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Nachweise mit Theorie II.

Ordnung
24

Der Nachweis der Tragfähigkeit mit Theorie II. Ordnung kann für Tragsysteme als Alter-
native zu den Nachweisen mit den Ersatzstabverfahren für knickgefährdete Druckstäbe
nach Abschn. 16.2, für biegedrillknick-(kipp-)gefährdete Biegestäbe oder für Stäbe unter
kombinierter Druck- und Biegebeanspruchung nach Abschn. 17.2 geführt werden. Der
Tragwerksplaner entscheidet den Einsatz eines der beiden Verfahren. Der Nachweis mit
den Ersatzstabverfahren wird bei vielen Druck- und Biegestäben weiterhin ausreichend und
vertretbar wirtschaftlich sein, obwohl mit Theorie II. Ordnung nachgewiesene Druckstäbe
in vielen Fällen wirtschaftlicher ausgelegt werden können, ein Vergleich hierzu wird in
Abschn. 24.3 angeführt.

24.1 Theorie I. und II. Ordnung

Theorie I. Ordnung
Viele Tragsysteme im Bauwesen werden nach der klassischen, linearen (Elastizitäts-)­Theorie
I. Ordnung berechnet. Die Schnitt- und Weggrößen, die infolge vorgegebener Lastgrößen
(Einwirkungen) bei Stabtragwerken auftreten, werden unter folgenden Bedingungen ermittelt:
• die Gleichgewichtsbedingungen werden am unverformten System bestimmt, s. Bild
24.1a am Beispiel einer eingespannten Stütze,
• die Verschiebungsgrößen (Verschiebungen, Verzerrungen, Verdrehungen) sind „klein“
gegenüber den Tragwerksabmessungen bzw. „klein“ gegenüber Eins,
• es besteht ein linearer Zusammenhang zwischen den Spannungen und Verzerrungen
(lineares Materialgesetz, Hookesches Gesetz).

H. Neuhaus ()
e-mail: helmuth.neuhaus@t-online.de

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017


H. Neuhaus, Ingenieurholzbau, https://doi.org/10.1007/978-3-658-14178-3_24
820 Nachweise mit Theorie II. Ordnung

Bild 24.1 Schnittkraftermittlung


am unverformten und verformten
System am Beispiel einer druck-
und Horizontalkraft beanspruchten,
eingespannten Stütze
a) am unverformten System, Theo-
rie I. Ordnung b) am verformten
System, Theorie II. Ordnung

a) b)

Die vorbenannten ersten beiden Bedingungen werden als geometrische Linearität, die
letzte als physikalische Linearität bezeichnet. Die Bedingungsgleichungen sind linear, es
gilt das Superpositionsgesetz (Überlagerung der Schnittgrößen). Für viele baupraktische
Fälle reicht die lineare Theorie (Theorie I. Ordnung) aus.

Theorie II. Ordnung


Bei Berechnung eines Tragsystems nach Theorie II. Ordnung wird das Gleichgewicht am
verformten System angesetzt, d.h. das geometrisch nichtlineare Tragverhalten des Systems
(Stabtragwerk) wird berücksichtigt, s. Bild 24.1b am Beispiel einer eingespannten Stütze.
Die Verschiebungsgrößen und das Materialgesetz können demgegenüber linear oder nicht-
linear angesetzt werden, so dass mehrere voneinander verschiedene Theorien II. Ordnung
beschrieben werden können. In der Literatur und in Normen existieren keine einheitlichen
Bezeichnungen dieser verschiedenen Theorien II. Ordnung, hierüber s. z.B. Heimeshoff
[204] und Rothert/Gensichen [431]. Wegen der Nicht-Linearität der Gleichungen darf das
Superpositionsgesetz im Allgemeinen nicht angewendet werden, jede Einwirkungs-(Last-)-
kombination muss für sich betrachtet werden.
Bei Tragsystemen (Stabtragwerken), für die die Anwendung der Theorie II. Ordnung
notwendig ist, wird oft die Elastizitätstheorie II. Ordnung (oder auch als Spannungs­
theorie II. Ordnung benannt) angewendet und vereinfacht als Theorie II. Ordnung be-
zeichnet, dazu wird die Theorie I. Ordnung dahingehend erweitert, dass das Gleichgewicht
am verformten System angesetzt wird, d.h. die Lasten (Einwirkungen) greifen am verform-
ten System an, bleiben jedoch richtungstreu, alle anderen Bedingungen der Theorie I.
Ordnung bleiben erhalten. Bei einer derartigen geometrisch nichtlinearen Theorie – Gleich-
gewicht am verformten System –, sind Systemverformungen je nach anstehendem Pro­
blem und Formulierung zu berücksichtigen, sie können durch Imperfektionen des Trag-
werks, elastische Formänderungen, Formänderungen infolge Dauerbelastung (wie Krie-
chen), Nachgiebigkeit von Verbindungsmitteln und dgl. entstehen.
Imperfektionen sind baupraktisch unvermeidbare und ungewollte Vorverformungen
der unbelasteten Tragwerke (Stabtragwerke), sie können in geometrische und strukturelle
Imperfektionen unterteilt werden:
24.2 Theorie II. Ordnung im Holzbau 821

Geometrische Imperfektionen:
• Abweichungen der Stabachsen von der geplanten Sollgeometrie (Vorkrümmungen,
Vorverdrehungen),
• Abweichungen von den geplanten Soll-Stababmessungen,
• Abweichungen planmäßig senkrechter Stützen von der Solllage (ungewollte Schief-
oder Schrägstellung),
• Abweichungen von der planmäßig mittigen Lasteinleitung (ungewollte ausmittige
Lasteinleitung),

Strukturelle Imperfektionen:
• Inhomogenitäten des Materials (z.B. Wuchsfehler des Holzes wie die Ästigkeit,
s. Abschn. 1.10.3).

Imperfektionen werden bei den Berechnungen durch Ersatzimperfektionen berücksichtigt,


da die tatsächlich im betrachteten Tragwerk auftretenden Abweichungen unterschiedlich
sind und unregelmäßig auftreten.
Die Theorie II. Ordnung wird mehrfach in der Literatur angeführt, z.B. in Becker/Blaß
[18], Becker/Rautenstrauch [19], Berner [25], Cassens [87], Göggel/Werner [165], Heimes­
hoff [204], [208], Kollbrunner/Meister [266], Krings [293], Petersen [393], Pflüger [394],
Pischl [398], [399], Roik [429], Rothert/Gensichen [431], Rubin/Schneider [432], [433],
Scheer/Bauer [444] und Schweda/Krings [479].

24.2 Theorie II. Ordnung im Holzbau

24.2.1 Anwendung der Theorie II. Ordnung

Der Nachweis der Tragfähigkeit mit Theorie II. Ordnung wird im Allgemeinen durch-
geführt, wenn die Tragfähigkeit von Einzelstäben oder Stäben von Tragwerken wesentlich
durch ihre Verformungen bestimmt wird; der Nachweis kann u.a. notwendig werden bei:
• außerordentlich weit gespannten Tragwerken,
• Tragwerken, bei denen geringe Vorverformungen großen Einfluss auf das Stabilitäts-
versagen haben,
• Verwendung von Seilen (geringe Dehnsteifigkeit) für Vorspannungen z.B. in bestimm-
ten Fällen bei abgespannten Masten, Hängebrücken,
• Tragwerken mit nachgiebigen Anschlüssen wie Rahmenecken und Einspannungen mit
mechanischen Verbindungsmitteln,
• Tragwerken, bei denen keine oder unvollständige Ersatzstablängen vorliegen oder bei
denen die Ersatzstablänge ein Mehrfaches der wirklichen Stablänge beträgt,
• Stäben, die nach dem Ersatzstabverfahren (Knicken) sicher und vertretbar wirtschaft-
lich bemessen worden sind, die jedoch in bestimmten Fällen mit Theorie II. Ordnung
noch wirtschaftlicher ausgelegt werden können und sollen, s. Abschn. 24.3.
822 Nachweise mit Theorie II. Ordnung

Bei der Anwendung der Theorie II. Ordnung im Holzbau werden das geometrisch
nichtlineare Tragverhalten – Gleichgewicht am verformten System – und das physikalisch
lineare Materialverhalten angesetzt, da Holz unter Zug- und Druckbeanspruchung sich
überwiegend elastisch verhält, s. Bild 16.14. Es werden jedoch folgende vereinfachende
Annahmen gemacht, um das nichtlineare Verhalten in zwei Bereichen zu berücksichtigen:
Das nichtlineare Materialverhalten des Holzes bei kombinierter Druck- und Biegebean-
spruchung, s. Bild 16.15, wird näherungsweise mit einer quadratischen Interaktion des
Druckterms bei der Querschnittstragfähigkeit in Rechnung gestellt, s. Gl. in Tabelle 24.4,
und das nichtlineare Kraft-Verschiebungsverhalten von mechanischen Verbindungsmitteln
wird vereinfachend mit einem (um ein Drittel abgeminderten) Verschiebungsmodul für die
Tragfähigkeit als Sekantenmodul berechnet, s. Bild 10.10 und Gl. (10.4).
Beim Nachweis der Stabilität von Tragwerken nach Theorie II. Ordnung muss für die
ungünstigste Einwirkungskombination sichergestellt werden, dass
• im Grenzzustand der Tragfähigkeit der Verlust des statischen Gleichgewichts (örtlich
oder für das Gesamttragwerk) nicht auftritt und
• der Grenzzustand der Tragfähigkeit einzelner Querschnitte oder Verbindungen, die
durch Biegung und Längskräfte beansprucht werden, nicht überschritten wird.

Die Nachweise der Tragfähigkeit müssen für jede Richtung geführt werden, in der ein
Versagen auftreten kann.

24.2.2 Schnittgrößenermittlung nach Theorie II. Ordnung

Berechnungen der Auflagerreaktionen und Schnittgrößen


Die Berechnungen der Auflagerreaktionen und Schnittgrößen nach Theorie II. Ordnung
erfolgen überwiegend mit einem geeigneten, geometrisch nichtlinearen Stabwerkspro-
gramm, das die Gleichgewichtbedingungen am verformten System berücksichtigt. Analy-
tisch exakte Lösungen sind in der Fachliteratur nur für einfache Stabsysteme vorhanden,
die für „Handrechnungen“ zudem noch aufwändiger sind, s. z.B. Berner [25], Göggel/
Werner [165], Pischl [399], Rubin/Schneider [433] und Scheer/Bauer [444]; deshalb kom-
men unter bestimmten Bedingungen auch einfachere Näherungslösungen zum Einsatz,
die auf der Iteration von Einzelschritten beruhen und ausreichende Genauigkeit aufweisen.
Über die Ermittlung der Schnittgrößen s. auch Abschn. 23.1.3.

Näherungslösung
Die Berechnung mit einer Näherungslösung nach Theorie II. Ordnung soll an einem einfa-
chen System dargestellt werden: Eine Pendelstütze nach Bild 24.2a, die nur unter mittiger
äußerer Druckkraft F beansprucht wird (ein äußeres Biegemoment M ist in diesem Beispiel
nicht vorhanden), besitzt bereits im unbelasteten Zustand durch unvermeidbare Vorverfor-
mungen des Stabes eine Vorkrümmung e, die durch die Druckkraft N im Stab ein zusätzli-
ches Biegemoment ∆M aus dem Gleichgewicht am verformten System nach Bild 24.2b
24.2 Theorie II. Ordnung im Holzbau 823

a) b) c)

Bild 24.2 Pendelstütze (Eulerstab 2) unter mittiger Druckkraft F und den Bedingungen nach
Theorie II. Ordnung, Beispiel a) spannungsloser Ausgangszustand unter unvermeidbarer Vorver-
formung e (Vorkrümmung) b) Beanspruchung durch eine äußere Druckkraft (Einwirkung) F und
zusätzlich durch ein Biegemoment ∆M = N ·e infolge Normalkraft N (Druckkraft) in der Stütze
c) Endzustand im verformten Zustand mit Gesamtverformung e + w

erzeugt. Dieses Biegemoment bewirkt eine Zunahme der bisherigen Verformung und damit
der Vorkrümmung e, so dass das Biegemoment ∆M vergrößert wird auf ∆M1. Die weiteren
Iterationsschritte konvergieren, die Summe der Zuwächse der Verformungen eines jeden
Iterationsschrittes wird durch eine geometrische Reihe gebildet und als Vergrößerungsfak-
tor α bezeichnet, s. Gl. (24.1); dabei wird nach Gl. (24.2) vorausgesetzt, dass die kritische
Last Ncrit des Stabes nach Gl. (24.3) bestimmt werden kann, dass die Druckkraft N im Stab
stets kleiner oder gleich der kritischen Last Ncrit ist und dass die Biegemomente MI (falls
vorhanden) sowie Verformungen aus Theorie I. Ordnung bekannt sind.
1
a= > 1(24.1)
1-d

N
d= £ 1 (24.2)
N crit

p2 ◊E◊I
N crit = (24.3)
l2
F äußere Last (Einwirkung)
N Druckkraft im Stab (hier: positiv)
Ncrit kritische Last des Stabes
E Elastizitätsmodul nach Gl. (24.5), s. auch Tabelle 24.1
I Flächenmoment 2. Grades
l Stablänge oder Abstand der Knoten mit seitlich unverschieblichen Halterungen
α Vergrößerungsfaktor, bewirkt die Vergrößerung des aus dem Gleichgewicht am ver-
formten System ermittelten Biegemomentes ∆M auf das Biegemoment MII aus Theo-
rie II. Ordnung
δ = N/Ncrit ≤ 1 als Verhältnis der Druckkraft im Stab zur zugehörigen kritischen Last
824 Nachweise mit Theorie II. Ordnung

Das Biegemoment MII nach Theorie II. Ordnung, das in der Pendelstütze des Beispiels nach
Bild 24.2 ausschließlich auf die unvermeidbare Vorverformung des Stabes zurückzuführen
ist, wird mit ausreichender Genauigkeit nach Gl. (24.4) errechnet; dabei wird das zusätzliche
Biegemoment ∆M, das aus dem Gleichgewicht am verformten System entsteht, mit der
Druckkraft N im Stab und der anzusetzenden Vorkrümmung e nach Tabelle 24.2 ermittelt und
die Zuwächse aus Theorie II. Ordnung durch Multiplikation mit dem Vergrößerungsfaktor α
bestimmt; darüber hinaus ist das Biegemoment nach Theorie I. Ordnung zu überlagern, so-
weit vorhanden, im Beispiel MI = 0, da kein äußeres Biegemoment nach Bild 24.2 vorliegt.

MII = MI + ΔM · α(24.4)
= MI + N · e · α

MI Biegemoment nach Theorie I. Ordnung, soweit vorhanden


MII Biegemoment nach Theorie II. Ordnung
∆M zusätzliches Biegemoment aus dem Gleichgewicht am verformten System
=N·e
N Normalkraft im Stab, als Druckkraft hier positiv,
e Vorkrümmung des Stabes nach Tabelle 24.2
α Vergrößerungsfaktor nach Gl. (24.1)

Für andere Einwirkungen, Lagerungsarten und Tragsysteme wird zur Ermittlung der
Schnittkräfte und Auflagerreaktionen nach Theorie II. Ordnung auf die analytischen und
Näherungslösungen in der Fachliteratur verwiesen, falls eine Handrechnung erforderlich
wird, z.B. in Berner [25], Göggel/Werner [165], Heimeshoff [204], Petersen [393], Pischl
[399], Rubin/Schneider [433] und Scheer/Bauer [444].

Ermittlung der Schnittgrößen und Auflagerreaktionen im Holzbau


Bei der Berechnung von Tragwerken nach Theorie II. Ordnung im Holzbau sind im Grenz-
zustand der Tragfähigkeit die Auflager- und Schnittgrößen mit den Bemessungswerten der
Steifigkeiten ohne Berücksichtigung der Einflüsse der Lasteinwirkungsdauer (und Feuch-
te) zu ermitteln, demnach die Steifigkeiten geteilt durch den Teilsicherheitsbeiwert γM nach
Gl. (24.5) bis (24.7) bzw. Tabelle 24.1, s. DIN EN 1995-1-1: 2010-12, 2.2.2 (1)P und 2.4.1
(2)P. Die Bemessungswerte der Steifigkeiten im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit
sind mit den Mittelwerten der Steifigkeiten zu berechnen, s. Tabelle 24.1 und sinngemäß
EN 1995-1-1: 2010-12, 2.2.3 (2).
Der Einfluss des Kriechens darf vereinfachend durch Abminderung der Steifigkeiten
mit dem Beiwert kred,S = 1/(1+kdef) berücksichtigt werden, s. Gl. (16.9); diese Abminderung
gilt bei druckbeanspruchten Bauteilen (Druckstützen) nach Abschn. 16.2, wenn in der
Nutzungsklasse 2 und 3 der Bemessungswert des ständigen und quasi-ständigen Lastanteils
größer als 70% des Bemessungswertes der Gesamtlast ist, s. DIN EN 1995-1-1/NA: 2013-
08, NCI NA.5.9. Über die Berechnung des Bemessungswertes der ständigen und des quasi-
ständigen Lastanteils s. Abschn. 16.2.1. Da bei Nachweisen nach Theorie II. Ordnung die
24.2 Theorie II. Ordnung im Holzbau 825

Bemessungswerte der Steifigkeiten ohne Berücksichtigung der Einflüsse der Lasteinwir-


kungsdauer (und Feuchte) durchgeführt werden müssen, s. DIN EN 1995-1-1: 2010-12,
2.2.2 (1)P, sind die Steifigkeiten nach Gl. (24.5) bis (24.7) bzw. Tabelle 24.1 zu verwenden.
Demnach gelten für Nachweise der Theorie II. Ordnung nicht die Abminderungen der
Steifigkeiten nach Tabelle 22.3 für Nachweise im Endzustand bei Tragwerken mit Bautei-
len aus Baustoffen unterschiedlicher Kriecheigenschaften (unterschiedlicher zeitabhängi-
ger Eigenschaften). Tabelle 24.1 zeigt eine Übersicht über die Verwendung der Steifigkei-
ten im Grenzzustand der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit.

Tabelle 24.1 Bemessungswerte der Steifigkeiten für Nachweise nach Theorie II. Ordnung bei
Bauteilen und Verbindungen im Grenzzustand der Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit nach
DIN EN 1995-1-1: 2010-12, 2.2.2 (1)P, 2.2.3 (2) und 2.4.1 (2)P sowie DIN EN 1995-1-1/NA: 2013-
08, NCI NA.5.91)
Grenzzustand Bauteile Verbindungen
der Elastizitätsmodul Schubmodul Verschiebungsmodul
E G K
Steifigkeiten für Nachweise nach Theorie II. Ordnung
Bauteile ohne Ed = Emean/γM Gd = Gmean/γM Kd = Ku,mean/γM
Kriechen2)4)
Tragfähigkeit Bauteile Emean Gmean K u,mean
mit Kriechen3)4) Ed = Gd = Kd =
g M ◊ (1 + kdef ) g M ◊ (1 + kdef ) g M ◊ (1 + kdef )

Gebrauchs- 5) Ed = Emean Gd = Gmean Kd = Kser


tauglichkeit
1) Hierin bedeuten:
Emean Mittelwert des Elastizitätsmoduls, s. Abschn. 7.2
Gmean Mittelwert des Schubmoduls, s. Abschn. 7.2
Ku,mean Verschiebungsmodul im Grenzzustand der Tragfähigkeit nach Abschn. 10.3.3 und Gl. (24.8)
Kser Verschiebungsmodul im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit nach Tabelle 10.2
kdef Verformungsbeiwert für ständige Lasteinwirkungsdauer nach Abschn. 7.4.2, s. auch Abschn.
16.2.1
γM Teilsicherheitsbeiwert für Holz und Holzwerkstoffe nach Tabelle 8.2
2) Steifigkeiten im Grenzzustand der Tragfähigkeit für alle Bauteile bei Nachweisen mit Theorie II.

Ordnung mit Ausnahme druckbeanspruchter Bauteile (Kriecheinfluss) nach Tabelle 24.1, nächste
Zeile, s. Fußnote 3) und DIN EN 1995-1-1: 2010-12, 2.2.2 (1)P
3) Steifigkeiten im Grenzzustand der Tragfähigkeit zur Berücksichtigung des Kriechens nach Abschn.

16.2.1 nur für druckbeanspruchte Bauteile (Druckstützen), wenn in Nutzungsklasse 2 und 3 der Be-
messungswert des ständigen und quasi-ständigen Lastanteils größer als 70% des Bemessungswertes
der Gesamtlast ist, s. DIN EN 1995-1-1/NA: 2013-08, NCI NA.5.9
4) die Steifigkeiten bei Bauteilen aus Baustoffen mit unterschiedlichen Kriecheigenschaften (unter-

schiedlichen zeitabhängigen Eigenschaften) nach Tabelle 22.3 gelten nicht für Nachweise nach
­Theorie II. Ordnung
5) Steifigkeiten im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit für alle Bauteile sinngemäß nach EN

1995-1-1: 2010-12, 2.2.3 (2)


826 Nachweise mit Theorie II. Ordnung

Bemessungswerte der Steifigkeiten für Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit


nach Theorie II. Ordnung:

Ed = Emean/γM(24.5)

Gd = Gmean/γM(24.6)

Kd = Ku,mean/γM(24.7)
mit
2
K u,mean = ◊ K ser (24.8)
3

Ed, Gd Bemessungswerte der Steifigkeiten für Nachweise im Grenzzustand der Tragfähig-


Kd keit nach Theorie II. Ordnung
E0,mean Mittelwert des Elastizitätsmoduls in Faserrichtung, s. Abschn. 7.2
Gmean Mittelwert des Schubmoduls, s. Abschn. 7.2
Ku,mean Verschiebungsmodul im Grenzzustand der Tragfähigkeit nach Abschn. 10.3.3 und
Gl. (24.8)
Kser Verschiebungsmodul im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit nach Tabelle
10.2
γM Teilsicherheitsbeiwert für Holz und Holzwerkstoffe nach Tabelle 8.2

24.2.3 Imperfektionen bei Theorie II. Ordnung

Ersatzimperfektionen
Bei der Ermittlung der Schnittgrößen und Auflagerreaktionen eines Tragwerks sind geo-
metrische und strukturelle Imperfektionen aus baupraktisch unvermeidbaren Vorverfor-
mungen zu berücksichtigen, s. Abschn. 24.1, wenn diese die Beanspruchungen wesentlich
vergrößern. Die geometrischen und strukturellen Imperfektionen werden vereinfachend zu
geometrischen Ersatzimperfektionen zusammengefasst, die für das unbelastete Tragwerk
als Vorkrümmung (ungewollte Ausmitte) und/oder Vorverdrehung (ungewollte Schräg-
oder Schiefstellung) nach Tabelle 24.2 angesetzt werden dürfen. Die Ersatzimperfektionen
müssen nicht den geometrischen Randbedingungen des Tragsystems entsprechen und kön-
nen auch Knicke und Sprünge enthalten. Ersatzimperfektionen dürfen durch gleichwertige
Ersatzlasten berücksichtigt werden, s. Tabelle 24.3. Nachweise nach Theorie II. Ordnung
im Holzbau sind in Tabelle 22.4 enthalten.
Die Einflüsse eingeprägter Vorverformungen auf die Schnittgrößen können bei einer
linear-elastischen Berechnung nach Theorie II. Ordnung aus Tabelle 24.2 bestimmt und mit
folgenden Annahmen ermittelt werden (Ersatzimperfektionen), s. DIN EN 1995-1-1: 2010-
12, 5.4.4 (2):
24.2 Theorie II. Ordnung im Holzbau 827

Tabelle 24.2 Spannungslose Vorverformungen (Ersatzimperfektionen) von Tragwerken oder ent-


sprechender Teile für Berechnungen nach Theorie II. Ordnung im Grenzzustand der Tragfähigkeit
nach DIN EN 1995-1-1: 2010-12, 5.4.4 (2)1)2)3)
Anfängliche Krümmung (Vorkrümmung) des unbelasteten Tragwerks oder Bauteils4)
Ansetzen einer anfänglichen sinus- (oder para- Beispiel:
bel-)förmigen Krümmung zwischen den Kno- angenommene spannungslose, anfängliche
tenpunkten eines Tragwerkes oder Bauteils Krümmung (Vorkrümmung) eines Stabes
(Stabachsen) wie bei
- Druckstäben oder
- Druckgurten von Biegestäben4)
mit einer ungewollten größten Ausmitte e
- (meist in Stab-(Feld-)mitte) oder
- ggf. zwischen Knotenpunkten von mindestens hier:
e = 0,0025 · l = l/400 mit h = l als Stablänge
e Rechenwert der ungewollten Ausmitte
l Stablänge oder ggf. Abstand der Knoten mit
seitlich unverschieblichen Halterungen
Schiefstellung (Vorverdrehung) des unbelasteten Tragwerks oder entsprechender Teile
Ansetzen einer ungewollten Schief- oder Werte für den Winkel ϕ
Schrägstellung des Tragwerkes oder entspre- mindestens annehmen zu:
chender Teile zusammen mit einer anfänglichen ϕ = 0,005 = 1/200 für h ≤ 5 m
sinus- (oder parabel-)förmigen Krümmung
f = 0, 005 ◊ 5/h = 5/h / 200 für h > 5 m
zwischen den Knotenpunkten des Tragwerkes,
s. oben, wie für Stäbe und Stabzüge, die am mit
verformten Stabwerk ϕ Rechenwert des Schief- oder Schrägstel-
- Stabdrehwinkel aufweisen können und durch lungswinkels (Stabdrehwinkels) im Bogen-
- Normalkräfte beansprucht werden, maß
ungewollte Schief- oder Schrägstellung als h Tragwerkshöhe oder Länge des Bauteils in m
- Vorverdrehung der Stäbe/Stiele mit dem
- Winkel ϕ
Beispiele angenommener spannungsloser Vorverformungen nach DIN EN 1995-1-1: 2010-12,
5.4.4, Bild 5.3
Rahmen, unverformt: Bogen, unverformt:

symmetrische Vorverformung: symmetrische Vorverformung:

unsymmetrische Vorverformung: unsymmetrische Vorverformung:


828 Nachweise mit Theorie II. Ordnung

Tabelle 24.2 (Fußnoten)


1) Ersatzimperfektionen können auch durch gleichwertige Ersatzlasten berücksichtigt werden,

s. Tabelle 24.3
2) Ersatzimperfektionen müssen nicht den geometrischen Randbedingungen des Systems entspre-

chen
3) Nachweise mit Theorie II. Ordnung nach Tabelle 24.4
4) bei Biegeträgern darf anstelle der Vorkrümmung des Druckgurtes auch eine Vorkrümmung der

Stabachse angesetzt werden

eine spannungslose Vorverformung des Tragwerks oder entsprechender Teile, so dass sie
folgender Anfangsverformung entspricht:
• Annahme einer Schiefstellung des Tragwerks (Vorverdrehung) oder entsprechender
Teile mit dem Winkel ϕ, wie für Stäbe und Stabzüge unter Normalkraftbeanspru-
chung, die am verformten System Schief- oder Schrägstellungswinkel ϕ (Stabdreh-
winkel) erhalten können, die Schiefstellungen sollten in der ungünstigsten Richtung
angenommen werden,
• zusammen mit einer anfänglichen Vorkrümmung (spannungslos vorgekrümmter
Stab) als sinus- (oder parabel-)förmige Krümmung zwischen den Knotenpunkten des
Tragwerks mit einer größten Ausmitte e nach Tabelle 24.2, wie eines sinus- (oder
parabel-)förmigen Verlaufes der Stabachsen von Druckstäben oder der Druckgurte
von Biegeträgern mit der größten Auslenkung e (meist in Stabmitte) zwischen zwei
Knotenpunkten mit jeweils seitlich unverschieblicher Halterung des Stabes.

Ersatzimperfektionen beinhalten neben den o.a. geometrischen Imperfektionen auch den


Einfluss der Abweichungen des geometrischen vom tatsächlichen Querschnittsschwer-
punkt durch Inhomogenitäten des Holzes; weitere Einflüsse auf die Tragfähigkeit wie die
Nachgiebigkeit von mechanischen Verbindungsmitteln in Anschlüssen oder Stößen, die
Nachgiebigkeit des Baugrundes oder der Einfluss von Schubverformungen werden bei den
Ersatzimperfektionen nicht berücksichtigt und sind ggf. rechnerisch anzusetzen.

Ersatzlasten anstelle der Ersatzimperfektionen


Anstelle der Ersatzimperfektionen können auch gleichwertige Ersatzlasten auf die Trag-
systeme aufgebracht werden, die zu gleichen Ergebnissen führen. Die Ersatzlasten sind
Abtriebs- oder Umlenkkräfte, die durch das verformte System entstehen und am unver-
formten System aufgebracht werden, sie sind den wirklichen Lasten zu überlagern. Ersatz-
lasten bieten den Vorteil einer weiteren Berechnung mit Theorie I. Ordnung bzw. am un-
verformten („geraden“) Stab. Die Herleitung der Ersatzlasten für zwei einfache Systeme
kann Tabelle 24.3 entnommen werden, Ersatzlasten weiterer Lastkombinationen, Lage-
rungsarten und Tragsysteme können der o.a. Fachliteratur wie z.B. Berner [25], Erläut. zu
DIN 1052: 2004-08 [47], E 8.5.2 und 8.5.3, Göggel/Werner [165] und Rothert/Gensichen
[431] entnommen werden.
24.2 Theorie II. Ordnung im Holzbau 829

Tabelle 24.3 Ersatzlasten anstelle von spannungslosen Vorkrümmungen und Schief- oder Schräg-
stellungen (Vorverdrehungen) bei einfachen Tragsystemen für Berechnungen mit Theorie II. Ord-
nung nach Göggel/Werner [165], Beispiele1)
Ersatzlast qE Ersatzlast HE
anstelle einer parabelförmigen Vorkrümmung anstelle einer Vorverdrehung (Schief- oder
Schrägstellung)
Beidseitig gelenkig gelagerter Einfeldträger Eingespannte Stütze Ersatzlast HE

Gleichgewicht am Ersatzsystem Gleichgewicht am Ersatzsystem


qE ◊l2 qE ◊ l F · ϕ · h = HE · h
F ◊e = AE = BE =
8 2
Ersatzlast qE (für den 1. Iterationsschritt) Ersatzlast HE

8 ◊ F ◊ e 0, 02 ◊ F mit f = 0, 005 bzw. f = 0, 005 ◊ 5/h


qE = = mit e = 0, 0025 ◊ l H E = f ◊ F = 0, 005 ◊ F für h £ 5 m
l2 l
Gleichgewichtkräfte = 0, 005 ◊ 5/h ◊ F für h > 5 m

8◊ F ◊ e◊l 4◊ F ◊ e
AE = BE = = = 0, 01◊ F
l2 ◊ 2 l
1) Ersatzlasten am unverformten System aufbringen und den wirklichen Lasten überlagern
2) Vorkrümmung (ungewollte Ausmitte) e und Schrägstellung ϕ nach Tabelle 24.2

24.2.4 Nachweise nach Theorie II. Ordnung im Holzbau

Die Nachweise nach Theorie II. Ordnung können für den Grenzzustand der Tragfähigkeit
von Druckstäben (knickgefährdet), von Biegestäben unter Momentenbeanspruchung (bie-
gedrillknick-(kipp-)gefährdet) oder von Stäben unter Druck- und Momentenbeanspru-
chung (biegedrillknick-(kipp-) und ggf. knickgefährdet) sowie von Verbindungen nach
Tabelle 24.4 geführt werden. Dabei ist für Stäbe die Querschnittstragfähigkeit nach Abschn.
17.1.5 unter Berücksichtigung der Schnittkraftermittlung nach Abschn. 24.2.2, der anzu-
setzenden Imperfektionen (Ersatzimperfektionen oder Ersatzlasten) und weiterer Einflüsse
auf die Tragfähigkeit wie ggf. Nachgiebigkeiten von Verbindungsmitteln und Baugrund
sowie ggf. der Einfluss von Schubverformungen nach Abschn. 24.2.3 nachzuweisen; die
830 Nachweise mit Theorie II. Ordnung

Tabelle 24.4 Nachweise nach Theorie II. Ordnung im Grenzzustand der Tragfähigkeit bei Ein-
zelstäben, Tragwerken oder entsprechender Teile nach DIN EN 1995-1-1: 2010-12, 6.1.7, 6.2.4, 8.2
und Fachliteratur1)2)3)
Nachweise2–7)
Normal- und Biegespannungen:
beide Gl. sind einzuhalten9) mit
2 mit
Ê s c,0,d
II ˆ s m,y,d
II
s m,z,d
II Fc,d
II

˜ + f + km ◊ £1 s c,0,d = Fc,d
II II
Á f f m,z,d s c,0,d = A
II
Ë c,0,d ¯ m,y,d
A II
M y,d M z,d
II
= M y,d = M z,d
2
Ê s cII,0,d ˆ s m,y,d
II
s m,z,d
II
s m,y,d
II II
s m,z,d
II II

Á f ˜ + km ◊ f + £1 s m,y,d = Wy
II s m,z,d = Wz
II
Ë c,0,d ¯ m,y,d f m,z,d Wy Wz

Schubspannungen t dII Verbindungsmittel Fv,Ed


II
£ 1 8) £ 1 7)
f v,d Fv,Rd

1) bei Einzelstäben, Tragwerken oder entsprechenden Teilen, deren Tragfähigkeiten im Wesentlichen

durch ihre Verformungen bestimmt werden


2) spannungslose Vorverformungen (Ersatzimperfektionen) nach Tabelle 24.2 oder Ersatzlasten nach

Tabelle 24.3
3) hierin bedeuten:

A Querschnittsfläche des Stabes


FIIc,d Bemessungswert der Normalkräfte nach Theorie II. Ordnung, entspricht im Allgemeinen
F Ic,d nach Theorie I. Ordnung
FIIv,Ed Bemessungswert der Beanspruchung der Verbindungsmittel nach Theorie II. Ordnung
Fv,Rd Bemessungswert der Tragfähigkeit der Verbindungsmittel
M IIy,d Bemessungswerte der Biegemomente nach Theorie II. Ordnung um die y- bzw. z-Achse
M IIz,d
km = 0,7 für Rechteckquerschnitte aus Voll-, Brettschicht- und Furnierschichtholz9)
= 1,0 für andere Querschnitte aus Voll-, Brettschicht- und Furnierschichtholz, s. auch Fußnote 9)
= 1,0 für alle Querschnitte anderer tragender Holzwerkstoffe9)
Wy,Wz Widerstandsmomente des Stabes um die y- bzw. z-Achse
fc,0,d, Bemessungswerte der Druck-, Biege- und Schubfestigkeiten nach Gl. (8.5)
fm,d, fv,d
τ IId Bemessungswert der Schubbeanspruchung (-spannungen) nach Theorie II. Ordnung
σ IIc,0,d Bemessungswert der Druckspannungen in Faserrichtung nach Theorie II. Ordnung
σ IIm,y,d; Bemessungswerte der Biegespannungen nach Theorie II. Ordnung um die y- bzw.
σ IIm,z,d z-Achse
4) die Schnittkraftermittlung nach Theorie II. Ordnung kann z.B. nach Abschn. 24.2.2, Berner [25],

Göggel/Werner [165], Pischl [399], Rubin/Schneider [433], Scheer/Bauer [444] oder rechnergestützt
mit geeigneter Software vorgenommen werden
5) die Tragfähigkeit muss für jede Richtung nachgewiesen werden, in der ein Versagen auftreten kann,

weiterhin sind die im Abschn. 24.2.1 angeführten Bedingungen für die ungünstigste Einwirkungs-
kombination einzuhalten
6) über die Berücksichtigung des Kriechens bei druckbeanspruchten Bauteilen in den Nutzungsklas-

sen 2 und 3 s. Abschn. 24.2.2


7) die Nachgiebigkeit von Verbindungen z.B. durch mechanische Verbindungsmittel kann nach Ab-

schn. 23.1, 23.2 bzw. 23.5 berücksichtigt werden, ggf. zusätzlich die Nachgiebigkeit des Baugrundes
und der Einfluss von Schubverformungen
8) beim Schubnachweis ist die wirksame Breite b nach Gl. (18.4) zu berücksichtigen (für Schwind-
ef
oder Trockenrisse bei Voll-, Brettschicht- und Balkenschichtholz)
9) liegt in den beiden Gl. für Normal- und Biegespannungen nur eine Biegebeanspruchung um eine

der beiden Stabachsen, der y- oder z-Achse, vor, sind die Gl. mit dem zutreffenden Biegeanteil und
mit km = 1,0 zu verwenden
24.3 Nachweise mit Theorie II. Ordnung oder Ersatzstabverfahren im Vergleich 831

im Abschn. 24.2.1 angeführten Bedingungen für die ungünstigste Einwirkungskombina­


tion sind einzuhalten und die in den vorbenannten Abschn. dargestellten Berechnungsgrö-
ßen sinngemäß als Bemessungswerte zu verwenden. Die Nachweise der Tragfähigkeit
müssen für jede Richtung geführt werden, in der ein Versagen auftreten kann.
Die Ermittlung der Auflager- und Schnittkräfte wird wegen des überwiegend großen
Berechnungsaufwandes bei Theorie II. Ordnung im Allgemeinen rechnergestützt mit ge-
eignetem Stabwerksprogramm durchgeführt, ebenso erleichtert eine Softwareunterstüt-
zung die Nachweisführungen der Tabelle 24.4. Die Schnittkräfte können auch ohne Rech-
nerunterstützung, jedoch aufwändiger für Tragsysteme mit vorhandenen Näherungs- oder
analytischen Lösungen nach Fachliteratur berechnet werden, s. Abschn. 24.2.2.
Bei Nachweisen nach Theorie II. Ordnung darf im Grenzzustand der Tragfähigkeit der
Einfluss des Kriechens auf die Schnittgrößen vereinfachend durch Abminderung der Stei-
figkeiten mit dem Beiwert kred,S = 1/(1+kdef) nach den Angaben im Abschn. 24.2.2, die
Nachgiebigkeit mechanischer Verbindungsmittel bei Anschlüssen und Stößen nach Ab-
schn. 23.1, 23.2 und 23.5 sowie ggf. die Nachgiebigkeit des Baugrundes z.B. sinngemäß
nach Heimeshoff [203] berücksichtigt werden, wenn sich der Einfluss des Baugrundverhal-
tens auf die Beanspruchungen eines Tragwerkes im Grenzzustand der Tragfähigkeit we-
sentlich auswirkt (Richtwert 10%), s. DIN EN 1995-1-1/NA: 2013-08, NCI NA.5.8. Der
Einfluss von Schubverformungen ist ggf. gesondert zu ermitteln.
Tragsysteme, die im Grenzzustand der Tragfähigkeit nach Theorie II. Ordnung ausge-
legt werden, sind im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit z.B. für Durchbiegungs-
nachweise mit Gebrauchslasten, d.h. Einwirkungen mit Teilsicherheitsbeiwerten γG = γQ =
1 und den Mittelwerten der Steifigkeiten nach Tabelle 24.1 z.B. E = Emean, wie bei anderen
Tragsystemen nach Abschn. 25 nachzuweisen.
Untersuchungen und Nachweise mit Theorie II. Ordnung im Holzbau werden u.a. in
Becker/Blaß [18], Becker/Rautenstrauch [19], Berner [25], Blaß [31], Brüninghoff/Klapp
[79], Franz/Scheer [139], Göggel/Werner [165], Hamm/Thalmair [189], Kessel [247],
Kessel/Schönhoff/Hörsting [252], Pischl [399], Rautenstrauch/Möller/Hartnack [419],
Scheer/Bauer [444] und Steck [490] dargestellt.

24.3 Nachweise mit Theorie II. Ordnung oder Ersatzstabverfahren


im Vergleich

Die Nachweise mit Theorie II. Ordnung und den Ersatzstabverfahren nach DIN EN 1995-
1-1: 2010-12 und DIN EN 1995-1-1/NA: 2013-08 beinhalten beide das geometrisch nicht-
lineare Tragverhalten von Stabtragwerken und im Wesentlichen das physikalisch lineare
Materialverhalten des Holzes auf demselben Sicherheitsniveau, s. Abschn. 24.1 und 24.2.
Bei Theorie II. Ordnung werden Nachweise der Querschnittstragfähigkeit an den betref-
fenden Stellen unter Berücksichtigung des Tragverhaltens am verformten System geführt,
während bei den Ersatzstabverfahren die Bauteiltragfähigkeit am unverformten System
nachgewiesen wird.
832 Nachweise mit Theorie II. Ordnung

Nachweise von Tragsystemen nach Theorie II. Ordnung führen im Vergleich zu den-
jenigen mit den Ersatzstabverfahren oft zu wirtschaftlicheren Holzquerschnitten sowie
günstigeren Anschlüssen und Stößen mit mechanischen Verbindungsmitteln, da das Ver-
formungsverhalten und damit die Ermittlung von Auflager- und Schnittkräften an Tragwer-
ken wirklichkeitsnäher durch Berücksichtigung auftretender Nachgiebigkeiten ermittelt
werden können. Insbesondere in den im Abschn. 24.2.1 angeführten Fällen sollten bzw.
müssen Nachweise mit Theorie II. Ordnung geführt werden. Der vergleichsweise wesent-
liche Nachteil eines oft erheblich höheren Berechnungsaufwandes kann nur rechnergestützt
durch leistungsstarke, geeignete Software behoben werden. Da derartige Programme und
Rechner vermehrt zur Verfügung stehen, können Nachweise mit Theorie II. Ordnung in
vielen Fällen auch wirtschaftlich erstellt werden.
Die Ersatzstabverfahren bieten den Vorteil geringeren Berechnungsaufwandes, da
Auflager- und Schnittgrößen beim Tragsystem mit Theorie I. Ordnung berechnet werden
können, das Superpositionsgesetz gilt, Ersatzstablängen (Knick- und Kipplängen) üblicher
Tragsysteme, Lagerungen und Lastkombinationen bekannt, Knick- und Kippbeiwerte
überwiegend tabelliert sind und die Nachweise selbst vereinfachend geführt werden kön-
nen. Nachweise mit den Ersatzstabverfahren können deshalb bei Handrechnung im Allge-
meinen vergleichsweise zügig durchgeführt werden und sind in diesen Fällen den Nach-
weisen mit Theorie II. Ordnung vorzuziehen.

Unterschiedliche rechnerische Tragfähigkeiten bei knickgefährdeten Druckstäben


Nach Untersuchungen von Kessel/Schönhoff/Hörsting [252] werden für knickgefährdete
Druckstäbe mit beiden Verfahren unterschiedliche rechnerische Tragfähigkeiten in Abhän-
gigkeit von der Schlankheit λ und dem Modifikationsbeiwert kmod ermittelt: Beim Modifi-
kationsbeiwert kmod = 0,9 sind vernachlässigbar kleine Unterschied vorhanden, mit kleiner
werdenden kmod-Werten (im Ersatzstabverfahren) liefert das Verfahren mit Theorie II. Ord-
nung für größere Schlankheiten λ z.T. wesentlich höhere Tragfähigkeiten gegenüber dem
Ersatzstabverfahren, die Unterschiede zwischen den Tragfähigkeiten vom Ersatzstabver-
fahren und von Theorie II. Ordnung nähern sich mit zunehmender Schlankheit dem Zah-
lenwert des Modifikationsbeiwertes kmod.
Die Ursache der in Teilen unterschiedlichen Tragfähigkeiten zwischen beiden Verfahren
bei knickgefährdeten Druckstäben liegt nach der o.a. Untersuchung u.a. in der Ermittlung
des Knickbeiwertes kc nach Abschn. 16.2.3, der mit dem bezogenen Schlankheitsgrad λrel,c,
jedoch ohne Abminderung der Druckfestigkeit fc,0,k mit dem Modifikationsbeiwert kmod
berechnet wird, so dass diese in vielen Fällen „zu hohe“ Druckfestigkeit kleinere Knick-
beiwerte kc und damit geringere Tragfähigkeiten zur Folge hat gegenüber einem vergleich-
baren Stab, der nach Theorie II. Ordnung nachgewiesen wird, hierüber s. auch Erläut. zu
DIN 1052: 2004-08 [47], E 8.5.1 (1) bis (3).
Demnach werden knickgefährdete Stäbe, die mit dem Ersatzstabverfahren bemessen
werden, bei kleiner werdenden kmod-Werten und größeren Schlankheiten λ in ihrer Tragfä-
higkeit nicht vollständig ausgenutzt bzw. unterschätzt; vergleichbare Druckstäbe, die mit
dem Verfahren nach Theorie II. Ordnung ausgelegt sind, haben teilweise wesentliche
24.3 Nachweise mit Theorie II. Ordnung oder Ersatzstabverfahren im Vergleich 833

­ öhere rechnerische Tragfähigkeiten und können somit wirtschaftlicher hergestellt werden.


h
Kessel/Schönhoff/Hörsting [252] schlagen deshalb eine kleine Modifizierung des Ersatz-
stabverfahrens vor, die eine bessere Anpassung in den angesprochenen Bereichen an die
Theorie II. Ordnung ergibt.
Nach Untersuchungen von Möller [367] sollten beim Nachweis mit Theorie II. Ordnung
die Steifigkeitskennwerte mit dem Modifikationsbeiwert kmod abgemindert werden, um den
Einfluss der Holzfeuchte und Lasteinwirkungsdauer auf die Steifigkeiten und auf die Er-
mittlung der Schnittgrößen zu berücksichtigen, wie der Literatur entnommen werden kann,
z.B. Hartnack [197] und Rautenstrauch/Hartnack [417]; andernfalls werden (Anmerk.: wie
bei der Berechnung nach DIN 1052: 2008-12 bzw. DIN EN 1995-1-1: 2010-12 ohne diese
Abminderung) zu große Tragfähigkeiten errechnet, die nach den Ergebnissen von Möller
[367] mit wachsender Stabschlankheit λ auf der unsicheren Seite liegen können. Wenn nach
diesen Untersuchungen die kritische Last Ncrit nach Gl. (24.3) mit dem (über den kmod-Wert)
abgeminderten Elastizitätsmodul E0,05 ermittelt wird, entsprechen die so errechneten Trag-
fähigkeiten nach Theorie II. Ordnung denen des Ersatzstabverfahrens der DIN 1052: 2008-
12 (Anmerk.: bzw. der DIN EN 1995-1-1: 2010-12); bei Verwendung des Elastizitätsmo-
duls E0,mean liegen die Traglasten entsprechend dem Verhältnis E0,mean/E0,05 höher.
Kriecheinflüsse auf die Traglast müssen ggf. zusätzlich nachgewiesen werden.
Abschließend ist festzustellen, dass Nachweise mit Theorie II. Ordnung weiterhin nach
DIN EN 1995-1-1: 2010-12 bzw. Abschn. 24.1 und 24.2 geführt und bei genaueren Stabi-
litätsuntersuchungen stets den Nachweisen mit dem Ersatzstabverfahren vorgezogen wer-
den sollten.

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