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Definitionen des Übersetzens

Die Blicke der verschiedenen Wissenschaftler auf das Wesen des Übersetzens
sind vielleicht in einiger Hinsicht unterschiedlich, jedoch haben sie immer eine
gemeinsame Basis. Nida und Taber (1969) heben den sprach- und
textbezogenen Aspekt des Übersetzens hervor und vertreten die Auffassung,
Übersetzung bedeute, in der Zielsprache das “closest natural equivalent” der
ausgangssprachlichen Botschaft zu schaffen, und zwar erstens in Bezug auf
den Sinn und zweitens in Bezug auf den Stil (vgl. Nida/Taber 1969: 12). Einen
weiteren Schritt geht Wilss (1977) und hebt in seiner Definition des
Übersetzens zwei Hauptphasen hervor, indem er Übersetzen als einen
„Textverarbeitungs- und Textverbalisierungsprozeß“ bezeichnet, der von einem
AT zu einem möglichst äquivalenten ZT hinüberführt und das inhaltliche und
stilistische Verständnis der Textvorlage voraussetzt
 Man kann den Übersetzungsvorgang daher in zwei Hauptphasen
gliedern, eine Verstehensphase, in der der Übersetzer den
ausgangssprachlichen Text auf seine Sinn- und Stilintention hin
analysiert, und eine sprachliche Rekonstruktionsphase, in der der
Übersetzer den inhaltlich und stilistisch analysierten
ausgangssprachlichen Text „unter optimaler Berücksichtigung
kommunikativer Äquivalenzgesichtspunkte reproduziert“ (Wilss
1977: 72).
 In einer weiteren Entwicklung stellen Vannerem und Snell-Hornby (1986)
den analytischen und kommunikativen Aspekt in den Vordergrund, und
zwar in Anlehnung an Fillmores (1977) “scenes-and-frames”-Semantik ,
und führen aus, dass beim Verstehen von einem Text (A) der Übersetzer
„von einem vorgegebenen frame“ ausgeht, nämlich dem Text und seinen
linguistischen Komponenten. Dieser Text nun „wurde von einem Autor
erstellt, der dabei von seinem eigenen Erfahrungshintergrund, seinem
Repertoire an z. T. prototypischen Szenen ausging“. Der Gesamt-frame
des Textes (und alle größeren und kleineren frames innerhalb des Textes)
lösen kognitive scenes in der Vorstellung des Lesers aus (vgl.
Vannerem/Snell-Hornby 1986: 189).
 Ausgehend von den erfassten Scenes muss der Übersetzer „nach
passenden Frames in der ZS suchen, welche die gewünschten Scenes
beim Adressaten der Übersetzung hervorrufen“. Zu diesem Zweck hat er
laufend Entscheidungen zu treffen, wobei er auf seine Beherrschung der
ZS angewiesen ist. Er muss sich vergewissern, dass die von den Scenes
aufgerufenen Frames auch wirklich adäquat sind für die Scenes, die sie
aufrufen sollen. Wo beispielsweise der AS-Text in ganz besonderer Weise
Expressivität aufweist, d. h. stilistisch markiert ist, sollte er je nach Zweck
der Übersetzung versuchen, „durch die Mittel der ZS ähnliche
Expressivität zu erreichen, oder an anderer Stelle zu kompensieren. In
letzter Instanz ist also der frame der ZS maßgebend für seine
Entscheidung“ (Vannerem/Snell-Hornby 1986: 191).
 Solche Definitionen machen eine Vielzahl von Faktoren deutlich, die beim
Übersetzen eine Rolle spielen: AS, ZS, Text, Inhalt (Sinn, Bedeutung), Stil,
Empfänger etc. In den Definitionen von Vannerem/Snell-Hornby und von Wilss
aber wird nicht näher bestimmt, „wie sich die Zuordnung des ZS-Textes mit seinen
Scenes und Frames zum AS-Text mit seinen Scenes und Frames vollzieht, bzw.
wie die Phasen der Analyse und der Rekonstruktion (Synthese) miteinander
verbunden sind“ (Koller 2004: 95). So versucht Koller, beim Definieren vom
Wesen des Übersetzens auf diese fehlende „Zuordnung“ zu achten, indem er den
Übersetzungsbegriff „verwendet, um den Vorgang der schriftlichen Umsetzung
eines Textes aus einer Sprache (AS) in eine andere Sprache (ZS) zu bezeichnen,
wobei das Umsetzungsprodukt, die Übersetzung, bestimmten
Äquivalenzforderungen genügen muss“ (Koller 2004: 80). Kennzeichnend für die
Übersetzung ist ihre ganz spezifische Bindung an einen AT.
 Abschließend ist der Ansatz von House (2005) hervorzuheben, weil er die
meisten Defizite vieler Übersetzungsdefinitionen vermeidet (und auch
deren wichtigste Konzepte einschließt) und einen umfassenden Blick auf
das Wesen des Übersetzens hat bzw. gewährleistet. Für House liegt das
Wesen der Übersetzung nämlich in dem Versuch, die „Bedeutung“ einer
sprachlichen Einheit beim Überwechseln in eine andere Sprache so weit
wie möglich „gleich“ oder „äquivalent“ zu halten:
 „Wenn man davon ausgeht, dass diese Bedeutung aus drei Komponenten
besteht, einer semantischen, einer pragmatischen und einer textuellen,
dann kann man Übersetzen definieren als das Ersetzen eines in einer
Ausgangssprache gegebenen Textes durch einen semantischen,
pragmatisch und textuell äquivalenten Text in der Zielsprache“ (House
2005: 78).
Womit beschäftigt sich die
Übersetzungstheorie?
 Die Übersetzungstheorie hat die Aufgabe, den Übersetzungsprozess und die Bedingungen
und Faktoren dieses Prozesses durchschaubar zu machen. Sie abstrahiert von je einzelnen
und einzeln vom Übersetzer zu lösenden Übersetzungsschwierigkeiten und systematisiert
die grundsätzlichen Probleme. Sie reflektiert das in der Praxis Selbstverständliche und ggf.
Automatisierte. Die Übersetzungstheorie beschäftigt sich u. a. mit der Klärung folgender
Fragen: Wie lässt sich der Übersetzungsvorgang darstellen? Welche Faktoren sprachlicher
und außersprachlicher Art bestimmen das Übersetzen? Welche Gesetzmäßigkeiten liegen
dem Übersetzen zugrunde? Welche Methoden und Verfahren kommen bei der Lösung
unterschiedlicher Übersetzungsschwierigkeiten zur Anwendung?
 Was ist das Wesen und welche sind die Bedingungen von Äquivalenz? Es sind diese
Fragen, die in der Geschichte der Übersetzungstheorie immer wieder gestellt wurden und
die unterschiedlich beantwortet werden (vgl. Koller 2004: 125). Das Übersetzen ist unter
verschiedenen Aspekten theoretisiert worden. Dabei hat sich im Verlaufe der Entwicklung
unterschiedlichster Übersetzungstheorien eine präzise Vorstellung von den Faktoren
herausgebildet, die beim Übersetzen eine Rolle spielen.
 Holmes betrachtet nicht die Texte und die Frage, wie man sie übersetzen soll, sondern die
bis dato erörterten Übersetzungstheorien, also die Disziplin als ganzes. Durch seinen
Ansatz legt er ein besonderes Augenmerk auf den deskriptiven Bereich, der Übersetzungen
als Produkt, als Prozess und deren Funktion in der Zielkultur untersucht. Die deskriptive
Theorie bezieht sich somit auf: „… eine Theorie des Übersetzungsprozesses, d. h. die
Theorie dessen, was geschieht, wenn jemand etwas übersetzen will; eine Theorie des
Übersetzungsprodukts, d. h. was den übersetzten Text als Text kennzeichnet; eine Theorie
der Übersetzungsfunktion, d. h. wie die Übersetzung in der Empfängerkultur wirkt“
(Holmes 1988: 95).
 ……

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