Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 10

J Lab Med 2011;35(5):261–270 © 2011 by Walter de Gruyter • Berlin • Boston. DOI 10.1515/JLM.2011.

037

Hämatologie/Hematology Redaktion: C.T. Nebe

Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich – Vorstellung einer


überarbeiteten Nomenklatur und Systematik
Lymphocyte morphology in the peripheral blood film: proposal of a
revised nomenclature and systematics

Herrad Baurmann1,*, Peter Bettelheim2, Heinz Diem3, Die Differenzierung in die Kategorie „Diverse“ erfordert
Winfried Gassmann4 und Thomas Nebe5 für den zwingend einen Kommentar mit beschreibenden Angaben
Arbeitskreis Laboratorium der DGHO und eine weitere Abklärung der Befunde.
1
Deutsche Klinik für Diagnostik, Wiesbaden, Deutschland
2
St. Elisabethinen-Krankenhaus, Linz, Österreich Schlüsselwörter: atypische Lymphozyten; Blutbild; Blutaus-
3
Würmtallabor, Gauting, Deutschland strich; Differenzialblutbild; Lymphozyten; Morphologie;
4
St-Marien-Krankenhaus Siegen, Siegen, Deutschland Nomenklatur.
5
Hämatologisches Speziallabor, Onkologikum Frankfurt,
Frankfurt/Main, Deutschland
Abstract

Zusammenfassung The following recommendations for the differentiation of


lymphatic cells in the blood film of adults have been
Die nachfolgenden Empfehlungen zur Differenzierung developed by the working group for laboratory diagnostics
lymphatischer Zellen im Blutaustrich des Erwachsenen of the German Society of Haematology and Oncology on
wurden vom Arbeitskreis Laboratorium der DGHO im behalf of the German and Austrian haematological societies.
Namen der deutschen und österreichischen Gesellschaften The nomenclature of lymphatic cells should be harmonised in
für Hämatologie und Onkologie erarbeitet. Sie sollen die Germany and Europe and should provide a practical approach
Nomenklatur lymphatischer Zellen in Deutschland und on how to differentiate lymphatic cells. The basis of the new
europaweit vereinheitlichen, sowie ein konkretes Vorgehen nomenclature is the upfront classification into inconspicuous
bei der Differenzierung lymphatischer Zellen vorgeben. or conspicuous lymphatic cells. In a second step, the con-
Grundlage der neuen Nomenklatur ist eine Einteilung der spicuous cells are further assigned to “atypical cells, suspect
lymphatischen Zellen zunächst in unauffällige bzw. auffäl- reactive” or “atypical cells, suspect neoplastic”. The percen-
lige lymphatische Zellen. In einem zweiten Schritt werden tages of the resulting three-way division are integrated into
die auffälligen Zellen während der Differenzierung weiter the differential white count. If this assignment of conspicuous
zugeordnet, entweder als „atypische Zellen, vermutlich reak- cells is impossible, they are called “atypical cells, uncertain
tiv“ oder als „atypische Zellen, vermutlich neoplastisch“. Die nature” in a fourth category of “diverse cells”. This category
entstandene Dreiteilung wird als prozentuale Angabe in das of “diverse cells” also contains cells which are only rarely or
Differenzialblutbild integriert. Ist eine weitergehende Zuord- never present in the normal blood film or unclear cells. The
nung der auffälligen lymphatischen Zellen nicht möglich, assignment to the category “diverse” essentially requires a
werden diese zunächst als „atypische Zellen unklarer Dig- comment in the report describing these cells and a subsequent
nität“ in eine vierte Kategorie „Diverse“ differenziert. In clarification of such findings.
diese Kategorie „Diverse“ kommen ebenfalls sonstige Zellen,
die im Blutbild selten bis gar nicht anzutreffen sind, beispiels- Keywords: atypical lymphocytes; blood count; blood film;
weise Plasmazellen oder zunächst nicht zuzuordnende Zellen. differential; lymphocytes; morphology; nomenclature.

*Korrespondenz: Dr. med. Herrad Baurmann, Stiftung Deutsche


Klinik für Diagnostik GmbH, Zentrum für Knochenmark- und
Zielsetzung
Blutstammzelltransplantation, Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden,
Deutschland Eine eindeutige Terminologie ist Voraussetzung für die Ver-
Tel.: +49 (0) 611 577-14176 (-607) ständigung zwischen Anforderer und Labor. Ob im Befundbe-
Fax: +49 (0) 611 577-695 (-313) richt, beim Anlegen von Datenbanken einer Labor-EDV oder
E-Mail: baurmann.kmt@dkd-wiesbaden.de einer mikroskopischen Bilderkennung – jede Zelle muss für
262 Baurmann et al.: Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich

alle Beteiligten klar und nachvollziehbar benannt werden Als Eingangsuntersuchung und Weichenstellung ist die
können. Bei der Formen- und Funktionsvielfalt lymphatischer mikroskopische Befundung des Blutausstrichs durch nichts
Zellen bedeutet dies eine besondere Herausforderung. zu ersetzen. Die vorliegende Arbeit versucht hier zu klären
Die vorliegende Nomenklatur und Differenzierungs- und Hilfestellung zu leisten: Beim praktischen Vorgehen,
anleitung für lymphatische Zellen des peripheren Blutes durch Strukturierung von Befund und Interpretation und Ver-
bezieht sich in erster Linie auf Erwachsene. Sie wurde von einheitlichung der Terminologie.
deutschen und österreichischen Mitgliedern des Arbeits-
kreises Laboratorium der DGHO im Namen der Deutschen Voraussetzungen
und Österreichischen Fachgesellschaften für Hämatologie
und Onkologie erarbeitet. Ziel der Neufassung war eine
• Eine EDTA-Blutprobe sollte innerhalb von sechs Stunden nach
Klärung der Vorgehensweise sowie eine Vereinheitlichung Abnahme ausgestrichen werden.
der Begriffe innerhalb Europas [1]. • Der Ausstrich muss fachgerecht hergestellt und korrekt nach
Pappenheim gefä rbt seina.
• Ein Mikroskop mit Ölimmersionsobjektiven (×100 oder
Ausgangssituation × 60 bzw. 63) muss vorhanden sein.
• Der Untersucher sollte die quantitativen Werte des zum Ausstrich
Hinter der bisher im deutschen Sprachraum überwiegend gehörigen Blutbildes kennen.
gebräuchlichen Nomenklatur steht prinzipiell eine Dreitei- • Bekannte Diagnosen oder Verdachtsdiagnosen sollten dem
lung in Untersucher vom Anforderer mitgeteilt werdenb.
a
Empfehlungen hierzu werden gesondert veröffentlicht. bFehlen diese
1. normale, ruhende Lymphozyten („Standardlymphozyt“) Angaben, sollte bei Auffälligkeiten mit dem Anforderer Rücksprache
2. reaktive, aktivierte Lymphozyten („Reizformen“, gehalten werden.
„Virozyten“, „Pfeiffer-Zellen“)
3. maligne bzw. malignitätsverdächtige Lymphozyten
(„atypische Lymphozyten“, Lymphomzellen).
Nomenklatur im Überblick
Daneben und in unklarer Beziehung zur genannten Drei-
teilung existieren zahlreiche morphologische Begriffe wie Die neue Nomenklatur unterscheidet sich in einem Punkt
Zentrozyt, Zentroblast, Mantelzelle, Haarzelle, Prolym- wesentlich von der alten: In einem ersten Schritt wird
phozyt, Immunoblast, die überwiegend aus der Histologie zunächst grundsätzlich zwischen normalen, „typischen“,
der Lymphknotenarchitektur stammen [2, 3]. Im peripheren und nicht normalen, „atypischen“ Zellen unterschieden
Blut sind sie meist, jedoch nicht immer, als Lymphomzellen (Tabelle 1). Diese Unterscheidung ist in jedem Fall aufgrund
zu verstehen. rein morphologischer Charakteristika möglich. In Überein-
Das grundsätzliche Problem bei der Definition von mor- stimmung mit dem restlichen Europa, aber im Unterschied
phologischen Lymphozytensubpopulationen rührt daher, dass zum bisherigen Gebrauch vor allem in Deutschland, meint
es zwischen reaktiven und malignen Zellen morphologische „atypisch“ hier nur, dass die Zellen nicht normal aussehen;
Überschneidungen gibt, die es auch erfahrenen Untersuchern der Grund für diese Atypie bleibt zunächst offen. Erst in
nicht in jeder Situation möglich machen, jede einzelne Zelle einem zweiten Schritt werden die atypischen Zellen, wann
einer festen Kategorie zuzuordnen. Während manche lym- immer möglich, den weiteren Kategorien „atypisch, ver-
phatische Zellen eindeutig reaktive und andere aufgrund einer mutlich reaktiv“ und „atypisch, vermutlich neoplastisch“
Vielzahl von Atypien eindeutig neoplastische Merkmale auf- zugeordnet. Dieser zweite Schritt ist ein interpretatorischer
weisen, gibt es in der Mitte des Spektrums eine Gruppe, die Akt, der sich auf eine Population als Ganzes bezieht,
bei gleicher Morphologie sowohl bei reaktiven, entzündlichen und den der Differenzierende aktiv leisten muss. Um
Erkrankungen wie auch bei malignen Erkrankungen vor- quantitative Verlaufsbeurteilungen und eine Abbildung in
kommen kann. der Labor-EDV zu ermöglichen, wird das Resultat mit Inter-
So wird z.B. aus einer Vielzahl „normal aussehender“ lym- pretation dann in die Prozentangaben des Differenzialblut-
phatischer Zellen, die aber alle einheitlich (monomorph) sind, bildes integriert. Damit ähnelt das Endergebnis der bisher
und die in zu großer Zahl vorkommen, im Gesamtkontext die üblichen Dreiteilung, nun jedoch mit den Lymphozyten-
Verdachtsdiagnose „Chronische Lymphatische Leukämie“. Kategorien „typische“, „atypische, vermutlich reaktiv“ und
Umgekehrt wird aus der Zusammenschau einer „abnorm „atypische, vermutlich neoplastisch“. Eine anschließende
und unreif aussehenden“ Zelle – wie eines Immunoblasten – Kommentarzeile ist für Zusatzinformationen oder für eine
mit der Vielfalt und großen Bandbreite anderer, aktivierter kurze Gesamtinterpretation und für das Kürzel des Unter-
Formen im Ausstrich ein „Mononukleosebild“. suchers vorzusehen.
Aus den genannten Beispielen wird klar: Die Zuordnung
„reaktiv“ oder „maligne“ ist häufig nicht auf der Einzel- Atypische lymphatische Zellen unklarer Dignität
zellebene, sondern erst im Kontext des Gesamtausstrichs und
damit nur für eine Zellpopulation im Ganzen möglich. Ist es dem Untersucher – sei es aufgrund der Mehrdeutigkeit des
Für den Kliniker ist die Abgrenzung zwischen reaktiven zytologischen Bildes, sei es aufgrund fehlender Erfahrung –
und malignen Lymphozyten jedoch von größter Relevanz. nicht möglich, die atypischen lymphatischen Zellen einer
Baurmann et al.: Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich 263

Tabelle 1 Alte und neue Nomenklatur für Lymphozyten im Überblick.

Alte Nomenklatur Neue Nomenklatur


Normale Zellen Abnormale Zellen Normale Zellen Abnormale Zellen = atypische Lymphozyten

Standard-Lymphozyt Reizform (z.B. Atypische Typischer Lymphozyt Atypische Lymphozyten, Atypische Lymphozyten,
„Virozyten“) Lymphozyten vermutlich reaktiv vermutlich neoplastisch

Kategorie „wahrscheinlich reaktiv“ bzw. „wahrscheinlich Dignität zugeordnet werden. Weniger erfahrene Untersucher
neoplastisch“ zuzuordnen, endet die Differenzierung werden die Beurteilung möglicherweise erst nach einer ersten
zunächst hier. Eine vorläufige Einteilung nur in „atypische Zählung oder im Austausch mit erfahreneren Kollegen vor-
Lymphozyten“ ermöglicht es auch in zunächst unklaren nehmen können. Mit zunehmender Erfahrung wird der Zirkel
Fällen, die wichtige Information weiterzugeben, dass es sich des Erkennens und Bewertens immer enger, so dass eine
um ein Blutbild handelt, das weiterer Abklärung bedarf. Ent- quasi zeitgleiche Bewertung erfolgen kann.
sprechend muss diese Option aber zwingend mit einem Kom- Einen ersten, oft schon entscheidenden Eindruck für die
mentar versehen werden. Sie ist gleichbedeutend mit dem Kategorisierung der Lymphozytensubpopulationen gibt das
Auftrag, das Blutbild einer weiteren Abklärung zu unterziehen Übersichtsbild bei der Festlegung des Differenzierungs-
– entweder durch zeitnahe Nachbegutachtung durch einen bereiches. Auf dieser Grundlage erfolgt eine Zuordnung der
morphologisch erfahreneren Untersucher, oder, falls nötig, ersten Zellen auf Probe. Je weiter das Differenzieren voran-
durch Zusatzuntersuchungen wie durchflusszytometrische schreitet, und je stimmiger die folgenden Zellen in die gewählte
Immunphänotypisierung oder andere hämatologische Kategorie passen, desto sicherer wird die Differenzierung.
Spezialuntersuchungen. Der Restzweifel, der bei der Zuordnung von Einzelzellen auf-
grund der Überschneidung der morphologischen Kategorien
bleiben muss, wird in dem Zusatz „vermutlich“ ausgedrückt.
Praktische Vorgehensweise Wenn mitten in der Differenzierung Zellen auftauchen,
die nicht in das gewählte Raster passen, ist es essenziell, die
Die kernhaltigen Zellen werden zunächst in der Übersicht bisherige Kategorisierung kompromisslos in Frage zu stellen.
beurteilt, um den geeigneten Bereich für eine Differenzierung Ggf. muss mit dem gesamten Prozess von vorne begonnen
zu finden. Vor Beginn der Zählung erfolgt eine kurze werden. Vor dem Hintergrund der neuen Zellen würden die
orientierende Betrachtung bei geringer Vergrößerung. Diese vorherigen möglicherweise anders kategorisiert werden als
erste Orientierung erlaubt es unter anderem, einer ungleich- zuvor, oder es stellt sich heraus, dass einige Zellen weiterhin
mäßigen Verteilung potenziell interessierender Zellen auf am ehesten reaktiv, andere jedoch vermutlich neoplastisch
dem Objektträger gerecht zu werden: So kommen große sind. Ergibt die Differenzierung ein Mischbild, beispielsweise
Zellen (Monozyten, Blasten) vermehrt am Rand oder in wenige Haarzellen vor einem reaktiven Hintergrund, sollte
der Fahne des Ausstrichs vor, Haarzellen lassen sich besser die wahrscheinliche zahlenmäßige Zuordnung im Prozentsatz
im dickeren Teil des Ausstrichs erkennen. Zusätzlich gibt vermutlich reaktiver bzw. vermutlich neoplastischer Lym-
die orientierende Betrachtung einen Überblick, ob auffäl- phozyten zum Ausdruck gebracht und in der Kommentarzeile
lige Zellen vorhanden sind, und in welche Richtung die beurteilt werden, z.B. „Im Blutausstrich finden sich wenige
Differenzierung voraussichtlich führen wird. Prozent Haarzellen, die restlichen atypischen Lymphozyten
Anhand des Blutbildes und der Übersicht wird die Zahl der sind mit großer Sicherheit reaktiver Natur.“
zu differenzierenden Leukozyten festgelegt. Üblicherweise Gelingt eine schlüssige Zuordnung nicht, muss dieses Fak-
werden 100 Leukozyten beurteilt. Bei hohem Anteil von tum in der Kommentarzeile zum Differenzialblutbild klar zum
Kernschatten muss die Summe adäquat erhöht werden (Fak- Ausdruck gebracht werden, damit ggf. eine Nachbegutachtung
tor zwei oder vier), bei schwerer Leukopenie müssen zwei oder komplementäre Untersuchungen erfolgen können.
Ausstriche differenziert werden. Erythroblasten werden von Lassen sich die „atypischen, vermutlich neoplastischen“
vorneherein extra gezählt und als Anzahl der Erythroblasten Zellen einer bekannten Entität zuordnen, sollten dafür
auf 100 Leukozyten angegeben. bewährte und geeignete Begriffe, wie z.B. „Prolymphozyt“,
Anschließend wird mit der Auszählung begonnen. Inner- „Zentrozyt“ oder „Haarzelle“, zur Charakterisierung ver-
halb der Lymphozyten wird in „typische Lymphozyten“, wendet und in der Kommentarzeile festgehalten werden.
„atypische Lymphozyten – vermutlich reaktiv“ und „atypische Lassen sich die Zellen nicht eindeutig zuordnen, sollte eine
Lymphozyten – vermutlich neoplastisch“ unterschieden. Da knappe Beschreibung der fraglichen Population in der Kom-
es – im Unterschied zu anderen Messwerten im Labor – die mentarzeile abgegeben werden. Von ärztlicher Seite können
objektivierbare Einteilung in reaktive bzw. neoplastische in der Kommentarzeile ebenfalls Vorschläge zur weiteren
Zellen aber nicht gibt, muss während des Differenzierens in Abklärung, eine kurze Bewertung oder eine Verdachts-
einem kontinuierlichen Prozess des Erkennens, Sortierens, diagnose erfolgen. Kommentare werden mit dem jeweiligen
Interpretierens und Rückvergleichens mit den schon Namenskürzel der betreffenden Person abgezeichnet
differenzierten Zellen jeder Zelle eine wahrscheinliche (Abbildung 1).
264 Baurmann et al.: Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich

Definitionen für die Kategorisierung Geringfügig größere Zellen, die ein diskret weiteres
Zytoplasma aufweisen, werden ebenfalls noch als
In jeder Zellklasse, sei es der Standard-Lymphozyt oder der typischer Lymphozyt bezeichnet. Ebenfalls als typische
stabkernige Granulozyt, gibt es eine gewisse Variabilität, Lymphozyten gelten große, granulierte Lymphozyten
die zu Deutungsunterschieden zwischen verschiedenen (engl. large granular lymphocytes, LGL). Physiologische
Untersuchern führen kann. Dies gilt in besonderem Maß LGL-Zellen zeigen eine Heterogenität in Bezug auf Zahl
für atypische Lymphozyten. Für motorisierte Mikroskope und Größe der Granula.
mit Digitalkamera und automatisierter Auswertung stellt 2. Einzelne reaktive Lymphozyten kommen in den
diese Variabilität ein Problem dar, da sie zu einer Unschärfe meisten Blutbildern vor. Es darf also auch ein normales
zwischen den Zellklassen und damit zu einem erhöhten Erwachsenen-Blutbild einen geringen Anteil von Zellen
Risiko einer Fehlzuordnung führt. Die heutigen Systeme enthalten, die als „atypische Lymphozyten, vermutlich
weisen selbst bei Ausstrichen gesunder Personen keine zu reaktiv“ bezeichnet werden; bei Kindern können es
100% korrekte Zuordnung auf. Daher müssen Differenzial- deutlich mehr sein. Aktivierte bzw. reaktive Lymphozyten
blutbilder mit atypischen Zellen manuell nachdifferenziert sind etwas größer als ruhende Lymphozyten. Einzelne
und die atypischen Lymphozyten abschließend bewertet oder mehrere kleine Nukleolen und ein gegenüber dem
werden. Ein rein numerisches Differenzialblutbild, in dem Standardlymphozyten feineres, jedoch nicht blastäres
nur die Begriffe typischer oder atypischer Lymphozyt auf- Chromatin können das Korrelat einer vermehrten
tauchen, hilft dem behandelnden Arzt nicht weiter. Nukleinsäure-Synthese sein. Reaktive Lymphozyten
haben ein reichlicheres, meist stärker basophiles und
Definitionen manchmal leicht exzentrisches, weiter ausgebreitetes
Zytoplasma. Die veränderte Zusammensetzung der
Als im normalen Differenzialblutbild typischerweise vor-
Rezeptoren an der Zelloberfläche bewirkt, dass dieses
handene Lymphozyten gelten der Standardlymphozyt mit
sich partiell um Erythrozyten herumlegt bzw. an seinem
geringen Variationen und die LGL-Zelle, alle anderen Lym-
äußeren Rand intensiver basophil wirkt. Die stärkste
phozytenformen fallen zunächst unter „atypisch“.
Ausprägung dieser Entwicklung findet sich beim sog.
1. Der typische Lymphozyt ist der ruhende Standard- Mononukleosesyndrom (am häufigsten bei einer EBV-
Lymphozyt mit hoher Kern-Plasma-Relation, bis zu Infektion, seltener bei CMV-, HHV6- oder anderen
1,5-fach größer als ein normal großer Erythrozyt. viralen Infektionen).

1. Vorscreenen des Objektträgers

Typische Lymphozyten
• Standardlymphozyt Atypische Lymphozyten
• leicht aktivierter Lymphozyt (Zellen, die nicht die Kriterien eines typischen
Lymphozyten erfüllen, Dignität zunächst offen)
• LGL (<10%)

2. Differenzierung von 100 (ggf. 200 oder 400) Leukozyten

Heuristische Schleife aus Erkennen, Benennen, Rückvergleichen, Erkennen


Wahrscheinliche Zuordnung einer Population und Re-Integration in Differenzialverteilung

Typischer „ Atypische „ Atypische Diverse: Unklare /


lymphatische Zelle, lymphatische Zelle, seltene Zelle, u.a.
Lymphozyt Atypische lymphatische
vermutlich vermutlich
reaktiv“ neoplastisch“ „Zelle unklarer Dignität“

3. Kommentar (erwünscht bzw. zwingend in der Kategorie „Diverse“):


Beschreibung: z.B. Plasmazelle, Prolymphozyt, Immunoblast, Haarzelle, Zentrozyt, Sézary-Zelle,
Virozyt, …., deskriptive Begriffe
Grad der Sicherheit Namenskürzel
Ggf. Schlussfolgerung (nur Ärzte): Verdachtsdiagnose,
z.B. reaktives Differenzialblutbild, infekt. Mononukleose, …., V.a. Haarzell-Leukämie. Namenskürzel

Abbildung 1 Schema zur Vorgehensweise bei der Differenzierung von Zellen im Blutausstrich unter besonderer Berücksichtigung der
Lymphozyten.
Baurmann et al.: Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich 265

3. Maligne lymphatische Systemerkrankungen werden nach nicht-maligne Entsprechung in B-lymphatischen Zellen aus
WHO [3] in lymphatische Vorläuferneoplasien (akute lym- verschiedenen Lymphknoten- oder Milzabschnitten haben,
phatische Leukämien und lymphoblastische Lymphome) wie etwa den Mantelzellen, den Marginalzonenzellen oder
und Neoplasien der reifen lymphatischen Zellen einge- Haarzellen. Ähnliche, wenn auch nicht ganz so eindeutige
teilt. Innerhalb der Neoplasien der reifen lymphatischen Zuordnungen gibt es bei den T-Zell-Lymphomen. Die ver-
Zellen gibt es auf der einen Seite indolente Lymphome schiedenen Lymphomentitäten weisen charakteristische
mit niedriger Proliferationsrate, verzögerter Apoptose Kernformen und Zytoplasmavariationen auf, anhand derer
und einem überwiegend „zytischen“ Zellbild. Auf der eine morphologische Verdachtsdiagnose gestellt werden
anderen Seite gehören zu den Neoplasien der reifen lym- kann. Diese muss anschließend durch andere Methoden
phatischen Zellen auch hochmaligne Lymphome mit wie (Immun)histologie und Durchflusszytometrie/
hoher Proliferationsrate und großen, transformierten, Immunzytologie bestätigt werden. Bei einzelnen Zellen eines
„blastären“ Zellen. indolenten „zytischen“ Lymphoms ist die diagnostische
Die Blasten lymphatischer Vorläuferneoplasien haben Zuordnung bisweilen schwierig bis unmöglich. Ist jedoch
typischerweise eine hohe Kern-Plasma-Relation, ein feines, eine monomorphe Population von Geschwisterzellen vor-
relativ dichtes Chromatin, eine unregelmäßige bzw. gebu- handen, sollte diese als „atypisch, vermutlich neoplastisch“
ckelte Kernform, einen oder mehrere mittelgroße Nukleolen kategorisiert und die Verdachtsdiagnose „leukämisches
und ein basophiles Zytoplasma. Blasten sollten auch bei sehr Lymphom“ geäußert werden.
geringer Zahl Anlass zur genauen Analyse des Ausstriches Blastäre, transformierte Zellen eines hochmalignen
Lymphoms mit feinem bzw. aufgelockertem Kernchromatin
bzw. des Kontextes sein. Blasten in höherer Zahl sind immer
und deutlich sichtbaren Nukleolen finden sich seltener
pathologisch und müssen prompt an den anfordernden Arzt
im peripheren Blut. Die Zellen können ein breiteres, oft
zurückgemeldet werden. Nicht mit Blasten zu verwechseln
intensiv basophiles Zytoplasma haben – meist fallen
sind Prolymphozyten, die zwar auch einen, seltener mehrere
zusätzlich ihre Größe und unregelmäßige Kernform auf.
prominente, gut abgrenzbare Nukleolen aufweisen, vom
Chromatin her aber eher zwischen reifen Lymphozyten
und Blasten anzusiedeln sind und auch meist eine geringere Einordnung in das Differenzialblutbild
Kern-Plasma-Relation haben. Lymphome dieses Zelltyps
gehören zu den reifzelligen lymphatischen Neoplasien. In eine vierte Kategorie „Diverse“ sollen alle Zellen ein-
Innerhalb der reifzelligen lymphatischen Neoplasien sortiert werden, die anhand der bisherigen Beschreibung nicht
gibt es sehr viele morphologische Varianten, die ihre zugeordnet werden konnten: Das betrifft sowohl normale, im

Biologie
Blasten Granulozyten Monozyten Lymphozyten Diverse KS EB

Neutroph.
atypische
lymphatische Zelle
Kernschatten

Erythroblasten

Blast Promy Myelo Meta Stab Seg Eo Baso Mono Typische Atypische, Atypische, seltene/
Lympho vermutlich vermutlich unklare
Pro- reaktive neoplast. Zellen
Mono Lympho Lympho z.B. PZ,
Diff-Tastatur atypische
Lympho
Labor-EDV
100% Leukozyten
Kernhaltige Zellen

Beschreibung Beschreibung
Kommentarzeile und/oder und/oder
Benennung Benennung,
mit Namenskürzel der neoplast. z.B.
lymphatische
Zelle, z.B.
Zelle unklarer
Haarzelle,
Dignität
Zentrozyt

Abbildung 2 Einordnung der Lymphozytendifferenzierung in das gesamte Differenzialblutbild.


266 Baurmann et al.: Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich

Bezeichnung Kern-Plasma- Kern Zytoplasma Bildbeispiele 1–5


Relation
Standard-Lymphozyt hoch rund, kondensiertes, scholliges basophil
Chromatin

LGL mittel oval, kondensiertes Chromatin hell basophil oder bleich,


azurophile Granula

Aktivierter mittel, variabel oval oder gebuchtet, Chromatin hell basophil bis
Lymphozyt intermediä r, eventuell kleine basophil, basophile
Nukleolen Randbetonung

Plasmazelle mittel bis exzentrisch, meist scholliges tief basophil, helle


niedrig Chromatin Golgi-Zone

Prolymphozyt mittel rund, mittelfeines Chromatin, hell basophil


prominente Nukleolen

Villöser Lymphozyt hoch bis mittel rund oder oval, kondensiertes meist unipolare, kurze
Chromatin Zotten, hell basophil

Haarzelle niedrig bis oval bis nierenförmig, hell basophil, zirkulä r


mittel Chromatin retikulä r, ev. kleine haarfeine Ausläufer
Nukleolen
Baurmann et al.: Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich 267
268 Baurmann et al.: Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich

Anhang (Continued)

Bezeichnung Kern-Plasma- Kern Zytoplasma Bildbeispiele 1–5


Relation
Zentrozyt hoch bis mittel gering bis stark gebuchtet, tiefe basophil, teilweise sehr
Kerbe über Kern, Chromatin gering
kondensiert bis mittelfein

Sezary-Zelle mittel gyriform oder gefältelt basophil

Hochmaligne mittel, variabel gering bis stark gebuchtet basophil bis tief basophil,
Lymphomzelle (hier oder oval bis nierenförmig, teilweise weiter bzw.
DLBCL) aufgelockertes, (mittelfeines) exzentrisch oder gelappt
Chromatin, deutliche, große
Nukleolen

Lymphoblast hoch, seltener rund bis oval bzw. gebuchtet, basophil, teilweise sehr
mittel feines, dichtes Chromatin, gering
Nukleolen

Besondere Situationen

CLL mit morphologisch „typischen“ Lymphozyten


Lymphomzellen, die morphologisch nicht als solche zu erkennen sind, die aber aufgrund ihrer Zahl als pathologisch eingestuft werden
müssen (Beispiel CLL aus morphologisch unaufälligen Lymphozyten), können nicht getrennt von den typischen Lymphozyten differenziert
werden. Sie werden daher bei den typischen Lymphozyten mitdifferenziert, die zusammenfassende Bewertung als „V.a. Chronische
Lymphatische Leukämie“ jedoch in der Kommentarzeile weitergegeben. Umgekehrt sollen CLL-Zellen, die morphologisch von den
normalen Lymphozyten unterschieden werden können (z.B: Prolymphozyten oder solche mit Kerneinkerbungen oder atypischem
Chromatin), in die Rubrik „atypische Lymphozyten, vermutlich neoplastisch“ differenziert werden.
LGL-Zellen
Wenige LGL-Zellen kommen auch in normalen Blutbildern vor. Eine absolute Vermehrung von LGL-Zellen kann sowohl Teil eines
reaktiven Blutbildes sein als auch selten Ausdruck einer klonalen Erkrankung, einer LGL-Leukämie bzw. eines Lymphoms. Diese
Erkrankungen gehen oft mit Zytopenien anderer Zellreihen einher. Eine relative Vermehrung von LGL-Zellen ist vor allem bei Leukopenie
nach zytoreduktiver Therapie zu beobachten.
Fällt beim Differenzierungsvorgang eine Vermehrung von LGL-Zellen auf (geschätzte LGL-Zahl >10 % aller Zellen), sollte diese
Information weitergegeben werden. Es wird empfohlen, den Prozentsatz der LGL-Zellen und damit deren Absolutzahl in einem zweiten
Differenzierungsschritt getrennt zu bestimmen und die Zellen je nach Bewertung anschließend in „atypisch, vermutlich reaktiv“ bzw.
„atypisch, vermutlich neoplastisch“ oder „atypisch unklarer Dignität“ zu kategorisieren.
Plasmazellen
Plasmazellen kommen sehr selten im Blutbild vor. Sie können reaktiver oder neoplastischer Natur sein. Sie sollten in der Kategorie
„Diverse“ gezä hlt und im Kommentarfeld in Analogie zum üblichen Vorgehen, wenn möglich, bewertet werden.
Baurmann et al.: Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich 269

peripheren Blut jedoch selten vorkommende lymphatische Abschließende Bemerkungen


Zellen wie Plasmazellen, wie auch zunächst nicht einzuord-
nende Zellen. Auch alle atypischen lymphatischen Zellen Die vorgelegten Empfehlungen des Arbeitskreises
unklarer Dignität sollen zunächst in die Kategorie „Diverse“ Laboratorium der Deutschen Gesellschaften für Hämato-
gezählt werden. logie und Onkologie im Namen der DGHO und ÖGHO zur
Kernschatten werden ebenfalls in eine eigene Kategorie Terminologie der Lymphozyten sollen künftig die Grund-
gezählt. Kernschatten müssen immer in die Summe der zu lage für die tägliche Arbeit bilden. Die Empfehlungen haben
differenzierenden Zellen (Leukozyten) einbezogen werden Relevanz für die Befunderstellung, die Einrichtung von
[4]. Kernschatten können sowohl bei Infekten vorkommen Feldbezeichnungen für Labor-EDV und Mikroskopierplätze,
als auch bei Lymphomen (allen voran der CLL) oder bei für die Erstellung von Arbeitsvorschriften und die Bear-
akuten Leukämien. Sie lassen keine Diagnose zu. Die beitung von Ringversuchen. Sie sind im Kontext weiterer
Bezeichnung „Gumprecht’sche Kernschatten“ sollte daher Empfehlungen zum Thema Differenzialblutbild zu sehen.
vermieden werden, da sie die Diagnose einer CLL suggeriert. Ihre Anwendung und Erprobung soll Ausgangspunkt für die
Andere nukleäre Zellen, die nicht zu den Leukozyten Fortführung europäischer Konsensusbestrebungen sein.
zu rechnen sind, wie kernhaltige rote Vorstufen oder
Megakaryozytenkerne, werden außerhalb der Prozentsätze
des Differenzialblutbildes als Anzahl der Zellen auf 100 Danksagung
Leukozyten angegeben.
Zur Einordnung der Lymphozytendifferenzierung in das Die Autoren danken den Herren Prof. emeritus Helmut Löffler,
gesamte Differenzialblutbild siehe auch Abbildung 2. Freiburg, ehemals Universitätsklinikum Kiel und Prof. emeritus
270 Baurmann et al.: Lymphozytenmorphologie im Blutausstrich

Hermann Heimpel, Universitätsklinikum Ulm, für ihre konstruktiven machen und um ein größeres Spektrum von Fällen zu
Anmerkungen und die kritische Durchsicht des Manuskripts. erweitern.

Anhang Literatur

Begriffs- und Bilddefinitionen 1. Zini G, Bain B, Bettelheim P, Cortez J, d'Onofrio G, Faber


E. A European consensus report on blood cell identification:
Die nachfolgende Liste beschreibt die häufigsten Begriffe terminology utilized and morphological diagnosis concordance
in Wort und Bild. Sie soll als Anschauungsmaterial dienen among 28 experts from 17 countries within the European
und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Als wei- LeukemiaNet network WP10, on behalf of the ELN Morphology
teres Übungsmaterial stehen Bildatlanten in gedruckter Form Faculty. Br J Haematol 2010;151:359–64.
[5] und im Internet zur Verfügung. Stellvertretend wird auf 2. Lennert K, Feller A. Histopathology of non-Hodgkin’s
Lymphomas, 2nd ed. New York, NY: Springer, 1992.
den „Onkodin-Bildatlas“, den Atlas des Europäischen Leu-
3. Swerdlow SH, Campo E, Harris NL, Jaffe ES, Pileri SA, Stein H,
kämie-Netzwerkes (ELN, „An atlas of cells with consensual
Thiele J, Vardiman JW. WHO classification of tumours, Volume 2,
nomenclature by the WP10 Morphology Faculty“) und die IARC Press, 2008.
Sammlung der American Society of Hematology (ASH, 4. Diem H, Binder T, Bettelheim P. Kernschatten im Blutausstrich. J
„ASH image bank“) verwiesen. Lab Med 2005;29:333–4.
Für die Zukunft ist vorgesehen, die hier verwendeten 5. Löffler H, Rastetter J, Haferlach T. Atlas der klinischen
Bildbeispiele auch im Onkodin-Bildatlas zugänglich zu Hämatologie, 6. Aufl. Springer, 2004.

Das könnte Ihnen auch gefallen