in »Hair«, »Boss in »Fever«, die Titel-
www.landestheater.at
Rock of Ages
Theater
rollePlauen / Zwickau
in »Hedwig and the Angry Inch«, Cousin Kevin in Diverse Komponisten / Chris D‘Arienzo
Theater
»TheZwickau – Malsaaldie Titelrolle in »Jekyll & Hyde«,
Who‘s Tommy«,
Hallo, Dolly! Englischsprachige Originalproduktion
Premiere:
»Jesus7.Christ
Dezember 2018 »Dracula«, »Rudolf – Affaire
Superstar«,
Mayerling«, Che in »Evita«, Curtis Jackson in »SisterJerry Herman / Michael Stewart Dan Looney, Adam Paulden,
www.theater-plauen-zwickau.de
Act« und Graf von Krolock in »Tanz der Vampire«. Deutsch von Robert Gilbert Jason Haigh-Ellery & Selladoor Worldwide
Bei Aufenthalten in New York spielte er Hauptrollen in in Zusammenarbeit mit BB Promotion &
Der Tag,»Lestat«,
an dem Santa
»Jaques Brel Claus
Theater St. Gallen – Großes Haus
is Alive ...« und »Les Misérables« Mehr! Entertainment
Premiere: 15. Dezember 2018 Admiralspalast Berlin
keine Lust aufam Broadway.
Weihnachten hatte ...
www.theatersg.ch Premiere: 4. Dezember 2018
Diverse Komponisten / Andreas Gergen
www.bb-promotion.com
Musik und Theater Saar Im weißen Rössl
Zeltpalast Merzig
Uraufführung: 21. Dezember 2018
Ralph Benatzky / Robert Gilbert / Seelenhändler – Das Musical
Hans Müller-Einigen / Erik Charell
Andreas Rüsing / Joachim Quirin / Ulrich Spies
www.musik-theater.de Theater Erfurt – Großes Haus
Premiere: 15. Dezember 2018 Stadtmusical Nürnberg
Heilig-Geist-Saal zu Nürnberg
Du bist in Ordnung, Charlie Brown www.theater-erfurt.de Uraufführung: 1. Dezember 2018
Clark Gesner / Andrew Lippa / Michael Mayer
www.stadtmusical.de
Deutsch von Nicholas Hause & Christian Struppeck Jasper in Deadland
Junges Staatsmusical Ryan Scott Oliver / Hunter Foster
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Sherlock Holmes – Next Generation
Deutsch von Lisanne Wiegand
Premiere: 12. Januar 2019 Christian Heckelsmüller / Rudi Reschke /
Theater für Niedersachsen Joachim Quirin
www.staatstheater-wiesbaden.de Theater Hildesheim – Großes Haus
Deutschsprachige Erstaufführung: 19. Januar 2019 Movin Act Productions
F1rst Stage Theater Hamburg
Ein Käfig voller Narren www.tfn-online.de
Uraufführung: 21. Januar 2019
(La Cage aux Folles)
Lulu – Ein Rock Vaudeville www.sherlockholmes-musical.de
Jerry Herman / Harvey Fierstein
Deutsch von Erika Gesell & Christian Severin »The Tiger Lillies« / Armin Petras
Sister Act
Theater Basel Theater Bremen – Kleines Haus
Premiere: 13. Januar 2019 Alan Menken / Glenn Slater /
Premiere: 14. Dezember 2018 Bill & Cheri Steinkellner / Douglas Carter Beane
www.theaterbremen.de Deutsch von Kevin Schroeder, Heiko Wohlgemuth,
www.theater-basel.ch
Michaela Ronzoni, Werner Sobotka & Ruth Deny
Elegies Miss Saigon Circomedia
Claude-Michel Schönberg / Alain Boublil / Le Théâtre Emmen
Janet Hood / Bill Russell
Richard Maltby Jr. Schweizer Erstaufführung: 15. Dezember 2018
Deutsch von Robin Kulisch & Daniel Witzke
Englischsprachige Originalproduktion
www.le-theatre.ch
Kulisch & Witzke BB Promotion & Cameron Mackintosh
Admiralspalast Berlin Musical Dome Köln
Deutschspr. Erstaufführung: 10. Dezember 2018 Premiere: 25. Januar 2019
www.readymag.com www.bb-promotion.com

78 blickpunkt musical 06/18,

190104002130F5 November
am 04.01.2019 2018
über – Januar 2019
http://www.united-kiosk.de
 Premierenblick

Premieren Dezember 2018 & Januar 2019

Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Angaben ohne Gewähr. Weitere Informationen finden Sie auf www.unitedmusicals.de

Spuk in der Villa Stern Hinweis der Redaktion

Friedrich Hollaender / David Gieselmann
Theater Basel – Große Bühne
Uraufführung: 26. Januar 2019
www.theater-basel.ch
Stille Nacht – Ein Notenblatt
des Himmels (Tour)
Georg Stampfer / Hans Müller
Austrian Classic Philharmony
Konzerthaus Klagenfurt
Uraufführung: 9. Dezember 2018
www.stille-nacht-musical.at
Der Premierenblick basiert auf Informationen, die wir
von den Theatern in Deutschland, Österreich und der
Schweiz erhalten. Leider erreichen uns nicht alle Ter-
mine und Informationen rechtzeitig oder diese sind bei
Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht. Premie-
ren, die bei Redaktionsschluss nicht oder mit zu wenig
Informationen vorliegen, können leider nicht berück-
sichtigt werden.
Diese Premierenübersicht erhebt keinen Anspruch auf
Vollständigkeit, jedoch bitten wir alle Theater, uns frü-
hestmöglich mit Informationen zu den bevorstehen-
den Premieren zu versorgen. Damit wir Ihre Premie-
ren im Februar und März in der kommenden Ausgabe
berücksichtigen können, bitten wir Sie um Zusendung
der Termine sowie Angaben zu Autoren, Komponisten
und Übersetzung bis zum 20. Dezember 2018 an
redaktion@blickpunktmusical.de.

Street Scene
Kurt Weill / Langston Hughes / Elmer Rice
Deutsch von Stefan Troßbach
Abonnement für nur

28 90
Theater Münster – Großes Haus
Premiere: 22. Dezember 2018
www.theater-muenster.com

Sweeney Todd EUR/Jahr

Stephen Sondheim / Hugh Wheeler Sechs Ausgaben
In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln Preis für Deutschland

Opernhaus Zürich
Premiere: 9. Dezember 2018
www.opernhaus.ch

Sweeney Todd
Stephen Sondheim / Hugh Wheeler
Deutsch von Wilfried Steiner
Theater Kiel
Opernhaus
8)
Ausg abe 96 (05/1
ber 2018
– Novem
September (EU)
• € 6,50
€ 6,00 (DE) 421

Premiere: 26. Januar 2019

ISSN 1619-9
e
punk tmusical.d
www.blick

www.theater-kiel.de onvo
.
Inkl chau
rs
9
Sais 18/201
20

The Rocky Horror Show

Richard O‘Brien
Deutsch von Frank Thannhäuser & Iris Schumacher
Grenzlandtheater Aachen
Premiere: 13. Dezember 2018
www.grenzlandtheater.de

Wonderful Town
Cubanina Köln
Leonard Bernstein / Betty Comden / Adolph Green / Carmeutnscla
hlandprem
iere
Joseph Fields / Jerome Chodorov Feurige De
Carline Bro
uwer zu »Ana
stasia «

Brüssel
Deutsch von Roman Hinze Bonnie &
Clyde in Bade
n Sunset Bou
Fun Hom
levard in
e in London
Hersfeld erthur
Hair in Bad aus in Wint
der Flederm
Volksoper Wien Die Rache

Premiere: 9. Dezember 2018

Abo nach Österreich: 31,90 EUR/Jahr
www.volksoper.at Abo Weltweit: 34,90 EUR/Jahr
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blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019 79

Mit Unterstützung von sound of music Einspielungen

Einspielungen
zusammengestellt von Lisa-Maria Mehrkens und Rosalie Rosenbusch

A Million Dreams
Debüt-Soloalbum von Christina Patten
›A Million Dreams‹ (»Greatest Showman«) ist nicht
nur der Titel, sondern auch einer der Songs des ersten
Soloalbums von Christina Patten. Aus dem gleichen
Film stammt auch das Duett ›Rewrite the Stars‹, das
gemeinsam mit Andreas Bongard erklingt. Dieser ist
ebenfalls in ›Dir gehört mein Herz‹ (»Tarzan«) und
›What You Mean To Me‹ (»Finding Neverland«) zu
hören. Der zweite männliche Duettpartner für ›Wah-
res Glück‹ (»Rocky«), ›Jetzt und Hier‹ (»Ghost«)
und ›Who Wants to Live Forever‹ (»We Will Rock
You«) ist Mathias Edenborn. Ein ganz besonderes 12 Titel + 1 Bonus-Track
Duett ist ›Wie ich bin‹ (»Wicked«) gemeinsam mit 47 min 44 sec
Christinas Schwester Judith Patten. Durch die vielen
Digipack ohne Booklet mit
Duette gleicht das Soloalbum eher einem Gemein- Songliste, allen Beteiligten, Fotos
schaftsprojekt. Doch auch Solotitel wie ›Reise durch und Dankesworte der Künstlerin
die Zeit‹ (»Anastasia«), ›Zeit in einer Flasche‹ (»Re-
Foto: Stiftung Creative Kirche becca«) oder ›What a Feeling‹ (»Flashdance«) berei-
chert Patten mit kraftvoller Stimme und individueller
Interpretation. Abgerundet wird das Album von der stimmigen Instrumentalbegleitung
Das Chormusical Martin Luther King: durch Pianist Tino Horat und Violinistin Geraldine Galka. Mit »A Million Dreams«
präsentiert Christina Patten zusammen mit ihren Gästen ein abwechslungsreiches und
Ein Traum verändert die Welt hörenswertes Debütalbum. Bravo!

Konzeptalbum zur Essener Uraufführung Fortenbacher singt Streisand live

D as neue Chormusical »Martin Luther King – Ein Traum verändert die
Welt« der Stiftung Creative Kirche wird am 9. Februar 2019 Urauffüh-
rung in Essen feiern. Bereits jetzt gibt es eine umfängliche und hochkarä-
tig besetzte CD-Aufnahme. Die Autoren sind keine unbekannten: Librettist
Andreas Malessa schrieb bereits die Texte für das Musical »Amazing Grace«,
Komponist Christoph Terbuyken arrangierte große Teile des Pop-Oratoriums
»Luther« und Hanjo Gäbler komponierte zahlreiche (Gospel-)Stücke für Film
und Fernsehen. Erzählt wird das Leben des Namensgebers, Martin Luther
King – und das dank Malessas umfangreicher Recherchen so nah und authen-
tisch, wie es bei einer historischen Person kaum besser möglich ist. Hautnah
ehrlich etwa ist die Klage Luther Kings aus dem Gefängnis heraus an Gott
(›Nimm meine Hand‹ – brillant als Heilige Geistin: Karolin Konert).
Die Musik ist eine abwechslungsreiche, hörenswerte und gut abgestimmte
Mischung aus Gospel, Pop, Rock‘n‘Roll und Motown-Sound, die teilweise
an »Hairspray« oder »Sister Act« erinnert. Besonders gelungen ist die Verbin-
dung traditioneller Gospels mit anderen musikalischen Einflüssen innerhalb
eines Liedes, so in ›I Got Shoes‹ oder ›Träum weiter‹ (mit Andreas Wolfram
als kraftvollem Malcolm). Das Album bietet einen Mix aus überwiegend
chorgeprägten Titeln (›Ob es sich lohnt‹, ›I Got a Robe‹) und Sololiedern,
bei denen der Chor unterstützend wirkt. Das Ensemble führt ein großarti-
ger Gino Emnes in der Titelrolle an (›Ich hab‘ den Traum‹). Peti van der Vel-
de als Coretta Scott King (›Sag niemals nie‹,
›Damals‹) und Benjamin Eberling als Bull
Connor (›Kleiner schwarzer Prediger‹) füllen
ihre Rolle mit Leidenschaft und Stimmstärke
aus. Die Aktualität der Themen wie Diskri-
minierung aufgrund von Nationalität, Frem-
denhass und politischer Ungerechtigkeit
kommt dank ehrlicher Texte zur Geltung
(›Danke, wir laufen‹ mit einer soulstarken
Bonita Niessen als Rosa Parks, ›Wegweisende
21 Titel
Weisheit‹, ›Wer zum Bösen schweigt‹) und ist 70 min 04 sec
erschreckend. Gleichzeitig macht dies umso Jewel-CD-Case mit 20-seitigem
Booklet mit Kurzviten der Autoren,
gespannter auf die szenische Umsetzung zur Stück-Historie, Synopsis anhand
Uraufführung im Februar 2019. der Songtitel, Lebensdaten Martin
Luther King, Botschaft
Carolin Fortenbacher und das »Lutz Krajenski Trio«
C arolin Fortenbacher beweist auf ihrer neuen Ver-
öffentlichung, dass bekanntes von Barbra Strei-
sand gesungenes Liedgut zu ihr passt. Sie singt mit
kräftiger und warmer Stimme Songs diverser Songwri-
ter-Duos, von Maltby jr. und Shire, über Jule Styne
mit Bob Merrill, den Gibb Brüdern bis zu Leonard
Bernstein und Stephen Sondheim (›Not While I‘m
Around‹ aus »Sweeney Todd«, ›Send in the Clowns‹
aus »A Little Night Music«). Dabei ist das »Lutz Kra-
jenski Trio« ein Gewinn für die Aufnahme, es swingt
jazzig, spielt gekonnte Schlagzeugsoli oder ein ver-
träumtes Klavierintermezzo. Ganz entspannt und
klar beginnt die Live-Aufnahme mit ›Starting Here, 15 Titel
Starting Now‹, erreicht schon nach kurzer Zeit mit 76 min 49 sec
einem inbrünstigen ›Somewhere‹ aus der »West Side Digipack mit 8-seitigem Booklet
Story« einen Höhepunkt. ›Don‘t Rain on My Parade‹ mit allen Beteiligten, Songliste
aus »Funny Girl« darf natürlich nicht fehlen und wird und Konzertfotos
mit Schwung vorgetragen. Ein gesangliches Highlight
bietet das ineinander übergehende ›Pavane / Avinu Malkeinu / Papa, Can You Hear
Me‹ klar, eindringlich und teilweise wie ein Mantra im jüdisch-traditionellen Teil
vorgetragen. Für die Liveatmosphäre sorgen gesprochene Überleitungen zu einigen
Songs.
Sing Happy
Audra McDonald mit dem New York Philharmonic
D ie nicht nur als Madame de Garderobe aus der
Realverfilmung des Musicals »Beauty and the
Beast« bekannte Sopranistin Audra McDonald legt
einen Querschnitt aus Musicalsongs vor. Dabei ist
die Auswahl von neuen Songs oder von ihr unver-
öffentlichtem Material bestimmt, etwa ›I Am What
I Am‹ aus »La Cage aux Folles«. Den Livecharakter
unterstreichen einige übernommene Worte der Sän-
gerin zwischen den Songs. Mit ihnen beweist sie ein
starkes, gefälliges Vibrato, mit dem sie auch das von
Barbra Streisand gesungene ›Being Good Isn‘t Good
Enough‹, auch bekannt aus »Glee«, gekonnt darbie- 17 Songs & 4 Überleitungen
tet. Amüsant zu hören sind ›Vanilla Ice Cream‹ aus 61 min 41 sec
Jewel-CD-Case mit 16-seitigem
»She Loves Me« mit Jekyll & Hyde-Referenz und der Booklet mit Songliste, Lawrence
›Facebook Song‹. Stimmlich sehr stark sind das dra-
Maslans Würdigung der Song-
auswahl, Künstlervita, Historie
matische ›Never Will I Marry‹ aus »Greenwillow«
und ›Being Alive‹ aus »Company«. des Orchesters und Auflistung
der Musiker

80 blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019

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Musical Tenors meets Musical (Fan) Gala
Die »Musical Tenors« auf neuer Tour im Admiralspalast Berlin
Abb. oben:
Die vier »Musical Tenors« bei dem,
was sie am besten können – Singen
Abb. unten:
Jan Ammann tauchte unter anderem
in die Rolle des Märchenkönigs in
»Ludwig2« ein
Fotos (2): Stephan Drewianka
82
Konzert & Entertainment
N eben den »Musical Gentlemen«, den »Musical
Gents« und den jüngst neugegründeten »Gentle-
men of Voices« sind die »Musical Tenors« schon seit lan-
ger Zeit ein beliebtes neues Konzertformat für den vor-
nehmlichen Musicalfan. Bestreiten bei diesem doch vier
der beliebtesten Sänger der Musicalbühnen im deutsch-
sprachigen Raum einen Konzertabend: Jan Ammann,
Christian Alexander Müller, Mark Seibert und Patrick
Stanke. 2010 wurde die spezielle Gesangsformation für
mehrstimmigen Gesang gegründet, die sich im Herbst
2012 von der Bühne verabschiedete. Jedoch nur vor-
läufig, denn kürzlich reanimierten die vier erfolgreichen
Musicaldarsteller ihr Herzensprojekt und starteten die
»Older But Not Wiser«-Tour durch Deutschland, dar-
unter zwei Auftritte im Studio des Admiralspalast Berlin.
Das kleinere Studio bot bereits zahlreichen Bands,
Solosängern, aber auch kleineren Musicals einen inti-
men Rahmen für Konzerte und Shows. Ist man hier
doch vor allem in den ersten Reihen supernah dran am
Geschehen und an den Musikern. Von den ansteigen-
den Reihen aus kann man selbst hinten noch gut sehen,
wenn auch aus etwas mehr Entfernung. Das Konzert
zur Wiederbelebung der »Musical Tenors« erlaubte also
einen guten Blick auf die Bühne und aus den hinte-
ren Reihen verstand man Jan Ammann und Mitstreiter
optimal. Auf der Bühne lenkte nichts ab, etwa in Ge-
stalt von Leinwandprojektionen. Der Fokus lag zwei-
fellos auf den Sängern, die von einer Band mit Flügel,
Keyboards, Gitarren und Schlagzeug mit begleitendem
Charakter unterstützt wurden. Hervorzuheben ist das
Klavierspiel von Marina Komissartchik, die sich die
Ehre gab und sicherlich auch für die »Musical Tenors«
eine ebensolche bedeutete.
Der erste Titel wurde wirklich passend ausgewählt,
denn dort hieß es in dem Song ›Limelight‹ aus »Gam-
bler« (ursprünglich von »The Alan Parsons Project«
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
unter dem Namen ›Don‘t Answer Me‹ veröffentlicht):
»they are waiting for me, calling my name, shouting out
loud«. Und zumindest unter anschwellendem Applaus
und sehnsuchtsvoll wieder zurückerwartet wurden die
»Musical Tenors« an diesem Abend vom Berliner Publi-
kum – zwischendurch schon so sehr, dass die Atmosphä-
re etwas von einem Boyband-Groupies-Konzert hatte.
Und machen wir uns nichts vor: Fast jeder in den Rei-
hen hatte wahrscheinlich einen Liebling unter den vier
bekannten Gentlemen. Und natürlich rückte sich jeder
ins beste Licht – mit einem variablen Programm. Unter
den insgesamt mit den Songs aus gesungenen Medleys
wohl an die 40 präsentierten Titeln waren ausgewählte
Klassiker, persönliche Lieblingstitel, Karrierestationen,
-höhepunkte und diverse Songs aktueller Musicals so-
wie Musicalfilme. Aber auch altbewährte Nummern
aus »Musical Tenors«-Aufnahmen wurden zu Gehör
gebracht und mal polyphon, mal mit Wechselgesang
oder als Solo beziehungsweise Duett vorgetragen. Die
Mischung sollte für jeden etwas geboten haben.
Nach besagtem Opener aus »Gambler« ging es je-
denfalls weiter mit einem Medley aus dem beliebten
Musical »3 Musketiere«, doch der Querschnitt fiel für
den Geschmack der Rezensentin etwas lang aus und
war schwierig mit mehreren Stimmen herzustellen. Da-
nach wurde es bereits wieder besinnlich mit Jan Am-
manns Version von ›Leuchtturm‹ (Solo-CD »Wunder
geschehen« ) mit einem kleinen Rückblick auf einige
seiner bisherigen Lebensstationen. Beschwingter wurde
die Stimmung dann mit ›Weil ich weiß, in der Straße
wohnst du‹ aus »My Fair Lady«, als vierstimmige Klas-
siker-Interpretation sehr gelungen. Das getragene ›The
Impossible Dream‹ aus »Man of La Mancha« ließ das
Publikum sogleich wieder herunterfahren. Und wieder
bergauf mit Tempo ging es mit ›I, Don Quixote‹ aus
dem gleichen Musical, das schwungvoll dargeboten wur-

de und einen der interessanteren Titel der Auswahl dar-
stellte. Aktuell wurde es dann mit ›Traum ohne Anfang
und Ende‹ aus »Die Päpstin«, in dem Publikumsliebling
Mark Seibert Stimme zeigte. ›More Than Words‹ von
»Extreme« bildete im Anschluss daran wieder eine sehr
schöne mehrstimmige Harmonie, auch wenn Christian
Alexander Müller zu Beginn leicht kratzig klang. Der
Tenor bewies im Laufe des Abends jedoch, dass er ein
Meister der hohen Töne ist. In ›Die Schatten werden
länger‹ aus »Elisabeth« lieferten sich Jan Ammann und
Mark Seibert einen energetischen Wechselgesang.
Patrick Stanke setzte sich ans Klavier und widmete
den Song ›Du warst mein Licht‹ (im Original von Keith
Urban: ›Tonight I wanna Cry‹) allen Liebenden und Su-
chenden, ein Moment für Knicklichter und Feuerzeuge.
Danach ging es weiter mit einem mehrstimmigen und
sogar mehrsprachigen ›Memories‹ aus »Cats«, eine in-
teressante Intonation von Männerstimmen. Christian
Alexander Müller begann das polyphone ›Til I Hear You
Sing‹ aus »Love Never Dies« und moderierte den nächs-
ten Song als einen der schönsten Musicaltitel an, dessen
Produktion für ihn einen wichtigen Höhepunkt seiner
Sängerkarriere darstellte und der daher nicht in dieser
Sammlung fehlen durfte: ›Musik der Nacht‹ aus »Das
Phantom der Oper« wurde von Müllers Stimme veredelt
und wunderbar gesungen. An ›This Is the Moment‹ aus
»Jekyll & Hyde« im Wechselgesang schloss sich ›I Belie-
ve In You‹ von »Il Divo« an, mit dem der Special Guest
des Abends präsentiert wurde: Eve Rades‘ Stimme bot
einen guten Kontrast zu den Tenören.
Nach der Pause ging es nochmal etwa 70 Minuten
lang recht musicalisch zu. Das »Queen«-Medley wirkte
dabei etwas gewollt nebst dem kürzlich in den Kinos an-
gelaufenen »Bohemian Rhapsody«. Christian Alexander
Müller erklärte sich fasziniert und erfreut über den Film-
musicalboom der letzten Jahre und ließ ›Never Enough‹
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Konzert & Entertainment
aus »Greatest Showman« folgen, ein Song, der im Film Abb. links unten:
von einer Frau gesungen wird, der aber mit kraft- wie ge- Vier Gentlemen mit Kragen, Weste
fühlvoller Stimme beeindruckte. Ein weiterer ursprüng- und Stimme: die »Musical Tenors«
licher »Alan Parsons Project«-Song folgte mit ›Closer to Abb. von oben:
Heaven‹ (»Gaudí«) – dieser sehr harmonisch und sehr 1. Christian Alexander Müller
bot anspruchsvolle Titel aus »Das
bedächtig mit einem schönem E-Gitarrensolo. Zu den
Phantom der Oper« und »Greatest
aktuellen oder noch in den Köpfen der Musicalbesucher Showman« dar
schwirrenden Produktionen gehörte auch »Ludwig2«, 2. Mark Seibert sang ergreifende
aus dem Jan Ammann mit ›Kalte Sterne‹ eine Paraderolle Soli aus »Die Päpstin« und
auf der Bühne des Admiralspalast wieder zum Leben er- »Schikaneder«
weckte. Eve Rades beeindruckte mit einem stimmgewal- 3. Musical Tenor selbst am Klavier:
Patrick Stanke mit ›Du warst mein
tigen ›Einsames Gewand‹ aus »Die Päpstin« und Patrick Licht‹
Stanke durfte noch einmal zu Wolfgang Mozart werden Fotos (4): Stephan Drewianka
und in ›Wie wird man seinen Schatten los‹ gegen seine
Dämonen kämpfen. Nach ›Am Ende bleiben Tränen‹,
einem von der »Musical Tenors«-CD bekannten Titel,
folgte auch gleich die nächste aktuelle Show und ein
Musical-Dauerbrenner: In ›Totale Finsternis‹ aus »Tanz
der Vampire« behauptete Eve Rades sich gegen die vier
Herren des Musicals und ›Die unstillbare Gier‹ ließ Jan
Ammann und Mark Seibert nicht los. Seibert kreierte
jüngst die Hauptrolle im neuen Musical »Schikaneder«
und sang für das Publikum in Berlin mit ›Der letzte Vor-
hang‹ einen sehr schönen Titel. ›Bring ihn heim‹ aus »Les
Misérables« zeigte wieder einmal die grandiose Stimme
von Christian Alexander Müller, dann wurde es Zeit für
›Vivo per Lei‹ als Schlussnummer. Mit einem schwung-
vollen wie witzigen »Mamma Mia!«-Medley und ›Look
With Your Heart‹ aus »Love Never Dies« (Christian
Alexander Müller) erklangen die Zugaben eines schon
Musical-Länge betragenden Konzertabends mit ge-
standenen Sängern, charmanten Anmoderationen und
bekannten wie auch unbekannteren Klängen inklusive
leichtem Chartskonzertfeeling.
Rosalie Rosenbusch
83

Das passt wie Deckel auf Topf
»It Takes Two« in Berlin
Abb. oben:
Kavalier Thomas Borchert und seine
Lady Navina Heyne
Abb. unten von links:
1. ›It‘s a Dangerous Game‹ (»Jekyll
& Hyde«) – Navina Heyne und
Thomas Borchert
2. Es braucht zwei für dieses beson-
dere Paar-Konzert: Thomas Borchert
und Navina Heyne
Fotos (3): © Thomas Borchert
84
Konzert & Entertainment
V
erliebt, verlobt, verheiratet und aus Thomas Borchert
wurde Thomas Heyne oder Thomas Borchert 2.0.
Nun nimmt man noch seine frisch Angetraute Navina
Heyne dazu und man hat zwei auf der Bühne zu stehen,
um passend Musicalduette im Schlosspark Theater zu
präsentieren. Familie Heyne hat sich zusätzliche Verstär-
kung, besser Klavierbegleitung von Axel Goldbeck geholt
und schon erlebt das Publikum ein spritziges, kurzweili-
ges und rundherum gelungenes Showprogramm.
Sind die Solo-Programme von Thomas Borchert
schon unterhaltsam und humorvoll, so wird dies mit
Navina Heyne noch besser. Natürlich ist es eine gute
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Vorlage, die eigene Kennenlerngeschichte zu verarbei-
ten, und wenn zwei Musicaldarsteller aufeinandertref-
fen, dann kann herzhaft gelacht werden. Will man jetzt
aber zu viel erzählen, ist für jeden folgenden Konzert-
besucher die Spannung raus. Was man verraten kann,
sind ein paar Schlagwörter, wie Disney, schöne Frauen,
Kleider, Hexen, Liebe und Wildschweine ...
Es haben sich zwei gefunden, die sich gesucht ha-
ben. Menschlich und stimmlich verschmelzen sie auf
der Bühne und bieten einen Abend, der in Erinnerung
bleibt.
Oliver Wünsch
 Konzert & Entertainment

It Takes Two
›It Takes Two‹ aus »Into the Woods«
›You‘re the One That I Want‹
aus »Grease«
›Ein Traum wird wahr‹
aus Disneys »Aladdin«
›Das Phantom der Oper‹
aus »Das Phantom der Oper«
›Es muss was Wunderbares sein ...‹
aus »Im weißen Rössl«
›Written in the Stars‹ aus »Aida«
›As Long as You‘re Mine‹ aus »Wicked«
Medley aus »West Side Story«
›When Love Is True‹ aus
»The Count of Monte Christo«
›The Song That Goes Like This‹
aus »Monty Python‘s Spamalot«
›Let‘s Call the Whole Thing Off‹
aus »Shall We Dance«
›Wunderbar‹ aus »Kiss Me, Kate«
›It‘s a Dangerous Game‹
aus »Jekyll & Hyde«
›Viel zu spät, um umzudreh‘n‹
aus »Bonnie & Clyde«
›Jetzt hast Du Seymour‹
aus »Der kleine Horrorladen«
›Over the Rainbow‹
aus »The Wizard of Oz«
›Ich gehör‘ zu Dir‹
aus »Luther – Rebell Gottes«
›Totale Finsternis‹
aus »Tanz der Vampire«
›The Time of My Life‹
aus »Dirty Dancing«
›Das Wildschweinduett‹
›True Love‹ aus »High Society«

Abb. von oben links:

1. Das Paar wurde musikalisch
begleitet von Axel Goldbeck
2. Let‘s Dance! – Entertainer
Thomas Borchert
3. ›As Long As You‘re Mine‹ –
Zwei, die sich versteh‘n: Navina
Heyne und Thomas Borchert
4. »Heimlicher« Beobachter
(Thomas Borchert) seiner Liebsten
(Navina Heyne)
5. Ein gefühlvoller Moment für und
mit Navina Heyne
Fotos (5): © Thomas Borchert

blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019 85


»Den Zauber des Films einfangen und nun
handgemacht auf die Bühne bringen«
Regisseur Christoph Drewitz und Musikalischer Leiter Ratan Julian Jhaveri über
»Die fabelhafte Welt der Amélie«
Musikalischer Leiter Ratan Julian Jhaveri (l.)
Foto: Stefan Trocha
N ach der jüngst mit dem Deutschen Mu-
sical Theater Preis ausgezeichneten Eröff-
nungsproduktion »Fack ju Göhte« setzt Stage
Entertainment auch bei seiner zweiten Show
im Werk7 am Münchner Ostbahnhof wie-
der auf die Adaption eines Kinoerfolgs. Und
anders als bei den meisten Übernahmen vom
Broadway muss man sich bei »Die fabelhafte
Welt der Amélie« ausnahmsweise mal nicht
sklavisch an das Original halten, sondern darf
seine eigene Version entstehen lassen. Nach
dem Motto »Never change a winning team«
liegt die Regie auch diesmal wieder in den
Händen von Christoph Drewitz, der schon bei
»Fack ju Göhte« bewiesen hat, dass er diesen
speziellen Bühnenraum kreativ zu bespielen
weiß. Ein wichtiger Partner ist für ihn dabei
der musikalische Leiter Ratan Julian Jhaveri,
der dem Stück auch akustisch neue Facetten
abgewinnen möchte.
blickpunkt musical: Worin unterscheidet sich
Ihre Herangehensweise an das Stück von der
Broadwayfassung?
Christoph Drewitz: Wir haben hier ein Stück,
das von einem amerikanischen Team für ein
86
Vis-à-Vis
amerikanisches Publikum gemacht wurde. Und
wenn wir das jetzt wieder zurück nach Europa
holen, müssen wir es auch wieder ein Stück weit
entamerikanisieren. Es muss anders klingen, an-
ders aussehen. Und gerade das macht es für uns
beide nun unglaublich spannend.
Ratan Julian Jhaveri: Der Film ist bei uns deut-
lich präsenter als in Amerika. Nicht nur was die
Optik angeht, sondern ebenso den Sound. Ich
hatte in New York das Gefühl, dass die Ameri-
kaner keine Karikatur machen wollten, darüber
aber vielleicht etwas vergessen haben, nämlich
dass gerade all die typisch französischen Ele-
mente, wie zum Beispiel das Akkordeon, den
Film in gewisser Weise auch ausmachen.
blimu: Was verbinden Sie persönlich mit Jean-
Pierre Jeunets Filmvorlage?
CD: Wenn man mit Leuten über den Film
spricht, fällt mir immer auf, dass die wenigsten
von der Handlung erzählen. Es geht immer eher
um das Gefühl, die Farben, diese ganz besonde-
re Atmosphäre … und natürlich um den Gar-
tenzwerg. Das müssen wir in irgendeiner Form
aufgreifen.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
RJJ: Bei mir ist es natürlich vor allem auch der
Soundtrack von Yann Tiersen, welcher eine
wirklich ikonische Filmmusik geschaffen hat.
Denken Sie zum Beispiel an Amélies Walzer
oder all die anderen schönen Themen. Diese
werden wir in unsere Produktion mit einbauen,
damit die Leute, die den Film lieben, gleich wis-
sen, woran sie hier sind.
blimu: Das klingt gefährlich nach einem neuen
Jukebox-Musical.
RJJ: Musikalisch ist es natürlich eine Herausfor-
derung, beiden Teams gerecht zu werden. Wir
haben auf der einen Seite mit Daniel Messé
einen Broadwaykomponisten, der sehr amerika-
nisch-folkig schreibt, aber eben auch einen Film-
komponisten, der seine ganz eigenen Qualitäten
mitbringt. Das zusammenzubringen ist ein rich-
tiges Puzzlespiel, bei dem wir zum Beispiel hin
und wieder Instrumente aus dem Soundtrack
für die Broadwaysongs übernehmen. Die Kunst
besteht darin, dass es am Ende eine neue Einheit
wird. Christoph und ich arbeiten da sehr eng zu-
sammen. Ich frage ihn, welches Gefühl er mit
einer Szene transportieren will, und dann fange
ich an, zu arrangieren.

CD: Unsere Produktion wird vom Klang her im
Vergleich zum Broadway eher von handgemach-
ter Musik bestimmt sein, ohne viel Elektronik.
Ganz einfach, weil wir auch szenisch andere As-
pekte hervorheben. Wir werden ein kleines En-
semble mit sehr vielen individuellen Charakte-
ren haben. Und da hilft natürlich auch die Nähe
zum Publikum, die wir hier haben.
blimu: Hilft es dabei, dass das Werk7 in Sachen
Technik weniger erlaubt als andere Stage-Thea-
ter und einen quasi zum kreativen Umgang mit
dem Raum zwingt?
CD: Das Werk7 hat ein ganz anderes Flair als
ein Broadway Theater und das ist auch der ganz
besondere Charme dieses Hauses. Zudem finde
ich es spannend, dass wir diesmal in eine ganz
andere Richtung gehen können als bei »Fack ju
Göhte«. Das Publikum soll ins Theater kommen
und sich fühlen wie in einem französischen Bis-
tro. Im Idealfall mit passender Gastro. Daran
tüfteln wir gerade noch. Wenn man bei uns an
das Nachbarland Frankreich denkt, dann denkt
man wahrscheinlich an andere Dinge als ein
Amerikaner, der noch nie in Frankreich war.
Klänge, Gerüche, Eindrücke … Damit versu-
chen wir zu arbeiten.
blimu: Wie weit kann oder muss man sich dabei
von der Optik des Films befreien?
CD: Es ist ein modernes Märchen, das im Film
auf seine Art umgesetzt wurde. Dies können wir
aber nicht 1:1 übernehmen und müssen eine
eigene Dynamik entwickeln. Wir wollen gar
nicht mit großen Projektionen arbeiten, sondern
versuchen stattdessen, diese Welt mit Theater-
mitteln zu erschaffen. Ich denke, das ist unsere
Stärke. Mit einfachen, schlichten Effekten zu
arbeiten, die das Publikum mit einer eigenen
Magie einfangen. Ich glaube, das wird eine sehr
spannende Geschichte.
blimu: In New York lief »Amélie« runde 110 Mi-
nuten ohne Pause durch. Ändert sich das durch
die neu hinzukommenden Nummern?
CD: Wir werden auf jeden Fall eine Pause ma-
chen. Was auch damit zusammenhängt, dass wir
nicht nur an der Musik, sondern auch am Buch
weiter feilen. Da werden manche Szenen umge-
stellt oder auch umgeschrieben. Außerdem gab
es auch Momente aus dem Film, die bei uns be-
sonders hängen geblieben sind, die in der Büh-
nenfassung aber etwas zu kurz gekommen sind.
Da wurde dann noch einmal etwas ausgebaut.
RJJ: Was mir vor allem gefehlt hat, war noch ein
Duett zwischen den beiden Hauptdarstellern,
die sich ja erst am Ende des Stücks begegnen.
Da wollten wir schon vorher wenigstens einmal
einen kurzen Moment haben und mussten lange
überlegen, wo und wie wir den am besten plat-
zieren. Und dafür habe ich eine wunderschöne
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Vis-à-Vis
Nummer in den Archiven des Komponisten
ausgegraben, die jetzt endlich zur Aufführung
kommt. Insgesamt wird es in München drei
neue Songs geben, für die dann ein paar andere
Nummern gekürzt oder neu arrangiert werden.
blimu: Vom Broadway hat sich »Amélie« schnell
wieder verabschiedet. Was gab den Ausschlag
dafür, dem Stück hier eine zweite Chance zu
geben?
RJJ: Was uns gereizt hat, war – wie Christoph
schon gesagt hat –, den Zauber des Films ein-
zufangen und nun handgemacht auf die Bühne
zu bringen. Und dabei dem europäischen Publi-
kum dieses Pariser Flair wiederzugeben.
blimu: »Amélie« gilt nach wie vor als echter
Kultfilm. Trotzdem ist der große Hype schon
ein paar Jahre her. Was hat uns die Geschichte
heute noch zu sagen?
CD: Das Thema ist für mich absolut zeitlos. Ich
denke nicht, dass sich das Lebensgefühl, das der
Film vermittelt, überlebt hat. Ich erinnere mich
noch, dass mich die Geschichte damals wahn-
sinnig gepackt hat, weil es einfach nicht wieder
so eine herkömmliche romantische Komödie
war, die so dahinschmalzt. Da traut sich das
französische Kino unglaublich viel.
RJJ: Diese ganzen Figuren haben ja alle einen
Hau weg. Der Stalker, der Maler, aber auch
Amélie, die ständig andere Leute zusammen-
bringt, aber selbst immer auf der Suche danach
ist, was sie eigentlich in ihrem Leben erreichen
will. Das ist eine Frage, die sich auch heute jeder
junge Mensch stellt. Ich glaube, dass der Film
auch durch dieses Zeitlose seinen Charme hat.
Er geht mir auch heute noch direkt ins Herz.
Und deshalb ist es wichtig, dass die Musik eben
nicht schnulzt. Klar gibt es auch romantische
Elemente, die aber durch diese skurrilen Figuren
immer wieder gebrochen werden.
Regisseur Christoph Drewitz (r.)
Foto: Stefan Trocha
blimu: Der Film lebt zu einem gewissen Grad
von den auf der Leinwand versammelten Cha-
rakterköpfen. Kann man sich bei den Auditions
davon frei machen?
RJJ: Wir casten die beiden Hauptdarsteller schon
etwas in die jüngere Richtung. So 20/21, eben
das Alter, in dem man von zu Hause weggeht.
Dazu gibt es dann aber eben auch die Power-
ladies, die mit Amélie in diesem Café arbeiten.
Natürlich ist es interessant, wenn uns jemand an
die Typen aus dem Film erinnert. Am Ende des
Tages ist es aber immer noch ein Musical. Und
das muss vor allem gut live gesungen werden. Da
sind unglaublich viele komplizierte Harmonien
und Chorsätze. Das ist manchmal auch so ein
bisschen Kampf zwischen Regie und musikali-
scher Leitung. Aber das muss man dann für jede
Rolle herausfinden.
CD: Mal versucht man hartnäckig, ihnen etwas
zu entlocken, und merkt dann, dass leider nicht
mehr kommt. Bei anderen weiß man dagegen
schon nach ein paar Noten, das ist es! Manch-
mal sogar, wenn sie nur mit der richtigen Aus-
strahlung zur Tür reinkommen. Es geht uns
nicht darum, dass Amélie aussieht wie Audrey
Tautou, sondern dass sie diese Verträumtheit
glaubwürdig verkörpert. Wenn eine junge Frau
das ausstrahlt, kann sie bei der Audition auch
mit langen blonden Haaren antreten. Natürlich
ist das diese Erwartungshaltung, aber wichtig ist
uns vor allem Persönlichkeit. Alle müssen etwas
Verschrobenes, oder besser etwas Besonderes ha-
ben. Und wenn es vom Herzen her stimmt, will
ich doch niemanden verkleiden.
(Mit Sandra Leitner wurde die Erstbesetzung
der Amélie inzwischen gefunden, Anm. d. Red.)
blimu: Herzlichen Dank für diesen lebendigen
Gedankenaustausch. Alles Gute für das Projekt
»Amélie«.
Das Interview führte Tobias Hell
87

Schräges Weihnachts-Zombie-Musical
»Anna und die Apokalypse« im Kino
Abb. oben:
Anna (Ella Hunt) mit Ensemble
bei ›Hollywood Ending‹
Foto: Splendid Film
Anna und die Apokalypse
(Anna and the Apocalypse)
Splendid Film
Großbritannien / USA 2018
Kinostart: 6. Dezember 2018
Filmlänge: 92 Minuten
Regie ............................. John McPhail
Drehbuch ............... Alan McDonald &
Ryan McHenry
Musik ............................ Roddy Hart &
Tommy Reilly
Kamera ............................. Sara Deane
Filmschnitt ................... Mark Hermida
Sound Department ............. Sam Biggs,
Colin Chapman, Ben Cross u. a.
Choreographie .................. Sarah Swire
Produktionsdesign ......... Ryan Clachrie
Kostüme ............................ Fi Morrison
Hair & Make-up ........... Maxine Dallas
Special Effects ............. Wayne Bennett
Visual Effects ................ Matt Cameron
Produzenten ....... Naysun Alae-Carew,
Nicholas Crum, Tracy Jarvis
Anna .................................... Ella Hunt
John....................... Malcolm Cumming
Tony ................................ Mark Benton
Savage ................................. Paul Kaye
Steph ................................ Sarah Swire
Chris ................... Christopher Leveaux
Lisa ....................................... Marli Siu
Nick ................................ Ben Wiggins
und weitere
88
Film & Fernsehen
Z ur Weihnachtszeit liegen Filme mit verträumten
Kulissen und magischen Situationen im Trend, mit
denen die fünfte Jahreszeit zelebriert wird. In diesem
Jahr jedoch wird das Fest auf ganz andere und herrlich
schräge Art und Weise auf die Kinoleinwand gebracht.
Regisseur John McPhail inszeniert mit »Anna und die
Apokalypse« einen der merkwürdigsten Weihnachts-
filme überhaupt.
Sobald das Licht im Kinosaal erlischt, erklingen
die ersten Noten des bekannten amerikanischen Weih-
nachtsliedes ›Christmas Means Nothing Without You‹
von Shonagh Murray. Der schwarze Hintergrund löst
sich auf und man sieht Anna (Ella Hunt) und ihren
besten Freund John (Malcolm Cumming) gemeinsam
im Auto sitzen. Annas Vater (Mark Benton) steuert
den Wagen, mit dem sie gemeinsam zur High School
fahren. Die Weihnachtsmusik im Radio wird von den
Nachrichten unterbrochen, die von einem sich schnell
ausbreitenden Virus berichten. Die Insassen interessiert
dies nicht, weil es zwischenzeitlich zum Streit zwischen
Anna und ihrem Vater gekommen ist. Während er sich
erhofft, dass seine Tochter die Universität besucht,
träumt sie davon, ein Jahr lang die Welt zu bereisen. Ehe
der Streit eskalieren kann, hält das Auto vor der Schu-
le. Verärgert und frustriert betritt Anna die Schule. Der
Tag scheint ebenso eintönig zu verlaufen wie jeder an-
dere zuvor. ›Break Away‹ lautet ihr Plan, den auch John
und Mitschülerin Steph (Sarah Swire) verfolgen. In der
kleinen Mensa treffen alle Schüler zusammen. Jeder ist
von seinen eigenen Problemen vereinnahmt. Während
einer musicalartigen Tanzszene springen die Schüler
auf Tische und drehen sich wild im Kreis, wobei ihnen
bewusst wird, dass ihr Leben kein ›Hollywood Ending‹
für sie bereithält. Wenig euphorisch proben die Schüler
in der Aula für die abendliche Weihnachtsshow (›The
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Fish Wrap‹). Schulleiter Savage (Paul Kaye) ist entsetzt
von so wenig Talent und Ehrgeiz der Teenager. Wäh-
rend Anna und John am Abend die Spätschicht in der
städtischen Bowlinghalle schieben, performt Annas bes-
te Freundin Lisa (Marli Siu) während der Aufführung
ihren Song ›It‘s That Time of Year‹. Als sexy Diva rückt
sie in den Mittelpunkt der Show, was dem Publikum –
vor allem den anwesenden Eltern – die Schamröte ins
Gesicht treibt. Die im Hintergrund spärlich als Weih-
nachtsmänner verkleideten Tänzer unterstreichen den
erotischen Charme des Songs optisch mit eindeutigen
Moves. Zu dieser Zeit schwanken bereits die ersten
Zombies durch die Stadt, was zunächst von deren Be-
wohnern unbemerkt bleibt. Am nächsten Morgen er-
wacht Anna euphorisch. Dass ihr Vater in der Nacht
nicht nach Hause gekommen ist, registriert sie nicht.
Gut gelaunt tritt sie ins Freie, atmet die frische Luft
ein und singt sorgenfrei den Song ›Turning My Life
Around‹, den sie über Kopfhörer hört. Auf der ande-
ren Seite der Stadt erlebt John das gleiche Hochgefühl.
Auch er hat den Song auf den Lippen, als er auf Anna
trifft. Von der guten Laune völlig eingenommen, haben
beide keinen Blick für die Zombies um sie herum, bis
sie von einem angegriffen werden. Sie flüchten auf den
Kinderspielplatz, auf dem sie das Monster kurzerhand
mit einer Wippe enthaupten.
Plötzlich erkennen sie das Ausmaß und die drohen-
de Gefahr, die auf sie zukommt. Gemeinsam suchen sie
Schutz in der Bowlinghalle, in der sich auch ihre Freun-
de Chris (Christopher Leveaux) und Steph verschanzt
haben. Gemeinsam kämpfen sie gegen Zombies an, die
sich Zutritt verschaffen konnten. Aus der Ferne sind
Explosionen und Schreie zu hören, die der Apokalypse
als Sound dienen. Einige Mitschüler und Eltern harren
noch immer in der Schulaula aus. Sie alle sehnen sich

nach einer ›Human Voice‹, die ihnen Hoffnung gibt.
Doch die Lage scheint aussichtslos. Schulstar Nick (Ben
Wiggins) erkennt die Situation und ernennt sich selbst
zum ›Soldier at War‹. Gemeinsam mit seinen halbstar-
ken Freunden macht er Jagd auf die Zombies und trifft
dabei auf Anna und ihre Freunde. In der Not rotten sie
sich zusammen, um sicher zur Schule zu gelangen. Dort
kämpft der Schulleiter um sein Leben und den Erhalt
seines Lebenswerks. Er beteuert ›Nothing‘s Gonna Stop
Me Now‹ und schmiedet einen Plan, um zu überleben.
Die Zombies überrennen das kleine Schulgebäude.
Schüler, Lehrer und Eltern fallen ihnen zum Opfer. Nick
und Anna gelingt es, ihren Vater und den mittlerweile
durchgedrehten Schulleiter zu finden. Savage fordert
Anna zum letzten großen Duett heraus. Während sie
mit einer gigantischen Zuckerstange bewaffnet um ihr
Leben kämpft, bietet sie dem Schulleiter auch stimm-
lich die Stirn: ›Give Them a Show‹. Als sie die Zombies
nicht mehr aufhalten können, erinnern sich Anna und
ihr Vater an eine Zeit vor der Apokalypse zurück: ›I Will
Believe‹. Nun bleibt Anna nichts anderes übrig, als die
Stadt zu verlassen, wovon sie immer geträumt hat. Doch
verwundert muss sie feststellen, dass ›What a Time to
Be Alive‹ nun nicht mehr das Gefühl von Freiheit für
sie bereithält.
Gefilmt wurde in Port Glaskow, East Lothian und
Falkirk, unter anderem in einer echten Schule, die wäh-
rend des Winters leer stand. Während der fünfwöchi-
gen Dreharbeiten ertrugen die Darsteller den schotti-
schen Winter, der die Außendrehs für die Tanzszenen
zur Herausforderung werden ließ. Dank der niedrigen
Hierarchien am Set, auf die der Regisseur großen Wert
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Film & Fernsehen
legte, konnte jeder Darsteller seine Fähigkeiten einbrin- Abb. unten von oben links:
gen. Sarah Swire, die sich als knallharte Einzelgänge- 1. Anna (Ella Hunt) kämpft mit einer
rin ihren Frust von der Seele singt, zeichnet für den Zuckerstange um ihr Leben
2. Anna (Ella Hunt) und John (Mal-
Film auch als Choreographin verantwortlich. Für die colm Cumming) treffen auf einen
Einstudierung der Tanz- und Kampfszenen blieb dem Zombie
Cast oftmals nur eine Stunde Zeit, bevor die Szene ge- 3 Die noch ahnungslose Anna (Ella
dreht wurde. Die skurrile Coming-of-Age-Geschichte Hunt) bei ›Turning My Life Around‹
bedient sich der Musik aus unterschiedlichen Genres. 4. Lisa (Marli Siu) während ihrer Per-
formance von ›It‘s That Time of Year‹
Die schottischen Sänger und Songwriter Roddy Hart Fotos (4): Splendid Film
und Tommy Reilly haben die Songs für den Film kom-
poniert, welche die emotionale Lage der Charaktere mit
Herz und Witz verdeutlichen. Alle Darsteller des Films
singen ihre Lieder selbst. Aus praktischen Gründen
wurden diese bereits vor Beginn der Dreharbeiten in
einem Studio aufgenommen. Für Ella Hunt, die selbst
Songs schreibt und Musicals liebt, erfüllte sich mit ih-
rer Rolle ein langgehegter Wunsch. Während Anna mit
ihren Songs ihr inneres Gefühlsleben zu Tage fördert,
singt Paul Kaye den einzigen Punk-Song des Films und
unterstreicht dadurch seinen wachsenden Wahnsinn.
Malcolm Cumming, der mit »Anna und die Apoka-
lypse« sein Filmdebüt feiert, entpuppt sich ebenso wie
die eigentlichen Theaterschauspieler Marli Siu und Ben
Wiggins als guter Sänger, der Höhen und Tiefen der
Songs zu meistern weiß.
»Anna und die Apokalypse« vereint romantische
Stimmungen, Teenagerprobleme und ein todbringendes
Zombieszenario in weihnachtlicher Atmosphäre und
liefert damit einen gelungenen Kontrast zu den altbe-
kannten Weihnachtsfilmen.
Sandy Kolbuch
89

Musikalische Erkenntnis von Gut und Böse
»Tabaluga – Der Film« im Kino
Abb. oben von links:
1. Die Freunde Eisbär Limbo (Rick
Kavanian) und Glückskäfer Bully
(Michael »Bully« Herbig)
2. Der finstere Schneemann Arktos
(Heinz Hoenig), Eisprinzessin Lilli
(Yvonne Catterfeld) und Tabaluga
(Wincent Weiss)
Foto: Sony Pictures
Tabaluga – Der Film
Sony Pictures
Kinostart: 6. Dezember 2018
Deutschland
FSK 0
90 Minuten
Regie ...................... Sven Unterwaldt Jr.
Drehbuch ........ Gerrit Hermans, Marco
Petry, Hortense Ullrich
Idee ....... Peter Maffay, Rolf Zuckowski,
Gregor Rottschalk, Helme Heine
Filmschnitt .................... Nana Novosad
Musik ......................... Peter Hinderthür
Orchestrierung ............... Andreas Lange
Sound ......................... Christof Ebhardt,
Bernhard Maurer, Laura Plock,
Michael Stancyk
Setdesign ......................... Uwe Saegner
Soundtrack ....................... Peter Maffay
Produzenten ..................... Helge Sasse,
Lucas Lynette-Krech & Solveig Fina
Tabaluga ........................ Wincent Weiss
Lilli ........................... Yvonne Catterfeld
Arktos ............................. Heinz Hoenig
Bully ................ Michael »Bully« Herbig
Limbo ............................. Rick Kavanian
Kolk ..................................... Rufus Beck
Sprecher ................... Gregor Rottschalk
und weitere
90
Film & Fernsehen
I m Jahr 1983 erblickte der kleine, grüne Drache namens
Tabaluga – geschaffen von Rockmusiker und -sänger
Peter Maffay, dem Kinderbuchautor Rolf Zuckow-
ski und dem Maffay-Liedtexter Gregor Rottschalk –
die Welt. Mit dem Konzeptalbum »Tabaluga oder die
Reise zur Vernunft« begann die Karriere des Drachen,
die mit fünf weiteren Konzeptalben fortgesetzt wurde.
1999 feierte das Musical »Tabaluga & Lilli« im Theatro
Centro in Oberhausen Premiere, wo es bis 2001 lief.
Mit »Tabaluga – Der Film« erreicht Maffays Ausnah-
meerfolg nun die dritte Dimension.
Einst waren Grünland und Eisland miteinander
verbunden. Doch als der finstere Schneemann Arktos
(Heinz Hoenig) die Macht übernehmen wollte, kam es
zum Krieg zwischen den Welten. Diesem fielen auch
zwei Drachen zum Opfer. Ihr Ei konnten sie in letzter
Sekunde dem Raben Kolk (Rufus Beck) übergeben, der
versprach, sich um den kleinen Drachen im Inneren zu
kümmern: ›Tabaluga‹ wächst schnell heran, während die
Jahre vergehen. Gemeinsam mit seinem Ziehvater und
seinem besten Freund Bully, ›Der Glückskäfer‹, lebt er
ein zufriedenes Leben. Da Tabaluga (Wincent Weiss)
jedoch kein Feuer speien kann, wird er von den Grün-
ländern gehänselt. Um sein Feuer zu finden, macht er
sich auf den Weg nach Eisland. Dort lernt er die schö-
ne Eisprinzessin Lilli (Yvonne Catterfeld) und den Eis-
bären Limbo (Rick Kavanian) kennen. Als sie ihn zu
Arktos bringen, enthüllt dieser seine dunkle Macht:
›Der Schlüssel zur Macht‹. Er will Tabaluga, den letzten
Drachen auf Erden, vernichten, um für immer sicher
vor dem vernichtenden Feuer zu sein. Doch Tabaluga
und Bully gelingt mit ihren neuen Freunden die Flucht.
Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft erkennen sie:
›Ich fühl wie du‹. Durch die tiefe Verbindung zueinan-
der bestärkt, begleitet Lilli Tabaluga nach Grünland, wo
sie mit den Ängsten der Bewohner konfrontiert wird.
Als Arktos einen Weg findet, die Grenze zwischen den
Reichen zu überwinden, befinden sich alle in Gefahr.
Um Tabaluga zu schützen, hat Lilli ihre Gefühle ›Auf Eis
gelegt‹ und kehrt in ihre Welt zurück, um einen Krieg zu
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
verhindern. Sie wird als Verräterin gefangengenommen
und muss in der Einsamkeit ausharren. Der Drache er-
sinnt mit seinen Freunden einen Plan, um sie zu retten
und die Welt ein für alle Mal von dem finsteren Schnee-
mann zu befreien.
Unter der Regie von Sven Unterwaldt Jr. (»7 Zwer-
ge«) entstand Tabalugas großes Abenteuer in den besten
Animationsstudios in Deutschland, Kanada und China.
Für Peter Maffay erfüllt sich mit dem Kinofilm nach
über 35 Jahren ein lang gehegter Traum, nachdem er
bereits in den 80er Jahren die ersten Anfragen von Film-
produzenten erhielt. Produzent Helge Sasse, der immer
wieder beruflich Maffays Weg und den des Drachen
kreuzte, erhielt letztendlich grünes Licht für die Produk-
tion, die vier Jahre bis zum fertigen Film benötigte. Jede
Phase der Produktion entstand in enger Abstimmung
mit Peter Maffay, der alle Figuren mitgeschaffen hat und
weiß, wie sie denken, fühlen und handeln. Mit seinen
Texten und den Kompositionen von Peter Hinderthür
sind emotionale Songs entstanden, die die Geschichte
über Gut und Böse vorantreiben.
Yvonne Catterfeld (›Guten Morgen Freiheit‹) und
Wincent Weiss (›Feuerwerk‹), die beide als Sänger und
Songwriter erfolgreich sind, leihen der Eisprinzessin
und dem Drachen ihre Stimme. Sowohl die Solosongs
als auch ihr Duett heben die Gefühle der Figuren in den
Vordergrund und sorgen für Gänsehautmomente. Auch
Michael »Bully« Herbig kann als Stimme des Glückskä-
fers Bully mit seinem amüsanten Song ›Der Glückskä-
fer‹ unterhalten. Heinz Hoenig, der bereits 2013 bei der
Tournee von »Tabaluga und das verschenkte Glück« als
Schneemann Arktos besetzt wurde und die Rolle auch
2012 und 2015 bei den folgenden Bühnenshows über-
nahm, steuert auch im Film seinen dunklen Part zur
Geschichte bei. Eingerahmt wird die musikalisch unter-
malte Geschichte von den Songs ›Zwischen den Welten‹
und ›Es lebe die Freundschaft!‹, mit denen Peter Maffay
als auktorialer Erzähler fungiert.
Sandy Kolbuch

Musikalische Winterreise
»Smallfoot: Ein eisigartiges Abenteuer« im Kino
B
ei Animationsfilmen aus dem Hause Walt Disney
ist man es mittlerweile gewöhnt, dass die Hand-
lung mit musikalischen Nummern untermalt ist. Bei
Abenteuern anderer Studios horcht man überrascht
auf, wenn die Hauptfiguren ihre Gefühlswelt mit ei-
nem schmissigen Song verdeutlichen. Zu jenen Überra-
schungen zählt »Smallfoot: Ein eisigartiges Abenteuer«,
der auf Sergio Pablos Buch »Yeti Tracks« basierende
Film, den Warner Bros. am 11. Oktober in die deut-
schen Kinos gebracht hat.
Der junge Yeti Migo lebt ein sorgenfreies Leben
mit den anderen Bigfoots in einem kleinen Bergdorf
oberhalb der Wolken des Himalayas in Nepal. Für die
Yetis ist alles perfekt, wie der Song ›Perfection‹ zeigt,
der im Original von Channing Tatum gesungen wird.
Jeder Tag gleicht dem anderen, doch als Migo eines
Morgens anstelle seines Vaters den Gong schlagen soll,
der die Sonne hinter den Bergen hervorlockt, verfehlt
er das Ziel. Er landet weit außerhalb des Dorfes, wo
er mit einem abstürzenden Flugzeug kollidiert. Aber
nicht dieses laute Flugwerk macht ihm Angst, sondern
eher das Zusammentreffen mit einem »Smallfoot«.
Aufgeregt kehrt Migo zu den anderen zurück und be-
richtet von der tatsächlichen Existenz der Menschen.
Für die Verbreitung dieser Lüge wird Migo aus dem
Dorf verbannt. Enttäuscht und wütend macht er sich
auf die Suche nach den Menschen, um den anderen zu
beweisen, dass er Recht hat. Unterstützt wird er dabei
von Meechee (Zendaya), der Tochter des Yeti-Häupt-
lings, die an die Existenz von »Smallfoots« glaubt. Ihre
Weltansicht des ›Wonderful Life‹ eröffnet Migo ganz
andere Perspektiven.
Zur gleichen Zeit ist am Fuße des Berges der glück-
lose Dokumentarfilmer Percy Patterson (James Corden)
auf der Suche nach der ganz großen Story. Seine Visio-
nen ›Percy‘s Pressure‹ präsentiert er in einer Karaoke-
Bar. Als er dort auf den Piloten trifft, der von seiner
Begegnung mit dem Yeti erzählt, ist Percy Feuer und
Flamme. Er wittert die große Chance, weltweit bekannt
zu werden, und erklimmt den Berg. Als Migo und Per-
cy letztendlich durch Zufall aufeinandertreffen, geraten
sie ins Staunen. Sie stehen einer Lebensform gegenüber,
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Film & Fernsehen
Abb. links:
Beste Freunde – Yeti Migo und
Smallfoot Percy
Foto: Warner Bros
dessen Existenz sie nie für möglich gehalten hätten. Ge-
meinsam kehren sie ins Bergdorf zurück. Dort sind die
Yetis erst schockiert, aber dann fasziniert von dem klei-
nen Wesen, das schnell zur Attraktion wird. Mit Hän-
den und Füßen gelingt es Percy, sich mit den Giganten
zu verständigen. Derweil offenbart der Häuptling Migo
ein düsteres Geheimnis, das die Menschen als Monster
darstellt. Trotz der äußeren Umstände entsteht dennoch
eine tiefe Freundschaft, die für die Yetis und die Men-
schen von großer Bedeutung ist.
Die animierten Figuren sind einzigartig und unter-
halten mit frechen Sprüchen und zahlreichen Slapstick-
Einlagen. Die überschaubare Geschichte aus der Feder
von Karey Kirkpatrick und Clare Sera spielt mit Mythen
und Legenden und wird von den Kompositionen von
Heitor Pereira getragen, die jeden Filmmoment mit me-
lodischen Tönen untermalen. Klaviernoten vermischen
sich mit dramatischen Blas- und Streichinstrumenten
und hellen Glöckchen zu einer stimmigen Melodie,
die sich in die Eis- und Schneewelt der Yetis integriert.
Sowohl leise Töne als auch dramatisch anschwellende
Melodien heben die abwechslungsreiche Stimmung der
Handlung hervor. Die Geschwister Wayne und Karey
Kirkpatrick, die 2015 für ihre Musicalkomödie »So-
mething Rotten!« mit einem Tony, Drama Desk und
anderen Kritikerpreisen ausgezeichnet wurden – unter
anderem für Best Original Score – und zudem für den
Grammy für »Best Musical Theater Album« nominiert
wurden, tragen auch hier ihren musikalischen Teil bei.
Gemeinsam haben sie fünf Songs für den Animations-
film geschrieben: ›Perfection‹, ›Wonderful Life‹, ›Let It
Lie‹, ›Moment of Truth‹ (performed von Cyn) sowie
›Wonderful Questions‹, der in der Originalfassung von
Sängerin Zendaya und Schauspieler Channing Tatum
performed wird und für romantischen Winterzauber
sorgt. Zudem erzeugt Niall Horan, Sänger und Song-
writer der Band »One Direction«, mit ›Finally Free‹ (Ian
Franzino, Andrew Haas, John Ryan, Julian Bunetta) –
die erste Single aus dem Soundtrack von WaterTower
Music – euphorische Glücksgefühle.
Sandy Kolbuch
91
Smallfoot:
Ein eisigartiges Abenteuer
Warner Bros.
Kinostart: 11. Oktober 2018
USA 2018
FSK 0
96 Minuten
Regie ......................... Karey Kirkpatrick
Drehbuch ................. Karey Kirkpatrick,
Clare Sera, John Requa,
Glenn Ficarra
Kamera ................. Stephen W. Childers
Filmschnitt ....................... Peter Ettinger
Animation .......................... Kevin Webb
Musik. Supervision ........ Steven Gizicki
Orchestrierung ........... Jonathan Beard &
Henri Wilkinson
Visuelle Effekte Sup. ........... Karl Herbst
Sound ........................... Dale Anchor &
Michael Babcock
Produzenten ....... Glenn Ficarra, Bonne
Radford, John Requa
Score
Heitor Pereira
›Finale Free‹ ....................... Niall Horan
Liedtexte
›Perfection‹, ›Wonderful Life‹,
›Wonderful Questions‹, ›Let It Lie‹,
›Moment of Truth‹.....Karey Kirckpatrick &
Wayne Kirkpatrick
›Percy‘s Pressure‹ ............. David Bowie,
John Deacon, Brian May,
Freddie Mercury, Roger Taylor &
mit Additional Lyrics von Wayne
Kirkpatrick und Karey Kirkpatrick
›Crazy‹ ............... Brian Burton, Thomas
Callaway, Gian Piero Reverberi,
Gianfranco Reverberi
›Blue (Da Ba Dee)‹ ............. Gianfranco
Randone, Massimo Gabutti,
Maurizio Lobina
›Finally Free‹ .................... Ian Franzino,
Andrew Haas, John Ryan,
Julian Bunetta, Niall Horan
Stimmen
Migo ......................... Channing Tatum /
Kostja Ullmann (dt.)
Percy Patterson................. James Corden
Meechee ................................ Zendaya /
Aylin Tezel (dt.)
Kolka ................................... Ely Henry /
Luise Bedfort (dt.)
Fleem ........................ Gina Rodriguez /
Chris Tall (dt.)
Stonekeeper ........................... Common
Gwangi ............................ LeBron James
Dorgle ........................... Danny DeVito
Garry ............................... Justin Roland
und weitere

Zwei Brüder, zwei Ideologien
»40-45 Spektakel-Musical«
Abb. oben:
Ein Zug in Richtung KZ wird
von den Widerstandskämpfern
(Ensemble) gestoppt. Erneut stehen
sich Louis (Jonas Van Geel, oben
l.) und Staf (Jelle Cleymans, oben r.)
gegenüber
Abb. unten:
Beim Picknick – (v.l.): Sarah (Clara
Cleymans), Marie (Line Ellegiers),
Staf (Jelle Cleymans) und Louis
(Jonas Van Geel)
Fotos (2): Studio 100
92
Musicals in Europa
uraufgeführt im belgischen Puurs
D ie belgische Gesellschaft Studio 100 produziert
Fernsehserien für Kinder und betreibt fünf Frei-
zeitparks, für die sie Unterhaltungsshows realisiert.
2011 kündigte die Firma das Musical »14-18 Spekta-
kel Musical« mit der Musik von Dirk Brossé an (vgl.
blimu 04/2014). Erst drei Jahre später feierte es Urauf-
führung in Mechelen. Einzigartig war, dass vor der Erst-
aufführung 117.000 Tickets verkauft wurden. 340.000
Zuschauer sahen dieses Musical der Superlative bis
November 2014.
2018 kündigte die Firma ein neues Kriegsmusical an:
»40-45 Spektakel-Musical«. Erneut boomte der Vorver-
kauf und vor der Uraufführung am 7. Oktober hatte
man über 250.000 Karten verkauft.
Frank Van Laecke führt erneut Regie und schrieb das
Buch zusammen mit Allard Blom, der auch die Liedtex-
te verfasste. Einer der bekanntesten flämischen Sänger
und Komponisten, Will Tura, komponierte die Musik
in Zusammenarbeit mit Steve Willaert. Das Ensemble
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
ist zweigeteilt: in den blauen und den grünen Cast, die
abwechselnd spielen. Nur Jelle Cleymans und Jonas Van
Geel in den Rollen der Brüder Staf und Louis Segers
spielen in allen Vorstellungen, respektive die Zweitbe-
setzungen, wie noch ein paar andere Darsteller.
In der Stadt Puurs nahe Antwerpen wurde das Studio 100
Pop-Up Theater gebaut, mit einer Spielfläche von 90 x
75 Meter und 20 Meter Höhe, einem Backstage-Be-
reich, einer Garage und einer Eintrittshalle mit Cafés
und Restaurants. Nahe dem Theater wurde ein riesiges
Parkareal angelegt. Samstags und sonntags finden drei
Vorstellungen statt und die Besucher finden ausreichend
Parkplätze vor, da das Theater außerhalb der Stadt in
einer Industriezone liegt.
Die ganze Tribüne in Mechelen kann vor- und zu-
rückgefahren werden. In Puurs sind acht Tribünenteile
à je 40 Tonnen mit einer Gesamtkapazität von 1672
Zuschauern in alle Richtungen bewegbar, sowohl ein-
zeln als auch in Blöcken, was zu unglaublichen Effekten
führt.
Musik, Gesang und Dialoge sind über individuelle
Kopfhörer zu hören, bedingt dadurch, dass man den
Schall in der riesigen Halle nicht genug dämpfen kann.
Ein Vorteil dieses Systems ist, dass man alle Gesangs-
passagen einwandfrei versteht. Es wird Flämisch gespro-
chen und gesungen. Geplant sind auch Vorstellungen
mit einer Französisch sprechenden Besetzung. Am Pre-
mierentag spielte der grüne Cast bereits am Nachmittag,
ehe der blaue Cast am Abend seinen ersten Auftritt hat-
te. Die Musik wird live vom Sinfonieorchester Flandern
gespielt.
Die Handlung (in Auszügen): Im Antwerpener Kino
Rex läuft am 16. Dezember 1944 der Western »The
Plainsman« von Cecil B. DeMille. Die Tribünenränge
stehen beieinander, als der Kinobesitzer Emiel Segers
(Peter Van de Velde), der Vater von Staf und Louis,
vom Leben im Krieg erzählt. Die Tribüne teilt sich für
die Rückblende zum 10. Mai 1940, als die Deutschen
Belgien überfallen. Häuserfassaden, Autos, Lastwagen

und das Ensemble tauchen in der Mitte der Spielfläche
auf, und ein Flugzeug fliegt von einer Seite zur ande-
ren. Schüsse und Explosionen sind zu hören. Flammen
schießen aus dem Boden.
Für Emiel Segers, seine Frau Anna (Marleen Merckx)
und ihre beiden Söhne ist die Welt noch in Ordnung.
Staf studiert Medizin und Louis ist Automechaniker. Bei
einem Picknick macht Staf seiner Freundin Marie (Line
Ellegiers) einen Heiratsantrag, den sie annimmt. Louis
und seine Freundin Sarah (Clara Cleymans) freuen sich.
Die Situation für die Bevölkerung spitzt sich zu. Die
Leute müssen Schlange stehen, um Lebensmittel zu
ergattern. Familie Segers muss zwei deutsche Offiziere
beherbergen, Schultze (Jeroen Phaff) und Wolff (Jurgen
Stein). Diese glauben, dass die Flamen sich sehr bald
Hitlers Ideologie anschließen werden.
Am 13. April 1941 hält Staf De Clercq (Hans de
Munter), der Leiter des Flämischen Nationalverbands,
eine flammende Rede im Antwerpener Sportpalast, wel-
che die Flamen anspornen soll, sich den Deutschen an-
zuschließen. Staf und Louis sind anwesend und singen
das patriotische ›Mijn Vlaand’drenland‹ mit. Der Hass
gegen die Juden wird im Film »Der ewige Jude« gezeigt,
in dem Juden mit Ratten verglichen werden. Kurz dar-
auf brennt eine Synagoge. Sarah, die Jüdin ist, will wis-
sen, ob Louis sie für eine Ratte hält. Er entscheidet sich
für sie als Frau.
Hier spitzt sich die Situation zu: Deutsche Soldaten
nehmen Menschen die Koffer ab und trennen sie. Nach
links gehen die Männer und nach rechts die Frauen. Alle
ziehen sich aus und haben die Uniformen des Konzen-
trationslagers an.
1943 stolziert Staf mit der Uniform der flämischen
SS herum, was den Vater in Rage versetzt, während Louis
Mitglied der Widerstandsbewegung »Zwarte Hand /
Schwarze Hand« unter der Leitung von Albert Leon (Jo
De Meyere) wird. Trotz allem wird Stafs 25. Geburtstag
zu Glenn Millers ›In the Mood‹ in einem Tanzsaal gefeiert
und Louis küsst Sarah zum zarten Lied ›Blijf bij moj /
Bleib bei mir‹.
Ein spektakulärer Moment ist die Crash-Landung
eines brennenden Flugzeugs mitten auf der Bühne. Die
Widerständler retten den Piloten. Plötzlich steht Louis
seinem Bruder gegenüber, der eine Pistole auf ihn
Ein Flugzeug ist abgestürzt. Es kommt zur Konfrontation zwischen
Louis (Jonas Van Geel) und Staf (Jelle Cleymans) in der SS-Uniform
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Europa
richtet. Die Tribünen drehen sich um das Flugzeug,
während die Brüder ›Doe maar / Mach es‹ singen. Die
Kriegsgegner retten Louis, doch der kleine Tuur (Junes
Callaert) wird von Staf tödlich getroffen.
Am 6. Juni 1944 landen die Amerikaner. Louis sucht
Sarah vergebens. Zuhause bedroht er seinen Bruder nun
seinerseits mit einer Pistole und will wissen, ob er sie
deportiert hat. Die Bombe platzt, als Mutter Anna Staf
sagt, dass er einen jüdischen Vater hat: Doktor Jakob
Stern, der ins KZ gebracht wurde. Sie hatte im Kran-
kenhaus eine sehr kurze Affäre mit dem Arzt. Staf kann
es nicht glauben, erkennt aber sein Unrecht. Emiel hat
alles mitangehört, verzeiht jedoch seiner Frau. Staf ver-
sucht nun, Sarahs Namen aus der Liste der zu depor-
tierenden Juden zu streichen, doch seine Vorgesetzten
kommen ihm zuvor.
Eine Dampflok und drei Waggons (30 Meter Länge)
fahren auf die Bühne. Louis und die Rebellen können
den Zug stoppen und die Juden befreien. Es kommt zu
einer Schießerei, bei der viele ihr Leben verlieren, aber
Sarah wird nicht getroffen. Staf taucht wieder auf, will
aber niemanden mehr töten. Der Zug fährt weiter, und
ein Schuss ist zu hören. Staf hat sich selbst gerichtet.
Es ist wieder der 16. Dezember 1944. Emiel steht vor
seinem Kino. Ein fürchterlicher Knall erschüttert den
Saal. Ein Schriftzug erscheint auf dem Bühnenhinter-
grund: Eine Bombe schlug im Kino ein und tötete 567
Menschen. 60 Millionen Menschen wurden im Zweiten
Weltkrieg getötet. Im Epilog spielt Sarah wieder auf ih-
rem Cello und Louis schaut ihr hoffnungsvoll zu.
So ein bewegendes Musical-Spektakel hat man
noch nicht gesehen. »40-45« hat sogar die Grenzen von
»14-18« gesprengt. Der Zuschauer erlebt das Kriegs-
geschehen noch intensiver. Eine Reihe instrumenta-
ler Titel untermalen die Show, die rund 105 Minuten
dauert, wie ein Film im Rex. Von den Songs stechen
die bereits Genannten hervor, auch wenn sie keinen
echten Ohrwurm-Charakter haben. Die Hauptdarsteller
spielen allesamt ausgezeichnet wie auch das Ensemble.
Auch wer nicht Flämisch spricht, müsste mit diesem
kleinen Resümee zurechtkommen. »40-45« ist definitiv
ein meisterliches Spektakel mit unglaublichen Effekten.
Christian Spielmann
Mit verbundenen Augen wird Louis (Jonas Van Geel, sitzend) von
Albert Leon (Jo De Meyere, 2.v.l.) verhört, ehe er bei der »Zwarte
Hand« aufgenommen wird
Fotos (2): Studio 100
40-45 Spektakel-Musical
Will Tura / Steve Willaert /
Allard Blom / Frank Van Laecke
In flämischer Sprache
Studio 100
Pop-Up Theater Puurs
Uraufführung: 7. Oktober 2018
Regie ....................... Frank Van Laecke
Musik. Leitung .... Thomas Vanhauwaert &
Xander Tillon
Choreographie .......... Martin Michel &
Tim Van der Straeten
Bühnenbild &
Video................ Stefaan Haudenhuyse
Kostüme ............................... Yan Tax &
Griet Van Landeghem
Perücken &
Make-up ................. Harold Mertens &
Wouter Somers
Licht- &
Videodesign ................ Luc Peumans &
Paco Mispelters
Sounddesign ............... Mark Luyckx &
Thomas van Hoepen
Staf Segers ..... Jelle Cleymans / Jo Hens
Louis Segers .............. Jonas Van Geel /
James Cooke
Marie De Bruycker ......... Line Ellegiers
Schultze ........................... Jeroen Phaff
Wolff ................................ Jurgen Stein
Staf De Clercq ............ Hans de Munter
De Grauwe .................... Jan Schepens
Julia .................... Hilde Van Wesepoel
Emiel Segers ......... Peter Van de Velde /
Lucas Van den Eyde
Anna Segers ............ Marleen Merckx /
Ann Tuts
Sarah Liebman.......... Clara Cleymans /
Nathalie Meskens
Albert Leon .................. Jo De Meyere /
Herbert Flack
De Weert ............ Kobe van Herwegen
Hermans ................... Nordin De Moor
Tuur .... Junes Callaert und andere Kinder
In weiteren Rollen:
Niels Batens, Mathieu Bekaert,
Annelies Boel, Guus Boswinkel,
Pieter Casteleyn, Martijn Claes,
Steven Colombeen, Joris De Beul
(Dance Captain), Christophe Degelin,
Martine de Jager, Michiel De Meyer,
Juan Gerlo, Pauline Joris, Dorian
Liveyns, Helena Nijs, Liesbeth Roose,
Tim Saey, Jan Schepens, Laura Seys,
Charlotte Suijs, Tim Stuart,
Liv Van Aelst, Maja Van Honsté
93

Ein Mordprozess für die Medien
»Chicago« in einer neuen Fassung in Paris
Abb. oben:
Velma Kelly (Sofia Essaïdi) tanzt mit
dem Ensemble zu ›Fautqu'ça Jazz‹
Foto: Stage Entertainment Frankreich
Chicago
John Kander / Fred Ebb / Bob Fosse
Französisch von Nicolas Engel
Stage Entertainment Frankreich
Théâtre du Mogador Paris
Premiere: 26. September 2018
Regie .................. Véronique Bandelier
Musik. Leitung ...... Dominique Trottein
Choreographie ............... Ann Reinking
Bühnenbild ................. John Lee Beatty
Kostüme .................. William Ivey Long
Roxie Hart .......... Marianne Orlowski /
Carien Keizer
Velma Kelly .................... Sofia Essaïdi /
Fanny Fourquez (ab 1. März 2019)
Billy Flynn ............ Jean-Luc Guizonne
Matron »Mama« Morton ......................
Sandrine Seubille
Amos Hart .................... Pierre Samuel
Mary Sunshine ................. V. Petersen /
A. Conquet
In weiteren Rollen:
Clément Bernard-Cabrel, Alexandre
Bernot, Max Carpentier, Salomé
Dirmann, José Antonio Dominguez
Dominguez, Alex Freï, Emmanuelle
Guélin, Fleur Jagt, Vivien Letarnec, Léo
Maindron, Loïc Marchi, Mélina Mariale,
Dorit Oitzinger, Malory Pacevicius,
Alain Tournay, Rachel Valéry
94
Musicals in Europa
I n Paris war »Chicago« erstmals 2004 im Casino de Pa-
ris zu sehen, in einer von Laurent Ruquier übersetzten
Fassung, die ein Jahr zuvor in Montreal erstaufgeführt
wurde. Nicolas Engel schrieb eine neue Fassung, die im
Pariser Théâtre du Mogador, einem Theater, das Stage En-
tertainment gehört, seit September gespielt wird. Véro-
nique Bandelier inszeniert die Show nach der Regiearbeit
von Walter Bobbie in New York 1996. Die Choreogra-
phien in Paris hat Ann Reinking mit dem Ensemble ein-
studiert, nach den Originaltänzen von Bob Fosse.
Traditionsgemäß sind auch in Paris die Kostüme und
Kleider schwarz, mit ein paar Accessoires in Weiß. So-
mit erinnert die Show an einen Schwarz-Weiß-Film aus
der Stummfilmzeit, da ja auch die Geschichte in den
1920er Jahren spielt. Das Orchester sitzt mitten auf der
Bühne auf einer Tribüne, und der Dirigent Dominique
Trottein wird etliche Male ins Geschehen miteinbezogen.
Eigentlich spielt die Holländerin Carien Keizer die
wegen Mord an ihrem Liebhaber angeklagte Vaude-
ville-Tänzerin Roxie Hart. Doch in der besuchten Vor-
stellung war es die Französin Marianne Orlowski, die
sicher ein guter Ersatz für Keizer war. Sie hat eine schö-
ne, klare Stimme, mit der sie direkt mit ›Petit Chéri /
Schussel-Dussel‹ gefallen kann. Als Tänzerin verfehlt
sie keinen einzigen Schritt und schauspielerisch gibt sie
eine hinterhältige Frau ab, die sich für keine Schand-
tat zu schade ist, um ihre Unschuld zu demonstrieren.
Damit macht sie sich im Knast keine Freundinnen,
auch wenn anfangs Doppelmörderin Velma Kelly (So-
fia Essaïdi) und die das Gefängnis regierende Matron
»Mama« Morton (Sandrine Seubille) ihr beistehen und
sie mit klugen Ratschlägen aufmuntern. So wird Roxie
geraten, den besten Anwalt der Stadt zu engagieren,
Billy Flynn (Jean-Luc Guizonne), da ihr ansonsten die
Todesstrafe drohe. Nur verlangt der gute Flynn 5000
Dollar Gage. Roxies Ehemann, der ehrliche, aber im-
mer wieder betrogene Amos (Pierre Samuel), hat das
Geld nicht. Schließlich akzeptiert Flynn doch die Ver-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
teidigung für ein paar tausend Dollar, welche Amos
aufgetrieben hat.
Roxies Prozess, der zu einem regelrechten Medien-
spektakel wird, gerät immer wieder durch neue Skan-
dale in den Hintergrund. So müssen sich Flynn und
Roxie Neues einfallen lassen, um wieder auf die Ti-
telseiten zu kommen. Mary Sunshine (V. Petersen) ist
eine Reporterin, deren Gunst sie sich nicht verspielen
dürfen. Zudem ist Velma nicht sonderlich amüsiert,
dass Roxie sie aus der Aktualität verdrängt hat. Ro-
xie gewinnt den Prozess, weil sie urplötzlich angibt,
schwanger zu sein. Am Ende tritt sie mit Velma im
Vaudeville auf, in dem sie die Zuschauer erneut begeis-
tern, diesmal mit ihren Tänzen.
Als Fan von Originalfassungen braucht man einen
Moment, um nicht ›All That Jazz‹ in der Eröffnungssze-
ne zu verstehen, sondern ›Faut qu'ça Jazz‹, das man mit
»Es muss jazzen« übersetzen kann. Dann aber gewöhnt
man sich an die französischen Gesangstexte, die den
Englischsprachigen gerecht werden.
Mit viel Charme und Sarkasmus spielt und singt
Sofia Essaïdi die eifersüchtige Velma. Jean-Luc Guizon-
ne hat genug sarkastische Energie und eine starke Stim-
me, um seine beiden Songs ›Mon truc à moi / Bin nur
für die Liebe da‹ und ›De la poudre aux yeux / Hokus-
pokus‹ ganz im Stil eines geldgeilen Anwalts mit Staral-
lüren zu singen. Die französischen Übersetzungen sind
zwar sinngerecht, aber mit »Mein Ding« und »Augenwi-
scherei« nicht unbedingt Titel-gerecht. Sandrine Seubil-
le kann als Matron »Mama« Morton mit ›Si tu donnes à
Mama / Sei nett zu Mama‹ auftrumpfen. Countertenor
Victor Petersen überrascht zum Schluss das Publikum,
wenn er seine Perücke abnimmt.
Das grotesk ausartende Medienspektakel hat nichts an
Aktualität verloren. Somit ist »Chicago« auch in Paris ein
Musical, das man sich problemlos ansehen kann, wegen der
Musik, der Choreographien und des zeitlosen Humors.
Christian Spielmann

Neues aus Europa
zusammengestellt von Martina Friedrich und Barbara Kern in Zusammenarbeit mit
Patrick Fridrichovský
Uraufführung von »Holmes – Die Legende«
in Prag
Am 18./19. Oktober 2018 feierte am Hudební
divadlo Karlín (Karlin Musical Theater) in Prag
das Originalmusical »Legenda jménem Holmes«
(dt.: »Holmes – Die Legende«) Uraufführung.
Komponist und Autor ist Ondřej G. Brzobo-
hatý, tschechischer Musiker, Komponist und
Schauspieler.
Zum einen inspirierte Sherlock Holmes‘ zeit-
weiliger Tod in den Reichenbachfällen Brzobo-
hatý zu seinem Werk. Auf der anderen Seite prägte
den Autor die Aufführung von »Curtains« (in
Prag von 2011-2013), in dem er selbst den Lieu-
tenant Frank Cioffi verkörperte. Nicht um-
sonst nennt der tschechische Theatermann
(Autor und Dramaturg) Patrick Fridrichovský
das Musical von Brzobohatý »einen Mix aus
›Young Frankenstein‹ und ›Curtains‹«. Auch
Mel Brooks‘ Musicals liefen erfolgreich am dem
Prager Musical Theater (»The Producers« 2006-
2010). Musikalisch ist das Stück eine Hommage
an den Broadway.
In »Holmes« vermischen sich die Welten von
Schriftsteller Arthur Conan Doyle und die von
seinem fiktiven Charakter Sherlock Holmes, aus
dessen Schatten Doyle gerne treten würde. Es
kommt zum Konflikt zwischen Schöpfer und Ge-
schöpf. Historische Figuren wie Doyles erste Frau
Louisa Hawkins und die einzige Frau im Leben
von Holmes, Irene Adler, kommen ebenso vor
wie Dr. Sigmund Freud, der wohl nie mit Conan
Doyle zusammentraf, im Stück aber das Pendant
zu Dr. John Watson darstellt. Rein fiktiv ist der
teuflische Verleger Virgil Cromwell, der das Pen-
Vojtěch Dyk als Sherlock Holmes / Arthur Conan Doyle
in »Holmes – Die Legende« in Prag mit Ensemble
Foto: HDK / David Kraus
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Europa
dant zum mysteriösen Professor Moriarty, dem
Erzfeind von Sherlock Holmes, bildet.
Gabriel Barre (Wildhorns »Carmen«) führte
Regie, mit musikalischer Leitung von Chuhei
Iwasaki. Die Choreographien kreierte Karen
Sieber, die Kampf-Choreographien Norbert
Bidrman, das Bühnenbild Michaela Horáčková
Hořejší und die Kostüme Kristina Záveská. Für
das passende Licht sorgte Pavel Dautovský und
für den Sound Petr Ackermann. Die Chorleitung
hat Sára Bukovská.
Alternierend spielen die tragenden Rollen:
Vojtěch Dyk / Lukáš Janota (Sherlock Holmes /
Sir Arthur Conan Doyle), Anna Fialová / Kristý-
na Daňhelová (Irene Adler / Louise Hawkins),
Denny Ratajský / Marek Holý (Dr. John Watson
/ Dr. Sigmund Freud), Jan Sklenář / Petr Vaněk
(Professor Moriarty / Virgil Cromwell), Ivana
Chýlková / Jaroslava Kretschmerová (Mrs Hud-
son) und Jaromír Dulava / Filip Rajmont (Ins-
pector Lestrade).
Mehr auf: www.hdk.cz
»Sunset Boulevard« in Bozen
Am 16. Mai 2019 feiert »Sunset Boulevard« von
Andrew Lloyd Webber, Christopher Hampton
und Don Black Premiere am Theater Bozen
als Koproduktion mit der Stiftung Haydn von
Bozen und Trient. Regie führt Rudolf Frey,
die musikalische Leitung übernimmt Stephen
Lloyd, es choreographiert Marcel Leemann, das
Bühnenbild kreiert Luis Graninger, die Kostüme
Aleksandra Kica, das Videodesign Aron Kitzig
und für das rechte Licht sorgt Micha Beyer-
mann. Ina Tartler und Elisabeth Thaler überneh-
Maya Hakvoort als Norma Desmond in
Tecklenburg 2014
Foto: Lothar Dreseler
men die dramaturgische Betreuung der Produk-
tion. Gespielt wird in deutscher Übersetzung
von Michael Kunze.
Es spielen Maya Hakvoort als Norma Des-
mond, Dominik Hees als Joe Gillis, Merle Hoch
als Betty Schaefer, Erwin Belakowitsch als Max von
Mayerling und Lukas Lobis als Cecil B. DeMille.
Die weiteren Rollen werden noch bekannt gegeben.
Mehr auf: www.theater-bozen.it
Schweizer Erstaufführung von »Young
Frankenstein« in Zürich
Am 4. Mai 2019 feiert das Musical von Mel
Brooks (Musik und Liedtexte) und Thomas Mee-
han (Buch) Schweizer Erstaufführung im Theater
am Hechtplatz in Zürich.
Unter der Regie von Dominik Flaschka spie-
len Anikó Donáth, Isabelle Flachsmann, Martina
Lory, Gregor Altenburger, Eric Hättenschwiler
und Fabio Romano. Sonja Füchslin verantwortet
die musikalische Leitung und die Choreographien
kreiert Jonathan Huor.
Das Musical basiert auf der Horror-Filmko-
mödie »Young Frankenstein« von Mel Brooks und
Gene Wilder. Der 1974 uraufgeführte Film ist
eine Parodie auf die Horrorfilme der 1930er Jahre.
Im Mittelpunkt des Musicals, das den My-
thos »Frankenstein« auf ironische Art und Weise
fortsetzt, steht Dr. Frederick Frankenstein. Er ar-
beitet unter dem Namen Dr. Frederick Fränkeli
erfolgreich als Neurobiologe in Zürich. Zugleich
versucht Dr. Fränkeli, sich mit allen Mitteln von
seinem berüchtigten Vorfahren Dr. Victor Fran-
kenstein zu distanzieren, der für seine morbiden
Forschungen berühmt ist. Um die Hinterlassen-
schaften des verstorbenen Victor zu regeln, reist
Dr. Fränkeli nach Rumänien. Er wird von Victors
ehrwürdigem, buckligem Diener Igor, von Frau
Blücher, der ehemaligen Geliebten des Grafen,
sowie der vollbusigen Inga empfangen. Gemein-
sam mit dem Geist des Großvaters überzeugen
die drei Frederick, die Familientradition fortzu-
setzen. Eine unheilvolle Entscheidung.
Mehr auf: www.theaterhechtplatz.ch
95

Neues aus den USA
zusammengestellt von Richard C. Norton
Christiani Pitts als Ann Darrow mit King Kong
Foto: Joan Marcus
Demnächst am Broadway
In der Saison 2018/19 warten doppelt so viele
Anwärter auf eine Spielstätte wie es verfügbare
Theater gibt.
»King Kong« hat am 8. November im Broad-
way Theatre eröffnet. Christiani Pitts spielt die jun-
ge Schauspielerin Ann Darrow und Eric William
Morris den Filmproduzenten Carl Denham. Beide
verlassen die Stadt New York in den 1930er Jah-
ren und gehen auf einer geheimnisvollen Insel auf
die Suche nach dem sagenhaften King Kong. Das
Monster misst 6 Meter Länge und wiegt 907 kg.
»The Cher Show« feiert am 3. Dezember
Pre-miere im Neil Simon Theatre (Previews seit
1. November). Das Buch von Rick Elice (»Jersey
Boys«) folgt der Karriere des Pop Stars. Genau
wie im Biographie-Musical »Summer« über Don-
na Summer werden drei Darstellerinnen Cher
spielen: Stephanie J. Block, Teal Wicks und Mi-
caela Diamond. Dazu kommen Michael Berres-
se und Emily Skinner. Regie führt Jason Moore
(»Avenue Q«) mit Choreographien von Chris-
topher Gattelli und Musical Supervision und
Orchestrierungen von Daryl Waters.
»Be More Chill« hebt am 10. März 2019 sei-
nen Vorhang (Previews ab 13. Februar 2019) im
Lyceum Theatre. Das Musical schaffte es durch
den großen Einfluss von Social Media als Under-
ground-Musical an den Off-Broadway und nun
an den Broadway. Es erzählt, basierend auf dem
Jugendroman von Ned Vizzini, die Geschichte
eines Teenagers, der eine Pille nimmt, um cooler
zu sein (»to be more chill«). Das Libretto schrieb
der Newcomer Joe Tracz und die Musik kompo-
nierte Joe Iconis. Sein Star ist Will Roland (»Dear
Evan Hansen«) und das Cast Album wurde mehr
96
Musicals in den USA
als 170 Millionen mal heruntergeladen und ge-
streamt. Regie führt Stephen Brackett, es choreo-
graphiert Chase Brock.
»Ain‘t Too Proud – The Life and Times of The
Temptations« ist ab April am Imperial Theatre zu
sehen. Das Buch von Dominique Morisseau lässt
Otis Williams (Derrick Baskin) die Hintergrund-
geschichte der Top-Five des Rhythm‘n‘Blues er-
zählen. Die anderen vier Bandmitglieder werden
von James Harkness, Jawan M. Jackson, Jeremy
Pope und Ephraim Sykes gespielt. Regie führt
Des McAnuff mit Choreographien von Sergio
Trujillo. Die Besucher erwartet ein Stück mit
Ephraim Sykes, Jeremy Pope, Jawan M. Jackson, James Harkness
und Derrick Baskin als »The Temptations«
Foto: Matthew Murphy
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
mehr als 30 Hits, konkurrierende Egos, Ärger mit
Frauen, Drogen und Krankheit.
»Tootsie« eröffnete am 23. April (Pre-
views ab 29. März) im Marquis Theatre.
Musik und Liedtexte der Musicaladaption
des Films von 1982 stammen von David
Yazbek (»The Band‘s Visit«, »Dirty Rotten
Scoundrels«), das Buch schrieb Robert Horn
(»Dame Edna: Back with a Vengeance«). Re-
gie führt Scott Ellis mit Choreographien von
Denis Jones. Es spielen Santino Fontana,
Lilli Cooper, Sarah Stiles, John Behlmann, Julie
Halston und Michael McGrath.
»Beetlejuice« feiert im Winter Garden Theatre
im April 2019 Premiere. Das Buch zu dem Tim
Burton Film schrieben Anthony King und Scott
Brown, die Musik Eddie Perfect (das neue »King
Kong«). Regie führt Alex Timbers (»Moulin
Rouge«) mit Choreographien von Connor Gallag-
her. Bisher sind vom Cast Alex Brightman (»School
of Rock«) als Titeldarsteller sowie Kerry Butler,
Rob McClure und Leslie Kritzer angekündigt.
Kandidaten für einen Transfer
»Marie«, das als »Little Dancer« 2014 sein Try-
out in Washington D.C. hatte, wartet nach Über-
arbeitung durch Librettist Lynn Ahrens, Kom-
ponist Stephen Flaherty und Regisseurin Susan
Stroman auf ein Seattle-Tryout im März 2019.
Die New Yorker Prima-Ballerina Tiler Kalyn
Peck verkörpert wiederum Marie van Goethem,
die unbekannte Tänzerin, die den französischen
Maler und Bildhauer Edgar Degas im 19. Jahr-
hundert zur Darstellung der Welt des Pariser
Opernballetts inspirierte.

»Hadestown« von Anaïs Mitchell erzählt eine
moderne Version der Legende von Orpheus und
Eurydike. Nach zwei erfolgreichen Spielzeiten am
Off-Broadway wartet es nun auf den Transfer an
den Broadway für 2019. Nach Edmonton in Ka-
nada ist es zuvor drei Monate im Olivier Theatre
des National Theatres (vom November 2018
bis Januar 2019) zu sehen. Patrick Page, Amber
Gray, Reeve Carney und Eva Noblezada gehören
zum Cast, Regie führt Rachel Chavkin (»Natasha,
Pierre & the Great Comet of 1812«).
»Lempicka« gibt einen Einblick in das Leben
und die Arbeit der in Polen geborenen Tamara de
Lempicka (1898-1980), einer lang vergessenen
Art-Deco-Porträtkünstlerin. Buch und Liedtexte
stammen von Carson Kreitzer und die Musik von
Matt Gould. Uraufgeführt wurde das Stück im
Rahmen des »The Williamstown Theatre Festival«
in Massachusetts im Sommer 2018 unter Regie
von Rachel Chavkin (»Hadestown«, s.o.). Die
Hauptdarstellerinnen Eden Espinosa (»Brook-
lyn«) und Carmen Cusack (»Bright Star«) er-
hielten eine enthusiastische Kritik der New York
Times (Ben Brantley).
»Henry Box Brown« erzählt die wahre Ge-
schichte eines jungen afroamerikanischen Sklaven,
der sich in eine zugenagelte Kiste einschloss und
so 1850 in den Norden – in die Freiheit – ver-
schifft wurde. Was als kleine Produktion fürs
Kindertheater begann, hat sich zu einer größ-
eren Musicalproduktion entwickelt, mit einem
Cast von 16-Jährigen. Regie führt Ben Harney
(»Dreamgirls«) mit Orchestrierungen und musi-
kalischer Leitung von Jack Lenz (Oscar-Gewin-
ner für »The Passion of the Christ«). Das Libret-
to schrieb Mehr Mansuri. Einblicke in »Henry
Box Brown« gab es in der Aula des Edinburgh
Festivals im August 2018, im November ist eine
US-Tour geplant.
»Mrs Doubtfire« kam bereits in Italien 1999
unter dem Titel »e meno malo che c‘e‘ Maria« auf
die Bühne. Grundlage bildet der Kinokomödien-
Klassiker aus dem Jahr 1993. Nun haben die Pro-
duzenten Kevin McCollum und Bob Cohen von
Fox Stage Productions eine neue amerikanische
Adaption der Autoren von »Something Rotten«,
John O‘Farrell sowie Karey und Wayne Kirkpa-
trick, angekündigt. Die Regie führt Jerry Zaks
(erst kürzlich: »Hello, Dolly!« und »Sister Act«).
Der Verwalter von Michael-Jacksons Nachlass
hat grünes Licht für ein neues Musical gegeben,
das bisher ohne Titel ist. Schreiben soll es die Pu-
litzer-Preis-Gewinnerin und Dramatikerin Lynn
Nottage (»Runed«, »Sweet«), Regie und Choreo-
graphien verantwortet Christopher Wheeldon
(»An American in Paris«). Entgegen anderer aktu-
eller Jukebox-Musicals steht hier ein bestimmter,
entscheidender Moment im Fokus der Geschichte:
Columbia Live Stage wird das Ganze produzie-
ren, geplant ist es für den Broadway 2020 und hat
nichts mit dem aktuellen West-End-Hit »Thriller«
zu tun.
»Lights Out: Nat King Cole« spielt vom
5. Februar bis 10. März im Geffen Playhouse in
Los Angeles und erinnert an die Jazz-Gesangsiko-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in den USA
Alex Brightman in »Beetlejuice« in Washington D.C.
Foto: Matthew Murphy
ne Nat King Cole, wie er sich auf seinen letzten
großen Weihnachtsauftritt vorbereitet. Geschrie-
ben von Patricia McGregor und Colman Domin-
go, wird es ›Unforgettable‹, ›It‘s a Good Day‹ und
›Nature Boy‹ sowie weitere Songklassiker umsetzen.
Patricia McGregor führt Regie und präsentiert
Dulé Hill und Daniel J. Watts.
»Diana« ist vom 19. Februar bis 13. März
2019 als Uraufführung im Mandell Weiss Thea-
tre am La Jolla Playhouse in Kalifornien zu sehen.
Musik und Liedtexte schrieb David Bryan, Buch
und Liedtexte Joe DiPietro (beide: »Memphis«).
Christopher Ashley führt Regie mit Choreogra-
phien von Kelly Devine.
1981 heiratet die Hilfslehrerin aus dem Kin-
dergarten den Prinz von Wales und wird über
Nacht zur berühmtesten Frau der Welt. Aber
hinter dem Märchen verbirgt sich eine turbulen-
te Ehe und der Kampf einer jungen Frau darum,
Gehör zu finden. Konfrontiert mit einer tief ver-
wurzelten Monarchie und einer beispiellosen Me-
dienüberwachung, überrascht Prinzessin Diana
alle – auch sich selbst –, als sie zu einem globalen
Phänomen heranwächst und die Welt verändert.
In diesem epischen, musikalischen Drama
spielt Jeanna de Waal die Titelrolle.
Broadway-Revivals
Das »Kiss Me, Kate«-Revival der Roundabout
Theatre Company im Studio 54 startet am 14.
März (Previews ab 14. Februar) mit Kelli O‘Hara
und Will Chase als das in Hassliebe verbundene
Paar in Cole Porters klassischem Backstage-Mu-
sical aus dem Jahr 1948. Regie führt Scott Ellis.
Ebenfalls als Revival angekündigt ist »Titanic«
von Maury Yeston und Peter Stone (1997) un-
ter Regie von Eric Schaeffer und in Nachfolge
seiner Erfolgsproduktion am Signature Theatre in
Arlington, Virginia 2016.
Gleichfalls wieder an den Broadway zurück kehrt
»The Secret Garden«, der Musicalerfolg von Marsha
Norman und Lucy Simon aus dem Jahr 1991, un-
ter Leitung von Warren Carlyle, mit Sierra Boggess
und Matt Doyle in den Hauptrollen.
Überraschendes am Off-Broadway
»Clueless: The Musical« feiert am 11. Dezember
2018 Premiere im Pershing Square Signature Center
(Previews ab 20. November), basierend auf dem
Film von Amy Heckerling, der Jane Austens
»Emma«-Roman in das Beverly Hills der 1990er
Jahre versetzt. Heckerlings zusammengestellte Mu-
sik rückt Pop-Songs als geistreiche Parodien und
Monologe der Sehnsucht in den Fokus.
Kristin Hanggi (»Rock of Ages«) führt Regie
und Kelly Devine (»Come From Away«) choreo-
graphiert in der Produktion von New Group.
»The Hello Girl« eröffnet am 2. Dezember im
50E59 (Previews ab 13. November) als Produk-
tion der Prospect Theater Company und erzählt die
Geschichte der ersten amerikanischen Soldatinnen
im Ersten Weltkrieg, der zweisprachigen Telefonis-
tinnen, an der Front. Musik, Buch und Liedtexte
stammen von Peter Mills, Regisseurin Cara Reichel
fungiert als Koautor des Buches.
»Alice by Heart« spielt vom 30. Januar bis
10. März 2019 am MCCs The Newman Mills
Theatre. Es ist eine Neuadaption von Lewis Car-
rolls »Alice im Wunderland« von Dunkan Sheik
und Steven Sater, den Autoren von »Spring Awa-
kening«. Regie führt Jessie Nelson (»Waitress«),
die auch Koautor des Buches ist. Sara Bareilles
hofft darauf, die Titelrolle zu spielen. Die Ge-
schichte von Alice und ihrem engen Freund Al-
fred spielt zur Zeit der Luftangriffe auf London
während des Zweiten Weltkriegs.
dt. von Barbara Kern
97

Sozialdrama mit Bob Dylans Musik
US-Premiere für »Girl From the North Country« am Off-Broadway
Abb. oben:
›I Want You‹ – Kate (Caitlin Houlahan)
und Gene (Colton Ryan) wissen, dass
ihre Liebe keine Zukunft hat
Foto: Joan Marcus
Girl From the North Country
Bob Dylan / Jacques Levy /
Robert Hunter / Conor McPherson
Public Theatre
Newman Theater New York
US-amerikanische Erstaufführung:
1. Oktober 2018
Direction ................ Conor McPherson
Music Direction ............. Marco Paguia
Orchestrations, Arrangement &
Music Supervision ............ Simon Hale
Add. Arrangement ......... Simon Hale &
Conor McPherson
Movement Direction ........... Lucy Hind
Fight Direction ................ UnkleDave‘s
Fight-House
Design ................................ Rae Smith
Lighting Design ......... Mark Henderson
Sound Design ................. Simon Baker
Elias Burke ..................... Todd Almond
Elizabeth Laine ...... Mare Winningham
Marianne Laine ............ Kimber Sprawl
Nick Laine .............. Stephen Bogardus
Gene Laine ...................... Colton Ryan
Mr Burke ........................ Marc Kudisch
Mrs Burke ........................ Luba Mason
Kate Draper .............. Caitlin Houlahan
Joe Scott .......... Sydney James Harcourt
Mrs Neilson ........ Jeannette Bayardelle
Reverend Marlowe ............ David Pittu
Dr. Walker .......................... Robert Joy
Mr Perry .............................. Tom Nelis
In weiteren Rollen:
Matthew Frederick Harris,
John Schiappa, Rachel Stern,
Chelsea Lee Williams
98
Musicals in den USA
M an muss kein Bob Dylan-Fan sein, um anzuer-
kennen, wie gut die Poesie seiner Songs in eine
poetisch-irische Schilderung Amerikas zur Zeit der Gro-
ßen Depression passt. »Girl From the North Country«
feierte jetzt am New Yorker Public Theatre seine US-
amerikanische Premiere, nachdem es – nach der Urauf-
führung am Londoner The Old Vic Theatre – im letzten
Jahr ins West End umgezogen war. In einer Kombi-
nation aus dem grüblerischen, irischen Fatalismus des
preisgekrönten Theaterautors Conor McPherson (»The
Weir« – dt. »Das Wehr«, UA 1997, Anm. d. Red.) und
der lyrischen Selbstreflexion des in Amerika geborenen
Nobelpreisträgers und Songwriters Dylan dringt das
Musical in die Tiefe der amerikanischen Seele ein.
»Girl From the North Country« spielt 1934, zur Zeit
der Großen Depression, in einer Pension in Duluth,
Minnesota (Dylan wurde tatsächlich im benachbarten
Hibbing geboren). 20 Dylan-Songs werden zum Teil in-
tegriert, zum Teil eingeschoben in die manchmal etwas
ausufernde, aber doch immer intime Geschichte von ei-
nem runden Dutzend unterschiedlicher Charaktere, die
alle ihren Träumen nachhängen und sich nach Freiheit
sehnen. In Anspielung an den Spielleiter in Thornton
Wilders »Our Town« konstruiert McPherson die Ge-
schichte um Dr. Walker, den morphiumsüchtigen örtli-
chen Hausarzt, der dem Publikum den überlasteten Nick
Laine vorstellt. Nick, der sich gegen eine Zwangsvollstre-
ckung wehrt, vermietet Zimmer in seinem baufälligen
viktorianischen Haus. Er träumt davon, sich aus dem
ganzen beschwerlichen Alltagstrott zu befreien, ist jedoch
durch die ständige Betreuung seiner dementen Ehefrau,
Elizabeth, durch die Sorge um ihre schwarze, schwan-
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
gere Adoptivtochter im Teenageralter (sie verrät nicht,
von wem) und um seinen Sohn Gene, einen ehrgeizigen,
alkoholabhängigen Schriftsteller, darin gefangen.
Nicks Pensionsgäste sind Mrs Neilsen, eine Witwe,
die auf finanzielle Mittel aus dem spärlichen Vermögen
ihres Mannes wartet und Nick heimlich tröstet, und Fa-
milie Burke, bestehend aus einem aggressiven Macho-
Vater, einem Flittchen als Mutter und Elias, ihrem emo-
tional gestörten und zu Gewalt neigenden erwachsenen
Sohn. Dann gibt es noch Joe Scott, ehemaliger Betrüger
und Boxer, und Reverend Marlowe, ein dubioser Wan-
derprediger. Unter den Stadtbewohnern, die hin und
wieder vorbeikommen, wären Mr Perry, der örtliche
Schuster, ein komischer Kauz, der Marianne heiraten
möchte, und Kate, eine nettes Mädchen, das schon mal
mit Gene ausgegangen ist, zu erwähnen.
Nicks Pension ist so etwas wie eine Raststation.
Jeder scheint auf dem Weg nach irgendwo anders hin zu
sein, ohne zu wissen, wohin. Autor McPherson bringt
sein eigenes Buch auf die Bühne und kreiert gemeinsam
mit der Bühnenbildnerin Rae Smith und Lichtdesigner
Mark Henderson eine nikotingetränkte, ärmliche Sozial-
wohnung: Mal abgesehen vom allgegenwärtigen Alkohol-
ismus, erinnert Nicks Pension an Harry Hopes Saloon
in Eugene O‘Neills »The Iceman Cometh« (»Der Eis-
mann kommt« 1946, Anm. d. Red.). Der Ire McPherson
wagt sich an ein Sozialdrama der Ära der amerikani-
schen Großen Depression: Clifford Odets (einer der
erfolgreichsten US-Dramatiker der 1930er, Anm. d.
Red.) Auffassung von sozialer Gerechtigkeit zieht sich
durch »Girl From the North Country«. Themen wie
Geschlecht, Klasse und Rasse bekommen größte Bedeu-

tung in der Bewährungsprobe, die McPherson dem gro-
ßen amerikanischen Demokratie-Experiment auferlegt.
Simon Hale hat Dylans Songs wunderschön arran-
giert und für eine 4-köpfige Band (Piano, Gitarre, Geige
und Bass) orchestriert, die auf der Bühne mehrfach den
Platz wechselt. Hinzu kommen Ensemblemitglieder, die
sich zeitweise um ein altmodisches Big-Band-Mikrofon
oder um den Flügel gruppieren. Mit Unterstützung durch
die für die Bewegungsregie verantwortliche Lucy Hind
gelingt McPherson eine flüssige Inszenierung, die in ei-
nem Einheits-Bühnenbild sehr filigran Band, Figuren
und Requisiten zusammenfügt.
Das gesamte Ensemble ist exzellent. Von den 20
Musiknummern besonders hervorzuheben ist das faszi-
nierende ›I Want You‹, einer von Dylans bekanntesten
Songs im neuen Arrangement, ein trauriges Duett, in
dem der junge Gene, gespielt vom ausgeprägten Te-
nor Colton Ryan, und Kate (Caitlin Houlahan) die
schmerzhafte Erkenntnis beklagen, dass sie keine ge-
meinsame Zukunft haben werden. Sydney James Har-
court als Ex-Gauner Joe Scott liefert eine umwerfende
Darbietung mit einer elektrisierend-sinnlichen Version
von ›Slow Train Coming/Licence to Kill‹, begleitet
von einigen fantastisch choreographierten, weiblichen
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in den USA
Ensemble-Mitgliedern. Die wunderbare Mare Win- Abb. unten von links:
ningham als demente Ehefrau Elizabeth bringt packen- 1. ›Hurricane / All Along the
de Klarheit in die vielleicht berühmteste Dylan-Ballade Watchtower / Idiot Wind‹ –
Marianne (Kimber Sprawl) und Joe
des Stückes, ›Like a Rolling Stone‹. Kimber Sprawl als
Scott (Sydney James Harcourt )
schwangere Marianne entzückt das Publikum mit ei- 2. Das Ensemble von »Girl From the
ner durch Mark und Bein gehenden Interpretation von North Country«
›Tight Connection to My Heart‹. Todd Almond in der 3. Elias Burke (Todd Almond)
Rolle des verhaltensgestörten Sohns der Burkes führt führt das Ensemble bei
›Duquesne Whistle‹ an
mit einer unerwarteten Version von ›Duquesne Whistle‹
4. Mare Winnigham spielt
eine kraftvolle Ensemblenummer an. Elizabeth, die demenzkranke
An der Spitze des gesamten Ensembles beherrscht Ehefrau von Nick Laine
Mare Winningham das bewegende Finale ›Forever Foto: Joan Marcus
Young‹, reichlich versehen mit einer Mischung aus rea-
listischer Ironie und hoffnungsvollen Träumen: »May
you build a ladder to the stars/and climb every rung/
May you stay forever young // Möget ihr eine Leiter zu
den Sternen bauen/und jede Sprosse erklimmen/Möget
ihr für immer jung bleiben«.
Mit dem tief bewegenden und wunderschönen Mu-
sical »Girl From the North Country« verleihen der Ire
McPherson und der Amerikaner Dylan dem ewigen
Traum neuen Glanz.
Von Dan Dwyer
dt. von Beate Luszeit
99

Furchtlos, provokant, unkonventionell
»Oklahoma!« Revival am Off-Broadway
Abb. oben:
Square Dance – Ensemble
Foto: Teddy Wolff
Oklahoma!
Richard Rodgers / Oscar Hammerstein II.
St. Ann‘s Warehouse & Eva Price
The Bard SummerScape Production
St. Ann‘s Warehouse New York
Premiere: 7. Oktober 2018
Direction .......................... Daniel Fish
Music Direction .............. Nathan Koci
Orchestrations, Arrangements &
Music Supervison .......... Daniel Kluger
New Choreography ...................... John
Heginbotham
Scenic Design ................ Laura Jellinek
Costume Design .......... Terese Wadden
Lighting Design ............. Scott Zielinski
Projection Design ....... Joshua Thorson
Graphic Design .......... Matthew Dixon
Sound Design .................... Drew Levy
Laurey Williams .................... Rebecca
Naomi Jones
Curly McLain ............ Damon Daunno
Aunt Eller ........................... Mary Testa
Jud Fry .............................. Patrick Vaill
Ado Annie ........................... Ali Stroker
Will Parker ....................... James Davis
Ali Hakim ................ Michael Nathanson
Andrew Carnes ..................... Mitch Tebo
Gertie Cummings .......... Mallory Portnoy
Cord ............................... Anthony Cason
Mike ...................................... Will Mann
Lead Dancer &
Dance Captain ......... Gabrielle Hamilton
100
Musicals in den USA
O klahoma!« gab es schon oft zu sehen, doch noch
nie wie in der überraschenden Version von Da-
niel Fish am St. Ann‘s Warehouse. Furchtlos, provo-
kant und total unkonventionell könnte dieses »Okla-
homa!« als genauso stark, innovativ angesehen werden
wie Rodgers und Hammersteins II. Produktion von
1943, die als erstes »modernes Musical« gilt, das Buch,
Schauspiel, Musik und Tanz vereint. Mit einem star-
ken Fokus auf dem Text, aufregend neuen musikali-
schen Arrangements im Country-/Western-Stil und
gewagter Produktionstechnik hat Fish diese typisch
amerikanische Musicalfabel wieder ausgegraben und
zeigt sie mit einem dunkleren Kern. In der 11-köp-
figen Besetzung und der 7-Mann-Band stecken mehr
Kraft und Energie, als es oft bei großen Ensembles und
Orchestern am Broadway der Fall ist.
Wie bereits beim Bard SummerScape Festival, wo
diese »Oklahoma!«-Produktion im Sommer 2015 Pre-
miere feierte, verwandelte Fish zusammen mit Büh-
nenbildnerin Laura Jellinek das St. Ann's Warehouse in
eine altmodische Farm. Fransige Banner hängen von der
Decke. Gewehrrahmen dekorieren nackte Sperrholz-
platten. Die Konstruktion ist eine langgezogene Bühne
mit fünf Sitzreihen auf jeder Seite, wobei die erste Rei-
he an Kirchentischen sitzt. Die kleine Band ist in einer
Mulde an einem Ende platziert. Chili-Kochtöpfe – mit
echtem Chili darin – stehen auf dem Tisch. Körnerbrot
nach Tante Ellers schnellem Brot-Rezept (vorgestellt in
einem Song von der wundervollen Mary Testa) wird
in der Pause mit dem Chili zusammen serviert, doch
dieser Aspekt ist der am wenigsten Ungewöhnliche in
dieser Produktion. Essen ist ein theatralisches Mittel,
um Gemeinschaft zu schaffen, ein zentrales Thema in
Hammersteins Buch und ein Hinweis, dass Fish unge-
wöhnliche Effekte auslotet.
Wir schreiben das Jahr 1906: Am Übergang zur
Moderne erwartet das Territorium von Oklahoma
die Eigenstaatlichkeit der Nordstaaten, aber zwischen
Bauern und Viehzüchtern herrschen immer noch Kon-
flikte um das Land. Der unverheiratete Rancher Curly
hat ein Auge auf das »nette Mädchen«, die Farmbesit-
zerin Laura, geworfen. Ihre Tante Eller beaufsichtigt
die Farm, die gepflegt wird von Jud, einem sonderba-
ren Einzelgänger, der in der Räucherkammer wohnt.
Wie Curly begehrt auch er Laurey. Im Gegensatz zu
Laurey ist Ado Annie das begehrteste Mädchen der
Stadt, die umworben wird von Juds Rancherkollegen
Will und sich zeitgleich mit Ali, einem türkischen
fahrenden Händler für Textilwaren, amüsiert. Ado An-
nie geht es nur um Spaß und genau darin liegen die
Leichtigkeit und die meisten Lacher von »Oklahoma!«,
die Fish auch nicht ignoriert. Doch die Tragödie, die
die Dreiecksbeziehung von Curly-Laurey-Jud erahnen
lässt, ist der eigentliche Dreh- und Angelpunkt von
Fishs Interpretation von Hammersteins Buch.
Die allerersten, vertrauten Klänge von ›Oh, What
a Beautiful Mornin‘‹ zeigen bereits, wie anders dieses
»Oklahoma!« ist. Anstelle pathetischer Violinen erklingt
ein gezupftes Banjo, ergänzt von einer Mandoline, Bass,
Gitarre und Fiedel. Rodgers‘ Partitur ist voll von Ein-
flüssen aus der Folkmusik, doch mit den neuen, kna-
ckigen Orchestrierungen von Daniel Kluger klingen
die beliebten Broadwaymelodien wie neu komponierte
Songs, die von Bluegrass-Legenden gespielt werden. Die

stimmlichen Interpretationen fügen sich passend ein,
vor allem in den scharfen Versionen von ›I Can‘t Say
No‹, ›Kansas City‹ und ›All Er Nothin‘‹.
Doch erst in den romantischen Balladen bringt die
stählerne Musicaladaption eine Rohheit und Sexualität
zum Vorschein, die zuvor unentdeckt blieb. Mit fort-
schreitender Strophenanzahl in ›The Surrey With the
Fringe on Top‹ führen Klugers Musicalarrangements
Curlys und Laureys unnahbares Flirten von lebhaftem
Tempo zu einem langsamen, atemraubenden Zustand
von in der Luft hängender Verführung, als sich Curlys
Kopf langsam nähert, damit er Laureys Nacken liebko-
sen kann. Gordon MacRae und Shirley Jones spielten
dies niemals so im Film. Doch ebenso waren Curly und
Laurey niemals zuvor ein gemischt-rassiges Pärchen.
Eine unterdrückte, lüsterne Seite von Sexualität fin-
det sich in Hilfsarbeiter Jud, der mit Stallknecht Curly
um Laureys Zuneigung buhlt. Dieser Jud ist nicht der
kräftige, muskulöse Kerl. Brillant gespielt von Patrick
Vaill, ist er mehr ein speckig-haariger Punk, der Vorläu-
fer des einsamen Wolfs in den heutigen Schlagzeilen.
Er ist der Außenseiter, der am Rand der Gesellschaft
rumlungert und im Elend auf Laureys Farm verweilt.
Als Curly Jud in seiner Elendswohnung besucht, um
ihn bezüglich Laurey herauszufordern, stürzt uns Re-
gisseur Fish in Juds Höhle – buchstäblich in die Dun-
kelheit. Die Lichter gehen aus und an eine Wand im
Theater werden mit Hilfe einer Infrarotkamera Curly
und Jud in Nahaufnahme projiziert, die sich mit ge-
kreuzten Beinen gegenübersitzen, Auge in Auge, von
Mann zu Mann. Curly, der Juds Unsicherheiten aus-
nutzt, singt leise »Pore Jud Is Daid«. Jud erwidert das,
in Selbstmitleid schwelgend, mit ›Lonely Room‹. Das
Duett ›Pore Jud‹ ist furchterregend und weckt düstere
Vorahnungen. Es ist wohl eine der psychologisch fes-
selndsten Szenen, die es je in einem Musical zu sehen
gab. Sie zeigt die Unvermeidbarkeit von Juds Schicksal
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in den USA
und, aufgrund seiner Vertrautheit, Curlys Mitschuld
daran. Es ist fast, als hätte Curly Jud in seinen eigenen
Untergang geführt.
Die neue Choreographie von John Heginbotham
(ausgebildet von Mark Morris) entspringt funktional
aus dem Text. Am verspieltesten wirkt Hilfscowboy
Will, verkörpert vom schlaksigen James Davis voll mit
Jimmy-Stewart-Charme, der über die Chili-Töpfe auf
den Kirchentischen springt. Die Tänze entspringen auf
natürliche Art und Weise aus den Songs, am auffälligs-
ten ist das beim lebhaften Square Dance zu ›The Ran-
cher and the Cowman‹.
Doch die radikalste Choreographie (und die größ-
te Änderung gegenüber der Originalproduktion beim
Bard Festival) ist die Traumtanz-Szene. Laurey kauft,
um ihren Stress aufgrund der wachsenden Spannung
zwischen Curly und Jud zu vergessen, einen »Zauber- Abb. oben:
Laurey Williams (Rebecca Naomi
trank« (ein Mix aus Opium und Morphium) von Ali,
Jones) ist von Curlys Avancen
dem Händler. Im Traum stellt sich Laurey ihr Leben geschmeichelt
einmal mit Curly und einmal mit Jud vor und sieht Foto: Teddy Wolff
Juds Tod voraus. Heginbothams Choreographie ist eine
überzogene Version von Agnes de Milles Wendepunkt- Abb. unten von links:
Choreographie von 1943 und verwandelt die surrealen 1. ›Oh, What a Beautiful Mornin‘‹ –
Curly McLain (Damon Daunno)
Aspekte der Sequenz in einen sexuellen Alptraum. Der
und die Band
musikalische Arrangeur Kluger bietet einen harten, 2. Solo-Tänzerin und Dance Cap-
elektronischen Klang, der die traditionell leichten Me- tain Gabrielle Hamilton gestaltet die
lodien und Motive von ›Oh, What a Beautiful Mornin‘‹ bedrohliche Stimmung der ›Dream
und ›The Surrey With the Fringe on Top‹ in ein Pot- Ballet‹-Szene
Fotos (2): Paula Court
pourri von lauten, ahnungsvollen Dissonanzen verwan-
3. ›The Surrey With the Fringe on
delt. Tänzerin Gabrielle Hamilton zeigt ein Ballett-Solo, Top‹ – Laurey Williams (Rebecca
das sowohl sinnlich als auch brutal ist. Sie ist gekleidet Naomi Jones) und Curly McLain
in ein weißes, mit Pailletten besetztes T-Shirt-Kleid, (Damon Daunno) flirten miteinander
auf dem in schwarzen Druckbuchstaben »Dream Baby 4. ›Jud Fry (Patrick Vaill, Mitte)
Dream« zu lesen ist. Streckenweise wird sie von einer hat Laurey wegen des Box Social
gefragt, Gertie Cummings (Mallory
Schar von über einem Dutzend weiblicher Tänzer in der
Portnoy, unten vorne) spielt die
gleichen Kleidung unterstützt, die klappernd quer über Unbeteiligte
die Bühne galoppieren. Fotos (2): Teddy Wolff
101

Abb. oben von oben links:
1. ›Out of My Dreams‹ – Laurey
Williams (Rebecca Naomi Jones) ist
hin- und hergerissen
2. ›The Farmer and the Cowman‹ –
Cord (Anthony Cason, l.) und Mike
(Will Mann, r.) mit Händler Ali
Hakim (Michael Nathanson, r.)
3. ›I Can‘t Say No‹ – Ado Annie
(Ali Stroker), das begehrteste
Mädchen der Stadt
Fotos (3): Teddy Wolff
102
Musicals in den USA
Lichtdesigner Scott Zielinski verstärkt die abrupten
Stimmungswechsel zwischen den alltäglichen Akti-
vitäten der Bürger und Laureys sowie Curlys interner
Dynamik, indem er die Bühne mal überflutet mit dem
hellen Sonnenlicht der westlichen Ebenen und sie in
den intimeren Szenen in ein nebliges Goldgrün taucht.
Die Kostüme von Terese Wadden kombinieren zeitlose
Elemente von Western-Outdoor-Kleidung und typisch
amerikanischer Alltags-Kleidung. Beim Box Social
(einer gesellschaftlichen Aktion, bei denen Männer voll
gepackte Picknickkörbe und gleichzeitig ein Date mit
der dazugehörigen Frau für einen guten Zweck erstei-
gern, Anm. d. Red.) zeigen sich die Männer in ihrer bes-
ten Sonntagskleidung. Beim Square Dance vereinen die
raffinierten Röcke der Frauen das Mädchenhafte von
Partykleidern mit der Fraulichkeit von Petticoats der
Saloon-Tänzerinnen.
Die Besetzung ist durchgehend exzellent. Insbeson-
dere beeindruckend als Laurey ist Rebecca Naomi Jones,
die den romantischen Klassiker ›Out of My Dreams‹ am
Ende des ersten Akts in ein betörendes Schlaflied mit
Gänsehaut-Effekt verwandelt. Der gertenschlanke Da-
mon Daunno spielt Curly mehr als den durchschnittli-
chen, doch irgendwie auch süßen Jungen von nebenan
denn als Filmstar-Hengst. Mary Testa ist mit voller Keh-
le und genau der richtigen Menge Klugscheißer-Autori-
tät die perfekte Tante Eller: die coole und pragmatische
Beobachterin der Tragödie, die sich in ihrem Umfeld
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
anbahnt. Der größte Besetzungswechsel zur Produk-
tion beim Bard Festival ist Ali Stroker, die Geschichte als
erste Schauspielerin im Rollstuhl auf einer Broadway-
bühne in Deaf Wests Revival von »Spring Awakening«
schrieb. Als Ado Annie kombiniert sie perfekt Frechheit
und Unanständigkeit und stiehlt fast allen die Show mit
›I Can‘t Say No‹ und nochmals mit James Davis als Will
in ›All Er Nothin‘‹.
Der kontroverseste Aspekt dieser »Oklahoma!«-Ver-
sion ist die Inszenierung von Juds Tod und Curlys Rolle
dabei. Fishs künstlerische Freiheit (die in Hammersteins
schriftlichem Nachlass anerkannt wurde) verdeutlicht,
dass Curly Jud absichtlich umbringt, obwohl Jud sich
der Gefahr bewusst ist. Aus erzählerischer Sicht ist Juds
Untergang unvermeidbar, psychologisch ist er die Erfül-
lung eines stillschweigenden Mord-/Selbstmordplans.
Tante Eller stellt sicher, dass schnell ein Urteil auf Not-
wehr gefällt wird. Der Außenseiter ist eliminiert, das
Böse wieder gutgemacht, der Gerechtigkeit ist Genüge
getan, die Gemeinschaft bleibt bestehen, die Ordnung
ist wiederhergestellt und das Gute siegt über das Böse.
Ist es so schlicht und einfach? Man sollte genau auf die
Untertöne in der Reprise des Titelsongs im kraftvollen
Finale hören. Dieses »Oklahoma!« fragt erneut, ob »das
Land, zu dem wir gehören, großartig ist«.
Dan Dwyer
dt. von Lisa-Maria Mehrkens

Neues aus Großbritannien
zusammengestellt von Barbara Kern
»Hadestown« spielt seit der britischen Erst-
aufführung am 10. November 2018 im Olivier
Theatre des National Theatre, wo es noch bis
26. Januar 2019 zu sehen ist. Nach erfolgreichen
Laufzeiten im New York Theatre Workshop und
im kanadischen Citadel Theatre ist das Stück von
Singer-Songwriter Anaïs Mitchell unter Regie von
Rachel Chavkin noch vor dem Broadway (siehe
»Neues aus den USA«) in London zu sehen.
Das Konzept-Album kombiniert amerikani-
sche Folkmusik mit klassischem New Orleans
Jazz, um die dramatische Geschichte von Or-
pheus und Persephone zum Leben zu erwecken.
Unter der Sommersonne leben der Lieder-
macher Orpheus und seine Muse Eurydike ihre
Gefühle füreinander aus. Doch als der Winter
kommt, bricht die Realität über sie herein, von
der Liebe allein kann man nicht leben. Angezo-
gen von dem Versprechen des Reichtums, gerät
Eurydike in die Tiefen der Industrie von Hades-
town und Orpheus macht sich in die Unterwelt
auf, um sie zu retten. Zuvor aber müssen beide
einen letzten Test bestehen. Amber Gray und Pa-
trick Page spielen wie schon im New York Theatre
Workshop die Rollen von Persephone und Hades,
während Reeve Carney wie schon in Kanada die
Rolle des Orpheus spielt. Neue Cast-Mitglieder
sind André De Shields (Hermes) und Eva Nob-
lezada (Eurydike), während Rosie Fletcher, Carly
Mercedes Dyer und Gloria Onitiri die Schick-
salsgöttinnen spielen. Weitere Rollen verkörpern
Phillipa Soo in »Amélie« 2017 am Broadway
Foto: Joan Marcus
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Großbritannien
Sharif Afifi, Adam Gillian, Beth Hinton-Lever,
Seyi Omooba, Aiesha Pease, Joseph Prouse, Josie
Richardson, Jordan Shaw und Shaq Taylor.
Das Off-Broadway Musical »Striking 12« läuft
vom 28. November bis 23. Dezember am Union
Theatre. Es basiert auf Hans Christian Andersens
Märchen »Das Mädchen mit den Schwefelhöl-
zern« und stammt von Brendan Milburn und
Valerie Vigoda (Musik, Buch und Liedtexte; auch
»Toy Story – The Musical«, »Sleeping Beauty
Wakes«) sowie Rachel Sheinkin (Buch und Lied-
texte). Die Geschichte spielt am Silvesterabend.
Brendan wurde von seiner Verlobten verlassen
und steht kurz davor, seinen Job zu verlieren. Er
ist noch spät im Büro, als ein Glühbirnenverkäu-
fer seinen Abend erschüttert.
Regie führt Oliver Kaderbhai (»Peter Pan« am
Chichester Festival Theatre), die Ausstattung de-
signt Natalie Johnson mit Licht von Alex Lewer.
Eine Musical-Adaption des Films »Amélie«
(2001) kommt als UK-Premiere auf Tour im
Mai 2019 nach London. Die Musik schrieb Da-
niel Messé, das Buch Craig Lucas (»An Ameri-
can in Paris«, »The Light in the Piazza«) und die
Liedtexte verfassten Messé und Nathan Tysen.
»Amélie« feierte 2017 mit Phillipa Soo in der Ti-
telrolle Broadway-Premiere. Regie führt Michael
Fentiman. Tourstart ist im Watermill Theatre in
Newbury und vom 22. bis 25. Mai 2019 wird das
Musical im New Wimbledon Theatre in London
Station machen.
Musicalausbildung
Das Bird College – Konservatorium für Tanz,
Musik und Theateraufführung verkündete Gavin
Lee als neuen Schirmherrn. Lee wird der Anwalt
des Bird College sein und die Arbeit im Tanz-
und Musical-Sektor am College unterstützen.
Dabei wird er mit den anderen Förderern des
Instituts zusammenarbeiten. Er ist selbst Absol-
vent des Konservatoriums (1990) und kreierte
die Rolle des Bert in »Mary Poppins« im West
End. Weitere Hauptrollen spielte er unter ande-
rem in »SpongeBob SquarePants – The Broad-
way Musical« (Palace Theatre), »Les Misérables«
(Imperial Theatre), »Show Boat« (Carnegie Hall),
»Top Hat« (Aldwych Theatre), »Me and My Girl«
(Adelphi Theatre).
John McCrea als Jamie New in
»Everybody‘s Talking About Jamie«
Foto: Alastair Muir
Castwechsel und Laufzeiten
»Everybody‘s Talking About Jamie«, das ausge-
zeichnete Feel-Good-Musical von Dan Gillespie
Sells (Musik und Liedtexte) und Tom MacRae
(Buch), feiert am 22. November 2018 sein ein-
jähriges Bestehen am Apollo Theatre im West
End und gibt den Kartenverkauf bis zum 28.
September 2019 bekannt. Das Musical erzählt
die Geschichte des 16-jährigen Jamie New, der
unter massiven Druck gerät, als er beschließt, am
Abschlussball seiner Schule ein Kleid zu tragen.
»RuPaul’s Drag Race«-Star Todrick Hall über-
nimmt die Rolle des Billy Flynn der Produktion
von »Chicago« im Phoenix Theatre. Hall ist be-
kannt als Semifinalist in der 9. Staffel von »Ame-
rican Idol« und Richter in RuPaul‘s Show 2016.
Er hat die Rolle des gewieften Anwalts schon am
Broadway gespielt, ebenso wie Lola in »Kinky
Boots«. Hall wird vom 19. November bis zum 5.
Januar 2019 zu sehen sein, wenn die Laufzeit von
»Chicago« endet.
103

Married?
»Company« am Gielgud Theatre London
Abb. oben:
Bobbie (Rosalie Craig) feiert mit
ihren Freunden (Ensemble) ihren
35. Geburtstag
Foto: Brinkhoff / Mögenburg
Company
Stephen Sondheim / George Furth
Elliott & Harper Productions
Gielgud Theatre London
Premiere: 17. Oktober 2018
Direction........................ Marianne Elliott
Musical Supervision &
Musical Direction .................... Joel Fram
Orchestration .................... David Cullen
Dance Arrangements ............. Sam Davis
Choreography......................... Liam Steel
Design ............................. Bunny Christie
Lighting Design ..................... Neil Austin
Illusions Design .................... Chris Fisher
Sound Design ................... Ian Dickinson
Bobbie ................................ Rosalie Craig
Joanne.................................. Patti LuPone
Sarah................................. Mel Giedroyc
Jamie .............................. Jonathan Bailey
PJ ................................... George Blagden
Peter ............................ Ashley Campbell
Andy ......................... Richard Fleeshman
Paul ................................ Alex Gaumond
David ........................... Richard Henders
Larry ....................................... Ben Lewis
Susan ............................ Daisy Maywood
Jenny ............................ Jennifer Saayeng
Theo ................. Matthew Seadon-Young
Harry ................................. Gavin Spokes
In weiteren Rollen:
Michael Colbourne, Francesca Ellis,
Ewan Gillies, Grant Neal, Jaimie Pruden
104
Musicals in Großbritannien
I n dem Musical »Cabaret« singen Fräulein Schneider
und Herr Schultz in sanften Tönen: »Und das Grau im
Grau/wird auf einmal blau/wie noch kein Blau jemals
war« in dem Song ›Heiraten‹. Beide sind im 3. Lebens-
abschnitt und träumen vom Zusammensein. Geheiratet
wird dann aber doch nicht.
In Stephen Sondheims Klassiker »Company« steht
das Thema Heirat ebenfalls im Mittelpunkt, wird aber
unter ganz anderen Aspekten beleuchtet. Mit einem
Buch von George Furth und Musik sowie Liedtexten
von Sondheim wurde es 1970 in New York uraufgeführt
– und stach hervor. Sowohl aufgrund seiner innovati-
ven Erzählweise – die unzusammenhängenden Szenen
fügen sich zu einem Mosaik zusammen – als auch wegen
der Thematik: Der Junggeselle Bobby feiert seinen 35.
Geburtstag. Seine Freunde, alles Paare, wundern sich,
warum er noch nicht verheiratet ist. Er vertreibt sich die
Zeit mit Frauenbekanntschaften.
2011 war eine hervorragende Produktion des Musicals
im Southwark Playhouse zu sehen (vgl. blimu 02/2011).
Sie war leicht in die Gegenwart geholt und funktionier-
te bestens. Das Thema und das Leben im New York der
70er Jahre passte ins London der Gegenwart.
Regisseurin Marianne Elliott hat nun einen gro-
ßen Schritt gewagt und die Vorzeichen geändert: Es
ist nicht mehr ein Mann, der zu seinem 35. Geburts-
tag (noch) Junggeselle ist, sondern eine Frau. Stephen
Sondheim hat dafür extra einiges umgeschrieben.
Mann/Frau war gespannt!
Insgesamt funktioniert der Wandel: zum einen, weil
Frauen durchaus emanzipiert sind, und zum anderen,
weil Männer ebenfalls verschiedene Seiten haben und
das Stereotypische damit unterwandert wird. Details
später, zunächst der Blick auf die Hauptfigur in dieser
neuen Fassung.
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Sie wird nicht nur durch ein anderes Geschlecht um-
gedeutet. Ein Mann kann sich eher vom Leben treiben
lassen, das Bedürfnis nach einer festen Bindung ist nicht
so stark und solch eine Bindung wird von ihm auch
nicht in dem Maße erwartet. In dieser Interpretation
hier ist die Frau, Bobbie (Rosalie Craig), doch eher dar-
auf erpicht, zu heiraten. Auch der 35. Geburtstag wirkt
hier sehr belastend. Die Symbolik der Luftballons, die
eine 35 markieren, ist sehr clever. Sind diese anfangs ein
unschuldiger, bedenkenloser Teil einer Geburtstagsfeier,
nehmen diese Zahlenballons später übermenschliche
Dimensionen an und scheinen das Geburtstagskind zu
erdrücken. Auch die Whiskeyflasche, von der sie sich
gerne ein Glas gönnt, macht klar, dass das Singledasein
an ihr nagt. Einerseits ist dies sicher ein realistisches Bild
einer Frau von heute, die sich nach einer Partnerschaft
sehnt, andererseits macht diese Interpretation sie auch
»klein« und gewöhnlich. Spannender wäre es gewesen,
eine Frau zu zeigen, die trotz ihrer Bedürfnisse mit ihrer
Situation umgehen kann und das Singledasein nicht als
Trauerfall darstellt.
Was dieser Inszenierung zusätzlich Kraft nimmt, ist
die Stilisierung des Ganzen. Alles ist aalglatt, wodurch
das Menschliche und das Mitfühlende leidet. Obwohl
Rosalie Craig natürlich hervorragend spielt, bleibt man
von ihr unberührt. Auch ihr knallrotes, hautenges, stil-
volles Kleid hilft dabei nicht. Es markiert sie als Karri-
erefrau und zieht den Blick zwar auf sie, lässt aber eher
Alarmglocken läuten und auf Abstand gehen. Es isoliert
sie. Das moderne, ultrakühle Design (Bunny Christie)
unterstreicht zusätzlich die Kühle, Oberflächlichkeit
und Distanz, die Bobbie zu all den Figuren hat. Man
fragt sich sogar, was sie mit ihren Freunden gemeinsam
hat, was sie verbindet. Vielleicht würde das Konzept
auch auf einer kleineren Bühne besser funktionieren.

Lediglich bei ›Marry Me a Little‹, in dem sie allein auf
einer große Bühne steht und singt: »Marry me a little/
just love me enough«, wird ihre Einsamkeit und ihr Be-
dürfnis nach Nähe auch spürbar.
Unabhängig von dem, wie Bobbies Figur hier ange-
legt ist, zeigt sich, dass der Wechsel funktioniert: Zum
Beispiel bei ihren Männerbekanntschaften, von der zwei
Männer irgendwie einen Knacks weg haben, was von
Richard Fleeshman als Steward Andy und George Blag-
den als PJ interessant gespielt wird. Es ist auch völlig
glaubwürdig zu beobachten, wie eine Frau versucht, ei-
nen Mann ins Bett zu bekommen, auch wenn er völlig
naiv redet, redet und redet. Markant ist auch die Kon-
stellation in ›Poor Baby‹, das diesmal von den verhei-
rateten Männern gesungen wird, die Bobbie aufgrund
ihres Alleinseins bemitleiden. Das hat eine ganz andere
Qualität als wenn Frauen es tun, die ohnehin dazu nei-
gen, Fürsorge und Mitgefühl zu zeigen. Es steht natür-
lich auf einem anderen Blatt, dass die Szene so angelegt
ist, dass das Bett zeitgleich das Schlafzimmer verschiede-
ner Paare markiert und anstelle »all alone with her pho-
ne« zu sein, wie es ein Mann singt, Bobbie gerade dabei
ist, das Bett mit einem Mann zu teilen. Es ist auch ein
spannendes Bild, wie sie unter der Bettdecke liegt und
ihr Kopf am Fußende herausschaut, während einerseits
ihre männliche Bekanntschaft unter der Decke zu Gan-
ge ist und andererseits die Männer ihrer Freunde sich an
ihre Bettkante gesellen und sie bemitleiden.
Ein anderes bedeutendes Update betrifft das Pärchen
Amy und Paul, das kurz vor der Hochzeit steht. Aus
ihnen ist Jamie (Jonathan Bailey) und Paul (Alex Gau-
mond) geworden, also ein schwules Pärchen, was sehr
zeitgemäß ist. Das berühmte ›Getting Married Today‹,
das die Geschwindigkeit eines Expresszugs hat, wird von
Jonathan Bailey bestens vorgetragen und erntet stürmi-
schen Applaus. Es wirft allerdings die Überlegung auf, ob
ein schwuler Mann, der jetzt heiraten darf und bewusst
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Großbritannien
die Entscheidung dazu trifft, derart nervös wäre und Be-
denken hätte. Es ließe sich allerdings so erklären, dass
es hier primär darum geht, Mensch zu sein, unabhängig
vom Geschlecht. Der Selbstzweifel, überhaupt geliebt
werden zu können, ist allerdings nicht ungewöhnlich.
Eine Nummer, bei der man das Gefühl hat, dass sie
mit dem Wesen derselben im Einklang ist, bildet ›The
Ladies Who Lunch‹. Patti LuPone als Joanne lässt trotz
eines gewissen Zynismus‘ der Zeilen ein Mitgefühl
spürbar werden, das einen berührt. Wie sie da in die-
sem Nachtclub sitzt, die reiche New Yorkerin verkör-
pert, die bereits dreimal verheiratet war und vom leeren
Leben der Frauen der Gesellschaft singt, das besitzt eine
überraschende Tiefe und Authentizität. Es ist der Höhe-
punkt der Produktion.
Liam Steels Choreographie fügt sich ein, fällt aber
kaum auf, es geht auch überwiegend um Bewegungen,
weniger um konventionelle Broadway-Tanzroutinen.
Was in Erinnerung bleibt, sind die Choreographien
in den grauen U-Bahnwagen, die den Hintergrund zu
›Another 100 People‹ bilden. Die stummen, tänzeri-
schen Interaktionen der Passagiere machen das Unsicht- Abb. oben:
bare sichtbar, nämlich wie sich manche Passagiere zuei- Bobbie (Rosalie Craig) mit Andy
(Richard Fleeshman), der im Bett
nander hingezogen fühlen oder auch nicht – in einem nur »plappert«
sich wiederholenden Rhythmus.
Marianne Elliotts Experiment funktioniert gut und Abb. unten von oben links:
tut einiges für die Gleichberechtigung/Gleichstellung 1. Joanne (Patti LuPone) in einer Bar
zu ›The Ladies Who Lunch‹
der Frau. Beide Fassungen haben ihre Vor- und Nach- 2. Bobbie (Rosalie Craig) mit
teile. Vom gesellschaftlichen Standpunkt aus mag die ihrem alten Freund Theo (Matthew
weibliche Fassung interessanter sein, vom emotionalen Seadon-Young), der nun heiratet
her die männliche. Es ist berührender und ungewöhn- und wegzieht
3. Bobbie (Rosalie Craig, l.) am
licher, einen Mann zu sehen, der sich nach Nähe und Morgen der Hochzeit ihrer schwu-
Wärme sehnt, als eine Frau. Eine Neuinterpretation, die len Freunde Paul (Alex Gaumond,
sehenswert ist. Stephen Sondheims Musik hat zudem Mitte) und Jamie (Jonathan Bailey, r.)
nichts von ihrer Frische und Vielfältigkeit verloren. 4. Bobbie (Rosalie Craig) mit einer
ihrer Affären, PJ (George Blagden),
im Park
Sabine Schereck Foto: Brinkhoff / Mögenburg
105

Verzwickte Theaterfamilien
Uraufführung von »Wise Children« am The Old Vic Theatre London
Abb. oben:
Nora (Etta Murfitt, im Wohnw.
l.) und Dora (Gareth Snook, im
Wohnw. r.) an ihrem 75. Geburtstag
Foto: Steve Tanner
Wise Children
Ian Ross & diverse Komponisten /
Angela Carter
Bearbeitung von Emma Rice
An Old Vic &
Wise Children production
Co-produced by the Belgrade Theatre
Coventry, Oxford Playhouse &
York Theatre Royal
The Old Vic Theatre London
Uraufführung: 17. Oktober 2018
Direction .......................... Emma Rice
Choreography .................... Etta Murfitt
Fight Direction .............. Rachel Bown-
Williams & Ruth Cooper-Brown
Design ......................... Vicki Mortimer
Lighting .................... Malcolm Rippeth
Animation ...................... Beth Carter &
Stuart Mitchell
Sound & Video Design .... Simon Baker
Puppetry Design ........... Lyndie Wright
Puppetry Direction .......... Sarah Wright
Nora .................................. Etta Murfitt
Dora............................... Gareth Snook
Showgirl Nora ............. Omari Douglas
Showgirl Dora ............... Melissa James
Young Nora .......... Mirabelle Gremaud
Young Dora ..................... Bettrys Jones
Melchior .......................... Paul Hunter
Peregrine ..................... Mike Shepherd
Young Peregrine ................ Sam Archer
Young Melchior ................. Ankur Bahl
Wheelchair / Lady Atalanta /
Blue Eyed Boy.......... Patrycja Kujawska
Grandma Chance .............. Katy Owen
Musicians ..... Alex Heane Stu Barker &
Ian Ross
106
Musicals in Großbritannien
R egisseurin Emma Rice hat wieder pures Theater-
glück geschaffen. Sie beweist hohe Theaterkunst,
nicht nur durch ungeheuren Einfallsreichtum und
Talent, sondern auch durch Innovation und Mut.
Als Grundlage dient Angela Carters Roman »Wise
Children« von 1991. Es ist zwar kein Musical als sol-
ches, aber doch durchwoben mit viel Musik, zum Teil
komponiert von Ian Ross, zum Teil herangezogen von
Klassikern der 1930er und 40er Jahre wie ›The Way You
Look Tonight‹ aus dem Hollywood-Musical »Swing
Time« von 1936.
Erzählt wird die Geschichte der Zwillinge Nora und
Dora, die 1989 ihren 75. Geburtstag feiern. Sie blicken
auf ihre Karriere als Showgirls zurück sowie die Genera-
tionen ihrer verzwickten und verzweigten Theaterfami-
lie, wobei es zahlreiche Referenzen an Shakespeare gibt.
Sie leben in einem heruntergekommenen Haus
in Brixton, einem Stadtteil im Süden Londons. Im
Schnelldurchlauf wird von den Anfängen der Familie im
vorherigen Jahrhundert berichtet: ein junger Rotschopf,
der die Cordelia spielt, kommt mit dem älteren Schau-
spieler des King Lear zusammen und gebärt Zwillinge,
Jungen: Melchior und Peregrine. Aber war King Lear
der leibliche Vater oder ein jüngerer Schauspielkollege,
mit dem sie eine leidenschaftliche Affäre hatte?
Die Brüder Melchior (Ankur Bahl) und Peregrine
(Sam Archer) sind sich nicht grün. Während Melchior
in die Fußstapfen seines Vaters tritt und ein angesehe-
ner Schauspieler werden möchte, erfahren wir zunächst
nicht, welchen Weg sein Zwilling geht. Es sind aber
durchaus unterschiedliche Zwillinge, Melchior ist ernst
mit dunklem Haar, während Peregrine ebenfalls ein
Rotschopf ist und von eher flatterhafter Natur.
Für kurze Zeit richtet sich der Schauspielaspirant
Melchior (Paul Hunter) in einer privaten Unterkunft
ein, der 49 Bard Road in Brixton. Ein Techtelmechtel
mit einem Mädchen führt zu weiteren Zwillingen: Nora
und Dora. Doch ihr Leben ist alles andere als vorge-
zeichnet, denn Melchior verschwindet und lässt die
junge Frau allein, die kurz nach der Geburt der Mäd-
chen stirbt. Die Hauswirtin nimmt sich der Babys an
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
und erhält damit den Namen Grandma Chance (Katy
Owen). Melchior will von den Kindern nichts wissen.
Aus heiterem Himmel kreuzt aber Peregrine (Sam Ar-
cher) auf und nimmt sich ihrer insofern an, dass er
regelmäßig Geld schickt, den Tanzunterricht bezahlt
und gelegentlich zu Besuch kommt. Er wird zum Er-
satzvater und die Kinder lieben ihn. Der Tanzunterricht
zahlt sich aus und ihr Talent führt sie bald zur Bühne,
zunächst als Kinderstars und später als professionelle
Chorusgirls in den 30er und 40er Jahren. Ihr Vater Mel-
chior, inzwischen verheiratet, erkennt ihre Arbeit nun
an und möchte sie in seine Produktion holen. Sie sind
überglücklich, aber die Realität ist eine andere. Die Va-
terschaft erkennt er weiterhin nicht an und Zweck ihrer
Tanzeinlage ist es allein, ein größeres Publikum für seine
Shakespeare-Produktion zu gewinnen. Das Verhältnis
zu Melchiors eleganter Frau, Lady Atlanta (Patrycja
Kujawska), ist interessanterweise ein ganz anderes. Sie
weiß um die Wahrheit und verhält sich Nora und Dora
gegenüber sehr großzügig und liebenswürdig ...
Soweit zur Grundkonstellation, denn die Geschichte
birgt noch weitere Wendungen. Da sie auf verschiede-
ne Lebensalter zurückblickt, gibt es auch verschiedene
Verkörperungen der Figuren. Im Kleinkindalter werden
beide Zwillingspaare jeweils über erstaunlich realistisch
wirkende Puppen dargestellt. Dann sind da die junge
Nora (Mirabelle Gremaud) und Dora (Bettrys Jones),
die Showgirls Nora (Omari Douglas) und Dora (Me-
lissa James) und die 75-jährigen Zwillinge Nora (Etta
Murfitt) und Dora (Gareth Snook). Auf der männlichen
Seite gibt es den älteren Melchior (Paul Hunter) und
Peregrine (Mike Shepherd). In der Figurenzeichnung
hat Showgirl Nora reichlich Männerliebschaften, wäh-
rend Dora nur einen begehrt: Dieser ist einer von Noras
Liebhabern, und Dora darf ihn sich mal für eine Nacht
»ausleihen«. Für Dora bedeutet es viel und Melissa James
bringt diese Emotionalität hervorragend zur Geltung.
Hinzu kommt auch, wie eng und fürsorglich die Bezie-
hung beider Schwestern zueinander ist.
Die Inszenierung der Szenen bietet eine Mannigfal-
tigkeit an Ebenen, da die Besetzung der Figuren völlig

blind gegenüber Hautfarbe und Geschlecht ist, was es
sehr spannend macht: Die Showgirls werden von dun-
kelhäutigen Schauspielern gespielt, wobei Nora dazu
von einem jungen Mann gespielt wird, Omari Douglas.
Dies ist ein grandioser Regieeinfall, weil er beweist, dass
es auf die Figur ankommt und dass ein Schauspieler die
Wandlungsfähigkeit und das Talent besitzen sollte, so-
wohl Mann als auch Frau zu spielen. Und Omari Dou-
glas‘ körperliche Figur: schlank, hochgewachsen, grazil
lässt keinen Zweifel an der Identität einer jungen Tän-
zerin. Wow! Hinzu kommt, dass Doras Liebe, mit der
sie eine selige Nacht im Bett verbringt, der ›Blue Eyed
Boy‹, von einer Frau gespielt wird (Patrycja Kujawska),
was eine weitere Ebene eröffnet, wenn man diese sehen
möchte. Abgesehen davon, bietet das Ganze neben den
ganzen inhaltlichen Referenzen an Shakespeare auch
eine Inszenatorische, da das Spiel mit den Geschlech-
tern und verkehrten Identitäten bei ihm ein Charakte-
ristikum ist.
Eine weitere Stärke dieser Inszenierung sind die For-
men und Mittel der Erzählweise. Neben diesem Beispiel
gibt es reichlich Sex in der Geschichte, aber es wird im-
mer elegant in Andeutungen und tänzerisch-kunstvol-
len Choreographien vermittelt, bei denen das Gefühl im
Vordergrund steht. Die Choreographie stammt von Etta
Murfitt, die auch für die Showeinlagen der Girls verant-
wortlich zeichnet und die ältere Nora spielt.
Nach Doras Nacht voller Seligkeit bricht auch schon
die Katastrophe hinein, denn ihre Tour-Unterkunft geht
in Flammen auf. Dabei wird nicht nur mit reichlich ro-
tem Licht geflackert, wie es oft im Theater symbolisiert
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Musicals in Großbritannien
wird, sondern mit rot-orange-gelben Bändern, die das
Ensemble durch die Lüfte flattern lassen. Solch einfa-
che, aber doch effektive Erzählkunst findet sich auch
in einer kleinen Szene, die hier beispielhaft für viele
andere stehen soll: Zu ihrem 75. Geburtstag erhalten
die Schwestern einen Brief. Aber der Postbote wirft ihn
nicht einfach durch den Briefschlitz, sondern man sieht
über sein Spiel, wie er mit Wind und Wetter kämpft. Es
ist eine großartige Einlage, auch wenn sie im Gesamt-
bild nur ein kleiner Teil ist.
Dieses Feuerwerk an originellen Einfällen und klei-
nen Erzählungen macht die Produktion so lebendig,
zauberhaft und zu einem Meisterwerk.
Hinzu kommt, dass mit viel Humor, Liebe zum Men-
schen und Menschlichkeit erzählt wird. Das geschieht Abb. oben:
über ein Spektrum an Figuren, welche schrullig, herzens- Mit Onkel Melchior (Paul Hunter)
gut, egoistisch, verwöhnt, lebenslustig, leichtfüßig oder fahren Dora (Melissa James) und
Nora (Omari Douglas) zur Geburts-
fürsorglich sind. Die allesamt großartigen Schauspieler tagsfeier ihrer Halbschwestern
bringen nicht nur ihre festgelegten Rollen zum Leben,
sondern schlüpfen auch brillant in kleinere Rollen. Abb. unten von oben links:
Vicki Mortimers Bühnen- und Kostümbild macht 1. Dora (Melissa James) und Nora
(Omari Douglas) als Showgirls in
ebenfalls die verschiedenen Ebenen sichtbar: einerseits einem Stück, in dem ihr Vater spielt
das Verschrobene und Heruntergekommene der Theater- 2. Die Zwillinge Nora (Etta Murfitt,
welt, andererseits den Glamour. Auch hier bestimmt Viel- Mitte) und Dora Chance (Gareth
seitigkeit: beispielsweise ist die Wohnung quasi in einem Snook, r.) blicken zurück auf die
Zeit, in der sie von Grandma
Wohnwagen untergebracht, was natürlich auch das stete Chance (Katy Owen, l.) als Babys
Unterwegssein der Theaterkünstler symbolisiert. adoptiert wurden
Die Produktion ist ein perfekter Liebesbrief ans 3. Dora (Bettrys Jones, l.) und Nora
Theater, den man beglückt mehrmals erleben kann. (Mirabelle Gremaud, r.) feiern als
Kinder Geburtstag mit Grandma
Chance (Katy Owen)
Sabine Schereck Fotos (4): Steve Tanner
107

Königliches Vergnügen
»Camelot« als konzertante Aufführung des LMTO im London Palladium
Abb. oben von links:
1. Königlicher Auftritt von David
Thaxton als King Arthur
2. Begeisterter Schlussapplaus für
das LMTO und die Solisten
Fotos (2): Lidia Crisafulli
Camelot
Frederick Loewe / Alan Jay Lerner
Konzertante Aufführung
London Musical Theatre Orchestra
London Palladium
Premiere: 6. Oktober 2018
Direction .................... Shaun Kerrison
Music Direction ........... Freddie Tapner
Choreography ....... Anthony Whiteman
Lighting Design .......... Mike Robertson
Sound Design .................. Simon Sayer
Arthur .......................... David Thaxton
Guenevere .......... Savannah Stevenson
Lancelot .......................... Charles Rice
Merlyn / Pellinore ............ Clive Carter
Mordred ............................ Sam Swann
Nimue .............. Celinde Schoenmaker
Sir Dinadan ........... Matthew McKenna
Sir Lionel ................... Emmanuel Kojo
Sir Sgramore .................... Oliver Savile
Tom of Warwick ..................... Raphael
Higgins-Humes
In weiteren Rollen:
Jake Byrom, Elissa Churchill,
Charlotte Clitherow, Ed Court, Emma
Fraser, Lee van Geelen, Erin Hair,
Daniel Hall, Adam Hepworth,
Matthew McDonald, Emma Oliver,
Cameron Potts, Lydia Shaw,
Rosie Williamson, Lizzie Wofford,
Thomas Wright
108
Musicals in Großbritannien
G roße Familienshows haben im London Palladium
von jeher Tradition. Und nachdem hier zuletzt das
opulente Revival von »The King and I« über die Bühne
gegangen war, konnte man sich die Wartezeit bis zur
weihnachtlichen Großproduktion schon einmal mit
einem weiteren Klassiker der Goldenen Ära des Broad-
way vertreiben. Rund eine Woche nach der Derniere
des exotischen Rodgers & Hammerstein II.-Epos leg-
te nämlich das London Musical Theatre Orchestra mit
einer konzertanten Aufführung von »Camelot« nach.
Die Produktionen des von Freddie Tapner ins Leben
gerufenen Ensembles locken schon seit längerem nicht
nur neugierige Musicalfans, sondern auch regelmäßig
prominente West-End-Größen, die sich hier eine Aus-
zeit von ihren Longrun-Produktionen nehmen, um für
einen Abend begleitet vom großen Orchester in großen
Melodien zu schwelgen. Dabei machte auch »Camelot«
keine Ausnahme, das seit Jahrzehnten nicht mehr auf
einer Londoner Bühne zu erleben war und angesichts
seiner reichlich altbackenen Dramaturgie und der ge-
stelzten Dialoge wohl auch so schnell nicht mehr zu
erleben sein wird.
Ebenso wenig leugnen lässt sich allerdings, dass
Lerner & Loewe hier nach »My Fair Lady« einige ih-
rer besten Songs gelungen sind, die in der originalen
Orchestrierung gleich noch mal so schön klingen. Mit
einer geschickt gekürzten Textfassung, welche zahlreiche
Nebenrollen eliminiert und die Story auf die wichtigsten
Elemente reduziert, kann man sich im Palladium ganz
auf die Glanzlichter der Partitur konzentrieren. Herr-
lich, wie Tapner die Streicher in den großen Balladen
König Arthurs pathetisch schmachten lässt, gleichzeitig
aber in den komischen Nummern mit leichter Hand für
das nötige Gegengewicht sorgt. So etwa in ›Take Me to
the Fair‹, wenn Königin Guenevere, die unaufhaltsam
auf eine tragische Dreiecksbeziehung mit Arthur und
Lancelot zusteuert, ihre übrigen Verehrer listig gegenei-
nander ausspielt. Matthew McKenna, Emmanuel Kojo
und Oliver Savile haben hier unter der Regie von Shaun
blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019
Kerrison reichlich Gelegenheit, ihr komödiantisches Ta-
lent zu zeigen.
Trotzdem haben sie auch in der Gunst des Publikums
kaum eine Chance gegen Charles Rice, der den strahlen-
den Helden Lancelot mit kräftigem Bariton in Opern-
nähe rückt und mit seiner eindringlichen Interpreta-
tion von ›If Ever I Would Leave You‹ den wohl längsten
Applaus des Abends einfährt. Getragen wird der Abend
jedoch vor allem von David Thaxton als King Arthur,
der sich von der Konzertsituation keineswegs davon ab-
halten lässt, auch bei den Nummern seiner Spielpartner
höchst aktiv am Geschehen teilzuhaben. Den jungen,
frisch gekrönten König, der sich erst in seine neue Rol-
le hineinfinden muss und unbeschwert mit Guenevere
schäkert, nimmt man ihm genauso ab wie die Enttäu-
schung und Resignation, nachdem die Affäre zwischen
seiner Frau und seinem besten Freund ans Licht gekom-
men ist. Dass er dazu auch in vokaler Hinsicht markant
auftrumpfen kann, ist da nur noch das i-Tüpfelchen bei
diesem überzeugenden Rollenporträt.
Eine mehr als ebenbürtige Partnerin ist ihm dabei
Savannah Stevenson, die mit klarem Sopran und nobler
Bühnenerscheinung eine Bilderbuch-Königin abgibt,
hinter der royalen Fassade aber auch wahre Gefühle
durchblicken lässt. Nicht über den Weg trauen sollte
man dagegen Sam Swann, der den hinterlistigen Mord-
red herrlich schmierig serviert.
Aber auch Celinde Schoenmaker weiß ihren lei-
der viel zu kurzen Auftritt als Nimue zu nutzen, um
nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen. Ebenso
West-End-Veteran Clive Carter, der als Arthurs weiser
Lehrmeister Merlyn sowie als trinkfester King Pellinore
höchst unterschiedliche Facetten zeigen darf. Mit »Ca-
melot« ist dem LMTO erneut eine Aufführung gelun-
gen, die einen mit süffigem Broadwaysound und großen
Stimmen zumindest für einen Abend in eine Zeit ent-
führt, als Abmagerungskuren im Orchestergraben noch
nicht die Regel waren.
Tobias Hell
 Neu auf unitedmusicals.de
Foto: Ingrid Kernbach »Anastasia« – Stuttgart
Fotostrecke von der Premiere
Am 15. November feierte »Anastasia« Deutschlandpremiere im Pal-
ladium Theater Stuttgart. Wir zeigen Impressionen vom Schlussap-
plaus mit strahlenden Darstellern und Bilder mit Gästen nach der
Premiere.

»Bat Out of Hell« – Oberhausen

Foto: Birgit Bernds

Bericht von den Proben

Am 8. November 2018 feierte »Bat Out of Hell« im Metronom Theater in
Oberhausen seine deutschsprachige Erstaufführung. Am 11. Oktober
lud Stage Entertainment zu einem Rundgang und Probenbesuch:
Die musikalischen Proben finden noch mit Klavierbegleitung statt.
Associate Director Nick Evans kündigt an, dass ihre Besucher die Sze-
nen work-in-process erleben werden, wobei einige von ihnen erst
am Tag vorher fertig geworden seien. Er betont, dass sie bei den In-
terpretationen noch mitten im Prozess der Entwicklung und des
Findens seien, mit dem Ziel, die Brillanz und Persönlichkeit der Dar-
steller herauszuarbeiten. Gezeigt werden 4 Szenen, die wir mit Kurzbe-
schreibung und Fotostrecke vorstellen.

»Bodyguard« – Wien
Foto: Yvonne Brandstetter

Kurzbericht von der Medienprobe im Ronacher

Am 27. September 2018 feierte »Bodyguard« Österreichpremiere in Wien.
Zuvor gaben die Vereinigten Bühnen Wien am 21. September bei einer
Medienprobe einen ersten Einblick und stellten den Cast vor: In den
Original-Rollen begeisterten Whitney Houston und Kevin Costner. In der
Musicalfassung von Alexander Dinelaris spielt in Wien Patricia Meeden
(»Aida«, »Cats« und »The Voice of Germany«) die Soul-Diva Rachel Marron.
An ihrer Seite feiert Jo Weil (»Alles was zählt«, »Tatort«, »Verbotene Liebe«)
sein Debüt in der Musicalszene. Ana Milva Gomes (»Mozart!«, Sister Act«,
»Mamma Mia!«) verkörpert Rachels Schwester Nicki Marron.

Die nächste Ausgabe der blickpunkt musical erscheint im Januar 2019: Das Leben einer Sängerin aus der
ehemaligen DDR steht im Mittelpunkt einer Uraufführung. Eine Tanzform und zugleich der Name eines
Dramas macht gespannt auf eine weitere leidenschaftliche Uraufführung, und ein neues Stück blickt in die
mittelalterliche Historie einer Stadt im Süden Deutschlands.
Noch vor Weihnachten widmet sich eine österreichische Uraufführung in der Mozart-Stadt dem, was die
»Stille Nacht« für jeden von uns bedeuten kann. Die Anziehungskraft einer französischen Stadt bildet den
Kern einer deutschsprachigen Erstaufführung voller Tanz. In einer Schweizer Erstaufführung bewegt die über
alle Unterschiede verbindende Kraft des Gesangs.

UM Verlag und Medien GmbH Bildredaktion Redakteure gekündigt, verlängert sich das Abonnement
Jenaer Str. 29 Birgit Bernds Eva Baldauf, Susanne Baum, Birgit Bernds, jeweils um ein weiteres Jahr.
10717 Berlin birgit.bernds@umverlag.de Stephan Drewianka, Dan Dwyer(USA), Ermäßigte Abonnementpreise für Schüler
Patrick Fridrichovský(CZE), Martina unter Zusendung eines Nachweises und
Abonnements Marketing/Anzeigen Friedrich(CH), Tobias Hell, Barbara Kern, Anerkennung durch den Verlag. Näheres
Tel. 030/50 59 69 59 Oliver Wünsch (V.i.S.d.P) Ingrid Kernbach, Vincent Kleen, Sandy auf www.blickpunktmusical.de oder
Fax 030/9 20 37 21 29 oliver.wuensch@umverlag.de Kolbuch, Lisa-Maria Mehrkens, Richard telefonisch 030/50 59 69 59.
Tel. 030/50 59 69 59 C. Norton(USA), Kurt Richter, Rosalie
Herausgeber und Verlag Es gilt unsere Anzeigenpreisliste Rosenbusch, Sabine Schereck(UK), Stefan Urheber- und Nutzungsrechte
UM Verlag und Medien GmbH Nr. 23 vom 1. Januar 2018 Schön, Manuel Sommerfeld(AT), Christian Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion,
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Dr. Barbara Kern laufenden Abonnementjahres gekündigt langt eingesandte Manuskripte und Fotos
barbara.kern@umverlag.de werden. Wird nicht 2 Monate vor Ablauf wird keine Haftung übernommen.

blickpunkt musical 06/18, November 2018 – Januar 2019 109

 In Zusammenarbeit
mit der Volksoper Wien

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Buch von Michael Stewart Musik und Gesangstexte von Jerry Herman Nach «The Matchmaker» von Thornton Wilder
Die Urauffuhrung fand unter der Regie und C horeografie von Gower C hampion in einer Produktion von David Merrick & C hampion Five, Inc. am Broadway in New York statt.

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 Der Musical-Welterfolg
Endlich auf großer Tournee

B
odyguard ist nicht nur im Kino
ein Hit! Mit BODYGUARD
– DAS MUSICAL konnten
mehr als vier Millionen Be-
sucher in zwölf Ländern die packende
Love-Story live auf der Bühne erleben.
Jetzt geht die aufwändige deutsche In-
szenierung zum ersten Mal auf gro-
ße Tournee. Mit 16 überwältigenden
Songs, darunter natürlich „I Will Always
Love You“, erleben Sie ein modernes
Bühnenereignis der Extraklasse – noch
glamouröser, noch spannender und noch
romantischer als der Film!
Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten
BODYGUARD – DAS MUSICAL
hat mit seinen herausragenden Songs,
dem erstklassigen Bühnenbild und dem
fantastischen Ensemble die Herzen der
Zuschauer auf der ganzen Welt im Sturm
erobert. Kein Wunder, denn wenn es
zwischen dem Bodyguard Frank Farmer
und der exzentrischen Soul-Diva richtig
knistert, sind große Gefühle und atem-
beraubende Spannung vorprogrammiert.
Der frühere Geheimagent wird engagiert,
um Superstar Rachel Marron vor einem
unbekannten Stalker zu beschützen –
gegen ihren Willen. Keiner der beiden ist
bereit, Kompromisse zu einzugehen – bis
der erfolgreichste Filmsoundtrack aller
Zeiten. Viele weitere Welthits wie
„I Wanna Dance with Somebody“, „I’m
Every Woman“, „How Will I Know“
oder „All the Man That I Need“ lassen
Ihnen garantiert Glücksschauer über den
Rücken laufen!
Der Filmstoff
als zeitgemäßes Bühnenerlebnis
Der Kinohit Bodyguard nach dem Dreh-
buch des mehrfach Oscar-nominierten
Autors Lawrence Kasdan (u. a. Star Wars
– Das Imperium schlägt zurück, Indiana
Jones – Jäger des verlorenen Schatzes) mach-
te die mitreißende Liebesgeschichte um

© THE BODYGUARD (UK) LTD. Designed by DEWYNTERS

sich zwischen ihnen entspinnt, womit
keiner gerechnet hat: eine leidenschaft-
liche Liebesgeschichte.
Ein Musical voller No. 1-Hits
Es erwarten Sie nicht nur ein roman-
tischer Abend und die legendären
Nummern des Grammy-prämierten
Soundtracks. Mit über 45 Millionen
verkauften Tonträgern ist er bis heute
den Superstar Rachel Marron und den
Bodyguard Frank Farmer weltbekannt.
Allein in Deutschland lockte der Streifen
über 6 Millionen Zuschauer in die
Kinos. In der Musical-Bearbeitung des
Oscarpreisträgers Alexander Dinelaris
(Bestes Drehbuch für Birdman) wird aus
dem Filmstoff der neunziger Jahre ein
Bühnenerlebnis der Gegenwart, das noch
glamouröser, noch spannender und noch
gefühlvoller als die Filmvorlage ist.

24.10. - 03.11.19 · Köln 05.02. - 09.02.20 · Bregenz

07.11. - 15.12.19 · München 12.02. - 16.02.20 · Baden-Baden
18.12.19 - 11.01.20 · Frankfurt 19.02. - 23.02.20 · Luxemburg
GREATEST 15.01. - 26.01.20 · Bremen

LOVE OF ALL Tickets: 01806 - 10 10 11* · w w w.bodyguard-musical.de

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