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ALLGE,MT,INItr

ZHITSCHRIFT
rÜR
PHILOSOPHItr
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St'ltverptttrkt
Sprache uncl Weltbild.
Spraehphilosophie revisited

42.3
2017
260 S tefan M aj e t s chaUîv a Sc hürmann
I

r überzeugungssystem beschreibenden Auffassungen ihrerseits einen Evidenz- SCHWERPUNKT


i und Wahrheitsanspruch erheben, der sich auch außerhalb des durch sie gestifte-
ten Horizonts einlösen ließe - und: was ,Einlösen' sinnvollerweise meinen soll." Das Problem von Sprache und Weltansicht bei Hamann,
Durch die Theorie veritativer Schriftakte und des von ihm vertretenen ,alethi-
schen Pragmatismus' sollen diese Fragen einer Antwort nåihergebracht werden.
Herder und Humboldt
Im Anschluss an Donald Davidson und John McDowell unterzieht G. Bertram MAX GOTTSCHLICH, LINZ
die Sozialität der Sprache einer konflikttheoretischen Lekttire. Gerade nicht die
gelingende, sondern im Gegenteil die konfligierende Kommunikation sei flir ein
angemessenes Verständnis sprachlichen Weltbezugs aufschlussreich. Wêr Spra- Zusammenfassung
che verstehe, sei ,,in der Lage, sich zufragen, ob sprachliche Ausdrücke der Welt
und den anderen, mit denen man sich auseinandersetzt, gegenüber angemessen Ein angemessenes verstcÌndnis des Zusammenhangs von sprache und ,,weltan-
sind oder nicht." Allein aus der Perspekfive gelingender slrrachlicher Interaktio- sicht" beruht auf dem Grundgedanken des sprachdenkens von Hamann, Herder
nen bleibe aber genau dies unerklZirt. Dies lasse sich vielmehr ,,erst dann aufklä- und Humboldt: der konkreten ldentitcit von sprache und Denken. was bedeutet
ren, wenn man von brüchigen sprachlichen Interaktionen, von Momenten des dies und welche sysrematischen Implikationen hat dieser Gedanke? Der Aufsatz
Nicht-Verstehens und der Irritation ausgeht. Solche Interaktionen" müssten des- skizziert zuncichst die Antworîen auf diese Fragen und vertieft d.ies an ausge-
halb ,,als konstitutiv für sprachliche Bedeutung verstanden werden." wcihlten Punkten beí Hamann, Herder und Humboldt.

Abslract

A proper understanding of the relation between language and "worldview,, is


based on the fundamental thought in Hamønn's, Herder's and Humboldt,s con-
tribution to understanding the nature of language, namely the concrete unity of
language and thought. what does this mean and what systematic implications
does this thought have? This paper provides a sketclry outline of the ønswers to
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! these questions and deepens this with regard to Hamann, Herdet and Humboldt.
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o Die Einsichten von Hamann, Herder und Humboldt in den Zusammenhang von
o sprache und dem, was m¿n im Anschluss an Humboldt ,,weltansicht" bezeich-
È net, sind in vielerlei Hinsicht systematisch maßstabsetzend. Insbesondere die
I

I deutsche sprachphilosophie des 20. Jahrhundert hat dies aufgearbeitet, insbeson-


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Ø dere Bruno Liebrucksr, Erich Heintel, Ernst Cassirer und Karl-Otto Apel. Im
ñ englischen Sprachraum konnte bis vor wenigen Jahrzehnten ein Interesse für die-
z se Denker nur in der Nische der intellectuat history gedeihen. zuletzt artikuliert
o sich auch dort im Gefolge der postanalytischen Philosophie ein systematisches
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Ê Interesse. Sobald man an die Grenzen des gegenständlichen oder instrumentellen
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t-, 1 Von Liebrucks' Hauptwerk sprache und Bewufitsein sind ftir uns Bd. r Einteitung. spann-
f¡l weite des Problems. von den undialektischen Gebilden ry den dialehischen Bewegungen,
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N
Frankfurt a.M. 1964 (: SuBi) und Bd. 2 Sprache. Wíthetm von Humboldt, F¡ankfurt
a.M. 1965 (: SuB2), zentral.
ALLGEMEINE ZEITSCHRIFT FÜR PHILOSOPHIE (MP) AZP HEFT 3/2017 .JAHRGANG 42
herausgegeben von Andreas Hetzel, Eva Schürmann und
Harald Schwaetzer

STEFAN MAJETSCHAMVA SCHûRMANN: Vorworr.


Sprache und
Wis s ens c hafi lic he r B e írat : Weltbild. Sprachphilosophie revisited
257
Georg W. Bertram (Berlin) 'Tilman Borsche (Hildesheim)
Rolf Elberfeld (Hildesheim) ' Dina Emundts (Konstanz)
Petra Gehring (DarmstadQ 'Michael Hampe (Zürich) Schwerpunkt
Fabian Heubel (Taipei/Frankfurt) 'Lore Hühn (Freiburg) MAX GOTTSCHLICH: Das problem von Sprache und Weltansicht bei
Andrea Kern (Leipzig) 'Jochen Krautz (Wuppertal) Hamann, Herder und Humboldt
Stefan Majetschak (Kassel) 'Jürgen Manemann (Hannover) 261
Dirk Quadflieg (Leípzig)' Paul Ziche (Utrecht) KAI MARCHAL: Denken, Sprache und Weltbild in der chinesischen
Welt )'70
Redaktion:
Universität Hildesheim SARHAN DHOUIB : Weltbilder im arabisch_islamischen Denken.
Institut für Philosophie Kulturlsitik als Gesellschafts- und Sprachkritik bei sadiq Jarar al-Azm
299
Universitätsplatz 1
D-31141 Hildesheim MATTHIAS KROSS: ,,Der, welcher mich versteht... Wittgensteins Leser
Telefon: 00 49(0)51 211883-21102
3t7
E-Mail: azphil@uni-hildesheim.de DIRK WESTERKAMp: Veritative Schriftakte. probleme des
Verhåiltnisses von Wahnnachern und Weltbildern
335
Manuskripte sind in einfacher Ausfertigung sowie
in elektronischer Fassung an die Redaktion zu richten. GEORG W. BERTRAM: Die konflikfive Dimension sprachlicher
Für nicht angeforderte Manuskripte übernehmen rvelfverst?indnisse. Eine Revision der interaktionistischen positionen
Verlag und Redaktion keine Verantwortung. Davidsons und McDowells
355
Unverlangt eingesandte Besprechungsstücke können
nicht zuräckgesandt werden.
Buchbesprechung
LUDWIG KRüGER: Erne philosophie von der Sprache her als
Herausforderung für die philosophische Logik
373

rssN 0340-7969
262 Max Gottschlich

Sprachverständnisses stößt, steht man dort, wo Hamann, Herder und Humboldt


einsetzen.
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Das Problemvon Sprache undWeltansicht bei Hamnnn, Herder und Humboldt 263

in sich: sie ist Identität von Identität und Nicht-Identität. Die Nicht-Identität
zeigt sich in der Kenologie, an der sich seit Parmenides die Sprachkritik entzün-
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det3, grundlegend aber darin, dass das Logische nicht in Grammatik auflösbar
ist.a Der Unterschied von leerer und gehaltvoller Rede wäre nicht mehr aufrecht-
I. Der Grundgedanke
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zuerhalten und die mit Parmenides erstmals ausgesprochene Autonomie des Lo-
gischen negiert. Denken, Erkennen und Sprache würden vermittlungslos ausein-
Hamanns, Herders und Humboldts Sprachdenken entspringt einer Mischung aus anderfallen. Vor allem aber wäre ein solcher Ableitungsverstch eine petitio
breiten, zum Teil polyhistorischen Kenntnissen und einer spekulativen Zusarn- principii, da er das Logische voraussetzt.
menschau dieses Materials hinsichtlich dessen, was sich im Sprechen actu voll- Die Autonomie des Logischen könnte man zunächst so interpretieren, dass die
zieht. Sie verftigen nicht über die gedanklichen Mittel, ihre Einsichten systema- Sprache die logische Form im Sinne formaler Logik in bestimmter Weise reprä-
tisch zu begründen. Wenn daher Hamann und Herder der Philosophie den Logos sentiert. Daraus resultierte das Erklåiren des Verstandes5, das die Sprachformen
der Sprache entgegensetzen, dann wurde der Vernunftbegriff nicht in einer Aus- unter ein Set logischer Formen und Prinzipien als Fälle subsumiert, um eine all-
einandersetzung mit der philosophischen Tradition geschärft. So ist dort, wo von gemeine Grammatik zu gewinnen. Die Vielfalt der Sprachen und Weltansichten
,,Vernunft" oder vom ,,Denken" gesprochen wird, meist Verstand2 bzw. formale wäre damit auf eine der Sprache äußerliche logische Form hin nivelliert, und das
Logik gemeint. Das ftih¡t auch dazu, dass ihnen die Notwendigkeit des Stand- Individuelle des wirklichen Sprechens nur Prâsenz des gleichgültigen, alogi-
punkts der Kantischen Transzendentalphilosophie verborgen bleibt, wenngleich schen Untercchieds. Die Vernünftigkeit der Sprache liegt nicht darin, dass die
sie Einsichten formulieren, die Kant treffen, ja über Kant hinausftihren. Denn sie Sprachen eine abstrakt-allgemeine, als gegebenvorausgesetzte (formal-)logische
dringen nJmzerLrfl)m des Problems der Sprache vor, wenn auch im Modus phä- Struktur reprcisentieren, wobei dann vorausgesetzt werden müsste, dass dieser
nomenolo gischer Beschreibungen. Struktur ein ,,logischer Aufbau der Welt* (Carnap) korrespondiert, um die Mög-
1) Hamann, Herder und Humboldt kommen zunächst darin überein, dass sie die lichkeit gehaltvoller Rede zu erkláren. Wird die Einheit von Vernunft und Spra-
gängige, scheinbar selbstverständliche Sprachauffassung als unzureichend einse- che vom formallogischen Logikverständnis her gefasst, werden sowohl Vernunft
hen. Diese lautet: Hier ist das Denken, sprachautark, dort ein dem Denken äußer- als auch Sprache als gegebene Strukturen dinglich vorgestellt. Die so vorausge-
liches Zeichensystem, das wie ein Werkzeug von einem Handwerker gebraucht setzte Autarkie des Logischen zerstört sich aber mit der einfachen Einsicht, dass
wird, um Gedanken ztbezeichnen Sprache, so scheint es, wird a) als Darstel' keine Logik sprachfrei formulierbar ist. Wir haben also ein wechselseitiges Vor-
lungsmittel zwischen ein schon ohne Sprache konstituiertes Subjekt und ein aussetzungsverhåiltnis von Sprache und Vernunft.6 Dieses ist nur aporetisch,
sprachfrei konstituiertes Objekt sowie b) als Mitteilungsmittel zu,ischen sprach- wenn der Widerspruch vermieden werden soll und daher ein einseitiges Abhän-
unabhängig existierende Subjekte eingeschoben. Dies ist die instrumentelle Vor-
stellung von Sprache, die auf dem naiven Realismus beruht, der auftritt, wenn 3 Bei Hamann heißt es: Sprache seí,der Mittelpunct des Misverstandes der Vernunft mit ihr
Sprache eine ratio essendi vorgeordnet wird - Hegel hat diese Vorstellung in Be- selbst, theils wegen der häufigen Coincidenz des grösten und kleinsten Begriffs, seiner
zug auf das Erkennen in der Phrinomenologie des Geistes in die Aporie geführt. Leere und Fülle in idealischen Sätzen, theils wegen des unendlichen der Rede: vor den
Das Fallenlassen der instrumentellen Vorstellung ist die größte Zumutung am Schlußfiguren, und dergleichen viel mehr." (Johann Georg Hamann, Meøkrítik über den
Beginn des Denkens von Sprache. Purismwrt der vemunft''tn: Srimtliche werke (: Sw) 3' hg'v' Josef Nadler, wien 195i'
286).
2) Herder, Humboldt und Hamann kreisen um einen Gedanken, der zunächst
4 Dant Herder: ,,Glaube niemand, daß die hohe Kritik der reinen Vemunft hierdurch [den
schon im Rahmen der neuzeitlichen Neubegründungsversuche von W'issenschaft Bezug auf die Sprachel erniedrig und die feinste Spekulation zw Grammatik werde." (Jo-
(Bacon, Vico) hervorgetreten war, den Gedanken der diskreten Identitiít von hann Gottfried Herder, Eíne Metakritik zur Kritík der reinen Vemunft, in: ders.' Sprach'
Denken bzw. Vernunlt und Sprache. Diskret, da Sprache und Vernunft nicht zu- philosophie. Ausgewtihlte Schriften, hg.v. Erich Heintel, mit eine¡ Eínleitung von Ulrike
sammenfallen. Die Identität schließt den Unterschied von Sprache und Vemunft Zeuch, Hambur g 2005, 184.)
5 Zum Wesen des Erkl2irens vgl. das Kapitet ,,Kraft und Verstand" in Hegels Phänomenolo-
2 Wenn Humboldt sagt: ,,Das Wesen des Denkens besteht im Reflectiren, d' h. im Unter- gie des Geistes.
scheiden des Denkenden von dem Gedachten" (Withel¡n v. Humboldt, Über Denken und 6 Humboldt spricht von der,,gegenseitige[n] Abhängigkeit, des Gedankens, und des Wortes
Sprechen, in: Gesammzlte Schriften (: GS) 7, hg.v. Albert Leitzmann, ND Berlin/New von einander" (Wilhelm v. Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium in Bezie'
York 2015, 582), so ist damit zwar Denken schon als Tätigkeit ausgesprochen; das Unter- hung auf die verschiedenen Epochen. der Sprachentwicklung, in: GS 4, hg" v. Albert Leitz-
scheiden ist aber der Verstand, das Zusammendenken der Unterschiedenen die Vemunft. mann, ND Berlin[I.{ew York 2015, 27).
264 Max Gottschlich
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Das Problem von sprache and weltansicht bei Hamann, Herder und Humbotdt 265
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gigkeitsverhältnis behauptet wird - was unhaltbar ist. Die Aufgabe lautet hinge- ::; Der Sinn der Frage nach dem verhältnis von sprache und weltansicht lâsst sich
gen, beide Seiten als zwei Seiten einer Vermiftlungsbewegung zu denken und so zunächst ex negativo durch den Hinweis auf zwei verfehlte Auffassungsweisen
den Widerspruch aufzulösen. verstehen:
3) Dies unternehmen unsere Denker, indem sie die Frage nach der Bedeutung a) Sprache und Welt werden als Entitäten angesehen, die unabhängig von_
von sprache, genauer: des wirklichen Sprechens ftir die Konstifution des Selbst- einander da wåiren. Dies ist die Vorstellung des (naiven) Realismus, wo-
und weltverhältnisses des Menschen stellen. Hamann, Herder und Humboldt nach es eine von der Sprache und ihrer Ansicht unabhåingige Faktenau-
bauen ihre Einsichten darauf auf, dass es sich beim Denken und sprechen nicht ßen- bzw. Fakteninnenwelt gäbe, die dann durch die Sprache als
um etwas Trennbares handelt. Es gibt kein reines Denken neben den sprachli- Zeichensystem in partikularer Weise reprâsentiert und mitgeteilt wird.
chen Gestaltungen. von da her artikulieren sie den Gedanken der notwendigen Demgegenüber betonen unsere Denker schon im Ansatz: Es gibt keine
Mittelhaftigkeit von Sprache. In dieser Notwendigkeít besteht schon die ver- sprachfrei gegebene Objektivität, keine sprachfrele menschliche Erfah-
nunfi- Daratfi heben die berühmten Wendungen ab: Hamann nennt Sprache ,,das rung. Diese Voraussetzung führte in dieselbe Aporie wie die instrumentel-
einzige erste und letzte Organon und Kriterion der Vernunft [...]"7, Herder le Vorstellung des Erkennens: Die Frage, wie eine so vorgestellte Wirk-
spricht ebenfalls vom Organon und Kriterium der Vernunfts und Humboldts be- lichkeit sprachlich ,,repräsentiert" und mitgeteilt werden kann, wird von
rühmte Vy'endung lautet: Die Sprache ,,ist nicht bloß die Bezeichnung des, unab- vornherein unbeantwortbar.
hängig von ihr geformten Gedanken, sondern selbst das bildende Organ des Ge- b) Der entgegengesetzte krtum besteht darin, die Sprachlichkeit der Vy'eltan-
danken."e Aus dem Bisherigen sollte kla¡ sein, dass es dabei nicht um ein sicht im Sinne eines subjektiven Idealismus zu verstehen: ,,Welt" bedeutet
Problem geht, das ,,auf der bescheidenen Ebene der empirisch-psychologischen dann nichts anderes als eine kontingente Setzung. Alles Objektive im Sin-
Frage liegt, wie man denn denke, wenn nicht in vorgefundenen Wörtern"lo. Das ne dessen, was sowohl im Handeln als auch im Erkennen Anspruch auf
Problem, um das es geht, ist dasjenige des Zusammenhangs von Sprache und Allgemeinverbindlichkeit erhebt, wird zum Narrativ, zum Sprachspiel.
Vy'eltansicht. Man kann dann zwar von einer Textualität der Welt sprechen (womit
4) Die Frage nach der diskreten Identität von Sprache und Denken ist in gewis- Sprache von der Schrift her gedacht wird), aber von einer Weltansichtund
ser Weise gleichbedeutend mit der Frage nach dem Verhältnis von Sprache und einer gemeinsamen Welt kann dann nicht meh¡ mit Recht gesprochen
Weltansicht. In gewisser Weise - denn terminologisch ist festzuhalten, dass werden. Wir hätten nur Ansichten, ein Spiel von Zeichen, die nur mehr
,,Weltansicht" auf die Subjekt-Objekr-Relation abhebt. ,,V/elt* meinr hie¡ recht selbstreferentiell sind, womit sich die Mitteilungs- und Darstellungsdi-
verstanden, den Inbegriff bestimmter Erfahrungsmöglichkeiten (im Sinne der mension von Sprache ad absurdum führten. Demgegenüber würden so-
Kantischen ldee), aber zugleich als wirkliche Erfahrung im Sinne dessen, was wohl Hamann als auch Herder und Humboldt fragen: Warum sprícht der
Hegel in der Phcinomenologie des Geistes als sichselbstbewegendes Subjekt-Ob- Mensch überhaupt, wenn nicht ,,Wett" so begegnete, dass ich mich aufge-
jekt entfaltet. Das Verhältnis von Sprache und Denken ist jedoch, was auch fordert finde, diese Begegnung ins Wort zu heben? So heißt es bei Hum-
Humboldt zeigt, durch die Subjekt-Objekt-Relation nicht hin¡eichend bestimmt. boldt:
Die Subjekt-Objekt-Relation ist nämlich nicht von der SubjekrSubjekrRelation
,,Die Berührung der'Welt mit dem Menschen ist der elektrische Schlag, aus wel-
in der Sprache zu trennen. Diese Relation beinhaltet das Verhalten auf den ande-
chem die Sprache hervorspringt, nicht bloss in ihrem Entstehen, sondern immer-
ren, die gesellschaftliche Situation. Wenn also von,,Weltansicht" die Rede ist, ist fort, so wie die Menschen denken und reden."r2
dieser Horizont mit zu bedenken.rr
Damit ich überhaupt spreche, muss mir ,,Welt" als etwas begegnet sein, das
sichvon ihm selbst her zeígt und bedeutend isr, nicht bloß Setzung ist.
7 Hamann, Metakrítik (Ar-tÍl. 3), 284. Der Terminus ,,Weltansicht" enthält also Subjektivität und Objektivität in sich.
8 Herder, Metakritik (Anm- 4), 184 u.227. Diese Einheit ist weder im Sinne eines naiven Realismus noch im Sinne eines
9 Wilhelm v. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, irt: GS subjektiven Idealismus zu fassen, sondern von der Sprache her zu begreifen.
5,374. Darauf heben unsere Denker ab-
10 Thomas Sören Hoffrnann, ,,Hamann Misologus", in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 255
(2003),271.
11 Liebrucks schlãgt in seiner Humboldt-Deutung ,.Weltbegegnung" als Bezeichnung der 12 Wrlhelm v. Humboldt, Uber díe Verschiedenheiten des menschlíchen Sprachbaues, ín.
Subjekt-Subjekt-Objekt-Relation vor (vgl. SuB2). GS 6, hg.v. Albert Leitzmann, ND Be¡lin/lrlew York2015,204.
266 Max Gottschlich Fr
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Das Problem von sprache und weltansicht bei Hamann, Herder und Humbotdt 267
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5) Ihre Grundeinsicht im Verhältnis von Sprache und Weltansicht besteht darin, voraus. Dieser Gesichtspunkt wird auch deshalb in der sekund¿irliteratur oft
dass sich das Sich-auf-sich-Beziehen und Sich-Unterscheiden vom Objekt im übersehen, weil Hamann, Herder und letztlich auch Humboldt selbst Logik mit
Medium sprachlicher Artikulation vollzieht.l3 So tritt an die Stelle der instru- formaler Logik gleichsetzen.
mentellen Sprachauffassung und der Äußerlichkeit von Zeichen und Bezeichne- 1) Mit Blick auf den Begriff des Begriffs lässt sich die sache erwas ntiher so
tem die Auffassung der Sprache als Vermittlung im Sinne dessen, dass das Be- fassen: Sprache als Vermittlung, den erwähnten ,.übergangspunkt,. zu denken,
zeichnete erst im sprachlichen Zeichen bei sich ist. Denken, in seiner Identität impliziert den Schritt vom abstrakten Allgemeinbegriff, dem Begriff im Sinne
mit Sprache, ist das Versinnlichen des Intelligiblen und umgekehrt. Diese Einheit formaler Logik, in dem die logische Form als Herstellung widerspruchsfreier
ist als Tätigkeit zu denken. Sprechen lsr nichts anderes als Denken actu: ,die Identität gefasst ist und in strenger Getrenntheit dem Einzelnen bzw. der An-
sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den articuli¡ten Laut zum Ausdruck schauung gegenübersteht, hin zum konkreten, sinnlichen Altgemeinbegriff, der
des Gedanken ftihig zu machen."la das Einzelne nicht außer sich hat, sondern das Sich-Kontinuieren des Allgemei-
Darin löst sich der Widerspruch der Einheit entgegengesetzter Bestimmungen nen in das Einzelne ist (im Sinne des Hegel'schen Begriffs). In der Sprache ha-
(Sprache ¿sr Vernunft - Sprache ist Mittel der Vernunft - Sprache erzeugt Yer ben wir in jedem Wort ein Einzelnes, Sinnliches, das an ihm selbst auf ein Allge-
nunft): das notwendige Mittel lässt sich vom Zweck nicht trennen, es ist, wie im meines als seine Bedeutung zeigt. Empfangen und Hervorbringen dieser Einheit
Organismus, als Mittel zugleich der Zweck, es ist Prinzip und principiatum in von Sinn und Sinnlichkeit sind untrennbar. V/ie ist dies zu denken? Denn gemäß
einem. Aus dieser Einsicht folgt, dass die beiden Grundprobleme der Philoso- den Eindeutigkeitsforderungen formaler Logik ist diese Methexis, die die Spra-
phie, das Verhåiltnis des Einzelnen und Allgemeinen sowie das Verhältnis des che übt, Nonsens. Vy'enn sich Hamann und Herder gegen die Aufklärung, deren
Subjektiven und Objektiven, nicht an der Sprache vorbei zu denken sind. Spra- Geschichtsvergessenheit, Mythos-Feindlichkeit usw. wenden, dann ist dies die
che als vermittelnde Mitte konstituiert diese Relationen und - erst indem sie dies Kritik an Resultaten eines Denkens, das im Zeichen des abstrakten Allgemeinbe-
vollbringt - die Relata in ih¡er Bestimmtheit. Wie lässt sich also von Sprache in griffs steht. Es ist der Unmittelbarkeitsstandpunkt in der Reflexion der logischen
nicht verdinglichender Vy'eise sprechen? Die Antwort unserer Denker lautet: In- Form. Dieser Unmittelbarkeitsstandpun}t zeigt sich auch darin, dass alles das,
dem Sprache nicht als Gebilde (Zeichensystem), sondern als Vollzugswirklichkeit was der Unmittelbarkeit des Denkens selbst angehört (die ,,sinnlichkeit"), als an
aller Weltauseinandersetzung, als sich ertüllende Form gedacht wird. Humboldt ihm selbst alogisches, durch die logische Form zu unterwerfendes Material ge-
wendet das so: Sprache ist ,der große Übergangspunkt von der Subjectivität zrn fasst wird. Ein Denken in sinnlichen Gestalten oder Sinn, der sich sinnlich ver-
Objektivitat, von der immer besch¡änkten Individualität zu alles zugleich in sich mittelt, ist da ein Unding. Wenn Hamann und Herder der Rationalität der Auf-
befassendem Daseyr¡."rs klåirung die Sprache entgegensetzen, dann geht es um die Kritik eines
krationalismus im Gewand eines Rationalitätskults. Wird der Bezug auf das lo-
gische Prcblem nicht gesehen, muss die Rationalitätskritik der Sprachdenker als
2. Fundamentalphilosophische Implikationen Ausdruck eines krationalismus erscheinen, den man dann als kulturgeschichtli-
ches Phänomen wegschieben kann.
Entscheidend frir die Aneignung dieses Grundgedankens und die Überwindung Soiange man in vorkantischen Bahnen denkt, d.h. voraussetzt, dass die formallo-
der Verdinglichung der Sprache ist das Bedenken der fundamentalphilosophi- gischen Folgerichtigkeitsforderungen unumschränkte Gültigkeit für das Wirkli-
schen Implikationen. Es ist nichts weniger vorausgesetzt als die innerlogische che und dessen Erkenntnis haben, müssen nicht nur die Ausflihrungen Hamanns,
Ûberwindung der Verdinglichung der logischen Form, in der die formale Logik sondern auch Herders und Humboldts Einsichten als Nonsens erscheinen. Immer
besteht. Dies setzt wiederum den Nachvollzug der beiden Revolutionierungen im geht es um den Gedanken der Einheit der Entgegengesetzten. Das Festhalten am
Begriff der logischen Form, die mit den Namen Kant und Hegel verbunden sind, abstrakten Allgemeinbegriff ist díe logische Wurzel der Vorordnung des Gedan-
kens vor die Sprachet6, der Verdinglichung von Sprache, ja aller Feindschaft des
13 Der linguistic tum des 20. Jahrhunderts ist Reflexion dieser Einsicht. Es stellt sich die Denkens gegenüber der Sprache.
Frage, ob dort Sprache nicht doch noch technisch gefasst ist, und ob es gelingt, dem 2) Der Schritt über den abstrakten Allgemeinbegriff hinaus vollzieht sich in der
Sprachrelativismus zu entgehen.
Logik bei Kant. Seine Grundfrage nach der Erkenntnisdignität formaler Logik
14 Wilhelm v. Humboldt, iiber die Verschiedenheit d.es menschlichen Sprachbaues und ih-
ren Einfluss aufdie geistíge Entwicklung des Menschengeschlechts, in: GS 7, hg.v. Al-
können wir auch so wenden: Unter welchen notwendig anzusetzenden logischen
bert Leitzmann, ND Be¡lin/New York2015,46.
15 Humboldt, Sprachstudíum (Anm. 6), 25. i6 Vgl. Su81,330.
268 Max Gottschlich Døs Problemvon sprache undweltansicht bei Hamann, Herder und Humboldt 269

Voraussetzungen und unter welchem logischen Prinzip können die.mathemati- 3) Der Weg über Kant hinaus führr entlang der Einsicht, dass die Einheit der
schen spezialsprachen exakter Nafurwissenschaftlichkeit überhaupt Notwendig- Entgegengesetzten schon Voraussetzung der Kantischen Scheidungen ist. So
keitscharakter, sachhaltigkeit beanspruchen? Diese Frage zielt auf die Begrün- hãngt die Möglichkeit der Kategoriendeduktion an der sprache: die Kantischen
dung der vorordnung formaler Logik vor die sprache, alles technisch- reinen Formen des Denkens und der Anschauung sind, wie Hamann betont, nicht
praktischen Gebrauchs der sprache, der auf der Herstellung widerspruchsfreier rein, denn erst durch die Sprache können diese Formen unabhängig von ib¡em
objektiver Bestimmtheit und deren Bezeichnung beruht. An Kants Beantwortung Gebrauch, in dem allein ihre Bedeutung liegen soll, auf ihre Apriorität hin re-
dieser Frage halten wi¡ zweierlei fest: flektiert werden.rT Überhaupt zeigt sich, dass die von Kant streng getrennten Sei-
a) Transzendentale Logik revolutioniert den Begriff der logischen Form. ten von Funktion und Gegenstand eins sind in der Sprache.ls Kantisch ist das
Diese ist nicht ruhende Form, in die Inhalte hineingestellt werden, son- logische lch reines Prinzip, die Funktion der Versammlung der Mannigfaltigkeit
dern synthesis actu, die ih¡en Inhalt konstituiert. und: Alte Synthesis der Anschauungs- und Begriffsvorstellungen in die Einheit der transzendentalen
steht unter dem logischen lch, dem prinzip der Versammlung der Man_ Apperzeption und so Inbegriff der Kategorien. Indem diese Einheit vor (im Sin-
nigfaltigkeit der Anschauungs- und Begriffsvorstellungen in die Einheit ne des logischen Prius) aller Erfah¡ung anzusetzen ist, ist ih¡ ungeschichtlicher,
der transzendentalen Apperzeption (Krv g 16). Damit ist die verdingli- mithin unsprachlicher Charakter gesetzf. Gerade in dieser Ungeschichtlichkeit
chung der logischen Fomr überwunden, Denken actu in die Logik einge_ sind diese Setzungen der feste Boden der einen wissenschaftlichen Erfahrung.
holt. Die Prinzipialität von Ich erweist sich aber als solche in der wirklichen Erfah-
b) Es wird gezeigt, dass sich die Erkenntnisdignität formaler Logik nur auf rung. So ist zugleich die Existenz der transzendentalen Apperzeption vorausge-
Erscheinungsgegenstände, d. h. auf widerspruchsfreie Modellwe lten, nicht setzt, was aber mit Kantischen Mitteln nicht beweisbar ist (dazu mtisste die reine
aber auf Wirkliches erstrecken dad, wern die Herstellung eindeutiger Allgemeinheit als sich selbstbewegend, sich besondernd gedacht werden). Die
Gegenstandsbestimmtheit a priori möglich sein können soll. Dabei lüftet vorausgesetzte Existenz von Ich qua Funktion ist daher erschlichen.re Kant nennt
die transzendentale Logik das Geheimnis des formallogischen Begriffs aber die Erschleichung der Existenz dessen, was nur Funktion ist, Dialektik. Die
des Begriffs: Er ist Funl<tion zur Herstellung eindeutiger Gegenstandsbe- Dialektik steckt also bereits im höchsten Kantischen Prinzip.
stimmtheit, was das Ansetzen eines von ihm selbst keine Bestimmtheit Unsere Denker setzen Kant eûtgegen, dass die Existenzweise von Ich : von
mitbringenden Materials der Sinnlichkeit nörig macht. Dort, wo mir ein Denken actu, der einen logischen Form, an die Sprache gebunden ist. Das, was
sinnlich Einzelnes ein Intelligibles zu bedeuten gibt, ein Allgemeines sich Kant Dialel¡:tik nennt und von Hegel neu gedacht werden wird, entdecken sie in
im Einzelnen zeigt, verdankt sich die Bestimmtheit nicht mehr nur der der Sprache: die eine logische Form nach Kant, das logische lch, hat seine Exis-
Selbsterhaltung des logischen Ich in der Objektivitãt des Erscheinungsge- tenzweise nicht als Erscheinungsgegenstand, sondern als Sprache. Der in den
genstandes. Deutschen Idealismus vorausweisende Hauptgedanke; der Hamanns, Herders
So wird mit Kant zum einen einsichtig, dass der technisch-praktische Weltum- und Humboldtsz0 Kantkritik zugrunde liegt, lautet Das logische lch, als reines
gang davon lebt, dass der sinnliche Allgemeinbegriff zumzweck der Herstellung Prinzip, ist zu dynamisieren, als sich selbstbewegend zu denken. Diese Selbstbe-
eindeutiger Gegenstandsbestimmtheit, in Bezug auf die Urteile mit Notwendig- wegung íst die Sprach¿. Diese ist uneingeholte Voraussetzung der Kantischen
keitsanspruch möglich sind, möglichst ausgeschaltet wird. Insofern liegen Ha- Reflexion der Reflexion und ihrer Fixationen. Die zweite logische Revolution
mann und Herde¡ richtig, wenn sie im Kantischen Ansatz ihren Gegner erbli-
cken. Zum anderen klåirt schon Kants Krv in ihren Resultaten indirekt über die
17 Ygl- Werner Schmitt, ,,Die logische Sparnnweite von Hamanns Satz ,Vernunft ist Spra-
Grenzen der Erkenntnisdignität des abstrakten Allgemeinbegriffs auf. Er reicht che"', in: Brigitte Scheer/Günter Wohlfart (Hg.), Dimensionen der Sprache in der Philo-
nicht bis zum Ich qua Denken acta, ztrm Erkennen selbst, zur Freiheit und zum sophie des Deutschen ldealßmus, Würzburg 1982, 185. Schmitts Darstellung ist für das
Lebendigen, ja: bis zum wirklichen Sprechen von Individuen, sondern nur bis Verständnis der Metakritik besonders hilfreich.
zum Sprechen des Menschen als bloßes Verstandeswesen überhaupt im Rahmen 18 Vgl. SuB1,50.
exakter Wissenschaftlichkeit. Der abstrakte Allgemeinbegriff steht auf dem Bo- 19 Vgl. a.a.O.,294f.
den formallogischer subsumtionslogik. Selbstvermittlung kann da nicht gedacht
20 Humboldt k¡itisiert Kants ,,hypothetisches" Verfalren flVilhelm v. Humboldt, Über Kan-
tische und Fichtesche Philosophie, in: GS 3, hg.v. Albert Leifzmann, ND BerlinÂIew
werden. Dort, wo dennoch Totalität als Forderung auftreten muss (Vernunft- York 2015, 31). Dabei übersieht er, dabs Kants Revolution der Denkart eben darin be-
ideen), ist streng zwischen Funktion und Gegenstand zu trennen, um den Wider- steht, ein System prinzipieller Setzungen zur Sicherung der Sachhaltigkeit der for¡nallo-
spruch zu vermeiden. gischen Form aufzustellen.
270 Max Gottschlich uF Das Problem von Sprache und Weltansícht bei Hamann, Herder und Humboldt 271
il
des Begriffs des Begriffs bei Hegel wird darin bestehen, das Logische als Form, en ins'Wort bringen. Das ist der Versuch eines rationalen Mythos. Die Härde der
die sich in ihrer Selbstbewegung ihren lnhalt selbst gibt, zu fassen, den Begriff Hamann'schen Sprache liegt darin, seine Bilder als sinnliche Gestalten, díe Mime'
als sich selbstbewegendes Subjekt-Objekt. Die logische Form ist im Sinne der sis des dialektischen Begriffs sind, zu begreifen.
Dìalektik nicht Gebilde, sondern Vollzugswirklichkeit eines sich effillenden Doch es gibt ein Problem fär die hier intendierte Bildrede. Denn vom Standpunkt
Denkens. Von da her wird erst Sprache als Vollzugswirklichkeit der Weltausein- der transzendentalen Reflexion her wáre gegenüber Hamanns Ansatz einzuwen-
andersetzung begreifbar. den, dass Sprache als Wissen - nicht im Sinne eines bestimmten Gehalts, sondern
Wir halten fest: ,,Sprache ist dort Weltansicht, wo sie nicht nur'Werkzeug ist."21 -
als Wissen actu nie bloßes Bild ist, sondern das Erzeugen der Bildlichkeit. Die
AIs solches wird sie betrachtet, wenn sich das Denken im Sinne formaler Logik Schwierigkeit besteht dmin, Sprache als das übergegenståindliche Bilden selbst in
fasst. Hätte Sprache ihren Zweck nur darin, Herrschaftsinstrument zu sein, könn- einer bildlichen Rede fassen zu wollen. Dessen wa¡ sich Hamann wohl bewusst.
te nie einsichtig werden, warum Sprache als Herrschaftsinstrument dienen kann, Man muss in Hamann daher nicht, wozu auch Hegel tendiert, die schlechte Sub-
l da Sprache und Welt einander so äußerlich wären, wie Miuel und Zweck in der jektivität am Werk sehen, die zwar geistige Tiefe besitzt, sich aber weder zur Poe-
Technik immer auch auseinanderfallen. Solange wír Ingik mit forrnaler Ingik sie noch zur Erkenntnis wirklich auszugestalten vermag.za Marr- kann das ironisch-
I
gleichsetzen, ist eine systertatische Aneignung der Einsichten unserer Denker in distanzierte Suchen von Metaphem, Hamanns Proteusnatur als Reflex der Negati-
den Zusamrnenhang von Sprache und Weltønsicht unmöglich. vität des Begriffs (im Sinne Hegels) deuten: Der Begriff muss sich von der bildli-
chen Positivität stets abstoßen, um seine Übergegenständlichkeit zu bewähren-
l
2) V/arum können Sinn, intelligible Bedeunrng und Sinnlichkeit in Gestalt des Zei-
¡ 3. Vertiefungen chens äberhaupt eine Einheit bilden? Hamann staunt über diese Einheit. Er fasst
I sie als das ursprünglich Schöpferische der Sprache, das schon in den Mythen in
i a) Hamann menschliche Sprache übersetzt wird. Hamanns Antwort darauf besteht im llinweis
I

i auf die Ursprtinglichkeit des Logos, den er als ,,göttliche Sprache" fasst'
l
l) Hamanns Ansatz ist bereits tehrreich hinsichtlich des Problems des Sprechens Warum wird diese Sprache als ,,göttlich" bezeichnet? Nach Hamann ist der
von Sprache. Seine Rede vollzieht sich bekanntlich in Bildern. Dies hat zunächst Mensch nicht ein compositum aus Leib und Seele, ohnehin nicht bloßes Naturwe-
ein fundamenrum in re: Sprache selbst ist nach ihm nicht im Sinne einer zunächst sen, sondern Kind der Sprache, die natürlich und göttlich zugleich und darin
vorhandenen defizienten Gestalt vorbegrifflich-bildhaft, um dann von den bildhaft- menschlich ist. Was ist damit im Blick? Wenn wir sprechen und in unserer'Welt-
metaphorischen Schlacken durch den Gebrauch von Begriffen purifiziert zu wer- auseinandersetzung die Erfahrung der Einheit des Entsprechens, also von sinnvol-
den und solcherart erst ihr Wesen zu realisieren, sondern bleíbend bildhaft - frei- ler Rede machen, dann ist dieses Entsprechen nicht bloß hineinprojiziert, sondern
lich nicht im Sinne einer Repräsentationstheorie, sondem im Sinne der Einheit von im Bewusstsein gesetzt, dass es zugleich empfangen wird. Aber diese Einheit ist
Aisthetischem und Logischem: ,,Sirure und Leidenschaften reden und verstehen auch nicht gegeben, denn ich kann nur empfangen, was ich spont¿n in mir erzeugt
nichts als Bilder. In Bildern besteht der gatze Schatz menschlicher Erkenntniß und habe. Diese Einheit von Empfangen und Erzeugen vermittelt sich nicht durch das
Glückseeligkeit."22 Sprache ist ungegenst(indliche Synthesis und Gegenstand zn- logische Ich, sofern es bloß Kantisches reines Pirnzip ist, sondern als Prinzþ, das
gleich. Hamanns Bildrede versucht, diese Einheit auszudrticken'23 Von da her ver- zugleich Tatsache ist, das als Sprache wirklich existiert. Diese Einheit hat Natur
'Werden
steht sich Hamanns Metakritik an Kant Sinn und Sinnlichkeit, Ideales und und Geschichte so in sich, wie sinnliches Zeichen und intelligible Bedeutung im
Reales getrennt, so wird deren Einheit, die jedes Wort ausdrückt und darstellt, un- Wort diskret eins sind. Das Entsprechen ist nicht vorgestellt als ein fundierendes
begreiflich. Nun ist aber nach Hamann diese Einheit, das Entsprechen von Sinn Seiendes, sondem es ist das, welches losgelöst von den Entgegensetzungen und
und Sinnlichkeit, unbegreiflich im Sinne von prinzipiell nicht zu vergegenständli- Trennungen (die wir technisch-praktisch zunächst brauchen, was Hamann unterbe-
chen. 'Wir können nach Hamann das Entsprechen selbst nur in bildlichen Analogi- lichtet) ist das Absolute.ã Das Entsprechen selbst oder das Manifestieren als
-
Manifestieren - die Vermittlutg von Laut und Bedeutung - ist für uns nicht direkt
21 5uB2,366. ausdrückbar, verborgen - dennoch nichts Alogisches. Zum Bewusstsein des Ent-
22 lohann Georg Hamann, Aesthetica ín nuce, in: SW 2, Wien 1950, 197.
23 Zur systemattschen Relevanz der Metapher als Manifestieren der Vermittlung selbst, ins-
besondere im Zusammenhang mit dem unendlichen Ufeil, vgl. Thomas Sö¡en Hoff- 24 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, ,,Hamann-Rezension", in: ders., Berlíner Schriften'
mann, Die absolute Form. Modalítcit, Individualitdt und das Prínzip der Philosophie hg. v. Walter Jaeschke, Hamburg 1997 ,247 .

nach Kant und Hegel, Berlin/I.Íew York 1991, 123f . 25 Vgl. SuBl.296.
272 Max Gottschlich
Das Problern von Sprache und Weltansicht bei Hamann, Herder und Humboldt 273
sprechens gelangen wir über den umweg von Natur und Geschichte:
,die 2 gros_ trfort bringt, sind zwei Seiten ein und derselben Bewegung. Diese Bewegung ist
sen commentarü des Göttlichen wortes und dies hingegen der einzige
Schlüssel,
uns eine Erkenntnis in beyden zu erofüren..26. der Logos der SPrache:
Die göttliche Sprache der Natur meint eine weise von vy'ahmehmung, in
der mir ,ß.eden ist übersetzen - aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heist, Ge-
im Sinnlichen, Angeschauûen ein Sinnhaftes, Allgemeines entgegentritt was danken in Worte, - Sachen in Namen, - Bilder in Zeíchen; die poetisch oder þrioiogisch,
Mythos der Griechen ins Bewusstsein gehoben wurde.27 Auch dies ist im
im - historisch, oder symbolìsch oder hieroglyphisch - - und philosophisch oder charakteristisch
Begriff
der ,,weltansichr" aitzuführen. Gemeint ist nicht die Natu¡ als Inbegriff seyn können.*3t
von Er-
scheinungsgegenständen unter allgemeinen Gesetzen. Diese ist geradedadurch
de_ ftn Sprechen werden nicht, wie die technische Vorstellung meint, bedeutungsnack-
finiert, dass in ihr die Phåinomene von ihnen selbst her nichts zu bedeuten geben
te Tatsachen sprachlich eingekleidet. Sondern im Sprechen vollzieht sich eine
dürfen, sondem sich alle Bestimmtheit der setzung verdanÌ¡t. Auch ein Naruran_
úbersetzung dessen, das uns schon sinnlich und sinnhaft begegnet. Darin besteht
blick ist nach Hamann in diesem Sinne ,,worr". Das ist ein gewaltiger Schritt im
Hamanns Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Sprache (flir Herder und
Zusammendenken von Natur und Freiheit, auch über Kants Kritik der uneilskraft
Humboldt gilt dasselbe). Das Göttliche besteht darin, dass menschliche Rede nicht
hinaus. Bei Hamann ist das sprachliche EntgegenkoÍrmen von Natur nicht bloß
ein der tiuferen Notwendígkei¡ eines instinkfreien Mängelwesens entspringt, gemåiß
,Als ob', zugleich aber kein Rückfalt in die ontologie. zudem geht es nicht bloß,
der wir, um zu überleben, das Andrängende in Zeichen fassen, die Not effektiver
wie bei Kant, um die Möglichkeit des Handelns, sondem im Grunde bereits um
in Kooperation mit anderen Akteuren wenden zu können, sondern als Antwort auf
die Möglichkeit von selbstbewusstsein. Mit der göttlichen Natursprache geht Ha-
eine immer auch verborgen bleibende sinnlich-sinnhafte Wirklichkeit. Dieser Ur-
mann über das technische Naturverständnis hinaus und integriert zugleich den
Ge_ sprung ist kein vergangenes Ereignis, sondern in jeder Situation da, in der wir
halt des griechischen Mythos.
ûicht unmittelbar a¡s Handeln gehen, sondern die Situation ins Wort ,,übersetzen".
Im Begriff von Geschichte ist die vorstellung eines bloß objektiven Geschehens zu
distanzieren, um Hamann folgen zu können. Nach ihm ist die Geschichte jedes
volkes in der Sprache enthalten.2s Dies hat den sinn, dass Geschichte nicht bloß b) Herder
das historiographisch objektivierte Geschehen ist, sondern die Ei¡heit von Gesche-
hen und der Erzählung von diesem Geschehen2e, ohne die das Geschehen keinen Wir greifen nu¡ einen Punkt heraus, der Licht auf die Einheit von Sprachform und
Sinn gewåinne. Hier geht es ebenfalls um ein Entsprechen, um das mitunter gerun- Denldorm wirft: die ,,Besonnenheit" als Einheit von Reflexion (Gegenstandsver-
gen wird, das wir nicht bloß setzen oder herstellen. Auch dies ist im Begriff der hältnis) und Selbstverhältnis. Das beschreibt die dialektische Natur der Sprache
,,Weltansicht" mitzufüh¡en. und zugleich von Ich: Im Verhalten zu den Dingen verhalte ich mich zu mir
wenn Hamann meint, dass Natur und Geschichte verborgene ,,sprachen Gottes an selbst.32 Die Sprache ist Möglichkeitsbedingung der Reflexion der Reflexion, inso-
den Menschen":o seien, ist gemeint: Natur und Geschichte werden nicht Dingan- fern ich zum Bewusstsein dessen, dass ich in der ersten Reflexion ein Merkmal
sammlungen, sondern als Entsprechungswirklichkeiten geþsst. über diese verfü- gesetzt habe, nur durch die sinnlich-gegenstrindliche Anikulation gelange. Im sinn-
gen wir nicht, sonder¡ diese sind wir eine Einsicht, die zur Relativierung unseres lichen Laut wird die Reflexion, die die V/ahrnehmung schon ist, objektiv. Mein
-
technisch gepr?igten Natur- und Geschichtsverständnisses verhelfen kann. wir Gedanke kommt mir in sinnlicher Prá.gnanz entgegen. Dabei vereint der Laut zwei
sprechen also, weil wir auf ein Entsprecheû antworten und diese Antwort, die semantische Relationen: auf die Sache und auf mich, auf mein Setzen von ldenti-
-
menschliche Sprache, ist nach Hamann immer schon eine ,,übersetzung,. dieses tät. Nur so kann ich mich als Ich, als Selbstbeziehung wissen. So ergibt sich'. Ohne
Entsprechens. Der Hauptgedanke Hamanns lautet hier: Der weg Gottes zu den Sprache kein Gegenstandsbewusstsein und kein Selbstbezug. Sprache ist die Mitte,
Menschen als göttliche sprache an den Menschen und der weg des Menschen zu von der her erst diese Entgegengesetzten sind. Darin liegt ,.die Verkehrung der na-
Gott als menschliche Rede, die das sich zeigende Entsprechen ins menschliche türlichen Ansicht [und der gewöhnlichen Fassung des Erkenntnisproblems], die
beide Seiten nur als getrennte kennt."33 Sprache ist also nicht Vehikel, sondern
26 Johann Georg Hamann, Brocken g 3, i¡: SW 1, Wien 1949, 303.
Prrisenz von Ich. Diese Einsicht vertieft sich bei Humboldt.
27 Herdet formuliert denselben Gedanken. Vgl. SuB 1, 69.
28 Johann Georg Hamann, Brief an Lindner 9. t3.?l 8. 1759, in: Briefwechser, Bd. 1, Frank-
turt a. M. 1955, 393.
31 Hamann, -A¿sthetíca (Anm. 22), 199.
29 Vgl.5181,297.
32 Ygl. SuB1,62f.
30 A.a.O.,299.
33 5t82,167.
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I
I

I
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I 2"t4 Max Gottschlích Das Problem von Sprache und Weltansicht bei Hamann, Herder und' Humboldt 275

einerseits und der Gedankenform


c) Humboldt 6þen gemeinsame Möglichkeit der Sprache)35
aldererseits'
1) Das verhältnis von sprache und'weltansicht ist in doppelter Hinsicht zu beden- pie Doppeldeutigkeit des Formbegriffs, die er dabei stets im Blick hat, entspricht
ken: der Differenz von formallogischem Begriff bzw.
der ,,Idee" im Sinne Kants und
dialektischem Begriff- Form ist:
,lwei grosse Fragen, beide geschichtlich und im Einzehen zu bearìtworten, bilden den
a) Gebi-lde, abstrahiert von der Bewegung des Formierens, von der sinnlichen
Umfang der allgemeinen Sprachkunde: wie gestaltet sich in dem Menschen die ihm eigen-
Gestaltung" Das ist die Sprache, insofern sie Gegenstand der Reflexion ist;
thümliche Sprache tauglich zum Verständniss und zum Ausdruck aller sich in ihre mögli-
cherweise in der Vielfachheit der Gegenstände, und der Mannigfattigkeit der Redenden
so betrachtet erscheint der Sprachbau als Idee im Sinne Kants: als die
darbietenden Begriffe und Empfindungen? wie we¡den der Mensch und seine Weltansicht Form, in der sich alles mögliche Sprechen in einer bestimmten Sprache
durch die ihm eigenthümliche Sprache angeregt und bestimmt?"3a vollzieht, wobei von den Gestaltungsmomenten im wirklichen Sprechen ab-
strahiert ist.36
Die Antwort auf diese Fragen ergibt sich aus der Einsicht in die Einheit von b) Form a1s tätiges Formieren, das sich seinen Inhalt gibt, die Fotm als wirkli-
Sp r a c hfo rm und D e nlcfo rm : che, individuelle Artikulation. ,fotm" ist hier das Allgemeine, das Tendenz
a) Sprache kann nur dadurch Weltansichten in sich haben, dass sie individuell zum tndividuum hin ist, die sich realisierende Methexis.3T
und zugleich allgemein ist. Dies ist nur möglich, weil Sprachform nicht Beide Bedeutungen von ,,Form* sind auf die Sprachform und die Denldorm zu
bloß Signalsystem, sondern Ausprägung der Denl<form. d.h. Präsenz des beziehen. Denn Humboldt fasst auch die Denldorm nicht nur als Gebilde, sondern
sich wissenden Allgemeinen ist. Deshalb kann ein Mensch, der in seiner schon ansatzweise transzendentallogisch als Synthesishandlung, als Verknüpfen
Weltbegegnung etwas erftihrt, diese Erfahrung so in die Sprache heben, und Unterscheiden actu, allerdings ohne explizit die nåiheren Konsequenzen im
dass diese Erfahrung als solche für andere mitteilbar wild. Sinne Kants hinsichtlich des Sích-Wissens der Form, ihrer Ichhaftigkeit zu ziehen.
b) Weil die Denldorm unhintergehbar Sprachform ist, die menschiliche 'Welr- Dennoch ist es der ausschlaggebende implizite Gedanke Humboldts, dass die
auseinandersetzung sich sprachlich instinri onalß ie rt, w trd die Erfahrung Sprache insofem Denldorm ist, als sie Pr(isenz yon Denken als dem sich wissen-
zugleich immer durch die Sprache getragen. Man kann sich diesen Gedan- den Selbsnerh(iltnis ist - náher noch: nicht bloß im Sinne eines isolierten Icbzen-
ken vom Freiheitsbegriff im Sinne der Hegel'schen Sittlichkeit her verdeut- trums, sondern dessen, was Hegel ,,Geist" nefint - des lch, das wir ist. wie ist dies
lichen: Institutionen tragen das Freiheitsleben dadurch, dass sie vom Ein- nifüer zu fassen?
zelnen getragen, d.h. als die individuelle rechtliche und moralische Freiheit 3) Sprache istin dreifacher Bedeutung Vermittlung: Jeder Sprachlaut ist, im Unter-
ermöglichend arierkannt werden (können). Der Einzelne ist so nur als AII- schied zum Naturlaut, Synthesis øctu dreiet semantischer Relationen3s: Et zeigt
gemeiner, d.h. hier: i¡ der menschlichen Gemeinschaft wahrhaft frei. Auf auf mich (Ausdruck), auf die Sache, die ins Wort gehoben wird (Darstellung) und
die Sprache bezogen bedeutet dies, dass ich nur in der Weltansicht, die mir auf den Angesprochenen. Diese Relationen werden zugleich aufgebaut. Erst darin
meine Sprache eröffnet, zu einer individuellen Weltansicht gelange. Auch haben die im natärlichen Bewusstsein als gegeben angesehenen Endpunkte der
in der Antwort auf diese Frage geht es um die Sprache als Manifestation Subjekt-subjekrobjekt-Relation ihre Wirklichkeit. Wenn also bei l{umboldt von
der Einheit von Einzelnem und Allgemeinem, des konkret Allgerneinen. ,,Welønsicht" die Rede ist, ist die Subjekt-Subjekt=Relation stets mitzubedenken:
2) Humboldt fasst die Einheit von Sprache und Denldorm tiefer als Hamann und Sowohl die Bestimmtheit des Gedankens von etwas als auch das Selbswerhältnis
Herder. In seinen Beschreibungen der dialektischen Natur der Sprache treten die konstituiert sich nur über den anderen. Sprache ist die Bewegung vom Ich zum
Bilder zugunsten des Logischen zurück, indem er Sprache laufend durch die Ein- hörenden Du und zurück. Nur durch Sprache, das Gespräch mit dem anderen, der
heit entgegengesetzter Kategorienpaare bestimmt (Zeichen und nicht ntx Zeichen,
Mittel und Zweck, Ruhe und Bewegung usw.). Seine Einsicht ist auch die differen- 35 Vgl. SuB2,334.
zierteste. Er unterscheidet zwischen Lautform, Wortform, grammatischer Form, 36 Vgl. a.a.O.,322.
Sprachform ban Sprachbau (der besonderen Sprache, die die anderen Formen in 37 Fü¡ eine nähere Da¡stellung dieser systematisch auch in unserem Zusammenhang ent-
sich hat: das System der Regeln, grammatischen Formen sowie der Vorrat an Wör- scheidenden Bedeutung von ,,Form", zumal in ihrem Zusammenhang mit dem Problem
des lndividueilen, vgl. insgesamt die studie von Hoffmann, Die absolute Form
tem, die schon Bedeutungen an sich haben), innerer Sprachform (die allen Spra-
(Anm.23).
38 Liebr'¡cks spricht von der Ðreistrahligkeit de¡ semantischen Relation des Sprachlautes

34 Humboldt, Verschiedenheíten (Anm. l2), 121. Vgl. SuBl,217f.


276 Max Gottschlich Das Problemvon Sprache undWeltansicht bei Hamann, Herder und Humboldt 277

auch virtuell sein kann, ist Begriffsbildung möglich und kann ich mich als Ver- b) Sprachform als Instítutionalisierung der Denlcform.' Die erwãhnte Einheit
nunftwesen verstehen.3e Damit kommt das Verhâltnis von Sprache und dem, was ist wirklich als Bewegung der Vergegenständlichung und Entgegenständli-
Hegel objektiver Geist nennt, in den Blick, oder: das Verhältnis vom Sprechen des chung ihrer selbst. Anders gesagt: Sprachform kann in ihrer Reflexivität
Einzelnen und der Sprache als besondere Sprache. nur energeia sein, wenn sie sich von sich als ergon abstößt. Im Sprachbau
4) Sprachform und Denldorm sind also zwei Seiten der vermittlungsbewegung des ist das vergangene Sprechen und dessen Weltauseinandersetzung aufbe-
subjekt-subjekt-objekts. Im Begriff der Form als dieser vermittlungsbewegung wahrt. Dies tritt uns (unmittelbff in der Muttersprache) als Vorinterpretiert-
sind im Ausgang von Humboldt drei Hauptebenen zu unterscheiden, die den Hori- sein von Welt entgegen. Handlungsbezüglich stellt sich dies als das dar,
zont umreißen, innerhalb dessen das Thema Sprache und weltansicht zu bedenken was heute kollektive Intentionalität genannt wird.
ist: Der an diesem Punkt einhakende Sprachrelativismus verabsolutiert je-
a) sprachfotm als sich auf sich beziehendes Allgemeines: In der Ausprägung doch die Sprache als objektive Macht und übersieht die Dialektik, die
der grammatischen Form (als Formieren gedachÉ'), die nach Humboldt in Humboldt ausspricht, dass nämlich die objektive Macht der Sprache
den flektierenden sprachen erreicht wird, wird die Reflexivitãt der Sprach- nur im einzelnen Sprechakt wirklich ist, der sie zugleich bricht, indem
form gesetzt. Denn die grammatische Fonn nennt nicht unmittelbar einen er den Sprachbau neu, individuell erzetrgt, umformt und weiterbildet.
Gegenstand, sondem die sprachform zeigt in der Modifikation der Sachbe- Man kann die Dialektik von (objektiver) Sprache und (subjektivem)
zeichnung auf sich. Die syntaktische ReflexivitÌit ist aber als solche zu- Sprechen in den folgenden Satz zusammenfassen: Die Sprache trägt
gleich semantisches Zeigen. Damit ist an der Sprachform selbst gesetzt, das índividuelle Sprechen, indem sie durch das individuelle Sprechen
dass Sprache nur dadurch aufetwas außer ihr zeigt, dass sie auf sich selbst getragen wird. Beide Seiten sind zu unterscheiden und zugleich zu-
zeigt. sammenzudenken. Es gilt zu begreifen, dass es da gerade kein einseiti-
Die grammatischen Fonnen haben einen Einfluss auf die ,Jdeenentwick- ges ,,Fundierungsverhä1tnis", das der Verstand zur Vermeidung des
lung": Diese werde durch die Ausprägung der grammatischen Form beflü- 'Widerspruchs herstellen will, gibt. Wir bewegen uns in der Sprache
gelt, weil der Gedanke durch die gegenstZindliche Ausprãgr¡ng der gramma- auf einem bodenlosen Boden. Sprechen ist aber gerade dadurch nicht
tischen Form vom Hervorbringen der syntaktischen Form entlastet wird ein,,Geschehen", sondern Freiheitswirklichkeit. Die Möglichkeitsbe-
und dadurch ,,am blossen Hervorbringen des Gedankens Vergnügen ge- dingung der Objektivierung der objektiven Macht der Sprache - das ist
winnt"ar. der entscheidende Punkt in der Überwindung des Sprachrelativismus,
Die Verschiedenheit der Sprachen und der V/eltansichten liegt nach Hum- der nicht von Humboldt, sondern von Hegela her zu entwickeln wäre -
boldt mehr in der grammatischen Form als in der V/ortbildung, also in der ist das Logische als die sich wissende reine Allgemeinheit, die nichts
besonderen Ausprägung der syntaktischen Reflexivitâf2
- wobei Humbotdt von einer Arf5, als Wissen die Negation aller unmittelbaren Bestimmt-
nicht übersieht, dass sich grammatische Form und Wortbildung nicht tren- heit ist: absolute Abstraktion. In diesem immer auch sprachlichen
nen lassen: Grund für die Vielheit der Vy'eltansichten sei, ,dass die Wörter Vollzug hat die Autonomie des Logischen ihr Bestehen wie auch die
und Wortfügungen zugleich die Begriffe bilden und bestimmen"a3. Die Ein- von der Sprache her gefasste Einheit von Freiheit und Notwendigkeit:
heit von Selbst- und Gegenstandsverhältnis ist schon im einzelnen Vy'ort Der Gedanke hat seine Freiheit und Selbständigkeit nur ,,in den be-
wirklich. dingten Sprachbahnen"a6. Sprache als Institution ist objektivierte Frei-
heit. Zugleich lebt jede Institution øls Freiheitsgestalt nur dort, wo sie

39 Vgl. Humboldt, Verschíedenheiten (Anm. l2), 160. M YgI. G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, $ 5-
40 Die grammatische Form ist jene Weise, ,,wie die Sprache der Gedankeneinheit, welche 45 Das Denken bzw. das Logische selbst ist - als ,,absolute Form* - nicht mit seinen Inhal-
eigentlich eine rein geistige Zusammenfassung [synthesis actu] ist, einen Ausdruck im ten zu verwechseln. Bereits Platons Chnrmides (164d-171d) zeigt, dass die Form ,,Ich
körperlichen Laute verlefüet" (wilhetm v. Humboidt, von dem grammatischen Baue der weiß" die schlechthin allgemeine Form des Wissens ist, die alle besonderen Inhalte, a"lles
Sprachen. in: GS 6, 358). Gewusste umgreift. Als diese Form ist das Denken absolute Voraussetzung aller Eintei-
41 wilhelm v. Humboldt, Über das Entsrehen der grammntíschen Formen, und ihren Eín- lung und somit in keiner Begriffspyramide, keíner ordo entium zv,,verorten" oder inner-
fluss auf die ldeenentwicklung, in: GS 4,292. halb einer solchen zu ,deduzieren". Vgl. dazu Hoffmann, Díe absolute Form (Anm.23),
42 YgI.5v82,324. bes.42f.,83 u. 105f.
43 Wilhelm v. Humboldt, Über den Nationalcharakter d,er Sprachen, in: GS 4,420. 46 SuB2, i78.
n8 Max Gottschlich
rF
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wie in der Sprache - stets neu erzeugt wird. Politisch-institutionelle Denken, Sprache und Weltbild in der chinesischen
Welt
- ';i:
Umbrüche entsprechen daher nach Humboldt Umbrüchen in der 'll:'
KAI MARCHAL, TAIPEH
Sprachform, einer Erneuerung der Sprache bzw. dem Entstehen neuer
SPrachen'47
So tritr uns bei Humboldt an die Stelle der Weltansicht des einen wis-
Zusammenfassung
senschaftlichen Verstandes und der einen wissenschaftlichen Erfah-
rung (der auch die Tendenz zu einer Einheitssprache entspringt) die Ver'
Einheit von Sprechakt und objektiver Sprache, innerhalb der sich die In d.íesem Beítrag soll aus der Perspektíve Ostasiens ein neues Licht auf das
hciltnis von Sprache und Weltbild geworfen werden. In der Philosophie des
Bewegung der Weltauseinandersetzung, das Leben des Geistes voll_ Welt'
20. Jahrhunderts gab es zahlreiche Versuche, die Begegnung mit fremden
zieht.
c) sprachform als sich wßsende Denlcform: Das Leben des Geistes reflektiert bíId.em und Lebensþrmen zu thematisieren und die Vielfalt und Velstimmigkeit
De-
sich als solches über die Vielfalt des Ausdrucks und der Darstellung menschlicher Kulturen Zu denken. In der Hermeneutik, PhÌinomenologie und
konstruktion ist die Fremiheit des Anderen sogar zu einem Grundmotiv des Phï
menschlichen selbst- und wetwerhåilnrisses. so ist sprachliche vielfalt
nach Humboldt notwendig, weil sich an ih¡ die ,uA.namnesis des Geistes..as losophierens geworden. Doch ist die Dffirenz zwischen Eigenem und Anderem
vollzieht. Erst dwch die Besonderung in die Mannigfaltigkeit der Vy'eltan- ailzu ofi vorrangig in den europäischen Philosophiesprachen verhandelt worden,
sichten ist eine sich wissende Einheir, die im anderen innigste Verwandt-
nicht aber in direkter Auseinandersetzung mit den phílosophischen und religiö-
sen Diskursen der Anderen. Am Beispiel der chinesischen WeIt möchte ich zei-
schaft erfiih¡t, möglich: ,,nichts überhaupt reizt den Menschen so an, als
gen, was es hei"ßt, über ein anderes weltbild nachzudenken, das Menschen nicht
Fremdartigkeit, in der er doch tiefer verschlossene Uebereinstimmung ahn-
nur in eíner von den indoeuroptiischen sprachen sehr yerschiedenen sprache
det."ae Sobald wir im Bewusstsein dessen leben, ist eine gemeinsame Welt in Ostasien in
(dem Altchinesischen) beschrieben haben, sondern das bís heute
möglich, die sich nicht bloß über die äußere Norwendigkeit (Getdverkehr,
bestímmten Bereichen der Lebenswelt wirkm¿ichtiS ist-
Technik) vermittelt.
wir halten fesl: In der sprachlich artikulierten weltansicht besteht díe einzige dem
Menschen zugängliche Wrklichkeit. Diese Einsicht führt nicht zur Dissipation der
Absffact
Logtzitat in beliebige Narrativität. Vy'ir können einander verstehen, die Welt in un-
seren Weltansichten verstehen, weil die Sprache wi¡kliche Methexis ist, Individuet-
o This essay attempts to shed new light on the relation between language and
les und Allgemeines verbindet. ,,Weltansicht" bedeutet nichts anderes als diese ¡o world-view from the perspective of East Asía. Twentieth century European philo-
o
Methexis im Sinne dessen, dass objektive Sprache und subjekives Sprechen als sophers have often thematized the encounter with alien world'views and ways
of
Momente einer Bewegung zu denken sind. In dieser ist ,,V/elt" nie rein als eine tíiing, and pondered on the multiplicity of human cultures. In the fields of her-
Welt da, die nicht zugleich Weltnnsicht ware. Zugleich ist es nur innerhalb der E
o
meneutics, phenomenology and deconstruction, the alienness of the other even
Sprache möglich, Welt von der Weltansicht nochmals zu unterscheiden. So ist der @ has become a sort of leitmotif for philosophers. And yet, the difference betvveen
Blick auf die Welt immer nur als Blick auf die Sprache möglich. Darin wird be- ô lan'
N
I
the familiar and the alien has almost always been debated in the European
greiflich, dass uns in dem, was wir als unsere Welt ansehen, unser SelbsfverhZiltnis ô
r engaging the philosophical and religious
N guages of phílosophy, not by directly
obj ektiv entgegenkommt. Ø
ñ âirrourr$ of the other. In my essay, I want to re-think the relation betvveen
(, language and world-view by engaging with chinese philosophical ønd religious
Ass-Prof DDr Max Goxschlích, Institut fÌir Praktische Philosophie / Ethik, Ka- z
discourses.
o
tholische Privat-Universität LinL Bethlehemstraße 20, A-4020 Linz
E- Mail : m. gottschlich@ ku-linz. at
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47 Humboldt, Verschiedenheiten (Anm. L2), 267. E


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In der Philosophie des 20. Jahrhunderts gab es zahlreiche Versuche, die Begeg-
48 SuB2,198. nung mit fremden Weltbildern, Traditionen und Lebensfornen zu thematisieren
N
49 Humboidt, Verschíedenheiten (Anm. 12), 204.

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