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44-61_Orchester 03_06_Teil_1 07.05.

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>BERICHTE<

© WDR
Bandoneonist Orlando Dibelo
und das WDR Funkhausorchester
unter Leitung von Patrick Lange

Musiker noch so strahlen, so wie die Hardcore-


Mit Bandoneon im Live-Stream Fans an den Bildschirmen sicher auch. Dann gab
es noch mal routinierte Worte von Valeria Risi:
Eine „wahre Tangorevolution“ habe der Meister
Das WDR Funkhausorchester Köln feierte Astor Piazzolla geschaffen, aber schließlich doch frustriert „das
Ute Grundmann Bandoneon an den Nagel gehängt“. Zum Beweis
erklang Triunfal, im späten Kompositionsstudi-
> Der Meister blickt streng von oben herab Die angemessen geführte Kamera nahm immer um Piazzollas entstanden: Jazzig zunächst, dann
auf die Bühne, ganz so, als schaue und höre er wieder den ernst blickenden Bandoneonisten ins Flott-Melodiöse gleitend. Zur Auskehr er-
aus dem Himmel dem WDR Funkhausorchester Orlando Dibelo in den Blick, der ehrfürchtig be- klangen dann Die verlorenen Vögel, als Hohelied
zu. Der Mann auf dem alten Schwarz-Weiß-Foto kannte, „dem Meister höchstpersönlich begeg- auf das Leben des verstorbenen Vaters. Und
hat (s)ein Bandoneon dabei, und das spielt na- net“ zu sein. Zum Glück nahm es Dirigent Pat- auch das letzte Klischee durfte nicht fehlen: Piaz-
türlich eine Hauptrolle, wenn die Musiker den rick Lange weniger weihevoll, zeigte mal die zolla sei „immer wieder von den Toten aufer-
Erfinder des Tango Nuevo feiern. „!Felicidades Faust, schmollte kurz, hatte aber seinen Spaß. standen“, so Risi. Da war er dann wieder, der
Piazzolla!“ hieß es im Kölner Sendesaal, genau Ganz ernst(haft) dagegen Sängerin Romina Bale- Himmel, von dem aus der Meister scheinbar
einen Tag nach dem 100. Geburtstag des Kom- strino, die bei Vamos Nina kantig, rebellisch, mit lauschte und in den er vom WDR Funkhausor-
ponisten. Per Stream konnten die Zuhörer dabei vielen Gesten und Kopfbewegungen „ihren“ Pi- chester gehoben wurde. Dass dessen Musiker
sein. azzolla darbrachte. Dazu ließen erst die Strei- sich immer wieder und am Ende selbst applau-
Das Konzert beginnt mit einem „Flop“: cher, dann die Bläser die Töne wie treppab klet- dierten, war angesichts der coronabedingt leeren
Denn die erste Musik, „Fuga y mysterio“, ist Teil tern – ein von Piazzolla gern verwendetes Stil- Reihen vielleicht verständlich, aber doch ein
einer Tango-Oper Piazzollas, die kein Erfolg mittel. bisschen peinlich.
wurde. Das „Mysterium“ aber schon: Zu kurzen, Wie zur Beruhigung in den flirrenden Tö- Für das Orchester naht der Abschied von ih-
hellen Tönen des Bandoneons gesellen sich eine nen ging die Kamera immer wieder zur Totale rem „charismatischen Chef“ Wayne Marshall,
ebenso hohe Klarinette und knappe Klavier- der Bühne zurück, die man mit rauchfarbenen der seit 2014 in Köln am Pult stand. Die Leitung
schläge – dann weinen die Streicher dunkel. Die- Lampen, in denen Leuchtstäbe glühten, ge- der Schulkonzerte hatte er schon im April in an-
se Mischung aus Tränen und Turbulenz, Melan- schmückt hatte. Die Schwarz-Weiß-Fotos hoch dere Hände gegeben. Anfang Juli heißt es dann
cholie und Energie wird die kommenden 90 Mi- oben allerdings begannen sich nach der ersten endgültig „Thank you, Wayne“ – mit einem gro-
nuten bestimmen. Doch erst muss Moderatorin Konzerthälfte zu wiederholen, ein wenig wie die ßen (Stream-)Konzert natürlich. Die Geschicke
Valeria Risi die Geschichte des „neuen Tango“ Motive des Komponisten. Da war es eine schöne und Auftritte des WDR Funkhausorchesters lei-
erzählen, leider in aufgedrehter Routine. Aus- Überraschung, wie ungewohnt schräg Soledad tet ab der Saison 2021/22 dann Frank Strobel.
wanderer wie Astor Piazzolla sind „bitterarm“, klang, von Oboen, Bandoneon und Klarinette Vorher aber tanzen die Musiker im Konzert
die „ferne Heimat“ verursacht Schmerz. „Wir einträchtig gezaubert. Ouda Nueve war ein schö- noch einmal „mit der Maus“. Die beantwortet
sind alle Wanderer“, heißt ihre letzte Floskel, die nes Klavier-Solo für Pedro Valero, Piotr Skweres seit 50 Jahren im Fernsehen schlau Fragen und
sie noch zu den „15 Nationen im Orchester“ spielte ein unsentimental-trauriges Cello-Solo, in ist damit halb so „alt“ wie der gefeierte Astor
bringt. Das lässt dann einen „Verrückten“ („Re- das Pianoklänge tropften. Piazzolla. <
viradio“) über die Bühne stürmen – wieder gibt Das waren Momente zum Hinhören, aber
das Bandoneon den erst schnellen, dann langsa- insgesamt ist wohl kaum ein Tango-Komponist
men Takt vor, klingt dabei wie eine helle Flöte. so variantenreich, dass seine kurzen Stücke ir- > www1.wdr.de/orchester-und-chor/
Celli kommen dazu, die Bläser bringen Rhyth- gendwann nicht doch als Variationen des Im- funkhausorchester
mus in die Klänge, die dann von Tomoharu Yo- mergleichen erscheinen. Da mochten die – in > Das Konzert ist seit dem 24.4. auf
shidas Oboen-Solo überstrahlt werden. Pandemiezeiten ungewohnt nah sitzenden – YouTube zu sehen

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Title: Mit Bandoneon im Live-Stream: Das WDR Funkhausorchester Köln feierte Astor Piazzolla

Author(s): Ute Grundmann

Source: Das Orchester: Magazin für Musiker und Management 69/6 (Juni 2021) 58
ISSN: 0030-4468
EISSN: 0000-0000

Publisher: Schott Music

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