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LISA RANDALL

VERBORGENE
UNIVERSEN
Eine Reise in den
extradimensionalen Raum

Aus dem Amerikanischen übersetzt


von Hartmut Schicken

S. Fischer
Fachberatung : Prof. Dr. Claus Kiefer, Köln
Textredaktion : Birgit Brandau / agens Redaktionsservice, Stuttgart

3 . Auflage November 2006


Die englische Originala usga be erschien 2005 unter dem Titel
» Warped Passages. Unraveling the Mysteries
of the Universe's Hidden Dimensions<<
im Verlag Ecco, HarperCollins Publishers, New York
© 2005 Lisa Randall
Für die deutsche Ausgabe :
© 2006 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Gesamtherstellung : Clausen & Bosse, Leck
ISBN- 1 3 : 978 - 3 - 1 0-062805-3
ISBN- 1 0 : 3- 10-062805-5
Inhalt

Vorwort und Dank . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


. . . . . . . .
. . . . . .. . . . . 7

I. Dimensionen des Raums (und Denkens)

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . ... . . . ..
. . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 . .

1. Eingangspassagen : Entmystifizierte Dimensionen . . . . . . . . . . 28


. . . .

2. Begrenzte Passagen : Aufgerollte Zusatzdimensionen . . . . . . .. 50


. . .

3 . Exklusive Passagen : Branen, Branenwelten und das Bulk . . .. 70 . . .

4. Annäherungen a n die theoretische Physik . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 8 4 . .

II. Fortschritte zu Beginn des 20. Jahrhunderts

5. Relativitätstheorie : Die Evolution der Einstein'schen


Gravitation ...
. . . . . ... . . .
. . .. . .
. . 109
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6. Quantenmechanik : Relationale Unschärfe, unscharfe Relationen


und die Unschärferelation . . . 142 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111. Die Physik der Elementarteilchen

7. Das Standardmodell der Teilchenphysik : Die kleinsten bekannten


Materiestrukturen . .. . .... . . .. .. . .... . . . . . . . . . . . . . . . . ...
. 181 . . .

8. Experimentelles Zwischenspiel : Die Bestätigung des


Standardmodells . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
.

9. Symmetrie : Das entscheidende Organisationsprinzip . . . . . . . . . 223


.

10. Der Ursprung der Elementarteilchen-Massen : Spontan


gebrochene Symmetrie und Higgs-Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . 237
1 1 . Skalierung und Große Vereinheitlichung : Wechselwirkungen
verschiedener Längen und Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
1 2 . Das Hierarchieproblem : Die einzige effektive
Durchsicker-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
13. Supersymmetrie : Ein großer Schritt über das Standardmodell
hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

IV. Stringtheorie und Branen

14. Allegro (ma non troppo}: Eine Passage für Strings . . . . . . . . . . . . 317
15. Unterstützende Passagen : Branen-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 345
16. Belebte Passagen : Branenwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

V. Vorschläge für extradimensionale Universen

1 7. Spärlich belebte Passagen : Multiversen und Absonderung . . . . . 381


1 8 . Undichte Passagen : Fingerabdrücke zusätzlicher Dimensionen 398
1 9. Voluminöse Passagen : Große Zusatzdimensionen . . . . . . . . . . . . 409
20. Verzerrte Passage : Eine Lösung d e s Hierarchieproblems . . . . . . . 433
2 1 . Die verzerrte kommentierte >> Alice << . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463
22. Unergründliche Passage : Eine unendliche Zusatzdimension . . . 467
23. Eine reflexive und expansive Passage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483

VI. Gedanken zum Ausklang

24. Zusätzliche Dimensionen : Das Spiel ist eröffnet . . . . . . . . . . . . . . 499


25. ( K )Ein Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509
.

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .......................... 513


Mathematische Anmerkungen . . . . .. . . .......................... 526
Quellennachweise . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .......................... 535
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .......................... 538
Vorwort und Dank

Schon als j u nges Mädchen liebte ich die intellektuellen Spiele von mathe­
matischen Problemen oder von Büchern wie Alice im Wunderland. Aber
obwohl Lesen zu meinen Lieblingsaktivitäten gehörte, fühlte ich mich
nie sonderlich zu naturwissenschaftlichen Sachbüchern hingezogen - ich
fühlte mich von ihnen nicht genügend angesprochen oder herausgefor­
dert. Im Ton schienen sie mir den Lesern gegenüber herablassend, zu viel
Ehrfurcht vor den Wissenschaftlern sprach aus ihnen, oder sie waren
schlicht langweilig. Ich hatte das Gefühl, die Autoren mystifizierten die
Erkenntnisse oder glorifizierten die Menschen, die sie gewonnen hatten,
statt die Wissenschaft selbst zu beschrei ben und den Prozess herauszuar­
beiten, mit dem die Forscher die Zusammenhänge aufdecken. Das war
das, was ich eigentlich wissen wollte.
Als ich mich dann näher mit Naturwissenschaften befasste, lernte ich
sie lieben. Zuvor hatte ich keine Ahnung, dass ich einmal so empfinden
und selbst Physikerin werden würde ; als ich j ung war, kannte ich keine
Naturwissenschaftler. Aber sich mit dem Unbekannten zu beschäftigen
ist unwiderstehlich aufregend. Ich fand es spannend, Zusammenhänge
zwischen scheinbar disparaten Phänomenen herauszufinden, Probleme
zu lösen und die überraschenden Eigenheiten unserer Welt vorherzusa­
gen . Als Physikerin weiß ich heute, dass Naturwissenschaft etwas Leben­
diges ist, das sich immer weiter entwickelt. Nicht nur die Antworten sind
das Interessante daran, sondern genauso die Spiele und die Rätsel und
das Dabeisein.
Als ich mich zu diesem Proj ekt entschloss, stellte ich mir ein Buch vor,
das die Begeisterung für meine Arbeit vermitteln sollte, ohne dass die
wissenschaftliche Darstellung darunter leiden würde. Ich hoffte, das Fas­
zinierende an der theoretischen Physik offen zu legen, ohne das Thema
irreführend zu vereinfachen oder es als eine Sammlung unveränderlicher,
abgeschlossener, passiv zu bewundernder Monumente zu präsentieren.

7
VERBORGENE UNIVERSEN

Physik ist viel kreativer und macht viel mehr Spaß, als die Leute im All­
gemeinen glauben. Diese Aspekte wollte ich mit Menschen teilen, die das
noch nicht unbedingt aus eigenen Stücken erkannt hatten.
Eine neue Weltsicht kommt auf uns zu. Zusatzliehe Dimensionen
haben die Art und Weise verändert, wie Physiker über das Universum
nachdenken. Und weil die Verbindungen zwischen diesen zusätzlichen
Dimensionen und der Welt sich in viele ältere, bereits etablierte physika­
lische Ideen einbinden lassen, sind Zusatzdimensionen eine Möglichkeit,
ältere, bereits verifizierte Fakten über das Universum auf neuen und fes­
selnden Wegen anzugehen.
Einige der von mir präsentierten Ideen sind abstrakt und spekulativ,
aber es gibt keinen Grund, warum sie nicht j eder, der neugierig ist, ver­
stehen sollte. Ich beschloss, die Faszination der theoretischen Physik für
sich selbst sprechen zu lassen und die Geschichte oder die Personen nicht
überzubetonen. Ich wollte nicht den irreführendm Eindruck erwecken,
dass alle Physiker und Physikerinnen nach einem einzigen Archetyp mo­
delliert sind oder dass ein bestimmter Persönlichkeitstypus sich für Physik
interessiert. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen und Gespräche bin
ich ziemlich sicher, dass es viele Leser gibt, die klug, interessiert und offen
genug sind, um mehr von der eigentlichen Sache erfahren zu wollen.
Dieses Buch spart nicht mit den fortgeschrittensten und fesselndsten
theoretischen Ideen, aber ich habe mein Möglichstes getan, dass man es
aus sich selbst heraus verstehen kann. Ich berücksichtige sowohl die ent­
scheidenden Begriffe und Vorstellungen als auch die physikalischen Phä­
nomene, auf die sie sich beziehen. Die Kapitel sind so angeordnet, dass
die Leser sich das Buch j e nach eigenem Hintergrund und eigenen Inte­
ressen maßschneidern können. Um diesen Prozess zu erleichtern, habe
ich mit fetten Punkten Dinge markiert, auf die ich später bei den neuen
Ideen über Zusatzdimensionen zurückkommen werde. Dieselben Punkte
habe ich am Ende der extradimensionalen Kapitel verwendet, um he­
rauszustreichen, was die einzelnen möglichen Optionen für extradimen­
sionale Universen voneinander unterscheidet.
Weil die Vorstellung zusätzlicher Dimensionen wahrscheinlich vielen
Lesern neu ist, erkläre ich in den ersten Kapiteln, was ich mit solchen Be­
griffen meine und warum es zusätzliche Dimensionen geben kann, sie
aber nicht zu sehen und nicht zu greifen sind. Danach umreiße ich die
theoretischen Methoden, mit denen Teilchenphysiker arbeiten, um zu
klären, wie das Denken funktioniert, das in diese zugegeben sehr speku­
lative Forschung Einzug gehalten hat.

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VORWORT UND DANK

Die neuartige Erforschung von Extradimensionen arbeitet sowohl mit


traditionellen als auch mit modernen theoretisch-physikalischen Kon­
zepten, um die Methoden und die Fragen, die damit zu beantworten
sind, festzulegen. Um zu vermitteln, was solche Forschung vorantreibt,
habe ich eine ausführliche Übersicht über die Physik des 20. Jahrhunderts
eingebaut. Sie können diesen Teil einfach überblättern, wenn Ihnen da­
nach ist - wenn Sie es aber tun, werden Sie eine Menge verpassen !
Diese Übersicht beginnt mit der allgemeinen Relativitätstheorie und
der Quantenmechanik, dann wendet sie sich der Teilchenphysik und de­
ren wichtigsten heutigen Konzepten zu. Ich stelle auch ein paar ziemlich
abstrakte Ideen vor, die oft vernachlässigt werden - zum Teil eben weil
sie so abstrakt sind -, aber diese Ideen sind mittlerweile durch Experi­
mente bestätigt und werden bei allen unseren heutigen Forschungen be­
rücksichtigt. O bwohl nicht alles von diesem Material nötig ist, um zu
verstehen, was ich später über zusätzliche Dimensionen ausführe, glaube
ich, dass viele Leser froh sein werden, ein umfassendes Bild geboten zu
bekommen.
Danach beschreibe ich ein paar neuere, eher spekulative Überlegun­
gen, denen man seit 30 Jahren nachgeht - nämlich Supersymmetrie und
Stringtheorie. Traditionellerweise besteht Physik aus einem Wechselspiel
von Theorie und Experiment. Die Supersymmetrie ist eine Weiterent­
wicklung bekannter teilchenphysikalischer Konzepte, und es besteht
Aussicht, sie bei kommenden Experimenten überprüfen zu können. Mit
der Stringtheorie verhält es sich anders. Sie basiert einzig und allein auf
theoretischen Fragen und Ideen und ist bislang noch nicht einmal voll­
ständig mathematisch ausgearbeitet, also können wir uns auch nicht
ihrer Vorhersagen sicher sein. Was mich angeht, so bin ich bei diesem
Thema Agnostikerin - ich weiß nicht, als was sich die Stringtheorie letzt­
lich erweisen wird oder ob sie die Fragen zur Quantenmechanik und
Gravitation beantworten kann, die mit ihr angegangen werden. Aber die
Stringtheorie hat zahlreiche neue Ideen hervorgebracht, von denen ich
einige für meine eigene Erforschung zusätzlicher Raumdimensionen ge­
nutzt habe. Diese Ideen sind von der Stringtheorie unabhängig, aber die
Stringtheorie gibt uns guten Grund zu der Annahme, dass einige der
ihnen zugrunde liegenden Annahmen richtig sein könnten.
Wenn ich dann den Kontext etabliert habe, kehre ich schließlich zu
den vielen aufregenden Neuentwicklungen hinsichtlich zusätzlicher Di­
mensionen zurück. Da gibt es Bemerkenswertes zu berichten, beispiels­
weise dass Extradimensionen unendlich groß, aber unsichtbar sein kön-

9
VERBORGENE UNIVERSEN

nen oder dass wir vielleicht in einem räumlich dreidimensionalen


Schlundloch eines höherdimensionalen Universums leben. Wir kennen
j etzt auch Gründe, warum es unbekannte Parallelwelten mit völlig ande­
ren Eigenschaften als denen unserer Welt geben könnte.
Das ganze Buch hindurch erkläre ich physikalische Konzepte ohne
Gleichungen. Für diej enigen, die sich für die mathematischen Details in­
teressieren, habe ich aber einen mathematischen Anhang verfasst ; auf
diesen verweisen die kursiven Anmerkungsziffern. Im Text selbst versu­
che ich, das Spektrum von Metaphern auszuweiten, mit denen man in
der Regel naturwissenschaftliche Konzepte erklärt. Ein Gutteil des üb­
lichen beschreibenden Vokabulars rührt aus räumlichen Analogien her,
aber diese Begriffe versagen oft im winzigen Reich der Elementarteilchen
und beim schwer vorstellbaren Raum mit Zusatzdimensionen. Ich
denke, dass weniger konventionelle Metaphern, sogar welche aus dem
Bereich der Kunst und des Essens und persönlicher Beziehungen, abs­
trakte Ideen mindestens genauso gut erklären können .
Um den neuen Vorstellungen in j edem Kapitel den Weg zu bahnen, be­
ginne ich j eweils mit einer kurzen Geschichte, die ein Schlüsselkonzept
mit eher vertrauten Metaphern und Milieus herausarbeitet. Diese Ge­
schichten haben mir Spaß gemacht, also sollten Sie, wenn Sie möchten,
nach dem j eweiligen Kapitel darauf zurückkommen, um die Bezüge zu
begreifen. Sie können sich die Geschichten als zweidimensionale Erzähl­
stränge vorstellen, die sich vertikal durch das j eweilige Kapitel und ho­
rizontal quer durch das Buch ziehen. Oder Sie betrachten sie als eine Art
spielerische Hausaufgabe, anhand deren Sie ermessen können, wann Sie
sich die Ideen eines j eden Kapitels zu Eigen gemacht haben.

Viele Freunde und Kollegen haben mir geholfen, bei diesem Buch meine
Ziele zu erreichen. Obwohl ich oft wusste, worauf ich hinauswollte, war
mir nicht immer klar, wann mir das gelungen war. Eine ganze Reihe von
Personen verdient Dank dafür, dass sie mir so großzügig ihre Zeit opfer­
ten, mich ermutigten und mit Begeisterung und Neugier auf die Vorstel­
lungen reagierten, die ich beschreibe.
Mehrere begabte Freunde verdienen besonderen Dank für ihre un­
schätzbaren Kommentare zum Manuskript in seinen verschiedenen Sta­
dien. Anna Christina Büchmann, eine wunderbare Autorin, lieferte herr­
lich detaillierte Kommentare, die mir halfen, meine Geschichten zu Ende
zu bringen, sowohl die physikalischen als auch die allgemeinen. Sie gab
mir wertvolle Schreibtipps, die mir stets Mut machten. Polly Shulman,

10
VORWORT UND DANK

eine andere überaus begabte Freundin, las und kommentierte j edes ein­
zelne Kapitel sorgfältig. Ich bewundere ihr logisches und spielerisches
Denken und schätze mich sehr glücklich, dass ich ihre Unterstützung
fand. Lubos Motl, ein brillanter Physiker und hingebungsvoller Wissen­
schaftsvermittler (dessen scheinheilige Ansichten zu Frauen in den Na­
turwissenschaften wir ignorieren werde n ) , las alles, sogar noch ehe es
lesbar war, und machte außerordentlich nützliche Vorschläge und ermu­
tigte mich in j edem Stadium. Tom Lewenson erteilte mir wichtige Rat­
schläge, wie sie nur ein talentierter Wissenschaftsautor liefern kann, und
machte mehrere wichtige Vorschläge, die von entscheidender Bedeutung
waren. Michael Gordin trug die Sichtweise des Wissenschaftshistorikers
und des Kenners dieser Art von Literatur bei. Jamie Robins lieferte
kenntnisreiche Kommentare zu mehr als einer Version des Manuskripts.
Esther Chiao half mit nützlichen Anmerkungen zum Manuskript und
bot die extrem hilfreiche Perspektive einer klugen, interessierten Leserin
mit einem Hintergrund außerhalb der Naturwissenschaften. Und ich bin
höchst erfreut, dass Cormack McCarthy freiwillig im Endstadium dieses
Buches mit wertvollen Vorschlägen und tatkräftiger Unterstützung half.
Mehrere Menschen trugen interessante Geschichten und Beobachtun­
gen bei, die mir in den Anfangsstadien des Projekts weiterhalfen. Mas­
simo Porrati verfügt über einen Fundus faszinierender Fakten, von denen
einige hier wieder auftauchen . Gerald Holtons Kenntnisse der Physik des
frühen 20. Jahrhunderts bereicherten meine Vorstellungen über Quan­
tenmechanik und Relativitätstheorie. Jochen Brocks lieferte nützliche
Erkenntnisse, was er an der Wissenschaftspublizistik mag, und regte zu
einigen Schreibideen an. Gespräche mit Chris Haskett und Andy Sin­
gleton halfen mir zu begreifen, was Nichtphysiker vielleicht zu lernen
hoffen. Albion Lawrence half mit wertvollen Beiträgen, die es mir mög­
lich machten, einige schwierige Kapitel in den Griff zu bekommen. Und
John Swain lieferte mir ein paar nette Möglichkeiten, Material zu prä­
sentieren.
Viele Kollegen unterstützten mich mit wertvollen Kommentaren und
Vorschlägen. Von den vielen, denen ich zu Dank verpflichtet bin, lasen
Bob Cahn, Csaba und Zsusanna Csaki, Paolo Creminelli, Joshua Erlich,
Ami Katz und Neil Weiner erhebliche Teile des Buches und lieferten ihre
kenntnisreichen Kommentare ab. Ich danke auch Allan Adams, Nima
Arkani-Hamed, Martin Gremm, Jonathan Flynn, Melissa Franklin, Da­
vid Kaplan, Andreas Karch, Joe Lykken, Peter Lu, Ann Nelson, Amanda
Peet, Riccardo Rattazzi, Dah Shrag, Lee Smolin und Darien Wood, die

11
VERBORGENE UNIVERSEN

alle mit Kommentaren und Ratschlägen halfen. Howard Georgi lehrte


mich und viele der oben genannten Physiker die effektive theoretische
Denkweise, die dieses Buch durchzieht. Ich danke auch Peter Bohacek,
Wendy Chun, Enrique Rodriguez, Paul Graham, Victoria Gray, Paul
Moorhouse, Curt McCullen, Liam Murphy, Jeff Mrugan, Sesha Pretap,
Dana Randall, Enrique Rodriguez und Judith Surkis für hilfreiche Kritik
und Vorschläge und Ermutigung. Gleichfalls danke ich Marj orie Caron,
Tony Caron, Barry Ezarsky, Josh Feldman, Marsha Rosenberg und an­
deren Familienmitgliedern, die mir halfen, mein Publikum besser zu ver­
stehen.
Greg Elliott und Jonathan Flynn fertigten die schönen Illustrationen in
diesem Buch an, und ich bin ihnen für ihren wertvollen Beitrag außeror­
dentlich dankbar. Ich danke Rob Meyer und Laura Van Wyk, die mir
halfen, die Abdruckgenehmigungen für die vielen Zitate überall im Buch
zu bekommen. Ich habe alles nur Mögliche getan, um die Quellen richtig
anzugeben. Wenn Sie glauben, dass Sie in diesem Zusammenhang nicht
korrekt berücksichtigt wurden, lassen Sie mich das bitte wissen.
Ich möchte auch meinen Mitarbeitern bei den in diesem Buch be­
schriebenen Forschungen danken, besonders Raman Sundrum und An­
dreas Karch, mit denen zusammenzuarbeiten einfach großartig war. Und
ich möchte gern die Beiträge der vielen Physiker anerkennen, die über
diese und damit zusammenhängende andere Ideen, die zu berücksichti­
gen mir nicht der Platz blieb, nachgedacht haben.
Meine Dankbarkeit möchte ich auch meinem Lektor bei Ecco Press,
Dan Halpern, ausdrücken, meinen Lektoren bei Penguin, Stefan
McGrath und Will Goodlad, sowie meinen Textredakteuren in den
Vereinigten Staaten und in England, Lyman Lyons und John Woodruff,
die viele hilfreiche Vorschläge machten und mich unterstützten. Und
ich möchte meinem Agenten John Brockman danken und genauso Ka­
tinka Matson, die mich mit Rat und wichtigen Kommentaren unter­
stützten und eine unschätzbare Hilfe waren, dieses Buch auf den Weg zu
bringen. Ich danke auch der Harvard University und dem Radelifte
Institute for Advanced Study dafür, dass sie mir die Zeit ließen, mich
auf dieses Buch zu konzentrieren, sowie dem MIT, Princeton, Harvard,
der National Science Foundation, dem Department of Energy und
der Alfred P. Sloan Foundation für die Unterstützung meiner For­
schung.
Schließlich möchte ich meiner Familie danken : Meinen Eltern Richard
Randall und Gladys Randall, und meinen Schwestern Barbara Randall

12
VORWORT UND DANK

und Dana Randall, die mich bei meiner wissenschaftlichen Laufbahn un­
terstützten und mir über die Jahre hinweg ihren Humor, ihre Gedanken
und ihre Ermutigung zuteil werden ließen. Lynn Festa, Beth Lyman,
Gene Lyman und Jen Sacks waren eine große Hilfe, und ich danke ihnen
für all ihre wunderbaren Ratschläge und Hilfestellungen. Und zu guter
Letzt bin ich Stuart Hall für seine verständnisvolle Sichtweise, seine hilf­
reichen Kommentare und seine selbstlose Unterstützung überaus dank­
bar.
Ich danke euch allen und hoffe, ihr bekommt den Eindruck, dass sich
eure Mitwirkung gelohnt hat.

Lisa Randall
Cambridge, MA
April 2005

13
I

Dimensionen des Raums


(und Denkens)
Einleitung

Got to be good looking


'Cause he's so hard to see.
Er muss gut aussehen
Weil er so schwer zu sehen ist.
The Beatles

Das Universum hat so seine Geheimnisse. Zusätzliche Raumdimensio­


nen könnten eines davon sein. Wenn dem so ist, hat das Universum diese
Dimensionen versteckt, schützt sie, hält sie züchtig bedeckt. Bei flüchti­
gem Hinsehen würde man rein gar nichts bemerken.
Die Desinformationskampagne begann schon damals im Kinderbett,
als Sie zum ersten Mal den drei räumlichen Dimensionen begegneten.
Das waren die beiden Dimensionen,\ in clenen Sie krabbelten, plus die
eine dazu, in der Sie herauskletterten. Seit j ener Zeit haben die Gesetze
der Physik - ganz zu schweigen vom gesunden Menschenverstand - den
Glauben an diese drei Dimensionen gestärkt und j eden Verdacht, es
könnte noch mehr geben, zum Schweigen gebracht.
Aber die Raumzeit könnte sich dramatisch von allem unterscheiden,
das Sie sich j e vorgestellt haben. Keine uns bekannte physikalische Theo­
rie diktiert, dass es nur drei räumliche Dimensionen geben muss. Die
Möglichkeit zusätzlicher Dimensionen zu verwerfen, noch ehe man ihre
Existenz in Betracht gezogen hat, könnte sehr voreilig sein. Genau wie
>> oben-unten << eine andere Richtung ist als >> links-rechts << oder >> vor­
wärts-rückwärts << , könnte es andere, völlig neue Dimensionen in unse­
rem Kosmos geben. Wir können sie zwar mit unseren Augen nicht sehen
und mit unseren Fingerspitzen nicht ertasten, von der Logik her sind zu­
sätzliche Raumdimensionen aber möglich.
Solche hypothetischen, nie gesehenen Dimensionen haben bislang

17
VERBORGENE UNIVERSEN

A b bildung 1 : Die
dreidimensionale
Welt eines Babys.

noch keinen Namen. Aber sollte es sie geben, wären sie neue Richtun­
gen, entlang deren sich etwas bewegen könnte. Wenn ich also einen Na­
men für eine zusätzliche Dimension brauche, werde ich sie manchmal
eine Passage nennen. (Und wenn ich explizit zusätzliche Dimensionen
diskutiere, verwende ich Kapiteltitel mit >> Passagen << dari n . )
Diese Passagen könnten flach sein w i e d i e Dimensionen, an d i e w i r ge­
wöhnt sind. Sie könnten a ber auch verzerrt sein wie die Reflexionen in
einem Spiegelkabinett auf dem Jahrmarkt. Sie könnten winzig sein - viel
kleiner als ein Atom -, und bis vor kurzem hatten das alle angenommen,
die an Extradimensionen glaubten . Neue Arbeiten aber haben gezeigt,
dass zusätzliche Dimensionen auch groß oder sogar unendlich groß und
dennoch schwer zu sehen sein könnten. Unsere Sinne registrieren nur
drei große Dimensionen, und folglich könnte eine unendliche Zusatzdi­
mension unvorstellbar klingen. Aber eine unendliche, unsichtbare Di­
mension ist eine der vielen bizarren Möglichkeiten, die es im Kosmos ge­
ben könnte, und in diesem Buch werden wir sehen, warum.
Die Erforschung zusätzlicher Dimensionen hat auch zu anderen be­
merkenswerten Konzepten geführt - solchen, die Träume von Science-

18
EINLEITUNG

Fiction-Fans in Erfüllung gehen lassen könnten - wie beispielsweise


Paralleluniversen, verzerrte Geometrien und dreidimensionale Schlund­
löcher. Ich fürchte, solche Vorstellungen klingen eher nach dem Wir­
kungsbereich von Romanautoren oder Geistesgestörten als nach dem
Gegenstand wirklich wissenschaftlicher Forschung. Aber so weit herge­
holt sie im Moment auch scheinen mögen, sind sie doch echte wissen­
schaftliche Szenarien, zu denen es in einer extradimensionalen Welt
kommen könnte. ( Seien Sie unbesorgt, wenn Sie mit diesen Begriffen
oder Vorstellungen noch nicht vertraut sind, wir werden sie später ein­
führen und erkunden. )

Warum unsichtbare Dimensionen in Betracht ziehen?

Selbst wenn die Physik zusätzlicher Raumdimensionen solche spannen­


den Szenarien zulässt, fragen Sie sich vielleicht, warum Physiker, die mit
Vorhersagen von beobachtbaren Phänomenen beschäftigt sind, sie so
ernst nehmen. Die Antwort ist so dramatisch wie die Vorstellung zusätz­
licher Dimensionen selbst. In j üngster Zeit gemachte Fortschritte legen
den Schluss nahe, dass Zusatzdimensionen, die bislang noch nic Q.t auf­
gespürt und noch nicht einmal völlig begriffen sind, nichtsdestotrotz
einige der grundlegenden Mysterien unseres Universums erklären könn­
ten. Extradimensionen könnten sich auf die Welt, die wir sehen, auswir­
ken, und das Nachdenken darüber könnte letztlich Zusammenhänge
aufdecken, die uns im dreidimensionalen Raum entgehen .
Wir würden ja auch nicht verstehen, warum Inuit und Chinesen ge­
meinsame körperliche Merkmale aufweisen, wenn wir nicht die Dimen­
sion der Zeit berücksichtigen könnten, die uns ihre gemeinsame Her­
kunft erkennen lässt. Ähnlich könnten die Zusammenhänge, die sich aus
zusätzlichen Raumdimensionen ergeben, irritierende Aspekte der Teil­
chenphysik aufhellen und Licht a � f j ahrzehntealte Rätsel werfen. Bezie­
hungen zwischen Eigenschaften und Kräften von Teilchen, die unerklär­
lich scheinen, wenn man den Raum auf drei Dimensionen beschränkt,
scheinen in einer Welt mit mehr Raumdimensionen elegant zueinander
zu passen.
Ob ich an zusätzliche Dimensionen glaube ? Ich gestehe : Ja . In der
Vergangenheit habe ich physikalische Spekulationen j enseits des Mess­
baren - einschließlich meiner eigenen Überlegungen - größtenteils faszi­
niert, aber auch mit einem gewissen Maß an Skepsis betrachtet. Ich

19
VERBORGENE UNIVERSEN

glaube, das hält mein Interesse wach, und ich bleibe zugleich ehrlich.
Manchmal j edoch wirkt eine Idee auf mich, als enthielte sie einen Keim
der Wahrheit. Als ich vor rund fünf Jahren eines Tages auf dem Weg zur
Arbeit den Charles River nach Cambridge überquerte, wurde mir plötz­
lich klar, dass ich tatsächlich glaubte, irgendeine Form zusätzlicher Di­
mensionen müsse es geben. Ich blickte mich um und dachte über die vie­
len Dimensionen nach, die ich nicht sehen konnte. Über meine verän­
derte Weltsicht war ich genauso schockiert und überrascht wie damals,
als mir aufging, dass ich, eine gebürtige New Yorkerin, während eines
Play-off-Spiels gegen die Yankees die Red Sox anfeuerte - etwas, das ich
mir nie hätte vorstellen können.
Die größere Vertrautheit mit zusätzlichen Dimensionen hat meinen
Glauben an ihre Existenz nur gestärkt. Die Gegenargumente sind zu lö­
cherig, um darauf bauen zu können, und physikalische Theorien ohne
sie lassen zu viele Fragen offen. Darüber hinaus haben wir beim Nach­
denken über zusätzliche Dimensionen in den letzten paar Jahren das
Spektrum möglicher extradimensionaler Universen, die unserem eigenen
ähneln könnten, ausgeweitet, was darauf schließen lässt, dass wir nur die
Spitze des Eisbergs identifiziert haben. Selbst wenn zusätzliche Dimen­
sionen nicht genau den Vorstellungen entsprechen werden, die ich prä­
sentieren will, glaube ich, dass es sie höchstwahrscheinlich in der einen
oder anderen Form gibt und dass sie überraschende und beeindruckende
Folgen zeitigen werden.
Vielleicht weckt es Ihre Neugier, dass eine Spur von zusätzlichen Di­
mensionen in Ihrem Küchenschrank versteckt sein könnte - eine Anti­
haft-Pfanne, die mit Quasikristallen beschichtet ist. Quasikristalle sind
faszinierende Strukturen, und die Ordnung, die ihnen zugrunde liegt,
zeigt sich nur in zusätzlichen Dimensionen. Ein Kristall ist ein höchst
symmetrisches Gitter von Atomen und Molekülen, bei dem ein Grund­
element sich viele Male wiederholt. In drei Dimensionen wissen wir, wel­
che Strukturen Kristalle bilden können und welche Muster möglich sind.
Das Arrangement von Atomen und Molekülen in Quasikristallen ent­
spricht jedoch keinem einzigen dieser Muster.
Abbildung 2 zeigt ein Beispiel für ein quasikristallines Muster. Ihm
fehlt die präzise Regelmäßigkeit eines echten Kristalls, die eher dem Git­
ternetz eines Diagrammpapiers ähneln würde. Die eleganteste Mög­
lichkeit, das Muster der Moleküle in diesen seltsamen Materialien zu
erklären, besteht in einer Projektion - einer Art dreidimensionalen
Schatten - eines höherdimensionalen Kristallmusters, die die Symmetrie

20
EINLEITUNG

A b bildung 2 : Dies ist eine » Penrose-Parkettierung«. Es handelt sich um die


Projektion einer fünfdimensionalen Kristallstruktur auf zwei Dimensionen.

des Musters in einem höherdimensionalen Raum erkennen lässt. Was in


drei Dimensionen wie ein völlig unerklärliches Muster aussieht, reflek­
tiert eine geordnete Struktur in einer höherdimensionalen Welt. Die mit
Quasikristallen beschichtete Antihaft-Pfanne macht sich die Struktur­
unterschiede zwischen den Proj ektionen höherdimensionaler Kristalle in
der Beschichtung und der eher profanen Struktur gewöhnlicher dreidi­
mensionaler Nahrungsmittel zunutze. Die unterschiedliche Anordnung
von Atomen, die verhindert, dass sie sich aneinander binden, macht
Hoffnung, dass es zusätzliche Dimensionen gibt und sie beobachtbare
physikalische Phänomene erklären.

Übersicht

Genau wie zusätzliche Dimensionen uns das verwirrende Molekülarran­


gement in einem Quasikristall verstehen helfen, spekulieren Physiker
heute, dass Theorien über zusätzliche Dimensionen auch Zusammen­
hänge in der Teilchenphysik und der Kosmologie erhellen werden, die
mit lediglich drei Dimensionen schwierig zu begreifen sind.
30 Jahre lang haben sich die Physiker auf eine Theorie verl assen, die
sie als Standardmodell der Teilchenphysik bezeichnen und die uns etwas

21
VERBORGENE UNIVERSEN

über das grundsätzliche Wesen der Materie und die Kräfte sagt, mittels
deren ihre elementaren Bestandteile wechselwirken. * Physiker haben das
Standardmodell getestet, indem sie Teilchen erzeugen, die es in unserer
Welt seit den allerer sten Sekunden des Universums nicht mehr gegeben
hat, und sie haben festgestellt, dass das Standardmodell viele ihrer Eigen­
schaften außerordentlich gut beschrei bt. Und doch kann das Standard­
modell einige grundsätzliche Fragen nicht beantworten - die von so fun­
damentaler Natur sind, ·dass ihre Lösung neue Einsichten in die Bau­
steine unserer Welt und ihre Wechselwirkungen verspricht.
Dieses Buch berichtet davon, wie ich und andere nach Lösungen für
die Rätsel des Standardmodells forschen und uns dabei in extradimen­
sionalen Welten wiederfinden. Die neuen Entwicklungen mit zusätz ­
lichen Dimensionen werden letztlich im Zentrum der Aufmerksamkeit
stehen, aber zunächst werde ich die Zuspieler vorstellen - die revolutio­
nären physikalischen Fortschritte des 20. Jahrhunderts. Die neuesten
Ideen, die ich später diskutiere, bauen auf diesen außerordentlichen
Durchbrüchen auf.
Bei dieser Übersicht werden wir Themen begegnen, die sich grob in
drei Kategorien einteilen lassen : die Physik des frühen 20. Jahrhunderts,
die Teilchenphysik und die Stringtheorie. Wir werden die Grundideen der
Quantenmechanik genauso ergründen wie den Status quo der Teilchen­
physik und die Probleme, die sich möglicherweise mit zusätzlichen Di­
mensionen lösen lassen. Wir werden auch die Konzepte kennen lernen,
die der Stringtheorie zugrunde liegen, von der viele Physiker glauben,
dass sie die beste Kandidatin für eine Theorie ist, die sowohl Quanten­
mechanik als auch Gravitation einschließt. Der Stringtheorie zufolge sind
die grundlegenden Einheiten in der Natur nicht Teilchen, sondern fun­
damentale oszillierende Strings oder Fäden, und sie hat in erheblichem
Maß dazu motiviert, sich mit zusätzlichen Dimensionen zu beschäftigen,
weil sie selbst mehr als drei räumliche Dimensionen voraussetzt. Und ich
werde auch die Rolle von Branen beschreiben - von Membranen ähneln­
den Obj ekten im Rahmen der Stringtheorie -, die für die Theorie so ent­
scheidend sind wie die Strings selbst. Wir werden sowohl die Leistungen
dieser Theorien betrachten als auch die Fragen, die sie offen lassen - die­
j enigen, die die gegenwärtige Forschung vorantreiben.
Eines der größten Rätsel ist, warum die Gravitation so viel schwächer
ist als die anderen bekannten Kräfte. Die Schwerkraft fühlt sich nicht ge-

* Das Standardmodell besprechen wir ausführlich in Kapitel 7.

22
EINLEITUNG

rade schwach an, wenn Sie einen Berg besteigen, aber das liegt daran,
dass die gesamte Erde an Ihnen zerrt. Ein winziger Magnet kann eine Bü­
roklammer hochheben, obwohl die gesamte Masse der Erde sie in die
entgegengesetzte Rich t ung zieht. Warum ist die Gravitation gegen das
bisschen Anziehungskraft eines winzigen Magneten so machtlos ? In der
Standard-Teilchenphysik mit ihren drei Dimensionen ist die Schwäche
der Gravitation e jn gigantisches Rätsel. Zusätzliche Dimensionen könn­
ten j edoch eine Antwort liefern. 1 9 9 8 haben mein Mitarbeiter Raman
Sundrum und ich einen Grund aufgezeigt, warum das so sein könnte.
Unser Vorschlag gründet sich auf die verzerrte Geometrie, ein Kon­
zept, das aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie hervorgeht. Dieser
Theorie zufolge sind Raum und Zeit in ein einziges Raumzeit-Gebilde in­
tegriert, das von Materie und Energie verformt, gekrümmt und verzerrt
wird. Raman und ich haben diese Theorie in einem neuen, extradimen­
sionalen Kontext angewandt. Wir fanden eine Konfiguration, bei der
Raumzeitverzerrungen so schwer wiegend sind, dass selbst dann, wenn
die Gravitation in einer Raumregion stark ist, sie überall sonst schwä­
chelt.
Und wir fanden etwas, das sogar noch bemerkenswerter ist. O bwohl
Physiker seit 8 0 Jahren annehmen, dass zusätzliche Dimensionen winzig
sein müssen, wenn man erklären will, warum wir sie noch nie gesehen
haben, entdeckten 1999 Raman und ich, dass nicht nur ein verzerrter
Raum die Schwäche der Gravitation erklären kann, sondern dass sich
auch eine unsichtbare zusätzliche Dimension ins Unendliche erstrecken
kann, wenn sie in einer gekrümmten Raumzeit entsprechend verzerrt ist.
Eine zusätzliche Dimension kann unendlich groß sein - aber nichtsdes­
totrotz versteckt. (Nicht alle Physiker akzeptierten unseren Vorschlag
auf der Stelle. Aber meine nicht aus der Physik kommenden Freunde wa­
ren schneller davon überzeugt, dass ich da auf etwas gestoßen war -
nicht weil sie die Physik in vollem Umfang verstanden hätten, sondern
weil nach einem Vortrag über meine Arbeit beim Konferenzbankett mir
Stephen Hawking einen Stuhl frei gehalten hatte . )
Ich werde d i e physikalischen Prinzipien erklären, d i e diesen u n d ande­
ren theoretischen Entwicklungen zugrunde liegen, und die neuen Raum­
begriffe, die sie vorstellbar machen. Und später werden wir sogar einer
noch verrückteren Möglichkeit begegnen, die der Physiker Andreas
Karch und ich ein Jahr später entdeckten : Wir könnten in einer dreidi­
mensionalen Tasche des Raums leben, auch wenn der Rest des Univer­
sums sich verhält, als wäre er höherdimensionaL Diese Erkenntnis eröff-

23
VERBORGENE UNIVERSEN

net eine Fülle neuer Möglichkeiten für das Gebilde der Raumzeit, das
aus unterschiedlichen Regionen bestehen könnte, von denen j ede eine
unterschiedliche Anzahl von Dimensionen umfasst. Wir sind nicht nur
nicht das Zentrum des Universums, womit Kopernikus vor 500 Jahren
die Welt schockierte, wir lebe n vielleicht bloß in einem abgelegenen Win­
kel mit drei Raumdimensionen, der Teil eines höherdimensionalen Kos­
mos ist.
Die in j üngster Zeit untersuchten, Membranen ähnelnden O bj ekte na­
mens Branen sind wichtige Komponenten der umfassenden höherdimen­
sionalen Landschaften. Wenn zusätzliche Dimensionen der Spielplatz
der Physiker sind, dann sind Branenwelten - hypothetische Universen, in
denen wir auf einer Brane leben - unwiderstehliche, vielschichtige, facet­
tenreiche Klettergerüste. Dieses Buch entführt Sie in Branenwelten und
Universen mit aufgerollten, verzerrten, großen und unendlichen Dimen­
sionen, von denen einige eine einzige Brane enthalten und andere multi­
ple Branen haben, die Heimat ungesehener Welten sind. All dies liegt im
Bereich des Mö glichen.

Der Reiz des Unbekannten

Die angenommenen Branenwelten sind ein Sprung ins Ungewisse und


die dahinter stehenden Ideen spekulativ. Wie beim Aktienmarkt jedoch
können riskantere Geschäfte zwar schief gehen, sie können einen aber
auch mit höheren Gewinnen belohnen .
Stellen S i e sich d e n Schnee unter einem Ski-Sessellift am ersten schö­
nen Tag nach einem Schneesturm vor, wenn das j ungfräuliche Pulver Sie
lockt. Sie wissen : Was auch geschehen wird, wenn Sie erst einmal den
Schnee unter den Füßen haben, wird es ein herrlicher Tag. Einige Ab­
fahrten werden steil und voller Buckel sein, andere leicht zu fahren, und
wieder andere werden verschlungen zwischen Bäumen hindurch führen.
Aber selbst wenn Sie ab und an einmal die falsche Kurve kriegen, wird
der größte Teil des Tages wunderschön werden.
Für mich hat das Konstruieren von Modellen - so nennen Physiker die
Suche nach Theorien, die den momentanen Beobachtungen zugrunde
liegen könnten - dieselbe unwiderstehliche Anziehungskraft. Das Mo­
dellebauen ist eine Abenteuertour durch Konzepte und Ideen . Manch­
mal liegen neue Ideen auf der Hand, und manchmal sind sie schwierig zu
finden und zu begreifen. Aber selbst wenn wir nicht wissen, wo sie hin-

24
EINLEITUNG

führen, ergründen interessante neue Modelle oft un berührtes, wunder­


bares Terrain.
Wir werden nicht sofort wissen, welche der Theorien unseren Platz im
Universum richtig beschreibt. Bei einigen werden wir es vielleicht nie­
mals wissen. Unglaublicherweise gilt das j edoch nicht für alle extradi­
mensionalen Theorien. Das Aufregendste an jeder die Schwäche der
Gravitation erklä renden extradimensionalen Theorie ist, dass wir bald
herausfinden werden, ob sie zutrifft. Bei Experimenten mit sehr energie­
reichen Teilchen könnten Beweise entdeckt werden, die diese Hypothe­
sen und die in ihnen angenommenen Zusatzdimensionen bekräftigen -
und zwar binnen der nächsten fünf Jahre, sobald der Large Hadron Col­
lider (LHC), ein Hochenergie-Teilchenbeschleuniger bei Genf, in Betrieb
ist.
Dieser Beschleuniger, der 2007 in Betrieb gehen soll, wird extrem
energiereiche Teilchen aufeinander prallen lassen, die sich in neue Mate­
rietypen verwandeln könnten, die wir noch nie zuvor gesehen haben.
Wenn irgendeine der extradimensionalen Theorien richtig ist, könnte es
beim LHC sichtbare Anzeichen dafür geben. Zu den Beweisen würden
auch Teilchen namens Kaluza-Klein-Moden zählen, die sich in den zu­
sätzlichen Dimensionen bewegen, Spuren ihrer Existenz aber hier in den
vertrauten drei Dimensionen hinterlassen. Kaluza-Klein-Moden wären
Fingerabdrücke von Extradimensionen in unserer dreidimensionalen
Welt. Und wenn wir sehr viel Glück haben, werden bei den Experimen­
ten auch andere Hinweise registriert, vielleicht sogar auf höherdimensio­
nale Schwarze Löcher.
Die Detektoren, die jene Obj ekte entdecken, werden von beeindru­
ckender Größe sein - so groß, dass bei der Arbeit daran Bergsteigeraus­
rüstungen wie Sicherheitsleinen und Helme nötig sind. Ich nutzte diese
Ausrüstung sogar einmal, als ich in der Schweiz nahe der Europäischen
Organisation für Kernforschung ( CERN)- dem Forschungszentrum, das
den LHC betreiben wird - eine Gletscherwanderung machte. Diese enor­
men Detektoren werden Teilcheneigenschaften registrieren, aus denen
die Physiker dann rekonstruieren werden, was hindurchgegangen ist.
Zugegeben, die Beweise für zusätzliche Dimensionen werden irgend­
wie indirekt sein, und wir werden das Bild aus verschiedenen Hinweisen
zusammensetzen müssen . Aber das gilt für fast alle physikalischen Ent­
deckungen in j üngerer Zeit. Während die Physik sich im Lauf des
20. Jahrhunderts weiterentwickelte, entfernte sie sich immer mehr von
Dingen, die man mit bloßem Auge beobachten kann, in Richtung von

25
VERBORGENE UNIVERSEN

Sachen, die man nur mittels Messungen, gepaart mit theoretisch-logi­


schen Ableitungen, » sehen << kann. Quarks beispielsweise, Komponenten
des Protons und des Neutrons, die vielleicht noch aus der O berstufen­
ph ysik bekannt sind, treten niemals isoliert auf; wir finden sie, indem
wir den Beweisketten folgen, die sie hinterlassen, wenn sie auf andere
Teilchen einwirken. Dasselbe gilt für so spannende Dinge wie die Dunkle
Energie und die Dunkle Materie. Wir wissen nicht, wo der größte Teil
der Energie im Universum herkommt oder was das Wesen der meisten
Materie im Universum ist. Wir wissen aber, dass es im Universum
Dunkle Materie und Dunkle Energie gibt, nicht weil wir sie direkt ent­
deckt hätten, sondern nur, weil sie sich merklich auf die Materie ringsum
auswirken. Wie Quarks oder Dunkle Materie und Dunkle Energie, de­
ren Existenz wir nur indirekt ermitteln können, werden Extradimensio­
nen sich uns nicht direkt offenbaren. Nichtsdestotrotz könnten Signatu­
ren zusätzlicher Dimensionen, selbst wenn sie nur indirekt sind, letztlich
deren Existenz bestätigen.
Lassen Sie mich von Anfang an klarstellen, dass natürlich nicht alle
neuen Ideen sich als richtig erweisen werden und dass viele Physiker ge­
genüber neuen Theorien skeptisch sind. Die von mir hier vorgestellten
Theorien bilden da keine Ausnahme. Aber die Spekulation ist die einzige
Möglichkeit, Fortschritte zu machen. Selbst wenn sich herausstellen
sollte, dass die Details nicht mit der Realität übereinstimmen, kann eine
neue theoretische Idee dennoch die physikalischen Prinzipien erhellen,
die in der wahren Theorie des Kosmos am Werk sind. Ich bin ziemlich si­
cher, dass die Ideen über zusätzliche Dimensionen, denen wir in diesem
Buch begegnen werden, mehr als einen Keim der Wahrheit enthalten.
Wenn man sich auf das Unbekannte einlässt und mit spekulativen
Ideen arbeitet, finde ich es beruhigend, sich daran zu erinnern, dass die
Entdeckung fundamentaler Strukturen immer eine Überraschung gewe­
sen und auf Skepsis und Widerstand gestoßen ist. Seltsamerweise haben
nicht nur die Öffentlichkeit, sondern manchmal genau die Personen, die
tiefer liegende Strukturen postulierten, zunächst gezögert, an sie zu glau­
ben.
James Clerk Maxwell beispielsweise, der die klassische Theorie der
Elektrizität und des Magnetismus entwickelte, glaubte nicht an die Exis­
tenz fundamentaler Entitäten wie Ladung oder Elektronen. George Sto­
ney, der gegen Ende des 1 9. Jahrhunderts das Elektron als die fundamen­
tale Einheit der Ladung vorschlug, glaubte nicht, dass Wissenschaftler je
Elektronen von den Atomen, deren Komponenten sie sind, isolieren

26
EINLEITUNG

könnten. ( Dabei braucht man dafür bloß Hitze oder ein elektrisches
Feld . ) Dimitri Iwanowitsch Mendelej ew, Schöpfer des Periodensystems
der Elemente, lehnte die Vorstellung der Wertigkeit ab, nach der sein Sys­
tem organisiert war. Max Planck, der vorschlug, dass die vom Licht
transportierte Energie diskontinuierlich sei, glaubte in Wirklichkeit
nicht an Lichtquanten, wie sie seine eigene Überlegung voraussetzte. Al­
bert Einstein, der diese Lichtquanten vorgeschlagen hatte, wusste nicht,
dass ihre mechanischen Eigenschaften es erlauben würden, sie als Teil­
chen zu identifizieren - Photonen, wie wir heute wissen. Nicht j eder mit
richtigen neuen Ideen hat j edoch deren Bezug zur Realität geleugnet.
Viele Ideen, ob man an sie glaubte oder nicht, haben sich als zutreffend
erwiesen.
Wartet noch mehr darauf, entdeckt zu werden ? Als Antwort auf diese
Frage greife ich zu den allzu vergänglichen Worten George Gamows, des
berühmten Kernphysikers und Wissenschaftspublizisten. 1 945 schrieb
er : >> Statt einer ziemlich großen Zahl von >unsichtbaren Atomen< der
klassischen Physik haben wir j etzt nur noch drei essenziell unterschied­
liche Entitäten ; Nukleonen, Elektronen und Neutrinos . . . Es sieht also
danach aus, dass wir bei unserer Suche nach den Grundelementen, aus
denen Materie gebildet ist, tatsächlich ans Ende gekommen sind. << Als
Gamow dies schrieb, hatte er keine Ahnung, dass die Nukleonen aus
Quarks zusammengesetzt sind, die im Lauf der nächsten 30 Jahre ent­
deckt werden würden !
Wäre es nicht merkwürdig, wenn wir die ersten Wissenschaftler wä­
ren, für die die Suche nach weiteren, noch tiefer liegenden Strukturen
nicht länger fruchtbar wäre ? Das wäre sogar so merkwürdig, dass es
kaum glaubhaft ist. Widersprüche in den bestehenden Theorien sagen
uns, dass sie nicht das letzte Wort sein können. Frühere Generationen
hatten weder die Mittel noch die Motivation heutiger Physiker, die ex­
tradimensionalen Schauplätze zu erforschen, die dieses Buch beschrei­
ben wird . Zusätzliche Dimensionen - oder was immer dem Standardmo­
dell der Teilchenphysik zugrunde liegen mag - wären eine Entdeckung
von überragender Bedeutung.
Und was die Welt um uns herum angeht : Haben wir eine andere Wahl,
als sie zu erforschen ?

27
1

Eingangspassagen:
Entmystifizierte Dimensionen

You can go your own way.


Go your own way.
Du kannst deinen Weg gehen.
Geh deinen Weg.
Fleetwood Mac

» Ike, wegen der Geschichte, die ich da schreibe, bin ich mir nicht so sicher.
Ich überlege, weitere Dimensionen hinzuzufügen. Was hältst du davon ?«
» A thena, dein großer Bruder weiß wenig darüber, wie man Geschich­
ten hin bekommt. Aber ich denke, es kann nicht schaden, neue Dimensio­
nen hinzufügen. Willst du neue Charaktere einführen, oder denen, die du
hast, mehr Tiefe geben?«
" Weder noch ; das meine ich nicht. Ieh plane, neue Dimensionen ein­
zuführen - etwa neue Dimensionen des Raums.«
»Du machst Witze, oder ? Du willst über alternative Realitäten schrei­
ben - etwa Orte, an denen Leute alternative spirituelle Erlebnisse haben
oder wo sie hingehen, wenn sie sterben, oder wo sie Nahtod-Erfahrun­
gen haben ? * Ieh hätte nicht gedacht, dass du für so etwas zu haben bist. «
» Mach mal halblang, Ike. Du weißt, dass dem nicht so ist. Ich rede von
anderen räumlichen Dimensionen - nicht anderen spirituellen Ebenen!«
»Aber was könnten andere räumliche Dimensionen schon bewirken ?
Wenn du Papier mit anderen Dimensionen nimmst - etwa 250x353 mm
statt 210x297 mm -, würde das doch überhaupt nichts ändern!«
» Mach keine Witze. Davon rede ich auch nicht. Ich plane wirklich,
neue Raumdimensionen einzuführen, genau wie die Dimensionen, die
wir sehen, nur in völlig neuen Richtungen.«

* Solche Fragen sind mir tatsächlich gestellt worden.

28
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

»Dimensionen, die wir nicht sehen ? Ich dachte, mehr als drei Dimen­
sionen gibt es nicht. «
» Warfs ab, Ike. Das werden wir ja bald sehen!«

Wie so viele Begriffe, die den Raum oder die Bewegung durch i h n hin­
durch beschreiben lässt sich auch das Wort >> Dimension << auf mannig­
faltige Weise interpretieren - und ich glaube, mittlerweile kenne ich alle
Deutungen. Weil wir die Dinge in räumlichen Bildern sehen, neigen wir
dazu, viele Konzepte einschließlich Zeit und Denken mit räumlichen Be­
griffen zu beschreiben. Das heißt, dass viele Wörter, die sich auf den
Raum beziehen, mehrfache Bedeutungen haben. Und wenn wir solche
Wörter für technische Zwecke verwenden, können deren alternative
Verwendungen dazu führen, dass die Definitionen verwirrend klingen .
Der Ausdruck >> zusätzliche Dimensione n << ist besonders rätselhaft,
denn selbst wenn wir diese Wörter auf den Raum anwenden, liegt j ener
Raum außerhalb unserer sinnlichen Wahrnehmung. Dinge, die man nur
schwer visualisieren kann, lassen sich im Allgemeinen auch schwer be­
schreiben. Wir sind physiologisch einfach nicht dazu geschaffen, mehr
als drei räumliche Dimensionen zu verarbeiten . Licht, Gravitation und
all unsere Werkzeuge zur Beobachtung präsentieren uns eine Welt, die
nur drei räumliche Dimensionen zu umfassen scheint.
Weil wir zusätzliche Dimensionen nicht direkt wahrnehmen können ­
selbst wenn es sie gibt -, befürchten einige Leute, dass Versuche, sie zu
verstehen, ihnen Kopfschmerzen bereiten werden. Wenigstens sagte mir
das ein Nachrichtensprecher der BBC während eines Interviews. Es ist je­
doch nicht das Nachdenken über zusätzliche Dimensionen, sondern der
Versuch, sie sich vorzustellen, was so viel Unbehagen bereitet. Der Ver­
such, eine höherdimensionale Welt zu zeichnen, bringt unvermeidlicher­
weise Komplikationen mit sich.
Über Zusatzdimensionen nachzudenken ist eine völlig andere Sache.
Wir sind durchaus in der Lage, ihre Existenz in Betracht zu ziehen. Und
wenn meine Kollegen und ich die Begriffe >> Dimensionen << und >> Extra­
dimensionen << verwenden, haben wir dabei präzise Vorstellunge n' . Bevor
wir also weitere Schritte unternehmen oder ergründen, wie neue Ideen in
unser Bild vom Universum passen - man beachte die räumlichen Meta­
phern -, will ich die Begriffe >> Dimensione n << und >> Zusatzdimensionen <<
erklären und darlegen, was ich damit meine, wenn ich sie später ver­
wende.

29
VERBORGENE UNIVERSEN

Wir werden bald sehen, dass bei mehr als drei Dimensionen Begriffe
( und Gleichungen ) mehr sagen können als tausend Bilder.

Was sind Dimensionen?

Mit vieldimensionalen Räumen zu arbeiten ist eigentlich etwas, das alle


j eden Tag tun, auch wenn ich zugeben muss, dass die meisten von uns das
nicht so sehen. Aber denken Sie an all die Dimensionen, die in Ihre Über­
legungen eingehen, wenn Sie eine wichtige Entscheidung zu treffen haben
wie beispielsweise den Kauf eines Hauses. Sie ziehen die Größe in Be­
tracht, die Schulen in der Nähe, die Entfernung zu den für Sie wichtigen
Örtlichkeiten, die Architektur, das Geräuschniveau - und die Liste ist
noch viel länger. Sie müssen all Ihre Bedürfnisse und Wünsche berück­
sic htigen und in einem multidimensionalen Kontext ein Optimum finden.
Die Anzahl der Dimensionen ist die Anzahl der Größen, die man ken­
nen muss, um einen Punkt im Raum vollständig festzulegen. Der multi­
dimensionale Raum mag ein abstrakter sein wie etwa der Komplex von
Kriterien, den Sie bei der Haussuche berücksichtigen müssen, oder ein
konkreter wie der reale physikalische Raum, über den wir bald nachden­
ken werden. Aber beim Hauskauf können Sie sich die Anzahl der Di­
mensionen als die Anzahl der Größen vorstellen, die Sie in die j eweiligen
Felder einer Datenbank eintragen würden - die Zahl der Größen, die zu
untersuchen Sie wichtig finden.
Etwas frivoler kann man den Begriff der Dimension auch auf Men­
schen anwenden. Wenn Sie j emanden als eindimensional abstempeln,
denken Sie dabei an etwas ganz Bestimmtes : Sie meinen, dass die Person
nur ein einziges Interesse verfolgt. Sam beispielsweise, der nichts weiter
tut, als zu Hause Sportfernsehen zu gucken, kann mit bloß einer Infor­
mation beschrieben werden. Wenn Sie wollen, können Sie diese Informa­
tion als einen Punkt auf einem eindimensionalen Graphen darstellen :
Sams Neigung zum Sportfernsehen etwa. Wenn Sie so einen Graphen
zeichnen, müssen Sie Ihre Einheiten spezifizieren, damit ein anderer ver­
stehen kann, was die Abstände auf dieser einen Achse bedeuten. Abbil­
dung 3 zeigt ein Diagramm, bei dem Sam ein Punkt auf einer horizonta­
len Achse ist. Dieses Diagramm stellt die Anzahl von Stunden pro Woche
dar, an denen Sam sich TV-Sportsendungen anschaut. ( Glücklicherweise
kann man Sam mit diesem Beispiel nicht beleidige n ; er zählt nicht zu den
multidimensionalen Lesern dieses Buches. )

30
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

Sam
Stunden pro

I �I Woche, die mit


Sportfernsehen
0 I0 20 30 40 50 60 70 verbracht werden

Abbildung 3: Das Diagramm des eindimensionalen Sam.

Lassen Sie uns diese Vorstellung ein wenig weiter trei ben. lcarus
Rushmore III ( Ike in der Geschichte oben ) , der in Boston wohnt, ist ein
komplexerer Charakter. Er ist dreidimensional. Ike ist 21 Jahre alt, fährt
schnelle Autos und verliert sein Geld in Wonderland, einer Stadt bei Bos­
ton mit einer Hunderennbahn. In Abbildung 4 habe ich Ike graphisch
dargestellt. Das Diagramm habe ich zwar auf die zweidimensionale
O berfläche eines Blattes Papier gezeichnet, aber die drei Achsen sagen
uns, dass Ike definitiv dreidimensional ist. *
Wenn wir Menschen beschreiben, schreiben wir ihnen in der Regel je­
doch mehr als eine charakteristische Eigenschaft zu, meistens auch mehr
als drei. Athena, Ikes Schwester, ist elf Jahre alt, liest begierig, glänzt in
Mathe, informiert sich über die Vorgänge in der Welt und hält sich Eulen
als Haustiere. Vielleicht wollen Sie auch sie in einem Diagramm darstel­
len (obwohl ich mir nicht sicher bin, warum Sie das eigentlich sollte n ) . In
diesem Fall müsste Athena als ein Punkt in einem fünfdimensionalen
Raum dargestellt werden, dessen Achsen dem Alter, der Anzahl pro Wo­
che gelesener Bücher, dem Punktedurchschnitt der Mathematiktests, der
Anzahl der täglich mit Zeitungslektüre verbrachten Minuten und der
Anzahl der von ihr gehaltenen Eulen entsprechen. Ich habe j edoch
Schwierigkeiten, solch einen Graphen zu zeichnen. Ich bräuehre dafür
einen fünfdimensionalen Raum, und ein solcher ist schwer zu malen.
Selbst Computerprogramme können nicht mehr als 3-D-Graphik bewäl­
tigen.
Dennoch gibt es im abstrakten Sinn einen fünfdimensionalen Raum
mit einer Ansammlung von fünf Zahlen, beispielsweise ( 1 1 , 3, 100, 45,
4 ) , der uns sagt, dass Athena elf Jahre alt ist, durchschnittlich drei Bü­
cher pro Woche liest, in Mathe immer 100 Punkte schafft, täglich 45
Minuten Zeitung liest und momentan vier Eulen besitzt. Mit diesen
fünf Zahlen habe ich Athena beschrieben. Wären Sie mit ihr bekannt,

* Wenn Sie pingelig sind, werden Sie einwenden, dass auch Sam ein Alter und damit
eine weitere Dimension hat. Ich bin jedoch davon ausgegangen, dass Sam seit Jahren
nichts anderes tut und sein Alter damit nicht relevant ist.

31
VERBORGENE UNIVERSEN

In Wonderland
verlorenes Geld
(Dollar pro Monat)

� Ike

20

10 Alter

Durchschnittswert,
wie oft pro Woche
Ike mit seinem schnellen
Auto herumrast

Abbildung 4: Das Diagramm des dreidimensionalen Ike. Die fett gezeichne­


ten Linien sind die Koordinatenachsen des dreidimensionalen Diagramms.
Der mit »lk e<< markierte Punkt entspricht einem einundzwanzigjährigen jun­
gen Mann, der jeden Monat 24 Dollar in Wanderfand verliert und durch­
schnittlich 3,3-ma/ pro Woche mit seinem schnellen Auto herumrast.

würden Sie sie anhand d ieses Punkts in fünf Dimensionen wiedererken­


nen.
Die Anzahl der Dimensionen für j ede der drei Personen entsprach
der Anzahl der Attribute, anhand deren ich sie identifizierte : eines für
Sam, drei für Ike und fünf für Athena. Wirkliche Menschen sind in
der Regel natürlich nur schwer mit so wenigen Informationen darzu­
stellen.
In den folgenden Kapiteln werden wir mittels Dimensionalität nicht
Menschen, sondern den Raum selbst erkunden. Mit >> Raum << meine ich
die Region, in der es Materie gibt und physikalische Prozesse stattfinden.
Ein Raum von einer bestimmten Dimensionalität ist ein Raum, in dem
eine bestimmte An zahl von Größen nötig ist, um einen Punkt zu spezifi­
zieren. Bei einer Dimension wäre dies ein Punkt in einem Diagramm mit
einer einzigen x-Achse ; bei zwei Dimensi' <�en ein Punkt in einem Dia­
gramm mit einer x- und einer y-Achse ; bei drei Dimensionen wäre es ein

32
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

Punkt in einem Diagramm mit einer x-, einer y- und einer z-Achse. 1
Diese Achsen sind in Abbildung 5 dargestellt.

A b bildung 5 : Die drei Koordinatenachsen, die wir für einen dreidimensiona­


len Raum verwenden.

Im dreidimensionalen Raum braucht man nichts weiter als drei Zah­


len, um etwas präzise zu lokalisieren. Bei diesen Zahlen könnte es sich
um Längengrad, Breitengrad und Höhe über Normalnull handeln oder
um Angaben in Längs-, Quer- und vertikaler Richtung; Sie konnten
auch nach einer ganz anderen Methode drei Zahlen wählen. Entschei­
dend dabei ist, dass man bei drei Dimensionen genau drei Zahlen
braucht. Im zweidimensionalen Raum brauchen Sie zwei Zahlen, und in
einem höherdimensionalen Raum brauchen Sie mehr.
Mehr Dimensionen bedeuten die Freiheit, sich in einer größeren Zahl
von völlig unterschiedlichen Richtungen zu bewegen. Ein Punkt in einem
vierdimensionalen Raum erfordert einfach nur eine zusätzliche Achse ­
wiederum schwierig zu zeichnen. Aber es sollte nicht schwer fallen, sich
deren Existenz vorzustellen. Wir werden darüber mit verbalen Begriffen
und mathematischen Ausdrücken nachdenken.
Die Stringtheorie schlägt sogar noch mehr Dimensionen vor : Sie geht
von sechs oder sieben zusätzlichen räumlichen Dimensionen aus, was be­
deutet, dass sechs oder sieben weitere Koordinaten nötig sind, um einen
Punkt festzulegen. Und allerneueste Arbeiten über die Stringtheorie ha­
ben gezeigt, dass es sogar noch mehr Dimensionen sein könnten. In die-

1 Diese und andere kursive hochgestellte Zahlen ( 1 • 2 · l • • • ) beziehen sich auf die ma­
thematischen Anmerkungen am Ende des Buches.

33
VERBORGENE UNIVERSEN

sem Buch bleibe ich geistig beweglich und halte die Möglichkeit offen,
dass es beliebig viele Zusatzdimensionen geben könnte. Es ist zu früh zu
sagen, wie viele Dimensionen das Universum tatsächlich hat. Viele Kon­
zepte von Extradimensionen, die ich beschreiben werde, gelten für belie­
bige Anzahlen von zusätzlichen Dimensionen. In den seltenen Fällen, in
denen das nicht zutrifft, werde ich das klarstellen.
Um einen physikalischen Raum zu beschreiben, braucht es aber
mehr, als bloß Punkte zu identifizieren. Man muss auch eine Metrik
spezifizieren, aus der die Messskala hervorgeht oder die physische Ent­
fernung zwischen zwei Punkten. Das sind die Markierungen entlang der
Achsen eines Graphen. Es reicht nicht aus zu wissen, dass die Entfer­
nung zwischen zwei Punkten 17 beträgt, solang man nicht weiß, ob das
17 Zentimeter, 17 Kilometer oder 17 Lichtjahre meint. Die Metrik brau­
chen wir, um zu wissen, wie wir Entfernungen messen sollen : Welcher
Entfernung der Abstand zwischen zwei Punkten auf einem Graphen in
der Welt, die der Graph repräsentiert, entspricht. Die Metrik liefert
einen Maßstab, der zeigt, welche Einheiten man für seine Messskala ge­
wählt hat ; das ist wie bei einer Karte, bei der ein halber Zentimeter
einen Kilometer repräsentieren kann, oder beim metrischen System, das
uns einen Maßstab an die Hand gibt, auf den wir uns alle einigen kön­
nen.
Aber das ist nicht alles, was eine Metrik spezifiziert. Sie sagt uns auch,
ob der Raum gekräuselt oder gekrümmt ist, etwa wie die Oberfläche eines
Luftballons, den wir zu einer Kugel aufblasen. Die Metrik enthält alle In­
formationen über die Gestalt des Raums. Die Metrik für einen gekrümm­
ten Raum sagt uns etwas sowohl über Entfernungen als auch über Winkel.
Genau wie ein Zentimeter unterschiedliche Entfernungen repräsentieren
kann, kann ein Winkel unterschiedlichen Formen entsprechen. Das ver­
tiefe ich später, wenn wir den Zusammenhang zwischen gekrümmtem
Raum und Gravitation erkunden. Für den Moment sagen wir einfach nur,
dass die O berfläche einer Kugel nicht dasselbe ist wie die Oberfläche eines
flachen Blattes Papier. Dreiecke auf dem einen sehen nicht wie Dreiecke
auf dem anderen aus, und den Unterschied zwischen den beiden zwei­
dimensionalen Räumen kann man an ihrer Metrik erkennen.2
Während die Physik sich weiterentwickelte, hat sich auch die Menge
an Informationen vermehrt, die in der Metrik gespeichert sind. Als Ein­
stein die Relativitätstheorie entwickelte, erkannte er, dass eine vierte Di­
mension - die Zeit - von den drei Raumdimensionen nicht zu trennen
ist. Auch die Zeit braucht eine Messskala, und so formulierte Einstein

34
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

die Gravitation mit einer Metrik für eine vierdimensionale Raumzeit,


fügte also die Dimension der Zeit den drei Dimensionen des Raums
hinzu.
Und j üngere Entwicklungen haben gezeigt, dass es auch zusätzliche
Raumdimensionen geben könnte. In diesem Fall wird die zutreffende
Raumzeit-Metrik mehr als drei räumliche Dimensionen umfassen. Die
Anzahl der Dimensionen und die Metrik für diese Dimensionen geben
die Mittel an die Hand, einen solchen multidimensionalen Raum zu be­
schreiben. Doch bevor wir uns näher mit Metrik und Metriken für multi­
dimensionale Räume beschäftigen, wollen wir über die Bedeutung des
Ausdrucks multidimensionaler Raum << gründlicher nachdenken.
>>

Spielerische Passagen durch zusätzliche Dimensionen

In Roald Dahls Charlie und die Schokoladenfabrik stellt Willy Wonka


seinen Besuchern einen gläsernen Fahrstuhl vor : » Das ist kein gewöhn­
licher Fahrstuhl, der einfach nur rauf und runter fährt << , erklärt er.
» Dieser Fahrstuhl fährt vorwärts und rückwärts und seitwärts und
schrägwärts - wohin ihr wollt. << * Genauer gesagt, konnte sich sein
Transportmittel in all die Richtungen bewegen, die in den drei uns be­
kannten Dimensionen möglich sind. Ein hübscher, phantasievoller Ein­
fall.
Doch der gläserne Fahrstuhl konnte sich nicht überall dorthin bewe­
gen, . . wohin ihr wollt<< . Willy Wonka argumentierte etwas oberfläch­

lich, weil er extradimensionale Passagen vernachlässigte. Zusätzliche Di­


mensionen sind völlig andere Richtungen. Sie sind schwer zu beschrei­
ben, aber mit Hilfe von Analogien kann man sie leichter begreifen.
Um eine Vorstellung von zusätzlichen Dimensionen zu vermitteln, ver­
öffentl ichte der englische Mathematiker Edwin A. Abbott im Jahr 1 8 84
einen Roman namens Flächenland. * * Er spielt in einem fiktionalen,
zweidimensionalen Universum - dem Flächenland des Titels -, in dem
zweidimensionale Wesen ( von unterschiedlicher geometrischer Form ) le­
ben. Abbott zeigt uns, warum Flächenländler, die ihr gesamtes Leben in

Roald Dahl, Charlie und die Schokoladenfabrik ( Reinbek b. Hamburg : Rowohlt


2003 ) .
'' * Der vollständige Titel lautet : Flächenland. Ein mehrdimensionaler Roman, verfasst
von einem alten Quadrat (Stuttgart : Klett-Cotta 1 9 8 2 ) .

35
VERBORGENE UNIVERSEN

zwei Dimensionen verbringen - beispielsweise auf einer Tischfläche -,


von drei Dimensionen so verwirrt sind wie Leute in unserer Welt von
dem Gedanken an vier.
Bei uns überschreiten mehr als drei Dimensionen unser Vorstellungs­
vermögen, in Flächenland aber übersteigen schon drei Dimensionen das
Verständnis seiner Bewohner. Jeder glaubt, es liege auf der Hand, dass
das Universum nicht mehr als die zwei wahrnehmbaren Dimensionen
hat. Flächenländler insistieren so sehr darauf wie die meisten Menschen
bei uns auf ihren dreien. Der Erzähler des Buches, A. Quadrat (ein Na­
mensvetter des Autors, Edwin A 2 ) , wird in die Realität einer dritten
Dimension eingeführt. In der ersten Phase seiner Weiterbildung beob­
achtet er, noch immer in Flächenland, eine dreidimensionale Kugel, die
vertikal durch seine zweidimensionale Welt reist. Weil A. Quadrat auf
Flächenland beschränkt ist, sieht er eine Serie von Kreisen, deren
Durchmesser zu- und dann wieder abnimmt, wobei es sich um Scheiben
der Kugel handelt, die A. Quadrats Ebene passiert ( siehe Abbildung 6 ) .
Anfänglich verwirrt das den zweidimensionalen Erzähler, der sich nie
mehr als zwei Dimensionen hat vorstellen können und nie über dreidi-

'
'
Bewegungs- ,
'
richtung
der Kugel

Zeit / /
/ /
/ /
/ /
/ /
/ /
/

Abbildung 6 : Wenn eine Kugel eine Fläche passiert, nimmt ein zweidimensio­
naler Beobachter eine Scheibe wahr. Die Kugel setzt sich aus der A bfolge von
Scheiben zusammen, die der Beobachter im Verlauf der Zeit wahrnimmt.

36
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

mensionale O bjekte wie eine Kugel nachgedacht hat. Erst als A. Qua­
drat aus Flächenland heraus in die umgebende dreidimensionale Welt
emporsteigt, kann er sich wirklich eine Kugel vorstellen. Aus seiner
neuen Perspektive erkennt er die Kugel als ein Gebilde, das aus den von
ihm beobachteten zweidimensionalen Scheiben zusammengesetzt ist.
Auch in seiner zweidimensionalen Welt hätte A. Quadrat die Abfolge
der Scheiben als Funktion der Zeit (wie in Abbildung 6) wahrnehmen
und so die Kugel rekonstruieren können. Aber erst nachdem seine Reise
durch eine dritte Dimension ihm die Augen geöffnet hatte, konnte er
die Kugel und ihre dritte räumliche Dimension in vollem Umfang be­
greifen.
Analog würden wir, wenn eine Hypersphäre (eine Kugel mit vier
räumlichen Dimensionen ) unser Universum passierte, sie als eine zeit­
liche Abfolge von dreidimensionalen Kugeln wahrnehmen, die an Größe
erst zu- und dann abnehmen.3 Unglücklicherweise haben wir nicht die
Möglichkeit, durch eine zusätzliche Dimension zu reisen. Wir werden
niemals eine statische Hypersphäre zur Gänze sehen. Trotzdem können
wir schlussfolgern, wie Obj ekte in Räumen von unterschiedlichen Di­
mensionen aussehen - selbst von Dimensionen, die wir nicht sehen. Mit
einigem Zutrauen können wir ableiten, dass unsere Wahrnehmung einer
drei Dimensionen passierenden Hypersphäre einer Serie von dreidimen­
sionalen Sphären entsprechen würde.
Als ein weiteres Beispiel wollen wir uns den Aufbau eines Hyperkubus
vorstellen - eine Verallgemeinerung eines Würfels auf mehr als drei Di­
mensionen. Ein eindimensionales Liniensegment besteht aus zwei Punk­
ten, die mit einer geraden, eindimensionalen Linie verbunden sind. Das
können wir auf zwei Dimensionen zu einem Quadrat verallgemeinern,
indem wir ein zweites eindimensionales Liniensegment über dem Ersten
anordnen und sie mit zwei zusätzlichen Segmenten verbinden. Wir kön­
nen weiter auf die drei Dimensionen eines Würfels verallgemeinern ; wir
konstruieren ihn, indem wir ein zweidimensionales Quadrat über dem
Ersten positionieren und die beiden mit vier zusätzlichen Quadraten ver­
binden, j eweils eines an den Kanten der ursprünglichen Quadrate (siehe
Abbildung 7 ) .
Wir können a u f vier Dimensionen z u einem Hyperkubus verallgemei­
nern und auf fünf Dimensionen zu etwas, für das wir noch nicht einmal
einen Namen haben. O bwohl wir dreidimensionalen Sterblichen diese
beiden O bj ekte nie gesehen haben, können wir das Verfahren, das in we­
niger Dimensionen funktionierte, verallgemeinern. Um einen Hyperku-

37
VERBORGENE UNIVERSEN

• • D
A b bildung 7 : Wie man niedrigdimensionale Objekte zu höherdimensionalen
zusammensetzt. Wir verbinden zwei Punkte zu einem Liniensegment, zwei
Liniensegmente zu einem Quadrat, zwei Quadrate zu einem Würfel und
(nicht abgebildet, weil zu schwierig zu zeichnen) zwei Würfel zu einem Hy­
perkubus.

bus zu konstruieren, positioniert man einen Würfel über dem anderen


und verbindet sie, indem man sechs zusätzliche Würfel hinzufügt, die die
O berflächen der beiden ursprünglichen Würfel miteinander verbinden.
Diese Konstruktion ist eine Abstraktion und schwierig zu zeichnen, aber
das macht den Hyperkubus in keiner Weise weniger real.
Als ich auf der High School war, verbrachte ich einen Sommer in
einem Mathematik-Camp ( was viel vergnüglicher war, als man glauben
mag), wo man uns eine Filmversion von Flächenland zeigte . * Am Ende
versuchte der Erzähler vergeblich, in die Richtung der den Flächenländ­
lern unzugänglichen dritten Dimension zu zeigen, und sagte mit köst­
lichem britischen Akzent : » Aufwärts, nicht nordwärts. << Unglücklicher­
weise sind wir genauso frustriert, wenn wir versuchen, in Richtung
einer vierten Raumdimension, einer Passage, zu zeigen. Aber genau wie
die Flächenländler keine dritte Dimension sahen oder bereisten, obwohl
es sie in Abbotts Geschichte gab, bedeutet der Umstand, dass wir noch
keine weitere Dimension gesehen haben, nicht, dass es keine gibt. Ob­
wohl wir eine solche Dimension bislang weder beobachtet noch bereist
haben, wird sich durch Verborgene Universen ein Subtext ziehen, der da
lautet : » Nicht nordwärts, sondern vorwärts, eine Passage entlang. «
Wer weiß, was es noch alles gibt, das wir bislang noch nicht gesehen
haben ?

* In diesem Trickfilm von Eric Martin hörte man die Stimmen von Dudley Moore und
anderen Mitgliedern des britischen Komödienensembles Beyond the Fringe. Er war
sehr lustig.

38
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

Aus zwei mach drei

Im Rest dieses Kapitels werden wir nicht mehr über Räume nachdenken,
die mehr als drei Dimensionen haben ; ich möchte davon berichten, wie
wir mit unserem beschränkten visuellen Vorstellungsvermögen mit Hilfe
von zweidimensionalen Bildern über drei Dimensionen nachdenken und
sie zeichnen. Zu wissen, wie wir diese Umsetzung zweidimensionaler Bil­
der in eine dreidimensionale Realität bewerkstelligen, wird uns später
helfen, wenn wir niedrigdimensionale >> Bilder<< höherdimensionaler
Welten interpretieren. Stellen Sie sich diesen Abschnitt als eine AuE­
wärmübung vor, die Ihr Denken darauf vorbereitet, sich zusätzliche
Dimensionen einzuverleiben. Es könnte hilfreich sein, sich daran zu er­
innern, dass man im gewöhnlichen Leben ständig mit Dimensionalität
umgeht. So unvertraut ist uns das gar nicht.
Oft sehen wir nichts weiter als Teile der O berfläche von Dingen, und
diese Oberfläche ist nur ihr Äußeres. Dieses Äußere hat zwei Dimensio­
nen, auch wenn es im dreidimensionalen Raum gekrümmt ist, weil man
nur zwei Zahlen braucht, um einen beliebigen Punkt zu identifizieren.
Dass die Oberfläche nicht dreidimensional ist, leiten wir daraus ab, dass
sie keine Dicke hat.
Wenn wir Bilder, Filme, Computerbildschirme oder die Zeichnungen
in diesem Buch ansehen, betrachten wir im Allgemeinen zweidimensio­
nale, nicht dreidimensionale Repräsentationen. Nichtsdestotrotz aber
können wir daraus die dreidimensionale Realität ableiten, die dargestellt
ist.
Wir können zweidimensionale Informationen dazu verwenden, drei
Dimensionen zu konstruieren. Dazu gehört, bei der Anfertigung zweidi­
mensionaler Repräsentationen Informationen zu unterdrücken und zu­
gleich zu versuchen, genügend Informationen zu erhalten, um entschei­
dende Elemente des ursprünglichen Obj ekts zu reproduzieren. Lassen
Sie uns also über die Methoden nachdenken, mit denen wir oft höherdi­
mensionale O bj ekte zu niedrigeren Dimensionen reduzieren - in Schei­
ben schneiden, projizieren, eine Holographie davon anfertigen und
manchmal einfach die dritte Dimension ignorieren -, und wie wir an­
dersherum arbeiten, um daraus die repräsentierten dreidimensionalen
Obj ekte abzuleiten.
Die einfachste Möglichkeit, hinter die O berfläche zu sehen, besteht
darin, das Objekt in Scheiben zu schneiden. Jede Scheibe ist zweidimen­
sional, aber alle Scheiben zusammen bilden ein reales dreidimensionales

39
VERBORGENE UNIVERSEN

O bj ekt. Wenn Sie beispielsweise beim Metzger Schinken bestellen, wird


das dreidimensionale Schinkenstück ganz einfach gegen zweidimensio­
nale Scheiben ausgetauscht. * Indem Sie all die Scheiben wieder aufein­
ander stapeln, könnten sie die ursprüngliche, dreidimensionale Schin­
kenform rekonstruieren.
Dieses Buch ist dreidimensional. Seine Seiten haben j edoch nur zwei
Dimensionen. Alle zweidimensionalen Seiten zusammen machen das
Buch aus. * * Das Zusammenfügen der Seiten können wir auf mancherlei
Weise illustrieren. Eine davon demonstriert Abbildung 8, die das Buch
von der Seite zeigt. Bei diesem Bild haben wir schon wieder mit Dimen­
sionalität gespielt, da j ede Linie eine Seite repräsentiert. Solange wir
wissen, dass die Linien zweidimensionale Seiten darstellen, müsste diese
Illustration klar sein. Später werden wir ähnliche Vereinfachungen ver­
wenden, wenn wir Obj ekte in multidimensionalen Welten darstellen.

Seiten­
inhalte

11111111111 Seiten­
anzahl

Abbildung 8 : Ein dreidimensionales Buch besteht aus zweidimensionalen


Seiten.

In Scheiben schneiden ist nur eine Möglichkeit, höhere Dimensionen


durch niedrigere zu ersetzen. Die Pro;ektion, ursprünglich ein Fachbe-

* Schinkenscheiben haben natürlich eine gewisse Dicke, in Wirklichkeit sind sie also
sehr dünn, aber dreidimensional. In dieser zusätzlichen Dimension ist ihre Ausdeh­
nung aber so gering, dass es eine gute Annäherung ist, sie sich als zweidimensional
vorzustellen. Denn auch bei beliebig dünnen Scheiben können wir uns vorstellen, sie
wieder zu einem dreidimensionalen Objekt zusammenzusetzen.
* * Abermals : Tatsächlich zweidimensionale Seiten müssten unendlich d ünne Scheiben
sein, die in der dritten Dimension überhaupt keine Dicke aufweisen. Für den Moment
j edoch ist Zweidimensionalität eine prima Annäherung für so dünne Seiten wie diese
hier.

40
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

griff aus der Geometrie, stellt eine weitere dar. Eine Projektion ist ein ge­
nau definiertes Verfahren zur Erzeugung einer niedrigdimensionalen Re­
präsentation eines höherdimensionalen O bj ekts. Ein Schatten an der
Wand ist ein Beispiel für eine zweidimensionale Projektion eines dreidi­
mensionalen Obj ekts. Abbildung 9 zeigt, wie Informationen verloren ge­
hen, wenn wir (oder Kaninchen ) eine Proj ektion erzeugen. Die Punkte
des Schattenwurfs werden nur durch zwei Koordinaten definiert, von
links nach rechts und von oben nach unten an der Wand. Das proj izierte
O bj ekt j edoch hat eine dritte räumliche Dimension, die bei der Proj ek­
tion nicht erhalten bleibt.

A b bildung 9: Eine Projektion transportiert weniger Informationen als das


höherdimensionale Objekt.

Das einfachste Proj ektionsverfahren besteht darin, eine Dimension zu


ignorieren . Abbildung 1 0 zum Beispiel zeigt einen Würfel in drei Dimen­
sionen, der auf zwei Dimensionen proj iziert wird . Die Projektionen kön­
nen mancherlei Formen annehmen, von denen die einfachste ein Qua­
drat ist.
Um zu unseren früheren Beispielen der Graphen von Ike und Athena
zurückzukehren : Wir könnten von Ike ein zweidimensionales Dia­
gramm anfertigen, indem wir vernachlässigen, dass er schnelle Autos
fährt. Und wir wollen vielleicht auch gar nicht wissen, wie viele Eulen

41
VERBORGENE UNIVERSEN

A b bildung 1 0 : Projektionen eines Würfels. Man beachte, dass die Projek tion
ein Quadrat sein kann, wie man am Diagramm in der Mitte sieht, dass Pro­
jek tionen aber auch andere Gestalt annehmen können.

sich Athena hält, und machen daher statt eines fünfdimensionalen nur
ein vierdimensionales Diagramm. Athenass Eulen außer Acht zu lassen
ist eine Proj ektion.
Eine Proj ektion lässt Informationen über das ursprüngliche höherdi­
mensionale Obj ekt einfach weg ( siehe Abbildung 9). Wenn wir jedoch
mittels Proj ektion ein Bild mit weniger Dimensionen anfertigen, fügen
wir manchmal Informationen hinzu, die ein Teil des Verlorenen erhalten
sollen. Bei diesen zusätzlichen Informationen könnte es sich um eine
Schattierung oder Farbe handeln wie in der Malerei oder Fotografie. Es
könnten Zahlen sein wie die, die bei einer topographischen Karte die
Höhe anzeigen. Oder es gibt überhaupt keine zusätzlichen Hinweise,
und in diesem Fall bietet die zweidimensionale Darstellung einfach we­
niger Informationen.
Hätten wir nicht zwei Augen, die so zusammenarbeiten, dass wir drei
Dimensionen rekonstruieren können, würden wir alles nur als Proj ektio­
nen sehen. Die Tiefenwahrnehmung fällt schwerer, wenn Sie ein Auge
schließen. Ein Auge allein fertigt eine zweidimensionale Proj ektion einer
dreidimensionalen Realität an. Zur Reproduktion von drei Dimensionen
brauchen Sie zwei Augen.
Ich bin auf einem Auge kurz- und auf dem anderen weitsichtig, und
daher kann ich nicht die Bilder beider Augen korrekt kombinieren, wenn
ich keine Brille trage, was selten der Fall ist. O bwohl man mir sagte, dass
die Rekonstruktion von drei Dimensionen für mich schwierig sein
müsste, habe ich in der Regel damit keine Probleme : Für mich sehen die
D inge noch immer dreidimensional aus. Das liegt daran, dass ich mich
auf Schattierungen und Perspektive verlasse ( und meine Vertrautheit mit
der Welt), um dreidimensionale Wahrnehmungen zu rekonstruieren.

42
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

Eines schönen Tages in der Wüste aber wollten ein Freund und ich
einmal zu einer Klippe in der Ferne wandern. Mein Freund sagte mir
immer wieder, wir könnten direkt dorthin gehen, a ber ich konnte nicht
begreifen, warum er darauf bestand, dass wir geradewegs durch einen
Felsen laufen sollten. Es stellte sich heraus, dass der Felsen, der mir di­
rekt aus der Klippe zu ragen schien, sodass er unseren Weg völlig ver­
sperrt hätte, in Wirklichkeit viel näher an uns lag, weit vor der Klippe.
Der Felsen, der nach meinem Dafürhalten den eingeschlagenen Kurs
blockierte, hing in Wirklichkeit mit der Klippe überhaupt nicht zusam­
men. Zu dieser Fehleinschätzung kam es, weil wir uns gegen Mittag der
Klippe näherten und es keine Schatten gab, sodass ich keine Möglich­
keit hatte, die dritte Dimension zu rekonstruieren, was mir gesagt
hätte, wie die Klippen und Felsen in der Ferne zueinander positioniert
waren . So richtig war mir nicht bewusst gewesen, dass ich mit Hilfe
von Schatten und Perspektive kompensierte, bis diese Strategie einmal
versagte.
Beim Malen und Zeichnen sind Künstler schon immer gezwungen,
das, was sie sehen, auf proj izierte Bilder zu reduzieren. Die Kunst des
Mittelalters machte das auf einfachste Weise. Abbildung 1 1 zeigt ein
Mosaikbild einer Stadt als zweidimensionale Projektion. Das Mosaik

A b bildung 1 1 : Ein zweidimensionales mittelalterliches Mosaik.

43
VERBORGENE UNIVERSEN

Abbildung 12: Porträt der Dora Maar,


ein kubistisches Gemälde von Picasso.

A b bildung 13: Dalis Kreuzigung


(Corpus Hypercubus) .

44
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

sagt uns rein gar nichts über eine dritte Dimension ; nichts ist hinzuge­
fügt, was auf ihre Existenz hinwiese.
Seit dem Mittelalter haben Maler Projektionsverfahren entwickelt, die
den Verlust einer Dimension im Bild teilweise wettmachen. Eine Mög­
lichkeit, die mittelalterliche Verflachung des Raums zu umgehen, ist die
Methode der Kubisten im 20. Jahrhundert. Ein kubistisches Gemälde
wie beispielsweise Picassos Porträt der Dora Maar ( Abbildung 12) bietet
mehrere Projektionen zugleich, jede aus unterschiedlichem Winkel, und
vermittelt dadurch die Dreidimensionalität des Bildgegenstands.
Seit der Renaissance haben die meisten Maler des Abendlandes j edoch
mit Perspektive und Schattierung gearbeitet, um die Illusion einer dritten
Dimension zu erzeugen. Zu den entscheidenden Grundvoraussetzungen
der Malerei zählt die Fähigkeit, eine dreidimensionale Welt zu einer
zweidimensionalen Repräsentation zu reduzieren, die es dem Betrachter
erlaubt, den Prozess umzukehren und die ursprünglich dreidimensionale
Szenerie oder das entsprechende Obj ekt wiederherzustellen. Unsere Kul­
tur lehrt uns, wie wir diese Bilder entschlüsseln müssen, obwohl nicht
alle dreidimensionalen Informationen mitgeliefert werden.
Künstler haben sogar versucht, höherdimensionale Obj ekte auf zwei­
dimensionalen O berflächen zu repräsentieren. Beispielsweise zeigt Sal­
vador Dalis Kreuzigung (Corpus Hypercubus, siehe Abbildung 13) das
Kreuz als einen aufgeklappten Hyperkubus. Ein Hyperkubus besteht aus
acht Würfeln, die im vierdimensionalen Raum zusammenhängen : Das
sind die Würfel, die er gemalt hat. Ein paar weitere Proj ektionen eines
Hyperkubus zeigt Abbildung 14.
Ich habe bereits ein Beispiel aus der Physik erwähnt : Quasikristalle,
die wie eine Projektion eines höherdimensionalen Kristalls in unsere

A b bildung 14 : Projek tionen eines Hyperkubus.

45
VERBORGENE UNIVERSEN

dreidimensionale Welt wirken. Proj ektionen kann man nicht nur zu


künstlerischen, sondern auch zu praktischen Zwecken verwenden. In
der Medizin gibt es viele Beispiele, bei denen dreidimensionale Obj ekte
auf zwei Dimensionen proj iziert werden. Ein Röntgenbild ist stets eine
zweidimensionale Proj ektion. Bei der CAT ( Computertomographie)
werden zahlreiche Röntgenbilder miteinander kombiniert, um eine auf­
schlussreichere dreidimensionale Repräsentation zu konstruieren. Wenn
man aus hinreichend vielen Winkeln Röntgenaufnahmen macht, kann
man mittels Interpolation das umfassende dreidimensionale Bild wieder
zusammensetzen. Bei der Kernspin- oder Magnetresonanztomographie
( MRI) wird hingegen ein dreidimensionales O bj ekt aus Schei ben rekon­
struiert.
Eine Holographie ist eine weitere Möglichkeit, drei Dimensionen auf
einer zweidimensionalen O berfläche festzuhalten . O bwohl ein hologra­
phisches Bild auf einer niedrigerdimensionalen O berfläche erzeugt wird,
transportiert es tatsächlich alle Informationen des ursprünglichen höher­
dimensionalen Raums. Ein Beispiel für diese Technik haben Sie wahr­
scheinlich in Ihrer Brieftasche : Das dreidimensional wirkende Bild auf
Ihrer Scheck- oder Kreditkarte ist ein Hologramm.
Eine Holographie zeichnet die Beziehungen zwischen Licht an ver­
schiedenen Stellen auf, sodass das umfassende höherdimensionale Bild
wiederhergestellt werden kann. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie bei
einer guten Stereoanlage, bei der Sie hören, wo die Instrumente in Rela­
tion zueinander bei der Aufnahme gespielt wurden. Mit den in einem
Hologramm gespeicherten Informationen kann das Auge tatsächlich das
dargestellte dreidimensionale Obj ekt rekonstruieren.
Diese Verfahren sagen uns, wie wir aus einem niedrigerdimensionalen
Bild mehr Informationen herausholen können. Vielleicht sind aber we­
niger Informationen alles, was man wirklich braucht. Manchmal ist
einem die Dreidimensionalität einfach egal. Beispielsweise kann etwas in
der dritten Dimension so dünn sein, dass in dieser Richtung nichts Inte­
ressantes passiert : Obwohl die Druckerschwärze auf dem Papier eigent­
lich dreidimensional ist, geht uns nichts verloren, wenn wir sie uns zwei­
dimensional denken. Solange wir die Seite nicht unter einem Mikroskop
betrachten, ist unsere Auflösung einfach nicht hoch genug, um die Dicke
der Farbe zu sehen. Ein Draht wirkt eindimensional, auch wenn man bei
näherer Betrachtung erkennen kann, dass er einen zweidimensionalen
Querschnitt hat und damit alles in allem drei Dimensionen.

46
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

Effek tive Theorien

Es spricht nichts dagegen, eine zusätzliche Dimension zu ignorieren, die


zu klein ist, um wahrgenommen zu werden. Nicht nur die visuellen, son­
dern auch die physikalischen Auswirkungen von winzigen, unentdeck­
baren Prozessen können in der Regel ignoriert werden. Wenn Wissen­
schaftler Theorien aufstellen oder Berechnungen durchführen, mitrein
oder ignorieren sie oft ( manchmal unwissentlich ) physikalische Prozesse,
die sich in unmessbar kleinen Größenordnungen abspielen. Newtons Be­
wegungsgesetze sind für die Entfernungen und Geschwindigkeiten, die
er beobachten konnte, richtig. Er brauchte die Details der allgemeinen
Relativitätstheorie nicht zu kennen, um zutreffende Vorhersagen zu ma­
chen. Wenn Biologen eine Zelle studieren, müssen sie nichts von den
Quarks im Inneren des Protons wissen.
Relevante Informationen auszuwählen und Details zu unterdrücken
ist ein pragmatisches Verhalten, wie wir alle es Tag für Tag praktizieren.
Es ist eine Möglichkeit, mit zu viel Informationen fertig zu werden. Bei
fast allem, was man sieht, hört, schmeckt, riecht oder berührt, hat man
die Wahl, entweder die Details ganz aus der Nähe zu überprüfen oder
mit anderen Prioritäten das >> Gesamtbild << zu betrachten. Ob Sie ein Ge­
mälde bewundern, Wein probieren, Philosophiebücher lesen oder Ihre
nächste Reise planen, automatisch ordnen Sie das, was Ihnen durch den
Kopf geht, in die Kategorien ein, die Sie interessieren - die Abmessungen
oder die Aromen oder die Ideen -, und j ene Kategorien, die Sie momen­
tan nicht relevant finden. Wenn es angebracht ist, ignorieren Sie ein paar
Details, damit Sie sich auf die interessanten Dinge konzentrieren können
und nicht von unwesentlichen Details abgelenkt werden.
Dieses Verfahren, kleinmaßstä bliche Informationen außer Acht zu las­
sen, sollte vertraut vorkommen, weil es ein konzeptioneller Sprung ist,
den viele ständig machen. Nehmen wir zum Beispiel die New Yorker.
Diejenigen, die mitten in der Stadt leben, sehen die Details und die Va­
rianten innerhalb Manhattans. Für sie ist Downtown schräger, älter, hat
schmalere, verwinkeitere Straßen. In Uptown gibt es mehr Häuser, in de­
nen Menschen wirklich gut leben können, und auch den Central Park
und die meisten Museen . Aus der Ferne betrachtet verschwimmen solche
Unterschiede, aber innerhalb der City sind sie sehr real.
Aber jetzt stellen Sie sich vor, wie weit entfernte Menschen New
York sehen. Für sie ist es ein Punkt auf einer Landkarte. Vielleicht ein
wichtiger Punkt, ein Punkt mit eigenem Charakter, aber von außen be-

47
VERBORGENE UNIVERSEN

trachtet nichtsdestotrotz nur ein Punkt. Selbst mit all ihren Unterschie­
den fallen die New Yorker in eine einzige Kategorie, wenn man sie bei­
spielsweise aus dem mittleren Westen oder Kasachstan sieht. Als ich
diese Analogie gegenüber meinem Cousin erwähnte, der in Downtown
lebt (in West Village, genauer gesagt), bestätigte er mir mein Argument
dadurch, dass ihn die Vorstellung entsetzte, alle New Yorker, die von
Up- und die von Downtown, in einen Topf zu werfen. Trotzdem sind,
wie j eder nicht in New York Lebende bestätige n kann, diese Unter­
scheidungen zu geringfügig, um für Menschen wichtig zu sein, die nicht
dort wohnen.
In der Physik ist es eine weit verbreitete Praktik, dieses intuitive Ver­
halten zu formalisieren und je nach den relevanten Entfernungen oder
Energien Kategorien zu bilden. Physiker akzeptieren dieses Verfahren
und haben ihm einen Namen gegeben : effek tive Theorie. Die effektive
Theorie konzentriert sich auf die Teilchen und Kräfte, die über die in­
frage kommenden Entfernungen » Effekte << haben. Statt Teilchen und
Wechselwirkungen in Form von unmessbaren Parametern eines ultra­
hochenergetischen Verhaltens zu beschreiben, formulieren wir Beobach­
tungen anhand der Dinge, die für die Größenskalen, die wir vielleicht
entdecken, tatsächlich relevant sind. Eine effektive Theorie geht bei jeder
gegebenen Entfernungsskala nicht auf die Details einer tiefer reichenden
physikalischen Theorie mit kürzeren Distanzen ein ; sie fragt nur nach
Dingen, die zu messen oder zu sehen man hoffen kann. Wenn etwas jen­
seits der Auflösung der Größenskalen liegt, mit denen man arbeitet,
muss man seine Detailstruktur nicht kennen. Diese Praktik ist keine wis­
senschaftliche Mogelei, sondern eine Möglichkeit, sich des Durcheinan­
ders überflüssiger Informationen zu entledigen. Es ist eine >> effektive <<
Möglichkeit, effizient zu akkuraten Antworten zu kommen.
Jeder, auch ein Physiker, kehrt froh und glücklich in ein dreidimensio­
nales Universum zurück, wenn höherdimensionale Details j enseits unse­
rer Auflösung liegen. Genau wie Physiker oft einen Draht behandeln, als
wäre er eindimensional, werden wir ebenfalls ein höherdimensionales
Universum mit den Begrifflichkeiten eines nied rigerdimensionalen be­
schreiben, wenn die zusätzlichen Dimensionen minimal und die höher­
dimensionalen Details zu winzig sind, um etwas auszumachen. Eine sol­
che niedrigerdimensionale Beschreibung fasst die beobachtbaren Effekte
aller möglichen höherdimensionalen Theorien zusammen, in denen die
zusätzlichen Dimensionen zu winzig sind, um sie zu sehen. Für vielerlei
Zwecke ist eine solche niedrigerdimensionale Beschreibung ausreichend,

48
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN

und zwar unabhängig von der Anzahl, Größe und Gestalt der zusätzli­
chen Dimensionen.
Die niedrigerdimensionalen Größen liefern keine fundamentale Be­
schreibung, sie stellen aber eine bequeme Möglichkeit dar, Beobachtun­
gen und Vorhersagen zu organisieren. Wenn man die kleinräumigen De­
tails - oder die Mikrostruktur - einer Theorie kennt, kann man damit
die Größen herleiten, die in der niedrigenergetischen Beschrei bung auf­
tauchen. Anderenfalls sind diese Größen einfach Unbekannte, die expe­
rimentell bestimmt werden müssen.
Im folgenden Kapitel werden diese Ideen ausgearbeitet und die Kon­
sequenzen winziger, zusammengerollter zusätzlicher Dimensionen über­
legt. Zunächst werden wir Dimensionen in Betracht ziehen, die zu win­
zig sind, um überhaupt einen Unterschied zu machen. Wenn wir später
wieder zu zusätzlichen Dimensionen zurückkehren, werden wir sowohl
die großen als auch die unendlichen Dimensionen erkunden, die in
j üngster Zeit dieses Bild radikal revidiert haben.

49
2

Begrenzte Passagen:
Aufgerollte Zusatzdimensionen

No way out
None whatsoever.
Kein Weg hinaus,
Überhaupt keiner.
Jefferson Starship

A thena wurde plötzlich wach. Tags zuvor hatte sie gerade Alice im Wun­
derland und Flächenland gelesen, um sich wegen der Dimensionen inspi­
rieren zu lassen. Aber in der Nacht hatte sie einen ganz verrück ten Traum;
als sie wieder ganz bei Bewusstsein war, erkannte sie den Traum als die
Folge davon, dass sie diese beiden Bücher am selben Tag gelesen hatte. *
Athena hatte geträumt, sie hätte sich in Alice verwandelt, sei in einen
Kaninchenbau geschlüpft und hätte das dort wohnende Kaninchen ge­
troffen, und das hätte sie in eine ihr unbekannte Welt hinaus geschubst.
A thena hatte es für ziemlich unhöflich gehalten, einen Gast so zu behan­
deln. Trotzdem war sie gespannt gewesen, welche A benteuer ihr im Wun­
derland bevorstanden.
A ber auf Athena wartete eine Enttäuschung. Denn das Kaninchen, das
Wortspiele liebte, hatte sie stattdessen ins Wanndieland geschickt, eine
merk würdige, nicht so wundervolle, eindimensionale Welt. Athena
schaute sich um - richtigerweise müsste ich sagen : schaute nach links und
rechts - und stellte fest, dass sie nichts weiter sehen konnte als zwei
Punkte : einen links und den anderen rechts von ihr (der von hübscherer
Farbe war, wie sie fand) .

,.
Vielleicht ist diese Geschichte auch d i e Folge davon, dass ich meine schulische Lauf­
bahn an einer möglicherweise nicht ganz zu Recht nach Lewis Carroll benannten
Schule in Queens begann.

50
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN

In Wanndieland waren alt die eindimensionalen Leute mit ihren eindi­


mensionalen Besitzungen entlang dieser einzigen Dimension wie lange
dünne Perlen an einer Schnur aufgereiht. Doch selbst bei diesen begrenz­
ten A ussichten wusste Athena, dass es in Wanndieland mehr geben
musste, als sie sah, weil ein ungeheurer Lärm an ihre Ohren drang. Hin­
ter einem Punkt war eine Herzkönigin gut versteckt, aber Athena konnte
ihr schrilles Geschrei nicht überhören : » Das ist das lächerlichste Schach­
spiel, das ich je gesehen habe ! I eh kann nicht einen Stein bewegen, noch
nicht einmal rochieren ! « A thena war erleichtert, als ihr aufging, dass ihre
eindimensionale Existenz sie vor dem Zorn der Herzkönigin schützte.
A ber Athenas behagliches Universum hatte nicht lange Bestand. Sie
schlüpfte durch eine Lücke in Wanndieland und kehrte zum Kaninchen­
loch der Traumwelt zurück, in dem es einen Fahrstuhl gab, der sie in hy­
pothetische Universen anderer Dimensionen bringen konnte. Fast unmit­
telbar darauf verkündete das Kaninchen : » Nächster Halt: Tubdieland ­
eine zweidimensionale Welt. « Athena hielt » Tuhdieland« nicht für einen
sonderlich hübschen Namen, aber dennoch ging sie vorsichtig hinein.
A thena hätte nicht so zögerlich sein müssen. Fast alles sah in Tubdie­
land genauso aus wie in Wanndieland. Nur einen Unterschied bemerk te
sie : ein Fläschchen mit einem Zettel, auf dem » Trink mich « stand. Da die
Eindimensionalität sie langweilte, gehorchte A thena sofort. Rasch
schrumpfte sie zu winziger Größe, und während sie immer kleiner
wurde, kam eine zweite Dimension in ihr Blickfeld. Diese zweite Dimen­
sion war nicht sehr groß - sie war zu einem ziemlich kleinen Kreis aufge­
wickelt. Ihre Umgebung ähnelte jetzt der Oberfläche einer extrem langen
Röhre. In dieser kreisförmigen Dimension raste eine Dronte umher,
wollte aber damit aufhören. Also bot sie Athena, die ziemlich hungrig
wirkte, Kuchen an.
Als Athena ein Stück vom Traumkuchen der Dronte aß, begann sie zu
wachsen. Nach wenigen Bissen bloß (dessen war sie sich ziemlich sicher,
denn sie war noch immer recht hungrig) war der Kuchen so gut wie ver­
schwunden, nur ein ganz winziger Krümel war übrig. Zumindest glaubte
Athena, dass da ein Krümel war, aber sehen konnte sie ihn nur, wenn sie
ganz heftig blinzelte. Der Kuchen war nicht das Einzige, was ihrem Blick­
feld entschwunden war : Als Athena ihre normale Größe wiedererlangt
hatte, war die gesamte zweite Dimension verschwunden.
Sie dachte : » Tubdieland ist wirklich sehr merk würdig. Am besten ma­
che ich mich auf den Heimweg. « Ihre Rückreise verlief nicht ohne weitere
Abenteuer, aber die heben wir uns für ein andermal auf.

51
VERBORGENE UNIVERSEN

Selbst wenn wir nicht wissen, warum drei räumliche Dimensionen etwas
Besonderes sind, können wir fragen, wie das kommt. Wie ist es möglich,
dass das Universum scheinbar nur drei Raumdimensionen hat, wenn die
fundamentale, ihm zugrunde liegende Raumzeit mehr umfasst ? Wenn
Athena in einer zweidimensionalen Welt ist, warum sieht sie dann
manchmal nur eine ? Wenn die Stringtheorie eine korrekte Beschreibung
der Natur ist und es neun Raumdimensionen gibt (plus die der Zeit), was
ist dann aus den fehlenden sechs Raumdimensionen geworden ? Warum
sind sie nicht zu sehen ? Haben sie irgendeine erkennbare Auswirkung
auf die Welt, die wir wahrnehmen ?
Die letzten drei Fragen stehen im Mittelpunkt dieses Buches. Zunächst
aber geht es darum, zu bestimmen, ob es irgendeine Möglichkeit gibt,
wie die Anzeichen für zusätzliche Dimensionen verborgen sein können,
sodass Athenas zweidimensionale Welt eindimensional wirken oder ein
Universum mit zusätzlichen Dimensionen die dreidimensionale Raum­
struktur haben kann, die wir um uns herum beobachten. Wenn wir die
Vorstellung einer Welt mit Zusatzdimensionen akzeptieren sollen - aus
welcher Theorie sie auch immer herrühren mag -, dann muss es eine gute
Erklärung geben, warum wir bislang noch nicht das kleinste Anzeichen
für ihre Existenz entdeckt haben.
Dieses Kapitel handelt von extrem kleinen, kompaktifizierten oder zu­
sammengerollten Dimensionen. Sie erstrecken sich n icht bis ins Unend­
liche wie die drei vertrauten Dimensionen ; stattdessen umschlingen sie
sich bald selbst wie eine festgewickelte Garnspule. Entlang einer kom­
paktifizierten Dimension können zwei Obj ekte nie weit voneinander
entfernt sei n ; jeder Versuch eines Ausflugs über eine größere Entfernung
würde vielmehr immer im Kreis verlaufen wie die Runden der Dronte.
Solche kompaktifizierten Dimensionen könnten so klein sein, dass wir
noch nicht einmal ihre Existenz bemerken würden. In der Tat werden
wir bald sehen, dass es eine ziemliche Herausforderung ist, winzige zu­
sammengerollte Dimensionen, so es sie gibt, zu entdecken.

Zusammengerollte Dimensionen in der Physik

Die Stringtheorie, die vielversprechendste Kandidatin für eine Theori e,


die Quantenmechanik und Gravitation vereint, gibt uns einen handfes­
ten Grund, über zusätzliche Dimensionen nachzudenken : Die einzigen
kohärenten Versionen der Stringtheorie, die wir kennen, sind mit so!-

52
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN

chen überraschenden Anhängseln voll gepackt. Aber obwohl das Auf­


kommen der Stringtheorie in der Physik das Ansehen zusätzlicher Di­
mensionen sehr gefördert hat, ist die Idee, es könnte welche geben, viel
älteren Ursprungs.
Damals zu Beginn des 20. Jahrhunderts stieß Einsteins Relativitätstheo­
rie die Tür zur Möglichkeit zusätzlicher Raumdimensionen auf. Seine
Theorie beschreibt die Gravitation, sagt aber nichts darüber, warum wir
genau die Gravitation zu spüren bekommen, die wir wahrnehmen. Ein­
steins Theorie favorisiert keine bestimmte Anzahl von Raumdimensio­
nen. Sie funktioniert bei drei oder vier oder zehn davon gleichermaßen
gut. Warum scheint es also nur drei zu geben ?
Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie (veröffentlicht 1 9 1 5 ) dicht
auf den Fersen, erkannte der in Oppeln ( heute Opole ) geborene Mathe­
matiker Theodor Kaluza im Jahr 1 9 1 9, dass Einsteins Theorie diese
Möglichkeit eröffnete, und schlug mutig eine weitere Dimension vor :
eine vierte, unsichtbare Raumdimension. * Er meinte, die zusätzliche Di­
mension müsste sich irgendwie von den drei vertrauten unendlichen un­
terscheiden, konnte aber nicht sagen, wodurch. Kaluza verfolgte mit
dieser Extradimension das Ziel, die Kräfte der Gravitation und des
Elektromagnetismus zu vereinen. Die Details, warum dieser Versuch der
Vereinheitlichung scheiterte, sind hier unwichtig, aber die zusätzliche
Dimension, die er so dreist einführte, ist in der Tat von großer Bedeu­
tung.
Kaluza schrieb seinen Aufsatz 1 9 1 9. Einstein, der die Arbeit zwecks
Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift begutachtete,
schwankte, ob der Einfall etwas tauge. Er zögerte die Veröffentlichung
von Kaluzas Aufsatz um zwei Jahre hinaus, erkannte aber schließlich
dessen Originalität an. Doch Einstein wollte noch immer wissen, worum
es sich bei dieser D imension handeln sollte. Wo war sie und warum war
sie anders ? Wie groß war ihre Ausdehnung ?
Diese beiden Fragen liegen auf der Hand. Vielleicht zählen sie zu den
Fragen, die gerade auch Ihnen auf der Zunge liegen. Doch niemand rea­
gierte auf Einstein, bis 1 926 der schwedische Mathematiker Oskar Klein
diese Fragen anging. Klein schlug vor, dass die Zusatzdimension in Form
eines Kreises aufgespult und extrem klein sei, bloß 1 0 -B cm, ein Zehntel

In diesem und dem folgenden Kapitel werden wir genauer erklären, was räumliche
Dimensionen sind. Nach Einführung der Relativitätstheorie werden wir zur Raumzeit
ü bergehen und die Zeit als weitere Dimension betrachten.

53
VERBORGENE UNIVERSEN

eines Millionstel vom Billionstel eines Billionstels eines Zentimeters * .


Diese winzige aufgerollte Dimension wäre überall : Jeder Punkt i m Raum
hätte seinen eigenen minimalen Kreis von t 0 -33 cm Durchmesser.
Diese winzig kleine Zahl entspricht der Planck-Länge, einer Größe,
die später wichtig werden wird, wenn wir uns ausführlicher mit der Gra­
vitation befassen. Klein wählte die Planck-Länge, weil es die einzige
Länge ist, die auf natürliche Weise in einer Quantentheorie der Gravita­
tion vorkommen kann und die Gravitation mit der Gestalt des Raums
zusammenhängt. Im Moment müssen Sie nichts weiter wissen, als dass
die Planek-Länge unfassbar klein ist - weit kleiner als alles, das zu ent­
decken wir je die Gelegenheit haben werden. Sie ist um rund 24 Größen­
ordnungen ** kleiner als ein Atom und 1 9 Größenordnungen kleiner als
ein Proton . So winzige Dinge kann man leicht übersehen.
Im Alltagsleben gibt es viele Beispiele für Obj ekte, deren Ausdehnung
in einer der vertrauten Dimensionen zu klein ist, um bemerkt zu werden.
Die Farbe an der Wand oder eine Wäscheleine in der Ferne sind Beispiele
für Dinge, die weniger als drei Dimensionen zu haben scheinen. Wir
übersehen die Tiefe der Farbe und die Dicke der Wäscheleine. Auf den
flüchtigen Betrachter wirkt die Farbe, als hätte sie nur zwei Dimensio­
nen, und die Wäscheleine scheint nur eine zu haben, auch wenn wir wis­
sen, dass beide in Wirklichkeit drei haben. Die einzige Möglichkeit, die
dreidimensionale Struktur solcher Dinge zu erkennen, besteht darin, sie
aus der Nähe oder mit hinreichend feiner Auflösung zu betrachten.
Wenn wir einen Gartenschlauch auf einem Sportplatz auslegen und ihn
aus einem Hubschrauber am Himmel betrachten, wie in Abbildung 15
dargestellt, scheint der Schlauch eindimensional zu sein. Aber aus der
Nähe können Sie die zwei Dimensionen der Schlauchoberfläche und die
Dreidimensionalität des von ihm umschlossenen Volumens auflösen.

* Gelegentlich werde ich sehr große oder kleine Zahlen in wissenschaftlicher Schreib­
weise wiedergeben. Wenn eine Zehnerpotenz einen negativen Exponenten hat - bei­
spielsweise 1 0 - l l , handelt es sich um einen Dezimalbruch. 1 0 - 13 entspricht ausge­
-

schrieben 0,0 000 000 0000 000 000 0000 000 000 000001 . Das ist eine extrem winzige
Zahl, und es wäre zu mühselig, sie jedes Mal ganz auszuschreiben. Eine Zahl
mit einem positiven Exponenten wie etwa 10 33 ist eine 1 mit 3 3 Nullen daran -
,
1 000 000 0000 000 000 0000 000 000 0000000 - was eine enorm große Zahl ist, die je­
des Mal ganz auszuschrei ben ebenfalls schwierig wäre. Oft gebe ich, wenn ich sie zum
ersten Mal verwende, eine Zahl sowohl in wissenschaftlicher Notation als auch mit
Worten wieder.
* * Eine Größenordnung bedeutet einen Faktor von zehn. 24 Größenordnungen sind
also 1 000 000 0000 000 000 00000 000 oder 1 Billion Billionen.

54
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN

A bbildung 1 5 : Wenn man von weit oben einen Gartenschlauch auf einem
Sportplatz sieht, wirk t er eindimensional. Betrachtet man ihn aber aus der
Nähe, erkennt man, dass die Oberfläche zwei Dimensionen hat und das ein­
geschlossene Volumen drei.

Für Klein j edoch war die nicht wahrnehmbar kleine Sache nicht die
Dicke eines Obj ekts, sondern eine Dimension an und für sich. Was be­
deutet es für eine Dimension, klein zu sein ? Wie würde ein Universum
mit einer aufgespulten Dimension für j emanden aussehen, der darin
lebt ? Abermals hängt die Antwort auf diese Fragen einzig und allein von
der Größe der zusammengerollten Dimension ab. Betrachten wir ein Bei­
spiel, um zu erkennen, wie die Welt für bewusste Wesen aussehen würde,
die im Vergleich zu einer zusammengerollten Zusatzdimension klein
oder groß sind. Weil es unmöglich ist, vier oder mehr Raumdimensionen
zu zeichnen, zeigt das erste Bild, das ich von einem Universum mit einer
kleinen, kompaktifizierten Dimension präsentiere, nur zwei D imensio­
nen, von denen die eine ganz eng aufgewickelt ist (siehe Abbildung 1 6 ) .

A b bildung 1 6 : Wenn eine Dimension aufgerollt wird, sieht ein zweidimen­


sionales Universum eindimensional aus.

55
VERBORGENE UNIVERSEN

Stellen Sie sich wiederum einen Gartenschlauch vor, den man sich als
eine lange Gummibahn denken kann, die zu einem Rohr mit einem klei­
nen runden Querschnitt aufgerollt ist. Diesmal denken wir uns den
Schlauch als das gesamte Universum ( nicht als ein Obj ekt innerhalb des
Universums) . * Wäre das Universum wie dieser Gartenschlauch geformt,
hätten wir eine sehr lange Dimension und eine sehr kleine, aufgerollte,
und genau das wollen wir.
Für eine kleine Kreatur - sagen wir einen flachen Käfer -, die im Gar­
tenschlauch-Universum lebt, würde das Universum zweidimensional
aussehen. (In diesem Szenario muss unser Käfer auf der O berfläche des
Schlauchs bleiben - das zweidimensionale Universum schließt nicht das
Innere ein, das dreidimensional ist. ) Der Käfer könnte in zwei Richtun­
gen krabbeln : den Schlauch entlang oder um ihn herum. Wie die Dronte,
die im zweidimensionalen Universum ihre Runden drehte, könnte der
Käfer irgendwo entlang des Schlauchs starten und um ihn herumkrab­
beln und schließlich wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkommen.
Weil die zweite Dimension klein ist, müsste der Käfer nicht weit reisen,
bis er wieder zurück wäre.
Würde eine auf dem Schlauch lebende Käferpopulation Kräfte wahr­
nehmen wie beispielsweise die elektrische Kraft oder die Gravitation,
würden diese Kräfte Käfer in jeder Richtung der Schlauchoberfläche an­
ziehen oder abstoßen können. Käfer könnten entweder in Längsrichtung
des Schlauchs oder in Richtung seines Umfangs voneinander getrennt
werden und würden j ede auf dem Schlauch präsente Kraft wahrnehmen.
Wenn die Auflösung ausreicht, um so kleine Entfernungen wie den
Durchmesser des Schlauchs zu unterscheiden, würden Kräfte und Ob­
jekte beide Dimensionen erkennen lassen, die sie tatsächlich haben.
Würde unser Käfer aber seine Umgebung beobachten, würde er be­
merken, dass die beiden Dimensionen sich stark unterscheiden. Die eine
in Längsrichtung des Schlauchs wäre sehr groß. Sie könnte sogar unend­
lich sein. Die andere Dimension hingegen wäre sehr klein. In Richtung
des Schlauchumfangs könnten sich zwei Käfer nie sehr weit voneinander
entfernen. Und ein Käfer, der versuchte, in dieser Richtung eine lange

,.
Der Gartenschlauch ist schon lange eine beliebte Analogie, um zusammengerollte
Dimensionen zu illustrieren. Ich lernte das Beispiel in einem Mathematik-Camp ken­
nen, und erst kürzlich wurde es wieder in Brian Greens Elegant Universe ( Norton,
1999 ; Vintage, 2000 ) verwendet. Ich bediene mich derselben Analogie, da sie einfach
gut ist und ich sie im folgenden Teil ( und in späteren Kapiteln) ausweiten will, wenn
ich auch noch Sprinkler hinzufüge, um extradimensionale Gravitation zu erklären.

56
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN

Reise zu unternehmen, wäre bald wieder an seinem Ausgangspunkt an­


gekommen. Ein aufmerksamer Käfer, der sich gern die Beine vertreten
möchte, würde wissen, dass dieses Universum zweidimensional wäre
und sich die eine Dimension weit in die Ferne erstreckt, während die an­
dere sehr klein und zu einem Kreis zusammengerollt wäre.
Aber die Perspektive des Käfers ist überhaupt nicht mit der vergleich­
bar, die Wesen wie wir in Kleins Universum hätten, in dem die zusätzliche
Dimension zu extrem kleiner Größe, 1 0 -33 cm, aufgerollt ist. Im Gegen­
satz zum Käfer sind wir nicht klein genug, um eine so winzige Dimension
zu entdecken, geschweige denn, sie zu bereisen.
Um unsere Analogie zu vervollständigen, nehmen wir nun an, dass et­
was viel Größeres als ein Käfer im Gartenschlauch-Universum lebt und
über eine viel gröbere Auflösung verfügt und daher nicht in der Lage ist,
kleine Obj ekte oder Strukturen zu entdecken. Da die Brille, durch die
dieses große Wesen die Welt sieht, alle Details verschwimmen lässt, die
so klein sind wie der Durchmesser des Schlauchs, wäre vom Standpunkt
dieses größeren Wesens aus die zusätzliche Dimension unsichtbar. Es
würde nur eine Dimension erkennen. Dass das Gartenschlauch-Univer­
sum mehr als nur eine Dimension hat, würde nur j emand erkennen, des­
sen Blick ausreichend scharf wäre, um etwas so Kleines wie die Breite des
Schlauchs zu registrieren . Wenn er zu verschwommen sieht, um diese
Breite zu registrieren, würde er nichts weiter als eine Linie bemerken.
Darüber hinaus würden auch keine physikalischen Effekte die Exis­
tenz der Zusatzdimension verraten. Im Gartenschlauch-Universum wür­
den große Wesen die gesamte zweite, kleine Dimension ausfüllen und
niemals wissen, dass es diese Dimension überhaupt gibt. Ohne die Fähig­
keit, Strukturen oder Variationen entlang der Zusatzdimension wie etwa
Wacke!- oder Wellenbewegungen von Materie oder Energie zu erkennen,
würden sie deren Existenz niemals wahrnehmen. Sämtliche Variationen
entlang der zweiten Dimension würden vollständig verblassen, ganz
ähnlich wie Variationen in der Dicke eines Blattes Papier in den Größen­
verhältnissen seiner Atomstruktur Ihnen niemals auffallen würden.
Die zweidimensionale Welt, in der die trä umende Athena sich wieder­
fand, war dem Gartenschlauch-Universum sehr ähnlich. Da Athena die
Möglichkeit hatte, gegenüber der Breite von Tuhdieland einmal groß
und einmal klein zu sein, konnte sie dieses Universum sowohl aus der
Sicht von etwas Größerem als auch von etwas Kleinerem als seine zweite
D imension betrachten. Für die große Athena sahen Tuhdieland und
Wanndieland in j eder Hinsicht gleich aus. Nur die kleine Athena konnte

57
VERBORGENE UNIVERSEN

einen Unterschied ausmachen. Ähnlich würde im Gartenschlauch-Uni­


versum ein Wesen nichts von einer zusätzlichen Raumdimension wissen,
wenn diese zu klein wäre, um erkannt werden zu können.
Kehren wir nun zum Kaluza-Klein-Universum zurück, das die uns be­
kannten drei Raumdimensionen aufweist, aber um eine zusätzliche, un­
sichtbare erweitert ist. Abermals können wir anhand Abbildung 1 6 diese
Situation durchdenken. Im Idealfall würde ich vier Raumdimensionen
zeichnen, aber unglücklicherweise ist es nicht möglich (selbst ein Pop­
up-Buch würde dafür nicht reiche n ) . Da j edoch die drei unendlichen Di­
mensionen, die unseren Raum konstituieren, qualitativ dieselben sind,
muss ich eigentlich nur eine repräsentative Dimension zeichnen . Das gibt
mir die Freiheit, die andere Dimension dazu zu verwenden, die unsicht­
bare Zusatzdimension darzustellen. Die andere hier gezeigte Dimension
ist diej enige, die zusammengerollt ist - und die sich fundamental von den
anderen dreien unterscheidet.
Genau wie bei unserem zweidimensionalen Gartenschlauch-Univer­
sum würde ein vierdimensionales Kaluza-Klein-Universum mit einer
weiteren, winzigen zusammengerollten Dimension uns so erscheinen, als
hätte es eine Dimension weniger als die vier, die es tatsächlich aufweist.
Weil wir nichts von der zusätzlichen Raumdimension wissen würden, so­
lange wir nicht Anzeichen für Strukturen in ihren winzigen Größenver­
hältnissen entdecken könnten, würde das Kaluza-Klein-Universum für
uns dreidimensional aussehen. Zusammengerollte oder kompaktifizierte
Zusatzdimensionen werden niemals entdeckt werden, wenn sie hinrei­
chend winzig sind. Später werden wir nachfragen, wie winzig sie sein
müssten, aber lassen Sie sich für den Moment versichern, dass die
Planek-Länge weit unterhalb des Schwellenwerts der Entdeckbarkeit
liegt.
Im Leben wie in der Physik registrieren wir nur solche Details, die für
uns wirklich von Belang sind. Wenn man detaillierte Strukturen nicht be­
obachten kann, kann man genauso gut so tun, als gä be es sie gar nicht. In
der Physik ist diese Missachtung lokaler Details in der Idee von der ef­
fektiven Theorie im vorigen Kapitel verkörpert. Bei einer effektiven
Theorie kommt es nur auf die Dinge an, die man tatsächlich wahrneh­
men kann. Im oben geschilderten Beispiel würden wir uns einer dreidi­
mensionalen effektiven Theorie bedienen, bei der die Informationen
über zusätzliche Dimensionen unterdrückt sind.
Auch wenn die zusammengerollte D imension des Kaluza-Klein-Uni­
versums nicht weit weg ist, ist sie so klein, dass alle Variationen inner-

58
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN

halb ihrer nicht wahrnehmbar sind. Genau wie die Unterschiede zwi­
schen New Yorkern für Menschen außerhalb der Stadt eigentlich ohne
Belang sind, sind die Strukturen in den zusätzlichen Dimensionen des
Universums irrelevant, wenn ihre Details in so minimalem Maßstab va­
riieren. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es grundsätzlich viel
mehr Dimensionen gibt, als wir im täglichen Leben wahrnehmen, würde
alles, was wir sehen können, noch immer in Form nur der Dimensionen
beschrieben, die wir beobachten. Extrem kleine zusätzliche Dimensio­
nen ändern nichts an der Art und Weise, wie wir die Welt sehen, und
noch nicht einmal an der Art und Weise, wie wir die meisten physikali­
schen Berechnungen anstellen. Selbst wenn es zusätzliche Dimensionen
gibt, können wir, wenn wir sie nicht sehen oder anderweitig wahrneh­
men können, sie ignorieren und noch immer korrekt beschreiben, was
wir beobachten. Später werden wir Abwandl ungen dieses simplen Bilds
kennen lernen, auf die dies nicht immer zutreffen würde, aber sie werden
von zusätzlichen Annahmen ausgehen.
Noch etwas ist an einer zusammengerollten Dimension wichtig, und
dies wird aus Abbildung 17 ersichtlich, die den Schlauch zeigt oder das
Universum mit einer zu einem Kreis aufgerollten Dimension. Nehmen
Sie irgendeinen Punkt entlang der unendlichen Dimension, und Sie stel­
len fest, dass an j edem einzelnen Punkt der gesamte kompakte Raum,
nämlich der Kreis, zu finden ist. Der Schlauch besteht aus all diesen zu­
sammengeklebten Kreisen - wie die Schei ben, von denen ich im ersten
Kapitel sprach.
Abbildung 1 8 bringt ein anderes Beispiel : Hier gibt es statt einer zwei
unendliche Dimensionen plus eine zusätzliche, zu einem Kreis aufge-

A b bildung 1 7 : Wenn in einem zweidimensionalen Universum eine Dimen­


sion aufgerollt ist, gibt es an jedem Punkt entlang der unendlichen Raumdi­
mension einen Kreis.

59
VERBORGENE UNIVERSEN

Abbildung 1 8 : Wenn eine von drei Dimensionen aufgerollt ist, gibt es in


einem dreidimensionalen Universum an jedem Punkt der Ebene einen Kreis.

rollte Dimension. In diesem Fall gibt es an j edem einzelnen Punkt des


zweidimensionalen Raums einen Kreis. Und gäbe es drei unendliche Di­
mensionen, würden die zusammengerollten Dimensionen an jedem
Punkt im dreidimensionalen Raum existieren. Sie können die Punkte in
einem extradimensionalen Raum mit den Zellen in Ihrem Körper ver­
gleichen, von denen j ede einzelne Ihre gesamte DNS-Sequenz enthält.
Ähnlich könnte jeder Punkt in unserem dreidimensionalen Raum einen
vollständigen kompaktifizi erten Kreis beherbergen.
Bislang haben wir nur eine einzige zusätzliche, zu einem Kreis aufge­
rollte Dimension in Betracht gezogen. Aber alles, was wir sagten, würde
auch zutreffen, wenn diese zusammengerollte Dimension eine andere
Form hätte - was für eine, wäre ganz egal. Und es würde auch zutreffen,
wenn es zwei oder mehr winzige, zusammengerollte Dimensionen belie­
biger Form gäbe. Sämtliche Dimensionen, d ie genügend klein sind, wä­
ren für uns vollständig unsichtbar.
Lassen Sie uns ein Beispiel mit zwei zusammengerollten Dimensionen
betrachten. Diese könnten viele mögliche Formen annehmen . Wir wäh­
len einen Torus - er hat die Form eines Donurs oder eines altmodischen
Schwimmreifens -, bei dem die zwei zusätzlichen Dimensionen simultan
zu einem Kreis aufgerollt sind. Abbildung 19 illustriert dies. Wenn beide
Kreise - der des Lochs in der Mitte und der des Ringumfangs - genügend
klein sind, wären die zusätzlichen zwei zusammengerollten Dimensionen
niemals zu entdecken.
Aber das ist nur ein Beispiel. Bei mehr Dimensionen kann man sich
eine gigantische Zahl von kompak ten Räumen vorstellen - Räumen mit

60
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN

A b bildung 1 9 : Wenn zwei von vier Dimensionen wie ein Schwimmreifen auf­
gewickelt sind, gibt es an jedem Punkt im Raum ein solches Gebilde.

aufgerollten Dimensionen, die sich genau durch die Art und Weise un­
terscheiden, in der diese Dimensionen aufgewickelt sind. Eine Kategorie
von kompakten Räumen, die für die Stringtheorie wichtig ist, sind die
Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten ; benannt wurden sie nach dem italieni­
schen Mathematiker Eugenio Calabi, der erstmals diese bestimmte Form
vorgeschlagen hat, sowie dem chinesischstämmigen Harvard-Mathema­
tiker Shing-Tung Yau, der gezeigt hat, dass sie mathematisch möglich
sind. In diesen geometrischen Formen sind zusätzliche Dimensionen auf
ganz besondere Weise aufgerollt und umeinandergewickelt. Wie bei al­
len Kompaktifizierungen sind die Dimensionen in winzig kleiner Form
zusammengepackt, aber so miteinander verwoben, dass es viel kompli­
zierter und schwieriger wäre, sie zu zeichnen.4
Welche Gestalt die zusammengerollten Zusatzdimensionen auch an­
nehmen und wie viele es von ihnen auch geben mag, an jedem Punkt ent­
lang der unendlichen Dimensionen gäbe es einen kleinen kompakten
Raum, der alle eng gewickelten Dimensionen aufnähme. Wenn also bei­
spielsweise die Stringtheoretiker Recht haben, müsste es überall im sicht­
baren Raum - an Ihrer Nasenspitze, am Nordpol der Venus, an der Stelle
über dem Tennisplatz, wo Ihr Schläger beim letzten Service den Ball traf
- eine sechsdimensionale Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit von unsichtbar
winziger Grö/Se geben. Die höherdimensionale Geometrie wäre an j edem
Punkt im Raum präsent.
Stringtheoretiker vermuten oft - wie Klein es tat -, dass aufgerollte Di­
mensionen so klein wie die Pl_anck-Länge sind, w -n cm. Kompakte Di­
mensionen von der Größe der Planek-Länge wären außerordentlich gut

61
VERBORGENE UNIVERSEN

versteckt. Wir haben so gut wie keine Möglichkeit, etwas so Kleines


ausfindig zu machen. Folglich würden Zusatzdimensionen von Planek­
Länge höchstwahrscheinlich keine sichtbare Spur ihrer Existenz hinter­
lassen. Auch wenn wir in einem Universum mit Planek-langen Extra­
dimensionen leben, würden wir doch immer nur die drei vertrauten
Dimensionen registrieren. Das Universum könnte viele so winzige Di­
mensionen haben, aber wir würden niemals über die nötige Auflösung
verfügen, dies herauszufinden.

Newtons Gravitationsgesetz mit Zusatzdimensionen

Es ist schön, eine anschauliche, deskriptive Erklärung zu haben, warum


Zusatzdimensionen verborgen sind, wenn sie auf sehr winzige Größe
kompaktifiziert oder zusammengerollt sind. Aber es ist keine schlechte
Idee, darauf zu achten, dass die Gesetze der Physik mit dieser Eingebung
übereinstimmen.
Schauen wir uns Newtons Gravitationsgesetz an, die altbewährte
Form des Schwerkraftgesetzes, die Newton im 1 7. Jahrhundert fand. Die­
ses Gesetz sagt uns, dass die Anziehungskraft von der Entfernung zwi­
schen zwei massiven Obj ekten abhängt . * Es zählt zu den inversen Qua­
dratgesetzen, was heißt, dass die Stärke der Gravitation proportional zur
Entfernung im Quadrat abnimmt. Wenn man beispielsweise den Ab­
stand zwischen zwei Objekten verdoppelt, vermindert sich die Anzie­
hungskraft zwischen ihnen um den Faktor vier. Wird der Abstand auf das
Dreifache des ursprünglichen Werts erhöht, vermindert das die Gravita­
tion um den Faktor neun. Dieses umgekehrt quadratische Gravitations­
gesetz zählt zu den ältesten und wichtigsten der Physik. Unter anderem
ist es der Grund dafür, dass die Planeten ihre Umlaufbahnen einhalten.
Jede ernst zu nehmende physikalische Theorie der Gravitation muss zu
diesem inversen Quadratgesetz kommen, oder sie ist zum Scheitern ver­
urteilt.
Die in Newtons Gesetz festgeschriebene Art und Weise, wie die Gra­
vitation von der Entfernung abhängt, ist aufs Engste mit der Zahl der
Raumdimensionen verknüpft. Denn von der Anzahl der Dimensionen

* In diesem Buch meint » massives« Objekt ein Objekt mit einer Masse. Davon zu un­
terscheiden ist ein » masseloses« Objekt, dessen Ma sse null beträgt ( und das sich mit
Lichtgeschwindigkeit bewegt) .

62
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN

hängt es ab, wie schnell sich die Gravitation bei der Ausbreitung im
Raum verflüchtigt.
Lassen Sie uns über diesen Zusammenhang nachdenken, der später
sehr wichtig werden wird, wenn wir zu den zusätzlichen Dimensionen
kommen. Dazu stellen wir uns Gießwasser vor, das entweder direkt mit
einem Schlauch oder mittels eines Sprinklers verteilt wird . Nehmen wir
an, dass sowohl der Schlauch als auch der Sprinkler denselben Wasser­
durchfluss haben und dass beide eine bestimmte Blume im Garten be­
wässern ( siehe Abbildung 2 0 ) . Fließt das Wasser durch den Schlauch, der
auf die Blume gerichtet ist, bekommt diese alles Wasser ab. Die Entfer­
nung zwischen dem Wasseranschluss bis zur auf die Pflanze gerichteten
Düse spielt keine Rolle, denn alles Wasser gelangt schließlich an die
Pflanze, wie lang der Schlauch auch sein mag.
Stellen wir uns nun stattdessen vor, dass dieselbe Wassermenge mit
einem Sprinkler verteilt wird, der viele Blumen zugleich bewässert. Das
heißt, der Sprinkler verteilt das Wasser in einem Kreis, sodass es alle
Pflanzen in einer bestimmten Entfernung erreicht. Weil das Wasser j etzt
unter allen Obj ekten in diesem Abstand verteilt wird, bekommt die ur­
sprüngliche Blume nicht länger alles Wasser ab. Darüber hinaus wird
der Sprinkler, je weiter die Blume von der Wasserquelle entfernt wächst,
umso mehr anderes Grünzeug bewässern, und das Wasser wird über
eine umso größere Fläche verteilt ( siehe Abbildung 21 ). Das kommt da­
her, dass in einen Kreis von beispielsweise drei Metern Umfang mehr
Pflanzen passen als in einen von einem Meter Umfang. Weil das Wasser
breiter verteilt wird, bekommt eine Blume in größeren Abstand weniger
Wasser.
Ähnlich wirkt sich alles, was gleichförmig in mehr als einer Richtung
verteilt wird, in geringerem Maß auf irgendetwas aus, das weiter weg ist
- sei es nun eine Blume oder - wie wir bald sehen werden - ein Obj ekt,
das der Schwerkraft unterliegt. Wie Wasser wird die Schwerkraft feiner
verteilt, je größer die Entfernung ist.
An diesem Beispiel können wir auch sehen, warum die Verteilung so
sehr von der Anzahl der Dimensionen abhängt, in die sich das Wasser
( oder die Gravitation) ergießt. Das Wasser aus dem zweidimensionalen
Sprinkler wird mit der Entfernung feiner verteilt, im Gegensatz zum
Wasser aus dem eindimensionalen Schlauch, das überhaupt nicht verteilt
wird. Jetzt denken Sie sich einen Sprinkler, der das Wasser über die
O berfläche einer Kugel und nicht bloß in einem Kreis verteilt. (So ein
Sprinkler würde ungefähr wie die Pusteblume des Löwenzahns ausse-

63
VERBORGENE UNIVERSEN

A b bildung 2 0 : Von einem Sprinkler, der das Wasser im Kreis verteilt, be­
kommt ein und dieselbe Blume weniger Wasser geliefert als direkt aus einem
Schlauch.

hen . ) Dabei wird das Wasser sehr viel schneller mit der Entfernung im­
mer feiner verteilt.
Wenden wir diesen Gedankengang jetzt auf die Gravitation an und lei­
ten wir daraus ab, wie die Schwerkraft in drei Dimensionen von der Ent­
fernung abhängt. Newtons Gravitationsgesetz beruht auf zwei Tatsa-

Sprinkler 2

A b bildung 2 1 : Wenn ein Sprinkler einen Kr· ·is von einem größeren Radius
bewässert, wird das Wasser feiner verteilt, und die Blume bekommt weniger
Wasser ab.

64
BEGRENZTE PASSAGEN: AUF GEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN

chen : dass die Schwerkraft gleichmäßig in alle Richtungen wirkt und


dass es drei Raumdimensionen gibt. Stellen wir uns nun einen Planeten
vor, der alle Massen in seiner Nähe anzieht. Da die Schwerkraft in alle
Richtungen dieselbe ist, hängt die Anziehung, die der Planet auf ein an­
deres massives Obj ekt ausübt - einen Mond etwa -, nicht von der Rich­
tung ab, sondern von der Entfernung zwischen den beiden.
Um die Stärke der Gravitation bildlich darzustellen, zeigt Abbildung
22 links radiale Linien, die von der Mitte des Planeten nach außen ver­
laufen, was der Verteilung von Wasser aus einem Sprinkler ähnelt. Die
Dichte der Linien zeigt die Stärke der Schwerkraft an, mit der der Planet
alles in seiner Nähe anzieht. Je mehr Kraftlinien durch ein Obj ekt hin­
durchgehen, desto größere Anziehungskraft wird auf es ausgeübt, und
weniger Kraftlinien bedeuten eine kleinere Anziehungskraft.

A b bildung 2 2 : Von einem massiven Objek t - beispielsweise einem Planeten ­


ausgehende Schwerk raftlinien. Dieselbe A nzahl von Linien schneidet eine
Sphäre von beliebigem Radius; folglich sind die Kraftlinien umso verteilter
und die A nziehungsk raft umso schwächer, je weiter etwas vom massiven Ob­
jek t im Zentrum entfernt ist.

Beachten Sie, dass immer dieselbe Anzahl von Kraftlinien durch eine
sphärische Hülle hindurchgeht, die man in beliebiger Entfernung zeich­
net, egal ob in kleinem oder großem Abstand ( Abbildung 22 Mitte und
rechts ) . Die Zahl der Kraftlinien ändert sich nie. Aber weil die Kraft­
linien zwischen all den Punkten auf der O berfläche der Sphäre feiner ver­
teilt sind, ist die über eine größere Entfernung ausgeübte Kraft notwen­
digerweise schwächer. Den präzisen Abschwächungstaktor bestimmt
man mittels einer quantitativen Messung, wie weit verteilt die Kraft­
linien bei irgendeiner gegebenen Entfernung sind.
Eine feste Anzahl von Kraftlinien passiert die Oberfläche einer Sphä re,
wie weit entfernt sie von der Masse auch sein mag. Die Oberfläche dieser
Sphäre ist dem Radius im Quadrat proportional : Die O berfläche ist
gleich einer Zahl, die mit dem Quadrat des Radius multipliziert wird.

65
VERBORGENE UNIVERSEN

Weil die feste Anzahl der Schwerkraftlinien über die Oberfläche der
Sphäre verteilt ist, muss die Gravitation mit dem Quadrat des Radius ab­
nehmen. Diese Ausdünnung des Gravitationsfeldes ist der Ursprung des
umgekehrt quadratischen Gravitationsgesetzes .

Newtons Gesetz bei kompakten Dimensionen

Wir wissen j etzt also, dass in drei Dimensionen die Schwerkraft einem
inversen Quadratgesetz gehorcht. Beachten Sie, dass das Argument of­
fensichtlich entscheidend von der Tatsache abhängt, dass es drei Raum­
dimensionen gibt. Gäbe es nur zwei Dimensionen, müsste sich die Gra­
vitation nur über einen Kreis verteilen, und die Schwerkraft würde mit
der Entfernung langsamer abnehmen. Gäbe es mehr als drei Dimensio­
nen, würde die Oberfläche einer Hypersphäre viel schneller mit der Ent­
fernung zwischen einem Planeten und seinem Mond zunehmen, und die
Anziehungskraft würde sehr viel schneller abnehmen. Es sieht so aus,
dass einzig und allein aus drei Raumdimensionen sich die umgekehrt
quadratische Abhängigkeit von der Entfernung ergi bt. Aber wenn das
der Fall ist, wie können dann Theorien mit zusätzlichen Dimensionen
N ewtons umgekehrt quadratisches Gravitationsgesetz liefern ?
Es ist sehr interessant, wie kompaktifizierte Dimensionen diesen po­
tenziellen Konflikt lösen. Vereinfacht ausgedrückt, können sich die
Kraftlinien nicht beliebig weit in die kompakten Dimensionen erstre­
cken, weil diese von endlicher Größe sind. Zwar verteilen sich die Kraft­
linien anfänglich in alle Dimensionen, aber wenn sie sich über die Größe
der zusätzlichen Dimensionen hinaus verteilt haben, bleibt ihnen nichts
anderes übrig, als sich einzig und allein in Richtung der unendlichen Di­
mensionen weiter auszubreiten.
Dieses können wir wiederum am Beispiel des Gartenschlauchs illu­
strieren. Stellen Sie sich vor, dass das Wasser durch ein nadelfeines Loch
am verschlossenen Ende des Schlauchs hineingelangt ( siehe Abbildung
2 3 ) . Das durch die kleine Öffnung eingeleitete Wasser wird nicht sofort
den Schlauch entlang fließen, sondern sich zunächst über den Quer­
schnitt des Schlauchs verteilen. Nichtsdestotrotz sollte klar sein, dass es
für Sie, die Sie am anderen Ende des Schlauchs Ihre Blume wässern,
überhaupt keinen Unterschied machen würde, wie das Wasser hineinge­
langt ist. Zunächst würde sich das Wasser in mehr als einer Richtung
ausbreiten, doch bald würde es die innere O berfläche des Schlauchs er-

66
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN

reichen und wieder so fließen, als gäbe es nur eine Richtung. Im Grunde
passiert dasselbe mit Gravitationsfeldlinien in kleinen, kompaktifizier­
ten Dimensionen.

A b bildung 23 : Wenn das Wasser durch ein feines Loch am Schlauchende ein­
dringt, breitet es sich zunächst in drei Dimensionen aus, ehe es dann entlang
der einen langen Dimension des Schlauchs weiterf/ießt.

Wie im Beispiel davor können wir uns eine feste Anzahl von Kraftlinien
vorstellen, die von einer massiven Sphäre ausgehen. Bei irgendeiner Ent­
fernung, die kleiner ist als die Größe der zusätzlichen Dimensionen, wer­
den sich diese Kraftlinien gleichmäßig in alle Richtungen verteilen.
Könnte man in j enem kleinen Maßstab die Gravitation messen, würde

A b bildung 24 : Von einem massiven Objekt ausgehende Schwerk raftlinien bei


einer aufgerollten Dimension. Über kurze Entfernungen breiten sich die
Schwerk raftlinien radial aus, über große aber nur entlang der unendlichen
Dimension.

man die Folgen einer höherdimensionalen Gravitation erfassen. Die


Kraftlinien würden sich so ausbreiten wie das Wasser, das durch das Na­
delloch in den Schlauch gelangt und sich in seinem Inneren ausbreitet.
Bei Entfernungen, die größer sind als die Abmessungen der zusätz­
lichen Dimensionen, können sich die Kraftlinien jedoch nur in die un­
endlichen Richtungen aus breiten ( siehe Abbildung 24 ) . In den kleinen,

67
VERBORGENE UNIVERSEN

kompakten Dimensionen stoßen die Kraftlinien ans Ende des Raums


und können sich nicht weiter ausbreiten. Sie müssen sich krümmen, und
für sie besteht der einzige Weg hinaus in Richtung der großen Dimensio­
nen. Bei Entfernungen, die größer sind als die Abmessungen der Zusatz­
dimensionen, ist es daher genauso, als würden die Extradimensionen gar
nicht existieren, und die Schwerkraft gehorcht wieder Newtons inver­
sem Quadratgesetz, wie wir es beobachten. Das bedeutet, dass man
selbst unter quantitativen Gesichtspunkten nicht wissen kann, ob es zu­
sätzliche Dimensionen gibt, wenn man die Schwerkraft nur zwischen
O bj ekten misst, die weiter voneinander entfernt als die aufgerollten Di­
mensionen groß sind. Wegen der Entfernungsabhängigkeit kann man
auf zusätzliche Dimensionen nur in der winzigen Region im lnnern des
kompakten Raums schließen.

Andere Möglichkeiten, Dimensionen zu begrenzen?

Wir haben also festgestellt, dass hinreichend kleine Zusatzdimensionen


unsichtbar sind und keine erkennbaren Folgen in den von uns beobach­
teten Längenskalen haben. Lange Zeit hatten Stringtheoretiker ange­
nommen, dass Extradimensionen die Größe der Planek-Länge hätten,
aber in jüngster Zeit haben ein paar von uns dies infrage gestellt.
Niemand begreift die Stringtheorie gut genug, um definitiv sagen zu
können, als wie groß sich zusätzliche Dimensionen letzten Endes erweisen
werden. Größenvergleiche mit der Planek-Länge sind möglich, aber auch
Dimensionen von anderer Größe können zu klein sein, um entdeckt zu
werden. Die Planek-Länge ist so winzig, dass selbst erheblich größere zu­
sammengerollte Dimensionen sich leicht der Entdeckung entziehen könn­
ten . Eine wichtige Frage für die Erforschung von Zusatzdimensionen ist
daher, wie groß eigentlich diese Dimensionen sein könnten, wenn man die
Tatsache berücksichtigt, dass wir sie bislang noch nicht gesehen haben.
Zu den Fragen, die wir in diesem Buch angehen, zählt auch, wie groß
Zusatzdimensionen sein können, ob diese Dimensionen irgendeine er­
kennbare Auswirkung auf Elementarteilchen haben und wie man sie mit
Experimenten überprüfen könnte. Wir werden sehen, dass die Existenz
von zusätzlichen Dimensionen in erheblichem Ausmaß die Regeln än­
dern kann, nach denen wir Teilchenphysik betreiben, und dass darüber
hinaus einige dieser Veränderungen experimentell beobachtbare Konse­
quenzen haben werden.

68
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE Z USATZDIMENSIONEN

Eine noch radikalere Frage wird lauten, ob zusätzliche Dimensionen


überhaupt klein sein müssen. Winzige Dimensionen sehen wir nicht,
aber müssen Dimensionen klein sein, um unsichtbar zu bleiben ? Könnte
eine Extradimension sich möglicherweise in alle Ewigkeit erstrecken,
ohne dass wir sie bemerken ? Wenn ja, müssten sich zusätzliche Dimen­
sionen erheblich von denen unterscheiden, die wir bislang betrachtet ha­
ben ? Was das angeht, habe ich bislang nur die einfachste Möglichkeit
präsentiert. Später werden wir sehen, warum selbst die radikale Mög­
lichkeit einer unendlichen Zusatzdimension nicht ausgeschlossen wer­
den kann, wenn sie sich hinreichend von den drei vertrauten unendlichen
Dimensionen unterscheidet.
Im nächsten Kapitel wollen wir eine andere Frage angehen, die Ihnen
vielleicht schon gekommen ist : Warum können kleine Zusatzdimensio­
nen nicht einfach Intervalle sein, nicht zu einem Bällchen aufgewickelt,
sondern stattdessen zwischen zwei >> Wänden << gefangen ? Diese Mög­
lichkei t kommt einem nicht auf der Stelle in den Sinn - aber warum
nicht ? Der Grund dafür lautet : Sich das Ende des Raums vorzustellen
bringt es mit sich, dass man wissen muss, was dort vor sich geht. Könn­
ten die Dinge am Ende des Universums herunterfallen, wie alte Bilder der
Erde als Scheibe das anzudeuten scheinen ? Oder könnten sie zurückge­
worfen werden ? Oder könnten sie niemals dort hingelangen ? Die Not­
wendigkeit, spezifizieren zu können, was am Ende passieren könnte, be­
deutet, dass man kennen muss, was Wissenschaftler Randbedingungen
nennen. Wenn der Raum endet, wo und an was endet er dann ?
Branen - Membranen ähnelnde Objekte in einem höherdimensionalen
Raum - bieten die notwendigen Grenzbedingungen für Welten mit >> En­
den << . Wie wir im folgenden Kapitel sehen werden, können Branen einen
himmelweiten ( oder viele Himmel weiten) Unterschied ausmachen .

69
3

Exklusive Passagen:
Branen, Branenwelten und das Bulk

l'm gonna stick l i ke glue,


Stick, because l'm stuck on you.
Ich häng an dir wie Kleber,
Klebe, weil ich an dir hänge.
Elvis Presley

Im Gegensatz zur belesenen Athena schaute Ike kaum einmal in ein


Buch. Im Allgemeinen vertrieb er sich die Zeit lieber mit Glücksspielen,
technischem Zeug und Autos. Aber Ike hasste es, in Boston herumzufah­
ren, wo die anderen Autofahrer rücksichtslos waren, die Straßen schlecht
ausgeschildert und grundsätzlich mit Baustellen übersät. Immer blieb Ike
in einem Stau stecken, was er besonders frustrierend fand, wenn er über
sich eine fast leere Autobahn sehen konnte. Die lockte mit freier Fahrt,
aber Ike hatte keine Möglichkeit, rasch da hinaufzukommen, denn im
Gegensatz zu Athenas Eulen konnte er nicht fliegen. Für den auf ver­
stopften Bostoner Straßen gefangenen Ike war die dritte Dimension völ­
lig nutzlos.

Bis vor kurzem betrachteten Physiker, die etwas auf sich hielten, zusätz­
liche Dimensionen als nicht des Nachdenkens wert. Sie waren zu speku­
lativ und zu exotisch : Niemand konnte etwas Definitives über sie sagen.
Doch seit ein paar Jahren haben Extradimensionen mehr Glück. Sie gel­
ten nicht länger als unerwünschte Eindringlinge, sondern haben sich zu
sehr beliebten, stimulierenden Begleitern weiterentwickelt. Ihr neues
Prestige verdanken sie Branen und den vielen wirklich neuen theoreti­
schen Möglichkeiten, die diese faszinierenden Konstrukte eröffnen.
Branen eroberten die Physikergemeinde 1 995 im Sturm, als der Physi-

70
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK

ker Joe Polehinski vom Kavli Institute for Theoretical Physics ( KITP) in
Santa Barbara zeigte, dass sie für die Stringtheorie von entscheidender
Bedeutung sind. Doch schon früher waren in der Physik branenähnliche
O bj ekte vorgeschlagen worden. Ein Beispiel dafür war die p-Brane (von
p-hantasievollen P-hysikern so genannt), ein Obj ekt, das sich nur in eini­
gen Dimensionen unendlich weit erstreckt, was Physiker mathematisch
aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie a bgeleitet hatten. Die Teil­
chenphysik hatte ebenfalls Mechanismen vorgeschlagen, die Teilchen
auf branenähnliche O berflächen beschränken. Aber die Branen der
Stringtheorie waren die Ersten, die sowohl Kräfte als auch Teilchen ein­
fangen konnten, und wir werden bald sehen, dass zum Teil genau dies sie
so interessant macht. Wie Ike in einem dreidimensionalen Raum auf
einer zweidimensionalen Straße festhängt, können Teilchen und Kräfte
auf niedrigerdimensionalen O berflächen namens Branen gefangen sein,
selbst wenn das Universum noch viele weitere Dimensionen hat. Wenn
die Stringtheorie unsere Welt akkurat beschreibt, haben Physiker keine
andere Wahl, als die potenzielle Existenz solcher Branen anzuerkennen.
Die Welt der Branen ist eine aufregende neue Landschaft, die unser
Verständnis der Gravitation, der Teilchenphysik und der Kosmologie re­
volutioniert hat. Es könnte im Kosmos tatsächlich Branen geben, und es
gibt keinen Grund, warum wir nicht auf einer solchen leben sollten. Bra­
nen könnten sogar einen wichtigen Beitrag dazu liefern, die physikali­
schen Eigenschaften unseres Universums zu bestimmen und letztlich be­
obachtbare Phänomene zu erklären. Wenn das gelingt, werden Branen
und zusätzliche Dimensionen nicht mehr wegzudenken sein.

Branen als Scheiben

In Kapitel 1 betrachteten wir eine Möglichkeit, sich die zweidimensio­


nale Welt von Flächenland vorzustellen : Als zweidimensionale Scheibe
eines dreidimensionalen Raums. In Abbotts Roman unternimmt der Er­
zähler A. Quadrat eine Reise über das zweidimensionale Flächenland
hinaus in die dritte Dimension und erkennt, dass Flächenland bloß eine
Scheibe einer größeren dreidimensionalen Welt ist.
Bei seiner Rückkehr denkt A. Quadrat - völlig logisch - über die Mög­
lichkeit nach, dass die von ihm besuchte dreidimensionale Welt selbst
nur eine Scheibe sein könnte : eine dreidimensionale Scheibe aus einem
Raum von noch höherer Dimensionalität. Mit >> Schei be << meine ich na-

71
VERBORGENE UNIVERSEN

türlieh nicht nur eine papierdünne, zweidimensionale Brane, sondern die


logische Erweiterung eines solchen Dings - eine generalisierte Mem­
brane, wenn Sie so wollen. Sie können sich die dreidimensionalen Schei­
ben, über die A. Quadrat nachdachte, als dreidimensionale Brocken in
einem vierdimensionalen Raum vorstellen. Doch A. Quadrats dreidi­
mensionaler Begleiter verstand die Spekulation über dreidimensionale
Schei ben prompt falsch. Wie fast alle, die wir kennen, glau bte dieser
phantasielose Bewohner dreier Dimensionen nur an die drei Raumdi­
mensionen, die er sehen konnte. An eine Vierte konnte er noch nicht ein­
mal denken.
Branen haben mathematische Vorstellungen in die Physik eingebracht,
die j enen ähneln, die in Flächenland vor mehr als 120 Jahren beschrieben
wurden. Physiker sind heute wieder auf die Idee gekommen, dass die uns
umgebende dreidimensionale Welt nur eine dreidimensionale Scheibe
aus einer höherdimensionalen Welt sein könnte. Eine Brane ist ein be­
stimmtes Gebiet der Raumzeit, das sich nur durch eine ( möglicherweise
mehrdimensionale ) Scheibe des Raums erstreckt. Zur Begriffswahl
>> Brane << animierte das Wort >> Membrane << , weil Membranen - wie Bra­
nen - Schichten sind, die eine Substanz entweder umhüllen oder durch
sie hindurchgehen. Einige Branen sind >> Scheiben << innerhalb des Raums,
andere jedoch >> Scheibe n << , die Raum begrenzen wie Brotscheiben ein
Sandwich.
In j edem Fall ist eine Brane ein Gebiet, das weniger Dimensionen hat
als der umfassende, höherdimensionale Raum, der sie umgi bt oder an sie
grenzt. 5 Man beachte, dass Membranen zwei Dimensionen haben, Bra­
nen aber j ede beliebige Anzahl von Dimensionen haben können. Auch
wenn die Branen, die uns am meisten interessieren werden, drei Raum­
dimensionen haben, bezieht sich der Begriff >> Brane << auf alle >> Scheiben <<
dieser Art ; einige Branen haben drei Raumdi mensionen, andere h i nge­
gen mehr ( oder weniger).6 Mit 3-Branen bezeichnen wir Branen mit drei
Dimensionen, mit 4-Branen solche mit vier und so weiter.

Grenzbranen und eingebettete Branen

Im vorangegangen Kapitel habe ich erklärt, warum wir zusätzliche Di­


mensionen vielleicht nicht sehen. Sie könnten so klein aufgerollt sein,
dass niemals Beweise für ihre Existenz zu finden wären . Der entschei­
dende Punkt war dabei, dass die Zusatzdimensionen klein ' ind. Keiner

72
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK

der Gründe für ihre Unsichtbarkeit hat mit der Tatsache zu tun, dass die
Extradimensionen aufgerollt sind.
Das legt eine Alternative nahe : Vielleicht sind die Dimensionen gar
nicht aufgerollt, sondern sie hören einfach in einer endlichen Entfernung
auf. Weil Dimensionen, die im Nichts verschwinden, potenziell gefähr­
lich sind - schließlich will man nicht, dass an ihren Enden Stücke vom
Universum abfallen -, muss es bei endlichen Dimensionen Grenzen ge­
ben, die ihnen sagen, wo und wie sie aufhören. Die Frage ist, was mit
Teilchen und Energie passiert, wenn sie an diese Grenzen stoßen.
Die Antwort lautet : Sie treffen auf eine Brane. In einer höherdimen­
sionalen Welt wären Branen die Grenzen des umfassenderen, höherdi­
mensionalen Raums, den man Bulk * nennt. Im Gegensatz zu einer Brane
erstreckt sich das Bulk in alle Richtungen. Das Bulk umfasst alle Dimen­
sionen, sowohl die auf als auch j ene außerhalb der Brane ( siehe Abbil­
dung 2 5 ) . Das Bulk ist daher ziemlich >> sperrig<< , während im Vergleich
dazu die Brane (in einigen Dimensionen) flach wie ein Pfannkuchen ist.
Wenn Branen in bestimmten Richtungen an das Bulk grenzen, verlaufen
einige der Dimensionen des Bulk parallel zu denen der Brane, andere
hingegen führen davon weg. Wenn die Brane die Grenze ist, verlaufen die
von der Brane wegführenden Dimensionen nur zu einer Seite.
Um das Wesen von endlichen Dimensionen zu verstehen, die auf Bra-

Abbildung 25 : Eine Brane ist eine niedrigerdimensionale Oberfläche mit


Richtungen auf ihr und Richtungen, die von ihr weg in das höherdimensio­
nale Bulk führen.

* Von englisch bulk , »groß, Großteil, Gros« .

73
VERBORGENE UNIVERSEN

nen enden, wollen wir uns ein sehr langes dünnes Rohr vorstellen. In­
nerhalb des Rohrs gibt es drei Dimensionen : Eine lange und zwei kurze.
Damit die Analogie zu flachen Branen problemlos funktioniert, stellen
wir uns vor, dass unser dünnes Rohr einen quadratischen Querschnitt
hat. Ein unendlich langes Rohr von diesem Typ hätte vier unendlich
lange gerade Wände. Wenn das Rohr ein Universum in sich wäre, würde
es sich um eines mit drei Dimensionen handeln, von denen zwei auf bei­
den Seiten von Wänden begrenzt sind und eine sich unendlich weit er­
streckt.
Wir wissen, dass ein langes dünnes Rohr, wenn man es aus der Ferne
betrachtet ( oder mit ungenügender Auflösung ) , eindimensional wie der
Gartenschlauch im vorangegangenen Kapitel wirkt. Und wie zuvor beim
Gartenschlauch-Universum können wir auch fragen, wie das Rohr-Uni­
versum - das aus dem Rohr und seinem Inneren besteht - von einem be­
wussten Wesen wahrgenommen würde, das in seinem Inneren lebt.
Wie Sie sich vielleicht denken, hängt das von der Auflösung des We­
sens ab. Eine kleine Fliege, die sich frei in der quadratischen Röhre be­
wegen könnte, würde es als dreidimensional wahrnehmen. Im Gegensatz
zum zweidimensionalen Gartenschlauch-Beispiel gehen wir hier davon
aus, dass die Fliege sich im Innern des Rohrs bewegen kann, nicht nur
auf der Außenfläche. Nichtsdestotrotz würde sie wie beim Garten­
schlauch die eine lange Dimension anders wahrnehmen als die anderen
beiden. In einer Richtung könnte die Fliege beliebig weit reisen ( wenn
wir davon ausgehen, dass unser Rohr sehr lang oder unendlich ist), wäh­
rend sie in den anderen beiden Richtungen nur ein kurzes Stück weit
käme - die Rohrweite.
Abgesehen von der Anzahl der Dimensionen gibt es j edoch noch einen
Unterschied zwischen dem Gartenschlauch- und dem Rohr-Universum.
Im Gegensatz zum Käfer im vorangegangenen Kapitel bewegt sich die
Fliege im Inneren des Rohrs. Und so trifft die Fliege manchmal auf
Wände. Sie kann hin und her oder hoch und runter fliegen und an eine
Grenze kommen. Der Käfer auf dem Schlauch hingegen wäre nie an eine
Grenze gekommen : Vielmehr hätte er immer weiter seine Kreise gezo­
gen.
Wenn die Fliege eine Grenze ihres Rohr-Universums erreicht, muss es
Regeln geben, die ihr Verhalten bestimmen. Die Wände des Rohrs erfül­
len diese Aufgabe. Die Fliege könnte gegen die Wand klatschen und ihr
Leben lassen ; oder das Rohr reflektiert vielleicht, sodass die Fliege ab­
prallt. Wäre das Rohr ein wirkliches, von Branen begrenztes Universum,

74
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK

dann würden die in diesem Fall zweidimensionalen Branen bestimmen,


was passiert, wenn ein Teilchen oder sonst etwas, das Energie tragen
kann, sie erreicht.
Wenn Dinge auf eine Grenzbrane treffen, werden sie zurückgeworfen,
wie Billardbälle von den Banden des Tischs abprallen oder Licht von
einem Spiegel reflektiert wird . Das ist ein Beispiel dafür, was Physiker
eine reflek tive Randbedingung nennen. Wenn Dinge von einer Brane zu­
rückprallen, geht keine Energie verloren ; sie wird nicht in der Brane ab­
sorbiert und durchdringt sie auch nicht. Nichts gelangt über die Brane
hinaus. Grenzbranen sind daher die >> Enden der Welt<< .
I n einem multidimensionalen Universum übernehmen Branen die
Rolle der Wände in unserem Rohr-Universum. Wie die Wände haben
solche Branen eine niedrigere Dimensionalität als der umfassende
Raum ; eine Grenze hat immer weniger Dimensionen als das O bj ekt, das
sie begrenzt. Das gilt für Grenzen im Raum genauso wie für die Kruste,
die einen Brotlaib begrenzt. Es trifft auch auf die Wände in Ihrem Haus
zu, die eine Dimension weniger haben als das Zimmer, das sie umschlie­
ßen : Das Zimmer ist dreidimensional, die einzelne Wand ( wenn wir ihre
Dicke ignorieren) erstreckt sich aber nur in zwei Dimensionen.
Bislang habe ich mich in diesem Abschnitt auf Branen konzentriert,
die an Grenzen sitzen, aber Branen müssen sich nicht immer am Rand
des Bulk befinden. Vorstellbar ist, dass sie überall im Raum existieren .
Vor allem könnten Branen ein Stück weit von den Grenzen weg sein, im
Inneren des Raums. Wenn eine Grenzmembrane wie das dünne Knüst­
chen am Ende eines Brotlaibs ist, dann wäre eine nicht begrenzende
Brane wie eine dünne Scheibe Brot aus dem Inneren des Laibs. Eine nicht
begrenzende Brane wäre noch immer ein Obj ekt von niedrigerer Dimen­
sionalität - wie j ene, die wir bereits behandelt haben. Nicht begrenzende
Branen hätten aber zu beiden Seiten einen höherdimensionalen Bulk­
Raum.
Im nächsten Abschnitt werden wir sehen, dass unabhängig von der
Anzahl der Dimensionen des Bulks oder der Branen und unabhängig da­
von, ob Branen sich im Inneren eines Raums oder an einer Grenze befin­
den, sie Teilchen und Kräfte an sich festhalten können. Das macht die
Raumregionen, die sie einnehmen, zu etwas ganz Besonderem.

75
VERBORGENE UNIVERSEN

Auf Branen gefangen

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Sie den gesamten Ihnen zugänglichen


Raum erkunden. Wahrscheinlich gibt es Orte, die Sie gern einmal be­
sucht hätten, und Reisen, die sie niemals machen werden - ins Weltall
oder in die Tiefsee beispielsweise. Sie waren dort noch nicht, aber im
Prinzip könnten Sie dorthin. Es gibt kein physikalisches Gesetz, das dies
unmöglich machen würde.
Wenn Sie j edoch im Inneren eines Schwarzen Lochs lebten, wären Ihre
Reisemöglichkeiten weit stärker eingeschränkt, sogar noch mehr als die
von Frauen in Saudi-Arabien. Das Schwarze Loch würde ( bis es zerfiele )
Sie in seinem Inneren gefangen halten ( oder vielmehr die verstümmelte
Schwarze-Loch-Version von Ihnen), und Sie könnten ihm keinesfalls ent­
kommen.

Abbildung 2 6 : Wassertropfen haften in einem dreidimensionalen Raum an


einem zweidimensionalen Duschvorhang.

Es gibt viele, uns vertrautere Beispiele für Dinge mit eingeschränkter Be­
wegungsfreiheit, für die bestimmte Raumregionen wirklich unzugäng­
lich sind. Die elektrische Lad ung in einem Draht oder eine Perle auf
einem Abakus sind beides Obj ekte in einer dreidimensionalen Welt, die
sich aber nur in einer ihrer Dimensionen bewegen können. Es gibt auch
ganz normale Dinge, die auf zweidimensionale O berflächen beschränkt
sind. Wassertropfen auf einem Duschvorhang fließen nur entlang der
zweidimensionalen Oberfläche des Vorhangs ( siehe Abbildung 26 ) .

76
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK

+
A bbildung 2 7 : Sam Loyds Spiel lS
>> «

Auch zwischen den Glasträgern eines Mikroskops eingesperrte Bakte­


rien können sich nur in zwei Richtungen bewegen. Ein weiteres Beispiel
ist das Spiel 15 von Sam Loyd, bei dem man in einem kleinen Plastik­
>> <<

rahmen Quadrate mit Zahlen oder Buchstaben darauf so lange herum­


schieben muss, bis die Zahlen in der richtigen Reihenfolge stehen oder
man einen Spruch lesen kann wie LOOK / YOUF I INIS / HED (siehe
>> <<

Abbildung 2 7 ) . Solange man nicht mogelt, bleiben die Zahlen oder


Buchstaben im Plastikgehege gefangen ; sie können nie in die dritte Di­
mension hinaus.
Wie Duschvorhänge oder Loyds Geduldsspiel halten Branen Dinge
auf niedrigerdimensionalen O berflächen gefangen. Sie bringen die Mög­
lichkeit mit sich, dass in einer Welt mit zusätzlichen Dimensionen nicht
alle Materie sich frei überallhin bewegen kann. Genau wie die Wasser­
tropfen auf dem Vorhang an eine zweidimensionale O berfläche gebun­
den sind, können Teilchen oder Strings auf eine dreidimensionale Brane
im Inneren einer höherdimensionalen Welt beschränkt sein. Doch im Ge­
gensatz zu den Tröpfchen auf dem Vorhang sind sie wirklich gefangen.
Und im Gegensatz zum Geduldsspiel sind Branen kein Zufallsprodukt.
Sie sind natürliche Bestandteile einer höherdimensionalen Welt.
Auf Branen beschränkte Teilchen sind wahrhaftig durch physikalische
Gesetze auf diesen Branen gefangen . An Branen gebundene Obj ekte ge­
langen nie in die zusätzlichen Dimensionen, die sich von der Brane weg
erstrecken. Nicht alle Teilchen sind auf Branen gefangen ; einige haben
vielleicht die Freiheit, sich durch das Bulk zu bewegen. Aber was Theo­
rien mit Branen von multidimensionalen Theorien ohne sie unterschei-

77
VERBORGENE UNIVERSEN

det, sind die Teilchen auf den Branen, die sich nicht durch alle Dimen­
sionen bewegen können.
Im Prinzip könnten Branen und das Bulk j ede beliebige Anzahl von
Dimensionen aufweisen, solange eine Brane niemals mehr Dimensionen
als das Bulk hat. Die Dimensionalität einer Brane ist die Anzahl von Di­
mensionen, in denen sich an die Brane gebundene Teilchen bewegen
können. Es gibt zwar viele Möglichkeiten, aber später werden uns am
meisten die dreidimensionalen Branen interessieren. Wir wissen nicht,
warum drei Dimensionen so etwas Besonderes sein sollten. Aber Branen
mit drei Raumdimensionen könnten für unsere Welt wichtig sein, weil
sie sich in den drei räumlichen Dimensionen erstrecken könnten, die wir
kennen. Solche Branen könnte es in einem Bulk-Raum mit einer beliebi­
gen Anzahl von Dimensionen geben, solange es mehr als drei sind - vier,
fünf oder mehr Dimensionen.
Selbst wenn das Universum tatsächlich viele Dimensionen hat, wür­
den die uns vertrauten Teilchen und Kräfte, wenn sie an eine dreidimen­
sionale Brane gebunden sind, sich so verhalten, als würden sie nur in
dreien existieren. Auf Branen begrenzte Teilchen könnten sich nur ent­
lang der Brane bewegen. Und wenn Licht ebenfalls an der Brane haftete,
könnten sich die Lichtstrahlen nur entlang der Brane ausbreiten. In einer
dreidimensionalen Brane würde sich Licht genauso verhalten wie in
einem wirklich dreidimensionalen Universum.
Darüber hinaus beeinflussen auf einer Brane gefangene Kräfte nur
Teilchen, die auf dieselbe Brane beschränkt sind. Die Materie, aus der
wir bestehen - etwa Kerne und Elektronen -, und die Kräfte, durch die
diese Bausteine miteinander wechselwirken - beispielsweise die elektri­
sche Kraft -, könnten auf eine dreidimensionale Brane beschränkt sein.
An eine Brane gebundene Kräfte könnten sich nur entlang ihrer Brane
ausbreiten, und an eine Brane gebundene Teilchen würden einzig und al­
lein entlang der Dimensionen dieser Brane ausgetauscht und sich bewe­
gen können.
Wenn Sie also in einer dreidimensionalen Brane lebten, könnten Sie
sich frei entlang ihrer Dimensionen bewegen, genau wie Sie das j etzt in
drei Dimensionen tun. Alles auf eine dreidimensionale Brane Be­
schränkte würde genauso aussehen wie in einer Welt, die wirklich drei­
dimensional ist. Die anderen Dimensionen würden im Anschluss an die
Brane existieren, aber die an eine dreidimensionale Brane gebundenen
Dinge könnten niemals das höherdimensionale Bulk durchdringen.
Aber auch wenn Kräfte und Materie auf eine Brane beschränkt sein

78
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK

können, sind Branenwelten genau deswegen so interessant, weil wir wis­


sen, dass nicht alles auf eine einzige Brane begrenzt ist. Gravitation bei­
spielsweise ist niemals an eine Brane gebunden. Nach der allgemeinen
Relativitätstheorie ist die Gravitation mit der Gesamtheit von Raum und
Zeit verwoben. Das heißt, Gravitation muss durch den gesamten Raum
und in jeder Dimension wirken. Könnte sie auf eine einzige Brane be­
schränkt werden, müssten wir die allgemeine Relativitätstheorie fallen
lassen.
Glücklicherweise ist dies nicht der Fall. Selbst wenn es Branen gibt,
wird die Gravitation überall zu spüren sein, auf Branen und daneben.
Das ist wichtig, weil es bedeutet, dass Branenwelten mit dem Bulk wech­
selwirken müssen, und sei es nur mittels Gravitation. Weil sich die Gra ­
vitation in das Bulk hinein erstreckt und alles mittels Schwerkraft inter­
agiert, werden Branenwelten stets mit den zusätzlichen Dimensionen in
Verbindung stehen. Branenwelten gibt es nicht isoliert : Sie sind Teil eines
größeren Ganzen, mit dem sie wechselwirken. Außer der Gravitation
kann man sich im Bulk noch andere Kräfte und Teilchen vorstellen.
Wenn es sie gibt, könnten solche Teilchen ebenfalls mit den auf eine
Brane beschränkten Teilchen wechselwirken und Letztere mit dem hö­
herdimensionalen Bulk verbinden.
Die Branen der Stringtheorie, die wir später kurz behandeln werden,
haben abgesehen von den hier erwähnten noch spezifische Eigenschaf­
ten : Sie können bestimmte Ladungen tragen, und sie reagieren auf be­
stimmte Art und Weise, wenn etwas gegen sie drückt. Ich werde j edoch
später nur selten solch detaillierte Eigenschaften ins Spiel bringen, wenn
ich von Branen spreche. Es wird reichen, die in diesem Kapitel behandel­
ten Eigenschaften zu kennen : Branen sind niedrigerdimensionale O ber­
flächen, die Kräfte und Teilchen beherbergen können, und sie können
die Grenzen eines höherdimensionalen Raums sein.

Branenwelten : Baupläne für ein Klettergerüst aus Branen

Weil Branen vielleicht in der Lage sind, die meisten Teilchen und Kräfte
gefangen zu halten, könnte das von uns bewohnte Universum möglicher­
weise auf einer dreidimensionalen Brane untergebracht sein, die in einem
Meer zusätzlicher Dimensionen schwimmt. Die Gravitation würde sich
in die Extradimensionen hinaus auswirken, aber Sterne, Planeten, Men­
schen und alles andere, was wir wahrnehmen, könnten auf die dreidi-

79
VERBORGENE UNIVERSEN

mensionale Brane beschränkt sein. Dann würden wir auf einer Brane le­
ben. Eine Brane könnte unser Habitat sein. Das Konzept der Branenwel­
ten gründet sich auf diese Annahme ( siehe Abbildung 2 8 ) .

A b bildung 2 8 : Wir leben möglicherweise auf einer Brane. Das heißt, die Ma­
terie, aus der wir bestehen, die Photonen und die anderen Teilchen des Stan­
dardmodells könnten alle auf diese B rane beschränkt sein. Nur die Gravita­
tion wäre immer überall - auf der Brane und im Bulk, wie die geschlängelten
Pfeile andeuten.

Wenn es eine Brane geben kann, die in einer höherdimensionalen Raum­


zeit hängt, darf man auch die Möglichkeit vieler wei terer nicht ausschlie­
ßen. Zu Branenwelt-Szenarios zählen oft mehr als nur eine Brane. Aber
wir kennen bislang weder die Anzahl noch die Arten von Branen, die es
im Kosmos geben könnte. In Theorien mit mehr als einer Brane ist
manchmal von Multiversen die Rede ( siehe Abbildung 2 9 ) . Mit diesem
Begriff beschreibt man oft einen Kosmos mit nicht oder nur schwach
wechselwirkenden Teilen.
Ich finde den Ausdruck >> Multiversum << ein bisschen merkwürdig, da
ein Universum ja als das Ganze definiert ist, das all seine Teile ein­
schließt. Es ist j edoch möglich, dass es unterschiedliche Branen gibt, die
zu weit voneinander entfernt sind, um j emals miteinander kommunizie­
ren zu können, oder die miteinander nur schwach via vermittelnder, zwi­
schen ihnen hin und her reisender Teilchen kommunizieren. Teilchen auf
entfernten Branen würden folglich völlig unterschiedliche Kräfte erle­
ben, und an Branen gebundene Teilchen hätten niemals direkten Kon-

80
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK

A b bildung 2 9 : Das Universum könnte multiple Branen umfassen, die nur per
Gravitation oder überhaupt nicht wechselwirken. Solche Anordnungen be­
zeichnet man manchmal als » Multiversen « .

takt mit Teilchen a u f einer anderen Brane. Wenn es also um mehr a l s eine
Brane mit keiner anderen gemeinsamen Kraft als der Gravitation geht,
werde ich das Universum, das sie beide beherbergt, gelegentlich als Mul­
tiversum bezeichnen.
Über Branen nachzudenken macht einem bewusst, wie wenig wir über
den Raum wissen, in dem wir leben. Das Universum könnte eine groß­
artige Konstruktion sein, in der intermittierende Branen miteinander
verknüpft sind. Selbst wenn wir die Grundzutaten kennen, sind in einem
von mehr als einer Brane bevölkerten Multiversum exotische neue Sze­
narien für die Raumgeometrie genauso vorstell bar wie Myriaden von
Möglichkeiten, wie die uns bekannten und unbekannten Teilchen auf
ihnen verteilt sein können. Aus einem einzigen Stapel Spielkarten kann
man ganz unterschiedliche Blätter auf die Hand bekommen. Es gibt Dut­
zende von Möglichkeiten.
Andere Branen könnten parallel zu unserer liegen und Parallelwelten
beherbergen. Aber es könnte noch viele weitere Arten von Branenwelten
geben. Branen könnten sich schneiden, und Teilchen könnten an den
Schnittstellen gefangen sein. Branen könnten unterschiedliche Dimensio­
nalität haben. Sie könnten sich krümmen. Sie könnten sich bewegen. Sie
könnten sich um unentdeckte, unsichtbare Dimensionen wickeln. Lassen
wir unsere Fantasie spielen und j edes Bild entwerfen, das uns gefällt. Es
ist nicht unmöglich, dass es im Kosmos eine solche Geometrie gibt.
In einer Welt, in der Branen in ein höherdimensionales Bulk eingebet­
tet sind, könnte es einige Teilchen geben, die höhere Dimensionen btrei­
sen, und andere, die auf ihren Branen gefangen bleiben. Wenn das Bulk

81
VERBORGENE UNIVERSEN

eine Brane von einer anderen trennt, könnten einige Teilchen auf der ers­
ten, andere auf der zweiten Brane und wieder andere mitten dazwischen
sein. Die Theorien ergeben zahlreiche Möglichkeiten, wie Teilchen und
Kräfte zwischen unterschiedlichen Branen und dem Bulk verteilt sein
könnten. Selbst bei aus der Stringtheorie abgeleiteten Branen wissen wir
noch nicht, warum die Stringtheorie irgendeine bestimmte Verteilung
von Teilchen und Kräften bevorzugen sollte. Branenwelten führen zu
neuen physikalischen Szenarios, die sowohl die Welt beschreiben könn­
ten, die wir zu kennen glauben, als auch andere unbekannte Welten auf
anderen un bekannten Branen, die von unserer Welt durch unentdeckte
Dimensionen getrennt sind.
Es könnte neuartige Kräfte geben, die auf entfernte Branen beschränkt
sind. Neue Teilchen, mit denen wir niemals direkt wechselwirken wer­
den, könnten sich auf solchen anderen Branen ausbreiten. Zusätzlichen
Stoff, der für die Dunkle Materie und Dunkle Energie verantwortlich ist
- Materie und Energie, auf die wir aus Gravitationseffekten schließen,
deren Identität aber ein Rätsel bleibt -, könnte es zwischen verschiede­
nen Branen verteilt oder sogar sowohl im Bulk als auch auf anderen Bra­
nen geben. Und die Gravitation könnte sich sogar von der einen Brane
zur nächsten ganz unterschiedlich auf Teilchen auswirken.
Wenn es auf einer anderen Brane Leben gibt, würden diese in einer
völlig anderen Umwelt gefangenen Wesen höchstwahrscheinlich völlig
anderen Kräften ausgesetzt sein, die von anderen Sinnen wahrgenom­
men werden. Unsere Sinne sind auf die Chemie, das Licht und die Klänge
um uns herum abgestimmt. Weil die fundamentalen Kräfte und Teilchen
wahrscheinlich anders wären, würden die Kreaturen anderer Branen, so
es sie geben sollte, wahrscheinlich nicht viel Ähnlichkeit mit dem Leben
auf unserer Brane aufweisen. Die anderen Branen würden wahrschein­
lich in keiner Hinsicht unserer eigenen ähneln. Die einzige notwendiger­
weise gemeinsame Kraft wäre die Gravitation, und selbst deren Wirkung
könnte variieren.
Die Konsequenzen einer Branenwelt würden von der Anzahl der Bra­
nen, von den Branentypen und von ihrer Lokalisierung abhängen. Un­
glücklicherweise - für die Neugierigen - müssen sich die auf entfernte
Branen beschränkten Teilchen und Kräfte nicht unbedingt sehr stark auf
uns auswirken. Vielleicht hängt von ihnen bloß ab, was sich im Bulk be­
wegt, und sie senden nur schwache Signale aus, die uns möglicherweise
niemals erreichen. Daher werden viele denkbare Branenwelten sehr
schwierig zu entdecken sein, selbst wenn es sie tatsächlich geben sollte.

82
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK

Schließlich ist die Gravitation die einzige Wechselwirkung, von der wir
sicher wissen, dass sie sowohl auf unserer Brane als auch auf allen ande­
ren Branen wirkt, und die Gravitation ist eine extrem schwache Kraft.
Ohne direkte Beweise werden andere Branen ins Reich der Theorie und
der Vermutung eingesperrt bleiben.
Aber einige der Branenwelten, die ich präsentieren will, bringen mög­
licherweise Signale hervor, die wir entdecken können. Die entdeckbaren
Branenwelten sind die, die für die physikalischen Eigenschaften unserer
Welt von Belang sein können. O bwohl die Unmenge an möglichen Bra­
nenwelten in gewisser Hinsicht frustrierend ist, ist sie eigentlich ganz
aufregend. Branen könnten uns nicht nur helfen, hartnäckige Probleme
der Teilchenphysik zu lösen ; wenn wir Glück haben und eines der Sze­
narios, die ich beschrei ben werde, zutrifft, dann müssten sehr bald bei
Experimenten der Elementarteilchenphysik Beweise für Branenwelten
auftauchen. Wir könnten wirklich auf einer Brane leben - und es im Lauf
eines Jahrzehnts wissen.
Bislang wissen wir noch nicht, welche - wenn überhaupt eine - der
vielen Möglichkeiten die wahre Beschrei bung des Universums ist. Ich
werde daher alle Optionen offen halten, damit ich nichts Interessantes
auslasse. Welches Szenario auch immer sich als zutreffende Beschrei bung
unserer Welt erweisen wird, die von mir vorgestellten stellen neue und
faszinierende Ideen dar, die zuvor niemand für möglich gehalten hätte.

83
4

Annäherungen an die theoretische Physik

Sie ist ein Modell,


und sie sieht gut aus.
Kraftwerk

» Hallo, Athena, schaust du da Casablanca ? «


»ja, klar. Willst du mitgucken ? Hier läuft gerade s o eine tolle Szene. «

You must remernher this,


A k iss is iust a k iss.
A sigh is iust a sigh.
The fundamental things apply as time goes by.
Du musst daran denken,
Ein Kuss ist bloß ein K u s s .
Ein Seufzer nur ein Seufzer.
Die fu ndamentalen Dinge bleiben,
während die Zeit vergeht.

» Moment mal, Ike. Findest du nicht auch, dass die letzte Zeile ein biss­
chen verrück t ist ? Sie ist ja wohl romantisch gemeint, klingt aber fast, als
ginge es um Physik . «
»Athena, wenn du das schon für merkwürdig hältst, dann musst du dir
einmal die erste Strophe des Originals anhören : «

This day and age we 're living in


G ive cause fo r apprehension,
With speed and new invention.
And things lik e fourth dim ension ,
Yet w e get a trif/e weary
With Mister Einstein '5 theory . . .

84
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

D iese Zeiten, in denen wir leben,


Geben Grund zur Besorgnis
Wegen des Tempos und neuer Erfindungen,
Und Dingen wie der vierten Dimension.
Doch ein bisschen satt ha ben wir
Herrn Einsteins Theorie . . .

» lke, du erwartest doch nicht, dass ich das glaube, oder ? Als Nächstes
wirst du, denke ich, mir wohl erzählen, Rick und llsa würden in die
siebte Dimension entkommen ! Warum vergessen wir nicht einfach, was
ich gesagt habe, lehnen uns zurück und schauen den Film weiter an ? «

Einstein stellte seine allgemeine Relativitätstheorie Anfang des 2 0 . Jahr­


hunderts vor, und 1 931 nahm Rudy Vallee Ikes (reale) Version von Her­
man Hupfelds Lied auf. Als j edoch Sam in Casablanca die Melodie an­
stimmte, war der weggelassene Text - genau wie die Wissenschaft von
der Raumzeit - von der Populärkultur vergessen. Und auch wenn Theo­
dor Kaluza die Idee einer zusätzlichen Dimension schon 1 9 1 9 veröffent­
,.

lichte, nahmen Physiker bis in jüngste Zeit diese Überlegung nicht allzu
ernst.
Da wir nun gesehen haben, was Dimensionen sind und wie sie unse­
rer Aufmerksamkeit entgehen können, sind wir fast bereit zu fragen,
was dieses neuerliche Interesse an zusätzlichen Dimensionen auslöste.
Warum sollten Physiker glauben, dass sie in der realen physikalischen
Welt tatsächlich existieren ? Das bedarf einer weit längeren Erklärung -
und die muss ein paar der wichtigsten Entwicklungen in der Physik
des vergangenen Jahrhunderts berücksichtigen. Ehe ich mich an die
Beschreibung möglicher extradimensionaler Universen mache, werde
ich in den nächsten paar Kapiteln diese Entwicklungen vorstellen und
darlegen, warum sie j üngeren Theorien den Weg ebneten. Wir wer­
den uns die großen Paradigmenwechsel ansehen, zu denen es Anfang
des 20. Jahrhunderts kam ( Quantenmechanik, allgemeine Relativitäts­
theori e ) , die wesentlichen Aspekte der heutigen Teilchenphysik ( Stan­
dardmodell, Symmetrie, gebrochene Symmetrie, das Hierarchiepro­
blem) und neue Ideen, mit denen man momentan ungelöste Probleme

,.
Nur ein Jahr, nachdem zum letzten Mal vor 2004 die Red Sox die World Series ge·
wannen - ziemlich lange her.

85
VERBORGENE UNIVERSEN

angeht ( Supersymmetrie, Stringtheorie, zusätzliche Dimensionen und


Branen ) .
Ehe wir u n s a u f diese Themen stürzen, werden wir erst einmal eine
kurze Reise ins Innere der Materie machen, um uns auf den Auftritt der
Physik vorzubereiten. Und um zu verstehen, auf was wir zusteuern, müs­
sen wir ein Stück weit mit der Denkweise heutiger Theoretiker vertraut
werden, und daher werden wir auch die theoretischen Ansätze betrach­
ten, die für die jüngeren Entwicklungen entscheidend sind.
Zunächst glaubte ich, ich hätte das Liedzitat » the fundamental things
apply << clever ausgesucht. Aber bei näherer Betrachtung kamen mir die
Worte so physikalisch vor, dass ich sicherstellen wollte, dass nicht mein
Gedächtnis mir einen Streich spielt, wie es manchmal bei Liedtexten pas­
siert - selbst wenn man glaubt, sie seien im Kopf eingebrannt. Ich war
ziemlich überrascht ( und amüsiert), als ich herausfand, dass der Text tie­
fer in der Physik verwurzelt war, als ich mir j e vorgestellt hatte. Bis da­
hin war mir ganz bestimmt nicht klar geworden, dass die Zeit, die da
vergeht - >> as times goes by << - die vierte Dimension sein sollte !
Bei physikalischen Erkenntnissen geht es oft genauso zu wie bei dieser
Entdeckung : Kleine Hinweise offenbaren manchmal unerwartete Zu­
sammenhänge. Hat man Glück, findet man mehr, als man gesucht hat ­
aber man muss an der richtigen Stelle suchen. Wenn man in der Physik
erst einmal Zusammenhänge herausgefunden hat - und sei es, indem
man zartesten Spuren nachgegangen ist -, versucht man auf bestmög­
liche Art und Weise sich einen Reim darauf zu machen. Beispielsweise
kann man wohlbegründeten Vermutungen nachgehen, oder man ver­
sucht die mathematischen Konsequenzen einer Theorie abzuleiten, die
man für glaubhaft hält.
Im nächsten Abschnitt betrachten wir die modernen Methoden, mit
denen man solchen Hinweisen nachgeht : Modelle bauen - meine starke
Seite - und der alternative Ansatz der fundamentalen Hochenergiephy­
sik, nämlich die Stringtheorie. Stringtheoretiker versuchen, universelle
Vorhersagen aus einer eindeutigen Theorie abzuleiten, wohingegen Mo­
dellbauer versuchen, Wege zu finden, bestimmte physikalische Probleme
zu lösen, und dann von diesem Ausgangspunkt aus Theorien zu entwi­
ckeln. Sowohl Modellbauer als auch Stringtheoretiker suchen nach um­
fassenderen Theorien mit mehr Erklärungskraft. Ihr Ziel ist, ähnliche
Fragen zu beantworten, aber sie gehen auf unterschiedliche Weise vor.
Das wissenschaftliche Arbeiten schließt manchmal wohlbegründete Ver­
mutungen ein - wie beim Modellbau -, und manchmal gehört dazu, lo-

86
ANN.�HERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

gisehe Schlussfolgerungen aus genau der Theorie herzuleiten, die man


für richtig hält - wie beim Ansatz der Stringtheoretiker. Wir werden bald
sehen, dass die jüngere Erforschung zusätzlicher Dimensionen mit Erfolg
Elemente beider Methoden kombiniert.

Modelle bauen

An Mathematik und Naturwissenschaften faszinierte mich zwar zu­


nächst die Gewissheit, die sie in Aussicht stellten, heute aber finde ich die
unbeantworteten Fragen und die unerwarteten Zusammenhänge min­
destens genauso attraktiv. Die Prinzipien der Quantenmechanik, der
Relativitätstheorie und des Standardmodells stellen unser Vorstellungs­
vermögen auf die Probe, kratzen aber kaum an der O berfläche der be­
merkenswerten Ideen, die heute die Physiker fesseln. Wir wissen, dass
etwas Neues nötig ist, weil die bestehenden Überlegungen ihre Defizite
haben. Diese Mängel sind Vorboten neuartiger physikalischer Phäno­
mene, die sich abzeichnen müssten, wenn wir präzisere Experimente
durchführen können.
Teilchenphysiker versuchen Naturgesetze zu finden, die das Verhalten
von Elementarteilchen erklären. Diese Teilchen samt den physikalischen
Gesetzen, denen sie unterliegen, sind Bestandteile dessen, was Physiker
eine Theorie nennen : eine bestimmte Gruppe von Elementen und Prinzi­
pien mit Regeln und Gleichungen zur Vorhersage, wie j ene Elemente
wechselwirken. Wenn ich in diesem Buch von Theorien spreche, ver­
wende ich das Wort in diesem Sinn ; ich meine damit nicht >> grobe Spe­
kulationen << , wie das in der Umgangssprache öfters der Fall ist.
Idealerweise würden Physiker gern eine Theorie finden, die sämtliche
Beobachtungen erklären kann, und zwar mit so wenig Regeln und so we­
nig fundamentalen Zutaten wie möglich. Für einige Physiker besteht
letztlich das Ziel darin, eine simple, elegante vereinheitlichende Theorie
zu finden - mit der man die Resultate sämtlicher Experimente der Teil­
chenphysik vorhersagen kann.
Die Suche nach einer solchen vereinheitlichenden Theorie ist ein ehr­
geiziges - mancher würde sagen : verwegenes - Unterfangen. Doch in ge­
wisser Hinsicht spiegelt sich darin die Suche nach Einfachheit, d ie vor
langer Zeit begann. Im antiken Griechenland stellte sich Platon perfekte
Formen vor - beispielsweise geometrische Gebilde und ideale Wesen -
und meinte, die irdischen Dinge seien nur Annäherungen daran. Auch

87
VERBORGENE UNIVERSEN

Aristoteles glaubte an ideale Formen, meinte aber, nur Beobachtungen


könnten die Ideale offenbaren, denen die physischen Objekte ähneln.
Viele Religionen postulieren einen perfekteren oder einheitlicheren Zu­
stand, der der Realität entrückt, aber irgendwie auch mit ihr verbunden
ist. Die Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies unterstellt eine
solche idealisierte ursprüngliche Welt. O bwohl die Fragen und Metho­
den der modernen Physik sich sehr von denen unserer Vorfahren unter­
scheiden, suchen auch Physiker nach einem einfacheren Universum,
nicht in Philosophie oder Religion, sondern in den fundamentalen Gege­
benheiten, die unsere Welt ausmachen.
Auf dem Weg zu einer eleganten Theorie, mit der wir unsere Welt er­
klären können, wartet j edoch ein offensichtliches Hindernis : Wenn wir
uns umschauen, sehen wir sehr wenig von der Einfachheit, die solch eine
Theorie verkörpern sollte. Das Problem besteht darin, dass die Welt
komplex ist. Es bedeutet viel Arbeit, eine einfache, knappe Formulierung
auf die kompliziertere reale Welt zu beziehen. Eine vereinheitlichte
Theorie müsste nicht nur einfach und elegant sein, sondern auch irgend­
wie genügend Struktur haben, um zu den Beobachtungen zu passen. Wir
würden gerne glauben, dass es eine Perspektive gibt, aus der alles elegant
und vorhersagbar ist. Aber das Universum ist nicht so rein, einfach und
wohlgeordnet wie die Theorien, mit denen wir es zu beschreiben hoffen.
Teilchenphysiker bewältigen das Terrain, das die Theorie mit den Be­
obachtungen verbindet, mit zwei unterschiedlichen Methoden. Einige
Theoretiker verfolgen den Ansatz » von oben nach unten << : Sie beginnen
mit der Theorie, die sie für richtig halten - Stringtheoretiker beispiels­
weise mit der Stringtheorie -, und versuchen daraus Konsequenzen ab­
zuleiten, die sie mit der viel ungeordneteren, von ihnen beobachteten
Welt in Zusammenhang bringen. Modellbauer hingegen folgen dem An­
satz >> von unten nach oben << : Sie versuchen auf eine zugrunde liegende
Theorie zu schließen, indem sie Zusammenhänge zwischen beobachte­
ten Elementarteilchen und ihren Wechselwirkungen herstellen. Sie su­
chen in physikalischen Phänomenen nach Hinweisen. Sie erschaffen
Modelle, bei denen es sich um vorläufige Theorien handelt, die sich als
richtig erweisen können - oder auch nicht. Beide Ansätze haben ihre
Vor- und Nachteile, und wie man am besten vorgeht, ist nicht immer
offensichtlich.
Der Konflikt zwischen den beiden wissenschaftlichen Vorgehenswei­
sen ist interessant, weil sich darin zwei sehr unterschiedliche Möglich­
keiten spiegeln, Naturwissenschaft zu betreiben. Diese Zweiteilung ist

88
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

die jüngste Inkarnation einer langen wissenschaftlichen Debatte. Soll


man Platon folgen, der versuchte, Einsichten aus fundamentaleren
Wahrheiten zu gewinnen, oder Aristoteles, der auf empirische Beobach­
tungen baute ? Soll man von oben nach unten oder von unten nach oben
vorgehen ?
Die beiden Alternativen könnte man auch mit >> alter Einstein contra
junger Einstein << umschreiben. Als j unger Mann gründete Einstein seine
Arbeit auf Experimente und die physikalische Realität. Selbst seine so
genannten Gedankenexperimente bauten auf realen physikalischen Si­
tuationen auf. Einstein änderte seine Vorgehensweise, nachdem er bei
der Ausarbeitung der allgemeinen Relativitätstheorie den Wert der Ma­
thematik erkannt hatte. Er stellte fest, dass mathematische Fortschritte
für die Vollendung seiner Theorie entscheidend waren, was ihn dazu
brachte, im weiteren Verlauf seiner Karriere theoretischere Methoden
anzuwenden . Sich auf Einstein zu fixieren würde das Problem jedoch
nicht lösen. O bwohl dieser mit Erfolg die Mathematik auf die allgemeine
Relativitätstheorie anwandte, trug seine spätere mathematische Suche
nach einer vereinheitlichten Theorie niemals Früchte.
Wie Einsteins Forschungen zeigten, gibt es unterschiedliche Arten von
wissenschaftlicher Wahrheit und unterschiedliche Wege, sie zu finden.
Der eine gründet sich auf Beobachtungen ; so haben wir unter anderem
etwas über Quasare und Pulsare in Erfahrung gebracht. Der andere
gründet sich auf abstrakte Prinzipien und Logi k ; so leitete beispielsweise
Kar! Schwarzschild als Erster mathematisch etwas ab, das wir heute als
Schwarzes Loch bezeichnen. Letztlich wollen wir, dass beide Wege zum
selben Ziel führen - Schwarze Löcher wurden mittlerweile sowohl aus
der mathematischen Beschrei bung von Beobachtungen als auch aus der
reinen Theorie hergeleitet -, aber in den ersten Stadien der Forschung
sind die Fortschritte, die wir auf der Basis dieser zwei Arten von Wahr­
heitssuche machen, kaum dieselben. Und im Fall der Stringtheorie liegen
die Prinzipien und Gleichungen bei weitem nicht so wohlgeordnet vor
uns wie jene der allgemeinen Relativitätstheorie, was es viel schwerer
macht, daraus Konseq uenzen abzuleiten.
Als die Stringtheorie erstmals von sich reden machte, spaltete sie die
Welt der Teilchenphysik. Ich studierte in den höheren Semestern, als
Mitte der achtziger Jahre die >> Stringrevolution " die Teilchenphysiker
entzweite. Damals beschloss die eine Gruppe von Physikern, sich mit
ganzem Herzen dem ätherischen, mathematischen Reich der Strings zu
w idmen.

89
VERBORGENE UNIVERSEN

Die Stringtheorie geht davon aus, dass Strings, >> Fäden << oder >> Sai­
ten << , und nicht Teilchen die fundamentalsten O bj ekte in der Natur sind.
Die von uns in der umgebenden Welt beobachteten Teilchen sind bloß
Konsequenzen von Strings : Sie entstehen durch die unterschiedlichen
Schwingungsarten eines oszillierenden Strings, genau wie unterschied­
liche musikalische Töne von einer schwingenden Violinsaite hervorge­
bracht werden können. Die Stringtheorie fand Beifall, weil Physiker
nach einer Theorie suchten, die widerspruchsfrei Quantenmechanik und
allgemeine Relativitätstheorie vereinbaren und Vorhersagen bis hinunter
zu den winzigsten vorstellbaren Skalenbereichen machen kann. Viele
Leute hielten die Stringtheorie für die aussichtsreichste Kandidatin.
Eine andere Gruppe von Physikern beschloss j edoch, den Kontakt zu
der relativ niedrigenergetischen Welt zu halten, die man mit Experimen­
ten erforschen konnte. Ich studierte in Harvard, und die Teilchenphysi­
ker dort - neben den exzellenten Modellbauern Howard Georgi und
Sheldon Glashow viele begabte Postdoktoranden und Studenten - zähl­
ten zu den Getreuen, die mit dem Modell-Ansatz weitermachten .
Anfangs tobten wilde Schlachten zwischen den beiden entgegengesetz­
ten Standpunkten - Stringtheorie und Modellbau -, bei denen beide Sei­
ten behaupteten, auf dem Weg zur Wahrheit besser voranzukommen.
Die Modellbauer meinten, die Stringtheoretiker lebten in einem mathe­
matischen Traumland, wohingegen Stringtheoretiker der Ansicht waren,
dass die Modellbauer ihre Zeit verschwendeten und die Wahrheit nicht
zur Kenntnis nähmen.
Wegen der vielen brillanten Modellbauer in Harvard und meiner eige­
nen Vorliebe für die Herausforderung des Modellbaus blieb ich diesem
Lager treu, als ich meine ersten Schritte in der Teilchenphysik machte.
Die Stringtheorie ist ein großartiges Gedankengebäude, das schon zu
profunden mathematischen und physikalischen Erkenntnissen geführt
hat, und sie könnte gut die korrekten Zutaten enthalten, um letztlich die
Natur zu beschreiben. Aber den Zusammenhang zwischen der String­
theorie und der realen Welt herzustellen ist eine Aufgabe, die einem
Angst machen kann. Das Problem besteht darin, dass die Stringtheorie
für eine Energieskala definiert ist, die rund zehn Millionen Milliarden
mal größer ist als j ene, die wir mit unseren heutigen Instrumenten expe­
rimentell erforschen können. Wir wissen noch nicht einmal, was passie­
ren wird, wenn die Energie der Teilchenbeschleuniger um den Faktor
zehn gesteigert werden wird !
Eine enorme theoretische Kluft trennt die Stringtheorie, wie sie gegen-

90
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

wärtig verstanden wird, von Vorhersagen, die unsere Welt beschreiben.


Die Gleichungen der Stringtheorie beschreiben Objekte, die so unglaub­
lich winzig sind und so außerordentlich hohe Energie aufweisen, dass
Detektoren, wie wir sie uns auf der Basis vielleicht machbarer Technola­
gien vorstellen können, sie höchstwahrscheinlich nie entdecken würden.
Es ist nicht nur eine ungeheure mathematische Herausforderung, die
Konsequenzen und Vorhersagen der Stringtheorie abzuleiten, es ist noch
nicht einmal immer klar, wie man die Bestandteile der Stringtheorie or­
ganisieren und bestimmen soll, welches mathematische Problem damit
zu lösen ist. Man verliert sich zu leicht im Dickicht der Details.
Die Stringtheorie kann eine Unmenge von möglichen Vorhersagen bei
tatsächlich beobachtbaren Entfernungen ergeben - die vorhergesagten
Teilchen hängen von der bislang noch nicht bestimmten Konfiguration
fundamentaler Theoriebestandteile ab. Ohne ein paar spekulative An­
nahmen scheint die Stringtheorie mehr Teilchen, mehr Kräfte und mehr
Dimensionen zu umfassen, als wir in unserer Welt sehen. Wir müssen
wissen, was die zusätzlichen Teilchen, Kräfte und Dimensionen von den
sichtbaren unterscheidet. Wir wissen noch nicht einmal, welche physika­
lischen Eigenschaften, wenn überhaupt, die eine Konfiguration gegen­
über einer anderen begünstigen oder wie man eine einzige Manifestation
der Stringtheorie finden soll, die unserer Welt entspricht. Wir müssten
sehr viel Glück haben, um all die korrekten physikalischen Prinzipien he­
rauszuholen, die die Vorhersagen der Stringtheorie zu unseren Beobach­
tungen passend machen würden .
Beispielsweise müssten sich die unsichtbaren Zusatzdimensionen der
Stringtheorie von den dreien unterscheiden, die wir wahrnehmen. Die
Gravitation der Stringtheorie ist komplexer als die, die wir um uns her­
um wahrnehmen - die Kraft, die Newtons Apfel herabfallen ließ. Statt­
dessen operiert die Gravitation der Stringtheorie in sechs oder sieben zu­
sätzlichen Raumdimensionen. So faszinierend und bemerkenswert die
Stringtheorie auch sein mag, irritierende Merkmale wie zum Beispiel
ihre Extradimensionen verdunkeln ihren Zusammenhang mit dem sicht­
baren Universum. Was unterscheidet jene Zusatzdimensionen von den
sichtbaren ? Warum sind nicht alle gleich ? Herauszufinden, warum die
Natur die Zusatzdimensionen der Stringtheorie versteckt, wäre eine ver­
blüffende Leistung und es wert, alle möglichen Arten und Weisen zu un­
tersuchen, auf die dieses geschehen könnte.
Bislang jedoch hatten alle Versuche, die Stringtheorie realistisch zu ma­
chen, einen Anstrich von Schönheitschirurgie. Damit ihre Vorhersagen

91
VERBORGENE UNIVERSEN

unserer Welt entsprachen, mussten Theoretiker Mittel und Wege finden,


störende Stücke wegzuschneiden, Teilchen zu entfernen und Dimensio­
nen sittsam zu verstecken. Obwohl das daraus resultierende Teilchenen­
semble dem korrekten hoffnungsfroh nahekommt, kann man dennoch
sagen, dass es nicht ganz richtig ist. Eleganz mag vielleicht das Gütesiegel
einer korrekten Theorie sein, aber richtig können wir die Schönheit einer
Theorie nur einschätzen, wenn wir sämtliche Implikationen voll verstan­
den haben. Die Stringtheorie ist zunächst fesselnd, letzten Endes müssen
die Stringtheoretiker diese grundsätzlichen Probleme lösen.
Wenn man ohne Wanderkarte ein gebirgiges Terrain erkundet, kann
man kaum sagen, welches sich als die kürzeste Route zum Ziel heraus­
stellen wird. In der Welt der Ideen ist wie auf komplexem Territorium
der am besten einzuschlagende Weg zu Beginn nicht immer klar. Selbst
wenn die Stringtheorie letzten Endes alle bekannten Kräfte und Teilchen
vereinheitlicht, wissen wir noch nicht, ob sie einen einzigen Gipfel dar­
stellt, der ein bestimmtes Ensemble von Teilchen, Kräften und Wechsel­
wirkungen repräsentiert, oder eine kompliziertere Landschaft mit vielen
möglichen Implikationen . Wenn die Wege aus einem ebenen, gut ausge­
schilderten Straßennetz bestehen, ist es einfach, die Route zu finden.
Aber das ist hier kaum der Fall.
Also ist der Ansatz zur Überwindung des Standardmodells, auf den ich
mehr Wert legen werde, das Bauen von Modellen. Der Begriff >> Modell <<
erinnert vielleicht an ein Schiff oder eine Burg in verkleinertem Maßstab
- an etwas, das Sie in Ihrer Kindheit bauten. Oder Sie denken an nume­
rische Simulationen auf einem Computer, die bekannte dynamische Ent­
wicklungen reproduzieren sollen - beispielsweise wie die Bevölkerung
wächst oder wie sich das Wasser im Ozean bewegt. Auf die Modelle der
Teilchenphysik trifft keine dieser beiden Defi niti onen zu. Schon eher ha­
ben sie leichte Ähnlichkeit mit dem Gebrauch des Begriffs in Zeitschrif­
ten und auf Modeschauen : Sowohl auf dem Laufsteg als auch in der Phy­
sik sind Modelle einfallsreiche Kreationen, die es in einer Vielzahl von
Formen und Macharten gibt. Und die schönsten ziehen alle Aufmerk­
samkeit auf sich.
Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass damit die Ähnlichkeiten auch en­
den. In der Teilchenphysik sind Modelle Vermutungen über alternative
physikalische Theorien, die dem Standardmodell zugrunde liegen könn­
ten . Wenn Sie sich eine vereinheitlichte Theorie als einen Berggipfel vor­
stellen, sind Modellbauer Pfadfinder, die den Weg zu entdecken ver­
suchen, der den festen Grund am Fuß des Berges, der aus bewährten

92
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

physikalischen Theorien besteht, mit dem Gipfel verbindet - den Weg,


der letztlich neue Ideen miteinander verknüpft. Modellbauer erkennen
zwar an, dass die Stringtheorie faszinierend ist und sich möglicherweise
als wahr herausstellen könnte, sie sind sich aber nicht so sicher wie
Stringtheoretiker, welche Theorie sie finden werden, wenn sie j e auf den
Gipfel gelangen sollten.
Wie wir in Kapitel 7 sehen werden, ist das Standardmodell eine defi­
nitive physikalische Theorie mit einer bestimmten Anzahl von Teilchen
und Kräften in einer vierdimensionalen Welt. Modelle, die über das
Standardmodell hinausgehen, schließen deren Bestandteile ein und kom­
men bei bereits erforschten Energien zu denselben Konsequenzen ; sie
umfassen aber auch neue Kräfte, neue Teilchen, neue Wechselwirkun­
gen, die man nur bei kürzeren Entfernungen beobachten kann. Physiker
schlagen diese Modelle vor, um anstehende Rätsel zu lösen. Modelle
können etwa unterschiedliche Verhaltensweisen für bekannte oder ver­
mutete Teilchen vorschlagen, Verhaltensweisen, die von einer neuen
Gruppe von Gleichungen bestimmt werden, die aus den Annahmen eines
Modells folgen. Oder sie können einen neuartigen Raum vorschlagen,
wie den mit zusätzlichen Dimensionen oder Branen, den wir erkunden
wollen.
Selbst wenn wir eine Theorie und ihre lmplikationen in vollem Um­
fang verstanden haben, kann diese Theorie noch auf unterschiedliche
Art und Weise angewendet werden, was unterschiedliche physikalische
Konsequenzen für unsere reale Welt haben kann. Selbst wenn wir bei­
spielsweise wissen, wie Teilchen und Kräfte im Prinzip wechselwirken,
müssen wir noch immer herausfinden, welche Teilchen und Kräfte es de­
finitiv in der realen Welt gibt. Modelle erlauben uns, die Möglichkeiten
auszuprobieren.
Theorien unterscheiden sich durch ihre anderen Annahmen und phy­
sikalischen Konzepte und genauso durch die Entfernungs- oder Energie­
skalen, auf die die Prinzipien der Theorie Anwendung finden. Modelle
sind eine Möglichkeit, zum Kern solcher unterschiedlichen Eigenschaf­
ten vorzustoßen. Man kann mit ihnen die potenziellen lmplikationen
einer Theorie ergründen. Wenn Sie sich eine Theorie als allgemeine An­
weisung zum Kuchenbacken denken, wäre ein Modell das präzise Re­
zept. Die Theorie sagt, Zucker hinzufügen, das Modell aber spezifiziert,
ob man eine halbe oder zwei Tassen hineinrühren soll. Die Theorie be­
greift Rosinen als optional, a ber das Modell besagt, es wäre vernünftig,
sie wegzulassen.

93
VERBORGENE UNIVERSEN

Modellbauer kümmern sich um die ungelösten Aspekte des Standard­


modells und versuchen, mit bekannten theoretischen Zutaten seine
Mängel zu beseitigen. Dem Modell-Ansatz gibt das instinktive Gefühl
Nahrung, dass die Energien, für die die Stringtheorie definitive Vorher­
sagen macht, zu weit von denen entfernt sind, die wir beobachten kön­
nen. Modellbauer versuchen, das Gesamtbild zu sehen und so die Stücke
zu finden, die für unsere Welt relevant sind.
Pragmatisch räumen wir Modellbauer ein, dass wir nicht alles auf ein­
mal ableiten können. Statt zu versuchen, die Konsequenzen der String­
theorie herzuleiten, versuchen wir herauszufinden, welche Bestandteile
der zugrunde liegenden physikalischen Theorie bekannte Beobachtun­
gen erklären und Zusammenhänge zwischen experimentellen Befunden
herstellen können. Die Grundannahmen eines Modells können Teil der
letztlich zugrunde liegenden Theorie sein, oder sie können neue Zusam­
menhänge erhellen, noch ehe wir die tiefer reichenden theoretischen
Grundlagen verstehen.
Die Physik strebt immer danach, die größte Zahl von physikalischen
Größen anhand der kleinsten Zahl von Annahmen vorherzusagen, aber
das heißt nicht, dass wir es immer schaffen, die fundamentalsten Theo­
rien auf der Stelle zu identifizieren. Oft sind Fortschritte erzielt worden,
noch ehe auf grundlegender Ebene alles verstanden war. Beispielsweise
begriffen Physiker Temperatur und Druck und wandten diese Erkennt­
nisse in der Thermodynamik und im Maschinenbau an, lange bevor ir­
gendjemand diese Dinge auf fundamentalerer mikroskopischer Ebene
als die Folge von Zufallsbewegungen großer Zahlen von Atomen und
Molekülen erklären konnte.
Weil Modelle sich auf physikalische >> Phänomene << beziehen (was so
viel wie experimentelle Beobachtung bedeutet) , werden Modellbauer,
die sich stärker auf Experimente stützen, gelegentlich als Phänomenolo­
gen bezeichnet. >> Phänomenologi e << ist jedoch eine schlechte Begriffs­
wahl. Sie wird der Datenanalyse nicht gerecht, die in der komplexen
wissenschaftlichen Welt von heute fest in der Theorie verankert ist. Mo­
dell bau hat weit mehr mit Interpretation und mathematischer Analyse
zu tun, als der Begriff >> Phänomenologi e << im philosophischen Sinn des
Worts unterstellt.
In einer Hinsicht sind die besten Modelle von unschätzbarem Wert :
Sie liefern definitive Vorhersagen physikalischer Phänomene, was Expe­
rimentatoren d ie Möglichkeit gibt, die Aussagen eines Modells zu verifi­
zieren oder zu falsifizieren. Bei Hochenergieexperimenten sucht man

94
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

nicht nur nach neuen Teilchen, mit ihnen werden auch Modelle getestet
und Hinweise auf bessere gesucht. Jedes vorgeschlagene Modell der Teil­
chenphysik schließt neue physikalische Prinzipien und neue physikali­
sche Gesetze ein, die für messbare Energien gelten. Es wird daher neue
Teilchen und überprüfbare Beziehungen zwischen ihnen vorhersagen.
Findet man diese Teilchen und misst man ihre Eigenschaften, kann man
vorgeschlagene Ideen damit bestätigen oder ausschließen. Das Ziel von
Hochenergieexperimenten besteht darin, Licht in die zugrunde liegenden
physikalischen Gesetze und den konzeptuellen Bezugsrahmen, der ihnen
ihre Erklärungskraft gibt, zu bringen.
Nur einige Modelle werden sich als korrekt erweisen, aber Modelle
sind das beste Mittel, Möglichkeiten zu erkunden und einen Vorrat an
zwingend erforderlichen Bestandteilen anzulegen. Und wenn die String­
theorie richtig ist, werden wir schließlich herausfinden, dass einige Mo­
delle die Konsequenz davon sind, genau wie die Thermodynamik in der
Atomtheorie wurzelte. Rund ein Jahrzehnt lang j edoch waren die beiden
Lager scharf gespalten. Albion Lawrence, ein j unger Stringtheoretiker
der Brandeis University, meinte kürzlich, als wir über dieses Schisma
sprachen : >> Eine der Tragödien ist, dass Stringtheorie und Modellbau
völlig getrennte intellektuelle Sphären waren. Modellbauer und String­
theoretiker sprachen jahrelang nicht miteinander. Für mich war die
Stringtheorie immer der Großvater aller Modelle . <<
Sowohl Stringtheoretiker als auch Modellbauer suchen nach einem
gangbaren eleganten Weg, der die Theorie mit der beobachteten Welt zu­
sammenbringt. Jede Theorie wird nur dann wirklich überzeugend und
wahrscheinlich richtig sein, wenn dieser Weg, und nicht nur die Aussicht
vom Gipfel, diese Eleganz aufweist. Modellbauer, die von unten anfan­
gen, gehen das Risiko vieler Fehlstarts ein, Stringtheoretiker aber, die
oben anfangen, laufen Gefahr, sich am Rand einer steilen, freistehenden
Klippe wiederzufinden, die zu abgelegen ist, als dass sie ihren Weg zu­
rück ins Basislager finden könnten.
Man könnte sagen, dass wir alle nach der Sprache des Universums su­
chen. Aber während Stringtheoretiker sich auf die innere Logik der
Grammatik konzentrieren, lenken Modellbauer ihre Aufmerksamkeit
auf die Wörter und Phrasen, die sie am nützlichsten finden. Wenn Teil­
chenphysiker in Florenz Italienisch lernen würden, würden Modellbauer
bald wissen, wie sie nach einer Unterkunft fragen, und sich das nötige
Voka bular aneignen, um sich in der Stadt zurechtzufinden, auch wenn
sie sich vielleicht komisch ausdrücken und nie das Inferno verstehen

95
VERBORGENE UNIVERSEN

würden. Stringtheoretiker hingegen könnten sich anschicken, die Fein­


heiten der italienischen Literatur zu begreifen - aber Gefahr laufen, zu
verhungern, ehe sie gelernt haben, sich etwas zu essen zu bestellen !
Glücklicherweise haben sich die Dinge mittlerweile geändert. Heutzu­
tage bringen Theorie und niederenergetische Phänomene sich wechsel­
seitig voran, und viele von uns denken heute simultan über Stringtheorie
und experimentell ausgerichtete Physik nach. Bei meinen Forschungen
habe ich weiterhin den Modell-Ansatz verfolgt, aber ich binde j etzt auch
Ideen aus der Stringtheorie ein. Ich denke, letztlich machen wir wahr­
scheinlich die meisten Fortschritte, indem wir das Beste beider Metho­
den kombinieren.
Albion weist darauf hin : >> Der Gegensatz beginnt wieder zu verwi­
schen, und größtenteils ist die Erforschung zusätzlicher Dimensionen da­
für der Katalysator. Die Leute reden wieder miteinander. << Die Lager de­
finieren sich nicht länger so streng, und es gibt mehr Gemeinsamkeiten.
Was die Ziele und Ideen angeht, nähert man sich wieder einander. So­
wohl wissenschaftlich als auch sozial gibt es bei Modellbauern und
Stringtheoretikern heute starke Überschneidungen.
Einer der schönsten Aspekte der weiter unten behandelten extradi­
mensionalen Theorien besteht darin, dass Ideen aus beiden Lagern sie
gemeinsam hervorbrachten. Die zusätzlichen Dimensionen der String­
theorie können zur Plage werden, aber sie könnten sich auch als eine
Möglichkeit erweisen, neue Wege zu finden, alte Probleme anzugehen.
Natürlich können wir fragen, wo diese Zusatzdimensionen sind und
warum sie noch niemand gesehen hat. Aber wir könnten auch fragen, ob
diese ungesehenen Dimensionen vielleicht irgendetwas in unsere Welt
importieren. Diese Dimensionen könnten zugrunde liegende Beziehun­
gen erklären helfen, die für beobachtete Phänomene relevant sind. Mo­
dellbauer reizt die Herausforderung, Vorstell ungen wie beispielsweise
zusätzliche Dimensionen mit beobachtbaren Größen wie beispielsweise
den Beziehungen zwischen Tei lchenmassen zusammenzubringen. Und
wenn wir Glück haben, werden auf extradimensionalen Modellen basie­
rende Erkenntnisse mit Erfolg eines der größten Probleme der String­
theorie angehen : ihre experimentelle Unzugänglichkeit. Modellbauer
sind mit theoretischen Elementen aus der Stringtheorie Fragen der Teil­
chenphysik angegangen. Und diese Modelle - einschließlich derer mit
zusätzlichen Dimensionen - werden überprüfbare Konsequenzen haben.
Wenn wir uns später mit extradimensionalen Modellen beschäftigen,
werden wir sehen, dass der Modell-Ansatz gemeinsam mit der String-

96
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

theorie wichtige neue Erkenntnisse in der Teilchenphysik, der Evolution


des Universums, der Gravitation und der Stringtheorie ermöglicht hat.
Mit dem Grammatikwissen des Stringtheoretikers und dem Vokabular
des Modellbauers haben die beiden Lager gemeinsam begonnen, einen
recht brauchbaren Sprachführer zu verfassen.

Das Innerste der Materie

Letztlich betreffen die Ideen, die wir uns ansehen werden, das gesamte
Universum. Ihren Ursprung haben sie allerdings in der Teilchenphysik
und in der Stringtheorie - die beide danach trachten, die kleinsten Be­
standteile der Materie zu beschreiben. Ehe wir also unsere Reise durch
das extrem theoretische Territorium beginnen, mit dem sich diese beiden
Disziplinen befassen, machen wir erst einen kleinen Ausflug in die Ma­
terie bis hinunter zu ihren kleinsten Teilen. Achten Sie bei dieser Führung
durch das Atom auf die Grundbausteine der Materie und die Größe der
Objekte, mit denen sich die verschiedenen physikalischen Theorien be­
fassen. Sie stellen so etwas wie Marksteine dar, an denen Sie sich später
orientieren können und die Ihnen helfen werden, die Komponenten wie­
derzuerkennen, mit denen sich der jeweilige Bereich der Physik befasst.
Die Grundvoraussetzung fast aller Physik lautet, dass Elementarteil­
chen die Bausteine der Materie sind. Schält man Schicht um Schicht ab,
findet man im Inneren letztlich immer Elementarteilchen. Teilchenphysi­
ker erforschen ein Universum, in dem diese O bj ekte die kleinsten Ele­
mente sind. Die Stringtheorie geht noch einen Schritt weiter und postu­
liert, dass jene Teilchen die Schwingungen von elementaren Strings sind.
A ber selbst Stringtheoretiker glauben, dass die Materie aus Teilchen zu­
sammengesetzt ist - den n icht weiter aufzulösenden Entitäten in ihrem
Innersten.
Vielleicht fällt es schwer zu glauben, dass alles aus Teilchen zusam­
mengesetzt ist; mit dem bloßen Auge sind sie mit Sicherheit nicht zu er­
kennen. Aber das liegt nicht an der zu groben Auflösung unserer Sinnes­
wahrnehmung, die auch etwas annähernd so Winziges wie ein Atom
nicht direkt entdecken kann. Dennoch sind Elementarteilchen, auch
wenn wir sie nicht direkt beobachten können, die grundlegenden Bau­
steine der Materie. Genau wie die scheinbar kontinuierlichen Bilder auf
Ihrem Computermonitor oder Ihrem Fernsehgerät in Wirklichkeit aus
winzigen Punkten aufgebaut sind, besteht die Materie aus Atomen, die

97
VERBORGENE UNIVERSEN

wiederum aus Elementarteilchen zusammengesetzt sind. Die physischen


Obj ekte um uns herum scheinen kontinuierlich und konstant zu sein, in
Wirklichkeit sind sie das aber nicht.
Bevor Physiker ins Innere der Materie schauen und ihren Aufbau er­
forschen konnten, mussten sie technische Fortschritte machen und emp­
findliche Messinstrumente bauen. Doch j edes Mal, wenn sie noch ge­
nauere technische Hilfsmittel entwickelt hatten, tauchten Strukturen auf
- noch elementarere Bestandteile. Und j edes Mal, wenn die Physiker
über Werkzeuge verfügten, mit denen sie in noch kleinere Bereiche vor­
dringen konnten, entdeckten sie noch fundamentalere Bestandteile : Sub­
strukturen - Konstituenten der zuvor erkannten Strukturelemente.
Das Ziel der Teilchenphysik besteht darin, die grundlegenden Kon­
stituenten der Materie und die fundamentalsten physikalischen Ge­
setze, denen diese Konstituenten unterworfen sind, zu entdecken. Wir
erforschen kleine Entfernungsskalen, weil die Elementarteilchen in die­
sen Entfernungen wechselwirken und weil es dort leichter ist, die fun­
damentalen Kräfte zu entwirren. Bei größeren Entfernungsskalen sind
die Grundbestandteile in zusammengesetzten O bj ekten gebunden, so­
dass die grundlegenden physikalischen Gesetze nur schwer zu ordnen
und daher nicht so leicht zu begreifen sind. Kleine Entfernungsskalen
sind interessant, weil dort neue Prinzipien und Zusammenhänge gel­
ten.
Materie ist nicht einfach eine russische Babuschka-Puppe mit immer
kleineren Kopien ihrer selbst im Inneren. Bei kürzeren Entfernungen zei­
gen sich wirklich neuartige Phänomene. Auch die Funktionen des
menschlichen Körpers - Herz und Blutkreislauf beispielsweise - wurden
gründlich missverstanden, bis Wissenschaftler wie William Harvey im
1 7. Jahrhundert Leichname sezierten und sich das Innere ansahen. In j ün­
gerer Zeit machte man bei Experimenten dasselbe mit Materie und er­
forschte kleinere Entfernungen, bei denen neue Welten fundamentaleren
physikalischen Gesetzen gehorchen . Und genau wie der Blutkreislauf
wichtige Konsequenzen für alle menschlichen Aktivitäten hat, haben die
fundamentalen physikalischen Gesetze in größeren Maßstäben wichtige
Konsequenzen für uns.
Wir wissen, dass alle Materie aus Atomen besteht, die sich durch che­
mische Prozesse zu Molekülen verbinden. Atome sind sehr klein, nur
rund ein Ä ngström groß oder ein Hundertstel eines Millionstel Zentime­
ters. Atome sind aber noch nicht die Grundbausteine : Sie bestehen aus
einem zentralen, positiv geladenen Kern, der von negativ geladenen

98
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK


� / " Das Atom
/ \
I \ (±) positiv geladenes Proton

I \ &I neutrale� Neutron

negatl v geladene� Elektron

I
/
Protonen und Neutronen
werden zusammen als
Nukleonen beze1chnet

Abbildung 3 0 : Das Atom besteht aus Elek tronen, die um einen winzigen
Kern k reisen. Dieser Kern oder Nukleus besteht aus positiv geladenen Proto­
nen und ladungsneutralen Neutronen.

Elektronen umgeben ist ( siehe Abbildung 3 0 ) . Der Kern ist viel kleiner
als das Atom, er umfasst nur ein Hunderttausendstel der Größe des
Atoms. Und der positiv geladene Kern ist selbst wieder zusammenge­
setzt : Er besteht aus positiv geladenen Protonen und neutralen (nicht ge­
ladene n ) Neutronen ; beide zusammen werden als Nukleonen bezeich­
net, und sie sind nicht sehr viel kleiner als der Kern selbst. Das war das
Bild, das die Wissenschaftler bis zu den sechziger Jahren kannten, und

-


Nukleonen �

/
"
\
I
\
I
I
\
\
/
Ein Proton - � /
"
besteht aus zwei Up-Quarks
und einem Down-Quark -

� �/
"
\
I
\
I
CJ:: = \

/
Ein N e utron - � /
besteht aus einem U p-Quark"
und zwei Down-Quarks

{(V Up-Quark @ Down-Quark


A bbildung 3 1 : Protonen und Neutronen sind aus elementareren Quarks zu­
sammengesetzt, die von der starken Kraft zusammengehalten werden.

99
VERBORGENE UNIVERSEN

höchstwahrscheinlich entspricht es auch dem, was Sie in der Schule dar­


über gelernt haben.
Dies ist ein korrekter Bauplan für das Atom, auch wenn die Quanten­
mechanik, wie wir später sehen werden, ein interessanteres Bild von den
Umlaufbahnen eines Elektrons entwirft, als man zeichnen kann. Aber
mittlerweile wissen wir auch, dass noch nicht einmal das Proton und das
Neutron Grundbausteine sind. Im Gegensatz zu Gamows Zitat in der
Einleitung haben Protonen und Neutronen Substrukturen, fundamenta­
lere Bestandteile, die Quarks genannt werden. Das Proton besteht aus
zwei Up-Quarks und einem Down-Quark , das Neutron hingegen aus
zwei Down-Quarks und einem Up-Quark ( siehe Abbildung 31 ) . Diese
Quarks werden von etwas zusammengehalten, das starke Kraft oder
starke Wechselwirkung genannt wird . Mit dem Elektron, der anderen
Komponente des Atoms, verhält es sich anders. Soweit wir wissen, ist es
ein Grundbaustein : Das Elektron kann nicht in kleinere Teilchen zerlegt
werden und weist in seinem Inneren keine Substrukturen auf.
Der Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg prägte den Aus­
druck >> Standardmodell << für die bewährte teilchenphysikalische Theo­
rie, die die Wechselwirkungen dieser fundamentalen Materiebausteine
beschreibt - des Elektrons, des Up-Quarks und des Down-Quarks - und
auch noch die anderer fundamentaler Teilchen, auf die wir bald zu spre­
chen kommen. Das Standardmodell erklärt auch drei der vier Kräfte,
mittels deren die Elementarteilchen wechselwirken : den Elektromagne­
tismus, die schwache Kraft und die starke Kraft. (Die Schwerkraft wird
in der Regel weggelassen . )
Schwerkraft und Elektromagnetismus sind seit Hunderten von Jahren
bekannt, aber niemand verstand bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhun­
derts die beiden weniger bekannten Kräfte. Die schwache und die starke
Kraft wirken auf fundamentale Teilchen ein und sind für Vorgänge im
Atomkern wichtig. Sie ermöglichen es beispielsweise, dass sich Quarks
aneinander binden und dass Atomkerne zerfallen.
Wenn wir wollten, könnten wir auch die Gravitation in das Standard­
modell einbauen. In der Regel machen wir das j edoch nicht, weil die
Schwerkraft viel zu schwach ist, um irgendwelche Konsequenzen für die
Entfernungsskalen zu haben, die für die Teilchenphysik bei experimen­
tell zugänglichen Energien relevant sind. Bei sehr hohen Energien und
sehr kurzen Entfernungen brechen unsere normalen Vorstellungen von
der Gravitation zusamme n ; das ist für die Stringtheorie wichtig, passiert
aber bei messbaren Entfernungsskalen nicht. Wenn man Elementarteil- .

100
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

chen erforscht, ist die Gravitation nur für bestimmte Erweiterungen des
Standardmodells von Belang, beispielsweise die extradimensionalen
Modelle, die wir später betrachten werden. Bei allen anderen Vorhersa­
gen über Elementarteilchen können wir die Gravitation vergessen.
Nachdem wir nun in die Welt der fundamentalen Teilchen vorgedrun­
gen sind, wollen wir uns ein bisschen umsehen und bei unseren Nach­
barn Inventur machen. Das Up-Quark und das Down-Quark und das
Elektron stellen das Mark der Materie dar. Wir wissen aber mittlerweile,
dass es auch noch weitere, schwerere Quarks und andere schwerere,
den Elektronen ähnliche Teilchen gibt, die in gewöhnlicher Materie nir­
gendwo vorkommen.
Beispielsweise beträgt die Masse des Elektrons rund ein halbes Tau­
sendstel von der eines Protons, aber ein Teilchen namens Myon mit
genau derselben Ladung wie das Elektron hat eine Masse, die zweihun­
dertmal größer ist als die des Elektrons. Ein Teilchen namens Tau, das
gleichfalls dieselbe Ladung hat, besitzt eine noch zehnmal größere
Masse. Und bei Experimenten mit Hochenergie-Teilchenbeschleunigern
wurden in den letzten 30 Jahren noch schwerere Teilchen entdeckt. Um
sie zu produzieren, brauchten Physiker große Mengen extrem konzen­
trierter Energie, wie die heutigen hochenergetischen Teilchenbeschleuni­
ger sie erzeugen können.
Mir ist bewusst, dass dieser Abschnitt als Führung durch das Innere

erste Up Down Bektron- Bektron


Generation Neutrino

Myon-
zweite Charm Strange Neutrino Myon
Generation
MeV 0

dritte Top Bottom Tau" Tau


Generation Neutrino
�o
A b bildung 32 : Die Materieteilchen des Standardmodells und ihre Massen.
Teilchen in derselben Spalte haben identische Ladungen, aber unterschied­
liche Massen.

Elektroma g netismus schwache Kraft starke Kraft

Wechselwirkun g en schwache Eichbosonen


Photon Gluonen
< ermittelnde w· z
Eichbosonen GeV

Abbildung 3 3 : Die Wechselwirkungen vermittelnden Eichbosonen des Stan­


dardmodells, ihre Massen und die Kräfte, die sie austauschen.

101
VERBORGENE UNIVERSEN

der Materie angekündigt worden war, aber die Teilchen, über die ich
j etzt spreche, findet man nicht im Innern sta biler O bj ekte der materiellen
Welt. Auch wenn alle bekannte Materie aus Elementarteilchen besteht,
sind schwerere Elementarteilchen keine Konstituenten von Materie. Sie
werden sie nicht in Ihren Schnürsenkeln, auf Ihrem Schreibtisch oder auf
dem Mars oder in irgendeinem anderen uns bekannten physischen Ob­
j ekt finden. Diese Teilchen werden gegenwärtig nur bei Experimenten
mit Hochenergie-Teilchenbeschleunigern erzeugt, und sie waren unmit­
telbar nach dem Urknall Bestandteile des frühen Universums.
Trotzdem sind diese schweren Teilchen wesentliche Bestandteile des
Standardmodells. Sie wechselwirken mittels derselben Kräfte wie die
vertrauteren Teilchen, und sie werden höchstwahrscheinlich eine wich­
tige Rolle spielen, wenn es um ein tieferes Verständnis der grundlegen­
den physikalischen Gesetze der Materie geht. Ich habe die Teilchen des
Standardmodells in den Abbildungen 32 und 33 aufgelistet. Dabei habe
ich auch Neutrinos und Wechselwirkungen vermittelnde Eichbosonen
berücksichtigt, von denen ich mehr in Kapitel 7 berichten will, wenn ich
die Elemente des Standardmodells eingehender diskutiere.
Niemand weiß, warum es die schweren Teilchen des Standardmodells
gibt. Was ihr Zweck ist, welche Rolle sie letztlich in der zugrunde liegen­
den Theorie spielen und warum ihre Massen sich so stark von den Bau­
steinen der eher vertrauten Materie unterscheiden, zählt zu den großen
Geheimnissen, mit denen das Standardmodell konfrontiert ist. Und das
sind nur ein paar der Fragen, die das Standardmodell nicht beantworten
kann. Warum beispielsweise gibt es vier Kräfte und keine weiteren ?
Könnte es andere geben, die wir noch nicht entdeckt haben ? Und warum
ist die Gravitation so viel schwächer als die anderen bekannten Kräfte ?
Das Standardmodell lässt auch eine eher theoretische Frage offen, die
die Stringtheorie zu beantworten hofft : Wie versöhnen wir Quantenme­
chanik und Schwerkraft widerspruchsfrei bei allen Entfernungsskalen ?
Diese Frage unterscheidet sich insofern von den anderen, als sie nicht be­
obachtbare Phänomene betrifft, sondern stattdessen nach den Grenzen
der Teilchenphysik fragt.
Beide Arten von unbeantworteten Fragen - die nach sichtbaren und
j ene nach rein theoretischen Phänomenen -, bieten Anlass, über das
Standardmodell hinauszublicken. Trotz des Erfolgs und der Überzeu­
gungskraft des Standardmodells sind wir zuversichtlich, dass fundamen­
talere Strukturen der Entdeckung harren und dass die Suche nach funda­
mentaleren Prinzipien erfolgreich sein wird. Elegant hat das der Kompo-

1 02
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

nist Steve Reich in der New York Times formuliert ( i n einer Analogie zu
einem von ihm geschriebenen Stück ) : >> Erst gab es einfach nur Atome,
dann gab es Protonen und Neutronen, dann die Quarks, und heute reden
wir von der Stringtheorie. Es sieht so aus, als würde sich alle 20, 30, 40,
50 Jahre eine Falltür öffnen und den Weg zu einer neuen Ebene der Rea­
lität freigeben. << *
Bei Experimenten mit heutigen und zukünftigen Teilchenbeschleuni­
gern sucht man nicht länger nach den Bestandteilen des Standardmodells
- die sind alle * * gefunden worden. Mit dem Standardmodell kann man
diese Teilchen j e nach ihren Wechselwirkungen bestens organisieren,
und das vollständige Ensemble der Standardmodell-Teilchen ist heute
bekannt. Vielmehr suchen die Experimentatoren nach Teilchen, die noch
interessanter sein müssten. Gegenwärtige theoretische Modelle schließen
die Bestandteile des Standardmodells ein, fügen aber neue Elemente
hinzu, um einige der Fragen anzugehen, die das Standardmodell unbe­
antwortet lässt. Wir hoffen, dass heutige und zukünftige Experimente
Hinweise liefern, die uns erlauben, zwischen ihnen zu unterscheiden und
das wahre, der Materie zugrunde liegende Wesen zu finden.
Auch wenn wir experimentelle und theoretische Anzeichen für das
Wesen einer fundamentaleren Theorie haben, werden wir wahrschein­
lich nicht wissen, was die korrekte Beschreibung der Natur ist, bis Ex­
perimente mit noch höherer Energie (mit denen noch kürzere Entfer­
nungen untersucht werden) die Antwort liefern. Wie wir später sehen
werden, weisen theoretische Anzeichen darauf hin, dass Experimente im
nächsten Jahrzehnt fast mit Sicherheit etwas Neues ergeben werden. Ein
definitiver Beweis für die Stringtheorie wird das wahrscheinlich nicht
sein, weil ein solcher sehr schwer zu finden sein wird, aber wir werden
sehen, dass es etwas so Exotisches wie neue Beziehungen in der Raumzeit
sein kann oder neue und bislang nicht gesehene zusätzliche Dimensionen
- neue Phänomene, die sowohl in der Stringtheorie als auch in anderen
teilchenphysikalischen Theorien eine Rolle spielen. Und trotz der Band­
breite unserer kollektiven Vorstellungskraft werden diese Experimente
auch das Potenzial haben, etwas zu enthüllen, an das bislang noch nie­
mand gedacht hat. Meine Kollegen und ich sind sehr gespannt, was dies
sein wird.

* Zitiert in : Anne Midgette, " At 3 score and 10, the music deepens " , New York Times,
28. Januar 2005.
'' ,,.
Mit Ausnahme des Higgs-Teilchens, siehe hierzu die erste Fußnote von Kapitel 7.

103
VERBORGENE UNIVERSEN

Vorschau

Die gerade besuchte Struktur der Materie kennen wir infolge entschei­
dender physikalischer Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts.
Diese gewaltigen Fortschritte sind für jede noch umfassendere Theorie
der Welt, mit der wir vielleicht noch aufwarten werden, von entscheiden­
der Bedeutung, aber sie stellen auch an sich großartige Leistungen dar.
Vom nächsten Kapitel an werden wir diese Entwicklungen näher in
Augenschein nehmen. Theorien entwickeln sich aus Beobachtungen und
Defiziten von Vorläufertheorien, und die Rolle der j üngeren Fortschritte
werden Sie besser verstehen können, wenn Sie sich mit diesen bemer­
kenswerten früheren Entwicklungen vertraut machen . Abbildung 34
deutet einige der Zusammenhänge zwischen den zu diskutierenden
Theorien an. Wir werden sehen, wie j ede dieser Theorien auf den Ergeb­
nissen ä lterer aufgebaut wurde und wie neuere Theorien die Lücken fü ll­
ten, die erst entdeckt wurden, nachdem die älteren Theorien vervollstän­
digt waren.
Wir beginnen mit den beiden revolutionären Ideen vom Anfang des
20. Jahrhunderts : Relativitätstheorie und Quantenmechanik, durch die
wir etwas über die Gestalt des Universums und die O bj ekte darin in Er­
fahrung brachten und die Zusammensetzung und die Struktur des
Atoms verstehen lernten. Dann werden wir das Standardmodell der Teil­
chenphysik einführen, das i n den sechziger und siebziger Jahren des
20. Jahrhunderts entwickelt wurde, um die Wechselwirkungen der Eie-

allgemeine spezielle
Quanten­
Relativitäts-
mechanik
theorie

Standard­
String­
modell
theorie
Branen
Hierarchie

Supersymmetrie

Brauen­
Welten

A b bildung 34 : Die Bereiche der Physik, denen wir begegnen werden , und wie
sie miteinander zusammenhängen.

104
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK

mentarteilchen vorherzusagen, denen wir gerade begegnet sind. Wir


werden auch die wichtigsten Prinzipien und Konzepte der Teilchenphy­
sik betrachten : Symmetrie, gebrochene Symmetrie und Skalena bhängig­
keit physikalischer Größen, mittels deren wir viel darüber gelernt haben,
wie die elementarsten Komponenten der Materie die Strukturen hervor­
bringen, die wir sehen.
Trotz seiner vielen Erfolge lässt das Standardmodell der Teilchenphy­
sik einige fundamentale Fragen offen - Fragen von so grundlegender Be­
deutung, dass ihre Beantwortung neue Einsichten in die Bausteine unse­
rer Welt verspricht. Kapitel l O präsentiert einen der interessantesten und
geheimnisvollsten Aspekte des Standardmodells : den Ursprung der Ele­
mentarteilchenmassen. Wir werden sehen, dass wir fast mit Sicherheit
eine tiefer gehende physikalische Theorie brauchen als das Standardmo­
dell, wenn wir die Masse der bekannten Teilchen und die Schwäche der
Gravitation erklären wollen.
Mit extradimensionalen Modellen werden solche Probleme der Teil­
chenphysik angegangen, aber es werden auch Ideen aus der Stringtheorie
verwendet. Nachdem wir die Grundlagen der Teilchenphysik diskutiert
haben, werden wir darlegen, was der Anlass zur Stringtheorie war und
wie ihre grundsätzlichen Konzepte aussehen. Wir werden keine Modelle
direkt aus der Stringtheorie ableiten, aber sie umfasst einige der Ele­
mente, die man nimmt, um extradimensionale Modelle zu entwickeln.
Diese Übersicht fasst ein weites Feld zusammen, weil die Erforschung
von Extradimensionen viele theoretische Fortschritte in den beiden
Hauptsträngen der Teilchenphysik - Modellbau und Stringtheorie - zu­
sammenbringt. Eine gewisse Vertrautheit mit den interessantesten neue­
ren Entwicklungen auf diesen Gebieten wird Ihnen helfen, die Motive
und Methoden besser zu verstehen, die der Entwicklung von extradi­
mensionalen Modellen zugrunde liegen.
Für den Fall j edoch, dass Sie lieber kreuz und quer lesen, bringe ich am
Ende der Übersichtskapitel eine mit fetten Punkten markierte Liste der
entscheidenden Konzepte, auf die wir später Bezug nehmen werden,
wenn wir zum Bau extradimensionaler Modelle zurückkehren. Diese
Punktelisten dienen als Abkürzung, als Zusammenfassung, wenn Sie Ka­
pitel überspringen oder sich auf das Material konzentrieren wollen, auf
das wir später zu sprechen kommen. Gelegentlich werde ich mich auf
Dinge beziehen, die nicht in den Punktelisten stehe n ; diese werden aber
die Schlüsselideen zusammenfassen, die für die Haupterkenntnisse im
hinteren Teil des Buches entscheidend sind.

105
VERBORGENE UNIVERSEN

In Kapitel 17 werden wir beginnen, extradimensionale Branenwelten


zu erforschen - Theorien, denen zufolge die Materie, aus der unser Uni­
versum besteht, auf eine Brane beschränkt ist. Branenwelt-Ideen haben
neue Einsichten in der allgemeinen Relativitätstheorie, der Teilchenphy­
sik und der Stringtheorie geliefert. Die von mir präsentierten verschiede­
nen Branenwelten gehen von unterschiedlichen Annahmen aus und er­
klären unterschiedliche Phänomene. Die typischen Eigenschaften eines
j eden Modells werde ich am Ende j ener Kapitel - ebenfalls mit Punkten
versehen - zusammenfassen. Wir wissen noch nicht, welche - wenn
überhaupt eine - dieser Vorstellungen die Natur korrekt beschreiben
wird . Aber es ist sehr gut vorstellbar, dass wir letzten Endes herausfinden
werden, dass Branen Teil des Kosmos sind und dass wir - genau wie an­
dere, parallele Universen - auf sie beschränkt sind.
Eines habe ich aus dieser Art Forschung gelernt, nämlich dass das Uni­
versum oft mehr Phantasie hat als wir. Manchmal erweisen sich seine Ei­
genschaften als so unerwartet, dass wir nur durch Zufall auf sie stoßen.
Solche Überraschungen zu entdecken kann etwas Wunderbares sein. Die
uns bekannten physikalischen Gesetze haben, wie sich herausstellt, ver­
blüffende Konsequenzen .
Lassen Sie uns nun ergründen, was diese Gesetze besagen.

106
II

Fortschritte zu Beginn
des 2 0 . Jahrhunderts
5

Relativitätstheorie:
Die Evolution der Einstein'schen Gravitation

The laws of gravity are very, very strict.


And you're j ust bending them for your own benefit.
Die Gesetze der Gravitation sind sehr, sehr streng.
Und du beugst sie einfach zu deinen Gunsten.
Billy Bragg

Icarus (Ike) Rushmore III. konnte es nicht erwarten, Dieter seinen neuen
Parsehe vorzuführen. Aber so stolz er auch auf sein Auto war, noch auf­
regender fand er sein Globales Positionierungs-System (GPS), das er
k ürzlich selbst konstruiert und eingebaut hatte.
Ike wollte bei Dieter Eindruck schinden, also überredete er seinen
Freund, mit ihm zur nahe gelegenen Rennstrecke zu fahren. Sie stiegen
ins Auto, Ike programmierte das Ziel ein, und los ging es. Aber zu Ikes
Verdruss kamen sie am falschen Ort an - das GPS funk tionierte nicht an­
nähernd so gut, wie er gehofft hatte. Dieter dachte zunächst, Ike müsse
irgendeinen banalen Fehler gemacht haben, etwa Meter und Fuß ver­
wechselt haben. A ber Ike glaubte nicht, dass ihm etwas so Dummes un­
terlaufen sein könnte, und er wettete mit Dieter, dass dies nicht das Pro­
blem war.
Am nächsten Tag gingen Ike und Dieter an die Problemlösung. Aber
zu ihrem Entsetzen funktionierte das GPS bei der Spritztour noch
schlechter als am Tag davor. Wieder suchten Ike und Dieter nach dem
Fehler, und nach einer frustrierenden Woche hatte Dieter eine Einge­
bung. Er rechnete rasch nach und machte die verblüffende Entdeckung,
dass ohne Berücksichtigung der allgemeinen Relativitätstheorie Ikes
GPS Fehler machte, die sich jeden Tag um zehn Kilometer vergrößerten.
Ik e meinte, sein Parsehe sei nicht schnell genug, um relativistische Berech­
nungen zu rechtfertigen, aber Dieter erklärte ihm, dass die GPS-Signale -

109
VERBORGENE UNIVERSEN

nicht das Auto - sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegten. Dieter modi­


fizierte die Software so, dass das veränderliche Gravitationsfeld, das die
GPS-Signale passieren mussten, berücksichtigt wurde. Daraufhin funk­
tionierte Ikes System genauso gut wie die Geräte, die es von der Stange
zu kaufen gab. Erleichtert arbeiteten Ike und Dieter die Route für ihren
nächsten Trip aus.

Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sagte der britische Physiker


Lord Kelvin : ,,Jetzt gibt es in der Physik nichts Neues mehr zu entde­
cken. Uns bleiben nur immer präzisere Messungen . << * Damit lag Lord
Kelvin fabelhaft falsch : Sehr bald darauf revolutionierten Relativitäts­
theorie und Quantenmechanik die Physik und wuchsen sich zu den un­
terschiedlichen Gebieten aus, auf denen die Physiker heute arbeiten. Eine
scharfsinnigere Aussage Lord Kelvins, >> wissenschaftlicher Reichtum ak­
kumuliert sich nach dem Gesetz des Zinseszins << * ist j edoch mit Sicher­
,,_ ,

heit wahr und trifft in besonderem Maß auf diese revolutionären Ent­
wicklungen zu.
Dieses Kapitel behandelt die Wissenschaft von der Schwerkraft und
wie sie sich von der beeindruckenden Errungenschaft der Newton'schen
Gesetze bis zu den revolutionären Fortschritten von Einsteins Relativi­
tätstheorie entwickelte. Newtons Bewegungsgesetze sind die klassischen
physikalischen Gesetze, mit denen Wissenschaftler jahrhundertelang me­
chanische Bewegungen berechneten, auch die von der Gravitation verur­
sachten. Newtons Gesetze sind großartig, und sie erlauben uns, Aussagen
über Bewegungen zu machen, die spektakulär gut funktionieren - gut
genug, um Menschen auf den Mond zu schicken und Satelliten in die Um­
laufbahn, gut genug, um die superschnellen europäischen Züge in den
Gleisen zu halten, wenn sie durch die Kurven fahren, gut genug, um auf
Grund von Absonderlichkeiten im Umlauf des Uranus die Suche nach
dem achten Planeten, Neptun, zu starten. Allerdings nicht gut genug für
ein präzises GPS-System.
Unglaublicherweise braucht ein heutiges GPS Einsteins allgemeine Re­
lativitätstheorie, um seine Genauigkeit von einem Meter zu erreichen.
Bei Messungen der wechselnden Schneehöhen auf dem Mars mittels La-

,,_In einer Rede vor einer Gruppe Physiker bei der British Association for the Ad­
vancement of Science im Jahr 1900.
* * Ansprache als Präsident der British Association, 1871 .

1 10
RELATIVITÄTSTHEORIE

ser an Bord einer Sonde in der Umlaufbahn wird bei der Datenverarbei­
tung ebenfalls die allgemeine Relativitätstheorie berücksichtigt, und so
wird eine unglaubliche Präzision von zehn Zentimetern erreicht. Zur
Zeit ihrer Entstehung hätte bestimmt niemand - noch nicht einmal Ein­
stein - an eine so praktische Anwendung einer derart abstrakten Theorie
wie der von der allgemeinen Relativität gedacht.
Dieses Kapitel stellt Einsteins Theorie der Gravitation vor, die von
spektakulärer Genauigkeit ist und bei einem breiten Spektrum von Sys­
temen Anwendung findet. Wir werden kurz Newtons Schwerkrafttheo­
rie streifen, die bei den Energien und Geschwindigkeiten, die wir im All­
tagsleben erreichen, gut funktioniert. Dann gehen wir weiter zu den
Extremen, bei denen sie versagt : nämlich sehr hohem Tempo ( nahe der
Lichtgeschwindigkeit) und einer sehr großen Masse oder Energie. Bei
solchen Werten wird Newtons Gravitationsgesetz von Einsteins Relativi­
tätstheorie abgelöst. Mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie entwi­
ckelte sich der Raum ( und die Raumzeit) aus einem statischen Stadium
weiter zu einer dynamischen Entität, die sich bewegen und krümmen
und ein reiches Eigenleben führen kann. Diese Theorie werden wir uns
näher ansehen, und dazu auch die Anhaltspunkte, die zu ihrer Ausarbei­
tung führten, sowie ein paar der experimentellen Tests, die Physiker da­
von überzeugten, dass sie richtig ist.

Newton 'sche Schwerkraft

Die Gravitation ist die Kraft, die Ihre Füße auf dem Boden hält, und sie
sorgt für die Beschleunigung, die einen geworfenen Ball zur Erde zurück­
bringt. Ende des 16. Jahrhunderts zeigte Galileo Galilei, dass diese Be­
schleunigung für alle Obj ekte an der Erdoberfläche unabhängig von
ihrer Masse dieselbe ist.
Allerdings hängt diese Beschleunigung davon ab, wie weit das O bjekt
vom Zentrum der Erde entfernt ist. Allgemeiner ausgedrückt : Die Stärke
der Gravitation ist von der Entfernung zwischen den zwei Massen ab­
hängig - die Schwerkraft ist schwächer, wenn die Obj ekte mehr Abstand
zueinander haben. Und wenn es nicht die Erde ist, die für die Gravitation
verantwortlich ist, sondern ein anderes O bj ekt, hängt die Schwerkraft
von der Masse dieses Obj ekts ab.
Isaac Newton arbeitete das Gravitationsgesetz aus, in dem zusammen­
gefasst ist, wie die Schwerkraft von Masse und Entfernung abhängt.

111
VERBORGENE UNIVERSEN

Newtons Gesetz besagt, dass die Anziehungskraft zwischen zwei Obj ek­
ten proportional zur Masse beider O bj ekte ist. Dabei kann es sich um al­
les Mögliche handeln : Die Erde und einen Ball, die Sonne und Jupiter,
ein Basket- und ein Fußball oder was immer Ihnen an zwei Objekten
sonst noch einfällt. Je massiver die Obj ekte sind, desto größer ist die An­
ziehungskraft.
Newtons Gravitationsgesetz besagt also, dass die Schwerkraft von der
Entfernung zwischen den beiden Objekten abhängt. Wie bereits in Kapi­
tel 2 gezeigt, ist nach diesem Gesetz die Anziehungskraft zwischen zwei
O bj ekten proportional zum umgekehrten Quadrat ihres Abstands. Bei
diesem inversen Quadratgesetz kam der berühmte Apfel ins Spiel. *
Newton konnte die Beschleunigung aufgrund der Erdanziehungskraft
auf einen Apfel nahe der Erdoberfläche ableiten und sie mit der auf den
Mond ausgeübten Beschleunigung vergleichen, der sechzigmal weiter
vom Erdmittelpunkt entfernt ist als die Erdoberfläche. Die Beschleuni­
gung des Mondes aufgrund der Erdanziehung ist 3600-mal kleiner ( 3600
ist das Quadrat von 6 0 ) als die Beschleunigung des Apfels. Das stimmt
damit überein, dass die Schwerkraft mit dem Quadrat der Entfernung
vom Erdmittelpunkt abnimmt/
Aber auch wenn wir die Abhängigkeit der Gravitation von Masse und
Entfernung kennen, brauchen wir noch eine weitere Information, bevor
wir die Gesamtstärke der Schwerkraft bestimmen können. Dabei han­
delt es sich um eine Zahl, nämlich Newtons Gravitationskonstante, die
als Faktor in der Berechnung jeder klassischen Schwerkraft vorkommt.
Die Gravitation i st sehr schwach, und das spiegelt sich in der Winzigkeit
von Newtons Konstante, zu der alle Gravitationseffekte proportional
sind.
Die Anziehungskraft der Erde oder die Schwerkraft zwischen der
Sonne und den Planeten mag ziemlich groß erscheinen. Aber das liegt
nur daran, dass die Erde, die Sonne oder die Planeten so massiv sind.
Newtons Konstante ist sehr klein, und die Anziehungskraft zwischen
Elementarteilchen ist extrem schwach. Dieses Schwächein der Gravita­
tion ist an und für sich ein großes Rätsel, auf das wir später zurückkom­
men werden.
Zwar war seine Theorie korrekt, Newton zögerte aber die Publikation
um 20 Jahre bis 1 6 8 7 hinaus, denn er versuchte eine entscheidende Vo­
raussetzung seiner Theorie zu beweisen : Dass die Erde ihre Anziehungs-

* Die Anekdote mag erfunden sein, aber die Logik stimmt.

1 12
RELATIVITÄTSTHEORIE

kraft so ausübt, als wäre ihre gesamte Masse in ihrem Zentrum konzen­
triert. Um dieses Problem zu lösen, musste Newton zunächst die Infini­
tesimalrechnung entwickeln, was ein hartes Stück Arbeit war, und wäh­
renddessen machten Edmund Halley, Christopher Wren, Robert Hooke
und Newton selbst große Fortschritte bei der Bestimmung der Schwer­
kraft durch Analyse der Planeten bewegungen, deren Umlaufbahnen Jo­
hannes Kepler vermessen und als elliptisch erkannt hatte.
All diese Männer trugen dazu bei, die Frage der Planetenbewegung zu
klären, aber Newton wurde die Ehre zuteil, dass das inverse Quadratge­
setz nach ihm benannt wurde. Denn letztlich war es Newton, der zeigte,
dass elliptische Umlaufbahnen nur dann aus einer zentralen Kraft ( j ener
der Sonne ) resultieren können, wenn das inverse Quadratgesetz richtig
war, und er zeigte mit Hilfe der Infinitesimalrechnung, dass die Masse
eines kugelförmigen Körpers in der Tat so wirkt, als wäre sie in seiner
Mitte konzentriert. Newton erkannte allerdings auch den Wert der Ar­
beiten anderer, als er sagte : ,, Wenn ich weiter gesehen habe, dann nur,
weil ich auf den Schultern von Riesen stand . << '' ( Es hält sich jedoch das
Gerücht, dass er dies nur sagte, weil er Hooke nicht leiden konnte, der
sehr klein war. )
Auf der High School lernten wir im Physikunterricht Newtons Gesetze
kennen und berechneten das Verhalten interessanter ( wenn auch irgend­
wie etwas künstlicher) Systeme. Ich kann mich noch gut erinnern, wie
wütend ich war, als unser Lehrer, Mr. Baume!, uns mitteilte, dass die
Gravitationstheorie, die wir gerade gelernt hatten, falsch war. Warum
sollte man uns eine Theorie beibringen, von der man wusste, dass sie
nicht korrekt war ? In meiner High-School-Sicht der Welt lag der ganze
Vorzug der Naturwissenschaften darin, dass sie wahr und verlässlich wa­
ren und man akkurate und auf Tatsachen beruhende Vorhersagen ma­
chen konnte. Aber Mr. Baume! hatte die Sache zu stark vereinfacht, viel­
leicht aus dramaturgischen Gründen. Newtons Theorie war nicht falsch :
Sie war bloß eine Annäherung, die unter den meisten Umständen un­
glaublich gut funktioniert. Für ein breites Spektrum von Parametern
( Geschwindigkeit, Entfernung, Masse und so weiter) sagt sie die Gravi­
tationskräfte ziemlich genau voraus. Die präzisere, ihr zugrunde lie­
gende Theorie ist aber die der Relativität, und mit der kommt man nur
zu messbar unterschiedlichen Vorhersagen, wenn man es mit extrem ho­
hen Geschwindigkeiten oder großen Mengen von Masse oder Energie zu

* Brief Isaac Newtons an Robert Hooke, 5. Februar 1 6 75.

1 13
VERBORGENE UNIVERSEN

tun bekommt. Newtons Gesetz beschreibt die Bewegung eines Balls be­
wundernswert gut, da auf diesen keine der oben genannten Kriterien zu­
trifft. Mit der Relativitätstheorie die Bahn eines Balls vorherzusagen,
wäre absolut albern.
In der Tat hielt Einstein selbst anfänglich die spezielle Relativitätstheo­
rie bloß für eine Verbesserung der Newton'schen Physik - nicht für einen
radikalen ParadigmenwechseL Aber das war natürlich angesichts der Be­
deutung, die seine Arbeit schließlich gewann, eine grobe Untertreibung.

Die spezielle Relativitätstheorie

Von physikalischen Gesetzen sollte man mit Fug und Recht erwarten,
dass sie für alle gleichermaßen gelten. Niemand würde es uns verübeln,
wenn wir ihre Gültigkeit und ihren Nutzen infrage stellten, falls Men­
schen in verschiedenen Ländern oder fahrenden Zügen oder in fliegen­
den Flugzeugen es mit unterschiedlichen physikalischen Gesetzen zu tun
hätten. Physikalische Gesetze sollten von grundsätzlicher Natur sein und
für j eden Beobachter gleich wahr. Unterschiedliche Rechenergebnisse
sollten auf unterschiedliche Umgebungsbedingungen zurückzuführen
sein, nicht auf die Gesetze der Physik. Es wäre wirklich sehr merkwür­
dig, universelle physikalische Gesetze zu haben, die einen bestimmten
Beobachtungspunkt brauchen. Die j eweiligen Größen, die man misst,
könnten vom j eweiligen Bezugssystem abhängen, aber die Gesetze, nach
denen diese Größen sich richten, sollten es nicht. Einsteins Formulierung
der speziellen Relativitätstheorie stellt sicher, dass dies der Fall ist.
Eigentlich ist es eine Ironie, dass Einsteins Arbeit über die Gravitation
als >> Relativitätstheorie << bezeichnet wird . Der entscheidende Punkt, der
ihn dazu brachte, sowohl die spezielle als auch die allgemeine Relativi­
tätstheorie zu formulieren, bestand darin, dass physikalische Gesetze un­
abhängig von ihrem Bezugssystem für alle gleichermaßen gelten sollten.
Einstein selbst hätte die Bezeichnung >> Invariantentheorie << bevorzugt.*
1921 schrieb er in einem Brief, mit dem er auf eine Anfrage antwortete,
ob man nicht die Bezeichnung überdenken sollte, er gäbe zu, der Aus­
druck >> Relativität<< sei unglücklich.''. '' Aber bis dahin hatte sich der Aus-

* Gerald Holton, Einstein, die Geschichte und andere Leidenschaften ( Braunschweig,


Wiesbaden : Vieweg 1 9 9 8 ) .
*" Brief an E. Zschimmer, 3 0 . September 1921 .

1 14
RELATIVITÄTSTHEORIE

druck schon zu sehr festgesetzt, als dass er ihn noch einmal hätte ändern
können.
Einstein gewann seine ersten Erkenntnisse über Bezugssysteme und
Relativität aus dem Nachdenken über Elektromagnetismus. Die allseits
bekannte Theorie des Elektromagnetismus stammte aus dem 1 9. Jahr­
hundert und basierte auf den Maxwell'schen Gesetzen, die das Verhalten
des Elektromagnetismus und elektromagnetischer Wellen beschreiben.
Die Gesetze führten zu korrekten Ergebnissen, aber alle hatten ur­
sprünglich die Vorhersagen falsch interpretiert, nämlich als Bewegung
durch einen •• Äther << , eine hypothetische unsichtbare Substanz, deren
Schwingungen elektromagnetische Wellen sein sollten. Einstein be­
merkte, wenn es einen Äther gäbe, müsste es auch einen bevorzugten Be­
obachtungspunkt geben beziehungsweise ein solches Bezugssystem : das­
j enige, bei dem der Äther in Ruhe ist. Er überlegte, dass dieselben physi­
kalischen Gesetze für Menschen gelten sollten, die sich mit konstanter
Geschwindigkeit und Richtung in Bezug zueinander und in Bezug zu je­
mandem in Ruhe bewegen - das heißt in Bezugssystemen, die Physiker
als Inertialsysteme bezeichnen. Da alle physikalischen Gesetze, ein­
schließlich derer des Elektromagnetismus, für Beobachter in allen Inerti­
alsystemen gelten mussten, gab Einstein die Idee des Äthers auf und for­
mulierte letztlich die spezielle Relativitätstheorie.
Einsteins spezielle Relativitätstheorie war ein großer Entwicklungs­
sprung und stellte eine radikale Revision der Konzepte von Raum und
Zeit dar. Peter Galison *, ein Physiker und Wissenschaftshistoriker, ver­
mutet, dass nicht allein die Äther-Theorie Einstein auf die richtige Spur
brachte, sondern auch Einsteins damaliger Brotberuf. Galison überlegte,
dass Einstein, der in Deutschland aufwuchs und am Schweizer Patent­
amt in Bern arbeitete, einfach an Zeit und die Koordinierung von Zeiten
gedacht haben muss. Jeder Europareisende weiß, dass Präzision in Län­
dern wie der Schweiz und Deutschland hoch geschätzt wird, was die an­
genehme Folge hat, dass sich die Passagiere darauf verlassen können,
dass die Züge den Fahrplan einhalten. Einstein arbeitete von 1902 bis
1909 im Patentamt ; in diesen Jahren wurde Bahnfahren immer wichti­
ger, und die Zeiten zu koordinieren war eines der Hauptprobleme mit
der neuen Technik. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts dachte Einstein
höchstwahrscheinlich über Probleme der wirklichen Welt nach, bei-

* Peter Galison, Einsteins Uhren, Poincartis Karten (Frankfurt am Main : 5. Fischer,


2003 ) .

115
VERBORGENE UNIVERSEN

spielsweise wie man die Zeit an dem einen Bahnhof mit der an einem an­
deren koordiniert.
Natürlich entwickelte Einstein nicht die Relativitätstheorie, um das
Problem der Koordinierung realer Züge zu lösen. (Wer wie ich die häu­
figen Verspätungen amerikanischer Züge kennt, für den mögen koordi­
nierte Zeiten in j edem Fall exotisch klingen. * ) Zeiten zu koordinieren
warf aber ein paar interessante Fragen auf. Die Zeiten relativistisch sich
bewegender Züge zu koordinieren ist kein kleines Problem. Sollte ich
meine Uhr mit der eines Passagiers in einem fahrenden Zug koordinie­
ren, müsste ich die Zeitverzögerung eines Signals zwischen uns beiden
berücksichtigen, denn die Geschwindigkeit des Lichts ist endlich. Meine
Uhr mit der eines Menschen auf dem Platz neben mir zu koordinieren
wäre nicht dasselbe, wie sie mit der einer weit entfernten Person zu ko­
ordinieren. ·' ''
Einsteins entscheidende Erkenntnis, die ihn auf die spezielle Relativi­
tätstheorie brachte, bestand darin, dass die Vorstellungen von Zeit neu
formuliert werden mussten. Einstein zufolge konnten Raum und Zeit
nicht länger als unabhängig voneinander betrachtet werden. Sie sind
zwar nicht dasselbe - Zeit und Raum unterscheiden sich eindeutig -, die
Messgrößen hängen aber von der Geschwindigkeit ab. mit der man sich
bewegt. Die spezielle Relativitätstheorie war das Ergebnis dieser Er­
kenntnis.
So bizarr sie auch sein mögen, man kann Einsteins neuartige Konse­
quenzen der speziellen Relativitätstheorie allesamt aus zwei Postulaten
ableiten. Um sie formulieren zu können, müssen wir verstehen, was ein
Inertialsystem ist - eine besondere Kategorie von Bezugssystemen. Neh­
men wir zunächst irgendein Bezugssystem, das sich mit konstanter Ge­
schwindigkeit und Richtung bewegt ; eines in Ruhe ist oft am besten.
Inertialsysteme wären dann solche, die sich mit fester Geschwindigkeit

''
Verstehen Sie mich nicht falsch : Ich mag Züge. Aber ich wimschre, sie würden in den
Vereinigten Staaten mehr gefördert.
,,. * Die Zeiten amerikanischer Züge sind nicht immer gut koordiniert, doch die Eisen-
1::- a hngesellschaft Amtrak scheint die spezielle Relativitätstheorie anzuerkennen, wenn
sie in ihrer Werbung fü r Acela, einen Hochgeschwindigkeitszug im Nordosten, be­
hauptet : » Zeit und den Raum, sie zu nutzen « . » Zeit« und » Ra u m « sind zwar nicht
u n bedingt gegeneinander austauschbar, aber der Slogan » Raum und die Zeit, ihn zu
nutzen « würde korrekt meine erheblich verspäteten Bahnfahrten beschreiben. Aller­
dings wäre diese Formulierung keine überzeugende Werbung für einen Hochge­
schwindigkeitszug.

1 16
RELATIVITÄTSTHEORIE

und Richtung in Bezug auf das Erste bewegen - j emand beispielsweise,


der mit konstanter Geschwindigkeit in dieselbe Richtung läuft oder
fährt.
Einsteins Postulate lauten dann :

Die Gesetze der Physik sind in allen Inertialsystemen dieselben.


Die Lichtgeschwindigkeit, c, ist in allen Inertialsystemen dieselbe.

Die beiden Postulate sagen uns, dass Newtons Gesetze unvollständig


sind. Wenn wir Einsteins Postulate akzeptieren, haben wir keine andere
Wahl, als die Newton 'schen durch neue physikalische Gesetze zu erset­
zen, die mit diesen Regeln im Einklang stehen.8 Die daraus folgenden
Gesetze der speziellen Relativitätstheorie führen zu all den verblüffenden
Konsequenzen, von denen Sie vielleicht schon gehört haben, etwa der
Zeitdehnung, der Beobachterabhängigkeit von Gleichzeitigkeit und der
Lorentz-Kontraktion eines sich bewegenden O bjekts. Wenn man die
neuen Gesetze auf Obj ekte anwendet, die sich mit im Vergleich zur
Lichtgeschwindigkeit geringem Tempo bewegen, sehen sie ganz ähnlich
wie die alten Gesetze der klassischen Physik aus. Aber wenn man sie
auf etwas anwendet, das sich sehr viel schneller bewegt - mit oder fast
mit Lichtgeschwindigkeit -, werden die Unterschiede zwischen der
Newton'schen Version und der speziellen Relativitätstheorie offensicht­
lich .
Beispielsweise werden bei der Newton'schen Mechanik Geschwindig­
keiten einfach addiert. Ein Auto, das Ihnen auf der Autobahn entgegen­
kommt, nähert sich Ihnen mit einer Geschwindigkeit, die die Summe von
seinem Tempo und Ihrem Tempo ist. Ähnlich verhält es sich, wenn Sie in
einem fahrenden Zug sitzen und j emand vom Bahnsteig einen Ball nach
Ihnen wirft : Die Geschwindigkeit des Balles scheint die Summe der Ei­
gengeschwindigkeit des Balls plus der Geschwindigkeit des fahrenden
Zugs zu sein. ( Ein ehemaliger Student von mir, Witek Skiba, kann das
bezeugen. Er ging beinahe k.o., als ihn ein Ball traf, den jemand auf den
näher kommenden Zug geworfen hatte, in dem er saß. )
Nach der Newton'schen Physik müsste die Geschwindigkeit eines
Lichtstrahls, der auf einen fahrenden Zug trifft, der Summe von Lichtge­
schwindigkeit plus Zuggeschwindigkeit entsprechen. Aber das kann
nicht wahr sein, wenn die Lichtgeschwindigkeit konstant ist, wie Ein­
steins zweites Postulat behauptet. Wenn die Lichtgeschwindigkeit immer
gleich groß ist, dann muss die Geschwindigkeit des auf den fahrenden
Zug treffenden Lichtstrahls identisch mit der eines Strahls sein, der Sie

117
VERBORGENE UNIVERSEN

trifft, wenn Sie auf der Stelle stehen. O bwohl es Ihrer Erfahrung mit den
niedrigen Geschwindigkeiten des täglichen Lebens zu widersprechen
scheint, ist die Lichtgeschwindigkeit konstant, und in der speziellen Re­
lativitätstheorie werden Geschwindigkeiten auch nicht einfach addiert
wie in der Newton'schen Physik. Stattdessen addiert man Geschwindig­
keiten nach einer relativistischen Formel, die aus Einsteins Postulaten
folgt.
Vieles, was aus der speziellen Relativitätstheorie folgt, passt nicht zu
den uns vertrauten Vorstellungen von Zeit und Raum. Die spezielle Re­
lativitätstheorie geht mit Raum und Zeit anders um als die frühere
Newton'sche Mechanik, und das führt zu vielen ihrer unserem Alltags­
verstand widersprechenden Resultate. Messungen von Zeit und Raum
hängen von der Geschwindigkeit ab und vermischen sich in Systemen,
die sich relativ zueinander bewegen. Aber so überraschend das auch sein
mag, wenn man die beiden Postulate akzeptiert, dann ist eine andere
Vorstellung von Raum und Zeit die unausweichliche Konsequenz.
Hier ist einer der Gründe, warum : Stellen Sie sich zwei identische
Schiffe mit identischen Masten vor. Eines liegt im Hafen vor Anker, das
andere entfernt sich. Stellen Sie sich auch vor, dass die Kapitäne der bei­
den Schiffe ihre Uhren synchronisierten, als das eine Schiff abfuhr.
Jetzt nehmen wir an, dass die beiden Kapitäne etwas Merkwürdiges
machen : Sie messen beide auf ihren Schiffen die Zeit, indem sie an der
Mastspitze einen Spiegel anbringen und einen zweiten an seinem unteren
Ende, sodass Licht vom unteren Spiegel zum oberen gelenkt wird und
andersherum ; dann zählen die Kapitäne mit, wie oft das Licht auf den
Spiegel trifft und wieder unten ankommt. In praktischer Hinsicht wäre
das natürlich absurd, da dass Licht zum Mitzählen viel zu schnell hin­
und hergeworfen würde. Aber üben Sie Nachsicht mit mir und stellen Sie
sich vor, dass die Kapitäne außerordentlich schnell zählen können ; ich
werde mit diesem etwas an den Haaren herbeigezogenen Beispiel zeigen,
dass die Zeit auf dem fahrenden Schiff sich dehnt.
Jeder Kapitän weiß, wie lang das Licht für einen Zyklus braucht, also
können sie die vergangene Zeit berechnen, indem sie die Zeit für einen
Lichtdurchlauf mit der Anzahl, wie oft das Licht hinauf- und hinunter­
gespiegelt wurde, multiplizieren. Jetzt nehmen wir noch an, dass der Ka­
pitän des vor Anker liegenden Schiffes die Zeit nicht mit seiner eigenen
stationären Spiegeluhr misst, sondern mitzählt, wie oft das Licht auf
dem fahrenden Schiff auf den Spiegel an der Mastspitze trifft und wieder
hinuntergeworfen wird.

118
RELATIVITÄTSTHEORIE

Aus der Perspektive des Kapitäns auf dem fahrenden Schiff wird das
Licht geradewegs hinauf- und hinabgespiegelt. Aus der Sicht des Kapi­
täns auf dem vor Anker liegenden Schiff muss das Licht eine größere
Strecke zurücklegen (um auch die Distanz abzudecken, die das fahrende
Schiff zurückgelegt hat, siehe Abbildung 35 ) . Aber - und dies wider­
spricht der Alltagserfahrung - die Lichtgeschwindigkeit ist konstant.
Das zur Mastspitze geschickte Licht auf dem Schiff vor Anker ist ge­
nauso schnell wie das zur Mastspitze geschickte Licht auf dem fahrenden
Schiff. Da bei der Ermittlung der Geschwindigkeit die im Lauf der Zeit
zurückgelegte Entfernung gemessen wird und da die Lichtgeschwindig­
keit für das fahrende Schiff genauso groß ist wie für das stationäre, muss
die sich bewegende Spiegel-Uhr langsamer » ticke n << , um die größere Di­
stanz zu kompensieren, die das Licht in Bewegung zurücklegen muss.
Dieser alles andere als eingängige Schluss - dass sich bewegende und sta­
tionäre Uhren unterschiedlich schnell ticken müssen - folgt aus der Tat­
sache, dass die Lichtgeschwindigkeit in einem sich bewegenden Bezugs­
system dieselbe ist wie die in einem stationären. Und auch wenn dies eine
sehr kuriose Art der Zeitmessung ist, trifft dieselbe Schlussfolgerung -
dass Uhren in Bewegung langsamer gehen - zu, ganz egal wie die Zeit ge­
messen wird. Trügen die Kapitäne normale Armbanduhren, würden sie
dasselbe beobachten ( abermals mit der Einschränkung, dass bei norma­
len Geschwindigkeiten der Effekt winzig wäre ) .
D a s obige Beispiel i s t zwar etwas konstruiert, d a s beschriebene Phä­
nomen aber führt zu tatsächlich messbaren Effekten. Beispielsweise
führt die spezielle Relativitätstheorie dazu, dass von sich schnell bewe-

A bbildung 3S : Der Weg eines Lichtstrahls, der von der Mastspitze eines sta­
tionären Schiffes und eines fahrenden reflek tiert wird. Der stationäre Beob­
achter (auf einem Schiff vor Anker oder auf einem Leuchtturm) würde im
zweiten Fall einen längeren Weg sehen.

119
VERBORGENE UNIVERSEN

genden Obj ekten unterschiedliche Zeiten wahrgenommen werden - ein


Phänomen, das als Zeitdehnung bekannt ist.
Physiker messen die Zeitdehnung, wenn sie Elementarteilchen unter­
suchen, die von Beschleunigern produziert werden oder in der Atmo­
sphäre vorkommen und die sich mit relativistischen Geschwindigkeiten
bewegen - die sich der Lichtgeschwindigkeit annähern. So hat etwa das
Elementarteilchen namens Myon dieselbe Ladung wie ein Elektron, ist
aber viel schwerer und kann zerfallen (das heißt, es kann sich in andere,
leichtere Teilchen verwandeln ) . Die Lebenszeit eines Myons - die Zeit bis
es zerfällt - beträgt nur zwei Mikrosekunden. Hätte ein Myon in Bewe­
gung dieselbe Lebenszeit wie ein stationäres, würde es nur rund 600 Me­
ter reisen, bevor es verschwindet. Aber Myonen schaffen es, unsere ge­
samte Atmosphäre zu durchqueren, und in Teilchenbeschleunigern ge­
langen sie bis an die Ränder der großen Detektoren, weil sie sich fast mit
Lichtgeschwindigkeit bewegen und uns daher viel langlebiger erschei­
nen. In der Atmosphäre reisen Myonen mindestens zehnmal weiter als in
einem Universum, das auf Newton'schen Prinzipien basiert. Genau die
Tatsache, dass wir diese Myonen überhaupt sehen, zeigt uns, dass die
Zeitdehnung ( und die spezielle Relativitätstheorie ) tatsächliche physika­
lische Folgen hat.
Die spezielle Relativitätstheorie ist so wichtig, weil sie zum einen eine
dramatische Abkehr von der klassischen Physik darstellte und weil sie
zum anderen für die Ausarbeitung der allgemeinen Relativitätstheorie
und der Quantenfeldtheorie entscheidend war, die beide eine bedeutende
Rolle bei weiteren Entwicklungen spielten. Weil ich aber die spezifischen
Vorhersagen der speziellen Relativitätstheorie nicht benutzen werde,
wenn ich später Teilchenphysik und extradimensionale Modelle disku­
tiere, widerstehe ich dem Drang, all die faszinierenden Konsequenzen
der speziellen Relativitätstheorie durchzugehen, beispielsweise warum
Gleichzeitigkeit davon abhängt, ob ein Beobachter sich bewegt, und wie
sich die Größe von Objekten in Bewegung von ihrer Größe in Ruhe un­
terscheidet. Stattdessen werden wir uns auf eine andere dramatische Ent­
wicklung stürzen, nämlich die allgemeine Relativitätstheorie, die ent­
scheidende Bedeutung erlangt, wenn wir später über Stringtheorie und
zusätzliche Di mensionen nachdenken.

120
RELATIVITÄTST HEORIE

Das Äquivalenzprinzip :
Die Anfänge der allgemeinen Relativitätstheorie

Einstein schrieb seine spezielle Relativitätstheorie im Jahr 1905 nieder.


Als er dann 1 907 an einem Aufsatz arbeitete, mit dem er seine jüngsten
Forschungen zu dem Thema zusammenfassen wollte, fragte er sich be­
reits, ob man die Theorie auf alle Situationen anwenden könne. Zwei
Schwachstellen fielen ihm auf. Zum einen waren die physikalischen Ge­
setze nur in bestimmten Bezugssystemen dieselben - in jenen, die sich mit
fester Geschwindigkeit und Richtung zueinander bewegten.
In der speziellen Relativitätstheorie genossen diese Inertialsysteme
eine privilegierte Position. Bezugssysteme, die sich beschleunigten, fehl­
ten. Wenn Sie in Ihrem Auto beim Fahren auf das Gaspedal treten, be­
finden Sie sich nicht mehr in einem der speziellen Bezugssysteme, in de­
nen die Gesetze der speziellen Relativitätstheorie in ihrer einfachen Form
gelten. Das ist das >> Spezielle << an der speziellen Relativitätstheorie : Diese
Inertialsysteme sind nur eine kleine Untergruppe aller möglichen Bezugs­
systeme. Für jemanden, der davon überzeugt war, dass kein Bezugssys­
tem privilegiert sein sollte, war es ein großes Problem, dass die Theorie
sich ausschließlich auf Inertialsysteme bezog.
Einsteins zweite Sorge galt der Gravitation. Er hatte zwar herausge­
funden, wie Objekte in bestimmten Situationen auf Schwerkraft reagie­
ren, er hatte aber noch nicht die Formeln gefunden, um das Gravitati­
onsfeld selbst zu bestimmen. Für einfachere Bedingungen war die Form
des Schwerkraftgesetzes bekannt, aber Einstein konnte noch nicht das
Feld für jede mögliche Materieverteilung ableiten.
Von 1 905 bis 1915 widmete sich Einstein der manchmal zermürben­
den Aufgabe, diese Probleme zu lösen. Das Ergebnis war die allgemeine
Relativitätstheorie. Im Mittelpunkt dieser neuen Theorie stand das
Äquivalenzprinzip, wonach die Auswirkungen von Beschleunigung
nicht von denen der Gravitation zu unterscheiden sind. Alle Gesetze
der Physik würden für einen besch leunigenden Beobachter genauso
aussehen wie für einen stationären Beobachter in einem Gravitations­
feld, das alles im stationären Bezugssystem in gleichem Maß beschleu­
n igt - nur in entgegengesetzter Richtung -, wie der erste Beobachter
beschleunigt. Anders ausgedrückt : Man hätte keine Möglichkeit, eine
gleichförmige Beschleunigung vom Stillstand in einem Gravitationsfeld
zu unterscheiden. Nach dem Äquivalenzprinzip gibt es kein Messver­
fahren, das zwischen diesen beiden Situationen unterscheiden könnte .

121
VERBORGENE UNIVERSEN

Ein Beobachter könnte niemals sagen, in welcher Situation er sich be­


findet.
Das Äquivalenzprinzip folgt aus der Gleichwertigkeit von träger
Masse ( Inertialmasse ) und schwerer Masse (Gravitationsmasse ) , zwei
Größen, die sich im Prinzip voneinander unterscheiden könnten . Von
der trägen Masse hängt ab, wie ein O bj ekt auf irgendeine Kraft reagiert
- wie stark es beschleunigen würde, wenn man diese Kraft darauf wirken
ließe. Die Funktion der trägen Masse ist in Newtons zweitem Bewe­
gungsgesetz zusammengefasst, F ma, nach dem eine Kraft der Größe F,
=

die auf ein Obj ekt mit der Masse m einwirkt, eine Beschleunigung von a
bewirkt. Newtons berühmtes zweites Gesetz sagt uns, dass eine gege­
bene Kraft ein O bj ekt mit einer größeren trägen Masse weniger be­
schleunigt, was Ihnen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung vertraut ist.
(Wenn Sie gegen eine Fußbank treten, fliegt diese schneller und weiter,
als wenn Sie genauso fest gegen einen großen Flügel treten . ) Man be­
achte, dass dieses Gesetz für j ede Art von Kraft gilt - beispielsweise auch
die elektromagnetische Kraft. Es gilt in Situationen, die rein gar nichts
mit Gravitation zu tun haben.
Die schwere Masse ist hingegen die Größe, die in das Gravitationsge­
setz Eingang gefunden hat und die Stärke der Anziehungskraft bestimmt.
Wie wir gesehen haben, ist die Stärke der Newton'schen Schwerkraft
proportional den beiden Massen, die einander anziehen. Das sind die
schweren Massen. Es hat sich herausgestellt, dass die schwere Masse und
die träge Masse in Newtons zweitem Bewegungsgesetz gleich sind, und
deswegen können wir ihnen auch beruhigt denselben Namen geben :
Masse. Im Prinzip aber hätten sie sich unterscheiden können, und dann
müssten wir die eine vielleicht >> Masse << und die andere >> Essam << nennen.
Glücklicherweise brauchen wir das nicht.
Die geheimnisvolle Tatsache, dass die beiden Massen identisch sind,
hat schwerwiegende Folgen, die zu erkennen und auszuarbeiten es ei­
nes Einsteins bedurfte . Dem Gravitationsgesetz zufolge ist die Stärke
der Anziehungskraft proportional zur Masse, und Newtons Gesetz sagt
uns, eine wie starke Beschleunigung von dieser (oder j eder anderen )
Kraft hervorgerufen würde. Weil die Stärke der Gravitation proportio­
nal zu derselben Masse ist, von der das Maß an Beschleunigung ab­
hängt, ergeben beide Gesetze zusammen, dass zwar die Kraft wegen F =

ma von der Masse abhängt, die von der Gravitation bewirkte Schwer­
kraft aber völlig unabhängig von der beschleunigten Masse ist. Die Be­
schleunigung durch die Gravitation, die auf irgendein Obj ekt einwirkt,

122
RELATIVITÄTSTHEORIE

muss für alles und jeden dieselbe sein, der oder das dieselbe Entfernung
von einem anderen O bj ekt hat. Das ist die These, die Galileo Galilei
angeblich verifizierte, indem er Dinge vom Schiefen Turm zu Pisa ,,.
warf und damit zeigte, dass die Erde auf alle Obj ekte unabhängig von
ihrer Masse dieselbe Anziehungskraft ausübt. Dieser Umstand - dass
die Beschleunigung von der Masse des beschleunigten Obj ekts unab­
hängig ist - ist nur der Gravitation zu eigen, weil außer der Schwer­
kraft keine andere Kraft von der Masse abhängt. Und weil das Gravita­
tionsgesetz und Newtons Bewegungsgesetz auf dieselbe Weise von der
Masse abhängen, hebt sich die Masse auf, wenn man die Beschleuni­
gung berechnet. Folglich hängt die Beschleunigung nicht von der Masse
ab.
Diese relativ unkomplizierte Ableitung hat weit reichende Folgen. Da
in einem einheitlichen Gravitationsfeld alle Obj ekte dieselbe Beschleuni­
gung erfahren, würde, wenn diese eine Beschleunigung gestrichen wer­
den könnte, damit auch der Nachweis der Gravitation gestrichen. Und
genau das passiert mit einem frei fallenden Körper : Er wird genau so be­
schleunigt, dass der Nachweis der Gravitation ausgelöscht wird.
Wenn Sie sich samt allem um Sie herum im freien Fall befänden, wür­
den Sie sich dem Äquivalenzprinzip zufolge eines Gravitationsfelds nicht
bewusst. Ihre Beschleunigung würde die Beschleunigung auslöschen, die
anderweitig das Gravitationsfeld hervorrufen würde. Diesen Zustand
der Schwerelosigkeit kennt man mittlerweile von Bildern aus Raumsta­
tionen in der Erdumlaufbahn : Die Astronauten und die Obj ekte um sie
herum unterliegen nicht der Schwerkraft.
Lehrbücher illustrieren das Fehlen von Schwerkrafteffekten ( aus der
Sicht eines frei fallenden Beobachters ) oft mit einem Bild von einer Per­
son, die in einem frei fallenden Fahrstuhl einen Ball fallen lässt. Beide
sind zusammen auf dem Bild zu sehen. Die Person im Fahrstuhl sieht den
Ball stets in derselben Höhe über dem Boden des Fahrstuhls. Sie sieht den
Ball nicht fallen ( siehe Abbildung 36 ) .
Physik bücher präsentieren d e n frei fallenden Fahrstuhl immer, als
wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, dass der Beobachter im
Innern ruhig und gelassen einen Ball nicht fallen sieht und sich keine Sor­
gen um sein persönliches Wohlergehen macht. Das steht im deutlichen
Widerspruch zu den angstverzerrten Gesichtern in Filmen, in denen die

* In Wirklichkeit führte er das Experiment durch, indem er seine Zeitmessungen an


Objekten vornahm, die eine schiefe Ebene hinunterrollten.

123
VERBORGENE UNIVERSEN

Abbildung 3 6 : Wenn ein Beobachter in einem frei fallenden Fahrstuhl einen


Ball loslässt, sieht er diesen nicht fallen. Wenn der frei fallende Fahrstuhl auf
die stationäre Erde trifft, wird der Beobachter sicher nicht sehr glücklich sein.

Trossen eines Fahrstuhls durchgesägt werden und Schauspieler auf den


Boden zurasen. Warum so unterschiedliche Reaktionen ? Befände sich al­
les im freien Fall, gäbe es keinen Grund zur Besorgnis. Die Situation
wäre nicht von einer zu unterscheiden, bei der alles in Ruhe ist, wenn
auch in einem Umfeld, dessen Schwerkraft null beträgt. Wenn sich aber
wie in diesen Filmen j emand im freien Fall befindet, der Boden unter ihm
aber an Ort und Stelle blei bt, hat er allen Grund, zu versteinern. Wenn
jemand in einem frei fallenden Fahrstuhl steckt, aber fester Boden seiner
Ankunft harrt, kann man sicher sein, dass er die Folgen der Gravitation
zu spüren bekommt, wenn sein freier Fall endet ( wie in Abbildung 36
ganz rechts gezeigt ) .
D a s s Einsteins Schlussfolgerungen u n s so überraschend u n d exotisch
vorkommen, liegt daran, dass wir hier auf der Erde aufgewachsen sind,
mit einem stationären Planeten unter unseren Füßen, und davon ist un­
ser intuitives Denken geprägt. Wenn die Anziehungskraft der Erde einen
fest am Boden hält, spürt man die Auswirkungen der Gravitation, weil
man nicht den Weg weiter zum Mittelpunkt der Erde nimmt, den die
Gravitation einen nehmen lassen müsste. Auf der Erde sind wir daran ge-

124
RELATIVITÄTSTHEORIE

wöhnt, dass die Schwerkraft die Dinge fallen lässt. Aber ,, fallen << bedeu­
tet eigentlich >> in Relation zu uns fallen << . Fielen wir gemeinsam mit
einem losgelassenen Ball, wie wir es in einem frei fallenden Fahrstuhl tun
würden, würde sich der Ball nicht schneller hinunterbewegen als wir.
Wir würden ihn daher nicht fallen sehen.
In einem Bezugssystem im freien Fall würden alle Gesetze der Physik
mit denj enigen physikalischen Gesetzen übereinstimmen, die gelten wür­
den, wenn wir und alles um uns herum in Ruhe wären. Ein frei fallender
Beobachter würde bemerken, dass die Bewegung von denselben Glei­
chungen beschrieben wird, die in Übereinstimmung mit der speziellen
Relativitätstheorie für einen Beobachter in einem inertialen, nicht be­
schleunigenden Bezugssystem gelten. In einem 1907 über Relativitäts­
theorie geschriebenen Aufsatz erklärte Einstein, dass das Schwerkraft­
feld etwas Relatives ist : >> Für einen Beobachter, der sich im freien Fall
vom Dach eines Hauses befindet, existiert - zumindest in seiner unmit­
telbaren Umgebung - kein Gravitationsfeld. << ''
Das war Einsteins wichtige Erkenntnis. Die Bewegungsgleichungen
für einen frei fallenden Beobachter sind die Bewegungsgleichungen für
einen Beobachter in einem Inertialsystem. Ein frei fallender Beobachter
spürt die Kraft der Gravitation nicht - nur was nicht frei fä llt, kann
Schwerkraft wahrnehmen.
In unserem Alltagsleben begegnen wir im Allgemeinen keinen Dingen
oder Menschen im freien Fall. Wenn das doch vorkommt, sieht es Furcht
erregend und gefährlich aus. Aber wie ein Ire zu dem Physiker Raphael
Bousso sagte, als dieser in Irland die Cliffs of Moher besuchte : >> Nicht
der Sturz bringt einen um, sondern der § % & !#$-Aufprall, wenn man
unten ist. << Und als ich einmal bei einem Kletterunfall ein paar Knochen
gebrochen hatte und eine von mir organisierte Konferenz verpasste,
machten ziemlich viele Witze die Runde, dass ich die Gravitationstheorie
getestet hätte. Ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass die Gravita­
tionsbeschleunigung mit den Vorhersagen übereinstimmt.

* Albert Einstein, " Ü ber das Relativitätsprinzip und die aus demselben gezogenen Fol­
gerungen « , Jahrbuch der Radioak tivität und Elektronik, Bd. 4, S. 441 - 62 ( 1 907) ; zi­
. ·"
tiert nach Abraham Pais, » R affiniert ist der Herrgott . ( Braunschweig, Wiesbaden :
Vieweg, 1 9 8 6 ) .

125
VERBORGENE UNIVERSEN

Die allgemeine Relativitätstheorie wird getestet

Mit der allgemeinen Relativitätstheorie hat es noch mehr auf sich ; wir
werden bald zum Rest kommen, den auszuarbeiten erheblich länger
dauerte. Aber allein schon das Äquivalenzprinzip erklärt viele Ergeb­
nisse der allgemeinen Relativitätstheorie. Als Einstein erst einmal er­
kannt hatte, dass die Gravitation aus einem beschleunigenden Bezugs­
system aufgehoben werden kann, konnte er den Einfluss der Schwer­
kraft berechnen, indem er sich ein beschleunigendes System vorstellte,
das einem mit Schwerkraft äquivalent war. Das ermöglichte ihm, die
Gravitationseffekte für ein paar interessante Systeme zu berechnen, die
andere dazu nutzen konnten, seine Schlussfolgerungen zu überprüfen.
Wir werden uns jetzt ein paar der wichtigsten experimentellen Tests an­
sehen.
Als Erstes wäre die gravitationsbedingte Rotverschiebung des Lichts
zu nennen. Die Rotverschiebung führt dazu, dass wir Lichtwellen mit
einer niedrigeren Frequenz wahrnehmen als der, mit der sie ausgesandt
wurden. (Wahrscheinlich haben Sie den analogen Effekt bei Schallwellen
schon selbst beobachtet, als ein Motorrad an Ihnen vorbeiröhrte und
dieses zunächst höher und dann tiefer klang. )
Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Grund für die gravitationsbe­
dingte Rotverschiebung zu begreifen, die einfachste ist aber vermutlich
mit Hilfe einer Analogie. Stellen Sie sich vor, dass Sie einen Ball in die
Luft werfen. Der hochsteigende Ball wird langsamer, da er sich gegen die
Richtung der Schwerkraft bewegt. Aber die Energie des Balles geht nicht
verloren, auch wenn der Ball langsamer wird . Sie wird in potenzielle
Energie umgewandelt, die dann als kinetische Energie - oder Bewe­
gungsenergie - freigesetzt wird, wenn der Ball wieder hinunterfällt.
Dasselbe gilt für das Lichtteilchen, das Photon. Genau wie ein Ball
Schwung verliert, wenn man ihn hochwirft, verliert ein Photon
Schwung, wenn es versucht, dem Gravitationsfeld zu entkommen. Und
wie beim Ball heißt das, dass das Photon kinetische Energie verliert, aber
potenzielle Energie gewinnt, während es sich seinen Weg durch das Gra­
vitationsfeld bahnt. Ein Photon kann aber nicht langsamer werden wie
ein Ball, da es sich stets mit der konstanten Lichtgeschwindigkei t be­
wegt. Um ein bisschen was vorwegzunehmen : Im nächsten Kapitel wer­
den wir sehen, dass aus der Quantenmechanik unter anderem folgt, dass
ein Photon seine Energie verringert, wenn es seine Frequenz verringert.
Und genau das passiert mit dem Photon, das das sich verändernde Gra-

126
RELATIVITÄTSTHEORIE

vitationspotenzial durchquert. Um seine Energie zu senken, vermindert


das Photon seine Frequenz, und diese niedrigere Frequenz ist die gravi­
tationsbedingte Rotverschiebung.
Umgekehrt steigert ein Photon seine Frequenz, wenn es sich auf eine
Gravitationsquelle zubewegt. 1 965 maßen der kanadische Physiker Ro­
ben Pound und Gien Rebka, einer seiner Studenten, diesen Effekt bei
Gammastrahlen, die von radioaktivem Eisen ausgesandt wurden, das
sich an der Spitze des » Turms << des Jefferson Lab der Harvard University
befand, des Gebäudes, in dem ich j etzt arbeite. ( O bwohl Teil des Gebäu­
des, werden ein höher hinaufgebauter Bereich und die Stockwerke dar­
unter als der ,, Turm << bezeichnet. ) Zwischen den Gravitationsfeldern an
der Spitze und an der Basis des Turms gibt es einen winzigen Unter­
schied, da die Spitze etwas weiter von der Erdmitte entfernt ist. Ein wirk­
lich hoher Turm wäre für diesen Versuch am besten gewesen, da er die
Höhendi fferenz zwischen dem Ausgangspunkt der Gammastrahlen
( oben am Turm) und dem Messpunkt (an der Basi s ) maximiert hätte,
aber obwohl der Harvard-Turm nur aus drei Stockwerken, einem Dach­
geschoss und ein paar Dachfenstern darüber besteht (alles in allem gut
22 Meter hoch ) , gelang es Pound und Rebka, die Frequenzdifferenz zwi­
schen den ausgesandten und den aufgefangenen Photonen mit unglaub­
licher Präzision zu messen : fünf Teile auf eine Million Milliarden. Damit
bewiesen sie mit einer Genauigkeit von wenigstens einem Prozent, dass
die Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie für die gravitations­
bedingte Rotverschiebung korrekt sind.
Eine zweite experimentell beobachtbare Konsequenz des Äquivalenz­
prinzips ist die Lichtbeugung. Die Gravitation kann sowohl Energie als
auch Masse anziehen. Schließlich bedeutet die berühmte Formel E mc2,=

dass Energie und Masse eng miteinander verknüpft sind. Wenn Masse
der Schwerkraft unterliegt, dann müsste Energie das auch. Die Schwer­
kraft der Sonne beeinflusst Massen, und genauso wirkt sie sich auch auf
die Bahn des Lichts aus. Einsteins Theorie sagte genau den Betrag vor­
aus, um den Licht unter dem Einfluss der Sonne abgelenkt wird . Diese
Vorhersagen wurden erstmals bei der Sonnenfinsternis von 1 9 1 9 bestä­
tigt.
Der englische Naturwissenschaftler Arthur Eddington organisierte
Expeditionen auf die Insel Prfncipe vor der Westküste Afrikas und nach
Sobral in Brasilien, wo die Sonnenfinsternis am besten zu beobachten
war. Ihre Aufgabe bestand darin, die Sterne in der Nähe der verdunkel­
ten Sonne zu fotografieren und zu überprüfen, ob Sterne, die nahe der

127
VERBORGENE UNIVERSEN

Abbildung 3 7 : Das Einstein- Kreuz<< entsteht, wenn das Licht eines hellen,
»

weit entfernten Quasars beim Passieren einer massiven Galaxie im Vorder­


grund in un terschiedliche R ichtungen abgelenk t wird und so zu Mehrfachbil­
dern führt.

Sonne auftauchten, sich gegenüber i h ren normalen Positionen verscho­


ben hätten. Wenn die Sterne scheinbar an anderer Stelle standen, würde
das bedeuten, dass ihr Licht abgelenkt worden war. ( D ie Wissenschaftler
mussten ihre Messungen während einer Sonnenfinsternis vornehmen,
damit die Helligkeit der Sonne nicht die viel schwächeren Sterne über­
strahlte . ) Und tatsächlich tauchten die Sterne an genau den richtigen
" falschen << Stellen auf. Die Messung des korrekten Beugungswinkels
war ein überzeugender Beweis für die Richtigkeit von Einsteins allgemei­
ner Relativitätstheorie.
Es klingt unglaublich, aber die Lichtbeugung ist heutzutage so fest
etabliert und gut verstanden, dass sie als ein Mittel genutzt wurde, um
die Verteilung der Masse im Universum zu überprüfen und nach Dunkler
Materie in Form kleiner, ausgebrannter Sterne zu suchen, die kein Licht
mehr aussenden. Wie schwarze Katzen in einer Neumondnacht sind sol­
che Objekte kaum zu sehe n . Man kann sie nur mittels ihrer Gravita­
tionseffekte beobachte n .
D i e Ablenkung von Licht durch s o genannte Gravitationslinsen ist

128
RELATIVITÄTSTHEORIE

eine Möglichkeit, wie Astronomen etwas über dunkle Obj ekte heraus­
finden können ; wie alle anderen wechselwirken dunkle Obj ekte mittels
Gravitation. Die ausgebrannten Sterne senden selbst zwar kein Licht
aus, aber hinter ihnen (von uns aus gesehen) kann es helle Objekte ge­
ben, deren Licht wir sehen. Ohne irgendeinen dunklen Stern im Weg
würde sich das Licht entlang einer geraden Linie ausbreiten. Aber das
von einem hellen Stern ausgesandte Licht wird abgelenkt, wenn es einen
dunklen Stern passiert. Das links vorbeigehende Licht wird in die entge­
gengesetzte Richtung gebeugt wie Licht, das rechts passiert, und Licht
über dem dunklen Stern wird in entgegengesetzter Richtung abgelenkt
wie Licht darunter. Das führt zu Mehrfachbildern eines hellen O bj ekts
hinter einem dunklen Stern, der Gravitationslinse. Abbildung 37 zeigt
ein Beispiel für ein Mehrfachbild eines Sterns, das dadurch erzeugt
wurde, dass ein sich dazwischen befindendes massives Obj ekt die Licht­
strahlen des Sterns in unterschiedliche Richtungen ablenkte.

Die anmutigen Kurven des Universums

Das Äquivalenzprinzip besagt, dass die Schwerkraft nicht von konstan­


ter Beschleunigung zu unterscheiden ist. Ich bin froh, dass Sie es bis hier­
hin geschafft haben, weil ich zugeben muss, dass ich vereinfacht habe
und die beiden letzten Endes nicht völlig ununterscheidbar sind. Wie
könnten sie ? Wenn die Gravitation der Beschleunigung äquivalent wäre,
wäre es nicht möglich, dass Menschen auf entgegengesetzten Hemisphä­
ren simultan zur Erde fallen. Schließlich kann die Erde nicht in zwei
Richtungen zugleich beschleunigen. Die beispielsweise in Amerika und
China in unterschiedlichen Richtungen wirkende Anziehungskraft kann
unmöglich mit einer einzigen Beschleunigung erklärt werden.
Die Auflösung dieses Paradoxons besteht darin, dass dem Äquivalenz­
prinzip zufolge die Gravitation nur lokal durch Beschleunigung ersetzt
werden kann. An verschiedenen Orten im Raum müsste die Beschleuni­
gung, die dem Prinzip zufolge die Gravitation ersetzt, generell in unter­
schiedlichen Richtungen erfolgen. Die Antwort auf unser Problem mit
den chinesisch-amerikanischen Beziehungen lautet daher, dass die ame­
rikanische Schwerkraft das Äquivalent einer Beschleunigung in anderer
Richtung darstellt als die Beschleunigung, die die chinesische Schwer­
kraft ersetzen könnte.
Diese entscheidende Einsicht brachte Einstein zu einer vollständigen

129
VERBORGENE UNIVERSEN

Neuformulierung der Gravitationstheorie. Er betrachtete Gravitation


nicht länger als eine Kraft, die direkt auf ein Objekt wirkt. Vielmehr be­
schrieb er sie als eine Verzerrung der Raumzeitgeometrie, die die unter­
schiedlichen Beschleunigungen widerspiegelt, welche erforderlich sind,
damit an unterschiedlichen Orten die Gravitation aufgehoben werden
kann. Die Raumzeit ist nicht länger der belanglose Hintergrund eines Er­
eignisses - sie spielt aktiv mit. Mit Einsteins allgemeiner Relativitäts­
theorie lässt sich die Schwerkraft als Krümmung der Raumzeit begreifen,
die wiederum von der vorhandenen Materie und Energie bestimmt wird .
Beschäftigen wir uns nun näher mit der gekrümmten Raumzeit, auf der
Einsteins revolutionäre Theorie beruht.

Gekrümmter Raum und gekrümmte Raumzeit

Eine mathematische Theorie muss frei von inneren Widersprüchen sein,


aber im Gegensatz zu einer naturwissenschaftlichen Theorie muss sie
nicht einer äußeren physikalischen Realität entsprechen. Richtig ist, dass
Mathematiker sich oft von dem inspirieren ließen, was sie in der Welt um
sich herum sahen. Mathematische Objekte wie Würfel oder natürliche
Zahlen haben ihre Gegenstücke in der realen Welt. Aber Mathematiker
dehnen ihre Annahme über diese vertrauten D inge auf Obj ekte aus, de­
ren physische Realität weniger gesichert ist, beispielsweise Hyperwürfel
im vierdimensionalen Raum und Quaternionen (ein exotisches Zahlen­
syste m ) .
Euklid schrieb seine v i e r fundamentalen Postulate d e r Geometrie im
3. Jahrhundert v. Chr. nieder. Aus diesen Grundannahmen entwickelte
sich eine schöne logische Struktur, die Sie wahrscheinlich auf der O ber­
schule gelernt haben. Aber spätere Mathematiker hatten Probleme mit
dem fünften Postulat, dem so genannten Parallelenaxiom. Diesem Postu­
lat zufolge kann man, wenn man eine Linie und einen Punkt außerhalb
dieser Linie hat, nur eine einzige weitere Linie zeichnen, die durch den
Punkt geht und zu der ersten Linie parallel ist.
Nachdem Euklid seine Postulate formuliert hatte, diskutierten Mathe­
matiker zwei Jahrtausende lang, ob dieses fünfte wirklich unabhängig
oder bloß die logische Folge der anderen vier war. Konnte es ein geome­
trisches System geben, für das alle bis auf das letzte Postulat wahr sind ?
Wenn es kein solches geometrisches System gäbe, wäre das fünfte Postu­
lat nicht unabhängig und wäre somit entbehrlich.

130
RELATIVITÄTSTHEORIE

Erst im 1 9. Jahrhundert n. Chr. konnten Mathematiker das fünfte Pos­


tulat richtig ei nordnen. Der große deutsche Mathematiker Carl Fried­
rich Gauß fand heraus, dass es sich bei Euklids fünfter Annahme um ge­
nau das handelte, was Euklid behauptet hatte : ein Postulat, das durch
ein anderes ersetzt werden kann. Er ging ans Werk und ersetzte es und
entdeckte so andere geometrische Systeme, womit er zeigte, dass das
fünfte Postulat unabhängig war. Damit war die nichteuklidische Geome­
trie geboren.
Auch ein russischer Mathematiker, Nikolai lwanowitsch Loba­
tschewski, arbeitete die nichteuklidische Geometrie aus, aber als er das
Ergebnis an Gauß schickte, erfuhr er zu seiner Enttäuschung, dass der äl­
tere Mathematiker schon 50 Jahre zuvor auf dieselbe Idee gekommen
war. Aber weder Lobatschewski noch irgendjemand sonst hatte von
Gauß' Ergebnissen erfahren, die der Deutsche geheim gehalten hatte,
weil er Angst hatte, seine Kollegen würden sich über ihn lustig machen.
Gauß hätte sich keine Sorgen machen müssen. Es liegt auf der Hand,
dass Euklids fünftes Postulat nicht immer wahr ist, weil wir alle die Al­
ternativen kennen. Beispielsweise treffen sich die Linien der Längen­
grade am Nord- wie am Südpol, auch wenn sie am Äquator parallel sind.
Geometrie auf einer Kugel ist ein Beispiel für nichteuklidische Geome­
trie. Hätten die antiken Philosophen auf Kugeln geschrieben statt auf
Pergament, wäre ihnen das vielleicht auch schon klar gewesen.
Es gibt aber noch viele weitere Beispiele für nichteuklidische Geome­
trie, die im Gegensatz zu der auf der Kugel in einem dreidimensionalen
Raum nicht physikalisch realisiert werden können. Die ursprünglichen
nichteuklidischen Geometrien von Gauß, Lobatschewski und dem unga­
rischen Mathematiker Janos Bolyai * hatten solche nicht zeichenbare
Theorien zum Gegenstand, was es weniger überraschend macht, dass es
so lang dauerte, bis sie entdeckt worden waren.
,,.
Janos Bolyai war ein Genie, a ber obwohl sein Vater, Farkas Bolyai, ihn Mathemati­
ker werden lassen wollte, ging der arme Janos zum Militär statt auf die Universität.
Anfangs nahmen andere .Janos den Mut, was seine Arbeit ü ber nichteuklidische Geo­
metrie anging, und er veröffentlichte seine Ergebnisse schließlich nur, weil sein Vater
darauf bestand, sie in ein Buch aufzunehmen, das er schrieb. Farkas war mit Gauß be­
freundet und schickte ihm den Anhang, den Janos geschrieben hatte. Aber abermals
wurde Janos enttä uscht. Gauß erkannte zwar das Genie von Janos Bolyai, antwortete
a ber nur : » [Die Arbeit] zu loben käme Eigenlob gleich. Denn der gesamte Inhalt . . .
stimmt fast genau mit meinen eigenen Ü berlegungen überein, die mich die letzten 30
oder 35 Jahre beschä ftigt haben . « ( Brief von Gauß an Farkas Bolyai, 1832. ) So wurde
Janos' mathematische Karriere abermals durchkreuzt.

131
VERBORGENE UNIVERSEN

Ein paar Beispiele sollen illustrieren, was gekrümmte Geometrien von


der flachen Geometrie auf dieser Buchseite unterscheidet. Abbildung 38
zeigt drei zweidimensionale Oberflächen. Die Erste, die O berfläche einer
Kugel, hat eine konstant positive Krümmung. Die Zweite, ein Ausschnitt
aus einer ebenen Fläche, hat die Krümmung null. Und die Dritte, ein hy­
perbolisches Paraboloid, hat eine konstant negative Krümmung. Weitere
Beispiele für negativ gekrümmte O berflächen wären ein Reitsattel, die
Landschaft zwischen zwei Berggipfeln und ein >> Pringle s << -Kartoffelchip.

A b bildung 38: Oberflächen mit positiver, verschwindender und negativer


Krümmung

Es gibt viele Lackmustests, die uns sagen, welche der drei möglichen
Krümmungen ein bestimmter geometrischer Raum hat. Beispielsweise
können Sie je ein Dreieck auf die drei O berflächen zeichnen. Auf der fla­
chen beträgt die Summe der Winkel in einem Dreieck stets genau 1 8 0
Grad. Aber was passiert m i t einem Dreieck a u f d e r O berfläche d e r Ku­
gel, wenn ein Eckpunkt am Nordpol und die anderen auf dem Äquator
im Abstand von einem Viertel Äquatorumfang voneinander liegen ? Je­
der Winkel bei diesem Dreieck ist dann ein rechter Winkel von 90 Grad.
Die Summe aller Winkel des Dreiecks beträgt daher 270 Grad. Auf einer
flachen O berfläche könnte das niemals passieren, aber auf einer Ober­
fläche mit positiver Krümmung muss die Winkelsumme eines Dreiecks
über 1 8 0 Grad betragen, weil die Oberfläche sich wölbt.
Ähnlich beträgt die Winkelsumme eines Dreiecks auf einem hyperbo­
lischen Paraboloiden immer weniger als 1 8 0 Grad, worin sich die nega­
tive Krümmung zu erkennen gibt. Das ist ein bisschen schwerer vorstell­
bar. Zeichnen Sie zwei Eckpunkte weit oben am Sattel und einen weit
unten auf einem tief hinunterreichenden Teil des hyperbolischen Parabo­
loiden, ungefähr da, wo man die Füße hätte, wenn man in einem Sattel
säße . Dieser Winkel ist kleiner als bei einer ebenen O berfläche. Die Win­
kelsumme beträgt daher weniger als 1 8 0 Grad.
Als erst einmal feststand, dass nichteuklidische Geometrien in sich

132
RELATIVITÄTSTHEORIE

konsistent sind - das heißt, ihre Prämissen nicht zu Paradoxien oder Wi­
dersprüchen führen -, erarbeitete der deutsche Mathematiker Georg
Friedrich Bernhard Riemann ein umfassendes mathematisches System zu
ihrer Beschreibung. Ein Stück Papier kann nicht zu einer Kugel aufgerollt
werden, aber zu einem Zylinder. Einen Sattel kann man nicht flach strei­
chen, ohne ihn zu zerkrumpeln oder zusammenzufalten. Auf Gauß' Ar­
beit aufbauend entwickelte Riemann mathematische Formeln, die solche
Tatsachen ausdrücken. Im Jahr 1 854 fand er eine allgemeine Lösung für
das Problem, wie man sämtliche Geometrien mittels der ihnen innewoh­
nenden Eigenschaften charakterisiert. Seine Arbeiten legten die Basis für
das moderne mathematische Gebiet der Differenzialgeometrie, einem
Zweig der Mathematik, der O berflächen und Geometrie erforscht.
Weil ich von nun an so gut wie immer Raum und Zeit gemeinsam be­
handele, werden wir im Allgemeinen den Begriff der Raumzeit sinnvoller
finden als den des Raums. Die Raumzeit hat eine Dimension mehr als
der Raum : Zusätzlich zu >> oben-unte n << , >> links-rechts << und >> vorwärts­
rückwärts << schließt sie die Zeit mit ein. Im Jahr 1 908 entwickelte der
Mathematiker Hermann Minkowski mit geometrischen Begriffen diese
Vorstellung eines absoluten Raumzeitgefüges. Während Einstein die
Raumzeit mit Zeit- und Raumkoordinaten studierte, die von einem Be­
zugssystem abhingen, fand Minkowski das von einem Beobachter unab­
hängige Raumzeitgefüge, mittels dessen man eine gegebene physikali­
sche Situation charakterisieren kann.
Im Rest dieses Buches werde ich, wann immer es um Dimensionalität
geht, die Anzahl der Raumzeit-Dimensionen angeben, außer wenn ich
explizit etwas anderes schreibe. Wenn wir uns beispielsweise umblicken,
sehen wir, was ich von j etzt an als ein vierdimensionales Universum be­
zeichnen werde. Gelegentlich werde ich die Zeit herauslösen und von
einem >> drei-plus-eins << -dimensionalen Universum oder von drei Raum­
dimensionen sprechen. Merken Sie sich, dass all diese Formulierungen
sich auf di eselbe Anordnung beziehen : eine mit drei Raumdimensionen
und einer Zeitdimension.
Das Raumzeitgefüge ist ein sehr wichtiger Begriff. Kurz und prägnant
charakterisiert er die Geometrie, die dem Gravitationsfeld entspricht,
das eine bestimmte Verteilung von Energie und Materie hervorbringt.
Einstein aber behagte die Vorstellung zu Anfang nicht, denn sie schien
ihm eine zu phantasievolle Art und Weise, die Physik neu zu formulieren,
die er bereits erklärt hatte. Letzten Endes aber erkannte er an, dass das
Raumzeitgefüge zur vollständigen Beschreibung der allgemeinen Relati-

133
VERBORGENE UNIVERSEN

vitätstheorie und zur Berechnung von Gravitationsfeldern entscheidend


war. (Nur für das Protokoll : Minkowski war beim ersten Aufeinander­
treffen von Einstein auch nicht allzu begeistert. Angesichts von Einsteins
Leistungen als Student in Minkowskis Analysisvorlesung war Min­
kowski zu dem Schluss gekommen, dass Einstein ein » fauler Hund << sei . )
Einstein stemmte sich nicht a l s Einziger gegen d i e nichteuklidische
Geometrie. Sein Freund Marcel Grossmann, ein Schweizer Mathemati­
ker, hielt sie ebenfalls für viel zu kompliziert und versuchte sie Einstein
auszureden. Schließlich aber kamen sie überein, dass der einzig gang­
bare Weg zur Erklärung der Gravitation darin bestand, mittels nichteu­
klidischer Geometrie das Raumzeitgefüge darzustellen. Erst dann
konnte Einstein die Verzerrungen der Raumzeit interpretieren und be­
rechnen, die das Äquivalent der Schwerkraft waren, was sich als der
Schlüssel zur Vervollständigung der allgemeinen Relativitätstheorie er­
wies. Nachdem Grassmann seine Niederlage eingestanden hatte,
kämpfte sich Einstein durch die Feinheiten der Differenzialgeometrie,
um die höchst komplizierten früheren Versuche einer Theorie der Gravi­
tation zu vereinfachen. Zu guter Letzt brachte er die allgemeine Relati­
vitätstheorie zum Abschluss und erreichte ein tieferes Verständnis der
Gravitation selbst.

Einsteins allgemeine Relativitätstheorie

Die allgemeine Relativitätstheorie revidierte das Konzept der Gravita­


tion radikal. Wir verstehen jetzt Gravitation - die Kraft, die Ihre Füße
am Boden und unsere Galaxie und das Universum zusammenhält - nicht
als eine Kraft, die direkt auf Obj ekte einwirkt, sondern als eine Folge der
Raumzeitgeometrie, und diese Vorstellung ist die logische Schlussfolge­
rung aus Einsteins Sicht von Raum und Zeit als Einheit. Die allgemeine
Relativitätstheorie nutzt den engen Zusammenhang zwischen träger und
schwerer Masse, um die Auswirkungen der Gravitation einzig und allein
in Begriffen der Raumzeitgeometrie zu formulieren. Jede Verteilung von
Materie oder Energie krümmt oder verzerrt die Raumzeit. Gekrümmte
Bahnen in der Raumzeit bestimmen die gravitationsbedingte Bewegung,
und Materie wie Energie des Universums bringen die Raumzeit dazu,
sich auszudehnen, zu kräuseln oder zusammenzuziehen.
Im flachen Raum ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten,
die geodätische Linie oder kurz die Geodätische, eine gerade Linie. Im

134
RELATIVITÄTSTHEORIE

gekrümmten Raum können wir eine Geodätische noch immer als die
kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten definieren, aber diese Linie
muss nicht unbedingt gerade aussehen. Beispielsweise sind die Routen
von Flugzeugen, die auf der Erde Großkreisen folgen, Geodätische. ( Ein
Großkreis ist j eder beliebige Kreis, etwa der Äquator oder ein Längen­
kreis, der um den dicksten Teil einer Kugel verläuft. ) Gerade sind die
Bahnen nicht, aber dennoch die kürzesten Verbindungen, wenn man von
Tunneln unter der Erde absieht.
In der gekrümmten vierdimensionalen Raumzeit können wir ebenfalls
eine Geodätische definieren. Für zwei in der Zeit getrennte Ereignisse ist
eine Geodätische der natürliche Weg, den die Dinge in der Raumzeit neh­
men, um das eine Ereignis mit dem anderen zu verbinden. Einstein be­
merkte, dass der freie Fall, der Weg des geringsten Widerstands, eine Be­
wegung entlang der Raumzeit-Geodätischen ist. Er schlussfolgerte, dass
ohne Einwirkung äußerer Kräfte losgelassene Obj ekte entlang einer
Geodätischen fallen, wie beim Weg der Person im fallenden Fahrstuhl,
die ihr Gewicht nicht spürt und keinen Ball fallen sieht.
Doch auch wenn die Dinge ihren Geodätischen durch die Raumzeit
folgen und es keine äußeren Kräfte gibt, macht sich die Gravitation be­
merkbar. Wir haben bereits gesehen, dass die lokale Äquivalenz von
Gravitation und Beschleunigung eine der entscheidenden Einsichten war,
die Einstein völlig neu über Gravitation nachdenken ließen . Weil die von
einer gravitativen Kraft ausgelöste Beschleunigung lokal für alle Massen
dieselbe ist, so schlussfolgerte er, muss die Gravitation eine Eigenschaft
der Raumzeit selbst sein. Und zwar, weil das >> frei Fallen << an unter­
schiedlichen Orten Unterschiedliches bedeutet und nur lokal die Gravi­
tation durch eine einzige Beschleunigung ersetzt werden kann. Mein chi­
nesisches Gegenstück und ich fallen in unterschiedliche Richtungen,
selbst wenn wir beide in j eweils einer lokalen Version von Einsteins Fahr­
stuhl stecken. Die Tatsache, dass die Richtung des freien Falls nicht über­
all dieselbe ist, spiegelt die Krümmung der Raumzeit wider. Es gibt nicht
die eine Beschleunigung, die die Effekte der Gravitation überall wett­
macht. In der gekrümmten Raumzeit werden im Allgemeinen die Geo­
dätischen unterschiedlicher Beobachter verschieden sein. Global hat also
die Gravitation beobachtbare Konsequenzen.
Die allgemeine Relativitätstheorie geht viel weiter als die Newton'sche
Gravitation, weil sie uns erlaubt, das relativistische Gravitationsfeld je­
der Verteilung von Energie und Materie zu berechnen. Die Offenbarung,
dass die Geometrie der Raumzeit der Schlüssel zu den Gravitationseffek-

135
VERBORGENE UNIVERSEN

Abbildung 3 9 : Ein massives Objekt verzerrt den umgebenden Raum und er­
zeugt dadurch ein Gravitationsfeld.

ten ist, erlaubte Einstein ferner, eine bedeutende Lücke in seiner ur­
sprünglichen Formulierung der Gravitation zu schließen. Zwar wussten
die Physiker seinerzeit, wie Objekte auf ein Gravitationsfeld reagieren,
sie wussten aber nicht, was Gravitation war. Jetzt begriffen sie, dass das
Gravitationsfeld die von Materie und Energie verursachte Verzerrung
des Raumzeitgefüges ist. Diese Verzerrung durchzieht den Kosmos selbst
oder, wie wir bald sehen werden, eine höherdimensionale Raumzeit, die
vielleicht auch Branen einschließt. Alle Gravitationseffekte dieser kom­
plizierteren Situationen können in die Kräuselungen und Krümmungen
einer Raumzeit-O berfläche eingebettet sein.
Ein Bild liefert vielleicht die beste Beschreibung, wie Materie und
Energie das Raumzeitgefüge verzerren und so ein Gravitationsfeld er­
schaffen. Abbildung 3 9 zeigt eine Materiekugel im Raum. Der Raum um
die Kugel herum ist verzerrt : Der Ball drückt eine Delle in die räumliche
Oberfläche, in deren Tiefe sich die Energie oder Masse des Balles wider­
spiegelt. Ein in der Nähe passierender Ball wird in Richtung der zentra­
len Delle rollen, wo die Masse positioniert ist. Nach der allgemeinen Re­
lativitätstheorie verwirft sich das Raumzeitgefüge in analoger Weise. Ein
anderer vorbeikommender Ball würde in Richtung des Zentrums der
Kugel beschleunigt. In diesem Fall würde das Resultat mit dem überein­
stimmen, was Newtons Gesetz vorhergesagt hätte, aber die Interpreta­
tionen und die Berechnung der Bewegung wären völlig anders. Nach der
allgemeinen Relativitätstheorie folgt ein Ball den Krümmungen der
Raumzeit-O berfläche und implementiert damit die Bewegung, die vom
Gravitationsfeld induziert ist.
Abbildung 39 ist ein bisschen irreführend, also sollten Sie sich ein paar

136
RELATIVITÄTSTHEORIE

Einschränkungen merken . Erstens habe ich den Raum um den Ball zwei­
dimensional wiedergegeben. In Wirklichkeit sind der gesamte dreidi­
mensionale Raum und die gesamte vierdimensionale Raumzeit verzerrt.
Die Zeit wird verzerrt, weil aus der Sicht der speziellen und allgemeinen
Relativitätstheorie auch sie eine Dimension ist. Mit verzerrter Zeit ha­
ben wir es beispielsweise zu tun, wenn die spezielle Relativitätstheorie
uns sagt, dass Uhren an unterschiedlichen Orten mit verschiedenem
Tempo gehen. Eine weitere Einschränkung ist, dass ein zweiter Ball in
der gekrümmten Geometrie um den ersten herum ebenfalls die Geome­
trie der Raumzeit beeinflussen würd e ; wir haben angenommen, dass
seine Masse viel kleiner ist als die des großen Balls, und diesen kleinen
Effekt vernachlässigt. Als Drittes muss man im Kopf behalten, dass das
Obj ekt, das die Raumzeit verzerrt, j ede beliebige Anzahl von Dimensio­
nen haben kann. Später wird in diesem Bild eine Brane die Rolle der Ku­
gel übernehmen .
Nichtsdestotrotz sagt in allen Fällen die Materie der Raumzeit, wie sie
sich krümmen soll, und die Raumzeit sagt der Materie, wie sie sich be­
wegen soll. Die gekrümmte Raumzeit legt die geodätischen Bahnen fest,
entlang deren die Dinge sich bewegen, wenn keine anderen Kräfte auf sie
einwirken. Gravitation ist Ausdruck der Raumzeitgeometrie. Einstein
brauchte fast ein Jahrzehnt, um genau diesen Zusammenhang zwischen
Raumzeit und Gravitation herzuleiten und dabei die Effekte des Gravi­
tationsfelds selbst zu berücksichtigen - schließlich trägt das Gravitati­
onsfeld Energie und krümmt daher ebenfalls die Raumzeit. * Es war eine
Heldentat.
Mit seinen berühmten Gleichungen spezifizierte Einstein, wie man das
Gravitationsfeld des Universums findet, wenn sein Gehalt gegeben ist.
Seine berühmteste Gleichung ist zwar E mc2, Physiker bezeichnen mit
==

dem Ausdruck •• Einstein'sche Gleichungen << aber diejenigen, mit denen


man das Gravitationsfeld bestimmt. Diese ungeheure Aufgabe ist zu be­
wältigen, weil die Gleichungen zeigen, wie man aus einer bekannten Ver­
teilung von Materie die Metrik der Raumzeit bestimmt.9 Die Metrik, die
man berechnet, bestimmt die Raumzeitgeometrie, indem sie sagt, wie
man Zahlen einer beliebigen Größenskala in physikalische Entfernungen
und Formen übersetzt, die die Geometrie bestimmen.

''
Wei l das Gravitationsfeld Energie trägt, muss die Energie des Feldes berücksichtigt
werden, wenn man mit den Einstein'schen Gleichungen arbeitet. Das macht die Lö­
sungen für das Gravitationsfeld empfi ndlicher als mit Newton'scher Gravitation.

137
VERBORGENE UNIVERSEN

Mit der abschließenden Formulierung der allgemeinen Relativitäts­


theorie konnten die Physiker das Gravitationsfeld bestimmen und seinen
Einfluss berechnen. Wie bei vorangegangenen Formulierungen der Gra­
vitation verwenden Physiker diese Gleichungen, um herauszufinden, wie
sich Materie in einem gegebenen Gravitationsfeld bewegt. Beispielsweise
können sie Masse und Position eines großen kugelförmigen Körpers wie
etwa der Sonne oder der Erde einsetzen und die wohl bekannte
Newton'sche Anziehungskraft berechnen. In diesem Fall wären die Er­
gebnisse nicht neu - aber ihre Bedeutung. Materie und Energie krümmen
die Raumzeit, und diese Krümmung führt zur Gravitation. Die allge­
meine Relativitätstheorie hat des Weiteren den Vorteil, dass sie j ede Art
von Energie - einschließlich der des Gravitationsfelds selbst - in die Ver­
teilung von Materie und Energie mit einbezieht. Das macht die Theorie
sogar in Fällen nützlich, wo die Gravitation selbst eine erhebliche Menge
Energie beiträgt.
Weil die Einstein'schen Gleichungen für jede Verteilung von Energie
gelten, veränderten sie auch die Perspektive der Kosmologen - der His­
toriker des Kosmos. Das heißt, wenn Wissenschaftler den Materie- und
Energiegehalt des Universums kennen, können sie seine Entwicklung be­
rechnen. In einem leeren Universum wäre der Raum vollständig flach,
hätte keine Kräuselungen oder Verwerfungen - überhaupt keine Krüm­
mung. Wenn aber Energie und Materie das Universum füllen, verzerren
sie die Raumzeit, was interessante Möglichkeiten für die Struktur und
das Verhalten des Universums im Lauf der Zeit eröffnet.
Fast mit Sicherheit leben wir nicht in einem statischen Universum :
Wie wir bald sehen werden, könnte das unsere ein verzerrtes, fünfdi­
mensionales sein. Glücklicherweise sagt uns die allgemeine Relativitäts­
theorie, wie man deren Konsequenzen berechnet. Genau wie es Beispiele
für zweidimensionale Geometrien mit positiver, verschwindender und
negativer Krümmung gibt, gibt es vierdimensionale geometrische Konfi­
gurationen der Raumzeit mit positiver, verschwindender und negativer
Krümmung, die aus einer entsprechenden Verteilung von Materie und
Energie herrühren. Wenn wir später Kosmologie und Branen in zusätz­
lichen Dimensionen diskutieren, werden die Verzerrungen der Raumzeit
durch Materie und Energie - sowohl in unserem sichtbaren Universum
als auch auf den Branen und im Bulk - entscheidende Bedeutung erlan­
gen. Wir werden sehen, dass die drei Arten von Raumzeit-Krümmung
( positiv, negativ und null ) auch in höheren Dimensionen zu finden sein
könnten.

138
RELATIVITÄTSTHEORIE

Aus der allgemeinen Relativitätstheorie folgt Etliches, das man nicht


mit der Newton'schen Gravitation berechnen kann. Neben vielem ande­
ren eliminierte die allgemeine Relativitätstheorie die lästige Fernwirkung
der Newton'schen Gravitationstheorie, der zufolge die Gravitationsef­
fekte eines Obj ekts überall zu spüren sein mussten, sobald es auftauchte
oder sich bewegte. Dank der allgemeinen Relativitätstheorie wissen wir,
dass sich erst die Raumzeit deformieren muss, ehe die Gravitation wir­
ken kann. Das vollzieht sich nicht auf der Stelle. Es braucht Zeit. Gravi­
tationswellen bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit. Gravitationsef­
fekte können sich an einem bestimmten Ort erst dann bemerkbar ma­
chen, wenn genügend Zeit vergangen ist, dass ein Signal dort hinreisen
und die Raumzeit verzerren konnte. Das braucht mindestens so lange,
wie das Licht braucht, das sich am schnellsten von allem bewegt, was
wir kennen. Beispielsweise werden Sie nie ein Rundfunksignal oder
einen Handyanruf schneller bekommen, als ein Lichtstrahl braucht, um
zu Ihnen zu gelangen.
Darüber hinaus konnten die Physiker mit den Einstein'schen Glei­
chungen andere Arten von Gravitationsfeldern erforschen. Dank der all­
gemeinen Relativitätstheorie konnten Wissenschaftler Schwarze Löcher
beschreiben und studieren. Diese faszinierenden, geheimnisvollen Ob­
jekte bilden sich, wenn Materie in einem sehr kleinen Volumen ganz
stark konzentriert ist. In Schwarzen Löchern ist die Geometrie der
Raumzeit extrem verzerrt - nämlich so sehr, dass alles, was in ein
Schwarzes Loch eindringt, in seinem Inneren gefangen bleibt. Selbst das
Licht kann nicht entkommen. Der deutsche Astronom Kar! Schwarz­
schild hatte zwar schon bald nach der Vollendung der allgemeinen Rela­
tivitätstheorie entsprechende Vorarbeiten geleistet, a ber erst in den sech­
ziger Jahren nahmen Physiker die Vorstellung ernst, dass es in unserem
Universum tatsächlich Schwarze Löcher geben könnte. Heute sind sie in
der Astrophysik weit und breit akzeptiert. Es sieht sogar so aus, als gäbe
es ein supermassives Schwarzes Loch im Zentrum einer j eden Galaxie,
auch der unseren. Wenn es darüber hinaus versteckte Dimensionen gibt,
dann gibt es auch höherdimensionale Schwarze Löcher, die, wenn sie
groß sind, wie die vierdimensionalen Schwarzen Löcher aussehen, die
Astronomen beobachtet haben.

139
VERBORGENE UNIVERSEN

Koda

Bringen wir noch die Geschichte mit dem GPS zum Abschluss : Um die
Position auf einen Meter exakt berechnen zu können, müssen wir die
Zeit genauer als 1 : 10 13 messen. Die einzige Möglichkeit, diese Genauig­
keit hinzubekommen, sind Atomuhren.
Aber selbst bei so perfekten Uhren senkt die Zeitdehnung die Genau­
igkeit auf 1 : 10 10• Dieser Fehler wäre, wird er nicht korrigiert, tausend­
mal zu groß für das von uns gewünschte GPS. Wir müssen auch noch die
gravitationsbedingte Blauverschiebung berücksichtigen : ein Effekt der
allgemeinen Relativitätstheorie, der die Folge davon ist, dass ein Photon
sich durch ein sich veränderndes Gravitationsfeld bewegt, was einen
Fehler von mindestens dieser Größenordnung ergi bt. Diese und andere
aus der allgemeinen Relativitätstheorie folgenden Abweichungen wür­
den Fehler ergeben, die sich, wenn man sie ignorierte, mit einer Rate von
mehr als zehn Kilometer pro Tag akkumulieren würden. * Ike ( und heu­
tige GPS-Geräte ) müssen diese relativistischen Effekte ausgleichen.
Auch wenn die Relativitätstheorie durch Experimente bestätigt ist und
Folgen zeitigt, die bei Geräten des täglichen Gebrauchs berücksichtigt
werden müssen, finde ich es ziemlich bemerkenswert, dass zu Anfang
überhaupt j emand Einstein beachtet hat. Er war völlig unbekannt und
arbeitete im Berner Patentamt, weil er keinen besseren Job bekommen
konnte. An diesem unpassenden Ort erarbeitete er eine Theorie, die den
Überzeugungen sämtlicher Physiker seiner Zeit zuwiderlief.
Gerald Holton, Wissenschaftshistoriker in Harvard, sagte mir, der
deutsche Physiker Max Planck hätte sich als Erster für Einstein einge­
setzt. Ohne Planck, der auf der Stelle die Brillanz von Einsteins Arbeit er­
kannte, hätte es vielleicht viel länger gedauert, bis sie anerkannt und ak­
zeptiert worden wäre. Doch dank Planck lenkten einige wenige andere
bedeutende Physiker ihre Aufmerksamkeit auf Einstein. Und kurz darauf
die ganze Welt.

Zur Erinnerung:

• Die Lichtgeschwindigkeit ist konstant. Sie ist von der Geschwindig­


keit eines Beobachters unabhängig.

* Neil Ashby, » Relativity and the Global Positioning System " , Physics Today, Mai
2002, s. 41.

140
RELATIVJ T Ä TSTHEORIE

• Die Relativitätstheorie veränderte unsere Vorstellungen von Raum


und Zeit, denn sie besagt, dass wir beide gemeinsam als ein einziges
Raumzeitgefüge betrachten können.
• Die spezielle Relativitätstheorie setzt die Größen von Energie, Impuls
( die besagt, wie ein Objekt auf eine Kraft reagieren wird ) und Masse
zueinander in Beziehung. Das bekannteste Beispiel ist E m c 2 , wobei
=

E Energie, m Masse und c Lichtgeschwindigkeit bedeuten.


• Masse und Energie krümmen die Raumzeit, und diese gekrümmte
Raumzeit kann man sich als Ursprung des Gravitationsfeldes vorstel­
len.

141
6

Quantenmechanik:
Relationale Unschärfe, unscharfe Relationen
und die Unschärferelation

And you may ask you rself,


Am I right I Am I wrong I
. . .

Und du fragst dich vielleicht:


Hab ich Recht? . . . Hab ich Unrecht ?
Talking Heads

Ik e fragte sich, ob er sich vielleicht mit Athena zu viele Filme ansah oder
ob Dieter ihm zu viel über Physik erzählte. Was immer der Grund war, in
der Nacht zuvor hatte Ike geträumt, dass er einen Quantendetektiv ken­
nen gelernt hätte. Mit Schlapphut und Trenchcoat bekleidet und mit ver­
steinertem Gesichtsausdruck hatte der Traumdetektiv gesagt :
» Ich wusste nichts über sie außer ihrem Namen und dass sie vor mir
stand. Aber von dem Moment an, da ich meinen Blick auf sie richtete,
wusste ich, Elek tra ,. würde mir Probleme bereiten. Als ich sie fragte, wo
sie herkäme, verweigerte sie die Auskunft. Das Büro hatte zwei Ein­
gänge, und durch einen musste sie gekommen sein. Aber Elektra flüsterte
heiser : >Mister, vergessen Sie 's. Das werde ich Ihnen niemals sagen. <
Obwohl ich sah, dass sie zitterte, versuchte ich die Dame festzunageln.
A ber Elektra wich in Panik zurück, als ich auf sie zuging. Sie bat mich,
nicht näher zu kommen. Da ich sah, wie aufgeregt sie war, hielt ich Ab­
stand. Dass jemand sein Geheimnis nicht preisgeben wollte, war für
mich nichts Neues, aber diese Dame stellte alles in den Schatten. Es sah
ganz so aus, als würde mir das zweideutige Verhalten noch eine ganze
Weile zu schaffen machen. «

''
Der Name bezieht sich auf das Elektron, nicht auf d1e Gestalt aus der griechischen
Mythologie.

142
Q UANTENMECHANIK

So schwer die Quantenmechanik auch zu begreifen sein mag, sie hat


die Weltsicht der Naturwissenschaften grundlegend verändert. Viele
moderne Disziplinen sind aus der Quantenmechanik hervorgegangen :
Statistische Mechanik, Teilchenphysik, Chemie, Kosmologie, Moleku­
larbiologie, Evolutionsbiologie und Geologie ( wegen der Datierung mit
Radioisotopen) wurden allesamt infolge dieser Entwicklung umgebaut
oder neu gegründet. Viele Annehmlichkeiten der modernen Welt, bei­
spielsweise Computer, DVD-Spiele und Digitalkameras, wären ohne den
Transistor und die moderne Elektronik nicht möglich, und deren Tech­
nik basiert wiederum auf Quantenphänomenen .
Ich bin mir nicht sicher, ob ich im vollen Umfang begriff, wie bizarr
die Quantenmechanik ist, als ich mich auf dem College erstmals damit
befasste. Ich lernte die Grundprinzipien und konnte sie in verschiedenen
Zusammenhängen anwenden. Aber erst als ich viele Jahre später Quan­
tenmechanik lehrte und sorgfältig die Logik der Quantenmechanik
durcharbeitete, erkannte ich, wie faszinierend sie ist. Zwar unterrichten
wir heute Quantenmechanik im Rahmen der normalen Physikerausbil­
dung, aber nichtsdestotrotz ist sie wahrhaft schockierend.
Die Geschichte der Quantenmechanik illustriert gut, wie Wissenschaft
sich weiterentwickelt. Die frühe Quantenmechanik wurde im Geist des
Modellbaus erarbeitet - um irritierende Beobachtungen zu erklären,
noch bevor j emand darüber eine Theorie formuliert hatte. Dann kam es
rasch zu sowohl experimentellen als auch theoretischen Fortschritten.
Die Physiker entwickelten die Quantentheorie, um experimentelle Er­
gebnisse zu interpretieren, die die klassische Physik nicht erklären
konnte. Und die Quantentheorie ihrerseits regte zu weiteren Experimen­
ten an, um die Hypothesen zu überprüfen.
Die Forscher brauchten Zeit, um diese experimentellen Beobach­
tungen in vollem Umfang zu begreifen. Was die Quantenmechanik be­
deutete, war für die meisten Wissenschaftler zu radikal, um von ihnen
sofort akzeptiert zu werden. Die Wissenschaftler mussten erst ihre Vor­
eingenommenheit ablegen, ehe sie das quantenmechanische Denk­
gebäude akzeptieren konnten, das sich so radikal von den vertrau­
ten klassischen Konzepten unterschied. Selbst mehrere theoretische
Pioniere wie Max Planck, Erwin Schrödinger und Albert Einstein kon­
vertierten nie wirklich ins Lager des quantenmechanischen Denkens.
Einstein fasste seine Vorbehalte in die berühmten Worte : >> Die Quan­
tenmechanik . . . liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten [Gott]
bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht

143
VERBORGENE UNIVERSEN

würfelt. << * Die meisten Wissenschaftler akzeptierten sie schließlich als


wahr (wie wir heute ) , aber nicht sofort.
Die Radikalität der wissenschaftlichen Fortschritte zu Beginn des
20. Jahrhunderts fand in der modernen Kultur ihren Widerhall. Die
Grundlagen von Kunst und Literatur und unser Verständnis der Psycho­
logie änderten sich damals von Grund auf. Einige schreiben diese Ent­
wicklung zwar den Umbrüchen des verheerenden Ersten Weltkriegs zu,
aber Künstler wie Wassily Kandinsky rechtfertigten mit der Tatsache,
dass das Atom nicht mehr unteilbar war, dass sich alles verändern
könne und daher in der Kunst alles erlaubt sein müsse. Kandinsky be­
schrieb seine Reaktion auf den Atomkern mit den Worten : >> Der Zu­
sammenbruch des Atommodells kam in meinem Herzen dem Zusam­
menbruch der gesamten Welt gleich. Plötzlich stürzten die stärksten
Mauern ein. Ich wäre nicht erstaunt gewesen, wäre ein Stein vor meinen
Augen in der Luft erschienen, geschmolzen und wieder unsichtbar ge­
worden. << * *
Kandinsky reagierte wohl etwas extrem. Die Quantenmechanik war
im Grundsatz zwar radikal, aber man schießt leicht über das Ziel hinaus,
wenn man sie in nichtwissenschaftlichem Kontext anwendet. Am meis­
ten stört mich dabei zum Beispiel, dass häufig die Unschärferelation
fälschlicherweise dazu missbraucht wird, Ungenauigkeit zu rechtferti­
gen. Wir werden in diesem Kapitel sehen, dass die Unschärferelation in
Wirklichkeit eine sehr präzise Aussage über messbare Größen ist. Den­
noch ist sie eine Aussage mit überraschenden lmplikationen.
Wir werden j etzt die Quantenmechanik und die ihr zugrunde liegen­
den Prinzipien kennen lernen, die sie so deutlich von der älteren klassi­
schen Physik unterscheiden. Zu den merkwürdigen neuen Begriffen, de­
nen wir begegnen werden, zählen die Quantisierung, die Wellenfunk­
tion, der Welle-Teilchen-Dualismus und die Unschärferelation. Dieses
Kapitel umreißt diese Schlüsselvorstellungen und vermittelt ein wenig
die Atmosphäre, in der das alles ausgearbeitet wurde.

* Einstein in einem Brief an Max Born, 1 926.


* * Zitiert nach Gerald Holton und Stephen J . Brush, Physics, the Human Adventure,
from Copernicus to Einstein and Beyond ( Piscataway, NJ : Rutgers University Press,
2001 ) .

144
Q UANTENMECHANIK

Schock und Ehrfurcht

Der Teilchenphysiker Sidney Coleman hat einmal gesagt, wenn Tau­


sende von Philosophen Tausende von Jahren mit der Suche nach dem
denkbar Allermerkwürdigsten verbrächten, würden sie niemals auf et­
was so Verrücktes wie die Quantenmechanik kommen. Sie ist so schwie­
rig zu begreifen, weil ihre Konsequenzen so überraschend sind und dem
Alltagsverstand zuwiderlaufen. Ihre grundlegenden Prinzipien wider­
sprechen nicht nur unserer Erfahrung, sondern auch der Logik, die der
vorher bekannten Physik zugrunde lag.
Die Quantenmechanik erscheint unter anderem deswegen so bizarr,
weil wir physiologisch nicht so ausgerüstet sind, dass wir die Quanten­
natur von Materie und Licht wahrnehmen könnten . Im Allgemeinen
werden Quanteneffekte erst bei Abständen von rund einem Ä ngström
wichtig, der Größe eines Atoms. Ohne Spezialinstrumente können wir
nur Dinge beobachten, die viel größer sind. Schon die Pixel eines hoch­
auflösenden Fernsehers oder Computermonitors sind im Allgemeinen zu
klein, als dass wir sie noch erkennen könnten.
Darüber hinaus sehen wir nur riesige Zusammenballungen von Ato­
men - von so vielen, dass die klassische Physik die Quanteneffekte ein­
fach überdeckt. Im Allgemeinen nehmen wir auch nur viele Lichtquan­
ten auf einmal wahr. O bwohl die Photorezeptorzellen im Auge genügend
empfindlich sind, um die kleinstmögliche Lichtmenge wahrzunehmen -
ein einzelnes Quant -, verarbeitet das Auge normalerweise so viele
Quanten, dass irgendwelche möglichen Quanteneffekte von dem viel
deutlicher sichtbaren klassischen Verhalten überlagert werden.
Die Quantenmechanik ist schwierig zu erklären, und das aus sehr gu­
tem Grund. Die Quantenmechanik ist hinreichend umfassend, um auch
klassische Vorhersagen einzuschließen, aber umgekehrt gilt dies nicht.
Unter vielerlei Umständen - beispielsweise wenn es um große Objekte
geht - stimmen quantenmechanische Vorhersagen mit denen der klassi­
schen Newton'schen Mechanik überein. Es gibt aber keinen Größen­
bereich, für den die klassische Mechanik Quantenvorhersagen erge­
ben würde. Wenn wir folglich die Quantenmechanik mittels vertrauter
klassischer Begriffe und Konzepte zu verstehen versuchen, geraten wir
unausweichlich in Schwierigkeiten. Mit klassischen Ausdrücken Quan­
teneffekte zu beschreiben ist so ähnlich, wie Französisch in eine Pidgin­
sprache mit einem Vokabular von nur hundert Wörtern zu übersetzen.
Dabei würde man häufig auf Begriffe oder Wörter stoßen, die sich nur

145
VERBORGENE UNIVERSEN

annähernd wiedergeben ließen oder die man überhaupt nicht mit einem
so begrenzten Vokabular ausdrücken könnte.
Der dänische Physiker Niels Bohr, einer der Pioniere der Quantenme­
chanik, war sich bewusst, dass die menschliche Sprache für die Beschrei­
bung der inneren Vorgänge im Atom nicht ausreicht. Beim Nachdenken
über dieses Thema erzählte er, dass seine Modelle >> ihm intuitiv gekom­
men seien . . . als Bilder << *. Und der Physiker Werner Heisenberg er­
klärte : ,, Wir müssen einfach bedenken, dass unsere normale Sprache
nicht mehr funktioniert, dass wir in einem Bereich der Physik sind, wo
unsere Worte nicht mehr viel bedeuten. « '' *
Ich werde daher nicht versuchen, Quantenphänomene mit klassischen
Modellen zu beschreiben. Stattdessen will ich die entscheidenden
Grundannahmen und Phänomene erklären, die die Quantenmechanik so
deutlich von den klassischen Theorien unterscheiden, die ihr vorausgin­
gen. Punkt für Punkt werden wir über ein paar der entscheidenden Be­
obachtungen und Erkenntnisse nachdenken, die zur Quantenmechanik
und ihrer Weiterentwicklung führten. Auch wenn diese Darstellung im
Großen und Ganzen einem chronologischen Aufbau folgt, ist meine
eigentliche Absicht, die vielen neuen Ideen und Begriffe der Quantenme­
chanik nach und nach einzuführen.

Die Anfänge der Quantenmechanik

Die Quantenphysik entwickelte sich in Phasen. Am Anfang stand eine


Reihe von willkürlichen Annahmen, die zu Beobachtungen passten, ob­
wohl niemand verstand, warum. Diesen aufs Geratewohl angestellten
Vermutungen lag keine physikalische Rechtfertigung zugrunde, aber sie
hatten den Vorteil, die richtigen Antworten zu liefern ; zusammen mach­
ten sie das aus, was heutzutage als die alte Quantentheorie bekannt ist.
Diese Theorie ging von der Annahme aus, dass Größen wie Energie und
Impuls nicht beliebige Werte haben können. Vielmehr waren die mög­
lichen Werte auf eine bestimmte Anzahl diskreter, quantisierter Zahlen
beschränkt.

''
Gerald Holton, The Advancement of Science, and Its Burdens ( Cambridge, MA :
Harvard University Press, 1 9 9 8 ) .
'' * Zitiert in Gerald Holton u n d Stephen J . Brush, Physics, the Human Adventure from
Copernicus to Einstein and Beyond (Piscataway, NJ : Rutgers University Press, 2001 ) .

146
QUANTENMEC H ANIK

Die Quantenmechanik, die sich aus dem bescheidenen Vorläufer - der


alten Quantentheorie - entwickelte, rechtfertigt die rätselhafte Annahme
der Quantisierung, der wir bald begegnen werden. Darüber hinaus lie­
fert die Quantenmechanik eine definitive Prozedur für die Vorhersage,
wie quantenmechanische Systeme sich im Lauf der Zeit entwickeln, was
die Leistungsfähigkeit der Theorie deutlich steigert. In Gang kam die
Quantenmechanik zunächst aber nur stockend, weil zur damaligen Zeit
niemand wirklich begriff, was vor sich ging. Zunächst waren die Annah­
men über die Quantisierung alles, was es gab.
Die alte Quantentheorie nahm ihren Anfang im Jahr 1 900, als der
deutsche Physiker Max Planck vorschlug, dass Licht nur in Quantenein­
heiten vorkäme, genau wie Ziegelsteine nur als ganze Stücke verkauft
werden. Nach Plancks Hypothese konnte die in Licht beliebiger Fre­
quenz enthaltene Energie nur ein Vielfaches der fundamentalen Energie­
einheit dieser bestimmten Frequenz sein. Diese Grundeinheit entspricht
einem Quant ; ausgedrückt wird sie durch das Planck'sche Wirkungs­
quantum h, multipliziert mit der Frequenz f. Die Energie des Lichts mit
der Frequenz f kann hf, 2hf, 3hf und so weiter betragen, aber nach
Plancks Hypothese würde man niemals eine Zwischengröße finden. Im
Gegensatz zu Ziegelsteinen, die willkürlich und nicht grundsätzlich ge­
quantelt sind - man kann sie teilen -, gibt es für eine gegebene Frequenz
ein Energieminimum, das nicht weiter zu teilen ist. Zwischenwerte kön­
nen nicht vorkommen.
Dieser bemerkenswert hellsichtige Vorschlag sollte ein theoretisches
Rätsel lösen, das als Ultraviolettkatastrophe des Schwarzen Körpers
,,.

bekannt ist. Ein Schwarzer Körper ist so etwas wie ein Stück Kohle, das
alle ankommende Strahlung absorbiert und dann wieder abgibt.* '' Die
von ihm abgegebene Menge Licht oder andere Energie hängt von seiner
Temperatur ab; allein seine Temperatur charakterisiert die physikali­
schen Eigenschaften eines Schwarzen Körpers vollständig.
Die klassischen Vorhersagen für das von einem Schwarzen Körper
abgestrahlte Licht waren allerdings problematisch : Ihre Berechnungen
ergaben, dass viel mehr Energie als Hochfrequenzstrahlung emittiert
werden müsste, als die Physiker in Wirklichkeit beobachtet hatten. Die
Messungen zeigten, dass unterschiedliche Frequenzen nicht alle in glei-

* » Ultraviolett « bedeutet hier » Hochfrequenz « .


'' * Ein Schwarzer Körper ist i n Wi rklichkeit ein idealisiertes Objekt ; reale Di nge wie
Kohle stellen keine perfekten Schwarzen Körper dar.

147
VERBORGENE UNIVERSEN

ehern Maß zur Abstrahlung des Schwarzen Körpers beitrugen - die ho­
hen Frequenzen weniger als die niedrigeren. Nur die niedrigeren Fre­
quenzen gaben signifikante Energiemengen ab. Daher sind strahlende
Objekte >> rot glühend <, und nicht >> blau glühend << . Die klassische Physik
sagte j edoch eine große Menge Hochfrequenzstrahlung voraus. Die Ge­
samtmenge der emittierten Energie war nach der klassischen Berech­
nung sogar unendlich. Die klassische Physik stand vor einer Ultravio­
!ettkatastrophe.
Als Ausweg aus diesem Dilemma bot sich ad hoc die Annahme an,
dass nur Frequenzen unterhalb einer bestimmten O bergrenze zur Strah­
lung eines Schwarzen Körpers beitragen konnten. Planck aber verwarf
diese Möglichkeit zugunsren einer anderen, offenbar genauso willkür­
lichen Annahme : dass Licht nur in Quanten vorkommt.
Wenn die Strahlung bei j eder Frequenz aus einem ganzzahligen Viel­
fachen eines fundamentalen Strahlungsquants bestand, so überlegte
Planck, dann konnte keine Hochfrequenzstrahlung emittiert werden,
weil die fundamentalen Energieeinheiten zu groß wären. Weil die in
einem Lichtquant enthaltene Energie proportional zu seiner Frequenz
war, musste selbst eine einzige Einheit von Hochfrequenzstrahlung eine
Menge Energie enthalten. War die Frequenz hoch genug, wäre das Ener­
gieminimum eines Quants zu groß, um zurückgestrahlt zu werden. Der
Schwarze Körper könnte nur die Quanten niedriger Frequenzen abge­
ben. Plancks Hypothese zufolge war zu viel Hochfrequenzstrahlung also
ausgeschlossen.
Mit einer Analogie kann man vielleicht Plancks Überlegung veran­
schaulichen. Wahrscheinlich haben Sie schon einmal in einem Restau­
rant mit Menschen gegessen, die dankend ablehnen, wenn es an das Be­
stellen des Nachtischs geht. Sie haben Angst, zu viel zu essen und zu dick
zu werden, und daher bestellen sie sich kein leckeres Dessert. Wenn die
Bedienung versichert, die Portionen seien klein, nehmen sie vielleicht
einen Nachtisch. Aber angesichts der üblichen großen Quantitäten an
Kuchen oder Eiskrem oder Pudding streiken sie.
Es gibt zwei Typen von solchen Menschen. Ike gehört zur ersten Ka­
tegorie. Er ist wirklich diszipliniert und isst keinen Nachtisch. Wenn das
Dessert zu groß ist, hält sich Ike einfach zurück. Ich zähle eher wie
Athena zum zweiten Typ, der meint, dass das Dessert zu groß ist und
sich daher nichts selbst bestellt, aber im Gegensatz zu Ike keine Gewis­
sensbisse hat, sich von allen anderen Desserttellern ein Löffelehen zu
nehmen. Auch wenn Athena sich also keine eigene Portion bestellt, isst

148
QUANTENMEC H ANIK

sie letzten Endes ziemlich viel. Würde Athena mit einer großen Anzahl
Menschen gemeinsam essen, und könnte sie daher von einer großen An­
zahl von Nachtischportionen naschen, würde sie eine unglückselige
>> Kalorienkatastrophe << erleben.
Nach der klassischen Theorie ähnelt ein Schwarzer Körper eher
Athena. Er würde bei j eder Frequenz kleine Lichtmengen emittieren, und
die Theoretiker der klassischen Schule würden daher eine >> Ultraviolett­
katastrophe << vorhersagen. Um dem Dilemma zu entgehen, schlug
Planck vor, dass ein Schwarzer Körper eher dem wirklich enthaltsamen
Typ gleicht. Wie Ike, der niemals nur einen Bruchteil eines Desserts isst,
verhält sich ein Schwarzer Körper gemäß der Planck'schen Quantisie­
rungsregel und emittiert Licht einer gegebenen Frequenz nur in quanti­
sierten Energieeinheiten, die gleich der Konstante h mal der Frequenz f
ist. Ist die Frequenz zu hoch, ist das Energiequant einfach zu groß für
Licht, das bei dieser Frequenz abgegeben werden könnte. Ein Schwarzer
Körper gibt daher den größten Teil seiner Strahlung bei niedrigen Fre­
quenzen ab, und hohe Frequenzen sind automatisch ausgeschlossen. Der
Quantentheorie zufolge emittiert ein Schwarzer Körper keine substan­
zielle Menge von Hochfrequenzstrahlung und gibt daher weit weniger
Strahlung ab, als in der klassischen Theorie vorhergesagt.
Wenn ein O bjekt Strahlung emittiert, nennen wir das Strahlungsmus­
ter - das heißt, wie viel Energie das O bj ekt bei einer gegebenen Tempe-

·�
"
.!:!
.5
"
. ::
"

I

()
() 2 3 4 5 6
Wellenlänge (mm)

A b bildung 40: Das Schwarzkörperspek trum der kosmischen Mik rowellen­


Hintergrundstrahlung des Universums. Ein Schwarzkörperspek trum gibt die
bei allen Frequenzen emittierte Lichtmenge an, wenn die Temperatur des
strahlenden Objekts einen festen Wert hat. Man beachte, dass das Spektrum
bei hohen Frequenzen gegen null geht.

149
VERBORGENE UNIVERSEN

ratur in j eder Frequenz emittiert - sein Spek trum10 ( siehe Abbildung 4 0 ) .


D a s Spektrum v o n bestimmten Obj ekten, beispielsweise v o n Sternen,
kann dem eines Schwarzen Körpers nahekommen. Solche Schwarzkör­
perspektren sind bei vielen unterschiedlichen Temperaturen gemessen
worden, und sie bestätigen alle Plancks Annahme. Abbildung 40 zeigt,
dass größtenteils niedrige Frequenzen abgestrahlt werden; bei hohen
Frequenzen bricht die Emission ab.
Eine der großen Leistungen der experimentellen Kosmologie seit den
achtziger Jahren ist die immer genauere Vermessung des Schwarzkörper­
spektrums, der Hintergrundstrahlung in unserem Universum. Ursprüng­
lich war das Universum ein heißer, dichter Feuerball voller Hochtempe­
raturstrahlung, aber seither hat sich das Universum ausgedehnt, und die
Strahlung hat sich gewaltig a bgekühlt. Das liegt daran, dass mit der Aus­
dehnung des Universums auch die Wellenlängen der Strahlung größer
wurden. Und größere Wellenlängen entsprechen niedrigeren Frequen­
zen, die wiederum niedrigerer Energie entsprechen und damit auch nied­
rigerer Temperatur. Das Universum enthält heute eine Strahlung, die so
aussieht, als würde sie von einem Schwarzen Körper mit einer Tempera­
tur von nur 2,7 Grad über dem absoluten Nullpunkt erzeugt - deutlich
kühler als am Anfang.
Mit Satelliten wurde kürzlich das Spektrum dieser kosmischen Mikro­
wellen-Hintergrundstrahlung gemessen (Abbildung 40 zeigt das Ergeb­
nis ) . Es sieht fast ganz genauso aus wie das Spektrum eines Schwarzen
Körpers mit einer Temperatur von 2,7 ° K ( Grad Kelvi n ) . Die Messungen
lassen erkennen, dass alle Abweichungen kleiner als 1 zu 10 000 sind.
Faktisch ist dieses Strahlungsrelikt das bislang am genauesten gemessene
Schwarzkörperspektrum.
Als man Planck 1931 fragte, wie er denn auf die zunächst haarsträu­
bende Vermutung gekommen sei, dass das Licht quantisiert ist, antwor­
tete er : '' Es war ein Verzweiflungsakt. Sechs Jahre hatte ich mit der
Theorie des Schwarzen Körpers gekämpft. Ich wusste, dass das Problem
ein grundsätzliches war, und ich kannte die Antwort. Ich musste um je­
den Preis . . . eine theoretische Erklärung finden. << ,,. Für Planck war die
Lichtquantisierung eine Behelfslösung, eine Krücke, die die korrekte
Schwarzkörperstrahlung ergab. Seiner Ansicht nach war die Quantisie-

* ». • .
um j eden Preis, das heißt ausgenommen die Unverletzlichkeit der zwei Gesetze
der Thermodynamik . . ·"Zitiert in David Cassidy, Einstein and Our World, 2 . Auf!.
( Atlantic Highlands, NJ : Humanities Press, 2004 ) .

150
QUANTENMEC H ANIK

rung nicht notwendigerweise eine Eigenschaft des Lichts selbst, sondern


konnte stattdessen auch die Folge irgendeiner Eigenschaft der Atome
sein, die das Licht abstrahlten. Obwohl Plancks Mutmaßung der erste
Schritt zum Verständnis der Lichtquantisierung war, hat er sie selbst
nicht in vollem Umfang verstanden.
Fünf Jahre später, 1 905, leistete Einstein einen wichtigen Beitrag zur
Quantentheorie, als er bewies, dass Lichtquanten etwas Reales sind,
nicht bloß mathematische Abstraktionen. In j enem Jahr hatte Einstein
sehr viel zu tun : Er arbeitete die spezielle Relativitätstheorie aus, half zu
beweisen, dass es Atome und Moleküle gab, indem er die statistischen
Eigenschaften der Materie studierte, und lieferte eine Bestätigung der
Quantentheorie - während er die ganze Zeit auch noch im Schweizer Pa­
tentamt zu Bern arbeitete .
Die Beobachtung, die Einstein mit der Hypothese der Lichtquanten in­
terpretierte und somit deren Richtigkeit wahrscheinlicher machte, ist als
photoelektrischer Effek t bekannt. Experimentatoren richteten Strahlung
von einer einzigen Frequenz auf Materie, und diese auftreffende Strah­
lung löste Elektronen heraus. Experimente hatten gezeigt, dass die Bom­
bardierung von Material mit mehr Licht, das mehr Gesamtenergie trägt,
die maximale kinetische Energie ( Bewegungsenergie ) der emittierten
Elektronen nicht veränderte. Das läuft intuitivem Denken zuwider :
Mehr ankommende Energie müsste doch bestimmt Elektronen mit grö­
ßerer kinetischer Energie produzieren. Die Beschränkung der kineti­
schen Energie der Elektronen war daher ein Rätsel. Warum absorbierte
das Elektron nicht mehr Energie ?
Einsteins Interpretation lautete, dass die Strahlung aus einzelnen
Lichtquanten besteht und dass nur ein einzelnes Quant seine Energie
einem bestimmten Elektron abgeben kann. Auf ein individuelles Elek­
tron wirkt Licht wie eine einzelne Kugel ein, nicht wie eine Salve. Weil
nur ein Lichtquant das Elektron herauslöst, ändern mehr ankommende
Quanten nicht die Energie des abgestrahlten Elektrons. Erhöht man die
Zahl der auftreffenden Quanten, löst das Licht mehr Elektronen heraus,
aber die Maximalenergie irgendeines bestimmten Elektrons wird da­
durch nicht beeinflusst.
Nachdem Einstein den photoelektrischen Effekt mit Hilfe dieser defi­
nierten Energiepakete - den quantisierten Lichteinheiten - erklärt hatte,
machte es Sinn, dass die emittierten Elektronen immer dieselbe maximale
kinetische Energie haben mussten. Die größte kinetische Energiemenge,
die ein Elektron haben kann, entspricht der festen Energiemenge, die es

151
VERBORGENE UNIVERSEN

vom Lichtquant erhält, minus der Energie, die erforderlich ist, um das
Elektron aus dem Atom herauszulösen.
Mit dieser Überlegung konnte Einstein die Energie der Lichtquanten
ableiten. Er stellte fest, dass ihre Energie von der Frequenz des Lichts ab­
hing, genau wie Plancks Hypothese vorhergesagt hatte. Für Einstein war
das ein klarer Beweis, dass Lichtquanten real waren. Seine Interpretation
zeichnete ein sehr konkretes Bild von Lichtquanten : Ein einzelnes Quant
trifft auf ein einzelnes Elektron, das dadurch herausgelöst wird . Diese
Beobachtung war es, nicht die Relativitätstheorie, die Einstein im Jahr
1 921 den Nobelpreis für Physik eintrug.
Merkwürdigerweise erkannte Einstein zwar, dass es Lichtquanten
gab, er zögerte aber zu akzeptieren, dass diese Quanten tatsächlich Teil­
chen waren, die zwar Energie und Impuls, aber keine Masse hatten. Der
erste überzeugende Beweis für die Teilchennatur der Lichtquanten rührte
1 923 aus der Messung der Campton-Streuung her, bei der ein Lichtquant
auf ein Elektron trifft und von diesem abgelenkt wird ( siehe Abbildung
41 ) . Im Allgemeinen kann man Energie und Impuls eines Teilchens da­
durch bestimmen, dass man seinen Ablenkungswinkel nach einer Kolli­
sion misst. Wenn Photonen masselose Partikel waren, mussten sie sich
auf eine ganz bestimmte Weise verhalten, wenn sie mit anderen Teilchen
wie etwa Elektronen zusammenprallten. Messungen ergaben, dass die
Lichtquanten sich genauso verhielten, als wären sie masselose Teilchen,
die mit den Elektronen wechselwirkten. Die unvermeidliche Schlussfol­
gerung lautete, dass Lichtquanten in der Tat Teilchen sind, und heute
nennen wir diese Photonen.
Es ist verblüffend, dass Einstein so viele Vorbehalte gegenüber der
Quantentheorie hatte, die er auszuarbeiten half. Aber seine Haltung ist
nicht ungewöhnlicher als Plancks Reaktion auf Einsteins Quantisie­
rungsvorschlag - schlichter Unglauben. Planck und mehrere andere

vorher nachher

. e
'-.

Abbildung 4 1 : Bei der Campton-Streuung wird ein Photon von einem statio­
nären Elek tron (e-) gestreut, wobei sich seine Energie und sein Impuls ändern
(A und f.. ' Wellenlängen des Photons).
=

152
Q UANTENMECH ANIK

rühmten Einsteins zahlreiche Verdienste, relativierten aber ihre Begeiste­


rung. * Planck sagte sogar etwas geringschätzig : >> Dass er bei seinen Spe­
kulationen das Ziel verfehlte, wie es beispielsweise bei seiner Hypothese
der Lichtquanten der Fall war, kann man ihm wirklich nicht zu sehr vor­
halten, denn es ist nicht möglich, in der exaktesten aller Wissenschaften
wirklich neue Ideen einzuführen, ohne gelegentlich ein Risiko einzuge­
hen. << * * Bloß keinen Fehler machen ! Die von Einstein vorgeschlagenen
Lichtquanten trafen genau ins Ziel. Plancks Kommentar spiegelt nur wi­
der, wie revolutionär Einsteins Erkenntnis war und wie sehr die Wissen­
sch a ftler anfänglich zögerten, sie zu akzeptieren.

Die Quantisierung und das A tom

Die Geschichte der Quantisierung und der alten Quantentheorie ist mit
dem Licht noch nicht zu Ende . Es stellte sich heraus, dass alle Materie
aus fundamentalen Quanten besteht. Niels Bohr war der Nächste, der
eine Quantisierungshypothese vorlegte. In seinem Fall galt diese einem
gut bekannten Teilchen, dem Elektron.
Bohr interessierte sich zum Teil deswegen für Quantenmechanik, weil
e r damals versuchte, rätselhafte Eigenschaften des Atoms zu erklären .

Während des 1 9. Jahrhunderts hatte man vom Atom nur eine unglaublich
vage Vorstellung : Einige Wissenschaftler glaubten, Atome gäbe es nur als
heuristische Hilfsmittel, die als Denkmodelle nützlich waren, aber nicht
in der Realität gründeten. Und einige Wissenschaftler, die dennoch an die
Existenz von Atomen glaubten, verwechselten sie sogar mit Molekülen,
die, wie wir heute wissen, aus Atomen zusammengesetzt sind.
Die wirklichen Eigenschaften und der Aufbau des Atoms wurden erst
zu Beginn des letzten Jahrhunderts akzeptiert. Ein Teil des Problems be­
stand darin, dass das griechische Wort atomos, auf den der Begriff zu­
rückgeht, >> unteilbar << bedeutet, und ursprünglich machte man sich vom
Atom in der Tat das Bild eines unveränderlichen, unteilbaren O bjekts.
Aber als die Physiker des 1 9. Jahrhunderts immer mehr über das Verhal­
ten von Atomen herausfanden, ging ihnen auf, dass diese Vorstellung

,,_
A braham Pais, » Raffiniert ist der Herrgott . . ·" ( Bra unschweig, Wiesbaden : Vieweg,
1986).
* Gerald Holton, Thematic O rigins o f Scientific Thought, ü berarb. A u f!. ( Cam­
''

bridge, MA : Harvard Uni versiry Press, 1 9 8 8 ) .

153
VERBORGENE UNIVERSEN

falsch sein musste. Gegen Ende des Jahrhunderts zählten die Radioakti­
vität und die Spektrallinien - die spezifischen Frequenzen, bei denen
Atome Licht emittieren und absorbieren - zu den am genauesten gemes­
senen Atomeigenschaften. Und beide Phänomene zeigten, dass Atome
veränderlich waren. Darüber hinaus entdeckte im Jahr 1 8 97 ]. ]. Thom­
son das Elektron und schlug vor, dass Elektronen Bestandteile des
Atoms wären, was bedeutete, dass Atome teilbar sein mussten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasste Thomson die Atombeobachtun­
gen j ener Zeit in seinem >> Plumpudding-Modell << zusammen, benannt
nach dem britischen Weihnachtsdessert, bei dem einzelne Stücke von
Dörrfrüchten in einer Teigmasse stecken. Er schlug vor, dass es eine po­
sitiv geladene Komponente gäbe, die im ganzen Atom ( dem Teig) verteilt
sei und in der negativ geladene Elektronen (die Dörrobststücke) einge­
bettet seien.
Der Neuseeländer Ernest Rutherford bewies 1910, dass dieses Modell
falsch ist, als Hans Geiger und ein Doktorand, Ernest Marsden, ein von
Rutherford vorgeschlagenes Experiment durchführten. Sie entdeckten
einen festen, kompakten Atomkern, der viel kleiner war als das Atom
selbst. Radon-222, ein Gas, das beim radioaktiven Zerfall von Radium­
salzen entsteht, emittiert Alphateilchen, von denen wir heute wissen,
dass es sich um Heliumkerne handelt. Die Physiker bewiesen die Exis­
tenz von Atomkernen, indem sie Alphateilchen auf Atome schossen und
die Winkel maßen, in denen die Alphateilchen gestreut wurden. Zu der
von ihnen beobachteten starken Streuung konnte es nur dann kommen,
wenn es feste, kompakte Atomkerne gab. Eine diffuse, im ganzen Atom
verteilte positive Ladung hätte die Teilchen nie so weit ablenken können .
Rutherford meinte dazu : » Es war das Unglaublichste, das mir je in mei­
nem Leben passiert ist. Es war fast so unglaublich, als würde man eine
30-cm-Granate auf ein Stück Seidenpapier abfeuern, und sie würde ab­
prallen und einen selbst treffen. << ,,.
Mit Rutherfords Erkenntnissen war das Plumpudding-Modell des
Atoms hinfällig. Sie bedeuteten, dass die positive Ladung nicht gleichmä­
ßig im Atom verteilt war, sondern vielmehr auf einen viel kleineren in­
neren Kern konzentriert ist. Es musste eine feste, zentrale Komponente
geben, den Atomkern. Nach dieser Vorstellung bestand ein Atom aus
Elektronen, die einen kleinen zentralen Kern umkreisten.

''
Zitiert nach Abraham Pais, Inward Bound: Of Matter and Forces in the Physical
World ( Oxford : Oxford University Press, 1 9 8 6 ) .

154
QUANTENMEC H ANIK

Im Sommer 2002 besuchte ich die jährliche Konferenz der Stringtheo­


retiker, die in jenem Jahr zufällig am Cavendish Labaratory in Cam­
bridge stattfand. Viele wichtige Pioniere der Quantenmechanik, darun­
ter auch die zwei führenden Köpfe Rutherford und Thomson, haben
einen Großteil ihrer wichtigen Forschungsarbeiten hier durchgeführt.
Die Gänge sind mit Erinnerungsstücken an die aufregenden Anfangs­
jahre bestückt, und ich brachte ein paar amüsante Fakten in Erfahrung,
als ich die Flure entlangging.
Beispielsweise hatte James Chadwick, der Entdecker des Neutrons,
nur deswegen Physik studiert, weil er sich schämte, bei der Einschrei­
bung zuzugeben, dass er sich irrtümlich in die falsche Schlange eingereiht
hatte. Und ]. ]. Thomson war so j ung, als er Direktor dieses Labors
wurde (gerade mal 2 8 Jahre ) , dass auf einer Gratulationskarte stand :
,, Verzeihen Sie mir den Fehler, Ihnen nicht geschrieben und Ihnen Glück
und Erfolg als Professor gewünscht zu haben. Die Nachricht Ihrer Wahl
war eine zu große Überraschung, als dass sie mir dies erlaubt hätte. «
( Physiker sind nicht immer die liebenswürdigsten Mitmenschen. )
Zwar hatte sich Anfang des 20. Jahrhunderts i m Cavendish Labara­
tory und anderenorts ein kohärentes Bild vom Atom herausgebildet, das
Verhalten seiner Bestandteile aber sollte die Überzeugungen der Physiker
in ihren Grundfesten erschüttern. Rutherfords Experimente hatten auf
ein Atom schließen lassen, das aus Elektronen bestand, die in Umlauf­
bahnen um einen Atomkern kreisten. So einfach dieses Bild war, es hatte
einen entscheidenden Nachteil : Es musste falsch sein. Nach der klassi­
schen elektromagnetischen Theorie mussten Elektronen auf einer kreis­
förmigen Umlaufbahn per Photonenemission (oder klassisch formuliert :
Abstrahlung elektromagnetischer Welle n ) Energie abgeben. Die Photo­
nen würden dabei Energie mit sich nehmen und ein weniger energierei­
ches Elektron zurücklassen, das immer kleinere Umlaufbahnen haben
würde und sich also spiralförmig auf das Zentrum zu bewegen würde.
De facto sagte die klassische elektromagnetische Theorie voraus, dass
Atome nicht stabil sein konnten, sondern in weniger als einer Nanose­
kunde kollabieren müssten . Die stabilen Umlaufbahnen der Elektronen
waren ein komplettes Rätsel. Warum verloren sie keine Energie, warum
näherten sie sich nicht spiralförmig dem Atomkern ?
Eine radikale Abkehr von dieser klassischen Denkweise war nötig, um
die atomaren Umlaufbahnen der Elektronen zu erklären. Konsequent zu
Ende gedacht, ergab diese Überlegung unvermeidlicherweise, dass es in
der klassischen Physik Schwachstellen gab, die nur mit der Ausbildung

155
VERBORGENE UNIVERSEN

der Q uantenmechanik behoben werden konnten. Gerrau diesen revolu­


tionären Vorschlag machte Niels Bohr, als er Plancks Quantisierungs­
idee auf Elektronen übertrug. Auch dies war ein wesentlicher Bestandteil
der alten Quantentheorie.

Die Quantisierung des Elek trons

Bohr kam zu dem Schluss, dass die Elektronen keine beliebigen Umlauf­
bahnen haben konnten : Vielmehr mussten diese einen Radius haben, der
zu einer von ihm vorgeschlagenen Formel passte. Auf diese Umlaufbah­
nen kam er d urch einen glücklichen, aber genialen Einfall. Er fand, Elek­
tronen müs!>ten sich verhalten, als wären sie Wellen, das hieß, dass sie
beim Kreisen um den Atomkern auf und ab schwingen würden.
Im Allgemeinen oszilliert eine Welle von bestimmter Länge über eine
fixe Distanz einmal auf und ab; diese Distanz ist die Wellenlänge. Eine in
einem Kreis verlaufende Welle hat ebenfalls eine ihr zugehörige Wellen­
länge. In diesem Fall gibt die Wellenlänge den Teil des Bogens an, auf
dem die Welle einmal auf- und abschwingt, während sie sich um den
Kern windet.
Ein Elektron auf einer Umlaufbahn mit einem festen Radius kann
nicht irgendeine Wellenlänge haben, sondern nur eine, die es der Welle
erlaubt, eine feste Anzahl von Malen auf- und abzuschwingen. Es musste
also eine Regel geben, um die erlaubten Wellenlängen zu bestimmen :
Wie oft die Welle bei einem kreisförmigen Umlauf auf- und abschwingen
konnte, musste eine ganze Zahl ergeben - 1 , 2, 3 und so weiter ( siehe Ab­
bildung 42 ) .
Bohrs Vorschlag war zwar radikal u n d seine Bedeutung noch nicht
klar, aber seine Mutmaßung traf ins Schwarze : Wenn sie stimmte, würde
das stabile Elektronenumlaufbahnen garantieren . Nur ganz bestimmte
Umlaufbahnen kamen infrage. Zwischengrößen wären ausgeschlossen.
Ohne einen ä ußeren Anlass, der das Elektron von einer Bahn auf eine an-

0
'

'

A b bildung 42 : Mögliche Wellenmuster eines Elek trons nach der Bohr- Quan­
tisierung.

156
QUANTENMECH ANIK

dere springen lassen würde, gäbe es für das Elektron keine Möglichkeit,
sich in Richtung Kern zu bewegen.
Man kann sich Bohrs Atom mit den festgelegten Elektronenumlauf­
bahnen als ein mehrstöckiges Gebäude vorstellen, in dem man nur die
geradzahligen Etagen betreten darf, die zweite, vierte, sechste und so
weiter. Da man in die Stockwerke dazwischen nie einen Fuß setzen
könnte, etwa das dritte oder fünfte, müsste man auf alle Ewigkeit auf der
geradzahligen Etage bleiben, auf der man ist. Es gäbe keine Möglichkeit,
das Erdgeschoss zu erreichen und zu entkommen.
Bohrs Wellen waren ein kluger Einfall. Er behauptete nicht zu wissen,
was das bedeutet; seine Annahme zielte einfach auf stabile Elektronen­
umlaufbahnen ab. Nichtsdestotrotz erlaubte es die quantitative Natur
seines Vorschlags, ihn zu überprüfen. Vor allem sagte Bohrs Hypothese
korrekt die atomaren Spektrallinien vorher. Spektrallinien zeigen dieje­
nigen Lichtfrequenzen an, die ein nicht ionisiertes Atom - ein neutrales
Atom mit allen Elektronen und der Nettoladung null - emittiert oder ab­
sorbiert. ,,_ Physikern war aufgefallen, dass die Spektren ein an Strichco­
des erinnerndes Streifenmuster aufwiesen und keine kontinuierliche Ver­
teilung zeigten (das heißt mit allen Lichtfrequenzen ) . Aber niemand
wusste, warum. Auch kannte man noch keinen Grund für gtnau die Fre­
quenzwerte, die man sah.
Mit seiner Quantisierungshypothese konnte Bohr erklären, warum
Photonen nur bei den gemessenen Frequenzen emittiert oder absorbiert
wurden . Bei einem isolierten Atom waren zwar die Elektronenumlauf­
bahnen stabil, aber sie konnten sich ändern, wenn ein Photon mit der
richtigen Frequenz - und nach Planck folglich der richtigen Energie -
Energie hinzufügte oder wegnahm.
Mit einer klassischen Vorgehensweise berechnete Bohr die Energie der
Elektronen, die sich seiner Quantisierungsannahme entsprechend ver­
hielten. Anhand dieser Energie sagte er die Energien - und damit die Fre­
quenzen - der Photonen vorher, die das Wasserstoffatom mit seinem ein­
zigen Elektron emittiert oder absorbiert. Bohrs Voraussagen trafen zu,
und diese korrekten Ergebnisse machten seine Quantisierungsannahme
höchst plausibel. Und das überzeugte unter anderem Einstein, dass Bohr
Recht haben müsse.

Wir beschränken uns hier auf diskrete Spektren. Wenn ein freies Elektron von einem
Ion eingefangen wird, wird ein kontinuierliches - nicht diskretes - Lichtspektrum
emittiert.

157
VERBORGENE UNIVERSEN

Die quantisierten Lichtpakete, die emittiert oder absorbiert werden


und damit die Elektronenumlaufbahnen verändern konnten, kann man
mit Seilen vergleichen, die aus den Fenstern des mehrstöckigen Gebäu­
des in unserer oben geschilderten Analogie hängen. Wenn j edes Seilstück
genau die Länge hat, die man braucht, um von dem eigenen Stockwerk
in eine der anderen geradzahligen Etagen zu kommen, und wenn nur die
Fenster zu geradzahligen Stockwerken offen stehen, dann würden die
Seile das Mittel darstellen, die Stockwerke zu wechseln - wobei die un­
geradzahligen weiterhin ausgeschlossen blieben. Genauso konnten die
Spektrallinien nur bestimmte Werte annehmen, nämlich die der Ener­
gieunterschiede zwischen Elektronen, die zulässige Bahnen besetzten.
Obwohl Bohr nicht erklären konnte, warum seine Quantisierungshy­
pothese zutraf, hatte er anscheinend völlig Recht. Viele Spektrallinien
waren gemessen worden, und mit seiner Annahme konnten sie reprodu­
ziert werden. Wenn eine solche Übereinstimmung Zufall gewesen wäre,
wäre das einem Wunder gleichgekommen. Letzten Endes bestätigte die
Quantenmechanik seine Annahme.

Die Bindungsängste der Teilchen

So wichtig die Quantisierungsvorschläge auch waren, der quantenme­


chanische Zusammenhang zwischen Teilchen und Wellen begann erst
mit den Fortschritten Gestalt anzunehmen, die der französische Physiker
Louis de Broglie, der Österreicher Erwin Schrödinger und der Deutsche
Max Born machten.
Der erste entscheidende Schritt weg von den beliebigen Wegen der al­
ten Quantentheorie hin zu einer wirklichen Theorie der Quantenmecha­
nik war de Broglies brillanter Vorschlag, Plancks Quantisierungshypo­
these auf den Kopf zu stellen. Während für Planck die Quanten etwas
mit den Wellen der Strahlung zu tun hatten, postulierte de Broglie - wie
Bohr -, dass sich Teilchen auch wie Wellen verhalten könnten. De Bro­
glies Hypothese bedeutete, dass Teilchen wellenähnliche Eigenschaften
aufweisen mussten und dass diese Wellen vom Impuls eines Teilchens be­
stimmt seien. ( Bei niedrigen Geschwindigkeiten ist der Impuls gleich
Masse mal Geschwindigkeit. Bei allen Geschwindigkeiten besagt der
Impuls, wie etwas auf eine einwirkende Kraft reagieren wird . Bei relati­
vistischen Geschwindigkeiten ist der Impuls zwar eine kompliziertere
Funktion von Masse und Geschwindigkeit, die Verallgemeinerung des

158
QUANTENMEC H ANIK

Impulses, die bei hohen Geschwindigkeiten Anwendung findet, zeigt


aber auch an, wie bei relativistischen Geschwindigkeiten etwas auf eine
Kraft reagieren würde. )
D e Broglie nahm an, dass ein Teilchen mit dem Impuls p mit einer
Welle verknüpft ist, deren Wellenlänge umgekehrt proportional zum Im­
puls sein müsste - das heißt, je kleiner der Impuls, desto größer wäre die
Wellenlänge. Die Wellenlänge war auch dem Planck'schen Wirkungs­
quantum h proportional . * Die Idee hinter de Broglies Vorschlag war,
dass eine heftig oszillierende Welle (das heißt, eine mit kurzer Wellen­
länge ) mehr Impuls hat als eine, die lethargisch oszilliert ( mit großer
Wellenlänge ) . Kleinere Wellenlängen bedeuten schnellere Schwingungen,
die de Broglie mit größerem Impuls in Zusammenhang brachte.
Wenn es Sie irritiert, dass es so etwas wie diese Teilchen-Welle geben
soll, dann haben Sie damit völlig Recht. Als de Broglie erstmals seine
Wellen vorschlug, wusste niemand, worum es sich dabei handeln sollte.
Max Born bot eine überraschende Interpretation an : Dass die Welle eine
Funktion des Ortes sei, deren Quadrat die Wahrscheinlichkeit angibt,
ein Teilchen an irgendeiner Stelle im Raum zu finden . * * Er nannte dies
eine Wellenfunktion. Max Born hatte erkannt, dass Teilchen nicht ding­
fest gemacht, sondern nur in Form von Wahrscheinlichkeiten beschrie­
ben werden können. Das ist eine erhebliche Abkehr von den klassischen
Annahmen. Es bedeutet, dass man die genaue Lokalisierung des Teil­
chens niemals wissen kann. Man kann nur die Wahrscheinlichkeit spezi­
fizieren, es irgendwo zu finden.
Aber auch wenn eine quantenmechanische Welle nur Wahrscheinlich­
keiten beschrei bt, sagt die Quantenmechanik die genaue Entwicklung
dieser Welle im Verlauf der Zeit voraus. Sind die Werte zu irgendeinem
Zeitpunkt gegeben, kann man diejenigen j edes beliebigen späteren Zeit­
punkts bestimmen . Schrödinger entwickelte die Wellengleichung, die die
Entwicklung einer mit einem quantenmechanischen Teilchen assoziier­
ten Welle zeigt.
Aber was bedeutet diese Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen zu finden ?
Es ist eine verwirrende Vorstellung - schließlich gibt es so etwas wie

"_ Die Wellenlänge ist gleich dem Planck'schen Wirkungsquantum h geteilt durch den
Impuls.
'' * Man braucht zwar drei Koordinaten, um einen Punkt im Raum zu spezifizieren,
a ber manchmal vereinfachen wir und tun so, als hinge die Wellenfunktion nur von
einer einzigen Koordinate ab. Das macht es leichter, Bilder von Wellenfunktionen auf
Papier zu zeichnen.

159
VERBORGENE UNIVERSEN

einen Bruchteil eines Teilchens nicht. Dass ein Teilchen mit einer Welle
beschrieben werden kann, war ( und ist in gewisser Hinsicht immer noch )
einer der überraschendsten Aspekte der Quantenmechanik, vor allem da
man weiß, dass Teilchen sich oft wie Billardkugeln verhalten und nicht
wie Wellen. Eine Teilcheninterpretation und eine Welleninterpretation
scheinen unvereinbar zu sein.
Die Auflösung dieses scheinbaren Paradoxons hängt damit zusam­
men, dass man die Wellennatur einem einzelnen Teilchen nicht gleich
ansieht. Wenn man ein einzelnes Elektron findet, sieht man es an einer
bestimmten Stelle. Um die gesamte Welle im Einzelnen festlegen zu kön­
nen, braucht man eine Anzahl identischer Elektronen oder ein Experi­
ment, das viele Male wiederholt wird . Auch wenn j edes Elektron mit
einer Welle assoziiert ist, kann man bei einem einzelnen Elektron nur
eine einzige Größe messen. Aber wenn man eine größere Anzahl identi­
scher Elektronen präparieren könnte, würde man finden, dass der Anteil
von Elektronen an jeder Stelle proportional zu der Wahrscheinlichkeits­
welle ist, die die Quantenmechanik einem Elektron zuweist.
Die Wellenfunktion eines einzelnen Elektrons verrät Ihnen das wahr­
scheinliche Verhalten vieler identischer Elektronen mit ebendieser Wel­
lenfunktion. Jedes einzelne Elektron wird auch nur an einem einzigen
Ort zu finden sein. Wenn es aber viele identische Elektronen gibt, zeigen
sie eine wellenähnliche Verteilung von Lokalisierungen. Die Wellenfunk­
tion gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass das Elektron an diesen Stellen
vorkommt.
Ein Analogiebeispiel wäre die Größenverteilung in einer Bevölkerung.
Jedes Individuum hat seine eigene Körpergröße . Die Verteilung verrät
uns aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum eine bestimmte
Größe haben wird. Genauso zeigen, selbst wenn ein einzelnes Elektron
sich wie ein Teilchen verhält, viele Elektronen zusammen eine Ortsver­
teilung, die sich als Welle darstellen lässt. Der Unterschied ist nur, dass
ein individuelles Elektron nichtsdestotrotz mit dieser Welle assoziiert ist.
In Abbildung 43 habe ich ein Beispiel für die Wahrscheinlichkeitsfunk­
tion eines Elektrons wiedergegeben. Diese Welle gibt die relative Wahr­
scheinlichkeit an, das Elektron an einer bestimmten Stelle zu finden. Die
K urve, die ich gezeichnet habe, zeigt den definitiven Wert für j eden
Punkt im Raum ( oder besser : für jeden Punkt entlang einer Linie, denn
da das Papier flach ist, war ich gezwungen, nur eine Raumdimension zu
zeichne n ) . Könnte ich viele Kopien desselben Elektrons herstellen, dann
könnte ich eine Messreihe von der Posi tion des Elektrons anfertigen. Ich

160
QUANTENMECH ANIK

relative Wahrscheinlichkeit

.l 1\ Ort

Abbildung 43 : Ein Beispiel für die Wahrscheinlichk eitsfunktion eines Elek­


trons.

würde feststellen, dass die gemessene Häufigkeit, mit der das Elektron
an einem bestimmten Punkt zu finden ist, dieser Wahrscheinlichkeits­
funktion proportional ist. Ein größerer Wert bedeutet, dass das Elektron
mit größerer Wahrscheinlichkeit dort zu finden sein wird ; ein kleinerer
Wert bedeutet geringere Wahrscheinlichkeit. Die Welle spiegelt den ku­
mulativen Effekt vieler Elektronen wider.
Auch wenn man die Welle im Einzelnen mit vielen Elektronen festlegt,
ist das Besondere an der Quantenmechanik, dass ein individuelles Elek­
tron nichtsdestotrotz durch eine Welle beschrieben wird . Das heißt, man
kann niemals mit Gewissheit alles über dieses Elektron vorhersagen.
Misst man die Lokalisierung, so wird man es an einer bestimmten Stelle
finden. Doch solange man die Messung nicht vornimmt, kann man nur
vorhersagen, dass das Elektron eine bestimmte Wahrscheinlichkeit hat,
tatsächlich dort zu sein. Definitiv kann man nicht sagen, wo man es letz­
ten Endes finden würde.
Diesen Welle-Teilchen-Dualismus offenbart das berühmte Doppel­
spaltexperiment, auf das in der Geschichte am Kapitelanfang angespielt
wird : Elektra verrät nicht, durch welche Tür sie gekommen ist. 1 1 Bis
1961 der deutsche Physiker Claus Jonsson ihn tatsächlich im Labor
durchführte, war der Elektronen-Doppelspaltversuch bloß ein Gedan­
kenexperiment, mit dem Physiker die Bedeutung und die Konsequenzen
der Wellenfunktion des Elektrons erläutern wollten. Bei dem Experiment
kommt ein Elektronenernirrer zum Einsatz, der Elektronen durch ein
Hindernis mit zwei parallelen Spalten schickt ( siehe Abbildung 44 ) . Die
Elektronen gehen durch die Spalte und treffen dahinter auf einen Schirm,
der ihren Aufprall registriert.
Dieses Experiment ahmt einen ähnlichen Versuch nach, mit dem im
frühen 1 9. Jahrhundert die Wellennatur des Lichts demonstriert wurde .
Damals schickte Thomas Young, ein britischer Arzt, Physiker und Ägyp-

161
VERBORGENE UNIVERSEN

Abbildung 44 : Schematische Darstellung der Elek troneninterferenz beim


Doppelspaltexperiment. Die Elek tronen können einen von zwei Spalten pas­
sieren, bevor sie auf einen Schirm treffen. Das auf dem Schirm verzeichnete
Wellenmuster ist eine Folge der Interferenz der beiden Bahnen.

tologe *, monochromatisches Licht durch zwei Spalte und sah, dass es


auf einem Schirm dahinter ein wellenähnliches Muster erzeugte. Das Ex­
periment bewies, dass sich Licht wie eine Welle verhält. Sich dasselbe Ex­
periment mit Elektronen vorzustellen hatte zum Ziel, auf Möglichkeiten
zu kommen, wie man die Wellennatur des Elektrons beobachten könnte.
Und tatsächlich : Führt man das Doppelspaltexperiment mit Elektro­
nen durch, sieht man dasselbe wie Young bei Licht - ein wellenähnliches
Muster auf dem Schirm hinter den Spalten ( siehe Abbildung 45 ) . Im Fall
des Lichts verstehen wir, dass das Muster von Interferenz hervorgerufen
wird . Ein Teil des Lichts passiert den ersten Spalt und ein anderer Teil
den zweiten, und das anschließend aufgezeichnete Wellenmuster spiegelt
die Interferenz zwischen den beiden wider. Aber was bedeutet es, wenn
Elektronen ein wellenähnliches Muster hervorrufen ?
Das Wellenmuster auf dem Schirm sagt uns - was dem Alltagsverstand
ziemlich zuwiderläuft -, dass wir uns das so vorstellen müssen, als hätte
jedes Elektron beide Spalte passiert. Über ein einzelnes Elektron kann
man nicht alles wissen. Jedes Elektron kann entweder durch den einen
oder anderen Spalt fliegen. Obwohl die Lokalisierung eines j eden Elek­
trons aufgezeichnet wird, wenn es den Schirm erreicht, weiß niemand,
durch welchen der beiden Spalte ein individuelles Elektron hindurchge­
gangen ist.
Die Quantenmechanik besagt, dass ein Teilchen j eden möglichen Weg
von seinem Ausgangs- zu seinem Endpunkt nehmen kann, und die Wel­
lenfunktion dieses Teilchens spiegelt diese Tatsache wider. Das ist eines
der vielen bemerkenswerten Merkmale der Quantenmechanik. Im Ge-

* Er half bei der Entzifferung des Steins von Rosette.

162
Q UANTENMEC H ANIK

A b bildung 45 : Das beim Doppelspaltexperiment aufgezeichnete Interferenz­


muster. Die vier Tafeln links zeigen im Uhrzeigersinn von oben links das
Muster, nachdem 50, 500, 5000 und 50 000 Elek tronen durch die Spalte ge­
schossen wurden. Die Kurven rechts vergleichen die Verteilung der Elek tro­
nen (obere Kurve) mit dem Muster, das eine Welle hinterlassen würde, die die
beiden Spalte passiert. Sie sind fast identisch, was zeigt, dass das Elek tron
sich in der Tat wie eine Welle verhält.

gensatz zur klassischen Physik weist die Quantenmechanik einem Teil­


chen keine definitive Bahn zu.
Wie aber kann das Doppelspaltexperiment ergeben, dass sich ein ein­
zelnes Elektron wie eine Welle verhält, wenn wir bereits wissen, dass
Elektronen Teilchen sind ? So etwas wie ein halbes Elektron gibt es
schließlich nicht. Jedes individuelle Elektron wird an einer definitiven
Stelle verzeichnet. Was geht da vor ?
Die Antwort habe ich bereits weiter oben gegeben. Das Wellenmuster
sieht man nur, wenn man viele Elektronen aufzeichnet. Jedes einzelne
Elektron ist ein Teilchen. Es trifft an einer bestimmten Stelle auf den
Schirm. Der kumulative Effekt vieler auf den Schirm geschossener Elek­
tronen ist hingegen ein klassisches Wellenmuster, das die Tatsache wi­
derspiegelt, dass die beiden Elektronenbahnen interferieren. Das kann
man anhand von Abbildung 45 erkennen.
Die Wellenfunktion gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass ein Elektron
an einer bestimmten Stelle auf den Schirm trifft. Das Elektron kann ir­
gendeinen Weg nehmen, aber man erwartet, es an einem bestimmten
Punkt nur mit einer definitiven Wahrscheinlichkeit zu finden, die durch
den Wert der Wellenfunktion für diesen Punkt gegeben ist. Viele Elektro­
nen zusammen produzieren die Welle, die man aus der Annahme ablei­
ten könnte, dass das Elektron durch beide Spalte hindurchgegangen ist.
In den siebziger Jahren beobachteten Akira Tonamura in Japan sowie
Piergiorgio Merli, Guilio Pozzi und Gianfranco Missiroli in Italien dies

163
VERBORGENE UNIVERSEN

explizit bei wirklichen Experimenten. Sie schossen immer nur ein Elek­
tron auf einmal durch und sahen, wie sich, als immer mehr Elektronen
auf den Schirm trafen, das Wellenmuster entwickelte.
Sie fragen sich vielleicht, warum es bis ins 20. Jahrhundert dauerte,
dass irgendj emand etwas so Dramatisches wie den Welle-Teilchen-Dua­
lismus bemerkte. Warum erkannten beispielsweise die Leute nicht früher,
dass Licht zwar wie eine Welle aussieht, tatsächlich aber aus einzelnen
Klümpchen besteht - nämlich Photonen ?
Die Antwort lautet, dass niemand (ein paar Superhelden vielleicht
ausgenommen ) einzelne Photonen sehen kann * , und deswegen lassen
sich quantenmechanische Effekte nicht so leicht entdecken. Gewöhn­
liches Licht sieht einfach nicht so aus, als sei es aus Quanten zusammen­
gesetzt. Was wir sehen, sind Unmassen von Photonen, aus denen das
sichtbare Licht zusammengesetzt ist. Diese zahllosen Photonen verhalten
sich gemeinsam wie eine klassische Welle.
Man braucht eine sehr schwache Photonenquelle oder ein sehr sorg­
fältig vorbereitetes System, um die Quantennatur des Lichts beobachten
zu können. Gibt es zu viele Photonen auf einmal, kann man die Effekte
Einzelner nicht mehr unterscheiden. Und klassischem Licht, das aus vie­
len Photonen besteht, noch ein weiteres Photon hinzuzufügen, macht
einfach keinen Unterschied, der groß genug wäre. Wenn Ihre Glühbirne,
die sich klassisch verhält, ein einziges weiteres Photon aussendete, wür­
den Sie das niemals bemerken. Detaillierte Quantenphänomene lassen
sich nur in sorgfältig vorbereiteten Systemen beobachten.
Wenn Sie nicht glauben, dass es auf dieses eine letzte Photon in der Re­
gel nicht ankommt, denken Sie daran, wie Sie sich fühlen, wenn Sie die
Wahlkabine betreten. Lohnt sich wirklich der ganze Zeit- und sonstige
Aufwand, wählen zu gehen, wenn man bedenkt, dass die eigene Stimme
unmöglich etwas am Wahlergebnis ändern kann, da noch Millionen an­
derer Menschen ihre Stimme abgeben ? Mit der bemerkenswerten Aus­
nahme von Florida, wo man sich nie sicher sein kann, geht eine Stimme
in der Regel in der Menge verloren. Auch wenn eine Wahl durch den ku­
mulativen Effekt individueller Stimmen entschieden wird, ändert eine
einzige Stimme, wenn überhaupt, kaum etwas am Ergebnis. (Und um
den Vergleich noch etwas weiter zu trei ben, könnten Sie auch noch fest-

''
Menschen sind zwar ratsächlich in der Lage, individuelle Photonen zu registrieren,
aber nur bei sorgfältig vorbereiteten Experimenten. In der Regel sieht man nur das
normale Licht, das aus vielen Photonen zusammengesetzt ist.

164
QUANTENMEC H ANIK

stellen, dass nur in Quantensystemen - und in Florida, wo anscheinend


Quantenzustände herrschen - wiederholte Messungen tatsächlich zu un­
terschiedlichen Ergebnissen führe n . )

Heisenbergs Unschärfe

Aus der Wellennatur der Materie folgt vieles, was dem Alltagsverstand
zuwiderläuft. Kommen wir nun von unsicheren Wahlergebnissen auf
Heisenbergs Unschärferelation zu sprechen, ein Lieblingsthema von Phy­
sikern und Leuten, die nach dem Essen Eindruck schinden wollen.
Der deutsche Physiker Werner Heisenberg zählt zu den wichtigsten
Pionieren der Quantenmechanik. In seiner Autobiografie berichtete er,
dass seine revolutionären Ansichten über Atome und Quantenmechanik
zu keimen begannen, als er während der Räterepublik von 1 9 1 9 in Mün­
chen als Mitglied einer Freiwilligenkompanie im Priesterseminar Dienst
tat, wo er gegen die bayrischen Kommunisten kämpfen sollte. Nachdem
die Gefechte abgeklungen waren, las er auf dem Dach des Seminars in
der Morgensonne Platons Dialoge, vor allem den Timaios. Platons Text
ließ die Überzeugung in Heisenberg reifen, >> daß man, wenn man die ma­
terielle Welt verstehen wollte, etwas über ihre kleinsten Teilchen wissen
mußte << . '-
Heisenberg hasste die politisch unruhigen Zeitläufe, die seine Jugend
prägten ; positiv beeindruckten ihn die >> Richtlinien des preußischen Le­
bens, Unterordnung des Einzelnen unter die gemeinsame Aufgabe, Be­
scheidenheit der privaten Lebensführung, Ehrlichkeit und Unbestech­
lichkeit, Ritterlichkeit, pünktliche Pflichterfüllung<< . * Nichtsdestotrotz
''-

änderte Heisenberg mit der Unschärferelation die Weltsicht der Mensch­


heit unwiderruflich. Vielleicht gab die Umbruchszeit, in der Heisenberg
lebte, ihm einen revolutionären Zugang zur Wissenschaft, wenn auch
nicht zur Politik. '' '' ,_ Auf j eden Fall finde ich es ein wenig ironisch, dass
der Urheber der Unschärferelation persönlich so entgegengesetzt dispo­
niert war.

,,_ Werner Heisenberg, Der Teil und das Ganze ( M ü nchen, Zürich : Piper 1969), S . 2 1 .
,,_ ,, Ebenda, S. 74. A u s Loyalität gegenüber seinen Landsleuten b l i e b er auch nach 1 9 3 3
in Deutschland, wo er später zur M i tarbeit am Atombombenprojekt abkommandiert
wurde.
'' ,,_ * Gerald Holton, The Advancement of Science, and I ts Burdens ( Cambridge, MA :
Harvard University Press, 1998 ) .

165
VERBORGENE UNIVERSEN

Die Unschärferelation besagt, dass bestimmte Paare von Größen nie­


mals zur selben Zeit genau gemessen werden können. Dies war eine ent­
schiedene Abkehr von der klassischen Physik, die davon ausgeht, dass
man zumindest im Prinzip alle Eigenschaften eines physikalischen Sys­
tems - Ort und Impuls beispielsweise - so genau messen kann, wie man
will.
Bei diesen bestimmten Paaren kommt es darauf an, welche Größe man
als erste misst. Würden Sie beispielsweise zunächst die Position und
dann den Impuls bestimmen (die Größe, die sowohl Geschwindigkeit als
auch Richtung angi bt) , so bekommen Sie nicht dasselbe Ergebnis, als
würden Sie erst den Impuls und dann die Position messen. Bei der klas­
sischen Physik wäre das nicht der Fall, und mit Sicherheit begegnet uns
so was im Alltag nicht. Die Reihenfolge der Messungen spielt einzig und
allein in der Quantenmechanik eine Rolle. Und die Unschärferelation
besagt, dass bei zwei Größen, für die die Reihenfolge der Messungen
eine Rolle spielt, das Produkt der beiden Unschärfen immer größer sein
wird als eine Naturkonstante, nämlich das Planck'sche Wirkungsquan­
tum h, dessen Größe 6,582 x 1 0 2 5GeV- Sekunden ,. beträgt, falls das je­
mand wissen will.12 Wenn man die Position sehr genau wissen will, kann
man nicht den Impuls mit ähnlicher Genauigkeit kennen und umge­
kehrt. Wie präzise die Messinstrumente auch sein mögen und wie oft
man es auch versucht, man kann niemals beide Größen gleichzeitig mit
sehr großer Präzision messen.
Dass das Planck'sche Wirkungsquantum bei der Unschärferelation
eine Rolle spielt, ergibt durchaus Sinn. Das Planck'sche Wirkungsquan­
tum ist eine Größe, die nur in der Quantenmechanik auftaucht. Erinnern
Sie sich, dass nach der Quantenmechanik das Energiequant eines Teil­
chens mit einer bestimmten Frequenz gleich dem Planck'schen Wir­
kungsquallturn mal j ener Frequenz ist. Wenn die klassische Physik die
Welt beherrschen würde, wäre das Planck'sche Wirkungsquantum gleich
null und würde damit auch keine fundamentale Rolle spielen.
Doch in der zutreffenden quantenmechanischen Beschreibung der
Welt ist das Planck'sche Wirkungsquantum eine feste Größe, die nicht
gleich null ist. Und diese Zahl verrät uns etwas über die Unschärfe. Im
Prinzip kann jede einzelne Größe genau gemessen werden. Manchmal
sprechen Physiker vom Zusammenbru ch der Wellenfunktion, wenn sie
sagen wollen, dass etwas genau gemessen worden ist und damit einen

Ge V ist eine Energieeinheit, die ich bald erk lä ren werde.

166
QUANTENMECH ANIK

präzisen Wert annimmt. Der Begriff >> Zusammenbruch << bezieht sich da­
bei auf die Form der Wellenfunktion, die nicht mehr ausgebreitet ist,
sondern an einer bestimmten Stelle einen Wert ungleich null annimmt,
da die Wahrscheinlichkeit, danach irgendeinen anderen Wert zu messen,
null ist. In diesem Fall - wenn eine Größe präzise gemessen wird - besagt
die Unschärferelation, dass man nach der Messung überhaupt nichts
über die andere Größe wissen kann, die mit der gemessenen Größe nach
der Unschärferelation ein Paar bildet. Der Wert j ener anderen Größe
würde unendlich unscharf. Und wenn man zuerst die zweite Größe ge­
messen hätte, wäre die erste diejenige, über die man überhaupt nichts
wissen könnte. Wie auch immer, je genauer man eine der Größen kennt,
desto ungenauer muss die Messung der anderen sein.
Im Rahmen dieses Buches werde ich die Unschärferelation nicht im
Detail ableiten, dennoch will ich versuchen, ihren Ursprung zu umrei­
ßen. Weil das Folgende nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist, können
Sie den nächsten Abschnitt überspringen, wenn Sie wollen. Vielleicht
möchten Sie aber auch ein bisschen mehr über die Überlegungen erfah­
ren, die der Unschärferelation zugrunde lagen.
Bei dieser Herleitung wollen wir uns auf die Unschärfe von Zeit und
Energie konzentrieren, die etwas leichter zu erklären und zu begreifen
ist. Im Fall von Zeit und Energie setzt die Unschärferelation die Un­
schärfe der Energie ( und damit nach Plancks Annahme der Frequenz) zu
dem Zeitintervall in Beziehung, das für die Veränderungsrate des Sys­
tems charakteristisch ist. Das heißt, das Produkt aus Energieunschärfe
und der für den Systemwechsel charakteristischen Zeit ist immer größer
als das Planck'sche Wirkungsquantum h.
Physikalisch manifestiert sich die Unschärferelation von Zeit und
Energie beispielsweise, wenn man den Lichtschalter betätigt und man in
einem Radio in der Nähe Störgeräusche hört. Den Lichtschalter umzule­
gen erzeugt ein breites Spektrum von Radiofrequenzen. Denn wenn man
den Lichtschalter umlegt, wird die Energiemenge, die durch den Draht
transportiert wird, sehr rasch geändert, folglich muss das Energiespek­
trum ( und damit das Frequenzspektrum) sehr groß sein. Das Radio ver­
zeichnet dies als Störgeräusch.
Um den Ursprung der Unschärferelation zu begreifen, betrachten wir
jetzt ein ganz anderes Beispiel - einen undichten Wasserhahn. * Wir wer-

* Bei diesem Beispiel gehen wir davon aus, dass der Wasserhahn nicht gleichmäßig
tropft, was auf wirkliche Wasserhähne nicht immer zutrifft.

167
VERBORGENE UNIVERSEN

den zeigen, dass man sehr langfristig messen muss, um die Tropfrate des
Wasserhahns genau zu bestimmen, was der Aussage der Unschärferela­
tion einigermaßen analog ist. Ein Hahn und das durch ihn laufende Was­
ser, das aus zahlreichen Atomen besteht, ist ein zu komplexes System,
um beobachtbare quantenmechanische Effekte aufzuweisen - sie werden
von klassischen Prozessen überlagert. Nichtsdestotrotz trifft zu, dass
man umso länger messen muss, je genauer die Frequenz bestimmt wer­
den soll - und das ist der Kern der Unschärferelation. Bei einem quan­
tenmechanischen System würde diese gegenseitige Abhängigkeit noch
einen Schritt weitergehen, denn bei einem sorgfältig geplanten quanten­
mechanischen System stehen Energie und Frequenz zueinander in Bezie­
hung. Bei einem quantenmechanischen System entspricht die Beziehung
zwischen der Frequenzunschärfe und der Zeit für eine Messung (wie die,
die wir gleich kennen lernen) daher der echten Unschärferelation zwi­
schen Energie und Zeit.
Nehmen wir an, dass das Wasser mit einer Rate von ungefähr einem
Tropfen pro Sekunde aus dem Hahn tritt. Wie genau können Sie die Rate
messen, wenn Ihre Stoppuhr eine Ganggenauigkeit von einer Sekunde
hat - das heißt, dass sie höchstens um eine Sekunde falsch gehen kann ?
Wenn Sie eine Sekunde abwarten und dabei einen einzigen Tropfen se­
hen, könnten Sie meinen, Sie könnten daraus schließen, dass der Wasser­
hahn einmal pro Sekunde tropft.
Weil Ihre Stoppuhr a ber um bis zu einer Sekunde falsch gehen kann,
würden Ihre Beobachtungen Ihnen nicht genau sagen, wie lange es dau­
ert, bis der Hahn einmal tropft. Wenn Ihre Uhr einmal getickt hat, könnte
ein bisschen mehr Zeit vergangen sein als eine Sekunde, oder es könnten
fast zwei sein. Zu welchem Zeitpunkt zwischen einer und zwei Sekunden
hat der Hahn also getropft ? 0 hne eine bessere Stoppuhr oder eine längere
Messung wüssten Sie keine genauere Antwort. Mit der Uhr, die Ihnen zur
Verfügung steht, können Sie nur feststellen, dass der Hahn irgendwo im
Bereich zwischen einmal pro Sekunde und einmal pro zwei Sekunden
tropft. Wenn Sie sagen würden, der Hahn tropfe einmal pro Sekunde,
könnten Sie im Grunde bei Ihrer Messung eine Fehlerquote von 100% ha­
ben. Das heißt, Sie könnten um bis zum Faktor zwei daneben liegen.
Aber nehmen wir an, dass Sie Ihre Messung 10 Sekunden lang durch­
führen. Dann würden in der Zeit, in der Ihre Uhr zehnmal tickt, zehn
Tropfen Wasser fallen. Da Ihre Stoppuhr nur die Ganggenauigkeit von
einer Sekunde hat, könnten Sie lediglich schlussfolgern, dass es irgend wo
zwischen 10 und 1 1 Sekunden dauerte, bis 10 Tropfen gefallen waren.

168
QUANTENMEC H ANIK

Ihre Messung, die abermals ergä be, dass der Hahn annähernd einmal
pro Sekunde tropft, hätte j etzt eine Fehlerquote von nur 1 0 % . Denn in­
dem Sie zehn Sekunden abwarteten, konnten Sie die Frequenz bis auf
1 I 1 0 Sekunde genau bestimmen. Beachten Sie, dass das Produkt der Zeit
für Ihre Messung ( 10 Sekunden ) und die Unschärfe der Frequenz ( 10 %
oder 0, 1 ) ungefähr 1 beträgt. Beachten Sie auch, dass das Produkt von
Unschärfe der Frequenz und Zeit für die Messung im ersten Beispiel, bei
dem die Fehlerquote für die Frequenzmessung größer war ( 1 0 0 % ), die
aber weniger lang dauerte (1 Sekunde ), ebenfalls 1 beträgt.
So könnten Sie immer weitermachen . Wenn Sie eine Messung über 100
Sekunden durchführten, könnten Sie die Frequenz der Wassertropfen
mit einer Genauigkeit von 1 : 1 00 Sekunden messen. Würden Sie 1000 Se­
kunden lang messen, hätten Sie bei der Frequenz eine Genauigkeit von
1 : 1000 Sekunden. In all diesen Fällen würde das Produkt aus der Zeit­
dauer für Ihre Messung und der Genauigkeit Ihrer Frequenzmessung
rund 1 betragen . * Die längere Zeit, die eine genauere Frequenzmessung
erfordert, bildet den Kern der Unschärferelation von Zeit und Energie.
Man kann die Frequenz genauer messen, aber dafür muss die Messung
länger dauern. Das Produkt von Zeit und der Unschärfe der Frequenz
beträgt immer rund 1. '' *
Um die Herleitung unserer simplen Unschärferelation abzuschließen :
Wenn Sie ein hinreichend einfaches quantenmechanisches System hät­
ten - ein einzelnes Photon beispielsweise -, wäre seine Energie gleich
dem Planck'schen Wirkungsquantum h mal der Frequenz. Für solch ein
Obj ekt wäre das Produkt aus dem Zeitintervall, in dem man die Energie
misst, und der Fehlerquote bei der Energie immer größer als h. Man
könnte die Energie so präzise messen, wie man will, a ber dann muss das
Experiment entsprechend länger laufen. Das ist dieselbe Unschärferela­
tion wie die, die wir gerade abgeleitet habe n ; hinzugekommen ist nur die
Quantisierungsrelation, die Energie und Frequenz zueinander in Bezie­
hung setzt.

,,.
Die genaue Zahl werde ich hier nicht ableiten.
* * Die obige Ü berlegung ist nicht völlig ausreichend, um die wirkliche Unschärferela­
tion in vollem Umfang zu erklären, weil man niemals sicher sein kann, dass man die
richtige Frequenz gemessen hat, wenn man nur ein endliches Zeitintervall lang misst.
Wird der Hahn bis in alle Ewigkeit tropfen ? Oder tropfte er nur, während man die
Messung durchführte ? Es wäre zwar etwas schwieriger zu demonstrieren, aber Sie
wü rden selbst mit einer genaueren Stoppuhr niemals ein besseres Ergebnis bekommen,
als die wirkliche Unschärferelation es zulässt.

169
VERBORGENE UNIVERSEN

Zwei wichtige Energiewerte - und was die


Unschärferelation uns über sie sagt

Damit ist unsere Einführung in die Grundlagen der Quantenmechanik


fast abgeschlossen. Dieses und das folgende Unterkapitel geben einen
Überblick über die übrigen Elemente der Quantenmechanik, die wir spä­
ter brauchen werden.
In diesem Abschnitt werden keine neuen physikalischen Prinzipien
mehr vorgestellt, sondern eine wichtige Anwendung der Unschärferela­
tion und der speziellen Relativitätstheorie präsentiert. Er handelt von
den Beziehungen zwischen zwei wichtigen Energien und den kleinsten
Längenskalen der physikalischen Prozesse, für die Teilchen mit j enen
Energien empfindlich sein können - Beziehungen, mit denen Teilchen­
physiker es ständig zu tun haben. Im darauf folgenden Abschnitt werden
Spin, Bosonen und Fermionen vorgestellt - Begriffe, die im nächsten Ka­
pitel über das Standardmodell der Teilchenphysik und auch später bei
der Supersymmetrie wieder vorkommen werden.
Die Unschärferelation von Ort und Impuls besagt, dass das Produkt
der Unschärfen von Position und Impuls größer als das Planck'sche Wir­
kungsquantum sein muss. Sie sagt uns, dass alles - sei es ein Lichtstrahl,
ein Teilchen oder sonst ein denkbares Obj ekt oder System, das für phy­
sikalische Prozesse über kurze Distanzen empfindlich sein kann - ein
breites Spektrum von Impulsen aufweisen muss (da der Impuls sehr un­
scharf sein muss ) . Vor allem muss j edes Obj ekt, das für solche physika­
lischen Prozesse empfindlich ist, einen sehr großen Impuls aufweisen.
Nach der speziellen Relativitätstheorie sind bei großen Impulsen auch
die Energien groß. Kombiniert man diese beiden Tatsachen, verrät uns
das, dass die einzige Möglichkeit zur Erforschung kurzer Distanzen dar­
in besteht, mit großen Energien zu arbeiten.
Anders könnte man dies erklären, indem man sagt, dass wir große
Energien zur Erforschung kurzer Distanzen brauchen, weil nur Teilchen,
deren Wellenfunktionen in kleinen Skalen variieren, von physikalischen
Prozessen kurzer Distanz betroffen sind. Genau wie Vermeer seine Ge­
mälde nicht mit einem fünf Zentimeter breiten Pinsel hätte anfertigen
können und genau wie Sie keine feinen Details ausmachen können, wenn
Ihr Blick getrübt ist, können Teilchen nicht für physikalische Prozesse
kurzer Distanz empfindlich sein, wenn ihre Wellenfunktion nicht in aus­
schließlich kleinen Skalen variiert. Aber de Broglie zufolge haben Teil­
chen, zu deren Wellenfunktion kurze Wellenlängen gehören, auch große

170
QUANTENME C H ANIK

Impulse. De Broglie sagte, dass die Wellenlänge einer Teilchen-Welle um­


gekehrt proportional zu ihrem Impuls ist. Daher bringt uns auch de Bro­
glie zu der Schlussfolgerung, dass es großer Impulse bedarf - und damit
großer Energien -, um für d ie Physik der kurzen Distanzen empfindlich
zu sein.
Das hat wichtige Konsequenzen für die Teilchenphysik. Nur hoch­
energetische Teilchen spüren die Effekte physikalischer Prozesse über
kurze Distanzen. Zwei spezifische Fälle werden zeigen, was ich damit
meme.
In der Teilchenphysik wird Energie oft mit dem Vielfachen eines Elek­
tronvolts gemessen, das mit >> eV<< abgekürzt wird . Ein Elektronvolt ist
die Energie, die erforderlich ist, um ein Elektron gegen eine Potenzialdif­
ferenz von 1 Volt zu bewegen - etwa die Spannung einer sehr schwachen
Batterie. Ich werde auch die damit zusammenhängenden Einheiten Gi­
gaelektronvolt oder Ge V und Teraelektronvolt oder Te V verwenden ; ein
GeV entspricht einer Milliarde eV, und ein TeV einer Billion eV (oder
1 000 GeV ) .
Teilchenphysiker finden es oft bequem, m i t diesen Einheiten nicht nur
Energie zu messen, sondern auch Masse. Das können wir tun, weil die
Beziehungen, die die spezielle Relativitätstheorie zwischen Masse, Im­
puls und Energie herstellt, uns sagen, dass die drei Größen durch die
Lichtgeschwindigkeit miteinander in Zusammenhang stehen, die kon­
stant c 299 792 458 Meter pro Sekunde beträgt.13 Wir können daher die
=

Lichtgeschwindigkeit nehmen, um eine gegebene Energie in Masse oder


Impuls umzurechnen. Beispielsweise besagt Einsteins berühmte Formel
E mc 2 , dass mit j eder bestimmten Energie eine definitive Masse assozi­
=

iert ist. Da alle wissen, dass der Umwandlungsfaktor c 2 ist, können wir
mit ihm Masse in Einheiten von eV ausdrücken. In diesem Fall ist die
Protonmasse gleich 1 Milliarde e V - also 1 Ge V.
Einheiten auf diese Weise umzuwandeln ist etwas, das Sie j eden Tag
tun, wenn Sie beispielsweise j emandem sagen : >> Der Bahnhof ist zehn
Minuten entfernt. << Dabei gehen Sie von einem bestimmten Umwand­
lungsfaktor aus. Die Entfernung zum Bahnhof könnte einen dreiviertel
Kilometer betragen, was einem zehnminütigen Fußweg entspricht, aber
auch 15 Kilometer, was einer zehnminütigen Fahrt auf der Landstraße
entspricht. Sie und Ihr Gesprächspartner müssen sich darauf verständi­
gen, welchen Umwandlungsfaktor Sie verwenden.
Zusammen mit der Unschärferelation bestimmen diese Beziehungen
der speziellen Relativitätstheorie die minimale räumliche Größe der phy-

171
VERBORGENE UNIVERSEN

sikalischen Prozesse, denen eine Welle oder ein Teilchen von bestimmter
Energie oder Masse unterliegen kann. Wir werden diese Beziehungen
j etzt auf zwei sehr wichtige Energien der Teilchenphysik anwenden, die
in späteren Kapiteln häufig vorkommen werden (siehe Abbildung 4 6 ) .

Energie Länge

1 0 2 1 Ge V
- Planck-Länge - w- 33 cm

""
1 0 1 5 Ge V Oll
"
::>
" w-2 7 cm
1 0 1 2 Ge V "2
0
"
"'" w-24 cm
'0
I O' GeV
0
::; 1 0- 2 1 cm
l 0° GeV
1 0- I R Cffi
I O ' GeV <.,eh wache
(Te V ) Energieskala

Ge V - Protonenmasse -

w- ' Ge V - Eleklronenma;se -
(MeV)
1 o-9 cm
w-6 Ge V
(keV)

Abbildung 4 6 : Einige wichtige Längen- und Energieskalen der Teilchenphy­


sik. Größere Energien entsprechen (wegen der speziellen Relativitätstheorie
und der Unschärferelation) kleineren Distanzen - eine energiereichere Welle
ist für Wechselwirk ungen empfindlich, die sich in kürzeren Entfernungsska­
len ereignen. Die Gravitationswechselwirkung ist umgekehrt proportional
der Planck -Energieskala. Die große Energie der Planck -Skala bedeutet, dass
G ravitationswechselwirkungen schwach sind. Die schwache Energieskala ist
der Energiebereich, der die Skala (wegen E=mc2) für die Massen schwacher
Eichbosonen liefert. Die schwache Längenskala ist die Distanz, über die die
schwachen Eichbosonen die schwache Kraft vermitteln.

Die erste Energie, auch als schwache Energieskala bekannt, beträgt 250
GeV. Physikalische Prozesse von dieser Energie bestimmen die entschei­
denden Eigenschaften der schwachen Kraft und der Elementarteilchen,
vor allem wie sie zu Masse kommen. Physiker (einschließlich meiner
selbst) erwarten, dass wir bei der Erforschung dieser Energie neue Ef-

1 72
QUANTENMECH ANIK

fekte sehen werden, die von bislang noch unbekannten physikalischen


Theorien vorhergesagt werden, und ein gut Teil mehr über die zugrunde
liegende Struktur der Materie erfahren werden. Glücklicherweise sind
Experimente zur Erforschung der schwachen Energieskala in Kürze zu
erwarten, und sie sollten uns bald sagen können, was wir wissen wollen.
Manchmal werde ich auch den Ausdruck schwache Massenskala ver­
wenden ; diese steht mit der schwachen Energieskala durch die Lichtge­
schwindigkeit in Beziehung. In konventionellen Masseeinheiten aus­
gedrückt, beträgt die schwache Massenskala 1 0 -21 Gramm. Aber wie
gerade erläutert, drücken Teilchenphysiker Masse gern in Ge V-Einheiten
aus.
Die damit zusammenhängende schwache Längenskala beträgt 1 0 -16 cm
oder ein Zehntausendstel eines Billionstel Zentimeters. Es ist die Reich­
weite der schwachen Kraft - die Maximaldistanz, über die hinweg Teil­
chen mittels dieser Kraft sich gegenseitig beeinflussen können.
Da die Unschärferelation uns sagt, dass kurze Distanzen nur mit hoher
Energie sondiert werden können, ist die schwache Längenskala zugleich
die minimale Länge, für die etwas mit 250 Ge V Energie empfindlich sein
kann - das heißt, es ist die kleinste Skala, auf der physikalische Prozesse
es beeinflussen können. Könnte man irgendwelche kleineren Distanzen
mit dieser Energie erforschen, müsste die Distanzunschärfe kleiner als
1 0 -16 cm sein, und die Unschärferelation zwischen Distanz und Impuls
würde verletzt. Der in Betrieb befindliche Fermilab-Beschleuniger und
der zukünftige Large Hadron Collider (LHC ) , der binnen eines Jahr­
zehnts beim CERN in Genf in Betrieb gehen soll, werden physikalische
Prozesse bis hinunter zu j ener Skala erforschen, und viele der Modelle,
die ich diskutieren werde, sollten bei dieser Energie sichtbare Konse­
quenzen haben.
Die zweite wichtige Energie, die man Planck-Energieskala nennt, M p 1 ,
beträgt 10 19 Ge V. Diese Energie ist für jede Theorie der Gravitation von
großer Bedeutung. Beispielsweise ist die Gravitationskonstante, die in
Newtons Gravitationsgesetz vorkommt, umgekehrt proportional dem
Quadrat der Planck-Energieskala. Die Anziehungskraft zwischen Mas­
sen ist klein, weil die Planck-Energieskala groß ist.
Darüber hinaus ist die Planck-Energieskala die größte Energie, für die
eine klassische Theorie der Gravitation gelten kann ; jenseits der Planck­
Energieskala ist eine Quantentheorie der Gravitation nötig, die konsis­
tent sowohl Quantenmechanik als auch Gravitation beschreibt. Wenn
wir später die Stringtheorie diskutieren, werden wir auch sehen, dass in

1 73
VERBORGENE UNIVERSEN

den alten Stringtheorie-Modellen die Spannung eines Strings höchst­


wahrscheinlich von der Planck-Energieskala bestimmt wird .
Quantenmechanik und Unschärferelation sagen uns, dass Teilchen mit
dieser Energie für physikalische Prozesse bei Distanzen von der Kürze
der Planek -Längenskala * empfindlich sind, die 1 0 -33 cm beträgt. Das ist
eine extrem kurze Distanz - viel kürzer als alles, was man messen kann.
Um aber die physikalischen Prozesse zu beschrei ben, zu denen es über so
kurze Distanzen kommt, ist eine Theorie der Quantengravitation er­
forderlich, und bei dieser Theorie könnte es sich um die Stringtheorie
handeln. Aus diesem Grund sind die Planek-Längenskala und die
Planck-Energieskala wichtige Größen, die in späteren Kapiteln wieder
vorkommen werden.

Bosonen und Fermionen

Die Quantenmechanik macht eine wichtige Unterscheidung : Sie teilt die


Welt der Teilchen in Bosonen und Fermionen ein. Dabei kann es sich um
fundamentale Teilchen wie etwa das Elektron und die Quarks handeln
oder um zusammengesetzte wie etwa ein Proton oder ein Atomkern. Je­
des O bj ekt ist entweder ein Boson oder ein Fermion.
O b ein Teilchen ein Boson oder ein Fermion ist, hängt von einer Ei­
genschaft ab, die intrinsischer Spin genannt wird. Die Bezeichnung wirkt
sehr anschaulich, aber der >> Spi n << von Teilchen hat nichts mit einer tat­
sächlichen Bewegung im Raum zu tun. Wenn ein Teilchen einen intrinsi­
schen Spin hat, wechselwirkt es, als würde es rotieren, in Wirklichkeit
tut es das jedoch nicht.
Beispielsweise hängt die Wechselwirkung zwischen einem Elektron
und einem Magnetfeld von der klassischen Rotation des Elektrons ab -
seiner tatsächlichen Rotation im Raum. Aber die Wechselwirkung des
Elektrons mit dem Magnetfeld hängt auch von dem intrinsischen Spin
des Elektrons ab. Im Gegensatz zur klassischen Rotation, die aus einer
tatsächlichen Bewegung im physikalischen Raum herrührt * * , handelt es
sich beim intrinsischen Spin um eine Eigenschaft eines Teilchens. Sie ist
festgelegt und hat jetzt und in alle Ewigkeit einen bestimmten Wert. Bei-

* Das ist dieselbe Größe, die ich im vorangegangenen Kapitel einfach als » Planck­
Länge « bezeichnet habe.
* * Für alle, die ein bisschen Physik beherrschen : Dies ist der Bahndrehimpuls.

1 74
QUANTENMEC H ANIK

spielsweise ist das Photon ein Boson mit dem Spin 1 (s 1 ) . Das ist eine
=

so fundamentale Eigenschaft des Photons wie die Tatsache, dass ein Pho­
ton sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt.
In der Quantenmechanik ist der Spin quantisiert. Der Quantenspin
kann den Wert 0 (das heißt, überhaupt kein Spin ) , 1 oder 2 oder jeden
anderen ganzzahligen Wert annehmen. Ich werde die Bezeichnungen
Spin 0, Spin 1, Spin 2 und so weiter verwenden. Obj ekte namens Boso­
nen, die nach dem indischen Physiker Satyendra Nath Bose benannt
sind, haben einen intrinsischen Spin - den quantenmechanischen, der
nichts mit der Rotation zu tun hat -, der immer ganzzahlig ist: Bosonen
können einen intrinsischen Spin von 0, 1 , 2 und so weiter haben.
Der Spin der Fermionen ist in Einheiten quantisiert, die vor dem Auf­
kommen der Quantenmechanik niemand für möglich gehalten hätte .
Fermionen, die nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi benannt
sind, haben einen halbzahligen Spin von beispielsweise 1 / 2 oder 3 / 2 .
Während ein Obj ekt mit Spin 1 nach einer einzigen Umdrehung in seine
Ausgangsposition zurückgekehrt ist, muss ein Teilchen mit Spin 1 / 2 da­
für zweimal rotieren. O bwohl die halbzahligen Werte für den Fermio­
nenspin verrückt klingen, sind Protonen, Neutronen und Elektronen al­
lesamt Fermionen mit Spin 1 1 2. Im Wesentlichen besteht alle vertraute
Materie aus Teilchen mit Spin 1 / 2 .
Die fermianisehe Natur d e r fundamentalsten Teilchen bestimmt viele
Eigenschaften der Materie um uns herum. Vor allem besagt das Pauli­
A usschließungsprinzip, dass zwei Fermionen vom selben Typ niemals
am selben Ort zu finden sein können. Das Ausschließungsprinzip gibt
dem Atom die Struktur, auf der die Chemie basiert. Weil Elektronen mit
demselben Spin nicht am selben Ort sein können, müssen sie verschie­
dene Umlaufbahnen haben.
Aus diesem Grund konnte ich weiter oben die Analogie mit den ver­
schiedenen Etagen eines hohen Gebäudes bringen : Die unterschiedlichen
Stockwerke repräsentierten die verschiedenen möglichen quantisierten
Elektronenumlaufbahnen, die nach dem Pauli-Ausschließungsprinzip
besetzt werden, wenn ein Kern von vielen Elektronen umgeben ist. Das
Ausschließungsprinzip ist auch der Grund, warum Sie nicht Ihre Hand
durch einen Tisch stecken oder ins Zentrum der Erde stürzen können :
Der Tisch und Ihre Hand haben nur deshalb ihre feste Struktur, weil das
Ausschließungsprinzip atomare, molekulare und kristalline Strukturen
in der Materie entstehen lässt. Die Elektronen in Ihrer Hand, die diesel­
ben sind wie die Elektronen im Tisch, können nirgendwo hin, wenn Sie

1 75
VERBORGENE UNIVERSEN

auf den Tisch hauen. Keine zwei identischen Fermionen können gleich­
zeitig am selben Ort sein, und daher kann die Materie nicht so einfach
kollabieren.
Bosonen verhalten sich den Fermionen genau entgegengesetzt. Sie
können am selben Ort sein - und sind es auch. Bosonen sind wie Kro­
kodile - am liebsten legen sie sich übereinander. Wenn man Licht dort­
hin wirft, wo bereits Licht ist, verhält es sich ganz anders als Ihre Hand,
die den Karateschlag gegen den Tisch führt. Licht, das aus bosonischen
Photonen zusammengesetzt ist, geht durch Licht einfach hindurch. Die
beiden Lichtstrahlen können genau am selben Ort aufscheinen. Gerade
auf diese Tatsache gründet sich die Lasertechnik : Dass Bosonen das­
selbe Niveau besetzen, lässt Laser ihre starken, kohärenten Lichtstrah­
len produzieren . Supraflüssigkeiten und Supraleiter bestehen auch aus
Bosonen .
Ein extremes Beispiel für bosonische Eigenschaften liefert das Bose­
Einstein-Kondensat, in dem zahlreiche identische Teilchen sich zusam­
men wie ein einziges verhalten, was Fermionen, die an unterschiedlichen
Orten sein müssen, niemals könnten . Bose-Einstein-Kondensate sind nur
möglich, weil die Bosonen, aus denen sie bestehen, im Gegensatz zu Fer­
mionen identische Eigenschaften haben können. Im Jahr 2001 bekamen
Eric Cornell, Wolfgang Ketterle und Carl Wiemann für den Nachweis
des Bose-Einstein-Kondensats den Nobelpreis für Physik.
Später werde ich diese Details, wie Fermionen und Bosonen sich ver­
halten, nicht mehr benötigen. Als einzige Fakten werde ich aus diesem
Abschnitt brauchen, dass fundamentale Teilchen einen intrinsischen
Spin haben und sich verhalten können, als drehten sie sich in die eine
oder andere Richtung, und dass alle Teilchen dadurch charakterisiert
sind, dass sie entweder Bosonen oder Fermionen sind.

Zur Erinnerung

• Die Quantenmechanik sagt uns, dass sowohl Materie als auch Licht
aus diskreten Einheiten besteht, die man Quanten nennt. Beispiels­
weise setzt sich das kontinuierlich scheinende Licht in Wirklichkeit
aus diskreten Quanten namens Photonen zusammen.

• Quanten bilden die Basis der Teilchenphysik. Das Standardmodell der


Teilchenphysik, das die bekannte Materie und die bekannten Kräfte
erklärt, besagt, dass sämtliche Materie und alle Kräfte letztlich in

1 76
QUANTENMEC H ANIK

Form von Teilchen und ihren Wechselwirkungen interpretiert werden


können.

• Die Quantenmechanik sagt uns auch, dass zu j edem Teilchen eine


Welle gehört, die man die Wellenfunktion des Teilchens nennt. Das
Quadrat dieser Welle entspricht der Wahrscheinlichkeit, dass das Teil­
chen an einer bestimmten Position zu finden sein wird . Aus Gründen
der Bequemlichkeit werde ich manchmal von der Wahrscheinlichkeits­
welle reden, dem Quadrat der häufiger benutzten Wellenfunktion. Die
Werte dieser Wahrscheinlichkeitswelle geben die Wahrscheinlichkeit
direkt an. Solch eine Welle wird später vorkommen, wenn wir das
Graviton besprechen, jenes Teilchen, das die Gravitationskraft vermit­
telt. Die Wahrscheinlichkeitswelle wird auch wichtig, wenn wir Kalu­
za-Klein-Moden (KK-Moden ) diskutieren, worunter man Teilchen
versteht, die einen extradimensionalen Impuls haben, der senkrecht zu
den üblichen Dimensionen ausgerichtet ist.

• Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen der klassischen Physik


und der Quantenmechanik besteht darin, dass man der Quantenme­
chanik zufolge die Bahn eines Teilchens nicht präzise bestimmen kann
- dass man nie genau wissen kann, welchen Weg ein Teilchen von sei­
nem Ausgangs- zu seinem Zielpunkt nimmt. Und das sagt uns, dass
wir alle Bahnen in Betracht ziehen müssen, die ein Teilchen nehmen
kann, wenn es eine Kraft vermittelt. Weil Quantenbahnen alle wech­
selwirkenden Teilchen betreffen können, können quantenmechani­
sche Effekte die Massen und die Stärken von Wechselwirkungen be­
einflussen.

• Die Quantenmechanik teilt alle Teilchen in Bosonen und Fermionen


ein. Die Existenz dieser zwei unterschiedlichen Kategorien von Teil­
chen ist für die Struktur des Standardmodells entscheidend, auch für
eine vorgeschlagene Ausweitung des Standardmodells, die als Super­
symmetrie bekannt ist.
• Die Unschärferelation der Quantenmechanik besagt zusammen mit
Beziehungen der speziellen Relativitätstheorie, dass man mittels phy­
sikalischer Konstanten Masse, Energie und Impuls eines Teilchens mit
der minimalen Größe der Region in Zusammenhang bringen kann, in
der ein Teilchen jener Energie Kräfte oder Wechselwirkungen erfahren
kann.

177
VERBORGENE UNIVERSEN

• Zwei der häufigsten Anwendungen dieser Relationen betreffen zwei


Energien, die man die schwache Energieskala und die Planck -Energie­
skala nennt. Die schwache Energieskala beträgt 250 GeV ( Gigaelek­
tronvolt), die Planck-Energie ist viel größer : zehn Millionen Billionen
Ge V.

• Nur Kräfte mit einer Reichweite, die kleiner ist als ein zehn Millionen
Milliardstel Zentimeter ( l0 -17 cm ) , führen bei einem Tei lchen mit
schwacher Energieskala zu messbaren Effekten. Das ist eine sehr win­
zige Distanz, aber für die physikalischen Vorgänge in einem Atomkern
und für den Mechanismus, durch den Teilchen Masse bekommen, re­
levant.

• So winzig sie ist, die schwache Längenskala ist weit größer als die
Planck -Längenskala, die eine Million Milliarde Milliarde Milliardstel
eines Zentimeters ( l 0 -33) beträgt. Das ist die Größe der Region, in der
Kräfte Teilchen mit Planck-Energieskala beeinflussen. Die Planck­
Energieskala bestimmt die Stärke der Gravitation. Sie ist die Energie,
die Teilchen haben müssten, wenn die Gravitation eine starke Kraft
wäre.

178
111

Die Physik der Elementarteilchen


7

Das Standardmodell der Teilchenphysik:


Die kleinsten bekannten Materiestrukturen

You're never alone,


You're never disconnected !
You're home with your own ;
When company's expected, you're weil protected !
. . . When you're a Jet, you stay a Jet !
Du bist nie allein,
Du bist niemals ungebunden !
Du bist bei deinesgleichen daheim ;
Brauchst du Geleit, wirst du gut beschützt!
. . . Wenn du ein Jet [Schwarzer] bist,
bleibst du ein Jet!
Riff, »West Side Story«

Von allen Geschichten, die Athena gelesen hatte, verblüffte sie Hans
Christian Andersens » Die Prinzessin auf der Erbse « am meisten. Das
Märchen handelte von einem Prinzen, der nach einer geeigneten Prinzes­
sin suchte. Nachdem er dies wochenlang vergeblich getan hatte, kam
durch Zufall eine potenzielle Anwärterin in seinen Palast, denn sie suchte
Schutz vor einem Unwetter. Die durchnässte Besucherin wurde unwis­
sentlich von der Königin einer Art Lackmustest für Prinzessinnen unter­
zogen.
Die Königin bereitete ihr ein Bett, indem sie einen hohen Stapel von
Matratzen und Daunensteppdecken errichtete. Ganz unten unter dem
Stapel hatte sie eine einzige Erbse platziert. Am A bend führte sie ihre Be­
sucherin in das sorgfältig vorbereitete Gästezimmer. Am folgenden Mor­
gen beklagte sich die Prinzessin (die eine echte war, wie sich herausstellte),
dass sie überhaupt kein Auge zugetan hätte. Die ganze Nacht hätte sie
sich hin und her gewälzt und schließlich festgestellt, dass sie grün und

181
VERBORGENE UNIVERSEN

blau war - und all das wegen der unbequemen Erbse. Die Königin und
der Prinz waren überzeugt, dass ihre Besucherin wahrhaftig von könig­
lichem Geblüt sein müsse, denn wer sonst könnte so empfindlich sein ?
Immer wieder ging A thena diese Geschichte durch den Kopf. Sie hielt
es für ziemlich lächerlich, dass irgendjemand, selbst die sensibelste Prin­
zessin, je die Erbse hätte entdecken k önnen, indem sie einfach nur passiv
oben auf dem Stapel lag. Nach vielen Tagen des Grübeins fand Athena
eine plausible Interpretation, die sie sofort ihrem Bruder mitteilte.
Sie verwarf die übliche Deutung, die Prinzessin hätte ihre königliche
A bstammung dadurch unter Beweis gestellt, dass sie ihre Zartheit und
Feinheit durch die Empfindlichkeit gegenüber etwas so Winzigem wie
einer Erbse unter einem Stapel von Matratzen demonstrierte. Athena bot
eine alternative Erklärung an.
Athena vermutete, dass die Prinzessin, nachdem die Königin sie allein
gelassen hatte, alle Schicklichkeif fahren und ihrem jugendlichen Unge­
stüm freien Lauf gelassen hatte. Sie war umhergerannt und in ihrem Bett
herumgesprungen, bis sie total erschöpft war; erst dann legte sie sich zum
Schlafen nieder. Mit ihrem Herumtoben hatte die Prinzessin die Matrat­
zen so sehr zusammengedrückt, dass für einen kurzen Moment die Erbse
sich durchgedrückt und sie ein bisschen gepiekst hatte. A thena hielt diese
Prinzessin noch immer für ziemlich beeindruckend, fand aber ihre revi­
sionistische Interpretation viel befriedigender.

Innerhal b des Atoms Substrukturen zu entdecken war eine ebenso be­


merkenswerte Leistung wie die Empfindlichkeit der Prinzessin, die die
Erbse spürte. Teilchen namens Quarks, die Bausteine der Protonen, neh­
men vom Volumen eines Protons einen in etwa genauso kleinen Bruchteil
ein wie eine Erbse vom Volumen einer Matratze. In einer Matratze von
2 x l x0,5m besetzt eine Erbse von l ern 3 ein Millionstel des Matratzenvo­
lumens, und das unterscheidet sich nicht sehr von dem Volumenbruch­
teil, den ein Quark in einem Proton belegt. Und wie die Physiker Quarks
entdeckten, ähnelt in gewisser Hinsicht dem Ungestüm, mit dem Athe­
nas Prinzessin die Erbse entdeckte. Eine passive Prinzessin hätte niemals
eine Erbse durch viele, viele Schichten hindurch spüren können. Ähnlich
entdeckten Physiker Quarks erst, als sie das Proton mit energiereichen
Teilchen bombardierten, die seine Innereien erforschen konnten.
In diesem Kapitel werden Sie auch in etwas herumspringen, nämlich
im Standardmodell der Teilchenphysik, der Theorie, die die bekannten

182
DAS STANDARDMODELL DER TEILC HENPHYSIK

Elementarteilchen der Materie und die auf sie einwirkenden Kräfte be­
schrei bt. * Das Standardmodell stellt den Höhepunkt vieler überraschen­
der und aufregender Entwicklungen dar und ist eine großartige Er­
rungenschaft. Sie müssen sich nicht alle Details merken - ich werde die
Namen all der Teilchen oder die Art ihrer Wechselwirkung wiederholen,
wenn ich später auf sie zurückkomme. Das Standardmodell liegt aber
vielen der exotischen extradimensionalen Theorien zugrunde, die ich in
Kürze darlegen will, und wenn Sie mehr über die j üngsten spannenden
Entwicklungen erfahren, wird ein Gefühl für das Standardmodell und
seine Schlüsselvorstellungen Ihnen helfen, die fundamentale Struktur der
Materie und die Art und Weise, wie Physiker heute über die Welt denken,
besser zu verstehen.

Das Elektron und der Elektromagnetismus

Wladimir I. Lenin verwendete in seinem philosophischen Werk Materia­


lismus und Empiriokritizismus das Elektron als Metapher. » Das Elek­
tron ist unerschöpflich << , schrieb er, wobei er sich auf die Schichten von
theoretischen Vorstellungen und Interpretationen bezog, mittels deren
wir es zu begreifen versuchen. Heute verstehen wir das Elektron aber
ganz anders als zu Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Quantenmecha­
nik noch nicht unsere Vorstellungen revidiert hatte.
Im physikalischen Sinn trifft das Gegenteil von Lenins Zitat zu : Das
Elektron lässt sich erschöpfend abhandeln. Soweit mittlerweile festge­
stellt wurde, ist das Elektron fundamental und unteilbar. Für einen Teil­
chenphysiker hat das Elektron keineswegs eine >> unergründlich e << Struk­
tur, es ist schlicht das einfachste Teilchen des Standardmodells. Das
Elektron ist stabil und aus keinen weiteren Bausteinen zusammengesetzt,
also können wir es mit nur wenigen Eigenschaften wie beispielsweise
Masse und Ladung vollständig charakterisieren . (Der tschechische anti­
kommunistische Stringtheoretiker Lubos Motl scherzte einmal, dies sei
nicht der einzige Unterschied zwischen seinen und Lenins Ansichten. )
Ein Elektron wandert zur positiv geladenen Anode einer Batterie. Ein

''
Trotz des Namens » Standardmodell « kann man darunter Verschiedenes verstehen.
Einige Leute schließen auch noch das hypothetische Higgs-Teilchen mit ein. Per Defi­
nition sollte sich die Theorie aber nur auf bekannte Teilchen beziehen, und an diese
Konvention halte ich mich. Das Higgs-Teilchen diskutieren wir später in Kapitel 10.

183
VERBORGENE UNIVERSEN

Elektron reagiert auch auf eine magnetische Kraft : Wenn es sich durch
ein Magnetfeld bewegt, wird seine Bahn gekrümmt. Beide Phänomene
sind die Folge der negativen Ladung des Elektrons, die es sowohl auf
Elektrizität als auch auf Magnetismus reagieren lässt.
Bis Anfang des 1 9. Jahrhunderts hatten alle geglaubt, Elektrizität und
Magnetismus seien unterschiedliche Kräfte. Dann entdeckte im Jahr
1 8 1 9 der dänische Physiker und Chemiker Hans Christian 0rsted, dass
ein Strom von sich bewegenden Ladungen ein Magnetfeld erzeugt. Aus
dieser Beobachtung schlussfolgerte er, dass es eine einzige Theorie geben
musste, die sowohl Elektrizität als auch Magnetismus beschrei bt: Sie
mussten zwei Seiten ein und derselben Medaille sein. Als eine Kompass­
nadel bei einem Gewitterblitz ausschlug, war 0rsteds Vermutung bestä­
tigt.
Die noch heute in Gebrauch befindliche klassische Theorie des Elek ­
tromagnetismus wurde im 1 9. Jahrhundert ausgearbeitet und stützte sich
auf die Beobachtung, dass Elektrizität und Magnetismus miteinander
verwandt waren. Für diese Theorie war der Begriff des Feldes von ent­
scheidender Bedeutung. Als >> Feld << bezeichnen Physiker alle Größen, die
den Raum durchdringen. Beispielsweise gibt der Wert des Gravitations­
felds an irgendeinem Ort an, wie stark dort die Schwerkraft ist. Dasselbe
gilt für jede Art Feld : Der Wert des Feldes an irgendeiner Position sagt
uns, wie intensiv das Feld dort ist.
In der zweiten Hälfte des 1 9. Jahrhunderts führte der englische Che­
miker und Physiker Michael Faraday die Begriffe des elektrischen und
magnetischen Feldes ein, und sie haben auch in der heutigen Physik
Gültigkeit. Angesichts des Umstands, dass er seine Schulausbildung mit
14 Jahren abbrechen musste, um seine Familie zu unterstützen, ist es sehr
bemerkenswert, dass er es bis zu physikalischen Forschungen brachte,
die von revolutionärer Bedeutung waren. Zum Glück für ihn ( und für
die Geschichte der Physik) ging er bei einem Buchbinder in die Lehre, der
ihn ermutigte, die Bücher zu lesen, an denen er arbeitete, um sich so
selbst weiterzubilden.
Faraday hatte die Idee, dass Ladungen überall im Raum elektrische
oder magnetische Felder erzeugen und dass diese Felder wiederum auf
andere geladene Obj ekte einwirken, egal um was es sich bei diesen han­
delt. Wie stark sich elektrische und magnetische Felder auf geladene Ob­
j ekte auswirken, hängt j edoch von deren Lokalisierung ab. Den größten
Einfluss übt das Feld dort aus, wo sein Wert am höchsten ist, und wo
sein Wert niedriger liegt, hat es auch nur kleinere Effekte .

184
DAS STANDARDMODELL DER TEILC HENPHYSIK

Das Vorhandensein eines Magnetfelds kann man dadurch nachwei­


sen, dass man in der Nähe eines Magneten Eisenspäne ausstreut. Die
Späne ordnen sich von selbst zu Mustern an, die Stärke und Richtung
des Feldes anzeigen. Man kann auch ein Feld spüren, indem man zwei
Magnete aufeinander zu bewegt. Die gegenseitige Anziehung oder Absto­
ßung spürt man schon deutlich, noch ehe sie sich berühren. Beide reagie­
ren auf das Feld, das die Region zwischen ihnen durchdringt.
Die Allgegenwart elektrischer Felder wurde mir eines Tages sehr deut­
lich, als ich auf einem Grat in der Nähe von Boulder, Colorado, eine
Klettertour mit einem Partner machte, der zwar ein erfahrener Wanderer
war, aber als Kletterer noch Anfänger. Ein Gewitter kam rasch näher,
aber ich wollte ihn nicht nervös machen, also forderte ich ihn nur auf,
sich ein bisschen schneller zu bewegen, ohne ihn darauf hinzuweisen,
dass das Seil knisterte und seine Haare zu Berge standen. Als wir vom
Berg herunter und in Sicherheit waren und unser Abenteuer Revue pas­
sieren ließen - das größtenteils eine herrliche Klettertour gewesen war -,
sagte mir mein Partner, er habe natürlich gewusst, dass wir in Gefahr
waren : Auch meine Haare hatten deutlich zu Berge gestanden ! Das elek­
trische Feld war nicht an einer einzigen Stelle gewesen - sondern überall.
Vor dem 1 9. Jahrhundert hatte niemand Elektrizität und Magnetismus
in Form von Feldern beschrieben. Üblicherweise verwandten die Leute
den Ausdruck Fernwirkung zur Beschreibung dieser Kräfte. Vielleicht
haben Sie noch auf der Schule gelernt, dass der Ausdruck Fernwirkung
beschrei bt, wie ein elektrisch geladenes Obj ekt unverzüglich jede andere
Ladung anzieht oder abstößt, ganz gleich, wo sich diese befindet. Daran
scheint nichts Geheimnisvolles zu sein, denn das ist uns j a vertraut. Je­
doch wäre es sehr außergewöhnlich, wenn etwas an einem Ort unmittel­
bar auf ein anderes Obj ekt in einiger Entfernung einwirken könnte. Wie
sollte die Wirkung vermittelt werden ?
O bwohl es vielleicht nach Wortklauberei aussieht, gibt es zwischen
einem Feld und einer Fernwirkung wirklich einen enormen begrifflichen
Unterschied. Nach der Feldinterpretation des Elektromagnetismus wirkt
sich eine Ladung nicht unmittelbar auf andere Raumregionen aus. Das
Feld braucht Zeit, um sich anzupassen. Eine sich bewegende Ladung er­
zeugt in ihrer unmittelbaren Umgebung ein Feld, das dann nach und
nach in den Raum vordringt (wenn auch sehr rasch ) . Obj ekte registrie­
ren die Bewegung der entfernten Ladung erst nach der Zeitspanne, die
das Licht ( das aus elektromagnetischen Feldern besteht) braucht, um zu
ihnen zu gelangen. Elektrische und magnetische Felder verändern sich

185
VERBORGENE UNIVERSEN

daher nicht schneller als die endliche Lichtgeschwindigkeit zulässt. An


j edem gegebenen Punkt im Raum passt sich das Feld erst an, wenn ge­
nügend Zeit verstrichen ist, dass die Wirkung der entfernten Ladung bis
zu diesem Punkt vordringen konnte.
Doch trotz ihrer entscheidenden Bedeutung waren Faradays elektro­
magnetische Felder zunächst eher heuristischer denn mathematischer
Natur. Mathematik zählte nicht zu Faradays Stärken, was vielleicht an
seinem bruchstückhaften Bildungsweg lag. Ein anderer britischer Physi­
ker j edoch, James Clerk Maxwell, baute Faradays Feldidee in die klassi­
sche elektromagnetische Theorie ein. Maxwell war ein brillanter Wis­
senschaftler, zu seinen vielen Interessen zählten Optik und Farbenlehre,
die Mathematik der Ellipsen, die Thermodynamik, die Saturnringe, die
Messung der geographischen Breite mit einer Schüssel Sirup und die
Frage, wie Katzen es schaffen, unter Beibehaltung ihres Drehimpulses
auf den Füßen zu landen, wenn man sie andersherum fallen lässt. *
Maxwells bedeutendster Beitrag zur Physik waren j edoch jene Glei­
chungen, die beschrei ben, wie man die Werte elektrischer und magneti­
scher Felder aus der Verteilung von Ladungen und Strömen ableitet. * * · 14
Aus diesen Gleichungen folgerte er die Existenz elektromagnetischer
Wellen - j ener Wellen von allen Formen elektromagnetischer Strahlung,
beispielsweise in Ihrem Computer, Fernseher, Mikrowellengerät und
den vielen anderen Helfershelfern modernen Lebens.
Maxwell beging j edoch einen Fehler. Wie alle Physiker seiner Zeit
machte er sich vom Feld eine zu materielle Vorstellung. Er nahm an, das
Feld entstünde aus Vibrationen eines Äthers - eine Vorstellung, die Ein­
stein schließlich als falsch entlarvte, wie wir weiter oben erfahren haben.
Nichtsdestotrotz erkannte Einstein an, dass seine spezielle Relativitäts­
theorie letzten Endes auf Maxwell zurückging : Maxwells elektromagne­
tische Theorie ließ Einstein die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit er­
kennen, die ihn wiederum zu seinem Monumentalwerk anstiftete.

''
Katzen haben ein sehr flexibles Rückgrat und keine Schlüsselbeine, und so können
sie unter Beibehaltung ihres Bewegungs-Drehimpulses ihren Körper drehen. Aller­
dings ist das noch immer Gegenstand aktiver Forschung.
". Richard Feynman urteilte : » Wenn man die Entwicklung der Menschheit so be­
trachtet, wie man das in zehntausend Jahren tun wird, so besteht kein Zweifel, daß die
Maxwell'sche Entdeckung der elektromagnetischen Gesetze das Ereignis des 1 9. Jahr­
hunderts ist. « In : Richard P. Feynman u. a . , Vorlesungen über Physik, Bd. II. ( M ün­
chen, Wien : Oldenbourg 1 9 8 7 ) , S . 36.

186
DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK

Das Photon

Maxwells klassische elektromagnetische Theorie ermöglichte erfolgrei­


che Vorhersagen, sie ging aber der Quantenmechanik so weit voraus,
dass sie natürlich noch keine Quanteneffekte berücksichtigte. Heute er­
forschen die Physiker den Elektromagnetismus mit der Teilchenphysik.
Die teilchenphysikalische Theorie des Elektromagnetismus schließt die
Vorhersagen gemäß Maxwells bekannter und altbewährter klassischer
Theorie ein, berücksichtigt aber auch die Vorhersagen der Quantenme­
chanik. Sie ist daher eine umfassendere und genauere Theorie des Elek­
tromagnetismus als ihr klassischer Vorgänger. De facto hat die Quanten­
theorie des Elektromagnetismus enorm genaue Vorhersagen erbracht,
die mit der unglaublichen Präzision von eins zu einer Milliarde überprüft
worden sind . ·�
Die quantenelektromagnetische Theorie führt die elektromagnetische
Wechselwirkung auf den Austausch eines Teilchens zurück, das man als
Photon bezeichnet - jenes Lichtquant, das wir im vorangegangenen Ka­
pitel kennen gelernt haben. Das Ganze funktioniert so, dass ein ankom­
mendes Elektron ein Photon emittiert, das zu einem anderen Elektron
wandert, die elektromagnetische Wechselwirkung vermittelt und dann
verschwindet. Bei diesem Austausch überträgt oder vermittelt das Pho­
ton eine Kraft. Es verhält sich wie ein vertraulicher Brief, der Informa­
tionen von einem Ort an einen anderen übermittelt, aber unmittel bar
darauf zerstört wird .
Wir wissen, dass die elektrische Wechselwirkung manchmal anzieht
und manchmal abstößt : Entgegengesetzt geladene O bj ekte ziehen sich
an, und Objekte stoßen sich ab, wenn ihre Ladungen dasselbe Vorzei­
chen tragen - plus oder minus -, sie also beide positiv oder negativ gela­
den sind. Die von einem Photon vermittelte abstoßende Kraft können Sie
sich wie eine Interaktion zweier Schlittschuhläufer vorstellen, die sich
eine Bowlingkugel hin und her zuwerfen ; j edes Mal, wenn einer von
ihnen die Kugel fängt, gleitet er über das Eis von dem anderen weg. Die
Anziehungskraft hingegen gleicht eher zwei Anfängern, die sich eine
Frisbee-Scheibe zuwerfen ; im Gegensatz zu den Schlittschuhläufern, die
immer weiter auseinander driften, kommen sich die Frisbeespieler mit je­
dem Wurf ein Stück näher.

* M ittels Messung einer Größe, die man als das anomale magnetische Moment des
Elektrons bezeichnet.

187
VERBORGENE UNIVERSEN

Das Photon ist unser erstes Beispiel für ein Eichboson : ein fundamen­
tales Elementarteilchen, das eine bestimmte elementare Wechselwirkung
vermittelt. Schwache Bosonen und Gluonen sind weitere Beispiele für
Eichbosonen. Diese Teilchen vermitteln die schwache beziehungsweise
die starke Wechselwirkung oder Kraft.
Zwischen den späten zwanziger und den vierziger Jahren des 20. Jahr­
hunderts entwickelten der englische Physiker Paul Dirac und die Ameri­
kaner Richard Feynman und Julian Schwinger - sowie unabhängig von
ihnen im Nachkriegsj apan Sin-ltiro Tornonaga - die quantenmechani­
sche Theorie des Photons. Den von ihnen ausgearbeiteten Zweig der
Quantentheorie bezeichneten sie als Quantenelek trodynamik (QED) .
Die Quantenelektrodynamik umfasst alle Vorhersagen für die klassische
elektromagnetische Theorie und genauso auch die Beiträge von Teilchen
( Quanten) zu physikalischen Prozessen - das heißt Wechselwirkungen,
die durch den Austausch oder die Erzeugung von Quantenteilchen gene­
riert werden.
Die QED besagt, wie der Austausch von Photonen die elektromagne­
tische Kraft hervorbringt. Bei dem in Abbildung 47 dargestellten Vor­
gang etwa treten zwei Elektronen in die Region der Wechselwirkung ein,
tauschen ein Photon aus und verlassen sie dann auf den daraus resultie­
renden Bahnen (mit bestimmter Geschwindigkeit und Richtung bei­
spielsweise ), die von der dabei vermittelten elektromagnetischen Kraft
beeinflusst sind. Die Feldtheorie weist j edem Teil des D iagramms Zahlen
zu, sodass wir damit quantitative Vorhersagen machen können. Die Ab­
bildung ist ein Beispiel für ein Feynman-Diagramm ; diese nach Richard
Feynman benannte Darstellungsform ist eine anschauliche Möglichkeit,

Elektron Cw Photon
Cw Elektron

Elektron C, C, Elektron

Abbildung 4 7 : Das Feynman-Diagramm auf der rechten Seite lässt mehrere


Interpretationen zu. Die eine dauon besagt (von unten nach oben gelesen),
dass zwei Elek tronen in einen Wechselwirkungsraum eintreten, ein Photon
austauschen und ihn dann wie schematisch links illustriert wieder verlassen.
(Das Diagramm kann man auch in Form einer Elektron-Positron-A uslö­
schung interpretieren.)

188
DAS STANDARDMODELL DER TEILC HENPHYSIK

Wechselwirkungen der Quantenfeldtheorie zu beschrei ben. ( Feynman


war auf diese seine Erfindung so stolz, dass er ein paar solche Dia­
gramme auf seinen Wohnwagen malte . )
Nicht bei allen quantenelektrodynamischen Prozessen wird jedoch
ein Photon zerstört. Neben den ephemeren intermediären oder internen
Teilchen * - etwa den Photonen, die bei der elektromagnetischen Wech­
selwirkung erzeugt und fast unmittelbar darauf wieder zerstört werden ­
gibt es auch reale externe Photonen - Teilchen, die in einen Wechselwir­
kungsraum eindringen oder ihn verlassen können. Manchmal werden
diese Teilchen abgelenkt, und manchmal verwandeln sie sich in andere
Teilchen. In j edem Fall sind diese Teilchen, die in den Raum eindringen
oder ihn verlassen, reale physikalische Teilchen.

Die Quantenfeldtheorie

Die Quantenfeldtheorie, mit der wir Teilchen erforschen * "" , basiert auf
immerwährenden, allgegenwärtigen Obj ekten, die j ene Teilchen erschaf­
fen und zerstören können. Bei diesen Obj ekten handelt es sich um » Fel­
der << der Quantenfeldtheorie. Wie die klassischen elektromagnetischen
Felder, die zu ihrer Namensgebung inspirierten, sind Quantenfelder Ob­
j ekte, die die Raumzeit durchdringen. Quantenfelder spielen aber eine
andere Rolle. Sie können Elementartei lchen erzeugen oder absorbieren.
Nach der Quantenfeldtheorie können Teilchen überall und j ederzeit pro­
duziert oder zerstört werden.
Beispielsweise kann irgendwo im Raum ein Elektron oder ein Photon
auftauchen oder verschwinden. Quantenprozesse lassen es zu, dass sich
die Anzahl geladener Teilchen im Universum verändert, indem Teilchen
entweder erschaffen oder zerstört werden. Dabei wird j edes Teilchen von
einem eigenen, besonderen Feld erzeugt oder vernichtet. In der Quanten­
feldtheorie werden nicht nur der Elektromagnetismus, sondern alle
Kräfte und Wechselwirkungen in Form von Feldern beschrieben, die
neue Teilchen hervorbringen oder bereits vorhandene eliminieren kön­
nen.
Der Quantenfeldtheorie zufolge kann man sich Teilchen als Erregun­
gen des Quantenfelds vorstellen. Während das Vakuum, ein Zustand

In Kapitel 11 werden wir erfahren, dass man diese auch virtuelle Teilchen nennt.
,,. * Die QED ist auf Elektromagnetismus angewandte Quantenfeldtheorie.

189
VERBORGENE U N I VERSEN

ohne Teilchen, nur konstante Felder enthält, haben Zustände mit Teil­
chen Felder mit - j e nach Teilchen - Dellen und Kräuselungen. Wenn das
Feld eine Delle bekommt, wird ein Teilchen erzeugt, und wenn dann
diese Delle absorbiert wird, damit das Feld wieder konstant ist, wird das
Teilchen zerstört.
Die Felder, die Elektronen und Photonen erzeugen, muss es überall ge­
ben, um sicherzustellen, dass an j edem Punkt der Raumzeit sich sämtli­
che Wechselwirkungen ereignen können. Das ist wichtig, denn die Wech­
selwirkungen sind lokal, was heißt, dass nur Teilchen am selben Ort dar­
an teilhaben können. Fernwirkung wäre eher Zau berei. Teilchen haben
keine außersinnlichen Wahrnehmungen - sie müssen in Kontakt treten
und direkt wechselwirken.
Zwar kommt es zu elektromagnetischen Wechselwirkungen zwischen
entfernten Ladungen, die keinen direkten Kontakt haben, das geschieht
aber nur dank des Photons oder eines anderen Teilchens, das mit den
beiden interagierenden geladenen Teilchen direkten Kontakt hat. In die­
sem Fall scheinen die Ladungen sich unverzüglich gegenseitig zu beein­
fl ussen, was a ber nur daran liegt, dass die Lichtgeschwindigkeit so hoch
ist. In Wirklichkeit kam es nur durch lokale Prozesse zur Wechselwir­
kung : Das Photon war zuerst an der Stelle des einen geladenen Teil­
chens und dann an der des anderen. Das Feld musste daher das Photon
an gerrau den Aufenthaltsorten der geladenen Teilchen erzeugen und
zerstören.

A ntiteilchen und das Positron

Die Quantenfeldtheorie besagt auch, dass es für j edes Teilchen ein Ge­
genstück geben muss, sein Antiteilchen. In semem Stück Hapgood sagte
Tom Stoppard über Antiteilchen : >> Wenn ein Teilchen ein Antiteilchen
trifft, löschen sie einander aus und verwandeln sich in e!J:len Energie­
knall, verstehen Sie ? << Jeder Science-Fiction-Fa n weiß in Sachen Antiteil­
chen Bescheid : Daraus macht man die Waffen, mit denen man das Uni­
versum zerstört, und sie treiben auch die » USS Enterprise << in Star Trek
an.
Die beiden letzten Verwendungsmöglichkeiten sind fiktiv, Antiteilchen
an sich j edoch nicht. Antiteilchen gehören tatsächlich zu dem Bild, das
sich die Teilchenphysik von der Welt macht. In der Feldtheorie und im
Standardmodell sind sie so unverzichtbar wie die Teilchen selbst. Fak-

190
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H YS I K

tisch sind Antiteilchen genau wie Teilchen, nur dass all ihre Ladungen
genau entgegengesetzt sind.
Paul Dirac kam erstmals auf Antiteilchen, als er die Quantenfeldtheo­
rie entwickelte, die das Elektron beschreibt. Er stellte fest, dass eine
Quantenfeldtheorie, die sowohl mit der Quantenmechanik als auch mit
der speziellen Relativitätstheorie in Einklang zu bringen ist, notwendi­
gerweise Antiteilchen einschließen muss. Mutwillig hat er sie nicht hin­
zugefügt. Als er die spezielle Relativitätstheorie einbaute, hat diese sie
ausgespuckt. Antiteilchen sind eine notwendige Folge der relativisti­
schen Quantenfeldtheorie.
Die Argumentation, warum Antiteilchen aus der speziellen Relativi­
tätstheorie folgen, lautet ungefähr folgendermaßen : Geladene Teilchen
können sich im Raum vorwärts und rückwärts bewegen. Naiv betrach­
tet müsste die spezielle Relativitätstheorie daher besagen, dass j ene Teil­
chen auch in der Zeit vorwärts und rückwärts reisen können müssten.
Aber soweit wir wissen, können weder Teilchen noch sonst irgendetwas
uns Bekanntes tatsächlich in der Zeit zurückreisen. Stattdessen ersetzen
entgegengesetzt geladene Antiteilchen diej enigen, die sich entgegen der
Zeit bewegen. Antiteilchen rufen die Wirkungen hervor, die gegen die
Zeit reisende Tei lchen hätten, sodass auch ohne sie die Vorhersagen der
Quantenfeldtheorie mit der speziellen Relativitätstheorie kompatibel
sind.
Stellen Sie sich einen Film vor, in dem ein Strom negativ geladener
Eiektronen von einem Punkt zu einem anderen wandert. Nun stellen Sie
sich vor, dass der Film rückwärts läuft. Dann würden negative Ladungen
rückwärts reisen, oder, was das Äquivalent wäre ( soweit es jedenfalls die
Ladung betrifft), positive Ladungen würden vorwärts reisen. Ein Strom
vo � Positronen, den positiv geladenen Antiteilchen von Elektronen, er­
zeugt diesen positiv geladenen, vorwärts reisenden Strom und fungiert
daher wie ein Elektronenstrom gegen die Zeit.
Die Quantenfeldtheorie besagt, dass es für j eden Typ von geladenem
Teilchen - beispielsweise ein Elektron - ein entsprechendes Antiteil­
chen mit entgegengesetzter Ladung geben muss. Da beispielsweise ein
Elektron die Ladung -1 trägt, muss das Positron die Ladung + 1 ha­
ben. Abgesehen von der Ladung gleicht das Antiteilchen dem Elektron
in j eder Hinsicht. Ein Proton hat auch die LaJung + 1, aber es ist
2000-mal schwerer als ein Elektron und kann daher nicht sein Antiteil­
chen sein.
Wie Stoppard sagte, löschen Antiteilchen in der Tat Teilchen aus,

191
VERBORGENE UNIVERSEN

wenn die beiden aufeinander treffen. Weil die Ladungen eines Teilchens
und seines Antiteilchens zusammen immer null ergeben, heben sie sich
gegenseitig auf und werden vernichtet, wenn sie einander treffen. Da
Teilchen und Antiteilchen zusammen keine Lad ung tragen, folgt aus
Einsteins Gleichung E mc2, dass alle Masse in Energie umgewandelt
=

wird .
Andererseits kann Energie in ein Teilchen-Antiteilchen-Paar umge­
wandelt werden, wenn sie groß genug ist, um dieses zu produzieren. So­
wohl zur Auslöschung als auch zur Erzeugung von Teilchen kommt es in
jenen Hochenergie-Teilchenbeschleunigern, mit denen Physiker experi­
mentell schwere Teilchen untersuchen - die zu massiv sind, um in ge­
wöhnlicher Materie vorzukommen. In diesen Beschleunigern treffen ein
Teilchen und ein Antiteilchen aufeinander und löschen sich gegenseitig
aus, wodurch es zu einem Energieausbruch kommt, aus dem ein neues
Teilchen-Antiteilchen-Paar hervorgeht.
Weil Materie - und vor allem Atome - aus Teilchen, nicht aus Antiteil­
chen zusammengesetzt ist, kommen Antiteilchen wie das Positron im
Allgemeinen in der Natur nicht vor. Aber sie können vorübergehend in
Teilchenbeschleunigern erzeugt werden oder in heißen Regionen de s
Universums u n d sogar in Krankenhäusern, wo man mit der Positronen­
Emissions-Tomographie (PET) d ie Patienten auf A n zeic h en für Krebs
scannt.
Gerry Ga brielse, einer meiner Kollegen in der Physika bteilung von
Harvard, erzeugt im Keller der Jefferson Laboratories, wo ich arbeite,
stän d ig Antiteilchen. Dank der Arbeit von Gerry und anderen wissen wir
sehr genau, dass Antiteilchen trotz ihrer entgegengesetzten Ladung wirk­
lich ihren Teilchen-Gegenstücken gleichen, was Masse und Schwerkraft
angeht. Aber es sind so wenige, dass sie keinen Schaden anrichten kön­
nen. Science-Fiction-Fans kann ich versichern, dass diese Antiteilchen
dem G eb ä u de weit weniger Schaden zufügen als der ständige Bau neuer
Labors und Büros, dem stets je de Menge sieht- und hörbare Zerstörung
vorausge h t .
Elektronen, Positronen und Photonen sind die einfachsten un d am
leichtesten zugän gl ichen Teilchen. Es ist kein Zufall, dass die elektri­
schen Kräfte und die Elektronen die ersten Bestandteile des Standardmo­
dells waren, die die Physiker verstanden. Das Elektron, das Pos itron und
das Photon sind j edoch nicht die einzigen Teilchen, und der Elektromag­
netismus ist nicht die einzige Wechselwirkung.
In den Abbildungen 32 und 33 ( siehe S. 99, 101 ) habe ich die bekann-

192
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K

ten Teilchen und nichtgravitationalen Kräfte * aufgelistet. D i e Gravita­


tion habe ich weggelassen, weil sie sich qualitativ von den anderen Kräf­
ten unterscheidet und daher separat behandelt werden muss. Trotz der
prosaischen Bezeichnungen zweier dieser Kräfte - der schwachen und
der starken Wechselwirkung - weisen diese viele interessante Eigenschaf­
ten auf. In den nächsten beiden Abschnitten werden wir erfahren, wor­
um es sich dabei handelt.

Die schwache Wechselwirkung und das Neutrino

Auch wenn man im täglichen Leben die schwache Kraft nicht bemerkt,
weil sie wirklich sehr schwach ist, ist sie für viele nukleare Prozesse von
entscheidender Bedeutung. Die schwache Wechselwirkung erklärt einige
Formen des Kernzerfalls - beispielsweise den von Kalium-40 ( 4°K, das
auf der Erde vorkommt und mit einer Zerfallszeit von rund einer Milli­
arde Jahre im Durchschnitt so langsam zerfällt, dass es noch i mme r den
Erdkern aufheizt) - und sogar den des Neutrons selbst. Bei nuklearen
Prozessen wird die Struktur des Atomkerns verändert, und infolge sol­
cher Vorgänge verändert sich auch die Anzahl der Neutronen in einem
Kern, wobei große Energiemengen freigesetzt werden. Diese Energie
kann man zur Kernkraftgewinnung oder für Atombomben nutzen, aber
sie dient auch noch anderen Zwecken.
Beispielsweise spielt die schwache Wechselwirkung bei der Entstehung
schwerer Elemente eine Rolle, die während alles vernichtender Superno­
va-Explosionen erschaffen werden. Die schwache Kraft ist auch dafür
verantwortlich, dass die Sterne - einschließlich unserer Sonne - strahlen :
Sie setzt die Kettenreaktion in Gang, bei der Wasserstoff in Helium um­
gewandelt wird. Die von der schwachen Wechselwirkung ausgelösten
Kernprozesse tragen dazu bei, dass die Zusammensetzung des Univer­
sums sich ständig weiterentwickelt. Aus unserem kernphysikalischen
Wissen können wir schlussfolgern, dass vom ursprünglich im Universum
vorhandenen Wasserstoff rund zehn Prozent als Kernbrennstoff in Ster­
nen verheizt worden sind. ( Glücklicherweise garantieren die verbleiben­
den 90 Prozent, dass das Universum nicht allzu bald von a u s wärtigen
E n e rg iel iefe ru nge n a b hänge n wird.)
* In der Teilchenphysik bezeichnet man s o alle fundamentalen Kräfte m i t Ausnahme
der Schwerkraft (also die schwache, die starke und die elektromagnetische Kraft be­
ziehungsweise Wechselwirkung) .

193
VERBORGENE UNIVERSEN

Trotz ihrer Bedeutung entdeckten die Wissenschaftler die schwache


Wechselwirkung erst relativ spät. Im Jahr 1 8 62 unterschätzte William
Thomson ( der spätere Lord Kelvin * ) , einer der angesehensten Physiker
seiner Zeit, das Alter der Sonne und der Erde bei weitem, weil er nichts
von den Kernprozessen wusste, die aus der schwachen Wechselwirkung
herrühren (die, was man gerechterweise sagen muss, noch nicht entdeckt
war) . W. Thomson stützte seine Schätzung auf die damals einzige be­
kannte Beleuchtungsquelle, die Glühbirne. Er schlussfolgerte, dass die
der Sonne zur Verfügung stehende Energie unmöglich mehr als rund 30
Millionen Jahre lang gereicht haben könnte.
Charles Darwin gefiel diese Einschätzung gar nicht. Er war auf ein
Mindestalter gekommen, das viel näher am richtigen lag, indem er die
Anzahl von Jahren schätzte, die die Erosion des Weald, eines Tals in Süd­
england, gedauert hat. Darwins Näherungswert von 300 Millionen Jah­
ren hatte des Weiteren für ihn das Gute, dass dann der natürlichen Aus­
lese genügend Zeit geblieben wäre, das große Artenspektrum auf der
Erde hervorzubringen.
Jedoch nahmen alle - auch Darwin selbst - an, dass Thomson, der Star
unter den Physikern, Recht hatte. Darwin war von Thomsons Ruf und
Berechnung so beeindruckt, dass er seine eigene Schätzung aus späteren
Auflagen seines Buchs Die Entstehung der Arten strich. Erst nachdem
Rutherford die Bedeutung der Strahlung * * entdeckt hatte, war Darwins
Vorstellung von einem viel höheren Alter bestätigt, und das Alter der Erde
und der Sonne wurde mit rund 4,5 Milliarden Jahren festgelegt - viel
mehr als Thomsons und Darwins Schätzung.

* Diesen Titel bekam er nicht wegen seiner Arbeit als Wissenschaftler, sondern weil er
sich gegen die Selbstbestimmung Irlands stellte.
* * Rutherford präsentierte seine Ergebnisse, obwohl er wusste, dass er damit Kelvin
widersprach. In A. S. Eves Rutherford-Biographie wird er folgendermaßen zitiert :
» >ch betrat den halb im D unkeln liegenden Raum und entdeckte bald Lord Kelvin un­
ter den Zuhörern ; da wurde mit klar, dass ich im letzten Teil meines Vortrags, der sich
mit dem Alter der Erde beschäftigte, Probleme bekommen würde, da meine Ansichten
seinen widersprachen. Zu meiner Erleichterung schlief Kelvin bald ein ; aber als ich zu
dem wichtigen Punkt kam, sah ich, wie der alte Herr sich aufrichtete, ein Auge öffnete
und mich unheilvoll anblinzelte. Dann hatte ich plötzlich einen Einfall, und ich sagte :
>Lord Kelvin hatte das Alter der Erde unter der Voraussetzung eingegrenzt, dass keine
neue Quelle entdeckt würde. Jene prophetische Äußerung bezog sich auf das, was wir
heute Abend erörtern, das Radium !< Und siehe da ! Der alte Knabe strahlte mich an.<<
A. S. Eve : Rutherford: Being the Life and Letters of the Rt. Hon. Lord Rutherford, 0.
M. ( Cambridge : Cambridge University Press, 1 9 3 9 ) .

194
D A S S TA N D A R D M O DE L L D E R T E I L C H E N P H YS I K

In den sechziger Jahren des 2 0 . Jahrhunderts entwickelten die ameri­


kanischen Physiker Sheldon Glashow und Steven Weinberg und der pa­
kistanische Physiker Abdus Salam, die unabhängig voneinander (und
nicht unbedingt in Harmonie) arbeiteten, die elek troschwache Theorie,
die die schwache Wechselwirkung erklärt und Einsichten in die Kraft des
Elektromagnetismus liefert.* Der elektroschwachen Theorie zu folge
produziert der Austausch von Teilchen namens schwache Eichbosonen
die Effekte der schwachen Wechselwirkung, genau wie der Austausch
eines Photons den Elektromagnetismus vermittelt. Es gibt drei schwache
Eichbosonen. Zwei tragen eine elektrische Ladung, das W+ und das W­
( » W << steht für weak force, » schwache Kraft << , und das Plus- oder Mi­
nuszeichen gibt die Ladung des Eichbosons a n ) . Das Dritte ist neutral
und heißt Z (weil es zero [null] oder verschwindende Ladung trägt ) .
W i e d e r Photonenaustausch produziert d e r Austausch eines schwa­
chen Eichbosons Kräfte, die j e nach d er schwachen Ladung de s Teilchens
anziehend oder a bstoßend wirken. Schwache Ladungen sind Zahlen, die
für die schwache Wec hs e lw i r k ung dieselbe Rolle sp ie len wie die elektri­
sche Ladung für d ie elektromagnetische Kraft. Nur Tei l c h e n mit einer
schwachen Ladung sind für die schwache Wechselwirkung empfänglich,
und von ihrer j eweiligen Ladung hängen die Stärke und die Art der
Wechselwirkungen ab, an denen sie teilha ben.
Es gibt j edoch mehrere wichtige Unterschiede zwischen der elektro­
magnetischen und der schwachen Wechselwirkung. Am überraschends­
ten ist, dass die schwache Kraft zwischen links und rechts unterscheidet
oder, wie Physiker das formulieren, die Paritätssymmetrie verletzt. Pari­
tätsverletzung bedeutet, dass die Spiegelbilder von Teilchen sich unter­
schiedlich verhalten. Die chinesisch-amerikanischen Physiker C. N. Yang
und T. D. Lee formulierten die Theorie von der Paritätsverletzung in den
fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, und eine chinesisch-amerikani­
sche Physikerin, C. S. Wu, bestätigte sie experimentell 1957. In diesem
Jahr bekamen Yang und Lee den Nobelpreis für Physik. Überraschender­
weise e r hie lt Wu, die einzige Frau, die bei der Entwicklung des Standard­
modells eine Rolle spielte, für ihre entscheidende Entdeckung keinen
Nobelpreis.
Einige Verletzungen der Paritätsinvarianz sind uns vertraut. Bei sp ie ls -

* Schwache Wechselwirkungen waren allerdings schon früher beobachtet worden,


und man wusste, dass im Innern der Sonne nukleare Prozesse ablaufen. Doch der Zu­
sammenhang mit der schwachen Kraft wurde erst später verstanden.

1 95
VERBORGENE U N I VERSEN

weise befindet sich Ihr Herz in Ihrer linken Körperhälfte. Wäre die Evo­
l ution so vorgegangen, dass die Menschen ihr Herz auf der rechten Seite
trügen, wäre zu erwarten, dass seine Eigenschaften genau dieselben wä­
ren. Dass das Herz auf der einen und nicht auf der anderen Seite schlägt,
sollte für die fundamentalen biologischen Prozesse keine Rolle spielen.
Vor Wus Messungen von 1957 galt es viele Jahre lang als » offensicht­
lich << , dass physikalische Gesetze (wenn auch nicht notwendigerweise
physikalische O bj ekte ) keine Lieblingsseite oder » Händigkeit<< haben
konnten. Warum schließlich auch ? Mit Sicherheit gi bt es bei der Gravi­
tation und beim Elektromagnetismus und bei anderen Wechselwirkun­
gen keinen solchen Unterschied. Dennoch unterscheidet die schwache
Wechselwirkung, eine fundamentale Kraft der Natur, zwischen links
und rechts. Auch wenn es sehr überraschen mag, verletzt die schwache
Kraft die Paritätssymmetrie.
Wie kann eine Wechselwirkung eine Seite zu Lasten der anderen be­
vorzugen ? Die Antwort liefert der intrinsische Spin der Fermionen. Ge­
nau wie das Gewinde einer Schraube so beschaffen ist, dass man sie im
Uhrzeigersinn hineindreht, nicht gegen den Uhrzeigersinn, können Teil­
chen ebenfalls eine Händigkeit haben, die die Richtung ihres Spins an­
gibt ( siehe Abbildung 4 8 ) . Viele Teilchen, beispielsweise das Elektron
und das Proton, können einen Spin in einer der beiden Richtungen auf­
weisen : entweder nach links oder nach rechts. Der Begriff Chiralität -

vom griechischen cheir, >> Hand << , abgeleitet - bezieht sich auf die zwei
möglichen Richtungen des Spins . Teilchen können links- oder rechtshän­
dig sein, genau wie die Finger Ihrer Hände sich in einem Fall nach links
und in dem anderen nach rechts krümmen.
Die schwache Wechselwirkung verletzt insofern die Paritätssymme­
trie, als sie auf linkshändige und rechtshändige Teilchen unterschiedlich

A b bildung 4 8 : Quarks und Leptonen k önnen entweder rechts- oder links­


händig sein.

196
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K


-�
Abbildung 4 9 : Die Wechselwirk ung mit einem w--Eichboson verwandelt
ein Neutron in ein Proton (und ein im Neutron enthaltenes Down-Quark in
ein Up-Quark, das im Proton enthalten ist).

einwirkt. Wie sich herausgestellt hat, sind nur linkshändige Teilchen für
die schwache Kraft empfindlich. Zum Beispiel nimmt ein linkshändiges
Elektron die schwache Wechselwirkung wahr, wohingegen ein nach
rechts drehendes dies nicht tut. Experimente belegen dies eindeutig - so
funktioniert die Welt nun einmal -, aber es gibt keine einleuchtende me­
chanische Erklärung, warum das so ist.
Stellen Sie sich eine Kraft vor, die nur auf Ihre linke Hand einwirken
kann, aber nicht auf Ihre rechte ! Ich kann dazu nur sagen, dass diese Pa­
ritätsverletzung eine verblüffende, aber gut belegte Eigenschaft der
schwachen Wechselwirkung ist; sie zählt zu den faszinierendsten Aspek­
ten des Standardmodells. Beispielsweise sind sämtliche Elektronen, die
aus einem Neutronenzerfall hervorgehen, immer linkshändig. Schwache
Wechselwirkungen verletzen die Paritätssymmetrie, also muss ich bei der
vollständigen Liste der Elementarteilchen und der auf sie einwirkenden
Kräfte in Abbildung 52 (siehe S. 200) die l inks- und rechtshändigen Teil­
chen gesondert anführen.
So seltsam die Paritätsverletzung auch sein mag, sie ist nicht die ein­
zige neuartige Eigenschaft der schwachen Wechselwirkung. Ein zweites,
genauso wichtiges Merkmal ist, dass die schwache Kraft tatsächlich Teil­
chen von einem Typ in solche von einem anderen umwandeln kann (wo­
bei dennoch die Gesamtmenge der elektromagnetischen Ladung erhalten
bleibt). Wenn etwa ein Neutron mit einem schwachen Eichboson wech­
selwirkt, kann daraus ein Proton hervorgehen ( siehe Abbildung 49). Das
ist etwas ganz anderes als die Wechselwirkung eines Photons, bei der sich
unabhängig vom Teilchentyp die Nettoanzahl der geladenen Teilchen
(also die der Teilchen minus der Antiteilchen) niemals ändern würde,
beispielsweise die Anzahl der Elektronen minus der Anzahl der Positro­
nen. (Zum Vergleich zeigt Abbildung 50 ein Photon, das mit einem ein­
und austretenden Elektron wechselwirkt, ergänzt um eine schematische
Darstellung von der Art, die wir schon weiter oben benutzt haben. ) Die
Wechselwirkung eines geladenen schwachen Eichbosons mit dem Neu-

197
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

\_ Photon

Elektron Elektron
.' .,
• -

A b bildung 5 0 : Das Feynman-Diagramm rechts stellt eine Wechselwirkung


eines Photons mit einem Elek tron dar. Die Wellenlinie repräsentiert das Pho­
ton. Es interagiert mit dem Elek tron, das in den Vertex eintritt und ihn wie­
der verlässt, wie im Schema links dargestellt.

tron und dem Proton erlaubt es einem isolierten Neutron, zu zerfallen


und sich in ein völlig anderes Teilchen zu verwandeln.
Weil j edoch das Neutron und das Proton unterschiedliche Massen und
unterschiedliche Ladungen haben, muss das Neutron zu einem Proton
und anderen Teilchen zerfallen, damit Ladung, Energie und Impuls er­
halten bleiben. Und tatsächlich produziert ein zerfallendes Neutron
nicht nur ein Proton, sondern auch ein Elektron und ein Teilchen namens
Neu trino * . Dieser Prozess, der Betazerfall, ist in Abbildung 51 darge­
stellt.

n
-

vorher nachher

A b bildung 51 : Beim Betazerfall zerfällt ein Neutron aufgrund der schwachen


Wechselwirkung in ein Proton, ein Elek tron und ein A ntineutrino. Rechts ist
der Vorgang in Form eines Feynman-Diagramms dargestellt. Ein Neutron
verwandelt sich in ein Proton und ein virtuelles w--Eichboson, dass sich wie­
derum in ein Elek tron und ein Elektron-A ntineutrino verwandelt.

Als erstmals ein Betazerfall beobachtet wurde, wusste niemand etwas


vom Neutrino, das nur mittels der schwachen Kraft wechselwirkt, nicht
mittels der elektromagnetischen. Teilchendetektoren registrieren nur ge-

* Dabei handelt es sich eigentlich um ein Antineutrino, aber das spielt im Augenblick
keine Rolle.

198
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K

ladene Teilchen oder solche, die Energie abgeben. Weil ein Neutrino
keine elektrische Ladung hat und nicht zerfällt, konnte es mit Detekto­
ren nicht entdeckt werden, und niemand wusste von seiner Existenz.
Ohne Neutrino aber schien beim Betazerfall Energie verloren zu ge­
hen. Die Energieerhaltung ist ein fundamentales Prinzip der Physik und
besagt, dass Energie weder erschaffen noch vernichtet werden kann ; sie
kann nur von einem Ort zu einem anderen transportiert werden. Die An­
nahme, dass der Betazerfall dem Energieerhaltungsgrundsatz zuwider­
lief, war ungeheuerlich, aber dennoch waren viele angesehene Physiker,
die nichts von der Existenz des Neutrinos wussten, bereit, dieser radika­
len (und irrigen) Ansicht zu folgen.
1930 ebnete Wolfgang Pauli der wissenschaftlichen Erlösung der
Zweifler den Weg, indem er einen » verzweifelten Ausweg << * , wie er es
nannte, vorschlug : ein neues, elektrisch neutrales Teilchen . Er hatte die
Idee, dass das Neutrino beim Neutronenzerfall ein bisschen Energie ver­
schwinden lässt. Drei Jahre später verschaffte Enrico Fermi dem » klei­
nen neutralen << Teilchen, das er >> Neutrino << taufte, eine feste theoreti­
sche Grundlage. Dennoch schien das Neutrino zu seiner Zeit eine so
wacklige Hypothese zu sein, dass das führende Wissenschaftsjournal
Nature Fermis Aufsatz mit der Begründung ablehnte : >> Er enthält Speku­
lationen, die zu weit hergeholt sind, um für den Leser von Interesse zu
sein. <<
Sowohl Paulis als auch Fermis Überlegungen erwiesen sich jedoch als
richtig, und heute sind sich Physiker überall auf der Welt einig, dass es
Neutrinos gibt. * * De facto wissen wir, dass Neutrinos ständig durch uns
hindurchströmen, denn sie werden neben den Photonen bei den nuklea­
ren Prozessen in der Sonne freigesetzt. Billionen von solaren Neutrinos
gehen jede Sekunde durch Sie hindurch, aber sie wechselwirken nur so
schwach, dass Sie das niemals bemerken. Die einzigen Neutrinos, die wir
mit Sicherheit kennen, sind linkshändig ; rechtshändige Neutrinos gibt es
entweder nicht, oder sie sind sehr schwer - zu schwer, um erzeugt zu
werden -, oder sie wechselwirken nur sehr schwach. Wie auch immer,
rechtshändige Neutrinos sind noch nie in Teilchenbeschleunigern er­
zeugt worden, und wir haben sie noch niemals gesehen. Weil wir uns hin-

* So in einem Brief aus dem Jahr 1930 an die Teilnehmer einer wichtigen Wissenschaft­
lerkonferenz, die Pauli verpasste, weil er einen Ball besuchte (W. Pauli, Wissenschaft­
licher Briefwechsel, Bd. 2, S. 3 9 ) .
* * Neutrinos wurden schließlich von Clyde Cowan und Fred Reines im Jahr 1 956 in
einem Kernreaktor entdeckt, womit restliche Zweifel ausgeräumt waren.

199
VERBORGENE UNIVERSEN

Quarks: unterliegen der starken Wechselwirkung Leptonen

E l e ktron
-
UpL DownL Up R DownR NeutrinoL ElektronL Elektron R
erste
Generation
3 MeV t M eV J M eV 7 MeV 0 Mev (J I M eV

zweite Cllarm1. Stra�t C hSJ:mR S trangeil ·


-
MN:rllndL Myon L Myon A
Generation

dritte
Generation

� �
linkshändige Quarks: linkshändige Leptonen:
unterliegen der schwachen unterliegen der schwachen
Wechselwirkung Wechselwirkung

A b bildung 52 : Die drei Generationen des Standardmodells. Links- und


rechtshändige Quarks und Leptonen sind separat angeführt. Jede Spalte ent­
hält Teilchen mit derselben Ladung (aber verschiedenen Flavors des Teilchen­
typs) . Die schwache Wechselwirkung kann die Elemente der ersten Spalte in
die Elemente der zweiten umwandeln und die Elemente der fünften Spalte in
diejenigen der sechsten. Die Quarks unterliegen der starken Wechselwir­
kung, die Leptonen hingegen nicht.

sichtlich linkshändiger Neutrinos viel sicherer sind, berücksichtige ich


nur die linkshändigen in Abbildung 52, wo ich links- und rechtshändige
Teilchen separat aufliste.
Wir wissen also, dass die schwache Wechselwirkung nur auf links­
händige Teilchen einwirkt und dass sie den Teilchentyp verändern kann.
Um aber die schwache Kraft wirklich zu verstehen, brauchen wir eine
Theorie, welche die Wechselwirkungen der schwachen Eichbosonen
vorhersagt, die die Kraft vermitteln. Zunächst stellten die Physiker fest,
dass die Ausarbeitung einer solchen Theorie keine leichte Aufgabe war.
Sie mussten erst größere theoretische Fortschritte machen, ehe sie die
schwache Wechselwirkung und ihre Konsequenzen wirklich verstehen
konnten.
Das Problem war das letzte bizarre Merkmal der schwachen Wechsel­
wirkung : Sie fällt auf einem sehr kurzen Abstand, einem zehntausend
Billionstel Zentimeter ( l0 -16 cm), stark ab. Das unterscheidet sie deutlich
von der Gravitation und dem Elektromagnetismus, deren Stärke, wie wir
in Kapitel 2 erfahren haben, j eweils umgekehrt proportional zur Entfer­
nung abnimmt. Auch wenn Gravitation und Elektromagnetismus mit
zunehmendem Abstand schwächer werden, lassen sie doch nicht annä­
hernd so schnell nach wie die schwache Wechselwirkung. Das Photon

200
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K

übermittelt die elektromagnetische Kraft über große Distanzen. Warum


verhält es sich mit der schwachen Wechselwirkung so anders ?
Klar war, dass die Physiker einen neuen Typ von Interaktion finden
mussten, der für nukleare Prozesse wie den Betazerfall verantwortlich
war, aber es war keineswegs klar, worum es sich dabei handeln konnte.
Ehe Glashow, Weinberg und Salam ihre Theorie der schwachen Wech­
selwirkung ausarbeiteten, versuchte es Fermi mit einer Theorie, die neue
Typen von Wechselwirkungen berücksichtigte, an denen vier Teilchen
beteiligt waren, etwa das Proton, das Neutron, das Elektron und das
Neutrino. Diese Fermi-Wechselwirkung führte direkt zu einem Betazer­
fall, ohne dass dazu ein intermediäres schwaches Eichboson nötig war.
Anders ausgedrückt : Diese Wechselwirkung ließ es zu, dass ein Proton
sich direkt in seine Zerfallsprodukte verwandelte - das Neutron, das
Elektron und das Neutrino.
Jedoch war sogar schon damals klar, dass Fermis Theorie nicht bei al­
len Energien richtig sein konnte. Auch wenn ihre Vorhersagen für nied­
rige Energien stimmten, waren sie für hohe Energien, bei denen die
Wechselwirkungen zwischen Teilchen viel zu stark werden, offensicht­
lich völlig falsch . Denn würde man fälschlicherweise annehmen, dass
man Fermis Theorie auch auf Teilchen von sehr hoher Energie anwenden
könnte, würde man unsinnige Vorhersagen bekommen - beispielsweise
Teilchen, die mit einer Wahrscheinlichkeit größer als eins wechselwirken
müssten. Das ist unmöglich, denn nichts kann öfter als immer passieren.
Die auf der Fermi-Wechselwirkung basierende Theorie war zwar eine
gute effektive Theorie zur Erklärung der Interaktionen bei niedrigen
Energien und genügend voneinander entfernten Teilchen, aber die Phy­
siker erkannten, dass sie eine grundsätzlichere Erklärung der Prozesse
wie des Betazerfalls brauchten, wenn sie wissen wollten, was bei hohen
Energien passiert. Eine auf den von schwachen Eichbosonen vermittel­
ten Kräften basierende Theorie schien bei hohen Energien viel besser zu
funktionieren - aber niemand wusste, wie man die kurze Reichweite der
schwachen Wechselwirkung erklären sollte.
Diese kurze Reichweite erwies sich als Folge der Masse schwacher
Eichbosonen, die nicht gleich null ist. In der Teilchenphysik haben die
Beziehungen, die Gegenstand der Unschärferelation und der speziellen
Relativitätstheorie sind, spürbare Konsequenzen. Am Ende von Kapitel
6 besprach ich die kürzesten Entfernungen, bei denen ein Teilchen einer
bestimmten Energie - beispielsweise der schwachen Energieskala oder
der Planck-Energie - noch von einer Kraft beeinflusst werden kann. We-

201
VERBORGENE UNIVERSEN

gen der Beziehung, die die spezielle Relativitätstheorie zwischen Energie


und Masse herstellt (E mc2), verkörpern massive Partikel wie etwa die
=

schwachen Eichbosonen automatisch ähnliche Beziehungen zwischen


Masse und Entfernung.
Vor allem nimmt die durch den Austausch eines Teilchens mit gegebe­
ner Masse vermittelte Wechselwirkung über eine größere Entfernung ab,
wenn die Masse kleiner ist. (Diese Entfernung ist der Planck-Konstanten
proportional und der Lichtgeschwindigkeit umgekehrt proportional. * )
Die i n Kapitel 6 erläuterte Beziehung zwischen Masse und Entfernung
sagt uns, dass das schwache Eichboson, dessen Masse rund 100 Ge V be­
trägt, automatisch die schwache Kraft nur auf Teilchen überträgt, die in­
nerhalb eines zehntausendste! Millionstel Billionstel eines Zentimeters
erreichbar sind. Jenseits dieser Entfernung wird die von dem Teilchen
vermittelte Wechselwirkung extrem klein - zu klein, um irgendetwas be­
wirken zu können, das wir j emals entdecken könnten.
Dass die Masse des schwachen Eichbosons nicht gleich null ist, ist für
den Erfolg der Theorie von der schwachen Wechselwirkung von ent­
scheidender Bedeutung. Die Masse ist der Grund, warum die schwache
Kraft nur über sehr kurze Entfernungen wirkt und so schwach ist, dass
sie bei größeren Entfernungen so gut wie nicht existent ist. In dieser Hin­
sicht unterscheiden sich schwache Eichbosonen vom Photon und vom
Graviton, die beide masselos sind. Weil das Photon und das Graviton -
das Teilchen, das die Schwerkraft vermittelt - Energie und Impuls besit­
zen, a ber keine Masse haben, können sie Kräfte über große Entfernun­
gen vermitteln.
Die Vorstellung masseloser Teilchen mag seltsam wirken, aber aus
Sicht der Teilchenphysik ist das nichts Bemerkenswertes. Die Masselo­
sigkeit der Teilchen sagt uns, dass sie sich mit Lichtgeschwindigkeit be­
wegen ( schließlich besteht das Licht selbst aus masselosen Photonen )
und dass Energie und Impuls immer einer bestimmten Beziehung unter­
liegen : Die Energie ist dem Impuls proportional.
Die Träger der schwachen Kraft hingegen haben Masse. Und aus Sicht
der Teilchenphysik ist ein massives Eichboson - kein masseloses - eine

* Dass Quantenmechanik und spezielle Relativitätstheorie für diese Beziehung rele­


vant sind, zeigt sich unter anderem daran, dass die Planck-Konstante uns sagt, dass die
Quantenmechanik daran beteiligt ist, und die Lichtgeschwindigkeit, dass dies auf die
spezielle Relativitätstheorie ebenfalls zutrifft. Die Entfernung wäre null, wenn die
Planck-Konstante null wäre ( und die klassische Physik gälte) oder wenn die Lichtge­
schwindigkeit unendlich wäre.

202
D A S S T A N D A R D M O DE L L D E R T E I L C H E N P HY S I K

Kuriosität. D i e entscheidende Entwicklung, d i e der Theorie der schwa­


chen Wechselwirkung den Weg bereitete, war die Erkenntnis, wo die
Masse schwacher Eichbosonen herkommt, die die Abhängigkeit von der
Entfernung bei der schwachen Kraft so sehr von der beim Elektromag­
netismus unterscheidet. Der Mechanismus, der den schwachen Eichbo­
sonen Masse gibt, ist als Higgs-Mechanismus bekannt und Thema von
Kapitel 10. Wie wir in Kapitel 12 erfahren werden, ist die dem zugrunde
liegende Theorie - das heißt, das präzise Modell, das Teilchen ihre Masse
gibt - eines der größten Rätsel, mit dem die heutige Teilchenphysik kon­
frontiert ist. Zusätzliche D imensionen sind unter anderem deshalb so at­
traktiv, weil sie helfen könnten, dieses Problem zu lösen.

Die Quarks und die starke Wechselwirkung

Ein befreundeter Physiker erklärte einmal einer meiner Schwestern, er


arbeite an » der starken Kraft, die man die starke Kraft nennt, weil sie so
stark ist<< . Sie fand das zwar nicht sonderlich erhellend, aber die starke
Kraft oder Wechselwirkung trägt ihren Namen zu Recht. Sie ist extrem
leistungsfähig. Sie bindet die Bestandteile des Protons so stark aneinan­
der, dass sie sich normalerweise niemals trennen können. Die starke
Kraft ist für die späteren Teile dieses Buches nur am Rande von Interesse,
aber der Vollständigkeit halber will ich hier ein paar grundsätzliche
Dinge dazu sagen.
D ie starke Wechselwirkung, die von einer Theorie namens Q uan ten ­
ehromadynamik (Q CD) beschrieben wird, ist die letzte Kraft des Stan­
dardmodells, die wir mit einem Austausch von Eichbosonen erklären
können. Auch sie wurde erst im letzten Jahrhundert entdeckt. Die star­
ken Eichbosonen sind auch als Gluonen bekannt, weil sie diejenige Kraft
vermitteln - den glue, englisch für » Kleber << -, die die stark wechselwir­
kenden Teilchen aneinander bindet.
In den fünfziger und sechziger Jahren entdeckten die Physiker in ra­
scher Folge viele neue Teilchen. Als Namen gaben sie ihnen verschiedene
griechische Buchstaben wie etwa :n: (ausgesprochen >> Pion << ) , das T] ( aus­
gesprochen >> Eta << ) und das Ö (ausgesprochen >> Delta << ) . Zusammen
nennt man diese Teilchen auch Hadronen, nach dem griechischen Wort
hadros, das >> fett, schwer<< bedeutet.
In der Tat sind Hadronen allesamt viel massiver als das Elektron. Der
Masse nach sind sie am ehesten mit dem Proton zu vergleichen, das das

203
VERBORGENE U N I VERSEN

Zweitausendfache der Elektronenmasse hat. Die enorme Vielfalt der


Hadronen war ein Rätsel, bis der Physiker Murray Gell-Mann * in den
sechziger Jahren vorschlug, dass die vielen Hadronen nicht fundamen­
tale Teilchen sind, sondern sich vielmehr wiederum aus noch kleineren
Teilchen zusammensetzen, die er Quarks taufte.
Gell-Mann entlieh das Wort >> Quark << einer gereimten Passage in
James Joyce' Finnegans Wak e :

Drei Quarks für Muster Mark !


Natürlich ist er im Kläffen nicht stark
Und was immer er hat, ist hier natürlich nicht gefragt. * *

Soweit ich sagen kann, hat das ziemlich wenig mit der Physik der Quarks
zu tun, bis auf zwei Punkte : Es waren drei, und sie waren schwer zu be­
greifen.
Gell-Mann schlug vor, dass es drei Arten von Quarks gibt * * * - sie
heißen mittlerweile Up, Down und Strange und dass die zahlreichen
-

Hadronen den vielen möglichen Kombinationen von aneinander gebun­


denen Quarks entsprechen. Wenn seine Vermutung zutraf, würden Ha­
dronen sich fein säuberlich in vorhersagbare Muster sortieren. Wie es oft
bei neuen physikalischen Hypothesen der Fall ist, glaubte Gell-Mann
nicht wirklich an die Existenz von Quarks, als er sie erstmals vorschlug.
Ohnehin war seine Hypothese sehr gewagt, da nur einige der vorherge­
sagten Hadronen bislang entdeckt worden waren. Es war daher für ihn
ein wichtiger Sieg, als die fehlenden Hadronen gefunden wurden und die
Quark-Hypothese bestätigt war, womit für Gell-Mann der Weg zum
Nobelpreis für Physik 1969 geebnet war.
Auch wenn Physiker zustimmten, dass Hadronen aus Quarks beste­
hen, vergingen nach Gell-Manns Vorschlag noch neun Jahre, bis die Ha­
dronphysik in Form der starken Wechselwirkung erklärt wurde. Parado­
xerweise war die starke Kraft die letzte, die die Physiker verstanden, was
zum Teil gerade an ihrer enormen Stärke lag. Wir wissen heute, dass die
starke Wechselwirkung so groß ist, dass die fundamentalen Teilchen wie
beispielsweise die Quarks, die der starken Wechselwirkung unterliegen,

* Und George Zweig, allerdings wurde seine Arbeit nie veröffentlicht.


* * Übersetzt von Friedhelm Rathjen, in : ]. Joyce : Finnegans Wake Deutsch. Gesam­
melte Annäherungen. Hg. v. Klaus Reichert und Fritz Senn ( Frankfurt am Main : Suhr­
kamp 1 9 8 9 ) .
* * * Wir kennen heute sechs.

204
D A S STAN D A R D M O DE L L D E R T E I L C H E N PHYS I K

stets aneinander gebunden und schwierig zu isolieren und damit schwie­


rig zu erforschen sind. Teilchen, die der starken Wechselwirkung unter­
liegen, genießen nicht die Freiheit, sich ohne Anstandsdame herumtrei­
ben zu können.
Von j eder Quarkart gibt es drei Typen. Spielerisch etikettieren die Phy­
siker diese verschiedenen Typen mit Farbnamen und nennen sie manch­
mal rot, grün und blau. Und diese farbigen Quarks kommen immer zu­
sammen mit anderen Quarks und Antiquarks vor, die zu farbneutralen
Kombinationen gebunden sind. In diesen Kombinationen heben sich die
» Ladungen << der Quarks und Antiquarks mit der starken Kraft gegensei­
tig auf, ähnlich wie Farben sich zu weißem Licht neutralisieren. * Es gibt
zwei Typen von farbneutralen Kombinationen. Stabile hadronische
Konfigurationen enthalten entweder ein Quark und ein Antiquark, die
sich zusammengetan haben, oder drei Quarks (und keine Antiquarks ),
die sich aneinander binden. Beispielsweise bildet ein Quark-Antiquark­
raar Teilchen namens Pionen, und drei aneinander gebundene Quarks
ergeben das Proton und das Neutron.
Die » Ladung<< der starken Kraft hebt sich bei den Quarks in den Ha­
dronen ganz ähnlich auf, wie das positiv geladene Proton und das nega­
tiv geladene Elektron sich in einem Atom aufheben. Aber während man
ein Atom leicht ionisieren kann, ist es sehr schwierig, O bj ekte wie das
Proton oder das Neutron zu zerlegen, die von den Gluonen der starken
Wechselwirkung außerordentlich fest gebunden sind. Eigentlich müsste
man Gluonen richtigerweise als >> Supergluonen << bezeichnen, weil ihre
Bindungen so schwer aufzubrechen sind.
Wir sind j etzt fast so weit, dass wir zu der Entdeckung von Quarks
zurückkehren können, die Athenas revidierte Märchenvariante meta­
phorisch beschrieb. Das Proton und das Neutron bestehen j eweils aus
Kombinationen von drei Quarks, deren mit der starken Wechselwirkung
zusammenhängende Ladungen sich aufheben. Das Proton enthält zwei
Up-Quarks und ein Down-Quark - unterschiedliche Quarktypen mit
unterschiedlicher elektrischer Ladung. Weil das Up-Quark die elektri­
sche Ladung + :J und das Down-Quark die Ladung - �J hat, weist das Pro-
ton eine elektrische Ladung von + 1 auf. Ein Neutron hingegen enthält
ein Up- und zwei Down-Quarks, also ist seine elektrische Ladung null
(die Summe von - �J - �l und + :J ) .

* Daher rührt der Begriff » Quantenchromodynamik " . Chromos ist das griechische
Wort für >> Farbe « .

205
VERBORGENE U N I VERSEN

Quarks kann man sich wie harte, punktförmige Obj ekte in einem
großen, breiigen Proton vorstellen. Quarks sind einem Proton oder
Neutron eingebettet wie die Erbse unter dem Stapel Matratzen. Und
wie unsere herumtobende Prinzessin, die schließlich die Erbse zu spü­
ren bekam, kann ein experimentierender Wissenschaftler ein hochener­
getisches Elektron hineinschießen, das ein Photon emittiert, welches di­
rekt von dem Quark abprallt. Das sieht ganz anders aus als ein Photon,
das von einem großen, weichen Obj ekt abprallt, genau wie Ruther­
fords Alphateilchen, das von einem harten Kern abprallte, ganz anders
aussah als eines, das von einer diffuseren positiven Ladung abgelenkt
wurde.
Das Friedman-Kendall-Taylor-Experiment der so genannten tief un­
elastischen Streuung, durchgeführt am Stanford Linear Accelerator Cen­
ter ( SLAC ) , bewies die Existenz von Quarks, indem dabei genau dieser
Effekt registriert wurde. Das Experiment zeigte, wie sich Elektronen ver­
halten, wenn sie von Protonen gestreut werden, wodurch es die ersten
experimentellen Nachweise lieferte, dass es Quarks wirklich gibt. Für
diese Entdeckung bekamen Jerry Friedman und Henry Kendall (einst
meine Kollegen am MIT) und Richard Taylor 1990 den Nobelpreis für
Physik.
Wenn bei hochenergetischen Kollisionen Quarks erzeugt werden, sind
sie noch nicht zu Hadronen gebunden, aber das heißt nicht, dass sie iso­
liert wären - sie haben immer ein Gefolge von anderen Quarks und
Gluonen, die sie begleiten und unter der starken Wechselwirkung die
neutrale Nettokombination ergeben. Quarks treten nie als freie Objekte
ohne Begleitung auf, sondern werden immer von vielen anderen, stark
wechselwirkenden Teilchen eskortiert. Bei einem Teilchenexperiment
wird nicht ein einziges, isoliertes Quark registriert, sondern eine Gruppe
von Quarks und Gluonen, die sich mehr oder weniger in dieselbe Rich­
tung bewegen.
Zusammenfassend bezeichnet man die aus im Gleichschritt in eine be­
stimmte Richtung marschierenden Quarks und Gluonen bestehenden
Teilchengruppen als ]ets. Wenn sich erst einmal ein energiereicher Jet ge­
bildet hat, gleicht er ungefähr einem Seil, das nie ganz verschwindet :
Schneidet man ein Seil entzwei, erzeugt man nur zwei neue Seilstücke.
Ähnlich bilden, wenn Wechselwirkungen die Jets separieren, die Teile
nur neue Jets : Niemals teilen sie sich in einzelne, isolierte Quarks und
Gluonen. Stephen Sondheim dachte vermutlich nicht an hochenergeti­
sche Teilchenbeschleuniger, als er den Text für den ,,Jet-Song<< aus der

206
D A S S T A N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H YS I K

West Side Story niederschrieb, aber seine Worte passen wunderbar auf
die Jets stark wechselwirkender Teilchen. Energiereiche, stark wechsel­
wirkende Teilchen bleiben zusammen. Sie sind >> nie allein . . . nie unge­
bunden . . . gut geschützt<< ,

Die bislang bekannten fundamentalen Teilchen

In diesem Kapitel wurden drei der vier bekannten Kräfte beschrieben :


Elektromagnetismus, die schwache und die starke Wechselwirkung. Die
Gravitation, die verbleibende Kraft, ist so schwach, dass sie an den Vor­
hersagen der Teilchenphysik nichts experimentell Beobachtbares ändern
würde.
Aber wir haben noch nicht alle Teilchen des Standardmodells vorge­
stellt. Man identifiziert sie mittels ihrer Ladungen und auch mittels ihrer
Händigkeit. Wie weiter oben beschrieben, können links- und rechtshän­
dige Teilchen verschiedene schwache Ladungen ha ben ( und haben sie
auch ) .
D i e Teilchenphysik ordnet diese Teilchen d e n Kategorien Quarks oder
Leptonen zu. Quarks sind fundamentale fermianisehe Teilchen, die der
starken Wechselwirkung unterliegen. Leptonen sind fermianisehe Teil­
chen, bei denen das nicht der Fall ist. Elektronen und Neutrinos sind Bei­
spiele für Leptonen. Der Begriff ,, Lepton << leitet sich aus dem grie­
chischen leptos ab, das >> klei n << oder ,, fein << bedeutet und sich auf die
winzige Masse des Elektrons bezieht.
Bizarr ist dabei, dass es neben den Teilchen, die für die Atomstruktur
ausschlaggebend sind - beispielsweise das Elektron und das Up- und das
Down-Quark -, weitere Teilchen gibt, die zwar schwerer sind, aber die­
selben Ladu ngen haben wie die bereits vorgestellten. Von allen leichten
stabilen Quarks und Leptonen existieren schwerere Replikate. Niemand
weiß, warum es sie gibt oder zu was sie gut sind.
Als den Physikern klar wurde, dass das Myon - das erstmals in der
kosmischen Strahlung entdeckt wurde - nichts anderes war als eine
schwerere Version des Elektrons ( zweihundertmal schwerer), fragte der
Physiker 1 . 1 . Rabi : » Wer hat das bestellt ? << Das Myon ist zwar wie das
Elektron negativ geladen, a ber schwerer als das Elektron, zu dem es zer­
fallen kann. Das heißt, ein Myon ist instabil ( siehe Abbildung 5 3 ) und
verwandelt sich schnell in ein Elektron und zwei Neutrinos. Soweit wir
wissen, erfüllt es für die Materie hier auf der Erde keinen Zweck. Warum

207
VERBORGENE UN IVERSEN

Abbildung 53 : Beim Myon-Zerfall verwandelt sich das Myon in ein Myon­


Neutrino und ein virtuelles w--Eichboson, das sich dann in ein Elektron und
ein Elektron-Antineutrino aufspaltet.

existiert es ? Das ist eines der vielen Rätsel des Standardmodells, die der
wissenschaftliche Fortschritt hoffentlich lösen wird.
De facto gibt es drei Kopien des gesamten Teilchenspektrums mit der­
selben Standardmodell-Ladung (siehe Abbildung 5 2 ) . Jede dieser Kopien
wird als eine Generation oder manchmal als eine Familie bezeichnet. Die
erste Teilchengeneration umfasst ein links- und ein rechtshändiges Elek­
tron, ein links- und ein rechtshändiges Up-Quark, ein links- und ein
rechtshändiges Down-Quark und ein linkshändiges Neutrino. Die erste
Generation umfasst all die stabilen Sachen, aus denen Atome und damit
alle stabile Materie zusammengesetzt sind.
Die zweite und die dritte Generation bestehen aus Teilchen, die zerfal­
len und in » normaler << bekannter Materie nicht vorhanden sind. Sie stel­
len keine genauen Kopien der ersten Generation dar; ihre Ladungen sind
mit denen ihrer Gegenstücke aus der ersten Generation identisch, aber
sie sind schwerer. Man entdeckte sie erst, als sie mit hochenergetischen
Teilchenbeschleunigern erzeugt wurden, und ihr Daseinszweck bleibt
rätselhaft. Die zweite Generation besteht aus einem links- und einem
rechtshändigen Myon, einem links- und einem rechtshändigen Charm­
Quark und einem links- und einem rechtshändigen Strange-Quark sowie
einem sta bilen linkshändigen Myon-Neutrino * . Die dritte Generation
umfasst ein links- und ein rechtshändiges Tau, ein links- und ein rechts­
händiges Top-Quark, ein links- und ein rechtshändiges Bottom-Quark
und ein linkshändiges Tau-Neutrino. Die identischen Kopien eines be­
stimmten Teilchens mit derselben Ladungszuweisung, die den verschie­
denen Generationen angehören, nennt man oft auch Flavors des j eweili­
gen Typs.

* Die Neutrinos werden nach den geladenen Leptonen benannt, mit denen sie direkt
per schwacher Kraft wechselwirken.

208
D A S STAN D A R D M O DE L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K

O bwohl man bei Quarks nur von drei Flavors wusste, als Gell-Mann
sie erstmals vorschlug, kann man in Abbildung 52 sehen, dass wir heute
sechs kennen : drei >> Up-Type n << und drei >> Down-Typen << - in j eder Ge­
neration einen. Zusätzlich zum Up-Quark selbst gibt es zwei identisch
geladene Quarks vom Up-Typ : das Charm- und das Top-Quark. Ge­
nauso sind Down-, Strange- und Bottom-Quarks unterschiedliche Fla­
vors vom Down-Typ. Und die Myon- und Tau-Leptonen sind schwerere
Versionen des Elektrons.
Die Physiker versuchen noch immer zu verstehen, warum es diese drei
Generationen gibt und warum die Teilchen ihre j eweiligen Massen ha­
ben. Das sind die Hauptfragen an das Standardmodell, die die heute be­
triebene Forschung vorantreiben. Wie viele andere habe auch ich im
Lauf meiner Karriere an diesen Problemen gearbeitet, a ber wir suchen
noch immer nach den Antworten.
Die schwereren Flavors sind erheblich schwerer als die leichteren. Das
zweitschwerste Quark, das Bottom, wurde schon 1 977 gefunden, das
ganz schwere Top-Quark entzog sich aber bis 1 9 95 seiner Entdeckung.
Zwei Teilchenexperimente, zu denen das bemerkenswerte gehört, bei
dem das Top-Quark gefunden wurde, sind Thema des folgenden Kapitels.

Zur Erinnerung

• Das Standardmodell umfasst die nichtgravitativen Kräfte und die Teil­


chen, die diesen Kräften unterliegen. Zusätzlich zur bekannten Kraft
des Elektromagnetismus gibt es zwei weitere, die innerhalb des Atom­
kerns wirken : die starke Kraft oder Wechselwirkung und die schwache
Kraft oder Wechselwirkung.
• Die schwache Wechselwirkung ist das wichtigste verbliebene Rätsel
des Standardmodells. Während die beiden anderen Kräfte von masse­
losen Tei lchen vermittelt werden, haben die die schwache Wechselwir­
kung vermittelnden Eichbosonen Masse.

• Neben den Teilchen, die die Kräfte übertragen, umfasst das Standard­
modell solche, die j enen Kräften unterliegen. Diese Teilchen fallen in
zwei Kategorien : Quarks, die der starken Wechselwirkung unterlie­
gen, und Leptonen, bei denen das nicht der Fall ist.

• Die in Materie vorhandenen leichten Quarks und Leptonen (das Up­


Quark, das Down-Quark und das Elektron) sind nicht die einzigen be-

209
VERBORGENE UNIVERSEN

kannten Teilchen. Es gibt auch schwerere Quarks und Leptonen : vom


Up-Quark, vom Down-Quark und vom Elektron gibt es j eweils zwei
schwerere Versionen.

• Diese schweren Teilchen sind instabil, was heißt, dass sie zu leichteren
Quarks und Leptonen zerfallen. Aber bei Experimenten mit Teilchen­
beschleunigern wurden sie erzeugt, und dabei wurde festgestellt, dass
diese schwereren Teilchen denselben Wechselwirkungen unterliegen
wie die vertrauten leichten, stabilen Varianten.

• Jede Gruppe von Teilchen, die ein geladenes Lepton, ein Quark vom
Up-Typ und ein Quark vom Down-Typ enthält, bezeichnet man als
eine Generation . Es gibt drei Generationen, die zunehmend schwerere
Versionen eines j eden Teilchentyps umfassen. Diese Teilchenvarianten
nennt man auch Flavors. Es gibt drei Quark-Flavors vom Up-Typ, drei
Quark-Flavors vom Down-Typ, drei geladene Lepton-Flavors und
drei Neutrino-Flavors.

• Im weiteren Verlauf des Buches werde ich die Details oder die Namen
von irgendwelchen bestimmten Quarks oder Leptonen nicht mehr ver­
wenden. Jedoch müssen Sie über Flavors und Generationen Bescheid
wissen, weil sie den Eigenschaften von Teilchen starke Beschränkun­
gen auferlegen, was uns wichtige Hinweise und Einschränkungen hin­
sichtlich der Physik liefert, die j enseits des Standardmodells liegt.

• Die wichtigste dieser Einschränkungen besagt, dass unterschiedliche


Flavors von Quarks und Leptonen mit denselben Ladungen sich
kaum, wenn überhaupt, ineinander umwandeln. Theorien, in denen
Teilchen problemlos das Flavor wechseln, sind ausgeschlossen. Wir
werden später sehen, dass dies eine große Herausforderung für Mo­
delle der gebrochenen Supersymmetrie und andere vorgeschlagene Er­
weiterungen des Standardmodells darstellt.

210
8

Experimentelles Zwischenspiel:
Die Bestätigung des Standardmodells

O n e way or another
l'm gonna find you . . .
Auf die eine oder andere Weise
werde ich dich ßnden . . .
Blondie

Abermals träumte Ike vom Quantendetek tiv. Diesmal wusste der


Schnüffler, hinter was er her war - und hatte eine ziemlich genaue Vor­
stellung, wo es zu finden sein musste. Er brauchte nichts weiter zu tun als
zu warten : Wenn er sich nicht irrte, würde früher oder später seine Beute
auftauchen.

Schwere Teilchen zu finden ist nicht leicht. Aber genau das müssen wir
tun, wenn wir die dem Standardmodell zugrunde liegenden Strukturen
aufdecken und schließlich den physikalischen Aufbau des Universums
verstehen wollen . Was wir über Teilchenphysik wissen, resultiert größ­
tenteils aus Experimenten mit hochenergetischen Teilchenbeschleuni­
gern, bei denen zunächst ein Teilchenstrom stark beschleunigt und dann
auf andere Materie gelenkt wird.
In einer Teilchenbeschleuniger-Variante namens Collider * prallt der
beschleunigte Teilchenstrahl auf einen seinerseits beschleunigten Strahl
von Antiteilchen, sodass in der kleinen Region des Aufeinanderprallens
eine riesige Menge Energie freigesetzt wird. Diese Energie wird dann
manchmal in schwere Teilchen umgewandelt, die man in der Natur so
einfach nicht findet. Hochenergetische Teilchencollider sind der einzige

* Auch » Speicherring« genannt.

211
VERBORGENE UN IVERSEN

Ort, an dem die schwersten bekannten Teilchen seit der Zeit des Urknalls
vorkommen, als das viel heißere Universum sämtliche Teilchen im Über­
fluss enthielt. Collider können im Prinzip alle möglichen Paare von Teil­
chen und Antiteilchen erzeugen, wenn genügend Energie für das j ewei­
lige Paar bereitgestellt wird, und diese Energi e folgt aus Einsteins E mc2•
=

Das Ziel der Hochenergiephysik besteht aber nicht nur darin, neue
Teilchen zu finden. Experimente mit hochenergetischen Collidern wer­
den uns etwas über die fundamentalen Naturgesetze sagen, das sich auf
andere Weise nicht beobachten lässt - Gesetze, die in zu kleinen Abstän­
den gelten, um noch direkt sichtbar zu sein. Hochenergieexperimente
sind die einzige Möglichkeit, Wechselwirkungen zu erkunden, die es nur
bei extrem winzigen Längenskalen gibt.
Dieses Kapitel handelt von zwei Collider-Experimenten, die für die
Bestätigung der Vorhersagen des Standardmodells wichtig waren und
eingrenzten, welche physikalischen Theorien es j enseits davon geben
könnte. Diese Experimente sind an sich schon beeindruckend, aber sie
sollen Ihnen auch ein Gespür dafür vermitteln, vor welche Aufgaben die
Physiker gestellt werden, wenn sie in der Zukunft nach neuen Phänome­
nen wie beispielsweise zusätzlichen Dimensionen suchen werden.

Die Entdeckung des Top-Quark

Die Suche nach dem Top-Quark illustriert schön, wie schwierig es ist, in
einem Collider ein Teilchen zu finden, wenn dessen Energie kaum zur Er­
zeugung des Teilchens ausreicht, und mit welchem Einfallsreichtum die
Experimentatoren sich dieser Herausforderung stellen. O bwohl das
Top-Quark nicht Bestandteil irgendeines Atoms oder irgendwelcher be­
kannten Materie ist, wäre das Standardmodell ohne es inkonsistent, da­
her bauten die meisten Physiker seit den siebziger Jahren auf seine Exis­
tenz. Doch bis 1 995 wurde kein einziges Exemplar entdeckt.
Bis dahin hatten die Forscher j ahrelang vergeblich nach dem Top­
Quark gesucht. Das Bottom-Quark, das zweitschwerste Teilchen des
Standardmodells, das fünfmal mehr Masse als ein Proton hat, wurde
1977 entdeckt. Und zu j ener Zeit dachten Physiker, auch das Top-Quark
würde sich bald zeigen, und die Experimentatoren lieferten sich ein
Wettrennen um seine Entdeckung und den daraus resultierenden Ruhm ;
aber zur Überraschung aller schlug ein Experiment nach dem anderen
fehl. Man fand das Top-Quark nicht in Collidern mit dem Vierzigfachen

212
E X P E R I M E NT E L L E S Z W I S C H E N S P I E L

oder Sechzigfachen oder sogar Hundertfachen der Energie, d i e für die


Erzeugung eines Protons nötig ist. Offensichtlich war das Top-Quark im
Vergleich zu den anderen Quarks, die inzwischen alle entdeckt worden
waren, außerordentlich schwer. Als es sich schließlich nach 20 Jahren Su­
che zeigte, stellte sich heraus, dass seine Masse fast zweihundertmal so
groß ist wie die des Protons.
Weil das Top-Quark so schwer ist, sagen uns die Beziehungen der spe­
ziellen Relativitätstheorie, dass nur ein Collider mit extrem hoher Ener­
gie es erzeugen kann. Hohe Energie erfordert immer einen sehr großen
Teilchenbeschleuniger, der technisch schwierig zu konstruieren und
teuer zu bauen ist.
Der Collider, der schließlich das Top-Quark hervorbrachte, war das
Tevatron in Batavia, Illinois, knapp 50 Kilometer westlich von Chicago.
Der Collider am Fermilab war ursprünglich für viel zu niedrige Energien
ausgelegt, um ein Top-Quark zu erzeugen, aber Ingenieure und Physiker
hatten viele Veränderungen vorgenommen, die sein Potenzial enorm ver­
bessert hatten. 1995 erreichte dann das Tevatron - der Höhepunkt dieser
Verbesserungen - weit höhere Energie und produzierte viel mehr Kolli­
sionen, als die ursprüngliche Maschine j e geschafft hätte.
Das Tevatron, das noch immer in Betrieb ist, befindet sich am Fermi­
lab, einem Beschleuniger-Forschungszentrum, das 1 972 die Arbeit auf­
nahm und nach dem Physiker Enrico Fermi benannt ist. Als ich das Fer­
milab erstmals besuchte, amüsierte mich sehr, dass es da wilden Mais
gab, Gänse, und aus irgendeinem Grund auch Bisons. Abgesehen von
den Bisons ist die Gegend ziemlich flach und langweilig. Der Film Way­
ne 's World wurde in Aurora gedreht, das rund acht Kilometer südlich
des Fermilabs liegt, und wenn man diesen Streifen kennt, kann man sich
die Umgebung des Fermilabs gut vorstellen. Glücklicherweise ist die dort
betriebene Physik so aufregend, dass sie die Leute gut bei Laune hält.
Der Name Tevatron << geht darauf zurück, dass die Maschine sowohl
»

Protonen als auch Antiprotonen auf eine Energie von einem TeV be­
schleunigt, was 1000 Ge V entspricht, der höchsten bislang von einem Be­
schleuniger erreichten Leistung. Die energiegeladenen Strahlen von Pro­
tonen und Antiprotonen, die das Tevatron erzeugt, zirkulieren in einem
Ring und prallen alle 3,5 Mikrosekunden an zwei Kollisionspunkten
aufeinander.
Zwei separate Experimentatorenteams bauten Detektoren an den bei­
den Kollisionspunkten auf, wo die Teilchen- und Antiteilchenstrahlen
sich kreuzen und interessante physikalische Prozesse ablaufen können.

213
VERBORGENE U N I VERSEN

Das eine Experiment wurde >> CDF << getauft ( Collider Detector at Fermi­
lab ) , das andere >> D Ü << , nach der designation ( » Bestimmung << ) des Kolli­
sionspunkts zwischen Protonen und Antiprotonen, an dem der Detektor
aufgebaut war. Die beiden Experimentatorenteams suchten nach einer
Vielzahl neuer physikalischer Teilchen und Prozesse, aber zu Beginn der
neunziger Jahre war das Top-Quark ihr Heiliger Gral. Jedes Team wollte
es als erstes finden.
Viele schwere Teilchen sind instabil und zerfallen beinahe sofort wie­
der. Wenn das der Fall ist, suchen die Experimentatoren nicht nach dem
Teilchen selbst, sondern nach sichtbaren Anzeichen für seine Zerfalls­
produkte. Das Top-Quark beispielsweise zerfällt zu einem Bottom­
Quark und einem W (dem geladenen Eichboson, das die schwache
Wechselwirkung vermittelt), und auch das W zerfällt entweder zu Lep­
tonen oder zu Quarks. Also suchten die Experimentatoren statt nach
dem Top-Quark nach einem Bottom-Quark in Verbindung mit anderen
Quarks oder Leptonen.
Teilchen tragen j edoch keine Namensschilder, sodass die Detektoren
sie anhand ihrer unterschiedlichen Eigenschaften identifizieren müssen,
beispielsweise an ihrer elektrischen Ladung oder an den Wechselwirkun­
gen, an denen sie beteiligt sind, und man braucht unterschiedliche De­
tektorenkomponenten, um diese Eigenschaften registrieren zu können.
Die beiden CDF- und DO-Detektoren waren in mehrere Einheiten unter­
teilt, die j eweils unterschiedliche Charakteristika registrierten. Eine sol­
che Einheit war ein Tracker, der geladene Teilchen mittels der Elektronen
entdeckt, die ionisierte Atome hinter sich herziehen. Ein weiterer Be­
standteil namens Calorimeter misst die Energie, die passierende Teilchen
liefern. Die Detektoren verfügen noch über weitere Komponenten, die
Teilchen mit anderen spezifischen Merkmalen identifizieren können, bei­
spielsweise ein Bottom-Quark, das bis zu seinem Zerfall eine längere Le­
benszeit als die meisten anderen Teilchen hat.
Wenn solch ein Detektor ein Signal registriert, schickt er dieses durch
ein ausgedehntes Arrangement von Drähten und Verstärkern und zeich­
net die daraus resultierenden Daten auf. Nicht alles, was registriert wird,
ist j edoch wert, aufgezeichnet zu werden. Wenn ein Proton und ein An­
tiproton kollidieren, werden interessante Teilchen wie die Top- und die
Antitop-Quarks nur selten produziert. Viel öfter erzeugen Kollisionen
nur leichtere Quarks und Gluonen und noch viel öfter nichts von beson­
derem Interesse. Faktisch kamen auf j edes am Fermilab produzierte Top­
Quark zehn Billionen Kollisionen, bei denen kein Top-Quark auftauchte.

214
EXP E R I M ENTELLES Z W I S C H E N S P I E L

Kein Computersystem i s t leistungsfähig genug, um d a s eine interes­


sante Ereignis in solch einem Haufen nutzloser Daten zu finden. Aus
diesem Grund kommen bei den Experimenten Trigger zum Einsatz - Ge­
räte, bei denen Hardware- und Software-Komponenten wie Disco-Tür­
steher dafür sorgen, dass nur potenziell interessante Ereignisse aufge­
zeichnet werden. Die Trigger des CDF und des DO reduzierten die Anzahl
von Ereignissen, die die Experimentatoren durchsieben mussten, auf
rund eines von 100 000 - immer noch eine enorme Herausforderung,
aber viel eher zu bewältigen als eines von zehn Billionen.

A b bildung 54 : Das von DO aufgezeichnete Top-Quark-Ereignis, bei dem die


Zerfallsprodukte des Top-Quarks und des Top-Antiquarks registriert wur­
den, die simultan erzeugt worden waren. Die Linie oben rechts ist ein Myon,
das den äußeren Bereich des Detek tors erreicht. Die vier Rechtecken ähneln­
den B löcke sind vier Jets, die produziert wurden. Die Linie rechts ist die feh­
lende Energie des Neutrinos.

Sind die Informationen aufgezeichnet, versuchen Physiker sie zu inter­


pretieren und die Teilchen zu rekonstruieren, die bei den interessanten
Kollisionen entstanden. Weil es immer viele Kollisionen und viele Teil­
chen, aber nur eine begrenzte Anzahl von Informationen gibt, ist die

215
VERBORGENE U N I VERSEN

Rekonstruktion von Kollisionsergebnissen eine schwierige Aufgabe, die


den Einfallsreichtum der Leute arg strapaziert und wahrscheinlich in
den kommenden Jahren zu weiteren Fortschritten bei der Datenverar­
beitung führen wird . Bis 1 994 hatten mehrere CDF-Arbeitsgruppen Er­
eignisse beobachtet, die nach einem Top-Quark aussahen (siehe das
Beispiel in Abbildung 54 ) , aber sie waren sich nicht wirklich sicher. Ob­
wohl die CDF-Leute nicht mit Bestimmtheit sagen konnten, dass sie in
j enem Jahr das Top-Quark fanden, bestätigten sowohl das DO- als auch
das CDF-Team die Entdeckung im Jahr 1 995. Darien Wood, ein Freund
von mir am DO, beschrieb, wie intensiv es bei der abschließenden Sit­
zung des Veröffentlichungsausschusses zuging, bei der das DO-Team die
Datenanalyse und den Bericht mit ihren Ergebnissen abschloss. Das
Treffen zog sich durch die ganze Nacht bis zum nächsten Tag hin, wo­
bei die Teilnehmer gelegentlich auf den Tischen ein Nickerchen mach­
ten.
DO und CDF wurden gemeinsam als Entdecker des Top-Quarks aner­
kannt. Ein neues Teilchen war produziert worden, das noch niemals zu­
vor beobachtet worden war. Dieses neu entdeckte Teilchen fügte sich in
die Reihen der anderen, etablierten Teilchen des Standardmodells ein.
Mittlerweile sind so viele Top-Quarks registriert worden, dass wir nun
die Masse und die anderen Eigenschaften des Top-Quarks extrem genau
kennen. In Zukunft werden, denken wir, mit noch höheren Energien ar­
beitende Collider so viele Top-Quarks produzieren, dass die Gefahr be­
steht, dass diese Top-Quarks zu einem störenden Hintergrund werden,
der die Entdeckung weiterer Teilchen behindert.
So gut wie sicher ist, dass sich eine neue Art von Physik abzeichnen
wird . Wir werden bald sehen, warum unbeantwortete Fragen des Stan­
dardmodells uns verraten, dass neue Teilchen und physikalische Prozesse
auftauchen müssten, wenn Collider nur etwas höhere Energien erreichen
als im Moment. Experimente am Large Hadron Collider (LHC) werden
nach Anzeichen für Strukturen j enseits des Standardmodells suchen. Ha­
ben diese Experimente Erfolg, wird der Lohn großartig sein : ein besseres
Verständnis der aller Materie zugrunde liegenden Strukturen. Hohe
Energie, Kollisionen vieler Teilchen und kluge Einfälle werden alle dazu
beitragen, dass diese schwierige Aufgabe bewältigt wird.

216
EX P E R I M E N T E L L E S Z W I S C H E N S P I E L

Präzisionstests des Standardmodells

Begeben wir uns nun kurz aus den Ebenen von Illinois in die Schweizer
Berge, wo das CERN angesiedelt ist. (Die ursprünglich Conseil Europeen
pour Ia Recherche Nucleaire getaufte Organisation heißt mittlerweile
Organisation Europeenne pour Ia Recherche Nucleaire oder Europäi­
sche Organisation für Kernforschung, auch wenn alle noch die alte Ab­
kürzung benutzen und das CERN sagen. ) Bei vielen Experimenten wur­
den hier die Vorhersagen des Standardmodells überprüft, keine aber
waren so spektakulär wie die zwischen 1 9 8 9 und 2000 mit dem Large
Electron-Positron Collider ( LEP ) .
D e r O r t d e s CERN wurde wegen seiner zentralen Lage in Europa ge­
wählt. Der Haupteingang des CERN liegt so dicht an der französischen
Grenze, dass die Polizei- und Zollstation zwischen den beiden Ländern
fast direkt vor der Tür steht. Viele CERN-Mitarbeiter leben in Frank­
reich und pendeln zweimal täglich über die Grenze. Dabei lässt man sie
weitgehend in Ruhe - es sei denn, ihr Auto genügt nicht den helvetischen
Bestimmungen, dann lassen die Schweizer sie nicht hinein. Die einzige
weitere Gefahr stellt Geistesabwesenheit dar, wie ein Kollege bestätigen
kann. Die Grenzbeamten stoppten und überprüften einen Professor, der
an der Grenze nicht angehalten hatte, weil er vom Nachdenken über
Schwarze Löcher abgelenkt worden war.
Landschaftlich könnten die Unterschiede zwischen dem Fermilab und
dem CERN nicht größer sein. Das CERN liegt zwischen dem schönen
Jura und den Alpen ( siehe Abbildung 5 5 ) . Nach Chamonix ist es nicht
weit. Man fährt durch ein herrliches Tal hinauf in die Berge, wo die Glet­
scher praktisch bis an die Straße reichen ( wenn auch mit der globalen Er­
wärmung immer weniger), bis zum Fuß des Montblanc, des höchsten
Bergs Europas. Am CERN haben viele glückliche Physiker den Winter
über sonnengebräunte Gesichter, obwohl Genf ständig unter einer Wol­
kendecke liegt, weil sie ihre Freizeit in den nahen Bergen mit Skilaufen,
Snowhaarden oder Wandern verbringen.
Das CERN wurde in der Aufbruchstimmung internationaler wissen­
schaftlicher Zusammenarbeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegrün­
det. Westdeutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Ita­
lien, Norwegen, die Niederlande, das Vereinigte Königreich, Schweden,
die Schweiz und Jugoslawien ( 1 9 6 1 ausgetreten) waren die ursprünglichen
zwölf Mitgliedstaaten. Später schlossen sich Österreich, Spanien, Portu­
gal, Finnland, Polen, Ungarn, die Tschechische und die Slowakische Re-

217
VERBORGENE U N I VERSEN

A bbildung 55 : Die Lage des GERN vor dem A lpenpanorama. Der Kreis deu­
tet den Verlauf des Large Hadron Goflider an, in dem unterirdisch zwei Pro­
tonenstrahlen zirkulieren.

publik und Bulgarien an. CERN-Beobachterstatus genießen Indien, Israel,


Japan, die Russische Föderation, die Türkei und die Vereinigten Staaten.
Das CERN ist wahrhaftig eine internationale Unternehmung.
Wie dem Tevatron gebührt dem CERN Anerkennung für viele wissen­
schaftliche Leistungen. Carlo Rubbia und Sirnon van der Meer bekamen
1 9 8 4 den Nobelpreis für Physik, weil sie den ursprünglichen CERN-Col­
lider konstruiert und damit die schwachen Eichbosonen entdeckt hatten ;
ihre Erfolgsgeschichte zerstörte das amerikanische Monopol auf Teil­
chenentdeckungen. Ein GERN-Mitarbeiter, der Engländer Tim Berners­
Lee, dachte sich hier auch das World Wide Web samt HTML (hypertext

218
EXP E R I M ENTELLES Z W I S C H E N S P I E L

markup language) u n d HTTP (hypertext transfer protocol) a u s . Ur­


sprünglich hatte er das Web entwickelt, damit die vielen Forscher in den
weit verstreuten Ländern unmittelbar auf Informationen zugreifen und
Daten auf verschiedene Computer aufgeteilt werden konnten. Natürlich
gingen die vom Web ausgelösten Umwälzungen weit über das CERN
hinaus - manchmal ist es schwierig, die praktischen Anwendungsmög­
lichkeiten wissenschaftlicher Forschung vorherzusehen.
In ein paar Jahren wird das CERN im Brennpunkt aufregender physi­
kalischer Forschungen stehen . Denn dort wird der Large Hadron Colli­
der ( LHC) gebaut, der siebenmal mehr Energie erreichen wird als heute
das Tevatron, und die mit dem LHC möglichen Entdeckungen werden
fast unvermeidlicherweise etwas qualitativ Neuartiges sein. Bei den Ex­
perimenten mit dem LHC wird man nach der noch unbekannten Physik
j enseits des Standardmodells suchen - und sie höchstwahrscheinlich fin­
den -, und man wird damit Modelle wie die, die ich in diesem Buch vor­
stelle, bestätigen oder verwerfen. Zwar steht der LHC in der Schweiz,
aber er wird eine wahrhaft internationale Angelegenheit sein ; überall auf
der Welt werden gegenwärtig Experimente für den LHC geplant.
Damals in den neunziger Jahren bauten Physiker und Ingenieure am
CERN den unglaublichen LEP ( Large Electron-Positron Collider), eine
Z-Bosonen- » Fabrik << , die Millionen von Zs ausspuckte. Das Z-Eichbo­
son ist eines der drei Eichbosonen, die die schwache Wechselwirkung
vermitteln. Durch die Untersuchung von Millionen von Zs konnten die
Experimentatoren am LEP ( und auch am SLAC, dem Stanford Linear Ac­
celerator Center in Palo Alto, Kalifornien) detailliert die Eigenschaften
des Z-Bosons messen und die Vorhersagen des Standardmodells mit
einer bis dahin beispiellosen Präzision überprüfen. Es würde uns zu weit
vom Thema wegführen, all diese Messungen im Detail zu beschreiben,
aber ich will Ihnen gleich eine Vorstellung von der dabei erreichten ver­
blüffenden Genauigkeit geben.
Die Ausgangsbedingungen für die Standardmodell-Tests waren sehr
einfach. Das Standardmodell sagt die Massen der schwachen Eichboso­
nen und den Zerfall und die Wechselwirkungen der fundamentalen Teil­
chen voraus. Die Konsistenz der Theorie der schwachen Wechselwir­
kung können wir überprüfen, indem wir nachsehen, ob die Beziehungen
zwischen all diesen vielen Größen zu den Vorhersagen der Theorie pas­
sen. Gäbe es eine neue Theorie mit neuen Teilchen und neuen Wechsel­
wirkungen, die bei Energien nahe der schwachen Skala wichtig wäre,
würde es neue Ingredienzen geben, die die Vorhersagen für die schwache

219
VERBORGENE UN IVERSEN

Wechselwirkung gegenüber den Werten des Standardmodells verändern


könnten.
Modelle, die über das Standardmodell hinausgehen, machen daher für
die Eigenschaften des Z-Bosons Vorhersagen, die leicht von denen des
Standardmodell abweichen. Anfang der neunziger Jahre verwendeten
alle eine unglaublich umständliche Methode, um mit diesen alternativen
Modellen die Eigenschaften der Zs vorherzusagen, damit die Vorhersa­
gen getestet werden konnten. Die Methode war sehr schwer zu durch­
schauen und in einem Dokument umrissen, das mehr Seiten hatte, als ich
gerne mit mir herumschleppe. Damals arbeitete ich nach der Promotion
an der University of California in Berkeley. Im Sommer 1 992 besuchte
ich einen Workshop am Fermilab, wo ich zu der Überzeugung kam, dass
die Beziehungen zwischen verschiedenen physikalischen Größen unmög­
lich so umständlich sein konnten, wie die Methode in dem vielseitigen
Dokument unterstellte.
Gemeinsam mit Mitch Golden, der damals nach seiner Promotion am
Fermilab tätig war, arbeitete ich eine prägnantere Methode aus, um die
experimentellen Ergebnisse hinsichtlich der schwachen Wechselwirkung
zu interpretieren. Mitch und ich zeigten, wie man systematisch die Ef­
fekte neuer schwerer ( und noch nicht beobachteter) Teilchen einbauen
konnte, indem man nur drei neue Größen dem Standardmodell hinzu­
fügte, die alle möglichen nicht aus dem Standardmodell resultierenden
Beiträge zusammenfassen würden. Es dauerte ein paar Wochen, bis ich
das alles auf die Reihe bekommen hatte, aber die Antworten stellten sich
schließlich im Verlauf eines einzigen intensiven Arbeitswochenendes ein.
Es war überaus befriedigend zu sehen, dass all die Prozesse, die die Z-Fa­
briken messen würden, elegant zueinander in Beziehung gesetzt werden
konnten. Mitch und ich meinten, wir hätten ein viel klareres Bild davon
ausgearbeitet, wie Theorie und Messungen miteinander zusammenhin­
gen, und das war ein sehr gutes Gefühl. Mit unserer Entdeckung waren
wir jedoch nicht allein. Michael Peskin vom SLAC und sein Assistent Ta­
keo Takeuchi arbeiteten gleichzeitig Ähnliches aus, und bald schlossen
sich in rascher Folge weitere Kollegen uns an.
Die eigentliche Erfolgsgeschichte dreht sich aber um die LEP-Tests des
Standardmodells, die unglaublich genau waren. Ich werde hier nicht in
die Details gehen, sondern Ihnen zwei Anekdoten erzählen, die deren be­
eindruckende Empfindlichkeit belegen. Die Erste handelt davon, genau
die Energie zu finden, bei der Positronen und Elektronen kollidieren. Die
Experimentatoren mussten diese Energie kennen, um den präzisen Wert

220
EX P E R I M E N T E L L E S Z W I S C H E N S P I E L

der Z-Bosonen-Masse zu bestimmen. S i e mussten alles in Betracht zie­


hen, was möglicherweise den Wert dieser Energie beeinflusste. Aber
selbst nachdem sie alles berücksichtigt hatten, was sie sich nur vorstellen
konnten, bemerkten sie, dass die Energie ein wenig zu- oder abzunehmen
schien, wenn sie ihre Messungen zu bestimmten Zeiten vornahmen . Was
verursachte diese Schwankungen ?
So unglaublich es klingt, es waren die Gezeiten des Genfer Sees. Der
Wasserspiegel des Sees stieg und fiel mit dem Mondumlauf, und in j enem
Jahr schwankte er zusätzlich aufgrund starker Regenfälle. Das wirkte
sich auch auf das nahe gelegene Gelände des CERN aus, wodurch sich
die Entfernungen, die die Elektronen und Positronen im Collider zurück­
legten, leicht änderten. Nachdem man den Gezeiteneffekt als Faktor be­
rücksichtigt hatte, waren die dubiosen zeitabhängigen Messschwankun­
gen der Z-Masse verschwunden.
Auch die zweite Anekdote ist recht beeindruckend . Die Elektronen
und Positronen werden im Collider von starken Magnetfeldern auf Kurs
gehalten, und die brauchen eine große Menge Elektrizität. Periodisch
schienen die Elektronen und Positronen ein wenig aus der Spur zu gera­
ten, was auf Schwankungen in den Magnetfeldern des Colliders schlie­
ßen ließ. Ein Mitarbeiter bemerkte, dass diese Schwankung gut mit dem
Vorbeifahren des TGV zusammenpasste, des Hochgeschwindigkeitszu­
ges zwischen Genf und Paris. Offensichtlich kam es zu Belastungsspitzen
im französischen Stromnetz, die den Teilchenbeschleuniger ein wenig
aus dem Tritt brachten. Alain Blonde!, ein Pariser Physiker am CERN,
erzählte mir den lustigsten Tei l dieser Geschichte. Die Experimentatoren
bekamen nämlich eine prima Gelegenheit, diese Hypothese mit a bsolu­
ter Sicherheit zu bestätigen. Da das TGV-Personal größtenteils aus Fran­
zosen besteht, gab es unvermeidlicherweise irgendwann einen Streik,
und die Experimentatoren genossen einen Tag ohne Belastungsspitzen !

Zur Erinnerung
• Das wichtigste experimentelle Werkzeug der Teilchenphysik ist der
hochenergetische Teilchenbeschleuniger. Hochenergetische Co/lider
sind Teilchenbeschleuniger, die die Teilchen aufeinander prallen las­
sen ; wenn sie genügend Energie haben, produzieren Collider Teilchen,
die ansonsten zu massiv sind, um in der Welt um uns existieren zu
können.

221
VERBORGENE UNIVERSEN

• Das Tevatron ist der leistungsfähigste Collider, der momentan in Be­


trieb ist.

• Der Large Hadron Collider ( LHC) in der Schweiz wird siebenmal so


viel Energie erreichen wie das Tevatron und nach seiner Fertigstellung
im Verlauf des nächsten Jahrzehnts viele Modelle der Teilchenphysik
überprüfen.

222
9

Symmetrie:
Das entscheidende Organisationsprinzip

La.
La Ia Ia Ia.
La Ia Ia Ia.
La Ia Ia Ia Ia Ia Ia Ia Ia.
Simple Minds

Athena holte drei ihrer Eulen aus den Käfigen und ließ sie herumfliegen.
Unglücklicherweise hatte Ike an diesem Tag das Dach seines Cabriolets
unten gelassen, und die neugierigen Eulen flogen geradewegs hinein. Die
frechste der Eulen hack te an der Innenverkleidung des Wagens herum
und riss sie schließlich ein wenig auf
Als Ike den Schaden sah, stürmte er in A thenas Zimmer und verlangte,
dass sie in Zukunft besser auf ihre Eulen aufpasste. A thena protestierte,
ihre Eulen seien allesamt wohlerzogen, und sie müsste nur auf die eine
Missetäterin ein A uge werfen. A ber zu diesem Zeitpunkt waren die Eulen
schon wieder in ihren Käfigen, und weder Ike noch A thena konnten he­
rausfinden, welche die Schuldige war.

Das Standardmodell funktioniert ausgesprochen gut, aber nur weil es


eine Theorie ist, bei der Quarks, Leptonen und die schwachen Eichboso­
nen - die geladenen Ws und das Z, die die schwache Wechselwirkung
zwischen schwach geladener Materie vermitteln - a llesamt Masse haben.
Die Masse von fundamentalen Teilchen ist natürlich für alles im Univer­
sum entscheidend ; wäre Materie wirklich masselos, würde sie keine
hübschen, festen Obj ekte bilden, und die Strukturen und das Leben im
Universum, wie wir es kennen, hätten sich niemals entwickelt. Doch
schwache Eichbosonen und andere fundamentale Teilchen in der ein-

223
VERBORGENE UN IVERSEN

fachsten Theorie der Wechselwirkungen erwecken den Eindruck, als wä­


ren sie masselos und würden sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen.
Vielleicht finden Sie es merkwürdig, dass eine Theorie der Wechsel­
wirkungen Massen von null bevorzugen sollte. Warum sollte nicht ir­
gendeine Masse erlaubt sein ? Aber die grundlegende Quantenfeldtheo­
rie der Wechselwirkungen ist in dieser Hinsicht intolerant. Demonstrativ
verbietet sie alle Werte ungleich null für die Massen der fundamentalen
Teilchen des Standardmodells. Einer der Triumphe des Standardmodells
besteht darin, dass es zeigt, wie man dieses Problem löst und eine Theo­
rie schneidert, in der Teilchen die Massen haben, die sie den Beobachtun­
gen zufolge haben müssen.
Im nächsten Kapitel werden wir den Mechanismus ergründen, durch
den Teilchen Masse bekommen - ein Phänomen namens >> Higgs-Mecha­
nismus « . In diesem Kapitel aber werden wir das wichtige Thema der
Symmetrie besprechen. Symmetrie und gebrochene Symmetrie helfen
uns herauszufinden, wie sich das Universum von einem undifferenzier­
ten Punkt zu den komplexen Strukturen entwickelt hat, die wir heute se­
hen. Der Higgs-Mechanismus ist aufs Engste mit der Symmetrie verbun­
den - und besonders mit der gebrochenen Symmetrie. Zu begreifen, wie
die Elementarteilchen Masse bekommen, erfordert eine gewisse Ver­
trautheit mit diesen wichtigen Ideen.

Wenn Dinge sich verändern, aber dieselben bleiben

Der Begriff >> Symmetrie << hat für die meisten Physiker einen heiligen
Klang. Man könnte einwerfen, dass auch andere Gemeinschaften die
Symmetrie hoch schätzen, da das Kreuz des Christentums, die j üdische
Menora, das Dharma-Rad des Buddhismus, der Halbmond des Islam
und das hinduistische Mandala alle Symmetrie aufweisen ( siehe Abbil-

Abbildung 56 : Eine Menora, ein Kreuz, das buddhistische Dharma-Rad, der


islamische Halbmond und das hinduistische Mandala sind symmetrisch.

224
S Y M M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I S AT I O N S P R I N Z I P

dung 5 6 ) . Symmetrisch ist etwas, wenn man e s manipulieren kann - bei­


spielsweise drehen, spiegeln oder seine Teile austauschen - und die neue
Konfiguration von der ursprünglichen ununterscheidbar ist. Würden Sie
etwa auf der Menora, dem siebenarmigen Leuchter des Judentums, zwei
identische Kerzen austauschen, so würden Sie keinen Unterschied sehen .
Und das Spiegelbild eines Kreuzes ist mit dem Kreuz selbst identisch.
O b wir nun von Mathematik, Physik oder der Welt sprechen, wir kön­
nen Transformationen vornehmen, die anscheinend nichts ändern, wenn
Symmetrie vorliegt. Ein System ist symmetrisch, wenn j emand es, wäh­
rend Sie ihm den Rücken zuwenden, seine Komponenten austauschen, es
spiegeln oder drehen kann, ohne dass Sie einen Unterschied bemerken,
wenn Sie es anschließend wieder betrachten.
Symmetrie ist oft eine statische Eigenschaft : So hat die Symmetrie
eines Kreuzes nichts mit der Zeit zu tun. Physiker beschrei ben aber Sym­
metrien oft in Form von imaginären Symmetrietransformationen - Ma­
nipulationen, die man an einem System vornehmen kann, ohne seine be­
obachtbaren Eigenschaften zu verändern. Statt zu sagen, die Kerzen
einer Menora seien äquivalent, könnte ich beispielsweise behaupten,
eine Menora würde genauso aussehen, wenn ich zwei der Kerzen aus­
tauschte. Ich müsste die Kerzen nicht in Wirklichkeit austauschen, um
sagen zu können, dass Symmetrie vorliegt. Wenn ich aber - hypothetisch
- die Kerzen tatsächlich austauschen würde, könnte ich keinen Unter­
schied erkennen. Manchmal werde ich Symmetrie um der Einfachheit
willen auf diese Art und Weise behandeln.
Wir alle kennen Symmetrien nicht nur aus der Wissenschaft und von
heiligen Symbolen, sondern auch aus der säkularen Kunst. Symmetrien
finden sich in den meisten Gemälden, Skulpturen, Bauwerken, Musik­
stücken, Tänzen und Gedichten. Die Kunst des Islams ist in dieser Hin­
sicht vielleicht am spektakulärsten, macht sie doch in der Architektur
und in der Ornamentik trickreichen und ausführlichen Gebrauch von
Symmetrien, wie j eder bestätigen kann, der das Taj Mahal besichtigt
hat. Das Gebäude sieht nicht nur von j eder Seite gleich aus : Wenn man
es vom entgegengesetzten Ende des langen Wasserbeckens davor be­
trachtet, spiegelt es sich auch perfekt in dessen ruhiger Oberfläche.
Selbst die Bäume wurden so gepflanzt, dass die Symmetrien des Mauso­
leums erhalten blieben. Bei meinem Besuch bemerkte ich einen Frem­
denführer, der auf ein paar Symmetriepunkte hinwies, und folglich bat
ich ihn, mir die übrigen zu sagen. Am Ende betrachtete ich das Gebäude
aus den komischsten Winkeln und kletterte Geröll am Rande des Ge-

225
VERBORGENE UN IVERSEN

ländes hoch, um alle Symmetrien zu erkennen, die das Mausoleum zu


bieten hat.
Umgangssprachlich setzen Menschen Symmetrie oft mit Schönheit
gleich, und bestimmt ist das Faszinierende an Symmetrien zum Teil auf
die von ihr garantierte Regelmäßigkeit und Perfektion zurückzuführen .
Symmetrien helfen u n s auch zu lernen, da d i e Wiederholung, s e i es in der
Zeit oder im Raum, unserem Geist Bilder unauslöschlich einprägen
kann. Dass das Gehirn darauf programmiert ist, auf Symmetrien und
ihre schiere ästhetische Attraktivität zu reagieren, erklärt weitestgehend,
warum wir uns selbst mit ihnen umgeben.
Symmetrien gibt es aber nicht nur in der Kunst und der Architektur,
sondern ganz ohne menschliches Zutun auch in der Natur. Aus diesem
Grund begegnet man in der Physik oft Symmetrien. Das Ziel der Physik
besteht darin, unterschiedliche Größen zueinander in Beziehung zu set­
zen, sodass wir auf Beobachtungen gestützte Vorhersagen machen kön­
nen. Und in diesem Kontext spielt die Symmetrie von Natur aus eine
Rolle. Wenn ein physikalisches System symmetrisch ist, kann man es auf
der Basis von weniger Beobachtungen beschreiben, als wenn das System
keine Symmetrie aufwiese. Wenn ich zum Beispiel zwei O bj ekte mit
identischen Eigenschaften habe, kenne ich die physikalischen Gesetze,
die das Verhalten des einen bestimmen, wenn ich das Verhalten des an­
deren bereits gemessen habe. Weil die beiden Obj ekte äquivalent sind,
weiß ich, dass sie sich genauso verhalten müssen.
In der Physik bedeutet eine Symmetrietransformation in einem Sys­
tem, dass es irgendeine bestimmte Prozedur für einen Umbau des Sys­
tems gibt, die alle seine messbaren physikalischen Eigenschaften unver­
ändert lässt. * Wenn ein System etwa Rotations- und Translationssym­
metrie besitzt, die beiden gut bekannten Beispiele für räumliche Symme­
trien, gelten die physikalischen Gesetze in allen Richtungen und an allen
Stellen auf gleiche Weise. Rotations- und Translationssymmetrien sagen
uns beispielsweise, dass es egal ist, wo Sie stehen oder in welche Rich­
tung Sie blicken, wenn Sie mit einem Baseballschläger einen Ball tref­
fen : Vorausgesetzt, Sie wenden dieselbe Kraft auf, wird sich der Base­
ball in gleicher Weise verhalten. Jedes Experiment müsste dasselbe
Resultat erbringen, ganz gleich, ob man die Anordnung dreht oder die

* Ich beschreibe Symmetrie als Folge einer Transformation, doch wie immer ist die
Symmetrie eine Eigenschaft des statischen Systems. Das heißt, das System ist symme­
trisch, auch wenn ich die Transformation gar nicht vornehme.

226
S YM M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I S AT I O N S P R I N Z I P

Messung in einem anderen Raum wiederholt oder an einem völlig ande­


ren Ort.
Welche Bedeutung Symmetrie für physikalische Gesetze hat, kann
man kaum überbetonen. Viele physikalische Theorien - etwa Maxwells
Gesetze der Elektrodynamik und Einsteins Relativitätstheorie - sind tief
in Symmetrie verwurzelt. Und indem wir uns die verschiedenen Symme­
trien zunutze machen, können wir in der Regel die Aufgabe vereinfa­
chen, mittels Theorien physikalische Vorhersagen zu machen. So sind
etwa Vorhersagen der Umlaufbahnen von Planeten, des Gravitations­
felds des Universums (das mehr oder weniger rotationssymmetrisch ist),
des Verhaltens von Teilchen in elektromagnetischen Feldern und vieler
anderer physikalischer Größen mathematisch einfacher, wenn wir Sym­
metrie berücksichtigen.
In der Welt der Physik sind Symmetrien nicht immer völlig offensicht­
lich. Aber selbst wenn sie nicht direkt auf der Hand liegen oder wenn sie
bloß theoretische Hilfsmittel sind, vereinfachen Symmetrien normaler­
weise die Formulierung physikalischer Gesetze erheblich. Die Quanten­
theorie der Wechselwirkungen, auf die wir uns bald konzentrieren wol­
len, stellt da keine Ausnahme dar.

Innere Symmetrien

In der Regel unterscheiden Physiker verschiedene Kategorien von Sym­


metrien. Wahrscheinlich sind Ihnen räumliche Symmetrien am ehesten
vertraut - diejenigen Symmetrietransformationen, die in der äußeren
Welt Dinge bewegen oder drehen. Zu ihnen zählen die Rotations- und
die Translationssymmetrien, die ich gerade erwähnte, und sie sagen uns,
dass die Gesetze der Physik für ein System immer dieselben sind, ganz
egal wie das System ausgerichtet ist und wo es ist.
Jetzt will ich aber auf eine andere Art von Symmetrie zu sprechen
kommen, die so genannte innere Symmetrie. Während räumliche Sym­
metrien uns sagen, dass die Physik alle Richtungen und alle Positionen
gleich behandelt, verraten uns innere Symmetrien, dass physikalische
Gesetze sich auf verschiedene, effektiv aber ununterscheidbare Obj ekte
gleich auswirken. Anders ausgedrückt : Innere Symmetrietransformatio­
nen mischen oder tauschen verschiedene Dinge auf eine Art und Weise,
die nicht zu bemerken ist. Faktisch habe ich bereits ein Beispiel für eine
innere Symmetrie gebracht : die Austauschbarkeit der Menora-Kerzen.

227
VERBORGENE U N I VERSEN

Die innere Symmetrie besagt, dass zwei Kerzen äquivalent sind. Es ist
eine Aussage über Kerzen, nicht über den Raum.
Eine traditionelle Menora hat j edoch sowohl räumliche als auch in­
nere Symmetrien. Zum einen sind die verschiedenen Kerzen äquivalent,
was eine innere Symmetrie darstellt, zum anderen sieht eine Menora ge­
nauso aus, wenn sie um 1 8 0 Grad um die mittlere Kerze gedreht wird,
was heißt, sie ist auch räumlich symmetrisch. Innere Symmetrie kann es
aber auch dann geben, wenn keine räumliche vorliegt. Beispielsweise
können Sie identische grüne Mosaiksteinehen gegeneinander austau­
schen, auch wenn das Blatt, das sie zusammen darstellen, eine unregel­
mäßige Form hat.
Ein weiteres Beispiel für eine innere Symmetrie ist die Austauschbar­
keit zweier identischer roter Murmeln. Wenn Sie in jeder Hand eine sol­
che Murmel halten, macht es keinen Unterschied, welche welche ist.
Selbst wenn Sie sie mit »1 « und » 2 << markieren, könnten Sie nie wissen,
ob es mir irgendwie gelungen ist, die zwei Murmeln auszutauschen. Be­
achten Sie, dass das Murmelbeispiel nicht an ein bestimmtes räumliches
Arrangement gebunden ist, wie es die Beispiele der Menora und des Mo­
saiks waren ; innere Symmetrien betreffen die Obj ekte selbst und nicht
ihre Lokalisierung im Raum.
Die Teilchenphysik hat es mit eher abstrakten inneren Symmetrien zu
tun, die mit den unterschiedlichen Teilchentypen zusammenhängen.
Diese Symmetrien behandeln Teilchen und die Felder, die sie erzeugen,
als austauschbar. Genau wie zwei identische Murmeln sich gleich verhal­
ten, wenn man sie kullert oder gegen eine Wand schnipst, gehorchen
zwei Teilchentypen von derselben Ladung und Masse identischen physi­
kalischen Gesetzen. Die Symmetrie, die dies beschreibt, heißt Flavorsym­
metrie.
In Kapitel 7 haben wir erfahren, dass es sich bei Flavors um die drei
verschiedenen Teilchentypen handelt, die identische Ladungen haben
und jeweils einer von drei Generationen angehören. Beispielsweise sind
Elektronen und Myonen zwei Flavors des geladenen Leptons, was heißt,
sie haben identische Ladungen. Würden wir in einer Welt leben, in der
das Elektron und das Myon auch identische Massen hätten, wären die
beiden vollständig gegeneinander austauschbar. Dann gäbe es eine Fla­
vorsymmetrie, der zufolge das Elektron und das Myon sich in Gegen­
wart irgendeines anderen Teilchens oder einer Kraft identisch verhalten
würden. In unserer Welt ist das Myon aber schwerer als das Elektron,
also liegt keine exakte Flavorsymmetrie vor. Für einige physikalische

228
S YM M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I SATI O N S P R I N Z I P

Vorhersagen können d i e unterschiedlichen Massen bedeutungslos sein,


aber Flavorsymmetrien zwischen leichten Teilchen mit identischen La­
dungen wie etwa dem Myon und dem Elektron sind dennoch für Berech­
nungen nützlich. Auch nur leicht unperfekte Symmetrien zu nutzen hilft
manchmal, hinreichend genaue Resultate zu errechnen. Zum Beispiel ist
der Massenunterschied zwischen Teilchen oft so klein ( verglichen mit
der Energie oder einer großen Masse ), dass er bei Vorhersagen nicht zu
messbaren Unterschieden führt.
Die wichtigste Art von Symmetrie ist für uns im Moment aber dieje­
nige, die für die Theorie der Wechselwirkungen relevant ist, und die ist
exakt. Diese Symmetrie ist ebenfalls eine innere Symmetrie der Teilchen,
aber sie ist etwas abstrakter als die Flavorsymmetrie, die wir gerade ken­
nen gelernt haben. Diese spezielle Art von innerer Symmetrie ist eher
dem folgenden Beispiel analog. Vielleicht haben Sie in der Schule in Phy­
sik, im Kunstunterricht oder in der Theater-AG gelernt, dass drei Spot­
lights - in der Regel ein rotes, ein grünes und ein blaues - weißes Licht
erzeugen können, wenn sie auf dieselbe Stelle ausgerichtet sind. Es
kommt nicht darauf an, wo die einzelnen Lichtstrahlen herkommen, so­
lange wir nur das Ergebnis sehen : weißes Licht. In diesem Fall würde
eine innere Symmetrietransformation, die die unterschiedlichen Licht­
farben gegeneinander austauscht, niemals zu beobachtbaren Konse­
quenzen führen.
Wir werden j etzt sehen, dass diese Symmetrie denj enigen ähnelt, die
mit den Wechselwirkungen zu tun haben, weil man in beiden Fällen
nicht alles beobachten kann. Die Spot-Anordnung ist nur deswegen sym­
metrisch, weil wir uns nicht alles anschauen dürfen, sondern nur das
kombinierte Licht erblicken. Würde man die Scheinwerfer selbst sehen,
könnte man wissen, dass sie ausgetauscht wurden. Wie zuvor erwähnt,
ist diese enge Analogie zwischen Farben und Kräften der Grund, warum
wir bei der Beschreibung der starken Wechselwirkung von >> Farbe n << und
von >> Quantenchromodynamik« (QCD) sprechen.
1927 zeigten die Physiker Fritz London und Hermann Weyl, dass zur
Beschreibung von Wechselwirkungen nach der einfachsten Quantenfeld­
theorie innere Symmetrien gehören, die der im Spotlight-Beispiel ähnlich
sind. Der Zusammenhang zwischen Wechselwirkungen und Symmetrie
ist subtil, also steht in populären Sachbüchern darüber in der Regel
nichts zu lesen. Weil Sie diesen Zusammenhang eigentlich nicht verste­
hen müssen, um der Diskussion der Probleme mit den Massen - ein­
schließlich des Higgs-Mechanismus und des Hierarchieproblems der

229
VERBORGENE UN IVERSEN

Nächsten paar Kapitel - folgen zu können, dürfen Sie bis zum nächsten
Kapitel vorblättern, wenn Sie das j etzt wollen. Interessieren Sie sich aber
für die Rolle der inneren Symmetrie in der Theorie der Wechselwirkung
und beim Higgs-Mechanismus, dann lesen Sie weiter.

Symmetrie und Wechselwirkungen

Zum Elektromagnetismus, zur schwachen und zur starken Wechselwir­


kung gehören in j edem Fall innere Symmetrien. (Die Gravitation hängt
mit den Symmetrien von Raum und Zeit zusammen und muss daher se­
parat betrachtet werden . ) Ohne innere Symmetrien wäre die Quanten­
feldtheorie der Wechselwirkungen ein heilloses Durcheinander. Um diese
Symmetrien zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit den Polarisierun­
gen des Eichbosons befassen.
Vielleicht haben Sie schon von der Polarisierung des Lichts gehört ; po­
larisierende Sonnenbrillen beispielsweise reduzieren die Helligkeit, in­
dem sie nur vertikal polarisiertes Licht durchlassen, das horizontal pola­
risierte aber nicht. In diesem Fall sind Polarisierungen die unabhängigen
Richtungen, in denen die elektromagnetischen Wellen des Lichts schwin­
gen können.
Die Quantenmechanik verknüpft mit j edem Photon eine Welle. Jedes
einzelne Photon kann unterschiedliche Polarisierungen aufweisen, aber
nicht alle vorstellbaren Polarisierungen sind zulässig. Wenn sich ein Pho­
ton in eine bestimmte Richtung bewegt, kann die Welle nur in Richtun­
gen schwingen, die zur Bewegungsrichtung senkrecht sind. Die Welle
verhält sich wie Wasserwellen auf dem Meer, die auch in der Senkrech­
ten oszillieren. Deshalb sieht man eine Boj e oder ein Boot auf und ab
tanzen, wenn eine Wasserwelle passiert.
Die mit einem Photon verknüpfte Welle kann in j eder Richtung oszil-

Abbildung 57: Eine Transversalwelle schwingt senkrecht zu ihrer Ausbrei­


tungsrichtung (in diesem Fall auf und ab, während die Welle sich nach rechts
fortpflanzt) .

230
S YM M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I SAT I O N S P R I N Z I P

lieren, d i e senkrecht zu seiner Bewegungsrichtung i s t ( siehe Abbildung


5 7 ) . Die Anzahl solcher möglichen Richtungen ist wirklich unendlich :
Stellen Sie sich einen Kreis vor, der senkrecht zur Bewegungsrichtung
ausgerichtet ist, dann sehen Sie, dass die Welle in j eder denkbaren ra­
dialen Richtung (vom Zentrum des Kreises nach außen) schwingen
kann und dass es folglich eine unendliche Anzahl solcher Richtungen
gibt.
Bei der physikalischen Beschreibung dieser Schwingungen brauchen
wir aber nur zwei voneinander unabhängige senkrechte Oszillationen,
um alle mit einzuschließen. In der Physik nennt man diese transversale
Polarisierungen. Es ist, als würde man einen Kreis mit x- und y-Achsen
versehen. Gleich welche Gerade man vom Zentrum des Kreises aus zieht,
sie wird immer den Kreis an einer bestimmten Stelle schneiden - einem
bestimmten Paar von x- und y-Werten -, und sie kann daher mit nur zwei
Koordinaten eindeutig spezifiziert werden . In ähnlicher Weise ( ohne hier
in die Details gehen zu wollen) können trotz unendlich vieler Richtungen
senkrecht zur Ausbreitungsrichtung einer Welle all diese Richtungen aus
Kombinationen von polarisiertem Licht in zwei beliebigen senkrechten
Richtungen erhalten werden.
Wichtig ist dabei, dass es im Prinzip eine dritte Polarisierungsrichtung
geben könnte, die der Ausbreitungsrichtung der Welle gleich wäre (gäbe
es sie, müsste man von einer longitudinalen Polarisierung sprechen ) . 15
Auf diese Weise breiten sich beispielsweise Schallwellen aus. Doch beim
Photon gibt es keine solche Polarisierung. In der Natur kommen nur
zwei der drei möglichen unabhängigen Polarisierungsrichtungen vor. Ein
Photon oszilliert niemals in seiner Ausbreitungsrichtung oder in der
Zeitrichtung : Es schwingt nur in den Richtungen, die senkrecht zu seiner
Bewegung sind.
Selbst wenn wir nicht bereits aus unabhängigen theoretischen Erwä­
gungen gewusst hätten, dass eine Longitudinalpolarisierung ausge­
schlossen ist, hätte uns die Quantenfeldtheorie gesagt, dass wir auf sie
verzichten können. Wollte ein Physiker mittels einer Theorie der Wech­
selwirkungen, die fälschlicherweise alle drei Polarisierungsrichtungen
einschlösse, Berechnungen anstellen, so würden die Vorhersagen der
Theorie für deren Eigenschaften keinen Sinn ergeben. Beispielsweise
würde man lächerlich hohe Raten von Eichbosonen-Wechselwirkungen
bekommen. Ja, man würde Eichbosonen vorhersagen, die öfter als im­
mer interagieren würden - also häufiger als in 100 Prozent aller Zeit.
Jede Theorie, die solch unsinnige Vorhersagen macht, ist eindeutig

231
VERBORGENE UN IVERSEN

falsch, und sowohl die Natur als auch die Quantenfeldtheorie stellen
klar, dass es diese nicht senkrechte Polarisierung nicht gibt.
Die einfachste Theorie der Wechselwirkungen, die die Physiker fo­
rmulieren könnten, schließt unglücklicherweise diese n icht zutreffende
Polarisierungsrichtung ein. Das überrascht nicht sonderlich, denn eine
Theorie, die für jedes mögliche Photon funktioniert, kann unmöglich
Informationen über ein bestimmtes Photon enthalten, das sich in eine
bestimmte Richtung bewegt. Und ohne solche Informationen würde
die spezielle Relativitätstheorie nicht zwischen irgendwelchen Richtun­
gen unterscheiden. Für eine Theorie, die die Symmetrien der speziellen
Relativitätstheorie bewahrt ( einschließlich der Rotationssymmetrie ) ,
bräuehre m a n drei Richtungen - nicht zwei -, u m a l l d i e z u beschreiben,
in denen ein Photon oszillieren könnte ; in solch einer Beschrei bung
könnte das Photon in j eder räumlichen Richtung schwingen.
Aber wir wissen, dass dies nicht zutrifft. Für jedes bestimmte Photon
ist die Richtung der Bewegung festge legt, und eine Oszillation in dieser
Richtung ist verboten. Und wer wollte für jedes einzelne Photon samt
seiner Bewegungsrichtung eine eigene Theorie aufstellen ? Man braucht
eine Theorie, die funktioniert, egal wohin ein Photon sich bewegt.
Zwar könnte man sich an einer Theorie versuchen, die die unzutref­
fende Polarisierungsrichtung ganz weglässt, weit einfacher und saube­
rer ist es aber, die Rotationssymmetrie zu respektieren und die falsche
Polarisierung auf andere Weise zu eliminieren. Die Physiker, die immer
auf Einfachheit aus sind, haben erkannt, dass die Quantenfeldtheorie
am besten funktioniert, wenn sie die irrige Longitudinalpolarisierung
in die Theorie einschließen, aber noch etwas hinzufügen, um die guten,
physikalisch relevanten Vorhersagen aus den schlechten herauszufil­
tern .
An diesem Punkt kommen die inneren Symmetrien ins Spiel. In der
Theorie der Wechselwirkungen kommt den inneren Symmetrien die Auf­
gabe zu, die Widersprüche zu eliminieren, zu denen die unerwünschte
Polarisierung führen würde, ohne zugleich die Symmetrien der speziellen
Relativitätstheorie einzubüßen. Innere Symmetrien stellen die einfachste
Möglichkeit dar, die Polarisierung entlang der Ausbreitungsrichtung he­
rauszufiltern, die es unabhängigen theoretischen Überlegungen und ex­
perimentellen Beobachtungen zufolge nicht gibt. Sie teilen Polarisierun­
gen in die Kategorien >> gut<< und » schlecht << ein - in solche, die mit den
Symmetrien konsistent sind, und j ene, auf die das nicht zutrifft. Eine Er­
klärung, wie das funktioniert, würde hier etwas technisch geraten, aber

232
SYM M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I S AT I O N S P R I N Z I P

ich kann Ihnen m i t Hilfe einer Analogie eine allgemeine Vorstellung da­
von vermitteln.
Nehmen wir an, Sie haben eine Maschine zur Produktion von Hem­
den, die linke und rechte Ärmel in zwei Größen herstellen kann, kurz
und lang; a ber aus irgendeinem Grund hatte der Erfinder der Maschine
vergessen, einen Kontrollmechanismus einzubauen, der sicherstellt, dass
die linken und die rechten Ärmel immer von derselben Länge sind. In der
Hälfte aller Fälle bekommen Sie brauchbare Hemden - mit zwei langen
oder zwei kurzen Ärmeln -, aber in der anderen Hälfte der Fälle spuckt
die Maschine nutzlose Hemden mit einem kurzen und einem langen Är­
mel aus. Unglücklicherweise ist dies die einzige Hemdenmaschine, die
Sie haben.
Sie haben die Wahl : Sie können Ihre Hemdenmaschine wegwerfen und
ganz auf die Produktion von Hemden verzichten, oder Sie behalten die
Maschine und produzieren ein paar gute Hemden und ein paar Aus­
schusshemden. Das ist nicht ganz vergebens, denn es liegt j a ziemlich auf
der Hand, welche Hemden wegzuwerfen sind : Nur diejenigen, welche
die Links-rechts-Symmetrie bewahren, kann man tragen. Sie werden im­
mer korrekt gekleidet sein, wenn Sie Ihre Maschine alle möglichen Hem­
den machen lassen, dann aber nur die behalten, die Links-rechts-Symme­
trie aufweisen.
Die mit den Wechselwirkungen zusammenhängende innere Symmetrie
schafft etwas Analoges. Sie sorgt für eine sinnvolle Markierung, anhand
deren man die Größen erkennt, die wir im Prinzip beobachten könnten
( diej enigen mit den Polarisierungen, die man beibehalten will ) , und von
jenen unterscheiden kann, die es nicht geben sollte ( diej enigen mit der
falschen Polarisierung entlang der Ausbreitungsrichtung) . Wie Spamfil­
ter in Computern versuchen, unerwünschte E-Mails zu identifizieren
und von nützlichen Nachrichten zu trennen, unterscheidet der Filter der
inneren Symmetrien zwischen physikalischen Prozessen, die die Symme­
trie wahren, und den unerwünschten, die das nicht tun. Innere Symme­
trien machen es leicht, die den Spams gleichenden Polarisierungen zu eli­
minieren ; wären sie da, würden sie die innere Symmetrie brechen.
Wie die Symmetrie funktioniert, ist dem Beispiel mit den farbigen
Spotlights von weiter oben recht ähnlich ; dabei konnten wir nur das
weiße Licht beobachten, das die drei Farben zusammen produzieren,
nicht die einzelnen Lichtstrahlen. In ähnlicher Weise sind nur bestimmte
Kombinationen von Teilchen mit den inneren Symmetrien konsistent,
die zur Theorie der Wechselwirkungen gehören, und bei diesen handelt

233
VERBORGENE UNIVERSEN

es sich um die einzigen Kombinationen, die in der wirklichen Welt vor­


kommen.
Die mit Wechselwirkungen zusammenhängenden inneren Symmetrien
schließen alle Prozesse aus, die mit schlechten Polarisierungen zu tun ha­
ben - denjenigen entlang der Ausbreitungsrichtung (die es in der Natur
eigentlich nicht gibt ) . Genau wie die nutzlosen Hemden ohne
Links-rechts-Symmetrie leicht herauszufinden und wegzuwerfen waren,
werden die falschen Polarisierungen, die mit der inneren Symmetrie in­
konsistent sind, automatisch eliminiert und bringen die Berechnungen
nicht durcheinander. Eine Theorie, die die korrekte innere Symmetrie
einfordert, eliminiert die schlechten Polarisierungen, die es anderenfalls
geben würde.
Sowohl der Elektromagnetismus als auch die schwache und die starke
Wechselwirkung werden von Eichbosonen vermittelt: der Elektromag­
netismus vom Photon, die schwache Wechselwirkung von schwachen
Eichbosonen und die starke von Gluonen. Und j eder Typ von Eichboso­
nen ist mit Wellen assoziiert, die im Prinzip in j eder Richtung schwingen
könnten, in Wirklichkeit aber nur in den senkrechten Richtungen oszil­
lieren. Folglich erfordert j ede der drei Wechselwirkungen ihre eigene spe­
zielle Symmetrie, um die schlechten Polarisierungen der die Kraft vermit­
telnden Eichbosonen zu eliminieren. Es gibt daher eine Symmetrie für
den Elektromagnetismus, eine davon unabhängige Symmetrie für die
schwache und noch eine weitere Symmetrie für die starke Wechselwir­
kung.
Die inneren Symmetrien der Theorie der Wechselwirkungen mögen
kompliziert wirken, stellen aber die einfachste Möglichkeit dar, wie
Physiker eine sinnvolle, Vorhersagen erlaubende Quantenfeldtheorie
formulieren können. Die inneren Symmetrien sind es, die zwischen den
wirklichen und den falschen Polarisierungen unterscheiden.
Die gerade vorgestellten inneren Symmetrien sind für die Theorie der
Wechselwirkungen von entscheidender Bedeutung. Sie liegen auch dem
Higgs-Mechanismus zugrunde, der uns sagt, wie die Elementarteilchen
des Standardmodells zu ihrer Masse kommen. Für das nächste Kapitel
werden wir die Details der inneren Symmetrien nicht brauchen, aber wir
werden sehen, dass Symmetrie ( und gebrochene Symmetrie ) wesentliche
Bestandteile des Standardmodells sind.

234
S Y M M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I SATI O N S P R I N Z I P

Eichbosonen, Teilchen und Symmetrie

Bisher haben wir ausschließlich die Folgen von Symmetrie für Eichboso­
nen betrachtet. Aber die mit einer Wechselwirkung zusammenhängen­
den Symmetrietransformationen beeinflussen nicht nur Eichbosonen.
Ein Eichboson interagiert mit den Teilchen, die der mit jenem Eichboson
assoziierten Wechselwirkung unterliegen : Das Photon wechselwirkt mit
elektromagnetisch geladenen Teilchen, die schwachen Bosonen mit
schwach geladenen Teilchen und die Gluonen mit Quarks.
Wegen dieser Wechselwirkungen kann j ede der inneren Symmetrien
nur dann gewahrt werden, wenn sie sowohl die Eichbosonen als auch die
Teilchen, mit denen sie interagieren, transformiert. Eine Analogie kann
das veranschaulichen. Rotationen beispielsweise wären keine Symmetrie­
transformation, wenn sie sich nur auf einige Objekte auswirken würden,
auf andere hingegen nicht. Wenn Sie bei einem >> Prinzenrollen << -Plätz­
chen '' nur die obere Waffel drehen, nicht aber den Rest, zerreißen Sie es.
Nach einer Rotation sieht ein >> Prinzenrollen << -Plätzchen nur dann ge­
nauso aus, wenn Sie das gesamte >> Sandwich << auf einmal drehen.
Aus ähnlichen Gründen könnte eine Transformation, die nur die eine
Wechselwirkung vermittelnden Eichbosonen ineinander umwandelt,
nicht aber die Teilchen, die jener Wechselwirkung unterliegen, niemals
eine Symmetrie wahren. Die innere Symmetrie, die die falschen Polarisa­
tionen der Gluonen eliminiert, erfordert, dass sowohl die Quarks als
auch die Gluonen gegeneinander austauschbar sind. De facto ist die
Symmetrietransformation, die Quarks austauscht, sogar dieselbe, die die
Eichbosonen austauscht. Die einzige Möglichkeit zur Wahrung der Sym­
metrie besteht darin, die beiden zusammen zu mischen, genau wie die
einzige Möglichkeit zur Erhaltung des >> Prinzenrollen << -Plätzchens darin
besteht, das ganze Ding auf einmal zu drehen.
Am meisten wird uns in diesem Buch die schwache Wechselwirkung
interessieren. Die mit ihr zusammenhängende innere Symmetrie behan­
delt die drei schwachen Eichbosonen als äquivalent. Sie behandelt auch
Teilchenpaare wie das Elektron und das Neutrino oder das Up- und das
Down-Quark als gleichwertig. Die Symmetrietransformation der schwa­
chen Wechselwirkung tauscht die drei schwachen Eichbosonen und auch
die Teilchenpaare gegeneinander aus. Wie bei Gluonen und Quarks wird
die Symmetrie nur bewahrt, wenn alles auf einmal ausgetauscht wird.16

* Besteht aus zwei runden Waffeln mit einer Creme dazwischen.

235
VERBORGENE UN IVERSEN

Z u r Erinnerung:

• Symmetrien sagen uns, ob zwei unterschiedliche Konfigurationen sich


gleich verhalten.

• In der Teilchenphysik stellen Symmetrien eine nützliche Möglichkeit


dar, bestimmte Wechselwirkungen zu verbieten : Diej enigen, bei denen
die Symmetrien nicht erhalten blei ben, sind nicht zulässig.

• Symmetrien sind für die Theorie der Wechselwirkungen wichtig, weil


die einfachste funktionierende Theorie der Wechselwirkungen eine
mit j eder Kraft assoziierte Symmetrie beinhaltet. Jene Symmetrien eli­
minieren unerwünschte Teilchen. Sie eliminieren zugleich die falschen
Voraussagen, die die einfachste Theorie der Wechselwirkungen ande­
renfalls für hochenergetische Teilchen machen würde.

236
10

Der Ursprung der Elementarteilchen-Massen:


Spontan gebrochene Symmetrie und
Higgs-Mechanismus

One of these morni ngs the chain is gonna break.


Eines schönen Tages wird die Kette reißen.
Aretha Franklin

Die strengen Geschwindigkeitskontrollen ließen lange A utofahrten für


Ikarus III. zum Albtraum werden. Er raste gern so schnell, wie er wollte,
aber die Polizei bat ihn fast auf jedem Kilometer an den Straßenrand. Um
die drögen, neutralen Autos kümmerten sich die Bullen nie, aber sie schi­
kanierten ständig die aufgemotzten, turbogeladenen Flitzer wie den sei­
nen.
Ike beschränkte sich darauf, nur noch kurze Entfernungen zurückzu­
legen, denn so konnte er der Polizei vollständig aus dem Weg gehen. Im
Umkreis von einem Kilometer von seinem Ausgangspunkt mischte sich
die Polizei nie ein, und da konnte er immer beeindruckend schnell fahren.
Die Kraft seines Parsehe-Motors kannte zwar außerhalb des Viertels nie­
mand, im Umfeld seines Hauses aber war sie legendär.

Symmetrien sind wichtig, aber in der Regel weist das Universum keine
perfekte Symmetrie auf. Leicht unperfekte Symmetrien machen die Welt
interessant ( organisieren sie aber auch ) . Für mich zählt zu den faszinie­
rendsten Aspekten der physikalischen Forschung die Suche nach Zusam­
menhängen, die der Symmetrie in einer asymmetrischen Welt Sinn ge­
ben.
Ist eine Symmetrie nicht exakt, sprechen die Physiker von einer gebro­
chenen Symmetrie. Eine gebrochene Symmetrie ist zwar oft interessant,
aber ästhetisch nicht immer ansprechend : Schönheit und Ökonomie des
betreffenden Systems oder der zugrunde liegenden Theorie können ver-

237
VERBORGENE U N I VERSEN

Ioren gehen ( oder verringert werden ) . Selbst das sehr symmetrische Taj
Mahal hat keine perfekte Symmetrie, da die geizigen Erben des Erbauers
beschlossen, nicht wie geplant ein zweites Grabmal zu errichte n ; statt­
dessen fügten sie dem ursprünglichen ein nicht darauf ausgerichtetes
Grab an. Dieses zweite Grab zerstört die ansonsten perfekte vierfache
Rotationssymmetrie des Taj Mahal und lenkt ein wenig von seiner
Schönheit ab.
Zum Glück für ästhetisch gesinnte Physiker können j edoch gebro­
chene Symmetrien noch schöner und interessanter sein als perfekt
symmetrische Dinge. Perfekte Symmetrie ist oft langweilig. Mit einem
symmetrischen Lächeln wäre die Mona Lisa einfach nicht dieselbe.
In der Physik wie in der Kunst ist Einfachheit nicht notwendigerweise
das höchste Ziel. Das Leben und das Universum sind kaum perfekt, und
fast alle Symmetrien, die man nennen kann, sind gebrochen . Zwar schät­
zen und bewundern wir Physiker Symmetrie, aber wir müssen noch im­
mer einen Zusammenhang zwischen einer symmetrischen Theorie und
einer asymmetrischen Welt finden. Die besten Theorien respektieren die
Eleganz symmetrischer Theorien und beinhalten zugleich die gebrochene
Symmetrie, die für Vorhersagen notwendig ist, welche mit den Phänome­
nen in unserer Welt übereinstimmen. Das Ziel lautet, Theorien zu er­
schaffen, die umfassender und manchmal noch schöner sind, ohne ihre
Eleganz dafür zu opfern.
Das Konzept des Riggs-Mechanismus, das auf dem Phänomen der
spontan gebrochenen Symmetrie (die wir im nächsten Abschnitt behan­
deln) beruht, ist ein Beispiel für eine solche elegante, ausgeklügelte theo­
retische Idee. Der nach dem schottischen Physiker Peter Higgs benannte
Mechanismus lässt die Teilchen des Standardmodells - Quarks, Lepto­
nen und schwache Eich bosonen - Masse annehmen.
Ohne den Higgs-Mechanismus wären alle Elementarteilchen masse­
los ; ein Standardmodell mit massiven Teilchen, a ber ohne Higgs-Mecha­
nismus würde bei hohen Energien unsinnige Vorhersagen ergeben. Die
magische Eigenschaft des Higgs-Mechanismus ist, dass man seinen Ku­
chen essen und zugleich behalten kann : Die Teilchen bekommen Masse,
aber sie verhalten sich, als wären sie masselos, wenn sie Energien haben,
bei denen massive Teilchen anderenfalls Probleme bereiten würden. Wir
werden sehen, dass der Higgs-Mechanismus es Teilchen ermöglicht,
Masse zu haben, sich in einem begrenzten Bereich aber frei bewegen zu
können - ganz ähnlich wie Ikes Auto nach einem Kilometer von Polizis­
ten angehalten wurde, aber in einem begrenzten Bereich ungestört he-

238
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E NTARTE I L C H E N - M A S S E N

rumrasen konnte -, u n d d a s reicht a u s , um Probleme m i t hoher Energie


zu lösen.
Zwar ist der Higgs-Mechanismus eine der nettesten Ideen in der
Quantenfeldtheorie, und er liegt allen fundamentalen Teilchenmassen
zugrunde, er ist a ber auch irgendwie a bstrakt. Aus diesem Grund ist
er abgesehen von Spezialisten den meisten Menschen nicht sonderlich
bekannt. Zwar können Sie viele Aspekte der später in diesem Buch dis­
kutierten Überlegungen verstehen, ohne die Details des Higgs-Mechanis­
mus zu kennen ( und Sie können j etzt zur Zusammenfassung am Kapitel­
ende weiterblättern, wenn Sie möchten), trotzdem sollen Sie in diesem
Kapitel Gelegenheit bekommen, sich ein bisschen in die Teilchenphysik
zu vertiefen und auch Vorstellungen wie etwa die spontan gebrochene
Symmetrie kennen zu lernen, die Eckpfeiler der theoretischen Entwick­
lungen in der heutigen Teilchenphysik sind. Als zusätzlicher Bonus wird
eine gewisse Vertrautheit mit dem Higgs-Mechanismus Ihnen einen er­
staunlichen Einblick in den Elektromagnetismus geben, der erst in den
sechziger Jahren entdeckt wurde, als man die schwache Wechselwirkung
und den Higgs-Mechanismus richtig verstanden hatte. Und wenn wir
später extradimensionale Modelle erforschen, wird ein gewisses Ver­
ständnis für den Higgs-Mechanismus d i e p o te n z ie llen Vorzüge dieser
neueren Ideen begreiflich machen.

Spontan gebrochene Symmetrie

Ehe wir den Higgs-Mechanismus beschreiben können, müssen wir erst


die spontan ge broch ene Symmetrie untersuchen, einen Sonderfall gebro­
chener Symmetrie, der den Kern d e s Higgs-Mechanismus ausmacht. Bei
vielen E igensch a fte n des Universums, die wir bereits verstehen, spielt
spontan gebrochene Symmetrie eine große Rolle, und so wird es vermut­
lich auch bei a lle m sein, was wir noch entdecken werden.
Spontan gebrochene Symmetrien kommen nicht nur überall in der
Physik vor, sie sind auch im Alltagsleben gang und gäbe. Spontan gebro­
chene Symmetrien sind solche, die v on physikalischen Gesetzen gewahrt
werden, nicht aber davon, wie die Dinge in der wirklichen Welt arran­
giert sind. Zu spontan gebrochenen Symmetrien kommt es, wenn ein
System eine Symmetrie nicht mehr aufrechterhalten kann, die es ande­
re nfalls hätte. Wie das funktioniert, erkläre ich am besten anhand einiger
B eispiele.

239
VERBORGENE UN IVERSEN

Denken wir zunächst an ein großes Abendessen, bei dem eine Anzahl
Leute an einem runden Tisch sitzt ; zwischen ihnen stehen j eweils Was­
sergläser. Welches Glas soll man nehmen, das zur Rechten oder das zur
Linken ? Eine eindeutige Antwort gibt es darauf nicht. Leute mit guten
Manieren behaupten zwar, das rechte Glas, aber abgesehen von den will­
kürlichen Regeln der Etikette leisten das linke und das rechte gleich gute
Dienste.
Sobald jedoch j emand nach einem Glas greift, ist die Symmetrie gebro­
chen. Was zu der Wahl motivierte, muss nicht notwendigerweise Teil des
Systems sei n ; in diesem Fall wäre es ein äußerer Faktor : Durst. Wenn
aber erst einmal eine Person spontan aus dem Glas zur Linken getrunken
hat, macht das die Person daneben genauso, und am Schluss werden alle
aus dem Glas zu ihrer Linken getrunken haben.
Die Symmetrie hat bis zu dem Augenblick Bestand, da j emand ein
Glas in die Hand nimmt. In diesem Moment wird die Links-rechts-Sym­
metrie spontan gebrochen. Kein physikalisches Gesetz besagt, dass ir­
gendj emand zwischen links und rechts wählen muss. Aber eines der Glä­
ser muss genommen werden, und danach sind links und rechts nicht
mehr dasselbe, denn es gibt keine Symmetrie mehr, weil die Seiten nicht
mehr austauschbar sind.
Hier ein weiteres Beispiel. Stellen Sie sich einen Bleistift vor, der im
Mittelpunkt eines Kreises auf seiner Spitze steht. Für den Sekunden­
bruchteil, währenddessen er genau senkrecht auf seiner Spitze stehen
blei bt, sind alle Richtungen äquivalent, es gibt eine Rotationssymmetrie.
Aber ein auf seine Spitze gestellter Bleistift bleibt nicht stehen : Spontan
wird er in irgendeine Richtung fallen. Sobald der Bleistift kippt, ist die
ursprüngliche Rotationssymmetrie gebrochen.
Beachten Sie, dass es nicht die physikalischen Gesetze selbst sind, die
die Richtung vorgeben. Die Physik des umfallenden Bleistifts ist immer
dieselbe, egal in welche Richtung er kippt. Der Bleistift selbst bricht die
Symmetrie, den Zustand des Systems. Der Bleistift kann einfach nicht in
alle Richtungen zugleich fallen. Er muss in eine bestimmte Richtung kip­
pen.
Eine unendlich lange und hohe Mauer würde überall und in alle Rich­
tungen an ihr entlang gleich aussehen. Weil aber eine tatsächliche Mauer
Grenzen hat, müssen Sie, wenn Sie ihre Symmetrien erkennen wollen,
nahe genug herangehen, sodass die Ränder aus Ihrem Blickfeld sind. Die
Enden der Mauer verraten Ihnen, dass sie nicht überall gleich aussieht ;
wenn Sie aber Ihre Nasenspitze dagegen drücken, sodass Sie nur eine

240
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TART E I L C H E N - M A S S E N

kurze Entfernung überschauen können, scheint d i e Symmetrie gewahrt


zu sein. Vielleicht denken Sie kurz über dieses Beispiel nach, das zeigt,
wie eine Symmetrie scheinbar erhalten blei bt, wenn man sie aus der
einen Entfernungsskala ansieht, auch wenn sie aus einer anderen gebro­
chen scheint - ein Konzept, dessen Bedeutung sehr bald klar werden
wird .
Fast j ede Symmetrie, die einem einfä llt, wird in der Welt nicht ge­
wahrt. Beispielsweise gäbe es im leeren Raum viele Symmetrien, bei­
spielsweise die Rotations- oder die Translationsinvarianz, die besagen,
dass alle Richtungen und Positionen gleich sind. Aber der Raum ist nicht
leer : Er ist mit Strukturen wie den Sternen und dem Sonnensystem
durchsetzt, die bestimmte Positionen einnehmen und in bestimmter
Weise ausgerichtet sind, sodass die zugrunde liegende Symmetrie nicht
länger gewahrt ist. Diese Strukturen könnten irgendwo sein, aber sie
können nicht überall sein. Die zugrunde liegenden Symmetrien müssen
gebrochen werden, auch wenn sie in den die Welt beschreibenden physi­
kalischen Gesetzen erhalten bleiben.
Auch die mit der schwachen Wechselwirkung zusammenhängende
Symmetrie ist spontan gebrochen. Im Rest dieses Kapitels werde ich er­
klären, woher wir das wissen, und einige der Konsequenzen diskutieren.
Wir werden sehen, dass die spontan gebrochene Symmetrie der schwa­
chen Wechselwirkung die einzige Möglichkeit darstellt, massive Teilchen
zu erklären und zugleich falsche Vorhersagen für hochenergetische Teil­
chen zu vermeiden, die bei allen anderen infrage kommenden Theorien
nicht zu vermeiden wären . Der Higgs-Mechanismus berücksichtigt so­
wohl das Erfordernis einer i nneren, mit der schwachen Wechselwirkung
zusammenhängenden Symmetrie als auch die Notwendigkeit, dass sie
gebrochen wird.

Das Problem

Die schwache Wechselwirkung hat eine besonders bizarre Eigenschaft.


Im Gegensatz zur elektromagnetischen Kraft, die weite Entfernungen
überwindet - wovon Sie j edes Mal profitieren, wenn Sie Ihr Radio ein­
schalten -, wirkt die schwache Kraft nur auf Materie in einem extrem
kleinen Umfeld. Zwei Teilchen müssen sich bis auf ein zehntausendste!
Billionstel eines Zentimeters nähern, damit sie sich mittels der schwa­
chen Wechselwirkung gegenseitig beeinflussen.

241
VERBORGENE UNIVERSEN

Für die Physiker, die ganz zu Anfang an der Quantenfeldtheorie und


der Quantenelektrodynamik (QED, der Quantenfeldtheorie des Elektro­
magnetismus) arbeiteten, war diese begrenzte Reichweite ein Rätsel. Der
QED zufolge sah es so aus, als würden Kräfte wie die gut verstandene
elektromagnetische Wechselwirkung beliebig weit von einer geladenen
Quelle aus übertragen werden können. Warum wurde die schwache
Kraft nicht ebenfalls an Teilchen in beliebiger Entfernung vermittelt,
sondern bloß an die in der Nähe ?
Nach der Quantenfeldtheorie, die die Prinzipien der Quantenmecha­
nik mit denen der speziellen Relativitätstheorie vereint, müssen Teilchen
von niedriger Energie, die Wechselwirkungen nur über eine kurze Ent­
fernung übertragen, Masse haben ; und je schwerer das Teilchen, desto
kürzer die Reichweite. Wie in Kapitel 6 erklärt, ist dies eine Konsequenz
der Unschärferelation und der speziellen Relativitätstheorie. Die Un­
schärferelation besagt, dass man Teilchen mit großem Impuls braucht,
um physikalische Prozesse über kurze Distanzen zu untersuchen oder zu
beeinflussen, und die spezielle Relativitätstheorie setzt diesen Impuls zu
einer Masse in Beziehung. O bwohl dies eine qualitative Aussage ist, prä­
zisiert die Quantenfeldtheorie diese Beziehung. Sie besagt, wie weit ein
massives Teilchen sich bewegen kann : Je kleiner die Masse, desto größer
die Entfernung.
Daher konnte nach der Quantenfeldtheorie die kurze Reichweite der
schwachen Wechselwirkung nur eines bedeuten : Die schwachen Eich­
bosonen, die sie vermitteln, mussten eine Masse größer als null haben.
Die Theorie der Wechselwirkungen, die ich im vorangegangenen Ka­
pitel beschrieb, funktioniert aber nur bei Eichbosonen wie etwa dem
Photon, das eine Kraft über große Entfernungen überträgt und die
Masse null hat. Nach der ursprünglichen Wechselwirkungstheorie war
die Existenz von Massen größer als null merkwürdig und problema­
tisch - wenn Eichbosonen eine Masse haben, machen die Vorhersagen
der Theorie für hohe Energien keinen Sinn. Beispielsweise würde die
Theorie vorhersagen, dass sehr energiereiche, massive Eichbosonen viel
zu stark wechselwirken - so stark sogar, dass die Teilchen scheinbar
mehr als 100 Prozent der Zeit interagieren. Diese naive Theorie ist ein­
deutig falsch.
Darüber hinaus bewahren die Massen der schwachen Eichbosonen,
Quarks und Leptonen ( von denen wir wissen, dass ihre Massen größer
als null sind ) nicht die innere Symmetrie, die ein entscheidender Baustein
der Wechselwirkungstheorie ist, wie wir im vorangegangenen Kapitel ge-

242
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TA RT E I L C H E N - M A S S E N

sehen haben. Physiker, die auf e i n e Theorie m i t massiven Teilchen hoff­


ten, mussten sich eindeutig etwas einfallen lassen.
Die Physiker konnten zeigen, dass die einzige Chance auf eine Theorie
ohne unsinnige Vorhersagen über energiereiche, massive Eichbosonen
darin besteht, dass die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung spon­
tan durch den Prozess namens Higgs-Mechanismus gebrochen wird .
Und zwar aus folgendem Grund :
Sie erinnern vielleicht aus dem vorigen Kapitel, dass mit ein Grund für
die Einbeziehung einer inneren Symmetrie, die eine von drei möglichen
Polarisierungen eines Eichbosons eliminiert, darin bestand, dass eine
Theorie ohne Symmetrie eben diese Art von unsinnigen Vorhersagen
macht, wie ich sie gerade erwähnte. Die einfachste Theorie der Wechsel­
wirkungen ohne innere Symmetrie sagt voraus, dass j edes energiereiche
Eichboson, mit oder ohne Masse, viel zu oft mit anderen Eichbosonen
interagiert.
Die stimmige Wechselwirkungstheorie eliminiert dieses unsinnige Ver­
halten bei hohen Energien, indem die Polarisierung verboten wird, die
für die falschen Voraussagen verantwortlich ist und in der Natur auch
gar nicht vorkommt. Falsche Polarisierungen sind die Quelle der proble­
matischen Vorhersagen für die Streuung bei hohen Energien, also erlaubt
die Symmetrie nur physikalische Polarisierungen - solche, die es wirklich
gibt und die mit der Symmetrie konsistent sind. Die Symmetrie, die die
Theorie von nicht existierenden Polarisierungen befreit, eliminiert auch
die falschen Vorhersagen, die sie anderenfalls hervorrufen würden .
O bwohl ich es oben nicht so explizit sagte, funktioniert das wie dar­
gelegt nur bei masselosen Eichbosonen. Im Gegensatz zum Photon ha­
ben die schwachen Eichbosonen aber Massen größer als null. Schwache
Eichbosonen bewegen sich mit weniger als Lichtgeschwindigkeit. Und
das kippt Sand ins Getriebe.
Während masselose Eichbosonen nur zwei Polarisierungen haben, die
in der Natur vorkommen, haben massive Eichbosonen deren drei. Man
kann das unter anderem so verstehen, dass masselose Eichbosonen sich
stets mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, was uns sagt, dass sie niemals
zur Ruhe kommen. Sie zeichnen also ihre Ausbreitungsrichtung aus, so­
dass man stets die senkrechten Richtungen von der verbleibenden Pola­
risierung entlang der Ausbreitungsrichtung unterscheiden kann. Und
wie sich herausgestellt hat, sind die masselosen Eichbosonen auch nur in
den zwei senkrechten, physikalischen Richtungen polarisiert.
Mit massiven Eichbosonen verhält es sich hingegen anders. Wie alle

243
VERBORGENE UN IVERSEN

vertrauten Obj ekte können sie stillstehen. Aber wenn ein massives Eich­
boson sich nicht bewegt, zeichnet es auch keine Bewegungsrichtung aus.
Für ein massives Eichboson in Ruhe müssten alle drei Richtungen äqui­
valent sein. Wenn aber alle drei Richtungen äquivalent sind, dann müss­
ten alle drei möglichen Polarisierungen auch in der Natur vorkommen.
Und so ist es.
Selbst wenn Sie den Gedankengang oben mysteriös finden, kann ich
Ihnen versichern, dass Experimentatoren bereits die Effekte einer dritten
Polarisierung bei einem massiven Eichboson beobachtet und deren Exis­
tenz bestätigt haben. Die dritte Polarisierung nennt man die Longitudi­
nalpolarisierung. Wenn sich ein massives Eichboson bewegt, ist die Lon­
gitudinalpolarisierung die Welle, die entlang der Ausbreitungsrichtung
oszilliert - wie beispielsweise Schallwellen schwingen.
Im Fall von masselosen Eichbosonen wie etwa dem Photon gibt es
diese Polarisierung nicht. Bei massiven Eichbosonen wie den schwachen
Eichbosonen j edoch ist die dritte Polarisierung wahrhaftig von der Na­
tur vorgesehen. Diese dritte Polarisierung muss Bestandteil der Theorie
über schwache Eichbosonen sein.
Weil diese dritte Polarisierung die Ursache dafür ist, dass ein schwa­
ches Eichboson bei hoher Energie so überaus stark wechselwirkt, stellt
ihre Existenz uns vor ein Dilemma. Wir wissen bereits, dass wir eine
Symmetrie brauchen, um das unerwünschte Verhalten bei hohen Ener­
gien zu eliminieren. Aber diese Symmetrie befreit uns von den falschen
Vorhersagen, indem sie auch die dritte Polarisierung eliminiert, und diese
Polarisierung ist für das massive Eichboson und für die es beschreibende
Theorie unverzichtbar. Selbst wenn eine innere Symmetrie die uner­
wünschten Vorhersagen für das Verhalten bei hoher Energie eliminiert,
kostet das einen zu hohen Preis : Die Symmetrie würde auch die Masse
beseitigen ! Eine Symmetrie in der Theorie massiver Eichbosonen scheint
Gefahr zu laufen, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Die Sackgasse erscheint auf den ersten Blick ausweglos, da die Anfor­
derungen an eine Theorie der massiven Eichbosonen anscheinend völlig
widersprüchlich sind. Einerseits soll die im vorangegangenen Kapitel
beschriebene innere Symmetrie gebrochen werden, da sonst massive
Eichbosonen mit drei physikalischen Polarisierungen verboten wären.
Andererseits würde ohne innere Symmetrie zur Eliminierung von einer
der Polarisierungen die Theorie der Wechselwirkungen bei Eichbosonen
mit hoher Energie falsche Vorhersagen machen. Wir brauchen noch im­
mer eine Symmetrie zur Eliminierung der dritten Polarisierung von allen

244
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TART E I L C H E N - M A S S E N

massiven Eichbosonen, wenn wir irgendwelche Hoffnung hegen wollen,


das falsche hochenergetische Verhalten auszuschließen.
Der Schlüssel zur Auflösung dieses Paradoxons und zur Ausarbeitung
einer korrekten quantenfeldtheoretischen Beschreibung massiver Eich­
bosonen lag darin, den Unterschied zwischen denen mit hoher und j enen
mit niedriger Energie zu erkennen. In der Theorie ohne innere Symmetrie
sahen nur Vorhersagen über hochenergetische Eichbosonen aus, als wä­
ren sie problematisch. Vorhersagen über niederenergetische Eichboso­
nen schienen vernünftig ( und trafen z u ) .
Zusammen haben diese Tatsachen weit reichende Folgen : U m d i e pro­
blematischen Vorhersagen bei hoher Energie zu vermeiden, war innere
Symmetrie entscheidend - die Erkenntnisse des vorigen Kapitels gelten
immer noch. Wenn aber die massiven Eichbosonen niedrige Energie ha­
ben ( niedrig im Vergleich zu der Energie, die Einsteins Gleichung E mc2 =

mit ihrer Masse verknüpft), darf die Symmetrie nicht länger gewahrt
werden. Diese Symmetrie muss eliminiert werden, damit Eichbosonen
Masse haben können und die dritte Polarisierung an den niederenergeti­
schen Wechselwirkungen beteiligt sein kann, bei denen die Masse den
Unterschied ausmacht.
Im Jahr 1 964 fanden Peter Higgs und andere heraus, wie Theorien der
Wechselwirkungen die massiven Eichbosonen berücksichtigen konnten,
indem sie genau das machten, was wir gerade gesagt haben : Bei hoher
Energie eine innere Symmetrie wahren, bei niedriger Energie aber nicht.
Der auf spontan gebrochener Symmetrie basierende Higgs-Mechanis­
mus eliminiert die innere Symmetrie schwacher Wechselwirkungen -
aber nur bei niedriger Energie. Das stellt sicher, dass die zusätzliche Po­
larisierung nur bei niedriger Energie vorhanden ist, bei der die Theorie
sie braucht. Die zusätzliche Polarisierung ist aber nicht an hochenergeti­
schen Prozessen beteiligt, und die unsinnigen hochenergetischen Wech­
selwirkungen zeigen sich nicht.
Wir wollen j etzt ein bestimmtes Modell betrachten, das spontan die
Symmetrie der schwachen Wechselwirkung bricht und den Higgs-Me­
chanismus implementiert. Bei dieser Variante des Higgs-Mechanismus
werden wir sehen, wie die Elementarteilchen des Standardmodells zu
ihrer Masse kommen .

245
VERBORGENE U N I VERSEN

Der Higgs-Mechanismus

Zum Higgs-Mechanismus gehört ein Feld, das die Physiker Higgs-Feld


nennen. Wie wir gesehen haben, handelt es sich bei den Feldern der
Quantenfeldtheorie um O bj ekte, die überall im Raum Teilchen produ­
zieren können. Jeder Typ von Feld erzeugt seinen eigenen Teilchentyp.
Ein Elektronfeld ist beispielsweise die Quelle von Elektronen. Genauso
ist ein Higgs-Feld der Ursprung von Higgs-Teilchen.
Wie im Fall von schweren Quarks und Leptonen sind Higgs-Teilchen
so schwer, dass sie in gewöhnlicher Materie nicht zu finden sind. Doch
im Gegensatz zu schweren Quarks und Leptonen hat noch niemand die
Higgs-Teilchen beobachtet, die das Higgs-Feld produzieren müsste, auch
nicht bei Experimenten mit Hochenergie-Beschleunigern. Das heißt
nicht, dass es keine Higgs-Teilchen gibt, sondern nur, dass Higgs-Teil­
chen zu schwer sind, um bei den Energien produziert zu werden, mit de­
nen die Experimente bislang durchgeführt wurden . Physiker erwarten,
dass wir Higgs-Teilchen, so es sie gibt, in nur wenigen Jahren erzeugen
werden, wenn der hochenergetische LHC in Betrieb geht.
Dennoch sind wir ziemlich sicher, dass es den Higgs-Mechanismus in
unserer Welt gibt, denn er stellt die einzige Möglichkeit dar, den Teilchen
des Standardmodells ihre Massen zu geben. Er ist die einzige bekannte
Lösung für das Problem, das wir im vorangegangenen Abschnitt umris­
sen haben. Da aber noch niemand ein Higgs-Teilchen entdeckt hat, wis­
sen wir unglücklicherweise noch nicht genau, worum es sich beim Higgs­
Feld (oder den Higgs-Feldern) eigentlich handelt.
Das Wesen des Higgs-Teilchens zählt zu den am heftigsten diskutierten
Themen der Teilchenphysik. Ich werde hier das einfachste der vielen in­
frage kommenden Modelle vorstellen - möglicher Theorien, die ver­
schiedene Teilchen und Kräfte umfassen - und daran demonstrieren, wie
der Higgs-Mechanismus funktioniert. Als was die wahre Higgs-Feld­
theorie sich auch immer herausstellen wird, sie wird den Higgs-Mecha­
nismus implementieren - der spontan die Symmetrie der schwachen
Wechselwirkung bricht und den Elementarteilchen ihre Massen gibt -,
und zwar auf dieselbe Weise wie das Modell, das ich hier vorstellen will.
Bei diesem Modell unterliegt ein Felder-Paar der schwachen Wechsel­
wirkung. Später wird es hilfreich sein, sich diese beiden Higgs-Felder, die
Gegenstand der schwachen Wechselwirkung sind, so vorzustellen, dass
sie die Ladung der schwachen Kraft tragen. Die Terminologie des Higgs­
Mechanismus ist manchmal etwas schluderig, und so bezeichnet man

246
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TA RT E I L C H E N - M A S S E N

m i t >> das Higgs << m a l die beiden Felder zusammen, m a l eines d e r Felder
allein ( und oft die Higgs-Teilchen, die wir zu finden hoffen ) . Ich will hier
zwischen den Möglichkeiten unterscheiden und bezeichne die einzelnen
Felder als Higgs 1 und Higgs 2 •
Sowohl Higgs 1 als auch Higgs 2 haben das Potenzial, Teilchen hervor­
zubringen. Sie können aber auch Werte ungleich null annehmen, wenn
keine Teilchen vorhanden sind. Bislang sind wir solchen Werten un­
gleich null für Quantenfelder noch nicht begegnet. Abgesehen von den
elektrischen und magnetischen Feldern haben wir bisher nur Quanten­
felder betrachtet, die Teilchen erschaffen oder zerstören können, in Ab­
wesenheit von Teilchen aber den Wert null annehmen. Genau wie die
klassischen elektrischen und magnetischen Felder können aber auch
Quantenfelder Werte ungleich null haben. Und beim Higgs-Mechanis­
mus nimmt eines der Higgs-Felder einen Wert ungleich null an. Wir
werden j etzt sehen, dass dieser Wert letztlich der Ursprung der Teilchen­
massen ist. 1 7
Wenn e i n Feld einen Wert ungleich null annimmt, stellt man sich das
am besten so vor, dass der Raum die Ladung manifestiert, die das Feld
trägt, ohne irgendwelche tatsächlichen Teilchen zu enthalten. Die La­
dung des Feldes können Sie sich so denken, dass sie überall ist. Das ist
leider eine ziemlich abstrakte Vorstellung, weil das Feld selbst ein abs­
traktes Obj ekt ist. Wenn aber das Feld einen Wert ungleich null an­
nimmt, sind die Folgen ganz konkret : Die Ladung, die ein Feld ungleich
null hat, gibt es in der realen Welt.
Insbesondere verteilt ein Higgs-Feld ungleich null die schwache La­
dung im ganzen Universum. Es ist, als würde das schwach geladene
Nicht-null-Higgs-Feld mit dieser schwachen Ladung den gesamten
Raum ausmalen. Ein Wert ungleich null für das Higgs-Feld bedeutet,
dass die schwache Ladung, die Higgs 1 ( oder Higgs 2 ) trägt, überall ist,
selbst wenn keine Teilchen vorhanden sind. Das Vakuum selbst - der Zu­
stand des Universums ohne Teilchen - ist schwach geladen, wenn eines
der beiden Higgs-Felder einen Wert ungleich null annimmt.
Schwache Eichbosonen wechselwirken mit dieser schwachen Ladung
des Vakuums, genau wie sie das mit allen schwachen Ladungen tun. Und
die Ladung, von der das Vakuum durchdrungen ist, blockiert die schwa­
chen Eichbosonen, wenn sie versuchen, Kräfte über große Entfernungen
zu übermitteln. Je weiter sie zu reisen versuchen, desto mehr >> Farbe << be­
gegnet ihnen. (Weil die Ladung sich in drei D imensionen ausbreitet, stel­
len Sie sich vielleicht lieber einen farbigen Sprühnebel vor. )

247
VERBORGENE UNIVERSEN

Die Rolle des Higgs-Felds ist der der Verkehrspolizisten in der Ein­
gangsgeschichte recht ähnlich : Es schränkt den Einfluss der schwachen
Wechselwirkung auf sehr kurze Distanzen ein. Bei dem Versuch, die
schwache Wechselwirkung auf entfernte Teilchen zu übertragen, stoßen
die die Kraft tragenden schwachen Eichbosonen gegen das Higgs-Feld,
das ihnen den Weg versperrt und sie abschottet. Wie Ike, der nur in einem
Radius von einem Kilometer um seinen Ausgangspunkt ungehindert her­
umrasen konnte, bewegen sich schwache Eichbosonen ungehindert nur
über eine sehr kurze Distanz, rund ein zehntausendste! Billionstel eines
Zentimeters. Sowohl schwache Eichbosonen als auch Ike können kurze
Strecken ohne Einschränkungen zurücklegen, werden aber bei größeren
Entfernungen abgefangen.
Die schwache Ladung des Vakuums ist so fein verteilt, dass es auf
kurze Distanzen sehr wenig Anzeichen für das Higgs-Feld ungleich null
und die damit zusammenhängende Ladung gibt. Quarks, Leptonen und
schwache Eichbosonen können sich frei über kurze Entfernungen bewe­
gen, fast als gäbe es die Ladung des Vakuums nicht. Die schwachen Eich­
bosonen können daher Kräfte über kurze Distanzen vermitteln, fast als
wären die beiden Higgs-Felder gleich null.
Bei größeren Entfernungen legen die Teilchen j edoch längere Strecken
zurück und begegnen daher einer handfesteren Menge von schwacher
Ladung. Auf wie viel sie treffen, hängt von der Dichte der Ladung ab, die
wiederum vom Wert des Higgs-Felds ungleich null abhängt. Langstre­
ckemeisen ( und die Vermittlung der schwachen Wechselwirkung über
große Entfernungen) sind nichts für schwache Eichbosonen niedriger
Energie, denn bei ausgedehnten Exkursionen stellt sich ihnen die schwa­
che Ladung des Vakuums in den Weg.
Und genau das brauchen wir, damit schwache Eichbosonen einen
Sinn ergeben. Der Quantenfeldtheorie zufolge haben Teilchen, die unge­
hindert kurze Distanzen zurücklegen, aber nur extrem selten längere
Entfernungen, Massen ungleich null. Dass schwache Eichbosonen nur
Kurztrips machen, verrät uns, dass sie sich verhalten, als hätten sie
Masse, denn massive Eichbosonen kommen einfach nicht sehr weit. Die
den Raum durchdringende schwache Ladung schränkt die Bewegungs­
möglichkeiten der schwachen Eichbosonen ein, sodass sie sich genau so
verhalten, wie sie es müssen, um mit den Experimenten übereinzustim­
men.
Die schwachen Ladungen des Vakuums haben eine Dichte, die in
etwa den Ladungen entspricht, die durch ein zehntausendste! Billionstel

248
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E NTART E I L C H E N - M A S S E N

eines Zentimeters getrennt sind. Bei dieser Dichte d e r schwachen La­


dung nehmen die Massen der schwachen Eichbosonen - der geladenen
Ws und des neutralen Z - die gemessenen Werte von annähernd 100
GeV an.
Und das ist noch nicht alles, was der Higgs-Mechanismus zu Wege
bringt. Er ist auch für die Massen von Quarks und Leptonen verant­
wortlich - den Elementarteilchen, aus denen die Materie des Standard­
modells zusammengesetzt ist. Quarks und Leptonen bekommen ihre
Masse auf ganz ähnliche Weise wie die schwachen Eichbosonen.
Quarks und Leptonen wechselwirken mit dem im ganzen Raum verteil­
ten Higgs-Feld und werden daher ebenfalls von der schwachen Ladung
des Universums behindert. Wie schwache Eichbosonen erhalten Quarks
und Leptonen dadurch ihre Masse, dass sie an der überall in der Raum­
zeit verteilten Higgs-Ladung abprallen. Ohne das Higgs-Feld hätten
diese Teilchen gleichfalls verschwindende Masse. Doch abermals stören
das Nicht-null-Higgs-Feld und die schwache Ladung des Vakuums die
Bewegung und verhelfen den Teilchen zu Masse. Der Higgs-Mechanis­
mus ist also auch nötig, damit Quarks und Leptonen ihre Massen be­
kommen.
Zwar ist der Higgs-Mechanismus eine kompliziertere Ursache für
Masse, als Sie vielleicht für nötig halten, aber nach der Quantenfeldtheo­
rie stellt er die einzige vernünftige Möglichkeit dar, wie schwache Eich­
bosonen zu Masse kommen können. Das Schöne am Higgs-Mechanis­
mus ist, dass er den schwachen Eichbosonen zu Masse verhilft, während
er zugleich genau die Aufgabe bewältigt, die ich zu Beginn des Kapitels
umrissen habe : Der Higgs-Mechanismus sorgt anscheinend dafür, dass
die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung bei kurzen Distanzen ge­
wahrt bleibt (die nach der Quantenmechanik und der speziellen Relati­
vitätstheorie hoher Energie äquivalent sind ) , aber bei großen Entfernun­
gen gebrochen wird (die niedriger Energie äquivalent sind ) . Er bricht
spontan die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung, und dieser
spontane Bruch bietet den Kern der Lösung für das Problem der massi­
ven Eichbosonen. Dieses etwas schwierigere Thema wird im folgenden
Abschnitt erklärt ( aber wenn Sie wollen, können Sie zum nächsten Ka­
pitel weiterblättern ) .

249
VERBORGENE UNIVERSEN

Die spontan gebrochene Symmetrie


der schwachen Wechselwirkung

Wir haben gesehen, dass die mit der schwachen Wechselwirkung zusam­
menhängende innere Symmetrietransformation alles gegeneinander aus­
tauscht, was mit schwacher Kraft geladen ist, weil die Symmetrietrans­
formation sich auf alles auswirkt, was mit schwachen Eichbosonen
wechselwirkt. Daher muss die mit der schwachen Wechselwirkung zu­
sammenhängende innere Symmetrie sich auf die Higgs 1 - und die
Higgs 2 -Felder auswirken - oder auf die Higgs 1 - und Higgs 2-Teilchen,
die sie erschaffen - und sie als äquivalent behandeln, genau wie sie Up­
und Down-Quarks, die ebenfalls der schwachen Wechselwirkung unter­
liegen, als austauschbare Teilchen behandelt.
Wenn beide Higgs-Felder gleich null wären, wären sie äquivalent und
austauschbar und die gesamte mit der schwachen Wechselwirkung zu­
sammenhängende Symmetrie bliebe gewahrt. Wenn j edoch eines der bei­
den Higgs-Felder einen Wert ungleich null annimmt, brechen die Higgs­
Felder spontan die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung. Wenn
eines der Felder gleich null ist, das andere aber nicht, ist die elektro­
schwache Symmetrie, durch die Higgs 1 und Higgs 2 austauschbar sind,
gebrochen.
Genau wie die erste Person, die entweder ihr linkes oder ihr rechtes
Glas ergreift, die Links-rechts-Symmetrie am runden Tisch bricht, bricht
ein Higgs-Feld, das einen Wert ungleich null annimmt, die Symmetrie
der schwachen Wechselwirkung, die die beiden Higgs-Felder gegenein­
ander austauscht. Die Symmetrie ist spontan gebrochen, weil es nur das
Vakuum ist, das sie bricht - der momentane Zustand des Systems, in die­
sem Fall das Feld ungleich null. Die physikalischen Gesetze, die unverän­
dert bleiben, wahren trotzdem die Symmetrie.
Ein Bild kann vielleicht veranschaulichen, wie ein Feld ungleich null
die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung bricht. Abbildung 58
zeigt zwei Achsen x und y. Die Äquivalenz der beiden Higgs-Felder ist
wie die Äquivalenz der x- und der y-Achse, wenn darauf keine Punkte
markiert sind : Wenn ich die Graphik drehe, sodass die Achsen den Platz
wechseln, würde das Bild noch immer genauso aussehen. Das ist eine
Folge der gewöhnlichen Rotationssymmetrie.I8
Wenn ich einen Punkt an der Position x=O, y=O zeichne, wird diese Ro­
tationssymmetrie vollständig gewahrt. Markiere ich aber einen Punkt,
dessen einer Koordinatenwert nicht null ist, beispielsweise x=S und y=O,

250
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TA R T E I L C H E N - M A S S E N

2
X = 0, y = 0
X = S, y = 0

0 X
0 2 3 4 5 6 7

A b bildung 58 : Wird der Punkt x=O, y=O ausgesucht, bleibt die Rotations­
symmetrie erhalten. Wird aber x=5, y=O ausgewählt, ist die Rotationssymme­
trie gebrochen.

bleibt die Rotationssymmetrie nicht länger erhalten. Die beiden Achsen


sind nicht mehr äquivalent, weil der x-Wert, aber nicht der y-Wert dieses
Punkts ungleich null ist. 1 9
A u f ähnliche Weise bricht d e r Higgs-Mechanismus spontan die Sym­
metrie der schwachen Wechselwirkung. Wenn die beiden Higgs-Felder
null sind, bleibt die Symmetrie gewahrt. Ist aber eines größer als null und
das andere nicht, wird die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung
spontan gebrochen.
Die Massen der schwachen Eichbosonen verraten uns den genauen
Wert der Energie, bei der die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung
spontan gebrochen wird. Diese Energie beträgt 250 GeV, die schwache
Energieskala, sehr nahe an den Massen der schwachen Eichbosonen des
w-, des W+ und des Z. Wenn Teilchen eine Energie größer als 250 GeV
haben, kommt es zu Wechselwirkungen, als wäre die Symmetrie ge­
wahrt ; beträgt ihre Energie weniger als 250 GeV, ist die Symmetrie ge­
brochen, und die schwachen Eichbosonen verhalten sich, als hätten sie
Masse. Beim richtigen Wert des nicht verschwindenden Higgs-Felds wird
die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung spontan bei der richtigen
Energie gebrochen, und die schwachen Eichbosonen bekommen genau
die richtige Masse.
Die Symmetrietransformationen, die auf schwache Eichbosonen ein­
wirken, beeinflussen auch Quarks und Leptonen. Und es stellt sich her­
aus, dass bei diesen Transformationen die Verhältnisse nicht unverän­
dert bleiben, sofern Quarks und Leptonen nicht masselos sind. Das
heißt, die Symmetrien der schwachen Wechselwirkung bleiben nur ge­
wahrt, wenn Quarks und Leptonen keine Masse haben. Und weil die
Symmetrie der schwachen Wechselwirkung bei hohen Energien entschei-

251
VERBORGENE U N I VERSEN

dend ist, ist die spontan gebrochene Symmetrie nicht nur für die Massen
der schwachen Eichbosonen erforderlich, sie ist auch nötig, damit die
Quarks und Leptonen Masse erhalten. Der Higgs-Mechanismus ist die
einzige Möglichkeit, wie alle massiven fundamentalen Teilchen des Stan­
dardmodells ihre Massen bekommen können.
Der Higgs-Mechanismus funktioniert genau so, dass sichergestellt ist,
dass j ede Theorie, die ihn einschließt, massive schwache Eichbosonen
haben kann ( und auch massive Quarks und Leptonen ) und dennoch kor­
rekte Vorhersagen für das Verhalten bei hohen Energien machen wird .
Vor allem für hochenergetische schwache Eichbosonen - mit einer Ener­
gie größer als 250 Ge V - wird anscheinend die Symmetrie gewahrt, so­
dass es keine falschen Vorhersagen gibt. Bei hohen Energien filtert die
mit der schwachen Wechselwirkung zusammenhängende innere Symme­
trie noch immer die problematische Polarisierung des schwachen Eich­
bosons heraus, die zu viel zu zahlreichen Wechselwirkungen führen
würde. Bei niedrigen Energien aber, wenn die Masse dafür entscheidend
ist, die gemessenen Wechselwirkungen der schwachen Kraft über kurze
Distanzen zu reproduzieren, wird die Symmetrie der schwachen Wech­
selwirkung gebrochen.
Aus diesem Grund ist der Higgs-Mechanismus so wichtig. Keine an­
dere Theorie, die diese Massen zuweist, hat diese Eigenschaften. Andere
Ansätze versagen entweder bei niedrigen Energien, wo die Masse falsch
ist, oder bei hohen, wo die Wechselwirkungen falsch vorhergesagt wer­
den.

Bonus

Das Standardmodell hat noch einen Erfolg zu verzeichnen, den ich noch
nicht erklärt habe. Das Higgs-Feld wird zwar in den nächsten paar Ka­
piteln wichtig werden, dieser besondere Aspekt des Higgs-Mechanismus
aber nicht. Er ist j edoch so überraschend und faszinierend, dass er der
Erwähnung wert ist.
Der Higgs-Mechanismus verrät uns nicht nur etwas über die schwache
Wechselwirkung. Überraschenderweise bietet er auch neue Einsichten,
warum der Elektromagnetismus etwas Besonderes ist. Bis in die sechzi­
ger Jahre des vorigen Jahrhunderts hätte niemand geglaubt, dass es über
die elektromagnetische Wechselwirkung noch etwas zu lernen gäbe, weil
sie so gut erforscht und seit über einem Jahrhundert gut verstanden war.

252
D E R U R S P R U N G D E R E L E M ENTARTE I LC H E N - M A S S E N

In d e n sechziger Jahren j edoch zeigte die v o n Sheldon Glashow, Steven


Weinberg und Abdus Salam vorgeschlagene elektroschwache Theorie,
dass es bei den hohen Temperaturen und Energien zu Beginn des Univer­
sums drei schwache Eichbosonen und dazu noch ein viertes, unabhängi­
ges neutrales Boson mit einer unterschiedlichen Wechselwirkungsstärke
gab. Das Photon, das heute so allgegenwärtig und wichtig ist, stand da­
mals noch nicht auf dieser Liste. Die Autoren der elektroschwachen
Theorie leiteten die Natur der vier schwachen Eichbosonen sowohl aus
mathematischen als auch physikalischen Hinweisen ab, auf die ich hier
nicht eingehen werde.
Das Bemerkenswerte ist, dass das Photon ursprünglich nichts Beson­
deres war. De facto ist das Photon, von dem wir heute sprechen, eigent­
lich eine Mischung von zweien der ursprünglich vier Eichbosonen. Der
Grund für die Sonderstellung des Photons liegt darin, dass es das einzige
an der elektroschwachen Wechselwirkung beteiligte Eichboson ist, das
für die schwache Ladung des Vakuums unempfänglich ist. Das Haupt­
unterscheidungsmerkmal des Photons besteht darin, dass es ungestört
durch das schwach geladene Vakuum reist und daher keine Masse hat.
Die Bewegung des Photons ist im Gegensatz zu der des W und des Z
nicht durch den Wert eines Higgs-Felds ungleich null behindert. Das liegt
daran, dass das Vakuum zwar eine schwache Ladung trägt, aber keine
elektrische. Das Photon, das die elektromagnetische Wechselwirkung
vermittelt, interagiert nur mit elektrisch geladenen Obj ekten. Aus die­
sem Grund kann das Photon die Wechselwirkung über weite Strecken
vermitteln, ohne dass das Vakuum dabei stört. Es ist daher das einzige
Eichboson, das selbst in Anwesenheit eines Higgs-Felds ungleich null
masselos bleibt.
Wieder ähnelt die Situation den Tempokontrollen, mit denen Ike sich
rumplagen musste (auch wenn dieser Teil der Analogie ein bisschen wei­
ter hergeholt ist ) . Die Geschwindigkeitsfallen lassen langweilige Autos
ungeschoren davonkommen. Wie langweilige, neutrale Autos reisen
Photonen immer ungestört.
Wer hätte das gedacht ? Das Photon, von dem die Physiker jahrelang
angenommen hatten, sie hätten es vollständig verstanden, hat einen Ur­
sprung, den man nur im Rahmen einer komplexeren Theorie verstehen
kann, die die schwache und die elektromagnetische Wechselwirkung zu
einer einzigen Theorie vereint. Diese nennt man daher im Allgemeinen
die elek troschwache Theorie und die relevante Symmetrie heißt elek­
troschwache Symmetrie. Die elektroschwache Theorie und der Higgs-

253
VERBORGENE U N I VERSEN

Mechanismus sind große Erfolge der Teilchenphysik. Nicht nur die Mas­
sen der schwachen Eichbosonen, sondern auch die Bedeutung des Pho­
tons werden in diesem Bezugsrahmen angemessen erklärt. O bendrein er­
laubt er uns, den Ursprung der Masse von Quarks und Leptonen zu ver­
stehen. Die ziemlich abstrakten Vorstellungen, denen wir gerade begeg­
net sind, erklären gut ein breites Spektrum von Merkmalen dieser Welt.

Warnung !

Der Higgs-Mechanismus funktioniert bestens, verleiht den Quarks, Lep­


tonen und schwachen Eichbosonen ihre Masse, ohne unsinnige Vorher­
sagen für hohe Energien zu machen, und erklärt darüber hinaus, wie das
Photon entstanden ist. Es gibt j edoch eine entscheidende Eigenschaft des
Higgs-Teilchens, die die Physiker noch nicht ganz verstehen.
Die elektroschwache Symmetrie muss bei rund 250 GeV gebrochen
werden, damit Teilchen ihre gemessene Masse bekommen. Experimente
zeigen, dass Teilchen mit einer Energie von mehr als 250 Ge V wirken, als
seien sie masselos, während Teilchen mit einer Energie unter 250 GeV
sich verhalten, als hätten sie Masse. Die elektroschwache Symmetrie
wird j edoch nur dann bei 250 Ge V gebrochen, wenn das Higgs-Teilchen
( manchmal auch Higgs-Boson genannt20) selbst ungefähr diese Masse
hat (abermals via E mc2 ) ; die Theorie der schwachen Wechselwirkung
=

würde nicht funktionieren, wenn die Higgs-Masse erheblich größer


wäre. Wenn die Higgs-Masse größer wäre, würde die Symmetrie bei hö­
herer Energie gebrochen, und die schwachen Eichbosonen wären schwe­
rer - was im Widerspruch zu experimentellen Beobachtungen stünde.
Im Kapitel 12 werde ich j edoch erklären, warum ein leichtes Higgs­
Teilchen ein größeres theoretisches Problem darstellt. Rechnungen, die
die Quantenmechanik berücksichtigen, deuten auf ein schwereres Higgs­
Teilchen hin, und die Physiker wissen noch nicht, warum die Masse des
Higgs-Teilchens so gering sein sollte. Dieses Dilemma hat entscheiden­
den Anteil daran, die Teilchenphysik zu neuen Ideen zu motivieren - und
zu ein paar der extradimensionalen Modelle, die wir später kennen ler­
nen werden.
Selbst ohne die genaue Natur des Higgs-Teilchens und den Grund,
warum es so leicht ist, zu kennen, sagt uns die Anforderung an die
Masse, dass der Large Hadron Collider (LHC ) , der am CERN in der
Schweiz noch während dieses Jahrzehnts in Betrieb gehen soll, ein oder

254
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TA RTE I L C H E N - M A S S E N

mehrere entscheidende Teilchen entdecken müsste. Was immer die elek­


troschwache Symmetrie bricht, es muss eine Masse haben, die ungefähr
der schwachen Massenskala entspricht. Und wir erwarten, dass der LHC
herausfinden wird, was das ist. Kommt es dazu, wird diese wichtige, ent­
scheidende Entdeckung unser Verständnis von den tieferen Strukturen
der Materie einen großen Schritt voranbringen. Und sie wird uns auch
verraten, welche ( wenn überhaupt eine ) der Hypothesen zur Erklärung
des Higgs-Teilchens die richtige ist.
Doch bevor wir uns diesen Überlegungen zuwenden, wollen wir uns
eine mögliche Ausweitung des Standardmodells ansehen, die einzig und
allein um der Einfachheit der Natur willen vorgeschlagen worden ist. Im
nächsten Kapitel wenden wir uns virtuellen Teilchen, der Entfernungs­
abhängigkeit der Wechselwirkungen und dem faszinierenden Thema der
Großen Vereinheitlichung zu.

Zur Erinnernng:

• Trotz der Bedeutung von Symmetrien für die korrekte Vorhersage bei
Teilchen hoher Energie sagen uns die Massen von Quarks, Leptonen
und schwachen Eichbosonen, dass die Symmetrie der schwachen
Wechselwirk ung gebrochen werden muss.
• Weil wir uns aber vor falschen Vorhersagen hüten müssen, muss die
Symmetrie der schwachen Wechselwirkung bei hoher Energie trotz­
dem gewahrt werden. Folglich darf die Symmetrie der schwachen
Wechselwirkung nur bei niedriger Energie gebrochen werden.

• Zu spontan gebrochener Symmetrie kommt es, wenn alle physikali­


schen Gesetze eine Symmetrie wahren, das reale physische System aber
nicht. Spontan gebrochene Symmetrien sind Symmetrien, die bei ho­
hen Energien erhalten bleiben, bei niedrigen aber gebrochen werden.
Die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung ist spontan gebrochen.

• Der Vorgang, durch den die Symmetrie der schwachen Wechselwir­


kung spontan gebrochen wird, heißt Higgs-Mechanismus. Damit der
Higgs-Mechanismus spontan die Symmetrie der schwachen Wechsel­
wirkung brechen kann, muss es ein Teilchen mit einer Masse von un­
gefähr der schwachen Massenskala geben, was 250 GeV bedeutet
( denken Sie daran, dass die spezielle Relativitätstheorie via E mc2 =

Energie und Masse zueinander in Beziehung setzt) .

255
11

Skalierung und Große Vereinheitlichung:


Wechselwirkungen verschiedener Längen und
Energien

I hope someday you'll join us


And the world will live as one.
Ich hoffe, du wirst dich uns eines Tages anschließen
Und die Welt wird in Eintracht leben.
John Lennon

Athena hatte oft das Gefühl, dass sie immer als Letzte etwas Interessan­
tes erfuhr. Von Ikes Erlebnissen mit seinem Auto härte sie erst etwas, als
er es schon seit über einem Monat besaß. Und sie erfuhr es auch nicht von
ihm direk t - sie härte es von einem ihrer Freunde, der es vom Bruder von
Dieters Cousin gesteckt bekommen hatte, der von Dieters Cousin davon
erfahren hatte, der es wiederum von Dieter gehört hatte.
Auf diesem Umweg kam Athena zu Ohren, dass Ike gesagt haben
sollte : » Welchen Einfluss die Kräfte ausüben, hängt laut den Forschern
von der Lokalisierung ab. « Diese für Ike untypische Verlautbarung war
für Athena ein völliges Rätsel, bis ihr aufging, dass der Wortlaut wie bei
der » stillen Post« unterwegs verstümmelt worden sein musste. Sie dachte
eine Weile nach und kam zu dem Schluss, dass Ike in Wirklichkeit gesagt
haben musste : » Welchen Einfluss Fliehkräfte ausüben, hängt auch im
Parsehe von der Motorisierung ab. «

Wir werden sehen, dass die Aussage, die Athena als erste vernahm, wahr
ist. Dieses Kapitel handelt davon, wie physikalische Prozesse, die zwi­
schen Teilchen in dem einen Abstand stattfinden, zu jenen in Beziehung
gesetzt werden können, die in einem anderen Abstand ablaufen, und
warum physikalische Größen wie etwa die Teilchenmasse oder die Wech­
selwirkungsstärke von der Energie des Teilchens abhängen. Diese Ab-

256
S K A L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G

hängigkeit von Energie und Distanz geht über die klassische Entfer­
nungsabhängigkeit von Kräften hinaus. Beispielsweise nimmt klassisch
die Stärke des Elektromagnetismus - wie die der Gravitation - umge­
kehrt proportional zum Abstand zwischen den wechselwirkenden Ob­
j ekten ab (inverses Quadratgesetz) . Die Quantenmechanik ändert aber
diese Entfernungsabhängigkeit, indem sie die Wechselwirkungsstärke
selbst beeinflusst, sodass Teilchen bei unterschiedlichen Distanzen ( und
Energien) anscheinend mit unterschiedlichen Ladungen wechselwirken.
Kräfte werden mit zunehmender Entfernung schwächer oder stärker,
was die Folge von virtuellen Teilchen ist - kurzlebigen Teilchen, die es in­
folge der Quantenmechanik und der Unschärferelation gibt. Virtuelle
Teilchen wechselwirken mit Eichbosonen und ändern Kräfte, sodass ihre
Effekte von der Distanz a bhängen, genau wie Athenas Freunde Ikes Fest­
stellung verzerrten, als sie sie weitergaben.
Die Quantenfeldtheorie sagt uns, wie man die Auswirkungen virtuel­
ler Teilchen auf die Entfernungs- und Energieabhängigkeit der Wechsel­
wirkungen ausrechnen kann. Ein Triumph solcher Berechnungen war,
dass sie erklärten, warum die starke Wechselwirkung so stark ist. Ein in­
teressantes Nebenprodukt bestand darin, dass es möglicherweise eine
Große Vereinheitlichte Theorie gibt, bei der die drei nichtgravitativen
Wechselwirkungen, die sich bei niedrigen Energien deutlich unterschei­
den, bei hohen Energien zu einer einzigen, einheitlichen Kraft verschmel­
zen. Wir werden diese beiden Resultate und die ihnen zugrunde lie­
genden Überlegungen und Berechnungen der Quantenfeldtheorie näher
erkunden.
Wenn Sie die nächsten paar Kapitel lesen, denken Sie daran, dass die
Skalenenergien, über die wir sprechen, sehr unterschiedlich sind. Die
Vereinheitlichungsenergie beträgt rund 1 000 Billionen GeV, und die
Planck-Energieskala, bei der die Gravitation stark wird, ist noch einmal
rund tausendmal größer. Die schwache Energieskala - bei der es sich um
diejenige Energie handelt, mit der gegenwärtig experimentiert wird - ist
erheblich kleiner : nur rund 100 bis 1000 GeV. Die schwache Energie­
skala ist im Vergleich zur Vereinheitlichungsenergie so klein wie eine
Murmel in Relation zur Entfernung zwischen Erde und Sonne. Ich werde
daher die schwache Energieskala manchmal als niedrig oder klein be­
zeichnen - auch wenn sie aus Sicht der Experimentatoren eine hohe
Energie ist -, weil sie so viel kleiner als sowohl die Vereinheitlichungs­
energie als auch die Planck-Energieskala ist.

257
VERBORGENE UNIVERSEN

Heran- und wegzoomen

Effek tive Feldtheorien wenden die Idee von der effektiven Theorie, die
wir in Kapitel 1 kennen gelernt haben, auf die Quantenfeldtheorie an.
Sie konzentrieren sich nur auf solche Skalenenergien und -längen, die
man zu messen hoffen kann. Die effektive Feldtheorie, die eine be­
stimmte Skalenenergie oder -distanz >> effekti v << behandelt, beschreibt
diej enigen Energien oder Entfernungen, die berücksichtigt werden müs­
sen. Sie konzentriert sich auf die Kräfte und Wechselwirkungen, zu de­
nen es kommen kann, wenn Teilchen diese bestimmte Energie (oder •f

weniger) haben, und ignoriert alle Energien, die unerreichbar höher


sind. Sie fragt nicht nach den Details physikalischer Prozesse oder Teil­
chen, die nur bei höheren Energien vorkommen als der, die man erzielen
kann.
Eine effektive Feldtheorie bietet unter anderem den Vorteil, dass man
selbst dann, wenn man nicht weiß, welche Wechselwirkungen über
kurze Distanzen stattfinden, die Größen untersuchen kann, die bei den
Skalen von Interesse eine Rolle spielen. Man muss wirklich nur über die
Größen nachdenken, die man (im Prinzip) entdecken kann. Wenn Sie Öl­
farbe mischen, müssen Sie deren Molekularstruktur nicht im Detail ken­
nen. Aber Sie werden wahrscheinlich die Eigenschaften wissen wollen,
die Sie leicht wahrnehmen können, etwa den Farbton und die Textur.
Mit diesen Informationen können Sie, auch ohne die Mikrostruktur der
Ölfarbe zu kennen, deren relevante Eigenschaften kategorisieren und
vorhersagen, wie die Farbmixtur aussehen wird, wenn Sie sie auf Ihre
Leinwand auftragen.
Wenn Sie j edoch die chemische Zusammensetzung Ihrer Ölfarben
wüssten, würden Ihnen die Regeln der Physik erlauben, einige dieser Ei­
genschaften daraus abzuleiten. Beim Malen (wenn Sie die effektive
Theorie anwenden) brauchen Sie diese Informationen nicht, aber Sie
würden sie nützlich finden, wenn Sie Farben herstellen wollten (die Pa­
rameter der effektiven Theorie aus einer fundamentaleren Theorie ablei­
ten ) .
Ähnlich würden Sie, wenn Sie die a u f kurze Distanzen ( hohe Energien)

* Erinnern Sie sich daran, dass nach der Quantenmechanik und der speziellen Relati­
vitätstheorie Energien und Entfernungen gegeneinander austauschbar sind. Um der
Lesbarkeit willen werde ich jetzt immer von Energien sprechen, aber bei hohen Ener­
gien ablaufende Prozesse sind dieselben wie die über kurze Distanzen.

258
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G

bezogene Theorie nicht kennen, nicht in d e r Lage sein, mess bare Grö­
ßen abzuleiten. Wenn Sie j edoch die Details der kurzen Entfernungen
kennen, sagt Ihnen die Quantenfeldtheorie präzise, wie Sie die unter­
schiedlichen effektiven Theorien, die für verschiedene Energien gelten,
aufeinander beziehen. Sie lässt Sie die Größen der einen effektiven Theo­
rie - beispielsweise Massen oder Stärke der Wechselwirkung - aus den
Größen einer anderen ableiten.
Die Methode zur Berechnung, wie Größen von Energie oder Distanz
abhängen, wurde erstmals 1 9 74 von Kenneth Wilson entwickelt und hat
einen lustigen Namen : Renormierungsgruppe. Neben den Symmetrien
zählen das Konzept der effektiven Theorie und die Renormierungs­
gruppe, die beide mit physikalischen Prozessen bei sehr unterschiedli­
chen Skalenlängen oder -energien zu tun haben, zu den leistungsfähigs­
ten Werkzeugen der Physik. Der Begriff >> Grupp e << ist ein mathemati­
scher Ausdruck, der hängen geblieben ist, auch wenn sein mathemati­
scher Ursprung größtenteils irrelevant ist.
>> Renormierung« hingegen ist kein so schlechter Ausdruck. Er bezieht
sich auf die Tatsache, dass man bei j eder Längenskala von Interesse eine
Pause macht und sich orientiert. Man legt fest, welche Teilchen und
welche Wechselwirkungen bei genau den Energien, die einen im Mo­
ment interessieren, relevant sind. Dann nimmt man für alle Parameter
der Theorie eine neue Normierung - oder Kalibrierung oder Eichung ­
vor.
Die Ideen hinter der Renarmierungsgruppe ähneln j enen in Kapitel 2,
als wir diskutierten, dass man eine höherdimensionale Theorie in einer
niederdimensionalen Sprache interpretieren kann, und eine zweidimen­
sionale Theorie mit einer kleinen, aufgerollten Dimension so behandel­
ten, als hätte sie nur eine Dimension. Als wir Dimensionen aufrollten,
ignorierten wir alle Details dessen, was innerhalb der zusätzlichen Di­
mension passiert, und gingen davon aus, dass alles in der Sprache nied­
rigerer Dimensionen beschrieben werden kann. Unsere neue >> Normie­
rung« war die vierdimensionale Beschreibung, die man verwenden kann,
wenn man sich auf große Entfernungen konzentriert.
Mit einer ganz ähnlichen Prozedur kann man eine für große Entfer­
nungen geltende Theorie aus irgendeiner Theorie ableiten, die für kurze
Distanzen wichtig ist : Man definiert die Minimallänge, die einen interes­
siert, und lässt die Physik, die für kürzere Skalen relevant ist, unter den
Tisch fallen. Das kann man unter anderem tun, indem man den Durch­
schnittswert j ener Größen findet, die nur bei den zu ignorierenden kür-

259
VERBORGENE U NIVERSEN

zeren Distanzen einen Unterschied ausmachen. Wenn Sie beispielsweise


ein Raster mit Grauskala-Punkren hätten, würden Sie buchstä blich einen
Durchschnittswert der Schattierungen der kleineren Punkte ermitteln,
um die Schattierung für größere Punkte zu finden, die deren Effekt re­
produzieren würden. Ihre Augen machen das automatisch, wenn Sie et­
was mit schlechter Auflösung betrachten.
Wenn Sie Dinge nur mit einer bestimmten Genauigkeit sehen können,
müssen Sie nicht wissen, was auf kleineren Skalen passiert, um sinnvolle
Berechnungen anstellen zu können, die sich auf messbare Größen bezie­
hen. Die effizienteste Vorgehensweise besteht oft darin, diejenige >> Pixel­
größe << Ihrer Theorie zu wählen, die mit Ihrem Präzisionsniveau überein­
stimmt. Auf diese Weise können Sie schwere Teilchen, die Sie niemals
erzeugen werden, und Wechselwirkungen über kurze Distanzen, zu de­
nen es niemals kommen wird, einfach ignorieren. Stattdessen können Sie
Ihre Berechnungen auf Teilchen und Wechselwirkungen konzentrieren,
die für die von Ihnen erreichbare Energie relevant sind.
Wenn Sie j edoch die präzisere Theorie kennen, die für kleinere Entfer­
nungen gilt, können Sie diese Informationen benutzen, um in der effek­
tiven Theorie Größen zu berechnen, die Sie interessieren - das heißt, in
der effektiven Theorie mit niedriger Auflösung. Genau wie Sie bei den
Grauskala-Punkren von einer effektiven Theorie mit Kurzdistanz-Auflö­
sung zu einer mit weniger präziser Auflösung wechseln, verändern Sie im
Grunde die >> Pixelgröße << , mit der Sie Ihre Theorie analysieren. Die Re­
normierungsgruppe sagt Ihnen, wie Sie den Einfluss berechnen, den sol­
che Wechselwirkungen über kurze Distanzen auf die Teilchen in Ihrer
Theorie für längere Entfernungen haben könnten. Sie extrapolieren phy­
sikalische Prozesse aus der einen Skalenlänge oder -energie und übertra­
gen sie auf eine andere.

Virtuelle Teilchen

Bei der Berechnung der Renarmierungsgruppe nimmt man solche Extra­


polationen vor, indem man die Effekte der quantenmechanischen Pro­
zesse und virtuellen Teilchen berücksichtigt. Virtuelle Teilchen, eine
Konsequenz der Quantenmechanik, sind seltsame, geisterhafte Zwil­
linge tatsächlicher Teilchen. Sie platzen ins Dasein und sind in null
Komma nichts wieder daraus verschwunden. Virtuelle Teilchen haben
dieselben Wechselwirkungen und dieselben Ladungen wie physikalische

260
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G

Teilchen, n u r ihre Energien scheinen falsch zu s e i n . Beispielsweise trägt


ein Teilchen, das sich sehr schnell bewegt, eindeutig eine Menge Energie.
Ein virtuelles Teilchen hingegen kann ein enormes Tempo vorlegen, aber
keine Energie haben. De facto können virtuelle Teilchen j ede Energie ha­
ben, die sich von der unterscheidet, die das entsprechende echte, physi­
kalische Teilchen trägt. Hätte das virtuelle dieselbe Energie, wäre es ein
reales Teilchen, kein virtuelles. Virtuelle Tei lchen sind eine merkwürdige
Erscheinung in der Quantenfeldtheorie, die man berücksichtigen muss,
um die richtigen Vorhersagen zu machen .
Wie kann es diese offensichtlich unmöglichen Teilchen geben ? Ein vir­
tuelles Teilchen mit seiner geborgten Energie könnte nicht existieren,
wenn es nicht die Unschärferelation gä be, die Teilchen mit falscher Ener­
gie zulässt, solange es sie nur für so kurze Zeit gibt, dass diese Energie
niemals gemessen werden könnte.
Der Unschärferelation zufolge würde es unendlich lang dauern, Ener­
gie (oder Masse) mit unendlicher Präzision zu messen, und j e länger ein
Teilchen existiert, desto genauer kann man seine Energie messen. Wenn
aber das Teilchen sehr kurzlebig ist und seine Energie unmöglich mit un­
endlicher Präzision bestimmt werden kann, kann die Energie vorüberge­
hend von der eines echten, langlebigen Teilchens abweichen. Wegen der
Unschärferelation machen Teilchen de facto, was sie wollen, solange sie
das können. Virtuelle Teilchen haben keine Skrupel und benehmen sich
daneben, wenn keiner zuschaut. ( Ein Physiker aus Amsterdam äußerte
sogar die Vermutung, dass sie Holländer sind . )
Man kann sich d a s Vakuum a l s e i n Reservoir von Energie vorstellen ­
virtuelle Teilchen sind solche, die aus dem Vakuum austreten und vor­
übergehend sich etwas von seiner Energie borgen. Ihre Existenz ist flüch­
tig, und sie verschwinden wieder im Vakuum, wobei sie die geliehene
Energie mitnehmen. Diese Energie kehrt vielleicht an ihren Ursprungsort
zurück, vielleicht wird sie aber auch auf Teilchen an einem anderen Ort
übertragen.
Im quantenmechanischen Vakuum ist j ede Menge los. Auch wenn das
Vakuum per Definition leer ist, machen Quanteneffekte aus ihm einen
wimmelnden Ozean voller virtueller Teilchen und Antiteilchen, die auf­
tauchen und verschwinden - auch wenn keine stabilen, langlebigen Teil­
chen anwesend sind. Sämtliche Teilchen-Antiteilchen-Paare können im
Prinzip produziert werden, wenn auch nur für sehr flüchtige Gastspiele,
die zu kurz sind, um direkt beobachtet zu werden. Doch wie vergänglich
ihre Existenz auch immer sein mag, wir kümmern uns dennoch um vir-

261
VERBORGENE UN IVERSEN

tuelle Teilchen, weil sie in den Wechselwirkungen langlebiger Teilchen


ihre Spuren hinterlassen.
Virtuelle Teilchen haben messbare Folgen, weil sie die Wechselwir­
kungen realer physischer Teilchen beeinflussen, die in ein Wechselwir­
kungsgebiet eintreten und es wieder verlassen. Während seiner kurzen
Lebensspanne kann ein virtuelles Teilchen vom einen realen zum nächs­
ten realen Teilchen wandern, ehe es wieder verschwindet und seine Ener­
gieschulden ans Vakuum zurückzahlt. Daher fungieren virtuelle Teilchen
als Vermittler, die die Wechselwirkungen langlebiger stabiler Teilchen
beeinflussen.
Beispielsweise war das Photon in Abbildung 47 ( Seite 1 8 8 ) , das ausge­
tauscht wurde, um die klassische elektromagnetische Kraft zu zeugen, in
Wirklichkeit ein virtuelles Photon. Es hatte nicht die Energie eines echten
Photons, aber das brauchte es auch nicht. Es musste nur gerade lang ge­
nug Bestand haben, um die elektromagnetische Kraft zu vermitteln und
die realen geladenen Partikel wechselwirken zu lassen.
Ein weiteres Beispiel für virtuelle Teilchen zeigt Abbildung 59. Hier
tritt ein Photon in ein Wechselwirkungsgebiet ein, ein virtuelles Elek­
tron-Positron-Paar wird produziert, und dann wird das Paar an einer an­
deren Stelle absorbiert. An dem Punkt, wo die Teilchen absorbiert wer­
den, tritt ein weiteres Photon aus dem Vakuum hervor, das die Energie
wegtransportiert, die das vermittelnde Elektron-Positron-Paar sich vorü­
bergehend geborgt hatte. Im Folgenden wollen wir eine bemerkenswerte
Konsequenz dieser Art von Wechselwirkung untersuchen.

l/6t .. Elektron
W
Photon Photon

c Positron
A b bildung 59 : Ein reales, physikalisches Photon kann sich in ein virtuelles
Elek tron und ein virtuelles Positron verwandeln, die sich dann wieder zu
einem Photon vereinen. Dies ist rechts mit einem Feynman-Diagramm dar­
gestellt und links schematisch.

262
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G

Warum die Wechselwirkungsstärke


von der Entfernung abhängt

Die Stärke der uns bekannten Kräfte hängt von den an Wechselwirkun­
gen von Teilchen beteiligten Energien und Entfernungen ab, und bei die­
ser Abhängigkeit spielen virtuelle Teilchen eine Rolle. Beispielsweise ist
die Stärke der elektromagnetischen Kraft kleiner, wenn zwei Elektronen
weiter voneinander entfernt sind. ( Erinnern Sie sich daran, dass diese
quantenmechanische Abnahme zu der klassischen Entfernungsabhän­
gigkeit des Elektromagnetismus hinzukommt . ) Die Folgen von virtuellen
Teilchen und der Entfernungsabhängigkeit der Wechselwirkungen sind
real ; theoretische Vorhersagen und Experimente stimmen extrem gut
überein.
Dass die Größen einer effektiven Theorie - die Stärke der Kräfte oder
Wechselwirkungen beispielsweise - von den Energien und den Abstän­
den der beteiligten Teilchen abhängen, folgt aus einem Merkmal der
Quantenfeldtheorie, welches der Physiker Jonathan Flynn im Scherz das
anarchische Prinzip * genannt hat. Das anarchische Prinzip folgt aus der
Quantenmechanik, die besagt, dass sich alle potenziellen Teilchenwech­
selwirkungen auch ereignen werden. In der Quantenfeldtheorie wird al­
les passieren, was nicht verboten ist.
Die einzelnen Prozesse, bei denen j eweils eine bestimmte Gruppe von
physikalischen Teilchen wechselwirkt, werde ich als Pfade bezeichnen.
An einem Pfad kann ein virtuelles Teilchen beteiligt sein oder auch nicht.
Ist es das, nenne ich diesen Pfad einen Quantenbeitrag. Die Quantenme­
chanik besagt, dass alle möglichen Pfade zur Nettostärke einer Wechsel­
wirkung beitragen. Beispielsweise können sich physikalische Teilchen in
virtuelle Teilchen verwandeln, die miteinander wechselwirken und sich
dann in andere physikalische Teilchen zurückverwandeln. Bei solch
einem Vorgang können die ursprünglichen physikalischen Teilchen wie­
der auftauchen, oder sie können sich in andere physikalische Teilchen
umwandeln. Auch wenn die virtuellen Teilchen nicht lang genug Bestand
haben, als dass wir sie beobachten könnten, würden sie trotzdem die Art
und Weise beeinfl ussen, wie reale beobachtbare Teilchen miteinander
wechselwirken.

* Dies ist eine modifizierte Version von Murray Gell-Manns »totalitärem Prinzip « ,
und ich denke, dass >> anarchisches Prinzip« eine bessere Annäherung a n die davon be­
troffene Physik darstellt.

263
VERBORGENE UN IVERSEN

Wollte man virtuelle Teilchen davon a bzuhalten versuchen, eine Wech­


selwirkung zu erleichtern, wäre das etwa, als würden Sie Ihren Freunden
oder Freundinnen ein Geheimnis verraten und hoffen, dass diese es nicht
weitererzählen. Sie wissen aber, dass früher oder später einer der >> ver­
mittelnden virtuellen << Freunde Ihr Vertrauen missbrauchen und die
Neuigkeit an einen anderen Freund weiterleiten wird. Selbst wenn Sie
diesem Freund Ihr Geheimnis bereits verraten haben, wird die Tatsache,
dass der virtuelle Freund es mit diesem ebenfalls diskutiert, seine Mei­
nung zu dem Thema beeinflussen. De facto ist seine Meinung das Net­
toresultat davon, dass alle darüber geredet haben.
Nicht nur direkte Wechselwirkungen zwischen physikalischen Teil­
chen, sondern auch indirekte Wechselwirkungen - an denen virtuelle
Teilchen beteiligt sind - spielen bei der Vermittlung von Kräften eine
Rolle. Genau wie die Meinung Ihres Freundes von j edem beeinflusst
wird, der mit ihm spricht, ist die Nettowechselwirkung zwischen Teil­
chen die Summe aller möglichen Beiträge einschließlich derer von virtu­
ellen Teilchen. Und weil die Bedeutung von virtuellen Teilchen von den
beteiligten Distanzen abhängt, hängt die Stärke der Wechselwirkungen
von der Entfernung ab.
Die Renarmierungsgruppe sagt uns genau, wie wir die Auswirkung
von virtuellen Teilchen bei jeder Wechselwirkung berechnen müssen.
Alle Effekte von vermittelnden virtuellen Teilchen werden addiert, und
dies stärkt oder schwächt die Wechselwirkungen eines Eichbosons.
Indirekte Wechselwirkungen spielen eine größere Rolle, wenn die in­
teragierenden Teilchen weiter voneinander entfernt sind. Eine größere
Distanz ist analog dem Umstand, dass Sie Ihr Geheimnis mehreren >> vir­
tuellen << Freunden erzählen. Sie können sich zwar nicht sicher sein, dass
irgendeiner der Freunde Ihr Vertrauen missbrauchen wird, j e mehr
Freunden Sie aber davon erzählen, desto wahrscheinlicher wird, dass zu­
mindest einer dies tun wird . Wann immer es einen Pfad gibt, bei dem vir­
tuelle Teilchen zur Nettostärke einer Wechselwirkung beitragen können,
werden sie das tun, wie uns die Quantenmechanik versichert. Und der
Betrag, um den virtuelle Teilchen diese Stärke beeinflussen, hängt von
der Entfernung ab, über die die Kraft vermittelt wird.
Konkrete Berechnungen der Renarmierungsgruppe sind sogar noch
trickreicher, denn sie zählen auch die Beiträge von denjenigen Freunden
hinzu, die miteinander sprechen. Eine bessere Analogie für die Beiträge
virtueller Teilchen ähnelt dem Weg, den eine Nachricht durch eine große
Behörde nimmt. Wenn eine Person an der Spitze der Hierarchie eine Mel-

264
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U NG

dung verkündet, wird sie direkt durch die Behörde hindurchgehen. Aber
j emand weiter unten in der Hierarchie muss seine Meldung vielleicht erst
von seinen Chefs zensieren lassen. Wenn jemand auf noch niedrigerer
Stufe etwas verkündet, muss die Meldung vielleicht zunächst durch noch
mehr bürokratische Schichten zirkulieren, bis sie an ihre Bestimmung
kommt. In diesem Fall würden sich die Bürokraten jeder Stufe die Mel­
dung erst einmal untereinander zuschicken, ehe sie sie an die nächsthö­
here Ebene weiterleiten. Erst wenn die Meldung endlich die oberen
Ränge erreicht hat, wird sie verkündet. Die in diesem Fall ausgegebene
Meldung wird im Allgemeinen nicht mehr die ursprüngliche sein, son­
dern eine, die von dieser vielschichtigen Bürokratie gefiltert wurde.
Wenn Sie sich virtuelle Tei lchen als Bürokraten vorstellen und einen
höherrangigen Bürokraten als Entsprechung eines virtuellen Teilchens
mit höherer Energie, dann wird eine Meldung von höherer Ebene direkt
übermittelt, wohingegen solche von unteren Ebenen viele Instanzen
durchlaufen müssen. Das quantenmechanische Vakuum ist die >> Büro­
krati e << , mit der ein Photon konfrontiert ist. Jede Wechselwirkung wird
durch vermittelnde virtuelle Teilchen mit immer weniger Energie zen­
siert. Wie in einer Behörde kann es auf allen Ebenen ( oder bei allen Ent-

Elektron
Elektron & Photon Photon
& Elektron
l
Positron & • Positron
Positron

Elektron

______...

Positron

Abbildung 6 0 : Virtuelle Korrektur einer Elek tron-Positron-Streuung. Von


links nach rechts gelesen : Ein Elek tron und ein Positron löschen sich gegen­
seitig zu einem Photon aus, das sich in ein virtuelles Elek tron-Positron-Paar
aufspaltet, welches sich dann wieder zu einem Photon aufhebt, und das wan­
delt sich abermals in ein Elek tron und ein Positron um. Die intermediären
virtuellen Elek tronen und Positronen beeinflussen dadurch die Stärke der
elek tromagnetischen Wechselwirkung.

265
VERBORGENE U NIVERSEN

fernungen) Umwege geben. Einige Wege kürzen die >> bürokratischen <<
Umwege ab, die die virtuellen Teilchen auferlegen, und an anderen sind
virtuelle Teilchen beteiligt, die sich über immer größere Entfernungen
bewegen. Die Kommunikation über kürzere Distanzen ( höhere Energie )
wird von weniger virtuellen Prozessen beeinflusst a l s d i e über größere
Distanzen.
Es gibt j edoch einen deutlichen Unterschied zwischen virtuellen Pro­
zessen und einer Behörde. In einer Bürokratie nimmt j ede einzelne Mel­
dung einen ganz bestimmten Weg, egal wie kompliziert dieser ist. Hin­
gegen sagt die Quantenmechanik, dass es viele Pfade gibt. Und sie besteht
darauf, dass die Nettostärke einer Wechselwirkung die Summe der Bei­
träge von sämtlichen möglichen Pfaden ist.
Stellen Sie sich ein Photon vor, das von einem geladenen Teilchen zu
einem anderen wandert. Weil es sich unterwegs in ein virtuelles Elektron­
Positron-Paar ( siehe Abbildung 60) verwandeln kann, sagt uns die
Quantenmechanik, dass es dies manchmal tun wird. Und die Pfade mit
virtuellen Elektronen und Positronen beeinflussen die Effektivität, mit
der das Photon die elektromagnetische Wechselwirkung vermittelt.
Und dies ist nicht der einzige quantenmechanische Prozess, zu dem es
kommen kann. Virtuelle Elektronen und Positronen können ihrerseits
Photonen emittieren, die sich in andere virtuelle Teilchen verwandeln
können und so weiter. Die Entfernung zwischen den beiden geladenen
Teilchen, die das Photon austauschen, bestimmt, wie viele solcher Wech­
selwirkungen das Boten-Photon mit Teilchen im Vakuum haben wird
und welche Effekte diese Wechselwirkungen haben werden. Die Stärke
der elektromagnetischen Kraft ist das Nettoresultat der vielen Pfade, die
das Photon nimmt, wenn alle möglichen bürokratischen Umwege -
quantenmechanische Prozesse, an denen virtuelle Teilchen über lange
oder kurze Entfernungen beteiligt sind - berücksichtigt werden. Weil die
Anzahl der virtuellen Tei lchen, denen ein Photon begegnet, aus der von
ihm zurückgelegten Entfernung folgt, hängt die Wechselwirkungsstärke
des Photons von der Distanz zwischen den geladenen Obj ekten ab, mit
denen es wechselwirkt.
Werden alle Beiträge von allen möglichen Pfaden zusammengezählt,
ergibt die Berechnung, dass das Vakuum die Meldung verdünnt, die das
Photon von dem Elektron herüberträgt. Die intuitive Erklärung für die
Verdünnung der elektromagnetischen Wechselwirkung lautet, dass ent­
gegengesetzte Ladungen sich anziehen und gleiche sich abstoßen und
dass daher virtuelle Positronen im Durchschnitt näher an einem Elektron

266
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G

zu finden sind als virtuelle Elektronen. Die Ladungen der virtuellen Teil­
chen schwächen daher die Wirkung der elektrischen Kraft des ursprüng­
lichen Elektrons ab. Quantenmechanische Effekte schirmen die elektri­
sche Ladung ab. Diese Abschirmung bedeutet, dass die Stärke der Wech­
selwirkung zwischen einem Photon und einem Elektron mit der Entfer­
nung abnimmt.
Über große Entfernungen scheint die tatsächliche elektrische Wechsel­
wirkung kleiner zu sein als die klassische elektrische Wechselwirkung
über kurze Distanzen, weil ein Photon, das eine Kraft über kurze Entfer­
nungen vermittelt, häufiger einen Pfad nimmt, an dem keine virtuellen
Teilchen beteiligt sind. Ein nur eine kurze Entfernung zurücklegendes
Photon muss nicht durch eine große, es schwächende Wolke von virtu­
ellen Teilchen hindurch wie das Photon, das eine Kraft weit weg vermit­
telt, es stets muss.
Nicht bloß das Photon, sondern alle eine Wechselwirkung übertragen­
den Eichbosonen interagieren auf dem Weg zu ihrem Bestimmungsort
mit virtuellen Teilchen. Paare von virtuellen Teilchen - das Teilchen und
sein Antiteilchen - bilden sich spontan aus dem Vakuum und werden
von ihm wieder a bsorbiert, was die Nettostärke einer Wechselwirkung
beeinträchtigt. Diese virtuellen Teilchen fangen vorübergehend das die
Kraft übermittelnde Eichboson ab und verändern seine Wechselwir­
kungsstärke. Berechnungen zeigen, dass die Stärke der schwachen Wech­
selwirkung wie die des Elektromagnetismus mit der Entfernung ab­
nimmt.
Nicht immer j edoch ziehen virtuelle Teilchen bei Wechselwirkungen
die Bremsen an. Überraschenderweise können sie sie manchmal auch vo­
ranbringen. Anfang der siebziger Jahre stellten David Politzer, damals
Harvard-Doktorand von Sidney Coleman (der ihm das Problem vorge­
schlagen hatte ) , und unabhängig davon David Gross und sein damaliger
Student Frank Wilczek, beide in Princeton, sowie Gerard 't Hooft in den
Niederlanden Berechnungen an, die zeigten, dass die starke Wechselwir­
kung sich der elektrischen genau entgegengesetzt verhält. Statt die starke
Kraft über große Entfernungen abzuschirmen und dadurch zu schwä­
chen, verstärken virtuelle Teilchen tatsächlich die Interaktionen der
Gluonen (der Teilchen, die die starke Wechselwirkung vermitteln) - und
zwar so sehr, dass über große Entfernungen die starke Kraft tatsächlich
ihren Namen verdient. Gross, Politzer und Wilczek bekamen wegen
ihrer entscheidenden Einsichten in die starke Wechselwirkung 2004 den
Nobelpreis für Physik.

267
VERBORGENE UNIVERSEN

Den Kern dieses Phänomens stellen die Gluonen selbst dar. Ein großer
Unterschied zwischen Gluonen und Photonen besteht darin, dass Gluo­
nen miteinander wechselwirken. Ein Gluon kann in einen Interaktions­
raum eintreten und sich in ein Paar virtueller Gluonen verwandeln, die
dann die Stärke der Wechselwirkung beeinflussen. Wie alle virtuellen
Teilchen existieren diese virtuellen Gluonen nur vorübergehend. Aber
ihre Effekte summieren sich mit zunehmender Entfernung, bis die starke
Wechselwirkung wirklich außerordentlich stark ist. Und eine Berech­
nung ergibt, dass virtuelle Gluonen die starke Wechselwirkung bei gro­
ßen Teilchenabständen drastisch steigern. Die starke Kraft ist viel stär­
ker, wenn die Teilchen ein gutes Stück voneinander entfernt statt dicht
beisammen sind.
Im Vergleich zur Abschirmung der elektrischen Ladung läuft diese
Steigerung der starken Wechselwirkung mit der Entfernung sehr dem
Alltagsverstand zuwider. Wie kann es sein, dass eine Kraft stärker wird,
wenn die Teilchen weiter auseinander liegen ? Die meisten Wechselwir­
kungen lassen mit der Entfernung nach. Um das zu zeigen, müssten wir
wirklich zu rechnen anfangen, aber es gibt in der Welt um uns herum
Beispiele für solch ein Verhalten.
Wenn etwa j emand eine Meldung durch eine Bürokratie schickt, deren
Bedeutung man auf der mittleren Ebene nicht begreift, dann bläst der
Bürokrat auf der mittleren Ebene vielleicht das, was ursprünglich ein ge­
wöhnliches Memo war, zu einer Weisung von höchster Dringlichkeit
auf. Nachdem der Mitarbeiter auf der mittleren Ebene die Meldung mo­
difiziert hat, zeigt sie eine viel größere Wirkung, als wenn der ursprüng­
liche Verfasser sie direkt übermittelt hätte.
Der Troianische Krieg ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Langstre­
ckenkräfte wirkungsmächtiger sind als die über kurze Entfernungen.
Nach der Ilias kam es zum Krieg um Troia, weil der troianische Königs­
sohn Paris mit Helena durchbrannte, der Frau des Königs Menelaos von
Sparta. Hätten Menelaos und Paris Mann gegen Mann um Helena ge­
kämpft, ehe Paris und Helena nach Troia flohen, wäre der Troianische
Krieg zu Ende gewesen, ehe er epische Dimensionen hätte annehmen
können. Als Menelaos und Paris erst einmal weit voneinander entfernt
waren, interagierten sie mit vielen anderen und schufen die starken
Kräfte, die an den sehr mächtigen Interaktionen zwischen Griechen und
Troianern teilhatten.
Es mag zwar überraschen, aber die Zunahme der starken Kraft mit der
Entfernung reicht aus, um alle spezifischen Merkmale der starken Wech-

268
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G

selwirkung zu erklären. Sie macht deutlich, warum die starke Kraft leis­
tungsfähig genug ist, um Quarks fest miteinander zu Protonen und Neu­
tronen zu verbinden und Quarks im Inneren von Jets gefangen zu halten
- die starke Kraft wächst über große Entfernungen bis zu dem Punkt, an
dem ein Teilchen, das der starken Wechselwirkung unterliegt, nicht zu
weit von anderen stark interagierenden Teilchen entfernt werden kann.
Stark wechselwirkende fundamentale Teilchen wie etwa Quarks findet
man nie isoliert.
Ein Quark und ein Antiquark mit genügend Abstand dazwischen
speichern eine enorme Menge Energie ; sie ist so groß, dass es energieef­
fizienter ist, dazwischen zusätzlich physische Quarks und Antiquarks zu
erzeugen, als die beiden isoliert zu lassen. Wenn man versuchen wollte,
das Quark und das Antiquark weiter auseinander zu trei ben, würden
neue Quarks und Antiquarks aus dem Vakuum entstehen. Wie im Stra­
ßenverkehr von Boston, wo man niemals mehr als eine Wagenlänge hin­
ter dem Auto vor sich fahren kann, ohne dass sich aus der Parallelspur
ein anderes Auto dazwischendrängt, würden sich diese neuen Quarks
und Antiquarks immer in der Nähe der ursprünglichen herumtrei ben,
sodass kein einziges Quark oder Antiquark isolierter wäre als zu Beginn
des Prozesses - irgendein anderes Quark oder Antiquark ist immer in
der Nähe.
Weil die starke Kraft über große Entfernungen so mächtig ist, dass sie es
nicht zulässt, dass stark wechselwirkende Teilchen voneinander isoliert
werden, sind mit der starken Kraft geladene Teilchen immer von anderen
geladenen Teilchen umgeben, und ihre Kombinationen sind hinsichtlich
der starken Kraft neutral . Die Folge davon ist, dass wir nie einzelne
Quarks sehen. Wir sehen nur stark gebundene Hadronen und Jets.

Die Große Vereinheitlichung

Im vorangegangenen Abschnitt haben wir die Entfernungsabhängigkeit


der starken, schwachen und elektromagnetischen Wechselwirkung ken­
nen gelernt.21 1974 machten Georgi und Glashow den mutigen Vor­
schlag, dass diese drei Krä fte sich mit der Entfernung und der Energie so
verändern, dass sie sich bei hoher Energie zu einer einzigen vereinen. Sie
nannten ihre Theorie » GUT<< , was die Abkürzung für Grand Unified
Theory ist ( >> Große Vereinheitlichte Theori e << , >> GVT<< ) . Während die
Symmetrie der starken Wechselwirkung die drei Farben der Quarks aus-

269
VERBORGENE U N I VERSEN

tauscht (wie in Kapitel 7 besprochen) und die Symmetrie der schwachen


Wechselwirkung die verschiedenen Teilchenpaare, wirkt die GVT-Sym­
metrie auf alle Arten von Standardmodell-Teilchen, Quarks und Lepto­
nen ein.22
Nach der Großen Vereinheitlichten Theorie von Georgi und Glashow
lagen in der heißen und energiereichen Frühzeit des Universums die Tem­
peraturen höher als 100 Billionen Billionen Grad Kelvin, die Energie war
höher als 1 000 Billionen GeV, alle drei Wechselwirkungen waren gleich
stark, und die drei nichtgravitativen Kräfte verschmolzen zu einer einzi­
gen : »Die Kraft << .
Als das Universum sich weiterentwickelte, fiel die Temperatur, und die
Einheitskraft spaltete sich zu drei verschiedenen Kräften auf, die ihre j e­
weils eigene Energieabhängigkeit hatten, dank deren sie sich zu den drei
nichtgravitativen Wechselwirkungen weiterentwickelten, die wir heute
kennen. Auch wenn diese als eine einzige Kraft begonnen hatten, besa­
ßen sie am Ende bei niedrigen Energien sehr unterschiedliche Wechsel­
wirkungsstärken, weil virtuelle Teilchen j ede von ihnen sehr unterschied­
lich beeinflussten.
Die drei Kräfte könnte man mit identischen Drillingen vergleichen, die
aus einem einzigen befruchteten Ei entstanden, aber zu drei ziemlich un­
terschiedlichen Individuen heranreiften. Der eine Drilling ist heute viel­
leicht ein Punker mit bunt gefärbten, zu Spitzen hochgegeiten Haaren,
der andere ein Elitesoldat mit Bürstenschnitt und der Dritte ein Künstler
mit einem langen Pferdeschwanz. Dennoch haben sie dieselbe DNS, und
als sie Babys waren, konnte man sie so gut wie nicht auseinander halten.
In unserem frühen Universum waren die drei Wechselwirkungen eben­
falls nicht zu unterscheiden. Aber durch spontan gebrochene Symmetrie
haben sie sich auseinander entwickelt. Genau wie der Higgs-Mechanis­
mus die elektroschwache Symmetrie bricht und nur den Elektromagne­
tismus ungebrochen lässt, würde er auch die GVT-Symmetrie brechen
und die drei unterschiedlichen Wechselwirkungen hinterlassen, denen
wir heute begegnen.
Eine einzige Wechselwirkungsstärke bei hoher Energie ist die Voraus­
setzung für eine Große Vereinheitlichte Theorie. Das heißt, dass drei Li­
nien, die die Wechselwirkungsstärke als Funktion von Energie darstel­
len, sich bei einer bestimmten Energie schneiden müssen. Wir wissen
aber bereits, wie sich die Stärken der drei nichtgravitativen Kräfte mit
der Energie verändern. Und weil uns die Quantenmechanik sagt, dass
man große Entfernung und niedrige Energie austauschen kann bezie-

270
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G

hungsweise kurze Distanz u n d hohe Energie * , k a n n m a n die Ergebnisse


des vorangegangenen Abschnitts genauso gut in Form von Energie inter­
pretieren. Bei niedrigen Energien sind die elektromagnetische und die
schwache Wechselwirkung weniger leistungsfähig als die starke, aber sie
werden bei höheren Energien immer stärker, wohingegen die starke
Wechselwirkung schwächer wird .
Anders ausgedrückt : Bei hohen Energien werden die Stärken der drei
nichtgravitativen Kräfte immer ähnlicher. Sie können sogar zu einer ein­
zigen Stärke verschmelzen. Dies würde bedeuten, dass die drei Linien,
die die Wechselwirkungsstärke als Funktion von Energie darstellen, sich
bei hohen Energien schneiden.
Dass zwei Linien sich an einer bestimmten Stelle schneiden, ist kein so
aufregendes Ergebnis - das muss einfach passieren, wenn die beiden Li­
nien sich einander nähern. Dass aber drei Linien sich an einem bestimm­
ten Punkt treffen, ist entweder ein sehr erstaunlicher Zufall oder ein Hin­
weis, dass da mehr dahinter steckt. Wenn die Kräfte wirklich konvergie­
ren, könnte ihre eine Wechselwirkungsstärke ein Anzeichen dafür sein,
dass es bei hoher Energie nur einen einzigen Typ von Kraft gibt - und in
diesem Fall hätten wir eine vereinheitlichte Theorie.
Auch wenn die Vereinheitlichung der Kräfte bislang nur eine Vermu­
tung ist, wäre sie - wenn sie zutrifft - ein großer Schritt in Richtung einer
einfacheren Beschreibung der Natur. Weil vereinheitlichende Prinzipien
so faszinierend sind, haben Physiker die Stärke der drei Kräfte bei hohen
Energien untersucht, um zu sehen, ob sie konvergieren oder nicht. Da­
mals im Jahr 1974 hatte noch niemand die Wechselwirkungsstärke der
drei nichtgravitativen Kräfte mit großer Genauigkeit gemessen. Howard
Georgi, Steven Weinberg und Helen Quinn (die damals unbezahlte As­
sistentin in Harvard war, heute Physikerin am Stanford Linear Aceeiera­
tor Center und Präsidentin der American Physical Society ) nahmen die
ungenauen Messungen ihrer Zeit und berechneten eine Renormierungs­
gruppe, um die Stärke der Wechselwirkungen bei hohen Energien zu ex­
trapolieren. Sie fanden heraus, dass die drei die Stärke der nichtgravita­
tiven Kräfte repräsentierenden Linien in der Tat an einem einzigen Punkt
zusammenzulaufen schienen.
Der berühmte Aufsatz von Georgi und Glashow aus dem Jahr 1 974
über ihre Große Vereinheitlichte Theorie beginnt mit den Worten : >> Wir

* Erinnern Sie sich daran, dass nach der Unschärferelation die Unschärfe der Entfer­
nung umgekehrt proportional zur Unschärfe des Impulses ist.

271
VERBORGENE UN IVERSEN

präsentieren eine Reihe von Hypothesen und Spekulationen, die unaus­


weichlich zu der Schlussfolgerung führen . . . dass alle Elementarteilchen­
kräfte ( starke, schwache und elektromagnetische ) unterschiedliche Ma­
nifestationen derselben fundamentalen Wechselwirkung mit einer einzi­
gen Kopplungskraft sind. Unsere Hypothesen können falsch sein und
unsere Spekulationen müßig, aber die Einzigartigkeit und Einfachheit
unseres Entwurfs sind Grund genug, ihn ernst zu nehmen. << * Überaus
bescheiden klang das nicht gerade. Georgi und Glashow glaubten aller­
dings auch nicht wirklich, dass Einzigartigkeit und Einfachheit hinrei­
chende Beweise waren, dass ihre Theorie eine korrekte Beschreibung der
Natur lieferte. Sie wollten auch die experimentelle Bestätigung.
Obwohl eine ungeheure Menge Zuversicht dazugehörte, vom Stan­
dardmodell auf das Zehnbillionenfache der Energie zu extrapolieren, die
bislang irgendj emand direkt beobachtet hatte, wurde den Autoren klar,
dass ihre Berechnungen überprüfbare Konsequenzen haben mussten. In
ihrem Aufsatz erklärten Georgi und Glashow, dass ihre GVT >> den Pro­
tonenzerfall vorhersagt << , und meinten, man sollte mit Tests diese Vor­
hersage überprüfen.
Georgi und Glashows vereinheitlichter Theorie zufolge halten Proto­
nen nicht bis in alle Ewigkeit. Nach sehr langer Zeit müssten sie zerfal­
len. Nach dem Standardmodell dürfte so etwas nie passieren. Quarks
und Leptonen unterscheiden sich normalerweise durch die Wechselwir­
kungen, denen sie unterliegen. Aber in der Großen Vereinheitlichten
Theorie sind alle Kräfte letztlich ein und dieselbe Kraft. Und genau wie
ein Up-Quark sich durch die schwache Wechselwirkung in ein Down­
Quark verwandeln kann, müsste folglich ein Quark in der Lage sein, sich
mittels der vereinheitlichten Wechselwirkung in ein Lepton zu verwan­
deln. Das heißt, wenn die GVT korrekt ist, würde die Nettoanzahl von
Quarks im Universum nicht gleich bleiben und ein Quark sich in ein
Lepton verwandeln können, was das Proton, das aus drei Quarks zu­
sammengesetzt ist, zerfallen lassen würde.
Weil nach der Großen Vereinheitlichten Theorie, die Quarks und Lep­
tonen miteinander verknüpft, das Proton zerfallen kann, wäre alle ver­
traute Materie letztlich instabil. Die Zerfallsrate des Protons ist j edoch
sehr klein - seine Lebensdauer würde das Alter des Universums bei wei­
tem übersteigen. Das heißt, dass ein so dramatisches Signal wie ein Pro-

* Howard Georgi und 5. L. Glashow, » Unity of all elementary-particle forces « , Phy­


sical Review Letters, Bd. 32, 5. 438 - 441 ( 1 974 ) .

272
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G

tonenzerfall nicht viele Chancen hätte, entdeckt zu werden : E s k ä m e viel


zu selten dazu.
Um Beweise für den Protonenzerfall zu finden, mussten die Physiker
extrem große und langfristige Experimente aufbauen, mit denen eine gi­
gantische Anzahl von Protonen überprüft wurden. Da ein einzelner Pro­
tonenzerfall so extrem selten ist, erhöht man mit einer großen Zahl von
Protonen erheblich die Wahrscheinlichkeit, dass man bei dem Experi­
ment den Zerfall wenigstens eines entdeckt. Auch wenn ein Hauptge­
winn im Lotto sehr unwahrscheinlich ist, verbessern Sie Ihre Chancen er­
heblich, wenn Sie Millionen von Scheinen abgeben.
Zu den von den Physikern aufgebauten großen Experimenten mit un­
zähligen Protonen zählten unter anderem das Irvine / Michigan / Brook­
haven-Experiment (1MB) in der Hornestake Mine in South Dakota und
das Kamiokande-Experiment, mit einem Wasserbassin und Detektoren,
die einen Kilometer tief in der Erde in Kamioka, Japan, eingerichtet wur­
den. Auch wenn ein Protonenzerfall ein extrem seltener Vorgang ist,
hätte man bei diesen Experimenten Anzeichen dafür finden müssen,
wenn die GVT von Georgi und Glashow richtig wäre. Zur Enttäuschung
des ehrgeizigen Unterfangens hat bislang niemand einen solchen Zerfall
beobachtet.
Das schließt nicht notwendigerweise eine Vereinheitlichung aus. Viel­
mehr wissen wir dank genauerer Messungen der Wechselwirkungen
jetzt, dass das ursprünglich von Georgi und Glashow vorgeschlagene
Modell fast mit Sicherheit falsch ist und nur eine erweiterte Version des
Standardmodells die Kräfte vereinheitlichen kann. Wie sich herausge­
stellt hat, sind die Vorhersagen für die Proton-Lebenszeit in solchen Mo­
dellen noch länger, und folglich dürfte ein Protonenzerfall auch noch
nicht beobachtet worden sein.
Wir wissen heute noch nicht genau, ob die Vereinheitlichung der
Kräfte ein realer Bestandteil der Natur ist oder, wenn ja, was sie bedeu­
tet. Berechnungen zufolge könnte eine Vereinheitlichung in mehreren
Modellen möglich sein, die ich später diskutieren werde, unter anderem
in Supersymmetrie-Modellen, extradimensionalen Modellen von Ho­
fava und Wirten und in verzerrten extradimensionalen Modellen, die
Raman Sundrum und ich entwickelt haben. Die extradimensionalen
Modelle sind besonders faszinierend, weil sie auch die Gravitation ein­
schließen können und so wahrhaftig alle vier bekannten Kräfte verein­
heitlichen würden. Diese Modelle sind auch wichtig, weil man bei den
ursprünglichen Vereinigungsmodellen davon ausgegangen war, dass

273
VERBORGENE UNIVERSEN

man oberhalb der schwachen Skala keine neuen Teilchen außer denen
mit GVT-Massenskala mehr finden würde. '· Die genannten anderen Mo­
delle zeigen, dass es auch dann zu einer Vereinheitlichung kommen kann,
wenn es viele neue Teilchen gibt, die nur bei Energien oberhalb der
schwachen Skala produziert werden können.
So faszinierend eine Vereinheitlichung der Wechselwirkungen auch
wäre, gegenwärtig sind die Physiker gespalten, was deren theoretischen
Wert angeht, j e nachdem, ob sie in der Physik einen Ansatz von oben
nach unten oder einen von unten nach oben bevorzugen. Die Idee einer
Großen Vereinheitlichten Theorie verkörpert einen Ansatz von oben
nach unten. Georgi und Glashow nahmen mutig an, dass es keine Teil­
chen mit Massen zwischen 1000 und 1 000 Billionen GeV geben würde,
und bauten auf dieser hypothetischen Grundlage eine Theorie auf. Die
Große Vereinheitlichung war in der Teilchenphysik der erste Schritt in
einer Debatte, die heutzutage mit der Stringtheorie fortgesetzt wird.
Beide Theorien extrapolieren physikalische Gesetze aus gemessenen
Energien auf Energien, die mindestens zehn Billionen Mal höher liegen.
Georgi und Glashow wurden später skeptisch, was den Ansatz von oben
nach unten angeht, den die Stringtheorie und die Suche nach der Großen
Vereinheitlichung darstellen. Sie haben mittlerweile andere Wege einge­
schlagen und konzentrieren sich j etzt auf die Physik bei niedrigerer Ener­
gie.
Vereinheitlichte Theorien sind zwar ziemlich reizvoll, ich bin aber
nicht sicher, ob ihre Erforschung zu korrekten Einsichten in der Natur
führen wird . Die Energielücke zwischen dem, was wir wissen, und dem,
was wir extrapolieren, ist riesig, und man kann sich vielerlei vorstellen,
was dazwischen passieren kann. In jedem Fall wird es, bis ein Protonen­
zerfall ( oder eine andere Vorhersage ) beobachtet wird - wenn überhaupt
j e -, unmöglich sein, mit Sicherheit zu bestimmen, ob sich Kräfte wirk­
lich bei hoher Energie vereinheitlichen. Bis dahin verbleibt diese Theorie
im Reich großartiger, aber theoretischer Spekulation .

Zur Erinnerung:

• Virtuelle Teilchen haben dieselben Ladungen wie echte physikalische


Teilchen, aber Energien, die falsch zu sein scheinen.

* Dies ist auch als Wüstenhypothese bekannt.

274
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G

• Virtuelle Teilchen existieren nur für s e h r kurze Z e i t ; s i e können sich


vorübergehend Energie aus dem Vakuum borgen - dem Zustand des
Universums ohne irgendwelche Teilchen.

• Quantenbeiträge zu physikalischen Prozessen resultieren aus virtuel­


len Teilchen, die mit realen Teilchen wechselwirken. Diese Beiträge
von virtuellen Teilchen beeinflussen die Wechselwirkung von realen
Teilchen, indem sie auftauchen und verschwinden und als Vermittler
zwischen den realen Tei lchen fungieren.

• Das anarchische Prinzip besagt, dass Quantenbeiträge immer berück­


sichtigt werden müssen, wenn man über die Eigenschaften eines Teil­
chens nachdenkt.

• In einer vereinheitlichten Theorie verwandelt sich eine einzige, hoch­


energetische Kraft bei niedrigen Energien in die drei bekannten nicht­
gravitativen Wechselwirkungen. Damit die drei Kräfte sich vereinheit­
lichen, müssen sie bei hohen Energien dieselbe Stärke haben.

275
12

Das Hierarchieproblem:
Die einzige effektive Durchsicker-Theorie

The highway is for gamblers, better use your sense.


Take what you have gathered from coincidence.
Die Straße ist was fii r Spieler, gebrauch lieber deinen Verstand.
Nutze, was dir der Zufall in die Hände gespielt hat
Bob Dylan

Ik e Rushmore Ill. fand ein schmähliches Ende, als er seinen prächtigen


neuen Parsehe um einen Laternenmast wickelte. Trotzdem war er im
Himmel ganz glücklich, weil er dort die ganze Zeit wetten konnte. Im
Grunde seines Herzens war er ein Spieler.
Eines Tages lud Gott persönlich Ike zu einer ziemlich merkwürdigen
Wette ein. Gott sagte ihm, er solle eine sechzehnstellige Zahl aufschrei­
ben. Dann nahm Gott den himmlischen ikosaedrischen Würfel. Im Ge­
gensatz zu einem normalen, kubischen Würfel mit sechs Seitenflächen
hatte dieser 20, auf die zweimal die Zahlen von null bis neun geschrieben
waren. Gott erklärte, Er werde diesen Würfel sechzehn Mal werfen und
die gewürfelten Zahlen eine nach der anderen notieren, um so zu einer
sechzehnstelligen Zahl zu kommen.
Wenn Gott und Ike dieselbe enorme Zahl auf ihren Zetteln hätten -
das heißt, wenn alle Stellen in der richtigen Reihenfolge übereinstimm­
ten -, hätte Gott gewonnen. Wenn die Zahlen nicht genau dieselben
wären - das heißt, wenn irgendeine Stelle nicht passte -, hätte Ike Gott
geschlagen.
Gott begann zu würfeln. Beim ersten Mal stand auf der obersten Wür­
felfläche die Vier. Das stimmte mit der ersten Stelle von Ikes Zahl über­
ein, die 4 71 5 031 49552 6 312 lautete. Ike war überrascht, dass Gott rich­
tig gewürfelt hatte, denn die Chance stand nur eins zu zehn. Dennoch
war er ziemlich sicher, dass die zweite und die dritte Zahl falsch sein wür-

276
D A S H I E R A RC H I E P R O B L E M

den ; die Wahrscheinlichkeit, dass Gott nacheinander zwei Zahlen richtig


würfelte, betrug nur eins zu hundert.
Gott würfelte zum zweiten und dann zum dritten Mal. Er bekam eine
Sieben und dann eine Eins, was ebenfalls stimmte. Er würfelte weiter, bis
zu Ikes Erstaunen Er alle sechzehn Stellen korrekt gewürfelt hatte. Die
Wahrscheinlichkeit, dass das aus Zufall geschah, belief sich auf lediglich
eins zu 10000000000000000. Wie hatte da Gott gewinnen können ?
Ike war ein bisschen böse (man kann im Himmel nicht richtig böse
werden) und fragte, wie etwas so lächerlich Unwahrscheinliches passieren
k önnte. Weise antwortete Gott: » Ich bin der Einzige, von dem man er­
warten konnte, dass ich gewinne, denn schließlich bin ich sowohl allwis­
send als auch allmächtig. Aber wie du wahrscheinlich schon gehört hast,
würfle ich eigentlich nicht gern. «
Und damit wurde G L Ü CKSSPIE L E VE R B O TE N ! auf eine Wolke
geschrieben. Ike war wütend (natürlich nur ein bisschen) . Er hatte nicht
nur verloren, er durfte auch nicht mehr wetten.

Bis hierhin haben Sie hoffentlich schon eine Menge über Teilchenphysik
und einige schöne Theorieelemente gelernt, mit denen Physiker das Stan­
dardmodell bauen. Dieses erklärt außergewöhnlich gut viele verschie­
dene experimentelle Resultate. Doch steht es auf einer prekär unstabilen
Grundlage, die ein großes und wichtiges Rätsel darstellt, und dessen Lö­
sung wird fast mit Sicherheit zu neuen Einsichten in die der Materie zu­
grunde liegenden Strukturen führen. In diesem Kapitel wollen wir dieses
Rätsel ergründen, das Teilchenphysiker als Hierarchieproblem kennen.
Das Problem besteht nicht darin, dass die Vorhersagen des Standard­
modells nicht mit experimentellen Ergebnissen übereinstimmten. Die
mit der elektromagnetischen, der schwachen und der starken Wechsel­
wirkung zusammenhängenden Massen und Ladungen sind mit unglaub­
licher Genauigkeit überprüft worden. Experimente mit Teilchenbe­
schleunigern am CERN, SLAC und Fermilab haben ausnahmslos mit ein­
zigartiger Präzision die Vorhersagen des Standardmodells für Wechsel­
wirkungen und Zerfallsraten der bekannten Teilchen bestätigt. Und die
Stärke der Wechselwirkungen im Standardmodell stellt auch kein son­
derliches Rätsel dar. In welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ist de
facto zu erahnen und liegt der Idee einer Großen Vereinheitlichten Theo­
rie zugrunde. Darüber hinaus erklärt der Higgs-Mechanismus perfekt,
wie das Vakuum die elektroschwache Symmetrie bricht und den W- be-

277
VERBORGENE UN IVERSEN

ziehungsweise Z-Eichbosonen und auch den Quarks und Leptonen zu


ihrer Masse verhilft.
Doch auch in der äußerlich idyllischsten Familie kann man tiefer lie­
gende Spannungen entdecken, wenn man sie näher untersucht. Trotz
bestens aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen und eines glückli­
chen, harmonischen Erscheinungsbildes kann ein verheerendes, ver­
heimlichtes Familiengeheimnis unter der O berfläche lauern. Das Stan­
dardmodell hat genau so eine Leiche im Keller. Alles stimmt mit den Vor­
hersagen überein, wenn man unkritisch davon ausgeht, dass die Stärke
der elektromagnetischen und der schwachen Wechselwirkung und die
Massen der Eichbosonen die Werte haben, die in Experimenten gemes­
sen wurden. Aber wir werden gleich sehen, dass der Massenparameter
( die schwache Massenskala, die die Massen der Elementarteilchen be­
stimmt) , der sehr sorgfältig gemessen wurde, zehn Millionen Milliarden
Mal oder sechzehn Größenordnungen kleiner ist als die Masse, die Phy­
siker aufgrund allgemeiner theoretischer Überlegungen erwarten wür­
den. Jeder Physiker, der den Wert der schwachen Massenskala auf der
Grundlage einer hochenergetischen Theorie geschätzt hätte, wäre zu
einem völlig falschen Ergebnis gekommen ( und hätte damit auch bei al­
len Teilchenmassen vollständig danebengelege n ) . Die Masse scheint
heiße Luft zu sein. Dieses Rätsel - das Hierarchieproblem - klafft als
große Lücke in unserem teilchenphysikalischen Wissen.
In der Einleitung habe ich das Hierarchieproblem als die Frage erklärt,
warum die Gravitation so schwach ist, aber wir werden j etzt sehen, dass
man es auch als die Frage ausdrücken kann, warum die Masse des
Higgs-Teilchens und damit die Massen schwacher Eichbosonen so klein
sind. Damit die Massen ihre gemessenen Werte bekommen, muss man
im Standardmodell einen Wert hintricksen, der so unwahrscheinlich ist,
wie das Würfelspiel gegen Ike zu gewinnen. Trotz seiner vielen Erfolge
muss das Standardmodell zu diesem übertrieben hohen Wert greifen, um
die bekannten Elementarteilchenmassen unterzubringen.
Dieses Kapitel erklärt das Problem und erläutert, warum ich wie die
meisten anderen Teilchentheoretiker es für so wichtig halte. Das Hierar­
chieproblem sagt uns, dass das, was immer für den Bruch der elektro­
schwachen Symmetrie verantwortlich ist, sich als interessanter erweisen
wird als das in Kapitel 10 präsentierte Beispiel mit den zwei Higgs-Fel­
dern. Alle möglichen Lösungen drehen sich um neue physikalische Prin­
zipien, und die faktische Lösung wird sehr wahrscheinlich die Physiker
auf weitere fundamentale Teilchen und Gesetze bringen. Herauszufin-

278
D A S H I E R A RC H I E P RO B LE M

den, was die Rolle des Higgs-Felds spielt und die elektroschwache Sym­
metrie bricht, wird einiges an neuer Physik enthüllen und zum Ergiebigs­
ten zählen, was wir wahrscheinlich in meinem Leben zu fassen bekom­
men. Bei einer Energie von rund einem TeV werden fast mit Sicherheit
neuartige physikalische Phänomene auftreten. Experimente zur Über­
prüfung von konkurrierenden Hypothesen stehen vor der Tür, und bin­
nen eines Jahrzehnts müsste es eine dramatische Revision unseres Ver­
ständnisses von den fundamentalen physikalischen Gesetzen geben, die
auch das einschließen wird, was immer da seiner Entdeckung harrt.
Das Hierarchieproblem sagt uns, dass wir uns um mindestens ein drin­
gendes niederenergetisches Problem kümmern müssen, ehe wir die Phy­
sik auf extrem hohe Energien extrapolieren können. In den letzten gut 30
Jahren haben Teilchentheoretiker nach der Struktur gesucht, die die
schwache Energieskala vorhersagt und schützt, die relativ niedrige Ener­
gie, bei der die elektroschwache Symmetrie bricht. Ich und andere glau­
ben, dass es für das Hierarchieproblem eine Lösung geben muss und dass
diese einen der wichtigsten Hinweise liefern wird, was j enseits des Stan­
dardmodells liegt. Um zu verstehen, was zu den von mir in Kürze prä­
sentierten Theorien motivierte, ist es nützlich, ein bisschen über dieses
sehr wichtige Problem zu wissen. Die Suche nach der Lösung hat uns be­
reits dazu gebracht, neue physikalische Konzepte zu untersuchen wie
etwa die, die ich in späteren Kapiteln vorstellen werde, und die Lösung
wird fast mit Sicherheit unsere heutigen Überzeugungen revidieren.
Bevor wir uns die allgemeinste Version des Hierarchieproblems anse­
hen, werden wir zunächst das Hierarchieproblem im Kontext einer Gro­
ßen Vereinheitlichten Theorie betrachten, wo es erstmals identifiziert
wurde und ein bisschen einfacher zu verstehen ist. Dann kümmern wir
uns um das Problem im größeren ( und umfassenderen ) Kontext und
werden sehen, warum es sich letztlich auf die Schwäche der Gravitation
im Vergleich zu allen anderen Kräften reduzieren lässt.

Das Hierarchieproblem in einer G VT

Stellen Sie sich vor, dass Sie einen sehr groß gewachsenen Freund besu­
chen und feststellen, dass er zwar 192 Zentimeter misst, sein zweieiiger
Zwillingsbruder aber nur 147 Zentimeter. Das wäre sehr überraschend.
Man sollte meinen, dass die beiden Zwillinge, die j a eine vergleichbare
genetische Ausstattung haben, ähnlich groß wä ren. Jetzt stellen Sie sich

279
VERBORGENE UN IVERSEN

etwas noch Bizarreres vor : Sie betreten das Haus Ihres Freundes und
stellen fest, dass sein Bruder zehnmal kleiner oder größer ist. Das wäre
wirklich äußerst merkwürdig.
Wir glauben nicht, dass alle Teilchen dieselben Eigenschaften haben.
Aber solange kein guter Grund dagegen spricht, gehen wir davon aus,
dass Teilchen, die ähnlichen Wechselwirkungen unterliegen, sich auch ir­
gendwie ähnlich sind. Wir erwarten beispielsweise, dass sie vergleich­
bare Massen haben. Genau wie man mit gutem Grund innerhalb einer
Familie ähnliche Körpergrößen vermuten kann, haben Teilchenphysiker
triftige wissenschaftliche Gründe, bei Teilchen im Rahmen einer Theorie
wie etwa der Großen Vereinheitlichten Theorie ähnliche Massen zu er­
warten. Aber in einer GVT sind sich die Massen überhaupt nicht ähn­
lich : Selbst die Teilchen, die ähnlichen Kräften unterliegen, müssen
enorm unterschiedliche Massen haben. Und es geht dabei nicht nur um
einen Faktor zehn : Die Diskrepanz zwischen den Massen entspricht eher
einem Faktor von zehn Billionen.
Das Problem mit einer Großen Vereinheitlichten Theorie ist, dass das
Higgs-Teilchen, das die elektroschwache Symmetrie bricht, » leicht << sein
muss - ungefähr der schwachen Massenskala entspricht -, die GVT aber
dem Higgs-Teilchen als Partner ein anderes Teilchen zuweist, das mit der
starken Kraft wechselwirkt. Und dieses neue Teilchen der GVT muss ex­
trem schwer sein - eine Masse von in etwa der GVT-Massenskala haben.
Anders ausgedrückt : Zwei Teilchen, die vermutlich über eine Symmetrie
( die Symmetrie der GVT-Kraft) miteinander verwandt sind, müssen
enorm unterschiedliche Massen haben.
Die zwei verschiedenen, aber verwandten Teilchen müssen in einer
GVT zusammen auftreten, weil die schwache und die starke Wechselwir­
kung bei hoher Energie gegeneinander austauschbar sein müssten. Das
ist die ganze Überlegung hinter einer vereinheitlichten Theorie - alle
Kräfte sollen letztlich ein und dieselbe sein. Wenn also die starke und die
schwache Wechselwirkung vereinheitlicht werden, muss jedes Teilchen,
das der schwachen unterliegt - auch das Higgs-Teilchen -, als Partner ein
anderes Teilchen haben, das der starken Kraft unterliegt und Wechsel­
wirkungen hat, die denen des ursprünglichen Higgs-Teilchens ähnlich
sind. Jedoch gibt es mit dem neuen, dem Higgs zugeordneten Teilchen,
das der starken Wechselwirkung unterliegt, ein großes Problem.
Der stark geladene Partner des Higgs-Teilchens kann simultan mit
einem Quark und einem Lepton wechselwirken und daher einen Proto­
nenzerfall ermöglichen - sogar noch schneller, als eine GVT anderweitig

280
D A S H I E R A RC H I E P RO B LE M

vorhersagen würde. Um einen zu raschen Zerfall zu vermeiden, muss


das stark wechselwirkende Teilchen - das zwischen zwei Quarks und
zwei Leptonen ausgetauscht werden muss, damit es zu einem Protonen­
zerfall kommen kann - extrem schwer sein. Die gegenwärtige Grenze
der Proton-Lebensspanne sagt uns, dass der stark geladene Higgs-Part­
ner, so es ihn in der Natur gi bt, eine Masse haben muss, deren Größe
mit der GVT-Massenskala vergleichbar ist : rund eine Million Milliar­
den GeV. Wenn es dieses Teilchen gä be, es aber nicht so schwer wäre,
würden Sie und dieses Buch zerfallen, noch ehe Sie diesen Satz zu Ende
gelesen hätten.
Wir wissen j edoch bereits, dass das schwach geladene Higgs-Teilchen
leicht sein muss ( rund 250 GeV), um den schwachen Eichbosonen die
Massen zu geben, die bei Experimenten gemessen wurden. Experimen­
telle Einschränkungen sagen uns also, dass die Masse des Higgs-Teil­
chens sich über alle Maßen von der Masse des Higgs-Partners unter­
scheiden muss, der der starken Wechselwirkung unterliegt. Das stark
geladene Higgs-Teilchen, das in einer vereinheitlichten Theorie vermut­
lich sehr ähnliche Wechselwirkungen haben muss wie das schwach gela­
dene Higgs-Teilchen, muss eine völlig andere Masse haben, anderenfalls
wäre die Welt nicht die, die wir sehen. Diese riesige Diskrepanz zwischen
den beiden Massen - eine ist zehn Billionen Mal größer als die andere -
ist sehr schwer zu erklären, vor allem im Rahmen einer vereinheitlichten
Theorie, in der sowohl das schwach geladene als auch das stark geladene
Higgs-Teilchen vermutlich ähnliche Wechselwirkungen haben.
Bei den meisten vereinheitlichten Theorien besteht die einzige Mög­
lichkeit, ein Teilchen schwer und das andere leicht zu machen, darin,
einen riesigen Faktor hineinzutricksen. Kein physikalisches Prinzip sagt
vorher, dass die Massen so unterschiedlich sind ; eine sehr sorgfältig ge­
wählte Zahl ist die einzige Möglichkeit, damit das alles funktioniert.
Diese Zahl muss auf dreizehn Stellen stimmen, sonst würde entweder
das Proton zerfallen oder die Massen der schwachen Eichbosonen wür­
den zu groß.
Teilchenphysiker bezeichnen die notwendige Trickserei als Feinab­
stimmung. Darunter versteht man, dass man einen Parameter so anpasst,
dass man genau den Wert bekommt, den man haben will. D ieses >> Ab­
stimmen << ist mit dem Stimmen einer Klaviersaite zu vergleichen, damit
diese den genau richtigen Ton produziert. Wenn Sie aber eine Frequenz
von ein paar hundert Hertz auf dreizehn Stellen genau hinbekommen
wollen, müssen Sie dem Ton zehn Milliarden Sekunden lauschen - 1000

281
VERBORGENE U N I VERSEN

Jahre -, um herauszufinden, ob er stimmt. Eine Genauigkeit auf dreizehn


Stellen ist schwer zu schaffen.
Es gibt noch mehr Analogien zur Feinabstimmung, aber ich garantiere
Ihnen, sie wirken alle gekünstelt. Stellen Sie sich beispielsweise ein riesi­
ges Unternehmen vor, in dem eine Person für die Ausgaben zuständig ist
und eine andere für die Einnahmen . Nehmen Sie an, dass die beiden nie­
mals miteinander kommunizieren, dass aber am Ende des Jahres das Un­
ternehmen fast genauso viel Geld ausgegeben haben muss wie hereinge­
kommen ist; der Unterschied muss weniger als einen Dollar betragen,
sonst scheitert das Unternehmen. Nun ja, das ist ein gekünsteltes Bei­
spiel. Und aus gutem Grund. Keine vernünftige Situation hängt von
Feinabstimmung ab, niemand will sein Schicksal ( oder das Schicksal sei­
nes Unternehmens) an eine unwahrscheinliche Koinzidenz gebunden
wissen. Doch fast j ede Große Vereinheitlichte Theorie mit leichten
Higgs-Teilchen hat ein solches Abhängigkeitsproblem. Eine Theorie, de­
ren physikalische Vorhersagen so empfindlich von einem Parameter ab­
hängen, ist wahrscheinlich nicht der wahre Jakob.
Aber die einzige Möglichkeit, die Masse der Higgs-Teilchen in der ein­
fachsten GVT klein genug zu bekommen, besteht im Herumtricksen an
der Theorie. Das GVT-Modell bietet keine gute Alternative. Das ist ein
ernsthaftes Problem für die meisten Modelle, die in vier Dimensionen
vereinheitlichen, und viele Physiker einschließlich meiner selbst sind des­
wegen skeptisch, was die Vereinheitlichung der Wechselwirkungen an­
geht.
Und das Hierarchieproblem bereitet noch mehr Sorgen. Selbst wenn
man bereit ist, ohne eine tiefer gehende Erklärung einfach anzunehmen,
dass das eine Teilchen leicht und das andere extrem schwer ist, bekommt
man noch immer Schwierigkeiten mit Effekten, die als quantenmechani­
sche Beiträge oder einfach Quantenbeiträge bezeichnet werden. Diese
Quantenbeiträge müssen zur klassischen Masse addiert werden, um die
wahre physikalische Masse zu bestimmen, die das Higgs-Teilchen in der
realen Welt haben müsste. Und diese Beiträge sind im Allgemeinen weit
größer als die Masse von ein paar hundert GeV, die für das Higgs-Teil­
chen erforderlich ist.
Ich warne Sie vorab, dass die Diskussion im nächsten Abschnitt, die
sich um Quantenbeiträge auf der Basis von virtuellen Teilchen und
Quantenmechanik dreht, Ihnen nicht unmittelbar einleuchten wird. Ver­
suchen Sie nicht, sich eine klassische Analogie vorzustellen ; was wir be­
trachten werden, ist ein rein quantenmechanischer Effekt.

282
D A S H I E R A RC H I E P RO B LE M

Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens

Im vorangegangenen Kapitel wurde erklärt, dass ein Teilchen sich im


Allgemeinen nicht ungehindert durch den Raum bewegen kann. Virtu­
elle Teilchen können auftauchen und verschwinden und damit den Weg
des ursprünglichen Teilchens beeinflussen. Die Quantenmechanik sagt
uns, dass wir j eder physikalischen Größe stets die Beiträge aus allen sol­
chen möglichen Wegen hinzuaddieren müssen.
Wir haben bereits gesehen, dass solche virtuellen Teilchen die Stärken
der Wechselwirkungen so von der Entfernung abhängig machen, wie es
gemessen wurde und gut mit den Vorhersagen übereinstimmt. Dieselben
Arten von Quantenbeiträgen, die den Wechselwirkungen ihre Energieab­
hängigkeit geben, beeinflussen auch die Größe der Massen. Aber im Fall
der Masse des Higgs-Teilchens - im Gegensatz zu den Stärken der Wech­
selwirkungen - machen die Konsequenzen virtueller Partikel nicht den
Eindruck, als würden sie dem entsprechen, was Experimentatoren von
der Theorie verlangen. Sie scheinen viel zu groß zu sein.
Weil die Higgs-Teilchen mit schweren Teilchen wechselwirken, deren
Masse so groß ist wie die GVT-Massenskala, erfordern einige der Wege,
die das Higgs-Teilchen nimmt, dass das Vakuum ein virtuelles schweres
Teilchen und sein virtuelles Antiteilchen ausspuckt und dass das Higgs­
Teilchen auf seinem Weg sich vorübergehend in j ene Teilchen umwandelt
( s iehe Abbildung 61 ) Die schweren Teilchen, die aus dem Vakuum her­
.

aus- und wieder hineinplatzen, beeinflussen die Bewegung des Higgs­


Teilchens. Sie sind die Missetäter, die für die großen Quantenbeiträge
verantwortlich sind.
Wenn wir die tatsächliche Masse des Higgs-Teilchens bestimmen wol­
len, müssen wir der Quantenmechanik zufolge solche Wege mit virtuel-

Higgs
GVT-Teilchen
Higgs
Ü
GVT-Teilchen
..------...


Higgs Higgs
-- --
- - - -

GVT-Antiteilchen GVT -Antiteilchen

A b bildung 61 : Virtuelle Beiträge zur Masse des Higgs-Teilchens von schwe­


ren Teilchen einer G VT. Das Higgs-Teilchen kann zu virtuellen schweren Teil­
chen (von G VT-Masse) werden, die sich dann wieder in ein Higgs-Teilchen
zurück verwandeln. Dies ist schematisch links dargestellt und mit einem Feyn­
man-Diagramm rechts.

283
VERBORGENE U N I VERSEN

Jen schweren Teilchen dem einen Weg ohne sie hinzuaddieren. Das Pro­
blem ist, dass die Wege, die virtuelle schwere Teilchen enthalten, Beiträge
zur Masse des Higgs-Teilchens liefern, die ungefähr genauso groß sind
wie die Massen der schweren Teilchen in einer GVT - dreizehn Größen­
ordnungen mehr als die erwünschte Masse. All diese enormen quanten­
mechanischen Beiträge von virtuellen schweren Teilchen müssen zum
klassischen Wert für die Masse des Higgs-Teilchens hinzugerechnet wer­
den, um den physikalischen Wert zu ergeben, der bei einer Messung er­
mittelt würde und der rund 250 Ge V betragen sollte, wenn wir die Mas­
sen der schwachen Eichbosonen richtig hinbekommen wollen. Das
heißt, auch wenn ein einzelner GVT-Massenbeitrag um dreizehn Grö­
ßenordnungen zu groß ist, müsste die Lösung annähernd 250 Ge V sein,
wenn wir all die enormen Beiträge zur Masse zusammenzählen, von de­
nen einige positiv, andere hingegen negativ sein können. Selbst wenn ein
einziges virtuelles schweres Teilchen mit dem Higgs-Teilchen wechsel­
wirkt, gibt es unausweichlich ein Problem.
Wenn wir uns wie im vorangegangenen Kapitel virtuelle Teilchen als
Mitarbeiter einer Bürokratie vorstellen, ist das so, als würden die Ange­
stellten der OS-amerikanischen Einwanderungs- und Einbürgerungsbe­
hörde, deren Job es ist, Briefe von bestimmten suspekten Individuen zu
verzögern, stattdessen sämtliche durchlaufenden Briefe eingehend über­
prüfen. Statt eines zweigleisigen Systems, bei dem einige Briefe schnell
durchgeleitet und andere verzögert werden, würden alle Briefe gleich be­
handelt. Ähnlich erfordert der Higgs-Mechanismus, dass die >> Bürokra­
tie << virtueller Teilchen einige Teilchen schwer, aber andere einschließlich
des Higgs-Teilchens leicht lassen sollte. Stattdessen aber liefern Quanten­
wege mit virtuellen Teilchen - wie die übereifrigen Beamten - zu allen
Teilchenmassen vergleichbare Beiträge. Wir müssten also erwarten, dass
alle Teilchen einschließlich des Higgs-Teilchens so schwer sind wie die
GVT-Massenskala.
Ohne eine neuartige Physik besteht die einzige ( und sehr unbefriedi­
gende) Möglichkeit zur Umgehung des Problems der übergroßen Masse
des Higgs-Teilchens in der Annahme, dass seine klassische Masse genau
den Wert annimmt ( der negativ sein könnte ) , welcher den großen Quan­
tenbeitrag zu seiner Masse wettmacht. Die theoretischen Parameter, die
die Massen bestimmen, müssten derart sein, dass alle Beiträge sich zu
einer sehr kleinen Zahl addieren, auch wenn jeder einzelne Beitrag sehr
groß ist. Das ist die Feinabstimmung, die ich im vorherigen Abschnitt er­
wähnt habe.

284
D A S H I E R A RC H I E P RO B L E M

Es ist vorstellbar, aber extrem unwahrscheinlich, dass das in der Rea­


lität passiert. Es geht nicht einfach darum, ein klein bisschen an einem
Parameter herumzumogeln, um die richtige Masse zu bekommen. Es ist
eine enorme Mogelei, und sie muss außerordentlich präzise sein : Alles,
was auf weniger als dreizehn Stellen genau ist, würde drastisch falsche
Ergebnisse liefern. Nur um das klarzustellen : Diese bizarre Trickserei ist
nicht dasselbe, wie eine Größe ganz präzise zu messen, etwa die Lichtge­
schwindigkeit. Gewöhnliche, qualitative Vorhersagen hängen nicht da­
von ab, dass ein Parameter einen bestimmten Wert annimmt. Nur ein
Wert wird genau der Größe entsprechen, die gemessen wird, aber die
Welt wäre keine sonderlich andere, wenn der Parameter einen leicht un­
terschiedlichen Wert angenommen hätte. Wenn Newtons Gravitations­
konstante (die die Stärke der Gravitation festlegt) einen Wert hätte, der
um ein Prozent abwiche, würde sich nichts dramatisch ändern.
Bei einer Großen Vereinheitlichten Theorie hingegen reicht eine kleine
Veränderung eines Parameters aus, um die Vorhersagen der Theorie
komplett zu ruinieren, sowohl quantitative als auch qualitative. Die phy­
sikalischen Konsequenzen des Werts der Masse des Higgs-Teilchens, das
die elektroschwache Symmetrie bricht, hängen außerordentlich emp­
findlich von einem Parameter ab. Für praktisch alle Werte dieses Para­
meters würde es die Hierarchie zwischen der GVT-Masse und der schwa­
chen Massenskala nicht geben, und Strukturen wie das Leben selbst, die
auf dieser Hierarchie beruhen, wären unmöglich. Wenn j ener Parameter
um so wenig wie ein Prozent abwiche, wäre die Masse des Higgs-Teil­
chens viel zu groß. Dann wären die Massen der schwachen Eichbosonen
und auch die anderer Teilchen allesamt viel zu groß, und die Konsequen­
zen des Standardmodells würden in nichts dem gleichen, was wir sehen.

Das Hierarchieproblem der Teilchenphysik

Der letzte Abschnitt präsentierte ein gigantisches Rätsel, das Hierarchie­


problem einer GVT. Aber das wirkliche Hierarchieproblem ist noch
schlimmer. Auch wenn GVTs erstmals Physiker auf das Hierarchiepro­
blem aufmerksam machten, verursachen virtuelle Teilchen selbst in einer
Theorie ohne Teilchen von GVT-Masse viel zu große Beiträge zur Masse
des Higgs-Teilchens. Das macht sogar das Standardmodell suspekt.
Das Problem ist, dass eine aus dem Standardmodell plus der Gravita­
tion bestehende Theorie zwei enorm unterschiedliche Energieskalen um-

285
VERBORGENE UNIVERSEN

fasst. D i e e i n e i s t d i e schwache Energieskala, b e i d e r d i e elektroschwache


Symmetrie gebrochen wird ; sie beträgt 250 GeV. Wenn Teilchen weniger
Energie haben, werden die Effekte der gebrochenen elektroschwachen
Symmetrie manifest, und schwache Eichbosonen und Elementarteilchen
haben Masse.
Die andere Energie ist die Planck-Energieskala, die sechzehn Größen­
ordnungen oder zehn Millionen Milliarden Mal größer ist als die schwa­
che Energieskala : Atemberaubende 1 0 19 GeV. Die Planck-Energieskala
bestimmt die Stärke der Gravitationswechselwirkungen : Newtons Ge­
setz besagt, dass die Stärke umgekehrt proportional zum Quadrat j ener
Energie ist. Und weil die Stärke der Gravitation klein ist, ist die Planck­
Massenskala (die zur Planck-Energieskala via E = mc2 in Beziehung
steht) groß. Eine riesige Planck-Massenskala ist einer extrem schwachen
Gravitation äquivalent.
Bislang ist die Planck-Massenskala noch nicht in unserer Diskussion
der Teilchenphysik vorgekommen, weil die Schwerkraft so schwach ist,
dass man sie bei den meisten teilchenphysikalischen Berechnungen ruhig
ignorieren kann. Aber das ist genau die Frage, die die Teilchenphysiker
beantwortet haben wollen : Warum ist die Gravitation so schwach, dass
man sie bei teilchenphysikalischen Berechnungen nicht berücksichtigen
darf ? Man kann das Hierarchieproblem auch so ausdrücken, dass man
fragt, warum die Planck-Massenskala so riesig ist : Warum ist sie zehn
Millionen Milliarden Mal größer als die für die Teilchenphysik-Skalen
relevanten Massen, die alle bei weniger als ein paar hundert Ge V liegen ?
Um eine Grundlage für einen Vergleich zu bekommen, nehmen wir
einmal die gravitative Anziehung zwischen zwei Teilchen von niedriger
Masse, etwa einem Paar Elektronen. Die Anziehungskraft ist rund 100
Millionen Billionen Billionen Billionen Mal schwächer als die elektrische
Abstoßung zwischen den beiden Elektronen. Vergleichbar wären die
zwei Kräfte nur, wenn Elektronen zehn Milliarden Billionen Mal schwe­
rer wären, als sie sind. Das ist eine riesige Zahl - wenn man die Insel
Manhattan (gut 20 Kilometer lang) so viele Male aneinander legte,
würde die Reihe das gesamte beobachtbare Universum durchmessen.
Die Planck-Massenskala ist ungeheuer viel größer als die Masse des
Elektrons oder aller bekannten anderen Teilchen, und das heißt, dass die
Gravitation viel schwächer ist als die anderen bekannten Kräfte. Aber
warum sollte es eine so riesige Diskrepanz geben - oder, was das Gleiche
ist, warum sollte die Planck-Massenskala im Vergleich zu den bekannten
Teilchenmassen so gigantisch sein ?

286
D A S H I E R A RC H I E P R O B L E M

Für Teilchenphysiker ist der riesige Unterschied zwischen der Planck­


Massenskala und der schwachen Massenskala - ein Faktor von rund
zehn Millionen Milliarden - schwer zu verdauen. Der Unterschied ist
größer als die Anzahl von Minuten, die seit dem Urknall vergangen sind ;
er beträgt rund das Tausendfache der Anzahl von Murmeln, die man in
einer Reihe von der Erde zur Sonne legen könnte. Er ist über hundert
Mal größer als das Defizit des OS-Staatshaushalts - in Cent gerechnet !
Warum sollten zwei Massen, die dasselbe physikalische System beschrei­
ben, so enorm voneinander a bweichen ?
Wenn Sie kein Teilchenphysiker sind, kommt Ihnen das vielleicht nicht
wie ein sehr dringliches Problem vor, auch wenn diese Zahlen drama­
tisch groß sind. Schließlich können wir notwendigerweise nicht alles er­
klären, und zwei Massen können vielleicht ohne bestimmten Grund un­
terschiedlich sein. Aber die Lage ist in Wirklichkeit viel schlimmer, als es
aussieht. Wir haben es nicht nur mit dem unerklärlich riesig großen Un­
terschied der Massen zu tun. Im folgenden Abschnitt werden wir sehen,
dass in der Quantenfeldtheorie j edes Teilchen, das mit dem Higgs-Teil­
chen wechselwirkt, an einem virtuellen Prozess teilhaben kann, der die
Masse des Higgs-Teilchens auf einen Wert so groß wie die Planck-Mas­
senskala hochtreibt : 10 19 Ge V.
Würde man einen ehrlichen Teilchenphysiker, der die Stärke der Gra­
vitation kennt, aber nichts von den gemessenen Massen der schwachen
Eichbosonen weiß, bitten, die Masse des Higgs-Teilchens anhand der
Quantenfeldtheorie zu schätzen, würde er für das Higgs-Teilchen - und
damit für die Massen der schwachen Eichbosonen - einen Wert vorher­
sagen, der zehn Millionen Milliarden Mal zu groß wäre. Das heißt, er
würde aus seinen Berechnungen schließen, dass das Verhältnis zwischen
der Planck-Massenskala und der Masse des Higgs-Teilchens ( oder der
schwachen Massenskala, d ie von der Masse des Higgs-Teilchens be­
stimmt wird ) weit dichter an der Vereinheitlichung liegt als zehn Millio­
nen Milliarden ! Seine geschätzte schwache Massenskala läge so nahe an
der Planck-Massenskala, dass Teilchen allesamt Schwarze Löcher wären
und es die Teilchenphysik, wie wir sie kennen, nicht geben würde. Ob­
wohl er nicht von vornherein eine Erwartung für den Wert entweder der
schwachen Massenskala oder der Planck-Massenskala im Einzelnen
hätte, könnte er die Quantenfeldtheorie benutzen, um das Verhältnis zu
schätzen - und er würde total falsch liegen. Eindeutig gibt es hier eine
enorme Diskrepanz. Der nächste Abschnitt erklärt, warum.

287
VERBORGENE UN IVERSEN

Virtuelle energiereiche Teilchen

Dass die Planck-Massenskala in die Quantenfeldtheorie Eingang findet,


hat einen nicht auf den ersten Blick zu erkennenden Grund . Wie wir ge­
sehen haben, bestimmt die Planck-Massenskala die Stärke der Schwer­
kraft. Nach Newtons Gesetz ist die Gravitation umgekehrt proportional
zum Wert der Planck-Massenskala, und die Tatsache, dass die Gravita­
tion so schwach ist, sagt uns, dass die Planck-Massenskala riesig ist.
Im Allgemeinen können wir die Gravitation ignorieren, wenn wir in
der Teilchenphysik Vorhersagen machen, weil Auswirkungen der
Schwerkraft auf ein Teilchen mit einer Masse von rund 250 GeV völlig
zu vernachlässigen sind. Wenn man wirklich Gravitationseffekte berück­
sichtigen muss, kann man das systematisch tun, aber normalerweise
lohnt es die Mühe nicht. In späteren Kapiteln werden wir neue und ganz
andere Szenarios behandeln, bei denen eine höherdimensionale Gravita­
tion so stark ist, dass sie nicht vernachlässigt werden kann. Aber für das
konventionelle vierdimensionale Standardmodell ist die Vernachlässi­
gung der Schwerkraft eine übliche und gerechtfertigte Praxis.
Die Planck-Massenskala spielt aber auch noch eine andere Rolle : Sie
ist die maximale Masse, die virtuelle Teilchen in einer verlässlichen Be­
rechnung der Quantenfeldtheorie annehmen können. Trügen Teilchen
mehr Masse als die Planck-Massenskala, könnte man der Berechnung
nicht mehr vertrauen, und die allgemeine Relativitätstheorie wäre nicht
mehr zuverlässig und müsste durch eine umfassendere Theorie, bei­
spielsweise die Stringtheorie, ersetzt werden. Wenn aber Teilchen (ein­
schließlich virtueller) eine Masse haben, die unter der Planck-Massen­
skala liegt, dann greift die Quantenfeldtheorie, und auf ihr basierende
Berechnungen müssten vertrauenswürdig sein. Das heißt, dass auf eine
Rechnung mit einem virtuellen Top-Quark ( oder einem anderen virtuel­
len Teilchen), dessen Masse fast so groß wie die Planck-Massenskala ist,
Verlass sein sollte.
Das Problem für die Hierarchie besteht darin, dass der Beitrag zur
Masse des Higgs-Teilchens von virtuellen Teilchen mit extrem viel Masse
ungefähr so groß wie die Planck-Massenskala wird, was zehn Millionen
Milliarden Mal mehr ist als die Masse des Higgs-Teilchens, die wir ha­
ben wollen - diej enige, die die richtige schwache Massenskala und die
richtigen Massen der Elementarteilchen ergibt.
Wenn wir einen Weg wie den in Abbildung 62 betrachten, bei dem das
Higgs-Teilchen sich in ein virtuelles Paar von einem Top-Quark und

288
D A S H I E R A RC H I E P RO B L E M

Ü Top-Quark


Higgs iggs
- -
- - - -

Antitop-Quark

A b bildung 62 : Ein Beitrag zur Masse des Higgs-Teilchens von einem virtuel­
len Top-Quark und einem virtuellen A ntitop-Quark. Das Higgs-Teilchen
kann zu einem virtuellen Top-Quark und einem virtuellen Antitop-Quark
werden, und das leistet einen enormen Beitrag zur Masse des Higgs-Teil­
chens.

einem Antitop-Quark verwandelt, können wir sehen, dass der Beitrag


zur Masse des Higgs-Teilchens viel zu groß wird . De facto kann j eder
Typ von Teilchen, der mit dem Higgs-Teilchen wechselwirkt, als virtuel­
les Teilchen auftauchen und eine Masse '' bis hoch zur Planck-Massen­
skala haben. Und die Folge all dieser möglichen Wege sind gigantische
Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens. Das Higgs-Teilchen
muss viel weniger massiv sein.
In ihrer gegenwärtigen Form ist die Teilchenphysik eine zu effektive
>> Durchsicker << -Theorie. In der freien Marktwirtschaft ist es gang und
gäbe, dass sich eine Reichtumshierarchie ausbildet. Der » D urchsi­
cker << -Theorie zufolge wirkt es sich auch auf die ärmeren Leute positiv
aus, wenn die Reichen noch reicher werden, weil dann von ihrem Wohl­
stand etwas nach unten >> durchsickert << . Doch hat diese Theorie noch nie
etwas am finanziellen Wohlergehen der Armen geändert, auch wenn die
Reichen immer reicher wurden. In der Physik hingegen erfolgt die Um­
schichtung von Reichtum viel zu effizient. Ist eine Masse groß, dann be­
sagen die Quantenbeiträge, dass alle Massen der Elementarteilchen un­
gefähr genauso groß sein sollten. Alle Teilchen müssten dann letzten
Endes massereich sein. Wir wissen aber aus Messungen, dass eine große
Masse (die Planck-Massenskala ) und eine kleine Masse (die Massen von
Teilchen ) in unserer Welt koexistieren.
Ohne das Standardmodell zu modifizieren oder auszuweiten, kann die
Teilchenphysik eine kleine Masse für das Higgs-Teilchen nur mit Hilfe
eines fabulösen Werts für seine klassische Masse bekommen. Der Wert

* Denken Sie daran, dass die Massen virtueller Teilchen nicht dieselben sind wie die
Massen tatsächlicher, physikalischer Teilchen.

289
VERBORGENE UNIVERSEN

muss extrem groß sein - und möglicherweise negativ -, damit er die gro­
ßen Quantenbeiträge genau wettmachen kann. Sämtliche Massenbei­
träge müssen sich schließlich zu 250 GeV addieren.
Damit das passiert - wie in der weiter oben behandelten Großen Ver­
einheitlichten Theorie -, muss die Masse ein feinabgestimmter Parame­
ter sein. Dieser Parameter muss enorm groß sein, aber man muss ihn
auch erstaunlich exakt hinbekommen, und diese Trickserei ist eigens da­
für gemacht, dem Higgs-Teilchen eine kleine Nettomasse zu geben . Ent­
weder die Quantenbeiträge von virtuellen Teilchen oder die klassischen
Beiträge müssen negativ sein und fast die gleiche Größenordnung wie die
jeweils anderen haben. Die positiven und negativen Werte, beide um
sechzehn Größenordnungen zu hoch, müssen sich zu einem viel kleine­
ren addieren. Die erforderliche Feinabstimmung, die auf sechzehn Stel­
len genau sein muss, ist extremer als die Feinabstimmung, mit der Ihr
Bleistift auf der Spitze stehen bleiben könnte. Das ist ungefähr so wahr­
scheinlich wie das Würfelspiel gegen Ike zu gewinnen.
Teilchenphysiker hätten lieber ein Modell, das ohne die Feinabstim­
mung funktioniert, die das Standardmodell braucht, um ein leichtes
Higgs-Teilchen zu gewährleisten. Wir stimmen zwar in einem Verzweif­
lungsakt fein ab, aber wir hassen es. Die Feinabstimmung ist fast mit Si­
cherheit ein Schandfleck, der unser Nichtwissen widerspiegelt. Manch­
mal passieren unwahrscheinliche Dinge, aber kaum, wenn man das will.
Das Hierarchieproblem ist dasjenige Rätsel, das das Standardmodell
am dringlichsten lösen muss. Positiv ist daran nur, dass das Hierarchie­
problem einen Hinweis liefert, was die Rolle des Higgs-Teilchens spielt
und die elektroschwache Symmetrie bricht.
Jede Theorie, die diejenige mit den zwei Higgs-Feldern ersetzt, muss
auf natürliche Weise eine niedrige elektroschwache Massenskala unter­
bringen oder vorhersagen - sonst lohnt sich das Nachdenken darüber
gar nicht. Viele zugrunde liegende Theorien stimmen mit den physikali­
schen Phänomenen überein, die wir sehen, aber nur wenige von ihnen
gehen das Hierarchieproblem an und beinhalten ein leichtes Higgs-Teil­
chen auf eine Art und Weise, die das Feinabstimmen überflüssig macht.
Die Vereinheitlichung der Kräfte ist eine faszinierende, wenn auch po­
tenziell heikle theoretische Verlockung seitens der Hochenergiephysik,
die Aufgabe aber, das Hierarchieproblem zu lösen, ist eine konkrete
Notwendigkeit, die zu Fortschritten bei relativ niedrigen Energien
drängt. Das Aufregende an dieser Herausforderung ist, dass alles, was
das Hierarchieproblem löst, experimentelle Konsequenzen zeigen

290
D A S H I E R A RC H I E P RO B LE M

müsste, die mit dem Large Hadron Collider messbar sein dürften, mit
dessen Hilfe die Experimentatoren Teilchen mit Massen von rund 250
bis 1000 Ge V zu finden erwarten. Ohne solche zusätzlichen Teilchen gibt
es keine Möglichkeit, das Problem zu überwinden. Wir werden bald se­
hen, dass es sich bei den experimentellen Konsequenzen einer Lösung
des Hierarchieproblems um supersymmetrische Partner oder um Teil­
chen, die sich in zusätzlichen Dimensionen bewegen und die wir später
diskutieren wollen, handeln könnte.

Zur Erinnerung:

• O bwohl wir wissen, dass der Higgs-Mechanismus für die Teilchen­


massen verantwortlich ist, funktioniert das einfachste bekannte Bei­
spiel, das den Higgs-Mechanismus implementiert, nur mit einem gi­
gantischen Trick. Der einfachsten Theorie zufolge müssten die Massen
schwacher Eichbosonen und Quarks rund zehn Millionen Milliarden
Mal größer sein, als sie sind. Das Hierarchieproblem ist die Frage,
warum dies nicht der Fall ist.

• Das Hierarchieproblem erwächst aus der Diskrepanz zwischen der


kleinen schwachen Massenskala und der enorm großen Planck-Mas­
senskala ( siehe Abbildung 6 3 ) . Letztere ist für die Gravitation wich­
tig - der große Wert der Planck-Massenskala sagt uns, dass die
Schwerkraft sehr schwach ist. Das Hierarchieproblem könnte man da­
her auch in die Frage kleiden, warum die Gravitation so viel schwä­
cher als die anderen Kräfte ist.

• Jede Theorie, die das Hierarchieproblem löst, wird experimentell


überprüfbar sein, weil sie notwendigerweise experimentelle lmplika­
tionen für Teilchenbeschleuniger haben wird, die mit Energien ober­
halb der schwachen Energieskala arbeiten. Mit dem Large Hadron
Collider werden solche Energien bald zu erforschen sein.

291
VERBORGENE U N I VERSEN

Energie Länge

-Planck-Länge - 1 0- 33 cm
1 0 1 8 Ge V

1 0- 30 cm
"
1 0 1 5 Ge V "
'"'
"
"' w - n cm
"
1 2 Ge V "E
10 0
"
" 1 0- 24 cm
"'
9 '0
J 0 Ge V
0
'-0
w- 2 1 cm
1 06 Ge V

w- 1 8 cm
1 0 3 Ge V schwache
(Te V) Energieskala
1 0- 1 5 cm
Ge V - Protonenmasse --

1 0- 1 2 cm
w - 3 Ge V - Elektronenmasse--.
(Me V )
w - 9 cm
1 0- 6 Ge V
(ke V )

A b bildung 63 : Das Hierarchieproblem ist die Frage, warum die Planck -Em
gieskala so viel größer als die schwache Energieskala ist.

292
13

Supersymmetrie:
Ein großer Schritt über das
Standardmodell hinaus

You were meant for me.


And I was meant for you.
Du warst für mich bestimmt
Und ich war für dich bestimmt
Gene Kelly, »Singing in the Rain«

Als Ikarus im Himmel angekommen war, brachte man ihn zu einem Ori­
entierungsseminar, bei dem die Verwaltung die Hausordnung erklärte.
Zu seiner Überraschung erfuhr er, dass die religiösen Gruppierungen
vom rechten Flügel im Grunde Recht hatten : Die Familienwerte waren
tatsächlich ein Eckpfeiler seiner neuen Umgebung. Die Verwaltung hatte
vor langer Zeit eine traditionelle Familienstruktur eingeführt, die auf der
Trennung der Generationen und der Stabilität von Ehen aufbaute; ein
Top-Typ heiratete immer ein Mädchen von ganz unten (eine so genannte
» Bottom «), ein Charmeur tat sich stets mit einer zusammen, die etwas
strange war, und ein Mädchen aus Uptown ehelichte immer einen coolen
Typen aus Downtown. Alle, auch Ike, waren mit diesem Arrangement
zufrieden.
Später erfuhr Ike jedoch, dass die himmlische Sozialstruktur nicht im­
mer so stabil gewesen war. Ursprünglich hatten gefährliche energische In­
filtratoren den hierarchischen Aufbau der Gesellschaft bedroht. Im Him­
mel lassen sich jedoch die meisten Probleme lösen. Gott hatte jedem
einen persönlichen Schutzengel geschick t, und die Engel und die ihnen
Aufgeladenen hatten gemeinsam in einem heroischen Kampf die Bedro­
hung der Hierarchie abgewendet und die wohlgeordnete Gesellschaft
aufrechterhalten, deren Ike sich jetzt erfreuen konnte.
Doch trotzdem war es im Himmel nicht völlig sicher. Die Engel erwie­
sen sich als frei und unabhängig, kein Vertrag band sie an eine bestimmte

293
VERBORGENE UN IVERSEN

Generation. Die unberechenbaren Engel, die so tapfer die Hierarchie ge­


rettet hatten, bedrohten jetzt die himmlischen Familienwerte. Ike war
entsetzt. Trotz der viel beworbenen Attrak tionen des Himmels empfand
er ihn als einen überraschend stressigen Ort.

Die Vorsilben >> Super<< und >> Supra << kommen in der physikalischen Ter­
minologie häufig vor. Wir kennen die Supraleitung, die Suprafluidität,
die Supernova, die Superposition, den Supraleitenden Supereallider
( SSC) - der heute der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger wäre,
wenn der US-Kongress ihn nicht 1993 gestrichen hätte -, und die Liste
ließe sich noch lange fortsetzen. Man kann sich also die Entzückung vor­
stellen, als Physiker herausfanden, dass es von der Raumzeit-Symmetrie
selbst eine umfassendere >> Superversion << gibt.
Die Entdeckung der Supersymmetrie war eine echte Überraschung. Als
erstmals supersymmetrische Theorien entwickelt wurden, dachten Phy­
siker, sie würden alle Symmetrien von Raum und Zeit kennen. Raum­
zeit-Symmetrien sind, wie wir in Kapitel 9 gesehen haben, die uns eher
vertrauten Symmetrien, die erklären, warum man allein anhand physika­
lischer Gesetze nicht sagen kann, wo man ist oder in welche Richtung
man blickt oder in welcher Zeit man ist. Die Flugbahn eines Basketballs
beispielsweise hängt nicht davon ab, auf welcher Seite des Spielfelds man
steht oder ob man in Kalifornien oder New York spielt.
Im Jahr 1905 wurde mit der Relativitätstheorie die Liste der Raumzeit­
Symmetrietransformationen länger und schloss auch die ein, die Ge­
schwindigkeit und Richtung der Bewegung ändern. Damit aber, dachten
die Physiker, sei die Liste vollständig. Niemand glaubte, dass es weitere,
unentdeckte Symmetrien geben könnte, die Raum und Zeit betreffen.
Zwei Physiker, Jeffrey Mandula und Sidney Coleman, zementierten
diese Ansicht, als sie 1 96 7 bewiesen, dass es keine weiteren solchen Sym­
metrien geben konnte. Jedoch hatten sie (wie alle anderen) eine Möglich­
keit übersehen, die auf unkonventionellen Annahmen beruhte.
Dieses Kapitel stellt die Supersymmetrie vor, eine merkwürdige neuar­
tige Symmetrietransformation, die Bosonen und Fermionen miteinander
vertauscht. Mittlerweile können Physiker Theorien konstruieren, die die
Supersymmetrie berücksichtigen. Als Bestandteil der Natur ist sie aller­
dings noch immer eine Hypothese, da noch niemand in der Welt um uns
herum eine Supersymmetrie entdeckt hat. Dennoch kennen Physiker
zwei wichtige Gründe, warum es sie in der realen Welt geben könnte :

294
S U P E R S YM M E T R I E

D e r e i n e Grund ist d e r Superstring, den w i r u n s im folgenden Kapitel


gründlicher ansehen werden. Die Superstringtheorie, die die Supersym­
metrie mit einschließt, ist die einzige bekannte Version einer Stringtheo­
rie, die das Potenzial hat, die Teilchen des Standardmodells zu reprodu­
zieren. Ohne Supersymmetrie sieht die Stringtheorie nicht danach aus,
als könne sie womöglich unser Universum beschreiben.
Der zweite Grund lautet, dass supersymmetrische Theorien das Poten­
zial haben, das Hierarchieproblem zu lösen. Die Supersymmetrie erklärt
nicht notwendigerweise den Ursprung der großen Diskrepanz zwischen
der schwachen Massenskala und der Planck-Massenskala, aber sie elimi­
niert die problematischen riesigen Quantenbeiträge zur Masse des
Higgs-Teilchens. Das Hierarchieproblem ist eine ernst zu nehmende
Zwickmühle ; nur wenige Vorschläge zur Lösung dieses Problems haben
der experimentellen und theoretischen Prüfung standgehalten. Ehe ex­
tradimensionale Theorien als potenzielle Alternativen aufkamen, war
die Supersymmetrie der einzige Kandidat für eine Lösung.
Weil bislang noch niemand weiß, ob es in der ä ußeren Welt Supersym­
metrie gibt oder nicht, können wir an diesem Punkt nichts weiter tun, als
die konkurrierenden Theorien und ihre Konsequenzen zu bewerten. So
sind wir, wenn bei Experimenten höhere Energien erreicht werden, gut
gerüstet, herauszufinden, um was es sich bei der dem Standardmodell
zugrunde liegenden physikalischen Theorie wirklich handelt. Schauen
wir uns also an, was uns möglicherweise erwartet.

Fermionen und Bosonen : Ein unwahrscheinliches Paar

In der Welt der Supersymmetrie ist j edes bekannte Teilchen mit einem an­
deren gepaart - mit seinem supersymmetrischen Partner, den man auch
Superpartner nennt -, gegen den er durch eine Supersymmetrietransfor­
mation ausgetauscht wird . Eine Supersymmetrietransformation verwan­
delt ein Fermion in sein Partnerboson und ein Boson in sein Partnerfer­
mion. Wir haben in Kapitel 6 gesehen, dass es sich bei Fermionen und
Bosonen um Teilchentypen handelt, zwischen denen in der quantenme­
chanischen Theorie anhand ihres Spins unterschieden wird . Fermionische
Teilchen haben halbzahlige Spins, bosonische ganzzahlige. Ganzzahlige
Spinwerte sind solche Zahlen, die gewöhnliche, im Raum rotierende Ob­
j ekte annehmen können, wohingegen hal bzahlige Werte eine merkwür­
dige Eigenart der Quantenmechanik sind.

295
VERBORGENE UNIVERSEN

A l l e Fermionen können in einer supersymmetrischen Theorie in ihre


Partnerbosonen verwandelt werden, und alle Bosonen können zu ihren
Partnerfermionen werden. Supersymmetrie ist ein Merkmal der theore­
tischen Beschreibung dieser Teilchen. Wenn man an den Gleichungen he­
rumbastelt, die beschreiben, wie sich Teilchen verhalten, indem man eine
Supersymmetrietransformation vornimmt, die Bosonen und Fermionen
gegeneinander austauscht, sehen schließlich die Gleichungen alle gleich
aus. Die Gleichungen sind alle identisch mit denen, die man aufgestellt
hatte, bevor man die Transformation machte.
Auf den ersten Blick läuft eine solche Symmetrie der Logik zuwider.
Symmetrietransformationen sollen Systeme unverändert lassen. Super­
symmetrietransformationen aber tauschen Teilchen aus, die ganz und
gar unterschiedlich sind : Fermionen und Bosonen.
Auch wenn man nicht erwarten würde, dass eine Symmetrie Dinge
vermischt, die so unterschiedlich sind, haben mehrere Gruppen von Phy­
sikern bewiesen, dass das möglich ist. In den siebziger Jahren zeigten
europäische und russische Physiker '' , dass eine Symmetrie so unter­
schiedliche Teilchen austauschen kann und dass die Gesetze der Physik
vor und nach dem Austausch von Bosonen gegen Fermionen ein und die­
selben sein können.
Diese Symmetrie ist ein bisschen anders als die weiter oben vorgestell­
ten Symmetrien, weil die Objekte, die ausgetauscht werden, eindeutig
unterschiedliche Eigenschaften haben. Trotzdem kann es aber diese Sym­
metrie geben, wenn gleiche Anzahlen von Bosonen und von Fermionen
vorliegen. Stellen Sie sich als Analogie gleiche Stückzahlen von unter­
schiedlich großen roten und grünen Murmeln vor, wobei es pro Farbe je­
weils eine Kugel von j eder Größe gibt. Nehmen Sie an, Sie spielen mit
einem Freund und Sie kriegen die roten Murmeln und der andere die
grünen. Wenn die Murmeln immer genau gepaart sind, hätten Sie mit
keiner der beiden Farben einen Vorteil. Wenn es j edoch nicht gleiche An­
zahlen von roten und grünen Murmeln jeder gegebenen Größe gibt,
wäre das Spiel nicht gerecht. Dann käme es darauf an, ob Sie die roten
oder die grünen wählen, und das Spiel würde einen anderen Verlauf neh­
men, wenn Sie mit Ihrem Freund die Farben tauschten. Damit Symmetrie
herrscht, muss es von j eder Murmelgröße ein rotes und ein grünes Ex-

'' Pierre Ramond, Julius Wess, Bruno Zumino, Sergio Ferrara und andere in Europa
sowie unabhängig davon Y. A. Gol'fand, E. P. Likhtman, D. V. Volkov und V. P. Aku­
lov in der Sowjetunion.

296
S U P E R S YM M E T R I E

emplar geben, u n d d i e Stückzahlen von Murmeln p r o Farbe u n d Größe


müssen gleich sein.
Ähnlich ist Supersymmetrie nur möglich, wenn Bosonen und Fermio­
nen genau gepaart sind. Man braucht j eweils gleiche Anzahlen von Bo­
sonen und Fermionen. Und genau wie die Murmeln, die ausgetauscht
werden, von identischer Größe sein müssen, müssen die gepaarten Boso­
nen und Fermionen dieselbe Masse und Ladung wie das jeweils andere
Teilchen haben, und ihre Wechselwirkungen müssen von denselben Pa­
rametern bestimmt werden. Anders ausgedrückt : Jedes Teilchen muss
seinen eigenen Superpartner mit ähnlichen Eigenschaften haben. Wenn
ein Boson der starken Wechselwirkung unterliegt, gilt das auch für sei­
nen supersymmetrischen Partner. Wenn es Wechselwirkungen mit einer
bestimmten Anzahl von Teilchen gibt, gibt es verwandte Wechselwirkun­
gen mit deren supersymmetrischen Partnern .
Dass Physiker Supersymmetrie so aufregend finden, liegt unter ande­
rem daran, dass sie - wenn sie tatsächlich in unserer Welt gefunden wird
- die erste neu entdeckte Raumzeit-Symmetrie seit fast einem Jahrhun­
dert sein wird. Aus diesem Grund ist sie >> super << . Ich werde die mathe­
matische Erklärung hier nicht bringen, a ber zu wissen, dass die Super­
symmetrie Teilchen von unterschiedlichem Spin gegeneinander aus­
tauscht, reicht aus, um einen Zusammenhang herzustellen. Weil sich ihre
Spins unterscheiden, transformieren sich Bosonen und Fermionen unter­
schiedlich, wenn sie im Raum rotieren. Supersymmetrietransformatio­
nen müssen Raum und Zeit mit einschließen, um diesen Unterschied zu
kompensieren.23
Aber glauben Sie nicht, das hieße, dass man sich ein Bild davon ma­
chen könnte, wie eine einzelne Supersymmetrietransformation im physi­
kalischen Raum aussieht. Selbst Physiker verstehen Supersymmetrien
nur in Form ihrer mathematischen Beschrei bung und ihrer experimentel­
len Konsequenzen. Und die könnten, wie wir bald sehen werden, spek­
takulär sein.

Supergeschichte

Diesen Abschnitt können Sie überspringen, wenn Sie wollen. Er ist ein
historischer Exkurs, der keine neuen Begriffe vorstellt, die später wichtig
sein könnten. Aber die Entwicklung der Supersymmetrie ist eine interes­
sante Geschichte, zum Teil weil sie schön zeigt, wie vielseitig gute Ideen

297
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

sind und wie es zwischen Stringtheorie und Modellbau manchmal zu


einer produktiven Symbiose kommt. Die Stringtheorie regte zur Suche
nach Supersymmetrie an, und der Superstring - die beste Stringtheorie in
Hinblick auf die reale Welt - wurde nur dank der Einsichten der Super­
gravitation identifiziert, der supersymmetrischen Theorie, die die Gravi­
tation einschließt.
Der in Frankreich geborene Physiker Pierre Ramond legte 1 971 die
erste supersymmetrische Theorie vor. Er arbeitete nicht mit den vier Di­
mensionen, in denen wir leben ( oder zu leben glauben), sondern mit
zweien : einer des Raums und einer der Zeit. Sein Ziel bestand darin,
einen Weg zu finden, Fermionen in die Stringtheorie aufzunehmen. Aus
technischen Gründen beinhaltete die ursprüngliche Version der String­
theorien nur Bosonen ; Fermionen sind aber für j ede Theorie unverzicht­
bar, die unsere Welt zu beschrei ben hoffen darf.
Rarnoncis Theorie beinhaltete eine zweidimensionale Supersymmetrie,
und daraus ging die fermianisehe Stringtheorie hervor, die er mit Andre
Neveu und John Schwarz ausarbeitete. Rarnoncis Theorie war die erste
supersymmetrische Theorie, die im Westen aufkam : In der Sowjetunion
hatten Gol'fand und Likhtman gleichzeitig die Supersymmetrie ent­
deckt, aber ihre Aufsätze wurden vor dem Westen hinter dem Eisernen
Vorhang verborgen.
Da die vierdimensionale Quantentheorie auf viel stabilerem Grund
stand als die Stringtheorie, lag die Frage auf der Hand, ob Supersymme­
trie in vier Dimensionen möglich ist. Weil die Supersymmetrie auf kom­
plizierte Weise mit dem Gefüge der Raumzeit verwoben ist, war es keine
einfache Aufgabe, von zwei auf vier Dimensionen zu verallgemeinern .
Im Jahr 1 973 entwickelten der deutsche Physiker Julius Wess und der in
Italien geborene Physiker Bruno Zumino eine vierdimensionale super­
symmetrische Theorie. In der Sowj etunion stellten unabhängig davon
Dmitri Volkov und Vladimir Akulov eine weitere vierdimensionale su­
persymmetrische Theorie auf, doch abermals verhinderte der Kalte
Krieg einen Austausch der Ideen.
Nachdem diese Pioniere eine vierdimensionale supersymmetrische
Theorie ausgearbeitet hatten, wandten sich mehr Physiker ihr zu. Das
Modell von Wess und Zumino aus dem Jahr 1 973 konnte j edoch nicht
alle Standardmodell-Teilchen unterbringen ; niemand wusste bis dahin,
wie man Ladung tragende Eichbosonen einer vierdimensionalen super­
symmetrischen Theorie hinzufügen sollte. Der italienische Theoretiker
Sergio Ferrara und Bruno Zumino lösten dieses schwierige Problem 1 974.

298
S U P E R S YM M E T R I E

Auf einer Zugfahrt v o n Cambridge nach London, w o w i r gerade die


String-Konferenz 2002 besucht hatten, erzählte mir Sergio, dass die rich­
tige Theorie zu finden ein unglaublich schwieriges Problem gewesen
wäre, hätte es nicht den Formalismus des Superraums gegeben, eine abs­
trakte Erweiterung der Raumzeit mit zusätzlichen fermionischen Dimen­
sionen . Der Superraum ist ein extrem kompliziertes Konzept, und ich
werde nicht versuchen, es zu beschreiben. Der wichtige Punkt dabei ist,
dass diese völlig andere Art von Dimension - die keine Raumdimension
ist - bei der Entwicklung der Supersymmetrie eine entscheidende Rolle
spielte. Dieses rein theoretische Hilfsmittel vereinfacht Supersymmetrie­
Berechnungen bis auf den heutigen Tag.
Die Theorie von Perrara und Zumino zeigte den Physikern, wie sie den
Elektromagnetismus und die schwache sowie die starke Wechselwirkung
in einer supersymmetrischen Theorie zusammenführen konnten. Jedoch
schlossen supersymmetrische Theorien noch nicht die Gravitation ein.
Die offene Frage für eine supersymmetrische Theorie der Welt lautete
daher, ob sie diese verbleibende Kraft mit berücksichtigen könnte. Im
Jahr 1 976 lösten drei Physiker, Sergio Ferrara, Dan Freedman und Peter
von Nieuwenhuizen, dieses Problem mit der Supergravitation, einer
komplizierten supersymmetrischen Theorie, die auch Gravitation und
Relativität umfasst.
Interessant daran ist, dass unabhängig von der Ausarbeitung der Su­
pergravitation währenddessen die Stringtheorie Fortschritte machte. Als
einen für die theoretische Weiterentwicklung der Stringtheorie entschei­
denden Schritt entdeckten Ferdinando Gliozzi, Joel Scherk und David
Olive eine stabile Stringtheorie, die ein Ableger der fermionischen
Stringtheorie war, die Ramond zusammen mit Neveu und Schwarz aus­
gearbeitet hatte. Es stellte sich heraus, dass die fermianisehe Stringtheo­
rie einen Typ von Teilchen beinhaltete, dem bislang noch nie j emand be­
gegnet war, ausgenommen in Supergravitationstheorien. Dieses neue
Teilchen hatte dieselben Eigenschaften wie der supersymmetrische Part­
ner des Gravitons, das Gravitino, und als das stellte es sich schließlich
auch heraus.
Wegen der gleichzeitigen Entwicklung der Supergravitation griffen
Physiker dieses beiden Theorien gemeinsame Element auf und verfolgten
es weiter, und bald wurde ihnen klar, dass es in der fermionischen String­
theorie Supersymmetrie gab. Das war die Geburtsstunde des Super­
strings.
Wir werden auf die String- und die Superstringtheorie im nächsten Ka-

2 99
VERBORGENE UNIVERSEN

pitel zurückkommen. Für den Moment konzentrieren wir uns auf eine
andere wichtige Eigenheit der Supersymmetrie : ihre Konsequenzen für
die Teilchenphysik und das Hierarchieproblem.

Die supersymmetrische Erweiterung des Standardmodells

Die Supersymmetrie wäre höchst ökonomisch und bezwingend, wenn


sie bekannte Teilchen miteinander paarte. Um das hinzubekommen,
müsste j edoch das Standardmodell gleiche Zahlen von Fermionen und
Bosonen beinhalten - aber diesem Kriterium genügt es nicht. Das sagt
uns, dass unser Universum, wenn es supersymmetrisch sein sollte, viele
neue Teilchen umfassen muss. De facto muss es mindestens doppelt so
viele Teilchen beherbergen, wie Experimentatoren bislang beobachtet
haben. All die Fermionen des Standardmodells - die drei Generationen
von Quarks und Leptonen - müssten mit neuen, bislang noch nicht ent­
deckten bosonischen Superpartnern gepaart sein. Und die Eichbosonen ­
die Teilchen, die Wechselwirkungen vermitteln - müssten ebenfalls Su­
perpartner haben.
In einem supersymmetrischen Universum wären neue Bosonen die
Partner von Quarks und Leptonen. Physiker, die an einer schrulligen
( aber systematischen ) Nomenklatur ihre Freude haben, nennen sie
Squarks und Sleptonen. Generell haben die supersymmetrischen bosoni­
schen Partner der Fermionen dieselben Namen wie diese, nur mit einem
>> S << davor. So sind Elektronen mit Selek tronen gepaart und Top-Quarks
mit Stop-Squarks. Jedes Fermion hat einen bosonischen Superpartner,
sein mit ihm alliiertes Sfermion.
Die Eigenschaften dieser Teilchen und ihrer Superpartner sind streng
aneinander ausgerichtet : Die bosonischen Superpartner haben dieselben
Massen und Ladungen wie ihre fermionischen Gegenstücke, und auch
ihre Wechselwirkungen sind aufeinander abgestimmt. Wenn beispiels­
weise das Elektron eine Ladung von -1 hat, hat diese auch das Selektron ;
und wenn ein Neutrino mittels der schwachen Kraft wechselwirkt, tut
das auch das Sneutrino.
Wenn das Universum supersymmetrisch ist, müssen auch die Bosonen
Superpartner haben. Die bekannten Bosonen des Standardmodells sind
Ladungsträger : das Photon, die geladenen Ws, das Z und die Gluonen,
die allesamt Spin- 1 haben. Nach der Terminologie der Supersymmetrie
haben die neuen fermionischen Superpartner denselben Namen wie das

300
S U P E R S YM M E T R I E

Teilchen Superpartner
Lepton S lepton
Beispiel: Elektron Selektron
Quark S quark
Beispiel: Top Stop
Eichboson Gaug ino
Beispiele: Photon Photino
W-Boson Wino
Z-Boson Zino
Gluon Gluino
Graviton Gravitino

A b bildung 64 : Teilchen und ihre supersymmetrischen Partner.

Boson, mit dem sie gepaart sind, nur dass am Ende ein » -ino << angehängt
wird. Die fermionischen Partner der Eichteilchen heißen daher Gauginos
( von englisch gauge, » Eich- << ) , die fermionischen Partner von Gluonen
sind die Gluinos, und der fermianisehe Partner des Higgs-Teilchens ist
ein Higgsino. Und wie schon bei den bosonischen Superpartnern, haben
fermianisehe Superpartner dieselben Ladungen, dieselben Wechselwir­
kungen und - wenn die Supersymmetrie exakt ist - dieselben Massen wie
die Bosonen, mit denen sie gepaart sind ( siehe Abbildung 64 ) .
S i e finden e s vielleicht bemerkenswert, dass Physiker d i e Möglichkeit
der Supersymmetrie so ernst nehmen, wo doch bislang kein einziger Su­
perpartner entdeckt wurde. Ich bin manchmal überrascht, wie zuver­
sichtlich einige meiner Kollegen in dieser Hinsicht sind. Aber auch wenn
Supersymmetrie bislang in der Natur noch nicht gefunden worden ist,
gibt es mehrere Gründe, ihre Existenz zu vermuten. Sergio Ferrara, der
als einer der Ersten an Supersymmetrie arbeitete, brachte die Einstellung
vieler Physiker zum Ausdruck, als er mir auf unserer Zugfahrt nach Lon­
don erzählte, es wäre schwer zu glauben, dass eine so überraschende und
faszinierende theoretische Konstruktion in der Physik der realen Welt
keine Rolle spielen sollte.
Andere Physiker, die sich weniger von der Schönheit der Symmetrie
beeinflussen lassen, glauben hauptsächlich an die Supersymmetrie, weil
supersymmetrische Erweiterungen des Standardmodells Vorteile böten.
Im Gegensatz zu nicht-supersymmetrischen Theorien schützen sie das
leichte Higgs-Teilchen und die Hierarchie der Massen.

301
VERBORGENE UNIVERSEN

Die Supersymmetrie und das Hierarchieproblem

Das Hierarchieproblem des Standardmodells ist gleich der Frage, warum


das Higgs-Teilchen so leicht ist. Wie kann es ein leichtes Higgs-Teilchen
geben, wenn es große Quantenbeiträge zu seiner Masse von virtuellen
Teilchen gibt ? Wegen dieser großen Beiträge funktioniert das Standard­
modell nur dann, wenn man einen enorm hohen und unglückseligen
Wert hineintrickst.
Der große Vorteil einer supersymmetrischen Erweiterung des Stan­
dardmodells besteht darin, dass bei virtuellen Beiträgen von sowohl Teil­
chen als auch deren Superpartnern die Supersymmetrie garantiert, dass
die großen Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens fehlen, die
ein leichtes Higgs-Teilchen so unwahrscheinlich erscheinen lassen. In su­
persymmetrischen Theorien kann es nur solche Interaktionen geben, bei
denen bosonische und fermianisehe Wechselwirkungen korrelieren. Und
wegen der daraus resultierenden Einschränkungen haben supersymme­
trische Theorien keine Probleme mit großen Quantenbeiträgen zu den
Teilchenmassen.
In einer supersymmetrischen Theorie tragen nicht allein die virtuellen
Teilchen des Standardmodells zur Masse des Higgs-Teilchens bei. Auch
virtuelle Superpartner tun das. Und wegen der bemerkenswerten Eigen­
schaften der Supersymmetrie addieren sich die beiden Arten von Beiträ­
gen stets zu null. Die Quantenbeiträge virtueller Fermionen und Bosonen
zur Masse des Higgs-Teilchens sind so präzise aufeinander abgestimmt,
dass die großen Beiträge, die entweder die Bosonen oder die Fermionen

Top-Quark Stop-Squark
.-------...
�• •

O
Higg Higgs Higgs ,.- · • Higgs

--
- -
-- _____..
- - -:
• • -----+
· ---

.
· � ·
..._____..,
Antitop-Quark Antistop-Squark

Abbildung 65 : In einer supersymmetrischen Theorie erhält die Masse des


Higgs-Teilchens Beiträge sowohl von Teilchen als auch von Supersymmetrie­
Teilchen : in diesem Fall einem virtuellen Top-Quark und einem virtuellen
Antitop-Quark im Diagramm links und einem virtuellen Stop-Squark und
einem virtuellen Antistop-Squark im rechten. Die beiden Diagramme sehen
unterschiedlich aus, weil die Wechselwirk ungen der Fermionen und Bosonen
sich unterscheiden. A uf jeden Fall aber heben sich die Beiträge zur Masse des
Higgs-Teilchens von beiden Diagrammen auf, wenn man sie addiert.

302
S U P E R S YM M E T R I E

im Einzelnen leisten, einander garantiert aufheben. D e r Wert d e s Beitrags


der Fermionen ist negativ und macht den Beitrag der Bosonen genau
wett.
Diese gegenseitige Aufhebung wird in Abbildung 65 illustriert, die
zwei Diagramme zeigt : eines mit einem virtuellen Top-Quark und ein
anderes mit einem virtuellen Stop-Squark. Jedes dieser Diagramme für
sich würde zu einem großen Beitrag zur Masse des Higgs-Teilchens füh­
ren. Aber wegen der besonderen Beziehungen zwischen Teilchen und
Wechselwirkungen in supersymmetrischen Theorien können die großen
Quantenbeiträge zur Masse von den Top-Quarks und den Stop-Squarks
vernachlässigt werden, weil sie sich zu null summieren.
In einer nicht-supersymmetrischen Theorie würden große Quanten­
beiträge zur Masse des Higgs-Teilchens den Bruch der niederenergeti­
schen elektroschwachen Symmetrie zunichte machen, sofern nicht mit
einem gigantischen, unwahrscheinlichen Trick all die erheblichen Bei­
träge zur Teilchenmasse in der Summe zu einer sehr kleinen Zahl ge­
macht werden. Eine supersymmetrische Erweiterung des Standardmo­
dells hingegen garantiert, dass alle möglicherweise destabilisierenden
Einflüsse wie etwa die in diesen Diagrammen gezeigten sich zu null ad­
dieren. Ein kleiner Wert für die klassische Masse des Higgs-Teilchens
stellt sicher, dass die wahre Masse - einschließlich der Quantenbeiträge ­
ebenfalls klein sein wird.
Die Supersymmetrie ist wie eine flexible, aber stabile Grundlage für das
StandardmodelL Wenn Sie sich die Feinabstimmung des Standardmodells
so denken wie das Ausbalancieren eines Bleistifts, damit er auf der Spitze
stehen bleibt, dann ist die Supersymmetrie wie ein feiner Draht, der den
Bleistift senkrecht hält. Alternativ können Sie sich das Hierarchieproblem
auch so vorstellen, dass die Mitarbeiter der Einwanderungs- und Einbür­
gerungsbehörde ihren Zuständigkeitsbereich überschreiten und zu viele
Briefe verzögern : Die supersymmetrischen Partner sind dann wie Bürger­
rechtsanwälte, die die Einwanderungsbeamten in die Schranken weisen
und die meisten Briefe ungehindert passieren lassen.
Weil sich die Beiträge gewöhnlicher virtueller Teilchen und die ihrer
supersymmetrischen Partner zu null addieren, garantiert die Supersym­
metrie, dass quantenmechanische Beiträge von virtuellen Teilchen nicht
die Teilchen niedriger Masse aus der Theorie eliminieren. In einer super­
symmetrischen Theorie wird ein Teilchen, das wie etwa das Higgs-Teil­
chen leicht sein soll, auch leicht bleiben, selbst wenn wir virtuelle Bei­
träge berücksichtigen.

303
VERBORGENE U N I VERSEN

Gebrochene Supersymmetrie

Auch wenn die Supersymmetrie potenziell das Problem der großen vir­
tuellen Beiträge zur Masse des Higgs-Teilchens löst, gibt es mit ihr, wie
ich sie bislang präsentiert habe, ein ernst zu nehmendes Problem. Die
Welt ist offenkundig nicht supersymmetrisch. Wie könnte sie das. Wenn
es zu den bekannten Teilchen Superpartner mit identischen Massen und
Ladungen gäbe, hätte man sie bereits sehen müssen. Doch bislang hat
noch niemand ein Selektron oder ein Photino entdeckt.
Das heißt nicht, dass wir die Idee einer Supersymmetrie aufgeben
müssen. Es besagt nur, dass die Supersymmetrie, sollte sie in der Natur
vorkommen, nicht eine exakte Symmetrie sein kann. Wie die lokale Sym­
metrie, die die elektroschwache Wechselwirkung begleitet, muss die Su­
persymmetrie gebrochen sein.
Theoretische Überlegungen ergeben, dass die Supersymmetrie von
Teilchen und ihren Superpartnern, die keine identischen Massen haben,
gebrochen werden kann ; kleine, die Supersymmetrie brechende Effekte
können sie unterscheiden. Die Differenz zwischen der Masse eines Teil­
chens und der seines korrespondierenden Superpartners würde von dem
Maß abhängen, in dem die Supersymmetrie gebrochen wird. Wird sie
nur ein bisschen gebrochen, ist die Massendifferenz klein, wird sie heftig
gebrochen, ist der Unterschied groß. De facto ist die Massendifferenz
zwischen Teilchen und ihren Superpartnern eine Möglichkeit zu be­
schreiben, wie sehr die Supersymmetrie gebrochen ist.
Bei fast allen Modellen mit gebrochener Supersymmetrie sind die
Massen der Superpartner größer als die der bekannten Teilchen. Das ist
ein Glück, denn dass die Superpartner schwerer sind als ihre Standard­
modell-Gegenstücke, ist dafür entscheidend, dass die Supersymmetrie
mit experimentellen Beobachtungen übereinstimmt. Es würde erklären,
warum wir sie noch nicht gesehen haben. Schwerere Teilchen können
nur bei höheren Energien erzeugt werden, und wenn es die Supersymme­
trie wirklich gibt, haben unsere Collider vermutlich noch nicht ein aus­
reichend hohes Energieniveau erreicht, um sie zu produzieren . Weil bei
Experimenten Energien bis zu ein paar hundert GeV erforscht worden
sind, sagt uns der Umstand, dass man noch keine Superpartner gefunden
hat, dass sie, wenn es sie gibt, Massen haben müssen, die mindestens so
groß sind.
Die spezifische Masse, die ein Superpartner überschreiten muss, um
der Entdeckung zu entgehen, hängt von der Ladung und den Wechsel-

3 04
S U PERSYM METRIE

wirkungen des betreffenden Teilchens ab. Bei stärkeren Wechselwirkun­


gen werden Teilchen leichter produziert. Um nicht entdeckt zu werden,
müssen Teilchen mit stärkeren Wechselwirkungen also schwerer sein als
schwächer interagierende. Bei den meisten Modellen gebrochener Super­
symmetrie sagen uns die momentanen experimentellen Grenzen, dass
alle Superpartner, sollte es Supersymmetrie ge ben, eine Masse von min­
destens ein paar hundert Ge V haben müssen, um sich dem Entdecktwer­
den zu entziehen. Superpartner, die der starken Wechselwirkung unter­
liegen, etwa die Squarks, müssen noch schwerer sein - ihre Masse muss
mindestens 1000 GeV betragen.

Gebrochene Supersymmetrie
und die Masse des Higgs-Teilchens

Wie wir gesehen haben, sind in supersymmetrischen Theorien die Quan­


tenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens unproblematisch, weil die Su­
persymmetrie garantiert, dass sie sich zu null addieren. Jedoch haben wir
auch gesehen, dass die Supersymmetrie gebrochen sein muss, wenn sie in
der realen Welt existieren soll. Weil in einem Modell mit gebrochener Su­
persymmetrie die Superpartner nicht dieselbe Masse haben wie ihre
Standardmodell-Gegenstücke, sind die Quantenbeiträge zur Masse des
Higgs-Teilchens nicht so starr ausbalanciert, wie sie es bei einer genauen
Supersymmetrie wären . Wenn also die Supersymmetrie gebrochen ist,
heben sich virtuelle Beiträge nicht länger exakt auf.
Trotzdem kommt das Standardmodell, sofern die Quantenbeiträge
zur Masse des Higgs-Teilchens nicht zu groß sind, ohne Feinabstimmung
oder Trickserei aus. Selbst bei gebrochener Supersymmetrie kann das
Standardmodell - solange der Effekt klein ist - ein leichtes Higgs-Teil­
chen beinhalten. Selbst eine nur ein klein bisschen gebrochene Super­
symmetrie reicht aus, um die riesigen Beiträge in der Größe der Planck­
Massenskala von virtuellen energiereichen Teilchen zu eliminieren. Bei
einer nur ein wenig gebrochenen Supersymmetrie sind keine außeror­
dentlich unwahrscheinlichen, sich gegenseitig aufhebenden Größen not­
wendig.
Wir hätten die Supersymmetriebrechung gern klein genug, dass die die
Supersymmetrie brechende Massendifferenz zwischen Superpartnern
und Standardmodell-Teilchen genügend klein ist, um die Trickserei über­
flüssig zu machen. Es hat sich herausgestellt, dass der Quantenbeitrag

305
VERBORGENE UNIVERSEN

zur Masse des Higgs-Teilchens von einem virtuellen Teilchen und seinem
Superpartner, wenn auch nicht gleich null, so doch niemals eine Größe
erreichen wird, die erheblich über der die Supersymmetrie brechenden
Massendifferenz zwischen Teilchen und Superpartnern liegen wird . Das
sagt uns, dass Massenunterschiede zwischen allen Teilchen und ihren Su­
perpartnern ungefähr der schwachen Massenskala entsprechen müssen.
In diesem Fall hätten die Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teil­
chens auch in etwa die schwache Massenskala, was ungefähr die richtige
Größe für die Masse des Higgs-Teilchens ist.
Weil die bekannten Teilchen des Standardmodells leicht sind, müsste
die Massendifferenz zwischen einem Superpartner und einem Standard­
modell-Teilchen der Masse des Superpartners vergleichbar sein. Wenn
folglich die Supersymmetrie das Hierarchieproblem löst, sollten die Su­
perpartner-Massen nicht größer sein als die schwache Skala von rund
250 GeV.
Wenn die Superpartner-Massen ungefähr genauso groß sind wie die
schwache Massenskala, ist der Quantenbeitrag zur Masse des Higgs­
Teilchens nicht sehr groß. Im Gegensatz zu der Situation ohne Supersym­
metrie, in der die Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens um
sechzehn Größenordnungen zu groß waren, sodass das nicht zu tole­
rierende Tricksen erforderlich war, um ein leichtes Higgs-Teilchen zu
behalten, würde eine supersymmetrische Welt mit die Supersymmetrie
brechenden Massen von ein paar hundert GeV keine überaus großen
Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens erzeugen.
Die Bedingung, dass das Higgs-Teilchen und damit die Superpartner
nicht viel schwerer sein dürfen als ein paar hundert Ge V (damit nicht wie­
der große Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens eingeführt
werden müssen), und die Tatsache, dass bei Experimenten bereits nach
Superpartnern mit Massen von rund 200 Ge V gesucht worden ist, sagen
uns, dass supersymmetrische Partner, wenn die Supersymmetrie in der
Natur existiert und das Hierarchieproblem löst, Massen haben müssen,
die einige wenige hundert Ge V betragen. Das ist ziemlich aufregend, weil
experimentelle Nachweise einer Supersymmetrie kurz vor der Entde­
ckung stehen und sich binnen kurzer Zeit bei Experimenten mit Teilchen­
beschleunigern zeigen könnten. Eine nur kleine Energiesteigerung gegen­
über dem vorhandenen Collider, dem Tevatron, müsste ausreichen, um
die Energien zu erreichen, bei denen Superpartner auftauchen müssten .
Der Large Hadron Collider wird diesen Energiebereich erforschen.
Wenn mit dem LHC, der nach Teilchen mit Massen von bis zu ein paar

306
S U P E R SYM M E T R I E

tausend Ge V suchen soll, keine Supersymmetrie entdeckt wird, wird das


bedeuten, dass Superpartner zu schwer sind, um das Hierarchieproblem
zu bewältigen, und die Lösung mit der Supersymmetrie scheidet aus.
Wenn aber die Supersymmetrie das Hierarchieproblem überwindet,
wird das eine Flut von Experimenten auslösen. Ein Teilchenbeschleuni­
ger, der Energien von rund einem TeV ( 1000 GeV) erforscht, wird zu­
sätzlich zum Higgs-Teilchen eine Fülle von supersymmetrischen Partnern
der Standardmodell-Teilchen finden. Wir müssten dann Gluinos und
Squarks sehen und genauso Sleptonen, Winos ( bitte deutsch ausspre­
chen, nicht wie amerikanische Wermutbrüder), ein Zino und ein Pho­
tino. Die neuen Teilchen würden alle dieselben Ladungen haben wie die
des Standardmodells, aber schwerer sein. Bei ausreichend Energie und
Kollisionen dürften diese Teilchen kaum zu verpassen sein. Wenn es Su­
persymmetrie gibt, werden wir sie bald bestätigt finden.

Supersymmetrie : Die Abwägung der Beweise

Die entscheidende Frage lautet also : Kommt Supersymmetrie in der Na­


tur vor ? Nun, das Gericht berät noch. Ohne mehr Fakten bleiben alle
Antworten Mutmaßungen. Im Moment haben sowohl die Verteidigung
als auch die Anklage zwingende Argumente für ihre jeweilige Position.
Wir haben bereits zwei der besten Gründe erwähnt, warum man an
die Supersymmetrie glauben kann : das Hierarchieproblem und den Su­
perstring. Ein drittes überzeugendes Beweisstück zugunsren der Super­
symmetrie ist die potenzielle Vereinheitlichung der Kräfte in super­
symmetrischen Erweiterungen des Standardmodells. Wie in Kapitel 1 1
diskutiert, hängen die Wechselwirkungsstärken der elektromagneti­
schen, schwachen und starken Kraft von der Energie ab. Auch wenn
Georgi und Glashow ursprünglich fanden, dass die Kräfte des Standard­
modells sich vereinen, haben genauere Messungen dieser drei Wechsel­
wirkungen gezeigt, dass eine Vereinheitlichung im Standardmodell nicht
recht funktioniert. Eine graphische Darstellung der drei Wechselwir­
kungsstärken als Funktion der Energie zeigt Abbildung 66 oben.
Die Supersymmetrie hingegen führt viele neue Teilchen ein, die mittels
dieser drei Kräfte wechselwirken. Das verändert die Entfernungs- oder
Energieabhängigkeit der Wechselwirkungen, weil supersymmetrische
Partner auch als virtuelle Teilchen auftreten. Diese zusätzlichen Quan­
tenbeiträge beeinflussen in der Berechnung der Renormierungsgruppe,

307
VERBORGENE U N I VERSEN

0, 1 2
Standardmodell
"

1
Oll
"'
0,08
', stark

"

-�
v
1!
u 0,04 schwach

elektromagnetisch
0,00
1 04 1 0' 1012
Energie I Ge V

0, 1 2
minimal supersymmetrisches Standardmodell

stark

schwach

elektromagnetisch

10' 1 08 1012
Energie I GeV

A b bildung 6 6 : Das obere Schaubild stellt die Stärken der elek tromagne­
tischen, schwachen und starken Wechselwirk ung als Funk tion der Energie im
Standardmodell dar. Die Kurven nähern sich einander, treffen sich aber nicht
in einem einzigen Punkt. Das untere Schaubild stellt die Stärken derselben
drei Kräfte als Funk tion der Energie in der supersymmetrischen Erweiterung
des Standardmodells dar. Die Stärken der drei Wechselwirkungen sind bei
hoher Energie gleich, was darauf hindeutet, dass die drei Kräfte sich tatsäch­
lich zu einer einzigen vereinigen k önnten.

wie die Wechselwirkungsstärken der elektromagnetischen, schwachen


und starken Kraft von der Energie abhängen.
Der untere Graph in Abbildung 66 zeigt, wie die Wechselwirkungen
von der Energie abhängen, wenn der Effekt virtueller Superpartner be­
rücksichtigt wird . Bemerkenswerterweise scheinen sich bei Supersymme­
trie die drei Kräfte präziser zu vereinen als j e zuvor. Das ist bezeichnen­
der als frühere Vereinheitlichungsversuche, weil wir jetzt viel genauere

308
S U P E R S YM M E T R I E

Messungen d e r Wechselwirkungsstärke haben. D e r Schnittpunkt der


drei Linien könnte Zufall sein. Man kann ihn aber auch als Beweis zu­
gunsten der Supersymmetrie werten.
Ein weiteres willkommenes Merkmal von supersymmetrischen Theo­
rien ist, dass sie einen natürlichen Kandidaten für Dunkle Materie bie­
ten. Dunkle Materie ist diejenige nicht sichtbare Materie, die das Univer­
sum durchzieht und durch ihren Einfluss auf die Schwerkraft entdeckt
worden ist. Auch wenn rund ein Viertel aller Energie im Universum in
Dunkler Materie gespeichert ist, wissen wir noch immer nicht, worum es
sich dabei handelt. '' Ein supersymmetrisches Teilchen, das nicht zerfällt
und die richtige Masse und Wechselwirkungsstärke hat, wäre ein geeig­
neter Kandidat für Dunkle Materie . Und tatsächlich zerfällt das leich­
teste supersymmetrische Teilchen nicht und könnte die richtige Masse
und die richtigen Wechselwirkungen haben, um das Teilchen zu sein, aus
dem Dunkle Materie zusammengesetzt ist. Dieser leichteste Superpart­
ner könnte das Photino sein, der Partner des Photons . Im extradimensio­
nalen Szenario, das wir später betrachten werden, könnte es auch das
Wino sein, der Partner des W-Eichbosons.
Ganz wasserdicht ist die Beweislage pro Supersymmetrie allerdings
nicht. Das stärkste Argument dagegen lautet, dass bislang weder das
Higgs-Teilchen noch sein supersymmetrischer Partner gefunden worden
sind. Auch wenn die Entdeckung von supersymmetrischen Partnern un­
mittelbar bevorstehen könnte, ist nicht völlig klar, warum sie, wenn die
Supersymmetrie das Hierarchieproblem löst, nicht bereits beobachtet
worden sind. Bei Experimenten sind Energien von ein paar hundert Ge V
schon erreicht worden. Auch wenn Superpartner bestimmt ein bisschen
schwerer sein könnten, gibt es dafür eigentlich keinen Grund. De facto
sind leichtere Superpartner im Hinblick auf die Lösung des Hierarchie­
problems sogar besser. Wenn die Supersymmetrie also das Hierarchie­
problem bewältigt, warum sind dann Superpartner nicht schon entdeckt
worden ?
Auf der theoretischen Seite ist die Supersymmetrie nicht völlig zwin­
gend, weil es noch ziemlich fraglich bleibt, wie sie gebrochen wird. Wir
wissen, dass sie spontan gebrochen werden muss, a ber wie im Fall des

,,. Das Universum enthält auch Dunkle Energie ( Energie, die nicht von irgendwelcher
Materie getragen wird), die 70 Prozent der Gesamtenergie im Universum ausmacht.
Zwar könnte Supersymmetrie Dunkle Materie erklären, aber weder sie noch irgend­
eine andere Theorie erklärt Dunkle Energie.

309
VERBORGENE U N I VERSEN

Standardmodells und der Symmetrie der schwachen Wechselwirkung


wissen wir noch nicht, welche Teilchen dafür verantwortlich sind. Viele
faszinierende Ideen sind dazu vorgetragen worden, aber eine völlig be­
friedigende vierdimensionale Theorie muss erst noch entwickelt werden.
Als ich erstmals von Supersymmetrie hörte, erschien sie mir aus der
Sicht des Modellbaus fast zu einfach . Es sah danach aus, als könnten su­
persymmetrische Theorien zufällige, nicht zueinander in Beziehung ste­
hende Massen beinhalten, da Quantenbeiträge fehlten. Selbst wenn wir
nicht wissen, warum sich sehr disparate Massen zeigen sollten, würden
sie keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Aus der Sicht des Modellbaus war
das sehr enttäuschend, weil nichts irgendwelche Hinweise auf die bislang
noch nicht bestimmte zugrunde liegende Theorie zu liefern schien. Und
es war auch ziemlich langweilig, weil dafür ein Modell zu bauen nicht
sonderlich schwierig schien.
Doch dann erfuhr ich vom Flavorproblem der Supersymmetrie, das
uns sagt, dass sie doch nicht so einfach ist; de facto ist es sehr schwierig,
die konkreten Details einer Theorie mit gebrochener Supersymmetrie
hinzubekommen. Das Problem ist etwas subtil, aber es ist trotzdem
wichtig. Das Flavorproblem ist das Haupthindernis für eine einfache
Theorie der gebrochenen Supersymmetrie. Alle neuen Theorien zur ge­
brochenen Supersymmetrie konzentrieren sich auf dieses Problem, und
Kapitel l ? wird zeigen, warum in zusätzlichen Dimensionen gebrochene
Supersymmetrie möglicherweise eine Lösung ist.
Erinnern Sie sich, dass es sich bei den Flavors der Standardmodell-Fer­
mionen um die drei verschiedenen Fermionen der drei unterschiedlichen
Generationen handelt, die identische Ladungen, aber unterschiedliche
Massen haben : das Up-, Charm- und Top-Quark etwa oder das Elek­
tron, das Myon und das Tau . Im Standardmodell wechseln diese Teil­
chen nicht die Identität. Beispielsweise wechselwirken Myonen niemals
direkt mit Elektronen, sondern nur indirekt durch den Austausch eines
schwachen Eichbosons. Zwar können Myonen zu Elektronen zerfallen,
aber nur, weil bei dem Zerfall ein Myon-Neutrino und auch ein Elek­
tron-Antineutrino produziert werden ( siehe Abbildung 53, Seite 208 ) .
Das Myon kann sich niemals direkt - ohne d i e Emission der betreffen­
den Neutrinos - in ein Elektron umwandeln.
Diese definitive Identität eines Teilchens vom Lepton-Typ drückt ein
Physiker aus, indem er sagt, dass die Elektron- oder Myon-Zahl erhalten
wird. Wir weisen einem Elektron und einem Elektron-Neutrino eine po­
sitive Elektron-Zahl zu und einem Positron und einem Elektron-Anti-

310
S U PERSYM M E TR I E

neutrino eine negative. Einem Myon u n d einem Myon-Neutrino weisen


wir eine positive Myon-Zahl zu und einem Antimyon und einem Myon­
Antineutrino eine negative. Wenn Myon- und Elektron-Zahlen erhalten
werden, kann ein Myon niemals zu einem Elektron oder einem Photon
zerfallen, weil wir dann mit einer positiven Myon-Zahl und einer Elek­
tronen-Zahl von null beginnen würden und zum Schluss eine positive
Elektron-Zahl und eine Myon-Zahl von null hätten. Und in Wirklichkeit
hat auch noch niemand solch einen Zerfall beobachtet. Soweit wir sagen
können, bleiben Elektron- und Myon-Zahl bei allen Teilchen-Wechsel­
wirkungen erhalten.
In einer supersymmetrischen Theorie würde die Erhaltung der Elek­
tron- und Myon-Zahl uns sagen, dass zwar ein Elektron und ein Selek­
tron mittels der schwachen Kraft wechselwirken können - genau wie ein
Myon und ein Smyon -, ein Elektron aber niemals direkt mit einem
Smyon interagieren würde. Wenn aus irgendeinem Grund ein Elektron
mit einem Smyon gepaart wäre oder ein Myon mit einem Selektron,
würden Wechselwirkungen erzeugt, die in der Natur nicht beobachtet
werden, beispielsweise ein Myon-Zerfall zu einem Elektron und einem
Photon.
Das Problem ist, dass zwar solche das Flavor verändernden Wechsel­
wirkungen in einer wirklich supersymmetrischen Theorie nicht vorkom­
men, dass aber, wenn die Supersymmetrie gebrochen ist, nichts garan­
tiert, dass Myon- und Elektron-Zahl erhalten bleiben. In einer Theorie
mit gebrochener Supersymmetrie können supersymmetrische Wechsel­
wirkungen die Zahl von Elektronen und Myonen verändern - was dem
widerspricht, was wir aus Experimenten wissen. Der Grund ist, dass
massive bosonische Superpartner nicht so stark mit ihren Partnerfermio­
nen identifiziert sind. In einer supersymmetrischen Theorie haben sie
Massen, die es zulassen, dass die bosonischen Superpartner sich allesamt
vermischen. Nicht nur ein Smyon, sondern beispielsweise auch ein Selek­
tron kann mit einem Myon gepaart sein. Aber die Paarung von einem Se­
lektron und einem Myon würde alle möglichen Zerfallsprozesse erge­
ben, von denen wir wissen, dass sie nicht vorkommen. In j eder korrekten
Theorie der Natur müssen Wechselwirkungen, die die Zahlen von Myo­
nen oder Elektronen ändern, sehr schwach sein ( oder nicht existiere n ) ,
weil solche Interaktionen n i e beobachtet worden sind.
Mit den Quarks würde es ähnliche Probleme geben. Das Quark-Fla­
vor bliebe nicht erhalten, wenn die Supersymmetrie gebrochen ist, und es
würde zu einer gefährlichen Vermischung der Generationen führen, wie

311
VERBORGENE U N I VERSEN

sie Ike in der Eingangsgeschichte fürchtete. In gewissem Maß vermischen


sich Quarks in der Natur, aber in weit geringerem Ausmaß, als Theorien
mit gebrochener Supersymmetrie vorhersagen würden.
Theorien mit gebrochener Supersymmetrie stehen vor der großen Her­
ausforderung, erklären zu müssen, warum es nicht allzu oft zu solchen
das Flavor verändernden Wechselwirkungen kommt. Unglücklicher­
weise können die meisten von ihnen das Fehlen von solchen Flavors ver­
ändernden Effekten nicht erklären. Und das ist untragbar: Solche Vermi­
schungen müssen verboten sein, wenn die Theorien der Natur entspre­
chen sollen.
Wenn Ihnen dieses Problem merkwürdig vorkommt, beruhigt Sie viel­
leicht die Tatsache, dass viele Physiker ursprünglich genauso empfanden
und ebenfalls das Flavorproblem der Supersymmetrie für gar nicht so
wichtig hielten. Um es kräftig zu vereinfachen : Durch die Geisteshaltun­
gen ging ein Riss, der ein geografischer war - die Europäer kümmerte
das nicht so sehr wie die Amerikaner. Wer bereits viele Jahre lang in an­
derem Kontext über das Flavorproblem nachgedacht hatte, wusste, wie
schwierig es zu lösen sein könnte. Aber viele andere ignorierten ur­
sprünglich die lmplikationen des anarchischen Prinzips und sahen nicht,
warum man sich Sorgen machen sollte. Nachdem David B. Kaplan, ein
wunderbarer Physiker ( und mein erster Kollege an der Universität), der
heute am Institute for Nuclear Theory in Seattle arbeitet, von der Inter­
national Supersymmetry Conference in Ann Arbor, Michigan, zurückge­
kehrt war, beschrieb er mir, wie frustrierend es war, als er seine vorge­
schlagene Lösung für das Flavorproblem dort den Zuhörern erläutert
hatte, danach aber feststellen musste, wie wenige Leute das überhaupt
für ein Problem hielten !
All das veränderte sich rasch. Die meisten Kollegen erkennen heute,
wie schwer das Flavorproblem wiegt. Es ist sehr schwierig, Theorien mit
gebrochener Supersymmetrie zu finden, die all den notwendigen Super­
partnern Masse geben, ohne die Identitäten der Teilchen zu gefährden.
Wie die Supersymmetrie gebrochen, aber ein Flavorwechsel verhindert
wird, ist eine schwierige Herausforderung, wenn die Supersymmetrie
mit Erfolg das Hierarchieproblem angehen will. Dass die Erhaltung der
Myon- und Elektron- ( und Quark- )Zahl verloren geht, mag als techni­
sches Problem erscheinen, in Wirklichkeit aber ist es das Schreckge­
spenst der gebrochenen Supersymmetrie. Es ist einfach sehr schwierig,
die Superpartner davon abzuhalten, sich ineinander zu verwandeln.
Symmetrien sind in diesem Punkt im Allgemeinen machtlos.

312
S U P E R SYM M E T R I E

So kommen wir wieder auf unser Thema zurück : Theorien mit Sym­
metrie sind elegant, aber die gebrochene Symmetrie, die die Welt be­
schreibt, wie wir sie sehen, müsste genauso elegant sein. Wie und warum
wird die Supersymmetrie gebrochen ? Die theoretische Herausforderung,
die supersymmetrischen Theorien zu verstehen, werden wir erst dann
vollständig bewältigt haben, wenn wir ein überzeugendes Modell des Su­
persymmetriebruchs haben.
Das soll nicht heißen, dass die Supersymmetrie notwendigerweise
falsch ist, und noch nicht einmal, dass sie nichts mit dem Hierarchiepro­
blem zu tun hat. Es bedeutet j edoch, dass eine weitere Zutat nötig ist,
wenn supersymmetrische Theorien der Welt Erfolg haben sollen. Wir
werden bald sehen, dass es sich bei dieser Zutat um Extradimensionen
handeln könnte.

Zur Erinnerung :

• Die Supersymmetrie verdoppelt im Grunde das Teilchenspektrum. Für


j edes Boson der Theorie führt die Supersymmetrie ein Partnerfermion
ein und für j edes Fermion ein Partnerboson .

• Quantenmechanische Effekte machen es schwierig ( ohne Supersym­


metrie ), das Higgs-Teilchen leicht genug zu halten, sodass das Stan­
dardmodell weiterhin funktioniert. Bis zum Aufkommen von Theo­
rien mit zusätzlichen Dimensionen war die Supersymmetrie die einzige
bekannte Möglichkeit, dieses Problem anzugehen.

• Die Supersymmetrie wird uns nicht notwendigerweise verraten, war­


um das Higgs-Teilchen leicht ist, aber sie geht das Hierarchieproblem
an, indem sie ein leichtes Higgs-Teilchen zu einer plausiblen Annahme
macht.

• Die großen virtuellen Beiträge der Standardmodell-Teilchen und ihrer


Superpartner zur Masse des Higgs-Teilchens addieren sich zu null. Da­
her ist in einer supersymmetrischen Theorie ein leichtes Higgs-Teil­
chen kein Problem.

• Auch wenn die Supersymmetrie das Hierarch ieproblem lösen sol lte,
kann sie nicht exakt sein. Wäre sie es, hätten die Superpartner diesel­
ben Massen wie die Standardmodell-Teilchen, und wir müssten bereits
experimentelle Beweise für eine Supersymmetrie haben.

313
VERBORGENE U N I VERSEN

• Superpartner müssen, sollte es sie ge ben, massiver sein als ihre Stan­
dardmodeli-Partner. Weil Hochenergie-Teilchenbeschleuniger nur
Teilchen bis zu einer bestimmten Masse produzieren können, haben
diese Beschleuniger vielleicht noch nicht genügend Energie, um sie zu
erzeugen. Das würde erklären, warum wir sie noch nicht gesehen ha­
ben.

• Wenn die Supersymmetrie erst einmal gebrochen ist, kann es zu fla ­


vorverändernden Wechselwirkungen kommen . Das sind Vorgänge, die
Quarks oder Leptonen in Quarks oder Leptonen einer anderen Gene­
ration (das heißt in schwerere oder leichtere ) mit derselben Ladung
umwandeln. Das sind sehr merkwürdige Prozesse - sie verändern die
Identität der bekannten Teilchen, und sie kommen in der Natur kaum
vor. Die meisten Theorien der gebrochenen Supersymmetrie sagen
aber vorher, dass sie sehr oft passieren müssten - öfter als wir das bei
Experimenten beobachten.

314
IV

Stringtheorie und Branen


14

Allegro (ma non troppo) :


Eine Passage für Strings

l 've got the world on a string.


Ich hab die Welt an einem Faden.
Frank Sinatra

Schneller Vorlauf: ein Jahrtausend später.


Ikarus Rushmore der XLII. probierte seinen neuen Alicxvr Model 6.3,
den er kürzlich im Spacernet gekauft hatte. (Ikarus ' III. Begeisterung für
Tempo und Technik war offensichtlich über viele Generationen weiter­
vererbt worden.) Der Alicxvr war dazu gedacht, dass sein Benutzer
Dinge jeglicher Größe betrachten konnte, von ganz kleinen bis zu sehr
großen. Ike war ziemlich sicher, dass all seine Freunde, die sich ebenfalls
einen Alicxvr gekauft hatten, zunächst die großen Einstellungen auspro­
bieren würden, die mit vielen Megaparsec, um den äußeren Raum jen­
seits des bekannten Universums zu erkunden. Ike aber dachte : »I eh weiß
genauso wenig darüber, was bei extrem kurzen Entfernungen passiert«,
und wollte lieber ganz winzige Größen ausprobieren.
jedoch war Ike ein ungeduldiger Typ. Erst das umfangreiche Hand­
buch des Alicxvr zu lesen war nichts für ihn, vielmehr beschloss er, sich
aufs Geratewohl hineinzustürzen. Sorglos ignorierte er den roten Warn­
balken über den kleinsten Größen, stellte das Gerät auf w - n cm und
drück te den Knopf » Go « .
Z u seinem Entsetzen fand e r sich raumkrank i n einer wüst oszillieren­
den, steil abfallenden Landschaft voller Strings wieder. Der Raum war
nicht länger der glatte, anonyme Hintergrund, an den er gewöhnt war.
Stattdessen zuck te er an bestimmten Stellen rasch hin und her, an ande­
ren stürzte er auf punk tförmige Abschnitte zu oder mäandrierte in
Schleifen, die abtauchten oder sich später wieder mit der Oberfläche ver­
einten. Verzweifelt tastete Ike nach dem »Stop «-Knopf und drück te ihn

317
VERBORGENE U N I VERSEN

gerade noch rechtzeitig, um mit intakten Sinnen in die normale Welt zu­
rückzukehren.
Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, befand lke, er müsse schließ­
lich doch das Handbuch lesen. Er blätterte zum A bschnitt » Vorsicht«
und las : » Ihr neuer Alicxvr Modell 6.3 funk tioniert nur bei Größen über
J 0 -13 cm. Wir haben noch nicht die neuesten Entwicklungen der String­
theorie berücksichtigt, deren Vorhersagen Physiker und Mathematiker
erst letztes Jahr mit der realen Welt in Zusammenhang gebracht haben. "
Ike war sehr enttäuscht, als ihm klar wurde, dass erst das Modell 7. 0
diese neuesten Ergebnisse berücksichtigte. Doch dann machte er sich mit
den jüngsten Entwicklungen der Stringtheorie vertraut, frisierte seinen
Alicxvr und wurde niemals wieder raumkrank.

Einsteins allgemeine Relativitätstheorie war eine kolossale Errungen­


schaft. Dank ihrer verstanden Physiker das Schwerkraftfeld besser und
konnten den Einfluss der Gravitation mit vorher ungeahnter Präzision
berechnen. Die Relativitätstheorie gab ihnen das Mittel an die Hand, die
Entwicklung aller gravitativen Systeme vorherzusagen - einschließlich
unseres gesamten Universums. Dennoch kann trotz all ihrer erfolgrei­
chen Vorhersagen die allgemeine Relativitätstheorie nicht das letzte
Wort zum Thema Schwerkraft sein. Sie versagt, wenn sie auf extrem
kurze Distanzen angewandt wird . Bei sehr winzigen Längenskalen kann
nur ein neuartiges Gravitationsparadigma zum Erfolg führen. Viele Phy­
siker glauben, dass die Stringtheorie dieses Paradigma sein muss.
Wenn die Stringtheorie richtig ist, vereint sie die erfolgreichen Vorher­
sagen der allgemeinen Relativitätstheorie, der Quantenmechanik und
der Teilchenphysik. Sie erweitert die Physik aber auch auf Entfernungs­
und Energiebereiche, mit denen die anderen Theorien nicht umgehen
können. Die Stringtheorie ist bislang noch nicht so weit entwickelt, dass
wir ihre Vorhersagen für hohe Energien bewerten und ihre Leistungsfä­
higkeit bei diesen schwer zu erreichenden Entfernungen und Energien
bestätigen könnten . Aber die Stringtheorie hat einige beachtliche Eigen­
schaften, die diese viel versprechenden Aussichten glaubwürdig erschei­
nen lassen.
Wir wollen uns jetzt die Stringtheorie näher ansehen und nachvollzie­
hen, wie sich diese völlig neuartige Theorie ausbildete ; ihre Entwicklung
kulminierte in der >> Superstring-Revolutio n << von 1 984, als Physiker zeig­
ten, dass Teile der Stringtheorie ganz erstaunlich gut zueinander passen.

318
ALLEGRO (MA NON TROPPO): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS

Doch die Superstring-Revolution war nur der Anfang eines intensiven


Forschungsprogramms, an dem heute viele Physiker aktiv beteiligt sind.
In diesem und in den folgenden Kapiteln werden wir die Geschichte der
Stringtheorie und einige der neueren, aufregenden Weiterentwicklungen
durchgehen. Wir werden sehen, dass die Stringtheorie bemerkenswerte
Fortschritte gemacht hat und zahlreiche viel versprechende Aspekte auf­
weist. Wir werden aber auch sehen, dass die Stringtheorie vor vielen ent­
scheidenden Herausforderungen steht, die die Physiker bewältigen müs­
sen, ehe sie damit Vorhersagen über unsere Welt machen können.

Aufkommende Unruhe

Quantenmechanik und allgemeine Relativitätstheorie pflegen über ein


breites Spektrum von Distanzen eine friedliche Koexistenz, wozu auch
die Entfernungen gehören, die Experimenten zugänglich sind. Auch
wenn beide Theorien eigentlich für alle Längenskalen gelten, gibt es bei
ihnen so etwas wie ein Einvernehmen, welche von ihnen bei messbaren
langen und kurzen Distanzen dominiert. Quantenmechanik und allge­
meine Relativitätstheorie können sich friedlich das Territorium teilen,
weil j ede die Autorität der anderen in deren Domäne respektiert. Die all­
gemeine Relativitätstheorie ist für massive, voluminöse Obj ekte wichtig,
beispielsweise Sterne oder Galaxien. Auf ein Atom aber ist der Einfluss
der Schwerkraft zu vernachlässigen, also kann man beim Studium eines
Atoms die allgemeine Relativitätstheorie ruhig ignorieren. Andererseits
ist die Quantenmechanik bei atomaren Distanzen entscheidend, weil sie
für Atome substanzielle Vorhersagen macht, die sich signifikant von je­
nen der klassischen Physik unterscheiden.
Völlig harmonisch ist die Beziehung zwischen Quantenmechanik und
Relativitätstheorie allerdings nicht. Bei extrem winzigen Entfernungen,
die man als Planek-Längenskala - 1 0 -33 cm - bezeichnet, können sich
diese beiden sehr unterschiedlichen Theorien nie einigen. Aufgrund von
Newtons Schwerkraftgesetz wissen wir, dass die Stärke der Gravitation
proportional zu den Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat
der Entfernung ist. Auch wenn in atomarem Maßstab die Gravitation
schwach ist, sagt uns das Schwerkraftgesetz, dass bei noch winzigeren
Skalen die Schwerkraft enorm sein muss. Die Gravitation ist nicht nur
für sehr massive, voluminöse Objekte wichtig, sondern auch für Ob­
jekte, die extrem nah beieinander und nur durch d ie winzige Planck-Län-

319
VERBORGENE UNIVERSEN

genskala getrennt sind. Wenn wir versuchen, über diese unmessbar


kleine Distanz Vorhersagen zu machen, leisten sowohl die Quantenme­
chanik als auch die allgemeine Relativitätstheorie wichtige Beiträge,
aber was die beiden Theorien dazu sagen, verträgt sich nicht miteinan­
der. Weder die Quantenmechanik noch die Gravitation darf man auf die­
sem umstrittenen Territorium vernachlässigen, auch wenn hier die Be­
rechnungen der Quantenmechanik und der allgemeinen Relativitäts­
theorie nicht zusammenpassen und Vorhersagen zum Scheitern verurteilt
sind.
Die allgemeine Relativitätstheorie funktioniert nur, wenn es glatte
Gravitationsfelder gibt, die eine sich mäßig krümmende Raumzeit be­
schreiben. Aber die Quantenmechanik besagt, dass alles, was die Planek­
Längenskala testen oder beeinflussen kann, eine riesige Impulsunschärfe
hat. Eine zur Sondierung der Planek-Längenskala ausreichende Energie
würde disruptive dynamische Prozesse auslösen - beispielsweise energie­
reiche Eruptionen von virtuellen Teilchen -, die j ede Hoffnung auf eine
Beschreibung durch die allgemeine Relativitätstheorie zunichte machen
würden. Nach der Quantenmechanik gibt es bei der Planek-Längenskala
statt einer graduell gekrümmten Geometrie wilde Fluktuationen und
Schleifen und Verzweigungen der Raumzeit - ungefähr die Topographie,
der der futuristische Ike begegnete. Auf solch ein ungezähmtes Territo­
rium kann man die allgemeine Relativitätstheorie nicht anwenden.
Aber die allgemeine Relativitätstheorie hält sich auch nicht zurück
und überlässt der Quantenmechanik ungehindert das Feld, denn bei der
Planek-Längenskala übt die Gravitation eine substanzielle Kraft aus.
Obwohl die Gravitation bei den uns vertrauten Teilchenphysik-Energien
schwächelt, ist sie bei den hohen Energien, die man zur Erforschung der
Planek-Längenskala braucht, enorm stark . '' Die Planck-Energieskala ­
die Energie, die man zur Erforschung der Planek-Längenskala braucht ­
ist exakt die Energie, bei der man die Gravitation nicht länger als küm­
merliche Kraft außer Acht lassen kann. Bei der Planek-Längenskala darf
die Gravitation nicht ignoriert werden.
De facto sorgt bei der Planck-Energieskala die Gravitation für Barrie­
ren, die konventionelle quantenmechanische Berechnungen unmöglich
machen. Alles mit genügend Energie zur Sondierung von 1 0 - n cm würde
von einem Schwarzen Loch verschlungen, das gefangen hält, was immer

* Denken Sie daran, dass den quantenmechanischen Gleichungen zufolge die Planek­
Längenskala zwar winzig, die Planck-Energieskala aber gigantisch ist.

320
ALLEGRO ( MA NON TROPPO): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS

hineingerät. Nur eine Quantentheorie der Gravitation könnte uns sagen,


was im Innern eigentlich vor sich geht.
Bei winzigen Distanzen schreien Quantenmechanik und Gravitation
geradezu nach einer fundamentaleren Theorie. Angesichts des Konflikts
zwischen ihnen gibt es keine andere Wahl, als einen externen, neutralen
Kandidaten als Alternative für beide ins Spiel zu bringen. Dessen neues
Regime muss sowohl der Quantenmechanik als auch der allgemeinen
Relativitätstheorie auf ihren unbestrittenen Heimatterritorien freie
Hand lassen, aber ausreichend Autorität haben, um die umstrittene Re­
gion zu beherrschen, die keine der beiden älteren Theorien unter Kon­
trolle bekommt. Die Stringtheorie könnte dieser Kandidat sein.
Die Inkompatibilität von Quantenmechanik und Gravitation zeigt
sich auch in den unsinnigen Vorhersagen der konventionellen Gravitati­
onstheorie für die hochenergetischen Wechselwirkungen eines Teilchens
namens Graviton - des Teilchens, das in einer Quantentheorie der Gra­
vitation die Schwerkraft vermittelt.
Nach der klassischen Gravitationstheorie wird die Schwerkraft zwi­
schen massiven Obj ekten durch ein Gravitationsfeld vermittelt, ähnlich
wie nach Maxwells klassischer elektromagnetischer Theorie der Elektro­
magnetismus von einem geladenen Teilchen durch ein klassisches elek­
tromagnetisches Feld an ein anderes vermittelt wird . Doch die Quanten­
elektrodynamik ( QED ) , die Quantenfeldtheorie des Elektromagnetis­
mus, interpretiert diese klassische elektromagnetische Wechselwirkung
in Form des Austauschs eines Teilchens, des Photons. ''- Die QED, die
Theorie des Photons, ist eine Erweiterung der klassischen Theorie des
Elektromagnetismus, die quantenmechanische Effekte einschließt.
Die Quantenmechanik sagt voraus, dass es in ähnlicher Weise ein Teil­
chen geben muss, das die Schwerkraft überträgt. Dieses Teilchen ist das
Graviton. In einer Quantentheorie der Gravitation reproduziert der Aus­
tausch eines Gravitons zwischen zwei Obj ekten Newtons Schwerkraft­
gesetz. Auch wenn Gravitonen nie direkt beobachtet wurden, glauben
Physiker, dass es sie gibt, weil die Quantenmechanik das besagt.
Weiter hinten im Buch wird der charakteristische Spin des Gravitons
für uns wichtig werden. Weil Gravitonen die Schwerkraft vermitteln -
eine Kraft, die aufs innigste mit Raum und Zeit verbunden ist -, haben
sie einen Spin, der sich von den Spins aller anderen Wechselwirkungen
übertragenden Teilchen wie beispielsweise des Photons unterscheidet.

, _ In Wirklichkeit wird ein virtuelles Photon ausgetauscht, kein reales.

321
VERBORGENE U N I VERSEN

Wir wollen hier nicht näher auf die Gründe eingehen, aber das Graviton
ist das einzige bekannte masselose Teilchen, dessen Spin 2 beträgt - nicht
1 wie bei den anderen Eichbosonen oder Vz wie bei Quarks und Lepto­
nen. Dass es Spin 2 hat, ist wichtig, wenn es darum geht, überzeugen de
Beweise für extradimensionale Theorien zu finden. Und wie wir bald se­
hen werden, war der Spin des Gravitons auch der Schlüssel, um die po­
tenziellen Folgen der Stringtheorie zu erkennen.
Jedoch kann eine quantenfeldtheoretische Beschreibung der Gravita­
tion nicht vollständig sein. Keine Quantenfeldtheorie des Gravitons kann
bei allen Energien seine Wechselwirkungen vorhersagen. Wenn ein Gra­
viton so energiereich wie die Planck-Energieskala ist, bricht die Quan­
tenfeldtheorie zusammen . Theoretische Überlegungen zeigen, dass zu­
sätzliche Graviton-Wechselwirkungen, die bei niedrigen Energien keinen
Unterschied machen würden, bei hohen Energien wichtig werden, aber
die Logik der Quantenfeldtheorie reicht nicht aus, um uns zu sagen, um
was es sich bei ihnen handelt oder wie wir sie mit einschließen können.
Wenn wir fälschlicherweise eine Quantenfeldtheorie der Gravitation an­
wendeten, dabei die Wechselwirkungen ignorierten, die bei niedrigen
Energien keine Rolle spielen, und Vorhersagen für extrem energiereiche
Gravitonen zu machen versuchten, würden wir schlussfolgern, dass sich
Graviton-Wechselwirkungen mit einer Wahrscheinlichkeit größer als eins
ereignen - was eindeutig unmöglich ist. Bei der Planck-Energieskala oder
der ( nach Quantenmechanik und spezieller Relativitätstheorie) äquiva­
lenten Planek-Längenskala - 1 0 -33 cm - bricht die quantenmechanische
Beschreibung des Gravitons offensichtlich zusammen.
Die Planck-Längenskala, die 1 9 Größenordnungen kleiner als ein Pro­
ton ist, wäre viel zu winzig, als dass Physiker sich darum kümmern
würden, wenn es nicht um die fundamentalen Fragen ginge, die eine um­
fassendere Theorie möglicherweise beantworten kann. Beispielsweise
gehen gegenwärtige kosmologische Theorien von der Vermutung aus,
dass das Universum als ein winziger Ball von der Größe der Planek-Län­
genskala seinen Anfang nahm. Aber wir begreifen nicht den >> Knall << des
Urknalls. Wir verstehen viele Aspekte der späteren Entwicklung des
Universums, aber nicht seinen allerersten Anfang. Die physikalischen
Gesetze herzuleiten, die bei Größen unterhalb der Planek-Längenskala
gelten, müsste Licht in die frühesten Phasen der Evolution unseres Uni­
versums bringen.
Darüber hinaus bergen Schwarze Löcher noch viele Geheimnisse. Zu
den wichtigen unbeantworteten Fragen zählt, was genau am Horizont

322
ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE F Ü R STRING S

eines Schwarzen Loches passiert - der Grenze zu j enem Reich ohne Wie­
derkehr, dem nichts entkommen kann - und was an der Singularität ge­
schieht, der Stelle in der Mitte des Schwarzen Lochs, an der die allge­
meine Relativitätstheorie nicht länger gilt. Eine weitere unbeantwortete
Frage lautet, wie Informationen über Obj ekte, die in ein Schwarzes Loch
stürzen, gespeichert werden. Im Gegensatz zu der Schwerkraft, die wir
erleben, sind die Gravitationseffekte im Innern eines Schwarzen Loches
so stark wie Effekte von Objekten mit der Planck-Energieskala im ge­
wöhnlichen flachen Raum. Wir werden diese Mysterien Schwarzer Lö­
cher nie lösen, solange wir nicht das Problem bewältigt haben, eine ein­
zige Theorie zu finden, die konsistent sowohl Quantenmechanik als
auch allgemeine Relativitätstheorie einschließt - eine Theorie der Quan­
tengravitation bei der Planck-Längenskala, I 0 -33 cm. Schwarze Löcher
bieten Anschauungsmaterial für einige der Fragen, die sich um starke
Gravitationseffekte drehen und die nur von einer Quantentheorie der
Gravitation beantwortet werden können. Die Stringtheorie ist, soweit
bekannt, der beste Kandidat für eine solche Theorie .

String-Training

Wie man sich der Stringtheorie zufolge das fundamentale Wesen der Ma­
terie vorzustellen hat, unterscheidet sich erheblich von der Sicht der tra­
ditionellen Teilchenphysik. Nach der Stringtheorie liegen aller Materie
letztlich unteilbare Obj ekte namens Strings zugrunde - vi brierende ein­
dimensionale Schleifen oder Segmente aus Energie . Diese Strings beste­
hen im Gegensatz zu Violinsaiten beispielsweise nicht aus Atomen, die
wiederum aus Elektronen und Nukleonen bestehen, die ihrerseits aus
Quarks gemacht sind. Vielmehr trifft das Gegenteil zu. Strings sind fun­
damental, was heißt, dass alles, auch Elektronen und Quarks, aus ihren
Schwingungen besteht. Nach der Stringtheorie besteht das Garn, mit
dem eine Katze spielt, aus Atomen, die letztlich aus den Vibrationen von
Strings aufgebaut sind.
Die radikale Hypothese der Stringtheorie lautet, dass Teilchen aus den
resonanten Oszillationsmoden * von Strings entstehen. Ein jedes Teil­
chen entspricht den Vibrationen eines ihm zugrunde liegenden Strings,

* Mode (der) : Fachbegriff für eine bestimmte Schwingungsform, ungefähr gleichbe­


deutend mit » Modus « .

323
VERBORGENE UNIVERSEN

Abbildung 6 7 : E i n offener u n d ein geschlossener String.

und die Charakteristik dieser Vibrationen bestimmt die Eigenschaften


des Teilchens. Weil Strings auf so viele Arten und Weisen vibrieren kön­
nen, kann ein einziger String viele Typen von Teilchen hervorbringen.
Ursprünglich nahmen die Theoretiker an, es gäbe nur einen einzigen Typ
von fundamentalem String, der für alle bekannten Teilchen verantwort­
lich ist. Aber dieses Bild hat sich in den letzten paar Jahren gewandelt,
und wir glauben heute, dass die Stringtheorie verschiedene, voneinander
unabhängige Stringtypen umfassen kann, von denen jeder auf vielerlei
Weise oszillieren kann.
Strings erstrecken sich entlang einer einzigen Dimension. Zu einem
bestimmten Zeitpunkt braucht man nur eine einzige Zahl, um einen
Punkt auf einem String zu identifizieren, folglich sind Strings nach unse­
rer Definition von Dimensionalität ( räumlich ) eindimensionale Obj ekte .
Dennoch können sie sich wie reale, physikalische Saiten oder Fäden auf­
wickeln oder Schleifen bilden. De facto gibt es zwei Typen von Strings :
offene Strings, die zwei Enden haben, und geschlossene Strings, bei denen
es sich um Schleifen ohne Enden handelt ( siehe Abbildung 6 7 ) .
Welche Teilchen e i n String tatsächlich produziert, hängt v o n seiner

....... ......,.." �L:


' /'"".... / "'\. /"'\. /"'\.
�\....7 �'"

0 '

A b bildung 6 8 : Einige Oszillationsmoden für einen offenen (oben) und einen


geschlossenen String (unten) .

324
ALLEGRO (MA NON TROPPO ) : EINE PASSAGE F Ü R STRINGS

Energie und den genauen Vi brationsmoden ab, die hervorgerufen wer­


den. Die Moden eines Strings sind wie die Resonanzen einer Violinsaite.
Sie können sich die Oszillationen wie elementare Einheiten vorstellen,
die zu allen bekannten Teilchen kombiniert werden können. In diesem
Bild sind Teilchen wie Akkorde, und ihre Wechselwirkungen sind Har­
monien. In der Stringtheorie produziert ein String nicht ständig alle Teil­
chen, genau wie eine Violinsaite keinen Ton hervorbringt, wenn nie­
mand einen Bogen ansetzt. Aber genau wie ein Bogen die Violinsaite in
Schwingungen versetzt, regt Energie die Moden eines Strings an. Und
wenn der String genügend Energie hat, bringt er unterschiedliche Typen
von Teilchen hervor.
Sowohl bei offenen als auch bei geschlossenen Strings sind die Reso­
nanzmoden diejenigen, die ganzzahlige Male über die Stringlänge oszil­
lieren. Ein paar solcher Moden sind in Abbildung 68 dargestellt. Bei die­
sen Moden oszilliert die Welle eine bestimmte Anzahl von Malen auf und
ab, wobei alle Schwingungen über die Länge des Strings hinweg vollstän­
dig sein müssen . Bei einem offenen String erreicht die Welle das Ende des
Strings und kehrt um, verläuft also hin und her, wohingegen Wellen ge­
schlossener Strings auf und ab oszillieren und dabei die Schleife des ge­
schlossenen Strings umrunden. Alle anderen Wellen - solche, die nicht
vollständig ganzzahlige Male schwingen - kommen nicht vor.
Letztlich bestimmt die Art und Weise, wie der String oszilliert, die ge­
nauen Eigenschaften eines Teilchens, beispielsweise seine Masse, seinen
Spin und seine Ladung. Im Allgemeinen gibt es viele Kopien von Teilchen
mit demselben Spin und derselben Ladung, die alle unterschiedliche
Massen haben. Weil es unendlich viele solche Moden gibt, kann ein ein­
ziger String eine unendliche Anzahl von schweren Teilchen hervorbrin­
gen. Bekannte Teilchen, die relativ leicht sind, rühren von den Strings mit
den wenigsten Oszillationen her. Ein Mode ohne Oszillationen könnte
ein vertrautes leichtes Teilchen wie etwa ein gewöhnliches Quark oder
Lepton sein. Ein energiereicher String aber kann auf vielerlei Weise os­
zillieren, und daher zeichnet sich die Stringtheorie durch ihre schweren
Teilchen aus, die aus höheren Vibrationsmoden hervorgehen.
Mehr Schwingungen erfordern j edoch mehr Energie. Die zusätzlichen
Teilchen der Stringtheorie, d ie aus mehr Oszillationen entstehen, sind
wahrscheinlich extrem schwer - eine enorme Menge Energie wäre zu
ihrer Produktion nötig. Selbst wenn die Stringtheorie richtig ist, werden
daher ihre neuartigen Konsequenzen wahrscheinlich extrem schwierig
zu entdecken sein. Da wir nicht erwarten, irgendeins der neuen schweren

325
VERBORGENE UNIVERSEN

Teilchen bei den uns erreichbaren Energien zu produzieren, gehen wir


davon aus, dass bei den beobachtbaren Energien Stringtheorie und Teil­
chenphysik zu denselben Konsequenzen führen. Dieses Bild könnte sich
ändern, wenn neuere Entwicklungen in Bezug auf zusätzliche Dimensio­
nen richtig sind. Für den Moment aber wollen wir das konventionelle
Bild der Stringtheorie betrachten. Mit den extradimensionalen Modellen
befassen wir uns später.

Die Ursprünge der Stringtheorie

In der Zukunft von Ike XLII. könnte sich die Stringtheorie einer langen
Geschichte rühmen . Aus wissenschaftlichen Gründen werden wir aber
unsere Geschichte auf das 20. und das frühe 2 1 . Jahrhundert beschrän­
ken. Wir glauben heute, dass die Stringtheorie Quantenmechanik und
Gravitation miteinander versöhnen könnte. Ursprünglich j edoch war sie
für einen völlig anderen Zweck gedacht. Erstmals tauchte die Theorie
1 9 6 8 als ein Versuch auf, die stark wechselwirkenden Teilchen zu be­
schreiben, die wir Hadronen nennen. Diese Theorie hatte keinen Erfolg;
wie wir in Kapitel 7 gesehen haben, wissen wir mittlerweile, dass Hadro­
nen aus Quarks bestehen, die von der starken Wechselwirkung zusam­
mengehalten werden. Dennoch überlebte die Stringtheorie - nicht als
Theorie der Hadronen, sondern als eine der Gravitation.
Auch wenn sie an der Beschrei bung von Hadronen scheiterte, können
wir etwas über die guten Eigenschaften der Stringtheorie der Gravitation
lernen, indem wir uns ein paar der Probleme ansehen, mit denen die
Stringtheorie der Hadronen konfrontiert war. Bemerkenswerterweise
versprachen gerade die Schwachstellen der hadronischen Stringtheorie
Gutes für eine Stringtheorie der Quantengravitation (oder waren für
diese zumindest keine Hindernisse ) .
D a s erste Problem m i t d e r Originalversion d e r Stringtheorie bestand
darin, dass sie ein Tachyon enthielt. Ursprünglich stellten sich die Kolle­
gen Tachyonen als Teilchen vor, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit
bewegen (der Ausdruck geht auf das griechische tachos zurück, was
,, Tempo << bedeutet) . Wir wissen aber heute, dass ein Tachyon auf eine In­
stabilität in der Theorie hinweist, die es beinhaltet. Auch wenn Science­
Fiction-Fans es bedauern, sind Tachyonen keine realen physikalischen
Teilchen. Wenn eine Theorie ein Tachyon zu enthalten scheint, analysiert
man sie falsch. Ein System mit einem Tachyon kann ( und wird ) sich in

326
ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS

ein verwandtes System mit niedrigerer Energie umwandeln, in dem das


Tachyon nicht mehr vorhanden ist. Das System mit dem Tachyon hat
nicht lange genug Bestand, als dass es irgendwelche physikalischen Fol­
gen haben könnte ; es ist nur eine Eigenschaft der falschen theoretischen
Beschreibung. Dann muss man eine theoretische Beschrei bung der ver­
wandten stabilen Konfiguration ohne Tachyon finden, ehe man die wah­
ren physikalischen Teilchen und Kräfte identifizieren kann. Solange die
Theorie eine solche Konfiguration enthält, ist sie unvollständig.
Stringtheorien mit einem Tachyon schienen keinen Sinn zu ergeben.
Aber niemand wusste, wie man die Theorie so formulieren könnte, dass
es eliminiert würde. Das bedeutete, dass die Vorhersagen der Stringtheo­
rie einschließlich j ener für andere Teilchen als das Tachyon nicht zuver­
lässig waren. Vielleicht denken Sie, dass dies Grund genug gewesen
wäre, die hadronische Stringtheorie fallen zu lassen. Aber die Physiker
hielten an der Hoffnung fest, dass das Tachyon nicht real war ; einige
glaubten, es handele sich dabei nur um ein Problem mit den mathemati­
schen Annäherungen, die gemacht wurden, als die Theorie formuliert
wurde, aber sehr wahrscheinlich war das nicht.
Ramond, Neveu und Schwarz entdeckten j edoch eine alternative, su­
persymmetrische Version des Strings : den Superstring. Der entschei­
dende Vorteil der Superstringtheorie gegenüber der Originalversion be­
stand darin, dass sie ein Teilchen von Spin Vz beinhaltete und damit das
Potenzial hatte, die Fermionen des Standardmodells wie beispielsweise
das Elektron und die verschiedenen Quarktypen zu beschreiben. Und ein
zusätzlicher Bonus der Superstringtheorie war, dass sie nicht das Ta­
chyon enthielt, unter dem die ursprüngliche Version der Stringtheorie ge­
litten hatte. Der Superstring, der in j edem Fall eine vielversprechendere
Theorie zu sein schien, kannte nicht die Tachyon-Instabilität, die seine
Weiterentwicklung zu stören gedroht hätte.
Ein zweites Problem der ursprünglichen hadronischen Stringtheorie
bestand darin, dass sie ein masseloses Teilchen von Spin 2 enthielt. Be­
rechnungen zeigten, dass es keine Möglichkeit gab, es zu eliminieren,
a ber bei keinem Experiment war j e dieses verteufelte Teilchen entdeckt
worden. Da die Experimentatoren j edes masselose Teilchen, das so stark
wechselwirkte wie ein Hadron, hätten entdecken müssen, schien die ha­
dronische Stringtheorie in Schwierigkeiten zu stecken.
Scherk und Schwarz stellten die Stringtheorie auf den Kopf, als sie
zeigten, dass das >> böse << Spin-2-Teilchen, das die hadronische String­
theorie vereitelt hatte, vielleicht die Krönung der Stringtheorie der Gra-

327
VERBORGENE UNIVERSEN

vitation war : Das Spin-2-Teilchen konnte tatsächlich das Graviton sein.


Des Weiteren zeigten sie, dass sich das Spin-2-Teilchen genauso verhielt,
wie ein Graviton dies tun müsste. Die entscheidende Beobachtung, dass
die Stringtheorie einen Kandidaten für das Graviton enthielt, machte sie
potenziell zu einer Theorie der Quantengravitation. Noch niemand hatte
herausgefunden, wie man mit einer Teilchenbeschreibung eine stimmige
Theorie der Gravitation formulieren könnte, die für alle Energien funk­
tioniert. Eine stringtheoretische Beschrei bung hingegen schien das leis­
ten zu können.
Noch etwas anderes wies darauf hin, dass Scherk und Schwarz, auch
wenn eine Stringtheorie der Hadronen nicht funktionieren würde, mit
einer Stringtheorie der Gravitation vielleicht auf der richtigen Fährte wa­
ren. Wie wir in Kapitel 7 gesehen haben, zeigten Friedman, Kendall und
Taylor am Stanford Linear Accelerator Center ( SLAC ) , dass Elektronen
an Atomkernen stark streuen, was bedeutete, dass es in seinem lnnern
harte, punktgleiche Obj ekte geben musste - nämlich Quarks. Von der
Geisteshaltung her ähnelte dieses Experiment dem Rutherfordschen
Streuungsexperiment, das in Kapitel 6 beschrieben wurde. Die drastische
Streuung wies im früheren Fall auf einen harten Atomkern hin und im
späteren auf punktförmige Quarks im Inneren der Nukleonen - nicht
auf weiche, ausgedehnte Strings.
Mithin stimmten die Vorhersagen der Stringtheorie nicht mit den Er­
gebnissen der SLAC-Experimente überein. Strings hätten niemals zu der
drastischen Streuung geführt, wie sie nur ein hartes, kompaktes Objekt
verursachen konnte . Weil immer nur Teile der Strings zu einem gege­
benen Zeitpunkt miteinander wechselwirken, würden Strings weicher
kollidieren. Diese ruhige, relativ undramatische Streuung war das Toten­
glöckchen für die Stringtheorie der Hadronen. Aus Sicht der Quanten­
gravitation jedoch sah das nach einer viel versprechenden Eigenschaft
aus.
In einer Teilchentheorie der Gravitation wechselwirkt das Graviton
bei hohen Energien viel zu stark. Besser ist eine Theorie, bei der energie­
reiche Gravitonen nicht so heftig interagieren. Und genau das passiert
in einer Stringtheorie der Gravitation. Dass die Stringtheorie punktför­
mige Teilchen durch ausgedehnte Strings ersetzt, stellt sicher, dass das
Graviton bei hohen Energien viel schwächer wechselwirkt. Im Gegen­
satz zu Quarks streuen Strings nicht hart. Ihre Interaktionen sind >> mat­
schiger<< und finden in einem größeren Gebiet statt.24 Diese Eigenschaft
bringt es mit sich, dass die Stringtheorie möglicherweise das Problem

328
A L LEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS

mit der lächerlich hohen Interaktionsrate des Gravitons löst und Gravi­
tonwechselwirkungen bei hoher Energie korrekt vorhersagt. Die wei­
cheren hochenergetischen Kollisionen von Strings waren ein weiterer
wichtiger Hinweis, dass eine Stringtheorie der Gravitation richtig sein
konnte.
Fassen wir zusammen : Die Superstringtheorie beinhaltet Fermionen,
Ladung tragende Eichbosonen und das Graviton - all die Teilchenty­
pen, die uns bekannt sind. Ein Tachyon kommt darin nicht vor. Dar­
über hinaus enthält die Superstringtheorie ein Graviton, dessen Quan­
tenbeschreibung möglicherweise bei hohen Energien einen Sinn ergibt.
Dem Anschein nach konnte die Stringtheorie potenziell alle bekannten
Kräfte beschreiben. Sie war ein vielversprechender Kandidat für die
rea le Welt.

Die Superstring-Revolution

Die Superstringtheorie war ein extrem mutiger Schritt, auch wenn es da­
bei darum ging, ein so weitreichendes Problem wie die Quantengravita­
tion zu lösen. Eine Stringtheorie der Gravitation sagt eine unendlich
große Zahl von Teilchen über die uns bekannten hinaus vorher. Des Wei­
teren ist eine Stringtheorie mittels Berechnungen extrem schwierig zu
analysieren. Was für ein happiger Preis für die Lösung des Problems mit
der Quantengravitation : eine Theorie mit unendlich vielen neuen Teil­
chen und einer potenziell nicht zu bewältigenden mathematischen Be­
schreibung. Wer in den siebziger Ja hren an der Stringtheorie arbeitete,
musste entweder sehr entschlossen oder irgendwie verrückt sein. Scherk
und Schwarz zählten zu den ganz wenigen, die diesen riskanten Weg ein­
schlugen.
Nach Scherks plötzlichem Tod im Jahr 1 9 8 0 blieb Schwarz der String­
theorie verhaftet. Gemeinsam mit einem weiteren ( vielleicht dem einzi­
gen ) damaligen Konvertiten, dem britischen Physiker Michael Green, ar­
beitete er die Konsequenzen des Superstrings aus. Schwarz und Green
entdeckten eine bizarre Eigenschaft des Superstrings : Er ergi bt nur in
zehn Dimensionen Sinn, neun räumlichen und einer zeitlichen. Bei jeder
anderen Anzahl von Dimensionen führen inakzeptable Vibrationsmo­
den des Strings zu offenkundig unsinnigen Vorhersagen, beispielsweise
negativen Wahrscheinlichkeiten für Prozesse mit Stringmoden, die es
nicht geben sollte. In zehn Dimensionen waren alle unerwünschten Mo-

329
VERBORGENE UN IVERSEN

den eliminiert. Eine Stringtheorie mit irgendeiner anderen Anzahl von


Dimensionen ergab keinen Sinn.
Zur Erklärung : Der String selbst erstreckt sich entlang einer einzigen
räumlichen Dimension und bewegt sich durch die Zeit. Das waren die
beiden Dimensionen, die Ramond untersucht hatte, als er erstmals die Su­
persymmetrie entdeckte. Aber genau wie wir wissen, dass ein punktför­
miges Objekt - das keine Ausdehnung in irgendeiner räumlichen Dimen­
sion hat und daher null räumliche Dimensionen aufweist - sich in drei
Raumdimensionen bewegen kann, kann ein String - der eine räumliche
Dimension hat - sich in einem Raum mit viel mehr Dimensionen bewe­
gen, als er selbst besitzt. Man konnte sich vorstellen, dass Strings sich in
drei, vier oder mehr Dimensionen bewegen. Berechnungen wiesen darauf
hin, dass die korrekte Anzahl (einschließlich der Zeit) zehn lautete.
Zu viele Dimensionen zu haben, war beim Superstring nichts Neues.
Die frühere Version der Stringtheorie ( ohne Fermionen oder Supersym­
metrie) hatte 26 Dimensionen : eine zeitliche und 25 räumliche. Die frü­
here Version der Stringtheorie hatte aber auch andere Probleme wie etwa
das Tachyon. Die Superstringtheorie hingegen schien viel versprechend
genug, um die weitere Beschäftigung damit lohnend zu machen.
Trotzdem aber ignorierte man die Stringtheorie weitgehend, bis im
Jahr 1984 Green und Schwarz eine verblüffende Eigenschaft des Super­
srrings demonstrierten, die viele andere Physiker davon überzeugte, dass
sie auf einem aussichtsreichen Weg waren. Diese Entdeckung beförderte
zusammen mit zwei weiteren Entwicklungen, zu denen wir gleich kom­
men werden, die Stringtheorie ins Zentrum der physikalischen For­
schung.
Green und Schwarz arbeiteten an einem Phänomen, das als Anoma­
lien bekannt ist. Wie der Name vermuten lässt, waren Anomalien eine
große Überraschung, als sie erstmals entdeckt wurden. Die ersten Physi­
ker, die an der Quantenfeldtheorie arbeiteten, nahmen es als gegeben
hin, dass jede Symmetrie einer klassischen Theorie auch von ihrer quan­
tenmechanischen Erweiterung gewahrt würde - der umfassenderen Ver­
sion der Theorie, die auch die Effekte virtueller Teilchen einschließt.
A ber das ist nicht immer der Fall. 1 9 6 9 zeigten Steven Adler, John Bell
und Roman Jackiw, dass auch dann, wenn eine klassische Theorie eine
Symmetrie wahrt, quantenmechanische Prozesse mit virtuellen Teilchen
manchmal diese Symmetrie verletzen. Solche Symmetrieverletzungen
werden Anomalien genannt, und die Theorien, die Anomalien enthalten,
bezeichnet man als anomal.

330
ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE FÜR STRINGS

Anomalien sind für die Theorien der Wechselwirkungen extrem wich­


tig. In Kapitel 9 haben wir gesehen, dass eine erfolgreiche Theorie der
Wechselwirkungen eine innere Symmetrie erfordert. Diese Symmetrien
müssen exakt sein, sonst gibt es keine Möglichkeit, die unerwünschte
Polarisierung des Eichbosons zu eliminieren, und die Theorie der Wech­
selwirkungen ergäbe dann keinen Sinn. Die zu einer Wechselwirkung ge­
hörende Symmetrie muss daher anomaliefrei sein - die Summe aller die
Symmetrie brechenden Effekte muss gleich null sein.
Das ist für jede Quantentheorie der Wechselwirkungen eine erhebliche
Einschränkung. Beispielsweise wissen wir mittlerweile, dass es eine der
zwingendsten Erklärungen für die Existenz von sowohl Quarks als auch
Leptonen im Standardmodell ist. Individuell würden virtuelle Quarks
und Leptonen zu anomalen Quantenbeiträgen führen, die die Symmetrie
des Standardmodells brechen würden. Jedoch beträgt die Summe der
Quantenbeiträge von den Quarks und den Leptonen null. Diese wunder­
bare Auslöschung ist es, die das Standardmodell zusammenhält; sowohl
Leptonen als auch Quarks sind notwendig, wenn die Kräfte des Stan­
dardmodells Sinn ergeben sollen.
Anomalien waren möglicherweise ein Problem für die Stringtheorie,
die schließlich Wechselwirkungen einschließt. Als 1 9 8 3 die Theoretiker
Luis Alvarez-Gaume und Edward Wirten zeigten, dass solche Anomalien
nicht nur in der Quantenfeldtheorie, sondern auch in der Stringtheorie
vorkommen, sah es danach aus, als würde diese Entdeckung die String­
theorie ins Reich der interessanten, aber zu weit hergeholten Ideen ver­
bannen. Die Stringtheorie machte nicht den Eindruck, als würde sie die
benötigten Symmetrien wahren. In der skeptischen Atmosphäre, die von
der Anfälligkeit der Stringtheorie für Anomalien hervorgerufen worden
war, landeten Green und Schwarz einen ganz schönen Schlag, als sie
zeigten, dass die Stringtheorie den Einschränkungen Folge leisten
konnte, die zur Vermeidung von Anomalien nötig waren. Sie berechne­
ten den Quantenbeitrag zu allen möglichen Anomalien und zeigten, dass
für bestimmte Wechselwirkungen die Anomalien sich wunderbarerweise
zu null addieren.
Sehr überraschend war an Greens und Schwarz' Resultat unter ande­
rem, dass die Stringtheorie viele Besorgnis erregende quantenmechani­
sche Prozesse zulässt, von denen j eder so aussah, als könnte er zu Sym­
metrien brechenden Anomalien führen. Aber Green und Schwarz wiesen
nach, dass die Summe der quantenmechanischen Beiträge zu all diesen
möglichen Symmetrien brechenden Anomalien in einer zehndimensiona-

331
VERBORGENE UN IVERSEN

len Superstringtheorie null ist. Das bedeutete, dass es zu den vielen ge­
genseitigen Aufhebungen, die in den Berechnungen der Stringtheorie nö­
tig waren, tatsächlich kommen konnte und dass darüber hinaus diese
Aufhebungen in zehn Dimensionen stattfanden - der Anzahl von Di­
mensionen, die man bereits als Besonderheit der Superstringtheorie er­
kannt hatte. Diese Entdeckung war so wunderbar, dass viele Physiker
fanden, solche Verschwörungen könnten kein Zufall sein. Dass Anoma­
lien sich gegenseitig auslöschten, war ein gewichtiges Argument zuguns­
ren des zehndimensionalen Superstrings.
Darüber hinaus vollendeten Green und Schwarz ihre Arbeit zu einem
günstigen Zeitpunkt. Erfolglos hatten Physiker nach Theorien gesucht,
die das Standardmodell so erweitern konnten, dass es Supersymmetrie
und Gravitation einschloss, und sie waren bereit, etwas Neues auszu­
probieren. Sie konnten nicht länger Greens und Schwarz' Entdeckung
einer supersymmetrischen Theorie ignorieren, die das Potenzial hatte,
alle Teilchen und Kräfte des Standardmodells zu reproduzieren. Auch
wenn die zusätzliche Struktur der Stringtheorie lästig war, hatte der Su­
perstring Erfolg, wo andere, vielleicht ökonomischere Theorien versag­
ten .
Zwei weitere bedeutende Entwicklungen stellten bald darauf sicher,
dass die Stringtheorie in den Kanon der Physik aufgenommen wurde.
Die eine resultierte aus der Zusammenarbeit von David Grass, Jeff Har­
vey, Emil Martinec und Ryan Rohm in Princeton, die 1985 eine Theorie
ableiteten, die sie den helerotischen String nannten. Die Bezeichnung lei­
tet sich von dem Begriff >> Heterosis « her, der in der Biologie bedeutet,
dass hybride Organismen teils Eigen schaften haben, die denen der El­
terngeneration überlegen sind ( >> Bastardvitalitä t « ). In der Stringtheorie
kann ein Vibrationsmode sich entweder im Uhrzeigersinn oder entgegen
dem Uhrzeigersinn den String entlang bewegen. Die Bezeichnung >> he­
terotisch wurde gewählt, weil sich nach links bewegende Wellen anders
<<

behandelt wurden als sich nach rechts bewegende und folglich die Theo­
rie interessantere Wechselwirkungen beinhaltete als die bereits bekann­
ten Versionen der Stringtheorie.
Die Entdeckung des heterotischen Strings war eine weitere Bestäti­
gung, dass die Wechselwirkungen, die Green und Schwarz als anomalie­
frei und in zehn Dimensionen akzeptabel bewiesen hatten, wirklich etwas
Besonderes waren. Sie hatten mehrere Gruppen von Wechselwirkungen
herausgefunden, zu denen auch all j ene gehörten, von denen man bereits
gezeigt hatte, dass sie in einer Stringtheorie möglich waren, aber auch an-

3 32
ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS

dere Gruppen von Kräften, die noch nie zuvor als Teil einer Stringtheorie
( theoretisch ) entdeckt worden waren. Die Wechselwirkungen des hetero­
tischen Strings waren genau die neuen, von denen Green und Schwarz
nachgewiesen hatten, dass sie anomaliefrei waren. Mit dem heterotischen
String konnte von dieser zusätzlichen Gruppe von Wechselwirkungen,
die jene des Standardmodells einschließen konnten, nachgewiesen wer­
den, dass sie nicht nur eine echte Möglichkeit der Stringtheorie waren,
sondern auch explizit realisiert werden konnten. Die Physiker betrachte­
ten den heterotischen String als wirklichen Durchbruch bei dem Versuch,
eine Beziehung zwischen Stringtheorie und Standardmodell herzustel­
len.
Dann kam es noch zu einer letzten Entwicklung, die die herausragende
Stellung der Stringtheorie zementierte. Diese Entdeckung hatte mit den
zusätzlichen Dimensionen zu tun, die für den Superstring unverzichtbar
sind. Zu zeigen, dass die Superstringtheorie in sich konsistent ist und die
Wechselwirkungen des Standardmodells einschließt, ist gut und schön,
aber es ist nicht sehr interessant, wenn man dafür mit der falschen An­
zahl von Raumdimensionen geschlagen ist. Die Superstringtheorie ver­
langt zehn Dimensionen. Die Welt um uns herum scheint aber nur vier zu
umfassen (einschließlich der Zeit) . Irgendetwas muss mit den überflüssi­
gen sechs passieren.
Physiker glauben heute, dass die Kompaktifizierung die Antwort
sein könnte - aufgerollte Dimensionen von nicht wahrnehmbarer Win­
zigkeit, wie ich sie in Kapitel 2 beschrieben habe. Zunächst j edoch
schien dieses Aufrollen nicht der richtige Weg, mit den zusätzlichen
Dimensionen der Stringtheorie umzugehen. Das Problem war, dass
Theorien mit aufgerollten Dimensionen nicht das wichtige ( und über­
raschende ) in Kapitel 7 diskutierte Merkmal der schwachen Wechsel­
wirkung reproduzierten : Die schwache Kraft behandelt links- und
rechtshändige Teilchen unterschiedlich. Das ist nicht nur ein techni­
sches Detail. Die gesamte Struktur des Standardmodells beruht darauf,
dass nur linkshändige Teilchen der schwachen Wechselwirkung unter­
liegen . Anderenfalls würden nur wenige Vorhersagen des Standa rdmo­
dells funktionieren.
Auch wenn die zehndimensionale Stringtheorie links- und rechtshän­
dige Teilchen unterschiedlich behandeln konnte, hatte es den Anschein,
dass dies nicht länger passieren würde, wenn die sechs Zusatzdimensio­
nen aufgerollt waren. Die daraus resultierende vierdimensionale effek­
tive Theorie enthielt immer genau zueinander passende Paare von links-

333
VERBORGENE UN IVERSEN

und rechtshändigen Teilchen. Alle Kräfte, die auf linkshändige Fermio­


nen einwirkten, taten das auch bei rechtshändigen und umgekehrt.
Wenn die Stringtheorie keinen Weg aus dieser Sackgasse finden konnte,
musste sie aufgegeben werden.
1 9 85 erkannten Philip Candelas, Gary Horowitz, Andy Straminger
und Edward Wirten die Bedeutung einer raffinierteren und komplizier­
teren Weise, die Extradimensionen aufzurollen, nämlich eine Kompakti­
fizierung, die als Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit bekannt ist. Die Details
sind komplex, aber im Wesentlichen bleibt bei der Calabi-Yau-Mannig­
faltigkeit eine vierdimensionale Theorie übrig, die zwischen links und
rechts unterscheiden und potenziell die Teilchen und Kräfte des Stan­
dardmodells einschließlich der die Parität verletzenden schwachen
Wechselwirkung hervorbringen kann. Darüber hinaus bleibt beim Auf­
rollen zusätzlicher Dimensionen zu einer Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit
die Supersymmetrie gewahrt. '' Mit dem Calabi-Yau-Durchbruch war die
Superstringtheorie im Geschäft.
An vielen Physikfakultäten löste die Superstringtheorie die Teilchen­
physik ab, und die Superstring-Revolution erwies sich als mehr als ein
Handstreich. Weil die Superstringtheorie die Quantengravitation mit
einschließt und die bekannten Teilchen und Wechselwirkungen enthal­
ten konnte, gingen viele Physiker so weit, sie für die ultimative Theorie
zu halten, die allem zugrunde liegt. Und in der Tat bekam in den achtzi­
ger Jahren die Stringtheorie den Spitznamen >> Theory of Everything<<
( >> Theorie von Allem<< ) , kurz >>TOE << . Die Stringtheorie war ein noch ehr­
geizigeres Unterfangen als die großen vereinheitlichten Theorien : Mit
der Stringtheorie hofften Physiker, sämtliche Wechselwirkungen ( ein­
schließlich der Gravitation) bei einer Energie zu vereinen, die noch höher
war als die Energie der GVTs. Selbst ohne irgendwelche Beobachtungen,
die die Stringtheorie unterstützten, befanden viele Physiker, dass das Po­
tenzial der Stringtheorie zur Versöhnung von Quantenmechanik und
Gravitation Grund genug war, ihren Anspruch auf die Vorreiterschaft zu
unterstützen .

* De facto wahrt d ie Kompaktifizierung zu einer Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit genau


die richtige Menge von Supersymmetrie, sodass die Theorie die Eigenschaften des
Standardmodells reproduzieren kann. Bei zu viel Supersymmetrie gäbe es keine links­
händigen Teilchen, die anders wechselwirken als rechtshändige.

334
ALLEGRO (MA NON TROPPO): EINE PASSAGE F ÜR STRINGS

Das Beharrungsvermögen des alten Regimes

Wenn die Stringtheoretiker Recht haben und die Welt letztlich aus fun­
damentalen, oszillierenden Strings zusammengesetzt ist, muss dann alle
Teilchenphysik aufgegeben werden ? Die Antwort ist ein schallendes
>> Nei n << . Das Ziel der Stringtheorie ist die Versöhnung von Quantenme­
chanik und Gravitation bei Entfernungen unterhalb der Planck-Längen­
skala, wo, wie wir glauben, eine neue Theorie in Kraft tritt. Daher
müsste in der konventionellen Stringtheorie (im Gegensatz zu den Va­
rianten mit extradimensionalen Modellen) ein String ungefähr die
Größe der Planek-Längenskala haben. Das sagt uns, dass in der kon­
ventionellen Stringtheorie die Unterschiede zwischen Teilchenphysik
und Stringtheorie erst bei dieser winzigen Planek-Längenskala auftreten
müssten oder, was äquivalent ist, bei der ultrahohen Planck-Energie­
skala, wo die Gravitation vermutlich stark ist. Diese Größe ist so winzig
und diese Energie so hoch, dass Strings in keiner Weise die Teilchenbe­
schreibung bei experimentell erreichbaren Energien überflüssig machen
würden.
Bei Energien unterhalb der Planck-Energieskala ist eine teilchenphysi­
kalische Beschrei bung de facto ziemlich passend. Wenn ein String so
klein ist, dass seine Länge unentdeckbar blei bt, könnte der String ge­
nauso gut ein Teilchen sein ; kein Experiment könnte den Unterschied
ausmachen. Teilchen und Strings von Planek-Länge sind ununterscheid­
bar. Die eindimensionale Ausdehnung des Strings ist für uns genauso un­
sichtbar wie die winzigen, aufgerollten Zusatzdimensionen, die wir wei­
ter vorn betrachtet haben. Solange wir keine Instrumente haben, die mit
Größen von 10 -33 cm umgehen können, ist ein solcher String viel zu
klein, um entdeckt zu werden.
Es ergibt Sinn, dass Stringtheorie und Teilchenphysik bei erreichbaren
Energien genauso aussehen. Die Unschärferelation sagt uns, dass man
kleine Distanzen einzig und allein mit Teilchen von hohem Impuls unter­
suchen kann, und die sind sehr energiereich. Ohne ausreichende Energie
hat man folglich keine Möglichkeit zu unterscheiden, ob der String lang
und dünn oder punktförmig ist.
Im Prinzip könnten wir Beweise finden, die die Stringtheorie unter­
stützen, indem wir nach den vielen neuen Teilchen suchen, die sie vor­
hersagt - den Teilchen, die den vielen möglichen Oszillationen des
Strings entsprechen. Das Problem mit dieser Strategie ist nur, dass die
meisten der neuen, von Strings herrührenden Teilchen extrem schwer

335
VERBORGENE U N I VERSEN

wären - ihre Masse würde so groß wie die Planck-Massenskala sein, 1 0 1 9


GeV. D a s i s t e i n e gigantische Masse, wenn m a n s i e m i t d e n Massen der
Teilchen vergleicht, die experimentell entdeckt wurden und von denen
das schwerste rund 200 GeV hat.
Die zusätzlichen Teilchen, die aus den Oszillationen des Strings her­
rühren würden, wären so schwer, weil die Spannung des Strings - sein
Widerstand gegen das Gestrecktwerden, der bestimmt, wie bereitwillig
ein String oszillieren und schwere Teilchen produzieren wird - groß
wäre. Die Planck-Energieskala bestimmt die Spannung des Strings ; diese
Spannung ist für die Stringtheorie nötig, um die korrekte Wechselwir­
kungsstärke für das Graviton und damit für die Gravitation selbst zu re­
produzieren.2 5 Je höher die Spannung des Strings, desto mehr Energie ist
nötig, um Oszillationen zu erzeugen (genau wie eine straff gespannte Bo­
gensehne schwerer aus der Ruheposition zu bringen ist als eine lose ) .
Und diese große Energie entspricht einer großen Masse für d i e zusätzli­
chen, aus dem String herrührenden Teilchen. Diese Teilchen von Planck­
Masse sind zu massiv, um bei irgendeinem heute ( und höchstwahr­
scheinlich auch in der Zukunft) durchführbaren Teilchenexperiment
produziert zu werden.
Selbst wenn also die Stringtheorie korrekt ist, werden wir wahrschein­
lich nicht die vielen zusätzlichen schweren Teilchen finden, die sie vor­
hersagt. Die Energie der gegenwärtigen Experimente ist um 16 Größen­
ordnungen zu niedrig. Weil die zusätzlichen Teilchen so außerordentlich
schwer sind, sind die Aussichten, experimentel le Beweise für Strings zu
entdecken, sehr schlecht, wobei nur die extradimensionalen Modelle, die
ich später diskutieren werde, eine Ausnahme darstellen.
Bei den meisten stringtheoretischen Szenarios jedoch werden wir w�
gen der Winzigkeit des Stri ngs und seiner hohen Spannung keine die
Theorie unterstützenden Beweise bei den Energien finden, die heute in
Beschleunigern erreicht werden, selbst wenn die Stringbeschreibung kor­
rekt ist. Teilchenphysiker, die sich für die Vorhersage experimenteller Er­
gebnisse interessieren, können beruhigt die konventionelle vierdimensio­
nale Quantenfeldtheorie anwenden, die Stringtheorie ignorieren und
dennoch die richtigen Ergebnisse bekommen. Solange man nur Größen
von mehr als 1 0 - 1 1 cm betrachtet ( oder äquivalent Energien unter 1 0 1 9
GeV), würde sich nichts von d e m ändern, was w i r weiter oben i m Rah­
men der niederenergetischen Konsequenzen der Teilchenphysik gesagt
haben. Da die Größe eines Protons rund 1 0 - 1 1 cm beträgt und da das
Energiemaximum, das heutige Beschleuniger erreichen, rund 1 000 GeV

336
ALLEGRO ( MA NON TROPPO): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS

beträgt, kann als ziemlich gesichert gelten, dass teilchentheoretische Vor­


hersagen ausreichen.
Dennoch haben Teilchenphysiker, die sich auf niederenergetische Phä­
nomene konzentrieren, guten Grund, der Stringtheorie Beachtung zu
schenken . Die Stringtheorie bringt neue, sowohl mathematische als auch
physikalische Ideen hervor, die sonst niemand in Betracht gezogen hätte,
etwa Branen und andere extradimensionale Vorstellungen. Selbst in vier
Dimensionen hat die Stringtheorie einem besseren Verständnis der Su­
persymmetrie, der Quantenfeldtheorie und der möglichen Wechselwir­
kungen eines quantenfeldtheoretischen Modells den Weg geebnet. Und
wenn die Stringtheorie in der Tat eine in vollem Umfang stimmige quan­
tenmechanische Beschreibung der Gravitation liefern würde, wäre das
selbstverständlich eine formidable Leistung. Wegen dieser Verdienste
lohnt sich die Beschäftigung mit der Stringtheorie auch sehr für die, die
sich ausschließlich mit experimentell beobachtbaren Phänomenen be­
schäftigen. Auch wenn es sehr schwierig ( wenn nicht unmöglich ) sein
wird, Strings zu entdecken, könnten die von der Stringtheorie erhellten
theoretischen Überlegungen für unsere Welt relevant sein. Wir werden
bald sehen, worum es sich bei einigen davon handeln könnte.

Nachwirkungen der Revolution

Im Jahr 1984, auf dem Höhepunkt der Superstring-Revolution, studierte


ich als Doktorandin in Harvard. Rasch wurde mir klar, dass eine ange­
hende Physikerin in der Forschung zwei Möglichkeiten hatte. Sie konnte
sich in den Fußstapfen von Ed Wirten und David Grass, damals beide in
Princeton, auf die Stringtheorie stürzen. Oder sie konnte Teilchenphysi­
kerin mit unmittelbarerem Kontakt zu experimentellen Ergebnissen in
der Tradition von Howard Georgi und Sheldon Glashow bleiben, die da­
mals beide in Harvard waren . Es mag unglaubwürdig erscheinen, dass
an denselben Problemen interessierte Physiker so entzweit sein konnten,
aber in den beiden Lagern herrschten höchst unterschiedliche Vorstel­
lungen, wie am besten Fortschritte zu erzielen wären.
In Harvard begeisterte man sich weiterhin für die Teilchenphysik, und
viele Physiker dort verwarfen die Stringtheorie größtenteils. Ein paar
Probleme der Teilchenphysik und der Kosmologie waren noch ungelöst ­
warum sollte man nicht erst einmal diese Fragen beantworten, ehe man
sich in das mathematische Minenfeld wagte, zu dem die Stringtheorie zu

337
VERBORGENE UNIVERSEN

werden drohte ? War es akzeptabel, dass sich die Physik in unmessbare


Bereiche ausweitete ? Angesichts der vielen brillanten Menschen und der
vielen aufregenden Ideen, wie man mit eher traditionellen Methoden
über das Standardmodell der Teilchenphysik hinausgehen könnte, war
man nicht sehr motiviert, mit fliegenden Fahnen überzulaufen.
Andernorts waren Physiker jedoch überzeugt, dass alle Fragen der Su­
perstringtheorie bald gelöst sein würden und dass die Stringtheorie die
Physik der Zukunft ( und der Gegenwart) wäre. Die Superstringtheorie
steckte noch weitgehend in den Anfängen. Einige glaubten, wenn man
nur genügend Arbeitsstunden pro Mann ( und es waren wirklich über­
wiegend Männer) investierte, könnten die Stringtheoretiker letztlich die
bekannte Physik ableiten. In einem Aufsatz über den heterotischen
String schrieben Grass und seine Kollegen 1985 : » O bwohl noch viel Ar­
beit zu tun bleibt, scheint es keine unüberwindlichen Hindernisse zu
geben, die gesamte bekannte Physik aus dem . . . heterotischen String ab­
zuleiten. ,, * Die Stringtheorie versprach, die >> Theorie von Allem « zu
werden. Princeton hatte darin eine Vorreiterrolle. Die Physiker dort wa­
ren so sicher, dass der Stringtheorie die Zukunft gehörte, dass es an der
Fakultät überhaupt keine Teilchentheoretiker mehr gab, die nicht an der
Stringtheorie arbeiteten - ein Fehler, den Princeton noch immer korrigie­
ren muss.
Wir können heute noch nicht sagen, ob der Theorie » unüberwindliche
Hindernisse « entgegenstehen oder nicht, aber mit Sicherheit sind diese
Hindernisse eine große Herausforderung. Viele wichtige Fragen sind un­
beantwortet. Die ungelösten Probleme der Stringtheorie anzugehen,
scheint einen mathematischen Apparat oder einen grundsätzlich neuen
Ansatz zu erfordern, der weit über die Mittel hinausgeht, die Physiker
und Mathematiker bis jetzt entwickelt haben.
In seinem weit verbreiteten Lehrbuch über Stringtheorie schreibt Joe
Polehinski : >> Die Stringtheorie könnte in groben Zügen der realen Welt
ähneln « * '· , und in gewisser Hinsicht stimmt das auch. Die Stringtheorie
kann die Teilchen und Wechselwirkungen des Standardmodells ein­
schließen, und sie kann auf vier Dimensionen reduziert werden, wenn
die anderen aufgerollt werden. Aber auch wenn es hoffnungsvolle Anzei-

'' D. Gross, J. Harvey, E. Martinec und R. Rahm, Heterotic string theory ( I ) : The free
»

heteroric string" , Nuclear Physics B, Bd. 256, S. 253 - 84 ( 1 985 ) .


* * Joseph Polchinski, String Theory, Vol. J : A n Jntroduction t o the Bosonic String
( Cambridge : Cambridge University Press, 1 9 9 8 ) .

338
ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE FÜR STRINGS

chen gi bt, dass die Stringtheorie das Standardmodell einschließen


könnte, ist nach 20 Jahren Forschung das Programm, wie man den idea­
len Standardmodell-Kandidaten findet, nirgendwo vollständig ausgear­
beitet.
Anfänglich hofften die Physiker, die Stringtheorie würde eine einzig­
artige Vorhersage machen, wie die Welt beschaffen sein sollte, und die
Welt, die wir sehen, würde diese bestätigen. Mittlerweile gibt es aber
viele mögliche, aus der Stringtheorie kommende Modelle, die alle unter­
schiedliche Wechselwirkungen, unterschiedliche Dimensionen und un­
terschiedliche Kombinationen von Teilchen zum Gegenstand haben. Wir
wollen diej enige Zusammenstellung finden, die dem sichtbaren Univer­
sum entspricht, und den Grund wissen, warum diese Zusammenstellung
etwas Besonderes ist. Im Moment weiß niemand, welche der Möglich­
keiten man wählen soll. Und ohnehin sieht keine von ihnen ganz richtig
aus.
Beispielsweise kann die Calabi-Yau-Kompaktifizierung die Anzahl der
Generationen von Elementarteilchen bestimmen. Eine Möglichkeit stel­
len in der Tat die drei Generationen des Standardmodells dar. Aber es
gibt keinen herausragenden Calabi-Yau-Kandidaten. Auch wenn String­
theoretiker ursprünglich hofften, dass sich bei der Calabi-Yau-Kompak­
tifizierung eine bevorzugte Gestalt und einzigartige physikalische Ge­
setze herausschälen würden, wurden sie rasch enttäuscht. Andy Stra­
minger erzählte mir, dass nach der Entdeckung einer Calabi-Yau-Kom­
paktifizierung, die man für einzigartig hielt, binnen einer Woche sein
Mitarbeiter Gary Horawitz mehrere weitere Kandidaten fand. Später er­
fuhr Andy von Yau, dass es Zehntausende von Calabi-Yau-Kandidaten
gab. Heute wissen wir, dass auf der Calabi-Yau-Kompaktifizierung ba­
sierende Stringtheorien Hunderte von Generationen umfassen können.
Welche Calabi-Yau-Kompaktifizierung ist, wenn überhaupt, die rich­
tige ? Und warum ? Auch wenn wir wissen, dass einige der stringtheore­
tischen Dimensionen aufgerollt sind oder anderweitig verschwinden,
müssen die Stringtheoretiker noch immer die Prinzipien bestimmen, die
uns die Größe und Gestalt der aufgerollten Dimensionen verraten.
Zusätzlich zu den neuen schweren Teilchen, die aus Wellen hervorge­
hen, die viele Male den String entlang oszillieren, umfasst die Stringtheo­
rie auch noch neue Teilchen von geringer Masse. Und wenn es diese gibt
und sie so leicht sind, wie die Stringtheorie naiv vorhersagt, dann müss­
ten wir erwarten, dass sich diese Partikel bei Experimenten in unserer
Welt zeigen. Die meisten auf der Stringtheorie basierenden Modelle um-

339
VERBORGENE UN IVERSEN

fassen viel mehr leichte Teilchen und Wechselwirkungen, als wir bei
niedrigen Energien beobachten, und es ist nicht klar, wie man die richti­
gen herausfindet.
Die Stringtheorie dazu zu bringen, zur realen Welt zu passen, ist ein
ungeheuer kompliziertes Problem. Wir müssen erst noch in Erfahrung
bringen, warum die aus der Stringtheorie abgeleitete Gravitation und die
entsprechenden Teilchen und Wechselwirkungen mit dem übereinstim­
men sollten, was wir bereits als auf unsere Welt zutreffend erkannt ha­
ben. Aber diese Probleme mit Teilchen, Wechselwirkungen und Dimen­
sionen verblassen im Vergleich zu dem eigentlichen Wald, den man we­
gen all dieser Bäume nicht sieht : der grotesk hohen Schätzung für die
Energiedichte des Universums.
Auch wenn keine Teilchen vorhanden sind, kann das Universum eine
Energie haben, die man als Vakuumenergie bezeichnet. Nach der allge­
meinen Relativitätstheorie hat diese Energie eine physikalische Konse­
quenz : Sie weitet den Raum oder lässt ihn schrumpfen. Positive Vaku­
umenergie beschleunigt die Expansion des Universums, während negative
Energie es kollabieren lässt. Einstein hatte 1 9 1 7 erstmals eine solche Ener­
gie vorgeschlagen, um für seine Gleichungen der allgemeinen Relativi­
tätstheorie eine statische Lösung zu finden, bei der die Gravitationseffekte
der Vakuumenergie die der Materie aufheben würden. Obwohl er diese
Idee aus vielerlei Gründen aufgeben musste - zu denen auch die von Ed­
win Hubble 1 929 beobachtete Expansion des Universums gehörte -, gibt
es keinen theoretischen Grund, warum solche Vakuumenergie nicht in un­
serem Universum vorkommen sollte .
Tatsächlich haben Astronomen in jüngster Zeit d i e Vakuumenergie i n
unserem Kosmos gemessen (die auch als Dunkle Energie oder a l s kosmo­
logische Konstante bekannt ist) und sind auf einen kleinen positiven
Wert gekommen . Sie haben beobachtet, dass weit entfernte Supernovae
dunkler sind, als man erwarten sollte, sofern sie nicht von uns weg be­
schleunigen. Die Supernovae-Messungen und die detaillierten Beobach­
tungen von fossilen, beim Urknall entstandenen Photonen verraten uns,
dass sich die Expansion des Universums beschleunigt, was beweist, dass
die Vakuumenergie einen kleinen positiven Wert hat.
Dieses Ergebnis ist sehr aufregend. Es stellt aber auch ein schwer wie­
gendes Rätsel dar. Die Beschleunigung ist sehr klein, was besagt, dass der
Wert der Vakuumenergie, auch wenn er über null liegt, extrem winzig
ist. Das theoretische Problem mit der beobachteten Vakuumenergie be­
steht darin, dass sie weit kleiner ist, als alle schätzen würden. Nach den

340
A LLEGRO (MA NON TROPPO ) : EINE PASSAGE FÜR S TRINGS

Schätzungen der Stringtheorie müsste die Energie viel größer sein . Wäre
dem aber so, würde diese Energie nicht bloß zu der kaum messbaren Su­
pernovae-Beschleunigung führen. Bei großer Vakuumenergie wäre das
Universum schon vor langer Zeit kollabiert (wenn negativ) oder hätte
sich rasch zu nichts ausgedehnt ( wenn positi v ) .
D i e Stringtheorie muss erst noch erklären, warum d i e Vakuumenergie
des Universums so klein sein kann, wie sie unserer Kenntnis nach ist.
Auch die Teilchenphysik weiß auf diese Frage keine Antwort. Im Gegen­
satz zur Stringtheorie a ber maßt sich die Teilchenphysik nicht an, eine
Theorie der Quantengravitation zu sein - sie ist weniger ehrgeizig. Ein
teilchenphysikalisches Modell, das die Energie nicht erklären kann, ist
unbefriedigend, eine Stringtheorie aber, die den falschen Wert für diese
Energie ergi bt, ist erledigt.
Warum die Energiedichte so außerordentlich winzig ist, bleibt ein völ­
lig ungelöstes Problem. Einige Physiker glauben, dass es keine gültige Er­
klärung gibt. Auch wenn die Stringtheorie eine einzige Theorie mit
einem einzigen Parameter ist - die Spannung der angeschlagenen Saite -,
können die Stringtheoretiker damit nicht die meisten Eigenschaften des
Universums vorhersagen. Physikalische Theorien schließen mehrheitlich
physikalische Prinzipien ein, die zu entscheiden erlauben, welche der vie­
len möglichen physikalischen Konfigurationen eine Theorie tatsächlich
vorhersagen würde. Beispielsweise pendeln sich die meisten Systeme auf
die Konfiguration ein, die die niedrigste Energie hat. Aber dieses Krite­
rium scheint bei der Stringtheorie nicht zu funktionieren, denn sie macht
den Eindruck, als könne sie zu einer unendlichen Anzahl von unter­
schiedlichen Konfigurationen führen, die nicht dieselbe Vakuumenergie
aufweisen - und dann würden wir nicht wissen, welcher von ihnen,
wenn überhaupt, der Vorzug zu geben wäre.
Einige Stringtheoretiker versuchen nicht länger, eine singuläre Theorie
zu finden. Sie suchen nach den möglichen Größen und Formen aufgeroll­
ter Dimensionen und nach den verschiedenen Optionen für die Energie,
die ein Universum enthalten könnte, und kommen zu dem Schluss, dass
die Stringtheorie nur eine Landschaft umreißen kann, die die riesige Zahl
möglicher Universen beschreibt, in denen wir leben könnten. Diese
Stringtheoretiker glauben nicht, dass ihre Theorie in einzigartiger Weise
die Vakuumenergie vorhersagt. Sie meinen, dass der Kosmos aus vielen
verschiedenen, unzusammenhängenden Regionen mit unterschiedlichen
Werten für die Vakuumenergie besteht und dass wir in dem Teil des Kos­
mos leben, der den richtigen aufweist. Von den vielen möglichen Uni ver-

341
VERBORGENE UN IVERSEN

sen kann nur dasj enige, das die richtige Struktur hervorbringt, uns Hei­
mat sein. Diese Physiker denken, dass wir in einem Universum mit einem
solch unglaublich unwahrscheinlichen Wert für die Vakuumenergie le­
ben, weil j eder größere Wert die Bildung von Galaxien und Strukturen
im Universum - und damit uns - verhindert hätte.
Diese Überlegung hat einen Namen : anthropisches Prinzip. Das an­
thropische Prinzip entfernt sich substanziell vom ursprünglichen Ziel der
Stringtheorie, alle Eigenschaften des Universums vorherzusagen. Es be­
sagt, dass wir die kleine Energie nicht erklären müssen. Es gibt unzusam­
menhängende Universen mit vielen möglichen Werten für die Vakuum­
energie, aber wir leben in einem der wenigen, in denen sich Strukturen
bilden konnten. Der Energiewert ist in diesem Universum lächerlich
klein, und nur Ausnahmeversionen der Stringtheorie würden diesen win­
zigen Wert vorhersagen, wir aber können nur in einem Universum mit
dieser klitzekleinen Energie leben. Dieses Prinzip wird vielleicht durch
künftige wissenschaftliche Fortschritte hinterfragt, es könnte aber auch
mittels gründlicherer Nachforschungen bestätigt werden. Unglücklicher­
weise jedoch wird es schwierig ( wenn nicht unmöglich) sein, es zu testen.
Eine Welt, in der das anthropische Prinzip die Antwort ist, wäre sicher­
lich ein enttäuschendes und nicht sehr befriedigendes Szenario.
Auf jeden Fall sagt die Stringtheorie in ihrem gegenwärtigen Entwick­
lungsstadium mit Sicherheit nicht die Eigenschaften der Welt vorher,
auch wenn sie hinsichtlich der zugrunde liegenden Formulierung eine
singuläre Theorie ist. Abermals sind wir mit der Frage konfrontiert, wie
man zwischen einer wunderschön symmetrischen Theorie und den phy­
sikalischen Realitäten unseres Universums einen Zusammenhang her­
stellen soll. Die einfachste Formulierung der Theorie ist zu symmetrisch :
Zu viele Dimensionen und zu viele Teilchen und Wechselwirkungen, die
unseres Wissens unterschiedlich sein müssen, scheinen gleichrangig zu
sein. Und um die Verbindung zum Standardmodell und zur wirklichen
Welt herzustellen, muss diese gigantische Ordnung gestört werden. Nach
dem Bruch der Symmetrie kann die singuläre Stringtheorie sich in vielen
unterschiedlichen Formen manifestieren, j e nachdem welche Symme­
trien gebrochen sind, welche Teilchen schwer werden und welche Di­
mensionen sich zeigen.
Es ist, als wä re die Stringtheorie eine wunderschöne Robe, die nicht
ganz passt. In ihrer gegenwärtigen Verfassung können Sie sie auf einen
Bügel hängen und ihre feinen Nähte und ihre komplizierten Webmuster
bewundern - wirklich wunderschön -, aber Sie können sie nicht tragen,

342
ALLEGRO (MA NON TROPPO ) : EINE PASSAGE F Ü R STRINGS

solange Sie nicht die notwendigen Änderungen vorgenommen haben.


Wir hätten gern eine Stringtheorie, die zu allem passt, was wir über die
Welt wissen . Aber >> dieselbe Größe für alle << steht selten allen gut. Im
Moment wissen wir noch nicht einmal, ob wir die richtigen Werkzeuge
haben, um eine Stringtheorie maßzuschneidern.
Da wir eigentlich noch nicht einmal alle Implikationen der Theorie
kennen und es auch nicht klar ist, ob das j emals der Fall sein wird, defi­
nieren einige Physiker Stringtheorie einfach als das, was immer das Pa­
radoxon von Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie bei
kleinen Entfernungen auflöst. Sicherlich glauben die meisten Stringtheo­
retiker, dass die Stringtheorie und die richtige Theorie ein und dieselben
sind oder zumindest sehr eng zusammenhängen.
Da gibt es eindeutig noch eine Menge zu lernen. Es ist noch zu früh,
um zu entscheiden, was letztlich die Vorteile einer stringtheoretischen
Beschreibung der Welt sein werden. Vielleicht wird eine weiterentwi­
ckelte mathematische Maschinerie es den Physikern ermöglichen, die
Stringtheorie wirklich zu begreifen, vielleicht wird man aber auch aus
der Anwendung der lmplikationen der Stringtheorie auf das uns umge­
bende Universum physikalische Erkenntnisse gewinnen, die die entschei­
denden Hinweise liefern. Die ungelösten Probleme der Stringtheorie an­
zugehen scheint einen grundsätzlichen Neuansatz zu erfordern, der weit
über die Mittel hinausgeht, die Mathematiker und Physiker bislang ent­
wickelt haben.
Dennoch ist die Stringtheorie etwas Erstaunliches. Sie hat bereits zu
wichtigen Erkenntnissen über Gravitation, Dimensionen und Quanten­
feldtheorie geführt, und sie ist, soweit wir wissen, der beste Kandidat für
eine konsistente Theorie der Quantengravitation. Darüber hinaus hat
die Stringtheorie unglaublich schöne mathematische Fortschritte er­
bracht. Aber die Stringtheoretiker müssen erst noch ihr Versprechen aus
den achtziger Jahren einlösen, die Stringtheorie mit der Welt in Verbin­
dung zu bringen. Die meisten lmplikationen der Stringtheorie sind uns
noch unbekannt.
Fairerweise muss man sagen, dass auch in der Teilchenphysik Fragen
nicht immer auf der Stelle beantwortet werden. Viele der teilchenphysi­
kalischen Probleme, die schon in den achtziger Jahren bekannt waren,
sind noch immer nicht gelöst. Zu diesen Fragen zählen eine Erklärung,
wo die unterschiedlichen Massen der Elementarteilchen herkommen,
und eine korrekte Lösung für das Hierarchieproblem. Darüber hinaus
warten Modellbauer noch immer auf die experimentellen Hinweise, die

343
VERBORGENE U N I VERSEN

u n s sagen, welche d e r Myriaden v o n Möglichkeiten d i e Physik j enseits


des Standardmodells korrekt beschreiben. Solange wir nicht Energien
von mehr als einem Te V erforschen, werden wir wahrscheinlich nicht
mit Sicherheit die Antworten auf die Fragen wissen, die uns am meisten
beschäftigen.
Heute betrachten sowohl Stringtheoretiker als auch Teilchenphysiker
ihren Wissensstand nüchterner als in den achtziger Jahren . Wir versu­
chen, schwierige Fragen anzugehen, und deren Beantwortung wird dau­
ern, aber wir leben in aufregenden Zeiten, und trotz ( oder vielleicht we­
gen ) der vielen ungelösten Probleme gibt es allen Grund, optimistisch zu
sein. Physiker begreifen jetzt viele Konsequenzen sowohl der Teilchen­
physik als auch der Stringtheorie besser, und aufgeschlossene Physiker
profitieren heute von den Errungenschaften beider Lager. Das ist der
Mittelweg, den einige Kollegen und ich bevorzugen - und er hat zu vie­
len der aufregenden Resultate geführt, denen wir in Kürze begegnen wer­
den.

Zur Erinnerung:

• Das Graviton ist das Teilchen, das die Schwerkraft vermittelt, genau
wie das Ph oton die elektromagnetische Wechselwirkung vermittelt.

• Nach der Stringtheorie sind die fundamentalen Objekte der Welt


Strings ( >> Saiten, Fäden << ) , nicht punktförmige Teilchen.
• Spätere Modelle mit zusätzlichen Dimensionen werden nicht explizit
auf die Stringtheorie zurückgreife n ; bei Entfernungen oberhalb der
winzigen Planek-Längenskala ( 1 0 -1 1 cm) reicht die Teilchenphysik aus.

• Dennoch ist die Stringtheorie für die Teilchenphysik wichtig, sogar bei
niedrigen Energien, weil sie neue Konzepte und analytische Werk­
zeuge einführt.

344
15

Unterstützende Passagen:
Branen-Entwicklung

I nsane in the membrane


Insane i n the brain.
Verrückt in der Membrane
Verrückt im Gehirn.
Cypress Hili

Ike Rushmore XLII. beschloss, noch einmal zur winzigen Planck -Skala
hinabzutauchen. Glücklicherweise arbeitete sein frisierter Alicxvr per­
fekt, und er kam problemlos in einem zehndimensionalen Universum
voller Strings an. Da er darauf brannte, seine neue Umgebung zu erfor­
schen, schaltete er den Hyperdrive dazu, den er gerade bei Gbay gekauft
hatte. Fasziniert sah er zu, wie Strings auf hypnotisierende Weise mitein­
ander kollidierten und sich umeinander wanden.
Ike fürchtete zwar, dass sein Alicxvr zusammenbrechen könnte, aber
er war neugierig, mehr von dieser neuartigen Welt kennen zu lernen. Also
erhöhte er den Druck auf den Hyperdrive-Hebel. Anfangs stießen die
Strings noch häufiger zusammen. A ber als er den Hebel noch weiter
schob, kam er in eine neue, völlig unerklärliche Umgebung. Ike konnte
noch nicht einmal sagen, ob die Raumzeit intakt war. A ber er drück te
immer weiter auf den Hyperdrive, und merk würdigerweise kam er un­
versehrt davon. 2 6
jedoch war seine Umgebung jetzt völlig anders. Ike befand sich nicht
mehr in dem zehndimensionalen Universum, mit dem er angefangen
hatte. Stattdessen war er jetzt in einem elfdimensionalen voller Partikel
und Branen. Und so merk würdig es auch schien, nichts in diesem neuen
Universum interagierte sonderlich. Als Ike sein Gerät kontrollierte,
stellte er fest, dass der Hyperdrive-Hebei rätselhafterweise auf » low« zu­
rückgestellt war. Verwirrt und ziemlich verärgert schob Ik e den Hebel

345
VERBORGENE UN IVERSEN

wieder hoch, nur um genau da zu landen, wo er vorher gewesen war. Als


Ike abermals die Steuerung überprüfte, stellte er fest, dass der Hyperdri­
ve-Hebel wiederum auf » low« zurückgesetzt war.
Ike dachte, an seinem Alicxvr sei vermutlich etwas kaputt. Doch als er
in seinem ak tualisierten Handbuch nachschlug, fand er heraus, dass das
Gerät perfekt funktionierte - ein hoher Hyperdrive in einer zehndimen­
sionalen Stringtheorie war dasselbe wie ein niedriger Hyperdrive in einer
alternativen elfdimensionalen Welt. Und umgekehrt.
Das Handbuch sagte nichts darüber, was passieren würde, wenn der
Hyperdrive nicht auf sehr niedrig oder sehr hoch stände, und so ging Ike
ins Spacernet und setzte sich auf die Warteliste für eine verbesserte Ver­
sion, die das Problem lösen würde. A ber die Ingenieure von A licxvr ver­
sprachen nur, dass mit der Auslieferung irgendwann in diesem Jahrtau­
send begonnen würde.

In der heutigen Physik ist, könnte man sagen, der Ausdruck » Stringtheo­
rie « etwas danebengegriffen. Der Theoretiker Michael Duff bezeichnet
» Stringtheorie << ironisch sogar als » die Theorie, die früher als >Strings<
bekannt war << . Die Stringtheorie ist nicht länger einfach die Theorie der
räumlich eindimensionalen Strings, sondern auch die Theorie der Bra­
nen, die sich in zwei, drei oder mehr Dimensionen erstrecken könnenP
Wir wissen mittlerweile, dass Branen, die beliebig viele Dimensionen bis
hoch zu der Anzahl der Superstringtheorie haben können, genauso sehr
Teil einer Superstringtheorie sind wie Strings selbst. Vormals ignorierten
Theoretiker sie, wei l sie Strings untersuchten, wenn der >> Hebel << für die
Wechselwirkungsstärke der Strings auf niedrig stand und Interaktionen
von Branen weniger wichtig waren. Branen erwiesen sich als das feh­
lende Bindeglied, das wunderbarerweise mehrere Puzzles vervollstän­
digte.
In diesem Kapitel beschreibe ich die Entwicklungen der Branen von
einer amüsanten, kaum beachteten Kuriosität zu einem zentralen Mit­
spieler in der Geschichte der Stringtheorie. Wir werden meh rere Fälle
kennen lernen, bei denen seit Mitte der neunziger Jahre Branen halfen,
einige verwirrende Aspekte der Stringtheorie zu klären. Dank Branen
konnten Physiker den Ursprung der mysteriösen Teilchen in der String­
theorie begreifen, die unmöglich aus Strings entstehen konnten. Und als
Physiker Branen hinzunahmen, entdeckten sie duale Theorien - Paare
von Theorien, die sich stark voneinander zu unterscheiden scheinen,

346
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N T W I C K L U N G

aber dieselben physikalischen Konsequenzen haben. Die zu Eingang des


Kapitels erzählte Geschichte bezieht sich auf ein bemerkenswertes Bei­
spiel der Dualität, mit der sich dieses Kapitel beschäftigen wird : eine
Äquivalenz zwischen einer zehndimensionalen Superstringtheorie und
einer elfdimensionalen Supergravitation, bei der es sich um eine Theorie
handelt, die Branen beinhaltet, aber keine Strings .
Dieses Kapitel wird auch die M-Theorie einführen, eine elfdimensio­
nale Theorie, die sowohl Superstringtheorie als auch elfdimensionale Su­
pergravitation umfasst und auf deren Existenz aus Einsichten anhand
von Branen geschlussfolgert wurde. Niemand weiß genau, wofür das
>> M << steht - der Urheber der Bezeichnung, Edward Witten, hat sich nicht
eindeutig festgelegt -, aber vorgeschlagen wurden unter anderem >> Mem­
brane << , >> magisc h << und >> mysteriös << . Für den Moment werde ich einfach
sagen, dass die M-Theorie noch immer eine >> mangelnde Theori e << ist,
die zwar postuliert, aber noch nicht in vollem Umfang verstanden ist.
Auch wenn die M-Theorie noch viele Fragen unbeantwortet lässt, haben
Fortschritte mit Branen theoretische Zusammenhänge enthüllt, die nach
den komplexeren, umfassenderen Strukturen der M-Theorie verlangen.
Aus diesem Grund erforschen Stringtheoretiker sie momentan.
Beginnend mit den achtziger Jahren bringt dieses Kapitel das Bild von
der Stringtheorie auf den neuesten Stand und präsentiert ein paar
Aspekte der moderneren Sichtweise, die die Physiker in den neunziger
Jahren entwickelten. Viel von diesem Material wird für die Anwendung
von Branen auf die Teilchenphysik nicht überaus wichtig sein, und spä­
tere Mutmaßungen über Branenwelten stützen sich nicht explizit auf die
im Folgenden beschriebenen Phänomene. Es sei Ihnen daher freigestellt,
weiterzublättern, wenn Ihnen das lieber ist. Aber wenn Sie Lust haben,
ergreifen Sie diese Gelegenheit, mit einigen der bemerkenswertesten Ent­
wicklungen in der Stringtheorie vertraut zu werden, die zum großen Teil
dafür verantwortlich waren, dass Branen ihren Weg mitten hinein in die
Stringtheorie fanden.

Aufkommende Branen

In Kapitel 3 haben wir gelernt, dass Branen sich über einige, aber nicht
notwendigerweise alle räumlichen Dimensionen erstrecken. Beispiels­
weise kann eine Brane sich nur über drei Raumdimensionen hinziehen,
auch wenn der Bulk-Raum viel mehr enthält. Zusätzliche Dimensionen

347
VERBORGENE U N I VERSEN

können auf Branen enden ; anders ausgedrückt : Branen können extradi­


mensionalen Raum begrenzen. Wir wissen auch, dass eine Brane Teil­
chen beherbergen kann, die sich nur entlang ihrer Dimensionen bewe­
gen. Selbst wenn es viele zusätzliche Raumdimensionen gäbe, würden
sich auf eine Brane beschränkte Teilchen nur entlang der begrenzteren
Region bewegen, die j ene Brane einnimmt; sie besäßen nicht die Freiheit,
das gesamte extradimensionale Bulk zu durchziehen.
Wir werden j etzt sehen, dass Branen mehr als nur eine Örtlichkeit
sind ; sie sind per se Obj ekte. Branen sind wie Membranen, und wie diese
sind sie etwas Reales. Branen können schlaff sein, sodass sie sich bewe­
gen und Wellen werfen, sie können aber auch stramm sein, sodass sie
vermutlich stillhalten. Und Branen können Ladungen tragen und mittels
Kräften wechselwirken. Darüber hinaus beeinflussen Branen, wie sich
Strings und andere Obj ekte verhalten. All diese Eigenschaften sagen uns,
dass Branen für die Stringtheorie wichtig sind ; j ede konsistente Formu­
lierung der Stringtheorie muss Branen einschließen.
1 9 8 9 entdeckten Jin Dai, Rob Leigh und Joe Polchinski, damals alle an
der University of Texas, und unabhängig von ihnen der tschechische
Physiker Petr Hofava mathematisch in den Gleichungen der Stringtheo­
rie einen besonderen Typ von Brane, der D-Brane heißt. Während ge­
schlossene Strings Schleifen bilden, haben offene Strings zwei freie En­
den. Diese Enden müssen irgendwo sein, und in der Stringtheorie sind
die erlaubten Lokalisierungen für die Enden offener Strings die D-Bra­
nen ( wobei >> D << sich auf Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet bezieht,
einen deutschen Mathematiker des 1 9. Jahrhunderts ) . Das Bulk kann
mehr als eine Brane enthalten, also müssen nicht alle Strings notwendi­
gerweise auf derselben Brane enden. Polchinski, Dai und Leigh sowie
Hofava fanden aber heraus, dass alle offenen Strings auf Branen enden
müssen, und die Stringtheorie sagt uns, welche Dimensionen und Eigen­
schaften diese Branen haben.
Einige Branen erstrecken sich in nur drei Dimensionen, andere hinge­
gen in vier oder fünf oder noch mehr. De facto enthält die Stringtheorie
Branen, die sich in j eder Zahl von Dimensionen bis hoch zu neun erstre­
cken. In der Stringtheorie gibt es die Konvention, die Branen anhand der
Anzahl der von ihnen eingenommenen Raumdimensionen zu benennen
- die Zeitdimension wird in diesem Fall nicht mitgezählt. Beispielsweise
ist eine 3-Brane eine, die sich durch drei Raumdimensionen hinzieht
( mithin vier Dimensionen der Raumzeit ) . Wenn wir dazu kommen, wel­
che Konsequenzen Branen für die beobachtbare Welt haben, werden

348
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S S AG E N : B R A N E N - E N T W I C K L U N G

3 - Branen sehr wichtig werden. Für die in diesem Kapitel diskutierten


Anwendungen von Branen werden aber solche mit anderen Zahlen von
Dimensionen ebenfalls eine Rolle spielen.
Aus der Stringtheorie gehen unterschiedliche Typen von Branen her­
vor. Sie unterscheiden sich nicht nur in ihrer Dimensionalität - der An­
zahl von Dimensionen, in denen sie sich erstrecken -, sondern auch
durch ihre Ladungen, ihre Gestalt und ein wichtiges Charakteristikum,
dass man Spannung nennt ( und wozu wir bald kommen ) . Wir wissen
nicht, ob es in der wirklichen Welt Branen gibt, wir kennen aber die Bra­
nentypen, die der Stringtheorie zufolge möglich sind .
Als man erstmals auf Branen kam, waren sie nichts weiter als eine Ku­
riosität. Damals sah niemand einen Grund, Branen zu berücksichtigen,
die wechselwirkten oder sich bewegten. Wenn Strings nur schwach
wechselwirkten, wie die Stringtheoretiker ursprünglich annahmen, wä­
ren D-Branen so straff, dass sie einfach nur da wären und nichts zur Be­
wegung oder zu Interaktionen von Strings beitrügen. Und wenn Branen
nicht auf Strings im Bulk reagierten, dann wären sie nichts weiter als eine
unnötige Komplikation. Sie wären ein Ort oder eine Lokalität, aber sie
wären für die Bewegungen und Wechselwirkungen von Strings nicht
wichtiger, als die Große Mauer in China für unser heutiges Leben ist.
Darüber hinaus wollten die Physiker auch keine Branen in eine physika­
lische Realisierung der Stringtheorie einschließen, weil Branen ihrer in­
tuitiven Vorstellung zuwiderliefen, dass alle Dimensionen gleich sind.
Branen unterscheiden bestimmte Dimensionen - die entlang der Brane
sind anders als j ene, die sich von ihr weg erstrecken -, wohingegen die
bekannte :l Gesetze der Physik alle Richtungen gleich behandeln. Warum
sollte es die Stringtheorie anders halten ?
Wir erwarten von der Physik, dass sie an einem bestimmten Punkt im
Raum dieselbe ist wie an allen anderen. Aber Branen beachten auch
diese Symmetrie nicht. O bwohl sich Branen entlang einiger Dimensio­
nen unendlich weit erstrecken, sind sie in den anderen Richtungen fi­
xiert. Deshalb durchziehen sie nicht den gesamten Raum. Aber in j enen
Richtungen, in denen die Position einer Brane fixiert ist, ist es einen Zen­
timeter von der Brane weg nicht genauso wie einen Meter oder einen Ki­
lometer von ihr entfernt. Stellen Sie sich eine in Parfüm getränkte Brane
vor : Definitiv könnten Sie sagen, ob Sie ihr nahe oder weit davon ent­
fernt sind.
Aus diesen Gründen ignorierten Stringtheoretiker Branen anfangs .
Aber rund fünf Jahre nach ihrer Entdeckung verbesserte sich ihr Anse-

349
VERBORGENE UN IVERSEN

hen bei den Theoretikern drastisch. 1 9 95 veränderte Joe Polehinski un­


widerruflich den Kurs der Stringtheorie, als er zeigte, dass Branen dyna­
mische Obj ekte und ein integraler Bestandteil der Stringtheorie sind so­
wie wahrscheinlich eine entscheidende Rolle bei deren endgültiger For­
mulierung spielen werden. Polehinski erklärte, welche Typen von D-Bra­
nen es in der Superstringtheorie gibt, und zeigte, dass diese Branen eine
Ladung 2 8 tragen und daher wechselwirken.
Darüber hinaus haben die Branen in der Stringtheorie endliche Span­
nung. Die Spannung einer Brane ist vergleichbar mit der eines Trommel­
fells, das in seine gestraffte Position zurückkehrt, nachdem man darauf
geschlagen hat. Wenn eine Brane keine Spannung hat, führt j ede leichte
Berührung zu einem enormen Effekt, weil die Brane keinen Widerstand
leistet. Wenn hingegen die Spannung einer Brane unendlich wäre, käme
es zu gar keinem Effekt, denn sie wäre ein statisches O bj ekt, kein dyna­
misches. Weil die Spannung von Branen endlich ist, können Branen sich
bewegen und fluktuieren und auf Kräfte reagieren wie j edes andere ge­
ladene Objekt.
Die endliche Spannung und die Ladung der Branen verraten uns, dass
sie nicht nur Orte sind, sondern auch Dinge : Ihre Ladung besagt, dass sie
wechselwirken, und die endliche Spannung bedeutet, dass sie sich bewe­
gen. Wie ein Trampolin - eine Oberfläche, die mit ihrer Umgebung inter­
agiert, wenn sie eingedrückt wird und dann wieder zurückfedert - kann
sich auch eine Brane bewegen und wechselwirken. Beispielsweise kann
man sowohl Trampoline als auch Branen verzerren. Und sowohl Tram­
poline als auch Branen können auf ihre Umgebung einwirken : Trampo­
line, indem sie Menschen und Luft beschleunigen, und Branen, indem sie
auf geladene Objekte und das Gravitationsfeld einwirken.
Wenn es im Kosmos Branen gibt, sollte ihre Störung der
Raumzeit-Symmetrie nicht beunruhigender sein als d ie Störung der
räumlichen Symmetrien durch die Sonne oder die Erde. Sonne wie Erde
sind ebenfalls an bestimmten Orten lokalisiert ; im dreidimensionalen
Raum sind nicht alle Positionen, wenn man unter Berücksichtigung der
Sonne oder der Erde misst, dieselben. Dennoch wahren die physikali­
schen Gesetze die Raumzeit-Symmetrien des dreidimensionalen Raums,
auch wenn der Zustand des Universums das nicht tut. Branen werden in
dieser Hinsicht nicht schlimmer als die Sonne oder die Erde. Wie alle
Obj ekte an bestimmten Orten im Raum brechen Branen einige Symme­
trien der Raumzeit.
Denkt man kurz darüber nach, wird klar, dass das gar nicht so

350
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N T W I C K L U N G

schlecht ist. Wenn die Stringtheorie eine zutreffende Beschrei bung der
Natur ist, dann sind schließlich nicht alle Dimensionen gleich. Die drei
vertrauten Raumdimensionen sehen gleich aus, aber die Extradimensio­
nen müssen anders sein ; wären sie das nicht, wären sie ja nicht >> extra << .
Aus Sicht des physikalischen Universums könnte die Störung der Raum­
zeit-Symmetrien erklären helfen, warum Zusatzdimensionen anders
sind : Branen können möglicherweise korrekt die zusätzlichen Dimensio­
nen der Stringtheorie von den drei Raumdimensionen unterscheiden, die
wir kennen und erleben.
In späteren Kapiteln werde ich Branen mit drei Raumdimensionen be­
handeln und einige ihrer potenziell radikalen Implikationen für die wirk­
liche Welt beschreiben. Aber im Rest dieses Kapitels konzentrieren wir
uns darauf, warum Branen für die Stringtheorie so wichtig sind - so be­
deutend sogar, dass sie als Katalysator der >> Zweiten Superstring-Revo­
lution << von 1 995 dienten. Der nächste Abschnitt bringt ein paar Gründe,
warum im vergangenen Jahrzehnt Branen an der vordersten Front der
Stringtheorie blieben und warum wir heute glauben, dass das auch wei­
terhin der Fall sein wird.

Reife Branen und fehlende Teilchen

Während Joe Polehinski vollauf mit der Untersuchung von D-Branen


beschäftigt war, dachte Andy Strominger, damals sein Kollege in Santa
Barbara, über p-Branen nach, faszinierende Lösungen der Ein­
stein'schen Gleichungen. In bestimmten räumlichen Richtungen erstre­
cken sie sich unendlich weit, aber in den verbleibenden Dimensionen
agieren sie wie Schwarze Löcher und fangen Obj ekte ein, die ihnen zu
nahe kommen. D-Branen hingegen sind O berflächen, auf denen offene
Strings enden.
Andy Straminger erzählte mir, wie er und Joe Tag für Tag ihre For­
schungsfortschritte beim Mittagessen diskutierten. Andy redete über
p-Branen, und Joe diskutierte D-Branen. Sie arbeiteten zwar beide mit
Branen, aber wie alle anderen Physiker dachten sie ursprünglich, dass
ihre beiden Branentypen zwei verschiedene Dinge wären. Joe ging
schließlich auf, dass dies nicht der Fall war.
Andy zeigte mit seiner Arbeit, dass die p-Branen, die er untersuchte, in
der Stringtheorie von entscheidender Bedeutung sind, weil sie in einigen
Raumzeit-Geametrien neue Typen von Teilchen entstehen lassen. Selbst

351
VERBORGENE UNIVERSEN

wenn die dem Alltagsverstand zuwiderlaufende und bemerkenswerte


Prämisse der Stringtheorie wahr ist und Teilchen aus Oszillationsmoden
von Strings hervorgehen, sind Stringoszillationen nicht notwendiger­
weise für alle Teilchen verantwortlich. Andy zeigte, dass es zusätzliche
Teilchen geben könnte, die unabhängig von Strings entstehen.
Branen gibt es in verschiedenen Formen und Größen und in unter­
schiedlicher Gestalt. Wir haben uns bislang zwar auf Branen als die Orte
konzentriert, an denen Strings enden, Branen selbst sind aber unabhän­
gige Objekte, die mit ihrer Umgebung wechselwirken können. Andy be­
schäftigte sich mit p- Branen, die sich um eine sehr winzige, aufgerollte
Raumregion wickeln, und er stellte fest, dass diese fest gewickelten Bra­
nen wie Teilchen agieren können. Eine aufgewickelte p-Brane, die sich
wie ein Teilchen verhält, kann man mit einem festgezogenen Lasso ver­
gleichen : Genau wie eine Seilschlaufe winzig wird, wenn man sie fest um
einen Pfosten oder das Horn eines Bullen zieht, kann sich eine Brane eng
um eine kompakte Raumregion legen. Und wenn diese Raumregion win­
zig ist, ist auch die darumgewickelte Brane winzig.
Diese kleinen Branen haben wie die vertrauteren makroskopischen
Obj ekte eine Masse, die mit ihrer Größe zunimmt. Mehr von irgendet­
was ( egal ob Bleirohr oder Staub oder Kirschen ) ist schwerer, und weni­
ger ist leichter. Weil eine um eine winzige Region gewickelte Brane so
klein ist, ist sie auch extrem leicht. Und Andys Berechnungen zeigten,
dass im Extremfall - wenn die Brane so minimal ist, wie man sich nur
vorstellen kann - diese winzige Brane wie ein neues masseloses Teilchen
aussieht. Andys Resultat war insofern entscheidend, als es zeigte, dass
selbst die grundsätzlichste Hypothese der Stringtheorie - dass alles aus
Strings hervorgeht - nicht immer zutrifft. Auch Branen tragen zum Teil­
chenspektrum bei.
Joes bemerkenswerte Beobachtung von 1 9 95 bestand darin, dass diese
neuen Teilchen, die aus winzigen p-Branen hervorgehen, auch mit
D-Branen erklärt werden können. De facto zeigte Joe mit seinem Auf­
satz, der die Relevanz von D-Branen etablierte, dass D-Branen und
p-Branen eigentlich dasselbe waren. Bei Energien, bei denen die String­
theorie dieselben Vorhersagen macht wie die allgemeine Relativitäts­
theorie, gehen D-Branen in p-Branen über. O bwohl es ihnen anfangs gar
nicht klar war, hatten Joe und Andy dieselben Objekte erforscht. Dieses
Ergebnis bedeutete, dass die Signifikanz von D-Branen nicht länger in­
frage stand : Sie waren nicht weniger wichtig als die p-Branen, die zu­
nächst bedeutender erschienen, und diese p-Branen waren für das Teil-

352
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N TW I C K L U N G

chenspektrum der Stringtheorie unerlässlich. Darüber hinaus gibt es eine


wunderbare Möglichkeit, zu verstehen, warum p-Branen den D-Branen
äquivalent sind. Sie basiert auf dem raffinierten und wichtigen Begriff
der Dualität.

Reife Branen und Dualität

Die Dualität zählt zu den aufregendsten Konzepten in der Teilchenphy­


sik und der Stringtheorie der letzten zehn Jahre. Sie hat bei j üngsten Fort­
schritten sowohl in der Quantenfeldtheorie als auch in der Stringtheorie
eine wichtige Rolle gespielt, und wie wir bald sehen werden, ist sie für
Theorien mit Branen besonders wichtig.
Zwei Theorien sind dual, wenn es sich bei ihnen um dieselbe Theorie
mit unterschiedlichen Beschreibungen handelt. 1992 erkannte der indi­
sche Physiker Ashoke Sen als einer der Ersten die Dualität in der String­
theorie. Mit seiner Arbeit, die die Idee der Dualität weiterverfolgte, wel­
che die Physiker Claus Montonen und David Olive ursprünglich 1 977
eingeführt hatten, zeigte er, dass eine bestimmte Theorie genau dieselbe
bleibt, wenn man die Teilchen und Strings der Theorie gegeneinander
austauscht. In den neunziger Jahren wies der in Israel geborene Physiker
Nati Sei berg, damals an der Rutgers University, ebenfalls bemerkens­
werte Dualitäten zwischen unterschiedlichen supersymmetrischen Feld­
theorien mit oberflächlich betrachtet verschiedenen Wechselwirkungen
nach.
Um die Bedeutung der Dualität zu verstehen, hilft es, wenn man ein
wenig darüber weiß, wie Stringtheoretiker im Allgemeinen ihre Berech­
nungen anstellen. Die Vorhersagen der Stringtheorie hängen von der
Spannung des Strings ab. Sie hängen aber auch von dem Wert einer Zahl
ab, die man als Stringkopplung bezeichnet und die die Stärke bestimmt,
mit der Strings wechselwirken. Streifen sie einander nur, was einer
schwachen Kopplung entspricht, oder machen sie hinsichtlich ihres bei­
derseitigen zukünftigen Schicksals gemeinsame Sache, was einer starken
Kopplung entspricht ? Wenn wir den Wert der Stringkopplung wüssten,
könnten wir die Stringtheorie für nur diesen bestimmten Wert untersu­
chen. Aber weil wir den Wert der Stringkopplung noch nicht kennen,
können wir nur die Theorie zu verstehen hoffen, wenn wir Vorhersagen
für alle möglichen Stärken von Stringwechselwirkungen machen. Dann
können wir herausfinden, welche funktioniert.

353
VERBORGENE UN IVERSEN

Das Problem war, dass seit Einführung der Strings die stark gekop­
pelte Theorie nicht zu knacken zu sein schien. In den achtziger Jahren
verstand man nur Stringtheorie mit schwach wechselwirkenden Strings.
( Ich benutze das Adjektiv >> schwach << , um die Stärke von Stringinterak­
tionen zu beschreiben, aber lassen Sie sich nicht in die Irre führen : Dies
hat nichts mit der schwachen Wechselwirkung zu tun . ) Wenn Strings
sehr stark interagieren, ist es enorm schwierig, irgendetwas zu berech­
nen. Genau wie ein lockerer Knoten leichter zu lösen ist als ein fester,
ist eine Theorie mit nur schwachen Wechselwirkungen handhabbarer
als eine mit starken. Wenn Strings sehr stark miteinander agieren, wer­
den sie zu einem verwickelten Durcheinander, das kaum zu entwirren
ist. Physiker haben verschiedene einfallsreiche Ansätze für Berechnun­
gen mit stark wechselwirkenden Strings ausprobiert, aber keine Me­
thode gefunden, die sie mit Erfolg auf die reale Welt anwenden könn­
ten.
De facto sind alle Gebiete der Physik, nicht allein die Stringtheorie,
leichter zu verstehen, wenn die Wechselwirkungen schwach sind. Denn
wenn die schwache Interaktion nur eine kleine Störung oder Änderung
einer lösbaren Theorie ist - in der Regel einer Theorie ohne Wechsel­
wirkungen -, dann kann man mit einer Technik namens Störungstheo­
rie arbeiten. Mit der Störungstheorie kann man sich langsam an die
richtige Antwort auf eine Frage in der schwach wechselwirkenden
Theorie heranarbeiten, indem man von der Theorie ohne Interaktionen
ausgeht und in zunehmenden Schritten kleine Verbesserungen berech­
net. Die Störungstheorie ist eine systematische Prozedur, die einem sagt,
wie man Schritt um Schritt eine Berechnung verbessert, bis man die ge­
wünschte Präzision erreicht hat ( oder müde wird, was immer zuerst
passiert ) .
M i t d e r Störungstheorie sich einer Größe in einer unlösbaren Theorie
anzunähern ist so ähnlich, wie Farbe zu mischen, bis man den gewünsch­
ten Ton hat. Nehmen wir an, Sie wollen ein subtiles Blau mit einem
Hauch Grün bekommen, das der Farbe des Mittelmeers in seinen
schönsten Momenten gleicht. Sie fangen mit Blau an, dann mischen Sie
immer kleinere Mengen Grün hinzu, gelegentlich auch wieder ein biss­
chen mehr Blau, bis Sie ( fast) genau den Farbton getroffen haben, den Sie
haben wollen . Wenn Sie so Ihre Farbe anrühren, kommen Sie Schritt um
Schritt dem gewünschten Ton so nahe, wie Sie wollen . Ähnlich ist die
Störungstheorie eine Methode, sich der richtigen Antwort sehr dicht an­
zunähern, egal welches Problem man gerade untersucht, indem man mit

354
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N TW I C K L U N G

einem Problem beginnt, das man bereits lösen kann, und zunehmend
Fortschritte macht.
Wenn man andererseits versucht, Problemlösungen für eine Theorie
mit starker Kopplung zu finden, ist es eher, als würde man versuchen, ein
Gemälde von Jackson Pollock zu reproduzieren, indem man willkürlich
Farbe vergießt. Jedes Mal, wenn man Farbe hinzugibt, ändert sich das
Bild vollständig. Nach zwölf Durchläufen ist das Gemälde noch nicht
dichter am gewünschten Original als nach acht. Vielmehr deckt man,
wenn man weitere Farbe hinzugießt, wahrscheinlich viel vom vorange­
gangenen Versuch ab, was das Bild so sehr verändert, dass man im
Grunde genommen j edes Mal von vorn beginnt.
Ähnlich nutzlos ist die Störungstheorie, wenn eine lösbare Theorie
von einer starken Wechselwirkung gestört wird. Wie bei vergeblichen
Versuchen, ein modernes Meisterwerk der pinsellosen Malerei zu repro­
duzieren, werden systematische Versuche, sich in einer stark wechselwir­
kenden Theorie einer gesuchten Größe anzunähern, nicht von Erfolg ge­
krönt sein. Die Störungstheorie ist nur dann nützlich - und die Berech­
nungen bleiben nur dann kontrollierbar -, wenn die Interaktionen
schwach sind.
In bestimmten Ausnahmesituationen kann man, selbst wenn die Stö­
rungstheorie nicht weiterhilft, noch immer die qualitativen Eigenschaf­
ten einer stark wechselwirkenden Theorie verstehen. Beispielsweise
könnte die physikalische Beschrei bung eines Systems in groben Zügen
der schwach interagierenden Theorie ähneln, auch wenn die Details
wahrscheinlich ziemlich verschieden davon sind. Öfter j edoch ist es un­
möglich, überhaupt etwas über eine Theorie mit starken Wechselwir­
kungen zu sagen. Selbst die qualitativen Eigenschaften eines stark inter­
agierenden Systems sind oft völlig anders als die eines oberflächlich
ähnlichen, schwach wechselwirkenden Systems.
Folglich kann man zweierlei von einer stark wechselwirkenden zehn­
dimensionalen Stringtheorie erwarten : Man könnte glauben, dass nie­
mand sie lösen kann und dass man überhaupt nichts darüber sagen
kann, oder man könnte erwarten, dass eine stark interagierende zehn­
dimensionale Stringtheorie zumindest in groben Zügen wie die
schwach gekoppelte Stringtheorie aussieht. Paradoxerweise ist in eini­
gen Fällen keine dieser beiden Optionen die richtige. Im Fall eines be­
stimmten Typs von zehndimensionaler Stringtheorie namens IIA ähnelt
der stark wechselwirkende String ganz und gar nicht dem schwach in­
teragierenden. Wir können aber trotzdem seine Konsequenzen untersu-

355
VERBORGENE UN IVERSEN

chen, weil er ein handhabbares System ist, in dem Berechnungen mög­


lich sind.
Bei der >> Strings 95 << , einer im März dieses Jahres an der University of
Southern California veranstalteten Konferenz, verblüffte Edward Wirten
seine Zuhörer, indem er demonstrierte, dass bei niedrigen Energien eine
Version der zehndimensionalen Superstringtheorie mit starker Kopplung
vollständig äquivalent zu einer Theorie ist, die die meisten Leute für et­
was ganz anderes gehalten hätten : zur elfdimensionalen Supergravita­
tion, der elfdimensionalen supersymmetrischen Theorie, die die Gravita­
tion einschließt. Und die Obj ekte in dieser der Supergravitation äquiva­
lenten Theorie wechselwirken schwach, also konnte man mit der Stö­
rungstheorie sinnvoll arbeiten.
Paradoxerweise bedeutete dies, dass man mittels der Störungstheorie
die ursprüngliche stark interagierende, zehndimensionale Superstring­
theorie studieren kann. Dabei wendet man die Störungstheorie nicht auf
die stark wechselwirkende Stringtheorie selbst an, sondern auf eine
oberflächlich völlig andere Theorie : die schwach interagierende, elfdi­
mensionale Supergravitation. Dieses bemerkenswerte Ergebnis, auf das
zuvor schon Paul Townsend von der Cambridge University gekommen
war, bedeutete, dass trotz ihrer unterschiedlichen Verpackung bei nied­
rigen Energien die zehndimensionale Superstringtheorie und die elfdi­
mensionale Gravitation de facto dieselbe Theorie waren. Oder wie Phy­
siker es ausdrücken würden : Sie waren dual.
Wir können die Idee der Dualität mit unserer Farb-Analogie veran­
schaulichen. Nehmen wir an, Sie hätten mit blauer Farbe begonnen und
dann diese durch Hinzufügen von grüner >> gestört << . Eine gute Beschrei­
bung dieser Farbmischung wäre dann : blaue Farbe mit einem Hauch
Grün . Aber nehmen wir nun an, dass das hinzugefügte Grün keine kleine
Störung wa r ; denken wir uns, dass Sie eine enorme Menge grüner Farbe
hinzugetan haben. Wenn diese die Ausgangsmenge an blauer Farbe deut­
lich übersteigt, wäre eine bessere, >> duale << Beschreibung der Mischung :
grüne Farbe mit einem Hauch Blau. Welche Beschreibung eher zutrifft,
hängt völlig von den j eweiligen Mengen der zusammengerührten Farben
ab.
Ähnlich kann eine Theorie eine Beschreibung haben, wenn die Kopp­
lung einer Interaktion klein ist. Wenn aber diese Kopplung hinreichend
groß ist, ist die Störungstheorie in der ursprünglichen Beschreibung
nicht länger sinnvoll . Dennoch kann in bestimmten bemerkenswerten Si­
tuationen die ursprüngliche Theorie volt ständig so umverpackt werden,

356
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S S AG E N : B R A N E N - E N TW I C K L U N G

dass die Störungstheorie Anwendung findet. Das wäre dann die duale
Beschreibung.
Es ist, als würde j emand Ihnen die Zutaten für ein fünfgängiges Menü
liefern. O bwohl Sie alles zur Hand haben, wissen Sie vielleicht dennoch
nicht, wo anfangen. Damit das Menü gelingt, müssen Sie herausfinden,
welche Zutaten für welchen Gang gedacht sind, wie die Gewürze mit
den Lebensmitteln und miteinander interagieren und was wann gekocht
werden muss. Wenn aber ein Caterer dieselben Zutaten vorsortiert und
zubereitet als Salat, Suppe, Vorspeise, Hauptgang und Dessert liefert,
denke ich, dass j eder sie in ein Menü verwandeln könnte. Wenn diesel­
ben Zutaten auf die richtige Weise organisiert sind, wird die Zubereitung
des Essens von einem komplizierten zu einem trivialen Problem. Ge­
nauso funktioniert Dualität in der Stringtheorie. Auch wenn bei starker
Wechselwirkung die zehndimensionale Stringtheorie als völlig unbear­
beitbar erscheint, organisiert die duale Beschrei bung automatisch alles
zu einer Theorie um, auf die die Störungstheorie angewandt werden
kann. In der einen Theorie schwierige Berechnungen werden in der an­
deren handhabbar. Selbst wenn die Kopplung in der einen Theorie zu
groß ist, um die Störungstheorie zu verwenden, ist die Kopplung in der
anderen hinreichend klein, um die Störungsberechnungen durchführen
zu können. Allerdings müssen wir die Dualität erst noch im vollen Um­
fang begreifen. Beispielsweise weiß noch niemand, wie man irgendetwas
berechnen soll, wenn die Stringkopplung weder sehr groß noch sehr
klein ist. Aber wenn die eine Kopplung entweder sehr groß oder sehr
klein ist ( und die andere damit umgekehrt sehr klein oder sehr groß) ,
dann können w i r rechnen.
Die Dualität der stark gekoppelten Superstringtheorie und der
schwach gekoppelten elfdimensionalen Supergravitationstheorie sagt
uns, dass man alles, was man wissen will, in einer stark wechselwirken­
den, zehndimensionalen Superstringtheorie berechnen kann, indem man
die Rechnungen in einer Theorie durchführt, die oberflächlich betrachtet
völlig anders ist. Alles, was die stark wechselwirkende, zehndimensio­
nale Superstringtheorie vorhersagt, kann aus der schwach wechselwir­
kenden, elfdimensionalen Supergravitationstheorie abgeleitet werden.
Und umgekehrt.
Diese Dualität hat die unglaubliche Eigenschaft, dass beide Beschrei­
bungen nur lokale Interak tionen berücksichtigen, also Wechselwir­
kungen von einander nahen Obj ekten. Selbst wenn es in beiden Be­
schreibungen entsprechende Objekte gibt, ist die Dualität nur dann ein

357
VERBORGENE UN IVERSEN

wirklich überraschendes und interessantes Phänomen, wenn es in bei­


den Beschreibungen lokale Interaktionen gibt. Schließlich ist eine Di­
mension mehr als eine Ansammlung von Punkten : Sie ist eine Weise,
Dinge j e nachdem zu organisieren, ob sie nah beieinander oder weit
auseinander sind. Ein Haufen Computermüll könnte alles enthalten,
was ich wissen will, und einer wohlgeordneten Ansammlung von Ord­
nern und Dateien äquivalent sein, aber er wäre keine einfache Beschrei­
bung, solange die Informationen nicht im Zusammenhang mit den rele­
vanten, nachfolgenden Informationen organisiert wären. Die lokalen
Interaktionen in sowohl der zehndimensionalen Superstringtheorie als
auch in der elfdimensionalen Supergravitationstheorie machen die Di­
mensionen in beiden Theorien - und damit die Theorien selbst - sinn­
voll und nützlich.
Die Äquivalenz zwischen zehndimensionaler Superstringtheorie und
elfdimensionaler Supergravitation bestätigten Paul Townsend in Cam­
bridge und Michael Duff, damals bei Texas A&M. Lange Zeit hatten
Stringtheoretiker ihre Arbeit an der elfdimensionalen Supergravitation
abgelehnt und schlechtgemacht - sie konnten nicht verstehen, warum
Duff und Townsend ihre Zeit mit dieser Theorie vergeudeten, da doch
die Stringtheorie so offensichtlich die Physik der Zukunft war. Nach
Wittens Vortrag mussten Stringtheoretiker einräumen, dass die elfdi­
mensionale Supergravitation nicht nur interessant, sondern der String­
theorie äquivalent war !
Wie viel Aufsehen dieses überraschende Ergebnis erregte, wurde mir
klar, als ich mit einem Flugzeug von London heimflog. Ein Mitpassagier,
der sich als Rockmusiker herausstellte, sah, dass ich ein paar physikali­
sche Aufsätze las. Er kam zu mir und fragte, ob das Universum nun zehn
oder elf Dimensionen habe. Ich war ein bisschen überrascht. Aber ich
antwortete und erklärte ihm, dass in gewisser Hinsicht beides richtig ist.
Da die zehn- und die elfdimensionale Theorie äquivalent sind, kann jede
als richtig gelten. Es gibt die Konvention, die Anzahl von Dimensionen
anzugeben, in der eine der beiden Theorien - welche auch immer -
schwach wechselwirkende Strings und damit einen niedrigeren physika­
lischen Wert für die Stringkopplung hat.
Aber im Gegensatz zu den Kopplungen bei den Wechselwirkungen des
Standardmodells, deren Stärke wir messen können, kennen wir die
Größe der Stringkopplung bislang nicht. Sie könnte schwach sein, in
welchem Fall die Störungstheorie direkt angewandt werden kann ; sie
könnte aber auch stark sein, in welchem Fall man besser beraten wäre,

358
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B RA N E N - E N TW I C K L U N G

die Störungstheorie in der dualen Beschreibung anzuwenden. Ohne den


Wert der Stringkopplung zu kennen, haben wir keine Möglichkeit zu
wissen, welche, wenn überhaupt, der beiden Beschreibungen die einfa­
chere Möglichkeit darstellt, die Stringtheorie auf die Welt angewandt zu
beschreiben . *
Und bei der » Strings 9 5 gab e s noch mehr überraschende Dualitäten.
<<

Bis dahin hatten die meisten Stringtheoretiker angenommen, es gäbe


fünf Versionen der Superstringrheorie, alle mit unterschiedlichen Kräften
und Wechselwirkungen. Bei der Konferenz j edoch zeigte Witten (wie zu­
vor schon Townsend und Chris Hull, ein weiterer britischer Physiker) ,
dass es Dualitäten zwischen Paaren von Versionen d e r Superstringtheo­
rie gibt. Und im Verlauf der Jahre 1 9 95 und 1 9 9 6 wiesen Stringtheoreti­
ker nach, dass all diese Versionen von zehndimensionalen Theorien ein­
ander dual waren und darüber hinaus noch dual zur elfdimensionalen
Supergravitation. Wittens Vortrag hatte eine verita ble Dualitätsrevolu­
tion ausgelöst. Dank zusätzlichen Inputs über das Wesen der Branen
konnte gezeigt werden, dass es sich bei den fünf anscheinend verschiede­
nen Superstringtheorien im Grund um dieselbe Theorie in unterschiedli­
chen Verkleidungen handelte.
Weil die verschiedenen Versionen der Stringtheorie faktisch identisch
waren, kam Witten zu dem Schluss, es müsse eine einzige Theorie geben,
die die elfdimensionale Supergravitation und die verschiedenen Manifes­
tationen der Stringtheorie umfasst, ob sie nun nur schwache Wechselwir­
kungen enthalten oder nicht. Diese neue elfdimensionale Theorie nannte
er M-Theorie das ist diej enige, die ich zu Beginn dieses Kapitels er­
-

wähnt habe. Aus der M-Theorie kann man j ede bekannte Version der
Superstringtheorie herleiten. Die M-Theorie erstreckt sich aber auch
über die bekannten Versionen hinaus in Bereiche, die wir erst noch ver­
stehen müssen. Die M-Theorie stellt eine Möglichkeit dar, ein einheitli­
cheres, kohärentes Bild des Superstrings zu liefern und in vollem Umfang
das Potenzial der Stringtheorie zu einer Theorie der Quantengravitation
zu realisieren. Jedoch sind noch weitere Bestandteile oder Anordnungen
nötig, ehe Stringtheoretiker die M-Theorie genügend gut verstehen, um

,. Auch wenn wir die Storungstheorie anwenden können, wenn die Kopplung sehr
schwach ist oder wenn es eine schwach gekoppelte duale Beschreibung einer Theorie
mit starken Wechselwirkungen gibt, haben wir keine Möglichkeit, die Störungstheorie
zu verwenden, wenn die Wechselwirkungsstärke in der Mitte liegt, das heißt bei rund
eins. Das bedeutet, dass wir selbst bei einer dualen Beschreibung keine vollständige
Lösung für die Theorie haben.

359
VERBORGENE UN IVERSEN

diese Ziele zu verfolgen. Wenn die bekannten Versionen der Superstring­


theorie Scherben aus einem archäologischen Schnitt sind, dann ist die
M-Theorie das lange gesuchte, geheimnisvolle Artefakt, zu dem sie sich
zusammensetzen lassen. Noch weiß niemand, wie man die M-Theorie
am besten formuliert. Stringtheoretiker halten dies aber j etzt für ihr
wichtigstes Ziel.

Mehr über Dualität

Dieser Abschnitt erläutert noch ein paar Details zu der speziellen Duali­
tät, die ich oben erwähnt habe : die zwischen zehndimensionaler Super­
stringtheorie und elfdimensionaler Supergravitation. Später werde ich
diese Erläuterungen nicht mehr verwenden, also blättern Sie zum nächs­
ten Kapitel weiter, wenn Ihnen danach ist. Aber da dieses Buch von Di­
mensionen handelt, scheint mir eine Abschweifung über die Dualität
zwischen zwei Theorien mit unterschiedlich vielen Dimensionen nicht
völlig abwegig.
Die Dualität ein bisschen nachvollziehbarer macht vielleicht, dass eine
der beiden Theorien immer stark wechselwirkende O bj ekte enthält. Sind
die Interaktionen stark, kann man kaum direkt die physikalischen lmpli­
kationen der Theorie ableiten. Obwohl es merkwürdig ist, sich vorzu­
stellen, dass eine Theorie mit zehn Dimensionen am besten durch eine
andere, völlig verschiedene elfdimensionale Theorie beschrieben wird,
ist es weniger verblüffend, wenn Sie sich daran erinnern, dass die zehn­
dimensionale Theorie so stark wechselwirkende Obj ekte enthielt, dass
man zunächst gar nicht vorhersagen konnte, was da passierte. Wetten
wurden darauf sowieso nicht angenommen .
Eine Dualität zwischen Theorien m i t unterschiedlich vielen Dimensio­
nen hat dennoch zahlreiche verblüffende Eigenschaften. Und im beson­
deren Fall der Dualität zwischen zehndimensionaler Superstringtheorie
und elfdimensionaler Supergravitation scheint es auf den ersten Blick ein
ganz grundlegendes Problem zu geben. Die zehndimensionale Super­
stringtheorie enthält Strings, die elfdimensionale Supergravitation hinge­
gen nicht. Mit Branen haben Physiker dieses Puzzle gelöst. Zwar enthält
die elfdimensionale Supergravitation keine Strings, aber es gibt in ihr
2-Branen. Während aber Strings nur eine räumliche Dimension haben,
haben 2-Branen zwei ( wie Sie sich vielleicht schon gedacht haben ) . Neh­
men wir nun an, dass eine der elf Dimensionen zu einem extrem winzi-

360
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N T W I C K L U N G

gen Kreis aufgerollt ist. In diesem Fall sieht eine 2-Brane, die die auf­
gerollte Dimension umschließt, genau wie ein String aus. Die zusam­
mengerollte Brane scheint nur eine räumliche Dimension zu haben, wie
Abbildung 69 zeigt. Das bedeutet, dass die elfdimensionale Supergravi­
tationstheorie mit einer aufgerollten Dimension Strings zu enthalten
scheint, auch wenn das die ursprüngliche elfdimensionale Theorie nicht
tat.

Abbildung 6 9 : Eine Brane mit zwei räumlichen Dimensionen, die ganz eng
aufgerollt ist, sieht wie ein String aus.

Das könnte ein wenig wie Mogelei wirken, denn wir haben bereits argu­
mentiert, dass eine Theorie mit einer aufgerollten Dimension immer so
wirkt, als hätte sie bei großen Entfernungen und niedrigen Energien we­
niger Dimensionen ; folglich dürfte es nicht überraschen, dass sich eine
elfdimensionale Theorie mit einer aufgerollten Dimension wie eine zehn­
dimensionale Theorie verhält. Wenn man zeigen will, dass die zehn- und
die elfdimensionale Theorie äquivalent sind, warum reicht es dann aus,
die elfdimensionale Theorie zu untersuchen, wenn eine der Dimensionen
aufgerollt ist ?
Der Schlüssel zur Antwort ist darin zu sehen, dass wir in Kapitel l nur
gezeigt haben, dass eine zusammengerollte Dimension bei großen Ent­
fernungen oder niedrigen Energien unsichtbar ist. Edward Wirten ging
bei der >> Strings 95 weiter. Er demonstrierte die Äquivalenz der zehn­
«

und elfdimensionalen Theorien, indem er zeigte, dass die elfdimensio­


nale Supergravitationstheorie mit einer aufgerollten Dimension vollstän­
dig der zehndimensionalen Superstringtheorie äquivalent ist - selbst bei
kurzen Entfernungen. Wenn eine Dimension aufgerollt ist, kann man

361
VERBORGENE U N I VERSEN

noch immer Punkte an verschiedenen Stellen entlang dieser Dimension


unterscheiden, wenn man nahe genug herangeht. Wirten zeigte, dass an
den dualen Theorien alles äquivalent ist, selbst die Teilchen, die genug
Energie haben, um D istanzen zu sondieren, die kleiner sind als die zu­
sammengerollte Dimension.
Alles an dieser elfdimensionalen Supergravitationstheorie mit einer
aufgerollten Dimension - sogar kurze Entfernungen und hochenergeti­
sche Prozesse und Obj ekte - hat in der zehndimensionalen Superstring­
theorie ein Gegenstück. Darüber hinaus gilt die Dualität für eine mit be­
liebigem Durchmesser aufgerollte Dimension unabhängig von dessen
Größe. Wenn wir weiter vorn eine zusammengerollte Dimension be­
trachteten, argumentierten wir nur, dass eine kleine aufgerollte Dimen­
sion nicht zu bemerken wäre.
Aber wie können Theorien mit unterschiedlich vielen Dimensionen
möglicherweise identisch sein ? Schließlich entspricht die Anzahl der
Raumdimensionen der Anzahl von Koordinaten, die man braucht, um
die Position eines Punkts zu spezifizieren. Die Dualität kann nur richtig
sein, wenn die Superstringtheorie immer eine weitere Zahl braucht, um
punktförmige O bj ekte zu beschreiben.
Der Schlüssel der Dualität liegt darin, dass es in der Superstringtheorie
spezielle neue Teilchen gibt, die man unverwechselbar nur identifizieren
kann, indem man den Wert des Impulses in neun Raumdimensionen und
auch den Wert einer Ladung spezifiziert, wohingegen man bei der elfdi­
mensionalen Supergravitation den Impuls in zehn Raumdimensionen
kennen muss. Man beachte, dass man in dem einen Fall zwar neun Di­
mensionen hat und zehn im anderen, in beiden aber zehn Zahlen spezi­
fizieren muss : neun Werte für den Impuls und einen für die Ladung in
dem einen und zehn Werte für den Impuls in dem anderen Fall.
Gewöhnliche, nicht geladene Strings bilden in der elfdimensionalen
Theorie mit Objekten keine Paare. Weil man elf Zahlen kennen muss,
um ein O bjekt in der Raumzeit der elfdimensionalen Theorie zu lokali­
sieren, haben nur Teilchen mit einer Ladung elfdimensionale Partner.
Und die Partner der Obj ekte in der elfdimensionalen Theorie erweisen
sich als Branen - nämlich geladene, punktförmige Branen, die man
DO-Branen nennt. Stringtheorie und elfdimensionale Supergravitationen
sind dual, weil es für jede DO-Brane gegebener Ladung in der zehndi­
mensionalen Superstringtheorie '' ein entsprechendes Teilchen mit einem

'' Eigentlich handelt es sich dabei um einen gebundenen Zustand von 00-Branen.

362
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N T W I C K L U N G

bestimmten elfdimensionalen Impuls gibt. Und umgekehrt. Die Objekte


der zehn- und elfdimensionalen Theorien (und auch ihre Wechselwir­
kungen) entsprechen einander genau.
Zwar scheint eine Ladung etwas ganz anderes zu sein als ein Impuls in
bestimmter Richtung, aber wenn j edes O bjekt mit einem bestimmten Im­
puls in der elfdimensionalen Theorie zu einem Obj ekt mit einer be­
stimmten Ladung in der zehndimensionalen passt ( und umgekehrt) , ist
es einem freigestellt, ob man diese Zahl nun als Impuls oder als Ladung
betrachtet. Die Anzahl der Dimensionen ist die Anzahl der una bhängi­
gen Richtungen des Impulses - das heißt, die Anzahl der unterschiedli­
chen Richtungen, in die sich ein O bj ekt bewegen kann. Wenn aber der
Impuls entlang einer der Dimensionen durch eine Ladung ersetzt werden
kann, ist die Anzahl der Dimensionen eigentlich gut definiert. Was die
beste Wahl ist, hängt vom Wert der Stringkopplung ab.
Diese erstaunliche Dualität war eine der ersten Analysen, bei denen
sich Branen als hilfreich erwiesen. Branen waren die zusätzlichen Ingre­
dienzien, die man für die unterschiedlichen Stringtheorien brauchte, da­
mit sie zueinander passen. Die entscheidende Eigenschaft stringtheoreti­
scher Branen, die für ihre Anwendung in physikalischen Theorien wichtig
ist, ist darin zu sehen, dass sie Teilchen und Kräfte beherbergen können.
Das nächste Kapitel erklärt, warum das so ist.

Zur Erinnerung:

• Stringtheorie ist eine irreführende Bezeichnung : Eine Stringtheorie


umfasst auch höherdimensionale Branen. D-Branen sind in der Theo­
rie der Branentyp, auf dem offene Strings ( die keine in sich geschlos­
senen Schleifen bilden ) enden müssen.

• Branen spielten bei vielen wichtigen Weiterentwick lungen der String­


theorie im letzten Jahrzehnt eine Rolle.

• Branen waren für die Dualität wichtig, die zeigte, dass oberflächlich
unterschiedliche Versionen der Stringtheorie in Wirklichkeit äquiva­
lent sind.

• Bei niedrigen Energien ist die zehndimensionale Superstringtheorie


der elfdimensionalen Supergravitation dual - einer elfdimensionalen
Theorie, die sowohl Supersymmetrie als auch Gravitation umfasst.
Teilchen in der einen Theorie entsprechen den Branen in der anderen .

363
VERBORGENE U NIVERSEN

• Was in diesem Kapitel über Branen stand, wird später nicht mehr wich­
tig sein . Die geschilderten Resultate erklären j edoch ein Stück weit die
Aufregung, die Branen unter den Stringtheoretikern hervorriefen.

364
16

Belebte Passagen: Branenwelten

Welcome to where times stands sti ll.


No one leaves and no one will.
Willkommen dort, wo die Zeit stil/steht.
Niemand geht fort, und keiner wird es.
Metallica

Ikarus III. war vom Himmel zunehmend enttäuscht. Er hatte eine libe­
rale, nachsichtige Atmosphäre erwartet. Stattdessen waren Glückspiele
verboten, Metallbestecke waren nicht erlaubt, und auch das Rauchen
war nicht länger gestattet. Die einschneidendste Beschränkung von allen
aber war, dass der Himmel an einer Himmelsbrane klebte; seine Bewoh­
ner durften nicht in die fünfte Dimension reisen.
Auf der Himmelsbrane wussten alle von der fünften Dimension und
der Existenz weiterer Branen. Rechtschaffene Himmelsbraner tuschelten
sogar oft über die zwielichtigen Gestalten, die auf einer nicht allzu weit
entfernten Knastbrane abgesondert lebten. Die Knastbraner konnten je­
doch die Verleumdungen nicht hören, die die Himmelsbraner über sie
ausschütteten, also blieb im Bulk und auf den Branen alles friedlich.

Aus Sicht der >> Dualität-Revolution << könnte man meinen, dass Branen
ein großer Segen für diejenigen waren, die versuchten, die Stringtheorie
mit dem sichtbaren Universum in Einklang zu bringen. Wenn all die un­
terschiedlichen Formulierungen der Stringtheorie faktisch ein und die­
selbe waren, standen die Physiker nicht länger vor der entmutigenden
Aufga be, die Regeln zu finden, nach denen die Natur zwischen ihnen
wählt. Günstlingswirtschaft gibt es nicht, wenn all die Stringtheorien in
unterschiedlichen Verkleidungen im Grund dieselbe darstellen.

365
VERBORGENE U N I VERSEN

Doch so nett die Vorstellung auch ist, dass wir näher an einer Verbin­
dung zwischen Stringtheorie und Standardmodell sind, ist die Aufgabe
nicht so einfach. Auch wenn Branen einen entscheidenden Beitrag zu den
Dualitäten leisteten, die die Anzahl unterschiedlicher Manifestationen
der Stringtheorie reduzierten, erhöhten sie faktisch die Anzahl von Mög­
lichkeiten, wie das Standardmodell daraus hervorgehen könnte . Der
Grund dafür ist, dass Branen Teilchen und Kräfte beherbergen können,
die die Stringtheoretiker nicht berücksichtigten, als sie die ursprüngliche
Stringtheorie ausarbeiteten. Wegen der vielen Möglichkeiten, was für
Branentypen es gibt und wo sie im höherdimensionalen Raum der
Stringtheorie lokalisiert sind, kann man sich viele neue Wege zur Reali­
sierung des Standardmodells in der Stringtheorie vorstellen, an die zuvor
niemand gedacht hatte. Die Kräfte des Standardmodells gehen nicht not­
wendigerweise aus einem fundamentalen String hervor : Sie könnten
stattdessen neue Kräfte sein, die auf Strings zurückgehen, welche sich
zwischen unterschiedlichen Branen erstrecken. Auch wenn Dualitäten
uns sagen, dass die ursprünglichen fünf Versionen der Superstringtheorie
äquivalent sind, ist die Anzahl von in der Stringtheorie vorstellbaren
Branenwelten gewaltig.
Es sah danach aus, als wäre es schwerer denn je zuvor, einen einzi­
gen Standardmodell-Kandidaten zu finden. Diese Erkenntnis dämpfte
die Euphorie der Stringtheoretiker hinsichtlich der Dualität. Anderer­
seits schwebten diejenigen Kollegen, die nach neuen Erkenntnissen in
der beobachtbaren Physik suchten, im Himmel : Mit der neuen Mög­
lichkeit, dass Kräfte und Teilchen auf Branen beschränkt waren, war es
für uns an der Zeit, den Ausgangspunkt der Teilchenphysik zu über­
denken.
Die für ihre potenziell beobachtbaren Anwendungen entscheidende
Eigenschaft von Branen ist, dass sie Teilchen und Kräfte gefangen halten
können. Dieses Kapitel hat das Ziel, Ihnen eine Vorstellung zu vermit­
teln, wie das funktioniert. Wir beginnen mit einer Erklärung, warum die
Branen der Stringtheorie Teilchen und Kräfte festhalten. Wir werden die
Idee der Branenwelt und die erste bekannte Branenwelt, die aus der Dua­
lität und Stringtheorie abgeleitet wurde, in Augenschein nehmen. In den
anschließenden Kapiteln kommen wir dann zu jenen Aspekten der Bra­
nenwelten und ihren potenziellen physikalischen Anwendungen, die ich
am aufregendsten finde.

366
B E L E B T E PA S SAG E N : B R A N E N W E LT E N

Teilchen und Strings und Branen

Ruth Gregory, Spezialistin für allgemeine Relativitätstheorie an der D ur­


harn University, drückt es so aus, dass Branen in der Stringtheorie mit
Tei lchen und Kräften >> voll beladen << sind. Das heißt, bestimmte Branen
haben immer Teilchen und Kräfte, die auf ihnen gefangen sind. Wie ans
Haus gebundene Katzen niemals Ausflüge j enseits der Wände ihres Do­
mizils machen, verlassen auf Branen beschränkte Teilchen diese nie. Sie
können es nicht. Ihre Existenz basiert auf dem Vorhandensein der Bra­
nen. Wenn sie sich bewegen, dann nur entlang der Raumdimensionen
der Brane ; und wenn sie wechselwirken, dann nur innerhalb der Raum­
dimensionen, die die Brane durchmisst. Aus der Sicht der an eine Brane
gebundenen Teilchen hätte die Welt nur die Dimensionen der Brane,
wenn es nicht die Gravitation oder Teilchen im Bulk gäbe, mit denen sie
interagieren könnten.
Sehen wir uns nun an, wie die Stringtheorie Teilchen und Kräfte auf
Branen beschränken kann. Stellen Sie sich vor, dass es nur eine einzige
D-Brane gibt, die irgendwo in einem höherdimensionalen Universum
hängt. Weil per Definition beide Enden eines offenen Strings auf einer
einzelnen D-Brane enden müssen, wäre diese D-Brane der Ort, an dem
alle offenen Strings beginnen und enden. Die Enden aller offenen Strings
müssten sich nicht an einer bestimmten Stelle befinden, sie könnten ir­
gendwo auf der Brane liegen. Wie Eisenbahngleise, die die Räder führen,
sie aber rollen lassen, fungieren die Branen wie fixierte Oberflächen, auf
die die Enden der Strings beschränkt sind, wobei diese sich aber dennoch
bewegen können.
Weil die Vibrationsmoden offener Strings Teilchen sind, sind die Mo­
den eines offenen Strings mit beiden Enden auf einer Brane Teilchen, die
auf diese Brane beschränkt sind. Diese Teilchen können nur innerhalb
der von der Brane durchmessenen Dimensionen sich bewegen und inte­
ragieren.
Nun ist eines dieser aus einem an eine Brane gebundenen String her­
vorgegangenen Teilchen ein Eichboson, das eine Wechselwirkung ver­
mitteln kann. Wir wissen das, weil es den Spin eines Eichbosons hat ( der
1 beträgt) und weil es genauso wechselwirkt, wie das ein Eichboson tun
sollte. Solch ein an eine Brane gebundenes Eichboson vermittelt eine
Kraft, die auf andere an die Brane gebundene Teilchen einwirkt, und Be­
rechnungen zeigen, dass die Teilchen, bei denen die Kraft ankommt, mit
dieser Kraft geladen sind. Faktisch verhalten sich die Endpunkte aller

367
VERBORGENE UNIVERSEN

Strings auf der Brane wie ein geladenes Teilchen. Das Vorhandensein der
an die Brane gebundenen Kraft und diese geladenen Teilchen sagen uns,
dass eine D-Brane der Stringtheorie mit geladenen Teilchen und einer auf
sie einwirkenden Kraft >> belade n << ist.
Bei Szenarios mit mehr als einer Brane gibt es mehr Kräfte und mehr
geladene Teilchen. Nehmen wir beispielsweise an, wir hätten zwei Bra­
nen. In diesem Fall gäbe es zusätzlich zu den auf j eweils eine der Branen
beschränkten Teilchen einen neuen Teilchentyp, der von Strings her­
rührt, deren Enden sich auf den unterschiedlichen Branen befinden
( siehe Abbildung 70 ) .

A b bildung 70 : Ein String, der auf einer einzigen Brane beginnt und endet,
kann ein Eichboson hervorbringen. Ein String, dessen beide Enden auf un­
terschiedlichen Branen liegen, lässt einen neuen Typ von Eichboson entste­
hen. Wenn die B ranen getrennt sind, hat das Eichboson eine Masse größer als
null.

Wenn die beiden Branen räumlich voneinander getrennt sind und der
String sich von der einen zur anderen erstreckt, sind die dazugehörigen
Teilchen schwer. Die Masse der aus den Vibrationsmoden dieses Strings
hervorgehenden Teilchen wächst mit der Entfernung zwischen den Bra­
nen. Diese Masse ist wie die Energie, die gespeichert wird, wenn man
eine Spiralfeder auseinander zieht - j e mehr sie gestreckt wird, desto
mehr Energie enthält sie. Ähnlich hat das leichteste Teilchen, das aus
einem zwischen zwei Branen gestreckten String hervorgeht, eine Masse,
die proportional zum Abstand der Branen zunimmt.
Ist jedoch eine Sprungfeder in Ruhe und entspannt, so ist in ihr keine
Energie gespeichert. Ähnlich ist es, wenn die beiden Branen nicht ge­
trennt sind - das heißt, wenn sie sich am selben Ort befinden ; dann ist
das leichteste Teilchen, das aus dem String mit je einem Ende auf einer
Brane hervorgeht, masselos.
Nehmen wir nun an, dass die beiden Branen sich decken, sodass sie ein

368
B E L E B T E PA S S AG E N : B R A N E N W E L T E N

paar masselose Teilchen produzieren. Eines davon wäre ein Eichboson ­


nicht eines der Eichbosonen, die aus Strings mit beiden Enden auf der­
selben Brane hervorgehen, sondern ein davon verschiedenes, neues. Die­
ses neue masselose Eichboson, das nur entsteht, wenn Branen überein­
stimmen, vermittelt eine Wechselwirkung, die auf Teilchen auf entweder
einer oder auf beiden Branen einwirkt. Darüber hinaus hängen wie bei
allen anderen Wechselwirkungen die Kräfte auf der Brane mit einer Sym­
metrie zusammen. In diesem Fall wäre die Symmetrietransformation die­
jenige, die die beiden Bra nen gegeneinander austauscht.29
Wenn natürlich die beiden Branen wirklich am selben Ort wären,
könnten Sie es ein bisschen merkwürdig finden, dass sie als zwei ver­
schiedene O bj ekte verstanden werden. Und Sie hätten Recht: Wenn zwei
Branen an derselben Stelle sind, könnte man sie sich genauso gut als eine
einzige vorstellen. Diese neue Brane gibt es in der Stringtheorie tatsäch­
lich. Insgeheim besteht sie aus zwei sich deckenden Branen, und sie hat
die Eigenschaften j ener beiden Branen ; sie beherbergt all die unter­
schiedlichen Typen von Teilchen, die wir oben diskutiert haben : diejeni­
gen Teilchen, die aus offenen Strings entstehen, welche j eweils auf den
beiden Branen in der ursprünglichen 2-Branen-Beschrei bung enden, und
auch die Strings, deren beide Enden sich auf einer einzigen Brane befin­
den.
Jetzt stellen wir uns vor, dass sich viele Branen überlagern. Dann gäbe
es viele neue Typen von offenen Strings, weil die zwei Stringenden auf
jede der Branen beschränkt sein könnten ( siehe Abbildung 71 ) . Offene
Strings, die sich zwischen unterschiedlichen Branen erstrecken, oder sol­
che Strings, die j eweils auf einer einzigen dieser Branen beginnen und en­
den, bedeuten neue Teilchen, die aus den Vi brationsmoden dieser Strings
bestehen. Wiederum umfassen diese neuen Teilchen auch neue Typen

Abbildung 71 : A lle Strings, die entweder auf derselben Brane beginnen und
enden oder die sich zwischen B ranen erstrecken, lassen Eichbosonen entste­
hen. Wenn die Branen sich decken, gibt es neue masselose Eichbosonen, die
jeweils der A rt und Weise entsprechen, wie ein String auf jeder der überein­
stimmenden B ranen beginnen und enden kann.

369
VERBORGENE UNIVERSEN

von Eichbosonen un J neue Typen von geladenen Teilchen. Und wieder­


um hängen die neued Kräfte mit neuen Symmetrien zusamme n, die die
diversen sich überlage rnden Branen gegeneinander austauschen.
Branen sind also in der Tat mit Kräften und Teilchen » beladen << ; viele
Branen bedeuten zah ,reiche Möglichkeiten. Darüber hinaus kann es zu
noch kompliziertere� Verhältnissen mit separaten Stapeln von Branen
kommen. An unterscJ:l iedlichen Orten lokalisierte Branen können völlig
unabhängige Teilcher1 und Kräfte tragen. Die Teilchen und Kräfte, die
auf eine Gruppe von Branen beschränkt sind, unterscheiden sich völlig
von den Teilchen un d Kräften einer anderen.
Wenn beispielswei� e die Teilchen, aus denen wir bestehen, samt dem
Elektromagnetismus :;die auf eine Brane beschränkt sind, würden wir die
elektromagnetische I( raft wahrnehmen. Teilchen, die auf entfernte Bra­
nen beschränkt sind, würden das j edoch nicht; diese fremden Teilchen
wären für den Elektrt> magnetismus unempfänglich. Andererseits könn­
ten Teilchen einer en t fernten Brane neuartige Kräfte wahrnehmen, für
die wir vollkommen v nempfänglich sind.
Ein wichtiges Mer l< mal eines solchen Szenarios, das später wichtig
werden wird, besteht darin, dass Teilchen auf separaten Branen nicht di­
rekt miteinander wec h selwirken. Die Interaktionen sind lokal : Sie kön­
nen nur zwischen Teil chen am selben Ort stattfinden. Teilchen auf sepa­
raten Branen wären ;t: u weit voneina nder entfernt, um miteinander di­
rekt zu wechselwirkefl .
Das Bulk, den um fa ssenden höherdi mensionalen Raum, könnten Sie
mit einer riesigen TenP isanlage vergleichen, in der fortwährend verschie­
dene Matches zugleic h gespielt werden. Auf j edem Platz fliegt der Ball
über das Netz hin un O her und kann sich auf diesem Platz überallhin be­
wegen. Doch j edes M atch schreitet unabhängig von den anderen voran,
und jeder Ball bleibt 61U f seinem eigenen, isolierten Platz. Genau wie der
Ball auf einem bestim m ten Platz dort bleibt und nur die zwei Tennisspie­
ler auf diesem Platz a n ihn herankön nen, wechsel wirken auf Branen be­
grenzte Eichbosonen o der andere Teilchen nur mit Obj ekten auf ihrer ei­
genen Brane.
Jedoch können Teil chen auf separaten Branen miteinander kommuni­
zieren, wenn es Teileb en und Kräfte gibt, die sich frei durch das Bulk be­
wegen können. Solche Bulk-Teilchen können ungehindert eine Brane be­
treten und sie wieder v erlassen. Gelegentlich wechselwirken sie vielleicht
mit Teilchen auf ein er Brane, aber sie können sich auch frei im umfas­
senderen, höherdime fl sionalen Raum bewegen.

370
B E L E B T E PA S SAG E N : B R A N E N W E LT E N

Ein Szenario mit separaten Branen und Bulk-Teilchen, die zwischen


ihnen vermitteln, wäre wie eine Tennisanlage mit simultanen, aber sepa­
raten Matches, die von Leuten gespielt werden, die denselben Trainer
haben. Der Trainer will wahrscheinlich mehrere Spiele zugleich im Auge
behalten, und so geht er von einem Platz zum anderen . Wenn ein Spieler
etwas einem anderen Spieler auf einem anderen Platz mitteilen will, kann
er das dem Trainer sagen, der die Nachricht hinüberbringt. Während
ihrer Matches kommunizieren die Spieler nicht direkt, aber sie können
sich trotzdem mittels einer Person, die sich zwischen ihren j eweiligen
Plätzen hin und her bewegt, miteinander verständigen. Ähnlich könnten
Bulk-Teilchen mit Teilchen auf der einen Brane wechselwirken und an­
schließend mit Teilchen auf einer entfernten, was es den auf j eweils sepa­
rate Branen beschränkten Teilchen ermöglichen würde, indirekt zu kom­
muniZieren.
Im nächsten Abschnitt werden wir sehen, dass das Graviton, das die
Schwerkraft vermittelt, ein solches Bulk-Teilchen ist. In einem höherdi­
mensionalen Szenario kann es sich durch den höherdimensionalen
Raum bewegen und überall mit allen paar Teilchen wechselwirken, ob
sie sich nun auf einer Brane befinden oder nicht.

Gravitation : A bermals anders

Im Gegensatz zu allen anderen Wechselwirkungen ist die Gravitation


niemals auf eine Brane beschränkt. An Branen gebundene Eichbosonen
und Fermionen sind die Folge von offenen Strings, in der Stringtheorie
aber ist das Graviton - das Teilchen, das die Schwerkraft vermittelt - ein
Mode eines geschlossenen Strings. Geschlossene Strings haben keine En­
den, und daher hängen sie auch niemals mit irgendwelchen Enden auf
einer Brane fest.
Teilchen, die aus den Vi brationsmoden geschlossener Strings resultie­
ren, haben einen uneingeschränkten Frei brief, im umfassenden höher­
dimensionalen Bulk umherzuwandern. Die Schwerkraft - von der wir
wissen, dass sie vom Teilchen eines geschlossenen Strings vermittelt
wird - nimmt folglich unter den anderen Wechselwirkungen wieder ein­
mal eine Sonderstellung ein. Im Gegensatz zu Eichbosonen oder Fermio­
nen muss das Graviton sich durch die gesamte höherdimensionale
Raumzeit bewegen. Es gibt keine Möglichkeit, die Gravitation auf weni­
ger Dimensionen zu beschränken. In späteren Kapiteln werden wir se-

371
VERBORGENE UNIVERSEN

h e n , d a s s erstaunlicherweise die Gravitation n a h e einer Brane lokalisiert


werden kann. Aber man kann nie die Gravitation wirklich auf eine Brane
beschränken.
Das bedeutet, dass Branenwelten zwar die meisten Teilchen und
Kräfte auf Branen einsperren, aber niemals die Gravitation einschränken
können. Das ist eine nette Eigenschaft. Sie sagt uns, dass zu Branenwel­
ten immer höherdimensionale Physik gehört, selbst wenn das gesamte
Standardmodell auf einer vierdimensionalen Brane festsitzt. Wenn es
eine Branenwelt gibt, wird alles darin mit der Gravitation interagieren,
und diese wird überall im unfassenden, höherdimensionalen Raum
wahrgenommen. Wir werden bald sehen, dass dieser wichtige Unter­
schied zwischen der Gravitation und den anderen Wechselwirkungen er­
klären helfen kann, warum die Gravitation so viel schwächer ist als die
anderen bekannten Kräfte.

Modell-Branenwelten

Sehr bald nachdem man die Bedeutung von Branen für die Stringtheorie
erkannt hatte, wurden sie zum Gegenstand intensiver Forschung. Vor al­
lem brannten die Kollegen darauf, ihre mögliche Bedeutung für die Teil­
chenphysik und unsere Vorstellung vom Universum herauszufinden. Bis­
lang sagt uns die Stringtheorie nicht, ob es im Universum Branen gibt
und, wenn ja, wie viele es sind. Wir wissen nur, dass Branen ein wesent­
licher theoretischer Bestandteil der Stringtheorie sind, ohne die sie nicht
funktionieren würde. Da wir jetzt aber wissen, dass Branen Teil der
Stringtheorie sind, haben wir auch zu fragen begonnen, ob es sie in der
wirklichen Welt geben könnte. Und wenn das der Fall ist, was sind dann
die Konsequenzen ?
Die potenzielle Existenz von Branen eröffnet viele neue Möglichkei­
ten für den Aufbau des Universums, und einige davon könnten sogar
für die physischen Eigenschaften der von uns beobachteten Materie von
Bedeutung sein. Die Stringtheoretikerin Amanda Peer warf ein, als sie
Ruth Gregorys Ausdruck >> voll beladene << Branen vernommen hatte,
dass Branen >> das Feld des stringbasierten Modellbaus aufgesprengt <<
hätten. Von 1 9 95 an wurden Branen zu einem neuen Werkzeug der Mo­
dellbauer.
Gegen Ende der neunziger Jahre erweiterten viele Physiker, darunter
auch ich selbst, ihren Horizont um die Möglichkeit von Branen. Wir

3 72
B E L E B T E PA S S AG E N : B R A N E N W E LT E N

fragten uns : >> Was wäre, wenn es ein höherdimensionales Universum


gäbe, in dem die uns bekannten Teilchen und Wechselwirkungen sich
nicht in allen Dimensionen bewegen, sondern auf weniger Dimensionen
in Form einer niederdimensionalen Brane beschränkt sind ? <<
Szenarios mit Branen führten viele neue Möglichkeiten für die umfas­
sende Natur der Raumzeit ein. Wenn die Teilchen des Standardmodells
auf eine Brane beschränkt sind, dann sind wir das auch, weil wir und der
Kosmos um uns herum aus diesen Teilchen bestehen. Darüber hina us
müssen nicht alle Teilchen auf derselben Branc sein. Es könnte daher völ­
lig neue und unvertraute Teilchen geben, die Kräften und Wechselwir­
kungen unterliegen, die völlig anders sind als die uns bekannten. Die von
uns beobachteten Teilchen und Kräfte könnten nur ein kleiner Teil eines
viel größeren Universums sein. Zwei Physiker von Cornell, Henry Tye
und Zurab Kakushadze, prägten den Ausdruck >> Branenwelte n << für sol­
che Szenarios. Henry erzählte mir, er habe den Ausdruck dazu verwen­
det, um auf einen Streich all die vielen Möglichkeiten zu beschrei ben,
wie das Ur:iversum Branen umfassen könnte, ohne davon an eine be­
stimmte Möglichkeit gebunden zu sein.
Die starke Vermehrung von potenziellen Branenwelten mag für String­
theoretiker frustrierend sein, die versuchen, eine einzige Theorie der
Welt abzuleiten, aber sie ist auch aufregend. Sie alle sind reale Möglich­
keiten für die Welt, in der wir leben, und eine von ihnen mag sie zutref­
fend beschreiben. Und weil in einem Universum mit mehr Dimensionen,
als Teilchenphysiker bislang angenommen haben, auch die Regeln der
Teilchenphysik etwas andere sein würden, bringen zusätzliche Dimensio­
nen auch neue Möglichkeiten mit sich, wie man einige der rätselhaften
Eigenschaften des Standardmodells angehen könnte. Solche Vorstellun­
gen sind zwar spekulativ, aber Branenwelten, die Probleme der Teilchen­
physik lösen, müssten bald bei Experimenten mit Collidern überprüfbar
sein. Das bedeutet, dass Experimente, nicht unsere Voreingenommen­
heit, letztlich darüber entscheiden könnten, ob diese Vorstellungen auf
unsere Welt übertragbar sind.
Wir werden bald ein paar dieser neuen Branenwelten untersuchen.
Wir werden fragen, wie sie aussehen könnten und was ihre Konsequen­
zen sein mögen. Wir werden uns nicht auf Branenwelten beschränken,
die explizit aus der Stringtheorie abgeleitet sind, sondern Modell-Bra­
nenwelten betrachten, die bereits neue Ideen in die Teilchenphysik ein­
gebracht haben. Physiker sind so weit davon entfernt, die Implika­
tionen der Stringtheorie zu verstehen, dass es voreilig wäre, Modelle

373
VERBORGENE UNIVERSEN

auszuschließen, n u r w e i l noch niemand ein stringtheoretisches Beispiel


mit einer bestimmten Anordnung von Teilchen oder Kräften oder einer
bestimmten Energieverteilung gefunden hat. Man sollte sich diese Bra­
nenwelten als Ziele für die stringtheoretische Forschung vorstellen. De
facto wurde das verzerrte Hierarchiemodell, von dem ich in Kapi­
tel 20 berichten werde, erst aus der Stringtheorie abgeleitet, nachdem
Raman Sundrum und ich es als eine mögliche Branenwelt eingeführt
hatten.
In den folgenden Kapiteln werden mehrere unterschiedliche Branen­
welten präsentiert. Jede wird ein völlig neues physikalisches Phänomen
illustrieren. Das erste wird zeigen, wie Branenwelten dem anarchischen
Prinzip entgehen können ; das zweite, dass Dimensionen viel größer sein
können, als wir zuvor dachten ; das dritte, dass die Raumzeit so ge­
krümmt sein kann, dass wir von Objekten erwarten würden, dass sie un­
terschiedliche Größen und Massen haben ; und die letzten beiden werden
zeigen, dass sogar unendliche Zusatzdimensionen unsichtbar sein kön­
nen, wenn die Raumzeit gekrümmt ist, und dass die Raumzeit selbst
möglicherweise an unterschiedlichen Stellen verschiedene Dimensionen
haben könnte.
Ich präsentiere mehrere Modelle, weil sie alle reale Möglichkeiten dar­
stellen. Genauso wichtig aber ist, dass jedes von ihnen irgendein neues
Merkmal enthält, das Physiker bis vor kurzem für unmöglich gehalten
haben. Am Ende des j eweiligen Kapitels werde ich zusammenfassen,
welche Bedeutung das behandelte Modell hat und wie es konventionel­
len Überzeugungen zuwiderläuft. Entscheiden Sie selbst, ob Sie diese mit
fetten Punkten versehenen Zusammenfassungen zuerst lesen, um sich ein
Gesamtbild zu verschaffen ; es sind kurze Resümees der Bedeutung des
im jeweiligen Kapitel erklärten Modells.
Aber ehe wir zu diesen Branenwelten kommen, will ich noch kurz die
erste bekannte Branenwelt präsentieren - die direkt aus der Stringtheorie
abgeleitet wurde. Petr Hofava und Edward Wirten stießen im Lauf ihrer
Erforschung der stringtheoretischen Dualität auf diese Branenwelt - na­
mens HW '' , nach ihren Anfangsbuchstaben. Ich stelle dieses Modell
>>

nicht nur vor, weil es an und für sich interessant ist, sondern weil es auch
mehrere Eigenschaften hat, die die der anderen Branenwelten vorweg­
nehmen, denen wir bald begegnen werden.

3 74
B E L E B T E PA S S AG E N : B R A N E N W E LT E N

Die Hofava-Witten-Theorie

Die HW-Branenwelt ist in Abbildung 72 dargestellt. Es ist eine elfdimen­


sionale Welt mit zwei parallelen Branen, die beide j e neun räumliche
Dimensionen haben und einen Bulk-Raum begrenzen, der zehn Raum­
dimensionen hat ( beziehungsweise elf einschließlich der Zeit) . Das HW­
Universum war die ursprüngliche Branenwelt-Theorie; in HW beher­
bergen die beiden Branen j eweils unterschiedliche Anordnungen von
Teilchen und Kräften.

Die Wechselwirkungen auf den beiden Branen sind dieselben wie j ene
des heterotischen Strings, der in Kapitel 14 vorgestellt wurde ; das war
die Theorie von David Gross, Jeff Harvey, Emil Martinec und Ryan
Rohm, in der Oszillationen unterschiedlich interagierten, je nachdem,
ob sie sich entlang des Strings nach links oder nach rechts ausbreiteten.
Die eine Hälfte j ener Wechselwirkungen ist auf eine der zwei Grenzbra­
nen beschränkt und die andere Hälfte auf die andere. Auf jeder der bei­
den Branen gibt es genügend Kräfte und Teilchen, dass j ede von ihnen
möglicherweise alle Teilchen des Standardmodells ( und damit uns) be­
herbergen könnte. Hoi'ava und Wirten nahmen an, dass die Teilchen und

/
//
�/;;�
/--/
-c:;;·s-'

A bbildung 72 : Schematische Darstellung der Branenwelt von Hofava und


Witten. Zwei Branen mit neun Raumdimensionen (schematisch als zweidi­
mensionale Branen dargestellt) sind entlang der elften D imension der Raum­
zeit (der zehnten Raumdimension) voneinander getrennt. Das Bulk umfasst
alle räumlichen Dimensionen : die neun, die sich in den räumlichen Richtun­
gen entlang der zwei Branen erstrecken, und die eine zusätzliche, die zwi­
schen ihnen verläuft.

3 75
VERBORGENE UNIVERSEN

Kräfte des Standardmodells auf einer der beiden Branen residieren, wäh­
rend Gravitation und andere Teilchen, die Teil der Theorie sind, aber in
unserer Welt noch nicht beobachtet wurden, sich auf der anderen Brane
oder von den Branen weg frei im umfassenden elfdimensionalen Bulk be­
wegen können.
Faktisch hatte die HW-Branenwelt nicht nur dieselben Wechselwir­
kungen wie der heterotische String - sie w a r der heterotische String,
wenn auch mit starker Stringkopplung. Das ist ein weiteres Beispiel für
Dualität. In diesem Fall ist eine elfdimensionale Theorie mit zwei Bra­
nen, die die elfte Dimension begrenzen (die zehnte Raumdimension ) ,
einem zehndimensionalen heterotischen String dual. D a s soll heißen,
wenn die Interaktionen des heterotischen Strings sehr stark sind, lässt
sich die Theorie am besten als elfdimensionale Theorie mit zwei Grenz­
branen und neun Raumdimensionen beschreiben. Das ähnelt der Duali­
tät zwischen zehndimensionaler Superstringtheorie und elfdimensiona­
ler Supergravitation, die im vorangegangenen Kapitel diskutiert wurde.
In unserem momentanen Beispiel j edoch ist die elfte Dimension nicht
aufgerollt, sondern erstreckt sich stattdessen zwischen zwei Grenzbra­
nen. Wiederum kann eine elfdimensionale Theorie einer zehndimensio­
nalen äquivalent sein, allerdings nur, wenn die eine Theorie starke Wech­
selwirkungen und die andere schwache hat.
Selbst wenn die Teilchen des Standardmodells auf eine Brane beschränkt
sind, hätte die Theorie noch immer mehr Dimensionen, als wir um uns
herum sehen. Wenn die Hofava-Witten-Branenwelt der Realität ent­
spricht, müssen sechs ihrer Dimensionen unsichtbar sein. Hofava und
Wirten nahmen an, dass sechs Dimensionen zu einem winzigen Calabi­
Yau-Gebilde aufgerollt seien.
Wenn erst einmal sechs Dimensionen aufgerollt sind, kann man sich
das HW-Universum als eine fünfdimensionale effektive Theorie mit vier­
dimensionalen Grenzbranen denken. Diese Vorstellung eines fünfdimen­
sionalen Universums mit zwei Grenzbranen ist interessant, und viele
Physiker haben sie untersucht. Raman und ich wandten dabei einige der
Techniken an, die die beiden Physiker Burt Ovrut und Dan Waldram bei
der Untersuchung der effektiven HW-Theorie im Vergleich zu den unter­
schiedlichen fünfdimensionalen Theorien verwendeten, die ich in den
Kapiteln 2 0 und 22 diskutieren werde.
Ein faszinierendes Element der Horava-Witten-Branenwelt ist, dass sie
nicht nur die Teilchen und Wechselwirkungen des Standardmodells un­
terbringen kann, sondern auch eine umfassende vereinheitlichte Theorie .

3 76
B E L E B T E PA S S AG E N : B R A N E NW E L T E N

Und weil die Schwerkraft in höheren Dimensionen ihren Ursprung hat,


ist es in diesem Modell möglich, dass die Gravitation und die anderen
Kräfte bei hoher Energie gleich stark sind.
Die HW-Branenwelt veranschaulicht drei Gründe, warum Branenwel­
ten für die Physik der realen Welt wichtig sein könnten.
Erstens umfasst sie mehr als nur eine Brane. Das bedeutet, sie kann
Kräfte und Teilchen enthalten, die wegen der Entfernung zwischen den
beiden Branen, an die diese gebunden sind, nur schwach wechselwirken.
Auf verschiedene Branen beschränkte Teilchen können einzig und allein
durch eine gemeinsame Wechselwirkung mit Bulk-Teilchen kommunizie­
ren. Diese Eigenschaft wird bei den Modellen mit Absonderung wichtig,
die wir uns im nächsten Kapitel ansehen werden.
Zweitens führt j ede Branenwelt neue Längenskalen in die Physik ein.
Diese neuen Skalen - beispielsweise die Größe der zusätzlichen Dimen­
sionen - können für die Vereinheitlichung oder für das Hierarchiepro­
blem relevant sein. In diesen beiden Theorien drehen sich die Probleme
um die Frage, warum es sehr unterschiedliche Energie- und Massenska­
len in ein und derselben Theorie geben sollte und warum Quanteneffekte
nicht dazu tendieren, die beiden auszugleichen.
Drittens können Branen und das Bulk Energie tragen. Diese Energie
kann von den Branen und vom höherdimensionalen Bulk gespeichert
werden ; das hängt nicht davon ab, ob Teilchen anwesend sind. Wie alle
Formen von Energie krümmt sie die Bulk-Raumzeit. Wir werden bald se­
hen, dass die Krümmung der Raumzeit durch Energie, die sich überall im
Raum verteilt, für Branenwelten sehr wichtig sein kann.
Die HW-Branenwelt hat mit Sicherheit viele spannende Eigenschaften.
Aber sie leidet auch unter den Problemen, die alle Realisierungen der
Stringtheorie damit zu haben scheinen, die bekannte Physik zu reprodu­
zieren. Die Hofava-Witten-Theorie ist experimentell sehr schwierig zu
überprüfen, weil ihre Dimensionen so klein sind. Die vielen nicht beob­
achteten Teilchen müssen schwer genug sein, um der Entdeckung bislang
entgangen zu sein, und sechs der Dimensionen müssen aufgerollt sein,
auch wenn weder die Größe noch die Gestalt der aufgerol lten Dimensio­
nen bislang bestimmt worden ist.
Wenn man in diesen Richtungen weiterarbeitet, könnte man zufällig
auf die Version der Stringtheorie stoßen, die die Natur korrekt be­
schreibt; definitiv kann diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden.
Damit es dazu kommt, müssten wir allerdings sehr viel Glück haben.
Aber auch Probleme der Teilchenphysik harren ihrer Bewältigung, und

377
VERBORGENE UNIVERSEN

die Untersuchung lohnt, wie diese Probleme in einer Welt mit zusätzli­
chen Raumdimensionen und Branen entlang einer begrenzten Unter­
gruppe dieser Dimensionen gelöst werden könnten . Davon handelt der
Rest dieses Buches.

Zur Erinnerung:

• Im Rahmen der Stringtheorie sind Branenwelten möglich. Teilchen


und Wechselwirkungen der Stringtheorie können auf Branen gefangen
sem.

• Die Gravitation unterscheidet sich von den anderen Kräften. Sie ist
niemals auf eine Brane beschränkt und kann sich immer in allen Di­
mensionen ausbreiten .

• Wenn die Stringtheorie das Universum zutreffend beschreibt, könnte


es viele Branen enthalten. In diesem Kontext sind Branenwelten etwas
ganz Natürliches.

378
V

Vorschläge für
extradimensionale Universen
17

Spärlich belebte Passagen:


Multiversen und Absonderung

Just turn around now


('cause) your're not welcome anymore.
Dreh dich jetzt um,
(denn) du bist nicht mehr willkommen.
Gloria Gaynor

Obwohl es auf der Himmelsbrane ausdrücklich verboten war, hatte Ika­


rus III. schließlich wieder mit dem Glücksspiel angefangen. Nachdem er
mehrere Ermahnungen ignoriert hatte, wurde er zu Verbannung auf die
Knastbrane verurteilt, eine von der Himmelsbrane ein Stück weit ent­
fernte Brane entlang einer fünften Dimension. Auch nachdem er auf die
Knastbrane abgesondert worden war, versuchte Ike beharrlich, mit sei­
nen früheren Kumpels Kontakt aufzunehmen. A ber die Entfernung zwi­
schen den beiden Branen machte die Kommunikation schwierig. Er
konnte nichts weiter tun, als vorbeikommende Bulk-Briefträger anzuhal­
ten, von denen viele sein Winken einfach ignorierten. Die paar, die
schließlich stoppten, übermittelten seine Nachrichten immer an die Him­
melsbrane, aber in frustrierend gemächlichem Tempo.
Währenddessen bahnte sich auf der Himmelsbrane eine Katastrophe
an. Die Schutzengel, die so tapfer die Hierarchie gerettet hatten, empfan­
den keinerlei Respek t vor den Familienwerten der anderen Bewohner und
standen kurz davor, eine intergenerationale Instabilität auszulösen. Des
Himmels gefallene Engel hielten alle Paarungen für akzeptabel und er­
mutigten alle, sich einen Partner aus einer anderen Generation zu erobern.
Als Ike von der Gefahr härte, war er erschüttert und beschloss, die Si­
tuation zu bereinigen. Ike ging auf, dass er auch mit der gemächlichen
und behutsamen Art und Weise, mit der er einzig und allein mit der Him­
melsbrane kommunizieren konnte, die massiven Egos der dort lebenden

381
VERBORGENE U N I VERSEN

widersetzlichen Engel mit Bedacht stärken konnte. Dank Ikes hilfreicher


Intervention härten die Engel auf, die Sozialordnung zu gefährden. Ob­
wohl Ikarus III. noch immer seine Strafe absitzen musste, ehrten ihn die
Bewohner der Himmelsbrane mit einem immer währenden Großstadt­
mythos.

Dieses Kapitel handelt von der Sequestration oder Absonderung, die


einer von mehreren Gründen ist, warum zusätzliche Dimensionen für die
Teilchenphysik wichtig werden könnten. Abgesonderte Teilchen sind
physikalisch auf unterschiedlichen Branen getrennt. Durch die Beschrän­
kung unterschiedlicher Teilchen auf verschiedene Umgehungen könnte
die Sequestration die diversen Eigenschaften erklären, die ein Teilchen
von einem anderen unterscheiden. Absonderung könnte auch der Grund
sein, warum das anarchische Prinzip, demzufolge alles miteinander
wechselwirken müsste, nicht immer gilt. Wenn Teilchen in Zusatzdimen­
sionen separiert sind, werden sie mit geringerer Wahrscheinlichkeit mit­
einander wechselwirken.
Im Prinzip könnten Teilchen in drei räumlichen Dimensionen abge­
sondert sein. Aber soweit wir wissen, sind im dreidimensionalen Raum
alle Richtungen und Orte gleich. Die bekannten Gesetze der Physik be­
sagen, dass in den drei Dimensionen, die wir sehen, j edes Teilchen über­
all sein kann, also stellt die Sequestration in drei Dimensionen keine Op­
tion dar. Im höherdimensionalen Raum j edoch können Photonen und
geladene O bj ekte gezwungenermaßen nicht einfach überall sein. Extra­
dimensionen stellen also eine neue Möglichkeit dar, Tei lchen zu separie­
ren. Unterschiedliche Teilchentypen konnten auf separate Raumregio­
nen beschränkt sein, die von verschiedenen Branen besetzt sind. Weil in
zusätzlichen Dimensionen nicht alle Punkte gleich aussehen, sorgen Ex­
tradimensionen für eine Absonderung von Teilchen, i ndem sie unter­
schiedliche Teilchentypen auf separate Branen beschränken.
Theorien mit abgesonderten Teilchen haben das Potenzial, viele Pro­
bleme zu lösen. Die Geschichte mit Ike bezieht sich auf meinen ersten
Ausflug in zusätzliche Dimensionen - die Anwendung der Sequestration
auf gebrochene Supersymmetrie. Während vierdimensionale Theorien
vor ernsthaften Problemen stehen, weil Modelle mit gebrochener Super­
symmetrie im Allgemeinen zu unerwünschten Wechselwirkungen füh­
ren, scheinen Modelle mit Sequestration und gebrochener Supersymme­
trie weit mehr zu versprechen. Die Absonderung könnte auch erklären,

382
S P Ä R L I C H B E L E B T E PA S S AG E N : M U LT I V E R S E N U N D A B S O N D E R U N G

warum Teilchen unterschiedliche Massen haben und warum es in extra­


dimensionalen Modellen nicht zu einem Protonenzerfall kommt. In die­
sem Kapitel werden wir die Sequestration und ein paar ihrer Anwendun­
gen auf die Teilchenphysik erkunden. Wir werden sehen, dass Ideen wie
die Supersymmetrie, die wir bislang für auf die vierdimensionale Raum­
zeit anwendbar hielten, in extradimensionalem Kontext sogar noch er­
folgreicher sein könnten.

Meine Passage zu Extradimensionen

Wir Physiker haben das Glück, uns bei zahlreichen Konferenzen treffen
und mit Kollegen stimulierende Forschungsideen austauschen zu kön­
nen. Aber allj ährlich wird eine so überwältigende Zahl von Konferenzen
und Workshops zur Teilchenphysik veranstaltet, dass es schwierig wer­
den kann, sich zu entscheiden, welche man besuchen will. Bei einigen
handelt es sich um große Versammlungen, die Gelegenheit bieten, sich
über die neuesten Forschungen der anderen zu informieren und die neu­
esten Ergebnisse auszutauschen. Andere sind relativ kurze Konferenzen
von nur zwei oder drei Tagen Dauer, bei denen Physiker eines hoch spe­
zialisierten Gebiets von neuen Erkenntnissen berichten. Wieder andere
Treffen sind lange Workshops, bei denen die Teilnehmer Kooperationen
mit Kollegen beginnen oder zum Abschluss bringen. Und manchmal
werden Konferenzen in so spektakulärer Umgebung abgehalten, dass
man sie einfach nicht verpassen darf.
Auch Oxford ist zwar ein sehr schöner Ort, die Supersymmetrie-Kon­
ferenz, die ich dort Anfang Juli 1 9 9 8 besuchte, passt aber am ehesten in
die erste Kategorie. Die Supersymmetrie galt viele Jahre lang als ein Aus­
weg aus dem Hierarchieproblem ; sie hat sich im Lauf der Zeit aber zu
einem wichtigen Forschungsgebiet weiterentwickelt, und j edes Jahr tref­
fen sich Physiker, um die neuesten Fortschritte auf diesem Feld zu disku­
tieren.
Die Konferenz von Oxford hielt j edoch eine Überraschung bereit. Das
interessanteste Thema war nicht Supersymmetrie, sondern die gerade
neu aufkommenden Überlegungen zu Extradimensionen. Einer der sti­
mulierendsten Vorträge handelte von großen Zusatzdimensionen, dem
Thema von Kapitel 1 9. Andere Beiträge drehten sich um das Schicksal
von zusätzlichen Dimensionen in der Stringtheorie, und wieder andere
diskutierten potenzielle experimentelle Implikationen von Extradimen-

383
VERBORGENE UNIVERSEN

sionen. Wie neu und spekulativ diese Überlegungen waren, machte der
Titel von Jeff Harveys Vortrag klar : Der Theoretiker aus Chicago und
mehrere Redner nach ihm, etwa Joe Lykken, ein Theoretiker des Fermi­
lab, lehnten die Titel ihrer Beiträge an Fantasy Island an, eine amerika­
nische Fernsehserie aus den siebziger Jahren.
Trotz dieser Späße dachte ich bei meiner Rückkehr aus Oxford über
zusätzliche Dimensionen nach und überlegte, wie in einer extradimen­
sionalen Welt Probleme der Teilchenphysik gelöst werden könnten. Was
große Zusatzdimensionen anging, eines der heißen Themen, war ich
zwar skeptisch, und ich hatte nicht vor, selbst daran zu arbeiten. Ich war
aber ziemlich überzeugt, dass Branen und Zusatzdimensionen wichtige
Werkzeuge des Modellbaus sein konnten und das Potenzial hatten,
einige mysteriöse Phänomene in der Teilchenphysik zu erhellen, die sich
einfachen vierdimensionalen Erklärungen entzogen.
In j enem Jahr wollte ich den Rest des Sommers in Boston verbringen.
Zu j ener Zeit war das bei mir nicht die Regel ; die meisten theoretischen
Physiker aus Boston, so auch ich, reisen den größten Tei l des Sommers
und besuchen diverse Konferenzen und Workshops. Damals hatte ich
aber beschlossen, zu Hause zu bleiben, zu entspannen und über neue
Ideen nachzudenken.
Raman Sundrum, der damals nach seiner Promotion an der Boston
University arbeitete, hatte ebenfalls beschlossen, den Sommer über in
der Stadt zu bleiben. Ich hatte Raman oft bei Konferenzen getroffen, wir
hatten uns auch gegenseitig in unseren Instituten besucht, und wir hatten
sogar nach unseren Promotionen eine kurze gemeinsame Zeit in Har­
vard verbracht. Da Raman bereits über zusätzliche Dimensionen nach­
gedacht hatte, fand ich, es könnte nützlich sein, meine Ideen und Fragen
mit ihm zu diskutieren.
Raman ist eine interessante Persönlichkeit. Während die meisten Phy­
siker zu Anfang ihrer Karriere an relativ sicheren Problemen arbeiten -
Fragen allgemeinen Interesses, bei denen sie höchstwahrscheinlich Fort­
schritte machen -, konzentrierte sich Raman standhaft auf alles, was
ihm am wichtigsten schien, selbst wenn es ein extrem diffiziles Problem
war oder weitab von den Interessen anderer lag. Trotz seines offensicht­
lichen Talents hatte sein eigenwilliges Vorgehen verhindert, dass er Fa­
kultätsmitglied wurde, und ihm bloß seine dritte Assistenzstelle einge­
bracht. In j enem Jahr aber dachte Raman über zusätzliche Dimensionen
und Branen nach, und seine Interessen begannen mit denen der anderen
Physiker zu verschmelzen.

384
S P Ä R L I C H B E L E B T E PA S SAG E N : M U LT I V E R S E N U N D A B S O N D E R U N G

Unsere Zusammenarbeit begann am MIT bei Toscaninis ( heute leider


geschlosse n ) , einer Eisdiele im MIT-Studentenzentrum, wo es großarti­
ges Eis und sehr guten Kaffee gab. Toscaninis war ein idealer Treffpunkt,
um ohne Einschränkungen oder Unterbrechungen Ideen zu diskutieren
und zugleich sich auf die köstlichen Forschungsstimulanzien zu stürzen,
die es dort gab.
Aus diesen ersten, beim Kaffee verschwatzten Tagen entwickelte sich
unsere Forschungsarbeit, die den Sommer über allmählich Gestalt an­
nahm. Im August waren wir an den Punkt gekommen, dass wir immer
größere Tafeln brauchten, um all die diskutierten Details aufzuschrei­
ben. Da die Tafel in meinem Büro am MIT, wo ich damals als Professorin
arbeitete, ziemlich klein war, gingen wir immer durch den » u nendlichen
Korridor<< (einen sehr langen Gang längs durch das Hauptgebäude des
MIT) und suchten nach leeren Seminarräumen.
Wir konzentrierten uns auf ein spezielles Forschungsproblem, nämlich
die Anwendung der Sequestration auf gebrochene Supersymmetrie. Un-

A b bildung 73 : In diesem Modell der gebrochenen Supersymmetrie gibt es


zwei Branen. Auf der einen befinden sich die Teilchen des Standardmodells,
auf der anderen sind Teilchen abgesondert oder » sequestriert<<, die die Super­
symmetrie brechen. Die zwei Branen haben jeweils drei räumliche Dimensio­
nen und sind durch eine fünfte Raumzeitdimension getrennt, die die vierte
räumliche Dimension ist.

385
VERBORGENE U NIVERSEN

sere Überlegung war, für den Supersymmetriebruch verantwortliche


Teilchen von den Standardmodell-Teilchen abzusondern und damit un­
erwünschte Wechselwirkungen zwischen ihnen zu verhindern ( siehe Ab­
bildung 73 ) . Wir wählten den Ausdruck » Sequestration << , um Modelle
mit Teilchen, die auf verschiedenen Branen separiert sind, von Super­
symmetriebruch-Modellen mit einem so genannten » verborgenen Sek­
tor << zu unterscheiden, die damals gerade in Mode waren. Bei Modellen
mit verborgenem Sektor wechselwirken die die Supersymmetrie bre­
chenden Teilchen schwach mit Standardmodell-Teilchen, waren aber
( trotz des Namens) eigentlich nicht verborgen und mussten daher auf
eine Weise interagieren, die in der realen Welt nicht akzeptabel wäre.
Anfangs begeisterte ich mich für unsere Ideen, und Raman war skep­
tisch, dann wechselten unsere Rollen im Lauf der Zeit. Aber mit diesem
Wechselspiel von Enthusiasmus und Skepsis machten wir bald viel Bo­
den gut und drangen zum Kern derj enigen Physik vor, über die wir nach­
dachten. Manchmal verwarfen wir Ideen sogar zu schnell, aber in der
Regel behielt einer von uns einen Standpunkt lange genug bei, um Fort­
schritte zu erzielen.
Francis Bacon, der neben Galileo Galilei als Begründer der modernen
wissenschaftlichen Methode gilt, schrieb darüber, wie schwierig es ist,
Fortschritte zu machen, während man sich gleichzeitig die notwendige
Skepsis bewahrt, um die Richtigkeit der Resultate sicherzustellen. Wie
nimmt man eine Idee ernst genug, um sich in ihre Konsequenzen zu ver­
tiefen, während man gleichzeitig den Verdacht hegt, dass sie falsch sein
könnte ? Bei genügend viel Zeit kann ein einzelner Mensch zwischen die­
sen Haltungen wechseln und auf die richtige Antwort kommen. Da wir
beide aber mit unterschiedlichen Haltungen an die Sache herangingen,
war es oft nur eine Frage von Stunden oder sogar Minuten, bis eine span­
nende, aber unzutreffende Idee verworfen war.
Jedenfalls schien mir unser Ausgangspunkt - Absonderung, um in su­
persymmetrischen Theorien unerwünschte Wechselwirkungen zu ver­
hindern - richtig zu sein. In vier Dimensionen funktionierte nichts zwin­
gend genug, aber zusätzliche Dimensionen schienen all die für ein erfolg­
reiches Modell nötigen Zutaten aufzuweisen. Jedoch verstanden Raman
und ich erst am Ende j enes Sommers die Sequestration und ihre Konse­
quenzen für gebrochene Supersymmetrie gut genug, um Einigkeit zu er­
zielen, was ihre Vorzüge sind.

386
SPÄRLICH BELEBTE PASSAGEN: MULTIVERSEN UND ABSONDERUNG

Natürlichkeit und Sequestration

Die Absonderung könnte wichtig sein, weil sie eine Möglichkeit dar­
stellt, die vom anarchischen Prinzip aufgeworfenen Probleme zu umge­
hen - j ener inoffiziellen Regel, die besagt, dass in einer vierdimensiona­
len Quantenfeldtheorie alles passieren wird, was passieren kann. Proble­
matisch ist am anarchischen Prinzip, dass Theorien schließlich Wechsel­
wirkungen und Beziehungen zwischen Massen vorhersagen, die in der
Natur nicht beobachtet werden. Selbst Wechselwirkungen, die in einer
klassischen Theorie nicht vorkommen (in einer, die die Quantenmecha­
nik nicht berücksichtigt) , werden sich ereignen, wenn erst einmal virtu­
elle Teilchen eingeschlossen sind ; Wechselwirkungen virtueller Teilchen
rufen alle möglichen Interaktionen hervor.
Hier ist eine Analogie, warum das so ist. Nehmen wir an, Sie erzählen
Athena, morgen würde es schneien, und Athena erzählt das Ike. Obwohl
Sie nicht direkt mit Ike kommunizieren, wird Ihre Mitteilung dennoch
beeinflussen, was Ike am nächsten Tag tragen wird - wegen Ihres virtu­
ellen Rats greift er zu einem Parka .
Wenn in ähnlicher Weise ein Teilchen mit einem virtuellen Teilchen
interagiert und dieses virtuelle wiederum mit einem dritten Teilchen, be­
steht der Nettoeffekt darin, dass das erste und das dritte Teilchen wech­
selwirken. Das anarchische Prinzip besagt, dass Prozesse, an denen vir­
tuelle Teilchen beteiligt sind, vorkommen müssen, selbst wenn sie sich
klassisch nicht ereignen. Und diese Prozesse führen oft zu unerwünsch­
ten Wechselwirkungen.
Viele Probleme teilchenphysikalischer Theorien rühren von dem anar­
chischen Prinzip her. Beispielsweise sind die Quantenbeiträge zur Masse
des Higgs-Teilchens, die aus virtuellen Teilchen resultieren, die Wurzel
des Hierarchieproblems. Jeder Pfad, den das Higgs-Teilchen nimmt,
kann vorübergehend von schweren Teilchen unterbrochen werden, und
diese Einmischungen erhöhen die Masse des Higgs-Teilchens.
Einem anderen Beispiel für das anarchische Prinzip sind wir in Kapitel
11 begegnet. In den meisten Theorien mit gebrochener Supersymmetrie
führen virtuelle Teilchen zu unerwünschten Wechselwirkungen - von de­
nen wir aufgrund von Experimenten wissen, dass sie nicht stattfinden.
Solche Interaktionen würden die Identität der bekannten Quarks und
Leptonen verändern. Solche flavorverändernden Wechselwirkungen
kommen entweder in der Natur gar nicht oder nur sehr selten vor. Wenn
wir eine funktionierende Theorie haben wollen, müssen wir irgendwie

387
VERBORGENE U N I VERSEN

diese Interaktionen eliminieren - zu denen es dem anarchischen Prinzip


zufolge kommen wird.
Virtuelle Teilchen müssen nicht notwendigerweise zu solchen uner­
wünschten Vorhersagen führen. Die Theorie wird diese unwillkomme­
nen Wechselwirkungen nicht vorhersagen, wenn der unwahrscheinliche
Fall eintritt, dass die klassischen und die quantenmechanischen Beiträge
zu einer physikalischen Größe sich in enormem Umfang aufheben. Auch
wenn die klassischen und die Quantenbeiträge einzeln viel zu groß wä­
ren, könnten die beiden gemeinsam möglicherweise sich zu einer akzep­
tablen Vorhersage addieren. Aber auf diese Weise das Problem zu umge­
hen, ist fast mit Sicherheit ein Notbehelf und keine wirkliche Lösung.
Keiner von uns glaubt wirklich, dass so präzise, zufällige Aufhebungen
die grundsätzliche Erklärung für das Fehlen bestimmter Wechselwirkun­
gen sind. Nur widerstrebend verwenden wir diese zufälligen Aufhebun­
gen als Krücke, damit wir diese Probleme ignorieren und an die Erfor­
schung anderer Aspekte unserer Theorien gehen können.
Physiker glauben, dass nur dann eine Theorie frei von diesen Wechsel­
wirkungen sein kann, wenn man sie auf eine Weise eliminiert, die dem
entspricht, was Physiker für natürlich halten. Im Alltagsleben bezeichnet
der Ausdruck » natürlic h << Dinge, die spontan passieren, ohne menschli­
che Eingriffe. Für Teilchenphysiker aber bedeutet >> natürlich << mehr als
etwas, das nun einmal geschieht - der Ausdruck bezieht sich auf etwas,
das, wenn es passiert, kein Rätsel darstellt. Für Physiker ist es nur '> na­
türlich << , das Erwartete zu erwarten.
Das anarchische Prinzip und die vielen unerwünschten Wechselwir­
kungen, zu denen die Quantenmechanik führt, sagen uns, dass ein paar
neue Konzepte in j edes physikalische Modell eingebaut werden müssen,
das dem Standardmodell zugrunde liegt, wenn dieses Modell die Chance
bekommen soll, richtig zu sein. Symmetrien sind unter anderem so wich­
tig, weil sie in einer vierdimensionalen Welt die einzige natürliche Mög­
lichkeit darstellen, zu garantieren, dass es nicht zu unerwünschten Wech­
selwirkungen kommt. Im Grund genommen stellen Symmetrien eine
zusätzliche Regel dar, die besagt, welche Interaktionen sich möglicher­
weise ereignen . Dieses Phänomen werden Sie mit Hilfe einer Analogie
gleich begreifen.
Nehmen wir an, Sie decken einen Tisch für sechs Personen, und Sie
müssen das so tun, dass alle sechs Plätze gleich aussehen. Dann erlaubt
der Tisch eine Symmetrietransformation, die j eweils zwei Paare von Ge­
decken austauscht. Ohne solch eine Symmetrie könnten Sie im Prinzip

388
SPÄRLICH BELEBTE PASSAGEN: MULTIVERSEN UND ABSONDERUNG

der einen Person zwei Gabeln geben, einer anderen drei und wieder einer
anderen ein Paar Essstä bchen. Aufgrund der Symmetriebeschränkungen
können Sie den Tisch aber nur so decken, dass alle sechs Gäste gleich
viele Gabeln, Messer, Löffel und Essstäbchen haben - Sie könnten keiner
Person zwei Messer geben und einer anderen drei .
Ähnlich sagen uns Symmetrien, dass sich nicht alle Wechselwirkun­
gen ereignen können. Selbst wenn viele Teilchen interagieren, führen
Quantenbeiträge im Allgemeinen nicht zu Wechselwirkungen, die eine
Symmetrie verletzen, wenn die klassischen Wechselwirkungen diese
Symmetrie wahren. Wenn Sie nicht mit die Symmetrie verletzenden In­
teraktionen anfangen, werden Sie auch nie welche hervorrufen ( abgese­
hen von den seltenen bekannten Anomalien, die in Kapitel 14 erwähnt
wurden ), selbst wenn Sie alle möglichen Wechselwirkungen mit virtuel­
len Teilchen einschließen . Indem Sie sich beim Tischdecken Symmetrie
auferlegen, haben Sie am Ende immer identische Gedecke, egal wie viele
Veränderungen Sie vornehmen, beispielsweise Steakmesser oder Grape­
fruitlöffel hinzulegen. In ähnlicher Weise kommt es nicht zu mit einer
Symmetrie inkonsistenten Wechselwirkungen, selbst wenn quantenme­
chanische Effekte berücksichtigt werden. Wenn eine Symmetrie nicht be­
reits in der klassischen Theorie verletzt ist, gibt es keinen Pfad, den ein
Teilchen nehmen könnte, um eine die Symmetrie verletzende Wechsel­
wirkung auszulösen.
Bis vor kurzem dachten Physiker, Symmetrien seien die einzige Mög­
lichkeit, das anarchische Prinzip zu vermeiden. Wie aber Raman und ich
erkannten - nachdem wir genügend Eiscreme gegessen hatten -, sind se­
parate Branen eine weitere Möglichkeit. Ein entscheidender Grund, war­
um zusätzliche Dimensionen ursprünglich auf mich so viel versprechend
wirkten, lag darin, dass sie abgesehen von Symmetrie ein Grund sein
konnten, warum begrenzte oder ungewöhnliche Typen von Wechselwir­
kungen natürlich sein konnten. Unerwünschte Teilchen abzusondern
kann unerwünschte Interaktionen verhindern, weil diese im Allgemeinen
nicht zwischen Teilchen stattfinden, die auf unterschiedlichen Branen se­
pariert sind.
Teilchen auf verschiedenen Branen interagieren nicht stark, weil die
Wechselwirkungen immer lokal sind - nur Teilchen am selben Ort inter­
agieren direkt. Abgesonderte Teilchen können in Kontakt zu Teilchen
auf anderen Branen treten, aber nur wenn es wechselwirkende Teilchen
gibt, die sich von einer Brane zu einer anderen bewegen können. Wie Ike
auf der Knastbrane haben Teilchen auf unterschiedlichen Branen nur be-

389
VERBORGENE U N I VERSEN

grenzte Kommunikationsmittel, weil sie abgesehen von Vermittlern


keine andere Möglichkeit der Kommunikation haben. Selbst wenn solch
indirekte Wechselwirkungen vorkommen, sind sie oft extrem klein, da
die vermittelnden Teilchen im Bulk, vor allem die mit Masse, nur selten
große Entfernungen zurücklegen.
Diese Unterdrückung von Wechselwirkungen zwischen Teilchen, die
an unterschiedlichen Orten abgesondert sind, ist ähnlich der Unterdrü­
ckung internationaler Informationen in einem Land - das ich Xenopho­
bien nennen will -, in dem die Regierung sorgfältig die Grenzen und die
Medien kontrolliert. In Xenophobien kann man Informationen, die
nicht lokal vorhanden sind, nur von auswärtigen Besuchern bekommen,
die irgendwie hineinkommen, oder aus Zeitungen oder Büchern, die hin­
eingeschmuggelt werden.
Ähnlich stellen separate Branen eine Plattform dar, von der aus man
dem anarchischen Prinzip entkommen kann, womit man die Zahl der
Werkzeuge verdoppelt, die der Natur zur Verfügung stehen, um das
Fehlen unerwünschter Wechselwirkungen zu garantieren. Ein weiterer
Vorzug der Sequestration ist, dass sie sogar Teilchen vor den Effekten ge­
brochener Symmetrie schützen kann. Solange sich der Symmetriebruch
genügend weit von j enen Teilchen entfernt ereignet, hat er nur sehr geringe
Auswirkungen auf sie. Wird der Symmetriebruch abgesondert, befindet
er sich in Quarantäne, ganz ähnlich wie eine ansteckende Krankheit ein­
gedämmt wird, wenn alle daran Erkrankten sich in einem Sperrgebiet auf­
halten. Oder um eine andere Analogie zu bringen : Dramatische Ereignisse
außerhalb von Xenophobien hätten ohne einen vermittelnden Kommu­
nikator in Xenophobien selbst keine Auswirkungen. Ohne durchlässige
Grenzen könnte Xenophobien unabhängig vom Rest der Welt funktio­
meren .

Sequestration und Supersymmetrie

Das spezielle Problem, das Raman und ich im Sommer 1 9 9 8 untersuch­


ten, drehte sich darum, wie die Absonderung in der Natur funktionieren
könnte, um ein Universum mit gebrochener Supersymmetrie zu ergeben,
das die Eigenschaften des von uns beobachteten Universums hat. Wir ha­
ben gesehen, dass Supersymmetrie elegant die Hierarchie schützen und
garantieren kann, dass alle großen quantenmechanischen Beiträge zur
Masse des Higgs-Teilchens sich zu null addieren. Aber wie wir in Kapitel

390
S P Ä R L I C H B E L E B T E PA S S AG E N : M U LT I V E R S E N U N D A B S O N D E R U N G

1 3 erfahren haben, muss die Supersymmetrie, selbst wenn es sie in der


Natur gibt, gebrochen sein, um erklären zu können, warum es die beob­
achteten Teilchen gibt, aber nicht ihre Superpartner.
Unglücklicherweise sagen die meisten Modelle mit gebrochener Sym­
metrie Wechselwirkungen vorher, zu denen es in der Natur nicht kommt,
und solche Modelle können unmöglich richtig sein. Raman und ich woll­
ten ein physikalisches Prinzip finden, mittels dessen die Natur mögli­
cherweise sich vor diesen unerwünschten Wechselwirkungen schützt, da­
mit wir dieses dann in eine erfolgreichere Theorie einbauen könnten.
Wir konzentrierten uns auf gebrochene Supersymmetrie im Kontext
einer Branenwelt. Branenwelten können Supersymmetrie wahren. Aber
genau wie in vier Dimensionen kann die Supersymmetrie spontan gebro­
chen werden, wenn ein Teil der Theorie Teilchen enthält, die die Super­
symmetrie nicht wahren. Raman und mir ging auf, dass das Modell mit
gebrochener Supersymmetrie weniger problematisch wäre, wenn all die
Teilchen, die für den Bruch der Supersymmetrie verantwortlich sind, von
den Standardmodell-Teilchen separiert würden.
Wir nahmen daher an, dass die Teilchen des Standardmodells auf eine
Brane beschränkt und die für den Supersymmetriebruch verantwortli­
chen Teilchen auf eine andere abgesondert waren. Wir fanden heraus,
dass bei solch einer Anordnung die gefährlichen Wechselwirkungen, zu
denen die Quantenmechanik führen kann, nicht notwendigerweise pas­
sieren. Abgesehen von den die Supersymmetrie brechenden Effekten, die
von intermediären Teilchen im Bulk vermittelt werden könnten, blieben
die Wechselwirkungen der Standardmodell-Teilchen dieselben wie in
einer Theorie mit ungebrochener Supersymmetrie. Genau wie in einer
Theorie mit exakter Supersymmetrie dürfte es folglich nicht zu flavorver­
ändernden Wechselwirkungen kommen, die nicht zu den Experimenten
passen. Bulk-Teilchen, die mit Teilchen sowohl auf der die Supersymme­
trie brechenden Brane als auch auf der Standardmodeli-Brane wechsel­
wirken, würden präzise bestimmen, welche Interaktionen möglich sind ­
und diese müssten nicht notwendigerweise die verbotenen einschließen.
Natürlich muss ein bisschen gebrochene Supersymmetrie an die Teil­
chen des Standardmodells vermittelt werden. Solange das nicht passiert,
wird nichts die Massen der Superpartner erhöhen. O bwohl wir nicht die
exakten Werte für die Massen der Superpartner kennen, sagen uns expe­
rimentelle Einschränkungen in Kombination mit der Rolle, die die Su­
persymmetrie beim Schutz der Hierarchie spielt, annähernd genau, wie
groß die Massen der Superpartner sein müssten.

391
VERBORGENE U N I VERSEN

Diese Einschränkungen verraten die qualitativen Beziehungen zwi­


schen den Massen der Superpartner. In groben Zügen haben alle Su­
perpartner ungefähr dieselben Massen, und diese Massen liegen alle
annähernd bei der schwachen Massenskala, 250 GeV. Wir mussten si­
cherstellen, dass die Massen der Superpartner in diesen Bereich fielen,
und zugleich verhindern, dass es zu unerwünschten Wechselwirkungen
kam. Alles musste zusammenpassen, damit die Theorie der abgesonder­
ten Supersymmetriebrechung die Chance bekam, richtig zu sein.
Entscheidend für den Erfolg unseres Modells war, das intermediäre
Teilchen zu finden, das die Neuigkeit des Supersymmetriebruchs an die
Standardmodell-Teilchen vermittelt und den Superpartnern die Massen
gi bt, die sie haben mussten . Wir wollten aber auch sicherstellen, dass un­
sere Vermittler nicht zu unmöglichen Wechselwirkungen anstachelten.
Das Graviton - ein Bulk-Teilchen, das mit energiereichen Teilchen je­
der Art interagiert - sah wie ein perfekter Kandidat aus. Das Graviton
wechselwirkt mit Teilchen sowohl auf der die Supersymmetrie brechen­
den als auch auf der Standardmodell-Brane. Darüber hinaus sind die
Wechselwirkungen des Gravitons bekannt - sie folgen aus der Gravitati­
onstheorie. Wir konnten zeigen, dass die Interaktionen des Gravitons
zwar die notwendigen Massen der Superpartner hervorrufen, aber nicht
die Wechselwirkungen, die die Identitäten von Quarks oder Leptonen
durcheinander bringen - diej enigen Interaktionen, von denen wir wis­
sen, dass sie in der Natur nicht vorkommen. Das Graviton schien daher
eine viel versprechende Wahl zu sein.
Als Raman und ich die Superpartner-Massen ausarbeiteten, die aus
einem vermittelnden Boten-Graviton folgen müssten, stellten wir fest,
dass trotz der einfachen Elemente die Berechnung überraschend trick­
reich war. Klassische Beiträge zu den die Supersymmetrie brechenden
Massen erwiesen sich als null, und nur quantenmechanische Effekte
kommunizierten den Supersymmetriebruch. Als uns das klar wurde,
nannten wir die mittels Graviton induzierte Kommunikation des Super­
symmetriebruchs Anomalie-Mediation. Die Bezeichnung wählten wir,
weil - wie die in Kapitel 14 diskutierten Anomalien - die spezifischen
quantenmechanischen Effekte eine Symmetrie brachen, die es sonst hätte
geben müssen. Das Großartige daran war, dass wir die relativen Größen
der Superpartner-Massen vorhersagen konnten, weil diese von bekann­
ten Quanteneffekten des Standardmodells abhängen und nicht von un­
bekannten höherdimensionalen Wechselwirkungen.
Es dauerte ein paar Tage, das alles auf die Reihe zu bekommen, was

392
S P Ä R L I C H B E L E B T E PA S S AG E N : M U LT I V E R S E N U N D A B S O N D E R U N G

hieß, dass meine Stimmung binnen desselben Tages von Enttäuschung


zu Erleichterung wechseln konnte. Ich weiß noch, wie ich eines Abends
beim Essen meinen Begleiter irritierte, als ich plötzlich völlig abgelenkt
war, weil ich einen Fehler erkannte und ein Problem löste, das mir ein
paar Stunden zuvor Sorgen bereitet hatte. Schließlich kamen Raman und
ich zu dem Ergebnis, dass die abgesonderte Supersymmetriebrechung
überraschend gut funktioniert, wenn die Gravitation den Supersymme­
triebruch kommuniziert. Alle Superpartner hatten die richtigen Massen,
und die Relationen zwischen den Gaugino- und Squark-Massen lagen in
dem Bereich, den wir haben wollten. Zwar funktionierte nicht alles so
einfach, wie wir ursprünglich gehofft hatten, aber wichtige Relationen
zwischen den Massen der Superpartner stimmten, ohne zu den unmög­
lichen Wechselwirkungen zu führen, die bei anderen Theorien mit Super­
symmetriebrechung problematisch sind. Und mit ein paar kleineren Mo­
difikationen funktionierte alles.
Und das Beste daran war, dass dank der eindeutigen Vorhersagen für
die Massen der Superpartner unsere Idee überprüft werden kann. Ein sehr
bezeichnendes Merkmal für abgesonderte Supersymmetriebrechung ist,
dass es sichtbare Konsequenzen geben muss, auch wenn die zusätzliche
Dimension außerordentlich winzig sein könnte, ungefähr 1 0 -31 cm, also
nur um einen Faktor von 100 größer als die winzige Planck-Längenskala.
Das läuft gängigem Wissen zuwider, demzufolge nur viel größere Dimen­
sionen sichtbare Konsequenzen haben können, und zwar entweder durch
ein modifiziertes Schwerkraftgesetz oder durch neue schwere Teilchen.
Zwar stimmt es, dass wir keine der oben erwähnten experimentellen
Konsequenzen sehen werden, wenn die zusätzliche Dimension klein ist,
aber das Graviton kommuniziert den Bruch der Supersymmetrie an die
Gauginos in einer ganz besonderen Weise, die wir aus den bekannten
Schwerkraftwechselwirkungen und den bekannten Interaktionen in
einer Theorie mit Supersymmetrie berechnen konnten. Das Modell mit
abgesonderter Supersymmetriebrechung sagt bestimmte Massenverhält­
nisse für die Gauginos vorher - die Partner der Eichbosonen -, und diese
Massen können gemessen werden.30
Das ist sehr aufregend. Wenn Physiker Superpartner entdecken, kön­
nen sie bestimmen, ob die Relationen zwischen ihren Massen mit unse­
ren Vorhersagen übereinstimmen. Ein Experiment, bei dem nach diesen
Eichbosonen-Superpartnern gesucht wird, läuft gerade am Tevatron -
dem Proton-Antiproton-Collider am Fermilab in Illinois. Wenn wir
Glück haben, werden wir in wenigen Jahren Ergebnisse sehen.

393
VERBORGENE U N I VERSEN

Am Ende waren Raman und ich ziemlich zuversichtlich, dass wir auf
etwas Interessantes gestoßen waren. Aber Reste von Zweifeln blieben
uns beiden. Ich hatte ein bisschen Angst, dass eine so interessante Idee,
wenn sie richtig war, nicht hätte übersehen werden können, und fand,
dass wir sicherstellen mussten, dass wir in unserem Modell keine ver­
steckte Schwachstelle übersehen hatten. Auch Raman hielt die Idee für
zu gut, um übersehen worden zu sein. Aber er war zuversichtlich, dass
sie richtig war, und war nur besorgt, dass wir eine ähnliche Idee in der
Fachliteratur nicht beachtet hatten.
Völlig Unrecht hatte er damit nicht. Die Anomalie-Mediation der Su­
persymmetriebrechung wurde ungefähr zur selben Zeit, aber unabhän­
gig von uns von Gian Giudice am CERN, Markus Luty in Maryland, Hi­
toshi Murayama in Berkeley und Riccardo Rattazzi in Pisa entdeckt, die
im selben Sommer zusammengearbeitet hatten. Einen Tag nachdem un­
ser Bericht erschienen war, veröffentlichten sie selbst einen. Ihre Arbeit
erstaunte mich. Ich konnte nicht begreifen, wie zwei Gruppen von Phy­
sikern in einem einzigen Sommer die qualvolle Reise durch die Ideen be­
wältigen konnten, aber Raman vermutete zu Recht, dass andere j a ähn­
liche Interessen haben konnten. De facto hatten wir beide Recht. Die an­
dere Gruppe verfolgte zwar ähnliche Ideen, a ber sie entwickelte sie un­
abhängig von der extradimensionalen Motivation - ohne die anomal
vermittelte Massen bloß eine Kuriosität waren. Wie Riccardo großzügig
dem Physiker Massimo Porrati sagte, einem gemeinsamen Freund, hat­
ten Raman und ich die bessere Arbeit geleistet, nicht weil unsere Version
der Anomalie-Mediation richtiger wäre, sondern weil wir einen Grund
gehabt hatten, um den sich j eder sofort gekümmert hätte ! Dieser Grund
waren zusätzliche Dimensionen. Ohne sie würde die Supersymmetrie­
brechung nicht abgesondert, und anomal vermittelte Massen würden
von größeren Effekten überlagert.
Andere Physiker haben sich seither darangemacht, Sequestrations­
Modelle der gebrochenen Supersymmetrie zu untersuchen. Sie haben
Möglichkeiten gefunden, dies mit anderen, älteren Vorstellungen zu ver­
knüpfen, um noch erfolgreichere Modelle zu bekommen, die eventuell
die reale Welt repräsentieren. Und man hat sogar Wege gefunden, die
Lektion der Absonderung rückwärts auf vier Dimensionen zu erweitern.
Es gibt zu viele Modelle, um sie alle aufzuzählen, aber lassen Sie mich
zwei erwähnen, die ich besonders interessant fand. Das erste entstand
aus einer Zusammenarbeit zwischen Raman und Markus Luty. Sie be­
nutzten die Erkenntnisse über verzerrte Geometrie ( siehe Kapitel 20), um

3 94
S P Ä R L I C H B E L E B T E PA S S AG E N : M U LT I V E R S E N U N D A B S O N D E R U N G

die Konsequenzen des Absonderns in vier Dimensionen neu zu interpre­


tieren. Mit diesen Überlegungen entwickelten sie eine neue Klasse vier­
dimensionaler, symmetriebrechender Modelle.
Eine weitere interessante Idee war die Gaugino-Mediation. Dahinter
stand die Überlegung, den Bruch der Supersymmetrie nicht von Gravito­
nen, sondern vielmehr von Gauginos, den supersymmetrischen Partnern
der Eichbosonen, vermitteln zu lassen. Bei diesem Ansatz durften Eich­
bosonen und ihre Partner nicht auf einer Brane festsitzen, sondern muss­
ten sich frei im Bulk bewegen können. Raman erinnerte mich daran, dass
die Gaugino-Mediation eine der vielen Ideen war, die wir zuvor verwor­
fen hatten. Aber die ausgezeichneten Modellbauer David E. Kaplan,
Graham Kribs und Martin Schmaltz sowie unabhängig davon Zacharia
Chacko, Markus Luty, Ann Nelson und Eduardo Ponton zeigten, dass
wir voreilig gehandelt hatten und dass die Gaugino-Mediation hervorra­
gend alle supersymmetriebrechenden Massen kommunizieren und zu­
gleich alle Vorteile des abgesonderten Supersymmetriebruchs beibehal­
ten kann . *

Sequestration und helle Massen

Die abgesonderte Symmetriebrechung ist im Modellbau ein leistungsfä­


higes Werkzeug. Die wirkliche Welt könnte separate Branen umfassen,
und wenn man auf dieser Annahme Modelle baut, können Physiker das
Spektrum von Möglichkeiten erforschen.
Der vorangegangene Abschnitt erklärte, wie Probleme mit flavorver­
ändernden Wechselwirkungen möglicherweise in Theorien mit Super­
symmetrie gelöst werden können . Eine andere Herausforderung für die
Modellbauer war aber die Frage, warum es überhaupt unterschiedliche
Flavors von Quarks und Leptonen mit unterschiedlichen Massen geben
sollte. Der Higgs-Mechanismus gibt Teilchen ihre Massen, aber der ge­
naue Wert ist für j edes Flavor anders. Das kann nur stimmen, wenn j edes
Flavor unterschiedlich mit den Higgs-Teilchen - was auch immer dessen
Rolle spielen mag - wechselwirkt. Angesichts des Umstands, dass die
drei Flavors eines j eden Teilchentyps, beispielsweise Up-, Charm- und
Top-Quarks, genau dieselben Eichinteraktionen haben, ist es rätselhaft,

,. John Ellis, Costas Kounnas und Dmitri Nanopoulos hatten noch früher verwandte
Ideen im Rahmen der Stringtheorie in Betracht gezogen.

3 95
VERBORGENE U N I VERSEN

dass sie alle verschiedene Massen haben sollten. Etwas muss sie unter­
scheiden, aber die Teilchenphysik des Standardmodells sagt uns nicht,
was das ist.
Wir können versuchen, Modelle zu bauen, die die unterschiedlichen
Massen erklären. Aber fast j edes Modell würde auch unerwünschte
Wechselwirkungen enthalten, die die Flavor-Iden titäten ändern würden.
Wir brauchen etwas, das sicher Flavors unterscheiden kann, ohne diese
problematischen Interaktionen zu produzieren .
Nima Arkani-Hamed und der in Deutschland geborene Physiker Mar­
tin Schmaltz nahmen an, dass die verschiedenen Standardmodell-Teil­
chen sich auf separaten Branen befinden und dass diese einige Massen
erklären könnten. Nima und Savas Dimopoulos fanden eine weitere,
noch einfachere Möglichkeit. Sie nahmen an, dass es eine Brane gibt, auf
die die Teilchen des Standardmodells beschränkt sind, und dass die
Wechselwirkungen zwischen den Teilchen auf dieser Brane alle Flavors
identisch behandeln. Aber wenn es nur flavorsymmetrische Interaktio­
nen gibt, die alle Flavors gleich behandeln, müssten alle Teilchen genau
dieselbe Masse haben. Eindeutig können wir die unterschiedlichen Mas­
sen nur erklären, wenn irgendetwas die Teilchen unterschiedlich behan­
delt.
Nima und Savas nahmen an, dass andere Teilchen, die für den Bruch
der Flavorsymmetrie verantwortlich sind, auf anderen Branen abgeson­
dert sind. Wie beim Supersymmetriebruch mit Sequestration könnte
dann die Flavorsymmetriebrechung nur mittels Wechselwirkungen mit
Teilchen im Bulk an die Standardmodell-Teilchen vermittelt werden.
Wenn viele Bulk-Teilchen mit dem Standardmodell interagieren und
jedes von ihnen den Flavorsymmetriebruch von einer anderen Brane in
unterschiedlicher Entfernung vermittelt, könnte ihr Modell die unter­
schiedlichen Massen der Standardmodell-Flavors erklären. Eine von ent­
fernten Branen vermittelte Symmetriebrechung würde zu kleineren Mas­
sen führen als eine, die von nahen Branen kommuniziert wird. Nima und
Savas tauften ihre Idee Hell, um diesen Umstand zu betonen. Genau wie
Licht dunkler wirkt, wenn seine Quelle weiter entfernt ist, ist der Effekt
des Symmetriebruchs kleiner, wenn sein Ursprung auf einer weiter ent­
fernten Brane liegt. In ihrem Szenario unterscheiden sich die verschiede­
nen Flavors von Quarks und Leptonen, weil sie j eweils mit einer anderen
Brane in einer unterschiedlichen Entfernung wechselwirken.
Zusätzliche Dimensionen und Sequestration sind neuartige und aufre­
gende Möglichkeiten, Probleme der Teilchenphysik anzugehen. Und das

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ist wahrscheinlich noch nicht alles. Kürzlich haben wir gezeigt, dass die
Sequestration sogar in der Kosmologie - der Wissenschaft von der Evo­
lution unseres Universums - eine wichtige Rolle spielen könnte. Es ist
klar, dass wir erst noch alle Vorzüge eines Universums ( oder Multiver­
sums ) mit abgesonderten Teilchen entdecken müssen, und dazu sind wei­
tere neue Ideen nötig.

Was neu ist:

• Teilchen können auf unterschiedlichen Branen abgesondert sein ( >> Se­


questration << ) .

• Selbst winzige zusätzliche Dimensionen können sich a u f d i e Eigen­


schaften beobachtbarer Teilchen auswirken.

• Abgesonderte Teilchen unterliegen nicht notwendigerweise dem anar­


chischen Prinzip. Es muss nicht zu allen Wechselwirkungen kommen,
da entfernte Teilchen nicht direkt interagieren können.

• In einem Modell mit Teilchen, die eine Rolle beim Bruch der Super­
symmetrie spielen und von den Standardmodell-Teilchen abgesondert
sind, kann die Supersymmetrie gebrochen werden, ohne Wechselwir­
kungen herbeizuführen, die die Flavors der Teilchen ändern würden.

• Ein abgesonderter Supersymmetriebruch ist überprüfbar. Wenn in


Hochenergie-Collidern Gauginos produziert werden, können wir de­
ren Massen vergleichen und überprüfen, ob sie mit den Vorhersagen
übereinstimmen.

• Ein abgesonderter Flavorsymmetriebruch könnte disparate Teilchen­


massen erklären helfen.

397
18

Undichte Passagen:
Fingerabdrücke zusätzlicher Dimensionen

I was peeking
But it hasn't happened yet
I haven't been given
My best souvenir
I miss you
But I haven't met you yet.
Ich sah mich um
Aber es ist noch nicht passiert
Ich habe noch nicht
Mein bestes Souvenir
Ich vermisse dich
Aber ich habe dich noch nicht getroffen.
Björk

A thena musste zugeben, dass sie Ike vermisste. Sie hatte sich zwar oft
über ihn geärgert, aber ohne ihn fühlte sie sich ziemlich einsam. Sie freute
sich darauf, Zeit mit K. Quadrat zu verbringen, einem Austauschstuden­
ten, der zu Besuch kommen wollte. A ber sie war über die Engstirnigkeit
ihrer Nachbarn entsetzt, die alle wegen K. Q uadrats bevorstehender An­
k unft besorgt waren. Dass er dieselbe Sprache sprach und sich genauso
benahm wie alle anderen, spielte keine Rolle. Im momentanen Klima
reichte allein K. Quadrats fremde Herkunft, um das Misstrauen der
Nachbarn zu erregen.
Als Athena sie fragte, wovor sie denn Angst hätten, antworteten sie :
» Was ist, wenn er seine schwereren Verwandten nachkommen lässt ?
Wenn diese sich dann nicht s o gut benehmen wie e r und a n ihren fremden
Gesetzen festhalten ? Und wenn sie alle auf einmal kommen, was wird
dann passieren ? «

398
U N D I C H T E PA S SAG E N : F I N G E R A B D R Ü C K E Z U S Ä T Z L I C H E R D I M E N S I O N E N

Unglücklicherweise nährte A thena das Misstrauen der Nachbarn


noch, als sie ihnen erzählte, K. Quadrat und seine Verwandten könnten
auf jeden Fall unmöglich lange bleiben, da sie alle sehr instabil waren
und die Familie K. Quadrat nur während eines Tumults energetischer
Versammlungen zu Besuch kommen könnte. A ls sie ihre unglückliche
Wortwahl bemerk te, fügte Athena beruhigend hinzu, dass die Fremden
während ihrer nur kurzen, aufregenden Besuche sich an die lokalen Ge­
setze halten würden. Überzeugt schlossen sich die Nachbarn A thena
schließlich bei der Begrüßung des Clans von K. Quadrat an.

Weiter vorn in diesem Buch habe ich erklärt, wie zusätzliche Dimensio­
nen vielleicht versteckt sind. Sie könnten so aufgerollt oder von Branen
eingeschlossen sein, dass sie nicht wahrnehmbar klein sind. Aber kann
ein extradimensionales Universum wirklich sein Wesen so vollständig
verschleiern, dass keines seiner Merkmale es von einer vierdimensiona­
len Welt unterscheidet ? Das fällt schwer zu glauben. Selbst wenn kom­
paktifizierte Dimensionen so klein sind, dass wir in der trügerischen Si­
cherheit gewiegt werden, unsere Welt sei vierdimensional, müsste eine
höherdimensionale Welt ein paar neue Elemente enthalten, die sie von
einer wirklich vierdimensionalen unterscheiden.
Wenn es Zusatzdimensionen gibt, müssten auch deren Fingerabdrücke
existieren. Bei solchen Fingerabdrücken handelt es sich um Teilchen na­
mens Kaluza-Klein- oder KK-Teilchen .. KK-Teilchen sind die zusätzli­
,

chen Ingredienzen eines extradimensionalen Universums. Sie sind der


vierdimensionale Abdruck der höherdimensionalen Welt.
Sollte es KK-Teilchen geben und sollten sie genügend leicht sein, dann
werden Hochenergie-Collider sie produzieren, und sie werden in den
experimentellen Daten Spuren hinterlassen. Die extradimensionalen De­
tektive - die Experimentatoren - werden diese Hinweise zusammen­
tragen und die Daten in einen kriminalistischen Nachweis einer hö­
herdimensionalen Welt umwandeln. Dieses Kapitel handelt von den
Kaluza-Klein-Teilchen und erklärt, warum man sich in einer höherdi­
mensionalen Welt ihrer Existenz sicher sein kann.

,, K. Quadrat in der einleitenden Geschichte. KK-Teilchen heißen auch Kaluza-Klein­


Moden, wobei >> Moden « sich auf ihre quantisierten Impulse bezieht.

399
VERBORGENE U N I VERSEN

Kaluza-Klein-Teilchen

Auch wenn Bulk-Teilchen sich im höherdimensionalen Raum bewegen,


müssten wir trotzdem in der Lage �ein, ihre Eigenschaften und Interak­
tionen vierdimensional zu beschreiben. Schließlich sehen wir die zusätz­
lichen Dimensionen nicht direkt, also kommt uns alles so vor, als wäre es
vierdimensionaL Genau wie die Flächenländler, die nur zwei Raumdi­
mensionen sahen, zweidimensionale Scheiben beobachteten, als eine
dreidimensionale Kugel ihre Welt passierte, können wir nur Teilchen se­
hen, die so aussehen, als würden sie sich durch drei Raumdimensionen
bewegen, selbst wenn diese Teilchen ihren Ursprung im höherdimensio­
nalen Raum haben. Diese neuen Teilchen aus Extradimensionen, die uns
aber wie zusätzliche Teilchen in unserer vierdimensionalen * Raumzeit
erscheinen, sind Kaluza-Klein-Teilchen. Könnten wir alle ihre Eigen­
schaften messen und erforschen, würden sie uns alles sagen, was es über
den höherdimensionalen Raum zu wissen gibt.
Kaluza-Klein-Teilchen sind die Manifestation eines höherdimensiona­
len Teilchens in vier Dimensionen. Genauso wie man j eden Ton, den eine
Violinsaite hervorbringt, durch die Überlagerung vieler Resonanz­
schwingungen reproduzieren kann, kann man das Verhalten eines hö­
herdimensionalen Teilchens reproduzieren, indem man es durch die rich­
tigen KK-Teilchen ersetzt. KK-Teilchen charakterisieren in vollem Um­
fang die höherdimensionalen Teilchen und die höherdimensionale Geo­
metrie, durch die sie sich bewegen.
Damit sie das Verhalten höherdimensionaler Teilchen nachahmen
können, müssen KK-Teilchen einen extradimensionalen Impuls haben.
Jedes Bulk-Teilchen, das sich im höherdimensionalen Raum bewegt,
wird in unserer effektiven vierdimensionalen Beschreibung durch KK­
Teilchen ersetzt, die die korrekten Impulse und Wechselwirkungen auf­
weisen, um j enes bestimmte höherdimensionale Teilchen zu imitieren.3 1
Ein höherdimensionales Universum beherbergt sowohl vertraute Teil­
chen als auch ihre KK-Verwandten, die extradimensionale Impulse ha­
ben, welche von den detaillierten Eigenschaften des zusammengerollten
Raums bestimmt werden.
Jedoch schließt eine vierdimensionale Beschreibung nicht lnformatio-

* Das ist unsere übliche Zählung der Raumzeitdimensionen. Unsere frühere Diskus­
sion von » Flächenland « in Kapitel 1 ging der Erörterung der Relativitätstheorie vor­
aus, also haben wir dort nur drei Raumdimensionen berücksichtigt.

400
U N D I C H T E PA S S AG E N : F I N G E R A B D R Ü C K E Z U S Ä T Z L I C H E R D I M E N S I O N E N

n e n ü b e r extradimensionale Positionen oder Impulse e i n . Deshalb muss


der extradimensionale Impuls der KK-Teilchen sich als etwas anderes
darstellen, wenn man sie aus ihrer vierdimensionalen Perspektive be­
trachtet. In der speziellen Relativitätstheorie sagen uns die Beziehungen
zwischen Masse und Impuls, dass ein extradimensionaler Impuls in der
vierdimensionalen Welt als Masse betrachtet würde. KK-Teilchen sind
daher Teilchen wie die, die wir kennen, haben aber Massen, in denen
sich ihre extradimensionalen Impulse widerspiegeln.
Die Massen von KK-Teilchen werden durch die höherdimensionale
Geometrie bestimmt. Ihre Ladungen sind j edoch dieselben wie die der
bekannten vierdimensionalen Teilchen. Denn wenn bekannte Teilchen
ihren Ursprung in der höherdimensionalen Raumzeit haben, müssen hö­
herdimensionale Teilchen dieselben Ladungen tragen wie bekannte Teil­
chen. Das gilt auch für die KK-Teilchen, die das Verhalten höherdimen­
sionaler Teilchen imitieren . Also müsste es für jedes uns bekannte Teil­
chen viele KK-Teilchen mit derselben Ladung geben, die aber jeweils eine
andere Masse haben. Wenn sich beispielsweise ein Elektron in höheren
Dimensionen bewegt, würde es KK-Partner mit derselben negativen La­
dung haben. Und wenn ein Quark sich in höheren Dimensionen bewegt,
hätte es KK-Verwandte, die wie das Quark der starken Wechselwirkung
unterliegen. KK-Partner haben identische Ladungen wie die uns bekann­
ten Teilchen, aber Massen, die von zusätzlichen Dimensionen bestimmt
werden .

Kaluza-Klein-Massen bestimmen

Um den Ursprung und die Massen von KK-Teilchen zu verstehen, muss


man einen Schritt über das weiter oben vorgestellte anschauliche Bild
unsichtbarer, aufgerollter Dimensionen hinausgehen. Der Einfachheit
halber werden wir uns erst ein Universum ohne Branen ansehen, in dem
j edes Teilchen grundsätzlich höherdimensional ist und sich damit frei in
alle Richtungen bewegen kann - einschließlich der zusätzlichen. Konkret
werden wir uns einen Raum mit nur einer zusätzlichen Dimension vor­
stellen, die zu einem Kreis aufgerollt ist, und Elementarteilchen, die sich
im lnnern j enes Raums bewegen.
Lebten wir in einer Welt, in der die klassische Newton'sche Physik das
letzte Wort ist, könnten Kaluza-Kiein-Teilchen jede Menge extradimen­
sionalen Impuls und damit j ede beliebige Masse haben. Weil wir aber in

401
VERBORGENE U NIVERSEN

einem quantenmechanischen Universum leben, ist das nicht der Fall. Die
Quantenmechanik besagt, dass - genau wie die Resonanzen von Violin­
saitenschwingungen zu den Klängen beitragen, die die Saite hervorbringt
- nur quantisierte extradimensionale Impulse einen Beitrag leisten, wenn
KK-Teilchen die Bewegungen und Wechselwirkungen eines höherdimen­
sionalen Teilchens reproduzieren. Und genau wie die Töne einer Violin­
saite von deren Länge abhängen, hängen die quantisierten extradimen­
sionalen Impulse von KK-Teilchen von Form und Größe der Zusatzdi­
mensionen ab.
Die extradimensionalen Impulse der KK-Teilchen würden uns in unse­
rer anscheinend vierdimensionalen Welt als unverwechselbares Muster
der Massen von KK-Teilchen erscheinen. Wenn Physiker KK-Teilchen
entdecken, werden uns deren Massen etwas über die Geometrie der Zu­
satzdimensionen verraten. Wenn beispielsweise eine einzige Zusatzdi­
mension zu einem Kreis aufgerollt ist, würden diese Massen uns die
Größe der Zusatzdimension mitteilen.
Die Prozedur, wie man die erlaubten Impulse (und damit Massen ) von
KK-Teilchen in einem Universum mit einer aufgerollten Dimension he­
rausfindet, gleicht in etwa der Methode, mit der man mathematisch die
resonanten Schwingungen von Violinsaiten bestimmt; und sie gleicht
auch der Methode, die Bohr benutzte, um die quantisierten Elektronen­
umlaufbahnen in einem Atom zu bestimmen. Die Quantenmechanik
weist allen Teilchen Wellen zu, und nur die Wellen sind erlaubt, die ganz­
zahlige Male um den extradimensionalen Kreis herumschwingen. Wir
bestimmen die erlau bten Wellen, und dann beziehen wir mittels der
Quantenmechanik die Wellenlänge auf den Impuls. Und die extradimen­
sionalen Impulse verraten uns die erlaubten Massen der KK-Teilchen -
und genau das wollen wir herausfinden.
Die konstante Welle ( eine, die überhaupt nicht oszilliert) ist immer er­
laubt. Diese » Welle << ist wie die Oberfläche eines perfekt ruhenden Sees
ohne j ede sichtbare Krä uselung oder wie eine Violinsaite, die nicht ange­
strichen oder gezupft wird. Diese Wahrscheinlichkeitswelle hat überall
in der zusätzlichen Dimension denselben Wert. Und wegen des konstan­
ten Werts dieser flachen Wahrscheinlichkeitswelle zieht das ihr zuge­
ordnete KK-Teilchen keine bestimmte extradimensionale Lokalisierung
allen anderen vor. Der Quantenmechanik zufolge trägt dieses Teilchen
keinen extradimensionalen Impuls, und nach der speziellen Relativitäts­
theorie hat es keine zusätzliche Masse.
Das leichteste KK-Teilchen ist daher das, welches mit dieser konstanten

402
UNDICHTE PASSAGEN: FINGERABDRÜ CKE ZUSÄTZLIC HER DIMENSIONEN

Wahrscheinlichkeitswelle in der zusätzlichen Dimension verknüpft ist.


Bei niedrigen Energien ist dies das einzige KK-Teilchen, das produziert
werden kann. Weil es in der Zusatzdimension weder Impuls noch Struk­
tur hat, ist es von j edem gewöhnlichen vierdimensionalen Teilchen mit
derselben Masse und derselben Ladung ununterscheid bar. Bei niedriger
Energie kann das höherdimensionale Teilchen überhaupt nicht in der
kompakten, aufgerollten Dimension herumschwingen. Anders ausge­
drückt : Bei niedriger Energie werden keinerlei zusätzliche KK-Teilchen
produziert, die unser Universum von einem mit mehr Dimensionen un­
terscheiden würden. Prozesse mit niedriger Energie und die leichtesten
KK-Teilchen werden uns daher nichts über die Existenz einer zusätzlichen
Dimension verraten, von ihrer Größe oder Gestalt ganz zu schweigen.
Wenn j edoch das Universum zusätzliche Dimensionen enthält und
Teilchenbeschleuniger genügend hohe Energien erreichen, werden sie
schwerere KK-Teilchen erzeugen. Diese schwereren KK-Teilchen, die ex­
tradimensionale Impulse ungleich null haben, werden der erste reale
Beweis für Zusatzdimensionen sein. In unserem Beispiel sind j ene schwe­
reren KK-Teilchen mit Wellen assoziiert, die entlang der kreisförmigen
zusätzlichen Dimension Struktur haben ; die Wellen variieren, während
sie um die aufgerollte Dimension kreisen, indem sie in ihrer Längsrich­
tung ganzzahlige Male auf- und abschwingen.
Das leichteste solcher KK-Teilchen wäre das, dessen Wahrscheinlich­
keitsfunktion die größte Wellenlänge hat. Und die größte Wellenlänge,
deren Schwingung in einen Kreis passt, ist diej enige, die genau einmal
a u f- und abschwingt, während die Welle um die aufgerollte Dimension
läuft. Die Wellenlänge wird also von der Größe des Umfangs der zusätz­
lichen Dimension bestimmt (sie ist annähernd gleich groß) . Eine größere
Wellenlänge passt nicht hinein ; sie würde nicht mehr zu sich selbst pas­
sen, wenn sie wieder einen bestimmten Punkt auf dem Kreis durchliefe.
Das Teilchen mit dieser Wahrscheinlichkeitswelle ist das leichteste KK­
Tei lchen, das sich an seine extradimensionale Herkunft » erinnert << .
Es ergibt Sinn, dass die Länge der mit diesem leichtesten Teilchen mit
extradimensionalem Impuls assoziierten Welle ungefähr der Größe der
zusätzlichen Dimension entspricht. Schließlich wissen wir intuitiv, dass
nur etwas, das so klein ist, dass es die Eigenschaften oder Wechselwir­
kungen auf einer winzigen Skala sondieren kann, die Existenz einer auf­
gerollten Dimension wahrnehmen könnte. Wenn man mit einer größeren
Wellenlänge in eine zusätzliche Dimension vordringen wollte, wäre das,
als wollte man die Position eines Atoms mit einem Lineal messen. Wenn

403
VERBORGENE UNIVERSEN

man beispielsweise versuchte, eine Zusatzdimension mittels Licht oder


einer anderen Sonde von einer bestimmten Wellenlänge zu finden,
müsste die Wellenlänge dieses Lichts kleiner sein als die Größe der Zu­
satzdimension. Weil die Quantenmechanik Teilchen Wahrscheinlich­
keitswellen zuordnet, kann man die obigen Aussagen über die Wellen­
längen von Sonden in Aussagen über Teilcheneigenschaften überführen.
Nur Teilchen mit hinreichend kleiner Wellenlänge und daher ( wegen der
Unschärferelation ) hinreichend hohem extradimensionalen Impuls und
hinreichend großer Masse können für die Existenz einer Zusatzdimen­
sion empfindlich sein.
Ein weiteres attraktives Merkmal des leichtesten KK-Teilchens mit ex­
tradimensionalem Impuls ungleich null besteht darin, dass sein Impuls
( und daher seine Masse ) kleiner ist, wenn die Zusatzdimension größer
ist. Eine größere zusätzliche Dimension müsste leichter zugänglich sein
und eher zu beobachtbaren Konsequenzen führen, weil leichtere Teil­
chen einfacher zu produzieren und zu entdecken sind.
Wenn es Extradimensionen gibt, wären diese leichtesten KK-Teilchen
nicht die alleinigen Beweise für sie. Andere Teilchen mit höherem Impuls
müssten in Teilchenbeschleunigern noch deutlichere Fingerabdrücke von
Zusatzdimensionen hinterlassen. Diese Teilchen müssten Wahrschein­
lichkeitswellen haben, die bei der Umrundung der aufgerollten Dimen­
sion mehr als einmal oszillieren. Weil das nte solche Teilchen einer Welle
entspräche, die bei ihrem Umlauf um die aufgerollte Dimension n-mal
oszilliert, müssten die Massen dieser KK-Teilchen allesamt ganzzahlige

Masse

0
Massen-
differenz
- 1 / Größe
-
J -
--

A bbildung 74 : Kaluza-Klein-Teilchen entsprechen Wellen, die ganzzahlige


Male um die aufgerollte Dimension schwingen. Wellen mit mehr Oszillatio­
nen entsprechen schweren Teilchen.

404
U N D I C H T E PA S S AG E N : F I N G E R A B D R Ü C K E Z U S Ä T Z L I C H E R D I M E N S I O N E N

Vielfache derj enigen d e s leichtesten s e i n . U n d j e höher die Impulse, desto


schärfer die Fingerabdrücke der Zusatzdimensionen, die die KK-Teilchen
in Collidern hinterlassen würden. Abbildung 74 zeigt schematisch die
Werte der KK-Teilchen-Massen, die umgekehrt proportional zur Größe
der Extradimension sind, sowie zwei Wellen, die diesen massiven Teil­
chen entsprechen.
Die vielen sukzessive schwereren KK-Teilchen ähneln den aufeinander
folgenden Generationen einer Einwandererfamilie. Die Mitglieder der
j üngsten Generation, die in den USA geboren wurden, haben die ameri­
kanische Kultur in vollem Umfang übernommen, sprechen perfekt Eng­
lisch, und nichts deutet mehr auf ihre fremde Herkunft hin. Für die vor­
angegangene Generation, die Eltern der j üngsten, gilt das nicht : Viel­
leicht sprechen sie noch mit leichtem Akzent, und gelegentlich greifen sie
zu Sprichwörtern aus der alten Heimat. Die noch ältere Generation
würde deutlich fremdartiger sprechen und Kleidung tragen und Ge­
schichten erzählen, die alle in der Heimat ihren Ursprung haben. Von
diesen früheren Generationen könnte man sagen, dass sie einer anderen­
falls weniger farbenfrohen, gleichförmigeren Gesellschaft kulturelle Di­
mensionen hinzufügen.
Ähnlich sind die leichtesten KK-Teilchen nicht von Teilchen in einer
grundsätzlich vierdimensionalen Welt zu unterscheiden ; nur die massi­
veren » älteren Verwandten << würden Beweise für Extradimensionen lie­
fern. Auch wenn die leichtesten KK-Teilchen wie vierdimensionale wir­
ken, würde ihre Herkunft offensichtlich, wenn einmal genügend viel
Energie bereitsteht, um ihre massiven » Vorfahre n << zu produzieren.
Wenn Experimentatoren neue schwere Teilchen mit denselben Ladun­
gen wie die vertrauten und mit einander ähnlichen Massen entdecken,
werden diese Teilchen ein deutlicher Beweis für zusätzliche Dimensionen
sein. Wenn solche Teilchen dieselben Ladungen tragen und reguläre
Massenintervalle aufweisen, würde das sehr wahrscheinlich bedeuten,
dass eine einfache aufgerollte Dimension entdeckt worden ist.
Kompliziertere extradimensionale Geometrien würden jedoch kom­
pliziertere Verteilungsmuster von Massen ergeben. Wenn genügend viele
KK-Teilchen entdeckt werden, würden sie dann nicht nur die Existenz
von Zusatzdimensionen anzeigen, sondern auch deren Größe und Ge­
stalt. Wie auch immer die Geometrie der verborgenen Dimensionen aus­
sähe, die Massen der KK-Teilchen würden davon abhängen. In allen Fäl­
len könnten uns die KK-Teilchen und ihre Massen eine ganze Menge
über extradimensionale Eigenschaften sagen.

405
VERBORGENE UN IVERSEN

Experimentelle Grenzen

Bis vor kurzem nahmen die meisten Stringtheoretiker an, dass zusätzli­
che Dimensionen nicht größer als die winzige Planek-Längenskala sein
könnten. Das lag daran, dass bei der Planck-Energieskala die Gravita­
tion stark wird und an diesem Punkt eine Theorie der Quantengravita­
tion, welche die Stringtheorie sein könnte, übernehmen müsste. Aber die
Planek-Längenskala ist viel kleiner als alles, was wir experimentell un­
tersuchen können. Die winzige Planek-Längenskala entspricht ( nach der
Quantenmechanik und der speziellen Relativitätstheorie ) der enormen
Planck-Massenskala ( oder Energieskala), die das zehntausend Billionen­
fache dessen beträgt, was die heutigen Teilchenbeschleuniger erreichen.
KK-Teilchen von Planck-Masse wären so schwer, dass sie außer Reich­
weite j edes vorstellbaren Experiments wären.
Vielleicht sind zusätzliche Dimensionen aber größer und KK-Teilchen
und damit leichter. Warum sollten wir nicht stattdessen fragen, was ex­
perimentelle Tests uns über die Größe einer Zusatzdimension verraten ?
Was wissen wir wirklich, wenn wir die theoretische Voreingenommen­
heit beiseite lassen ?
Wenn die Welt höherdimensional ist und es keine Branen gibt, dann
müssten alle vertrauten Teilchen - das Elektron beispielsweise - KK­
Partner haben.32 Es wären Teilchen mit genau derselben Ladung wie be­
kannte Teilchen, aber mit Impulsen in den zusätzlichen Dimensionen.
Die KK-Partner der Elektronen wären wie letztere negativ geladen, aber
schwerer. Wenn eine Zusatzdimension zu einem Kreis aufgerollt ist,
würde die Masse des leichtesten dieser Teilchen von der Elektronen­
masse um einen Wert abweichen, der umgekehrt proportional zur Größe
der Zusatzdimension ist. Das bedeutet : j e größer die Extradimension,
desto kleiner die Teilchenmasse. Weil eine größere Dimension zu leichte­
ren KK-Teilchen führen würde, von denen noch keines beobachtet
wurde, schränken die Grenzwerte der KK-Teilchenmassen die erlaubte
Größe einer zusätzlichen, aufgerollten Dimension ein.
Bislang wurden noch keinerlei Anzeichen für solche geladenen Teil­
chen in Collidern beobachtet, die mit Energien bis zu 1000 Ge V arbeiten.
Da die KK-Teilchen Signaturen zusätzlicher Dimensionen wären, wir
aber bislang noch keine gesehen haben, wissen wir, dass die Extradimen­
sionen nicht allzu groß sein können. Die momentanen experimentellen
Grenzen sagen uns, dass die Zusatzdimensionen nicht größer als 10 -17
cm sein könnten (einhundert Tausendstel eines Billionstels eines Zenti-

406
U N D I C H T E PAS SAG E N : F I N G E R A B D R Ü C K E Z U S Ä T Z L I C H E R D I M E N S I O N E N

meters ) . ' ' D a s i s t extrem klein, weit kleiner als alles, was w i r direkt be­
obachten können.
Diese Größenbeschränkung einer zusätzlichen Dimension ist rund
zehnmal kleiner als die schwache Längenskala. Aber auch wenn 1 0 -17 cm
klein ist, ist es noch riesig im Vergleich zur Planck-Längenskala, die 1 0 - 1 1
c m beträgt, also sechzehn Größenordnungen kleiner ist. D a s heißt, dass
Zusatzdimensionen viel größer sein könnten als die Planek-Längenskala
und trotzdem bislang der Entdeckung entgangen sind. Der ( moderne)
griechische Physiker Ignatius Antoniadis stellte sich als einer der Ersten
vor, dass Zusatzdimensionen nicht Planek-Länge haben, sondern ihre
Größe vielmehr mit der Längenskala vergleichbar ist, die der Reichweite
der schwachen Wechselwirkung entspricht. Er überlegte, wie die neue
Physik aussehen könnte, wenn Collider ihre Energie auch nur ein biss­
chen steigern . Schließlich besagt das Hierarchieproblem, dass bei j enen
Energien etwas zu beobachten sein muss, bei denen Teilchen mit schwa­
chen Energieskalen und Massen produziert werden.
Aber selbst die oben geschilderte Einschränkung der Größe von Zu­
satzdimensionen muss nicht in j edem Fall zutreffen. KK-Teilchen sind
Fingerabdrücke von zusätzlichen Dimensionen, aber sie könnten gewieft
sein und sich nicht so einfach entdecken lassen. Wir haben kürzlich eine
Menge über KK-Teilchen und ihr mögliches Aussehen herausgefunden.
Die folgenden Kapitel werden die neuesten Erkenntnisse erklären, war­
um Zusatzdimensionen, wenn man Branen mit ins Bild nimmt, größer
als 1 0 -17 cm sein und sich trotzdem der Entdeckung entziehen können ­
auch wenn man erwarten muss, dass größere Dimensionen zu leichteren
KK-Teilchen führen . Einige Modelle mit überraschend großen Dimensio­
nen - Dimensionen, von denen man annehmen sollte, dass sie sichtbare
Konsequenzen haben - können unsichtbar sein, aber trotzdem die mys­
teriösen Eigenschaften von Standardmodell-Teilchen erklären helfen.
Und Kapitel 22 wird ein noch überraschenderes Resultat präsentieren :
Eine unendlich große Zusatzdimension könnte unendlich viele leichte
KK-Teilchen hervorbringen, aber trotzdem keine beobachtbare Spur hin­
terlassen.

'' Denken Sie daran, dass wir hier davon ausgegangen sind, dass es keine Branen gibt ;
in den folgenden Kapiteln wird sich diese Einschränkung ändern.

407
VERBORGENE UNIVERSEN

Was neu ist:

• Kaluza-Kiein-Moden oder KK-Moden sind Teilchen mit extradimen­


sionalem Impuls ; sie dringen aus höheren Dimensionen in unsere vier­
dimensionale Welt ein.

• KK-Teilchen müssten wie schwere Teilchen mit derselben Ladung wie


bekannte Teilchen aussehen.

• Die Massen und Wechselwirkungen von KK-Teilchen werden von der


höherdimensionalen Theorie bestimmt ; daher spiegeln sie die Eigen­
schaften der höherdimensionalen Raumzeit wider.

• Wenn wir die Eigenschaften aller KK-Teilchen entdecken und messen


könnten, würden wir die Größe und Gestalt der höheren Dimensio­
nen kennen.

• Heutige experimentelle Grenzen sagen uns, dass zusätzliche Dimen­


sionen nicht größer als rund 10 -17 cm sein können, wenn alle Teilchen
sich durch den höherdimensionalen Raum bewegen.

408
19

Voluminöse Passagen:
Große Zusatzdimensionen

I couldn't even see the millimeter when it feil.


Ich konnte den Millimeter noch nicht einmal sehen, als er ßel.
Eminern

Da K. Quadrats kurzer Besuch vorüber war, verbrachte Athena jetzt viel


Zeit im örtlichen Internetca(e. Sie war ganz aufgeregt, weil sie kürzlich
ein paar mysteriöse neue Webseiten entdeck t hatte, von denen xxx.soclo­
seandyetsofar.al die spannendste war. Athena hatte den Verdacht, diese
unterhaltsamen Seiten wären eine Folge der kürzlichen Fusion von AOB
(America an Brane) und Spacetime Warner, aber sie musste nach Hause
und hatte keine Zeit mehr, das zu überprüfen.
Als Athena daheim ankam, eilte sie an ihren Computer, wo sie sogleich
wieder nach den exotischen Hyperlinks suchte, zu denen sie im Internet­
ca(e so leicht Zugang gefunden hatte. Zu ihrer Enttäuschung jedoch hin­
derte sie CyberNanny daran, auf die verbotenen, dimensional erweiter­
ten Seiten zuzugreifen. * Sie maskierte ihre Identität mit ihrem sicheren
Alias » Mentor«, überlistete so ihren Cyberzensor und konnte schließlich
wieder auf die mysteriösen Hyperlinks zugreifen.
Im Stillen hoffte Athena, dass K. Quadrat ihr eine Nachricht geschick t
hatte, die auf einer Webseite versteck t war. Aber diese Seiten waren nicht
leicht zu begreifen, und es gelang ihr nur, einige wenige möglicherweise
etwas bedeutende Signale zu registrieren. Sie beschloss, den Inhalt gründ­
licher zu studieren, und hoffte, dass die Fusion - im Gegensatz zu einer

* Physiker veröffentlichen ihre Aufsätze auf einer Webseite, die mit » XXX« beginnt :
Probieren Sie einmal xxx.lanl.gov. Internetfilter haben gelegentlich den Zugriff auf
diese Seite verhindert. ( >> XXX« ist das traditionelle amerikanische Kürzel für » nicht ju­
gendfrei « , zum Beispiel für pornographische Filme . )

409
'
VERBORGENE UNIVERSEN

anderen mit einem ähnlichen Namen - lange genug Bestand haben


würde, um das hinzubekommen.

Auf der Supersymmetrie-Konferenz von Oxford im Jahr 1 9 9 8 hielt der


Stanford-Physiker Savas Dimopoulos einen der interessantesten Vor­
träge. Er berichtete über eine Gemeinschaftsarbeit mit zwei anderen Phy­
sikern, Nima Arkani-Hamed und Gia Dvali. Die exotischen Namen die­
ser drei passen gut zu ihren schillernden Charakteren und Ideen. Savas
begeistert sich immer sehr für seine Proj ekte ; seine Mitarbeiter berichte­
ten mir, sein Enthusiasmus sei stets ansteckend. Zusätzliche Dimensio­
nen faszinierten ihn so enorm, dass er einem Kollegen erzählte, all die
neuen, unerforschten physikalischen Ideen brächten ihn dazu, sich wie
ein Kind im Süßwarenladen zu fühlen - er wollte alles auf einmal essen,
ehe irgendjemand sonst davon etwas abbekam. Gia, Physiker aus dem
früher zur UdSSR gehörenden Georgien, geht sowohl bei seinen For­
schungsansätzen wie auch bei seinen gewagten Bergtouren viele Risiken
ein. Einmal saß er zwei Nächte lang ohne Nahrung auf einem sturmum­
tosten Gipfel des Kaukasus fest. Nima, Physiker iranischer Abstam­
mung, ist energiegeladen, mitreißend und äußerst redegewandt. Mittler­
weile arbeitet er wie ich in Harvard, wo er oft durch die Gänge geht,
enthusiastisch seine neuesten Forschungsproj ekte erläutert und andere
überredet, dabei mitzumachen.
Savas Vortrag bei der erwähnten Konferenz, der gar nicht von Super­
symmetrie handelte, sondern von zusätzlichen Dimensionen, stahl ironi­
scherweise der Supersymmetrie zum Teil die Schau . Er erklärte, dass Ex­
tradimensionen und nicht Supersymmetrie die physikalische Theorie
sein könnten, die dem Standardmodell zugrunde liegt. Und wenn seine
Vermutung richtig wäre, könnten Experimentatoren Beweise für Zusatz­
dimensionen und nicht für Supersymmetrie finden, wenn sie in naher
Zukunft die schwache Skala erforschen.
Dieses Kapitel präsentiert Arkani-Hameds, Dimopoulos' und Dvalis *
Vorstellung, wie sehr große Dimensionen die Schwäche der Gravitation
erklären könnten . Im Kern geht es darum, wie große zusätzliche Dimen­
sionen die Schwerkraft so weit verdünnen könnten, dass die Gravitati­
onsstärke viel schwächer wäre, als man aufgrund von Schätzungen ohne
Extradimensionen glauben würde. Ihre Modelle lösen nicht das Hierar-

* Um der Kürze willen werde ich die drei gemeinsam als »ADD « abkürzen.

410
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N

chieproblem, weil immer noch erklärt werden muss, warum d i e Dimen­


sionen so groß sind. Aber ADD hofften, diese neue und anders gelagerte
Frage wäre leichter in den Griff zu bekommen.
Wir werden noch eine weitere, damit zusammenhängende Frage be­
trachten, die ADD gleichfalls stellten : Wie groß können zusammenge­
rollte Extradimensionen sein, wenn Standardmodell-Teilchen auf eine
Brane beschränkt sind und sich nicht frei durch das Bulk bewegen kön­
nen, ohne den experimentellen Resultaten zu widersprechen ? Die Ant­
wort, die sie fanden, war ungewöhnlich. Zum Zeitpunkt, da sie ihren
Aufsatz schrieben, sah es danach aus, als könnten zusätzliche Dimensio­
nen bis zu einem Millimeter groß sein.

Dimensionen (fast) so groß wie ein Millimeter

Wie bei dem im Kapitel 17 beschriebenen Sequestrationsmodell sind


beim ADD-Modell die Teilchen des Standardmodells auf eine Brane be­
schränkt. Allerdings verfolgten die beiden Modelle ganz unterschiedli­
che Ziele, und daher weichen ihre übrigen Merkmale völlig voneinander
ab. Während das Sequestrationsmodell nur eine zusätzliche Dimension
hatte, die zwischen zwei Branen eingeschlossen war, haben die ADD-

A b bildung 75 : Schematische Darstellung der ADD-Branenwelt. Die zusätzli­


chen Dimensionen des Universums sind aufgerollt (und groß). Wir leben auf
einer B rane (der gepunk teten Linie entlang des Zylinders), folglich unterliegt
nur die Gravitation den zusätzlichen Dimensionen.

41 1
VERBORGENE UN IVERSEN

Modelle alle mehr als eine Dimension, und diese Dimensionen sind auf­
gerollt. Je nach den Details der Implementierung enthält in ihren Model­
len der Raum zwei, drei oder mehr zusätzliche aufgerollte Dimensionen.
Darüber hinaus umfasst das ADD-Modell eine einzige Brane, auf die die
Standardmodell-Teilchen beschränkt sind, aber diese Brane begrenzt kei­
nen Raum. Sie sitzt einfach innerhalb der zusätzlichen aufgerollten Di­
mension, wie in Abbildung 75 dargestellt.33
Unter anderem wollten ADD mit ihrem Projekt die Frage klären, wie
große Zusatzdimensionen noch versteckt sein könnten, wenn alle Teil­
chen des Standardmodells auf einer Brane gefangen sind und die Gravi­
tation die einzige Kraft im höherdimensionalen Bulk ist. Ihre Antwort
überraschte die meisten Physiker. Im Gegensatz zur Größe von einem
Hundertstel eines Tausendstels eines Billionstels eines Zentimeters, die
wir im vorangegangenen Kapitel erwogen haben, konnten diese zusätz­
lichen aufgerollten Dimensionen bis zu einem Millimeter groß sein.
( Eigentlich ist es ein bisschen heikel, hier die genaue Zahl anzugeben,
denn wie wir später in diesem Kapitel diskutieren werden, haben Physi­
ker an der University of Washington experimentell nach millimetergro­
ßen Zusatzdimensionen gesucht, aber keine gefunden. Ausgehend von
ihren Ergebnissen wissen wir j etzt, dass die zusätzlichen Dimensionen
kleiner als rund einen Zehntelmillimeter sein müssen, sonst kämen sie
nicht infrage. Trotzdem wären auch noch Dimensionen von einem Zehn­
telmillimeter Größe ziemlich schockierend . )
Ihnen geht wahrscheinlich gerade durch den Kopf, dass Dimensionen
von einem Millimeter Größe ( oder auch zehn Mal kleiner) uns doch mit
Sicherheit schon bekannt sein müssten. Schließlich braucht jeder, der
millimetergroße Obj ekte nicht erkennen kann, eine neue Brille. Auf den
Skalen der Teilchenphysik ist ein Millimeter gigantisch groß.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie außerordentlich groß
Zusatzdimensionen von einem Millimeter oder auch nur einem Zehntel­
millimeter wären, wollen wir die Längenskalen rekapitulieren, die wir
bislang diskutiert haben. Die Planck-Längenskala, weit außerhalb der
Reichweite unserer Experimente, beträgt I 0 -33 cm. Die TeV-Skala, d ie
wir gegenwärtig experimentell erforschen, liegt bei rund I0 -17 cm ; den
Elektromagnetismus haben Physiker bis hinunter auf so kleine Entfer­
nungen wie 1 0 -1 7 cm überprüft. Im Vergleich dazu waren die Größen,
von denen ADD sprachen, riesig. Ohne Branen wären millimetergroße
Zusatzdimensionen eine Absurdität, die nicht infrage käme.
Branen j edoch machen weit größere Extradimensionen vorstellbar.

412
V O L U M I N Ö S E PA S SAG E N : G R O S S E Z U SATZ D I M E N S I O N E N

Branen können Quarks, Leptonen und Eichbosonen gefangen halten, so­


dass es im umfassenden, höherdimensionalen Raum n u r die Gravitation
gibt. Im ADD-Szenario - das davon ausgeht, dass alles außer der Gravi­
tation auf eine Brane beschränkt ist - sieht alles, was nicht mit Schwer­
kraft zu tun hat, genauso aus wie ohne zusätzliche Dimensionen, selbst
wenn diese extrem groß sein sollten.
Beispielsweise wäre alles, was Sie sehen, vierdimensionaL Ihre Augen
registrieren Photonen, und im ADD-Modell sind Photonen auf einer
Brane gefangen. Daher würden alle O bj ekte, die Sie erblicken, aussehen,
als hätten sie nur drei räumliche Dimensionen. Wenn Photonen auf einer
Brane festsitzen, könnten Sie niemals irgendeinen Beweis für zusätzliche
Dimensionen direkt sehen, egal wie stark Ihre Brille ist.
De facto könnte man Beweise für millimetergroße Dimensionen im
ADD-Szenario nur mit einer extrem empfindl ichen Schwerkraftsonde zu
finden hoffen. All die üblichen teilchenphysikalischen Prozesse wie etwa
die von der elektromagnetischen Kraft vermittelte Wechselwirkung, die
Erzeugung von Elektron-Positron-Paaren und die Bindung des Atom­
kerns mittels der starken Wechselwirkung, ereignen sich nur auf der vier­
dimensionalen Brane und wären genau dieselben wie in einem rein vier­
dimensionalen Universum.
Auch geladene KK-Teilchen würden kein Problem darstellen. Im vor­
angegangenen Kapitel wurde erklärt, dass zusätzliche Dimensionen
nicht sehr groß sein können, wenn alle Teilchen im Bulk sind, denn wenn
sie es wären, hätten wir bereits die KK-Partner der Standardmodell-Teil­
chen gesehen. Im ADD-Szenario trifft das nicht zu, weil alle Standard­
modell-Teilchen - beispielsweise Elektronen - auf eine Brane begrenzt
sit).d. Also würden die Standardmodell-Tei lchen, die sich nicht durchs
höherdimensionale Bulk bewegen, keine extradimensionalen Impulse
tragen. Auf eine Brane beschränkte Standardmodell-Tei lchen hätten da­
her keine KK-Partner. Und wenn es keine KK-Partner gibt, dann würden
auf KK-Teilchen basierende Einschränkungen wie die im l etzten Kapitel
betrachteten nicht gelten.
De facto ist im ADD-Modell das einzige Teilchen, das KK-Partner hat,
das Graviton, von dem wir wissen, dass es sich durch das höhergelegene
Bulk bewegen muss. Die KK-Partner des Gravitons wechselwirken aber
viel schwächer als die Standardmodell-KK-Partner. Während Letztere
mittels Elektromagnetismus, schwacher und starker Kraft wechselwir­
ken, interagieren die KK-Partner des Gravitons nur mit der Gravitations­
stärke - so schwach wie das Graviton selbst. Die KK-Partner des Gravi-

413
VERBORGENE UN IVERSEN

tons wären daher viel schwieriger zu produzieren und zu entdecken als


die KK-Partner der Standardmodell-Teilchen. Schließlich hat noch nie­
mand direkt ein Graviton beobachtet. Und seine KK-Partner, die so
schwach wechselwirken wie das Graviton selbst, dürften auch nicht
leichter zu finden sein.
Wenn die einzigen Einschränkungen für zusätzliche Dimensionen aus
der Gravitation herrührten, ging ADD auf, dann konnten die zusätz­
lichen Dimensionen in ihrem Szenario, in dem die Standardmodell-Teil­
chen auf einer Brane festsitzen, viel größer ausfallen, als das vorangegan­
gene Kapitel nahelegt. Der Grund dafür ist, dass die Gravitation ziemlich
schwach und daher experimentell extrem schwierig zu untersuchen ist.
Bei leichten Objekten und kurzen Distanzen ist die Gravitation so
schwach, dass ihre Effekte ohne weiteres von anderen Wechselwirkun­
gen überlagert werden.
Beispielsweise ist die Anziehungskraft zwischen zwei Elektronen
1 0 43-mal schwächer als die elektromagnetische Wechselwirkung. Die
Anziehungskraft der Erde dominiert nur, weil die Nettoladung des Pla­
neten null ist. Bei kleinen Skalen kommt es nicht nur auf die Nettola­
dung an, sondern auch auf die Art und Weise, wie die Ladungen verteilt
sind. Um das Gravitationsgesetz bei kleinen Obj ekten zu überprüfen,
muss die Schwerkraft auch noch gegen die winzigsten Konsequenzen der
anderen Wechselwirkungen abgeschottet werden. Auch wenn die die
Sonne umkreisenden Planeten, der die Erde umrundende Mond und die
Evolution des ganzen Universums uns etwas über die Form der Gravita­
tion bei sehr großen Entfernungen verraten, ist sie bei kurzen Distanzen
schwer zu überprüfen. Wir wissen darüber viel weniger als über die an­
deren Wechselwirkungen. Wenn also die Gravitation die einzige Kraft im
Bulk ist, dann würde die Existenz überraschend großer Zusatzdimensio­
nen keinerlei experimentellen Erkenntnissen widersprechen. Dimensio­
nen mit an Branen gebundenen Teilchen sind schwer zu beobachten.
Als ADD 1996 ihren Aufsatz schrieben, war Newtons inverses Qua­
dratgesetz bis hinunter auf einen Abstand von rund einem Millimeter
überprüft worden. Das bedeutete, zusätzliche Dimensionen konnten bis
zu einem Millimeter groß sein, und niemand hätte irgendwelche Beweise
für sie entdeckt. ADD schrieben : >> Unsere Interpretation von M p1 [die
Planck-Energie] als fundamentale Energieskala [bei der gravitative
Wechselwirkungen stark werden] basiert folglich auf der Annahme, dass
die Gravitation über die 33 Größenordnungen zwischen der Stelle, wo sie
gemessen wird . . . bis hinunter zur Planek-Länge 1 0 -13 cm nicht modifi-

414
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N

ziert wird. << * Anders ausgedrückt : 1 9 9 8 war über die Schwerkraft nichts
aus Experimenten bei Distanzen unter rund einem Millimeter bekannt.
Bei geringeren Abständen konnte sich die Gravitation anders verhalten ­
beispielsweise hätte die Schwerkraft viel rascher zunehmen können,
wenn Objekte sich einander nähern -, aber niemand hätte das wissen
können.

Große Dimensionen und das Hierarchieproblem

Dass große Zusatzdimensionen möglich sein könnten, war eine wichtige


Erkenntnis. Aber ADD widmeten sich ihnen nicht einfach nur, um ab­
strakte Eventualitäten zu erkunden . Ihr eigentliches Interesse galt der
Teilchenphysik und vor allem dem Hierarchieproblem.
Wie in Kapitel 12 erklärt, dreht sich das Hierarchieproblem um das
extreme Verhältnis zwischen der schwachen Massenskala und der
Planck-Massenskala - den Massen, die für Teilchenphysik und Gravita­
tion von Belang sind. Bis vor kurzem lautete die wichtigste Frage der
Teilchenphysiker, warum die schwache Massenskala so klein ist, obwohl
die großen virtuellen Beiträge ( von Größe der Planck-Massenskala * '' )
zur Masse des Higgs-Teilchens sie tendenziell größer machen. Bevor
Physiker über zusätzliche Dimensionen nachzudenken begannen, dreh­
ten sich alle Versuche zur Lösung des Hierarchieproblems darum, das
Standardmodell in der Hoffnung zu erweitern, eine umfassendere, der
Teilchenphysik zugrunde liegende Theorie zu finden, die erklären
würde, warum die schwache Massenskala so viel kleiner ist als die
Planck-Massenskala.
Beim Hierarchieproblem geht es um ein großes Ungleichgewicht zwi­
schen zwei Zahlen. Rätselhaft ist, warum die Planck-Skala und die
schwache Skala so unterschiedlich sind. Man könnte das Hierarchiepro­
blem also auch so ausdrücken : Warum ist die Planck-Massenskala so
groß, wenn doch die schwache Massenskala so klein ist ? Oder, was
äquivalent ist : Warum ist die auf Elementarteilchen einwirkende
Schwerkraft so schwach ? So formuliert, wirft das Hierarchieproblem die

* Nima Arkani-Hamed, Savas Dimopoulos, Gia Dvali, »The hierarchy problern and
new dimensions at a millimeter « , Physics Letters B, Bd. 429, S . 263 - 272 ( 1 9 9 8 ) .
* * Denken Sie daran, dass die Planek-Längenskala winzig ist, die Planck-Massenskala
(oder Energieskala) hingegen riesig.

415
VERBORGENE UNIVERSEN

Frage auf, ob die Gravitation - und nicht die Teilchenphysik - sich von
dem unterscheidet, was Physiker bislang angenommen haben.
Aufgrund von solchen Überlegungen kamen ADD zu dem Schluss,
dass Versuche, das Hierarchieproblem durch Erweiterungen des Stan­
dardmodells zu lösen, der falsche Weg waren. Sie erkannten, dass hinrei­
chend große Zusatzdimensionen das Problem genauso gut lösen konn­
ten. Sie schlugen vor, dass die fundamentale Massenskala, die die
Schwerkraft determiniert, nicht die Planck-Massenskala ist, sondern
eine viel kleinere Massenskala in der Nähe von einem TeV.
Damit standen ADD aber noch immer vor der Frage, warum die Gra­
vitation so schwach sein sollte. Denn dass die Planck-Massenskala so
groß ist, hat seinen Grund schließlich darin, dass die Schwerkraft
schwach ist - die Stärke der Gravitation ist dieser Skala umgekehrt pro­
portional. Eine viel kleinere fundamentale Massenskala für die Schwer­
kraft würde gravitative Wechselwirkungen viel zu stark machen.
Aber dieses Problem war nicht unüberwindlich. ADD betonten, dass
nur die höherdimensionale Gravitation notwendigerweise stark war. Sie
überlegten, dass große Zusatzdimensionen die Schwerkraft so weit ver­
dünnen könnten, dass die Gravitation in einer niederdimensionalen ef­
fektiven Theorie recht kraftlos bliebe, auch wenn sie in höheren Dimen­
sionen sehr stark wäre. In ihrem Bild erscheint uns die Schwerkraft
schwach, weil sie in einem sehr großen extradimensionalen Raum ver­
dünnt wird. Die elektromagnetischen, starken und schwachen Wechsel­
wirkungen hingegen wären nicht so kraftlos, weil diese auf eine Brane
beschränkt wären und daher überhaupt nicht verdünnt würden. Große
Dimensionen und eine Brane konnten daher möglicherweise erklären,
warum die Gravitation so viel schwächer als die anderen Kräfte ist.
Nima erzählte mir, der Wendepunkt bei ihren Forschungen sei erreicht
gewesen, als er und seine Mitarbeiter die genaue Beziehung zwischen den
Stärken von höher- und niederdimensionaler Gravitation verstanden.
Neu war dieses Verhältnis nicht. Stringtheoretiker beispielsweise haben
damit schon immer die vierdimensionale Gravitationsskala zu einer
zehndimensionalen in Beziehung gesetzt. Und wie kurz in Kapitel 1 6 er­
klärt, bedienten sich Horava und Wirten des Verhältnisses zwischen den
Stärken von zehn- und elfdimensionaler Gravitation, als sie erkannten,
dass die Gravitation mit anderen Wechselwirkungen vereint werden
kann : Eine große elfte Dimension ermöglicht, dass die höherdimensio­
nale Gravitationsskala und damit die Stringskala so klein wie die GVT­
Skala sind. Aber bislang hatte noch niemand erkannt, dass eine höherdi-

416
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N

mensionale Gravitation hinreichend stark s e i n könnte, um d a s Hierar­


chieproblem zu lösen, solange zusätzliche Dimensionen groß genug wä­
ren, um sie adäquat zu verdünnen. Nachdem Nima, Savas und Gia eine
Zeit lang über zusätzliche Dimensionen nachgedacht und gelernt hatten,
wie man höher- und niederdimensionale Gravitation zueinander in Be­
ziehung setzt, begriffen sie, wie außerordentlich wichtig dieser Aspekt
war.

Höher- und niederdimensionale Gravitation

In Kapitel 2 haben wir gesehen, dass zusätzliche Dimensionen nicht


wahrnehmbar sind, wenn man nur solche Entfernungen untersucht, die
größer sind als die aufgerollte Zusatzdimension. Das heißt j edoch nicht
unbedingt, dass zusätzliche Dimensionen keine physikalischen Konse­
quenzen haben ; auch wenn wir sie nicht sehen, können sie noch immer
die Werte der von uns beobachteten Größen beeinflussen. In Kapitel l ?
g a b es e i n Beispiel für dieses Phänomen. Im Sequestrationsmodell d e r ge­
brochenen Supersymmetrie, in dem sich der Bruch der Supersymmetrie
auf einer weit entfernten Brane ereignet und das Graviton den Bruch an
die supersymmetrischen Partner von Standardmodell-Teilchen vermit­
telt, spiegelten die Werte der Superpartner-Massen den extradimensio­
nalen Ursprung des Supersymmetriebruchs und seiner Vermittlung via
Gravitation wider.
Wir ziehen j etzt ein weiteres Beispiel in Betracht, wie zusätzliche Di­
mensionen die Werte von messbaren Größen beeinflussen. Die Größen
der kompaktifizierten Dimensionen bestimmen das Verhältnis zwischen
der Stärke einer vierdimensionalen Gravitation ( also der, die wir be­
obachten) und der Stärke der höherdimensionalen Gravitation, aus der
erstere herrührt. Die Gravitation wird in zusätzlichen Dimensionen ver­
dünnt und ist schwächer, wenn aufgerollte Extradimensionen ein größe­
res Volumen einschließen.
Um zu erkennen, wie das funktioniert, lassen Sie uns zu dem Beispiel
in Kapitel 2 zurückkehren, wo wir das dreidimensionale Garten­
schlauch-Universum als Analogie für einen von Branen begrenzten drei­
dimensionalen Bulk-Raum betrachtet haben. Wenn das Wasser durch ein
kleines Loch eintritt ( siehe Abbildung 23, Seite 6 7 ) , zischt es aus dem
Loch und verteilt sich zunächst in allen drei Dimensionen. Hat sich das
Wasser aber erst einmal über den Durchmesser des Schlauchs verteilt,

417
VERBORGENE UN IVERSEN

breitet es sich nur noch in Längsrichtung des Schlauches aus - und des­
halb scheint der Schlauch eindimensional zu sein, wenn wir die Schwer­
kraft bei Distanzen messen, die größer sind als die Zusatzdimensionen.
Aber auch wenn das Wasser nur entlang der einen Dimension des
Schlauchs fließt, hängt sein Druck von der Größe des Querschnitts ab.
Man versteht das, wenn man sich vorstellt, was passieren würde, wenn
der Schlauch weiter wäre. Das durch das kleine Loch eingetretene Was­
ser würde sich dann über ein größeres Gebiet verteilen und der Druck
des hinausfließenden Wassers wäre schwächer.
Wenn der Wasserdruck die Schwerkraftlinien repräsentiert und das
durch das Loch in den Schlauch eintretende Wasser die Feldlinien von
einem massiven Obj ekt, dann würden sich die Kraftlinien dieses massi­
ven O bj ekts anfänglich in allen drei Richtungen ausbreiten, wie das
Wasser im eben geschilderten Beispiel. Und wenn die Kraftlinien die
Wände des Universums (die Branen) erreichen, krümmen sie sich und
verlaufen einzig und allein entlang der einen großen Dimension. Beim
Schlauch haben wir festgestellt, dass der Wasserdruck umso schwächer
ist, j e größer der Durchmesser. Ähnlich würde in unserem Wasser­
schlauch-Universum die Fläche der zusätzlichen Dimensionen bestim­
men, wie verdünnt die Feldlinien in der niederdimensionalen Welt sind.
Je größer der Bereich der zusätzlichen Dimensionen, desto schwächer
die Gravitationsfeldstärke im effektiven niederdimensionalen Univer-
sum.
Dasselbe trifft auf zusammengerollte Dimensionen in einem Univer­
sum mit einer beliebigen Anzahl von aufgerollten Dimensionen zu. Je
größer das Volumen der Extradimensionen, desto verdünnter die
Schwerkraft und desto schwächer die Gravitation. Wir können das mit
einem höherdimensionalen Schlauch veranschaulichen, der dem gerade
betrachteten analog ist. In einem höherdimensionalen Schlauch würden
sich Schwerkraftlinien zunächst in allen Richtungen einschließlich der
zusätzlichen aufgerollten Dimensionen ausbreiten. Dann würden die
Kraftlinien die Grenzen der aufgerollten Dimensionen erreichen und nur
noch den unendlichen Dimensionen des niederdimensionalen Raums
folgen. Die ursprüngliche Ausbreitung in den Zusatzdimensionen würde
die Dichte der Kraftlinien im niederdimensionalen Raum reduzieren, so­
dass die dort wahrgenommene Schwerkraft schwächer wäre.34

418
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N

Zurück zum Hierarchieproblem

Wegen der Verdünnung der Schwerkraft in zusätzlichen Dimensionen ist


die niederdimensionale Gravitation schwächer, wenn das Volumen des
extradimensionalen kompaktifizierten Raums größer ist. ADD bemerk­
ten, diese Verdünnung der Schwerkraft in Extradimensionen könnte
möglicherweise so groß sein, dass sie für die beobachtete Schwäche der
vierdimensionalen Gravitation in unserer Welt verantwortlich sein
könnte.
Sie hatten Folgendes überlegt : Nehmen wir an, dass die Gravitation in
einer höherdimensionalen Theorie nicht von der enormen Planck-Mas­
senskala von 1 0 19 Ge V abhängt, sondern stattdessen von einer viel klei­
neren Energie, rund 1 TeV, was 1 6 Größenordnungen weniger ist. Den
Wert von 1 Te V wählten sie, um das Hierarchieproblem auszuschalten :
Wenn 1 TeV oder ein vergleichbarer Wert diej enige Energie wäre, bei der
die Schwerkraft stark würde, dann gäbe es in der Teilchenphysik keine
Hierarchie der Massen. Alles würde von der Te V-Skala geprägt, sowohl
die Teilchenphysik als auch die Gravitation. In diesem Modell wäre also
ein hinreichend leichtes Higgs-Teilchen mit einer Masse von rund 1 Te V
kein Problem.
Unter diesen Voraussetzungen wäre bei Energien von rund 1 Te V eine
höherdimensionale Gravitation eine ausreichend starke Kraft und inso­
fern mit den anderen bekannten Kräften vergleichbar. Um eine vernünf­
tige Theorie zu bekommen, die mit unseren Beobachtungen überein­
stimmt, mussten ADD erklären, warum die vierdimensionale Gravita­
tion anscheinend so schwach ist. Der zusätzliche Bestandteil ihres Mo­
dells war die Annahme, dass die Extradimensionen außerordentlich
groß sind. Letzten Endes hätten wir auch für diese extreme Größe gern
eine Erklärung. Ihrem Vorschlag zufolge aber schließen die aufgerollten
Dimensionen solch ein großes Volumen ein. Und in Übereinstimmung
mit der Logik des vorangegangenen Abschnitts wäre die vierdimensio­
nale Gravitation extrem kraftlos. Die Schwerkraft wäre in unserer Welt
schwach, weil die zusätzlichen Dimensionen groß sind, und nicht, weil
grundsätzlich eine große Masse für die winzige gravitative Wechselwir­
kung verantwortlich wäre. Die in vier Dimensionen gemessene Planck­
Massenskala ist nur deswegen groß ( wodurch die Schwerkraft schwach
erscheint), weil die Gravitation in großen Zusatzdimensionen verdünnt
wird.
Wie groß müssten diese zusätzlichen Dimensionen sein ? Die Antwort

419
VERBORGENE UNIVERSEN

hängt von ihrer Anzahl ab. ADD zogen für die Dimensionen ihres Mo­
dells verschiedene mögliche Zahlen in Betracht, da experimentell noch
nicht entschieden ist, wie viele Dimensionen es gibt. Beachten Sie, dass
wir uns im Moment nur für die großen Dimensionen interessieren. Wenn
also Sie oder Ihr örtlicher Stringtheoretiker zu wissen glauben, dass die
Anzahl der Raumdimensionen neun oder zehn beträgt, dann können Sie
für die Anzahl der großen Dimensionen noch immer andere Möglichkei­
ten in Betracht ziehen und annehmen, dass alle anderen Dimensionen
klein genug sind, um sie ignorieren zu können.
Die Größe der Dimensionen im ADD-Vorschlag hängt davon ab, wie
viele es sind, weil das Volumen von der Zahl der Dimensionen abhängt.
Wenn alle Dimensionen dieselbe Größe hätten, würde eine höherdimen­
sionale Region mehr Volumen einschließen als eine niederdimensionale
und daher die Gravitation stärker verdünnen. Das kann man dann leicht
an der Tatsache nachvollziehen, dass niederdimensionale Obj ekte in hö­
herdimensionale hineinpassen. Wir können auch auf unsere Sprinkler­
Analogie in Kapitel 2 zurückgreifen, anhand deren man erkennt, dass
eine Pflanze mehr Wasser von einem Sprinkler bekommt, der das Wasser
nur über eine begrenzte Strecke einer geraden Linie verteilt (eine Dimen­
sion ) , als von einem anderen, der das Wasser über die von einem Kreis
( zwei Dimensionen) mit gleich großem Durchmesser eingeschlossene
Fläche verteilt. Wenn Wasser über eine höherdimensionale Region ver­
teilt wird, wird seine Menge stärker verdünnt.
Wenn es nur eine einzige große Zusatzdimension gä be, müsste sie gi­
gantisch sein, um den Anforderungen des ADD-Vorschlags zu entspre­
chen. Sie müsste so groß sein wie der Abstand zwischen Erde und Sonne,
um die Gravitation genügend verdünnen zu können. Das ist nicht er­
laubt. Wenn die zusätzliche Dimension so groß wäre, würde sich das
Universum bei messbaren Entfernungen so verhalten, als wäre es fünfdi­
mensionaL Wir wissen bereits, dass bei diesen Distanzen Newtons
Schwerkraftgesetz gilt; eine große Extradimension, die die Gravitation
über so große Entfernungen beeinflusst, kommt eindeutig nicht infrage.
Jedoch ist schon bei nur zwei zusätzlichen Dimensionen deren Größe
so klein, dass es fast zu akzeptieren ist. Gäbe es nur zwei Zusatzdimen­
sionen, könnten sie so klein wie ein Millimeter sein und noch immer die
Gravitation ausreichend verdünnen . Das ist der Grund, warum ADD der
Millimeterskala so viel Aufmerksamkeit schenkten : Sie stand nicht nur
kurz davor, experimentell zugänglich zu werden ; zwei zusätzliche Di­
mensionen dieser Größe konnten auch für das Hierarchieproblem von

420
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N

Bedeutung sein. Die Gravitation konnte sich möglicherweise überall in


diesen beiden millimetergroßen Dimensionen verteilen und die schwache
Schwerkraft ergeben, die wir kennen. Natürlich ist ein Millimeter noch
immer ziemlich groß, aber wie weiter oben schon gesagt, sind Schwer­
krafttests nicht annähernd so strenge Grenzen auferlegt, wie man viel­
leicht denken mag. Vom ADD-Szenario angespornt, dachten Kollegen
gründlicher darüber nach, wie man nach aufgerollten Dimensionen die­
ser Größe suchen könnte.
Bei mehr als zwei zusätzlichen Dimensionen wird die Gravitation nur
über eine sehr kurze Entfernung modifiziert. Mit weiteren zusätzlichen
Dimensionen kann sie auch dann hinreichend verdünnt werden, wenn
diese relativ klein sind. Beispielsweise müsste bei sechs Extradimensio­
nen die Größe nur rund 10 -13 cm betragen, ein Zehntausendstel eines Bil­
lionstels eines Zentimeters.
Selbst bei so kleinen Dimensionen könnten wir, wenn wir Glück ha­
ben, vielleicht schon bald Beweise für diese Beispiele fipden - nicht bei
direkten Schwerkrafttests, wie wir sie im nächsten Abschnitt diskutie­
ren, sondern bei Experimenten mit hochenergetischen Teilchencollidern,
auf die wir danach zu sprechen kommen.

Die Suche nach großen Dimensionen

Wie geht man vor, um bei kleinen Entfernungen Unterschiede in der


Gravitation zu finden ? Wonach soll man suchen ? Eines wissen wir :
Wenn es aufgerollte Dimensionen gibt, nimmt bei Entfernungen, die
kleiner als die Größe der Zusatzdimensionen sind, die Stärke der
Schwerkraft mit der Entfernung schneller ab, als Newton vorhergesagt
hatte, weil sich die Gravitation auf mehr als drei Raumdimensionen ver­
teilt. Wann immer Objekte weniger Abstand zueinander haben als die
Größe der Extradimensionen, greift die höherdimensionale Schwerkraft.
Wenn ein Käfer klein genug wäre, um in einer aufgerollten Dimension zu
kreisen, würde er die Extradimension wahrnehmen, weil er sowohl sich
in ihr bewegt als auch die Schwerkraft sich in allen Dimensionen um ihn
herum verteilen würde. Wenn also irgendj emand wie etwa dieser unge­
wöhnlich empfindliche Käfer bei kurzen Entfernungen die Schwerkraft
wahrnehmen könnte, dann hätten zusätzliche Dimensionen sichtbare
Konsequenzen.
Das heißt : Wenn wir die Gravitation bei Entfernungen untersuchen,

421
VERBORGENE UN IVERSEN

die so klein sind wie die vorgeschlagene Größe der aufgerollten Dimen­
sion ( oder noch kleiner) , und nachsehen, wie die Schwerkraft vom Ab­
stand zwischen den Massen bei solchen Distanzen abhängt, könnte man
experimentell das Verhalten der Gravitation studieren und nach Bewei­
sen für Extradimensionen suchen. Jedoch sind für Schwerkraft bei sehr
kurzen Entfernungen empfindliche Experimente ungeheuer schwierig.
Die Gravitation ist so schwach, dass sie ohne weiteres von anderen
Wechselwirkungen wie etwa dem Elektromagnetismus überlagert wird .
Wie bereits erwähnt, hatten zur Zeit von ADDs Vorschlag Experimenta­
toren nach Abweichungen von Newtons Gravitationsgesetz gesucht und
gezeigt, dass es zumindest bis hinunter zu Entfernungen von rund einem
Millimeter weiterhin gilt. Wem immer es gelingen würde, noch kürzere
Distanzen zu studieren, der hätte eine Chance, die großen Dimensionen
des ADD-Vorschlags zu entdecken, die kurz davor standen, experimen­
tell zugänglich zu werden.
Experimentatoren stellten sich der neuen Herausforderung. Von der
ADD-Idee motiviert, entwarfen Eric Adelherger und Blayne Hecke!, Pro­
fessoren an der University of Washington, ein sehr schönes Experiment,

Abbildung 76 : Der A ufbau des Eöt-Wash-Experiments. Ein Ring hängt über


zwei Scheiben, zwischen denen nur ein sehr kurzer A bstand ist. Die Löcher
im Ring und in den Scheiben sorgen dafür, dass der Ring sich nicht verdreht,
wenn Newtons umgekehrtes Quadratgesetz gilt. Die drei Kugeln oben sind
zur Kalibrierung nötig.

422
VOLUMINÖSE PASSAGEN: GROSSE ZUSATZDIMENSIONEN

dessen Sinn darin bestand, bei sehr kurzen Entfernungen nach Abwei­
chungen von Newtons Gesetz zu suchen. Andere erforschten gleichfalls
die Gravitation bei kurzen Distanzen, dieses Experiment aber war der
stringenteste Test des ADD-Vorschlags.
Der im Keller der Physikfakultät der University of Washington aufge­
baute Apparat wird als Eöt-Wash-Experiment bezeichnet. Der Name
verweist auf einen berühmten Physiker und Schwerkraftexperten, den
ungarischen Baron Lorand von Eötvös. Wie das Experiment der Eöt­
Wash-Gruppe aufgebaut ist, zeigt Abbildung 76. Der Apparat besteht
aus einem Ring, der über zwei anziehenden Scheiben aufgehängt ist, zwi­
schen denen nur ein ganz geringer Abstand ist. In den Ring und in die
beiden Scheiben sind Löcher gebohrt, und diese sind so ausgerichtet,
dass sich der Ring nicht verdreht, wenn Newtons Gesetz gilt. Gäbe es je­
doch zusätzliche Dimensionen, würde der Unterschied der Anziehungs­
kräfte der beiden Scheiben nicht mit Newtons Gesetz übereinstimmen,
und der Ring müsste sich verdrehen.
Adelherger und Hecke! stellten keine Verdrehung fest und schlussfol­
gerten, dass bei den von ihnen untersuchten Entfernungen keine extradi­
mensionalen ( oder sonstigen) Effekte die Schwerkraft modifizieren. Bei
ihrem Experiment wurde die Schwerkraft bei Distanzen vermessen, die
kleiner waren als j e zuvor, und damit war sichergestellt, dass Newtons
Gesetz bis hinunter zu rund einem Zehntelmillimeter gültig ist. Das be­
deutete, dass zusätzliche Dimensionen - selbst solche, bei denen Stan­
dardmodell-Teilchen auf eine Brane beschränkt sind - längst nicht so
groß sein konnten wie der Millimeter, den ADD vorgeschlagen hatten.
Sie mussten mindestens zehnmal kleiner sein.
Bemerkenswerterweise sind millimetergroße Dimensionen auch auf­
grund von Weltraumbeobachtungen ausgeschlossen. Die quantenme­
chanische Unschärferelation setzt einen Millimeter zu einer Energie von
nur rund 1 0 -3 eV in Beziehung und einen Zehntelmillimeter zu einer
Energie von rund I 0 -2 eV - was in j edem Fall sehr wenig Energie ist, viele
Größenordnungen kleiner, als gebraucht wird, um beispielsweise ein
Elektron zu erzeugen.
Teilchen mit so geringer Masse könnten im Universum um uns herum
und in himmlischen Obj ekten wie etwa Supernovae oder Sonnen ge­
funden werden. So leichte Teilchen könnten, wenn es sie gi bt, von einer
heißen Supernova erzeugt werden. Da wir aber wissen, wie schnell sich
Supernovae abkühlen, und da wir auch wissen, wie der Abkühlungsme­
chanismus funktioniert ( mittels Neutrino-Emission ) , wissen wir auch,

423
VERBORGENE U N I VERSEN

dass nicht zu viele andere Obj ekte von geringer Masse emittiert werden
können . Das Abkühlungstempo wäre viel zu schnell, wenn noch auf an­
dere Weise Energie hinausgelangte. Insbesondere sollten Gravitonen
nicht zu viel Energie forttragen. Aufgrund dieser Überlegung zeigten
Physiker ( unabhängig von irdischen Experimenten ) , dass zusätzliche Di­
mensionen kleiner als rund einen Hundertstelmillimeter sein müssten.
Jedoch darf man dabei nicht vergessen, dass der überzeugende Aus­
schluss von Gravitationsa bweichungen bei Millimeterdistanzen nicht
zur Überprüfung der meisten momentan vorgeschlagenen extradimen­
sionalen Modelle taugt. Denken Sie daran, dass nur das Modell mit zwei
großen Zusatzdimensionen Effekte zur Folge hat, die auf der Millimeter­
skala zu sehen sein würden. Wenn eine Theorie mit mehr als zwei großen
zusätzlichen Dimensionen das Hierarchieproblem löst (oder wenn eines
der im nächsten Kapitel vorgestellten Modelle auf die Welt zutrifft ) ,
d a n n würde es Abweichungen v o n Newtons Gesetz n u r b e i viel kürzeren
Distanzen geben.
Wir wissen nicht genau, wie die gravitative Anziehung zwischen zwei
O bj ekten im Abstand von weniger als einem Zehntelmillimeter aussieht.
Bislang hat das noch niemand überprüft. Also wissen wir auch nicht, ob
sich zusätzliche Dimensionen über einen Zehntelmillimeter erstrecken,
was, wenn man einmal darüber nachdenkt, gar nicht so klein ist. Relativ
große Extradimensionen - wenn auch nicht ganz so groß wie ein Milli­
meter - bleiben möglich. Um solche Modelle zu testen, müssen wir Ex­
perimente mit Collidern abwarten, dem Thema des nächsten Abschnitts.

Mit Co/lidern nach großen Zusatzdimensionen suchen

Hochenergetische Teilchencollider sind gut dazu geeignet, KK-Teilchen


aus großen zusätzlichen Dimensionen zu entdecken, auch wenn es von
letztgenannten mehr als zwei gibt. In den ADD-Modellen mit großen Ex­
tradimensionen sind die KK-Partner des Gravitons immer unglaublich
leicht. Wenn der Vorschlag mit den großen Dimensionen auf die wirkli­
che Welt zutrifft, wären die KK-Partner des Gravitons leicht genug, um
in Teilchenbeschleunigern erzeugt zu werden, ganz gleich, wie viele zu­
sätzliche Dimensionen es gibt. Die Suche mit heutigen und zukünftigen
Beschleunigern müsste sie also zutage fördern, selbst wenn die Dimen­
sionen kleiner als ein Millimeter sind. Heutige Collider erzeugen mehr
Energie als nötig, um solche Teilchen von geringer Masse zu produzie-

424
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N

r e n . De facto wären KK-Teilchen bereits im Überfluss erzeugt worden,


wenn die Energie die einzige relevante Größe wäre.
Der Haken an der Sache ist, dass die KK-Partner des Gravitons nur un­
glaublich schwach wechselwirken - praktisch genauso schwach wie das
Graviton selbst. Da die Wechselwirkungen eines Gravitons so vernach­
lässigbar klein sind, dass Gravitonen bei Colliderexperimenten niemals
im messbaren Umfang produziert oder entdeckt werden, wäre das mit
einem einzelnen KK-Gravitonpartner auch nicht anders.
Aber das Potenzial zur Entdeckung von KK-Teilchen aus höheren Di­
mensionen ist faktisch vielversprechender, als diese trübe Aussicht viel­
leicht glauben macht. Denn wenn der ADD-Vorschlag korrekt ist, gä be
es so viele leichte KK-Partner des Gravitons, dass sie gemeinsam entdeck­
bare Beweise für ihre Existenz hinterlassen könnten. Wenn das Szenario
mit großen Dimensionen zutrifft, dann sollte - auch wenn ein einzelnes
KK-Teilchen nur selten erzeugt würde - die Wahrscheinlichkeit, eines aus
der großen Anzahl von leichten KK-Teilchen zu produzieren, messbar
groß sein. Wenn es beispielsweise zwei Zusatzdimensionen gibt, wären
100 Milliarden Billionen KK-Moden leicht genug, um von einem Colli­
der produziert zu werden, der mit einer Energie von rund einem Te V ar­
beitet. Die Wahrscheinlichkeit, wenigstens eines dieser Teilchen zu pro­
duzieren, wäre ziemlich groß, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, irgend­
ein bestimmtes davon zu erzeugen, extrem gering wäre.
Das ist, als hätte Ihnen j emand etwas nur auf so subtile Weise ange­
deutet, dass Sie es nicht ernst nahmen, als Sie es zum ersten Mal hörten.
Doch danach haben 5 0 Leute dasselbe gesagt. Auch wenn Sie beim ers­
ten Mal die Nachricht nicht sonderlich beachtet haben, haben Sie sie bis
zum 5 0 . Mal registriert. Ähnlich wechselwirken KK-Teilchen, die leicht
genug sind, um mit heutigen Beschleunigern erzeugt zu werden, so
schwach, dass wir irgendein bestimmtes nicht entdecken können. Wenn
j edoch der Beschleuniger genügend hohe Energie erreicht, um viele von
ihnen zu produzieren, hinterlassen KK-Teilchen beobachtbare Spuren.
Der Large Hadron Collider, mit dem Energien der TeV-Skala unter­
sucht werden sollen, könnte KK-Teilchen in messbarem Umfang produ­
zieren, wenn die ADD-Idee richtig ist. Das klingt vielleicht wie ein glück­
licher Zufall - warum sollte eine Energie von rund einem TeV für die
KK-Produktionsraten relevant sein, wenn weder die KK-Massen noch
die Masse, die die Wechselwirkungsstärke der KK-Teilchen bestimmt
( also M p1 ) , rund ein Te V betragen ? Die Antwort lautet, dass eine Energie
von rund einem Te V die Stärke der höherdimensionalen Gravitation be-

425
VERBORGENE UNIVERSEN

stimmt und dass diese höherdimensionale Gravitation letztlich be­


stimmt, was ein Collider produziert. Weil die Wechselwirkungen der vie­
len KK-Partner des Gravitons äquivalent zur Wechselwirkung eines ein­
zigen höherdimensionalen Gravitons sind und weil das höherdimensio­
nale Graviton bei Energien von rund einem TeV stark wechselwirkt,
müsste die Summe der Beiträge aller KK-Teilchen auch bei dieser Skala
signifikant sein.
Mit dem Tevatron am Fermilab suchen Experimentatoren bereits nach
KK-Teilchen. Das Tevatron erreicht zwar nicht so hohe Energien, wie für
den LHC geplant sind, aber doch solche, bei denen es sinnvoll ist, mit
dem Suchen anzufangen. Aber der LHC wird leistungsfähiger sein, und
daraus ergi bt sich eine wesentlich größere Chance, ADD-KK-Teilchen zu
finden, wenn es sie gibt.
Wie würden diese KK-Teilchen aussehen ? Die Antwort lautet, dass die
Kollisionen, die KK-Gravitonpartner produzieren, wie gewöhnliche Col­
liderereignisse aussehen werden, nur dass anscheinend Energie fehlen
wird . Wenn im LHC zwei Protonen zusammenprallen, könnten sie ein
Standardmodell-Teilchen und einen KK-Gravitonpartner erzeugen. Beim
Standardmodell-Teilchen könnte es sich beispielsweise um ein Gluon
handeln, wenn die kollidierenden Protonen ein virtuelles Gluon produ­
zieren und dieses sich wiederum in ein tatsächliches physikalisches
Gluon und einen KK-Gravitonpartner umwandelt.
Jedoch wird j edes einzelne KK-Teilchen zu schwach wechselwirken,
um entdeckt zu werden - denken Sie daran, dass KK-Gravitonpartner
wirklich sehr schwach interagieren und vielleicht nur entdeckt werden,
weil es so viele sind. Aber weil der Detektor das Gluon registrieren wird
- oder genauer gesagt, den Jet ( siehe Kapitel 7), der das Gluon umgibt -,
würde das Ereignis, bei dem der KK-Gravitonpartner produziert wurde,
auch dann registriert, wenn der KK-Gravitonpartner selbst nicht be­
merkt würde. Der entscheidende Punkt, anhand dessen man den extra­
dimensionalen Ursprung des Ereignisses identifizieren könnte, wäre,
dass der unsichtbare KK-Partner Energie in die Extradimensionen mit­
nimmt, sodass anscheinend Energie fehlen würde. Indem sie einzelne
Jet-Ereignisse untersuchen, bei denen die Energie des emittierten Gluons
geringer ist als die Energie, die in die Kollision hineingesteckt wurde,
könnten Experimentatoren ableiten, dass sie einen KK-Gravitonpartner
produziert haben (siehe Abbildung 7 7 ) . Das ist so ähnlich, wie Pauli die
Existenz des Neutrinos vermutete (wie wir in Kapitel 7 gesehen haben ) .
Wir würden über das neue Teilchen nichts weiter wissen, als dass e s

426
VOLUMINÖSE PASSAGEN: GROSSE ZUSATZDIMENSIONEN

Teilchen­
Jet

Abbildung 7 7 : Die Produk tion eines KK-Teilchens im ADD-Modell. Proto­


nen prallen zusammen, und ein Quark und ein Antiquark löschen sich zu
einem virtuellen G luon aus. Dieses wandelt sich in ein unentdecktes KK-Teil­
chen und einen beobachtbaren Jet um. Die grauen Linien sind Streuungen
weiterer Teilchen, die Protonen bei einer Kollision immer emittieren.

Energie wegbefördert, und so könnten wir in Wirklichkeit nicht sicher


sein, dass der Collider ein KK-Teilchen produziert hat und nicht irgend­
ein anderes, das zu schwach wechselwirkt, um entdeckt zu werden.
Wenn die Experimentatoren j edoch die Ereignisse mit fehlender Energie
im Detail untersuchen - beispielsweise wie die Produktionsrate von der
Energie abhängt -, können sie zu bestimmen hoffen, ob die Interpreta­
tion als KK-Teilchen korrekt ist.
KK-Teilchen wären die am leichtesten zugänglichen extradimensiona­
len Eindringlinge in unserer vierdimensionalen Welt, weil sie wahr­
scheinlich die leichtesten der Obj ekte sind, die als Hinweise auf zusätz­
liche Dimensionen dienen mögen. Aber wenn wir Glück haben, könnten
sich daneben auch noch andere Anzeichen für die Richtigkeit des ADD­
Modells zeigen, sogar noch exotischere Objekte. Wenn ADD Recht ha­
ben, würde die höherdimensionale Gravitation bei rund einem TeV
stark, also bei weit niedrigerer Energie als in einer konventionellen vier­
dimensionalen Welt. Wenn das der Fall ist, könnten vielleicht bei Ener­
gien um ein Te V herum Schwarze Löcher produziert werden, und solche
höherdimensionalen Schwarzen Löcher wären ein Tor zu einem besse­
ren Verständnis der klassischen Gravitation, der Quantengravitation
und der Gestalt des Universums. Wenn die relevanten Energien des
ADD-Vorschlags hinreichend niedrig sind, könnte es in Kürze zur Pro­
duktion von Schwarzen Löchern kommen : Sie könnten sich im LHC bil­
den.
Solche in Collidern erzeugten höherdimensionalen Schwarzen Löcher

427
VERBORGENE UNIVERSEN

wären viel kleiner als die im Universum um uns herum. Ihre Größe wäre
der sehr winziger Zusatzdimensionen vergleichbar. Falls Sie sich Sorgen
machen, kann ich Ihnen versichern, dass diese kleinen, äußerst kurzlebi­
gen Schwarzen Löcher keine Gefahr für uns oder unseren Planeten dar­
stellen würden : Ehe sie irgendwelchen Schaden anrichten könnten, wä­
ren sie schon wieder verschwunden. Auch Schwarze Löcher haben nicht
ewig Bestand : Sie >> verdampfe n << , indem sie eine Strahlung emittieren,
und d ieses Phänomen ist als Hawking-Strahlung bekannt. Und genau
wie ein kleiner Tropfen Kaffee schneller verdunstet als eine ganze Tasse
voll, verdampft ein kleines Schwarzes Loch viel rascher als ein großes,
und die kleinen Schwarzen Löcher, die wir möglicherweise mit Colli­
dern produzieren, werden fast auf der Stelle wieder verschwunden sein.
Trotzdem würden diese höherdimensionalen Schwarzen Löcher, so sie
produziert werden, lange genug Bestand haben, um in einem Detektor
sichtbare Anzeichen für ihre Existenz zu hinterlassen. Diese böten ein
unverwechselbares Erscheinungsbild, da sie viel mehr Teilchen produzie­
ren würden als bei einem gewöhnlichen Teilchenzerfall, und diese Teil­
chen würden in alle Richtungen davonstieben.
Darüber hinaus sind, wenn das ADD-Modell zutrifft, Schwarze Lö­
cher und KK-Partner des Gravitons nicht die einzigen exotischen neuen
Entdeckungen. Wenn sowohl das ADD-Modell als auch die Stringtheo­
rie richtig sind, könnten Collider bei sehr kleinen Energien - fast so
niedrig wie ein Te V - Strings produzieren. Abermals liegt es daran, dass
in den ADD-Modellen die fundamentale Gravitationsskala so niedrig
ist. Die höherdimensionale Gravitation würde bei rund einem Te V stark
werden, und die Quantengravitation könnte messbare Effekte beitra­
gen.
Die Strings der ADD-Theorie wären nicht annähernd so massiv wie
die unerreichbare Planck-Massenskala. Wenn man sich Strings als Töne
denkt, dann klingen die Strings des ADD-Vorschlags viel weniger hoch.
Die tiefen Strings der ADD-Modelle hätten eine Masse, die nicht viel grö­
ßer als ein TeV wäre. Wenn wir Glück haben, werden sie so leicht sein,
dass der LHC sie erzeugen kann. Kollisionen mit ausreichend hoher
Energie würden dann die leichten Strings dieses Modells im Überfluss
produzieren und daneben noch neue Obj ekte namens Stringbälle, die
viele lange Strings enthalten.
Solche potenziellen Entdeckungen sind zwar sehr reizvoll, aber man
muss dabei daran denken, dass aller Wahrscheinlichkeit nach die Energie
des LHC zwar an diejenige heranreichen wird, die man zur Erzeugung

42 8
V O L U M I N Ö S E PA S SAG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N

v o n Strings u n d Schwarzen Löchern braucht, aber doch nicht ganz s o


hoch sein wird . O b sich ADD-Strings u n d Schwarze Löcher zeigen wer­
den, hängt von der genauen Energie der höherdimensionalen Gravita­
tion ab ( und natürlich davon, ob die Hypothesen richtig sind ) .

Die Auswirkungen

Der ADD-Vorschlag war faszinierend. Wer hätte gedacht, dass zusätzli­


che Dimensionen so groß sein könnten oder dass sie so viel zu Problemen
von unmittelbarem Interesse (zumindest für Teilchenphysiker) wie bei­
spielsweise dem Hierarchieproblem beitragen könnten ? Allerdings
konnte dieser Vorschlag das Hierarchieproblem nicht lösen. Er kleidete
es nur in eine andere Frage : Können zusätzliche Dimensionen so groß
sein ? Das bleibt die herausragende Frage des ADD-Szenarios. Ohne ein
paar neue und bislang unbekannte physikalische Prinzipien erwartet man
von Dimensionen nicht, dass sie so außerordentlich groß sind. Und zu­
mindest wäre bekannten Theorien zufolge noch immer Supersymmetrie
nötig, um den großen flachen Raum beizubehalten, den der ADD-Vor­
schlag braucht. Im Wesentlichen würde Supersymmetrie große Dimen­
sionen, die anderenfalls kollabieren würden, stabilisieren und stärken.
Da eine der willkommenen Eigenschaften von ADD zu sein schien, dass
das Modell die Notwendigkeit der Supersymmetrie eliminieren könnte,
ist das ein bisschen enttäuschend.
Die andere Schwäche der Theorie sind deren kosmologische Folgen.
Damit die Theorie mit bekannten Tatsachen über die Evolution des Uni­
versums übereinstimmt, müssen ein paar ihrer Werte sehr sorgfältig ge­
wählt werden. Und das Bulk darf nur sehr wenig Energie enthalten,
sonst würde die kosmologische Evolution nicht mit unseren Beobach­
tungen übereinstimmen. Abermals mag dies möglich sein, aber der ganze
Punkt bei der Lösung des Hierarchieproblems war ja, der Notwendigkeit
des umfassenden Herumtricksens zu entkommen.
Dennoch waren viele Physiker so aufgeschlossen, extradimensionale
Theorien ernst zu nehmen und Methoden auszuarbeiten, wie man nach
ihnen suchen könnte. Vor allem Experimentatoren waren begeistert. Joe
Lykken, ein Tei lchenphysiker am Fermilab, erzählte mir, als er die Reak­
tion von Experimentatoren auf große Zusatzdimensionen beschri e b :
>> Für sie i s t a l l e Forschung >jenseits d e s Standardmodells< einfach irre.
Supersymmetrie oder extra große Dimensionen ? Was soll's ? Extradi-

429
VERBORGENE U N I VERSEN

mensionen sind auch nicht irrer. << Die Experimentatoren wollten nach
etwas Neuern suchen, und Zusatzdimensionen boten eine sehr interes­
sante Alternative zur Supersymmetrie.
Die Reaktionen der Theoretiker waren eher gemischt. Einerseits schie­
nen große Zusatzdimensionen etwas weit hergeholt ; niemand hatte sie
zuvor in Betracht gezogen, weil niemand irgendeinen Grund sah, warum
Extradimensionen so groß sein sollten. Andererseits sah auch niemand
eine Möglichkeit, sie auszuschließen. Ehe der erste Aufsatz über große
Extradimensionen geschrieben wurde, referierte Gia Dvali, einer der Au­
toren, darüber in Stanford . Die Autoren waren sich der Radikalität ihres
Vorschlags bewusst, sahen dem Vortrag mit banger Erwartung entgegen
und waren erleichtert, als es keine ernsthaften Einwände gab. Sie waren
aber auch enttä uscht : Wie konnten die Kollegen diese ziemlich radikale
Idee so gelassen aufnehmen ? Nima erzählte mir, sie hätten Ähnliches er­
lebt, als sie ihren Aufsatz erstmals im Internet veröffentlichten. Sie hat­
ten eine Flut von Reaktionen erwartet, bekamen aber nur zwei Zuschrif­
ten. Offensichtlich waren der italienische Physiker Riccardo Rattazzi
und ich die Einzigen, die sich zu ein paar potenziellen Problemen äußer­
ten. Und voneinander unabhängig waren diese beiden Reaktionen auch
nicht wirklich : Riccardo und ich hatten den Aufsatz gerade am CERN
diskutiert, wo wir zu Besuch weilten.
Später nahmen sich Physiker des ADD-Modells an und untersuchten
gründlicher, welche Konsequenzen es für die wirkliche Welt haben
könnte ; sie dachten sich Schwerkrafttests aus und Experimente mit Teil­
chenbeschleunigern und erwogen die astrophysikalischen und kosmolo­
gischen Folgen. Je nach Forschungsinteresse oder -methodik variierten
die Reaktionen .
Wer v o n d e n Physikern sich im Detail m i t d e m Standardmodell be­
fasste, akzeptierte erfreut diese mögliche neue Idee, die auf j eden Fall in­
teressant war. Überraschenderweise reagierten einige Modellbauer
feindseliger, weil sie nicht bereit waren, die Supersymmetrie-Ideen auf­
zugeben, in die sie sich seit Jahren verbissen hatten. Zugegeben, eine so
drastische Änderung des Standardmodells musste die bereits experimen­
tell bestätigten Eigenschaften des Standardmodells reproduzieren, und
auf Theorien, d ie das Standardmodell zu radikal abändern, kommen in
dieser Hinsicht harte Zeiten zu. Darüber hinaus würde das Glanzlicht
der Supersymmetrie aufgegeben werden müssen : die Vereinheitlichung
der Kopplungen, die Tatsache, dass bei hoher Energie alle Kräfte die­
selbe Stärke haben würden. Jüngere Theoretiker, die sich noch nicht so

430
V O L U M I N Ö S E PA S SAG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N

sehr der Supersymmetrie verschrieben hatten, begeisterten sich eher für


zusätzliche Dimensionen. Sie waren eine neue, noch nicht umzingelte
Idee, die neue Herausforderungen und offene Fragen bot.
Auch die Stringtheoretiker reagierten mit gemischten Gefühlen. Als
Savas Dimopoulos mit seinem Proj ekt begann, sah er voraus, dass die
Arbeit an Extradimensionen die Stringtheorie und die Teilchenphysik
wieder einander näher bringen konnte. Und die Stringtheoretiker horch­
ten auf, obwohl die meisten von ihnen große Zusatzdimensionen als eine
interessante Idee betrachteten, die für die Stringtheorie allerdings nie­
mals von Belang sein würde. Für Stringtheoretiker war das Hauptpro­
blem ein theoretisches : Es ist sehr schwer zu begreifen, wie Dimensionen
so groß sein könnten, wie in dem ADD-Vorschlag angenommen worden
war.
Ich persönlich glaube nicht, dass zusätzliche Dimensionen, selbst
wenn es sie gibt, sich als groß erweisen werden. '' Sowohl aus theoreti­
schen Gründen (es ist sehr schwer, so große Dimensionen hinzubekom­
men ) als auch aus Gründen der Beobachtbarkeit (die Kosmologie wird
sich damit sehr schwer tun ) erscheint mir die Idee spekulativ. Selbst
Nima, einer der Protagonisten, ist in dieser Hinsicht skeptisch. Aber es
war eine sehr wichtige theoretische Überlegung. Dieser neue, zuvor un­
ausgelotete Vorschlag unterstrich, wie wenig wir über Gravitation und
die Gestalt des Universums wissen. Der ADD-Aufsatz stimulierte eine
Menge neuer Gedanken, und ob sich die Ideen als richtig erweisen wer­
den oder nicht, sie beeinflussten das physikalische Denken erheblich.
Szenarios mit großen Dimensionen haben zu vielen neuen Vorschlägen
mit zusätzlichen Dimensionen und zu vielen Einfällen für Experimente
geführt. Wenn der LHC erst einmal in Betrieb geht, sind theoretische
Voreingenommenheiten sowieso gegenstandslos, denn dann werden
harte, unwiderlegbare Fakten geschaffen. Wer weiß ? Vielleicht hatten
ADD ja doch Recht.

Was neu ist:

• Sind Standardmodell-Teilchen auf eine Brane beschränkt, können zu­


sätzliche Dimensionen viel größer sein, als Physiker zuvor dachten : bis
zu einem Zehntelmillimeter.

,,_ Falls sie flach sind - siehe Kapitel 22.

431
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

• Zusatzdimensionen könnten so groß sein, dass sie erklären können,


warum die Schwerkraft soviel schwächer ist als die elektromagne­
tische, die schwache und die starke Wechselwirkung.

• Wenn große Extradimensionen das Hierarchieproblem lösen, wird die


höherdimensionale Gravitation bei rund einem Te V stark.

• Wenn die höherdimensionale Gravitation bei rund einem TeV stark


wird, wird der LHC in messbaren Mengen KK-Teilchen produzieren.
Diese KK-Teilchen würden Energie aus der Kollision fortschaffen, also
würden Ereignisse mit fehlender Energie ihre Signatur sein.

432
20

Verzerrte Passage : Eine Lösung des


Hierarchieproblems

What's so small to you ,


ls so large t o me.
lf it's the last th ing I do,
1 ' 1 1 make you see.
Was fii r dich so klein ist,
ist fii r mich so groß.
Und wenn es das Letzte ist, was ich tue,
ich sorge dafii r, dass du siehst.
Suzanne Vega

Athena erwachte jäh. Sie hatte gerade wieder diesen Traum gehabt, der
sie Jetzt öfters heimsuchte ; wiederum hatte er damit begonnen, dass sie
durch das Kaninchenloch in die Traumwelt geraten war. A ls in dieser
Episode das Kaninchen verkündete : » Nächster Halt : Tuhdieland « , igno­
rierte Athena es und wartete, welche anderen Stationen ausgerufen wür­
den.
Am Haltepunkt für drei Raumdimensionen sagte das Kaninchen :
» Wenn Sie hier lebten, wären Sie jetzt zu Hause. « A ber es weigerte steh,
die Tür aufzumachen, obwohl Athena bettelte, sie würde in der Tat hier
leben und sehr gern nach Hause zurückkehren.
Am nächsten Haltepunkt versuchten einheitlich gekleidete Sechsdi­
mensioner einzutreten. Aber das Kaninchen schaute sich nur kurz ihre
ungeheuren Ausmaße an und schloss abrupt die Tür, wobei es sagte, sie
würden keinesfalls hineinpassen. Rasch verzogen sie sich , als das Kanin­
chen damit drohte, sie zurechtzustutzen. ,.

,. Wie wir in Kapitel1 8 gesehen haben, können Zusatzdimensionen emhettlich, groß


und flach sein. Das Kaninchen ist in dieser Hinsicht skeptisch.

433
VERBORGENE UN IVERSEN

Der Aufzug setzte seine ungewöhnliche Fahrt fort. Als er abermals


hielt, verkündete das Kaninchen : » Verzerrte Geometrie - eine fünfdi­
mensionale Welt. « * Sanft schob es A thena in Richtung Tür, wobei es
sagte : » Gehen Sie ins Zerrspiegelkabinett - es wird Sie nach Hause brin­
gen. « Da das Kaninchen eine fünfte Dimension erwähnt hatte, fand
Athena dies höchst unwahrscheinlich, aber sie hatte keine andere Wahl,
als hineinzugehen und zu hoffen, dass das listenreiche Kaninchen Recht
behielt.

Wenn man eine neue Sprache lernt, hängt das Vokabular, das man sich
am leichtesten merkt, von bestimmten Bedürfnissen oder Umständen ab.
Bei einer Fahrradtour durch Italien lernte ich beispielsweise auf man­
cherlei Weise um Wasser zu bitten : acqua di rubinetto, acqua minerale,
acqua (minerale) gassata, acqua (minerale) naturale und so weiter. * ,_
Ähnlich geht bei neuen physikalischen Szenarios j eder Physiker und jede
Physikerin mit einer eigenen Perspektive eigenen Fragestellungen nach,
und daher kann er oder sie bestimmte Aspekte eines Systems bemerken
oder neue Konsequenzen entdecken, die bislang noch nicht bekannt wa­
ren. Jeder von uns kann dieselben Worte oder dieselbe Situation anders
verstehen, und es ist sinnvoll, gut zuzuhören zu lernen.
Raman und ich hatten j ahrelang über das Hierarchieproblem nachge­
dacht. Aber als wir mit unserer Zusammenarbeit begannen, suchten wir
gar nicht nach einer neuen, besseren Lösung für das Hierarchieproblem.
Wir arbeiteten an dem Modell der abgesonderten, gebrochenen Super­
symmetrie, das ich in Kapitel 17 vorgestellt habe. Im Verlauf dieser For­
schungen stießen wir ungewollt auf eine bemerkenswerte verzerrte Geo­
metrie der Raumzeit (ein bestimmter Typ von gekrümmter Geometrie,
den wir bald kennen lernen ) , die von zwei Branen begrenzt wird. Und
weil Raman und ich uns um Teilchenphysik und die Schwäche der Gra­
vitation kümmerten, erkannten wir sofort die potenzielle Bedeutung der
verzerrten Geometrie : Wenn das Standardmodell der Teilchenphysik
sich in dieser Raumzeit befindet, könnte das Hierarchieproblem gelöst
werden. Ich bin mir nicht sicher, ob wir die Ersten waren, die diese be­
stimmte Gruppe von Einstein'schen Gleichungen untersuchten. Aber wir

'' Diese Zählung schließt eine Zeitdimension ein.


,_ * Leitungswasser, Mineralwasser, Mineralwasser mit Kohlensäure, Mineralwasser
ohne Kohlensäure und so weiter.

434
V E R Z E R RT E PA S S AG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S

waren definitiv d i e Ersten, d i e diese verblüffende Möglichkeit erkann­


ten .
Die nächsten paar Kapitel erklären neben dieser noch weitere bemer­
kenswerte Möglichkeiten der gekrümmten Raumzeit und schildern, wie
deren Konsequenzen manchmal unseren Erwartungen zuwiderlaufen.
Dieses Kapitel konzentriert sich auf eine verzerrte fünfdimensionale
Welt, die das große Spektrum von Massen erklären könnte, das für die
Teilchenphysik relevant ist. Während man in der vierdimensionalen
Quantenfeldtheorie von den Teilchen erwartet, dass sie ungefähr diesel­
ben Massen haben, trifft das in einer verzerrten höherdimensionalen
Geometrie nicht mehr zu. Verzerrte Geometrien bilden einen Rahmen, in
dem auf ganz natürliche Weise sehr unterschiedliche Massen auftauchen
und Quanteneffekte unter Kontrolle sind.
Wie wir sehen werden, ist in der hier beschriebenen Geometrie der
Raum in Gegenwart zweier flacher Grenzbranen so stark verzerrt, dass
das Hierarchieproblem der Teilchenphysik automatisch gelöst ist - ganz
ohne eine große Dimension oder irgendwelche willkürlichen großen
Zahlen. In diesem Szenario unterliegt die eine Brane einer großen
Schwerkraft, die andere aber nicht. Die Raumzeit verändert sich entlang
der fünften Dimension so schnell, dass sie eine bescheidene, mit dem Ab­
stand zwischen den beiden Branen zusammenhängende Zahl zu einer
riesigen ausbaut ( rund zehn Millionen Milliarde n ) , die mit der relativen
Stärke der Schwerkraft zusammenhängt.
Wir werden zunächst die Schwäche der Gravitation auf der :;:weiten
Brane als Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons erklären, die die
Wechselwirkung des Gravitons an irgendeiner gegebenen Stelle in der
fünften Dimension bestimmt. Wir werden für die Schwäche der Gravita­
tion aber auch noch eine andere Erklärung geben, die auf der verzerrten
Geometrie selbst beruht und nicht auf der Wechselwirkungsstärke des
Gravitons. Wir werden sehen, dass eine der erstaunlichen Konsequenzen
der verzerrten Geometrie darin besteht, dass Größe, Masse und sogar die
Zeit von der Position entlang der fünften Dimension abhängen. Die Ver­
zerrung von Raum und Zeit gleicht bei diesem Arrangement mit zwei
Branen der Verzerrung der Zeit nahe dem Horizont eines Schwarzen
Lochs. In diesem Fall j edoch dehnt sich die Zeit, die Geometrie expan­
diert, und auf einer der Branen haben Teilchen eine kleine Masse - wo­
mit das Hierarchieproblem automatisch gelöst ist.
Nachdem wir die verzerrte Geometrie und ihre Folgen für das Hierar­
chieproblem diskutiert haben, werden wir dieses Kapitel mit einer Dis-

435
VERBORGENE U N I VERSEN

kussion über die besondere Bedeutung der Theorie für zukünftige Expe­
rimente beschließen. Einer der aufregendsten Aspekte ist dabei - wie bei
den Modellen mit großen Zusatzdimensionen im vorangegangenen Ka­
pitel -, dass diese Theorie, wenn sie richtig ist, Konsequenzen hat, die
schon bald mit Teilchenbeschleunigern zu beobachten sein müssten. Wir
werden sehen, dass diese de facto noch dramatischer sind als die Signa­
tur der fehlenden Energie, die wir gerade kennen gelernt haben. Die KK­
Partner der Gravitonen werden, auch wenn es sich bei ihnen um Besu­
cher aus einem höherdimensionalen Raum handelt, gut zu unterschei­
dende, sichtbare Teilchen sein, die in die vertrauten Teilchen unserer
vierdimensionalen Brane zerfallen.

Die überraschenden Folgen der verzerrten Geometrie

Die in diesem Kapitel vorgestellte Geometrie enthält zwei Branen, die


eine fünfte Raumdimension begrenzen, wie in Abbildung 78 dargestellt.
Diese Anordnung ist der in Kapitel 1 7 geschilderten insofern ähnlich, als
es auch hier zwei Branen mit einer fünften Dimension dazwischen gibt.
Ansonsten unterscheidet sich diese Theorie von der anderen sehr. Die
Teilchen und die Energieverteilung sind anders, und es ist keine super­
symmetrische Theorie. Dennoch nehmen wir wie bei j eder anderen
Theorie an, dass alle Teilchen des Standardmodells und dazu noch das
für den Bruch der elektroschwachen Symmetrie verantwortliche Higgs­
Teilchen auf eine der beiden Branen beschränkt sind.
Ebenfalls wie weiter oben gehen wir bei dieser Anordnung davon aus,
dass die Gravitation die einzige Kraft ist, die es überall in der fünften Di­
mension gibt. Das bedeutet, abgesehen von der Schwerkraft würde jede
der Branen wie ein konventionelles vierdimensionales Universum ausse­
hen. Die auf die Branen beschränkten Eichbosonen und Teilchen würden
Kräfte vermitteln und wechselwirken, als würde die fünfte Dimension
nicht existieren. Die Standardmodell-Teilchen würden sich nur entlang
der drei flachen räumlichen Branendimensionen bewegen, und die
Kräfte würden sich nur entlang der flachen dreidimensionalen O berflä­
che der Brane ausbreiten .35
Die Gravitation verhält sich jedoch insofern anders, als sie nicht auf
eine Brane beschränkt ist, sondern stattdessen im umfassenden fünfdi­
mensionalen Bulk existiert. Die Schwerkraft wäre überall in der fünften
Dimension zu spüren. Aber das bedeutet nicht notwendigerweise, dass

436
V E R Z E R RT E PA S SAG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S

A b bildung 78 : Die verzerrte fünfdimensionale Geometrie mit zwei Branen.


Das Universum hat fünf Raumzeitdimensionen, das Standardmodell aber
sitzt auf einer Brane (der Schwachbrane), die vier hat. Die Gesamtzahl der
Raumzeitdimensionen beträgt bei dieser Anordnung fünf, während die der
Raumdimensionen vier ist, von denen drei sich entlang der Branen erstrecken
und eine zwischen ihnen.

sie sich überall gleich anfühlen müsste. Die Energie auf den Branen und
im fünfdimensionalen Bulk krümmt die Raumzeit, und das beeinflusst
das Gravitationsfeld enorm.
Im vorangegangenen Kapitel machten sich die Theorien mit großen
Extradimensionen die Tatsache zunutze, dass Branen Teilchen und
Kräfte gefangen halten können, vernachlässigten aber, dass die Branen
selbst Energie tragen können. Raman und ich waren nicht sicher, ob dies
wirklich eine gute Annahme war, da ein zentraler Bestandteil von Ein­
steins allgemeiner Relativitätstheorie besagt, dass Energie ein Gravitati­
onsfeld induziert, was heißt, dass Branen, wenn sie Energie tragen, eben­
falls Raum und Zeit krümmen müssten. In einem Universum mit nur
einer Zusatzdimension, wie wir es untersuchen wollten, war überhaupt
n icht klar, ob man die Energie von Branen und Bulk vernachlässigen
konnte : Die Gravitationseffekte der Brane lösen sich nicht rasch auf,
also würde man sogar weit von den Branen entfernt Verzerrungen der
Raumzeit erwarten müssen.

437
VERBORGENE UNIVERSEN

Wir wollten wissen, wie sich in Gegenwart zweier energiegeladener


Branen, die die zusätzliche Raumdimension begrenzen, die Raumzeit
krümmen würde. Raman und ich lösten die Einstein'schen Gravitations­
gleichungen für diese Zwei-Branen-Anordnung, wobei wir davon aus­
gingen, dass es sowohl im Bulk als auch auf den Branen Energie gibt.
Wir fanden heraus, dass diese Energie wirklich sehr wichtig war - die
daraus resultierende Raumzeit war dramatisch gekrümmt.
In einigen Fällen kann man sich gekr ü mmte n Raum leicht vorstellen.
Die O berfläche einer Kugel beispielsweise ist zweidimensional - man
braucht nur Längen- und Breitengrad, um den Aufenthaltsort zu bestim­
men -, aber dennoch eindeutig gekrümmt. Jedoch sind viele andere ge­
krümmte Räume schwieriger zu zeichnen, weil sie nicht einfach im drei­
dimensionalen Raum dargestellt werden können. Genau die verzerrte
Raumzeit, die wir j etzt betrachten werden, ist ein Beispiel dafür. Sie ist
Teil einer Raumzeit, die als Anti-de-Sitter-Raum bekannt ist. Ein Ami­
de-Sitter-Raum hat eine negative Krümmung, g l e i ch t also eher einem
» Pringles << -Kartoffelchip als einer Kugel. Der Name verweist auf den
niederländischen Mathematiker und Kosmologen Willern de Sitter, der
einen Raum mit positiver Krümmung untersuchte, welcher heute De-Sit­
ter-Raum heißt. Wir brauchen den Begriff hier zwar nicht, kommen aber
später darauf zurück, wenn wir diese Theorie mit einer Theorie des An­
ti-de-Sitter-Raums verknüpfen, die die Stringtheoretiker untersucht ha­
ben.
Wir werden bald die interessante Art und Weise erkunden, auf die die
fünfdimensionale Raumzeit gekrümmt ist, aber zunächst wollen wir uns
für einen Moment auf die zwei Branen an den Enden der fünften Dimen­
sion konzentrieren. Diese beiden Grenzbranen sind völlig flach. Befänden
Sie sich auf einer der beiden, würden Sie in einer drei-plus-eins-dimen­
sionalen Welt stecken ( drei räumliche und eine zeitliche Dimension ) •, die
sich in den drei räumlichen Dimensionen unendlich weit erstrecken und
wie flache Raumzeit ohne merkwürdige Gravitationseffekte aussehen
würde.
Darüber hinaus hat die gekrümmte Raumzeit die spezielle Eigen­
schaft, dass jede einzelne Scheibe entlang der fünften Dimension - nicht
nur die Branen an den Enden - als völlig flach empfunden würde, wenn
man sich auf sie beschränkte. Das heißt, außer an den Enden gi bt es nir-

* Manchmal sage ich •• drei-plus-eins• statt »vier • , wenn ich den Unterschied zwi­
schen Raum und Zeit betonen will.

438
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARCHIEPROBLEMS

gendwo in der fünften Dimension Branen, aber die Geometrie der drei­
plus-eins-dimensionalen O berflächen, die man bekommt, wenn man
sich auf irgendeinen fünfdimensionalen Punkt beschränkt, sieht flach
aus : Sie hat dieselbe Gestalt wie die gr o ß e n flachen Branen an den En­
den. Wenn man s ich die Grenzbranen als die Endstücke eines Brotlaibs
denkt, dann sind die fla che n , parallelen vierdimensionalen Regionen ir­
gendwo e ntlan g der fünften Dimension der Raumzeit wie die flachen
Bro ts c h e ib en i rgen dwo aus dem Inneren des Laibs.
Aber die hier erörterte fünfdimensionale Raumzeit ist dennoch ge­
krümmt. Das spiegelt sich in der Art und Weise wider, wie die vierdimen­
sionalen flachen Raumzeit-Scheiben entlang der fünften Dimension an­
einander kleben. Zum ersten Mal sprach ich über diese Geometrie am
Kavli Institute for Theoretical Physics in Santa Barbara, wo der String­
theoretiker Tom Banks mir mitteilte, dass - technisch betrachtet - die
fünfdimensionale Geometrie, die Raman und ich gefunden hatten, >> ge­
warpt<< beziehungsweise verzerrt sei. Zwar werden viele gekrümmte
Raumzeiten umgangssprachlich als verzerrt bezeichnet, als technischer
Ausdruck sind damit aber Geometrien gemeint, bei denen jede Scheibe
für sich flach ist •, sie alle a ber mit einem übergeordneten Verzerru ngs­
oder Warpfaktor • • zusammengesetzt sind. Der Warpfaktor ist eine
Funktion, die die Gesamtskala für Position, Zeit, Masse und Energie an
jedem Punkt der fünften Dimension verändert. Dieses faszinierende
Merkmal einer verzerrten Geometrie ist ein wenig kompliziert, und ich
werde es im folgenden Abschnitt näher erklären. Der Warpfaktor spie-

Abbildung 79 : Ein ausgefüllter Trichter besteht aus flachen, zusammenkle­


benden Scheiben.

* Genauer gesagt haben alle Scheiben dieselbe Geometrie ; nur in diesem Fall sind die
Scheiben alle flach.
* * To warp sich verwerfen, verziehen.
=

439
VERBORGENE UNIVERSEN

gelt sich auch in der Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons und in


Wechselwirkungen wider, die wir bald ergründen werden.
Ein gekrümmter Raum mit flachen Scheiben ist in Abbildung 79 dar­
gestellt. Sie zeigt einen ausgefüllten Trichter. Wir könnten ihn mit einem
Küchenbeil in flache Schei ben schneiden, die O berfläche des Trichters
aber ist eindeutig gekrümmt. In gewisser Hinsicht gleicht das der ge­
krümmten fünfdimensionalen Raumzeit, um die es hier geht. Aber es ist
keine perfekte Analogie, weil hier nur die Grenzfläche des Trichters,
seine O berfläche, gekrümmt ist, wohingegen bei der verzerrten Raum­
zeit die Krümmung überall anzutreffen ist. Diese Krümmung würde sich
überall in einer Umskalierung der Messlatte für Raum und der Uhrenge­
schwindigkeit für Zeit widerspiegeln, die an j edem Punkt in der fünften
Dimension andere wären. l6
Einfacher lässt sich die Krümmung der verzerrten Raumzeit mit der
Form der Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons illustrieren. Das
Graviton ist das Teilchen, das die Schwerkraft vermittelt, und seine
Wahrscheinlichkeitsfunktion verrät uns die Wahrsch e inli chkeit , das
Graviton an irgendeinem b e s timm te n Punkt im Raum zu finden. Die
Stärke der Schwerkraft sp iegelt sich in dieser Funktion wider : Je grö ße r
der Wert , desto stärker ist die Wechselwirkung des Gravitons an diesem
bestimmten Punkt und desto größer die Schwerkraft.
In einer flachen Raumzeit wäre das Graviton überall mit derselben
Wahrscheinlichkeit anzutreffen. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion für ei n
Graviton in flacher Raumzeit wäre also konstant. Für eine gekrümmte
Ra umzeit wie im Fall der hier betrachteten verzerrten Geometrie gilt das
nicht. Die Krümmung sagt uns etwas über die Gestalt der Gravitation.
Wenn die Raumzeit gekrümmt ist, ist die Wahrscheinlichkeitsfunktion
des Gravitons an unterschiedlichen Stellen der Raumzeit verschieden.
Weil in unserer verzerrten Geometrie jede Scheibe der Raumzeit völlig
flach ist, variiert die Wahrscheinlichkeitsfun ktion des Gravitons nicht
entlang der drei Standard-Raumdimensionen - sie verändert sich nur
entlang der fünften D i m ensio n . * Anders a usgedrückt : Auch wenn die
Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons für verschiedene Stellen e nt­
lang der fünften Dimension unterschiedliche We rte h at, sind diese Werte
dieselben, wenn zwei Punkte in derselben Entfernung entlang der fünf­
ten Dimension liegen. Das sagt uns, dass die Wa hrscheinlichkeitsfunk-

,, Denken Sie daran, dass die fünfte Dimension die fünfte der Raumzeit ist und die
vierte, hypothetische Dimension des Raums.

440
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS

tion des Gravitons nur von der Position entlang der fünften Dimension
abhängt. Damit ist die Krümmung der verzerrten Raumzeit vollständig
charakterisiert. Und weil die Funktion nur mit einer einzigen Koordinate
variiert, der der fünften D imension, ist sie einfach darzustellen.
Die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons entlang der fünften
Dimension ist in Abbildung 80 dargestellt. Sie nimmt exponentiell ab ­
was heißen soll, außerordentlich schnell -, wenn man die erste Brane
verlässt, die wir die Gravitationsbrane nennen, und sich der zweiten
Brane nähert, die Schwachbrane heißt. Die Gravitationsbrane und die
Schwachbrane unterscheiden sich insofern, als die erste positive Energie
trägt und die zweite negative. Und diese Energiezuweisung macht den
Wert für die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons in der Nähe der
Gravitationsbrane viel größer.
Das Absacken der Wahrscheinlichkeitsfunktion bedeutet, dass das
Graviton - das physikal isc he Teilchen, dessen Austausch die Anzie­
hungskraft erzeugt - kaum eine Chance hat, in der Nähe der Schwach­
brane gefunden zu werden. Die Wechselwirkungen de s Gravitons sind
auf der Schwachbrane also stark ge dä m p ft .

Die Stärke d e r Grav itation h ä ngt so extrem von der Position entlang
der fünften Dimension ab, dass die auf den beiden Branen an den entge­
gengesetzten Enden wahrgenommenen Anziehungskräfte außerordent-

A bbildung 8 0 : Die Wahrscheinlichkeitsfunk tion des G ravitons fällt mit zu­


nehmendem A bstand von der Gravitationsbrane in Richtung der Schwach­
brane exponentiell ab.

441
VERBORGENE UNIVERSEN

lieh verschieden sind. Auf der ersten Brane, wo die Gravitation lokali­
siert ist, ist die Schwerkraft stark, aber kraftlos auf der zweiten, wo das
Standardmodell zu Hause ist. Weil die Wahrscheinlichkeitsfunktion des
Gravitons auf der zweiten Brane vernachlässigbar klein ist, sind die
Wechselwirkungen des Gravitons mit den Standardmodeii-Teilchen, die
auf diese Brane beschränkt sind, extrem schwach.
Das heißt, dass wir in dieser verzerrten Raumzeit tatsächlich erwar­
ten können, eine Hierarchie zwischen den beobachteten Massen und
der Planck-Massenskala zu finden. Das Graviton ist zwar überall, es
wechselwirkt aber weit stärker mit Teilchen auf der Gravitationsbrane
als mit Teilchen auf der Schwachbrane. Dafür treibt sich das Graviton
hier einfach nicht genug herum. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion des
Gravitons ist auf der Schwachbrane extrem winzig, und wenn dieses
Szenario als korrekte Beschreibung der Welt gelten kann, ist diese Win­
zigkeit für die Schwäche der Schwerkraft in unserem Universum verant­
wortlich.
In diesem Modell ist für eine kraftlose Gravitation auf der Schwach­
brane kein großer Abstand zwischen den beiden Branen erforderlich.
Hat man die Gravitationsbrane, wo die Wahrscheinlichkeitsfunktion des
Gravitons stark konzentriert ist, erst einmal verlassen, wird die Schwer­
kraft exponentiell schwächer, bis sie auf der Schwachbrane extrem ge­
ring ist. Weil die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons steil abfä llt,
ist die Schwerkraft auf der Schwachbrane (wo wir leben) stark ge­
dämpft. Sie kann zehn Millionen Milliarden Mal schwächer sein, als
ohne die Verzerrung zu erwarten wäre, selbst wenn die beiden Branen
ziemlich dicht beisammen sind. Dieser Aspekt der Theorie - die Tatsa­
che, dass zwischen den Branen kein großer Abstand sein muss - macht
das Modell zu einer weit realistischeren Möglichkeit als große zusätzli­
che Dimensionen. Auch wenn große Extradimensionen eine reizvolle
Umformulierung des Hierarchieproblems waren, bleibt zu guter Letzt
noch immer eine große Zahl unerklärt - die Größe der zusätzlichen Di­
mensionen. In der Theorie, die wir jetzt erörtern, ist die Schwerkraft auf
der Schwachbrane um viele Größenordnungen kleiner als die anderen
Kräfte, selbst wenn die Schwachbrane nur eine bescheidene Strecke von
der ersten Brane (der Gravitationsbrane) entfernt ist.
Der Abstand zwischen den Branen muss bei dieser verzerrten Geome­
trie nur ein bisschen größer sein als die Planck-Längenskala. Während
im Szenario mit großen Dimensionen die Einführung einer enormen
Zahl erforderlich war - nämlich die Größe der Dimensionen -, braucht

442
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARCHIEPROBLEMS

man bei der verzerrten Geometrie keine fantastisch große Zahl, um die
Hierarchie zu erklären. Der Grund dafür ist, dass eine Exponentialfunk­
tion automatisch eine bescheidene Zahl in eine extrem große Zahl um­
wandelt (den Exponentialwert) oder in eine extrem winzige (die Umkeh­
rung des großen Exponentialwerts ) . Die Schwerkraft ist auf der
Schwachbrane kleiner ; sie wird um einen Faktor reduziert, der gleich
dem Exponentialwert des Abstands zwischen den beiden Branen ist. •
Das gigantische Verhältnis zwischen der Planck-Massenskala - der gro­
ßen Masse, die uns sagt, dass die Gravitation schwach ist - und der
Masse des Higgs-Teilchens und damit der Massen der schwachen Eich­
bosonen ergibt sich, wenn die Schwachbrane in einer Entfernung von 16
Einheiten • • lo k al i s i ert ist, da das Verhältnis der unterschiedlichen Mas­
sen rund 1 0 1 6 beträgt (zehn Millionen Milliarde n ) . Das heißt, dass ein
Branenabstand, der nur rund sechzehnmal größer ist als die naivste An­
nahme, ausreichen würde, um die Hierarchie zu erklären. Ein Faktor
von 16 mag groß e rs chei n en , aber er ist viel kleiner als zehn Millionen
Milliarden die Zahl, die wir zu erklären versuchen.
-

Jahrelang hatten Teilchenphysiker geh o fft, eine exponentielle Erklä­


rung der Hierarchie zu finden. Das heißt, wir hatten gehofft, die zuvor
unerklärliche große Zahl als Folge einer natürlicherweise vorkommen­
den Exponentialfunktion interpretieren zu können. Jetzt hatten Raman
und ich mit Zusatzdimensionen eine Möglichkeit gefunden, wie die Teil­
chenphysik automatisch eine exponentielle Massenhierarchie einschlie­
ßen kann. Die Wechselwirkung der Gravitation könnte auf unserer
Brane, der Schwachbrane, viel kleiner sein als dort, wo die Wahrschein­
lichkeitsfunktion des Gravitons einen Spitzenwert erreicht. Weil die Gra­
vitation auf unserer Brane durch die verzerrte Geometrie geschwächt
wäre, wäre das Hierarchieproblem gelöst, wenn das Standardmodell auf
der Schwachbrane zu Hause wäre. Das war eine mögliche Lösung des
Hierarchieproblems, und sie war uns geradewegs in den Schoß gefallen.
Eine andere Möglichkeit, dieses bemerkenswerte neue Merkmal der
verzerrten Geometrie zu verstehen, besteht in der Überlegung, wie die
Schwerkraft verdünnt wird. In Kapitel 19 haben wir die Schwäche der
Gravitation im ADD-Szenario mit den Gravitationsfeldlinien erklärt, die

• In welchen Einheiten diese Entfernung gemessen wird, bestimmt die Energie auf der
Brane, die wiederum von der Planck-Massenskala bestimmt wird.
* • Diese Zahl meint Einheiten der Krümmung, die wiederum von der Energie auf der
Brane und im Bulk bestimmt ist.

443
V E R B O R G E N E U N I VE R S E N

von einem massiven Objekt ausgehen und ausgedünnt wurden, weil sie
sich über große Dimensionen ausbreiteten. Wenn wir wollen, können
wir dieses Verdünnen als Konsequenz der Wahrscheinlichkeitsfunktion
des Gravitons beschreiben. Denken Sie daran, dass die Wahrscheinlich­
keitsfunktion des Gravitons uns sagt, wie sich die Gravitation im Raum
verteilt. Weil in dem Szenario mit großen zusätzlichen Dimensionen die
Schwerkraft überall in den Extradimensionen gleich stark ist, ist die
Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons in diesem Fall flach. Und
das würde uns sagen, dass das Graviton - das Tei lchen, das die Schwer­
kraft vermittelt - über die große Region verteilt ist, die von den Extradi­
mensionen eingeschlossen wird . Diese flache Wahrscheinlichkeitsfunk­
tion, die überall im extradimensionalen Raum gleich verteilt ist, sagt
uns, dass der Einfluss der Schwerkraft in vier Dimensionen stark ver­
dünnt ist.
In der verzerrten fünfdimensionalen Raumzeit, um die es j etzt geht,
findet das eine interessante Wendung. Das Graviton befindet sich nicht
mehr mit gleicher Wahrscheinlichkeit an sämtlichen Orten des fünfdi­
mensionalen Raums zwischen den Grenzen - der Gravitationsbrane und
der Schwachbrane. Die Verteilung der Schwerkraft ist de facto als auto­
matische Konsequenz der Energie der Branen und des Bulk alles andere
als demokratisch verteilt. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravi­
tons variiert : Sie ist in der einen Region groß und i n allen anderen klein,
und dieser Unterschied sorgt für den Verdünnungsfaktor, der dafür ver­
antwortlich ist, dass die Schwerkraft in unserer Welt so schwach ist. Auf
der Schwachbrane ist die Gravitation so kraftlos, weil die Wahrschein­
lichkeitsfunktion des Gravitons dort so minimal ist.
Kehren wir für einen Moment zu der Sprinkler-Analogie zurück, mit
der wir erklärten, wie die Stärke der Gravitation mit der Entfernung ab­
nimmt. Je größer das Gebiet, über das das Wasser verteilt wird (wie im
oberen Teil von Abbildung 8 1 dargestellt), umso stärker wird das Wasser
>> verdünnt << . Bei großen zusätzlichen Dimensionen wird die Schwerkraft
über eine sehr große Region verteilt, und auch sie wird verdünnt. In der
niederenergetischen, effektiven vierdimensionalen Theorie scheint die
Gravitation also schwach zu sein.
Die verzerrte Geometrie hingegen ähnelt einer Sprinkler-Anlage, die
das Wasser nicht in alle Richtungen gleichmäßig verteilt, sondern es be­
vorzugt an eine bestimmte Region abgibt, nämlich an die um die Gravi­
tationsbrane herum ( siehe den unteren Teil von Abbildung 8 1 ). Bei dieser
undemokratischen Sprinkleranlage liegt es auf der Hand, dass abgesehen

444
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC H IEPROBLEMS

von der begünstigten Region überall sonst weniger Wasser verteilt wird.
Und wenn die an andere Flächen abgegebene Wassermenge gegenüber
der favorisierten exponentiell abnimmt, bekommen die übrigen Bereiche
nur noch sehr winzige Bruchteile Wasser ab, selbst wenn sie gar nicht
weit entfernt sind. Eindeutig ist das von der >> verzerrte n << Sprinkler-An­
lage verteilte Wasser weit mehr >> verdünnt << als das gleichmäßig über alle
Flächen verteilte.
Herausgekommen ist bei der ganzen Sache, dass die Gravitation,
wenn alle Standardmodell-Teilchen auf der Schwachbrane unterge­
bracht sind, im Vergleich zu den anderen drei Kräften so schwach ist,
dass das Hierarchieproblem der Teilchenphysik gelöst ist. Schwächelnde
Schwerkraft ist eine natürliche Folge der kleinen Amplitude der Wahr-

Abbildung 81 : Drei unterschiedliche Sprinkler-A nlagen. Vergleicht man die


erste mit der zweiten, erkennt man, dass eine längere Sprinkler-Anlage an
eine bestimmte Fläche weniger Wasser abgibt als eine kurze. Die dritte
Sprinkler-A nlage zeigt, dass Wasser auch so ungleichmäßig verteilt werden
kann, dass der erste Garten immer die Hälfte allen Wassers bekommt, der
zweite ein Viertel und so weiter. In diesem Fall ist die Wassermenge, die der
erste Garten bekommt, unabhängig von der Länge der Sprinkler-A nlage; er
bekommt immer die Hälfte.

445
VERBORGENE UNIVERSEN

scheinlichkeitsfunktion des Gravitons auf der Schwachbrane, selbst


wenn diese nur in relativ bescheidenem Abstand ( rund zehn Mal größer
als die von der Stringtheorie favorisierte Planck-Längenskala) zur Gravi­
tationsbrane liegt.

In einer verzerrten Dimension wachsen und schrumpfen

Die vorstehende Erklärung der Hierarchie in Gestalt der exponentiell


a bfallenden Wahrscheinlichkeitsfunktion ist völlig ausreichend, um die
verzerrte Raumzeit zu verstehen. Die einleuchtende Begründung für die
Schwäche der Gravitation lautet, dass das Graviton mit geringerer
Wahrscheinlichkeit auf der Schwachbrane anzutreffen ist. Wenn Ihnen
diese Auskunft genügt, können Sie zum nächsten Abschnitt weiterblät­
tern ; vielleicht interessiert Sie aber auch die folgende, etwas strengere Er­
klärung, die noch etwas gründlicher auf die faszinierenden Eigenschaf­
ten verzerrter Raumzeit eingeht.
In diesem Abschnitt werden wir sehen, dass die geringe Schwerkraft
auf der Schwachbrane auch als Folge davon erklärt werden kann, dass
Objekte größer und leichter werden, j e mehr sie sich von der Gravitati­
onsbrane entfernen und der Schwachbrane annähern. Würde Athena
von der Gravitationsbrane zur Schwachbrane wandern (wie sie das in
der Geschichte zu Anfang des nächsten Kapitels tut), würde sie sehen,
dass mit zunehmender Entfernung der Schatten auf der Gravitations­
brane größer würde. Er würde sogar gewaltig zulegen - nämlich um 16
Größenordnungen anwachsen !
Wir werden auch sehen, dass in dieser Geometrie schwere und leichte
Teilchen friedlich koexistieren können. Selbst wenn es auf e iner der bei­
den Branen Teilchen mit Massen von der Ordnung der Planck-Masse
gibt, befinden sich auf der anderen nur Teilchen von der schwachen
Massenskala. Folglich gibt es kein Hierarchieproblem mehr.
Um das zu verstehen, nehmen wir an, dass Sie wie die meisten Men­
schen ( zumindest diejenigen, die dieses Buch nicht gelesen ha ben ) von
der fünften Dimension überhaupt nichts wissen - die ja schließlich un­
sichtbar ist. Unerschüttert in dem Glauben, dass Sie in vier Dimensionen
leben, würden Sie auch nur die vierdimensionale Gravitation wahrneh­
men, von der Sie annehmen würden, dass sie von einem konventionellen
vierdimensionalen Graviton vermittelt wird . In der effektiven vierdimen­
sionalen Theorie, die beschrei bt, was Sie sehen, gäbe es nur eine einzige

446
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS

Schwerkraft, und folglich könnte es auch nur einen einzigen Typ von
vierdimensionalem Graviton geben. Alle Teilchen würden mit diesem
einen Typ von Schwerkraft wechselwirken. Dieses Graviton enthielte
aber keinerlei Informationen über die Lokalisierung eines Teilchens in
der ursprünglichen, höherdimensionalen Theorie.
Daher sieht es so aus, als wären alle Gravitonwechselwirkungen die­
selben - das heißt, unabhängig davon, wo in der fünften Dimension ein
O bj ekt seinen Ursprung hat. Schließlich würde man überhaupt nicht
wissen, dass das Obj ekt aus der fünften Dimension stammt, ja, noch
nicht einmal, dass es eine fünfte Dimension gibt. Newtons Gravitations­
konstante, die die Wechselwirkung des Gravitons bestimmt, wäre die
einzige Größe, die die Stärke aller vierdimensionalen Schwerkraftwech­
selwirkungen determiniert. Aber im vorangegangenen Abschnitt haben
wir gesehen, dass die Wechselwirkungen der Gravitation schwächer
sind, wenn man sich von der Gravitationsbrane weg- und auf die
Schwachbrane zubewegt. Damit stellt sich die Frage, wie die Stärke der
Gravitation Informationen über die fünfdimensionale Lokalisierung
eines O bj ekts umfassen kann.
Die Lösung für dieses scheinbare Paradoxon beruht auf der Tatsache,
dass die Schwerkraft auch proportional zur Masse ist, und diese muss an
verschiedenen Punkten entlang der fünften Dimension unterschiedlich
sein. Die einzige Möglichkeit, die geschwächte Gravitonwechselwir­
kung auf jeder der entlang der fünften Dimension aufgereihten Scheiben
zu reproduzieren, besteht darin, die Masse auf jeder vierdimensionalen
Scheibe anders zu messen.
Zu den vielen bemerkenswerten Eigenschaften der verzerrten Raum­
zeit zählt, dass die Energien und Impulse abnehmen, wenn man sich
von der Gravitationsbrane in Richtung Schwachbrane bewegt. Diese
schrumpfenden Energien und Impulse ( sowie die Übereinstimmung mit
der Quantenmechanik und der speziellen Relativitätstheorie) verraten
uns auch, dass Entfernung und Zeit expandieren müssen (wie in Abbil­
dung 82 gezeigt) . In der hier beschriebenen Geometrie hängen Größe,
Zeit, Masse und Energie allesamt von der Lokalisierung ab. Vierdimen­
sionale Größen und Massen erben Werte, die von ihren ursprünglichen,
fünfdimensionalen Positionen abhängen. Die Physik sieht vierdimensio­
nal aus. Aber das Lineal, mit dem die Länge gemessen wird, oder die
Skala, mit der die Masse ermittelt wird, hängt von der ursprünglichen
fünfdimensionalen Lokalisierung ab. Bewohner sowohl der Gravitati­
onsbrane als auch der Schwachbrane würden beide vierdimensionale

447
VERBORGENE U N I VERSEN

Abbildung 82 : A uf dem Weg von der Gravitationsbrane zur Schwachbrane


nehmen die Größen zu (und Massen und Energien nehmen ab).

Physik sehen, aber sie würden unterschiedliche Größen und Massen


messen.
Die Anziehungskraft der Massen von Teilchen, die ihren Ursprung
weiter von der Gravitationsbrane weg in der ursprünglichen, fünfdimen­
sionalen Theorie haben, ist in der vierdimensionalen effektiven Theorie
kleiner, weil die Massen selbst kleiner sind. Der Grund dafür ist, dass an
j eder Position in der fünften Dimension Masse und Energie um einen Be­
trag umskaliert werden, der der Amplitude der Wahrscheinlichkeits­
funktion des Gravitons an diesem bestimmten Punkt proportional ist.
Und der Warpfaktor - der der Betrag ist, um den die Energien umskaliert
werden - ist weiter weg von der Gravitationsbrane kleiner. De facto hat
seine Kurve genau dieselbe Form wie d ie der Wahrscheinlichkeitsfunk­
tion des Gravitons. Massen und Energien schrumpfen daher an jedem
Punkt entlang der fünften Dimension um einen anderen Faktor - und der
Warpfaktor bestimmt, um wie viel.
Dieses Umskalieren mag willkürlich erschei nen, ist es aber nicht. Es

448
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS

ist allerdings trickreich, und daher wollen wir uns zunächst eine ana­
loge Situation ansehen. Nehmen wir an, wir wollten Zeit messen und
als Einheit dafür nehmen, wie lange ein Zug braucht, um 100 Kilome­
ter zurückzulegen. Ich werde diese Zeiteinheiten ,, zz ,, nennen ( >> Zug­
Zeit « ) . Das ist ein durchaus praktikables Maß, nur dass die Zeitmes­
sung davon abhängt, wo man gerade reist : Fahren die Züge dort
schnell oder langsam ? Nehmen wir zum Beispiel an, dass ein Film zwei
Stunden dauert. Wenn ein amerikanischer Zug eine Stunde für 100 Ki­
lometer braucht, würde ein amerikanischer Reisender im Verlauf des
Films 200 Kilometer zurücklegen und sagen, der Film hätte 2 ZZ ge­
dauert. Ein französischer Reisender im TGV hingegen würde sagen, der
Film dauere 6 ZZ, weil die französischen Hochgeschwindigkeitszüge
dreimal schneller sind und der Franzose 600 Kilometer weit fahren
muss, wenn er die Film-DVD bis zu Ende anschauen will. Weil der Zug
des Franzosen 100 Kilometer in 20 Minuten zurücklegt, der US-Zug für
dieselbe Entfernung aber eine Stunde braucht, muss man die Zugzeit
umskalieren, wenn Amerikaner und Franzosen die gleichen Einheiten
verwenden und bei der ZZ-Länge des Films zum selben Ergebnis kom­
men wollen. Um die französische in die amerikanische Zug-Zeit zu
konvertieren, muss man die französische Zug-Zeit um den Faktor drei
umskalieren.
Ähnlich müssen auf der Schwachbrane, wo die Gravitonwechselwir­
kung viel kleiner ist als auf der Gravitationsbrane, die Einheiten der
Messskala für Energie umskaliert werden, um die Schwäche der Schwer­
kraft zu berücksichtigen. Auf der Schwach brane muss um einen enor­
men Betrag umskaliert werden : 10 16, zehn Millionen Milliarden. Das
heißt, während auf der Gravitationsbrane alle fundamentalen Massen
M PI sein sollten ( Planck-Massenskala ) , sollten sie auf der Schwachbrane
nur rund 1000 Ge V betragen, um einen Faktor von 10 16 weniger. Die
Massen neuer Teilchen auf der Schwachbrane könnten ein bisschen grö­
ßer sein, vielleicht 3000 oder 5000 GeV, aber viel größer sollten sie nicht
werden, da alle Massen enorm umskaliert wurden.
Zum Hierarchieproblem kommt es, wenn alle Massen an die größte
vorhandene Masse angeglichen werden. Wenn diese Masse die Planck­
Massenskala ist, sollte man erwarten, dass alle Massen ungefähr so
groß wie die Planck-Massenskala sind. Aber wenn man ursprünglich
für alles auf der Gravitationsbrane die Planck-Massenskala angenom­
men hat, dann kommt man dank der Umskalierung zu dem Schluss,
dass auf der Schwachbrane ein TeV, 1 6 Größenordnungen weniger, die

449
VERBORGENE UN IVERSEN

erwartete Masse ist. ,. Das heißt, dass die Masse des Higgs-Teilchens
nicht zu Irritationen führt : Eine Masse von rund einem Te V - zehn Mil­
lionen Milliarden Mal kleiner als die Planck-Massenskala - ist zu er­
warten, auch wenn die Gravitation schwach ist. Das Umskalieren, das
für diese Interpretation von entscheidender Bedeutung ist, löst das Hie­
rarchieproblem.
Ähnlich kann man überlegen, dass alle neuen Obj ekte auf der
Schwachbrane einschließlich Strings eine Masse von rund einem Te V ha­
ben müssten. Das sagt uns, dass dieses Modell dramatische experimen­
telle Grenzen haben könnte. Auf der Schwachbrane wären die mit
Strings zusammenhängenden zusätzlichen Teilchen viel leichter als j ene
auf der Gravitationsbrane - oder in einer vierdimensionalen Welt, wenn
Ihnen das lieber ist. Die Schwachbrane bietet aus Sicht der Entdeckung
zusätzlicher Dimensionen ein fabelhaftes Szenario. Wenn diese Vorstel­
lung richtig ist, dann müssten Teilchen mit geringer Masse aus Extradi­
mensionen in Reichweite sein. Teilchen von TeV-Masse gäbe es auf der
Schwachbrane zuhauf.
Wir erwarten, dass alles auf der Schwachbrane um einen Faktor von
1 0 16 leichter als die Planck-Massenskala ist. Und der Quantenmechanik
zufolge ist weniger Masse gleich mehr Größe. Athenas Schatten würde
zunehmen, wenn sie von der Gravitationsbrane zur Schwach brane ginge.
Das sagt uns, dass die Strings auf der Schwachbrane nicht 1 0 -33 cm groß
sein müssten, sondern stattdessen 16 Größenordnungen größer - also
rund 1 0 -17 cm.
Ich habe mich zwar auf ein Szenario mit zwei Branen und einem spe­
zifischen Warpfaktor konzentriert, die diskutierten Merkmale sind aber
wahrscheinlich allgemeiner als nur für dieses besondere Beispiel von
Belang. Bei zusätzlichen Dimensionen gibt es guten Grund, unter­
schiedliche Massen zu erwarten. Die intuitive teilchenphysikalische An­
nahme, dass Massen mehr oder weniger gleich groß sein sollten, wird
enttäuscht, und ein großes Spektrum von Massen wird erwartet. An un­
terschiedlichen Stellen lokalisierte Teilchen würden von Natur aus ver­
schiedene Massen haben. Ihre Schatten verändern sich, wenn man um-

*
In der physikalischen Literatur haben sich die Bezeichungen » Planck brane « und
»TeV-Brane« oder » Schwach brane « eingebürgert. In der Geschichte zu Anfang des
nächsten Kapitels wird die Gravitationsbrane zu » Branesville « . Die Bezeichnung
» Schwachbrane « bezieht sich auf die Tatsache, dass die meisten der auf diese Brane
beschränkten Teilchen erwartungsgemäß eine Masse von ungefähr der Größe der
schwachen Massenskala haben sollten.

450
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS

herwandert. In unserer vierdimensionalen Welt würde das zu einer gan­


zen Palette von Größen und Massen führen, und genau das beobachten
Wir.

Weiterentwicklungen

Als 1 9 9 9 unser Aufsatz erschien, der die Hierarchie mittels verzerrter


Geometrie erklärte, erkannten die meisten Kollegen nicht, dass es eine
wirklich neue Theorie war, die sich stark von der Idee der großen Di­
mensionen unterschied. Joe Lykken erzählte mir : >> Die Reaktionen bau­
ten sich nur langsam auf. Letzten Endes begriffen alle, dass dieser Auf­
satz [und ein weiterer, der in Kapitel 22 referiert wird] etwas Großes,
Neuartiges und Eigenständiges war und einen ganzen neuen Jahrmarkt
der Ideen eröffnete, anfangs aber nicht. <<
Monate nach der Veröffentlichung des Aufsatzes wurde ich gebeten,
Vorträge über meine Arbeit mit >> großen Zusatzdimensionen << zu halten.
Ständig musste ich einwenden, das Schöne an unserer Theorie sei gerade,
dass die Dimensionen nicht groß sein müssen ! Mark B. Wise, ein Cal­
tech-Teilchentheoretiker, lachte sogar über den Titel, den man mir für
meinen Plenarvortrag bei der Schlusssitzung der Lepton-Photon-Konfe­
renz von 2001 zugewiesen hatte - einer wichtigen Tagung, bei der Expe­
rimentatoren interessante Ergebnisse präsentierten. Die Organisatoren
hatten meinem Vortrag einen Titel gegeben, der sich auf alle möglichen
Forschungen über Extradimensionen bezog, nur nicht auf meine eige­
nen !
Mark und sein damaliger Student Walter Goldherger begriffen mit als
Erste die Vorteile des verzerrten Szenarios . Sie erkannten aber auch, dass
Raman und ich in unserer Arbeit eine Lücke gelassen hatten, die gefüllt
werden musste. Wir hatten angenommen, dass die Branendynamik von
Natur aus zu Branen führen würde, die nur geringen Abstand zueinan­
der ha ben. Wir hatten jedoch nicht explizit dargelegt, wie die Distanz
zwischen den beiden Branen bestimmt wird. Es war nicht einfach nur ein
vergessenes Detail : Wenn unsere Theorie eine Lösung für das Hierar­
chieproblem sein sollte, dann hing das davon ab, ob sie ohne weiteres die
beiden Branen in einem kleinen, aber endlichen Abstand stabilisieren
würde. Es war möglich, dass sich die inverse Exponentialfunktion der
Distanz (die wir extrem winzig haben wollten) und nicht die Distanz
selbst als von Natur aus bescheidene Zahl herausstellte. Wenn ja, wäre

45 1
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

die vorhergesagte Hierarchie zwischen der schwachen Massenskala und


der Planck-Massenskala eine bescheidene Zahl, nicht der ( viel kleinere )
inverse Exponentialwert j ener Zahl - und unsere Lösung würde nicht
funktionieren.
Gold herger und Wise leisteten den wichtigen Forschungsbeitrag, der
dieses möglicherweise heimtückische Loch in Ramans und meiner Theo­
rie schloss. Sie zeigten, dass der Abstand zwischen den beiden Branen
eine bescheidene Zahl ist und dass der inverse Exponentialwert j ener Di­
stanz extrem winzig ist, genau wie es erforderlich war, damit unsere Lö­
sung funktionierte.
Ihre Idee war elegant und erwies sich als allgemein gültiger, als zu die­
sem Zeitpunkt irgendjemand dachte. Ihr Stabilisierungsmodell ist allen
möglichen anderen ähnlich. Goldherger und Wise schlugen vor, dass es
zusätzlich zum Graviton im fünfdimensionalen Bulk ein massives Teil­
chen gibt. Diesem wiesen sie Eigenschaften zu, aufgrund deren es sich
wie eine Sprungfeder verhält. Generell hat eine Sprungfeder so etwas wie
eine Lieblingslänge ; wird sie gedehnt oder zusammengedrückt, trägt sie
eine Energie, die sie in Bewegung versetzt. Goldherger und Wise führten
ein Teilchen ( und ein dazugehöriges Feld) ein, bei dem zur Gleichge­
wichtskonfiguration für das Feld und die Branen ein geringer Branenab­
stand gehörte - genau das, was für unsere Lösung des Hierarchiepro­
blems erforderlich ist.
Ihr Mechanismus arbeitete mit zwei konkurrierenden Effekten, von
denen der eine weit getrennte Branen begünstigt und der andere Branen
in kurzem Abstand . Im Ergebnis führt das zu einer stabilen Kompro­
missposition. Die Kombination der beiden entgegengesetzten Effekte
führt auf selbstverständliche Weise zu einem Modell, bei dem die beiden
Branen einen geringen Abstand zueinander halten.
Der Aufsatz von Goldherger und Wise stellte klar, dass das Szenario
mit den beiden Branen wirklich eine Lösung des Hierarchieproblems
darstellt. Und die Tatsache, dass der Abstand zwischen den Branen fi­
xiert werden konnte, war noch aus einem anderen Grund wichtig. Wenn
die Distanz zwischen den Branen nicht festgelegt wäre, hätten die Branen
mit der Entwicklung von Temperatur und Energie im Universum dichter
aneinander oder weiter voneinander weg rücken können. Wenn der Bra­
nenabstand veränderlich wäre oder wenn verschiedene Seiten des fünf­
dimensionalen Universums mit unterschiedlichem Tempo expandieren
könnten, würde sich das Universum nicht so entwickeln, wie es das in
vier Dimensionen tun sollte. Da die Astrophysiker die Expansion des

452
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS

Universums relativ spät im Verlauf seiner Evolution getestet haben, wis­


sen wir, dass in j üngerer Zeit das Universum expandiert ist, als wäre es
vierdimensionaL
Dank des Stabilisierungsmechanismus von Goldherger und Wise
stimmt das verzerrte fünfdimensionale Universum mit den kosmologi­
schen Beobachtungen überein. Wenn die Branen erst einmal relativ zu­
einander stabilisiert sind, entwickelt sich das Universum, als wäre es
vierdimensional, selbst wenn es in Wirklichkeit fünf Dimensionen haben
sollte. Auch wenn es eine fünfte Dimension gäbe, würde die Stabilisierung
unterschiedliche Stellen entlang der fünften Dimension starr beschrän­
ken, sodass sie sich genauso entwickeln würden, und das Universum
würde sich wie in vier Dimensionen verhalten. Da die Goldberger-Wise­
Stabilisierung sich relativ frühzeitig hätte ereignen müssen, hätte das ver­
zerrte Universum für den größten Teil seiner Entwicklung wie ein vierdi­
mensionales gewirkt.
Als Stabilisierung und Kosmologie erst einmal verstanden waren, war
die Lösung des Hierarchieproblems mit verzerrter Geometrie in aller
Munde. Viele weitere interessante Entwicklungen hinsichtlich dieser ver­
zerrten Geometrie sollten bald folgen . Eine davon war die Verei nheitli­
chung der Kräfte. In der von uns in Betracht gezogenen verzerrten Geo­
metrie könnten alle Kräfte einschließlich der Gravitation bei hohen
Energien vereint sein !

Verzerrte Geometrie und die Vereinheitlichung der Kräfte

Wie in Kapitel 13 erklärt, ist eine der schönsten Federn am Hut der Su­
persymmetrie, dass sie erfolgreich die Vereinheitlichung der Kräfte zu­
wege bringt. Extradimensionale Theorien, die das Hierarchieproblem
angingen, schienen dieses potenziell wichtige Entwicklungsziel zu ver­
passen. Da wir noch keinerlei schlüssige experimentelle Beweise für die
Vereinheitlichung gesehen haben - etwa den Protonenzerfall -, ist dies
nicht notwendigerweise ein großer Verlust, weil wir noch nicht sicher
wissen, dass die Vereinheitlichung richtig ist. Dennoch sind drei Linien,
die sich in einem Punkt schneiden, eine interessante Sache : Sie könnten
von etwas Wichtigem künden. Auch wenn die Vereinheitlichung noch
nicht fest etabliert ist, sollten wir sie auch nicht übereilt aufgeben.
Alex Pomarol, ein spanischer Physiker an der Universität von Barce­
lona, bemerkte, dass es auch in der verzerrten Geometrie zu einer Ver-

453
VERBORGENE UNIVERSEN

einheitlichung der Kräfte kommen kann. Allerdings hatte er sich eine et­
was andere Anordnung ausgedacht; die elektromagnetische, die schwa­
che und die starke Wechselwirkung sind nicht auf eine Brane beschränkt,
sondern im umfassenden fünfdimensionalen Bulk präsent. Die Eichbo­
sonen des Standardmodells - die Gluonen, die Ws, das Z und das Photon
- hängen nicht auf einer drei-plus-eins-dimensionalen Brane fest.
Nach der Stringtheorie könnten Eichbosonen auf einer höherdimen­
sionalen Brane oder zusammen mit der Gravitation auch im Bulk sein.
Im Gegensatz zum Graviton, das aus einem geschlossenen String hervor­
gehen muss, entsprechen Eichbosonen und geladene Fermionen entwe­
der offenen oder geschlossenen Strings - das hängt vom Modell ab. Und
je nachdem ob sie aus offenen oder geschlossenen Strings entstehen, sind
Eichbosonen und Fermionen entweder auf eine Brane beschränkt, oder
sie können sich frei im Bulk bewegen.
Im Szenario mit den großen Zusatzdimensionen wären nichtgravita­
tive Kräfte, sofern sie sich im Bulk befinden, viel zu schwach, um mit den
Beobachtungen übereinzustimmen. Bulk-Kräfte müssten sich durch
einen enormen Bulk-Raum ausbreiten. Wie die Gravitation würden da­
her auch sie extrem verdünnt. Das wäre inakzeptabel, weil wir gemessen
haben, dass die Kräfte viel stärker sind, als diese Theorie vorhersagen
würde.
Wenn aber zusätzliche Dimensionen nicht groß sind, wie es bei der
verzerrten Geometrie der Fall ist, dann gibt es kein Problem mit den
nichtgravitativen Kräften im fünfdimensionalen Bulk. Das Einzige, was
sie verdünnen kann, ist die Größe der Zusatzdimensionen, nicht die Ver­
zerrung - und im verzerrten Szenario ist diese Größe ziemlich klein. Das
bedeutet, dass in einer zutreffenden Theorie der Welt möglicherweise
alle vier Kräfte überall im Bulk wahrnehmbar sind. In diesem Fall unter­
lägen nicht nur Teilchen auf der Brane, sondern a uch Teilchen überall im
Bulk der elektrischen, der schwachen und der starken Wechselwirkung
und genauso der Gravitation .
Wenn es im verzerrten Szenario im Bulk Eichbosonen gibt, könnten sie
eine Energie haben, die viel größer als ein TeV ist. Die sich im Bulk he­
rumtreibenden Eichbosonen würden das gesamte Energiespektrum
wahrnehmen. Nicht länger an die Schwachbraue gekettet, könnten sie ir­
gend wo im Bulk herumwandern und Energien bis hinauf zur Planck­
Energieskala haben. Nur auf der Schwachbraue muss die Energie wirk­
lich niedriger als ein TeV sein. Weil die Kräfte im Bulk also mit hohen
Energien arbeiten könnten, wäre eine Vereinheitlichung möglich. Das ist

454
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS

aufregend, weil es bedeutet, dass sich auch in einer Theorie mit einer Zu­
satzdimension die Kräfte bei hoher Energie vereinigen können . Und Po­
marol kommt zu dem sehr interessanten Ergebnis, dass es tatsächlich zu
einer Vereinheitlichung kommt, fast als wäre die Theorie wirklich vier­
dimensional.
Aber es kommt noch besser : Die Vereinheitlichung und der verzerrte
Hierarchiemechanismus können kombiniert werden. Pomarol zeigte,
dass sich die Kräfte vereinigen, aber er ging davon aus, dass die Super­
symmetrie das Hierarchieproblem löse. In der verzerrten Geometrie er­
fordert die Lösung des Hierarchieproblems nur, dass das Higgs-Teilchen
auf der Schwachbrane ist, damit seine Masse ungefähr genauso groß ist
wie die schwache Energieskala, nämlich zwischen 100 GeV und einem
Te V. Die Eichbosonen müssen nicht darauf festsitzen.
In der verzerrten Geometrie ist für die Lösung des Hierarchieproblems
nichts weiter nötig, als dass die Masse des Higgs-Teilchens klein ist. Der
Grund ist, dass das Higgs-Feld für die spontan gebrochene Symmetrie
verantwortlich ist, die die Quelle aller Elementarteilchenmassen ist.
Eichbosonen und Fermionen würden keine Masse haben, wenn die Sym­
metrie der schwachen Wechselwirkung nicht gebrochen wäre. Solange
das Higgs-Teilchen eine schwache Massenskala hat, erweisen sich die
Massen der schwachen Eichbosonen als korrekt. Die verzerrte Geome-

Abbildung 83 : Nichtgravitative Kräfte k önnen auch im Bulk sein. In diesem


Fall k önnen sie sich bei hohen Energien vereinen.

455
VERBORGENE UNIVERSEN

trie braucht zur Lösung des Hierarchieproblems wirklich nichts weiter,


als dass das Higgs-Teilchen auf der Schwachbrane ist.
Das alles bedeutet, dass man seinen Kuchen essen und zugleich aufhe­
ben kann, wenn das Higgs-Teilchen auf der Schwachbrane ist, aber
Quarks, Leptonen und Eichbosonen sich im Bulk befinden ( siehe Abbil­
dung 8 3 ) . Die schwache Skala wäre geschützt und betrüge rund ein TeV,
a ber bei hohen Energien - auf der GVT-Skala - könnte es noch immer zu
einer Vereinheitlichung kommen. Mein ehemaliger Student Matthew
Schwanz und ich zeigten, dass die Supersymmetrie nicht die einzige
Theorie ist, die mit der Vereinheitlichung konsistent sein kann : Auf eine
verzerrte extradimensionale Theorie trifft das genauso zu !

Folgen für Experimente

Die natürliche Skala auf der Schwachbrane beträgt rund ein TeV. Sollte
dieses Szenario mit der verzerrten Geometrie eine zutreffende Beschrei­
bung unserer Welt sein, müsste das beim Large Hadron Collider am
CERN in der Schweiz überwältigende Folgen zeitigen. Zu Signaturen der
verzerrten fünfdimensionalen Raumzeit könnten Kaluza-Klein-Teilchen
zählen, fünfdimensionale Schwarze Löcher des Ami-de-Sitter-Raums
und Strings von TeV-Masse.
Die KK-Teilchen der verzerrten Raumzeit sind wahrscheinlich die am
leichtesten zugänglichen experimentellen Vorboten dieser Geometrie.
Wie immer sind KK-Teilchen solche mit einem Impuls in der Zusatzdi­
mension. Der neuartige Dreh bei diesem Modell ist aber, dass die Mas­
sen der KK-Teilchen - weil der Raum gekrümmt ist, nicht flach - die Ei­
gentümlichkeiten der verzerrten Geometrie widerspiegeln würden.
Das einzige Teilchen, von dem wir mit Sicherheit wissen, dass es das
Bulk durchquert, ist das vierdimensionale Graviton, und daher wollen
wir uns auf dessen KK-Partner konzentrieren . Wie schon im flachen
Raum wird der leichteste KK-Partner des Gravitons derj enige sein, der in
der vierten Dimension überhaupt keinen Impuls hat. Dieses Teilchen
wäre von einem mit echt vierdimensionalem Ursprung nicht zu unter­
scheiden. Es ist das Graviton, das in einer anscheinend vierdimensiona­
len Welt die Schwerkraft vermitteln würde, und es ist das Graviton, des­
sen Wahrscheinlichkeitsfunktion wir im Detail in diesem Kapitel unter­
sucht haben. Gäbe es keine zusätzlichen KK-Teilchen, würde sich die
Schwerkraft genauso verhalten wie in einem wahrhaftig vierdimensiona-

456
V E R Z E R RT E PA S � AG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S

len Universum. I n diesem Szenario i s t d a s Universum heimlich fünfdi­


mensional, aber das Teilchen, das sich wie ein vierdimensionales Gra­
viton verhält, lässt diese Tatsache nicht erkennen. 0 hne schwerere
KK-Teilchen würde Athenas Welt ihr in der Tat vierdimensional vorkom­
men.
Nur die massiveren KK-Teilchen könnten die Geheimnisse der fünfdi­
mensionalen Theorie preisgeben. Aber sie müssten leicht genug sein, um
erzeugt werden zu können. Die Massen von KK-Teilchen dieser Theorie
zu berechnen ist aber ein bisschen kompliziert. Wegen der besonderen
Geometrie würden die Massen der KK-Teilchen nicht umgekehrt propor­
tional zur Größe der Dimension sein, wie es für aufgerollte Dimensionen
des flachen Raums gilt. Eine Masse umgekehrt proportional zur Größe
wäre sogar extrem überraschend, da für die hier diskutierte kleine Zu­
satzdimension dies die Planck-Massenskala wäre. Auf der Schwach­
brane kann nichts existieren, was viel schwerer als ein Te V ist ; etwas mit
Planck-Massenskala würde man dort mit Sicherheit nicht finden.
Da ein Te V die auf der Schwachbrane übliche Masse ist, sollte es nicht
verwundern, dass auch die KK-Teilchen Massen von rund einem TeV
haben, wenn man sie korrekt berechnet und dabei die gekrümmte
Raumzeit berücksichtigt. Sowohl das leichteste KK-Teilchen als auch der
Unterschied zwischen den Massen Schritt um Schritt schwererer KK­
Teilchen erweisen sich als rund ein TeV, wenn die fünfte Dimension an
der Schwachbrane endet, wie wir angenommen haben. KK-Teilchen häu­
fen sich auf der Schwachbrane (weil ihre Wahrscheinlichkeitsfunktion
hier den Spitzenwert erreicht) , und sie haben alle Eigenschaften der Teil­
chen auf der Schwachbrane.
Das heißt, dass es dort schwere KK-Partner des Gravitons gibt, deren
Masse rund 1 TeV, 2 TeV, 3 Te V . . . groß ist. Und je nachdem, welche
Energie der LHC letztlich erreichen wird, bestehen gute Aussichten,
eines oder mehrere davon zu finden. Im Gegensatz zu dem KK-Partner
im Szenario mit den großen Zusatzdimensionen wechselwirken diese
KK-Partner viel stärker als die Gravitation.
Diese KK-Tei lchen interagieren nicht annähernd so kraftlos wie die
vierdimensionale Schwerkraft - ihre Wechselwirkungsstärke l iegt um 1 6
Größenordnungen höher. In unserer Theorie wechselwirken die KK­
Partner des Gravitons so stark, dass irgendein mit dem Collider produ­
zierter KK-Partner n icht einfach verschwindet und dabei etwas Energie
mitnimmt, aber sonst kein sichtbares Signal hinterlässt. Stattdessen wer­
den diese KK-Partner innerhalb des Detektors zu registrierbaren Teilchen

457
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

KK- Teilchen

A b bildung 84 : Bei der Kollision zweier Protonen löschen sich ein Quark und
ein Antiquark aus und produzieren einen KK-Partner des Gravitons. Das
KK-Teilchen kann dann zu sichtbaren Teilchen wie etwa einem Elek tron und
einem Positron zerfallen. Die grauen Linien stellen an den Protonen gestreute
Teilchen dar.

zerfallen - vielleicht Myonen oder Elektronen -, aus denen man das KK­
Teilchen rekonstruieren kann, aus dem sie hervorgegangen sind ( siehe
Abbildung 8 4 ) .
D a s herkömmliche Rezept z u r Entdeckung neuer Teilchen lautet :
Man untersuche alle Zerfallsprodukte und leite daraus die Eigenschaften
ihres Ursprungs a b ; und wenn das, was man findet, nichts gleicht, was
man bereits kennt, muss es etwas Neues sein. Wenn KK-Teilchen im De­
tektor zerfallen, müssten die Signale von Zusatzdimensionen sehr sauber
sein. In unserem Modell gäbe es nicht einfach nur eine fehlende Energie­
signatur, die keine signifikanten Merkmale aufweist, anhand derer man
definitiv ihren Ursprung identifizieren und das Modell von anderen
Möglichkeiten unterscheiden könnte ; vielmehr müssten die rekonstru­
ierten Massen und Spins der KK-Teilchen enorm hilfreiche Hinweise lie­
fern, die uns ziemlich viel über die Identitäten der neuen Tei lchen sagen
würden. Der Spin-Wert der KK-Teilchen - Spin-2 - wäre wie ein virtuel­
les Namensschild, das uns sagt, dass die neuen Teilchen irgendetwas mit
Gravitation zu tun haben müssen. Ein Teilchen von Spin-2 mit einer
Masse von rund einem TeV wäre ein extrem überzeugender Beweis für
eine verzerrte Zusatzdimension. Nur wenige andere Modelle führen
ebenfalls zu so schweren Spin-2-Teilchen, und diese kann man anhand
anderer Merkmale von unserem unterscheiden.
Wenn wir Glück haben, werden bei Experimenten neben den KK-Part­
nern des Gravitons vielleicht noch viel mehr KK-Teilchen erzeugt. Bei
einer Theorie, nach der die meisten Standardmodell-Teilchen sich im
Bulk befinden, könnten wir vielleicht auch geladene KK-Partner von

458
V E R Z E R RT E PA S S AG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S

Quarks u n d Leptonen u n d Eichbosonen sehen. Diese Teilchen wären so­


wohl geladen als auch schwer. Und sie könnten uns letztlich noch mehr
Informationen über die höherdimensionale Welt liefern. '' De facto haben
die Modellbauer Csaba Csaki, Christophe Groj ean, Luigi Pilo und John
Terning gezeigt, dass in einer extradimensionalen verzerrten Raumzeit
mit Standardmodell-Teilchen im Bulk die elektroschwache Symmetrie
auch ohne Higgs-Teilchen gebrochen sein könnte, und die geladenen
Teilchen, die die Experimentatoren dann entdecken würden, könnten
uns sagen, ob dieses alternative Modell auf die Welt zutrifft, in der wir
leben.

Eine noch bizarrere Möglichkeit

Ich habe ein paar ziemlich verrückte Eigenschaften von zusätzlichen Di­
mensionen beschrieben. Aber die ungewöhnlichste Möglichkeit kommt
erst noch. Wir werden in Kürze sehen, dass eine verzerrte Extradimen­
sion sich tatsächlich unendlich weit erstrecken, aber dennoch unsichtbar
sein kann - im Gegensatz zu einer flachen Dimension, die immer von
endlicher Größe sein muss, um mit Beobachtungen übereinzustimmen.
Diese Erkenntnis war wirklich schockierend . Wenn wir in Kapitel 22
diese unendliche Zusatzdimension diskutieren, werden wir uns auf die
Raumgeometrie konzentrieren, nicht auf das Hierarchieproblem. Daher
will ich hier kurz umreißen, wie man auch im Fall der unendlichen Zu­
satzdimension das Hierarchieproblem lösen kann.
Bislang haben wir ein Modell mit zwei Branen untersucht : der Gravi­
tationsbrane und der Schwachbrane, die beide eine fünfte Dimension be­
grenzen. Jedoch muss die Schwachbrane nicht das Ende der Welt sein
(das heißt, die Grenze der fünften Dimension ) . Wenn das Higgs-Teilchen
auf eine zweite Brane in der Mitte einer unendlichen Zusatzdimension
beschränkt ist, könnte solch ein Modell ebenfalls das Hierarchieproblem
lösen. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons wäre auf der
Schwachbrane sehr klein. Die Gravitation wäre schwach, und das Hier­
archieproblern würde genauso gelöst wie zuvor, als die Schwachbrane
die zusätzliche Dimension begrenzte. Im Modell mit einer unendlichen

* Kaustubh Agashe, Roberto Contino, Michael J . May, Alex Pomarol und Raman
Sundrum zählen zu den Physikern, die detaill ierte Modelle dessen studiert haben, was
man vielleicht findet.

459
VERBORGENE U N I VERSEN

verzerrten Dimension würde die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravi­


tons sich über die Schwachbrane hinaus fortsetzen, aber das würde die
Lösung des Hierarchieproblems nicht berühren, die einzig und allein auf
der kleinen Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons auf der Schwach­
brane beruht.
Wenn j edoch die Dimension unendlich ist, hätten die KK-Teilchen an­
dere Massen und Wechselwirkungen, also würden sich die experimentel­
len Folgen dieses Modells von den gerade beschriebenen unterscheiden.
Als Joe Lykken und ich erstmals diese Möglichkeit am Aspen Center for
Physics diskutierten ( der am meisten inspirierende Veranstaltungsort
von allen und mit ein Grund, warum theoretische Physiker so gern wan­
dern ) , waren wir nicht sicher, ob diese Idee tatsächlich funktionieren
würde. Wenn die fünfte Dimension nicht auf der Schwachbrane endete,
wären nicht alle KK-Teilchen schwer - nicht alle hätten eine Masse von
rund einem Te V. Einige KK-Teilchen hätten sehr winzige Massen. Wären
solche Teilchen registrierbar, a ber bei Experimenten noch nicht entdeckt
worden, käme das Modell nicht infrage.
Aber es stellte sich heraus, dass unser Modell davor gefeit war. Auf
einer Bank inmitten der großartigen Berglandschaft arbeitete ich die
Wechselwirkungen der KK-Teilchen aus (Joe stellte dieselben Berechnun­
gen an, aber in seinem Büro im Center, soweit ich weiß) . Wir kamen zu
einem Ergebnis, welches besagte, dass die Wechselwirkungen der KK­
Teilchen zwar groß genug wären, um für zukünftige Experimente inter­
essant zu sein, aber nicht so groß, als dass man sie bereits hätte entde­
cken müssen.
In Zukunft stehen die Chancen gut, dass der LHC die KK-Teilchen die­
ses Modells - sollte es sie geben - produzieren wird. Diese Teilchen wer­
den nicht j enen aus dem verzerrten Modell mit endlichen Zusatzdimen­
sionen gleichen. Statt netter KK-Teilchen, die innerhalb des Detektors
zerfallen, würden die KK-Teilchen dieses Modells mit der unendlichen
Dimension in die zusätzliche Dimension entwischen - ähnlich wie die
KK-Teilchen, wenn es große Dimensionen gibt. Wenn es also eine unend­
liche, verzerrte Zusatzdimension und eine Schwachbrane gibt, die das
Hierarchieproblem löst, können die Experimentatoren nur hoffen, Er­
eignisse mit fehlender Energie zu entdecken. Bei genügend hohen Ener­
gien sollte fehlende Energie ein hinreichend viel versprechendes Signal
sein, dass da draußen etwas Neues ist.

460
V E R Z E R RT E PA S SAG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S

Schwarze Löcher, Strings u n d andere Überraschungen

Neben KK-Teilchen könnten sich andere bemerkenswerte Anzeichen für


Extradimensionen zeigen, wenn der LHC die Arbeit aufnimmt. Bei ge­
wöhnlichen Energien sind die Effekte fünfdimensionaler Gravitation
zwar winzig, wenn Collider aber hochenergetische Teilchen erzeugen,
wird die fünfdimensionale Gravitation eine größere Rolle spielen. Wenn
Energien rund ein TeV erreichen, müssten die Effekte der fünfdimensio­
nalen Gravitation enorm sein - sie würden die Wechselwirkungen des
schwach interagierenden vierdimensionalen Gravitons überlagern, das
auf der Schwachbrane, wo wir leben ( und die Experimente durchgeführt
werden ) , eine kleine Wahrscheinlichkeitsfunktion hat.
Die enorme Stärke der fünfdimensionalen Gravitation bedeutet, dass
möglicherweise fünfdimensionale Schwarze Löcher und auch fünfdi­
mensionale Strings erzeugt werden. Wenn die Energien erst einmal rund
ein Te V erreichen, wird darüber hinaus alles auf oder nahe der Schwach­
brane stark mit allem anderen wechselwirken. Der Grund dafür ist, dass
bei TeV-Energien die Effekte der Gravitation und der zusätzlichen KK­
Teilchen enorm wären, und sie würden sich zusammentun und alles an­
dere dazu bringen, mit allem anderen zu interagieren. Solche starken
Wechselwirkungen zwischen allen bekannten Teilchen und der Gravita­
tion würden in einem vierdimensionalen Szenario nicht vorkommen; sie
wären ein definitives Anzeichen für etwas Neues. Wie im Fall der großen
Zusatzdimensionen wissen wir noch nicht, ob die Energie ausreichen
wird, um diese neuen Objekte zu sehen. Aber wenn Wechselwirkungen
bei Energien nicht weit über einem TeV stark sind, wird uns das bei den
Experimenten nicht entgehen.

Koda

Der Zusammenhang zwischen einer Lösung des Hierarchieproblems und


den experimentellen Folgen bei TeV-Energien ist gesichert ; die Details
dessen, was wir sehen werden, hängen aber vom Modell ab. Verschiedene
Modelle haben j eweils anders gelagerte experimentelle Konsequenzen,
und das ist sehr beruhigend . Diese unverwechselbaren Signaturen bedeu­
ten, dass wir - wenn der LHC erst einmal in Betrieb ist - gute Aussichten
haben, herauszufinden, welches dieser Modelle - wenn überhaupt eins ­
auf unsere Welt zutrifft.

461
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

Was neu ist:

• Aufgrund von Bulk- und Branenenergie kann die Raumzeit drama­


tisch gekrümmt sein, selbst wenn die Brane an sich völlig flach ist.

• Das in diesem Kapitel vorgestellte Modell hat zwei Branen, die Gravi­
tationsbrane und die Schwachbrane, die j eweils eine endlich große
fünfte Dimension begrenzen. Energien im Bulk und auf den Branen
verzerren die Raumzeit.

• Eine einzige Zusatzdimension eröffnet eine völlig neue Möglichkeit,


das Hierarchieproblem zu lösen. In diesem Modell ist die fünfte Di­
mension nicht groß, aber sehr verzerrt. Die Stärke der Gravitation
hängt erheblich davon ab, wo man sich in der fünften Dimension be­
findet. Auf der Gravitationsbrane ist die Schwerkraft stark ; auf der
Schwachbrane, wo wir uns befinden, ist sie schwach.

• Aus der Perspektive eines Beobachters, der sich in vier Dimensionen


zu befinden glaubt, sollten Obj ekte unterschiedliche Größen und
Massen haben, wenn sie ihren Ursprung an verschiedenen Orten in
der fünften Dimension haben. Auf die Gravitationsbrane beschränkte
Obj ekte müssten sehr schwer sein (mit Massen von rund der Planck­
Massenskala ) , wohingegen auf die Schwachbrane beschränkte Ob­
j ekte viel kleinere Massen haben müssten, rund ein TeV.

• Alle Kräfte können sich vereinen und das Hierarchieproblem könnte


gelöst werden, wenn das Higgs-Teilchen (aber nicht die Eichbosonen )
auf die Schwachbrane beschränkt ist.

• Die Kaluza-Klein-Partner des Gravitons müssten zu sehr eindeutigen


Colliderereignissen führen, bei denen sie innerhal b des Detektors zu
Standardmodell-Tei Iehen zerfallen.

• Bei Modellen mit Standardmodell-Teilchen im Bulk können auch an­


dere KK-Teilchen produziert und beobachtet werden.

462
21

Die verzerrte kommentierte »Alice« *

Go ask Alice,
When she's ten feet tal l.
Los, frag A/ice,
Wenn sie zehn Fuß groß ist
Jefferson Airplane

A thena trat aus dem Traumwelt-Fahrstuhl in die verzerrte fünfdimensio­


nale Welt und war erstaunt, dass sie nur drei räumliche Dimensionen er­
blick te. Spielte das Kaninchen mit ihr ? Hatte es nur so getan, als würde
es sie in eine Welt mit vier Raumdimensionen bringen, die in Wirklich­
keit bloß drei hatte ? Es war schon etwas komisch, sich auf diese Weise in
etwas zu begeben, was wie eine gewöhnliche Welt aussah ! * *
Ä ußerst galant begrüßte ein Einheimischer die irritierte Besucherin.
» Willkommen in Branesville * * *, unserer ruhmreichen Hauptstadt! Ge­
statten Sie, dass ich Sie herumführe ? «
A thena war müde u n d verwirrt und platzte heraus : » Branesville sieht
nicht so aus, als sei es etwas Besonderes. Selbst der Bürgermeister wirk t
völlig normal«, obwohl sie im Stillen zugeben musste, dass sie sich des-

* Der Kapiteltitel spielt auf ein köstliches Werk von Martin Gardner an, in dem er die
Wortspiele, mathematischen Rätsel und Anspielungen in A lice im Wunderland und
A lice im Spiegelland erklärt. ( Dt. Ausg. : Lewis Carroll, Alles über Alice. Einführung
und Anmerkungen von Martin Gardner. Hamburg : Europa Verlag, 2002. )
* D i e Brane selbst ist groß und flach und hat n u r drei Raumdimensionen. N u r die
''

Schwerkraft stellt den Kontakt zur Zusatzdimension her. Denken Sie daran, dass die
fünfdimensionale Weit vier Raumdimensionen hat ( und eine der Zeit), während die
Brane nur drei Raumdimensionen aufweist. Die Zeit werde ich weiterhin als die vierte
Dimension bezeichnen und die zusätzliche Dimension als die fünfte.
* * * Branesville ist die Gravitationsbrane.

463
VERBORGENE UN IVERSEN

sen nicht ganz sicher war, denn sie hatte noch nie zuvor einen Bürger­
meister gesehen.
Der Bürgermeister, den Athena gemeint hatte, war in Begleitung seiner
Chefberaterin gekommen, der fetten Cheshire-Katze. Die Katze hatte die
A ufgabe, in der Stadt alles genau zu beobachten, wobei es ihr zugute
kam, dass sie sich unbemerk t an die Leute heranschleichen konnte - was
besonders überraschte, da die Katze ungeheuer bulkig war. Die Katze er­
klärte, sie verdanke diese Fähigkeit dem Umstand, dass sie ins Bulk ver­
schwinden könne, aber niemand hatte je verstanden, was sie damit
meinte. *
Die Katze materialisierte neben Athena und fragte, ob diese sie gern
auf ihrer Runde begleiten würde. Die Katze warnte Athena, es wäre bes­
ser, wenn sie mit dem Bulk vertraut sei, worauf A thena sich zu antworten
beeilte, dass ihr Lieblingsonkel in der Tat sehr, sehr bulkig sei. Die Katze
schaute sie skeptisch an, sagte aber, sie könne mitkommen. Sie bot
Athena Cremetorte mit Buttertoffee an, auf die sie sich glücklich stürzte.
Dann gingen sie los. Athena fragte sich, was sie da gegessen hatte. Sie
schien jetzt auf einer vierdimensionalen Scheibe aus einer fünfdimensio­
nalen Welt zu sein, und soweit sie es sagen konnte, war sie selbst nicht di­
cker als diese dünne, vierdimensionale Scheibe. Sie schrie : » Ich bin wie
meine Papierpuppe ! Aber während Dolly zwei räumliche Dimensionen
in einer dreidimensionalen Welt hat, habe ich drei Raumdimensionen in
einer räumlich vierdimensionalen Welt. «
Die Katze grinste weise und erklärte : »jetzt bist du dir dessen be­
wusst, was ich das Bulk nenne. Du bist noch immer in Branesville, aber
wir werden die Stadt gleich verlassen (und wachsen) . Branesville ist in
Wirklichkeit Teil eines fünfdimensionalen Universums, aber die fünfte
Dimension ist so unauffällig verzerrt, dass die Bewohner von Branes­
ville sich ihrer überhaupt nicht bewusst sind. Sie haben keine Ahnung,
dass Branesville an der G renze eines fünfdimensionalen Gemeinwesens
liegt. Auch du hast bei deiner Ankunft irrtümlich angenommen, dass es
dort nur drei Raumdimensionen gäbe. Die neue, nicht an die Brane ge­
kettete Athena kann sich frei durch die fünfte Dimension bewegen. Darf
ich als Ziel eine weitere Siedlung namens Schwachbrane vorschlagen, die
am anderen Ende des fünfdimensionalen Universums liegt ? «
Die Reise durch die fünfte Dimension erwies sich als ausgesprochen

* Im Gegensatz zu den Bewohnern von Branesville ist die fette Katze nicht auf die
Brane beschränkt.

464
D I E V E R Z E R R T E K O M M E N T I E RT E » A L I C E «

A b bildung 85 : A lice wurde immer größer, als sie sich von der Gravitations­
brane durchs Bulk zur Schwachbrane begab.

seltsam. Nachdem sie Branesville verlassen hatte, bewegte sich Athena


in einer anderen Dimension, und sie wurde dabei ständig größer (wie
Abbildung 85 zeigt) . '' Als die aufmerksame Katze Athenas irritierten
Gesichtsausdruck bemerkte, erklärte sie beruhigend: » Schwachbrane ist
ganz in der Nähe, wir werden bald da sein. * , . Es ist sehr schön da, aber
lass dir nichts anmerken, wenn du mitbekommst, dass die Bewohner
von Schwachbrane wie die von B ranesville sich über die Vorstellung von
vier Raumdimensionen lustig machen. Du, die du hinaus ins Bulk bli­
cken kannst, wirst einen riesigen Schatten auf Branesville sehen, zehn
Millionen Milliarden Mal größer als der, den du bei deiner Abreise
warfst. Fast alles andere wird dir und den anderen völlig normal vor­
kommen. «
A ber bei ihrer Ankunft in Schwachbrane bemerk te Athena noch etwas
anderes. Das vierdimensionale G ra viton hatte still und leise die Reisen-
''
In der Nähe der Schwachbrane ist alles größer und leichter. Der Schatten, den
Athena auf Branesville warf, wuchs, je mehr sie sich von der Gravitationsbrane ent­
fernte und sich der Schwach brane näherte.
'' * Die fünfte Dimension muss nicht sehr groß sein, um das Hierarchieproblem z u lö­
sen .

465
VERBORGENE UN IVERSEN

den begleitet und klopfte ihr jetzt ganz sanft auf die Schulter. Es berührte
sie nur so zart, dass sie es kaum bemerkte. , _
A ber sie konnte das Graviton nicht ignorieren, als es zu einer Litanei
von Klagen anhob. » Schwachbrane könnte so aufregend sein, wenn da
nicht die Hierarchie eine so übermächtige Stellung bezogen hätte. Die
starken, schwachen und elek tromagnetischen Streitkräfte in Schwach­
brane gestehen mir nur die mickrigste Stärke zu. « Das Graviton jam­
merte, überall sonst sei es eine Kraft, mit der man zu rechnen habe, vor
allem in Branesville, das von einer Oligarchie mit vergleichbar starken
Kräften regiert werde. * * Schwachbrane, wo die Gravitation am stärksten
unterdrück t war, galt als der Ort, an dem sich das Graviton am wenigs­
ten gern aufhielt. '' '' ,,_ Das Graviton wandte sich an A thena in der Hoff­
nung, sie für seinen Plan zu gewinnen, den regierenden Autoritäten die
Macht zu entreißen.
A thena dachte, sie sollte hier besser sofort verschwinden, und sah sich
nach dem Kaninchenloch um, konnte es aber nicht finden. Immerhin
fand sie ein weißes Kaninchen, von dem sie hoffte, dass es ihr den Weg
weisen würde. Aber dieses Schwachbranen-Kaninchen bewegte sich er­
schreckend träge und erzählte immer wieder, wie froh es sei, dass seine
Verabredung warten k önne. * * ,_ * Athena wurde klar, dass dieses Kanin­
chen nirgendwo hingehen würde. Schließlich fand sie ein hilfsbereiteres,
dem sie folgen konnte, und schaffte es, nach Hause zurückzukommen.
Nachdem sie erst mal die Physik in ihrem Traum verstanden hatte,
machte er ihr sehr große Freude - auch wenn angemerkt werden sollte,
dass sie niemals wieder Cremetorte aß.

''
Auf der Schwachbrane, wo die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons so klein
ist, ist die Gravitation ziemlich kraftlos.
* * Auf der Gravitationsbrane ist die Gravitation nicht schwächer als die anderen
Kräfte.
* * * Das q uengelnde Graviton beklagt sich, dass auf der Schwachbrane die Schwer­
kraft viel schwächer ist als d ie elektromagnetische, die schwache und die starke Wech­
selwirkung. Näher an der Gravitationsbrane wäre die Schwerkraft viel stärker ( viel
eher den anderen Kräften vergleichbar ) .
* * * ' A u f d e r Schwachbrane s i n d d i e Dinge größer, u n d die Zeit vergeht langsamer.
'

Die Schla ffheit des Kaninchens ist auf die Umskal ierung der Zeit zurückzuführen.

466
22

Unergründliche Passage:
Ein e unendliche Zusatzdimension

From another dimension,


With voyeuristic i ntention,
Let's do the time warp agai n !
Lasst uns in voyeuristischer Absicht
Aus einer anderen Dimension
Durch die verzerrte Zeit springen.
»The Rocky Horror Picture Show«

Athena schreck te aus dem Schlaf hoch. Wieder hatte sie diesen Traum ge­
habt, und abermals war sie in das Kaninchenloch geraten. Diesmal je­
doch bat sie das Kaninchen, sie geradewegs zurück zu der verzerrten
fünfdimensionalen Welt zu bringen.
Wieder kam sie in Branesville an (dachte sie jedenfalls) . Kurz danach
tauchte die Katze auf, und Athena ging in froher Erwartung ihrer Traum­
torte und eines wunderbaren Ausflugs nach Schwachbrane auf sie zu. Sie
war tief enttäuscht, als die Katze ihr sagte, so etwas wie Schwachbrane
gebe es in diesem Universum hier nicht. *
Athena glaubte der Katze nicht und dachte, weiter weg müsste es
eine andere Brane geben. Sie war stolz darauf, begriffen zu haben, dass
in der verzerrten Geometrie weiter entfernte Branen eine schwächere
Schwerkraft hatten, und sie kam zu dem Schluss, dass diese wahr­
scheinlich » Schlappbrane« hieße, und fragte die Katze, ob sie dort hin­
könnte.

* In diesem Kapitel ist wie im vorangegangenen die Geometrie verzerrt, aber j etzt gibt
es nur noch eine einzige Brane - die Gravitationsbrane. Das bedeutet zwar, dass es eine
unendliche fünfte Dimension gibt, a ber dieses Kapitel wird zeigen, warum das perfekt
zur verzerrten Raumzeit passt.

467
VERBORGENE UN IVERSEN

A bermals wurde sie enttäuscht. Die Katze erklärte : » E inen solchen


Ort gibt es nicht. Du bist auf DER BRANE; andere gibt es nicht. «
» Das wird immer merkwürdiger«, dachte A thena. Eindeutig war das
nicht derselbe Raum wie zuvor, denn dieser hier hatte nur eine einzige
Brane. A ber so leicht wollte Athena nicht aufgeben. » Darf ich selbst
nachsehen, dass es keine andere Brane gibt ? « , fragte sie, so lieb sie
konnte.
Die Katze riet ihr klipp und klar davon ab und warnte : » Die vierdi­
mensionale Gravitation auf DER BRANE ist keine Garantie für vierdi­
mensionale Gravitation im Bulk. Ich hätte da draußen fast einmal alles
außer meinem Grinsen verloren. «
Obwohl sie schon viele A benteuer erlebt hatte, war Athena ein vor­
sichtiges Mädchen, und sie nahm sich die Warnung der Katze zu Herzen.
A ber sie fragte sich noch oft, was die Katze damit gemeint hatte. Was lag
jenseits von DER BRANE, und wie sollte sie das jemals herausfinden ?

Eine gekrümmte Raumzeit hat bemerkenswerte Eigenschaften. Ein paar


davon haben wir in Kapitel 20 kennen gelernt - unter anderem, dass
Masse und Größe und die Stärke der Gravitation allesamt vom Ort ab­
hängen können . Dieses Kapitel präsentiert ein noch außerordentlicheres
Merkmal der gekrümmten Raumzeit : Sie kann scheinbar vier Dimensio­
nen haben, selbst wenn es in Wirklichkeit fünf gibt. Als Raman und ich
die Geometrie der verzerrten Raumzeit gründlicher studierten, ging uns
zu unserem Erstaunen auf, dass sogar eine unendliche Zusatzdimension
manchmal unsichtbar sein kann.
Die in diesem Kapitel vorgestellte Raumzeitgeometrie ist fast dieselbe
wie die in Kapitel 20. Aber wie die Geschichte am Anfang andeutet, un­
terscheidet sich diese Geometrie in einem Punkt deutlich : Sie hat nur
eine einzige Brane. Das ist ein ungeheuer wichtiger Unterschied. Weil es
keine zweite Grenzbrane gibt, ist die fünfte Dimension unendlich (siehe
Abbildung 8 6 ) .
Der Unterschied ist gewaltig. Nachdem Theodor Kaluza 1 9 1 9 d i e Idee
einer zusätzlichen Raumdimension vorgestellt hatte, behaupteten Physi­
ker ein dreiviertel Jahrhundert lang, Zusatzdimensionen seien nur denk­
bar, wenn sie von endlicher Größe - entweder aufgerollt oder von Bra­
nen eingegrenzt - seien. Unendliche Extradimensionen seien einfach aus­
zuschließen, dachten sie, weil die Schwerkraft sich in diesen Dimensio­
nen unendlich weit ausbreiten würde und somit bei allen Entfernungs-

468
U N E R G R Ü N D L I C H E PA S S AG E : E I N E U N E N D L I C H E Z U SAT Z D I M E N S I O N

A b bildung 86 : Unendliche verzerrte Raumzeit mit einer einzigen Brane. Es


handelt sich um eine vierdimensionale B rane in einem fünfdimensionalen
Universum. Das Standardmodell ist auf dieser einen Brane zu Hause.

skalen falsch wäre - auch bei denen, über die wir bereits etwas wissen.
Eine unendliche fünfte Dimension, glaubte man, würde alles um uns her­
um destabilisieren, sogar das Sonnensystem, das von Newton 'scher Phy­
sik zusammengehalten wird .
Dieses Kapitel erklärt, warum eine solche Überlegung nicht immer
richtig ist. Wir werden einen völlig neuen Grund untersuchen, warum
zusätzliche Dimensionen versteckt sein können; Raman und ich fanden
ihn 1 9 9 9. Die Raumzeit kann so verzerrt sein, dass das Gravitationsfeld
in einer kleinen Region nahe einer Brane stark konzentriert wäre - so
konzentriert, dass die riesige Ausdehnung einer unendlichen Dimension
keine Konsequenzen hätte. Die Schwerkraft verliert sich nicht in den Zu­
satzdimensionen, sondern bleibt auf eine kleine Region nahe einer Brane
konzentriert.
In diesem Szenario ist das Graviton - das Teilchen, das die Schwer­
kraft vermittelt -, nahe einer Brane lokalisiert, bei der es sich um D I E
BRANE a u s Athenas Geschichte handelt, d i e ich aber von j etzt an » Gra­
vitationsbrane << nennen werde. Athenas Traum führte sie in diesen
verzerrten fünfdimensionalen Raum, in dem die Gravitationsbrane die
Natur der Raumzeit so radikal ändert, dass der Raum vierdimensional
erscheint, auch wenn er in Wirklichkeit fünfdimensional ist. Bemerkens-

469
VERBORGENE U N I VERSEN

werterweise kann eine verzerrte höhere Dimension unendliche Ausmaße


haben, aber dennoch versteckt sein, während die drei flachen unendli­
chen Dimensionen die Physik unserer Welt hervorbringen.

Das lokalisierte Graviton

Als ich im dritten Kapitel Branen vorstellte, unterschied ich zwischen


Reisen, die man machen könnte, zu denen man aber keine Lust hat, und
anderen, die ausgeschlossen sind, weil es explizit verboten ist, über ein
bestimmtes, begrenztes Gebiet hinauszugehen. Vermutlich haben Sie
noch niemals Grönland besucht, aber kein Gesetz verbietet Ihnen, dort­
hin zu reisen. An ein paar andere Orte zu gelangen, ist einfach viel zu
schwierig. Selbst wenn eine Reise dorthin erlaubt ist und selbst wenn sie
nicht weiter entfernt liegen als andere Orte, die Sie bereits besucht ha­
ben, kommen Sie vielleicht niemals dorthin.
Oder denken Sie an j emandem mit einem gebrochenen Bein. Im Prin­
zip könnte er das Haus verlassen, wann immer er will, aber wahrschein­
lich trifft man ihn eher im Inneren seines Hauses an, selbst wenn keine
Sperren oder Schlösser ihn dort gefangen halten.
In ähnlicher Weise haben lokalisierte Gravitonen ungehindert Zugang
zu einer unendlichen fünften Dimension. Trotzdem sind sie in der Nähe
einer Brane hoch konzentriert, und die Wahrscheinlichkeit, eines weit
davon entfernt zu finden, ist sehr gering. Nach der allgemeinen Relativi­
tätstheorie unterliegt alles - einschließlich des Gravitons - der Schwer­
kraft. Nichts schränkt das Graviton ein, aber es verhält sich, als würde es
von der Schwerkraft zur Brane gezogen, und bleibt deshalb immer in de­
ren Nähe. Und weil das Graviton sich nur selten außerhal b einer be­
grenzten Region bewegt, kann die Zusatzdimension unendlich sein,
ohne irgendwelche gefährlichen Effekte nach sich zu ziehen, die diese
Theorie ausschließen würden.
Bei unserer Arbeit konzentrierten Raman und ich uns auf die Gravita­
tion in einer fünfdimensionalen Raumzeit, die nur eine einzige zusätzli­
che Raumdimension hat.
Wir konnten uns daher eingehend mit dem Lokalisierungsmechanis­
mus beschäftigen, den wir gleich diskutieren werden, der die Schwer­
kraft in einer kleinen Region der fünfdimensionalen Raumzeit festhält.
Ich nehme an, wenn das Universum zehn oder mehr Dimensionen hätte,
würde eine Mischung von Lokalisierung und Aufrollen die restlichen

470
U N E R G R Ü N D L I C H E PA S S AG E : E I N E U N E N D L I C H E Z U SAT Z D I M E N S I O N

verbergen. Solche weiteren verborgenen D imensionen würden d a s Loka­


lisierungsphänomen, das ich beschreiben will, nicht betreffen, also wol­
len wir sie ignorieren und uns auf die fünf Dimensionen beschränken, die
für unsere Diskussion wichtig sind.
In unserem Modell sitzt eine einzelne Brane an einem Ende einer fünf­
ten Raumzeit-Dimension. Wie die beiden in Kapitel 20 geschilderten
Branen verhält sich auch diese eine reflexiv : Dinge, die auf die Brane
auftreffen, prallen einfach ab, und so verliert nichts Energie, wenn es ge­
gen diese Brane stößt. Weil das j etzt betrachtete Modell nur diese eine
Brane hat, nehmen wir an, dass die Standardmodell-Teilchen auf sie be­
schränkt sind ; beachten Sie den Unterschied zu dem im vorangegange­
nen Kapitel diskutierten Modell, bei dem die Standardmodell-Teilchen
sich auf der Schwachbrane befanden, die es hier nicht mehr gibt. Die
Lokalisierung der Standardmodell-Teilchen ist für die Raumzeitgeome­
trie nicht relevant, auch wenn dies natürlich sich auf die Teilchenphysik
auswirkt.
Auch wenn wir uns in diesem Kapitel für die Theorie mit der einen
Brane interessieren, bestand für Raman und mich der erste Hinweis dar­
auf, dass eine unendliche fünfte Dimension zulässig sein könnte, in einer
merkwürdigen Eigenschaft der verzerrten Geometrie mit zwei Branen.
Wir hatten ursprünglich angenommen, dass die zweite Brane zweierlei
Funktionen hätte : zum einen die Standardmodell-Teilchen zu beschrän­
ken, zum anderen die fünfte Dimension endlich zu machen. Wie bei fla­
chen Zusatzdimensionen garantiert eine endliche fünfte Dimension, dass
bei genügend großem Abstand die Gravitation die einer vierdimensiona­
len Raumzeit ist.
Ein merkwürdiger Umstand ließ j edoch darauf schließen, dass diese
zuletzt genannte Funktion der zweiten Brane eine falsche Fährte war und
dass die zweite Brane nicht dafür nötig war, dass die Gravitation wie die
eines wirklich vierdimensionalen Universums aussa h : Die Wechselwir­
kungen des vierdimensionalen Gravitons waren von der Größe der fünf­
ten Dimension so gut wie unabhängig. Eine Berechnung zeigte, dass die
Schwerkraft dieselbe Stärke hatte, egal ob die zweite Brane da blieb, wo
sie war, ob sie doppelt so weit von der Gravitationsbrane entfernt war
oder ob sie zehnmal weiter draußen im Bulk und damit noch weiter von
der ersten Brane weg war. De facto blieb es bei unserer vierdimensiona­
len Gravitation, selbst wenn in unserem Modell die zweite Brane unend­
lich weit weg geschoben wurde - was so viel bedeutete wie : eliminiert
wurde. Das dürfte nicht sein, wenn die zweite Brane und eine endliche

471
VERBORGENE U N I VERSEN

Dimension für die Reproduktion vierdimensionaler Gravitation ent­


scheidend wären.
Das war unser erster Hinweis darauf, dass unsere intuitive Einschät­
zung, eine zweite Brane zu benötigen, auf flachen Dimensionen basierte
und auf die verzerrte Raumzeit nicht notwendigerweise zutraf. Bei einer
flachen Zusatzdimension ist die zweite Brane für vierdimensionale Gra­
vitation obligatori sch. Wir können das anhand der Sprinkler-Analogie
aus Kapitel 20 nachvollziehen. Eine flache Zusatzdimension entspräche
der Situation, bei der Wasser gleichmäßig überall entlang einer langen,
geraden Sprinkler-Anlage verteilt wird ( siehe Abbild ung 81, Seite 445 ) . ,_

Je länger die Sprinkler-Anlage, desto weniger Wasser würde j eder ein­


zelne Garten bekomme n . Weiten wir diese Vorstellung zu einer unend­
lich langen Sprinkler-Anlage aus, sehen wir, dass das Wasser so fein
verteilt würde, dass im Grund überhaupt kein Wasser auf irgendeinen
Garten von endlicher Größe gelangte .
Ia ähnlicher Weise würde, wenn die Gravitation sich in einer unendli­
chen gleichförmigen Dimension ausbreitete, die Schwerkraft entlang der
Zusatzdimension so a bgeschwächt, dass gar nichts mehr davon übrig
bliebe. Eine Geometrie mit einer unendlichen Extradimension müsste ir­
gendetwas Raffiniertes enthalten, das über dieses einfache, einleuch­
tende Bild hinausgeht, wenn die Gravitation sich vierdimensional verhal­
ten soll. Und in der Tat ist die Verzerrung der Raumzeit diese erforderli­
che Zutat.
Um zu begreifen, wie das funktioniert, nehmen wir wieder unsere
Sprinkler-Analogie, um mit ihrer Hilfe die Schwachstelle in der Argumen­
tation oben herauszufinden. Nehmen wir an, Sie haben eine unendlich
lange Sprinkler-Anlage, aber Sie müssen das Wasser nicht in gleichem
Maß überallhin verteilen. Stattdessen können Sie steuern, wie es zugeteilt
wird, und so können Sie sicherstellen, dass Ihr eigener Garten gut bewäs­
sert wird . Sie könnten das unter anderem so arrangieren, dass die Hälfte
des Wassers auf Ihren Garten gelangt und die verbleibende Hälfte des
Wassers auf alle anderen verteilt wird . In diesem Fall würden die weit ent­
fernten Gärten zwar schlecht behandelt, aber Ihrer würde garantiert alles
Wasser bekommen, das er braucht. Ihr Garten würde immer die Hälfte
des Wassers bekommen, auch wenn die Sprinkler-Anlage das Wasser wei­
terhin endlos weit verteilt. Bei einer ungleichen Wasserverteilung bekäme

* Wir stellen uns einen geraden Sprinkler vor und keinen kreisförmigen wie weiter
vorn im Buch, weil er sich für das verzerrte Szenario leichter generalisieren lässt.

472
U N E R G R Ü N D L I C H E PA S S AG E : E I N E U N E N D L I C H E Z U SAT Z D I M E N S I O N

A b bildung 8 7 : Die Wahrscheinlichkeitsfunk tion des G ravitons i n einer un­


endlich verzerrten Raumzeit mit einer einzigen B rane.

Ihr Garten alles nötige Wasser. Die Sprinkler-Anlage könnte unendlich


lang sein, a ber Sie würden ihre Länge gar n icht kennen.
Ähnlich ist die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons in unserer
verzerrten Geometrie trotz der unendlichen fünften Dimension nahe der
Gravitationsbrane immer sehr groß. Wie im vorangegangenen Kapitel
erreicht die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons auf dieser Brane
einen Spitzenwert ( siehe Abbildung 87) und fä llt exponentiell a b , j e wei­
ter sich das Graviton von der Gravitationsbrane in die fünfte D imension
bewegt. In dieser Theorie setzt sich zwar die Wahrscheinlichkeitsfunk­
tion des Gravitons endlos fort, aber das wirkt sich nicht auf die Größe
der Wahrscheinlichkeitsfunktion nahe der Brane aus.
Ei n e s t e il abfallende Wahrscheinlichkeitsfunktion di e se r A r t sagt u n s ,
dass die Aussichten, weit von de r Gravitationsbrane entfernt das Gravi­
ton zu finden, extrem gering sind - so klein, dass wir im Allgemeinen die
entfernten Regionen der fünften Dimension ignorieren können. Auch
wenn im Prinzip das Graviton irgendwo entlang der fünften D imension
sein kann, sorgt der exponentielle Abfall der Wahrscheinlichkeitsfunk­
tion dafür, dass in der Nachbarschaft der Gravitations brane Gravitonen
sehr konzentriert sind. Die Situation ist fast so - wenn auch nicht ganz -,
als würde eine zweite Brane das Graviton auf eine begrenzte Region ein­
schränken.
Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Graviton nahe der Gravitati-

473
VERBORGENE UN IVERSEN

A b bildung 88 : Wenn Enten in der Nähe eines Ufers konzentriert sind, kön­
nen Sie fast alle zählen, indem Sie die zählen, die vor Ihnen herumschwim­
men.

onsbrane zu finden ist, und die damit zusammenhä ngende Konzentra­


tion des Schwerkraftfelds dort könnte man auch mit der hohen Wahr­
scheinlichkeit vergleichen, dass gefräßige Enten nahe am Ufer eines
Teichs zu finden sind. In der Regel sind die Enten nicht gleichmäßig über
den Teich verteilt, sondern sammeln sich in der Nähe der Brotstückchen,
die Vogelliebhaber hinei nwerfen ( siehe Abbildung 8 8 ) . Die Größe des
Teichs spielt im Grund genommen für die Verteilung der Enten keine
Rolle. Ähnlich zieht in der verzerrten Raumzeit die Schwerkraft das Gra­
viton zur Gravitationsbrane, sodass die Ausdehnung der fünften Dimen­
sion irrelevant ist.
Warum die fünfte Dimension sich nicht sehr auf die Gravitation aus­
wirkt, versteht man a uch, wenn man das Schwerkraftfeld um ein O bjekt
auf der Gravitationsbrane herum betrachtet. Wir haben gesehen, dass bei
flachen Raumdimensionen die von einem Objekt ausgehenden Kraftli­
nien sich gleichermaßen in alle Richtungen erstrecken. Und wenn es end­
liche Zusatzdimensionen gi bt, ziehen sich die Feldlinien in alle Richtun­
gen hin, bis einige davon an eine Grenze stoßen und sich krümmen. Aus
diesem Grund breiten sich Schwerkraftfeldlinien, die weiter von einem
Objekt entfernt sind als die Größe der Zusatzd imensionen, nur entlang
der drei unendlichen Dimensionen der niederdimensionalen Welt aus.
Im verzerrten Szenario hingegen erstrecken sich die Feldlinien nicht

474
U N E R G R Ü N D L I C H E PA S S AG E : E I N E U N E N D L I C H E Z U SAT Z D I M E N S I O N

A b bildung 8 9 : Im verzerrten Szenario sind die Feldlinien auf der Brane in


alle R ichtungen gleich verteilt. Senkrecht zur B rane k rümmen sich die Feld­
linien schon bald, sodass sie im Grund parallel zur Brane verlaufen, fast
als wäre die fünfte Dimension endlich. Selbst bei einer unendlichen Dimen­
sion ist das Schwerk raftfeld nahe der Brane lokalisiert, und die Feldlinien
breiten sich im Wesentlichen so aus, als gäbe es nur vier (Raumzeit-) Dimen­
stonen.

gleichermaßen in alle Richtungen ; nur entlang der Brane breiten sie sich
in alle Richtungen gleichmäßig aus. Senkrecht zur Brane kommen sie
nicht weit ( s iehe Abbildung 8 9 ) . Weil sich die Schwerkraftfeldlinien pri­
mär entlang der Brane aus breiten, sieht das Schwerkraftfeld fast so wie
das eines O bj ekts in vier D imensionen aus. Die Ausbreitung in der fünf­
ten Dimension ist so gering ( nicht viel größer als die Planck-Längen­
skala, 1 0 -33 cm ) , dass wir sie ignorieren können. Auch wenn die Zusatz­
dimension unendlich ist, spielt sie für das Schwerkraftfeld eines an eine
Brane gebundenen Obj ekts keine Rolle.
Sie können auch nachvollziehen, wie Raman und ich das Rätsel lösten,
vor dem wir anfänglich standen : Warum die Größe der fünften Dimen­
sion für die Stärke der Gravitation i rrelevant ist. Wir kehren zur Sprink­
ler-Analogie von oben zurück und legen die Wasserverteilung entlang
der gesamten Sprinkler-An lage j etzt so fest, dass sie der Vertei lung von
Schwerkraft aufgrund der steil a bfallenden Wahrscheinlichkeitsfunktion
des Gravitons entspricht : Nachdem Sie die Hälfte Wassers Ihrem Garten
zugewiesen haben, leiten Sie die Hälfte des verblei benden Wassers auf
den angrenzenden Garten, wiederum die Hälfte der restlichen Menge
auf den nächsten und so weiter, sodass j eder Garten halb so viel Wasser

475
VERBORGENE U N I VERSEN

w i e s e i n Nachbar bekommt. Um e i n e zweite Brane in d e r fünften Dimen­


sion zu imitieren, nehmen wir an, dass j enseits eines bestimmten Punkts
kein Wasser mehr verteilt wird, gena u wie eine zweite Brane in der fünf­
ten Dimension die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons an einem
bestimmten Punkt entlang dieser fünften Dimension a bschneiden würde.
Und um eine unendliche fünfte Dimension zu imitieren, nehmen wir an,
dass die Sprinkler-Anlage das Wasser in ihrer Richtung endlos weiterver­
teilt.
Dass die Größe der fünften Dimension für die Stärke der Gravita­
tion nahe der Brane irrelevant i st, sieht man in der Analogie daran,
dass die ersten paar Gärten fast gleich viel Wasser bekommen, ob wir
mit der Wasserverteilung nach dem fünften oder dem zehnten Garten
aufhören oder gar nicht. Überlegen wir, was passiert, wenn die Sprink­
ler-Anlage nach den ersten fünf Gärten zu Ende wäre. Wei l der sechste
Garten und die anderen danach nur noch ganz wenig Wasser bekä­
men, würde sich die Wassermenge, die die Sprinkler-Anlage an die ers­
ten paar Gärten verteilt, von der einer unendlich langen Sprinkler-An­
lage um nur wenige Prozent unterscheiden. Und die Wassermengen
würden noch weniger differieren, wenn die Sprinkler-Anlage nach dem
sie bten Garten zu Ende wäre. Bei unserer Wasserverteilung - bei der
die ersten paar Gärten fast alles Wasser bekommen - sind die weit ent­
fernten Gärten, die nur noch einen winzigen Bruchteil Wasser abbe­
kommen, für die Mengen, die auf die ersten paar Gärten gelangen, un­
wichtig. ''
Weil ich die Enten-Analogie im nächsten Kapitel noch einmal verwen­
den will, werde ich hier denselben Sachverhalt anhand des ZähJens von
Enten schildern, die vom Ufer angezogen werden, wo j emand Brotstück­
ehen ins Wasser wirft. Wenn man erst die Enten in der Nähe des Ufers
zählt, dann die ein bisschen weiter draußen, wird das Entenzählen rasch
gegenstandslos. Denn wenn man nur ein kleines Stück vom Ufer weg ist,
sind nur noch sehr wenig Enten zum Zählen da. Die Enten in weiter Ent­
fernung müssen Sie nicht mehr zählen, weil Sie im Wesentlichen schon

* Eine aus dem wahren Leben gegriffene Analogie wäre der Colorado River, an dem
Stauseen und Bewässerungssysteme sicherstellen, dass der Südwesten der Vereinigten
Staaten genügend Wasser bekommt ; der Fluss führt nur noch wenig Wasser, wenn er
Mexiko erreicht. Kurz vor der M ündung des Colorado in den Golf von Kalifornien
einen weiteren Staudamm zu bauen (was einer weiteren Brane weit von der Gravitati­
onsbrane weg entspräche) wü rde nichts an der Wassermenge ändern, die Las Vegas er­
hält.

476
U N E R G R Ü N D L I C H E PA S S AG E : E I N E U N E N D L I C H E Z U SAT Z D I M E N S I O N

alle gezählt haben, indem S i e sich a u f d e n Bereich nahe d e s Ufers kon­


zentrierten ( siehe Abbild ung 8 8 ) .
D i e Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons ist j enseits der zweiten
Brane einfach so klein, dass die Lokalisierung einer zweiten Brane nur
einen vernachlässigbaren Unterschied in der Wechselwirkungsstärke des
vierdimensionalen Gravitons ergeben würde. Anders ausgedrück t : Das
Ausmaß der fünften Dimension ist in dieser Theorie - in der das Schwer­
kraftfeld nahe der Gravitations brane lokalisiert ist - für die messbare
Stärke der vierdimensionalen Gravitation unerheblich.37 Sel bst wenn es
keine zweite Brane gibt und die fünfte Dimension unendlich ist, sieht die
Gravitation noch immer vierdimensional aus.
Raman und ich tauften unser Szenario lokalisierte Gravitation, weil
die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons in diesem Fall nahe einer
Brane lokalisiert ist. Auch wenn streng genommen die Gravitation in die
fünfte Dimension hinaussickern kann, weil die fünfte D imension in der
Tat unendlich ist, tut sie das in der Realität nicht, weil die Wahrschein­
lichkeit, das Graviton weit weg zu finden, so gering ist. Der Raum ist
nicht gestutzt, doch alles bleibt in einer konzentrierten Region in der
Nähe der Brane. Eine weit entfernte Brane ändert nichts an den physika­
lischen Prozessen auf der Gravitationsbrane, da nur sehr wenig weit von
der Brane weg gelangt. Alles, was auf oder nahe der Gravitations brane
erzeugt wird, verbleibt in einer lokalisierten, nahe gelegenen Region.
Physiker bezeichnen dieses Modell der lokalisierten Gravitation
manchmal als >> RS2 << . >> R S << steht für Randall und Sundrum, aber die >> 2 <<
ist irreführend : Sie bezieht sich auf den Umstand, dass dies der zweite
Aufsatz war, den wir über verzerrte Geometrie schrieben, nicht darauf,
dass es zwei Branen gä be. Das Szenario mit zwei Branen, das zur Lösung
des Hierarchieproblems dient, ist als >> RS l << bekannt. ( Die Bezeichnun­
gen wären weniger verwirrend, wenn wir die Aufsätze in umgekehrter
Reihenfolge geschrieben hätten . ) Im Gegensatz zu RS l ist das in diesem
Kapitel beschriebene Szenario nicht notwen digerweise für das Hierar­
chieproblem relevant, auch wenn man hier eine zweite Brane einführen
und das Hierarchieproblem e benfalls lösen könnte, wie wir kurz gegen
Ende von Kapitel 2 0 erörtert haben. Aber ob es hier im Raum eine zweite
Brane zur Lösung des Hierarchieproblems gibt oder nicht, die lokali­
sierte Gravitation ist eine radikale Möglichkeit mit wichtigen theoreti­
schen lmplikationen, die der lang gehegten Annahme widerspricht, dass
Dimensionen kompakt sein müssten.

477
VERBORGENE U N I VERSEN

Kaluza-Klein-Partner des Gravitons

Im vorangegangenen A bschnitt haben wir die Wahrscheinlichkeitsfunk­


tion des Gravitons behandelt, die stark auf der Gravitationsbrane kon­
zentriert ist. Das Teilchen, von dem ich gesprochen habe, spielt die Rolle
des vierdimensionalen Gravitons, weil es sich fast ausschließlich entlang
der Brane bewegt und nur eine geringe Wahrscheinlichkeit hat, in die
fünfte Dimension hinaus zu gelangen. Aus Sicht des Gravitons sieht der
Raum so aus, als wäre die fünfte Dimension n u r 1 0 -33 cm groß (ein von
der Krümmung vorgege bener Wert, die wiederum von der Energie im
Bulk und auf der Brane a bhängt ) , statt von unendlichem Ausmaß zu
sem.
Raman und ich freuten uns zwar sehr über unsere Entdeck ung, wir
waren a ber nicht sicher, dass wir das Problem vollständig gelöst hatten.
Reichte das lokalisierte Graviton allein aus, um eine vierdimensionale ef­
fektive Theorie aufzustellen, in der sich die Gravitation verhielt, wie sie
es in vier D imensionen tun würde ? Das potenzielle Problem bestand dar­
in, dass Kaluza-Klein-Partner des Gravitons ebenfalls zur Schwerkraft
beitragen und damit die Gravitation signifikant modifizieren könnten.
Das erschien uns gefä hrlich, weil im Allgemeinen die Masse des leich­
testen KK-Teilchens umso kleiner ist, je größer die zusätzliche Dimension
wird. Für unsere Theorie mit einer unendlichen Dimension würde das
bedeuten, dass das leichteste KK-Teilchen beliebig leicht sein konnte.
Und weil die Massenunterschiede der KK-Teilchen e benfalls mit der
Größe der zusätzlichen Dimension a bnehmen, könnten bei endlicher
Energie unendlich viele Typen von sehr leichten Graviton-KK-Partnern
erzeugt werden. All diese KK-Teilchen könnten potenziell zur Schwer­
kraft beitragen. Das Problem dürfte besonders schwer wiegen, weil
selbst bei sehr schwacher Wechselwirkung eines j eden KK-Teilchens die
Schwerkraft ganz anders als die in vier D imensionen aussähe, wenn es zu
viele KK-Teilchen gä be.
Darüber hinaus könnten KK-Teilchen, weil sie extrem leicht wären,
einfach zu erze ugen sein. Collider arbeiten bereits mit ausreichend ho­
hen Energien, um sie hervorzubringen. Selbst gewöhnliche physikalische
Prozesse wie beispielsweise chemische Reaktionen müssten genügend
Energie erzeugen, um Graviton-KK-Partner zu produzieren. Wenn die
KK-Teilchen zu viel Energie ins fünfdimensionale Bulk fortschaffen wür­
den, käme die Theorie nicht infrage .
Glücklicherweise erwies sich nichts von dem als problematisch. Als

478
U N E R G R Ü N D L I C H E PA S S AG E : E I N E U N E N D L I C H E Z U SAT Z D I M E N S I O N

wir d i e Wahrscheinlichkeitsfunktionen für d i e KK-Teilchen berechneten,


stellten wir fest, dass die Graviton-KK-Partner auf oder nahe der Gravi­
tations brane extrem schwach wechselwirken . Trotz der großen Anzahl
von Graviton-KK-Partnern interagieren sie alle so kraftlos, dass keine
Gefahr besteht, zu viele von ihnen zu produzieren oder irgendwo die
Form des Gravitationsgesetzes zu verändern. Sollte es überhaupt ein Pro­
blem geben, besteht es darin, dass diese Theorie so genau die vierdimen­
sionale Gravitation imitiert, dass uns keine Möglichkeit bekannt ist, wie
wir dies experimentell von einer echten vierdimensionalen Wel t unter­
scheiden könnten ! Die Graviton-KK-Partner hätten eine so sehr zu ver­
nachlässigende Wirkung auf alles Beobachtbare, dass wir noch nicht
wissen, wie wir den Unterschied zwischen vier flachen Dimensionen und
vier flachen Dimensionen plus einer fünften, verzerrten ausmachen sol­
len.
Die schwachen Wechselwirkungen der Graviton-KK-Partner kann
man aus der Form ihrer Wahrscheinlichkeitsfunktionen ablesen. Wie
beim Graviton sagt uns diese Funktion, wie wahrscheinlich es ist, dass
man irgendein Teilchen irgendwo entlang der fünften Dimension finden
kann. Raman und ich folgten mehr oder weniger der Standardprozedur
für die Ermittlung der Massen und Wahrscheinlichkeitsfunktionen aller
Graviton-KK-Partner in unserer verzerrten Geometrie. Dazu mussten
wir auch ein quantenmechanisches Problem lösen.
Für eine flache fünfte Dimension bestand das im Kapitel 6 beschrie­
bene quantenmechanische Problem darin, die Welle zu finden, die genau
um die aufgerollte Dimension passt und dadurch die erlaubten Energien
quantisiert. * Für unsere verzerrte, unendliche fünfdimensionale Geome­
trie sah das quantenmechanische Problem etwas anders aus, da wir die
Energie auf der Brane und im Bulk, die die Raumzeit verzerrte, berück­
sichtigen mussten. Aber wir konnten die Standardprozedur so modifizie­
ren, dass sie zu unserer Anordnung passte . Die Resultate waren faszinie­
rend .
Als erstes KK-Teilchen fanden wir das, das in der fünften D imension
keinen Impuls hat. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion für dieses Teilchen
ist stark auf der Gravitationsbrane konzentriert und nimmt mit zuneh­
mender Entfernung von ihr exponentiell a b . Diese Form sollte vertraut

*
Der aufgerollte Raum ist mathematisch immer noch » flach « . Man kann nämlich die
Dimension zu etwas entrollen, das man als flach wah rnehmen würde ; für eine Kugel
beispielsweise gilt das nicht.

479
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

klingen : E s ist die Wahrscheinlichkeitsfunktion für genau das vierdimen­


sionale Graviton, das wir bereits diskutiert haben. Dieser masselose KK­
Mode ist das vierdimensionale Graviton, das Newtons vierdimensionale
Schwerkraft vermittelt.
Die übrigen KK-Teilchen waren j edoch ganz anders. Keines dieser Teil­
chen wird man wahrscheinlich in der Nähe der Gravitations brane fin­
den. Stattdessen gibt es für j eden Massewert zwischen null und der
Planck-Massenskala ein KK-Teilchen mit e bendieser Masse, und die
Wahrscheinlichkeitsfunktion für j edes dieser Teilchen hat ihren Spitzen­
wert an einem anderen Ort entlang der fünften Dimension.
Für die Lokalisierung dieser unterschiedlichen Spitzen gibt es eine in­
teressante Interpretation. Wir haben in Kapitel 20 gesehen, dass wir in
der verzerrten Raumzeit alle Entfernungen, Zeiten, Energien und Im­
pulse entlang der fünften Dimension anders umskalierten, um in der
vierdimensionalen effektiven Theorie alle Teilchen auf gleiche Stufe zu
stellen, damit sie alle auf dieselbe Weise mit der Schwerkraft wechselwir­
ken konnten. Wenn man sich von der Brane wegbewegt, erhält man für
jeden Punkt eine exponentiell kleinere Energie. Das war der Grund, war­
um Teilchen auf der Schwach brane unserer Erwartung nach eine Masse
von rund einem TeV haben sollten. Als Athena in die fünfte D imension
reiste, wurde ihr Schatten größer, und Athena wurde leichter, während
sie sich von der Gravitationsbrane zur Schwach brane bewegte.
Jeder Punkt entlang der fünften Dimension kann auf gleiche Weise mit
einer bestimmten Masse verknüpft werden. Die Masse hängt d urch die
Umskalierung an jenem Punkt mit der Planck-Massenskala zusammen.
Und das KK-Teilchen, dessen Gravitationsfunktion an einem bestimmten
Punkt einen Spitzenwert erreicht, hat annä hernd diese umskalierte
Planck-Massenskala. Während man sich in die fünfte Dimension hinaus­
bewegt, begegnet man s ukzessive leichteren KK-Teilchen, deren Wahr­
scheinlichkeitsfunktionen dort einen Spitzenwert haben.
Faktisch könnte man sagen, dass das Kaluza-Klein-Spektrum eine
höchst exklusive Gesellschaft darstellt. Schwere KK-Teilchen sind aus
den Raumregionen verbannt, wo die umskalierte Energie zu klein i st, um
sie zu erzeugen. Und leichte KK-Teilchen findet man kaum in j enen Re­
gionen, die sehr energiereiche Teilchen enthalten. KK-Teilchen konzen­
trieren sich so weit von der Schwach brane weg, wie sie angesichts ihrer
Masse können. Ihre Lokalisierungen kann man mit den Hosen heutiger
männlicher Teenager vergleichen, die so sackartig wie möglich sein müs­
sen, ohne hinunterzurutschen . Glücklicherweise sind die physikalischen

480
U N E R G R Ü N D L I C H E PA S S AG E : E I N E U N E N D L I C H E Z U SAT Z D I M E N S I O N

Gesetze, d i e d i e Lokalisierung der KK-Teilchen bestimmen, leichter z u


begreifen a l s d i e weit mehr irritierenden Regeln d e r Teenagermode.
Für uns besteht das wichtigste Merkmal der Wahrscheinlichkeitsfunk­
tionen der leichten KK-Teilchen darin, dass sie auf der Gravitationsbrane
extrem klein sind. Das heißt, es gibt nur eine geringe Wahrscheinlichkeit,
darauf oder in der Nähe leichte KK-Teilchen zu finden. Weil leichte KK­
Teilchen so weit wie möglich vor der Gravitationsbrane zurückscheuen,
werden leichte Teilchen ( a bgesehen von dem außergewöhnlichen Gravi­
ton, dessen Wahrscheinlichkeitsfunktion auf der Gravitations brane
ihren Spitzenwert hat) dort kaum produziert. Darüber hinaus modifizie­
ren leichte KK-Teilchen nicht signifikant die Schwerkraft, weil sie dazu
tendieren, sich von der Gravitationsbrane fernzuhalten und daher nicht
viel mit Teilchen wechselwirken, die an die Brane gebunden sind.
Als wir alles beisammenhatten, bekamen Raman und ich den Ein­
druck, dass wir eine funktionierende Theorie gefunden hatten. Das auf
der Gravitationsbrane lokalisierte Graviton ist für das Erscheinungsbild
der vierdimensionalen Schwerkraft verantwortlich. Trotz der unzähligen
KK-Graviton-Partner wechselwirken diese so schwach auf der Gravitati­
onsbrane, dass ihr Effekt ü berhaupt nicht zu bemerken ist. Und o bwohl
es eine unendliche fünfte Dimension gibt, scheinen alle physikalischen
Gesetze und Prozesse einschließlich der Gravitation mit dem übereinzu­
stimmen, was man von einer vierdimensionalen Welt erwartet. In diesem
extrem verzerrten Raum ist eine unendliche Zusatzdimension zulässig.
Wie zuvor schon erwä hnt, ist dieses Modell unter dem Gesichtspunkt
der Beobachtbarkeit vielleicht frustrierend . So erstaunlich es ist, dieses
fünfd imensionale Modell imitiert vier Dimensionen so außerordentlich
gut, dass es extrem schwierig sein wird, die beiden auseinander zu hal­
ten. In dieser Hinsicht kommen auf experimentierende Teilchenphysiker
bestimmt schwere Zeiten zu.
Die Physiker haben j edoch begonnen, astrophysikalische und kosmo­
logische Merkmale zu erkunden, die vielleicht zwischen den beiden Wel­
ten unterscheiden können. Viele Kollegen '' haben Schwarze Löcher in
der verzerrten Raumzeit in Betracht gezogen, und sie suchen weiter, ob
es Unterscheidungsmerkmale gi bt, anhand deren wir bestimmen kön­
nen, in welchem Typ von Universum wir tatsäch l ich leben.

* Da runter Juan Garcia-Bellido, Andrew Chamblin, Ro berto Emparan, Ruth Gre­


gory, Stephen Hawking, Gary T. Horowitz, Nemanja Kaloper, Robert C. Myers, Har­
vey S. Reall, Hisa-aki Shinkai, Tetsuya Shiromizu und Toby Wiseman.

481
VERBORGENE UN IVERSEN

F ü r den Augenblick wissen wir, d a s s die Lokalisierung e i n e n e u e u n d


faszinierende theoretische Möglichkeit für zusätzliche Dimensionen in
unserem Universum ist. Ich bin gespannt und freue mich auf Weiterem­
wicklungen, die letztlich entscheiden könnten, ob die Lokalisierung tat­
sächlich ein Merkmal unserer Welt ist.

Was neu ist:

• Eine Dimension kann unendlich lang und trotzdem unsichtbar sein,


wenn die Raumzeit entsprechend verzerrt ist.

• Die Gravitation kann selbst dann lokalisiert sem, wenn sie nicht
streng auf eine begrenzte Region beschränkt ist.

• In der lokalisierten Gravitation ist das masselose KK-Teilchen das lo­


kalisierte Graviton. Es ist nahe der Gravitati onsbrane konzentriert.

• Alle anderen KK-Teilchen sind weit weg von der Gravitations brane
konzentriert ; die Form ihrer Wahrscheinlichkeitsfunktion und die Lo­
kalisierung ihrer Spitzenwerte hängen von ihrer Masse ab.

482
23

Eine reflexive und expansive Passage

Someday girl I don't know when


We're gonna get to that place
Where we really want to go.
Eines Tages, Mädchen, ich weiß nicht wann,
Werden wir dorthin gelangen,
Wo wir wirklich hinwollen.
Bruce Springsteen

Ike XLII. war bereit, Großes zu wagen. An seinem Alicxvr wollte er die
ultrahohen Einstellungen von vielen Megaparsec ausprobieren, mit de­
nen er Orte jenseits der Galaxie und des bekannten Universums erkun­
den und entfernte Regionen erleben konnte, die noch nie zuvor ein
Mensch gesehen hatte.
Ike war ganz aufgeregt, als ihn der Alicxvr an Ziele brachte, die neun,
zwölf und sogar dreizehn Milliarden Lichtjahre weg lagen. Allerdings
(laute seine Begeisterung ab, als er noch weiter zu gelangen versuchte,
aber seine Signalstärke steil abfiel. Als er auf fünfzehn Milliarden Licht­
jahre einstellte, brach die Entdeckungstour sogar ganz ab - er bekam
überhaupt keine Informationen mehr herein. Stattdessen härte er eine
Stimme : » Fehlermeldung 5B 73 : Der >Horizont<-Teilnehmer, den Sie zu
erreichen versuchen, liegt außerhalb Ihrer Reichweite. Wenn Sie Hilfe be­
nötigen, wenden Sie sich bitte an Ihren örtlichen Langstreckenopera­
tor. «
Ike traute seinen Ohren nicht. Da lebte man im 3 1 . Jahrhundert, und
dieser » Horizont« -Service arbeitete immer noch mit begrenzten Reich­
weiten. Als Ike versuchte, den Operator zu erreichen, härte er nur eine
automatische Stimme: » B itte bleiben Sie auf der Brane. Sie werden so
bald wie möglich weitervermittelt. Die A nfragen werden in der Reihen-

483
VERBORGENE U NIVERSEN

folge ihres Eingangs beantwortet. « Ike kam der Verdacht, dass dieser
Operator niemals antworten würde, und er war klug genug, nicht zu
warten.

Im vorangegangenen Kapitel wurde erklärt, wie eine Verzerrung eine zu­


sätzliche Dimension freisetzen und sie unendlich, aber unsichtbar ma­
chen kann. Unendliche Zusatzdimensionen sind a ber nicht das Ende un­
serer Physikgeschichte : Es kommt noch bizarrer. Dieses Kapitel wird
erklären, dass vierdimensionale Gravitation (also eine mit drei rä um­
lichen und einer zeitlichen Dimension ) wahrhaftig ein lokales Phänomen
sein kann - in großer Entfernung kann die Gravitation völlig anders aus­
sehen. Wir werden erfahren, dass nicht nur der Raum vierdimensional
erscheinen kann, obwohl es in Wirklichkeit fünf Dimensionen gibt, son­
dern dass wir auch in einer isolierten Tasche mit vierdimensionaler
Schwerkraft im Innern eines fünfdimensionalen Universums leben könn­
ten .
Das Modell, dem wir uns j etzt zuwenden wollen, zeigt, dass bemer­
kenswerterweise verschiedene Raumregionen anscheinend unterschied­
lich viele Dimensionen haben könne n . Der Physiker Andreas Karch und
ich haben bei der Untersuchung einiger irritierender Eigenschaften der
lokalisierten Gravitation ein Modell für die Raumzeit gefunden, auf das
dies zutrifft. Am Ende hatten wir ein neues und radikales Szenario, wel­
ches darauf schließen lässt, dass der Grund, warum wir keine zusätz­
lichen Dimensionen sehen, in weit höherem Maß unserer Umwelt zu
Eigen ist, als zuvor irgendj emand gedacht hat : Wir könnten in einem
vierdimensionalen Schlundloch leben, in dem drei Raumdimensionen
bloß eine zufällige Folge der Lokalisierung sind !

Erinnerungen

Wenn ich mir die E-Mail-Ablage aus der Zeit ansehe, als ich mit Raman
zusammenarbeitete, finde ich es ziemlich verrückt, wie wir inmitten so
vieler anderer Ablenk ungen unsere Arbeit zum Abschluss bringen konn­
ten . Als wir mit unseren Forschungen begannen, zog ich gerade vom
MIT nach Princeton um, wo ich einen Lehrstuhl übernehmen sollte, und
zugleich plante ich für das darauf folgende Jahr einen sechsmonatigen
Workshop in Santa Barbara. Raman, der mehrere Assistenzstellen be-

484
E I N E R E F L E X I V E U N D E X PA N S I V E PA S SAG E

kleidet hatte, versuchte, irgendwo an einer akademischen Einrichtung


unterzukommen, und so war er vollauf mit Bewerbungen und Vorstel­
lungsgesprächen beschäftigt. Es war kaum zu gla u ben. Er hatte Großar­
tiges geleistet, und ich wie andere versuchten ihn zu überzeugen, dass
sich das letzten Endes auszahlen würde und er nicht die Physik zuguns­
ren einer anderen Karriere aufgeben sollte. Raman wollte eindeutig mit
der Physik weitermachen, und er hätte eine hervorragende Stelle an einer
Universität absolut verdient gehabt, und doch hatte er Probleme, einen
Job zu finden.
Die E-Mails aus j ener Zeit bezeugen das Chaos : Interessante physika­
lische Fragen wechseln mit Bitten um Empfehlungsschreiben, Terminpla­
nungen, meiner \Vohnungssuche in Princeton und der Konferenzorgani­
sation in Santa Barbara . Ein paar E-Mails wurden auch mit anderen Phy­
sikern ausgetauscht, sie drehten sich um unsere Arbeit. Aber viele waren
es nicht. Auch wenn der RS2-Aufsatz letztlich Tausende von Malen zi­
tiert und weit und breit akzeptiert wurde, waren die anfänglichen Reak­
tionen eher gemischt. Es dauerte ei nige Zeit, bis die Mehrheit der Physi­
ker uns verstand und uns glaubte. Ein Kollege berichtete mir, zunächst
hätten die Leute abgewartet, ob nicht j emand anderes die Schwachstelle
finden würde, damit sie sich nicht darum kümmern musste n . Die Reak­
tion auf einen Vortrag Ramans in Princeton beispielsweise konnte man
bestenfalls als nur halbherzig bezeichnen.
Selbst die, die uns ihre Aufmerksamkeit schenkten, glau bten uns nicht
unbedingt sofort. Ein Gespräch mit dem Stringtheoretiker Andy Stra­
minger war sehr bezeichnend - auch wenn er heute darüber lacht, dass er
ursprünglich kein Wort von dem glau bte, was wir sagten. Glücklicher­
weise war er nicht zu skeptisch gewesen und redete wenigstens mit uns.
In der Physikgemeinde gab es einige wenige, die uns von Anfang an
verstanden und an uns glaubten. Wir hatten das Glück, dass Stephen
Hawking zu ihnen zählte und dass er nicht zögerte, seine Begeisterung
für unsere Sache weiterzugeben. Ich kann mich noch gut erinnern, wie
Raman mir aufgeregt erzählte, dass Hawkings angesehene Loeb Leeru­
res in Harvard sich sehr stark auf unsere Arbeit konzentriert hätte n .
Mehrere andere arbeiteten a u c h an ähnlichen I d e e n . A b e r e r s t im fol­
genden Herbst - einige Monate nach der Veröffentlichung unseres Auf­
satzes ( und viele Monate, nachdem wir darüber zu reden begonnen hat­
ten ) - begann die Gemeinschaft der theoretischen Physiker insgesamt auf
uns aufmerksam zu werden. Es stellte sich als glücklicher Zufall heraus,
dass David Kutasov, ein Physiker an der University of Chicago a u s Israel,

485
VERBORGENE UNIVERSEN

und M i s h a Shifman, ein in Russland geborener Teilchentheoretiker von


der University of Minnesota sowie ich den sechsmonatigen Workshop
im Herbst 1 9 9 9 am Kavli Institute for Theoretical Physics in Santa Bar­
bara organisiert hatten. Das ursprüngliche Ziel dieses Workshops hatte
darin bestanden, Stringtheoretiker und Modellbauer zusammenzubrin­
gen, damit sie von der sich a bzeichnenden Annäherung ihrer For­
schungsschwerpunkte profitieren konnten - etwa bei der Supersymme­
tr·ie oder bei Theorien mit stark wechselwirkenden Eichbosonen. Wir
hatten den Workshop lange im Voraus geplant, noch ehe das Konzept
von Branen und zusätzlichen Dimensionen für solch einen Wirbel sorgte .
Auch wenn wir auf einige positive Synergien zwischen Stringtheoreti­
kern und Modellbauern gehofft hatten, wussten wir, als wir mit der Or­
ga nisation begannen, noch nicht, dass wir über zusätzliche Dimensionen
nachdenken würden, wenn die Konferenz dann tatsächlich stattfinden
würde.
Aber das Timing erwies sich als günstig. Der Workshop bot eine aus­
gezeichnete Gelegenheit, unseren Vorstellungen von Extradimensionen
Substanz zu geben und am Spezialwissen der Modellbauer, Stringtheo­
retiker und Experten der allgemeinen Relativitätstheorie teilzuhaben. Es
kam zu vielen anregenden Diskussionen, und die verzerrte Geometrie
stellte eins der Hauptthemen dar. Zu guter Letzt nahmen sowohl Mo­
dellbauer als a uch Stringtheoretiker die verzerrte fünfdimensionale Geo­
metrie ernst. De facto verwischte sich der Unterschied zwischen den bei­
den Forschungsfeldern, als Kollegen beider Lager sich zusammentaten
und gemeinsam an ähnlichen Problemen mit der verzerrten Geometrie
und anderen Ideen arbeiteten.
Später beschäftigten sich viele Physiker mit anderen Aspekten verzerr­
ter Geometrien, stellten Zusammenhänge her und erforschten Raffines­
sen, die die lokalisierte Gravitation noch interessanter machten. String­
theoretiker taten RS l ( d i e verzerrte Geometrie mit zwei Branen ) zunächst
als bloßes Modell a b ; aber als sie sich erst einmal damit beschäftigten ,
fanden sie Möglichkeiten, das R S l -Szenario in die Stringtheorie einzu­
bauen. Fragen nach Schwarzen Löchern, der Evolution der Zeit, ver­
wandten Geometrien und die Verknüpfung mit Ideen aus Stringtheorie
und Teilchenphysik erwiesen sich gleichfalls als fruchtbare Forschungs­
gebiete. Die lokalisierte Gravitation ist mittlerweile in den unterschied­
lichsten Zusammenhängen untersucht worden, und ständig tauchen
neue Ideen auf.
Nachdem unsere Theorie akzeptiert war und nicht länger als falsch

486
E I N E R E F L E X I V E U N D E X PA N S I V E PA S S AG E

galt, überzogen einige Physiker in entgegengesetzter Richtung und sag­


ten, unsere Theorie sei nichts Neues. Ein Stringtheoretiker ging sogar so
weit zu behaupten, dass eine stringtheoretische Berechnung des Impulses
von Kaluza-Klein-Moden die >> rauchende Pistole << sei, die beweise, dass
unsere Theorie nichts weiter sei als eine Version der Stringtheorie, die
Stri ngtheoretiker bereits untersucht hatten. Das entsprach dem Stan­
dardwitz in der Wissenschaft, dass eine neue Theorie immer drei Phasen
durchläuft, bevor sie akzeptiert wird : Erst gilt sie als falsch, dann als of­
fenkundig, und schließlich behauptet j emand, dass j emand anders schon
zuvor darauf gekommen sei. In diesem Fall j edoch ging die rauchende
Pistole selbst in Rauch auf, als Physiker merkten, dass die stringtheore­
tischen Berechnungen raffinierter waren, als sie geglaubt hatten, und die
ange bliche Antwort der Stringtheorie sich i n Wirklichkeit als unrichtig
erw1es.
In Wahrheit war die Überschneidung mit Arbeiten der Stringtheorie
für uns alle sehr anregend und führte zu wichtigen neuen Erkenntnissen.
Wie sich herausstellte, überlappte sich die lokalisierte Gravitation ein
gutes Stück mit den meisten wichtigen stringtheoretischen Entwicklun­
gen der Zeit : Sowohl unsere Arbeit als auch die Forschungen von String­
theoretikern hatten mit einer ähnlich verzerrten Geometrie zu tun. Viel­
leicht gerade weil unsere Forschung nicht direkt stringtheoretische Mo­
delle herausforderte, war die Gemeinde der Stringtheoretiker faktisch
eher bereit, die Bedeutung unserer Arbeit zu akzeptieren und anzuerken­
nen, als die Gemeinde der Modellbauer. Auch wenn das zu Anfang als
Zufall erschienen sein mag, war das vielleicht ein Hinweis, dass wir alle
auf der richtigen Fährte waren. Und zu seinem Glück hatte Raman an­
schließend keine Probleme mehr, einen Job zu bekommen. ( Er ist heute
Professor an der Johns Hopkins University. )
Einige blieben j edoch skeptisch. Genau das Modell, das Raman und
ich vorgelegt hatten, führte zu interessanten Fragen, die niemand auf der
Stelle beantworten konnte. Hing die Lokalisierung von der Form der
Raumzeit irgendwo weit weg a b ? Als Leute versuchten, Beispiele für die
von Raman und mir vorgeschlagene Geometrie in Supergravitations­
Theorien zu finden, schien die Form der Gravitation in großer Entfer­
nung von der lokalisierenden Brane der Stolperstein zu sein. Aber kam es
auf diese Bedingungen an ? Eine weitere Frage, die wir beantwortet ha­
ben wollten, lautete : Sieht die Raumzeit notwendigerweise überall vier­
dimensional aus ? Lokalisierte Gravitation schien das gesamte fünfdi­
mensionale Universum dazu zu bringen, s ich so zu verhalten, als gäbe es

487
VERBORGENE U N I VERSEN

vierdimensionale Gravitation. Passiert das immer, o d e r könnten einige


Regionen vierdimensional a ussehen, andere hingegen sich anders verhal­
ten ? Und was würde passieren, wenn die Gravitationsbrane nicht völlig
flach ist ? Funktioniert die Lokalisierung bei einer Brane mit anderer
Geometrie genauso ? Das waren Fragen, die mit der lokal lokalisierten
Gravitation, der von Andreas Karch und mir entwickelten Theorie, an­
gegangen werden konnte n .

Lokal lokalisierte Gravitation

Wie viele Raumdimensionen gibt es ? Wissen wir das eigentlich ? Sie wer­
den mir, hoffe ich, mittlerweile beipflichten, dass es überzogen wäre zu
behaupten, wir wüssten mit Sicherheit, dass es keine zusätzlichen Di­
mensionen gibt. Wir sehen drei Raumdimensionen, aber es könnte mehr
geben, die wir noch nicht entdeckt haben.
Sie wissen j e tzt, dass zusätzliche D imensionen versteckt sein können,
weil sie entweder klein und aufgerollt sind oder weil die Raumzeit ver­
zerrt und die Gravitation so in einer kleinen Region konzentriert ist, dass
selbst eine unendliche D imension unsichtbar bleibt. Wie auch immer, ob
Dimensionen kompakt oder lokalisiert sind, die Raumzeit würde übera ll
als vierdimensional erscheinen, egal wo Sie sind.
Etwas weniger liegt das bei dem Szenario mit der lokalisierten Gravi­
tation auf der Hand, bei dem die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gra­
vitons immer kleiner wird, j e weiter man in die fünfte Dimension hinaus­
geht. Die Gravitation verhält sich nahe der Brane wie in vier Dimensio­
nen. Aber wie ist es an allen möglichen anderen Orten ?
Die Antwort lautet, dass im Szenario RS2 nichts dem Einfluss der vier­
dimensionalen Gravitation entgehen kann, ganz egal wo man in der
fünften Dimension ist. Zwar ist die Wahrscheinlichkeitsfunktion des
Gravitons auf der Gravitationsbrane am größten, a ber übera l l können
Obj ekte miteinander wechselwirken, indem sie ein Graviton austau­
schen, und daher würden alle Obj ekte der vierdimensionalen Gravita­
tion unterliegen, und zwar unabhängig von ihrer Lokalisierung. Überall
sieht die Gravitation vierdimensional aus, weil die Wahrscheinlichkeits­
funktion des Gravitons nirgendwo tatsächlich null ist - sie geht endlos
weiter. Im lokalisierten Szenario hätten Obj ekte in großer Entfernung
von der Brane extrem schwache gravitative Wechselwirkungen, aber die
geringe Schwerkraft würde sich trotzdem vierdimensional verhalten. So

488
E I N E R E F L E X I V E U N D E X PA N S I V E PA S S A G E

würde beispielsweise immer Newtons inverses Quadratgesetz gelten,


egal wo man sich entlang der fünften Dimension aufhält.
Dass die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons weit weg von der
Gravitationsbrane klein, aber nicht gleich null ist, war für die Lösung des
Hierarchieproblems entscheidend, die ich in Kapitel 20 präsentierte. Die
ein Stück weit von der Gravitationsbrane im Bulk lokalisierte Schwach­
brane unterliegt einer Schwerkraft, die vierdimensional zu sein scheint,
auch wenn diese Schwerkraft dort extrem kraftlos ist. Wie beim Wasser
in der Sprinkler-Analogie mit dem bevorzugt behandelten eigenen Gar­
ten gibt es woanders immer ein bisschen Wasser, bloß nicht so viel.
Aber denken wir noch etwas gründlicher nach und fragen uns, was
wir eigentlich mit Sicherheit über die Dimensionen des Raums wissen.
Wir wissen nicht, ob der Raum überall dreidimensional aussieht, son­
dern nur, dass der Raum in unserer Nähe dreidimensional wirkt. Der
Raum scheint bei Entfernungen, die wir sehen, drei Dimensionen zu ha­
ben ( und die Raumzeit vier ) . Aber der Raum könnte sich weit darüber
hinaus in unzugängliches Territorium erstrecken.
Schließlich ist die Lichtgeschwindigkeit endlich, und unser Universum
gibt es auch erst eine endliche Zeitspanne lang. Das bedeutet, es ist uns
nur möglich, etwas über eine umliegende Raumregion zu wissen, die sich
so weit erstreckt, wie das Licht seit der Zündung des Universums gereist
sein kann. Und das ist nicht unendlich weit. Damit ist eine Region defi­
niert, die man als den Horizont bezeichnet : die Grenze zwischen Infor­
mationen, die uns zugänglich sind, und anderen, auf die das nicht zu­
trifft.
Jenseits des Horizonts wissen wir nichts. Dort muss der Raum nicht
wie unserer aussehen. Die kopernikanische Wende wird ständig revi­
diert, j e weiter wir ins Universum hinausblicken und merken, dass nicht
überall unbedingt alles so aussehen muss wie bei uns. Selbst wenn die
Gesetze der Physik überall dieselben sind, bedeutet das nicht, dass die
Bühne, auf der sie inszeniert werden, immer dieselbe ist. Es könnte sein,
dass nahegelegene Branen in unserer Gegend zu einer Schwerkraft füh­
ren, die sich von der unterscheidet, die man anderswo registriert.
Wie können wir behaupten, die Dimensionen des Universums a ußer­
halb unserer Reichweite zu kennen ? Es wäre kein Widerspruch, wenn
das j enseits gelegene Universum mehr Dimensionen aufwiese - vielleicht
fünf, vielleicht zehn, vielleicht noch mehr. Wenn man sich an die nackten
Fakten hält, statt anzunehmen, dass überall - selbst in uns unzugängli­
chen Regionen - die Raumzeit so aussieht wie unsere, kann man ablei-

489
VERBORGENE UN IVERSEN

A bbildung 9 0 : Wir könnten in einem uierdimensionalen Schlundloch eines


höherdimensionalen Raums leben.

ten, was wirklich fundamental und was letztlich vorstellbar und legitim
ist.
Wir wissen lediglich, dass der von uns wahrgenommene Raum vierdi­
mensional zu sein scheint. Möglicherweise geht man zu weit, wenn man
annimmt, dass andere Gegenden des Universums e benfalls vierdimensio­
nal sein müssen. Warum sollte eine von uns extrem weit entfernte Welt,
die vielleicht mit uns überhaupt nicht wechselwirkt - oder vielleicht nur
mittels extrem schwacher gravitativer Signale -, Schwerkraft und Raum
so erleben wie wir ? Warum kann es dort nicht einen anderen Typ von
Gravitation geben ?
Wunderbarerweise ist das möglich. Unsere Branenwelt könnte drei
plus eine Dimensionen wahrnehmen, außerhalb gelegene Regionen aber
nicht. Zu unserem eigenen Erstaunen entwickelten Andreas Karch und
ich im Jahr 2000 eine Theorie, nach der der Raum auf oder in der Nähe
der Brane vierdimensional wirkt, der größte Teil des weit weg von der
Brane gelegenen Raums a ber höherdimensional erscheint. Diese Idee ist
schematisch in Abbild ung 90 dargestellt.
Wir tauften unser Szenario lokal lokalisierte Gravitation, weil die Lo­
kalisierung ein Graviton prod uziert, das vierdimensionale gravitative
Wechselwirkungen nur in einer lokal begrenzten Region vermittelt - der
Rest des Raums sieht nicht vierdimensional aus. Eine vierdimensionale

490
E I N E R E F L E X I V E U N D E X PA N S I V E PA S S AG E

Welt '' gibt es nur auf einer Gravitations- >> lnsel << . Die wahrgenommene
Dimensionalität hängt von der Lokalisierung im fünfdimensionalen
Bulk ab.
Um eine lokale Lokalisierung zu verstehen, wollen wir wieder auf un­
seren Ententeich zurückkommen. Sie waren vielleicht mit mir nicht einer
Meinung, als ich behauptete, auf die Größe des Teichs käme es nicht an.
Wenn der Teich ein riesiger See wäre, würden Enten am entgegengesetz­
ten Ufer nicht mit denen auf Ihrer Seite zusammenkommen. Faktisch
wäre es sehr merkwürdig, wenn Sie sehr weit entfernte Enten beeinflus­
sen könnten. Die Enten in der Ferne würden Ihre Brotbrocken gar nicht
bemerken und selbstvergessen in einem anderen, a bgelegenen Tei l des
Sees herumpaddeln.
Der lokal lokalisierten Gravitation liegt eine ganz ähnliche Idee zu­
grunde. Die Lokalisierung der Gravitation auf einer Brane muss nicht
notwendigerweise davon a bhängen, was in entfernten Raumregionen
passiert. Auch wenn das Modell, das Raman und ich untersuchten, ein
Graviton aufwies, dessen Wahrscheinlichkeitsfunktion exponentiell ab­
nahm, aber niemals ganz null betrug - womit überall vierdimensionale
Gravitation wahrgenommen würde -, sollte das Verhalten der Gravita­
tion i n großer Entfernung nicht entscheidend dafür sein, ob es in der
Nähe der Brane vierdimensionale Gravitation gibt.
Das ist der Kern der lokal lokalisierten Gravitation. Ein Graviton
kann lokalisiert sein und eine vierdimensionale Schwerkraft in der Nähe
einer Brane hervorbringen, ohne die Schwerkraft in großer Entfernung
zu beeinflussen. Vierdimensionale Gravitation kann ein rein lokales Phä­
nomen sein, das nur für einen gewissen Tei l des Raums relevant ist.
Andreas Karch, ein ausgezeichneter Physiker und sehr netter Kerl,
hatte als Erster über das Modell nachgedacht, das zeigte, dass dies mög­
lich i s t ; ironischerweise arbeitete er damals an einem Forschungsproj ekt,
an dem a uch einer meiner früheren MIT-Kollegen beteiligt war, der Ra­
mans und meine Arbeit eigentlich infrage stellen wollte (zu unserem
Glück kam bei dieser Zusammenarbeit das schöne Ergebnis heraus, dass
unsere Arbeit richtig war ) . Im Verlauf dieses Proj ekts fand Andreas ein
Modell, das demj enigen von Raman und mir eng verwandt war, a ber
einige sehr merkwürdige Eigenschaften a ufwies. Als Andreas in
Princeton zu Besuch weilte, besuchte er mich, um darüber zu reden.

* Nach den Anfangsbuchsraben unserer Nachnamen wird das Modell auch »KR« ge­
nannt.

491
VERBORGENE UN IVERSEN

Schließlich fanden w i r heraus, d a s s dieses Modell einige verblüffende


Implikationen aufwies. Zunächst arbeiteten Andreas und ich mittels
E-Mail zusammen, dann besuchten wir einander in unseren Institutio­
nen, und als ich danach wieder in Boston war, lief alles noch leichter.
Was wir herausfanden, war ziemlich bemerkenswert.
Dieses Modell war dem ganz ähnlich, das ich mit Raman erforscht
hatte : eine fünfdimensionale verzerrte Raumzeit mit einer einzigen
Brane. Der Unterschied war, dass die Brane in diesem Fall nicht absolut
flach war, weil sie eine winzige Menge negativer Vakuumenergie trug.
Wie wir gesehen haben, ist in der allgemeinen Relativitätstheorie nicht
nur die relative Energie von Bedeutung, sondern auch die Gesamtmenge .
Die Gesamtenergie sagt der Raumzeit, wie sie sich krümmen soll. Bei­
spielsweise führt bei fünfdimensionaler Raumzeit die konstant negative
Energie zu der verzerrten Ra umzeir, die wir in den letzten paar Kapiteln
diskutiert haben. Jedoch waren dort die Branen sel bst flach. Im j etzt dis­
kutierten Fall führt die negative Energie auf der Brane dazu, dass die
Brane selbst leicht gekrümmt ist.
Die negative Energie auf der Brane führt zu einer noch interessanteren
Theorie. Für die negative Energie interessierten wir uns aber eigentlich
nicht - wenn wir auf einer Brane leben, müsste unsere Brane in Wirklich­
keit eine winzige positive Energie haben, um mit den Beobachtungen
übereinzustimmen. Andreas und ich entschlossen uns für dieses Modell
n ur, weil es so faszinierende lmplikationen für die Dimensional i tät hat.
Um unseren Befund zu begreifen, kehren wir am besten erst zum Sze­
nario mit den zwei Branen zurück, um uns danach wieder dem anderen
zuzuwenden. Als die zweite Brane genügend weit entfernt war, stellten
wir fest, dass es zwei verschiedene Gravitonen gab, die jeweils in der
Nähe einer der beiden Branen lokalisiert ware n . Für j edes Graviton wies
dessen Wahrscheinlichkeitsfunktion in der Nähe einer der beiden Branen
den Spitzenwert auf und nahm mit zunehmender Entfernung davon ex­
ponentiell ab.
Keines der beiden Gravitonen war für die vierdimensionale Gravita­
tion im gesamten Raum verantwortlich. Vierd imensionale Gravitation
erzeugten sie nur in der Region, die an die Brane angrenzte, auf der sie
lokalisiert waren . Die auf den j eweiligen Branen wahrgenommenen
Schwerkrä fte waren unterschiedlich. Sie konnten soga r verschieden
stark sein. Und O bj ekte auf der einen Brane wechselwirkten nicht gravi­
tativ mit Obj ekten auf der anderen.
Die Anordnung mit zwei weit voneinander entfernten Branen kann

492
E I N E R E F L E X I V E U N D E X PA N S I V E PA S S AG E

man mit der Situation vergleichen, dass j emand am entgegengesetzten,


weit entfernten Ufer des Sees gleichfalls Enten füttert. Jene Enten könn­
ten sogar von einer anderen Art sein : Vielleicht locken Sie Stockenten
an, während am entgegengesetzten Ufer j emand Brautenten füttert. In
diesem Fall gäbe es eine zweite Entenkonzentration am entgegengesetz­
ten Ufer, was analog der zweiten Graviton-Wahrscheinlichkeitsfunktion
wäre, die in der Nähe einer zweiten Brane lokalisiert ist.
Das Auftauchen zweier unterschiedlicher Teilchen, die beide wie das
vierdimensionale Graviton aussahen, war für uns eine große Überra­
schung. Eigentlich müssten übergeordnete physikalische Prinzipien si­
cherstellen, dass es nur eine einzige Gravitationstheorie gibt. Und es exis­
tiert auch nur eine einzige fünfdimensionale Gravitationstheorie. Wie
sich j edoch herausgestellt hat, enthäl t die fünfdimensionale Raumzeit
zwei sich unterscheidende Teilchen, die beide eine Schwerkraft vermit­
teln, die sich wie eine vierdimensionale verhält, und die beide i n einer
j eweils anderen Region des fünfdimensionalen Raums zu Hause sind.
Unterschiedliche Raumregionen scheinen beide vierdimensionale Gravi­
tation zu enthalten, aber das die vierdimensionale Schwerkraft vermit­
telnde Graviton ist j eweils ein anderes.
Aber es gab noch eine zweite Überraschung. Nach der allgemeinen Re­
lativitätstheorie ist das Graviton masselos. Wie das Photon müsste es sich
mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Andreas und ich a ber fanden heraus,
dass die Masse eines der beiden Gravitonen nicht gleich null ist und dass
dieses sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Das war wirklich ver­
blüffend - aber auch verwirrend. Der physikalischen Literatur zufolge
kann kein Graviton mit Masse j emals eine Schwerkraft hervorbringen,
die zu allen Beobachtungen passt. De facto hätte, wie wir im Fall eines
schweren Eichbosons in Kapitel 10 diskutiert haben, ein Graviton mit
Masse mehr Polarisierungen als ein masseloses. Und wie Physiker gezeigt
haben, indem sie verschiedene gemessene Schwerkraftprozesse miteinan­
der verglichen, sind noch niemals irgendwelche Auswirkungen eines zu­
sätzlichen Gravitons entdeckt worden.
Aber das Modell hebelte fest gefügte Überzeugungen aus. Nachdem
wir es entdeckt hatten, stellten Massimo Porrati, ein Physiker der New
York University, und Ian Kogan, Stavros Mousopoulos sowie Antonios
Papazouglou von der Oxford University fest, dass in bestimmten Fällen
das Graviton tatsächlich Masse haben und dennoch zu korrekten Gravi­
tationsvorhersagen führen kann. Sie analysierten technische Details der
Theorie und fanden die Schwachstelle in der Logik, derzufolge ein Gra-

493
VERBORGENE UN IVERSEN

viton m i t M a s s e nicht mit den beobachteten Schwerkraftprozessen über­


einstimmt.
Und das Modell hat noch verrücktere Implikationen. Lassen Sie uns
j etzt darü ber nachdenken, was passiert, wenn wir die zweite Brane weg­
nehmen. Auf der verbleibenden Brane, der Gravitationsbrane, sind trotz
der unendlichen Zusatzdimension die physikalischen Gesetze anschei­
nend noch immer vierdimensionaL Die Gravitation nahe der Gravitati­
onsbrane ist virtuell mit der des RS2-Modells identisch. Für die Di nge
auf der Gravitationsbrane vermittelt das einzige Graviton die Schwer­
kraft, und die Gravitation scheint vierdimensional zu sein.
Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied zwischen diesem Mo­
dell und RS2. In dem hier diskutierten Modell, das sich nur d urch die ne­
gative Energie auf der Brane unterscheidet, domini ert das nahe der Brane
lokalisierte Graviton nicht die Schwerkraft im gesamten Raum. Das
Graviton wechselwirkt nicht mit O bj ekten irgendwo im Ra u m ; es führt
nur auf oder nahe der Brane zu vierdimensionaler Schwerkraft. Weiter
von der Brane weg sieht die Gravitation nicht mehr vierdimensional
aus .38
Dies scheint dem zu widersprechen, was ich zuvor sagte : dass es über­
all im höherdimensionalen Bulk Gravitation geben muss. Diese Aussage
ist nicht falsch ; fünfdimensionale Gravitation gibt es überall. Im Gegen­
satz zu den anderen, bislang betrachteten extradimensionalen Theorien.
in denen die Physik immer vierdimensional interpretiert wird, sieht diese
Theorie j edoch nur für D inge auf oder in der Nähe der Brane vierdimen­
sional aus. Newtons Schwerkraftgesetz gilt nur auf oder in der Nähe der
Brane. Überall sonst ist die Schwerkraft fünfdimensionaL
Bei dieser Anordnung ist vierdimensionale Gravitation ein rein lokales
Phänomen, das nur in der Umgebung der Brane wahrgenommen wird .
Die Dimensionalität, auf die man aus dem Verhalten der Gravitation
schließen würde, hinge davon ab, wo man sich in der fünften D imension
befindet. Wenn dieses Modell richtig ist, müssen wir auf der Brane leben,
um vierdimensionale Gravitation wahrzunehmen. Wären wir irgendwo
anders, würde die Gravitation fünfdimensional aussehen. Die Brane ist
ein vierdimensionales Gravitations-Schlundloch - eine vierdimensionale
SchwerkraftinseL
Natürlich wissen wir noch nicht, ob es in der wirklichen Welt lokal lo­
kalisierte Gravitation gibt. Wir wissen noch nicht einmal, ob es zusätzli­
che Dimensionen gibt oder - wenn dem so ist -, was aus ihnen geworden
ist. Wenn j edoch die Stringtheorie Recht hat, gibt es Zusatzdimensionen.

494
E I N E R E F L E X I V E U N D E X PA N S I V E PA S SAG E

Und wenn es sie gibt, könnten sie sowohl mittels Kompaktifizierung als
auch m i ttels Lokalisierung ( oder lokaler Lokalisierung) oder mittels
einer Kombination beider versteckt sein. Viele Stringtheoretiker glauben
noch immer, dass die Kompaktifizierung die Antwort ist, aber wegen der
vielen Fragen, die eine aus der Stringtheorie hervorgehende Gravitation
aufwirft, kann sich da niemand sicher sein. Ich betrachte Lokalis ierung
als eine neue Option. Wenn die Gravitation lokalisiert ist, verhalten sich
die physikalischen Gesetze, als wären die Dimensionen nicht da, genau
wie im Fall von aufgerollten Dimensionen . Daher ergänzt lokalisierte
Gravitation unseren Modellbaukasten und erhöht die Wahrscheinlich­
keit, dass wir eine Realisierung der Stringtheorie finden, die mit den Be­
obachtungen übereinstimmt.
Mir gefällt es, dass die lokal lokalisierte Gravitation sich auf das kon­
zentriert, was wir explizit verifizieren können. Sie besagt nur, dass das
Universum dort vierdimensional aussehen muss, wo wir das überprüfen
können - nicht dass es vierdimensional sein muss. Unsere drei Raumdi­
mensionen könnten nichts als ein Zufall unserer Lokalisierung sein.
Diese Idee muss erst noch zur Gänze erforscht werden. Aber es steht
außer Frage, dass unterschiedliche Raumregionen anscheinend unter­
schiedliche Anzahlen von D imensionen aufweisen können. Schließlich
taucht immer dann eine neue Physik auf, wenn wir in kürzere Distanzen
j enseits der zuvor gesehenen vordringe n . Vielleicht tri fft dasselbe auch
auf große Entfernungen zu : Wenn wir auf einer Brane leben, wer weiß,
was dahinter liegt ?

Was neu ist:

• Lokalisierte Gravitation ist ein lokales Phänomen. Es gibt keinen Zu­


sammenhang mit entfernten Regionen der Raumzeit.

• Die Gravitation kann sich verhalten, als hätte die Welt in verschiede­
nen Regionen unterschiedliche Dimensionen , da sich ein lokalisiertes
Graviton nicht notwendigerweise über den gesamten Raum erstreckt.

• Wir könnten in einer isolierten Tasche des Raums leben, die vierdi­
mensional zu sein scheint.

495
VI

Gedanken zum Ausklang


24

Zusätzliche Dimensionen:
Das Spiel ist eröffnet

But I sti ll haven't found what l'm looking for.


Aber ich habe noch nicht gefunden, wonach ich suche.
U2

Athenas Träume vom Wanndieland, von Branen und fünf Dimensionen


wurden über die nachfolgenden Generationen hinweg weitererzählt. Als
Ike XLII. sie vernahm, wollte er überprüfen, ob an diesen Geschichten
irgendetwas Wahres sei. Also nahm er seinen Alicxvr und ging zu einer
sehr kleinen Skala hinunter - nicht so klein, dass Strings auftauchen wür­
den, aber doch weit genug, um zu überprüfen, ob es eine fünfte Dimen­
sion gäbe. Der Alicxvr beantwortete Ikes Frage dadurch, dass er ihn in
eine fünfdimensionale Welt schick te.
Völlig zufrieden war Ike aber nicht. Er erinnerte sich noch gut an die
bizarren Dinge, die da früher passiert waren, als er an der Hyperdrive­
Option herumgefummelt hatte. Also drück te er abermals den Hyperdri­
ve-Hebei hoch - und wieder veränderte sich alles drastisch. Ike konnte
kein einziges vertrautes Objekt erkennen. Er konnte nur eines sagen : Die
fünfte Dimension war verschwunden.
Ike stand vor einem Rätsel. Er durchsuchte das Spacernet nach Infor­
mationen über » Dimensionen « . Er wühlte sich durch unzählige Seiten,
die er mühsam zwischen all den nervigen Spams fand, merkte aber schon
bald, dass er seine Suche verfeinern musste. Als er immer noch nichts De­
finitives finden konnte, kam er zu dem Schluss, dass er dem fundamen­
talen Ursprung von Dimensionen nicht allzu bald auf die Spur kommen
würde. Also beschloss er, stattdessen seine Aufmerksamkeit Zeitreisen
zuzuwenden.

499
VERBORGENE UN IVERSEN

Die Physik ist in e i n e bemerkenswerte Phase getrete n . Ideen, die einst i n s


Reich der Science-Fiction gehörten, gelangen j etzt in unsere theoretische
- und vielleicht sogar experimentelle - Reichweite. Brandneue theoreti­
sche Entdeckungen hinsichtlich zusätzlicher D imensionen haben unwi­
derruflich die Art und Weise verändert, wie Teilchenphysiker, Astrophy­
siker und Kosmologen heute über die Welt nachdenken. Allein das
Tempo und die Anzahl dieser Entdeckungen sagt uns, dass wir höchst­
wahrscheinlich erst die O berfläche der uns erwartenden wundersamen
Möglichkeiten angekratzt haben. Die Ideen ha ben ein Eigenleben be­
komme n .
Dennoch harren n o c h v i e l e Fragen i h r e r umfassenden Beantwortung,
und unsere Reise ist alles andere als vorüber. Teilchenphysiker wollen
noch immer wissen, warum wir genau die Kräfte sehen, die wir beobach­
ten, und ob es noch weitere gibt. Was ist der Ursprung der Massen und
Eigenschaften der vertrauten Teilchen ? Wir wollen auch wissen, ob die
Stringtheorie richtig ist - und wenn ja, wie sie mit unserer Welt zusam­
menhä ngt.
Jüngere Beobachtungen des Kosmos verweisen sogar auf noch mehr
Mysterien, deren wir uns annehmen sollten. Woraus ist der größte Teil
der Energie und der Materie im Universum zusammengesetzt ? Gab es zu
Beginn seiner Evolution eine kurze Phase explosiver Expansion, und
wenn j a , was löste sie a u s ? Und alle wollen wissen, wie das Universum
a ussah, als es seinen Anfang nahm.
Wir wissen heute, dass die Gravitation sich bei verschiedenen Längen­
skalen ganz unterschiedlich verhalten kann. Bei sehr kurzen Distanzen
kann nur eine Quantentheorie der Gravitation wie die Stringtheorie die
Schwerkraft beschreiben. Bei größeren Skalen passt die allgemeine Rela­
tivitätstheorie bewundernswert gut, aber in j üngster Zeit bei sehr großen
Entfernungen quer durch das Universum gemachte Beobachtungen stel­
len uns vor kosmologische Rätsel wie beispielsweise die Frage, was seine
Expansion beschleunigt. Und bei noch größeren Entfernungen stoßen
wir an den kosmologischen Horizont, j enseits dessen wir rein gar nichts
wissen.
Einer der spannenden Aspekte der extradimensionalen Theorien ist,
dass sie von selbst auf verschiedenen Skalen unterschiedliche Konse­
quenzen haben. In diesen Theorien zeigt die Gravitation bei Distanzen
kleiner als aufgerollte Dimensionen oder bei Krümmungen, die zu klein
sind, um Wirkung zu zeigen, ein Verhalten, das sich von dem bei größe­
ren Entfernungen unterscheidet, wo D imensionen unsichtbar sein oder

500
ZUS ÄTZLIC HE DIMENSIONEN: DAS SPIEL IST ERÖFFNET

Verzerrungen wichtig werden könnten. Das gibt uns Grund zu der An­
nahme, dass zusätzliche Dimensionen eventuell Licht in einige der rätsel­
haften Eigenschaften des Kosmos bringen können. Wenn wir tatsächlich
in einer multidimensionalen Welt leben, können wir mit Sicherheit nicht
deren kosmologische Implikationen vernachlässigen. Zu diesem Thema
wurden bereits einige Forschungen durchgeführt, a ber ich bin sicher,
dass noch interessantere Resultate auf uns warten.
In welche Richtung wird die Physik sich meiner Meinung nach weiter­
entwickeln ? Es gibt zu viele Möglichkeiten, um alle aufzulisten. Aber
lassen Sie mich von ein paar faszinierenden Beobachtungen berichten,
die dara u f schließen lassen, dass wir vor weiteren wichtigen theoreti­
schen Überraschungen stehen - die uns vielleicht schon bald Lösungen
für Rätsel näher bringen, die sich alle um eine Frage drehen, die Sie an
dieser Stelle vielleicht schockiert, nämlich :

Was sind Dimensionen überhaupt ?

Wie kann ich i m letzten Akt eine solche Frage stellen ? Ich habe den größ­
ten Tei l des Buches dafür aufgewendet, die Bedeutung von Dimensionen
und ein paar mögliche Konsequenzen der vorgeschlagenen extradimen­
sionalen Welten zu diskutieren. Aber j etzt, nachdem ich Ihnen berichtet
habe, was wir über Dimensionen wissen, erlauben Sie mir, kurz auf diese
Frage zurückzukommen .
Was bedeutet die Anzahl v o n Dimensionen wirklich ? W i r wissen, dass
die Zahl der Dimensionen definiert ist als die Zahl der Größen, die man
braucht, um einen bestimmten Punkt im Raum festzulegen. In den Kapi­
teln 15 und 1 6 brachte ich aber auch Beispiele, die zeigten, dass zehndi­
mensionale Theorien manchmal dieselben physikalischen Konsequenzen
haben wie elfdimensionale.
Solch eine Dualität lässt darauf schließen, dass unsere Vorstellung von
Dimensionen nicht ganz so sta bil ist, wie es den Anschein hat - in der
Definition gibt es eine gewisse Plastizität, die sich der konventionellen
Terminologie entzieht. Duale Besch rei bungen ein und derselben Theorie
verraten uns, dass die eine oder andere Formulierung nicht notwendiger­
weise die beste ist. Die Formulierung und sogar die Anzahl von D imen­
sionen in der besten Beschreibung können beispielsweise von der Stärke
der Stringkopplung abhängen. Weil eine einzige Theorie nicht immer die
beste Beschrei bung liefert, gibt es auf die Frage nach der Anzahl von Di-

501
VERBORGENE UN IVERSEN

mensionen nicht immer e i n e einfache Antwort. D i e s e Mehrdeutigkeit


hinsichtlich der Bedeutung von Dimensionen und das offensichtliche
A u ftauchen von zusätz l ichen Dimensionen in stark wechselwirkenden
Theorien zählen zu den wichtigsten Beobachtungen in der theoretischen
Physik des letzten Jahrzehnts. Lassen Sie mich j etzt ein paar weitere
spannende theoretische Entdeckungen der j ü ngsten Zeit auflisten, die
darauf hindeuten, dass der Begriff der Dimension irgendwie unschärfer
i st, als wir das vielleicht gern glauben würden .

I. Verzerrte Geometrie und Dualität

In Kapitel 20 und 22 habe ich einige Konsequenzen der verzerrten


Raumzeit-Geometrie erklärt, die Raman S undrum und ich ausgearbeitet
haben. In j ener Geometrie hängen die Massen und Größen von O bjekten
von der Lokalisierung entlang einer fünften Dimension ab, und darüber
hinaus ist die Gravitation in der Nachba rschaft einer Brane lokalisiert.
Aber diese verzerrte Raumzeit hat noch eine weitere erstaunliche Eigen­
schaft, die technisch Ami-de-Sitter-Raum genannt wird und über die ich
Ihnen noch etwas erzä hlen muss - was weitere Fragen hinsichtlich der
D imensionalität nach sich zieht.
Das verbleibende bemerkenswerte Merkmal des Ami-de- Sitter-Raums
ist die Existenz einer dualen vierdimensionalen Theorie. Theoretische
Hinweise sagen uns, dass alles, was in einem fünfdimensionalen Ami-de­
Sitter-Raum passiert, mit einem dualen vierdimensionalen Bezugsrah­
men beschrie ben werden kann, in dem es extrem starke Kräfte mit ganz
speziellen Eigenschaften gibt. Dieser mysteriösen Dualität zufolge hat al­
les in der fünfdimensionalen Theorie eine Entsprechung in der vierdi­
mensionalen Theorie und umgekehrt.
Auch wenn mathematische Überlegungen uns sagen, dass eine fünfdi­
mensionale Theorie im Anti-de-Sirrer- Raum einer vierdimensionalen
äquivalent ist, kennen wir nicht immer den genauen Teilchengehalt j ener
vierdimensionalen dualen Theorie. Juan Maldacena, ein argeminischer
Stringtheoretiker, der heute am Institute for Advanced Study in
Princeton arbeitet, sorgte j edoch 1997 für viel Aufregung in der String­
theorie, als er ein explizites Beispiel für eine ähnliche Dualität in der
Stringtheorie herleitete. Ihm ging auf, dass eine Version der Stringtheorie
mit einer großen Zahl einander überlappender D-Branen, auf denen
Strings stark wechselwirken, entweder mit einer vierdimensionalen

502
ZUSÄTZLICHE DIMENSIONEN: DAS SPIEL IST ERÖFFNET

Quantenfeldtheorie oder mit einer zehndimensionalen Gravitationstheo­


rie beschrieben werden kann, wobei in letzterer fünf der zehn Dimen­
sionen aufgerollt und die verbleibenden fünf im Anti-de-Sitter-Raum
sind.
Wie können eine vierdimensionale und eine fünfdimensionale ( oder
gar zehndimensiona l e) Theorie dieselben physikalischen Implikationen
haben ? Was entspricht beispielsweise einem O bj ekt, das sich durch die
fünfte Dimension bewegt ? Die Antwort lautet, dass dieses Obj ekt in der
dualen vierdimensionalen Theorie als ein O bj ekt auftauchen würde, das
wächst oder schrumpft. Das ist genauso wie bei Athenas Schatten auf
der Gravitations brane, der größer wurde, als sie sich entlang der fünften
Dimension von der Brane wegbewegte . Darüber hinaus entsprechen Ob­
j ekte, die sich entlang der fünften Dimension aneinander vorbei bewe­
gen, in vier Dimensionen Obj ekten, die wachsen und schrumpfen und
sich überlappen .
Wenn man erst einmal Branen eingeführt hat, werden die Konsequen­
zen der Dualität noch seltsa mer. Beispielsweise ist ein fünfdimensionaler
Anti-de-Sitter-Raum mit Gravitation, aber ohne Branen, einer vierdi­
mensionalen Theorie ohne Gravitation äquivalent. Wenn man j edoch in
die fünfdimensionale Theorie eine Brane einschließt, wie Raman und ich
das taten, schließt die äquivalente vierdimensionale Theorie plötzlich
Gravitation e in.
Bedeutet d i es e Dualität, dass i c h schummelte, als i c h sagte, die verzerr­
ten Geometrien seien höherdimensionale Theorien ? Keineswegs. Die
Dualität ist faszinierend, aber sie ä ndert keinen Deut an dem, was ich
Ihnen berichtet habe. Selbst wenn j emand die genau passende duale vier­
dimensionale Theorie findet, wird diese extrem schwierig zu untersu­
chen sein. Sie muss eine enorme Zahl von Tei lchen und so extrem starke
Wechselwirkungen einschließen, dass die Störungstheorie ( siehe Kapitel
1 5 ) nicht länger gelten würde.
Theorien, in denen Obj ekte stark wechselwirken, sind ohne eine alter­
native, schwach wechselwirkende Beschreibung fast unmöglich zu in­
terpretieren. Und in diesem Fall ist die fünfdimensionale Theorie j ene
handhabbare Beschreibung. Nur die fünfdimensionale Theorie ist ein­
fach genug formuliert, um berechnet werden zu können, und daher ist es
sinnvoll, die Theorie fünfdimensional zu d urchdenken. Aber selbst wenn
die fünfdimensionale Theorie besser zu handhaben ist, lässt mich die
Dualität immer noch fragen, was der Begriff >> Dimension << eigentlich be­
deutet. Wir wissen, dass die Anzahl der D imensionen gleich der Anzahl

503
VERBORGENE UN IVERSEN

v o n Größen i s t , die m a n braucht, um die Position eines Obj ekts im


Raum zu spezifizieren. Aber wissen wir immer sicher, welche Größen zu
berücksichtigen sind ?

II. T-Dualität

Ein weiterer Grund, nach der Bedeutung von D imensionen zu fragen, be­
steht in einer Äquivalenz zwischen zwei o berflächlich unterschiedlichen
Geometrien, die als T-Dualität bekannt ist. Noch bevor Stringtheoreti­
ker die bereits besprochenen Dualitäten entdeckten, stießen sie auf die
T-Dualität, bei der ein Raum mit einer winzigen aufgerollten Dimension
gegen einen anderen Raum mit einer riesigen aufgerollten D imension
ausgetauscht wird .39 So merkwürdig das erscheinen mag, in der String­
theorie führen extrem kleine und extrem große aufgerollte Dimensionen
zu denselben physikalischen Konsequenzen. Ein verschwindend winzi­
ges Volumen aufgerollten Raums zeitigt dieselben physikalischen Folgen
wie ein extrem großes.
In einer Stringtheorie mit aufgerollten Dimensionen kommt es zur
T-Dualität, weil zwei unterschiedliche Typen von geschlossenen Strings
in der Raumzeit zu einem Kreis kompaktifiziert sind ; und diese beiden
Strings werden gegeneinander ausgetauscht, wenn ein Raum mit einer
winzigen a ufgerollten Dimension durch einen Raum mit einer großen er­
setzt wird. Der erste Typ von geschlossenem String oszilliert auf und a b ,
während er in d e r geschlossenen Dimension kreist, was dem Verhalten
der Kaluza-Klein-Teilchen in Kapitel 18 ähnelt. Der andere Typ wickelt
sich um die aufgerollte D i mension herum. Er kann das einmal, zweimal
oder jede belie bige Anzahl von Malen tun. Und T-D ualität-Operationen,
die einen kleinen aufgerollten Raum gegen einen großen a ustauschen,
tauschen diese beiden Typen von Strings gegeneinander aus.
De facto war die T-Dua lität das erste Anzeichen, dass es Branen geben
musste : Ohne sie hätten offene Strings in der dualen Theorie keine Ent­
sprechungen gehabt. Wenn j edoch die T-Dualitä t richtig ist und eine
winzige aufgerollte Dimension zu densel ben physikalischen Konsequen­
zen führt wie eine riesige aufgerollte, würde das wiederum bedeuten,
dass unsere Vorstellung von >> Dimensio n << unangemessen ist.
Denn wenn man sich den Radius der einen aufgerollten Dimension
unendlich groß denkt, wäre die T-duale aufgerollte Dimension ein Kreis
vom Durchmesser null - es gäbe überhaupt keinen Kreis. Das bedeutet,

5 04
ZUSÄTZLICHE DIMENSIONEN: DAS SPIEL IST ERÖFFNET

eine unendliche Dimension in der einen Theorie ist T-dual einer ande­
ren Theorie, die eine Dimension weniger hat (da ein Kreis mit null
Durchmesser nicht als Dimension zählt ) . Die T-Dualität zeigt also auch,
dass zwei offensichtlich verschiedene Räume den Eindruck machen
können, als hätten sie unterschiedliche Anzahlen von großen a usge­
dehnten Dimensionen, a ber dennoch die identischen physikalischen
Vorhersagen ergeben. Einmal mehr ist die Bedeutung von Dimension
mehrdeutig.

III. Spiegelsymmetrie

T-Dualität gilt, wenn eine Dimension zu einem Kreis aufgerollt ist.


Eine noch verrücktere Symmetrie als die T-Dualität ist aber die Spiegel­
symmetrie, die manchmal in der Stringtheorie gültig ist, wenn sechs Di­
mensionen zu einer Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit a ufgerollt sind. Die
Spiegelsymmetrie besagt, dass sechs Dimensionen zu zwei ganz unter­
schiedlichen Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten aufgerollt werden können,
die daraus resultierende vierdimensionale Theorie großer Entfernungen
aber dieselbe sein kann. Die Spiegel-Mannigfaltigkeit einer gege benen
Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit kann völlig anders a ussehen : Sie kann
unterschiedliche Gestalt, Größe, Wicklungsrichtung oder sogar unter­
schiedlich viele Löcher haben . * Wenn es ein Spiegelbild einer gegebenen
Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit gibt, ist die physikalische Theorie immer
dieselbe, egal zu welcher der beiden Mannigfaltigkeiten sechs der Dimen­
sionen aufgerollt sind. Also führen auch bei spiegel bildlichen Mannigfal­
tigkeiten zwei offensichtlich verschiedene Geometrien zu denselben Vor­
hersagen. Einmal mehr hat die Raumzeit rätselhafte Eigenschaften .

I V. Matrixtheorie

Die Matrixtheorie ist ein Hilfsmittel zur Untersuchung der Stringtheori e ;


s i e liefert noch rätselhaftere Hinweise auf Dimensionen. O berflächlich
betrachtet, sieht die Matrixtheorie wie eine quantenmechanische Theo-

* Mannigfaltigkeiten können unterschiedlich viele Löcher ha ben ; beispielsweise hat


eine Kugel kein Loch, wohingegen ein Torus - der die Gestalt eines Schwimmreifens
oder eines Donurs hat - ein Loch aufweist.

505
VERBORGENE UNIVERSEN

r i e aus, die das Verhalten u n d die Wechselwirkungen v o n DO-Branen


( p u nktförmigen Branen ) beschrei bt, welche sich durch zehn Dimensio­
nen bewegen. Und auch wenn die Theorie nicht explizit Gravitation ein­
schließt, verhalten sich die DO-Branen wie Gravitonen. Also gibt es in
der Theorie letztlich gravitative Wechselwirkungen, auch wenn ober­
flächlich betrachtet das Graviton fehlt.
Darüber hinaus imitiert die Theorie der DO-Branen Supergravitation
in elf Dimensionen, nicht zehn. Das heißt, das Matrix-Modell sieht so
aus, als schließe es die Supergravitation mit einer Dimension mehr ein,
als die ursprüngliche Theorie zu beschreiben scheint. Dieses vielsagende
Verhalten hat ( zusammen mit anderen mathematischen Belege n ) String­
theoretiker zu der Annahme gebracht, dass die Matrixtheorie der
M-Theorie äquivalent i st, die ebenfalls elfdimensionale Supergravitation
einschließt.
Ein besonders bizarres Merkmal der Matrixtheorie ist Edward Wit­
tens Beobachtung, dass man, wenn DO-Branen sich zu nahe kommen,
nicht länger genau sagen kann, wo sie sind. Tom Banks, Willy Fischler,
Steve Shenker und Lenny Susskind - die Urheber der Matrixtheorie -
schreiben in ihrem Aufsatz : >> Folglich gibt es für kleine Distanzen keine
Repräsentation des Konfigurationsraums im Sinne gewöhnlicher Posi­
tionen. << * Das heißt, die Lokalisierung einer D O-Brane ist nicht länger
eine sinnvolle mathematische Größe, wenn man versucht, sie zu präzise
zu definieren.
Dank solch merkwürdiger Eigenschaften ist die Matrixtheorie ein
sehr verlockendes Forschungsobj ekt, aber momentan ist es noch sehr
schwer, sie für Berechnungen zu benutzen. Das Problem besteht darin,
dass es - wie bei fast allen Theorien mit stark wechselwirkenden Objek­
ten - bislang noch niemandem gelungen ist, auf viele der höchst wich­
tigen Fragen Antworten zu finden, die uns helfen würden, besser zu
verstehen, was da eigentlich vor sich geht. Trotzdem ist wegen des Auf­
tauchens einer zusätzlichen Dimension und wegen des Verschwindens
von Dimensionen, wenn DO-Branen sich zu nahe kommen, die Matrix­
theorie ein Grund mehr, sich zu fragen, was D imensionen eigentlich
sind.

* T. Banks, W. Fischler, 5. H . 5henker und L. 5usskind, » M theory as a matrix model :


a conjecture « , Physical Review D, Bd. 55, 5. 5 1 1 2 - 5 1 2 8 ( 1 99 7 ) .

506
ZUSÄTZLICHE DIMENSIONEN: DAS SPIEL IST ERÖFFNET

Was soll man glauben ?

Auch wenn Physiker mathematisch diese mysteriösen Äquivalenzen zwi­


schen Theorien mit unterschiedlich vielen Dimensionen nachgewiesen
haben, fehlt uns eindeutig noch das Gesamtbil d . Wissen wir mit Sicher­
heit, dass diese Dualitäten gültig sind, und wenn ja, was sie uns über das
Wesen von Raum und Zeit sagen ? Darüber hinaus kann niemand sagen,
was die beste Beschreibung wäre, wenn eine Dimension weder sehr groß
noch sehr klein ist (in Relation zur außerordentlich winzigen Planck­
Längenskala ) . Vielleicht bricht unsere Vorstellung der Raumzeit insge­
samt zusammen, wenn wir erst einmal versuchen, etwas so Kleines zu
beschreiben.
Einer der besten Gründe zu der Annahme, dass unsere Raumzeit-Be­
schrei bung bei der Planek-Längenskala nicht greift, ist darin zu sehen,
dass wir keinerlei Möglichkeit kennen - noch nicht einmal theoretisch -,
wie man solche kurzen Distanzen untersuchen könnte. Wir wissen aus
der Quantenmechanik, dass es j ede Menge Energie braucht, um kleine
Längenskalen zu erforschen. Aber wenn man zu viel Energie in eine Re­
gion so klein wie die Planek-Längenskala - 1 0 -1 1 cm - steckt, bekommt
man ein Schwarzes Loch. Dann kann man unmöglich herausfinden, was
da drinnen passiert. Alle Informationen sind innerhal b des Ereignishori­
zonts des Schwarzen Lochs gefangen.
Selbst wenn man noch mehr Energie i n diese winzige Region zu stop­
fen versuchte, hä tte man damit keinen Erfolg. Wenn man erst einmal so
viel Energie in die Planek-Längenskala gepumpt hat, kann man nicht
noch mehr hineinstecken, ohne dass die Region expandiert. Das heißt,
das Schwarze Loch würde wachsen, wenn man noch mehr Energie hin­
zufügte. Statt eine hübsche kleine Sonde zur Untersuchung dieser Di­
stanz zu bekommen, würde man die Region bloß zu etwas Größerem
a ufblasen und niemals eine Gelegenheit bekommen, sie zu studieren, so­
lange sie klein ist. Es wäre, als wollte man empfindliche Kunstwerke in
einem Museum mit einem Laserstrahl a btasten, der sie stattdessen ver­
brennt. Selbst in physikalischen Gedankenexperimenten kann man ein­
fach niemals eine Region beobachten, die deutlich kleiner als die Planek­
Längenskala ist. Die Regeln der Physik, wie wir sie kennen, brechen
zusammen, ehe man dorthin vordringt. Irgendwo in der Nähe der
Planck-Skala gelten die herkömmlichen Vorstellungen von Raumzeit fast
mit Sicherheit nicht mehr.
Solche bizarren Fakten schreien nach einer tiefer schürfenden Erklä-

507
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

rung. E i n e d e r wichtigsten Lehren aus den irritierenden Entdecku ngen des


letzten Jahrzehnts lautet wahrscheinlich, dass es für Raum und Zeit fun­
damentalere Beschreibungen geben muss. Ed Wirten fasste das Problem
knapp zusammen, als er sagte : » Raum und Zeit sind dem Untergang ge­
weiht. << Viele führende Stringtheoretiker stimmen dem z u ; Nathan Sei­
berg behaupte t : >> Ich bin fast sicher, dass Raum und Zeit Illusionen sind . <<
David Gross stellt sich hingegen vor : >> Sehr wahrscheinlich haben Raum
und vielleicht auch Zeit Bestandteile, aus denen sie sich zusammensetze n ;
R a u m u n d Z e i t könnten s i c h als emergente Eigenschaften e i n e r ganz
anders aussehenden Theorie erweisen. << * Unglücklicherwei�e hat noch
niemand eine Idee, als was sich das Wesen dieser fundamentaleren Be­
schreibung von Raumzeit herausstellen wird. Aber ein besseres Verständ­
nis dieser fundamentalen Natur von Raum und Zeit bleibt eindeutig eine
der größten und spannendsten Herausforderungen für die Physik der
kommenden Jahre.

"_
Die Zitate stammen aus K. C. Coles Artikel »Time, space obsolete in new view of
universe « , Los A ngeles Times, 16. November 1 999.

508
25

(K) Ein Schlusswort

lt's the end of the world as we know it


(and I feel fi ne).
Es ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen
(und mir geht es gut).
REM

Icarus Rushmore XLII. besuchte mit semer Zeitmaschine die Vergangen­


heit und warnte Icarus III. vor der Katastrophe, die drohte, wenn er wei­
terhin Parsehe führe. Ike III. war über seinen Besucher aus der Zukunft
so erstaunt, dass er Ikes XLII. Warnung beherzigte. Er gab seinen Par­
sehe für einen Fiat in Zahlung und führte fortan ein erfülltes, zufriedenes
und weniger rasantes Leben.
A thena war hellauf begeistert, wieder mit ihrem Bruder vereint zu sein,
und Dieter war glücklich, seinen Freund wiederzusehen, auch wenn sie
beide irritiert waren, da Ike ja anscheinend nie weg gewesen war. A thena
und Dieter ging auf, dass die Zeitreise, von der Ike berichtete, reine Fik­
tion sein musste. Selbst in Träumen machte die Katze keine Loopings in
der Zeit, das Kaninchen machte nie an einem Ausgang mit zusätzlichen
Zeitdimensionen Halt, und der Quantendetek tiv weigerte sich, solch ein
verrücktes Verhalten der Zeit auch nur in Betracht zu ziehen. A ber
Athena und Dieter liebten Happy Ends. Also schoben sie ihre Zweifel
beiseite und akzeptierten Ikes phantastische Geschichte, wie sie war.

Trotz der beeindruckenden physikalischen Entwicklungen der letzten


paar Jahre wissen wir noch nicht, wie wir die Schwerkraft nutzen oder
Obj ekte quer durch den Raum teleportieren könnte n . Und wahrschein­
lich ist es auch noch zu früh, in Grundbesitz in zusätzlichen Dimensio-

509
VERBORGENE UN IVERSEN

nen zu investieren.40 U n d w e i l w i r a uch noch n i c h t wissen, w i e w i r Uni­


versen, in denen man d urch die Zeit springen kann, mit dem in Verbin­
dung bringen, in dem wir leben, kann noch niemand eine Zeitmaschine
bauen und höchstwahrscheinlich wird dies auch keinem in naher Zu­
kunft ( oder in der Vergangenheit) gelingen.
Aber selbst wenn solche Ideen weiterhin ins Reich der Science-Fiction
gehören, leben wir in einem wundervollen und rätselhaften Universum.
Wir Physiker verfolgen das Ziel herauszufinden, wie seine Bestandteile
zusammengehören und wie deren Entwickl ung bis hin zum gegenwärti­
gen Zustand verlaufen ist. Welche Zusammenhänge haben wir noch
nicht herausgefunden ? Wie lauten die Antworten auf Fragen wie j ene,
die ich im vorangegangenen Kapitel gestellt habe ?
Selbst wenn wir erst noch den Ietztlichen Ursprung der Materie auf
der untersten Ebene begreifen müssen, habe ich Sie hoffentlich davon
überzeugt, dass wir viele Aspekte ihres fundamentalen Wesens auf den
von uns experimentell untersuchten Entfernungsskalen verstehen. Und
auch wenn wir die grundlegendsten Elemente der Raumzeit noch nicht
kennen, begreifen wir ihre Eigenschaften bei Distanzen, die von der
Planek-Längenskala weit entfernt sind. In solchen Bereichen können wir
physikalische Prinzipien anwenden, die wir verstehen, und die Art von
Konsequenzen ableiten, die ich beschrieben habe. Wir sind vielen uner­
warteten Eigenschaften von zusätzlichen Dimensionen und Branen be­
gegnet, und diese könnten eine entscheidende Rolle bei der Lösung eini­
ger Rätsel unseres Universums spielen. Zusatzdimensionen haben unsere
Phantasie angeregt und uns die Augen für erstaunliche neue Möglichkei­
ten geöffnet. Wir wissen j etzt, dass es extradimensionale Anordnungen
in jeder belie bigen Zahl von Formen und Größen ge ben kann. Ihre zu­
sätzlichen Dimensionen könnten verzerrt oder ziemlich groß sein ; sie
könnten eine oder zwei Branen enthalten ; sie könnten Teilchen im Bulk
ha ben, während andere Teilchen auf Branen beschränkt sind. Der Kos­
mos könnte größer, reichhaltiger und variantenreicher sein als alles, was
wir uns bislang ausgemalt haben.
Welche dieser Vorstellungen - wenn überhaupt eine - beschreibt die
wirkliche Welt ? Wir müssen darauf warten, dass die Realität uns das
sagt. Das Phantastische ist, dass sie das wahrscheinlich tun wird . Eines
der aufregendsten Merkmale einiger der extradimensionalen Modelle,
die ich vorgestellt habe, besteht darin, dass sie experimentelle Konse­
quenzen haben. Ich kann die Bedeutung dieser bemerkenswerten Tatsa­
che nicht genug betonen. Extradimensionale Modelle - mit neuen Eigen-

510
( K ) EIN S C H L U S S W O RT

schaften, die wir bislang vielleicht für unmöglich oder unbeobachtbar


gehalten haben - könnten Folgen zeitigen , die wir sehen können. Und
aus diesen können wir vielleicht auf die Existenz von Zusatzdimensio­
nen schließen. Gelingt uns das, wird unser Bild vom Universum unwider­
ruflich verändert.
Es wird möglicherweise astrophysikalische oder kosmologische Tests
für extradimensionale Raumzeit gebe n . Physiker entwickeln gegenwär­
tig detaillierte Theorien von Schwarzen Löchern in extradimensionalen
Welten und haben herausgefunden, dass sie zwar ähnliche Eigenschaften
haben wie in vier Dimensionen, es aber subtile Unterschiede gibt. Die Ei­
genschaften extradimensionaler Schwarzer Löcher könnten sich als hin­
reichend anders erweisen, dass wir erkenn bare Unterschiede ausmachen
können.
Kosmologische Beobachtungen könnten uns letztlich auch mehr über
die Struktur der Raumzeit sagen. Wir erforschen heute, wie das Univer­
sum vor Milliarden Jahren aussah. Viele Beobachtungen stimmen mit
den Vorhersagen überein, a ber es bleiben noch mehrere wichtige Fragen
offe n . Wenn wir in einem höherdimensionalen Universum leben, muss
dieses früher völlig anders gewesen sein. Und einige dieser Unterschiede
könnten irritierende Merkmale dieser Beo bachtungen erklären helfen.
Physiker ergründen momentan, was zusätzliche Dimensionen für die
Kosmologie bedeuten könnten. Vielleicht finden wir etwas über D u nkle
Materie heraus, die auf anderen Branen versteckt ist, oder über kosmi­
sche Energie, die in verborgenen höherdimensionalen Obj ekten gespei­
chert ist.
Eines aber ist sicher : Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird der Large
Hadron Collider am CERN in Betrieb gehen und in physikalische Regio­
nen vordringen, die noch nie zuvor ein Mensch beobachtet hat. Meine
Kollegen und ich können diesen Zeitpunkt kaum erwarten . Der LHC ist
eine großartige Sache - die Wissenschaftler könnten sich nichts Besseres
wünschen. Bei Experimenten mit dem LHC werden fast mit Sicherheit
Tei lchen entdeckt, deren Eigenschaften uns neue Einblicke in die Physik
j enseits des Standardmodells ermöglichen. Das Aufregende daran ist,
dass noch niemand weiß, worum es sich bei diesen neuen Teilchen han­
deln wird .
Solange ich Physik betrei be, sind die einzigen neu entdeckten Teilchen
solche gewesen, die zu finden wir aufgrund von theoretischen Überle­
gungen schon ziemlich sicher waren . Damit will ich diese Entdeckungen
nicht schmälern - es waren beeindruckende Leistungen -, aber etwas

511
VERBORGENE UN IVERSEN

wirklich Neues u n d Unbekanntes zu finden ist v i e l aufregender. Bis d e r


LHC in Betrieb geht, k a n n niemand wirklich sicher s e i n , worauf m a n am
besten die Anstrengungen konzentrieren soll. Resultate mit dem LHC
werden wahrscheinlich die Art und Weise ändern, wie wir die Welt se­
hen.
Der LHC wird genügend Energie haben, um die neuen Arten von Teil­
chen zu produzieren, von denen wir uns so viel Aufklärung versprechen.
Diese Teilchen könnten sich als Superpartner oder andere Tei lchen er­
weisen, die vierdimensionale Modelle vorhersage n . Es könnten aber
auch Kaluza-Kiein-Teilchen sein, die zusätzliche Dimensionen durchzie­
hen. O b und wann wir diese KK-Teilchen zu Gesicht bekommen, wird
einzig und allein von der Größe und Gestalt unseres Kosmos a bhängen.
Leben wir in einem multidimensionalen Universum ? Und wird die
Größe und die Gestalt dieses Universums die KK-Teilchen sichtbar ma­
chen ?
Alle Modelle, die das Hierarchieproblem zu lösen versprechen, haben
sichtbare Konsequenzen auf der schwachen Skala. Die Signaturen der
verzerrten Geometrie, mit der das Hierarchieproblem angegangen wer­
den kann, sind besonders erstaunlich. Wenn diese Theorie richtig ist,
werden wir KK-Teilchen entdecken und anhand der Hinweise, die sie
hinterlassen, ihre Eigenschaften messen. Wenn stattdessen andere extra­
dimensionale Modelle das Universum korrekt beschrei ben, wird Energie
in zusätzlichen Dimensionen verschwinden, und wir werden letztlich
j ene Dimensionen mittels der daraus resultierenden unausgeglichenen
Energiebilanz entdecken.
Mit Sicherheit kennen wir noch nicht alle Antworten. Aber wir sind
im Begriff, dem Universum seine Geheimnisse a bzuringen. Astrophysi­
kalische Beobachtungen werden den Kosmos in früheren Zeiten, in grö­
ßeren Entfernungen und mit mehr Details als je zuvor erkunde n . Entde­
ckungen mit dem LHC werden uns etwas über das Wesen der Materie bei
Entfernungen sagen, die kleiner sind als alle j e zuvor beobachteten phy­
sikalischen Prozesse. Bei hohen Energien müssten die Wahrheiten über
das Universum zu explodieren beginnen.
Der Kosmos wird beginnen, seine Geheimnisse preiszugeben. Was
mich betrifft : Ich kann es kaum erwarten .

512
Glossar

Allgemeine Relativitätstheorie Die Theorie der Gravitation, die das


Gravitationsfeld für j ede Quelle von Materie und Energie beschreibt,
einschließlich j ener, die im Gravitationsfeld selbst gespeichert ist,
und zwar in j edem Bezugssystem ; die Allgemeine Relativitätstheo­
rie drückt das Gravitationsfeld durch die Krümmung der Raumzeit
aus.
Alphateilchen Ein Heli umkern aus zwei Protonen und zwei Neutronen.
Alte Quantentheorie Der Vorläufer der Quantenmechanik, der Quanti­
sierungsregeln postulierte, sie aber nicht systematisch bestimmte oder
die Entwicklung emes Quantenzustands durch die Zeit beschrieb.
Anarchisches Prinzip Die These, dass sich alle Wechselwirkungen, die
nicht durch Symmetrien verboten sind, auch ereignen werden.
Anomalie Eine Symmetrieverletzung, die aus Quantenbeiträgen zu einer
physikalischen Wechselwirkung herrührt, die es aber in der entspre­
chenden klassischen Theorie n icht gibt ( in der Quantenbeiträge nicht
berücksichtigt werden ) .
Anomaliefreie Theorie Eine Theorie, für d i e d i e Symmetrien der klassi­
schen Theorie gleichfalls Symmetrien der Theorie unter Einschluss von
Quantenbeiträgen sind.
Anomalie-Mediation Vermittlung der Supersymmetrie brechung durch
Quanteneffekte .
Anthropisches Prinzip Die Überlegung, d a s s w i r v o n d e n vielen mög­
lichen Universen nur in einem leben können, in dem sich entspre­
chende Strukturen bil den konnten .
Anti-de-Sitter-Raum Raumzeit mit konstant negativer Krümmung.
Antiteilchen Ein Teilchen mit derselben Masse wie ein anderes Tei lchen,
aber entgegengesetzter Ladung.
Äquivalenzprinzip Das Prinzip, wonach gleichförmige Beschleunigung
und Schwerkraft ununterscheidbar sind.

513
VERBORGENE UN IVERSEN

Äther E i n e hypothetische unsichtbare Su bstanz ( heute nicht m e h r aktu­


ell ) , deren Schwingungen man einst für elektromagnetische Wellen ver­
antwortlich machte .
Atom Ein Baustein der Materie, der aus Elektronen besteht, die um einen
positiv geladenen Kern kreisen.
Betazerfall Radioaktiver Zerfall, bei dem ein Neutron in ein Proton, ein
Elektron und ein Neutrino zerfällt.
Bezugssyrern Ein Beobachtungsstandpunkt oder eine Gruppe von Koor­
dinaten zur Beschreibung von Ereignissen im Raum oder in der Raum­
zeit.
Boson Ein Teilchen mit ganzzahligem Spin, also 1 , 2 und so weiter. Das
Photon und das Higgs-Teilchen sind Beispiele für Bosonen. Sie bilden
eine der beiden Tei lchenkategorien der Quantenmechanik, bei der an­
deren handelt es sich um die ---. Fermionen.
Bottom-Quark Eine kurzlebige, schwerere Version von Down- und
Strange-Quarks.
Brane Ein einer Membrane ä hnliches O bj ekt i n einem höherdimensiona­
len Raum, das Energie tragen und Tei lchen und Kräfte einschließen
kann.
Branenwelt Ein physikalisches System, in dem Materie und Kräfte auf
Branen beschrä nkt sind.
Bulk Umfassender höherdimensionaler Raum.
Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit Ein kompakter sechsdimensionaler Raum,
der durch seine besonderen mathematischen Eigenschaften definiert ist
und der in der Stringtheorie eine wichtige Rolle spielt.
CERN Abkürzung für Conseil Europeen pour Ia Recherche Nucleaire
( heute Organisation Europeenne pour Ia Recherche Nucleaire, Euro­
päische Organisation für Kernforschung) ; ein Teilchenbeschleuniger­
Zentrum bei Genf, in dem in naher Zukunft der ---. LHC ( Large Ha­
dran Collider) in Betrieb gehen soll.
Charm-Quark Eine kurzlebige, schwerere Version des Up-Quark.
Chiralität Die ---. Händigkeit eines Teilchens mit Spin.
Collider ( Speicherring) Ein hochenergetischer ---. Teilchenbeschleuniger,
der Teilchen aufeinanderprallen lässt und dabei enorme Energiemen­
gen erzeugt.
Campton-Streuung Die Streuung eines Photons an einem Elektron.
D-Brane In der Stringtheorie eine Brane, auf der offene Strings enden.
De-Sitter-Raum Raumzeit mit konstant positiver Krümmung.
Dimension Eine unabhängige Richtung im Raum oder in der Zeit.

514
G LO S SA R

Dimensionalität Die Anzahl v o n Größen, die erforderlich s i n d , um einen


Punkt eindeutig festzulegen.
Dimensionalität einer Brane Die Anzahl von Dimensionen, in denen sich
an die Brane gebundene Teilchen bewegen können.
Down-Quark Eines der elementaren Quarks, aus denen Proton und
Neutron zusammengesetzt sind.
Duale Theorien Zwei äquivalente Beschreibungen ein und derselben
Theorie, die oberflächlich betrachtet sehr unterschiedlich a ussehen
können.
Dunkle Energie Die im Universum gemessene Vakuumenergie, die rund
70 Prozent der Gesamtenergie des Universums ausmacht, aber nicht
von irgendeiner Form von Materie herrührt.
Dunkle Materie Die nicht leuchtende Materie, die rund 25 Prozent der
Energie im Universum trägt.
Effektive Feldtheorie Eine für eine bestimmte Energie definierte Quan­
tenfeldtheorie, die j ene Teilchen und Kräfte beschreibt, die für die
Energien, auf die sie zutrifft, relevant sind.
Effektive Theorie Eine Theorie, die solche Elemente und Kräfte be­
schrei bt, die im Prinzip bei der Entfernung oder Energie, auf die sie an­
wendbar ist, beobachtbar sind.
Eichboson Ein Teilchen, das eine elementare Wechselwirkung vermittelt.
Einstein'sche Gleichungen Die Gleichungen der allgemeinen Relativi­
tätstheorie, mit denen man aus der Verteilung von Materie und Ener­
gie die ---+ Metrik ( und damit das Gravitationsfe l d ) bestimmt.
Elektromagnetismus (elektromagnetische Wechselwirkung ) Eine der
vier bekannten Kräfte ; der Elektromagnetismus beschreibt sowohl
Elektrizität als auch Magnetismus.
Elektron Ein sehr leichtes Elementarteilchen mit negativer Lad ung.
Elektroschwache Theorie Die Theorie, die sowohl den Elektromagnetis­
mus als auch die schwache Kraft berücksichtigt ; ein wesentlicher Be­
standteil des Standardmodells der Teilchenphysik.
eV ( Elektronenvolt) Die Energie, die erforderlich ist, um ein Elektron ge­
gen einen Potenzialunterschied von 1 Volt zu bewegen.
Externe Teilchen Reale physikalische Teilchen, die in das Gebiet einer
Wechselwirkung eindringen und es wieder verlassen können.
Familie ---+ Generation.
Feinabstimmung Einstellung eines Parameters auf einen ganz spezifi­
schen ( und unwahrscheinliche n ) Wert.
Feld Eine physikalische Größe, die es für j eden Punkt im Raum gibt und

515
VERBORGENE U NIVERSEN

die e i n e n bestimmten Wert h a t . Zu d e n Beispielen zählen das klassi­


sche elektrische Feld und die Quantenfelder.
Fermilab Ein Teilchenbeschleuniger-Zentrum in Illinois, USA, das auch
das ___. Tevatron beherbergt.
Fermion Ein Teilchen mit hal bzahligem Spin, also I/2, 3/2, und so weiter.
Quarks und Elektronen sind Beispiele für Fermionen. Sie bilden eine
von zwei Teilchenkategorien der Quantenmechanik, bei der anderen
handelt es sich um die ___. Bosonen.
Fermi-Wechselwirkung Eine Wechselwirkung, die durch den Austausch
eines der massiven schwachen Eichbosonen hervorgerufen wird.
Fernwirkung Die hypothetische sofortige Wirkung eines Obj ekts auf ein
anderes, entferntes O bj ekt.
Feynman-Diagramm Ein Diagramm, das schematisch die erlau bten
Wechselwirkungen der Tei lchenphysik darstellt.
Flavor Eine Eigenschaft, anhand derer verschiedene Typen von Quarks
oder Leptonen unterschieden werden ( oft gebraucht, um Quarks und
Leptonen aus verschiedenen Generationen zu unterscheiden ) .
Flavorproblem ( der Supersymmetrie) D i e Vorhersage von allzu vielen
flavorverändernden Prozessen ( aufgrund virtueller Squarks und Slep­
tonen ) , die die meisten Modelle der Supersymmetriebrechung heim­
sucht.
Flavorsymmetrie Eine Symmetrie, die verschiedene Flavors einer be­
stimmten Tei lchenkategorie gegeneinander austauscht.
Gaugino Der Superpartner eines eine Wechselwirkung tragenden Eich­
bosons.
Gaugino-Mediation Vermittlung einer Supersymmetriebrechung durch
Gauginos.
Gedankenexperiment Ein nur vorgestelltes physikalisches Experiment,
mit dem man die Konsequenzen einer gege benen Menge von physika­
lischen Annahmen bewerten kann.
Generation Jede von drei Gruppen aller Teilchentypen, ( links- und
rechtshändig geladenes Lepton, Up-Quark, Down-Quark und links­
händiges Neutrino ) .
Geodätische ( geodätische Linie) I m Raum d i e kürzeste Verbindung zwi­
schen zwei Punkten ; in der Raumzeit die Bahn eines frei fallenden Be­
obachters (auf den keinerlei Kräfte einwirken ) .
Geschlossener String Ein ___. String, d e r eine Schleife bildet und folglich
keine Enden hat.
GeV ( Gigaelektronenvolt) Eine Energieeinheit, entspricht 1 Milliarde eV.

516
G L O S SA R

Gluon Das Elementarteilchen, d a s die starke Kraft vermittelt.


Gravitationslinseneffekt Die Aufspaltung des Lichts in Mehrfachbilder
d urch Beugung an einem massiven Obj ekt.
Gravitino Der Superpartner des Gravitons.
Graviton Das Teilchen, das die Gravitationskraft vermittelt.
Große Vereinheitlichte Theorie ( GVT) Eine hypothetische Theorie, bei
der die drei bekannten nichtgravitativen Kräfte bei hoher Energie zu
einer einzigen Kraft verschmelzen.
Hadron Ein stark gebundenes O bj ekt mit Q uarks und / oder Gluonen als
Bestandteilen.
Händigkeit Die Richtung des Spins ( nach links oder rechts ) .
Hererotische Stringtheorie Eine Version der Stringtheorie, bei der Oszil­
lationen im Uhrzeigersinn sich von denen gegen den Uhrzeigersinn un­
terscheiden.
Hierarchieproblem Die Frage, warum die Gravitation so schwach ist
oder, was gleichbedeutend ist, warum die Planck-Masse, die die Stärke
der Schwerkraft charakterisiert, um 16 Größenordnungen stärker als
die Masse der schwachen Wechselwirkung ist.
Higgs-Feld Das Feld, das am Higgs-Mechanismus beteiligt und für den
Symmetriebruch verantwortlich ist, der mit der elektroschwachen
Kraft verknüpft ist.
Higgs-Mechanismus Der spontane Bruch der elektroschwachen Symme­
trie, die es den Eichbosonen und anderen Elementarteilchen ermög­
licht, Masse anzunehmen.
Hofava-Witten-Theorie Die stark gekoppelte heterotische Stringversion
der Stringtheorie oder, was gleichbedeutend ist ( wegen der D ualitä t ) ,
e i n e Version der Stringtheorie m i t zwei Branen, die v o n e i n e r elften D i ­
mension getrennt s i n d , in der die zwei Branen die Kräfte des heteroti­
schen Strings tragen.
Horizont Ein Gebiet, aus dem nichts entkommen kann.
Hyperwürfel Die Verallgemeinerung eines Würfels auf mehr als drei Di­
mensiOnen.
Inertialsystem Ein Bezugssystem, das sich relativ zu einem festen Bezugs­
system, beispielsweise einem in Ruhe, mit konstanter Geschwindigkeit
bewegt.
Innere Symmetrie Eine Symmetrie, unter der sich die physikalischen Ge­
setze für eine Gruppe von Transformationen nicht ändern, die nicht
die geometrische Position der Teilchen, sondern nur einige innere Ei­
genschaften oder Bezeichnungen verä ndern .

517
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

Innerer Spin ( Spin ) E i n e Z a h l , die beschrei bt, w i e s i c h ein Teilchen ver­


hält - als würde es rotieren. Der Spin kann einen ganzzahligen oder
einen hal bzahligen Wert haben.
Intermediäre ( innere) Teilchen Virtuelle Teilchen, deren Austausch
Wechselwirkungen zwischen anderen Teilchen vermittelt.
Inverses Quadratgesetz Ein Gesetz, das jene Kräfte beschreibt, deren
Stärke mit dem Q uadrat der Entfernung a bnimmt; die klassische Gra­
vitation und die elektrischen Wechselwirkungen unterliegen inversen
Quadratgesetzen.
Ion Ein elektrisch geladener, gebundener Zustand von Kernen und Elek­
tronen ; ein Atom mit zu wenigen oder zu vielen Elektronen.
Jet Eine energiereiche Ansammlung stark wechselwirkender Teilchen um
ein energiereiches Quark oder Gluon, die sich in eine bestimmte Rich­
tung bewegt.
Kaluza-Klein-(KK)-Mode Vierdimensionales Teilchen mit Ursprung in
höheren Dimensionen ; KK-Moden werden anhand ihrer extradimen­
sionalen Impulse unterschieden.
Kinetische Energie Bewegungsenergie .
Klassische Physik Physikalische Gesetze, die weder Quantenmechanik
noch Relativitätstheorie berücksichtige n .
Kompakter Raum Ein endlicher R a u m .
Kompaktifiziert Ein kompaktifizierter R a u m ist zu endlicher Größe auf­
gerollt.
Kopplungskonstante Die Zahl, welche die Stärke der Wechselwirkung
bestimmt.
Kosmologie Die Wissenschaft von der Entwicklung des Universums.
Kosmologische Konstante Der Wert einer konstanten, nicht von Materie
herrührenden Energiedichte im Hintergrund des Alls.
Krümmung Eine Größe, die die Beugung oder Krümmung eines Obj ekts,
Raums oder einer Raumzeit beschrei bt.
Lepton Ein termionisches Elementarteilchen, das nicht der starken
Wechselwirkung unterliegt.
LHC (Large Hadron Collider) Ein Hochenergie-Teilchenbeschleuniger,
der Protonenstrahlen von 7 TeV aufeinanderprallen lassen und Tei l ­
c h e n mit e i n e r M a s s e bis zu ein p a a r Te V erzeugen wird .
Lokal lokalisierte Gravitation Eine Theorie, nach der vierdimensionale
Gravitation nicht überall wahrgenommen wird, sondern nur in der Re­
gion des Raums, wo die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Tei lchens,
das sich wie ein vierdimensionales Graviton verhält, konzentriert ist.

518
G L O S SA R

Lokale Wechselwirkung E i n e Wechselwirkung zwischen benach barten


oder aufeinandertreffenden Obj ekten .
Lokalisierte Gravitation Eine hohe Konzentration des Gravitationsfeldes
in einer besti mmten Region des Raums ; die Gravitation scheint in den
niedrigeren Dimensionen konzentriert zu sein, da sie nicht in eine zu­
sätzliche Dimension hinein verdünnt wird.
Longitudinalpolarisierung Wellenschwingung entlang der Ausbreitungs­
richtu ng.
Matrixtheorie Eine zehndimensionale quantenmechanische Theorie, die
zur Stringtheorie äquivalent sein könnte.
Mediation Vermittlung des Einflusses eines Teilchens durch ein interme­
diäres Teilchen.
Metrik Eine Größe oder Größen, die die Messskala etablieren, welche
die physikalischen Entfernungen und Winkel bestimmt.
Modell Ein Kandidat für eine Theorie .
Molekül E i n gebundener Zustand v o n zwei o d e r m e h r Atomen, die sich
Elektronen teilen.
M-Theorie Eine hypothetische, alles umfassende Theorie, die alle be­
kannten Versionen der zehndimensionalen Stringtheorie und der elfdi­
mensionalen Supergravitation vereint.
Multiversum Eine hypothetische Vera llgemeinerung eines Universums,
das Regionen enthält, die nicht oder nur extrem schwach wechselwir­
ken.
Myon Eine kurzlebige, schwerere Version des Elektrons.
Neutrales Objekt Ein Obj ekt, das gegenüber einer Kraft immun ist; die
Nettoladung neutraler O b j ekte ist gleich null.
Neutrino Ein fundamentales Elementarteilchen, das nur per schwacher
Kraft wechselwirkt.
Neutron Ein Bestandteil des Atomkerns, in dem zwei Down-Quarks und
ein Up-Quark fest miteinander verbunden sind.
Newtons Gravitationsgesetz Das klassische Gesetz der Gravitation, nach
dem die Anziehungskraft zwischen zwei massiven O bj ekten proportio­
nal ihren Massen und umgekehrt proportional dem Quadrat ihrer Ent­
fernung ist.
Newtons Gravitationskonstante Der Gesamtkoeffizient, der die Stärke
der Anziehungskraft in Newtons Gravitationsgesetz bestimm t ; er ist
umgekehrt proportional dem Q uadrat der Planck-Masse.
Nukleon Ein Proton oder Neutron.
Nukleus, Kern Der feste, dichte zentrale Bestandteil eines Atoms.

519
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

Offener String E i n String mit zwei Enden .


Pauli-Ausschließungsprinzip Die Aussage, dass zwei identische Fermio­
nen nicht im gleichen Zustand können.
p-Brane Eine Lösung der Einstein'schen Gleichungen, die in einigen
räumlichen Richtungen unendlich expandiert, in den verbleibenden
Dimensionen a ber als Schwarzes Loch fungiert und Obj ekte einfängt,
die ihm zu nahe kommen.
Photino Der Superpartner des Photons.
Photon Das Elementarteilchen, das die elektromagnetische Kraft vermit­
tel t ; das Lichtquant.
Planck-Energie Die Energie, bei der die Gravitation zu einer starken Kraft
wird und quantenmechanische Beiträge berücksichtigt werden müssen.
Planek-Länge Die Längenskala, bei der die Gravitation stark ist und
Quanteneffekte in Gravitationsvorhersagen aufgenommen werden
müssen .
Planck'sches Wirkungsquantum ( Planck-Konstante ) Eine quantenme­
chanische Größe, die Energie zu Frequenz und Impuls zu Wellenlänge
in Beziehung setzt.
Polarisation Die Schwingungsrichtung einer Welle.
Positron Das positiv geladene Antiteilchen des Elektrons.
Potenzielle Energie Gespeicherte Energie, die als kinetische Energie frei­
gesetzt werden kann.
Projektion Eine bestimmte Vorschrift, um eine niedrigerdimensionale
Darstellung eines höherdimensionalen O bj ekts zu erzeugen.
Proton Ein Bestandteil des Atomkerns, der aus zwei Up-Quarks und
einem Down-Quark besteht, die fest miteinander verbunden sind.
QCD (Quantenchromodynamik ) Die Quantenfeldtheorie der starken
Kraft.
QED ( Quantenelektrodynamik ) Die Quantenfeldtheorie des Elektro­
magnetismus.
Quant Eine diskrete Einheit einer messbaren Größe, die kleinste Einheit
d ieser Größe .
Quantenbeitrag Ein Beitrag zu einem physikalischen Prozess aufgrund
von virtuellen Teilchen.
Quantenfeldtheorie Die in der Teilchenphysik verwendete Theorie, mit
der man die Geschwindigkeit von Prozessen wie der Wechselwirkung,
der Erzeugung oder der Vernichtung von Tei lchen berechnen kann.
Nach der Quantenfeldtheorie manifestieren sich Feldfl uktuationen
selbst als Teilchen.

520
G L O S SA R

Quantengravitation Eine Theorie der Gravitation, die sowohl Quanten­


mechanik als auch allgemeine Relativität einschließt.
Quantenmechanik Die Theorie, die auf der Annahme basiert, dass alle
Materie aus einzelnen Elementarteilchen besteht, mit denen Wellen­
funktionen assoziiert sind.
Quark Ein fermionisches Elementarteilchen, das der starken Wechsel­
wirkung unterliegt.
Quasikristall Ein festes Material, dessen Kristallstruktur durch höhere
Dimensionen verstanden werden kann.
Raumzeit Das Konzept, das Raum und Zeit zu einem einzigen Bezugs­
system vereinheitlich t ; die mathematische Formulierung der Region,
in der physikalische Prozesse stattfinden können.
Relativitätstheorie Eine von Einsteins beiden Theorien zur Raumzeit :
Die ___. spezielle Relativitätstheorie vereint Raum und Zeit, die ___. allge­
meine Relativitätstheorie interpretiert Gravitation durch die Krüm­
mung der Raumzeit.
Renormierungsgruppe Eine Rechentechnik, um Größen zueinander in
Beziehung zu setzen, die in unterschiedlichen Energie- oder Skalenbe­
reichen gelten.
Rotationsinvarianz Die Unabhängigkeit experimenteller Ergebnisse von
der Orientierung ( oder Richtung ) .
Rotverschiebung Die Verringerung einer Wellenfrequenz, wenn das O b­
j ekt, das die Welle aussendet, sich entweder entfernt ( Doppler-Ver­
schiebung) oder d urch ein starkes Gravitationsfeld verlangsamt wird
( Gravitationsverschiebung ) .
Schwache Energieskala D i e Energie, b e i d e r d i e m i t d e r schwachen Kraft
assoziierte Sy mmetrie spontan gebrochen ist. Die schwache Energie­
skala bestimmt die Masse von Elementarteilchen.
Schwache Kraft (Wechselwirkung) Eine der vier bekannten Kräfte ; die
schwache Kraft ist beispielsweise für den Betazerfall von Neutronen zu
Protonen verantwortlich.
Schwache Längenskala Die Länge 1 0 - 1 6 cm - ein Zehntausendstel eines
Billionstel Zentimeters - , die ( per Quantenmechanik und spezielle Re­
lativitätstheori e ) der schwachen Energieskala entspricht. Sie bestimmt
die Reichweite der schwachen Wechselwirkung - der Maximaldistanz
zwischen Teilchen, die sich mittels dieser Kraft gegenseitig beeinflussen
können.
Schwache Massenskala Die Masse, die durch die Lichtgeschwind igkeit
mit der schwachen Energieskala (von 250 Ge V ) in Beziehung steht. In

521
VERBORGENE UN IVERSEN

konventionellen Masseneinheiten ausgedrückt, beträgt die schwache


Masseskala I 0 -21 Gramm.
Schwaches Eichboson Ein Elementarteilchen ( mit den drei Varianten
W+, W- und Z), das die schwache Kraft vermittelt.
Schwarzer Körper Ein idealisiertes O b j ekt, das alle Wärme und Energie
a bsorbiert und sie auf eine Art und Weise zurückstrahlt, die einzig und
allein von seiner Temperatur bestimmt ist.
Schwarzes Loch Ein kompaktes O bj ekt, das so d icht ist, dass nichts sei­
nem Gravitationsfeld entkommen kann.
Schwarzkörperstrahlung Die von einem Schwarzen Körper emittierte
Strahlung.
Selektron Der Superpartner des Elektrons.
Sequestration Die physikalische Absonderung unterschiedlicher Elemen­
tartei lchentypen in zusätzliche Dimensionen.
Singularität Eine Region, in der die mathematische Beschreibung eines
Obj ekts zusammen bricht, weil eine Größe unendlich wird .
Slepton Der Superpartner eines Leptons.
Spannung Widerstand gegen das Gestrecktwerden, der bestimmt, wie be­
reitwillig ein String oszillieren und schwere Teilchen produzieren wird .
Spektrallinien Bestimmte Frequenzen, bei denen nicht ionisierte Atome
Licht emittieren oder absorbieren .
Spektrum Eine Funktion, die die Verteilung von Energie über alle Fre­
quenzen hinweg wiedergi bt.
Spezielle Relativitätstheorie Einsteins Theorie, die Bewegung in einem
Inertialsystem beschreibt.
Spin ___. innerer Spin .
Spontan gebrochene Symmetrie Symmetrie, die von physikalischen Ge­
setzen gewahrt, a ber d urch den tatsächlichen physikalischen Zustand
eines Systems gebrochen wird.
Squark Der Superpartner eines Quarks.
Standardmodell ( der Teilchenphysik) Die gültige Theorie, die alle be­
kannten Teilchen und Kräfte außer der Gravitation und die Wechsel­
wirkungen zwischen ihnen beschreibt.
Starke Kraft (Wechselwirkung) Eine der vier bekannten Kräfte ; die
starke Kraft ist beispielsweise für die Bindung der Quarks in einem
Proton oder Neutron verantwortlich.
Störung Eine kleine Modifizierung einer bekannten Theorie.
Störungstheorie Wenn sich die Theorie, für die man sich interessiert, von
einer lösbaren (in der Regel nicht wechselwirkenden ) Theorie nur

522
G L O S SA R

durch einen kleinen Parameter unterscheidet ( was beispielsweise eine


kleine Wechselwirkungsstärke sein könnte ) , erlaubt es einem die Stö­
rungsstheorie, von der lös baren Theorie mittels einer systematischen
Ausweitung j enes kleinen Parameters in Richtung der fraglichen Theo­
rie zu extrapolieren. Die Erge bnisse werden durch eine Potenzreihen­
entwicklung des entsprechenden Parameters dargestellt, in der Regel
die Kopplungskonstante.
Strange-Quark Eine kurzlebige, schwerere Version des Down-Quark.
String Ein (räumlich) eindimensionales Obj ekt, dessen Schwingungen
Elementarteilchen beschreiben.
String-Kopplung Eine Größe, die die Stärke der Wechselwirkung zwi­
schen Strings bestimmt.
Stringtheorie Die Theorie, der zufolge die fundamentalen Bestandteile
des Universums Strings sind und die konsistent Quantenmechanik und
allgemeine Relativitätstheorie vereinen soll.
Supergravitation Eine supersymmetrische Theorie, die die Gravitation
einschließt.
Superpartner (eines Teilchen s ) Das Teilchen, das in der Supersymmetrie
mit einem anderen Teilchen ein Paar bildet ; wenn das ursprüngliche
Teilchen ein Boson ist, ist der Superpartner ein Fermion und umge­
kehrt.
Superraum Ein a bstrakter Raum, der die bekannten vier Dimensionen
und auch theoretische fermianisehe Dimensionen in sich vereint.
Superstringtheorie Die supersymmetrische Version der Stringtheorie
ohne ---+ Tachyonen, die zusätzlich zu Gravitation und Eichbosonen
auch Fermionen berücksichtigt.
Supersymmetrie Eine Symmetrie, die Bosonen und Fermionen als Part­
ner gegeneinander austauscht.
Symmetrie Eine Eigenschaft eines O bj ekts oder physikalischen Gesetzes,
die bewirkt, dass bestimmte physikalische Operationen keine Auswir­
kungen haben.
Symmetrietransformation Eine Manipulation eines physikalischen Sys­
tems, die nicht dessen Eigenschaften oder Verhalten verändert; der
Vorgang, der unterschiedliche Konfigurationen, die durch eine Sym­
metrie verknüpft sind, ineinander transformiert.
Tachyon Ein Tei lchen, das eine Instabilität signalisiert und oberflächlich
betrachtet ein negatives Massenquadrat hat.
Tau Ein kurzlebiges Teilchen mit der identi schen Ladung wie das Elek­
tron und das Myon, aber schwerer als diese beiden.

523
VERBORGENE U NIVERSEN

T-Dualität E i n e Äquivalenz zwischen physikalischen Phänomenen in


einem Universum mit einer kleinen aufgerollten Dimension und einem
anderen Universum mit einer großen Dimension (die Größe des Ra­
dius einer a u fgerollten Dimension wird gegen den inversen Wert aus­
getauscht ) .
Teilchenbeschleuniger Eine Einrichtung d e r Hochenergiephysik, in der
Teilchen auf hohe Energien beschleunigt werden ( --. Collider ) .
Teilchenphysik D i e Erforschung d e r elementarsten Bausteine d e r Mate­
ne.
TeV (Teraelektronenvolt) Eine Energieeinheit, entspricht 1 Billion eV.
Tevatron Der Hochenergie-Teilchenbeschleuniger, der gegenwärtig am
Fermilab in Betrie b ist und Protonenstrahlen von Te V-Energie auf sol­
che von Antiprotonen mit Te V-Energie prallen lässt.
Theorie Eine bestimmte Gruppe von Elementen und Prinzipien mit Re­
geln und Gleichungen für die Vorhersage, wie diese Elemente wechsel­
wirken.
Tiefe inelastische Streuung Das Experiment, mit dem Quarks anhand
der Streuung von Elektronen an Protonen und Neutronen entdeckt
wurden.
Top-Quark Eine kurzlebige, schwerere Version des Up-Quarks ; das
schwerste bekannte Quark.
Translationsinvarianz Die Una bhängigkeit physika l i scher Gesetze von
der Lokalisierung im Raum.
Transversale Polarisierung Wellenschwingung senkrecht zur Aus brei­
tungsrichtung.
Ultraviolettkatastrophe Eine bei hohen Frequenzen emittierte unend­
liche Energie, die von der klassischen Theorie des Schwarzen Körpers
vorhergesagt wird.
Unschärferelation Das Grundprinzip der Quantenmechanik, das die Ge­
nauigkeit einschränkt, mit der ein Paar von Größen ( beispielsweise Ort
und Geschwindigkeit) gleichzeitig gemessen werden kann.
Up-Quark Eines der elementaren Quarks, aus denen das Proton und das
Neutron zusammengesetzt ist.
Vakuum Der Zustand des Universums mit der niedrigsten möglichen
Energie und keinerlei Teilchen.
Vakuumenergie Die vom Vakuum getragene Energie, der Zustand, in
dem keine Tei lchen vorh anden sind ; auch als __. Kosmologische Kon­
stante bekannt.
Verzerrte Raumzeitgeometrie Raumzeit, die flach wäre ( allgemeiner aus-

524
G L O S SA R

gedrückt : Jeder Schnitt hätte dieselbe Form ) , w e n n es nicht e i n e Ände­


rung der Skalierung mit der Position in einer bestimmten Richtung
gäbe.
Virtuelles Teilchen Ein gedachtes Teilchen, das nur die Quantenmecha­
nik zulässt ; virtuelle Teilchen tragen dieselbe Ladung wie die entspre­
chenden realen physikalischen Teilchen, haben a ber die falsche Ener­
gie.
Wahrscheinlichkeitsfunktion Das Quadrat des absoluten Werts der Wel­
lenfunktion, das die Wahrscheinlichkeit bestimmt, ein Tei lchen an
einem gegebenen Ort zu finden.
Warpfaktor Die Gesamtskalierung einer Metrik, die hinsichtlich einer
Koordinate variiert.
Wellenfunktion Eine quantenmechanische Funktion, die die relative
Wahrscheinlichkeit des entsprechenden Obj ekts an irgendeinem Punkt
im Raum bestimmt.
Wüsten-Hypothese Die Annahme, dass es a bgesehen von den im Stan­
dardmodell be rücksichtigten Teilchen keine gibt, die bei Energien un­
terhalb der Vereinheitlichungsenergie erzeugt werden könne n .
Zusammenbruch der Wellenfunktion Die Reduktion des Quantenzu­
stands nach einer präzisen Messung fixiert den Wert der gemessenen
Größe .

525
Mathematische Anmerkungen

Eigentlich ist dies keine mathematische Anmerkung, zeigt aber, dass das Saturday
Night Baby dreidimensional ist ( siehe Abbildung M l ) .

A b bildung M l : Das Sa­


turday Night Baby.

2 Eine Raummetrik kann die Form ds 2 = 2 2


a xdx + a Ydy 2 + a zdz haben, wobei x, y, z
x•
die drei Raumkoordinaten sind und a a Y und a z Zahlen oder Funktionen von x, y
und z sein können. Die Metrik bestimmt die Längen, Entfernungen und Winkel
zwischen Linien. Beispielsweise ist die Länge eines Vektors, der vom Anfangspunkt
zum Punkt mit den Koordinaten (x, y, z ) zeigt, Vlax x2 ay i a
+ + z / \ Wenn a
. x y
= a
= a z = 1 ist, haben wir einen flachen Raum, und E ntfernungen un d Längen werden
in gewohnter Weise gemessen. Beispielsweise wäre die Länge eines Vektors vom
Ausgangspunkt zum Punkt (x, y, z) gleich V(x2
+/ + z2 ) .
Kompliziertere Metriken
können als Terme Produkte wie beispielsweise dxdy haben. In diesem Fall muss die

526
M AT H E M AT I S C H E A N M E R K U N G E N

Metrik mit einem Tensor beschrieben werden, dessen zwei Indizes die Koeffizienten
a11 jedes Terms in der Metrik in der Form dx 1 dx 1 angeben. Wenn wir später die Re­
lativitätstheorie diskutieren, wird die Metrik auch einen Term dt 2 enthalten, und
sie könnte auch Terme der Form dtdx 1 haben.
3 Eine Hypersphäre ist als x 1 2 + x 2 + . . . + x / = r2 definiert. Da bei bezieht sich x i auf
die ite Koordinate (die Lokalisierung in der iten Dimension), und r ist der Radius
der Hypersphäre. Der Querschnitt der Hypersphäre beim Durchqueren eines festen
Orts in der nten Dimension, x = d, wird durch die Gleichung x 1 2 + x / +
n +
0 0 .

=
x n_ 1 2 r 2 - d 2 beschrieben. Dies ist die Gleichung einer Hypersphäre mit einer Di­
mension weniger und dem Radius � . Wenn also beispielsweise n 3 ist und =

eine Sphäre Flächenland durchquert, würden Flächenländler Kreise sehen. (Sie


würden Scheiben sehen, wenn sie die Kreise samt ihrem Inneren sehen könnten, die
mathematisch durch eine Ungleichung beschrieben würden . )
4 Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten sind nicht d i e einzigen möglichen stringtheoretisch
versteckten Mannigfaltigkeiten. Wir wissen heute, dass andere - wie etwa die
G2-Holonomie-Mannigfaltigkeiten - auch akzepta ble Modelle ergeben können.
5 In der Stringtheorie bezeichnen wir mit dem Begriff » Brane « manchmal auch den
Raum füllende Branen, die dieselbe Zahl von Dimensionen haben wie der höherdi­
mensionale Raum. Hier jedoch beschäftigen wir uns nur mit Branen, die weniger
Dimensionen haben als der umfassende höherdimensionale Raum, also werde ich
den Begriff nur so verwenden, wie im Text erläutert.
6 Eine Brane, die sich in den Dimensionen x 1 , • . .
, x 1 erstreckt, wird mit den
n - j-Gleichungen x J + 1 c !+ 1, x , . c , .
= = = 0 0 . = =
, x n c n beschrieben, wobei x 1 Ko­
2 2
ordinaten sind, n die Anzahl der Raumdimensionen ist und c1 feste Konstanten
sind, die die Lokalisierung der Brane beschreiben. Kompliziertere Branen, die sich
im gegebenen Koordinatensystem krümmen, werden mit komplizierteren Glei­
chungen beschrieben, die die Oberfläche beschreiben.
7 In Form einer Gleichung besagt Newtons Gesetz, dass die Schwerkraft Gm 1 m !r2
2
ist, wobei G die Newton'sche Gravitationskonstante ist, m 1 und m die beiden sich
2
gegenseitig anziehenden Massen und r die Entfernung zwischen ihnen.
8 Die Newton'sche Schwerkraft unterliegt der euklidischen Geometrie. In der eukli­
dischen Geometrie ist x 2 + y 2 + z 2 die Länge eines Vektors zum Punkt mit den Ko­
ordinaten (x, y, z), vom Koordinatensystem unabhängig. Das heißt, man kann die
Koordinaten rotieren, aber die Entfernung zu irgendeinem Punkt verändert sich
nicht, auch wenn einzelne Koordinaten das tun. Die spezielle Relativitätstheorie
führt in dieses Bild die Zeit ein. Sie besagt, dass x2 + y 2 + z 2 - c2t2 unabhängig vom
gewählten lntertialsystem ist. Man beachte, dass diese invariante Größe sowohl
Raum als auch Zeit einschließt, die Zeit aber anders behandelt wird, da vor dem
Term c 2t 2 ein Minuszeichen steht. Man beachte auch : Damit diese Größe vom In­
ertialsystem unabhängig ist, müssen Veränderungen im Bezugssystem die Werte der
Raum- und Zeitkoordinaten mischen. Wenn ein Bezugsystem sich relativ zu den an­
deren mit der Geschwindigkeit v in der Richtung x bewegt, würde die Umwandlung
der Koordinaten von ( t, x, y, z) zu (t', x ', y ', z ') lauten : x' yx - cßyt, t' yt - ßyx I c, y '
= =

=y, z ' z, wobei i3 vl c, c die Lichtgeschwindigkeit und y 1 I � ist.


= = =

527
VERBORGENE U N I VERSEN

9 D i e Einstein'schen Gleichungen sagen u n s , w i e w i r d i e Metrik g �v a u s einer be­


kannten Verteilung von Materie und Energie ableiten können : R �v - � g�v R =
8rtG T ,v / c 4 • R �v ist der Ricci-Krümmungstensor und bezieht sich auf d ie Metrik
1
g �v· T � v ist der Energie-Impuls-Tensor, der die Verteilung von Materie und Ener­
gie beschreibt, G ist Newtons Gravitationskonstante und c die Lichtgeschwindig­
keit. Beispielsweise ist für Materie von Massendichte Q in Ruhe T00 = Q, während
alle anderen Komponenten des Tensors 0 sind.
10 Die von einem Schwarzen Körper mit der Temperatur T pro Frequenzeinheit emit­
tierte Energie hängt von der Frequenz f ab, und zwar durch (3 l ( ehflkT - 1 ), wobei
k 1,3807 x 1 0 - 16 erg K- 1 die Holtzmann-Konstante ist, die Temperatur in Energie
=

konvertiert. Man beachte, dass bei niedrigen Freq uenzen die Energie mit der Fre­
quenz zunimmt. Doch bei Frequenzen, bei denen die Energie eines Quants, hf, im
Vergleich zu kT groß ist, fällt das Spektrum drastisch ab; die emittierte Energie ist
bei höheren Frequenzen exponentiell kleiner.
11 Eine Wellenfunktion ist eigentlich eine komplexwertige Funktion. Daraus resul­
tieren viele merkwürdige Eigenschaften der Quantenmechanik. Wenn man zwei
komplexe Funktionen addiert und dann die Summe quadriert, bekommt man im
Allgemeinen ein anderes Ergebnis, als wenn man erst das Quadrat bildet und dann
addiert. Das führt zu lnterferenzphänomenen. Beispielsweise rührt beim Doppel­
spalt-Experiment die auf einem Schirm verzeichnete Wahrscheinlichkeit von der
Interferenz der Wellen her, die die zwei möglichen Pfade des Elektrons beschrei­
ben.
12 Genauer gesagt, handelt es sich um das Produkt der Planck-Konstante und des ab­
soluten Werts des Kommutators der beiden Größen geteilt durch zwei.
13 Die spezielle Relativitätstheorie besagt, dass ein stationäres Objekt mit der Ruhe­
masse m0 die Energie E =m0 c 2 besitzt. Allgemeiner ausgedrückt, trägt ein O bjekt,
das sich mit der Geschwindigkeit v bewegt (wobei ß = v l c und y = 1 I � ), die
Energie E = ym 0c 2 . Die Ruhemasse wird auch als invariante Masse bezeichnet
( unabhängig vom Bezugssystem ) . Denn nach den Transformationsgesetzen der
speziellen Relativitätstheorie ist die Größe E 2 - p 2 c 2 = m 0c 4 in jedem Bezugssys­
tem dieselbe. Man beachte, dass man in jedem Fall eine Energie von mindestens
gleich m 0c 2 braucht, um ein O bjekt mit der Masse m0 zu erzeugen. Man beachte
auch : Wenn ein Objekt im Vergleich zu seiner Energie ( eigentlich Energie/ c 2 ) eine
geringe Masse hat, werden Energie und Impuls annähernd durch E = pc zueinan­
der in Bezug gesetzt. Aus diesem Grund sind bei hoher Energie Impuls und Energie
ungefähr gegeneinander austauschbar.
14 Die Maxwell'schen Gleichungen lauten :
V·E = 4 rr Q

I (J B
VxE = -- ­
c dt

V·B = 0

4 rr I JE
VxB =
-;:-- 1 + -;: ar

528
M AT H E M AT I S C H E A N M E R K U N G E N

Dabei i s t E d a s elektrische Feld, B d a s magnetische Feld, Q d i e Ladung u n d J der


Strom. Dies sind Differentialgleichungen erster Ordnung ; indem man zwei von
ihnen kombiniert, kann man eine Differentialgleichung zweiter Ordnung a bleiten,
in der nur noch das elektrische oder das magnetische Feld vorkommt. Diese Glei­
chung hat die Form einer Wellengleichung - das heißt, ihre Lösungen sind Sinus­
wellen.
15 Nach den der speziellen Relativitätstheorie zugrunde liegenden Prinzipien könnte
es eigentlich auch noch eine vierte Polarisierung geben, die in der Zeitrichtung
schwingt. Aber auch die gibt es nicht, und dieselbe innere Symmetrie, die die dritte
( Longitudinal-) Polarisierung eliminiert, beseitigt auch die » Zeitpolarisierung « .
D a sie für dieses oder das folgende Kapitel keine Rolle spielt, kümmern w i r uns
nicht weiter darum.
16 Die wahren, mit allen Wechselwirkungen zusammenhängenden Symmetrien sind
eigentlich raffinierter und rotieren Felder - komplexe Größen - ineinander. Die
Symmetrien tauschen nicht einfach die Felder aus, sie drehen ein Feld in eine li­
neare Ü berlagerung der anderen. Die elektromagnetische Wechselwirkung rotiert
ein einziges komplexes Feld, wohingegen die schwache Wechselwirkung zwei
komplexe Felder ineinander dreht und die starke Wechselwirkung drei.
1 7 Damit das Higgs-Modell funktioniert, muss mindestens eines der Higgs-Felder
einen Wert ungleich null haben. Das träfe zu, wenn es zu der minimalen Energie·
konfiguration kommt, bei der der Wert zumindest eines der Higgs-Felder nicht
gleich null ist. Eine Möglichkeit, wie das geschehen kann, illustriert Abbildung
M2, die das so genannte Mexikanerhut·Potenzial zeigt, eine grafische Darstellung
der Energie, die das System für jede mögliche Kombination von Werten der beiden
Higgs-Felder ha ben würde, wobei die beiden unteren Achsen die absoluten Werte
der zwei Higgs-Felder sind und die Höhe der dreidimensionalen O berfläche die

A b bildung M2 : Das » Mexikanerhut« -Potenzial für das Higgs-Feld.

529
VERBORGENE U N I VERSEN

Energie für d i e j eweilige Konfiguration repräsentiert. Dieses spezifische Potenzial


hat die Form A. ( IH 1 1 2 + IH 2 1 2 - v 2 ) 2, wobei /.. die Krümmung des Potenzials be­
stimmt und v den Wert bestimmt, den IH 1 1 2 + IH 1 2 annimmt, wenn das Potenzial
2
an seinem Minimum ist. Das entscheidende Merkmal bei diesem Potenzial ist,
dass es ein lokales Maximum erreicht, wenn beide Felder den Wert null haben.
Energetische Ü berlegungen sagen uns daher, dass die Higgs-Felder nicht beide null
sein können. Stattdessen werden sie Werte annehmen, die am Grund des kreisför­
migen Beckens um den Ursprung herum liegen.
18 Eine genauere Beschrei bung der Symmetrie der schwachen Wechselwirkung lau­
tet, dass sie Felder rotiert, statt sie gegeneinander auszutauschen.
19 In Wirklichkeit ist der Symmetriebruch hier vereinfacht dargestellt. Selbst wenn x
und y nicht gleich null wären - wenn beispielsweise sowohl x als auch y gleich 5
wären -, würde die Rotationssymmetrie gebrochen, weil eine bestimmte Richtung
herausgegriffen wird, nämlich die Richtung von x = 0, y = 0 zu dem Punkt x 5 =

und y = 5. Eine ähnliche » Rotationssymmetrie« gilt für Higgs 1 und Higgs 2 , a ber
ich habe vereinfacht und die Symmetrie schlicht als eine Austauschsymmetrie be­
schrieben. In der zutreffenden Beschreibung wäre die Symmetrie der schwachen
Wechselwirkung auch gebrochen, wenn beide Higgs-Felder denselben Wert hätten
- ganz ähnlich wie der Punkt x = 5, y = 5 spontan die Rotationssymmetrie bricht.
20 Auch wenn dieses Modell mit zwei komplexen Higgs-Feldern beginnt, gibt es letz­
ten Endes nur ein einziges Higgs-Teilchen . Der Grund dafür ist, dass die drei an­
deren ( realen) Felder zu den drei zusätzlichen Feldern werden, die erforderlich
sind, um drei masselose Teilchen mit zwei physikalischen Polarisierungen in mas­
sive Teilchen mit drei Polarisierungen umzuwandeln. Drei der Higgs-Felder wer­
den zu den dritten Polarisierungen der drei schweren Eichbosonen - der beiden
Ws und des Z. Das verbleibende vierte Higgs-Feld müsste das tatsächliche physi­
kalische Higgs-Teilchen erzeugen. Wenn dieses Modell richtig ist, müsste der LHC
sie produzieren.
21 Die Stärke aller dieser Kräfte wird von einem numerischen Koeffizienten be­
stimmt. Berechnungen der Renarmierungsgruppe zeigen, dass sich die Werte die­
ser Größen logarithmisch mit der Energie ändern.
22 Während die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung Paare von Feldern
mischt und die der starken Wechselwirkung drei Felder, mischt die Große-Verein­
heitlichungs-Symmetriegruppe von Georgi und Glashow fünf Felder. Einige der
mit den Kräften der GVT zusammenhängenden Symmetrietransformationen fal­
len mit Transformationen der schwachen und der starken Symmetrie zusammen.
Die Kräfte sind vereint, weil eine einzige Symmetriegruppe von Transformationen
alle Symmetrietransformationen des Standardmodells einschließt.
23 Dieser Zusammenhang von Raum und Zeit manifestiert sich eigentlich am deut­
lichsten, wenn zwei Supersymmetrietransformationen nacheinander du rchgeführt
werden, erst in der einen Ordnung und dann in der anderen, und dann voneinan­
der subtrahiert werden. In diesem Fall bleiben Fermionen Fermionen und Bosonen
Bosonen, a ber das System wird bewegt ; das Nettoergebnis der Transformation ist
genau dasselbe wie bei einer konventionellen Raumzeittransformation. Der Korn-

530
M A T H E M AT I S C H E A N M E R K U N G E N

mutator d e r beiden Supersymmetrietransformationen, d i e gena u dieselbe Opera­


tion durchführen wie eine einzige raumzeitliche Symmetrietransformation, zeigt
deutlich, dass Supersymmetrietransformationen mit den Symmetrien verknüpft
werden müssen, die auf Raum und Zeit einwirken und Dinge bewegen.
24 Die Bahn eines Teilchens ist eine » Weltlini e « , die die Position des Teilchens als
Funktion der Zeit angibt. Die Bahn eines Strings ist eine O berfläche, die die Posi­
tion des gesamten Strings, der sich durch die Zeit bewegt, beschreibt. Diese » Welt­
fläche « repräsentiert die Bewegung eines offenen Strings, wohingegen die » Welt­
röhre « die Bewegung eines geschlossenen Strings darstellt. Das zeigt Abbildung
M 3 , die die Bewegungen durch die Zeit und die » weicheren « Wechselwirkungen
von Strings illustriert.

Zeit

Weltlinien Weltfläche W eltröhre


y
+----- Raum

A b bildung M3 . Link s : Weltlinie eines Teilchens, Weltfläche eines offenen


Strings, Weltröhre eines geschlossenen Strings. Rechts : Wechselwirkungen
von drei Teilchen und drei Strings.

25 Die Stringspannung ist nicht immer so hoch, wie man anhand der Planck-Energie­
skala vermuten würde. Sie hängt davon ab, wie stark Strings wechselwirken. Joe
Lykken und andere haben die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sie viel klei­
ner ist ; und in diesem Fall könnten die zusätzlichen Teilchen der Stringtheorie viel
leichter sein.
26 In Wirklichkeit würden gemäß der Dualität, die in diesem Kapitel behandelt wird,
sogar die Sonden zur Untersuchung einer gegebenen Version der Stringtheorie den
Charakter verändern, wenn die Kopplung stark wird. Wenn Ike also in Wirklich­
keit Teil der Stringwelt wäre, würde auch er sich verändern.
27 Sie können sich auch in null Dimensionen erstrecken ; in diesem Fall handelt es
sich um neue Arten von Teilchen namens DO-Branen ; erstrecken sie sich in einer
Dimension, handelt es sich um neue Arten von Strings namens D l -Branen.
28 Branen wechselwirken nicht notwendigerweise mittels gewöhnlicher Ladungen.
Sie wechselwirken mittels einer höherdimensionalen Verallgemeinerung von La­
dungen.
29 In Wirklichkeit dreht die Symmetrie Branen ineinander, aber das würde den tech­
nischen Rahmen dieses Buches sprengen.
30 Für gewöhnlich stehen die Gaugino-Massen in einem Verhältnis von rund 1 : 3 : 3 0
zueinander, wobei d a s Photino das leichteste ist, d a n n d i e Winos kommen ( auch

531
VERBORGENE U N I VERSEN

wenn d a s Z i n o e i n bisschen schwerer o d e r leichter a l s d i e Winos sein könnte), und


die Gluinos die schwersten sind. In sequestrierten Modellen beträgt das Verhältnis
1 :2 : 8, wobei die Winos die leichtesten sind, das Photino schwerer und das Gluino
wiederum das schwerste ist.
31 Die Wellenfunktionen der Kaluza-Klein-Moden sind die Moden, die in der verall­
gemeinerten Fourier-Entwicklung der höherdimensionalen Wellenfunktion vor­
kommen.
32 Dies geht auch davon aus, dass es keine Singularitäten in der Geometrie der
Raumzeit gibt - das heißt, keinen Ort, an dem der Raum zu verschwindender
Größe schrumpft.
33 D. Cremades, S. Franco, L. Ibanez, F. Machesano, R. Rabadan und A. Uranga
schlugen auch eine interessante Alternative vor. Sie hatten die Idee, dass Teilchen
nicht auf eine individuelle Brane beschränkt sind, sondern stattdessen auf die
Schnittstellen multipler Branen. Wie bei separaten parallelen Branen sind Strings,
die sich zwischen Branen erstrecken, im Allgemeinen schwer. Leichte oder masse­
lose Teilchen entstehen a ber aus Strings von Länge null, die in diesem Fall auf die
Region beschränkt wären, wo sich die Branen schneiden.
34 Wir können dies auch noch auf etwas andere Weise mit einem eher mathemati­
schen Argument zeigen. Wenn es aufgerollte Dimensionen gibt, verhalten sich die
von einem massiven Objekt ausgehenden Kraftlinien bei kleinen Distanzen gemäß
dem Gravitationsgesetz der höherdimensionalen Theorie und bei großen Distan­
zen gemäß der vierdimensionalen Gravitation. Die einzige Möglichkeit, die beiden
Gesetzmäßigkeiten miteinander zu versöhnen und nahtlos von der einen zur an­
deren überzugehen, besteht darin, dass bei ungefä hr der Entfernung, die der
Große der Zusatzdimensionen entspricht, die Kraftlinien sich ausbreiten, als gebe
es nur vier Dimensionen, allerdings mit - wegen des zusätzlichen Volumens des
aufgerollten Raums - reduzierter Stärke. Jenseits der Größe der Zusatzdimensio­
nen verhält sich die Gravitation vierdimensional, wobei a ber ihre Stärke durch die
Ausbreitung durch das extradimensionale Volumen unterdrückt ist.
Newtons Gravitationsgesetz zufolge ist bei drei räumlichen Dimensionen die
Schwerkraft proportional zu 1 / Mp/ x 1 1 r 2 . Wenn es n zusätzliche Dimensionen
gibt, würde das Gravitationsgesetz 1 I Mn+ l x 1 I rn+l lauten, wobei M die Stärke
der höherdimensionalen Gravitation bestimmt, ganz ähnlich wie MPI die Stärke
der vierdimensionalen Gravitation festlegt. Man beachte, dass das höherdimen­
sionale Schwerkraftgesetz in Abhängigkeit von r schneller variiert, weil die Kraft­
linien sich ü ber eine Hypersphäre ausbreiten würden, deren Oberfläche n +2 Di­
mensionen hätte (im Gegensatz zur zweidimensionalen Oberfläche einer Sphäre,
die dem Schwerk raftgesetz des dreidimensionalen Raums zugrunde liegt) . Wenn
j edoch das extradimensionale Volumen endlich ist und die n Zusatzdimensionen
die Größe R haben, lautet das Gesetz 1 1 Mn+ l x 1 I R n x l ! r 2 , wenn r größer als R
1st und die Kraftlinien sich nicht länger in den zusätzlichen Dimensionen ausbrei­
ten können. Das ist die Form des räumlich dreidimensionalen Schwerkraftgeset­
=
zes, wenn wir sagen Mp/ Mn+ lRn. Da Rn das Volumen des höherdimensionalen
Raums ist, stellen wir fest, dass die Stärke der Gravitation mit dem Volumen ab-

532
M AT H E M AT I S C H E A N M E R K U N G E N

nimmt oder dass - was äquivalent ist, weil die Gravitationsstärke schwächer ist,
wenn die Planck-Energieskaia größer ist - die Planck-Energieskala groß ist, wenn
das Volumen groß ist.
3.5 Eine flache Metrik mit drei Raumdimensionen ist ds 2 dx 2 + dy 2 + dz 2 - c 2dt2.
=

Weil es keine räumlichen oder zeitabhängigen Koeffizienten gibt, sind Messungen


davon unabhängig, wo man sich befindet oder in welche Richtung man blickt ; das
heißt, die Raumzeit ist vollständig flach. Alle drei Raumkoordinaten und auch die
Zeitkoordinate ( bis auf das Minuszeichen, das die Zeit immer auszeichnet) wer­
den gleich behandelt ; das heißt, die Koeffizienten der Terme in der Metrik sind
von der zeitlichen und räumlichen Lokalisierung völlig unabhängig.
36 In der verzerrten Geometrie ist die Metrik ds 2 e-klr1(dx 2 + dy 2 + dz 2 - c 2dt2) +
=

dr2, wobei r die Koordinate der fünften Dimension ist. Das sagt uns, dass an je­
dem gegebenen Ort in der fünften Dimension, der einem festen Wert r entspricht,
die Raumzeit vollständig flach ist. Jedoch sagt uns der übergeordnete, von r ab­
hängige Faktor, dass sich die gemessenen Größen in Abhängigkeit von der Posi­
tion eines Objekts in der fünften Dimension verändern. Der exponentielle Abfall
des Koeffizienten, der der Warpfaktor ist, ist der Grund dafür, dass die Wahr­
scheinlichkeitsfunktion des Gravitons exponentiell abfällt, und auch der Grund,
warum wir Masse, Energie und Größe umskalieren müssen, um zu einer einzigen,
vierdimensionalen effektiven Theorie zu kommen.
37 Da der Raum nicht flach ist, ist das extradimensionale Volumen, das hinzu­
kommt, wenn wir M PI in vier Dimensionen berechnen, nicht einfach M r/ R , wie es
bei flachem Raum der Fall wäre. Stattdessen hängt der Wert von Mp1 von der
Krümmung ab. Wenn die Metrik die Form ds 2 e-klrl (dx 2 + dy 2 + dz 2 - c 2dt2) +
=

dr 2 hat, wobei r die Koordinate der fünften Dimension ist, dann gilt in etwa Mr?
= M 3 I k. Anders ausgedrückt, die Größe des Raums ist größtenteils irrelevant. Das
ergibt Sinn, weil die Krümmung des Raums - nicht die Größe der Zusatzdimen­
sion - bestimmt, wie sich die Feldlinien in der Zusatzdimension ausbreiten und
wie stark demzufolge die vierdimensionale Gravitation ist. De facto gibt es eine
kleine Abhängigkeit von R : Die wirkliche Formel ist Mr/ M 3 I k ( 1 - e-k R ) , aber
=

wenn kR groß ist, ist der exponentielle Term größtenteils irrelevant und kann ver­
nachlässigt werden.
38 In dem von Andreas Karch und mir entwickeltem Modell der lokal lokalisierten
Gravitation ist der Warpfaktor die Summe einer abnehmenden Exponentialfunk­
tion (wie bei den bereits betrachteten verzerrten Geometrien) und einer zuneh­
menden Exponentialfunktion. Sie ist cosh(kc - k lrl) proportional, wobei k auf die
Bulkenergie und c auf die Branenenergie bezogen sind. Wie der bereits betrachtete
Warpfaktor der lokalisierten Gravitation fällt auch dieser Warpfaktor exponen­
tiell ab, wenn man die Brane verlässt. Aber im Gegensatz zum vorangegangenen
Fall kehrt sich der Warpfaktor um und nimmt dann exponentiell zu. Das vierdi­
mensionale Graviton ist in der Region zwischen der Brane und diesem »Umkehr­
punkt« lokalisiert. Jenseits dieser Distanz gilt die vierdimensionale Gravitation
nicht mehr.
39 Bei T-Dualität wird der Kompaktifizierungsradius r gegen seinen Kehrwert 1 I r

533
V E R B O RG E N E U N I V ER S E N

ausgetauscht (wobei Entfernungen in Einheiten der Stringlänge gemessen wer­


den ).
40 Die Physiker Csaba Csaki, Joshua Erlich und Christophe Grojean haben jedoch
die interessante Beobachtung gemacht, dass sich die Lichtgeschwindigkeit und die
Gravitationsgeschwindigkeit unterscheiden können (die Gravitationsgeschwin­
digkeit kann tatsächlich größer sein), wenn es eine asymmetrisch verzerrte Raum­
zeit gibt, in der die Skalierungen der Zeit- und Raumkoordinaten entlang einer
fünften Dimension sich voneinander unterscheiden.

534
Quellennach weise

Die Autorin und der Verlag danken den nachfolgend Genannten für die freundliche
Genehmigung zum Abdruck von Liedtexten und Abbildungen :

» As Time Goes By « , geschrieben von Herman Hupfeld, verwendet mit frdl. Gen. von
Carlin Music Publishing Canada lnc. für Redwood Music Ltd. »The Rock in This Pa­
cket « , Text und Musik von Suzanne Vega ; Copyright © 1992 WB Music Corp. und
Waifersongs Ltd.; alle Rechte wahrgenommen von WB Music Corp.; alle Rechte vor­
behalten ; Abdruck mit frdl. Gen. von Warner Brothers Pu blications U. S. lnc., Miami,
Florida 3 3 014. » Ünce in a Lifetime « von David Byrne, Chris Frantz, Jerry Jarrison,
Tina Weymouth und Brian Eno ; Copyright © 1981 Index Music Inc., Bleu-Disque
Music Co. und E. G. Music Ltd.; alle Rechte zugunsten von Index Music lnc. and
Bleu-Disque Music Co. Inc. wahrgenommen von WB Music Corp . ; alle Rechte vorbe­
halten ; Abdruck mit frdl. Gen. von Warner Brothers Publications U. S. Inc., Miami,
Florida 3 3 014. » lt's the End of the World as We Know It (and I Fee! Fine ) « von Wil­
liam T. Berry, Peter L. Buck, Michael E. Mills und John M. Stipe ; Copyright © 1 9 8 9
Night Garden Music ; alle Rechte zugunsten von Night Garden Music wahrgenom­
men von Warner-Tamerlane Publishing Corp.; alle Rechte vorbehalten ; Abdruck mit
frdl. Gen. von Warner Brothers Publications U. S. Inc., Miami, Florida 3 3 014. » Chain
of Fools« von Donald Covay ; Copyright © 1967 (erneuert) Pronot Music lnc. und
Fourteenth Hour Music lnc.; alle Rechte wahrgenommen von Warner-Tamerlane Pu­
blishing Corp.; alle Rechte vorbehalten ; Abdruck mit frdl. Gen. von Warner Brothers
Publications U. S. lnc., Miami, Florida 3 3 014. ,, J've Got the World On a String « von
Harold Arien und Ted Koehler ; Abdruck mit frdl. Gen. von Carlin Music Publishing
Canada lnc. für Redwood Music Ltd. » Das Modell« von Kraftwerk ; Copyright
© 1 978 Kling Klang Musik GmbH, Edition Positive Songs, alle Rechte zugunsten von
Kling Klang Musik GmbH wahrgenommen von Sony / ATV Music Publishing, 8 Mu­
sic Square West, Nashville, TN 3 7 203 ; alle Rechte vorbehalten ; Abdruck mit frdl.
Gen. » Suite : Judy Blue Eyes « von Stephen Stills ; Copyright © 1 970 Gold Hill Musics
Inc.; alle Rechte wahrgenommen von Sony / ATV Music Publishing, 8 Music Square
West, Nashville, TN 3 7 203 ; alle Rechte vorbehalten ; Abdruck mit frdl. Gen. »I Miss
You « von Björk und Sirnon Bernstein ; Copyright © 1 995 Sony / ATV Music Publishing
UK Ltd., Polygram Publishing, Farnaus Music Corporation und Björk Gudmundsdot­
tir Publishing ; alle Rechte wahrgenommen von Sony / ATV Music Publishing, 8 Music

535
VERBORGENE U N I VERSEN

Square West, Nashville, TN 37 203 ; alle Rechte für Farnaus Music Corporation und
Björk Gudmundsdottir Publishing in den Vereinigten Staaten von Amerika und Ka­
nada wahrgenommen von Farnaus Music Corporation International ; Copyright ein­
getragen, alle Rechte vorbehalten. » Come Together« von Lennon/ McCartney ; Copy­
right 1969 (erneuert) Sony / ATV Tunes LLC ; alle Rechte wahrgenommen von
Sony / ATV Music Publishing, 8 Music Square West, Nashville, TN 37 203 ; alle Rechte
vorbehalten ; Abdruck mit frdl. Gen. »Go Your Own Way « von Lindsey Buckingham ;
Copyright © 1976 Now Sounds Music. » I Will Survive« von Frederick J. Perren und
Dino Fekaris ; Copyright © 1 978 Universal-Polygram International Publishers Inc. für
sich selbst und Perren-Vibes Music Inc . / ASCAP ; Abdruck mit frdl. Gen.; internatio­
nale Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten. » Don't You ( Forget about Me) «
von Steve W. Schiff und Keith Forsey ; Copyright © 1985 Songs o f Universal Inc. für
USI B Global Music Publishers / Universal Music Corp. für USI A Music Publis­
hers / BMI/ ASCAP ; Abdruck mit frdl. Gen.; internationale Copyrights eingetragen ;
alle Rechte vorbehalten. " White Rabbit« von Grace Slick ; Copyright © 1966, 1 994 Ir­
ving Music Inc. / BM I ; Abdruck mit frdl. Gen.; internationale Copyrights eingetragen ;
alle Re·�hte vorbehalten. » Insane in the Brain« von Larry E. Muggerud, Louis
M. Freeze und Senen Reyes ; Copyright © 1987 Universal Music Corp. für Soul Assas­
sins Music / ASCAP ; Abdruck mit frdl. Gen.; internationale Copyrights eingetragen ;
alle Rechte vorbehalten. »> Still Haven't Found What I'm Looking For« von Paul
Hewson, Dave Evans, Adam Clayton und Larry Mullen ; Copyright © 1987 Universal­
Polygram International Publishing Inc. für Universal Music Publishing International
B.V. / ASCAP ; Abdruck mit frdl. Gen.; internationale Copyrights eingetragen ; alle
Rechte vorbehalten. » Like a Rolling Stone « von Bob Dyla n ; Copyright © 1 965 War­
ner Bros. Inc.; Copyright erneuert 1993 Special Rider Music ; Abdruck mit frdl. Gen.;
internationale Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten. » Born to RutJ « von
Bruce Springsteen ; Copyright © 1975 Bruce Springsteen ; Abdruck mit frdl. Gen.; alle
Rechte vorbehalten. »No Way Out« von Peter Wolf und Ina Wolf; Copyright © 1984
Jobete Music Co. Inc. / Petwolf Music/ Stone Diamond Music Corp . / Kikiko Music,
USA ; Abdruck mit frdl. Gen. von Jobete Music Co. Inc. / EMI Music Publishing Ltd.,
London WC2H OQY. »Welcome Horne (Sanitarium ) « von james Hetfield, Lars Ulrich
und Kirk Hammett ; Copyright © 1986 Creeping Death (ASCAP) ; internationale
Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten. •• Imagine « von John Lennon ; Copy­
right © 1971, 1999 Lenono Music. » Say Goodbye Hollywood« von Michael Elizondo,
Marshall Mathers und Louis Resto ; Copyright © 2002 Elvis Mambo Music, Blatter
Music, Music of Windswept, Restaurant's World Music, Eight Mile Style Music ; alle
Rechte für Elvis Mambo Music und Blatter Music verwaltet von Music of Wind­
swept ; alle Rechte für Eight Mile Style Music verwaltet von Ensign Music Corpora­
rion ; internationale Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten. » Stuck on You «
von Aaron Schroeder und ]. Leslie McFarlan d ; Copyright © 1960 Gladys Music Inc.;
Copyright erneuert und zugewiesen Gladys Music und Rachel's Own Music ; alle
Rechte für Gladys Music verwaltet von Cherry Lane Music Publishing Company Inc.
und Chrysalis Music ; alle Rechte für Rachel's Own Music verwaltet von A. Schroeder
International LLC ; internationale Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten.

536
Q U E L L E N NAC H W E I � E

Portrait der Dora Maar von Pablo Picasso ; Copyright © 2004 ehe Estate of Pa blo Pi­
casso / Artists Rights Society (ARS), New York. Kreuzigung (Corpus Hypercubus) von
Salvador Dali; Copyright © 2004 ehe Estate of Salvador Dali, Gala-Salvador Dali
Foundation/ Artists Rights Society (ARS), New York. Abbildung 54 (Top-Quark) mit
frdl. Gen. von Fermilab. Eöt-Wash-Versuchsaufbau (Abbildung 76 ) mit frdl. Gen. Uni­
versity of Washington Eöt-Wash-Group. Luftaufnahme des Large Hadron Collider
»
(Abbildung 55) mit frdl. Gen. von CERN. You Were Meant for Me« aus Singin ' in
the Rain und The Broadway Melody, von Arthur Freed und Nancio Herb Brown
© 2004 ; mit frdl. Gen.; alle Rechte vorbehalten.

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aufzunehmen. Eventuelle Fehler oder Unterla,sungen werden die Autorin und der Ver­
lag bei zukünftigen Auflagen gern korrigieren.

537
Register

Abbott, Edwin A. 35, 38, 71 Atomuhren 140


ADD-Modell 41 1 -413, 424, 427 - 42 8, Auslese, natürliche 1 94
430
Adelberger, Eric 422 -423 Bacon, Francis 386
Adler, Steven 330 Bahndrehimpuls 1 74
Agashe, Kaustubh 459 Banks, Tom 439, 506
Akulov, V. P. 296, 298 Barcelona, Universität von 453
Alphateilchen 154, 206, 513 Bell, John 330
Alvarez-Gaume, Luis 331 Bern, Schweizer Patentamt in 1 1 5,
American Physical Society 271 151
Anomalien 3 3 0 - 3 32, 389, 3 92, 3 94, Berners-Lee, Tim 2 1 8
513 Beschleunigung 1 1 1 - 1 12, 121 - 123,
Anti-de-Sitter-Raum 438, 456, 502 - 503, 1 2 9 - 130, 135, 340, 513
513 Betazerfall 1 98 - 1 99, 201, 514, 521
Antiteilchen 1 90 - 1 92, 197, 21 1 - 213, Blonde!, Alain 221
261, 267, 283, 513, 520 Bohr, Niels 146, 153, 1 5 6 - 1 5 8, 402
Antimyon 3 1 1 Boltzmann-Konstante 528
Antineutrino 1 98, 208, 310 - 3 1 1 Bolyai, Farkas 131
Antiproton 213 - 214, 3 93, 524 Bolyai, Janos 131
Antiquark 205, 215, 269, 427, 458 Born, Max 144, 1 5 8 - 159
Antoniadis, Ignatius 407 Base, Satyendra Nath 1 75 - 1 76
Äquivalenzprinzip 121 - 123, 126 - 1 27, Bose-Einstein-Kondensat 1 76
129, 513 Bosonen 1 70, 1 74 - 1 76, 235, 294 - 298,
Aristoteles 8 8- 8 9 3 00 - 30� 514, 516, 523
Arkani-Hamed, Nima 396, 410, 415 siehe auch Eichbosonen
siehe auch ADD-Modell Boston University 384
Aspen Center for Physics 460 Bousso, Raphael 125
Astrophysik 1 3 9, 430, 452, 481, 500, Branen 22, 24, 70 - 83, 136 - 138, 337,
5 1 1 - 512 345 - 35 7, 360 - 363, 365 - 3 78,
Äther 1 1 5, 514 381 - 382, 384, 3 8 8 - 3 97, 399, 401,
Atome 20 - 21 , 2 6 - 27, 94, 98, 103, 145, 406 -407, 409, 41 1 -414, 416 - 41 8, 423,
1 5 1 , 153 - 1 5 5, 1 65, 168, 1 92, 208, 214, 431, 434 - 4 3 9, 441 - 442, 444, 446,
3 1 9, 323, 519, 522 452 - 454, 462 - 464, 467-495,

538
REGI STER

502 - 506, 5 10 - 5 1 1 , 5 1 4 - 515, 5 1 7, 520, Computertomographie ( CAT) 46


527, 531 Contino, Roberto 459
siehe auch Branenwelten ; DO-Branen ; Cornell University 3 73
D-Branen ; Gravitations branen ; Cornell, Eric 1 76
Grenzbranen ; p-Branen ; Schwach­ Csaki, Csaba 1 1 , 459, 534
branen
Branenwelten 24, 70- 83, 106, 347, DO-Branen 362, 506, 531
365 - 378, 3 9 1 , 41 1 , 490, 514 Dahl, Roald 35
siehe auch ADD-Modell ; Gravitation, Dai, Jin 348
lokal lokalisierte ; HW; RS1 ; RS2 ; Su­ Dali, Salvador 44 - 45
persymmetriebruch Darwin, Charles 1 94
Broglie, Prinz Louis de 1 5 8 - 1 5 9, D-Branen 348 - 353, 363, 3 6 7 - 368, 502,
1 70 - 171 514
Bulk 70 - 83, 138, 3 4 7 - 349, 365, 367, Delta-Teilchen 203
3 70 - 3 71 , 3 75 - 3 77, 3 8 1 , 3 90 - 3 92, Oe-Sitter-Raum 438
3 95 - 3 96, 400, 4 1 1 -414, 4 1 7, 429, Detektoren 25, 91, 120, 1 9 9, 213 - 214,
436 - 438, 443 -456, 45 8 - 45 9, 462, 273
464- 465, 46 8 - 469, 471, 478 - 479, Dimensionen 8 - 9, 1 7 - 83, 85 - 87,
4 8 � 491, 494, 510, 514 9 1 - 93, 96, 103, 120, 133, 1 3 7, 1 3 9, 1 77,
212, 247, 259, 268, 282, 291, 293,
Calabi, Eugenio 61 298 - 299, 310, 313, 326, 329 - 330,
Calabi-Yau-Kompaktifizierung 339 3 32 - 3 34, 3 3 7 - 340, 342 - 344,
Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten 6 1 , 3 34, 346 - 350, 358, 360 - 363, 367, 371,
505, 514, 527 373 - 378, 382 - 389, 3 9 1 , 393 - 432
California, University of ( Berkeley ) 220 aufgerollte 49, 52, 55 - 62, 68,
Caltech 451 361 - 362, 400, 41 1 , 418
Cambridge University 1 94, 3 38, 356 drei 1 7 - 1 8, 2 0 - 2 1 , 23, 25, 2 9 - 30,
Candelas, Philip 3 3 4 32 - 3 3, 3 5 - 3 7, 3 9 - 46, 54, 60, 64,
Carrol, Lewis 7, 50, 4 6 3 6 6 - 6 7, 72, 74, 78, 247, 348, 382, 417,
Cavendish Laboratory, Cambridge 155 4 8 9, 5 1 7, 526
CERN ( Eu ropäische Organisation für fünf 365, 434, 436, 440, 447, 453, 457,
Kernforschung) 25, 1 73, 2 1 7 - 2 1 9, 221, 45 9 - 460, 462, 464 - 465, 4 6 7 - 469,
254, 277, 3 94, 430, 456, 511, 514 471, 473 - 4 8 1 , 4 8 8 - 499, 503 ; siehe
siehe auch LEP ; LHC auch Gravitation, lokal lokalisierte ;
Chacko, Zacharia 3 95 RS1 ; RS2 ; Supersymmetriebruch
Chadwick, James 1 5 5 vier 34, 86, 93, 133, 463
Chamblin, Andrew 481 zusätzliche siehe Extradimensionen
Chicago, University of 485 zwei 21, 32 - 3 3 , 36 - 3 7, 3 9 - 42, 46,
Chiralität siehe Händigkeit 54 - 55, 66, 72, 75, 420
Coleman, Sidney 145, 267, 294 D imopoulos, Savas 396, 410, 415, 431
Collider Detector at Fermilab siehe auch ADD-Modell
( CDF) 2 1 4 - 2 1 6 Dirac, Paul 1 8 8, 1 9 1
Collider siehe Teilchenbesch leuniger Dirichlet, Johann Peter Gusta\- Le­
Campton-Streuung 152, 514 j eune 348

539
VERBORGENE U N I VERSEN

Doppelspalt-Experiment 1 6 1 - 163, 528 1 8 7 - 1 8 8, 1 92, 1 96 - 1 98, 204 - 206,


Dualität 347, 353, 356 - 35 7, 360 - 366, 31 1 - 312, 514, 5 1 9, 524, 528
3 74, 3 76, 501 - 504, 5 1 7, 531 virtuelle 262, 265 - 2 6 7
Duff, M ichael 346, 358 Elektronenvolt ( e V ) 171, 5 1 5
Dunkle Energie 26, 82, 3 0 9, 340, 515 Elektron-Positron-Auslöschung 1 8 8
siehe auch Vakuumenergie Elektron-Positron-Paar 262, 265, 413
Dunkle Materie 26, 82, 309, 5 1 5 Elementarteilchen 97, 1 0 1 , 105, 1 72, 224,
Durharn University 3 6 7 234, 237- 238, 245 - 246, 249, 278, 286,
Dvali, G i a 4 1 0 , 4 1 5 , 4 3 0 2 8 8 - 2 8 9, 343
siehe auch ADD-Modell siehe auch Teilchen
Ellis, John 3 95
E =mc 2 1 3 7, 141, 1 92, 202, 255, 286, Emparan, Roberto 481
528 Energie 23, 2 6 - 27, 48, 57, 73, 75, 82,
Eddington, Arthur 127 90 - 91 , 93 - 95, 100 - 1 0 1 , 103, 1 1 1 , 1 13,
Effekt, photoelektrischer 1 5 1 126 - 127, 135 - 136, 141, 146 - 1 52, 1 5 5,
Eichbosonen 1 7 2 , 1 8 8, 1 95, 200 - 203, 1 5 7, 1 6 7 - 1 74, 1 77 - 1 78, 1 9 2 - 1 94,
209, 219, 223, 231, 234- 236, 238, 1 9 8 - 1 99, 201 - 202, 21 1 - 216,
242 - 245, 247- 249, 2 5 1 - 252, 219 - 222, 229, 238 - 2 3 9, 244 - 46,
254 - 255, 267- 268, 278, 302, 321, 329, 24 8 - 249, 251 - 266, 2 6 9 - 272,
367, 371, 3 94 - 3 95, 41 1 , 414, 436, 454 274 - 275, 279 - 2 80, 286, 2 9 0 - 292,
schvvache 1 0 1 , 1 95, 202, 223, 238, 244, 295, 3 04 - 3 09, 314, 3 1 8, 320, 322 - 329,
248 - 24� 251 - 253, 286 3 3 4 - 336, 340 - 342, 344, 352, 356, 361,
Wechselvvirkungen vermit- 363, 368, 3 77, 403, 405 - 407, 414, 419,
telnde 101 - 102 423 - 432, 436, 438 - 43 9, 443 - 444,
Einstein, Albert 27, 34, 53, 84 - 85, 8 9, 447- 449, 452 - 45 7, 460 - 462, 471,
1 1 1 , 1 1 4 - 1 1 6, 1 2 1 , 125 - 126, 129, 478 - 480, 492, 494, 500, 507, 5 1 1 - 5 1 8,
1 3 3 - 134, 136 - 1 3 7, 140, 143 - 144, 5 2 0 - 522, 524 - 525, 528, 530, 5 3 3
1 5 1 - 1 53, 1 5 7, 1 76, 1 8 6 , 340, 351, 5 1 5 Energieskala, schvvache 1 7 2 , 1 78, 2 5 1 ,
=
siehe auch E mc ' ; Relativitätstheorie 257, 279, 286, 2 9 2 , 4 5 5 , 521
Einstein'sche Gleichungen 109, 1 1 1 , Eötvös, Lorand von 423
1 3 7 - 1 3 9, 433, 438, 454, 5 1 5, 528, 5 3 0 Eöt-Wash-Experiment 422 - 423
siehe auch RS 1 , RS2 Erde 23, 69, 1 1 1 - 1 12, 123 - 124, 129, 135,
Einstein-Kreuz 128 138, 1 75, 193 - 1 94, 207, 2 5 7, 273, 287,
Elektrizität 26, 1 84 - 1 85, 221, 5 1 5 350, 414, 420
Elektromagnetismus 53, 100 - 101, 1 15, Eta-Teilchen 203
1 83 - 1 85, 1 87, 1 8 9, 1 92, 1 95 - 196, 200, Euklidische Geometrie 131 - 132, 527
203, 207, 209, 230, 234, 239, 242, 252, Eve, A. S. 1 94
257, 263, 2 6 7, 270, 299, 321, 3 70, Evolutionsbiologie 143
4 1 2 - 413, 422, 5 1 5, 520 Exponentialfunktion 443, 451 - 452, 5 3 3
siehe auch Wechselvvirkung, elektro­ Extradimensionen 9 , 1 8 - 1 9, 2 1 , 25 - 26,
magnetische 29, 34, 53, 62, 6 8 - 70, 73, 79, 9 1 , 105,
Elektron-Antineutrino 1 98, 208, 3 1 0 313, 334, 348, 3 5 1 , 3 8 2 - 383, 393,
Elektronen 26 - 27, 9 8 - 100, 152, 400 - 408, 410 - 432, 437, 441 -451,
1 54 - 1 5 8, 160 - 164, 1 74, 1 8 3 - 184, 456 - 459, 461, 46 8 - 482, 486, 5 3 3

540
REGI STER

siehe auch ADD-Model l ; Branen ; Bra­ Galison, Peter 1 1 5


nenwelten ; Gravitation, lokal lokali­ Gammastrahlen 127
sierte ; HW; Kaluza-Klein-Teilchen ; Gamow, George 27, 100
RS 1 ; RS2 ; Sequestration Garcia-Bellido, Juan 481
Gardner, Martin 463
Fall, freier 124 - 125, 135 Gaugino 3 0 1 , 3 93, 3 95, 3 9 7, 516, 5 3 1
Familie 208 G a u ß , C a r l Friedrich 1 3 1 , 1 3 3
Faraday, Michael 1 84 Gedankenexperiment 89, 1 6 1 , 507, 5 1 6
Farben 1 8 6 , 205, 229, 233, 258, 269, 296, Geiger, H a n s 1 54
356, 405 Gell-Mann, Murray 204, 209, 263
Feinabstimmung 2 8 1 - 282, 284, 290, Generationen 27, 200, 208 - 210, 228,
303, 305, 5 1 5 293, 300, 3 1 0 - 3 1 1 , 3 1 7, 3 3 9, 405, 499,
Felder, elektromagnetische 1 84 - 1 8 6 516
Feldtheorie, effektive 2 2 3 , 5 1 5 Geodätische 1 3 4 - 135, 1 3 7, 5 1 6
Fermi National Accelerator Labaratory Geometrie 41, 8 1 , 1 3 0 - 135, 1 3 7, 1 3 9,
( Fermila b) 1 73, 213 - 214, 217, 220, 320, 3 5 1 , 3 94, 402, 405, 434 - 435,
27� 384, 3 93, 426, 429, 5 1 6 , 524, 537 439 - 440, 443 - 444, 446 - 447, 451,
siehe auch Teva tron 453 - 456, 468 - 46 9, 471 - 472, 477,
Fermi, Enrico 1 75, 1 9 9, 201, 213 479, 486 - 48 8, 502, 505, 512, 527,
Fermionen 1 70, 1 74 - 177, 196, 294 - 298, 5 32 - 53 3
300, 302 - 3 03, 310 - 3 1 1 , 327, 329 - 3 30, höherdimensionale 6 1 , 400 -401, 437,
3 34, 371, 454 - 455, 514, 516, 520, 523, 439, 473, 479, 486, 503
530 verzerrte 1 9, 23, 132, 3 94, 4 3 4 - 4 3 7,
Fermi-Wechselwirkung 2 0 1 43 9 - 440, 442 - 444, 451, 453 - 456,
Fernwirkung 1 3 9, 1 85, 1 90, 516 467, 469, 473, 477, 479, 487-486,
Ferrara, Sergio 296, 2 9 8 - 299, 301 502 - 503, 512, 524, 5 3 3 ; siehe auch
Feynman, Richard 1 86, 1 8 8 - 1 8 9 Gravitation, lokal lokalisierte ; RS1 ;
Feynman-Diagramme 1 8 8, 1 98, 2 8 3 , RS2
516 Georgi, Howard 12, 90, 269 - 274, 307,
Fischler, Willy 5 0 6 3 3 7, 350
FLiehenland 35 - 38, 50, 71 - 72, 4 0 0 , 5 2 7 Gezeiten 221
Flavor 2 0 0 , 208 - 210, 2 2 8 , 3 1 0 - 312, Giudice, Gian 3 94
3 95 - 3 97, 516 Glashow, Sheldon 90, 1 95, 201, 253,
-problem 310, 312, 516 2 6 9 - 274, 3 0 7, 3 3 7, 530
-symmetrie 22 8 - 229, 3 95 - 3 97, 5 1 6 Gliozzi, Ferdinando 299
Flynn, Jonathan 1 1 - 12, 2 6 3 Globales Positionierungs-System
Freedman, D a n 299 (GPS) 1 09 - 1 10, 140
Friedman, Jerry 206, 328 Gluinos 3 0 1 , 3 0 7, 532
F riedman-Kendall-Tay lor-Experi­ Gluonen 101, 1 8 8, 203, 205 - 206, 214,
ment 206 234 - 235, 2 6 7 - 268, 3 00 - 301,
426 - 427, 454, 5 1 7, 5 1 8
Gahrielse, Gerry 1 92 Gol'fand, Y. A. 2 9 6 , 2 9 8
Galaxien 3 1 9, 342 Goldberger, Walter 451 - 453
Galilei, Galileo 1 1 1 , 1 23, 386 Golden, Mitch 220

541
VERBORGENE UN IVERSEN

Grand Unified Theory ( GUT) siehe Grenzbranen 72, 75, 3 75 - 3 76, 435,
Große Vereinheitlichte Theorie 438 - 4 3 9, 468, 523, 5 3 3
Gravitation 22 - 23, 25, 34, 5 2 - 54, 62, Grojean, David 459, 5 3 4
66, 68, 71, 79, 82, 91, 100, 102, 105, Grass, David 267, 3 3 2 , 3 3 7 - 3 38, 3 75,
1 1 1 - 1 14, 121 - 124, 129, 135 - 1 3 7, 508
1 72 - 1 74, 1 78, 227, 257, 273, 279, Große Vereinheitlichte Theorie
2 85 - 286, 3 1 8 - 32� 3 3 1 - 3 32, ( GVT) 8 8 - 8 9, 92, 269 - 275, 279 - 2 85,
3 3 4 - 336, 371 - 3 72, 3 78, 406, 410, 414, 334, 3 76 - 3 77, 453 - 456, 5 1 7, 5 3 0
4 1 7 - 420, 4 3 4 - 435, 441 - 443, 446, Große-Vereinheitlichungs-Symmetrie­
454, 461 - 462, 472, 477- 478, gruppe 5 3 0
4 8 0 - 482, 484, 488 - 489, 494, 5 1 8, 532 Grossmann, Marcel 1 3 4
höherdimensionale 2 8 8, 416 - 41 7,
4 1 9 - 420, 426 - 427, 500, 520, 527, 53 3 ; Hadronen 203 - 206, 26� 326, 3 2 8
siehe auch Relativitätstheorie, allge­ Halley, Edmund 1 13
meme Händigkeit 196, 207, 514, 5 1 7
lokal lokalisierte (KR) 4 8 8 - 495 Harvard University 9 0 , 127, 140, 146,
lokalisierte siehe RS2 153, 165, 192, 267, 271, 3 3 7, 384, 410,
Gravitationsbranen 437, 441 - 442, 444, 485
446 - 450, 455, 459, 462- 463, Harvey, Jeffrey 332, 3 3 8, 3 75
465 - 4 6 7, 469, 471, 473 - 4 74, Harvey, William 98
476 - 482, 4 8 8 - 489, 494, 503 Hawking, Stephen 23, 4 8 1 , 485
Gravitationsfeld 66 - 6 7, 1 10, 1 2 1 , 123, Hawking-Strahlung 428
1 2 5 - 127, 1 3 3 - 141, 1 84, 227, 320 - 321, Hecke!, Blayne 422 - 423
350, 4 1 8, 437, 443, 469, 474 - 475, 513, Heisen berg, Werner 146, 165
5 1 5, 5 1 9, 521 - 522 siehe auch Unschärferelation
siehe auch ADD ; Gravitation, lokal lo­ Helium 1 54, 1 93, 513
kalisierte ; RS 1 ; RS2 Hierarchieproblem 85, 229, 277 - 2 82,
Gravitationsgesetz 6 2 - 68, 1 1 1 - 1 13, 285 - 286, 290 - 2 92, 343, 377, 387, 419,
1 2 2 - 123, 1 73, 414, 422, 479, 5 1 9, 532, 4 3 4 - 435, 443, 445 - 446, 449 - 453,
534 456, 45 9 - 462, 465, 489, 512, 5 1 7
Gravitationskonstante 1 12, 1 73, 2 85, Higgs, Peter 2 3 8
447, 5 1 9, 5 2 7 - 5 2 8 Higgs-Feld 246 - 253, 278, 290, 455, 5 1 7,
Gravitationslinsen 1 2 8 529- 530
Gravitationsmasse 1 2 2 Higgsino 301
Gravitino 299 Higgs-Mechanismus 203, 224, 249 - 230,
Graviton 177, 202, 299, 3 0 1 , 321 - 322, 234, 23 7 - 246, 251 - 252, 254, 270, 27�
329, 336, 344, 371, 3 92 - 3 95, 413 - 414, 284, 291, 295, 300, 3 0 2 - 303, 306 - 3 0 7,
4 1 7, 424 - 426, 428, 435, 440 - 444, 3 0 9, 3 1 2 - 313, 383, 3 95, 407, 4 1 5 - 4 1 7,
446 - 449, 452, 454, 456 - 462, 466, 420, 424, 429, 432, 442, 455, 47� 5 1 7
469 - 48� 4 8 8 - 49� 50� 5 1 7 - 5 1 � Higgs-Teilchen ( Higgs-Bosonen) 103,
533 1 93, 246 - 247, 254 - 255, 278 - 285,
Green, Michael 329 - 3 3 3 2 8 7 - 290, 3 0 1 - 303, 3 05 - 3 0 7, 309,
Greene, Brian 56 313, 344, 3 8 7, 390, 3 95, 415, 4 1 9, 436,
Gregory, Ruth 367, 481 443, 450, 456, 459, 462, 514, 5 3 0

542
REGI STER

Holographie 3 9, 46 Karch, Andreas 1 1 - 12, 23, 484, 4 8 8,


Holton, Gerald 1 14, 140, 146, 153, 165 490 -491, 5 3 3
Hooft, Gerard 't 267 Kavli Institute for Theoretical Physics
Hooke, Robert 1 13 (KITP) 71, 439, 486
Hofava, Petr 348, 3 74 - 3 77, 416 Kelvin, Lord ( William Thomson) 1 1 0,
Hofava-Witten-Modell siehe HW 1 94
Horowitz, Gary 334, 3 3 9, 481 Kendall, Henry 206, 328
Hubble, Edwin 340 Ketterle, Wolfgang 1 76
Hull, Chris 359 Klein, Oskar 53 - 55, 61
Hupfeld, Herman 85, 535 Kogan, !an 493
HW 3 74 - 3 77 Kopernikanische Wende 489
Hyperkubus 44 - 4 5 Kopernikus, Nikolaus 24
Hypersphäre 37, 66, 527, 5 3 2 Kosmologie 21, 71, 138, 143, 150, 3 3 7,
3 9 7, 431, 453, 5 1 1 , 5 1 8
Impuls 159, 171 , 1 76 - 1 77, 202 Kosmologische Konstante 340
Inertialsystem 1 15 - 1 1 7, 121 - 122, 125, siehe auch Dunkle Energie ; Vakuum­
5 1 7, 522, 527 energie
Institute for Advanced Study, Kounas, Costas 3 95
Princeton 502 Kräfte siehe Wechselwirkung(en)
Institute for Nuclear Theory, Seattle Kraftlinien 65 - 6 8, 4 1 8, 474, 532
312 Kribs, Graham 3 95
International Supersymmetry Confe­ Krümmung 130, 132, 1 35, 138, 377, 438,
rence 312 440 - 441, 443, 448, 478, 513, 5 1 8, 521,
Irvine I M ichigan I Brookhaven-Experi­ 530, 5 3 3
ment 273 positive 1 3 2 , 1 3 8 , 4 3 8 , 514
negative 132, 138, 438, 513
Jackiw, Roman 3 3 0 Kutasov, David 485
Jets 2 0 6 , 426 - 427, 5 1 8
Johns Hopkins University 487 Ladung
Jonsson, Claus 161 schwache 207, 247 - 249, 253
Joyce, James 204 elektrische 267- 26 8 ; siehe auch
Elektrizität
Kakushadze, Zurab 3 73 Längenskala, schwache 1 72 - 1 73, 1 78,
Kalium-40 193 407
Kaloper, Nemanja 481 Laser 1 76
Kaluza, Theodor 53, 85, 468 Lawrence, Albion 1 1 , 95
Kaluza-Klein-(KK )-Moden 25, 408, 487, Lee, T. D. 1 95
532 Leigh, Rob 348
Kaluza-Klein-(KK)-Teilchen 3 9 9 - 40 8, Lenin, Wladimir I. 1 8 3
413 - 414, 424 - 428, 458, 504, 512 LEP ( Large Electron-Positron Colli­
Kaluza-Klein-Universum 5 8 der) 2 1 7, 2 1 9, 220
Kamiokande-Experiment 273 Leptonen 196, 200, 2 0 7 - 210, 214, 223,
Kaplan, David B. 1 1 , 3 1 2 228, 238, 242, 246, 249, 252, 254 - 255,
Kaplan, David E. 3 95 270, 272, 278, 280, 3 00 - 301, 310, 314,

543
VERBORGENE U N I VERSEN

322, 325, 33 1 , 3 8 7, 3 92, 3 95 - 3 96, 413, 228 - 229, 234, 238, 242 - 246,
451 - 450, 456, 5 1 6, 51 8, 522 248 - 249, 251 - 255, 259, 261, 264,
siehe auch Elektronen ; Myon ; Neutri­ 277- 278, 280 - 290, 3 0 0 - 306,
nos ; Tau 3 0 9 - 314, 3 1 9, 325, 336, 3 3 9, 343, 352,
Lepton-Photon-Konferenz (2001 ) 451 368, 3 74, 377, 383, 387, 3 90 - 3 97,
LHC ( Large Hadron Collider) 25, 1 73, 401 - 408, 4 1 5 - 4 1 7, 41 9, 422 - 425, 428,
216, 219, 222, 246, 254 - 255, 306, 435, 439, 442 - 443, 446 -452,
426 - 428, 431 - 432, 457, 460 -461, 455 - 45 8, 460, 462, 468, 478 - 480,
5 1 1 - 5 12, 518, 530 482, 493 - 494, 500, 513, 5 1 7 - 5 1 9,
Licht 1 9, 27, 2 9, 46, 75, 78, 82, 95, 1 16, 521 - 523, 527- 528, 5 3 1 , 5 3 3
1 1 8 - 1 1 9, 126 - 129, 1 3 9, 145, 147, siehe auch Planck-Massenskala
1 4 9 - 155, 162, 164, 1 76, 1 85, 202, Massenskala, schwache 173, 278,
229 - 2 3 1 , 233, 322, 396, 404, 4 8 9, 501, 2 8 7 - 2 8 8, 290, 306, 415, 455
5 1 7, 522 Materie 1 3 7 - 138, 1 5 1 , 2 5 5
-geschwindigkeit 62, 1 10 - 1 1 1 , Matrixtheorie 505 - 506
1 1 7 - 120, 126, 1 3 9 - 141, 1 7 1 , 1 73, 1 75, Maxwell, James Clerk 26, 338, 3 75
186, 190, 202, 224, 243, 285, 489, 493, Maxwell'sche Gesetze 1 1 5, 1 8 6 , 528
521, 527- 528, 534 May, Michael J . 459
-quanten 27, 145, 148, 153, 1 8 7, 520 Medizin 46
-wellen 126 Meer, Sirnon van der 2 1 8
Likhtman, E. P. 296, 298 Mendelejew, Dimitri lwanowitsch 27
Lobatschewski, Nikolai lwano- Menora 224 - 225, 227 - 22 8
witsch 131 Merli, Piergiorgio 163
London, Fritz 229 Minkowski, Hermann 13 3 - 134
Lorentz-Kontraktion 1 1 7 Minnesota, University of 486
Loyd, Sam 77 Missiroli, Gianfranco 163
Luty, Markus 3 94 - 3 95 M odellbau 8 7 - 106
Lykken, Joe 1 1 , 384, 42� 45 1 , 460, 531 Molekularbiologie 143
Moleküle 98, 1 5 1
M agnetismus 26, 1 74, 1 84 - 1 85, 221, 5 1 5 Mond 1 10, 367
Magnetresonanztomographie ( M R I ) 46 Montonen, Claus 353
Maldacena, Juan 502 Motl, Lubos 11, 1 8 3
Mandula, Jeffrey 294 Mousopoulos, Stavros 4 9 3
Mars 102, 1 10 M-Theorie 347, 3 5 9 - 360, 5 0 6 , 5 1 9
Ma rsden, Ernest 1 54 Multiversum 8 0 - 81
Martinec, Emil 332, 3 38, 3 75 Murayama, Hitoshi 3 94
Maryland, University of 3 94 Myers, Robert C. 481
Massachusetts Institute of Technology Myon 101, 120, 200, 207-209, 215,
( MIT) 206, 385, 484, 491 22 8 - 229, 3 1 0 - 312, 45 8, 5 1 9, 523
Masse 23, 62, 65, 101 - 102, 105, Myon-Neutrino 200, 208, 310 - 3 1 1
1 1 1 - 1 13, 122 - 1 23, 127- 128,
134 - 138, 141, 152, 1 5 8, 171 - 173, 183, Nanopoulos, Dimitri 3 95
1 92, 1 9 8, 201 - 203, 205, 207, 209, Nelson, Ann 1 1 , 359
2 1 2 - 213, 2 16, 2 1 9, 221, 223 - 224, Neptun 1 10

544
REG I STER

Neutrinos 27, 101 - 102, 193, 1 9 8 - 20 1 , 2 3 4 - 235, 242 - 244, 253 - 254, 262,
207- 208, 210, 215, 235, 300, 310 - 3 1 1 , 265 - 26 8, 3 0 0 - 301, 309, 3 1 1 , 321, 340,
423, 426, 514, 5 1 6 , 5 1 9 344, 349, 381, 413, 451 , 454, 493, 5 14,
Neutronen 2 6 - 2 7, 9 9 - 100, 1 0 3 , 1 55, 520
193, 1 9 7 - 199, 201, 205 - 2 0 7, 5 1 3 - 515, Physik, Geschichte der 22, 25, 27, 88,
5 1 9, 521 - 522, 524 1 04, 1 14, 1 1 7 - 1 1 8, 120, 143 - 145, 148,
Neveu, Andre 298 - 299, 327 155, 163, 166, 177, 199, 202, 2 1 1 , 274,
New York Times 103 3 1 9, 401, 469
Newton, Isaac 4 7, 62, 64, 68, 1 1 0 - 1 13, Picasso, Pa blo 44
1 22 - 123, 135 - 13 7, 139, 1 73, 286, 2 8 8, Pilo, Luigi 459
3 1 9, 321, 414, 420, 422 - 424, 434, 489, Pion 203, 205
5 1 9, 527- 528, 532 Pisa, Universität von 3 94
siehe auch Gravitationsge;etz Planck, Max 27, 140, 143, 147- 150,
Newton'sche Physik 1 13, 1 1""' - 1 1 8, 401, 1 5 2 - 153, 15 7 - 1 5 8
469 Planck-Energieskala 1 72 - 1 74, 1 78, 2 0 1 ,
Nordpol 132 257, 2 86, 292, 320, 322 - 323, 3 3 5 - 336,
N ukleonen 27, 99, 323, 328, 5 1 9 406, 414, 454, 520, 5 3 1 , 5 3 3
Nukleus 99, 5 1 9 Planek-Längenskala 1 74, 1 78, 3 1 9 - 320,
322 - 323, 335 - 344, 3 93, 406 -407,
Olive, David 299, 353 412, 415, 442, 446, 475, 50G 510
0rsted, Hans Christian 1 84 Planck-Massenskala 286 - 2 89, 2 9 1 , 295,
Ovrut, Burt 3 76 305, 336, 406, 415 - 416, 419, 428,
Oxford Universitv 493 442 - 443, 449 - 450, 452, 457, 462, 480
Planeten bewegungen 1 13
Papazouglou, Antonios 49 3 Platon 87, 89, 1 65
Parallelpostulat 1 3 0 - 131 Plumpudding-Modell 1 54
Parallelwelten 10, 8 1 , 106 Polarisierung 2 3 0 - 234, 243 - 245, 252,
Paritätssymmetrieverletzung 1 95 - 1 97, 524, 530
334 longitudinale 231 - 232, 244, 5 1 9, 529
Passagen 5 - 6, 1 8, 35, 3 8, 50, 70, 204, transversale 231
3 1 7, 345, 365, 3 8 1 , 383, 3 9 8, 409, 433, Polchinski, Joe 3 3 8, 348, 350 - 3 5 1
467, 483 Politzer, David 2 6 7
Pauli, Wolfgang 1 9 9, 427 Pomarol, Alex 453, 455, 459
Pauli-Ausschließungsprinzip 1 75, 520 Ponton, Eduardo 3 95
p-Branen 71, 351 - 352 Porrati, Massimo 1 1 , 3 94, 493
Peer, Amanda 11, 3 72 Positron 1 8 8, 1 9 0 - 192, 197, 2 1 7,
Penrose-Parkettierung 2 1 2 1 9 - 221, 262, 265 - 266, 410, 413, 458,
Peskin, Michael 220 520
Pfade 263 - 264, 267, 387, 389 Positronen-Emissions-Tomographie
Photino 3 0 1 , 304, 3 0 7, 309, 520, ( PET) 192
5 3 1 - 532 Pozzi, Giulio 163
Photonen 27, 80, 101, 1 2 6 - 127, 140, 152, Princeton University 12, 267, 332,
155, 1 5 7, 164, 1 6 9, 1 74 - 1 76, 1 87 - 190, 3 3 7 - 3 3 8, 4 8 4 - 485, 491, 5 02
1 92, 1 95, 197- 200, 202, 206, 230 - 232, Prinzip

545
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N

anarchisches 2 6 3 , 275, 3 1 2 , 3 74, 382, der Gravitation 54, 1 73, 321, 323,
387 - 3 90, 3 9 7, 514 500
anthropisches 342, 513 Quantisierung 144, 147, 149, 152 - 153,
totalitäres 263 1 5 6 - 1 5 8, 1 6 9, 513
Projektion 2 0 - 2 1 , 40 - 46, 520 Quarks 10, 23, 3 4 - 35, 48, 69, 100, 120,
Protonen 26, 9 8 - 99, 101, 1 96 - 1 97, 1 9 9, 151, 196, 204 - 209, 212, 2 1 4 - 215, 223,
203, 205 - 206, 213 - 214, 272 - 274, 2 4 8 - 249, 251, 253 - 255, 2 6 8 - 270,
2 8 0 - 2 8 1 , 383, 427, 453, 458 272, 278, 2 9 1 , 300, 31 0 - 3 1 1 , 322, 328,
Pulsare 89 367, 3 73, 3 95, 400, 412, 418, 453, 484,
5 1 1 , 514
Quadratgesetz, inverses 62, 66, 6 8, Antitop- 289, 3 02
1 12 - 1 13, 2 5 7, 414, 4 8 9, 5 1 8 Down- 99, 100- 101, 1 9 7, 205,
Quanten 145, 148, 151 - 1 5 3, 1 5 8, 164, 2 0 7 - 2 1 0, 235, 250, 272, 5 1 5, 5 1 9 - 520,
1 76 - 1 77, 1 8 8 523
-beiträge 263, 275, 282 - 284, Strange- 208, 514, 523
2 8 9 - 29� 29� 302 - 3 0 � 305 - 30� Top- 208, 209, 2 1 2 - 216, 2 8 8 - 2 89,
310, 3 3 1 , 387 - 38 9, 513, 520 300, 3 02 - 3 03, 310, 3 95, 524
-effekte 145, 1 8 7, 2 6 1 , 377, 392, 435, Up- 9 9 - 1 0 1 , 197, 205, 208 - 210, 272,
513, 520 514, 516, 5 1 9 - 520, 524
-gravitation 1 74, 323, 326, 328 - 329, Quasare 8 9, 1 2 8 - 129
3 3 4, 341, 343, 359, 406, 427- 428, 521 Quasikristalle 20-21, 45, 521
siehe auch Lichtq uanten Quaternionen 1 3 0
Quantenchromodynamik (QCD) 203, Quinn, Helen 271
229, 520
Quantenelektrodynamik Rabi, I. I. 207
( QED) 1 8 8 - 1 8 9, 242, 321, 520 Radioisotope 143
Quantenfeldtheorie 120, 1 8 9 - 1 9 1 , 224, Radiumsalze 154
229- 230, 232, 234, 2 3 9, 242, 246, Radon-222 154
248 - 249, 2 5 7 - 259, 261, 263, Ramond, Pierre 296, 298 - 299, 327, 330
287- 288, 321 - 322, 3 3 0 - 3 3 1 , Randbedingungen 69
336 - 3 3 7, 343, 3 5 3 , 3 8 7, 435, 503, 515, Rattazzi, Riccardo 11, 3 94, 430
520 Raumzeit 35, 53, 13 3 - 135, 1 3 7 - 1 3 9,
Quantenmechanik 9, 1 1 , 22, 52, 85, 87, 141, 320, 348, 400, 434, 4 3 7 - 440,
90, 9 9 - 100, 102, 104, 1 10, 126, 445 - 450, 469, 472, 475, 4 8 7 - 4 8 9, 502,
143 - 147, 1 5 3, 155 - 156, 1 5 8 - 163, 516, 521, 524, 532 - 53 3
165 - 166, 1 70, 1 73 - 1 75, 177, 1 8 3 , 1 8 7, fünfdimensionale 385, 435, 4 3 7 - 4 3 9,
1 9 1 , 202, 230, 242, 249, 254, 2 5 7 - 2 5 8, 444, 448, 456, 469 - 471, 492 - 4 9 3
260, 263 - 264, 266, 282, 3 1 8 - 323, gekrümmte 23, 130, 13 2 , 1 3 4 - 1 3 9,
3 3 4 - 335, 343, 413, 507, 514, 516, 5 1 8, 141, 320, 3 74, 377, 435, 4 3 7 - 442,
5 2 1 , 523 - 525, 528 446 - 448, 456 - 457, 459, 462,
Quantentheorie 143, 146 - 147, 149, 4 6 7 - 469, 472 - 474, 479 -482, 4 8 8,
1 5 1 - 153, 156, 158, 1 8 7 - 1 8 8, 227, 298, 492, 502, 5 1 3 - 514, 5 1 8, 5 2 1 , 524, 534
331, 513 Real!, Harvey S. 481
alte 146 - 147, 153, 156, 158, 513 Rebka, Gien 127

546
R E G I STER

Relativitätstheorie 1 13 - 1 1 5, 299, 5 2 1 Selektronen 3 00 - 3 0 1 , 304, 3 1 1 , 522


allgemeine 9 , 47, 53, 79, 8 5 , 8 9 - 90, Sen, Ashoke 353
106, 1 10 - 1 1 1 , 1 14, 1 2 0 - 121, 126 - 127, Sequestration 3 8 2 - 383, 385 - 3 87, 3 90,
130, 13 4- 135, 138 - 1 3 9, 2 8 8, 3 1 8 - 320, 3 94 - 3 97, 411, 4 1 7, 522
323, 352, 367, 500, 521, 523 Sfermion 300
spezielle 1 04, 1 14 - 121, 1 35, 141, 186, Shenker, Steve 506
191, 231 - 232, 242 Shifman, Misha 486
siehe auch E mc 2= Shinkai, Hisa-aki 481
Renarmierungsgruppe 259 - 260, 264, Shiromizu, Tetsuya 481
271, 3 0 7, 521, 5 3 0 Singularität 323, 522, 532
Riemann, Georg Friedrich 133 Sitter, Willern de 438
Rohm, Ryan 3 32, 3 3 8, 3 75 Skiba, Witek 1 1 7
Röntgenbilder 46 Sleptonen 300 - 3 0 1 , 307, 516, 522
Rotverschiebung 126 - 127 Smyon 3 1 1
RS1 4 3 3 - 466, 477 Sneutrino 3 00
RS2 43 3 - 460, 47� 485, 488, 491, 494 Sonne 1 12 - 1 13, 127, 138, 193 - 1 95, 1 9 9,
Rubbia, Carlo 2 1 8 241, 257, 2 8 7, 350, 414, 420, 423, 469
Rutgers University 3 5 3 Spektrallinien 1 54, 1 5 7 - 1 5 8, 522
Rutherford, Ernest 154 - 155, 1 94, 206, Spektrum 10, 20, 1 1 1 , 1 13, 149 - 150, 1 6 7,
328 1 70, 254, 3 1 9, 3 95, 435, 450, 480, 522,
528
Salam, Abdus 1 95, 201, 253 Sphären 3 7, 65 - 6 7, 95, 527, 532
Satelliten 1 10, 150 Spiegelsymmetrie 505
Schallwellen 126, 2 3 1 , 244 Spin 1 70, 1 74 - 1 76, 196, 295, 297, 300,
Scherk, Joel 299, 327-329 321 - 322, 325, 328, 367, 45 8, 514,
Schlundloch 10, 1 9, 484, 490, 494 5 1 6 - 5 1 8, 522
Schmaltz, Martin 3 95 - 396 intrinsischer 1 74 - 1 76, 196
Schrödinger, Erwin 143, 1 5 8 - 1 5 9 Sprinkler-Analogie 444, 472, 475, 4 8 9
Schwachbranen 437, 441 - 450, 454 - 45 7, Squarks 300 - 303, 3 0 5 , 307, 393, 516,
45 9 - 462, 464 -467, 471, 480, 4 8 9 522
Schwartz, Matthew 4 5 6 Standardmodell der Teilchenphy-
Schwarz, J o h n 2 9 8 - 299, 327 - 3 3 3 sik 21 - 22, 27, 80, 87, 92 - 93,
Schwarze Löcher 2 5 , 76, 89, 1 3 9, 2 1 7, 100 - 105, 1 70, 1 76 - 1 77, 1 8 1 - 1 8 3 , 190,
2 8 7, 320, 322 - 323, 3 5 1 , 427- 429, 435, 192, 1 95, 197, 200, 203, 207- 224, 234,
456, 461, 481, 486, 507, 5 1 1 , 520, 522 238, 245 - 246, 249, 252, 255, 270,
höherdimensionale 25, 427-428 272 - 274, 277-280, 285, 2 8 8 - 291,
Schwarzer Körper 14 7 - 150, 522, 524, 295, 298, 301 - 3 07, 310, 313, 3 3 1 - 334,
528 3 3 8 - 3 3 9, 344, 366, 3 72 - 3 73,
Schwarzkörperspektrum 149 - 150 3 75 - 3 76, 385 - 386, 391 - 3 92,
Schwa rzkörperstrahlung 150, 522 3 96 - 3 97, 407, 41 0 - 415, 4 1 7, 423, 426,
Schwarzschild, Karl 89, 1 3 9 429 - 4 3 1 , 434, 436, 442 - 443, 445,
Schwerkraft siehe Gravitation 45 8 - 459, 462, 472, 5 1 1 , 5 1 5, 522, 525
Schwinger, Julian 1 8 8 Stanford Linear Accelerator Center
Seiberg, Nathan 353, 508 ( SLAC) 206, 2 1 9 - 220, 277, 328

547
VERBORGENE UNIVERSEN

Star Trek 1 9 0 386, 391 - 3 97, 4 1 7, 513, 516


Sterne 79, 1 2 7 - 129, 1 5 0 , 1 9 3 , 2 4 1 , 3 1 9 siehe auch M-Theorie
Stoney, George 26 Supersymmetrie 9, 86, 177, 210, 273, 290,
Stoppard, Tom 1 90 - 1 91 293 - 314, 3 32, 134, 3 8 2 - 383,
Stop-Squarks 300, 303 385 - 387, 3 9 0 - 3 9 1 , 3 94, 4 1 7, 42 9 - 4 3 1 ,
Störung 350 - 35 1 , 354, 356, 522 434, 453, 486
Störungstheorie 354 - 359, 503, 522, 523 - bruch 386, 3 95 - 397
Strahlung 147- 148, 149 - 1 50, 1 86, 428 Supersymmetrie-Konferenz ( 1 9 9 8 ) 383,
Stringbälle 428 410
String-Konferenz ( 1 995 ) 356 Supraleiter 1 76
String-Konferenz (2000) 299 Susskind, Lenny 506
Stringkopplung 353, 3 5 7 - 359, 363, 376, Symmetrie 85, 105, 223 - 24 1 , 244 - 246,
501 248 - 255, 2 5 9, 270, 277 - 280,
Strings 1 74, 323 - 325, 329, 3 3 2 - 3 3 3 , 285 - 2 86, 290, 296, 303, 3 3 1 , 3 9 1 ,
3 3 5 - 336, 3 3 8 - 3 3 9, 3 4 4 , 348 - 349, 3 96 - 3 97, 436, 455, 45 9, 5 1 6 - 5 1 7,
351 - 356, 363, 3 6 7, 369, 3 71 , 3 75 - 3 76, 521 - 522, 5 3 0
428, 454, 461, 504, 514, 5 1 7, 5 3 1 - 532 -bruch, spontaner 238 - 241, 243,
heterotische 323, 3 3 3, 3 3 8, 3 75 - 3 76, 245 - 246, 248, 2 5 0 - 252, 255, 267, 270,
517 309, 3 8 8, 3 9 1 , 455, 5 1 � 521, 5 3 0
Stringtheorie 9 , 2 2 , 33, 5 2 , 71, 79, 8 2 , 86, elektroschwache 1 95, 2 5 0 , 253 - 255,
8 9 - 97, 100, 102, 104 - 106, 1 73, 274, 270, 277 - 280, 285 - 286, 290, 303,
2 8 8, 2 95, 2 9 8 - 299, 3 1 7 - 344, 346, 353, 436, 459, 5 1 5, 517
355, 357, 366 - 368, 3 76, 500, 502, 5 1 9, siehe auch Higgs-Mechanismus
523
Strominger, Andy 3 34, 3 3 9, 3 5 1 , 485 Tachyonen 326 - 327, 329 - 3 30, 523
Stru kturen 20 - 2 1 , 26 - 27, 54, 5 7 - 5 9, Taj Mahal 225, 238
8 8, 98, 102, 104 - 105, 130, 1 3 8, 173, Takeuchi, Takeo 220
1 75, 1 77, 183, 193, 2 1 1 , 216, 223 - 224, Tau 1 0 1 , 200, 208 - 209, 310, 523
241, 255, 277, 279, 285, 3 32 - 3 33, 342, Tau-Neutrino 200, 208
347, 403, 5 1 1 , 513 Taylor, Richard 206, 328
Substrukturen 98, 100, 1 8 2 T-Dualität 504 - 505, 524, 533
Südpol 131 Teilchen 48, 71, 75, 77- 82, 9 0 - 91, 93,
Sundrum, Raman 12, 23, 273, 3 74, 384, 95, 97, 101 - 103, 144, 1 5 8 - 1 64, 1 70,
459, 477, 502 1 74 - 177, 183, 1 8 9 - 1 90, 1 96 - 1 98,
Supereallider (SSC) 294 200- 205, 2 0 7 - 2 09, 214, 2 1 9,
Supergravitationstheorie 3 5 7 - 3 5 8, 223 - 224, 235, 238, 241 - 242,
361 - 362 245 - 249, 254 - 255, 258, 261 - 263,
Supernova 193, 294, 340 - 341, 423 266, 2 6 8 - 269, 275, 277, 282, 2 8 9, 321,
S u perpartner 295, 297, 300 - 302, 3 3 3 , 3 6 6 - 368, 3 70, 3 78, 406, 412, 424,
3 04 - 3 09, 31 1 - 314, 3 9 1 - 3 92, 3 93, 417, 435, 459
512, 5 1 6 - 5 1 7, 520, 522 - 523 schwere 101 - 102, 1 92, 210 - 214, 260,
Superraum 299, 523 283, 294, 325, 336, 3 3 9, 387, 3 93,
Superstringtheorie 295 - 299, 313, 3 1 8, 404 - 405, 408, 522, 530
327, 329 - 3 34, 347, 351, 356 - 363, 376, virtuelle 1 8 9, 255, 257, 2 6 0 - 270,

548
REG I STER

274 - 275, 282 - 2 85, 2 8 7 - 290, 302, 4 3 1 , 437, 442, 452 - 453, 45 7, 467, 469,
305 - 3 07, 320, 3 3 0 , 387- 389, 5 1 8, 520, 4 8 1 - 483, 487, 489, 500, 5 1 0 - 512, 5 1 5,
525 5 1 8 - 5 1 9, 523 - 524
Teilchenbeschleuniger 25, 90, 101 - 103, multidimensionales 10, 35, 5 6 - 5 7,
120, 1 92, 1 9 9, 206, 208, 210 - 2 1 1 , 213, 5 9 - 60, 75, 78, 133, 345, 358, 367, 3 73,
221, 277, 294, 306 - 3 0 7, 314, 403 - 404, 378, 397, 400, 403, 436 - 4 3 7, 453, 457,
406, 424 - 428, 430, 436, 456 - 458, 464, 470 - 471 , 484, 490, 495, 5 1 1 - 5 12
5 1 1 - 5 12, 514, 516, 5 1 8, 524 siehe auch Kosmologie ; Multiversum
Teilchenphysik 68, 83, 92, 102, 143, Unschärferelation 142, 144, 165 - 1 74,
1 8 1 - 21 0 177, 201, 242, 2 5 7, 261, 271, 320, 3 35,
siehe auch Standardmodell der 404, 423, 524
Terning, John 459 Uranus 1 1 0
Te V (Teraelektronenvolt) 1 71 - 172, 213, Urknall 102, 212, 287, 322, 340
279, 292, 3 0 7, 344, 412, 416, 4 1 9,
425 - 428, 432, 449 - 450, 454 - 458, Vakuum 1 8 9, 247 - 2 50, 253, 2 6 1 - 262,
460 - 462, 480, 518, 524 265 - 2 6 7, 269, 275 - 277, 283, 524
Tevatron 213, 2 1 8 - 2 1 9, 222, 3 06, 3 93, Vakuumenergie 275, 340 - 342, 492, 5 1 5,
426, 516, 524 524
TeV-Brane 450 siehe auch Dunkle Energie ; Kosmolo­
Texas, University of 348 gische Konstante
Theorie von Allem (Theory of Every- Violinsaiten 90, 323, 325, 400, 402
thing, TOE ) 334, 3 3 8
Theorie, effektive 4 8 , 201, 3 76, 5 1 5 Wahrheit 20, 26, 8 9 - 90, 487, 512
Thermodynamik 94 - 95, 150, 1 8 6 Wahrscheinlichkeitsfunktion 1 6 0 - 1 6 1 ,
Thomson, ]. J . 1 54 - 1 5 5 403, 435, 440 - 444, 446, 448, 456 - 457,
Thomson, William siehe Kelvin, Lord 45 9 - 46 1 , 466, 473, 475 - 482,
Tomonanga, Sin-Itiro 1 8 8 4 8 8 - 489, 491, 493, 5 1 8, 525, 53 3
Tonamura, Akira 1 6 3 siehe auch Wellenfunktion
Townsend, Paul 3 5 6 , 358 - 359 Wahrscheinlichkeitswellen 160, 1 77,
Travolta, ]. 526 402 - 404
Tye, Henry 373 Waldram, Dan 3 76
Warpfaktor 439, 448, 450, 525, 5 3 3
Ulraviolettkatastrophe 147 - 148 Washington, University of 412 - 423
Umskalieren 448 - 449, 480, 5 3 3 Wasserstoff 193
Universum 8, 1 7, 1 9, 2 2 - 26, 29, 34, Wechselwirkung(en) 78 - 80, 82, 9 1 , 1 93,
36 - 3 7, 48, 5 1 - 52, 5 5 - 5 9, 62, 71 - 72, 209, 2 3 0 - 234, 2 5 7 - 2 5 9, 263,
74 - 75, 79 - 81 , 83, 88, 91, 95, 97, 102, 269 - 271, 275, 3 0 7 - 308, 430,
104, 106, 120, 129, 134, 1 3 7 - 1 3 9, 453 - 454, 5 1 7
1 4 9- 150, 1 8 9 - 1 90, 192, 21 1 - 212, elektromagnetische 1 22, 1 5 5,
223 - 224, 227, 2 3 7 - 239, 247, 249, 253, 1 85 - 190, 1 93, 1 95, 1 97 - 1 98, 201, 227,
270, 275, 286, 295, 300, 3 1 7 - 3 1 8, 235, 241 - 242, 2 5 2 - 253, 262 - 263,
3 3 9 - 343, 345, 350, 365, 372 - 3 73, 3 75, 265 - 266, 269, 271 - 272, 277- 278,
378, 390, 397, 3 9 9, 401 - 403, 41 1 , 299, 3 0 7 - 3 0 8, 321, 344, 3 70, 413 - 414,
413 - 414, 4 1 7 - 4 1 8, 420, 423, 427- 429, 416, 432, 454, 466, 515, 520, 529

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