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VERBORGENE
UNIVERSEN
Eine Reise in den
extradimensionalen Raum
S. Fischer
Fachberatung : Prof. Dr. Claus Kiefer, Köln
Textredaktion : Birgit Brandau / agens Redaktionsservice, Stuttgart
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . ... . . . ..
. . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 . .
14. Allegro (ma non troppo}: Eine Passage für Strings . . . . . . . . . . . . 317
15. Unterstützende Passagen : Branen-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 345
16. Belebte Passagen : Branenwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Schon als j u nges Mädchen liebte ich die intellektuellen Spiele von mathe
matischen Problemen oder von Büchern wie Alice im Wunderland. Aber
obwohl Lesen zu meinen Lieblingsaktivitäten gehörte, fühlte ich mich
nie sonderlich zu naturwissenschaftlichen Sachbüchern hingezogen - ich
fühlte mich von ihnen nicht genügend angesprochen oder herausgefor
dert. Im Ton schienen sie mir den Lesern gegenüber herablassend, zu viel
Ehrfurcht vor den Wissenschaftlern sprach aus ihnen, oder sie waren
schlicht langweilig. Ich hatte das Gefühl, die Autoren mystifizierten die
Erkenntnisse oder glorifizierten die Menschen, die sie gewonnen hatten,
statt die Wissenschaft selbst zu beschrei ben und den Prozess herauszuar
beiten, mit dem die Forscher die Zusammenhänge aufdecken. Das war
das, was ich eigentlich wissen wollte.
Als ich mich dann näher mit Naturwissenschaften befasste, lernte ich
sie lieben. Zuvor hatte ich keine Ahnung, dass ich einmal so empfinden
und selbst Physikerin werden würde ; als ich j ung war, kannte ich keine
Naturwissenschaftler. Aber sich mit dem Unbekannten zu beschäftigen
ist unwiderstehlich aufregend. Ich fand es spannend, Zusammenhänge
zwischen scheinbar disparaten Phänomenen herauszufinden, Probleme
zu lösen und die überraschenden Eigenheiten unserer Welt vorherzusa
gen . Als Physikerin weiß ich heute, dass Naturwissenschaft etwas Leben
diges ist, das sich immer weiter entwickelt. Nicht nur die Antworten sind
das Interessante daran, sondern genauso die Spiele und die Rätsel und
das Dabeisein.
Als ich mich zu diesem Proj ekt entschloss, stellte ich mir ein Buch vor,
das die Begeisterung für meine Arbeit vermitteln sollte, ohne dass die
wissenschaftliche Darstellung darunter leiden würde. Ich hoffte, das Fas
zinierende an der theoretischen Physik offen zu legen, ohne das Thema
irreführend zu vereinfachen oder es als eine Sammlung unveränderlicher,
abgeschlossener, passiv zu bewundernder Monumente zu präsentieren.
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VERBORGENE UNIVERSEN
Physik ist viel kreativer und macht viel mehr Spaß, als die Leute im All
gemeinen glauben. Diese Aspekte wollte ich mit Menschen teilen, die das
noch nicht unbedingt aus eigenen Stücken erkannt hatten.
Eine neue Weltsicht kommt auf uns zu. Zusatzliehe Dimensionen
haben die Art und Weise verändert, wie Physiker über das Universum
nachdenken. Und weil die Verbindungen zwischen diesen zusätzlichen
Dimensionen und der Welt sich in viele ältere, bereits etablierte physika
lische Ideen einbinden lassen, sind Zusatzdimensionen eine Möglichkeit,
ältere, bereits verifizierte Fakten über das Universum auf neuen und fes
selnden Wegen anzugehen.
Einige der von mir präsentierten Ideen sind abstrakt und spekulativ,
aber es gibt keinen Grund, warum sie nicht j eder, der neugierig ist, ver
stehen sollte. Ich beschloss, die Faszination der theoretischen Physik für
sich selbst sprechen zu lassen und die Geschichte oder die Personen nicht
überzubetonen. Ich wollte nicht den irreführendm Eindruck erwecken,
dass alle Physiker und Physikerinnen nach einem einzigen Archetyp mo
delliert sind oder dass ein bestimmter Persönlichkeitstypus sich für Physik
interessiert. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen und Gespräche bin
ich ziemlich sicher, dass es viele Leser gibt, die klug, interessiert und offen
genug sind, um mehr von der eigentlichen Sache erfahren zu wollen.
Dieses Buch spart nicht mit den fortgeschrittensten und fesselndsten
theoretischen Ideen, aber ich habe mein Möglichstes getan, dass man es
aus sich selbst heraus verstehen kann. Ich berücksichtige sowohl die ent
scheidenden Begriffe und Vorstellungen als auch die physikalischen Phä
nomene, auf die sie sich beziehen. Die Kapitel sind so angeordnet, dass
die Leser sich das Buch j e nach eigenem Hintergrund und eigenen Inte
ressen maßschneidern können. Um diesen Prozess zu erleichtern, habe
ich mit fetten Punkten Dinge markiert, auf die ich später bei den neuen
Ideen über Zusatzdimensionen zurückkommen werde. Dieselben Punkte
habe ich am Ende der extradimensionalen Kapitel verwendet, um he
rauszustreichen, was die einzelnen möglichen Optionen für extradimen
sionale Universen voneinander unterscheidet.
Weil die Vorstellung zusätzlicher Dimensionen wahrscheinlich vielen
Lesern neu ist, erkläre ich in den ersten Kapiteln, was ich mit solchen Be
griffen meine und warum es zusätzliche Dimensionen geben kann, sie
aber nicht zu sehen und nicht zu greifen sind. Danach umreiße ich die
theoretischen Methoden, mit denen Teilchenphysiker arbeiten, um zu
klären, wie das Denken funktioniert, das in diese zugegeben sehr speku
lative Forschung Einzug gehalten hat.
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VORWORT UND DANK
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VERBORGENE UNIVERSEN
Viele Freunde und Kollegen haben mir geholfen, bei diesem Buch meine
Ziele zu erreichen. Obwohl ich oft wusste, worauf ich hinauswollte, war
mir nicht immer klar, wann mir das gelungen war. Eine ganze Reihe von
Personen verdient Dank dafür, dass sie mir so großzügig ihre Zeit opfer
ten, mich ermutigten und mit Begeisterung und Neugier auf die Vorstel
lungen reagierten, die ich beschreibe.
Mehrere begabte Freunde verdienen besonderen Dank für ihre un
schätzbaren Kommentare zum Manuskript in seinen verschiedenen Sta
dien. Anna Christina Büchmann, eine wunderbare Autorin, lieferte herr
lich detaillierte Kommentare, die mir halfen, meine Geschichten zu Ende
zu bringen, sowohl die physikalischen als auch die allgemeinen. Sie gab
mir wertvolle Schreibtipps, die mir stets Mut machten. Polly Shulman,
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VORWORT UND DANK
eine andere überaus begabte Freundin, las und kommentierte j edes ein
zelne Kapitel sorgfältig. Ich bewundere ihr logisches und spielerisches
Denken und schätze mich sehr glücklich, dass ich ihre Unterstützung
fand. Lubos Motl, ein brillanter Physiker und hingebungsvoller Wissen
schaftsvermittler (dessen scheinheilige Ansichten zu Frauen in den Na
turwissenschaften wir ignorieren werde n ) , las alles, sogar noch ehe es
lesbar war, und machte außerordentlich nützliche Vorschläge und ermu
tigte mich in j edem Stadium. Tom Lewenson erteilte mir wichtige Rat
schläge, wie sie nur ein talentierter Wissenschaftsautor liefern kann, und
machte mehrere wichtige Vorschläge, die von entscheidender Bedeutung
waren. Michael Gordin trug die Sichtweise des Wissenschaftshistorikers
und des Kenners dieser Art von Literatur bei. Jamie Robins lieferte
kenntnisreiche Kommentare zu mehr als einer Version des Manuskripts.
Esther Chiao half mit nützlichen Anmerkungen zum Manuskript und
bot die extrem hilfreiche Perspektive einer klugen, interessierten Leserin
mit einem Hintergrund außerhalb der Naturwissenschaften. Und ich bin
höchst erfreut, dass Cormack McCarthy freiwillig im Endstadium dieses
Buches mit wertvollen Vorschlägen und tatkräftiger Unterstützung half.
Mehrere Menschen trugen interessante Geschichten und Beobachtun
gen bei, die mir in den Anfangsstadien des Projekts weiterhalfen. Mas
simo Porrati verfügt über einen Fundus faszinierender Fakten, von denen
einige hier wieder auftauchen . Gerald Holtons Kenntnisse der Physik des
frühen 20. Jahrhunderts bereicherten meine Vorstellungen über Quan
tenmechanik und Relativitätstheorie. Jochen Brocks lieferte nützliche
Erkenntnisse, was er an der Wissenschaftspublizistik mag, und regte zu
einigen Schreibideen an. Gespräche mit Chris Haskett und Andy Sin
gleton halfen mir zu begreifen, was Nichtphysiker vielleicht zu lernen
hoffen. Albion Lawrence half mit wertvollen Beiträgen, die es mir mög
lich machten, einige schwierige Kapitel in den Griff zu bekommen. Und
John Swain lieferte mir ein paar nette Möglichkeiten, Material zu prä
sentieren.
Viele Kollegen unterstützten mich mit wertvollen Kommentaren und
Vorschlägen. Von den vielen, denen ich zu Dank verpflichtet bin, lasen
Bob Cahn, Csaba und Zsusanna Csaki, Paolo Creminelli, Joshua Erlich,
Ami Katz und Neil Weiner erhebliche Teile des Buches und lieferten ihre
kenntnisreichen Kommentare ab. Ich danke auch Allan Adams, Nima
Arkani-Hamed, Martin Gremm, Jonathan Flynn, Melissa Franklin, Da
vid Kaplan, Andreas Karch, Joe Lykken, Peter Lu, Ann Nelson, Amanda
Peet, Riccardo Rattazzi, Dah Shrag, Lee Smolin und Darien Wood, die
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VERBORGENE UNIVERSEN
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VORWORT UND DANK
und Dana Randall, die mich bei meiner wissenschaftlichen Laufbahn un
terstützten und mir über die Jahre hinweg ihren Humor, ihre Gedanken
und ihre Ermutigung zuteil werden ließen. Lynn Festa, Beth Lyman,
Gene Lyman und Jen Sacks waren eine große Hilfe, und ich danke ihnen
für all ihre wunderbaren Ratschläge und Hilfestellungen. Und zu guter
Letzt bin ich Stuart Hall für seine verständnisvolle Sichtweise, seine hilf
reichen Kommentare und seine selbstlose Unterstützung überaus dank
bar.
Ich danke euch allen und hoffe, ihr bekommt den Eindruck, dass sich
eure Mitwirkung gelohnt hat.
Lisa Randall
Cambridge, MA
April 2005
13
I
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VERBORGENE UNIVERSEN
A b bildung 1 : Die
dreidimensionale
Welt eines Babys.
noch keinen Namen. Aber sollte es sie geben, wären sie neue Richtun
gen, entlang deren sich etwas bewegen könnte. Wenn ich also einen Na
men für eine zusätzliche Dimension brauche, werde ich sie manchmal
eine Passage nennen. (Und wenn ich explizit zusätzliche Dimensionen
diskutiere, verwende ich Kapiteltitel mit >> Passagen << dari n . )
Diese Passagen könnten flach sein w i e d i e Dimensionen, an d i e w i r ge
wöhnt sind. Sie könnten a ber auch verzerrt sein wie die Reflexionen in
einem Spiegelkabinett auf dem Jahrmarkt. Sie könnten winzig sein - viel
kleiner als ein Atom -, und bis vor kurzem hatten das alle angenommen,
die an Extradimensionen glaubten . Neue Arbeiten aber haben gezeigt,
dass zusätzliche Dimensionen auch groß oder sogar unendlich groß und
dennoch schwer zu sehen sein könnten. Unsere Sinne registrieren nur
drei große Dimensionen, und folglich könnte eine unendliche Zusatzdi
mension unvorstellbar klingen. Aber eine unendliche, unsichtbare Di
mension ist eine der vielen bizarren Möglichkeiten, die es im Kosmos ge
ben könnte, und in diesem Buch werden wir sehen, warum.
Die Erforschung zusätzlicher Dimensionen hat auch zu anderen be
merkenswerten Konzepten geführt - solchen, die Träume von Science-
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EINLEITUNG
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VERBORGENE UNIVERSEN
glaube, das hält mein Interesse wach, und ich bleibe zugleich ehrlich.
Manchmal j edoch wirkt eine Idee auf mich, als enthielte sie einen Keim
der Wahrheit. Als ich vor rund fünf Jahren eines Tages auf dem Weg zur
Arbeit den Charles River nach Cambridge überquerte, wurde mir plötz
lich klar, dass ich tatsächlich glaubte, irgendeine Form zusätzlicher Di
mensionen müsse es geben. Ich blickte mich um und dachte über die vie
len Dimensionen nach, die ich nicht sehen konnte. Über meine verän
derte Weltsicht war ich genauso schockiert und überrascht wie damals,
als mir aufging, dass ich, eine gebürtige New Yorkerin, während eines
Play-off-Spiels gegen die Yankees die Red Sox anfeuerte - etwas, das ich
mir nie hätte vorstellen können.
Die größere Vertrautheit mit zusätzlichen Dimensionen hat meinen
Glauben an ihre Existenz nur gestärkt. Die Gegenargumente sind zu lö
cherig, um darauf bauen zu können, und physikalische Theorien ohne
sie lassen zu viele Fragen offen. Darüber hinaus haben wir beim Nach
denken über zusätzliche Dimensionen in den letzten paar Jahren das
Spektrum möglicher extradimensionaler Universen, die unserem eigenen
ähneln könnten, ausgeweitet, was darauf schließen lässt, dass wir nur die
Spitze des Eisbergs identifiziert haben. Selbst wenn zusätzliche Dimen
sionen nicht genau den Vorstellungen entsprechen werden, die ich prä
sentieren will, glaube ich, dass es sie höchstwahrscheinlich in der einen
oder anderen Form gibt und dass sie überraschende und beeindruckende
Folgen zeitigen werden.
Vielleicht weckt es Ihre Neugier, dass eine Spur von zusätzlichen Di
mensionen in Ihrem Küchenschrank versteckt sein könnte - eine Anti
haft-Pfanne, die mit Quasikristallen beschichtet ist. Quasikristalle sind
faszinierende Strukturen, und die Ordnung, die ihnen zugrunde liegt,
zeigt sich nur in zusätzlichen Dimensionen. Ein Kristall ist ein höchst
symmetrisches Gitter von Atomen und Molekülen, bei dem ein Grund
element sich viele Male wiederholt. In drei Dimensionen wissen wir, wel
che Strukturen Kristalle bilden können und welche Muster möglich sind.
Das Arrangement von Atomen und Molekülen in Quasikristallen ent
spricht jedoch keinem einzigen dieser Muster.
Abbildung 2 zeigt ein Beispiel für ein quasikristallines Muster. Ihm
fehlt die präzise Regelmäßigkeit eines echten Kristalls, die eher dem Git
ternetz eines Diagrammpapiers ähneln würde. Die eleganteste Mög
lichkeit, das Muster der Moleküle in diesen seltsamen Materialien zu
erklären, besteht in einer Projektion - einer Art dreidimensionalen
Schatten - eines höherdimensionalen Kristallmusters, die die Symmetrie
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EINLEITUNG
Übersicht
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VERBORGENE UNIVERSEN
über das grundsätzliche Wesen der Materie und die Kräfte sagt, mittels
deren ihre elementaren Bestandteile wechselwirken. * Physiker haben das
Standardmodell getestet, indem sie Teilchen erzeugen, die es in unserer
Welt seit den allerer sten Sekunden des Universums nicht mehr gegeben
hat, und sie haben festgestellt, dass das Standardmodell viele ihrer Eigen
schaften außerordentlich gut beschrei bt. Und doch kann das Standard
modell einige grundsätzliche Fragen nicht beantworten - die von so fun
damentaler Natur sind, ·dass ihre Lösung neue Einsichten in die Bau
steine unserer Welt und ihre Wechselwirkungen verspricht.
Dieses Buch berichtet davon, wie ich und andere nach Lösungen für
die Rätsel des Standardmodells forschen und uns dabei in extradimen
sionalen Welten wiederfinden. Die neuen Entwicklungen mit zusätz
lichen Dimensionen werden letztlich im Zentrum der Aufmerksamkeit
stehen, aber zunächst werde ich die Zuspieler vorstellen - die revolutio
nären physikalischen Fortschritte des 20. Jahrhunderts. Die neuesten
Ideen, die ich später diskutiere, bauen auf diesen außerordentlichen
Durchbrüchen auf.
Bei dieser Übersicht werden wir Themen begegnen, die sich grob in
drei Kategorien einteilen lassen : die Physik des frühen 20. Jahrhunderts,
die Teilchenphysik und die Stringtheorie. Wir werden die Grundideen der
Quantenmechanik genauso ergründen wie den Status quo der Teilchen
physik und die Probleme, die sich möglicherweise mit zusätzlichen Di
mensionen lösen lassen. Wir werden auch die Konzepte kennen lernen,
die der Stringtheorie zugrunde liegen, von der viele Physiker glauben,
dass sie die beste Kandidatin für eine Theorie ist, die sowohl Quanten
mechanik als auch Gravitation einschließt. Der Stringtheorie zufolge sind
die grundlegenden Einheiten in der Natur nicht Teilchen, sondern fun
damentale oszillierende Strings oder Fäden, und sie hat in erheblichem
Maß dazu motiviert, sich mit zusätzlichen Dimensionen zu beschäftigen,
weil sie selbst mehr als drei räumliche Dimensionen voraussetzt. Und ich
werde auch die Rolle von Branen beschreiben - von Membranen ähneln
den Obj ekten im Rahmen der Stringtheorie -, die für die Theorie so ent
scheidend sind wie die Strings selbst. Wir werden sowohl die Leistungen
dieser Theorien betrachten als auch die Fragen, die sie offen lassen - die
j enigen, die die gegenwärtige Forschung vorantreiben.
Eines der größten Rätsel ist, warum die Gravitation so viel schwächer
ist als die anderen bekannten Kräfte. Die Schwerkraft fühlt sich nicht ge-
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EINLEITUNG
rade schwach an, wenn Sie einen Berg besteigen, aber das liegt daran,
dass die gesamte Erde an Ihnen zerrt. Ein winziger Magnet kann eine Bü
roklammer hochheben, obwohl die gesamte Masse der Erde sie in die
entgegengesetzte Rich t ung zieht. Warum ist die Gravitation gegen das
bisschen Anziehungskraft eines winzigen Magneten so machtlos ? In der
Standard-Teilchenphysik mit ihren drei Dimensionen ist die Schwäche
der Gravitation e jn gigantisches Rätsel. Zusätzliche Dimensionen könn
ten j edoch eine Antwort liefern. 1 9 9 8 haben mein Mitarbeiter Raman
Sundrum und ich einen Grund aufgezeigt, warum das so sein könnte.
Unser Vorschlag gründet sich auf die verzerrte Geometrie, ein Kon
zept, das aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie hervorgeht. Dieser
Theorie zufolge sind Raum und Zeit in ein einziges Raumzeit-Gebilde in
tegriert, das von Materie und Energie verformt, gekrümmt und verzerrt
wird. Raman und ich haben diese Theorie in einem neuen, extradimen
sionalen Kontext angewandt. Wir fanden eine Konfiguration, bei der
Raumzeitverzerrungen so schwer wiegend sind, dass selbst dann, wenn
die Gravitation in einer Raumregion stark ist, sie überall sonst schwä
chelt.
Und wir fanden etwas, das sogar noch bemerkenswerter ist. O bwohl
Physiker seit 8 0 Jahren annehmen, dass zusätzliche Dimensionen winzig
sein müssen, wenn man erklären will, warum wir sie noch nie gesehen
haben, entdeckten 1999 Raman und ich, dass nicht nur ein verzerrter
Raum die Schwäche der Gravitation erklären kann, sondern dass sich
auch eine unsichtbare zusätzliche Dimension ins Unendliche erstrecken
kann, wenn sie in einer gekrümmten Raumzeit entsprechend verzerrt ist.
Eine zusätzliche Dimension kann unendlich groß sein - aber nichtsdes
totrotz versteckt. (Nicht alle Physiker akzeptierten unseren Vorschlag
auf der Stelle. Aber meine nicht aus der Physik kommenden Freunde wa
ren schneller davon überzeugt, dass ich da auf etwas gestoßen war -
nicht weil sie die Physik in vollem Umfang verstanden hätten, sondern
weil nach einem Vortrag über meine Arbeit beim Konferenzbankett mir
Stephen Hawking einen Stuhl frei gehalten hatte . )
Ich werde d i e physikalischen Prinzipien erklären, d i e diesen u n d ande
ren theoretischen Entwicklungen zugrunde liegen, und die neuen Raum
begriffe, die sie vorstellbar machen. Und später werden wir sogar einer
noch verrückteren Möglichkeit begegnen, die der Physiker Andreas
Karch und ich ein Jahr später entdeckten : Wir könnten in einer dreidi
mensionalen Tasche des Raums leben, auch wenn der Rest des Univer
sums sich verhält, als wäre er höherdimensionaL Diese Erkenntnis eröff-
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VERBORGENE UNIVERSEN
net eine Fülle neuer Möglichkeiten für das Gebilde der Raumzeit, das
aus unterschiedlichen Regionen bestehen könnte, von denen j ede eine
unterschiedliche Anzahl von Dimensionen umfasst. Wir sind nicht nur
nicht das Zentrum des Universums, womit Kopernikus vor 500 Jahren
die Welt schockierte, wir lebe n vielleicht bloß in einem abgelegenen Win
kel mit drei Raumdimensionen, der Teil eines höherdimensionalen Kos
mos ist.
Die in j üngster Zeit untersuchten, Membranen ähnelnden O bj ekte na
mens Branen sind wichtige Komponenten der umfassenden höherdimen
sionalen Landschaften. Wenn zusätzliche Dimensionen der Spielplatz
der Physiker sind, dann sind Branenwelten - hypothetische Universen, in
denen wir auf einer Brane leben - unwiderstehliche, vielschichtige, facet
tenreiche Klettergerüste. Dieses Buch entführt Sie in Branenwelten und
Universen mit aufgerollten, verzerrten, großen und unendlichen Dimen
sionen, von denen einige eine einzige Brane enthalten und andere multi
ple Branen haben, die Heimat ungesehener Welten sind. All dies liegt im
Bereich des Mö glichen.
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EINLEITUNG
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VERBORGENE UNIVERSEN
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EINLEITUNG
könnten. ( Dabei braucht man dafür bloß Hitze oder ein elektrisches
Feld . ) Dimitri Iwanowitsch Mendelej ew, Schöpfer des Periodensystems
der Elemente, lehnte die Vorstellung der Wertigkeit ab, nach der sein Sys
tem organisiert war. Max Planck, der vorschlug, dass die vom Licht
transportierte Energie diskontinuierlich sei, glaubte in Wirklichkeit
nicht an Lichtquanten, wie sie seine eigene Überlegung voraussetzte. Al
bert Einstein, der diese Lichtquanten vorgeschlagen hatte, wusste nicht,
dass ihre mechanischen Eigenschaften es erlauben würden, sie als Teil
chen zu identifizieren - Photonen, wie wir heute wissen. Nicht j eder mit
richtigen neuen Ideen hat j edoch deren Bezug zur Realität geleugnet.
Viele Ideen, ob man an sie glaubte oder nicht, haben sich als zutreffend
erwiesen.
Wartet noch mehr darauf, entdeckt zu werden ? Als Antwort auf diese
Frage greife ich zu den allzu vergänglichen Worten George Gamows, des
berühmten Kernphysikers und Wissenschaftspublizisten. 1 945 schrieb
er : >> Statt einer ziemlich großen Zahl von >unsichtbaren Atomen< der
klassischen Physik haben wir j etzt nur noch drei essenziell unterschied
liche Entitäten ; Nukleonen, Elektronen und Neutrinos . . . Es sieht also
danach aus, dass wir bei unserer Suche nach den Grundelementen, aus
denen Materie gebildet ist, tatsächlich ans Ende gekommen sind. << Als
Gamow dies schrieb, hatte er keine Ahnung, dass die Nukleonen aus
Quarks zusammengesetzt sind, die im Lauf der nächsten 30 Jahre ent
deckt werden würden !
Wäre es nicht merkwürdig, wenn wir die ersten Wissenschaftler wä
ren, für die die Suche nach weiteren, noch tiefer liegenden Strukturen
nicht länger fruchtbar wäre ? Das wäre sogar so merkwürdig, dass es
kaum glaubhaft ist. Widersprüche in den bestehenden Theorien sagen
uns, dass sie nicht das letzte Wort sein können. Frühere Generationen
hatten weder die Mittel noch die Motivation heutiger Physiker, die ex
tradimensionalen Schauplätze zu erforschen, die dieses Buch beschrei
ben wird . Zusätzliche Dimensionen - oder was immer dem Standardmo
dell der Teilchenphysik zugrunde liegen mag - wären eine Entdeckung
von überragender Bedeutung.
Und was die Welt um uns herum angeht : Haben wir eine andere Wahl,
als sie zu erforschen ?
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1
Eingangspassagen:
Entmystifizierte Dimensionen
» Ike, wegen der Geschichte, die ich da schreibe, bin ich mir nicht so sicher.
Ich überlege, weitere Dimensionen hinzuzufügen. Was hältst du davon ?«
» A thena, dein großer Bruder weiß wenig darüber, wie man Geschich
ten hin bekommt. Aber ich denke, es kann nicht schaden, neue Dimensio
nen hinzufügen. Willst du neue Charaktere einführen, oder denen, die du
hast, mehr Tiefe geben?«
" Weder noch ; das meine ich nicht. Ieh plane, neue Dimensionen ein
zuführen - etwa neue Dimensionen des Raums.«
»Du machst Witze, oder ? Du willst über alternative Realitäten schrei
ben - etwa Orte, an denen Leute alternative spirituelle Erlebnisse haben
oder wo sie hingehen, wenn sie sterben, oder wo sie Nahtod-Erfahrun
gen haben ? * Ieh hätte nicht gedacht, dass du für so etwas zu haben bist. «
» Mach mal halblang, Ike. Du weißt, dass dem nicht so ist. Ich rede von
anderen räumlichen Dimensionen - nicht anderen spirituellen Ebenen!«
»Aber was könnten andere räumliche Dimensionen schon bewirken ?
Wenn du Papier mit anderen Dimensionen nimmst - etwa 250x353 mm
statt 210x297 mm -, würde das doch überhaupt nichts ändern!«
» Mach keine Witze. Davon rede ich auch nicht. Ich plane wirklich,
neue Raumdimensionen einzuführen, genau wie die Dimensionen, die
wir sehen, nur in völlig neuen Richtungen.«
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EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
»Dimensionen, die wir nicht sehen ? Ich dachte, mehr als drei Dimen
sionen gibt es nicht. «
» Warfs ab, Ike. Das werden wir ja bald sehen!«
Wie so viele Begriffe, die den Raum oder die Bewegung durch i h n hin
durch beschreiben lässt sich auch das Wort >> Dimension << auf mannig
faltige Weise interpretieren - und ich glaube, mittlerweile kenne ich alle
Deutungen. Weil wir die Dinge in räumlichen Bildern sehen, neigen wir
dazu, viele Konzepte einschließlich Zeit und Denken mit räumlichen Be
griffen zu beschreiben. Das heißt, dass viele Wörter, die sich auf den
Raum beziehen, mehrfache Bedeutungen haben. Und wenn wir solche
Wörter für technische Zwecke verwenden, können deren alternative
Verwendungen dazu führen, dass die Definitionen verwirrend klingen .
Der Ausdruck >> zusätzliche Dimensione n << ist besonders rätselhaft,
denn selbst wenn wir diese Wörter auf den Raum anwenden, liegt j ener
Raum außerhalb unserer sinnlichen Wahrnehmung. Dinge, die man nur
schwer visualisieren kann, lassen sich im Allgemeinen auch schwer be
schreiben. Wir sind physiologisch einfach nicht dazu geschaffen, mehr
als drei räumliche Dimensionen zu verarbeiten . Licht, Gravitation und
all unsere Werkzeuge zur Beobachtung präsentieren uns eine Welt, die
nur drei räumliche Dimensionen zu umfassen scheint.
Weil wir zusätzliche Dimensionen nicht direkt wahrnehmen können
selbst wenn es sie gibt -, befürchten einige Leute, dass Versuche, sie zu
verstehen, ihnen Kopfschmerzen bereiten werden. Wenigstens sagte mir
das ein Nachrichtensprecher der BBC während eines Interviews. Es ist je
doch nicht das Nachdenken über zusätzliche Dimensionen, sondern der
Versuch, sie sich vorzustellen, was so viel Unbehagen bereitet. Der Ver
such, eine höherdimensionale Welt zu zeichnen, bringt unvermeidlicher
weise Komplikationen mit sich.
Über Zusatzdimensionen nachzudenken ist eine völlig andere Sache.
Wir sind durchaus in der Lage, ihre Existenz in Betracht zu ziehen. Und
wenn meine Kollegen und ich die Begriffe >> Dimensionen << und >> Extra
dimensionen << verwenden, haben wir dabei präzise Vorstellunge n' . Bevor
wir also weitere Schritte unternehmen oder ergründen, wie neue Ideen in
unser Bild vom Universum passen - man beachte die räumlichen Meta
phern -, will ich die Begriffe >> Dimensione n << und >> Zusatzdimensionen <<
erklären und darlegen, was ich damit meine, wenn ich sie später ver
wende.
29
VERBORGENE UNIVERSEN
Wir werden bald sehen, dass bei mehr als drei Dimensionen Begriffe
( und Gleichungen ) mehr sagen können als tausend Bilder.
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EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
Sam
Stunden pro
Lassen Sie uns diese Vorstellung ein wenig weiter trei ben. lcarus
Rushmore III ( Ike in der Geschichte oben ) , der in Boston wohnt, ist ein
komplexerer Charakter. Er ist dreidimensional. Ike ist 21 Jahre alt, fährt
schnelle Autos und verliert sein Geld in Wonderland, einer Stadt bei Bos
ton mit einer Hunderennbahn. In Abbildung 4 habe ich Ike graphisch
dargestellt. Das Diagramm habe ich zwar auf die zweidimensionale
O berfläche eines Blattes Papier gezeichnet, aber die drei Achsen sagen
uns, dass Ike definitiv dreidimensional ist. *
Wenn wir Menschen beschreiben, schreiben wir ihnen in der Regel je
doch mehr als eine charakteristische Eigenschaft zu, meistens auch mehr
als drei. Athena, Ikes Schwester, ist elf Jahre alt, liest begierig, glänzt in
Mathe, informiert sich über die Vorgänge in der Welt und hält sich Eulen
als Haustiere. Vielleicht wollen Sie auch sie in einem Diagramm darstel
len (obwohl ich mir nicht sicher bin, warum Sie das eigentlich sollte n ) . In
diesem Fall müsste Athena als ein Punkt in einem fünfdimensionalen
Raum dargestellt werden, dessen Achsen dem Alter, der Anzahl pro Wo
che gelesener Bücher, dem Punktedurchschnitt der Mathematiktests, der
Anzahl der täglich mit Zeitungslektüre verbrachten Minuten und der
Anzahl der von ihr gehaltenen Eulen entsprechen. Ich habe j edoch
Schwierigkeiten, solch einen Graphen zu zeichnen. Ich bräuehre dafür
einen fünfdimensionalen Raum, und ein solcher ist schwer zu malen.
Selbst Computerprogramme können nicht mehr als 3-D-Graphik bewäl
tigen.
Dennoch gibt es im abstrakten Sinn einen fünfdimensionalen Raum
mit einer Ansammlung von fünf Zahlen, beispielsweise ( 1 1 , 3, 100, 45,
4 ) , der uns sagt, dass Athena elf Jahre alt ist, durchschnittlich drei Bü
cher pro Woche liest, in Mathe immer 100 Punkte schafft, täglich 45
Minuten Zeitung liest und momentan vier Eulen besitzt. Mit diesen
fünf Zahlen habe ich Athena beschrieben. Wären Sie mit ihr bekannt,
* Wenn Sie pingelig sind, werden Sie einwenden, dass auch Sam ein Alter und damit
eine weitere Dimension hat. Ich bin jedoch davon ausgegangen, dass Sam seit Jahren
nichts anderes tut und sein Alter damit nicht relevant ist.
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VERBORGENE UNIVERSEN
In Wonderland
verlorenes Geld
(Dollar pro Monat)
� Ike
20
10 Alter
Durchschnittswert,
wie oft pro Woche
Ike mit seinem schnellen
Auto herumrast
32
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
Punkt in einem Diagramm mit einer x-, einer y- und einer z-Achse. 1
Diese Achsen sind in Abbildung 5 dargestellt.
1 Diese und andere kursive hochgestellte Zahlen ( 1 • 2 · l • • • ) beziehen sich auf die ma
thematischen Anmerkungen am Ende des Buches.
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VERBORGENE UNIVERSEN
sem Buch bleibe ich geistig beweglich und halte die Möglichkeit offen,
dass es beliebig viele Zusatzdimensionen geben könnte. Es ist zu früh zu
sagen, wie viele Dimensionen das Universum tatsächlich hat. Viele Kon
zepte von Extradimensionen, die ich beschreiben werde, gelten für belie
bige Anzahlen von zusätzlichen Dimensionen. In den seltenen Fällen, in
denen das nicht zutrifft, werde ich das klarstellen.
Um einen physikalischen Raum zu beschreiben, braucht es aber
mehr, als bloß Punkte zu identifizieren. Man muss auch eine Metrik
spezifizieren, aus der die Messskala hervorgeht oder die physische Ent
fernung zwischen zwei Punkten. Das sind die Markierungen entlang der
Achsen eines Graphen. Es reicht nicht aus zu wissen, dass die Entfer
nung zwischen zwei Punkten 17 beträgt, solang man nicht weiß, ob das
17 Zentimeter, 17 Kilometer oder 17 Lichtjahre meint. Die Metrik brau
chen wir, um zu wissen, wie wir Entfernungen messen sollen : Welcher
Entfernung der Abstand zwischen zwei Punkten auf einem Graphen in
der Welt, die der Graph repräsentiert, entspricht. Die Metrik liefert
einen Maßstab, der zeigt, welche Einheiten man für seine Messskala ge
wählt hat ; das ist wie bei einer Karte, bei der ein halber Zentimeter
einen Kilometer repräsentieren kann, oder beim metrischen System, das
uns einen Maßstab an die Hand gibt, auf den wir uns alle einigen kön
nen.
Aber das ist nicht alles, was eine Metrik spezifiziert. Sie sagt uns auch,
ob der Raum gekräuselt oder gekrümmt ist, etwa wie die Oberfläche eines
Luftballons, den wir zu einer Kugel aufblasen. Die Metrik enthält alle In
formationen über die Gestalt des Raums. Die Metrik für einen gekrümm
ten Raum sagt uns etwas sowohl über Entfernungen als auch über Winkel.
Genau wie ein Zentimeter unterschiedliche Entfernungen repräsentieren
kann, kann ein Winkel unterschiedlichen Formen entsprechen. Das ver
tiefe ich später, wenn wir den Zusammenhang zwischen gekrümmtem
Raum und Gravitation erkunden. Für den Moment sagen wir einfach nur,
dass die O berfläche einer Kugel nicht dasselbe ist wie die Oberfläche eines
flachen Blattes Papier. Dreiecke auf dem einen sehen nicht wie Dreiecke
auf dem anderen aus, und den Unterschied zwischen den beiden zwei
dimensionalen Räumen kann man an ihrer Metrik erkennen.2
Während die Physik sich weiterentwickelte, hat sich auch die Menge
an Informationen vermehrt, die in der Metrik gespeichert sind. Als Ein
stein die Relativitätstheorie entwickelte, erkannte er, dass eine vierte Di
mension - die Zeit - von den drei Raumdimensionen nicht zu trennen
ist. Auch die Zeit braucht eine Messskala, und so formulierte Einstein
34
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
35
VERBORGENE UNIVERSEN
'
'
Bewegungs- ,
'
richtung
der Kugel
Zeit / /
/ /
/ /
/ /
/ /
/ /
/
Abbildung 6 : Wenn eine Kugel eine Fläche passiert, nimmt ein zweidimensio
naler Beobachter eine Scheibe wahr. Die Kugel setzt sich aus der A bfolge von
Scheiben zusammen, die der Beobachter im Verlauf der Zeit wahrnimmt.
36
EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
mensionale O bjekte wie eine Kugel nachgedacht hat. Erst als A. Qua
drat aus Flächenland heraus in die umgebende dreidimensionale Welt
emporsteigt, kann er sich wirklich eine Kugel vorstellen. Aus seiner
neuen Perspektive erkennt er die Kugel als ein Gebilde, das aus den von
ihm beobachteten zweidimensionalen Scheiben zusammengesetzt ist.
Auch in seiner zweidimensionalen Welt hätte A. Quadrat die Abfolge
der Scheiben als Funktion der Zeit (wie in Abbildung 6) wahrnehmen
und so die Kugel rekonstruieren können. Aber erst nachdem seine Reise
durch eine dritte Dimension ihm die Augen geöffnet hatte, konnte er
die Kugel und ihre dritte räumliche Dimension in vollem Umfang be
greifen.
Analog würden wir, wenn eine Hypersphäre (eine Kugel mit vier
räumlichen Dimensionen ) unser Universum passierte, sie als eine zeit
liche Abfolge von dreidimensionalen Kugeln wahrnehmen, die an Größe
erst zu- und dann abnehmen.3 Unglücklicherweise haben wir nicht die
Möglichkeit, durch eine zusätzliche Dimension zu reisen. Wir werden
niemals eine statische Hypersphäre zur Gänze sehen. Trotzdem können
wir schlussfolgern, wie Obj ekte in Räumen von unterschiedlichen Di
mensionen aussehen - selbst von Dimensionen, die wir nicht sehen. Mit
einigem Zutrauen können wir ableiten, dass unsere Wahrnehmung einer
drei Dimensionen passierenden Hypersphäre einer Serie von dreidimen
sionalen Sphären entsprechen würde.
Als ein weiteres Beispiel wollen wir uns den Aufbau eines Hyperkubus
vorstellen - eine Verallgemeinerung eines Würfels auf mehr als drei Di
mensionen. Ein eindimensionales Liniensegment besteht aus zwei Punk
ten, die mit einer geraden, eindimensionalen Linie verbunden sind. Das
können wir auf zwei Dimensionen zu einem Quadrat verallgemeinern,
indem wir ein zweites eindimensionales Liniensegment über dem Ersten
anordnen und sie mit zwei zusätzlichen Segmenten verbinden. Wir kön
nen weiter auf die drei Dimensionen eines Würfels verallgemeinern ; wir
konstruieren ihn, indem wir ein zweidimensionales Quadrat über dem
Ersten positionieren und die beiden mit vier zusätzlichen Quadraten ver
binden, j eweils eines an den Kanten der ursprünglichen Quadrate (siehe
Abbildung 7 ) .
Wir können a u f vier Dimensionen z u einem Hyperkubus verallgemei
nern und auf fünf Dimensionen zu etwas, für das wir noch nicht einmal
einen Namen haben. O bwohl wir dreidimensionalen Sterblichen diese
beiden O bj ekte nie gesehen haben, können wir das Verfahren, das in we
niger Dimensionen funktionierte, verallgemeinern. Um einen Hyperku-
37
VERBORGENE UNIVERSEN
• • D
A b bildung 7 : Wie man niedrigdimensionale Objekte zu höherdimensionalen
zusammensetzt. Wir verbinden zwei Punkte zu einem Liniensegment, zwei
Liniensegmente zu einem Quadrat, zwei Quadrate zu einem Würfel und
(nicht abgebildet, weil zu schwierig zu zeichnen) zwei Würfel zu einem Hy
perkubus.
* In diesem Trickfilm von Eric Martin hörte man die Stimmen von Dudley Moore und
anderen Mitgliedern des britischen Komödienensembles Beyond the Fringe. Er war
sehr lustig.
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EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
Im Rest dieses Kapitels werden wir nicht mehr über Räume nachdenken,
die mehr als drei Dimensionen haben ; ich möchte davon berichten, wie
wir mit unserem beschränkten visuellen Vorstellungsvermögen mit Hilfe
von zweidimensionalen Bildern über drei Dimensionen nachdenken und
sie zeichnen. Zu wissen, wie wir diese Umsetzung zweidimensionaler Bil
der in eine dreidimensionale Realität bewerkstelligen, wird uns später
helfen, wenn wir niedrigdimensionale >> Bilder<< höherdimensionaler
Welten interpretieren. Stellen Sie sich diesen Abschnitt als eine AuE
wärmübung vor, die Ihr Denken darauf vorbereitet, sich zusätzliche
Dimensionen einzuverleiben. Es könnte hilfreich sein, sich daran zu er
innern, dass man im gewöhnlichen Leben ständig mit Dimensionalität
umgeht. So unvertraut ist uns das gar nicht.
Oft sehen wir nichts weiter als Teile der O berfläche von Dingen, und
diese Oberfläche ist nur ihr Äußeres. Dieses Äußere hat zwei Dimensio
nen, auch wenn es im dreidimensionalen Raum gekrümmt ist, weil man
nur zwei Zahlen braucht, um einen beliebigen Punkt zu identifizieren.
Dass die Oberfläche nicht dreidimensional ist, leiten wir daraus ab, dass
sie keine Dicke hat.
Wenn wir Bilder, Filme, Computerbildschirme oder die Zeichnungen
in diesem Buch ansehen, betrachten wir im Allgemeinen zweidimensio
nale, nicht dreidimensionale Repräsentationen. Nichtsdestotrotz aber
können wir daraus die dreidimensionale Realität ableiten, die dargestellt
ist.
Wir können zweidimensionale Informationen dazu verwenden, drei
Dimensionen zu konstruieren. Dazu gehört, bei der Anfertigung zweidi
mensionaler Repräsentationen Informationen zu unterdrücken und zu
gleich zu versuchen, genügend Informationen zu erhalten, um entschei
dende Elemente des ursprünglichen Obj ekts zu reproduzieren. Lassen
Sie uns also über die Methoden nachdenken, mit denen wir oft höherdi
mensionale O bj ekte zu niedrigeren Dimensionen reduzieren - in Schei
ben schneiden, projizieren, eine Holographie davon anfertigen und
manchmal einfach die dritte Dimension ignorieren -, und wie wir an
dersherum arbeiten, um daraus die repräsentierten dreidimensionalen
Obj ekte abzuleiten.
Die einfachste Möglichkeit, hinter die O berfläche zu sehen, besteht
darin, das Objekt in Scheiben zu schneiden. Jede Scheibe ist zweidimen
sional, aber alle Scheiben zusammen bilden ein reales dreidimensionales
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VERBORGENE UNIVERSEN
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anzahl
* Schinkenscheiben haben natürlich eine gewisse Dicke, in Wirklichkeit sind sie also
sehr dünn, aber dreidimensional. In dieser zusätzlichen Dimension ist ihre Ausdeh
nung aber so gering, dass es eine gute Annäherung ist, sie sich als zweidimensional
vorzustellen. Denn auch bei beliebig dünnen Scheiben können wir uns vorstellen, sie
wieder zu einem dreidimensionalen Objekt zusammenzusetzen.
* * Abermals : Tatsächlich zweidimensionale Seiten müssten unendlich d ünne Scheiben
sein, die in der dritten Dimension überhaupt keine Dicke aufweisen. Für den Moment
j edoch ist Zweidimensionalität eine prima Annäherung für so dünne Seiten wie diese
hier.
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EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
griff aus der Geometrie, stellt eine weitere dar. Eine Projektion ist ein ge
nau definiertes Verfahren zur Erzeugung einer niedrigdimensionalen Re
präsentation eines höherdimensionalen O bj ekts. Ein Schatten an der
Wand ist ein Beispiel für eine zweidimensionale Projektion eines dreidi
mensionalen Obj ekts. Abbildung 9 zeigt, wie Informationen verloren ge
hen, wenn wir (oder Kaninchen ) eine Proj ektion erzeugen. Die Punkte
des Schattenwurfs werden nur durch zwei Koordinaten definiert, von
links nach rechts und von oben nach unten an der Wand. Das proj izierte
O bj ekt j edoch hat eine dritte räumliche Dimension, die bei der Proj ek
tion nicht erhalten bleibt.
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VERBORGENE UNIVERSEN
A b bildung 1 0 : Projektionen eines Würfels. Man beachte, dass die Projek tion
ein Quadrat sein kann, wie man am Diagramm in der Mitte sieht, dass Pro
jek tionen aber auch andere Gestalt annehmen können.
sich Athena hält, und machen daher statt eines fünfdimensionalen nur
ein vierdimensionales Diagramm. Athenass Eulen außer Acht zu lassen
ist eine Proj ektion.
Eine Proj ektion lässt Informationen über das ursprüngliche höherdi
mensionale Obj ekt einfach weg ( siehe Abbildung 9). Wenn wir jedoch
mittels Proj ektion ein Bild mit weniger Dimensionen anfertigen, fügen
wir manchmal Informationen hinzu, die ein Teil des Verlorenen erhalten
sollen. Bei diesen zusätzlichen Informationen könnte es sich um eine
Schattierung oder Farbe handeln wie in der Malerei oder Fotografie. Es
könnten Zahlen sein wie die, die bei einer topographischen Karte die
Höhe anzeigen. Oder es gibt überhaupt keine zusätzlichen Hinweise,
und in diesem Fall bietet die zweidimensionale Darstellung einfach we
niger Informationen.
Hätten wir nicht zwei Augen, die so zusammenarbeiten, dass wir drei
Dimensionen rekonstruieren können, würden wir alles nur als Proj ektio
nen sehen. Die Tiefenwahrnehmung fällt schwerer, wenn Sie ein Auge
schließen. Ein Auge allein fertigt eine zweidimensionale Proj ektion einer
dreidimensionalen Realität an. Zur Reproduktion von drei Dimensionen
brauchen Sie zwei Augen.
Ich bin auf einem Auge kurz- und auf dem anderen weitsichtig, und
daher kann ich nicht die Bilder beider Augen korrekt kombinieren, wenn
ich keine Brille trage, was selten der Fall ist. O bwohl man mir sagte, dass
die Rekonstruktion von drei Dimensionen für mich schwierig sein
müsste, habe ich in der Regel damit keine Probleme : Für mich sehen die
D inge noch immer dreidimensional aus. Das liegt daran, dass ich mich
auf Schattierungen und Perspektive verlasse ( und meine Vertrautheit mit
der Welt), um dreidimensionale Wahrnehmungen zu rekonstruieren.
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EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
Eines schönen Tages in der Wüste aber wollten ein Freund und ich
einmal zu einer Klippe in der Ferne wandern. Mein Freund sagte mir
immer wieder, wir könnten direkt dorthin gehen, a ber ich konnte nicht
begreifen, warum er darauf bestand, dass wir geradewegs durch einen
Felsen laufen sollten. Es stellte sich heraus, dass der Felsen, der mir di
rekt aus der Klippe zu ragen schien, sodass er unseren Weg völlig ver
sperrt hätte, in Wirklichkeit viel näher an uns lag, weit vor der Klippe.
Der Felsen, der nach meinem Dafürhalten den eingeschlagenen Kurs
blockierte, hing in Wirklichkeit mit der Klippe überhaupt nicht zusam
men. Zu dieser Fehleinschätzung kam es, weil wir uns gegen Mittag der
Klippe näherten und es keine Schatten gab, sodass ich keine Möglich
keit hatte, die dritte Dimension zu rekonstruieren, was mir gesagt
hätte, wie die Klippen und Felsen in der Ferne zueinander positioniert
waren . So richtig war mir nicht bewusst gewesen, dass ich mit Hilfe
von Schatten und Perspektive kompensierte, bis diese Strategie einmal
versagte.
Beim Malen und Zeichnen sind Künstler schon immer gezwungen,
das, was sie sehen, auf proj izierte Bilder zu reduzieren. Die Kunst des
Mittelalters machte das auf einfachste Weise. Abbildung 1 1 zeigt ein
Mosaikbild einer Stadt als zweidimensionale Projektion. Das Mosaik
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VERBORGENE UNIVERSEN
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EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
sagt uns rein gar nichts über eine dritte Dimension ; nichts ist hinzuge
fügt, was auf ihre Existenz hinwiese.
Seit dem Mittelalter haben Maler Projektionsverfahren entwickelt, die
den Verlust einer Dimension im Bild teilweise wettmachen. Eine Mög
lichkeit, die mittelalterliche Verflachung des Raums zu umgehen, ist die
Methode der Kubisten im 20. Jahrhundert. Ein kubistisches Gemälde
wie beispielsweise Picassos Porträt der Dora Maar ( Abbildung 12) bietet
mehrere Projektionen zugleich, jede aus unterschiedlichem Winkel, und
vermittelt dadurch die Dreidimensionalität des Bildgegenstands.
Seit der Renaissance haben die meisten Maler des Abendlandes j edoch
mit Perspektive und Schattierung gearbeitet, um die Illusion einer dritten
Dimension zu erzeugen. Zu den entscheidenden Grundvoraussetzungen
der Malerei zählt die Fähigkeit, eine dreidimensionale Welt zu einer
zweidimensionalen Repräsentation zu reduzieren, die es dem Betrachter
erlaubt, den Prozess umzukehren und die ursprünglich dreidimensionale
Szenerie oder das entsprechende Obj ekt wiederherzustellen. Unsere Kul
tur lehrt uns, wie wir diese Bilder entschlüsseln müssen, obwohl nicht
alle dreidimensionalen Informationen mitgeliefert werden.
Künstler haben sogar versucht, höherdimensionale Obj ekte auf zwei
dimensionalen O berflächen zu repräsentieren. Beispielsweise zeigt Sal
vador Dalis Kreuzigung (Corpus Hypercubus, siehe Abbildung 13) das
Kreuz als einen aufgeklappten Hyperkubus. Ein Hyperkubus besteht aus
acht Würfeln, die im vierdimensionalen Raum zusammenhängen : Das
sind die Würfel, die er gemalt hat. Ein paar weitere Proj ektionen eines
Hyperkubus zeigt Abbildung 14.
Ich habe bereits ein Beispiel aus der Physik erwähnt : Quasikristalle,
die wie eine Projektion eines höherdimensionalen Kristalls in unsere
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VERBORGENE UNIVERSEN
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EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
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VERBORGENE UNIVERSEN
trachtet nichtsdestotrotz nur ein Punkt. Selbst mit all ihren Unterschie
den fallen die New Yorker in eine einzige Kategorie, wenn man sie bei
spielsweise aus dem mittleren Westen oder Kasachstan sieht. Als ich
diese Analogie gegenüber meinem Cousin erwähnte, der in Downtown
lebt (in West Village, genauer gesagt), bestätigte er mir mein Argument
dadurch, dass ihn die Vorstellung entsetzte, alle New Yorker, die von
Up- und die von Downtown, in einen Topf zu werfen. Trotzdem sind,
wie j eder nicht in New York Lebende bestätige n kann, diese Unter
scheidungen zu geringfügig, um für Menschen wichtig zu sein, die nicht
dort wohnen.
In der Physik ist es eine weit verbreitete Praktik, dieses intuitive Ver
halten zu formalisieren und je nach den relevanten Entfernungen oder
Energien Kategorien zu bilden. Physiker akzeptieren dieses Verfahren
und haben ihm einen Namen gegeben : effek tive Theorie. Die effektive
Theorie konzentriert sich auf die Teilchen und Kräfte, die über die in
frage kommenden Entfernungen » Effekte << haben. Statt Teilchen und
Wechselwirkungen in Form von unmessbaren Parametern eines ultra
hochenergetischen Verhaltens zu beschreiben, formulieren wir Beobach
tungen anhand der Dinge, die für die Größenskalen, die wir vielleicht
entdecken, tatsächlich relevant sind. Eine effektive Theorie geht bei jeder
gegebenen Entfernungsskala nicht auf die Details einer tiefer reichenden
physikalischen Theorie mit kürzeren Distanzen ein ; sie fragt nur nach
Dingen, die zu messen oder zu sehen man hoffen kann. Wenn etwas jen
seits der Auflösung der Größenskalen liegt, mit denen man arbeitet,
muss man seine Detailstruktur nicht kennen. Diese Praktik ist keine wis
senschaftliche Mogelei, sondern eine Möglichkeit, sich des Durcheinan
ders überflüssiger Informationen zu entledigen. Es ist eine >> effektive <<
Möglichkeit, effizient zu akkuraten Antworten zu kommen.
Jeder, auch ein Physiker, kehrt froh und glücklich in ein dreidimensio
nales Universum zurück, wenn höherdimensionale Details j enseits unse
rer Auflösung liegen. Genau wie Physiker oft einen Draht behandeln, als
wäre er eindimensional, werden wir ebenfalls ein höherdimensionales
Universum mit den Begrifflichkeiten eines nied rigerdimensionalen be
schreiben, wenn die zusätzlichen Dimensionen minimal und die höher
dimensionalen Details zu winzig sind, um etwas auszumachen. Eine sol
che niedrigerdimensionale Beschreibung fasst die beobachtbaren Effekte
aller möglichen höherdimensionalen Theorien zusammen, in denen die
zusätzlichen Dimensionen zu winzig sind, um sie zu sehen. Für vielerlei
Zwecke ist eine solche niedrigerdimensionale Beschreibung ausreichend,
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EINGANGSPASSAGEN: ENTMYSTIFIZIERTE DIMENSIONEN
und zwar unabhängig von der Anzahl, Größe und Gestalt der zusätzli
chen Dimensionen.
Die niedrigerdimensionalen Größen liefern keine fundamentale Be
schreibung, sie stellen aber eine bequeme Möglichkeit dar, Beobachtun
gen und Vorhersagen zu organisieren. Wenn man die kleinräumigen De
tails - oder die Mikrostruktur - einer Theorie kennt, kann man damit
die Größen herleiten, die in der niedrigenergetischen Beschrei bung auf
tauchen. Anderenfalls sind diese Größen einfach Unbekannte, die expe
rimentell bestimmt werden müssen.
Im folgenden Kapitel werden diese Ideen ausgearbeitet und die Kon
sequenzen winziger, zusammengerollter zusätzlicher Dimensionen über
legt. Zunächst werden wir Dimensionen in Betracht ziehen, die zu win
zig sind, um überhaupt einen Unterschied zu machen. Wenn wir später
wieder zu zusätzlichen Dimensionen zurückkehren, werden wir sowohl
die großen als auch die unendlichen Dimensionen erkunden, die in
j üngster Zeit dieses Bild radikal revidiert haben.
49
2
Begrenzte Passagen:
Aufgerollte Zusatzdimensionen
No way out
None whatsoever.
Kein Weg hinaus,
Überhaupt keiner.
Jefferson Starship
A thena wurde plötzlich wach. Tags zuvor hatte sie gerade Alice im Wun
derland und Flächenland gelesen, um sich wegen der Dimensionen inspi
rieren zu lassen. Aber in der Nacht hatte sie einen ganz verrück ten Traum;
als sie wieder ganz bei Bewusstsein war, erkannte sie den Traum als die
Folge davon, dass sie diese beiden Bücher am selben Tag gelesen hatte. *
Athena hatte geträumt, sie hätte sich in Alice verwandelt, sei in einen
Kaninchenbau geschlüpft und hätte das dort wohnende Kaninchen ge
troffen, und das hätte sie in eine ihr unbekannte Welt hinaus geschubst.
A thena hatte es für ziemlich unhöflich gehalten, einen Gast so zu behan
deln. Trotzdem war sie gespannt gewesen, welche A benteuer ihr im Wun
derland bevorstanden.
A ber auf Athena wartete eine Enttäuschung. Denn das Kaninchen, das
Wortspiele liebte, hatte sie stattdessen ins Wanndieland geschickt, eine
merk würdige, nicht so wundervolle, eindimensionale Welt. Athena
schaute sich um - richtigerweise müsste ich sagen : schaute nach links und
rechts - und stellte fest, dass sie nichts weiter sehen konnte als zwei
Punkte : einen links und den anderen rechts von ihr (der von hübscherer
Farbe war, wie sie fand) .
,.
Vielleicht ist diese Geschichte auch d i e Folge davon, dass ich meine schulische Lauf
bahn an einer möglicherweise nicht ganz zu Recht nach Lewis Carroll benannten
Schule in Queens begann.
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BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN
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VERBORGENE UNIVERSEN
Selbst wenn wir nicht wissen, warum drei räumliche Dimensionen etwas
Besonderes sind, können wir fragen, wie das kommt. Wie ist es möglich,
dass das Universum scheinbar nur drei Raumdimensionen hat, wenn die
fundamentale, ihm zugrunde liegende Raumzeit mehr umfasst ? Wenn
Athena in einer zweidimensionalen Welt ist, warum sieht sie dann
manchmal nur eine ? Wenn die Stringtheorie eine korrekte Beschreibung
der Natur ist und es neun Raumdimensionen gibt (plus die der Zeit), was
ist dann aus den fehlenden sechs Raumdimensionen geworden ? Warum
sind sie nicht zu sehen ? Haben sie irgendeine erkennbare Auswirkung
auf die Welt, die wir wahrnehmen ?
Die letzten drei Fragen stehen im Mittelpunkt dieses Buches. Zunächst
aber geht es darum, zu bestimmen, ob es irgendeine Möglichkeit gibt,
wie die Anzeichen für zusätzliche Dimensionen verborgen sein können,
sodass Athenas zweidimensionale Welt eindimensional wirken oder ein
Universum mit zusätzlichen Dimensionen die dreidimensionale Raum
struktur haben kann, die wir um uns herum beobachten. Wenn wir die
Vorstellung einer Welt mit Zusatzdimensionen akzeptieren sollen - aus
welcher Theorie sie auch immer herrühren mag -, dann muss es eine gute
Erklärung geben, warum wir bislang noch nicht das kleinste Anzeichen
für ihre Existenz entdeckt haben.
Dieses Kapitel handelt von extrem kleinen, kompaktifizierten oder zu
sammengerollten Dimensionen. Sie erstrecken sich n icht bis ins Unend
liche wie die drei vertrauten Dimensionen ; stattdessen umschlingen sie
sich bald selbst wie eine festgewickelte Garnspule. Entlang einer kom
paktifizierten Dimension können zwei Obj ekte nie weit voneinander
entfernt sei n ; jeder Versuch eines Ausflugs über eine größere Entfernung
würde vielmehr immer im Kreis verlaufen wie die Runden der Dronte.
Solche kompaktifizierten Dimensionen könnten so klein sein, dass wir
noch nicht einmal ihre Existenz bemerken würden. In der Tat werden
wir bald sehen, dass es eine ziemliche Herausforderung ist, winzige zu
sammengerollte Dimensionen, so es sie gibt, zu entdecken.
52
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN
In diesem und dem folgenden Kapitel werden wir genauer erklären, was räumliche
Dimensionen sind. Nach Einführung der Relativitätstheorie werden wir zur Raumzeit
ü bergehen und die Zeit als weitere Dimension betrachten.
53
VERBORGENE UNIVERSEN
* Gelegentlich werde ich sehr große oder kleine Zahlen in wissenschaftlicher Schreib
weise wiedergeben. Wenn eine Zehnerpotenz einen negativen Exponenten hat - bei
spielsweise 1 0 - l l , handelt es sich um einen Dezimalbruch. 1 0 - 13 entspricht ausge
-
schrieben 0,0 000 000 0000 000 000 0000 000 000 000001 . Das ist eine extrem winzige
Zahl, und es wäre zu mühselig, sie jedes Mal ganz auszuschreiben. Eine Zahl
mit einem positiven Exponenten wie etwa 10 33 ist eine 1 mit 3 3 Nullen daran -
,
1 000 000 0000 000 000 0000 000 000 0000000 - was eine enorm große Zahl ist, die je
des Mal ganz auszuschrei ben ebenfalls schwierig wäre. Oft gebe ich, wenn ich sie zum
ersten Mal verwende, eine Zahl sowohl in wissenschaftlicher Notation als auch mit
Worten wieder.
* * Eine Größenordnung bedeutet einen Faktor von zehn. 24 Größenordnungen sind
also 1 000 000 0000 000 000 00000 000 oder 1 Billion Billionen.
54
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN
A bbildung 1 5 : Wenn man von weit oben einen Gartenschlauch auf einem
Sportplatz sieht, wirk t er eindimensional. Betrachtet man ihn aber aus der
Nähe, erkennt man, dass die Oberfläche zwei Dimensionen hat und das ein
geschlossene Volumen drei.
Für Klein j edoch war die nicht wahrnehmbar kleine Sache nicht die
Dicke eines Obj ekts, sondern eine Dimension an und für sich. Was be
deutet es für eine Dimension, klein zu sein ? Wie würde ein Universum
mit einer aufgespulten Dimension für j emanden aussehen, der darin
lebt ? Abermals hängt die Antwort auf diese Fragen einzig und allein von
der Größe der zusammengerollten Dimension ab. Betrachten wir ein Bei
spiel, um zu erkennen, wie die Welt für bewusste Wesen aussehen würde,
die im Vergleich zu einer zusammengerollten Zusatzdimension klein
oder groß sind. Weil es unmöglich ist, vier oder mehr Raumdimensionen
zu zeichnen, zeigt das erste Bild, das ich von einem Universum mit einer
kleinen, kompaktifizierten Dimension präsentiere, nur zwei D imensio
nen, von denen die eine ganz eng aufgewickelt ist (siehe Abbildung 1 6 ) .
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VERBORGENE UNIVERSEN
Stellen Sie sich wiederum einen Gartenschlauch vor, den man sich als
eine lange Gummibahn denken kann, die zu einem Rohr mit einem klei
nen runden Querschnitt aufgerollt ist. Diesmal denken wir uns den
Schlauch als das gesamte Universum ( nicht als ein Obj ekt innerhalb des
Universums) . * Wäre das Universum wie dieser Gartenschlauch geformt,
hätten wir eine sehr lange Dimension und eine sehr kleine, aufgerollte,
und genau das wollen wir.
Für eine kleine Kreatur - sagen wir einen flachen Käfer -, die im Gar
tenschlauch-Universum lebt, würde das Universum zweidimensional
aussehen. (In diesem Szenario muss unser Käfer auf der O berfläche des
Schlauchs bleiben - das zweidimensionale Universum schließt nicht das
Innere ein, das dreidimensional ist. ) Der Käfer könnte in zwei Richtun
gen krabbeln : den Schlauch entlang oder um ihn herum. Wie die Dronte,
die im zweidimensionalen Universum ihre Runden drehte, könnte der
Käfer irgendwo entlang des Schlauchs starten und um ihn herumkrab
beln und schließlich wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkommen.
Weil die zweite Dimension klein ist, müsste der Käfer nicht weit reisen,
bis er wieder zurück wäre.
Würde eine auf dem Schlauch lebende Käferpopulation Kräfte wahr
nehmen wie beispielsweise die elektrische Kraft oder die Gravitation,
würden diese Kräfte Käfer in jeder Richtung der Schlauchoberfläche an
ziehen oder abstoßen können. Käfer könnten entweder in Längsrichtung
des Schlauchs oder in Richtung seines Umfangs voneinander getrennt
werden und würden j ede auf dem Schlauch präsente Kraft wahrnehmen.
Wenn die Auflösung ausreicht, um so kleine Entfernungen wie den
Durchmesser des Schlauchs zu unterscheiden, würden Kräfte und Ob
jekte beide Dimensionen erkennen lassen, die sie tatsächlich haben.
Würde unser Käfer aber seine Umgebung beobachten, würde er be
merken, dass die beiden Dimensionen sich stark unterscheiden. Die eine
in Längsrichtung des Schlauchs wäre sehr groß. Sie könnte sogar unend
lich sein. Die andere Dimension hingegen wäre sehr klein. In Richtung
des Schlauchumfangs könnten sich zwei Käfer nie sehr weit voneinander
entfernen. Und ein Käfer, der versuchte, in dieser Richtung eine lange
,.
Der Gartenschlauch ist schon lange eine beliebte Analogie, um zusammengerollte
Dimensionen zu illustrieren. Ich lernte das Beispiel in einem Mathematik-Camp ken
nen, und erst kürzlich wurde es wieder in Brian Greens Elegant Universe ( Norton,
1999 ; Vintage, 2000 ) verwendet. Ich bediene mich derselben Analogie, da sie einfach
gut ist und ich sie im folgenden Teil ( und in späteren Kapiteln) ausweiten will, wenn
ich auch noch Sprinkler hinzufüge, um extradimensionale Gravitation zu erklären.
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BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN
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VERBORGENE UNIVERSEN
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BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN
halb ihrer nicht wahrnehmbar sind. Genau wie die Unterschiede zwi
schen New Yorkern für Menschen außerhalb der Stadt eigentlich ohne
Belang sind, sind die Strukturen in den zusätzlichen Dimensionen des
Universums irrelevant, wenn ihre Details in so minimalem Maßstab va
riieren. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es grundsätzlich viel
mehr Dimensionen gibt, als wir im täglichen Leben wahrnehmen, würde
alles, was wir sehen können, noch immer in Form nur der Dimensionen
beschrieben, die wir beobachten. Extrem kleine zusätzliche Dimensio
nen ändern nichts an der Art und Weise, wie wir die Welt sehen, und
noch nicht einmal an der Art und Weise, wie wir die meisten physikali
schen Berechnungen anstellen. Selbst wenn es zusätzliche Dimensionen
gibt, können wir, wenn wir sie nicht sehen oder anderweitig wahrneh
men können, sie ignorieren und noch immer korrekt beschreiben, was
wir beobachten. Später werden wir Abwandl ungen dieses simplen Bilds
kennen lernen, auf die dies nicht immer zutreffen würde, aber sie werden
von zusätzlichen Annahmen ausgehen.
Noch etwas ist an einer zusammengerollten Dimension wichtig, und
dies wird aus Abbildung 17 ersichtlich, die den Schlauch zeigt oder das
Universum mit einer zu einem Kreis aufgerollten Dimension. Nehmen
Sie irgendeinen Punkt entlang der unendlichen Dimension, und Sie stel
len fest, dass an j edem einzelnen Punkt der gesamte kompakte Raum,
nämlich der Kreis, zu finden ist. Der Schlauch besteht aus all diesen zu
sammengeklebten Kreisen - wie die Schei ben, von denen ich im ersten
Kapitel sprach.
Abbildung 1 8 bringt ein anderes Beispiel : Hier gibt es statt einer zwei
unendliche Dimensionen plus eine zusätzliche, zu einem Kreis aufge-
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VERBORGENE UNIVERSEN
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BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN
A b bildung 1 9 : Wenn zwei von vier Dimensionen wie ein Schwimmreifen auf
gewickelt sind, gibt es an jedem Punkt im Raum ein solches Gebilde.
aufgerollten Dimensionen, die sich genau durch die Art und Weise un
terscheiden, in der diese Dimensionen aufgewickelt sind. Eine Kategorie
von kompakten Räumen, die für die Stringtheorie wichtig ist, sind die
Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten ; benannt wurden sie nach dem italieni
schen Mathematiker Eugenio Calabi, der erstmals diese bestimmte Form
vorgeschlagen hat, sowie dem chinesischstämmigen Harvard-Mathema
tiker Shing-Tung Yau, der gezeigt hat, dass sie mathematisch möglich
sind. In diesen geometrischen Formen sind zusätzliche Dimensionen auf
ganz besondere Weise aufgerollt und umeinandergewickelt. Wie bei al
len Kompaktifizierungen sind die Dimensionen in winzig kleiner Form
zusammengepackt, aber so miteinander verwoben, dass es viel kompli
zierter und schwieriger wäre, sie zu zeichnen.4
Welche Gestalt die zusammengerollten Zusatzdimensionen auch an
nehmen und wie viele es von ihnen auch geben mag, an jedem Punkt ent
lang der unendlichen Dimensionen gäbe es einen kleinen kompakten
Raum, der alle eng gewickelten Dimensionen aufnähme. Wenn also bei
spielsweise die Stringtheoretiker Recht haben, müsste es überall im sicht
baren Raum - an Ihrer Nasenspitze, am Nordpol der Venus, an der Stelle
über dem Tennisplatz, wo Ihr Schläger beim letzten Service den Ball traf
- eine sechsdimensionale Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit von unsichtbar
winziger Grö/Se geben. Die höherdimensionale Geometrie wäre an j edem
Punkt im Raum präsent.
Stringtheoretiker vermuten oft - wie Klein es tat -, dass aufgerollte Di
mensionen so klein wie die Pl_anck-Länge sind, w -n cm. Kompakte Di
mensionen von der Größe der Planek-Länge wären außerordentlich gut
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VERBORGENE UNIVERSEN
* In diesem Buch meint » massives« Objekt ein Objekt mit einer Masse. Davon zu un
terscheiden ist ein » masseloses« Objekt, dessen Ma sse null beträgt ( und das sich mit
Lichtgeschwindigkeit bewegt) .
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BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN
hängt es ab, wie schnell sich die Gravitation bei der Ausbreitung im
Raum verflüchtigt.
Lassen Sie uns über diesen Zusammenhang nachdenken, der später
sehr wichtig werden wird, wenn wir zu den zusätzlichen Dimensionen
kommen. Dazu stellen wir uns Gießwasser vor, das entweder direkt mit
einem Schlauch oder mittels eines Sprinklers verteilt wird . Nehmen wir
an, dass sowohl der Schlauch als auch der Sprinkler denselben Wasser
durchfluss haben und dass beide eine bestimmte Blume im Garten be
wässern ( siehe Abbildung 2 0 ) . Fließt das Wasser durch den Schlauch, der
auf die Blume gerichtet ist, bekommt diese alles Wasser ab. Die Entfer
nung zwischen dem Wasseranschluss bis zur auf die Pflanze gerichteten
Düse spielt keine Rolle, denn alles Wasser gelangt schließlich an die
Pflanze, wie lang der Schlauch auch sein mag.
Stellen wir uns nun stattdessen vor, dass dieselbe Wassermenge mit
einem Sprinkler verteilt wird, der viele Blumen zugleich bewässert. Das
heißt, der Sprinkler verteilt das Wasser in einem Kreis, sodass es alle
Pflanzen in einer bestimmten Entfernung erreicht. Weil das Wasser j etzt
unter allen Obj ekten in diesem Abstand verteilt wird, bekommt die ur
sprüngliche Blume nicht länger alles Wasser ab. Darüber hinaus wird
der Sprinkler, je weiter die Blume von der Wasserquelle entfernt wächst,
umso mehr anderes Grünzeug bewässern, und das Wasser wird über
eine umso größere Fläche verteilt ( siehe Abbildung 21 ). Das kommt da
her, dass in einen Kreis von beispielsweise drei Metern Umfang mehr
Pflanzen passen als in einen von einem Meter Umfang. Weil das Wasser
breiter verteilt wird, bekommt eine Blume in größeren Abstand weniger
Wasser.
Ähnlich wirkt sich alles, was gleichförmig in mehr als einer Richtung
verteilt wird, in geringerem Maß auf irgendetwas aus, das weiter weg ist
- sei es nun eine Blume oder - wie wir bald sehen werden - ein Obj ekt,
das der Schwerkraft unterliegt. Wie Wasser wird die Schwerkraft feiner
verteilt, je größer die Entfernung ist.
An diesem Beispiel können wir auch sehen, warum die Verteilung so
sehr von der Anzahl der Dimensionen abhängt, in die sich das Wasser
( oder die Gravitation) ergießt. Das Wasser aus dem zweidimensionalen
Sprinkler wird mit der Entfernung feiner verteilt, im Gegensatz zum
Wasser aus dem eindimensionalen Schlauch, das überhaupt nicht verteilt
wird. Jetzt denken Sie sich einen Sprinkler, der das Wasser über die
O berfläche einer Kugel und nicht bloß in einem Kreis verteilt. (So ein
Sprinkler würde ungefähr wie die Pusteblume des Löwenzahns ausse-
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VERBORGENE UNIVERSEN
A b bildung 2 0 : Von einem Sprinkler, der das Wasser im Kreis verteilt, be
kommt ein und dieselbe Blume weniger Wasser geliefert als direkt aus einem
Schlauch.
hen . ) Dabei wird das Wasser sehr viel schneller mit der Entfernung im
mer feiner verteilt.
Wenden wir diesen Gedankengang jetzt auf die Gravitation an und lei
ten wir daraus ab, wie die Schwerkraft in drei Dimensionen von der Ent
fernung abhängt. Newtons Gravitationsgesetz beruht auf zwei Tatsa-
Sprinkler 2
A b bildung 2 1 : Wenn ein Sprinkler einen Kr· ·is von einem größeren Radius
bewässert, wird das Wasser feiner verteilt, und die Blume bekommt weniger
Wasser ab.
64
BEGRENZTE PASSAGEN: AUF GEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN
Beachten Sie, dass immer dieselbe Anzahl von Kraftlinien durch eine
sphärische Hülle hindurchgeht, die man in beliebiger Entfernung zeich
net, egal ob in kleinem oder großem Abstand ( Abbildung 22 Mitte und
rechts ) . Die Zahl der Kraftlinien ändert sich nie. Aber weil die Kraft
linien zwischen all den Punkten auf der O berfläche der Sphäre feiner ver
teilt sind, ist die über eine größere Entfernung ausgeübte Kraft notwen
digerweise schwächer. Den präzisen Abschwächungstaktor bestimmt
man mittels einer quantitativen Messung, wie weit verteilt die Kraft
linien bei irgendeiner gegebenen Entfernung sind.
Eine feste Anzahl von Kraftlinien passiert die Oberfläche einer Sphä re,
wie weit entfernt sie von der Masse auch sein mag. Die Oberfläche dieser
Sphäre ist dem Radius im Quadrat proportional : Die O berfläche ist
gleich einer Zahl, die mit dem Quadrat des Radius multipliziert wird.
65
VERBORGENE UNIVERSEN
Weil die feste Anzahl der Schwerkraftlinien über die Oberfläche der
Sphäre verteilt ist, muss die Gravitation mit dem Quadrat des Radius ab
nehmen. Diese Ausdünnung des Gravitationsfeldes ist der Ursprung des
umgekehrt quadratischen Gravitationsgesetzes .
Wir wissen j etzt also, dass in drei Dimensionen die Schwerkraft einem
inversen Quadratgesetz gehorcht. Beachten Sie, dass das Argument of
fensichtlich entscheidend von der Tatsache abhängt, dass es drei Raum
dimensionen gibt. Gäbe es nur zwei Dimensionen, müsste sich die Gra
vitation nur über einen Kreis verteilen, und die Schwerkraft würde mit
der Entfernung langsamer abnehmen. Gäbe es mehr als drei Dimensio
nen, würde die Oberfläche einer Hypersphäre viel schneller mit der Ent
fernung zwischen einem Planeten und seinem Mond zunehmen, und die
Anziehungskraft würde sehr viel schneller abnehmen. Es sieht so aus,
dass einzig und allein aus drei Raumdimensionen sich die umgekehrt
quadratische Abhängigkeit von der Entfernung ergi bt. Aber wenn das
der Fall ist, wie können dann Theorien mit zusätzlichen Dimensionen
N ewtons umgekehrt quadratisches Gravitationsgesetz liefern ?
Es ist sehr interessant, wie kompaktifizierte Dimensionen diesen po
tenziellen Konflikt lösen. Vereinfacht ausgedrückt, können sich die
Kraftlinien nicht beliebig weit in die kompakten Dimensionen erstre
cken, weil diese von endlicher Größe sind. Zwar verteilen sich die Kraft
linien anfänglich in alle Dimensionen, aber wenn sie sich über die Größe
der zusätzlichen Dimensionen hinaus verteilt haben, bleibt ihnen nichts
anderes übrig, als sich einzig und allein in Richtung der unendlichen Di
mensionen weiter auszubreiten.
Dieses können wir wiederum am Beispiel des Gartenschlauchs illu
strieren. Stellen Sie sich vor, dass das Wasser durch ein nadelfeines Loch
am verschlossenen Ende des Schlauchs hineingelangt ( siehe Abbildung
2 3 ) . Das durch die kleine Öffnung eingeleitete Wasser wird nicht sofort
den Schlauch entlang fließen, sondern sich zunächst über den Quer
schnitt des Schlauchs verteilen. Nichtsdestotrotz sollte klar sein, dass es
für Sie, die Sie am anderen Ende des Schlauchs Ihre Blume wässern,
überhaupt keinen Unterschied machen würde, wie das Wasser hineinge
langt ist. Zunächst würde sich das Wasser in mehr als einer Richtung
ausbreiten, doch bald würde es die innere O berfläche des Schlauchs er-
66
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE ZUSATZDIMENSIONEN
reichen und wieder so fließen, als gäbe es nur eine Richtung. Im Grunde
passiert dasselbe mit Gravitationsfeldlinien in kleinen, kompaktifizier
ten Dimensionen.
A b bildung 23 : Wenn das Wasser durch ein feines Loch am Schlauchende ein
dringt, breitet es sich zunächst in drei Dimensionen aus, ehe es dann entlang
der einen langen Dimension des Schlauchs weiterf/ießt.
Wie im Beispiel davor können wir uns eine feste Anzahl von Kraftlinien
vorstellen, die von einer massiven Sphäre ausgehen. Bei irgendeiner Ent
fernung, die kleiner ist als die Größe der zusätzlichen Dimensionen, wer
den sich diese Kraftlinien gleichmäßig in alle Richtungen verteilen.
Könnte man in j enem kleinen Maßstab die Gravitation messen, würde
67
VERBORGENE UNIVERSEN
68
BEGRENZTE PASSAGEN: AUFGEROLLTE Z USATZDIMENSIONEN
69
3
Exklusive Passagen:
Branen, Branenwelten und das Bulk
Bis vor kurzem betrachteten Physiker, die etwas auf sich hielten, zusätz
liche Dimensionen als nicht des Nachdenkens wert. Sie waren zu speku
lativ und zu exotisch : Niemand konnte etwas Definitives über sie sagen.
Doch seit ein paar Jahren haben Extradimensionen mehr Glück. Sie gel
ten nicht länger als unerwünschte Eindringlinge, sondern haben sich zu
sehr beliebten, stimulierenden Begleitern weiterentwickelt. Ihr neues
Prestige verdanken sie Branen und den vielen wirklich neuen theoreti
schen Möglichkeiten, die diese faszinierenden Konstrukte eröffnen.
Branen eroberten die Physikergemeinde 1 995 im Sturm, als der Physi-
70
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK
ker Joe Polehinski vom Kavli Institute for Theoretical Physics ( KITP) in
Santa Barbara zeigte, dass sie für die Stringtheorie von entscheidender
Bedeutung sind. Doch schon früher waren in der Physik branenähnliche
O bj ekte vorgeschlagen worden. Ein Beispiel dafür war die p-Brane (von
p-hantasievollen P-hysikern so genannt), ein Obj ekt, das sich nur in eini
gen Dimensionen unendlich weit erstreckt, was Physiker mathematisch
aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie a bgeleitet hatten. Die Teil
chenphysik hatte ebenfalls Mechanismen vorgeschlagen, die Teilchen
auf branenähnliche O berflächen beschränken. Aber die Branen der
Stringtheorie waren die Ersten, die sowohl Kräfte als auch Teilchen ein
fangen konnten, und wir werden bald sehen, dass zum Teil genau dies sie
so interessant macht. Wie Ike in einem dreidimensionalen Raum auf
einer zweidimensionalen Straße festhängt, können Teilchen und Kräfte
auf niedrigerdimensionalen O berflächen namens Branen gefangen sein,
selbst wenn das Universum noch viele weitere Dimensionen hat. Wenn
die Stringtheorie unsere Welt akkurat beschreibt, haben Physiker keine
andere Wahl, als die potenzielle Existenz solcher Branen anzuerkennen.
Die Welt der Branen ist eine aufregende neue Landschaft, die unser
Verständnis der Gravitation, der Teilchenphysik und der Kosmologie re
volutioniert hat. Es könnte im Kosmos tatsächlich Branen geben, und es
gibt keinen Grund, warum wir nicht auf einer solchen leben sollten. Bra
nen könnten sogar einen wichtigen Beitrag dazu liefern, die physikali
schen Eigenschaften unseres Universums zu bestimmen und letztlich be
obachtbare Phänomene zu erklären. Wenn das gelingt, werden Branen
und zusätzliche Dimensionen nicht mehr wegzudenken sein.
71
VERBORGENE UNIVERSEN
72
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK
der Gründe für ihre Unsichtbarkeit hat mit der Tatsache zu tun, dass die
Extradimensionen aufgerollt sind.
Das legt eine Alternative nahe : Vielleicht sind die Dimensionen gar
nicht aufgerollt, sondern sie hören einfach in einer endlichen Entfernung
auf. Weil Dimensionen, die im Nichts verschwinden, potenziell gefähr
lich sind - schließlich will man nicht, dass an ihren Enden Stücke vom
Universum abfallen -, muss es bei endlichen Dimensionen Grenzen ge
ben, die ihnen sagen, wo und wie sie aufhören. Die Frage ist, was mit
Teilchen und Energie passiert, wenn sie an diese Grenzen stoßen.
Die Antwort lautet : Sie treffen auf eine Brane. In einer höherdimen
sionalen Welt wären Branen die Grenzen des umfassenderen, höherdi
mensionalen Raums, den man Bulk * nennt. Im Gegensatz zu einer Brane
erstreckt sich das Bulk in alle Richtungen. Das Bulk umfasst alle Dimen
sionen, sowohl die auf als auch j ene außerhalb der Brane ( siehe Abbil
dung 2 5 ) . Das Bulk ist daher ziemlich >> sperrig<< , während im Vergleich
dazu die Brane (in einigen Dimensionen) flach wie ein Pfannkuchen ist.
Wenn Branen in bestimmten Richtungen an das Bulk grenzen, verlaufen
einige der Dimensionen des Bulk parallel zu denen der Brane, andere
hingegen führen davon weg. Wenn die Brane die Grenze ist, verlaufen die
von der Brane wegführenden Dimensionen nur zu einer Seite.
Um das Wesen von endlichen Dimensionen zu verstehen, die auf Bra-
73
VERBORGENE UNIVERSEN
nen enden, wollen wir uns ein sehr langes dünnes Rohr vorstellen. In
nerhalb des Rohrs gibt es drei Dimensionen : Eine lange und zwei kurze.
Damit die Analogie zu flachen Branen problemlos funktioniert, stellen
wir uns vor, dass unser dünnes Rohr einen quadratischen Querschnitt
hat. Ein unendlich langes Rohr von diesem Typ hätte vier unendlich
lange gerade Wände. Wenn das Rohr ein Universum in sich wäre, würde
es sich um eines mit drei Dimensionen handeln, von denen zwei auf bei
den Seiten von Wänden begrenzt sind und eine sich unendlich weit er
streckt.
Wir wissen, dass ein langes dünnes Rohr, wenn man es aus der Ferne
betrachtet ( oder mit ungenügender Auflösung ) , eindimensional wie der
Gartenschlauch im vorangegangenen Kapitel wirkt. Und wie zuvor beim
Gartenschlauch-Universum können wir auch fragen, wie das Rohr-Uni
versum - das aus dem Rohr und seinem Inneren besteht - von einem be
wussten Wesen wahrgenommen würde, das in seinem Inneren lebt.
Wie Sie sich vielleicht denken, hängt das von der Auflösung des We
sens ab. Eine kleine Fliege, die sich frei in der quadratischen Röhre be
wegen könnte, würde es als dreidimensional wahrnehmen. Im Gegensatz
zum zweidimensionalen Gartenschlauch-Beispiel gehen wir hier davon
aus, dass die Fliege sich im Innern des Rohrs bewegen kann, nicht nur
auf der Außenfläche. Nichtsdestotrotz würde sie wie beim Garten
schlauch die eine lange Dimension anders wahrnehmen als die anderen
beiden. In einer Richtung könnte die Fliege beliebig weit reisen ( wenn
wir davon ausgehen, dass unser Rohr sehr lang oder unendlich ist), wäh
rend sie in den anderen beiden Richtungen nur ein kurzes Stück weit
käme - die Rohrweite.
Abgesehen von der Anzahl der Dimensionen gibt es j edoch noch einen
Unterschied zwischen dem Gartenschlauch- und dem Rohr-Universum.
Im Gegensatz zum Käfer im vorangegangenen Kapitel bewegt sich die
Fliege im Inneren des Rohrs. Und so trifft die Fliege manchmal auf
Wände. Sie kann hin und her oder hoch und runter fliegen und an eine
Grenze kommen. Der Käfer auf dem Schlauch hingegen wäre nie an eine
Grenze gekommen : Vielmehr hätte er immer weiter seine Kreise gezo
gen.
Wenn die Fliege eine Grenze ihres Rohr-Universums erreicht, muss es
Regeln geben, die ihr Verhalten bestimmen. Die Wände des Rohrs erfül
len diese Aufgabe. Die Fliege könnte gegen die Wand klatschen und ihr
Leben lassen ; oder das Rohr reflektiert vielleicht, sodass die Fliege ab
prallt. Wäre das Rohr ein wirkliches, von Branen begrenztes Universum,
74
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK
75
VERBORGENE UNIVERSEN
Es gibt viele, uns vertrautere Beispiele für Dinge mit eingeschränkter Be
wegungsfreiheit, für die bestimmte Raumregionen wirklich unzugäng
lich sind. Die elektrische Lad ung in einem Draht oder eine Perle auf
einem Abakus sind beides Obj ekte in einer dreidimensionalen Welt, die
sich aber nur in einer ihrer Dimensionen bewegen können. Es gibt auch
ganz normale Dinge, die auf zweidimensionale O berflächen beschränkt
sind. Wassertropfen auf einem Duschvorhang fließen nur entlang der
zweidimensionalen Oberfläche des Vorhangs ( siehe Abbildung 26 ) .
76
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK
+
A bbildung 2 7 : Sam Loyds Spiel lS
>> «
77
VERBORGENE UNIVERSEN
det, sind die Teilchen auf den Branen, die sich nicht durch alle Dimen
sionen bewegen können.
Im Prinzip könnten Branen und das Bulk j ede beliebige Anzahl von
Dimensionen aufweisen, solange eine Brane niemals mehr Dimensionen
als das Bulk hat. Die Dimensionalität einer Brane ist die Anzahl von Di
mensionen, in denen sich an die Brane gebundene Teilchen bewegen
können. Es gibt zwar viele Möglichkeiten, aber später werden uns am
meisten die dreidimensionalen Branen interessieren. Wir wissen nicht,
warum drei Dimensionen so etwas Besonderes sein sollten. Aber Branen
mit drei Raumdimensionen könnten für unsere Welt wichtig sein, weil
sie sich in den drei räumlichen Dimensionen erstrecken könnten, die wir
kennen. Solche Branen könnte es in einem Bulk-Raum mit einer beliebi
gen Anzahl von Dimensionen geben, solange es mehr als drei sind - vier,
fünf oder mehr Dimensionen.
Selbst wenn das Universum tatsächlich viele Dimensionen hat, wür
den die uns vertrauten Teilchen und Kräfte, wenn sie an eine dreidimen
sionale Brane gebunden sind, sich so verhalten, als würden sie nur in
dreien existieren. Auf Branen begrenzte Teilchen könnten sich nur ent
lang der Brane bewegen. Und wenn Licht ebenfalls an der Brane haftete,
könnten sich die Lichtstrahlen nur entlang der Brane ausbreiten. In einer
dreidimensionalen Brane würde sich Licht genauso verhalten wie in
einem wirklich dreidimensionalen Universum.
Darüber hinaus beeinflussen auf einer Brane gefangene Kräfte nur
Teilchen, die auf dieselbe Brane beschränkt sind. Die Materie, aus der
wir bestehen - etwa Kerne und Elektronen -, und die Kräfte, durch die
diese Bausteine miteinander wechselwirken - beispielsweise die elektri
sche Kraft -, könnten auf eine dreidimensionale Brane beschränkt sein.
An eine Brane gebundene Kräfte könnten sich nur entlang ihrer Brane
ausbreiten, und an eine Brane gebundene Teilchen würden einzig und al
lein entlang der Dimensionen dieser Brane ausgetauscht und sich bewe
gen können.
Wenn Sie also in einer dreidimensionalen Brane lebten, könnten Sie
sich frei entlang ihrer Dimensionen bewegen, genau wie Sie das j etzt in
drei Dimensionen tun. Alles auf eine dreidimensionale Brane Be
schränkte würde genauso aussehen wie in einer Welt, die wirklich drei
dimensional ist. Die anderen Dimensionen würden im Anschluss an die
Brane existieren, aber die an eine dreidimensionale Brane gebundenen
Dinge könnten niemals das höherdimensionale Bulk durchdringen.
Aber auch wenn Kräfte und Materie auf eine Brane beschränkt sein
78
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK
Weil Branen vielleicht in der Lage sind, die meisten Teilchen und Kräfte
gefangen zu halten, könnte das von uns bewohnte Universum möglicher
weise auf einer dreidimensionalen Brane untergebracht sein, die in einem
Meer zusätzlicher Dimensionen schwimmt. Die Gravitation würde sich
in die Extradimensionen hinaus auswirken, aber Sterne, Planeten, Men
schen und alles andere, was wir wahrnehmen, könnten auf die dreidi-
79
VERBORGENE UNIVERSEN
mensionale Brane beschränkt sein. Dann würden wir auf einer Brane le
ben. Eine Brane könnte unser Habitat sein. Das Konzept der Branenwel
ten gründet sich auf diese Annahme ( siehe Abbildung 2 8 ) .
A b bildung 2 8 : Wir leben möglicherweise auf einer Brane. Das heißt, die Ma
terie, aus der wir bestehen, die Photonen und die anderen Teilchen des Stan
dardmodells könnten alle auf diese B rane beschränkt sein. Nur die Gravita
tion wäre immer überall - auf der Brane und im Bulk, wie die geschlängelten
Pfeile andeuten.
80
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK
A b bildung 2 9 : Das Universum könnte multiple Branen umfassen, die nur per
Gravitation oder überhaupt nicht wechselwirken. Solche Anordnungen be
zeichnet man manchmal als » Multiversen « .
takt mit Teilchen a u f einer anderen Brane. Wenn es also um mehr a l s eine
Brane mit keiner anderen gemeinsamen Kraft als der Gravitation geht,
werde ich das Universum, das sie beide beherbergt, gelegentlich als Mul
tiversum bezeichnen.
Über Branen nachzudenken macht einem bewusst, wie wenig wir über
den Raum wissen, in dem wir leben. Das Universum könnte eine groß
artige Konstruktion sein, in der intermittierende Branen miteinander
verknüpft sind. Selbst wenn wir die Grundzutaten kennen, sind in einem
von mehr als einer Brane bevölkerten Multiversum exotische neue Sze
narien für die Raumgeometrie genauso vorstell bar wie Myriaden von
Möglichkeiten, wie die uns bekannten und unbekannten Teilchen auf
ihnen verteilt sein können. Aus einem einzigen Stapel Spielkarten kann
man ganz unterschiedliche Blätter auf die Hand bekommen. Es gibt Dut
zende von Möglichkeiten.
Andere Branen könnten parallel zu unserer liegen und Parallelwelten
beherbergen. Aber es könnte noch viele weitere Arten von Branenwelten
geben. Branen könnten sich schneiden, und Teilchen könnten an den
Schnittstellen gefangen sein. Branen könnten unterschiedliche Dimensio
nalität haben. Sie könnten sich krümmen. Sie könnten sich bewegen. Sie
könnten sich um unentdeckte, unsichtbare Dimensionen wickeln. Lassen
wir unsere Fantasie spielen und j edes Bild entwerfen, das uns gefällt. Es
ist nicht unmöglich, dass es im Kosmos eine solche Geometrie gibt.
In einer Welt, in der Branen in ein höherdimensionales Bulk eingebet
tet sind, könnte es einige Teilchen geben, die höhere Dimensionen btrei
sen, und andere, die auf ihren Branen gefangen bleiben. Wenn das Bulk
81
VERBORGENE UNIVERSEN
eine Brane von einer anderen trennt, könnten einige Teilchen auf der ers
ten, andere auf der zweiten Brane und wieder andere mitten dazwischen
sein. Die Theorien ergeben zahlreiche Möglichkeiten, wie Teilchen und
Kräfte zwischen unterschiedlichen Branen und dem Bulk verteilt sein
könnten. Selbst bei aus der Stringtheorie abgeleiteten Branen wissen wir
noch nicht, warum die Stringtheorie irgendeine bestimmte Verteilung
von Teilchen und Kräften bevorzugen sollte. Branenwelten führen zu
neuen physikalischen Szenarios, die sowohl die Welt beschreiben könn
ten, die wir zu kennen glauben, als auch andere unbekannte Welten auf
anderen un bekannten Branen, die von unserer Welt durch unentdeckte
Dimensionen getrennt sind.
Es könnte neuartige Kräfte geben, die auf entfernte Branen beschränkt
sind. Neue Teilchen, mit denen wir niemals direkt wechselwirken wer
den, könnten sich auf solchen anderen Branen ausbreiten. Zusätzlichen
Stoff, der für die Dunkle Materie und Dunkle Energie verantwortlich ist
- Materie und Energie, auf die wir aus Gravitationseffekten schließen,
deren Identität aber ein Rätsel bleibt -, könnte es zwischen verschiede
nen Branen verteilt oder sogar sowohl im Bulk als auch auf anderen Bra
nen geben. Und die Gravitation könnte sich sogar von der einen Brane
zur nächsten ganz unterschiedlich auf Teilchen auswirken.
Wenn es auf einer anderen Brane Leben gibt, würden diese in einer
völlig anderen Umwelt gefangenen Wesen höchstwahrscheinlich völlig
anderen Kräften ausgesetzt sein, die von anderen Sinnen wahrgenom
men werden. Unsere Sinne sind auf die Chemie, das Licht und die Klänge
um uns herum abgestimmt. Weil die fundamentalen Kräfte und Teilchen
wahrscheinlich anders wären, würden die Kreaturen anderer Branen, so
es sie geben sollte, wahrscheinlich nicht viel Ähnlichkeit mit dem Leben
auf unserer Brane aufweisen. Die anderen Branen würden wahrschein
lich in keiner Hinsicht unserer eigenen ähneln. Die einzige notwendiger
weise gemeinsame Kraft wäre die Gravitation, und selbst deren Wirkung
könnte variieren.
Die Konsequenzen einer Branenwelt würden von der Anzahl der Bra
nen, von den Branentypen und von ihrer Lokalisierung abhängen. Un
glücklicherweise - für die Neugierigen - müssen sich die auf entfernte
Branen beschränkten Teilchen und Kräfte nicht unbedingt sehr stark auf
uns auswirken. Vielleicht hängt von ihnen bloß ab, was sich im Bulk be
wegt, und sie senden nur schwache Signale aus, die uns möglicherweise
niemals erreichen. Daher werden viele denkbare Branenwelten sehr
schwierig zu entdecken sein, selbst wenn es sie tatsächlich geben sollte.
82
EXKLUSIVE PASSAGEN: BRANEN, BRANENWELTEN UND DAS BULK
Schließlich ist die Gravitation die einzige Wechselwirkung, von der wir
sicher wissen, dass sie sowohl auf unserer Brane als auch auf allen ande
ren Branen wirkt, und die Gravitation ist eine extrem schwache Kraft.
Ohne direkte Beweise werden andere Branen ins Reich der Theorie und
der Vermutung eingesperrt bleiben.
Aber einige der Branenwelten, die ich präsentieren will, bringen mög
licherweise Signale hervor, die wir entdecken können. Die entdeckbaren
Branenwelten sind die, die für die physikalischen Eigenschaften unserer
Welt von Belang sein können. O bwohl die Unmenge an möglichen Bra
nenwelten in gewisser Hinsicht frustrierend ist, ist sie eigentlich ganz
aufregend. Branen könnten uns nicht nur helfen, hartnäckige Probleme
der Teilchenphysik zu lösen ; wenn wir Glück haben und eines der Sze
narios, die ich beschrei ben werde, zutrifft, dann müssten sehr bald bei
Experimenten der Elementarteilchenphysik Beweise für Branenwelten
auftauchen. Wir könnten wirklich auf einer Brane leben - und es im Lauf
eines Jahrzehnts wissen.
Bislang wissen wir noch nicht, welche - wenn überhaupt eine - der
vielen Möglichkeiten die wahre Beschrei bung des Universums ist. Ich
werde daher alle Optionen offen halten, damit ich nichts Interessantes
auslasse. Welches Szenario auch immer sich als zutreffende Beschrei bung
unserer Welt erweisen wird, die von mir vorgestellten stellen neue und
faszinierende Ideen dar, die zuvor niemand für möglich gehalten hätte.
83
4
» Moment mal, Ike. Findest du nicht auch, dass die letzte Zeile ein biss
chen verrück t ist ? Sie ist ja wohl romantisch gemeint, klingt aber fast, als
ginge es um Physik . «
»Athena, wenn du das schon für merkwürdig hältst, dann musst du dir
einmal die erste Strophe des Originals anhören : «
84
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
» lke, du erwartest doch nicht, dass ich das glaube, oder ? Als Nächstes
wirst du, denke ich, mir wohl erzählen, Rick und llsa würden in die
siebte Dimension entkommen ! Warum vergessen wir nicht einfach, was
ich gesagt habe, lehnen uns zurück und schauen den Film weiter an ? «
lichte, nahmen Physiker bis in jüngste Zeit diese Überlegung nicht allzu
ernst.
Da wir nun gesehen haben, was Dimensionen sind und wie sie unse
rer Aufmerksamkeit entgehen können, sind wir fast bereit zu fragen,
was dieses neuerliche Interesse an zusätzlichen Dimensionen auslöste.
Warum sollten Physiker glauben, dass sie in der realen physikalischen
Welt tatsächlich existieren ? Das bedarf einer weit längeren Erklärung -
und die muss ein paar der wichtigsten Entwicklungen in der Physik
des vergangenen Jahrhunderts berücksichtigen. Ehe ich mich an die
Beschreibung möglicher extradimensionaler Universen mache, werde
ich in den nächsten paar Kapiteln diese Entwicklungen vorstellen und
darlegen, warum sie j üngeren Theorien den Weg ebneten. Wir wer
den uns die großen Paradigmenwechsel ansehen, zu denen es Anfang
des 20. Jahrhunderts kam ( Quantenmechanik, allgemeine Relativitäts
theori e ) , die wesentlichen Aspekte der heutigen Teilchenphysik ( Stan
dardmodell, Symmetrie, gebrochene Symmetrie, das Hierarchiepro
blem) und neue Ideen, mit denen man momentan ungelöste Probleme
,.
Nur ein Jahr, nachdem zum letzten Mal vor 2004 die Red Sox die World Series ge·
wannen - ziemlich lange her.
85
VERBORGENE UNIVERSEN
86
ANN.�HERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
Modelle bauen
87
VERBORGENE UNIVERSEN
88
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
89
VERBORGENE UNIVERSEN
Die Stringtheorie geht davon aus, dass Strings, >> Fäden << oder >> Sai
ten << , und nicht Teilchen die fundamentalsten O bj ekte in der Natur sind.
Die von uns in der umgebenden Welt beobachteten Teilchen sind bloß
Konsequenzen von Strings : Sie entstehen durch die unterschiedlichen
Schwingungsarten eines oszillierenden Strings, genau wie unterschied
liche musikalische Töne von einer schwingenden Violinsaite hervorge
bracht werden können. Die Stringtheorie fand Beifall, weil Physiker
nach einer Theorie suchten, die widerspruchsfrei Quantenmechanik und
allgemeine Relativitätstheorie vereinbaren und Vorhersagen bis hinunter
zu den winzigsten vorstellbaren Skalenbereichen machen kann. Viele
Leute hielten die Stringtheorie für die aussichtsreichste Kandidatin.
Eine andere Gruppe von Physikern beschloss j edoch, den Kontakt zu
der relativ niedrigenergetischen Welt zu halten, die man mit Experimen
ten erforschen konnte. Ich studierte in Harvard, und die Teilchenphysi
ker dort - neben den exzellenten Modellbauern Howard Georgi und
Sheldon Glashow viele begabte Postdoktoranden und Studenten - zähl
ten zu den Getreuen, die mit dem Modell-Ansatz weitermachten .
Anfangs tobten wilde Schlachten zwischen den beiden entgegengesetz
ten Standpunkten - Stringtheorie und Modellbau -, bei denen beide Sei
ten behaupteten, auf dem Weg zur Wahrheit besser voranzukommen.
Die Modellbauer meinten, die Stringtheoretiker lebten in einem mathe
matischen Traumland, wohingegen Stringtheoretiker der Ansicht waren,
dass die Modellbauer ihre Zeit verschwendeten und die Wahrheit nicht
zur Kenntnis nähmen.
Wegen der vielen brillanten Modellbauer in Harvard und meiner eige
nen Vorliebe für die Herausforderung des Modellbaus blieb ich diesem
Lager treu, als ich meine ersten Schritte in der Teilchenphysik machte.
Die Stringtheorie ist ein großartiges Gedankengebäude, das schon zu
profunden mathematischen und physikalischen Erkenntnissen geführt
hat, und sie könnte gut die korrekten Zutaten enthalten, um letztlich die
Natur zu beschreiben. Aber den Zusammenhang zwischen der String
theorie und der realen Welt herzustellen ist eine Aufgabe, die einem
Angst machen kann. Das Problem besteht darin, dass die Stringtheorie
für eine Energieskala definiert ist, die rund zehn Millionen Milliarden
mal größer ist als j ene, die wir mit unseren heutigen Instrumenten expe
rimentell erforschen können. Wir wissen noch nicht einmal, was passie
ren wird, wenn die Energie der Teilchenbeschleuniger um den Faktor
zehn gesteigert werden wird !
Eine enorme theoretische Kluft trennt die Stringtheorie, wie sie gegen-
90
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
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VERBORGENE UNIVERSEN
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ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
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VERBORGENE UNIVERSEN
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ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
nicht nur nach neuen Teilchen, mit ihnen werden auch Modelle getestet
und Hinweise auf bessere gesucht. Jedes vorgeschlagene Modell der Teil
chenphysik schließt neue physikalische Prinzipien und neue physikali
sche Gesetze ein, die für messbare Energien gelten. Es wird daher neue
Teilchen und überprüfbare Beziehungen zwischen ihnen vorhersagen.
Findet man diese Teilchen und misst man ihre Eigenschaften, kann man
vorgeschlagene Ideen damit bestätigen oder ausschließen. Das Ziel von
Hochenergieexperimenten besteht darin, Licht in die zugrunde liegenden
physikalischen Gesetze und den konzeptuellen Bezugsrahmen, der ihnen
ihre Erklärungskraft gibt, zu bringen.
Nur einige Modelle werden sich als korrekt erweisen, aber Modelle
sind das beste Mittel, Möglichkeiten zu erkunden und einen Vorrat an
zwingend erforderlichen Bestandteilen anzulegen. Und wenn die String
theorie richtig ist, werden wir schließlich herausfinden, dass einige Mo
delle die Konsequenz davon sind, genau wie die Thermodynamik in der
Atomtheorie wurzelte. Rund ein Jahrzehnt lang j edoch waren die beiden
Lager scharf gespalten. Albion Lawrence, ein j unger Stringtheoretiker
der Brandeis University, meinte kürzlich, als wir über dieses Schisma
sprachen : >> Eine der Tragödien ist, dass Stringtheorie und Modellbau
völlig getrennte intellektuelle Sphären waren. Modellbauer und String
theoretiker sprachen jahrelang nicht miteinander. Für mich war die
Stringtheorie immer der Großvater aller Modelle . <<
Sowohl Stringtheoretiker als auch Modellbauer suchen nach einem
gangbaren eleganten Weg, der die Theorie mit der beobachteten Welt zu
sammenbringt. Jede Theorie wird nur dann wirklich überzeugend und
wahrscheinlich richtig sein, wenn dieser Weg, und nicht nur die Aussicht
vom Gipfel, diese Eleganz aufweist. Modellbauer, die von unten anfan
gen, gehen das Risiko vieler Fehlstarts ein, Stringtheoretiker aber, die
oben anfangen, laufen Gefahr, sich am Rand einer steilen, freistehenden
Klippe wiederzufinden, die zu abgelegen ist, als dass sie ihren Weg zu
rück ins Basislager finden könnten.
Man könnte sagen, dass wir alle nach der Sprache des Universums su
chen. Aber während Stringtheoretiker sich auf die innere Logik der
Grammatik konzentrieren, lenken Modellbauer ihre Aufmerksamkeit
auf die Wörter und Phrasen, die sie am nützlichsten finden. Wenn Teil
chenphysiker in Florenz Italienisch lernen würden, würden Modellbauer
bald wissen, wie sie nach einer Unterkunft fragen, und sich das nötige
Voka bular aneignen, um sich in der Stadt zurechtzufinden, auch wenn
sie sich vielleicht komisch ausdrücken und nie das Inferno verstehen
95
VERBORGENE UNIVERSEN
96
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
Letztlich betreffen die Ideen, die wir uns ansehen werden, das gesamte
Universum. Ihren Ursprung haben sie allerdings in der Teilchenphysik
und in der Stringtheorie - die beide danach trachten, die kleinsten Be
standteile der Materie zu beschreiben. Ehe wir also unsere Reise durch
das extrem theoretische Territorium beginnen, mit dem sich diese beiden
Disziplinen befassen, machen wir erst einen kleinen Ausflug in die Ma
terie bis hinunter zu ihren kleinsten Teilen. Achten Sie bei dieser Führung
durch das Atom auf die Grundbausteine der Materie und die Größe der
Objekte, mit denen sich die verschiedenen physikalischen Theorien be
fassen. Sie stellen so etwas wie Marksteine dar, an denen Sie sich später
orientieren können und die Ihnen helfen werden, die Komponenten wie
derzuerkennen, mit denen sich der jeweilige Bereich der Physik befasst.
Die Grundvoraussetzung fast aller Physik lautet, dass Elementarteil
chen die Bausteine der Materie sind. Schält man Schicht um Schicht ab,
findet man im Inneren letztlich immer Elementarteilchen. Teilchenphysi
ker erforschen ein Universum, in dem diese O bj ekte die kleinsten Ele
mente sind. Die Stringtheorie geht noch einen Schritt weiter und postu
liert, dass jene Teilchen die Schwingungen von elementaren Strings sind.
A ber selbst Stringtheoretiker glauben, dass die Materie aus Teilchen zu
sammengesetzt ist - den n icht weiter aufzulösenden Entitäten in ihrem
Innersten.
Vielleicht fällt es schwer zu glauben, dass alles aus Teilchen zusam
mengesetzt ist; mit dem bloßen Auge sind sie mit Sicherheit nicht zu er
kennen. Aber das liegt nicht an der zu groben Auflösung unserer Sinnes
wahrnehmung, die auch etwas annähernd so Winziges wie ein Atom
nicht direkt entdecken kann. Dennoch sind Elementarteilchen, auch
wenn wir sie nicht direkt beobachten können, die grundlegenden Bau
steine der Materie. Genau wie die scheinbar kontinuierlichen Bilder auf
Ihrem Computermonitor oder Ihrem Fernsehgerät in Wirklichkeit aus
winzigen Punkten aufgebaut sind, besteht die Materie aus Atomen, die
97
VERBORGENE UNIVERSEN
98
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
�
� / " Das Atom
/ \
I \ (±) positiv geladenes Proton
I
/
Protonen und Neutronen
werden zusammen als
Nukleonen beze1chnet
Abbildung 3 0 : Das Atom besteht aus Elek tronen, die um einen winzigen
Kern k reisen. Dieser Kern oder Nukleus besteht aus positiv geladenen Proto
nen und ladungsneutralen Neutronen.
Elektronen umgeben ist ( siehe Abbildung 3 0 ) . Der Kern ist viel kleiner
als das Atom, er umfasst nur ein Hunderttausendstel der Größe des
Atoms. Und der positiv geladene Kern ist selbst wieder zusammenge
setzt : Er besteht aus positiv geladenen Protonen und neutralen (nicht ge
ladene n ) Neutronen ; beide zusammen werden als Nukleonen bezeich
net, und sie sind nicht sehr viel kleiner als der Kern selbst. Das war das
Bild, das die Wissenschaftler bis zu den sechziger Jahren kannten, und
-
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Nukleonen �
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Ein Proton - � /
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besteht aus zwei Up-Quarks
und einem Down-Quark -
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CJ:: = \
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Ein N e utron - � /
besteht aus einem U p-Quark"
und zwei Down-Quarks
99
VERBORGENE UNIVERSEN
100
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
chen erforscht, ist die Gravitation nur für bestimmte Erweiterungen des
Standardmodells von Belang, beispielsweise die extradimensionalen
Modelle, die wir später betrachten werden. Bei allen anderen Vorhersa
gen über Elementarteilchen können wir die Gravitation vergessen.
Nachdem wir nun in die Welt der fundamentalen Teilchen vorgedrun
gen sind, wollen wir uns ein bisschen umsehen und bei unseren Nach
barn Inventur machen. Das Up-Quark und das Down-Quark und das
Elektron stellen das Mark der Materie dar. Wir wissen aber mittlerweile,
dass es auch noch weitere, schwerere Quarks und andere schwerere,
den Elektronen ähnliche Teilchen gibt, die in gewöhnlicher Materie nir
gendwo vorkommen.
Beispielsweise beträgt die Masse des Elektrons rund ein halbes Tau
sendstel von der eines Protons, aber ein Teilchen namens Myon mit
genau derselben Ladung wie das Elektron hat eine Masse, die zweihun
dertmal größer ist als die des Elektrons. Ein Teilchen namens Tau, das
gleichfalls dieselbe Ladung hat, besitzt eine noch zehnmal größere
Masse. Und bei Experimenten mit Hochenergie-Teilchenbeschleunigern
wurden in den letzten 30 Jahren noch schwerere Teilchen entdeckt. Um
sie zu produzieren, brauchten Physiker große Mengen extrem konzen
trierter Energie, wie die heutigen hochenergetischen Teilchenbeschleuni
ger sie erzeugen können.
Mir ist bewusst, dass dieser Abschnitt als Führung durch das Innere
Myon-
zweite Charm Strange Neutrino Myon
Generation
MeV 0
101
VERBORGENE UNIVERSEN
der Materie angekündigt worden war, aber die Teilchen, über die ich
j etzt spreche, findet man nicht im Innern sta biler O bj ekte der materiellen
Welt. Auch wenn alle bekannte Materie aus Elementarteilchen besteht,
sind schwerere Elementarteilchen keine Konstituenten von Materie. Sie
werden sie nicht in Ihren Schnürsenkeln, auf Ihrem Schreibtisch oder auf
dem Mars oder in irgendeinem anderen uns bekannten physischen Ob
j ekt finden. Diese Teilchen werden gegenwärtig nur bei Experimenten
mit Hochenergie-Teilchenbeschleunigern erzeugt, und sie waren unmit
telbar nach dem Urknall Bestandteile des frühen Universums.
Trotzdem sind diese schweren Teilchen wesentliche Bestandteile des
Standardmodells. Sie wechselwirken mittels derselben Kräfte wie die
vertrauteren Teilchen, und sie werden höchstwahrscheinlich eine wich
tige Rolle spielen, wenn es um ein tieferes Verständnis der grundlegen
den physikalischen Gesetze der Materie geht. Ich habe die Teilchen des
Standardmodells in den Abbildungen 32 und 33 aufgelistet. Dabei habe
ich auch Neutrinos und Wechselwirkungen vermittelnde Eichbosonen
berücksichtigt, von denen ich mehr in Kapitel 7 berichten will, wenn ich
die Elemente des Standardmodells eingehender diskutiere.
Niemand weiß, warum es die schweren Teilchen des Standardmodells
gibt. Was ihr Zweck ist, welche Rolle sie letztlich in der zugrunde liegen
den Theorie spielen und warum ihre Massen sich so stark von den Bau
steinen der eher vertrauten Materie unterscheiden, zählt zu den großen
Geheimnissen, mit denen das Standardmodell konfrontiert ist. Und das
sind nur ein paar der Fragen, die das Standardmodell nicht beantworten
kann. Warum beispielsweise gibt es vier Kräfte und keine weiteren ?
Könnte es andere geben, die wir noch nicht entdeckt haben ? Und warum
ist die Gravitation so viel schwächer als die anderen bekannten Kräfte ?
Das Standardmodell lässt auch eine eher theoretische Frage offen, die
die Stringtheorie zu beantworten hofft : Wie versöhnen wir Quantenme
chanik und Schwerkraft widerspruchsfrei bei allen Entfernungsskalen ?
Diese Frage unterscheidet sich insofern von den anderen, als sie nicht be
obachtbare Phänomene betrifft, sondern stattdessen nach den Grenzen
der Teilchenphysik fragt.
Beide Arten von unbeantworteten Fragen - die nach sichtbaren und
j ene nach rein theoretischen Phänomenen -, bieten Anlass, über das
Standardmodell hinauszublicken. Trotz des Erfolgs und der Überzeu
gungskraft des Standardmodells sind wir zuversichtlich, dass fundamen
talere Strukturen der Entdeckung harren und dass die Suche nach funda
mentaleren Prinzipien erfolgreich sein wird. Elegant hat das der Kompo-
1 02
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
nist Steve Reich in der New York Times formuliert ( i n einer Analogie zu
einem von ihm geschriebenen Stück ) : >> Erst gab es einfach nur Atome,
dann gab es Protonen und Neutronen, dann die Quarks, und heute reden
wir von der Stringtheorie. Es sieht so aus, als würde sich alle 20, 30, 40,
50 Jahre eine Falltür öffnen und den Weg zu einer neuen Ebene der Rea
lität freigeben. << *
Bei Experimenten mit heutigen und zukünftigen Teilchenbeschleuni
gern sucht man nicht länger nach den Bestandteilen des Standardmodells
- die sind alle * * gefunden worden. Mit dem Standardmodell kann man
diese Teilchen j e nach ihren Wechselwirkungen bestens organisieren,
und das vollständige Ensemble der Standardmodell-Teilchen ist heute
bekannt. Vielmehr suchen die Experimentatoren nach Teilchen, die noch
interessanter sein müssten. Gegenwärtige theoretische Modelle schließen
die Bestandteile des Standardmodells ein, fügen aber neue Elemente
hinzu, um einige der Fragen anzugehen, die das Standardmodell unbe
antwortet lässt. Wir hoffen, dass heutige und zukünftige Experimente
Hinweise liefern, die uns erlauben, zwischen ihnen zu unterscheiden und
das wahre, der Materie zugrunde liegende Wesen zu finden.
Auch wenn wir experimentelle und theoretische Anzeichen für das
Wesen einer fundamentaleren Theorie haben, werden wir wahrschein
lich nicht wissen, was die korrekte Beschreibung der Natur ist, bis Ex
perimente mit noch höherer Energie (mit denen noch kürzere Entfer
nungen untersucht werden) die Antwort liefern. Wie wir später sehen
werden, weisen theoretische Anzeichen darauf hin, dass Experimente im
nächsten Jahrzehnt fast mit Sicherheit etwas Neues ergeben werden. Ein
definitiver Beweis für die Stringtheorie wird das wahrscheinlich nicht
sein, weil ein solcher sehr schwer zu finden sein wird, aber wir werden
sehen, dass es etwas so Exotisches wie neue Beziehungen in der Raumzeit
sein kann oder neue und bislang nicht gesehene zusätzliche Dimensionen
- neue Phänomene, die sowohl in der Stringtheorie als auch in anderen
teilchenphysikalischen Theorien eine Rolle spielen. Und trotz der Band
breite unserer kollektiven Vorstellungskraft werden diese Experimente
auch das Potenzial haben, etwas zu enthüllen, an das bislang noch nie
mand gedacht hat. Meine Kollegen und ich sind sehr gespannt, was dies
sein wird.
* Zitiert in : Anne Midgette, " At 3 score and 10, the music deepens " , New York Times,
28. Januar 2005.
'' ,,.
Mit Ausnahme des Higgs-Teilchens, siehe hierzu die erste Fußnote von Kapitel 7.
103
VERBORGENE UNIVERSEN
Vorschau
Die gerade besuchte Struktur der Materie kennen wir infolge entschei
dender physikalischer Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts.
Diese gewaltigen Fortschritte sind für jede noch umfassendere Theorie
der Welt, mit der wir vielleicht noch aufwarten werden, von entscheiden
der Bedeutung, aber sie stellen auch an sich großartige Leistungen dar.
Vom nächsten Kapitel an werden wir diese Entwicklungen näher in
Augenschein nehmen. Theorien entwickeln sich aus Beobachtungen und
Defiziten von Vorläufertheorien, und die Rolle der j üngeren Fortschritte
werden Sie besser verstehen können, wenn Sie sich mit diesen bemer
kenswerten früheren Entwicklungen vertraut machen . Abbildung 34
deutet einige der Zusammenhänge zwischen den zu diskutierenden
Theorien an. Wir werden sehen, wie j ede dieser Theorien auf den Ergeb
nissen ä lterer aufgebaut wurde und wie neuere Theorien die Lücken fü ll
ten, die erst entdeckt wurden, nachdem die älteren Theorien vervollstän
digt waren.
Wir beginnen mit den beiden revolutionären Ideen vom Anfang des
20. Jahrhunderts : Relativitätstheorie und Quantenmechanik, durch die
wir etwas über die Gestalt des Universums und die O bj ekte darin in Er
fahrung brachten und die Zusammensetzung und die Struktur des
Atoms verstehen lernten. Dann werden wir das Standardmodell der Teil
chenphysik einführen, das i n den sechziger und siebziger Jahren des
20. Jahrhunderts entwickelt wurde, um die Wechselwirkungen der Eie-
allgemeine spezielle
Quanten
Relativitäts-
mechanik
theorie
Standard
String
modell
theorie
Branen
Hierarchie
Supersymmetrie
Brauen
Welten
A b bildung 34 : Die Bereiche der Physik, denen wir begegnen werden , und wie
sie miteinander zusammenhängen.
104
ANNÄHERUNGEN AN DIE THEORETISC HE PHYSIK
105
VERBORGENE UNIVERSEN
106
II
Fortschritte zu Beginn
des 2 0 . Jahrhunderts
5
Relativitätstheorie:
Die Evolution der Einstein'schen Gravitation
Icarus (Ike) Rushmore III. konnte es nicht erwarten, Dieter seinen neuen
Parsehe vorzuführen. Aber so stolz er auch auf sein Auto war, noch auf
regender fand er sein Globales Positionierungs-System (GPS), das er
k ürzlich selbst konstruiert und eingebaut hatte.
Ike wollte bei Dieter Eindruck schinden, also überredete er seinen
Freund, mit ihm zur nahe gelegenen Rennstrecke zu fahren. Sie stiegen
ins Auto, Ike programmierte das Ziel ein, und los ging es. Aber zu Ikes
Verdruss kamen sie am falschen Ort an - das GPS funk tionierte nicht an
nähernd so gut, wie er gehofft hatte. Dieter dachte zunächst, Ike müsse
irgendeinen banalen Fehler gemacht haben, etwa Meter und Fuß ver
wechselt haben. A ber Ike glaubte nicht, dass ihm etwas so Dummes un
terlaufen sein könnte, und er wettete mit Dieter, dass dies nicht das Pro
blem war.
Am nächsten Tag gingen Ike und Dieter an die Problemlösung. Aber
zu ihrem Entsetzen funktionierte das GPS bei der Spritztour noch
schlechter als am Tag davor. Wieder suchten Ike und Dieter nach dem
Fehler, und nach einer frustrierenden Woche hatte Dieter eine Einge
bung. Er rechnete rasch nach und machte die verblüffende Entdeckung,
dass ohne Berücksichtigung der allgemeinen Relativitätstheorie Ikes
GPS Fehler machte, die sich jeden Tag um zehn Kilometer vergrößerten.
Ik e meinte, sein Parsehe sei nicht schnell genug, um relativistische Berech
nungen zu rechtfertigen, aber Dieter erklärte ihm, dass die GPS-Signale -
109
VERBORGENE UNIVERSEN
heit wahr und trifft in besonderem Maß auf diese revolutionären Ent
wicklungen zu.
Dieses Kapitel behandelt die Wissenschaft von der Schwerkraft und
wie sie sich von der beeindruckenden Errungenschaft der Newton'schen
Gesetze bis zu den revolutionären Fortschritten von Einsteins Relativi
tätstheorie entwickelte. Newtons Bewegungsgesetze sind die klassischen
physikalischen Gesetze, mit denen Wissenschaftler jahrhundertelang me
chanische Bewegungen berechneten, auch die von der Gravitation verur
sachten. Newtons Gesetze sind großartig, und sie erlauben uns, Aussagen
über Bewegungen zu machen, die spektakulär gut funktionieren - gut
genug, um Menschen auf den Mond zu schicken und Satelliten in die Um
laufbahn, gut genug, um die superschnellen europäischen Züge in den
Gleisen zu halten, wenn sie durch die Kurven fahren, gut genug, um auf
Grund von Absonderlichkeiten im Umlauf des Uranus die Suche nach
dem achten Planeten, Neptun, zu starten. Allerdings nicht gut genug für
ein präzises GPS-System.
Unglaublicherweise braucht ein heutiges GPS Einsteins allgemeine Re
lativitätstheorie, um seine Genauigkeit von einem Meter zu erreichen.
Bei Messungen der wechselnden Schneehöhen auf dem Mars mittels La-
,,_In einer Rede vor einer Gruppe Physiker bei der British Association for the Ad
vancement of Science im Jahr 1900.
* * Ansprache als Präsident der British Association, 1871 .
1 10
RELATIVITÄTSTHEORIE
ser an Bord einer Sonde in der Umlaufbahn wird bei der Datenverarbei
tung ebenfalls die allgemeine Relativitätstheorie berücksichtigt, und so
wird eine unglaubliche Präzision von zehn Zentimetern erreicht. Zur
Zeit ihrer Entstehung hätte bestimmt niemand - noch nicht einmal Ein
stein - an eine so praktische Anwendung einer derart abstrakten Theorie
wie der von der allgemeinen Relativität gedacht.
Dieses Kapitel stellt Einsteins Theorie der Gravitation vor, die von
spektakulärer Genauigkeit ist und bei einem breiten Spektrum von Sys
temen Anwendung findet. Wir werden kurz Newtons Schwerkrafttheo
rie streifen, die bei den Energien und Geschwindigkeiten, die wir im All
tagsleben erreichen, gut funktioniert. Dann gehen wir weiter zu den
Extremen, bei denen sie versagt : nämlich sehr hohem Tempo ( nahe der
Lichtgeschwindigkeit) und einer sehr großen Masse oder Energie. Bei
solchen Werten wird Newtons Gravitationsgesetz von Einsteins Relativi
tätstheorie abgelöst. Mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie entwi
ckelte sich der Raum ( und die Raumzeit) aus einem statischen Stadium
weiter zu einer dynamischen Entität, die sich bewegen und krümmen
und ein reiches Eigenleben führen kann. Diese Theorie werden wir uns
näher ansehen, und dazu auch die Anhaltspunkte, die zu ihrer Ausarbei
tung führten, sowie ein paar der experimentellen Tests, die Physiker da
von überzeugten, dass sie richtig ist.
Die Gravitation ist die Kraft, die Ihre Füße auf dem Boden hält, und sie
sorgt für die Beschleunigung, die einen geworfenen Ball zur Erde zurück
bringt. Ende des 16. Jahrhunderts zeigte Galileo Galilei, dass diese Be
schleunigung für alle Obj ekte an der Erdoberfläche unabhängig von
ihrer Masse dieselbe ist.
Allerdings hängt diese Beschleunigung davon ab, wie weit das O bjekt
vom Zentrum der Erde entfernt ist. Allgemeiner ausgedrückt : Die Stärke
der Gravitation ist von der Entfernung zwischen den zwei Massen ab
hängig - die Schwerkraft ist schwächer, wenn die Obj ekte mehr Abstand
zueinander haben. Und wenn es nicht die Erde ist, die für die Gravitation
verantwortlich ist, sondern ein anderes O bj ekt, hängt die Schwerkraft
von der Masse dieses Obj ekts ab.
Isaac Newton arbeitete das Gravitationsgesetz aus, in dem zusammen
gefasst ist, wie die Schwerkraft von Masse und Entfernung abhängt.
111
VERBORGENE UNIVERSEN
Newtons Gesetz besagt, dass die Anziehungskraft zwischen zwei Obj ek
ten proportional zur Masse beider O bj ekte ist. Dabei kann es sich um al
les Mögliche handeln : Die Erde und einen Ball, die Sonne und Jupiter,
ein Basket- und ein Fußball oder was immer Ihnen an zwei Objekten
sonst noch einfällt. Je massiver die Obj ekte sind, desto größer ist die An
ziehungskraft.
Newtons Gravitationsgesetz besagt also, dass die Schwerkraft von der
Entfernung zwischen den beiden Objekten abhängt. Wie bereits in Kapi
tel 2 gezeigt, ist nach diesem Gesetz die Anziehungskraft zwischen zwei
O bj ekten proportional zum umgekehrten Quadrat ihres Abstands. Bei
diesem inversen Quadratgesetz kam der berühmte Apfel ins Spiel. *
Newton konnte die Beschleunigung aufgrund der Erdanziehungskraft
auf einen Apfel nahe der Erdoberfläche ableiten und sie mit der auf den
Mond ausgeübten Beschleunigung vergleichen, der sechzigmal weiter
vom Erdmittelpunkt entfernt ist als die Erdoberfläche. Die Beschleuni
gung des Mondes aufgrund der Erdanziehung ist 3600-mal kleiner ( 3600
ist das Quadrat von 6 0 ) als die Beschleunigung des Apfels. Das stimmt
damit überein, dass die Schwerkraft mit dem Quadrat der Entfernung
vom Erdmittelpunkt abnimmt/
Aber auch wenn wir die Abhängigkeit der Gravitation von Masse und
Entfernung kennen, brauchen wir noch eine weitere Information, bevor
wir die Gesamtstärke der Schwerkraft bestimmen können. Dabei han
delt es sich um eine Zahl, nämlich Newtons Gravitationskonstante, die
als Faktor in der Berechnung jeder klassischen Schwerkraft vorkommt.
Die Gravitation i st sehr schwach, und das spiegelt sich in der Winzigkeit
von Newtons Konstante, zu der alle Gravitationseffekte proportional
sind.
Die Anziehungskraft der Erde oder die Schwerkraft zwischen der
Sonne und den Planeten mag ziemlich groß erscheinen. Aber das liegt
nur daran, dass die Erde, die Sonne oder die Planeten so massiv sind.
Newtons Konstante ist sehr klein, und die Anziehungskraft zwischen
Elementarteilchen ist extrem schwach. Dieses Schwächein der Gravita
tion ist an und für sich ein großes Rätsel, auf das wir später zurückkom
men werden.
Zwar war seine Theorie korrekt, Newton zögerte aber die Publikation
um 20 Jahre bis 1 6 8 7 hinaus, denn er versuchte eine entscheidende Vo
raussetzung seiner Theorie zu beweisen : Dass die Erde ihre Anziehungs-
1 12
RELATIVITÄTSTHEORIE
kraft so ausübt, als wäre ihre gesamte Masse in ihrem Zentrum konzen
triert. Um dieses Problem zu lösen, musste Newton zunächst die Infini
tesimalrechnung entwickeln, was ein hartes Stück Arbeit war, und wäh
renddessen machten Edmund Halley, Christopher Wren, Robert Hooke
und Newton selbst große Fortschritte bei der Bestimmung der Schwer
kraft durch Analyse der Planeten bewegungen, deren Umlaufbahnen Jo
hannes Kepler vermessen und als elliptisch erkannt hatte.
All diese Männer trugen dazu bei, die Frage der Planetenbewegung zu
klären, aber Newton wurde die Ehre zuteil, dass das inverse Quadratge
setz nach ihm benannt wurde. Denn letztlich war es Newton, der zeigte,
dass elliptische Umlaufbahnen nur dann aus einer zentralen Kraft ( j ener
der Sonne ) resultieren können, wenn das inverse Quadratgesetz richtig
war, und er zeigte mit Hilfe der Infinitesimalrechnung, dass die Masse
eines kugelförmigen Körpers in der Tat so wirkt, als wäre sie in seiner
Mitte konzentriert. Newton erkannte allerdings auch den Wert der Ar
beiten anderer, als er sagte : ,, Wenn ich weiter gesehen habe, dann nur,
weil ich auf den Schultern von Riesen stand . << '' ( Es hält sich jedoch das
Gerücht, dass er dies nur sagte, weil er Hooke nicht leiden konnte, der
sehr klein war. )
Auf der High School lernten wir im Physikunterricht Newtons Gesetze
kennen und berechneten das Verhalten interessanter ( wenn auch irgend
wie etwas künstlicher) Systeme. Ich kann mich noch gut erinnern, wie
wütend ich war, als unser Lehrer, Mr. Baume!, uns mitteilte, dass die
Gravitationstheorie, die wir gerade gelernt hatten, falsch war. Warum
sollte man uns eine Theorie beibringen, von der man wusste, dass sie
nicht korrekt war ? In meiner High-School-Sicht der Welt lag der ganze
Vorzug der Naturwissenschaften darin, dass sie wahr und verlässlich wa
ren und man akkurate und auf Tatsachen beruhende Vorhersagen ma
chen konnte. Aber Mr. Baume! hatte die Sache zu stark vereinfacht, viel
leicht aus dramaturgischen Gründen. Newtons Theorie war nicht falsch :
Sie war bloß eine Annäherung, die unter den meisten Umständen un
glaublich gut funktioniert. Für ein breites Spektrum von Parametern
( Geschwindigkeit, Entfernung, Masse und so weiter) sagt sie die Gravi
tationskräfte ziemlich genau voraus. Die präzisere, ihr zugrunde lie
gende Theorie ist aber die der Relativität, und mit der kommt man nur
zu messbar unterschiedlichen Vorhersagen, wenn man es mit extrem ho
hen Geschwindigkeiten oder großen Mengen von Masse oder Energie zu
1 13
VERBORGENE UNIVERSEN
tun bekommt. Newtons Gesetz beschreibt die Bewegung eines Balls be
wundernswert gut, da auf diesen keine der oben genannten Kriterien zu
trifft. Mit der Relativitätstheorie die Bahn eines Balls vorherzusagen,
wäre absolut albern.
In der Tat hielt Einstein selbst anfänglich die spezielle Relativitätstheo
rie bloß für eine Verbesserung der Newton'schen Physik - nicht für einen
radikalen ParadigmenwechseL Aber das war natürlich angesichts der Be
deutung, die seine Arbeit schließlich gewann, eine grobe Untertreibung.
Von physikalischen Gesetzen sollte man mit Fug und Recht erwarten,
dass sie für alle gleichermaßen gelten. Niemand würde es uns verübeln,
wenn wir ihre Gültigkeit und ihren Nutzen infrage stellten, falls Men
schen in verschiedenen Ländern oder fahrenden Zügen oder in fliegen
den Flugzeugen es mit unterschiedlichen physikalischen Gesetzen zu tun
hätten. Physikalische Gesetze sollten von grundsätzlicher Natur sein und
für j eden Beobachter gleich wahr. Unterschiedliche Rechenergebnisse
sollten auf unterschiedliche Umgebungsbedingungen zurückzuführen
sein, nicht auf die Gesetze der Physik. Es wäre wirklich sehr merkwür
dig, universelle physikalische Gesetze zu haben, die einen bestimmten
Beobachtungspunkt brauchen. Die j eweiligen Größen, die man misst,
könnten vom j eweiligen Bezugssystem abhängen, aber die Gesetze, nach
denen diese Größen sich richten, sollten es nicht. Einsteins Formulierung
der speziellen Relativitätstheorie stellt sicher, dass dies der Fall ist.
Eigentlich ist es eine Ironie, dass Einsteins Arbeit über die Gravitation
als >> Relativitätstheorie << bezeichnet wird . Der entscheidende Punkt, der
ihn dazu brachte, sowohl die spezielle als auch die allgemeine Relativi
tätstheorie zu formulieren, bestand darin, dass physikalische Gesetze un
abhängig von ihrem Bezugssystem für alle gleichermaßen gelten sollten.
Einstein selbst hätte die Bezeichnung >> Invariantentheorie << bevorzugt.*
1921 schrieb er in einem Brief, mit dem er auf eine Anfrage antwortete,
ob man nicht die Bezeichnung überdenken sollte, er gäbe zu, der Aus
druck >> Relativität<< sei unglücklich.''. '' Aber bis dahin hatte sich der Aus-
1 14
RELATIVITÄTSTHEORIE
druck schon zu sehr festgesetzt, als dass er ihn noch einmal hätte ändern
können.
Einstein gewann seine ersten Erkenntnisse über Bezugssysteme und
Relativität aus dem Nachdenken über Elektromagnetismus. Die allseits
bekannte Theorie des Elektromagnetismus stammte aus dem 1 9. Jahr
hundert und basierte auf den Maxwell'schen Gesetzen, die das Verhalten
des Elektromagnetismus und elektromagnetischer Wellen beschreiben.
Die Gesetze führten zu korrekten Ergebnissen, aber alle hatten ur
sprünglich die Vorhersagen falsch interpretiert, nämlich als Bewegung
durch einen •• Äther << , eine hypothetische unsichtbare Substanz, deren
Schwingungen elektromagnetische Wellen sein sollten. Einstein be
merkte, wenn es einen Äther gäbe, müsste es auch einen bevorzugten Be
obachtungspunkt geben beziehungsweise ein solches Bezugssystem : das
j enige, bei dem der Äther in Ruhe ist. Er überlegte, dass dieselben physi
kalischen Gesetze für Menschen gelten sollten, die sich mit konstanter
Geschwindigkeit und Richtung in Bezug zueinander und in Bezug zu je
mandem in Ruhe bewegen - das heißt in Bezugssystemen, die Physiker
als Inertialsysteme bezeichnen. Da alle physikalischen Gesetze, ein
schließlich derer des Elektromagnetismus, für Beobachter in allen Inerti
alsystemen gelten mussten, gab Einstein die Idee des Äthers auf und for
mulierte letztlich die spezielle Relativitätstheorie.
Einsteins spezielle Relativitätstheorie war ein großer Entwicklungs
sprung und stellte eine radikale Revision der Konzepte von Raum und
Zeit dar. Peter Galison *, ein Physiker und Wissenschaftshistoriker, ver
mutet, dass nicht allein die Äther-Theorie Einstein auf die richtige Spur
brachte, sondern auch Einsteins damaliger Brotberuf. Galison überlegte,
dass Einstein, der in Deutschland aufwuchs und am Schweizer Patent
amt in Bern arbeitete, einfach an Zeit und die Koordinierung von Zeiten
gedacht haben muss. Jeder Europareisende weiß, dass Präzision in Län
dern wie der Schweiz und Deutschland hoch geschätzt wird, was die an
genehme Folge hat, dass sich die Passagiere darauf verlassen können,
dass die Züge den Fahrplan einhalten. Einstein arbeitete von 1902 bis
1909 im Patentamt ; in diesen Jahren wurde Bahnfahren immer wichti
ger, und die Zeiten zu koordinieren war eines der Hauptprobleme mit
der neuen Technik. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts dachte Einstein
höchstwahrscheinlich über Probleme der wirklichen Welt nach, bei-
115
VERBORGENE UNIVERSEN
spielsweise wie man die Zeit an dem einen Bahnhof mit der an einem an
deren koordiniert.
Natürlich entwickelte Einstein nicht die Relativitätstheorie, um das
Problem der Koordinierung realer Züge zu lösen. (Wer wie ich die häu
figen Verspätungen amerikanischer Züge kennt, für den mögen koordi
nierte Zeiten in j edem Fall exotisch klingen. * ) Zeiten zu koordinieren
warf aber ein paar interessante Fragen auf. Die Zeiten relativistisch sich
bewegender Züge zu koordinieren ist kein kleines Problem. Sollte ich
meine Uhr mit der eines Passagiers in einem fahrenden Zug koordinie
ren, müsste ich die Zeitverzögerung eines Signals zwischen uns beiden
berücksichtigen, denn die Geschwindigkeit des Lichts ist endlich. Meine
Uhr mit der eines Menschen auf dem Platz neben mir zu koordinieren
wäre nicht dasselbe, wie sie mit der einer weit entfernten Person zu ko
ordinieren. ·' ''
Einsteins entscheidende Erkenntnis, die ihn auf die spezielle Relativi
tätstheorie brachte, bestand darin, dass die Vorstellungen von Zeit neu
formuliert werden mussten. Einstein zufolge konnten Raum und Zeit
nicht länger als unabhängig voneinander betrachtet werden. Sie sind
zwar nicht dasselbe - Zeit und Raum unterscheiden sich eindeutig -, die
Messgrößen hängen aber von der Geschwindigkeit ab. mit der man sich
bewegt. Die spezielle Relativitätstheorie war das Ergebnis dieser Er
kenntnis.
So bizarr sie auch sein mögen, man kann Einsteins neuartige Konse
quenzen der speziellen Relativitätstheorie allesamt aus zwei Postulaten
ableiten. Um sie formulieren zu können, müssen wir verstehen, was ein
Inertialsystem ist - eine besondere Kategorie von Bezugssystemen. Neh
men wir zunächst irgendein Bezugssystem, das sich mit konstanter Ge
schwindigkeit und Richtung bewegt ; eines in Ruhe ist oft am besten.
Inertialsysteme wären dann solche, die sich mit fester Geschwindigkeit
''
Verstehen Sie mich nicht falsch : Ich mag Züge. Aber ich wimschre, sie würden in den
Vereinigten Staaten mehr gefördert.
,,. * Die Zeiten amerikanischer Züge sind nicht immer gut koordiniert, doch die Eisen-
1::- a hngesellschaft Amtrak scheint die spezielle Relativitätstheorie anzuerkennen, wenn
sie in ihrer Werbung fü r Acela, einen Hochgeschwindigkeitszug im Nordosten, be
hauptet : » Zeit und den Raum, sie zu nutzen « . » Zeit« und » Ra u m « sind zwar nicht
u n bedingt gegeneinander austauschbar, aber der Slogan » Raum und die Zeit, ihn zu
nutzen « würde korrekt meine erheblich verspäteten Bahnfahrten beschreiben. Aller
dings wäre diese Formulierung keine überzeugende Werbung für einen Hochge
schwindigkeitszug.
1 16
RELATIVITÄTSTHEORIE
117
VERBORGENE UNIVERSEN
trifft, wenn Sie auf der Stelle stehen. O bwohl es Ihrer Erfahrung mit den
niedrigen Geschwindigkeiten des täglichen Lebens zu widersprechen
scheint, ist die Lichtgeschwindigkeit konstant, und in der speziellen Re
lativitätstheorie werden Geschwindigkeiten auch nicht einfach addiert
wie in der Newton'schen Physik. Stattdessen addiert man Geschwindig
keiten nach einer relativistischen Formel, die aus Einsteins Postulaten
folgt.
Vieles, was aus der speziellen Relativitätstheorie folgt, passt nicht zu
den uns vertrauten Vorstellungen von Zeit und Raum. Die spezielle Re
lativitätstheorie geht mit Raum und Zeit anders um als die frühere
Newton'sche Mechanik, und das führt zu vielen ihrer unserem Alltags
verstand widersprechenden Resultate. Messungen von Zeit und Raum
hängen von der Geschwindigkeit ab und vermischen sich in Systemen,
die sich relativ zueinander bewegen. Aber so überraschend das auch sein
mag, wenn man die beiden Postulate akzeptiert, dann ist eine andere
Vorstellung von Raum und Zeit die unausweichliche Konsequenz.
Hier ist einer der Gründe, warum : Stellen Sie sich zwei identische
Schiffe mit identischen Masten vor. Eines liegt im Hafen vor Anker, das
andere entfernt sich. Stellen Sie sich auch vor, dass die Kapitäne der bei
den Schiffe ihre Uhren synchronisierten, als das eine Schiff abfuhr.
Jetzt nehmen wir an, dass die beiden Kapitäne etwas Merkwürdiges
machen : Sie messen beide auf ihren Schiffen die Zeit, indem sie an der
Mastspitze einen Spiegel anbringen und einen zweiten an seinem unteren
Ende, sodass Licht vom unteren Spiegel zum oberen gelenkt wird und
andersherum ; dann zählen die Kapitäne mit, wie oft das Licht auf den
Spiegel trifft und wieder unten ankommt. In praktischer Hinsicht wäre
das natürlich absurd, da dass Licht zum Mitzählen viel zu schnell hin
und hergeworfen würde. Aber üben Sie Nachsicht mit mir und stellen Sie
sich vor, dass die Kapitäne außerordentlich schnell zählen können ; ich
werde mit diesem etwas an den Haaren herbeigezogenen Beispiel zeigen,
dass die Zeit auf dem fahrenden Schiff sich dehnt.
Jeder Kapitän weiß, wie lang das Licht für einen Zyklus braucht, also
können sie die vergangene Zeit berechnen, indem sie die Zeit für einen
Lichtdurchlauf mit der Anzahl, wie oft das Licht hinauf- und hinunter
gespiegelt wurde, multiplizieren. Jetzt nehmen wir noch an, dass der Ka
pitän des vor Anker liegenden Schiffes die Zeit nicht mit seiner eigenen
stationären Spiegeluhr misst, sondern mitzählt, wie oft das Licht auf
dem fahrenden Schiff auf den Spiegel an der Mastspitze trifft und wieder
hinuntergeworfen wird.
118
RELATIVITÄTSTHEORIE
Aus der Perspektive des Kapitäns auf dem fahrenden Schiff wird das
Licht geradewegs hinauf- und hinabgespiegelt. Aus der Sicht des Kapi
täns auf dem vor Anker liegenden Schiff muss das Licht eine größere
Strecke zurücklegen (um auch die Distanz abzudecken, die das fahrende
Schiff zurückgelegt hat, siehe Abbildung 35 ) . Aber - und dies wider
spricht der Alltagserfahrung - die Lichtgeschwindigkeit ist konstant.
Das zur Mastspitze geschickte Licht auf dem Schiff vor Anker ist ge
nauso schnell wie das zur Mastspitze geschickte Licht auf dem fahrenden
Schiff. Da bei der Ermittlung der Geschwindigkeit die im Lauf der Zeit
zurückgelegte Entfernung gemessen wird und da die Lichtgeschwindig
keit für das fahrende Schiff genauso groß ist wie für das stationäre, muss
die sich bewegende Spiegel-Uhr langsamer » ticke n << , um die größere Di
stanz zu kompensieren, die das Licht in Bewegung zurücklegen muss.
Dieser alles andere als eingängige Schluss - dass sich bewegende und sta
tionäre Uhren unterschiedlich schnell ticken müssen - folgt aus der Tat
sache, dass die Lichtgeschwindigkeit in einem sich bewegenden Bezugs
system dieselbe ist wie die in einem stationären. Und auch wenn dies eine
sehr kuriose Art der Zeitmessung ist, trifft dieselbe Schlussfolgerung -
dass Uhren in Bewegung langsamer gehen - zu, ganz egal wie die Zeit ge
messen wird. Trügen die Kapitäne normale Armbanduhren, würden sie
dasselbe beobachten ( abermals mit der Einschränkung, dass bei norma
len Geschwindigkeiten der Effekt winzig wäre ) .
D a s obige Beispiel i s t zwar etwas konstruiert, d a s beschriebene Phä
nomen aber führt zu tatsächlich messbaren Effekten. Beispielsweise
führt die spezielle Relativitätstheorie dazu, dass von sich schnell bewe-
A bbildung 3S : Der Weg eines Lichtstrahls, der von der Mastspitze eines sta
tionären Schiffes und eines fahrenden reflek tiert wird. Der stationäre Beob
achter (auf einem Schiff vor Anker oder auf einem Leuchtturm) würde im
zweiten Fall einen längeren Weg sehen.
119
VERBORGENE UNIVERSEN
120
RELATIVITÄTST HEORIE
Das Äquivalenzprinzip :
Die Anfänge der allgemeinen Relativitätstheorie
121
VERBORGENE UNIVERSEN
die auf ein Obj ekt mit der Masse m einwirkt, eine Beschleunigung von a
bewirkt. Newtons berühmtes zweites Gesetz sagt uns, dass eine gege
bene Kraft ein O bj ekt mit einer größeren trägen Masse weniger be
schleunigt, was Ihnen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung vertraut ist.
(Wenn Sie gegen eine Fußbank treten, fliegt diese schneller und weiter,
als wenn Sie genauso fest gegen einen großen Flügel treten . ) Man be
achte, dass dieses Gesetz für j ede Art von Kraft gilt - beispielsweise auch
die elektromagnetische Kraft. Es gilt in Situationen, die rein gar nichts
mit Gravitation zu tun haben.
Die schwere Masse ist hingegen die Größe, die in das Gravitationsge
setz Eingang gefunden hat und die Stärke der Anziehungskraft bestimmt.
Wie wir gesehen haben, ist die Stärke der Newton'schen Schwerkraft
proportional den beiden Massen, die einander anziehen. Das sind die
schweren Massen. Es hat sich herausgestellt, dass die schwere Masse und
die träge Masse in Newtons zweitem Bewegungsgesetz gleich sind, und
deswegen können wir ihnen auch beruhigt denselben Namen geben :
Masse. Im Prinzip aber hätten sie sich unterscheiden können, und dann
müssten wir die eine vielleicht >> Masse << und die andere >> Essam << nennen.
Glücklicherweise brauchen wir das nicht.
Die geheimnisvolle Tatsache, dass die beiden Massen identisch sind,
hat schwerwiegende Folgen, die zu erkennen und auszuarbeiten es ei
nes Einsteins bedurfte . Dem Gravitationsgesetz zufolge ist die Stärke
der Anziehungskraft proportional zur Masse, und Newtons Gesetz sagt
uns, eine wie starke Beschleunigung von dieser (oder j eder anderen )
Kraft hervorgerufen würde. Weil die Stärke der Gravitation proportio
nal zu derselben Masse ist, von der das Maß an Beschleunigung ab
hängt, ergeben beide Gesetze zusammen, dass zwar die Kraft wegen F =
ma von der Masse abhängt, die von der Gravitation bewirkte Schwer
kraft aber völlig unabhängig von der beschleunigten Masse ist. Die Be
schleunigung durch die Gravitation, die auf irgendein Obj ekt einwirkt,
122
RELATIVITÄTSTHEORIE
muss für alles und jeden dieselbe sein, der oder das dieselbe Entfernung
von einem anderen O bj ekt hat. Das ist die These, die Galileo Galilei
angeblich verifizierte, indem er Dinge vom Schiefen Turm zu Pisa ,,.
warf und damit zeigte, dass die Erde auf alle Obj ekte unabhängig von
ihrer Masse dieselbe Anziehungskraft ausübt. Dieser Umstand - dass
die Beschleunigung von der Masse des beschleunigten Obj ekts unab
hängig ist - ist nur der Gravitation zu eigen, weil außer der Schwer
kraft keine andere Kraft von der Masse abhängt. Und weil das Gravita
tionsgesetz und Newtons Bewegungsgesetz auf dieselbe Weise von der
Masse abhängen, hebt sich die Masse auf, wenn man die Beschleuni
gung berechnet. Folglich hängt die Beschleunigung nicht von der Masse
ab.
Diese relativ unkomplizierte Ableitung hat weit reichende Folgen. Da
in einem einheitlichen Gravitationsfeld alle Obj ekte dieselbe Beschleuni
gung erfahren, würde, wenn diese eine Beschleunigung gestrichen wer
den könnte, damit auch der Nachweis der Gravitation gestrichen. Und
genau das passiert mit einem frei fallenden Körper : Er wird genau so be
schleunigt, dass der Nachweis der Gravitation ausgelöscht wird.
Wenn Sie sich samt allem um Sie herum im freien Fall befänden, wür
den Sie sich dem Äquivalenzprinzip zufolge eines Gravitationsfelds nicht
bewusst. Ihre Beschleunigung würde die Beschleunigung auslöschen, die
anderweitig das Gravitationsfeld hervorrufen würde. Diesen Zustand
der Schwerelosigkeit kennt man mittlerweile von Bildern aus Raumsta
tionen in der Erdumlaufbahn : Die Astronauten und die Obj ekte um sie
herum unterliegen nicht der Schwerkraft.
Lehrbücher illustrieren das Fehlen von Schwerkrafteffekten ( aus der
Sicht eines frei fallenden Beobachters ) oft mit einem Bild von einer Per
son, die in einem frei fallenden Fahrstuhl einen Ball fallen lässt. Beide
sind zusammen auf dem Bild zu sehen. Die Person im Fahrstuhl sieht den
Ball stets in derselben Höhe über dem Boden des Fahrstuhls. Sie sieht den
Ball nicht fallen ( siehe Abbildung 36 ) .
Physik bücher präsentieren d e n frei fallenden Fahrstuhl immer, als
wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, dass der Beobachter im
Innern ruhig und gelassen einen Ball nicht fallen sieht und sich keine Sor
gen um sein persönliches Wohlergehen macht. Das steht im deutlichen
Widerspruch zu den angstverzerrten Gesichtern in Filmen, in denen die
123
VERBORGENE UNIVERSEN
124
RELATIVITÄTSTHEORIE
wöhnt, dass die Schwerkraft die Dinge fallen lässt. Aber ,, fallen << bedeu
tet eigentlich >> in Relation zu uns fallen << . Fielen wir gemeinsam mit
einem losgelassenen Ball, wie wir es in einem frei fallenden Fahrstuhl tun
würden, würde sich der Ball nicht schneller hinunterbewegen als wir.
Wir würden ihn daher nicht fallen sehen.
In einem Bezugssystem im freien Fall würden alle Gesetze der Physik
mit denj enigen physikalischen Gesetzen übereinstimmen, die gelten wür
den, wenn wir und alles um uns herum in Ruhe wären. Ein frei fallender
Beobachter würde bemerken, dass die Bewegung von denselben Glei
chungen beschrieben wird, die in Übereinstimmung mit der speziellen
Relativitätstheorie für einen Beobachter in einem inertialen, nicht be
schleunigenden Bezugssystem gelten. In einem 1907 über Relativitäts
theorie geschriebenen Aufsatz erklärte Einstein, dass das Schwerkraft
feld etwas Relatives ist : >> Für einen Beobachter, der sich im freien Fall
vom Dach eines Hauses befindet, existiert - zumindest in seiner unmit
telbaren Umgebung - kein Gravitationsfeld. << ''
Das war Einsteins wichtige Erkenntnis. Die Bewegungsgleichungen
für einen frei fallenden Beobachter sind die Bewegungsgleichungen für
einen Beobachter in einem Inertialsystem. Ein frei fallender Beobachter
spürt die Kraft der Gravitation nicht - nur was nicht frei fä llt, kann
Schwerkraft wahrnehmen.
In unserem Alltagsleben begegnen wir im Allgemeinen keinen Dingen
oder Menschen im freien Fall. Wenn das doch vorkommt, sieht es Furcht
erregend und gefährlich aus. Aber wie ein Ire zu dem Physiker Raphael
Bousso sagte, als dieser in Irland die Cliffs of Moher besuchte : >> Nicht
der Sturz bringt einen um, sondern der § % & !#$-Aufprall, wenn man
unten ist. << Und als ich einmal bei einem Kletterunfall ein paar Knochen
gebrochen hatte und eine von mir organisierte Konferenz verpasste,
machten ziemlich viele Witze die Runde, dass ich die Gravitationstheorie
getestet hätte. Ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass die Gravita
tionsbeschleunigung mit den Vorhersagen übereinstimmt.
* Albert Einstein, " Ü ber das Relativitätsprinzip und die aus demselben gezogenen Fol
gerungen « , Jahrbuch der Radioak tivität und Elektronik, Bd. 4, S. 441 - 62 ( 1 907) ; zi
. ·"
tiert nach Abraham Pais, » R affiniert ist der Herrgott . ( Braunschweig, Wiesbaden :
Vieweg, 1 9 8 6 ) .
125
VERBORGENE UNIVERSEN
Mit der allgemeinen Relativitätstheorie hat es noch mehr auf sich ; wir
werden bald zum Rest kommen, den auszuarbeiten erheblich länger
dauerte. Aber allein schon das Äquivalenzprinzip erklärt viele Ergeb
nisse der allgemeinen Relativitätstheorie. Als Einstein erst einmal er
kannt hatte, dass die Gravitation aus einem beschleunigenden Bezugs
system aufgehoben werden kann, konnte er den Einfluss der Schwer
kraft berechnen, indem er sich ein beschleunigendes System vorstellte,
das einem mit Schwerkraft äquivalent war. Das ermöglichte ihm, die
Gravitationseffekte für ein paar interessante Systeme zu berechnen, die
andere dazu nutzen konnten, seine Schlussfolgerungen zu überprüfen.
Wir werden uns jetzt ein paar der wichtigsten experimentellen Tests an
sehen.
Als Erstes wäre die gravitationsbedingte Rotverschiebung des Lichts
zu nennen. Die Rotverschiebung führt dazu, dass wir Lichtwellen mit
einer niedrigeren Frequenz wahrnehmen als der, mit der sie ausgesandt
wurden. (Wahrscheinlich haben Sie den analogen Effekt bei Schallwellen
schon selbst beobachtet, als ein Motorrad an Ihnen vorbeiröhrte und
dieses zunächst höher und dann tiefer klang. )
Es gibt mehrere Möglichkeiten, den Grund für die gravitationsbe
dingte Rotverschiebung zu begreifen, die einfachste ist aber vermutlich
mit Hilfe einer Analogie. Stellen Sie sich vor, dass Sie einen Ball in die
Luft werfen. Der hochsteigende Ball wird langsamer, da er sich gegen die
Richtung der Schwerkraft bewegt. Aber die Energie des Balles geht nicht
verloren, auch wenn der Ball langsamer wird . Sie wird in potenzielle
Energie umgewandelt, die dann als kinetische Energie - oder Bewe
gungsenergie - freigesetzt wird, wenn der Ball wieder hinunterfällt.
Dasselbe gilt für das Lichtteilchen, das Photon. Genau wie ein Ball
Schwung verliert, wenn man ihn hochwirft, verliert ein Photon
Schwung, wenn es versucht, dem Gravitationsfeld zu entkommen. Und
wie beim Ball heißt das, dass das Photon kinetische Energie verliert, aber
potenzielle Energie gewinnt, während es sich seinen Weg durch das Gra
vitationsfeld bahnt. Ein Photon kann aber nicht langsamer werden wie
ein Ball, da es sich stets mit der konstanten Lichtgeschwindigkei t be
wegt. Um ein bisschen was vorwegzunehmen : Im nächsten Kapitel wer
den wir sehen, dass aus der Quantenmechanik unter anderem folgt, dass
ein Photon seine Energie verringert, wenn es seine Frequenz verringert.
Und genau das passiert mit dem Photon, das das sich verändernde Gra-
126
RELATIVITÄTSTHEORIE
dass Energie und Masse eng miteinander verknüpft sind. Wenn Masse
der Schwerkraft unterliegt, dann müsste Energie das auch. Die Schwer
kraft der Sonne beeinflusst Massen, und genauso wirkt sie sich auch auf
die Bahn des Lichts aus. Einsteins Theorie sagte genau den Betrag vor
aus, um den Licht unter dem Einfluss der Sonne abgelenkt wird . Diese
Vorhersagen wurden erstmals bei der Sonnenfinsternis von 1 9 1 9 bestä
tigt.
Der englische Naturwissenschaftler Arthur Eddington organisierte
Expeditionen auf die Insel Prfncipe vor der Westküste Afrikas und nach
Sobral in Brasilien, wo die Sonnenfinsternis am besten zu beobachten
war. Ihre Aufgabe bestand darin, die Sterne in der Nähe der verdunkel
ten Sonne zu fotografieren und zu überprüfen, ob Sterne, die nahe der
127
VERBORGENE UNIVERSEN
Abbildung 3 7 : Das Einstein- Kreuz<< entsteht, wenn das Licht eines hellen,
»
128
RELATIVITÄTSTHEORIE
eine Möglichkeit, wie Astronomen etwas über dunkle Obj ekte heraus
finden können ; wie alle anderen wechselwirken dunkle Obj ekte mittels
Gravitation. Die ausgebrannten Sterne senden selbst zwar kein Licht
aus, aber hinter ihnen (von uns aus gesehen) kann es helle Objekte ge
ben, deren Licht wir sehen. Ohne irgendeinen dunklen Stern im Weg
würde sich das Licht entlang einer geraden Linie ausbreiten. Aber das
von einem hellen Stern ausgesandte Licht wird abgelenkt, wenn es einen
dunklen Stern passiert. Das links vorbeigehende Licht wird in die entge
gengesetzte Richtung gebeugt wie Licht, das rechts passiert, und Licht
über dem dunklen Stern wird in entgegengesetzter Richtung abgelenkt
wie Licht darunter. Das führt zu Mehrfachbildern eines hellen O bj ekts
hinter einem dunklen Stern, der Gravitationslinse. Abbildung 37 zeigt
ein Beispiel für ein Mehrfachbild eines Sterns, das dadurch erzeugt
wurde, dass ein sich dazwischen befindendes massives Obj ekt die Licht
strahlen des Sterns in unterschiedliche Richtungen ablenkte.
129
VERBORGENE UNIVERSEN
130
RELATIVITÄTSTHEORIE
131
VERBORGENE UNIVERSEN
Es gibt viele Lackmustests, die uns sagen, welche der drei möglichen
Krümmungen ein bestimmter geometrischer Raum hat. Beispielsweise
können Sie je ein Dreieck auf die drei O berflächen zeichnen. Auf der fla
chen beträgt die Summe der Winkel in einem Dreieck stets genau 1 8 0
Grad. Aber was passiert m i t einem Dreieck a u f d e r O berfläche d e r Ku
gel, wenn ein Eckpunkt am Nordpol und die anderen auf dem Äquator
im Abstand von einem Viertel Äquatorumfang voneinander liegen ? Je
der Winkel bei diesem Dreieck ist dann ein rechter Winkel von 90 Grad.
Die Summe aller Winkel des Dreiecks beträgt daher 270 Grad. Auf einer
flachen O berfläche könnte das niemals passieren, aber auf einer Ober
fläche mit positiver Krümmung muss die Winkelsumme eines Dreiecks
über 1 8 0 Grad betragen, weil die Oberfläche sich wölbt.
Ähnlich beträgt die Winkelsumme eines Dreiecks auf einem hyperbo
lischen Paraboloiden immer weniger als 1 8 0 Grad, worin sich die nega
tive Krümmung zu erkennen gibt. Das ist ein bisschen schwerer vorstell
bar. Zeichnen Sie zwei Eckpunkte weit oben am Sattel und einen weit
unten auf einem tief hinunterreichenden Teil des hyperbolischen Parabo
loiden, ungefähr da, wo man die Füße hätte, wenn man in einem Sattel
säße . Dieser Winkel ist kleiner als bei einer ebenen O berfläche. Die Win
kelsumme beträgt daher weniger als 1 8 0 Grad.
Als erst einmal feststand, dass nichteuklidische Geometrien in sich
132
RELATIVITÄTSTHEORIE
konsistent sind - das heißt, ihre Prämissen nicht zu Paradoxien oder Wi
dersprüchen führen -, erarbeitete der deutsche Mathematiker Georg
Friedrich Bernhard Riemann ein umfassendes mathematisches System zu
ihrer Beschreibung. Ein Stück Papier kann nicht zu einer Kugel aufgerollt
werden, aber zu einem Zylinder. Einen Sattel kann man nicht flach strei
chen, ohne ihn zu zerkrumpeln oder zusammenzufalten. Auf Gauß' Ar
beit aufbauend entwickelte Riemann mathematische Formeln, die solche
Tatsachen ausdrücken. Im Jahr 1 854 fand er eine allgemeine Lösung für
das Problem, wie man sämtliche Geometrien mittels der ihnen innewoh
nenden Eigenschaften charakterisiert. Seine Arbeiten legten die Basis für
das moderne mathematische Gebiet der Differenzialgeometrie, einem
Zweig der Mathematik, der O berflächen und Geometrie erforscht.
Weil ich von nun an so gut wie immer Raum und Zeit gemeinsam be
handele, werden wir im Allgemeinen den Begriff der Raumzeit sinnvoller
finden als den des Raums. Die Raumzeit hat eine Dimension mehr als
der Raum : Zusätzlich zu >> oben-unte n << , >> links-rechts << und >> vorwärts
rückwärts << schließt sie die Zeit mit ein. Im Jahr 1 908 entwickelte der
Mathematiker Hermann Minkowski mit geometrischen Begriffen diese
Vorstellung eines absoluten Raumzeitgefüges. Während Einstein die
Raumzeit mit Zeit- und Raumkoordinaten studierte, die von einem Be
zugssystem abhingen, fand Minkowski das von einem Beobachter unab
hängige Raumzeitgefüge, mittels dessen man eine gegebene physikali
sche Situation charakterisieren kann.
Im Rest dieses Buches werde ich, wann immer es um Dimensionalität
geht, die Anzahl der Raumzeit-Dimensionen angeben, außer wenn ich
explizit etwas anderes schreibe. Wenn wir uns beispielsweise umblicken,
sehen wir, was ich von j etzt an als ein vierdimensionales Universum be
zeichnen werde. Gelegentlich werde ich die Zeit herauslösen und von
einem >> drei-plus-eins << -dimensionalen Universum oder von drei Raum
dimensionen sprechen. Merken Sie sich, dass all diese Formulierungen
sich auf di eselbe Anordnung beziehen : eine mit drei Raumdimensionen
und einer Zeitdimension.
Das Raumzeitgefüge ist ein sehr wichtiger Begriff. Kurz und prägnant
charakterisiert er die Geometrie, die dem Gravitationsfeld entspricht,
das eine bestimmte Verteilung von Energie und Materie hervorbringt.
Einstein aber behagte die Vorstellung zu Anfang nicht, denn sie schien
ihm eine zu phantasievolle Art und Weise, die Physik neu zu formulieren,
die er bereits erklärt hatte. Letzten Endes aber erkannte er an, dass das
Raumzeitgefüge zur vollständigen Beschreibung der allgemeinen Relati-
133
VERBORGENE UNIVERSEN
134
RELATIVITÄTSTHEORIE
gekrümmten Raum können wir eine Geodätische noch immer als die
kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten definieren, aber diese Linie
muss nicht unbedingt gerade aussehen. Beispielsweise sind die Routen
von Flugzeugen, die auf der Erde Großkreisen folgen, Geodätische. ( Ein
Großkreis ist j eder beliebige Kreis, etwa der Äquator oder ein Längen
kreis, der um den dicksten Teil einer Kugel verläuft. ) Gerade sind die
Bahnen nicht, aber dennoch die kürzesten Verbindungen, wenn man von
Tunneln unter der Erde absieht.
In der gekrümmten vierdimensionalen Raumzeit können wir ebenfalls
eine Geodätische definieren. Für zwei in der Zeit getrennte Ereignisse ist
eine Geodätische der natürliche Weg, den die Dinge in der Raumzeit neh
men, um das eine Ereignis mit dem anderen zu verbinden. Einstein be
merkte, dass der freie Fall, der Weg des geringsten Widerstands, eine Be
wegung entlang der Raumzeit-Geodätischen ist. Er schlussfolgerte, dass
ohne Einwirkung äußerer Kräfte losgelassene Obj ekte entlang einer
Geodätischen fallen, wie beim Weg der Person im fallenden Fahrstuhl,
die ihr Gewicht nicht spürt und keinen Ball fallen sieht.
Doch auch wenn die Dinge ihren Geodätischen durch die Raumzeit
folgen und es keine äußeren Kräfte gibt, macht sich die Gravitation be
merkbar. Wir haben bereits gesehen, dass die lokale Äquivalenz von
Gravitation und Beschleunigung eine der entscheidenden Einsichten war,
die Einstein völlig neu über Gravitation nachdenken ließen . Weil die von
einer gravitativen Kraft ausgelöste Beschleunigung lokal für alle Massen
dieselbe ist, so schlussfolgerte er, muss die Gravitation eine Eigenschaft
der Raumzeit selbst sein. Und zwar, weil das >> frei Fallen << an unter
schiedlichen Orten Unterschiedliches bedeutet und nur lokal die Gravi
tation durch eine einzige Beschleunigung ersetzt werden kann. Mein chi
nesisches Gegenstück und ich fallen in unterschiedliche Richtungen,
selbst wenn wir beide in j eweils einer lokalen Version von Einsteins Fahr
stuhl stecken. Die Tatsache, dass die Richtung des freien Falls nicht über
all dieselbe ist, spiegelt die Krümmung der Raumzeit wider. Es gibt nicht
die eine Beschleunigung, die die Effekte der Gravitation überall wett
macht. In der gekrümmten Raumzeit werden im Allgemeinen die Geo
dätischen unterschiedlicher Beobachter verschieden sein. Global hat also
die Gravitation beobachtbare Konsequenzen.
Die allgemeine Relativitätstheorie geht viel weiter als die Newton'sche
Gravitation, weil sie uns erlaubt, das relativistische Gravitationsfeld je
der Verteilung von Energie und Materie zu berechnen. Die Offenbarung,
dass die Geometrie der Raumzeit der Schlüssel zu den Gravitationseffek-
135
VERBORGENE UNIVERSEN
Abbildung 3 9 : Ein massives Objekt verzerrt den umgebenden Raum und er
zeugt dadurch ein Gravitationsfeld.
ten ist, erlaubte Einstein ferner, eine bedeutende Lücke in seiner ur
sprünglichen Formulierung der Gravitation zu schließen. Zwar wussten
die Physiker seinerzeit, wie Objekte auf ein Gravitationsfeld reagieren,
sie wussten aber nicht, was Gravitation war. Jetzt begriffen sie, dass das
Gravitationsfeld die von Materie und Energie verursachte Verzerrung
des Raumzeitgefüges ist. Diese Verzerrung durchzieht den Kosmos selbst
oder, wie wir bald sehen werden, eine höherdimensionale Raumzeit, die
vielleicht auch Branen einschließt. Alle Gravitationseffekte dieser kom
plizierteren Situationen können in die Kräuselungen und Krümmungen
einer Raumzeit-O berfläche eingebettet sein.
Ein Bild liefert vielleicht die beste Beschreibung, wie Materie und
Energie das Raumzeitgefüge verzerren und so ein Gravitationsfeld er
schaffen. Abbildung 3 9 zeigt eine Materiekugel im Raum. Der Raum um
die Kugel herum ist verzerrt : Der Ball drückt eine Delle in die räumliche
Oberfläche, in deren Tiefe sich die Energie oder Masse des Balles wider
spiegelt. Ein in der Nähe passierender Ball wird in Richtung der zentra
len Delle rollen, wo die Masse positioniert ist. Nach der allgemeinen Re
lativitätstheorie verwirft sich das Raumzeitgefüge in analoger Weise. Ein
anderer vorbeikommender Ball würde in Richtung des Zentrums der
Kugel beschleunigt. In diesem Fall würde das Resultat mit dem überein
stimmen, was Newtons Gesetz vorhergesagt hätte, aber die Interpreta
tionen und die Berechnung der Bewegung wären völlig anders. Nach der
allgemeinen Relativitätstheorie folgt ein Ball den Krümmungen der
Raumzeit-O berfläche und implementiert damit die Bewegung, die vom
Gravitationsfeld induziert ist.
Abbildung 39 ist ein bisschen irreführend, also sollten Sie sich ein paar
136
RELATIVITÄTSTHEORIE
Einschränkungen merken . Erstens habe ich den Raum um den Ball zwei
dimensional wiedergegeben. In Wirklichkeit sind der gesamte dreidi
mensionale Raum und die gesamte vierdimensionale Raumzeit verzerrt.
Die Zeit wird verzerrt, weil aus der Sicht der speziellen und allgemeinen
Relativitätstheorie auch sie eine Dimension ist. Mit verzerrter Zeit ha
ben wir es beispielsweise zu tun, wenn die spezielle Relativitätstheorie
uns sagt, dass Uhren an unterschiedlichen Orten mit verschiedenem
Tempo gehen. Eine weitere Einschränkung ist, dass ein zweiter Ball in
der gekrümmten Geometrie um den ersten herum ebenfalls die Geome
trie der Raumzeit beeinflussen würd e ; wir haben angenommen, dass
seine Masse viel kleiner ist als die des großen Balls, und diesen kleinen
Effekt vernachlässigt. Als Drittes muss man im Kopf behalten, dass das
Obj ekt, das die Raumzeit verzerrt, j ede beliebige Anzahl von Dimensio
nen haben kann. Später wird in diesem Bild eine Brane die Rolle der Ku
gel übernehmen .
Nichtsdestotrotz sagt in allen Fällen die Materie der Raumzeit, wie sie
sich krümmen soll, und die Raumzeit sagt der Materie, wie sie sich be
wegen soll. Die gekrümmte Raumzeit legt die geodätischen Bahnen fest,
entlang deren die Dinge sich bewegen, wenn keine anderen Kräfte auf sie
einwirken. Gravitation ist Ausdruck der Raumzeitgeometrie. Einstein
brauchte fast ein Jahrzehnt, um genau diesen Zusammenhang zwischen
Raumzeit und Gravitation herzuleiten und dabei die Effekte des Gravi
tationsfelds selbst zu berücksichtigen - schließlich trägt das Gravitati
onsfeld Energie und krümmt daher ebenfalls die Raumzeit. * Es war eine
Heldentat.
Mit seinen berühmten Gleichungen spezifizierte Einstein, wie man das
Gravitationsfeld des Universums findet, wenn sein Gehalt gegeben ist.
Seine berühmteste Gleichung ist zwar E mc2, Physiker bezeichnen mit
==
''
Wei l das Gravitationsfeld Energie trägt, muss die Energie des Feldes berücksichtigt
werden, wenn man mit den Einstein'schen Gleichungen arbeitet. Das macht die Lö
sungen für das Gravitationsfeld empfi ndlicher als mit Newton'scher Gravitation.
137
VERBORGENE UNIVERSEN
138
RELATIVITÄTSTHEORIE
139
VERBORGENE UNIVERSEN
Koda
Bringen wir noch die Geschichte mit dem GPS zum Abschluss : Um die
Position auf einen Meter exakt berechnen zu können, müssen wir die
Zeit genauer als 1 : 10 13 messen. Die einzige Möglichkeit, diese Genauig
keit hinzubekommen, sind Atomuhren.
Aber selbst bei so perfekten Uhren senkt die Zeitdehnung die Genau
igkeit auf 1 : 10 10• Dieser Fehler wäre, wird er nicht korrigiert, tausend
mal zu groß für das von uns gewünschte GPS. Wir müssen auch noch die
gravitationsbedingte Blauverschiebung berücksichtigen : ein Effekt der
allgemeinen Relativitätstheorie, der die Folge davon ist, dass ein Photon
sich durch ein sich veränderndes Gravitationsfeld bewegt, was einen
Fehler von mindestens dieser Größenordnung ergi bt. Diese und andere
aus der allgemeinen Relativitätstheorie folgenden Abweichungen wür
den Fehler ergeben, die sich, wenn man sie ignorierte, mit einer Rate von
mehr als zehn Kilometer pro Tag akkumulieren würden. * Ike ( und heu
tige GPS-Geräte ) müssen diese relativistischen Effekte ausgleichen.
Auch wenn die Relativitätstheorie durch Experimente bestätigt ist und
Folgen zeitigt, die bei Geräten des täglichen Gebrauchs berücksichtigt
werden müssen, finde ich es ziemlich bemerkenswert, dass zu Anfang
überhaupt j emand Einstein beachtet hat. Er war völlig unbekannt und
arbeitete im Berner Patentamt, weil er keinen besseren Job bekommen
konnte. An diesem unpassenden Ort erarbeitete er eine Theorie, die den
Überzeugungen sämtlicher Physiker seiner Zeit zuwiderlief.
Gerald Holton, Wissenschaftshistoriker in Harvard, sagte mir, der
deutsche Physiker Max Planck hätte sich als Erster für Einstein einge
setzt. Ohne Planck, der auf der Stelle die Brillanz von Einsteins Arbeit er
kannte, hätte es vielleicht viel länger gedauert, bis sie anerkannt und ak
zeptiert worden wäre. Doch dank Planck lenkten einige wenige andere
bedeutende Physiker ihre Aufmerksamkeit auf Einstein. Und kurz darauf
die ganze Welt.
Zur Erinnerung:
* Neil Ashby, » Relativity and the Global Positioning System " , Physics Today, Mai
2002, s. 41.
140
RELATIVJ T Ä TSTHEORIE
141
6
Quantenmechanik:
Relationale Unschärfe, unscharfe Relationen
und die Unschärferelation
Ik e fragte sich, ob er sich vielleicht mit Athena zu viele Filme ansah oder
ob Dieter ihm zu viel über Physik erzählte. Was immer der Grund war, in
der Nacht zuvor hatte Ike geträumt, dass er einen Quantendetektiv ken
nen gelernt hätte. Mit Schlapphut und Trenchcoat bekleidet und mit ver
steinertem Gesichtsausdruck hatte der Traumdetektiv gesagt :
» Ich wusste nichts über sie außer ihrem Namen und dass sie vor mir
stand. Aber von dem Moment an, da ich meinen Blick auf sie richtete,
wusste ich, Elek tra ,. würde mir Probleme bereiten. Als ich sie fragte, wo
sie herkäme, verweigerte sie die Auskunft. Das Büro hatte zwei Ein
gänge, und durch einen musste sie gekommen sein. Aber Elektra flüsterte
heiser : >Mister, vergessen Sie 's. Das werde ich Ihnen niemals sagen. <
Obwohl ich sah, dass sie zitterte, versuchte ich die Dame festzunageln.
A ber Elektra wich in Panik zurück, als ich auf sie zuging. Sie bat mich,
nicht näher zu kommen. Da ich sah, wie aufgeregt sie war, hielt ich Ab
stand. Dass jemand sein Geheimnis nicht preisgeben wollte, war für
mich nichts Neues, aber diese Dame stellte alles in den Schatten. Es sah
ganz so aus, als würde mir das zweideutige Verhalten noch eine ganze
Weile zu schaffen machen. «
''
Der Name bezieht sich auf das Elektron, nicht auf d1e Gestalt aus der griechischen
Mythologie.
142
Q UANTENMECHANIK
143
VERBORGENE UNIVERSEN
144
Q UANTENMECHANIK
145
VERBORGENE UNIVERSEN
annähernd wiedergeben ließen oder die man überhaupt nicht mit einem
so begrenzten Vokabular ausdrücken könnte.
Der dänische Physiker Niels Bohr, einer der Pioniere der Quantenme
chanik, war sich bewusst, dass die menschliche Sprache für die Beschrei
bung der inneren Vorgänge im Atom nicht ausreicht. Beim Nachdenken
über dieses Thema erzählte er, dass seine Modelle >> ihm intuitiv gekom
men seien . . . als Bilder << *. Und der Physiker Werner Heisenberg er
klärte : ,, Wir müssen einfach bedenken, dass unsere normale Sprache
nicht mehr funktioniert, dass wir in einem Bereich der Physik sind, wo
unsere Worte nicht mehr viel bedeuten. « '' *
Ich werde daher nicht versuchen, Quantenphänomene mit klassischen
Modellen zu beschreiben. Stattdessen will ich die entscheidenden
Grundannahmen und Phänomene erklären, die die Quantenmechanik so
deutlich von den klassischen Theorien unterscheiden, die ihr vorausgin
gen. Punkt für Punkt werden wir über ein paar der entscheidenden Be
obachtungen und Erkenntnisse nachdenken, die zur Quantenmechanik
und ihrer Weiterentwicklung führten. Auch wenn diese Darstellung im
Großen und Ganzen einem chronologischen Aufbau folgt, ist meine
eigentliche Absicht, die vielen neuen Ideen und Begriffe der Quantenme
chanik nach und nach einzuführen.
''
Gerald Holton, The Advancement of Science, and Its Burdens ( Cambridge, MA :
Harvard University Press, 1 9 9 8 ) .
'' * Zitiert in Gerald Holton u n d Stephen J . Brush, Physics, the Human Adventure from
Copernicus to Einstein and Beyond (Piscataway, NJ : Rutgers University Press, 2001 ) .
146
QUANTENMEC H ANIK
bekannt ist. Ein Schwarzer Körper ist so etwas wie ein Stück Kohle, das
alle ankommende Strahlung absorbiert und dann wieder abgibt.* '' Die
von ihm abgegebene Menge Licht oder andere Energie hängt von seiner
Temperatur ab; allein seine Temperatur charakterisiert die physikali
schen Eigenschaften eines Schwarzen Körpers vollständig.
Die klassischen Vorhersagen für das von einem Schwarzen Körper
abgestrahlte Licht waren allerdings problematisch : Ihre Berechnungen
ergaben, dass viel mehr Energie als Hochfrequenzstrahlung emittiert
werden müsste, als die Physiker in Wirklichkeit beobachtet hatten. Die
Messungen zeigten, dass unterschiedliche Frequenzen nicht alle in glei-
147
VERBORGENE UNIVERSEN
ehern Maß zur Abstrahlung des Schwarzen Körpers beitrugen - die ho
hen Frequenzen weniger als die niedrigeren. Nur die niedrigeren Fre
quenzen gaben signifikante Energiemengen ab. Daher sind strahlende
Objekte >> rot glühend <, und nicht >> blau glühend << . Die klassische Physik
sagte j edoch eine große Menge Hochfrequenzstrahlung voraus. Die Ge
samtmenge der emittierten Energie war nach der klassischen Berech
nung sogar unendlich. Die klassische Physik stand vor einer Ultravio
!ettkatastrophe.
Als Ausweg aus diesem Dilemma bot sich ad hoc die Annahme an,
dass nur Frequenzen unterhalb einer bestimmten O bergrenze zur Strah
lung eines Schwarzen Körpers beitragen konnten. Planck aber verwarf
diese Möglichkeit zugunsren einer anderen, offenbar genauso willkür
lichen Annahme : dass Licht nur in Quanten vorkommt.
Wenn die Strahlung bei j eder Frequenz aus einem ganzzahligen Viel
fachen eines fundamentalen Strahlungsquants bestand, so überlegte
Planck, dann konnte keine Hochfrequenzstrahlung emittiert werden,
weil die fundamentalen Energieeinheiten zu groß wären. Weil die in
einem Lichtquant enthaltene Energie proportional zu seiner Frequenz
war, musste selbst eine einzige Einheit von Hochfrequenzstrahlung eine
Menge Energie enthalten. War die Frequenz hoch genug, wäre das Ener
gieminimum eines Quants zu groß, um zurückgestrahlt zu werden. Der
Schwarze Körper könnte nur die Quanten niedriger Frequenzen abge
ben. Plancks Hypothese zufolge war zu viel Hochfrequenzstrahlung also
ausgeschlossen.
Mit einer Analogie kann man vielleicht Plancks Überlegung veran
schaulichen. Wahrscheinlich haben Sie schon einmal in einem Restau
rant mit Menschen gegessen, die dankend ablehnen, wenn es an das Be
stellen des Nachtischs geht. Sie haben Angst, zu viel zu essen und zu dick
zu werden, und daher bestellen sie sich kein leckeres Dessert. Wenn die
Bedienung versichert, die Portionen seien klein, nehmen sie vielleicht
einen Nachtisch. Aber angesichts der üblichen großen Quantitäten an
Kuchen oder Eiskrem oder Pudding streiken sie.
Es gibt zwei Typen von solchen Menschen. Ike gehört zur ersten Ka
tegorie. Er ist wirklich diszipliniert und isst keinen Nachtisch. Wenn das
Dessert zu groß ist, hält sich Ike einfach zurück. Ich zähle eher wie
Athena zum zweiten Typ, der meint, dass das Dessert zu groß ist und
sich daher nichts selbst bestellt, aber im Gegensatz zu Ike keine Gewis
sensbisse hat, sich von allen anderen Desserttellern ein Löffelehen zu
nehmen. Auch wenn Athena sich also keine eigene Portion bestellt, isst
148
QUANTENMEC H ANIK
sie letzten Endes ziemlich viel. Würde Athena mit einer großen Anzahl
Menschen gemeinsam essen, und könnte sie daher von einer großen An
zahl von Nachtischportionen naschen, würde sie eine unglückselige
>> Kalorienkatastrophe << erleben.
Nach der klassischen Theorie ähnelt ein Schwarzer Körper eher
Athena. Er würde bei j eder Frequenz kleine Lichtmengen emittieren, und
die Theoretiker der klassischen Schule würden daher eine >> Ultraviolett
katastrophe << vorhersagen. Um dem Dilemma zu entgehen, schlug
Planck vor, dass ein Schwarzer Körper eher dem wirklich enthaltsamen
Typ gleicht. Wie Ike, der niemals nur einen Bruchteil eines Desserts isst,
verhält sich ein Schwarzer Körper gemäß der Planck'schen Quantisie
rungsregel und emittiert Licht einer gegebenen Frequenz nur in quanti
sierten Energieeinheiten, die gleich der Konstante h mal der Frequenz f
ist. Ist die Frequenz zu hoch, ist das Energiequant einfach zu groß für
Licht, das bei dieser Frequenz abgegeben werden könnte. Ein Schwarzer
Körper gibt daher den größten Teil seiner Strahlung bei niedrigen Fre
quenzen ab, und hohe Frequenzen sind automatisch ausgeschlossen. Der
Quantentheorie zufolge emittiert ein Schwarzer Körper keine substan
zielle Menge von Hochfrequenzstrahlung und gibt daher weit weniger
Strahlung ab, als in der klassischen Theorie vorhergesagt.
Wenn ein O bjekt Strahlung emittiert, nennen wir das Strahlungsmus
ter - das heißt, wie viel Energie das O bj ekt bei einer gegebenen Tempe-
·�
"
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Wellenlänge (mm)
149
VERBORGENE UNIVERSEN
* ». • .
um j eden Preis, das heißt ausgenommen die Unverletzlichkeit der zwei Gesetze
der Thermodynamik . . ·"Zitiert in David Cassidy, Einstein and Our World, 2 . Auf!.
( Atlantic Highlands, NJ : Humanities Press, 2004 ) .
150
QUANTENMEC H ANIK
151
VERBORGENE UNIVERSEN
vom Lichtquant erhält, minus der Energie, die erforderlich ist, um das
Elektron aus dem Atom herauszulösen.
Mit dieser Überlegung konnte Einstein die Energie der Lichtquanten
ableiten. Er stellte fest, dass ihre Energie von der Frequenz des Lichts ab
hing, genau wie Plancks Hypothese vorhergesagt hatte. Für Einstein war
das ein klarer Beweis, dass Lichtquanten real waren. Seine Interpretation
zeichnete ein sehr konkretes Bild von Lichtquanten : Ein einzelnes Quant
trifft auf ein einzelnes Elektron, das dadurch herausgelöst wird . Diese
Beobachtung war es, nicht die Relativitätstheorie, die Einstein im Jahr
1 921 den Nobelpreis für Physik eintrug.
Merkwürdigerweise erkannte Einstein zwar, dass es Lichtquanten
gab, er zögerte aber zu akzeptieren, dass diese Quanten tatsächlich Teil
chen waren, die zwar Energie und Impuls, aber keine Masse hatten. Der
erste überzeugende Beweis für die Teilchennatur der Lichtquanten rührte
1 923 aus der Messung der Campton-Streuung her, bei der ein Lichtquant
auf ein Elektron trifft und von diesem abgelenkt wird ( siehe Abbildung
41 ) . Im Allgemeinen kann man Energie und Impuls eines Teilchens da
durch bestimmen, dass man seinen Ablenkungswinkel nach einer Kolli
sion misst. Wenn Photonen masselose Partikel waren, mussten sie sich
auf eine ganz bestimmte Weise verhalten, wenn sie mit anderen Teilchen
wie etwa Elektronen zusammenprallten. Messungen ergaben, dass die
Lichtquanten sich genauso verhielten, als wären sie masselose Teilchen,
die mit den Elektronen wechselwirkten. Die unvermeidliche Schlussfol
gerung lautete, dass Lichtquanten in der Tat Teilchen sind, und heute
nennen wir diese Photonen.
Es ist verblüffend, dass Einstein so viele Vorbehalte gegenüber der
Quantentheorie hatte, die er auszuarbeiten half. Aber seine Haltung ist
nicht ungewöhnlicher als Plancks Reaktion auf Einsteins Quantisie
rungsvorschlag - schlichter Unglauben. Planck und mehrere andere
vorher nachher
. e
'-.
Abbildung 4 1 : Bei der Campton-Streuung wird ein Photon von einem statio
nären Elek tron (e-) gestreut, wobei sich seine Energie und sein Impuls ändern
(A und f.. ' Wellenlängen des Photons).
=
152
Q UANTENMECH ANIK
Die Geschichte der Quantisierung und der alten Quantentheorie ist mit
dem Licht noch nicht zu Ende . Es stellte sich heraus, dass alle Materie
aus fundamentalen Quanten besteht. Niels Bohr war der Nächste, der
eine Quantisierungshypothese vorlegte. In seinem Fall galt diese einem
gut bekannten Teilchen, dem Elektron.
Bohr interessierte sich zum Teil deswegen für Quantenmechanik, weil
e r damals versuchte, rätselhafte Eigenschaften des Atoms zu erklären .
Während des 1 9. Jahrhunderts hatte man vom Atom nur eine unglaublich
vage Vorstellung : Einige Wissenschaftler glaubten, Atome gäbe es nur als
heuristische Hilfsmittel, die als Denkmodelle nützlich waren, aber nicht
in der Realität gründeten. Und einige Wissenschaftler, die dennoch an die
Existenz von Atomen glaubten, verwechselten sie sogar mit Molekülen,
die, wie wir heute wissen, aus Atomen zusammengesetzt sind.
Die wirklichen Eigenschaften und der Aufbau des Atoms wurden erst
zu Beginn des letzten Jahrhunderts akzeptiert. Ein Teil des Problems be
stand darin, dass das griechische Wort atomos, auf den der Begriff zu
rückgeht, >> unteilbar << bedeutet, und ursprünglich machte man sich vom
Atom in der Tat das Bild eines unveränderlichen, unteilbaren O bjekts.
Aber als die Physiker des 1 9. Jahrhunderts immer mehr über das Verhal
ten von Atomen herausfanden, ging ihnen auf, dass diese Vorstellung
,,_
A braham Pais, » Raffiniert ist der Herrgott . . ·" ( Bra unschweig, Wiesbaden : Vieweg,
1986).
* Gerald Holton, Thematic O rigins o f Scientific Thought, ü berarb. A u f!. ( Cam
''
153
VERBORGENE UNIVERSEN
falsch sein musste. Gegen Ende des Jahrhunderts zählten die Radioakti
vität und die Spektrallinien - die spezifischen Frequenzen, bei denen
Atome Licht emittieren und absorbieren - zu den am genauesten gemes
senen Atomeigenschaften. Und beide Phänomene zeigten, dass Atome
veränderlich waren. Darüber hinaus entdeckte im Jahr 1 8 97 ]. ]. Thom
son das Elektron und schlug vor, dass Elektronen Bestandteile des
Atoms wären, was bedeutete, dass Atome teilbar sein mussten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fasste Thomson die Atombeobachtun
gen j ener Zeit in seinem >> Plumpudding-Modell << zusammen, benannt
nach dem britischen Weihnachtsdessert, bei dem einzelne Stücke von
Dörrfrüchten in einer Teigmasse stecken. Er schlug vor, dass es eine po
sitiv geladene Komponente gäbe, die im ganzen Atom ( dem Teig) verteilt
sei und in der negativ geladene Elektronen (die Dörrobststücke) einge
bettet seien.
Der Neuseeländer Ernest Rutherford bewies 1910, dass dieses Modell
falsch ist, als Hans Geiger und ein Doktorand, Ernest Marsden, ein von
Rutherford vorgeschlagenes Experiment durchführten. Sie entdeckten
einen festen, kompakten Atomkern, der viel kleiner war als das Atom
selbst. Radon-222, ein Gas, das beim radioaktiven Zerfall von Radium
salzen entsteht, emittiert Alphateilchen, von denen wir heute wissen,
dass es sich um Heliumkerne handelt. Die Physiker bewiesen die Exis
tenz von Atomkernen, indem sie Alphateilchen auf Atome schossen und
die Winkel maßen, in denen die Alphateilchen gestreut wurden. Zu der
von ihnen beobachteten starken Streuung konnte es nur dann kommen,
wenn es feste, kompakte Atomkerne gab. Eine diffuse, im ganzen Atom
verteilte positive Ladung hätte die Teilchen nie so weit ablenken können .
Rutherford meinte dazu : » Es war das Unglaublichste, das mir je in mei
nem Leben passiert ist. Es war fast so unglaublich, als würde man eine
30-cm-Granate auf ein Stück Seidenpapier abfeuern, und sie würde ab
prallen und einen selbst treffen. << ,,.
Mit Rutherfords Erkenntnissen war das Plumpudding-Modell des
Atoms hinfällig. Sie bedeuteten, dass die positive Ladung nicht gleichmä
ßig im Atom verteilt war, sondern vielmehr auf einen viel kleineren in
neren Kern konzentriert ist. Es musste eine feste, zentrale Komponente
geben, den Atomkern. Nach dieser Vorstellung bestand ein Atom aus
Elektronen, die einen kleinen zentralen Kern umkreisten.
''
Zitiert nach Abraham Pais, Inward Bound: Of Matter and Forces in the Physical
World ( Oxford : Oxford University Press, 1 9 8 6 ) .
154
QUANTENMEC H ANIK
155
VERBORGENE UNIVERSEN
Bohr kam zu dem Schluss, dass die Elektronen keine beliebigen Umlauf
bahnen haben konnten : Vielmehr mussten diese einen Radius haben, der
zu einer von ihm vorgeschlagenen Formel passte. Auf diese Umlaufbah
nen kam er d urch einen glücklichen, aber genialen Einfall. Er fand, Elek
tronen müs!>ten sich verhalten, als wären sie Wellen, das hieß, dass sie
beim Kreisen um den Atomkern auf und ab schwingen würden.
Im Allgemeinen oszilliert eine Welle von bestimmter Länge über eine
fixe Distanz einmal auf und ab; diese Distanz ist die Wellenlänge. Eine in
einem Kreis verlaufende Welle hat ebenfalls eine ihr zugehörige Wellen
länge. In diesem Fall gibt die Wellenlänge den Teil des Bogens an, auf
dem die Welle einmal auf- und abschwingt, während sie sich um den
Kern windet.
Ein Elektron auf einer Umlaufbahn mit einem festen Radius kann
nicht irgendeine Wellenlänge haben, sondern nur eine, die es der Welle
erlaubt, eine feste Anzahl von Malen auf- und abzuschwingen. Es musste
also eine Regel geben, um die erlaubten Wellenlängen zu bestimmen :
Wie oft die Welle bei einem kreisförmigen Umlauf auf- und abschwingen
konnte, musste eine ganze Zahl ergeben - 1 , 2, 3 und so weiter ( siehe Ab
bildung 42 ) .
Bohrs Vorschlag war zwar radikal u n d seine Bedeutung noch nicht
klar, aber seine Mutmaßung traf ins Schwarze : Wenn sie stimmte, würde
das stabile Elektronenumlaufbahnen garantieren . Nur ganz bestimmte
Umlaufbahnen kamen infrage. Zwischengrößen wären ausgeschlossen.
Ohne einen ä ußeren Anlass, der das Elektron von einer Bahn auf eine an-
0
'
'
A b bildung 42 : Mögliche Wellenmuster eines Elek trons nach der Bohr- Quan
tisierung.
156
QUANTENMECH ANIK
dere springen lassen würde, gäbe es für das Elektron keine Möglichkeit,
sich in Richtung Kern zu bewegen.
Man kann sich Bohrs Atom mit den festgelegten Elektronenumlauf
bahnen als ein mehrstöckiges Gebäude vorstellen, in dem man nur die
geradzahligen Etagen betreten darf, die zweite, vierte, sechste und so
weiter. Da man in die Stockwerke dazwischen nie einen Fuß setzen
könnte, etwa das dritte oder fünfte, müsste man auf alle Ewigkeit auf der
geradzahligen Etage bleiben, auf der man ist. Es gäbe keine Möglichkeit,
das Erdgeschoss zu erreichen und zu entkommen.
Bohrs Wellen waren ein kluger Einfall. Er behauptete nicht zu wissen,
was das bedeutet; seine Annahme zielte einfach auf stabile Elektronen
umlaufbahnen ab. Nichtsdestotrotz erlaubte es die quantitative Natur
seines Vorschlags, ihn zu überprüfen. Vor allem sagte Bohrs Hypothese
korrekt die atomaren Spektrallinien vorher. Spektrallinien zeigen dieje
nigen Lichtfrequenzen an, die ein nicht ionisiertes Atom - ein neutrales
Atom mit allen Elektronen und der Nettoladung null - emittiert oder ab
sorbiert. ,,_ Physikern war aufgefallen, dass die Spektren ein an Strichco
des erinnerndes Streifenmuster aufwiesen und keine kontinuierliche Ver
teilung zeigten (das heißt mit allen Lichtfrequenzen ) . Aber niemand
wusste, warum. Auch kannte man noch keinen Grund für gtnau die Fre
quenzwerte, die man sah.
Mit seiner Quantisierungshypothese konnte Bohr erklären, warum
Photonen nur bei den gemessenen Frequenzen emittiert oder absorbiert
wurden . Bei einem isolierten Atom waren zwar die Elektronenumlauf
bahnen stabil, aber sie konnten sich ändern, wenn ein Photon mit der
richtigen Frequenz - und nach Planck folglich der richtigen Energie -
Energie hinzufügte oder wegnahm.
Mit einer klassischen Vorgehensweise berechnete Bohr die Energie der
Elektronen, die sich seiner Quantisierungsannahme entsprechend ver
hielten. Anhand dieser Energie sagte er die Energien - und damit die Fre
quenzen - der Photonen vorher, die das Wasserstoffatom mit seinem ein
zigen Elektron emittiert oder absorbiert. Bohrs Voraussagen trafen zu,
und diese korrekten Ergebnisse machten seine Quantisierungsannahme
höchst plausibel. Und das überzeugte unter anderem Einstein, dass Bohr
Recht haben müsse.
Wir beschränken uns hier auf diskrete Spektren. Wenn ein freies Elektron von einem
Ion eingefangen wird, wird ein kontinuierliches - nicht diskretes - Lichtspektrum
emittiert.
157
VERBORGENE UNIVERSEN
158
QUANTENMEC H ANIK
"_ Die Wellenlänge ist gleich dem Planck'schen Wirkungsquantum h geteilt durch den
Impuls.
'' * Man braucht zwar drei Koordinaten, um einen Punkt im Raum zu spezifizieren,
a ber manchmal vereinfachen wir und tun so, als hinge die Wellenfunktion nur von
einer einzigen Koordinate ab. Das macht es leichter, Bilder von Wellenfunktionen auf
Papier zu zeichnen.
159
VERBORGENE UNIVERSEN
einen Bruchteil eines Teilchens nicht. Dass ein Teilchen mit einer Welle
beschrieben werden kann, war ( und ist in gewisser Hinsicht immer noch )
einer der überraschendsten Aspekte der Quantenmechanik, vor allem da
man weiß, dass Teilchen sich oft wie Billardkugeln verhalten und nicht
wie Wellen. Eine Teilcheninterpretation und eine Welleninterpretation
scheinen unvereinbar zu sein.
Die Auflösung dieses scheinbaren Paradoxons hängt damit zusam
men, dass man die Wellennatur einem einzelnen Teilchen nicht gleich
ansieht. Wenn man ein einzelnes Elektron findet, sieht man es an einer
bestimmten Stelle. Um die gesamte Welle im Einzelnen festlegen zu kön
nen, braucht man eine Anzahl identischer Elektronen oder ein Experi
ment, das viele Male wiederholt wird . Auch wenn j edes Elektron mit
einer Welle assoziiert ist, kann man bei einem einzelnen Elektron nur
eine einzige Größe messen. Aber wenn man eine größere Anzahl identi
scher Elektronen präparieren könnte, würde man finden, dass der Anteil
von Elektronen an jeder Stelle proportional zu der Wahrscheinlichkeits
welle ist, die die Quantenmechanik einem Elektron zuweist.
Die Wellenfunktion eines einzelnen Elektrons verrät Ihnen das wahr
scheinliche Verhalten vieler identischer Elektronen mit ebendieser Wel
lenfunktion. Jedes einzelne Elektron wird auch nur an einem einzigen
Ort zu finden sein. Wenn es aber viele identische Elektronen gibt, zeigen
sie eine wellenähnliche Verteilung von Lokalisierungen. Die Wellenfunk
tion gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass das Elektron an diesen Stellen
vorkommt.
Ein Analogiebeispiel wäre die Größenverteilung in einer Bevölkerung.
Jedes Individuum hat seine eigene Körpergröße . Die Verteilung verrät
uns aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum eine bestimmte
Größe haben wird. Genauso zeigen, selbst wenn ein einzelnes Elektron
sich wie ein Teilchen verhält, viele Elektronen zusammen eine Ortsver
teilung, die sich als Welle darstellen lässt. Der Unterschied ist nur, dass
ein individuelles Elektron nichtsdestotrotz mit dieser Welle assoziiert ist.
In Abbildung 43 habe ich ein Beispiel für die Wahrscheinlichkeitsfunk
tion eines Elektrons wiedergegeben. Diese Welle gibt die relative Wahr
scheinlichkeit an, das Elektron an einer bestimmten Stelle zu finden. Die
K urve, die ich gezeichnet habe, zeigt den definitiven Wert für j eden
Punkt im Raum ( oder besser : für jeden Punkt entlang einer Linie, denn
da das Papier flach ist, war ich gezwungen, nur eine Raumdimension zu
zeichne n ) . Könnte ich viele Kopien desselben Elektrons herstellen, dann
könnte ich eine Messreihe von der Posi tion des Elektrons anfertigen. Ich
160
QUANTENMECH ANIK
relative Wahrscheinlichkeit
.l 1\ Ort
würde feststellen, dass die gemessene Häufigkeit, mit der das Elektron
an einem bestimmten Punkt zu finden ist, dieser Wahrscheinlichkeits
funktion proportional ist. Ein größerer Wert bedeutet, dass das Elektron
mit größerer Wahrscheinlichkeit dort zu finden sein wird ; ein kleinerer
Wert bedeutet geringere Wahrscheinlichkeit. Die Welle spiegelt den ku
mulativen Effekt vieler Elektronen wider.
Auch wenn man die Welle im Einzelnen mit vielen Elektronen festlegt,
ist das Besondere an der Quantenmechanik, dass ein individuelles Elek
tron nichtsdestotrotz durch eine Welle beschrieben wird . Das heißt, man
kann niemals mit Gewissheit alles über dieses Elektron vorhersagen.
Misst man die Lokalisierung, so wird man es an einer bestimmten Stelle
finden. Doch solange man die Messung nicht vornimmt, kann man nur
vorhersagen, dass das Elektron eine bestimmte Wahrscheinlichkeit hat,
tatsächlich dort zu sein. Definitiv kann man nicht sagen, wo man es letz
ten Endes finden würde.
Diesen Welle-Teilchen-Dualismus offenbart das berühmte Doppel
spaltexperiment, auf das in der Geschichte am Kapitelanfang angespielt
wird : Elektra verrät nicht, durch welche Tür sie gekommen ist. 1 1 Bis
1961 der deutsche Physiker Claus Jonsson ihn tatsächlich im Labor
durchführte, war der Elektronen-Doppelspaltversuch bloß ein Gedan
kenexperiment, mit dem Physiker die Bedeutung und die Konsequenzen
der Wellenfunktion des Elektrons erläutern wollten. Bei dem Experiment
kommt ein Elektronenernirrer zum Einsatz, der Elektronen durch ein
Hindernis mit zwei parallelen Spalten schickt ( siehe Abbildung 44 ) . Die
Elektronen gehen durch die Spalte und treffen dahinter auf einen Schirm,
der ihren Aufprall registriert.
Dieses Experiment ahmt einen ähnlichen Versuch nach, mit dem im
frühen 1 9. Jahrhundert die Wellennatur des Lichts demonstriert wurde .
Damals schickte Thomas Young, ein britischer Arzt, Physiker und Ägyp-
161
VERBORGENE UNIVERSEN
162
Q UANTENMEC H ANIK
163
VERBORGENE UNIVERSEN
explizit bei wirklichen Experimenten. Sie schossen immer nur ein Elek
tron auf einmal durch und sahen, wie sich, als immer mehr Elektronen
auf den Schirm trafen, das Wellenmuster entwickelte.
Sie fragen sich vielleicht, warum es bis ins 20. Jahrhundert dauerte,
dass irgendj emand etwas so Dramatisches wie den Welle-Teilchen-Dua
lismus bemerkte. Warum erkannten beispielsweise die Leute nicht früher,
dass Licht zwar wie eine Welle aussieht, tatsächlich aber aus einzelnen
Klümpchen besteht - nämlich Photonen ?
Die Antwort lautet, dass niemand (ein paar Superhelden vielleicht
ausgenommen ) einzelne Photonen sehen kann * , und deswegen lassen
sich quantenmechanische Effekte nicht so leicht entdecken. Gewöhn
liches Licht sieht einfach nicht so aus, als sei es aus Quanten zusammen
gesetzt. Was wir sehen, sind Unmassen von Photonen, aus denen das
sichtbare Licht zusammengesetzt ist. Diese zahllosen Photonen verhalten
sich gemeinsam wie eine klassische Welle.
Man braucht eine sehr schwache Photonenquelle oder ein sehr sorg
fältig vorbereitetes System, um die Quantennatur des Lichts beobachten
zu können. Gibt es zu viele Photonen auf einmal, kann man die Effekte
Einzelner nicht mehr unterscheiden. Und klassischem Licht, das aus vie
len Photonen besteht, noch ein weiteres Photon hinzuzufügen, macht
einfach keinen Unterschied, der groß genug wäre. Wenn Ihre Glühbirne,
die sich klassisch verhält, ein einziges weiteres Photon aussendete, wür
den Sie das niemals bemerken. Detaillierte Quantenphänomene lassen
sich nur in sorgfältig vorbereiteten Systemen beobachten.
Wenn Sie nicht glauben, dass es auf dieses eine letzte Photon in der Re
gel nicht ankommt, denken Sie daran, wie Sie sich fühlen, wenn Sie die
Wahlkabine betreten. Lohnt sich wirklich der ganze Zeit- und sonstige
Aufwand, wählen zu gehen, wenn man bedenkt, dass die eigene Stimme
unmöglich etwas am Wahlergebnis ändern kann, da noch Millionen an
derer Menschen ihre Stimme abgeben ? Mit der bemerkenswerten Aus
nahme von Florida, wo man sich nie sicher sein kann, geht eine Stimme
in der Regel in der Menge verloren. Auch wenn eine Wahl durch den ku
mulativen Effekt individueller Stimmen entschieden wird, ändert eine
einzige Stimme, wenn überhaupt, kaum etwas am Ergebnis. (Und um
den Vergleich noch etwas weiter zu trei ben, könnten Sie auch noch fest-
''
Menschen sind zwar ratsächlich in der Lage, individuelle Photonen zu registrieren,
aber nur bei sorgfältig vorbereiteten Experimenten. In der Regel sieht man nur das
normale Licht, das aus vielen Photonen zusammengesetzt ist.
164
QUANTENMEC H ANIK
Heisenbergs Unschärfe
Aus der Wellennatur der Materie folgt vieles, was dem Alltagsverstand
zuwiderläuft. Kommen wir nun von unsicheren Wahlergebnissen auf
Heisenbergs Unschärferelation zu sprechen, ein Lieblingsthema von Phy
sikern und Leuten, die nach dem Essen Eindruck schinden wollen.
Der deutsche Physiker Werner Heisenberg zählt zu den wichtigsten
Pionieren der Quantenmechanik. In seiner Autobiografie berichtete er,
dass seine revolutionären Ansichten über Atome und Quantenmechanik
zu keimen begannen, als er während der Räterepublik von 1 9 1 9 in Mün
chen als Mitglied einer Freiwilligenkompanie im Priesterseminar Dienst
tat, wo er gegen die bayrischen Kommunisten kämpfen sollte. Nachdem
die Gefechte abgeklungen waren, las er auf dem Dach des Seminars in
der Morgensonne Platons Dialoge, vor allem den Timaios. Platons Text
ließ die Überzeugung in Heisenberg reifen, >> daß man, wenn man die ma
terielle Welt verstehen wollte, etwas über ihre kleinsten Teilchen wissen
mußte << . '-
Heisenberg hasste die politisch unruhigen Zeitläufe, die seine Jugend
prägten ; positiv beeindruckten ihn die >> Richtlinien des preußischen Le
bens, Unterordnung des Einzelnen unter die gemeinsame Aufgabe, Be
scheidenheit der privaten Lebensführung, Ehrlichkeit und Unbestech
lichkeit, Ritterlichkeit, pünktliche Pflichterfüllung<< . * Nichtsdestotrotz
''-
,,_ Werner Heisenberg, Der Teil und das Ganze ( M ü nchen, Zürich : Piper 1969), S . 2 1 .
,,_ ,, Ebenda, S. 74. A u s Loyalität gegenüber seinen Landsleuten b l i e b er auch nach 1 9 3 3
in Deutschland, wo er später zur M i tarbeit am Atombombenprojekt abkommandiert
wurde.
'' ,,_ * Gerald Holton, The Advancement of Science, and I ts Burdens ( Cambridge, MA :
Harvard University Press, 1998 ) .
165
VERBORGENE UNIVERSEN
166
QUANTENMECH ANIK
präzisen Wert annimmt. Der Begriff >> Zusammenbruch << bezieht sich da
bei auf die Form der Wellenfunktion, die nicht mehr ausgebreitet ist,
sondern an einer bestimmten Stelle einen Wert ungleich null annimmt,
da die Wahrscheinlichkeit, danach irgendeinen anderen Wert zu messen,
null ist. In diesem Fall - wenn eine Größe präzise gemessen wird - besagt
die Unschärferelation, dass man nach der Messung überhaupt nichts
über die andere Größe wissen kann, die mit der gemessenen Größe nach
der Unschärferelation ein Paar bildet. Der Wert j ener anderen Größe
würde unendlich unscharf. Und wenn man zuerst die zweite Größe ge
messen hätte, wäre die erste diejenige, über die man überhaupt nichts
wissen könnte. Wie auch immer, je genauer man eine der Größen kennt,
desto ungenauer muss die Messung der anderen sein.
Im Rahmen dieses Buches werde ich die Unschärferelation nicht im
Detail ableiten, dennoch will ich versuchen, ihren Ursprung zu umrei
ßen. Weil das Folgende nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist, können
Sie den nächsten Abschnitt überspringen, wenn Sie wollen. Vielleicht
möchten Sie aber auch ein bisschen mehr über die Überlegungen erfah
ren, die der Unschärferelation zugrunde lagen.
Bei dieser Herleitung wollen wir uns auf die Unschärfe von Zeit und
Energie konzentrieren, die etwas leichter zu erklären und zu begreifen
ist. Im Fall von Zeit und Energie setzt die Unschärferelation die Un
schärfe der Energie ( und damit nach Plancks Annahme der Frequenz) zu
dem Zeitintervall in Beziehung, das für die Veränderungsrate des Sys
tems charakteristisch ist. Das heißt, das Produkt aus Energieunschärfe
und der für den Systemwechsel charakteristischen Zeit ist immer größer
als das Planck'sche Wirkungsquantum h.
Physikalisch manifestiert sich die Unschärferelation von Zeit und
Energie beispielsweise, wenn man den Lichtschalter betätigt und man in
einem Radio in der Nähe Störgeräusche hört. Den Lichtschalter umzule
gen erzeugt ein breites Spektrum von Radiofrequenzen. Denn wenn man
den Lichtschalter umlegt, wird die Energiemenge, die durch den Draht
transportiert wird, sehr rasch geändert, folglich muss das Energiespek
trum ( und damit das Frequenzspektrum) sehr groß sein. Das Radio ver
zeichnet dies als Störgeräusch.
Um den Ursprung der Unschärferelation zu begreifen, betrachten wir
jetzt ein ganz anderes Beispiel - einen undichten Wasserhahn. * Wir wer-
* Bei diesem Beispiel gehen wir davon aus, dass der Wasserhahn nicht gleichmäßig
tropft, was auf wirkliche Wasserhähne nicht immer zutrifft.
167
VERBORGENE UNIVERSEN
den zeigen, dass man sehr langfristig messen muss, um die Tropfrate des
Wasserhahns genau zu bestimmen, was der Aussage der Unschärferela
tion einigermaßen analog ist. Ein Hahn und das durch ihn laufende Was
ser, das aus zahlreichen Atomen besteht, ist ein zu komplexes System,
um beobachtbare quantenmechanische Effekte aufzuweisen - sie werden
von klassischen Prozessen überlagert. Nichtsdestotrotz trifft zu, dass
man umso länger messen muss, je genauer die Frequenz bestimmt wer
den soll - und das ist der Kern der Unschärferelation. Bei einem quan
tenmechanischen System würde diese gegenseitige Abhängigkeit noch
einen Schritt weitergehen, denn bei einem sorgfältig geplanten quanten
mechanischen System stehen Energie und Frequenz zueinander in Bezie
hung. Bei einem quantenmechanischen System entspricht die Beziehung
zwischen der Frequenzunschärfe und der Zeit für eine Messung (wie die,
die wir gleich kennen lernen) daher der echten Unschärferelation zwi
schen Energie und Zeit.
Nehmen wir an, dass das Wasser mit einer Rate von ungefähr einem
Tropfen pro Sekunde aus dem Hahn tritt. Wie genau können Sie die Rate
messen, wenn Ihre Stoppuhr eine Ganggenauigkeit von einer Sekunde
hat - das heißt, dass sie höchstens um eine Sekunde falsch gehen kann ?
Wenn Sie eine Sekunde abwarten und dabei einen einzigen Tropfen se
hen, könnten Sie meinen, Sie könnten daraus schließen, dass der Wasser
hahn einmal pro Sekunde tropft.
Weil Ihre Stoppuhr a ber um bis zu einer Sekunde falsch gehen kann,
würden Ihre Beobachtungen Ihnen nicht genau sagen, wie lange es dau
ert, bis der Hahn einmal tropft. Wenn Ihre Uhr einmal getickt hat, könnte
ein bisschen mehr Zeit vergangen sein als eine Sekunde, oder es könnten
fast zwei sein. Zu welchem Zeitpunkt zwischen einer und zwei Sekunden
hat der Hahn also getropft ? 0 hne eine bessere Stoppuhr oder eine längere
Messung wüssten Sie keine genauere Antwort. Mit der Uhr, die Ihnen zur
Verfügung steht, können Sie nur feststellen, dass der Hahn irgendwo im
Bereich zwischen einmal pro Sekunde und einmal pro zwei Sekunden
tropft. Wenn Sie sagen würden, der Hahn tropfe einmal pro Sekunde,
könnten Sie im Grunde bei Ihrer Messung eine Fehlerquote von 100% ha
ben. Das heißt, Sie könnten um bis zum Faktor zwei daneben liegen.
Aber nehmen wir an, dass Sie Ihre Messung 10 Sekunden lang durch
führen. Dann würden in der Zeit, in der Ihre Uhr zehnmal tickt, zehn
Tropfen Wasser fallen. Da Ihre Stoppuhr nur die Ganggenauigkeit von
einer Sekunde hat, könnten Sie lediglich schlussfolgern, dass es irgend wo
zwischen 10 und 1 1 Sekunden dauerte, bis 10 Tropfen gefallen waren.
168
QUANTENMEC H ANIK
Ihre Messung, die abermals ergä be, dass der Hahn annähernd einmal
pro Sekunde tropft, hätte j etzt eine Fehlerquote von nur 1 0 % . Denn in
dem Sie zehn Sekunden abwarteten, konnten Sie die Frequenz bis auf
1 I 1 0 Sekunde genau bestimmen. Beachten Sie, dass das Produkt der Zeit
für Ihre Messung ( 10 Sekunden ) und die Unschärfe der Frequenz ( 10 %
oder 0, 1 ) ungefähr 1 beträgt. Beachten Sie auch, dass das Produkt von
Unschärfe der Frequenz und Zeit für die Messung im ersten Beispiel, bei
dem die Fehlerquote für die Frequenzmessung größer war ( 1 0 0 % ), die
aber weniger lang dauerte (1 Sekunde ), ebenfalls 1 beträgt.
So könnten Sie immer weitermachen . Wenn Sie eine Messung über 100
Sekunden durchführten, könnten Sie die Frequenz der Wassertropfen
mit einer Genauigkeit von 1 : 1 00 Sekunden messen. Würden Sie 1000 Se
kunden lang messen, hätten Sie bei der Frequenz eine Genauigkeit von
1 : 1000 Sekunden. In all diesen Fällen würde das Produkt aus der Zeit
dauer für Ihre Messung und der Genauigkeit Ihrer Frequenzmessung
rund 1 betragen . * Die längere Zeit, die eine genauere Frequenzmessung
erfordert, bildet den Kern der Unschärferelation von Zeit und Energie.
Man kann die Frequenz genauer messen, aber dafür muss die Messung
länger dauern. Das Produkt von Zeit und der Unschärfe der Frequenz
beträgt immer rund 1. '' *
Um die Herleitung unserer simplen Unschärferelation abzuschließen :
Wenn Sie ein hinreichend einfaches quantenmechanisches System hät
ten - ein einzelnes Photon beispielsweise -, wäre seine Energie gleich
dem Planck'schen Wirkungsquantum h mal der Frequenz. Für solch ein
Obj ekt wäre das Produkt aus dem Zeitintervall, in dem man die Energie
misst, und der Fehlerquote bei der Energie immer größer als h. Man
könnte die Energie so präzise messen, wie man will, a ber dann muss das
Experiment entsprechend länger laufen. Das ist dieselbe Unschärferela
tion wie die, die wir gerade abgeleitet habe n ; hinzugekommen ist nur die
Quantisierungsrelation, die Energie und Frequenz zueinander in Bezie
hung setzt.
,,.
Die genaue Zahl werde ich hier nicht ableiten.
* * Die obige Ü berlegung ist nicht völlig ausreichend, um die wirkliche Unschärferela
tion in vollem Umfang zu erklären, weil man niemals sicher sein kann, dass man die
richtige Frequenz gemessen hat, wenn man nur ein endliches Zeitintervall lang misst.
Wird der Hahn bis in alle Ewigkeit tropfen ? Oder tropfte er nur, während man die
Messung durchführte ? Es wäre zwar etwas schwieriger zu demonstrieren, aber Sie
wü rden selbst mit einer genaueren Stoppuhr niemals ein besseres Ergebnis bekommen,
als die wirkliche Unschärferelation es zulässt.
169
VERBORGENE UNIVERSEN
170
QUANTENME C H ANIK
iert ist. Da alle wissen, dass der Umwandlungsfaktor c 2 ist, können wir
mit ihm Masse in Einheiten von eV ausdrücken. In diesem Fall ist die
Protonmasse gleich 1 Milliarde e V - also 1 Ge V.
Einheiten auf diese Weise umzuwandeln ist etwas, das Sie j eden Tag
tun, wenn Sie beispielsweise j emandem sagen : >> Der Bahnhof ist zehn
Minuten entfernt. << Dabei gehen Sie von einem bestimmten Umwand
lungsfaktor aus. Die Entfernung zum Bahnhof könnte einen dreiviertel
Kilometer betragen, was einem zehnminütigen Fußweg entspricht, aber
auch 15 Kilometer, was einer zehnminütigen Fahrt auf der Landstraße
entspricht. Sie und Ihr Gesprächspartner müssen sich darauf verständi
gen, welchen Umwandlungsfaktor Sie verwenden.
Zusammen mit der Unschärferelation bestimmen diese Beziehungen
der speziellen Relativitätstheorie die minimale räumliche Größe der phy-
171
VERBORGENE UNIVERSEN
sikalischen Prozesse, denen eine Welle oder ein Teilchen von bestimmter
Energie oder Masse unterliegen kann. Wir werden diese Beziehungen
j etzt auf zwei sehr wichtige Energien der Teilchenphysik anwenden, die
in späteren Kapiteln häufig vorkommen werden (siehe Abbildung 4 6 ) .
Energie Länge
1 0 2 1 Ge V
- Planck-Länge - w- 33 cm
""
1 0 1 5 Ge V Oll
"
::>
" w-2 7 cm
1 0 1 2 Ge V "2
0
"
"'" w-24 cm
'0
I O' GeV
0
::; 1 0- 2 1 cm
l 0° GeV
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I O ' GeV <.,eh wache
(Te V ) Energieskala
Ge V - Protonenmasse -
w- ' Ge V - Eleklronenma;se -
(MeV)
1 o-9 cm
w-6 Ge V
(keV)
Die erste Energie, auch als schwache Energieskala bekannt, beträgt 250
GeV. Physikalische Prozesse von dieser Energie bestimmen die entschei
denden Eigenschaften der schwachen Kraft und der Elementarteilchen,
vor allem wie sie zu Masse kommen. Physiker (einschließlich meiner
selbst) erwarten, dass wir bei der Erforschung dieser Energie neue Ef-
1 72
QUANTENMECH ANIK
1 73
VERBORGENE UNIVERSEN
* Das ist dieselbe Größe, die ich im vorangegangenen Kapitel einfach als » Planck
Länge « bezeichnet habe.
* * Für alle, die ein bisschen Physik beherrschen : Dies ist der Bahndrehimpuls.
1 74
QUANTENMEC H ANIK
spielsweise ist das Photon ein Boson mit dem Spin 1 (s 1 ) . Das ist eine
=
so fundamentale Eigenschaft des Photons wie die Tatsache, dass ein Pho
ton sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt.
In der Quantenmechanik ist der Spin quantisiert. Der Quantenspin
kann den Wert 0 (das heißt, überhaupt kein Spin ) , 1 oder 2 oder jeden
anderen ganzzahligen Wert annehmen. Ich werde die Bezeichnungen
Spin 0, Spin 1, Spin 2 und so weiter verwenden. Obj ekte namens Boso
nen, die nach dem indischen Physiker Satyendra Nath Bose benannt
sind, haben einen intrinsischen Spin - den quantenmechanischen, der
nichts mit der Rotation zu tun hat -, der immer ganzzahlig ist: Bosonen
können einen intrinsischen Spin von 0, 1 , 2 und so weiter haben.
Der Spin der Fermionen ist in Einheiten quantisiert, die vor dem Auf
kommen der Quantenmechanik niemand für möglich gehalten hätte .
Fermionen, die nach dem italienischen Physiker Enrico Fermi benannt
sind, haben einen halbzahligen Spin von beispielsweise 1 / 2 oder 3 / 2 .
Während ein Obj ekt mit Spin 1 nach einer einzigen Umdrehung in seine
Ausgangsposition zurückgekehrt ist, muss ein Teilchen mit Spin 1 / 2 da
für zweimal rotieren. O bwohl die halbzahligen Werte für den Fermio
nenspin verrückt klingen, sind Protonen, Neutronen und Elektronen al
lesamt Fermionen mit Spin 1 1 2. Im Wesentlichen besteht alle vertraute
Materie aus Teilchen mit Spin 1 / 2 .
Die fermianisehe Natur d e r fundamentalsten Teilchen bestimmt viele
Eigenschaften der Materie um uns herum. Vor allem besagt das Pauli
A usschließungsprinzip, dass zwei Fermionen vom selben Typ niemals
am selben Ort zu finden sein können. Das Ausschließungsprinzip gibt
dem Atom die Struktur, auf der die Chemie basiert. Weil Elektronen mit
demselben Spin nicht am selben Ort sein können, müssen sie verschie
dene Umlaufbahnen haben.
Aus diesem Grund konnte ich weiter oben die Analogie mit den ver
schiedenen Etagen eines hohen Gebäudes bringen : Die unterschiedlichen
Stockwerke repräsentierten die verschiedenen möglichen quantisierten
Elektronenumlaufbahnen, die nach dem Pauli-Ausschließungsprinzip
besetzt werden, wenn ein Kern von vielen Elektronen umgeben ist. Das
Ausschließungsprinzip ist auch der Grund, warum Sie nicht Ihre Hand
durch einen Tisch stecken oder ins Zentrum der Erde stürzen können :
Der Tisch und Ihre Hand haben nur deshalb ihre feste Struktur, weil das
Ausschließungsprinzip atomare, molekulare und kristalline Strukturen
in der Materie entstehen lässt. Die Elektronen in Ihrer Hand, die diesel
ben sind wie die Elektronen im Tisch, können nirgendwo hin, wenn Sie
1 75
VERBORGENE UNIVERSEN
auf den Tisch hauen. Keine zwei identischen Fermionen können gleich
zeitig am selben Ort sein, und daher kann die Materie nicht so einfach
kollabieren.
Bosonen verhalten sich den Fermionen genau entgegengesetzt. Sie
können am selben Ort sein - und sind es auch. Bosonen sind wie Kro
kodile - am liebsten legen sie sich übereinander. Wenn man Licht dort
hin wirft, wo bereits Licht ist, verhält es sich ganz anders als Ihre Hand,
die den Karateschlag gegen den Tisch führt. Licht, das aus bosonischen
Photonen zusammengesetzt ist, geht durch Licht einfach hindurch. Die
beiden Lichtstrahlen können genau am selben Ort aufscheinen. Gerade
auf diese Tatsache gründet sich die Lasertechnik : Dass Bosonen das
selbe Niveau besetzen, lässt Laser ihre starken, kohärenten Lichtstrah
len produzieren . Supraflüssigkeiten und Supraleiter bestehen auch aus
Bosonen .
Ein extremes Beispiel für bosonische Eigenschaften liefert das Bose
Einstein-Kondensat, in dem zahlreiche identische Teilchen sich zusam
men wie ein einziges verhalten, was Fermionen, die an unterschiedlichen
Orten sein müssen, niemals könnten . Bose-Einstein-Kondensate sind nur
möglich, weil die Bosonen, aus denen sie bestehen, im Gegensatz zu Fer
mionen identische Eigenschaften haben können. Im Jahr 2001 bekamen
Eric Cornell, Wolfgang Ketterle und Carl Wiemann für den Nachweis
des Bose-Einstein-Kondensats den Nobelpreis für Physik.
Später werde ich diese Details, wie Fermionen und Bosonen sich ver
halten, nicht mehr benötigen. Als einzige Fakten werde ich aus diesem
Abschnitt brauchen, dass fundamentale Teilchen einen intrinsischen
Spin haben und sich verhalten können, als drehten sie sich in die eine
oder andere Richtung, und dass alle Teilchen dadurch charakterisiert
sind, dass sie entweder Bosonen oder Fermionen sind.
Zur Erinnerung
• Die Quantenmechanik sagt uns, dass sowohl Materie als auch Licht
aus diskreten Einheiten besteht, die man Quanten nennt. Beispiels
weise setzt sich das kontinuierlich scheinende Licht in Wirklichkeit
aus diskreten Quanten namens Photonen zusammen.
1 76
QUANTENMEC H ANIK
177
VERBORGENE UNIVERSEN
• Nur Kräfte mit einer Reichweite, die kleiner ist als ein zehn Millionen
Milliardstel Zentimeter ( l0 -17 cm ) , führen bei einem Tei lchen mit
schwacher Energieskala zu messbaren Effekten. Das ist eine sehr win
zige Distanz, aber für die physikalischen Vorgänge in einem Atomkern
und für den Mechanismus, durch den Teilchen Masse bekommen, re
levant.
• So winzig sie ist, die schwache Längenskala ist weit größer als die
Planck -Längenskala, die eine Million Milliarde Milliarde Milliardstel
eines Zentimeters ( l 0 -33) beträgt. Das ist die Größe der Region, in der
Kräfte Teilchen mit Planck-Energieskala beeinflussen. Die Planck
Energieskala bestimmt die Stärke der Gravitation. Sie ist die Energie,
die Teilchen haben müssten, wenn die Gravitation eine starke Kraft
wäre.
178
111
Von allen Geschichten, die Athena gelesen hatte, verblüffte sie Hans
Christian Andersens » Die Prinzessin auf der Erbse « am meisten. Das
Märchen handelte von einem Prinzen, der nach einer geeigneten Prinzes
sin suchte. Nachdem er dies wochenlang vergeblich getan hatte, kam
durch Zufall eine potenzielle Anwärterin in seinen Palast, denn sie suchte
Schutz vor einem Unwetter. Die durchnässte Besucherin wurde unwis
sentlich von der Königin einer Art Lackmustest für Prinzessinnen unter
zogen.
Die Königin bereitete ihr ein Bett, indem sie einen hohen Stapel von
Matratzen und Daunensteppdecken errichtete. Ganz unten unter dem
Stapel hatte sie eine einzige Erbse platziert. Am A bend führte sie ihre Be
sucherin in das sorgfältig vorbereitete Gästezimmer. Am folgenden Mor
gen beklagte sich die Prinzessin (die eine echte war, wie sich herausstellte),
dass sie überhaupt kein Auge zugetan hätte. Die ganze Nacht hätte sie
sich hin und her gewälzt und schließlich festgestellt, dass sie grün und
181
VERBORGENE UNIVERSEN
blau war - und all das wegen der unbequemen Erbse. Die Königin und
der Prinz waren überzeugt, dass ihre Besucherin wahrhaftig von könig
lichem Geblüt sein müsse, denn wer sonst könnte so empfindlich sein ?
Immer wieder ging A thena diese Geschichte durch den Kopf. Sie hielt
es für ziemlich lächerlich, dass irgendjemand, selbst die sensibelste Prin
zessin, je die Erbse hätte entdecken k önnen, indem sie einfach nur passiv
oben auf dem Stapel lag. Nach vielen Tagen des Grübeins fand Athena
eine plausible Interpretation, die sie sofort ihrem Bruder mitteilte.
Sie verwarf die übliche Deutung, die Prinzessin hätte ihre königliche
A bstammung dadurch unter Beweis gestellt, dass sie ihre Zartheit und
Feinheit durch die Empfindlichkeit gegenüber etwas so Winzigem wie
einer Erbse unter einem Stapel von Matratzen demonstrierte. Athena bot
eine alternative Erklärung an.
Athena vermutete, dass die Prinzessin, nachdem die Königin sie allein
gelassen hatte, alle Schicklichkeif fahren und ihrem jugendlichen Unge
stüm freien Lauf gelassen hatte. Sie war umhergerannt und in ihrem Bett
herumgesprungen, bis sie total erschöpft war; erst dann legte sie sich zum
Schlafen nieder. Mit ihrem Herumtoben hatte die Prinzessin die Matrat
zen so sehr zusammengedrückt, dass für einen kurzen Moment die Erbse
sich durchgedrückt und sie ein bisschen gepiekst hatte. A thena hielt diese
Prinzessin noch immer für ziemlich beeindruckend, fand aber ihre revi
sionistische Interpretation viel befriedigender.
182
DAS STANDARDMODELL DER TEILC HENPHYSIK
Elementarteilchen der Materie und die auf sie einwirkenden Kräfte be
schrei bt. * Das Standardmodell stellt den Höhepunkt vieler überraschen
der und aufregender Entwicklungen dar und ist eine großartige Er
rungenschaft. Sie müssen sich nicht alle Details merken - ich werde die
Namen all der Teilchen oder die Art ihrer Wechselwirkung wiederholen,
wenn ich später auf sie zurückkomme. Das Standardmodell liegt aber
vielen der exotischen extradimensionalen Theorien zugrunde, die ich in
Kürze darlegen will, und wenn Sie mehr über die j üngsten spannenden
Entwicklungen erfahren, wird ein Gefühl für das Standardmodell und
seine Schlüsselvorstellungen Ihnen helfen, die fundamentale Struktur der
Materie und die Art und Weise, wie Physiker heute über die Welt denken,
besser zu verstehen.
''
Trotz des Namens » Standardmodell « kann man darunter Verschiedenes verstehen.
Einige Leute schließen auch noch das hypothetische Higgs-Teilchen mit ein. Per Defi
nition sollte sich die Theorie aber nur auf bekannte Teilchen beziehen, und an diese
Konvention halte ich mich. Das Higgs-Teilchen diskutieren wir später in Kapitel 10.
183
VERBORGENE UNIVERSEN
Elektron reagiert auch auf eine magnetische Kraft : Wenn es sich durch
ein Magnetfeld bewegt, wird seine Bahn gekrümmt. Beide Phänomene
sind die Folge der negativen Ladung des Elektrons, die es sowohl auf
Elektrizität als auch auf Magnetismus reagieren lässt.
Bis Anfang des 1 9. Jahrhunderts hatten alle geglaubt, Elektrizität und
Magnetismus seien unterschiedliche Kräfte. Dann entdeckte im Jahr
1 8 1 9 der dänische Physiker und Chemiker Hans Christian 0rsted, dass
ein Strom von sich bewegenden Ladungen ein Magnetfeld erzeugt. Aus
dieser Beobachtung schlussfolgerte er, dass es eine einzige Theorie geben
musste, die sowohl Elektrizität als auch Magnetismus beschrei bt: Sie
mussten zwei Seiten ein und derselben Medaille sein. Als eine Kompass
nadel bei einem Gewitterblitz ausschlug, war 0rsteds Vermutung bestä
tigt.
Die noch heute in Gebrauch befindliche klassische Theorie des Elek
tromagnetismus wurde im 1 9. Jahrhundert ausgearbeitet und stützte sich
auf die Beobachtung, dass Elektrizität und Magnetismus miteinander
verwandt waren. Für diese Theorie war der Begriff des Feldes von ent
scheidender Bedeutung. Als >> Feld << bezeichnen Physiker alle Größen, die
den Raum durchdringen. Beispielsweise gibt der Wert des Gravitations
felds an irgendeinem Ort an, wie stark dort die Schwerkraft ist. Dasselbe
gilt für jede Art Feld : Der Wert des Feldes an irgendeiner Position sagt
uns, wie intensiv das Feld dort ist.
In der zweiten Hälfte des 1 9. Jahrhunderts führte der englische Che
miker und Physiker Michael Faraday die Begriffe des elektrischen und
magnetischen Feldes ein, und sie haben auch in der heutigen Physik
Gültigkeit. Angesichts des Umstands, dass er seine Schulausbildung mit
14 Jahren abbrechen musste, um seine Familie zu unterstützen, ist es sehr
bemerkenswert, dass er es bis zu physikalischen Forschungen brachte,
die von revolutionärer Bedeutung waren. Zum Glück für ihn ( und für
die Geschichte der Physik) ging er bei einem Buchbinder in die Lehre, der
ihn ermutigte, die Bücher zu lesen, an denen er arbeitete, um sich so
selbst weiterzubilden.
Faraday hatte die Idee, dass Ladungen überall im Raum elektrische
oder magnetische Felder erzeugen und dass diese Felder wiederum auf
andere geladene Obj ekte einwirken, egal um was es sich bei diesen han
delt. Wie stark sich elektrische und magnetische Felder auf geladene Ob
j ekte auswirken, hängt j edoch von deren Lokalisierung ab. Den größten
Einfluss übt das Feld dort aus, wo sein Wert am höchsten ist, und wo
sein Wert niedriger liegt, hat es auch nur kleinere Effekte .
184
DAS STANDARDMODELL DER TEILC HENPHYSIK
185
VERBORGENE UNIVERSEN
''
Katzen haben ein sehr flexibles Rückgrat und keine Schlüsselbeine, und so können
sie unter Beibehaltung ihres Bewegungs-Drehimpulses ihren Körper drehen. Aller
dings ist das noch immer Gegenstand aktiver Forschung.
". Richard Feynman urteilte : » Wenn man die Entwicklung der Menschheit so be
trachtet, wie man das in zehntausend Jahren tun wird, so besteht kein Zweifel, daß die
Maxwell'sche Entdeckung der elektromagnetischen Gesetze das Ereignis des 1 9. Jahr
hunderts ist. « In : Richard P. Feynman u. a . , Vorlesungen über Physik, Bd. II. ( M ün
chen, Wien : Oldenbourg 1 9 8 7 ) , S . 36.
186
DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK
Das Photon
* M ittels Messung einer Größe, die man als das anomale magnetische Moment des
Elektrons bezeichnet.
187
VERBORGENE UNIVERSEN
Das Photon ist unser erstes Beispiel für ein Eichboson : ein fundamen
tales Elementarteilchen, das eine bestimmte elementare Wechselwirkung
vermittelt. Schwache Bosonen und Gluonen sind weitere Beispiele für
Eichbosonen. Diese Teilchen vermitteln die schwache beziehungsweise
die starke Wechselwirkung oder Kraft.
Zwischen den späten zwanziger und den vierziger Jahren des 20. Jahr
hunderts entwickelten der englische Physiker Paul Dirac und die Ameri
kaner Richard Feynman und Julian Schwinger - sowie unabhängig von
ihnen im Nachkriegsj apan Sin-ltiro Tornonaga - die quantenmechani
sche Theorie des Photons. Den von ihnen ausgearbeiteten Zweig der
Quantentheorie bezeichneten sie als Quantenelek trodynamik (QED) .
Die Quantenelektrodynamik umfasst alle Vorhersagen für die klassische
elektromagnetische Theorie und genauso auch die Beiträge von Teilchen
( Quanten) zu physikalischen Prozessen - das heißt Wechselwirkungen,
die durch den Austausch oder die Erzeugung von Quantenteilchen gene
riert werden.
Die QED besagt, wie der Austausch von Photonen die elektromagne
tische Kraft hervorbringt. Bei dem in Abbildung 47 dargestellten Vor
gang etwa treten zwei Elektronen in die Region der Wechselwirkung ein,
tauschen ein Photon aus und verlassen sie dann auf den daraus resultie
renden Bahnen (mit bestimmter Geschwindigkeit und Richtung bei
spielsweise ), die von der dabei vermittelten elektromagnetischen Kraft
beeinflusst sind. Die Feldtheorie weist j edem Teil des D iagramms Zahlen
zu, sodass wir damit quantitative Vorhersagen machen können. Die Ab
bildung ist ein Beispiel für ein Feynman-Diagramm ; diese nach Richard
Feynman benannte Darstellungsform ist eine anschauliche Möglichkeit,
Elektron Cw Photon
Cw Elektron
Elektron C, C, Elektron
188
DAS STANDARDMODELL DER TEILC HENPHYSIK
Die Quantenfeldtheorie
Die Quantenfeldtheorie, mit der wir Teilchen erforschen * "" , basiert auf
immerwährenden, allgegenwärtigen Obj ekten, die j ene Teilchen erschaf
fen und zerstören können. Bei diesen Obj ekten handelt es sich um » Fel
der << der Quantenfeldtheorie. Wie die klassischen elektromagnetischen
Felder, die zu ihrer Namensgebung inspirierten, sind Quantenfelder Ob
j ekte, die die Raumzeit durchdringen. Quantenfelder spielen aber eine
andere Rolle. Sie können Elementartei lchen erzeugen oder absorbieren.
Nach der Quantenfeldtheorie können Teilchen überall und j ederzeit pro
duziert oder zerstört werden.
Beispielsweise kann irgendwo im Raum ein Elektron oder ein Photon
auftauchen oder verschwinden. Quantenprozesse lassen es zu, dass sich
die Anzahl geladener Teilchen im Universum verändert, indem Teilchen
entweder erschaffen oder zerstört werden. Dabei wird j edes Teilchen von
einem eigenen, besonderen Feld erzeugt oder vernichtet. In der Quanten
feldtheorie werden nicht nur der Elektromagnetismus, sondern alle
Kräfte und Wechselwirkungen in Form von Feldern beschrieben, die
neue Teilchen hervorbringen oder bereits vorhandene eliminieren kön
nen.
Der Quantenfeldtheorie zufolge kann man sich Teilchen als Erregun
gen des Quantenfelds vorstellen. Während das Vakuum, ein Zustand
In Kapitel 11 werden wir erfahren, dass man diese auch virtuelle Teilchen nennt.
,,. * Die QED ist auf Elektromagnetismus angewandte Quantenfeldtheorie.
189
VERBORGENE U N I VERSEN
ohne Teilchen, nur konstante Felder enthält, haben Zustände mit Teil
chen Felder mit - j e nach Teilchen - Dellen und Kräuselungen. Wenn das
Feld eine Delle bekommt, wird ein Teilchen erzeugt, und wenn dann
diese Delle absorbiert wird, damit das Feld wieder konstant ist, wird das
Teilchen zerstört.
Die Felder, die Elektronen und Photonen erzeugen, muss es überall ge
ben, um sicherzustellen, dass an j edem Punkt der Raumzeit sich sämtli
che Wechselwirkungen ereignen können. Das ist wichtig, denn die Wech
selwirkungen sind lokal, was heißt, dass nur Teilchen am selben Ort dar
an teilhaben können. Fernwirkung wäre eher Zau berei. Teilchen haben
keine außersinnlichen Wahrnehmungen - sie müssen in Kontakt treten
und direkt wechselwirken.
Zwar kommt es zu elektromagnetischen Wechselwirkungen zwischen
entfernten Ladungen, die keinen direkten Kontakt haben, das geschieht
aber nur dank des Photons oder eines anderen Teilchens, das mit den
beiden interagierenden geladenen Teilchen direkten Kontakt hat. In die
sem Fall scheinen die Ladungen sich unverzüglich gegenseitig zu beein
fl ussen, was a ber nur daran liegt, dass die Lichtgeschwindigkeit so hoch
ist. In Wirklichkeit kam es nur durch lokale Prozesse zur Wechselwir
kung : Das Photon war zuerst an der Stelle des einen geladenen Teil
chens und dann an der des anderen. Das Feld musste daher das Photon
an gerrau den Aufenthaltsorten der geladenen Teilchen erzeugen und
zerstören.
Die Quantenfeldtheorie besagt auch, dass es für j edes Teilchen ein Ge
genstück geben muss, sein Antiteilchen. In semem Stück Hapgood sagte
Tom Stoppard über Antiteilchen : >> Wenn ein Teilchen ein Antiteilchen
trifft, löschen sie einander aus und verwandeln sich in e!J:len Energie
knall, verstehen Sie ? << Jeder Science-Fiction-Fa n weiß in Sachen Antiteil
chen Bescheid : Daraus macht man die Waffen, mit denen man das Uni
versum zerstört, und sie treiben auch die » USS Enterprise << in Star Trek
an.
Die beiden letzten Verwendungsmöglichkeiten sind fiktiv, Antiteilchen
an sich j edoch nicht. Antiteilchen gehören tatsächlich zu dem Bild, das
sich die Teilchenphysik von der Welt macht. In der Feldtheorie und im
Standardmodell sind sie so unverzichtbar wie die Teilchen selbst. Fak-
190
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H YS I K
tisch sind Antiteilchen genau wie Teilchen, nur dass all ihre Ladungen
genau entgegengesetzt sind.
Paul Dirac kam erstmals auf Antiteilchen, als er die Quantenfeldtheo
rie entwickelte, die das Elektron beschreibt. Er stellte fest, dass eine
Quantenfeldtheorie, die sowohl mit der Quantenmechanik als auch mit
der speziellen Relativitätstheorie in Einklang zu bringen ist, notwendi
gerweise Antiteilchen einschließen muss. Mutwillig hat er sie nicht hin
zugefügt. Als er die spezielle Relativitätstheorie einbaute, hat diese sie
ausgespuckt. Antiteilchen sind eine notwendige Folge der relativisti
schen Quantenfeldtheorie.
Die Argumentation, warum Antiteilchen aus der speziellen Relativi
tätstheorie folgen, lautet ungefähr folgendermaßen : Geladene Teilchen
können sich im Raum vorwärts und rückwärts bewegen. Naiv betrach
tet müsste die spezielle Relativitätstheorie daher besagen, dass j ene Teil
chen auch in der Zeit vorwärts und rückwärts reisen können müssten.
Aber soweit wir wissen, können weder Teilchen noch sonst irgendetwas
uns Bekanntes tatsächlich in der Zeit zurückreisen. Stattdessen ersetzen
entgegengesetzt geladene Antiteilchen diej enigen, die sich entgegen der
Zeit bewegen. Antiteilchen rufen die Wirkungen hervor, die gegen die
Zeit reisende Tei lchen hätten, sodass auch ohne sie die Vorhersagen der
Quantenfeldtheorie mit der speziellen Relativitätstheorie kompatibel
sind.
Stellen Sie sich einen Film vor, in dem ein Strom negativ geladener
Eiektronen von einem Punkt zu einem anderen wandert. Nun stellen Sie
sich vor, dass der Film rückwärts läuft. Dann würden negative Ladungen
rückwärts reisen, oder, was das Äquivalent wäre ( soweit es jedenfalls die
Ladung betrifft), positive Ladungen würden vorwärts reisen. Ein Strom
vo � Positronen, den positiv geladenen Antiteilchen von Elektronen, er
zeugt diesen positiv geladenen, vorwärts reisenden Strom und fungiert
daher wie ein Elektronenstrom gegen die Zeit.
Die Quantenfeldtheorie besagt, dass es für j eden Typ von geladenem
Teilchen - beispielsweise ein Elektron - ein entsprechendes Antiteil
chen mit entgegengesetzter Ladung geben muss. Da beispielsweise ein
Elektron die Ladung -1 trägt, muss das Positron die Ladung + 1 ha
ben. Abgesehen von der Ladung gleicht das Antiteilchen dem Elektron
in j eder Hinsicht. Ein Proton hat auch die LaJung + 1, aber es ist
2000-mal schwerer als ein Elektron und kann daher nicht sein Antiteil
chen sein.
Wie Stoppard sagte, löschen Antiteilchen in der Tat Teilchen aus,
191
VERBORGENE UNIVERSEN
wenn die beiden aufeinander treffen. Weil die Ladungen eines Teilchens
und seines Antiteilchens zusammen immer null ergeben, heben sie sich
gegenseitig auf und werden vernichtet, wenn sie einander treffen. Da
Teilchen und Antiteilchen zusammen keine Lad ung tragen, folgt aus
Einsteins Gleichung E mc2, dass alle Masse in Energie umgewandelt
=
wird .
Andererseits kann Energie in ein Teilchen-Antiteilchen-Paar umge
wandelt werden, wenn sie groß genug ist, um dieses zu produzieren. So
wohl zur Auslöschung als auch zur Erzeugung von Teilchen kommt es in
jenen Hochenergie-Teilchenbeschleunigern, mit denen Physiker experi
mentell schwere Teilchen untersuchen - die zu massiv sind, um in ge
wöhnlicher Materie vorzukommen. In diesen Beschleunigern treffen ein
Teilchen und ein Antiteilchen aufeinander und löschen sich gegenseitig
aus, wodurch es zu einem Energieausbruch kommt, aus dem ein neues
Teilchen-Antiteilchen-Paar hervorgeht.
Weil Materie - und vor allem Atome - aus Teilchen, nicht aus Antiteil
chen zusammengesetzt ist, kommen Antiteilchen wie das Positron im
Allgemeinen in der Natur nicht vor. Aber sie können vorübergehend in
Teilchenbeschleunigern erzeugt werden oder in heißen Regionen de s
Universums u n d sogar in Krankenhäusern, wo man mit der Positronen
Emissions-Tomographie (PET) d ie Patienten auf A n zeic h en für Krebs
scannt.
Gerry Ga brielse, einer meiner Kollegen in der Physika bteilung von
Harvard, erzeugt im Keller der Jefferson Laboratories, wo ich arbeite,
stän d ig Antiteilchen. Dank der Arbeit von Gerry und anderen wissen wir
sehr genau, dass Antiteilchen trotz ihrer entgegengesetzten Ladung wirk
lich ihren Teilchen-Gegenstücken gleichen, was Masse und Schwerkraft
angeht. Aber es sind so wenige, dass sie keinen Schaden anrichten kön
nen. Science-Fiction-Fans kann ich versichern, dass diese Antiteilchen
dem G eb ä u de weit weniger Schaden zufügen als der ständige Bau neuer
Labors und Büros, dem stets je de Menge sieht- und hörbare Zerstörung
vorausge h t .
Elektronen, Positronen und Photonen sind die einfachsten un d am
leichtesten zugän gl ichen Teilchen. Es ist kein Zufall, dass die elektri
schen Kräfte und die Elektronen die ersten Bestandteile des Standardmo
dells waren, die die Physiker verstanden. Das Elektron, das Pos itron und
das Photon sind j edoch nicht die einzigen Teilchen, und der Elektromag
netismus ist nicht die einzige Wechselwirkung.
In den Abbildungen 32 und 33 ( siehe S. 99, 101 ) habe ich die bekann-
192
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K
Auch wenn man im täglichen Leben die schwache Kraft nicht bemerkt,
weil sie wirklich sehr schwach ist, ist sie für viele nukleare Prozesse von
entscheidender Bedeutung. Die schwache Wechselwirkung erklärt einige
Formen des Kernzerfalls - beispielsweise den von Kalium-40 ( 4°K, das
auf der Erde vorkommt und mit einer Zerfallszeit von rund einer Milli
arde Jahre im Durchschnitt so langsam zerfällt, dass es noch i mme r den
Erdkern aufheizt) - und sogar den des Neutrons selbst. Bei nuklearen
Prozessen wird die Struktur des Atomkerns verändert, und infolge sol
cher Vorgänge verändert sich auch die Anzahl der Neutronen in einem
Kern, wobei große Energiemengen freigesetzt werden. Diese Energie
kann man zur Kernkraftgewinnung oder für Atombomben nutzen, aber
sie dient auch noch anderen Zwecken.
Beispielsweise spielt die schwache Wechselwirkung bei der Entstehung
schwerer Elemente eine Rolle, die während alles vernichtender Superno
va-Explosionen erschaffen werden. Die schwache Kraft ist auch dafür
verantwortlich, dass die Sterne - einschließlich unserer Sonne - strahlen :
Sie setzt die Kettenreaktion in Gang, bei der Wasserstoff in Helium um
gewandelt wird. Die von der schwachen Wechselwirkung ausgelösten
Kernprozesse tragen dazu bei, dass die Zusammensetzung des Univer
sums sich ständig weiterentwickelt. Aus unserem kernphysikalischen
Wissen können wir schlussfolgern, dass vom ursprünglich im Universum
vorhandenen Wasserstoff rund zehn Prozent als Kernbrennstoff in Ster
nen verheizt worden sind. ( Glücklicherweise garantieren die verbleiben
den 90 Prozent, dass das Universum nicht allzu bald von a u s wärtigen
E n e rg iel iefe ru nge n a b hänge n wird.)
* In der Teilchenphysik bezeichnet man s o alle fundamentalen Kräfte m i t Ausnahme
der Schwerkraft (also die schwache, die starke und die elektromagnetische Kraft be
ziehungsweise Wechselwirkung) .
193
VERBORGENE UNIVERSEN
* Diesen Titel bekam er nicht wegen seiner Arbeit als Wissenschaftler, sondern weil er
sich gegen die Selbstbestimmung Irlands stellte.
* * Rutherford präsentierte seine Ergebnisse, obwohl er wusste, dass er damit Kelvin
widersprach. In A. S. Eves Rutherford-Biographie wird er folgendermaßen zitiert :
» >ch betrat den halb im D unkeln liegenden Raum und entdeckte bald Lord Kelvin un
ter den Zuhörern ; da wurde mit klar, dass ich im letzten Teil meines Vortrags, der sich
mit dem Alter der Erde beschäftigte, Probleme bekommen würde, da meine Ansichten
seinen widersprachen. Zu meiner Erleichterung schlief Kelvin bald ein ; aber als ich zu
dem wichtigen Punkt kam, sah ich, wie der alte Herr sich aufrichtete, ein Auge öffnete
und mich unheilvoll anblinzelte. Dann hatte ich plötzlich einen Einfall, und ich sagte :
>Lord Kelvin hatte das Alter der Erde unter der Voraussetzung eingegrenzt, dass keine
neue Quelle entdeckt würde. Jene prophetische Äußerung bezog sich auf das, was wir
heute Abend erörtern, das Radium !< Und siehe da ! Der alte Knabe strahlte mich an.<<
A. S. Eve : Rutherford: Being the Life and Letters of the Rt. Hon. Lord Rutherford, 0.
M. ( Cambridge : Cambridge University Press, 1 9 3 9 ) .
194
D A S S TA N D A R D M O DE L L D E R T E I L C H E N P H YS I K
1 95
VERBORGENE U N I VERSEN
weise befindet sich Ihr Herz in Ihrer linken Körperhälfte. Wäre die Evo
l ution so vorgegangen, dass die Menschen ihr Herz auf der rechten Seite
trügen, wäre zu erwarten, dass seine Eigenschaften genau dieselben wä
ren. Dass das Herz auf der einen und nicht auf der anderen Seite schlägt,
sollte für die fundamentalen biologischen Prozesse keine Rolle spielen.
Vor Wus Messungen von 1957 galt es viele Jahre lang als » offensicht
lich << , dass physikalische Gesetze (wenn auch nicht notwendigerweise
physikalische O bj ekte ) keine Lieblingsseite oder » Händigkeit<< haben
konnten. Warum schließlich auch ? Mit Sicherheit gi bt es bei der Gravi
tation und beim Elektromagnetismus und bei anderen Wechselwirkun
gen keinen solchen Unterschied. Dennoch unterscheidet die schwache
Wechselwirkung, eine fundamentale Kraft der Natur, zwischen links
und rechts. Auch wenn es sehr überraschen mag, verletzt die schwache
Kraft die Paritätssymmetrie.
Wie kann eine Wechselwirkung eine Seite zu Lasten der anderen be
vorzugen ? Die Antwort liefert der intrinsische Spin der Fermionen. Ge
nau wie das Gewinde einer Schraube so beschaffen ist, dass man sie im
Uhrzeigersinn hineindreht, nicht gegen den Uhrzeigersinn, können Teil
chen ebenfalls eine Händigkeit haben, die die Richtung ihres Spins an
gibt ( siehe Abbildung 4 8 ) . Viele Teilchen, beispielsweise das Elektron
und das Proton, können einen Spin in einer der beiden Richtungen auf
weisen : entweder nach links oder nach rechts. Der Begriff Chiralität -
vom griechischen cheir, >> Hand << , abgeleitet - bezieht sich auf die zwei
möglichen Richtungen des Spins . Teilchen können links- oder rechtshän
dig sein, genau wie die Finger Ihrer Hände sich in einem Fall nach links
und in dem anderen nach rechts krümmen.
Die schwache Wechselwirkung verletzt insofern die Paritätssymme
trie, als sie auf linkshändige und rechtshändige Teilchen unterschiedlich
196
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K
�
-�
Abbildung 4 9 : Die Wechselwirk ung mit einem w--Eichboson verwandelt
ein Neutron in ein Proton (und ein im Neutron enthaltenes Down-Quark in
ein Up-Quark, das im Proton enthalten ist).
einwirkt. Wie sich herausgestellt hat, sind nur linkshändige Teilchen für
die schwache Kraft empfindlich. Zum Beispiel nimmt ein linkshändiges
Elektron die schwache Wechselwirkung wahr, wohingegen ein nach
rechts drehendes dies nicht tut. Experimente belegen dies eindeutig - so
funktioniert die Welt nun einmal -, aber es gibt keine einleuchtende me
chanische Erklärung, warum das so ist.
Stellen Sie sich eine Kraft vor, die nur auf Ihre linke Hand einwirken
kann, aber nicht auf Ihre rechte ! Ich kann dazu nur sagen, dass diese Pa
ritätsverletzung eine verblüffende, aber gut belegte Eigenschaft der
schwachen Wechselwirkung ist; sie zählt zu den faszinierendsten Aspek
ten des Standardmodells. Beispielsweise sind sämtliche Elektronen, die
aus einem Neutronenzerfall hervorgehen, immer linkshändig. Schwache
Wechselwirkungen verletzen die Paritätssymmetrie, also muss ich bei der
vollständigen Liste der Elementarteilchen und der auf sie einwirkenden
Kräfte in Abbildung 52 (siehe S. 200) die l inks- und rechtshändigen Teil
chen gesondert anführen.
So seltsam die Paritätsverletzung auch sein mag, sie ist nicht die ein
zige neuartige Eigenschaft der schwachen Wechselwirkung. Ein zweites,
genauso wichtiges Merkmal ist, dass die schwache Kraft tatsächlich Teil
chen von einem Typ in solche von einem anderen umwandeln kann (wo
bei dennoch die Gesamtmenge der elektromagnetischen Ladung erhalten
bleibt). Wenn etwa ein Neutron mit einem schwachen Eichboson wech
selwirkt, kann daraus ein Proton hervorgehen ( siehe Abbildung 49). Das
ist etwas ganz anderes als die Wechselwirkung eines Photons, bei der sich
unabhängig vom Teilchentyp die Nettoanzahl der geladenen Teilchen
(also die der Teilchen minus der Antiteilchen) niemals ändern würde,
beispielsweise die Anzahl der Elektronen minus der Anzahl der Positro
nen. (Zum Vergleich zeigt Abbildung 50 ein Photon, das mit einem ein
und austretenden Elektron wechselwirkt, ergänzt um eine schematische
Darstellung von der Art, die wir schon weiter oben benutzt haben. ) Die
Wechselwirkung eines geladenen schwachen Eichbosons mit dem Neu-
197
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
\_ Photon
Elektron Elektron
.' .,
• -
n
-
vorher nachher
* Dabei handelt es sich eigentlich um ein Antineutrino, aber das spielt im Augenblick
keine Rolle.
198
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K
ladene Teilchen oder solche, die Energie abgeben. Weil ein Neutrino
keine elektrische Ladung hat und nicht zerfällt, konnte es mit Detekto
ren nicht entdeckt werden, und niemand wusste von seiner Existenz.
Ohne Neutrino aber schien beim Betazerfall Energie verloren zu ge
hen. Die Energieerhaltung ist ein fundamentales Prinzip der Physik und
besagt, dass Energie weder erschaffen noch vernichtet werden kann ; sie
kann nur von einem Ort zu einem anderen transportiert werden. Die An
nahme, dass der Betazerfall dem Energieerhaltungsgrundsatz zuwider
lief, war ungeheuerlich, aber dennoch waren viele angesehene Physiker,
die nichts von der Existenz des Neutrinos wussten, bereit, dieser radika
len (und irrigen) Ansicht zu folgen.
1930 ebnete Wolfgang Pauli der wissenschaftlichen Erlösung der
Zweifler den Weg, indem er einen » verzweifelten Ausweg << * , wie er es
nannte, vorschlug : ein neues, elektrisch neutrales Teilchen . Er hatte die
Idee, dass das Neutrino beim Neutronenzerfall ein bisschen Energie ver
schwinden lässt. Drei Jahre später verschaffte Enrico Fermi dem » klei
nen neutralen << Teilchen, das er >> Neutrino << taufte, eine feste theoreti
sche Grundlage. Dennoch schien das Neutrino zu seiner Zeit eine so
wacklige Hypothese zu sein, dass das führende Wissenschaftsjournal
Nature Fermis Aufsatz mit der Begründung ablehnte : >> Er enthält Speku
lationen, die zu weit hergeholt sind, um für den Leser von Interesse zu
sein. <<
Sowohl Paulis als auch Fermis Überlegungen erwiesen sich jedoch als
richtig, und heute sind sich Physiker überall auf der Welt einig, dass es
Neutrinos gibt. * * De facto wissen wir, dass Neutrinos ständig durch uns
hindurchströmen, denn sie werden neben den Photonen bei den nuklea
ren Prozessen in der Sonne freigesetzt. Billionen von solaren Neutrinos
gehen jede Sekunde durch Sie hindurch, aber sie wechselwirken nur so
schwach, dass Sie das niemals bemerken. Die einzigen Neutrinos, die wir
mit Sicherheit kennen, sind linkshändig ; rechtshändige Neutrinos gibt es
entweder nicht, oder sie sind sehr schwer - zu schwer, um erzeugt zu
werden -, oder sie wechselwirken nur sehr schwach. Wie auch immer,
rechtshändige Neutrinos sind noch nie in Teilchenbeschleunigern er
zeugt worden, und wir haben sie noch niemals gesehen. Weil wir uns hin-
* So in einem Brief aus dem Jahr 1930 an die Teilnehmer einer wichtigen Wissenschaft
lerkonferenz, die Pauli verpasste, weil er einen Ball besuchte (W. Pauli, Wissenschaft
licher Briefwechsel, Bd. 2, S. 3 9 ) .
* * Neutrinos wurden schließlich von Clyde Cowan und Fred Reines im Jahr 1 956 in
einem Kernreaktor entdeckt, womit restliche Zweifel ausgeräumt waren.
199
VERBORGENE UNIVERSEN
E l e ktron
-
UpL DownL Up R DownR NeutrinoL ElektronL Elektron R
erste
Generation
3 MeV t M eV J M eV 7 MeV 0 Mev (J I M eV
dritte
Generation
� �
linkshändige Quarks: linkshändige Leptonen:
unterliegen der schwachen unterliegen der schwachen
Wechselwirkung Wechselwirkung
200
D A S S TA N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K
201
VERBORGENE UNIVERSEN
202
D A S S T A N D A R D M O DE L L D E R T E I L C H E N P HY S I K
203
VERBORGENE U N I VERSEN
Soweit ich sagen kann, hat das ziemlich wenig mit der Physik der Quarks
zu tun, bis auf zwei Punkte : Es waren drei, und sie waren schwer zu be
greifen.
Gell-Mann schlug vor, dass es drei Arten von Quarks gibt * * * - sie
heißen mittlerweile Up, Down und Strange und dass die zahlreichen
-
204
D A S STAN D A R D M O DE L L D E R T E I L C H E N PHYS I K
* Daher rührt der Begriff » Quantenchromodynamik " . Chromos ist das griechische
Wort für >> Farbe « .
205
VERBORGENE U N I VERSEN
Quarks kann man sich wie harte, punktförmige Obj ekte in einem
großen, breiigen Proton vorstellen. Quarks sind einem Proton oder
Neutron eingebettet wie die Erbse unter dem Stapel Matratzen. Und
wie unsere herumtobende Prinzessin, die schließlich die Erbse zu spü
ren bekam, kann ein experimentierender Wissenschaftler ein hochener
getisches Elektron hineinschießen, das ein Photon emittiert, welches di
rekt von dem Quark abprallt. Das sieht ganz anders aus als ein Photon,
das von einem großen, weichen Obj ekt abprallt, genau wie Ruther
fords Alphateilchen, das von einem harten Kern abprallte, ganz anders
aussah als eines, das von einer diffuseren positiven Ladung abgelenkt
wurde.
Das Friedman-Kendall-Taylor-Experiment der so genannten tief un
elastischen Streuung, durchgeführt am Stanford Linear Accelerator Cen
ter ( SLAC ) , bewies die Existenz von Quarks, indem dabei genau dieser
Effekt registriert wurde. Das Experiment zeigte, wie sich Elektronen ver
halten, wenn sie von Protonen gestreut werden, wodurch es die ersten
experimentellen Nachweise lieferte, dass es Quarks wirklich gibt. Für
diese Entdeckung bekamen Jerry Friedman und Henry Kendall (einst
meine Kollegen am MIT) und Richard Taylor 1990 den Nobelpreis für
Physik.
Wenn bei hochenergetischen Kollisionen Quarks erzeugt werden, sind
sie noch nicht zu Hadronen gebunden, aber das heißt nicht, dass sie iso
liert wären - sie haben immer ein Gefolge von anderen Quarks und
Gluonen, die sie begleiten und unter der starken Wechselwirkung die
neutrale Nettokombination ergeben. Quarks treten nie als freie Objekte
ohne Begleitung auf, sondern werden immer von vielen anderen, stark
wechselwirkenden Teilchen eskortiert. Bei einem Teilchenexperiment
wird nicht ein einziges, isoliertes Quark registriert, sondern eine Gruppe
von Quarks und Gluonen, die sich mehr oder weniger in dieselbe Rich
tung bewegen.
Zusammenfassend bezeichnet man die aus im Gleichschritt in eine be
stimmte Richtung marschierenden Quarks und Gluonen bestehenden
Teilchengruppen als ]ets. Wenn sich erst einmal ein energiereicher Jet ge
bildet hat, gleicht er ungefähr einem Seil, das nie ganz verschwindet :
Schneidet man ein Seil entzwei, erzeugt man nur zwei neue Seilstücke.
Ähnlich bilden, wenn Wechselwirkungen die Jets separieren, die Teile
nur neue Jets : Niemals teilen sie sich in einzelne, isolierte Quarks und
Gluonen. Stephen Sondheim dachte vermutlich nicht an hochenergeti
sche Teilchenbeschleuniger, als er den Text für den ,,Jet-Song<< aus der
206
D A S S T A N D A R D M O D E L L D E R T E I L C H E N P H YS I K
West Side Story niederschrieb, aber seine Worte passen wunderbar auf
die Jets stark wechselwirkender Teilchen. Energiereiche, stark wechsel
wirkende Teilchen bleiben zusammen. Sie sind >> nie allein . . . nie unge
bunden . . . gut geschützt<< ,
207
VERBORGENE UN IVERSEN
existiert es ? Das ist eines der vielen Rätsel des Standardmodells, die der
wissenschaftliche Fortschritt hoffentlich lösen wird.
De facto gibt es drei Kopien des gesamten Teilchenspektrums mit der
selben Standardmodell-Ladung (siehe Abbildung 5 2 ) . Jede dieser Kopien
wird als eine Generation oder manchmal als eine Familie bezeichnet. Die
erste Teilchengeneration umfasst ein links- und ein rechtshändiges Elek
tron, ein links- und ein rechtshändiges Up-Quark, ein links- und ein
rechtshändiges Down-Quark und ein linkshändiges Neutrino. Die erste
Generation umfasst all die stabilen Sachen, aus denen Atome und damit
alle stabile Materie zusammengesetzt sind.
Die zweite und die dritte Generation bestehen aus Teilchen, die zerfal
len und in » normaler << bekannter Materie nicht vorhanden sind. Sie stel
len keine genauen Kopien der ersten Generation dar; ihre Ladungen sind
mit denen ihrer Gegenstücke aus der ersten Generation identisch, aber
sie sind schwerer. Man entdeckte sie erst, als sie mit hochenergetischen
Teilchenbeschleunigern erzeugt wurden, und ihr Daseinszweck bleibt
rätselhaft. Die zweite Generation besteht aus einem links- und einem
rechtshändigen Myon, einem links- und einem rechtshändigen Charm
Quark und einem links- und einem rechtshändigen Strange-Quark sowie
einem sta bilen linkshändigen Myon-Neutrino * . Die dritte Generation
umfasst ein links- und ein rechtshändiges Tau, ein links- und ein rechts
händiges Top-Quark, ein links- und ein rechtshändiges Bottom-Quark
und ein linkshändiges Tau-Neutrino. Die identischen Kopien eines be
stimmten Teilchens mit derselben Ladungszuweisung, die den verschie
denen Generationen angehören, nennt man oft auch Flavors des j eweili
gen Typs.
* Die Neutrinos werden nach den geladenen Leptonen benannt, mit denen sie direkt
per schwacher Kraft wechselwirken.
208
D A S STAN D A R D M O DE L L D E R T E I L C H E N P H Y S I K
O bwohl man bei Quarks nur von drei Flavors wusste, als Gell-Mann
sie erstmals vorschlug, kann man in Abbildung 52 sehen, dass wir heute
sechs kennen : drei >> Up-Type n << und drei >> Down-Typen << - in j eder Ge
neration einen. Zusätzlich zum Up-Quark selbst gibt es zwei identisch
geladene Quarks vom Up-Typ : das Charm- und das Top-Quark. Ge
nauso sind Down-, Strange- und Bottom-Quarks unterschiedliche Fla
vors vom Down-Typ. Und die Myon- und Tau-Leptonen sind schwerere
Versionen des Elektrons.
Die Physiker versuchen noch immer zu verstehen, warum es diese drei
Generationen gibt und warum die Teilchen ihre j eweiligen Massen ha
ben. Das sind die Hauptfragen an das Standardmodell, die die heute be
triebene Forschung vorantreiben. Wie viele andere habe auch ich im
Lauf meiner Karriere an diesen Problemen gearbeitet, a ber wir suchen
noch immer nach den Antworten.
Die schwereren Flavors sind erheblich schwerer als die leichteren. Das
zweitschwerste Quark, das Bottom, wurde schon 1 977 gefunden, das
ganz schwere Top-Quark entzog sich aber bis 1 9 95 seiner Entdeckung.
Zwei Teilchenexperimente, zu denen das bemerkenswerte gehört, bei
dem das Top-Quark gefunden wurde, sind Thema des folgenden Kapitels.
Zur Erinnerung
• Neben den Teilchen, die die Kräfte übertragen, umfasst das Standard
modell solche, die j enen Kräften unterliegen. Diese Teilchen fallen in
zwei Kategorien : Quarks, die der starken Wechselwirkung unterlie
gen, und Leptonen, bei denen das nicht der Fall ist.
209
VERBORGENE UNIVERSEN
• Diese schweren Teilchen sind instabil, was heißt, dass sie zu leichteren
Quarks und Leptonen zerfallen. Aber bei Experimenten mit Teilchen
beschleunigern wurden sie erzeugt, und dabei wurde festgestellt, dass
diese schwereren Teilchen denselben Wechselwirkungen unterliegen
wie die vertrauten leichten, stabilen Varianten.
• Jede Gruppe von Teilchen, die ein geladenes Lepton, ein Quark vom
Up-Typ und ein Quark vom Down-Typ enthält, bezeichnet man als
eine Generation . Es gibt drei Generationen, die zunehmend schwerere
Versionen eines j eden Teilchentyps umfassen. Diese Teilchenvarianten
nennt man auch Flavors. Es gibt drei Quark-Flavors vom Up-Typ, drei
Quark-Flavors vom Down-Typ, drei geladene Lepton-Flavors und
drei Neutrino-Flavors.
• Im weiteren Verlauf des Buches werde ich die Details oder die Namen
von irgendwelchen bestimmten Quarks oder Leptonen nicht mehr ver
wenden. Jedoch müssen Sie über Flavors und Generationen Bescheid
wissen, weil sie den Eigenschaften von Teilchen starke Beschränkun
gen auferlegen, was uns wichtige Hinweise und Einschränkungen hin
sichtlich der Physik liefert, die j enseits des Standardmodells liegt.
210
8
Experimentelles Zwischenspiel:
Die Bestätigung des Standardmodells
O n e way or another
l'm gonna find you . . .
Auf die eine oder andere Weise
werde ich dich ßnden . . .
Blondie
Schwere Teilchen zu finden ist nicht leicht. Aber genau das müssen wir
tun, wenn wir die dem Standardmodell zugrunde liegenden Strukturen
aufdecken und schließlich den physikalischen Aufbau des Universums
verstehen wollen . Was wir über Teilchenphysik wissen, resultiert größ
tenteils aus Experimenten mit hochenergetischen Teilchenbeschleuni
gern, bei denen zunächst ein Teilchenstrom stark beschleunigt und dann
auf andere Materie gelenkt wird.
In einer Teilchenbeschleuniger-Variante namens Collider * prallt der
beschleunigte Teilchenstrahl auf einen seinerseits beschleunigten Strahl
von Antiteilchen, sodass in der kleinen Region des Aufeinanderprallens
eine riesige Menge Energie freigesetzt wird. Diese Energie wird dann
manchmal in schwere Teilchen umgewandelt, die man in der Natur so
einfach nicht findet. Hochenergetische Teilchencollider sind der einzige
211
VERBORGENE UN IVERSEN
Ort, an dem die schwersten bekannten Teilchen seit der Zeit des Urknalls
vorkommen, als das viel heißere Universum sämtliche Teilchen im Über
fluss enthielt. Collider können im Prinzip alle möglichen Paare von Teil
chen und Antiteilchen erzeugen, wenn genügend Energie für das j ewei
lige Paar bereitgestellt wird, und diese Energi e folgt aus Einsteins E mc2•
=
Das Ziel der Hochenergiephysik besteht aber nicht nur darin, neue
Teilchen zu finden. Experimente mit hochenergetischen Collidern wer
den uns etwas über die fundamentalen Naturgesetze sagen, das sich auf
andere Weise nicht beobachten lässt - Gesetze, die in zu kleinen Abstän
den gelten, um noch direkt sichtbar zu sein. Hochenergieexperimente
sind die einzige Möglichkeit, Wechselwirkungen zu erkunden, die es nur
bei extrem winzigen Längenskalen gibt.
Dieses Kapitel handelt von zwei Collider-Experimenten, die für die
Bestätigung der Vorhersagen des Standardmodells wichtig waren und
eingrenzten, welche physikalischen Theorien es j enseits davon geben
könnte. Diese Experimente sind an sich schon beeindruckend, aber sie
sollen Ihnen auch ein Gespür dafür vermitteln, vor welche Aufgaben die
Physiker gestellt werden, wenn sie in der Zukunft nach neuen Phänome
nen wie beispielsweise zusätzlichen Dimensionen suchen werden.
Die Suche nach dem Top-Quark illustriert schön, wie schwierig es ist, in
einem Collider ein Teilchen zu finden, wenn dessen Energie kaum zur Er
zeugung des Teilchens ausreicht, und mit welchem Einfallsreichtum die
Experimentatoren sich dieser Herausforderung stellen. O bwohl das
Top-Quark nicht Bestandteil irgendeines Atoms oder irgendwelcher be
kannten Materie ist, wäre das Standardmodell ohne es inkonsistent, da
her bauten die meisten Physiker seit den siebziger Jahren auf seine Exis
tenz. Doch bis 1 995 wurde kein einziges Exemplar entdeckt.
Bis dahin hatten die Forscher j ahrelang vergeblich nach dem Top
Quark gesucht. Das Bottom-Quark, das zweitschwerste Teilchen des
Standardmodells, das fünfmal mehr Masse als ein Proton hat, wurde
1977 entdeckt. Und zu j ener Zeit dachten Physiker, auch das Top-Quark
würde sich bald zeigen, und die Experimentatoren lieferten sich ein
Wettrennen um seine Entdeckung und den daraus resultierenden Ruhm ;
aber zur Überraschung aller schlug ein Experiment nach dem anderen
fehl. Man fand das Top-Quark nicht in Collidern mit dem Vierzigfachen
212
E X P E R I M E NT E L L E S Z W I S C H E N S P I E L
Protonen als auch Antiprotonen auf eine Energie von einem TeV be
schleunigt, was 1000 Ge V entspricht, der höchsten bislang von einem Be
schleuniger erreichten Leistung. Die energiegeladenen Strahlen von Pro
tonen und Antiprotonen, die das Tevatron erzeugt, zirkulieren in einem
Ring und prallen alle 3,5 Mikrosekunden an zwei Kollisionspunkten
aufeinander.
Zwei separate Experimentatorenteams bauten Detektoren an den bei
den Kollisionspunkten auf, wo die Teilchen- und Antiteilchenstrahlen
sich kreuzen und interessante physikalische Prozesse ablaufen können.
213
VERBORGENE U N I VERSEN
Das eine Experiment wurde >> CDF << getauft ( Collider Detector at Fermi
lab ) , das andere >> D Ü << , nach der designation ( » Bestimmung << ) des Kolli
sionspunkts zwischen Protonen und Antiprotonen, an dem der Detektor
aufgebaut war. Die beiden Experimentatorenteams suchten nach einer
Vielzahl neuer physikalischer Teilchen und Prozesse, aber zu Beginn der
neunziger Jahre war das Top-Quark ihr Heiliger Gral. Jedes Team wollte
es als erstes finden.
Viele schwere Teilchen sind instabil und zerfallen beinahe sofort wie
der. Wenn das der Fall ist, suchen die Experimentatoren nicht nach dem
Teilchen selbst, sondern nach sichtbaren Anzeichen für seine Zerfalls
produkte. Das Top-Quark beispielsweise zerfällt zu einem Bottom
Quark und einem W (dem geladenen Eichboson, das die schwache
Wechselwirkung vermittelt), und auch das W zerfällt entweder zu Lep
tonen oder zu Quarks. Also suchten die Experimentatoren statt nach
dem Top-Quark nach einem Bottom-Quark in Verbindung mit anderen
Quarks oder Leptonen.
Teilchen tragen j edoch keine Namensschilder, sodass die Detektoren
sie anhand ihrer unterschiedlichen Eigenschaften identifizieren müssen,
beispielsweise an ihrer elektrischen Ladung oder an den Wechselwirkun
gen, an denen sie beteiligt sind, und man braucht unterschiedliche De
tektorenkomponenten, um diese Eigenschaften registrieren zu können.
Die beiden CDF- und DO-Detektoren waren in mehrere Einheiten unter
teilt, die j eweils unterschiedliche Charakteristika registrierten. Eine sol
che Einheit war ein Tracker, der geladene Teilchen mittels der Elektronen
entdeckt, die ionisierte Atome hinter sich herziehen. Ein weiterer Be
standteil namens Calorimeter misst die Energie, die passierende Teilchen
liefern. Die Detektoren verfügen noch über weitere Komponenten, die
Teilchen mit anderen spezifischen Merkmalen identifizieren können, bei
spielsweise ein Bottom-Quark, das bis zu seinem Zerfall eine längere Le
benszeit als die meisten anderen Teilchen hat.
Wenn solch ein Detektor ein Signal registriert, schickt er dieses durch
ein ausgedehntes Arrangement von Drähten und Verstärkern und zeich
net die daraus resultierenden Daten auf. Nicht alles, was registriert wird,
ist j edoch wert, aufgezeichnet zu werden. Wenn ein Proton und ein An
tiproton kollidieren, werden interessante Teilchen wie die Top- und die
Antitop-Quarks nur selten produziert. Viel öfter erzeugen Kollisionen
nur leichtere Quarks und Gluonen und noch viel öfter nichts von beson
derem Interesse. Faktisch kamen auf j edes am Fermilab produzierte Top
Quark zehn Billionen Kollisionen, bei denen kein Top-Quark auftauchte.
214
EXP E R I M ENTELLES Z W I S C H E N S P I E L
215
VERBORGENE U N I VERSEN
216
EX P E R I M E N T E L L E S Z W I S C H E N S P I E L
Begeben wir uns nun kurz aus den Ebenen von Illinois in die Schweizer
Berge, wo das CERN angesiedelt ist. (Die ursprünglich Conseil Europeen
pour Ia Recherche Nucleaire getaufte Organisation heißt mittlerweile
Organisation Europeenne pour Ia Recherche Nucleaire oder Europäi
sche Organisation für Kernforschung, auch wenn alle noch die alte Ab
kürzung benutzen und das CERN sagen. ) Bei vielen Experimenten wur
den hier die Vorhersagen des Standardmodells überprüft, keine aber
waren so spektakulär wie die zwischen 1 9 8 9 und 2000 mit dem Large
Electron-Positron Collider ( LEP ) .
D e r O r t d e s CERN wurde wegen seiner zentralen Lage in Europa ge
wählt. Der Haupteingang des CERN liegt so dicht an der französischen
Grenze, dass die Polizei- und Zollstation zwischen den beiden Ländern
fast direkt vor der Tür steht. Viele CERN-Mitarbeiter leben in Frank
reich und pendeln zweimal täglich über die Grenze. Dabei lässt man sie
weitgehend in Ruhe - es sei denn, ihr Auto genügt nicht den helvetischen
Bestimmungen, dann lassen die Schweizer sie nicht hinein. Die einzige
weitere Gefahr stellt Geistesabwesenheit dar, wie ein Kollege bestätigen
kann. Die Grenzbeamten stoppten und überprüften einen Professor, der
an der Grenze nicht angehalten hatte, weil er vom Nachdenken über
Schwarze Löcher abgelenkt worden war.
Landschaftlich könnten die Unterschiede zwischen dem Fermilab und
dem CERN nicht größer sein. Das CERN liegt zwischen dem schönen
Jura und den Alpen ( siehe Abbildung 5 5 ) . Nach Chamonix ist es nicht
weit. Man fährt durch ein herrliches Tal hinauf in die Berge, wo die Glet
scher praktisch bis an die Straße reichen ( wenn auch mit der globalen Er
wärmung immer weniger), bis zum Fuß des Montblanc, des höchsten
Bergs Europas. Am CERN haben viele glückliche Physiker den Winter
über sonnengebräunte Gesichter, obwohl Genf ständig unter einer Wol
kendecke liegt, weil sie ihre Freizeit in den nahen Bergen mit Skilaufen,
Snowhaarden oder Wandern verbringen.
Das CERN wurde in der Aufbruchstimmung internationaler wissen
schaftlicher Zusammenarbeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegrün
det. Westdeutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Ita
lien, Norwegen, die Niederlande, das Vereinigte Königreich, Schweden,
die Schweiz und Jugoslawien ( 1 9 6 1 ausgetreten) waren die ursprünglichen
zwölf Mitgliedstaaten. Später schlossen sich Österreich, Spanien, Portu
gal, Finnland, Polen, Ungarn, die Tschechische und die Slowakische Re-
217
VERBORGENE U N I VERSEN
A bbildung 55 : Die Lage des GERN vor dem A lpenpanorama. Der Kreis deu
tet den Verlauf des Large Hadron Goflider an, in dem unterirdisch zwei Pro
tonenstrahlen zirkulieren.
218
EXP E R I M ENTELLES Z W I S C H E N S P I E L
219
VERBORGENE UN IVERSEN
220
EX P E R I M E N T E L L E S Z W I S C H E N S P I E L
Zur Erinnerung
• Das wichtigste experimentelle Werkzeug der Teilchenphysik ist der
hochenergetische Teilchenbeschleuniger. Hochenergetische Co/lider
sind Teilchenbeschleuniger, die die Teilchen aufeinander prallen las
sen ; wenn sie genügend Energie haben, produzieren Collider Teilchen,
die ansonsten zu massiv sind, um in der Welt um uns existieren zu
können.
221
VERBORGENE UNIVERSEN
222
9
Symmetrie:
Das entscheidende Organisationsprinzip
La.
La Ia Ia Ia.
La Ia Ia Ia.
La Ia Ia Ia Ia Ia Ia Ia Ia.
Simple Minds
Athena holte drei ihrer Eulen aus den Käfigen und ließ sie herumfliegen.
Unglücklicherweise hatte Ike an diesem Tag das Dach seines Cabriolets
unten gelassen, und die neugierigen Eulen flogen geradewegs hinein. Die
frechste der Eulen hack te an der Innenverkleidung des Wagens herum
und riss sie schließlich ein wenig auf
Als Ike den Schaden sah, stürmte er in A thenas Zimmer und verlangte,
dass sie in Zukunft besser auf ihre Eulen aufpasste. A thena protestierte,
ihre Eulen seien allesamt wohlerzogen, und sie müsste nur auf die eine
Missetäterin ein A uge werfen. A ber zu diesem Zeitpunkt waren die Eulen
schon wieder in ihren Käfigen, und weder Ike noch A thena konnten he
rausfinden, welche die Schuldige war.
223
VERBORGENE UN IVERSEN
Der Begriff >> Symmetrie << hat für die meisten Physiker einen heiligen
Klang. Man könnte einwerfen, dass auch andere Gemeinschaften die
Symmetrie hoch schätzen, da das Kreuz des Christentums, die j üdische
Menora, das Dharma-Rad des Buddhismus, der Halbmond des Islam
und das hinduistische Mandala alle Symmetrie aufweisen ( siehe Abbil-
224
S Y M M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I S AT I O N S P R I N Z I P
225
VERBORGENE UN IVERSEN
* Ich beschreibe Symmetrie als Folge einer Transformation, doch wie immer ist die
Symmetrie eine Eigenschaft des statischen Systems. Das heißt, das System ist symme
trisch, auch wenn ich die Transformation gar nicht vornehme.
226
S YM M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I S AT I O N S P R I N Z I P
Innere Symmetrien
227
VERBORGENE U N I VERSEN
Die innere Symmetrie besagt, dass zwei Kerzen äquivalent sind. Es ist
eine Aussage über Kerzen, nicht über den Raum.
Eine traditionelle Menora hat j edoch sowohl räumliche als auch in
nere Symmetrien. Zum einen sind die verschiedenen Kerzen äquivalent,
was eine innere Symmetrie darstellt, zum anderen sieht eine Menora ge
nauso aus, wenn sie um 1 8 0 Grad um die mittlere Kerze gedreht wird,
was heißt, sie ist auch räumlich symmetrisch. Innere Symmetrie kann es
aber auch dann geben, wenn keine räumliche vorliegt. Beispielsweise
können Sie identische grüne Mosaiksteinehen gegeneinander austau
schen, auch wenn das Blatt, das sie zusammen darstellen, eine unregel
mäßige Form hat.
Ein weiteres Beispiel für eine innere Symmetrie ist die Austauschbar
keit zweier identischer roter Murmeln. Wenn Sie in jeder Hand eine sol
che Murmel halten, macht es keinen Unterschied, welche welche ist.
Selbst wenn Sie sie mit »1 « und » 2 << markieren, könnten Sie nie wissen,
ob es mir irgendwie gelungen ist, die zwei Murmeln auszutauschen. Be
achten Sie, dass das Murmelbeispiel nicht an ein bestimmtes räumliches
Arrangement gebunden ist, wie es die Beispiele der Menora und des Mo
saiks waren ; innere Symmetrien betreffen die Obj ekte selbst und nicht
ihre Lokalisierung im Raum.
Die Teilchenphysik hat es mit eher abstrakten inneren Symmetrien zu
tun, die mit den unterschiedlichen Teilchentypen zusammenhängen.
Diese Symmetrien behandeln Teilchen und die Felder, die sie erzeugen,
als austauschbar. Genau wie zwei identische Murmeln sich gleich verhal
ten, wenn man sie kullert oder gegen eine Wand schnipst, gehorchen
zwei Teilchentypen von derselben Ladung und Masse identischen physi
kalischen Gesetzen. Die Symmetrie, die dies beschreibt, heißt Flavorsym
metrie.
In Kapitel 7 haben wir erfahren, dass es sich bei Flavors um die drei
verschiedenen Teilchentypen handelt, die identische Ladungen haben
und jeweils einer von drei Generationen angehören. Beispielsweise sind
Elektronen und Myonen zwei Flavors des geladenen Leptons, was heißt,
sie haben identische Ladungen. Würden wir in einer Welt leben, in der
das Elektron und das Myon auch identische Massen hätten, wären die
beiden vollständig gegeneinander austauschbar. Dann gäbe es eine Fla
vorsymmetrie, der zufolge das Elektron und das Myon sich in Gegen
wart irgendeines anderen Teilchens oder einer Kraft identisch verhalten
würden. In unserer Welt ist das Myon aber schwerer als das Elektron,
also liegt keine exakte Flavorsymmetrie vor. Für einige physikalische
228
S YM M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I SATI O N S P R I N Z I P
229
VERBORGENE UN IVERSEN
Nächsten paar Kapitel - folgen zu können, dürfen Sie bis zum nächsten
Kapitel vorblättern, wenn Sie das j etzt wollen. Interessieren Sie sich aber
für die Rolle der inneren Symmetrie in der Theorie der Wechselwirkung
und beim Higgs-Mechanismus, dann lesen Sie weiter.
230
S YM M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I SAT I O N S P R I N Z I P
231
VERBORGENE UN IVERSEN
falsch, und sowohl die Natur als auch die Quantenfeldtheorie stellen
klar, dass es diese nicht senkrechte Polarisierung nicht gibt.
Die einfachste Theorie der Wechselwirkungen, die die Physiker fo
rmulieren könnten, schließt unglücklicherweise diese n icht zutreffende
Polarisierungsrichtung ein. Das überrascht nicht sonderlich, denn eine
Theorie, die für jedes mögliche Photon funktioniert, kann unmöglich
Informationen über ein bestimmtes Photon enthalten, das sich in eine
bestimmte Richtung bewegt. Und ohne solche Informationen würde
die spezielle Relativitätstheorie nicht zwischen irgendwelchen Richtun
gen unterscheiden. Für eine Theorie, die die Symmetrien der speziellen
Relativitätstheorie bewahrt ( einschließlich der Rotationssymmetrie ) ,
bräuehre m a n drei Richtungen - nicht zwei -, u m a l l d i e z u beschreiben,
in denen ein Photon oszillieren könnte ; in solch einer Beschrei bung
könnte das Photon in j eder räumlichen Richtung schwingen.
Aber wir wissen, dass dies nicht zutrifft. Für jedes bestimmte Photon
ist die Richtung der Bewegung festge legt, und eine Oszillation in dieser
Richtung ist verboten. Und wer wollte für jedes einzelne Photon samt
seiner Bewegungsrichtung eine eigene Theorie aufstellen ? Man braucht
eine Theorie, die funktioniert, egal wohin ein Photon sich bewegt.
Zwar könnte man sich an einer Theorie versuchen, die die unzutref
fende Polarisierungsrichtung ganz weglässt, weit einfacher und saube
rer ist es aber, die Rotationssymmetrie zu respektieren und die falsche
Polarisierung auf andere Weise zu eliminieren. Die Physiker, die immer
auf Einfachheit aus sind, haben erkannt, dass die Quantenfeldtheorie
am besten funktioniert, wenn sie die irrige Longitudinalpolarisierung
in die Theorie einschließen, aber noch etwas hinzufügen, um die guten,
physikalisch relevanten Vorhersagen aus den schlechten herauszufil
tern .
An diesem Punkt kommen die inneren Symmetrien ins Spiel. In der
Theorie der Wechselwirkungen kommt den inneren Symmetrien die Auf
gabe zu, die Widersprüche zu eliminieren, zu denen die unerwünschte
Polarisierung führen würde, ohne zugleich die Symmetrien der speziellen
Relativitätstheorie einzubüßen. Innere Symmetrien stellen die einfachste
Möglichkeit dar, die Polarisierung entlang der Ausbreitungsrichtung he
rauszufiltern, die es unabhängigen theoretischen Überlegungen und ex
perimentellen Beobachtungen zufolge nicht gibt. Sie teilen Polarisierun
gen in die Kategorien >> gut<< und » schlecht << ein - in solche, die mit den
Symmetrien konsistent sind, und j ene, auf die das nicht zutrifft. Eine Er
klärung, wie das funktioniert, würde hier etwas technisch geraten, aber
232
SYM M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I S AT I O N S P R I N Z I P
ich kann Ihnen m i t Hilfe einer Analogie eine allgemeine Vorstellung da
von vermitteln.
Nehmen wir an, Sie haben eine Maschine zur Produktion von Hem
den, die linke und rechte Ärmel in zwei Größen herstellen kann, kurz
und lang; a ber aus irgendeinem Grund hatte der Erfinder der Maschine
vergessen, einen Kontrollmechanismus einzubauen, der sicherstellt, dass
die linken und die rechten Ärmel immer von derselben Länge sind. In der
Hälfte aller Fälle bekommen Sie brauchbare Hemden - mit zwei langen
oder zwei kurzen Ärmeln -, aber in der anderen Hälfte der Fälle spuckt
die Maschine nutzlose Hemden mit einem kurzen und einem langen Är
mel aus. Unglücklicherweise ist dies die einzige Hemdenmaschine, die
Sie haben.
Sie haben die Wahl : Sie können Ihre Hemdenmaschine wegwerfen und
ganz auf die Produktion von Hemden verzichten, oder Sie behalten die
Maschine und produzieren ein paar gute Hemden und ein paar Aus
schusshemden. Das ist nicht ganz vergebens, denn es liegt j a ziemlich auf
der Hand, welche Hemden wegzuwerfen sind : Nur diejenigen, welche
die Links-rechts-Symmetrie bewahren, kann man tragen. Sie werden im
mer korrekt gekleidet sein, wenn Sie Ihre Maschine alle möglichen Hem
den machen lassen, dann aber nur die behalten, die Links-rechts-Symme
trie aufweisen.
Die mit den Wechselwirkungen zusammenhängende innere Symmetrie
schafft etwas Analoges. Sie sorgt für eine sinnvolle Markierung, anhand
deren man die Größen erkennt, die wir im Prinzip beobachten könnten
( diej enigen mit den Polarisierungen, die man beibehalten will ) , und von
jenen unterscheiden kann, die es nicht geben sollte ( diej enigen mit der
falschen Polarisierung entlang der Ausbreitungsrichtung) . Wie Spamfil
ter in Computern versuchen, unerwünschte E-Mails zu identifizieren
und von nützlichen Nachrichten zu trennen, unterscheidet der Filter der
inneren Symmetrien zwischen physikalischen Prozessen, die die Symme
trie wahren, und den unerwünschten, die das nicht tun. Innere Symme
trien machen es leicht, die den Spams gleichenden Polarisierungen zu eli
minieren ; wären sie da, würden sie die innere Symmetrie brechen.
Wie die Symmetrie funktioniert, ist dem Beispiel mit den farbigen
Spotlights von weiter oben recht ähnlich ; dabei konnten wir nur das
weiße Licht beobachten, das die drei Farben zusammen produzieren,
nicht die einzelnen Lichtstrahlen. In ähnlicher Weise sind nur bestimmte
Kombinationen von Teilchen mit den inneren Symmetrien konsistent,
die zur Theorie der Wechselwirkungen gehören, und bei diesen handelt
233
VERBORGENE UNIVERSEN
234
S Y M M E T R I E : D A S E N T S C H E I D E N D E O R G A N I SATI O N S P R I N Z I P
Bisher haben wir ausschließlich die Folgen von Symmetrie für Eichboso
nen betrachtet. Aber die mit einer Wechselwirkung zusammenhängen
den Symmetrietransformationen beeinflussen nicht nur Eichbosonen.
Ein Eichboson interagiert mit den Teilchen, die der mit jenem Eichboson
assoziierten Wechselwirkung unterliegen : Das Photon wechselwirkt mit
elektromagnetisch geladenen Teilchen, die schwachen Bosonen mit
schwach geladenen Teilchen und die Gluonen mit Quarks.
Wegen dieser Wechselwirkungen kann j ede der inneren Symmetrien
nur dann gewahrt werden, wenn sie sowohl die Eichbosonen als auch die
Teilchen, mit denen sie interagieren, transformiert. Eine Analogie kann
das veranschaulichen. Rotationen beispielsweise wären keine Symmetrie
transformation, wenn sie sich nur auf einige Objekte auswirken würden,
auf andere hingegen nicht. Wenn Sie bei einem >> Prinzenrollen << -Plätz
chen '' nur die obere Waffel drehen, nicht aber den Rest, zerreißen Sie es.
Nach einer Rotation sieht ein >> Prinzenrollen << -Plätzchen nur dann ge
nauso aus, wenn Sie das gesamte >> Sandwich << auf einmal drehen.
Aus ähnlichen Gründen könnte eine Transformation, die nur die eine
Wechselwirkung vermittelnden Eichbosonen ineinander umwandelt,
nicht aber die Teilchen, die jener Wechselwirkung unterliegen, niemals
eine Symmetrie wahren. Die innere Symmetrie, die die falschen Polarisa
tionen der Gluonen eliminiert, erfordert, dass sowohl die Quarks als
auch die Gluonen gegeneinander austauschbar sind. De facto ist die
Symmetrietransformation, die Quarks austauscht, sogar dieselbe, die die
Eichbosonen austauscht. Die einzige Möglichkeit zur Wahrung der Sym
metrie besteht darin, die beiden zusammen zu mischen, genau wie die
einzige Möglichkeit zur Erhaltung des >> Prinzenrollen << -Plätzchens darin
besteht, das ganze Ding auf einmal zu drehen.
Am meisten wird uns in diesem Buch die schwache Wechselwirkung
interessieren. Die mit ihr zusammenhängende innere Symmetrie behan
delt die drei schwachen Eichbosonen als äquivalent. Sie behandelt auch
Teilchenpaare wie das Elektron und das Neutrino oder das Up- und das
Down-Quark als gleichwertig. Die Symmetrietransformation der schwa
chen Wechselwirkung tauscht die drei schwachen Eichbosonen und auch
die Teilchenpaare gegeneinander aus. Wie bei Gluonen und Quarks wird
die Symmetrie nur bewahrt, wenn alles auf einmal ausgetauscht wird.16
235
VERBORGENE UN IVERSEN
Z u r Erinnerung:
236
10
Symmetrien sind wichtig, aber in der Regel weist das Universum keine
perfekte Symmetrie auf. Leicht unperfekte Symmetrien machen die Welt
interessant ( organisieren sie aber auch ) . Für mich zählt zu den faszinie
rendsten Aspekten der physikalischen Forschung die Suche nach Zusam
menhängen, die der Symmetrie in einer asymmetrischen Welt Sinn ge
ben.
Ist eine Symmetrie nicht exakt, sprechen die Physiker von einer gebro
chenen Symmetrie. Eine gebrochene Symmetrie ist zwar oft interessant,
aber ästhetisch nicht immer ansprechend : Schönheit und Ökonomie des
betreffenden Systems oder der zugrunde liegenden Theorie können ver-
237
VERBORGENE U N I VERSEN
Ioren gehen ( oder verringert werden ) . Selbst das sehr symmetrische Taj
Mahal hat keine perfekte Symmetrie, da die geizigen Erben des Erbauers
beschlossen, nicht wie geplant ein zweites Grabmal zu errichte n ; statt
dessen fügten sie dem ursprünglichen ein nicht darauf ausgerichtetes
Grab an. Dieses zweite Grab zerstört die ansonsten perfekte vierfache
Rotationssymmetrie des Taj Mahal und lenkt ein wenig von seiner
Schönheit ab.
Zum Glück für ästhetisch gesinnte Physiker können j edoch gebro
chene Symmetrien noch schöner und interessanter sein als perfekt
symmetrische Dinge. Perfekte Symmetrie ist oft langweilig. Mit einem
symmetrischen Lächeln wäre die Mona Lisa einfach nicht dieselbe.
In der Physik wie in der Kunst ist Einfachheit nicht notwendigerweise
das höchste Ziel. Das Leben und das Universum sind kaum perfekt, und
fast alle Symmetrien, die man nennen kann, sind gebrochen . Zwar schät
zen und bewundern wir Physiker Symmetrie, aber wir müssen noch im
mer einen Zusammenhang zwischen einer symmetrischen Theorie und
einer asymmetrischen Welt finden. Die besten Theorien respektieren die
Eleganz symmetrischer Theorien und beinhalten zugleich die gebrochene
Symmetrie, die für Vorhersagen notwendig ist, welche mit den Phänome
nen in unserer Welt übereinstimmen. Das Ziel lautet, Theorien zu er
schaffen, die umfassender und manchmal noch schöner sind, ohne ihre
Eleganz dafür zu opfern.
Das Konzept des Riggs-Mechanismus, das auf dem Phänomen der
spontan gebrochenen Symmetrie (die wir im nächsten Abschnitt behan
deln) beruht, ist ein Beispiel für eine solche elegante, ausgeklügelte theo
retische Idee. Der nach dem schottischen Physiker Peter Higgs benannte
Mechanismus lässt die Teilchen des Standardmodells - Quarks, Lepto
nen und schwache Eich bosonen - Masse annehmen.
Ohne den Higgs-Mechanismus wären alle Elementarteilchen masse
los ; ein Standardmodell mit massiven Teilchen, a ber ohne Higgs-Mecha
nismus würde bei hohen Energien unsinnige Vorhersagen ergeben. Die
magische Eigenschaft des Higgs-Mechanismus ist, dass man seinen Ku
chen essen und zugleich behalten kann : Die Teilchen bekommen Masse,
aber sie verhalten sich, als wären sie masselos, wenn sie Energien haben,
bei denen massive Teilchen anderenfalls Probleme bereiten würden. Wir
werden sehen, dass der Higgs-Mechanismus es Teilchen ermöglicht,
Masse zu haben, sich in einem begrenzten Bereich aber frei bewegen zu
können - ganz ähnlich wie Ikes Auto nach einem Kilometer von Polizis
ten angehalten wurde, aber in einem begrenzten Bereich ungestört he-
238
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E NTARTE I L C H E N - M A S S E N
239
VERBORGENE UN IVERSEN
Denken wir zunächst an ein großes Abendessen, bei dem eine Anzahl
Leute an einem runden Tisch sitzt ; zwischen ihnen stehen j eweils Was
sergläser. Welches Glas soll man nehmen, das zur Rechten oder das zur
Linken ? Eine eindeutige Antwort gibt es darauf nicht. Leute mit guten
Manieren behaupten zwar, das rechte Glas, aber abgesehen von den will
kürlichen Regeln der Etikette leisten das linke und das rechte gleich gute
Dienste.
Sobald jedoch j emand nach einem Glas greift, ist die Symmetrie gebro
chen. Was zu der Wahl motivierte, muss nicht notwendigerweise Teil des
Systems sei n ; in diesem Fall wäre es ein äußerer Faktor : Durst. Wenn
aber erst einmal eine Person spontan aus dem Glas zur Linken getrunken
hat, macht das die Person daneben genauso, und am Schluss werden alle
aus dem Glas zu ihrer Linken getrunken haben.
Die Symmetrie hat bis zu dem Augenblick Bestand, da j emand ein
Glas in die Hand nimmt. In diesem Moment wird die Links-rechts-Sym
metrie spontan gebrochen. Kein physikalisches Gesetz besagt, dass ir
gendj emand zwischen links und rechts wählen muss. Aber eines der Glä
ser muss genommen werden, und danach sind links und rechts nicht
mehr dasselbe, denn es gibt keine Symmetrie mehr, weil die Seiten nicht
mehr austauschbar sind.
Hier ein weiteres Beispiel. Stellen Sie sich einen Bleistift vor, der im
Mittelpunkt eines Kreises auf seiner Spitze steht. Für den Sekunden
bruchteil, währenddessen er genau senkrecht auf seiner Spitze stehen
blei bt, sind alle Richtungen äquivalent, es gibt eine Rotationssymmetrie.
Aber ein auf seine Spitze gestellter Bleistift bleibt nicht stehen : Spontan
wird er in irgendeine Richtung fallen. Sobald der Bleistift kippt, ist die
ursprüngliche Rotationssymmetrie gebrochen.
Beachten Sie, dass es nicht die physikalischen Gesetze selbst sind, die
die Richtung vorgeben. Die Physik des umfallenden Bleistifts ist immer
dieselbe, egal in welche Richtung er kippt. Der Bleistift selbst bricht die
Symmetrie, den Zustand des Systems. Der Bleistift kann einfach nicht in
alle Richtungen zugleich fallen. Er muss in eine bestimmte Richtung kip
pen.
Eine unendlich lange und hohe Mauer würde überall und in alle Rich
tungen an ihr entlang gleich aussehen. Weil aber eine tatsächliche Mauer
Grenzen hat, müssen Sie, wenn Sie ihre Symmetrien erkennen wollen,
nahe genug herangehen, sodass die Ränder aus Ihrem Blickfeld sind. Die
Enden der Mauer verraten Ihnen, dass sie nicht überall gleich aussieht ;
wenn Sie aber Ihre Nasenspitze dagegen drücken, sodass Sie nur eine
240
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TART E I L C H E N - M A S S E N
Das Problem
241
VERBORGENE UNIVERSEN
242
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TA RT E I L C H E N - M A S S E N
243
VERBORGENE UN IVERSEN
vertrauten Obj ekte können sie stillstehen. Aber wenn ein massives Eich
boson sich nicht bewegt, zeichnet es auch keine Bewegungsrichtung aus.
Für ein massives Eichboson in Ruhe müssten alle drei Richtungen äqui
valent sein. Wenn aber alle drei Richtungen äquivalent sind, dann müss
ten alle drei möglichen Polarisierungen auch in der Natur vorkommen.
Und so ist es.
Selbst wenn Sie den Gedankengang oben mysteriös finden, kann ich
Ihnen versichern, dass Experimentatoren bereits die Effekte einer dritten
Polarisierung bei einem massiven Eichboson beobachtet und deren Exis
tenz bestätigt haben. Die dritte Polarisierung nennt man die Longitudi
nalpolarisierung. Wenn sich ein massives Eichboson bewegt, ist die Lon
gitudinalpolarisierung die Welle, die entlang der Ausbreitungsrichtung
oszilliert - wie beispielsweise Schallwellen schwingen.
Im Fall von masselosen Eichbosonen wie etwa dem Photon gibt es
diese Polarisierung nicht. Bei massiven Eichbosonen wie den schwachen
Eichbosonen j edoch ist die dritte Polarisierung wahrhaftig von der Na
tur vorgesehen. Diese dritte Polarisierung muss Bestandteil der Theorie
über schwache Eichbosonen sein.
Weil diese dritte Polarisierung die Ursache dafür ist, dass ein schwa
ches Eichboson bei hoher Energie so überaus stark wechselwirkt, stellt
ihre Existenz uns vor ein Dilemma. Wir wissen bereits, dass wir eine
Symmetrie brauchen, um das unerwünschte Verhalten bei hohen Ener
gien zu eliminieren. Aber diese Symmetrie befreit uns von den falschen
Vorhersagen, indem sie auch die dritte Polarisierung eliminiert, und diese
Polarisierung ist für das massive Eichboson und für die es beschreibende
Theorie unverzichtbar. Selbst wenn eine innere Symmetrie die uner
wünschten Vorhersagen für das Verhalten bei hoher Energie eliminiert,
kostet das einen zu hohen Preis : Die Symmetrie würde auch die Masse
beseitigen ! Eine Symmetrie in der Theorie massiver Eichbosonen scheint
Gefahr zu laufen, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Die Sackgasse erscheint auf den ersten Blick ausweglos, da die Anfor
derungen an eine Theorie der massiven Eichbosonen anscheinend völlig
widersprüchlich sind. Einerseits soll die im vorangegangenen Kapitel
beschriebene innere Symmetrie gebrochen werden, da sonst massive
Eichbosonen mit drei physikalischen Polarisierungen verboten wären.
Andererseits würde ohne innere Symmetrie zur Eliminierung von einer
der Polarisierungen die Theorie der Wechselwirkungen bei Eichbosonen
mit hoher Energie falsche Vorhersagen machen. Wir brauchen noch im
mer eine Symmetrie zur Eliminierung der dritten Polarisierung von allen
244
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TART E I L C H E N - M A S S E N
mit ihrer Masse verknüpft), darf die Symmetrie nicht länger gewahrt
werden. Diese Symmetrie muss eliminiert werden, damit Eichbosonen
Masse haben können und die dritte Polarisierung an den niederenergeti
schen Wechselwirkungen beteiligt sein kann, bei denen die Masse den
Unterschied ausmacht.
Im Jahr 1 964 fanden Peter Higgs und andere heraus, wie Theorien der
Wechselwirkungen die massiven Eichbosonen berücksichtigen konnten,
indem sie genau das machten, was wir gerade gesagt haben : Bei hoher
Energie eine innere Symmetrie wahren, bei niedriger Energie aber nicht.
Der auf spontan gebrochener Symmetrie basierende Higgs-Mechanis
mus eliminiert die innere Symmetrie schwacher Wechselwirkungen -
aber nur bei niedriger Energie. Das stellt sicher, dass die zusätzliche Po
larisierung nur bei niedriger Energie vorhanden ist, bei der die Theorie
sie braucht. Die zusätzliche Polarisierung ist aber nicht an hochenergeti
schen Prozessen beteiligt, und die unsinnigen hochenergetischen Wech
selwirkungen zeigen sich nicht.
Wir wollen j etzt ein bestimmtes Modell betrachten, das spontan die
Symmetrie der schwachen Wechselwirkung bricht und den Higgs-Me
chanismus implementiert. Bei dieser Variante des Higgs-Mechanismus
werden wir sehen, wie die Elementarteilchen des Standardmodells zu
ihrer Masse kommen .
245
VERBORGENE U N I VERSEN
Der Higgs-Mechanismus
246
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TA RT E I L C H E N - M A S S E N
m i t >> das Higgs << m a l die beiden Felder zusammen, m a l eines d e r Felder
allein ( und oft die Higgs-Teilchen, die wir zu finden hoffen ) . Ich will hier
zwischen den Möglichkeiten unterscheiden und bezeichne die einzelnen
Felder als Higgs 1 und Higgs 2 •
Sowohl Higgs 1 als auch Higgs 2 haben das Potenzial, Teilchen hervor
zubringen. Sie können aber auch Werte ungleich null annehmen, wenn
keine Teilchen vorhanden sind. Bislang sind wir solchen Werten un
gleich null für Quantenfelder noch nicht begegnet. Abgesehen von den
elektrischen und magnetischen Feldern haben wir bisher nur Quanten
felder betrachtet, die Teilchen erschaffen oder zerstören können, in Ab
wesenheit von Teilchen aber den Wert null annehmen. Genau wie die
klassischen elektrischen und magnetischen Felder können aber auch
Quantenfelder Werte ungleich null haben. Und beim Higgs-Mechanis
mus nimmt eines der Higgs-Felder einen Wert ungleich null an. Wir
werden j etzt sehen, dass dieser Wert letztlich der Ursprung der Teilchen
massen ist. 1 7
Wenn e i n Feld einen Wert ungleich null annimmt, stellt man sich das
am besten so vor, dass der Raum die Ladung manifestiert, die das Feld
trägt, ohne irgendwelche tatsächlichen Teilchen zu enthalten. Die La
dung des Feldes können Sie sich so denken, dass sie überall ist. Das ist
leider eine ziemlich abstrakte Vorstellung, weil das Feld selbst ein abs
traktes Obj ekt ist. Wenn aber das Feld einen Wert ungleich null an
nimmt, sind die Folgen ganz konkret : Die Ladung, die ein Feld ungleich
null hat, gibt es in der realen Welt.
Insbesondere verteilt ein Higgs-Feld ungleich null die schwache La
dung im ganzen Universum. Es ist, als würde das schwach geladene
Nicht-null-Higgs-Feld mit dieser schwachen Ladung den gesamten
Raum ausmalen. Ein Wert ungleich null für das Higgs-Feld bedeutet,
dass die schwache Ladung, die Higgs 1 ( oder Higgs 2 ) trägt, überall ist,
selbst wenn keine Teilchen vorhanden sind. Das Vakuum selbst - der Zu
stand des Universums ohne Teilchen - ist schwach geladen, wenn eines
der beiden Higgs-Felder einen Wert ungleich null annimmt.
Schwache Eichbosonen wechselwirken mit dieser schwachen Ladung
des Vakuums, genau wie sie das mit allen schwachen Ladungen tun. Und
die Ladung, von der das Vakuum durchdrungen ist, blockiert die schwa
chen Eichbosonen, wenn sie versuchen, Kräfte über große Entfernungen
zu übermitteln. Je weiter sie zu reisen versuchen, desto mehr >> Farbe << be
gegnet ihnen. (Weil die Ladung sich in drei D imensionen ausbreitet, stel
len Sie sich vielleicht lieber einen farbigen Sprühnebel vor. )
247
VERBORGENE UNIVERSEN
Die Rolle des Higgs-Felds ist der der Verkehrspolizisten in der Ein
gangsgeschichte recht ähnlich : Es schränkt den Einfluss der schwachen
Wechselwirkung auf sehr kurze Distanzen ein. Bei dem Versuch, die
schwache Wechselwirkung auf entfernte Teilchen zu übertragen, stoßen
die die Kraft tragenden schwachen Eichbosonen gegen das Higgs-Feld,
das ihnen den Weg versperrt und sie abschottet. Wie Ike, der nur in einem
Radius von einem Kilometer um seinen Ausgangspunkt ungehindert her
umrasen konnte, bewegen sich schwache Eichbosonen ungehindert nur
über eine sehr kurze Distanz, rund ein zehntausendste! Billionstel eines
Zentimeters. Sowohl schwache Eichbosonen als auch Ike können kurze
Strecken ohne Einschränkungen zurücklegen, werden aber bei größeren
Entfernungen abgefangen.
Die schwache Ladung des Vakuums ist so fein verteilt, dass es auf
kurze Distanzen sehr wenig Anzeichen für das Higgs-Feld ungleich null
und die damit zusammenhängende Ladung gibt. Quarks, Leptonen und
schwache Eichbosonen können sich frei über kurze Entfernungen bewe
gen, fast als gäbe es die Ladung des Vakuums nicht. Die schwachen Eich
bosonen können daher Kräfte über kurze Distanzen vermitteln, fast als
wären die beiden Higgs-Felder gleich null.
Bei größeren Entfernungen legen die Teilchen j edoch längere Strecken
zurück und begegnen daher einer handfesteren Menge von schwacher
Ladung. Auf wie viel sie treffen, hängt von der Dichte der Ladung ab, die
wiederum vom Wert des Higgs-Felds ungleich null abhängt. Langstre
ckemeisen ( und die Vermittlung der schwachen Wechselwirkung über
große Entfernungen) sind nichts für schwache Eichbosonen niedriger
Energie, denn bei ausgedehnten Exkursionen stellt sich ihnen die schwa
che Ladung des Vakuums in den Weg.
Und genau das brauchen wir, damit schwache Eichbosonen einen
Sinn ergeben. Der Quantenfeldtheorie zufolge haben Teilchen, die unge
hindert kurze Distanzen zurücklegen, aber nur extrem selten längere
Entfernungen, Massen ungleich null. Dass schwache Eichbosonen nur
Kurztrips machen, verrät uns, dass sie sich verhalten, als hätten sie
Masse, denn massive Eichbosonen kommen einfach nicht sehr weit. Die
den Raum durchdringende schwache Ladung schränkt die Bewegungs
möglichkeiten der schwachen Eichbosonen ein, sodass sie sich genau so
verhalten, wie sie es müssen, um mit den Experimenten übereinzustim
men.
Die schwachen Ladungen des Vakuums haben eine Dichte, die in
etwa den Ladungen entspricht, die durch ein zehntausendste! Billionstel
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D E R U R S P R U N G D E R E L E M E NTART E I L C H E N - M A S S E N
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VERBORGENE UNIVERSEN
Wir haben gesehen, dass die mit der schwachen Wechselwirkung zusam
menhängende innere Symmetrietransformation alles gegeneinander aus
tauscht, was mit schwacher Kraft geladen ist, weil die Symmetrietrans
formation sich auf alles auswirkt, was mit schwachen Eichbosonen
wechselwirkt. Daher muss die mit der schwachen Wechselwirkung zu
sammenhängende innere Symmetrie sich auf die Higgs 1 - und die
Higgs 2 -Felder auswirken - oder auf die Higgs 1 - und Higgs 2-Teilchen,
die sie erschaffen - und sie als äquivalent behandeln, genau wie sie Up
und Down-Quarks, die ebenfalls der schwachen Wechselwirkung unter
liegen, als austauschbare Teilchen behandelt.
Wenn beide Higgs-Felder gleich null wären, wären sie äquivalent und
austauschbar und die gesamte mit der schwachen Wechselwirkung zu
sammenhängende Symmetrie bliebe gewahrt. Wenn j edoch eines der bei
den Higgs-Felder einen Wert ungleich null annimmt, brechen die Higgs
Felder spontan die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung. Wenn
eines der Felder gleich null ist, das andere aber nicht, ist die elektro
schwache Symmetrie, durch die Higgs 1 und Higgs 2 austauschbar sind,
gebrochen.
Genau wie die erste Person, die entweder ihr linkes oder ihr rechtes
Glas ergreift, die Links-rechts-Symmetrie am runden Tisch bricht, bricht
ein Higgs-Feld, das einen Wert ungleich null annimmt, die Symmetrie
der schwachen Wechselwirkung, die die beiden Higgs-Felder gegenein
ander austauscht. Die Symmetrie ist spontan gebrochen, weil es nur das
Vakuum ist, das sie bricht - der momentane Zustand des Systems, in die
sem Fall das Feld ungleich null. Die physikalischen Gesetze, die unverän
dert bleiben, wahren trotzdem die Symmetrie.
Ein Bild kann vielleicht veranschaulichen, wie ein Feld ungleich null
die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung bricht. Abbildung 58
zeigt zwei Achsen x und y. Die Äquivalenz der beiden Higgs-Felder ist
wie die Äquivalenz der x- und der y-Achse, wenn darauf keine Punkte
markiert sind : Wenn ich die Graphik drehe, sodass die Achsen den Platz
wechseln, würde das Bild noch immer genauso aussehen. Das ist eine
Folge der gewöhnlichen Rotationssymmetrie.I8
Wenn ich einen Punkt an der Position x=O, y=O zeichne, wird diese Ro
tationssymmetrie vollständig gewahrt. Markiere ich aber einen Punkt,
dessen einer Koordinatenwert nicht null ist, beispielsweise x=S und y=O,
250
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TA R T E I L C H E N - M A S S E N
2
X = 0, y = 0
X = S, y = 0
0 X
0 2 3 4 5 6 7
A b bildung 58 : Wird der Punkt x=O, y=O ausgesucht, bleibt die Rotations
symmetrie erhalten. Wird aber x=5, y=O ausgewählt, ist die Rotationssymme
trie gebrochen.
251
VERBORGENE U N I VERSEN
dend ist, ist die spontan gebrochene Symmetrie nicht nur für die Massen
der schwachen Eichbosonen erforderlich, sie ist auch nötig, damit die
Quarks und Leptonen Masse erhalten. Der Higgs-Mechanismus ist die
einzige Möglichkeit, wie alle massiven fundamentalen Teilchen des Stan
dardmodells ihre Massen bekommen können.
Der Higgs-Mechanismus funktioniert genau so, dass sichergestellt ist,
dass j ede Theorie, die ihn einschließt, massive schwache Eichbosonen
haben kann ( und auch massive Quarks und Leptonen ) und dennoch kor
rekte Vorhersagen für das Verhalten bei hohen Energien machen wird .
Vor allem für hochenergetische schwache Eichbosonen - mit einer Ener
gie größer als 250 Ge V - wird anscheinend die Symmetrie gewahrt, so
dass es keine falschen Vorhersagen gibt. Bei hohen Energien filtert die
mit der schwachen Wechselwirkung zusammenhängende innere Symme
trie noch immer die problematische Polarisierung des schwachen Eich
bosons heraus, die zu viel zu zahlreichen Wechselwirkungen führen
würde. Bei niedrigen Energien aber, wenn die Masse dafür entscheidend
ist, die gemessenen Wechselwirkungen der schwachen Kraft über kurze
Distanzen zu reproduzieren, wird die Symmetrie der schwachen Wech
selwirkung gebrochen.
Aus diesem Grund ist der Higgs-Mechanismus so wichtig. Keine an
dere Theorie, die diese Massen zuweist, hat diese Eigenschaften. Andere
Ansätze versagen entweder bei niedrigen Energien, wo die Masse falsch
ist, oder bei hohen, wo die Wechselwirkungen falsch vorhergesagt wer
den.
Bonus
Das Standardmodell hat noch einen Erfolg zu verzeichnen, den ich noch
nicht erklärt habe. Das Higgs-Feld wird zwar in den nächsten paar Ka
piteln wichtig werden, dieser besondere Aspekt des Higgs-Mechanismus
aber nicht. Er ist j edoch so überraschend und faszinierend, dass er der
Erwähnung wert ist.
Der Higgs-Mechanismus verrät uns nicht nur etwas über die schwache
Wechselwirkung. Überraschenderweise bietet er auch neue Einsichten,
warum der Elektromagnetismus etwas Besonderes ist. Bis in die sechzi
ger Jahre des vorigen Jahrhunderts hätte niemand geglaubt, dass es über
die elektromagnetische Wechselwirkung noch etwas zu lernen gäbe, weil
sie so gut erforscht und seit über einem Jahrhundert gut verstanden war.
252
D E R U R S P R U N G D E R E L E M ENTARTE I LC H E N - M A S S E N
253
VERBORGENE U N I VERSEN
Mechanismus sind große Erfolge der Teilchenphysik. Nicht nur die Mas
sen der schwachen Eichbosonen, sondern auch die Bedeutung des Pho
tons werden in diesem Bezugsrahmen angemessen erklärt. O bendrein er
laubt er uns, den Ursprung der Masse von Quarks und Leptonen zu ver
stehen. Die ziemlich abstrakten Vorstellungen, denen wir gerade begeg
net sind, erklären gut ein breites Spektrum von Merkmalen dieser Welt.
Warnung !
254
D E R U R S P R U N G D E R E L E M E N TA RTE I L C H E N - M A S S E N
Zur Erinnernng:
• Trotz der Bedeutung von Symmetrien für die korrekte Vorhersage bei
Teilchen hoher Energie sagen uns die Massen von Quarks, Leptonen
und schwachen Eichbosonen, dass die Symmetrie der schwachen
Wechselwirk ung gebrochen werden muss.
• Weil wir uns aber vor falschen Vorhersagen hüten müssen, muss die
Symmetrie der schwachen Wechselwirkung bei hoher Energie trotz
dem gewahrt werden. Folglich darf die Symmetrie der schwachen
Wechselwirkung nur bei niedriger Energie gebrochen werden.
255
11
Athena hatte oft das Gefühl, dass sie immer als Letzte etwas Interessan
tes erfuhr. Von Ikes Erlebnissen mit seinem Auto härte sie erst etwas, als
er es schon seit über einem Monat besaß. Und sie erfuhr es auch nicht von
ihm direk t - sie härte es von einem ihrer Freunde, der es vom Bruder von
Dieters Cousin gesteckt bekommen hatte, der von Dieters Cousin davon
erfahren hatte, der es wiederum von Dieter gehört hatte.
Auf diesem Umweg kam Athena zu Ohren, dass Ike gesagt haben
sollte : » Welchen Einfluss die Kräfte ausüben, hängt laut den Forschern
von der Lokalisierung ab. « Diese für Ike untypische Verlautbarung war
für Athena ein völliges Rätsel, bis ihr aufging, dass der Wortlaut wie bei
der » stillen Post« unterwegs verstümmelt worden sein musste. Sie dachte
eine Weile nach und kam zu dem Schluss, dass Ike in Wirklichkeit gesagt
haben musste : » Welchen Einfluss Fliehkräfte ausüben, hängt auch im
Parsehe von der Motorisierung ab. «
Wir werden sehen, dass die Aussage, die Athena als erste vernahm, wahr
ist. Dieses Kapitel handelt davon, wie physikalische Prozesse, die zwi
schen Teilchen in dem einen Abstand stattfinden, zu jenen in Beziehung
gesetzt werden können, die in einem anderen Abstand ablaufen, und
warum physikalische Größen wie etwa die Teilchenmasse oder die Wech
selwirkungsstärke von der Energie des Teilchens abhängen. Diese Ab-
256
S K A L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G
hängigkeit von Energie und Distanz geht über die klassische Entfer
nungsabhängigkeit von Kräften hinaus. Beispielsweise nimmt klassisch
die Stärke des Elektromagnetismus - wie die der Gravitation - umge
kehrt proportional zum Abstand zwischen den wechselwirkenden Ob
j ekten ab (inverses Quadratgesetz) . Die Quantenmechanik ändert aber
diese Entfernungsabhängigkeit, indem sie die Wechselwirkungsstärke
selbst beeinflusst, sodass Teilchen bei unterschiedlichen Distanzen ( und
Energien) anscheinend mit unterschiedlichen Ladungen wechselwirken.
Kräfte werden mit zunehmender Entfernung schwächer oder stärker,
was die Folge von virtuellen Teilchen ist - kurzlebigen Teilchen, die es in
folge der Quantenmechanik und der Unschärferelation gibt. Virtuelle
Teilchen wechselwirken mit Eichbosonen und ändern Kräfte, sodass ihre
Effekte von der Distanz a bhängen, genau wie Athenas Freunde Ikes Fest
stellung verzerrten, als sie sie weitergaben.
Die Quantenfeldtheorie sagt uns, wie man die Auswirkungen virtuel
ler Teilchen auf die Entfernungs- und Energieabhängigkeit der Wechsel
wirkungen ausrechnen kann. Ein Triumph solcher Berechnungen war,
dass sie erklärten, warum die starke Wechselwirkung so stark ist. Ein in
teressantes Nebenprodukt bestand darin, dass es möglicherweise eine
Große Vereinheitlichte Theorie gibt, bei der die drei nichtgravitativen
Wechselwirkungen, die sich bei niedrigen Energien deutlich unterschei
den, bei hohen Energien zu einer einzigen, einheitlichen Kraft verschmel
zen. Wir werden diese beiden Resultate und die ihnen zugrunde lie
genden Überlegungen und Berechnungen der Quantenfeldtheorie näher
erkunden.
Wenn Sie die nächsten paar Kapitel lesen, denken Sie daran, dass die
Skalenenergien, über die wir sprechen, sehr unterschiedlich sind. Die
Vereinheitlichungsenergie beträgt rund 1 000 Billionen GeV, und die
Planck-Energieskala, bei der die Gravitation stark wird, ist noch einmal
rund tausendmal größer. Die schwache Energieskala - bei der es sich um
diejenige Energie handelt, mit der gegenwärtig experimentiert wird - ist
erheblich kleiner : nur rund 100 bis 1000 GeV. Die schwache Energie
skala ist im Vergleich zur Vereinheitlichungsenergie so klein wie eine
Murmel in Relation zur Entfernung zwischen Erde und Sonne. Ich werde
daher die schwache Energieskala manchmal als niedrig oder klein be
zeichnen - auch wenn sie aus Sicht der Experimentatoren eine hohe
Energie ist -, weil sie so viel kleiner als sowohl die Vereinheitlichungs
energie als auch die Planck-Energieskala ist.
257
VERBORGENE UNIVERSEN
Effek tive Feldtheorien wenden die Idee von der effektiven Theorie, die
wir in Kapitel 1 kennen gelernt haben, auf die Quantenfeldtheorie an.
Sie konzentrieren sich nur auf solche Skalenenergien und -längen, die
man zu messen hoffen kann. Die effektive Feldtheorie, die eine be
stimmte Skalenenergie oder -distanz >> effekti v << behandelt, beschreibt
diej enigen Energien oder Entfernungen, die berücksichtigt werden müs
sen. Sie konzentriert sich auf die Kräfte und Wechselwirkungen, zu de
nen es kommen kann, wenn Teilchen diese bestimmte Energie (oder •f
* Erinnern Sie sich daran, dass nach der Quantenmechanik und der speziellen Relati
vitätstheorie Energien und Entfernungen gegeneinander austauschbar sind. Um der
Lesbarkeit willen werde ich jetzt immer von Energien sprechen, aber bei hohen Ener
gien ablaufende Prozesse sind dieselben wie die über kurze Distanzen.
258
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G
bezogene Theorie nicht kennen, nicht in d e r Lage sein, mess bare Grö
ßen abzuleiten. Wenn Sie j edoch die Details der kurzen Entfernungen
kennen, sagt Ihnen die Quantenfeldtheorie präzise, wie Sie die unter
schiedlichen effektiven Theorien, die für verschiedene Energien gelten,
aufeinander beziehen. Sie lässt Sie die Größen der einen effektiven Theo
rie - beispielsweise Massen oder Stärke der Wechselwirkung - aus den
Größen einer anderen ableiten.
Die Methode zur Berechnung, wie Größen von Energie oder Distanz
abhängen, wurde erstmals 1 9 74 von Kenneth Wilson entwickelt und hat
einen lustigen Namen : Renormierungsgruppe. Neben den Symmetrien
zählen das Konzept der effektiven Theorie und die Renormierungs
gruppe, die beide mit physikalischen Prozessen bei sehr unterschiedli
chen Skalenlängen oder -energien zu tun haben, zu den leistungsfähigs
ten Werkzeugen der Physik. Der Begriff >> Grupp e << ist ein mathemati
scher Ausdruck, der hängen geblieben ist, auch wenn sein mathemati
scher Ursprung größtenteils irrelevant ist.
>> Renormierung« hingegen ist kein so schlechter Ausdruck. Er bezieht
sich auf die Tatsache, dass man bei j eder Längenskala von Interesse eine
Pause macht und sich orientiert. Man legt fest, welche Teilchen und
welche Wechselwirkungen bei genau den Energien, die einen im Mo
ment interessieren, relevant sind. Dann nimmt man für alle Parameter
der Theorie eine neue Normierung - oder Kalibrierung oder Eichung
vor.
Die Ideen hinter der Renarmierungsgruppe ähneln j enen in Kapitel 2,
als wir diskutierten, dass man eine höherdimensionale Theorie in einer
niederdimensionalen Sprache interpretieren kann, und eine zweidimen
sionale Theorie mit einer kleinen, aufgerollten Dimension so behandel
ten, als hätte sie nur eine Dimension. Als wir Dimensionen aufrollten,
ignorierten wir alle Details dessen, was innerhalb der zusätzlichen Di
mension passiert, und gingen davon aus, dass alles in der Sprache nied
rigerer Dimensionen beschrieben werden kann. Unsere neue >> Normie
rung« war die vierdimensionale Beschreibung, die man verwenden kann,
wenn man sich auf große Entfernungen konzentriert.
Mit einer ganz ähnlichen Prozedur kann man eine für große Entfer
nungen geltende Theorie aus irgendeiner Theorie ableiten, die für kurze
Distanzen wichtig ist : Man definiert die Minimallänge, die einen interes
siert, und lässt die Physik, die für kürzere Skalen relevant ist, unter den
Tisch fallen. Das kann man unter anderem tun, indem man den Durch
schnittswert j ener Größen findet, die nur bei den zu ignorierenden kür-
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VERBORGENE U NIVERSEN
Virtuelle Teilchen
260
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G
261
VERBORGENE UN IVERSEN
l/6t .. Elektron
W
Photon Photon
c Positron
A b bildung 59 : Ein reales, physikalisches Photon kann sich in ein virtuelles
Elek tron und ein virtuelles Positron verwandeln, die sich dann wieder zu
einem Photon vereinen. Dies ist rechts mit einem Feynman-Diagramm dar
gestellt und links schematisch.
262
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G
Die Stärke der uns bekannten Kräfte hängt von den an Wechselwirkun
gen von Teilchen beteiligten Energien und Entfernungen ab, und bei die
ser Abhängigkeit spielen virtuelle Teilchen eine Rolle. Beispielsweise ist
die Stärke der elektromagnetischen Kraft kleiner, wenn zwei Elektronen
weiter voneinander entfernt sind. ( Erinnern Sie sich daran, dass diese
quantenmechanische Abnahme zu der klassischen Entfernungsabhän
gigkeit des Elektromagnetismus hinzukommt . ) Die Folgen von virtuellen
Teilchen und der Entfernungsabhängigkeit der Wechselwirkungen sind
real ; theoretische Vorhersagen und Experimente stimmen extrem gut
überein.
Dass die Größen einer effektiven Theorie - die Stärke der Kräfte oder
Wechselwirkungen beispielsweise - von den Energien und den Abstän
den der beteiligten Teilchen abhängen, folgt aus einem Merkmal der
Quantenfeldtheorie, welches der Physiker Jonathan Flynn im Scherz das
anarchische Prinzip * genannt hat. Das anarchische Prinzip folgt aus der
Quantenmechanik, die besagt, dass sich alle potenziellen Teilchenwech
selwirkungen auch ereignen werden. In der Quantenfeldtheorie wird al
les passieren, was nicht verboten ist.
Die einzelnen Prozesse, bei denen j eweils eine bestimmte Gruppe von
physikalischen Teilchen wechselwirkt, werde ich als Pfade bezeichnen.
An einem Pfad kann ein virtuelles Teilchen beteiligt sein oder auch nicht.
Ist es das, nenne ich diesen Pfad einen Quantenbeitrag. Die Quantenme
chanik besagt, dass alle möglichen Pfade zur Nettostärke einer Wechsel
wirkung beitragen. Beispielsweise können sich physikalische Teilchen in
virtuelle Teilchen verwandeln, die miteinander wechselwirken und sich
dann in andere physikalische Teilchen zurückverwandeln. Bei solch
einem Vorgang können die ursprünglichen physikalischen Teilchen wie
der auftauchen, oder sie können sich in andere physikalische Teilchen
umwandeln. Auch wenn die virtuellen Teilchen nicht lang genug Bestand
haben, als dass wir sie beobachten könnten, würden sie trotzdem die Art
und Weise beeinfl ussen, wie reale beobachtbare Teilchen miteinander
wechselwirken.
* Dies ist eine modifizierte Version von Murray Gell-Manns »totalitärem Prinzip « ,
und ich denke, dass >> anarchisches Prinzip« eine bessere Annäherung a n die davon be
troffene Physik darstellt.
263
VERBORGENE UN IVERSEN
264
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U NG
dung verkündet, wird sie direkt durch die Behörde hindurchgehen. Aber
j emand weiter unten in der Hierarchie muss seine Meldung vielleicht erst
von seinen Chefs zensieren lassen. Wenn jemand auf noch niedrigerer
Stufe etwas verkündet, muss die Meldung vielleicht zunächst durch noch
mehr bürokratische Schichten zirkulieren, bis sie an ihre Bestimmung
kommt. In diesem Fall würden sich die Bürokraten jeder Stufe die Mel
dung erst einmal untereinander zuschicken, ehe sie sie an die nächsthö
here Ebene weiterleiten. Erst wenn die Meldung endlich die oberen
Ränge erreicht hat, wird sie verkündet. Die in diesem Fall ausgegebene
Meldung wird im Allgemeinen nicht mehr die ursprüngliche sein, son
dern eine, die von dieser vielschichtigen Bürokratie gefiltert wurde.
Wenn Sie sich virtuelle Tei lchen als Bürokraten vorstellen und einen
höherrangigen Bürokraten als Entsprechung eines virtuellen Teilchens
mit höherer Energie, dann wird eine Meldung von höherer Ebene direkt
übermittelt, wohingegen solche von unteren Ebenen viele Instanzen
durchlaufen müssen. Das quantenmechanische Vakuum ist die >> Büro
krati e << , mit der ein Photon konfrontiert ist. Jede Wechselwirkung wird
durch vermittelnde virtuelle Teilchen mit immer weniger Energie zen
siert. Wie in einer Behörde kann es auf allen Ebenen ( oder bei allen Ent-
Elektron
Elektron & Photon Photon
& Elektron
l
Positron & • Positron
Positron
Elektron
______...
Positron
265
VERBORGENE U NIVERSEN
fernungen) Umwege geben. Einige Wege kürzen die >> bürokratischen <<
Umwege ab, die die virtuellen Teilchen auferlegen, und an anderen sind
virtuelle Teilchen beteiligt, die sich über immer größere Entfernungen
bewegen. Die Kommunikation über kürzere Distanzen ( höhere Energie )
wird von weniger virtuellen Prozessen beeinflusst a l s d i e über größere
Distanzen.
Es gibt j edoch einen deutlichen Unterschied zwischen virtuellen Pro
zessen und einer Behörde. In einer Bürokratie nimmt j ede einzelne Mel
dung einen ganz bestimmten Weg, egal wie kompliziert dieser ist. Hin
gegen sagt die Quantenmechanik, dass es viele Pfade gibt. Und sie besteht
darauf, dass die Nettostärke einer Wechselwirkung die Summe der Bei
träge von sämtlichen möglichen Pfaden ist.
Stellen Sie sich ein Photon vor, das von einem geladenen Teilchen zu
einem anderen wandert. Weil es sich unterwegs in ein virtuelles Elektron
Positron-Paar ( siehe Abbildung 60) verwandeln kann, sagt uns die
Quantenmechanik, dass es dies manchmal tun wird. Und die Pfade mit
virtuellen Elektronen und Positronen beeinflussen die Effektivität, mit
der das Photon die elektromagnetische Wechselwirkung vermittelt.
Und dies ist nicht der einzige quantenmechanische Prozess, zu dem es
kommen kann. Virtuelle Elektronen und Positronen können ihrerseits
Photonen emittieren, die sich in andere virtuelle Teilchen verwandeln
können und so weiter. Die Entfernung zwischen den beiden geladenen
Teilchen, die das Photon austauschen, bestimmt, wie viele solcher Wech
selwirkungen das Boten-Photon mit Teilchen im Vakuum haben wird
und welche Effekte diese Wechselwirkungen haben werden. Die Stärke
der elektromagnetischen Kraft ist das Nettoresultat der vielen Pfade, die
das Photon nimmt, wenn alle möglichen bürokratischen Umwege -
quantenmechanische Prozesse, an denen virtuelle Teilchen über lange
oder kurze Entfernungen beteiligt sind - berücksichtigt werden. Weil die
Anzahl der virtuellen Tei lchen, denen ein Photon begegnet, aus der von
ihm zurückgelegten Entfernung folgt, hängt die Wechselwirkungsstärke
des Photons von der Distanz zwischen den geladenen Obj ekten ab, mit
denen es wechselwirkt.
Werden alle Beiträge von allen möglichen Pfaden zusammengezählt,
ergibt die Berechnung, dass das Vakuum die Meldung verdünnt, die das
Photon von dem Elektron herüberträgt. Die intuitive Erklärung für die
Verdünnung der elektromagnetischen Wechselwirkung lautet, dass ent
gegengesetzte Ladungen sich anziehen und gleiche sich abstoßen und
dass daher virtuelle Positronen im Durchschnitt näher an einem Elektron
266
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G
zu finden sind als virtuelle Elektronen. Die Ladungen der virtuellen Teil
chen schwächen daher die Wirkung der elektrischen Kraft des ursprüng
lichen Elektrons ab. Quantenmechanische Effekte schirmen die elektri
sche Ladung ab. Diese Abschirmung bedeutet, dass die Stärke der Wech
selwirkung zwischen einem Photon und einem Elektron mit der Entfer
nung abnimmt.
Über große Entfernungen scheint die tatsächliche elektrische Wechsel
wirkung kleiner zu sein als die klassische elektrische Wechselwirkung
über kurze Distanzen, weil ein Photon, das eine Kraft über kurze Entfer
nungen vermittelt, häufiger einen Pfad nimmt, an dem keine virtuellen
Teilchen beteiligt sind. Ein nur eine kurze Entfernung zurücklegendes
Photon muss nicht durch eine große, es schwächende Wolke von virtu
ellen Teilchen hindurch wie das Photon, das eine Kraft weit weg vermit
telt, es stets muss.
Nicht bloß das Photon, sondern alle eine Wechselwirkung übertragen
den Eichbosonen interagieren auf dem Weg zu ihrem Bestimmungsort
mit virtuellen Teilchen. Paare von virtuellen Teilchen - das Teilchen und
sein Antiteilchen - bilden sich spontan aus dem Vakuum und werden
von ihm wieder a bsorbiert, was die Nettostärke einer Wechselwirkung
beeinträchtigt. Diese virtuellen Teilchen fangen vorübergehend das die
Kraft übermittelnde Eichboson ab und verändern seine Wechselwir
kungsstärke. Berechnungen zeigen, dass die Stärke der schwachen Wech
selwirkung wie die des Elektromagnetismus mit der Entfernung ab
nimmt.
Nicht immer j edoch ziehen virtuelle Teilchen bei Wechselwirkungen
die Bremsen an. Überraschenderweise können sie sie manchmal auch vo
ranbringen. Anfang der siebziger Jahre stellten David Politzer, damals
Harvard-Doktorand von Sidney Coleman (der ihm das Problem vorge
schlagen hatte ) , und unabhängig davon David Gross und sein damaliger
Student Frank Wilczek, beide in Princeton, sowie Gerard 't Hooft in den
Niederlanden Berechnungen an, die zeigten, dass die starke Wechselwir
kung sich der elektrischen genau entgegengesetzt verhält. Statt die starke
Kraft über große Entfernungen abzuschirmen und dadurch zu schwä
chen, verstärken virtuelle Teilchen tatsächlich die Interaktionen der
Gluonen (der Teilchen, die die starke Wechselwirkung vermitteln) - und
zwar so sehr, dass über große Entfernungen die starke Kraft tatsächlich
ihren Namen verdient. Gross, Politzer und Wilczek bekamen wegen
ihrer entscheidenden Einsichten in die starke Wechselwirkung 2004 den
Nobelpreis für Physik.
267
VERBORGENE UNIVERSEN
Den Kern dieses Phänomens stellen die Gluonen selbst dar. Ein großer
Unterschied zwischen Gluonen und Photonen besteht darin, dass Gluo
nen miteinander wechselwirken. Ein Gluon kann in einen Interaktions
raum eintreten und sich in ein Paar virtueller Gluonen verwandeln, die
dann die Stärke der Wechselwirkung beeinflussen. Wie alle virtuellen
Teilchen existieren diese virtuellen Gluonen nur vorübergehend. Aber
ihre Effekte summieren sich mit zunehmender Entfernung, bis die starke
Wechselwirkung wirklich außerordentlich stark ist. Und eine Berech
nung ergibt, dass virtuelle Gluonen die starke Wechselwirkung bei gro
ßen Teilchenabständen drastisch steigern. Die starke Kraft ist viel stär
ker, wenn die Teilchen ein gutes Stück voneinander entfernt statt dicht
beisammen sind.
Im Vergleich zur Abschirmung der elektrischen Ladung läuft diese
Steigerung der starken Wechselwirkung mit der Entfernung sehr dem
Alltagsverstand zuwider. Wie kann es sein, dass eine Kraft stärker wird,
wenn die Teilchen weiter auseinander liegen ? Die meisten Wechselwir
kungen lassen mit der Entfernung nach. Um das zu zeigen, müssten wir
wirklich zu rechnen anfangen, aber es gibt in der Welt um uns herum
Beispiele für solch ein Verhalten.
Wenn etwa j emand eine Meldung durch eine Bürokratie schickt, deren
Bedeutung man auf der mittleren Ebene nicht begreift, dann bläst der
Bürokrat auf der mittleren Ebene vielleicht das, was ursprünglich ein ge
wöhnliches Memo war, zu einer Weisung von höchster Dringlichkeit
auf. Nachdem der Mitarbeiter auf der mittleren Ebene die Meldung mo
difiziert hat, zeigt sie eine viel größere Wirkung, als wenn der ursprüng
liche Verfasser sie direkt übermittelt hätte.
Der Troianische Krieg ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Langstre
ckenkräfte wirkungsmächtiger sind als die über kurze Entfernungen.
Nach der Ilias kam es zum Krieg um Troia, weil der troianische Königs
sohn Paris mit Helena durchbrannte, der Frau des Königs Menelaos von
Sparta. Hätten Menelaos und Paris Mann gegen Mann um Helena ge
kämpft, ehe Paris und Helena nach Troia flohen, wäre der Troianische
Krieg zu Ende gewesen, ehe er epische Dimensionen hätte annehmen
können. Als Menelaos und Paris erst einmal weit voneinander entfernt
waren, interagierten sie mit vielen anderen und schufen die starken
Kräfte, die an den sehr mächtigen Interaktionen zwischen Griechen und
Troianern teilhatten.
Es mag zwar überraschen, aber die Zunahme der starken Kraft mit der
Entfernung reicht aus, um alle spezifischen Merkmale der starken Wech-
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S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G
selwirkung zu erklären. Sie macht deutlich, warum die starke Kraft leis
tungsfähig genug ist, um Quarks fest miteinander zu Protonen und Neu
tronen zu verbinden und Quarks im Inneren von Jets gefangen zu halten
- die starke Kraft wächst über große Entfernungen bis zu dem Punkt, an
dem ein Teilchen, das der starken Wechselwirkung unterliegt, nicht zu
weit von anderen stark interagierenden Teilchen entfernt werden kann.
Stark wechselwirkende fundamentale Teilchen wie etwa Quarks findet
man nie isoliert.
Ein Quark und ein Antiquark mit genügend Abstand dazwischen
speichern eine enorme Menge Energie ; sie ist so groß, dass es energieef
fizienter ist, dazwischen zusätzlich physische Quarks und Antiquarks zu
erzeugen, als die beiden isoliert zu lassen. Wenn man versuchen wollte,
das Quark und das Antiquark weiter auseinander zu trei ben, würden
neue Quarks und Antiquarks aus dem Vakuum entstehen. Wie im Stra
ßenverkehr von Boston, wo man niemals mehr als eine Wagenlänge hin
ter dem Auto vor sich fahren kann, ohne dass sich aus der Parallelspur
ein anderes Auto dazwischendrängt, würden sich diese neuen Quarks
und Antiquarks immer in der Nähe der ursprünglichen herumtrei ben,
sodass kein einziges Quark oder Antiquark isolierter wäre als zu Beginn
des Prozesses - irgendein anderes Quark oder Antiquark ist immer in
der Nähe.
Weil die starke Kraft über große Entfernungen so mächtig ist, dass sie es
nicht zulässt, dass stark wechselwirkende Teilchen voneinander isoliert
werden, sind mit der starken Kraft geladene Teilchen immer von anderen
geladenen Teilchen umgeben, und ihre Kombinationen sind hinsichtlich
der starken Kraft neutral . Die Folge davon ist, dass wir nie einzelne
Quarks sehen. Wir sehen nur stark gebundene Hadronen und Jets.
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VERBORGENE U N I VERSEN
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* Erinnern Sie sich daran, dass nach der Unschärferelation die Unschärfe der Entfer
nung umgekehrt proportional zur Unschärfe des Impulses ist.
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VERBORGENE UN IVERSEN
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273
VERBORGENE UNIVERSEN
man oberhalb der schwachen Skala keine neuen Teilchen außer denen
mit GVT-Massenskala mehr finden würde. '· Die genannten anderen Mo
delle zeigen, dass es auch dann zu einer Vereinheitlichung kommen kann,
wenn es viele neue Teilchen gibt, die nur bei Energien oberhalb der
schwachen Skala produziert werden können.
So faszinierend eine Vereinheitlichung der Wechselwirkungen auch
wäre, gegenwärtig sind die Physiker gespalten, was deren theoretischen
Wert angeht, j e nachdem, ob sie in der Physik einen Ansatz von oben
nach unten oder einen von unten nach oben bevorzugen. Die Idee einer
Großen Vereinheitlichten Theorie verkörpert einen Ansatz von oben
nach unten. Georgi und Glashow nahmen mutig an, dass es keine Teil
chen mit Massen zwischen 1000 und 1 000 Billionen GeV geben würde,
und bauten auf dieser hypothetischen Grundlage eine Theorie auf. Die
Große Vereinheitlichung war in der Teilchenphysik der erste Schritt in
einer Debatte, die heutzutage mit der Stringtheorie fortgesetzt wird.
Beide Theorien extrapolieren physikalische Gesetze aus gemessenen
Energien auf Energien, die mindestens zehn Billionen Mal höher liegen.
Georgi und Glashow wurden später skeptisch, was den Ansatz von oben
nach unten angeht, den die Stringtheorie und die Suche nach der Großen
Vereinheitlichung darstellen. Sie haben mittlerweile andere Wege einge
schlagen und konzentrieren sich j etzt auf die Physik bei niedrigerer Ener
gie.
Vereinheitlichte Theorien sind zwar ziemlich reizvoll, ich bin aber
nicht sicher, ob ihre Erforschung zu korrekten Einsichten in der Natur
führen wird . Die Energielücke zwischen dem, was wir wissen, und dem,
was wir extrapolieren, ist riesig, und man kann sich vielerlei vorstellen,
was dazwischen passieren kann. In jedem Fall wird es, bis ein Protonen
zerfall ( oder eine andere Vorhersage ) beobachtet wird - wenn überhaupt
j e -, unmöglich sein, mit Sicherheit zu bestimmen, ob sich Kräfte wirk
lich bei hoher Energie vereinheitlichen. Bis dahin verbleibt diese Theorie
im Reich großartiger, aber theoretischer Spekulation .
Zur Erinnerung:
274
S KA L I E R U N G U N D G RO S S E V E R E I N H E I T L I C H U N G
275
12
Das Hierarchieproblem:
Die einzige effektive Durchsicker-Theorie
276
D A S H I E R A RC H I E P R O B L E M
Bis hierhin haben Sie hoffentlich schon eine Menge über Teilchenphysik
und einige schöne Theorieelemente gelernt, mit denen Physiker das Stan
dardmodell bauen. Dieses erklärt außergewöhnlich gut viele verschie
dene experimentelle Resultate. Doch steht es auf einer prekär unstabilen
Grundlage, die ein großes und wichtiges Rätsel darstellt, und dessen Lö
sung wird fast mit Sicherheit zu neuen Einsichten in die der Materie zu
grunde liegenden Strukturen führen. In diesem Kapitel wollen wir dieses
Rätsel ergründen, das Teilchenphysiker als Hierarchieproblem kennen.
Das Problem besteht nicht darin, dass die Vorhersagen des Standard
modells nicht mit experimentellen Ergebnissen übereinstimmten. Die
mit der elektromagnetischen, der schwachen und der starken Wechsel
wirkung zusammenhängenden Massen und Ladungen sind mit unglaub
licher Genauigkeit überprüft worden. Experimente mit Teilchenbe
schleunigern am CERN, SLAC und Fermilab haben ausnahmslos mit ein
zigartiger Präzision die Vorhersagen des Standardmodells für Wechsel
wirkungen und Zerfallsraten der bekannten Teilchen bestätigt. Und die
Stärke der Wechselwirkungen im Standardmodell stellt auch kein son
derliches Rätsel dar. In welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ist de
facto zu erahnen und liegt der Idee einer Großen Vereinheitlichten Theo
rie zugrunde. Darüber hinaus erklärt der Higgs-Mechanismus perfekt,
wie das Vakuum die elektroschwache Symmetrie bricht und den W- be-
277
VERBORGENE UN IVERSEN
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D A S H I E R A RC H I E P RO B LE M
den, was die Rolle des Higgs-Felds spielt und die elektroschwache Sym
metrie bricht, wird einiges an neuer Physik enthüllen und zum Ergiebigs
ten zählen, was wir wahrscheinlich in meinem Leben zu fassen bekom
men. Bei einer Energie von rund einem TeV werden fast mit Sicherheit
neuartige physikalische Phänomene auftreten. Experimente zur Über
prüfung von konkurrierenden Hypothesen stehen vor der Tür, und bin
nen eines Jahrzehnts müsste es eine dramatische Revision unseres Ver
ständnisses von den fundamentalen physikalischen Gesetzen geben, die
auch das einschließen wird, was immer da seiner Entdeckung harrt.
Das Hierarchieproblem sagt uns, dass wir uns um mindestens ein drin
gendes niederenergetisches Problem kümmern müssen, ehe wir die Phy
sik auf extrem hohe Energien extrapolieren können. In den letzten gut 30
Jahren haben Teilchentheoretiker nach der Struktur gesucht, die die
schwache Energieskala vorhersagt und schützt, die relativ niedrige Ener
gie, bei der die elektroschwache Symmetrie bricht. Ich und andere glau
ben, dass es für das Hierarchieproblem eine Lösung geben muss und dass
diese einen der wichtigsten Hinweise liefern wird, was j enseits des Stan
dardmodells liegt. Um zu verstehen, was zu den von mir in Kürze prä
sentierten Theorien motivierte, ist es nützlich, ein bisschen über dieses
sehr wichtige Problem zu wissen. Die Suche nach der Lösung hat uns be
reits dazu gebracht, neue physikalische Konzepte zu untersuchen wie
etwa die, die ich in späteren Kapiteln vorstellen werde, und die Lösung
wird fast mit Sicherheit unsere heutigen Überzeugungen revidieren.
Bevor wir uns die allgemeinste Version des Hierarchieproblems anse
hen, werden wir zunächst das Hierarchieproblem im Kontext einer Gro
ßen Vereinheitlichten Theorie betrachten, wo es erstmals identifiziert
wurde und ein bisschen einfacher zu verstehen ist. Dann kümmern wir
uns um das Problem im größeren ( und umfassenderen ) Kontext und
werden sehen, warum es sich letztlich auf die Schwäche der Gravitation
im Vergleich zu allen anderen Kräften reduzieren lässt.
Stellen Sie sich vor, dass Sie einen sehr groß gewachsenen Freund besu
chen und feststellen, dass er zwar 192 Zentimeter misst, sein zweieiiger
Zwillingsbruder aber nur 147 Zentimeter. Das wäre sehr überraschend.
Man sollte meinen, dass die beiden Zwillinge, die j a eine vergleichbare
genetische Ausstattung haben, ähnlich groß wä ren. Jetzt stellen Sie sich
279
VERBORGENE UN IVERSEN
etwas noch Bizarreres vor : Sie betreten das Haus Ihres Freundes und
stellen fest, dass sein Bruder zehnmal kleiner oder größer ist. Das wäre
wirklich äußerst merkwürdig.
Wir glauben nicht, dass alle Teilchen dieselben Eigenschaften haben.
Aber solange kein guter Grund dagegen spricht, gehen wir davon aus,
dass Teilchen, die ähnlichen Wechselwirkungen unterliegen, sich auch ir
gendwie ähnlich sind. Wir erwarten beispielsweise, dass sie vergleich
bare Massen haben. Genau wie man mit gutem Grund innerhalb einer
Familie ähnliche Körpergrößen vermuten kann, haben Teilchenphysiker
triftige wissenschaftliche Gründe, bei Teilchen im Rahmen einer Theorie
wie etwa der Großen Vereinheitlichten Theorie ähnliche Massen zu er
warten. Aber in einer GVT sind sich die Massen überhaupt nicht ähn
lich : Selbst die Teilchen, die ähnlichen Kräften unterliegen, müssen
enorm unterschiedliche Massen haben. Und es geht dabei nicht nur um
einen Faktor zehn : Die Diskrepanz zwischen den Massen entspricht eher
einem Faktor von zehn Billionen.
Das Problem mit einer Großen Vereinheitlichten Theorie ist, dass das
Higgs-Teilchen, das die elektroschwache Symmetrie bricht, » leicht << sein
muss - ungefähr der schwachen Massenskala entspricht -, die GVT aber
dem Higgs-Teilchen als Partner ein anderes Teilchen zuweist, das mit der
starken Kraft wechselwirkt. Und dieses neue Teilchen der GVT muss ex
trem schwer sein - eine Masse von in etwa der GVT-Massenskala haben.
Anders ausgedrückt : Zwei Teilchen, die vermutlich über eine Symmetrie
( die Symmetrie der GVT-Kraft) miteinander verwandt sind, müssen
enorm unterschiedliche Massen haben.
Die zwei verschiedenen, aber verwandten Teilchen müssen in einer
GVT zusammen auftreten, weil die schwache und die starke Wechselwir
kung bei hoher Energie gegeneinander austauschbar sein müssten. Das
ist die ganze Überlegung hinter einer vereinheitlichten Theorie - alle
Kräfte sollen letztlich ein und dieselbe sein. Wenn also die starke und die
schwache Wechselwirkung vereinheitlicht werden, muss jedes Teilchen,
das der schwachen unterliegt - auch das Higgs-Teilchen -, als Partner ein
anderes Teilchen haben, das der starken Kraft unterliegt und Wechsel
wirkungen hat, die denen des ursprünglichen Higgs-Teilchens ähnlich
sind. Jedoch gibt es mit dem neuen, dem Higgs zugeordneten Teilchen,
das der starken Wechselwirkung unterliegt, ein großes Problem.
Der stark geladene Partner des Higgs-Teilchens kann simultan mit
einem Quark und einem Lepton wechselwirken und daher einen Proto
nenzerfall ermöglichen - sogar noch schneller, als eine GVT anderweitig
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Higgs
GVT-Teilchen
Higgs
Ü
GVT-Teilchen
..------...
�
Higgs Higgs
-- --
- - - -
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VERBORGENE U N I VERSEN
Jen schweren Teilchen dem einen Weg ohne sie hinzuaddieren. Das Pro
blem ist, dass die Wege, die virtuelle schwere Teilchen enthalten, Beiträge
zur Masse des Higgs-Teilchens liefern, die ungefähr genauso groß sind
wie die Massen der schweren Teilchen in einer GVT - dreizehn Größen
ordnungen mehr als die erwünschte Masse. All diese enormen quanten
mechanischen Beiträge von virtuellen schweren Teilchen müssen zum
klassischen Wert für die Masse des Higgs-Teilchens hinzugerechnet wer
den, um den physikalischen Wert zu ergeben, der bei einer Messung er
mittelt würde und der rund 250 Ge V betragen sollte, wenn wir die Mas
sen der schwachen Eichbosonen richtig hinbekommen wollen. Das
heißt, auch wenn ein einzelner GVT-Massenbeitrag um dreizehn Grö
ßenordnungen zu groß ist, müsste die Lösung annähernd 250 Ge V sein,
wenn wir all die enormen Beiträge zur Masse zusammenzählen, von de
nen einige positiv, andere hingegen negativ sein können. Selbst wenn ein
einziges virtuelles schweres Teilchen mit dem Higgs-Teilchen wechsel
wirkt, gibt es unausweichlich ein Problem.
Wenn wir uns wie im vorangegangenen Kapitel virtuelle Teilchen als
Mitarbeiter einer Bürokratie vorstellen, ist das so, als würden die Ange
stellten der OS-amerikanischen Einwanderungs- und Einbürgerungsbe
hörde, deren Job es ist, Briefe von bestimmten suspekten Individuen zu
verzögern, stattdessen sämtliche durchlaufenden Briefe eingehend über
prüfen. Statt eines zweigleisigen Systems, bei dem einige Briefe schnell
durchgeleitet und andere verzögert werden, würden alle Briefe gleich be
handelt. Ähnlich erfordert der Higgs-Mechanismus, dass die >> Bürokra
tie << virtueller Teilchen einige Teilchen schwer, aber andere einschließlich
des Higgs-Teilchens leicht lassen sollte. Stattdessen aber liefern Quanten
wege mit virtuellen Teilchen - wie die übereifrigen Beamten - zu allen
Teilchenmassen vergleichbare Beiträge. Wir müssten also erwarten, dass
alle Teilchen einschließlich des Higgs-Teilchens so schwer sind wie die
GVT-Massenskala.
Ohne eine neuartige Physik besteht die einzige ( und sehr unbefriedi
gende) Möglichkeit zur Umgehung des Problems der übergroßen Masse
des Higgs-Teilchens in der Annahme, dass seine klassische Masse genau
den Wert annimmt ( der negativ sein könnte ) , welcher den großen Quan
tenbeitrag zu seiner Masse wettmacht. Die theoretischen Parameter, die
die Massen bestimmen, müssten derart sein, dass alle Beiträge sich zu
einer sehr kleinen Zahl addieren, auch wenn jeder einzelne Beitrag sehr
groß ist. Das ist die Feinabstimmung, die ich im vorherigen Abschnitt er
wähnt habe.
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Ü Top-Quark
�
�
Higgs iggs
- -
- - - -
Antitop-Quark
A b bildung 62 : Ein Beitrag zur Masse des Higgs-Teilchens von einem virtuel
len Top-Quark und einem virtuellen A ntitop-Quark. Das Higgs-Teilchen
kann zu einem virtuellen Top-Quark und einem virtuellen Antitop-Quark
werden, und das leistet einen enormen Beitrag zur Masse des Higgs-Teil
chens.
* Denken Sie daran, dass die Massen virtueller Teilchen nicht dieselben sind wie die
Massen tatsächlicher, physikalischer Teilchen.
289
VERBORGENE UNIVERSEN
muss extrem groß sein - und möglicherweise negativ -, damit er die gro
ßen Quantenbeiträge genau wettmachen kann. Sämtliche Massenbei
träge müssen sich schließlich zu 250 GeV addieren.
Damit das passiert - wie in der weiter oben behandelten Großen Ver
einheitlichten Theorie -, muss die Masse ein feinabgestimmter Parame
ter sein. Dieser Parameter muss enorm groß sein, aber man muss ihn
auch erstaunlich exakt hinbekommen, und diese Trickserei ist eigens da
für gemacht, dem Higgs-Teilchen eine kleine Nettomasse zu geben . Ent
weder die Quantenbeiträge von virtuellen Teilchen oder die klassischen
Beiträge müssen negativ sein und fast die gleiche Größenordnung wie die
jeweils anderen haben. Die positiven und negativen Werte, beide um
sechzehn Größenordnungen zu hoch, müssen sich zu einem viel kleine
ren addieren. Die erforderliche Feinabstimmung, die auf sechzehn Stel
len genau sein muss, ist extremer als die Feinabstimmung, mit der Ihr
Bleistift auf der Spitze stehen bleiben könnte. Das ist ungefähr so wahr
scheinlich wie das Würfelspiel gegen Ike zu gewinnen.
Teilchenphysiker hätten lieber ein Modell, das ohne die Feinabstim
mung funktioniert, die das Standardmodell braucht, um ein leichtes
Higgs-Teilchen zu gewährleisten. Wir stimmen zwar in einem Verzweif
lungsakt fein ab, aber wir hassen es. Die Feinabstimmung ist fast mit Si
cherheit ein Schandfleck, der unser Nichtwissen widerspiegelt. Manch
mal passieren unwahrscheinliche Dinge, aber kaum, wenn man das will.
Das Hierarchieproblem ist dasjenige Rätsel, das das Standardmodell
am dringlichsten lösen muss. Positiv ist daran nur, dass das Hierarchie
problem einen Hinweis liefert, was die Rolle des Higgs-Teilchens spielt
und die elektroschwache Symmetrie bricht.
Jede Theorie, die diejenige mit den zwei Higgs-Feldern ersetzt, muss
auf natürliche Weise eine niedrige elektroschwache Massenskala unter
bringen oder vorhersagen - sonst lohnt sich das Nachdenken darüber
gar nicht. Viele zugrunde liegende Theorien stimmen mit den physikali
schen Phänomenen überein, die wir sehen, aber nur wenige von ihnen
gehen das Hierarchieproblem an und beinhalten ein leichtes Higgs-Teil
chen auf eine Art und Weise, die das Feinabstimmen überflüssig macht.
Die Vereinheitlichung der Kräfte ist eine faszinierende, wenn auch po
tenziell heikle theoretische Verlockung seitens der Hochenergiephysik,
die Aufgabe aber, das Hierarchieproblem zu lösen, ist eine konkrete
Notwendigkeit, die zu Fortschritten bei relativ niedrigen Energien
drängt. Das Aufregende an dieser Herausforderung ist, dass alles, was
das Hierarchieproblem löst, experimentelle Konsequenzen zeigen
290
D A S H I E R A RC H I E P RO B LE M
müsste, die mit dem Large Hadron Collider messbar sein dürften, mit
dessen Hilfe die Experimentatoren Teilchen mit Massen von rund 250
bis 1000 Ge V zu finden erwarten. Ohne solche zusätzlichen Teilchen gibt
es keine Möglichkeit, das Problem zu überwinden. Wir werden bald se
hen, dass es sich bei den experimentellen Konsequenzen einer Lösung
des Hierarchieproblems um supersymmetrische Partner oder um Teil
chen, die sich in zusätzlichen Dimensionen bewegen und die wir später
diskutieren wollen, handeln könnte.
Zur Erinnerung:
291
VERBORGENE U N I VERSEN
Energie Länge
-Planck-Länge - 1 0- 33 cm
1 0 1 8 Ge V
1 0- 30 cm
"
1 0 1 5 Ge V "
'"'
"
"' w - n cm
"
1 2 Ge V "E
10 0
"
" 1 0- 24 cm
"'
9 '0
J 0 Ge V
0
'-0
w- 2 1 cm
1 06 Ge V
w- 1 8 cm
1 0 3 Ge V schwache
(Te V) Energieskala
1 0- 1 5 cm
Ge V - Protonenmasse --
1 0- 1 2 cm
w - 3 Ge V - Elektronenmasse--.
(Me V )
w - 9 cm
1 0- 6 Ge V
(ke V )
A b bildung 63 : Das Hierarchieproblem ist die Frage, warum die Planck -Em
gieskala so viel größer als die schwache Energieskala ist.
292
13
Supersymmetrie:
Ein großer Schritt über das
Standardmodell hinaus
Als Ikarus im Himmel angekommen war, brachte man ihn zu einem Ori
entierungsseminar, bei dem die Verwaltung die Hausordnung erklärte.
Zu seiner Überraschung erfuhr er, dass die religiösen Gruppierungen
vom rechten Flügel im Grunde Recht hatten : Die Familienwerte waren
tatsächlich ein Eckpfeiler seiner neuen Umgebung. Die Verwaltung hatte
vor langer Zeit eine traditionelle Familienstruktur eingeführt, die auf der
Trennung der Generationen und der Stabilität von Ehen aufbaute; ein
Top-Typ heiratete immer ein Mädchen von ganz unten (eine so genannte
» Bottom «), ein Charmeur tat sich stets mit einer zusammen, die etwas
strange war, und ein Mädchen aus Uptown ehelichte immer einen coolen
Typen aus Downtown. Alle, auch Ike, waren mit diesem Arrangement
zufrieden.
Später erfuhr Ike jedoch, dass die himmlische Sozialstruktur nicht im
mer so stabil gewesen war. Ursprünglich hatten gefährliche energische In
filtratoren den hierarchischen Aufbau der Gesellschaft bedroht. Im Him
mel lassen sich jedoch die meisten Probleme lösen. Gott hatte jedem
einen persönlichen Schutzengel geschick t, und die Engel und die ihnen
Aufgeladenen hatten gemeinsam in einem heroischen Kampf die Bedro
hung der Hierarchie abgewendet und die wohlgeordnete Gesellschaft
aufrechterhalten, deren Ike sich jetzt erfreuen konnte.
Doch trotzdem war es im Himmel nicht völlig sicher. Die Engel erwie
sen sich als frei und unabhängig, kein Vertrag band sie an eine bestimmte
293
VERBORGENE UN IVERSEN
Die Vorsilben >> Super<< und >> Supra << kommen in der physikalischen Ter
minologie häufig vor. Wir kennen die Supraleitung, die Suprafluidität,
die Supernova, die Superposition, den Supraleitenden Supereallider
( SSC) - der heute der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger wäre,
wenn der US-Kongress ihn nicht 1993 gestrichen hätte -, und die Liste
ließe sich noch lange fortsetzen. Man kann sich also die Entzückung vor
stellen, als Physiker herausfanden, dass es von der Raumzeit-Symmetrie
selbst eine umfassendere >> Superversion << gibt.
Die Entdeckung der Supersymmetrie war eine echte Überraschung. Als
erstmals supersymmetrische Theorien entwickelt wurden, dachten Phy
siker, sie würden alle Symmetrien von Raum und Zeit kennen. Raum
zeit-Symmetrien sind, wie wir in Kapitel 9 gesehen haben, die uns eher
vertrauten Symmetrien, die erklären, warum man allein anhand physika
lischer Gesetze nicht sagen kann, wo man ist oder in welche Richtung
man blickt oder in welcher Zeit man ist. Die Flugbahn eines Basketballs
beispielsweise hängt nicht davon ab, auf welcher Seite des Spielfelds man
steht oder ob man in Kalifornien oder New York spielt.
Im Jahr 1905 wurde mit der Relativitätstheorie die Liste der Raumzeit
Symmetrietransformationen länger und schloss auch die ein, die Ge
schwindigkeit und Richtung der Bewegung ändern. Damit aber, dachten
die Physiker, sei die Liste vollständig. Niemand glaubte, dass es weitere,
unentdeckte Symmetrien geben könnte, die Raum und Zeit betreffen.
Zwei Physiker, Jeffrey Mandula und Sidney Coleman, zementierten
diese Ansicht, als sie 1 96 7 bewiesen, dass es keine weiteren solchen Sym
metrien geben konnte. Jedoch hatten sie (wie alle anderen) eine Möglich
keit übersehen, die auf unkonventionellen Annahmen beruhte.
Dieses Kapitel stellt die Supersymmetrie vor, eine merkwürdige neuar
tige Symmetrietransformation, die Bosonen und Fermionen miteinander
vertauscht. Mittlerweile können Physiker Theorien konstruieren, die die
Supersymmetrie berücksichtigen. Als Bestandteil der Natur ist sie aller
dings noch immer eine Hypothese, da noch niemand in der Welt um uns
herum eine Supersymmetrie entdeckt hat. Dennoch kennen Physiker
zwei wichtige Gründe, warum es sie in der realen Welt geben könnte :
294
S U P E R S YM M E T R I E
In der Welt der Supersymmetrie ist j edes bekannte Teilchen mit einem an
deren gepaart - mit seinem supersymmetrischen Partner, den man auch
Superpartner nennt -, gegen den er durch eine Supersymmetrietransfor
mation ausgetauscht wird . Eine Supersymmetrietransformation verwan
delt ein Fermion in sein Partnerboson und ein Boson in sein Partnerfer
mion. Wir haben in Kapitel 6 gesehen, dass es sich bei Fermionen und
Bosonen um Teilchentypen handelt, zwischen denen in der quantenme
chanischen Theorie anhand ihres Spins unterschieden wird . Fermionische
Teilchen haben halbzahlige Spins, bosonische ganzzahlige. Ganzzahlige
Spinwerte sind solche Zahlen, die gewöhnliche, im Raum rotierende Ob
j ekte annehmen können, wohingegen hal bzahlige Werte eine merkwür
dige Eigenart der Quantenmechanik sind.
295
VERBORGENE UNIVERSEN
'' Pierre Ramond, Julius Wess, Bruno Zumino, Sergio Ferrara und andere in Europa
sowie unabhängig davon Y. A. Gol'fand, E. P. Likhtman, D. V. Volkov und V. P. Aku
lov in der Sowjetunion.
296
S U P E R S YM M E T R I E
Supergeschichte
Diesen Abschnitt können Sie überspringen, wenn Sie wollen. Er ist ein
historischer Exkurs, der keine neuen Begriffe vorstellt, die später wichtig
sein könnten. Aber die Entwicklung der Supersymmetrie ist eine interes
sante Geschichte, zum Teil weil sie schön zeigt, wie vielseitig gute Ideen
297
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
298
S U P E R S YM M E T R I E
2 99
VERBORGENE UNIVERSEN
pitel zurückkommen. Für den Moment konzentrieren wir uns auf eine
andere wichtige Eigenheit der Supersymmetrie : ihre Konsequenzen für
die Teilchenphysik und das Hierarchieproblem.
300
S U P E R S YM M E T R I E
Teilchen Superpartner
Lepton S lepton
Beispiel: Elektron Selektron
Quark S quark
Beispiel: Top Stop
Eichboson Gaug ino
Beispiele: Photon Photino
W-Boson Wino
Z-Boson Zino
Gluon Gluino
Graviton Gravitino
Boson, mit dem sie gepaart sind, nur dass am Ende ein » -ino << angehängt
wird. Die fermionischen Partner der Eichteilchen heißen daher Gauginos
( von englisch gauge, » Eich- << ) , die fermionischen Partner von Gluonen
sind die Gluinos, und der fermianisehe Partner des Higgs-Teilchens ist
ein Higgsino. Und wie schon bei den bosonischen Superpartnern, haben
fermianisehe Superpartner dieselben Ladungen, dieselben Wechselwir
kungen und - wenn die Supersymmetrie exakt ist - dieselben Massen wie
die Bosonen, mit denen sie gepaart sind ( siehe Abbildung 64 ) .
S i e finden e s vielleicht bemerkenswert, dass Physiker d i e Möglichkeit
der Supersymmetrie so ernst nehmen, wo doch bislang kein einziger Su
perpartner entdeckt wurde. Ich bin manchmal überrascht, wie zuver
sichtlich einige meiner Kollegen in dieser Hinsicht sind. Aber auch wenn
Supersymmetrie bislang in der Natur noch nicht gefunden worden ist,
gibt es mehrere Gründe, ihre Existenz zu vermuten. Sergio Ferrara, der
als einer der Ersten an Supersymmetrie arbeitete, brachte die Einstellung
vieler Physiker zum Ausdruck, als er mir auf unserer Zugfahrt nach Lon
don erzählte, es wäre schwer zu glauben, dass eine so überraschende und
faszinierende theoretische Konstruktion in der Physik der realen Welt
keine Rolle spielen sollte.
Andere Physiker, die sich weniger von der Schönheit der Symmetrie
beeinflussen lassen, glauben hauptsächlich an die Supersymmetrie, weil
supersymmetrische Erweiterungen des Standardmodells Vorteile böten.
Im Gegensatz zu nicht-supersymmetrischen Theorien schützen sie das
leichte Higgs-Teilchen und die Hierarchie der Massen.
301
VERBORGENE UNIVERSEN
Top-Quark Stop-Squark
.-------...
�• •
O
Higg Higgs Higgs ,.- · • Higgs
•
--
- -
-- _____..
- - -:
• • -----+
· ---
.
· � ·
..._____..,
Antitop-Quark Antistop-Squark
302
S U P E R S YM M E T R I E
303
VERBORGENE U N I VERSEN
Gebrochene Supersymmetrie
Auch wenn die Supersymmetrie potenziell das Problem der großen vir
tuellen Beiträge zur Masse des Higgs-Teilchens löst, gibt es mit ihr, wie
ich sie bislang präsentiert habe, ein ernst zu nehmendes Problem. Die
Welt ist offenkundig nicht supersymmetrisch. Wie könnte sie das. Wenn
es zu den bekannten Teilchen Superpartner mit identischen Massen und
Ladungen gäbe, hätte man sie bereits sehen müssen. Doch bislang hat
noch niemand ein Selektron oder ein Photino entdeckt.
Das heißt nicht, dass wir die Idee einer Supersymmetrie aufgeben
müssen. Es besagt nur, dass die Supersymmetrie, sollte sie in der Natur
vorkommen, nicht eine exakte Symmetrie sein kann. Wie die lokale Sym
metrie, die die elektroschwache Wechselwirkung begleitet, muss die Su
persymmetrie gebrochen sein.
Theoretische Überlegungen ergeben, dass die Supersymmetrie von
Teilchen und ihren Superpartnern, die keine identischen Massen haben,
gebrochen werden kann ; kleine, die Supersymmetrie brechende Effekte
können sie unterscheiden. Die Differenz zwischen der Masse eines Teil
chens und der seines korrespondierenden Superpartners würde von dem
Maß abhängen, in dem die Supersymmetrie gebrochen wird. Wird sie
nur ein bisschen gebrochen, ist die Massendifferenz klein, wird sie heftig
gebrochen, ist der Unterschied groß. De facto ist die Massendifferenz
zwischen Teilchen und ihren Superpartnern eine Möglichkeit zu be
schreiben, wie sehr die Supersymmetrie gebrochen ist.
Bei fast allen Modellen mit gebrochener Supersymmetrie sind die
Massen der Superpartner größer als die der bekannten Teilchen. Das ist
ein Glück, denn dass die Superpartner schwerer sind als ihre Standard
modell-Gegenstücke, ist dafür entscheidend, dass die Supersymmetrie
mit experimentellen Beobachtungen übereinstimmt. Es würde erklären,
warum wir sie noch nicht gesehen haben. Schwerere Teilchen können
nur bei höheren Energien erzeugt werden, und wenn es die Supersymme
trie wirklich gibt, haben unsere Collider vermutlich noch nicht ein aus
reichend hohes Energieniveau erreicht, um sie zu produzieren . Weil bei
Experimenten Energien bis zu ein paar hundert GeV erforscht worden
sind, sagt uns der Umstand, dass man noch keine Superpartner gefunden
hat, dass sie, wenn es sie gibt, Massen haben müssen, die mindestens so
groß sind.
Die spezifische Masse, die ein Superpartner überschreiten muss, um
der Entdeckung zu entgehen, hängt von der Ladung und den Wechsel-
3 04
S U PERSYM METRIE
Gebrochene Supersymmetrie
und die Masse des Higgs-Teilchens
305
VERBORGENE UNIVERSEN
zur Masse des Higgs-Teilchens von einem virtuellen Teilchen und seinem
Superpartner, wenn auch nicht gleich null, so doch niemals eine Größe
erreichen wird, die erheblich über der die Supersymmetrie brechenden
Massendifferenz zwischen Teilchen und Superpartnern liegen wird . Das
sagt uns, dass Massenunterschiede zwischen allen Teilchen und ihren Su
perpartnern ungefähr der schwachen Massenskala entsprechen müssen.
In diesem Fall hätten die Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teil
chens auch in etwa die schwache Massenskala, was ungefähr die richtige
Größe für die Masse des Higgs-Teilchens ist.
Weil die bekannten Teilchen des Standardmodells leicht sind, müsste
die Massendifferenz zwischen einem Superpartner und einem Standard
modell-Teilchen der Masse des Superpartners vergleichbar sein. Wenn
folglich die Supersymmetrie das Hierarchieproblem löst, sollten die Su
perpartner-Massen nicht größer sein als die schwache Skala von rund
250 GeV.
Wenn die Superpartner-Massen ungefähr genauso groß sind wie die
schwache Massenskala, ist der Quantenbeitrag zur Masse des Higgs
Teilchens nicht sehr groß. Im Gegensatz zu der Situation ohne Supersym
metrie, in der die Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens um
sechzehn Größenordnungen zu groß waren, sodass das nicht zu tole
rierende Tricksen erforderlich war, um ein leichtes Higgs-Teilchen zu
behalten, würde eine supersymmetrische Welt mit die Supersymmetrie
brechenden Massen von ein paar hundert GeV keine überaus großen
Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens erzeugen.
Die Bedingung, dass das Higgs-Teilchen und damit die Superpartner
nicht viel schwerer sein dürfen als ein paar hundert Ge V (damit nicht wie
der große Quantenbeiträge zur Masse des Higgs-Teilchens eingeführt
werden müssen), und die Tatsache, dass bei Experimenten bereits nach
Superpartnern mit Massen von rund 200 Ge V gesucht worden ist, sagen
uns, dass supersymmetrische Partner, wenn die Supersymmetrie in der
Natur existiert und das Hierarchieproblem löst, Massen haben müssen,
die einige wenige hundert Ge V betragen. Das ist ziemlich aufregend, weil
experimentelle Nachweise einer Supersymmetrie kurz vor der Entde
ckung stehen und sich binnen kurzer Zeit bei Experimenten mit Teilchen
beschleunigern zeigen könnten. Eine nur kleine Energiesteigerung gegen
über dem vorhandenen Collider, dem Tevatron, müsste ausreichen, um
die Energien zu erreichen, bei denen Superpartner auftauchen müssten .
Der Large Hadron Collider wird diesen Energiebereich erforschen.
Wenn mit dem LHC, der nach Teilchen mit Massen von bis zu ein paar
306
S U P E R SYM M E T R I E
307
VERBORGENE U N I VERSEN
0, 1 2
Standardmodell
"
1
Oll
"'
0,08
', stark
"
�
-�
v
1!
u 0,04 schwach
�
elektromagnetisch
0,00
1 04 1 0' 1012
Energie I Ge V
0, 1 2
minimal supersymmetrisches Standardmodell
stark
schwach
elektromagnetisch
10' 1 08 1012
Energie I GeV
A b bildung 6 6 : Das obere Schaubild stellt die Stärken der elek tromagne
tischen, schwachen und starken Wechselwirk ung als Funk tion der Energie im
Standardmodell dar. Die Kurven nähern sich einander, treffen sich aber nicht
in einem einzigen Punkt. Das untere Schaubild stellt die Stärken derselben
drei Kräfte als Funk tion der Energie in der supersymmetrischen Erweiterung
des Standardmodells dar. Die Stärken der drei Wechselwirkungen sind bei
hoher Energie gleich, was darauf hindeutet, dass die drei Kräfte sich tatsäch
lich zu einer einzigen vereinigen k önnten.
308
S U P E R S YM M E T R I E
,,. Das Universum enthält auch Dunkle Energie ( Energie, die nicht von irgendwelcher
Materie getragen wird), die 70 Prozent der Gesamtenergie im Universum ausmacht.
Zwar könnte Supersymmetrie Dunkle Materie erklären, aber weder sie noch irgend
eine andere Theorie erklärt Dunkle Energie.
309
VERBORGENE U N I VERSEN
310
S U PERSYM M E TR I E
311
VERBORGENE U N I VERSEN
312
S U P E R SYM M E T R I E
So kommen wir wieder auf unser Thema zurück : Theorien mit Sym
metrie sind elegant, aber die gebrochene Symmetrie, die die Welt be
schreibt, wie wir sie sehen, müsste genauso elegant sein. Wie und warum
wird die Supersymmetrie gebrochen ? Die theoretische Herausforderung,
die supersymmetrischen Theorien zu verstehen, werden wir erst dann
vollständig bewältigt haben, wenn wir ein überzeugendes Modell des Su
persymmetriebruchs haben.
Das soll nicht heißen, dass die Supersymmetrie notwendigerweise
falsch ist, und noch nicht einmal, dass sie nichts mit dem Hierarchiepro
blem zu tun hat. Es bedeutet j edoch, dass eine weitere Zutat nötig ist,
wenn supersymmetrische Theorien der Welt Erfolg haben sollen. Wir
werden bald sehen, dass es sich bei dieser Zutat um Extradimensionen
handeln könnte.
Zur Erinnerung :
• Auch wenn die Supersymmetrie das Hierarch ieproblem lösen sol lte,
kann sie nicht exakt sein. Wäre sie es, hätten die Superpartner diesel
ben Massen wie die Standardmodell-Teilchen, und wir müssten bereits
experimentelle Beweise für eine Supersymmetrie haben.
313
VERBORGENE U N I VERSEN
• Superpartner müssen, sollte es sie ge ben, massiver sein als ihre Stan
dardmodeli-Partner. Weil Hochenergie-Teilchenbeschleuniger nur
Teilchen bis zu einer bestimmten Masse produzieren können, haben
diese Beschleuniger vielleicht noch nicht genügend Energie, um sie zu
erzeugen. Das würde erklären, warum wir sie noch nicht gesehen ha
ben.
314
IV
317
VERBORGENE U N I VERSEN
gerade noch rechtzeitig, um mit intakten Sinnen in die normale Welt zu
rückzukehren.
Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, befand lke, er müsse schließ
lich doch das Handbuch lesen. Er blätterte zum A bschnitt » Vorsicht«
und las : » Ihr neuer Alicxvr Modell 6.3 funk tioniert nur bei Größen über
J 0 -13 cm. Wir haben noch nicht die neuesten Entwicklungen der String
theorie berücksichtigt, deren Vorhersagen Physiker und Mathematiker
erst letztes Jahr mit der realen Welt in Zusammenhang gebracht haben. "
Ike war sehr enttäuscht, als ihm klar wurde, dass erst das Modell 7. 0
diese neuesten Ergebnisse berücksichtigte. Doch dann machte er sich mit
den jüngsten Entwicklungen der Stringtheorie vertraut, frisierte seinen
Alicxvr und wurde niemals wieder raumkrank.
318
ALLEGRO (MA NON TROPPO): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS
Aufkommende Unruhe
319
VERBORGENE UNIVERSEN
* Denken Sie daran, dass den quantenmechanischen Gleichungen zufolge die Planek
Längenskala zwar winzig, die Planck-Energieskala aber gigantisch ist.
320
ALLEGRO ( MA NON TROPPO): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS
321
VERBORGENE U N I VERSEN
Wir wollen hier nicht näher auf die Gründe eingehen, aber das Graviton
ist das einzige bekannte masselose Teilchen, dessen Spin 2 beträgt - nicht
1 wie bei den anderen Eichbosonen oder Vz wie bei Quarks und Lepto
nen. Dass es Spin 2 hat, ist wichtig, wenn es darum geht, überzeugen de
Beweise für extradimensionale Theorien zu finden. Und wie wir bald se
hen werden, war der Spin des Gravitons auch der Schlüssel, um die po
tenziellen Folgen der Stringtheorie zu erkennen.
Jedoch kann eine quantenfeldtheoretische Beschreibung der Gravita
tion nicht vollständig sein. Keine Quantenfeldtheorie des Gravitons kann
bei allen Energien seine Wechselwirkungen vorhersagen. Wenn ein Gra
viton so energiereich wie die Planck-Energieskala ist, bricht die Quan
tenfeldtheorie zusammen . Theoretische Überlegungen zeigen, dass zu
sätzliche Graviton-Wechselwirkungen, die bei niedrigen Energien keinen
Unterschied machen würden, bei hohen Energien wichtig werden, aber
die Logik der Quantenfeldtheorie reicht nicht aus, um uns zu sagen, um
was es sich bei ihnen handelt oder wie wir sie mit einschließen können.
Wenn wir fälschlicherweise eine Quantenfeldtheorie der Gravitation an
wendeten, dabei die Wechselwirkungen ignorierten, die bei niedrigen
Energien keine Rolle spielen, und Vorhersagen für extrem energiereiche
Gravitonen zu machen versuchten, würden wir schlussfolgern, dass sich
Graviton-Wechselwirkungen mit einer Wahrscheinlichkeit größer als eins
ereignen - was eindeutig unmöglich ist. Bei der Planck-Energieskala oder
der ( nach Quantenmechanik und spezieller Relativitätstheorie) äquiva
lenten Planek-Längenskala - 1 0 -33 cm - bricht die quantenmechanische
Beschreibung des Gravitons offensichtlich zusammen.
Die Planck-Längenskala, die 1 9 Größenordnungen kleiner als ein Pro
ton ist, wäre viel zu winzig, als dass Physiker sich darum kümmern
würden, wenn es nicht um die fundamentalen Fragen ginge, die eine um
fassendere Theorie möglicherweise beantworten kann. Beispielsweise
gehen gegenwärtige kosmologische Theorien von der Vermutung aus,
dass das Universum als ein winziger Ball von der Größe der Planek-Län
genskala seinen Anfang nahm. Aber wir begreifen nicht den >> Knall << des
Urknalls. Wir verstehen viele Aspekte der späteren Entwicklung des
Universums, aber nicht seinen allerersten Anfang. Die physikalischen
Gesetze herzuleiten, die bei Größen unterhalb der Planek-Längenskala
gelten, müsste Licht in die frühesten Phasen der Evolution unseres Uni
versums bringen.
Darüber hinaus bergen Schwarze Löcher noch viele Geheimnisse. Zu
den wichtigen unbeantworteten Fragen zählt, was genau am Horizont
322
ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE F Ü R STRING S
eines Schwarzen Loches passiert - der Grenze zu j enem Reich ohne Wie
derkehr, dem nichts entkommen kann - und was an der Singularität ge
schieht, der Stelle in der Mitte des Schwarzen Lochs, an der die allge
meine Relativitätstheorie nicht länger gilt. Eine weitere unbeantwortete
Frage lautet, wie Informationen über Obj ekte, die in ein Schwarzes Loch
stürzen, gespeichert werden. Im Gegensatz zu der Schwerkraft, die wir
erleben, sind die Gravitationseffekte im Innern eines Schwarzen Loches
so stark wie Effekte von Objekten mit der Planck-Energieskala im ge
wöhnlichen flachen Raum. Wir werden diese Mysterien Schwarzer Lö
cher nie lösen, solange wir nicht das Problem bewältigt haben, eine ein
zige Theorie zu finden, die konsistent sowohl Quantenmechanik als
auch allgemeine Relativitätstheorie einschließt - eine Theorie der Quan
tengravitation bei der Planck-Längenskala, I 0 -33 cm. Schwarze Löcher
bieten Anschauungsmaterial für einige der Fragen, die sich um starke
Gravitationseffekte drehen und die nur von einer Quantentheorie der
Gravitation beantwortet werden können. Die Stringtheorie ist, soweit
bekannt, der beste Kandidat für eine solche Theorie .
String-Training
Wie man sich der Stringtheorie zufolge das fundamentale Wesen der Ma
terie vorzustellen hat, unterscheidet sich erheblich von der Sicht der tra
ditionellen Teilchenphysik. Nach der Stringtheorie liegen aller Materie
letztlich unteilbare Obj ekte namens Strings zugrunde - vi brierende ein
dimensionale Schleifen oder Segmente aus Energie . Diese Strings beste
hen im Gegensatz zu Violinsaiten beispielsweise nicht aus Atomen, die
wiederum aus Elektronen und Nukleonen bestehen, die ihrerseits aus
Quarks gemacht sind. Vielmehr trifft das Gegenteil zu. Strings sind fun
damental, was heißt, dass alles, auch Elektronen und Quarks, aus ihren
Schwingungen besteht. Nach der Stringtheorie besteht das Garn, mit
dem eine Katze spielt, aus Atomen, die letztlich aus den Vibrationen von
Strings aufgebaut sind.
Die radikale Hypothese der Stringtheorie lautet, dass Teilchen aus den
resonanten Oszillationsmoden * von Strings entstehen. Ein jedes Teil
chen entspricht den Vibrationen eines ihm zugrunde liegenden Strings,
323
VERBORGENE UNIVERSEN
0 '
324
ALLEGRO (MA NON TROPPO ) : EINE PASSAGE F Ü R STRINGS
325
VERBORGENE UNIVERSEN
In der Zukunft von Ike XLII. könnte sich die Stringtheorie einer langen
Geschichte rühmen . Aus wissenschaftlichen Gründen werden wir aber
unsere Geschichte auf das 20. und das frühe 2 1 . Jahrhundert beschrän
ken. Wir glauben heute, dass die Stringtheorie Quantenmechanik und
Gravitation miteinander versöhnen könnte. Ursprünglich j edoch war sie
für einen völlig anderen Zweck gedacht. Erstmals tauchte die Theorie
1 9 6 8 als ein Versuch auf, die stark wechselwirkenden Teilchen zu be
schreiben, die wir Hadronen nennen. Diese Theorie hatte keinen Erfolg;
wie wir in Kapitel 7 gesehen haben, wissen wir mittlerweile, dass Hadro
nen aus Quarks bestehen, die von der starken Wechselwirkung zusam
mengehalten werden. Dennoch überlebte die Stringtheorie - nicht als
Theorie der Hadronen, sondern als eine der Gravitation.
Auch wenn sie an der Beschrei bung von Hadronen scheiterte, können
wir etwas über die guten Eigenschaften der Stringtheorie der Gravitation
lernen, indem wir uns ein paar der Probleme ansehen, mit denen die
Stringtheorie der Hadronen konfrontiert war. Bemerkenswerterweise
versprachen gerade die Schwachstellen der hadronischen Stringtheorie
Gutes für eine Stringtheorie der Quantengravitation (oder waren für
diese zumindest keine Hindernisse ) .
D a s erste Problem m i t d e r Originalversion d e r Stringtheorie bestand
darin, dass sie ein Tachyon enthielt. Ursprünglich stellten sich die Kolle
gen Tachyonen als Teilchen vor, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit
bewegen (der Ausdruck geht auf das griechische tachos zurück, was
,, Tempo << bedeutet) . Wir wissen aber heute, dass ein Tachyon auf eine In
stabilität in der Theorie hinweist, die es beinhaltet. Auch wenn Science
Fiction-Fans es bedauern, sind Tachyonen keine realen physikalischen
Teilchen. Wenn eine Theorie ein Tachyon zu enthalten scheint, analysiert
man sie falsch. Ein System mit einem Tachyon kann ( und wird ) sich in
326
ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS
327
VERBORGENE UNIVERSEN
328
A L LEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS
mit der lächerlich hohen Interaktionsrate des Gravitons löst und Gravi
tonwechselwirkungen bei hoher Energie korrekt vorhersagt. Die wei
cheren hochenergetischen Kollisionen von Strings waren ein weiterer
wichtiger Hinweis, dass eine Stringtheorie der Gravitation richtig sein
konnte.
Fassen wir zusammen : Die Superstringtheorie beinhaltet Fermionen,
Ladung tragende Eichbosonen und das Graviton - all die Teilchenty
pen, die uns bekannt sind. Ein Tachyon kommt darin nicht vor. Dar
über hinaus enthält die Superstringtheorie ein Graviton, dessen Quan
tenbeschreibung möglicherweise bei hohen Energien einen Sinn ergibt.
Dem Anschein nach konnte die Stringtheorie potenziell alle bekannten
Kräfte beschreiben. Sie war ein vielversprechender Kandidat für die
rea le Welt.
Die Superstring-Revolution
Die Superstringtheorie war ein extrem mutiger Schritt, auch wenn es da
bei darum ging, ein so weitreichendes Problem wie die Quantengravita
tion zu lösen. Eine Stringtheorie der Gravitation sagt eine unendlich
große Zahl von Teilchen über die uns bekannten hinaus vorher. Des Wei
teren ist eine Stringtheorie mittels Berechnungen extrem schwierig zu
analysieren. Was für ein happiger Preis für die Lösung des Problems mit
der Quantengravitation : eine Theorie mit unendlich vielen neuen Teil
chen und einer potenziell nicht zu bewältigenden mathematischen Be
schreibung. Wer in den siebziger Ja hren an der Stringtheorie arbeitete,
musste entweder sehr entschlossen oder irgendwie verrückt sein. Scherk
und Schwarz zählten zu den ganz wenigen, die diesen riskanten Weg ein
schlugen.
Nach Scherks plötzlichem Tod im Jahr 1 9 8 0 blieb Schwarz der String
theorie verhaftet. Gemeinsam mit einem weiteren ( vielleicht dem einzi
gen ) damaligen Konvertiten, dem britischen Physiker Michael Green, ar
beitete er die Konsequenzen des Superstrings aus. Schwarz und Green
entdeckten eine bizarre Eigenschaft des Superstrings : Er ergi bt nur in
zehn Dimensionen Sinn, neun räumlichen und einer zeitlichen. Bei jeder
anderen Anzahl von Dimensionen führen inakzeptable Vibrationsmo
den des Strings zu offenkundig unsinnigen Vorhersagen, beispielsweise
negativen Wahrscheinlichkeiten für Prozesse mit Stringmoden, die es
nicht geben sollte. In zehn Dimensionen waren alle unerwünschten Mo-
329
VERBORGENE UN IVERSEN
330
ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE FÜR STRINGS
331
VERBORGENE UN IVERSEN
len Superstringtheorie null ist. Das bedeutete, dass es zu den vielen ge
genseitigen Aufhebungen, die in den Berechnungen der Stringtheorie nö
tig waren, tatsächlich kommen konnte und dass darüber hinaus diese
Aufhebungen in zehn Dimensionen stattfanden - der Anzahl von Di
mensionen, die man bereits als Besonderheit der Superstringtheorie er
kannt hatte. Diese Entdeckung war so wunderbar, dass viele Physiker
fanden, solche Verschwörungen könnten kein Zufall sein. Dass Anoma
lien sich gegenseitig auslöschten, war ein gewichtiges Argument zuguns
ren des zehndimensionalen Superstrings.
Darüber hinaus vollendeten Green und Schwarz ihre Arbeit zu einem
günstigen Zeitpunkt. Erfolglos hatten Physiker nach Theorien gesucht,
die das Standardmodell so erweitern konnten, dass es Supersymmetrie
und Gravitation einschloss, und sie waren bereit, etwas Neues auszu
probieren. Sie konnten nicht länger Greens und Schwarz' Entdeckung
einer supersymmetrischen Theorie ignorieren, die das Potenzial hatte,
alle Teilchen und Kräfte des Standardmodells zu reproduzieren. Auch
wenn die zusätzliche Struktur der Stringtheorie lästig war, hatte der Su
perstring Erfolg, wo andere, vielleicht ökonomischere Theorien versag
ten .
Zwei weitere bedeutende Entwicklungen stellten bald darauf sicher,
dass die Stringtheorie in den Kanon der Physik aufgenommen wurde.
Die eine resultierte aus der Zusammenarbeit von David Grass, Jeff Har
vey, Emil Martinec und Ryan Rohm in Princeton, die 1985 eine Theorie
ableiteten, die sie den helerotischen String nannten. Die Bezeichnung lei
tet sich von dem Begriff >> Heterosis « her, der in der Biologie bedeutet,
dass hybride Organismen teils Eigen schaften haben, die denen der El
terngeneration überlegen sind ( >> Bastardvitalitä t « ). In der Stringtheorie
kann ein Vibrationsmode sich entweder im Uhrzeigersinn oder entgegen
dem Uhrzeigersinn den String entlang bewegen. Die Bezeichnung >> he
terotisch wurde gewählt, weil sich nach links bewegende Wellen anders
<<
behandelt wurden als sich nach rechts bewegende und folglich die Theo
rie interessantere Wechselwirkungen beinhaltete als die bereits bekann
ten Versionen der Stringtheorie.
Die Entdeckung des heterotischen Strings war eine weitere Bestäti
gung, dass die Wechselwirkungen, die Green und Schwarz als anomalie
frei und in zehn Dimensionen akzeptabel bewiesen hatten, wirklich etwas
Besonderes waren. Sie hatten mehrere Gruppen von Wechselwirkungen
herausgefunden, zu denen auch all j ene gehörten, von denen man bereits
gezeigt hatte, dass sie in einer Stringtheorie möglich waren, aber auch an-
3 32
ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS
dere Gruppen von Kräften, die noch nie zuvor als Teil einer Stringtheorie
( theoretisch ) entdeckt worden waren. Die Wechselwirkungen des hetero
tischen Strings waren genau die neuen, von denen Green und Schwarz
nachgewiesen hatten, dass sie anomaliefrei waren. Mit dem heterotischen
String konnte von dieser zusätzlichen Gruppe von Wechselwirkungen,
die jene des Standardmodells einschließen konnten, nachgewiesen wer
den, dass sie nicht nur eine echte Möglichkeit der Stringtheorie waren,
sondern auch explizit realisiert werden konnten. Die Physiker betrachte
ten den heterotischen String als wirklichen Durchbruch bei dem Versuch,
eine Beziehung zwischen Stringtheorie und Standardmodell herzustel
len.
Dann kam es noch zu einer letzten Entwicklung, die die herausragende
Stellung der Stringtheorie zementierte. Diese Entdeckung hatte mit den
zusätzlichen Dimensionen zu tun, die für den Superstring unverzichtbar
sind. Zu zeigen, dass die Superstringtheorie in sich konsistent ist und die
Wechselwirkungen des Standardmodells einschließt, ist gut und schön,
aber es ist nicht sehr interessant, wenn man dafür mit der falschen An
zahl von Raumdimensionen geschlagen ist. Die Superstringtheorie ver
langt zehn Dimensionen. Die Welt um uns herum scheint aber nur vier zu
umfassen (einschließlich der Zeit) . Irgendetwas muss mit den überflüssi
gen sechs passieren.
Physiker glauben heute, dass die Kompaktifizierung die Antwort
sein könnte - aufgerollte Dimensionen von nicht wahrnehmbarer Win
zigkeit, wie ich sie in Kapitel 2 beschrieben habe. Zunächst j edoch
schien dieses Aufrollen nicht der richtige Weg, mit den zusätzlichen
Dimensionen der Stringtheorie umzugehen. Das Problem war, dass
Theorien mit aufgerollten Dimensionen nicht das wichtige ( und über
raschende ) in Kapitel 7 diskutierte Merkmal der schwachen Wechsel
wirkung reproduzierten : Die schwache Kraft behandelt links- und
rechtshändige Teilchen unterschiedlich. Das ist nicht nur ein techni
sches Detail. Die gesamte Struktur des Standardmodells beruht darauf,
dass nur linkshändige Teilchen der schwachen Wechselwirkung unter
liegen . Anderenfalls würden nur wenige Vorhersagen des Standa rdmo
dells funktionieren.
Auch wenn die zehndimensionale Stringtheorie links- und rechtshän
dige Teilchen unterschiedlich behandeln konnte, hatte es den Anschein,
dass dies nicht länger passieren würde, wenn die sechs Zusatzdimensio
nen aufgerollt waren. Die daraus resultierende vierdimensionale effek
tive Theorie enthielt immer genau zueinander passende Paare von links-
333
VERBORGENE UN IVERSEN
334
ALLEGRO (MA NON TROPPO): EINE PASSAGE F ÜR STRINGS
Wenn die Stringtheoretiker Recht haben und die Welt letztlich aus fun
damentalen, oszillierenden Strings zusammengesetzt ist, muss dann alle
Teilchenphysik aufgegeben werden ? Die Antwort ist ein schallendes
>> Nei n << . Das Ziel der Stringtheorie ist die Versöhnung von Quantenme
chanik und Gravitation bei Entfernungen unterhalb der Planck-Längen
skala, wo, wie wir glauben, eine neue Theorie in Kraft tritt. Daher
müsste in der konventionellen Stringtheorie (im Gegensatz zu den Va
rianten mit extradimensionalen Modellen) ein String ungefähr die
Größe der Planek-Längenskala haben. Das sagt uns, dass in der kon
ventionellen Stringtheorie die Unterschiede zwischen Teilchenphysik
und Stringtheorie erst bei dieser winzigen Planek-Längenskala auftreten
müssten oder, was äquivalent ist, bei der ultrahohen Planck-Energie
skala, wo die Gravitation vermutlich stark ist. Diese Größe ist so winzig
und diese Energie so hoch, dass Strings in keiner Weise die Teilchenbe
schreibung bei experimentell erreichbaren Energien überflüssig machen
würden.
Bei Energien unterhalb der Planck-Energieskala ist eine teilchenphysi
kalische Beschrei bung de facto ziemlich passend. Wenn ein String so
klein ist, dass seine Länge unentdeckbar blei bt, könnte der String ge
nauso gut ein Teilchen sein ; kein Experiment könnte den Unterschied
ausmachen. Teilchen und Strings von Planek-Länge sind ununterscheid
bar. Die eindimensionale Ausdehnung des Strings ist für uns genauso un
sichtbar wie die winzigen, aufgerollten Zusatzdimensionen, die wir wei
ter vorn betrachtet haben. Solange wir keine Instrumente haben, die mit
Größen von 10 -33 cm umgehen können, ist ein solcher String viel zu
klein, um entdeckt zu werden.
Es ergibt Sinn, dass Stringtheorie und Teilchenphysik bei erreichbaren
Energien genauso aussehen. Die Unschärferelation sagt uns, dass man
kleine Distanzen einzig und allein mit Teilchen von hohem Impuls unter
suchen kann, und die sind sehr energiereich. Ohne ausreichende Energie
hat man folglich keine Möglichkeit zu unterscheiden, ob der String lang
und dünn oder punktförmig ist.
Im Prinzip könnten wir Beweise finden, die die Stringtheorie unter
stützen, indem wir nach den vielen neuen Teilchen suchen, die sie vor
hersagt - den Teilchen, die den vielen möglichen Oszillationen des
Strings entsprechen. Das Problem mit dieser Strategie ist nur, dass die
meisten der neuen, von Strings herrührenden Teilchen extrem schwer
335
VERBORGENE U N I VERSEN
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ALLEGRO ( MA NON TROPPO): EINE PASSAGE F Ü R STRINGS
337
VERBORGENE UNIVERSEN
'' D. Gross, J. Harvey, E. Martinec und R. Rahm, Heterotic string theory ( I ) : The free
»
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ALLEGRO (MA NON TROPPO ): EINE PASSAGE FÜR STRINGS
339
VERBORGENE UN IVERSEN
fassen viel mehr leichte Teilchen und Wechselwirkungen, als wir bei
niedrigen Energien beobachten, und es ist nicht klar, wie man die richti
gen herausfindet.
Die Stringtheorie dazu zu bringen, zur realen Welt zu passen, ist ein
ungeheuer kompliziertes Problem. Wir müssen erst noch in Erfahrung
bringen, warum die aus der Stringtheorie abgeleitete Gravitation und die
entsprechenden Teilchen und Wechselwirkungen mit dem übereinstim
men sollten, was wir bereits als auf unsere Welt zutreffend erkannt ha
ben. Aber diese Probleme mit Teilchen, Wechselwirkungen und Dimen
sionen verblassen im Vergleich zu dem eigentlichen Wald, den man we
gen all dieser Bäume nicht sieht : der grotesk hohen Schätzung für die
Energiedichte des Universums.
Auch wenn keine Teilchen vorhanden sind, kann das Universum eine
Energie haben, die man als Vakuumenergie bezeichnet. Nach der allge
meinen Relativitätstheorie hat diese Energie eine physikalische Konse
quenz : Sie weitet den Raum oder lässt ihn schrumpfen. Positive Vaku
umenergie beschleunigt die Expansion des Universums, während negative
Energie es kollabieren lässt. Einstein hatte 1 9 1 7 erstmals eine solche Ener
gie vorgeschlagen, um für seine Gleichungen der allgemeinen Relativi
tätstheorie eine statische Lösung zu finden, bei der die Gravitationseffekte
der Vakuumenergie die der Materie aufheben würden. Obwohl er diese
Idee aus vielerlei Gründen aufgeben musste - zu denen auch die von Ed
win Hubble 1 929 beobachtete Expansion des Universums gehörte -, gibt
es keinen theoretischen Grund, warum solche Vakuumenergie nicht in un
serem Universum vorkommen sollte .
Tatsächlich haben Astronomen in jüngster Zeit d i e Vakuumenergie i n
unserem Kosmos gemessen (die auch als Dunkle Energie oder a l s kosmo
logische Konstante bekannt ist) und sind auf einen kleinen positiven
Wert gekommen . Sie haben beobachtet, dass weit entfernte Supernovae
dunkler sind, als man erwarten sollte, sofern sie nicht von uns weg be
schleunigen. Die Supernovae-Messungen und die detaillierten Beobach
tungen von fossilen, beim Urknall entstandenen Photonen verraten uns,
dass sich die Expansion des Universums beschleunigt, was beweist, dass
die Vakuumenergie einen kleinen positiven Wert hat.
Dieses Ergebnis ist sehr aufregend. Es stellt aber auch ein schwer wie
gendes Rätsel dar. Die Beschleunigung ist sehr klein, was besagt, dass der
Wert der Vakuumenergie, auch wenn er über null liegt, extrem winzig
ist. Das theoretische Problem mit der beobachteten Vakuumenergie be
steht darin, dass sie weit kleiner ist, als alle schätzen würden. Nach den
340
A LLEGRO (MA NON TROPPO ) : EINE PASSAGE FÜR S TRINGS
Schätzungen der Stringtheorie müsste die Energie viel größer sein . Wäre
dem aber so, würde diese Energie nicht bloß zu der kaum messbaren Su
pernovae-Beschleunigung führen. Bei großer Vakuumenergie wäre das
Universum schon vor langer Zeit kollabiert (wenn negativ) oder hätte
sich rasch zu nichts ausgedehnt ( wenn positi v ) .
D i e Stringtheorie muss erst noch erklären, warum d i e Vakuumenergie
des Universums so klein sein kann, wie sie unserer Kenntnis nach ist.
Auch die Teilchenphysik weiß auf diese Frage keine Antwort. Im Gegen
satz zur Stringtheorie a ber maßt sich die Teilchenphysik nicht an, eine
Theorie der Quantengravitation zu sein - sie ist weniger ehrgeizig. Ein
teilchenphysikalisches Modell, das die Energie nicht erklären kann, ist
unbefriedigend, eine Stringtheorie aber, die den falschen Wert für diese
Energie ergi bt, ist erledigt.
Warum die Energiedichte so außerordentlich winzig ist, bleibt ein völ
lig ungelöstes Problem. Einige Physiker glauben, dass es keine gültige Er
klärung gibt. Auch wenn die Stringtheorie eine einzige Theorie mit
einem einzigen Parameter ist - die Spannung der angeschlagenen Saite -,
können die Stringtheoretiker damit nicht die meisten Eigenschaften des
Universums vorhersagen. Physikalische Theorien schließen mehrheitlich
physikalische Prinzipien ein, die zu entscheiden erlauben, welche der vie
len möglichen physikalischen Konfigurationen eine Theorie tatsächlich
vorhersagen würde. Beispielsweise pendeln sich die meisten Systeme auf
die Konfiguration ein, die die niedrigste Energie hat. Aber dieses Krite
rium scheint bei der Stringtheorie nicht zu funktionieren, denn sie macht
den Eindruck, als könne sie zu einer unendlichen Anzahl von unter
schiedlichen Konfigurationen führen, die nicht dieselbe Vakuumenergie
aufweisen - und dann würden wir nicht wissen, welcher von ihnen,
wenn überhaupt, der Vorzug zu geben wäre.
Einige Stringtheoretiker versuchen nicht länger, eine singuläre Theorie
zu finden. Sie suchen nach den möglichen Größen und Formen aufgeroll
ter Dimensionen und nach den verschiedenen Optionen für die Energie,
die ein Universum enthalten könnte, und kommen zu dem Schluss, dass
die Stringtheorie nur eine Landschaft umreißen kann, die die riesige Zahl
möglicher Universen beschreibt, in denen wir leben könnten. Diese
Stringtheoretiker glauben nicht, dass ihre Theorie in einzigartiger Weise
die Vakuumenergie vorhersagt. Sie meinen, dass der Kosmos aus vielen
verschiedenen, unzusammenhängenden Regionen mit unterschiedlichen
Werten für die Vakuumenergie besteht und dass wir in dem Teil des Kos
mos leben, der den richtigen aufweist. Von den vielen möglichen Uni ver-
341
VERBORGENE UN IVERSEN
sen kann nur dasj enige, das die richtige Struktur hervorbringt, uns Hei
mat sein. Diese Physiker denken, dass wir in einem Universum mit einem
solch unglaublich unwahrscheinlichen Wert für die Vakuumenergie le
ben, weil j eder größere Wert die Bildung von Galaxien und Strukturen
im Universum - und damit uns - verhindert hätte.
Diese Überlegung hat einen Namen : anthropisches Prinzip. Das an
thropische Prinzip entfernt sich substanziell vom ursprünglichen Ziel der
Stringtheorie, alle Eigenschaften des Universums vorherzusagen. Es be
sagt, dass wir die kleine Energie nicht erklären müssen. Es gibt unzusam
menhängende Universen mit vielen möglichen Werten für die Vakuum
energie, aber wir leben in einem der wenigen, in denen sich Strukturen
bilden konnten. Der Energiewert ist in diesem Universum lächerlich
klein, und nur Ausnahmeversionen der Stringtheorie würden diesen win
zigen Wert vorhersagen, wir aber können nur in einem Universum mit
dieser klitzekleinen Energie leben. Dieses Prinzip wird vielleicht durch
künftige wissenschaftliche Fortschritte hinterfragt, es könnte aber auch
mittels gründlicherer Nachforschungen bestätigt werden. Unglücklicher
weise jedoch wird es schwierig ( wenn nicht unmöglich) sein, es zu testen.
Eine Welt, in der das anthropische Prinzip die Antwort ist, wäre sicher
lich ein enttäuschendes und nicht sehr befriedigendes Szenario.
Auf jeden Fall sagt die Stringtheorie in ihrem gegenwärtigen Entwick
lungsstadium mit Sicherheit nicht die Eigenschaften der Welt vorher,
auch wenn sie hinsichtlich der zugrunde liegenden Formulierung eine
singuläre Theorie ist. Abermals sind wir mit der Frage konfrontiert, wie
man zwischen einer wunderschön symmetrischen Theorie und den phy
sikalischen Realitäten unseres Universums einen Zusammenhang her
stellen soll. Die einfachste Formulierung der Theorie ist zu symmetrisch :
Zu viele Dimensionen und zu viele Teilchen und Wechselwirkungen, die
unseres Wissens unterschiedlich sein müssen, scheinen gleichrangig zu
sein. Und um die Verbindung zum Standardmodell und zur wirklichen
Welt herzustellen, muss diese gigantische Ordnung gestört werden. Nach
dem Bruch der Symmetrie kann die singuläre Stringtheorie sich in vielen
unterschiedlichen Formen manifestieren, j e nachdem welche Symme
trien gebrochen sind, welche Teilchen schwer werden und welche Di
mensionen sich zeigen.
Es ist, als wä re die Stringtheorie eine wunderschöne Robe, die nicht
ganz passt. In ihrer gegenwärtigen Verfassung können Sie sie auf einen
Bügel hängen und ihre feinen Nähte und ihre komplizierten Webmuster
bewundern - wirklich wunderschön -, aber Sie können sie nicht tragen,
342
ALLEGRO (MA NON TROPPO ) : EINE PASSAGE F Ü R STRINGS
343
VERBORGENE U N I VERSEN
Zur Erinnerung:
• Das Graviton ist das Teilchen, das die Schwerkraft vermittelt, genau
wie das Ph oton die elektromagnetische Wechselwirkung vermittelt.
• Dennoch ist die Stringtheorie für die Teilchenphysik wichtig, sogar bei
niedrigen Energien, weil sie neue Konzepte und analytische Werk
zeuge einführt.
344
15
Unterstützende Passagen:
Branen-Entwicklung
Ike Rushmore XLII. beschloss, noch einmal zur winzigen Planck -Skala
hinabzutauchen. Glücklicherweise arbeitete sein frisierter Alicxvr per
fekt, und er kam problemlos in einem zehndimensionalen Universum
voller Strings an. Da er darauf brannte, seine neue Umgebung zu erfor
schen, schaltete er den Hyperdrive dazu, den er gerade bei Gbay gekauft
hatte. Fasziniert sah er zu, wie Strings auf hypnotisierende Weise mitein
ander kollidierten und sich umeinander wanden.
Ike fürchtete zwar, dass sein Alicxvr zusammenbrechen könnte, aber
er war neugierig, mehr von dieser neuartigen Welt kennen zu lernen. Also
erhöhte er den Druck auf den Hyperdrive-Hebel. Anfangs stießen die
Strings noch häufiger zusammen. A ber als er den Hebel noch weiter
schob, kam er in eine neue, völlig unerklärliche Umgebung. Ike konnte
noch nicht einmal sagen, ob die Raumzeit intakt war. A ber er drück te
immer weiter auf den Hyperdrive, und merk würdigerweise kam er un
versehrt davon. 2 6
jedoch war seine Umgebung jetzt völlig anders. Ike befand sich nicht
mehr in dem zehndimensionalen Universum, mit dem er angefangen
hatte. Stattdessen war er jetzt in einem elfdimensionalen voller Partikel
und Branen. Und so merk würdig es auch schien, nichts in diesem neuen
Universum interagierte sonderlich. Als Ike sein Gerät kontrollierte,
stellte er fest, dass der Hyperdrive-Hebei rätselhafterweise auf » low« zu
rückgestellt war. Verwirrt und ziemlich verärgert schob Ik e den Hebel
345
VERBORGENE UN IVERSEN
In der heutigen Physik ist, könnte man sagen, der Ausdruck » Stringtheo
rie « etwas danebengegriffen. Der Theoretiker Michael Duff bezeichnet
» Stringtheorie << ironisch sogar als » die Theorie, die früher als >Strings<
bekannt war << . Die Stringtheorie ist nicht länger einfach die Theorie der
räumlich eindimensionalen Strings, sondern auch die Theorie der Bra
nen, die sich in zwei, drei oder mehr Dimensionen erstrecken könnenP
Wir wissen mittlerweile, dass Branen, die beliebig viele Dimensionen bis
hoch zu der Anzahl der Superstringtheorie haben können, genauso sehr
Teil einer Superstringtheorie sind wie Strings selbst. Vormals ignorierten
Theoretiker sie, wei l sie Strings untersuchten, wenn der >> Hebel << für die
Wechselwirkungsstärke der Strings auf niedrig stand und Interaktionen
von Branen weniger wichtig waren. Branen erwiesen sich als das feh
lende Bindeglied, das wunderbarerweise mehrere Puzzles vervollstän
digte.
In diesem Kapitel beschreibe ich die Entwicklungen der Branen von
einer amüsanten, kaum beachteten Kuriosität zu einem zentralen Mit
spieler in der Geschichte der Stringtheorie. Wir werden meh rere Fälle
kennen lernen, bei denen seit Mitte der neunziger Jahre Branen halfen,
einige verwirrende Aspekte der Stringtheorie zu klären. Dank Branen
konnten Physiker den Ursprung der mysteriösen Teilchen in der String
theorie begreifen, die unmöglich aus Strings entstehen konnten. Und als
Physiker Branen hinzunahmen, entdeckten sie duale Theorien - Paare
von Theorien, die sich stark voneinander zu unterscheiden scheinen,
346
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N T W I C K L U N G
Aufkommende Branen
In Kapitel 3 haben wir gelernt, dass Branen sich über einige, aber nicht
notwendigerweise alle räumlichen Dimensionen erstrecken. Beispiels
weise kann eine Brane sich nur über drei Raumdimensionen hinziehen,
auch wenn der Bulk-Raum viel mehr enthält. Zusätzliche Dimensionen
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VERBORGENE U N I VERSEN
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schlecht ist. Wenn die Stringtheorie eine zutreffende Beschrei bung der
Natur ist, dann sind schließlich nicht alle Dimensionen gleich. Die drei
vertrauten Raumdimensionen sehen gleich aus, aber die Extradimensio
nen müssen anders sein ; wären sie das nicht, wären sie ja nicht >> extra << .
Aus Sicht des physikalischen Universums könnte die Störung der Raum
zeit-Symmetrien erklären helfen, warum Zusatzdimensionen anders
sind : Branen können möglicherweise korrekt die zusätzlichen Dimensio
nen der Stringtheorie von den drei Raumdimensionen unterscheiden, die
wir kennen und erleben.
In späteren Kapiteln werde ich Branen mit drei Raumdimensionen be
handeln und einige ihrer potenziell radikalen Implikationen für die wirk
liche Welt beschreiben. Aber im Rest dieses Kapitels konzentrieren wir
uns darauf, warum Branen für die Stringtheorie so wichtig sind - so be
deutend sogar, dass sie als Katalysator der >> Zweiten Superstring-Revo
lution << von 1 995 dienten. Der nächste Abschnitt bringt ein paar Gründe,
warum im vergangenen Jahrzehnt Branen an der vordersten Front der
Stringtheorie blieben und warum wir heute glauben, dass das auch wei
terhin der Fall sein wird.
351
VERBORGENE UNIVERSEN
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U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N TW I C K L U N G
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VERBORGENE UN IVERSEN
Das Problem war, dass seit Einführung der Strings die stark gekop
pelte Theorie nicht zu knacken zu sein schien. In den achtziger Jahren
verstand man nur Stringtheorie mit schwach wechselwirkenden Strings.
( Ich benutze das Adjektiv >> schwach << , um die Stärke von Stringinterak
tionen zu beschreiben, aber lassen Sie sich nicht in die Irre führen : Dies
hat nichts mit der schwachen Wechselwirkung zu tun . ) Wenn Strings
sehr stark interagieren, ist es enorm schwierig, irgendetwas zu berech
nen. Genau wie ein lockerer Knoten leichter zu lösen ist als ein fester,
ist eine Theorie mit nur schwachen Wechselwirkungen handhabbarer
als eine mit starken. Wenn Strings sehr stark miteinander agieren, wer
den sie zu einem verwickelten Durcheinander, das kaum zu entwirren
ist. Physiker haben verschiedene einfallsreiche Ansätze für Berechnun
gen mit stark wechselwirkenden Strings ausprobiert, aber keine Me
thode gefunden, die sie mit Erfolg auf die reale Welt anwenden könn
ten.
De facto sind alle Gebiete der Physik, nicht allein die Stringtheorie,
leichter zu verstehen, wenn die Wechselwirkungen schwach sind. Denn
wenn die schwache Interaktion nur eine kleine Störung oder Änderung
einer lösbaren Theorie ist - in der Regel einer Theorie ohne Wechsel
wirkungen -, dann kann man mit einer Technik namens Störungstheo
rie arbeiten. Mit der Störungstheorie kann man sich langsam an die
richtige Antwort auf eine Frage in der schwach wechselwirkenden
Theorie heranarbeiten, indem man von der Theorie ohne Interaktionen
ausgeht und in zunehmenden Schritten kleine Verbesserungen berech
net. Die Störungstheorie ist eine systematische Prozedur, die einem sagt,
wie man Schritt um Schritt eine Berechnung verbessert, bis man die ge
wünschte Präzision erreicht hat ( oder müde wird, was immer zuerst
passiert ) .
M i t d e r Störungstheorie sich einer Größe in einer unlösbaren Theorie
anzunähern ist so ähnlich, wie Farbe zu mischen, bis man den gewünsch
ten Ton hat. Nehmen wir an, Sie wollen ein subtiles Blau mit einem
Hauch Grün bekommen, das der Farbe des Mittelmeers in seinen
schönsten Momenten gleicht. Sie fangen mit Blau an, dann mischen Sie
immer kleinere Mengen Grün hinzu, gelegentlich auch wieder ein biss
chen mehr Blau, bis Sie ( fast) genau den Farbton getroffen haben, den Sie
haben wollen . Wenn Sie so Ihre Farbe anrühren, kommen Sie Schritt um
Schritt dem gewünschten Ton so nahe, wie Sie wollen . Ähnlich ist die
Störungstheorie eine Methode, sich der richtigen Antwort sehr dicht an
zunähern, egal welches Problem man gerade untersucht, indem man mit
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U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N TW I C K L U N G
einem Problem beginnt, das man bereits lösen kann, und zunehmend
Fortschritte macht.
Wenn man andererseits versucht, Problemlösungen für eine Theorie
mit starker Kopplung zu finden, ist es eher, als würde man versuchen, ein
Gemälde von Jackson Pollock zu reproduzieren, indem man willkürlich
Farbe vergießt. Jedes Mal, wenn man Farbe hinzugibt, ändert sich das
Bild vollständig. Nach zwölf Durchläufen ist das Gemälde noch nicht
dichter am gewünschten Original als nach acht. Vielmehr deckt man,
wenn man weitere Farbe hinzugießt, wahrscheinlich viel vom vorange
gangenen Versuch ab, was das Bild so sehr verändert, dass man im
Grunde genommen j edes Mal von vorn beginnt.
Ähnlich nutzlos ist die Störungstheorie, wenn eine lösbare Theorie
von einer starken Wechselwirkung gestört wird. Wie bei vergeblichen
Versuchen, ein modernes Meisterwerk der pinsellosen Malerei zu repro
duzieren, werden systematische Versuche, sich in einer stark wechselwir
kenden Theorie einer gesuchten Größe anzunähern, nicht von Erfolg ge
krönt sein. Die Störungstheorie ist nur dann nützlich - und die Berech
nungen bleiben nur dann kontrollierbar -, wenn die Interaktionen
schwach sind.
In bestimmten Ausnahmesituationen kann man, selbst wenn die Stö
rungstheorie nicht weiterhilft, noch immer die qualitativen Eigenschaf
ten einer stark wechselwirkenden Theorie verstehen. Beispielsweise
könnte die physikalische Beschrei bung eines Systems in groben Zügen
der schwach interagierenden Theorie ähneln, auch wenn die Details
wahrscheinlich ziemlich verschieden davon sind. Öfter j edoch ist es un
möglich, überhaupt etwas über eine Theorie mit starken Wechselwir
kungen zu sagen. Selbst die qualitativen Eigenschaften eines stark inter
agierenden Systems sind oft völlig anders als die eines oberflächlich
ähnlichen, schwach wechselwirkenden Systems.
Folglich kann man zweierlei von einer stark wechselwirkenden zehn
dimensionalen Stringtheorie erwarten : Man könnte glauben, dass nie
mand sie lösen kann und dass man überhaupt nichts darüber sagen
kann, oder man könnte erwarten, dass eine stark interagierende zehn
dimensionale Stringtheorie zumindest in groben Zügen wie die
schwach gekoppelte Stringtheorie aussieht. Paradoxerweise ist in eini
gen Fällen keine dieser beiden Optionen die richtige. Im Fall eines be
stimmten Typs von zehndimensionaler Stringtheorie namens IIA ähnelt
der stark wechselwirkende String ganz und gar nicht dem schwach in
teragierenden. Wir können aber trotzdem seine Konsequenzen untersu-
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U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S S AG E N : B R A N E N - E N TW I C K L U N G
dass die Störungstheorie Anwendung findet. Das wäre dann die duale
Beschreibung.
Es ist, als würde j emand Ihnen die Zutaten für ein fünfgängiges Menü
liefern. O bwohl Sie alles zur Hand haben, wissen Sie vielleicht dennoch
nicht, wo anfangen. Damit das Menü gelingt, müssen Sie herausfinden,
welche Zutaten für welchen Gang gedacht sind, wie die Gewürze mit
den Lebensmitteln und miteinander interagieren und was wann gekocht
werden muss. Wenn aber ein Caterer dieselben Zutaten vorsortiert und
zubereitet als Salat, Suppe, Vorspeise, Hauptgang und Dessert liefert,
denke ich, dass j eder sie in ein Menü verwandeln könnte. Wenn diesel
ben Zutaten auf die richtige Weise organisiert sind, wird die Zubereitung
des Essens von einem komplizierten zu einem trivialen Problem. Ge
nauso funktioniert Dualität in der Stringtheorie. Auch wenn bei starker
Wechselwirkung die zehndimensionale Stringtheorie als völlig unbear
beitbar erscheint, organisiert die duale Beschrei bung automatisch alles
zu einer Theorie um, auf die die Störungstheorie angewandt werden
kann. In der einen Theorie schwierige Berechnungen werden in der an
deren handhabbar. Selbst wenn die Kopplung in der einen Theorie zu
groß ist, um die Störungstheorie zu verwenden, ist die Kopplung in der
anderen hinreichend klein, um die Störungsberechnungen durchführen
zu können. Allerdings müssen wir die Dualität erst noch im vollen Um
fang begreifen. Beispielsweise weiß noch niemand, wie man irgendetwas
berechnen soll, wenn die Stringkopplung weder sehr groß noch sehr
klein ist. Aber wenn die eine Kopplung entweder sehr groß oder sehr
klein ist ( und die andere damit umgekehrt sehr klein oder sehr groß) ,
dann können w i r rechnen.
Die Dualität der stark gekoppelten Superstringtheorie und der
schwach gekoppelten elfdimensionalen Supergravitationstheorie sagt
uns, dass man alles, was man wissen will, in einer stark wechselwirken
den, zehndimensionalen Superstringtheorie berechnen kann, indem man
die Rechnungen in einer Theorie durchführt, die oberflächlich betrachtet
völlig anders ist. Alles, was die stark wechselwirkende, zehndimensio
nale Superstringtheorie vorhersagt, kann aus der schwach wechselwir
kenden, elfdimensionalen Supergravitationstheorie abgeleitet werden.
Und umgekehrt.
Diese Dualität hat die unglaubliche Eigenschaft, dass beide Beschrei
bungen nur lokale Interak tionen berücksichtigen, also Wechselwir
kungen von einander nahen Obj ekten. Selbst wenn es in beiden Be
schreibungen entsprechende Objekte gibt, ist die Dualität nur dann ein
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wähnt habe. Aus der M-Theorie kann man j ede bekannte Version der
Superstringtheorie herleiten. Die M-Theorie erstreckt sich aber auch
über die bekannten Versionen hinaus in Bereiche, die wir erst noch ver
stehen müssen. Die M-Theorie stellt eine Möglichkeit dar, ein einheitli
cheres, kohärentes Bild des Superstrings zu liefern und in vollem Umfang
das Potenzial der Stringtheorie zu einer Theorie der Quantengravitation
zu realisieren. Jedoch sind noch weitere Bestandteile oder Anordnungen
nötig, ehe Stringtheoretiker die M-Theorie genügend gut verstehen, um
,. Auch wenn wir die Storungstheorie anwenden können, wenn die Kopplung sehr
schwach ist oder wenn es eine schwach gekoppelte duale Beschreibung einer Theorie
mit starken Wechselwirkungen gibt, haben wir keine Möglichkeit, die Störungstheorie
zu verwenden, wenn die Wechselwirkungsstärke in der Mitte liegt, das heißt bei rund
eins. Das bedeutet, dass wir selbst bei einer dualen Beschreibung keine vollständige
Lösung für die Theorie haben.
359
VERBORGENE UN IVERSEN
Dieser Abschnitt erläutert noch ein paar Details zu der speziellen Duali
tät, die ich oben erwähnt habe : die zwischen zehndimensionaler Super
stringtheorie und elfdimensionaler Supergravitation. Später werde ich
diese Erläuterungen nicht mehr verwenden, also blättern Sie zum nächs
ten Kapitel weiter, wenn Ihnen danach ist. Aber da dieses Buch von Di
mensionen handelt, scheint mir eine Abschweifung über die Dualität
zwischen zwei Theorien mit unterschiedlich vielen Dimensionen nicht
völlig abwegig.
Die Dualität ein bisschen nachvollziehbarer macht vielleicht, dass eine
der beiden Theorien immer stark wechselwirkende O bj ekte enthält. Sind
die Interaktionen stark, kann man kaum direkt die physikalischen lmpli
kationen der Theorie ableiten. Obwohl es merkwürdig ist, sich vorzu
stellen, dass eine Theorie mit zehn Dimensionen am besten durch eine
andere, völlig verschiedene elfdimensionale Theorie beschrieben wird,
ist es weniger verblüffend, wenn Sie sich daran erinnern, dass die zehn
dimensionale Theorie so stark wechselwirkende Obj ekte enthielt, dass
man zunächst gar nicht vorhersagen konnte, was da passierte. Wetten
wurden darauf sowieso nicht angenommen .
Eine Dualität zwischen Theorien m i t unterschiedlich vielen Dimensio
nen hat dennoch zahlreiche verblüffende Eigenschaften. Und im beson
deren Fall der Dualität zwischen zehndimensionaler Superstringtheorie
und elfdimensionaler Supergravitation scheint es auf den ersten Blick ein
ganz grundlegendes Problem zu geben. Die zehndimensionale Super
stringtheorie enthält Strings, die elfdimensionale Supergravitation hinge
gen nicht. Mit Branen haben Physiker dieses Puzzle gelöst. Zwar enthält
die elfdimensionale Supergravitation keine Strings, aber es gibt in ihr
2-Branen. Während aber Strings nur eine räumliche Dimension haben,
haben 2-Branen zwei ( wie Sie sich vielleicht schon gedacht haben ) . Neh
men wir nun an, dass eine der elf Dimensionen zu einem extrem winzi-
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U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N T W I C K L U N G
gen Kreis aufgerollt ist. In diesem Fall sieht eine 2-Brane, die die auf
gerollte Dimension umschließt, genau wie ein String aus. Die zusam
mengerollte Brane scheint nur eine räumliche Dimension zu haben, wie
Abbildung 69 zeigt. Das bedeutet, dass die elfdimensionale Supergravi
tationstheorie mit einer aufgerollten Dimension Strings zu enthalten
scheint, auch wenn das die ursprüngliche elfdimensionale Theorie nicht
tat.
Abbildung 6 9 : Eine Brane mit zwei räumlichen Dimensionen, die ganz eng
aufgerollt ist, sieht wie ein String aus.
Das könnte ein wenig wie Mogelei wirken, denn wir haben bereits argu
mentiert, dass eine Theorie mit einer aufgerollten Dimension immer so
wirkt, als hätte sie bei großen Entfernungen und niedrigen Energien we
niger Dimensionen ; folglich dürfte es nicht überraschen, dass sich eine
elfdimensionale Theorie mit einer aufgerollten Dimension wie eine zehn
dimensionale Theorie verhält. Wenn man zeigen will, dass die zehn- und
die elfdimensionale Theorie äquivalent sind, warum reicht es dann aus,
die elfdimensionale Theorie zu untersuchen, wenn eine der Dimensionen
aufgerollt ist ?
Der Schlüssel zur Antwort ist darin zu sehen, dass wir in Kapitel l nur
gezeigt haben, dass eine zusammengerollte Dimension bei großen Ent
fernungen oder niedrigen Energien unsichtbar ist. Edward Wirten ging
bei der >> Strings 95 weiter. Er demonstrierte die Äquivalenz der zehn
«
361
VERBORGENE U N I VERSEN
'' Eigentlich handelt es sich dabei um einen gebundenen Zustand von 00-Branen.
362
U N T E R S T Ü T Z E N D E PA S SAG E N : B R A N E N - E N T W I C K L U N G
Zur Erinnerung:
• Branen waren für die Dualität wichtig, die zeigte, dass oberflächlich
unterschiedliche Versionen der Stringtheorie in Wirklichkeit äquiva
lent sind.
363
VERBORGENE U NIVERSEN
• Was in diesem Kapitel über Branen stand, wird später nicht mehr wich
tig sein . Die geschilderten Resultate erklären j edoch ein Stück weit die
Aufregung, die Branen unter den Stringtheoretikern hervorriefen.
364
16
Ikarus III. war vom Himmel zunehmend enttäuscht. Er hatte eine libe
rale, nachsichtige Atmosphäre erwartet. Stattdessen waren Glückspiele
verboten, Metallbestecke waren nicht erlaubt, und auch das Rauchen
war nicht länger gestattet. Die einschneidendste Beschränkung von allen
aber war, dass der Himmel an einer Himmelsbrane klebte; seine Bewoh
ner durften nicht in die fünfte Dimension reisen.
Auf der Himmelsbrane wussten alle von der fünften Dimension und
der Existenz weiterer Branen. Rechtschaffene Himmelsbraner tuschelten
sogar oft über die zwielichtigen Gestalten, die auf einer nicht allzu weit
entfernten Knastbrane abgesondert lebten. Die Knastbraner konnten je
doch die Verleumdungen nicht hören, die die Himmelsbraner über sie
ausschütteten, also blieb im Bulk und auf den Branen alles friedlich.
Aus Sicht der >> Dualität-Revolution << könnte man meinen, dass Branen
ein großer Segen für diejenigen waren, die versuchten, die Stringtheorie
mit dem sichtbaren Universum in Einklang zu bringen. Wenn all die un
terschiedlichen Formulierungen der Stringtheorie faktisch ein und die
selbe waren, standen die Physiker nicht länger vor der entmutigenden
Aufga be, die Regeln zu finden, nach denen die Natur zwischen ihnen
wählt. Günstlingswirtschaft gibt es nicht, wenn all die Stringtheorien in
unterschiedlichen Verkleidungen im Grund dieselbe darstellen.
365
VERBORGENE U N I VERSEN
Doch so nett die Vorstellung auch ist, dass wir näher an einer Verbin
dung zwischen Stringtheorie und Standardmodell sind, ist die Aufgabe
nicht so einfach. Auch wenn Branen einen entscheidenden Beitrag zu den
Dualitäten leisteten, die die Anzahl unterschiedlicher Manifestationen
der Stringtheorie reduzierten, erhöhten sie faktisch die Anzahl von Mög
lichkeiten, wie das Standardmodell daraus hervorgehen könnte . Der
Grund dafür ist, dass Branen Teilchen und Kräfte beherbergen können,
die die Stringtheoretiker nicht berücksichtigten, als sie die ursprüngliche
Stringtheorie ausarbeiteten. Wegen der vielen Möglichkeiten, was für
Branentypen es gibt und wo sie im höherdimensionalen Raum der
Stringtheorie lokalisiert sind, kann man sich viele neue Wege zur Reali
sierung des Standardmodells in der Stringtheorie vorstellen, an die zuvor
niemand gedacht hatte. Die Kräfte des Standardmodells gehen nicht not
wendigerweise aus einem fundamentalen String hervor : Sie könnten
stattdessen neue Kräfte sein, die auf Strings zurückgehen, welche sich
zwischen unterschiedlichen Branen erstrecken. Auch wenn Dualitäten
uns sagen, dass die ursprünglichen fünf Versionen der Superstringtheorie
äquivalent sind, ist die Anzahl von in der Stringtheorie vorstellbaren
Branenwelten gewaltig.
Es sah danach aus, als wäre es schwerer denn je zuvor, einen einzi
gen Standardmodell-Kandidaten zu finden. Diese Erkenntnis dämpfte
die Euphorie der Stringtheoretiker hinsichtlich der Dualität. Anderer
seits schwebten diejenigen Kollegen, die nach neuen Erkenntnissen in
der beobachtbaren Physik suchten, im Himmel : Mit der neuen Mög
lichkeit, dass Kräfte und Teilchen auf Branen beschränkt waren, war es
für uns an der Zeit, den Ausgangspunkt der Teilchenphysik zu über
denken.
Die für ihre potenziell beobachtbaren Anwendungen entscheidende
Eigenschaft von Branen ist, dass sie Teilchen und Kräfte gefangen halten
können. Dieses Kapitel hat das Ziel, Ihnen eine Vorstellung zu vermit
teln, wie das funktioniert. Wir beginnen mit einer Erklärung, warum die
Branen der Stringtheorie Teilchen und Kräfte festhalten. Wir werden die
Idee der Branenwelt und die erste bekannte Branenwelt, die aus der Dua
lität und Stringtheorie abgeleitet wurde, in Augenschein nehmen. In den
anschließenden Kapiteln kommen wir dann zu jenen Aspekten der Bra
nenwelten und ihren potenziellen physikalischen Anwendungen, die ich
am aufregendsten finde.
366
B E L E B T E PA S SAG E N : B R A N E N W E LT E N
367
VERBORGENE UNIVERSEN
Strings auf der Brane wie ein geladenes Teilchen. Das Vorhandensein der
an die Brane gebundenen Kraft und diese geladenen Teilchen sagen uns,
dass eine D-Brane der Stringtheorie mit geladenen Teilchen und einer auf
sie einwirkenden Kraft >> belade n << ist.
Bei Szenarios mit mehr als einer Brane gibt es mehr Kräfte und mehr
geladene Teilchen. Nehmen wir beispielsweise an, wir hätten zwei Bra
nen. In diesem Fall gäbe es zusätzlich zu den auf j eweils eine der Branen
beschränkten Teilchen einen neuen Teilchentyp, der von Strings her
rührt, deren Enden sich auf den unterschiedlichen Branen befinden
( siehe Abbildung 70 ) .
A b bildung 70 : Ein String, der auf einer einzigen Brane beginnt und endet,
kann ein Eichboson hervorbringen. Ein String, dessen beide Enden auf un
terschiedlichen Branen liegen, lässt einen neuen Typ von Eichboson entste
hen. Wenn die B ranen getrennt sind, hat das Eichboson eine Masse größer als
null.
Wenn die beiden Branen räumlich voneinander getrennt sind und der
String sich von der einen zur anderen erstreckt, sind die dazugehörigen
Teilchen schwer. Die Masse der aus den Vibrationsmoden dieses Strings
hervorgehenden Teilchen wächst mit der Entfernung zwischen den Bra
nen. Diese Masse ist wie die Energie, die gespeichert wird, wenn man
eine Spiralfeder auseinander zieht - j e mehr sie gestreckt wird, desto
mehr Energie enthält sie. Ähnlich hat das leichteste Teilchen, das aus
einem zwischen zwei Branen gestreckten String hervorgeht, eine Masse,
die proportional zum Abstand der Branen zunimmt.
Ist jedoch eine Sprungfeder in Ruhe und entspannt, so ist in ihr keine
Energie gespeichert. Ähnlich ist es, wenn die beiden Branen nicht ge
trennt sind - das heißt, wenn sie sich am selben Ort befinden ; dann ist
das leichteste Teilchen, das aus dem String mit je einem Ende auf einer
Brane hervorgeht, masselos.
Nehmen wir nun an, dass die beiden Branen sich decken, sodass sie ein
368
B E L E B T E PA S S AG E N : B R A N E N W E L T E N
Abbildung 71 : A lle Strings, die entweder auf derselben Brane beginnen und
enden oder die sich zwischen B ranen erstrecken, lassen Eichbosonen entste
hen. Wenn die Branen sich decken, gibt es neue masselose Eichbosonen, die
jeweils der A rt und Weise entsprechen, wie ein String auf jeder der überein
stimmenden B ranen beginnen und enden kann.
369
VERBORGENE UNIVERSEN
370
B E L E B T E PA S SAG E N : B R A N E N W E LT E N
371
VERBORGENE UNIVERSEN
Modell-Branenwelten
Sehr bald nachdem man die Bedeutung von Branen für die Stringtheorie
erkannt hatte, wurden sie zum Gegenstand intensiver Forschung. Vor al
lem brannten die Kollegen darauf, ihre mögliche Bedeutung für die Teil
chenphysik und unsere Vorstellung vom Universum herauszufinden. Bis
lang sagt uns die Stringtheorie nicht, ob es im Universum Branen gibt
und, wenn ja, wie viele es sind. Wir wissen nur, dass Branen ein wesent
licher theoretischer Bestandteil der Stringtheorie sind, ohne die sie nicht
funktionieren würde. Da wir jetzt aber wissen, dass Branen Teil der
Stringtheorie sind, haben wir auch zu fragen begonnen, ob es sie in der
wirklichen Welt geben könnte. Und wenn das der Fall ist, was sind dann
die Konsequenzen ?
Die potenzielle Existenz von Branen eröffnet viele neue Möglichkei
ten für den Aufbau des Universums, und einige davon könnten sogar
für die physischen Eigenschaften der von uns beobachteten Materie von
Bedeutung sein. Die Stringtheoretikerin Amanda Peer warf ein, als sie
Ruth Gregorys Ausdruck >> voll beladene << Branen vernommen hatte,
dass Branen >> das Feld des stringbasierten Modellbaus aufgesprengt <<
hätten. Von 1 9 95 an wurden Branen zu einem neuen Werkzeug der Mo
dellbauer.
Gegen Ende der neunziger Jahre erweiterten viele Physiker, darunter
auch ich selbst, ihren Horizont um die Möglichkeit von Branen. Wir
3 72
B E L E B T E PA S S AG E N : B R A N E N W E LT E N
373
VERBORGENE UNIVERSEN
nicht nur vor, weil es an und für sich interessant ist, sondern weil es auch
mehrere Eigenschaften hat, die die der anderen Branenwelten vorweg
nehmen, denen wir bald begegnen werden.
3 74
B E L E B T E PA S S AG E N : B R A N E N W E LT E N
Die Hofava-Witten-Theorie
Die Wechselwirkungen auf den beiden Branen sind dieselben wie j ene
des heterotischen Strings, der in Kapitel 14 vorgestellt wurde ; das war
die Theorie von David Gross, Jeff Harvey, Emil Martinec und Ryan
Rohm, in der Oszillationen unterschiedlich interagierten, je nachdem,
ob sie sich entlang des Strings nach links oder nach rechts ausbreiteten.
Die eine Hälfte j ener Wechselwirkungen ist auf eine der zwei Grenzbra
nen beschränkt und die andere Hälfte auf die andere. Auf jeder der bei
den Branen gibt es genügend Kräfte und Teilchen, dass j ede von ihnen
möglicherweise alle Teilchen des Standardmodells ( und damit uns) be
herbergen könnte. Hoi'ava und Wirten nahmen an, dass die Teilchen und
/
//
�/;;�
/--/
-c:;;·s-'
3 75
VERBORGENE UNIVERSEN
Kräfte des Standardmodells auf einer der beiden Branen residieren, wäh
rend Gravitation und andere Teilchen, die Teil der Theorie sind, aber in
unserer Welt noch nicht beobachtet wurden, sich auf der anderen Brane
oder von den Branen weg frei im umfassenden elfdimensionalen Bulk be
wegen können.
Faktisch hatte die HW-Branenwelt nicht nur dieselben Wechselwir
kungen wie der heterotische String - sie w a r der heterotische String,
wenn auch mit starker Stringkopplung. Das ist ein weiteres Beispiel für
Dualität. In diesem Fall ist eine elfdimensionale Theorie mit zwei Bra
nen, die die elfte Dimension begrenzen (die zehnte Raumdimension ) ,
einem zehndimensionalen heterotischen String dual. D a s soll heißen,
wenn die Interaktionen des heterotischen Strings sehr stark sind, lässt
sich die Theorie am besten als elfdimensionale Theorie mit zwei Grenz
branen und neun Raumdimensionen beschreiben. Das ähnelt der Duali
tät zwischen zehndimensionaler Superstringtheorie und elfdimensiona
ler Supergravitation, die im vorangegangenen Kapitel diskutiert wurde.
In unserem momentanen Beispiel j edoch ist die elfte Dimension nicht
aufgerollt, sondern erstreckt sich stattdessen zwischen zwei Grenzbra
nen. Wiederum kann eine elfdimensionale Theorie einer zehndimensio
nalen äquivalent sein, allerdings nur, wenn die eine Theorie starke Wech
selwirkungen und die andere schwache hat.
Selbst wenn die Teilchen des Standardmodells auf eine Brane beschränkt
sind, hätte die Theorie noch immer mehr Dimensionen, als wir um uns
herum sehen. Wenn die Hofava-Witten-Branenwelt der Realität ent
spricht, müssen sechs ihrer Dimensionen unsichtbar sein. Hofava und
Wirten nahmen an, dass sechs Dimensionen zu einem winzigen Calabi
Yau-Gebilde aufgerollt seien.
Wenn erst einmal sechs Dimensionen aufgerollt sind, kann man sich
das HW-Universum als eine fünfdimensionale effektive Theorie mit vier
dimensionalen Grenzbranen denken. Diese Vorstellung eines fünfdimen
sionalen Universums mit zwei Grenzbranen ist interessant, und viele
Physiker haben sie untersucht. Raman und ich wandten dabei einige der
Techniken an, die die beiden Physiker Burt Ovrut und Dan Waldram bei
der Untersuchung der effektiven HW-Theorie im Vergleich zu den unter
schiedlichen fünfdimensionalen Theorien verwendeten, die ich in den
Kapiteln 2 0 und 22 diskutieren werde.
Ein faszinierendes Element der Horava-Witten-Branenwelt ist, dass sie
nicht nur die Teilchen und Wechselwirkungen des Standardmodells un
terbringen kann, sondern auch eine umfassende vereinheitlichte Theorie .
3 76
B E L E B T E PA S S AG E N : B R A N E NW E L T E N
377
VERBORGENE UNIVERSEN
die Untersuchung lohnt, wie diese Probleme in einer Welt mit zusätzli
chen Raumdimensionen und Branen entlang einer begrenzten Unter
gruppe dieser Dimensionen gelöst werden könnten . Davon handelt der
Rest dieses Buches.
Zur Erinnerung:
• Die Gravitation unterscheidet sich von den anderen Kräften. Sie ist
niemals auf eine Brane beschränkt und kann sich immer in allen Di
mensionen ausbreiten .
378
V
Vorschläge für
extradimensionale Universen
17
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VERBORGENE U N I VERSEN
382
S P Ä R L I C H B E L E B T E PA S S AG E N : M U LT I V E R S E N U N D A B S O N D E R U N G
Wir Physiker haben das Glück, uns bei zahlreichen Konferenzen treffen
und mit Kollegen stimulierende Forschungsideen austauschen zu kön
nen. Aber allj ährlich wird eine so überwältigende Zahl von Konferenzen
und Workshops zur Teilchenphysik veranstaltet, dass es schwierig wer
den kann, sich zu entscheiden, welche man besuchen will. Bei einigen
handelt es sich um große Versammlungen, die Gelegenheit bieten, sich
über die neuesten Forschungen der anderen zu informieren und die neu
esten Ergebnisse auszutauschen. Andere sind relativ kurze Konferenzen
von nur zwei oder drei Tagen Dauer, bei denen Physiker eines hoch spe
zialisierten Gebiets von neuen Erkenntnissen berichten. Wieder andere
Treffen sind lange Workshops, bei denen die Teilnehmer Kooperationen
mit Kollegen beginnen oder zum Abschluss bringen. Und manchmal
werden Konferenzen in so spektakulärer Umgebung abgehalten, dass
man sie einfach nicht verpassen darf.
Auch Oxford ist zwar ein sehr schöner Ort, die Supersymmetrie-Kon
ferenz, die ich dort Anfang Juli 1 9 9 8 besuchte, passt aber am ehesten in
die erste Kategorie. Die Supersymmetrie galt viele Jahre lang als ein Aus
weg aus dem Hierarchieproblem ; sie hat sich im Lauf der Zeit aber zu
einem wichtigen Forschungsgebiet weiterentwickelt, und j edes Jahr tref
fen sich Physiker, um die neuesten Fortschritte auf diesem Feld zu disku
tieren.
Die Konferenz von Oxford hielt j edoch eine Überraschung bereit. Das
interessanteste Thema war nicht Supersymmetrie, sondern die gerade
neu aufkommenden Überlegungen zu Extradimensionen. Einer der sti
mulierendsten Vorträge handelte von großen Zusatzdimensionen, dem
Thema von Kapitel 1 9. Andere Beiträge drehten sich um das Schicksal
von zusätzlichen Dimensionen in der Stringtheorie, und wieder andere
diskutierten potenzielle experimentelle Implikationen von Extradimen-
383
VERBORGENE UNIVERSEN
sionen. Wie neu und spekulativ diese Überlegungen waren, machte der
Titel von Jeff Harveys Vortrag klar : Der Theoretiker aus Chicago und
mehrere Redner nach ihm, etwa Joe Lykken, ein Theoretiker des Fermi
lab, lehnten die Titel ihrer Beiträge an Fantasy Island an, eine amerika
nische Fernsehserie aus den siebziger Jahren.
Trotz dieser Späße dachte ich bei meiner Rückkehr aus Oxford über
zusätzliche Dimensionen nach und überlegte, wie in einer extradimen
sionalen Welt Probleme der Teilchenphysik gelöst werden könnten. Was
große Zusatzdimensionen anging, eines der heißen Themen, war ich
zwar skeptisch, und ich hatte nicht vor, selbst daran zu arbeiten. Ich war
aber ziemlich überzeugt, dass Branen und Zusatzdimensionen wichtige
Werkzeuge des Modellbaus sein konnten und das Potenzial hatten,
einige mysteriöse Phänomene in der Teilchenphysik zu erhellen, die sich
einfachen vierdimensionalen Erklärungen entzogen.
In j enem Jahr wollte ich den Rest des Sommers in Boston verbringen.
Zu j ener Zeit war das bei mir nicht die Regel ; die meisten theoretischen
Physiker aus Boston, so auch ich, reisen den größten Tei l des Sommers
und besuchen diverse Konferenzen und Workshops. Damals hatte ich
aber beschlossen, zu Hause zu bleiben, zu entspannen und über neue
Ideen nachzudenken.
Raman Sundrum, der damals nach seiner Promotion an der Boston
University arbeitete, hatte ebenfalls beschlossen, den Sommer über in
der Stadt zu bleiben. Ich hatte Raman oft bei Konferenzen getroffen, wir
hatten uns auch gegenseitig in unseren Instituten besucht, und wir hatten
sogar nach unseren Promotionen eine kurze gemeinsame Zeit in Har
vard verbracht. Da Raman bereits über zusätzliche Dimensionen nach
gedacht hatte, fand ich, es könnte nützlich sein, meine Ideen und Fragen
mit ihm zu diskutieren.
Raman ist eine interessante Persönlichkeit. Während die meisten Phy
siker zu Anfang ihrer Karriere an relativ sicheren Problemen arbeiten -
Fragen allgemeinen Interesses, bei denen sie höchstwahrscheinlich Fort
schritte machen -, konzentrierte sich Raman standhaft auf alles, was
ihm am wichtigsten schien, selbst wenn es ein extrem diffiziles Problem
war oder weitab von den Interessen anderer lag. Trotz seines offensicht
lichen Talents hatte sein eigenwilliges Vorgehen verhindert, dass er Fa
kultätsmitglied wurde, und ihm bloß seine dritte Assistenzstelle einge
bracht. In j enem Jahr aber dachte Raman über zusätzliche Dimensionen
und Branen nach, und seine Interessen begannen mit denen der anderen
Physiker zu verschmelzen.
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VERBORGENE U NIVERSEN
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SPÄRLICH BELEBTE PASSAGEN: MULTIVERSEN UND ABSONDERUNG
Die Absonderung könnte wichtig sein, weil sie eine Möglichkeit dar
stellt, die vom anarchischen Prinzip aufgeworfenen Probleme zu umge
hen - j ener inoffiziellen Regel, die besagt, dass in einer vierdimensiona
len Quantenfeldtheorie alles passieren wird, was passieren kann. Proble
matisch ist am anarchischen Prinzip, dass Theorien schließlich Wechsel
wirkungen und Beziehungen zwischen Massen vorhersagen, die in der
Natur nicht beobachtet werden. Selbst Wechselwirkungen, die in einer
klassischen Theorie nicht vorkommen (in einer, die die Quantenmecha
nik nicht berücksichtigt) , werden sich ereignen, wenn erst einmal virtu
elle Teilchen eingeschlossen sind ; Wechselwirkungen virtueller Teilchen
rufen alle möglichen Interaktionen hervor.
Hier ist eine Analogie, warum das so ist. Nehmen wir an, Sie erzählen
Athena, morgen würde es schneien, und Athena erzählt das Ike. Obwohl
Sie nicht direkt mit Ike kommunizieren, wird Ihre Mitteilung dennoch
beeinflussen, was Ike am nächsten Tag tragen wird - wegen Ihres virtu
ellen Rats greift er zu einem Parka .
Wenn in ähnlicher Weise ein Teilchen mit einem virtuellen Teilchen
interagiert und dieses virtuelle wiederum mit einem dritten Teilchen, be
steht der Nettoeffekt darin, dass das erste und das dritte Teilchen wech
selwirken. Das anarchische Prinzip besagt, dass Prozesse, an denen vir
tuelle Teilchen beteiligt sind, vorkommen müssen, selbst wenn sie sich
klassisch nicht ereignen. Und diese Prozesse führen oft zu unerwünsch
ten Wechselwirkungen.
Viele Probleme teilchenphysikalischer Theorien rühren von dem anar
chischen Prinzip her. Beispielsweise sind die Quantenbeiträge zur Masse
des Higgs-Teilchens, die aus virtuellen Teilchen resultieren, die Wurzel
des Hierarchieproblems. Jeder Pfad, den das Higgs-Teilchen nimmt,
kann vorübergehend von schweren Teilchen unterbrochen werden, und
diese Einmischungen erhöhen die Masse des Higgs-Teilchens.
Einem anderen Beispiel für das anarchische Prinzip sind wir in Kapitel
11 begegnet. In den meisten Theorien mit gebrochener Supersymmetrie
führen virtuelle Teilchen zu unerwünschten Wechselwirkungen - von de
nen wir aufgrund von Experimenten wissen, dass sie nicht stattfinden.
Solche Interaktionen würden die Identität der bekannten Quarks und
Leptonen verändern. Solche flavorverändernden Wechselwirkungen
kommen entweder in der Natur gar nicht oder nur sehr selten vor. Wenn
wir eine funktionierende Theorie haben wollen, müssen wir irgendwie
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VERBORGENE U N I VERSEN
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SPÄRLICH BELEBTE PASSAGEN: MULTIVERSEN UND ABSONDERUNG
der einen Person zwei Gabeln geben, einer anderen drei und wieder einer
anderen ein Paar Essstä bchen. Aufgrund der Symmetriebeschränkungen
können Sie den Tisch aber nur so decken, dass alle sechs Gäste gleich
viele Gabeln, Messer, Löffel und Essstäbchen haben - Sie könnten keiner
Person zwei Messer geben und einer anderen drei .
Ähnlich sagen uns Symmetrien, dass sich nicht alle Wechselwirkun
gen ereignen können. Selbst wenn viele Teilchen interagieren, führen
Quantenbeiträge im Allgemeinen nicht zu Wechselwirkungen, die eine
Symmetrie verletzen, wenn die klassischen Wechselwirkungen diese
Symmetrie wahren. Wenn Sie nicht mit die Symmetrie verletzenden In
teraktionen anfangen, werden Sie auch nie welche hervorrufen ( abgese
hen von den seltenen bekannten Anomalien, die in Kapitel 14 erwähnt
wurden ), selbst wenn Sie alle möglichen Wechselwirkungen mit virtuel
len Teilchen einschließen . Indem Sie sich beim Tischdecken Symmetrie
auferlegen, haben Sie am Ende immer identische Gedecke, egal wie viele
Veränderungen Sie vornehmen, beispielsweise Steakmesser oder Grape
fruitlöffel hinzulegen. In ähnlicher Weise kommt es nicht zu mit einer
Symmetrie inkonsistenten Wechselwirkungen, selbst wenn quantenme
chanische Effekte berücksichtigt werden. Wenn eine Symmetrie nicht be
reits in der klassischen Theorie verletzt ist, gibt es keinen Pfad, den ein
Teilchen nehmen könnte, um eine die Symmetrie verletzende Wechsel
wirkung auszulösen.
Bis vor kurzem dachten Physiker, Symmetrien seien die einzige Mög
lichkeit, das anarchische Prinzip zu vermeiden. Wie aber Raman und ich
erkannten - nachdem wir genügend Eiscreme gegessen hatten -, sind se
parate Branen eine weitere Möglichkeit. Ein entscheidender Grund, war
um zusätzliche Dimensionen ursprünglich auf mich so viel versprechend
wirkten, lag darin, dass sie abgesehen von Symmetrie ein Grund sein
konnten, warum begrenzte oder ungewöhnliche Typen von Wechselwir
kungen natürlich sein konnten. Unerwünschte Teilchen abzusondern
kann unerwünschte Interaktionen verhindern, weil diese im Allgemeinen
nicht zwischen Teilchen stattfinden, die auf unterschiedlichen Branen se
pariert sind.
Teilchen auf verschiedenen Branen interagieren nicht stark, weil die
Wechselwirkungen immer lokal sind - nur Teilchen am selben Ort inter
agieren direkt. Abgesonderte Teilchen können in Kontakt zu Teilchen
auf anderen Branen treten, aber nur wenn es wechselwirkende Teilchen
gibt, die sich von einer Brane zu einer anderen bewegen können. Wie Ike
auf der Knastbrane haben Teilchen auf unterschiedlichen Branen nur be-
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VERBORGENE U N I VERSEN
Am Ende waren Raman und ich ziemlich zuversichtlich, dass wir auf
etwas Interessantes gestoßen waren. Aber Reste von Zweifeln blieben
uns beiden. Ich hatte ein bisschen Angst, dass eine so interessante Idee,
wenn sie richtig war, nicht hätte übersehen werden können, und fand,
dass wir sicherstellen mussten, dass wir in unserem Modell keine ver
steckte Schwachstelle übersehen hatten. Auch Raman hielt die Idee für
zu gut, um übersehen worden zu sein. Aber er war zuversichtlich, dass
sie richtig war, und war nur besorgt, dass wir eine ähnliche Idee in der
Fachliteratur nicht beachtet hatten.
Völlig Unrecht hatte er damit nicht. Die Anomalie-Mediation der Su
persymmetriebrechung wurde ungefähr zur selben Zeit, aber unabhän
gig von uns von Gian Giudice am CERN, Markus Luty in Maryland, Hi
toshi Murayama in Berkeley und Riccardo Rattazzi in Pisa entdeckt, die
im selben Sommer zusammengearbeitet hatten. Einen Tag nachdem un
ser Bericht erschienen war, veröffentlichten sie selbst einen. Ihre Arbeit
erstaunte mich. Ich konnte nicht begreifen, wie zwei Gruppen von Phy
sikern in einem einzigen Sommer die qualvolle Reise durch die Ideen be
wältigen konnten, aber Raman vermutete zu Recht, dass andere j a ähn
liche Interessen haben konnten. De facto hatten wir beide Recht. Die an
dere Gruppe verfolgte zwar ähnliche Ideen, a ber sie entwickelte sie un
abhängig von der extradimensionalen Motivation - ohne die anomal
vermittelte Massen bloß eine Kuriosität waren. Wie Riccardo großzügig
dem Physiker Massimo Porrati sagte, einem gemeinsamen Freund, hat
ten Raman und ich die bessere Arbeit geleistet, nicht weil unsere Version
der Anomalie-Mediation richtiger wäre, sondern weil wir einen Grund
gehabt hatten, um den sich j eder sofort gekümmert hätte ! Dieser Grund
waren zusätzliche Dimensionen. Ohne sie würde die Supersymmetrie
brechung nicht abgesondert, und anomal vermittelte Massen würden
von größeren Effekten überlagert.
Andere Physiker haben sich seither darangemacht, Sequestrations
Modelle der gebrochenen Supersymmetrie zu untersuchen. Sie haben
Möglichkeiten gefunden, dies mit anderen, älteren Vorstellungen zu ver
knüpfen, um noch erfolgreichere Modelle zu bekommen, die eventuell
die reale Welt repräsentieren. Und man hat sogar Wege gefunden, die
Lektion der Absonderung rückwärts auf vier Dimensionen zu erweitern.
Es gibt zu viele Modelle, um sie alle aufzuzählen, aber lassen Sie mich
zwei erwähnen, die ich besonders interessant fand. Das erste entstand
aus einer Zusammenarbeit zwischen Raman und Markus Luty. Sie be
nutzten die Erkenntnisse über verzerrte Geometrie ( siehe Kapitel 20), um
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,. John Ellis, Costas Kounnas und Dmitri Nanopoulos hatten noch früher verwandte
Ideen im Rahmen der Stringtheorie in Betracht gezogen.
3 95
VERBORGENE U N I VERSEN
dass sie alle verschiedene Massen haben sollten. Etwas muss sie unter
scheiden, aber die Teilchenphysik des Standardmodells sagt uns nicht,
was das ist.
Wir können versuchen, Modelle zu bauen, die die unterschiedlichen
Massen erklären. Aber fast j edes Modell würde auch unerwünschte
Wechselwirkungen enthalten, die die Flavor-Iden titäten ändern würden.
Wir brauchen etwas, das sicher Flavors unterscheiden kann, ohne diese
problematischen Interaktionen zu produzieren .
Nima Arkani-Hamed und der in Deutschland geborene Physiker Mar
tin Schmaltz nahmen an, dass die verschiedenen Standardmodell-Teil
chen sich auf separaten Branen befinden und dass diese einige Massen
erklären könnten. Nima und Savas Dimopoulos fanden eine weitere,
noch einfachere Möglichkeit. Sie nahmen an, dass es eine Brane gibt, auf
die die Teilchen des Standardmodells beschränkt sind, und dass die
Wechselwirkungen zwischen den Teilchen auf dieser Brane alle Flavors
identisch behandeln. Aber wenn es nur flavorsymmetrische Interaktio
nen gibt, die alle Flavors gleich behandeln, müssten alle Teilchen genau
dieselbe Masse haben. Eindeutig können wir die unterschiedlichen Mas
sen nur erklären, wenn irgendetwas die Teilchen unterschiedlich behan
delt.
Nima und Savas nahmen an, dass andere Teilchen, die für den Bruch
der Flavorsymmetrie verantwortlich sind, auf anderen Branen abgeson
dert sind. Wie beim Supersymmetriebruch mit Sequestration könnte
dann die Flavorsymmetriebrechung nur mittels Wechselwirkungen mit
Teilchen im Bulk an die Standardmodell-Teilchen vermittelt werden.
Wenn viele Bulk-Teilchen mit dem Standardmodell interagieren und
jedes von ihnen den Flavorsymmetriebruch von einer anderen Brane in
unterschiedlicher Entfernung vermittelt, könnte ihr Modell die unter
schiedlichen Massen der Standardmodell-Flavors erklären. Eine von ent
fernten Branen vermittelte Symmetriebrechung würde zu kleineren Mas
sen führen als eine, die von nahen Branen kommuniziert wird. Nima und
Savas tauften ihre Idee Hell, um diesen Umstand zu betonen. Genau wie
Licht dunkler wirkt, wenn seine Quelle weiter entfernt ist, ist der Effekt
des Symmetriebruchs kleiner, wenn sein Ursprung auf einer weiter ent
fernten Brane liegt. In ihrem Szenario unterscheiden sich die verschiede
nen Flavors von Quarks und Leptonen, weil sie j eweils mit einer anderen
Brane in einer unterschiedlichen Entfernung wechselwirken.
Zusätzliche Dimensionen und Sequestration sind neuartige und aufre
gende Möglichkeiten, Probleme der Teilchenphysik anzugehen. Und das
396
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ist wahrscheinlich noch nicht alles. Kürzlich haben wir gezeigt, dass die
Sequestration sogar in der Kosmologie - der Wissenschaft von der Evo
lution unseres Universums - eine wichtige Rolle spielen könnte. Es ist
klar, dass wir erst noch alle Vorzüge eines Universums ( oder Multiver
sums ) mit abgesonderten Teilchen entdecken müssen, und dazu sind wei
tere neue Ideen nötig.
• In einem Modell mit Teilchen, die eine Rolle beim Bruch der Super
symmetrie spielen und von den Standardmodell-Teilchen abgesondert
sind, kann die Supersymmetrie gebrochen werden, ohne Wechselwir
kungen herbeizuführen, die die Flavors der Teilchen ändern würden.
397
18
Undichte Passagen:
Fingerabdrücke zusätzlicher Dimensionen
I was peeking
But it hasn't happened yet
I haven't been given
My best souvenir
I miss you
But I haven't met you yet.
Ich sah mich um
Aber es ist noch nicht passiert
Ich habe noch nicht
Mein bestes Souvenir
Ich vermisse dich
Aber ich habe dich noch nicht getroffen.
Björk
A thena musste zugeben, dass sie Ike vermisste. Sie hatte sich zwar oft
über ihn geärgert, aber ohne ihn fühlte sie sich ziemlich einsam. Sie freute
sich darauf, Zeit mit K. Quadrat zu verbringen, einem Austauschstuden
ten, der zu Besuch kommen wollte. A ber sie war über die Engstirnigkeit
ihrer Nachbarn entsetzt, die alle wegen K. Q uadrats bevorstehender An
k unft besorgt waren. Dass er dieselbe Sprache sprach und sich genauso
benahm wie alle anderen, spielte keine Rolle. Im momentanen Klima
reichte allein K. Quadrats fremde Herkunft, um das Misstrauen der
Nachbarn zu erregen.
Als Athena sie fragte, wovor sie denn Angst hätten, antworteten sie :
» Was ist, wenn er seine schwereren Verwandten nachkommen lässt ?
Wenn diese sich dann nicht s o gut benehmen wie e r und a n ihren fremden
Gesetzen festhalten ? Und wenn sie alle auf einmal kommen, was wird
dann passieren ? «
398
U N D I C H T E PA S SAG E N : F I N G E R A B D R Ü C K E Z U S Ä T Z L I C H E R D I M E N S I O N E N
Weiter vorn in diesem Buch habe ich erklärt, wie zusätzliche Dimensio
nen vielleicht versteckt sind. Sie könnten so aufgerollt oder von Branen
eingeschlossen sein, dass sie nicht wahrnehmbar klein sind. Aber kann
ein extradimensionales Universum wirklich sein Wesen so vollständig
verschleiern, dass keines seiner Merkmale es von einer vierdimensiona
len Welt unterscheidet ? Das fällt schwer zu glauben. Selbst wenn kom
paktifizierte Dimensionen so klein sind, dass wir in der trügerischen Si
cherheit gewiegt werden, unsere Welt sei vierdimensional, müsste eine
höherdimensionale Welt ein paar neue Elemente enthalten, die sie von
einer wirklich vierdimensionalen unterscheiden.
Wenn es Zusatzdimensionen gibt, müssten auch deren Fingerabdrücke
existieren. Bei solchen Fingerabdrücken handelt es sich um Teilchen na
mens Kaluza-Klein- oder KK-Teilchen .. KK-Teilchen sind die zusätzli
,
399
VERBORGENE U N I VERSEN
Kaluza-Klein-Teilchen
* Das ist unsere übliche Zählung der Raumzeitdimensionen. Unsere frühere Diskus
sion von » Flächenland « in Kapitel 1 ging der Erörterung der Relativitätstheorie vor
aus, also haben wir dort nur drei Raumdimensionen berücksichtigt.
400
U N D I C H T E PA S S AG E N : F I N G E R A B D R Ü C K E Z U S Ä T Z L I C H E R D I M E N S I O N E N
Kaluza-Klein-Massen bestimmen
401
VERBORGENE U NIVERSEN
einem quantenmechanischen Universum leben, ist das nicht der Fall. Die
Quantenmechanik besagt, dass - genau wie die Resonanzen von Violin
saitenschwingungen zu den Klängen beitragen, die die Saite hervorbringt
- nur quantisierte extradimensionale Impulse einen Beitrag leisten, wenn
KK-Teilchen die Bewegungen und Wechselwirkungen eines höherdimen
sionalen Teilchens reproduzieren. Und genau wie die Töne einer Violin
saite von deren Länge abhängen, hängen die quantisierten extradimen
sionalen Impulse von KK-Teilchen von Form und Größe der Zusatzdi
mensionen ab.
Die extradimensionalen Impulse der KK-Teilchen würden uns in unse
rer anscheinend vierdimensionalen Welt als unverwechselbares Muster
der Massen von KK-Teilchen erscheinen. Wenn Physiker KK-Teilchen
entdecken, werden uns deren Massen etwas über die Geometrie der Zu
satzdimensionen verraten. Wenn beispielsweise eine einzige Zusatzdi
mension zu einem Kreis aufgerollt ist, würden diese Massen uns die
Größe der Zusatzdimension mitteilen.
Die Prozedur, wie man die erlaubten Impulse (und damit Massen ) von
KK-Teilchen in einem Universum mit einer aufgerollten Dimension he
rausfindet, gleicht in etwa der Methode, mit der man mathematisch die
resonanten Schwingungen von Violinsaiten bestimmt; und sie gleicht
auch der Methode, die Bohr benutzte, um die quantisierten Elektronen
umlaufbahnen in einem Atom zu bestimmen. Die Quantenmechanik
weist allen Teilchen Wellen zu, und nur die Wellen sind erlaubt, die ganz
zahlige Male um den extradimensionalen Kreis herumschwingen. Wir
bestimmen die erlau bten Wellen, und dann beziehen wir mittels der
Quantenmechanik die Wellenlänge auf den Impuls. Und die extradimen
sionalen Impulse verraten uns die erlaubten Massen der KK-Teilchen -
und genau das wollen wir herausfinden.
Die konstante Welle ( eine, die überhaupt nicht oszilliert) ist immer er
laubt. Diese » Welle << ist wie die Oberfläche eines perfekt ruhenden Sees
ohne j ede sichtbare Krä uselung oder wie eine Violinsaite, die nicht ange
strichen oder gezupft wird. Diese Wahrscheinlichkeitswelle hat überall
in der zusätzlichen Dimension denselben Wert. Und wegen des konstan
ten Werts dieser flachen Wahrscheinlichkeitswelle zieht das ihr zuge
ordnete KK-Teilchen keine bestimmte extradimensionale Lokalisierung
allen anderen vor. Der Quantenmechanik zufolge trägt dieses Teilchen
keinen extradimensionalen Impuls, und nach der speziellen Relativitäts
theorie hat es keine zusätzliche Masse.
Das leichteste KK-Teilchen ist daher das, welches mit dieser konstanten
402
UNDICHTE PASSAGEN: FINGERABDRÜ CKE ZUSÄTZLIC HER DIMENSIONEN
403
VERBORGENE UNIVERSEN
Masse
0
Massen-
differenz
- 1 / Größe
-
J -
--
404
U N D I C H T E PA S S AG E N : F I N G E R A B D R Ü C K E Z U S Ä T Z L I C H E R D I M E N S I O N E N
405
VERBORGENE UN IVERSEN
Experimentelle Grenzen
Bis vor kurzem nahmen die meisten Stringtheoretiker an, dass zusätzli
che Dimensionen nicht größer als die winzige Planek-Längenskala sein
könnten. Das lag daran, dass bei der Planck-Energieskala die Gravita
tion stark wird und an diesem Punkt eine Theorie der Quantengravita
tion, welche die Stringtheorie sein könnte, übernehmen müsste. Aber die
Planek-Längenskala ist viel kleiner als alles, was wir experimentell un
tersuchen können. Die winzige Planek-Längenskala entspricht ( nach der
Quantenmechanik und der speziellen Relativitätstheorie ) der enormen
Planck-Massenskala ( oder Energieskala), die das zehntausend Billionen
fache dessen beträgt, was die heutigen Teilchenbeschleuniger erreichen.
KK-Teilchen von Planck-Masse wären so schwer, dass sie außer Reich
weite j edes vorstellbaren Experiments wären.
Vielleicht sind zusätzliche Dimensionen aber größer und KK-Teilchen
und damit leichter. Warum sollten wir nicht stattdessen fragen, was ex
perimentelle Tests uns über die Größe einer Zusatzdimension verraten ?
Was wissen wir wirklich, wenn wir die theoretische Voreingenommen
heit beiseite lassen ?
Wenn die Welt höherdimensional ist und es keine Branen gibt, dann
müssten alle vertrauten Teilchen - das Elektron beispielsweise - KK
Partner haben.32 Es wären Teilchen mit genau derselben Ladung wie be
kannte Teilchen, aber mit Impulsen in den zusätzlichen Dimensionen.
Die KK-Partner der Elektronen wären wie letztere negativ geladen, aber
schwerer. Wenn eine Zusatzdimension zu einem Kreis aufgerollt ist,
würde die Masse des leichtesten dieser Teilchen von der Elektronen
masse um einen Wert abweichen, der umgekehrt proportional zur Größe
der Zusatzdimension ist. Das bedeutet : j e größer die Extradimension,
desto kleiner die Teilchenmasse. Weil eine größere Dimension zu leichte
ren KK-Teilchen führen würde, von denen noch keines beobachtet
wurde, schränken die Grenzwerte der KK-Teilchenmassen die erlaubte
Größe einer zusätzlichen, aufgerollten Dimension ein.
Bislang wurden noch keinerlei Anzeichen für solche geladenen Teil
chen in Collidern beobachtet, die mit Energien bis zu 1000 Ge V arbeiten.
Da die KK-Teilchen Signaturen zusätzlicher Dimensionen wären, wir
aber bislang noch keine gesehen haben, wissen wir, dass die Extradimen
sionen nicht allzu groß sein können. Die momentanen experimentellen
Grenzen sagen uns, dass die Zusatzdimensionen nicht größer als 10 -17
cm sein könnten (einhundert Tausendstel eines Billionstels eines Zenti-
406
U N D I C H T E PAS SAG E N : F I N G E R A B D R Ü C K E Z U S Ä T Z L I C H E R D I M E N S I O N E N
meters ) . ' ' D a s i s t extrem klein, weit kleiner als alles, was w i r direkt be
obachten können.
Diese Größenbeschränkung einer zusätzlichen Dimension ist rund
zehnmal kleiner als die schwache Längenskala. Aber auch wenn 1 0 -17 cm
klein ist, ist es noch riesig im Vergleich zur Planck-Längenskala, die 1 0 - 1 1
c m beträgt, also sechzehn Größenordnungen kleiner ist. D a s heißt, dass
Zusatzdimensionen viel größer sein könnten als die Planek-Längenskala
und trotzdem bislang der Entdeckung entgangen sind. Der ( moderne)
griechische Physiker Ignatius Antoniadis stellte sich als einer der Ersten
vor, dass Zusatzdimensionen nicht Planek-Länge haben, sondern ihre
Größe vielmehr mit der Längenskala vergleichbar ist, die der Reichweite
der schwachen Wechselwirkung entspricht. Er überlegte, wie die neue
Physik aussehen könnte, wenn Collider ihre Energie auch nur ein biss
chen steigern . Schließlich besagt das Hierarchieproblem, dass bei j enen
Energien etwas zu beobachten sein muss, bei denen Teilchen mit schwa
chen Energieskalen und Massen produziert werden.
Aber selbst die oben geschilderte Einschränkung der Größe von Zu
satzdimensionen muss nicht in j edem Fall zutreffen. KK-Teilchen sind
Fingerabdrücke von zusätzlichen Dimensionen, aber sie könnten gewieft
sein und sich nicht so einfach entdecken lassen. Wir haben kürzlich eine
Menge über KK-Teilchen und ihr mögliches Aussehen herausgefunden.
Die folgenden Kapitel werden die neuesten Erkenntnisse erklären, war
um Zusatzdimensionen, wenn man Branen mit ins Bild nimmt, größer
als 1 0 -17 cm sein und sich trotzdem der Entdeckung entziehen können
auch wenn man erwarten muss, dass größere Dimensionen zu leichteren
KK-Teilchen führen . Einige Modelle mit überraschend großen Dimensio
nen - Dimensionen, von denen man annehmen sollte, dass sie sichtbare
Konsequenzen haben - können unsichtbar sein, aber trotzdem die mys
teriösen Eigenschaften von Standardmodell-Teilchen erklären helfen.
Und Kapitel 22 wird ein noch überraschenderes Resultat präsentieren :
Eine unendlich große Zusatzdimension könnte unendlich viele leichte
KK-Teilchen hervorbringen, aber trotzdem keine beobachtbare Spur hin
terlassen.
'' Denken Sie daran, dass wir hier davon ausgegangen sind, dass es keine Branen gibt ;
in den folgenden Kapiteln wird sich diese Einschränkung ändern.
407
VERBORGENE UNIVERSEN
408
19
Voluminöse Passagen:
Große Zusatzdimensionen
* Physiker veröffentlichen ihre Aufsätze auf einer Webseite, die mit » XXX« beginnt :
Probieren Sie einmal xxx.lanl.gov. Internetfilter haben gelegentlich den Zugriff auf
diese Seite verhindert. ( >> XXX« ist das traditionelle amerikanische Kürzel für » nicht ju
gendfrei « , zum Beispiel für pornographische Filme . )
409
'
VERBORGENE UNIVERSEN
* Um der Kürze willen werde ich die drei gemeinsam als »ADD « abkürzen.
410
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N
41 1
VERBORGENE UN IVERSEN
Modelle alle mehr als eine Dimension, und diese Dimensionen sind auf
gerollt. Je nach den Details der Implementierung enthält in ihren Model
len der Raum zwei, drei oder mehr zusätzliche aufgerollte Dimensionen.
Darüber hinaus umfasst das ADD-Modell eine einzige Brane, auf die die
Standardmodell-Teilchen beschränkt sind, aber diese Brane begrenzt kei
nen Raum. Sie sitzt einfach innerhalb der zusätzlichen aufgerollten Di
mension, wie in Abbildung 75 dargestellt.33
Unter anderem wollten ADD mit ihrem Projekt die Frage klären, wie
große Zusatzdimensionen noch versteckt sein könnten, wenn alle Teil
chen des Standardmodells auf einer Brane gefangen sind und die Gravi
tation die einzige Kraft im höherdimensionalen Bulk ist. Ihre Antwort
überraschte die meisten Physiker. Im Gegensatz zur Größe von einem
Hundertstel eines Tausendstels eines Billionstels eines Zentimeters, die
wir im vorangegangenen Kapitel erwogen haben, konnten diese zusätz
lichen aufgerollten Dimensionen bis zu einem Millimeter groß sein.
( Eigentlich ist es ein bisschen heikel, hier die genaue Zahl anzugeben,
denn wie wir später in diesem Kapitel diskutieren werden, haben Physi
ker an der University of Washington experimentell nach millimetergro
ßen Zusatzdimensionen gesucht, aber keine gefunden. Ausgehend von
ihren Ergebnissen wissen wir j etzt, dass die zusätzlichen Dimensionen
kleiner als rund einen Zehntelmillimeter sein müssen, sonst kämen sie
nicht infrage. Trotzdem wären auch noch Dimensionen von einem Zehn
telmillimeter Größe ziemlich schockierend . )
Ihnen geht wahrscheinlich gerade durch den Kopf, dass Dimensionen
von einem Millimeter Größe ( oder auch zehn Mal kleiner) uns doch mit
Sicherheit schon bekannt sein müssten. Schließlich braucht jeder, der
millimetergroße Obj ekte nicht erkennen kann, eine neue Brille. Auf den
Skalen der Teilchenphysik ist ein Millimeter gigantisch groß.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie außerordentlich groß
Zusatzdimensionen von einem Millimeter oder auch nur einem Zehntel
millimeter wären, wollen wir die Längenskalen rekapitulieren, die wir
bislang diskutiert haben. Die Planck-Längenskala, weit außerhalb der
Reichweite unserer Experimente, beträgt I 0 -33 cm. Die TeV-Skala, d ie
wir gegenwärtig experimentell erforschen, liegt bei rund I0 -17 cm ; den
Elektromagnetismus haben Physiker bis hinunter auf so kleine Entfer
nungen wie 1 0 -1 7 cm überprüft. Im Vergleich dazu waren die Größen,
von denen ADD sprachen, riesig. Ohne Branen wären millimetergroße
Zusatzdimensionen eine Absurdität, die nicht infrage käme.
Branen j edoch machen weit größere Extradimensionen vorstellbar.
412
V O L U M I N Ö S E PA S SAG E N : G R O S S E Z U SATZ D I M E N S I O N E N
413
VERBORGENE UN IVERSEN
414
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N
ziert wird. << * Anders ausgedrückt : 1 9 9 8 war über die Schwerkraft nichts
aus Experimenten bei Distanzen unter rund einem Millimeter bekannt.
Bei geringeren Abständen konnte sich die Gravitation anders verhalten
beispielsweise hätte die Schwerkraft viel rascher zunehmen können,
wenn Objekte sich einander nähern -, aber niemand hätte das wissen
können.
* Nima Arkani-Hamed, Savas Dimopoulos, Gia Dvali, »The hierarchy problern and
new dimensions at a millimeter « , Physics Letters B, Bd. 429, S . 263 - 272 ( 1 9 9 8 ) .
* * Denken Sie daran, dass die Planek-Längenskala winzig ist, die Planck-Massenskala
(oder Energieskala) hingegen riesig.
415
VERBORGENE UNIVERSEN
Frage auf, ob die Gravitation - und nicht die Teilchenphysik - sich von
dem unterscheidet, was Physiker bislang angenommen haben.
Aufgrund von solchen Überlegungen kamen ADD zu dem Schluss,
dass Versuche, das Hierarchieproblem durch Erweiterungen des Stan
dardmodells zu lösen, der falsche Weg waren. Sie erkannten, dass hinrei
chend große Zusatzdimensionen das Problem genauso gut lösen konn
ten. Sie schlugen vor, dass die fundamentale Massenskala, die die
Schwerkraft determiniert, nicht die Planck-Massenskala ist, sondern
eine viel kleinere Massenskala in der Nähe von einem TeV.
Damit standen ADD aber noch immer vor der Frage, warum die Gra
vitation so schwach sein sollte. Denn dass die Planck-Massenskala so
groß ist, hat seinen Grund schließlich darin, dass die Schwerkraft
schwach ist - die Stärke der Gravitation ist dieser Skala umgekehrt pro
portional. Eine viel kleinere fundamentale Massenskala für die Schwer
kraft würde gravitative Wechselwirkungen viel zu stark machen.
Aber dieses Problem war nicht unüberwindlich. ADD betonten, dass
nur die höherdimensionale Gravitation notwendigerweise stark war. Sie
überlegten, dass große Zusatzdimensionen die Schwerkraft so weit ver
dünnen könnten, dass die Gravitation in einer niederdimensionalen ef
fektiven Theorie recht kraftlos bliebe, auch wenn sie in höheren Dimen
sionen sehr stark wäre. In ihrem Bild erscheint uns die Schwerkraft
schwach, weil sie in einem sehr großen extradimensionalen Raum ver
dünnt wird. Die elektromagnetischen, starken und schwachen Wechsel
wirkungen hingegen wären nicht so kraftlos, weil diese auf eine Brane
beschränkt wären und daher überhaupt nicht verdünnt würden. Große
Dimensionen und eine Brane konnten daher möglicherweise erklären,
warum die Gravitation so viel schwächer als die anderen Kräfte ist.
Nima erzählte mir, der Wendepunkt bei ihren Forschungen sei erreicht
gewesen, als er und seine Mitarbeiter die genaue Beziehung zwischen den
Stärken von höher- und niederdimensionaler Gravitation verstanden.
Neu war dieses Verhältnis nicht. Stringtheoretiker beispielsweise haben
damit schon immer die vierdimensionale Gravitationsskala zu einer
zehndimensionalen in Beziehung gesetzt. Und wie kurz in Kapitel 1 6 er
klärt, bedienten sich Horava und Wirten des Verhältnisses zwischen den
Stärken von zehn- und elfdimensionaler Gravitation, als sie erkannten,
dass die Gravitation mit anderen Wechselwirkungen vereint werden
kann : Eine große elfte Dimension ermöglicht, dass die höherdimensio
nale Gravitationsskala und damit die Stringskala so klein wie die GVT
Skala sind. Aber bislang hatte noch niemand erkannt, dass eine höherdi-
416
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N
417
VERBORGENE UN IVERSEN
breitet es sich nur noch in Längsrichtung des Schlauches aus - und des
halb scheint der Schlauch eindimensional zu sein, wenn wir die Schwer
kraft bei Distanzen messen, die größer sind als die Zusatzdimensionen.
Aber auch wenn das Wasser nur entlang der einen Dimension des
Schlauchs fließt, hängt sein Druck von der Größe des Querschnitts ab.
Man versteht das, wenn man sich vorstellt, was passieren würde, wenn
der Schlauch weiter wäre. Das durch das kleine Loch eingetretene Was
ser würde sich dann über ein größeres Gebiet verteilen und der Druck
des hinausfließenden Wassers wäre schwächer.
Wenn der Wasserdruck die Schwerkraftlinien repräsentiert und das
durch das Loch in den Schlauch eintretende Wasser die Feldlinien von
einem massiven Obj ekt, dann würden sich die Kraftlinien dieses massi
ven O bj ekts anfänglich in allen drei Richtungen ausbreiten, wie das
Wasser im eben geschilderten Beispiel. Und wenn die Kraftlinien die
Wände des Universums (die Branen) erreichen, krümmen sie sich und
verlaufen einzig und allein entlang der einen großen Dimension. Beim
Schlauch haben wir festgestellt, dass der Wasserdruck umso schwächer
ist, j e größer der Durchmesser. Ähnlich würde in unserem Wasser
schlauch-Universum die Fläche der zusätzlichen Dimensionen bestim
men, wie verdünnt die Feldlinien in der niederdimensionalen Welt sind.
Je größer der Bereich der zusätzlichen Dimensionen, desto schwächer
die Gravitationsfeldstärke im effektiven niederdimensionalen Univer-
sum.
Dasselbe trifft auf zusammengerollte Dimensionen in einem Univer
sum mit einer beliebigen Anzahl von aufgerollten Dimensionen zu. Je
größer das Volumen der Extradimensionen, desto verdünnter die
Schwerkraft und desto schwächer die Gravitation. Wir können das mit
einem höherdimensionalen Schlauch veranschaulichen, der dem gerade
betrachteten analog ist. In einem höherdimensionalen Schlauch würden
sich Schwerkraftlinien zunächst in allen Richtungen einschließlich der
zusätzlichen aufgerollten Dimensionen ausbreiten. Dann würden die
Kraftlinien die Grenzen der aufgerollten Dimensionen erreichen und nur
noch den unendlichen Dimensionen des niederdimensionalen Raums
folgen. Die ursprüngliche Ausbreitung in den Zusatzdimensionen würde
die Dichte der Kraftlinien im niederdimensionalen Raum reduzieren, so
dass die dort wahrgenommene Schwerkraft schwächer wäre.34
418
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N
419
VERBORGENE UNIVERSEN
hängt von ihrer Anzahl ab. ADD zogen für die Dimensionen ihres Mo
dells verschiedene mögliche Zahlen in Betracht, da experimentell noch
nicht entschieden ist, wie viele Dimensionen es gibt. Beachten Sie, dass
wir uns im Moment nur für die großen Dimensionen interessieren. Wenn
also Sie oder Ihr örtlicher Stringtheoretiker zu wissen glauben, dass die
Anzahl der Raumdimensionen neun oder zehn beträgt, dann können Sie
für die Anzahl der großen Dimensionen noch immer andere Möglichkei
ten in Betracht ziehen und annehmen, dass alle anderen Dimensionen
klein genug sind, um sie ignorieren zu können.
Die Größe der Dimensionen im ADD-Vorschlag hängt davon ab, wie
viele es sind, weil das Volumen von der Zahl der Dimensionen abhängt.
Wenn alle Dimensionen dieselbe Größe hätten, würde eine höherdimen
sionale Region mehr Volumen einschließen als eine niederdimensionale
und daher die Gravitation stärker verdünnen. Das kann man dann leicht
an der Tatsache nachvollziehen, dass niederdimensionale Obj ekte in hö
herdimensionale hineinpassen. Wir können auch auf unsere Sprinkler
Analogie in Kapitel 2 zurückgreifen, anhand deren man erkennt, dass
eine Pflanze mehr Wasser von einem Sprinkler bekommt, der das Wasser
nur über eine begrenzte Strecke einer geraden Linie verteilt (eine Dimen
sion ) , als von einem anderen, der das Wasser über die von einem Kreis
( zwei Dimensionen) mit gleich großem Durchmesser eingeschlossene
Fläche verteilt. Wenn Wasser über eine höherdimensionale Region ver
teilt wird, wird seine Menge stärker verdünnt.
Wenn es nur eine einzige große Zusatzdimension gä be, müsste sie gi
gantisch sein, um den Anforderungen des ADD-Vorschlags zu entspre
chen. Sie müsste so groß sein wie der Abstand zwischen Erde und Sonne,
um die Gravitation genügend verdünnen zu können. Das ist nicht er
laubt. Wenn die zusätzliche Dimension so groß wäre, würde sich das
Universum bei messbaren Entfernungen so verhalten, als wäre es fünfdi
mensionaL Wir wissen bereits, dass bei diesen Distanzen Newtons
Schwerkraftgesetz gilt; eine große Extradimension, die die Gravitation
über so große Entfernungen beeinflusst, kommt eindeutig nicht infrage.
Jedoch ist schon bei nur zwei zusätzlichen Dimensionen deren Größe
so klein, dass es fast zu akzeptieren ist. Gäbe es nur zwei Zusatzdimen
sionen, könnten sie so klein wie ein Millimeter sein und noch immer die
Gravitation ausreichend verdünnen . Das ist der Grund, warum ADD der
Millimeterskala so viel Aufmerksamkeit schenkten : Sie stand nicht nur
kurz davor, experimentell zugänglich zu werden ; zwei zusätzliche Di
mensionen dieser Größe konnten auch für das Hierarchieproblem von
420
V O L U M I N Ö S E PA S S AG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N
421
VERBORGENE UN IVERSEN
die so klein sind wie die vorgeschlagene Größe der aufgerollten Dimen
sion ( oder noch kleiner) , und nachsehen, wie die Schwerkraft vom Ab
stand zwischen den Massen bei solchen Distanzen abhängt, könnte man
experimentell das Verhalten der Gravitation studieren und nach Bewei
sen für Extradimensionen suchen. Jedoch sind für Schwerkraft bei sehr
kurzen Entfernungen empfindliche Experimente ungeheuer schwierig.
Die Gravitation ist so schwach, dass sie ohne weiteres von anderen
Wechselwirkungen wie etwa dem Elektromagnetismus überlagert wird .
Wie bereits erwähnt, hatten zur Zeit von ADDs Vorschlag Experimenta
toren nach Abweichungen von Newtons Gravitationsgesetz gesucht und
gezeigt, dass es zumindest bis hinunter zu Entfernungen von rund einem
Millimeter weiterhin gilt. Wem immer es gelingen würde, noch kürzere
Distanzen zu studieren, der hätte eine Chance, die großen Dimensionen
des ADD-Vorschlags zu entdecken, die kurz davor standen, experimen
tell zugänglich zu werden.
Experimentatoren stellten sich der neuen Herausforderung. Von der
ADD-Idee motiviert, entwarfen Eric Adelherger und Blayne Hecke!, Pro
fessoren an der University of Washington, ein sehr schönes Experiment,
422
VOLUMINÖSE PASSAGEN: GROSSE ZUSATZDIMENSIONEN
dessen Sinn darin bestand, bei sehr kurzen Entfernungen nach Abwei
chungen von Newtons Gesetz zu suchen. Andere erforschten gleichfalls
die Gravitation bei kurzen Distanzen, dieses Experiment aber war der
stringenteste Test des ADD-Vorschlags.
Der im Keller der Physikfakultät der University of Washington aufge
baute Apparat wird als Eöt-Wash-Experiment bezeichnet. Der Name
verweist auf einen berühmten Physiker und Schwerkraftexperten, den
ungarischen Baron Lorand von Eötvös. Wie das Experiment der Eöt
Wash-Gruppe aufgebaut ist, zeigt Abbildung 76. Der Apparat besteht
aus einem Ring, der über zwei anziehenden Scheiben aufgehängt ist, zwi
schen denen nur ein ganz geringer Abstand ist. In den Ring und in die
beiden Scheiben sind Löcher gebohrt, und diese sind so ausgerichtet,
dass sich der Ring nicht verdreht, wenn Newtons Gesetz gilt. Gäbe es je
doch zusätzliche Dimensionen, würde der Unterschied der Anziehungs
kräfte der beiden Scheiben nicht mit Newtons Gesetz übereinstimmen,
und der Ring müsste sich verdrehen.
Adelherger und Hecke! stellten keine Verdrehung fest und schlussfol
gerten, dass bei den von ihnen untersuchten Entfernungen keine extradi
mensionalen ( oder sonstigen) Effekte die Schwerkraft modifizieren. Bei
ihrem Experiment wurde die Schwerkraft bei Distanzen vermessen, die
kleiner waren als j e zuvor, und damit war sichergestellt, dass Newtons
Gesetz bis hinunter zu rund einem Zehntelmillimeter gültig ist. Das be
deutete, dass zusätzliche Dimensionen - selbst solche, bei denen Stan
dardmodell-Teilchen auf eine Brane beschränkt sind - längst nicht so
groß sein konnten wie der Millimeter, den ADD vorgeschlagen hatten.
Sie mussten mindestens zehnmal kleiner sein.
Bemerkenswerterweise sind millimetergroße Dimensionen auch auf
grund von Weltraumbeobachtungen ausgeschlossen. Die quantenme
chanische Unschärferelation setzt einen Millimeter zu einer Energie von
nur rund 1 0 -3 eV in Beziehung und einen Zehntelmillimeter zu einer
Energie von rund I 0 -2 eV - was in j edem Fall sehr wenig Energie ist, viele
Größenordnungen kleiner, als gebraucht wird, um beispielsweise ein
Elektron zu erzeugen.
Teilchen mit so geringer Masse könnten im Universum um uns herum
und in himmlischen Obj ekten wie etwa Supernovae oder Sonnen ge
funden werden. So leichte Teilchen könnten, wenn es sie gi bt, von einer
heißen Supernova erzeugt werden. Da wir aber wissen, wie schnell sich
Supernovae abkühlen, und da wir auch wissen, wie der Abkühlungsme
chanismus funktioniert ( mittels Neutrino-Emission ) , wissen wir auch,
423
VERBORGENE U N I VERSEN
dass nicht zu viele andere Obj ekte von geringer Masse emittiert werden
können . Das Abkühlungstempo wäre viel zu schnell, wenn noch auf an
dere Weise Energie hinausgelangte. Insbesondere sollten Gravitonen
nicht zu viel Energie forttragen. Aufgrund dieser Überlegung zeigten
Physiker ( unabhängig von irdischen Experimenten ) , dass zusätzliche Di
mensionen kleiner als rund einen Hundertstelmillimeter sein müssten.
Jedoch darf man dabei nicht vergessen, dass der überzeugende Aus
schluss von Gravitationsa bweichungen bei Millimeterdistanzen nicht
zur Überprüfung der meisten momentan vorgeschlagenen extradimen
sionalen Modelle taugt. Denken Sie daran, dass nur das Modell mit zwei
großen Zusatzdimensionen Effekte zur Folge hat, die auf der Millimeter
skala zu sehen sein würden. Wenn eine Theorie mit mehr als zwei großen
zusätzlichen Dimensionen das Hierarchieproblem löst (oder wenn eines
der im nächsten Kapitel vorgestellten Modelle auf die Welt zutrifft ) ,
d a n n würde es Abweichungen v o n Newtons Gesetz n u r b e i viel kürzeren
Distanzen geben.
Wir wissen nicht genau, wie die gravitative Anziehung zwischen zwei
O bj ekten im Abstand von weniger als einem Zehntelmillimeter aussieht.
Bislang hat das noch niemand überprüft. Also wissen wir auch nicht, ob
sich zusätzliche Dimensionen über einen Zehntelmillimeter erstrecken,
was, wenn man einmal darüber nachdenkt, gar nicht so klein ist. Relativ
große Extradimensionen - wenn auch nicht ganz so groß wie ein Milli
meter - bleiben möglich. Um solche Modelle zu testen, müssen wir Ex
perimente mit Collidern abwarten, dem Thema des nächsten Abschnitts.
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VERBORGENE UNIVERSEN
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VOLUMINÖSE PASSAGEN: GROSSE ZUSATZDIMENSIONEN
Teilchen
Jet
427
VERBORGENE UNIVERSEN
wären viel kleiner als die im Universum um uns herum. Ihre Größe wäre
der sehr winziger Zusatzdimensionen vergleichbar. Falls Sie sich Sorgen
machen, kann ich Ihnen versichern, dass diese kleinen, äußerst kurzlebi
gen Schwarzen Löcher keine Gefahr für uns oder unseren Planeten dar
stellen würden : Ehe sie irgendwelchen Schaden anrichten könnten, wä
ren sie schon wieder verschwunden. Auch Schwarze Löcher haben nicht
ewig Bestand : Sie >> verdampfe n << , indem sie eine Strahlung emittieren,
und d ieses Phänomen ist als Hawking-Strahlung bekannt. Und genau
wie ein kleiner Tropfen Kaffee schneller verdunstet als eine ganze Tasse
voll, verdampft ein kleines Schwarzes Loch viel rascher als ein großes,
und die kleinen Schwarzen Löcher, die wir möglicherweise mit Colli
dern produzieren, werden fast auf der Stelle wieder verschwunden sein.
Trotzdem würden diese höherdimensionalen Schwarzen Löcher, so sie
produziert werden, lange genug Bestand haben, um in einem Detektor
sichtbare Anzeichen für ihre Existenz zu hinterlassen. Diese böten ein
unverwechselbares Erscheinungsbild, da sie viel mehr Teilchen produzie
ren würden als bei einem gewöhnlichen Teilchenzerfall, und diese Teil
chen würden in alle Richtungen davonstieben.
Darüber hinaus sind, wenn das ADD-Modell zutrifft, Schwarze Lö
cher und KK-Partner des Gravitons nicht die einzigen exotischen neuen
Entdeckungen. Wenn sowohl das ADD-Modell als auch die Stringtheo
rie richtig sind, könnten Collider bei sehr kleinen Energien - fast so
niedrig wie ein Te V - Strings produzieren. Abermals liegt es daran, dass
in den ADD-Modellen die fundamentale Gravitationsskala so niedrig
ist. Die höherdimensionale Gravitation würde bei rund einem Te V stark
werden, und die Quantengravitation könnte messbare Effekte beitra
gen.
Die Strings der ADD-Theorie wären nicht annähernd so massiv wie
die unerreichbare Planck-Massenskala. Wenn man sich Strings als Töne
denkt, dann klingen die Strings des ADD-Vorschlags viel weniger hoch.
Die tiefen Strings der ADD-Modelle hätten eine Masse, die nicht viel grö
ßer als ein TeV wäre. Wenn wir Glück haben, werden sie so leicht sein,
dass der LHC sie erzeugen kann. Kollisionen mit ausreichend hoher
Energie würden dann die leichten Strings dieses Modells im Überfluss
produzieren und daneben noch neue Obj ekte namens Stringbälle, die
viele lange Strings enthalten.
Solche potenziellen Entdeckungen sind zwar sehr reizvoll, aber man
muss dabei daran denken, dass aller Wahrscheinlichkeit nach die Energie
des LHC zwar an diejenige heranreichen wird, die man zur Erzeugung
42 8
V O L U M I N Ö S E PA S SAG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N
Die Auswirkungen
429
VERBORGENE U N I VERSEN
mensionen sind auch nicht irrer. << Die Experimentatoren wollten nach
etwas Neuern suchen, und Zusatzdimensionen boten eine sehr interes
sante Alternative zur Supersymmetrie.
Die Reaktionen der Theoretiker waren eher gemischt. Einerseits schie
nen große Zusatzdimensionen etwas weit hergeholt ; niemand hatte sie
zuvor in Betracht gezogen, weil niemand irgendeinen Grund sah, warum
Extradimensionen so groß sein sollten. Andererseits sah auch niemand
eine Möglichkeit, sie auszuschließen. Ehe der erste Aufsatz über große
Extradimensionen geschrieben wurde, referierte Gia Dvali, einer der Au
toren, darüber in Stanford . Die Autoren waren sich der Radikalität ihres
Vorschlags bewusst, sahen dem Vortrag mit banger Erwartung entgegen
und waren erleichtert, als es keine ernsthaften Einwände gab. Sie waren
aber auch enttä uscht : Wie konnten die Kollegen diese ziemlich radikale
Idee so gelassen aufnehmen ? Nima erzählte mir, sie hätten Ähnliches er
lebt, als sie ihren Aufsatz erstmals im Internet veröffentlichten. Sie hat
ten eine Flut von Reaktionen erwartet, bekamen aber nur zwei Zuschrif
ten. Offensichtlich waren der italienische Physiker Riccardo Rattazzi
und ich die Einzigen, die sich zu ein paar potenziellen Problemen äußer
ten. Und voneinander unabhängig waren diese beiden Reaktionen auch
nicht wirklich : Riccardo und ich hatten den Aufsatz gerade am CERN
diskutiert, wo wir zu Besuch weilten.
Später nahmen sich Physiker des ADD-Modells an und untersuchten
gründlicher, welche Konsequenzen es für die wirkliche Welt haben
könnte ; sie dachten sich Schwerkrafttests aus und Experimente mit Teil
chenbeschleunigern und erwogen die astrophysikalischen und kosmolo
gischen Folgen. Je nach Forschungsinteresse oder -methodik variierten
die Reaktionen .
Wer v o n d e n Physikern sich im Detail m i t d e m Standardmodell be
fasste, akzeptierte erfreut diese mögliche neue Idee, die auf j eden Fall in
teressant war. Überraschenderweise reagierten einige Modellbauer
feindseliger, weil sie nicht bereit waren, die Supersymmetrie-Ideen auf
zugeben, in die sie sich seit Jahren verbissen hatten. Zugegeben, eine so
drastische Änderung des Standardmodells musste die bereits experimen
tell bestätigten Eigenschaften des Standardmodells reproduzieren, und
auf Theorien, d ie das Standardmodell zu radikal abändern, kommen in
dieser Hinsicht harte Zeiten zu. Darüber hinaus würde das Glanzlicht
der Supersymmetrie aufgegeben werden müssen : die Vereinheitlichung
der Kopplungen, die Tatsache, dass bei hoher Energie alle Kräfte die
selbe Stärke haben würden. Jüngere Theoretiker, die sich noch nicht so
430
V O L U M I N Ö S E PA S SAG E N : G R O S S E Z U SAT Z D I M E N S I O N E N
431
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
432
20
Athena erwachte jäh. Sie hatte gerade wieder diesen Traum gehabt, der
sie Jetzt öfters heimsuchte ; wiederum hatte er damit begonnen, dass sie
durch das Kaninchenloch in die Traumwelt geraten war. A ls in dieser
Episode das Kaninchen verkündete : » Nächster Halt : Tuhdieland « , igno
rierte Athena es und wartete, welche anderen Stationen ausgerufen wür
den.
Am Haltepunkt für drei Raumdimensionen sagte das Kaninchen :
» Wenn Sie hier lebten, wären Sie jetzt zu Hause. « A ber es weigerte steh,
die Tür aufzumachen, obwohl Athena bettelte, sie würde in der Tat hier
leben und sehr gern nach Hause zurückkehren.
Am nächsten Haltepunkt versuchten einheitlich gekleidete Sechsdi
mensioner einzutreten. Aber das Kaninchen schaute sich nur kurz ihre
ungeheuren Ausmaße an und schloss abrupt die Tür, wobei es sagte, sie
würden keinesfalls hineinpassen. Rasch verzogen sie sich , als das Kanin
chen damit drohte, sie zurechtzustutzen. ,.
433
VERBORGENE UN IVERSEN
Wenn man eine neue Sprache lernt, hängt das Vokabular, das man sich
am leichtesten merkt, von bestimmten Bedürfnissen oder Umständen ab.
Bei einer Fahrradtour durch Italien lernte ich beispielsweise auf man
cherlei Weise um Wasser zu bitten : acqua di rubinetto, acqua minerale,
acqua (minerale) gassata, acqua (minerale) naturale und so weiter. * ,_
Ähnlich geht bei neuen physikalischen Szenarios j eder Physiker und jede
Physikerin mit einer eigenen Perspektive eigenen Fragestellungen nach,
und daher kann er oder sie bestimmte Aspekte eines Systems bemerken
oder neue Konsequenzen entdecken, die bislang noch nicht bekannt wa
ren. Jeder von uns kann dieselben Worte oder dieselbe Situation anders
verstehen, und es ist sinnvoll, gut zuzuhören zu lernen.
Raman und ich hatten j ahrelang über das Hierarchieproblem nachge
dacht. Aber als wir mit unserer Zusammenarbeit begannen, suchten wir
gar nicht nach einer neuen, besseren Lösung für das Hierarchieproblem.
Wir arbeiteten an dem Modell der abgesonderten, gebrochenen Super
symmetrie, das ich in Kapitel 17 vorgestellt habe. Im Verlauf dieser For
schungen stießen wir ungewollt auf eine bemerkenswerte verzerrte Geo
metrie der Raumzeit (ein bestimmter Typ von gekrümmter Geometrie,
den wir bald kennen lernen ) , die von zwei Branen begrenzt wird. Und
weil Raman und ich uns um Teilchenphysik und die Schwäche der Gra
vitation kümmerten, erkannten wir sofort die potenzielle Bedeutung der
verzerrten Geometrie : Wenn das Standardmodell der Teilchenphysik
sich in dieser Raumzeit befindet, könnte das Hierarchieproblem gelöst
werden. Ich bin mir nicht sicher, ob wir die Ersten waren, die diese be
stimmte Gruppe von Einstein'schen Gleichungen untersuchten. Aber wir
434
V E R Z E R RT E PA S S AG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S
435
VERBORGENE U N I VERSEN
kussion über die besondere Bedeutung der Theorie für zukünftige Expe
rimente beschließen. Einer der aufregendsten Aspekte ist dabei - wie bei
den Modellen mit großen Zusatzdimensionen im vorangegangenen Ka
pitel -, dass diese Theorie, wenn sie richtig ist, Konsequenzen hat, die
schon bald mit Teilchenbeschleunigern zu beobachten sein müssten. Wir
werden sehen, dass diese de facto noch dramatischer sind als die Signa
tur der fehlenden Energie, die wir gerade kennen gelernt haben. Die KK
Partner der Gravitonen werden, auch wenn es sich bei ihnen um Besu
cher aus einem höherdimensionalen Raum handelt, gut zu unterschei
dende, sichtbare Teilchen sein, die in die vertrauten Teilchen unserer
vierdimensionalen Brane zerfallen.
436
V E R Z E R RT E PA S SAG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S
sie sich überall gleich anfühlen müsste. Die Energie auf den Branen und
im fünfdimensionalen Bulk krümmt die Raumzeit, und das beeinflusst
das Gravitationsfeld enorm.
Im vorangegangenen Kapitel machten sich die Theorien mit großen
Extradimensionen die Tatsache zunutze, dass Branen Teilchen und
Kräfte gefangen halten können, vernachlässigten aber, dass die Branen
selbst Energie tragen können. Raman und ich waren nicht sicher, ob dies
wirklich eine gute Annahme war, da ein zentraler Bestandteil von Ein
steins allgemeiner Relativitätstheorie besagt, dass Energie ein Gravitati
onsfeld induziert, was heißt, dass Branen, wenn sie Energie tragen, eben
falls Raum und Zeit krümmen müssten. In einem Universum mit nur
einer Zusatzdimension, wie wir es untersuchen wollten, war überhaupt
n icht klar, ob man die Energie von Branen und Bulk vernachlässigen
konnte : Die Gravitationseffekte der Brane lösen sich nicht rasch auf,
also würde man sogar weit von den Branen entfernt Verzerrungen der
Raumzeit erwarten müssen.
437
VERBORGENE UNIVERSEN
* Manchmal sage ich •• drei-plus-eins• statt »vier • , wenn ich den Unterschied zwi
schen Raum und Zeit betonen will.
438
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARCHIEPROBLEMS
gendwo in der fünften Dimension Branen, aber die Geometrie der drei
plus-eins-dimensionalen O berflächen, die man bekommt, wenn man
sich auf irgendeinen fünfdimensionalen Punkt beschränkt, sieht flach
aus : Sie hat dieselbe Gestalt wie die gr o ß e n flachen Branen an den En
den. Wenn man s ich die Grenzbranen als die Endstücke eines Brotlaibs
denkt, dann sind die fla che n , parallelen vierdimensionalen Regionen ir
gendwo e ntlan g der fünften Dimension der Raumzeit wie die flachen
Bro ts c h e ib en i rgen dwo aus dem Inneren des Laibs.
Aber die hier erörterte fünfdimensionale Raumzeit ist dennoch ge
krümmt. Das spiegelt sich in der Art und Weise wider, wie die vierdimen
sionalen flachen Raumzeit-Scheiben entlang der fünften Dimension an
einander kleben. Zum ersten Mal sprach ich über diese Geometrie am
Kavli Institute for Theoretical Physics in Santa Barbara, wo der String
theoretiker Tom Banks mir mitteilte, dass - technisch betrachtet - die
fünfdimensionale Geometrie, die Raman und ich gefunden hatten, >> ge
warpt<< beziehungsweise verzerrt sei. Zwar werden viele gekrümmte
Raumzeiten umgangssprachlich als verzerrt bezeichnet, als technischer
Ausdruck sind damit aber Geometrien gemeint, bei denen jede Scheibe
für sich flach ist •, sie alle a ber mit einem übergeordneten Verzerru ngs
oder Warpfaktor • • zusammengesetzt sind. Der Warpfaktor ist eine
Funktion, die die Gesamtskala für Position, Zeit, Masse und Energie an
jedem Punkt der fünften Dimension verändert. Dieses faszinierende
Merkmal einer verzerrten Geometrie ist ein wenig kompliziert, und ich
werde es im folgenden Abschnitt näher erklären. Der Warpfaktor spie-
* Genauer gesagt haben alle Scheiben dieselbe Geometrie ; nur in diesem Fall sind die
Scheiben alle flach.
* * To warp sich verwerfen, verziehen.
=
439
VERBORGENE UNIVERSEN
,, Denken Sie daran, dass die fünfte Dimension die fünfte der Raumzeit ist und die
vierte, hypothetische Dimension des Raums.
440
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS
tion des Gravitons nur von der Position entlang der fünften Dimension
abhängt. Damit ist die Krümmung der verzerrten Raumzeit vollständig
charakterisiert. Und weil die Funktion nur mit einer einzigen Koordinate
variiert, der der fünften D imension, ist sie einfach darzustellen.
Die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons entlang der fünften
Dimension ist in Abbildung 80 dargestellt. Sie nimmt exponentiell ab
was heißen soll, außerordentlich schnell -, wenn man die erste Brane
verlässt, die wir die Gravitationsbrane nennen, und sich der zweiten
Brane nähert, die Schwachbrane heißt. Die Gravitationsbrane und die
Schwachbrane unterscheiden sich insofern, als die erste positive Energie
trägt und die zweite negative. Und diese Energiezuweisung macht den
Wert für die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons in der Nähe der
Gravitationsbrane viel größer.
Das Absacken der Wahrscheinlichkeitsfunktion bedeutet, dass das
Graviton - das physikal isc he Teilchen, dessen Austausch die Anzie
hungskraft erzeugt - kaum eine Chance hat, in der Nähe der Schwach
brane gefunden zu werden. Die Wechselwirkungen de s Gravitons sind
auf der Schwachbrane also stark ge dä m p ft .
Die Stärke d e r Grav itation h ä ngt so extrem von der Position entlang
der fünften Dimension ab, dass die auf den beiden Branen an den entge
gengesetzten Enden wahrgenommenen Anziehungskräfte außerordent-
441
VERBORGENE UNIVERSEN
lieh verschieden sind. Auf der ersten Brane, wo die Gravitation lokali
siert ist, ist die Schwerkraft stark, aber kraftlos auf der zweiten, wo das
Standardmodell zu Hause ist. Weil die Wahrscheinlichkeitsfunktion des
Gravitons auf der zweiten Brane vernachlässigbar klein ist, sind die
Wechselwirkungen des Gravitons mit den Standardmodeii-Teilchen, die
auf diese Brane beschränkt sind, extrem schwach.
Das heißt, dass wir in dieser verzerrten Raumzeit tatsächlich erwar
ten können, eine Hierarchie zwischen den beobachteten Massen und
der Planck-Massenskala zu finden. Das Graviton ist zwar überall, es
wechselwirkt aber weit stärker mit Teilchen auf der Gravitationsbrane
als mit Teilchen auf der Schwachbrane. Dafür treibt sich das Graviton
hier einfach nicht genug herum. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion des
Gravitons ist auf der Schwachbrane extrem winzig, und wenn dieses
Szenario als korrekte Beschreibung der Welt gelten kann, ist diese Win
zigkeit für die Schwäche der Schwerkraft in unserem Universum verant
wortlich.
In diesem Modell ist für eine kraftlose Gravitation auf der Schwach
brane kein großer Abstand zwischen den beiden Branen erforderlich.
Hat man die Gravitationsbrane, wo die Wahrscheinlichkeitsfunktion des
Gravitons stark konzentriert ist, erst einmal verlassen, wird die Schwer
kraft exponentiell schwächer, bis sie auf der Schwachbrane extrem ge
ring ist. Weil die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons steil abfä llt,
ist die Schwerkraft auf der Schwachbrane (wo wir leben) stark ge
dämpft. Sie kann zehn Millionen Milliarden Mal schwächer sein, als
ohne die Verzerrung zu erwarten wäre, selbst wenn die beiden Branen
ziemlich dicht beisammen sind. Dieser Aspekt der Theorie - die Tatsa
che, dass zwischen den Branen kein großer Abstand sein muss - macht
das Modell zu einer weit realistischeren Möglichkeit als große zusätzli
che Dimensionen. Auch wenn große Extradimensionen eine reizvolle
Umformulierung des Hierarchieproblems waren, bleibt zu guter Letzt
noch immer eine große Zahl unerklärt - die Größe der zusätzlichen Di
mensionen. In der Theorie, die wir jetzt erörtern, ist die Schwerkraft auf
der Schwachbrane um viele Größenordnungen kleiner als die anderen
Kräfte, selbst wenn die Schwachbrane nur eine bescheidene Strecke von
der ersten Brane (der Gravitationsbrane) entfernt ist.
Der Abstand zwischen den Branen muss bei dieser verzerrten Geome
trie nur ein bisschen größer sein als die Planck-Längenskala. Während
im Szenario mit großen Dimensionen die Einführung einer enormen
Zahl erforderlich war - nämlich die Größe der Dimensionen -, braucht
442
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARCHIEPROBLEMS
man bei der verzerrten Geometrie keine fantastisch große Zahl, um die
Hierarchie zu erklären. Der Grund dafür ist, dass eine Exponentialfunk
tion automatisch eine bescheidene Zahl in eine extrem große Zahl um
wandelt (den Exponentialwert) oder in eine extrem winzige (die Umkeh
rung des großen Exponentialwerts ) . Die Schwerkraft ist auf der
Schwachbrane kleiner ; sie wird um einen Faktor reduziert, der gleich
dem Exponentialwert des Abstands zwischen den beiden Branen ist. •
Das gigantische Verhältnis zwischen der Planck-Massenskala - der gro
ßen Masse, die uns sagt, dass die Gravitation schwach ist - und der
Masse des Higgs-Teilchens und damit der Massen der schwachen Eich
bosonen ergibt sich, wenn die Schwachbrane in einer Entfernung von 16
Einheiten • • lo k al i s i ert ist, da das Verhältnis der unterschiedlichen Mas
sen rund 1 0 1 6 beträgt (zehn Millionen Milliarde n ) . Das heißt, dass ein
Branenabstand, der nur rund sechzehnmal größer ist als die naivste An
nahme, ausreichen würde, um die Hierarchie zu erklären. Ein Faktor
von 16 mag groß e rs chei n en , aber er ist viel kleiner als zehn Millionen
Milliarden die Zahl, die wir zu erklären versuchen.
-
• In welchen Einheiten diese Entfernung gemessen wird, bestimmt die Energie auf der
Brane, die wiederum von der Planck-Massenskala bestimmt wird.
* • Diese Zahl meint Einheiten der Krümmung, die wiederum von der Energie auf der
Brane und im Bulk bestimmt ist.
443
V E R B O R G E N E U N I VE R S E N
von einem massiven Objekt ausgehen und ausgedünnt wurden, weil sie
sich über große Dimensionen ausbreiteten. Wenn wir wollen, können
wir dieses Verdünnen als Konsequenz der Wahrscheinlichkeitsfunktion
des Gravitons beschreiben. Denken Sie daran, dass die Wahrscheinlich
keitsfunktion des Gravitons uns sagt, wie sich die Gravitation im Raum
verteilt. Weil in dem Szenario mit großen zusätzlichen Dimensionen die
Schwerkraft überall in den Extradimensionen gleich stark ist, ist die
Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons in diesem Fall flach. Und
das würde uns sagen, dass das Graviton - das Tei lchen, das die Schwer
kraft vermittelt - über die große Region verteilt ist, die von den Extradi
mensionen eingeschlossen wird . Diese flache Wahrscheinlichkeitsfunk
tion, die überall im extradimensionalen Raum gleich verteilt ist, sagt
uns, dass der Einfluss der Schwerkraft in vier Dimensionen stark ver
dünnt ist.
In der verzerrten fünfdimensionalen Raumzeit, um die es j etzt geht,
findet das eine interessante Wendung. Das Graviton befindet sich nicht
mehr mit gleicher Wahrscheinlichkeit an sämtlichen Orten des fünfdi
mensionalen Raums zwischen den Grenzen - der Gravitationsbrane und
der Schwachbrane. Die Verteilung der Schwerkraft ist de facto als auto
matische Konsequenz der Energie der Branen und des Bulk alles andere
als demokratisch verteilt. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravi
tons variiert : Sie ist in der einen Region groß und i n allen anderen klein,
und dieser Unterschied sorgt für den Verdünnungsfaktor, der dafür ver
antwortlich ist, dass die Schwerkraft in unserer Welt so schwach ist. Auf
der Schwachbrane ist die Gravitation so kraftlos, weil die Wahrschein
lichkeitsfunktion des Gravitons dort so minimal ist.
Kehren wir für einen Moment zu der Sprinkler-Analogie zurück, mit
der wir erklärten, wie die Stärke der Gravitation mit der Entfernung ab
nimmt. Je größer das Gebiet, über das das Wasser verteilt wird (wie im
oberen Teil von Abbildung 8 1 dargestellt), umso stärker wird das Wasser
>> verdünnt << . Bei großen zusätzlichen Dimensionen wird die Schwerkraft
über eine sehr große Region verteilt, und auch sie wird verdünnt. In der
niederenergetischen, effektiven vierdimensionalen Theorie scheint die
Gravitation also schwach zu sein.
Die verzerrte Geometrie hingegen ähnelt einer Sprinkler-Anlage, die
das Wasser nicht in alle Richtungen gleichmäßig verteilt, sondern es be
vorzugt an eine bestimmte Region abgibt, nämlich an die um die Gravi
tationsbrane herum ( siehe den unteren Teil von Abbildung 8 1 ). Bei dieser
undemokratischen Sprinkleranlage liegt es auf der Hand, dass abgesehen
444
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC H IEPROBLEMS
von der begünstigten Region überall sonst weniger Wasser verteilt wird.
Und wenn die an andere Flächen abgegebene Wassermenge gegenüber
der favorisierten exponentiell abnimmt, bekommen die übrigen Bereiche
nur noch sehr winzige Bruchteile Wasser ab, selbst wenn sie gar nicht
weit entfernt sind. Eindeutig ist das von der >> verzerrte n << Sprinkler-An
lage verteilte Wasser weit mehr >> verdünnt << als das gleichmäßig über alle
Flächen verteilte.
Herausgekommen ist bei der ganzen Sache, dass die Gravitation,
wenn alle Standardmodell-Teilchen auf der Schwachbrane unterge
bracht sind, im Vergleich zu den anderen drei Kräften so schwach ist,
dass das Hierarchieproblem der Teilchenphysik gelöst ist. Schwächelnde
Schwerkraft ist eine natürliche Folge der kleinen Amplitude der Wahr-
445
VERBORGENE UNIVERSEN
446
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS
Schwerkraft, und folglich könnte es auch nur einen einzigen Typ von
vierdimensionalem Graviton geben. Alle Teilchen würden mit diesem
einen Typ von Schwerkraft wechselwirken. Dieses Graviton enthielte
aber keinerlei Informationen über die Lokalisierung eines Teilchens in
der ursprünglichen, höherdimensionalen Theorie.
Daher sieht es so aus, als wären alle Gravitonwechselwirkungen die
selben - das heißt, unabhängig davon, wo in der fünften Dimension ein
O bj ekt seinen Ursprung hat. Schließlich würde man überhaupt nicht
wissen, dass das Obj ekt aus der fünften Dimension stammt, ja, noch
nicht einmal, dass es eine fünfte Dimension gibt. Newtons Gravitations
konstante, die die Wechselwirkung des Gravitons bestimmt, wäre die
einzige Größe, die die Stärke aller vierdimensionalen Schwerkraftwech
selwirkungen determiniert. Aber im vorangegangenen Abschnitt haben
wir gesehen, dass die Wechselwirkungen der Gravitation schwächer
sind, wenn man sich von der Gravitationsbrane weg- und auf die
Schwachbrane zubewegt. Damit stellt sich die Frage, wie die Stärke der
Gravitation Informationen über die fünfdimensionale Lokalisierung
eines O bj ekts umfassen kann.
Die Lösung für dieses scheinbare Paradoxon beruht auf der Tatsache,
dass die Schwerkraft auch proportional zur Masse ist, und diese muss an
verschiedenen Punkten entlang der fünften Dimension unterschiedlich
sein. Die einzige Möglichkeit, die geschwächte Gravitonwechselwir
kung auf jeder der entlang der fünften Dimension aufgereihten Scheiben
zu reproduzieren, besteht darin, die Masse auf jeder vierdimensionalen
Scheibe anders zu messen.
Zu den vielen bemerkenswerten Eigenschaften der verzerrten Raum
zeit zählt, dass die Energien und Impulse abnehmen, wenn man sich
von der Gravitationsbrane in Richtung Schwachbrane bewegt. Diese
schrumpfenden Energien und Impulse ( sowie die Übereinstimmung mit
der Quantenmechanik und der speziellen Relativitätstheorie) verraten
uns auch, dass Entfernung und Zeit expandieren müssen (wie in Abbil
dung 82 gezeigt) . In der hier beschriebenen Geometrie hängen Größe,
Zeit, Masse und Energie allesamt von der Lokalisierung ab. Vierdimen
sionale Größen und Massen erben Werte, die von ihren ursprünglichen,
fünfdimensionalen Positionen abhängen. Die Physik sieht vierdimensio
nal aus. Aber das Lineal, mit dem die Länge gemessen wird, oder die
Skala, mit der die Masse ermittelt wird, hängt von der ursprünglichen
fünfdimensionalen Lokalisierung ab. Bewohner sowohl der Gravitati
onsbrane als auch der Schwachbrane würden beide vierdimensionale
447
VERBORGENE U N I VERSEN
448
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS
ist allerdings trickreich, und daher wollen wir uns zunächst eine ana
loge Situation ansehen. Nehmen wir an, wir wollten Zeit messen und
als Einheit dafür nehmen, wie lange ein Zug braucht, um 100 Kilome
ter zurückzulegen. Ich werde diese Zeiteinheiten ,, zz ,, nennen ( >> Zug
Zeit « ) . Das ist ein durchaus praktikables Maß, nur dass die Zeitmes
sung davon abhängt, wo man gerade reist : Fahren die Züge dort
schnell oder langsam ? Nehmen wir zum Beispiel an, dass ein Film zwei
Stunden dauert. Wenn ein amerikanischer Zug eine Stunde für 100 Ki
lometer braucht, würde ein amerikanischer Reisender im Verlauf des
Films 200 Kilometer zurücklegen und sagen, der Film hätte 2 ZZ ge
dauert. Ein französischer Reisender im TGV hingegen würde sagen, der
Film dauere 6 ZZ, weil die französischen Hochgeschwindigkeitszüge
dreimal schneller sind und der Franzose 600 Kilometer weit fahren
muss, wenn er die Film-DVD bis zu Ende anschauen will. Weil der Zug
des Franzosen 100 Kilometer in 20 Minuten zurücklegt, der US-Zug für
dieselbe Entfernung aber eine Stunde braucht, muss man die Zugzeit
umskalieren, wenn Amerikaner und Franzosen die gleichen Einheiten
verwenden und bei der ZZ-Länge des Films zum selben Ergebnis kom
men wollen. Um die französische in die amerikanische Zug-Zeit zu
konvertieren, muss man die französische Zug-Zeit um den Faktor drei
umskalieren.
Ähnlich müssen auf der Schwachbrane, wo die Gravitonwechselwir
kung viel kleiner ist als auf der Gravitationsbrane, die Einheiten der
Messskala für Energie umskaliert werden, um die Schwäche der Schwer
kraft zu berücksichtigen. Auf der Schwach brane muss um einen enor
men Betrag umskaliert werden : 10 16, zehn Millionen Milliarden. Das
heißt, während auf der Gravitationsbrane alle fundamentalen Massen
M PI sein sollten ( Planck-Massenskala ) , sollten sie auf der Schwachbrane
nur rund 1000 Ge V betragen, um einen Faktor von 10 16 weniger. Die
Massen neuer Teilchen auf der Schwachbrane könnten ein bisschen grö
ßer sein, vielleicht 3000 oder 5000 GeV, aber viel größer sollten sie nicht
werden, da alle Massen enorm umskaliert wurden.
Zum Hierarchieproblem kommt es, wenn alle Massen an die größte
vorhandene Masse angeglichen werden. Wenn diese Masse die Planck
Massenskala ist, sollte man erwarten, dass alle Massen ungefähr so
groß wie die Planck-Massenskala sind. Aber wenn man ursprünglich
für alles auf der Gravitationsbrane die Planck-Massenskala angenom
men hat, dann kommt man dank der Umskalierung zu dem Schluss,
dass auf der Schwachbrane ein TeV, 1 6 Größenordnungen weniger, die
449
VERBORGENE UN IVERSEN
erwartete Masse ist. ,. Das heißt, dass die Masse des Higgs-Teilchens
nicht zu Irritationen führt : Eine Masse von rund einem Te V - zehn Mil
lionen Milliarden Mal kleiner als die Planck-Massenskala - ist zu er
warten, auch wenn die Gravitation schwach ist. Das Umskalieren, das
für diese Interpretation von entscheidender Bedeutung ist, löst das Hie
rarchieproblem.
Ähnlich kann man überlegen, dass alle neuen Obj ekte auf der
Schwachbrane einschließlich Strings eine Masse von rund einem Te V ha
ben müssten. Das sagt uns, dass dieses Modell dramatische experimen
telle Grenzen haben könnte. Auf der Schwachbrane wären die mit
Strings zusammenhängenden zusätzlichen Teilchen viel leichter als j ene
auf der Gravitationsbrane - oder in einer vierdimensionalen Welt, wenn
Ihnen das lieber ist. Die Schwachbrane bietet aus Sicht der Entdeckung
zusätzlicher Dimensionen ein fabelhaftes Szenario. Wenn diese Vorstel
lung richtig ist, dann müssten Teilchen mit geringer Masse aus Extradi
mensionen in Reichweite sein. Teilchen von TeV-Masse gäbe es auf der
Schwachbrane zuhauf.
Wir erwarten, dass alles auf der Schwachbrane um einen Faktor von
1 0 16 leichter als die Planck-Massenskala ist. Und der Quantenmechanik
zufolge ist weniger Masse gleich mehr Größe. Athenas Schatten würde
zunehmen, wenn sie von der Gravitationsbrane zur Schwach brane ginge.
Das sagt uns, dass die Strings auf der Schwachbrane nicht 1 0 -33 cm groß
sein müssten, sondern stattdessen 16 Größenordnungen größer - also
rund 1 0 -17 cm.
Ich habe mich zwar auf ein Szenario mit zwei Branen und einem spe
zifischen Warpfaktor konzentriert, die diskutierten Merkmale sind aber
wahrscheinlich allgemeiner als nur für dieses besondere Beispiel von
Belang. Bei zusätzlichen Dimensionen gibt es guten Grund, unter
schiedliche Massen zu erwarten. Die intuitive teilchenphysikalische An
nahme, dass Massen mehr oder weniger gleich groß sein sollten, wird
enttäuscht, und ein großes Spektrum von Massen wird erwartet. An un
terschiedlichen Stellen lokalisierte Teilchen würden von Natur aus ver
schiedene Massen haben. Ihre Schatten verändern sich, wenn man um-
*
In der physikalischen Literatur haben sich die Bezeichungen » Planck brane « und
»TeV-Brane« oder » Schwach brane « eingebürgert. In der Geschichte zu Anfang des
nächsten Kapitels wird die Gravitationsbrane zu » Branesville « . Die Bezeichnung
» Schwachbrane « bezieht sich auf die Tatsache, dass die meisten der auf diese Brane
beschränkten Teilchen erwartungsgemäß eine Masse von ungefähr der Größe der
schwachen Massenskala haben sollten.
450
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS
Weiterentwicklungen
45 1
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
452
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS
Wie in Kapitel 13 erklärt, ist eine der schönsten Federn am Hut der Su
persymmetrie, dass sie erfolgreich die Vereinheitlichung der Kräfte zu
wege bringt. Extradimensionale Theorien, die das Hierarchieproblem
angingen, schienen dieses potenziell wichtige Entwicklungsziel zu ver
passen. Da wir noch keinerlei schlüssige experimentelle Beweise für die
Vereinheitlichung gesehen haben - etwa den Protonenzerfall -, ist dies
nicht notwendigerweise ein großer Verlust, weil wir noch nicht sicher
wissen, dass die Vereinheitlichung richtig ist. Dennoch sind drei Linien,
die sich in einem Punkt schneiden, eine interessante Sache : Sie könnten
von etwas Wichtigem künden. Auch wenn die Vereinheitlichung noch
nicht fest etabliert ist, sollten wir sie auch nicht übereilt aufgeben.
Alex Pomarol, ein spanischer Physiker an der Universität von Barce
lona, bemerkte, dass es auch in der verzerrten Geometrie zu einer Ver-
453
VERBORGENE UNIVERSEN
einheitlichung der Kräfte kommen kann. Allerdings hatte er sich eine et
was andere Anordnung ausgedacht; die elektromagnetische, die schwa
che und die starke Wechselwirkung sind nicht auf eine Brane beschränkt,
sondern im umfassenden fünfdimensionalen Bulk präsent. Die Eichbo
sonen des Standardmodells - die Gluonen, die Ws, das Z und das Photon
- hängen nicht auf einer drei-plus-eins-dimensionalen Brane fest.
Nach der Stringtheorie könnten Eichbosonen auf einer höherdimen
sionalen Brane oder zusammen mit der Gravitation auch im Bulk sein.
Im Gegensatz zum Graviton, das aus einem geschlossenen String hervor
gehen muss, entsprechen Eichbosonen und geladene Fermionen entwe
der offenen oder geschlossenen Strings - das hängt vom Modell ab. Und
je nachdem ob sie aus offenen oder geschlossenen Strings entstehen, sind
Eichbosonen und Fermionen entweder auf eine Brane beschränkt, oder
sie können sich frei im Bulk bewegen.
Im Szenario mit den großen Zusatzdimensionen wären nichtgravita
tive Kräfte, sofern sie sich im Bulk befinden, viel zu schwach, um mit den
Beobachtungen übereinzustimmen. Bulk-Kräfte müssten sich durch
einen enormen Bulk-Raum ausbreiten. Wie die Gravitation würden da
her auch sie extrem verdünnt. Das wäre inakzeptabel, weil wir gemessen
haben, dass die Kräfte viel stärker sind, als diese Theorie vorhersagen
würde.
Wenn aber zusätzliche Dimensionen nicht groß sind, wie es bei der
verzerrten Geometrie der Fall ist, dann gibt es kein Problem mit den
nichtgravitativen Kräften im fünfdimensionalen Bulk. Das Einzige, was
sie verdünnen kann, ist die Größe der Zusatzdimensionen, nicht die Ver
zerrung - und im verzerrten Szenario ist diese Größe ziemlich klein. Das
bedeutet, dass in einer zutreffenden Theorie der Welt möglicherweise
alle vier Kräfte überall im Bulk wahrnehmbar sind. In diesem Fall unter
lägen nicht nur Teilchen auf der Brane, sondern a uch Teilchen überall im
Bulk der elektrischen, der schwachen und der starken Wechselwirkung
und genauso der Gravitation .
Wenn es im verzerrten Szenario im Bulk Eichbosonen gibt, könnten sie
eine Energie haben, die viel größer als ein TeV ist. Die sich im Bulk he
rumtreibenden Eichbosonen würden das gesamte Energiespektrum
wahrnehmen. Nicht länger an die Schwachbraue gekettet, könnten sie ir
gend wo im Bulk herumwandern und Energien bis hinauf zur Planck
Energieskala haben. Nur auf der Schwachbraue muss die Energie wirk
lich niedriger als ein TeV sein. Weil die Kräfte im Bulk also mit hohen
Energien arbeiten könnten, wäre eine Vereinheitlichung möglich. Das ist
454
VERZERRTE PASSAGE: EINE LÖSUNG DES HIERARC HIEPROBLEMS
aufregend, weil es bedeutet, dass sich auch in einer Theorie mit einer Zu
satzdimension die Kräfte bei hoher Energie vereinigen können . Und Po
marol kommt zu dem sehr interessanten Ergebnis, dass es tatsächlich zu
einer Vereinheitlichung kommt, fast als wäre die Theorie wirklich vier
dimensional.
Aber es kommt noch besser : Die Vereinheitlichung und der verzerrte
Hierarchiemechanismus können kombiniert werden. Pomarol zeigte,
dass sich die Kräfte vereinigen, aber er ging davon aus, dass die Super
symmetrie das Hierarchieproblem löse. In der verzerrten Geometrie er
fordert die Lösung des Hierarchieproblems nur, dass das Higgs-Teilchen
auf der Schwachbrane ist, damit seine Masse ungefähr genauso groß ist
wie die schwache Energieskala, nämlich zwischen 100 GeV und einem
Te V. Die Eichbosonen müssen nicht darauf festsitzen.
In der verzerrten Geometrie ist für die Lösung des Hierarchieproblems
nichts weiter nötig, als dass die Masse des Higgs-Teilchens klein ist. Der
Grund ist, dass das Higgs-Feld für die spontan gebrochene Symmetrie
verantwortlich ist, die die Quelle aller Elementarteilchenmassen ist.
Eichbosonen und Fermionen würden keine Masse haben, wenn die Sym
metrie der schwachen Wechselwirkung nicht gebrochen wäre. Solange
das Higgs-Teilchen eine schwache Massenskala hat, erweisen sich die
Massen der schwachen Eichbosonen als korrekt. Die verzerrte Geome-
455
VERBORGENE UNIVERSEN
Die natürliche Skala auf der Schwachbrane beträgt rund ein TeV. Sollte
dieses Szenario mit der verzerrten Geometrie eine zutreffende Beschrei
bung unserer Welt sein, müsste das beim Large Hadron Collider am
CERN in der Schweiz überwältigende Folgen zeitigen. Zu Signaturen der
verzerrten fünfdimensionalen Raumzeit könnten Kaluza-Klein-Teilchen
zählen, fünfdimensionale Schwarze Löcher des Ami-de-Sitter-Raums
und Strings von TeV-Masse.
Die KK-Teilchen der verzerrten Raumzeit sind wahrscheinlich die am
leichtesten zugänglichen experimentellen Vorboten dieser Geometrie.
Wie immer sind KK-Teilchen solche mit einem Impuls in der Zusatzdi
mension. Der neuartige Dreh bei diesem Modell ist aber, dass die Mas
sen der KK-Teilchen - weil der Raum gekrümmt ist, nicht flach - die Ei
gentümlichkeiten der verzerrten Geometrie widerspiegeln würden.
Das einzige Teilchen, von dem wir mit Sicherheit wissen, dass es das
Bulk durchquert, ist das vierdimensionale Graviton, und daher wollen
wir uns auf dessen KK-Partner konzentrieren . Wie schon im flachen
Raum wird der leichteste KK-Partner des Gravitons derj enige sein, der in
der vierten Dimension überhaupt keinen Impuls hat. Dieses Teilchen
wäre von einem mit echt vierdimensionalem Ursprung nicht zu unter
scheiden. Es ist das Graviton, das in einer anscheinend vierdimensiona
len Welt die Schwerkraft vermitteln würde, und es ist das Graviton, des
sen Wahrscheinlichkeitsfunktion wir im Detail in diesem Kapitel unter
sucht haben. Gäbe es keine zusätzlichen KK-Teilchen, würde sich die
Schwerkraft genauso verhalten wie in einem wahrhaftig vierdimensiona-
456
V E R Z E R RT E PA S � AG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S
457
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
KK- Teilchen
A b bildung 84 : Bei der Kollision zweier Protonen löschen sich ein Quark und
ein Antiquark aus und produzieren einen KK-Partner des Gravitons. Das
KK-Teilchen kann dann zu sichtbaren Teilchen wie etwa einem Elek tron und
einem Positron zerfallen. Die grauen Linien stellen an den Protonen gestreute
Teilchen dar.
zerfallen - vielleicht Myonen oder Elektronen -, aus denen man das KK
Teilchen rekonstruieren kann, aus dem sie hervorgegangen sind ( siehe
Abbildung 8 4 ) .
D a s herkömmliche Rezept z u r Entdeckung neuer Teilchen lautet :
Man untersuche alle Zerfallsprodukte und leite daraus die Eigenschaften
ihres Ursprungs a b ; und wenn das, was man findet, nichts gleicht, was
man bereits kennt, muss es etwas Neues sein. Wenn KK-Teilchen im De
tektor zerfallen, müssten die Signale von Zusatzdimensionen sehr sauber
sein. In unserem Modell gäbe es nicht einfach nur eine fehlende Energie
signatur, die keine signifikanten Merkmale aufweist, anhand derer man
definitiv ihren Ursprung identifizieren und das Modell von anderen
Möglichkeiten unterscheiden könnte ; vielmehr müssten die rekonstru
ierten Massen und Spins der KK-Teilchen enorm hilfreiche Hinweise lie
fern, die uns ziemlich viel über die Identitäten der neuen Tei lchen sagen
würden. Der Spin-Wert der KK-Teilchen - Spin-2 - wäre wie ein virtuel
les Namensschild, das uns sagt, dass die neuen Teilchen irgendetwas mit
Gravitation zu tun haben müssen. Ein Teilchen von Spin-2 mit einer
Masse von rund einem TeV wäre ein extrem überzeugender Beweis für
eine verzerrte Zusatzdimension. Nur wenige andere Modelle führen
ebenfalls zu so schweren Spin-2-Teilchen, und diese kann man anhand
anderer Merkmale von unserem unterscheiden.
Wenn wir Glück haben, werden bei Experimenten neben den KK-Part
nern des Gravitons vielleicht noch viel mehr KK-Teilchen erzeugt. Bei
einer Theorie, nach der die meisten Standardmodell-Teilchen sich im
Bulk befinden, könnten wir vielleicht auch geladene KK-Partner von
458
V E R Z E R RT E PA S S AG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S
Ich habe ein paar ziemlich verrückte Eigenschaften von zusätzlichen Di
mensionen beschrieben. Aber die ungewöhnlichste Möglichkeit kommt
erst noch. Wir werden in Kürze sehen, dass eine verzerrte Extradimen
sion sich tatsächlich unendlich weit erstrecken, aber dennoch unsichtbar
sein kann - im Gegensatz zu einer flachen Dimension, die immer von
endlicher Größe sein muss, um mit Beobachtungen übereinzustimmen.
Diese Erkenntnis war wirklich schockierend . Wenn wir in Kapitel 22
diese unendliche Zusatzdimension diskutieren, werden wir uns auf die
Raumgeometrie konzentrieren, nicht auf das Hierarchieproblem. Daher
will ich hier kurz umreißen, wie man auch im Fall der unendlichen Zu
satzdimension das Hierarchieproblem lösen kann.
Bislang haben wir ein Modell mit zwei Branen untersucht : der Gravi
tationsbrane und der Schwachbrane, die beide eine fünfte Dimension be
grenzen. Jedoch muss die Schwachbrane nicht das Ende der Welt sein
(das heißt, die Grenze der fünften Dimension ) . Wenn das Higgs-Teilchen
auf eine zweite Brane in der Mitte einer unendlichen Zusatzdimension
beschränkt ist, könnte solch ein Modell ebenfalls das Hierarchieproblem
lösen. Die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons wäre auf der
Schwachbrane sehr klein. Die Gravitation wäre schwach, und das Hier
archieproblern würde genauso gelöst wie zuvor, als die Schwachbrane
die zusätzliche Dimension begrenzte. Im Modell mit einer unendlichen
* Kaustubh Agashe, Roberto Contino, Michael J . May, Alex Pomarol und Raman
Sundrum zählen zu den Physikern, die detaill ierte Modelle dessen studiert haben, was
man vielleicht findet.
459
VERBORGENE U N I VERSEN
460
V E R Z E R RT E PA S SAG E : E I N E L Ö S U N G D E S H I E R A R C H I E P R O B L E M S
Koda
461
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
• Das in diesem Kapitel vorgestellte Modell hat zwei Branen, die Gravi
tationsbrane und die Schwachbrane, die j eweils eine endlich große
fünfte Dimension begrenzen. Energien im Bulk und auf den Branen
verzerren die Raumzeit.
462
21
Go ask Alice,
When she's ten feet tal l.
Los, frag A/ice,
Wenn sie zehn Fuß groß ist
Jefferson Airplane
* Der Kapiteltitel spielt auf ein köstliches Werk von Martin Gardner an, in dem er die
Wortspiele, mathematischen Rätsel und Anspielungen in A lice im Wunderland und
A lice im Spiegelland erklärt. ( Dt. Ausg. : Lewis Carroll, Alles über Alice. Einführung
und Anmerkungen von Martin Gardner. Hamburg : Europa Verlag, 2002. )
* D i e Brane selbst ist groß und flach und hat n u r drei Raumdimensionen. N u r die
''
Schwerkraft stellt den Kontakt zur Zusatzdimension her. Denken Sie daran, dass die
fünfdimensionale Weit vier Raumdimensionen hat ( und eine der Zeit), während die
Brane nur drei Raumdimensionen aufweist. Die Zeit werde ich weiterhin als die vierte
Dimension bezeichnen und die zusätzliche Dimension als die fünfte.
* * * Branesville ist die Gravitationsbrane.
463
VERBORGENE UN IVERSEN
sen nicht ganz sicher war, denn sie hatte noch nie zuvor einen Bürger
meister gesehen.
Der Bürgermeister, den Athena gemeint hatte, war in Begleitung seiner
Chefberaterin gekommen, der fetten Cheshire-Katze. Die Katze hatte die
A ufgabe, in der Stadt alles genau zu beobachten, wobei es ihr zugute
kam, dass sie sich unbemerk t an die Leute heranschleichen konnte - was
besonders überraschte, da die Katze ungeheuer bulkig war. Die Katze er
klärte, sie verdanke diese Fähigkeit dem Umstand, dass sie ins Bulk ver
schwinden könne, aber niemand hatte je verstanden, was sie damit
meinte. *
Die Katze materialisierte neben Athena und fragte, ob diese sie gern
auf ihrer Runde begleiten würde. Die Katze warnte Athena, es wäre bes
ser, wenn sie mit dem Bulk vertraut sei, worauf A thena sich zu antworten
beeilte, dass ihr Lieblingsonkel in der Tat sehr, sehr bulkig sei. Die Katze
schaute sie skeptisch an, sagte aber, sie könne mitkommen. Sie bot
Athena Cremetorte mit Buttertoffee an, auf die sie sich glücklich stürzte.
Dann gingen sie los. Athena fragte sich, was sie da gegessen hatte. Sie
schien jetzt auf einer vierdimensionalen Scheibe aus einer fünfdimensio
nalen Welt zu sein, und soweit sie es sagen konnte, war sie selbst nicht di
cker als diese dünne, vierdimensionale Scheibe. Sie schrie : » Ich bin wie
meine Papierpuppe ! Aber während Dolly zwei räumliche Dimensionen
in einer dreidimensionalen Welt hat, habe ich drei Raumdimensionen in
einer räumlich vierdimensionalen Welt. «
Die Katze grinste weise und erklärte : »jetzt bist du dir dessen be
wusst, was ich das Bulk nenne. Du bist noch immer in Branesville, aber
wir werden die Stadt gleich verlassen (und wachsen) . Branesville ist in
Wirklichkeit Teil eines fünfdimensionalen Universums, aber die fünfte
Dimension ist so unauffällig verzerrt, dass die Bewohner von Branes
ville sich ihrer überhaupt nicht bewusst sind. Sie haben keine Ahnung,
dass Branesville an der G renze eines fünfdimensionalen Gemeinwesens
liegt. Auch du hast bei deiner Ankunft irrtümlich angenommen, dass es
dort nur drei Raumdimensionen gäbe. Die neue, nicht an die Brane ge
kettete Athena kann sich frei durch die fünfte Dimension bewegen. Darf
ich als Ziel eine weitere Siedlung namens Schwachbrane vorschlagen, die
am anderen Ende des fünfdimensionalen Universums liegt ? «
Die Reise durch die fünfte Dimension erwies sich als ausgesprochen
* Im Gegensatz zu den Bewohnern von Branesville ist die fette Katze nicht auf die
Brane beschränkt.
464
D I E V E R Z E R R T E K O M M E N T I E RT E » A L I C E «
A b bildung 85 : A lice wurde immer größer, als sie sich von der Gravitations
brane durchs Bulk zur Schwachbrane begab.
465
VERBORGENE UN IVERSEN
den begleitet und klopfte ihr jetzt ganz sanft auf die Schulter. Es berührte
sie nur so zart, dass sie es kaum bemerkte. , _
A ber sie konnte das Graviton nicht ignorieren, als es zu einer Litanei
von Klagen anhob. » Schwachbrane könnte so aufregend sein, wenn da
nicht die Hierarchie eine so übermächtige Stellung bezogen hätte. Die
starken, schwachen und elek tromagnetischen Streitkräfte in Schwach
brane gestehen mir nur die mickrigste Stärke zu. « Das Graviton jam
merte, überall sonst sei es eine Kraft, mit der man zu rechnen habe, vor
allem in Branesville, das von einer Oligarchie mit vergleichbar starken
Kräften regiert werde. * * Schwachbrane, wo die Gravitation am stärksten
unterdrück t war, galt als der Ort, an dem sich das Graviton am wenigs
ten gern aufhielt. '' '' ,,_ Das Graviton wandte sich an A thena in der Hoff
nung, sie für seinen Plan zu gewinnen, den regierenden Autoritäten die
Macht zu entreißen.
A thena dachte, sie sollte hier besser sofort verschwinden, und sah sich
nach dem Kaninchenloch um, konnte es aber nicht finden. Immerhin
fand sie ein weißes Kaninchen, von dem sie hoffte, dass es ihr den Weg
weisen würde. Aber dieses Schwachbranen-Kaninchen bewegte sich er
schreckend träge und erzählte immer wieder, wie froh es sei, dass seine
Verabredung warten k önne. * * ,_ * Athena wurde klar, dass dieses Kanin
chen nirgendwo hingehen würde. Schließlich fand sie ein hilfsbereiteres,
dem sie folgen konnte, und schaffte es, nach Hause zurückzukommen.
Nachdem sie erst mal die Physik in ihrem Traum verstanden hatte,
machte er ihr sehr große Freude - auch wenn angemerkt werden sollte,
dass sie niemals wieder Cremetorte aß.
''
Auf der Schwachbrane, wo die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gravitons so klein
ist, ist die Gravitation ziemlich kraftlos.
* * Auf der Gravitationsbrane ist die Gravitation nicht schwächer als die anderen
Kräfte.
* * * Das q uengelnde Graviton beklagt sich, dass auf der Schwachbrane die Schwer
kraft viel schwächer ist als d ie elektromagnetische, die schwache und die starke Wech
selwirkung. Näher an der Gravitationsbrane wäre die Schwerkraft viel stärker ( viel
eher den anderen Kräften vergleichbar ) .
* * * ' A u f d e r Schwachbrane s i n d d i e Dinge größer, u n d die Zeit vergeht langsamer.
'
Die Schla ffheit des Kaninchens ist auf die Umskal ierung der Zeit zurückzuführen.
466
22
Unergründliche Passage:
Ein e unendliche Zusatzdimension
Athena schreck te aus dem Schlaf hoch. Wieder hatte sie diesen Traum ge
habt, und abermals war sie in das Kaninchenloch geraten. Diesmal je
doch bat sie das Kaninchen, sie geradewegs zurück zu der verzerrten
fünfdimensionalen Welt zu bringen.
Wieder kam sie in Branesville an (dachte sie jedenfalls) . Kurz danach
tauchte die Katze auf, und Athena ging in froher Erwartung ihrer Traum
torte und eines wunderbaren Ausflugs nach Schwachbrane auf sie zu. Sie
war tief enttäuscht, als die Katze ihr sagte, so etwas wie Schwachbrane
gebe es in diesem Universum hier nicht. *
Athena glaubte der Katze nicht und dachte, weiter weg müsste es
eine andere Brane geben. Sie war stolz darauf, begriffen zu haben, dass
in der verzerrten Geometrie weiter entfernte Branen eine schwächere
Schwerkraft hatten, und sie kam zu dem Schluss, dass diese wahr
scheinlich » Schlappbrane« hieße, und fragte die Katze, ob sie dort hin
könnte.
* In diesem Kapitel ist wie im vorangegangenen die Geometrie verzerrt, aber j etzt gibt
es nur noch eine einzige Brane - die Gravitationsbrane. Das bedeutet zwar, dass es eine
unendliche fünfte Dimension gibt, a ber dieses Kapitel wird zeigen, warum das perfekt
zur verzerrten Raumzeit passt.
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skalen falsch wäre - auch bei denen, über die wir bereits etwas wissen.
Eine unendliche fünfte Dimension, glaubte man, würde alles um uns her
um destabilisieren, sogar das Sonnensystem, das von Newton 'scher Phy
sik zusammengehalten wird .
Dieses Kapitel erklärt, warum eine solche Überlegung nicht immer
richtig ist. Wir werden einen völlig neuen Grund untersuchen, warum
zusätzliche Dimensionen versteckt sein können; Raman und ich fanden
ihn 1 9 9 9. Die Raumzeit kann so verzerrt sein, dass das Gravitationsfeld
in einer kleinen Region nahe einer Brane stark konzentriert wäre - so
konzentriert, dass die riesige Ausdehnung einer unendlichen Dimension
keine Konsequenzen hätte. Die Schwerkraft verliert sich nicht in den Zu
satzdimensionen, sondern bleibt auf eine kleine Region nahe einer Brane
konzentriert.
In diesem Szenario ist das Graviton - das Teilchen, das die Schwer
kraft vermittelt -, nahe einer Brane lokalisiert, bei der es sich um D I E
BRANE a u s Athenas Geschichte handelt, d i e ich aber von j etzt an » Gra
vitationsbrane << nennen werde. Athenas Traum führte sie in diesen
verzerrten fünfdimensionalen Raum, in dem die Gravitationsbrane die
Natur der Raumzeit so radikal ändert, dass der Raum vierdimensional
erscheint, auch wenn er in Wirklichkeit fünfdimensional ist. Bemerkens-
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* Wir stellen uns einen geraden Sprinkler vor und keinen kreisförmigen wie weiter
vorn im Buch, weil er sich für das verzerrte Szenario leichter generalisieren lässt.
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A b bildung 88 : Wenn Enten in der Nähe eines Ufers konzentriert sind, kön
nen Sie fast alle zählen, indem Sie die zählen, die vor Ihnen herumschwim
men.
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gleichermaßen in alle Richtungen ; nur entlang der Brane breiten sie sich
in alle Richtungen gleichmäßig aus. Senkrecht zur Brane kommen sie
nicht weit ( s iehe Abbildung 8 9 ) . Weil sich die Schwerkraftfeldlinien pri
mär entlang der Brane aus breiten, sieht das Schwerkraftfeld fast so wie
das eines O bj ekts in vier D imensionen aus. Die Ausbreitung in der fünf
ten Dimension ist so gering ( nicht viel größer als die Planck-Längen
skala, 1 0 -33 cm ) , dass wir sie ignorieren können. Auch wenn die Zusatz
dimension unendlich ist, spielt sie für das Schwerkraftfeld eines an eine
Brane gebundenen Obj ekts keine Rolle.
Sie können auch nachvollziehen, wie Raman und ich das Rätsel lösten,
vor dem wir anfänglich standen : Warum die Größe der fünften Dimen
sion für die Stärke der Gravitation i rrelevant ist. Wir kehren zur Sprink
ler-Analogie von oben zurück und legen die Wasserverteilung entlang
der gesamten Sprinkler-An lage j etzt so fest, dass sie der Vertei lung von
Schwerkraft aufgrund der steil a bfallenden Wahrscheinlichkeitsfunktion
des Gravitons entspricht : Nachdem Sie die Hälfte Wassers Ihrem Garten
zugewiesen haben, leiten Sie die Hälfte des verblei benden Wassers auf
den angrenzenden Garten, wiederum die Hälfte der restlichen Menge
auf den nächsten und so weiter, sodass j eder Garten halb so viel Wasser
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VERBORGENE U N I VERSEN
* Eine aus dem wahren Leben gegriffene Analogie wäre der Colorado River, an dem
Stauseen und Bewässerungssysteme sicherstellen, dass der Südwesten der Vereinigten
Staaten genügend Wasser bekommt ; der Fluss führt nur noch wenig Wasser, wenn er
Mexiko erreicht. Kurz vor der M ündung des Colorado in den Golf von Kalifornien
einen weiteren Staudamm zu bauen (was einer weiteren Brane weit von der Gravitati
onsbrane weg entspräche) wü rde nichts an der Wassermenge ändern, die Las Vegas er
hält.
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*
Der aufgerollte Raum ist mathematisch immer noch » flach « . Man kann nämlich die
Dimension zu etwas entrollen, das man als flach wah rnehmen würde ; für eine Kugel
beispielsweise gilt das nicht.
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VERBORGENE UN IVERSEN
• Die Gravitation kann selbst dann lokalisiert sem, wenn sie nicht
streng auf eine begrenzte Region beschränkt ist.
• Alle anderen KK-Teilchen sind weit weg von der Gravitations brane
konzentriert ; die Form ihrer Wahrscheinlichkeitsfunktion und die Lo
kalisierung ihrer Spitzenwerte hängen von ihrer Masse ab.
482
23
Ike XLII. war bereit, Großes zu wagen. An seinem Alicxvr wollte er die
ultrahohen Einstellungen von vielen Megaparsec ausprobieren, mit de
nen er Orte jenseits der Galaxie und des bekannten Universums erkun
den und entfernte Regionen erleben konnte, die noch nie zuvor ein
Mensch gesehen hatte.
Ike war ganz aufgeregt, als ihn der Alicxvr an Ziele brachte, die neun,
zwölf und sogar dreizehn Milliarden Lichtjahre weg lagen. Allerdings
(laute seine Begeisterung ab, als er noch weiter zu gelangen versuchte,
aber seine Signalstärke steil abfiel. Als er auf fünfzehn Milliarden Licht
jahre einstellte, brach die Entdeckungstour sogar ganz ab - er bekam
überhaupt keine Informationen mehr herein. Stattdessen härte er eine
Stimme : » Fehlermeldung 5B 73 : Der >Horizont<-Teilnehmer, den Sie zu
erreichen versuchen, liegt außerhalb Ihrer Reichweite. Wenn Sie Hilfe be
nötigen, wenden Sie sich bitte an Ihren örtlichen Langstreckenopera
tor. «
Ike traute seinen Ohren nicht. Da lebte man im 3 1 . Jahrhundert, und
dieser » Horizont« -Service arbeitete immer noch mit begrenzten Reich
weiten. Als Ike versuchte, den Operator zu erreichen, härte er nur eine
automatische Stimme: » B itte bleiben Sie auf der Brane. Sie werden so
bald wie möglich weitervermittelt. Die A nfragen werden in der Reihen-
483
VERBORGENE U NIVERSEN
folge ihres Eingangs beantwortet. « Ike kam der Verdacht, dass dieser
Operator niemals antworten würde, und er war klug genug, nicht zu
warten.
Erinnerungen
Wenn ich mir die E-Mail-Ablage aus der Zeit ansehe, als ich mit Raman
zusammenarbeitete, finde ich es ziemlich verrückt, wie wir inmitten so
vieler anderer Ablenk ungen unsere Arbeit zum Abschluss bringen konn
ten . Als wir mit unseren Forschungen begannen, zog ich gerade vom
MIT nach Princeton um, wo ich einen Lehrstuhl übernehmen sollte, und
zugleich plante ich für das darauf folgende Jahr einen sechsmonatigen
Workshop in Santa Barbara. Raman, der mehrere Assistenzstellen be-
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VERBORGENE U N I VERSEN
Wie viele Raumdimensionen gibt es ? Wissen wir das eigentlich ? Sie wer
den mir, hoffe ich, mittlerweile beipflichten, dass es überzogen wäre zu
behaupten, wir wüssten mit Sicherheit, dass es keine zusätzlichen Di
mensionen gibt. Wir sehen drei Raumdimensionen, aber es könnte mehr
geben, die wir noch nicht entdeckt haben.
Sie wissen j e tzt, dass zusätzliche D imensionen versteckt sein können,
weil sie entweder klein und aufgerollt sind oder weil die Raumzeit ver
zerrt und die Gravitation so in einer kleinen Region konzentriert ist, dass
selbst eine unendliche D imension unsichtbar bleibt. Wie auch immer, ob
Dimensionen kompakt oder lokalisiert sind, die Raumzeit würde übera ll
als vierdimensional erscheinen, egal wo Sie sind.
Etwas weniger liegt das bei dem Szenario mit der lokalisierten Gravi
tation auf der Hand, bei dem die Wahrscheinlichkeitsfunktion des Gra
vitons immer kleiner wird, j e weiter man in die fünfte Dimension hinaus
geht. Die Gravitation verhält sich nahe der Brane wie in vier Dimensio
nen. Aber wie ist es an allen möglichen anderen Orten ?
Die Antwort lautet, dass im Szenario RS2 nichts dem Einfluss der vier
dimensionalen Gravitation entgehen kann, ganz egal wo man in der
fünften Dimension ist. Zwar ist die Wahrscheinlichkeitsfunktion des
Gravitons auf der Gravitationsbrane am größten, a ber übera l l können
Obj ekte miteinander wechselwirken, indem sie ein Graviton austau
schen, und daher würden alle Obj ekte der vierdimensionalen Gravita
tion unterliegen, und zwar unabhängig von ihrer Lokalisierung. Überall
sieht die Gravitation vierdimensional aus, weil die Wahrscheinlichkeits
funktion des Gravitons nirgendwo tatsächlich null ist - sie geht endlos
weiter. Im lokalisierten Szenario hätten Obj ekte in großer Entfernung
von der Brane extrem schwache gravitative Wechselwirkungen, aber die
geringe Schwerkraft würde sich trotzdem vierdimensional verhalten. So
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489
VERBORGENE UN IVERSEN
ten, was wirklich fundamental und was letztlich vorstellbar und legitim
ist.
Wir wissen lediglich, dass der von uns wahrgenommene Raum vierdi
mensional zu sein scheint. Möglicherweise geht man zu weit, wenn man
annimmt, dass andere Gegenden des Universums e benfalls vierdimensio
nal sein müssen. Warum sollte eine von uns extrem weit entfernte Welt,
die vielleicht mit uns überhaupt nicht wechselwirkt - oder vielleicht nur
mittels extrem schwacher gravitativer Signale -, Schwerkraft und Raum
so erleben wie wir ? Warum kann es dort nicht einen anderen Typ von
Gravitation geben ?
Wunderbarerweise ist das möglich. Unsere Branenwelt könnte drei
plus eine Dimensionen wahrnehmen, außerhalb gelegene Regionen aber
nicht. Zu unserem eigenen Erstaunen entwickelten Andreas Karch und
ich im Jahr 2000 eine Theorie, nach der der Raum auf oder in der Nähe
der Brane vierdimensional wirkt, der größte Teil des weit weg von der
Brane gelegenen Raums a ber höherdimensional erscheint. Diese Idee ist
schematisch in Abbild ung 90 dargestellt.
Wir tauften unser Szenario lokal lokalisierte Gravitation, weil die Lo
kalisierung ein Graviton prod uziert, das vierdimensionale gravitative
Wechselwirkungen nur in einer lokal begrenzten Region vermittelt - der
Rest des Raums sieht nicht vierdimensional aus. Eine vierdimensionale
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Welt '' gibt es nur auf einer Gravitations- >> lnsel << . Die wahrgenommene
Dimensionalität hängt von der Lokalisierung im fünfdimensionalen
Bulk ab.
Um eine lokale Lokalisierung zu verstehen, wollen wir wieder auf un
seren Ententeich zurückkommen. Sie waren vielleicht mit mir nicht einer
Meinung, als ich behauptete, auf die Größe des Teichs käme es nicht an.
Wenn der Teich ein riesiger See wäre, würden Enten am entgegengesetz
ten Ufer nicht mit denen auf Ihrer Seite zusammenkommen. Faktisch
wäre es sehr merkwürdig, wenn Sie sehr weit entfernte Enten beeinflus
sen könnten. Die Enten in der Ferne würden Ihre Brotbrocken gar nicht
bemerken und selbstvergessen in einem anderen, a bgelegenen Tei l des
Sees herumpaddeln.
Der lokal lokalisierten Gravitation liegt eine ganz ähnliche Idee zu
grunde. Die Lokalisierung der Gravitation auf einer Brane muss nicht
notwendigerweise davon a bhängen, was in entfernten Raumregionen
passiert. Auch wenn das Modell, das Raman und ich untersuchten, ein
Graviton aufwies, dessen Wahrscheinlichkeitsfunktion exponentiell ab
nahm, aber niemals ganz null betrug - womit überall vierdimensionale
Gravitation wahrgenommen würde -, sollte das Verhalten der Gravita
tion i n großer Entfernung nicht entscheidend dafür sein, ob es in der
Nähe der Brane vierdimensionale Gravitation gibt.
Das ist der Kern der lokal lokalisierten Gravitation. Ein Graviton
kann lokalisiert sein und eine vierdimensionale Schwerkraft in der Nähe
einer Brane hervorbringen, ohne die Schwerkraft in großer Entfernung
zu beeinflussen. Vierdimensionale Gravitation kann ein rein lokales Phä
nomen sein, das nur für einen gewissen Tei l des Raums relevant ist.
Andreas Karch, ein ausgezeichneter Physiker und sehr netter Kerl,
hatte als Erster über das Modell nachgedacht, das zeigte, dass dies mög
lich i s t ; ironischerweise arbeitete er damals an einem Forschungsproj ekt,
an dem a uch einer meiner früheren MIT-Kollegen beteiligt war, der Ra
mans und meine Arbeit eigentlich infrage stellen wollte (zu unserem
Glück kam bei dieser Zusammenarbeit das schöne Ergebnis heraus, dass
unsere Arbeit richtig war ) . Im Verlauf dieses Proj ekts fand Andreas ein
Modell, das demj enigen von Raman und mir eng verwandt war, a ber
einige sehr merkwürdige Eigenschaften a ufwies. Als Andreas in
Princeton zu Besuch weilte, besuchte er mich, um darüber zu reden.
* Nach den Anfangsbuchsraben unserer Nachnamen wird das Modell auch »KR« ge
nannt.
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Und wenn es sie gibt, könnten sie sowohl mittels Kompaktifizierung als
auch m i ttels Lokalisierung ( oder lokaler Lokalisierung) oder mittels
einer Kombination beider versteckt sein. Viele Stringtheoretiker glauben
noch immer, dass die Kompaktifizierung die Antwort ist, aber wegen der
vielen Fragen, die eine aus der Stringtheorie hervorgehende Gravitation
aufwirft, kann sich da niemand sicher sein. Ich betrachte Lokalis ierung
als eine neue Option. Wenn die Gravitation lokalisiert ist, verhalten sich
die physikalischen Gesetze, als wären die Dimensionen nicht da, genau
wie im Fall von aufgerollten Dimensionen . Daher ergänzt lokalisierte
Gravitation unseren Modellbaukasten und erhöht die Wahrscheinlich
keit, dass wir eine Realisierung der Stringtheorie finden, die mit den Be
obachtungen übereinstimmt.
Mir gefällt es, dass die lokal lokalisierte Gravitation sich auf das kon
zentriert, was wir explizit verifizieren können. Sie besagt nur, dass das
Universum dort vierdimensional aussehen muss, wo wir das überprüfen
können - nicht dass es vierdimensional sein muss. Unsere drei Raumdi
mensionen könnten nichts als ein Zufall unserer Lokalisierung sein.
Diese Idee muss erst noch zur Gänze erforscht werden. Aber es steht
außer Frage, dass unterschiedliche Raumregionen anscheinend unter
schiedliche Anzahlen von D imensionen aufweisen können. Schließlich
taucht immer dann eine neue Physik auf, wenn wir in kürzere Distanzen
j enseits der zuvor gesehenen vordringe n . Vielleicht tri fft dasselbe auch
auf große Entfernungen zu : Wenn wir auf einer Brane leben, wer weiß,
was dahinter liegt ?
• Die Gravitation kann sich verhalten, als hätte die Welt in verschiede
nen Regionen unterschiedliche Dimensionen , da sich ein lokalisiertes
Graviton nicht notwendigerweise über den gesamten Raum erstreckt.
• Wir könnten in einer isolierten Tasche des Raums leben, die vierdi
mensional zu sein scheint.
495
VI
Zusätzliche Dimensionen:
Das Spiel ist eröffnet
499
VERBORGENE UN IVERSEN
500
ZUS ÄTZLIC HE DIMENSIONEN: DAS SPIEL IST ERÖFFNET
Verzerrungen wichtig werden könnten. Das gibt uns Grund zu der An
nahme, dass zusätzliche Dimensionen eventuell Licht in einige der rätsel
haften Eigenschaften des Kosmos bringen können. Wenn wir tatsächlich
in einer multidimensionalen Welt leben, können wir mit Sicherheit nicht
deren kosmologische Implikationen vernachlässigen. Zu diesem Thema
wurden bereits einige Forschungen durchgeführt, a ber ich bin sicher,
dass noch interessantere Resultate auf uns warten.
In welche Richtung wird die Physik sich meiner Meinung nach weiter
entwickeln ? Es gibt zu viele Möglichkeiten, um alle aufzulisten. Aber
lassen Sie mich von ein paar faszinierenden Beobachtungen berichten,
die dara u f schließen lassen, dass wir vor weiteren wichtigen theoreti
schen Überraschungen stehen - die uns vielleicht schon bald Lösungen
für Rätsel näher bringen, die sich alle um eine Frage drehen, die Sie an
dieser Stelle vielleicht schockiert, nämlich :
Wie kann ich i m letzten Akt eine solche Frage stellen ? Ich habe den größ
ten Tei l des Buches dafür aufgewendet, die Bedeutung von Dimensionen
und ein paar mögliche Konsequenzen der vorgeschlagenen extradimen
sionalen Welten zu diskutieren. Aber j etzt, nachdem ich Ihnen berichtet
habe, was wir über Dimensionen wissen, erlauben Sie mir, kurz auf diese
Frage zurückzukommen .
Was bedeutet die Anzahl v o n Dimensionen wirklich ? W i r wissen, dass
die Zahl der Dimensionen definiert ist als die Zahl der Größen, die man
braucht, um einen bestimmten Punkt im Raum festzulegen. In den Kapi
teln 15 und 1 6 brachte ich aber auch Beispiele, die zeigten, dass zehndi
mensionale Theorien manchmal dieselben physikalischen Konsequenzen
haben wie elfdimensionale.
Solch eine Dualität lässt darauf schließen, dass unsere Vorstellung von
Dimensionen nicht ganz so sta bil ist, wie es den Anschein hat - in der
Definition gibt es eine gewisse Plastizität, die sich der konventionellen
Terminologie entzieht. Duale Besch rei bungen ein und derselben Theorie
verraten uns, dass die eine oder andere Formulierung nicht notwendiger
weise die beste ist. Die Formulierung und sogar die Anzahl von D imen
sionen in der besten Beschreibung können beispielsweise von der Stärke
der Stringkopplung abhängen. Weil eine einzige Theorie nicht immer die
beste Beschrei bung liefert, gibt es auf die Frage nach der Anzahl von Di-
501
VERBORGENE UN IVERSEN
502
ZUSÄTZLICHE DIMENSIONEN: DAS SPIEL IST ERÖFFNET
503
VERBORGENE UN IVERSEN
II. T-Dualität
Ein weiterer Grund, nach der Bedeutung von D imensionen zu fragen, be
steht in einer Äquivalenz zwischen zwei o berflächlich unterschiedlichen
Geometrien, die als T-Dualität bekannt ist. Noch bevor Stringtheoreti
ker die bereits besprochenen Dualitäten entdeckten, stießen sie auf die
T-Dualität, bei der ein Raum mit einer winzigen aufgerollten Dimension
gegen einen anderen Raum mit einer riesigen aufgerollten D imension
ausgetauscht wird .39 So merkwürdig das erscheinen mag, in der String
theorie führen extrem kleine und extrem große aufgerollte Dimensionen
zu denselben physikalischen Konsequenzen. Ein verschwindend winzi
ges Volumen aufgerollten Raums zeitigt dieselben physikalischen Folgen
wie ein extrem großes.
In einer Stringtheorie mit aufgerollten Dimensionen kommt es zur
T-Dualität, weil zwei unterschiedliche Typen von geschlossenen Strings
in der Raumzeit zu einem Kreis kompaktifiziert sind ; und diese beiden
Strings werden gegeneinander ausgetauscht, wenn ein Raum mit einer
winzigen a ufgerollten Dimension durch einen Raum mit einer großen er
setzt wird. Der erste Typ von geschlossenem String oszilliert auf und a b ,
während er in d e r geschlossenen Dimension kreist, was dem Verhalten
der Kaluza-Klein-Teilchen in Kapitel 18 ähnelt. Der andere Typ wickelt
sich um die aufgerollte D i mension herum. Er kann das einmal, zweimal
oder jede belie bige Anzahl von Malen tun. Und T-D ualität-Operationen,
die einen kleinen aufgerollten Raum gegen einen großen a ustauschen,
tauschen diese beiden Typen von Strings gegeneinander aus.
De facto war die T-Dua lität das erste Anzeichen, dass es Branen geben
musste : Ohne sie hätten offene Strings in der dualen Theorie keine Ent
sprechungen gehabt. Wenn j edoch die T-Dualitä t richtig ist und eine
winzige aufgerollte Dimension zu densel ben physikalischen Konsequen
zen führt wie eine riesige aufgerollte, würde das wiederum bedeuten,
dass unsere Vorstellung von >> Dimensio n << unangemessen ist.
Denn wenn man sich den Radius der einen aufgerollten Dimension
unendlich groß denkt, wäre die T-duale aufgerollte Dimension ein Kreis
vom Durchmesser null - es gäbe überhaupt keinen Kreis. Das bedeutet,
5 04
ZUSÄTZLICHE DIMENSIONEN: DAS SPIEL IST ERÖFFNET
eine unendliche Dimension in der einen Theorie ist T-dual einer ande
ren Theorie, die eine Dimension weniger hat (da ein Kreis mit null
Durchmesser nicht als Dimension zählt ) . Die T-Dualität zeigt also auch,
dass zwei offensichtlich verschiedene Räume den Eindruck machen
können, als hätten sie unterschiedliche Anzahlen von großen a usge
dehnten Dimensionen, a ber dennoch die identischen physikalischen
Vorhersagen ergeben. Einmal mehr ist die Bedeutung von Dimension
mehrdeutig.
III. Spiegelsymmetrie
I V. Matrixtheorie
505
VERBORGENE UNIVERSEN
506
ZUSÄTZLICHE DIMENSIONEN: DAS SPIEL IST ERÖFFNET
507
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
"_
Die Zitate stammen aus K. C. Coles Artikel »Time, space obsolete in new view of
universe « , Los A ngeles Times, 16. November 1 999.
508
25
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VERBORGENE UN IVERSEN
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( K ) EIN S C H L U S S W O RT
511
VERBORGENE UN IVERSEN
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Glossar
513
VERBORGENE UN IVERSEN
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G LO S SA R
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VERBORGENE U NIVERSEN
516
G L O S SA R
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V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
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G L O S SA R
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V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
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G L O S SA R
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VERBORGENE UN IVERSEN
522
G L O S SA R
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VERBORGENE U NIVERSEN
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G L O S SA R
525
Mathematische Anmerkungen
Eigentlich ist dies keine mathematische Anmerkung, zeigt aber, dass das Saturday
Night Baby dreidimensional ist ( siehe Abbildung M l ) .
526
M AT H E M AT I S C H E A N M E R K U N G E N
Metrik mit einem Tensor beschrieben werden, dessen zwei Indizes die Koeffizienten
a11 jedes Terms in der Metrik in der Form dx 1 dx 1 angeben. Wenn wir später die Re
lativitätstheorie diskutieren, wird die Metrik auch einen Term dt 2 enthalten, und
sie könnte auch Terme der Form dtdx 1 haben.
3 Eine Hypersphäre ist als x 1 2 + x 2 + . . . + x / = r2 definiert. Da bei bezieht sich x i auf
die ite Koordinate (die Lokalisierung in der iten Dimension), und r ist der Radius
der Hypersphäre. Der Querschnitt der Hypersphäre beim Durchqueren eines festen
Orts in der nten Dimension, x = d, wird durch die Gleichung x 1 2 + x / +
n +
0 0 .
=
x n_ 1 2 r 2 - d 2 beschrieben. Dies ist die Gleichung einer Hypersphäre mit einer Di
mension weniger und dem Radius � . Wenn also beispielsweise n 3 ist und =
527
VERBORGENE U N I VERSEN
konvertiert. Man beachte, dass bei niedrigen Freq uenzen die Energie mit der Fre
quenz zunimmt. Doch bei Frequenzen, bei denen die Energie eines Quants, hf, im
Vergleich zu kT groß ist, fällt das Spektrum drastisch ab; die emittierte Energie ist
bei höheren Frequenzen exponentiell kleiner.
11 Eine Wellenfunktion ist eigentlich eine komplexwertige Funktion. Daraus resul
tieren viele merkwürdige Eigenschaften der Quantenmechanik. Wenn man zwei
komplexe Funktionen addiert und dann die Summe quadriert, bekommt man im
Allgemeinen ein anderes Ergebnis, als wenn man erst das Quadrat bildet und dann
addiert. Das führt zu lnterferenzphänomenen. Beispielsweise rührt beim Doppel
spalt-Experiment die auf einem Schirm verzeichnete Wahrscheinlichkeit von der
Interferenz der Wellen her, die die zwei möglichen Pfade des Elektrons beschrei
ben.
12 Genauer gesagt, handelt es sich um das Produkt der Planck-Konstante und des ab
soluten Werts des Kommutators der beiden Größen geteilt durch zwei.
13 Die spezielle Relativitätstheorie besagt, dass ein stationäres Objekt mit der Ruhe
masse m0 die Energie E =m0 c 2 besitzt. Allgemeiner ausgedrückt, trägt ein O bjekt,
das sich mit der Geschwindigkeit v bewegt (wobei ß = v l c und y = 1 I � ), die
Energie E = ym 0c 2 . Die Ruhemasse wird auch als invariante Masse bezeichnet
( unabhängig vom Bezugssystem ) . Denn nach den Transformationsgesetzen der
speziellen Relativitätstheorie ist die Größe E 2 - p 2 c 2 = m 0c 4 in jedem Bezugssys
tem dieselbe. Man beachte, dass man in jedem Fall eine Energie von mindestens
gleich m 0c 2 braucht, um ein O bjekt mit der Masse m0 zu erzeugen. Man beachte
auch : Wenn ein Objekt im Vergleich zu seiner Energie ( eigentlich Energie/ c 2 ) eine
geringe Masse hat, werden Energie und Impuls annähernd durch E = pc zueinan
der in Bezug gesetzt. Aus diesem Grund sind bei hoher Energie Impuls und Energie
ungefähr gegeneinander austauschbar.
14 Die Maxwell'schen Gleichungen lauten :
V·E = 4 rr Q
I (J B
VxE = --
c dt
V·B = 0
4 rr I JE
VxB =
-;:-- 1 + -;: ar
528
M AT H E M AT I S C H E A N M E R K U N G E N
529
VERBORGENE U N I VERSEN
und y = 5. Eine ähnliche » Rotationssymmetrie« gilt für Higgs 1 und Higgs 2 , a ber
ich habe vereinfacht und die Symmetrie schlicht als eine Austauschsymmetrie be
schrieben. In der zutreffenden Beschreibung wäre die Symmetrie der schwachen
Wechselwirkung auch gebrochen, wenn beide Higgs-Felder denselben Wert hätten
- ganz ähnlich wie der Punkt x = 5, y = 5 spontan die Rotationssymmetrie bricht.
20 Auch wenn dieses Modell mit zwei komplexen Higgs-Feldern beginnt, gibt es letz
ten Endes nur ein einziges Higgs-Teilchen . Der Grund dafür ist, dass die drei an
deren ( realen) Felder zu den drei zusätzlichen Feldern werden, die erforderlich
sind, um drei masselose Teilchen mit zwei physikalischen Polarisierungen in mas
sive Teilchen mit drei Polarisierungen umzuwandeln. Drei der Higgs-Felder wer
den zu den dritten Polarisierungen der drei schweren Eichbosonen - der beiden
Ws und des Z. Das verbleibende vierte Higgs-Feld müsste das tatsächliche physi
kalische Higgs-Teilchen erzeugen. Wenn dieses Modell richtig ist, müsste der LHC
sie produzieren.
21 Die Stärke aller dieser Kräfte wird von einem numerischen Koeffizienten be
stimmt. Berechnungen der Renarmierungsgruppe zeigen, dass sich die Werte die
ser Größen logarithmisch mit der Energie ändern.
22 Während die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung Paare von Feldern
mischt und die der starken Wechselwirkung drei Felder, mischt die Große-Verein
heitlichungs-Symmetriegruppe von Georgi und Glashow fünf Felder. Einige der
mit den Kräften der GVT zusammenhängenden Symmetrietransformationen fal
len mit Transformationen der schwachen und der starken Symmetrie zusammen.
Die Kräfte sind vereint, weil eine einzige Symmetriegruppe von Transformationen
alle Symmetrietransformationen des Standardmodells einschließt.
23 Dieser Zusammenhang von Raum und Zeit manifestiert sich eigentlich am deut
lichsten, wenn zwei Supersymmetrietransformationen nacheinander du rchgeführt
werden, erst in der einen Ordnung und dann in der anderen, und dann voneinan
der subtrahiert werden. In diesem Fall bleiben Fermionen Fermionen und Bosonen
Bosonen, a ber das System wird bewegt ; das Nettoergebnis der Transformation ist
genau dasselbe wie bei einer konventionellen Raumzeittransformation. Der Korn-
530
M A T H E M AT I S C H E A N M E R K U N G E N
Zeit
25 Die Stringspannung ist nicht immer so hoch, wie man anhand der Planck-Energie
skala vermuten würde. Sie hängt davon ab, wie stark Strings wechselwirken. Joe
Lykken und andere haben die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sie viel klei
ner ist ; und in diesem Fall könnten die zusätzlichen Teilchen der Stringtheorie viel
leichter sein.
26 In Wirklichkeit würden gemäß der Dualität, die in diesem Kapitel behandelt wird,
sogar die Sonden zur Untersuchung einer gegebenen Version der Stringtheorie den
Charakter verändern, wenn die Kopplung stark wird. Wenn Ike also in Wirklich
keit Teil der Stringwelt wäre, würde auch er sich verändern.
27 Sie können sich auch in null Dimensionen erstrecken ; in diesem Fall handelt es
sich um neue Arten von Teilchen namens DO-Branen ; erstrecken sie sich in einer
Dimension, handelt es sich um neue Arten von Strings namens D l -Branen.
28 Branen wechselwirken nicht notwendigerweise mittels gewöhnlicher Ladungen.
Sie wechselwirken mittels einer höherdimensionalen Verallgemeinerung von La
dungen.
29 In Wirklichkeit dreht die Symmetrie Branen ineinander, aber das würde den tech
nischen Rahmen dieses Buches sprengen.
30 Für gewöhnlich stehen die Gaugino-Massen in einem Verhältnis von rund 1 : 3 : 3 0
zueinander, wobei d a s Photino das leichteste ist, d a n n d i e Winos kommen ( auch
531
VERBORGENE U N I VERSEN
532
M AT H E M AT I S C H E A N M E R K U N G E N
nimmt oder dass - was äquivalent ist, weil die Gravitationsstärke schwächer ist,
wenn die Planck-Energieskaia größer ist - die Planck-Energieskala groß ist, wenn
das Volumen groß ist.
3.5 Eine flache Metrik mit drei Raumdimensionen ist ds 2 dx 2 + dy 2 + dz 2 - c 2dt2.
=
dr2, wobei r die Koordinate der fünften Dimension ist. Das sagt uns, dass an je
dem gegebenen Ort in der fünften Dimension, der einem festen Wert r entspricht,
die Raumzeit vollständig flach ist. Jedoch sagt uns der übergeordnete, von r ab
hängige Faktor, dass sich die gemessenen Größen in Abhängigkeit von der Posi
tion eines Objekts in der fünften Dimension verändern. Der exponentielle Abfall
des Koeffizienten, der der Warpfaktor ist, ist der Grund dafür, dass die Wahr
scheinlichkeitsfunktion des Gravitons exponentiell abfällt, und auch der Grund,
warum wir Masse, Energie und Größe umskalieren müssen, um zu einer einzigen,
vierdimensionalen effektiven Theorie zu kommen.
37 Da der Raum nicht flach ist, ist das extradimensionale Volumen, das hinzu
kommt, wenn wir M PI in vier Dimensionen berechnen, nicht einfach M r/ R , wie es
bei flachem Raum der Fall wäre. Stattdessen hängt der Wert von Mp1 von der
Krümmung ab. Wenn die Metrik die Form ds 2 e-klrl (dx 2 + dy 2 + dz 2 - c 2dt2) +
=
dr 2 hat, wobei r die Koordinate der fünften Dimension ist, dann gilt in etwa Mr?
= M 3 I k. Anders ausgedrückt, die Größe des Raums ist größtenteils irrelevant. Das
ergibt Sinn, weil die Krümmung des Raums - nicht die Größe der Zusatzdimen
sion - bestimmt, wie sich die Feldlinien in der Zusatzdimension ausbreiten und
wie stark demzufolge die vierdimensionale Gravitation ist. De facto gibt es eine
kleine Abhängigkeit von R : Die wirkliche Formel ist Mr/ M 3 I k ( 1 - e-k R ) , aber
=
wenn kR groß ist, ist der exponentielle Term größtenteils irrelevant und kann ver
nachlässigt werden.
38 In dem von Andreas Karch und mir entwickeltem Modell der lokal lokalisierten
Gravitation ist der Warpfaktor die Summe einer abnehmenden Exponentialfunk
tion (wie bei den bereits betrachteten verzerrten Geometrien) und einer zuneh
menden Exponentialfunktion. Sie ist cosh(kc - k lrl) proportional, wobei k auf die
Bulkenergie und c auf die Branenenergie bezogen sind. Wie der bereits betrachtete
Warpfaktor der lokalisierten Gravitation fällt auch dieser Warpfaktor exponen
tiell ab, wenn man die Brane verlässt. Aber im Gegensatz zum vorangegangenen
Fall kehrt sich der Warpfaktor um und nimmt dann exponentiell zu. Das vierdi
mensionale Graviton ist in der Region zwischen der Brane und diesem »Umkehr
punkt« lokalisiert. Jenseits dieser Distanz gilt die vierdimensionale Gravitation
nicht mehr.
39 Bei T-Dualität wird der Kompaktifizierungsradius r gegen seinen Kehrwert 1 I r
533
V E R B O RG E N E U N I V ER S E N
534
Quellennach weise
Die Autorin und der Verlag danken den nachfolgend Genannten für die freundliche
Genehmigung zum Abdruck von Liedtexten und Abbildungen :
» As Time Goes By « , geschrieben von Herman Hupfeld, verwendet mit frdl. Gen. von
Carlin Music Publishing Canada lnc. für Redwood Music Ltd. »The Rock in This Pa
cket « , Text und Musik von Suzanne Vega ; Copyright © 1992 WB Music Corp. und
Waifersongs Ltd.; alle Rechte wahrgenommen von WB Music Corp.; alle Rechte vor
behalten ; Abdruck mit frdl. Gen. von Warner Brothers Pu blications U. S. lnc., Miami,
Florida 3 3 014. » Ünce in a Lifetime « von David Byrne, Chris Frantz, Jerry Jarrison,
Tina Weymouth und Brian Eno ; Copyright © 1981 Index Music Inc., Bleu-Disque
Music Co. und E. G. Music Ltd.; alle Rechte zugunsten von Index Music lnc. and
Bleu-Disque Music Co. Inc. wahrgenommen von WB Music Corp . ; alle Rechte vorbe
halten ; Abdruck mit frdl. Gen. von Warner Brothers Publications U. S. Inc., Miami,
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liam T. Berry, Peter L. Buck, Michael E. Mills und John M. Stipe ; Copyright © 1 9 8 9
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men von Warner-Tamerlane Publishing Corp.; alle Rechte vorbehalten ; Abdruck mit
frdl. Gen. von Warner Brothers Publications U. S. Inc., Miami, Florida 3 3 014. » Chain
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You « von Björk und Sirnon Bernstein ; Copyright © 1 995 Sony / ATV Music Publishing
UK Ltd., Polygram Publishing, Farnaus Music Corporation und Björk Gudmundsdot
tir Publishing ; alle Rechte wahrgenommen von Sony / ATV Music Publishing, 8 Music
535
VERBORGENE U N I VERSEN
Square West, Nashville, TN 37 203 ; alle Rechte für Farnaus Music Corporation und
Björk Gudmundsdottir Publishing in den Vereinigten Staaten von Amerika und Ka
nada wahrgenommen von Farnaus Music Corporation International ; Copyright ein
getragen, alle Rechte vorbehalten. » Come Together« von Lennon/ McCartney ; Copy
right 1969 (erneuert) Sony / ATV Tunes LLC ; alle Rechte wahrgenommen von
Sony / ATV Music Publishing, 8 Music Square West, Nashville, TN 37 203 ; alle Rechte
vorbehalten ; Abdruck mit frdl. Gen. »Go Your Own Way « von Lindsey Buckingham ;
Copyright © 1976 Now Sounds Music. » I Will Survive« von Frederick J. Perren und
Dino Fekaris ; Copyright © 1 978 Universal-Polygram International Publishers Inc. für
sich selbst und Perren-Vibes Music Inc . / ASCAP ; Abdruck mit frdl. Gen.; internatio
nale Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten. » Don't You ( Forget about Me) «
von Steve W. Schiff und Keith Forsey ; Copyright © 1985 Songs o f Universal Inc. für
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M. Freeze und Senen Reyes ; Copyright © 1987 Universal Music Corp. für Soul Assas
sins Music / ASCAP ; Abdruck mit frdl. Gen.; internationale Copyrights eingetragen ;
alle Rechte vorbehalten. »> Still Haven't Found What I'm Looking For« von Paul
Hewson, Dave Evans, Adam Clayton und Larry Mullen ; Copyright © 1987 Universal
Polygram International Publishing Inc. für Universal Music Publishing International
B.V. / ASCAP ; Abdruck mit frdl. Gen.; internationale Copyrights eingetragen ; alle
Rechte vorbehalten. » Like a Rolling Stone « von Bob Dyla n ; Copyright © 1 965 War
ner Bros. Inc.; Copyright erneuert 1993 Special Rider Music ; Abdruck mit frdl. Gen.;
internationale Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten. » Born to RutJ « von
Bruce Springsteen ; Copyright © 1975 Bruce Springsteen ; Abdruck mit frdl. Gen.; alle
Rechte vorbehalten. »No Way Out« von Peter Wolf und Ina Wolf; Copyright © 1984
Jobete Music Co. Inc. / Petwolf Music/ Stone Diamond Music Corp . / Kikiko Music,
USA ; Abdruck mit frdl. Gen. von Jobete Music Co. Inc. / EMI Music Publishing Ltd.,
London WC2H OQY. »Welcome Horne (Sanitarium ) « von james Hetfield, Lars Ulrich
und Kirk Hammett ; Copyright © 1986 Creeping Death (ASCAP) ; internationale
Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten. •• Imagine « von John Lennon ; Copy
right © 1971, 1999 Lenono Music. » Say Goodbye Hollywood« von Michael Elizondo,
Marshall Mathers und Louis Resto ; Copyright © 2002 Elvis Mambo Music, Blatter
Music, Music of Windswept, Restaurant's World Music, Eight Mile Style Music ; alle
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swept ; alle Rechte für Eight Mile Style Music verwaltet von Ensign Music Corpora
rion ; internationale Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten. » Stuck on You «
von Aaron Schroeder und ]. Leslie McFarlan d ; Copyright © 1960 Gladys Music Inc.;
Copyright erneuert und zugewiesen Gladys Music und Rachel's Own Music ; alle
Rechte für Gladys Music verwaltet von Cherry Lane Music Publishing Company Inc.
und Chrysalis Music ; alle Rechte für Rachel's Own Music verwaltet von A. Schroeder
International LLC ; internationale Copyrights eingetragen ; alle Rechte vorbehalten.
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Q U E L L E N NAC H W E I � E
Portrait der Dora Maar von Pablo Picasso ; Copyright © 2004 ehe Estate of Pa blo Pi
casso / Artists Rights Society (ARS), New York. Kreuzigung (Corpus Hypercubus) von
Salvador Dali; Copyright © 2004 ehe Estate of Salvador Dali, Gala-Salvador Dali
Foundation/ Artists Rights Society (ARS), New York. Abbildung 54 (Top-Quark) mit
frdl. Gen. von Fermilab. Eöt-Wash-Versuchsaufbau (Abbildung 76 ) mit frdl. Gen. Uni
versity of Washington Eöt-Wash-Group. Luftaufnahme des Large Hadron Collider
»
(Abbildung 55) mit frdl. Gen. von CERN. You Were Meant for Me« aus Singin ' in
the Rain und The Broadway Melody, von Arthur Freed und Nancio Herb Brown
© 2004 ; mit frdl. Gen.; alle Rechte vorbehalten.
537
Register
538
REGI STER
539
VERBORGENE U N I VERSEN
540
REGI STER
541
VERBORGENE UN IVERSEN
Grand Unified Theory ( GUT) siehe Grenzbranen 72, 75, 3 75 - 3 76, 435,
Große Vereinheitlichte Theorie 438 - 4 3 9, 468, 523, 5 3 3
Gravitation 22 - 23, 25, 34, 5 2 - 54, 62, Grojean, David 459, 5 3 4
66, 68, 71, 79, 82, 91, 100, 102, 105, Grass, David 267, 3 3 2 , 3 3 7 - 3 38, 3 75,
1 1 1 - 1 14, 121 - 124, 129, 135 - 1 3 7, 508
1 72 - 1 74, 1 78, 227, 257, 273, 279, Große Vereinheitlichte Theorie
2 85 - 286, 3 1 8 - 32� 3 3 1 - 3 32, ( GVT) 8 8 - 8 9, 92, 269 - 275, 279 - 2 85,
3 3 4 - 336, 371 - 3 72, 3 78, 406, 410, 414, 334, 3 76 - 3 77, 453 - 456, 5 1 7, 5 3 0
4 1 7 - 420, 4 3 4 - 435, 441 - 443, 446, Große-Vereinheitlichungs-Symmetrie
454, 461 - 462, 472, 477- 478, gruppe 5 3 0
4 8 0 - 482, 484, 488 - 489, 494, 5 1 8, 532 Grossmann, Marcel 1 3 4
höherdimensionale 2 8 8, 416 - 41 7,
4 1 9 - 420, 426 - 427, 500, 520, 527, 53 3 ; Hadronen 203 - 206, 26� 326, 3 2 8
siehe auch Relativitätstheorie, allge Halley, Edmund 1 13
meme Händigkeit 196, 207, 514, 5 1 7
lokal lokalisierte (KR) 4 8 8 - 495 Harvard University 9 0 , 127, 140, 146,
lokalisierte siehe RS2 153, 165, 192, 267, 271, 3 3 7, 384, 410,
Gravitationsbranen 437, 441 - 442, 444, 485
446 - 450, 455, 459, 462- 463, Harvey, Jeffrey 332, 3 3 8, 3 75
465 - 4 6 7, 469, 471, 473 - 4 74, Harvey, William 98
476 - 482, 4 8 8 - 489, 494, 503 Hawking, Stephen 23, 4 8 1 , 485
Gravitationsfeld 66 - 6 7, 1 10, 1 2 1 , 123, Hawking-Strahlung 428
1 2 5 - 127, 1 3 3 - 141, 1 84, 227, 320 - 321, Hecke!, Blayne 422 - 423
350, 4 1 8, 437, 443, 469, 474 - 475, 513, Heisen berg, Werner 146, 165
5 1 5, 5 1 9, 521 - 522 siehe auch Unschärferelation
siehe auch ADD ; Gravitation, lokal lo Helium 1 54, 1 93, 513
kalisierte ; RS 1 ; RS2 Hierarchieproblem 85, 229, 277 - 2 82,
Gravitationsgesetz 6 2 - 68, 1 1 1 - 1 13, 285 - 286, 290 - 2 92, 343, 377, 387, 419,
1 2 2 - 123, 1 73, 414, 422, 479, 5 1 9, 532, 4 3 4 - 435, 443, 445 - 446, 449 - 453,
534 456, 45 9 - 462, 465, 489, 512, 5 1 7
Gravitationskonstante 1 12, 1 73, 2 85, Higgs, Peter 2 3 8
447, 5 1 9, 5 2 7 - 5 2 8 Higgs-Feld 246 - 253, 278, 290, 455, 5 1 7,
Gravitationslinsen 1 2 8 529- 530
Gravitationsmasse 1 2 2 Higgsino 301
Gravitino 299 Higgs-Mechanismus 203, 224, 249 - 230,
Graviton 177, 202, 299, 3 0 1 , 321 - 322, 234, 23 7 - 246, 251 - 252, 254, 270, 27�
329, 336, 344, 371, 3 92 - 3 95, 413 - 414, 284, 291, 295, 300, 3 0 2 - 303, 306 - 3 0 7,
4 1 7, 424 - 426, 428, 435, 440 - 444, 3 0 9, 3 1 2 - 313, 383, 3 95, 407, 4 1 5 - 4 1 7,
446 - 449, 452, 454, 456 - 462, 466, 420, 424, 429, 432, 442, 455, 47� 5 1 7
469 - 48� 4 8 8 - 49� 50� 5 1 7 - 5 1 � Higgs-Teilchen ( Higgs-Bosonen) 103,
533 1 93, 246 - 247, 254 - 255, 278 - 285,
Green, Michael 329 - 3 3 3 2 8 7 - 290, 3 0 1 - 303, 3 05 - 3 0 7, 309,
Greene, Brian 56 313, 344, 3 8 7, 390, 3 95, 415, 4 1 9, 436,
Gregory, Ruth 367, 481 443, 450, 456, 459, 462, 514, 5 3 0
542
REGI STER
543
VERBORGENE U N I VERSEN
322, 325, 33 1 , 3 8 7, 3 92, 3 95 - 3 96, 413, 228 - 229, 234, 238, 242 - 246,
451 - 450, 456, 5 1 6, 51 8, 522 248 - 249, 251 - 255, 259, 261, 264,
siehe auch Elektronen ; Myon ; Neutri 277- 278, 280 - 290, 3 0 0 - 306,
nos ; Tau 3 0 9 - 314, 3 1 9, 325, 336, 3 3 9, 343, 352,
Lepton-Photon-Konferenz (2001 ) 451 368, 3 74, 377, 383, 387, 3 90 - 3 97,
LHC ( Large Hadron Collider) 25, 1 73, 401 - 408, 4 1 5 - 4 1 7, 41 9, 422 - 425, 428,
216, 219, 222, 246, 254 - 255, 306, 435, 439, 442 - 443, 446 -452,
426 - 428, 431 - 432, 457, 460 -461, 455 - 45 8, 460, 462, 468, 478 - 480,
5 1 1 - 5 12, 518, 530 482, 493 - 494, 500, 513, 5 1 7 - 5 1 9,
Licht 1 9, 27, 2 9, 46, 75, 78, 82, 95, 1 16, 521 - 523, 527- 528, 5 3 1 , 5 3 3
1 1 8 - 1 1 9, 126 - 129, 1 3 9, 145, 147, siehe auch Planck-Massenskala
1 4 9 - 155, 162, 164, 1 76, 1 85, 202, Massenskala, schwache 173, 278,
229 - 2 3 1 , 233, 322, 396, 404, 4 8 9, 501, 2 8 7 - 2 8 8, 290, 306, 415, 455
5 1 7, 522 Materie 1 3 7 - 138, 1 5 1 , 2 5 5
-geschwindigkeit 62, 1 10 - 1 1 1 , Matrixtheorie 505 - 506
1 1 7 - 120, 126, 1 3 9 - 141, 1 7 1 , 1 73, 1 75, Maxwell, James Clerk 26, 338, 3 75
186, 190, 202, 224, 243, 285, 489, 493, Maxwell'sche Gesetze 1 1 5, 1 8 6 , 528
521, 527- 528, 534 May, Michael J . 459
-quanten 27, 145, 148, 153, 1 8 7, 520 Medizin 46
-wellen 126 Meer, Sirnon van der 2 1 8
Likhtman, E. P. 296, 298 Mendelejew, Dimitri lwanowitsch 27
Lobatschewski, Nikolai lwano- Menora 224 - 225, 227 - 22 8
witsch 131 Merli, Piergiorgio 163
London, Fritz 229 Minkowski, Hermann 13 3 - 134
Lorentz-Kontraktion 1 1 7 Minnesota, University of 486
Loyd, Sam 77 Missiroli, Gianfranco 163
Luty, Markus 3 94 - 3 95 M odellbau 8 7 - 106
Lykken, Joe 1 1 , 384, 42� 45 1 , 460, 531 Molekularbiologie 143
Moleküle 98, 1 5 1
M agnetismus 26, 1 74, 1 84 - 1 85, 221, 5 1 5 Mond 1 10, 367
Magnetresonanztomographie ( M R I ) 46 Montonen, Claus 353
Maldacena, Juan 502 Motl, Lubos 11, 1 8 3
Mandula, Jeffrey 294 Mousopoulos, Stavros 4 9 3
Mars 102, 1 10 M-Theorie 347, 3 5 9 - 360, 5 0 6 , 5 1 9
Ma rsden, Ernest 1 54 Multiversum 8 0 - 81
Martinec, Emil 332, 3 38, 3 75 Murayama, Hitoshi 3 94
Maryland, University of 3 94 Myers, Robert C. 481
Massachusetts Institute of Technology Myon 101, 120, 200, 207-209, 215,
( MIT) 206, 385, 484, 491 22 8 - 229, 3 1 0 - 312, 45 8, 5 1 9, 523
Masse 23, 62, 65, 101 - 102, 105, Myon-Neutrino 200, 208, 310 - 3 1 1
1 1 1 - 1 13, 122 - 1 23, 127- 128,
134 - 138, 141, 152, 1 5 8, 171 - 173, 183, Nanopoulos, Dimitri 3 95
1 92, 1 9 8, 201 - 203, 205, 207, 209, Nelson, Ann 1 1 , 359
2 1 2 - 213, 2 16, 2 1 9, 221, 223 - 224, Neptun 1 10
544
REG I STER
Neutrinos 27, 101 - 102, 193, 1 9 8 - 20 1 , 2 3 4 - 235, 242 - 244, 253 - 254, 262,
207- 208, 210, 215, 235, 300, 310 - 3 1 1 , 265 - 26 8, 3 0 0 - 301, 309, 3 1 1 , 321, 340,
423, 426, 514, 5 1 6 , 5 1 9 344, 349, 381, 413, 451 , 454, 493, 5 14,
Neutronen 2 6 - 2 7, 9 9 - 100, 1 0 3 , 1 55, 520
193, 1 9 7 - 199, 201, 205 - 2 0 7, 5 1 3 - 515, Physik, Geschichte der 22, 25, 27, 88,
5 1 9, 521 - 522, 524 1 04, 1 14, 1 1 7 - 1 1 8, 120, 143 - 145, 148,
Neveu, Andre 298 - 299, 327 155, 163, 166, 177, 199, 202, 2 1 1 , 274,
New York Times 103 3 1 9, 401, 469
Newton, Isaac 4 7, 62, 64, 68, 1 1 0 - 1 13, Picasso, Pa blo 44
1 22 - 123, 135 - 13 7, 139, 1 73, 286, 2 8 8, Pilo, Luigi 459
3 1 9, 321, 414, 420, 422 - 424, 434, 489, Pion 203, 205
5 1 9, 527- 528, 532 Pisa, Universität von 3 94
siehe auch Gravitationsge;etz Planck, Max 27, 140, 143, 147- 150,
Newton'sche Physik 1 13, 1 1""' - 1 1 8, 401, 1 5 2 - 153, 15 7 - 1 5 8
469 Planck-Energieskala 1 72 - 1 74, 1 78, 2 0 1 ,
Nordpol 132 257, 2 86, 292, 320, 322 - 323, 3 3 5 - 336,
N ukleonen 27, 99, 323, 328, 5 1 9 406, 414, 454, 520, 5 3 1 , 5 3 3
Nukleus 99, 5 1 9 Planek-Längenskala 1 74, 1 78, 3 1 9 - 320,
322 - 323, 335 - 344, 3 93, 406 -407,
Olive, David 299, 353 412, 415, 442, 446, 475, 50G 510
0rsted, Hans Christian 1 84 Planck-Massenskala 286 - 2 89, 2 9 1 , 295,
Ovrut, Burt 3 76 305, 336, 406, 415 - 416, 419, 428,
Oxford Universitv 493 442 - 443, 449 - 450, 452, 457, 462, 480
Planeten bewegungen 1 13
Papazouglou, Antonios 49 3 Platon 87, 89, 1 65
Parallelpostulat 1 3 0 - 131 Plumpudding-Modell 1 54
Parallelwelten 10, 8 1 , 106 Polarisierung 2 3 0 - 234, 243 - 245, 252,
Paritätssymmetrieverletzung 1 95 - 1 97, 524, 530
334 longitudinale 231 - 232, 244, 5 1 9, 529
Passagen 5 - 6, 1 8, 35, 3 8, 50, 70, 204, transversale 231
3 1 7, 345, 365, 3 8 1 , 383, 3 9 8, 409, 433, Polchinski, Joe 3 3 8, 348, 350 - 3 5 1
467, 483 Politzer, David 2 6 7
Pauli, Wolfgang 1 9 9, 427 Pomarol, Alex 453, 455, 459
Pauli-Ausschließungsprinzip 1 75, 520 Ponton, Eduardo 3 95
p-Branen 71, 351 - 352 Porrati, Massimo 1 1 , 3 94, 493
Peer, Amanda 11, 3 72 Positron 1 8 8, 1 9 0 - 192, 197, 2 1 7,
Penrose-Parkettierung 2 1 2 1 9 - 221, 262, 265 - 266, 410, 413, 458,
Peskin, Michael 220 520
Pfade 263 - 264, 267, 387, 389 Positronen-Emissions-Tomographie
Photino 3 0 1 , 304, 3 0 7, 309, 520, ( PET) 192
5 3 1 - 532 Pozzi, Giulio 163
Photonen 27, 80, 101, 1 2 6 - 127, 140, 152, Princeton University 12, 267, 332,
155, 1 5 7, 164, 1 6 9, 1 74 - 1 76, 1 87 - 190, 3 3 7 - 3 3 8, 4 8 4 - 485, 491, 5 02
1 92, 1 95, 197- 200, 202, 206, 230 - 232, Prinzip
545
V E R B O RG E N E U N I V E R S E N
anarchisches 2 6 3 , 275, 3 1 2 , 3 74, 382, der Gravitation 54, 1 73, 321, 323,
387 - 3 90, 3 9 7, 514 500
anthropisches 342, 513 Quantisierung 144, 147, 149, 152 - 153,
totalitäres 263 1 5 6 - 1 5 8, 1 6 9, 513
Projektion 2 0 - 2 1 , 40 - 46, 520 Quarks 10, 23, 3 4 - 35, 48, 69, 100, 120,
Protonen 26, 9 8 - 99, 101, 1 96 - 1 97, 1 9 9, 151, 196, 204 - 209, 212, 2 1 4 - 215, 223,
203, 205 - 206, 213 - 214, 272 - 274, 2 4 8 - 249, 251, 253 - 255, 2 6 8 - 270,
2 8 0 - 2 8 1 , 383, 427, 453, 458 272, 278, 2 9 1 , 300, 31 0 - 3 1 1 , 322, 328,
Pulsare 89 367, 3 73, 3 95, 400, 412, 418, 453, 484,
5 1 1 , 514
Quadratgesetz, inverses 62, 66, 6 8, Antitop- 289, 3 02
1 12 - 1 13, 2 5 7, 414, 4 8 9, 5 1 8 Down- 99, 100- 101, 1 9 7, 205,
Quanten 145, 148, 151 - 1 5 3, 1 5 8, 164, 2 0 7 - 2 1 0, 235, 250, 272, 5 1 5, 5 1 9 - 520,
1 76 - 1 77, 1 8 8 523
-beiträge 263, 275, 282 - 284, Strange- 208, 514, 523
2 8 9 - 29� 29� 302 - 3 0 � 305 - 30� Top- 208, 209, 2 1 2 - 216, 2 8 8 - 2 89,
310, 3 3 1 , 387 - 38 9, 513, 520 300, 3 02 - 3 03, 310, 3 95, 524
-effekte 145, 1 8 7, 2 6 1 , 377, 392, 435, Up- 9 9 - 1 0 1 , 197, 205, 208 - 210, 272,
513, 520 514, 516, 5 1 9 - 520, 524
-gravitation 1 74, 323, 326, 328 - 329, Quasare 8 9, 1 2 8 - 129
3 3 4, 341, 343, 359, 406, 427- 428, 521 Quasikristalle 20-21, 45, 521
siehe auch Lichtq uanten Quaternionen 1 3 0
Quantenchromodynamik (QCD) 203, Quinn, Helen 271
229, 520
Quantenelektrodynamik Rabi, I. I. 207
( QED) 1 8 8 - 1 8 9, 242, 321, 520 Radioisotope 143
Quantenfeldtheorie 120, 1 8 9 - 1 9 1 , 224, Radiumsalze 154
229- 230, 232, 234, 2 3 9, 242, 246, Radon-222 154
248 - 249, 2 5 7 - 259, 261, 263, Ramond, Pierre 296, 298 - 299, 327, 330
287- 288, 321 - 322, 3 3 0 - 3 3 1 , Randbedingungen 69
336 - 3 3 7, 343, 3 5 3 , 3 8 7, 435, 503, 515, Rattazzi, Riccardo 11, 3 94, 430
520 Raumzeit 35, 53, 13 3 - 135, 1 3 7 - 1 3 9,
Quantenmechanik 9, 1 1 , 22, 52, 85, 87, 141, 320, 348, 400, 434, 4 3 7 - 440,
90, 9 9 - 100, 102, 104, 1 10, 126, 445 - 450, 469, 472, 475, 4 8 7 - 4 8 9, 502,
143 - 147, 1 5 3, 155 - 156, 1 5 8 - 163, 516, 521, 524, 532 - 53 3
165 - 166, 1 70, 1 73 - 1 75, 177, 1 8 3 , 1 8 7, fünfdimensionale 385, 435, 4 3 7 - 4 3 9,
1 9 1 , 202, 230, 242, 249, 254, 2 5 7 - 2 5 8, 444, 448, 456, 469 - 471, 492 - 4 9 3
260, 263 - 264, 266, 282, 3 1 8 - 323, gekrümmte 23, 130, 13 2 , 1 3 4 - 1 3 9,
3 3 4 - 335, 343, 413, 507, 514, 516, 5 1 8, 141, 320, 3 74, 377, 435, 4 3 7 - 442,
5 2 1 , 523 - 525, 528 446 - 448, 456 - 457, 459, 462,
Quantentheorie 143, 146 - 147, 149, 4 6 7 - 469, 472 - 474, 479 -482, 4 8 8,
1 5 1 - 153, 156, 158, 1 8 7 - 1 8 8, 227, 298, 492, 502, 5 1 3 - 514, 5 1 8, 5 2 1 , 524, 534
331, 513 Real!, Harvey S. 481
alte 146 - 147, 153, 156, 158, 513 Rebka, Gien 127
546
R E G I STER
547
VERBORGENE UNIVERSEN
548
REG I STER
274 - 275, 282 - 2 85, 2 8 7 - 290, 302, 4 3 1 , 437, 442, 452 - 453, 45 7, 467, 469,
305 - 3 07, 320, 3 3 0 , 387- 389, 5 1 8, 520, 4 8 1 - 483, 487, 489, 500, 5 1 0 - 512, 5 1 5,
525 5 1 8 - 5 1 9, 523 - 524
Teilchenbeschleuniger 25, 90, 101 - 103, multidimensionales 10, 35, 5 6 - 5 7,
120, 1 92, 1 9 9, 206, 208, 210 - 2 1 1 , 213, 5 9 - 60, 75, 78, 133, 345, 358, 367, 3 73,
221, 277, 294, 306 - 3 0 7, 314, 403 - 404, 378, 397, 400, 403, 436 - 4 3 7, 453, 457,
406, 424 - 428, 430, 436, 456 - 458, 464, 470 - 471 , 484, 490, 495, 5 1 1 - 5 12
5 1 1 - 5 12, 514, 516, 5 1 8, 524 siehe auch Kosmologie ; Multiversum
Teilchenphysik 68, 83, 92, 102, 143, Unschärferelation 142, 144, 165 - 1 74,
1 8 1 - 21 0 177, 201, 242, 2 5 7, 261, 271, 320, 3 35,
siehe auch Standardmodell der 404, 423, 524
Terning, John 459 Uranus 1 1 0
Te V (Teraelektronenvolt) 1 71 - 172, 213, Urknall 102, 212, 287, 322, 340
279, 292, 3 0 7, 344, 412, 416, 4 1 9,
425 - 428, 432, 449 - 450, 454 - 458, Vakuum 1 8 9, 247 - 2 50, 253, 2 6 1 - 262,
460 - 462, 480, 518, 524 265 - 2 6 7, 269, 275 - 277, 283, 524
Tevatron 213, 2 1 8 - 2 1 9, 222, 3 06, 3 93, Vakuumenergie 275, 340 - 342, 492, 5 1 5,
426, 516, 524 524
TeV-Brane 450 siehe auch Dunkle Energie ; Kosmolo
Texas, University of 348 gische Konstante
Theorie von Allem (Theory of Every- Violinsaiten 90, 323, 325, 400, 402
thing, TOE ) 334, 3 3 8
Theorie, effektive 4 8 , 201, 3 76, 5 1 5 Wahrheit 20, 26, 8 9 - 90, 487, 512
Thermodynamik 94 - 95, 150, 1 8 6 Wahrscheinlichkeitsfunktion 1 6 0 - 1 6 1 ,
Thomson, ]. J . 1 54 - 1 5 5 403, 435, 440 - 444, 446, 448, 456 - 457,
Thomson, William siehe Kelvin, Lord 45 9 - 46 1 , 466, 473, 475 - 482,
Tomonanga, Sin-Itiro 1 8 8 4 8 8 - 489, 491, 493, 5 1 8, 525, 53 3
Tonamura, Akira 1 6 3 siehe auch Wellenfunktion
Townsend, Paul 3 5 6 , 358 - 359 Wahrscheinlichkeitswellen 160, 1 77,
Travolta, ]. 526 402 - 404
Tye, Henry 373 Waldram, Dan 3 76
Warpfaktor 439, 448, 450, 525, 5 3 3
Ulraviolettkatastrophe 147 - 148 Washington, University of 412 - 423
Umskalieren 448 - 449, 480, 5 3 3 Wasserstoff 193
Universum 8, 1 7, 1 9, 2 2 - 26, 29, 34, Wechselwirkung(en) 78 - 80, 82, 9 1 , 1 93,
36 - 3 7, 48, 5 1 - 52, 5 5 - 5 9, 62, 71 - 72, 209, 2 3 0 - 234, 2 5 7 - 2 5 9, 263,
74 - 75, 79 - 81 , 83, 88, 91, 95, 97, 102, 269 - 271, 275, 3 0 7 - 308, 430,
104, 106, 120, 129, 134, 1 3 7 - 1 3 9, 453 - 454, 5 1 7
1 4 9- 150, 1 8 9 - 1 90, 192, 21 1 - 212, elektromagnetische 1 22, 1 5 5,
223 - 224, 227, 2 3 7 - 239, 247, 249, 253, 1 85 - 190, 1 93, 1 95, 1 97 - 1 98, 201, 227,
270, 275, 286, 295, 300, 3 1 7 - 3 1 8, 235, 241 - 242, 2 5 2 - 253, 262 - 263,
3 3 9 - 343, 345, 350, 365, 372 - 3 73, 3 75, 265 - 266, 269, 271 - 272, 277- 278,
378, 390, 397, 3 9 9, 401 - 403, 41 1 , 299, 3 0 7 - 3 0 8, 321, 344, 3 70, 413 - 414,
413 - 414, 4 1 7 - 4 1 8, 420, 423, 427- 429, 416, 432, 454, 466, 515, 520, 529
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