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Heft 6
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Schatten
Tadao Ando, einer der meist-
gerühmten Architekten der
Welt, wird noch in diesem
Jahr ein Gästehaus fiir Vitra in
Weil am Rhein neben Frank
Gehrys Stuhlmuseum und
Wand
Oldenburgs Skulptur bauen. Der
Architekt Hans Binder und der
Fotograf Paco Carrascosa
haben Ando in Tokio besucht.
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SITUATION
KJ
Die Kirche von Ibaraki besteht
aus einem Betonquader, der von
einem Mauerwinkel durchstos-
sen beziehungsweise eingefasst
wird (vgi. Situationsplan). Die
Bildfoige oben zeigt einen Weg
vom Altar mit dem ausgefrästen U
Lichtkreuz über die Stelle, wo
die Mauer durch den Quader
stösst (Eingang), zum Tor in der
Mauerscheibe, dem Blick in die
Höhe unter dem Tor und die
D
b Sicht in das Dreieck des
verdeckten Fensters. Das Bild
links unten zeigt die Mauerscheibe,
wie sie durch den Quader
stösst. Das Ganze ist ein
gekonntes Spiel mit Licht und
Wand von höchster Präzision.
Hans Binder: Sie haben zum erstenmal die Möglichkeit, wie man auf das Gebäude zukommen sollte. Ich Quader, der mit dem ersten durch einen
einen Bau auf dem europäischen Kontinent zu erstellen. hielt die Silhouette tief, ja das Gebäude sinkt Hohlzylinder, welcher auch die Treppen
Noch in diesem Jahr soll das Gästehaus neben Frank sogar in den Boden ein. Zudem sollten ein enthält, verknüpft ist. Der Innenhof lässt die Natur
Gehrys Stuhlmuseum in Weil am Rhein fertig werden. Quadrat und ein Kreis, Volumen und Leere so wie Licht und Wind in das Gebäude
Wie haben Sie den Entwurf auf diese neue Umgebung zueinander in Beziehung gebracht werden, eindringen und hält sie darin zurück. Das wird
eingestimmt? dass ein reicher Innenraum entsteht. Und es dem Gebäude Farbe und Leben geben und in
Tadao Ando: Ich wollte eine Architektur schaffen, war nicht leicht, es in ein harmonisches Ensemble theatralischer Weise das Leben der Menschen
die repräsentativ sein soll für das Land, mit Gehry und der Skulptur von Oldenburg darstellen.
aus dem sie kommt. zu setzen, ohne die schönen Kirschbäume auf
dem Areal zu verletzen. Wir haben den Winkel Das Projekt unterscheidet sich von Ihren bisherigen in
Dann sind Sie also von einem Grundgedanken ausgegangen, der Ausdrehung sehr sorgfältig gewählt. Wenn verschiedener Weise. So ist die Lichtsituation total
der in der japanischen Kultur zu suchen ist, einem man sich dem Gebäude nun in einer gekurvten anders, aber auch das Territorium ist weniger scharf
Teehaus, einem Pavillon der Ruhe? Bewegung um Gehrys Museum nähert, erkennt abgegrenzt als bei den andern Bauten. Durch die leichte
Ja genau. Aber so einfach ist das nicht. Nach man drei Elemente: die Brüstung des in den Anschüttung wirkt es beinahe skulptural, trotzdem ist
zwei Jahren Planung hat das Gebäude eine Boden gesenkten quadratischen Innenhofs, dann aber der Hof wieder ins Gelände gegraben.
Eigenständigkeit erhalten, die sich vom japanischen einen liegenden Quader mit den Gasträumen und Meine grundsätzlichen Interessen liegen
Vorbild weit distanziert. Das Grundstück eine L-förmige Wand, welche den Zugang weiterhin bei Licht, Schatten und Wand. Daraus
ist flach, also machte ich mir Gedanken, regelt. Es gibt dann aber noch einen zweiten resultiert eine Architektur, welche den Men-
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sehen stimuliert. Wenn der Mensch diese nun an müssen wir fremde Kulturen nicht nur
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r* Stimulationdurch den Raum erfährt, dann erst oberflächlich adaptieren, sondern sie auch tiefer
ist es Architektur. Im Moment treffen sich j verstehen lernen.
apanische und europäische Kultur. Ich glaube,
dass der Austausch, das Treffen verschiedener Sie haben vorhin die Natur angesprochen. Haben Sie
Kulturen wichtiger werden wird. Die moderne auch versucht, auf der Ebene des Naturverständnisses,
Architekturbewegung vergass diesen welches in Japan ja ganz anders ist als bei uns, unsere
Austausch. Die moderne Architektur wurde Vorstellungen zu adaptieren?
dadurch kreiert, dass sie ihre ganze Vergangenheit In Japan hatten wir die vier Jahreszeiten früher
abschnitt... klar getrennt, aber heute haben wir keine
Ich glaube aber, dass Architektur nicht nur Jahreszeiten mehr. Es ist schwierig geworden,
z aus Funktion besteht. Die Moderne hat sich sie überhaupt noch zu fühlen. Auf der Basis der
geweigert, den Antirationalismus einzubeziehen, vier Jahreszeiten wuchs unsere Kultur.
sich mit ihm zu vermischen. Die modernen Deshalb versuchte
unser Volk die vier Jahreszeiten
ERSTES UNTERGESCHOSS Architekten nahmen keinen Bezug aufdie sehr intensiv zu leben, und mit Spannung
charakteristische Lebensform und die andere sahen wir im Winter dem neuen wunderschönen
Rationalität einer ihnen fremden Gesellschaft, in der Frühling und der Kirschblüte entgegen. Diese
sie bauten, sondern sie tendierten vielmehr Kultur erlaubte es uns, eine innere Kultur zu
dazu, ihre Gebäude in internationalem Stil zu schaffen, «oku». Aber «oku» ist die Tiefe des
erstellen. Geistes, nicht die Grösse der Materie. Schon in
Verschiedene Probleme sind nur entstanden, der Überlieferung waren die Reaktionen des
weil auf diesen Austauch verzichtet wurde. japanischen Volkes und der Europäer gegenüber
Architektur im 20. Jahrhundert, welche der Natur unterschiedlich: Die Europäer
Rationalität miteinschloss und die entsprechenden sehen in der Natur mehr ihren Feind, unsere
1 Forderungen stellte, wurde kommerzialisiert. Natur umarmt den Menschen, lullt ihn ein. Das
In der letzten Zeit reisen zu viele Menschen
herum und versuchen eine neue Kultur in unseren Baut demnächst in Weil: Tadao Ando
überinformierten Gesellschaften zu kreieren.
Ost und West: Wir haben unsere Gesellschaft
ohne Kontakt zum Westen aufgebaut,
doch von nun an sollten wir ein wenig mehr
Erfahrungen und Einsichten zwischen Ost und
y
West austauschen.
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labyrinthisch. So begegnet
Bh.
Hl
japanische Haus ist in die Illusion der Natur diese Qualität, sind ausgrenzend, extrem massiv. Lesen Himeji, wenn man entlang der Wand läuft, auf
gebaut worden, die Szenerie ist ein weiches Sie die Wand anders als der traditionelle Japaner? ein Loch trifft, auf eine Öffnung zur Natur.
Bild. Es versucht mit der Natur zu verschmelzen. In einer gewissen Weise sehe ich es wohl anders: Jede Wand öffnet sich zur Natur. An jedem
Früher wurde das Haus eigentlich nur als Das ist meine Absicht, der Ausdruck meiner Punkt im Gebäude können Sie die Natur sehen.
Papierwand gebaut, in der japanischen Architektur Architektur in einer neuen Kultur, eine neue
gab es keine klare Grenze zwischen Architektur, ein neues Jahrhundert! Meine Wobei Sie diesen Gebäudekomplex nicht in die Natur
Architektur und Natur, in der europäischen Kultur Wände schliessen ja nie in jede Richtung, es setzen, sondern Terrain und Natur ringsum bearbeiten,
hingegen ist diese ganz klar. Es gibt auch gibt immer Öffnungen. dem Gebäude unterwerfen. Man erinnert sich an den
noch einen anderen grossen Unterschied: In Barock. Auch die Lichtführung irritiert. Sie ist ohne
der japanischen Architektur gibt es keine Ich erinnere mich aber an Ihr Reihenhaus, eines Ihrer besondere Qualität, ohne Mystik, anders als in Ihrer kleinen
verteidigenden, ausgrenzenden Wände, alle Wände ersten Projekte. Da gibt es ausser der Eingangstür keine Kirche von Ibaraki mit dem in den Beton gefrästen Lichtkreuz
können entfernt werden. Die europäischen Öffnungen in den Wänden. hinter dem Altar.
Wände hingegen lassen sich nicht öffnen, sie Doch, innen gibt es einen Hof... Die europäische Zum Licht, zum empfindlichen Licht der
existieren, verteidigen den Bewohner gegen die Architektur setzt ein Dach auf die Wand. japanischen Architektur: Ich bin der Meinung, das
feindlich gesinnte Umwelt. Dadurch wird die Wand sehr defensiv. Haben japanische Licht sei viel heller und schöner als
Aber gerade Ihre Wände haben in den meisten Fällen Sie gesehen, dass man beim Kindermuseum in das europäische, welches in der Luft herum-
SITUATIONSPLAN
ERSTES OBERGESCHOSS
Situationsplan, Erstes
Ober- und Erdgeschoss
rechts. Darüber eine
Bildfolge des Theaters auf
dem Dach. Das grosse Bild
zeigt den Raum zwischen
den beiden Baukörpern.
Links unten der Weg vom
Eingangsbereich der
schwimmt und mir nicht hell genug vorkommt, geraden Mauer entlang zum
ERDGESCHOSS
es ist immer im Nebel, unklar... Platz der 16 Pfeiler und
Ich meine damit nicht Südeuropa, sondern danach zum höchsten Punkt,
Mitteleuropa. Dort ist das Licht nicht modulierbar von wo aus Treppen zum
wie bei den Griechen. In Japan haben komplizierte Gebäudeeingang führen.
Strukturen und delikate Detaillierung
das Licht ins Gebäude geholt.
UNTERGESCHOSS
\ IV
GRUNDRISS ERDGESCHOSS
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È Gästebaus für die Firma
Vitra in Weil am Rhein. Im
Modell vorne das Stuhlmuseum
von Frank Gehry, dahinter das
Pro-jekt von Ando. Darunter
L Situationsplan. Rechts Grundriss
Erdgeschoss. Im Zentrum des
Hofes das Kreissegment der Treppe.
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in der linken oberen Ecke. Der
Raum in der rechten oberen Ecke
Verschmelzung, und das ist meine!
Ich glaube auch, dass die europäische Kultur
ihren Höhepunkt erreicht hat, an ihrem Ende
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^J ist für die Technik.
angelangt ist. Und nun versucht ihr, die
mysteriösen Tiefen der japanischen Kultur zu
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Je näher wir kommen, desto tiefer wird es
im Raum versinken. Körperlich ist das Ende
Gebäude zu integrieren. Dass er es aus eigenem
Willen ins Gebäude integriert, ist die Antwort
\)o des Raums die Wand, doch mental können Sie aufsein Suchen. Dieses Museum ist repräsentativ
das Ende des Weges im Gebäude nicht erfassen. für Gehrys Schaffen. Diese Kraft, die darin
Und das wiederum ist «oku», die Tiefe, das zum Ausdruck kommt, ist auf dem europäischen
unerreichbare Ziel... Kontinent nirgends anzutreffen, sie
Ich glaube, meine Architektur existiert an existiert nicht. Er ist repräsentativ für die
einem Punkt, wo die japanische und die europäische amerikanische Westküste. Gut, Hamburger und
Kultur sich treffen und vermischen. Aber Kentucky Fried Chicken sind auch repräsentativ
als Japaner habe ich meinen eigenen Ursprung
- aber ist es nicht viel besser, statt dessen
und adaptiere die europäische Kultur. Es exi- einen Frank Gehry zu haben?
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