Ausgabe 111 (02/2021)

€ 6,50 (DE) • € 7,00 (EU)

ISSN 1619-9421

www.blickpunktmusical.de

The Wave – Die Welle

Lehrreiche Online-Uraufführung in Linz
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Trouble in Tahiti aus Osnabrück im Stream Patrick Stanke im Jubiläums-Interview

n- tüt
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Heldenreise, Musical Easter, Seibert, #WeAreMusical – Talk Time aus Wien

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Ammann & Tarte Konzerte im Stream Treason im Stream aus London

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Sechs Ausgaben
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Inhalt
Ausgabe 111, Nr. 02/2021
… kurz vorweg
Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Abonnentinnen und Abonnenten,
diese erneute Ausgabe in Zeiten der
Pandemie war für uns alle eine schwie-
rige Geburt. Wir bitten um Verständnis
für das verspätete Erscheinen. Es war
uns wichtig, Ihnen spannende Inhal-
te bieten zu können. Die Umsetzung
wurde neben der Arbeitsumstände
in Druck und Versand auch durch
den Ausfall unserer Chefredakteurin
Barbara Kern beeinträchtigt.
Endlich liegen die 68 Seiten des neuen
Hefts vor Ihnen, auf denen Sie von den
Wegen der Branche lesen, Musical und
Entertainment weiterhin eine Plattform
zu eröffnen. Stadttheater bringen euro-
paweit ihre Uraufführungen und Pre-
mieren von der Bühne über Streaming-
dienste direkt zu Ihnen nach Hause.
Plattformen, wie TikTok, Facebook und
YouTube werden für neue Musical-
und Konzertformate genutzt. Das gilt
auch für Konzertveranstalter, unter de-
nen sich auch immer mehr Darstellerin-
nen und Darsteller finden, die sich hier
organisieren. Umzudenken ist notwen-
dig und birgt so manche Überraschung.
Seitdem die Leinwand mehr denn je
ein Medium für den Musical-/Musik-
film geworden ist, drängen – situa-
tionsbedingt durch die Schließungen
der Kinos – Filme und Serien sowie de-
ren musikalischen Fortsetzungen über
Disney+, Netflix und jetzt auch Apple
TV+ auf den Markt.
Zum Abschluss noch ein paar Wor-
te in eigener Sache: Wir werden in
Zukunft dort sprachlich gendern, wo
es ohne grammatikalische Fehlbildung
und unter Rücksicht auf Barrierefrei-
heit möglich ist. Dabei folgen wir dem
Muster: Darsteller/innen und Musiker/
innen. Wo dies nicht möglich ist, set-
zen wir auf die Verbindung mit »und«,
wie beispielsweise bei Studentinnen
und Studenten. Wir werden keinen
»*« verwenden, da dieser bei einer
Vorlesefunktion für Blinde oder Sehbe-
hinderte mitgelesen wird. Selbst Inter-
punktionszeichen erzeugen eine kleine
Lücke, wodurch das Gelesene aber im-
merhin verständlich bleibt.
Noch hoffen wir, dass es uns möglich
sein wird, trotz den Verzögerungen in
diesem Jahr sechs Ausgaben zu produ-
zieren. Für den Fall, dass uns dies nicht
gelingt, arbeiten wir bereits an einer
Lösung für unsere Abonnentinnen und
Abonnenten.
Zunächst wünschen wir Ihnen viel
Freude an der neuen Ausgabe.
Herzlichst,
Oliver Wünsch und die Redaktion der
blickpunkt musical
blickpunkt musical 02/2021
Inhalt
Topthema 16
6 UA The Wave – Die Welle Landestheater Linz
Musicals in Deutschland
16 Non(n)sens Staatstheater am Gärtnerplatz München
14 Trouble in Tahiti Theater Osnabrück
Musicals in Österreich
22 #WeAreMusical – Talk Time Vereinigte Bühnen Wien
Musicals in den USA
60 UA Ratatouille: The TikTok Musical Benefizstream
58 Simply Sondheim Konzert im Signature Theatre Arlington
62
Musicals in Großbritannien
62 UA The Sorcerer‘s Apprentice Southwalk Playhouse London
64 UA Treason Cadogan Hall London
Konzerte & Entertainment
32 A Musical Easter for You mit dem
Rotterdams Philharmonisch Orkest
26 Heldenreise – Film- & Musicalhits
mit Bettina Mönch & Dominik Hees und dem
WDR Funkhausorchester
30 Miscast Nick Körber und Gäste im Video-Tauschkonzert
29 Musicals! Mark Seiberts Musical-Reise 26
28 The Gentlemen of Musical – Best Of!
Jan Ammann & Kevin Tarte
Vis-à-Vis
34 Patrick Stanke über 25 Jahre Bühne und Lösungen
in schwierigen Zeiten
Einblick
42 Mijn Leven is van mij TV-Doku über die Künstlerin
Pia Douwes
12 Passion 2:1 Festspielhaus Neuschwanstein Füssen
33 Tino Andrea Honegger: Scheiss drauf –
jetzt erst recht! Buchvorstellung 14
Filme & Serien
54 Glee Staffel 1 – Rückblick
52 Mrs. Taylor‘s Singing Club DVD und Blu-ray
50 Music Ein Film von Sia
46 Rodgers & Hammerstein‘s Cinderella Disney+
48 The SpongeBob Musical: Live on Stage!
Nickelodeon
53 Vier himmlische Freunde DVD und Blu-ray
66 Neues vom Film
Rubriken
25 Einspielungen
18 Neues aus der Welt des Musicals Abb. von oben:
20 In Memoriam 1. »Non(n)sens« München
67 Impressum Foto: Marie-Laure Briane
2. »The Sorcerer‘s Apprentice« London
Foto: Geraint Lewis
3. Konzert »Heldenreise« Köln
Foto: WDR Funkhausorchester
4. »Trouble in Tahiti« Osnabrück
Foto: Jörg Landsberg
Titelfoto:
»Die Welle (The Wave)« Linz
Foto: Reinhard Winkler
5

Das Sozialexperiment
Uraufführung »The Wave (Die Welle)« am Landestheater Linz auf der Netzbühne
Abb. oben:
Anhänger (Ensemble) der »Welle«
demonstrieren ihre Macht
Foto: Reinhard Winkler
The Wave (Die Welle)
Or Matias
Deutsch von Jana Mischke
Landestheater Linz
In Zusammenarbeit mit der Musik
und Kunst (MuK) Privatuniversität
der Stadt Wien
Netzbühne – Stream on Demand
aus dem Schauspielhaus
Uraufführung: 20. März 2021
Regie ..................... Christoph Drewitz
Musikalische Leitung ....... Juheon Han
Choreographie .... Hannah Moana Paul
Bühnenbild .................. Veronika Tupy
Kostüme ............................. Anett Jäger
Licht .. ........................... Simon Wagner
Ron ......................... Christian Fröhlich
Ella ............................... Hanna Kastner
Robert ...................... Lukas Sandmann
Jess ......................... Celina dos Santos
James ............................. Samuel Bertz
Stevie ......................... Malcolm Henry
In weiteren Rollen:
Alexander Findewirth,
Carolina Juliana Hat, Paolo Möller,
Lena Poppe, Alexander Rapp,
Kathrin Schreier
6 blickpunkt musical 02/2021
Topthema
D er Komponist und Autor Or Matias schrieb das
Musical »The Wave (Die Welle)« als Auftragswerk
für das Landestheater Linz. Es basiert auf dem Bericht
des HighSchoolLehrers Ron Jones. Dieser verwandelte
1967 seine Klasse in eine profaschistische Bewegung.
Mit diesem Sozialexperiment wollte der Geschichtsleh-
rer die 15- bis 16-jährigen Schülerinnen und Schüler
einer High School in Kalifornien vor der Anziehungs-
kraft faschistischer Bewegungen warnen. Sein Bericht
der Folgen wurde zur Grundlage für Filme und das 1981
herausgegebene Buch »Die Welle« von Morton Rhue.
Auf der Drehbühne des Landestheaters Linz steht
im kalten, blauen Scheinwerferlicht ein raumhoher
Würfel mit Schiebetüren, die mit durchsichtigem
Stoff bespannt sind (Bühnenbild: Veronika Tupy).
Schemenhaft zeichnen sich hinter diesen Türen in
Weiß gekleidete, junge Leute ab, die sich synchron
bewegen (Choreographie: Hannah Moana Paul) und
dabei über die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens
singen. Plötzlich wird die Musik lebhaft, fröhlich.
Vor dem Würfel stehen junge Frauen und Männer,
gekleidet in der aktuellen, lässigen Mode (Kostüme:
Anett Jäger) und stellen sich vor: Der dynamische,
sportliche Stevie (Malcolm Henry) ist in der Schule
eine Null, muss die 10. Klasse wiederholen, wird
deshalb von den Schulkameraden gehänselt, glänzt
dafür jedoch beim Basketballspiel. James (Samuel
Bertz) leidet unter dem Leistungsdruck in der Schu-
le, stammt aus einer wohlhabenden Familie, wofür er
von den anderen Jugendlichen beneidet wird. Mit der
Schallplatte eines angesagten Sängers in der Hand
ringt die kesse Jess (Celina dos Santos) um die Aner-
kennung der Jungs. Diese bezichtigen Jess des Dieb-
stahls der Schallplatte, weil sie wissen, dass sie aus
einer armen Familie kommt. Jess ist einsam, da ihre
Mutter auf Arbeit ständig Doppelschichten schiebt,
um die Familie halbwegs über die Runden zu brin-
gen. Die Tochter leidet darunter, dass in der Stadt,
in der sie wohnen, nur das Geld zählt, während sie
am Rand der Gesellschaft lebt. Stevie benötigt neue
Turnschuhe, weshalb er mit Jess in einem Sportladen
Schuhe stehlen will. Mit einem Buch in der Hand
stellt sich Ella (Hanna Kastner) vor, sie begeistert sich
für Lyrik, flirtet mit James, der gerne mit ihr und sei-
nen Freunden ausgehen möchte. Dankend lehnt Ella
ab, da sie James‘ Freunde für Idioten hält. Dafür ver-
abreden sie sich für ein Treffen, um gemeinsam zu
lernen. Zufällig entdeckt Stevie den abseitsstehenden,
schüchternen Robert (Lukas Sandmann), den er und
Jess sofort mit »Hackfresse« beschimpfen. Außerdem
schüttet Stevie Robert grundlos den Inhalt seiner Ge-
tränkedose über den Kopf. Mit den Worten »Ignorier
die einfach, die sind dumm«, versucht Ella Robert zu
helfen. Kurz darauf stellen die jungen Leute fest, dass

sie in Geschichte von dem jungen, charismatischen
Lehrer Ron (Christian Fröhlich) unterrichtet werden.
Die Geschichtsstunde beginnt mit Öffnung der
Schiebetüren des Würfels, Stühle werden sichtbar. Ron
sitzt lässig auf einem Tisch. Er begrüßt die fünf Schü-
ler. Murrend nehmen die Jugendlichen Platz, als ihnen
der Lehrer das Geschichtsthema, die Weltkriege der
Großmächte, offenbart. Die Schülerinnen und Schüler
können nicht verstehen, wie sich Menschen in der Ver-
gangenheit für Stalinismus und Nationalsozialismus
begeistern konnten. Ron diszipliniert die gelangweil-
ten, mit dem Handy spielenden Jugendlichen, indem
er ihnen gute Noten verspricht, wenn sie in seinem
Unterricht mitziehen. Die Teenager erfüllen halbher-
zig die Anforderungen des Lehrers, werden von ihm
trotzdem mit dem Erlass der Hausaufgaben belohnt.
Zudem plant er, in seinem Kurs die schwachen, durch-
schnittlichen, leicht beeinflussbaren Schülerinnen und
Schüler zu motivieren, an sich selbst zu glauben, damit
sie ihre Chancen im Leben nutzen können (›Das Buch
des Lebens‹).
Am nächsten Tag übt Ron mit seinen Schülern
ernsthaft Disziplin. Nachdem er ihnen (in Absprache
mit den Lehrerkollegen) sogar sehr gute Noten verspro-
chen hat, ziehen sie mit. Ron offenbart den Jugendli-
chen, dass man in der Gruppe ›Besser und stärker‹ sei.
Außerdem fordert der Lehrer von der Klasse Respekt,
indem sie ihn mit Mister Ron ansprechen und beim
Beantworten seiner Fragen aufstehen. Zunächst un-
blickpunkt musical 02/2021
Topthema
gläubig lächelnd gehen die Jugendlichen auf die Forde- Abb. unten von oben links:
rungen des Lehrers ein, entwickeln aber nach und nach 1. (v.l.): James (Samuel Bertz), Jess
Ehrgeiz im Gehorsam. (Celina dos Santos) und Stevie
(Malcolm Henry) auf Diebestour in
Nach der Schule läuft der schüchterne Robert
der Stadt
allein durch die Stadt. Er leidet unter seinem ständigen 2. James (Samuel Bertz) steigt aus
Scheitern, träumt davon jemanden zu finden, der ihn der Bewegung »Die Welle« aus
einfach so akzeptiert, wie er ist (›Nicht so schwer‹). Im 3. (v.l.): Robert (Lukas Sandmann),
Gegensatz zu ihm können Ella und James eine Freund- Jess (Celina dos Santos), Stevie
(Malcolm Henry) und James
schaft aufbauen, die Basis ihrer beginnenden Liebe
(Samuel Bertz) offenbaren sich ihre
(›Irgendwie anders‹). Geheimnisse
In den nächsten Geschichtsstunden überzeugt Ron 4. Ella (Hanna Kastner, 3.v.l.) in
die Klasse, dass der Zusammenhalt der Gemeinschaft einer Auseinandersetzung mit den
mehr zählt als jeder Einzelne (›Mit Herz und Hand‹). Anhängern der »Welle« (Ensemble:
Nur gemeinsam sei man stark. Zudem holt er Robert Paolo Möller, l., Kathrin Schreier, 2.v.l.)
sowie Stevie (Malcolm Henry, r.),
aus der Außenseiterrolle, indem er die Klasse anweist,
Jess (Celina dos Santos, 2.v.r.)
nach Schulende die Freizeit gemeinsam zu verbringen. Fotos (4): Reinhard Winkler
Abends hängen Stevie, James, Jess und Robert auf
einer Baustelle ab, erfüllen den Befehl von Ron, indem
sie sich gegenseitig von ihren Geheimnissen erzählen,
die Jess, mit dem Handy filmend, protokolliert. Robert
wird von der Gruppe akzeptiert. Dadurch lebt er auf,
bekommt Selbstvertrauen und entwickelt sich zu dem
eifrigsten Anhänger Rons.
Nur die Klassenbeste Ella beteiligt sich nicht an
den Aktionen, sondern wundert sich, wie schnell die
Klasse Rons Anweisungen folgt, ohne deren Sinn zu
hinterfragen. Selbst Ron ist verblüfft, wie einfach er die
Schülerinnen und Schüler dazu veranlassen kann, ihm
zu gehorchen. ›Das Experiment‹ spielt mit Kontrolle
7

Abb. unten von oben links:
1. James (Samuel Bertz) flirtet mit
Ella (Hanna Kastner)
2. Die Schüler (v.l.: Alexander
Findewirth, Lukas Sandmann, Lena
Poppe, Kathrin Schreier, Celina dos
Santos, Caroline Juliana Hat, Paolo
Möller, Alexander Rapp, Malcolm
Henry) adaptieren die Symbolik der
Nationalsozialisten
3. Jess (Celina dos Santos, l.) und
Stevie (Malcolm Henry, r.) quälen
Robert (Lukas Sandmann, Mitte)
4. Stevie (Malcolm Henry) ist
begeisterter Basketballspieler
Fotos (4): Reinhard Winkler
8 blickpunkt musical 02/2021
Topthema
und Macht. Ron betont: »Geschichte wiederholt sich
nur, wenn keiner was dagegen tut.« Er möchte mit dem
Experiment der Klasse ermöglichen, die Mechanismen
des Nationalsozialismus zu hinterfragen.
Als Ella die Inhalte der Bewegung »Die Welle« hin-
terfragt, wird sie von Ron mit dem Einverständnis der
Mitschüler endgültig vom Unterricht beurlaubt, was
sie nur in ihrer Haltung bestärkt (›Gut‹). Ron schwört
die Jugendlichen mit den Losungen »Kraft durch Dis-
ziplin«, »Kraft durch Zusammenhalt«, »Kraft durch
Taten« auf sich als Führer ein: ›Stück für Stück alles
neu‹. Außerdem veranlasst er die Jugendlichen, die
Baustelle, die ihnen als Treffpunkt dient, aufzuräumen
und errichtet im Kassenzimmer ein Totem mit Gegen-
ständen, die ihnen wichtig sind.
Dadurch, dass Jess und Robert an die Schülerinnen
und Schüler anderer Klassen Mitgliedsanträge für »Die
Welle« verteilen und das Belohnungssystem anpreisen,
verbreitet sich das Experiment rasch in der Schule. Die
Bewegung entwickelt eine unheimliche Eigendyna-
mik. Trotz der Einwände besorgter Eltern einzelner
Kinder beendet Ron das Experiment nicht. Nicht nur
hier unterstreicht der Rhythmus der vorwärtstreiben-
den Musik perfekt die Dynamik der Situation. Das
blaue Licht macht die Kälte, die diese Gemeinschaft
ausstrahlt, spürbar.
Ron lässt sich von den vielen Mitgliedern der
»Welle« als Führer feiern. Er genießt seine Macht.
Zudem greift er die Ideen seiner Anhänger auf, eine
Hymne zu schreiben, einen einheitlichen Gruß und
eine Uniform zu entwickeln. Dabei adaptieren sie die
Symbolik der Nationalsozialisten (›Gebote‹). Zugleich
animiert der »Führer« die Jugendlichen dazu, sich
gegenseitig zu bespitzeln, Gegner der neuen Bewegung
ausfindig zu machen. Dabei wird Robert von Ron mit
großen Machtbefugnissen ausgestattet (›Initiation‹).
Als die Anhänger Ella anpöbeln, stellt sie Ron zur
Rede, mahnt ihn, das Spiel zu beenden. Sie findet es
sehr bedenklich, dass der Lehrer die Mitglieder des
Experiments schamlos anlügt, sich als Führer feiern
lässt. Robert sieht in Ella eine Bedrohung der neuen
Organisation. Er stiftet die anderen an, Ella zu bestra-
fen (›Auserwählt‹). Gemeinsam überfallen sie die junge
Frau. Robert meldet Ron, dass die Gruppe auf ihre Art
die Angelegenheit mit Ella geregelt hat. Jetzt ermahnt
auch James den Lehrer etwas zu tun. Ron versucht, das
Experiment gegen den Willen seiner Anhänger zu be-
enden. Als das nicht so einfach gelingt, plant er, den
Charakter seines Experiments bei einem Meeting in
der Aula zu entlarven. James steigt enttäuscht aus der
Bewegung aus, hilft Ella dabei, auf der ›Kundgebung‹
als »Wellenbrecher« aufzutreten.
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Abb. unten von oben:
1. Ron (Christian Fröhlich, l.) übt mit
der Klasse (Ensemble) Disziplin
2. Robert (Lukas Sandmann) leidet
unter seinem Versagen
3. Jess (Celina dos Santos) will
von ihren Mitschülern anerkannt
werden
Fotos (3): Reinhard Winkler
10
Topthema
In der Aula erklärt Ron den versammelten Schü-
lerinnen und Schülern, dass sie Versuchskaninchen in
seinem Experiment waren, das er inzwischen als idio-
tische Idee ansieht, da sich das Experiment verselbst-
ständigt hat. Er konfrontiert sie mit ihrem »profaschis-
tischen Führergehorsam«. Mit dieser Offenbarung
kommt Robert nicht klar. Für ihn bricht eine Welt
zusammen, er bedroht den Lehrer mit einer Pistole.
Mutig gelingt es Ella, die sich in der Nachfolge von
Freiheitskämpfern sieht, Robert vom Amoklauf abzu-
halten (›Gedanken Raum‹).
In dem insgesamt gesanglich und schauspielerisch
überzeugenden Musical-Ensemble sticht Lukas Sand-
manns Robert mit seiner Verwandlung vom Außen-
seiter zum militanten Anhänger seines Gurus heraus.
Celina dos Santos spielt die toughe, in der Tiefe sensible
Jess. Die Rolle passt auch sehr schön zu ihrer kräftigen
Stimme. Hanna Kastner verkörpert Ella, deren Lektüre
sie davor schützt, kritiklos dem Experiment zu folgen,
die aber auch erkennen muss, dass sie selbst Vorurteile
hat. Christian Fröhlich spielt mit Bühnenpräsenz und
Charme den von seiner Mission überzeugten Lehrer, der
die Gefahren seines Experiments verkennt.
Christoph Drewitz inszenierte das dialoglastige
Musical schnörkellos, einprägsam und lebendig. Das
Musical thematisiert aktuelle politische, gesellschaftli-
che sowie historische Themen. Zugleich werden in den
Nebenhandlungen brisante Themen, wie Mobbing,
Zivilcourage und die Bedeutung der Zugehörigkeit
von Jugendlichen zu einer Gruppe Gleichaltriger auf-
gegriffen.
Die Uraufführung des Musicals »The Wave (Die
Welle)« fand, bedingt durch die CoronaPandemie, am
20. März 2021 auf der Netzbühne im Internet statt.
Dafür wurde die Produktion am 5. November 2020
aufgezeichnet. Die Kamera zeigt oft Großaufnahmen
der Darstellerinnen und Darsteller, so kann man sehr
gut das intensive Schauspiel und die Mimik beob-
achten. Dadurch wird man am Bildschirm von den
Darstellern der Rollen in den Bann gezogen. Einziger
Nachteil der Filmaufnahmen ist, dass nicht die gesamte
Bühne überschaut werden kann. Hoffentlich werden
die Theater bald wieder geöffnet, damit man die emp-
fehlenswerte Inszenierung live auf der Bühne des Lan-
destheaters Linz erleben kann.
Martina Friedrich & Barbara Kern
blickpunkt musical 02/2021
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 Einblick
Ostern 2021 »Passion 2:1« die Filmfassung
online und im Fernsehen Premiere 2. April 2021
Abb. oben:
Michael Grimm (Mitte) als Hohe-
priester mit dem Drehteam
A m 11. Februar 2021 fand online die Pressekonfe-
renz zum Thema »Passion 2:1« im Festspielhaus
Neuschwanstein in Füssen statt. Seit März 2020 ist
Foto: Susen Bolz
die Spielstätte geschlossen. Doch, dank öffentlicher
Hand und der erhaltenen Corona-Hilfen, würde das
Haus – laut Theaterleiter Benjamin Sahler – auch noch
einige Monate Lockdown mehr überleben. Dazu bei-
getragen hätte auch das solidarische Verhalten der Fans
des Theaters, die weithin Gutscheine oder neue Ter-
mine akzeptiert hatten. Dennoch musste die geplante
Aufführungsreihe »Passion 20:21«, die vom 11. bis 28.
März gezeigt werden sollte, auf Ostern 2022 verscho-
ben werden, da das Haus bis auf Weiteres geschlossen
bleibt. Die Tickets behalten für den Zeitraum vom
7. bis 14. April 2022 ihre Gültigkeit.
Der Spielplan für April stände und – laut Sahler –
wären alle Beteiligten spielbereit, sobald es erlaubt
wäre. Auch mit einer Einschränkung auf 500 erlaubte
Plätze könnte man starten. Für realistisch hielt er eher
den Juni, mittlerweile musste jedoch auch die Urauf-
führung des Ralph-Siegel-Musicals »Zeppelin« auf den
16. Oktober verschoben werden.
Der norwegische Initiator und Produzent Yngvar
Aaarseth hat gemeinsam mit den Autoren Manfred
Schweigkofler (Idee, Text und Regie), David Hüger
und Florian Lüttich (alte und neue Musik sowie Klang-
bilder, »Apollo 21«) eine konzentrierte Filmfassung des
multimedialen Osterdramas entwickelt, die den Titel
»Passion 2:1« trägt. Diese wurde am 2. April (Kar-
freitag) 2021 online als Stream über YouTube und im
Laufe des Osterwochenendes über mehrere Fernseh-
plattformen, die mit dem Projekt kooperierten (Bibel
TV, Allgäu TV u. a.), veröffentlicht. Mit dem 45-mi-
12
nütigen Film sollte auf die 75-minütige Bühnenfassung
neugierig gemacht und zugleich – ausgehend von dem
epischen Passionsspiel – ein hoffnungsvoller Blick auf
die Zukunft geworfen werden. Ostern in der Pande-
mie erlebbar zu machen war das Ziel dieser Mischung
aus Film und Theater. Komponist Hüger fasste es in
Worte: »Kultur muss trotz und mit Corona stattfinden.
Es bringt nichts, sich zu beschweren, dass gar nichts
mehr geht. Als Künstler muss man die Herausforde-
rung nutzen und etwas Neues schaffen.«
Wie aus der Bühnenfassung der Film wurde und
was beide unterscheidet
Autor und Regisseur Manfred Schweigkofler sieht
den Film bereits in der Theaterfassung angelegt. Als
2018 alles begann, wollte man Filmmusik mit Live-
Schauspiel, Bewegung, Licht und Videomapping
(Video-Art-Design: Christoph Grigoletti) zu einem
Live-Erlebnis im Raum verbinden. Dabei sollte ein
Schauspieler allein auf der Bühne des Festspielhaus‘
in einem spektakulären Ambiente agieren, eingebun-
den in die großflächige Projektionen und die Musik.
Da das ganze Projekt filmisch angelegt wurde, bis hin
zu Hügers und Lüttichs Kompositionen, die sehr in-
tensiv auf Klangmuster aufgebaut wurden, bedeutete
die Entwicklung des Films ein logisches Weiterden-
ken. Die andere Erzählweise führte allerdings dazu,
dass die Tanz- bzw. Bewegungsszenen für den Film
gestrichen wurden. Laut Schweigkofler würden diese
im Film nicht wirken. Texte wurden dagegen nicht
gekürzt und alle fünf Hauptprotagonisten blieben –
in etwas geänderter Besetzung – erhalten: Hohepries-
ter (Michael Grimm), Maria Magdalena (Valentina
blickpunkt musical 02/2021

Schatzer), Judas (Christopher Brose), Petrus (Christian
Schöne) und Pilatus (Stephan Lewetz). Außerdem
traten noch zwei Journalistinnen auf: Vera Horn und
Nina Treiber. Die Darsteller, die auf der großen Büh-
ne ihre eigene, persönliche Geschichte zum Ausdruck
bringen sollten, erzählten diese nun der Kamera.
Durch ihren Blickwinkel auf die Passion wurde Jesus
lebendig, der selbst nicht auftrat, aber um den alles
kreiste.
Statt des Live-Videomapping wurde für die
Interaktion im Raum die technische Entwicklung
der virtuellen Realität genutzt. Unterstützt wur-
den die Autoren durch ein junges Filmteam, das zu
Weihnachten 2020 ein Event in Karlsruhe verfilmt
hatte: »Weihnachten neu erleben«, Samuel Wurster
und Benjamin Krech (BENCH). Durch die Notch-
Technologie gelang es, Szenen aufzubauen, die real
erschienen. Der Schauspieler spielte auf der Bühne
vor einem Blue- oder Greenscreen, bekam aber in
Echtzeit ein 3D-Ambiente eingeblendet. Wenn zum
Beispiel Petrus Jesus verleugnet, hüpft ein Hahn um
ihn herum, aber dieser ist nicht echt, sondern virtuelle
Realität, mit der der Darsteller agiert. So entstand ein
Hybrid aus Theater und Film.
Bei aller Technik geht es den Machern um die Ge-
fühle der Figuren. Beispielsweise, wenn Maria Magda-
lena im virtuellen Wüstensand sitzt und sich erinnert,
wie es sich angefühlt hat, als die Männer um sie
blickpunkt musical 02/2021
Einblick
herumstanden. Wie sie darauf gewartet hat, dass ein Abb. unten von oben links:
Stein sie trifft, bevor sie von Jesus gesehen wird. Et- 1. Christopher Brose als Judas und
was davon wird auch in dem Trailer zu »Passion 2:1« Christian Schöne als Petrus beim
Filmdreh
erlebbar, wenn Pontius Pilatus zunächst belehrend
2. Stephan Lewetz als Pilatus wäh-
erklärt, dass es sich nicht gut machen würde, wenn rend des Filmdrehs
man sich »König der Juden« nennt, da Caesar auf an- 3. Valentina Schatzer als Maria
dere Könige neben ihm allergisch reagieren würde. Im Magdalena bei den Proben
Laufe der Szene versucht er vergeblich, »den religiösen 4. Die Filmcrew beim Dreh mit
Christopher Brose (l.)
Spinner« zu retten. Der Trailer wurde in Stuttgart Fotos (4): Susen Bolz
gefilmt. Doch die Säulen könnten in ein 3D-Modell
verwandelt in Füssen zum Einsatz kommen.
Ziel bleibt es, im Film wie in der Bühnenfassung
auch, den Menschen und seine individuelle emotionale
Geschichte in den Vordergrund zu stellen. Zudem soll
auch im Film bewusst das Theater und das Videomap-
ping gezeigt werden, um sich vorstellen zu können, was
ab 2022 auf der Bühne entstehen wird. Yngvar Aarseth
strebt an, sein multimediales Live-Passionsspiel jedes
Ostern in Füssen aufzuführen.
Um den Film zu refinanzieren, fand auf start-
next ein Crowdfunding (Finanzierungszeitraum
bis 11.04.21) statt. Es sollten mindestens 12.000,
idealerweise bis zu 150.000 € generiert werden. Am 11.
April endete das Projekt mit einer Summe in Höhe von
32.408 €. Auf startnext finden sich auch alle Informa-
tionen über die Beteiligten des Projekts und was mit
dem Geld geschieht.
Barbara Kern
13

Der »Trouble in Tahiti« ist näher, als man denkt
Video-on-Demand-Premiere in Osnabrück
Abb. oben:
Räumliche Trennung, doch auch
die Gefühle sind voneinander
getrennt – Dinah ( Susann
Vent-Wunderlich, 2.v.l.), Sam
(Jan Friedrich Eggers, 2.v.r.) und
Jazz-Trio (v.l.: Mario Lee, Erika
Simons, Mark Hamman)
Foto: Jörg Landsberg
Trouble in Tahiti
Leonard Bernstein
In englischer Sprache
Theater Osnabrück
Video on demand
Online-Premiere: 20. Februar 2021
Regie ...................... Guillermo Amaya
Musikalische Leit. ....... An-Hoon Song
Bühnenbild .......................... Jörg Zysik
Kostüme .................... Nathalie Himpel
Dinah ........... Susann Vent-Wunderlich
Sam ..................... Jan Friedrich Eggers
Jazz-Trio ......................... Erika Simons,
Mark Hamman, Mario Lee
14
Musicals in Deutschland
M an kann etwas verwirrt sein, wenn man hier
einen Text über eine Premiere von »Trouble in
Tahiti« liest, denn eigentlich gibt es dieses Werk so
nicht mehr wirklich. Dieser Einakter von Leonard
Bernstein über Dinah und Sam ist nämlich von ihm
selbst in eine andere eigene Arbeit integriert worden.
›»A Quiet Place« ist eine Oper, die sehr viele hefti-
ge, negative Kritiken bekommen hat und daraufhin
überarbeitet wurde. Auch hier heißen die Hauptfigu-
ren Dinah und Sam, und da lag es auf der Hand, dass
»Trouble in Tahiti« benutzt und als ein Rückblick
eingefügt wurde.
Das in einem einzigen Akt gespielte Bühnenstück,
knapp eine Stunde lang, durchkomponiert mit sehr
klassischen Gesangsstimmen, erinnert musikalisch
stark an Bernsteins berühmtes Werk »Candide« und
hatte 1952 seine Uraufführung an der Brandeis Univer-
sity in Waltham, Massachusetts, USA, an der Leonard
Bernstein zu dieser Zeit auch als Professor für moderne
Musik, Oper und Komposition tätig war. Das Theater
Osnabrück zeigt das Stück in englischer Sprache.
Spielort ist ein amerikanischer Vorort der frühen
1950er Jahre und nicht Tahiti. Gezeigt wird ein Tag
im Leben von Dinah und Sam. Sie sind verheiratet
und haben ein gemeinsames Kind. Dazu gesellt sich
ein Jazz-Trio, das durch seinen Gesang die Geschichte
erzählt und weiterführt.
Das Zusammenleben der Beiden stellt sich als
schwierig heraus. Morgens noch begrüßen sie sich
freundlich zum Frühstück, doch je mehr sie mitein-
ander reden, desto weiter artet es über eine Diskussion
in Streit aus. Dinah versucht ihre Probleme mit Sam
in Gesprächen bei einem Psychiater zu kompensieren,
doch die Konsultationen häufen sich und machen
Dinah eher kränker, als dass sie helfen. Außerdem ent-
flieht sie der Welt in ihr so sehr geliebtes Kino.
Sam hingegen lässt die negativen Schwingungen
einfach zu Hause und fährt nur zu gern ins Büro zum
Arbeiten. Abends bekommt er dann in seinem Sport-
klub die Anerkennung, die er braucht, da er dort wie
ein Held gefeiert wird.
Eines Tages sind beide der Streitereien überdrüs-
sig und beschließen abends, wenn Sam nach Hause
kommt, ein normales Gespräch unter Erwachsenen zu
führen. Doch daraus wird wie erwartet nichts. Er be-
endet das erneute Streitgespräch, indem er Dinah ins
Kino einlädt, denn ein neuer Film ist raus: »Trouble in
Tahiti«. Allerdings kennt Dinah diesen schon, da sie
ihn an demselben Tag schon zweimal gesehen hat.
In Osnabrück wird dieses Stück nun online präsen-
tiert. Für einen Abend wieder Theaterluft schnuppern,
wenn auch nur visuell: mit Susann Vent-Wunderlich
als Dinah und Jan Friedrich Eggers als Sam. Das Jazz-
Trio wird von Mark Hamman, Mario Lee und Erika
Simons dargestellt.
Susann Vent-Wunderlich überzeugt als Dinah
nachhaltig mit ihrer warmen, klassischen Stimme. Sie
gibt der Figur dadurch einen authentischen Charakter
und hinterlässt beim Zuhörer in so mancher gesang-
lichen Passage Gänsehaut. Jan Friedrich Eggers hinge-
gen überspitzt teilweise sein Spiel und seinen Gesang,
sodass seine Figur unauthentisch, manchmal schon
fast plakativ scheint. So wie das Jazz-Trio – es zeigt
das, was sie singen und das durchgehend. Diese Art
der Darstellung erinnert doch sehr stark an einen Kin-
dergartentanz. Dann lieber nur von links nach rechts
schaukeln und schnippen, das hätte etwas mehr Jazz
rübergebracht. Auch gesanglich kann das Trio nicht
das nötige Jazz-Feeling erzeugen.
Das Bühnenbild ist minimalistisch angelegt, mit
einer Wand, die die Eheleute räumlich trennt und drei
Boxen, nach vorne geöffnet, in der jeweils ein Jazz-
blickpunkt musical 02/2021

Trio-Mitglied steht. Dieser Abstand ist natürlich der
derzeitigen Situation geschuldet und trotzdem verliert
das Zusammenspiel von Dinah und Sam an nichts.
Auf der hinteren Hälfte der Bühne kann man das
Orchester unter der Leitung von An-Hoon Song, eben-
so mit Abstand zueinander, sitzen sehen. Leicht und
locker klingt die Musik aus der Ferne.
Auch sonst ist der Ton sehr gut ausgesteuert.
Gesang und Musik stehen sich gleichwertig gegenüber
und mit der richtigen häuslichen Anlage fühlt man
sich fast wie vor Ort im Theater. Woran die Künstle-
rinnen und Künstler, die normalerweise an das große
Spielen auf einer Theaterbühne gewöhnt sind, noch et-
was arbeiten müssen, ist, sich an das Kameraspiel und
die damit einhergehenden Close-ups anzupassen. Es
blickpunkt musical 02/2021
Musicals in Deutschland
wirkt alles etwas übertrieben, da Gefühle viel schnel-
ler an den Zuschauer übertragen werden und durch
kleinste Nuancen der Gestik schneller sichtbar sind.
Man muss nicht über einen Orchestergraben bis in die
letzte Reihe spielen. Auch das Bühnen-Make-up sollte
hier angepasst werden.
Trotzdem hat sich diese knappe Stunde Online-
Theaterluft sehr gelohnt. Eine wichtige und richtige
Alternative neben den Wohnzimmerkonzerten ein-
zelner Darstellerinnen und Darsteller, eine komplette
Show zu zeigen, wenn es die Gegebenheiten vor Ort
zulassen. Doch diese Aufführung lohnt sich wirklich
anzuschauen, neben den unzähligen »The Last Five
Years«, die einem zurzeit unentwegt entgegen-schwappen.
Vincent Kleen
Abb. unten von oben links:
1. Dinah (Susann Vent-Wunderlich)
wird durch ihre zahllosen Psychia-
terstunden nur noch verrückter
2. Sam (Jan Friedrich Eggers) sehnt
sich nach Anerkennung, doch nicht
von seiner Frau
3. Dinah (Susann Vent-Wunderlich)
war zweimal an einem Tag im Kino
4. Im Klub ist Sam (Jan Friedrich
Eggers, r.) ein Held
Fotos (4): Jörg Landsberg
15

Eine himmlische Musicalkomödie aus München
»Non(n)sens« im Staatstheater am Gärtnerplatz
Abb. oben:
Die Ensemblenummern sind be-
sonders gelungen: (v.l.): Schwester
Maria Amnesia (Julia Sturzlbaum),
Schwester Maria Hubert (Tracey
Adele Cooper), Schwester Maria
Leo (Frances Lucey), Schwester
Robert Anne (Florine Schnitzel)
Foto: Marie-Laure Briane
Non(n)sens
Dan Goggin
Deutsch von Markus Weber &
Thomas Woitkewitsch
Überarbeitete Neufassung von
Benjamin Baumann
Live & On Demand
Staatstheater am Gärtnerplatz
München
Premiere: 31. März 2021
Regie ..................... Josef E. Köpplinger
Musik. Leitung ........... Andreas Partilla
Choreographie ............ Ricarda Regina
Ludigkeit
Ausstattung......... Judith Leikauf & Karl
Fehringer
Licht .. ............................ Peter Hörtner
Mutter Oberin ......... Dagmar Hellberg
Schwester
Maria Hubert ..... Tracey Adele Cooper
Schwester
Robert Anne ............. Florine Schnitzel
Schwester
Maria Amnesia .......... Julia Sturzlbaum
Schwester Maria Leo ..... Frances Lucey
16
Musicals in Deutschland
N ormalerweise hätten einige Theater im deutsch-
sprachigen Raum über Ostern den Andrew-
Lloyd-Webber-Klassiker »Jesus Christ Superstar« ge-
zeigt, allerdings war das aufgrund der Pandemie nicht
möglich. Trotzdem ist das Münchner Staatstheater
am Gärtnerplatz der Thematik indirekt treu geblieben
und präsentierte die Musicalkomödie »Non(n)sens« als
Livestream und Video on demand.
Das Stück von Dan Goggin (Musik, Buch und
Liedtexte) wurde am 12. Dezember 1985 am Cherry
Lane Theatre in New York uraufgeführt und lief dort
9 Jahre lang en suite. Die deutsche Erstaufführung er-
folgte im Jahre 1989 in den Kammerspielen Düssel-
dorf. Bis heute wurde das Stück in 26 Sprachen über-
setzt.
Für diese Produktion wurde die deutsche Überset-
zung von Markus Weber und Thomas Woitkewitsch
in einer überarbeiteten Neufassung von Benjamin Bau-
mann, genutzt.
Mehrere Nonnen eines Klosters sind nach einer
Lebensmittelvergiftung verstorben, nun brauchen die
Verbliebenen Geld, um ihre Ordensschwestern be-
graben zu können. Deshalb veranstalten sie eine Be-
nefizveranstaltung, mit der das Stück beginnt. Die
Nonnen haben ihre Ordensschwestern, die noch nicht
begraben werden konnten, im Tiefkühlschrank ver-
steckt und geraten in Panik, als ein Anruf der Gesund-
heitsbehörde kommt. Am Ende stellt sich heraus, dass
Schwester Maria Amnesia, die Gedächtnislücken hat,
eigentlich Schwester Maria Paul heißt und bei einem
Prozess gegen die GEMA viel Geld erstritten hat. Da-
mit sind die finanziellen Probleme des Ordens gelöst
und die Ordensfrauen können begraben werden. Im
Laufe des Stücks, also eigentlich im Laufe der Bene-
fizveranstaltung, können die fünf Nonnen Bühnen-
luft schnuppern und ihre Talente unter Beweis stel-
len. Allerdings singen sie fast mehr zum Publikum
als zueinander. Das liegt daran, dass sie sich auf einer
Benefizveranstaltung befinden, aber mehr Dialoge
wären eine Bereicherung gewesen und hätten die
Handlung etwas verständnisvoller gemacht.
Das Stück wirkt dadurch etwas kabarettistisch, was
anfangs gewöhnungsbedürftig ist, aber dennoch, trotz
Schwächen im Buch, funktioniert. Es ist nur schade,
dass die Geschichte mit der Lebensmittelvergiftung
zu Beginn des Stücks bereits passiert ist und sie qua-
si nur nacherzählt wird. Es wäre bestimmt interes-
santer gewesen, wenn man das irgendwie verarbeitet
hätte. Allerdings ist es so, dass Dan Goggin eine große
Anzahl Lieder geschrieben hatte, welche zunächst in
Kabarettshows verwendet wurden, bevor er daraus ein
ganzes Musical formte. Leider wirkt es auch genauso.
Es wäre möglich, dass durch die deutsche Übersetzung
einiges an Witz verloren gegangen ist, trotzdem ist
verständlich, dass man so eine Produktion in deut-
scher Sprache aufführt, schließlich würden sich sonst
viele Zuschauer ausgeschlossen fühlen. Was hingegen
in dieser Fassung besonders gut funktioniert sind die
hausbezogenen Verweise, wie etwa, dass die Benefiz-
veranstaltung im Staatstheater am Gärtnerplatz statt-
findet und Bruder Josef (Anspielung auf Intendant und
Regisseur Josef E. Köpplinger) dafür seine Räumlich-
keiten zur Verfügung gestellt hat. Beim Anruf der Ge-
sundheitsbehörde, wird auch mit den Worten »Nonn-
sens Vorstellung Gärtnerplatz« geantwortet. Das ist
schon humorvoll und funktioniert durchaus.
In die Rolle der Mutter Oberin schlüpft Dagmar
Hellberg. Sie begeistert mit starker Bühnenpräsenz, kla-
rer Gesangsstimme und zeigt sich, vor allem im ersten
Akt, quasi als Erzählerin des Stücks, was wunderbar
passt. Als Schwester Maria Hubert ist die Amerikanerin
Tracey Adele Cooper zu sehen, die speziell im zweiten
Akt mit ihrer ausdrucksstarken Stimme begeistert. In
die Rolle der zunächst schüchtern wirkenden Schwester
blickpunkt musical 02/2021

Robert Anne schlüpft ein Neuzugang ins Staatsthea-
ter am Gärtnerplatz: Florine Schnitzel. Sie präsentiert
ihre schöne Sopranstimme. Genauso gelingt es Neu-
zugang Julia Sturzlbaum als Schwester Maria Amnesia
mit Sympathie und viel Energie sowohl stimmlich als
auch schauspielerisch zu punkten. Des Weiteren hat die
junge Darstellerin eine weitere Hürde zu meistern, denn
im ersten Akt muss sie auch ihr Können als Puppen-
spielerin unter Beweis stellen. Das macht sie problemlos
und kann hervorragend zwischen den beiden Positionen
wechseln und das mit einer guten Portion Humor. Als
Schwester Maria Leo erfreut die Irin Frances Lucey mit
schöner Sopranstimme das Publikum und begeistert
speziell in der Nummer, in der sie von ihrem unerfüllten
Traum Ballerina zu werden erzählt.
Die Ausstattung stammt von Judith Leikauf und
Karl Fehringer, die für diese Produktion eine himm-
lische discoartige Bühnenwelt kreiert haben, die ein
wenig an das Musical »Sister Act« erinnert, auch wenn
selbstverständlich dieses Stück um einiges älter ist.
Neben Discolichtern sind hier Engel und ein eher alt-
modischer Schriftzug mit »Halleluja« zu sehen. Die
Ausstattung ist auch nicht allzu üppig, aber mehr be-
nötigt dieses Stück eigentlich auch nicht.
blickpunkt musical 02/2021
Musicals in Deutschland
Für diese Produktion konnte eine langjährige Cho- Abb. unten von oben links:
reographin des Hausherrn gewonnen werden: Ricarda 1. Schwester Maria Amnesia (Julia
Regina Ludigkeit, die Choreographien geschaffen hat, Sturzlbaum) beweist ihr komödianti-
sches Talent
die sich ideal für diese schwungvollen Klängen anbie-
2. Sehr ausdrucksstark: Schwester
ten. Vieles davon hat man bereits gesehen, aber den- Robert Anne (Florine Schnitzel)
noch funktionieren sie. 3. Stimmgewaltig: Dagmar Hellberg
Unter der musikalischen Leitung von Andreas als Mutter Oberin
Partilla spielen 6 Musiker aus dem hauseigenen Or- 4. Schwester Maria Leo (Frances
Lucey) möchte insgeheim Ballerina
chester: Matej Varga (Kontrabass), Hannes Oblasser
werden
(Trompete), Andreas Oblasser (Posaune), Markus Fotos (4): Marie-Laure Briane
Steiner (Drums), Anke Schwabe (Keyboard) sowie
Partilla persönlich am Klavier. Es gelingt ihnen, den
beschwingten Sound hervorragend zu spielen, sodass es
ein echter Hörgenuss wird, speziell bei den Ensemble-
nummern. Hausherr Josef E. Köpplinger, der bekannt-
lich in allen Sparten (Oper, Operette, Musical und
Schauspiel) zuhause ist, zeigt wieder einmal, dass er für
musikalische Komödien und das perfekte Timing ein
gutes Händchen hat.
Trotz Pandemie und der sehr schwierigen Lage ist
es dem Staatstheater am Gärtnerplatz gelungen, eine
erfrischende Produktion auf die Bühne zu bringen, die
man hoffentlich bald auch vor Ort erleben wird.
Ludovico Lucchesi Palli
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Neues aus der Welt des Musicals
zusammengestellt von Barbara Kern und Sandy Kolbuch
Szenenmotiv aus dem Workshop zu
»Ku‘damm 56 – Das Musical«
Foto: Stage Entertainment / Jordana Schramm
Uraufführung von »Ku‘damm 56 – Das
Musical« Winter 2021
Mit einjähriger Verspätung gelingt der TV-Serie
der Sprung auf die Musicalbühne. Bereits am
13. Dezember 2020 sollte »Ku‘damm 56 – Das
Musical« Uraufführung am Theater des Westens
feiern. Die Corona-Pandemie und die darauf
basierenden Schließungen der Theaterhäuser
verhinderten jedoch, dass die Geschichte der
Tanzschulinhaberin Catherina Schöllack und
ihrer 3 Töchter, bekannt aus der ZDF-Serie
»Ku‘damm 56«, auf der Bühne erzählt wer-
den konnte. Bereits 2016 lief die erste Staffel
im ZDF und wurde 2018 mit »Ku‘damm 59«,
dem 2021 »Ku‘damm 63« folgte, fortgesetzt.
Zwischen Wirtschaftswunder und Rebellion,
Unterdrückung und Emanzipation verfolgte die
Serie die Schicksale der vier Frauen der Familie
Schöllack und begeisterte damit über Generatio-
nen hinweg: Nicht nur jene, die die 50er erlebt
haben, sondern auch deren Kinder und Enkel-
kinder zeigten sich fasziniert von der UFA-Serie,
die bis heute zu den erfolgreichsten deutschen
Produktionen im Streamingbereich zählt.
In Zusammenarbeit von Annette Hess, mehr-
fache Grimme Preisträgerin und Autorin der
Geschichte, und dem »Rosenstolz«-Songschrei-
berteam Peter Plate und Ulf Leo Sommer so-
wie Max Raabe und Sarah Connor, entstand
die Bühnenversion von »Ku‘damm 56 – Das
Musical«.
Über ein Jahr lang hatte das Kreativteam im
regen Austausch die Szenen, die Dialoge und
die Musik für die Bühnenfassung der univer-
sellen Geschichten über Frauen erschaffen. Für
das Stück konnten Regisseur Christoph Dre-
18
blickpunkt musical
witz (»Die fabelhafte Welt der Amélie« »Fack ju
Göhte«) und Choreograph Adam Murray (»Ro-
cketman«) gewonnen werden. Die Hauptrollen
Monika und Freddy werden Sandra Leitner
(»Die fabelhafte Welt der Amélie«) und David
Jakobs (»Der Glöckner von Notre Dame«) ein-
nehmen. Mit der geballten Power der Musiker,
Künstler und Kreativen wird das Musical mit
Lust und Leidenschaft und ein bisschen Glück
ab November diesen Jahres im Theater des Wes-
tens Premiere feiern.
Pünktlich zur Ausstrahlung der 3. Staffel
»Ku‘damm 63« im ZDF ist am 22. März 2021
der Vorverkauf für das Musical gestartet.
70. Bad Hersfelder Festspiele
Während u. a. Magdeburg und Tecklenburg
ihre Open-Air-Veranstaltungen abgesagt haben,
halten die Bad Hersfelder Festspiele tapfer an
der Eröffnung der 70. Festspiele fest, auch wenn
diese nun auf den 1. Juli verschoben wurden.
Ursprünglich war die Premiere von »Der Club
der toten Dichter« für den 25. Juni angesetzt.
Die Spielzeit erstreckt sich bis zum 8. August.
Die Open-Air-Premiere des Musicals »Goethe!«,
nach dem gleichnamigen Film von Philipp
Stölzl, ist am 3. Juli geplant. Die Musik schrieb
Martin Lingnau, Gil Mehmert, der auch Regie
führen wird, das Buch und Frank Ramond die
Liedtexte. Die musikalische Leitung übernimmt
Christoph Wohlleben.
Das Musical erlebte 2017 eine erste Tryout-Pro-
duktion an der Folkwang Universität in Essen,
die bereits das Potential des Stücks zeigte. Im
Mittelpunkt stehen die Sturm-und-Drang-Jahre
von Johann Wolfgang von Goethe, der gegen
den Willen des Vaters Dichter werden möchte.
Der Vater zwingt ihn zum Jurastudium, doch
er fällt durch die Prüfung. Am Reichkammer-
gericht Wetzlar sortiert er bald nur noch Akten,
weil seine Mitschriften der Zeugenaussagen zu
poetisch sind. Auf einem Ball verliebt er sich
in Charlotte (Lotte) Buff, die sich als älteste
Schwester um acht Kinder kümmern muss,
nachdem die Mutter gestorben ist. Als er seinem
Vorgesetzten zu einem romantischen Heiratsan-
trag verhilft, ahnt er nicht, dass dieser um Lottes
Hand anhalten will. Jene muss aus finanziellen
Gründen den Antrag Kestners annehmen. Nach
einem fingierten Duell der Rivalen muss Goe-
the ins Gefängnis. In der Zelle schreibt er eine
Liebesgeschichte und schickt sie an Lotte. Seine
Novelle »Die Leiden des jungen Werther« wird
ein Bestseller und begründet seine Schriftsteller-
karriere.
Intendant Joern Hinkel und die kaufmännische
Leiterin Andrea Jung gehen fest davon aus, dass
sich die Lage durch Impfungen, Testangebote
und den achtsamen Umgang miteinander in
den nächsten Wochen entspannen und im Juli
die Rückkehr zum Theater, vor allem auch zum
Theater unter freiem Himmel in der herrlichen
Bad Hersfelder Stiftsruine, wieder möglich sein
wird. Getreu dem Motto des Eröffnungsstücks –
Carpe diem – gewinnen die Festspiele durch die
Verschiebung wertvolle Zeit, denn man erhofft
sich, dass bis Ende Juni viel mehr Menschen ge-
impft sein werden und ab Juli mit Impfausweis
und aktuellem Negativtest der Eintritt zu Ver-
anstaltungen wieder erlaubt sein wird.
Die Festspielleitung bittet um Verständnis dafür,
dass zurzeit noch nicht alle organisatorischen
Fragen, die mit der Verschiebung verbunden
sind, geklärt werden können. Versprochen wird,
»jeden betroffenen Kunden an[zu]schreiben und
[...] für gute individuelle Lösungen [zu] sorgen.«
theaternetzwerk.digital
Ausgehend von einem Engagement der Dort-
munder Akademie für Theater und Digitalität
sowie des Staatstheaters Augsburg haben sich
15 Theater im deutschsprachigen Raum (Stadt-
und Staatstheater, aber auch Privattheater aus
Deutschland, Österreich und der Schweiz) zu-
sammengetan und das theaternetzwerk.digital
gegründet. Ziel des Netzwerkes ist es, Wissen
und Erfahrungen im Bereich Digitaltheater und
Theaterdigitalisierung auszutauschen.
»Bereits vor der Pandemie hat sich nicht nur die
Wirtschaft, sondern die ganze Welt in einem
gewaltigen Transformationsprozess befunden.
Auch innerhalb von Kunst und Kultur entschei-
det eine erfolgreiche Digitalisierung letztendlich
über Sein oder Nichtsein. Dabei geht es sowohl
blickpunkt musical 02/2021

Die Cast von »Lieder für eine neue
Welt« am Landestheater Linz
Foto: Reinhard Winkler
um künstlerische Prozesse, als auch um Arbeits-
und Produktionsabläufe. Es ist unser gemeinsa-
mes Anliegen, diesen Prozess selbstständig und
produktiv zu gestalten. Und es ist unser gemein-
sames Ziel, dabei so viele Theater wie möglich an
dem gewonnenen Wissen und den Erfahrungen
teilhaben zu lassen«, betont Tobias Ehinger, Ge-
schäftsführender Direktor Theater Dortmund
die Wichtigkeit der Sache.
»Eine Stimme für Deutschland« als
Uraufführung in Berlin
Thomas Zaufke (Musik) und Peter Lund (Text)
verarbeiten den Wahlkampf in Deutschland in
ihrem Wahlkampf-Musical »Eine Stimme für
Deutschland«, das am 3. Juli Uraufführung
an der Neuköllner Oper feiern soll. Es handelt
sich um eine Kooperation mit dem Studiengang
Musical/Show der Universität der Künste in
Berlin. Ab 15. Juni beginnt der Vorverkauf für
Termine bis 18. Juli.
Im Mittelpunkt steht der Kampf der grünen
Spitzenkandidatin Regula Hartmann-Hagen-
beck gegen die gewiefte Konkurrentin Alina
Deutschmann von der Neuen Rechten, welche
erstmals eine reelle Chance hat, das Bürgermeis-
teramt in der Provinz zu besetzen. Der Kampf
findet im Großen zwischen den Parteien und
im Kleinen zwischen den Töchtern der beiden
alleinerziehenden Frauen auf dem Schulhof
statt, welche auch noch um einen naiven, männ-
lichen Neuzugang ringen. Der unmoralische
Wahlkrimi kommt »lustvoll unsachlich« und
voller »total manipulative[r] Fake-News« daher,
vertont mit musikalischen Wahlparolen. Am
Ende steht als Happy End eine »Heilung« der
gesellschaftlichen Spaltung.
Die Arrangements schreibt Markus Syperek,
die musikalische Leitung der Inszenierung von
Peter Lund teilen sich Hans-Peter Kirchberg
und Tobias Bartholmeß, Bühnenbild und Kos-
tüme verantwortet Ulrike Reinhard. Es spielen
Clarissa Gundlach, Soufjan Ibrahim, Maria Jo-
blickpunkt musical 02/2021
blickpunkt musical
achimstaller, Gwen Johansson, Fabian Sedlmeir,
Mascha Volmershausen, Veronika de Vries und
Joel Zupan.
Neustart der Spielzeit am Landestheater
Linz
An Premieren erwartet die Besucher am 19. Mai
im Großen Saal des Musiktheaters »Songs for
a New World (Lieder für eine neue Welt)« von
Jason Robert Brown unter musikalischer Lei-
tung von Tim Bitterlich, inszeniert sowie cho-
reographiert von Simon Eichenberger, der auch
das Bühnenbild betreut. Im Schauspielhaus
findet endlich die Live-Premiere von »The Wave
(Die Welle)« von Or Matias statt. Die Urauffüh-
rung war wegen der Pandemie-Situation nur on-
line zu erleben. Regie führte Christoph Drewitz,
die musikalische Leitung hatte Juheon Han. Ab
30. Mai kommt das »Piaf«-Musical von Pam
Gems wieder auf den Spielplan.
»Der Ball (The Prom) – Das Musical«
Dezember 2021 in der Schweiz
Als Produktion der Circomedia AG präsentiert
Le Théâtre Emmen die deutschsprachige Erst-
aufführung des 2019 mit dem Tony auszeichne-
ten Broadway-Erfolgs »The Prom« von Matthew
Sklar (Musik), Chad Beguelin (Buch und Song-
texte) und Bob Martin (Buch), welcher auch
auf der Leinwand als Netflix-Produktion gro-
ße Beachtung erfuhr (vgl. blimu 01/21). Nico
Rabenald übertrug die Liedtexte und Dialoge
ins Deutsche, die schweizerdeutsche Adaption
übernahmen Silvio Wey, Irène Straub und An-
dréas Härry.
Die Handlung wurde nach Deutschland und
in die Schweiz transferiert. Humorvoll und mit
Herz erzählt das Musical von der 17-jährigen,
lesbischen Emma, die im konservativen Luzer-
ner Hinterland mit ihrer Freundin Alissa zum
Abschlussball des Gymnasiums gehen möchte.
Doch der Elternrat der Schule weigert sich, dies
zu akzeptieren.
Gleichzeitig beschließen vier schillernde Musi-
cal-Bühnenschauspieler aus Berlin, deren Pro-
duktion gerade hochkant gefloppt ist, »etwas
Gutes zu tun«. Aufgrund einer Twitter-Nach-
richt aus der Schweiz gehen sie dem »Ball-Skan-
dal«, nach und entscheiden sich – nicht ganz
uneigennützig –, Emma Kraft ihrer Berühmt-
heit zu helfen.
Stadt trifft auf Land, Liberalität auf Tradition,
Vorurteile auf Klischees. Aus der geplanten
Eigenimage-Politur der Promis wird ein empa-
tisches, ernsthaftes Engagement für eine gute
Sache. Natürlich gibt es das Happy End, wobei
Amor nicht nur bei den Gymnasium-Absolven-
tinnen für Gefühlsausbrüche sorgt.
Das Konzept stammt von Jack Viertel. Regie
führen Silvio Wey und Dramaturgin Carlotta
Jarchow. Die musikalische Leitung übernimmt
Arno Renggli, das Lichtdesign Markus Güdel
und das Tondesign Tobias Stritt. Die Spielzeit
ist vom 11. Dezember 2021 bis 23. Januar 2022
angesetzt.
Die Darstellerinnen und Darsteller werden im
Sommer 2021 bekannt gegeben.
»Come From Away« im November in den
Niederlanden
MediaLane bringt in Zusammenarbeit mit der
Theater Alliance den Broadway- und West-
End-Erfolg »Come From Away« als niederlän-
dische Erstaufführung von Irene Sankoff und
David Hein auf die Bühne. Erzählt wird von
den Bewohnern der kanadischen Stadt Gander
in Neufundland, die nach den Anschlägen am
11. September 2001 die 7.000 Passagiere aus 38
Flugzeugen aufnahmen, denen der Weiterflug
in den amerikanischen Luftraum versperrt war.
Das Musical erzählt von der Solidarität und den
Auseinandersetzungen zwischen den Menschen,
die auf diese Weise zusammentrafen.
Am 3. November 2021 startet die Musicalreise
in der Schouwburg Het Park in Hoorn. Danach
wird das Stück in verschiedenen niederländi-
schen Theatern zu sehen sein.
Regie führt Antoine Uitdehaag, die Orchestrie-
rung verantwortet August Eriksmoen und die
Arrangements schreibt Ian Eisendrath. Jeroen
Sleyfer übernimmt die musikalische Supervi-
sion. Choreographie und Staging liegt in den
Händen von Daan Wijnands. Für Bühnenbild
und Kostüme zeigen sich Roos Veenkamp und
Sanne Oostervink verantwortlich.
Es spielen Willemijn Verkaik (Beverley Bass), Ad
Knippels (Nick Marson), Rosalie de Jong (Dia-
ne Grey), Wim van den Driessche (Claude Elli-
ott), Robbert van den Bergh (Oz Fudje), Joanne
Telesford (Hannah O‘Rourke), Marleen van
der Loo (Beulah Davis), Steven Roox (Kevin
Tuerff), Frank van Hengel (Kevin Jung/Ali),
Lieke van den Broek (Bonnie Harris), Willemijn
van Holt (Janice Mosher), Qshans Thode (Bob).
Zum Ensemble gehören außerdem Janis van
Dorsselear, Suzanne de Heij, Miriam Venema,
Dieter Spileers, Diederik Rep und Silencio
Pinas.
19

In Memoriam
Wir erinnern an jene, die von uns gegangen sind
Abb. oben: Jim Steinman (l.) mit Roman Polański (Mitte) und Michael Kunze (r.) bei den Proben zu
»Tanz der Vampire« in Wien 1997. Foto: Hermann und Clärchen Baus
Jim Steinman
Am 20. April 2021 starb der Komponist, Song-
writer und Produzent Jim Steinman mit 73 Jah-
ren in Ridgefield, Connecticut in den USA an
akutem Nierenversagen. Der Grammy-ausge-
zeichnete Songwriter wurde von der L.A. Times
als »Richard Wagner des Rock« bezeichnet.
Geboren am 1. November 1947 in New York
schrieb Steinman bereits am Amherst College
das Rock-Musical »The Dream Engine«, in dem
er auch selbst spielte. Nach seinem Abschluss ver-
fasste Steinman für das Public Theatre von Joe
Papp, der ihm auch die Rechte für »The Dream
Engine« abgekauft hatte, das Musical »More Than
You Deserve« und führte selbst Regie. Während
der Auditions traf er auf den Sänger Meat Loaf.
Nachdem die US-amerikanische Sänge-
rin Yvonne Elliman seinen ersten Hit ›Happy
Ending‹ aufgenommen hatte, wurde sein nächs-
tes Werk das Debütalbum von Meat Loaf: »Bat
Out of Hell« (1977), für das er Musik und Lied-
texte schrieb. Es wurde mehrfach mit Platin aus-
gezeichnet. Der Titelsong entstammte seinem
unveröffentlichten Musical »Neverland« (1975).
1993 stürmte die Fortsetzung »Bat Out of Hell II:
Back Into Hell« die Charts in 38 Ländern und
brachte den Welthit ›I‘d Do Anything for Love
(But I Won‘t Do That)‹ hervor. Roman Polański
20
In Memoriam
bezeichnete »Bat Out of Hell« in einem Inter-
view mit uns als »eine Mischung aus Wagner
und ›Rolling Stones‹«.
Als Steinman 2012 in die Hall of Fame der
Songwriter aufgenommen wurde, würdigte ihn
Meat Loaf als den Menschen, der den größten
Einfluss auf sein Leben genommen habe. Von
keinem habe er so viel gelernt. Das könne er ihm
nie zurückzahlen.
2016 arbeiteten beide noch zusammen an
ihrem letzten Album: »Braver Than We Are«.
Basierend auf den »Bat Out of Hell«-Al-
ben feierte 2017 das gleichnamige Musical in
Manchester Uraufführung, danach in London
Premiere und ein Jahr später in Oberhausen
seine deutschsprachige Erstaufführung.
In den 1980ern arbeitete Steinman mit Barbra
Streisand und »The Sisters of Mercy«. Er pro-
duzierte zahlreiche Alben von Bonnie Tyler
(»Secret Dreams and Forbidden Fire«) und
schrieb ›Holding Out for a Hero‹ für den Sound-
track des Musikfilms »Footloose«, den Tyler
sang. 1996 gewann er den Grammy Award für
das Album des Jahres »Falling Into You« von Cé-
line Dion, für das er ihren Hit ›It‘s All Coming
Back to Me Now‹ geschrieben hatte.
1997 feierte das deutschsprachige Musical
»Tanz der Vampire« mit Musik von Jim Stein-
man und Text von Michael Kunze Urauffüh-
rung in Wien. Es basierte auf dem parodisti-
schen Horrorfilm »The Fearless Vampire Killers«
von Roman Polański, der auch mit Kunze zu-
sammen am Musical arbeitete. Zahlreiche von
Steinmans erfolgreichen Einzelsongs wurden
im Stück verarbeitet, so ›Total Eclipse of the
Heart‹ (gesungen von Bonnie Tyler) als ›Totale
Finsternis‹ oder ›Ewigkeit‹ und ›Die unstillbare
Gier‹, (ursprünglich ›Great Boleros of Fire‹ und
›Objects in the Rear View Mirror May Appear‹
von Meat Loaf gesungen auf »Bat Out of Hell II:
Back Into Hell«).
1998 arbeitete Steinman als Liedtexter für
Andrew Lloyd Webbers Musical »Whistle Down
the Wind«, das im gleichen Jahr Uraufführung
im West End feierte.
Anthony Powell
Am 16. April 2021 starb der Kostümdesigner
Anthony Powell im Alter von 85 Jahren.
1935 wurde er in der Nähe von Manchester
geboren und studierte in London an der Central
School of Art Kostümdesign. Er assistierte Cecil
Beaton (»My Fair Lady«), arbeitete zunächst vor
allem für das Sprechtheater und gewann einen
Tony Award für seine Kostüme in Gielguds Insze-
nierung von »The School of Scandal« und war für
sein Bühnenbild mit einem weiteren nominiert.
Ab 1969 arbeitete Powell für Hollywood und
wurde 1972, 1978 und 1980 mit dem Academy
Award (Oscar) für sein Kostümdesign in George
Cukors »Travel With My Aunt«, John Guillermins
»Death on the Nile« und Roman Polańskis
»Tess« ausgezeichnet. Er prägte die Kinoerfolge
von Polański und Steven Spielberg, darunter
»Frantic« sowie »Indiana Jones und der Tempel des
Todes«. Weitere Oscar-Nominierungen erhielt er
für die Filme »Hook«, »Pirates« und zuletzt 2001
für Glenn Closes Roben in »102 Dalmatiner«.
Im Musical ist Powell vor allem für seine
exzentrischen Roben im Stil der 50er Jahre für
die Original-Broadway-Produktion von Andrew
Lloyd Webbers »Sunset Boulevard« bekannt.
Powell kreierte die Kostüme für die Broadway-
Premiere von 1994 und wurde 1995 mit dem
Tony Award nominiert. Damals schuf er nach
der West-End-Uraufführung neue Kostüme für
Glenn Close in der Hauptrolle für den Broad-
way. Als das Stück 2017 im West End sein Revi-
val feierte, war er wieder der Kostümdesigner. So
spielten in seinen Kostümen auch Patti LuPone,
Betty Buckley und Elaine Page.
Im Jahr 2000 wurde er für seine Karriere von
der Costume Designers Guild mit einem Preis
ausgezeichnet und 2003 erhielt er den Ehren-
doktor der University of Greenwich.
Anthony Powell hinterlässt zwei Nichten.
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Musicalbühne wird zum Sprechtheater
#WeAreMusical – Talk Time: Wenn Darsteller der Vereinigten Bühnen Wien plaudern
Abb. oben:
Die Darsteller im VBW-Talk-Format
(v.l. oben): Alexander Auler, Birgit
Arquin, Felix Martin, Ana Milva
Gomes, Carin Filipčić, Barbara
Obermeier und Dominik Hees
Abb. unten:
Christian Struppeck, Intendant der
VBW, befragt seine Gäste
Fotos (2): Vereinigte Bühnen Wien
22
Musicals in Österreich
Z ur Untätigkeit verdammt scheinen Kulturschaf-
fende: Produktionen wurden ein ums andere Mal
verschoben und schließlich ganz abgesagt. Die Verei-
nigten Bühnen Wien machen aus der Not eine Tugend.
Um die Vorfreude auf Kunst und Kultur zu stillen,
haben sie eine Online-Musical-Talkreihe ins Leben
gerufen. In fünfzehnminütigen Interviews befragt
VBW-Musical-Intendant Christian Struppeck seine
»Cats«-Darsteller.
»#WeAreMusical: Talk Time« – so heißt das neue
Format in den digitalen Kanälen der VBW-Musical-
sparte. Fans bekommen einen persönlichen Einblick
vom Leben der Darsteller und zum Abschluss einer
jeden Folge wird ein Song aus dem Wiener Musical-
repertoire präsentiert.
Den Auftakt bestreitet Sonnyboy Dominik Hees.
Auf der Bühne des Ronacher in Wien sitzt er auf einem
Drehsessel – der leere Zuschauerraum im Hintergrund.
Die Fragen stellt sein Chef Christian Struppeck. Dieser
weist darauf hin, dass man getestet sei, Abstand halte,
deswegen dürfe man nun auch ausnahmsweise ohne
Maske miteinander sprechen. Formalitäten, die von
nun an zu Beginn jeder Folge geklärt werden und auch
die ersten Minuten sollen in den weiteren Episoden
zum Ritual werden – wenn auch immer anders formu-
liert: »Wie hältst du es mit dem Lockdown?«
Dominik Hees erinnert sich noch genau, wie alles
begann, als er erfahren habe, dass die Shows im Früh-
jahr 2020 das erste Mal abgesagt wurden. Es sei ein
Dienstag gewesen und es war völlig abrupt. Erst nach
zwei Wochen habe er sich daran gewöhnt, nicht jeden
Abend auf der Bühne zu stehen, dann konnte er auch
die guten Seiten dieser Zwangspause genießen: »Man
hatte Zeit, um Hobbys nachzugehen, viel zu kochen.
Ich bin Fahrrad gefahren – auch mit meiner Frau. Wir
sind an die Donau gefahren, haben viele Spaziergänge
gemacht. Ich habe begonnen zu malen, viele Dinge, zu
denen man sonst nicht kommt. Es war eine totale Aus-
zeit, die wir sehr genossen haben«, erinnert er sich im
Video-Podcast.
Auch Barbara Obermeier zog es in den vergangenen
Monaten immer wieder hinaus in die Natur. »Ich war
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wandern und habe eine neue Leidenschaft für mich
entdeckt. Ich bin zur Gipfelstürmerin geworden und
sammle Gipfelkreuze«, berichtet sie lachend von den
Ausflügen. Begleitet wird sie dabei von ihrem Hund.
Die Sängerin kommt ursprünglich aus Deutsch-
land, hat in Österreich aber offenbar eine neue Hei-
mat gefunden, ist doch scheinbar niemand aus dem
Cast so austrofiziert wie sie. Vor wenigen Jahren spielte
sie noch in der Volksoper in »The Sound of Music«,
einem Stück über die Familie Trapp. Die Verfilmung
hat international das Bild von Österreich geprägt. Nun
heißt ihr Hund Sopherl, im Lockdown wird sie zur
Alpinistin und als Highlight präsentiert sie bei »Talk
Time« noch das österreichischste aller Lieder: ›I Am
From Austria‹, die heimliche Hymne von Austropop-
per Rainhard Fendrich.
Viele der Darsteller genießen die Zeit mit der Fa-
milie: Musicalstar Ana Milva Gomes ist im vergange-
nen Frühjahr Mutter geworden und nutzt die Chance
während der Lockdowns, sich ganz intensiv um ihre
kleine Tochter zu kümmern. »Der erste Lockdown war
für mich etwas ganz Besonderes, meine Eltern waren
in Wien. Ich war in meiner eigenen Bubble, in mei-
ner Glasglocke mit meiner Familie – mit Eltern und
meinem Baby.« Das ist vielleicht das Geheimnis, wa-
rum die gebürtige Niederländerin mit kapverdischen
Wurzeln trotz des Lockdowns und der Pandemie
ihren Humor nicht verloren hat. Ihr kleiner Auftritt
in der »Talk Time« gerät mit der Nummer ›Ich gehör‘
nur mir‹ zur Audition – will sie doch seit langem end-
lich die Rolle der Kaiserin Sisi in »Elisabeth« spielen.
Doch sie ist nicht die Einzige, die in den letzten Mo-
naten Nachwuchs bekommen hat: Dominik Hees ist
blickpunkt musical 02/2021
Musicals in Österreich
Papa geworden: »Im November ist unsere Tochter zur Abb. oben von links:
Welt gekommen, sie ist ein echtes Lockdownbaby. Die 1. Carin Filipčić mit ›Sie ergibt sich
Bestätigung der Schwangerschaft hatten wir zwei Tage nicht‹ aus »Rebecca«
2. Christian Struppeck im Gespräch
nach dem ersten Lockdown und sie sei dann schon im
mit Ana Milva Gomes
nächsten Lockdown zur Welt gekommen«, lacht er. 3. Alexander Auler mit ›Letzter
Seitdem die Kleine auf der Welt sei, verbringen er und Vorhang‹ aus »Schikaneder«
seine Frau – Musicalsängerin Milica Jovanović – die 4. Birgit Arquin mit ›Ich schütze
Zeit mit Schmusen, Spielen und Windelnwechseln. dich‹ aus »Der Besuch der alten
Dame«
Auch Birgit Arquin hat mit ihren Kindern Anabell Fotos (4): Vereinigte Bühnen Wien
(7) und Benjamin (3) den Lockdown ganz bewusst
erlebt. »Als die Spielplätze geschlossen waren, war es
eine wirkliche Herausforderung: was mache ich mit
den Kindern, wenn ich wirklich nur zu Hause bleiben
kann.« Besonders schwer sei es gewesen, die Normali-
tät für die Kinder aufrechtzuerhalten.
»Für meine Tochter ist es immer noch schwer. Wir
Erwachsenen tendieren dazu, ständig über dieses eine
Thema zu sprechen. Wenn sie in der Nähe ist und wir
reden zu lange über Corona, dann bittet sie uns höf-
lichst damit aufzuhören. Sie mag das gar nicht.«
Felix Martin hat die Zeit im Lockdown genutzt
und ein Stück über einen berühmten deutschen Enter-
tainer geschrieben. Um wen es in seinem Musical geht,
wollte der in Berlin lebende Künstler aber noch nicht
verraten.
Anfangs nur auf YouTube, ist auch das klassische
Fernsehen auf die Produktion der VBW aufmerksam
geworden. Die kurzen Clips sind seit dem 12. März
2021 immer freitags auch auf ORF III – dem Kultur-
sender des österreichischen Rundfunks – zu sehen.
»Digitalisierung und die Entwicklung neuer Formate
bekommen mit den Einschränkungen im Kulturbe-
trieb eine immer größere Bedeutung« sagt Prof. Dr.
23

Abb. rechts:
Ana Milva Gomes mit ›Ich gehör‘
nur mir‹ aus »Elisabeth«
Abb. unten von oben::
1. Felix Martin mit ›Einladung zum
Ball‹ aus »Tanz der Vampire«
2. Dominik Hees mit ›Gold von den
Sternen‹ aus »Mozart!«
Fotos (3): Vereinigte Bühnen Wien
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Musicals in Österreich
Franz Patay, Geschäftsführer der VBW. »Es freut mich
daher sehr, dass wir mit Peter Schöber und ORF III
einen Partner gefunden haben, der unserem Online-
Format »Talk Time« einen zusätzlichen Weg zu unse-
rem Publikum öffnet.«
Doch manchen Gesprächen fehlt der Tiefgang. Dass
Barbara Obermeier inzwischen gerne wandert, konnte
jeder Interessierte schon wissen, der der Darstellerin
auch auf Instagram folgt. Die einzelnen Episoden sind
kurz, ein kleiner Happen für die nach Kultur hungern-
den Fans und ein vielleicht ausreichender Snack damit
jene Kultur-Neulinge auf den Geschmack kommen, die
nur kurz reinschnuppern. Das Genre Musical muss sich
von der Hautevolee ständig den Vorwurf der Banalität
gefallen lassen und das werden auch die Talks nicht
ändern. Videos bekannter YouTuber haben längst be-
wiesen, dass die Zuschauer kritische Detailverliebtheit
schätzen. Einzig Carin Filipčić schafft es in kürzester
Zeit philosophische Fragen anzureißen. Auf den Ap-
plaus vom Publikum kommt es ihr nicht mehr so sehr
an: »Weil ich, glaube ich, entdeckt habe, dass die Lie-
be in meinem Leben in mir liegen muss und nicht von
außen kommen darf.« Aufgrund der Medien- und Reiz-
überflutung zum Thema Corona hat sich Carin Filipčić
bewusst dazu entschlossen, den Nachrichtenkonsum
drastisch zu reduzieren: »Ich habe mir gedacht: es reicht,
ich komme nicht zur Ruhe. Dann habe ich aufgehört,
Tageszeitung zu lesen, ich habe aufgehört Fernsehen zu
schauen«, so Filipčić im Interview.
Die eigentlichen Stärken des Theaters, einerseits
den Zuschauer für ein paar Minuten in eine andere
Welt zu entführen, ihn dem Alltag zu entreißen und
andererseits sich kritisch mit dem Leben auseinan-
derzusetzen, es mal mehr oder weniger deutlich, mal
ironisch, mal versteckt, mal direkt zu kommentieren,
all das bieten die Gespräche nicht. Immer wieder
aber bekommt der Zuschauer einen tollen Einblick
in die Mentalität der Darsteller, die für ihren Be-
ruf brennen. Nachvollziehbar wird erläutert, dass
die Leichtigkeit auf der Bühne hart erarbeitet ist:
Schon in der ersten Folge berichtet Dominik Hees,
wie das ganze Leben auf die sechs Shows ausgerich-
tet gewesen sei, anfangs habe er gar nicht gewusst,
was er machen sollte und berichtet, wie er zu Beginn
mit der neuen Situation gehadert hat. »Der Beruf
hat so eine Wichtigkeit, dass ich Leute nicht treffe
oder Projekte nicht anfange, weil am Abend muss ich
gut energetisch sein«, reflektiert Carin Filipčić ihren
durchaus anstrengenden Beruf. Eine Pause macht
sich auch körperlich bemerkbar und zeigt gleich,
wie strapaziös der Alltag einer Darstellerin sonst
ist: »Meine Stimme ist so ausgeruht, ich war gestern
hier, habe eben geübt und seit 1824 das erste Mal
ein hohes C gesungen, ich hätte fast geheult«, sagt
die Künstlerin und sieht in diesem Punkt einen der
wenigen Vorteile des Lockdowns. Alexander Auler –
der von Berlin nach Wien umgezogen ist – bemerkt,
dass die Show körperlich ausgesprochen anstren-
gend ist. Er hat eine Weiterbildung zum Ernäh-
rungsberater begonnen, um im Lockdown mehr auf
sich achten zu können. »Wenn man wirklich jeden
Tag drei Stunden diese Show spielt, die einem kör-
perlich sehr viel abverlangt, kann man im Grunde
fast essen, was man möchte. Im Lockdown, wenn
man sich weniger bewegt, merkt man, dass das Kon-
zept nicht aufgeht.«
Barbara Obermeier engagiert sich als Ausgleich
stark im sozialen Bereich – für sie als Künstlerin eine
Herzensangelegenheit: So unterstützt sie den Verein
Nestwärme, der sich für Familien mit kranken Kin-
dern einsetzt. »Diesen Verein gibt es seit 20 Jahren
in Deutschland. Ein großes System unterstützt Fa-
milien mit kranken Kindern in Kindergärten, Hos-
pizen und Pflegeeinrichtungen. Nun gibt es auch in
Österreich ein Nest – das Wiener Nest – dort bin ich
Mitglied.« Und so beinhaltet doch jedes Gespräch
immer auch einen Appell, in dieser Zeit nach vorne
zu schauen und auf eine bessere Zukunft zu hoffen.
Mina Piston
blickpunkt musical 02/2021

Einspielungen
zusammengestellt von Eva Baldauf, Rosalie Rosenbusch und Sabine Schereck
Foto: Rudi Gigler
Doktor Schiwago – Das Musical
Live aus dem Stadttheater Gmunden
Mit dieser Live-Gesamtaufnahme können Hörer
wunderbar eintauchen in die Geschichte von
»Doktor Schiwago«, ein russischer Arzt und
Dichter, der in den Wirren des Ersten Welt-
kriegs und der Russischen Revolution dient und
gegen die Politisierung von Geistesgut kämpft.
Er steht schließlich nicht nur zwischen den krie-
gerischen, politischen Fronten, sondern auch
zwischen zwei Frauen. Das noch recht junge
Musical von Michael Weller (Buch) und Michael
Korie sowie Amy Powers (Liedtexte), auf Basis
von Boris Pasternaks bekanntem Roman, feier-
te im April 2019 seine österreichische Erstauf-
führung beim Musical Frühling in Gmunden.
Unter der Leitung von VBW-Orchestergründer
Caspar Richter gibt das 20-köpfige Modern
Symphony Orchestra die feinsinnige und be-
wegende Musik von Lucy Simon klar und in
hoher Tonqualität wieder. Sowohl Liebhaber
der Geige als auch von Streichern, Bläser- sowie
Harfenklängen werden hier angesprochen. Die
passend intonierten, verständlichen Sprech- und
Gesangsstimmen machen Einzelauftritt, Duett
oder Chor zu einem Hörgenuss. Gesanglich
bilden Yngve Gasoy Romdal und Elisabeth
Sikora als Jurij Andrejewitsch Schiwago und
seine Larissa Guichard/Antipova ein schönes
Paar. Gasoy Romdals Stimme ist reif und klar.
Zahlreiche einprägsame Melodien erklingen
mal als große Balladen (›Wer ist sie?‹), russi-
sche Heimatmelodien (›Göttliches Geschenk‹,
›Frauen und kleine Kinder/Er ist da‹) oder
Kriegsmärsche (›Vorwärts, Marsch‹). Das an-
spruchsvolle Gesangsstück ›Wenn die Geige
sang‹ führt Elisabeth Sikora hervorragend aus,
lässt die Verzweiflung stark spüren. ›Jetzt‹ und
›Jenseits aller Zeit‹ sind zwei wunderschön ge-
fühlvolle Duette des Darstellerpaares. Auch das
ungewöhnliche Frauenduett ›Trotzdem wundert
blickpunkt musical 02/2021
Einspielungen
es mich nicht‹ mit Leah Delos Santos als Lar-
as Gegenspielerin Tonia Gromeko vereint feine
Komposition und großes Gesangstalent. RR
CD 1: 77 min 05 sec
CD 2: 66 min 05 sec
CD-Digipack mit 28-seitigem
Booklet mit allen Beteiligten,
Biografie von Boris Pasternak,
Geschichte der Russischen
Revolution, Dank an die
Unterstützer, Produktionsfotos
Barock me, Gräfin Cosel
Aufnahme zur Uraufführung in Dresden
Mit »Barock me, Gräfin Cosel« beteiligte sich
das Boulevardtheater Dresden im Oktober 2019
am 300. Jubiläum der Hochzeit des Sohnes von
August dem Starken. Zur Premiere erschien die
dazugehörige CD mit allen Liedern, aber ohne
die verbindenden Textpassagen.
Andreas Goldmann (Musik) und Holger Metz-
ner (Buch und Liedtexte) kreierten ein Stück
im Stück. Durch die fehlenden Dialoge ist es
schwierig, diese Besonderheit und den Verlauf
des Stücks komplett zu erfassen, wenn man das
Musical nicht gesehen hat. Ansonsten ist die
Aufnahme eine wundervolle Möglichkeit, in
Erinnerungen zu schwelgen. Die CD ist sehr
gut abgemischt, wodurch die barocke-poppige
Musik wunderbar zur Geltung kommt.
Stefanie Bock berührt mit ›Nie mehr‹ und ent-
zündet gemeinsam mit Oliver Morschel ›Mein
brennendes Herz‹. Karina Schwarz überzeugt
mit ›Sei Dein eigenes Gesetz‹, während Laura
Mann den frivol-witzigen Charme in ›Alles nur
Geschäft‹ einzufangen weiß. Manuel Krstano-
vics Rapp-Parts integrieren sich nahtlos in die
jeweiligen Songs ›Das göttliche Paar‹ und ›Zuga-
be – Barock me‹. Lieder mit Ohrwurm-Garantie
und eine Empfehlung für alle Musical-Fans. EB
11 Titel
32 min 34 sec
CD-Digipack ohne Booklet
mit allen Beteiligten,
Songliste, Produktionsfotos
Brothers in Music – Live in Moskau
Konzert mit Drew Sarich & Ivan Ozhogin
Mit dieser Live-Aufnahme präsentieren der
österreichische sowie amerikanischstämmige
Musicaldarsteller und Bandleader Drew Sarich
und der russische Opern- und Musicaldarstel-
ler Ivan Ozhogin ihre fruchtbare, musikalische
Fusion. Das Konzert aus Moskau überzeugt
mit gemischter Setlist ebenso wie mit intensiver
Live-Atmosphäre inklusive begeistertem Pub-
likum, das den Zuschauer zuhause in Zeiten
Mit Unterstützung von sound of music
von Corona hoffen und sehnen sowie entspan-
nen lässt. Der Auftritt beinhaltet einen Rock-
Pop-Songblock irgendwo zwischen Größen wie
Michael Jackson, David Bowie und »Queen«
und einen Musical-Teil mit leichtem Schwer-
punkt auf Andrew Lloyd Webbers »Jesus Christ
Superstar«. Dabei beweisen die »Brothers in
Music« ihre geschulten Tenorstimmen, aber
auch durchaus die Eignung zum Rockstar. Her-
vorzuheben sind Orchester und Chor. RR
26 Kapitel
113 min
DVD-Box ohne Booklet,
alle Angaben in kyrillischer
Schrift außer der Songliste
Flowers for Mrs Harris
Chichester Festival Theatre Cast Recording
Im trostlosen London der Nachkriegszeit stößt
die bescheidene Putzfrau Mrs Harris auf ein
Kleid von Dior, das den Traum entfacht, sich
selbst mit einem solchen schmücken zu wol-
len. Es wird geschuftet bis mit einer Reise nach
Paris der Traum in Erfüllung geht. »Flowers for
Mrs Harris« feierte 2018 am Chichester Festival
Theatre Erfolge. Richard Taylor schuf die Musik
und Liedtexte, Rachel Wagstaff das Buch. Dabei
stützte sie sich auf Paul Gallicos Roman »Mrs
‘Arris goes to Paris« von 1958. Während dem
Theater 2020 der Pandemie wegen Auffüh-
rungen versagt blieben, versammelte sich das
Ensemble dort mit Orchester, um die Musik auf
CD zu bannen. Das Resultat sind 23 Titel auf
zwei CDs. Die Aufnahmen bestechen durch ihre
Lebendigkeit und die großartige Leistung des
Ensembles, vor allem von Clare Burt (Mrs Har-
ris), Claire Machin (Violet) und Joanna Riding
(Mme Colbert). Einem musikalischen Hörspiel
gleich taucht der Zuhörer in Mrs Harris‘ Welt
ein, samt bester Freundin und Klienten. Insbe-
sondere der schlicht betitelte Song ›Clients #3‹
bietet eine Vielschichtigkeit, die zeigt, wie
charmant Mrs Harris ihre Puzzleteile für Paris
zusammenfügt. Die verspielte Leichtigkeit der
Lieder in Paris gibt zusätzlich Farbe. Hier wurde
zwar gekürzt, aber 90% der Musik sind da.
Klanglich sind die Themen Träume und Kon-
flikte nuanciert illustriert, sodass man nah an
den Figuren bleibt. Den Taktstock schwang
Tom Brady. SSch
CD 1: 13 Titel, 56 min 57 sec
CD 2: 10 Titel, 35 min 34 sec
CD-Digipack mit 16-seitigem
Booklet mit allen Beteiligten,
Synopsis mit eingebundenen
Liedtiteln, Entstehungsge-
schichte der CD vom Kom-
ponisten, Produktionsfotos
25

I Need a Hero
Livestream-Konzert »Heldenreise« des WDR Funkhausorchesters
Abb. oben von links:
1. Dominik Hees spielt gerne
Helden wie Hercules oder
Anti-Helden wie Shrek
2. Bettina Mönch gutgelaunt im
Disney-Sound
Fotos (2): WDR Funkhausorchester
26
Konzerte & Entertainment
A m 14. Januar 2021 präsentierte das WDR-Funk-
hausorchester unter der Leitung von Frank Stro-
bel live aus dem Funkhaus Wallrafplatz in Köln ein
90-minütiges Neujahrskonzert mit großen Film- und
Musicalhits. Zu hören im Radio und zu sehen auf
der WDR-Website, wurde das Konzert aufgrund der
Corona-Schutzverordnung des Landes NRW ohne
Publikum gezeigt und von Julia Schöning moderiert.
Im Fokus standen unter anderem Zeichentrick-Helden
aus Disney-Filmen, wie »Hercules«, »Vaiana«, »Die
Eiskönigin«, »Der König der Löwen«, »Tarzan«, »Der
Glöckner von Notre Dame«, »Arielle«, »Aladdin«, »Die
Schöne und das Biest« und »Toy Story«, aber auch die
grünen Helden aus »Wicked« und »Shrek« und eine
Prise »La La Land«. Für die stimmliche Untermalung
der Songs, die allesamt überregional-weltoffen in eng-
lischer Originalversion interpretiert wurden, was bei
den guten deutschen Übersetzungen einiger Songs
eher bedauerlich war, verpflichtete man die renom-
mierten Musical-Darsteller Bettina Mönch (u. a. Prin-
zessin Fiona in »Shrek«, Sally Bowles in »Cabaret«) und
Dominik Hees (u. a. Charlie Price in »Kinky Boots«,
Helmut Rahn in »Das Wunder von Bern«).
Das Konzert startete mit einer frisch und leicht
arrangierten Instrumental-Ouvertüre von ›Under the
Sea‹ aus »Arielle«, die das WDR Funkhausorchester
als den Star des Abends gleich ins rechte Licht setzte
und mit E-Gitarre und schwingenden Querflöten auch
einzelne Mitglieder des Orchesters in netten Close-ups
herausstellte. Als Überraschung gab es den tosenden
Applaus eines nicht vorhandenen Publikums, was von
der Moderatorin des Abends auch gleich erklärt wurde.
Tatsächlich ist die Stille im Konzertsaal bei Streaming-
Events ohne Publikum am Ende einer Darbietung
unnatürlich und ungewohnt, und so hatte der WDR
beschlossen, den aufgezeichneten Applaus vergangener
Live-Konzerte im WDR Funkhaus einzuspielen, was
später häufig ein Lächeln auf die Gesichter der Dar-
steller zauberte und die sterile Atmosphäre des leeren
Konzertsaals mit Leben füllte. Trotzdem wirkten die
Einspielungen beim Zuschauer wie die künstlich hin-
zugefügten Lacher einer amerikanischen Sitcom. Was
für Radiohörer gut funktioniert, ist für die Zuschauer
des Livestreams mit Blick auf leere Zuschauerreihen
dann doch etwas befremdlich.
Aber zurück zur »Heldenreise«, die mit einer
jugendlich-unschuldigen Interpretation von ›How
Far I‘ll Go‹ aus »Vaiana« und einem witzig-pointier-
ten ›Popular‹ aus »Wicked« von einer bezaubernden
Bettina Mönch an Fahrt aufnahm. Dominik Hees
übernahm anschließend das Ruder souverän mit sei-
ner kraftvollen Helden-Hymne ›Go the Distance‹
aus »Hercules« und dem Country-Song ›You‘ve Got
a Friend in Me‹ aus »Toy Story«. Dass beide Stimmen
nicht nur als Soli, sondern auch im Duett harmonisie-
ren, zeigte sich bei ›Someday‹ aus »Der Glöckner von
Notre Dame« und ›Beauty and the Beast‹ aus »Die
Schöne und das Biest« in der Oscar-Jazz-Version.
Dazu wechselte Frau Mönch das rote Kleid ihrer ers-
ten beiden Songs gegen ein weißes Outfit, in dem die
hochgewachsene Sirene wie die griechische Göttin
Aphrodite wirkte. Doch leider stieß die ansonsten
so versierte Sängerin bei ihrer eigenen Interpretation
von ›Defying Gravity‹ aus »Wicked« tatsächlich fast
an ihre Grenzen – was sie nach dem Lied auch mit
einem erleichterten Blick zum Dirigenten quittierte.
Obwohl der folgende Song ›Let It Go‹ aus »Die Eis-
königin« gesanglich ebenfalls eine Herausforderung
darstellt, war Bettina Mönch hier wieder voll in ih-
rem nun eher eisigen Element und konnte restlos
überzeugen. Mit Partner Dominik Hees folgten zwei
romantische Liebesduette ›Can You Feel the Love To-
night‹ aus »Der König der Löwen« und ›You‘ll Be in
My Heart‹ aus »Tarzan«. Im verrückten ›Friend Like
Me‹ aus »Aladdin« durfte Hees sogar mal rappen.
Ein kleiner Final-Block war ganz dem grünen Oger
»Shrek« gewidmet und hier zeigte sich, dass es immer
von Vorteil ist, wenn ein Sänger seine Rolle tatsächlich
blickpunkt musical 02/2021

auf der Bühne interpretiert hat, denn Bettina Mönch
konnte hier auf ihre Erfahrung als Fiona zurückgrei-
fen, was ihr bei ›Holding Out For a Hero‹ und der
Alles-was-Du-kannst-das-kann-ich-schon-lange (und
hatte es viel schlechter als du)-Oger-Version ›I Think
I Got You‹ sichtlich viel Freude bereitete. Aber alle
Achtung vor Dominik Hees, der zwar nie in die grüne
Ogerhaut schlüpfte, aber mit ›I‘m a Believer‹ den gut
gelaunten Rock‘N‘Roller gab, bei ›Who I‘d Be‹ aber ge-
nauso überzeugend die verletzliche Seite eines Außen-
seiters zeigte. Der Abend endete mit einer instrumen-
blickpunkt musical 02/2021
Konzerte & Entertainment
talen Hommage an das »La La Land« mit dem fetzigen
›Another Day of Sun‹.
Wer das Konzert live im Radio oder Stream ver-
passt hat und die 30 Tage Online-Abruf-Frist der
WDR-Homepage ebenfalls verstreichen ließ, findet
das Konzert-Video noch auf dem YouTube-Kanal
bei WDR-Klassik – hier wurde es allerdings um die
Moderation gekürzt und es blieben 61 Minuten und
9 Sekunden unterhaltsam-kurzweilige Konzertmusik
übrig, die man auch jetzt noch entdecken kann.
Stephan Drewianka
Abb. unten von oben:
1. Bettina Mönch und Dominik
Hees mit sattem Sound des WDR
Funkhausorchesters – leider vor lee-
ren Sitzreihen ohne Live-Publikum
2. Frank Strobel ist der Herr der
Helden nach dessen Taktstock alle
tanzen
3. Ob als Lady in Red oder Woman
in White: Bettina Mönch macht
immer eine gute Figur
4. Auch bei Duetten muss der
Corona-Sicherheitsabstand beste-
hen bleiben
5. Dominik Hees mit ›I‘m a
Believer‹ aus »Shrek«
Fotos (5): WDR Funkhausorchester
27

Leidenschaft verbindet
Jan Ammann & Kevin Tarte: »The Gentlemen of Musical – Best Of!« als
Streaming-Konzert
Abb. oben von links:
1. Kevin Tarte und …
2. … Jan Ammann überzeugen als
»Gentlemen des Musicals«
Fotos (2): Stephan Drewianka
Abb. unten:
Special Guest des Abends: Kristin
Hölck
Foto: Privat
28
Konzerte & Entertainment
A m 17. Januar 2021 wurde im Ebertbad Oberhau-
sen das Konzert »The Gentlemen of Musical – Best
Of!« von Sound of Music – Concerts, aufgezeichnet.
Die geplanten Live-Konzerte mit richtigem Publikum
mussten aufgrund der Pandemie abgesagt werden und
es wurde entschieden, diese in Streaming-Konzerte
umzuwandeln, natürlich unter Umsetzung der gel-
tenden Corona-Maßnahmen. Sie konnten sowohl als
Live-Event als auch on demand gebucht werden.
»The Gentlemen of Musical«, das sind der gebürtige
US-Amerikaner und lyrische Tenor Kevin Tarte und
der hohe Bariton Jan Ammann. In Stuttgart teilten
sie sich als Graf von Krolock in »Tanz der Vampire«
die Bühne, neben ihrer Freundschaft verbindet sie die
Leidenschaft für die großen, dramatischen Rollen. In
diesem »Best Of!« ihres bereits 2009 entstandenen
Konzertprogramms »Gentlemen of Musical« wurden
sie musikalisch an diesem Abend von der bereits aus
zahlreichen anderen Musical-Konzerten bekannten
Pianistin Marina Komissartchik begleitet. Als Gast-
star, Gesangspartnerin und Moderatorin trat die Musi-
caldarstellerin Kristin Hölck auf.
Das Konzert hielt, was der Titel versprach. Es
wurden viele bekannte Musicallieder gesungen, von
›I Am What I Am‹ (»La Cage aux Folles«), ›Ich hab‘
geträumt‹ und ›Stern‹ (»Les Misérables«) über ›Wenn
ich tanzen will‹ und ›Ich gehör‘ nur mir‹ (»Elisabeth«),
›Liebe stirbt nie‹ und ›So sehr fehlt mir dein Gesang‹
(»Liebe stirbt nie – Phantom II«) bis hin zu ›Nie-
mals allein‹ (»Der Graf von Monte Christo«) und ›Je
Länger ich lebe‹ aus »Dracula«. Natürlich durfte das
Paradestück der beiden Gentlemen nicht fehlen. Aus
»Tanz der Vampire« wurden ›Gott ist tot‹, ›Einladung
zum Ball‹ im Duett sowie im Trio ›Totale Finsternis‹
dargeboten. Andere weniger bekannte Musicaltitel
sowie Chansons und Popsongs fanden auch ihren
Platz im Programm. Darunter waren ›Send in the
Clowns‹ (Stephen Sondheims »A Little Night Music«),
welches die beiden Männer in englischer und deut-
scher Sprache performten, und der berührende Udo-
Jürgens-Titel ›Der gekaufte Drachen‹, den Jan Am-
mann nicht zum ersten Mal interpretierte. Und das
Ende vom Konzert formte die allzeit sehr bekannte
Hymne ›Hallelujah‹ von Leonard Cohen, in harmo-
nischem Wechselgesang.
Bild- und Soundqualität waren gut und es gab kei-
nerlei Störungen. Auf der Bühne herrschte eine ange-
nehme Dynamik in der Bewegung der Künstler und
ein nicht zu aufdringliches Lichtspiel.
Jedoch bekam man das Gefühl, dass die drei Sän-
ger, Kevin Tarte, Jan Ammann und Kristin Hölck,
gerade bei den Terzetten wie ›Das Phantom der Oper‹
und ›Totale Finsternis‹ nach der langen Pause nicht
unbedingt zusammenwirkten.
Speziell Kristin Hölck klang an diesem Abend pha-
senweise in ihren Soli aus »Elisabeth«, »Les Misérables«
und »Love Never Dies« etwas sehr angestrengt und
hart. Dass den Darstellern die tägliche Gesangsroutine
fehlte, war hin und wieder auch bei den Herren spür-
bar, auch wenn es Jan Ammann und Kevin Tarte nicht
an Gesangskraft fehlte.
Obwohl es auch bei ihnen ab und zu kleine Intona-
tionsprobleme gab, harmonierten die beiden Stimmen
sehr gut miteinander. Ihr Gesang ist klassisch geprägt,
was aber angesichts der Ausbildung beider – Kevin
Tarte in den USA und Jan Ammann in Deutschland,
Österreich und den USA – nicht verwundert. Insbe-
sondere Kevin Tarte verstand an diesem Abend, mit
seiner langjährigen Erfahrung in der Stimmbeherr-
schung zu überzeugen. Das angenehme Timbre von
Jan Ammann rundete das Konzert ab.
Es war ein Programm mit langsamen und flot-
ten Liedern, ein Abend mit Höhen und Tiefen, aber
schließlich weist auch die Geschichte der Musicalbran-
che sowie die Leben und Karrieren der »Gentlemen of
Musical« ruhigere und rasantere Zeiten sowie Höhen
und Tiefen auf, sodass es wieder passend zu ihrem
»Best Of!«-Programm erschien.
Lilli Zeifert
blickpunkt musical 02/2021

Eine persönliche Musical-Reise
»Mark Seibert – Musicals!« im Live-Stream aus dem Ebertbad Oberhausen
M ark Seiberts Reise in seine Welt der »Musicals!«
wurde am 14. Februar im Ebertbad Oberhausen,
das schon so etwas wie das Wohnzimmer für Sound of
Music – Concerts ist, aufgezeichnet und war sowohl
im Live-Stream (inklusive 14-Track-Highlight-CD)
als auch am Wochenende darauf jeweils sechs Stunden
lang verfügbar.
Mark Seibert moderierte den Abend selbst und ver-
hehlte auch nicht seine Nervosität, »die ihn generell
bei Solo-Konzerten packt, bis er in die erwartungs-
voll strahlenden Gesichter seines Publikums schaut«.
Seibert musste jedoch mit den Kameraaugen vorlieb-
nehmen und kam sich vor wie ein Showmaster in
»Wetten, dass…?«.
Es kann kaum nachvollzogen werden, wie sich eine
Interpretin oder ein Interpret eines Songs fühlt, wenn
der letzte Ton gesungen ist und der Blick sich nicht in
Erwartung einer Reaktion dem Publikum zuwendet,
da es Corona bedingt nicht anwesend sein darf. In
einer solchen Situation spielt die musikalische Beglei-
tung eine wichtige Rolle: So war es hier die hervorra-
gende Pianistin Marina Kommissartchik, die mit den
Sängern kommunizierte und ihnen Feedback gab. Für
ein stimmiges Lichtdesign sorgte Matthias Vierjahn
und den gelungenen Stream verantwortete Florian
Albers, der bereits durch eigene Konzerte Erfahrung
gesammelt hatte.
Mark Seibert erledigte die Sache mit Bravour –
sowohl als Reiseführer durch seine Karriere, die ihn
immer wieder nach Wien, auf Tour durch zahlreiche
deutsche Städte, zuletzt nach Fulda und bis Shanghai
führte, als auch bei der Favoriten-Reise an den Broad-
way und ins West End sowie in ältere und neuere Bild-
schirm-Musicals.
Seiberts Karriere begann nach der Ausbildung in
Wien mit seiner Rolle als Tybalt in der deutschspra-
chigen Erstaufführung von »Romeo & Julia«. Es ge-
lang ihm, mit dem Song ›Ich bin schuldlos‹ die Rolle
des leidenden Bösen wiederzubeleben. Seibert blieb in
Wien, auch wenn ›Letzter Vorhang‹ aus »Schikaneder«
eher ans Ende des Programms gepasst hätte. Zumal
dieser Titel mit »Schluss mit dem Theater, Phantasie
gestrichen, die Träume annulliert« brisant aktuell den
derzeitigen Kulturverlust beschreibt. Wahrscheinlich
sollte gerade deshalb das Konzert nicht mit dieser Bot-
blickpunkt musical 02/2021
Konzerte & Entertainment
schaft ausklingen. Eine Perle, von Matthias Vierjahn
in besonders schöne Lichtstimmung getaucht, war der
bewegende Song des sterbend einen Abschiedsbrief
Abb. oben von links:
1. Mit ›Sarah‹ aus »The Civil War«
schafft Mark Seibert einen beson-
ders emotionalen Moment
an ›Sarah‹ schreibenden Soldaten aus dem Wildhorn- 2. Marle Martens mit ihrem bewe-
Musical »The Civil War«, den Seibert in der deutschen genden Solo ›She Used to Be Mine‹
Übersetzung von Nina Schneider darbot. aus »Dear Evan Hansen«
Eine besondere Überraschung war, als er aus der 3. Thomas Hohler interpretiert
verschobenen Uraufführung von »Robin Hood«, in der lebendig ›Simply Love‹ aus
»The Prom«
er die Titelrolle spielen wird, mit Erlaubnis der Kompo- Fotos (3): Sound of Music – Concerts
nisten Chris de Burgh und Dennis Martin zwei Songs
zum Besten gab: Robin verlässt mit ›Ich flieh‘ in den
Krieg‹ das Elternhaus und die ihm angetraute Marian.
Erst als er zurückkehrt, verliebt er sich in sie: ›Endlich
frei sein‹. Stargast und wunderbare Duett-Partnerin
Marle Martens harmonierte sehr gut mit Mark Seibert.
Für ihren emotionalen, starken Vortrag von ›She Used
to Be Mine‹ aus »Dear Evan Hansen« applaudierte auf
der Bühne zu Recht auch der Gastgeber begeistert, be-
vor er mit ihr das Duett ›Only Us‹ sang, wobei Martens
und Seibert durch ihre Interaktion die Dynamik der
Handlung vermittelten.
Special Guest Thomas Hohler schlüpfte an der Seite
von Seibert voller Energie in die Rolle von Wolfgang
Mozart, wobei spürbar war, dass beide das Streitduett
›Der einfache Weg‹ aus der neuen Wiener Fassung von
»Mozart!« bereits gemeinsam auf der Bühne performt
hatten. Gleiches galt für »die schönen kleinen Schat-
ten« aus »Elisabeth«. Ein besonderes Highlight bildete
beider Medley-Duett-Version von ›Empty Chairs at
Empty Tables‹ mit ›Bring Him Home‹, die wohl dra-
matischsten Momente aus »Les Misérables« in einem
Arrangement von Mario Stork vereint.
Erfreulicherweise blickten Seibert und seine Gäste
auch über den Tellerrand hinaus. Aktuelle Kunde von
Broadway und West End gab es von Thomas Hohler mit
dem berührenden ›Only You, Lonely You‹ aus Lloyd
Webbers Fassung von »Cinderella« und ›Simply Love‹
aus »The Prom«, von Mark Seibert mit einem klang-
vollen ›Finding Wonderland‹ (»Wonderland«) und zum
Abschluss der Musicalreise mit einem wundervollen
Dreier-Gesang von ›Falling Slowly‹ aus »Once«.
Nach dieser geglückten Musical-Reise wuchs ein-
mal mehr die Sehnsucht nach Öffnung der Theater
und Konzertbühnen.
Barbara Kern
29

Das ultimative Rollentausch-Konzert
»Miscast – Das völlig vertauschte Musicalkonzert« in Zeiten von Corona
Abb. oben:
Nick Körber (r.) hatte die Idee zu
»Miscast«, welches auf seinem
Facebook-Account gestreamt
wurde. Zwischen den Songs auch
ein Gespräch mit Regisseur und
Übersetzer Christoph Drewitz (l.)
Foto: Nick Körber
30
Konzerte & Entertainment
I m Januar dieses Jahres entstand während eines Tele-
fonats zwischen Nick Körber und seinem Manager
Thomas Neuwerth die gemeinsame Idee zu »Miscast«
(zu Deutsch: »fehlbesetzt«), einem seit Jahren bereits
am Broadway und im West End etablierten Konzept,
bei dem Darsteller Songs auf der Bühne präsentieren,
die sie normalerweise nie singen könnten oder dürften.
Dieses spaßige Format bot der junge Musicaldarsteller
Nick Körber nun gemeinsam mit illustren Gästen aus
der deutschsprachigen Musicalwelt. Bei dem Konzert
war alles, oder fast alles erlaubt. Jeder Darsteller sang
einen Titel, den er in einer Bühnenrolle nicht singen
würde, und nahm ein Video auf. In den meisten Fäl-
len wurden hierbei Musikstücke des entgegensetzten
Geschlechts ausgesucht. Die fertigen Videos wurden
dann im Rahmen der »Live-Show« auf der offiziellen
Facebook-Seite von Nick Körber präsentiert, wobei der
Gastgeber zwischen den Titeln mit seinen Gästen plau-
derte. Als Special Guests wurden Regisseur und Über-
setzer Christoph Drewitz sowie Thomas Neuwerth
(Buch) zum Kurzgespräch gebeten.
Den Anfang machte der Gastgeber, der bereits
zu Beginn seiner Karriere zwei absolute Traumrollen
spielen durfte – den Conférencier in »Cabaret« und
Frank‘N‘Furter in »The Rocky Horror Show«. Sehr
sympathisch und mit starker Bühnenpräsenz präsen-
tierte er ein aufwendiges Video zum Titel ›It‘s Not
About Me‹ aus dem Musical »The Prom«. Hier konnte
Körber neben seiner ausdrucksstarken Stimme auch
sein Schauspieltalent unter Beweis stellen. Darüber hi-
naus wären für Körber auch weitere Rollen denkbar ge-
wesen, wie beispielsweise Mrs Danvers aus »Rebecca«.
Oder auch Claire Zachanassian aus »Der Besuch der
alten Dame«: »Ja, ich merke schon, mein Rollentyp im
weiblichen Rollenfach sind ältere Frauen in schwarzen
Kleidern«, stellte er selbst amüsiert fest.
Der erste Gast war der britische Musicaldarsteller
Chris Green, der aktuell in Wien eine Operetten-
ausbildung macht. Er sang Norma Desmonds ›With
One Look‹ aus dem Andrew-Lloyd-Webber-Klassiker
»Sunset Boulevard«. Er intonierte mit klarer Stimme
und präsentierte den Song in einem schlichten Video.
Ein besonderes Highlight folgte als Nächstes: Die
österreichische Musicaldarstellerin Denise Jastraunig
sang einen Titel aus einem Stück, das man hierzulande
eventuell nicht kennt, nämlich ›This Is Not Over Yet‹
aus dem Jason-Robert-Brown-Musical »Parade«. Im
Video sieht man die Darstellerin, die aktuell in »Cats«
im Wiener Ronacher zu sehen sein sollte, in einer Art
Gefängnis. Sie punktet stimmlich, mit einer guten
Energie. Man vergisst fast, dass der Titel eigentlich von
einem Mann gesungen wird. Die beliebte Musicaldiva
Isabel Dörfler war ebenfalls mit von der Partie. Sie
präsentierte lustigerweise aus dem Stück »Chicago«,
das sie gespielt hat, den Billy-Flynn-Song ›Ich bin
nur für Liebe da‹ und sang den Titel so schön, dass
man auch hier fast vergaß, dass dieser eigentlich für
eine männliche Stimme bestimmt ist. Einen beson-
deren Moment bildete das Duett von Gastgeber Nick
Körber mit Martin Mulders. Sie sangen ein Lied,
mit dem wohl niemand gerechnet hätte: ›Die Stärke
einer Frau‹ aus »Rebecca«. Die Stimmen der beiden
harmonierten sehr schön. Der aus der Formation
»Adoro« bekannte Sänger Nico Müller, der inzwischen
auch im Musicalbereich tätig ist, überraschte zudem
mit ›Defying Gravity‹ aus dem Stephen-Schwartz-
Musical »Wicked«. Gesanglich begeisterte er, tat sich
zuweilen jedoch etwas schwer mit der englischen Aus-
sprache. Yvonne Köstler überraschte ebenfalls mit
ihrer Liedauswahl. Sie sang ›Heaven on Their Minds‹
aus Andrew Lloyd Webbers Rockoper »Jesus Christ
Superstar« und präsentierte den Titel in einem aufwen-
blickpunkt musical 02/2021

digen, ganz in Schwarz-Weiß gefilmten Video. Dabei
erinnerte sie stimmlich stark an Bonnie Tyler.
Zum Abschluss gab es einen zweiten Titel des Gast-
gebers. Diesmal fiel die Wahl auf ›Als die Liebe entstand‹
aus »Hedwig and the Angry Inch«. Hier präsentierte er
den Song in einem reduzierten Video mit zahlreichen
Animationen, das sehr stimmungsvoll wirkte.
Bei den kurzen Interviews mit den Darstellen zwi-
schen den Videos zeigte sich Nick Körber als fantasti-
scher Gastgeber und stellte sein Moderationstalent un-
ter Beweis. Dabei wirkte er durchgehend sympathisch
und stellte sehr interessante Fragen. Die beiden Special
Guests gaben Einblicke in ihre Arbeit. So erzählte Tho-
mas Neuwerth von seinen bevorstehenden Projekten,
wie etwa mit dem Duo »Ludique«, zu dem Martin
Mulders gehört. Regisseur Christoph Drewitz hinge-
gen sprach über seine bisherige Karriere und hatte den
Trailer zu seiner Inszenierung von »Priscilla – Königin
der Wüste« im Gepäck, welches hoffentlich demnächst
am Landestheater Linz zu sehen sein wird.
Mit »Miscast« hat Nick Körber ein engagiertes For-
mat ins Leben gerufen, das in Zeiten von Corona Mu-
sicaldarstellern die Möglichkeit gibt, sich zu zeigen. Da
blickpunkt musical 02/2021
Konzerte & Entertainment
es inzwischen einige Online-Formate gibt, ist es umso Abb. unten von oben links:
wichtiger, dass ein roter Faden vorhanden ist, was hier 1. ›Ich bin nur für Liebe da‹ – Isabel
selbstverständlich der Fall war. Außerdem hatte das Dörfler mit dem Lied des Billy Flynn
aus »Chicago«
Publikum die Chance, Songinterpretationen zu hö-
2. ›This Is Not Over Yet‹ – Denise
ren, die sie vielleicht nirgendwo anders hören würde. Jastraunig mit dem Song aus Jason
Die Interviews zwischen den Liedern waren locker, Robert Browns »Parade«
informativ und eine perfekte Ergänzung für dieses ge- 3. ›Die Stärke einer Frau‹ aus
lungene Format. Dennoch betonte Körber selbst: »Ich »Rebecca« – Martin Mulders im
Duett mit Nick Körber
hoffe tatsächlich, dass es ›nur‹ eine Übergangslösung
4. ›Heaven on Their Minds‹ aus
ist. Live-Theater kann durch nichts ersetzt werden. Ins- »Jesus Christ Superstar« – Yvonne
Theater-Gehen ist eine bewusste Entscheidung – die Köstler
Auswahl der Show, des Tages, der Reise, des Essens Fotos (4): Nick Körber
davor und der Abendgarderobe. Ein Stream ist leider
›nur‹ eine Veranstaltung, der man vom Sofa aus folgt.
Es ist wunderbar, dass wir die Möglichkeit haben, in
diesen besonderen Zeiten präsent zu bleiben und un-
serer Profession trotz allem nachgehen zu können, aber
ich hoffe, dass wir bald wieder live für die Leute Face-
to-Face da sein können. Denn die Gefühle, die in ei-
nem Theatersaal zwischen Publikum und Künstler ent-
stehen, sind etwas ganz Besonderes, das kein Stream
ersetzen kann.«
Ludovico Lucchesi Palli
31

Elf musikalische Ostereier aus Holland
Streaming-Konzert »A Musical Easter for You« vom Rotterdam Philharmonic Orchestra
Abb. oben von links:
1. Zu Ostern ›Gethsemane‹ aus
»Jesus Christ Superstar« mit Milan
van Waardenburg
2. Traum in Violett: Nyassa Alberta
singt ›The Color Purple‹
3. Brigitte Heitzer mit ›Kiss of the
Spider Woman‹
Foto (3): Karen van Gilst
32
Konzerte & Entertainment
W ährend Covid-19 die Niederlande fest im Griff
hat und Live-Konzerte vor Publikum auch bei
unseren Nachbarn unmöglich sind, hatten die Rotter-
damer Philharmoniker bereits Ende März 2020 die
Idee, Musik in die Wohnzimmer ihrer Zuhörer zu brin-
gen, und produzierten mit Mitgliedern des Orchesters
in deren eigenen vier Wänden das Musikvideo ›From
Us, for You‹, eine Aufnahme von Beethovens ›Ode an
die Freude‹, welches auf YouTube bereits von mehr als 3
Millionen Menschen angeklickt wurde. Zu Weihnach-
ten präsentierten sie erstmals ein Streaming-Konzert ex-
klusiv für die Niederlande, zu Ostern 2021 dann wollte
man auch Deutschland mit einem Video-on-Demand
zum günstigen Preis von 10 Euro überraschen. Seit dem
4. April 2021 und voraussichtlich noch bis Anfang Juli
kann auf www.rpho.nl/osterfest ein Konzert mit Musi-
cal- und Opernmelodien gebucht und vollkommen fle-
xibel auch mehrfach angesehen werden.
Das Streaming-Konzert »Ein musikalisches Oster-
fest« wurde professionell aufgezeichnet und ist am bes-
ten auf dem Fernseher in perfektem Dolby-Surround-
Sound zu genießen. Für das opulente Klangvolumen
sorgt das mit 80 Personen bestens besetzte Rotterdams
Philharmonisch Orkest unter der kraftvollen Leitung
von Alexander Hanson. Und wie könnte man ein Oster-
konzert besser starten als mit Andrew Lloyd Webbers
›Gethsemane‹ aus »Jesus Christ Superstar«? Unter
einem überdimensionalen LED-Lichtkreuz präsentiert
Publikums-Liebling Milan van Waardenburg (»Anas-
tasia«, »Tanz der Vampire«, »Der Glöckner von Notre
Dame«) diesen Klassiker mit einer symphonischen
Unterstützung, wie man sie bedauerlicherweise selbst
in Stadttheatern nicht mehr zu hören bekommt. Da-
bei schraubt sich Milan van Waardenburg stimmlich
in ein Crescendo-Finale, welches man einem Dimitri-
Darsteller nicht unbedingt zugetraut hätte. Später in
der Show schlägt er mit ›The Impossible Dream‹ aus
»Der Mann von La Mancha« dann ruhigere Akkorde
an. Dem deutschen Publikum ebenfalls ein Begriff ist
Nyassa Alberta, die als Tina (Turner) in Deutschland
und Holland auf der Bühne stand, aber auch in »Der
König der Löwen«, »Bodyguard« und »Sister Act« bes-
tens besetzt war. Ihre Gershwin-Hymne ›Someone to
Watch Over Me‹ aus dem Musical »Oh Kay!«, aus dem
Jahr 1926 berührt und kann sich in die über 1.000
Coverversionen des Songs von Ella Fitzgerald – über
Barbra Streisand bis Sinéad O‘Connor – einreihen. Im
Duett mit Brigitte Heitzer präsentiert Alberta sehr ge-
fühlvoll den aktuellen Love-Song ›What About Love‹
aus dem Musical »The Color Purple«. Die Niederlän-
derin Brigitte Heitzer wurde 2007 in der Fernseh-
show »Op zoek naar Evita« für die Titelrolle gecastet,
war danach aber auch Jane in »Tarzan« und Ellen in
»Miss Saigon«. Ihr Solo ist das erotische ›Kiss of the
Spider Woman‹ aus dem gleichnamigen Kander/Ebb-
Musical. Die niederländische Mezzosopranistin Karin
Strobos ist durch ihre zahlreichen Opernengagements
am Essener Aalto-Musiktheater bekannt und präsen-
tiert radschlagend und augenzwinkernd den einzigen
Opernsong ›Non più mesta‹ aus Rossinis »La Ceneren-
tola«. Bei ›All I Ask‹ aus Lloyd Webbers »Das Phan-
tom der Oper« gibt sie mit Duett-Partner Rein Kolpa
eine geschulte Christine, als Grizabella weiß sie mit
›Memories‹ aus »Cats« den Mond anzusingen. Der Te-
nor Rein Kolpa (Aramis in »3 Musketiere«, von Trapp
in »The Sound of Music« und Darsteller der Titelrolle in
»Jekyll & Hyde«) darf in ›Oh, What a Beautiful Mornin‘‹
die Schönheit von »Oklahoma!« preisen und mit ›This
Is the Moment‹ den Augenblick genießen. Die gelun-
genen Gesangsdarbietungen rundet eine instrumentale
Ballett-Choreographie mit Sheila María Hernández
Torriente und Edgar Sagarra Portuondo zu Maurice
Ravels ›Le Jardin Féerique‹ ab.
Wenn man an dieser sehenswerten Produktion un-
bedingt etwas auszusetzen sucht, ist es eventuell die
recht konservative Songauswahl teils doch recht be-
tagter Musical-Klassiker, die aber bestens für Musical-
Neulinge geeignet ist, um diese Klassiker einmal näher
kennenzulernen. Wirklich bedauerlich ist allein die
viel zu kurze Spielzeit von kurzweiligen 44 Minuten
und 30 Sekunden. Wenn das Projekt erfolgreich ist,
planen die Rotterdamer Symphoniker unabhängig von
Corona zu Weihnachten 2021 ihr nächstes Streaming-
Konzert, auf das man gespannt sein darf.
Stephan Drewianka
blickpunkt musical 02/2021
 Einblick

Mut zum Talent

»Scheiss drauf – jetzt erst recht! Wie meine Träume fliegen lernten«
Autobiografie von Tino Andrea Honegger

I m Februar 2021 veröffentlichte der Musicaldarsteller,

Regisseur und Produzent Tino Andrea Honegger sein
erstes Buch »Scheiss drauf – jetzt erst recht!«. Das Buch
ist eine gelungene Mischung aus Autobiografie und Rat-
geber für Leute, die ihre Träume verwirklichen wollen.
Es entstand im Sommer 2020 im Corona-Exil in Olten,
einer Stadt im Kanton Solothurn, in der Schweiz. In die-
ser Stadt ist der Buchautor aufgewachsen.
Tino Andrea Honegger wurde 1982 in Winter-
thur geboren und absolvierte seine Ausbildung an der
Hamburger Stage School of Music, Dance and Drama.
Nach der Ausbildung zog er nach Berlin, entwickelte
gemeinsam mit Lars Redlich die Musical-Comedy-
Shows »Beziehungsweise« und »Berlin in einem Zug«
und wirkte in zahlreichen Musicalproduktionen mit.
So war er unter anderem 2013/2014 als Lancelot in
»Monty Python‘s Spamalot« im Theater am Hecht-
platz in Zürich und im St. Pauli Theater Hamburg,
2014/2015 im Le Théâtre Kriens-Luzern (Schweiz)
als Tony Manero in »Saturday Night Fever« sowie als
Frank‘N‘Furter in »The Rocky Horror Show« an der
Alten Oper Erfurt von 2017-2020 auf der Bühne zu
erleben. Am 7. März 2020 feierte im Bernhard Thea-
ter Zürich das Familienmusical »Der Löwe, der nicht
schreiben konnte« Premiere, eine Adaption des
gleichnamigen Kinderbuches von Martin Baltscheit.
Mit dieser Uraufführung erfüllte sich Tino Andrea
Honegger den Traum, ein eigenes Musical als Produ-
zent und Regisseur auf die Bühne zu bringen. Nach
wenigen Vorstellungen wurde auch das Bernhard
Theater Zürich wegen der Corona-Pandemie geschlos-
sen. Seitdem steht die Kulturszene still, die Projekte
der Kulturschaffenden sind für unabsehbare Zeit auf
Eis gelegt. Doch ans Aufgeben denkt Tino Andrea
Honegger nicht. Er hat die freie Zeit genutzt, um ein
Buch zu verfassen, mit dem Ziel, angehenden Kultur-
schaffenden Mut zu machen, eigene Ideen umzusetzen.
In der ehrlichen, mit viel Leidenschaft geschriebenen
Lektüre lässt er die Leser teilhaben an den Erfolgen
und Rückschlägen seiner Laufbahn.
»Ich habe zahlreiche Rückschläge in meinem Leben kennen und dich bei der Entfaltung desselben unter- Foto: Thomas Buchwalder
erlebt und erlitten. Vom Tumor im Knie, einer gerisse- stützen, die bereit sind, Risiken mit dir einzugehen,
nen Achillessehne über misslungene Castings bis hin Grenzen zu überwinden, die dich hochziehen und
zu gefloppten Shows … Aber eine Entscheidung ist nicht niedermachen, die dich aufrichten, wenn du
und war die Beste meines Lebens: Nämlich die, konse- strauchelst, die helfen, wenn du Hilfe brauchst.«
quent meine Träume zu verfolgen. Warum? Weil es mir Außerdem bezieht sich der Autor auf die Erfolgs-
Freude bereitet und mich glücklich macht. Aber das ist geschichten internationaler Schauspielerinnen und
nicht alles. Als Entertainer macht man ja auch andere Schauspieler, Sportlerinnen und Sportler, Künstlerin-
Menschen froh.« nen und Künstler, deren Karrieren steinig waren.
Scheiss drauf – jetzt erst
In den 21 Kapiteln des autobiografischen Ratgebers Das sehr lesenswerte Buch empfiehlt sich allen, die
setzt er sich mit unterschiedlichsten Themen ausei- an ihre Träume glauben oder einfach nur einen Stups recht! Wie meine Träume
nander, die zum Alltag der Kulturschaffenden gehö- benötigen, um ihre eigene Kreativität zu entdecken, fliegen lernten
ren, wie zum Beispiel Casting, der Umgang mit Kritik, um sie dann in Alltag, Hobby oder Beruf zu realisieren. Autobiografie / Ratgeber
In Bocca al Lupo Verlag
Selbsteinschätzung, Scheitern und natürlich Spass an Baldmöglichst ist eine Lesetour durch die großen Deutsche Erstausgabe: 4. Februar 2021
der Arbeit. Zugleich verweist er auf die Notwendigkeit Städte der Schweiz und Deutschlands geplant. Autor: Tino Andrea Honegger
von Freunden und Förderern. Taschenbuch
310 Seiten
»Förderer sind Weggefährten, die dein Talent er- Martina Friedrich

blickpunkt musical 02/2021 33


Ich liebe es, andere Persönlichkeiten
darzustellen, ihnen eine Stimme zu geben
Patrick Stanke über 25 Jahre Bühne und Alternativen in Coronazeiten
Foto: Sandra Then
blickpunkt musical: Sie feiern dieses Jahr Ihr
25-jähriges Jubiläum im Bereich des Musicals.
Herzlichen Glückwunsch dazu. 1996 waren
Sie im Ensemble des Theaters in Wuppertal-
Cronenberg, bevor Sie sich nach Ihrer Aus-
bildung an der Bayerischen Theaterakademie
August Everding zum Musicaldarsteller ausbil-
den ließen. Wie war Ihr Weg zum Musical?
Patrick Stanke: Herzlichen Dank für die Glück-
wünsche, und ich muss sagen, dass ich mir auch
einen schöneren Moment für mein 25-jähriges
Bühnenjubiläum hätte vorstellen können, aber
so sind sie nun mal, diese Zeiten.
Ich habe sehr früh, als Kind schon, in der Schul-
band gesungen und Instrumente gespielt, sodass
mir sehr schnell klar wurde, das möchte ich
gern beruflich machen. Als ich dann in Wup-
pertal mit 14 meinen ersten Gesangsunterricht
34
Vis-à-Vis
bei Dora Brockmann bekam, gingen damit auch
die ersten Berührungen mit dem Thema Musi-
cal einher. Erste Aufführungen im Rahmen
des Gesangsstudios von »Anatevka«, Andrew-
Lloyd-Webber-Galas und Liederabenden bis hin
zur Aufführung von »Anatevka« im Opernhaus
Wuppertal haben mich letztendlich ans TiC
Theater in Wuppertal gebracht. Dort verbrachte
ich dann als junger Spund 4 Jahre auf den Bret-
tern, die die Welt bedeuten, und dort habe ich
das Handwerk Musical sowie die Leidenschaft
und Liebe zu diesem Beruf kennengelernt.
blimu: Würden Sie uns bitte beschreiben, was
Ihnen Musicals persönlich bedeuten?
PS: Im Musical kann ich zwei meiner großen
Leidenschaften ausleben. Singen und Schauspie-
len. Gern schlüpfe ich in andere Rollen. Persön-
lichkeiten, die Großes erleben, etwas bewegen
und die Welt verändern oder auf Umwegen die
große Liebe finden usw. Ich liebe es, andere Per-
sönlichkeiten darzustellen, ihnen eine Stimme
zu geben, und wenn diese dann auch noch sin-
gen dürfen, dann ist das Musical und geht mir
sehr nah.
blimu: Wenn Sie an die vergangenen 25 Jahre
zurückdenken, gibt es ein Ereignis oder einen
Auftritt, der Ihr Leben verändert hat oder der
Ihnen persönlich einfach viel bedeutet?
PS: Ich muss mich erst mal bei allen Menschen
bedanken, die schon in meinen ersten Jahren als
Musicaldarsteller etwas in mir gesehen haben,
was mich letztendlich dorthin geführt hat, wo
ich nun stehe. Mitten in der Gesellschaft und
vor allem mitten im Musical. Ich bin unendlich
stolz darauf, das machen zu dürfen, was ich ge-
rade mache, und es ist mir bewusst, dass all das
nicht selbstverständlich ist.
Besondere Ereignisse erfordern meistens beson-
dere Momente. In meinem Fall war es meine
allererste Audition für das Musical »Titanic«. Ich
war noch an der Bayerischen Theaterakademie
im Studiengang Musical und zu dieser Zeit gas-
tierten die Studenten als Tanzensemble der Oper
»La Bohème« bei den Bregenzer Festspielen, als
ich meine Tasche packte, um in Hamburg vor-
zusingen. Der ganze Tag in Hamburg, zum ers-
ten Mal vor einer Jury zu singen, zum ersten Mal
die Luft zu schnuppern, in einem professionellen
Musical die Hauptrolle spielen zu können, das
war der besondere Moment, der letztendlich zu
einem und noch viel mehr besonderen Ereignis-
sen führte.
blimu: In Ihrer Laufbahn haben Sie bereits zahl-
reiche Musicalrollen gespielt. Darunter waren
zum Beispiel auch Frederick Barrett in »Tita-
nic«, D‘Artagnan in »3 Musketiere«, Graf Axel
von Fersen in »Marie Antoinette«, Joey in »Sis-
ter Act«, Kerchak in »Tarzan« und Jean Valjean
in »Les Misérables«. Gibt es bei all den Rollen,
die Sie in ihrem Leben schon verkörpert haben,
eine, die Sie möglicherweise weniger mochten,
mit der Sie sich sehr wenig identifizieren konn-
ten oder die eine ungewöhnlich große Heraus-
forderung für Sie dargestellt hat?
PS: Es ist sicherlich immer leichter und/oder so-
gar angenehmer, eine Figur zu spielen, die char-
mant, beliebt, berühmt oder hübsch ist. Aber
wenn eine Figur nicht aneckt, also keine Kan-
ten hat, sich nichts zu schulden kommen lässt
oder gar nichts riskiert, dann ist die Aufgabe
blickpunkt musical 02/2021
 Vis-à-Vis

D‘Artagnan (2.v.l.) in »3 Musketiere« Berlin 2005 mit

(v.l.): Marc Clear als Athos, Mathias Sanders als Aramis
Wolfgang Amadeus Mozart in »Mozart!« Tecklenburg 2008 mit
und Christian Schleicher als Porthos
Foto: Brinkhoff/Mögenburg / Stage Entertainment
Ethan Freeman als Leopold Mozart
Foto: Birgit Bernds

Graf Axel von Fersen in »Marie Antoinette« Bremen 2009

mit Roberta Valentini in der Titelrolle Radames in »Aida« Tecklenburg 2009
Foto: Birgit Bernds Foto: Birgit Bernds

Dave Bukatinsky in »The Full Monty« Dortmund 2011 mit (v.l.):

Markus Schneider als Elton und Dirk Weiler als Harald
Foto: Thomas M. Jauck

blickpunkt musical 02/2021 35

 Vis-à-Vis

Graf Axel von Fersen in »Marie Antoinette« Tecklenburg Radames in »Aida« Nordhausen 2013
2012 mit Anna Thorén in der Titelrolle mit Nyassa Alberta in der Titelrolle
Foto: Sandra Reichel Foto: Roland Obst

Che in »Evita« Solingen 2013 mit Banu Böke als Eva Perón Artus in »Artus – Excalibur« St. Gallen 2014
Foto: Uwe Stratmann Foto: Andreas J. Etter

36 blickpunkt musical 02/2021


als Schauspieler dahinter nicht sehr spannend;
was nicht bedeutet, dass man sich nicht selbst zu
einer »langweiligen« Rolle etwas ausdenken
kann. Ich habe gern Herausforderungen und
verbiege mich auch sehr gern. Natürlich ist es
für mich leichter, eine Rolle wie zum Beispiel
Wolfgang Amadeus Mozart zu spielen, weil
diese eben die vorher angesprochenen Dinge
mitbringt, mir aber auch im Temperament sehr
ähnlich ist. Da fällt es mir schon schwerer, einen
Grafen Axel von Fersen zu spielen. Natürlich
freue ich mich auf Herausforderungen, die mich
den ganzen Abend erfüllen, sodass ich am Ende
der Vorstellung wirklich alles geben konnte und
am Ende meiner Kräfte bin. Das war nicht bei
allen Shows der Fall, da ich nicht immer die
»erste Geige« spielen darf/kann und in einem
Musical wie zum Beispiel »Sister Act«, wo es
ganz klar um Delores geht, ist man als Joe na-
türlich ein wenig »unterbeschäftigt«. Was »man«
und in diesem Fall »ich« da lernen musste, nach-
dem meine Ausdauer und Konzentration bisher
darauf lag, eine Hauptrolle den ganzen Abend
durch ein Stück zu führen, war es, bei diesen
kleineren Rollen, alles, was die Figur ausmacht
und was ich erzählen muss, innerhalb der zwei/
drei Auftritte zu erzählen. Das musste ich lernen,
und es ist mir sogar hin und wieder gelungen.
Foto: Sandra Then
blickpunkt musical 02/2021
Vis-à-Vis
blimu: Bei einigen Musicals wie zum Beispiel
»Hair«, »Hairspray«, »La Cage aux Folles«,
»3 Musketiere« und »Mozart Superstar« führten
Sie Regie. Wie kam es dazu, dass Sie Regisseur
wurden und welche Bedeutung hat dieser andere
Blickwinkel auf ein Stück für Sie?
PS: Auch da muss ich mich bedanken bei Men-
schen, die eben auch diese »Gabe« in mir sahen,
und in diesem Fall bei Stefan Hüfner vom TiC
Theater, der mir meine erste Regie in »Der kleine
Horrorladen« anvertraute. Seither darf ich das
immer wieder mal machen und das freut mich
sehr.
Den anderen Blickwinkel zu haben, mal von
der anderen Seite zu schauen und zu beurteilen,
ob etwas wirkt und was eben nicht, liegt in der
Natur des Schauspielers. Ich glaube nicht, dass
mich das besonders auszeichnet. Das machen
wir ständig und stetig. Nur so wächst man als
Darsteller und kann eben auch an Fehlern oder
eben auch guten Leistungen stärker werden.
Mir gefällt es sehr, die Entwicklungen der jewei-
ligen Rollen mitzuerleben und zu gestalten und
die Wege und Geschicke der Figuren auf der
Bühne zu leiten und sie ggf. auf ein neues Gleis
zu setzen. Das ist sehr spannend, und, wenn das
Ergebnis dann auch noch beim Publikum an-
kommt, auch sehr erfüllend.
Was die Presse sagt, ist mir relativ wurscht.
Solange wir mit unserer Arbeit im Team einen
Nenner gefunden haben, alles für mich stimmig
ist, dann weiß ich, dass das Stück funktioniert
und so wie es ist, gut ist. Da bleibt dann kein
Spielraum für subjektive Meinungen und An-
sichten eventueller Kritiker. Dafür bin ich dann
doch selbst zu sehr Künstler.
blimu: Sie sind ebenfalls ein Gründungsmitglied
der Gruppe »Musical Tenors«. Wann und wie
ist diese Gruppe genau entstanden und welche
Erlebnisse gab es, die Sie erzählen können?
PS: Die »Musical Tenors« wurden von Andreas
Luketa (Geschäftsführer von Sound of Music,
Konzertveranstalter und Künstlermanager,
Anm. d. Red.) entwickelt, konzipiert und pro-
duziert. Das begann alles 2011, soweit ich mich
erinnere. Seither hatten wir zahlreiche Konzer-
te und tolle Momente auf vielen Bühnen im
ganzen Land. Es war und ist immer ein biss-
chen das Rockstar-Leben, das ich mir so sehr
gewünscht habe. Das lebe ich dann ganz kurz
bei den »MT«-Tourneen aus und das fühlt sich
toll an.
37

blimu: 2020 sollten Sie Maxim de Winter im
Erfolgsmusical »Rebecca« in Magdeburg verkör-
pern, doch dann kam die Covid-19-Pandemie
und der Lockdown. Die Theater und Veranstal-
tungsstätten mussten schließen, Vorstellungen
und Konzerte mussten entweder verschoben oder
abgesagt werden. Was waren Ihre ersten Gedan-
ken, als es zum ersten Lockdown kam? Wie haben
Sie persönlich diese Anfangszeit erlebt?
PS: »Nachtigall, ick hör dir trappsen!«
Das war der Ohrwurm, den ich hatte, als alles
anfing und ich bereits Lunte roch: »Hier stimmt
was nicht!«
Es hat mich wie alle Anderen sehr hart und un-
vermittelt getroffen und jetzt, ein Jahr später, sit-
zen wir immer noch zu Hause und viele meiner
Kollegen mussten spontan umsatteln auf andere
Jobs, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Für mich war klar, ich darf hier nicht herumsit-
zen, ich muss was machen. Nur was?
Am Anfang stand ich sehr ratlos da, als ich sah,
dass so viele meiner Kollegen ihr Können im In-
ternet kostenlos anboten. Das war für mich ein
herber Schlag. Denn mein erster Gedanke war:
Mach‘ ich meine Konzerte eben online.
Aber das hätte mich zu dem Einzigen gemacht,
der für das, was alle Anderen umsonst machen,
Geld verlangt.
Das stellte mich in meinem Kopf auf eine Posi-
tion, an der ich nicht sein wollte.
Aber schnell wurde mir klar, dass die Position,
Judas Iscariot in »Jesus Christ Superstar« Basel 2016
mit Alexander Klaws als Jesus Christ
Foto: Sandra Then
38
Vis-à-Vis
auf der ich momentan stand, auch keine Dauer-
lösung ist. Also habe ich »Livet!me Concerts«
entwickelt und streame seither konzeptionelle
Online-Konzerte. Das ist kein Ersatz für Live
Events, aber eine gute Möglichkeit, die Zeit zu
überbrücken, bis es wieder möglich ist, sich in
einem Theater wiederzusehen.
blimu: Diese Streamingkonzerte veranstalten Sie
aus Ihrem privaten Wohnzimmer, wo manch-
mal auch Ihre Frau mit anwesend ist. Wie finden
Ihre Frau und Ihre zwei Kinder es, dass Sie das
jetzt alles zu Hause stattfinden lassen? Interessie-
ren sich Ihre Kinder auch für Ihre Arbeit?
PS: Für die Kinder ist es natürlich etwas ganz
Besonderes, den Papa zur Zeit so viel von Zu-
hause aus arbeiten zu sehen. Homeoffice ist ja
in meinem Beruf gar nicht vorgesehen, nun
aber doch und beide sind immer sehr begeis-
tert, fiebern dem nächsten Konzert entgegen
und kommentieren auch ganz gern mal ein
Lied, welches sie die ganze Woche schon immer
wieder hören »mussten« mit: »Och nöö, nicht
das blöde Lied …«
Meine Frau ist Teil der ganzen Produktion.
Sie hilft mir bei der Umsetzung der Konzerte.
Sie plant mit mir das Programm, die Konzepte
dahinter. Sie entwirft und entwickelt die Deko-
rationen und letztendlich am Tag des Konzerts
kümmert sie sich, neben dem perfekten Catering
für alle Beteiligten, eben um die Kinder, damit
diese nicht während der Live-Schalte durchs
Bild laufen.
blimu: Sie sind auf der Internetplattform
»Patreon«, die für Künstler und deren Fans da
ist, vertreten. Würden Sie bitte erläutern, wie Sie
darauf gekommen sind und was diese Plattform
genau für eine Funktion hat?
PS: Eine befreundete Kollegin hat mich darauf
gebracht und ich fand die Idee erst sehr beklem-
mend, aber nach gründlicher Überlegung wurde
mir klar, das ist genau das Richtige für mich!
Grundsätzlich geht es bei dieser Plattform um
die Unterstützung von Künstlern, die nicht mit
einem großen Plattenvertrag gesegnet sind und
die ihre Fans und Freunde mit ersten, brandhei-
ßen News als Dank für ihre finanzielle Unter-
stützung ausstatten.
Zudem versorge ich meine »Patrickons« immer
wieder mit Songs am Klavier, wir schreiben
gemeinsam einen Song oder ich zitiere meine
Lieblingsgedichte von Shakespeare oder lasse
sie teilhaben an der Entwicklung meiner aktu-
ellen Projekte, wie zum Beispiel meinem neuen
Weihnachtsalbum »Patrick Stanke – Merry
Christmas«.
Alle diese exklusiven Einblicke bekommt
man, wenn man sich auf meiner Patreon-Seite
registriert und ein entsprechendes Abo auswählt.
blickpunkt musical 02/2021
 Vis-à-Vis

Kardinal Richelieu in »3 Musketiere«

Magdeburg 2019 mit Ensemble
Foto: Nilz Boehme

Rob Cole in »Der Medicus« München 2018 mit (v.l.):

Christian Schöne als Karim, Kristian Lucas als Mirdin
Askari und Reinhard Brussmann als Ibn Sina
Foto: Spotlight Musicals / Michael Eloy Werthmueller

Jean Valjean in »Les Misérables« Tecklenburg 2018 Kerchak in »Tarzan« Oberhausen 2016
mit David Jakobs (l.) als Enjolras und Ensemble mit Sabrina Weckerlin als Kala
Foto: Sandra Reichel Foto: Stage Entertainment / Disney

blickpunkt musical 02/2021 39


Als Mitglied der »Musical Tenors« (r.) bei der »Older But Not Wiser«-Tour
2018 mit (v.l.): Christian Alexander Müller, Jan Ammann und Mark Seibert
Foto: Stephan Drewianka
Zuletzt haben wir uns in einem privaten Zoom-
Video-Raum getroffen, in dem die »Patrickons«
die Möglichkeit hatten, mit mir persönlich und
privat in Kontakt zu kommen und einem klei-
nen privaten Konzert zu lauschen.
blimu: Ihre Konzepte für die Streamingkonzerte
sind etwas außergewöhnlich. Ihre Fans können
während der Konzerte mit Ihnen und auch mitei-
nander chatten und sich vorab Lieder wünschen.
Sie nehmen die Konzerte auf und bieten sie da-
nach den Zuschauern in speziellen Upgrades ent-
weder als extra MP3-Download oder als exklu-
sive CD mit individuellen Wunschsongs an. Auch
Gäste sind meistens bei Ihren Konzerten dabei.
Kürzlich haben Sie sogar ein Konzert namens
»Winet!me« gegeben, bei dem die Zuschauer,
die ein Ticket dafür erwarben, vier Weinproben
nach Hause erhielten. Wie kamen Sie auf diese
außergewöhnliche Idee und wie haben Sie diese
umgesetzt?
PS: Das Format »Winet!me Concerts« ist aus
einer zufälligen Idee entstanden, die innerhalb
kürzester Zeit Form, Gestalt und auch Klang
angenommen hat.
Als Musicaldarsteller bin ich oft und viel unter-
wegs und lerne während meiner Reisen die
40
Vis-à-Vis
unterschiedlichsten Menschen kennen. So
kreuzten sich während eines Engagements die
Wege von Klaus Schäfer und mir.
Klaus ist Winzer mit Leib und Seele und Meis-
ter seines Fachs. Wir haben uns auf Anhieb
verstanden und nach einem Abend mit tollen
Gesprächen führten wir uns gegenseitig in die
Philosophie unserer jeweiligen Fachgebiete ein:
Die Welt der Weine und die Welt des Musicals.
blimu: Auf welche weiteren interessanten Strea-
mingkonzert-Konzepte wie das »Winet!me«-
Konzert wird man sich noch freuen können?
PS: Ich arbeite täglich an neuen Konzepten, um
meinem Publikum und mir eine Perspektive zu
geben, in dieser theaterlosen Zeit. Ihr könnt ge-
spannt sein – da kommt noch einiges!
blimu: Gibt es bereits ein Projekt für die Zeit,
wenn die Theater wieder öffnen?
PS: Ja, ich habe Verträge für diesen Sommer und
auch Angebote für die Zeit im Winter 2021.
Aber viel Hoffnung hege ich da nicht, dass alles
so läuft, wie wir es uns mal gedacht haben. Wir
werden sehen, was die Zeit mit sich bringt.
Bleibt gesund und schaut mal vorbei auf meiner
Website.
blimu: Herzlichen Dank für den privaten Ein-
blick in Ihre Arbeit. Alles Gute für die Zukunft
in dieser ungewöhnlichen Zeit.
Das Interview führte Lilli Zeifert
Patrick Stanke ist seit 25 Jahren Musicaldarstel-
ler, Schauspieler, Sänger, Hörspielsprecher und
Regisseur. Bekannt wurde er vor allem durch
seine Titelrollen in Musicals wie »Jekyll & Hyde«,
»Jesus Christ Superstar«, »Mozart!« und »Artus –
Excalibur«. Nach seiner Ausbildung zum Musi-
caldarsteller an der Bayerischen Theaterakade-
mie August Everding spielte Patrick Stanke eine
Vielzahl an Titel- und Hauptrollen, so wie in
»3 Musketiere«, »Mozart!«, »Marie Antoinette«,
»Aida«, »The Full Monty«, »Les Misérables« und
»Die letzten fünf Jahre«. Zudem kreierte er Rol-
len in Uraufführungen wie Dr. Heinrich Sand in
»In Nomine Patris« und die Titelrollen in »Artus –
Excalibur« und »Casanova«. Des Weiteren ist
er Mitglied in der Gesangsformation »Musical
Tenors« und führt immer wieder auch Regie. In
unzähligen Konzertformaten ist Stanke gern ge-
sehener Solist oder selbst Gastgeber.
blickpunkt musical 02/2021
 Vis-à-Vis

Johannes Taucher in »Paradise of Pain« Tiernan in »The Pirate Queen« Nordhausen 2016
Saarbrücken 2015 mit Ensemble mit Corinna Ellwanger als Grace O‘Malley
Foto: Björn Hickmann Foto: Roland Obst

Jamie in »Die letzten fünf Jahre« Wetzlar 2020

mit Charlotte Heinke als Cathy
Foto: Julian Gdanietz

blickpunkt musical 02/2021 41

 Einblick
»Lächelnd denk ich an damals, als ich jung war
und schön« – wenn Theater krank macht
Dokumentation »Mijn Leven is van mij – Pia Douwes«
Abb. oben:
1. Kaiserin Elisabeth im gleich-
namigen Musical in Essen 2001
A m 23. Januar wiederholte das niederländische
Fernsehen das »Intime Portrait des internatio-
nal gefeierten Musicalstars Pia Douwes« von Emma
Foto: Stage Entertainment / Karen Stuke
Westermann. Die Dokumentation aus dem Jahr 2018
(deutscher Titel wäre »Ich gehör‘ nur mir«) beschreibt
jedoch weniger den Glanz und den Glamour einer ein-
zigartigen Musical-Karriere, sondern zeigt vielmehr
die Schattenseiten einer Branche, die einen Menschen
physisch und psychisch enorm belasten können.
Pia Douwes verkörperte bereits alle starken Frauen-
rollen in Musicals, ob Velma Kelly in »Chicago«, Milady
de Winter in »3 Musketiere«, Fantine in »Les Miséra-
bles«, Mrs Danvers in »Rebecca« oder ihre Glanzrolle
Elisabeth. Alle diese Frauen kämpften dafür, von der
Gesellschaft wahrgenommen und akzeptiert zu wer-
den, und dieses Thema beschäftigt Douwes seit ihrer
Kindheit. Mit dem spontanen und expressiven Mäd-
chen können andere, gleichaltrige Kinder nicht gut um-
gehen. Mit 12 Jahren kommt Douwes auf ein Internat,
was ihr die Möglichkeit eines Neuanfangs beschert.
Das Abenteuer und die Freiheit, neue Mitschüler ken-
nenzulernen, die ihr das Gefühl geben, dazuzugehö-
ren oder akzeptiert zu werden, ist sehr wichtig für sie.
Nur die Trennung von den Eltern, die sie nur an den
Wochenenden sehen kann, ist schwer und wird zu
einem Ritual von Abschiednehmen und Alleinsein.
Nach ihrer professionellen Ausbildung zur Musicaldar-
stellerin öffnet sich für Douwes eine neue Welt, in der
sie in ihren Rollen alles ausdrücken und sich selbst
42
verwirklichen kann. So kommt die junge Frau nach
Wien, das Mekka des Musicals in Europa. Bei einem
Casting aus 400 Mitbewerbern für eine Rolle in einem
neuen Stück, von dem niemand weiß, was daraus wer-
den würde, wird sie für die Rolle der Kaiserin Elisabeth
ausgewählt. Als Neuling quälen sie die Ängste, ob sie
der Herausforderung einer Hauptrolle gerecht wer-
den kann und ob sie überhaupt in diese Musicalwelt
hineinpasst. Das Gefühl von Zusammengehörigkeit,
Akzeptanz, Liebe und Freundschaft im Ensemble ist
für sie überwältigend und positiv. 24 Stunden an 7 Ta-
gen der Woche in 8 Shows zu spielen ist normal, macht
Spaß und ist spannend. Das Leben liegt in der Gegen-
wart, für die Zukunft wird nicht geplant, und nach
dem Theater geht es noch als Nebenjob in eine Bar zum
Singen. Doch die Rolle der Elisabeth verlangt großen
körperlichen und seelischen Einsatz. Nach außen
hin zeigt sich Douwes fröhlich auf jeder Feier und im
Theater, innerlich fühlt sie sich einsam und wird de-
pressiv. Doch abends während der Vorstellung ist sie
voller Energie. Keiner ahnt von ihrer Depression, bis
sie 1996 die Notbremse zieht, für 1 Jahr nicht mehr
arbeitet und daran zweifelt, ob sie mit dem Beruf wei-
termachen sollte.
Doch während dieser Zeit ändert sie die Ein-
stellung zu ihrer Passion und merkt, wie sehr sie die
Bühne vermisst. Es geht um ein gutes Leben, nicht
ums Überleben. Ihre prächtige Karriere geht weiter,
in insgesamt über 30 Jahren darf sie fantastische Rol-
blickpunkt musical 02/2021

len spielen. Trotzdem kommen mit dem Älterwerden
Fragen auf wie, ob man sie noch auf der Bühne sehen
möchte. Im Oktober 2016 zur Premiere von »Sunset
Boulevard« am Opernhaus in Dortmund ist Douwes
noch enthusiastisch und feiert mit ihren stolzen Eltern.
Sie spielt in zwei Produktionen gleichzeitig, hat neben
Dortmund ein Engagement bei »Monty Python‘s Spa-
malot« in Salzburg und gibt Konzerte in Holland. Die
Darstellerin ist immer unterwegs, lebt aus den Koffern
im Auto und den Hotels, versorgt nebenbei ihre pfle-
gebedürftigen Eltern, findet noch Zeit für ihren Hund,
jedoch nicht mehr für sich selbst. Menopause bedingte
Migräneanfälle plagen sie häufiger, sie nimmt
Medikamente, was ihre Konzentration stört. Durch
das Hin- und Herreisen findet sie buchstäblich kaum
noch Luft zum Atmen. Neue Texte zu lernen für im-
mer neue Auftritte und 2 Premieren innerhalb von
10 Tagen zehren an ihrer Kraft. Im DeLaMar Thea-
ter in den Niederlanden muss Douwes ihr Konzert
»A Midwinter‘s Tale« absagen, nach einer schlaflosen
blickpunkt musical 02/2021
Einblick
Nacht mit heftigen Migräneattacken. Als sie den klas- Abb. unten von oben links:
sischen Song ›Gute Nacht‹ aus Schuberts »Winterreise« 1. Milady de Winter in »3 Musketiere«
interpretiert, bleibt ihr erstmals beim Singen die Luft Berlin 2005
Foto: Brinkhoff/Mögenburg / Stage
weg. Erst glaubt sie, es sind die Wechseljahre, aber es Entertainment
stellt sich heraus, dass sie ein Burnout hat. Sie gönnt 2. Norma Desmond in »Sunset
sich eine Pause von drei Monaten, doch mehr Zeit gibt Boulevard« Dortmund 2016
Foto: Thomas M. Jauck
es nicht, denn auch sie muss ihren Unterhalt verdienen
3. Mrs Danvers in »Rebecca«
und die geplanten Engagements warten auf sie. Stuttgart 2011
Bei den Proben zu »Next to Normal« in Fürth Foto: Brinkhoff/Mögenburg / Stage
Anfang 2017 spricht Kollegin Sabrina Weckerlin Entertainment
über ähnliche Probleme, weil sie zwischen »Tarzan«, 4. Claire Zachanassian in »Der
Besuch der alten Dame« Wien 2014
»Goethe! – Auf Liebe und Tod« und »Next to Normal«
mit Uwe Kröger als Alfred Ill
keine Zeit mehr für sich hat. Douwes muss die Proben Foto: Brinkhoff/Mögenburg / VBW
unterbrechen, weil sie kaum Schlaf findet im Hotel und
beim Singen zu wenig Luft bekommt. Den Fans bei der
Premiere an der Stage Door sagt sie, sie sei müde, gibt
trotzdem Autogramme, macht Fotos und nimmt sich
Zeit für Fanpost. Doch die Pause nach dem Burnout
war zu kurz. Sie muss ins Krankenhaus, bekommt In-
fusionen, benötigt dringend eine weitere Auszeit und
43
 Einblick
Abb. unten von oben links: sagt alle Auftritte in den kommenden Wochen ab. Es
1. Diana Goodman in »Next to Nor- folgt eine Zeit, in der es ihr seelisch und körperlich
mal« Fürth 2013 mit Dirk Johnston schlecht geht. Sie hyperventiliert und hat Panikatta-
als Gabe (l.) und Thomas Borchert
cken. Sie verbringt viel Zeit mit den pflegebedürftigen
als Dan Goodman (r.)
Foto: Thomas Langer / Eltern. Anders als ihre Brüder hat Pia Douwes keine ei-
Stadttheater Fürth genen Kinder, denen sie etwas weitergeben kann. Als sie
2. Fee aus dem See in »Monty sich Kinder wünschte, fehlte der Partner. Kinder allein
Python‘s Spamalot« Salzburg 2016
groß ziehen wollte sie nicht, und schließlich war es für
mit Ensemble
Foto: Birgit Bernds eigene Kinder zu spät. Daraus resultiert die Angst, min-
3. Kaiserin Elisabeth in Wien 1992 derwertiger als die eigenen Brüder zu sein und im Alter
mit Viktor Gernot als Kaiser die Geborgenheit einer Familie zu entbehren. Sie hat
Franz Joseph aber gelernt, dass es nicht schlimm ist, keine Kinder zu
Foto: Alexander CH. Wulz
4. Diana Goodman in »Next to haben, nicht verheiratet zu sein und nicht die Norm zu
Normal« Fürth 2013 erfüllen. Mit Physiotherapie, Konditionsaufbau, Trai-
Foto: Thomas Langer / ning, Stressabbau, Entspannungstechnik und dem Ler-
Stadttheater Fürth
nen loszulassen und Verspannungen zu lösen, erlangt
die Künstlerin wieder Vertrauen in den eigenen Körper.
Nicht zu viel nachdenken und einfach wieder han-
deln: Mit diesem Motto steht Pia Douwes im Sommer
2017 bei »Elisabeth in Concert« im Paleis Het Loo in
Apeldoorn in ihrer Kämpferrolle wieder auf einer Frei-
lichtbühne – und so endet die Fernsehdokumentation
mit einem Happy End.
Zwei Jahre später, während der holländischen Pro-
duktion von »The Addams Family«, verliert Pia Dou-
44
wes ihren geliebten Vater, der mit unzähligen Videos
permanent ihre Karriere dokumentiert hat. Den Tod
ihres Vaters zu verarbeiten kostet Zeit und Kraft, sie
sagt alle Engagements (u. a. Morgana in »Artus – Ex-
calibur« in Zwingenberg) ab. Nur die Open-Air-Pro-
duktion »Elisabeth in Concert« am Originalschauplatz
vor Schloss Schönbrunn in Wien bewältigt sie im Sep-
tember 2019. Hier beweist sie allen Fans und Kritikern,
dass sie stimmlich und darstellerisch weiterhin in der
Oberliga spielt. 2020 plant sie mit »Sister Act« und
einer ihrer weiteren Paraderollen als Claire Zachanas-
sian in »Der Besuch der alten Dame« ein Wiedersehen
in Tecklenburg, das coronabedingt erneut verschoben
werden muss. Erst kürzlich präsentierte sie ihr komö-
diantisches Talent bei der ersten Lesung des neuen
Musicals »Glücksflicken« und überzeugte die Autoren
Werner Bauer und Florian Albers restlos.
Wie Norma Desmond gehört Pia Douwes noch
lange nicht zum alten Eisen. Hoffen wir, dass es bald
wieder auf deutschen, österreichischen und niederlän-
dischen Bühnen heißt: »Endlich: Pia ist zurück. Dies-
mal für immer, ich bin wieder da, bin zurück, wo ich
Legende war, nur ein Blick macht mich wahr«!
Stephan Drewianka
blickpunkt musical 02/2021

Ein Märchenklassiker neu im Stream
»Rodgers‘ & Hammersteins Cinderella« auf Disney+
Abb. oben:
Die gute Fee (Whitney Houston, l.)
gibt Cinderella (Brandy Norwood, r.)
einen Rat: ›Impossible‹
Foto: Walt Disney
Cinderella
Rodgers & Hammerstein‘s Cinderella
Disney Studios
USA 1997
FSK 6
Länge: 88 min
Regie ............................ Robert Iscove
Drehbuch ....... Oscar Hammerstein II,
Robert L. Freedman
Idee ............................. Brüder Grimm
Kamera ........................... Ralf D. Bode
Filmschnitt ................. Casey O. Rohrs,
Tanya M. Swerling
Musik ........................ Richard Rodgers
Songtexte ......... Oscar Hammerstein II
Arrangements ........... Doug Besterman
Music Supervision .......... Paul Bogaev
Choreographie ................ Rob Marshall
Produktionsdesign .............. Randy Ser
Kostüme ...................... Ellen Mirojnick
Special Effects ............. Wayne Burnes,
Timothy B. Graham
Produzenten ................... Mike Moder,
Chris Montan
Cinderella ............... Brandy Norwood
Stiefmutter .............. Bernadette Peters
Calliope ........................... Veanne Cox
Minerva ............. Natalie Desselle Reid
Prinz Christopher ..... Paolo Montalbán
Lionel ....................... Jason Alexander
Königin Constantina ............... Whoopi
Goldberg
König Maximillian ......... Victor Garber
Gute Fee ................. Whitney Houston
46
Filme & Serien
D as altbekannte Märchen von »Cinderella« – auch
Aschenputtel genannt, kennt fast jeder. Auf
Charles Perraults Erzählung »Cendrillon ou la Petite
Pantoufle de verre« von 1697 zurückgehend und durch
die Brüder Grimm verbreitet, ist es vor allem durch den
Zeichentrickfilmklassiker von Walt Disney von 1950
verbreitet worden. Sind die Fortsetzungen von 2006 und
2007 sowie der gleichnamige Realfilm von 2015, unter
der Regie von Kenneth Branagh, bekannt, ist »Rodgers‘ &
Hammersteins Cinderella« aus dem Jahr 1997 weniger
populär. Dank des Streamingdienstes Disney+ ist der
Film nun auch in Deutschland zu erleben.
Die Gute Fee (Whitney Houston) berichtet von
einer magischen Begebenheit: ›Prologue‹. Kurz dar-
auf besucht Cinderella (Brandy Norwood), die nach
dem Tod ihres Vaters bei ihrer Stiefmutter (Bernadette
Peters) und deren Töchtern Minerva (Natalie Dessel-
le Reid) und Calliope (Veanne Cox) lebt, den Markt.
Dort trifft sie auf einen jungen Mann (Paolo Mon-
talbán), den Prinzen Christopher, der sich heimlich
unter die Untertanen mischt. Während sie ihm ihren
Namen verrät, bleibt seine Identität geheim. Die Sym-
pathie ist groß und beide spüren, dass sie einander ver-
stehen: ›The Sweetest Sounds‹. Kaum wieder im Schloss
angekommen, schwärmt der Prinz von seinem Ausflug
in die Stadt. Sein Diener Lionel (Jason Alexander) ver-
sucht dem Prinzen die Idee auszutreiben, dem Volk nä-
her sein zu wollen. Auch seine Eltern beobachten sein
Verhalten mit Sorge. Um ihren Sohn zurück auf den
rechten Weg zu bringen, trifft Königin Constantina
(Whoopi Goldberg) einen Entschluss. Sie plant einen
Ball, zu dem sie alle ledigen Frauen des Reiches ein-
lädt, damit Christopher während der Feierlichkeit sei-
ne Ehefrau wählen kann. Diener Lionel verkündet auf
dem Marktplatz die frohe Kunde, die sich schnell im
ganzen Reich verbreitet: ›The Prince Is Giving a Ball‹.
Cinderellas Stiefmutter und ihre Töchter sind hoch-
erfreut von der Kunde des Balls und schmieden eifrig
Pläne, wie sie den Prinzen verzaubern können, damit er
eine der Schwestern zur Braut nimmt. Derweil richtet
Cinderella daheim alles für die Rückkehr der Familie.
Während sie den Haushalt führt, träumt sie von ihrem
ganz persönlichen Glück: ›In My Own Little Corner‹.
Sie hofft, eines Tages das Haus verlassen zu können.
Doch ein Versprechen an ihren verstorbenen Vater,
pflichtbewusst bei ihrer Stiefmutter zu bleiben, hindert
sie daran, ihr eigenes Leben zu führen.
Derweil ist der Prinz noch immer in Gedanken bei
Cinderella und hofft, sie wiederzusehen. Ungeahnt
dessen bereiten sich die Stiefmutter und deren Töchter
für den großen Ball vor: ›Falling in Love With Love‹.
Auch Cinderella möchte den Ball besuchen, doch der
Wunsch wird ihr verwehrt. Während sie alleine zurück
bleibt, um sich abermals der Hausarbeit zu widmen,
(›In My Own Little Corner – Reprise‹), wird die Gute
Fee auf sie aufmerksam. Sie macht der jungen Frau Mut
(›Impossible‹), an ihre Träume zu glauben, da nichts
unmöglich ist. Cinderella erkennt die Wahrheit ihrer
Worte und ist bereit, ihre Wünsche Realität werden zu
lassen. Kurzerhand verwandelt die Fee einen Kürbis in
eine majestätische Kutsche und eine Handvoll Mäuse
in stolze Zugpferde. Mit einem Fingerschnippen wird
aus Cinderellas abgetragenem Kleid eine wunderschöne
Robe, die der einer Prinzessin gleicht. Euphorisch fährt
blickpunkt musical 02/2021

Cinderella zum Ball, mit dem Versprechen, diesen um
Mitternacht wieder zu verlassen, bevor sich der Zauber
der Fee auflöst: ›It‘s Possible‹. Als sie auf dem Ball er-
scheint, ist der Prinz bereits müde von den Damenbe-
kanntschaften, die alle nicht sein Herz erobern konn-
ten. Als er Cinderella erblickt, ist es um ihn geschehen.
Bei ihrem ersten Tanz spüren sie die Magie zwischen
sich: ›Ten Minutes Ago‹. Bei dem anschließenden Spa-
ziergang im Schlosspark offenbart sich beiden ihre Zu-
neigung: ›Do I Love You Because You‘re Beautiful?‹.
Dabei werden sie heimlich von Minerva und Calliope
beobachtet, deren Eifersucht auf die Schönheit der Un-
bekannten kaum zu zügeln ist: ›Stepsisters‘ Lament‹.
Als die Turmuhr des Schlosses Mitternacht schlägt,
flieht Cinderella, bevor ihre Verwandlung vollstän-
dig verblasst. Nur ein gläserner Schuh, den sie bei der
Flucht verloren hat, erinnert noch an sie.
Wieder zu Hause angelangt, berichten die Schwes-
tern von der wunderbaren Ballnacht. Cinderella
teilt mit ihnen ihren »Traum«, der ihren Erlebnissen
auf wundersame Weise sehr nahe kommt: ›A Lovely
Night‹. Schon am nächsten Tag macht sich der Prinz
mit dem gläsernen Schuh auf die Suche nach der ge-
heimnisvollen Schönheit, die er nach kurzer Zeit findet
und zu seiner Braut nimmt, stets beobachtet von der
Guten Fee: ›Finale Ultimo / There‘s Music in You‹.
Mehrfach nominiert und mit dem Emmy Award in
der Rubrik »Hervorragende Regie für ein Varieté- oder
Musikprogramm« ausgezeichnet, versprüht der Film
ein besonderes Flair. Im Stil der alten Disney-Klassiker
wie »Mary Poppins« (vergl. blimu Extra No. 9) oder
»Elliot, das Schmunzelmonster« wird der Realfilm
durch gezeichnete Elemente erweitert. So erscheint das
Schloss in weiter Ferne wie ein Gemälde und die Magie
der Fee wird durch tanzende Sterne und Kreiselemente
blickpunkt musical 02/2021
Filme & Serien
hervorgehoben. In den kunstvollen Kulissen, die mit Abb. unten von oben links:
zahlreichen, verspielten Details ausgestattet sind, tref- 1.Die Stiefmutter (Bernadette Peters,
fen sich Cinderella und der Prinz erstmals auf dem Mitte) und deren Töchter Minerva
(Natalie Desselle Reid, l.) und
Marktplatz, auf dem – nach der Verkündung des Balls –
Calliope (Veanne Cox, r.) träumen
die erste große Tanzszene stattfindet. Cinderellas Le- von einer königlichen Hochzeit:
ben als Hausmädchen findet in einem kargen Haus ›Falling in Love With Love‹
statt, das vor allem in der Küche wenig Farbe erkennen 2. Diener Lionel (Jason Alexander)
lässt, während das Schloss und dessen Park prunkvoll stellt sein Leben in den Dienst der
Krone: ›The Prince Is Giving a Ball‹
ausstaffiert sind. Die großen Ballszenen wirken eben-
3. Die Gute Fee (Whitney Houston)
falls opulent, nicht zuletzt durch die Choreographie 4. Prinz Christopher (Paolo Mon-
(Rob Marshall) der anmutigen Tänze. talbán) und Cinderella (Brandy
Untermalt wird die Geschichte mit der Musik von Norwood) haben sich verliebt: ›Ten
Richard Rodgers, während die Liedtexte von Oscar Minutes Ago‹
Fotos (4): Walt Disney
Hammerstein II, welcher auch das Drehbuch schrieb,
die Emotionen der Figuren tragen. Das Märchen wird
mit einem Cast zum Leben erweckt, dessen ethnische
Wurzeln bunt gemischt sind. Die US-amerikanische
R&B-Sängerin, Songwriterin, Schauspielerin und
Rapperin Brandy Norwood präsentiert eine weiche
Stimme, die Kummer und Freude gleichermaßen Aus-
druck verleiht. Sie harmoniert mit dem Stimmumfang
des auf den Philippinen geborenen Darstellers Paolo
Mantalbán. Die Songs, welche von Jason Alexander,
Ikone Whoppi Goldberg sowie Bernadette Peters ge-
sungen werden, dienen mit ihren überspitzen Gestal-
tungen hingegen dem komödiantischen Part der Ge-
schichte.
Die fantasievolle Musicaladaption des Klassikers
hebt sich durch die Songeinlagen von anderen Verfil-
mungen Disneys ab und erinnert dadurch viel mehr an
die Zeichentrickvariante als die neuere Realverfilmung
von 2015.
Sandy Kolbuch
47

Schillerndes Unterwasserabenteuer
»The SpongeBob Musical: Live on Stage!« auf Nickelodeon
Abb. oben:
Squidward Q. Tentacles (Gavin Lee)
mit dem Showstopper
›I‘m Not a Loser‹
Foto: Joan Marcus
The SpongeBob Musical:
Live on Stage!
Nickelodeon
USA 2019
Deutsche TV-Premiere: 24. Mai 2020
Länge: 229 min
Regie ......... Glenn Weiss, Tina Landau
Musik ................... Diverse Songwriter,
Tom Kitt, David Bowie,
Tom Kenny, Andy Paley
Choreographie ..... Christopher Gattelli
Kamera ......................... Brett Turnbull
Filmschnitt ..... Paul Ingvarsson, Egli Keli
Bühnenbild & Kostüme ..... David Zinn
Haare &
Perücken ............. Charles G. LaPointe
Make-up Design ............ Joe Dulude II
Lichtdesign .................... Kevin Adams
Sounddesign ...................... Tim Clark,
Walter Trarbach
Projektionsdesign ........... Peter Nigrini
Produzenten ..................... Kyle Jarrow,
Richard Owers, Austin Shaw
SpongeBob SquarePants .... Ethan Slater
Patrick Star ................... Danny Skinner
Sandy Cheeks ............ Christina Sajous
Squidward Q. Tentacles ...... Gavin Lee
Sheldon Plankton .......... Wesley Taylor
Karen the Computer ...... Katie Lee Hill
Mr Krabs ................... Brian Ray Norris
Pearl Krabs .... Jai‘Len Christine Li Josey
Mrs Puff ....................... Abby C. Smith
Gary the Snail ..... Allan K. Washington
Patchy the Pirate ............... Tom Kenny
The Mayor ...... Bryonha Marie Parham
Perch Perkins ........... Kelvin Moon Loh
48
Filme & Serien
M eeresbiologe und Trickfilmproduzent Stephen
Hillenburg entwickelte 1998 die Zeichentrick-
serie »SpongeBob Schwammkopf«, die in mehr als 100
Episoden und drei Kinofilmen den Erlebnissen des
Titelhelden und seiner Meeresmitbewohner in der
Stadt Bikini Bottom folgt.
2016 entstand das Musical mit dem Buch von Kyle
Jarrow sowie der Musik und den Liedtexten verschie-
dener Künstler. Die Premiere erfolgte im Oriental
Theatre in Chicago, wo es 327-mal gespielt wurde, bis
es 2018 an den Broadway ins Palace Theatre zog. Nach
Ende der Vorstellungen am Broadway wurde die Show
noch einmal fürs Fernsehen aufgeführt und in den
USA live gesendet. Die deutsche TV-Premiere erfolgte
am 24. Mai 2020 auf dem Sender Nickelodeon.
Die Fernseh-Show beginnt mit einer kurzen Zei-
chentrickfilmsequenz, die den Zuschauer belehrt,
was man während eines Musicals nicht tun sollte.
Anschließend beginnt das Stück mit typischen Unter-
wassergeräuschen, die das Publikum direkt nach
Bikini Botton bringen. Der Haupthandlungsort des
Stücks zeichnet sich durch seine farbenfrohen Kulissen
(David Zinn) aus, die über eine Leinwand mit einge-
blendeten Filmelementen (Peter Nigrini) lebendig wer-
den. SpongeBob (Ethan Slater) ist gerade erwacht und
begrüßt zusammen mit seiner Schnecke Gary (Allan
K. Washington) das Publikum und seine Freunde:
›Bikini Bottom Day‹. Auf seinem Weg zum Restaurant
Krusty Krab trifft er Seestern Patrick (Danny Skinner),
Tintenfisch Squidward (Gavin Lee) und Eichhörnchen
Sandy (Christina Sajous). Auch Mr Krabs (Brian Ray
Norris), Plankton (Wesley Taylor) und Karen (Katie
Lee Hill) erscheinen und steigen mit in den Song ein
(›Bikini Bottom Day – Reprise‹).
Bei seiner Arbeit im Restaurant träumt Sponge-
Bob davon, Koch des Monats zu werden, oder gar der
Manager. Doch Mr Krabs sieht seine Tochter Pearl
(Jai‘Len Christine Li Josey) auf dem Posten, auch
wenn diese lieber ihre eigenen Lebenspläne verwirkli-
chen will. Noch bevor SpongeBob Krabs von seinen
Fähigkeiten überzeugen kann, bricht der Vulkan
Mount Humongous aus und erschüttert Bikini Bot-
ton: ›No Control‹. Laut der Medien sollen sich die
Bewohner nach Hause begeben und dort verbleiben.
Sandy versucht, die Situation wissenschaftlich zu erklä-
ren und kommt doch nur zum gleichen Ergebnis wie
die Medien: Das Ende von Bikini Botton steht bevor.
Patrick fühlt sich gestresst von der Situation. Doch sei-
nem ›BFF‹ SpongeBob gelingt es, ihn abzulenken. Die
Situation spitzt sich weiter zu. Plankton und seine Gat-
tin Karen sehen ihre Chance darin, die verunsicherten
Bewohner endlich in ihr Restaurant Cum Bucket zu
lotsen, um ihnen dort den Cum, eine Spezialität der
Küche, zu servieren. Sie tarnen ihren Plan damit, dass
sie für die Bewohner eine Rettungskapsel bauen wol-
len: ›When the Going Gets Tough‹. Mit einem Benefiz-
konzert wollen die verzweifelten Meeresbewohner die
benötigten Gelder für die Kapsel verdienen, sogar als
Sandy ihnen mit einer wissenschaftlichen Erfindung
helfen möchte. Auch SpongeBob ist fest entschlossen,
seinen Beitrag zu leisten, weiß jedoch nicht wie (›[Just a]
Simple Sponge‹). Mr Krabs will sich währenddessen an
dem Leid anderer bereichern, indem er einen Ausver-
kauf startet: ›Daddy Knows Best‹. Seiner Tochter ist
diese Gier jedoch peinlich.
Um ihre Welt zu retten, machen sich Patrick und
SpongeBob auf die Suche nach Sandy. Sie soll eine
geistreiche Idee in die Tat umsetzen, um einen weiteren
Vulkanausbruch zu verhindern: ›Hero Is My Middle
Name‹. Eine Schar Sardinen macht Patrick derweil zu
ihrem Anführer (›Super Sea Star Savior‹), wodurch sein
Selbstbewusstsein gestärkt wird. Plötzlich will er selbst
blickpunkt musical 02/2021

zum Retter werden und wendet sich von SpongeBob
ab. Die drohende Katastrophe führt zu erneuter Ver-
unsicherung: ›Tomorrow Is‹.
Die Handlung wird kurz von Pirat Patchy (Tom
Kenny) unterbrochen, der davon berichtet, wie tra-
gisch sein Leben als verfolgter Pirat ist: ›Poor Pirates‹,
was ihm gleich eine Horde Gleichgesinnter bestätigen
kann. Bevor er größeren Schaden anrichten kann, wird
er von dem Theaterpersonal verfolgt, ehe die Handlung
sich wieder auf den Meeresboden fokussiert.
Ein neuer Tag beginnt und SpongeBob ist davon
überzeugt, dass es sich bei den vergangenen Ereig-
nissen um einen Albtraum gehandelt hat, bis er die
Nachrichten hört. Als er sich auf den Weg zum Vul-
kan macht, stößt er auf die wütenden Meeresbewoh-
ner, die Sandy und ihre Wissenschaft für die aktuelle
Situation verantwortlich machen. SpongeBob findet
sie in ihrem Versteck und lässt sich von ihr den Erup-
tor Interrupter zeigen, mit dem sie sich kurz darauf ge-
meinsam auf den Weg zum Vulkan machen. Während
Plankton und Karen einen bösen Plan schmieden, tre-
ten die »Electric Skates« auf (›Bikini Bottom Boogie‹),
die Squidward als Open Act für das Konzert verpflich-
ten konnte. In der Zwischenzeit müssen Sandy und
SpongeBob Hürden überwinden (›Chop to the Top‹).
Dabei merkt SpongeBob immer wieder, wie sehr er sei-
nen besten Freund vermisst, der seinerseits in Bikini
Bottom verehrt wird. Doch er erkennt auch ›(I Guess)
I Miss You‹ und macht sich auf den Weg, um seinen
Freunden zu Hilfe zu eilen. Zur gleichen Zeit fühlt sich
Squidward als Verlierer abgestempelt, nachdem er die
Forderungen der Band nicht hat erbringen können und
diese ihren Auftritt kurzerhand hat absagen müssen.
Verletzt lässt er seinen Gefühlen freien Lauf: ›I‘m Not a
Loser‹. Da das geplante Konzert ausfällt, versucht Pearl
ihren Vater dazu zu überreden, dass er mit seinem Ver-
mögen die rettende Fluchtkapsel bezahlt. Da jedoch
die Kosten weiterhin nicht gedeckt werden können,
geraten die Meeresbewohner wieder in Panik. Plank-
ton und Karen versuchen immer noch, SpongeBob und
blickpunkt musical 02/2021
Filme & Serien
Sandy vom Berg zu vertreiben, damit ihr Plan nicht Abb. unten von oben links:
gefährdet wird, und verursachen dadurch eine Lawine. 1. Sandy Cheeks (Lilli Cooper, 3.v.l.,
Doch mit dem von Sandy erfundenen Jetpack schafft in der Filmfassung Christina Sajous),
SpongeBob (Ethan Slater, Mitte) und
es Patrick, sie in letzter Sekunde zu retten. Jetzt liegt es
Patrick Star (Danny Skinner, 3.v.r.)
an SpongeBob, Planktons Plan endlich zu vernichten. 2. Patrick (Danny Skinner) und
Doch er zweifelt an seinen Fähigkeiten: ›Just a Simple SpongeBob (Ethan Slater) singen
Sponge – Reprise‹. Es bedarf des Zuspruchs seiner ›BFF‹
Freunde, damit er den Eruptor Interrupter einsetzen 3. Ethan Slater als SpongeBob
SquarePants hält sich für einen
und Bikini Bottom retten kann. Die Meeresbewohner
guten Koch
ahnen noch nichts von ihrer Rettung und müssen erst 4. Sandy Cheeks (Lilli Cooper, in
durch das Trio beruhigt werden (›Best Day Ever‹). Erst der Filmfassung Christina Sajous)
als weitere Eruptionen ausbleiben, fallen sich alle in die und SpongeBob (Ethan Slater) inspi-
Arme und beschließen gemeinsam einen Neuanfang: zieren die Geheimwaffe‹
›Bikini Bottom Day – Reprise 3‹. 5. Sheldon Plankton (Wesley Taylor,
Mitte mit Ensemble): ›When the
Die bekannten Figuren der gleichnamigen Zei-
Going Gets Tough‹
chentrickserie werden vom Cast der Broadwaypro- Fotos (5): Joan Marcus
duktion unterhaltsam zum Leben erweckt. Entgegen
der Erwartung sind sie nicht in ausgefeilte Kostüme,
die den Zeichentrickfiguren ähnlich sehen, gekleidet
(Kostümbild: David Zinn). Lediglich anhand speziel-
ler Details, Farben und Mustern können die Charak-
tere identifiziert werden. Besonders gefällt das Outfit
von Squidward, dessen Hose mit einem zusätzlichen
Beinpaar versehen ist, sodass dieser hierdurch den An-
schein eines Tintenfisches erweckt. SpongeBob ist mit
der stereotypischen Latzhose mit Hemd und Krawatte
bekleidet, während Patrick durch seine bunte Bermuda
auffällt. Plankton wird zu Beginn der Show durch eine
Handpuppe charakterisiert, bevor der Darsteller in
Erscheinung tritt.
Akustische Geräusche wie ein kontinuierliches
Quietschen, sobald sich SpongeBob bewegt, erfüllen
den Raum, ebenso wie die stereotypischen Meeresge-
räusche. Auch die flinken Bewegungen von Mr Krabs
oder Squidward erinnern an die zugrundeliegende Zei-
chentrickserie. Rockige Musiknummern reihen sich
an ruhige Balladen, die für Emotionen sorgen und zu-
gleich Hoffnung auf bessere Zeiten machen.
Sandy Kolbuch
49

Die Welt auf eine andere Art und Weise sehen
Sias Regiedebüt »Music«
Abb. oben:
Zu (Kate Hudson): ›Eye to Eye‹
Foto: ©Alamode Film
Music
Alamode Film
USA 2021
Heimkinostart: 5. März 2021
FSK 12
Länge: 103 min
Regie ............................................. Sia
Drehbuch ............. Sia, Dallas Clayton
Kamera .................. Sebastian Winterø
Filmschnitt .......... Matt Chesse, Curtiss
Clayton, Dana Congdon
Score ............................ Craig DeLeon
Songs .............................. Sia, Labrinth
Music Editor ...................... Nick South
Sounddesign ............. Wylie Stateman,
Sylvain Lasseur
Choreographie .......... Ryan Heffington
Produktionsdesign ...... Tracy Dishman
Kostüme ...................... Christine Wada
Hair & Make-up ............ Tonya Brewer
Produzenten ........ Vincent Landay, Sia
Music .......................... Maddie Ziegler
Millie ......................... Mary Kay Place
George ..................... Hector Elizondo
Zu .................................. Kate Hudson
Ebo ............................. Leslie Odom Jr.
Nassir ...................... Braeden Marcott
Felix ................................ Beto Calvillo
50
Filme & Serien
D ie australische Künstlerin Sia beweist mit ihrem
Regiedebüt »Music«, für das sie auch am Dreh-
buch mitschrieb und Songs beisteuerte, einzigartiges
Gespür für fantasievolle Ästhetik und bewegendes
Storytelling. Die originelle Inszenierung zeichnet sich
durch poppig-bunte, musikalische Gesangs- und Tanz-
Sequenzen aus und erzählt nebenbei eine berührende
Außenseitergeschichte.
Die Autistin namens Music (Maddie Ziegler) lebt
bei ihrer Großmutter Millie (Mary Kay Place), die sie
liebevoll betreut und ihr einen stabilen Alltag bietet.
Mit Kopfhörern auf den Ohren, die das übersensible
Mädchen vor den Alltagsgeräuschen schützen, ist
Music in der Lage, einfache Besorgungen zu erledigen.
Von den Nachbarn unterstützt, ist ein annähernd nor-
males Leben möglich, das aus den Fugen gerät, als ihre
Großmutter tot zusammenbricht. Zu (Kate Hudson),
Musics drogensüchtige Schwester, erfährt während
eines Meetings der Anonymen Alkoholiker von George,
Millies Nachbarn von dem Ableben ihrer Großmutter.
Notgedrungen macht sie sich auf den Weg zu Music,
zu der sie keinen Zugang findet. Sie wendet sich an die
Fürsorge, doch diese weigert sich, die Betreuung für
Music zu übernehmen, die in ihrer eigenen Welt zu le-
ben scheint: ›Together‹.
Das Zusammenleben mit Music wird zur Heraus-
forderung. Nachbar Ebo (Leslie Odom Jr.), der einen
kleinen Bruder hatte, der Music ähnlich war, greift Zu
unterstützend unter die Arme. Durch ihn lernt Zu die
Besonderheiten ihrer Schwester zu verstehen und fasst
den Entschluss, für sie trocken zu werden. Mit kleinen
Drogendeals versucht sie, sich und ihre Schwester über
Wasser zu halten: ›1 + 1‹. Als zudem die Kommunika-
tion über ein besonderes Gerät möglich wird, finden
die Schwestern zueinander. Als Music jedoch im Park
einen Anfall erleidet, fühlt sich Zu mit der Situation
überfordert: ›Saved My Life‹. Um sie zu trösten, singt
Ebo mit ihr den von Millie komponierten Song: ›Mu-
sic‹. Als Ebo ihre Stimme hört, bittet er sie, bei der
Hochzeit seines Bruders mit ihm zu singen: ›Beautiful
Things Can Happen‹.
Zu nimmt Music zu einem größeren Drogendeal
mit und träumt vor sich hin (›Eye to Eye‹). Bei einem
anschließenden Spaziergang im Park wird Music von
einer Wespe gestochen und erleidet einen allergischen
Schock, der im Krankenhaus behandelt werden muss.
Als Zu bei dem Zwischenfall ihre Tasche mit der
großen Drogenlieferung verliert, gerät sie in Panik.
Nach einem Streit mit Ebo stürzt Zu in einer Bar ab:
›Music‹. Nach einem Filmriss gelobt sie sich zu ändern.
Zu sucht Hilfe bei George, der sich ihrer annimmt:
›Contemporary‹. Nach und nach bringt sie ihr Leben
wieder in Ordnung und trifft die Entscheidung, Music
in einer Einrichtung, in der sie rundum betreut wird,
unterzubringen. Auf einmal entscheidet sie sich dafür,
ihre Schwester doch bei sich zu behalten. Durch diesen
Wandel in ihrem Leben erobert sie auch das Herz von
Ebo, sodass sie zu einer Familie zusammenwachsen
können (›Together‹).
Sia kam die Grundidee zu ihrem Film bei einem
Treffen der Anonymen Alkoholiker, an denen sie
2010 regelmäßig teilnahm. Dort lernte sie eine Ge-
bärdensprachdolmetscherin und deren autistischen
Sohn kennen. Basierend auf dieser Begegnung schrieb
Sia eine Kurzgeschichte, die ihr enger Freund, der
Kinderbuch-Autor Dallas Clayton, zu einem Dreh-
buch umschrieb. In den Hauptrollen des innovativen
Musicaldramas glänzen die Oscar-nominierte und
Golden-Globe-prämierte Kate Hudson (»Deepwater
Horizon«) und der Tony- und Grammy-Gewinner
Leslie Odom Jr. (»Hamilton«). Die Titelrolle hat Sia
an ihr Protegé Maddie Ziegler vergeben, die seit ih-
rem Grammy-nominierten Musikvideo ›Chandelier‹
(2014) als ihr jüngeres Alter Ego auftritt. Für die mu-
sikalische Untermalung der Geschichte hat Sia zehn
Songs geschrieben: ›Together‹ entstand in Zusammen-
blickpunkt musical 02/2021

arbeit mit Jack Antonoff. An der Pop-Ballade ›Saved
My Life‹ war die Singer-Songwriterin Dua Lipa betei-
ligt. Der Dance-Pop-Track ›Floating Through Space‹
wurde mit elektrischen und optimistischen Synthe-
sizern realisiert, während bei ›Eye to Eye‹ ein Moog-
Synthesizer den Ausdruck verstärkt. Als Titeltrack
wählte Sia die Powerballade ›Music‹ mit orchestralen
Einflüssen, ergänzt durch die Downtempo-Nummer
›1+1‹ und ›Courage to Change‹. Mit Klavierunter-
malung überrascht ›Beautiful Things Can Happen‹,
ebenso wie die Orchesterballade ›Lie to Me‹.
Music (Maddie Ziegler) und ihre
Schwester Zu (Kate Hudson): ›Music‹
Music (Maddie Ziegler, Mitte) mit Ensemble:
›Could I Love With No Fear‹
Zu (Kate Hudson, 2.v.l.), Music (Maddie Ziegler, 2.v.r.)
mit Ensemble: ›1 + 1‹
blickpunkt musical 02/2021
Filme & Serien
Die spezielle Dramaturgie sowie die ästhetischen
Musicalhighlights brachten »Music« für die 78. Gol-
den Globe Verleihung (28. Februar 2021) gleich zwei
Nominierungen ein: »Best Picture - Motion Picture –
Musical/Comedy« und »Best Actress - Motion Picture –
Musical/Comedy« (Kate Hudson).
Seit dem 12. Februar ist »Music« digital auf den
Streamingplattformen verfügbar und seit dem 5. März
auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Sandy Kolbuch
Music (Maddie Ziegler) in ihrer eigenen Welt
Zu (Kate Hudson) hat einen Plan
Ebo (Leslie Odom Jr.): ›Music‹
Fotos (6): ©Alamode Film
51

Singen für den Seelenfrieden
»Mrs. Taylor‘s Singing Club« jetzt auf DVD und Blu-ray
Abb. oben von links:
1. Kate (Kristin Scott Thomas) verab-
schiedet ihren Mann Richard (Greg
Wise) zum nächsten Einsatz
2. Der Damenchor (v.l.): Kate (Kris-
tin Scott Thomas), Beatrice (Sophie
Dix), Jess (Gaby French), Hilary
(Beverly Longhurst), Annie (Emma
Lowndes), Lisa (Sharon Horgan),
Maz (Laura Checkley), Helen (Laura
Elphinstone), Ruby (Lara Rossi),
Sarah (Amy James-Kelly), Frankie
(India Ria Amarteifio) und Dawn
(Roxy Faridany)
Fotos (2): Leonine
Mrs. Taylor‘s Singing Club
Military Wives
Leonine
UK 2019
Heimkinostart: 19. Februar 2021
FSK 6
Länge: 112 min
Regie ........................... Peter Cattaneo
Drehbuch ..... Rachel Tunnard, Rosanne
Flynn
Kamera ............... Hubert Taczanowski
Filmschnitt ....................... Anne Sopel,
Lesley Walker
Musik ................... Diverse Songwriter,
Lorne Balfe
Produktionsdesign ............. John Beard
Kostüme ............................... Jill Taylor
Produzenten ................... Rory Aitken,
Ben Pugh, Piers Tempest
Kate .................... Kristin Scott Thomas
Lisa ............................. Sharon Horgan
Beatrice ............................ Sophie Dix
Jess ................................. Gaby French
Hilary ..................... Beverly Longhurst
Annie ......................... Emma Lowndes
Maz ............................ Laura Checkley
Helen ...................... Laura Elphinstone
Ruby ................................... Lara Rossi
Sarah ....................... Amy James-Kelly
Frankie ................. India Ria Amarteifio
Dawn ............................ Roxy Faridany
Richard .............................. Greg Wise
Crooks ......................... Jason Flemyng
52
Filme & Serien
K riegsdramen haben einen festen Platz in der Welt
des Films, ebenso wie im Alltag unzähliger Män-
ner, die sich täglich dem Kampf um den Frieden wid-
men. Während sie im Einsatz ihr Leben riskieren,
warten in der Heimat die Familien auf ihre Rückkehr,
stets in der Angst, die Nachricht von ihrem Tod zu er-
halten. Basierend auf der authentischen Geschichte des
2011 von dem Fernsehmoderator Gareth Malone im
Rahmen seiner Sendung »The Choir: Military Wives«
gegründeten Frauenchors, hat Peter Cattaneo eine
emotionale Komödie geschaffen, die einen Blick auf
das Leben ebenjener wirft, die in der Heimat auf die
Rückkehr der Soldaten warten.
Offiziersgattin Kate Taylor (Kristin Scott Thomas)
ist die perfekte Ehefrau und hat stets alles im Griff.
Ihre Sorgen über die Auslandseinsätze ihres Mannes
versteckt sie hinter einem Lächeln und stürzt sich in
die Unterstützung der anderen Frauen, um sich die
Zeit bis zu seiner Rückkehr zu verkürzen. Emsig ver-
sucht sie, die Ehefrauen auf der Militärbasis auf an-
dere Gedanken bringen. Doch Lisa (Sharon Horgan),
als Ehefrau des ranghöchsten Offiziers, gibt den Ton
an. Auf Wunsch der Frauen gründet sie einen Chor,
in dem jedoch nicht klassische Songs, sondern die
modernen Hits aus dem Radio für gute Laune sor-
gen sollen. Schnell wird deutlich, dass die Frauen in
Gesellschaft ihre Ängste und Sorgen einmal vergessen
können. Selbst als die Jüngste von ihnen die Nachricht
vom Tod ihres Mannes erhält, stehen die anderen ihr
bei. Auch Kate, die bereits selbst den Verlust ihres
Sohnes verkraften musste, erweist sich als seelischer
Beistand. Woche für Woche treffen sich die Frauen
zur Chorstunde und singen bekannte Evergreens wie
Cat Stevens‘ ›Morning Has Broken‹, ›Don‘t You Want
Me‹ von »The Human League«, Cyndi Laupers ›Time
After Time‹ und ›We Are Family‹ von »Sister Sledge«.
Die Musik wird für alle zum Ventil und letztendlich
werden die Frauen sogar in die Londoner Royal Albert
Hall eingeladen, um dort ihren selbstverfassten Song
›Shout‹ zu singen.
Im Gegensatz zu anderen Kriegsdramen stehen
bei »Mrs. Taylor‘s Singing Club« einmal nicht die
Soldaten im Fokus der Geschichte, sondern deren
Frauen, die täglich mit ihren Ängsten und Sorgen zu
kämpfen haben. Nicht nur die zwei unterschiedlichen
»Anführerinnen«, Kate und Lisa, wachsen im Laufe
der Geschichte zusammen, da sie erkennen, dass sie
trotz vieler Gegensätzlichkeiten auch einiges gemein-
sam haben. Sondern auch, wer einst glaubte, seine
Sorgen alleine überwinden zu müssen, lernt nun, dass
er sich den anderen anvertrauen kann.
Die britische Feelgood-Komödie lädt mit ihren
Pop-Evergreens zum Mitsingen ein und versprüht
zudem emotionale Momente, in denen sich die
Oscar-nominierte Hauptdarstellerin Kristin Scott
Thomas (»Der englische Patient«) sowie die BAFTA-
Gewinnerin Sharon Horgan (»Game Night«) von ihrer
musikalischen Seite zeigen. Unterstützt werden sie von
Greg Wise (»The Crown«) und Jason Flemyng (»Der
seltsame Fall des Benjamin Button«) sowie einem
zauberhaften Ensemble aus Darstellern und echten
Militärfrauen. Bereits 2017 fasste Regisseur Peter Cat-
taneo (»The Full Monty« / dt.: »Ganz oder gar nicht«)
den Entschluss, die auf realen Ereignissen basieren-
de Geschichte auf die Leinwand zu bringen. Er traf
sich mit zahlreichen Soldatenfrauen und ließ sich von
ihren persönlichen Geschichten berühren. Gedreht
wurde auf der RMB Catterick Militärbasis in North
Yorkshire, wo 2010 der erste Chor von Soldatenfrauen
gegründet wurde. Um die Geschichte so authentisch
wie möglich wiederzugeben, wurden Soldaten und
ihre Familien als Statisten engagiert. Die gleiche
Authentizität kommt auch dem Gesang zugute,
der live mit all seinen Ungenauigkeiten eines Ama-
teurchors vor Ort aufgenommen wurde. Lediglich
das finale Stück ›Shout‹ (geschrieben von Roland Or-
zabal und Ian Stanley), welches der Chor bei seinem
offiziellen Auftritt vor Publikum präsentiert, wurde
vorher geprobt. Die heilende Wirkung der Musik und
die aufblühende Lebensfreude versprüht auch der
Soundtrack zum Film, der unter dem Originaltitel
»Military Wives« erschienen ist.
Sandy Kolbuch
blickpunkt musical 02/2021

Seelische Unterstützung durch
»Vier himmlische Freunde« jetzt auf DVD
B ereits 1993 entstand die US-amerikanische Fanta-
sy-Komödie »Vier himmlische Freunde« von Ron
Underwood, die von vier Verstorbenen und deren Zög-
ling handelt.
1959 bereitet sich in einer regnerischen Nacht ein
junges Paar auf die Geburt seines Kindes vor. Zur
gleichen Zeit hadert die alleinerziehende Penny (Alfre
Woodard) mit ihrem Nachtjob, für den sie ihre drei
Kinder in der Obhut ihrer Nachbarin lassen muss.
Möchtegern-Sänger Harrison (Charles Grodin) hofft
auf den großen Durchbruch, patzt aber bei einem
wichtigen Vorsingen (›Ah Ci Ben Mio‹). Kellnerin Julia
(Kyra Sedgwick) erkennt zu spät, dass ihr Wunschle-
ben in der Großstadt nicht mit den Vorstellungen ihres
Verlobten übereinstimmt, während Milo (Tom Size-
more) mittels Einbruch einen Fehler ausradieren will.
Alle vier besteigen den gleichen Bus, der kurz darauf
durch eine Unachtsamkeit des Fahrers (David Paymer)
in einen Unfall verwickelt wird. Während die Insas-
sen sterben, kommt in dem Wagen, der kurz zuvor von
dem Bus von der Fahrbahn abgedrängt wurde, der
kleine Thomas zur Welt, welcher die Seelen der Ver-
storbenen magisch anzieht. Während er heranwächst,
begleiten sie ihn. Mit seinen himmlischen Freunden,
die allein Thomas sehen kann, erlebt der kleine Junge
jeden Tag Abenteuer. Doch wenn er mit ihnen auf der
Toilette singt (›Walk Like a Man‹) oder Pferderennen
besucht, wirkt er auf sein Umfeld sonderbar. Schnell
wird das Jugendamt auf das Kind aufmerksam. Die
Situation gerät zunehmend außer Kontrolle. Als die
Geister zu seinem Wohl entscheiden, ihn zu verlassen,
bettelt Thomas (Eric Lloyd) darum, dass sie bleiben.
Vierunddreißig Jahre vergehen, Thomas (Robert
Downey Jr.) ist inzwischen erwachsen geworden. Noch
immer folgen ihm seine himmlischen Freunde auf
Schritt und Tritt, doch er kann sie nicht mehr sehen.
Als Geschäftsmann verfolgt er die Belange seiner Bank,
und seine Freundin Anne (Elisabeth Shue) will ihn
ihren Eltern vorstellen. Zur gleichen Zeit taucht der
Unfallbus auf, um die früheren Passagiere ins Jenseits
zu bringen. Da diese ihre offenen Angelegenheiten auf
der Erde immer noch nicht klären konnten, erhalten sie
Aufschub. Da die Zeit drängt, müssen sie schleunigst
versuchen, mit Thomas wieder in Kontakt zu treten.
Mit ›Walk Like a Man‹ bemühen sie sich, ihn auf sich
blickpunkt musical 02/2021
Filme & Serien
aufmerksam zu machen. Als Thomas sie plötzlich wie-
der wahrnimmt, erschrickt er und baut einen Unfall.
Nachdem er sich über Jahre hinweg einer Psychothera-
pie unterzogen hat, um sich davon zu überzeugen, dass
seine »imaginären Freunde« nur eine Kindheitsfantasie
waren, glaubt er zunächst, dass ihr erneutes Erscheinen
eine psychotische Phase einleitet. Den Geistern gelingt
es jedoch, ihn von ihrer »Echtheit« zu überzeugen und
um Hilfe zu bitten. Gemeinsam suchen sie Milos alten
Kontrahenten auf und bringen das damals gestohlene
Gut an sich, um es seinem Besitzer zurückzugeben.
Ihren Erfolg feiern sie auf der Straße mit einer sponta-
nen Tanzeinlage: ›Walk Like a Man‹. Kaum ist die Auf-
gabe erfüllt, wartet der Bus bereits auf Milo, um ihn
ins Jenseits zu bringen. Auf dem Weg zu Pennys Kin-
dern machen Thomas und die drei Geister einen Stopp
im Theater, sodass Harrison im Körper von Thomas
endlich vorsingen kann: ›The Star Spangled Banner‹.
Dann kann er seinen Weg ins Jenseits antreten. Kurz
bevor Penny gehen muss, erkennt sie, dass ihr Sohn,
der inzwischen Officer ist, ihnen schon des Öfteren
begegnet ist – als dieser seiner Tochter eben das Lied
vorsingt (›Heart and Soul‹), das sie selbst ihm immer
vorgesungen hat. Thomas kann dem Officer Informa-
tionen über den Verbleib seiner Schwestern geben, so-
dass die Familie nach Jahren wieder vereint ist. Julia
will noch ein letztes Mal ihren Verlobten sehen, doch
dieser ist bereits vor Jahren gestorben. Sie rät Thomas
daher, endlich er selbst zu sein und zu seinen Gefühlen
zu stehen. Nachdem sie auf diese Weise die Erkennt-
nisse ihres Lebens weitergegeben hat, kann auch sie
ihren Weg ins Jenseits antreten.
»Vier himmlische Freunde« erzählt mit der Musik
von Marc Shaiman (»Hairspray«, »Charlie and the
Chocolate Factory«) eine Geschichte über Entschei-
dungen, die man trifft und bereut … Hier erhalten
Menschen die Möglichkeit, ihre Taten oder Versäum-
nisse wiedergutzumachen. Unterstrichen wird die
Handlung von Songs, die interpretiert werden, aber
auch im Hintergrund (Radio, Fernsehen) laufen. Diese
stammen unter anderem aus der Feder von Bob Crewe
und Bob Gaudios, Al Dubin und Harry Warren sowie
von Ray Evans und Ray Charles.
Sandy Kolbuch
Abb. oben von links:
1. Busfahrer Hal (David Paymer)
bittet zur Fahrt ins Jenseits
2. (v.l.): Penny (Alfre Woodard), Julia
(Kyra Sedgwick), Thomas (Robert
Downey Jr.), Harrison (Charles Gro-
din) und Milo (Tom Sizemore) feiern
ihren Erfolg: ›Walk Like a Man‹
Fotos (2): Universal Pictures
Vier himmlische Freunde
Heart and Souls
Universal Pictures
USA 1993
FSK 6
Länge: 108 min
Regie ........................ Ron Underwood
Drehbuch .................. Brent Maddock,
S.S. Wilson, Gregory Hansen,
Erik Hansen
Kamera ............... Michael W. Watkins
Filmschnitt ............ O. Nicholas Brown
Musik ........................... Marc Shaiman
Songs ............. Diverse Komponisten &
Liedtexter
Choreographie ......... Adam Shankman
Produktionsdesign ............. John Muto
Kostüme ............... Jean-Pierre Dorléac
Special Effects .......... Barry McQueary
Produzenten ................... Sean Daniel,
Nancy Roberts
Thomas Reilly ........ Robert Downey Jr.
Thomas Reilly, 7 Jahre alt .... Eric Lloyd
Harrison Winslow ....... Charles Grodin
Penny Washington ....... Alfre Woodard
Julia ............................. Kyra Sedgwick
Milo Peck .................... Tom Sizemore
Hal ............................... David Paymer
Anne ............................ Elisabeth Shue
53
 Filme & Serien

Die Höhen und Tiefen eines Showchors

Rückblick auf die jetzt im Streaming verfügbare Kultserie »Glee«

Abb. oben:
Die »New Directions« bei den
Sectionals: ›You Can‘t Always Get
What You Want‹
Foto: 20th Century Fox / Archiv

Glee (Staffel 1)
20th Century Fox
USA 2009
FSK 12
Länge: 22 Episoden je 40 min
Regie ...... Ryan Murphy, Brad Falchuk,
Eric Stoltz u. a.
Drehbuch ....................... Ian Brennan,
Brad Falchuk, Ryan Murphy u. a.
Kamera ............ Christopher Baffa u. a.
Filmschnitt ...................... Joe Leonard,

Doc Crotzer, Bradley Buecker u. a.
Musik .......................... James S. Levine
Liedtexte ............... Diverse Songwriter
Choreographie ........ Zachary Woodlee
Produktionsdesign .... Mark Hutman &
Kevin Constant
Kostüme ............................. Lou Eyrich
Produzenten ..... Kenneth J. Silverstein,
Alexis Martin Woodall u. a.
Kurt Hummel ................... Chris Colfer
Sue Sylvester ..................... Jane Lynch
Rachel Berry .................... Lea Michele
Will Schuester ........ Matthew Morrison
Terri Schuester.............. Jessalyn Gilsig
Artie Abrams ................ Kevin McHale
Santana Lopez ................. Naya Rivera
Tina Cohen-Chang .... Jenna Ushkowitz
Mercedes Jones .............. Amber Riley
Noah Puckerman ............ Mark Salling
Jesse St. James ............. Jonathan Groff
Brittany S. Pierce ........ Heather Morris
Blaine Anderson ............. Darren Criss
Mike Chang ................. Harry Shum Jr.
Finn Hudson ................. Cory Monteith
Emma Pillsbury ................ Jayma Mays
Direktor Figgins ............... Iqbal Theba
Quinn Fabray ................ Dianna Agron
April Rhodes .......... Kristin Chenoweth
Bryan Ryan ............ Neil Patrick Harris
Becky Jackson ............... Lauren Potter
Ken Tanaka .............. Patrick Gallagher
Howard Bamboo ........... Kent Avenido
D
as Leben ist voller Höhen und Tiefen, die eine
regelrechte Gefühlsachterbahn in Gang setzen
können. Ob euphorisch, freudig, traurig oder bis zur
Unendlichkeit betrübt – zahlreiche Musiker liefern
den passenden Stimmungssong. Die Serie »Glee«, die
von einem Highschool Showchor handelt, welcher
Gesang und Choreographie vereint, präsentiert eine
Vielzahl von Songs, die den Alltag untermalen kön-
nen. Darunter sind zahlreiche Musicaltitel. Insgesamt
sechs Staffeln umfasst die Serie, auf die in den nächsten
Ausgaben ein detaillierter Blick geworfen werden soll.
Die erste Staffel beginnt an der McKinley High-
school in Lima, wo der »Glee Club« mit Skandalen
auf sich aufmerksam macht. Dies soll sich mit der
Betreuung durch den Spanischlehrer Will Schuester
(Matthew Morrison) ändern, der als Schüler selbst
Mitglied des Schulchors war. Er begibt sich auf die
Suche nach Gesangstalenten, was Cheerleader-Traine-
rin Sue Sylvester (Jane Lynch) ein Dorn im Auge ist,
da sie ihre »Cheerios«-Cheerleadergruppe vorantreiben
will. Und auch Wills Frau Terri (Jessalyn Gilsig) ist
wenig begeistert davon, dass ihr Mann fortan seine
Zeit den Schülern des Clubs namens »New Directions«
widmet. Will lässt sich von den Meinungen anderer
nicht beirren und kann mit Rachel (Lea Michele) und
Kurt (Chris Colfer) gleich zwei talentierte Kids für
seinen Club gewinnen (›On My Own‹, ›Mister Cello-
phane‹). Auch Mercedes (Amber Riley) wird mit ihrer
Stimme (›Respect‹) Chormitglied. Durch einen Trick
gewinnt Will auch den Sporthelden Finn (Cory Mon-
teith) für den Club: ›Can‘t Fight This Feeling‹. Hinzu
kommen noch die Asiatin Tina (Jenna Ushkowitz mit
›I Kissed a Girl‹) sowie der im Rollstuhl sitzende Schü-
ler Artie (Kevin McHale mit ›Sit Down, You‘re Rockin‘
the Boat‹).
Da die Mindestanzahl von Teilnehmern jedoch
noch immer nicht erreicht ist, versuchen die Kids auf
einer Schulveranstaltung mit dem anzüglichen Song
›Push It‹ für den Club zu werben. Was bei den Lehrern
nicht gut ankommt, sorgt bei den Schülern für Furore.
Als Finn und Rachel sich näherkommen, schleust Sue
Finns Freundin Quinn (Dianna Agron) als Spionin in
den »Glee Club« ein. Ihr folgen die Cheerleaderinnen
Santana (Naya Rivera) und Brittany (Heather Morris),
um ihr beizustehen (›I Say a Little Prayer‹). Derweil er-
fährt Will, dass er bald Vater wird, was Vertrauensleh-
rerin Emma Pillsbury (Jayma Mays), die ein Auge auf
Will geworfen hat, wenig erfreut: ›All by Myself‹.
Um sein eigenes Selbstbewusstsein zu steigern,
gründet Will gemeinsam mit Football-Coach Ken

54 blickpunkt musical 02/2021


(Patrick Gallagher), Terris Kollegen Howard (Kent
Avenido) und Finn die »Acafellas«, zu denen sich auch
Finns bester Freund Noah gesellt. Doch nach weni-
gen Auftritten (›For He‘s a Jolly Good Fellow‹, ›This
Is How We Do It‹, ›Poison‹) endet ihre Karriere. Kurt,
der sich zwar als »Glee«-Mitglied akzeptiert fühlt,
traut sich nicht, seine Homosexualität zu beichten. Als
Mitglied des Footballteams will er den Anforderun-
gen seines Vaters gerecht werden, eckt aber mit seiner
femininen Seite an: ›Single Ladies (Put a Ring on It)‹.
Finn versucht ihn zu verteidigen, bis ihm Quinn offen-
bart, dass sie von ihm schwanger ist. Als Tina ihre erste
Solonummer singen darf (›Tonight‹), bewirbt sich
Rachel für das Musical »Cabaret« (›Maybe This Time‹),
um endlich die Bewunderung zu bekommen, die sie
zu verdienen glaubt. Rachel bekommt die Rolle und
verlässt zwischenzeitlich den Chor. Will versucht ihre
Lücke mit seinem alten Schwarm April (Kristin Che-
noweth) zu füllen. Schnell kann diese die Kids von sich
überzeugen (›Alone‹), doch ihr Einfluss macht sich nega-
tiv bemerkbar. Sue gelingt es, Terri von einer Affäre ihres
Mannes mit Emma zu überzeugen. Bereitwillig nimmt
sie den Job als Schulkrankenschwester an, um beide im
Auge zu behalten. Um die Kids zu motivieren, schlägt
ihnen Will einen Wettstreit vor. Finn fühlt sich der Dop-
pelbelastung aus Sport, Gesang und der Sorge um seine
schwangere Freundin nicht mehr gewachsen. Als er Rat
bei Terri sucht, versorgt sie ihn mit Aufputschmitteln.
Davon zur Höchstform getrieben, teilt er das Präpa-
rat mit den Jungs des »Glee Clubs«, die daraufhin eine
grandiose Show präsentieren: ›It‘s My Life/Confessions
Part II‹. Die Mädchen kommen ihnen auf die Schliche
und tun es ihnen gleich: ›Halo/Walking on Sunshine‹.
Terri wird daraufhin entlassen. Quinn reagiert eifersüch-
tig (›You Keep Me Hangin‘ On‹), als das nächste Solo
an Rachel und Finn vergeben wird: ›No Air‹. Sue nutzt
die schlechte Stimmung, um einen Teil der Kids für eine
eigene Gruppe abzuwerben. Als Quinns Schwanger-
schaft öffentlich wird, werden sie und Finn zum Spielball
blickpunkt musical 02/2021
Filme & Serien
des Spotts der Mitschüler, doch die »Glee«-Kids stehen Abb. unten von links:
ihnen bei. Nur Noah (Mark Salling) ahnt, dass bei der 1. Will Schuester (Matthew Morri-
Geschichte etwas nicht stimmen kann. Emma und Ken son) und seine Frau Terri (Jessalyn
Gilsig) reden über ihre weitere
planen ihre Hochzeit und bitten Will, einen geeigneten
Zukunft
Song für ihren Hochzeitstanz zu finden. Als Will und 2. Rachel (Lea Michele) performt
Emma sich bei den Tanzproben näher kommen (›I Could bei den Sectionals: ›Rain on My
Have Danced All Night‹), lässt Ken seine schlechte Laune Parade‹
Fotos (2): 20th Century Fox / Archiv
am Footballteam aus. Inzwischen versucht Noah bei
Rachel zu landen: ›Sweet Caroline‹.
Die Sectionals stehen an, doch der Schule fehlt das
Geld, um den »Glee Club« mit einem behindertenge-
rechten Bus für Artie zum Auftritt zu fahren. Als die
Kids unsensibel auf das Problem reagieren, verdonnert
Will alle dazu, eine Woche lang im Rollstuhl zu sitzen.
Bei der Vergabe des Solos für die Show fühlt sich Kurt
übergangen. Sein Vater setzt sich dafür ein, dass erst
nach einer Audition entschieden wird, wer das Solo be-
kommt: ›Defying Gravity‹. Quinn fühlt sich hin- und
hergerissen zwischen Finn und Noah, die beide für sie
und das Baby sorgen wollen.
Sue beruft ein Auswahlverfahren für ihr Cheer-
leading-Team ein, nachdem sie Quinn wegen ihrer
Schwangerschaft suspendiert hat. Sie entscheidet
sich für Becky (Lauren Potter), die am Downsyn-
drom leidet. Was alle für einen schlechten Witz hal-
ten, ist für Sue eine Herzensangelegenheit. Die Not
zur Tugend machend, studiert der »Glee Club« eine
Rollstuhlnummer ein: ›Proud Mary‹. Als das Thema
Balladen auf dem Programm steht, bilden die Kids
Zweierteams. Rachel muss notgedrungen mit Will
Schuester singen (›Endless Love‹) und erkennt da-
bei, dass sie Gefühle für ihn hegt, was er möglichst
im Keim zu ersticken sucht (›Don‘t Stand so Close
to Me/Young Girl‹). Finn nutzt die Chance, um sich
an seine Vaterrolle zu gewöhnen (›I‘ll Stand by You‹)
und Quinn ein Versprechen zu geben (›You‘re Having
My Baby‹), was dazu führt, dass ihre Eltern von der
Schwangerschaft erfahren und sie vor die Tür setzen.
Notgedrungen zieht sie bei Finn und dessen Mutter
55

Abb. unten von oben:
1. Die »Glee«-Kids (v.l.): Mercedes
(Amber Riley), Mike (Harry Shum Jr.),
Finn (Cory Monteith), Artie
(Kevin McHale), Rachel (Lea
Michele), Quinn (Dianna Agron),
Kurt (Chris Colfer), Matt (Dijon
Talton) und Tina (Jenna Ushkowitz)
proben ihre Nummer ›Proud Mary‹
2. (v.l.): Rachel (Lea Michele),
Mercedes (Amber Riley), Kurt (Chris
Colfer), Tina (Jenna Ushkowitz) und
Artie (Kevin McHale) bewerben sich
für den »Glee Club«
3. Die »New Directions«:
›Somebody to Love‹
Fotos (3): 20th Century Fox / Archiv
56
Filme & Serien
ein. Um jedoch Noahs Absichten in Ruhe austesten
zu können, bittet Quinn Kurt, Rachel und Finn zu
verkuppeln. Ein Umstyling zur sexy Femme fatale soll
Rachel begehrenswert machen, doch Finn stößt dies
eher ab (›You‘re the One That I Want‹). Sue plant einen
neuen Rachefeldzug und schickt Wills Songliste für
die Sectionals an die Kontrahenten. Auf den Rat von
Emma hin stattet Will den anderen Chorleitern einen
Besuch ab und lädt die »Jane Addams Academy«-Sän-
gerinnen (›Bootylicious‹) sowie den Gehörlosenchor
»Haverbrook Deaf Choir« (›Imagine‹) in die McKin-
ley High ein. Als die Fotos für das jährliche Jahrbuch
geschossen werden, soll der »Glee Club« aus Kosten-
gründen kein Foto bekommen. Rachel gelingt es,
einen Matratzenwerbespot (›Jump‹) auszuhandeln, um
das benötigte Geld für das Foto zu bekommen.
Derweil erfährt Will, dass seine Frau Terri ihn über
ihre Schwangerschaft belogen hat und trennt sich von
ihr. Bei den Secionals müssen die »New Directions«
(›You Can‘t Allways Get What You Want‹, ›My Life
Would Suck Without You‹) gegen die »Jane Addams
Academy« (›And I Am Telling You I‘m Not Going‹,
›Proud Mary‹) und den »Haverbrook Deaf Choir«
(›Don‘t Stop Believin‘‹) antreten. Da Will suspendiert
wurde, begleitet Emma die Kids und setzt damit ihre
Hochzeit mit Ken aufs Spiel. Der Weg zu ihrem Her-
zen scheint für Will wieder frei zu sein (›Hello Again‹).
Der Frieden wird gestört, als der Chor »Vocal Adrena-
line« von sich Reden macht: ›Highway to Hell‹. Sue er-
presst Schulleiter Figgins (Iqbal Theba), in der ganzen
Schule Madonna Songs zu spielen. Während sich Rachel
und Jesse (Jonathan Groff) von den »Vocal Adrenaline«
näher kommen, macht Santana Finn ein Angebot, das er
nicht ausschlagen kann, während Emma und Will ihre
Beziehung auf die nächste Stufe heben wollen: ›Like a
Virgin‹. Das Leben der anderen »Glee«-Kids beginnt
sich immer mehr um Madonna zu drehen. Selbst Sue
lässt sich dazu verleiten, ihrem Idol Tribut zu zollen:
›Vogue‹. Mercedes fühlt sich als neue Cheerleaderin
sichtlich wohl, bis sie von Sue zum Abspecken genötigt
wird. Unerwartet findet sie Trost bei Quinn, wodurch
sie zu einer wichtigen Erkenntnis gelangt: ›Beautiful‹.
Kurt sucht die Nähe von Finn und verkuppelt sei-
nen Vater mit Finns Mutter. Der anfänglich gute Plan
offenbart schnell seine Schattenseiten: ›A House Is
Not a Home‹. Will muss zwischenzeitlich einen neu-
en Proberaum für den »Glee Club« finden und stößt
dabei auf eine Rollschuhbahn, die von April betrieben
wird: ›Home‹. Trotz der bereits gewonnenen Wettbe-
werbe sind die »Glee«-Kids noch immer nicht beliebt.
Sie versuchen ihren Ruf aufzupolieren: ›U Can‘t Touch
This‹, ›Physical‹. Noah verliert durch den »Glee Club«
sein Ansehen und versucht es durch eine Beziehung
mit Mercedes zu retten, die als Cheerleaderin einen
guten Ruf genießt. Sie lässt sich darauf ein, gerät je-
doch mit Santana aneinander, die Noah für sich be-
ansprucht: ›The Boy Is Mine‹. Derweil erkennt Finn,
dass er ›Jessie‘s Girl‹ nach wie vor begehrt. Bryan Ryan
(Neil Patrick Harris), Mitglied des Schulausschlusses
und ehemaliger Kontrahent von Will, will den »Glee
blickpunkt musical 02/2021
 Filme & Serien

Club« schließen. Will besorgt ihm schnellstmöglich
eine neue Wirkungsstätte: ›Dream On‹. Damit ermu-
tigt er Artie, an seinen großen Traum zu glauben: ›The
Safety Dance‹.
Finn und Kurt sollen künftig zusammen woh-
nen, da ihre Eltern zusammenziehen wollen. Doch
statt Brüderlichkeit breitet sich Hass zwischen ihnen
aus. Rachel findet heraus, wer ihre leibliche Mut-
ter ist und sucht ihre Nähe: ›Poker Face‹. Die »Vocal
Adrenalines« bombardieren Rachel mit Eiern. Verletzt
wendet sich sich von Jesse ab und findet Zuflucht bei
den »Glee«-Kids. Gemeinsam wollen diese den Kon-
Beliebtheit, Akzeptanz, Teenagerschwangerschaft,
Mobbing und Leistungsdruck sind nur einige
der Themen, die angerissen werden. Jedes »Glee
Club«-Mitglied hadert mit seinen eigenen Pro-
blemen, die mit Hilfe neugewonnener Freunde
bewältigt werden können. Sowohl in den Pro-
ben, als auch bei den Auftritten werden bekann-
te Rock- und Popsongs geschmettert. Zwischen-
durch werden aber auch, wie in einem Musicalfilm,
Szenen mit direkten Gesangsmomenten in die
Handlung verflochten. Neben den stimmlichen
Highlights liefern abwechslungsreiche Choreogra-
Abb. oben von oben:
1. Kurt (Chris Colfer, Mitte) versucht
dem Footballteam (Ensemble)
beizubringen, wie man locker wird:
›Single Ladies (Put a Ring on It)‹
2. (v.l.): Kurt (Chris Colfer), Mer-
cedes (Amber Riley), Artie (Kevin
McHale), Tina (Jenna Ushkowitz)
und Rachel (Lea Michele) wollen
etwas Neues ausprobieren
3. Rachel (Lea Michele) bekommt
einen wichtigen Ratschlag von Will
Schuester (Matthew Morrison)
Fotos (3): 20th Century Fox / Archiv

trahenten zeigen, dass sie keine Angst vor ihnen haben:
›Good Vibrations‹. Trotz der Nachricht, dass Sue bei
den Regionals als Jurymitglied über ihre Leistungen
abstimmen wird, lassen sich die »Glee«-Kids nicht ein-
schüchtern und geben ihr Bestes: ›Anyway You Want
It/Lovin‘, Touchin‘, Squeezin‘‹, ›Don‘t Stop Believin‘‹).
Obwohl die »New Directions« den letzten Platz bele-
gen, haben sie einen Grund zum Feiern: Quinn hat
ihre Tochter zur Welt gebracht.
Das Leben von Highschoolschülern mit ihren
täglichen Problemen wird präsentiert: Sexualität,
phien (Zachary Woodlee) optisch einen Mehrwert.
Während im Alltag die Cheerleader und das Foot-
ballteam mit ihren rotweißen Uniformen aus der
Masse der Schüler hervorstechen, zeichnen sich die
Schüler des »Glee Clubs« durch ihren teils eigenwil-
ligen Modegeschmack aus. Die anfangs stereotypen
Charaktere entwickeln sich im Laufe der 22 Episo-
den zu eigenständigen Figuren, die besondere Eigen-
arten an den Tag legen und so jede Episode zu einem
gelungenen Abschluss bringen.
Sandy Kolbuch

blickpunkt musical 02/2021 57


Virtuelle Hommage an Stephen Sondheim
»Simply Sondheim« aus dem Signature Theatre in Arlington
Abb. oben:
Tracy Lynn Olivera, Awa Sal Secka
und Katie Mariko Murray singen
›You Could Drive a Person
Crazy‹ (»Company«)
Abb. unten:
Donna Migliaccio spielt Mrs Lovett
aus »Sweeney Todd« und backt
›The Worst Pies in London‹
Fotos (2): Christopher Mueller
58
Konzerte & Entertainment
F ür viele Stephen Sondheim Fans kann es nie genug
Sondheim geben. Trotz Covid-Pandemie wird viel
Sondheim-Material virtuell aufgearbeitet, darunter vor
allem die wunderbare 90. Geburtstagsfeier, die schon
zuvor hier in der blickpunkt musical besprochen (vgl.
blimu 03/2020) wurde. Nun kommt »Simply Sond-
heim«, ein Konzert am Signature Theatre in Arlington,
Virginia, das mit Sondheims Kooperation inszeniert
und produziert wurde. Meiner Meinung nach über-
trifft diese Aufführung alle bisherigen Online-Produk-
tionen seines Werkes. Mehr noch: Es IST eines der bes-
ten Sondheim-Revuekonzerte, das ich je gesehen habe,
und das angesichts der unzähligen Revuen, Kabaretts
und Konzerte, die in Sondheims langer Karriere auf
die Beine gestellt wurden. Das Signature Theatre ist
dieser Aufgabe mehr als gewachsen. 1989 gegründet,
gewann das Theater 2009 den Tony Award in der Ru-
brik »Regional Theatre« als beliebtester Aufführungs-
ort für Musikproduktionen in den USA. Die allererste
Aufführung des Theaters im Jahr 1991 war eine viel
gelobte und gefeierte Neuproduktion von Sondheims
Meisterwerk »Sweeney Todd«.
Die Show, die bis zum 26. März über den Marquee
TV-Abonnementdienst in den USA online gestreamt
werden konnte, zeichnet sich aus mehreren Gründen
aus. Erstens ist die Songauswahl sehr originell. Sie be-
steht aus 30 teils beliebten Klassikern, teils selten auf-
geführten Sondheim-Liedern. Zweitens würdigen die
völlig neuen Orchestrierungen von Jonathan Tunick,
der mehr Sondheim-Uraufführungen arrangiert hat
als jeder andere, nicht nur Sondheims Musikkanon,
sondern enthalten auch völlig neue Elemente. Drittens
ist die Show wunderbar besetzt, mit 12 Darstellern –
acht, die als zentrale Ensemblebesetzung fungieren,
und vier Hauptsängern. Viertens schaffen Regie und
Bühnentechnik eine perfekt getaktete und choreogra-
phierte Aufführung, die das Pathos und den Witz in
Sondheims Werk mit tadelloser emotionaler Balance
in sich vereint.
Passend dazu beginnt die Show mit einem überra-
schenden Medley der Titelsongs von »Merrily We Roll
Along« und »Bounce«, die beide die Reise durch das
Leben thematisieren. Texte wie »Yesterday is done …
See the pretty countryside … Merrily we roll along,
roll along … Bursting with dreams« verschmelzen mit
»You take a few lumps, you have a few laughs, and all
the while you bounce«. Tatsächlich wurden diese Texte
von den Machern der Show, David Loud und Grün-
dungsdirektor des Signature Theatre, Eric Schaeffer,
genau ausgesucht und bestimmen das Thema für die
folgende, großartige und mitreißende Unterhaltung.
Spannungsreiche zwischenmenschliche Beziehun-
gen, zentral in Sondheims Geschichten, werden von
einem Gesangs-Trio raffiniert in drei Songs dramati-
siert: Die männliche Position kommt laut und deut-
lich im Titelsong aus »Saturday Night« (»wenn du am
Samstagabend allein bist, könntest du genauso gut tot
sein«) zum Ausdruck und die der Damen im berühm-
ten ›You Could Drive a Person Crazy‹ aus »Company«.
Das Trio schließt mit einer fesselnden Wiedergabe von
›Now/Later/Soon‹ aus »A Little Night Music«. Newco-
mer Tenor Nicholas McDonough verleiht dem Song
›Later‹ eine Intensität, die ich so noch nie zuvor beob-
achtet habe. Hört man sich die Orchestrierungen in
›Soon‹ aufmerksam an, wird klar, dass Tunick die zwit-
schernde Melodie ›Green Finch and Linnet Bird‹ aus
»Sweeney Todd« auf clevere Weise hineingewoben hat.
Der erste Teil entlehnt vieles aus »Company«, mit
Liedern wie zum Beispiel ›Sorry-Grateful‹, ›Not Get-
ting Married Today‹ und ›Another Hundred People‹.
Letzteres wird mit wilder Energie von Solea Pfeiffer
interpretiert, die in »Hamilton« gespielt hat. An dieser
blickpunkt musical 02/2021

Stelle versetzen zwei wehmütige und einfache Kom-
positionen Sondheims die Zuhörer in nachdenkliche
Stimmung. Es sind ›Every Day a Little Death‹, das
von den Ensemblemitgliedern des Signature Theatre,
Tracy Lynn Olivera und Katie Mariko Murray, mit
perfekter Klarheit dargeboten wird, und ›Loving You‹
aus »Passion«. Als Nächstes folgen zwei weitere we-
niger bekannte Balladen aus »Passion« – eine leiden-
schaftliche Interpretation von ›Is This What You Call
Love‹ von Broadway-Hauptdarsteller Norm Lewis und
ein brillant orchestriertes Medley aus ›I Wish I Could
Forget You/Sextet‹ mit sechs Ensemblemitgliedern.
Die Stimmung wechselt abermals, es wird peppig.
Den Abschluss des ersten Teils bildet der mitreißende
Song ›A Weekend in the Country‹ aus »A Little Night
Music«, das beste Pausenfinale in Sondheims Kanon
(oder vielleicht sogar eines der besten Pausenfinales der
Musicalgeschichte).
Der Regisseur und Choreograph Matthew Gardi-
ner, der Dutzende von Musicals am Signature Thea-
tre auf die Beine gestellt hat, dreht den Großteil der
Aufführung, ohne Publikum natürlich, aus der siebten
Reihe des Auditoriums und bewegt die Darsteller, im-
mer mit Corona-Abstand, über eine breite Bühne. Das
sechsköpfige Orchester, von oben ausgeleuchtet, befin-
det sich auf der Bühne. Einige der Nahaufnahmen der
Songs erinnern an das goldene Zeitalter der Varieté-
Shows aus dem Fernsehen der 1960er Jahre. Manch-
mal jedoch nimmt seine Kamera auch Bühnenszenen
auf, die an die Kinematographie des zeitgenössischen
Filmmusicals »La La Land« erinnern. Beleuchtung
und Kostüme sind dezent. Die Inszenierung erinnert
an »And the World Goes ‘Round«, eine glanzvolle Off-
Broadway-Revue mit Songs von Kander und Ebb aus
dem Jahr 1991.
In Anspielung auf die aktuelle soziale und politische
Krise der USA beginnt der zweite Teil mit einer herz-
zerreißenden Ensemble-Interpretation von ›Something
Just Broke‹ aus »Assassins«, die an den Moment am 22.
November 1963 erinnert, als die Amerikaner hörten,
blickpunkt musical 02/2021
Konzerte & Entertainment
dass Präsident Kennedy erschossen worden war. Doch
schon bald nimmt das Ensemble die optimistische
Stimmung aus dem vorherigen Part mit einem sprit-
zigen ›Now You Know‹ aus »Merrily We Roll Along«
wieder auf. Der zweite Teil bedient sich stark an Lie-
dern aus »Follies«. ›Could I Leave You?‹, ›The Right
Girl‹, ein atemberaubendes Duett-Medley aus den sen-
timentalsten aller Sondheim-Liebeslieder, ›Losing My
Mind‹ und ›Not a Day Goes By‹ (aus »Merrily«). Dabei
sind auch zwei selten zu hörende Songs: ›Who Could
be Blue/Little White House‹, welches aus »Follies«
gestrichen wurde, bevor die ursprüngliche Produktion
1971 an den Broadway kam, und ›Country House‹,
das 1987 in die Londoner Produktion von »Follies«
aufgenommen wurde. Mit Selbstbewusstsein lassen die
Macher der Revue die bekannteren Nummern aus
»Into the Woods« zugunsten zweier wenig beachteter
Songs weg – ›I Guess This Is Goodbye‹ und ›On the
Steps of the Palace‹.
Abb. oben:
Die Aufführung endet mit einem Trio von Lie- Conrad Ricamora mit ›Finishing the
dern, die Sondheims Bandbreite zur Geltung bringen. Hat‹ aus »Sunday in the Park With
Conrad Ricamora, bekannt als der königliche Erbe George«
aus »The King and I«, begeistert mit einem pointierten
›Finishing the Hat‹. Emily Skinner, zuletzt am Broad-
way in »The Cher Show« zu sehen, liefert eine wüten-
de Interpretation von ›The Ladies Who Lunch‹. Norm
Lewis, mit seinem resonanten Bariton, entfernt die
Sentimentalität aus Sondheims berühmtester Ballade
›Being Alive‹ und liefert damit eine Aussage über den
Ernst des alltäglichen Überlebens.
Das Konzert endet mit einer Ensemble-Nummer:
›The Hills of Tomorrow‹, die Schulhymne aus »Mer-
rily We Roll Along« wird hier zu einer Hymne, einer
Ode an die Zukunft. Der Kreis schließt sich mit einer
Reprise des ›Merrily We Roll Along/Bounce‹-Medleys. Abb. unten von links:
Eine lebhafte Instrumentalversion von ›Old Friends‹ 1. Norm Lewis mit ›Being Alive‹ aus
spielt während des Abspanns. »Company«
2. Emily Skinner singt mit einem
Drink in der Hand ›The Ladies Who
Dan Dwyer Lunch‹ aus »Company«
dt. von Jenny Laue Fotos (3): Christopher Mueller
59
 Musicals in den USA

»Ratatouille: The TikTok Musical«

Uraufführung nach dem Pixar Animationsfilm

Abb. oben:
Remy, die Ratte und Küchenjunge
Alfredo im Disney Pixar Film
von 2007
Foto: Disney Pixar Animation Studios

Ratatouille:
The TikTok Musical

Diverse / Daniel Mertzlufft /
Michael Breslin / Patrick Foley
Seaview Productions
Benefiz zugunsten The Actor Funds
Uraufführung: 1. Januar 2021
Direction ........................... Lucy Moss
Music Direction ........... Emily Marshall
Music Supervision &
Arrangements .......... Daniel Mertzlufft
Orchestrations ............. Macy Schmidt
Set Design ....................... Chris Routh
Costume Consultant ........ Tilly Grimes
Choreographie .............. Ellenore Scott
Video Design .... David Bengali Design
Remy, die Ratte ............. Tituss Burgess
Alfredo Linguini ............ Andrew Barth
Feldman
Emile ............................ Adam Lambert
Auguste Gusteau ..... Kevin Chamberlin
Ego .......................... André De Shields
Mabel .......................... Priscilla Lopez
Skinner .............................. Mary Testa
Colette ............................. Ashley Park
Django ........................... Wayne Brady
In weiteren Rollen:
Michael Breslin, Patrick Foley,
Adrianna Hicks, Cory Jaskier,
Sandy Kenyon, Nicole Kyoung-
Mi Lambert, Raymond J. Lee, John-
Michael Lyles, Andrea Macasaet,
Brittney Mack, Courtney Mack,
Mallory Maedke, Abby Mueller,
JJ Niemann, Larry Owens,
Samantha Pauly, Talia Suskauer,
Owen Anthony Tabaka, Anna Uzele,
Natalie Walker, Nikisha Williams,
Joy Woods
D
ie Pandemie hat eine alte Binsenweisheit deutlich
gemacht – die Notwendigkeit ist die Mutter der
Erfindung. Wie hilft man in einer Pandemie bedürf-
tigen Schauspielern und Sängern, wenn sie nicht auf-
treten dürfen? Ganz einfach. Man fügt die folgenden
Zutaten zusammen: TikTok, eine neue visuelle Social-
Media-Plattform, The Actors Fund, eine Organisation,
die Künstlern in Not hilft, viele isolierte, ans Haus ge-
bundene Musiker sowie Emily Jacobsen, eine Musical-
Liebhaberin und Disney-Fan, Lehrerin aus Hartsdale,
NY, einem Vorort 20 Meilen nördlich des Broadway.
Frau Jacobsen, ein Fan des »Best Animation
Oscar«-Hits »Ratatouille« von Disney Pixar, ist Vorsit-
zende für TikToks #RatatouilleMusical Community,
die 200 Millionen Fans auf der ganzen Welt erreicht.
Mitglieder dieser Online-Community haben neue
Songs komponiert, die die charmante Geschichte über
die Freundschaft zwischen Remy, der jungen Ratte,
die davon träumt, Koch zu werden und Alfredo, dem
Küchenjungen eines schicken Pariser Restaurants, wei-
terentwickelt.
Das Ergebnis heißt »Ratatouille: The TikTok Musi-
cal«. Produziert von der preisgekrönten Broadway-Pro-
duktionsfirma Seaview (Produzenten des umstrittenen
Tony-nominierten »Slave Play«), in Zusammenarbeit
mit TikTok und TodayTix, kamen dank der gestream-
ten Premierenvorstellung am Neujahrstag mehr als
zwei Millionen Dollar für The Actors Fund zusam-
men – ein Rekord für eine einzige Veranstaltung der
100 Jahre alten Organisation. Auch Broadway For All
beteiligte sich und subventionierte den Streaming-
Zugang für benachteiligte Kinder. Das virtuelle
Musical brachte auch einige der begabtesten Talente
des Broadway zusammen, um die 11 neuen Songs von
12 Komponisten der #RatatouilleMusical-Community
auf TikTok zu präsentieren.
Remy, die Ratte, wird von Tituss Burgess gespielt,
bekannt als Titus Andromedon aus der Netflix-Come-
dyserie »Unbreakable Kimmy Schmidt«. Burgess hat
reichlich Broadway-Erfahrung gesammelt, vor allem
als Sebastian in Disneys »Die kleine Meerjungfrau«. Er
hat einen wunderbaren Tenor, der es ihm ermöglicht,
eine mutige, leicht spitzbübische Version des Teenagers
Remy darzustellen. Sein Freund und Komplize im
Restaurant, der Küchenjunge Alfredo Linguini, wird
von Andrew Barth Feldman gespielt, der, nachdem er
als bester Schauspieler bei den National High School
Musical Awards ausgezeichnet wurde, die Neube-
setzung der Titelrolle von »Dear Evan Hansen» am
Broadway an Land ziehen konnte.
Obwohl alle Szenen mit Abstand gedreht wurden,
gelingt es Regisseurin Lucy Moss, die Beziehung zwi-
schen Remy und Alfredo für die Zuschauer glaubwür-
dig entstehen zu lassen. Das Gleiche schafft sie mit
den Darstellern der Nebenrollen, die angesichts ihrer
Broadway-Erfahrung alle wissen, wie man einen Song
in Szene setzt.
Die notwendige Pop-Star Power für die Broadway-
Fans liefert Chart-Topper und Grammy-Anwärter
Adam Lambert, der Emile spielt, Remys straffälligen,

60 blickpunkt musical 02/2021


besserwisserischen Bruder. Kurze Star-Auftritte beherr-
schen den Abend. Der dreimal für den Tony nominierte
Kevin Chamberlin spielt den berühmten, ehrwürdi-
gen Koch Auguste Gusteau. Chamberlin (Horton in
»Seussical« und Uncle Fester in »The Addams Family«)
beeindruckt in ›Anyone Can Cook‹, einer eingängigen
Nummer, die er selbst für diese Produktion geschrie-
ben hat. Andre De Shields, (Tony-Award für »Featured
Actor in a Musical« in »Hadestown«) schwelgt regel-
recht in der Rolle des schrägen Food-Snobs Ego.
Priscilla Lopez, in der Uraufführung von »A Chorus
Line« als Diana Morales mit ›Nothing‹ zu erleben, er-
scheint als Mabel, die kleine alte Dame, die Remy und
seinen Bruder Emile mit einer Schrotflinte erschießen
will. In einem witzigen Verweis auf ›What I Did for
Love‹ (»... kiss today goodbye and point me toward
tomorrow«), aus »A Chorus Line«, singt Mabel jetzt
»... kiss your friends goodbye«, als sie auf die Nager zielt,
die versuchen, Gewürze aus ihrer Küche zu stehlen.
Mit 50 Minuten kann das Musical nur das Ge-
rüst der Geschichte erzählen, aber die Charaktere der
Nebendarsteller kommen trotzdem hervorragend zu
Geltung. Mary Testa, die kürzlich als Aunt Eller in
»Oklahoma!« zu sehen war, durchbricht die Geschlech-
ter-Grenzen und zeigt ihr schauspielerisches Können
blickpunkt musical 02/2021
Musicals in den USA
als Skinner, Gusteaus ehemaliger Sous-Chef und Be- Abb. unten von oben links:
sitzer des Restaurants, der Rache sucht, nachdem er 1. 20-köpfige Broadway Sinfonietta
gegen Alfredo verloren hat. Ashley Park als Colette, die 2. Kevin Chamberlin spielt den
Koch Auguste Gusteau
einzige Köchin in Skinners Küche, die sich mit Remy
3. Tituss Burgess spielt Remy, die
und Alfredo anfreundet, erstaunt das Publikum mit Ratte
einem tadellosen französischen Akzent, den sie auch 4. Andrew Barth Feldman spielt den
beim Singen perfekt durchhält. Testas französischer Küchenjungen Alfredo Linguini
Akzent hingegen ist reine Satire. 5. Priscilla Lopez will als Mabel
Emile und Remy erschießen
Die von Geschlecht und Hautfarbe unbeeinflusste
6. Ashley Park spielt Colette, die
Besetzung hält die Charaktere frisch. Ein wirkungs- einzige Köchin in Skinners Küche
volles Statement ist das Engagement der 20-köpfigen Fotos (6): Seaview Productions
Broadway Sinfonietta – ein rein weibliches Orchester,
bei dem die Mehrheit der Frauen afroamerikanischer
Herkunft sind. Unter der musikalischen Leitung von
Macy Schmidt erblühen die Lieder aus dem TikTok-
Musical, ebenso wie der gute Zweck, der mit dieser
neuen, virtuellen Version von »Ratatouille« aus der
Pandemie erwächst.
»Ratatouille: Das TikTok Musical« wurde Anfang
Januar 2021 für wenige Tage in den USA ausgestrahlt
und ist leider nirgends mehr zu sehen.
Dan Dwyer
dt. von Jenny Laue
61

Der Zauberlehrling als märchenhaftes Musical
Uraufführung von »The Sorcerer‘s Apprentice« am Southwark Playhouse London online
Abb. oben:
Fabian Lydekker (Marc Pickering,
3.v.l.) singt ›There Will be Light‹ –
(v.l.): Footman (Tom Bales),
Maid (Kayleigh Thadani), Isobel
Grammaticus (Nicola Blackman),
Butler (Ryan Pidgen), Nanny
(Vicki Lee Taylor)
Foto: Geraint Lewiss
The Sorcerer‘s Apprentice
Ben Morales Frost /
Richard Hough
James Seabright
Southwark Playhouse London
Uraufführung: 26. Februar 2021
Online auf stream.theatre
Direction .............. Charlotte Westenra
Puppetry Direction .... Scarlet Wilderink
Musical Direction ......... Alan Williams
Choreography.................. Steven Harris
Set & Costume Design .... Anna Kelsey
Lighting Design .............. Clancy Flynn
Sound Design ............. Ella Wahlstrom
Puppet Design ............................ Maia
Kirkman-Richards
Isobel Grammaticus /
Greta Arno ............... Nicola Blackman
Lamia Lydekker ................ Dawn Hope
Eva Gottel ....................... Mary Moore
Fabian Lyddeker .......... Marc Pickering
Erik Sondersson ......... Yazdan Qafouri
Johan Gottel ................ David Thaxton
Footman ............................. Tom Bales
Nanny ........................ Vicki Lee Taylor
Butler .............................. Ryan Pidgen
Maid ....................... Kayleigh Thadani
62
Musicals in Großbritannien
E igentlich hätte das neue Musical aus der Feder von
Ben Morales Frost (Musik) und Richard Hough
(Buch & Liedtexte) in diesen Tagen am Londoner
Southwark Playhouse uraufgeführt werden sollen, aber
coronabedingt wurde die Produktion ins Netz verlegt,
wo sie bis zum 14. März 2021, an vorgegebenen Uhr-
zeiten auf stream.theatre zu sehen war. Für Produzent
James Seabright war es die erste Uraufführung, die er
nur im Netz präsentierte.
Das Familienmusical basiert auf Johann Wolfgang
von Goethes epischem Gedicht »Der Zauberlehrling«,
das bereits in Disneys »Fantasia« verarbeitet wurde.
In der märchenhaften Musicalversion von Frost und
Hough ist der Zauberlehrling die Tochter eines Zau-
berers namens Johan Gottel. Eva lebt mit ihrem Vater
in einem Dorf namens Midgard im hohen Norden, das
allein wegen des Nordlichts (Aurora Borealis) existiert.
Eines Tages, als das Polarlicht über dem Dorf leuchtet,
hört sie ungewöhnliche Stimmen im Kopf. Sie erzählt
ihrem Vater davon. Dieser erklärt ihr, dass er die Stim-
men auch hört und ihre Wahrnehmung mit dem Er-
wachen ihrer magischen Kräfte zu tun hat. Der Vater
versucht, die Dorfbewohner vor dem Verklingen der
»Music of the Aurora« zu warnen, und beschuldigt die
Raffinerie der Familie Lydekker des Raubbaus an der
Energie des Nordlichts und damit der Zerstörung des
Dorfes. Währenddessen erprobt seine Tochter Eva ihre
neu gewonnenen Zauberkräfte praktisch. Hier haben
sich die Autoren von Goethes Ballade inspirieren las-
sen. Ähnlich wie im Gedicht fusionieren die Besen, die
im Stück selbstverständlich tanzen, zu einem Mons-
ter, dem der Betroffene zunächst hilflos ausgeliefert
ist. Im Musical gelingt es Eva am Ende jedoch, dieses
Monster, das mithilfe von Puppenspielern zum Leben
erwacht, zu besiegen. Sie wird daraufhin von ihrem
Vater zum Zauberlehrling ernannt.
Die Musik im Stück ist poppig, geht leicht ins Ohr.
Neben einigen Balladen, wie etwa der ausdrucksstar-
ken Eröffnungsnummer ›Magic in the Air‹, die beson-
ders gefühlsvoll von David Thaxton gesungen wird,
oder dem »I want«-Song von Eva, ›Invisible‹, gibt es
auch schwungvollere Nummern, wie etwa ›Nature
Will Provide‹. Ähnlich wie die Geschichte des Stücks
ist auch die Musik familienfreundlich, obgleich die
Liedtexte von Richard Hough durchaus tiefgründig
sind. Besonders gelungen ist das zweideutige Duett
›Spellbound‹, auch wenn hier typische Popmusical-
klänge zu hören sind.
In der Titelrolle ist die junge Darstellerin Mary
Moore als Eva zu sehen. Diese zeigt sich energisch,
mit starker Stimme und begeistert mit ihrer sympathi-
schen Art, die sie in die Rolle einfließen lässt. Die Rolle
ihres Vaters, Johan Gottel, wird von David Thaxton
verkörpert. Er begeistert nicht nur mit starker, klarer
Stimme, sondern spielt facettenreich. Während er sich
zunächst von seiner strengen Seite zeigt, wirkt er am
Ende des Stücks viel freundlicher und entpuppt sich als
stolzer und liebevoller Vater.
Eine ähnliche Wandlung vollzieht Dawn Hope,
welche die Rolle der Lamia Lydekker verkörpert,
deren Familie die Fabrik gehört, welche entsprechend
der Kritik des Stücks an der Zerstörung des Klimas
beteiligt ist. Zunächst ist sie abweisend, als sich jedoch
am Ende der Geschichte herausstellt, dass sie Evas
Großmutter ist, offenbart sie andere Seiten. Besonders
komödiantisch wirkt Marc Pickering in der Rolle des
Fabian Lydekker, zu dessen Auftritten schwungvolle
Nummern wie ›Let There Be Light‹ oder ›Nature Will
blickpunkt musical 02/2021
 Musicals in Großbritannien

Provide‹ gehören. Diese sind im Vergleich zu den Bal-
laden etwas mehr Old School und passen gut zu seiner
Stimme. Jugendlich und stimmlich sehr gut ist Yazdan
Qafouri, der die Rolle des Erik Sondersson verkörpert.
Besonders gelungen sind seine beiden Duette ›Spell-
bound‹ und ›You Hardly Know Me‹, beide mit Mary
Moore, mit der er sehr schön harmoniert.
Unter der musikalischen Leitung von Alan Wil-
liams spielt eine dreiköpfige Band, die aus Huw Evans
(Keyboard), Nerys Richards (Cello) und Tom Clare
(Schlagzeug) besteht. Ihre Mitglieder sind zwar
erst beim Schlussapplaus zu sehen, spielen aber mit
Schwung die Arrangements des Komponisten.
Regisseurin Charlotte Westenra hat mit ihrem
Team eine düstere Bühnenwelt geschaffen, die genau
zu der märchenhaft düsteren Stimmung des Stücks
passt. Hier wurde mit Neonfarben gearbeitet, wodurch
das Lichtdesign von Clancy Flynn sehr gut funktio-
niert. Die Ausstatterin Anna Kelsey hat teilweise ein
Bühnenbild mit mehreren Ebenen entworfen, wie etwa
im Haus der Gottels, in dem sich oben Evas Schlafzim-
mer befindet. Das ist sehr gut gelöst.
Die Choreographien von Steven Harris sind sehr
schlicht und wirken deutlich besser in mitreißenden
Nummern wie ›Let There Be Light‹ als in getragenen
Balladen, wie beispielsweise ›Magic in the Air‹, bei
denen eine Choreographie eher von den Emotionen
ablenkt. In einem Familienmusical wirkt die »Besen-
szene« mit den tanzenden Besen höchst eindrucksvoll,
in einem dramatischen Erwachsenenstück hätte man
auf diese Choreographien verzichten können. Sehr ge-
lungen ist die von Maia Kirkman-Richards entworfene
Puppe, die dank der Puppenregie von Scarlet Wilde-
rink eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde.
So ein aufwendiges Musical in Zeiten von Corona
auf die Bühne zu bringen ist eine beeindruckende Leis-
tung. Noch dazu eine Uraufführung. Jetzt kann man
nur hoffen, dass es irgendwann auch vor Publikum ge-
spielt wird.
Ludovico Lucchesi Palli
Abb. unten von oben links:
1. ›Nature Will Provide‹ – Fabian
Lydekker (Marc Pickering, vorne
Mitte) mit Ensemble
2. Eva Gottel (Mary Moore) spielt
mit ihren neugewonnenen Kräften
und verliert dabei die Kontrolle,
was Erik Sondersson (Yazdan
Qafouri) zu spüren bekommt
3. Ein Monster wird zum Leben
erweckt – Eva Gottel (Mary Moore,
Mitte) und Ensemble
4. Eva (Mary Moore) und ihr Vater
Johan (David Thaxton) diskutieren
über Magie und die Aurora
Fotos (4): Geraint Lewis

blickpunkt musical 02/2021 63


»Treason« – das explosive neue Musicaldrama
Uraufführung britischer Geschichte in der Cadogan Hall in London
Abb. oben:
Auch ohne großer Ausstattung mit
Licht in Szene gesetzt (Ensemble)
Foto: Gavin Nugent
Treason –
The Musical in Concert
Ricky Allan / Kieran Lynn
Cadogan Hall London
OnlineUraufführung: 12. März 2021
Direction .................. Hannah Chissick
Musical Supervision.... Nick Pinchbeck
Orchestrations ......... Matthew Malone
Martha Percy .................... Lucie Jones
Robert Catesby .......... Oliver Tompsett
King James ....................... Daniel Boys
John Wright ................. Waylon Jacobs
Thomas Percy ............... Bradley Jaden
Thomas Wintour ........ Emmanuel Kojo
Anne Vaux ............ Rebecca LaChance
Earl of Northumberland .... Cedric Neal
Eleanor Brooksby ............ Sharon Rose
Narrator ................... Debris Stevenson
64
Musicals in Großbritannien
E ngland, London 1603 – das Land steht nach dem
Ableben von Königin Elizabeth I. kurz vor einer
monumentalen Verschwörung. König James I. ist als
Ururenkel des englischen Königs Heinrich VII. und
Sohn von Maria Stuart zum König von England ge-
krönt worden. Bis dato war er Monarch von Schott-
land. Mit seiner Krönung zum König von England,
Schottland und Irland führte er den Begriff »Großbri-
tannien« ein, da er sich als Retter des Landes sah. Auch
die Nationalflagge namens UnionJack entspringt sei-
ner Idee, die die Flaggen von England – mit dem roten
Georgskreuz – und von Schottland – mit dem weißen
Andreaskreuz – einte. Doch er schaffte es nicht, die
Staaten zu einen, die bis heute zwei eigene Parlamente
haben.
Großbritannien war zu seiner Zeit auch sehr von
den Auseinandersetzungen zwischen den Katholiken
und den Protestanten geprägt. Durch den Einfluss der
englischen Kirche unter Heinrich VIII., der sich vom
Papst in Rom unabhängig machen wollte, wurden an-
dere Religionen unterdrückt. Unter Elizabeth I. gab
es einige Kompromisse, doch König James verschärf-
te die Gesetze wieder, sodass die Katholiken erneut
gejagt und zum Besuch von anglikanischen Gottes-
diensten gezwungen wurden. Nur wenige Katholiken
durften öffentliche Ämter innehaben. Auch hatte er es
mit dem Parlament nicht leicht: Die Verschwörer um
Robert Catesby planten den Palast von Westminster am
5. November 1605 in die Luft zu sprengen, da dort die
nächste Parlamentseröffnung stattfinden sollte. Es wa-
ren nicht nur der König samt seiner Familie, sondern
auch alle Parlamentarier zugegen, welche ein friedli-
ches Zusammenleben der verschiedenen Religionen
als undenkbar erachteten. Sie hofften, dass nach dem
Tod König James‘ der katholische, spanische König
nachrückt und das Land wieder zum Katholizismus
leiten würde. Robert Catesby führte eine Gruppe von
Gleichgesinnten an, unter ihnen John Wright, Thomas
Percy und Thomas Wintour, um nur ein paar Weni-
ge zu nennen, die auch im Musical vorkommen. Die
Vorbereitungen des Vorhabens dauerten einige Mona-
te. Wochenlang schafften die Verschwörer Schießpul-
verFässer in kleinen Mengen in die Kellergewölbe des
Parlaments, ohne dass jemand Verdacht schöpfte.
Anna Vaux und ihre Schwester Eleanor Brooksby,
die einige Häuser auf dem Land um London besaßen,
versteckten katholische Priester vor ihren Verfolgern.
In kleinen, verborgenen Räumen, wie einer ausgehöhl-
ten Wand hinter einer Treppe oder unter Fußboden-
dielen, entkamen diese der qualvollen Folter. Nachts
hielten die Geistlichen gelegentlich kurze, geheime
Messen ab. Bei einer solchen Messe kam die Idee der
Verschwörung auf, die in einem Haus von Vaux und
Brooksby in einen Plan umgesetzt wurde. Die Ver-
schwörung schlug fehl und in der Nacht vor der Parla-
mentseröffnung wurden die Fässer mit dem Schießpul-
ver gefunden und die Verschwörer zu Folter und Tod
verurteilt. Ein anonymer Brief an den einzigen katho-
lischen Parlamentarier Lord Monteagle warnte ihn,
sodass er der Eröffnung fern blieb, wodurch das Vor-
haben aufflog. »Treason«, auf Deutsch Landesverrat,
handelt von eben dieser Verschwörung, die, wäre sie
gelungen, die Welt verändert hätte. Das Musical setzt
beim Tod von Elizabeth I. ein. Aufgrund der Komple-
xität der ganzen Situation und der langen Zeitspanne
von mehreren Jahren beinhaltet das Stück einige zeit-
liche Sprünge, die aber klar und verständlich sind und
die Geschichte nicht durcheinander bringen. Auch ein
weiterer Handlungsstrang, der das Ausmaß der Katho-
likenVerfolgung zeigt, verwirrt den Zuschauer nicht.
blickpunkt musical 02/2021

Ricky Allan schrieb die Musik, Songtexte und zu-
sammen mit Kieran Lynn das Buch zu diesem neuen,
historischen Musical, das am 12. März diesen Jahres
als Konzertversion seine Uraufführung feierte. In der
Cadogan Hall in London konnte das Team um Produ-
zent Stephen McGill, der auch »Billy Elliot« und »Jersey
Boys« in London produzierte, die konzertante Auffüh-
rung verwirklichen. Etwas heruntergebrochen in Aus-
stattung und Ensemblegröße, waren zehn Darstellerin-
nen und Darsteller auf der Bühne zu sehen: Lucie Jones,
Oliver Tompsett, Daniel Boys, Waylon Jacobs, Bradley
Jaden, Emmanuel Kojo, Rebecca LaChance, Cedric
Neal, Sharon Rose und Debris Stevenson als Erzählerin,
die in Reimform durch die Geschichte führt und diese
voranbringt. Der perfekt besetzte Cast interpretiert die
Songs, die mit ihrem Sound an die alten Klänge der
englischen Folklore und Choralgesänge erinnern und
mit modernen Popsong-Elementen gepaart wurden,
sehr authentisch. Obwohl die räumlichen Abstände
situationsgeschuldet Konzertatmosphäre erzeugen und
kein Zusammenspiel zulassen, kommt ein Gänsehaut-
moment nach dem anderen auf. Lucie Jones, bekannt
als Cosette aus »Les Misérables« oder aus »Waitress« im
West End, berührt mit ihrer warmen Stimme und kann
die Höhen mal stark und mal zurückhaltend sanft meis-
tern. Neben Lucie Jones sind die bekanntesten Namen
sicherlich Bradley Jaden und Oliver Tompsett. Brad-
ley Jaden, bekannt aus »Les Misérables«, »Shrek« oder
»Wicked«, und Oliver Tompsett, bekannt aus »Kinky
Boots« und »&Juliet«, überzeugen mit ihren großarti-
gen Stimmen. Sie glänzen auf ganzer Linie und legen in
jeden Ton dermaßen viel Gefühl, dass einem der Atem
stockt. Das Solo ›The Cold, Hard Ground‹, welches
Oliver Tompsett als Hauptverschwörer Robert Catesby
singt, ist ein absolutes Highlight. Die Melodie ist me-
lancholisch, aber episch und stark und hinterlässt ein
ungutes Gefühl in der Magengegend. In diesem Song,
der fast wie ein Gebet klingt, realisiert Tompsett, dass es
nun kein Zurück mehr gibt. Er ist entschlossen, alles für
seine Überzeugung zu tun. Auch wenn er dadurch auf
den kalten, harten Boden fällt, wird er seinen Plan für
eine bessere Welt durchziehen.
blickpunkt musical 02/2021
Musicals in Großbritannien
Ein weiterer Höhepunkt ist Daniel Boys als King
James, welchen er ein ganz klein bisschen an den King
George aus »Hamilton« anlehnt. Sein Solo ›The Pro-
mise‹ erinnert musikalisch sogar ein wenig an ›You‘ll
Be Back‹, den Song des King George. Aber es ist eine
großartige schauspielerische Leistung, einen gewissen
Witz in die eigentlich sehr düstere Materie zu brin-
gen und es macht einfach Spaß ihm zuzuschauen und
hören.
Die Ausstattung besteht aus hochwertigen Noten-
ständern, die mit Abstand zueinander auf der Bühne
verteilt sind. Dahinter, in einer langen Reihe, sind
sechs Musikerinnen und Musiker, bestehend aus Kla-
vier, Reed (Querflöte, Sopransaxophon, Flöte), Cello,
Gitarre, Bass und Schlagzeug, zu sehen und zu hören.
Die Kostüme sind zwar angelehnt an die Rollen, aber
sicher nicht die original Showkostüme. So hat King Abb. oben:
James einen schicken blauen Nadelstreifenanzug an, King James I. (Daniel Boys)
um seinen Stand zu zeigen. Im Gegensatz dazu trugen
die Verschwörer eher gedeckte Erdfarben mit weiten
Hemden und Westen. Was aber völlig legitim ist, denn
dieses Musical ist noch in der Entstehungsphase. Diese
Konzertversion ist eine Premiere für die Öffentlichkeit
und sie macht Lust auf mehr. Mit voller Ausstattung
kann es eine monumentale Bühnenshow werden, die
mitreißend und anrührend zugleich sein wird.
Für diejenigen, die schon einen Höreindruck be-
kommen möchten, gibt es eine Auswahl von fünf
Songs auf den bekannten StreamingPlattformen zum
Anhören. Der Recording-Cast weicht etwas von dem
Konzert-Cast ab, aber auch diese Künstlerinnen und
Künstler sind eine großartige Auswahl an talentier-
ten Menschen, wie Rosalie Craig (»Company«) und
Hadley Fraser (»Young Frankenstein«, »Les Misérables«).
Der größte Nachteil ist, dass es nur fünf Lieder sind, Abb. unten von links:
denn auch die Fehlenden sind einfach hörenswert. 1. Der Landesverrat wird geplant
Hoffentlich findet dieses mitreißende Musical bald (Ensemble)
seinen Weg auf die Bühne mit einer ihm gerecht wer- 2. Dank dieser Frauen konnte der
denden Ausstattung, dann könnte es der nächste West- Katholizismus fortbestehen (v.l.):
Eleanor Brooksby (Sharon Rose),
End-Hit werden.
Martha Percy (Lucie Jones) und
Anne Vaux (Rebecca LaChance)
Vincent Kleen Fotos (3): Gavin Nugent
65

Neues vom Film
zusammengestellt von Sandy Kolbuch
Cecily Strong und Keegan-Michael Key spielen ein Paar auf Rucksacktour in »Schmigadoon!«
Foto: Apple TV+
»Schmigadoon«
Eine Parodie auf ikonische Musicals verspricht
die neue Musical-Comedy-Serie »Schmigadoon!«
von Executive Producer Lorne Michaels. Cecily
Strong und Keegan-Michael Key (»The Prom«,
vgl. blimu 01/2021) spielen ein Liebespaar, das
während einer Rucksackreise seine Beziehung
neu beleben will. Dabei stößt es auf eine magi-
sche Stadt, in der die Einwohner/innen einem
Studio-Musical der 1940er Jahre entsprungen ist.
Die Rahmenhandlung erinnert an das Musical
»Brigadoon« aus dem Jahr 1947, wie bereits der
Titel der Serie erkennen lässt.
Die erste Staffel, die am 16. Juli 2021 auf
Apple TV+ starten wird, umfasst sechs Episo-
den, in denen unter anderem Alan Cumming,
Kristin Chenoweth, Aaron Tveit, Dove Came-
ron, Ariana DeBose, Fred Armisen, Jaime Ca-
mil, Jane Krakowski und Ann Harada zu sehen
sein werden. »Schmigadoon!« wird von Broad-
way Video und Universal Television produziert
und von Cinco Paul und Ken Daurio mitgestal-
tet. Cinco Paul, der die gesamte Originalmusik
für die Serie geschrieben hat, fungiert als Show-
runner (geschäftlicher und kreativer Leiter der
TV-Produktion). Barry Sonnenfeld führt Regie
und ist Executive Producer. Neben der Haupt-
rolle amtieren Cecily Strong als Produzentin
und Ken Daurio als beratender Produzent und
Autor.
»Come From Away« bei Apple TV+
2012 entstand »Come From Away«, das kanadi-
sche Musical mit Buch, Musik und Liedtexten
von Irene Sankoff und David Hein, welches in
der Woche nach den Anschlägen vom 11. Sep-
tember 2001 spielt. Es erzählt die wahre Ge-
schichte, dass 38 Flugzeuge im Rahmen der
Operation Yellow Ribbon unerwartet in der
66
Filme & Serien
Kleinstadt Gander in der Provinz Neufundland
und Labrador, Kanada, landen sollen. Die Cha-
raktere des Musicals basieren auf den Berichten
der historischen Gander-Bewohner/innen sowie
einiger der 7.000 gestrandeten Reisenden. 2017
feierte das Stück sein Tryout am Broadway im
Gerald Schoenfeld Theatre, bevor es 2018 im
Abbey Theatre in Dublin, Irland, uraufgeführt
und im Februar 2019 an das Phoenix Theatre im
West End verlegt wurde.
Bei den 71. Tony Awards 2017 wurde das
Stück für sieben Preise nominiert, darunter
»Bestes Musical«, »Bester Original Score«, »Bes-
tes Musicalbuch«. Bereits 2017 erwarb Enter-
tainment One erstmals die Filmrechte an der
»Come From Away« am Broadway 2017
Foto: Matthew Murphy
Geschichte, die ursprünglich als Spielfilm nach
dem Buch von Sankoff und Hein adaptiert wer-
den sollte. Vor Beginn der Pandemie war »Come
From Away« in New York, Toronto, Melbourne,
London sowie auf einer Nordamerika-Tournee
zu sehen.
Das Stück soll nun im Mai 2021 live im
Gerald Schoenfeld Theatre aufgenommen wer-
den, um es für die Zuschauer/innen daheim
zugänglich zu machen, sagte Dave Sirulnick,
Executive Producer von RadicalMedia. Chris-
topher Ashley – der für seine Regie der Broad-
way-Produktion den Tony Award erhielt – wird
die Live-Filmversion inszenieren. Zuletzt führ-
te Ashley bei der Verfilmung des Bühnenmusi-
cals »Diana« für Netflix Regie.
Das Originalbuch, die Musik und die Lied-
texte wurden von den Tony-Nominierten und
Olivier-Preisträgern Irene Sankoff und David
Hein geschrieben, die neben Jon Kamen, Dave
Sirulnick und Meredith Bennett von Radical-
Media auch als Executive Producers des Live-
mitschnitts fungieren werden. Jennifer Todd
und Bill Condon werden neben den ursprüng-
lichen Bühnenproduzenten Junkyard Dog
Productions sowie Mark Gordon produzieren.
Brittany Hapner wird als Co-Produzentin fun-
gieren. Apple hat den Deal für die Rechte an
der Filmfassung des Broadway-Musicals inzwi-
schen unterzeichnet und Entertainment One
bereits eine Veröffentlichung für September in
Aussicht gestellt. Ob dieser Zeitplan umgesetzt
werden kann, steht zum jetzigen Datum noch
nicht fest
blickpunkt musical 02/2021

Proben für »Rent« auf Kuba mit Regisseur Andy Señor Jr (r.)
Foto: HBO
HBO zeigt Dokumentation »Revolution
Rent«
Der amerikanische Streamingdienst und
Kabelsender HBO zeigt ab 15. Juni die Doku-
mentation »Revolution Rent«. Diese begleitet
den kubanischstämmigen Regisseur Andy Señor
Jr., welcher gemeinsam mit Neil Patrick Harris
und Victor Patrick Alvarez »Rent« als erstes ame-
rikanisches Musical seit über 50 Jahren nach
Kuba bringt.
Gleichzeitig beleuchtet die Dokumentation
auch, wie Andy Señor Jr. mehr über seine Her-
kunft erfährt und seine komplexe Beziehung zu
Amerikas sozialistischem Nachbarn ergründet.
Die Kamera begleitete den Produktionspro-
zess mit allen seinen Hoch- und Tiefpunkten
von der ersten Idee über Casting und Proben bis
hin zur Premiere und letzten Vorstellung.
Der 90-minütige Film, der im vergangen
Jahr beim Festival DOC NYC Premiere feierte,
wird nach der Ausstrahlung in den Streaming-
Angeboten von HBO verfügbar sein.
Zweite Staffel für »Central Park«
Die amerikanische, für den NAACP Image und
den Emmy Award nominierte Musical-Anima-
Grafik: Foto: Apple TV+
blickpunkt musical 02/2021
Filme & Serien
Impressum
UM Verlag und Medien GmbH
Schütte-Lanz-Str. 34a
12209 Berlin
Abonnements
Tel. +49 (0)30 238 835 29
Herausgeber und Verlag
UM Verlag und Medien GmbH
office@umverlag.de
Redaktion
tionsserie »Central Park« startet in die zweite blickpunkt musical
Runde. Schütte-Lanz-Str. 34a
12209 Berlin
»Bob‘s Burgers«-Schöpfer Loren Bouchard redaktion@umverlag.de
entwickelte diese Hommage an den namensge-
benden Central Park in New York City gemein- Chefredaktion
Dr. Barbara Kern
sam mit Nora Smith und Schauspieler Josh Gad. barbara.kern@umverlag.de
Die erste Staffel startete am 29. Mai 2020 auf App-
le TV+. Im Fokus der Handlung steht die Familie Bildredaktion
Birgit Bernds
des Park-Managers Owen Tillerman und deren birgit.bernds@umverlag.de
Gegenspielerin, die Hotelerbin Bitsy Branden-
ham, welche den Park kaufen und für eine Wohn- Marketing/Anzeigen
Oliver Wünsch (V.i.S.d.P)
anlage abreißen möchte. Von den stetigen Strei- oliver.wuensch@umverlag.de
tigkeiten berichtet Straßenmusiker Birdy. In der Tel. +49 (0)30 238 835 29
zweiten Staffel kümmert sich Familie Tillerman Es gilt unsere Anzeigenpreisliste
Nr. 24 vom 1. Januar 2020
weiterhin um den berühmtesten Park der Welt,
während Bitsy ihrem finsteren Ziel näherkommt. Mitarbeiter/innen
Die ersten drei Episoden der zweiten Staffel der Eva Baldauf
Susanne Baum
bereits um eine dritte Staffel verlängerten Mu- Birgit Bernds
sical-Comedy feiern am Freitag, 25. Juni 2021, Sandy Kolbuch
auf Apple TV+ Premiere. In der Originalfassung Jenny Laue
leihen Josh Gad, Leslie Odom Jr., Kristen Bell, Übersetzungen
Kathryn Hahn, Tituss Burgess, Daveed Diggs und Jenny Laue
Beate Luszeit (Supervision)
Stanley Tucci den Hauptfiguren ihre Stimmen.
Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe
Zweite Staffel von »High School Musical: Eva Baldauf
Birgit Bernds
Das Musical: Die Serie« gestartet Stephan Drewianka
Am 14. Mai startete auf Disney+ die zweite Dan Dwyer(USA)
Staffel von »High School Musical: Das Musi- Martina Friedrich
Dr. Barbara Kern
cal: Die Serie«, deren Dreharbeiten aufgrund Vincent Kleen
der Corona-Pandemie zwischenzeitlich unter- Sandy Kolbuch
brochen werden mussten. In der zweiten Staffel Ludovico Lucchesi Palli(AT)
Mina Piston(AT)
bereiten sich die East High Wildcats auf die Sandra Reichel
Aufführung von »Die Schöne und das Biest« Rosalie Rosenbusch
vor. Auch die rivalisierende Schule North High Sabine Schereck(GB)
Lilli Zeifert
hat das Stück auf dem Spielplan. Ein gnaden-
loser Schultheaterwettbewerb ist die Folge, im Abonnements-Bedingungen
Preis der Zeitschrift im freien Verkauf: € 6,50; Jahresabo: € 31,90.
Zuge dessen Loyalitäten ausgetestet und Balla- Abonnements können jederzeit zum Ablauf des jeweils laufenden
den vorgetragen werden. In der Staffel werden Abonnementjahres gekündigt werden. Wird nicht 2 Monate vor
Ablauf gekündigt, verlängert sich das Abonnement jeweils um ein
brandneue Soli einfließen, die von Olivia Rod- weiteres Jahr.
rigo und Joshua Bassett geschrieben wurden. Ermäßigte Abonnementpreise für Schüler/innen unter Zusendung
eines Nachweises und Anerkennung durch den Verlag. Näheres
Neben diesen zählen erneut Matt Cornett, Sofia auf www.blickpunktmusical.de
Wylie, Larry Saperstein, Julia Lester, Dara Re-
Urheber- und Nutzungsrechte
neé, Frankie Rodriguez, Joe Serafini, Mark St. Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion, Übersetzung in fremde Spra-
Cyr und Kate Reinders zur Stammbesetzung chen, Mikroverfilmung und elektronische Verarbeitung sowie jede
andere Art der Wiedergabe nur mit schriftlicher Genehmigung des
der Serie. Gaststars in dieser Staffel sind Derek Verlages. Eine Verwertung ohne ausdrückliche Genehmigung ist
strafbar. Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen nicht in je-
Hough, Olivia Rose Keegan, Roman Banks, dem Fall die Meinung der Redaktion dar. Für unverlangt einge-
Andrew Barth Feldman und Asher Angel. sandte Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen.
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