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Björn Spiekermann
Der Gottlose
Geschichte eines Feindbilds
in der Frühen Neuzeit
RoteReihe
Klostermann
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Björn Spiekermann · Der Gottlose


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Björn Spiekermann

Der Gottlose
Geschichte eines Feindbilds
in der Frühen Neuzeit

KlostermannRoteReihe

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Über den Autor:


Björn Spiekermann lehrt Neuere deutsche Literatur an der
Sun Yat-sen Universität Guangzhou (China).

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2., durchgesehene Auflage 2021

© Vittorio Klostermann GmbH · Frankfurt am Main 2020


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Druck und Bindung: docupoint GmbH, Barleben
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ISSN 1865-7095
ISBN 978-3-465-04557-1

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INHALT

Vorbemerkung | 1

Einleitung | 3

I. Semantik, Topik und Funktionen der Unglaubenskritik


im 16. und 17. Jahrhundert | 45

II. Unglaube und Pietismus


Anfänge der deutschen Atheismusdebatte seit 1650 | 167

III. Atheisten, Epikurer und Politici


Zur Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert | 243

IV. Im Vorfeld der Aufklärung


Gelehrte Kritik, Moralistik und theologischer common sense | 329

V. Atheismus und Frühaufklärung


Historische Korrekturen – begriffliche Präzisierung | 405

VI. Natur, Moral und Bürgerglück


Übergänge zur Hochaufklärung | 535

Schlussbemerkungen | 673

Anhang | 687
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AUSFÜHRLICHES INHALTSVERZEICHNIS

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1. Problemaufriss, Fragestellung, Vorklärungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3


1.1 Religion und Moral. Der Gottlose als gesellschaftliche Bedrohung . . . . . 3
1.2 Zielsetzung, Reichweite und Schwerpunkte der Darstellung. . . . . . . . . . . 7
1.3 Atheismus und Heterodoxie. Zum Problem der
›Verdächtigungshermeneutik‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.4 Worte, Sachen und Absichten im Sinnbezirk des Unglaubens
Konsequenzen für den Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2. Diskursgeschichte des Unglaubens
Methodik und Forschungslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.1 Das Feindbild des Ungläubigen als interdisziplinäres Problem
Hinweise zur Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.2 ›Unglaube‹ und Diskursgeschichte. Begriffliche und
methodische Voraussetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.3 Quellenauswahl und Textarbeit. Disziplinäre und interdisziplinäre
Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3. Nichtorthodoxe Unglaubenskritik als Verhandlungsprozess
im Spannungsfeld von Kirche, Politik und New Science . . . . . . . . . . . . 33
3.1 Das gängige Modell. Unglaubenskritik als Antimodernismus . . . . . . . . . . 33
3.2 Unglaubenskritik jenseits der Orthodoxie
Zum subversiven Potenzial der Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
3.3 Auch ein Weg zur Moderne. Unglaube, Apologetik
und Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
4. Zur Zitierweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5. Abgekürzt zitierte Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
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VIII Inhalt

I. Semantik, Topik und Funktionen der Unglaubenskritik


im 16. und 17. Jahrhundert

1. Unglaube als Unmoral. Genese und Funktion eines


Argumentationssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.1 Fromme und Gottlose. Biblische Grundlagen des
Unglaubensdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
1.2 »Non est Deus«. Der Prototyp des Gottesleugners im 14. Psalm . . . . . . . 49
1.3 Der insipiens als alter Adam. Unglaube als anthropologisches
Datum in Luthers Psaltervorlesung (1519). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
1.4 Dei oblivio. Auf dem Weg zu einer Psychologie des Unglaubens
(Bucer, Calvin, Bellarmino) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
1.5 »Homines prophani et Epicurei«. Zeitdiagnose und
Säkularismuskritik beim alten Luther. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
2. Ein neuer Feind? Konfessionspolitische Wurzeln der
Atheismusdebatte um 1600. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
2.1 Vom haereticus zum atheus. Der Atheismusvorwurf als
kontroverstheologische Waffe (Possevino). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
2.2 Contre les Athées & autres Infideles. Die Einheit des Christentums
im Angesicht seiner Feinde (Mornay). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
2.3 Adversus politicos. Die katholische Offensive gegen Staatsräson und
Konfessionstoleranz (Assonville) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
2.4 Calvinista – Lucianista. Der Atheismusvorwurf gegen Abraham
Scultetus im Umfeld des böhmischen Aufstands (L. Osiander). . . . . . . . . 87
2.5 Fazit und Überleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
3. Vinculum societatis. Die Religion als ›Band der Gesellschaft‹
und der Atheist als Staatsfeind in politischen Theorien des
konfessionellen Zeitalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.1 Säkularer Staat und fromme Gesellschaft. Konturen einer
politischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.2 Religion und Staatsräson. Problematische Vordenker
(Machiavelli, Bodin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
3.3 Monstrum hominis. Der Atheist im Gottesstaat
(P. Grégoire, Danaeus, Althusius) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
3.4 Konfessionelle Toleranz und religiöse Normbegründung im
protestantischen Aristotelismus (Keckermann, Besold, Conring). . . . . . . 106
3.5 Etiamsi daremus? Die Rolle der natürlichen Religion und
die Rechtsstellung des Atheismus im älteren Naturrecht
(Grotius, Hobbes, Pufendorf) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
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Inhalt IX

4. Stultitia Atheismi. Der Unglaube als Vorurteil und die


Vernünftigkeit der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
4.1 Atheismus als Dummheit. Die Allianz von Religion und
Wissenschaft in Bacons Meditationes sacrae (1597). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
4.2 Causae atheismi. Atheismus als Affekt und Vorurteil in Marin
Mersennes Quaestiones celeberrimae in Genesim (1623) . . . . . . . . . . . . . . 129
4.3 Glaube, Vernunft und Apologetik im Gefolge Bacons
Leibniz’ Confessio naturae contra atheistas (1668) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
5. Leben, als ob kein Gott sei. Die Idee des praktischen Atheismus
bei Gisbert Voetius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
5.1 Nadere reformatie. Voetius und seine Bedeutung für die deutsche
Atheismusdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
5.2 Indirekter Atheismus und die Rolle der cognitio Dei insita . . . . . . . . . . . . 158
5.3 Lebendiger Unglaube. Der Begriff des Atheismus practicus . . . . . . . . . . . . 160
5.4 »Sunt sibi mutuo causae«. Die wechselseitige Bedingtheit von
Atheismus und Unmoral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

II. Unglaube und Pietismus


Anfänge der deutschen Atheismusdebatte seit 1650

1. Neuer Wein in alten Schläuchen? Zum Funktionswandel der


Kontroverstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
2. Atheismus ohne Atheisten? Contra-Irenik, Frühpietismus und
lutherischer Anti-Machiavellismus ab 1650 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
2.1 Atheismusvorwurf gegen Helmstedt. Johann Hülsemanns
Calixtinischer Gewissenswurm von 1653 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
2.2 Der Politicus im deutschen Territorialstaat. Daniel Clasens
De religione politica (1655). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
2.3 Die Stützen des Unglaubens in der Kirche. Atheismus als
Indifferenz und Sicherheit bei Christian Colbe (1655) . . . . . . . . . . . . . . . . 187
3. Speners Netzwerke: Fromme Zeitklage und
Reformprotestantismus nach 1660. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
3.1 Pia desideria. Atheismusschelte und Frömmigkeitsreform im
Rostocker Luthertum (Großgebauer). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
3.2 De atheismo eradicando. Gelehrte Polemik und fromme Zeitklage
bei Theophil Spizel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
3.3 Zurück zu Luther? Die Radikalisierung der Unglaubenskritik in
frühpietistischer Erbauungsliteratur (Undereyck, Leuckfeld) . . . . . . . . . . 210
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X Inhalt

4. De extrema saeculi nostri corruptione. Psychologische Vertiefung


und reformtheologische Perspektivierung der Atheismusdebatte
bei Philipp Jakob Spener. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
4.1 Der Balken im eigenen Auge. Speners Feldzug wider
den innerkirchlichen Unglauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
4.2 Atheismus als amor saeculi. Speners christliche Kulturkritik. . . . . . . . . . . 220
4.3 Der Epikurer auf der Kanzel und die Risiken der
Überführungshermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
4.4 Verderbnis, Anfechtung, Gnade. Die anthropologische Dimension
des Unglaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
4.5 »De ipsorum conversione vix spero«. Glaube, Vernunft und
die Grenzen der Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

III. Atheisten, Epikurer und Politici


Zur Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

1. »In Atheos«. Der Atheismus in Kasuallyrik und Epigrammatik


um 1600 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
1.1 König David und Horaz. Facetten antiatheistischer Poesie im
16. und 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
1.2 »Atheus es, quia Papistam tibi non licet esse«. Der neue Gegner
in John Owens Epigrammata (1606) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
1.3 »Impius a stulto non differt«. Ein Kasualgedicht von Johann Ulrich
Pregitzer (1620) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
2. Apologetik ad oculos. Poetische und rhetorische Strategien . . . . . . . . 254
2.1 »Dem Atheisten Schwarm«. Ein Kasualgedicht am Anfang der
deutschsprachigen Atheismusdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
2.2 Der verzweiffelnde Atheist. Bericht und Anekdote im Dienst
der Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
2.3 Ein Bestseller aus der Zeit der Frühaufklärung: The Second Spira
(1693) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
2.4 Oratio ficta. Der Atheist als Figur in Lehrdialog und Rollengedicht
(Lassenius, Stockmann, Schnüffis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
3. Gegen die »Politici hodierni«. Spuren der Atheismusdebatte
in barocker Erzählprosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
3.1 Vorüberlegung: Der atheus als Nebenfigur in barocken
Erzähltexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
3.2 Via damnationis. Das neue Feindbild in Johann Michael Moscheroschs
Gesichte Philanders von Sittewalt (1640) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
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Inhalt XI

3.3 Ein »Epicurisch Leben«? Ironische Unglaubenskritik und


Anti-Machiavellismus im Simplicissimus (1668/69) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
3.4 Staatsräson als praktischer Atheismus und Kritik der Ketzermacherei
in Johannes Lassenius’ Arcana Politico-Atheistica (1666) . . . . . . . . . . . . . . 303
3.5 Libertas philosophica als Ferment des staatlichen Verfalls
in Christian Weises Drey Haupt-Verderbern (1671) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
4. Humoristische Entschärfung. Der alltägliche Unglaube und die
Verteidigung des Politischen in Christian Weises Komödie
Bäurischer Machiavellus (1679) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

IV. Im Vorfeld der Aufklärung


Gelehrte Kritik, Moralistik und theologischer common sense

1. Frühe Neuzeit und Aufklärung. Zum Verlauf des


Unglaubensdiskurses im späten 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
1.1 Die Macht der Affekte. Zur verborgenen Allianz von Apologetik
und Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
1.2 Res und verba. Verschiebungen im Wortfeld des Unglaubens vom
17. zum 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
2. Offene Kritik – heimliche Sympathien? Pierre Bayles Angriff
auf die Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
2.1 Anthropologischer Pessimismus. Die Bayle-These in
frömmigkeitsgeschichtlicher Sicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
2.2 Tugend durch ›wahre‹ Religion? Die Idee der véritable devotion . . . . . . . 341
2.3 Vergeblicher Einspruch? Überlegungen zur verzögerten Wirkung
des Bayle-Theorems in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
3. Praktisches Christentum und politisches Kalkül. Zur Entstehung
einer deutschsprachigen Laienapologetik am Beispiel von
Seckendorffs Christen-Stat (1685) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
3.1 Ein Handbuch christlicher Reformpolitik. Entstehung, Zielgruppe,
Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
3.2 »Der Atheismus practicus hanget allen an«. Seckendorffs
Kirchenkritik zwischen Luther und Spener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
3.3 Unruhe der Gottlosen – Glückseligkeit des Glaubens. Seckendorffs
Adaption der »Pascalschen Wette« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360
3.4 Christenstaat versus Atheistenstaat. Seckendorffs
Auseinandersetzung mit Bayle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
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XII Inhalt

4. Die »Thorheit« der Gottesleugner. Rationaltheologie und christliche


Vorurteilslehre im Umfeld der europäischen Frühaufklärung . . . . . . . 373
4.1 Noch einmal Stultitia Atheismi. Bentleys The Folly of Atheism
(1692) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
4.2 Der ›starke Geist‹ im Visier der Moralistik. Das Kapitel Des Esprits
forts in La Bruyères Caractères . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
4.3 Unglaube als Vorurteil. Psychologische Ursachenforschung im
Übergang zur Frühaufklärung (Le Clerc) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
5. De viris falso Atheismi suspectis. Rettungen für Sokrates
und Hobbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
5.1 Frühe Rehabilitationsversuche (La Mothe le Vayer, Browne) . . . . . . . . . . 394
5.2 Wider den Generalverdacht. Die Verteidigung des
Menschengeschlechts bei J. L. Fabricius (1662/1682) . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
5.3 Gegen Ketzermacher und pro Vanini. Der Atheismus in Gottfried
Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie (1699/1700). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
5.4 Frühaufklärung in Wittenberg? Johann Christoph Wolfs Disputation
De atheismi falso suspectis (1710) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

V. Atheismus und Frühaufklärung


Historische Korrekturen – begriffliche Präzisierung

1. Was heißt hier ›praktisch‹? Kritik und Präzisierung von Voetius’


Atheismusmodell in der akademischen Diskussion bis 1740 . . . . . . . . 405
1.1 Wirkung oder Ursache? Der Primat der Praxis vor der Theorie
(Gebhard Theodor Meier) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
1.2 »Derselbe einige Atheismus«. Beginnende Auflösung des Modells
bei Johann Franz Budde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
1.3 Praktischer Atheismus als Unglaube ohne Theorie
( Johann Jakob Syrbius) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
1.4 Der Widerspruch von Reden und Handeln. Christian Wolffs
Neudefinition des praktischen Atheismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
1.5 Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Zum Fortleben des
atheus practicus-Modells nach 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
2. Wider das Denunziantentum und wider den Unglauben. Kritik
und Neuausrichtung der Apologetik bei Christian Thomasius . . . . . . 421
2.1 Antiatheismus als Vorurteil. Thomasius’ Kritik der
»Consequentienmacherey« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
2.2 Zweierlei Maß? Die Anklage gegen Theodor Ludwig Lau. . . . . . . . . . . . . 429
2.3 Eklektische Gehversuche. Thomasius’ Verzicht auf den ›Atheus
practicus‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
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Inhalt XIII

2.4 Heimliche Verbrechen? Thomasius’ Stellung zur Frage nach dem


tugendhaften Atheisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
2.5 Nicht strafbar, aber gefährlich. Der Atheist als Staatsbürger . . . . . . . . . . . 440
3. Hobbes liberatus – Plato ἄθεος. Nicolaus Hieronymus Gundling
und die Eklektik zwischen den Fronten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
3.1 Überblick: Zwischen Rettungen und neuer Inquisition . . . . . . . . . . . . . . . 445
3.2 Skepsis, Eklektik, Kritik. Gundlings Urteil über die apologetische
Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
3.3 »Alles Gebet ist deßhalb eitel«. Gundlings föderaltheologische
Fassung des Atheismusbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
3.4 »Die halbe moralische Wahrheit«. Gundling über Atheismus,
Sittlichkeit und Staat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462
4. Begriffliche Präzision und politischer Konservativismus. Der Fall
Christian Wolff und die Ambivalenzen der Aufklärung . . . . . . . . . . . . 469
4.1 Bilanz des Bisherigen. Zum apologetischen Schulterschluss
von Aufklärung und Orthodoxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
4.2 Tugend ohne Religion? Wolffs Rede über die Chinesen . . . . . . . . . . . . . . . 470
4.3 Aufklärung der Begriffe. Kritik der ›Consequentien-Macherey‹
und Präzisierung des Atheismusbegriffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
4.4 Philosophische Theorie gegen politische Praxis. Wolffs Haltung als
Staatsdenker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478
5. Unzeitgemäße Betrachtungen? Der Stand der lutherischen
Polemik nach 1700. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
5.1 Orthodoxie auf Augenhöhe. Antiatheismus in Valentin Ernst
Löschers Praenotiones theologicae (1713). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
5.2 Pietismus und Naturrecht in Johann Ulrich Frommanns
Atheus Stultus sive de stultitia Atheismi (1713–1715) . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
5.3 De atheis practicis non est sermo. Vernunftreligion und insipiens-Topik
in Joachim Langes Caussa Dei (1723) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
6. De atheo cive non bono. Umrisse einer akademischen Diskussion
ab 1700 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
6.1 Bayles langer Schatten. Atheismus, Staat und Gesellschaft im
akademischen Schrifttum ab 1700 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
6.2 Der Atheist als Antibürger und die Religion als Bürgerpflicht
bei Christian Friedemar Martini (1717) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518
6.3 Erziehung des Bürgers. Die sozial- und mediengeschichtliche Wende
zur (unradikalen) Hochaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
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XIV Inhalt

VI. Natur, Moral und Bürgerglück. Übergänge zur Hochaufklärung

1. Gelehrte versus Ungelehrte. Gottsched und der Weg in


die doppelte Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
1.1 Vernünftiger Christ oder Krypto-Deist? Gottscheds Religion
im Widerstreit der Meinungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
1.2 Die Unvernunft der »Spötterzunft«. Poetische Apologetik in zwei
Kasualgedichten Gottscheds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
1.3 Religion und Moral für den ›Biedermann‹. Der bekehrte Freigeist und
der christliche Bayle in Gottscheds Moralischen Wochenschriften . . . . . . . 544
1.4 Denkfreiheit für Freidenker? Gottscheds Bayle-Editionen und die
Rolle der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
1.5 Gottscheds Lehrbuch der Weltweisheit und spätere Editionen
(Leibniz, Polignac) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560
2. Vernünftige Unglaubenskritik in den frühen Moralischen
Wochenschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
2.1 Vorüberlegung: Zum religionsgeschichtlichen Ort einer
aufklärerischen Paradegattung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562
2.2 Apologetik und Satire. Eine Weihnachtsausgabe des Tatler (1709) . . . . . . . 567
2.3 Hopes and Fears. Triebpsychologie und religiöse
Normbegründung im Guardian (1713). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574
2.4 Unglaube, Unvernunft, Unmoral. Die notae Atheismi im Blick
deutschsprachiger Wochenschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577
2.5 Vom Moralischen Charakter zur exemplarischen Erzählung.
Am Beispiel des Patrioten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583
3. Religiosität als Schöpfungsgenuss oder der missvergnügte Atheist
(Barthold Heinrich Brockes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589
3.1 Der Gott im Blumenbeet. Zur Ambivalenz des germanistischen
Brockesbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589
3.2 Ein »unaufhörlichs Zanken, Keifen«. Brockes’ Kritik an der
traditionellen Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
3.3 Wider das blinde »Ungefehr«. Physikotheologie und Apologetik. . . . . . . . 603
3.4 Das Gedicht als Bühne. Dialogische Bekehrung eines Materialisten . . . . . . 605
3.5 Pathologie des Unglaubens. Der Atheist als Melancholiker und der
Melancholiker als Atheist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
4. Anthropologische Skepsis und Freigeistschelte in der Lyrik
Albrecht von Hallers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618
4.1 Orthodoxe Heterodoxie. Haller und die Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618
4.2 Sittenloser Unglaube. Haller und die apologetische Tradition. . . . . . . . . . . 623
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Inhalt XV

4.3 Vernunftskepsis und Aberglaubenskritik in den Gedanken über


Vernunfft /Aberglauben und Unglauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626
4.4 Versifizierte Apologetik. Hallers Analyse des Unglaubens . . . . . . . . . . . . 630
4.5 Vom Zweifel zur Verzweiflung. Ein apologetisches Erzählmodell
in den Gedanken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635
5. Vom Atheisten zum Freigeist. Begriffswandel und
Problemkontinuität im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639
5.1 Wiedertäufer, Libertiner, Antinomer. Der Freigeist am linken Flügel
der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639
5.2 Pietisten, Quäker, Sektierer. Der Freigeist als religiöser Dissident . . . . . . 641
5.3 Von der religiösen zur weltlichen Heterodoxie. Der Freidenker . . . . . . . . 645
5.4 Begriffliche Alternativen und Übergang zum ›Freigeist‹ . . . . . . . . . . . . . . 650
6. Aufklärung und kein Ende. Hinweise zum Fortgang des
Unglaubensdiskurses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
6.1 Staatsfeind und Bürgerschreck. Zur Geschichte des
vinculum societatis-Topos ab 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
6.2 Die Wende? Kritik der Apologetik in der Berliner Aufklärung. . . . . . . . . 656
6.3 Der Freigeist im Visier der katholischen Gegenaufklärung . . . . . . . . . . . . 661
6.4 Epilog: Die Religion, ihre Gegner und der freie Geist
in Herders Freidenker-Aufsatz von 1802 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663

VII. Schlussbemerkungen

1. Rückschau, Ergebnisse, Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673


2. Öffentlichkeit und Untergrund. Zum Problem der Aufklärung
›von oben‹. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677
3. Nachwort: Der Unglaube, der Glaube und das sogenannte Böse. . . . . . . 682

Anhang

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687


1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687
2. Forschungsliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755
1. Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755
2. Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 762
3. Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
4. Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772
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VORBEMERKUNG

Die vorliegende Untersuchung stellt die überarbeitete Fassung meiner Habili-


tationsschrift dar, die im Wintersemester 2017/18 der Neuphilologischen Fa-
kultät der Universität Heidelberg vorgelegt wurde. Seither erschienene Fachli-
teratur wurde nach Möglichkeit, aber ohne den Anspruch auf Vollständigkeit
berücksichtigt. Da sich dieses Buch an Angehörige mehrerer Disziplinen rich-
tet und überdies einen längeren geschichtlichen Zeitraum behandelt, da also
mit einer selektiven Lektüre einzelner Teile oder Kapitel zu rechnen ist, enthält
die Darstellung zahlreiche Verweise (mit  und Kapitelnummer) auf jeweils
andere Stellen, wo die gleichen Zusammenhänge grundsätzlicher oder weiter-
führend behandelt werden. Aus eben diesem Grund wurden auch hier und da
Wiederholungen in Kauf genommen.
Die Durchführung einer Untersuchung dieses Umfangs und die Niederschrift
der gewonnenen Ergebnisse wären nicht möglich gewesen ohne die Förderung
der Volkswagenstiftung durch ein Dilthey-Fellowship. Es sorgte über einen lan-
gen Zeitraum hinweg für ideale Arbeitsbedingungen, wie sie in der akademischen
Welt keineswegs selbstverständlich sind. Dafür möchte ich meinen ehrlich emp-
fundenen Dank aussprechen, insbesondere an Anja Fließ, Inga Noffz und Hen-
rike Hartmann, für die großartige Unterstützung über viele Jahre hinweg. Zu
danken habe ich den Gutachtern für einsichtsvolle und bereichernde Hinweise,
die ich nach bestem Vermögen berücksichtigt habe. Dem Herausgeber der Reihe
Das Abendland und dem Klostermann-Verlag danke ich für die Bereitschaft, den
Band in ihr Programm aufzunehmen.
Was die Hilfe und den Beistand von Lehrern, Kollegen und Freunden
angeht, so können sie hier nicht annähernd in der Weise gewürdigt werden,
wie sie es verdienen. Mein Dank gilt zuallererst Wilhelm Kühlmann für die
langjährige Betreuung, die unzähligen wertvollen Hinweise und Gespräche,
auch über das Fachliche hinaus. Joachim Dyck danke ich für das anhaltende
Interesse, für viele wichtige Hinweise sowie ganz allgemein für die Begleitung
und Förderung seit den Studienjahren. Friedrich Vollhardt hat sich in mehr
als einer Weise um diese Arbeit und ihren Verfasser verdient gemacht – auch
dafür meinen herzlichen Dank! Für die großartige Hilfe bei der Einrichtung
der Druckfassung danke ich Kai Gräf. Die vielen Menschen, die darüber hi-
naus zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben, kann ich hier nicht im
Einzelnen aufzählen. Sie wissen, was ich ihnen zu verdanken habe.

Heidelberg/Guangzhou, im Herbst 2019


Björn Spiekermann
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Hinweg also mit dem erbitternden Vorwurf! Zu lange hat man mit
dem Ausdruck ›ein Mann ohne Religion‹ Menschenfeindlich-grausam
gespielet.
Johann Gottfried Herder

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EINLEITUNG

Haeretici sunt utiles. Wir wissen nicht, wie gut es vns


ist adversarios haben.
Martin Luther in den Tischreden (Nr. 5525)

1. Problemaufriss, Fragestellung, Vorklärungen*

1.1 Religion und Moral


Der Gottlose als gesellschaftliche Bedrohung

Was haben Luther, Machiavelli und der deutsche Aufklärer Christian Wolff
gemeinsam? Sie alle wurden des Atheismus beschuldigt. Alle zu Unrecht. Und
sie alle waren, jeder auf seine Weise, überzeugt von der entscheidenden Bedeu-
tung der Religion für Stabilität und Wohlergehen eines Gemeinwesens oder,
zeitgemäßer ausgedrückt, der menschlichen Gesellschaft. Drei Folgerungen
lassen sich daraus jetzt schon ziehen: (1.) Vom Atheismusvorwurf kann noch
nicht auf wirklich vorhandenen Atheismus geschlossen werden. (2.) Wenn
die Genannten recht hätten, würde der Atheismus nicht allein die Kirche be-
drohen, sondern auch den Staat, die Gesellschaft, die soziale Ordnung. Der
Kampf gegen den Atheismus wäre also zugleich ein Kampf für deren Beste-
hen. (3.) Offenbar dachten so selbst Autoren, die unorthodox genug waren, um
ihrerseits als Atheisten bezeichnet zu werden. Und nicht nur sie. In unzähligen
theologischen, philosophischen, juristischen, staatstheoretischen und literari-
schen, in gelehrten, erbaulichen, unterhaltenden und volkstümlich belehren-
den Texten der frühen Neuzeit wurden Unglaube und Unsittlichkeit eng auf-
einander bezogen, wenn nicht gar miteinander identifiziert.1 Und auch wenn
nicht alle Autoren, die diese Meinung in der einen oder anderen Weise ver-
traten, am Rande des Atheismusvorwurfs standen, finden sich darunter doch
so bedeutende Figuren der Ideen- und Wissenschaftsgeschichte wie Francis
Bacon, Marin Mersenne, Hugo Grotius, Gottfried Wilhelm Leibniz, Samuel
Pufendorf oder Albrecht von Haller.

* Bemerkungen zur Zitierweise finden sich am Ende der Einleitung vor dem Ab-
kürzungsverzeichnis.
1
Zum Begriff des Unglaubens und seinem Gebrauch in dieser Studie s. das Metho-
denkapitel weiter unten.
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4 Einleitung

Bevor wir diese Gedankengänge als altväterlich und vormodern verabschie-


den oder anfangen, Männern wie Wolff und Haller ihren Status als Aufklärer
oder Naturforscher streitig zu machen, erinnern wir uns, dass erst im Som-
mer 2017 eine Studie für Aufsehen sorgte, die im globalen Maßstab Belege für
schwerwiegende, aber kaum begründbare ethische Bedenken gegenüber Athe-
isten (»extreme intuitive moral prejudice against atheists«) feststellen konnte.2
Wer glaubt, dass dieser Befund vor allem durch Einbezug fundamentalistisch-
religiöser Probanden zustande gekommen sei, sieht sich schnell eines Besseren
belehrt. Auf die entsprechende Frage der Spiegel-Redaktion antwortete der
Erstverfasser der Studie, Will M. Gervais, in einem Interview: »Keineswegs.
Extreme Vorurteile fanden wir auch in säkularen Ländern wie Tschechien,
Australien oder den Niederlanden.« Sie seien dort nur nicht »ganz so stark
ausgeprägt« gewesen wie in den Emiraten oder in Indien.3 Im Übrigen, so
Gervais weiter, würden »auch die Ungläubigen ihresgleichen moralisch we-
niger verlässlich« finden und eher gläubigen Menschen vertrauen. Das habe
die Befragung ergeben, obschon die Betroffenen es selbst nicht so formulie-
ren würden.4 Bei der Frage nach möglichen Ursachen hält sich Gervais aller-
dings zurück. Offenbar handle es sich um eine tief verwurzelte menschliche
Haltung. In der Einleitung zur Studie selbst führen die Autoren dafür sogar
Beispiele aus der Kulturgeschichte an. Neben dem chinesischen Philosophen
Mozi, einem Zeitgenossen des Sokrates, zitieren sie Platon und Dostojewski.5
Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Tatsächlich kann die Vorstellung
von der Religion als ›Band der Gesellschaft‹, als vinculum societatis, wie es

2
Vgl. Gervais u. a. 2017, die Formulierung nach dem Titel der in Nature Human
Behaviour erschienenen Studie: »Global evidence of extreme intuitive moral prejudice
against atheists«. – Für den ersten Hinweis auf die Studie danke ich Frau Dr. Jutta Igen-
bergs (München). – Vgl. außerdem das Interview mit Will Gervais im Magazin Der Spiegel
(Nr. 33, 12. August 2017, S. 86). Daraus die nachfolgenden Zitate im Haupttext.
3
Dass eine tiefgehende religiöse Prägung nicht ausschlaggebend sei, erläutert Ger-
vais auch daran, dass das Misstrauen gegenüber Andersgläubigen durchaus geringer sei
als gegenüber gänzlich Ungläubigen. Das mag zunächst einmal selbstverständlich klin-
gen, weil ein falscher Glaube immer noch besser sein könnte als gar keiner. Wer aber den
geradezu frenetischen Eifer kennt, mit dem sich die postreformatorischen Konfessionen
bekämpft haben, oder auch die frühneuzeitlichen Hetzkampagnen gegen ›Aberglauben‹,
›Schwärmer‹, Juden oder Türken, kann die Bedeutung dieser Gegenüberstellung leicht er-
messen.
4
In eine ähnliche Richtung zielt eine Bemerkung von Mario Vargas Llosa, von der
die FAZ am 30. August 2011 unter dem Titel Ungläubig glauben. Mario Vargas Llosa hält
die Kirche für unentbehrlich berichtete (S. 31): »Was soll das also noch in den Augen eines
säkular gestimmten Intellektuellen? Was hat ein greiser Papst noch beizutragen, und was
leistet eine Kirche, die offenbar in einem unumkehrbaren Schrumpfungsprozess steckt?
Sie errichte ein moralisches Gerüst, sagt Vargas Llosa, selbst für jene, die ihrer Lehre nicht
folgen. Sie liefere einen ethischen Maßstab in Zeiten, da Gier, akklamierter Egoismus und
Korruption die öffentliche Sphäre beherrschten.«
5
Vgl. Gervais u. a. 2017, S. 1. – In den Anmerkungen wird auf weitere ähnlich gela-
gerte Studien von Gervais verwiesen, die hier nicht weiter erörtert werden müssen.
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Problemaufriss, Fragestellung, Vorklärungen 5

auf Lateinisch hieß, allein während der Neuzeit von der Reformation bis zur
deutschen Volksaufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts durchgehend belegt
werden. Sie ist jedoch – selbst bei Autoren wie Jean Bodin oder Thomas Hob-
bes – nicht zu trennen von der Schreckfantasie des Gottesleugners, der alle
gesellschaftlichen Bindungen und Verpflichtungen aufkündigt und so die Ge-
sellschaft von innen heraus zum Einsturz bringt. Im Laufe der Jahrhunderte
wurde er mit wechselnden Feindbegriffen bezeichnet: ›Epikurer‹ oder ›Liber-
tiner‹ in der Reformationszeit, ›Atheist‹ (mit der besonderen Spielart des prak-
tischen Atheismus)6 im 17. und Esprit fort, ›starker Geist‹ oder ›Freigeist‹ (auch
›Freidenker‹), im 18. Jahrhundert. Im 17. Jahrhundert erhielt diese Ansicht
mächtige Unterstützung durch das vermeintlich säkulare Naturrecht und die
Politiklehren für den frühmodernen Verwaltungsstaat (›Policeywissenschaft‹).
Hierher gehört auch noch die Äußerung Christian Wolffs, auf die oben ange-
spielt wurde, dass Atheisten im Interesse des Gemeinwesens nicht geduldet
werden sollten.7 Gegen die Behauptung, dass Atheisten nicht tugendhaft sein
könnten, hatte 1682 zwar schon Pierre Bayle opponiert und damit in der deut-
schen Frühaufklärung auch vereinzelt Zustimmung gefunden.8 Der jesuitische
Kardinal Roberto Bellarmino hatte das bereits 1611 eingeräumt, ebenso (etwa
zeitgleich mit Bayle) Philipp Jakob Spener.9 Mit Beginn der Hochaufklärung
jedoch und ihrem in die Breite tendierenden Wirkungsanspruch geriet diese
Sichtweise, zumindest in Deutschland und England, wieder in Verruf, um so
mehr, als in Deutschland und England die protestantische Theologie als ›ver-
nünftige Orthodoxie‹ an der Spitze der Bewegung mitmarschierte.10
Schon dieser flüchtige Überblick legt nahe, dass es Zeit wird, sich von einem
weiteren lieb gewonnenen Vorurteil zu verabschieden. Keineswegs ist die »Be-
kämpfung des Atheismus« (H. Leube) ausschließlich Sache der sogenannten
Orthodoxie gewesen.11 Und selbst wo sie es war, ist sie nicht ausreichend damit
6
Ausführlich dazu in Kap. I.5.
7
Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken vom gesellschafftlichen Leben der Men-
schen, Halle 1721, §§ 368 f. – In seinem Ius naturae hat Wolff, inzwischen ja selbst als
Atheist attackiert und 1740 von Friedrich II. rehabilitiert, diese Überlegungen keineswegs
zurückgenommen, sondern weiter ausgebaut. Vgl. Ders.: Ius naturae methodo scientifi-
ca pertractatum, pars octava sive ultima, Halle 1748, §§ 471–475. – Ausführlich dazu in
Kap. IV.5.
8
Zu Bayle s. weiter unten, Kap. IV.2. u. IV.3.
9
Belege in Kap. I.1.4. u. II.4.4.
10
Zu diesem wichtigen Teilergebnis dieser Untersuchung s. vor allem die Kap. V.6.3,
VI.1–VI.2 u. VII.2.
11
Hier liegt auch die perspektivische Verzerrung (zumindest im Titel) der ansonsten
durchweg hervorragenden Studie von Hans-Martin Barth zur antiatheistischen Apolo-
getik des 17. Jahrhunderts (Barth 1971). Mehr dazu im Forschungsbericht. – Der Begriff
›Orthodoxie‹ selbst ist ebenso unpräzise und irreführend wie – leider – weiterhin uner-
setzlich. Er ist darin vollständig vergleichbar dem Begriff der Aufklärung, um so mehr,
als beide oft zur gegenseitigen Erklärung herhalten müssen. Hilfreich sind daher Wort-
bildungen wie »Reformorthodoxie« (H. Leube) oder bewusst paradoxe Formulierungen
wie »heterodoxe Orthodoxien« ( J. Baur), um die simple Vorstellung eines dogmatischen
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6 Einleitung

erklärt, dass sich dort die Kirche aus einer sozusagen apriorischen Verpflich-
tung heraus gegen ihre radikalsten Gegner wendet. Das ist zwar oft genug der
Fall und wohl auch kaum anders zu erwarten. Die vielfach zu beobachtende
Fixierung auf diese Sichtweise, die von der Forschungsliteratur über Konfe-
renzdiskussionen und Feuilleton bis in persönliche Gespräche hineinreicht,
verstellt aber den Blick auf die historische Signifikanz dieser Abwehrhaltung.
Die dahinter aufscheinenden komplexen Wirkungszusammenhänge haben
uns viel zu sagen über die Fragilität ebenso wie über die Langlebigkeit ge-
sellschaftlicher Normvorstellungen und über den fortlaufenden Prozess ihrer
kommunikativen Aushandlung. Dazu gehört eben auch der selbstverständli-
che Gebrauch von Feindbildern, ihre geradezu rituelle Beschwörung, die sich
dem Betrachter in einem stark konventionalisierten, über Jahrhunderte hin-
weg weitgehend kohärenten, dabei aber je situativ auch variabel einsetzbaren
Inventar von Begriffen, Attributen und Motiven zeigt. In die Reihe der früh-
neuzeitlichen Feindvorstellungen gehört – neben anderen wie dem Aberglau-
ben, der ›Schwärmerei‹, den Juden, Türken und Hexen – auch die Figur des
Ungläubigen oder Gottlosen.12

homogenen Meinungsblocks, einer geschlossenen und unerbittlich rückständigen ideolo-


gischen Front der Amtskirche hinter sich zu lassen (vgl. Leube 1924 u. Baur 2010). Letz-
tere gehört ihren Ursprüngen nach ins 19. Jahrhundert, in die Restaurationszeit und Kul-
turkampfära. Wenn im Folgenden dennoch immer wieder von Orthodoxie die Rede ist,
insbesondere bei der leitenden Perspektive der ›nichtorthodoxen‹ Unglaubenskritik (s. u.,
§ 3), so ist damit bewusst auf den pauschalen Gebrauch in der Öffentlichkeit wie in weiten
Teilen der historischen Forschung außerhalb der Kirchengeschichte angespielt. Ihn nicht
zuletzt gilt es zu konterkarieren, wie auch den Begriff der Aufklärung selbst.
12
Politologische, soziologische und psychologische Literatur zu Feindbildern wird
hier kaum herangezogen werden. Über die Funktion und Struktur von Feindbildern gibt
es weniger Allgemeines und Theoretisches zu sagen, als man denken könnte; es kommt auf
die Fallbeispiele in ihren jeweiligen Kontexten an; vgl. den Problemaufriss von Schrage 2012
mit einer für den fachfremden Historiker nützlichen interdisziplinären Literaturübersicht;
zum (schwer übersetzbaren) Konzept des ›othering‹ vgl. knapp Ashcroft/Griffiths/Tiffin
3
2013, S. 180–190; zum Angstdiskurs am Leitfaden der ›Ketzergefahr‹ vom Mittelalter bis ins
18. Jahrhundert vgl. die bekannte Untersuchung von Delumeau 1978; nach längeren Darle-
gungen über Teufelsangst und Hexenverfolgung folgen im letzten Kapitel instruktive Aus-
führungen zum Komplex »Ketzerei und moralische Ordnung« (S. 572–607); zur Entstehung
und Funktionalisierung des Ketzerbegriffs vgl. ferner Patschovsky 1999, Fürst u. a. 2012 und
besonders Steckel 2012, die dem Einsatz des Ketzerbegriffs in religiösen Debatten des Hoch-
mittelalters nachgeht; vgl. auch Goetz 2013 für das frühe Mittelalter. Die strukturellen Ähn-
lichkeiten mit dem Unglaubensdiskurs sind unübersehbar. – Zu Feindbildern in der frühen
Neuzeit vgl. allgemein Bosbach 1992, dort bes. Braungart 1992 u. Harms 1992; wichtige
Ergänzungen in monografischer Ausführlichkeit bei Bremer 2005 und Paintner 2011; ferner
exemplarisch, für die Beschwörung der ›Türkengefahr‹ in der frühen Neuzeit, die Studien in
Guthmüller/Kühlmann 2000, dort bes. Neuber 2000 mit Hinweisen zur Konstruktion des
›fremden‹ Osmanen in deutschen »Turcica« der Renaissance; Kampfbegriffe der Aufklärung
untersucht (unter dem methodischen Begriff ›Kampfideen‹) Norbert Hinske in seinem be-
kannten Aufsatz zu den »Grundideen der deutschen Aufklärung« (Hinske 1990); speziell
zur ›Kampfidee‹ des Aberglaubens oder des Abergläubischen vgl. die glänzende Untersu-
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Problemaufriss, Fragestellung, Vorklärungen 7

1.2 Zielsetzung, Reichweite und Schwerpunkte der Darstellung

Die vorliegende Untersuchung ist dem Ziel gewidmet, die Geschichte dieses
Feindbilds in der frühen Neuzeit unter bestimmten, noch zu erörternden Leit-
perspektiven nachzuzeichnen, mit zahlreichen Belegen zu dokumentieren und
durch intensive Quellenanalysen immer wieder punktuell zu vertiefen. Nicht
Vollständigkeit ist angestrebt, sondern eine Aufarbeitung des Typischen, des
Wiederkehrenden, aber auch der kleineren und größeren Modifikationen im
Lauf der Jahrzehnte. Dazu werden die zentralen Begriffe und Argumentati-
onskomplexe erarbeitet, an ihrem jeweiligen geschichtlichen Ort aufgesucht
und kontextualisiert. Denn was mit Unglaube jeweils gemeint war und welche
Funktion dessen Abwehr erfüllte, konnte von Fall zu Fall variieren. Die Quel-
lenauswahl und -analyse folgt dabei einer spezifischen Erkenntnisabsicht, die
gezielt gegen das oben umrissene Vorurteil gerichtet ist: Nicht eine Geschichte
der neuzeitlichen Apologetik (der Verteidigung der christlichen Religion gegen
ihre Gegner) soll hier geboten werden, sondern die Wahrnehmungsgeschichte
des Unglaubens aus der Sicht von Gegnern, die mehrheitlich nicht dem ortho-
doxen Lager zuzurechnen sind. Zur zentralen heuristischen Klammer einer
›nichtorthodoxen‹ Unglaubenskritik wird gleich noch mehr zu sagen sein.
Mit dieser methodischen Vorentscheidung hängt auch die chronologische
und zunehmend geografische Disposition des vorgestellten Materials zusam-
men: Fluchtpunkt der Darstellung bleibt vor allem die deutsche Aufklärung.
Das hat zuallererst projektgeschichtliche Gründe, denn die Anfänge dieses
Unternehmens liegen in einem Forschungsprojekt zur Figur des ›Freigeists‹
im deutschen 18. Jahrhundert.13 Von da aus haben sich mit der Zeit so vie-
le Verbindungslinien in das 17. und schließlich auch das 16. Jahrhundert ge-
zeigt, dass daraus nun die Geschichte eines höchst wirkungsmächtigen To-
pos oder »Argumentationssystems« ( J. Dyck)14 von der Reformation bis zur
Aufklärung geworden ist. Dabei hatte besonders das erste Kapitel zunächst
die Funktion einer exkursartigen Vorgeschichte, um den eigenwilligen Ge-
brauch des Atheismusbegriffs in der deutschen Gelehrtenwelt seit 1650 ver-
ständlich zu machen. Ähnlich entwickelte sich das vierte Kapitel aus einem
längeren Vorspann zur deutschen Frühaufklärung. Mit der Zeit ergab sich ein
zusammenhängendes Gebilde, das nun als umfangreiche Vorgeschichte zur
Freigeistdebatte des 18. Jahrhunderts dasteht. Was leicht wie eine teleologi-
sche Konstruktion wirken kann, ist folglich gedacht und zu lesen als eine weit
ausholende ideen-, diskurs- und wissensgeschichtliche Rekonstruktion. Ohne

chung von Pott 1992. – Literatur zu den hier untersuchten Feindbildern wie Epikureer, Li-
bertin, Atheist und Freigeist wird gleich im Forschungsbericht genannt.
13
Die höchst komfortablen Arbeitsbedingungen, die ein Dilthey-Fellowship der
Volkswagenstiftung über viele Jahre bereitstellte, können hier nur angedeutet werden.
14
Der Ausdruck nach der toposgeschichtlichen Untersuchung von Joachim Dyck
(1966, S. 113–116).
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8 Einleitung

sie bliebe die Hartnäckigkeit, mit der die Mehrzahl der deutschen Aufklärer
am Feindbild des Freigeists samt seinen moralisch-politischen Implikationen
festhielt, unverständlich.
Diese retrospektive Modellierung brachte einige heuristische Vorentschei-
dungen mit sich, die noch kurz zu erörtern sind. So wurden die behandelten
Autoren des 16. und vor allem 17. Jahrhunderts oftmals danach ausgewählt, ob
sie in der deutschen Diskussion viel zitiert wurden. Das ist beispielsweise bei
François Garasse trotz seiner zentralen Stellung in der Geschichte des franzö-
sischen Antilibertinismus nicht der Fall, auch nicht bei den britischen Platonis-
ten Henry More und Ralph Cudworth, nicht einmal bei Shaftesbury;15 dafür
aber bei Autoren wie Marin Mersenne oder Gisbert Voetius, die in der Athe-
ismusforschung typischerweise meist nur am Rande vorkommen.16 Auf diese
Weise ergibt sich eine perspektivisch konzipierte Wirkungs- und Diskursge-
schichte, die neben thematischer und motivischer Kohärenz durch zahlreiche
Verweise auch intertextuell verklammert ist.17 Dieser Kompromiss zwischen
deutscher und europäischer Dimension, insbesondere in der Zeit nach 1700,
ist angreifbar, soweit nach einer konsequent europäischen Perspektive gefragt
wird. Wer aber die Äußerungen deutscher Gelehrter und Dichter über den
Unglauben in ihrer ganzen Reichweite verstehen will, wird auf den hier zu die-
sem Zweck rekonstruierten europäischen Diskussionshorizont nicht verzich-
ten können. Die Rezeptionslinien müssten anders gezogen werden, wenn sie
ihren Ausgang von der englischen oder französischen Aufklärung her nehmen

15
Shaftesbury hatte zwar schon 1699 in seiner Inquiry concerning Virtue and Merit
(wieder gedruckt 1714 im zweiten Band der Characteristicks) eine Kritik des Religion-
Moral-Arguments vorgelegt, die derjenigen Bayles ( IV.2) an Kühnheit und Scharfsinn in
nichts nachstand. In der deutschen Unglaubens-Diskussion spielte er jedoch vor 1750 kei-
ne nennenswerte Rolle, vermutlich deswegen, weil die deutschen Gelehrten der Zeit nur
in den seltensten Fällen die englische Sprache beherrschten. Erst Johann Joachim Spalding
machte Shaftesbury in der deutschen Öffentlichkeit weiter bekannt. Gotthold Ephraim
Lessings Urteil aus dem zwölften Literaturbrief (1759), Shaftesbury sei »der gefährlichste
Feind der Religion, weil er der feinste ist«, ist folglich nicht auf Shaftesburys tatsächliche
Wirkung zu seinen Lebzeiten zu beziehen. Lessing, Werke und Briefe (Klassikerausgabe),
Bd. 4: Werke 1758–1759, hg. v. Gunter E. Grimm, Frankfurt am Main 1997, S. 482. Zur
deutschen Shaftesburyrezeption vgl. grundlegend Dehrmann 2006.
16
Eine Ausnahme bietet die höchst kenntnisreiche Monografie von Barth 1971
(dazu gleich mehr). Zu Garasse vgl. Popkin 32003, S. 100–103; Schneider 1970, S. 176–184;
daran anknüpfend Donville 1989; Kors 1990, S. 29 f. – Bibliografische Hinweise zu More
und Cudworth im Kapitel zu Richard Bentley (IV.4.1), Anm. 5. Die Rezeption der antia-
theistischen Schriften Mores und Cudworths wurde wie bei Shaftesbury lange dadurch
erschwert, dass sie auf Englisch verfasst waren. Eine lateinische Übersetzung legte be-
kanntlich erst 1733 Johann Lorenz von Mosheim vor und ebnete damit der Rezeption in
Deutschland den Weg.
17
Diese intertextuelle Dimension wird hier als ein Bestimmungsmerkmal von Dis-
kursivität aufgefasst. Vgl. Busse/Teubert 1994, S. 14 f. Zu dem so verstandenen Diskursbe-
griff siehe die Ausführungen im Methodenteil.
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Problemaufriss, Fragestellung, Vorklärungen 9

würden.18 Gleichwohl: Dass die hier erarbeitete Feindfigur des Gottlosen mit-
samt der um sie herum gruppierten Assoziationen und Konnotationen in allen
westeuropäischen Ländern auf sehr ähnliche Weise gezeichnet und bekämpft
wurde, kann niemand ernsthaft bestreiten, der sich mit der Materie befasst hat.
Chronologisch liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf der zweiten
Hälfte des 17. und dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. In diesem Zeit-
raum wird das »Problem des Unglaubens«, um eine hilfreiche Formulierung
Lucien Febvres aufzugreifen,19 überwiegend unter dem Begriff des Athe-
ismus abgehandelt. Dadurch wird die Quellensuche während dieser Phase
erheblich erleichtert. Der Bedeutungsumfang von ›Atheismus‹ verengt sich –
nach intensiver Begriffsreflexion, aber auch infolge der Umstellung gelehrter
Kommunikation auf die Nationalsprachen – erst ab etwa 1720 auf den bis
heute üblichen Vorstellungsgehalt.20 In Deutschland übernimmt der Frei-
geistbegriff die Funktion, die zuvor der bis dahin sehr weit gefasste Athe-
ismusbegriff erfüllt hatte. Dieses vorerst letzte Kapitel in der Diskurs- oder
Feindbildgeschichte des Unglaubens wird noch zu schreiben sein.21 Es wird
aber im letzten Kapitel dieser Studie der Übergang von der Atheismus- zur
Freigeistdebatte zwischen 1700 und 1750 so weit erarbeitet werden, dass die
Einheit und Kontinuität des Unglaubensdiskurses von der Reformation bis
zur Hochaufklärung hier erstmals geschlossen vor Augen steht.

1.3 Atheismus und Heterodoxie


Zum Problem der ›Verdächtigungshermeneutik‹

Wie dieser Problemaufriss schon gezeigt haben dürfte, liegt der methodi-
sche Akzent der vorliegenden Untersuchung primär auf einer wahrneh-

18
Welche Folgeprobleme sich ergeben, wenn man sich auf eine bloß nationale
Perspektive beschränkt, zeigt sich in Kenneth Sheppards monografischer Aufarbeitung
des britischen Antiatheismus ab etwa 1600 (vgl. Sheppard 2015). Dagegen hat sich Alan
Charles Kors in seinem vielbeachteten Buch Atheism in France (Kors 1990) und den bei-
den Nachfolgebänden (Kors 2016a u. 2016b) ähnlich wie hier für gezielte Ausgriffe in
die europäische Diskussion entschieden und damit ein weit überzeugenderes Gesamtbild
erzielt. Dazu gleich noch mehr im Forschungsbericht.
19
Vgl. Febvre 1947. Schon die Titelformulierung von Febvres berühmter Studie –
»Le problème de l’incroyance au XVIe siècle« – ist Programm insofern, als sich Febvre
damit der damals wie heute verbreiteten Neigung entzieht, für das 16. Jahrhundert von
Atheismus zu sprechen, obwohl es weder einen nachweisbaren Atheismus im engeren
Sinn gab, noch der Atheismusbegriff selbst viel verwendet wurde. Vgl. die entsprechende
Würdigung im Forschungsüberblick von Schröder 1998, S. 21 f.
20
Vgl. dazu die Kap. IV.1.2 u. VI.5.
21
Erste Ausgriffe unternehmen – neben der Arbeit von Liepe 1930 und der im For-
schungsbericht genannten Literatur zum 18. Jahrhundert – einige Aufsätze, in denen ich
den Kampf gegen die ›Freigeister‹ an diversen Beispielen untersucht habe: Vgl. Spieker-
mann 2012a, 2012d, 2015, 2016 u. 2019a.
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10 Einleitung

mungs- und diskursgeschichtlichen Perspektive.22 Dass Atheismus und


die Rede über Atheismus zwei sehr verschiedene Dinge sind, haben Au-
toren wie Christian Wolff schmerzhaft erfahren, wenn sie vor der Ankla-
ge auf Atheismus fliehen mussten, ohne wirklich atheistische Ansichten
zu vertreten ( V.4). Die geschichtliche Erforschung von Atheismus und
Heterodoxie sieht sich damit vor ein höchst zählebiges Problem gestellt,
über das bis heute gestritten wird. Kann man von Atheismus sprechen, nur
weil jemand als Atheist bezeichnet wird? Oder nur da, wo nachweislich
Spuren eines »beweistheoretisch reflektierten Atheismus« (W. Schröder)
vorliegen?23 In dem Maße, wie Atheismus und Freidenkertum vom Schand-
mal früherer Jahrhunderte zum Ehrenzeichen des Intellektuellen wurden,
also spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts,24 die Suche nach Athe-
isten in der europäischen Geistesgeschichte folglich zu einer Art subversi-
ver Hagiografie geriet,25 trat diese wichtige Unterscheidung in den Hinter-
grund.26 Erschwerend kam hinzu, dass die Anamnese des mittelalterlichen
oder frühneuzeitlichen Unglaubens aufgrund fehlender Primärquellen lan-
ge auf die Schriften und Urteilsbegründungen seiner Gegner angewiesen
blieb. Die Erforschung heterodoxer, subversiver oder ›radikaler‹ Milieus
und Meinungen schreibt so, teils bis heute, die Verdächtigungslogik der

22
Zum Diskursbegriff s. das nächste Kapitel. – Der Ausdruck »Verdächtigungsher-
meneutik« in der Überschrift des Kapitels ist übernommen von Schröder 1998, S. 24.
23
Schröder 1998, S. 19, formuliert dies einmal, gegen die weitere Begriffsverwen-
dung in großen Teilen der Forschung, als Minimalbedingung für sein philosophisch präzi-
ses Atheismusverständnis. – Vgl. auch Schröders Nachwort zur Neuausgabe seines Athe-
ismusbuchs (Schröder 22012, S. 621–645, bes. S. 621 f.), wo er sich mit der Kritik an seiner
strikten Fassung des Atheismusbegriffs auseinandersetzt.
24
Erinnert sei hier nur en passant an die Freidenkerverbände, die sich ab etwa 1850
aus den Anhängern des sogenannten Vulgärmaterialismus rekrutierten; vgl., für unsere
Zwecke genügend, Kaiser 1981, S. 81–85.
25
Vgl. dazu generell, mit vielen Beispielen, Schröder 1998, S. 21–27, hier nur ein klei-
ner Ausschnitt: »Von der neueren Historiographie des Atheismus wird dieses Verfahren
nicht selten mit eben dem Ziel eingesetzt, dem modernen Atheismus eine stattliche Ah-
nenreihe zu verschaffen und die Wurzeln der säkularistisch-aufklärerischen Positionen der
Gegenwart bis weit in die Vergangenheit hinein zu verlängern.«
26
Diese Wende ermöglichte überhaupt erst eine monumentale Darstellung wie Fritz
Mauthners Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande in vier Bänden (Stuttgart/
Berlin 1920–1923, Aschaffenburg 22011). Was Mauthner an Quellen zusammengetragen
und, mit zahlreichen klugen Einzelbeobachtungen, unter einen einheitlichen Gesichts-
punkt gebracht hat, verdient noch immer Bewunderung, obgleich er die Feindbildlogik
der Apologeten just übernimmt und nur deren Wertungen verkehrt. – Ähnliches gilt,
mit anderen Vorzeichen, für Hermann Leys Geschichte der Aufklärung und des Atheis-
mus (5 Bde., Berlin 1966–1989), die als identifikatorische Folie und ideologische Selbst-
vergewisserung des sozialistischen Materialismus gedacht ist (vgl. Schröder 1998, S. 25,
Anm. 1). Über die marxistische Historiografie des Atheismus urteilt ganz ähnlich einmal
Panaiotis Kondylis (21986, S. 362), dass die Marxisten in ihrer Überschätzung des atheis-
tischen Einflusses innerhalb der Aufklärung der Meinung »der konservativen Theologen
des 18. Jahrhunderts« folgen würden.
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Problemaufriss, Fragestellung, Vorklärungen 11

frühneuzeitlichen Apologetik fort.27 Derartige Heuristiken hat Winfried


Schröder in seiner Habilitationsschrift Ursprünge des Atheismus (1998) mit
Entschiedenheit zurückgewiesen und stattdessen für einen strikt definier-
ten Begriff von Atheismus plädiert. Berichte über den Atheismus der An-
tike und des Mittelalters lässt Schröder (im Einklang mit älteren Forschun-
gen von Paul Oskar Kristeller u. a.)28 nicht gelten.29 Da Schröder auf der
Grundlage handschriftlicher Quellen (Clandestina) nun die Geschichte des
Atheismus im engeren Sinn der negatio Dei rekonstruieren konnte, begin-
nend in der Mitte des 17. Jahrhunderts nämlich, lässt sich in seinem Buch
auch für den fachfremden Historiker die Unterscheidung zwischen ›ech-
ten‹ Atheisten, bloßer Denunziation und dem publizistischen Konstrukt
›des‹ Atheismus, als abstrakter Feindidee und strukturellem Gegenpol der
christlichen Religion,30 einwandfrei nachvollziehen. Derweil lebt die ha-
giografische Perspektive oftmals weiter in den überaus zahl- und ertrag-
reichen Arbeiten zum Radical Thought oder Clandestine Underground,
für den Zeitraum ab etwa 1670 auch Radical Enlightenment genannt.31 Wer
27
In diesem Sinne bereits Hans Leube über Mauthners Atheismusbuch (Leube
1924a, S. 75): »Mauthner gibt für seine Fassung des Begriffs ›Atheismus‹ keine Quellen an,
obwohl er schon Vorgänger hat. Denn mit diesem weiten Begriff des Atheismus haben be-
reits die deutschen Theologen gearbeitet, die in der zweiten Hälfte des 17. und in den ers-
ten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts die ersten geschichtlichen Darstellungen des Atheis-
mus geliefert haben.« – Der gleiche Vorbehalt gilt auch noch für die Histoire de l’athéisme
(Paris 1998) des französischen Mentalitätshistorikers George Minois. Als Atheismus wird
dort gewertet, was als solcher zu irgendeiner Zeit attackiert wurde. Vgl. dazu bereits die
Rezension von Miguel Benitez (Benitez 1999, S. 638): »Ce livre n’est pas exactement une
histoire de athéisme, mais plutôt de l’incroyance, comme le sous-titre l’indique.« – In der
Tat lautet der Untertitel von Minois’ Buch etwas präziser: Les incroyants dans le mon-
de occidental des origines à nos jours. – Übervorsichtig hat sich dann umgekehrt Michael
J. Buckley mit seiner Darstellung At the Origins of Modern Atheism verhalten (Buckley
1987), der den ›echten‹ Atheismus sensu stricto erst mit Diderot und Holbach beginnen
lässt; vgl. dazu Schröder 1998, S. 17 f., sowie Schröder 22012, S. 624, Anm. 4 (zu Buckley),
und 629 (über Minois als »Extremfall, was terminologische Unbekümmertheit angeht«).
28
Vgl. Kristeller 1953, der sich, etwa am Beispiel Pomponazzis, gegen die heuris-
tische Kategorie eines »secret atheism« wendet (vgl. ebd., S. 238); nicht nur ersetze sie
keinen philologischen Nachweis, sie reproduziere überdies die Perspektive der klerikalen
Anklageschriften. Kristeller unterscheidet daher zwischen Atheismus und dem »charge of
atheism« (vgl. ebd., S. 237 u. 238).
29
Vgl. Schröder 1998, S. 45–57 (Antike) sowie S. 57 f. (Mittelalter); ergänzend Schrö-
der 22012, S. 631 f.
30
Nicht zufällig entstehen beide Konzepte in enger Wechselwirkung, wie noch zu
zeigen sein wird ( I.2).
31
Vgl. neben der wichtigen Arbeit von Winfried Schröder (1998) und dessen Zu-
sammenfassung im Neuen Ueberweg 17/4, 2001, S. 881–889, besonders die außerordent-
lich materialreichen Bücher von Jonathan Israel (2001 u. 2006), in denen die Erträge von
jahrzehntelanger Forschung syntheseartig verarbeitet sind; innovativer, da stets neue Ma-
terialien erschließend, zudem für den deutschen Kulturraum einschlägig die Forschungen
von Martin Mulsow (vgl. bes. Mulsow 2002, 22018, 2007 u. 2012); zur Diskussion über
das Konzept der ›radikalen Aufklärung‹ vgl. den von beiden gemeinsam herausgegebenen
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12 Einleitung

als Atheist, Libertin oder Freidenker angegriffen wurde, kann sich der
Sympathie einer Ideengeschichtsschreibung sicher sein, die sich – zumeist
aus den philosophischen Fakultäten heraus betrieben – wohl selbst gern
in die Nachfolge des Radical Enlightenment gestellt sehen möchte.32 Die
Tendenz zur Mantel-und-Degen-Romantik, die in vielen dieser Studien
vorherrscht,33 schmälert aber in keiner Weise die enormen Leistungen, die
hier seit den Pionierarbeiten von Ira O. Wade, Robert Darnton, Margaret
C. Jacob, Gianni Paganini, Martin Mulsow, Jonathan Israel und anderen
erbracht worden sind.34 Nur wird dort aufgrund anders gelagerter Er-
kenntnisinteressen nicht immer präzise zwischen ›manifestem‹ Atheismus
und »Heterodoxien unterhalb der Schwelle des Atheismus« (W. Schröder),
also etwa Deismus oder Skeptizismus, unterschieden.
Umgekehrt bringt die scharfe Definition des Atheismusbegriffs Probleme
mit sich, sobald sie an die Schriften der historischen Atheismusgegner angelegt
wird. Dass eben diese milderen Heterodoxien in den apologetischen Trakta-
ten seit dem 16. Jahrhundert bis zum Beginn der Frühaufklärung mit großer
Übereinstimmung einem weiten Atheismusbegriff zugeschlagen wurden, ist
zwar in der Forschung bestens bekannt, wird aber meist als eher klägliche
Leistung einer »Verdächtigungshermeneutik« (W. Schröder) gewertet, die in
ihrer inquisitorischen Überführungspraxis das Pendant zur sprichwörtlich ge-
wordenen Ketzermacherei darstellt. Offenbar fällt es schwer, in dieser Feind-
bildoptik, auch da, wo sie vom ›realen‹ Atheismus unterschieden wird, mehr
als nur einen verbiesterten Orthodoxismus zu sehen.35 Dass diese Variation

Konferenzband Israel/Mulsow 2014, ferner die Beiträge in Grunert 2014 und Ducheyne
2017.
32
In diesem Sinn ist wohl auch die teilweise sehr heftige Kritik an Winfried Schrö-
ders Atheismusbuch zu deuten, die ihm vorwirft, den als Atheisten Verfolgten und Ver-
femten der frühen Neuzeit einmal mehr das Andenken zu verweigern, das ihnen zustün-
de. Vgl. Schröder 22012, S. 622 (mit Anm. 2) u. 623. – Einem hervorragenden Kenner wie
Schröder »Absurdität« im Umgang mit seinen Quellen vorzuwerfen, wie es ein Kritiker
getan hat (vgl. Schröder 22012, S. 623), ohne die enormen Vorzüge seiner terminologischen
Rigidität, ja überhaupt die Schwierigkeit der Fragestellung anzuerkennen, macht exemp-
larisch deutlich, welche emotionale Temperatur die Diskussion bisweilen erreichen kann.
33
So etwa schon Kristeller 1953 (S. 234 f.) über Henri Bussons Buch Les sources et le
développement du rationalisme dans la littérature française de la Renaissance (Paris 1922):
»Yet he is convinced that […] the numerous French scholars who studied at Padua in the
sixteenth century formed a kind of secret society that spread in France the seeds of an in-
tellectual poison that were to bear fruit in the seventeenth century.« – Die Anwendung auf
die heutige Radikalismusforschung fällt nicht schwer, ohne dass diese dadurch der Sache
nach entwertet würde. Wenn vielmehr die abenteuerhafte Einkleidung dafür sorgt, dass
die sehr umfangreichen und gelehrten Bücher von Jonathan Israel auf Interesse außerhalb
engerer Fachkreise stoßen, dann wäre damit viel gewonnen.
34
Auf einen Forschungsbericht zu diesem Bereich muss hier aus naheliegenden
Gründen verzichtet werden. Vgl. immerhin die in Anm. 46 genannte Literatur.
35
So kann es geschehen, dass selbst ein bedeutender Gelehrter wie Don Cameron
Allen in seinem einschlägigen Buch Doubt’s boundless sea (1964) den wohl einflussreichs-
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Problemaufriss, Fragestellung, Vorklärungen 13

des bekannteren »pruritus haeretificandi« in ihrer Verdächtigungslogik ebenso


ernst genommen werden sollte wie in ihrer historischen Aussagekraft, dass sie
also selbst einer Interpretation bedarf, hat, in Auseinandersetzung mit Schrö-
ders Atheismusbuch, nachdrücklich Herbert Jaumann postuliert.36 So sinnvoll
und befreiend daher Schröders begrifflich-definitorische Flurbereinigung ge-
wesen sein mag, um endlich eine verlässliche Real- und Buchgeschichte des
Atheismus vorzulegen, so wenig darf sie dazu verführen, den breiten Strom
der antiatheistischen Literatur mit einem Federstrich als sachlich unrichtig
abzuschreiben.37 Gleichwohl hat Schröder durch die Entschiedenheit, mit der
er den Atheismus selbst vom Konstrukt des Atheismus oder des stereotypen
Atheisten in der apologetischen und polemischen Literatur trennt, einen ver-
lässlichen Anknüpfungspunkt für die Aufarbeitung des Unglaubensdiskurses
geschaffen. Von diesem Konstrukt und Stereotyp soll in der vorliegenden Stu-
die die Rede sein. Dazu noch einige Hinweise.

ten Autor antiatheistischer Schriften im 17. Jahrhundert, Gisbert Voetius ( I.5), mit dem
zweifelhaften Ehrentitel »Clausewitz of orthodoxy« bedenken kann (Allen 1964, S. 11). –
Völlig zutreffend dagegen die Äußerung im Zusammenhang (ebd.): »If this Clausewitz
of orthodoxy had not printed his course of lectures, many an atheist hunter before the
Lord would have had little to say.« – Auch sonst ist Allens äußerst kenntnisreiches und
doch sehr zugänglich geschriebenes Buch neben Schröder, Barth und Schneider unter die
wichtigsten Vorarbeiten der vorliegenden Untersuchung zu rechnen. Siehe auch den For-
schungsbericht weiter unten.
36
Vgl. Jaumann 2002, aber auch die Replik von Schröder 2002 (kurz dazu auch
Schröder 22012, S. 625). – Dieser hochkarätigen Forschungsdiskussion verdankt die vor-
liegende Studie wichtige Anregungen, um so mehr, als darin deutlich wird, dass beide Per-
spektiven gut nebeneinander stehen können und auch sollten.
37
Nicht ganz überzeugen kann daher auch – gerade angesichts des ansonsten so
glänzenden Niveaus – Schröders Auseinandersetzung mit der maßgeblichen Studie zur
antiatheistischen Apologetik von Hans-Martin Barth (Barth 1971). Dazu Schröder 1998,
S. 17, Anm. 6: »Diese überaus materialreiche Untersuchung vermittelt ein im Grunde ku-
rioses Bild ihres Gegenstandes: das Bild eines Schattenkampfes, den die christliche Ortho-
doxie mit dem real gar nicht existierenden Atheismus führte. Barth ist dies nicht anzulas-
ten, denn die in seiner Untersuchung nahezu völlig übergangenen ersten Dokumente des
Atheismus waren auch den theologischen Apologeten dieser Epoche ganz unbekannt.« –
In Wirklichkeit weiß auch Schröder sehr gut, wie an vielen Stellen und in anderen seiner
Publikationen deutlich wird, dass die Schriften gegen den Atheismus vor dem ›echten‹
Atheismus, aber auch noch bis 1700 und darüber hinaus, alle möglichen Absichten haben
außer der Warnung vor einem (nach heutigen Maßstäben) veritablen Atheismus. Er selbst
stellt sie, nicht zu Unrecht, in eine Fluchtlinie mit dem inflationierten Atheismusbegriff
der älteren Forschung à la Mauthner (vgl. bes. Schröder 1998, S. 25 f. u. 64–77, außerdem
das Sachregister s. v. ›Atheismus‹, mit zahlreichen Unterkategorien).
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14 Einleitung

1.4 Worte, Sachen und Absichten im Unglaubensdiskurs


Konsequenzen für den Gang der Darstellung

Im deutschen 18. Jahrhundert, hieß es eben, diente der Ausdruck ›Freigeist‹ als
Bezeichnung für den stereotypen Ungläubigen. Am früheren Ende der hier ver-
folgten Entwicklung, in der Reformationszeit, liegt eine andere Schwierigkeit
vor. Zu dieser Zeit ist der Atheismusbegriff noch ungebräuchlich. Sucht man
daher nach Äußerungen der Reformatoren im Sinnbezirk des Unglaubens,38
muss man entweder nach einer Entsprechung im polemischen Lexeminven-
tar der Zeit Ausschau halten – etwa nach dem Kampfbegriff des ›Epikurers‹
(noch nicht ›Epikuräers‹) bei Luther – oder einen heuristischen Umweg neh-
men. Dieser führt über diejenige Textsorte, in der auch schon 1520 zuverlässig
über den Atheismus avant la lettre, die negatio Dei, gehandelt wurde: über die
Kommentarliteratur zum 14. Psalm, zu der Bibelstelle also, in der die Formel
»Es ist kein Gott« (»Non est Deus«) ausdrücklich vorkommt ( I.1). Erst von
da aus wird dann die lexikalische Etablierung des Ausdrucks ›Atheismus‹ ab
etwa 1580 an einigen Beispielen nachgezeichnet werden ( I.2).
Wie überhaupt in dieser Untersuchung wird dabei eine Gegenposition zu
dem bezogen, was man (in Anlehnung an den alten marxistischen Terminus)
die Widerspiegelungstheorie der Atheismusforschung nennen könnte. Statt,
wie es weithin üblich ist, das Aufkommen des Atheismusbegriffs als Reaktion
auf religionskritische Strömungen in Italien und Frankreich zu beziehen (etwa
auf den Paduaner Pietro Pomponazzi, auf Pierre Charron, Michel de Montaig-
ne oder frühe Formen der höfischen Libertinage), werden hier die konfessio-
nellen und religionspolitischen Kontexte in den Blick genommen. Dabei zeigt
sich, dass nicht erst im Staats- und Naturrecht des 17. Jahrhunderts ( I.3),
sondern schon vor 1600 der Atheismusbegriff einen primär politischen Zweck
erfüllte ( I.2.2).39 Nicht zufällig wurde er in den Jahrzehnten vor und nach

38
Der Ausdruck ›Sinnbezirk‹ nach der Habilitationsschrift von Jost Trier (1931).
Darin entwickelte er seine Wortfeldtheorie, die auf implizit strukturalistische Weise die
Semantik von Synonymen beschreibt. Trier zufolge begrenzen sich die Lexeme in einem
Wortfeld gegenseitig; die semantische Differenz ergibt sich also nicht aus gegebenen Un-
terscheidungen zwischen den außersprachlichen Entitäten, die durch die Lexeme eines
Wortfelds bezeichnet werden. Triers Modell ist so bekannt geworden, dass es hier nicht
weiter expliziert zu werden braucht. In neueren Ansätzen der linguistischen Diskursana-
lyse sind – wie andere linguistische Theorien (z. B. Sprechakttheorie) – so auch die Er-
kenntnisse der Wortfeldtheorie vorausgesetzt und integriert. Vgl. dazu weiter unten im
Methodenteil.
39
Insofern gehört auch der Unglaubensdiskurs maßgeblich zur ›politischen Kom-
munikation‹ in der frühen Neuzeit. Unter dieser Leitformel hat Luise Schorn-Schütte
vor inzwischen mehr als zehn Jahren, in Anlehnung an die Cambridge School of Political
Thought, zur verstärkten kulturwissenschaftlichen Orientierung in der Geschichtswissen-
schaft aufgerufen (vgl. bes. die methodologische Einleitung in Schorn-Schütte 2015). Seit
2009 erscheint überdies die von ihr betreute Publikationsreihe Schriften zur politischen
Kommunikation. Aus germanistischer Sicht hat diese methodische Ausrichtung allerdings
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Problemaufriss, Fragestellung, Vorklärungen 15

1600 häufig synonym mit dem alternativen Kampfbegriff des Politicus ge-
braucht.40 Diese Perspektive auf Verwendungsweise und historischen Kontext
wird auch dann noch durchgehalten, wenn im zweiten Kapitel die Anfänge
der deutschen Atheismusdebatte untersucht werden. Zwar lässt sich ab 1660
in der Tat von einem historisch nachweisbaren Atheismus im heutigen Wort-
sinn sprechen. Zum einen aber haben die Autoren der frühen deutschen Streit-
schriften davon nur bedingt Kenntnis gehabt,41 zum anderen verwendeten sie
ohnehin einen derart weiten Atheismusbegriff, dass es der Bezugnahme auf
veritable Leugner der göttlichen Existenz überhaupt nicht bedurfte.
Abermals lässt sich die Polemik gegen ›den‹ Atheismus über Funktionen
und Kontexte erschließen. Wie schon ein kurzer Überblick ergibt, gehört die
Mehrzahl der hier relevanten Autoren dem Umfeld des beginnenden Pietis-
mus zu. Bei ihnen wird der Atheismusbegriff, ähnlich wie der ›impius‹ oder
›Epicureus‹ bei Luther, zum Instrument der innerkirchlichen Disziplinierung.
Mit der begrifflichen Zuspitzung zum atheismus practicus richtet er sich näm-
lich schon wieder nicht gegen Vordenker der radikalen Aufklärung, sondern
gegen bekennende Christen. Die Logik dieses Vorgangs ist leicht einsehbar. In
der Optik eines vertieften Frömmigkeitsbewusstseins wird die ›Lauigkeit‹ (wie
es oft hieß) des landläufigen Gottesdienstes zum Indiz einer inneren Abkehr
vom Glauben. Salopp gesagt: Dem äußerst Frommen ist alles unfromm. Dass
sich die frühen Pietisten, wie aus etlichen ihrer Schriften hervorgeht, einem
Heer von Ungläubigen gegenüber sahen, kann demnach nicht verwundern.
Kurzum, so wie der Atheismusbegriff um 1600 erst als Gegenbegriff zu einer
allgemeinen, überkonfessionellen religio christiana Bedeutung erhielt, die er
als denknotwendiges Feindkonzept definitorisch und politisch absichern half,
steht er nun als pastoral-didaktisch gebrauchter Gegenbegriff zum ›wahren‹
Christentum in der Nachfolge Johann Arndts und ergo, aus Sicht frömmig-
keitsbewegter Autoren, als Gegenpol zur rechten praxis pietatis.
Dem weit verbreiteten Vorurteil, die Aufklärung habe derlei Vorstellun-
gen ein Ende bereitet und das Zeitalter der Toleranz (auch für Nichtgläubige)
eingeläutet, begegnen die folgenden Teile der Untersuchung.42 Dort wird ge-
zeigt, wie das apologetische Argumentationssystem die massive Herausfor-
derung durch Pierre Bayle und seine gezielt dagegen gerichtete These von
der Möglichkeit eines Atheistenstaats ohne große Einbußen überlebte. Das
dürfte zum einen etwas damit zu tun haben, dass Bayles Hinweis auf die
Existenz lasterhafter Christen für die protestantische Barockapologetik kei-

kaum Überraschungen zu bieten. Dass sich Politik nicht zuletzt durch Sprache, Diskurs,
Argument und die dadurch wie darin wirkenden kommunikativen Prozesse vollzieht, dass
umgekehrt Sprache und Kultur überhaupt in der frühen Neuzeit nicht als autark gegen-
über politischen Vorgängen (oder sozialen Strukturen) der Zeit gelten können, darf dort
insgesamt als ausgemacht gelten.
40
Zum Kampfbegriff des Politicus vgl. Kap. I.2.3, II.2.2, III.3.4, III.4 u. IV.1.2.
41
Vgl. Schröder 1998, S. 17, Anm. 6.
42
Bibliografische Hinweise dazu werden in den jeweiligen Kapiteln gegeben.
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16 Einleitung

ne Neuigkeit darstellte – im Begriff des atheus practicus war schließlich ge-


nau das ausgedrückt; zum anderen damit, dass sich innerhalb der antiatheis-
tischen Argumentation bereits die Vorstellung einer an Vernunft und Tugend
gemessenen Religiosität zu entfalten begann, die in der Theologie der Auf-
klärung dann zu voller Wirkung gelangte.43 Ebenso zeigten psychologische
Modellierungen des Atheismus, die schon bei den Reformatoren weitgehend
vorlagen und in der pietistischen Apologetik weiter ausgebaut wurden,
eine geradezu ideale Anschlussfähigkeit an die Vorurteilslehren der frühen
Aufklärung. Das lässt sich an der Moralistik Jean de La Bruyères ( IV.4.2)
vorbildhaft zeigen und reicht dann über die Moralischen Wochenschriften
( VI.2) hinaus bis in die Lehrdichtung der frühen Aufklärung ( VI.3 u.
VI.4). Das schon bei Blaise Pascal angelegte Argument schließlich, dass der
Glaube an Gott schon auf Erden glücklicher mache als der Unglaube, die
psychologische und eudämonistische Widerlegung des Atheismus also, ge-
hört dort ebenfalls zum festen argumentativen Bestand.
Um den Verdacht zu zerstreuen, dass sich an diesem Punkt eine christlich-
konservative Aufklärung von der kritisch-eklektischen und damit ›wahren‹
Aufklärung verabschiedet habe,44 wird im fünften Kapitel an den drei großen
Frühaufklärern Christian Thomasius, Nicolaus Hieronymus Gundling und
Christian Wolff ausführlich gezeigt, wie sie das antiatheistische Argumenta-
tionssystem und seine Überführungsmethoden zwar kritisierten und modi-
fizierten, dabei aber keineswegs prinzipiell verwarfen. Ähnliches wird sich
dann noch bei Johann Christoph Gottsched nachweisen lassen (VI.1). Das
mag zunächst erstaunen, weil sowohl Thomasius wie auch Wolff selbst als
Atheisten angegriffen wurden (s. o.) – die Anekdote über Wolffs Vertreibung
aus Halle ist ja selbst über die Grenzen der Aufklärungsforschung hinaus
bekannt. In der Tat haben sie nicht mehr geglaubt, dass Atheisten notwen-
dig unsittlich leben müssten; schließlich könne man moralische Regeln auch
mittels der Vernunft einsehen. Die negative Einschätzung des Atheismus er-
folgte jedoch bei beiden primär aus politischen Erwägungen heraus, unter
Berufung auf die wohlbekannte Tatsache, dass nun einmal »die wenigsten
Menschen vernünfftig« sind (C. Wolff).45 Auch bei ihnen kommt also jene
Affektpsychologie und -anthropologie zur Geltung, die in der christlichen

43
Ausführlich dazu Kap. IV.2 u. VI.2.
44
Zur Debatte um die ›wahre Aufklärung‹ vgl. die äußerst lehrreiche Studie von
Schneiders 1974, nach deren Lektüre man den Aufklärungsbegriff am liebsten gar nicht
mehr verwenden möchte. Darauf wird noch zurückzukommen sein. – Ohne Zweifel las-
sen sich bereits in der Frühaufklärung radikalere von moderateren Fraktionen unterschei-
den, die verschiedentlich als ›konservative Aufklärung‹ angesprochen worden sind. Vgl.
dazu bereits Saine 1987, S. 37 f.; ausführlicher und tiefgreifender Mulsow 2002, S. 13–15
u. S. 309–353, dort bes. S. 330–341; Mulsow 2014; vgl. neuerdings auch Chisick 2017 u.
Palmer 2017.
45
Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken vom gesellschafftlichen Leben der Men-
schen, Halle 1721, S. 323 f.
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Forschungslage, Vorgehen, Methodik 17

Sündenlehre ebenso angelegt war wie im Vorurteilsbegriff der Aufklärung.


Diese überraschende Kontinuität lässt sich im Spiegel des Unglaubensdiskur-
ses exemplarisch belegen. Sie reicht noch bis zu Haller (VI.4), der das exakt
gleiche Argumentationssystem mit dem neuen Leitbegriff des ›Freigeists‹ ver-
knüpft. Den komplizierten, nicht immer linearen begriffsgeschichtlichen Weg
vom ›Atheisten‹ oder ›atheus‹ zum ›Freigeist‹ sowie die Profanisierung des ur-
sprünglich für geistliche Heterodoxien reservierten Freigeistbegriffs zeichnet
abschließend ein eigenes Kapitel (VI.5) nach.

2. Diskursgeschichte des Unglaubens


Forschungslage, Vorgehen, Methodik

2.1 Das Feindbild des Ungläubigen als interdisziplinäres Problem


Hinweise zur Forschung

Da der Atheismus von ganz verschiedenen Disziplinen aus jeweils verschiede-


ner Perspektive untersucht wird,46 muss sich der folgende Forschungsüberblick
auf den engeren Bereich der Fragestellung konzentrieren.47 Zu den unmittel-
baren Vorarbeiten für dieses Buch gehört die Handvoll von Studien, die sich
dezidiert der Bekämpfung des Unglaubens während der Frühen Neuzeit wid-
men. Allen voran ist hier das Standardwerk Atheismus und Orthodoxie (1971)

46
Die rasch anwachsende und weit verzweigte Forschungsliteratur zum frühneu-
zeitlichen Radikalismus, zu den philosophischen Clandestina wie überhaupt zum soge-
nannten Underground, kann und muss hier nicht ausführlich gewürdigt werden, da die
Perspektive der Gegner dort meist nur am Rande zur Sprache kommt. Es darf daher bei
einigen Hinweisen bleiben: Neuere Tendenzen in der Atheismus- und Radikalismusfor-
schung verzeichnet das Nachwort von Winfried Schröder zur zweiten Auflage seiner Ha-
bilitationsschrift (Schröder 22012, S. 621–645); vgl. auch Mulsow 2018a, Bd. 2; neue und
neueste Studien zum Radical Enlightenment mitsamt kritischer Reflexionen dieses For-
schungsparadigmas präsentieren die Sammelbände von Ducheyne 2017 und Niekerk 2018;
auf der Ebene der monografischen Aufarbeitung vgl. besonders die jüngsten Studien von
Kors (2016a u. 2016b).
47
Das gilt auch für die einzelnen Kapitel, in denen Hinweise zur jeweiligen Spezial-
literatur gegeben werden. Vor allem da, wo kirchen, dogmen- oder rechtsgeschichtliche,
aber auch geschichtswissenschaftliche Fragen berührt sind, wurde, nach bestem Wissen
und Gewissen, jeweils eine pragmatische Literaturauswahl getroffen, immer mit Blick auf
die leitende Fragestellung. Eine große Hilfe waren, neben den zahlreichen Gesprächen
mit Kolleginnen und Kollegen aus den Nachbarfächern, die oft hervorragenden Handbü-
cher und Nachschlagewerke der jeweiligen Disziplinen. Wer dennoch wichtige Literatur
zu Bayle, Pascal, Pufendorf oder zum Westfälischen Frieden vermisst, darf gewiss sein,
dass dem Verfasser die Begrenztheit seiner Möglichkeiten oftmals schmerzlich bewusst
geworden ist.
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18 Einleitung

des Kirchenhistorikers Hans-Martin Barth zu nennen.48 Nie wieder ist die To-
pologie der (vor allem protestantischen) Apologetik vom späten 16. bis zum
frühen 18. Jahrhundert in vergleichbarer Breite und systematischer Erschlie-
ßung analysiert worden.49 Alles, was in dieser Zeit über den Atheismus – unter
diesem Begriff! – gedacht und geschrieben wurde, ist dort mustergültig aufge-
arbeitet und leicht aufzufinden. Es ist gerade die methodische Abstinenz dieser
klassischen Zettelkastenarbeit, die ihr bis heute, trotz einiger überholter geis-
tesgeschichtlicher Perspektiven, einen kaum geschmälerten Nutzwert als Do-
kumentation und Nachschlagewerk sichert.50 Das gilt im kleineren Rahmen
auch für die zeitgleich erfolgte Rekonstruktion eines apologetischen Netz-
werks am Beginn der deutschen Atheismusdebatte um den Augsburger Poly-
histor Theophil Spizel und den führenden Kopf des frühen Pietismus Philipp
Jakob Spener durch Dietrich Blaufuß (1971/1977).51 Nur für erste Hinweise
auf Quellen zu gebrauchen ist dagegen die kleine Geschichte der Apologetik

48
Hier noch der aussagekräftige Untertitel: Modelle und Analysen apologetischer
Argumentation im 17. Jahrhundert. – Wichtigste Vorstudie für Barths Untersuchung ist
der wegweisende Aufsatz Die Bekämpfung des Atheismus in der deutschen lutherischen
Kirche des 17. Jahrhunderts von Hans Leube gewesen (Leube 1924a).
49
Vom Niveau her vollkommen auf Augenhöhe, nur kompakter in der Zusammen-
stellung von Argumenten und Topoi mit zahlreichen Belegstellen sind die Ausführungen
bei Schröder 1998, S. 65–76.
50
Schwierigkeiten bereitet allenfalls die im Titel proklamierte Disjunktion von
Atheismus und Orthodoxie, weil auf diese Weise die beachtliche heterodoxe Unterströ-
mung innerhalb der antiatheistischen Propaganda (s. u., § 3) verdeckt wird. Es war gerade
nicht nur ›die‹ Orthodoxie, die gegen ›den‹ Atheismus antrat, es sei denn, man wollte Or-
thodoxie apriorisch in eben diesem Sinne definieren. Nicht vorzuwerfen ist Barth ferner,
dass er bis auf wenige kirchengeschichtliche und allgemein geistesgeschichtliche Fakto-
ren kaum auf Kontexte zu sprechen kommt. Dadurch gehen etwa die politischen Impli-
kationen vor allem der frühen Atheismusdebatte weitgehend verloren. (Vgl. aber ebd.,
S. 111–114, wo das Thema des Machiavellismus und die Rolle des Dreißigjährigen Kriegs
zur Sprache kommen.) Dass Barth sich, trotz kursorischer Seitenblicke auf poetische »Ne-
benprodukte« (S. 29–35) und staatsrechtliche Literatur (S. 63 f. u. 144–150), auf theologi-
sche Streitschriften, Lehrbücher und Disputationen konzentriert, dabei auf eingehendere
Werkanalysen zugunsten einer systematisch-topologischen Aufarbeitung verzichtet, ist
im Rahmen seiner Fragestellung vollkommen berechtigt und lässt genügend Raum für
weitere Forschungen auf der Grundlage der so erarbeiteten Resultate.
51
Blaufuß hat, in Vorwegnahme der später so genannten Konstellationsforschung,
den frühen Anhänger Speners, Theophil Spizel, in seinem Augsburger Umfeld untersucht
und ein längeres Kapitel Spizels reicher Produktion antiatheistischer Schriften gewidmet
(vgl. Blaufuß 1977, S. 275–306); sie werden ausführlich gewürdigt, in zutreffender Wei-
se kontextualisiert sowie anhand von handschriftlichen Quellen im Werkganzen veror-
tet. Auch wenn gelegentlichen Wertungen (z. B. mangelnde Originalität) nicht unbedingt
zugestimmt werden muss, da Spizels kompilatorisches Vorgehen ganz auf der Linie der
zeitgenössischen Wissensverarbeitung liegt, der Autor selbst mithin den Anspruch auf
Originalität kaum erhoben haben dürfte, ist die von Blaufuß vorgelegte Analyse inhaltlich
unüberholt. Zu Spizel s. weiter unten, Kap. II.3.2.
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Forschungslage, Vorgehen, Methodik 19

im 16. und 17. Jahrhundert von François Laplanche (1983).52 Die literaturge-
schichtliche Relevanz der Freigeistdebatte, also der epochalen Medialisierung
des Unglaubensdiskurses in der deutschen Hoch- und Spätaufklärung, hat
in ihrer 1930 erschienenen Dissertation bereits Else Liepe untersucht, indem
sie der Figur des explizit sogenannten Freigeists in der schönen Literatur des
18. Jahrhunderts (einschließlich der Moralischen Wochenschriften) nachgeht.53
Den Konstruktions- und Feindbildcharakter des Unglaubensdiskurses mit-
samt der darin sich artikulierenden politischen und sozialen Wirkkräfte hat
weit schärfer schon 1970 der Romanist Gerhard Schneider in seiner Untersu-
chung Der Libertin herausgearbeitet.54 Am Beispiel dieses vor allem für Frank-
reich und die französische Schweiz relevanten Kampfbegriffs zeigt Schneider,
wie sich dieser in mehreren Schritten von Johannes Calvins Polemik gegen
den linksreformatorischen Spiritualismus55 über Pierre Virets politische Ins-
trumentalisierung56 zum Bild des gottlosen (»irréligieux«) und amoralischen

52
Laplanches Versuch, die rationaltheologischen Grundlagen (daher der Titel
»L’évidence du Dieu Chrétien«) der Apologetik im Gefolge von Duplessis-Mornay und
Grotius aufzuarbeiten, kommt leider in den Kapiteln zu einzelnen Autoren über kultivier-
te Inhaltsangaben kaum hinaus, sieht aber richtig den Feindbildcharakter des Atheismus
(daher auch hin und wieder vorsichtig »incrédulité« genannt), der im Anschluss an Feb-
vre, Popkin und andere profiliert wird (vgl. S. 53–65: Kap. La vision de l’ennemi chez les
apologistes); nützlich ist in jedem Fall der knappe Überblick einer Gattungsgeschichte, die
so noch nicht geschrieben ist, in ihren wichtigen und teils auch weniger bekannten Vertre-
tern. Vgl. ansonsten die Hinweise im Mornay-Kapitel (I.2.2).
53
Vgl. Liepe 1930, S. 14–47. – Liepes Dissertation, aus heutiger Sicht eher ein länge-
rer Aufsatz (65 Seiten), gebührt das Verdienst, zuerst eine geschlossene Untersuchung zur
literarischen Behandlung des Feindbilds ›Freigeist‹ unternommen zu haben. Die geistes-
geschichtliche Ausrichtung (vgl. S. 11–14 u. 38 f.) führt zu problematischen Urteilen über
die Hochaufklärung als einer »eng-rationalistischen Periode« (S. 14), die noch die teleo-
logische Sicht der älteren Germanistik auf die deutsche Klassik widerspiegelt; sie führt
aber vor allem dazu, dass Liepe zum einen – darin vergleichbar der älteren Atheismusfor-
schung, von der sie z. B. Mauthner verwendet hat – die Freigeistdebatte als bloße Reaktion
auf die historische Freidenkerbewegung deutet (vgl. S. 8–11), zum anderen zwischen dem
Feindbild und den ›realen‹ Freigeistern nicht klar unterscheidet (vgl. bes. ebd., Kap. 3.3:
Streng freigeistige Schriftsteller und Romane: Unzer, Diez, Pezzl, v. d. Trenck). – Trotz
dieser methodischen Mängel hat Liepe einen ersten Quellenfundus für eine im Ganzen
noch zu schreibende Diskursgeschichte erarbeitet, der neben den bekannten Freigeistdra-
men Lessings und Brawes auch die Satire (Rabener u. a.), die Moralischen Wochenschrif-
ten, Gedichte der religiösen Spätaufklärung (Göttinger Hain) und Dramen des Sturm und
Drang enthält.
54
Schneider ging bereits die Studie von Giorgio Spini voran (Ricerca dei Libertini,
Rom 1959, 21983), die von Kristeller schon als Schritt in die ›richtige‹ (d. h. rezeptions-
oder diskursgeschichtliche) Richtung gewertet wird (vgl. Kristeller 1953, erste Anm.);
einschlägig auch Busson 1954. Schneider fügt diesen älteren Arbeiten neben zahlreichen
Details auch eine sozialgeschichtliche Perspektive hinzu.
55
Vgl. Schneider 1970, S. 53–72.
56
Vgl. ebd., S. 119–128.
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20 Einleitung

Weltmanns wandelt.57 Er schlägt den Bogen bis zu Pierre Bayle und dessen er-
neuter Trennung von Unmoral und Unglaube, die, so Schneider, die »rationa-
listische Einschränkung von ›libertin‹ auf den moralischen Bereich« einleitet,
wie sie bis heute besteht.58 In Schneiders Fußstapfen tritt die Untersuchung Le
Libertin (1989) von Louise Godard de Donville, die schon im Untertitel (Un
produit des apologètes) ihre diskurs- oder wahrnehmungsgeschichtliche Ori-
entierung verrät.59 Die Verdächtigungslogik der Apologetik und ihrer weitma-
schigen Definitionen – des Atheismus wie des Freidenkertums – hat zudem,
mit großer Präzision, in mehreren Beiträgen Winfried Schröder herausgear-
beitet.60 Dagegen nutzt Kevin F. Hilliard in seiner kenntnisreichen Monografie
Freethinkers, Libertines and Schwärmer. Heterodoxy in German Literature
1750–1800 (2011) zwar den Heterodoxiebegriff richtig als Klammer für die im
Obertitel genannten Feindbegriffe, bemüht sich aber statt um eine Aufarbei-

57
Vgl. ebd., S. 172–192. – Prägnant zusammengefasst ebd., S. 171: »Mit der Übertra-
gung der Bezeichnung ›libertin‹ auf irreligiöse Gruppen in der Literatur der Bürgerkriegs-
zeit und dem gleichzeitigen Verschwinden der schwärmerischen Sekte der Libertiner aus
der Geschichte war das Wort gleichsam aus dem innerreligiösen Bereich herausgetreten in
die böse Welt. Es bezeichnet nunmehr vorwiegend die bürgerlichen gelehrten Skeptiker,
aber auch die mondänden adligen Freigeister und besonders deren literarische Wortfüh-
rer.«
58
Was Schneiders Studie vor derjenigen Barths auszeichnet, ist nicht nur die ge-
schichtlich-entwicklungslogische Entfaltung des Problems und der selbstverständliche
Einbezug poetischer Quellen, sondern vor allem die starke Akzentuierung des postre-
formatorischen Konfessionsgegensatzes als Nährboden für eine nur scheinbar säkulare
Feindfigur, anders gesagt, das Gespür für die politische wie konfessionelle Instrumentali-
sierung eines Kampfbegriffs, die erst allmählich in den Hintergrund tritt.
59
Schon in der Einleitung wird pointiert eine Wort- und Bedeutungsgeschichte von
»libertin« – in Ergänzung zu den zahllosen Untersuchungen des Libertinage selbst – gefor-
dert (vgl. Donville 1989, S. 11). Eine solche lag aber in Schneiders Libertin, den die Autorin
in der italienischen Übersetzung verarbeitet hat, bereits vor. Der Wert von Donvilles Werk
liegt besonders in Beobachtungen am Detail: in einer eingehenden Untersuchung der Doc-
trine curieuse des beaux esprits de ces temps (1623/1624) des Jesuiten Garasse. Dort arbeitet
sie, etwas ähnlich wie Barth für die deutsche Apologetik, die Argumente und Topoi (z. B.
»le profanateur« oder »le séducteur«), aber auch die polemischen Strategien heraus (z. B. »le
hypochondriaque« oder »le sot, le stupide«), die das Bild des Libertin auf Jahrzehnte bestim-
men sollten. – Vgl. auch Schröder 1998, S. 17, Anm. 6.
60
Vgl. vor allem Schröders Einleitung zum Nachdruck von Jakob Friedrich Reim-
manns Historia univeralis atheismi (Schröder 1992), dort besonders S. 9–11. – Den Kon-
struktionscharakter des Freidenkerbegriffs hat Schröder in der Einleitung zu Johann Ge-
org Wachters antijüdischer Schrift Der Spinozismus im Judenthümb (Schröder 1994) so
treffend auf den Punkt gebracht, dass er hier im Wortlaut zitiert werden darf (ebd., S. 9):
»Dies bedeutet nicht weniger, als daß ›Freidenker‹ im Zeitalter der Aufklärung gar nicht
als Begriff, als Merkmaleinheit verwendet worden ist. Die Gruppe von Autoren, die er
bezeichnet, wird nicht durch inhaltliche Gemeinsamkeiten ihrer philosophischen Ansich-
ten, sondern lediglich durch den diesen äußerlichen Umstand zusammengehalten, daß sie
von der offiziellen Theologie und Philosophie aus welchen Gründen auch immer geächtet
worden sind.« – Weitere Hinweise im Kapitel zu Gisbert Voetius, dem maßgeblichsten
Architekten theologischer Atheismusdefinitionen während der frühen Neuzeit ( I.5).
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Forschungslage, Vorgehen, Methodik 21

tung des Freigeistdiskurses vielmehr um den Nachweis ›echten‹ heterodoxen


Gedankenguts in der deutschen Literatur der genannten Zeitperiode, und das
nicht ohne die von der radical thought-Forschung her bekannten Wertungs-
muster.61
Besondere Aufmerksamkeit hat überdies schon seit geraumer Zeit die briti-
sche Apologetik auf sich gezogen.62 Das dürfte vor allem damit zusammenhän-
gen, dass sich hier für eine gewisse Zeit die Bekämpfung des Atheismus und
Deismus mit der Geschichte der neuzeitlichen Naturforschung überschnitten
hat. Nicht nur durch die apologetische Tätigkeit der Cambridge Platonists, in
Henry Mores Antidote against Atheism (1655)63 und Ralph Cudworths True
Intellectual System of the Universe (1678),64 sondern vor allem durch die von
Robert Boyle inaugurierten Boyle Lectures, eine Predigt- und Vortragsrei-
he mit dem Ziel, die christliche Religion mit den Erkenntnissen der ›neuen‹
Naturwissenschaft zu vermitteln,65 ist der britische Antiatheismus in den Ge-
genstandsbereich der überaus regen angelsächsischen Forschung zur Wissen-
schaftsgeschichte getreten.66 Es waren also schon wichtige Vorarbeiten vorhan-
den, als Kenneth Sheppard 2015 seine Monografie Anti-atheism in England
1580–1720 (2015) vorlegte. So verdienstvoll Sheppard die englische Atheis-

61
Vgl. ausführlich dazu meine Rezension in der Zeitschrift Das achtzehnte Jahrhun-
dert (Spiekermann 2013b).
62
Vgl. bereits die entsprechenden Passagen (bes. S. 111–185) in der europäisch aus-
gerichteten Untersuchung von Allen 1964; Allen hat, die Einwände von Kristeller beden-
kend (vgl. Kristellers Bemerkung in der zweiten Auflage seines Aufsatzes von 1968, dort
die erste Anmerkung), davon abgesehen, die Rede über Atheismus in der Renaissance mit
der Existenz von Atheisten gleichzusetzen (vgl. schon Allens einleitende Bemerkungen,
S. 1–13); dadurch kommt die Apologetik weit besser zur Geltung. – Vgl. ferner die ähnlich
gelehrte Studie von Buckley 1965; Buckley sucht zwar noch, wie viele Forscher vor und
nach ihm, den Atheismus der Renaissance, wo er von seinen Gegnern ausgerufen wurde,
hat aber gleichwohl drei Kapitel der Reaction to Atheism gewidmet (S. 61–92) und somit
auch eine andere methodische Perspektive zugelassen.
63
Vgl. Calloway 2014, S. 29–47 et pass.; Sheppard 2015, S. 139–156.
64
Vgl. Carter 2009 sowie Sheppard 2015, S. 165–181.
65
Vgl. dazu am ausführlichsten die Dissertation von Kenny 1996 mit der älteren
Literatur.
66
Überhaupt scheint das Großthema Religion and Science in Großbritannien seit
langem eine stabile Konjunktur zu haben. Vgl., nur in historischer Perspektive, etwa
Dillenberger 1960, Hooykaas 1973, zusammenfassend: Brooke 1991, Barbour 1997. In
der Kernzone dieser Art von Studien steht meistens die Newtonsche Physik (vgl. bereits
Strong 1952, Guerlac/Jacob 1969, Kenny 1996, Force 1999; sehr lesenswert auch der
dichte Abriss bei Kondylis 21986, S. 235–247); sie wird bereits 1691/91 durch Newtons
Zeitgenossen und Briefpartner Richard Bentley in seiner viel gelesenen Predigtreihe The
Folly of Atheism verarbeitet ( IV.4.1; dort Literatur). – Ein Überblick der üppigen neue-
ren Literatur kann hier nicht geleistet werden, würde auch zu weit vom Thema abführen.
In Deutschland werden derartige Fragen gern am Beispiel Albert Einsteins erörtert; vgl.
etwa Mühling 2011, aber auch andere Beiträge der seit 2003 erscheinenden Reihe Religion,
Theologie und Naturwissenschaft (dort, 2003, auch eine deutsche Übersetzung von Bar-
bour 1997).
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22 Einleitung

musdebatte, mitsamt ihrer Seitenäste wie dem antiepikureischen Diskurs, in


thematischer Bündelung nachzeichnet und durch gut perspektivierte Porträts
einzelner Autoren und Werke profiliert, so unbegreiflich muss es bleiben, wie
er die englische Debatte aus ihrem europäischen Kontext herauslösen zu kön-
nen glaubt, nicht zuletzt durch fast konsequente Ausblendung des breiten, der
geschichtlichen Genealogie nach aber maßgeblichen lateinischen Schrifttums
bis 1700 und darüber hinaus.67
Nicht vollständig gewürdigt werden kann schließlich die Vielzahl von Hin-
weisen, Aufsätzen, kürzeren oder längeren Ausführungen im Rahmen größe-
rer Untersuchungen bis hin zu ganzen Buchkapiteln, die sich in der einen oder
anderen Weise dem Thema der Bekämpfung oder negativen Beurteilung des
Unglaubens unter den je epochalen Leitbegriffen zuwenden. Hervorzuheben
ist das Kapitel Der Sturm gegen die Freigeister aus Thomas P. Saines Buch Von
der Kopernikanischen bis zur Französischen Revolution (1987), in dem der pu-
blizistische Aufwand der Freigeistkritik – unter anderem am Beispiel von zwei
Gottschedgedichten68 – zu Recht gegen die vor 1750 wohl kaum nennenswerte
Gefahr gehalten wird, die von den Freigeistern ausging;69 des Weiteren – auch
wegen der methodischen Zuspitzung – das Kapitel über »atheistische Schreck-
gespenster« in Martin Potts Dissertation Aufklärung und Aberglaube (1992), die
in Hinblick auf die Frühaufklärung das komplementäre Gegenstück zur vor-
liegenden Arbeit darstellt.70 Im Gedicht Die Gerichte Gottes (1756) des jungen

67
Um nur ein Beispiel zu nennen: Wer sich weder bei ihrem Urheber Voetius noch
in der einschlägigen Forschung (Allen, Barth, Schröder) kundig macht, der muss einiger-
maßen ratlos vor der auch in England ubiquitär gebrauchten Unterscheidung des ›prakti-
schen‹ vom ›theoretischen‹ oder ›spekulativen‹ Atheismus stehen und kann sie nur phäno-
menologisch beschreiben (vgl. Sheppard 2015, S. 19–21).
68
Vgl. Saine 1987, S. 192–196. – Soweit ich sehe, ist Saine einer der wenigen Lite-
raturhistoriker, die überhaupt auf Gottscheds frühe Kasualgedichte eingehen, zudem hat
er mit sicherem Griff diejenigen apologetisch getönten Gedichte ausgewählt, die sich gut
gegen die Vorstellung des Krypto-Deisten Gottsched ins Feld führen lassen (mehr dazu
im Gottsched-Kapitel [VI.1]). Es folgen noch Belege aus Lessings Freigeistdrama und aus
Gellerts Gedicht Der Freygeist, die, wie Gottscheds Gedichte, in den Horizont einer ide-
en- und gesellschaftsgeschichtlichen Umbruchzeit gestellt werden.
69
Saine 1987, S. 196: »Man muß konstatieren, daß es im deutschsprachigen Gebiet
eigentlich keine Gefahr für das Christentum gab, denn eine Gefahr durch modernes Den-
ken hätte nur dann bestanden, wenn die von Gottsched (und von anderen Philosophen
und Theologen) angegriffenen Meinungen bei jenem »Pöbel« Anklang gefunden hätten,
den man so sehr fürchtete.« – Ebenso schon vorher, bei der Besprechung von einem frühen
Gedicht Gottscheds (S. 194): »Man könnte aus Gottscheds Gedicht den Eindruck gewin-
nen, als ob es Spötter und Anti-Christen haufenweise gegeben hätte, gegen die die christ-
liche Religion unbedingt verteidigt werden müßte.«
70
Vgl. Pott 1992, S. 164–171. – Pott folgt weitgehend der Darstellung von Barth,
setzt aber eigene Akzente, indem er in aller Kürze die frühe akademische Debatte über
Bayles These von der Tugendfähigkeit der Atheisten nachzeichnet. Den Feindbildcharak-
ter des Atheismusbegriffs, der sich besonders in der Anlehnung der deutschen Autoren
an Mersenne (s. u. Kap. I.4.2) und Voetius (s. u., Kap. I.5) geltend machte, hat Pott voll-
kommen richtig erkannt (S. 166): Ȇberall schienen Atheisten, Deisten, Indifferentisten
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Forschungslage, Vorgehen, Methodik 23

Philipp Ernst Raufseysen hat 1998 Wilhelm Kühlmann, im Kontext poetischer


Verarbeitungen des Lissaboner Erdbebens, eben jenen Typus des Freigeists aus-
gemacht (»Spötter« heißt es im Gedicht), der im 18. Jahrhundert als Feindbild-
typus die Nachfolge des Atheisten angetreten hatte.71 Sandra Pott ordnet in ihrer
Monografie Medizin, Medizinethik und schöne Literatur (2002) den Typus des
»Spötters« oder auch »Freigeists« in Werken Albrecht von Hallers und seines
Freundes Paul Werlhof dem hier zu beschreibenden Feindbilddiskurs zu und
stellt diese poetischen Reaktionen in den Kontext von »Säkularisierungsvorgän-
gen« zwischen 1600 und 1850.72 Zu nennen ist schließlich der führende Vertreter
der Radikalismusforschung selbst, Jonathan Israel. Im vergleichsweise knappen
Kapitel The problem of atheism seines zweiten großen Buchs zum Radical En-
lightenment (2006) führt er, mit Blick auf die deutschen und baltischen Länder,
knapp in die Verfahrensweisen der antiatheistischen Polemik ein, deutet sie aber
zu einseitig als Reaktion auf den clandestinen Atheismus seit etwa 1660.73
Erstaunlich nüchtern präsentiert sich dagegen, bedenkt man den Ge-
genstand, die Kirchengeschichtsschreibung im Gefolge von Hans-Martin
Barths Standardwerk. So ist beispielsweise Martin Schmidts Artikel Athe-
ismus für die Theologische Realenzyklopädie nicht nur wegen seiner sach-
lichen und historischen Behandlung des Themas zu loben, sondern auch,
weil er die konfessionalistischen Wurzeln der frühesten Atheismusdebatte
(Antonio Possevino, s. dazu Kap. I.2.1) noch schärfer herausarbeitet als
Barth selbst.74 Soweit in Untersuchungen zu einzelnen Theologen auch de-
ren Kampf gegen den Atheismus behandelt wird, wie etwa im Fall von

und ähnliche Schreckgespenster aus dem Boden zu wachsen […].« – Diese methodische
Distanz wurde vermutlich auch durch analoge Ableitung von Potts Hauptthema, dem
Aberglaubensdiskurs, her ermöglicht, da der Abergläubische sicherlich weit weniger als
der Atheist oder Freigeist zur Identifikation einlädt. Vgl. überdies Potts gediegenen Auf-
satz Freidenker in Deutschland (Pott 1990).
71
Vgl. Kühlmann 1998, S. 116–123, bes. S. 120–122; Kühlmann skizziert kurz das
Feindbild des Freigeists anhand einiger Beispiele seiner Verwendung bei Carl Friedrich
Drollinger, Johann Lorenz von Mosheim und Leopold Graf zu Stolberg, er bringt über-
dies eine Passage aus den Moralischen Vorlesungen Gellerts. Seine Ausführungen dürfen
ohne Übertreibung als Nukleus der vorliegenden Untersuchung angesehen werden.
72
Vgl. Pott 2002, S. 105–155.
73
Vgl. Israel 2006, S. 164–175, bes. S. 164 f. – Israels Vermutung, die Verbreitung des
Atheismus sei in Schriften wie Löschers Praenotiones theologicae oder antiatheistischen
Disputationen nach 1700 ( V.6.1) primär der Philosophie zugeschrieben worden (ebd.,
S. 165: »Everyone agreed the prime cause was ›philosophy‹ or else, as with La Croze, phi-
losophy supplemented by Socinianism«), ist nicht zu halten. Mehr dazu im Kapitel über
Löscher ( V.5.1).
74
Vgl. den Artikel Atheismus I/2: Atheismus in der Geschichte des Abendlandes in
TRE, Bd. 4, 1979, S. 351–364 (Martin Schmidt), hier S. 355 f.; lesenswert außerdem der
Artikel Atheismus in der Enzyklopädie der Neuzeit (Bd. 1, 2005, Sp. 746–751 [Friedrich
Wilhelm Graf/Walter Sparn]).
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24 Einleitung

Gisbert Voetius,75 Johann Franz Budde76 oder Valentin Ernst Löscher,77


kann man auf eine sachliche Darstellung der Argumente und, soweit die
Objekte der Polemik überhaupt in den Blick geraten, eine präzise doxolo-
gische Einordnung des jeweils bekämpften Gegners rechnen.78 Hinsichtlich
dieser Sachlichkeit, die kein Bedürfnis nach Identifikation oder retrospek-
tiver Wiedergutmachung erkennen lässt, kann damit am ehesten noch die
Rechtsgeschichte konkurrieren. Sie hat es mit dem Atheismus zu tun, wo
Fragen der Toleranz, des Staatskirchenrechts, aber auch der Rechtsbegrün-
dung oder der Staatslehre betroffen sind. So arbeitet etwa Christoph Link
in seiner Habilitationsschrift Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit
(1979) die sakralen Grundlagen des frühmodernen Staatswesens heraus, die
schon aus axiomatischen Gründen die Strafbarkeit des Atheismus nahele-
gen.79 Insofern hat gerade der Atheismus den Preis für die Toleranz der drei
Religionsparteien zu zahlen.80 Denn, so noch einmal Link, für das staats-
theoretisch und reichsrechtlich erforderliche Konstrukt einer ›natürlichen
Religion‹ bildet er den diametralen Gegenpol, und zwar unabhängig von
der nachweislichen Existenz lebender Atheisten.81 Anhand der Beurteilung
des Atheismus hat schließlich Dieter Hüning in seiner bemerkenswerten
Studie über Die Grenzen der Toleranz (2002) nachgewiesen, wie sich die
vermeintliche Säkularität und Modernität des Naturrechts, von Grotius
über Hobbes und Pufendorf bis zu Christian Wolff und John Locke, an
der Frage der Verbindlichkeit (obligatio) auf überraschende Weise bricht.

75
Vgl. Beck 2007, S. 108–115.
76
Vgl. Sparn 1984, S. 47–52; Nüssel 1996, S. 229 f. u. 250–252.
77
Zu den Praenotiones als apologetischem Text vgl. Sparn 1984, S. 41–47; gründlicher
Baur 2006; Greschat 1971, S. 241–262; ferner Greschat 1970, S. 176–180; ausführlich dazu
Kap. V.5.1. – In seinem Aufsatz über Löscher und die lutherische Schulphilosophie (Gre-
schat 1970) hat Martin Greschat darauf hingewiesen, dass bei Löscher die Bekämpfung
des Atheismus Hand in Hand geht mit der Übernahme von Elementen der natürlichen
Theologie in der lutherischen Schulphilosophie. Der Atheismus, so Greschat, bilde deren
strukturellen Gegenpol (vgl. ebd., S. 179). Dass der Atheismusbegriff auch schon um 1580
erst dann als Feindbegriff Interesse findet, als unter dem Eindruck der Hugenottenkriege
Entwürfe für eine allgemeine, überkonfessionelle christliche Religion gemacht wurden –
bei Mornay und Hotman etwa –, wird im Folgenden noch näher zu erörtern sein ( I.2.2).
78
Hier darf noch ein weiteres Mal an die Untersuchung zu Theophil Spizel von Diet-
rich Blaufuß erinnert werden. Statt nach Freidenkern oder Libertins zu suchen, geht Blau-
fuß der – neben Spizel etwa auch von Theophil Großgebauer geübten – Sittenschelte nach,
die sich mit den frühen antiatheistischen Traktaten fast immer verbindet, und kommt zu
bedenkenswerten Vermutungen zu den unmittelbaren Folgen des Dreißigjährigen Krieges
im besetzten Augsburg, aber auch in anderen Territorien (vgl. Blaufuß 1977, S. 275). Die in
der polemischen Literatur oft anzutreffende Behauptung, dass der Atheismus, neben Hö-
fen und Universitäten, besonders im Militär vorkomme, könnte hier eine sehr fassbare his-
torische Wurzel haben. – Zu Spizel und Großgebauer s. weiter unten, Kap. II.3.1 u II.3.2.
79
Vgl. Link 1979, S. 219, 246 u. 289 f.; vgl. auch Link 1981, S. 855–858.
80
Vgl. dazu auch Dreitzel 1995, S. 4 u. 10–12.
81
Vgl. ebd. S. 298–301 (Kap. Die natürliche Religion als staatsrechtlicher Begriff).
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Forschungslage, Vorgehen, Methodik 25

Wo, wie bei den genannten Rechtsdenkern, der Geltungsgrund der ratio-
nal erkannten ›natürlichen‹ Pflichten auch weiterhin aus dem göttlichen
Rechtswillen abgeleitet wird,82 muss der Atheist als potenzieller Rechtsbre-
cher bestraft oder verbannt werden.

2.2 ›Unglaube‹ und Diskursgeschichte


Begriffliche und methodische Voraussetzungen

In Fortsetzung und Ergänzung, hier und da auch in Korrektur der genann-


ten Arbeiten wird nachfolgend eine Diskursgeschichte des Unglaubens in der
Frühen Neuzeit angestrebt, mit einem Schwerpunkt auf dem deutschen Kul-
turraum. Das bedarf einiger Erläuterungen: Erstens wird hier der Ausdruck
›Unglaube‹ aus Gründen einer heuristischen Distanznahme gewählt, sofern
er nämlich signalisiert, dass bei der Suche nach und der Arbeit mit Quellen
immer wieder über den Atheismusbegriff hinausgegangen werden muss. Die
Gründe dafür wurden ausführlich erläutert. ›Unglaube‹ umfasst daher im
Weiteren stets den gesamten Vorstellungskomplex der Gottlosigkeit in seinen
oben skizzierten Facetten, unabhängig von der jeweils epochalen Bezeich-
nung. In semantischer Hinsicht bezeichnet ›Unglaube‹ das Wortfeld, dessen
Teilelemente Ausdrücke wie ›Atheismus‹, ›Epikureismus‹, ›Naturalismus‹,
›Deismus‹, aber auch ›Freigeisterei‹, ›Religionsspötterei‹ und andere bilden.83
In der hier präsentierten Langzeitperspektive kommt es dabei zu jeweils epo-
chalen Akzentuierungen, die sich im Lauf der Jahrhunderte verschieben.
Zur Erinnerung: Was um 1520 zumeist ›impietas‹ oder ›Epicureismus‹
hieß, wurde, nach einer Übergangsphase, ab etwa 1620 überwiegend mit dem
Ausdruck ›Atheismus‹ und seinen grammatikalischen (›atheus‹ etc.) und ter-
minologischen (›atheus indirectus‹, ›theoreticus‹, ›practicus‹) Varianten be-
zeichnet, im deutschen Sprachraum verstärkt nach 1650. Bis etwa 1720 war
damit aber nicht nur die strikte negatio Dei gemeint, sondern auch das weite
Feld der minder radikalen weltlichen Heterodoxien. Ohnehin wird der Be-
griff nach wie vor nicht bloß auf Einzelpersonen angewendet; er dient eben-
so oft als abstrakte Denkvorlage und polemische Projektionsfläche. Man

82
Vgl. Hüning 2002; ergänzend dazu: Hüning 2016 (mit Dank an den Autor für die
Übersendung des seinerzeit noch druckfrischen Beitrags). Ähnlich argumentiert bereits
Link 1979, S. 115, der gut den delikaten Kompromisscharakter des älteren Naturrechts
herausarbeitet: »Nicht als ob das Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts in dem Sin-
ne profaniert worden wäre, daß es seinen Charakter als ›ius divinum connatum‹ verloren
hätte. Die Grundlegung aller Rationalität und Sozialität im Schöpferwillen Gottes bleibt
unbezweifelte Ausgangsthese aller naturrechtlichen Deduktion. Aber diese Verankerung
im göttlichen Rechtswillen bleibt doch eine mittelbare. Das Naturrecht zielt primär und
unmittelbar allein auf die Gestaltung einer der menschlichen Würde gemäßen Sozialord-
nung, die eben deshalb, weil sie ihre Rechtfertigung in der menschlichen Kreatürlichkeit
findet, zugleich gottgewollte Ordnung ist.«
83
Zur Wortfeldtheorie vgl. die kurzen Hinweise in Anm. 38.
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26 Einleitung

spricht seltener über konkrete Atheisten als über ›den‹ und ›die‹ Atheisten
oder den Atheismus an sich. Allzu oft erfüllt der Ausdruck also gar keine
deiktische oder Referenzfunktion, er bildet vielmehr ein in sich geschlos-
senes Bündel von Postulaten. Dieses wird dann ab etwa 1740 vornehmlich
mit dem Ausdruck ›Freigeist‹ oder ›Freidenker‹ bezeichnet. Daneben gibt
es eine Reihe von Synonymen (›Religionsspötter‹, ›Spötter‹, ›starke Geister‹,
›Esprits forts‹, ›Libertins‹, selten auch ›Gottesleugner‹), die aber quantitativ
im Vergleich weit dahinter liegen. Kurzum, das Verhältnis zwischen res und
verba oder, genauer, zwischen signifié und signifiant ist höchst variabel und
muss von Fall zu Fall ermittelt werden.
Vor diesem Hintergrund wird hier zweitens, ohne Anlehnung an eine
bestimmte methodische Schule, vom Unglaubensdiskurs gesprochen, weil
ein diskursgeschichtliches Vorgehen dieser historisch und situativ variablen
Beziehung zwischen »les mots et les choses« (Foucault) methodisch Rech-
nung tragen kann.84 Unter ›Diskurs‹ wird nachfolgend ein Ausschnitt der öf-
fentlichen Rede verstanden, der durch thematische, mediale oder funktionale

84
Die Vielfalt und Breite der Methoden und Forschungsansätze, die unter dem Eti-
kett der ›Diskursanalyse‹ betrieben werden, kann hier bei weitem nicht dargestellt werden
und muss es auch nicht. Das im Folgenden explizierte Verständnis von ›Diskurs‹ und ›Dis-
kursanalyse‹ kann auf umfängliche Vorarbeiten in den Sprach- und Kulturwissenschaften
während der letzten zwei Jahrzehnte zurückblicken. Den Kolleginnen und Kollegen vom
Europäischen Zentrum für Sprachwissenschaften in Heidelberg danke ich für wertvolle
Hinweise und spannende Diskussionen. Zur Forschungsgeschichte hier nur die nötigsten
Hinweise: Seit etwa zehn Jahren hat sich vor allem die Linguistik den Diskursbegriff zu
eigen gemacht und – in Weiterführung und Modifikation des von Foucault begründeten
Ansatzes – Verfahren für die Beschreibung und Analyse gesellschaftlichen Wissens und
kommunikativen Handelns auf transtextueller Ebene entwickelt. So wenig es bisher gelun-
gen ist, ein präzises und fächerübergreifend einheitliches Verständnis von ›Diskurs‹ (vgl.
die Übersicht bei Warnke 2007b, S. 3–9) und ›Diskursanalyse‹ zu erarbeiten, so frucht-
bar zeigt sich die unter diesem Dachkonzept praktizierte methodologisch und intentio-
nal offene Kombination mehrerer Beschreibungsebenen, die seit dem linguistic turn, teils
auch schon vorher, dem Instrumentarium der Kulturwissenschaften hinzugefügt wurden.
Vgl. dazu die Einlassungen in Warnke 2007a und Warnke/Spitzmüller 2008a, insbeson-
dere die nützliche Übersicht bei Gardt 2007, S. 28–32; auf Handbuchebene: Spitzmüller/
Warnke 2011; Kuße 2012, S. 101–126. Zur literaturwissenschaftlichen Aneignung des Dis-
kursbegriffs vgl. die immer noch lesenswerten Beiträge in Fohrmann/Müller 1988; einen
Überblick bietet Winko 92011; die Übergänge zwischen diesen Ansätzen und der neueren
Diskurslinguistik skizziert in einem theoriegeschichtlichen Überblick Konerding 2009;
ferner, ausführlich und vorbildlich, Spieß 2011, S. 11–183. Zur Diskursanalyse in der Ge-
schichtswissenschaft vgl. Landwehr 22018, Sarasin 32007 sowie Sarasin 2003, S. 10–60; eine
politologisch-historische Anwendung z. B. bei Llanque 2008 (implizit schon bei Nitsch-
ke 2000). – Eine interdisziplinäre Zusammenschau über die Grenzen der Linguistik hin-
aus versucht nach Jahren intensiver Methodendiskussion der Sammelband von Kämper/
Warnke 2015. Für die Reintegration der von der Linguistik ausgebauten Diskursanalyse in
die historischen Text- und Kulturwissenschaften (etwa unter dem gemeinsamen Dach der
Philologie) ist damit der Weg bereitet. Ansätze dazu bereits im programmatischen Aufsatz
von Busse/Teubert 1994 (dort bes. S. 12); vgl. auch Busse 2005 u. 2007.
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Forschungslage, Vorgehen, Methodik 27

Verklammerungen zusammengehalten und somit als kommunikative Einheit


beschreibbar wird. Dahinter steht gerade kein systematisches Modell, sondern
der Versuch, die öffentliche Kommunikation über bestimmte Gegenstände
in ihrer Dezentralität und Eigendynamik zu begreifen, ohne sie der völligen
Arbitrarität zu überlassen. Soweit die Diskursanalyse bei Foucault als ideolo-
giekritisches Instrument gebraucht wird, wendet sie sich darüber hinaus gegen
Annahmen wie Rationalität, Fairness oder gar demokratische Verfasstheit öf-
fentlicher Kommunikation, wie sie etwa Immanuel Kants berühmtes Aufklä-
rungsmodell vorsieht. Stattdessen richtet sie in Anlehnung an den Konstruk-
tivismus das Augenmerk auf die Art, wie in der öffentlichen Kommunikation
Maßstäbe für ›wahr‹ oder ›falsch‹, ›gut‹ oder ›böse‹ usw. erst hergestellt wer-
den, und zwar zu jeweils zu eruierenden Zwecken. Sprache oder Kommunika-
tion rekurriert demzufolge nicht einfach auf eine außersprachlich vorfindliche
Wirklichkeit, sondern erzeugt in gewissen räumlichen und zeitlichen Gren-
zen eine Realität sui generis, die sich je nach methodischem oder fachlichem
Standpunkt der Betrachtenden als ›Episteme‹, Wissen oder Zeichensystem
verstehen lässt.85 Über dessen Ausformung bestimmt aber nicht der autono-
me Wille oder Intellekt bestimmter Akteure, etwa der Kirche, sondern das
im Spannungsfeld von herrschender Macht, Einzelinteressen und den jeweils
gültigen Kommunikations- und Argumentationsregeln (z. B. sozial-ständisch
oder fachlich-disziplinär) sich vollziehende ›Hin und Her‹ (im Wortsinn von
discurrere) einzelner Sprechakte.86 Soweit einige zentrale Annahmen der Dis-
kursgeschichtsschreibung.
Für eine Untersuchung über den Umgang mit dem Unglauben ist die-
se Kombination von Perspektiven aus mehreren Gründen bedenkenswert.
Nicht nur können so die Schwierigkeiten umgangen werden, die sich aus
der je einseitigen Orientierung an Worten (wie ›Atheist‹, ›Freigeist‹ usw.)

85
›Diskurs‹ oder ›Debatte‹ bedeutet also auch, um eine Beobachtung Jan Assmanns
aufzugreifen, dass wir es mit einem kommunikativen Prozess zu tun haben, der sich, per-
manent selbst fortschreibt (Assmann 1998, S. 37: »Metaphorisch gesprochen, führt eine
Debatte ein Eigenleben, das sich in denen reproduziert, die an ihr teilnehmen.«) Es geht
dabei nur bedingt um eine adäquate Erfassung der außersprachlichen Realität. Im Mit-
telpunkt steht vielmehr ein konstanter Themenkomplex, der sich durch weitere Kom-
munikation bestätigt und fortsetzt, dabei aber nur sehr schwer korrigierende Elemente
aufnimmt. Das lässt sich besonders gut an der Kontinuität des Unglaubensdiskurses nach
dem Auftreten Pierre Bayles beobachten; überraschenderweise blieb nämlich sein Ein-
spruch lange Zeit weitgehend wirkungslos ( IV.1.1; IV.2.3; V.6.1).
86
Die hier aufscheinende Zirkularität, die darin besteht, dass die Diskursproduk-
tion die Maßstäbe herstellt, von denen sie selbst gesteuert wird, ist insofern intendiert,
als dadurch die Vorstellung eines gesellschaftlichen oder erkenntnistheoretischen a pri-
ori, wie es z. B. der Marxismus im Klassenkampf annimmt, umgangen wird. An diesen
methodischen Problemen hat sich Foucault sein Leben lang abgearbeitet, indem er etwa
zusätzliche Konzepte wie ›Dispositiv‹ einführte. Da hier keine radikale Position vertre-
ten wird, die dem Diskurs absolute Priorität vor den daran beteiligten Subjekten ein-
räumt, diese eigentlich nur als Funktionen eines autonomen Diskurses begreift, muss
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28 Einleitung

oder Sachen (dem historisch fassbaren Atheismus, der Tradition des Freiden-
kertums) ergeben. Es können des Weiteren die Kontexte, Funktionen und
Wechselwirkungen von Bedeutungszuschreibungen oder -verschiebungen
über einen längeren Zeitraum in den Blick genommen werden.87 Das heißt
nicht, dass hier eine schulmäßige Diskursanalyse – ohnehin eine contradic-
tio in adiecto – durchgeführt werden soll. Auch wird hier kein konsequent
konstruktivistischer Standpunkt bezogen. Die Fragestellung bleibt durch-
weg historisch und kontextorientiert, insofern also auch hermeneutisch. Die
methodische Entscheidung für den Diskursbegriff ergibt sich vielmehr aus
dem Material selbst. Zum einen aus dem anfänglich verwirrenden Befund,
dass der Inhalt des Atheismusbegriffs nicht immer aus seiner engeren wört-
lichen Bedeutung und auch nicht über die Referenzfunktion auf ein klar be-
zeichnetes außersprachliches Objekt begriffen werden kann, sondern oft aus
der Verwendung zu einem jeweiligen Zweck (z. B. um den konfessionellen
Gegner zu treffen  I.2.1) und den dazu passenden Konnotationen. Zum an-
deren deswegen, weil neben dem Ausdruck ›Atheist‹ oder ›Atheismus‹ auch
andere Vokabeln zur Verfügung standen, die zeitgleich oder auch mit histo-
rischem Verzug die gleiche Funktion erfüllten.
Scheint darin schon eine wissensgeschichtliche Dimension der Fragestel-
lung auf, die den Anschluss an Foucault nahelegt, so dient hier drittens der
Diskursbegriff gleichsam per negationem dazu, die methodischen Grenzen
zwischen Begriffs-, Ideen-, Problem- und Sozialgeschichte nach Möglichkeit
offen zu halten. Erst diese heuristische Zurückhaltung lässt einen Zusam-
menhang darstellbar werden, der durch scharfe Begriffsdefinitionen, durch
einseitige Orientierung (entweder am Lexem ›Atheismus‹ oder an der inhalt-
lichen Vorstellung der strikten Gottesleugnung) verloren ginge.88 Beides, Le-
xeme wie damit bezeichnete Gruppen oder Figuren, variieren innerhalb des
schon abgesteckten Spektrums, bewegen sich aber doch um einen erkenn-
baren und überraschend konstanten thematischen Kern. Insofern scheint es
nicht nur legitim, sondern hilfreich und angebracht, von einem Diskurs zu
sprechen.89 Es lässt sich weder leugnen noch vermeiden, dass der Bestim-
mung dieses Themas noch immer die alte Verdächtigungslogik der Atheis-
musgegner zugrunde liegt. Anders als in den Darstellungen Mauthners, Leys
und anderer jedoch (s. Forschungsbericht) ist das hier nicht nur vertretbar,
sondern sogar nötig, weil diese Feindbildoptik den eigentlichen Gegenstand

die Frage zu diesem Zeitpunkt nicht weiter verfolgt werden. Stattdessen wird hier, im An-
schluss vor allem an die linguistische Methodendebatte (s. die vorletzte Anmerkung), eine
Verbindung von Diskursanalyse und kontextorientierter Hermeneutik angestrebt.
87
Andreas Gardt bringt das gut auf den Punkt, wenn er ein Anliegen der Diskurs-
analyse nach Foucault darin sieht, »die thematische und funktionale Vernetzung von Tex-
ten im öffentlichen Raum« beschreibbar zu machen (Gardt 2007, S. 28). Zur Kontextdi-
mension in der Diskursanalyse vgl. Busse 2007.
88
Vgl. Busse/Teubert 1994, S. 18 f.; Busse 2005, S. 43.
89
Zum ›Thema‹ als diskursanalytischer Kategorie vgl. Konerding 2007, S. 109–112.
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Forschungslage, Vorgehen, Methodik 29

der Untersuchung bildet. Dass die in den Quellen entwickelten und tradier-
ten Wertungen und Beschuldigungen vom Verfasser nicht geteilt werden,
bedarf wohl keiner Erwähnung.
Hinzu tritt ein schon vor Einführung des Atheismusbegriffs, schon bei
den Reformatoren angelegtes, in der Folgezeit mehr variiertes als eigentlich
ergänztes Inventar von topischen Zuschreibungen, feststehenden Attributen
und Motiven.90 Die öffentliche Rede über den Unglauben ist so über zwei
Jahrhunderte und länger geprägt durch Vorwissen oder Vorgeschichten, die
besonders im 18. Jahrhundert kaum je offengelegt werden. Sie zu identifizie-
ren und über den besagten Zeitraum zu verfolgen, bildet eines der Hauptziele
dieser Arbeit. Mithilfe dieses Vorgehens kann der öffentliche Umgang mit der
Feindvorstellung des Unglaubens oder der Gottlosigkeit unter wechselnden
Leitbegriffen über mehrere Epochen hinweg durch diverse Disziplinen und
Gattungen hindurch verfolgt, modelliert und auf die dahinter liegenden po-
litischen und sozialen Spannungsfelder und Entwicklungsprozesse hin trans-
parent gemacht werden. Die an zahlreichen Einzeltexten erarbeiteten Befunde
und Interpretationsmodelle lassen sich, so die Hoffnung des Verfassers, auf
weitere Texte gleichen oder ähnlichen Inhalts übertragen.91
Die solchermaßen angestrebte Rezeptions- oder Wahrnehmungsgeschichte
des Unglaubens92 hat des Weiteren das Bild des ›Ungläubigen‹ auf seine Funk-
tionen und seinen historischen Symptomwert hin zu untersuchen.93 Dass es in
seiner polemischen Verzerrung an den lebendigen Vertretern weltlicher Hete-
rodoxien zumeist weit vorbeizielte, zum Unwillen mancher heutiger Forscher,
wird hier als Normalität der Diskursproduktion vorausgesetzt. Es handelt sich
um ein denunziatorisches Vorgehen, das die sprachliche Referenzierungsfunk-
tion oftmals, ja fast immer deutlich hinter sich lässt und fortlaufend semanti-
sche Überschüsse produziert. Gerade deswegen ist das Bild oder Feindbild
des Ungläubigen, Atheisten oder Freigeists wissensgeschichtlich als Teil einer
vergangenen Vorstellungswelt, eines Kommunikationssystems mit eigenen
diskursiven Regeln zu begreifen, das eben da historisch interessant wird, wo

90
Zur Integration des älteren Toposbegriffs in das Methodenarsenal der Diskursana-
lyse vgl. Gardt 2007, S. 31; Warnke/Spitzmüller 2008b, S. 40 f.; Spitzmüller/Warnke 2011,
S. 85 f., 88, 191 u. 197 f.; ausführlich Wengeler 2015 mit Hinweisen zum theoriegeschicht-
lichen Anschluss an die historische Diskurssemantik. Im Bereich der Atheismusforschung
nutzt z. B. Zenk 2013 die Toposanalyse, um die Konstituierung des ›New Atheism‹ als
eines Gegenstands des öffentlichen Interesses zu beschreiben.
91
Ohne Zweifel lassen sich viele der hier ermittelten Topoi und Motive auch in an-
deren polemischen Texten wiederfinden, etwa in der kontroverstheologischen Literatur, in
Pamphleten und Traktaten gegen Hexen, Zauberer, Türken, Juden und andere Feindvor-
stellungen der frühen Neuzeit.
92
Zum Konzept der Wahrnehmungsgeschichte s. die Beiträge in Sarnowsky 2018.
93
Wäre dies eine rein linguistische Diskursanalyse, könnte dazu sicherlich das The-
oriemodell der linguistischen Pragmatik (Sprechakttheorie) in Anschlag gebracht werden.
Zum methodologischen und theoriegeschichtlichen Konnex zwischen Diskursanalyse
und Sprechakttheorie vgl. Gardt 2007, S. 28 f., 32 u. 35; Warnke/Spitzmüller 2008b, S. 32.
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30 Einleitung

es zu begrifflichen oder semantischen Unschärfen, Verzerrungen und sogar


bewussten Manipulationen kommt. Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt die-
ses Systems und der darin enthaltenen Aussagen (über die bis heute, etwa im
angelsächsischen Raum, erbittert gestritten wird) stand und steht dabei nicht
zur Debatte. Eben darin liegt die Funktionsweise des oben so bezeichneten
»Argumentationssystems«, das innerhalb einer kulturellen Schicht oder Kom-
munikationsgemeinschaft über lange Zeit eine Konsenswirkung entfaltet, in-
dem es formelartig wieder und wieder reproduziert wird.
Um den Unglaubensdiskurs insgesamt von seinen einzelnen geschichtli-
chen Stadien auch sprachlich abzuheben, aber auch aus stilistischen Gründen
wird hier im engeren epochalen Kontext alternativ auch von ›Debatte‹ (statt
von ›Subdiskurs‹ oder ›Teildiskurs‹) gesprochen, in Verbindung mit der jeweils
gängigen Leitvokabel. So wird die Auseinandersetzung mit dem Unglaubens-
problem, sofern sie unter dem Leitbegriff des ›Atheismus‹ geführt wird,
in Deutschland also maßgeblich zwischen 1650 und etwa 1740, als ›Atheis-
musdebatte‹ bezeichnet. Trotzdem gelten dort die gleichen Bedingungen wie
beim Unglaubensdiskurs generell: Auch weiterhin werden diverse Synonyme
eingesetzt (z. B. ›politicus‹), auch weiterhin erfüllt der Atheismusbegriff nur
selten eine präzise Referenzierungsfunktion; es wird über ›den‹ Atheismus
oder Atheisten an sich geschrieben, gemeint sind damit aber jeweils verschie-
dene Gruppen oder Lehren, die sich nur aus den Texten selbst rekonstruieren
lassen. Ebenso wird in analoger Weise gegen Ende der Arbeit und in kleinen
Ausblicken zwischendurch von der ›Freigeistdebatte‹ des 18. Jahrhunderts
gesprochen. Gerade hier zeigt sich die besondere Leistungsfähigkeit der Dis-
kursgeschichte, denn die Kontinuitäten von hier aus bis zur Atheismus- und
schließlich zur Freigeistdebatte wären schwer erkennbar, wenn man sich nur
an einzelnen Leitbegriffen orientieren würde. Erst die Verbindung eines oder
mehrerer Begriffe mit dem oben knapp skizzierten Argumentationssystem,
den dazu gehörigen Topoi und Motiven sowie einem Mindestmaß an explizit
intertextuellen Bezügen erweist die Zugehörigkeit eines Textes oder Textteils
zum Unglaubensdiskurs, wie er hier untersucht werden soll.

2.3 Quellenauswahl und Textarbeit


Disziplinäre und interdisziplinäre Perspektiven

Aufgrund der potenziell unendlichen Menge (gemessen an der Lebens- und


Arbeitszeit des Einzelnen) von frühneuzeitlichen Äußerungen über Unglau-
ben und Heterodoxie bedarf es von Anfang an einiger heuristischer Ein-
schränkungen. Noch einmal: Keineswegs soll oder kann hier eine vollständige
Geschichte der antiatheistischen, antiepikurischen oder antilibertinistischen
Polemik geboten werden. Dazu müssten noch weit mehr Autoren der apo-
logetischen und polemischen Literatur herangezogen werden (nicht zuletzt
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Forschungslage, Vorgehen, Methodik 31

die großen Enzyklopädien),94 so wie auch einzelne Fälle von Denunziation


bis hin zur Verurteilung dokumentiert werden müssten (z. B. Giulio Cesare
Vanini oder Theodor Ludwig Lau, um nur zwei Beispiele zu nennen); sinnvoll
wäre auch eine Aufarbeitung der Rezeption einzelner herausragender Figuren
(z. B. Niccolò Machiavelli, Vanini oder Baruch de Spinoza). Stattdessen wird
hier vorrangig nach Argumenten, Topoi und Motiven, sodann auch nach den
geschichtlichen wie strukturell-gesellschaftlichen Hintergründen und Wirk-
kräften gefragt; anders ausgedrückt: nach der Funktion und (teilweise vorsätz-
lichen) Funktionalisierung des hier zu rekonstruierenden Feindbildes. Dazu
werden gezielt Quellen ausgesucht, die Aufschluss darüber versprechen, in-
dem sie nicht einfach Verdammungsurteile formulieren, sondern Begründun-
gen zumindest anbieten, so wenig diese aus heutiger Sicht überzeugen müssen.
Genau hier liegt auch der Wert einer interdisziplinären Herangehensweise:
Dass ›die‹ Orthodoxie gegen den Atheismus, gegen Religionsspötterei oder die
allzu offene Verehrung Epikurs blankzieht, wird niemanden verwundern. Die
geschichtliche und gesellschaftliche Virulenz des Themas tritt erst dann in aller
Deutlichkeit hervor, wenn die Beurteilung oder gar Bekämpfung des Unglau-
bens (noch einmal: nicht real existierender Atheisten, sondern ›des‹ Unglaubens
als einer polemischen Abstraktion) auch außerhalb der primär zuständigen
theologischen Literatur in den Blick genommen wird. Kaum ein Thema eignet
sich besser zur diskursgeschichtlichen Untersuchung quer durch alle Diszi-
plinen und Gattungen des religiösen, gelehrten und literarischen Lebens. Denn
die Kritik, Verketzerung und Karikatur, aber auch die vorsichtige Würdigung
und Rehabilitation des Freigeists ( VI.6) erstreckt sich von im engeren Sinn
apologetischen und polemischen Schriften über Predigten, moralphilosophi-
sche Traktate, staatstheoretische und naturrechtliche Abhandlungen mitsamt
den Handbüchern für Politik und Staatsverwaltung, über Dissertationen und
akademische Vorlesungen bis zu popularphilosophischer und -theologischer
Erbauungs- und Ratgeberliteratur. In dieser Breite und Vielfalt der ausgewer-
teten Quellen, nicht in ihrer vollständigen Erfassung, besteht ein wesentlicher
Anspruch der vorliegenden Arbeit.
Dazu gehört selbstredend auch die schöne und poetische Literatur, die in
der ideengeschichtlichen Atheismus- und Radikalismusforschung bisher meist
vernachlässigt wurde. Sie reicht von der Lehrdichtung der Aufklärung (VI.3;
VI.4) und der Essayistik der Moralischen Wochenschriften mit ihren ganz ei-
genen Erzählstrategien (VI.2) zurück über die barocke Dramatik (III.4), Klein-
und Großepik (III.2–3) bis hin zur – auch okkasionellen – Epigramm- und
Odendichtung seit Beginn des 17. Jahrhunderts (III.1). Selbst innerhalb der
akademischen Disziplinen und Textsorten variiert allerdings das Formenspek-
trum schon beträchtlich. So finden sich besonders in der apologetischen Li-
teratur zahlreiche rhetorisch-literarische Kleinformen wie Verseinlagen, An-

94
Zur enzyklopädischen Bewältigung des Unglaubensproblems hoffe ich in Kürze
eine gesonderte Studie vorlegen zu können.
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32 Einleitung

ekdoten, verschiedene Spielarten der oratio ficta wie erfundene Dialoge oder
Reden (III.2), ganz zu schweigen von der breiten Phalanx rhetorischer Stilmit-
tel überhaupt.
Zur inhaltlichen und historisch-kontextuellen Aufarbeitung über die ge-
nannten Epochen und Disziplinen hinweg tritt daher in den Einzelkapiteln
die philologische Textanalyse. Mit ihren Mitteln können Argumentation,
Topik, Sprachgebung und Motivik der antiatheistischen Polemik präzise
erarbeitet werden. Auf diese Weise ergibt sich zum einen ein relativ fester
Wortschatz und Motivbestand, der zukünftig, wie zu hoffen wäre, auch für
weitere Arbeiten auf diesem Feld genutzt werden kann. Zum anderen tritt
erst im close reading, in der Analyse der rhetorischen, polemischen und poe-
tischen Strategien die affektive Dimension des Unglaubensdiskurses hervor,
die in der ideengeschichtlichen Auswertung von Argumenten leicht verloren
geht. Neben dem »Was« ist hierbei auch das »Wie« entscheidend. Es geht
nicht (oder zumindest nicht nur) um den Austausch von Argumenten. Selbst
im gelehrten Schrifttum wird etwas von der Aggressivität und wohl auch von
der kollektiven Angst erkennbar, die sich immer wieder mit Szenarien des
gesellschaftlichen Zerfalls verband.95 Die polemische Energie, die den Kampf
gegen den Unglauben über weite Strecken prägt, stellt ihn in eine Reihe mit
Themenfeldern, die gewöhnlich – teils auch wegen verschiedener fachlicher
Zuständigkeiten – getrennt davon behandelt werden: mit der Kontrovers-
theologie, aus der er teilweise hervorgeht ( I.2 u. II.1), mit ähnlich gelager-
ten Feindbildkampagnen, etwa gegen den Aberglauben, gegen Magie und
Hexerei, gegen Türken und Juden, aber auch gegen Strömungen wie Paracel-
sismus oder Sozinianismus.96
Dahinter können ganz verschiedene Motivationen stehen – auch dies eine
vielfach bestätigte Vorannahme, die sich aus der methodischen Anlehnung an
die Diskursanalyse ergab. Im Falle der Unglaubenskritik muss das beileibe
nicht immer die Verteidigung von Kirche, Religion oder der jeweiligen Ob-
rigkeit sein. Gerade da, wo die Religio Christiana mit Verve verteidigt wird,
können sehr wohl kirchenkritische, subversive, wenn nicht gar heterodoxe
Interessen im Spiel sein, gemessen an der jeweils geltenden orthodoxen Dog-
matik und territorialen Kirchenpolitik. Das hat vor allem die Erarbeitung der
historischen, stellenweise auch biografischen Kontexte vieler Quellen erwie-
sen. Dieses vielleicht wichtigste Ergebnis der vorliegenden Arbeit – gewonnen
zunächst an Philippe Duplessis-Mornay, Francis Bacon und den Vertretern
der großen protestantischen Frömmigkeitsbewegungen – rückte nach und
nach immer mehr in den Mittelpunkt der Untersuchung, bis es schließlich
zur zentralen Leitperspektive wurde. Ein Hauptkriterium der Textauswahl,
wie es nun weiten Teilen der abgeschlossenen Studie zugrunde liegt, lässt sich

95
Grundlegend zu Angstphänomenen und ihrer theologischen wie polemischen Be-
wältigung: Delumeau 1978.
96
Vgl. dazu die breit gefächerten Beiträge in Laufhütte 2006.
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Nichtorthodoxe Unglaubenskritik 33

nicht unzutreffend mit dem Schlagwort ›nichtorthodoxe Unglaubenskritik‹


bezeichnen. Das wird im letzten Teil der Einleitung noch etwas eingehender
zu erläutern sein.

3. Die Arbeitshypothese:
Nichtorthodoxe Unglaubenskritik im Spannungsfeld
von Kirche, Politik und New Science

3.1 Das gängige Modell:


Unglaubenskritik als Antimodernismus

Die vorliegende Darstellung des Unglaubensdiskurses in der Frühen Neuzeit


als einer Feindbildgeschichte strebt mehr an als eine nacherzählende Bestands-
aufnahme. Wie eben schon kurz dargelegt wurde, folgen Quellenauswahl
und -analyse einem gezielten Erkenntnisinteresse. Unter den beschriebenen
Prämissen werden hier erstmals fächerübergreifend und im europäischen
Horizont insbesondere die ›nichtorthodoxen‹ Wurzeln der Unglaubenskri-
tik herausgearbeitet und nach Möglichkeit in ihren Wechselwirkungen mit
politischen, kirchen- und wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklungen be-
schrieben. Dieser starke (aber nicht exklusive) Akzent auf Quellen jenseits
der Orthodoxie versteht sich als Ergänzung und Korrektiv zu einem gängigen
und auch nicht in jeder Hinsicht zu revidierenden Narrativ, demzufolge die
Abwehr der weltlichen Heterodoxien bzw. des intellektuellen Radikalismus
als Todeskampf einer geschichtlich überholten Orthodoxie angesichts der
philosophisch-szientifisch-demokratischen ›Moderne‹ zu verstehen sei.97 Die
schon mehrfach konstatierte, aber kaum je in diachroner Perspektive unter-

97
Gemeint ist damit, in Übernahme des eigentlich zu pauschalen Orthodoxiever-
ständnisses in den historischen Fächern außerhalb der Kirchengeschichte, Unglaubenskri-
tik durch Autoren, die nicht – gemäß dem verbreiteten Klischee – mit Haut und Haaren
für die Kirche einstanden und sie gegen jegliche Angriffe, also auch gegen die vermeint-
lichen Atheisten, verteidigten. – Auch jenseits dieser plakativen Vorstellung klerikaler
Finsterlinge ist es auffällig, dass sich die großen Theologen des 17. Jahrhunderts, um nur
einmal den lutherischen Bereich zu betrachten, nicht monografisch zum Thema geäußert
haben. Ganz offenkundig standen andere, dringlichere Themen auf der Tagesordnung. So
kommt es, dass man etwa Äußerungen Johann Gerhards über den Unglauben im Kapitel
De Deo seiner Loci theologici suchen muss (vgl. Barth 1971, S. 23 u. 77). Ähnliches gilt
für Abraham Calov, der immerhin ein Widmungsgedicht zu einer antiatheistischen Schrift
beisteuerte (vgl. ebd., S. 160; s. a. unten, Kap. III.1.1). – Die Abgründe des Modernebe-
griffs schließlich, der in der Radikalismusforschung zumeist ohne terminologische Refle-
xion gebraucht wird (vgl. etwa Mulsow 2002, Israel 2001 u. 2006), können hier nur ange-
deutet werden. Kaum ein Begriff – nicht einmal ›Aufklärung‹ – überschreitet derart leicht
die Grenze zwischen historiografischer Beschreibungs- und identifikatorisch gebrauchter
Wertungskategorie. Vgl. die knappen Hinweise bei Spiekermann 2007, S. 295–297, für den
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34 Einleitung

suchte Tatsache, dass in der Apologetik ebenso wohl entscheidende Weichen


in Richtung Aufklärung gestellt wurden, so wie umgekehrt die (zumindest
deutsche) Aufklärung stark apologetisch geprägt blieb, bestätigt sich hier
gleich in mehrfacher Hinsicht, und zwar auch außerhalb der engeren theolo-
gischen Diskussion.98
Diese deutliche Perspektivierung auf die Aufklärung ist beabsichtigt, denn
dort liegt nach wie vor der größte historische Klärungsbedarf hinsichtlich der
oben ›Widerspiegelungstheorie‹ genannten Sichtweise. Insbesondere das Ein-
setzen der europäischen Atheismusdebatte seit ungefähr 1580, verstärkt ab
1620, in Deutschland dann seit der Mitte der 1650er-Jahre, wird in der einschlä-
gigen Forschung oftmals als Reaktion auf die ersten Ansätze ›aufklärerischen‹
Denkens gedeutet.99 Gemeint sind damit gewöhnlich Erscheinungen wie die
politischen Modelle des über der Kirche stehenden weltlichen Machtstaats
(Bodin, Justus Lipsius, Hobbes), der philosophische Skeptizismus (Montaig-
ne, Charron), die Durchsetzung der mathematisch-geometrischen Methode
(René Descartes, Spinoza) und der empirischen Naturwissenschaft (Bacon,
Galileo Galilei), die philologische Bibelkritik (Richard Simon, Spinoza, Her-
mann Samuel Reimarus), das Naturrecht (Grotius, Hobbes, Pufendorf) sowie
die Konzeption einer offenbarungsunabhängigen und überkirchlichen ›natür-

engeren Bereich der literarischen Moderne. Zum Wertungsproblem vgl. auch die Beiträge
in Israel/Mulsow 2014, ferner Goldenbaum 2014.
98
Die Auswirkungen der Apologetik sind in dieser Hinsicht schon von Zeitgenos-
sen als paradox beschrieben worden. In dem Bemühen, die Angriffe durch Rationalismus,
Deismus oder Skeptizismus abzuwehren, habe die Apologetik die christliche Theologie
selbst nach und nach in Richtung eines Deismus oder trinitiarischen Sozinianismus um-
geformt, der sich nur noch äußerlich auf die Offenbarung berufen habe. Zum Topos vgl.
Nowak 1999, S. 38 f. (mit Hinweis auf Kondylis 21986, S. 369). – In diese Richtung zielt
bereits das 1811 gefällte Urteil des Göttinger Theologen Carl Friedrich Stäudlin (Stäudlin
1811, S. 290): »[D]och traten auch bald mehrere Theologen in England selbst auf, welche
sich den Deisten in gewissen Puncten näherten. Zwar die Autorität, Aechtheit und Glaub-
würdigkeit der heiligen Bücher, und die positive und historische Theile des Christenthums
gaben sie ihnen nicht Preiß, aber sie reinigten das kirchliche System von Allem, was ihnen
mit der Vernunft und Natur zu streiten schien, sie stellten Systeme der christlichen Theo-
logie auf, welche von dem Geiste des reinen Deismus durchdrungen waren.« – Ähnlich
urteilt 1839 der bekanntlich dem Rationalismus abholde August Tholuck nach der Mus-
terung einiger zeitgenössischer Urteile gleichen Inhalts (Tholuck 1839, S. 28): »Vergleicht
man nun mit dieser Schilderung neuere deutsche Theologen, welche sich vorzüglich mit
der englischen Theologie bekannt gemacht hatten, wie Zollikofer, Nösselt, Spalding, Jeru-
salem, so kann man wohl bemerken, wie viel sie von der Nachgiebigkeit der englischen
Apologeten gegen ihre Gegner angenommen haben.« – Auf das problematische Vorhaben,
die Existenz Gottes beweisen zu wollen und dafür die (besonders protestantische) Theo-
logie nach und nach in Metaphysik und Ethik umzuwandeln, hat schon Lessing hingewie-
sen. Bekannt sind seine Äußerungen über die »Mistjauche« der Neologie, die hier nicht
ausführlicher wiedergegeben werden müssen (vgl. stattdessen Nisbet 2008, S. 676 f., sowie
Vollhardt 1991 und Vollhardt 2002a).
99
Vgl., wie bereits weiter oben, Barth 1971, S. 14 f. u. 25 f.; auch dieses Urteil ist von
Hans Leube übernommen (vgl. Leube 1924a, S. 76).
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Nichtorthodoxe Unglaubenskritik 35

lichen Religion‹ im später sogenannten Deismus (Herbert von Cherbury) – gar


nicht zu reden vom manifesten, zunächst aber noch clandestinen Atheismus
wie überhaupt dem ›radikalen‹ Gedankengut in Form von Neo-Epikureismus
(Pierre Gassendi) und schließlich Pantheismus (Spinoza).
In diesem allseits bekannten Narrativ fällt der Atheismus- oder Unglau-
benskritik meist die Position des Gestrigen, Überkommenen, Veralteten zu,
des historischen Noch-nicht, mit anderen Worten – die Rolle von Mittelalter
und Orthodoxie gegenüber der heraufziehenden Kultur der Neuzeit,100 die sich
dann mit der Aufklärung schließlich von kirchlicher, mit der Französischen
Revolution von politischer Bevormundung emanzipiert habe.101 Kurzum: Die
Geschichte der Atheismuskritik bildet in dieser Optik die bisweilen schrille
Begleitmusik zum großen Prozess der abendländischen Säkularisierung als ei-
nem der größten gemeinsamen Nenner der neuzeitlichen Kulturgeschichte.102
Das ist zwar, wie oben schon angeschnitten wurde, nicht generell falsch, be-
darf aber auf der Grundlage des hier präsentierten Materials nötiger Differen-

100
So etwa an prominenter Stelle (unter zweifelhafter Berufung auf Barth 1971)
Karl Gerhard Steck im TRE-Artikel Apologetik II: Neuzeit (Bd. 3, 1978, S. 411–424, hier
S. 413): »Unter den Gegnern der Apologeten werden von Anfang an die Atheisten ge-
nannt. […] Die Verteidigung durch die Orthodoxie beider Konfessionen war konservativ;
sie hat in der Erkenntnis der geistigen Aufgaben des Christentums kaum weitergeführt.«
101
Vgl. vor allen anderen die genannten Bücher von Jonathan Israel, bes. Israel 2011,
unlängst noch zusätzlich Israel 2017.
102
Die große Säkularisierungsdebatte im Umfeld von Hans Blumenbergs Buch Die
Legitimität der Neuzeit ist inzwischen so deutlich historisch geworden, dass hier auf den
gediegenen, mit reichen Literaturhinweisen versehenen Artikel Säkularisierung von Fried-
rich Wilhelm Graf in der Enzyklopädie der Neuzeit verwiesen werden darf (Bd. 11, 2010,
Sp. 525–542). – Wichtig dort auch der Hinweis auf die Phasenverschiebungen, sogar prin-
zipiellen Unterschiede zwischen der Säkularisierung in den verschiedenen europäischen
Staaten (ebd., Sp. 538): »Insbes[ondere] ist jetzt deutlicher, dass es ganz unterschiedliche
Modernisierungspfade z. B. in Großbritannien, Frankreich und Deutschland gab, so dass
von einer einheitlichen Entwicklungstendenz hin zu genereller S[äkularisierung] nicht die
Rede sein kann. An die Stelle teleologisch linearer Deutungsmuster müssen daher komple-
xere Narrative treten, die es ermöglichen, die Gleichzeitigkeit von S[äkularisierungs]ten-
denzen in einzelnen Kultursphären wahrzunehmen […].« – Mit Blick auf die Aufklärung
ebenfalls bedenkenswert die folgende Bemerkung von Martin Mulsow (Mulsow 2002,
S. 164): »Die Debatte über die Nichtlinearität der Säkularisierung und Dechristianisierung
in der frühen Neuzeit bleibt nämlich solange unbefriedigend, wie nicht über konkrete Pro-
zesse historisch bestimmt werden kann, wo und warum Aufklärung und Säkularisierung
nicht zueinander deckungsgleich gewesen sind.« – Ungewöhnlich kenntnisreich, präzise
im (juristisch geschulten) Begriffsgebrauch und souverän in der Kenntnis der vor allem
staatskirchenrechtlichen Implikationen der Toleranzregelungen vom Augsburger Religi-
onsfrieden bis zum Westfälischen Frieden, ist der Beitrag zum »Säkularisierungsproblem
in der Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts« von Martin Heckel (Heckel 1981);
einen konzisen Problemaufriss mit Überblick der wichtigen Positionen (Weber, Blumen-
berg, Böckenförde) und einschlägiger Forschung bietet Pott 2002, S. 11–18 u. 35–45; dort
auch eine gut begründete Erarbeitung des Säkularisierungsbegriff als »Interpretations-
und Prozesskategorie«, speziell für die literaturwissenschaftliche Anwendung.
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36 Einleitung

zierung.103 Ohne Frage wird man genügend Schriften und Autoren finden,
die den Kampf gegen ›die Pest der Atheisten‹104 als Anliegen der sogenannten
Orthodoxie erscheinen lassen. Das wird besonders da deutlich, wo sich die
Polemik gegen einzelne Autoren richtet, die als Atheisten denunziert werden,
etwa bei Vanini, Descartes, Hobbes oder Spinoza. Dass es sich dabei in den
wenigsten Fällen um Atheisten im heutigen Wortsinn handelte, wie die neuere
Forschung nun zweifelsfrei erarbeitet hat, dass der Atheismusbegriff also als
Denunziations- und Machtinstrument gebraucht wurde, scheint den Befund
nur zu bestätigen, dass hier mit brutalen Mitteln der Geist des intellektuellen
Fortschritts bekämpft wird.

3.2 Unglaubenskritik jenseits der Orthodoxie


Zum subversiven Potenzial der Apologetik

Etwas anders verhält es sich, wenn man die zahlreichen Schriften durchmus-
tert, die ganz oder kapitelweise zum Feldzug gegen ›den‹ Atheismus oder ›die‹
Atheisten im Allgemeinen aufrufen. Zwar fehlt es auch hier nicht an Vertretern
einer selbst nach zeitgenössischen Maßstäben aggressiven, mit inquisitorischer
Strenge verfahrenden Orthodoxie.105 Oft genug standen zudem handfeste poli-
tische Interessen dahinter, wie im Falle des Atheomastix (1598), der sich in die
katholische Antitoleranz-Pamphletistik im Kontext des 80-jährigen Krieges
einreiht ( I.2.3). Gleichwohl belehrt schon ein flüchtiger Überblick derjeni-
gen Verfasser, die sich zur Verteidigung der christlichen Religion gegen ihre
›Feinde‹ veranlasst fühlten, darüber, dass sich darunter zahlreiche hochbedeu-
tende Köpfe finden. Vielen von ihnen wird man nicht nachsagen können, dass
sie an einer Verteidigung des kirchlichen Status quo gegen den wissenschaftli-
chen oder politischen Fortschritt interessiert waren. Zu denken wäre etwa an
Philippe Duplessis-Mornay, Francis Bacon, Marin Mersenne, Hugo Grotius,
Hermann Conring, Samuel Pufendorf, Blaise Pascal, Ralph Cudworth, Gott-
fried Wilhelm Leibniz, Jean Le Clerc, Johann Franz Budde, Barthold Heinrich

103
Es kann freilich nicht darum gehen, sämtliche Vorzeichen umzudrehen und die
Geschichte der Neuzeit oder der Moderne als Leistung oder ›Geschenk‹ der christlichen
Theologie und Kirche zu verstehen; auf die Kompromiss- und Vermittlungsarbeit kommt
es an, die in vielen der hier behandelten Texte implizit oder explizit geleistet wurde. In der
Forschung werden diese Fragen, soweit ich sehe, besonders konstruktiv in der Rechts-
geschichte behandelt, wo seit langem über die Säkularität des Naturrechts bzw. dessen
christlich-theologische Fundierung gestritten wird. Mehr dazu im Naturrechtskapitel
( I.3.5).
104
Zitiert aus dem Titel von Theophil Großgebauers Schrift Preservatif wider die
Pest der heutigen Atheisten (Rostock 1661), mehr dazu unten, Kap. II.3.1.
105
Das wohl berühmteste Beispiel bildet die geradezu neurotische Energie, mit der
in Frankreich der berühmte Jesuit Garasse den Skeptizismus (insbesondere in Gestalt von
Pierre Charron) verfolgte, bis er dann – Ironie der Geschichte – selbst als Atheist hinge-
richtet wurde. Vgl. dazu die weiter oben genannte Literatur.
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Nichtorthodoxe Unglaubenskritik 37

Brockes oder Christian Wolff; selbst Autoren wie Thomasius oder Gundling
haben sich durchaus kritischer über das Problem des Unglaubens geäußert, als
oft angenommen wird.
Verfolgt man diese Spur noch etwas weiter, so kann man feststellen, dass
polemische Einlassungen gegen ›die‹ Atheisten auffallend häufig Hand in
Hand gehen mit Ansichten, die ihrerseits ans Heterodoxe streifen. Einige Bei-
spiele wurden eingangs kurz erwähnt. Dieser bemerkenswerte Umstand, der
in der historischen Radikalismusforschung bereits als Problem ausgemacht
wurde, hat noch nicht annähernd die Aufmerksamkeit erhalten, die er ver-
dient.106 Von dort her lässt sich die Dynamik und Dialektik des intellektuellen
und gesellschaftlichen Wandels seit der Reformation auf differenziertere Weise
erschließen als durch die bekannten Fortschritts- und Emanzipationsmodelle.
Nicht nur steht die Klage über den ›einreißenden‹ Atheismus oft genug un-
mittelbar neben handfester Kirchenkritik: Auffallend ist etwa die Überschnei-
dung der Atheismuskritik mit innerkirchlichen Reformbewegungen ( I.5;
II.2–4). Vielmehr erfordert die apologetische Kampagne gegen die Feinde der
christlichen Religion (nicht einzelner Bekenntnisse) darüber hinaus schon eine
Abstraktion von den konfessionellen Streitigkeiten und akzentuiert demge-
genüber, wie 1581 Duplessis-Mornay, die Einheit der drei Religionsparteien
unter dem Dach einer allgemeinen Religio Christiana ( I.2.2). In den Augen
einer Kontroverstheologie, die ihre Verdammungsurteile an Fragen wie der
Präsenz Christi im Abendmahl festmacht – ein Thema, über das vermutlich
mehr Streitschriften produziert wurden als über alle Arten des ›atheistischen‹
Unglaubens –, konnte damit schon der Tatbestand der Häresie erfüllt sein,
mindestens aber der des Indifferentismus oder ›Neutralismus‹, der oft sei-
nerseits als eine Spielart des Atheismus bekämpft wurde. Insofern führt eine
Verbindungslinie von der katholischen Propaganda gegen die Politici um 1600
( I.2.3) über lutherische Attacken gegen die Pfälzer Ireniker ( I.2.4) bis zu
den Angriffen gegen Georg Calixt durch den (ansonsten durchaus reformge-
sinnten) Lutheraner Johann Hülsemann ( II.2.1).
Das ist wohl auch der Grund, warum es im polemisch aufgeheizten Klima
der Zeit nicht die Ausnahme, sondern fast die Regel darstellte, dass Autoren,
die sich in ganzen Schriften oder auch in Teilen von politischen oder philoso-
phischen Abhandlungen gegen den Atheismus einsetzten, selbst als Atheisten
angegriffen wurden.107 Zwar mag das in manchen Fällen annähernd berechtigt

106
Er wird nur gelegentlich anders pointiert; so weist Jonathan Israel auf den Spi-
nozismusvorwurf gegen Jean Le Clerc hin, der seinerseits eine Schrift über die Ursachen
des Unglaubens verfasste (vgl. Israel 2006, S. 468; ausführlich zu Le Clercs Schrift weiter
unten, Kap. IV.4.3).
107
So klagt etwa Christian Wolff 1724, also nach seiner Vertreibung aus Halle, ein-
mal: »Es ist gewiß eine sehr unverantwortliche Sache, daß man Leute, die sich angelegen
seyn lassen, die Atheisterey gründlich zu widerlegen, selbst verdächtig machen will, da
man bey jetziger Zeit gnug Ursache hätte, wie man derselben vorbeugen solte.« (Wolff,
Buddei Bedencken, S. 5, Anm. f [d. i. S. 5 f.])
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38 Einleitung

gewesen sein, insonders da, wo die Verteidigung der Religion zum Vorwand
für die Lancierung heterodoxen oder gar radikalen Gedankenguts genommen
wurde – bei Campanella, Charron oder Vanini.108 Aber nicht nur liegt selbst
hier der Atheismus zuallererst im Auge des Betrachters, es gibt zudem auch
weniger ambivalente Beispiele wie Grotius, Pufendorf, Leibniz, Thomasius
oder Christian Wolff. Es ist daher schlichtweg unrichtig, von den Schriften
gegen Atheisten und den darin formulierten Klagen über die Zunahme des
Unglaubens und der Profanität auf das tatsächliche Vorhandensein, wenn
nicht gar Vordringen radikal-intellektueller Strömungen zu schließen.109 In
den meisten Fällen erfüllt der Atheismusvorwurf Funktionen, von denen die
deskriptive oder denotative, soweit sie überhaupt vorhanden war, die aller-
letzte gewesen sein dürfte. Das gilt nicht nur für die frühe Phase um 1600,
sondern ebenso gut noch um 1700. Zwar gab es inzwischen ›echte‹ Atheisten,
von deren Existenz wir durch ihre meist handschriftlich verbreiteten Schriften
wissen. Es lohnt sich aber für interpretatorische Zwecke, ebenso auf die Funk-
tionalisierung des Begriffs zu schauen.

3.3 Auch ein Weg zur Moderne


Unglaube, Apologetik und Aufklärung

Lässt man sich auf diese Perspektive ein, dann kann auch unschwer gezeigt
werden, wie sich im Medium des Unglaubensdiskurses, zumindest seit Auf-
kommen des Atheismusbegriffs ab 1580, intellektuelle Strömungen zu Wort
melden, die in die unmittelbare Vorgeschichte der Aufklärung gehören. Nicht
zufällig haben sich viele führende Köpfe des späten 16. und des 17. Jahrhun-
derts (s. o.) am Kampf gegen den Atheismus beteiligt. Wie sich an einigen Bei-
spielen zeigen wird, dient das Feindbild des Ungläubigen bisweilen sogar als
Schutzschild, um einen möglichen Heterodoxieverdacht abzuwehren (z. B. in
Kap. I.4.2). In besonderer Weise gilt das für den engeren Rahmen der Athe-
ismusdebatte ab etwa 1580. Hier sind es vor allem drei Tendenzen, die sich
nicht oder nicht nur in Abgrenzung zu Kirche und Orthodoxie etablieren,
sondern ebenso sehr gegen ›den‹ Atheismus, der sich just zu diesem Zeitpunkt
als Feindbegriff zu etablieren beginnt. Es handelt sich einmal (1.) um die To-
leranzbestrebungen im Gefolge der englischen, niederländischen und fran-
zösischen Religionskriege gegen die spanische Krone. Auf katholischer wie

108
Diese drei Namen werden in den Quellen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts
immer wieder genannt, wenn es darum geht, die Verschlagenheit der Atheisten zu de-
monstrieren. Auf Beispiele wird im Lauf der Darstellung immer wieder hingewiesen wer-
den; Aufschluss darüber gibt das Personenregister.
109
Es ist schon fast amüsant, um nur ein Beispiel zu nennen, wie sich die Forschung
zu Pascals Pensées darum bemüht, die geschichtlichen Entsprechungen zu seinen Äuße-
rungen über und gegen den Atheismus zu finden; weitere Hinweise dazu im Pascal-Ka-
pitel (IV.3.3).
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Nichtorthodoxe Unglaubenskritik 39

protestantischer Seite kommt der Atheismusbegriff zum Einsatz und erfüllt


jeweils eine eminent politische Funktion. Hinzu tritt (2.) die oben schon ange-
deutete auffallend enge Verzahnung der deutschen Atheismusdebatte mit den
vor allem protestantischen Frömmigkeitsbewegungen des 17. Jahrhunderts,
beginnend schon bei dem einflussreichen Schöpfer antiatheistischer Termino-
logie, Gisbert Voetius, fortgesetzt dann im frühen Pietismus ( II.2–4). Es ist
zwar schon bemerkt worden, dass sich die Anfänge der Atheismusdebatte in
Deutschland weit überwiegend im Milieu des beginnenden Pietismus vollzo-
gen.110 In der nichttheologischen Atheismusforschung scheint dieser Befund
aber kaum angekommen zu sein. Oder es wird unterschlagen, dass der Pie-
tismus selbst als kirchenkritische Bewegung in heftige Kontroversen mit der
Orthodoxie verwickelt war und vielfach als heterodox denunziert wurde.
Von elementarer Bedeutung sind schließlich (3.) die Durchsetzungsbemü-
hungen für ein empirie- und theoriebasiertes Wissenschaftsverständnis, der
oft sogenannten New Science, seit 1600. Die gängige Sichtweise, dass sich das
Aufkommen des Atheismusbegriffs um diese Zeit auch aus der Abwehr gegen
die Autonomieerklärung der Naturwissenschaft verstehen lässt, ist nicht ge-
nerell unrichtig. Denn auch diese Fälle gab es. Sie ist aber vor dem besonders
im ersten Kapitel erarbeiteten Hintergrund dringend und erheblich zu diffe-
renzieren. So mischen sich mit Francis Bacon und Marin Mersenne kurz vor
und nach 1600 zwei führende Advokaten der ›neuen Wissenschaft‹ schon früh
in die Atheismusdebatte ein. Die Allianz von Glaube und Vernunft wird dort
von Bacon und Mersenne ebenso postuliert wie einige Jahrzehnte später von
Leibniz. Bei allen drei Autoren wird das Feindbild des ›törichten‹ Atheisten
(Ps 14,1) nun aber zur Verteidigung der Wissenschaft gegen mögliche kirchli-
che Angriffe eingesetzt. So formuliert, um ein Beispiel zu nennen, Bacon nicht
erst in De dignitate et augmentis scientiarum (1623), sondern schon in der we-
nig bekannten frühen Betrachtung De Atheismo (1597) sein weltberühmtes
Postulat, dass nicht zu viel, sondern zu wenig Kenntnis der Natur von Gott
wegführe, ihre gründliche Erforschung aber zu ihm hin. Auch hier dient das
Feindbild des Atheisten dazu, den Verdacht der Heterodoxie von der Wissen-
schaft abzulenken und auf eine Sündenbock-Figur umzuleiten.111
Bei Bacon und Mersenne wird überdies eine Versöhnung von Theologie
und Naturforschung angestrebt, wie sie in Gestalt der Physikotheologie noch
bis weit in die Aufklärung und darüber hinaus wirksam blieb. Nicht zufäl-
lig wird die Figur des biblischen insipiens 1691 zu Beginn der Boyle Lectures
wiederkehren ( IV.4.1), dann aber vor allem im monumentalen poetischen
Großprojekt des Hamburger Frühaufklärers Barthold Heinrich Brockes, dem
Irdischen Vergnügen in Gott ( VI.3). Was heute wie ein vergeblicher Versuch
wirken mag, weil er sich letztlich doch nicht behaupten konnte, bildete tat-
sächlich für mehr als 100 Jahre einen weithin stabilen Konsens, mit dem auch

110
Vgl. Leube 1924a; Blaufuß 1977, S. 275–306; Barth 1971, pass. (Sachregister).
111
Ausführlich dazu Kap. I.4.1.
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40 Einleitung

neue Wege für die Naturforschung geebnet werden konnten. Es ist eine naive
Vorstellung zu glauben, die neue Wissenschaft habe sich nur aufgrund ihres
überlegenen Wahrheitsanspruchs durchgesetzt. Hier bedurfte es vielmehr be-
ständiger Vermittlungen und Kompromisse, für die Figuren wie Bacon, Mer-
senne, Leibniz oder Boyle vorbildhaft stehen können.
Diese drei Leitperspektiven werden im nun folgenden ersten Kapitel der
Arbeit aus Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts erarbeitet. So kann gezeigt
werden, dass schon die erste Phase der europäischen Atheismuskritik, begin-
nend seit ungefähr 1580, deutlich im Zeichen konfessionspolitischer ( I.2),
staatsrechtlicher bzw. -theoretischer ( I.3) und schließlich wissenschaftspo-
litischer ( I.4) Instrumentalisierungsabsichten stand. Das soll nicht heißen,
dass sie damit hinreichend erklärt ist. Es handelt sich aber zumindest um
eine notwendige Bedingung, die in der gängigen Sichtweise massiv unterre-
präsentiert ist. Die kirchen- bzw. frömmigkeitsgeschichtliche Dimension der
Unglaubenskritik im 17. Jahrhundert, die den Kampf gegen den Atheismus
intra ecclesiam unter kirchenkritische, wenn nicht gar heterodoxe Vorzei-
chen stellt, wird zuerst am Beispel von Gisbert Voetius erörtert ( I.5). Den
Anfang bildet jedoch, wie in einer Studie zur Frühen Neuzeit nicht anders
zu erwarten, die Reformationszeit ( I.1). An der Rezeptions- und Ausle-
gungsgeschichte des 14. Psalms kann dort gezeigt werden, wie das Feindbild
des Ungläubigen mit seinen stereotypen Attributen und Konnotationen be-
reits feststand, bevor der Atheismus als Schreckgespenst oder als historisch
fassbare Entität die europäische Bühne betrat. Der Ungläubige, so kann ge-
folgert werden, bildet den Gegenpol, das personifizierte Andere der Religi-
on und entspringt folglich mit ihr selbst, ohne einer historischen Konkreti-
sierung überhaupt zu bedürfen. Jede Beschäftigung mit dem ›Problem des
Unglaubens‹ in der Frühen Neuzeit, zumal mit seiner Wahrnehmungs- oder
Diskursgeschichte, hat von dieser Voraussetzung auszugehen.

4. Zur Zitierweise

Die Zitierweise folgt der Maßgabe, den Haupttext flüssig lesbar zu erhalten
und die Fußnoten zugunsten der Primärliteratur zu entlasten. Schriften der
Sekundärliteratur werden daher in den Fußnoten, dort aber mit Namen und
Erscheinungsjahr zitiert, die über das Literaturverzeichnis aufgeschlüsselt
werden können. Bei mehreren Publikationen eines Jahres werden zusätzlich
zur Jahreszahl fortlaufende Buchstaben (a, b, c etc.) vergeben. Bei Neuauf-
lagen wird die Auflagenzahl zum neuen Erscheinungsjahr mit hochgestellter
Ziffer hinzugesetzt (z. B. Popkin 32003, Schröder 22012). Eindeutige Auskunft
gibt immer das Literaturverzeichnis am Ende des Bandes.
Historische Quellen werden dagegen mit Titeln zitiert, nach Möglichkeit
mit vollem Titel jeweils da, wo sie ausführlicher behandelt werden. Da die zum
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Zur Zitierweise 41

Teil recht langen Titel einen ganz eigenen Quellen- oder Aussagewert besitzen,
ginge durch die Verwendung von Kurztiteln zu viel verloren. Wo es sinnvoll
erschien, vor allem bei unselbstständig erschienenen Schriften, werden Ver-
weise auf die Anmerkung mit der Erstnennung gegeben, soweit sie im gleichen
Kapitel erfolgt ist. Die Titel historischer Quellen erscheinen in Haupttext und
Fußnoten (anders als im Literaturverzeichnis) kursiv, um das Auffinden zu
erleichtern.
Die Titel inbesondere lateinischer Texte wurden normalisiert; nur Titelan-
fänge und Eigennamen beginnen mit Großbuchstaben; nur wo auf dem Ti-
telblatt zwischen Groß- und Kleinschreibung unterschieden wird oder klare
Konventionen vorliegen (etwa bei sakralen Ausdrücken wie »Psalmus« oder
»Biblia«), erscheint diese auch hier im Text. Zeitschriften des 17. und 18. Jahr-
hunderts werden mit Titel, Jahrgang, Band und Seitenzahl notiert. Verfasserna-
men stehen nur, wo sie im Original explizit genannt sind. Bei den Moralischen
Wochenschriften wird statt Seitenzahlen das Stück mit dem exakten Datum
genannt, um das Auffinden in Neuauflagen oder Nachdrucken zu erleichtern.
Zitate aus den Primärtexten wurden nach den folgenden Kriterien normali-
siert: Nasalstriche und ähnliche Kürzel werden aufgelöst, gängige Abkürzun-
gen (z. B. »&c.«, »cap.« für »caput« bzw. »capite«, »D.« für »Doctor« usw.)
dagegen nicht. In lateinischen Texten wurden Akzentzeichen für Längen und
Kürzen (z. B. auf »â« oder auf »è« am Wortende) nicht übernommen. Beim
u/v-Wechsel folgt der Abdruck hier dem jeweiligen Originaltext.
Hervorhebungen (Kursive, Fettdruck, Sperrung, Kapitälchen) aus den Pri-
märtexten werden einheitlich kursiv wiedergegeben, mit Ausnahme der Groß-
schreibung bei »GOTT« bzw. »DEUS«, wie es unabhängig von Epoche oder
Drucker einheitlich üblich war. Wenn Gedichte bisweilen ohne Versumbrüche
im Fließtext abgedruckt erscheinen, wird die Versgrenze durch »/« markiert.
Ein vertikaler Strich (»|«) steht da, wo im Original Virgeln (»/«) statt Kommata
verwendet werden, um Verwechslungen auszuschließen.
Große Nachschlagewerke wie TRE oder Killy/Kühlmann, aber auch der
Neue Ueberweg werden mit Abkürzungen oder kursivierten Kurztiteln nach-
gewiesen, über die das gleich folgende Verzeichnis Aufschluss gibt. Zitiert
werden Artikel mit Angabe von Titel, Band, Erscheinungsjahr, Seitenzahlen
und nachfolgendem Verfassernamen in Klammern. Die einzelnen Artikel er-
scheinen daher nicht im Literaturverzeichnis am Ende dieses Buches. Online-
quellen werden mit URL nachgewiesen.
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42 Einleitung

5. Abgekürzt zitierte Nachschlagewerke112

ADB/NDB** Allgemeine Deutsche Biographie, 56 Bde., Leipzig 1875–


1912. – Neue Deutsche Biographie, Berlin 1953 ff. (bisher
26 von 28 Bdn.)
BBKL Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, begr.
und hg. v. Friedrich Wilhelm Bautz, fortgef. v. Traugott
Bautz, 38 Bde., Nordhausen 1975–2017
DBA Deutsches Biographisches Archiv
Enzyklopädie Enzyklopädie der Neuzeit. Im Auftrag des Kulturwis-
der Neuzeit senschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit
den Fachwissenschaftlern hg. v. Friedrich Jaeger, 15 Bde.,
Darmstadt 2005–2012
HWbPh Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim
Ritter u. a., 13 Bde., Basel 1971–2007
Killy/Kühlmann Killy Literaturlexikon, 2., völlig neu bearb. Aufl., hg. v.
Wilhelm Kühlmann u. a., 12 Bde., Berlin u. a. 2008–2011
Kosch3 Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographi-
sches Handbuch, begr. von Wilhelm Kosch, 3., völlig neu
bearb. Aufl., hg. v. Bruno Berger u. a., 37 Bde. u. 6 Ergän-
zungsbde., Berlin u. a. 1968–2018
La France Eugène u. Emile Haag: La France protestante ou vies
Protestante des protestants français, qui se sont fait un nom dans
l’histoire depuis les premiers temps de la réformation
jusqu’à la reconnaissance du principe de la liberté des cul-
tes par l’assemblée nationale, 9 Bde., Paris 1846–1859
Neuer Ueberweg Grundriss der Geschichte der Philosophie, begründet v.
Friedrich Ueberweg, völlig neu bearb. Ausgabe, hg. v. Hel-
mut Holzhey, Basel 1983 ff., daraus die Bände
17/2: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 2: Frank-
reich und Niederlande, hg. v. Jean-Pierre Schobinger, Basel
1993
17/4: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 4: Das
Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Nord- und
Ostmitteleuropa, hg. v. Helmut Holzhey u. Wilhelm
Schmidt-Biggemann unter Mitarbeit von Vilem Mudroch,
Basel 2001
18/5: Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. Bd. 5: Heiliges
Römisches Reich Deutscher Nation. Schweiz. Nord- und
Osteuropa, hg. v. Helmut Holzhey u. Vilem Mudroch,
Basel 2014

**
Zur Zitierweise in den Fußnoten vgl. die Anmerkungen auf der Seite zuvor.
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Abgekürzt zitierte Nachschlagewerke 43

PL Jacques-Paul Migne (Hg.): Patrologiae cursus completus,


217 Bde., 1844–1855
RGG3 Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörter-
buch für Theologie und Religionswissenschaft, hg. v. Kurt
Galling in Gemeinschaft mit Hans Freiherr von Campen-
hausen u. a., 3., völlig neu bearbeitete Aufl., 6 Bde., Tübin-
gen 1957–1962
RGG4 Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörter-
buch für Theologie und Religionswissenschaft, 4., völlig
neu bearb. Aufl., hg. v. Hans Dieter Betz, 8 Bde., Tübingen
1998–2005
RLL3 Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hg. v.
Klaus Weimar u. a., 3 Bde., Berlin/New York 1997–2003
TRE Theologische Realenzyklopädie, hg. v. Gerhard Krause u.
Gerhard Müller, 36 Bde., Berlin/New York 1977–2004
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I. SEMANTIK, TOPIK UND FUNKTIONEN


DER UNGLAUBENSKRITIK IM 16. UND
17. JAHRHUNDERT

Mit der positiven Religion entstand erst die wahre Freidenkerei,


und Der hieß Atheist schon, der nicht glauben konnte, was die
Priester geglaubt haben wollten.
Karl Julius Weber1

1. Unglaube als Unmoral


Genese und Funktion eines Argumentationssystems

1.1 Fromme und Gottlose


Biblische Grundlagen des Unglaubensdiskurses

Eine der wichtigsten und in der ideengeschichtlich orientierten Atheismus-


forschung seit jeher nur wenig beachteten Voraussetzungen für die frühneu-
zeitliche Atheismusdebatte liegt in den biblischen Verständnisgrundlagen für
das Phänomen des Unglaubens.2 Dass vor allem im protestantischen Raum die
Bibel bis ins 18. Jahrhundert hinein den Rang einer autoritativen Quelle besaß,
die darüber hinaus von der häuslichen Andacht über den Gottesdienst bis zur
Theologenausbildung eine heute kaum noch vorstellbare Präsenz entfaltete,
bedarf wohl keiner Erwähnung. Erst von hier aus erschließt sich die verblüf-
fende Kontinuität gewisser Annahmen und Unterstellungen gegenüber dem
Atheismus, insbesondere hinsichtlich der allgegenwärtigen Tendenz zur mo-

1
Karl Julius Weber, Democritos oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philoso-
phen, Bd. 7, Stuttgart 1839 (Carl Julius Weber’s sämtliche Werke 22), S. 216.
2
Vgl. Barth 1971, S. 73–75. Von philosophiegeschichtlicher Seite hat zwar Winfried
Schröder mehrfach auf den 14. Psalm – er enthält das »Non est Deus« – hingewiesen, es
bleibt jedoch bei der zitathaften Bezugnahme (vgl. Schröder 1998, S. 27 u. 45; Schröder
2015). – Lateinische Bibelzitate aus der Vulgata im Folgenden, soweit nicht anders ver-
merkt, nach der Edition von Alberto Colunga und Lorenzo Turrado, Madrid 1959; neu-
hochdeutscher Text nach der revidierten Lutherübersetzung von 1984; Luthers Bibelüber-
setzung im ursprünglichen Wortlaut wird hier samt der Vorreden zitiert nach der leicht
zugänglichen dtv-Edition aufgrund der Ausgabe letzter Hand von 1545: Biblia: Das ist,
die gantze Heilige Schrifft, hg. v. Hans Volz unter Mitarbeit von Heinz Blanke, München
1974.
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46 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

ralischen Inkriminierung. Dass die Zeitgenossen diesen Zusammenhang selbst


herstellten, ergibt sich oftmals aus den Quellen selbst: Viele Traktate über und
Pamphlete gegen den Atheismus, auch die Kompendienliteratur seit Beginn
des 18. Jahrhunderts, stellen ihren definitorischen Erörterungen die biblischen
Belegstellen voran, in Einzelfällen erscheinen sogar Bibelzitate auf dem Titel-
blatt.3
Hierbei muss zunächst daran erinnert werden, dass das Lexem ›Atheist‹
(griech. ἄθεος) in der Bibel kaum eine Rolle spielt, die einzige biblische Ver-
wendung (Eph 2,12)4 ist zudem für die heuristischen Bedürfnisse des späten
17. und des 18. Jahrhunderts nur begrenzt brauchbar. Dagegen ist von der Sa-
che des Unglaubens, der Gottlosigkeit oder Unfrömmigkeit überaus oft die
Rede. Die Vorstellung einer verkommenen, widerständigen, durch den wahren
Glauben und Gottesdienst zu erlösenden Welt gehört ja fest zum Selbstver-
ständnis des Christentums und wird im Psalter wie in den Apostelbriefen des
Neuen Testaments an vielen Stellen formuliert.5 Man müsse daher, so emp-
fiehlt es 1668 Sebastian Niemann in seinem Atheus refutatus, nach Bezeich-
nungen wie ›impius‹ (gottlos, Gottloser), ›irrisor‹ bzw. ›illusor‹ (Spötter) oder
›stolidus‹ (töricht, Tor) Ausschau halten: »In Scriptura Sacra Athei per Impios,
Irrisores & Stolidos denotantur.«6
Neben der eben erwähnten Belegstelle für atheos sind es vor allem vier Pas-
sagen, die immer wieder genannt werden und auch nicht selten als Predigttexte
dienen. Die erste (2 Petr 3,3) enthält den von Niemann genannten Ausdruck
›Spötter‹ (griech. ἐμπαίκτης, lat. ›illusores‹),7 sie wird gern da verwendet, wo
das vermeintliche Überhandnehmen des Atheismus mit Endzeiterwartungen
verknüpft wird. Die weitere Schilderung der ›illusores‹ dient als Vorlage, um
die Gewohnheit des spöttischen Redens und Lachens über Kirche und Religi-
on, wie sie in den Augen besorgter Prediger und Theologen vor allem in hö-
fischen, militärischen und akademischen Kreisen zur Mode wurde, als unsitt-

3
Zusammenstellungen von Bibelstellen etwa bei Voetius, De atheismo (1639), S. 114
(»Atheismi & Atheorum meminit sacra scriptura«); Osiander, Exercitatio V. de notitia
dei contra atheos (1658), S. 67 (»Dari Atheos; & Scriptura testatur, & tristis experientia«;
es folgt eine Auflistung von Bibelstellen); ferner Niemann, Atheus refutatus (1668), S. 3
(»Plura extant loca huc pertinentia«); Beermann, Impietas atheistica (1717), S. 6. – Auf
dem Titelblatt von Fotherbys Atheomastix (1622) sind zwei der in der Atheismusdebatte
meistgebrauchten Bibelstellen abgedruckt: Ps 14,1 und Röm 1,20; Ps 14,1 erscheint auch
auf dem Titelblatt von Theodor Undereycks Schrift Der närrische Atheist (1689).
4
Der Ausdruck kommt nur in griechischen Fassung vor, er erscheint dort im Plural
(ἄθεοι); in der Vulgata steht dafür »sine deo«, Luther übersetzt »ohne Gott«.
5
Zur Begriff und Figur des Gottlosen im Psalter vgl. Barth 1971, S. 73 f., sowie die
Hinweise bei Ringgren 1971, S. 52–62.
6
Niemeier, Atheus refutatus, S. 1.
7
Der Ausdruck begegnet etwa, in griechischer Schreibung, bei Spizel, De atheis-
mi radice (1666), S. 20; in lateinischer Transkription (»empaectae«) bei Spizel, Scrutinium
atheismi (1663), S. 109; so auch noch 1766 bei Baumgarten, Geschichte der Religionspar-
theyen, S. 22.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 47

lich zu brandmarken. Die prophezeiten ›Spötter‹, so heißt es nämlich, würden


»nach ihren eigenen Lüsten wandeln« (»juxta proprias concupiscentias ambu-
lantes«). Im französischen Ausdruck ›Libertin‹ ist diese Bedeutung ab 1620
bereits mit enthalten, ebenso im Ausdruck ›Freigeist‹, der in Deutschland ab
etwa 1740 die semantische Dachfunktion des Atheismusbegriffs übernimmt
( VI.5).8
Die zweite Passage stammt aus dem Titusbrief (Tit 1,16) und enthält die für
unseren Zusammenhang bedeutsame Formel »sie sagen, sie kennen Gott, aber
mit ihren Taten verleugnen sie ihn« (»confitentur se nosse Deum, factis autem
negant«). Sie spielt vor allem in der Diskussion um den praktischen Atheis-
mus eine Rolle ( I.5; IV.3.2; V.1), für den sie die definitorische Vorlage bietet,
und benennt das schon bei Luther, dann in der frühpietistischen Theologie des
17. Jahrhunderts viel thematisierte Problem der simulatio oder Heuchelei, also
der rein äußerlichen Anpassung an Bekenntnis und Gottesdienst bei innerer
Loslösung vom Glauben. Darin deutet sich auch schon ein verändertes, mehr
auf das Innere zielendes Religionsverständnis an, das in Deutschland insbe-
sondere der Pietismus im Rückgriff auf die Reformation wiederbeleben wollte
( II.2–4).
Von zentraler Bedeutung ist ferner der Römerbrief, Luther zufolge nicht
weniger als »das rechte Heubtstücke des newen Testaments« und »fast genug-
sam / die gantze Schrifft zuerleuchten«,9 der zusammen mit den Grundlagen
der natürlichen Theologie auch eine kompromisslose Anklage gegen jede Art
von religiöser Devianz formuliert.10 Mit der Behauptung einer prinzipiellen
Erkennbarkeit Gottes aus seinen Werken wird den römischen ›Heiden‹ auch
die letzte Verteidigungsinstanz entzogen, die des Nichtwissens vom christli-
chen Gott, »so daß sie«, heißt es weiter, »keine Entschuldigung haben«. Die
Ablehnung des christlichen Glaubens erfolge vielmehr willentlich oder doch
zumindest aus eigener Schuld, da die Erkenntnis Gottes, die Paulus als Tat-
sache voraussetzt, nicht zur schuldigen Verehrung Gottes führe. Stattdessen
seien die Heiden »dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken«. Sie haben
sich also dem bloß Irdischen zugewandt, sie vertauschen, wie es weiter heißt,
»die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes […] mit einem Bild gleich eines
vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und kriechenden
Tiere«. Das qualifiziert sie in Paulus’ Sicht als »Narren«.
An diesem Punkt kommt wieder die moralische Dimension ins Spiel: Als
Beweis und sichtbares Zeichen mehr denn als Folge der unterstellten Weige-
rung, den einmal erkannten Gott zu verehren, gilt dem Apostel ein Mangel an
Sittlichkeit, den er in einem kurzgefassten Lasterpanorama rhetorisch illust-
riert. Zusammenstellungen dieser Art werden wir im Laufe der Frühen Neu-
zeit immer wieder antreffen, von der staatstheoretischen Literatur der Barock-

8
Vgl. dazu ausführlich Schneider 1970; zum Freigeistbegriff s. u., Kap. VI.5.
9
Luther, Biblia, S. 2254.
10
Vgl. aus exegetischer Sicht Schnelle 22014, S. 327–329, mit weiterer Literatur.
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48 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

zeit über die frühpietistische Mahn- und Erbauungsliteratur bis zu den Mora-
lischen Wochenschriften:

Und gleichwie sie nicht geachtet haben, daß sie Gott erkenneten, hat sie Gott auch
dahingegeben in verkehrten Sinn, zu tun, was nicht taugt, voll alles Ungerechten,
Hurerei, Schalkheit, Geizes, Bosheit, voll Neides, Mordes, Haders, List, giftig, Oh-
renbläser, Verleumder, Gottesverächter, Frevler, hoffärtig, ruhmredig, Schädliche, den
Eltern ungehorsam, Unvernünftige, Treulose, Lieblose, unversöhnlich, unbarmher-
zig. (1,28–31)

Darin liegt ein wichtiges Stück Theologie enthalten, das im Zusammenhang


mit dem Aufschwung der theologia naturalis und ihrer Lehre von der natürli-
chen Gotteserkenntnis seit dem 16. Jahrhundert großen Einfluss auf die Athe-
ismusdebatte gewann: Da die Erkenntnis Gottes prinzipiell jedem Menschen
offenstehe, könne es folglich einen echten, ursächlichen Atheismus eigentlich
nicht geben. Die negatio Dei, ob nun laut ausgesprochen oder »in corde« mit-
gedacht, kann nur als Ergebnis eines Willensaktes gedacht werden. Folgerich-
tig wird der Atheismus schon bei Bacon, Mersenne und Voetius nicht als in-
tellektueller Defekt, sondern als Problem des Willens angesehen. Ähnlich wie
im Römerbrief wird damit vor allem die entschuldigende Berufung auf das
Nichtwissen über Gott pariert, denn die natürliche Gotteserkenntnis ist nach
Auffassung der Scholastik und der rationalistischen Metaphysik dem mensch-
lichen Gewissen apriorisch eingeschrieben. Nichtglauben wird daher als Folge
einer willkürlichen Unterdrückung dieser Erkenntnis angesehen. Wenn also
im Umfeld der natürlichen Theologie von Atheismus die Rede ist, dann wird
nicht selten die Formel der Selbstüberredung (›se persuadere‹) gebraucht. Bei-
spiele dafür werden wir gleich weiter unten in den Bibelkommentaren antref-
fen.
Den noch fehlenden Baustein liefert eine oft anzutreffende sündentheolo-
gische Überlegung. Als Ursache für die Verdrängung der natürlichen Gotte-
serkenntnis aus dem menschlichen Gewissen (oder Herzen, wie es oft heißt)
können sich die Theologen des 16. bis 18. Jahrhunderts nichts anderes vor-
stellen als die menschliche Triebstruktur. Einmal in Sünde gefallen, erschre-
cke der Mensch vor den möglichen Konsequenzen seitens einer göttlichen
Strafinstanz und setze nunmehr alles daran, diese Vorstellung aus seinem Be-
wusstsein zu vertreiben. Neben der Angst wird die Wollust selbst als Stimulus
angenommen: Man verdränge das Wissen von Gott, so heißt es immer wieder,
um ungestört nach den »eigenen Lüsten wandeln« zu können (2 Petr 3,3). In
diesem Argument, das interessanterweise auch gegen Vertreter der religiösen
Heterodoxien (und ergo auch von Katholiken gegen die Reformatoren) ver-
wendet wird, liegt der Kern der frühneuzeitlichen Koppelung von Unglaube
und Unmoral: Nicht Unglaube bringt demnach die Unmoral hervor, sondern
umgekehrt. Das ist von entscheidender Bedeutung, wenn man die Langlebig-
keit dieser Vorstellung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert verstehen will.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 49

1.2 »Non est Deus«


Der Prototyp des Gottesleugners im 14. Psalm

Die Passage der Heiligen Schrift, an der dieser Zusammenhang vorzugsweise


expliziert wurde, bildet auch die wichtigste Bibelstelle im Horizont der euro-
päischen Atheismusdebatte der Frühen Neuzeit. Gemeint ist der in der For-
schung oft zitierte, in der frühneuzeitlichen Apologetik geradezu ubiquitäre
14. (bzw. der fast gleichlautende 53.) Psalm.11 Aufmerksamkeit gewann insbe-
sondere dessen erster Vers. Hier zunächst der Wortlaut der ersten drei Verse,
einmal in der Fassung der Vulgata und einmal in Luthers Übersetzung:12

Vulgata Luther-Übersetzung (1545)


1
In finem, Psalmus David. Dixit insipi- 1
Ein Psalm Dauids / vor zu singen.
ens in corde suo: Non est Deus. Dje Thoren sprechen in jrem hertzen / Es
Corrupti sunt, et abominabiles facti ist kein Gott / Sie tügen nichts vnd sind
sunt in studiis suis: non est qui faci- ein Grewel mit jrem wesen / Da ist kei-
at bonum, non est usque ad unum. ner der guts thue.
2
Dominus de cœlo prospexit super fi- 2
Der HERR schawet vom Himel auff der
lios hominum, ut videat si est intelli- Menschen kinder / Das er sehe / Ob je-
gens, aut requirens Deum. mand klug sey / vnd nach Gott frage.
3
Omnes declinaverunt, simul inutiles 3
Aber sie sind alle abgewichen / vnd alle
facti sunt: non est qui faciat bonum, sampt vntüchtig / Da ist keiner der Gutes
non est usque ad unum. thue / auch nicht einer.

Nicht nur wird hier die rigorose Form des Atheismus, die negatio Dei, in selte-
ner Unmissverständlichkeit formuliert (die Einschränkung »in corde suo« wird
später mal mehr, mal weniger problematisiert),13 sie wird auch simultan mit dem
intellektuellen Verdikt der Torheit und, im weiteren Verlauf des Psalms, mit dem
Vorwurf der Unsittlichkeit verknüpft. Damit ist das zentrale Argumentations-
system der späteren antiatheistischen Apologetik auf engstem Raum formu-
liert, ohne dass schon der Ausdruck ›Atheismus‹ fällt. An diesen Befund lassen
sich nun einige weiterführende Ausführungen anknüpfen. Die Auslegungsge-
schichte des 14. Psalms erlaubt in besonderer Weise, den Reflexionsstand über
das »Problem des Unglaubens« (L. Febvre) für den Zeitraum zu erheben, in dem
der Ausdruck ›Atheismus‹ noch nicht oder nur sehr lose mit der Vorstellung

11
Hier nach der protestantischen Zählung, die auf Luthers Übersetzung beruht. In
spätantiken und neuzeitlich-katholischen Quellen (z. B. bei Augustinus, Mersenne u. a.)
ist entsprechend, nach der Fassung der Vulgata, vom 13. bzw. 52. Psalm die Rede. – Zur
Rezeption in der Forschung vgl. etwa Weltecke 2010 und Schröder 2015.
12
Luther, Biblia, S. 976.
13
Vgl. dazu weiter unten im Kapitel die Ausführungen zur Kommentarliteratur,
außerdem Kap. I.4.1.
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50 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

des Unglaubens verknüpft gewesen ist und in dem ideengeschichtlich von ei-
nem Atheismus sensu stricto noch gar nicht Rede sein kann.
Dabei zeigt sich sehr schnell, dass die stereotype und polemische Vorstel-
lung vom gemeinen Atheisten als eines sittenlosen und unzivilisierten Wüst-
lings, wie sie im 17. Jahrhundert fast durchgängig zu finden ist, bereits fertig
vorlag, bevor der Ausdruck ›Atheismus‹ allgemein in Umlauf kam. Keineswegs
also, das lässt sich auf diese Weise schon hier zeigen, wurde die entsprechende
Feindfigur von der barocken Orthodoxie erdacht, um den gefährlichsten aller
Gegner, den radikalintellektuellen Kritiker der christlichen Offenbarungsre-
ligion, nach dessen erstem Auftreten öffentlich zu stigmatisieren und so zum
Schweigen zu bringen. Sie erwuchs vielmehr aus der Unterscheidung zwischen
Frommen und Gottlosen, wie sie bereits in der Bibel angelegt war. Der über die
Frühe Neuzeit hinweg festgeschriebene Zusammenhang zwischen Unglauben
und Unsittlichkeit (Bayles Einspruch wirkte bei Weitem nicht so stark, wie es
Modelle des ideengeschichtlichen Fortschritts suggerieren;  IV.2) findet seine
komplementäre Entsprechung in der biblisch-christlichen Vorstellung eines
gottgefälligen, nämlich sittlich guten Lebens.
Diese Deutungstradition setzt bereits lange vor der Reformation ein. Hier
genüge der Hinweis auf einen sehr prominenten Gewährsmann: Augustinus.14
In seinen Enarrationes in Psalmos, einer Sammlung von »exegetischen Pre-
digten« (T. Williams),15 bezieht der Kirchenvater den 14. Psalm ausdrücklich
nicht auf die Herausforderung der christlichen Offenbarungsreligion durch
philosophische Kritik oder alternative theologische Modelle.16 Stattdessen
erkennt er im insipiens eine Haltung, die, aus bischöflicher Sicht, die geistli-
che Disziplin innerhalb der Kirche gefährdet. Seine Interpretation des Psalms
setzt bei dem Gegensatz von Weltliebe und Gottesfurcht an. Genau so deutet
er nämlich die Attribute ›corruptus‹ und ›abominabilis‹ im ersten Psalmvers:
»id est, dum amant hoc saeculum, et non amant Deum: ipsae sunt affectiones

14
Die Enarrationes in Psalmos werden zitiert nach der Patrologia latina (ed. Migne),
hier: Bd. 36, Paris 1861, im Folgenden unter der Sigle PL mit Band- und Spaltenzahl. – Die
hier relevanten Ausführungen hat Augustinus mehrheitlich nicht bei der Kommentierung
des 14. (bei ihm noch 13.) Psalms vorgenommen, sondern bei der Auslegung des weitge-
hend identischen 53. (bei ihm 52.) Psalms. Diese Unterscheidung wird im Folgenden nicht
weiter problematisiert. Auf welchen Psalm sich die nachfolgend zitierten Passagen jeweils
beziehen, wird aus der Verteilung der Seitenzahlen (ab Sp. 141 bzw. ab Sp. 614) ersicht-
lich. – Einen aktuellen, bibliografisch gut untermauerten Überblick über Augustinus’ Le-
ben, Lehre und Wirkung bieten für den fachfremden Historiker Hauschild/Drecoll 52016,
Bd. 1, S. 379–415. – Für den hier entfalteten Gedanken, dass Begriffs- und Problemge-
schichte des Atheismus lange Zeit getrennte Wege gingen, genügt mit Blick auf Augustinus
der stichprobenartige Nachweis, dass weder das Augustinus-Lexikon (Chelius 1986) noch
die Concordantia Augustiniana (Lenfant 1956) einen Eintrag ›Atheismus‹ enthalten.
15
Williams 2001, S. 60 (»a collection of exegetical sermons«); allgemein zu Augusti-
nus’ exegetischer Tätigkeit: Bright 1999.
16
PL 36, Sp. 141: »Nec ipsi enim sacrilegi et detestandi quidam philosophi, qui per-
versa et falsa de Deo sentiunt, ausi sunt dicere, Non est Deus […].«
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 51

quae corrumpunt animam«17. Folglich will er das skandalöse Diktum »non


est Deus« – entsprechend dem Zusatz »in corde suo« – auch nicht als wörtli-
che Rede verstanden wissen. Denn das wage niemand.18 Er begreift es eher als
Umschreibung für die fehlende Furcht vor Gott.19 Lange hält er sich deswe-
gen beim fünften (Ps 14,5) bzw. sechsten (Ps 53,6) Psalmvers auf, wo von der
Furcht ohne Furcht die Rede ist (»Deum non invocaverunt: illic trepidaverunt
timore, ubi non erat timor«). Für Augustinus bedeutet das: Wer zu Gott be-
tet, um sich dadurch weltliche Vorteile (»saecularia commoda«) und irdisches
Wohlergehen (»terrenam felicitatem«) zu verschaffen, der betet gar nicht zu
ihm.20 Der Unglaube des biblischen insipiens wird so zur Verwechslung des
Weltlichen mit dem Geistlichen:

Timuerunt regnum terrenum amittere, ubi non erat timor; et amiserunt regnum coelo-
rum, quod timere debuerant: et hoc de omnibus temporalibus commodis intelligen-
dum est, quorum amissionem cum timent homines, ad aeterna non veniunt.21

Die Häresie, als vermeintlich falsche Auffassung von Gott, ist hier offen-
kundig noch nicht sauber getrennt von der negatio Dei. Dieses Phänomen
werden wir weiter unten ( I.2) über die Reformationszeit hinaus bis weit
ins 17. Jahrhundert hinein immer wieder antreffen. So wie Luther später
die Lehre von den guten Werken als faktische Gottesleugnung kritisiert
(s. u.), so bekämpft Augustinus hier, schon in ähnlichem Wortlaut, die Vor-
stellung, dass Gott oder Christus ein Wohlgefallen an bösen Taten haben
könnten.22 Die lebenslange Auseinandersetzung des Kirchenvaters mit
der pelagianischen Gnadenlehre reicht auf diese Weise bis in den Psalter-

17
Ebd.
18
Ebd.: »[…] ideo ergo, Dixit in corde suo; quia hoc nemo audet dicere, etiam si
ausus fuerit cogitare.« – Die Stelle zitiert auch Bayle in § 159 seiner Pensées diverses sur la
comète (ed. Prat, Bd. 2, S. 71).
19
PL 36, Sp. 142: »isti non dicunt, Non est Deus; sed tamen non timent Deum.« –
Ähnlich dann, zum 53. Psalm, ebd., Sp. 613.
20
Ebd., Sp. 618: »Ergo isti qui propter saecularia commoda, qui propter terrena
bona, qui propter vitam praesentem et terrenam felicitatem invocant Deum, non invocant
Deum.«
21
Ebd., Sp. 142. – Ganz ähnlich hat Augustinus an anderer Stelle, in den Anmer-
kungen zum Buch Hiob, den »impius« bestimmt: »Hi sunt impij, qui munera temporalia
praeponunt iustitiae.« Hier zit. n. der Concordantia Augustiniana (Lenfant 1956), Bd. 1,
s. v. ›Impius‹ (unpag.).
22
PL 36, Sp. 614: »Facta sua Deo placere arbitrantur. Non ergo ait, Aliquid dicunt;
sed, Dixit imprudens in corde suo: Non est Deus. Qui usque adeo credunt esse Deum, ut
eidem Deo arbitrentur placere quod faciunt.« – Oder, mit Blick auf das Richteramt Christi
(ebd., Sp. 615): »Cum enim dicimus eis Christum venturum judicem ad judicium, […] ita
faciunt mala, ut dicant sibi: Veniet Christus, et dabit indulgentiam omnibus. […] Quomo-
do ergo omnibus dabit indulgentiam? Quomodo neminem damnabit? Ergo mentitur. Hoc
est dicere: Non est Deus.«
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52 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

kommentar hinein.23 Der Ungerechte, heißt es später, der auf die göttli-
che Nachsicht vertraue, statt das jüngste Gericht zu fürchten, mache seine
Überzeugung kenntlich, es gebe keinen Gott.24 Von dort aus ist es nur noch
ein kleiner Schritt zur Moraltheologie, auf das Engste zusammengedrängt
in der These »qui male vivunt, nihil aliud dicunt quam, Non est Deus«.25
Die längst zum Gemeinplatz gewordene These zur sozialdisziplinieren-
den Funktion von Religion und Kirche findet hier dogmengeschichtlichen
Rückhalt. Ziemlich genau diese Argumentation wird 1639 auch Gisbert
Voetius seiner höchst einflussreichen Definition des Atheismus practicus
zugrunde legen ( I.5).
Nicht intellektueller Radikalismus also, nicht philosophische Skepsis oder
ein Atomismus epikurischer Prägung werden von Augustinus mit der Gottes-
leugnung in Verbindung gebracht. Unglaube ist hier noch gleichbedeutend mit
mala fides, einer irrigen Auffassung von Gott, aus der sich für Augustinus ein
fataler Dreischritt (»gradus isti«) ergibt: erst die ›corruptio‹ des Geistes, die ein
richtiges Nachdenken über Gott verhindert, sodann das durch keine Furcht
mehr gebremste moralische Fehlverhalten (»turpes mores«) und schließlich,
als dessen Folge oder Kulminationspunkt, der Absturz in die Ungerechtigkeit
(»iniquitates«).26 Was bleibt, ist ein Leben ohne Gott im Sinne von Eph 2,12,
also ein Leben ohne Hoffnung auf Gnade, Auferstehung und ewiges Leben.27
Mit der heroischen Auffassung des Atheismus als eines mutigen Widerstands
gegen die Macht der Kirche und den sozialen Druck der gesellschaftlichen
Mehrheit, wie sie in der ideengeschichtlichen Forschung gelegentlich anzu-
treffen ist,28 hat diese Deutung des »non est Deus« offenbar wenig zu tun. Und
doch trägt sie mehr als diese dazu bei, das historische Verständnis dafür zu
sensibilisieren, was die Apologetik der Frühen Neuzeit weit überwiegend un-
ter Atheismus verstand.

23
Explizit werden nur die Arianer (»Ariani«) und die Eunomianer (»Eunomiani«)
sowie, ganz allgemein, die Heiden (»Pagani«) genannt (ebd., Sp. 614). – Zur Auseinan-
dersetzung des Kirchenvaters mit dem Pelagianismus vgl., für unsere Zwecke genügend,
den Artikel Pelagius/Pelagianischer Streit (in: TRE, Bd. 26, 1996, S. 176–185 [G. Bonner])
sowie Hauschild/Drecoll 52016, S. 396–406.
24
PL 36, Sp. 614: »Tu autem cum putas ei placere iniquitatem, negas Deum.«
25
Ebd., Sp. 615.
26
Ebd., S. 614: »Audi illos corruptos. Dixerunt enim apud se non recte cogitantes:
coepit corruptio a mala fide, inde itur in turpes mores, inde in acerrimas iniquitates, gradus
isti sunt.«
27
Augustinus wählt zur Illustration dieser Haltung die bekannte Stelle aus dem Ko-
rintherbrief (ebd.): »Manducemus et bibamus, cras enim moriemur.« (1 Kor 15,32)
28
Detailliertere Hinweise dazu weiter oben in der Einleitung.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 53

1.3 Der insipiens als alter Adam


Unglaube als anthropologisches Datum
in Luthers Psaltervorlesung (1519)

Sofern mit der Frage nach dem moralischen Lebenswandel als dem Unter-
scheidungsmerkmal zwischen Frommen und Unfrommen auch das dogmen-
geschichtlich brisante Thema der guten Werke berührt ist, führt die Frage
nach dem Unglauben als Unsittlichkeit in die Kernzone reformatorischer
Theologie: in Luthers Lehre von Sünde, Gesetz und Gnade. Tatsächlich ge-
hört die Auseinandersetzung mit dem Psalter auch in die Anfänge von Lu-
thers theologischem Aufbruch.29 In der ersten Psaltervorlesung von 1513/15
hat Luther den 14. Psalm nicht behandelt. Aus seiner zweiten Psaltervorlesung
jedoch (Operationes in Psalmos, 1519/21),30 genauer: aus dem Kapitel über den
14. Psalm, wurde wenig später als Auszug die kleine Schrift De fide et operi-
bus entnommen, in der die sola fide-Doktrin und mithin die Ablehnung der
Werkgerechtigkeit bereits voll entwickelt da steht.31 Wenn es stimmt, dass die-
ser kleine Sermon die »Keimzelle dessen« enthält, »was der reformatorische
Luther zum Verhältnis von Glauben und Werken ausführte«,32 dann kommt
der Beschäftigung mit dem 14. Psalm, ähnlich wie derjenigen mit dem Römer-
brief (in der vorangegangenen Römerbriefvorlesung 1515/16), eine Schlüssel-
rolle innerhalb von Luthers frühem theologischem Schaffen zu. Einer älteren
Untersuchung Wilhelm Maurers zufolge bildet der Exkurs De fide et operibus
sogar die Grundlage für zwei bedeutende Hautpschriften der Reformation, für
den Sermon Von den guten Werken und Von der Freiheit eines Christenmen-
schen (beide 1520).33
Gerade weil allerdings Luther in seiner Auslegung des 14. Psalms – mit
deutlicher Absetzung von den römischen »operarii«34 – Grundlinien seiner
Theologie entwickelt, vor allem die Kritik der Werkgerechtigkeit und das
komplementäre sola fide-Prinzip, hat sich seine Deutung als wenig anschluss-
fähig für die ersten Jahrzehnte der Atheismusdebatte gezeigt. Denn das Leben
der Sünder oder Ungläubigen, wie er es im Psalm beschrieben sieht, stellt für
ihn gerade keine Ausnahme dar, sondern, gut paulinisch, die anthropologische

29
Auf eine Auseinandersetzung mit kirchen- und dogmengeschichtlicher Spezial-
literatur muss hier verzichtet werden. Zu Entstehung, Druckgeschichte, Tragweite und
Wirkung der Operationes in Psalmos vgl. die bisher ausführlichste Darstellung von Ham-
mer 1991 als Einleitung zur kommentierten Neuübersetzung. – Vgl. im Übrigen Hau-
schild 32005, S. 281–284 (mit Literatur), Schilling 42016, S. 146–155, sowie den Artikel
Vorlesungen im Luther-Handbuch von Jens Wolff (Beutel 32017, S. 365–372).
30
Luthers Werke werden im Folgenden zitiert nach der Weimarer Ausgabe (abge-
kürzt WA, die Tischreden mit der zusätzlichen Sigle TR) mit Band- und Seitenzahl.
31
Vgl. Bayer 32007, S. 256–262.
32
Bayer 32007, S. 256.
33
Vgl. Maurer 1949; daran anknüpfend noch unlängst Bayer 32007, S. 256.
34
WA 5, S. 397 u. 406.
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54 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Norm.35 Diese sei gekennzeichnet durch die fundamentale »ignorantia dei«,


von der aus sich Luther zufolge alle anderen Übel herleiten.36 Jeder Mensch sei
daher der Tor (Luther braucht das hebräische Wort nabal), von dem der Psal-
mist David hier spreche.37 Keineswegs also nutzt Luther wie so viele spätere
Interpreten den Psalm, um die negatio Dei als gefährliche Ausnahmeerschei-
nung zu stigmatisieren. Der Unglaube betrifft für ihn, wie die Sünde, jeden
einzelnen Menschen. Diese radikale Fassung des Unglaubensverständnisses
wird im engeren Rahmen der Atheismusdebatte erst in der Frühphase des Pi-
etismus wiederkehren ( II.2; II.3; III.3). Dort wird in ähnlicher Weise wieder
die vera religio aus der Analyse des eigenen inneren Unglaubens statt durch
Abgrenzung von einem äußeren Feind (den Atheisten) gewonnen werden.
Dass bei Schlüsselfiguren des frühen Pietismus wie Spener oder Seckendorff
auch ganz generell eine Rückbesinnung auf Luthers Reformation stattfindet,
kann in diesem Zusammenhang nicht verwundern. Insgesamt bleibt diese
Sicht auf das Unglaubensproblem allerdings eine Randerscheinung.
Übereinstimmungen mit dem Mainstream der späteren Atheismuskritik
zeigen sich dagegen in der phänomenlogischen Analyse des Unglaubens. Mit
›ignorantia‹ ist, wie Luther im Folgenden klarstellt, nicht Unwissen im Sin-
ne von Nichtwissen gemeint. Er verweist dazu auf die oben skizzierte Ar-
gumentation des Römerbriefs über die dem Menschen »unaustilgbar« (»in-
extinguibiliter‹) innewohnende Gotteserkenntnis.38 Dieses Argument wird bis
ins 18. Jahrhundert, mit nur wenigen Ausnahmen wie etwa Richard Bentley
( IV.4.1), fest zum Arsenal der antiatheistischen Apologetik gehören. Ebenso
wenig will Luther das »dixit« des Psalms als explizite negatio Dei verstehen.
Man könne, führt er unter Rückgriff auf Tit 1,16 aus, über Gott sprechen und
ihn doch mit Taten verleugnen. Schon vor Beginn der eigentlichen Atheismus-
debatte werden also die oben genannten einschlägigen Bibelstellen aufeinander
bezogen. Vielmehr deutet Luther das »dixit« aufgrund des Zusatzes »in cor-
de suo« als Bezeichnung einer inneren Ablehnung aus einem inneren Impuls
(»intimo affectu«) heraus. Erst von da aus entstehe auch jene »Blindheit des
Geistes« (»caecitas quoque mentis«), die das richtige Urteil über Gott verzer-
re.39

35
WA 5, S. 392: »Nihil ergo hoc psalmo de persecutione piorum, nec de falsis ma-
gistris loquitur, sed scopus eius est, Mores et vitam peccatorum sive generationis pravae
describere et ostendere, omnes homines esse peccatores et malos, qui extra gratiam agunt,
ut qui non nisi in superbia, libidine, rapina, fraude, caede et similibus peccatis vivunt, licet
haec omnia nitantur colorare aut negligant observare. Et in hunc scopum adducit eum
Paulus Ro. iij.«
36
»Ebd.: »Primum malum, fons scilicet omnium malorum, est ignorantia dei, qui
enim in primum praeceptum peccat, nullum aliorum non praevaricatur.«
37
Ebd.: »Itaque omnis filius Adam est ›Nabal‹ iste, idest stultus et idolatra, ignarus
dei, ut hic dicitur.«
38
Ebd.
39
WA 5, S. 393.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 55

In der Beurteilung des moralischen Verhaltens betritt Luther dann wieder


seinen ganz eigenen Weg, an dem die Atheismusdebatte der folgenden an-
derthalb Jahrhunderte mehrheitlich vorbeigegangen ist. Aus der Deutung des
zweiten Abschnitts von Ps 14,1 (»Corrupti sunt …«) entwickelt er seine Kri-
tik der Werkgerechtigkeit, wie sie später in der Schrift Von den guten Werken
detaillierter ausgearbeitet werden sollte. Wenn es im Psalm heißt, dass keiner
der ungläubigen ›Toren‹ gute Taten vollbringe (»non est, qui faciat bonum«),
dann deutet Luther das gerade nicht, wie viele spätere Interpreten, als Beweis
für die sittliche Deformation der Gottesleugner im Sinne einer Unfähigkeit
oder Weigerung, moralische Normen einzuhalten – nicht also als Epikureis-
mus oder als Libertinismus avant la lettre. Vielmehr müssten alle ihre Taten
notwendig verderbt und abscheulich sein (»omnia eorum studia […] esse pra-
va et abominabilia«),40 da sie nicht aus dem Glauben heraus geschehen würden.
An dieser Stelle kommt erneut der für den frühen Luther so zentrale
paulinische Einfluss zur Geltung, die bekannte Formulierung aus dem Rö-
merbrief nämlich, dass alles Sünde sei, was nicht aus dem Glauben geschehe
(Röm 14,23).41 Luther glaubt darin, wie es weiter heißt, »das ganze Leben der
Ungläubigen« (»incredulorum«) zusammengefasst zu sehen.42 Da sie nicht im
Glauben leben, könne ihr sämtliches Tun folglich nichts anderes als Sünde sein.
Eine vermeintlich objektive Bewertung von Werken als moralisch gut oder
indifferent (»opera moraliter bona et neutralia«),43 vor allem aber die mögli-
che Heilsrelevanz solcher Werke weist Luther daher als Irrtum,44 ja sogar als
»törichte und gottlose Meinung« zurück.45 Mehr noch, es handle sich um die
Behauptung von Betrügern, welche die Furcht vor Gott zunichtemachen wür-
den.46 Der gute Christ vertraue dagegen darauf, dass alle seine Taten bei Gott
Gefallen fänden:47 Im und aus dem Glauben seien alle Werke gleich.48 Genau das

40
Ebd.
41
Oswald Bayer zufolge wendet Luther hier »die Negativformulierung von
Röm 14,23 gleichsam in die positive Formulierung, dass aus dem Glauben alles Gute folgt«
Bayer 32007, S. 259, Anm. 18.
42
WA 5, S. 393: »Atque ita uno verbo breviter pronunciat universam vitam incredu-
lorum, ut Ro. xiiij. ›Omne quod non est ex fide, peccatum est‹.«
43
Ebd., S. 394. – Zu Luthers Kritik an der »Moralisierung des Christlichen«, die für
ihn der Gottesleugnung gleichkam, vgl. die gleichnamige gewichtige Untersuchung von
Ebeling 1985; vgl. auch, mit Blick auf Luthers Epikureismuskritik, Maron 1988, S. 34 f.
44
WA 5, S. 396: »Error ergo est, fidem et opus ius iuxta alias virtutes et opera collo-
care […].«
45
Ebd., S. 397: »Ubi autem fides non est, ibi fervet miserrimum negocium distin-
guendorum, eligendorum, reprobandorum operum, dum stulta et impia opinione credunt,
se hoc opere minus et illo magis placituroes esse […].«
46
Ebd., S. 394: »Sic enim miseri loquuntur deceptores, timorem dei extinguentes,
hominibus palpantes et gratiam fidei minorantes.«
47
Ebd.: »Oportet enim, christianum hominem credere, sese in omnibus placere
deo.« Genau nach dieser Stelle beginnt der Passus, der später unter dem Titel De fide et
operibus separat gedruckt wurde.
48
Ebd., S. 395: »Itaque in fide omnia opera sunt aequalia, utcunque sese obtulerint.«
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56 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

bedeutet für Luther der Glaube (»fides«).49 In dieser Haltung sieht er eine weit
größere Herausforderung als in der äußeren Anpassung an moralische Gebo-
te.50 So und nur so ist es zu verstehen, wenn er nach Ende des Exkurses über
die Werke und nach einer weiteren Betrachtung über die Bedeutung von Zere-
monien den Unglauben oder die Gottlosigkeit als Quelle aller Übel bezeichnet
(»fons et caput est malorum«).51 In der bekannten Vorrede zum Römerbrief
im Rahmen seiner Bibelübersetzung hat er diesen Gedanken ausführlicher
entwickelt und dabei das Verhältnis von Unglaube und guten Werken noch
einmal mit deutlicher Spitze gegen die Idee der Werkgerechtigkeit formuliert:

Vnd sonderlich sihet die Schrifft ins hertz / vnd auff die wurtzel vnd heubtquelle aller
sünde / welche ist der Vnglaube im grunde des hertzen. Also / das / wie der Glaube
alleine gerecht macht / vnd den Geist vnd lust bringet / zu guten eusserlichen wer-
cken / Also sündiget alleine der vnglaube vnd bringet das Fleisch auff / vnd lust zu
bösen eusserlichen wercken / wie Adam vnd Heua geschach im Paradis / Gen. a. m.
iij. Cap. Gen. 3.
DAher Christus alleine den vnglauben sünde nennet / da er spricht Johan. xvj. Der
Geist wird die Welt straffen vmb die Sünde / das sie nicht gleuben an mich. Darumb
auch / ehe denn gute oder böse werck geschehen / als die guten oder bösen Früchte /
mus zuuor im hertzen da sein Glaube oder Vnglaube / als die wurtzel / safft vnd
heubtkrafft aller sünde.

Dieses fundamental sündentheologische Verständnis des Unglaubens eignete


sich, so wurde schon festgestellt, recht wenig für die feindbildartige Inszenie-
rung des Atheisten als eines äußeren Gegners und für die später damit häufig
verbundenen Klagen über den genius saeculi.52 Trotz mancher Ausfälle gegen
die römischen »operarii« macht Luther in der zweiten Psaltervorlesung auch
noch nicht von der Gelegenheit Gebrauch, den Unglaubensvorwurf gegen die
Papstkirche zu wenden. Das ändert sich knapp zehn Jahre später in der soge-
nannten Koburger Auslegung der ersten 25 Psalmen.53 Zwar heißt es auch dort
noch bei Erläuterung des ersten Psalmverses: »Universum genus humanum
spricht in seinem hertzen, es sey kein Gott.«54 Schon die Erklärung des Wortes
›insipiens‹ (hebr. nabal ) nimmt jedoch eine besondere Zuspitzung vor. Nun
heißt es, mit dem Toren seien Menschen gemeint, die ohne das Wort und ohne

49
Ebd.: »Fides autem esse nullo modo potest, nisi sit vivax quaedam et indubitate
opinio, qua homo certus est, super omnem certitudinem sese placere deo, se habere pro-
pitium et ignoscentem deum in omnibus, quae fecerit aut gesserit: propitium in bonis,
ignoscentem in malis.«
50
Ebd., S. 398.
51
Ebd., S. 407: »Declinatio pertinet ad impietatem seu incredulitatem, quae fons et
caput est malorum, sicut econtra Pietas seu fides est initium bonorum, qua ad deum pro-
pinquamus.« Luther kommentiert damit die Formulierung »Omnes declinaverunt« in Ps
14,3 (s. o.).
52
Vgl. Barth 1971, S. 36–48.
53
WA 31, S. 258–383.
54
Ebd., S. 307.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 57

die »sapientia Christi« leben würden, nämlich Türken, Anhänger des Papstes
und die »sapientissimi in mundo«. Erkennbar werde das aus ihren Taten (»fac-
tis ostendunt«).55
Nicht nur macht hier Luther einen großen Schritt auf die später gängigen
Deutungen des Atheismus zu. Mit den »sapientissimi in mundo« nimmt er
außerdem eine Gruppe in den Blick, die späterhin – als Libertins, ›Freigeis-
ter‹ oder Religionsspötter – im Objektbereich der Apologetik eine zentrale
Stellung einnehmen sollten. Luther selbst verwendete dafür seit der Mitte der
1520er-Jahre bevorzugt den Ausdruck ›Epicurei‹.56 Darauf wird gleich noch
zurückzukommen sein. Am nächsten steht Luther dem Atheismusbegriff des
17. und frühen 18. Jahrhunderts in den Anmerkungen zu dieser Stelle in seiner
Bibelausgabe. Dort heißt es erklärend zu dem Ausdruck »Thoren«: »Das ist /
rohe lose Leute / die nach Gott nicht fragen.«57 Die Passage über die Got-
tesfurcht (Ps 14,5: »illic trepidaverunt timore, ubi non erat timor«), die schon
Augustinus nachhaltig beschäftigt hatte (s. o.), erläutert Luther wie jener schon
weitgehend im Sinne dessen, was die Apologetik in Barock und früher Auf-
klärung dann ›praktischen Atheismus‹ genannt hat ( I.5): »Gott fürchten sie
nicht / Sonst fürchten sie allerley / Als bauch / brot / gut / ehre / fahr / tod.«58

1.4 Dei oblivio


Auf dem Weg zu einer Psychologie des Unglaubens
(Bucer, Calvin, Bellarmino)

Luthers Deutung konnte hier nicht übergangen werden, obschon sie für weite
Teile der bald einsetzenden Atheismusdebatte zunächst nur wenige Anschluss-
punkte bereithielt. Es sind zwei andere bedeutende Reformatoren, Martin Bu-

55
Ebd., S. 307 f.: »Nomen ›Nabal‹, quod insipientem fecerunt, significat omnem ho-
minem, qui est sine sapientia Christi et sine verbo: Turca, papa et sapientissimi in mundo,
quicquid non credit Deo ex corde, est ›Nabal‹, id quod factis ostendunt, quia damnant
verbum dei.« – Die auch in der Atheismusdebatte des 17. Jahrhunderts ( II.2–4) viel ge-
nutzte Formel »sapientissimi in mundo«, sicherlich vor allem nach Röm 1,22 (»dicentes
enim se esse sapientes, stulti facti sunt«); ähnlich auch bei Tertullian, der Röm 1,22 und Ps
14,1 kombiniert (De praescriptione haereticorum VII,1): »Hae sunt doctrinae hominum et
daemoniorum prurientibus auribus natae de ingenio sapientiae saecularis quam Dominus
stultitiam vocans stulta mundi in confusionem etiam philosophiae ipsius legit.«
56
Offensichtlich etwa in seiner Auslegung der Areopagrede des Paulus (Apg 17)
während einer Predigt des Jahres 1524, wo er den Ausdruck ›Epicureorum‹ (Apg 7,18)
kommentiert (WA 15, S. 631): »Erant variae sectae Athenis. Epicurei voluerunt esse sapi-
entissimi et deinceps.« Vgl. auch Maron 1988, S. 28, Anm. 125. – Mehr dazu weiter unten,
Kap. I.1.5.
57
Luther, Biblia, S. 976.
58
Ebd. – Der moralistisch-ironische Topos vom Bauch als Herrscher ist sowohl
biblisch (Phil 3,19: »Feinde des creutzes Christi / welcher Ende ist das verdamnis / wel-
chen der Bauch jr Gott ist«, ebd., S. 2370) als auch römisch-antik belegt (Sallust, Catil. 2,8:
»mortalis, dediti ventri atque somno«).
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58 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

cer und Jean Calvin, in deren Auslegung des 14. Psalms wir eindeutig die Rich-
tung auf jene Modellbildungen eingeschlagen sehen, mit denen die Apologeten
des 17. und frühen 18. Jahrhunderts den Atheismus bzw. den Atheisten zu
begreifen versuchten. Wer nach Vorbildern oder zumindest Vorläufern für die
unter dem Stichwort causae atheismi gebündelten Charakteranalysen und nach
Gründen für ihre überraschende Einheitlichkeit und Zählebigkeit sucht, kann
hier fündig werden. Eingehender als Augustin oder Luther haben Bucer und
Calvin nach dem problematischen Übergang vom Glauben zum Unglauben
gefragt und so ein rudimentäres Modell für eine atheistische Biografie entwor-
fen. Das »non est Deus« erscheint bei ihnen wie noch knapp zweihundert Jahre
später – bei Brockes oder Haller – nicht als feste innere Überzeugung oder ge-
nuines Nichtwissen, sondern als Folge einer Verdrängungsleistung, welche die
in der cognitio Dei insita unauslöschlich (»inextinguabiliter« hieß es eben noch
bei Luther) festgeschriebene Gewissheit von der Existenz Gottes vorüberge-
hend unterdrückt. Vor allem aber haben sie die Interpretation des biblischen
insipiens in besonderer Weise dafür genutzt, den im Psalm angeschnittenen Zu-
sammenhang zwischen Unglauben und Unmoral zu deuten und psychologisch
plausibel zu machen. Insofern stand, um es noch einmal hervorzuheben, der
wichtigste und auch staatstheoretisch höchst relevante Bestandteil des antiathe-
istischen Argumentationssystems bereits fest, bevor der ›Atheist‹ als Feindfigur
überhaupt die Bühne der europäischen Öffentlichkeit betrat.
Martin Bucers Psalmorum familiaris explanatio erschien in Verbindung mit
seiner 1529 (unter dem Pseudonym Aretius Felinus) gedruckten lateinischen
Übersetzung des Psalters aus dem Hebräischen.59 Das ist auch deswegen er-
wähnenswert, weil Bucer die eben skizzierte moralpsychologische Deutung
bereits in seine Übersetzung einfließen lässt. Das hebräische Wort »nabal«
(‫)נבל‬, in der Vulgata mit ›insipiens‹, von Luther mit ›Toren‹ übersetzt, gibt
Bucer mit »nequam« wieder, also etwa mit ›Nichtsnutz‹ oder ›Schurke‹.60 Im
Kommentar nimmt er dazu Stellung. Das Wort »nabal« bezeichne, so Bucer,
nicht irgendeine Torheit (»non quamlibet stultitiam«), sondern eine bestimmte
Torheit in Verbindung mit Bosheit oder Ruchlosigkeit (»quae sit cum scelere
coniuncta«).61 Bucer lässt, nach einigen biblischen Belegstellen, einen kurzen

59
S[acrorum] psalmorum libri quinque ad Ebraicam veritatem versi, et familiari ex-
planatione elucidati. Per Aretium Felinum theologum, o. O. 1529. – Zur Auflösung des
Pseudonyms vgl. Dankbaar 1961, S. 33; Hobbs 1984, S. 477, Anm. 2. – Bucers Psalterkom-
mentar allgemein behandelt umfassend Hobbs 1971; vgl. auch Hobbs 1984; zu Bucers
Hermeneutik allgemein vgl. Müller 1965 (laut Bibelstellenregister jedoch ohne Ausfüh-
rungen zu Ps 14).
60
Bucer, Psalmorum libri quinque, Bl. 79v. – Bereits zwei Jahre zuvor hatte der be-
deutende Hebraist Santes Pagninus (1470–1541) in seiner lateinischen Übersetzung der
biblischen Urtexte das Wort »nabal« mit »nebulo«, also ›Taugenichts‹ oder ›Schuft‹ über-
setzt. Hier nach der synoptischen Übersicht von Übersetzungen des 14. Psalms in Wil-
helm Lyser (praes.), Gottfried Christian Bose (resp.), Explicatio priorum trium commatum
psalm. XIV., Wittenberg 1641, S. 7.
61
Bucer, Psalmorum libri quinque, Bl. 80v.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 59

moralphilosophischen Exkurs folgen, um zu erweisen, dass die hier geschil-


derte Torheit das Gegenteil zur römischen Zentraltugend frugalitas statt zur
sapientia darstelle. Er beruft sich dabei – immerhin im Rahmen einer Psalter-
auslegung! – auf Cicero als Gewährsmann.62
Ebenso wichtig ist es für Bucers Deutung, das »nabal« nicht im Sinne von
Wahnsinn oder Demenz zu verstehen,63 wie es neben Calvin auch viele spätere
Interpreten unternehmen sollten ( I.4; IV.4.1). Stärker noch als Luther stützt
er sich nämlich auf die paulinische Lehre von der natürlichen Gotteserkennt-
nis, um das »non est Deus« nicht als kognitives Versagen oder wenigstens,
wie später Thomasius und Christian Wolff, als Irrtum erscheinen zu lassen,
sondern als eine moralisch-charakterliche Fehlhaltung des ganzen Menschen.
Gerade von dem Wissen um Gott als »Aufseher und Richter über die Tugend-
haftigkeit« (»exactorem uirtutis & iudicem«) her erklärt Bucer das Bedürfnis
gewisser Menschen die »Dei cognitio« und damit auch die moralisch ver-
pflichtende Liebe zu Gott in sich zu unterdrücken.64 Auch verworfene Cha-
raktere (»& reprobi«), heißt es in deutlicher Anlehnung an den Römerbrief,
würden über diese cognitio verfügen und damit jeglicher Entschuldigung für
ihre Schandtaten beraubt.65
In diesem Punkt argumentiert er anders als Augustinus oder Luther: Statt
zu einer falschen Lehre von einem alles verzeihenden Gott (Augustinus) oder
von ihn milde stimmenden guten Taten führt Bucer zufolge die Angst vor
dem göttlichen Richter bei einigen Menschen zu dem Wunsch, er möge gar
nicht erst existieren.66 Am Anfang steht die Schandtat (»flagitium«), ob nun
gewohnheitsmäßig oder als einmaliger Fehltritt. Den abschüssigen Weg von
dort über erste tastende Gedanken bis hin zum (vergeblichen) Versuch der
Selbstüberredung, dass es Gott nicht gebe, dabei aber doch stets getrieben von
der quälenden Angst vor Strafe, schildert Bucer mit beachtlichem psychologi-
schem Einfühlungsvermögen:

Proinde qui sese flagitijs addicunt, & in quaeuis scelera praecipitant, primum obfir-
mant apud se quantum possunt, non esse Deum, etiamsi id penitus persuadere sibi ne-
queant, id quod eo de se produnt, quod diuinae ultionis metu identidem exanimantur.
Ita enim habet conditio illorum, ut qui inquinati sunt mente & conscientia, atque per
omnia reprobi in suis studijs et operibus peßimis obbrutescunt.67

62
Ebd.
63
Ebd., Bl. 80r: »Id fere uertunt, stultus siue insipiens, neque sine ratione […].«
64
Ebd.: »Etenim qui uere Deum esse agnoscit, exactorem esse uirtutis & iudicem
ignorare non potest, atque ideo prauis suis cupiditatibus frena haudquaquam laxabit.«
65
Ebd.
66
Zu Bucers Augustinusrezeption vgl. Backus 2013; speziell zu den Enarrationes in
Psalmos vgl. die Hinweise von Chapot 2016.
67
Bucer, Psalmorum libri quinque, Bl. 80r.
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60 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Diese menschlich nicht gänzlich abwegige Überlegung wirft ein ungewohn-


tes Licht auf die scheinbar vertraute Debatte über den tugendhaften Atheis-
ten, die ideengeschichtlich eng mit dem Namen Pierre Bayle verbunden ist
( IV.2). Nicht der Unglaube führt zur Unsittlichkeit, wie Bayle mit guten
Gründen bestritt; für Bucer zieht vielmehr gerade umgekehrt das unsittliche
Verhalten den Wunsch nach sich, von Gottes Gericht und damit von Gott
überhaupt verschont zu bleiben. So ist es gemeint, wenn Bucer einleitend be-
merkt, »omnium flagitiosorum fontem psaltes aperuit«.68 Die Formulierung
›sibi persuadere‹ setzt dabei einen ganz anderen Akzent als heute gängige
Vorstellungen über Atheismus als eines nicht ableitbaren, durch Argumente
nicht zu behebenden, gleichsam ursprünglichen Nichtglaubenkönnens. Sie
wird uns in den antiatheistischen Traktaten und Pamphleten des 17. Jahr-
hunderts noch oft begegnen. Atheismus, ob nun in Form der radikalen ne-
gatio Dei oder als der von Augustinus und Luther bekämpfte Mangel an
Gottesfurcht, konnte im konfessionellen Zeitalter und lange darüber hinaus
gar nicht anders verstanden werden denn als schreckliche Verirrung und Ab-
weichung von der recta ratio. Es wurde schon auf das kuriose Missverhältnis
hingewiesen, dass in vielen Schriften gegen den Atheismus unmittelbar neben
der Klage über seine zunehmende Verbreitung der Zweifel formuliert wurde,
ob es einen Atheimus sensu stricto überhaupt geben könne. Dagegen stand
bis zur Spätaufklärung, im Großen und Ganzen unerschüttert, die Lehre von
der natürlichen Gotteserkenntnis. Insofern musste er, aus Sicht von Kirche
und Staat, zwar bekämpft, er musste aber auch erklärt werden. Dafür griff
man auf Modelle zurück, die, wie wir hier erneut sehen können, theologisch
schon vorlagen, bevor der Atheismus (unter dieser Bezeichnung) zum The-
ma für die Apologetik wurde.
Calvins Interpretation des 14. Psalms im Rahmen seines Psalterkommentars
von 155769 berührt sich grundsätzlich eng mit derjenigen Bucers (dabei mag die
gemeinsame Straßburger Zeit eine Rolle gespielt haben),70 setzt aber andere
Akzente. Zwar weist er auf die moralische Dimension des Wortes »nabal« hin,
rückt die sprichwörtliche Torheit aber dann – sicherlich gegen Bucer (darauf
deutet der Gebrauch des von Bucer vorgeschlagenen Wortes »nequam«) – ent-
schieden in Richtung Wahnsinn und Raserei (›vesania‹, ›vecordia‹).71 Das hat

68
Ebd.
69
Zit. n. dem Erstdruck: In librum psalmorum, Iohannis Caluini commentarius,
Genf 1557. Da es sich um ein großformatiges und engbedrucktes Werk handelt, finden
sich alle nachfolgenden Zitate auf der gleichen Seite (S. 51). Einzelnachweise können des-
wegen entfallen. – Zu den Bibelkommentaren Calvins vgl. den Überblick von Blacketer im
Calvin-Handbuch (Blacketer 2008).
70
Calvin war 1538 auf Einladung Bucers nach Straßburg ins Exil gegangen, wo er bis
1541 blieb. Zu seinem Aufenthalt und den theologischen Implikationen vgl. den Artikel
Calvin und Straßburg im Calvin-Handbuch (Arnold 2008).
71
»Quum ‫ נבל‬Hebraeis non stultum modo, sed peruersum quoque & nequam ho-
minem significet, non incommode posset ita exponi in hoc loco: ego tamen quod magis
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 61

hier wohl auch rhetorische Gründe. Überhaupt ist Calvins Darstellung sicht-
lich auf die Wirkung des movere hin konzipiert, schon fast wie eine Streit-
schrift oder eine Predigt. Darüber hinaus aber scheint ihm daran gelegen zu
sein, mit dem Apostel Paulus (Röm 1,22) und mit Luther einen Seitenhieb
gegen die selbst ernannten Weltweisen zu platzieren. So weitet sich bei ihm die
Analyse des Unglaubens zur allgemeinen Sitten- und Kulturkritik,72 wie es im
Rahmen der Atheismusdebatte noch oft geschehen sollte. Im so entstehenden
bissigen Porträt des lachenden und spottenden Weltmanns in seiner angemaß-
ten, von der Welt hofierten Klugheit sehen wir darüber hinaus schon einen
frühen Vorläufer des barocken Politicus ( II.2; III.3) und des »Freygeists«
( VI.5) im 18. Jahrhundert. Offenkundig handelt es sich um Variationen eines
und desselben Feindbilds:

Neque enim vulgaris stultitiae hostes suos insimulat Dauid, sed potius in eorum ve-
cordiam, insanamque duritiem inuehitur, quos mundus valde sapere iudicat. Nam qui
maxime prudentes & consulti tam sibi quam aliis videntur, eos vtplurimum videmus
fodere astutiae latebras, vt Deum spernendo ac ridendo, ingenii sui acumen exerce-
ant. Primo itaque sciendum est, quantumuis mundus versutis & nasutis hominibus
applaudat, qui sibi quiduis licentiae indulgent, insaniae tamen ipsos a Spiritu sancto
damnari: quia nullus est magis brutus stupor, quam Dei obliuio.

Möglicherweise hat Calvin hier konkrete zeitgenössische Phänomene im


Auge, etwa den Skandal um Pomponazzis Tractatus de immortalitate animae
(1516)73 oder die Fehde mit dem 1547 hingerichteten Genfer Libertin Jacques

receptum est, libenter sequor, vt vesaniae damnentur omnes prophani homines, qui abiec-
to Dei metu se ad iniustitiam proiiciunt.« – Der Vorwurf der Profanität verbindet sich
bei Calvin auch sonst häufig mit der Vorstellung der Gottlosigkeit, ist stellenweise sogar
gleichbedeutend damit. Hier ist nicht zuletzt an seine Polemik gegen die sogenannten Li-
bertiner zu denken, die hier außer Betracht bleiben darf; sie ist bestens aufgearbeitet bei
Schneider 1970, S. 54–72, der in einer Analyse von Calvins Schrift Contre la secte phantas-
tique et furieuse des Libertins (1545) sehr präzise die semantische und polemische Dimen-
sion des Libertin-Begriffs herausarbeitet und so völlig zutreffend auf die konfessionellen
Beweggründe für die Entstehung des Feindbilds ›Libertin‹ aufmerksam macht; vgl. auch
Strohm 1996, S. 556 f.; gänzlich ungenügend dagegen die Ausführungen zu den Libertins
im Beitrag Calvin und seine Gegner im Calvin-Handbuch (van Veen 2008).
72
Dem entspricht schon die Leseanweisung, mit der Calvin die Deutung des vor-
liegenden Psalms eröffnet: »Scimus enim quam duriter nos cruciet haec tentatio, quum in
media Ecclesia grassari scelerum colluuiem, bonos & simplices iniuste affligi, improbos
crudeliter pro sua libidine dominari cernimus. Triste enim hoc spectaculum nos fere exa-
nimat: quare exemplo, quod nobis Dauid proponit, nos muniri non parum vtile est, vt in
deploratis Ecclesiae ruinis fiducia liberationis nos sustentet.« – Zum Begriff der Kulturkri-
tik, wie er hier für bestimmte Formen christlicher Zeit- und Sittenschelte gebraucht wird,
vgl. die Hinweise in Kap. II.1, Anm. 19.
73
Dazu jetzt im breiten epochalen Kontext, für unsere Zwecke weitaus genügend,
Leinkauf 2017, S. 1433–1467 (zu rinascimentalen Seelenlehren) u. 1597–2006 (zu Pompo-
nazzi), mit knapper Literaturauswahl. – Im engeren Bereich des Unglaubensdiskurses vgl.
Schröder 1998, S. 60, besonders aber Kristeller 1953 sowie Allen 1964, S. 29–45.
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62 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Gruet, dem man schon die religionskritische Schrift De tribus impostoribus


zugeschrieben hat.74 Vielleicht wirken auch Erlebnisse aus den Pariser Jahren
nach.75 Das Deutungsmuster ist jedoch, wie wir gesehen haben, biblisch gut
abgesichert, es lag schließlich auch schon bei Augustinus vor.76 Hier dient es
zudem einem argumentativen Zweck. Mit seinem Ausfall gegen die selbster-
nannten ›prudentes‹ ebenso sehr wie mit der markanten Formulierung ›Dei
oblivio‹ stellt Calvin implizit klar, was er wenig später dann ausdrücklich
formuliert: Die skandalöse Behauptung »non est Deus« verdankt sich für ihn
gerade nicht angestrengtem Nachdenken oder kunstvollen Schlussverfahren
(»syllogismis«), sondern jenem Unterdrücken der Gotteserkenntnis (»rectae
notitiae«), das schon Bucer geschildert hatte. Man könne sie, schreibt Calvin,
entweder ersticken (»partim suffocant«) oder so weit verfälschen (»partim
adulterant«), dass von der richtigen Gottesverehrung (»religio« heißt es hier)
nichts übrig bleibe.77 Im zweiten Fall werde an die Stelle des wahren Gottes
ein Götzenbild (»idolum«) gesetzt, also ein Gott ohne Gerechtigkeit, der,
wie es sehr schön heißt, in seinen Himmel eingesperrt bleibe.78 Nicht anders
als bei Augustinus und Luther verschwimmt so die Grenze zwischen Athe-
ismus und Häresie, wie es bis an die Schwelle des 17. Jahrhunderts üblich
blieb ( I.2).
Was endlich die Verhältnisbestimmung von Unglaube und Unmoral be-
trifft, so schlägt Calvin hier eine eigene Deutung vor, in der möglicherweise
schon Aspekte der Prädestinationslehre und der calvinistischen Ethik anklin-

74
Vgl. Gericke 1972 und Gericke 1977; dagegen mit großer Schärfe Schröder 1998,
S. 425 f.: »In ihrer sachlichen Grundlosigkeit und methodischen Extravaganz sind Geri-
ckes Veröffentlichungen, die den Traktat dem 1547 von Calvin hingerichteten Jacques
Gruet zuweisen, unübertroffen.« Vgl. auch ebd., S. 29, zu Calvins Beschuldigungen ge-
genüber Gruet.
75
Zum Pariser Aufenthalt vgl. die entsprechenden Beiträge aus dem Calvin-Hand-
buch (Neuser 2008, Mentzer 2008).
76
Calvins Verhältnis zur Patristik behandelt allgemein der Überblicksartikel von
Irena Backus im Calvin-Handbuch (Backus 2008); vgl auch den Beitrag von Lane 2013;
zu Calvins Rezeption der augustinischen Enarrationes in Psalmos vgl. jetzt Chapot 2016
(dort weitere Literatur); ein knapper Überblick der Enarrationes-Rezeption in Pollmann
2013, S. 412–417.
77
Die Stelle im Zusammenhang: »Non quod subducta ratione, vel formatis (vt aiunt)
syllogismis nullum esse Deum statuant […] sed ipsi quicquid rectae notitiae Deus instil-
lat, partim suffocant sua malitia, partim adulterant, donec emortua iaceat religio.« – Der
Ausdruck religio ist hier noch mit Vorsicht zu behandeln, da eine abstrakte Vorstellung
von Religion sich erst langsam auszubilden begann. Zu Calvins Gebrauch des Wortes im
weiten begriffsgeschichtlichen Kontext vgl. Feil 1986, S. 258–266.
78
»Quamuis enim non plane Deum esse negent, caelo tamen includunt iustitia &
virtute sua spoliatum: quod est idolum loco Dei fingere.« – Hier klingt die Kritik am Epi-
kurischen Deus otiosus nach, ganz ähnlich wird man später gegen das Gottesbild des De-
ismus vorgehen.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 63

gen.79 So wie in der bekannten Interpretation Max Webers der weltliche Er-
folg zum äußeren Zeichen der Erwählung wird, so lässt sich laut Calvin vom
unsittlichen äußeren Verhalten auf die innere negatio Dei zurückschließen.
Nichts anderes bedeutet für ihn die Formulierung des Psalmisten ›in corde
suo‹. Gerade weil niemand die Gottesleugnung laut ausspreche, diene das Ver-
halten als äußerlich sichtbares Zeichen (»indicio«) dafür, dass jede Empfindung
von Gottesfurcht (»omnem pietatis sensum«) ausgelöscht sei. Dahinter steckt
die wichtige moraltheologische Prämisse, dass der Glaube (Calvin verwendet
nebeneinander die Begriffe ›pietas‹ und ›religio‹) den Begierden einen Riegel
vorschiebe. ›Fraenum‹ (»Zügel«) heißt es wie bei Bucer. Wo also Menschen, so
Calvin in einer weiteren drastischen Formulierung, jegliche Ordnung umstür-
zen (»ordinem omnem peruerterint«) und keinen Unterschied mehr zwischen
Gut und Böse erkennen würden, da könne man notwendig folgern, dass sie
die Erkenntnis von und die Erinnerung an Gott aus ihrem Gewissen getilgt
hätten. Zur Selbstbestärkung in diesem Tun – auch hier denken wir an Bucer –
würden sie sich das »non est Deus« wie ein Lied »gar lieblich vorsingen« (»sibi
cantilenam suauiter canere«).
Die Passage, in der Calvin diesen Gedanken entwickelt, ist so dicht, so
reichhaltig und rhetorisch so stark aufgeladen, dass sie nachfolgend im Zusam-
menhang ganz wiedergegeben wird. Die zahlreichen Verbindungen, die von
hier aus in den weiteren Diskurs über den Unglauben führen, können zu die-
sem Zeitpunkt nur skizziert werden. Das Schreckbild des Atheisten als des Li-
bertins, des amoralischen Wüstlings, das später im Kampfbegriff des Freigeists
aufgehen wird, ist hier schon in seltener Gedrängtheit und starker polemischer
Einfärbung präsent. Nicht nur die Grundgedanken von der Unsittlichkeit der
Gottesleugner über deren letztlich aussichtslose Selbstüberredung bis hin zu
dem hier nur angedeuteten gesellschaftlichen Zusammenbruchszenario, son-
dern auch einzelne Signalworte wie ›ordo‹, ›frenum‹ oder ›libido‹ werden wir
in zahlreichen Quellen noch mehrfach antreffen. Der Ungläubige in dieser
Form bleibt, wie auch in den bisherigen Texten von Augustinus bis Luther, das
personalisierte Gegenbild zur christlichen Ethik und Sozialdisziplinierung.
Zwar gehen dabei die feinen Unterschiede zwischen Calvins Interpretation
und denjenigen seiner Vorgänger zumeist wieder verloren. Gleichwohl wird
hier Begründungsarbeit geleistet, auf die sich dann später ganz selbstverständ-
lich zurückgreifen ließ:

Simul tamen notandum est vnde colligat eos exuisse omnem pietatis sensum: nempe
quia ordinem omnem peruerterint, vt nullum maneat iusti ac iniusti discrimen, nulla

79
Auch hier kann der Germanist dankbar auf solide Handbuchliteratur zurückgrei-
fen. Zu Calvins Lehre von der Prädestination vgl. den gleichnamigen Artikel von Wilhelm
H. Neuser im Calvin-Handbuch (Neuser 2008) sowie, im Zusammenhang mit seiner
Ethik, Hauschild 32005, S. 355–358; zu Max Webers These über die protestantische Ethik
vgl. die Artikel von Freudenberg 2008 (Calvin-Handbuch) und Müller/Sigmund 2014,
S. 245–256 (Max Weber-Handbuch).
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64 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

honesti cura, nullum humanitatis studium. Non igitur de abscondito cordis affectu
pronuntiat Dauid, nisi quatenus impii suo indicio se produnt: acsi diceret, Qui fit vt
homines isti adeo importune lasciuiant, nulla sit recti vel aequi apud eos ratio, denique
vt immaniter ruant in omne scelerum genus, nisi quia excusso pietatis sensu, omnem
Dei memoriam, quantum in se est, ex animis suis delerunt? Nam quorum animis in-
sidet aliqua religio, eos semper necesse est aliquo modestiae fraeno retineri, ne quiduis
audeant. vnde sequitur, vbi suae libidini absque pudore impii tam praefracte & au-
dacter indulgent, exuisse Dei notitiam. Dicit autem eos in corde suo loqui: quia licet
execrabilem hanc blasphemiam ore non euomant, effraenis tamen vitae licentia clamat,
corda ipsorum omni pietate vacua, hanc sibi cantilenam suauiter canere.

Die Reihe von Psalterkommentaren mit interessanten, jeweils wieder leicht


anders pointierten Interpretationen des insipiens ließe sich fortsetzen und hat
noch die eine oder andere Überraschung zu bieten. Für die katholische Bibel-
auslegung wäre etwa die Explanatio in Psalmos (1611) des berühmten Kardi-
nals (und Heiligen) Roberto Bellarmino zu nennen. Dieser stimmt zwar in der
Applikation des Psalms auf die ganze, im Sündenfall verderbte Menschheit mit
Luther überein,80 gerade in der Frage nach den guten Werken (»benefacere«)
jedoch zeigen sich auch Unterschiede. Die Formel »non est, qui faciat bonum«
(Ps 14,2) versteht Bellarmino nicht so, dass der innerlich verderbte Mensch
notwendig sündigen müsse. Als Katholik will er jedoch zwischen nichtsündi-
gen und guten Taten einen Unterschied feststellen (»aliud enim est non pec-
care, aliud benefacere, si loquamur de opere absolute, & perfecte bono«).81 Auf
dieser dogmatischen Grundlage kann er eine Äußerung treffen, mit der rund
70 Jahre später Pierre Bayle die europäische Gelehrtenwelt brüskieren sollte:
Auch Menschen, die bar alles Glaubens und von der Gnade ausgeschlossen
seien, könnten (gelegentlich) moralisch gut handeln. Das moralisch Gute steht
aber aus seiner Sicht weit unter dem summum bonum (als das Ziel hinter dem
absolute et perfecte bonum).82 Wir werden noch sehen, dass auch bei Bayle
entsprechende Distinktionen im Hintergrund stehen, die bisher nur wenig Be-
achtung fanden ( IV.2.2).
So wenig wie seine Vorgänger kann Bellarmino indes das »non est Deus« als
strikte negatio Dei verstehen, er deutet es vielmehr als Verleugnung eines Got-

80
Roberto Bellarmino, Explanatio in Psalmos, Rom 1611, S. 63: »AD tantam insi-
pientiam deuenit humana natura in primo homine corrupta; vt inuentus sit aliquis, qui
tametsi voce non sit ausus negare Deum esse; tamen in corde suo dixerit, non est Deus.«
81
Ebd., S. 64. – Die hier angedeutete scholastische Dimension zeigt sich auch in
der vorangestellten Unterscheidung zwischen mens und voluntas, wenn es um die Fra-
ge der Verderbtheit geht. Anders als seine Vorgänger bringt Bellarmino die Kategorie ei-
nes verderbten Willens ins Spiel, um das »non est, qui faciat bonum« zu erklären: »Dixit
Propheta [sc. im ersten Psalmvers], corruptam esse mentem, & insipientem factam: nunc
addit, corruptam quoque fuisse voluntatem, ita vt plerunque homines peccent, bene autem
nunquam faciant […].« – Das ist übrigens gar nicht spezifisch katholisch gedacht, wie wir
später bei Bacon sehen werden.
82
Ebd.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 65

tes, der sich um menschliche Belange kümmere (»qui res humanas curet«).83
Keinen Gebrauch macht er überdies von dem inzwischen – zumal unter ka-
tholischen Theologen – gut etablierten Atheismusbegriff, der zu dieser Zeit
tatsächlich auch primär in politischen Zusammenhängen vorkam ( I.2.3).
Zwar hatten schon verschiedene Autoren, die den Atheismus sehr früh als
neuen Feind entdeckten, wie etwa Charles de Bourgueville in seiner Atheo-
machie (1564), den 14. Psalm zur Illustration herangezogen,84 Francis Bacon
hatte bereits 1597 seine kleine Betrachtung De atheismo nach Art einer kleinen
Predigt aus dem ersten Psalmvers heraus entwickelt ( I.4.1). Innerhalb der
theologischen Kommentarliteratur jedoch sollte es noch eine Weile dauern, bis
der insipiens und der atheus zusammenfanden. Noch der Wittenberger Theo-
loge Wilhelm Leyser, Enkel des bekannteren Polykarp Leyser, befand es in
einer 1641 gehaltenen exegetischen Disputation zu den ersten drei Versen des
14. Psalms nicht für nötig, bei Beantwortung der Frage, von welchen Men-
schen der Psalter hier spreche (»De quibusnam hominibus Psaltes hic loqua-
tur«), den Atheismusbegriff ins Spiel zu bringen, auch da nicht, wo explizit
von den Gottesleugnern (»de iis, qui sunt negantes Deum«) die Rede ist.85 Er
fällt dann versteckt und offenbar nebensächlich an anderer Stelle.86
Festzuhalten bleibt am Ende dieses kleinen Durchganges durch die Aus-
legungsgeschichte von Ps 14,1 zweierlei: (1.) Innerhalb der Kommentarli-
teratur besteht offenbar bis weit ins 17. Jahrhundert hinein kein Bedarf, die
vom Psalmisten geschilderte Ausprägung des Unglaubens mit dem Etikett
des ›Atheismus‹ zu versehen. Das ändert sich, soweit ich sehe, erst nach der
Jahrhundertmitte und wird greifbar etwa in Abraham Calovs Systema locorum
theologicorum (1655).87 (2.) Selbst da, wo explizit von der negatio Dei gespro-
chen wird, ist damit entweder der später so genannte praktische Atheismus
im Sinne von impietas gemeint, also eine gegen die zehn Gebote verstoßende
Lebensführung, oder aber ein heterodoxes, etwa pelagianisches oder epiku-
risches Gottes- und Sündenverständnis. Für den Zeitraum der Reformation

83
Ebd., S. 63 f. – Nicht anders erläutert der Herborner reformierte Theologe Johann
Piscator in seinem ebenfalls 1611 erschienenen Psalterkommentar das »non est Deus«: »Id
est, Deus non curat res humanas.« Johann Piscator, In librum psalmorum commentarius,
Herborn 1611, S. 76.
84
Vgl. Charles de Bourgeville, Atheomachie, et Discovrs de l’immortalité de l’Ame,
et Resvrrection des Corps, Paris 1564, S. 6.
85
Wilhelm Lyser (praes.), Gottfried Christian Bose (resp.), Explicatio priorum tri-
um commatum Psalm. XIV., Wittenberg 1641, S. 37. – Ähnlich ebd., S. 40, wo die Frage
der natürlichen Gotteserkenntnis erörtert wird: »Quod enim quidam Deum negant id per
excoecationem Diaboli, per affectuum vitiosorum praedominium, per effectuum malitio-
sorum interventum, illis accidere solet.«
86
Ebd., S. 49. – Wie sich dem Kontext nach vermuten lässt, sind hier wohl vor allem
die Sozinianer gemeint, also abermals nicht wirklich Leugner der Existenz Gottes im en-
geren Sinn.
87
Vgl. Barth 1971, S. 38 f. – Frühere Belege werden sich ohne Zweifel finden lassen,
etwa bei den von Leyser aufgeführten Autoren.
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11:25

66 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

und des konfessionellen Zeitalters schien es offenbar unvermeidlich, auch


das radikale »non est Deus« vorerst unter die vertraute Optik der Häresie zu
bringen. Dementsprechend wird das »dixit in corde« in allen hier behandelten
Fällen abgeschwächt zu einer Wunschvorstellung oder zu einer Art autohyp-
notischer Suggestion (Calvin), mittels welcher der insipiens die cognitio Dei
vorübergehend unterdrückt. Es wird also, anders gesagt, überhaupt nicht als
diskussionsfähige oder -würdige theologische bzw. metaphysische Aussage
angesehen und als solche ernst genommen. Bevor nun gleich die konfessiona-
listischen und religionspolitischen Zusammenhänge entfaltet werden, inner-
halb derer der Ausdruck ›Atheismus‹ ab etwa 1580 seine erste Konjunktur
erlebte ( I.2), darf der Hinweis auf einen anderen Kampfbegriff nicht fehlen,
in dem das Syndrom von Unglaube und Unsittlichkeit schon lexikalisch fixiert
wurde, bevor der Atheismusbegriff diese Rolle übernahm: auf den Epikurer
(Epicureus) oder Epikureismus.

1.5 »Homines prophani et Epicurei«88


Zeitdiagnose und Säkularismuskritik beim alten Luther

Bis hierher wurden bewusst Bestimmungsversuche des Unglaubens vorge-


führt, die sich nicht an festen Kernbegriffen oder -ausdrücken orientieren,
sondern an einer bestimmten Vorstellung gemäß der biblischen Formulie-
rung »non est Deus«. Es sollte noch einige Jahrzehnte dauern, bis der Begriff
des Atheismus seine Karriere als exklusive Bezeichnung für die (wie auch
immer wörtlich verstandene) Gottesleugnung antrat und auch die damit ver-
bundenen charakterlich-moralischen Schlussfolgerungen an sich zog. Wie
nicht anders zu erwarten, gab es aber auch vorher schon verschiedene Be-
griffe, in denen sich genau die gleiche Kombination von Merkmalen – Got-
tesleugnung und Sittenlosigkeit – schlagwortartig verkörperte und die sich
daher in ähnlicher Weise als Ausgangspunkt für kulturkritische Zeitklagen
eigneten. Neben den einleitend schon genannten, der Bibel selbst entnomme-
nen Ausdrücken ›impii‹ (Gottlose) oder ›illusores‹ bzw. ›irrisores‹ (Spötter)
sticht hier besonders der Begriff des Epikureers oder, in der zeitgenössischen
Form, des ›Epikurers‹ (»Epicureus«) hervor. Seine »Vorgängerfunktion«
für den Atheismusbegriff wurde in der Forschung bereits erkannt89 und mit
Blick auf Luther ausführlich beschrieben.90 Es kann hier daher bei einigen

88
WA 59, S. 182. – Vgl. Maron 1988, S. 31.
89
Vgl. Barth 1971, S. 60, Zitat ebd., Anm. 128. Vgl. auch Schröder 1998, S. 50 u. 65.
90
Gemeint ist die ausgezeichnete Studie von Gottfried Maron (Maron 1988), dem
das Kunststück gelungen ist, auf 66 Seiten den Stoff für eine ganze Monografie zu verar-
beiten. Den materialreichen, hochdifferenzierten Ausführungen Marons ist hier nicht viel
hinzuzufügen. Die folgenden Darlegungen zu einem von Maron nur am Rande erwähnten
Text bleiben ihr gleichwohl verpflichtet. – Herrn Prof. Dr. Hans-Martin Barth (Marburg)
danke ich für den freundlichen Hinweis auf Marons Untersuchung.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 67

Hinweisen bleiben, die sich auch weiterhin auf Luthers Auslegung der Bibel
konzentrieren, insbesondere auf die Vorreden und Anmerkungen zu einzel-
nen Büchern im Rahmen seiner Bibelausgabe. Das bietet sich schon deswe-
gen an, weil keine einzelne Schrift überliefert ist, in der sich Luther dezidiert
gegen die Epikurer oder den Epikureismus wendet,91 aber auch darum, weil
bei diesen Texten mit Recht eine enorme Breitenwirkung für die folgenden
Jahrhunderte angenommen werden darf. Zum Einstieg eignet sich eine Stelle
aus den Tischreden, datiert auf das Ende des Jahres 1532, die sehr genau um-
reißt, was Luther den Epikurern zum Vorwurf machte:

Epicurus quando de Deo cogitat et videt, quomodo res in mundo gerantur, non potest
aliter concludere quam sic: Vel non potest Deus haec prohibere, et sic est infirmissi-
mus, non est omnipotens; vel non vult, et sic est nequissimus, qui delectatur malis;
vel nescit, et sic est stultissimus. Sic Deo adimit indebite potentiam, iustitiam, sapi-
entiam.92

Der letzte Satz stellt eindeutig klar: Es geht um mehr als nur um Häresie. Trotz-
dem scheint Luther, wie schon im Kommentar zum 14. Psalm, so auch in seiner
Bestimmung des Epikureismus wenig Gewicht auf die negatio Dei zu legen, die
für einen gläubigen Menschen ohnehin nichts weiter als entweder einen Irrtum
oder eine blasphemische Frechheit (»execrabilem hanc blasphemiam«, hieß es
eben noch bei Calvin) darstellen könne. Ähnliches gilt, wie wir sehen werden,
für den Begriff des Atheismus selbst. Was Luther unter dem Schlagwort des Epi-
kureertums in erster Linie bekämpfte, war einmal mehr die mangelnde oder gar
fehlende Furcht vor dem göttlichen Richter, die er – wir sahen es weiter oben –
auch hinter der Lehre von der Werkgerechtigkeit verborgen sah. Folgerichtig
kommt der Kampfbegriff ›Epicureus‹ bei Luther in erster Linie gegen Katholi-
ken, mit besonderer Vorliebe aber gegen das päpstliche Rom zum Einsatz, das er
als junger Mann noch selbst kennengelernt hatte.93 Alternativ verwendet er nicht
selten den Ausdruck »sicher« bzw. »Sicherheit«.94 Er bezeichnet noch etwas prä-
ziser das (aus Luthers Sicht grundlose) Vertrauen der Gottlosen auf die göttliche
Gnade – aus Mangel an Einsicht in die eigene Sündhaftigkeit.95

91
Vgl. Maron 1988, S. 10 u. 61.
92
WA TR 1, Nr. 432, S. 186 f. – Tatsächlich heißt es hier »Epicurus«. Dennoch haben
schon frühe Übersetzungen (zwei werden zitiert ebd., S. 187) daraus, wohl mit Blick auf
viele andere Äußerungen Luthers, »Epicurer« gemacht. So auch die Übersetzung in der
von Kurt Aland herausgegebenen Ausgabe der Tischreden im Reclam-Verlag (Stuttgart
1981), S. 82 (dort in der heute üblichen Form »Epikureer«).
93
Zu Luthers Romaufenthalt vgl. knapp Schilling 42016, S. 100–109.
94
Vgl. dazu Linde 2013, S. 423–430; ferner Dietz 2009, S. 126–132 u. 323 f.; ebd.,
S. 189, auch zur positiven Verwendung des Begriffs in anderen Schriften Luthers; grund-
legend zur Begriffsgeschichte seit der Antike: Schrimm-Heins 1990. – Mehr zum Begriff
der securitas in Kap. II.2.3.
95
Den psychologischen Mechanismus schildert Luther als Variation des bekannten
Gleichnisses vom Splitter und vom Balken. Auch hier beruft er sich auf den Apostel Pau-
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68 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Beide Begriffe finden zusammen in Luthers Vorrede zu den Propheten des


alten Testaments:

Wie gar veracht ist auff dieser seiten bey vns / vnd vnter dem Bapstum / das liebe /
arme Euangelium vnd Gottes wort / Gegen dem herrlichen schein vnd reichthum der
menschlichen Geboten vnd Heiligkeit? Wie gar sicher faren die Rottengeister / Epi-
curer / vnd andere jre gleichen / mit jrem eigen Dünckel / wider die heilige Schrifft?
Wie gar frech vnd wilde lebt jtzt jederman / nach seinem mutwillen / wider die helle
Warheit / so jtzt am tage. Das es scheinet / als were weder Gott noch Christus etwas /
Schweige das Gottes erste Gebot solt so strenge sein.96

Erkennbar wurde diese Haltung für ihn zunächst in entsprechenden theo-


logischen Äußerungen. Hier war ihm besonders die versöhnliche Fassung
der Sündenlehre durch Erasmus ein Dorn im Auge,97 später dann auch der
in seinen Augen zu laxe Gesetzesbegriff der sogenannten Antinomer um
Luthers Schüler Johann Agricola.98 Vor allem aber glaubte er, sie, wie aus
der obigen Äußerung hervorgeht, an der Lebensführung ablesen zu kön-
nen. Dass ein lasterhaftes Leben einer impliziten Leugnung Gottes gleich-
komme, hatte Luther ja bereits in seiner Interpretation des 14. Psalms dar-
gelegt (s. o.). In aller Kürze formuliert er diesen Zusammenhang in einer
Anmerkung zum Römerbrief, und zwar zu eben jener Stelle, die soeben
( I.1.3) ausführlicher zitiert wurde (Röm 1,30). Dabei nimmt Luther
erneut den Epikureismusbegriff zur Hilfe. Den paulinischen Ausdruck
»Gottes verechter« erläutert er nämlich so: »Sind die rechten Epicurer /
die da leben / als sey kein Gott.«99 Hier ist also schon jene Formulierung
vorweggenommen, mit der im 17. und frühen 18. Jahrhundert der prak-
tische Atheismus definiert werden sollte.100 Ähnlich verfährt Luther bei

lus: »Denn der Gottlosen ist allezeit mehr weder der Fromen / Darumb mus man jmer
viel mehr das Gesetz treiben / denn die verheissunge [!] / weil die Gottlosen on das sicher
sind / vnd fast behend / die Göttlichen tröstung vnd verheissungen auff sich zu deuten /
Vnd die Drewung vnd straffe auff andere / zu deuten.« (Luther. Biblia, S. 1163)
96
Ebd.
97
Ausführlich dazu, mit höchst sprechenden Belegen, Maron 1988, S. 17–25 u.
33–37; vgl. auch Ebeling 1985, S. 63–70; einen neueren Überblick der Kontroverse mit
Erasmus mit knapper Literaturauswahl bietet der Artikel Luther und Erasmus im Luther-
Handbuch (Beutel 32017), S. 173–183 (Thomas Kaufmann).
98
Vgl. ebd., S. 39–41; einen Überblick des antinomistischen Streits mit älterer Litera-
turauswahl gibt Lohse 1998, S. 39–45. – Die Thesen für die erste Antinomer-Disputation
liegen jetzt in einer leicht zugänglichen Studienausgabe vor: Martin Luther, Lateinisch-
deutsche Studienausgabe, hg. v. Wilfried Härle u. a., Bd. 2: Christusglaube und Rechtferti-
gung, hg. und eingel. v. Johannes Schilling, Leipzig 2006, S. 447–459.
99
Luther, Biblia, S. 2271, Anm. e.
100
So etwa bei Paul Stockmann, Der Verkehrte und Bekehrte Atheist, Leipzig 1701
(Vorr., fol. a 2r–a 2v): »Der Nahme, Atheist, ob er wol aus der Griechischen Sprache (ἄθεος)
herstammet, ist doch auch unter denen Deutschen, dermaßen üblich und bekannt wor-
den, daß auch viele Einfältige und Ungelehrte wissen, was damit gemeinet werde, oder
sie drunter verstehen sollen. Nemlich einen solchen Menschen, der entweder gar nicht
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 69

der Erläuterung von 2 Petr 3,3 (s. o.), wo für die Endzeit die Ankunft von
›Spöttern‹ vorhergesagt wird.101 Dazu Luther:

Spötter sind vnser Epicurer vnd Saduceer / die weder dis noch das gleuben / Leben
nach jrem gefallen dahin. Oder / wie Petrus saget / nach jrem eigen lüsten / Thun was
sie wollen / vnd gar wol gelüstet / Wie wir fur augen sehen.102

Neben zahlreichen weiteren Bemerkungen dieser Art, in Predigten, Briefen


und in den unausschöpflichen Tischreden, vielfach überdies in der großen
Genesisvorlesung (1535–1545),103 hat Luther diese Applikation des Epikureis-
musvorwurfs in der Vorrede zum Buch Daniel deutlicher ausgeführt und auch
hier schon in den Rahmen einer Endzeiterwartung gestellt. Die Prophezeiung
des Engels (Dan 11–12), wo von dem Kampf (»stos«) zwischen dem »König
gegen Mitternacht« und dem »König gegen Mittag« die Rede ist, bezieht Lu-
ther auf das Ende des Papsttums, das er nach Vorstufen (»praeludium«) in den
mittelalterlichen Konflikten zwischen Päpsten und Kaisern sowie der Phase
des avignonesischen Papsttums (1309–1377), spätestens aber durch das Auf-
begehren des böhmischen Reformators Johannes Hus gegen den Ablasshandel
endgültig eingeläutet sieht.104 Dessen Hinrichtung (1415) habe den Untergang
des Papsttums zwar verzögert; in den folgenden hundert Jahren bis zur Wit-
tenberger Reformation glaubt Luther jedoch schon Anzeichen des inneren
Verfalls zu erkennen.105 Neben Ämterhandel und Sinekuren hat er dabei erneut
die Verbindung von Lasterleben und trügerischer Gnadengewissheit im Auge.
Und wieder liegt der »Epicurer« als polemisches Schlagwort griffbereit:

gläubet daß ein GOTT sey, auch daher, was von demselben gesagt wird, und sonst von ihm
herkömmt, was er befiehlt, verheisset und drohet, weniger als nichts achtet: oder, der doch
so roh und gottloß lebet, als ob kein GOTT wäre, welcher alles sieht und weiß, der das
gute, welches er befohlen, belohnen, das böse hergegen, so er verbothen, bestraffen wird.«
Ausführlich dazu Kap. III.2.4 (zu Stockmann) u. V.1 (zur akademischen Debatte über den
Begriff des praktischen Atheismus).
101
Zur eschatologischen Dimension von Luthers Epikureismus-Kritik vgl. Maron
1988, S. 44–47.
102
Luther, Biblia, S. 2421. – So auch schon in der knappen Vorrede zum zweiten
Petrusbrief (ebd., S. 2417): »Er weissaget aber auch / das zu selbigen zeit / die Leute gantz
spöttisch sein / vnd nichts vom Glauben halten werden / wie die Epicurer.«
103
Die Belege sind bei Maron 1988 mit annähernder Vollständigkeit aufgrund der
entsprechenden Registereinträge ausgewertet (ebd., S. 10, Anm. 22): »Es wurde versucht,
möglichst viele Stellen zu erfassen, an denen Luther von ›Epikur‹ bzw. von den ›Epikure-
ern‹ spricht. Für WA Br und WA TR liegen Register vor.«
104
Dass Luther sich selbst in die Nachfolge dieser ›Stöße‹ rechnet, versteht sich von
selbst (Luther, Biblia, S. 1525): »Aber dieser Stos war das praeludium / vorspiel / vnd
Christus stimmet da mit an / den rechten Stos / den gab dem Bapst S. Johannes Hus / vnd
ward drüber verbrand. Dieser stos erhub sich vber dem Ablas / zu S. Peters Kirchen zu
Rom / Aller ding / wie sichs mit dem Luther erhaben hat.«
105
Ebd., S. 1526.
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70 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

NOch hat er [sc. der Papst] sich wider diesen Stos mit aller Macht gewehret / vnd ist
sitzen blieben / hat Hussen lere verdampt / vnd jn verbrand / dazu viel mit jm vnd
nach jm / viel Bluts vergossen / Deudschen vnd Behemen an einander gehetzt / allen
Mord vnd Jamer angericht / seinen Stuel zu erhalten. Aber sint der zeit des Conci-
lij sind sie sicher worden / allerley schalckheit mit geistlichen Pfründen / vnd Simo-
neyen getrieben. Da zu in allerley öffentliche Laster sich ergeben / eitel Epicurer vnd
Sew worden / Bis das jrer die Welt müde vnd jnen gram ist worden / vmb jrs schend-
lichen Lebens willen.106

Nicht nur Rom, sondern ganz Italien sieht Luther angesteckt von dieser Ten-
denz. »Itali sunt prophani et Epicurei«, heißt es in den Tischreden.107 Tatsäch-
lich ist damit vor allem das Papsttum gemeint und nicht etwa die Philosophie
der italienischen Renaissance. Wie wenig Luther den Begriff des Epikureismus
in diesem negativen Verständnis mit dem antiken Philosophen Epikur und
dessen Neubewertung in der Renaissance verknüpfte,108 zeigt sich daran, dass
er sich über den Dialog De voluptate (1431) des Humanisten Lorenzo Valla, 109
in dem dieser eine (christliche) Rehabilitation Epikurs unternahm,110 überaus
positiv geäußert hat. Für die Epikurinterpretation des Erasmus von Rotter-
dam, insbesondere für den Dialog Epicureus in der letzten Fassung von dessen
Colloquia familiaria (1533), hatte Luther dagegen nur schärfste Kritik übrig.111
Nicht die christliche Auslegung Epikurs, sondern die epikureische, das heißt
hier vor allem: die weltliche, auf Leidensminimierung und ein ruhiges Leben
hin (»pax et secvritas«)112 konzipierte Auslegung der christlichen Religion –
wie überhaupt die ganze Erasmianische Idee einer Philosophia christiana – be-
deutete für Luther einen Irrweg und einen Verrat am Evangelium. Sie stand für
ihn daher auf einer Stufe mit der verfemten Lehre von der Werkgerechtigkeit.

106
Ebd.
107
WA TR 3, S. 620 (Nr. 3795); vgl. auch Maron 1988, S. 21 (dort weitere Belege).
108
Vgl. dazu, neben der bekannten Pionierstudie von Allen 1944, bes. Kimmich
1993, S. 54–88 (Renaissance), bes. S. 67–70 (zu Valla), mit der älteren Forschungslitera-
tur; einen knappen Überblick der Rezeptionsgeschichte mit ausführlicher Quellen- und
Forschungsbibliografie bietet jetzt der Artikel Epikureismus im Neuen Pauly (Bd. 13,
1999, S. 985–996 [Dorothee Kimmich]); zum 16. Jahrhundert vgl. Williams 1993.
109
Der Text erschien ab der zweiten Ausgabe unter dem Titel De vero falsoque bono
(1433/34). Vorbildlich dazu, mit Blick auf Erasmus und Luther, Maron 1988, S. 12–15 u.
21–25. – Zu Vallas christlichem Epikureismus vgl. jetzt, bisherige Forschungen bündelnd,
die kompakte Analyse des Textes bei Leinkauf 2017, Bd. 1, S. 707–724.
110
So auch Leinkauf, ebd., S. 721: »Das irdische Recht der voluptas, das Hauptar-
gument der epikureischen Schule, ist geopfert gegenüber einer voluptas, die vollgesogen
ist mit Restbeständen der stoischen honestas-, virtus- und bonum-commune-Theorie
und die zur gleichen Zeit in den Dienst absoluter christlicher Religiosität gestellt ist
[…].« – Ähnliche Anstrengungen, das destruktive Potenzial der voluptas zu bändigen,
werden um 1750 in der protestantischen Aufklärungstheologie und bei den mehr christ-
lich orientierten Anakreontikern vorgenommen werden. Vgl. dazu Spiekermann 2016.
111
Vgl. Maron 1988, S. 17–21.
112
Luther, Biblia, S. 1163.
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Genese und Funktion eines Argumentationssystems 71

Beide Haltungen verstand er gleichermaßen als Anzeichen für den nahen Un-
tergang der römischen Kirche:

Denn es schon angefangen in Welschenlanden / zu Rom vnd mehr Orten / das man
Epicurisch aus dem glauben ein gespött gemacht / vnd die Kinder auch nicht mehr
teuffet. […] Aber hie gilts das die Kirche vntergehe oder bleibe / welche der Teufel
durch den Endechrist zweierley weise angegriffen hatte. Zu einer seiten durch Epicu-
rische verachtung der Sacrament vnd Wort Gottes. Zur andern / durch angst vnd ver-
zweiuelung des Gewissens / da kein rechter Trost der gnaden / sondern eitel jamerlich
martern / durch eigen Gnugthun vnd werck die Christen plagten (dauon die Epicurer
vnd Heiden nichts wissen) […].113

Es dürfte klar geworden sein, dass Luther hier wie in den bisherigen Belegen
nicht eine direkte oder explizite Gottesleugnung im Auge hat, sondern Men-
schen, die sich dem inneren Wirken der christlichen Heilsbotschaft entziehen.
»Sie wünschen«, schreibt er bei einer anderen Gelegenheit, hier inhaltlich nah
bei Calvin und Bucer, »es gebe keinen Gott«.114 Selbst wenn er einmal von den
Epikurern sagt, dass sie »deum esse negent«,115 dann ist das, wie schon in der
eingangs zitierten Passage aus den Tischreden, so gemeint, dass sie Gott sei-
ne Allmacht, Gerechtigkeit und Weisheit absprechen. Es braucht daher auch
nicht zu verwundern, wenn Luther an einigen Stellen tatsächlich den Atheis-
musbegriff in einem Atemzug mit dem des Epikureertums verwendet: »Ho-
mines fiunt ἄθεοι, Epicurei et amentes«, heißt es gegen Ende der 30er-Jahre in
der großen Genesisvorlesung.116 Aber schon der Beginn des Abschnitts signa-
lisiert, dass wir uns nach wie vor im Deutungshorizont von »impietas« und
»securitas« befinden.117 Da er als Exempel überdies König Davids Ehebruch
(2 Sam 11,1–5) heranzieht, ist hier also nicht vom Toren des 14. Psalms und
dessen »non est Deus« die Rede, mehr von einer Gottferne, die sich in der
Lebensführung ausdrückt, wie in der einzigen Belegstelle für ἄθεοι in der Bibel
(Eph 2,12). Gleichwohl bestand für Luther ganz offenkundig kein signifikan-
ter Bedarf, die Bezeichnung »Atheist« konsequent zu verwenden. Es waren
erst die konfessionspolitischen Zerwürfnisse der nachreformatorischen Ära,
die dem Ausdruck ›Atheist‹ zur Etablierung verhalfen, wie nun an einigen Bei-
spielen erörtert werden soll.

113
Ebd., S. 1532.
114
In der schon zitierten Predigt über Apg 17 (15. Juni 1524), bei der Erläuterung
des dort vorkommenden Ausdrucks »Epicureorum« (WA 15, S. 631): »Puto: hi fuerunt
praecipue Epicurei, volebant non esse deum neque vitam post hanc et ridebant reliquos
philosophos […].«
115
WA 18, S. 785; vgl. Maron 1988, S. 28.
116
Vgl. Maron 1988, S. 27 f., mit weiteren Beispielen. Zitat: WA 43, S. 417.
117
Ebd.: »Talis impietas et securitas sequitur, quando negligitur et non exercetur ver-
bum Dei.«
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72 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

2. Ein neuer Feind?


Konfessionspolitische Wurzeln der Atheismusdebatte um 1600

Während die Reformatoren, wie gezeigt, über den biblischen Toren und die
Gottesleugnung handelten, ohne den Ausdruck ›Atheist‹ zu verwenden, stand
die frühe Verwendung des Atheismusbegriffs in der zweiten Hälfte des 16. und
zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch weithin im Zeichen des nachreforma-
torischen Konfessionalismus.118 Einen Atheismus im heutigen Wortsinn gab
es, soweit wir wissen, ohnehin noch nicht, aber selbst das, was in der älteren
Forschung (z. B. bei Mauthner) als dessen Vorstufe oder Äquivalent gehandelt
wurde – Skeptizismus, Indifferentismus, Religionsspötterei oder schlicht ein
weltfroher Hedonismus – bildete nur bedingt die Vorlage für das recht plötz-
liche Aufkommen des Atheismusbegriffs um etwa 1580.119 Tatsächlich richte-
te sich der Vorwurf des Atheismus in vielen Fällen zunächst gegen Vertreter
der jeweils anderen christlichen Konfession (Possevino) oder vermeintlich
schwarze Schafe im eigenen Lager (Mornay, Guillaume de Assonville), dann
aber auch, nur scheinbar paradox, gegen Theologen oder Politiker, die auf die
Einebnung der konfessionellen Unterschiede hinarbeiteten: Darin liegt das
verbindende Element zwischen Possevinos Angriffen auf Luther und Philipp
Melanchthon, dem Atheomastix (1598), einem polemischen Pamphlet aus der
Feder eines flämischen Juristen ( I.2.3), und der Disputation Scultetus Atheus
(1620) des bekannten Tübinger Theologen Lukas Osiander ( I.2.4).120

118
Ausgewertet werden konnten hier nur die in der Forschung bekannten apologeti-
schen Schriften vor 1600 sowie vor allem monografische Texte, die schon im Titel den Aus-
druck ›Atheismus‹ mit seinen möglichen Varianten enthalten. Es ist nicht auszuschließen,
dass im Rahmen andersartig betitelter Werke hier und da ausführlicher vom Atheismus
gehandelt wird, so wie etwa auch bei Francis Bacon ( I.3). Da die apologetische Literatur
bis zum Ende der Frühaufklärung (insbesondere in der Phase der historischen Aufarbei-
tung, bei Fabricius, Walch oder Reimmann) bemüht ist, frühere Autoren und Schriften
zum Thema möglichst vollständig zu erfassen, vor 1600 aber zumeist neben Mornays De
la verité de la religion nur Bourgevilles Athéomachie und Possevinos Bibliotheca selecta
(s. u.) nennt, kann mit einiger Sicherheit angenommen werden, dass die monografischen
Schriften gegen den Atheismus ein repräsentatives Bild der Zeit vor 1600 abgeben.
119
Ein Beispiel bietet Bourguevilles Atheomachie (Paris 1564), die schon dem Un-
tertitel nach einen Discovrs de l’immortalité de l’Ame et Resvrrection des Corps ankündigt.
Es könnte sich um eine Reaktion auf die Seelenlehre Pomponazzis handeln, der einleitend
neben den stereotypen antiken Beispielen für Atheismus oder Religionskritik (Epikur,
Pyrrho, Lukian, Lukrez und Plinius) als einziger neuzeitlicher Autor genannt wird (S. 7).
Als Gegner werden allerdings im gleichen Atemzug auch noch die Wiedertäufer aufge-
führt (S. 8). Wie so oft im 16. Jahrhundert sind also Häresie und Atheismus noch nicht
deutlich voneinander abgegrenzt. Zu Bourguevilles Schrift vgl. die knappen Bemerkungen
bei Minois 2000, S. 127; ausführlicher und genauer: Barth 1971, S. 20, 73 u. 76 f.
120
Noch 1653 wird der Atheismusvorwurf aus dem gleichen Grund gegen Calixt
gerichtet werden ( II.2.1).
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Konfessionspolitische Wurzeln 73

In allen nachfolgenden Beispielen wird der Atheismusbegriff bewusst un-


genau, polemisch, beinahe schon metaphorisch eingesetzt. Dabei darf eine
bewusste Absicht unterstellt werden, schließlich waren die wörtliche Bedeu-
tung und die apologetische Verwendung des Begriffs allen Theologen der
Zeit durch die Lektüre der Kirchenväter geläufig. Es finden sich auch schon
die üblichen antiken Beispielreihen von Diagoras über Epikur bis zu Lukrez.
Wie aber schon die Anwendung auf Personen wie Luther, Melanchthon oder
Abraham Scultetus zeigt, geht es bei der Begriffswahl gar nicht um den Ver-
such einer sachlich adäquaten Kennzeichnung. Vielmehr wird das skandalö-
se Potenzial des Begriffs und der damit verbundenen Vorstellung (»religionis
hostes universales« heißt es plakativ im Titel des Atheomastix) zu polemi-
schen Zwecken genutzt. Die folgenden Ausführungen zu einigen besonders
markanten Beispielen, die zu den frühesten monografischen Schriften über
oder gegen den Atheismus gehören, können keine detaillierte Untersuchung
der politischen und theologischen Zusammenhänge im Umfeld der nachre-
formatorischen Religionskriege ersetzen. Sie können aber Hinweise geben,
wie die Geschichte der antiatheistischen Polemik in ihren Anfängen einmal
anders gelesen werden kann: nicht, wie es oft geschieht als komplementäre
Rückseite einer Geschichte des Atheismus oder des intellektuellen Radika-
lismus und als Rückzugsgefecht gegenüber einem argumentativ (und letzt-
lich historisch) überlegenen Gegner, sondern als Teil und Fortsetzung der
weit verzweigten theologischen, dabei aber noch ganz und gar innerchristli-
chen Kontroversen im Gefolge der Reformation.

2.1 Vom haereticus zum atheus


Der Atheismusvorwurf als kontroverstheologische Waffe (Possevino)

Hatte Luther den Atheismusbegriff, als Synonym zum häufiger gebrauchten


›impius‹ oder ›Epicureus‹, bereits polemisch gegen Rom gerichtet, so fehlte es
in der Folgezeit auch nicht an katholischen Autoren, die postwendend Lu-
ther und die Reformation der Gottlosigkeit bezichtigten und dabei ebenfalls
den Atheismusbegriff einsetzten.121 In der apologetischen Literatur des 17.
und frühen 18. Jahrhunderts wurde dieses Phänomen im Rahmen der meist
vorangestellten definitorischen und begriffsgeschichtlichen Erörterungen
vermerkt, um die Diskrepanz zwischen Sache, Begriff und Begriffsverwen-
dung herauszustellen. Als Paradefall und -beispiel galt dabei zumeist der Jesuit

121
Vgl. Barth 1971, S. 68 f.; daran anknüpfend der Artikel Atheismus I/2: Atheismus
in der Geschichte des Abendlandes in TRE, Bd. 4, 1979, S. 351–364 (Martin Schmidt), hier
S. 355 f.; ferner Döring 1992, S. 115; Höpfl 2004, S. 107–109; kein Hinweis auf Possevino
in der Studie von Blum 2016 zum »katholischen Luther«.
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74 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Antonio Possevino (1533–1611),122 der schon 1586 in einer Streitschrift nicht


nur Luther, Melanchthon und Calvin gemeinsam mit den Wiedertäufern als
»Sektierer« hinstellte, sondern sich zugleich um den Nachweis ihres ›Athe-
ismus‹ bemühte.123 Spätestens der Wiederabdruck der Abhandlung in seiner
verbreiteten Bibliotheca selecta trug Possevinos Behauptung vom ›Atheismus
Lutheri‹ in die Studierzimmer auch protestantischer Gelehrter,124 wo sie über
viele Jahrzehnte hinweg als kuriose Fußnote der »evangelischen Streitigkei-
ten« registriert und zitiert wurde.125
Ganz anders als bei Luther, der den Atheismusvorwurf auf die ›gottlose‹
Lebensführung des römischen Klerus oder des Menschen schlechthin bezo-
gen hatte, verbindet ihn Possevino unmittelbar mit der theologischen und
kirchenrechtlichen Kategorie der Häresie.126 In mehreren Durchgängen ver-
sucht er, Luther, Calvin und Melanchthon häretische Ansichten in zentralen
Lehrstücken der christlichen Kirche nachzuweisen. So habe, um nur eini-
ge Beispiele zu nennen, Luther Christus die Göttlichkeit abgesprochen,127
ferner mit Calvin die Trinität geleugnet,128 Luther und Melanchthon hätten
dagegen den freien Willen bestritten.129 Sogar die Lehre vom Zustand der
Seelen nach dem Tode habe Luther angegriffen – gemeint ist die strittige Fra-
ge der Werkgerechtigkeit. Denn mit den Belohnungen für die guten Taten
habe er auch die Strafen aufgehoben.130 Auch wenn das Luther noch nicht
zum expliziten Atheisten mache, so Possevino, bahne diese Art von Ketze-

122
Zu Leben und Werk dieses bedeutenden Gelehrten, Diplomaten und katholi-
schen Kontroverstheologen vgl. Jaumann 2004, S. 532; BBKL, Bd. 7, 1994, Sp. 857–862
(Barbara Wolf-Dahm).
123
Antonio Possevino, De sectariorum nostri temporis atheismis liber, Köln 1586.
124
Ders., Bibliotheca selecta qua agitur de ratione studiorum in historia, in disciplinis,
in salute omnium procuranda, Rom 1593, S. 508–564 (8. Buch: Liber octavus bibliothecae
selectae, qui est de theologia & atheismis haereticorum). Nachweise im Folgenden nach
dieser Ausgabe. – Das zweite Kapitel (ebd., S. 510 f.) ist überschrieben: Atheismus primus
Lutheri, quo Isaiae locum de Christi diuinitate falsa interpretatione deprauat. – Zum Pro-
jekt der Bibliotheca selecta insgesamt vgl. Biondi 1981.
125
So etwa bei Christian Colbe, Dissertatio de fulcris atheismi in ecclesia, Königsberg
1655, S. 21; Johann Franz Budde, Lehrsätze von der Atheisterey und dem Aberglauben,
Jena 1717, S. 186 f.
126
Vgl. den Artikel Häresie II: Kirchengeschichtlich in TRE, Bd. 14, 1986, S. 318–341
(Alfred Schindler), bes. S. 328–331 (zur Reformationszeit); zum rechtlichen Umgang mit
Ketzern im Hoch- und Spätmittelalter, der hier noch nachgewirkt haben dürfte, vgl. Ragg
2006, dort bes. S. 159–187 zu den deutschen Verhältnissen.
127
Das wird schon aus der Kapitelüberschrift deutlich (s. o.).
128
So der Gegenstand des dritten Kapitels (ebd., S. 511 f.): Atheismus secundus Lu-
theri & Caluini contra Sanctissimae Trinitatis nomen & inuocationem.
129
Darüber handelt Possevino im neunten Kapitel (ebd., S. 528–531): Atheismus no-
nus Lutheri, Melanchthonis, & aliorum, contra arbitrij libertatem.
130
Ebd., S. 531: »At sublata mercede Christianarum virtutum, & operum, tollebatur
& poena.«
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Konfessionspolitische Wurzeln 75

rei doch den unmittelbaren Weg (»latissima ad Atheismum via«) dorthin.131


Schon hier also werden Überführungsstrategien erprobt, die von der Apo-
logetik des 17. Jahrhunderts methodisch ausgearbeitet und von Aufklärern
wie Thomasius ( V.2.1) oder Wolff ( V.4.3), aber auch von Gottfried Ar-
nold ( IV.5.3), als »Konsequenzenmacherei« scharf kritisiert werden soll-
ten. Mit Atheismus im heutigen Verständnis hat es wenig zu tun, wenn aus
einzelnen Lehrsätzen mögliche Folgen abgeleitet werden, die ihrerseits zu
einer Preisgabe der göttlichen Strafgerechtigkeit führen könnten. Genau die-
sen Vorwurf hatte Luther, wie gezeigt wurde, gegen die katholische Ablas-
spraxis gerichtet, die Aufhebung der göttlichen Strafen sollte ab 1700 noch
dem Deismus mit seiner Lehre vom Deus remotus zur Last gelegt werden.
Dabei standen zwar sehr wohl theologische Grundfragen wie die Vollkom-
menheit Gottes und das individuelle Seelenheil zur Debatte, nicht minder
auch die sozialdisziplinierende Wirkung der Religion als heimliches Zent-
rum der Atheismusdebatte während des 17. und 18. Jahrhunderts. Ebenso
aber ging es darum, die jeweiligen Gegner im Kampf um die Deutungshoheit
öffentlich zu diskreditieren. Diese polemisch-denunziatorische Dimension
des Atheismusbegriffs und seiner Verwendung, die gerade im 16. und frühen
17. Jahrhundert weit vor der sachlichen Auseinandersetzung stand, haben
die Aufklärer des 18. Jahrhunderts scharfsichtig herausgearbeitet. Um späte-
ren Ausführungen nichts vorwegzunehmen, sei hier der frühaufklärerische
(lutherische) Theologe Johann Franz Budde zitiert, der seine Kritik am infla-
tionär gebrauchten Atheismusvorwurf unmittelbar an Possevino festmacht:

Es ist auch offenbar / daß diejenigen, welche alle die nicht einerley Meynung mit
ihnen führen / gleich vor Atheisten ausschreyen / durch keine andere Ursache hiezu
angetrieben werden/ als damit sie nur all ihrem Zorn und Gifft wider solche ausschüt-
ten mögen. Denn weil nichts verfluchter als ein atheistischer Mensch ist / so wollten
sie gerne / daß man alle ihre Gegner vor solche Bösewichter halten möchte; ja wenn
es bey ihnen stünde / möchten sie gerne sehen / daß sie mit eben dergleichen Lebens-
Straffen beleget würden / womit einige Atheisten manchmahl angesehen worden. Ge-
wiß ists wohl / daß Ant. Possevinus, von dem in vorigen Cap. § ult. geredt worden /
und andere seines gleichen / keiner andern Ursache wegen Lutherum, Melanchtho-
nem und andere in die Classe der Atheisten versetzet haben.132

2.2 Contre les Athées & autres Infideles


Die Einheit des Christentums im Angesicht seiner Feinde (Mornay)

Dass der frühe Gebrauch des Atheismusbegriffs noch im Zeichen konfessio-


neller Polemik steht, wird nicht überraschen, selbst wenn Luther als Anwen-
dungsfall aus heutiger Sicht exzentrisch wirken mag. Etwas komplexer liegt
der Fall beim folgenden Beispiel, das mitten in den niederländischen Aufstand

131
Ebd., S. 532.
132
Budde, Lehrsätze von der Atheisterey, S. 186 f.
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76 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

und das Frankreich der Hugenottenkriege führt. Hier erscheint 1581 eines
der frühesten und auf lange Sicht bekanntesten Werke der neuzeitlichen Apo-
logetik, nämlich De la verité de la Religion Chrestienne133 aus der Feder des
französischen Protestanten Philippe Duplessis-Mornay (1549–1623).134 Mitt-

133
Die Erstausgabe erschien in Antwerpen 1581 bei Christoffel Plantin; schon 1583
brachte Plantin eine lateinische Fassung heraus, übersetzt von Mornay persönlich. Sie bil-
det den Hauptzugang zu Mornay für die deutschen Autoren des 17. Jahrhunderts: De
veritate Religionis Christianae Liber; Adversus Atheos, Epicureos, Ethnicos, Iudaeos, Ma-
humedistas, & caeteros Infideles (weitere Drucke: Leiden 1587, 1592 u. 1605, Herborn
1592, 1602 u. 1609, Siegen 1597 und Jena 1696). – Eine englische Übersetzung, teilweise
besorgt von dem mit Mornay befreundeten Sir Philipp Sidney, erschien unter dem Titel A
woorke [!] concerning the trewnesse of the Christian religion zuerst 1587 in London und
erlebte mehrere Auflagen (41617).
134
Zu Duplessis-Mornays Leben und Werk vgl., neben der älteren Darstellung
von Patry 1933, nun die maßgebliche Biografie von Poton 2006; zum Politiker Mornay
vgl. auch Daussy 2002, mit umfangreicher Bibliografie (vgl. aber auch die Monita in der
Rezension von Zwierlein 2004); kurze Vita mit Literaturauswahl in RGG4, Bd. 2, 1999,
Sp. 1020 f. (Irene Dingel); ältere Nachschlagewerke sind zusammengeführt in Archives
Biographiques Françaises I 766, S. 343–450 u. 767, S. 1–37; herauszuheben davon be-
sonders der umfangreiche Artikel aus La France Protestante, Bd. 7, 1857, S. 512–542. –
Mornays Religionsschrift im Horizont der Atheismusdebatte behandeln Buckley 1965,
S. 100–102; Barth 1971, bes. S. 61 f., 178–180 (s. a. das Register); Laplanche 1983, S. 15–20
(kaum mehr als eine Inhaltsangabe mit Zitaten aus den Briefen Mornays und Heinrichs
von Navarra); Betts 1984, S. 16 u. 18; nicht aber Kors 1990 (!); des weiteren Schröder 1998,
bes. S. 75 f., 179 f. u. ö. (Register); recht ausführlich, aber inhaltlich ganz unzureichend,
Minois 2000, S. 164–168; angemessener die Paraphrase von Fatio 1998 – sie wäre besser
ohne wertende Urteile (S. 263) wie »langweilig« (»fastidieuse«) und »wenig eigenständig«
(»peu originale«), die eine mangelnde Kenntnis der gelehrten Praxis in der frühen Neuzeit
verraten; zuletzt, mit Blick auf die Rezeption durch britische Apologeten, Sheppard 2015,
20 f., 71–75 u. ö. (Register, s. v.).
In Studien oder Handbuchartikeln zum Atheismus und seiner Bekämpfung wird
Mornays apologetische Schrift zwar immer wieder erwähnt, der politische Hintergrund
aber ausgespart; vgl. etwa Häfner 1997, S. 152; Mulsow 2002, S. 127; ebenso im Artikel
Apologetik in TRE, Bd 3, 1995, S. 411–424 (Karl Gerhard Steck), S. 412. – Generell wird,
soweit ich sehe, kaum jemals ein Zusammenhang zwischen Mornays apologetischer und
politischer Tätigkeit hergestellt, besonders augenfällig etwa bei Weiss 1867, dessen Studie
(Du Plessis-Mornay comme théologien et comme caractère politique) zunächst Neugier er-
weckt, dann aber erst den Theologen (S. 11–31) und dann (S. 32–60) den Politiker Mornay
vorstellt; der Inhalt der Religionsschrift wird kurz referiert (S. 14–17), aber nicht interpre-
tiert oder kontextualisiert. Auch in der neueren politologischen bzw. geschichtswissen-
schaftlichen Literatur findet die apologetische Schrift wenig Beachtung (vgl. etwa Daussy
2004). Dort stehen gewöhnlich die Mornay zugeschriebenen Vindiciae contra Tyrannos
(1579) im Mittelpunkt des Interesses; vgl. etwa Daussy 2004, S. 229–258; Kriegel 2011,
S. 238–256; selbst in der Studie von Fornerod 1998, die sich ausgiebig Mornays Toleranz-
denken im Vorfeld des Edikts von Nantes widmet, wird die Religionsschrift nicht behan-
delt, der Autor stützt sich hauptsächlich auf den Traité de l’Église von 1578; lesenswert
dagegen, bei ganz abweichender Fragestellung (Kolonialismusdiskurs), die Ausführungen
von Lestringant 32004, S. 183–193; vgl. zudem Frank 2016, S. 333 f., zu Aspekten der Phi-
losophia perennis in Mornays Religionsschrift; einige Aufmerksamkeit hat endlich Mor-
nays Disput mit Isaac Casaubon über die Eucharistie im Anschluss an Mornays Schrift
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Konfessionspolitische Wurzeln 77

lerweile hatten die Staaten Westeuropas ein halbes Jahrhundert konfessionel-


ler Auseinandersetzungen hinter sich, die besonders in Frankreich und den
Niederlanden zunehmend zum Machtkampf um die päpstliche Vorherrschaft
und den Einfluss der spanischen Krone gerieten. Die blutigen Kämpfe, die in
Frankreich im Massaker der Bartholomäusnacht 1572, in den Niederlanden
in den Strafexpeditionen des Herzogs von Alba ihre Höhepunkte fanden, sti-
mulierten im gelehrten Europa das Nachdenken über konfessionspolitische
Lösungsstrategien. Hier liegt die geschichtliche Wurzel nicht nur der staats-
rechtlichen Toleranzkonzeptionen,135 für deren Einhaltung ein starker weltli-
cher Machtstaat zu sorgen hatte, sondern auch der theologischen bzw. religi-
onsphilosophischen Suche nach einem einheitlichen Fundament für die drei
rivalisierenden Konfessionen in einer allgemeinen christlichen Religion.136
Im Zuge dieser Überlegungen schob sich nun bei einigen auf Vermittlung
bedachten Autoren der Atheismusbegriff als Feindvorstellung an die Stelle des
älteren haereticus. Der Atheist, so die implizite Logik dieses Vorgangs, ist der
gemeinsame Feind aller christlichen Konfessionen, weil er nicht nur einzelne
Lehrsätze angreift, sondern die Wahrheit der christlichen Religion grundsätz-
lich infrage stellt. Diesem Extrem gegenüber fallen dogmatische Streitigkei-
ten zwischen den Konfessionen kaum noch ins Gewicht, die Konfessionen
rücken im Angesicht dieses gefährlichen Gegners enger zusammen.137 Nicht
zufällig stehen die Atheisten in Mornays Verité de la Religion Chrestienne in
einer Reihe mit anderen Hauptgegnern des Christentums – Muslimen, Juden
und Heiden. Schon der Untertitel entwirft die vermeintliche Bedrohungslage,
die hier gegenüber früheren Werken dieser Art um die Gruppe der Atheisten
ergänzt erscheint: Contre les Athées, Epicuriens, Payens, Juifs, Mahumedistes,
& autres Infideles. Gegen diese Feindgruppen werden nun in der Schrift selbst
die Hauptartikel der christlichen Religion – nach Art der zeitgenössischen
Loci theologici – in 34 Kapiteln demonstriert.
Von Atheisten ist allerdings im Text selbst dann auffällig wenig die Rede,138
wenig auch von den konfessionellen Differenzen, die gerade zu jener Zeit auf
einen neuen Höhepunkt zusteuerten. Es erscheint schon deswegen schwer

De l’ìnstitution, usage et doctrine du sainct sacrement de l’Eucharistie en l’Eglise ancienne


(La Rochelle 1598) gefunden; vgl. dazu nun Hardy 2017, S. 57–69 (mit weiterer Literatur).
135
Aus der großen Fülle der Literatur zum Toleranzproblem vgl. exemplarisch Gug-
gisberg 1995; ältere Forschungsbeiträge versammelt Lutz 1977; vgl. auch neuerdings die
Beiträge in Vollhardt/Bach/Multhammer 2015 2015.
136
Vgl. allgemein den soliden Artikel Irenik in TRE, Bd. 16, 1987, S. 268–273 (Wil-
helm Holtmann); ferner Peterse 1998; grundlegend (am Beispiel Jean Hotmans) jetzt Gar-
loff 2014, vgl. dort den Forschungsüberblick, S. 27–38; zwischen Hotman und Mornay
entspann sich um 1600 eine rege Korrespondenz (vgl. ebd., S. 132, 144, 152 u. ö.).
137
Dieser politische und strategische Aspekt der frühen Atheismusdebatte ist, soweit
ich sehe, bislang kaum beachtet worden. In der deutschen und angelsächsischen Atheis-
musforschung spielt er jedenfalls, soweit ich sehe, keine nennenswerte Rolle.
138
Es ist daher auch schwer begreiflich, wie George Minois »mehrere Kapitel« ge-
funden haben will, die sich dem Atheismus widmen (Minois 2000, S. 166).
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78 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

vertretbar, von der apologetischen Ausrichtung der Schrift auch gegen Athe-
isten auf das Vorhandensein atheistischer oder libertinistischer Tendenzen zu
Mornays Zeit und auf deren intellektuelles Profil schließen zu wollen.139 Der
Atheismus bildet, soweit er im Text überhaupt vorkommt, einerseits einen
Grenzbegriff, der als negatives Korrelat dem von Mornay entworfenen Gerüst
einer allgemeinen christlichen Religion entspricht. Er wird denn auch nicht an
zeitgenössischen Intellektuellen, sondern an den bekannten Vertretern der an-
tiken Religionskritik, besonders an Epikur exemplifiziert. Statt von Atheismus
spricht Mornay mehrfach, wie noch die Reformatoren, von »impieté«,140 die
Atheisten nennt er mit den Kirchenvätern auch gelegentlich »infideles«.141 Im
Haupttext kommen die Atheisten kaum noch vor, sie werden, wie die Epicuri-
ens, nur da aufgerufen, wo den von Mornay entwickelten Thesen und Bewei-
sen für die christliche Religion und deren Wahrheit einige Einwände (»Obiec-
tions«) gegenübergestellt werden.142
Andererseits wird Atheismus auch bei Mornay noch als eine Haltung ver-
standen, die gerade unter bekennenden Christen vorkomme. Das verbindet
ihn mit den Reformatoren ebenso wie mit dem späteren Pietismus ( II.2–4).
In der Vorrede identifiziert er als Zielgruppe seiner apologetischen Schrift die
Christenheit selbst (»ceux qui se nomment Chrestiens«), innerhalb welcher an
die Stelle des frommen Lebens längst die Ausschweifung getreten sei: »Les vns
s’amusent tant en leurs plaisirs, qu’ils ne prirent onq le loysir, non de monter
iusques à Dieu, mais d’entrer seulement en eux-mesmes […].«143 Hier liege die

139
Auch hier problematisch das Urteil von Minois, wenn er seiner Paraphrase der
Schrift die bilanzierenden Worte folgen lässt (Minois 2000, S. 167): »Wie man sieht, grün-
det der Atheismus in den 80er-Jahren des 16. Jahrhunderts vor allem auf Fragen, auf einer
Revolte des menschlichen Geistes gegen Vorstellungen, die den rationalen Ansprüchen
nicht mehr genügen.« – Aus dem im Text Mornays entworfenen Bild des Atheismus dessen
historische Phänomenologie rekonstruieren zu wollen, bedeutet, wie das Beispiel sehr gut
zeigt, die Feindbildlogik der Apologetik selbst zu übernehmen. Vgl. dagegen entschieden
Schröder 1998, S. 76: »In der heterodoxen Szenerie seiner Zeit fand Duplessis Atheisten
jedoch nicht als identifizierbare Figuren oder gar als Autoren greifbarer Texte vor – eine
weitere Bestätigung des consensus omnium circa existentiam Dei, der auch bei Duplessis
eines der tragenden Fundamente seiner apologetischen Bemühungen ist.« – Die irenische
Tendenz, mit welcher der Atheismusbegriff im 16. und 17. Jahrhundert gebraucht wird,
hat allgemein Hans-Martin Barth erkannt und kurz gewürdigt (vgl. Barth 1971, S. 311 f.),
ohne dabei Mornay zu erwähnen.
140
Mornay, De la verité, Widmungsvorrede (an Heinrich von Navarra), fol. * 2r, wie-
der S. 235.
141
Ebd., Vorrede an den Leser (Preface), fol. † 5v.
142
So etwa ebd., S. 15 (»Obiections des Athees«), 235 (»Obiections contre la Proui-
dence«), 333, 428 u. 480 (»Obiections« – von Atheisten ist dort aber nicht die Rede). – Aus
theologischer Sicht leuchtet es ein, dass die »Athees« (S. 15) nur im ersten Kapitel zu Wort
kommen, das die Existenz Gottes behandelt. Gegen die Lehre von der Vorsehung wird
dagegen Epikur aufgeboten (S. 235): »Contre vne doctrine si manifeste, voyons ce que
l’impieté peut apporter; & premierement nous vient au deuant Epicure […].«
143
Ebd., fol. † 1r.
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Konfessionspolitische Wurzeln 79

eigentliche Quelle eines Atheismus, der gerade nicht in intellektueller Ausei-


nandersetzung bestehe, sondern in deren Unterlassung.144 Ohne dass Mornay
also schon über den Begriff des ›praktischen Atheismus‹ verfügen würde – er
sollte erst von Voetius entwickelt werden ( I.5)145 –, zielt er in der Vorrede auf
eine ähnliche Vorstellung, wie wir sie auch schon bei den Reformatoren ( I.1)
als Kern des Unglaubensverständnisses kennengelernt haben. Die Kategorie
des Unglaubens – ob als Atheismus, Epikureismus oder »impieté« ausformu-
liert – dient hier, wie schon bei Luther, Calvin oder Bucer, wie vor allem dann
wieder im frühen Pietismus ( II.2), als Instrument einer Zeitklage über den
Verfall der Frömmigkeit. Diese richtet sich also einmal mehr gerade nicht ge-
gen radikale philosophes oder gelehrte Libertins, geschweige denn gegen ve-
ritable Gottesleugner, sondern gegen Christen, die ihre Pflichten gegenüber
Gott vernachlässigen: »Que diray-ie de la plus part de nous? De nous, di-ie,
qui croyons l’Euangile, & approuuons la Religion Chrestienne, & viuons,
comme si n’en croyons rien?«146 Es überrascht daher auch nicht, wenn Mornay
in der Widmungsvorrede die bekannte Passage aus dem 14. Psalm bemüht.147
Wesentlich mehr ist der Schrift im Hinblick auf Atheisten und Atheismus –
ob nun im Wortsinn oder in der eben skizzierten Bedeutung – nicht zu entneh-
men. Es geht dem Autor in erster Linie darum, ein Lehrgebäude von Glaubens-
artikeln zu entwerfen, die allen drei Konfessionen gemeinsam sind und sich
zugleich als kongruent mit der Vernunft (raison) erweisen lassen.148 Die Athe-
isten und ›Epicuriens‹ bilden dabei mehr eine rhetorische Vorlage, um neben
dem Alten Testament (als argumentativem Fundus gegenüber dem Judentum)
und der antiken Philosophie (hier gegen die »Heiden« in Stellung gebracht)149
auch Aspekte der Physikotheologie150 und die seit der Antike überlieferte,
von Scholastik und protestantischer Schulphilosophie aufgegriffene Lehre
von der natürlichen Gotteserkenntnis – systematisiert in den sogenannten no-
144
Ebd.: »C’est la propre source des Athées, qui, à proprement parler, ne pechent
par discours; mais faute de discourir: par abuser de la raison; mais, par l’auoir noyée, ou
plustost embourbée, és sangeux & bestiaux plaisirs de ce monde.«
145
Deswegen ist es auch irreführend, wenn Minois diesen Ausdruck, ohne histori-
sche Konkretisierung, mit Blick auf Mornay verwendet (S. 168).
146
Mornay, Preface, fol. † 1v–† 2r.
147
Ebd., Widmungsvorrede, fol. * 3v: »Le Fol, dit le Psalmiste, a dit en son coeur, Jl
n’y a point de Dieu […].« – Wie aus einer Marginalie zu einem Zitat hervorgeht (S. 72),
kannte Mornay übrigens auch den Psalterkommentar des Augustinus (zum dort entwi-
ckelten Unglaubensverständnis s. o., Kap. I.1.1).
148
Ausführlich begründet in der Leservorrede, fol. † 2r– † 5v (der Abschnitt ist mit
dem Titel versehen »Si la religion se peut declarer par raison«).
149
Explizit wird der consensus gentium (»Consentement universel«, S. 13 u. 368;
»Consentement des peuples«, S. 56) beschworen, eines der zentralen Argumente der früh-
neuzeitlichen Apologetik. Vgl. dazu Schröder 1998, S. 64 f. u. 203 f.; Barth 1971, S. 183–196.
150
So etwa, stellvertretend für etliche gleichlautende Passagen, die sich um den phy-
sikotheologischen bzw. kosmologischen Gottesbeweis drehen, ebd., Preface, fol. † 3r: »Or
telles sont ces preuues contre les Athées: Rien n’a mouuement de soy-mesmes. C’est la
nature qui le dit. Le monde tourne, les corps celestes ont mouuement.«
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80 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

titiae communes – zur Verteidigung der christlichen Religion aufzubieten.151


Den politischen Hintergrund der Schrift enthüllt ein Blick auf Mornays be-
wegte Biografie.152 Denn keineswegs äußert sich hier nur ein besorgter christ-
licher Gelehrter über die Verunglimpfung seiner Religion durch die genann-
ten Feindgruppen. Den Spitznamen »Papst der Hugenotten«153 trug er nicht
nur wegen seiner theologischen Verdienste. Als Berater und Chefdiplomat
des Prinzen Heinrich von Navarra154 bewegte sich der calvinistische Adlige
Mornay vielmehr in den höchsten politischen Kreisen, als Intellektueller kor-
respondierte er mit Sir Philipp Sidney und Montaigne.155 Nur knapp entging
er 1572 den Massakern der Bartholomäusnacht. Einige Jahre später finden wir
ihn dann in den Niederlanden, wo er in Heinrichs Auftrag mit Wilhelm von
Oranien verhandelte.156 An der Niederschrift des Edikts von Nantes (1598) soll
er maßgeblich mitgewirkt haben.157 Im Jahr der niederländischen Unabhängig-
keitserklärung, 1581, erscheint seine Verteidigung der christlichen Religion.
Gewidmet ist sie dem Dienstherrn, Heinrich von Navarra, dessen Aussicht auf
die französische Thronfolge inzwischen in greifbare Nähe gerückt war.
Wenn nun der Calvinist Mornay gegenüber dem zu dieser Zeit noch cal-
vinistischen Thronfolger die Einheit der christlichen Religion im Angesicht
ihrer Feinde beschwört, dann darf das wohl auch als konfessionspolitisches
Signal gedeutet werden, als Aufforderung, die Vertreibung der Hugenotten
zu verhindern und auf eine Gleichstellung der Religionsparteien hinzuarbei-
ten. Die Schrift De la verité de la Religion Chrestienne bietet dafür eine theo-
logische Grundlegung an.158 Dass Heinrich diese Botschaft genau verstanden
hat, belegt sein Dankschreiben an Mornay, in dem er versichert, sich für einen

151
Eindeutig etwa Preface, fol. Preface, † 6v: »Ce sont ces communes notions, ou
conceptions qu’on appelle; vne apprehension de Diuinité, vne conscience du mal, vn desir
d’immortalité, vn souhait de felicité &c.« – Zur Lehre von den notitiae communes in der
frühen Neuzeit vgl. Frank 2003; speziell zur Traditionsgeschichte vgl. den Artikel Notio-
nes communes im HWbPh, Bd. 6, 1984, Sp. 938–940 ( Joachim Schneider).
152
Zum Folgenden vgl. die Darstellungen der politischen Biografie Mornays bei
Daussy 2002, Poton 2006 sowie Kriegel 2011, bes. S. 185–198, dort auch ausführlich zur
Geschichte des Niederländischen Aufstands und zur Rolle Wilhelms von Oranien.
153
So schon im Titel: Poton 2006.
154
Etwas emphatisch spricht Poton sogar vom »Premier ministre d’Henri de Navar-
re (Poton 2006, S. 72).
155
Briefe an Montaigne vom Ende des Jahres 1583 etwa in: Mémoires et correspon-
dance de Duplessis-Mornay, Bd. 2, Paris 1824, S. 385, 393 u. 401.
156
Vgl. Daussy 2002, S. 156–166.
157
Das Ausmaß seiner Beteiligung wird verschieden eingeschätzt; vgl. die Abwä-
gung bei Fornerod 1998, S. 226, mit Anm. 4 u. 5.
158
Daussy arbeitet zwar Mornays Bestrebungen heraus, den Prinzen von Navarra
als Schirmherr einer geeinigten Christenheit zu verpflichten und widmet sich ausführlich
der damit verbundenen Allianzpolitik (vgl. Daussy 2002, S. 189–203), lässt aber die theo-
logische Grundlagenarbeit weitgehend außer Acht.
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Konfessionspolitische Wurzeln 81

dauerhaften Frieden einzusetzen.159 Diese Zusammenhänge sind zu bedenken,


ehe man von dem Einsetzen der Atheismusdebatte um 1600 kurzerhand auf
die Zunahme tatsächlicher religionskritischer Tendenzen schließt.160 Zwar er-
lebte das Ende des 16. Jahrhunderts in der Tat einen frühen Höhepunkt des
Skeptizismus in Gestalt von Montaigne und Charron. Aber nicht nur ist der
Skeptizismus als Folge der gleichen konfessionellen Zerwürfnisse entstanden
wie die oben geschilderten Vorschläge zur Toleranzpolitik und zur natürlichen
Religion; beide Autoren, Montaigne wie Charron, verstanden sich überdies
als Verteidiger der christlichen Religion und standen dabei noch ganz auf dem
Boden der katholischen Kirche.161

2.3 Adversus politicos


Die katholische Offensive gegen Staatsräson und Konfessionstoleranz
(Assonville)

Die komplementäre Gegenposition zu Mornays Irenik, mit Akzentverschie-


bungen auch gegenüber Possevino, bezogen kurz vor 1600 katholische Au-
toren, die mit Entschiedenheit auf dem Suprematieanspruch der katholischen
Kirche – gegenüber dem Protestantismus, aber auch jeder weltlichen Obrig-
keit überhaupt – beharrten und folglich alle Toleranzbestrebungen als unzu-
lässige Hintanstellung des Geistlichen hinter dem Weltlichen denunzierten.
Der Kampfbegriff, unter dem sich diese Abwehr vor allem vollzog, war der
des Politicus, oft auch Pseudo-politicus oder Machiavellista genannt.162 In ihm
159
Brief vom 23. November 1581: »Et me remettant à sa suffisance, je ne vous ferai
ceste ci plus longue, que pour vous asseurer que vostre livre a esté bien receu et recueilli, et
grandement loué et estimé des meilleurs esprits. […] Je fais tout ce que je puis pur executer
la paix, de quoi j’espere ung bon succès, non seulement en ce pays, mais au plus loingtain
qui desire la pacification d’icelui […].« Mémoires et correspondance de Duplessis-Mornay.
Èdition complète, Bd. 2, Paris 1824, S. 119.
160
So etwa, neben Minois (s. o.), auch Fatio 1998, S. 254 f.
161
Vgl., im Rahmen der Geschichte des neuzeitlichen Skeptizismus, Allen 1964,
S. 89-97, Kors 1990, S. 54 f. u. 63 f., sowie Popkin 32003, S. 44–64; 100–107 u. ö. (Register).
162
Dem entspricht der als Selbstbezeichnung einer Gruppe von Diplomaten und
Staatsdenkern um Bodin und Michel L’Hôpital gebrauchte Ausdruck »politiques«. Sie
setzten sich für die Trennung von Staat und Kirche ein. Vgl. den Überblick bei Bermbach
1985, S. 129–134; Höpfl 2004, S. 103–106; immer noch lesenswert: Sternberger 1978, S. 250–
253. – Zum Antimachiavellismus im 16. und 17. Jahrhundert vgl. Münkler 1982, S. 117–127,
Münkler 1985, S. 46–59; Buck 1985, S. 129–155; grundlegend: Höpfl 2004; ferner den Li-
teraturbericht von Zwierlein 2010 (unter Einschluss der Staatsräsonforschung) sowie den
komprimierten Überblick bei Zwierlein 2011; zum Bedeutungsumfang von »Politik« bzw.
»politisch« in der frühen Neuzeit vgl. den Artikel Politik in Geschichtliche Grundbegriffe,
Bd. 4, 1978, S. 789–874 (Volker Sellin), bes. S. 806–814; dort, S. 812 f., auch zum Atheismus-
vorwurf; die Verwendung des Ausdrucks ›Politicus‹ bei italienischen, französischen und
englischen Humanisten behandelt Rubinstein 1987, vgl. dort bes. S. 53–55, zur vorüberge-
henden Verschmelzung des Begriffs mit dem des Machiavellismus; weitere Literatur wird
im Weisekapitel genannt, s. weiter unten, Kap. III.3.5.
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82 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

flossen verschiedene Vorstellungen zusammen, die wir bei Luther schon mit
dem Begriff des Epikurers verknüpft gesehen haben. Und in der Tat wurde
im Rahmen dieser Auseinandersetzung auch der Atheismusbegriff als pole-
misches Instrument erprobt. Kurz vor dem Zustandekommen des Edikts von
Nantes (1598) starteten prospanische Politotheologen eine entsprechende
publizistische Kampagne, die bis weit ins 17. Jahrhundert hinein reichte. Der
kontroverstheologische Hintergrund dieser Debatte bleibt nicht zuletzt darin
präsent, dass mit Thomas Stapleton und Kardinal Bellarmino zwei der füh-
renden katholischen Streittheologen der Zeit daran teilnahmen (s. u.). Dahin-
ter standen handfeste politische Interessen, denn in England und Frankreich
gewannen seit dem Ende der 1580er-Jahre die protestantischen Kräfte unter
Führung Elisabeths und Heinrichs von Navarra die Oberhand, was für die
politische Machtstellung des Papstes schwere Einbußen mit sich brachte.163
Ein besonders plakatives Beispiel, das zugleich den Anschluss an den (zu
dieser Zeit noch schmal fließenden) Hauptstrom der Antiatheismusliteratur
herstellt, bildet der postum gedruckte Atheomastix164 des flämischen Juristen
Guillaume d’Assonville (1565–1597),165 der 1598, im Jahr des Toleranzedikts
von Nantes, in Antwerpen und dort – delikates Detail – ebenfalls bei Plantin
erschien.166 Der Titelzusatz adversus religionis hostes universos (politicos maxi-
me) deutet bereits an, dass es bei den ›Feinden der Religion‹ nicht so sehr um
die perhorreszierte negatio Dei geht, sondern gegen die um 1600 als »politici«
bezeichneten Befürworter einer frühabsolutistischen, über den Religionspar-
teien stehenden Machtpolitik. Wie unmittelbar auch bei Assonville die vehe-
ment vorgetragene Sorge um die Einheit des christlichen Glaubens mit der
politischen Tageslage verknüpft war, zeigt ein Blick auf seine Biografie: Sein
Vater, Christoffel d’Assonville, gehörte zum engsten Beraterkreis Philipps II.
von Spanien, der nach den Niederlagen in Frankreich und England seine mili-
tärischen Anstrengungen auf die Niederlande konzentrierte.167 Guillaume hat-
te unter anderem in Löwen studiert, wo er sicherlich Thomas Stapleton gehört

163
Aus der Fülle der Literatur sei hier verwiesen auf Kriegel 2011; zu den Vorgängen
in den Niederlanden vgl. vor allem die detaillierte Analyse der diplomatischen Aktivitäten
bei Güldner 1968. – Dass aber in diesem Zusammenhang auch bedeutende Beiträge zur
katholischen Staatslehre geleistet wurden (Bellarmino, Contzen) soll nicht verschwiegen
werden. Vgl. dazu die maßgeblichen Studien von Bireley 1990 und Höpfl 2004; ein kom-
pakter Überblick z. B. bei Bermbach 1985, S. 101–129.
164
Guillaume d’Assonville, Atheomastix sive adversus religionis hostes universos (po-
liticos maxime) dissertatio, Antwerpen 1598. – Nachweise im Verlauf dieses Kapitels mit
Seitenzahl in Klammern nach Zitat.
165
Auch: Assonlevilla oder Assonleville; vgl. zu ihm die knappen Hinweise bei Jau-
mann 2004, S. 50; ältere Nachschlagewerke versammelt das Biografisch Archief van de Be-
nelux I 26, S. 109–113; zum Atheomastix vgl. die verstreuten Bemerkungen bei Schröder
1998, S. 66 u. 178, sowie Barth 1971, pass. (Register).
166
Vgl. Imhof 2014, Bd. 1, S. 38. – Plantin hatte bereits die Religionsschrift des Pro-
testanten Mornay verlegt.
167
Vgl. ebd. sowie Jaumann 2004, S. 50.
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Konfessionspolitische Wurzeln 83

hatte. Der Atheomastix zeigt deutliche Übereinstimmungen, teilweise bis in


wörtliche Formulierungen hinein, mit einer erst 1602 gedruckten, vermutlich
schon vorher gehaltenen Rede Stapletons über die Frage, ob die Politici über-
haupt als Christen anzusehen seien.168
Von Interesse für unseren Zusammenhang ist die Tatsache, dass auch die
prospanische Offensive gegen Toleranzpolitik und Verweltlichung des Staats-
begriffs nicht auf die Annahme von der politisch-pragmatischen, nämlich ge-
sellschaftlich-sozialen Bedeutung der Religion verzichten konnte. Tatsächlich
entspricht die Beweisführung über weite Strecken derjenigen protestantischer
und toleranzorientierter katholischer Staatsdenker ( I.3.4). Folgerichtig be-
müht sich Assonville zunächst um den Nachweis, dass kein Gemeinwesen
ohne Religion bestehen könne. Dazu stützt er sich nicht nur auf dieselben
antiken Beispiele und Belegstellen, er verwendet auch dieselbe Begriffs- und
Bildersprache wie jene. Die Religion, heißt es, sei das erste Fundament (»ba-
sis«) eines Staates (25),169 die Stütze (»adminiculum«) für jegliche Herrschaft
und das Band (»vinculum«), das Einigkeit unter den Untertanen stifte (87).170
Das bestätige, so Assonville weiter, nicht nur die Beobachtung antiker Auto-
ren, dass auch die wildesten und barbarischsten Völker noch auf die richtige
Gottesverehrung gehalten hätten.171 Vielmehr hätten gerade die größten und
blühendsten Staaten – als Beispiele dienen Griechenland und Rom – ihren Ur-
sprung auf die Götter zurückgeführt und deren Missachtung zu keiner Zeit
geduldet.172 Neben diesem empirischen Befund liefert Assonville auch noch

168
Thomas Stapleton, Oratio academica an politici horum temporum in numero
Christianorum sint habendi, o. O. 1602 (weitere Ausgaben 1606, 1607, 1608; im Folgenden
nach der Ausgabe München 1608). – Auf Übereinstimmungen wird an den einigen Stellen
hingewiesen. Eine ausführlicher Vergleich muss hier unterbleiben.
169
»Ex quibus manifeste conuincitur, relligionem velut praecipuam Reipublicae ba-
sim constitui oportere, omniaque eidem posthabenda […].« (25)
170
»Nam illius [sc. religionis] adminiculo, imperiorum regnorumque salus augetur &
conseruatur, ciuitates construuntur, ciuium animi inter se dissidendentes [sic!], quibusdam
quasi vinculis colligati, in vnum coalescunt, & in officio continentur […].« (87). – Zur
staatstheoretischen Denkfigur des vinculum societatis s. u., Kap. I.3.
171
Ebd., S. 18: »Nec mirum, cum Dei cultus & religio ita per omnes mortales, omnes
nationes quantumuis barbaras & agrestes peruasit, vt nullus vnquam populus extiterit, qui
non in sua Republica, deorum cultum tenendum esse putauerit. De hominibus enim (ait
Cicero) nulla gens est tam fera, nulla tam immanis, cuius mentem non imbuerunt deourum
colendorum opinio.« (18) – Gemeint ist vermutlich die oft zitierte Stelle aus Ciceros De
legibus, die dort dem Dialogpartner Marcus in den Mund gelegt wird (I,24): »Itaque ex tot
generibus nullum est animal praeter hominem quod habeat notitiam aliquam dei, ipsisque
in hominibus nulla gens est neque tam mansueta neque tam fera, quae non, etiamsi ignoret
qualem haberi deum deceat, tamen habendum sciat.« – Zu den loci classici der religionspo-
litischen und staatskirchenrechtlichen Theoriebildung der frühen Neuzeit s. weiter unten,
Kap. I.3.1, Anm. 200.
172
»Vnde sit, quod quae maxime floruerunt Reipublicae, semper a diis initia sumpse-
re; nec vnquam passi sunt vllos inter se viuere qui aut deos negare, vel de diis male sentire
auderent.« (20)
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84 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

eine rechtsphilosophische Begründung: Nach Auskunft von Platon173 und Ci-


cero174 sei die Pflicht zum richtigen Gottesdienst allen anderen Verpflichtun-
gen voranzustellen, da sie die Grundlage jedweder Gerechtigkeit darstelle. Die
geringeren, also weltlichen, Pflichten (»inferiora officia«) könnten nicht lange
bestehen, wenn die höchste Pflicht, welche allen anderen zugrunde liege, ver-
nachlässigt werde (22). Hier klingen schon Motive einer Begründungsproble-
matik an, die im Naturrecht dann schärfer hervortreten wird ( I.3.5).
Andererseits jedoch, und hier trennen sich die Wege, könne ein Staat eben-
so wenig die Koexistenz mehrerer Religionen aushalten. Die von den Politici
vorgeschlagene Strategie der religiösen Duldung führe überhaupt nicht zum
Frieden, sondern zu einem perpetuierten Kriegszustand und zu gesellschaft-
lichem Chaos, da sie das einigende soziale »Band« (»vinculum«) der Religion
zerreiße: »Compertum enim est, varias sibique dissentientes in religionis causa
opiniones, humanae societatis vinculum abrumpere, & Reip[ublicae] non so-
lum Ecclesiae concordiam dissipare.« (88). Ganz ähnlich hatte 1589 schon (der
zu dieser Zeit noch calvinistische) Justus Lipsius argumentiert ( I.3.1). Der
Gedanke wird im Atheomastix mit geringfügigen Variationen an zahlreichen
Stellen vorgetragen.175 Auf diese Weise soll wohl die mit dem Toleranzmodell
verbundene Friedens- und Glücksverheißung ad absurdum geführt werden.176
Als Beleg verweist der Autor auf die gleichen jahrzehntelangen Religionskon-
flikte in den Niederlanden und Großbritannien (26), auf die sich ja auch die
Protestanten bezogen – ein Modellfall konfessioneller Propaganda! Interes-
santerweise wird so die Haltung der Politici, die ja angeblich auf konsequente
Verweltlichung zielt, in eine direkte Kontinuität zu den protestantischen Hä-
resien gestellt, die mit ihrer Hilfe quasi institutionalisiert werden würden.
Mit seiner zunächst noch ganz politischen Argumentation läuft der Autor
nun allerdings selbst Gefahr, dem befehdeten ›Politizismus‹ (»politicismum«
[120]) zu verfallen, der die Religion nur noch pragmatisch begreift, nämlich
über ihre gesellschaftliche Integrationsfunktion. Er nimmt daher, im An-
schluss an die mittelalterliche Staatsauffassung, eine theologische Ergänzung
vor. Wichtiger noch als die von den Politici verheißene öffentliche Ruhe, so

173
»Diuinus ille Plato, cum de legibus formandaque ciuitate disputationem institue-
ret, eas imprimis ponendas esse voluit, quae ad cultum, orationes, & sacrificia pertinerent.«
(20) – Die Stelle konnte nicht ermittelt werden. Über den Unglauben (Asebie) handelt
Platon an verschiedenen Stellen, vgl. den Überblick bei Schröder 1998, S. 46 f. u. 53–55; am
wichtigsten für die Debatte im 16. und 17. Jahrhundert dürfte der theologische Exkurs im
zehnten Buch der Nomoi (leg. 885b–910a) gewesen sein.
174
»Sublata enim aduersus deos pietate, inquit Tullius, fides etiam & societas generis
humani, & excellentissima illa virtus Iustitia ergo homines tollatur necesse est.« (22) – Zum
Topos und zu Cicero als Gewährsmann s. u., Kap. I.3.1.
175
So etwa, kurz und bündig: »Pacem igitur perturbat diuersarum religionum tole-
rantia […].« (91)
176
»Quapropter probatum sit, ciuium concordiam & ciuilem felicitatem (ad quam
Politicorum omnium prima studia conferri videntur) sectarum libertate grauissime per-
turbari.« (96)
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Konfessionspolitische Wurzeln 85

wird mehrfach betont, sei das geistliche Seelenheil (›salus‹ [71]), und das kön-
ne allein die wahre apostolische Kirche gewährleisten. Von diesem Punkt aus
wird denn auch, in paradoxer Abwendung vom zentralen Friedensargument,
der Durchhaltewillen der kriegsmüden Katholiken stimuliert. Damit enthüllt
sich die Schrift als das, was sie eigentlich ist – ein Aufruf zur Fortführung des
Religionskrieges bis zum erhofften Sieg der katholischen Seite. Vor diesem
Hintergrund kann nun die Unterscheidung zu den bekämpften Politici und
ihre Entlarvung als Atheisten in aller Schärfe akzentuiert werden. Trotz ihres
äußerlichen Bekenntnisses zur christlichen Religion würden sie religiöse und
geistliche Belange prinzipiell hinter weltliche, vor allem politische, Angelegen-
heiten zurückstellen (»posthabere«) oder, umgekehrt, das Weltliche voranstel-
len (»anteponere«):177

Nam nostrae aetatis Politici religionem, quae in omni Republica bene sapienterque
instituta primas tenere debet, ciuili politiae posthabendam, Regum & Principum esse
non modo de ciuilibus, sed de Ecclesiasticis etiam rebus pro arbitrio disponere; di-
uersas insuper atque aduersas religiones in quauis Republica permittendas esse, non
minus impie quam prophane comminiscuntur. Ab his tam infaustis principiis, quibus
humana diuinis, terrena caelestibus, temporaria aeternis, profana sacris miscentur, &
quae sunt inferiora dignioribus anteponuntur; dictu incredibile, quam multa a diuinis
abhorrentia scripturis & a veteri Ecclesiae vsu discrepantia pugnantiaque consequan-
tur. (70 f.; Hervorh. d. Verf.)

In theologisch-definitorischer Hinsicht kann also festgehalten werden: Der


vermeintliche Atheismus der Politici liegt bei Assonville noch nah an der bi-
blischen Auffassung des Unglaubens ( I.1). Er besteht in der inneren Ab-
wendung von Gott oder Christus als dem eigentlichen Lebenszweck, hin zu
weltlich-profanen Prioritäten. Dementsprechend schreibt er über die Poli-
tici, sie seien »Weltkinder« bzw. »Kinder der Erde« (»terrae filij« [122]), die
»mehr auf ihre eigene Sorgfalt, Klugheit und Anstrengung halten würden als
auf die Mahnungen, Gebote und Verheißungen Christi« (»qui in sua sollicitu-
dine, prudentia, cura plus momenti ponunt quam in Christi aut monitis, aut
praeceptis, aut pollicitis« [83]). Der Begriff der prudentia zielt auf zeitgenös-
sische Konzeptionen der politischen Klugheit, etwa bei Lipsius, der Politicus
wird, wie oftmals in diesem Zusammenhang, mit Attributen des weltgewand-
ten, nur dem Interesse der Macht verpflichteten Hofmanns ausgestattet.178 Fol-

177
Zum Vergleich eine Passage aus Stapletons Oratio academica, die Assonville of-
fenkundig ausgeschrieben hat. Das Beispiel kann für viele weitere stehen kann: »Dicimus
primo loco, hujusmodi Politicum, qui Religionis causam atque defensionem, suis fortunis
aut commodis, vel etiam Reipublicae paci & incolumitati postponit, imo qui eam omni-
bus rebus non anteponit, Christiani hominis loco habendum non esse.« Stapleton, Oratio
academica, S. 6.
178
Am deutlichsten bei Stapleton, Oratio academica, S. 4: »Politici & civiles ho-
mines, elegantes & suaves, prudentes & cordati, ipsam sacrosanctae Religionis causam
politice & civiliter tractari volunt […].« – Bei Assonville, dessen Vater immerhin zu den
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86 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

gerichtig wird der Politicus polemisch in die Nachfolge Machiavellis gestellt.


Assonville bezeichnet ihn als »in Machiauelli schola edoctum« (69 f.).
So wie über ihren Glauben, heißt es über die Politici, lügen sie auch über
ihre Absichten.179 Zur politischen Beweisführung tritt hier also, gut rhetorisch,
die persönliche Diffamierung. Zielt schon das Attribut des Lügnerischen auf
die ethisch-charakterliche Diskreditierung der Politici, so wird ihnen nun da-
rüber hinaus die Qualität des Irrationalen, Libidinösen, Triebhaften zugeord-
net. Assonville greift dazu wie seine Vorgänger auf das durch Sündentheologie
und philosophische Ethik gut bestellte Wortfeld der Begierden (»omnia libidi-
num genera« [59]; »cupiditatum« [ebd.]; »libidinum« [76]) zurück.
Dieser moralisch-affektpsychologischen Kennzeichnung entspricht auf ei-
ner bildhaften Ebene der oft wiederholte Tiervergleich, dessen lexikalisches
Spektrum vom wilden Tier (»instar brutorum animantium« [60])180 über ›Bestie‹
(»bestias« [60]; »belluam« [68]) bis zur maximalen Steigerung im ›Ungeheuer‹
(»monstra«) reicht.181 Nicht fehlen dürfen auch die Bildbereiche der Krankheit
(»pestes« [128]) und des Giftes (»morsu venefico« [ebd.]). Das sind Strategien
und Motive, die in der Atheismusdebatte des 17. Jahrhunderts ebenso erhalten
bleiben werden wie noch später im publizistischen Kampf gegen die ›Freigeis-
ter‹. Ihre neuzeitlichen Wurzeln reichen jedoch, wie man hier deutlich sehen
kann, bis in das rhetorisch-argumentative Arsenal der Kontroverstheologie
und Ketzerschelte des 16. Jahrhunderts zurück. Im Atheomastix stehen beide
Diskurse noch deutlich nebeneinander. Denn in der dämonisierenden Darstel-
lung als triebgesteuertes und ergo asoziales Ungeheuer unterscheidet sich der
Politicus dort nicht nennenswert vom (protestantischen) haereticus.
Das gilt auch für den letzten hier zu bedenkenden Aspekt, die Kombina-
tion des Irrational-Triebhaften mit Szenarien des gesellschaftlichen Zusam-
menbruchs. An mehr als einer Stelle verknüpft Assonville das Wortfeld der
Begierden mit dem theologisch wie politisch brisanten Begriff der Freiheit
(»libertatis cupiditate« [59]). Gemeint ist die Religions- oder Gewissensfrei-
heit (»credendi libertatem« [88]). In der Kombination mit cupiditas oder vo-
luptas wird hier Freiheit im Sinn von triebhafter Willkür zum Gegenbegriff
der gesellschaftlichen Ordnung (»ordo«), einem der zentralen Konzepte des
mittelalterlichen wie frühneuzeitlichen Welt- und Politikverständnisses.182 Im

einflussreichsten Räten Philipps II. gehörte, sind diese Züge wohlweislich getilgt. Er über-
nimmt diese gesamte Passage aus Stapleton, lässt aber genau den hier zitierten Satz aus.
179
»Vnde liquido constat, nullas capitaliores magisque execrandas haereses ab inferis
vnquam emersisse, quam Politicorum stultas brutasque & nuper diabolica fraude excogi-
tatas opiniones.« (123)
180
An anderer Stelle wird auch der Vergleich mit Tigern, Panthern und Affen her-
gestellt (68).
181
»Neque ego vnquam talia monstra in terris vlla fuisse puto, tam ex contrariis di-
uersisque ac inter se repugnantibus naturae studiis cupiditatibusque conflata.« (76)
182
Vgl. hier statt Spezialliteratur die überaus gründlichen Artikel Ordnung II: Mit-
telalter im HWbPh, Bd. 6, 1984, S. 1254–1279 (Wolfgang Hübener), sowie Ordnung III:
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Konfessionspolitische Wurzeln 87

Atheomastix steht dagegen die katholische Kirche als Garantin (»ordinatissi-


ma«) für diejenige Ordnung (im Geistlichen wie im Weltlichen) ein, welche
die Politici angeblich gern aufgehoben wüssten (110). Auf motivischer Ebene
entspricht dem dergestalt beschworenen Umsturz der Ordnung (»ordinem
sublatum«) oder der Herrschaft (»regno euerso«), der Anarchie, wie es ein-
mal heißt (111), das Bild der zerbrochenen Riegel (»perfractis repagulis«) und
des abgeworfenen oder zerrissenen Zügels (»effrenae«), das dem Tierkomplex
inhaltlich korrespondiert. In diesem Zusammenhang kehrt auch die bekann-
te Formel vom »Band der menschlichen Gesellschaft« wieder (»humanae so-
cietatis vinculum« [88]). Durch häufige Wiederholung und Variation ergibt
sich so unterhalb der theologischen und politischen Argumentationsebene ein
dichter semantisch-motivischer Verweiszusammenhang, der die gesellschaftli-
chen Kriegs- und Zusammenbruchszenarien bildhaft unterstützt. Im martiali-
schen Schlussappell treten alle beschriebenen Aspekte noch einmal effektvoll
zusammen: Wem das Wohlergehen des christlichen Gemeinwesens wie des
eigenen Leibes wichtig sei, der habe darauf zu halten, diese »gottlosen Besti-
en« (»impias hasce belluas«) abzuwehren, bevor diese mit ihrem Gift (»mor-
su venefico«) die christliche Herde (»gregem«) töten, sie also zur äußersten
Gottlosigkeit des Atheismus (»ad summam atheismi impietatem«) verleiten
könnten (128).

2.4 Calvinista – Lucianista


Der Atheismusvorwurf gegen Abraham Scultetus im
Umfeld des böhmischen Aufstands (L. Osiander)

Die bisherigen Beispiele für die frühe kontroverstheologische bzw. religi-


onspolitische Verwendung des Atheismusbegriffs entstammen dem Umfeld
der Hugenottenkriege und des niederländischen Aufstands, gehören also
dem katholisch-protestantischen Gegensatz zu. Die an den Texten Possevi-
nos, Mornays und Assonvilles entwickelten Überlegungen scheinen sich zu
bestätigen, wenn wir noch kurz ein frühes deutsches Beispiel betrachten, das
bereits zwei Jahrzehnte nach 1600 liegt. Auch hier steht der Atheismusvor-
wurf noch im Dienst des postreformatorischen Konfessionalismus. In der
Disputation Scultetus Atheus, die 1620 unter dem Vorsitz vom lutherischen
Theologen Lukas Osiander an der Tübinger Universität gehalten wurde
(sein eigener Sohn respondierte), richtet er sich gegen die pfälzisch-böhmi-
sche Konfessionspolitik und wird so in die innerprotestantischen Ausein-

Neuzeit ebd., Sp. 1280–1303 (Ulrich Dierse), bes. Sp. 1280–1289 zur frühen Neuzeit; zum
ordo-Konzept in der Naturauffassung von Spätmittelalter und Renaissance vgl. Gloy
1995, S. 150–154; im Blick auf das (calvinistische) Staatsdenken der frühen Neuzeit vgl.
auch Strohm 1996, S. 594–650, mit weiterführenden Hinweisen.
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88 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

andersetzungen einbezogen.183 Nicht blasphemische Behauptungen gegen


Gott und Bibel aber hatte sich Scultetus zuschulden kommen lassen, erst
recht nicht die radikalste Form der direkten Gottesleugnung. Vielmehr hat-
te er im Auftrag seines Dienstherrn, des ironisch ›Winterkönig‹ genannten
Friedrich V. von der Pfalz, den Auftrag erhalten, die pfälzisch-böhmische
Personalunion auch theologisch vorzubereiten.184
Infolgedessen hatte Scultetus während einer Predigt in Prag die böhmi-
schen und ungarischen Stände zur Hintanstellung der innerprotestantischen
Differenzen aufgerufen und zu diesem Zweck einige dogmatische Gemein-
samkeiten herausgearbeitet.185 Schon das Herunterspielen der konfessionel-
len Unterscheidungslehren also – das theologische Gegenstück zur poli-
tischen Toleranzidee – genügte hier offenbar, um als Atheist attackiert zu
werden. Die Analogien zu Assonville einerseits und Mornay andererseits
sind unübersehbar: Wieder ist es die Verkettung von Konfession und euro-
päischer Machtpolitik, die den Anlass bietet, um den Atheismusbegriff zum
polemischen Instrument zu formen, wo bis dahin gewöhnlich der Vorwurf
der Ketzerei186 oder die traditionelle Verteufelung187 ausgereicht hatten. An-
ders als bei Mornay kommt der Begriff auch im Textverlauf mehrmals vor.
Er wirkt dabei aber durchgehend aufgesetzt, zumal er nicht einmal definiert
wird. Vielmehr wird er leitmotivartig immer wieder da eingefügt, wo Scul-

183
Lukas Osiander (praes.), Lukas Osiander jun. (resp.), Scultetus Atheus, hoc est,
nova sed athea et epicurea Calviniana principia […] Respondente, M. Luca Osiandro, pra-
esidis filio, Tübingen 1620. – Die Disputation wurde ausweislich des Titelblatts am 25. und
26. August in der neuen Aula der Tübinger Universität gehalten, also knapp vier Monate
nach der Predigt von Scultetus (15. April), die den Stein des Anstoßes bildete.
184
Zum Vorgang insgesamt vgl. Hemmerle 1964. – Zum Winterkönig Friedrich
V. von der Pfalz vgl. den gleichnamigen Ausstellungskatalog (Wolf 2003), dort bes. den
Beitrag von Joachim Bahlcke (Bahlcke 2003); theologische Kontroversen im Umfeld des
Prager Aufstands skizziert, mit Schwerpunkt allerdings auf katholischen Autoren, Bireley
2003, S. 33–62.
185
Abraham Scultetus, Confoederations-Predigt / Bey Vernewerung / weiterer Er-
klärung / und Confirmierung der zwischen dem Königreich Hungarn und Behem getrof-
fenen Verbündnus […], Heidelberg 1620. – Die ausführlichste biografische Darstellung zu
Scultetus bietet Benrath 1970; ein kürzerer Lebensabriss mit derzeit vollständigster Biblio-
grafie und umfassender Bestandsaufnahme von Scultetus’ Editionstätigkeit in Kühlmann
u. a. 2010, S. 293–297.
186
Der Häresievorwurf bleibt implizit bestehen, wenn es gegen Scultetus heißt, sei-
ne Unionspläne würden auch alle Arten von Sekten einbeziehen (ebd., S. 15): »Monstret
quispiam in Sculteti Articulis, unicam Syllabam, qua Photiniani, qua Arriani [!] antiqui,
qua Nestoriani, qua Eutychiani, qua Flacciani, qua Schvvenckfeldiani, qua Anabaptistae
ex consensu isthoc, in Religionis Fundamento, excluderentur.« – Ähnliches gelte, wie es
etwas später heißt, für das Bekenntnis der Türken und Juden (»Turcarum vel Judaeorum
de Deo […] Confessio«, 16).
187
Auch daran fehlt es nicht. So ruft der Verfasser an einer Stelle Scultetus (»tu Scul-
tete«) das rituelle »Apage, & ad Satanae partes concede« zu (23). Der Atheismusbegriff
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Konfessionspolitische Wurzeln 89

tetus oder die calvinistische Theologie überhaupt genannt werden.188 Es han-


delt sich also um ein polemisches Attribut, das auch durch ein anderes ersetzt
werden könnte.
Dem punktuellen Anlass zum Trotz steht diese Polemik zusätzlich in ei-
ner Linie mit den scharfen Auseinandersetzungen zwischen den Württem-
berger Lutheranern und den Vertretern der sogenannten Pfälzischen Irenik,
einer Gruppe von Heidelberger Theologen, die sich um die Verständigung der
protestantischen Konfessionen bemühte.189 Hier wie dort lautete der Vorwurf,
man leugne die Unterschiede zwischen den Konfessionen, einschließlich der
Katholiken und verschiedener radikaler protestantischer Splittergruppen, und
mache so auch die Religion überhaupt zum Gespött.190 Nach der entschei-
denden Niederlage in der Schlacht am Weißen Berg und der Flucht aus Prag
verfasste Scultetus im Exil im ostfriesischen Emden eine ausführliche Lebens-
beschreibung, in welcher er sich um Klarstellung bemühte.191 Die Anschuldi-
gungen Osianders wies er dort als sachlich falsch zurück,192 ebenso übrigens
den heute schwerer wiegenden Vorwurf von anderer Seite, er habe durch eine
kurz vorher in Prag gehaltene Predigt über Götzenbilder den dortigen Bilder-
sturm ausgelöst.193

(»incrustatione athea«) läuft am Rande mit, ebenso der Vorwurf der Götzendienerei – ein
typisches Beispiel für die fantasiereiche Konfessionspolemik der Zeit.
188
So schon in der Vorrede (»infaustum suum Atheismum«, fol. * 2v) dann noch wie-
derholt im Laufe der Abhandlung (»Sculteti Atheologia«, 10; »incrustatione athea«, 23;
»Atheismo tuo«, 26, u. ö.).
189
Zur Pfälzer Irenik vgl. neben Peterse 1998 besonders Selderhuis 2006.
190
In der Disputation selbst wird ausdrücklich auf die pfälzische Irenik Bezug ge-
nommen, der Atheismusvorwurf wird auf Scultetus’ Amtskollegen David Pareus ausge-
dehnt, so etwa schon in Osianders Vorrede (Osiander, Scultetus Atheus, Vorr., Bl. *3r). –
Im Laufe der Disputation wird wiederholt das Irenicum des Pareus (Heidelberg/Frankf.
am Main 1614) angegriffen (z. B. S. 3 u. 10).
191
Abraham Scultetus, De curriculo vitae, inprimis vero de actionibus Pragensibus
[…] narratio apologetica, Emden 1625. Hier nach der deutschen Übersetzung: Die Selbst-
biographie des Heidelberger Theologen und Hofpredigers Abraham Scultetus (1566–1624),
neu hg. u. erläutert von Gustav Adolf Benrath, Karlsruhe 1966.
192
Ebd., S. 83: »Ich redete aber von den Reformirten und Lutheranern, nicht von
den Papisten, viel weniger von den Widerteuffern und Arianern.« – Ebd., S. 85: »Nachdem
nun diser Grund also geleget, ruft mich Osiander in offentlichen Thesibus oder Sätzen für
einen Atheisten und ungöttlichen Menschen aus, da ihm doch nicht hat verborgen sein
können, waß meine bestendige Meinung von der Papisten Lehr were.«
193
Vgl. ebd., S. 81 f. – Die darin enthaltene apologetische Tendenz scheint noch
durch im ADB-Artikel über Scultetus von Friedrich Wilhelm Cuno (Bd. 33, 1891, S. 492–
496; Onlineversion vom 15. September 2017): »Nicht leicht ist ein Mensch mehr ungerecht
beurtheilt und gelästert worden als S[cultetus]. In seiner Selbstbiografie hat er in ruhiger
und würdiger Weise, fern von aller Leidenschaft, gegen seine römischen, lutherischen und
armmianischen Gegner sich zu reinigen versucht.«
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90 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

2.5 Zwischenfazit und Überleitung

Die vorgestellten Beispiele zeigen in aller Deutlichkeit, wie sich die Etab-
lierung des Ausdrucks ›Atheismus‹ (auch ›Atheist‹, ›atheistisch‹ etc.) in den
Jahrzehnten vor 1600 aus dem konfessionellen und religionspolitischen Span-
nungsfeld im Gefolge der Reformation vollzog. Er wurde zu einer rhetori-
schen Waffe in der kontroverstheologischen Streitliteratur, aber auch, wie die
Beispiele Mornays und Osianders zeigen, zu einem Instrument der politischen
Kommunikation. Darin trat er allmählich die Nachfolge älterer Kampfbegriffe
an, wie etwa ›Ketzer‹ (hareticus), ›Ketzerei‹ (haeresis) oder ›Gotteslästerung‹
(blasphemia), die er, je nach Autor, ergänzte, ersetzte oder überbot. Schon an
den Psalterkommentaren der Reformatoren, dann wieder an Possevinos und
Assonvilles Gebrauch des Atheismusbegriffs ließ sich ablesen, dass Häresie
und Unglaube noch nicht sauber unterschieden wurden, die Ausdifferenzie-
rung eines eigenständigen Unglaubensverständnisses hatte offenbar noch nicht
stattgefunden.
Was die inhaltliche Füllung des Atheismusbegriffs angeht, so zeigt sie be-
reits das Spektrum oder die Pole an, innerhalb derer sich der Begriffsgebrauch
im 17. Jahrhundert bewegen wird. Er bezeichnete zum einen (1.) die Infra-
gestellung der fundamentalen Lehrsätze jeglicher christlicher Theologie, allen
voran der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele (die Strafen und
Belohnungen sind dabei zumeist mitgedacht). Es kann nicht genug betont
werden, dass diese Bedeutungsdimension, die unserem heutigen Verständnis
von Atheismus am ehesten entspricht, sich referenziell noch nicht auf empi-
risch vorhandene Atheisten bezog; vielmehr handelte es sich um einen denk-
notwendigen Grenzbegriff, der den komplementären Gegenpol zur Idee einer
allgemeinen, also überkonfessionellen christlichen Religion bildet, wie sie etwa
Mornay in den Grundzügen entworfen hat. Im 17. Jahrhundert sollte diese
theologische Linie weiter ausgebaut werden.194
Soweit der Atheismusbegriff nicht in dieser Allgemeinheit (die Atheisten)
verwendet wurde, sondern konkretere Anwendung auf bestimmte Gruppen
fand, bezeichnete er (2.), analog zum ›impius‹ oder ›Epicureus‹ bei den Re-
formatoren, die fehlende Frömmigkeitsdisziplin unter bekennenden Christen,
besonders deutlich bei Mornay. Im 17. Jahrhundert sollte sich dafür der Begriff
des ›praktischen Atheismus‹ etablieren ( I.5; II.3; IV.3.2). Bei katholischen
Autoren aus dem Umfeld des niederländischen Aufstands diente der Begriff
des Atheismus schließlich (3.) als Synonym für den Kampfbegriff »Politicus«,
der für einige Jahrzehnte, wie noch bei Adam Contzen, zu einer Kernformel
der katholischen Staatslehre wurde. Gemeint war damit vordergründig, wie
an Assonvilles Schrift erarbeitet wurde, die Hintanstellung (»posthabere«)
geistlich-religiöser Belange hinter weltlich-profane Interessen, in Wirklichkeit
aber zumeist die Toleranzideologie, soweit sie – ob nun von katholischer oder

194
Vgl., hier wie andernorts, die Rekonstruktion von Frank 2003.
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Der Atheist als Staatsfeind 91

protestantischer Seite – den Hegemonialanspruch von Papst und spanischer


Krone infrage stellte. Im deutschen Luthertum sollte der Kampfbegriff des Po-
liticus in den Jahren nach dem Westfälischen Frieden aufgegriffen werden, wo
die staatliche Verfügungsgewalt über das geistliche Regiment in den Reichster-
ritorien endgültig festgeschrieben wurde ( II.1).
Um so beachtlicher ist es allerdings, dass der Atheismusbegriff kurz vor
1600 und zunehmend in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in auffallender
Weise von Staatsdenkern eingesetzt wurde, die unter dem Eindruck der postre-
formatorischen Kriege in Europa politische Toleranzkonzeptionen entwickel-
ten. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Gegenreaktion. Vielmehr erfüllt
der Atheismus in den konfessionell gebundenen Staatslehren um 1600 (z. B.
bei Tholosanus oder Althusius) eine wichtige Funktion. Er bildet dort erneut
den besagten Grenzbegriff, anhand dessen sich Fragen der Herrschafts- und
Normbegründung, aber auch der Gewissens- und Meinungsfreiheit erörtern
ließen. Die zentrale politische und politologische Bedeutung des Atheismus
liegt, während der gesamten Frühen Neuzeit, in seiner potenziell staatsgefähr-
denden Wirkung. An den Vorschlägen zu seiner Ausgrenzung und Unterdrü-
ckung bei so verschiedenen Staatsdenkern wie Tholosanus (Pierre Grégoire),
Bartholomäus Keckermann oder Christoph Besold lässt sich ablesen, welche
enorme Bedeutung in der politischen Theorie der Zeit der disziplinierenden
und normbegründenden Funktion der Religion auch jenseits der konfessio-
nellen Konflikte zugebilligt wurde. Die Religion, so das übereinstimmende
Axiom in weiten Teilen der Staatslehre, des öffentlichen Rechts und auch noch
des Naturrechts bis weit ins 18. Jahrhundert hinein ( V.2.5; V.3.4; IV.4.4), bil-
dete das »Band der Gesellschaft« (vinculum societatis), wie es eben schon bei
Assonville hieß. An einigen repräsentativen Beispielen aus den Politik- und
Naturrechtslehren des 16. und 17. Jahrhunderts soll die Ideen- und Motiv-
geschichte dieses staatstheoretischen Grundsatzes, als integraler Teil der Dis-
kursgeschichte des Unglaubens, nun etwas näher beleuchtet werden.

3. Vinculum societatis
Die Religion als ›Band der Gesellschaft‹ und der Atheist als
Staatsfeind in politischen Theorien des konfessionellen Zeitalters

3.1 Säkularer Staat und fromme Gesellschaft


Konturen einer politischen Theologie

Zu den immer wiederkehrenden Argumenten im Rahmen der Atheismusde-


batte des 17. und 18. Jahrhunderts gehört die Behauptung, vom Atheismus
oder generell von der Infragestellung des christlichen Glaubens in seinen
Hauptlehren gehe eine politische Gefahr aus, weil mit der Religion das tragende
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92 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Fundament jedes intakten Gemeinwesens zerstört werde. Solche Überlegun-


gen mögen zunächst befremdlich wirken, da die Entwicklung des politischen
Denkens seit der Renaissance, wie sie etliche Darstellungen nachgezeichnet
haben, gern als Prozess fortschreitender Verweltlichung und Verselbstständi-
gung des Politischen gegenüber geistlichen wie ethisch-moralischen Ansprü-
chen angesehen wird.195 Sie werden verständlicher, wenn man sie in eine Tra-
ditionslinie stellt, die seit der Reformationszeit das europäische, insbesondere
aber das deutsche Staatsdenken prägte. Trotz der erheblichen Entwicklung, die
das politische Denken seit etwa 1580 durch die Herausforderungen der Glau-
bensspaltung und den ›frühmodernen‹ Verstaatlichungsprozess nahm, bleibt
diese Sichtweise in erstaunlicher Weise konstant. Hier sind sich konservative
katholische Staatsdenker mit den toleranzbereiten Politici ebenso einig wie mit
calvinistischen Monarchomachen, die späthumanistischen Aristoteliker mit
den Vertretern des politischen Neostoizismus und die deutschen Reichspub-
lizisten mit den Vordenkern der territorial konzipierten ›Policeywissenschaft‹
genauso wie mit den Theoretikern des universalistischen Vernunft- oder Na-
turrechts. Darin nur einen weiteren Beleg für die Allianz von Thron und Kir-
che zu sehen, die das heute gängige Bild vom prärevolutionären Machtstaat
bestimmt, greift in vielerlei Hinsicht zu kurz und verkennt die veritablen Leis-
tungen und Fortschritte, die hier bis zum Westfälischen Frieden in Fragen der
Konfessionspolitik, des Staatskirchenrechts, der Verwaltungslehre und nicht
zuletzt im Hinblick auf die Begrenzung der herrscherlichen Gewalt erzielt
worden sind.196 Mehr noch: Bei vielen Staatsdenkern, besonders augenfällig
bei John Locke (s. u., I.3.5), werden die Atheisten sozusagen zu Verlierern der
angestrebten Toleranzregelungen. Auf sie wird, als auf die wahren Feinde von

195
Vgl. hier vor anderen die klassische Darstellung von Skinner 1978/79; neuerdings,
mit bemerkenswerter Produktivität, Israel 2001 u. 2006; andere Akzente setzen z. B. die
Darstellungen von Ottmann 2006 sowie, mit Blick auf das öffentliche Recht, Stolleis 1988,
die nicht den ideengeschichtlichen Höhenkamm abarbeiten oder, wie Israel, auch in ent-
legeneren Texten nach den Ursprüngen eines freiheitlich-demokratischen Bewusstseins
fahnden. Hinsichtlich der Quellenauswahl wie der Perspektivierung sind damit zugleich
Grundfragen der Ideengeschichtsschreibung überhaupt berührt, die sich mit dem be-
kannten Wort Herbert Butterfields um das Schlagwort von der »Whig interpretation of
history« gruppieren lassen. Diese Frage kann hier nicht weiter verfolgt werden; vgl. den
Problemaufriss von Mayr 1990; im Feld der Aufklärungs- und Radikalismusforschung:
Jaumann 2002, bes. S. 137 f., sowie Mulsow 2014 (ausgehend von Butterfields Kritik der
›Whig History‹).
196
Hier haben Rechtsgeschichte, historische Politikforschung und philosophiege-
schichtliche Naturrechtsforschung überzeugende Ergebnisse erarbeitet. Vgl. etwa, ohne
Anspruch auf Vollständigkeit, schon die klassische Darstellung von Allen 1928, ferner die
Untersuchungen von Maier 32009, Dreitzel 1970 u. 1995, Link 1979 u. 1981, Weber 1992,
Scattola 1999 u. 2003; erste Synthesen, langjährige Forschungserträge bündelnd, etwa bei
Fetscher/Münkler 1985, Stolleis 1988, Nitschke 2000 (nach den maßgeblichen Diskursen
geordnet) und Neuer Ueberweg 17/4, 2001, S. 607–748 (Horst Dreitzel); Sammlungen
entsprechender Einzelporträts auf hohem Niveau bei Stolleis 21987 (Staatsdenker) und
Brocker 2007 (Werke).
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Der Atheist als Staatsfeind 93

Ruhe und Eintracht, verwiesen, so etwa, wenn im Anschluss an Aristoteles


die topische Frage nach den Gründen für Aufstände erörtert wird (z. B. bei
Johannes Althusius, s. u.).
So oder so stellt man zu hohe, im Grunde anachronistische Anforderungen
an die ›Modernität‹ der frühneuzeitlichen Staatslehre, wenn man von ihr eine
völlige Indifferenz der Religion gegenüber erwartet, kaum dass die Trennung
von weltlicher und geistlicher Macht staatstheoretisch (und erst allmählich
auch rechtlich-praktisch) vollzogen war. Die viel beschriebenen Toleranzleh-
ren der Epoche dienten in erster Linie dem Zweck, das Problem der Mehrkon-
fessionalität, das Kriege und Verfolgung bis hin zu Pogromen wie der Bartho-
lomäusnacht von 1572 nach sich zog, rechtlich und politisch in den Griff zu
bekommen. Es wurden dafür auch theologische Konzepte nötig, allen voran
die Idee einer allen Konfessionen zugrunde liegenden ›natürlichen Religion‹,
die schon in der älteren deutschen Politica anklingt und sich dann im Bereich
des Naturrechts durchsetzt.197 Hier verläuft eine wichtige Verbindungslinie
zu den zeitgleich in der theologischen Apologetik und der philosophischen
Metaphysik entwickelten Modellen einer natürlichen Gotteserkenntnis. Auch
wenn diese Entwicklungen hier im Folgenden nacheinander behandelt wer-
den, verlaufen sie in Wirklichkeit nicht getrennt, wie sich vor allem an heraus-
ragenden Figuren wie Grotius, Conring und Pufendorf zeigen lässt.
Ihren gemeinsamen Fluchtpunkt fanden derartige Überlegungen auch über
konfessionelle und methodische Grenzen hinweg in der Literatur der Antike,
deren Einbezug als Autorität wie als empirischer Materialfundus zum selbst-
verständlichen Methodenarsenal der politischen Wissenschaften gehörte.198
Viel zitiert wurde Ciceros Behauptung aus De legibus, es sei kein noch so wil-
des Volk zu finden, das nicht irgendeine Art von Religion habe.199 Von Plutarch
war ferner der Satz überliefert, dass die Religion ein Band (»vinculum«) oder
Bindemittel (»coagulum«, griech. »τὸ συνεκτικὸν«) für das gesellschaftliche
Zusammenleben und eine Stütze des Rechts darstelle.200 Kein Geringerer als

197
Vgl. besonders Link 1981 u. Dreitzel 1995.
198
So etwa schon bei Livius (I,21,1): »Ad haec consultanda procurandaque multitu-
dine omni a vi et armis conversa et animi aliquid agendo occupati erant et deorum assidua
insidens cura, cum interesse rebus humanis caeleste numen videretur, ea pietate omnium
pectora imbuerat, ut fides ac ius iurandum pro nimio legum ac poenarum metu civitatem
regerent.« – Der Gedanke, dass durch die Religion ein Land besser regiert werde als durch
Macht und Gewalt, insbesondere wegen der Einhaltung von Eiden, wird uns noch öfter
begegnen. – Zu antiken Verhältnisbestimmungen von Politik und Religion unter dem Ge-
sichtspunkt der notwendigen Götterfurcht vgl. Döring 1978 mit zahlreichen Beispielen
aus der griechischen Antike.
199
De legibus (I, 24): »Itaque ex tot generibus nullum est animal praeter hominem
quod habeat notitiam aliquam dei, ipsisque in hominibus nulla gens est neque tam mansue-
ta neque tam fera, quae non, etiamsi ignoret qualem haberi deum deceat, tamen habendum
sciat.« – Auf die Stelle bezog sich bereits Assonville (s. o., Kap. I.2.3).
200
Plutarch, Adversus Colotem 31 (mor. 1125E) (»τὸ συνεκτικὸν ἁπάσης κοινωνίας
καὶ νομοθεσίας ἔρεισμα«). Der Traktat ist gegen den Epikureer Colotes, die Stelle direkt
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94 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Lipsius nahm das griechische Zitat mit lateinischer Übersetzung in die kleine
Verteidigungsschrift De una religione (1591) auf.201 Weitere ähnlich lautende
Zitate von Aristoteles, Cicero, Laktanz und anderen hatte er schon in seinen
berühmten Politicorum libri sex (1589) versammelt, die über weite Strecken
nichts anderes darstellen als eine thematisch geordnete, knapp kommentierte
Zusammenstellung antiker und mittelalterlicher Sentenzen für den politischen
Gebrauch.202 Dort empfiehlt Lipsius auch ausdrücklich eine einheitliche Re-
ligion und rät dazu, jeden Spaltungsversuch zu bestrafen. Den Hintergrund
bilden auch hier die europäischen Religionskriege, für die er bewegende Worte
der Klage findet.203 Die Formel vom vinculum (oder fundamentum) societatis
durchzieht dann im 17. und auch im 18. Jahrhundert wie ein Leitmotiv durch
die religions- und ordnungspolitischen Reflexionen über den Unglauben, ähn-
lich wie der 14. Psalm und die von dort entlehnten Signalbegriffe stultitia oder
insipientia die theologische Atheismusdiskussion ( I.1; I.4).
Im Folgenden soll die staatstheoretische und staatsrechtliche Behand-
lung des Unglaubens und die weithin unbezweifelte Überzeugung von der
politisch-gesellschaftlichen Notwendigkeit der Religion vom späten 16. bis
ins späte 17. Jahrhundert in mehreren Durchgängen entfaltet werden. Den
heuristischen Leitfaden bildet, neben expliziten Äußerungen über Atheisten
und Atheismus, die Formel vom vinculum bzw. fundamentum societatis.204 Es

gegen Epikur gerichtet, sie eignet sich also trefflich für die apologetische Rezeption. Zur
polito-theologischen Argumentation des Textes vgl. Roskam 2013; ausführliche Interpre-
tation des Textes bei Kechagia 2011.
201
Justus Lipsius, Adversus dialogistam liber de una religione, Leiden 1591, S. 25;
wieder in der (kuriosen) Lipsius-Anthologie Justi Lipsi flores ex ejus operibus discerpti,
in locos communes digesti, opera Francisci Swertii, Antwerpen 1618, S. 165 f. – Das Zitat
bereits bei Assonville, Atheomastix, S. 20; dann auch bei Hugo Grotius, De iure belli ac
pacis libri tres, Paris 1625, S. 438; ebenso Conring, De maiestatis civilis autoritate circa
sacra, Helmstedt 1678 [zuerst 1645], §§ XI u. LXIII; Matthias Bernegger, Observationes
historico-politicae XXVIII in academia Argentoratensi olim publice praelectae, Tübingen
1666, S. 165 (auf Griechisch). – Zur Rezeption von Lipsius’ Politik, einschließlich der
Schulbuchliteratur, vgl. Moss 1998; allgemein: Stolleis 1990. – Zu Lipsius als Staatsdenker
vgl. nach wie vor Oestreich 1956 u. 1989; Abel 1978, S. 72–92 (zu Verschränkung von Po-
litik und Ethik); auf solidem Handbuchniveau: Nitschke 2000, S. 46–51; Ottmann 2006,
S. 235–237 u. 246 f. (Auswahlbibliografie); Laureys 2014. – Zur Textstruktur der Politik
vgl. Kühlmann 1982, S. 48, Anm. 93; vgl. ferner Albrecht 1994, S. 146 f., zur Frage nach
dem eklektischen Charakter der Politicorum libri sex, die von Albrecht entschieden ver-
neint wird; zutreffender daher wohl Höpfl 2011 (zur Bedeutung von historia und exem-
plum bei Lipsius).
202
Lipsius, Politicorum libri sex (hier nach dem Londoner Druck der zweiten Auf-
lage, London 1590), S. 66–72 (lib. IV, cap. 2–4). Schon das erste Zitat aus der Politik des
Aristoteles (»Primum est, curatio rerum diuinarum«, Pol. VII, 8) setzt den entsprechenden
Akzent (ebd., S. 66).
203
Ebd. S. 68 (lib. IV, cap. 3). – Marginal ist hinzugesetzt: »Calamitas Europae a dis-
sidio Religionum.«
204
Die mir bekannten Studien, die sich dem Titel nach mit dem vinculum societatis-
Topos befassen, haben mit den folgenden Darlegungen nur wenig Berührungspunkte,
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Der Atheist als Staatsfeind 95

wurden bewusst eher gegensätzliche Beispiele gewählt, um die erstaunliche


Kohärenz dieser Sichtweise über die Grenzen von Konfessionen und staats-
theoretischen Schulen hinweg zu belegen. Das gilt selbst da, wo diese Autoren
oder Schulen ansonsten aufeinander kritisch, wenn nicht gar polemisch Bezug
nehmen. Überraschend ist dieser Befund vor allem an den beiden extremen
Flanken. So halten nicht nur Vertreter eines über dem religiösen Bekenntnis
stehenden Machtstaats wie Machiavelli und Bodin ( I.3.2) an der gesellschaft-
lichen Notwendigkeit der Religion fest. Auch die Anhänger einer noch im
Mittelalter wurzelnden sakralen Staatsauffassung ( I.3.3) wissen die soziale
Integrationsfunktion der Religion unter innenpolitischen Gesichtspunkten
zu schätzen, ohne damit ihrer Reduktion zum bloßen Machtinstrument das
Wort zu reden. Genau diesen Vorwurf lanciert aber die vor allem von Jesui-
ten geführte Offensive gegen die als Politici verfemten Befürworter politischer
Toleranzkonzeptionen ( I.2.3), wobei sie jedoch ebenfalls die Bedeutung
der Religion als ›vinculum societatis‹ hervorkehrt. Die Kontinuität dieses Ar-
guments zeigt sich im Weiteren besonders dann, wenn es in den Dienst der
protestantischen Gegenposition tritt wie in den Politiklehren des späthuma-
nistischen politischen Aristotelismus ( I.3.4). Dass die politisch-soziale Un-
entbehrlichkeit der Religion schließlich auch da weiter behauptet wurde, wo
man aufgrund verbreiteter Vorstellungen die endgültige Säkularisierung von
Staat und Normbegründung erwarten würde, nämlich in den Naturrechtssys-
temen von Grotius bis Pufendorf ( Kap. I.3.5), wird abschließend in einem
Ausblick behandelt.

3.2 Religion und Staatsräson


Problematische Vordenker (Machiavelli, Bodin)

Zog schon die Berufung auf antike Autoritäten einen gewissen Erklärungs-
aufwand nach sich, wenn es darum ging, den alleinigen Geltungsanspruch des
Christentums herauszustellen, so fand die Auffassung von der normstiftenden
Funktion der Religion einen noch weit problematischeren Ahnherrn in dem
wohl meistgeschmähten Staatsdenker der frühen Neuzeit: in Machiavelli. Sei-
ne Lehre von der Regierungskunst, die ihren Hauptzweck in der Errichtung
und Sicherung politischer Stabilität fand – wenn nötig auch mit unmoralischen
Mitteln – machte in ihrem geradezu sprichwörtlich gewordenen illusionslosen

bieten aber wichtige Anregungen. So behandelt Klaus Schreiner in seiner Untersuchung


Rechtsgläubigkeit als ›Band der Gesellschaft‹ und ›Grundlage des Staates‹ (Schreiner 1980)
Reaktionen auf das Konkordienbuch vor dem Hintergrund der mittelalterlichen und früh-
neuzeitlichen Staatslehre (Arnisaeus, Althusius). Walter G. Rödel denkt den Ansatz von
Schreiner weiter (vgl. Rödel 1995, Anm. 14) und appliziert ihn auf die bekannte Weber-
These zur Sozialdisziplinierung der Religion, insbesondere im protestantischen Bereich.
Er bezieht dabei auch Policey- und Kirchenordnungen in seine Überlegungen ein, seine
Ausführungen verbleiben jedoch weitgehend im Allgemeinen.
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96 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Pragmatismus auch nicht vor der Instrumentalisierung des Gottesglaubens


halt. In den Discorsi (1532), die nicht zufällig als eine an Livius (s. o.) ange-
lehnte Betrachtung über römische Geschichte konzipiert waren, widmet er
mehrere Kapitel des ersten Buchs (I, 11–13) der Empfehlung an den Regenten,
die Ausübung der Religion nach Kräften zu fördern, um »ihren Staat in Got-
tesfurcht und damit gut und einträchtig zu erhalten«.205 Im Gegensatz zu der
Mehrzahl der späteren Vertreter dieser Ansicht sucht Machiavelli dafür gar
nicht nach einer psychologischen oder rechtlichen Begründung. Er leitet seine
Empfehlung nach eigenem Bekunden von der historischen Beobachtung ab,
dass der Verfall von Staaten stets von einem Nachlassen der Gottesfurcht be-
gleitet worden sei.206 Umgekehrt vertritt er die oben schon im Zusammenhang
mit Cicero erwähnte Ansicht, dass »die von Numa eingeführte Religion eine
der wichtigsten Ursachen für das Gedeihen der Stadt Rom wurde«.207 Dem-
entsprechend stellt er für seine Gegenwart eine Folgebeziehung zwischen der
Dekadenz innerhalb der römischen Kurie und dem Niedergang der italieni-
schen Stadtstaaten her.208
Wären diese Argumente per se noch anschlussfähig für die ›ältere deutsche
Staatslehre‹ (H. Maier) gewesen, zumal für deren protestantische Vertreter, so
hat Machiavelli mit seiner Indifferenz gegenüber dem Wahrheitsgehalt einer
dergestalt instrumentalisierten Religion seinen späteren Ruhm als ›Atheus‹
und ›Pseudo-Politicus‹ begründet.209 Er hebt nämlich anerkennend die Klug-
heit von Staatsleuten hervor, die der allgemeinen Frömmigkeit durch gezielte
Förderung von Wunder- und Orakelglauben nachgeholfen hätten, und macht

205
Niccolo Machiavelli, Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio (zuerst Rom
1532), I, 12. Hier zitiert nach der deutschen Ausgabe: Discorsi. Gedanken über Politik und
Staatsführung. Deutsche Gesamtausgabe. Übersetzt, eingeleitet und erläutert von Rudolf
Zorn, Stuttgart 1966, S. 47. – Zu Machiavellis Staatsdenken darf hier, neben dem Standard-
werk von Münkler 1982, auf die reiche Handbuchliteratur verwiesen werden, insbeson-
dere Ottmann 2006, S. 11–55 (dort, S. 35 f., zur politischen Funktionalisierung der Religi-
on); Mittermaier 2005, S. 269–308; kompakter: Llanque 2008, S. 153–158; etwas knapp der
Machiavelli-Artikel im rezeptionsgeschichtlichen Band des Neuen Pauly (Hoeges 2014);
neuerdings, auf beeindruckendem Niveau, Leinkauf 2017, Bd. 1, S. 891–901.
206
Machiavelli, Discorsi, S. 45 (I, 11): »Ebenso wie die Pflege des religiösen Kults die
Ursache für die Größe eines Volkes ist, so ist dessen Verächtlichmachung die Ursache sei-
nes Verfalls. Wo Gottesfurcht fehlt, muß ein Reich in Verfall geraten, es müßte denn sein,
daß es durch die Furcht vor einem Machthaber zusammengehalten wird, die die fehlende
Religion ersetzt.«
207
Ebd.
208
Ebd., S. 48 (I, 12).
209
Hier ist nicht der Ort, eine Ehrenrettung Machiavellis zu unternehmen, es ver-
steht sich von selbst, dass der bis heute gebrauchte Begriff des Machiavellismus als Formel
für eine prinzipiell und vorsätzlich amoralische Machtpolitik vom Gehalt der Machiavelli-
schen Schriften zu unterscheiden ist. Das ist so oft betont worden, dass es hier bei wenigen
Hinweisen bleiben kann: Vgl. die Abwägung bei Ottmann 2006, S. 55 f.; lesenswert au-
ßerdem der Versuch einer Klarstellung durch Rudolf Zorn in seiner Edition der Discorsi,
S. X-LVI, bes. S. XXXI–XLV (Kap. Ursachen einer Verfemung).
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Der Atheist als Staatsfeind 97

keinen Hehl daraus, dass die Echtheit der Orakel oder Wundererscheinun-
gen dabei nicht die geringste Rolle spielt.210 Das bekannte radikalaufklärerische
Credo, demzufolge die Religion von klugen Staatsmännern erfunden worden
sei, hat hier eine seiner prominentesten Quellen. Großes Interesse bestand
daher bei den folgenden Generationen von Staatsdenkern (z. B. bei Hermann
Conring oder Daniel Clasen) daran, nicht den Anschein zu erwecken, als solle
die Religion auf diesen politisch-gesellschaftlichen Zweck reduziert und zum
bloßen Instrument der Staatsräson degradiert werden. Hier lauerte spätestens
seit Beginn der Hugenottenkriege in Frankreich und der antispanischen Un-
abhängigkeitsbestrebungen der Niederlande der stets bereit liegende Vorwurf
des Machiavellismus oder ›Neutralismus‹. (Ein besonders drastisches Beispiel
haben wir in Assonvilles Atheomastix kennengelernt.) Er wurde regelmäßig
dann laut, wenn eine politische Theorie den Staat aus seiner Funktion als
Heilsanstalt entließ und mit der Frage nach der ›vera religio‹ auch die obrig-
keitliche Lizenz zum Gewissenszwang zurückdrängte.
Das ist in Ansätzen schon bei Bodin der Fall, der deswegen auch häufig
in einem Atemzug mit Machiavelli verteufelt wurde.211 Er galt als der führen-
de Kopf der sogenannten Politques oder Politici, einer Gruppe von Gelehrten
und Diplomaten, die, nach einem Jahrzehnt blutiger Auseinandersetzungen,
das Ziel der politischen Stabilisierung über die theologische Wahrheitsfrage
stellten.212 Dass in diesem Zusammenhang auch erste politische Konzeptionen
einer allgemeinen christlichen Religion entwickelt wurden, haben wir am Bei-
spiel Mornays bereits weiter oben gesehen ( I.2.2). Bodin selbst enthält sich
jedenfalls ausdrücklich der Frage nach der wahren Religion,213 eine Lösung,
die auch mancher spätere Staatsdenker und Philosoph wählte, um nicht in die
Fallstricke der konfessionellen Polemik zu geraten. Anders als Machiavelli
lässt er aber immerhin erkennen, dass er die Existenz der einen und wahren
Religion (»vne Religion, vne verité, vne loy diuine publiee par la bouche de
Dieu«) voraussetzt.214 Genützt hat es ihm nicht viel, wenn man auf die Rezep-
tion durch seine Gegner blickt.

210
Ebd., S. 47 f. (I,12) und S. 50–54 (I,13–14).
211
Aus der unüberschaubaren Fülle von Spezial- und Handbuchliteratur zu Bodin
vgl. Skinner 1978, S. 284–302; Bermbach 1985, S. 134–144; Ottmann 2006, S. 213–230;
Weber 2007; ferner der Bodin-Artikel im Neuen Pauly (Maissen 2014) neuerdings Lein-
kauf 2017, S. 938–949. – Zur protestantischen Bodinrezeption vgl. die Ausführungen bei
Strohm 2008, S. 396–406.
212
Zu den Politiques vgl. Bermbach 1985, S. 129–134; Ottmann, S. 213 f.; Llanque
2008, S. 181–189 (weitere Literaturhinweise in Kap. I.2.3). Zur Adaption und Fortsetzung
der Debatte im protestantischen Deutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg s. weiter
unten, Kap. II.2.2.
213
Jean Bodin, Les six livres de la République, Paris 1583 (ND Aalen 1961; zuerst
1576), S. 654 (IV,7): »Ie ne parle point icy laquelle des Religions est la meilleure […].«
214
Ebd., S. 654.
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98 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Was die gesellschaftliche Bedeutung der Religion angeht, liegt Bodin aller-
dings exakt auf der hier nachzuzeichnenden Linie.215 Er rät deswegen auch da-
von ab, Religion zum Gegenstand öffentlicher Dispute zu machen, weil dabei
ohnehin nichts weiter als Zweifel herauskämen.216 Und schließlich, so folgert
Bodin in ironischer Anspielung auf Machiavelli, würden sogar die Atheisten
zugeben, dass die Religion ein unverzichtbares Mittel sei, die politischen und
gesellschaftlichen Tugenden zu erhalten. Ihre Verachtung dagegen führe un-
weigerlich zum Untergang:

Et d’autant que les Atheistes mesmes sont d’accord, qu’il n’y a chose qui plus main-
tienne les Etats & Republiques que la Religion, & que c’est le principal fondement
de la puissance des Monarques & seigneuries, de l’execution des loix, de l’obeïssance
des subiects, de la reuerence des Magistrats, de la crainte de mal faire, & de l’amitié
mutuelle enuers vn chacun, il faut bien prendre garde qu’vne chose si sacree, ne soit
mesprisee ou reuoquee en doute par disputes: car de ce point la depend la ruyne des
Republiques […].217

Diese politische Wertschätzung der Religion rechtfertigt jedoch Bodin zufol-


ge keinen obrigkeitlichen Gewissenszwang. Ein Herrscher sei schon schlecht
beraten, wenn er seinen Untertanen sein bevorzugtes Bekenntnis aufnötige,218
denn der dadurch verursachte Widerwillen bei der Ausübung des Gottesdiens-
tes führe nur allzu leicht in den Atheismus, den es unbedingt zu vermeiden gel-
te. Wer nämlich die Angst vor Gott verloren habe, trete auch das Gesetz und
seine Vertreter mit Füßen und gebe sich allen erdenklichen Ausschweifungen
und Bosheiten (»toutes sortes d’impietés, & meschancetés«) hin.219 Der Athe-
ismus, so Bodin weiter, bilde im Hinblick auf die Religion das Pendant zur
Anarchie im politischen Bereich, er sei mehr zu verabscheuen als der stärkste
Aberglaube.220
Deswegen kommt Bodin auch im sechsten Buch, im Kapitel über die Zen-
sur (VI,1), auf das Thema des Atheismus zurück. Wie schon bei der Frage
nach der wahren Religion bedient er sich der praeteritio, um nicht seinerseits
die Zensur auf den Plan zu rufen,221 nimmt sich aber doch genügend Zeit, um
erneut in drastischen Farben die unheilvollen Folgen der Religionsverachtung

215
Vgl. Höpf 2005, S. 113–116, der auch den Bezug zu Machiavelli herstellt.
216
Ebd., S. 653. – Bodin verweist als Vorbild auf die Bestimmungen des Augsburger
Religionsfriedens, »que personne n’eust à disputer de la Religion« (ebd.).
217
Ebd., S. 653 f. (IV, 7, § »Les effects de la Religion«).
218
Als positives Beispiel nennt Bodin, wie Machiavelli und alle späthumanistischen
Staatsdenker stets mit historischen Präzedenzfällen bei der Hand, den von Cassiodor be-
schriebenen Fall des Gotenkönigs Theoderich, der dem Arianismus zugeneigt habe, ohne
ihn seinen Untertanen zur Pflicht zu machen (655).
219
Ebd.
220
Ebd. – Der Vergleich von Atheismus und Anarchie wird sich noch bei Leibniz
wiederfinden ( I.4.3).
221
Ebd., S. 846 f.: »Ie ne parle point icy de la conscience enuers Dieu […].«
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Der Atheist als Staatsfeind 99

zu malen. Das mit wenigen Strichen entworfene Schreckensszenario eines


rechtlos-anomischen Gesellschaftszustands, das in gewisser Weise Hobbes’
düstere Vision vom bellum omnium contra omnes vorwegnimmt, wird in der
Atheismusliteratur immer wiederkehren und im 18. Jahrhundert von Christi-
an Fürchtegott Gellert, Haller und vielen anderen stets von neuem beschwo-
ren werden. Mord, Verrat und Unzucht, sogar Inzest, werden zur alltäglichen
Erscheinung in einer Welt, die mit dem göttlichen auch das menschliche Ge-
setz hinter sich gelassen habe:

[P]eu à peu du mespris de la Religion, est sortie vne secte detestable d’Atheistes, qui
n’ont rien que blasphemes en la bouche, & mespris de toutes loix diuines & humaines:
dont-il s’ensuit vne infinité de meurtres, parricides, empoisonnements, thraisons,
pariures, adulteres, incestes: car il ne faut pas attendre que les Princes & Magistrats
rangent sous l’obeissance des loix les subiects qui ont foulé aux pieds toute Religion.222

Damit sind die Koordinaten abgesteckt, innerhalb derer sich die politologische
Beschäftigung mit dem Atheismus die folgenden Jahrzehnte hindurch bewe-
gen wird: Im Interesse der politischen Stabilität und der öffentlichen Ruhe habe
ein funktionierendes Gemeinwesen die richtige Mitte zwischen den Extremen
des Gewissenszwangs einerseits und des Unglaubens andererseits (aber auch
Magie, Häresie und Aberglaube) zu halten, anders gesagt: zwischen Toleranz-
politik und religiöser Indifferenz. Nur in Teilen der katholischen Staatslehre
und bei ausgewählten protestantischen Politiktheoretikern wurde die norm-
begründende Funktion exklusiv mit der Einheit des religiösen Bekenntnisses
verknüpft.223 Für die protestantischen Religionsparteien bestand begreiflicher-
weise ein vitales Interesse an politisch durchsetzbaren Toleranzbestimmun-
gen. Deswegen wurde die staatskirchenrechtliche, aber auch grundsätzlich
staatstheoretische Frage nach der Zuständigkeit weltlicher Obrigkeiten in

222
Ebd., S. 847.
223
In besonders aggressiver Weise bei Assonville (s. o., I.2.3), der für seine Ableh-
nung der religiösen Toleranz just das gleiche Bild vom ›Band der Gesellschaft‹ verwendet
(Atheomastix, S. 88): »Compertum enim est, varias sibique dissentientes in religionis causa
opiniones, humanae societatis vinculum abrumpere, & Reip[ublicae] non solum Ecclesiae
concordiam dissipare.« – Ein besonders aufsehenerregendes Beispiel bildete Lipsius, der
schon in seinen Politicorum libri sex (1589) ein Kapitel über die Bedeutung einer einheitli-
chen Religion einschaltete (lib. IV, cap. 3); wenig später ließ er als Antwort auf eine Streit-
schrift die kleine Apologie De una religione (1591) folgen. – Für Lipsius war die Berufung
auf die ›eine‹ Religion besonders heikel, da er aufgrund seiner zweifachen Konversion als
Paradefall für eben jene konfessionelle Unbeständigkeit diente, die man den Politici vor-
warf. Christian Colbe nennt ihn deswegen boshaft den »inconstantis constantiae Doctor«
(De fulcris atheismi in Ecclesia, Königsberg 1655, S. 28); ähnlich die Streitschrift Lipsius
Proteus des Jenenser Professors für Philosophie Thomas Sagittarius (Frankfurt am Main
1614); dort werden einige pro-protestantische Reden des jungen Lipsius aus dessen Jena-
er Zeit versammelte, um den späteren Gesinnungswandel zu dokumentieren; zu Lipsius’
Rekonversion zum Katholizismus und deren Folgen für das Lipsiusbild in Vergangenheit
und älterer Forschung vgl. Machielsen 2013; zu Colbes Schrift s. unten, Kap. II.2.3.
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100 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Religionsangelegenheiten (ius maiestatis circa sacra) zur entscheidenden He-


rausforderung protestantischer Juristen der Zeit.224 Die Lösung bestand auch
hier im Konstrukt einer allgemeinen christlichen Religion, beglaubigt durch
die Gewissheit der natürlichen Gotteserkenntnis, wie sie zeitgleich in der
theologischen Apologetik entwickelt wurde.225 Gleichwohl fand das Konzept
der natürlichen Gotteserkenntnis auch bei katholischen Staatsdenkern Ver-
wendung, wie schon das folgende Beispiel von Pierre Grégoire eindrücklich
demonstrieren kann.

3.3 Monstrum hominis


Der Atheist im Gottesstaat (P. Grégoire, Danaeus, Althusius)

Die konfessionell neutrale Konzeption einer natürlichen Religion findet sich,


wenn auch nicht unter diesem Begriff, schon in politischen Lehren, die im
Anschluss an mittelalterliche Vorstellungen noch auf dem Boden einer sakra-
len Herrschaftsbegründung und Staatsauffassung standen. Bei ihnen bleibt die
Bestimmung des Staatszwecks noch so klar auf das geistliche Heil der Unterta-
nen bezogen, dass der Verdacht einer pragmatisch-säkularen Politikauffassung
von allem Anfang an außer Frage steht. Das hatten konservative katholische
Staatslehrer mit den calvinistischen Theoretikern eines nach göttlichen Geset-
zen eingesetzten und geordneten Gemeinwesens gemeinsam. Trotzdem konn-
te auch hier die gesellschaftliche Funktion der Religion sehr wohl gewürdigt
werden, schließlich gehörte zur umfassenden Lehre von der Politik stets auch
die Kunst des guten Regierens. Insbesondere während der Glaubenskriege
stellte sich zudem immer vernehmlicher die Frage nach der Bewahrung von
äußerem Frieden und innerer Stabilität. Diese Verbindung von sakraler Staats-
zwecklehre und ordnungspolitischem Pragmatismus findet sich beispielhaft
schon in der monumentalen Schrift De republica libri sex et viginti (1596) des
einflussreichen französischen Juristen Pierre Grégoire, genannt Tholosanus,
eines erklärten Gegners der calvinistischen Monarchomachen ebenso wie des
Italieners Machiavelli.226 Dort wird noch ganz traditionell als letztes Ziel (»finis
vltimus«) staatlicher Organisation und Herrschaft das geistliche Heil der Un-

224
Dazu grundlegend Heckel 1968; weiterführend: Dreitzel 1995.
225
Vgl. dazu, im Zusammenhang der zeitgenössischen Politiklehren, Link 1981 so-
wie Link 1979, S. 244–246 u. 296–300; mit Blick auf das Naturrecht: Zurbuchen 1991.
226
Petrus Gregorius Tholosanus, De republica libri sex et viginti in duos tomos di-
stincti, Leiden 1596. Das Werk wurde bereits 1597 in Deutschland gedruckt (VD16 G
2997); eine Ausgabe in einem Band erschien 1609 in Frankfurt am Main. Nach ihr wird im
Folgenden zitiert. – Zu Tholosanus vgl. die Hinweise bei Strohm 2008, S. 211 f.; grundle-
gend: Collot 1965, bes. S. 37–45 (zur Person), 132–152 (Analyse von De republica im Ver-
gleich mit Bodin) u. 263–269 (zur sakralen Begründung der monarchischen Herrschaft);
zur Rolle der Religion in der Gesellschaft (unter dem Gesichtspunkt der remedia contra
seditiones) vgl. ebd., S. 149 f.; zur Tholosanusrezeption in der deutschen Staatslehre vgl. die
zahlreichen Hinweise bei Weber 1992, pass. (Register).
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Der Atheist als Staatsfeind 101

tertanen bestimmt.227 Wird schon damit die Verteidigung der »Ehre Gottes«
und ergo der Kirche gegen Ketzereien (»haereses«) und Gotteslästerungen
(»blasphemias«) zur obrigkeitlichen Aufgabe,228 so erläutert Tholosanus an
anderer Stelle – im Kapitel De necessitate & vi seu effectu religionis – die Be-
deutung der Religion für den Erhalt der inneren Ordnung und Sicherheit. Im
Anschluss an Cicero und Plinius (s. o.) wird die rechts- und normbegründen-
de Leistung der Religion herausgestellt. Ohne die Vorstellung von göttlichen
Strafen und Belohnungen, so Tholosanus, sei der moralischen Permissivität
Tür und Tor geöffnet, da eine Unterscheidung zwischen Gutem und Bösem
nicht mehr möglich sei:

TOTIVS societatis humanae fundamentum religionem esse existimauit etiam Cicero,


& cum eius contemtu simul labi omnem fidem & iustitiam. Vbi enim quispiam coepe-
rit excutere timorem & honorem Dei, vel diuini numinis reuerentiam, omnia sibi lice-
re putabit, dummodo latere homines quae male agit arbitretur, mala bonis confundet,
si opinione praemium bonorum, aut malorum poenas effugerit, nec esse crediderit nu-
minis vindictam aut beneficia. Ita Plin[ius] vitam nostram religione constare dixit.229

Notwendig sei das »Band der Religion« (»vinculum religionis«, heißt es nun
ausdrücklich) aber auch im Interesse der Herrschaftsbegrenzung, weil die Vor-
stellung einer höheren Gewalt den politischen Machtmissbrauch seitens des
Herrschers und folglich die Entartung der Monarchie zur Tyrannei verhindere
(»mandata tyrannica & durissima«).230 Diese Wirkung will Tholosanus jedoch
gar nicht auf die christliche Religion allein beschränkt wissen, es genüge schon
die natürliche Gotteserkenntnis, die dem Menschen als »Fünkchen« (»scintil-
lae«) eingeboren sei.231 Mit diesem Denkschritt – wir erkennen darin die schon
weiter oben behandelte theologische Kernfrage der Apologetik – ist nicht nur
die kulturelle Distanz zu den antiken Autoritäten überbrückt, die denn auch
ausgiebig zitiert werden, sondern einmal mehr ebenso die Schuldfähigkeit von
potenziell Ungläubigen sichergestellt.
Nicht zufällig kommt an dieser Stelle auch der Begriff der Gottlosigkeit
(»impietate«) ins Spiel.232 Die impietas gehört für Tholosanus zu einer der bei-
den extremen Abweichungen vom guten Mittelweg der ›wahren Religion‹.

227
De republica., col. 325a.
228
Ebd., col. 325a: »Pastores non tantum corporum hominum & subditorum, sed
etiam per consequentiam animarum pro quarum salute non minus quam corporum la-
borare debent, & auxilium ecclesiae contrae haereticos & contemtores legis praebere […].
Cauere & debent proinde principes, vtque omni studio faueant verae religioni, ne patiantur
conniuentia vel alio modo, Dei honorem per haereses, blasphemias vel aliter conculcari,
aut vllo modo laedi.«
229
Ebd., col. 424a.
230
Ebd., col. 424b. Zur Herrschaftsbegrenzung durch das Jus divinum vgl. ausführ-
lich Link 1979; ferner, unter dem Aspekt der Herrschaftskritik, Schorn-Schütte 2004.
231
Ebd., col. 424a.
232
Ebd.
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102 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Die andere ist der Aberglaube (»superstitio«).233 Interessanterweise liegen für


Tholosanus, ähnlich wie für Luther und Calvin ( I.1), impietas und haeresis
als ›defectus fidei‹ dicht beieinander, nicht dagegen, wie man denken könnte,
haeresis und superstitio.234 (Da sich Tholosanus mit eindeutigen Hinweisen auf
die Hugenottenkriege zurückhält,235 wird nicht klar, ob mit der Häresie hier
auch Protestanten gemeint sind oder nicht.) Beide bedrohen, aus den genann-
ten Gründen, die Grundfesten (»fundamenta«) des Staatswesens nicht nur als
Heilsanstalt, sondern auch als weltlicher Institution.236 Denn beide führen, auf
verschiedenen Wegen, zum Atheismus: Während die impietas (hier also nicht
gleichbedeutend mit dem ›non est Deus‹, sondern dessen Bedingung) die na-
türliche Gotteserkenntnis ersticke,237 führe die Häresie zu einem Zwiespalt,
weil man nicht zwei Göttern dienen könne und weil es bei der Frage nach der
wahren Religion keinen Mittelweg gebe.238 Gott fordere nämlich den ganzen
Menschen (»integrum hominem«), wer aber verschiedene Religionen zugleich
zulasse oder begünstige, der glaube bald an keine mehr und könne also leicht
in Atheismus verfallen. Diese Warnung, die durchaus als subtile Botschaft an
Heinrich von Navarra gelesen werden kann, verbindet Tholosanus mit einer
erneuten Betrachtung über die verheerenden innenpolitischen, moralischen,
ja zivilisatorischen Auswirkungen des Unglaubens, die das von Bodin (s. o.)
entworfene Anomie-Szenario noch überbietet. Hier fällt nun auch endlich der
um diese Zeit noch selten gebrauchte Atheismusbegriff:

233
Ebd., col. 421b: »DVO sunt extrema religioni vitiosa, tria quippe sibi sunt ma-
xime vicina, Religio vera, extremum eius vnum superstitio in excessu, aliud extremum in
defectu, nempe impietas, horum medium sequendum cum iudicio.«
234
Ebd.: »Et hoc vnum extremum religionis est in excessu, quod vitare debet admi-
nistrator reipublicae secularis & in quo peccat, nempe superstitio, & temeritas in vsurpan-
dis, quae relinquere debet personis ecclesiasticis. Aliud autem extremum est circa impieta-
tem & haeresin in defectu fidei.«
235
Zur politischen Gegenwart äußert sich Tholosanus erwartungsgemäß in der Vor-
rede an den Leser, aber auch dort bleibt es beim allgemeinen Verweis auf den »Waffenlärm
dieses unglücklichen Zeitalters« (»strepitum armorum huius infelicis seculi«) hinweist.
Ebd., fol. )( 1r. – Es ist anzunehmen, dass Tholosanus hier strategische Zurückhaltung übt,
immerhin war Heinrich von Navarra, der Schutzherr der französischen Protestanten, seit
1584 an die erste Stelle der Thronfolge gerückt. Es bleibt daher allenfalls bei Hinweisen.
236
Ebd., 327a: »Impietas & haeresis, pro modulo quo regnum ingredientur, etiam
fundamenta eius dejicere & corrodere incipiunt, potissimum in regnis quae Christiana &
vera religione sunt firmata.«
237
Siehe dazu die oben erwähnte Passage (col. 424a), wo es heißt, dass die »Fünk-
chen« (»scintillae«) der natürlichen Gotteserkenntnis »nicht ohne äußerste Gottlosigkeit«
(»non omnino sine summa impietate«) erstickt oder ausgelöscht werden könnten (»exstin-
gui, vel elidi possunt«).
238
Ebd., col. 325a: »Non enim possunt, duobus dominis seruire, Deo & daemonibus.
[…] In religione non datur medium, vel enim quis Christianus debet esse, vel si non est,
est contrarius.«
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Der Atheist als Staatsfeind 103

Certissimum enim est, inde in neutram credere, qui leges contrarias admittit, & inde
etiam facile labitur in Atheismum, quo nihil infelicius reipublicae contingere posset.
Nam sublata ex oculis Dei reuerentia & fide, omnia temere & impie confunduntur.
Et societas hominum efficitur lerna malorum, & si qui sint tam scelesti, qui Deum
non esse arbitrentur, nihil est quod non audeant, iam enim obscurata mente nullum
Deum putantes, neque de vita aeterna aut de poenis inferorum, aut de immortalitate
animae credunt, sed brutali more viuunt, saeuiunt, & diuina & humana confundunt,
omnem potestatem spernunt & legem. In quam sententiam facile perueniunt, qui nec
legem diuinam veramque religionem tanquam exosam credunt[, n]eque opiniones aut
haereses quas falsas vident & contrarias, probant. Tunc enim eo perueniunt vt dicant,
non est Deus.239

Die Passage beeindruckt nicht nur durch die Drastik der Aussage, sondern
auch wegen der hier gezielt eingesetzten Dichte der rhetorischen Durchfor-
mung, insbesondere auf der Ebene der suggestiven Wortwahl. Transportieren
schon Verben wie ›labi‹ und ›contingere‹ die Vorstellung von Kontrollverlust,
der in eine Aufhebung (»sublata«) und Verkehrung (»confunduntur«, »con-
fundunt«) der rechtmäßigen (»leges«, »legem«) Verhältnisse mündet, so ruft die
Kombination der semantischen Felder ›verbrecherisch‹ (»impie«, »malorum«,
»scelesti«) ›irrational‹ (»temere«, »obscurata mente«) mit dem schon aus den
vorherigen Kapiteln bekannten ›unmenschlich-tierhaft‹ (»brutali more«, »sa-
euiunt«) tief liegende zivilisatorische Ängste ab.240 Bezeichnenderweise kehrt
in diesem Zusammenhang dann auch der Begriff der »stultitia« wieder, Seite an
Seite mit dem hier zu verfolgenden Leitbegriff des vinculum: »Tolle hoc vin-
culum religionis, vita hominum stultitia, scelere, immanitate complebitur.«241
Es wurde schon darauf hingewiesen, dass sich die Annahme von der po-
litisch-gesellschaftlichen Gefährlichkeit des Atheismus über die Grenzen
von Konfessionen und staatstheoretischen Schulen hinweg verfolgen lässt.
Eine entsprechende Übereinstimmung von katholischer und protestantischer
Staatslehre wird natürlich besonders da deutlich, wo noch Einigkeit über die
geistliche Zweckbestimmung von Staat und Politik im Ganzen besteht. So wird
bei dem reformierten Theologen und Juristen Lambert Daneau oder Danaeus
(ca. 1530–1590),242 der seine Politices christianae libri septem (1596) dezidiert

239
Ebd., col. 325b.
240
In diesem Zusammenhang ist immer die enorme Prägekraft des mittelalterlichen
ordo-Denkens zu berücksichtigen. Begriffe wie ›confusio‹, ›eversio‹ oder ›tollere‹ im Zu-
sammenhang mit Kategorien wie ›societas‹, ›leges‹ etc. verbinden sich daher mit Anomie-
Vorstellungen, die gesellschaftliche Ängste gewöhnlich begleiten. – Vgl. allgemein Delu-
meau 1985, dort bes. S. 572–607 (zum analogen Fall der Ketzerei); zum ordo-Prinzip vgl.
die bibliografischen Hinweise in Kap. I.2.3.
241
Ebd. – Es handelt sich um ein Laktanzzitat, wie auch in einer Anmerkung fest-
gehalten wird. Die gleiche Stelle bringt Lipsius, Politicorum libri sex, IV, 2 (S. 67); ebenso
Bernegger, Observationes historico-politicae, S. 165.
242
Biografischer Abriss mit ausführlicher Werkbibliografie in La France Protestan-
te, Bd. 4, 1853, S. 192–198; zu Daneaus Politiklehre im Horizont von Staatskirchenrecht,
reformierter Moraltheologie und philosophischer Ethik vgl. grundlegend Strohm 1996;
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104 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

als ›politia Evangelica‹ (»de Euangelica enim politia duntaxat scribimus«) ge-
lesen wissen will,243 die obrigkeitliche Pflicht zum Verbot des ›Götzendiensts‹
(»Idololatria«) und jedes anderen »profanus […] cultus« zunächst mit dem
sakralen Staatszweck begründet.244 Da aber Danaeus im Anschluss an Au-
gustinus allein der christlichen Religion die Fähigkeit zubilligt, das komplexe
Verhältnis von Seele und Körper, von Ratio und Sündhaftigkeit zu regulieren,
bildet sie für ihn auch diesseits der metaphysischen Erlösungsperspektive die
Quelle aller Tugenden (»virtutum omnium fons«) sowie »der öffentlichen wie
privaten Gerechtigkeit und Glückseligkeit« (»publicae priuataeque iustitiae, &
foelicitatis caussa«).245
Diese zwei Kernelemente jeder säkularen Staatsbegründungslehre müssen
also auch in einem sakralen Politikverständnis nicht unbedingt fehlen, zumal
gerade dort seit der Scholastik die Autorität der antiken Staatskunde und Ethik
hoch geschätzt wurde.246 In der Beurteilung der obrigkeitlichen Schutzfunktion
für Verehrung des ›wahren Gottes‹ wirken beide Gesichtspunkte zusammen:
Abweichungen werden nicht toleriert,247 für die andernfalls drohenden politi-
schen Untergangsszenarien (»euersa illa regna«) hält die biblische Geschichte
geeignete Beispiele bereit.248 Und wie bei Tholosanus und vielen der folgenden
Staatsdenker richtet sich dieses Gebot neben dem Götzendienst vor allem ge-
gen den Unglauben.249 Der Begriff der Häresie dagegen wird vom Protestanten

vgl. auch Strohm 1999b; aus der älteren Literatur verdienstvoll, quellennah, aber wenig
abstrahierend: Goedeking 1977, S. 69–180; knapper Überblick bei Stolleis 1988, S. 105 f.
243
Lambertus Danaeus, Politices christianae libri septem [nachfolgenden Politica],
[Genf] 1596, S. 166. – In der Vorrede wird die Berechtigung einer christlichen Staatslehre
mit einem praktischen Scheitern der Machiavellischen »praecepta« begründet. Danaeus
referiert dazu die Schicksale Cesare Borgias und Lodovico Sforzas. Ebd., fol. iiijv.
244
Ebd., S. 166: »Piae Reip. finem esse vt ciues sancte iusteque viuant.«
245
Ebd., S. 167. – Vgl. dazu Strohm 1996, S. 172–177.
246
Der Vorrang des verbum divinum muss jedoch klar betont werden, wie an Da-
naeus besonders gut zu zeigen ist. Schließlich handelt es sich bei seiner Politica Christiana
um eine in erster Linie aus Bibel und Kirchenvätern, erst dann auch aus anderen Autoren
gespeiste Staats- und Regierungslehre. Danaeus wendet sich in der Vorrede tadelnd gegen
zeitgenössische Autoren, die sich in ihren Moral-, Natur- und Politiklehren ausschließlich
auf die antik-heidnische Literatur stützen würden und versteht sein Werk entsprechend
als Korrektur der daraus resultierenden Fehlurteile (Politica, S. 3). – Zur komplexen Ver-
hältnisbestimmung von antiker Autorität und Wort Gottes bei Danaeus vgl. Strohm 1996,
S. 70–75, 85–91, 407–422 u. 504–513.
247
Danaeus, Politica, S. 167: »Quare nemo, si fieri potest, in pia Republ[ica] toleran-
dus est, qui alium quam verum Deum, externe colat.«
248
Ebd.: »Quid enim Salomoni, Roboamo, Amathiae, Ioae, Manassi regibus Iudae,
quiddenique toti decem tribuum regno contigerit, testatur sacra Regum historia, quae
propter Idololatriam, falsosque cultus introductos grauissimis casibus afflicta, tandemque
euersa illa regna testatur.«
249
Zu Aberglauben und Häresie bei Danaeus vgl. Strohm 1996, S. 326–333.
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Der Atheist als Staatsfeind 105

Daneau verständlicherweise mit großer Zurückhaltung gebraucht.250 Während


daher die Durchsetzung der richtigen christlichen Gottesverehrung nicht mit
Zwang, sondern nur durch Belehrung erfolgen könne,251 gilt für Atheisten,
Epikurer und ähnliche »Monstren« (»monstris«) das Nulltoleranzprinzip.
Die Aufzählung der Feinde christlicher Religion kennen wir von Mornay, die
›monströse‹ Motivik von Assonville und Tholosanus. Auch der Calvinist Da-
naeus reiht sich deutlich ein in den antiatheistischen Feindbilddiskurs der Zeit:
»Interea dabit operam Christianus Princeps vt Atheis, Epicureis, & plerisque
aliis eiusmodi monstris nullus in Republ[ica] sua locus concedatur.«252
Neben der Aufrechterhaltung von Tugend und Gerechtigkeit spielt die Fra-
ge nach der Abwehr des Unglaubens und anderer Irrlehren auch eine wichtige
Rolle für die Erhaltung des inneren Friedens. Denn die seit der Antike be-
kannte Macht religiöser Überzeugungen, die Eintracht im Gemeinwesen zu
stören, stand den Zeitgenossen von Mornay und Lipsius täglich vor Augen.
Darüber hinaus war es seit Aristoteles üblich, in der allgemeinen Lehre von
der Politik auch die Ursachen für Veränderungen und Umstürze im Staat ab-
zuhandeln.253 So etwa auch bei Johannes Althusius (1557–1638),254 dessen u. a.
von Tholosanus beeinflusste Staatslehre255 ebenfalls noch von der Idee des
Gnadenbunds her konzipiert ist.256 Die paradox wirkende Forderung, einer-

250
Danaeus enthält sich auch explizit der heiklen Frage nach der ›wahren Religion‹
und deren alleiniger Duldung (»sola […] toleranda«). Er verspricht, davon ausführlicher
an anderer Stelle zu handeln. Politica., S. 166.
251
Ebd., S. 170: »Nam doceri, non cogi, vult fides, vt praeclare quondam a Lactantio
dictum est […].«
252
Ebd.
253
Ähnlich auch bei Machiavelli, Discorsi, I, 52.
254
Bio-bibliografischer Überblick in Killy/Kühlmann, Bd. 1, 2008, S. 110–112 (Me-
rio Scattola); zu Althusius’ Staatsdenken vgl., für unsere Zwecke ausreichend, Winters
1987, Nitschke 2007, Ottmann 2006, S. 93–98 u. 104 f. (ausführliche Literaturhinweise);
von Beyme 2009, S. 81–89; knapp, aber kenntnisreich: Stolleis 1988, S. 106–109; eine aus-
führliche Analyse von Althusius’ Politica bietet Goedeking 1977; zur Verschränkung von
Politik und Theologie bei Althusius vgl. Schmidt-Biggemann 1988 sowie die Beiträge
in Carney u. a. 2004; den reformierten Rechtsdenker Althusius behandelt, im epochalen
Kontext, Strohm 2004, ausführlich Strohm 2008, S. 189–236; zu Althusius’ politischer
Theorie im Horizont des niederländischen Aufstands vgl. Witte 2015, S. 175–243.
255
Den Einfluss des Tholosanus auf den Staatsdenker Althusius hat besonders Fried-
rich Goedeking hervorgehoben; vgl. Goedeking 1977, S. 241–247; vgl. allerdings Strohm
2008, S. 211–217, der eine signifikante Abweichung in der Rechtslehre beider Autoren bis
hin zu einem »radikalen Bruch« (S. 214) feststellt.
256
Diese Übergangsstellung des Althusius drückt sich schon in der Duplizität sei-
ner Staatszwecksidee aus: »Jus hoc regni est duplex: Primum, quod ad salutem animae:
alterum, quod ad corporis curam pertinet.« Johannes Althusius, Politica methodice digesta
atque exemplis sacris & profanis illustrata, Herborn 31614 [zuerst 1603], S. 180. – Zum fö-
deralen Charakter von Althusius’ Staatslehre vgl. Nitschke 2004 sowie 2007, S. 171–174.
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106 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

seits nur die ›wahre und reine Religion‹ zuzulassen,257 deren Verehrer jedoch
auch gegenüber einer Mehrzahl Andersgläubiger zu verteidigen,258 erklärt sich
aus dem strategisch anspruchsvollen Vorhaben, der faktischen Mehrkonfessi-
onalität in den westeuropäischen Staaten gerecht zu werden, ohne in konfes-
sionellen Indifferentismus zu verfallen, wie er den sogenannten Politici oder
Politiques angelastet wurde ( I.2.3). Letzten Endes läuft das auf eine Tole-
ranzregelung für die christlichen Religionsparteien hinaus, denn unter allen
Umständen, so Althusius, sei das Schisma zu vermeiden.259 Daher sei nicht nur
jede Art von Gottesverehrung zu verhindern, die der christlichen entgegen-
gesetzt sei,260 sondern auch die Negation der ›heilsnotwendigen‹ christlichen
Glaubensartikel (»articulos ad salutem necessarios«) durch offenen und öf-
fentlichen Atheismus. Einmal mehr gehen so, wie bereits bei Mornay, Athe-
ismuskritik und theologische Ansätze einer überkonfessionellen christlichen
Religion Hand in Hand:

Plane qui palam & publice ἄθεοι sunt, non sunt ferendi, qui ἀταξίαν inducunt, qui
magistratum tollunt, qui bella non necessaria movent, qui aperta flagitia tuentur, qui
articulos ad salutem necessarios negant, tollunt, aut in dubium vocant.261

3.4 Konfessionelle Toleranz und religiöse Normbegründung im


protestantischen Aristotelismus (Keckermann, Besold, Conring)

Wie schon die Beispiele Machiavellis und Bodins gezeigt haben, blieb die
politische Anweisung, den Atheismus zu verhindern oder, wo er sich offen
zeigte, zu bestrafen, auch da in Geltung, wo sich die Staatszwecklehre von
der Vorstellung der mittelalterlichen Heilsanstalt gelöst hatte. Wo das primäre
Ziel des geistlichen Heils der Untertanen in den Hintergrund trat, wurde der
Zweck des staatlichen Zusammenschlusses gewöhnlich mit dem materiellen
Wohlergehen der Bürger (vita beata, beatitudo civitats, felicitas civium) be-
stimmt. Beide Modelle schließen sich nicht aus, wie am Beispiel von Pierre
Grégoire oder Danaeus deutlich geworden ist. Dahinter stand einmal mehr
das Vorbild der antiken, vor allem der aristotelischen Staatslehre in ihrer en-
gen Verzahnung mit Ethik und Ökonomik unter dem Dach der praktischen

257
Ebd., S. 184: »Sed de vera & pura Dei religione cultuque, non ex hominum, aut
ex majori civium parte, numer vel suffragio, sed ex solo Dei verbo, juxta fidei analogiam,
est constituendum.« Althusius knüpft hier offensichtlich Danaeus an, der diesen Punkt
bewusst offen gelassen hatte (s. o.).
258
Ebd., S. 187: »Defendendi autem veri Dei cultores, & protegendi in regno, etiamsi
numero pauciores sint & plures qui aliam profitentur religionem.«
259
Althusius, Politica, S. 187.
260
Ebd., S. 188: »Non igitur permittendum est, ut omnes fruantur libere sua religio-
ne in totum Christianae contraria.«
261
Ebd.
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Der Atheist als Staatsfeind 107

Philosophie.262 Für das protestantische deutsche Staatsdenken in der ersten


Hälfte des 17. Jahrhunderts, das begreiflicherweise Alternativen zum sakralen
Staatsmodell entwickeln musste, bildet sie die wichtigste Grundlage bis zur
Durchsetzung der Naturrechtslehre.263 Dass nun auch unter dem Gesichts-
punkt einer weltlichen, gemeinwohlorientierten, letztlich eudämonistischen
Politiklehre der Religion – als überkonfessioneller ›natürlicher Religion‹ –
weiterhin eine unverzichtbare Rolle zukommt, dass der Atheist dagegen von
den sorgfältig ausgebauten Toleranzregelungen ausgeschlossen bleibt, soll an
einigen ausgewählten Vertretern des deutschen politischen Aristotelismus
kurz vorgeführt werden.
Ohne Religion, so hält etwa 1608 der bekannte reformierte Philosoph und
Theologe Bartholomäus Keckermann (1571/72–1608) fest, könne kein Staats-
wesen gegründet oder erhalten werden.264 Anders als Danaeus und Althusius
weicht Keckermann der theologisch-konfessionellen Wahrheitsfrage aus,265
indem er hier unter Religion nur die dem menschlichen Geist eingepflanzte
Gotteserkenntnis verstanden wissen will, die für ihn überdies unmittelbar mit
der Unterscheidungsfähigkeit zwischen dem Ehrenvollen und dem Schänd-
lichen (»honestorum & turpium«) verknüpft ist.266 Auch wenn Keckermann
als Moralphilosoph eine zumindest methodische Trennung von Religion und
Ethik befürwortet und als Staatsdenker einer pragmatischen Politikauffassung
zuneigt,267 rechnet er es zu den Herrscheraufgaben, die nötigen äußeren Vo-

262
Grundlegend zur (protestantischen) Aristotelesrezeption der frühen Neuzeit
nach wie vor Petersen 1921; neuerer Überblick mit Literaturhinweisen bei Perler 2011.
263
Zum politischen Aristotelismus vgl. die wichtige Untersuchung von Dreitzel
1970; auf höchstem Niveau ferner Dreitzels Überblick im Neuen Ueberweg 17/4, 2001,
S. 639–672 (dort zu Besold, Keckermann und Conring); zur Rezeption der aristotelischen
Politik vgl. Frank 2007; die Rezeption der Nikomachischen Ethik bei protestantischen
Geistlichen untersucht Moritz 2007; zur calvinistischen Rezeption, insbesondere bei Da-
neau, vgl. Strohm 1996, S. 91–116, mit weiterer Literatur.
264
Zu Keckermann vgl. den Artikel in Killy/Kühlmann, Bd. 6, 2009, 335 f. (Wilhelm
Kühlmann); den Staatsdenker Keckermann behandelt ausführlich und textnah Goede-
king 1977, pass.; knapper Überblick bei Stolleis 1988, S. 109 f.; Keckermanns Stellung im
Staatsdenken des 17. Jahrhunderts ermittelt Weber 1992, S. 108–111; vgl. ferner Kühlmann
1982, S. 243–246 u. 321–323; zum philosophisch-enzyklopädischen Profil Keckermanns
vgl. Schmidt-Biggemann 1983, S. 89–94.
265
In der Neutralisierung oder Hintanstellung der theologischen Wahrheitsfra-
ge hat Martin Heckel, führender Kenner dieser Zusammenhänge, eine der wesentlichen
Grundtendenzen in den Werken deutscher evangelischer Juristen ausgemacht: »Die re-
ligiöse Wahrheitsfrage ist in dieser Säkularisierung des Reichskirchenrechts somit offen-
gelassen; sie wird aus der Entscheidung der politischen Gewalten ausgegrenzt.« (Heckel
1981, S. 900) Den ausführlichen Nachweis führt Heckel in seiner bekannt gewordenen
Dissertation Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in
der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Heckel 1968).
266
Bartholomäus Keckermann, Systema disciplinae politicae, Frankfurt am Main
1625 [zuerst 1608], S. 28.
267
Vgl. ausführlich Goedeking 1977, S. 300–315.
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108 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

raussetzungen für den christlichen Kultus zu schaffen.268 Dementsprechend


seien Gotteslästerer (»blasphemos«), aber auch der Magie und satanischen
Künsten ergebene Personen auf das Strengste zu bestrafen.269
Ähnlich argumentiert wenig später der bedeutende schwäbische Jurist,
Übersetzer und religiöse Dissident Christoph Besold, zu diesem Zeitpunkt
noch der lutherischen Konfession zugehörig.270 Für ihn stellen Gotteslästerung,
Magie, Atheismus und Epikureismus einen Verstoß gegen geistliches Recht
(»contra Primam Tabulam«) dar. Ihre Bestrafung sei daher schon hinlänglich
über die staatliche Pflicht der cura religionis begründbar.271 Darüber hinaus sei
jedoch der Atheismus, den Besold wie Bodin272 mit der politischen Deprava-
tionsform der Anarchie vergleicht, als die schlimmste ›Pest‹ in Kirche wie in
Staatswesen anzusehen und auch deswegen der weltlichen Strafgerichtsbarkeit
zu überantworten.273 Dahinter steht einmal mehr die an anderer Stelle nachge-
tragene Begründung, dass von dem ›fundamentum‹ der Religion die Tragfähig-

268
Keckermann, Systema disciplinae politicae, S. 517: »Princeps curet omnibus modis
ne quid desit, quod ad verum dei cultum necessarium est, atque adeo curam quoque gerat
caeremoniarum, quae ad cultum Dei externum pertinent.« – Keckermann unterscheidet
dabei mit einer zeittypischen Dichotomie die herrscherlichen Rechte und Pflichten be-
züglich des äußeren und des inneren Gottesdienstes: Zwar habe er die Voraussetzungen
zu schaffen und zu erhalten, für die interna, also geistliche Fragen, sei er jedoch nicht
zuständig (ebd.): »Neque tantum Ecclesiam curet gubernando & iudicando, sed etiam
conseruando & defendendo.«
269
Ebd.: »Blasphemos, periuros, magos & artibus Diabolicae deditos, Princeps seu-
erißime puniat.«
270
Besold konvertierte spätestens 1635 zum katholischen Glauben und bekleidete
von da an bis zu seinem Tod eine Professur an der Universität Ingolstadt. Einen gut ge-
wichteten Überblick zu Leben und Werk mit neuerer Literatur bietet der Besold-Artikel
in Killy/Kühlmann, Bd. 1, 2008, S. 506 f.; Besolds kulturpolitische Ideen im Kontext der
frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur behandelt Kühlmann 1982, S. 322–340; zu Besolds
Stellung im politik- und rechtswissenschaftlichen Leben seiner Zeit vgl. Boehm 2000;
knapper, aber fundierter Überblick im Neuen Ueberweg 17/4, S. 659–663 (Horst Dreit-
zel); zum Juristen Besold vgl. Stolleis 1988, S. 119–122; theologisch-dissidentische Aspekte
bei Brecht 2000 u. Schmidt-Biggemann 2016.
271
Christoph Besold, Politicorum libri duo, Tübingen 1620 (zuerst 1618), S. 101: »Et
primum quidem, certum expeditumque esse videtur; Magistratum Civilem, custodem esse
Decalogi Tabulae utriusque. Vitia nempe morum, etiam contra primam Tabulam com-
missa; Blasphemiam puta, Magiam, Atheismum, Epicureismum, &c. quia prohibet pu-
nitque.« – Die identische Formulierung auch in dem mehrfach aufgelegten Extrakt der
Politicorum libri duo, der zuerst 1620 in Tübingen unter dem Titel Synopsis Doctrinae po-
liticae erschien (Zitat S. 11) und seit 2000 in neuer Übersetzung vorliegt (übers. v. Cajetan
Cosmann, hg. v. Laetitia Boehm, Frankfurt am Main 2000).
272
Bodin, Les six livres de la république, Paris 1583 (ND Aalen 1961), S. 655 f.; s.
dazu auch weiter oben.
273
Besold, Politicorum libri duo, S. 105: »Atheistas, hoc est omnium Religionum con-
temtores, directe vindictae Magistratus committimus. Quemadmodum enim ex omni
genere Reip[ublicae] morborum, deterius nullum est anarchia; ubi nemo imperat, nemo
paret: sic etiam nulla pestis Ecclesiae (& Reip[ublicae] pariter) gravior accidere potest, Nu-
minis carentia; quam Graeci Atheismum vocant […], ipsis Ethnicis etiam quae fuit exosa.«
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Der Atheist als Staatsfeind 109

keit rechtlicher und sozialer Bindungen abhänge. Besold nennt sowohl Treue
und Gehorsam der Untertanen gegenüber dem Fürsten und seinen Vertretern
als auch die Ehrfurcht der Kinder vor den Eltern, ferner die Liebe zum Nächs-
ten und in letzter Konsequenz sogar die Gerechtigkeit selbst.274 Die auch hier
in der Berufung auf den consensus gentium aufgehende Kluft zwischen natür-
licher Religion und christlichem Bekenntnis im Speziellen überbrückt Besold
mit der oft anzutreffenden Behauptung, dass die christliche Religion die Er-
fordernisse eines solchen ›fundamentum‹ in besonders idealer Weise erfülle.275
Das ist eine Kompromissformel, wie sie sich bis ins 18. Jahrhundert, etwa bei
Haller und Gellert, finden lassen wird. Darin ist jedoch keineswegs nur eine
diplomatische Floskel zu sehen, es steht dahinter oft genug eine tiefe persön-
liche Frömmigkeit. In diesem Zusammenhang verdient daher auch Besolds
Freundschaft zu Johann Valentin Andreae hervorgehoben zu werden, auf des-
sen Entwurf einer ›Christianopolis‹ er nachweislich Einfluss genommen hat.276
Bezeichnend ist weiterhin, dass er seinem Thesaurus Practicus (1629), einem
Rechtswörterbuch für den gelehrten Rat oder Verwaltungsbeamten, auch ei-
nen längeren Artikel über Atheisten einfügte.277
Einen späten Höhepunkt des politischen Aristotelismus und zugleich den
Übergang der deutschen Staatslehre in Richtung Naturrecht markiert der oft
als Polyhistor bezeichnete ostfriesische Mediziner und Begründer der deut-
schen Rechtsgeschichte Hermann Conring (1606–1681), einer der bedeutends-
ten Gelehrten des 17. Jahrhunderts.278 Hatte er schon als Professor der Medizin
in Helmstedt (seit 1637) politische Themen behandelt, bekleidete Conring ab
1650 dann auch zusätzlich eine Professur für Politik. Wie viele seiner Vorgän-
ger stellte er die Frage nach der politischen Bedeutung der Religion und der
gesellschaftlichen Gefahr des Unglaubens im Rahmen von staatskirchenrecht-
lichen Überlegungen zu den Rechten und Pflichten der weltlich-politischen
Herrschaft in geistlichen Angelegenheiten (ius circa sacra), so etwa in der 1645
gedruckten Disputation Exercitatio de maiestatis civilis autoritate circa sacra.

274
Ebd., S. 557.
275
Ebd., S. 561: »Nullus autem Dei cultus unquam extiterit, optimae qui Politiae me-
lius conveniat, quam Religio Christianorum: nulla quippenam est, quae subditorum ani-
mos & conscientias, cunctis qui imperitant, jurisdictionemque exercent, magis devinciat,
& obedientes reddat; quae etiam eosdem in pace & quiete, sine rebellione aut defectione,
commodius & facilius conservet.«
276
Vgl. dazu ausführlich Kühlmann 1996 u. 2017 sowie Schmidt-Biggemann 2016.
277
Eine Studie von mir zur lexikografischen Verarbeitung des Unglaubens um 1600
ist in Vorbereitung.
278
Zu Conring als Staatsdenker vgl. den kenntnisreichen Abriss von Willoweit 1987
(31995) und die Beiträge in Stolleis 1983; zum Verhältnis von Staat und Kirche bei Conring
vgl. vor allem Dreitzel 1995; Überblick zu Leben, Werk und Conringforschung: Killy/
Kühlmann, Bd. 2, 2008, S. 471–474 (Herbert Jaumann); zu Conrings Reichspublizistik vgl.
Stolleis 1988, S. 231–233, sowie Ottmann 2006, S. 389–391; Conring im Horizont der ge-
lehrten Kommunikation der Epoche behandelt Fasolt 2001.
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110 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Mehr als die zuvor genannten Autoren bezieht er jedoch dabei das Naturrecht
in seine Überlegungen ein.279
In dieser Schrift setzt sich Conring vor, die Frage der obrigkeitlichen Be-
fugnisse circa sacra allein im Hinblick auf den möglichen (aber nicht notwen-
digen) Staatszweck der felicitas zu erörtern (§ 2–4). Conring beruft sich dazu
noch auf Aristoteles (§§ 3 u. 7 f.), den »summus philosophus« (§ 8). Soweit die
Religion dazu beitrage, sei sie auch Sache der Obrigkeit und wie jede andere ge-
sellschaftliche Tugend zu behandeln. Abweichungen seien zu unterbinden oder
zu bestrafen. Genau hier hat nun die Erläuterung anzusetzen, in welcher Weise
die Religion auf die beatitudo oder felicitas civitatis Einfluss nimmt.280 Sie tut es
Conring zufolge bereits in dem fundamentalen Sinn, dass sie das geordnete ge-
sellschaftliche Zusammenleben von Menschen überhaupt erst möglich mache.281
Soweit aber die Religion auf die Glückseligkeit der Bürger einwirke, auch wenn
darin nicht ihr Hauptzweck liege, stehe sie auf einer Stufe mit anderen bürgerli-
chen Tugenden und falle damit auch in den Aufgabenbereich der majestas civilis
(§§ 59 f.). Abgesehen von dieser umsichtigen Begründung entspricht Conrings
Argumentation hinsichtlich der staatstragenden Bedeutung der Religion und ih-
rer Verteidigung gegen Angriffe den schon bekannten Konzeptionen der älteren
Staatslehre.282 Ohne die Vorstellung einer göttlichen Instanz (»aliquod numen«),
heißt es später etwas genauer, die mit Freude oder Zorn auf die menschlichen
Taten reagiere, könne es zwischen den Menschen keine Gerechtigkeit geben
(§ 61). Sofern auf diese Weise die Notwendigkeit von (natürlicher) Religion und

279
Hermann Conring (praes.), Martin von Heimburg (resp.), Exercitatio politica de
majestatis civilis autoritate et officio circa sacra, Helmstedt 1645 (unpag.). – Im Folgenden
mit Angabe der Paragrafenzählung (§) durch arabische (statt wie im Text römische) Ziffern
im laufenden Text vermerkt.
280
Conring wägt hier sorgfältig, mit offenkundiger Sensibilität für die möglichen
Fallstricke, das Verhältnis von ewiger und zeitlicher Glückseligkeit ab. Mit der Feststel-
lung, dass die christliche Religion nicht dazu gedacht sei, das irdische Heil zu befördern,
distanziert er sich selbst von dem möglichen Vorwurf des Pelagianismus: »Si illa itaque ad-
ditamenta primaevae & naturaliter cognitae religionis spectes, merito dixeris, Christianam
religionem, ad felicitatem aeternae, non hujus vitae consequendam per se & proprie face-
re.« (§ 14) – Diese Vorsichtsmaßnahme wird wenig später auch der Conring-Schüler Da-
niel Clasen in der Schrift De religione politica (1655) treffen ( II.2.2). – Conring wendet
den Vorwurf überdies gegen katholische Autoren wie Possevino und Bellarmino (§ 14).
281
»Etiam id manifestum est, absque tali firma persuasione, adeoque absque eius-
modi saltem cultu, societatem humanam nullam posse subsistere.« (§ 11) – Im gleichen
Abschnitt versammelt Conring auf engem Raum mehrere der schon zuvor, bei Lipsius
oder Assonville verwendeten loci classici von Platon über Aristoteles und Cicero bis zu
Plutarch und Laktanz.
282
Geradezu obligatorisch ist dabei die Abgrenzung von Machiavelli, die Conring
an verschiedenen Stellen vornimmt (§§ 71, 73 u. 81). Die Kritik fällt aber noch milde aus.
Machiavellis Fehler, so Conring, habe darin bestanden, auch einer ›heidnischen‹ Religion
die staatserhaltende Wirkung zuzutrauen, die allein der natürlichen Religion vorbehalten
sei (§ 81).
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Der Atheist als Staatsfeind 111

Gottesdienst für das Wohlergehen des Staates erwiesen ist,283 lässt sich daraus die
Berechtigung der Obrigkeit ableiten, abweichende Meinungen oder Behauptun-
gen nicht zu dulden:

Hinc consequens vero est, hactenus sane religionem atque cultum divinum rem esse
societatem civili summe necessariam. Itaque & maiestas civilis omnino saltem hacte-
nus debet religionem suis civibus imperare, neque permittere, ut quisquam secus te-
mere sentiat, aut disserat. Qua in re habemus consentientes omnes respublicas, quot-
quot unquam fuerunt. (§ 62)

Der wiederholt (§§ 11, 61 u. 63) an einer Reihe von Klassikerzitaten von Pla-
ton bis Plutarch demonstrierte consensus gentium steht bei Conring nicht
mehr nur für die auctoritas veterum; aus ihm lässt sich vielmehr die Gültigkeit
des Gesagten als Forderung des Naturrechts selbst erschließen.284 Um diese
Argumentation auch theologisch abzusichern, greift Conring wie schon viele
Autoren vor ihm auf die Sätze der natürlichen Religion zurück, die er schon
zu Beginn der Abhandlung eingeführt hatte.285 Einmal mehr zeigt sich nun die
Dialektik der zeitgenössischen Toleranzkonzeptionen: Während nämlich un-
ter dem Konzept der natürlichen Religion sowohl Judentum (§ 87) als auch
Islam (§ 89) begriffen werden können, was sie für Conring dem obrigkeitli-
chen Schutz anempfiehlt, ist für ihn jede Meinung, die der natürlichen Reli-
gion zuwiderlaufe, aus einem intakten Gemeinwesen zu tilgen (»ex bona civi-
tate eliminanda est« [§ 68]). Dazu gehören für Conring, wie nach den vorigen
Ausführungen zu erwarten ist, in erster Linie der Unglaube (impietas) oder
Atheismus.286
Abschließend wird noch mal die Fundierung dieser staatskirchenrechtli-
chen Überlegungen im natürlichen Recht selbst bekräftigt (§ 69): »Hactenus
curare religionem officium est majestatis civilis ex ipso Jure naturae proficis-
cens.« Auch wenn Conring methodisch und von seiner wissenschaftlichen
Sozialisation her noch fest auf dem Boden der späthumanistischen Gelehrten-
kultur steht (dabei allerdings schon Öffnungen in Richtung Eklektik zeigt),
hat er das Naturrechtssystem von Grotius sehr geschätzt. Im Text selbst wird
Grotius mehrfach zustimmend zitiert (§§ 8, 42, 70 u. 91).287 Conring steht inso-
fern schon an der Schwelle einer Zeitenwende, die seit der Mitte des 17. Jahr-

283
Später im Text spricht Conring tatsächlich von der »necessitate religionis naturalis
ad beatam rempublicam« (§ 74).
284
»Quod natura autem suadet, etiam suadet autor naturae Deus.« (§ 59)
285
»Ad illam vero naturalem (uti ita dixerim) religionem, multa adjecit ipse Deus Op.
Maximus […].« (§ 13)
286
Conring verwendet den bei den Kirchenvätern vorfindlichen griechischen Aus-
druck ἀθεότης (§ 68).
287
Geradezu emphatisch in folgender Äußerung: »De quibus vide egregie disseren-
tem Hugonem Grotium de jure pac. & belli lib. 1. cap. 4. n. 8 & 9.« (§ 8) – Vom »unver-
gleichlichen Werk« (»operis incomparabilis«) spricht Conring später mit Blick auf De iure
belli ac pacis.
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112 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

hunderts auch in Deutschland eine Umstellung auf das ›natürliche System‹


(Dilthey) mit sich brachte. Wie jedoch die hier zu verfolgende Lehre von der
gesellschaftlich-politischen Notwendigkeit der Religion diese Schwelle mühe-
los überquerte und auch im ansonsten weitgehend verweltlichten System des
Natur- und Vernunftrechts fortexistierte, soll abschließend kurz an einigen
bedeutenden Vertretern von Grotius bis Pufendorf nachgezeichnet werden.
Diese Linie wird später bei Autoren wie Thomasius, Gundling und Wolff wei-
ter zu verfolgen sein ( V.2–V.4).

3.5 Etiamsi daremus?


Die Rolle der natürlichen Religion und die Rechtsstellung des
Atheismus im älteren Naturrecht (Grotius, Hobbes, Pufendorf)

Für die schon in der älteren Staatslehre umkreiste Aufgabenstellung, ein fried-
liches Neben- und Miteinander der christlichen Bekenntnisse staatstheoretisch
und rechtlich-praktisch zu organisieren und dabei zugleich überkonfessionell
gültige Maßstäbe für politisches und sogar individuell-moralisches Handeln
zu entwickeln, wird gemeinhin das Naturrecht als die problemgeschichtlich
›fällige‹ Lösung angesehen.288 Es wird daher seit jeher als Schrittmacher der
Säkularisierung und somit als entscheidender Meilenstein auf dem Weg zur
Aufklärung angesehen.289 Auch wenn dieser ideengeschichtliche Befund nicht
grundsätzlich infrage zu stellen ist, bedarf er doch nötiger Differenzierung,
um verbreitete Missverständnisse zu vermeiden. Keineswegs sind die Ver-
weltlichung des Staatszwecks und die Konzeption einer säkularen Normbe-
gründung – wo sie wirklich einmal vorkommt – mit einer generellen Dechris-
tianisierung oder kompletten Verweltlichung des Welt- und Menschenbildes
einerseits, des sozialen Lebens andererseits gleichzusetzen.290 Die Haltung
gegenüber dem Atheismus stellt dabei einen geeigneten Prüfstein dar.291 Wie
schon mehr als einmal betont wurde, dienten die abstrakten, zunehmend phi-
losophisch begründeten Konzeptionen einer natürlichen Religion wie auch
eines natürlichen Rechts in erster Linie dem Zweck, eine konfessionsneutrale
Grundlage für die Koexistenz mehrerer christlicher Bekenntnisse zu schaffen,
um Religionskriege, wie man sie über viele Jahrzehnte erlebt hatte, zukünftig

288
So unlängst noch bei Glinka 2012.
289
Vgl. die Hinweise bei Lutterbeck 2002, S. 40 f.
290
Das ist vor allem von rechtsgeschichtlicher Seite immer wieder betont wor-
den. Vgl. bereits, stellvertretend für viele andere, im Standardwerk von Wieacker 21967,
S. 265 f.; ganz ähnlich, Link 1981, S. 857–859. – Weitere Hinweise zur Forschung weiter
unten in den Abschnitten zu den einzelnen Autoren.
291
Diesen Ansatzpunkt hat Dieter Hüning in seiner herausragenden Untersuchung
zur »Rechtsstellung der Atheisten im Naturrecht« (Hüning 2002) genutzt (S. 219): »Das
Faktum, daß die meisten Naturrechtstheoretiker des 17. und des frühen 18. Jahrhunderts
von der Strafbarkeit des Atheismus ausgingen, kontrastiert in auffälliger Weise mit der viel
diskutierten Säkularisierungstendenz der neuzeitlichen Naturrechtslehre.«
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Der Atheist als Staatsfeind 113

zu verhindern. Zu wenig wird in weiten Teilen der Forschung der Umstand


gewürdigt, dass die Entwicklung säkularer Rechtsnormen und Staatszweck-
lehren den Schutz und Fortbestand der christlichen Religion im Auge hatten,
jenseits des obrigkeitlichen Gewissens- oder Bekenntniszwangs.292
Dieser Schutz richtete sich nun zwar nicht mehr gegen die Häretiker im je-
weils anderen konfessionellen Lager, dafür aber nachdrücklich gegen alle ideo-
logischen Kräfte, die der Gültigkeit der natürlichen Religion zuwiderliefen.
Das waren, wie im letzten Kapitel mehrfach aufgezeigt wurde, in erster Linie
die beiden ›extremen‹ Abweichungen vom Mittelweg der natürlichen bzw. all-
gemein christlichen Religion, nämlich Aberglaube und Unglaube. Sie hatten,
überspitzt gesagt, den Preis für die zunehmende Aufhebung des Bekenntnis-
und Gewissenszwangs zu zahlen, nicht zuletzt, indem sie als komplementäre
Feindbilder eingesetzt wurden, wo vorher Ketzer, ›Papisten‹ oder auch Juden
und Muslime gestanden hatten.293 Die unter Berufung auf Plutarch (De super-
stitione) immer wieder aufgeworfene Frage, ob nun Aberglaube oder Atheis-
mus die größere Gefahr für den Staat darstelle, wurde von verschiedenen Den-
kern nach verschiedenen Seiten hin aufgelöst.294 Bekanntlich hat neben Pierre
Bayle ( IV.2) vor allem Christian Thomasius für die erste Meinung plädiert,
ohne dass er damit den Atheismus von jeder Bedrohlichkeit für Staat und Indi-
viduum freigesprochen hätte ( V.2.5). Das kann allerdings weder zur commu-
nis opinio der deutschen Naturrechtslehre noch zu einem ideengeschichtlichen
Endpunkt erklärt werden, hinter welchem abweichende Meinungen nur noch
von orthodoxen Reaktionären vertreten worden wären. Denn nicht nur äu-
ßerte sich Thomasius, wie noch zu zeigen sein wird, durchaus widersprüchlich
zum Thema; vielmehr votierten gerade im Horizont der Bayle-Debatte und
des aufkommenden britischen Deismus zahlreiche Gelehrte für die größere
Gefährlichkeit des Atheismus.
Diese Sichtweise war durch das Naturrecht, ganz besonders in der Form,
die Pufendorf ihm gegeben hatte, bestens abgesichert. Dabei erfolgte die Be-
gründung auf zwei Ebenen, einer grundsätzlich-axiomatischen und einer em-
pirisch-pragmatischen, wie wir sie aus den älteren Politiklehren kennen. Für
die Letztere kann exemplarisch noch John Locke stehen, der in seiner Epistola
de tolerantia (1689), bekannter unter dem englischen Titel A Letter Concer-

292
In wünschenswerter Pointierung: »Die Freiheit des Religiösen wurde – paradox,
doch konsequent – durch die Säkularisierung des Rechts gesichert. Sie bot den besten
Schutz vor dem fremdkonfessionellen Übergriff.« Heckel 1981, S. 898; ebd., S. 873 f., auch
kritische Bemerkungen zum oftmals fehlerhaften Gebrauch des Säkularisierungsbegriffs,
im Anschluss an die bekannte Kritik Hans Blumenbergs.
293
Für das 17. Jahrhundert hat Thomasius diese Feindbilddynamik wohl am tref-
fendsten analysiert und beschrieben, s. dazu weiter unten, Kap. IV.1.
294
Plutarch, De Superstitione 2 (Moralia 165B); gut zugänglich in der Edition von
Herwig Görgemanns: Plutarch, Drei religionsphilosophische Schriften, Düsseldorf/Zürich
2003 (Sammlung Tusculum), S. 10; vgl. auch den Kommentar ebd., S. 311–316; Plutarchs
These ist präzise analysiert und kontextualisiert bei Pott 1992, S. 33–38.
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114 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

ning Toleration, bekanntlich die Ausweisung von Atheisten empfahl, weil sie
sich nicht an Versprechen und Eide halten würden.295 Da die »Rechtsstellung
der Atheisten im Naturrecht« (D. Hüning) als vergleichsweise gut erforscht
gelten kann, beschränkt sich die folgende Darstellung auf einige ausgewählte
Beispiele, an denen sich die Kontinuität der hier skizzierten Zusammenhänge
vom 17. ins 18. Jahrhundert und von der europäischen zur deutschen Natur-
rechtsdebatte demonstrieren lässt. Zu einem späteren Zeitpunkt wird diese Li-
nie am Doppelgestirn der deutschen Frühaufklärung, Thomasius und Wolff,
weiter zu verfolgen sein.
Die Neuformung und Durchsetzung des ius naturae als Grundlage nicht
nur des Staats- und Völkerrechts, sondern generell einer »säkularen Moralwis-
senschaft« (B. Ludwig) ist untrennbar mit dem Namen Hugo Grotius verbun-
den.296 Das ist für unseren Zusammenhang auch deswegen von Interesse, weil

295
John Locke, A letter concerning toleration, London 1689, S. 48: »Lastly, Those are
not at all to be tolerated who deny the Being of a God. Promises, Covenants, and Oaths,
which are the Bonds of Humane Society, can have no hold upon an Atheist. The taking
away of God, tho but even in thought, dissolves all. Besides also, those that by their Athe-
ism undermine and destroy all Religion, can have no pretence of Religion whereupon to
challenge the Privilege of a Toleration.« Vgl. dazu, im breiten epochalen Kontext, Link
1979, S. 297–301; Dreitzel 1995, S. 16; zu Lockes Toleranzkonzeption vgl. Gawlick 2006,
dort bes. S. 198 (zur Ausweisung von Atheisten). – Das Problem der Eide durchzieht die
staatstheoretische Beschäftigung mit dem Atheismus, weitere Beispiele im Verlauf des Ka-
pitels. Noch 1715 wurde diese zentrale Frage zum Gegenstand einer akademischen Dis-
sertation. Johann Michael Hallwachs, Biga quaestionum: de iuramento athei et religionis,
Von Atheisten- und Religions-Eyden, dissertationibus academicis ventilata, Jena 1715; s.
dazu weiter unten Kap. V.6.1.
296
Aus der immensen Fülle von Studien und Handbuchartikeln zu Grotius sei
verwiesen auf die Grotius-Kapitel bei Wieacker 21967, S. 287–301 (schon dort, S. 187,
Anm. 26, die Klage angesichts der »unüberschaubaren Grotiusliteratur«), Ottmann 2006,
S. 121–129 (mehr zum Völkerrecht), sowie – kompakt – Stolleis 1988, S. 278–280; gute
Überblicksartikel bei Wolf 41963, S. 251–310; Hoenderdaal 1983; exzellent: Neuer Ue-
berweg 17/2, 1993, S. 91–111 (Hans-Peter Schneider); zur Normbegründung bei Grotius
zwischen Theonomie und Säkularität vgl. ausführlich Grunert 2000, S. 63–151; besonders
entschieden zur Säkularisierungsthese: Ludwig 2000, S. 7–16; zum Verhältnis von Kirche
und Staat bei Grotius vgl., auf hohem Niveau, Link 2009; weitere Hinweise im Folgen-
den. – Dass Grotius gelegentlich mit etwas zu großer Verve als Matador einer konsequent
säkularen Rechtsauffassung gefeiert wurde, hängt mit der berühmten Etiamsi daremus-
Formel aus den Prolegomena des Ius belli ac pacis (§ 11) zusammen, die er bereits in der
Spätscholastik vorfand. Darüber ist mehr als genug gesagt worden, als Beweis für eine Sä-
kularisierung des Rechts dürfte es wohl nicht ausreichen. Vgl. dazu bereits Wieacker 21967,
S. 266, Anm. 72; ausführlich Hervada 1983; im Rahmen der Atheismusdebatte Schröder
1998, S. 162 f.; ferner Hüning 2002, S. 239; Lutterbeck 2002, S. 40 f.; souverän: Link 2009,
S. 348 f. – Sehr hübsch ist ein Erklärungsversuch (genauer: eine Verhaltensanweisung für
Diskussionen über diese heikle Frage) aus dem frühen 18. Jahrhundert, der hier zitiert
zu werden verdient. Grotius habe an dieser Stelle schlicht »geschlafen«: »Nota jam est
Grotii doctrina: Jus naturae obligare, etiam, si Deus non existat. Resp. Bonum Grotium
hic dormitasse vel potius a Scholasticis fuisse seductum, modernis juris naturae cultori-
bus observatum est.« Biermann, Samuel [od. Beermann, Sigismund?], Impietas atheistica
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Der Atheist als Staatsfeind 115

sich Grotius mit seiner Schrift De veritate Religionis Christianae (1627 u. ö.),
entstanden zuerst als niederländisches Lehrgedicht (Bewijs van den waaren
godsdienst) im Gefängnis von Loevestein, zugleich an die Spitze der christ-
lichen Apologetik setzte.297 Wenn dieser Sachverhalt allein schon den Befund
der Säkularisierung eigenartig konterkariert, so bestätigt sich in Grotius’ Na-
turrechtslehre, was schon bei den Vertretern einer verweltlichten Staatszweck-
lehre zu erkennen war: Gerade der Versuch, die Begründbarkeit rechtlicher
und politischer Normen von der Bibel und vom konfessionellen Bekenntnis
zu lösen und stattdessen an das philosophische Konzept der natürlichen Re-
ligion anzuschließen, mündet in die Forderung nach Ausgrenzung von Athe-
isten, weil sie sich mit der Ablehnung jedweder Religion auch außerhalb der
natürlichen Rechtsordnung stellen.
In seinem naturrechtlichen Hauptwerk, den De iure belli ac pacis libri tres
von 1625, stellt Grotius die Frage nach dem juristischen Umgang mit dem Un-
glauben im Kapitel über die Strafen, wenn nämlich die Frage erörtert wird, wie
mit Delikten umzugehen sei, die sich gegen Gott richten. Die auch bei Grotius
schon vorgenommene Trennung von göttlichem und natürlichem Recht legt
zwar die Antwort nahe, dass die zivile Rechtsprechung in religiösen Angele-
genheiten keine Befugnis habe. Grotius argumentiert aber, wie wir es schon in
den älteren Staatslehren gesehen haben, mit der gesellschaftlichen Bedeutung
der Religion: »Religio autem quanquam per se ad conciliandam Dei gratiam
valet, habet tamen & suos in societate humana effectus maximos.«298 Wie bei
Tholosanus, Lipsius und anderen schon genannten Autoren wird diese Be-
hauptung vorerst nicht systematisch deduziert, sondern mit einer Reihe von
Klassikerzitaten abgestützt. Neben dem oft zitierten Plutarchwort vom »co-
agulum omnis societatis« führt er Platon und Philo von Alexandrien an, um die
Religion in ihrer Funktion als »honestae disciplinae vinculum« zu erweisen.299
Die Berufung auf den consensus gentium signalisiert bereits, dass mit dem
hier angelegten Religionsbegriff der engere Rahmen der christlichen Kon-
fessionen verlassen ist.300 Und in der Tat entwickelt Grotius im Weiteren die

scoptico-sceptica, detecta et confutata. Cum praefatione Adami Rechenbergii […]. Leipzig


1717 [Die Ausgabe von 1720 hat als Autor Sigismund Beermann!], S. 135.
297
Grotius ist als Theologe und Apologet weitaus besser erforscht als Duplessis-
Mornay; vgl. bes. die kirchengeschichtliche Dissertation von Mühlegger 2007, dort auch
den ausführlichen Forschungsbericht (S. 6–51 zum Theologen Grotius sowie S. 51–82 zu
dessen Irenik); zur apologetischen Schrift De veritate Religionis Christianae vgl. grundle-
gend Heering 2004, dort (S. 1–46) auch ausführlich zur komplizierten Editionsgeschichte;
äußerst knapp: Neuer Ueberweg 17/2 (wie letzte Anm.), S. 100.
298
Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, Paris 1625, S. 438.
299
Ebd. – Das Zitat bereits bei Assonville, Lipsius und Conring (s. o.).
300
Grotius sympathisierte bekanntlich mit dem Arminianismus, der von den nie-
derländischen Calvinisten – allen voran der schon genannte Gisbert Voetius – erbittert be-
kämpft wurde und zur Zeit der Veröffentlichung von De iure belli ac pacis noch verboten
war. Die überkonfessionelle, an den Kennzeichen der natürlichen Religion orientierte, da-
rüber hinaus die praktische Frömmigkeit betonende Lehre des Arminianismus ist auf die
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116 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

für jeden Menschen erkennbaren Merkmale (›notiones‹ oder ›notitiae‹) einer


›wahren Religion‹, in denen sich unschwer die Elemente der natürlichen Theo-
logie ausmachen lassen, wie sie zur gleichen Zeit der mit Grotius befreundete
Herbert von Cherbury, der Urvater des britischen Deismus, in eine religions-
philosophische Form brachte.301 Im Gegensatz zu Herberts fünf notitiae com-
munes zählt Grotius nur vier Merkmale auf, die er als überzeitlich (»omnium
aetatum communis«) vorstellt und auch schon in den zehn Geboten ausge-
führt glaubt.302 Aus diesen mehr theoretischen, nach innen gerichteten Vor-
stellungen lassen sich Grotius zufolge auch praktische Forderungen ableiten,
nämlich Gott zu ehren, zu lieben, anzubeten und ihm zu gehorchen.303 Da nun
aber diese Gebote, wie die Erkenntnis der vier notiones, jedem Menschen zu-
gänglich sind – den geistig oder methodisch Minderbemittelten steht eben da-
für der Konsens »per omnes terras« zur Verfügung –, ist ihre Ausübung nicht
fakultativ. Wer sie zurückweist, so Grotius, lädt damit eine Schuld auf sich
(»non vacant culpa«).304
Die Anwendung ziviler Strafen auf einen bis hierher noch geistlichen Sach-
verhalt erfordert abschließend noch eine präzisere Fassung des Unglaubens.305
Dazu schränkt Grotius die natürliche Religion auf die zwei Sätze ein, die not-
wendig (»necessariae«) zu jeder Religion gehören würden: die Annahme der
Existenz Gottes und seine Anteilnahme an den menschlichen Handlungen
(»curari ab eo res hominum«).306 Dabei sei es vor allem die Vorstellung, dass
sich Gott um die menschlichen Angelegenheiten kümmere (»a Deo curari res
humanas«) und sie mit Belohnungen oder Strafen vergelte, die für das gesell-
schaftliche Zusammenleben von Bedeutung sei. Denn sie bilde die notwendige

Konzeption der natürlichen Religion nicht ohne Einfluss geblieben. – Am stärksten zeigte
sich Grotius jedoch, wie J. P. Heering gezeigt hat, von Mornay beeinflusst (vgl. Heering
2004, S. 95–116 u. 137–155).
301
Vgl. Frank 2003, S. 224–236 (dort auch zu Grotius).
302
Grotius, De iure belli ac pacis, S. 439: »Vt rem totam penitius introspiciamus,
notandum est religionem veram quae omnium aetatum communis est quatuor praecipue
pronuntiatis niti, quorum primum est Deum esse & esse vnum, Secundum Deum nihil
esse eorum quae videntur, sed his aliquid sublimius: tertium a Deo curari res humanas, &
aequissimis arbitriis diiudicari: quartum eundem Deum opificem esse rerum omnium extra
se: quo simul summa eius bonitas ac potentia indicantur. Haec quatuor totidem decalogi
praeceptis explicantur.«
303
Ebd.: »Ex his autem notionibus contemplatiuis sequuntur actiuae, vt Deum ho-
norandum, amandum, colendum, eique obtemperandum.« – Die Dichotomie von notitia
contemplativa und activa ist im Kern aristotelisch (als vita contemplativa), in dieser Be-
griffsprägung aber in der mittelalterlichen Scholastik verwurzelt, etwa bei Albertus Ma-
gnus (Summa theol. I, 35, 2) und Thomas von Aquin; vgl. den Artikel Kontemplation im
HWbPh, Bd. 4, 1976, Sp. 1024–1026 (Ludwig Kerstiens).
304
Grotius, De iure belli ac pacis, S. 440 f. – Bei Pufendorf wird diese Klausel ganz
ähnlich wiederkehren (s. u.).
305
Ebd., S. 441: »Sed quia de poenis & quidem humanis agimus, discrimen hic adhi-
bendum est inter notiones ipsas & intermodum ab iis discedendi.«
306
Ebd.
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Der Atheist als Staatsfeind 117

Voraussetzung für das Schwören von Eiden (»iurisiurandi fundamentum«).307


Sie zu bestreiten, habe daher hinsichtlich der moralischen Folgen die gleiche
Auswirkung wie die Leugnung der göttlichen Existenz selbst.308 Atheismus
und Deismus, um es mit den modernen Begriffen zu sagen, müssen gleicher-
maßen als Unglaube angesehen werden. Diese Sichtweise teilt Grotius mit
Mersenne ( I.4.2) und anderen Autoren der Zeit, sie entspricht dem weiten
Begriffsumfang von ›Atheismus‹ im 17. Jahrhundert. Aus der moralischen
Wirkung auf das Gemeinwesen ergibt sich die Berechtigung, beide Haltungen
»im Namen der menschlichen Gesellschaft« (»nomine humanae societatis«)
obrigkeitlich zu maßregeln. Grotius, der zu diesem Zeitpunkt ja selbst einer
verfolgten religiösen Minderheit angehörte, äußert sich vergleichsweise zu-
rückhaltend und schickt neben Äußerungen Xenophons und Ciceros zunächst
einen entsprechenden Hinweis auf das Schicksal des Proto-Atheisten Diagoras
voran, als Nachweis für einen historisch belegbaren Usus (»in bene constitutis
ciuitatibus coerceri solent«). Gleichwohl ist seine abschließende Zustimmung
zu Zwangsmaßnahmen unmissverständlich. Er befürwortet die Möglichkeit,
Angriffe auf die notwendigen Sätze der natürlichen Religion unter Strafe zu
stellen (»coerceri posse arbitror«).309
Während von Grotius, der ja fast zeitgleich als Apologet für die christli-
che Religion hervortrat, eigentlich kein anders Urteil zu erwarten war – die
vielfach behauptete ›Enttheologisierung des Naturrechts‹ (Grunert)310 äußert
sich hier wohl darin, dass die Bestrafung der Atheisten mit weltlichen Argu-
menten begründet wird –, hat die Behandlung des Atheismus durch Thomas
Hobbes von jeher den Interpreten Rätsel aufgegeben, die ihn als Pionier einer
konsequent säkularisierten Staatszwecklehre in Verbindung mit einer materi-
alistischen Anthropologie verstehen wollten.311 Dass Hobbes bei seinen briti-
schen Zeitgenossen312 und bald darauf auch bei zahlreichen deutschen Auto-

307
Ebd., S. 440: »Tertio praecepto cognitio & cura rerum humanarum, etiam cogi-
tationum: nam id iurisiurandi fundamentum est.« – Zum Eidargument später auch John
Locke an der oben (Anm. 295) angegebenen Stelle.
308
Ebd., S. 441: »Et reuera negare Deum esse aut negare a Deo curari actiones huma-
nas, si moralem effectum respicimus, tantundem valet.«
309
Ebd., S. 442.
310
Vgl. Grunert 2000, S. 63 u. ö.
311
Vgl. dazu und zum Folgenden die mustergültige Analyse von Hüning 2002,
S. 222–226; ferner Link 1979, pass. (Register); umfassend: Glinka 2012, S. 175–199.
312
Vgl. Willms 1970, S. 176 f.; Kodalle 1972, S. 128, Anm. 99; zu Hobbes’ englischen
Kritikern vgl. Schneider 1967, S. 159–194, der zeigt, wie sich u. a. aus der Kritik an Hobbes
ein christliches Naturrecht formte; grundlegend Mintz 1962, bes. S. 39–62 (zum Atheis-
musvorwurf); ferner Bowle 21969, bes. S. 13–39; kurz auch Hüning 2002, S. 22 mit Litera-
turhinweisen; vgl. endlich Champion 2012 zum Heterodoxievorwurf gegen Hobbes und
dessen Reaktion darauf.
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118 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

ren313 als ruchloser Atheist verschrien war,314 scheint diesen Widerspruch


noch zu vertiefen.315 Dabei war es nicht zuletzt die Art, wie Hobbes die Straf-
barkeit des Atheismus zu begründen versuchte, die ihm, etwa von Pufendorf
(s. u.), als Verharmlosung des Unglaubens und als Respektlosigkeit gegen-
über der göttlichen Allmacht vorgeworfen wurde. Hobbes zufolge seien die
Atheisten nicht als Verbrecher, sondern als Feinde, also nach dem Kriegs-
recht zu bestrafen.316
Was für den heutigen Betrachter drakonisch genug klingt, enthielt für die
christlichen Zeitgenossen eine Provokation. Das Kriegsrecht wird von Hob-
bes nämlich deswegen bemüht, weil für ihn die negatio Dei keine Straftat im
Sinne des natürlichen oder göttlichen Rechts darstellt – schließlich habe sich
der Atheist keinem göttlichen Willen unterworfen. Obgleich also der Unglau-
be, wie Hobbes betont, als »opinio erronea et nefaria« anzusehen und als »pec-
catum maximum damnissimumque« eigentlich unentschuldbar sei, könne es
formal rechtlich nur als »peccatum imprudentiae sive ignorantiae« gefasst wer-
den.317 In der zweiten Auflage von De Cive (1646) rechtfertigt Hobbes seine
methodische Entscheidung. Vermutlich gegen die inzwischen erfolgte harsche
Kritik bezeichnet er sich als entschiedenen Feind des Atheismus (»inimicus
sum«); er habe daher lange nach einer möglichen Grundlage für dessen Verur-
teilung gesucht, dabei aber nur das Kriegsrecht gefunden. Der Atheist sei als
Feind Gottes anzusehen. Als Beleg stützt sich Hobbes überraschenderweise
auf einen Text, den wir im Rahmen des Unglaubensdiskurses schon öfter an-
getroffen haben ( I.1) – den 14. Psalm:

Ego vero ita Atheis inimicus sum, ut legem aliquam juxta quam condemnare eos
injustitiae possem, & diligentissime quaesiverim & vehementer cupiverim; sed cum
nullam invenerim, quaesivi proxime, quo nomine, tantopere Deo exosi, homines ab
ipso appellarentur. Deus autem de Atheo sic loquitur. Dixit insipiens in corde suo: non
est Deus. Itaque peccatum eorum in eo genere collocavi, in quod genus ab ipso Deo

313
Zur Hobbesrezeption in der deutschen Frühaufklärung vgl. Dreitzel 2003, bes.
S. 263–266 (zum Atheismusvorwurf); theologische Angriffe auf Hobbes’ vermeintlichen
Atheismus bei Barth 1971, S. 50–52, 139 f., 194 f. et pass. (Register).
314
Genau deswegen hat ihm Gundling eine Verteidigung gewidmet; dazu ausführ-
lich weiter unten, Kap. IV.3.2.
315
Diese Meinung hat sich bis in die Forschung der Gegenwart hinein gehalten; vgl.
exemplarisch Tuck 2003; anders bereits Willms 1970, S. 176 u. 184 (»Hobbes war Christ.«).
316
»Ebenfalls gehören weder Atheisten dazu, noch Leute, die nicht glauben, daß
Gott sich um die Handlungen der Menschheit kümmert, weil sie kein Wort als göttlich
anerkennen, noch von ihm Belohnung erhoffen oder sich vor seinen Drohungen fürchten.
Deshalb sind alle, die an einen Gott glauben, der die Welt regiert, der Menschheit Vor-
schriften gegeben und Strafen über sie verhängt hat, Untertanen Gottes, und alle übrigen
sind als Feinde anzusehen.« Thomas Hobbes, Leviathan, übers. v. Walter Euchner, hg. u.
eingeleitet v. Iring Fetscher, Neuwied u. Berlin 1962, S. 271 f.
317
Zit. n. Hüning 2002, S. 223, dessen Ausführungen hier ohne Einschränkung ge-
folgt werden kann.
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Der Atheist als Staatsfeind 119

relatum fuerat. Deinde Atheos hostes Dei esse ostendo; Nomen autem hostis, quam
injusti, aliquando atrocius esse puto.318

Zu dieser sehr grundsätzlichen Herangehensweise tritt allerdings auch bei


Hobbes der Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Praxis. Wie Grotius vor ihm
sieht er den Atheisten als Gefahr für die in jeder Gesellschaft zu schützende
Bündnis- und Vertragstreue an. In einem ab der zweiten Auflage des Levia-
than (1666) ergänzten dialogisch abgefassten Appendix über die Ketzerei (De
haeresi) stimmt er deshalb der Anwendung schärfster (»gravissime«) Strafen
(etwa Verbannung)319 gegen den offenen Atheismus zu, allerdings unter der
Bedingung eines ordentlichen Gerichtsverfahrens. Interessant ist überdies, vor
dem Hintergrund der vagen Begriffsverwendung in weiten Teilen der Apolo-
getik, die scharfe Definition des Atheismus und die Zurückweisung einer un-
lauteren Überführungshermeneutik, wie sie 1639 durch Gisbert Voetius’ Dis-
putationsreihe De atheismo ( I.5) terminologische Gestalt gewonnen hatte.
Die Formulierungen (bes. ›directe‹ und ›consequentia‹) deuten darauf hin, dass
Hobbes sich hier – wohl auch als Reaktion auf die Angriffe gegen ihn selbst –
von der durch Voetius inaugurierten Denunziationsmethodik distanziert:

A. Quid, si quis atheus sit, nec sit lex scripta quae modum poenae definiat, nonne
punietur?
B. Punietur profecto, et gravissime. Sed prius accusandus, audiendus, et damnandus
est. Accusari autem praeter dictum et factum, nihil potest. […] Non autem ergo ex
factis judicatur atheus. Dicto igitur aliquo, sive prolato sive scripto, reus fieri, neque
ullo alio modo, potest; nempe, si directe negaverit Deum esse.
A. Nonne atheus dicetur etiam is, qui dixerit scripseritve id, ex quo Deum non esse
necessario sequitur?
B. Ita sane, si ipse, quando id dixit vel scripsit, consequentiae talis necessitatem vidit.320

Neben Grotius und Hobbes tritt das Spannungsverhältnis zwischen ver-


meintlicher Verweltlichung des Naturrechts und schärfster Verurteilung des
Unglaubens bei keinem Autor deutlicher hervor als bei Samuel Pufendorf,

318
Thomas Hobbes, De Cive, cap. XIV, 19, Anm. 1, hier zitiert nach der Ausgabe:
Opera philosophica quae latine scripsit, hg. v. William Molesworth, Bd. 2, London 1839,
S. 326. Seit kurzem liegt auch eine Übersetzung im Reclam-Verlag vor: Thomas Hobbes,
De Cive. Lateinisch/Deutsch, übersetzt von Andree Hahmann unter Mitarbeit von Isa-
bella Zühlke, hg. v. Andra Hahmann u. Dieter Hüning, Ditzingen 2017. – Im Folgenden
nimmt Hobbes auch noch Stellung zur Frage der natürlichen Gotteserkenntnis, die ja auch
schon die Reformatoren ( I.1) am Fall des biblischen insipiens erörtert hatten. Anders als
sie, anders auch als Voetius ( I.5), schränkt Hobbes jedoch die Möglichkeit der cognitio
Dei durch den nach »Lüsten, Reichtümern und Ehrungen« strebenden Menschen (»homi-
nes in voluptatibus, vel divitiis, vel honoribus, perquirendis«) explizit ein (ebd.).
319
Vgl. Hüning 2002, S. 224.
320
Thomas Hobbes, Appendix ad Leviathan, cap. II: De haeresi, in: Ders.: Opera
philosophica quae latine scripsit, hg. v. William Molesworth, Bd. 3, London 1841, S. 539–
559, hier S. 548.
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120 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

dem führenden deutschen Naturrechtsdenker im 17. Jahrhundert. Es ist hier


nicht der Ort, die bis in jüngste Publikationen energisch geführte Diskussi-
on über den Grad der Säkularisierung in Pufendorfs Naturrechtskonzeption
zu referieren.321 Ganz offenkundig spiegelt sich in der Forschungsdebatte der
schon zu Pufendorfs Lebzeiten geführte Streit wider, ob der große Mann nun
als Freund und Beschützer wahrer Frömmigkeit (Spener) oder als »horribi-
lis atheus« anzusehen sei.322 Dagegen liegt es im Interesse der vorliegenden
Darstellung, diesen vermeintlichen Widerspruch gerade als historischen Nor-
malfall zu verstehen. Wie bei Mornay, Conring und anderen zuvor behandel-
ten Autoren dreht sich die Frage nach Pufendorfs Profanität eigentlich um
die Bewertung des Konstrukts einer natürlichen Religion, das auch in seinem
Naturrechtssystem an die Stelle konfessionell gebundener Bekenntnisse oder
der christlichen Offenbarung selbst getreten ist.323 Es ging ihm dabei nicht um
Kirchen- oder Religionskritik, sondern darum, eine neutrale Rechtsgrundla-
ge zu schaffen, die dem je konfessionellen, in Pufendorfs Fall vor allem: dem
katholischen, generell jedoch vor allem dem kirchlichen Zugriff schlechthin
entzogen blieb.324 Über Pufendorfs persönliche Religiosität, an der übrigens
keinerlei Zweifel bestehen kann, ist damit – ähnlich wie beim ausgesprochen
frommen Hobbes – rein gar nichts ausgesagt. Seine kompromisslose Haltung
gegenüber dem Atheismus lässt sich jedenfalls nur bedingt mit dem Urteil ei-
ner konsequenten Säkularisierung vereinbaren.325 Sie führt auf ein zentrales
Problem der naturrechtlichen Normbegründung, das mit dem Begriff der ob-
ligatio verbunden ist.326

321
Am Beispiel Pufendorfs ist über die Frage nach dem Verhältnis von Säkularität
und Theonomie im Naturrecht besonders intensiv gestritten worden. Vgl. die kenntnisrei-
che Forschungs- und Problemskizze bei Döring 2004 (mit scharfen Urteilen gegen Versu-
che, Pufendorf zum präaufklärerischen Toleranzdenker zu machen); diese Tendenz vertritt
etwa Palladini 2002; Ottmann 2006 ordnet Pufendorf allgemein der Frühaufklärung zu
(S. 405–411); zum Problemfeld vgl. bereits Döring 1993, bes. S. 167; allgemein zum Ver-
hältnis von Kirche und Staat bei Pufendorf: Zurbuchen 1991, S. 6–62, Dreitzel 1995, S. 10–
14 (im Vergleich mit Conring); Döring 1995; Link 1996. Weitere Literatur im Folgenden.
322
Nachweise bei Döring 1993, S. 157; zum Atheismusvorwurf gegen Pufendorf vgl.
auch schon Schneider 1967, S. 244.
323
Grundlegend dazu Link 1979, S. 297–301 et pass. (Sachregister), der als erster auf
die staatsrechtliche Bedeutung der ›natürlichen Religion‹ hingewiesen hat; vgl. auch, prä-
gnanter, Link 1981, S. 858 f.; daran anknüpfend: Zurbuchen 1991, S. 7 f.; Grunert wertet
den starken Rückbezug auf die natürliche Religion dagegen als Übergang von einer offen-
barungsgebundenen zu einer philosophisch begründeten Rechtsauffassung (vgl. Grunert
2000, S. 77); salomonisch: Horst Dreitzel im Neuen Ueberweg 17/4, 2001, S. 793 f.
324
Auf die zeitgenössischen politischen Zusammenhänge, nicht zuletzt auf die fran-
zösische Expansionspolitik, verweist mit Nachdruck Döring 2004, S. XXXVII f.
325
Vgl. bereits Döring 1992, S. 115–122; Döring 1993, S. 168 f.; Döring 2004, S. XX-
XIX; vor allem aber, mit der erklärten Absicht, die Säkularisierungsthese an diesem Bei-
spielfall punktuell auszuhebeln, Hüning 2002, S. 226–231.
326
Vgl. Lutterbeck 2002, S. 36–41 (zu Pufendorf ebd., S. 37); Hüning, S. 226–231;
grundlegend: Grunert 2000.
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Der Atheist als Staatsfeind 121

Da die natürliche Religion, die auch bei Pufendorf vor allem die funda-
mentalen Lehren der Existenz Gottes, der Vorsehung und des ewigen Lebens
(einschließlich möglicher Strafen und Belohnungen) mit einer entsprechenden
Wirkung auf das menschliche Gewissen einschließt,327 die wichtige systemati-
sche Funktion vertritt, die Gültigkeit oder Verbindlichkeit (obligatio) der rati-
onal erkennbaren natürlichen Rechtsnormen zu sichern, stellt ihre Ablehnung
durch den Atheisten die Geltung eines solchen Naturrechtssystems geradezu
axiomatisch infrage. Das wird aber erst dann zum Problem, wenn das Prinzip
der natürlichen menschlichen Sozialität nicht mehr ausreicht, um das Zusam-
menleben in einer größeren Gemeinschaft zu organisieren, und daher durch
Regeln ergänzt werden muss.328 In seinem naturrechtlichen Hauptwerk, De
iure naturae et gentium (1672), behandelt Pufendorf den Atheismus daher im
Kapitel über die Verträge, ohne die eine societas humana nicht bestehen kön-
ne.329 Dort entwickelt er den Begriff der obligatio congenita als einer Voraus-
setzung für die Einhaltung von vertraglichen Absprachen. Als vornehmstes
Beispiel für diese durch Geburt gegebene Verbindlichkeit nennt Pufendorf das
Verhältnis des Menschen zu Gott.330 Wer diese Verbindlichkeit durchbreche,
mache sich des Verbrechens (»flagitium«) des Atheismus schuldig: »Quam ob-
ligationem si quis in universum abruperit, atheismi flagitio sese alligat.«331 Da
nun aber erst aus der obligatio gegenüber Gott die Verbindlichkeit gegenüber
allen anderen Menschen resultiere, sabotiere der Atheist eine entscheidende
Grundlage des menschlichen Zusammenlebens.332

327
Belege im Folgenden – wegen der zur Zeit leichten Zugänglichkeit der digitali-
sierten Erstdrucke – nach der Paginierung der Erstausgaben (De iure naturae et gentium,
Lund 1672; De officio hominis et civis, Lund 1673), die auch in den jeweiligen Bänden
(Bd. 2: De officio, hg. v. Gerald Hartung, Berlin 1997; Bd 4: De jure naturae et gentium,
hg. v. Frank Böhling, Berlin 1998/2014) der von Wilhelm Schmidt-Biggemann initiierten
großen Berliner Werkausgabe vermerkt ist. Die Schrift De offcio liegt überdies in einer gut
kommentierten und preiswerten Übersetzung vor: Samuel von Pufendorf: Über die Pflicht
des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur, herausgegeben und übersetzt
von Klaus Luig, Frankfurt am Main/Leipzig (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 1).
328
Zum systematischen Zusammenhang vgl. die eng an Pufendorfs Aufbau ange-
lehnte Darstellung bei Denzer 1972, S. 127–160.
329
Pufendorf, De iure naturae et gentium, III,4. Der erste Paragraf des Kapitels ist
übertitelt »Non possunt non in societate humana pacta existere« (S. 309).
330
Ebd., S. 312: »Inter congenitas obligationes praecipua est, quae incumbit omnibus
hominibus adversus Deum, universi hujus summum arbitrum […].«
331
Ebd. – Pufendorf nimmt das zum Anlass, um sich an dieser Stelle kritisch mit
Hobbes’ Verständnis des Atheismus auseinanderzusetzen; dessen Definition des Atheis-
mus als Irrtum wird von Pufendorf verworfen. Vgl. Hüning 2002, S. 231.
332
Pufendorf, De iure naturae et gentium, S. 314: »Caeterum ex hacce obligatione,
qua omnes homines tenentur ad obsequium Deo praestandum, etiam promanat obligatio
omnium hominum adversus quoslibet homines, qua tales, per quam agere vitam socialem
invicem tenentur.«
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122 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Die hier naheliegenden strafrechtlichen Konsequenzen zieht Pufendorf in


aller Deutlichkeit erst ein Jahr später an anderer Stelle,333 in der kurzgefassten
lehrbuchhaften Darstellung seines Systems, De officio hominis et civis iux-
ta legem naturae, und zwar im Kapitel über die natürliche Religion.334 Dort
argumentiert er nicht axiomatisch auf geltungstheoretischer Ebene, sondern
schwenkt gleich auf die ordnungspolitische Argumentationslinie der älteren
Staatslehre ein – und auch auf das von dort her vertraute Vokabular: »Operae
pretium porro fuerit paulo distinctius expendisse usum, quem in vita humana
Religio gignit; ut constet, eam revera esse ultimum & firmissimum humanae
societatis vinculum.«335 Was der Wegfall dieses Bandes für die innere Stabilität
(»firmitas civitatum intrinseca«)336 einer Gesellschaft bedeuten könne, illust-
riert Pufendorf anhand eines ständeübergreifenden, von Angst, Misstrauen
und Eigennutz bestimmten Anomie-Szenarios, wie wir es von Tholosanus
und Bodin kennen und wie man es außerhalb der juristischen Literatur dann
auch im 18. Jahrhundert dutzendfach finden wird.337 Nicht nur würden die
Herrschenden, ohne weitere Einschränkung durch das Gewissen,338 das Volk
durch eine käuflich gewordene Gerechtigkeit unterdrücken, sodass umgekehrt
die Bürger nach jeder Gelegenheit zur Rebellion Ausschau halten und sich
dabei zudem noch gegenseitig misstrauen würden; auch die Eheleute müssten
beim kleinsten Streit fürchten, vom Partner oder von anderen Familienmit-
gliedern vergiftet zu werden. Kurzum, nach dem Wegfall aller sozialen, mora-
lischen und rechtlichen Bindungen sei kein Mensch mehr seines Lebens (schon
gar nicht seines Besitzes) sicher. Pufendorf liefert so ein drastisches Gemälde
des negativen Naturzustands,339 wie ihn Hobbes postuliert hat:

Ex quo & illud consequeretur, ut dum nemo in alterius fide, remotis poenis divinis,
solidam fiduciam collocare posset, singuli perpetuo metu & suspicionibus anxii vi-
verent, ne ab aliis deciperentur, aut laederentur. Sed & tam imperantes quam subiecti
parum proclives futuri essent ad praeclara & gloriosa opera patranda. Nam impe-
rantes, nullo conscientiae vinculo constricti, omnia munia, ipsamque justitiam vena-

333
In De iure naturae et gentium kommt Pufendorf durch die Auseinandersetzung
mit Hobbes kurz vom Thema ab und belässt es dann bei dem lapidaren Hinweis, dass die
von Hobbes vorgeschlagene Anwendung des Kriegsrechts nicht infrage komme.
334
Pufendorf, De officio, S. 37; die Kapitelüberschrift lautet: »De officio hominis
erga deum, seu de Religione naturali.«
335
Ebd., S. 44 f. (IV, 9); Hervorh. im Original.
336
Ebd., S. 45.
337
Darauf wird noch des Öfteren zurückzukommen sein. Zentraler biblischer Prä-
text bleibt Röm 1,28 ff., wo die möglichen Folgen eines Versagens der cognitio Dei natura-
lis durchgespielt werden. Dazu weiter oben, Kap. I.1.1.
338
Dazu auch Pufendorf, De officio, S. 4: »Cum enim sine religione nulla quoque fu-
tura foret conscientia, non facile esset occulta ejusmodi scelera deprehendere; quippe quae
plerumque per inquietudinem conscientiae, & terrores, in exteriora indicia erumpentes, pro-
dantur.«
339
Das Naturzustandstheorem wird bei Pufendorf in anderer Weise verwendet. Vgl.
dazu ausführlich Medick 1973, S. 40–63, der auch das Verhältnis zu Hobbes herausarbeitet.
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Der Atheist als Staatsfeind 123

lia essent habituri, & in omnibus privatum commodum quaesituri, cum oppressione
civium: a quorum rebellione uti sibi semper metuerent, ita suam salutem unice in eo
positam intellegerent, ut istos quam maxime enerves redderent. Cives contra, oppres-
sionem imperantium formidantes, nunquam non circumspecturi forent occasiones re-
bellandi: nec minus tamen ipsi inter se diffissuri, seque mutuo formidaturi erant. Quin
& conjuges, oborta vel levi querela, se invicem essent suspectaturi, ne veneno, aut alio
clandestino modo necarentur. Par periculum a familia immineret.340

Die zu erwartende Schlussfolgerung zieht sich daraufhin von selbst: Dem


Unglauben solle aus diesen Gründen jeglicher Weg verstellt werden,341 er sei,
wie es schon zu Beginn des Kapitels geheißen hatte, zutiefst zu verabscheuen
(»detestanda«) und – genau wie bei Hobbes – mit härtesten Strafen (»gravissi-
mis poenis«) zu belegen.342 Die Empfehlung, offen erklärte Atheisten von den
friedenserhaltenden Toleranzregelungen auszunehmen, hielt sich in der deut-
schen Naturrechtslehre bis weit ins 18. Jahrhundert.343 Das lässt sich gut an
Lehrbüchern für den akademischen Unterricht nachweisen,344 die zugleich ein
Indiz für die Verbreitung dieser Haltung in der verwaltungsstaatlichen Beam-
tenschicht darstellen dürfte.345 Selbst da, wo die »Enttheologisierung« (F. Gru-
nert) des deutschen Naturrechts,346 im Anschluss an Hobbes, vergleichsweise
entschieden durchgeführt worden ist, bei Johann Christoph Becmann, finden
die naturrechtlichen Toleranzbestimmungen ihre Grenze am Umgang mit
Blasphemie und Atheismus. In seinen Meditationes Politicae (1672) empfiehlt

340
Ebd., S. 46. – Dass hier wie an anderen Stellen bei Pufendorf und auch bei Hobbes
die Argumentation nicht more geometrico, sondern traditionell rhetorisch abgestützt wird,
soll hier nur am Rande konstatiert werden.
341
Ebd.: »Unde adparet, quantopere intersit generis humani, atheismo omnes vias, ne
invalescat, praecludere […].«
342
Ebd., S. 38: »Quod cum fieri nullo modo queat, omnium eorum, qui isthanc
convellere quocunque modo aggrediuntur, impietas maxime est detestanda, & gravissimis
poenis coercenda.« – In der späteren Schrift De habitu religionis Christianae ad vitam
civilem (Bremen 1687) erschient diese Empfehlung leicht abgeschwächt, neben weltlichen
Strafen wird auch die Verbannung in Betracht gezogen (§ 48, S. 160 f.): »Sed & illud dubi-
um non est, quin Principes Christiani homines profanos, qui religionem Christianam in
universum adspernantur, ejusque mysteria contumeliose habent poenis civilibus afficere,
aut saltem civitate exturbare queant.«
343
Vgl. Link 1979, S. 289. – Noch 1738 bestimmt der Hallenser Jurist Johann Gottlieb
Heineccius Gott als »Norm der menschlichen Handlungen« und »Ursprung jeder natürli-
chen Verbindlichkeit«. So in seinen Grundlagen des Natur- und Völkerrechts (1738), über-
setzt von Peter Mortzfeld, hg. v. Christoph Bergfeld. Frankfurt am Main 1994 (Bibliothek
des deutschen Staatsdenkens 2), S. 59 (§ 62). – Im Kapitel über Bayle (IV.2), Thomasius (V.2),
Gundling (V.3) und Wolff (V.4) werden wir auf diese Fragen zurückkommen.
344
Vgl. dazu überaus hilfreich Fritsch 2004, Sachregister (s. v. ›Atheismus‹).
345
Zumindest für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts sieht Horst Dreitzel im
christlichen Naturrecht »die herrschende Lehre der territorialstaatlichen Beamtenschaft«
(Dreitzel 1971, S. 266); seine Wirkung lasse sich, so Dreitzel, noch im Naturrechtsartikel
des Zedler’schen Lexikons nachweisen (vgl. ebd.).
346
Grunert 2000, S. 63 u. ö.
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124 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Becmann – in Kapitel »De poenis« – wie Hobbes die Anwendung des Kriegs-
rechts auf Atheisten, ohne dabei dessen provokante Auffassung des Unglau-
bens als Irrtum explizit zu übernehmen. Im Unterschied zu Dissidenten wür-
den sie nicht spezifische Gesetze übertreten, sondern, durch Unterhöhlung
der obligatio naturalis, die Gesetze ganz generell verletzen.347

4. Stultitia Atheismi
Der Unglaube als Vorurteil und die Vernünftigkeit der Religion

4.1 Atheismus als Dummheit


Die Allianz von Religion und Wissenschaft
in Bacons Meditationes sacrae (1597)

Kontinuität und Neuorientierung im Umgang mit dem Unglauben zwischen


Reformationszeit und 1600 lassen sich jenseits der staatsrechtlichen Ebene
auch gut an der kleinen Betrachtung De atheismo studieren, die Francis
Bacon 1597 seinen Meditationes sacrae, dem geistlichen Seitenstück zu den
zeitgleich erschienenen Essays, einrückte.348 Es handelt sich dabei um nichts
anderes als einen pointierten Kurzkommentar zum 14. Psalm, an dem die

347
Johann Christoph Becmann, Meditationes politicae, Frankfurt/O. 41693, S. 213:
»Alia prorsus Atheorum & Blasphemorum ratio est, quos ob violationem obligationis na-
turalis puniri oportet, & dum dissidentium transgressio est particularis quarundam Le-
gum, horum est universalis L[egum] omnium laesio: Unde nec puniuntur ut subditi, qui
L[eges] non observaverint, sed ut rebelles ac hostes, qui eas accipere noluerint.«
348
Zur Publikationsgeschichte: 1597 erscheint in London (bei Humphrey
Hooper) die erste, noch anonym publizierte Auflage der Essayes (in dieser Orthogra-
fie), die auf dem Titelblatt auch die Religious Meditations verzeichnen; im Anschluss
an die zehn Essays folgen dann, mit eigenem Titelblatt und separater Paginierung, die
zwölf lateinischen Meditationes sacrae (De atheismo dort Bl. 10v–12r). In der zwei-
ten Auflage der Essays von 1598 (nun mit der Schreibung Essaies) erscheinen die
Meditationes sacrae in englischer Übersetzung und ohne eigenes Titelblatt, sie haben
auch keine separate Paginierung mehr (Of Atheisme dort Bl. 23v-25v). – In späteren,
stark erweiterten Auflagen (mir liegt vor die unpaginierte Ausgabe London: Iaggard
1613), nun unter Bacons Namen erschienen, enthalten auch die Essays (mittlerweile
auf 41 Texte angewachsen) eine Betrachtung Of Atheisme (Nr. 14), die nicht mit der
ursprünglichen meditatio identisch ist (nicht bemerkt von Buckley 1965, S. 91 f., bei
ansonsten zutreffender Perspektivierung); letztere findet sich dort nach wie vor als
zehnte der zwölf Meditationes sacrae (Bl. L 8v–M 2v). – Zitate aus der ursprünglichen
Betrachtung im Folgenden nach der Erstausgabe (1597) mit der englischen Überset-
zung der zweiten Auflage (1598) direkt im Anschluss. Es wird zweisprachig zitiert, um
die begriffliche und lexikalische Kontinuität hervortreten zu lassen, aber auch, um die
kleinen Abweichungen zwischen Bacons lateinischem und englischem Text sichtbar zu
machen. Der spätere Essay Of Atheisme wird mit Lagenzählung mit der Sigle »1613«
wiedergegeben.
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Stultitia Atheismi 125

Unweisheit (insipientia), ja Tollheit (insania) des Unglaubens knapp ver-


deutlicht und scharf von der wahren Weisheit in Politik, Wissenschaft und
persönlicher Lebensführung abgegrenzt wird.349 Im Gegensatz zur theolo-
gischen Kommentarliteratur, mehr nach Art einer Predigt, beschränkt sich
Bacon auf den ersten Vers, den er eingangs zitiert und dann in drei Durch-
gängen – am Leitfaden der Ausdrücke dixit, in corde suo und insipiens – ein-
gehender erläutert. Während ferner die Reformatoren bei der Kommentie-
rung noch vollständig ohne den Begriff des Atheismus auskamen, stellt ihn
Bacon von Anfang an in den Mittelpunkt seiner Betrachtung.350
Wie die Reformatoren legt auch Bacon seiner Argumentation die Annahme
der natürlichen, jedem Menschen unauslöschlich eingeprägten Gotteserkennt-
nis zugrunde; wohl in Anlehnung an neuplatonische Vorstellungen spricht er
vom »Fünkchen des ersten Lichts, mittels dessen wir die Gottheit erkennen«
und das aus dem Herzen ganz zu tilgen ein vergebliches Unterfangen sei.351
Deutlicher als seine Vorgänger verortet er diese Gotteserkenntnis im mensch-
lichen Intellekt, dem gemäß der aristotelisch-scholastischen Anthropologie
der Wille (voluntas) gegenüberstellt wird. Die Leistungsfähigkeit dieses Mo-
dells für die Analyse des Unglaubens liegt darin, dass das Versagen der Gottes-
erkenntnis beim Atheisten nicht dem Intellekt angelastet werden kann. Das
Argument, bekannt aus dem Römerbrief (Röm 1,28–31), ist uns schon bei den
Reformatoren begegnet, die Annahme einer jederzeit gegebenen Erkennbar-
keit Gottes sichert dabei die Schuldfähigkeit oder Belangbarkeit des Ungläu-
bigen. Folgerichtig weist auch Bacon die kognitive Entstehung der Gottes-
leugnung auf dem Weg der inneren Wahrnehmung (»natiuo sensu«) oder des
rationalen Urteils (»iudicio«) zurück und empfiehlt stattdessen, den ursäch-
lichen Defekt im Willen, genauer gesagt: in der Bosheit des Willens (»malitia

349
Zur Verarbeitung des 14. Psalms in der britischen Apologetik vgl. Sheppard 2015,
S. 19, 21, 25 u. ö.; zu Bacons apologetischer Tätigkeit vgl. ebd., S. 21, 25, 99–101 et pass.
(Register), Buckley 1965, S. 91 f. (unter dem Vorbehalt, der in der letzten Anm. geltend
gemacht wurde), ferner Barth 1971, S. 107 f., 114 u. 252 f.; zu Bacons Leben, Werk und
Bedeutung vgl., für vorliegenden Zweck ausreichend, den fundierten Überblick von Da-
vies 2002 (mit umfangreicher Werkbibliografie); ferner den Artikel in der Encyclopedia of
Philosophy, hg. v. Donald M. Borchert, Detroit u. a. 22006, Bd. 1, S. 442–452 (Stephen Gau-
kroger); in der TRE ist leider kein eigener Bacon-Artikel enthalten; solide dafür der Ar-
tikel von Kullmann 2014 im Neuen Pauly; zu Bacons Religionsbegriff gründlich und aus
den (bes. lateinischen) Quellen erarbeitet: Feil 2001, S. 154–170, dort bes. S. 161–167, zum
Verhältnis von Religion und Vernunft; keine Erwähnung finden die Meditationes sacrae
im Artikel Bacon’s science and religion (Briggs 1996) im Cambridge Companion to Bacon.
350
Der Zusammenhang zwischen dem biblischen Gottesleugner und dem im
16. Jahrhundert noch wenig gebräuchlichen Atheismusbegriff war bereits vor Bacon her-
gestellt worden. 1564 verweist etwa Charles de Bourgueville in seiner Atheomachie auf
den 14. Psalm (S. 124).
351
»Manet tamen ille igniculus luminis primi, quo Divinitatem agnoscimus, quem
prorsus extinguere, & stimulum illum ex corde euellere frustra nititur.« 1597, Bl. 11r. –
»[…] that sparkle of our creation light, whereby men acknowledge a Deitie, burneth still
within, and in vayne doth he striue vtterly to alienate it or put it out […].« 1598, Bl. 23v.
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126 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

voluntatis«), zu suchen.352 Genau so ist Bacon zufolge auch die Formel ›dixit in
corde suo‹ aufzufassen: Denn von Denken könne hier keine Rede sein, mehr
von einem Glaubenwollen. Folglich sei die Formulierung so zu verstehen, dass
der biblische Tor sich den Satz »non est Deus« zur eigenen Überzeugung im
Stillen353 vorspreche:

First it is to be noted that the Scripture saith, the foole hath said in his heart, and not
he hath thought in his heart, that is to say, he doth not so fully thinke it in iudgement,
as he hath a good will to bee of that beliefe, for seeing it it makes not for him that there
should be a God, hee doeth seeke by all meanes accordingly, to persuade and resolue
himselfe, and studies to affirme, proue and verifie it to himselfe as some theame or
position […].354

Ausgespart ist hier die bei den Reformatoren breiter entfaltete Frage nach den
Ursachen dieses Wunsches, es wird nur angedeutet, der Gottesleugner ver-
spreche sich einen Nutzen davon (»quoniam expedire sibi videt«, heißt es in
der lateinischen Fassung), dass es keinen Gott gebe.355 Gemeint ist vermutlich

352
»Quare ex malitia voluntatis suae, & non ex natiuo sensu, & iudicio hoc supponit
[…].« 1597, Bl. 11r. – »[…] so that is out of the corruption of his heart and will, and not out
of the naturall apprehension of his braine & conceit, that he doth set downe his opinion
[…].« 1598, Bl. 23v–24r.
353
Im Stillen, so versteht Bacon das »in corde suo« spreche er auch deswegen, da ihn
an der offenen Aussprache die Furcht vor dem Gesetz (»metu legis«, 1597, Bl. 11r – »feare
of gouernment«, 1598, Bl. 24r) hindere. Weil sich aber der Wunsch, dass kein Gott sei,
in anhaltender Spannung zur unaustilgbaren natürlichen Gotteserkenntnis befinde, fühle
sich der Atheist permanent veranlasst, seine blasphemische Meinung anderen mitzuteilen,
um sich selbst darin zu bestätigen (vgl. 1597, Bl. 11v; 1598, Bl. 24v). Wegen der dadurch
entstehenden Ausbreitungsgefahr des Atheismus, der sich schneller als jede Häresie fort-
pflanze, befürwortet Bacon implizit das Festhalten an derartigen Restriktionen: »Nam si
hoc vinculum tollatur e medio, non est haeresis quae maiore studio se pandere, & sparge-
re, & multiplicare nitatur quam Atheismus.« 1597, Bl. 11r–11v. – »For if this bridle were
remoued, there is no heresie which would contende more to spread and multiply, and
disseminate it self abroad then atheisme […].« 1598, B. 24r.
354
1598, Bl. 23v. – »Primum dixit in corde, non ait, cogitauit in corde; hoc est, non
tam ita sentit penitus, sed vult hoc credere, quoniam expedire sibi videt, vt non sit Deus
omni ratione sibi hoc suadere, & in animum inducere conatur; & tanquam thema aliquod,
vel positum, vel placitum asserere, & astruere, & firmare studet.« 1597, Bl. 10v-11r. – Wir
haben oben gesehen, dass die Reformatoren gerade umgekehrt das »dixit in corde« im
Sinne von ›cogitare‹ verstanden; ganz ähnlich bereits Anselm von Canterbury (Proslogion
2; Opera omnia, ed. Schmitt, Bd. I, S. 101); vgl. Enders 1999, S. 159, Anm. 67; zum ontolo-
gischen Gottesbeweis des Proslogion vgl. auch Röd 1992, S. 22–50.
355
Lateinische und englische Fassung weichen hier voneinander ab (s. letzte Anmer-
kung): Während es in der lateinischen Erstfassung heißt, der Ungläubige sehe für sich ei-
nen Nutzen darin, dass es keinen Gott gebe, sieht er in der englischen Übersetzung keinen
Nutzen darin, sollte es einen Gott geben. In der abweichenden Betrachtung Of Atheisme
im Rahmen der späteren Auflagen der Essays (s. dazu Anm. 348) ist der Sinn der Erstaus-
gabe wieder hergestellt: »For none deny there is a God, but those for whom it maketh, that
there were no God.« 1613, Bl. D 5v.
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Stultitia Atheismi 127

auch hier die Hoffnung auf Straffreiheit trotz eines sündigen Lebenswandels.
Darauf deutet schließlich Bacons Erläuterung des Ausdrucks insipiens im letz-
ten Teil der Betrachtung. Denn dem Toren fehlt in Bacons Augen nicht nur
die divina sapientia, die Kenntnis von göttlichen Dingen, sondern auch die
menschliche und bürgerliche Weisheit.356 Das liegt seiner Meinung nach schon
in der Gemütsart derjenigen begründet, die zum Atheismus »hinneigen« wür-
den (»ingenia, quae sunt in Atheismum proniora«).357 Sie seien »leichtfertig,
spöttisch, unverschämt und übermütig«, das gerade Gegenteil von Klugheit
und moralischer Beständigkeit.358 Deswegen seien sie auch schlechte Politiker
und Wissenschaftler: Bei großen Staatsmännern zeige sich die Frömmigkeit
in einer tieferen Einsicht und Bescheidenheit, da sie nicht nur auf ihre eige-
ne Raffiniertheit (»not onely in their owne cunnings«)359 vertrauen und ihre
Erfolge weniger sich selbst als dem Schicksal und der Vorsehung zuschreiben
würden. Hier klingt die christliche Sündenlehre an, besonders superbia und
ambitio, ohne dass sie eigens erwähnt wird. In der Erforschung der Natur (»in
physicis«) schließlich führe zu wenig Wissenschaft (»parum Philosophiae na-
turalis«) zu einer Abkehr von Gott; dagegen führe ein gründlicher Fortschritt
der Naturwissenschaft den Menschen zu Gott hin.360 Es handelt sich hier um
eine frühe Fassung der später in De dignitate et augmentis scientiarum (1623)
getroffenen, fast gleich lautenden Feststellung, die nicht zuletzt durch Leibniz
weltberühmt wurde ( I.4.3). Hier steht sie noch im direkten Zusammenhang
einer apologetischen Argumentation.
Der letzte Punkt ist von Bedeutung, weil hier ein Problemkomplex in den
Blick gerät, der um 1600 aufbricht und der sich nicht zufällig mit Bacon und
der Atheismusdebatte berührt: das Verhältnis der sogenannten New Science
zum kirchlichen Welt- und Menschenbild. In der allgemeinen Wahrnehmung,
aber auch in weiten Teilen der ideengeschichtlichen Forschung wird dieses

356
»Tertio insipiens est, qui hoc in corde dixit, quod verissimum est, non tantum
quod diuina non sapiat, sed etiam secundum hominem.« 1597, B. 11v. – Der Begriff ›bür-
gerlich‹ (»ciuile«) kommt erst in der englischen Übersetzung hinzu: »Thirdly, it is a foole
that hath so saide in his heart, which is most true, not onely in respect that he hath no taste
in those thinges which are supernaturall and diuine: but in respect of humane and ciuile
wisdome […].« 1598, Bl. 24v–25r.
357
1597, B. 11v. Die Stelle im Zusammenhang in der folgenden Anmerkung.
358
»Primo enim ingenia, quae sunt in Atheismum proniora, videas fere leuia, & di-
cacia, & audacula, & insolentia: eius denique compositionis, quae prudentiae, & grauitati
morum aduersissima est.« 1597, Bl. 11v. – »[…] for first of all, if you marke the wits and
dispositions which are inclyned to Atheisme, you shall finde them light, scoffing, impu-
dent, and vayne: briefly, of such a constitution, as is most contrarie to wisedome and mo-
rall grauitie.« 1598, Bl. 25r.
359 1598, Bl. 25r.
360
»Tertio, in physicis & illud affirmo parum Philosophiae naturalis, & in ea progres-
sum liminarem ad Atheismum opiniones inclinare. Contra multum Philosophiae naturalis,
& progressum in ea penetrantem ad Religoinem animos circumferre.« 1597, Bl. 12r. – Vgl.
auch Feil 2001, S. 155 f.
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128 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Verhältnis heutzutage als angespannt, wenn nicht antagonistisch wahrgenom-


men, wobei der Kirche die Rolle der fortschrittsfeindlichen, vor Gewalt nicht
zurückscheuenden Reaktion zukommt, den von ihr verfolgten oder sogar hin-
gerichteten Naturforschern – allen voran Galilei und Giordano Bruno – der
Status von Protoaufklärern und Märtyrern des freien wissenschaftlichen Den-
kens.361 Dass es auch immer wieder ernsthafte Versuche gegeben hat, die Kluft
zwischen Glauben und exakter Wissenschaft zu überbrücken, ist zwar nicht
unbekannt, tritt aber hinter den so viel dramatischeren Fällen leicht in den
Hintergrund.
Ein vielversprechender und noch bis ins 19. Jahrhundert hinein362 erfolgrei-
cher Weg, den Fortschritt der empirischen Naturerkenntnis mit theologischen
Vorgaben, ja selbst mit Andacht und Frömmigkeit zu verbinden, bestand in
der Methode, die Gesetzmäßigkeit der Naturvorgänge als Bestätigung für die
Vollkommenheit des göttlichen Schöpfungsplans zu interpretieren. Dieses
Verfahren, heute mit dem Fachausdruck ›Physikotheologie‹ bezeichnet, fir-
mierte in der Frühen Neuzeit oft etwas missverständlich unter dem Begriff der
natürlichen Theologie (theologia naturalis).363 Darunter ist zunächst ganz all-
gemein die Lehre von der natürlichen Gotteserkenntnis zu verstehen, also der
Disziplin, die sich der Erkenntnis der göttlichen Existenz und Eigenschaften
ohne Zuhilfenahme der biblischen Offenbarung widmet. Eine Variante dieser
cognitio Dei besteht in der Betrachtung der Natur oder des Kosmos, deren
Vollkommenheit auf den Plan des göttlichen Schöpfers verweist. Die damit
verbundenen Beweisverfahren sind bekannt, weil sie bis heute unter dem Be-
griff des intelligent design diskutiert und kritisiert werden. Dass sie bei Bacon
schon angelegt sind, zeigt sich an einer Stelle in dem zweiten, späteren Essay
Of Atheisme, kurz bevor er die berühmte Formel über Naturforschung und
Religion noch einmal variiert:

I had rather beleeue al the fables in the Legend, and the Alcaron [!], then that this
vniuersall frame is without a mind. And therefore God neuer wrought myracle to
conuince Atheists, because his ordinary works conuince them. Certainely, a little Phi-
losophie inclineth mans minde to Atheisme, but depth in Philosophie bringeth men
about to Religion.364

361
An dieser Stelle darf auf einen Klassiker des Wissenschaftsjournalismus verwie-
sen werden, der sich als genuiner Forschungsbeitrag lesen lässt: Das Galilei-Kapitel in
Gerhard Prauses Essaysammlung Niemand hat Kolumbus ausgelacht (Prause 1988). Die
Differenziertheit, mit der Prause sich dem Gegenstand nähert, und die Bereitschaft, auch
entlegene Quellen zu konsultieren, um etwas anderes als die altbekannten antiklerikalen
Klischees zu entdecken, wäre mancher allzu fortschrittsseligen Galileo-Studie heutiger
Tage zu wünschen.
362
Vgl. Spiekermann 2012b zum Fortwirken der physikotheologischen Tradition bis
ins frühe 20. Jahrhundert.
363
Zur begrifflichen Klärung vgl. Schröder 2008, S. 153 f.; Ders.: Religion bzw.
Theologie, natürliche bzw. vernünftige, in: HWbPh, Bd. 8, Sp. 713–726, hier Sp. 713 f.
364
1613, Bl. D 5r.
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Stultitia Atheismi 129

4.2 Causae atheismi. Atheismus als Affekt und Vorurteil in Marin


Mersennes Quaestiones celeberrimae in Genesim (1623)

Während Bacons Schrift in ihrer Wirkung auf den englischen Raum be-
schränkt blieb, in der internationalen und dann auch speziell deutschen Athe-
ismusdebatte dagegen wenig Beachtung fand,365 wurde der nun folgende Autor
über Jahrzehnte zu einem ihrer wichtigsten Stichwortgeber, und das mit einem
sehr vergleichbaren Programm.366 Bei keinem anderen Zeitgenossen verban-
den sich Förderung der Naturwissenschaften und Bekämpfung der vermeint-
lichen Atheismusgefahr so eng wie bei dem französischen Mathematiker und
Musiktheoretiker Marin Mersenne (1588–1648), der nach der Ausbildung am
berühmten Jesuitengymnasium in La Fleche, das auch Descartes besucht hat-
te, dem Minimerorden (Ordo fratrum minimorum) beigetreten war.367 In ihm
sehen wir einen herausragenden Vertreter jener Klasse von frühneuzeitlichen
Geistlichen und Kirchenmännern, die sich zugleich den Naturwissenschaf-
ten widmeten.368 Seine breite Korrespondenz mit den führenden Köpfen der
Zeit, die ihn zu einem einzigartigen Wissenschaftsmanager der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts machte, hat ihm den Ehrentitel »Sekretär des gelehrten
Europa« eingetragen.369 Dabei hinderte ihn sein geistlicher Stand keineswegs,
gelehrte Kontakte oder sogar Freundschaften mit heterodoxieverdächtigen
Personen wie Descartes, Hobbes oder Gassendi zu pflegen;370 mit Letzeren

365
Hinweise zur Rezeption werden in den nachfolgenden Kapiteln gegeben. Zu den
frühesten mir bekannten Lesern von Bacons Betrachtung gehören Leibniz ( I.4.3) und
Theophil Spizel ( II.3.2).
366
Mersenne hat Bacon intensiv rezipiert, möglicherweise sogar Teile von dessen
Sylva Sylvarum übersetzt; vgl. dazu Buccolini 2013.
367
Zu Mersennes Leben und Werk allgemein vgl. Neuer Ueberweg 17/2, 1993,
S. 637–647 (Pierre Costabel), sowie Popkin 2006; gründlich, mit vielen Zugängen zu Quel-
len: Dictionary of Scientific Biography, hg. v. Charles Coulston Gillispie, Bd. 9, New York
1974, S. 316–322 (A. C. Crombie); zur bibliografischen Ergänzung: Mittelstrass 22013,
Bd. 5, 348–350 ( Jürgen Mittelstrass); auf profunder Kenntnis beruht der Mersenne-Artikel
in der Routledge Encyclopedia of Philosophy (Dear 1998), mit seltenem Schwerpunkt auf
der apologetischen Tätigkeit (S. 326–329); zum Musiktheoretiker Mersenne vgl. besonders
MGG2, Bd. 12 (Personenteil), S. 39–42 (Philipp Vendrix).
368
Grundlegend zu Mersennes wissenschaftlicher Persönlichkeit: Lenoble 1943 u.
Dear 1988; zu Mersennes Idee und Praxis einer angewandten, dabei aber zugleich philo-
sophisch fundierten Mathematik (mathematica mixta) vgl. Malet/Cozzoli 2010; zu Mer-
sennes allmählicher Annäherung an die Thesen Galileis nach anfänglicher Ablehnung vgl.
bes. Garber 2004, Palmerino 2010; Mersennes Stellung zum Kopernikanismus untersucht
auf exzeptionellem Niveau Hine 1973.
369
Vgl. Buccolini 2013, S. 34, Anm. 10, zur Herkunft dieses Ehrentitels. Sie stammt
von Jean-Barthelémy Hauráu, Histoire littéraire du Main, Paris 1876, Bd. 8, S. 177.
370
Mersenne teilt das Schicksal anderer hervorragender Geister (z. B. Herders), de-
ren Erforschung im Schatten von bekannteren Zeitgenossen steht; so handelt Beaulieu
1990 über Mersenne und Hobbes, Baigrie 2002 über Mersenne gemeinsam mit Kepler
und Descartes, Bucciantini 2009 über Mersennes und Descartes’ Verhältnis zu Galileo;
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130 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

verband ihn eine enge Freundschaft sowie ein ›abgemilderter Skeptizismus‹


(R. Popkin);371 für die Publikation von Hobbes’ De cive setzte er sich ebenso
ein372 wie für eine Übersetzung von Galileis Discorsi.373 Mersenne gehört da-
mit, bei allen Unterschieden, in die Reihe der großen Vermittlerfiguren in den
Konflikten der Frühen Neuzeit wie in der Reformationszeit etwa Melanch-
thon und Martin Bucer oder später Leibniz.374
Neben die wissenschaftliche Arbeit trat schon früh als zweite Lebensauf-
gabe die Auseinandersetzung mit heterodoxen Lehren.375 Mersenne schrieb
gegen vermeintliche Atheisten und Deisten ebenso wie gegen Anhänger einer
magieverdächtigen hermetischen Naturphilosophie, wie sie für ihn etwa Ro-
bert Fludd verkörperte.376 Von ihm stammt überdies die beeindruckende Zahl

Garber 2004, Lewis 2007 und Capecchi 2017, S. 385–401 (»Galilei’s entourage«), über Ga-
lileo und Mersenne; Garber 2016, S. 107 f. u. ö., über Mersenne und Hobbes.
371
Richard Popkin hat in seiner einflussreichen History of Scepticism (1960, 21979,
3
2003) als einer der ersten auf Mersennes unorthodoxe Ansichten hingewiesen. Im sehr
lesenswerten Kapitel Constructive or Mitigated Skepticism (Popkin 32003, S. 112–127) un-
tersucht er den Gedankenaustausch zwischen Mersenne, Gassendi, La Mothe le Vayer
und anderen; vgl. auch Popkins Mersenne-Artikel in der Encyclopedia of Philosophy, hg.
v. Donald M. Borchert, Detroit u. a. 22006, Bd. 6, S. 152 f.; an Popkin anknüpfend etwa
Paganini 2003; kritisch zur Idee des ›mitigated skepticism‹ Dears Routledge-Artikel (1998,
S. 328). – Wenn Mersennes Skeptzismus darin besteht, dass er sich nicht auf einen Stand-
punkt (z. B. entweder Aristotelismus oder Kopernikanismus) festlegen wollte (s. u.), son-
dern lieber überzeugende Beweise abwartete – für die Erdbewegung etwa – dann lässt sich
das vor dem Hintergrund neuerer Forschungen wohl auch als eklektischer Standpunkt
bezeichnen. Vgl. in diesem Sinne Röd 1999, S. 94; kein Hinweis auf Mersenne dagegen in
Albrecht 1994. – Wichtiger als der Streit um Bezeichnungen sind hier die Konnotationen
und Implikationen. Den Mönch und Theologen Mersenne des Skeptizismus zu überfüh-
ren, hat sicherlich einen gewissen Reiz, und wenn es dazu geführt hat, sein Werk etwas
ernster zu nehmen als zuvor, dann wäre damit zumindest etwas gewonnen.
372
Die zweite Auflage von De Cive enthält als editorische Beigabe einen Brief von
Gassendi und einen von Mersenne an den Mediziner Samuel Sorbiére, in dem Mersen-
ne diesem Werk des »unvergleichlichen Mannes« (»incomparabilis viri«) einen Drucker
wünscht, der es mit dem schönsten Buchschmuck (»gemmis auctum & ornatum«) ans
Licht bringe. Zit. nach der Ausgabe: Thomas Hobbes, Elementorum philosophiae sectio
tertia de Cive, in: Opera philosophica, quae latine scripsit, omnia, Amsterdam 1668 (sepa-
rate Paginierung), fol. BBB 4v. Vgl. auch Popkin 32003, S. 119.
373
Vgl. Crombie (Anm. 367), S. 317, mit Zitat aus dem Brief Mersennes an Galileo.
374
Einen peinlichen Lapsus bildet daher ein Titel wie »Small skills, big networks« im
ansonsten soliden und kenntnisreichen Aufsatz von Grosslight 2013. Grosslight bezieht
sich dafür auf zwei Äußerungen von Descartes und Fermat (S. 352). – Vgl. dagegen die
Beiträge von Bots 2005 (zu Mersenne) und Gädeke 2005 (zu Leibniz) im Sammelband Les
grands intermédiaires culturels de la république des lettres, in dem des weiteren Autoren
wie Pierre Bayle oder Jean Henri Samuel Formey behandelt werden.
375
Neben dem Routledge-Artikel von Dear 1998 vgl. Armogathe 1994 zum Got-
tesbeweis bei Mersenne; Gómez 1997 zu Mersennes apologetischer Tätigkeit allgemein;
Barth 1971, S. 38–41, 90 f., 119 f. u. ö. (Register), Schröder 1998, bes. S. 30–32, knapp auch
Kors 1990, S. 27, 29 f.; zum Polemiker Mersenne vgl. Descotes 2006.
376
Vgl. ausführlich Gómez 1997 u. Schmidt-Biggemann 2010.
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Stultitia Atheismi 131

von 50 000 Atheisten allein in Paris, die durch das 17. Jahrhundert hindurch
immer wieder mit Schaudern zitiert und als Beleg für die drohende Gefahr
des Unglaubens gewertet wird.377 Gegen beide Feindgruppen, Atheisten und
Magiegläubige (magi), richtete Mersenne 1623 sein Erstlingswerk, den mo-
numentalen, an Exkursen reichen Genesiskommentar Quaestiones Celeber-
rimae in Genesim.378 Einen wichtigen Anlass dürfte – neben dem sich bereits
abzeichnenden Prozess gegen Theophile de Viau im September des gleichen
Jahres379 – die 1619 erfolgte Verurteilung des als Ketzer und Atheisten ange-
klagten, schließlich öffentlich verbrannten Italiener Giulio Cesare Vanini ge-
boten haben.380 Vanini, der bis zum öffentlichen Auftreten Spinozas den Rang
als princeps atheorum beanspruchen konnte und bis weit nach 1700 in keiner
Aufzählung von Atheisten fehlt, hatte seine – nach heutigen Maßstäben nicht
eigentlich atheistischen – Ansichten auf naturphilosophische Betrachtungen
gegründet.381 Kein Wunder also, dass sich der begeisterte Naturforscher Mer-
senne herausgefordert fühlen musste, den drohenden Bruch zwischen Kirche
und der ›neuen‹ Wissenschaft zu verhindern.382

377
Vgl. Sheppard 2015, S. 17, Anm. 10; ironisch auch Descotes 2006, S. 95. – Schon
in der Widmungsvorrede an den Kardinal de Gondy bezieht sich Mersenne auf vermeintli-
che Aussagen der Atheisten selbst über ihre Stärke, spielt diese Einschätzung aber herunter
(Quaestiones, Widmungsvorr., fol. ā 1r): »Quamobrem impij suorum numerum in hac Pa-
risiorum luce ingentem esse aiunt, atque gloriantur; quod siue a veritate sit alienum, siue
ab eis confictum, vt alios facilius ad suam impietatem traducant […].« – Die konkrete Zahl
nennt Mersenne in einer seltenen Ausgabe der Quaestiones, die mir leider nicht zugänglich
war; die entsprechenden Seiten fehlen in den meisten Drucken; vgl. dazu Barth 1971, S. 38 f.;
Armogathe 1994, S. 164, Anm. 1; Gómez 1997, S. 57, Anm. 3; schon deswegen beruht die
Weitergabe im 17. und 18. Jahrhundert oft nur auf Hörensagen; die Zahl nennen unter an-
derem – hier nur mit Kurztiteln (vollständige Angaben im Literaturverzeichnis) – Osiander,
Exercitatio V. de notitia Dei contra atheos (1658), S. 67; Spizel, De atheismi radice (1666),
S. 9; Niemann, Atheus refutatus (1668), S. 6; Meier, Historia religionum (1697), S. 24; indi-
rekt auch Voetius, De atheismo (1639), S. 147. – Allein Theophil Großgebauer räumt ein,
dass er das Buch nicht selbst in Händen gehabt habe, überdies hält er Mersenne für einen
Jesuiten: Preservatif wider die Pest der heutigen Atheisten (1661), S. 545. – Noch 1769 er-
innert Heinrich Graf Bünau, ein großer Büchersammler im 18. Jahrhundert, an Mersennes
vermeintlichen Augenzeugenbericht; vgl. dessen Betrachtungen über die Religion und ihren
itzigen Verfall (Leipzig 1769), S. 91.
378
Marin Mersenne, Quaestiones celeberrimae in Genesim, Paris 1623.
379
Vgl. Gómez 1997, S. 76.
380
Vgl. dazu die gründlichen Ausführungen von Hine 1976; der Prozess erregte Auf-
sehen in ganz Europa und wurde auch vielfach poetisch verarbeitet, bis hin zu Hölderlin
und darüber hinaus; vgl. dazu Kühlmann/Claren 2009.
381
Vgl. Schröder 1998, S. 329 f.
382
Selbst wenn es also stimmt, wie Carlos Gómez behauptet, dass die Lage um 1623
hin zu einer konservativen Reaktion auf katholischer Seite (»la reacción de los católicos«)
tendierte (Gómez 1997, S 75), können Mersennes Quaestiones dieser nicht kurzerhand
zugeschlagen werden.
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132 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Versöhnung von Kirche und Wissenschaft


Der Atheist als Sündenbock
In der Vorrede enthüllt Mersenne den Zweck seines gewaltigen Unterfan-
gens – nicht bloß die Atheisten, Deisten und Zauberkünstler (magi) zu wider-
legen, sondern auch, den Vorwurf der Anhänger von Campanella, Bruno und
anderen zu entkräften, dass die Theologen und katholischen Gelehrten allein
dem Aristoteles folgen würden.383 Die gesamte Schrift gehört demnach in die
epochale Auseinandersetzung zwischen aristotelischer Schulphilosophie und
empirisch-mathematischer Naturforschung. Gegen den Vorwurf des blinden
Aristotelismus setzt Mersenne die listige Behauptung, dass die Theologen kei-
nem Autor zustimmen würden, der keine Vernunft besitze.384 Aus der Ver-
teidigungshaltung erwächst hier so eine Präfiguration der frühaufklärerischen
Eklektik.385 Vorsichtig und etwas umständlich manövriert Mersenne zwischen
den ideologischen Fallstricken seiner Zeit. Oberste Richtschnur bleibt für ihn
die Selbstoffenbarung Gottes in der Bibel und die kirchliche Tradition. Schon
deswegen aber, so Mersenne, könne es zu einem sklavischen Aristotelismus
gar nicht kommen. Vollkommen falsch (»falsissimum«) sei daher der Vorwurf,
die Katholiken würden, in philosophischer Unkenntnis, altem Aberglauben
(»superstitionibus«) anhängen.386 Die Wahrheit, schreibt Mersenne program-
matisch, habe keinen besseren Freund als den Katholiken.387 An die Gelehr-
ten ergeht dagegen der Aufruf, sich nicht mehr mit ›kindischem‹ Schulgezänk
(»puerilia«) und grammatikalischen Quisquilien (»Grammaticae ruderibus

383
Deswegen ist auch die in Forschung und Handbuchliteratur verbreitete Aussa-
ge, Mersenne sei noch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Quaestiones celeberrimae
überzeugter Aristoteliker, später nach seiner Wende dagegen begeisterter Kopernikaner
gewesen, durchaus mit Vorsicht zu genießen. Vgl. dagegen Hine 1973, bes. S. 19 u. 362, der
als einziger mir bekannter Autor Bedenken angesichts dieser dramatischen Polarisierung
anmeldet, und zwar nach eigener Beschäftigung mit den Quaestiones. Zu Recht stellt er
eingangs fest (S. 19): »The size and apparent lack of organization of this massive tome have
in the past deterred most scholars.« Für Hine war der Mersenne der Quaestiones ebenso
wenig ein Antikopernikaner wie der spätere nur und ausschließlich glühender Anhänger
des Kopernikus (vgl. ebd., S. 20 u. 25–28).
384
Mersenne, Quaestiones, Leservorrede, fol. ē 1r: »[E]nimuero Theologi nunquam
vlli authori assentiuntur, si ratione careat, quippe qui soli Deo, vt supremo veritatis authori
firmiter adhaerent, & omnibus credunt, quae Deus per se, vel per Ecclesiam reuelat […].«
385
Die Analogie reicht bis in die Formulierung. Es sei falsch, schreibt Mersenne,
wenn die Schüler Campanellas, Brunos usw. behaupten würden, »Doctores videlicet Ca-
tholicos, Theologos solum Aristotelem sequi, & in eius verba iurare« (ebd.). Die Horazi-
sche Formel »in nullius verba magistri iurare« bildete bekanntlich ein beliebtes Motto der
eklektischen Philosophie. Mehr dazu im Thomasius-Kapitel (V.2). Es dürften Äußerungen
wie diese sein, die Richard Popkin zu der oben zitierten These von Mersennes »mitigated
scepticism« veranlasst haben; vorsichtiger ließe sich dagegen, wie oben angedeutet, von
einer eklektischen Haltung sprechen.
386
Ebd.
387
Ebd.: »Imo si quibus vnquam veritas amica fuerit, Catholicis amicissima est, qua-
propter nihil praeter falsum respuunt.«
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Stultitia Atheismi 133

[…] & similibus nugis«) aufzuhalten, wo doch Atheisten und Deisten die Reli-
gion bestürmen würden, sondern deren Verdrehungen der Wahrheit (»impios
paralogismos«) zu widerlegen.388
Man muss diese Äußerungen nicht nur in ihrer apologetischen und pole-
mischen Ausrichtung begreifen, sondern auch in einer strategischen Dimensi-
on hinsichtlich ihrer kirchen- bzw. wissenschaftspolitischen Brisanz. Implizit
wird hier nämlich die katholische Kirche auf den Maßstab der veritas, der ra-
tio, der scientia verpflichtet, dem zu dieser Zeit sicherlich noch tief verwurzel-
ten Aristotelismus eine vorsichtige Absage erteilt. Zu loben statt zu kritisieren,
diese Strategie entspricht dem rhetorischen Kalkül des Fürstenlobs, das hier
auf die Kirche angewendet wird. Indem Mersenne die Kirche fortschrittlicher
zeichnet, als sie zu dieser Zeit de facto ist – der Prozess gegen Vanini lag erst
vier Jahre zurück –, nimmt er sie nicht nur gegen die Angriffe der »novatores«
und »Campanellistae« in Schutz, sondern auch gegen ihren eigenen Konser-
vativismus. Damit wird implizit also eine Lanze für die neue Wissenschaft ge-
brochen, ihre vermeintliche Gefährlichkeit für die Kirche von den Meisterden-
kern auf ihre unreifen Schüler mit ihrem leichtfertigen »Kopernikanisieren«
(»copernicoturire«) abgewälzt.389 Ein ähnliches Verfahren haben wir eben bei
Bacon gesehen. Darin scheint sicherlich nicht zuletzt das in der Frühen Neu-
zeit interkonfessionell wirksame aristotelische mesotes-Modell durch.390
Mersenne hat diesen Plan, die Versöhnung von Kirche und New Science,
zeitlebens verfolgt. Er steht in direktem Zusammenhang mit seinem Projekt
einer Erneuerung des mittelalterlichen Wissenschaftsbetriebs durch den Zu-
sammenschluss der Gelehrten in Akademien.391 Früher als andere erkannte
Mersenne den möglichen Nutzen der neuen Wissenschaft gerade für Religion
und Kirche. Sein Bestreben ging folglich dahin, die Wissenschaft zum apo-
logetischen Instrument umzuformen – eine Strategie, die, diesseits der ide-
engeschichtlichen Höhenzüge, bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein Bestand

388
Ebd. – Zum Pedantismusvorwurf vgl., im weiten epochalen Horizont, Kühlmann
1982, S. 285–454.
389
Mersenne, Quaestiones, Leservorrede, fol. ē 1v. – Zur Ambivalenz des Herrscher-
lobs zwischen Huldigung, strategischer Beratung und normativem Anspruch vgl. einige
antike und mittelalterliche Beispiel bei Curtius 1948, S. 185 f.
390
Zum mesotes-Konzept vgl. den informativen Artikel mesotes im HWbPh, Bd. 5,
1980, Sp. 1158–1161 (Henning Ottmann); ferner den Artikel meson in Höffe 2005, S. 344–
346 (Philipp Brüllmann, Katharina Fischer). – Auch Richard Popkin bringt den mitigated
scepticism, den er bei Gassendi und Mersenne sieht, einmal mit dem Konzept der via me-
dia in Verbindung (vgl. Popkin 32003, S. 123).
391
In der Leservorrede zu den Quaestiones, die zugleich auch einen Aufruf an die
gelehrte Welt bildet, sich für den Glauben einzusetzen (s. u.), nimmt dieser Gedanke be-
reits Gestalt an (fol. ē 1v): »Vtinam viri principes totius mundi, vel saltem Europae operi
adeo nobili intendant; enimuero si Galli, Hispani, Itali, & alij quipiam in suis regnis, &
ditionibus peculiarem Academiam instituant, quae scientias a fundamentis restaurare, vel
probare velit […].«
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134 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

und großen buchhändlerischen Erfolg hatte.392 Gegenüber den kirchlichen


Autoritäten galt es den Eindruck zu verhindern, dass der Fortschritt der Na-
turwissenschaften eo ipso zu einer Verbreitung deistischer oder atheistischer
Ansichten führe. Große Bedeutung kommt daher der Frage nach den tatsäch-
lichen Ursachen des neuen Unglaubens zu, aber auch nach dessen Form und
Auftreten.

Rettung der Vernunft


Mersennes Antiskeptizismus als Keimzelle seiner Apologetik
Bei Mersenne verschiebt sich der Atheismusbegriff inhaltlich deutlich in Rich-
tung des heutigen Verständnisses. Ähnlich wie bei Bacon rückt die Formel
»non est Deus« in den Mittelpunkt der Definition. Sie wird an mehreren Stel-
len wiederholt.393 Daneben gibt es aber auch zahlreiche Passagen, wo eindeutig
deistische Ansichten gemeint sind. Wie die im Folgejahr erschienene Schrift
Mersennes De l’impieté des Deistes et athées (1624) schon im Titel deutlich
macht, kommt es Mersenne darauf an, beide Gruppen zusammenzufassen,
obschon er definitorisch zwischen beiden sehr wohl zu differenzieren weiß.
Damit liegt er voll und ganz auf der Linie der barocken Apologetik insge-
samt. Vorsichtiger als spätere Autoren grenzt Mersenne dagegen die ›wah-
ren‹ Atheisten von denjenigen ab, die sich in Gesellschaft despektierlich über
Religion äußern würden, um gelehrter zu erscheinen, als sie seien, während
sie in Wirklichkeit von Gott wüssten und an ihn glauben würden,394 also wo-
möglich die Gruppe, die im lateinischen Schrifttum nach der Vulgata irrisores,
im deutschen Sprachraum ›Spötter‹ oder ›Religionsspötter‹ genannt wurden
( I.1.1).395 Konkret könnten damit libertinistische Kreise in der französischen
Hauptstadt gemeint sein.
Gegenüber der kontroverstheologischen und politischen Pamphletliteratur,
wie wir sie bisher kennengelernt haben, scheint sich also der Atheismusbegriff
präzisiert zu haben. Ein guter Maßstab dafür wäre, im Vergleich zu den katho-
lischen Autoren vor 1600 ( I.2.1; I.2.3), die deutlichere Abgrenzung der impii
von den haeretici, nicht zuletzt von den Protestanten. Gerade hier zeigt sich
jedoch, dass auch bei Mersenne noch Restbestände der Kontroverstheologie

392
Vgl. dazu Spiekermann 2012b.
393
Exemplarisch, mit angefügter Existenzbehauptung, Mersenne, Quaestiones, col.
225: »Tametsi creaturae omnes Deum ostendere videantur, attamen non desunt, qui cum
in luce meridiana versentur, caligant tamen, atque tenebris inuoluuntur, & Deum quem
omnia personant, esse negant: Neque laborandum est, vt Atheos esse probemus, quando-
quidem ex antecedentisbus satis superque constat, quot huiuscemodi tenebrionibus omnia
mundi regna scateant […].«
394
Mersenne, Quaestiones, col. 225: »Hic autem de veris Atheis loquor, non de cae-
teris, qui vt facundi, & caeteris doctiores appareant […], tametsi sciant, credantque Deum
esse […].«
395
Vgl. Schröder 1998, S. 43 f.
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Stultitia Atheismi 135

vorhanden sind.396 Zum einen wird die haeresis unter die Ursachen des Athe-
ismus gerechnet,397 die ›Ketzer‹ werden an anderer Stelle als Beschützer und
Gönner des Atheismus (»Atheorum propagines, & asyla«) bezeichnet.398 Um-
gekehrt unterstellt Mersenne den Atheisten eine Nähe zu den protestantischen
Konfessionen.399 Schließlich erklärt er die Ketzer kurzerhand zu Atheisten.400
Überdies enthält aber der dem Atheismus gewidmete Teil der Quaestiones eine
intensive Auseinandersetzung mit der lutherischen Anthropologie am Beispiel
des Matthias Flacius Illyricus.401 Mersennes Kritik richtet sich gegen die luthe-
rische Auffassung der menschlichen Vernunft und ihrer Verderbtheit durch
die Erbsünde. Für sein Projekt einer Neubegründung von Theologie und Wis-
senschaft auf dem gemeinsamen Fundament der ratio stellt Flacius’ biblizis-
tische Folgebehauptung, dass die Menschen ohne die Bibel »nicht mehr von
Gott wissen als das Vieh«,402 eine Bedrohung dar. Denn sie bestreitet die axio-
matische Grundlage der natürlichen Theologie, die bald zum Hauptargument
der Apologetik werden sollte – die prinzipiell jedem Menschen zugängliche
rationale Erkennbarkeit Gottes.403
Diese Frontstellung ordnet die lutherische Reformation dem Skeptizis-
mus zu404 und rechtfertigt daher die nach heutigen und selbst zeitgenössischen
Maßstäben unsachgemäße Bezeichnung des lutherischen Theologen Flacius
und seiner Anhänger als »Athei«.405 Mit dem Skeptizismus tritt bereits in die-
sem frühen Werk der lebenslange Hauptgegner Mersennes in den Blick und
mit ihm auch der entscheidende Unterschied zur Kontroverstheologie: Hier

396
Er knüpft sogar explizit an Possevino an (ebd., col. 235).
397
Ebd., col. 231: »Octaua causa est haeresis, quae est ad Atheismum via latissima
[…].« – Ähnlich werden auch in Mersennes L’impieté des Deistes, Athées et Libertins de
ces temps (1624) die Häresien (»les heresies«) als Quelle oder Ursprung von Deismus und
Atheismus angeführt (Vorr., fol. [i 5v]). – Dieses Deutungsmuster war besonders im katho-
lischen Raum verbreitet, es findet sich aber auch bei Voetius, De atheismo, S. 123.
398
Mersenne, Quaestiones, Widmungsvorrede, fol. ā jv.
399
Mersenne, Quaestiones, Leservorrede, fol. ē ijr: »Et vtinam me decipi contingat,
neque enim vllius odio, vel inuidia haec conjicio, sed quia plurimi, & fere omnes isti noua-
tores male audiunt, & de fide Catholica perperam sentiunt, quippequi Caluinianae, Luthe-
ranae, Ariminicae [!], vel alteri haereticae perfidiae manus dederunt; sed reuocare gradum
facillimum est.«
400
In einer Marginalie zum Illyricus-Kapitel (s. u.), ebd., col. 235: »Haeretici sunt
Athei.«
401
Ebd., col. 236–278.
402
Ebd., col. 240: »Hactenus Lutherus apud Illyricum, qui sine scriptura sacra con-
tendit homines nihilo plus de Deo scire, quam pecudes […].« Zahlreiche Formulierungen
im weiteren Text, z. B. col. 242, 248, 257 u. ö.
403
Vgl. Barth 1971, S. 197–216; Frank 2003.
404
Dieser Zuordnung folgt etwa Richard Popkin in seiner einflussreichen History of
Scepticism (Popkin 32003), S. 3–16 (Kap. I: The intellectual crisis of the reformation).
405
Mersenne, Quaestiones, col. 252, am Ende der Beweisführung gegen Flacius:
»Quae sane meo iudicio sufficiunt, vt omnes rationes Illyrici corruant, aeternoque pudore
omnes eius sequaces Athei suffundantur […].«
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136 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

geht es nicht mehr um konfessionell und politisch motivierte Verdammungs-


urteile, sondern um eine methodische Auseinandersetzung auf der Ebene der
Erkenntnistheorie. Mersennes anschließende Verteidigung der Erkennbar-
keit Gottes aus Vernunft und Natur, auf die Bibel406 wie auf antike Autoren
gestützt,407 verdient Anerkennung408 und konterkariert, zumindest für diese
frühe Phase, die Annahme, er habe dem Skeptizismus zugeneigt. Vielmehr
liegt es im Interesse seines Beweisziels, dass die menschliche Vernunft zu Er-
kenntnisleistungen imstande ist.

Atheismus als Dummheit und Vorurteil


Mersennes psychologische Ursachenanalyse
Wenn Gott mit der Vernunft erkannt werden kann, dann lässt sich die Leug-
nung seiner Existenz als Nachweis ihres Gegenteils, der Unvernunft, begrei-
fen. Anders ist Atheismus angesichts der cognitio Dei naturalis nicht mehr er-
klärbar. Vor diesem Hintergrund erhält – wir sahen es schon bei Bacon – der
biblische Topos von der ›Dummheit‹ oder ›Torheit‹ der Gottesleugner ( I.1)
eine überraschende Aktualität. Folgerichtig stellt Mersenne, noch bevor er
sich den Argumenten des Flacius Illyricus und anderer zuwendet, eine knappe
Deutung des 14. Psalms409 an den Anfang einer Aufzählung möglicher Grün-
de für das Entstehen atheistischer Ansichten im Individuum.410 Das Kapitel
(col. 225–234) ist von der bisherigen Forschung kaum beachtet worden, ob-
wohl es nichts anderes darstellt als eine kurzgefasste, auf die Frage der Gotte-
serkenntnis zugeschnittene Vorurteilslehre. Sie bildet die strategisch adäquate
Ergänzung zur zentralen Stellung der ratio in Mersennes wissenschaftspoliti-
schem und apologetischem Programm. Denn sie pariert das Hauptargument
des Skeptizismus – das fortwährende Versagen der menschlichen Vernunft –
mit dem Hinweis auf die Gegenkräfte der Vernunft im Menschen selbst.

406
Ein ganzer Abschnitt (ebd., col. 241–244) widmet sich der Erläuterung des Rö-
merbriefs mit Blick auf die natürliche Gotteserkenntnis, ersichtlich schon am Titel, der
zugleich noch einmal einen Seitenhieb auf Flacius plaziert: »Explicantur D. Pauli loca ex
primis capitibus epistolae ad Romanos desumpta, quibus probatur, aut improbatur genti-
les Deum cognoscere, aut cognoscere potuisse aduersus Illyricum Atheis fauentem.«
407
Er beruft den consensus gentium (ebd., col. 259): »Exemplum insigne pagani con-
firmans innatas de Deo notitias […].« Vgl. auch knapp Armogathe 1994, S. 165 f.
408
Vgl. die Hinweise bei Barth 1971, S. 255 f., der Mersenne richtig der frühen Phy-
sikotheologie zuordnet.
409
Da Mersenne die Vulgata verwendet, in der die Psalmzählung vom hebräischen
Text abweicht, spricht er in der Regel (nicht immer) vom 13. Psalm. Im Folgenden wird
ohne weiteren Hinweis die protestantische Zählung zugrunde gelegt.
410
Das Zusammenstellen derartiger Causae Atheismi gehört durch das ganze
17. Jahrhundert zum apologetischen Rüstzeug; vgl. Barth 1971, S. 96–135. – Bereits 1593
hatte Pierre Charron in seinen Trois veritez (S. 10–12) eine Liste von fünf Ursachen vorge-
legt, auf die Mersenne hier offensichtlich rekurriert. Vgl. dazu Kors 1990, S. 27 f.
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Stultitia Atheismi 137

Dadurch wird der Vorwurf einer defizienten Erkenntnisleistung von der Ver-
nunft weg und hin auf die Affekte gelenkt.
Die 18 von Mersenne aufgezählten Ursachen für die Annahme atheistischer
Überzeugungen lassen sich grob drei Gruppen zuordnen. Einer ersten Abtei-
lung von vier psychologisch-affekttheoretischen Ursachen und einer weiteren
von erkenntnistheoretisch-methodischen Ursachen steht die größte Gruppe
als Bündel von Fehlschlüssen gegenüber, die sich aus der unzureichenden In-
terpretation der Erfahrung ergeben. An dieser Stelle geht die Erörterung der
Gründe nahtlos in die Analyse der atheistischen Argumente oder Einwän-
de (»obiectiones«) über, der eigentlich erst der zweite Teil des Artikels (col.
234–236) gewidmet ist. Anlass für derartige Fehlschlüsse seien Beobachtungen
wie etwa die, dass in der Welt die Schlechten durchkommen (»Quia vident
malos florere, bonos opprimi«),411 dass die eigenen Gebete nicht erhört werden
(»nisi statim impetrent, quod a Deo postulant«)412 oder dass die Ungläubigen
und Häretiker friedlicher miteinander auskommen (»Ob impiorum familia-
ritate & consortium«)413 als die ›eigentlichen‹ Gläubigen, die Katholiken. Für
die hier zu verfolgende Entstehung des Feindbilds ›Atheist‹ ist besonders die
erste Gruppe von Interesse, die auch deutlich ausführlicher abgehandelt wird.
Denn das vermeintliche Denken wird hier als unterwandert und bestimmt von
Affekten dargestellt, es entsteht – freilich in polemischer Verzerrung – das cha-
rakterliche Profil des gemeinen Atheisten, wie es sich von nun an immer wie-
der finden wird, bis es um 1740 schließlich in das Bild des ›Freigeists‹ übergeht
( VII.3). Mersenne greift dazu auf biblische Quellen, aber auch auf antike
Gewährsleute und den von ihm hochgeschätzten »doctor Sanctus«, Thomas
von Aquin, zurück.414 Ein wichtiger zeitgenössischer Vorläufer dürfte schließ-
lich Pierre Charron gewesen sein, der in seiner Schrift Les trois veritez von
1593 mit ganz ähnlichen Argumenten gegen die Atheisten zu Felde gezogen
war.415
Den Anfang des Ursachenkatalogs bildet, wohl mehr aus rhetorischen
als aus systematischen Gründen,416 die Torheit (fatuitas, insipientia), die am
Beispiel des 14. Psalms erläutert wird. Bemerkenswerterweise übersetzt
Mersenne den biblischen Ausdruck ›insipiens‹ (hebr. ‫נבל‬: nabal ) mit ›ohne
Verstand‹ (»ratione destitutum«) oder ›hirnlos‹ (»cerebro carentem«). Er

411
Mersenne, Quaestiones, col. 231.
412
Ebd., col. 229.
413
Ebd., col. 231.
414
Der Ausdruck »doctor Sanctus« in col. 228.
415
Da der Angriff auf Charron durch den Jesuiten Garasse erst im Erscheinungsjahr
der Quaestiones Celeberrimae erfolgte (vgl. Popkin 32003, S. 100–102), kann Mersenne
Charron hier noch als Gewährsmann in Anspruch nehmen. Ein Jahr später, in L’impieté
des déistes, wendet er sich scharf gegen Charron (so schon in der Vorrede); vgl. Descotes
2006, S. 104.
416
Dahinter steht wohl auch das Vorbild Charrons, der seine Liste von fünf Grün-
den ebenfalls mit der insipientia eröffnet (Les trois veritez, S. 10).
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138 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

weist auch auf das vom selben Radikal stammende ›nabla‹ (›leer‹).417 Damit
geht er über die Psalterauslegung der Zeit ( I.1), protestantisch wie katho-
lisch, hinaus. Wurde dort das nabal noch mehr im Sinne eines moralischen
oder geistlichen Defekts verstanden, so erscheint es hier den Bedürfnissen
der natürlichen Theologie angepasst. Dazu greift Mersenne auf Anselm von
Canterbury zurück, der die stultitia als Missbrauch des Verstandes begrei-
fe (»ratione non vtitur, sed potius abutitur«), infolge dessen die Erkenntnis
Gottes verhindert werde.418 Hat die Erwähnung der Dummheit hier also eher
polemischen Wert, so ist mit der zweiten Ursache der Boden der klassischen
Vorurteilslehre betreten, zugleich aber auch der Zusammenhang mit der tra-
ditionellen Sündentheologie hergestellt. Mersenne beschreibt, in Anlehnung
an Thomas von Aquin, wie die »vier Tätigkeiten des Verstandes« (»4 actus
rationis«)419 von den Affekten oder Lastern – er nennt libido, gula und vor
allem luxuria420 – unterlaufen werden, sodass es zur Übereilung im Urteil
(»praecipitatio«) komme. Auf diese Weise würden die »superiores vires«,
Verstand und Wille, in Unordnung versetzt (»deordinentur«).421 Die Paral-
lelen zur Vorurteilslehre der Frühaufklärung sind unübersehbar ( III.4.3).
Eingekleidet werden diese psychologischen Überlegungen in die schon von
Assonville her bekannte Topik der Irrationalität (»odium«, »affectum«,
»horrorrem«, »rationis expertem«), die mithilfe des gleichen Bildkomplexes
von Zügellosigkeit (»effraenis«) und Blindheit (»caecitatem«) veranschau-
licht und dramatisiert werden. Der dem Stoizismus entlehnte Begriff der
Unbeständigkeit (»inconstantia«) und die marginal hinzugesetzte Rubrizie-
rung des Abschnitts als »Auswirkungen der Wollust« (»Effectus libidinis«)
bringen zudem eine moralische Dimension ins Spiel:

Cum igitur effraenis libidinis impetus caecitate mentem percutiat, & in ea praecipita-
tionem, & inconstantiam, in voluntate autem, sui amorem, Deique odium, affectum
praesentis saeculi, & futuri horrorem generet, non est mirum si luxuriam inter Athe-
[i]smi causas enumeremus, quae prout hominem rationis expertem facit, ad primam
causam facile reuocari possit.422

Als dritte Ursache führt Mersenne die Eigenart des Menschen an, sein Urteil
je nach Laune (»prout affecti sunt«) und nach seinen Wünschen zu richten

417
Mersenne, Quaestiones, col. 226; s. a ebd., col. 242 (Marginal: »Nabal quid«).
418
Ebd., col. 226 f.
419
Mersenne verfasste dazu eine kleine Schrift, die im gleichen Jahr wie die Quaes-
tiones celeberrimae erschien: L’usage de la raison ou tous les mouvemens de la raison sont
deduits; et les actions de l’entendement, de la volonté, et du liberal arbitre sont expliquées
fort exactement. Paris 1623 (ND Paris 2002, in der Reihe Corpus des œuvres de philosophie
en langue francaise).
420
Mersenne, Quaestiones, col. 227.
421
Ebd.
422
Ebd., col. 228.
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Stultitia Atheismi 139

(»prout rem illam, de qua iudicium ferunt, sese habere vellent«).423 So lasse sich
das Urteil, es gebe keinen Gott und keine unsterbliche Seele, aus dem Wunsch
erklären, es gebe keinen göttlichen Richter (»vindicem«), der die Kreaturen
gemäß der Schwere ihrer Verbrechen (»iuxta delictorum suorum grauitatem«)
bestrafe. Der sündige Mensch habe, je tiefer er sich in Verbrechen verstricke,
ein Interesse daran, »jegliche Empfindung und Vorstellung von Gott« (»om-
nem de Deo sensum, & opinionem«) aus seinem Bewusstsein zu vertreiben.424
Auch hier verhindere also die Irrationalität den Zugang zum klaren Urteil,
sie führe dazu, »vt saepissime perperam homines de rebus sibi propositis
iudicent«.425
In dieser affektpsychologisch-moralistischen Sicht deutet sich ein Ver-
ständnis von Atheismus an, das im Laufe des 17. und frühen 18. Jahrhunderts
immer wieder dort auftritt, wo die natürliche Theologie zur Grundlage der
Apologetik gemacht wird. Das betrifft vor allem die akademische Theologie
einschließlich der für die theologia naturalis zuständigen Metaphysik. Denn
die Vorstellung einer natürlichen Gotteserkenntnis, wie sie hier im Anschluss
an den Römerbrief, aber auch an Platon und Cicero konzipiert wird, bestreitet
die Möglichkeit einer auf unschuldigem Nichtwissen beruhenden negatio Dei
als erkenntnistheoretisch widersinnig. In Wirklichkeit, so argumentierten auch
schon Bucer, Calvin und Bacon (s. o.), könne die natürliche Gotteserkenntnis
nur durch interessengesteuerte Selbstüberredung aus dem Bewusstsein ver-
trieben werden. Der strategische Zweck dieses Arguments war schon beim
Apostel deutlich sichtbar: Da vermeintliches Nichtwissen von Gott als aktives
Nichtwissenwollen gedeutet wird, ist es auch nicht entschuldbar wie ein blo-
ßer Irrtum. Darüber werden Thomasius und Wolff dann wieder diskutieren
( IV.1; IV.5).
Nahmen die bisherigen Ursachen ihren Ausgang von den Wirkungen der
menschlichen Sündhaftigkeit und Irrationalität, vor deren Hintergrund die
Gottesleugnung nicht zuletzt als Folgeerscheinung lasterhaften Verhaltens
deutbar wird, so führt Mersenne erst mit der fünften Ursache – der Ungeduld
oder mangelnden Gläubigkeit (»Impatientia & incredulitas«)426 – das seit Bayle
weitaus bekanntere Konstrukt ein, das die Lasterhaftigkeit als zwingende Kon-
sequenz der Gottsleugnung hinstellt. Der hier entwickelte Gedankengang ist
besonders interessant, weil dabei – wichtig für spätere literarische Bearbeitun-
gen – die stufenweise Entwicklung vom Glauben über deistische Überzeugun-
gen bis zur Gottesleugnung in eine chronologische, gewissermaßen biogra-
fisch-narrative, Anordnung gebracht wird. Sie beginnt mit der Ungeduld der
Menschen, wenn Gott ihre Gebete in widrigen Situationen nicht umgehend

423
Ebd.
424
Ebd.
425
Ebd.
426
So die Marginalie an der entsprechenden Stelle, ebd., col. 229. – Die Ungeduld
führt Charron als vierte Ursache an: Les trois veritez, p. 12; vgl. auch Kors 1990, S. 27.
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140 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

erhört habe (»quod non eos confestim exaudierit«).427 Das liegt für Mersenne
schon im Bereich der als atheistisch eingestuften Argumente, dass Gott Gebete
entweder gar nicht erhöre – das wäre die deistische Position428 – oder doch we-
nigstens langsamer, als es seiner Güte und Barmherzigkeit angemessen wäre.
Statt auf den hier naheliegenden Fall Hiobs verweist Mersenne auf die ent-
sprechende Klage im 13. Psalm. Bei anhaltendem Unglück könne sich diese
Ansicht weiter verstärken, sodass die Zweifelnden schließlich den Entschluss
fassen würden (»decernunt«), es gebe keinen Gott.429 Wieder wird also die
Gottesleugnung als willentlicher Akt gedeutet, der auf einem falschen Ver-
nunftschluss beruht. Deutlich wird auf den 14. Psalm angespielt, denn der Wil-
lensakt, so heißt es, werde in den Herzen der Betreffenden (»in suis cordibus«)
gefasst. Das bestätigt sich im Weiteren, wenn nämlich die Folgen dieser Ent-
scheidung durchgespielt werden. Sie führt Mersenne zufolge, mit Gewissheit
(»certatim«), zu allen übrigen Arten der Sünde (»ad omne reliquum peccati
genus«), wenn nämlich erst einmal der Glaube an einen allwissenden und rich-
tenden Gott verlassen ist. Fast gleichlautend hatte Bucer argumentiert ( I.1.4).
Das anschließende Lasterpanorama, das sich mit drastischen Ausdrücken zu
oratorischer Wucht steigert, ist ähnlich schon im Römerbrief vorgebildet, es
findet sich in verschiedensten Variationen bis weit ins 18. Jahrhundert hinein:

Si enim nullus est inspector, si nullus qui pro meritis vitae cuilibet tribuat, quid prohi-
bet pauperem conculcare, orphanos necare, viduam & aduenam occidere, omne audax
facinus tentare, impuris, & abominandis affectibus, omnibus denique pecuinis cupi-
ditatibus inquinari? idcirco illud, quod talem impietatem, quae Deum non esse dicit,
consequitur; Corrupti sunt, & abominabiles facti sunt in studiis suis. Impossibile est
namque a via iusta aberrare eum, qui in corde suo Dei non obliuiscitur.430

Wie so oft in der Debatte um den richtigen Vernunftgebrauch liegt der Argu-
mentation das Modell des rechten Maßes oder Mittelwegs zugrunde: Nicht
die eigentliche Beschäftigung mit den Naturgesetzen wird getadelt, sondern
der »ungeregelte Eifer« (»inordinatum studium«) und die »übertriebene Sorg-
falt« (»nimiaque sollicitudo«). Wo derartige ›Unordnung‹ oder Maßlosigkeit
im Denken herrsche, so Mersenne mit Hinweis auf den Kirchenvater Hiero-
nymus, sei auch die moralische Ausschweifung nicht weit. Das ist, bei aller

427
Mersenne, Quaestiones, col. 229.
428
Sie ist deutlicher gekennzeichnet im weiteren Verlauf des Abschnitts, wo Mer-
senne, mit Basilius, die Klage des Psalmisten heranzieht, dass Gott ihn vergessen habe
(Ps. 13,2). Daraus ergebe sich sofort der Übergang zur deistischen Ansicht, es gebe keinen
Gott, der sich um die Angelegenheiten dieser Welt kümmere (»non sit Deus, qui rerum
huius mundi curam gerat«, ebd.).
429
Ebd.: »Deinde vbi se viderint in iis quae nolunt diu detentos, paruum illud dogma
intra se confirmant, & in suis cordibus ita decernunt: non est Deus, & paulo post.«
430
Ebd., col. 230. – Das »Corrupti sunt, & abominabiles« ist wörtlich dem 14. Psalm
in der Fassung der Vulgata entnommen (dort der 13. Psalm), das »facti sunt« zitiert
Röm 1,22 (»stulti facti sunt«).
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Stultitia Atheismi 141

Polemik, eine Koppelung, die im Begriff des Libertins bis heute enthalten ist
und noch jüngste Forschungen zur Geschichte über Libertinage in der Frü-
hen Neuzeit sichtlich mitbestimmt. Auch wenn also Mersenne hier mit einem
Feindkonstrukt auf biblischer und patristischer Grundlage operiert, wird er
entsprechende Tendenzen vor Augen gehabt haben. Entsprechend heftig fällt
die moralische Anschuldigung aus, die das sündentheologische Modell um ein
drastisches biblisches Exempel – den betrunkenen Loth – ergänzt: Die Philo-
sophen und Ärzte, die Mersenne für besonders gefährdet hält, vergleicht er
mit Berauschten (»ebriis«), die nicht wüssten, was sie dächten oder täten, und
falsche Schlüsse ziehen würden (»perperam ratiocinantur«), obgleich sie sich
im Vollbesitz ihrer Urteilskraft wähnen würden.431 Daran zeigt sich auch hier:
Selbst wenn Atheismus bei Mersenne nun weit deutlicher als kognitive Hal-
tung begriffen wird, bleibt das moralisch-praktische Verständnis erhalten. Ein
bewährtes Indiz dafür bietet einmal mehr der insipiens des 14. Psalms. Er wird
auch weiterhin eine Schlüsselfigur bleiben, wo die Behauptung von der Ver-
nünftigkeit der Theologie mit antiatheistischer Polemik zusammentrifft, bei
Voetius etwa ( I.5), 1692 dann bei Richard Bentley ( IV.4.1) und wieder in
der Disputationsreihe Atheus stultus (1713–1715) von Johann Ulrich From-
mann ( V.5.2). Die theologische und religionsphilosophische Grundlagen-
arbeit dafür leisteten überwiegend andere Autoren, deren heute bekanntester
nun ausführlicher zu Wort kommen soll.

4.3 Glaube, Vernunft und Apologetik im Gefolge Bacons


Leibniz’ Confessio naturae contra atheistas (1668)

Wenn der große Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716),


zwei Generationen jünger als Mersenne, schon hier zu Wort kommt, nicht
im Zusammenhang mit der deutschen Barockapologetik ( II) oder im »Vor-
feld der Aufklärung« ( IV), bedarf das einer kurzen Erklärung.432 Angesichts
seiner schon fast sprichwörtlichen Vielseitigkeit hätte Leibniz auch im Ka-
pitel zu Staats- und Naturrecht ( I.3) einen Platz verdient. Sicherlich hätte
Leibniz’ eigene Tätigkeit als Apologet für die christliche Religion – besonders
prominent in den Essais de Theodicée (1710) oder den weniger bekannten

431
Ebd., col. 230 f.
432
Leibniz’ Werke werden im Folgenden zitiert nach der sogenannten Akademieaus-
gabe (abgekürzt A): Sämtliche Schriften und Briefe, hg. von der Berlin-Brandenburgischen
[zuerst noch preußisch, zwischenzeitlich DDR] Akademie der Wissenschaften und der
Akademie der Wissenschaften in Göttingen, 1923 ff., unter Angabe der Reihe in römischen
und des Bandes in arabischen Ziffern mit Seitenzahl (z. B. A I/1, S. 123). Der erste Band
der zweiten Reihe (Philosophischer Briefwechsel) liegt seit 2006 in einer Neuauflage vor.
Sie wird mit einer hochgestellten 2 (A II/12) bezeichnet. Die Seitenzählung stimmt nicht
mit der Erstauflage von 1926 überein. – Wo es sinnvoll erscheint, vor allem beim Nachweis
einzelner Worte, wird überdies noch die Zeilenzahl (»Z.«) hinzugefügt. – Eine Übersicht
der Leibniz-Editionen bietet der Neue Ueberweg 17/4, S. 1002–1004.
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142 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Annotatiunculae ad librum de Christianismo mysteriis carente (1701) gegen


den britischen Deisten John Toland433 – sowie seine herausragende Stellung
als Theologe und Religionsphilosoph ein größeres Kapitel füllen können.434
Schließlich aber bietet sein Briefwechsel mit Spizel, Spener und Veit Ludwig
von Seckendorff wertvolle Einblicke in die Kommunikation der weiter unten
( II.2) vorgestellten apologetischen Netzwerke im Umfeld des beginnenden
Pietismus.435
Wenn er dennoch bereits hier im Zusammenhang mit Bacon und Mersenne
zu Wort kommt, dann vor allem aus zwei Gründen: Zum einen knüpft Leib-
niz in seiner kleinen Schrift gegen den Atheismus (s. u.) explizit an Bacon an.
Seine Absicht, auch in nachfolgenden Schriften, die christliche Religion mit
philosophischen Mitteln zu verteidigen, die drohende Kluft zwischen Glau-
be und Vernunft aber nach Möglichkeit geschlossen zu halten, steht deutlich
in Kontinuität zu den Bemühungen Bacons und Mersennes. Gleichzeitig ist
Leibniz kaum mit polemischen Äußerungen gegen den Atheismus an die Öf-
fentlichkeit getreten, hat also zum deutschen Feindbilddiskurs der Barockzeit
insgesamt wenig beigetragen. Zwar unterstützte und ermunterte er Spizel und
Seckendorff in ihren apologetischen Bemühungen (s. u.), auch unterstellte er
dem Atheismus mit führenden Staatsdenkern der Zeit gesellschaftsschädliche
Wirkungen; seine eigenen Schriften gegen Atheismus und heterodoxe Religi-
onskritik bewegen sich jedoch auf der Ebene der philosophischen und theo-
logischen Argumentation und halten sich von Polemik weitgehend fern. Sie
gehören daher eher in eine (dringend benötigte) Geschichte der neuzeitlichen
Apologetik436 oder eine Aufarbeitung philosophischer Gottesbeweise als in

433
Vgl. zu Toland die Ausführungen bei Lærke 2008, S. 323–326 et pass.: Antag-
nozza 2009, S. 418–420. – Die kleine Schrift von Leibniz erwähnt noch Herder in seinem
Freidenker-Essay von 1802 ( Johann Gottfried Herder, Freidenker, in: Adrastea, 4. Bd.,
1802, S. 214–229, hier S. 216, Anm. a). Zu Herders Essay s. weiter unten, Kap. VI.6.4
434
Überblick auf hohem Niveau im Neuen Ueberweg 17/4, S. 1079–1090 (Walter
Sparn); im Vergleich dürftig, da vorwiegend an großen Namen (Spinoza, Malebranche,
Clarke) orientiert: Lin 2011, S. 192–207; herausragend auch Sparn 1986 über Leibniz’
Dialog Confessio philosophi von 1673. – Eine neuere Gesamtdarstellung des Theologen
Leibniz, erschwert durch die Fülle und Verstreutheit des Materials, fehlt seit dem Versuch
von Pichler 1869 f. (vgl. Sparn 1986, S. 154 f.); vgl. aber nun, mit kluger Konzentration auf
ausgewählte dogmatische Loci (u. a. Transsubstantiation, Prädestination, Willensfreiheit)
Backus 2016 (s. den knappen Forschungsbericht, ebd., S. 2–4); ferner die Beiträge in Li/
Rudolph 2017.
435
Leibniz’ Verhältnis zum Pietismus ist seit Ernst Troeltschs bekannter Studie (Tro-
eltsch 1902) immer wieder erörtert worden, ohne dass mehr als theologische Analogien
oder persönliche Kontakte hätten festgestellt werden können. Zu letzteren vgl. vor allem
Blaufuß 1973, Blaufuß 1977, pass. (Register); Beyreuther 1978, pass. (Register); zuletzt
Wallmann 2017.
436
Seit Karl Werners fünfbändiger Geschichte der apologetischen und polemischen
Literatur der christlichen Theologie (Schaffhausen 1861–1867; ND Osnabrück 1965) ist m.
W. keine zusammenhängende Gesamtdarstellung der christlichen Apologetik erschienen.
Vgl. die Hinweise bei Vollhardt 2002a.
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Stultitia Atheismi 143

eine Diskurs- oder Feindbildgeschichte des Unglaubens. Dagegen richtet sich


die Theodizee samt ihrer Vorstufen in kleineren Schriften gerade nicht gegen
Atheisten oder Religionskritiker per se, sondern gegen Bayles prinzipielle Kri-
tik am Vernunftgebrauch in theologischen Fragen. Sie gehört somit gar nicht
in den engeren Radius dieser Untersuchung, sondern ebenfalls auf die Ebene
der apologetischen Grundsatzdiskussion.437
Die folgenden Ausführungen beschränken sich daher auf drei Gesichts-
punkte: Zum einen (1.) soll mit der Confessio naturae contra atheistas eine
auch in der Leibnizforschung wenig bekannte Schrift vorgestellt und auf ihre
Stellung in der deutschen Atheismusdebatte der Zeit befragt werden.438 Dazu
werden zum anderen (2.) über verschiedene Texte verstreute Äußerungen des
Philosophen über oder gegen den Atheismus zusammengetragen, um sein
Verhältnis zum Atheismus im engeren Wortsinn sowie zur Feindvorstellung
des Gottlosen zu ermitteln. Schließlich aber (3.) soll Leibniz anhand einer Rei-
he von Beispielen als Leser und Förderer antiatheistischer Literatur vorgestellt
werden.

437
Die Forschung zur Theodizee darf hier aus den genannten Gründen außen vor
bleiben. Bibliografische Hinweise in Mittelstrass, Bd. 4, S. 504–523 (Bibliografie ebd.,
S. 516–523).
438
Bezeichnend ist bereits, dass die Confessio naturae in der Mehrzahl der vielen
Auswahlausgaben und Textsammlungen fehlt (Ausnahmen verzeichnet Busche 1997,
S. 230, Anm. 45). – In der Leibnizforschung wird die Confessio naturae vor allem dort be-
handelt, wo ein historischer Blick auf die philosophische Entwicklung des jungen Leibniz
versucht wird, insbesondere in größeren Biografien; vgl. etwa Aiton 1991, S. 49–51; zuletzt
Antognazza 2009, S. 101–104, die hier zum ersten Mal, wenn auch nur implizit, das für
Leibniz so zentrale Prinzip des zureichenden Grundes (»principle of sufficient reason«)
angewendet sieht (vgl. ebd., S. 103); vgl. außerdem knapp Lærke 2008, S. 113 f. – In der
ausladenden Forschung zur leibnizschen Metaphysik, gerade in ihrem Vermittlungsan-
spruch zwischen aristotelischer Philosophie und der neuen mechanistisch-physikalischen
Naturphilosophie, hat die Confessio naturae verschiedentlich Beachtung gefunden, so
etwa knapp bei Garber 1982 (S. 163; ebd., Anm. 3, Hinweise auf ältere Literatur) und Wil-
son 1989 (S. 48–50); ausführlicher und umsichtiger bei Busche 1997, S. 230–235, der die
kleine Schrift gemeinsam mit den zwei großen Briefen an Jakob Thomasius vom Frühjahr
1670, in Anspielung auf das berühmte Gründungsdokument des deutschen Idealismus, als
das ›Älteste Systemprogramm‹ der leibnizschen Metaphysik bezeichnet (S. 220); vor allem
aber in der gründlichen philosophischen Interpretation von Mercer 2001, die der Confessio
naturae ein eigenes Kapitel gewidmet hat (S. 70–82). Mercers Darstellung ist den ande-
ren mir bekannten Analysen überlegen, weil sie nicht nur die philosophiegeschichtlichen
Kontexte des 17. Jahrhunderts (z. B. auch Autoren wie Rudolph Goclenius oder Johann
Adam Scherzer) im Blick behält, sondern, auf dieser Grundlage, auch erhellende Über-
legungen zur Bedeutung des ratio-Begriffs in diesem frühen Text von Leibniz anstellt.
Die Frage, ob schon die Confessio naturae das Prinzip vom zureichenden Grund enthält,
bejaht sie nach eingehender Untersuchung nur eingeschränkt (ebd., S. 81): »As with the
other assumptions, Leibniz does not argue for this principle; he merely uses it.« – Von
Seiten der Pietismusforschung hat schon früh der beste Spizel-Kenner, Dietrich Blaufuß,
auf die Schrift aufmerksam gemacht, vgl. Blaufuß 1977, S. 306; zuletzt dazu Wallmann
2017, S. 228 f.
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144 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Die kurze Schrift Confessio naturae contra Atheistas,439 nach Auskunft von
Leibniz selbst entstanden im bewegten Treiben eines Wirtshauses, erschien
auf einem ersten Höhepunkt der deutschen Atheismusdebatte, als Anhang zu
Theophil Spizels Brieftraktat De atheismo eradicando von 1669 ( II.3.2).440
Das Manuskript war Spizel, ohne Verfasserangabe, von Philipp Jakob Spener
zugesandt worden, der es von dem früheren Kurmainzer Minister Johann
Christian von Boineburg erhalten hatte.441 Dieser Freund und Förderer des
jungen Leibniz hatte schon früh, kurz nach der Jahrhundertmitte, vor der Ver-
breitung des Atheismus gewarnt.442 Kurzerhand druckte Spizel den Text mit
Dankadresse an Spener als »Post-Scriptum« ab und gab ihm den bis heute üb-
lichen Titel.443 Seinem Vorhaben – im Anschluss vor allem an Mersenne – eine
tragfähige Argumentation zur Widerlegung oder gar Bekehrung von Atheis-
ten zu entwickeln, musste Leibniz’ kurzgefasster Beweis Gottes aus der Natur
in idealer Weise entgegenkommen. Als Leibniz davon erfuhr, schrieb er Spizel
im Dezember 1669 überaus freundlich und bekundete ihm seine Solidarität
im »Kampf gegen die Atheisten«, die er im gleichen Atemzug als »publicos
hostes« einstuft.444 Gegenüber dem Lehrer Jakob Thomasius bemängelte er

439
Hier zitiert nach dem Abdruck in der Akademieausgabe (A VI/1, S. 489–493).
440
Spizel erfuhr nach eigener Aussage erst nach der Veröffentlichung von De atheis-
mo eradicando, wer der Autor der Confessio naturae gewesen war. Im Januar 1670 schreibt
er entsprechend an Leibniz (A I/1, S. 84): »Majorem sane in modum tuas suspexi literas,
qvod ab ignoto olim, jam vero notissimo Confessionis authore ad me fuerint ablegatae.«
441
Den ganzen Vorgang mitsamt der Wirtshausanekdote schildert Leibniz in dem
großen Brief an den Lehrer Jakob Thomasius vom April 1670 (A II/1, S. 37 f.): »Conscrip-
seram aliquando per otium, tumultuaria tamen opera in diversorio duas circiter plagulas,
quibus de demonstranda solito accuratius immortalitatis animae, et existentia Dei agebam.
Has communicaveram amico [sc. Boineburg]. Per hunc venere in manus Pl. Reverendi
Speneri, Pastoris Francofurtensium, auctore tamen merito dissimulato. Spenerus Spizelio
transmittit […].« – Zu Speners Korrespondenz mit Leibniz vgl. jetzt Wallmann 2017.
442
Am 23. Januar 1656 schrieb Boineburg an Hermann Conring: »Scribis, te mirari,
tot ex Italia redire, Atheismo infectos. Cur vero solam nominas Italiam? Cur non addis
Angliam comprimis ac Bataviam? Certe & sunt longe plures in illis provinciis, quam in
Italia, quibus aut Christiana Religio suspecta est, aut ipsa etiam providentia divina & animi
immortalitas in dubium trahitur.« Hier zitiert nach dem Wiederabdruck in Friedrich Carl
von Mosers Patriotischem Archiv für Deutschland, Bd. 6 (1787), S. 493–499 (Wichtiger
Aufschluß über Ursprung und Fortgang der in allen Religion [!] einreissenden Freygeis-
terey, über die wahre Ursache des Uebergangs der Protestanten zur Römischen Kirche
und über den Schaden der Reisen nach Italien), Zitat S. 493 f. – Zu Boineburg und seinen
Verbindungen zum apologetischen Netzwerk um Spener vgl. Blaufuß 1977, S. 267, 289 et
pass. (Register).
443
Spizel, De atheismo eradicando, Augsburg 1669, S. 125–135. – Zur Betitelung
noch einmal Leibniz an Thomasius (A II/1, S. 38): »Spizelius suae illi epistolae ad Ant.
Reiserum, de eradicando Atheismo nuperae fini adjecit, sub tit. Confessio naturae contra
Atheistas.«
444
Brief vom 12./22. Dezember 1669 (A I/1, S. 81): »Certamen contra Atheos su-
sceptum, nemo est, qvi non Reipublicae Christianae pernecesssarium judicet. […] Ego
tametsi non theologus, nihilo minus, qvando ut Tertullianus ait, adversus publicos hostes
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Stultitia Atheismi 145

hingegen, dass sich bei der Drucklegung einige Fehler eingeschlichen hätten.445
Gerade der Beweis für die Unsterblichkeit der Seele sei dadurch »auf wunder-
liche Weise verdreht« worden (»mire perturbatus est«).446 Grundsätzlich aber
glaubte er, wie es im selben Brief heißt, mit der kleinen Gedankenskizze einen
festen und vor allem bislang unbekannten Grund gefunden zu haben, von dem
aus sich der Atheismus zum Schweigen bringen lasse: »Quae res inaudita est
hactenus, sed plane necessaria, et atheis os occlusura.«447
Den Anlass des kleinen Traktats bildete zunächst gar nicht das Vorhaben,
den Atheismus zu bekämpfen, sondern die Hoffnung des jungen Philosophen,
die Kluft zwischen der neueren mechanistischen Naturphilosophie von Gali-
leo bis Descartes mit der aristotelischen Physik zu überbrücken und dadurch
die Erkenntnisse und Methoden der New Science wieder an ein metaphysisch-
theistisches Fundament zurückzubinden.448 Zeigt sich so schon in diesem frü-
hen Text ein lebenslanges Grundmotiv des leibnizschen Denkens, so steht
er damit zugleich deutlich in der Kontinuität von Bemühungen, wie wir sie
ebenso bei Bacon und Mersenne kennengelernt haben (s. o.). Tatsächlich hat
Leibniz als einer der ersten deutschen Autoren Bacon in eben diesem Ver-
mittlungsanspruch wahrgenommen.449 Die oben zitierte Äußerung des briti-
schen Philosophen über das Verhältnis von Naturforschung und Gottesglau-
ben stellte er an den Anfang seiner Confessio naturae.450 Ähnlich wie Bacon
und dann Mersenne beklagt er zu Beginn der kleinen Schrift die proportionale
Zunahme von Gottlosigkeit und wissenschaftlicher Erkenntnis seit Beginn
des 17. Jahrhunderts: »Experimur hoc seculo nostro, feraci pariter scientiae et
impietatis.«451
Soweit er zwischen den beiden Phänomenen einen Zusammenhang an-
nimmt, führt er ihn nicht auf die Wissenschaft selbst zurück, sondern auf

omnis homo miles est, σχεδίασμα qvoddam aliqvando mihi excidere passus sum, qvod cum
Ill[ustrissi]mo Baroni Boineburgio notissimo literarum Mecoenati [!] exhibuissem, per ali-
qvot amicorum manus ad pl. Reverendum Spenerum pervenit, qvi nescio qvomodo sche-
dulam ἀκέφαλον καὶ ἀνώνυμον, dignam putavi ad Te mitti, Tu Tuae purpurae laneam hanc
laciniam assuisti, hoc solo commendabilem, qvod a Dn. Spenero missam, a Te editam.«
445
Zum Briefwechsel zwischen Leibniz und Jakob Thomasius vgl. den kenntnisrei-
chen Beitrag von Christia Mercer (Mercer 2004).
446
Im schon mehrfach genannten Brief vom 20./30. April 1670 (A II/1, S. 38): »Sed
ego non improbo, verum doleo, quod mendosissime ille σχέδιον impressum est; inprimis
sorites ille, quo demonstrare conatus sum immortalitatem animae, mutatis linearum initi-
alibus, mire perturbatus est.«
447
Ebd., S. 36.
448
Vgl. Garber 1982, S. 160 f.; Wilson 1989, S. 46 f.; Garber 1995, S. 271–281; Mercer/
Sleigh 1995, S. 67–84; prägnant: Antagnozza 2009, S. 100 f.
449
Spizel hatte die Passage über das Verhältnis von Glauben und Wissenschaft aus
Bacons Meditationes sacrae bereits in seiner 1666 erschienenen Schrift De atheismi radice
zitiert (S. 49 f.).
450
A VI/1, S. 489: »Divini ingenii vir Franciscus Baconus de Verulamio recte dixit,
philosophiam obiter libatam a DEO abducere, penitus haustam reducere and eundem.«
451
Ebd., Z. 8–9.
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146 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

die »spitzfindigen Überlegungen der Neuerer« (»subtilitates novatorum«),452


denen der Fortschritt der mechanischen Physik zu Kopf gestiegen sei. Er
nennt sie, im Anschluss an Robert Boyle, »corpusculares«,453 später auch
»naturalistae«454 und sogar »Wiedererwecker Demokrits und Epikurs« (s. u.).
Zwar habe die Mechanik seit Galilei, Bacon und Descartes die mythologische
Erklärung von Naturvorgängen obsolet gemacht; daraus aber hätten manche
besonders geistreiche Köpfe (»ingeniosi quidam«) gefolgert, dass alle Phäno-
mene der Körperwelt – als Variationen der körperlichen Grundeigenschaften
Form und Bewegung – auf natürliche Weise erklärbar sein könnten, ohne dass
die Existenz Gottes vorausgesetzt werden müsse (»Deo non supposito«).455
Von da aus hätten sie, ohne gründliches Nachdenken, nach natürlich-physi-
kalischen Erklärungen für Gott und Unsterblichkeit gesucht und keine gefun-
den, den Glauben daran aber kurzerhand auf politische Nutzerwägungen oder
schlichtweg historische Überlieferung (»praeceptis civilibus vel historiarum
relationi«) zurückgeführt.456
Vom Ausgangspunkt her liegt Leibniz hier auf einer Linie mit Bacon und
Mersenne. Wie sie will er die neuere Naturforschung gerade nicht pauschal
verdächtigen, sondern ihre Vereinbarkeit mit Religion und Theologie erwei-
sen, ohne den gesicherten Erkenntnissen von Physik und Mathematik etwas
nachzugeben. Mit den Bemühungen der ›heutigen Philosophen‹ (›hodierni
philosophi‹) – Galilei, Bacon, Gassendi, Descartes, Hobbes und Digby457 – die
Erklärungen körperlicher Phänomene (›corporalium Phaenomenorum ra-
tiones‹) statt aus dem göttlichen Willen zunächst aus der Natur der Körper
selbst herzuleiten, erklärt er sich daher auch einverstanden.458 Sein Beweisgang

452
Ebd., Z. 26.
453
Ebd., Z. 31.
454
Ebd., S. 490, Z. 9.
455
Ebd. – Christia Mercer weist darauf hin, dass Leibniz die Vertreter der mecha-
nistischen Naturauffassung hier durchaus zu pauschal beurteilt. Sie führt entsprechende
Belege von Descartes und Gassendi an (vgl. Mercer 2001, S. 71 f.). Es sind m. E. aber gera-
de nicht Figuren wie Gassendi oder Descartes, die Leibniz hier im Auge hat, sondern Au-
toren, die daraus voreilig unberechtigte Schlüsse ziehen. Dieses mögliche Missverständnis
könnte damit zusammenhängen, dass Mercer die Formulierung »ingeniosi quidam« (s. o.)
nicht als ironisch versteht, sondern als positives Attribut wertet und so auf die bekannten
Autoren bezieht, denen Leibniz im gleichen Text doch ausdrücklich beipflichtet.
456
Ebd.
457
Der Physiker Kenelm Digby (1603–1665) hatte 1644 einen Beweis für die Un-
sterblichkeit der Seele vorgelegt: Demonstratio immortalitatis animae rationalis, Paris
1651 (s. auch den Kommentar zu A II/12, S. 30, Z. 4); eine englischsprachige Ausgabe
erschien 1654, gemeinsam mit einem anderen Traktat, ebenfalls in Paris: Two treatises in
the one of which the natvre of bodies in the other, the natvre of Mans soule, is looked into,
in way of discovery, of the immortality of reasonable sovles (ND Stuttgart-Bad Canstatt
1970). – Die Argumentation des ersten Traktats ähnelt auffallend der Beweisführung, die
Leibniz in der Confessio entwickelt. Ein Vergleich muss hier unterbleiben. Eine Zusam-
menfassung von Digbys Beweisführung gibt Allen 1964, S. 165–167.
458
A VI/1, S. 489 f.
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Stultitia Atheismi 147

setzt, gut metaphysisch, eine Ebene tiefer an, wenn er die Frage aufwirft, wo
wiederum die Eigenschaften von Körpern ihren Ursprung hätten: »Sed quid
si demonstrem, ne harum quidem primarum qualitatum originem in natura
corporis reperiri posse?«459 Dass sie diese nicht von sich selbst hätten, sondern
eines unkörperlichen Prinzips bedürften, so Leibniz weiter, müssten sogar die
›Naturalisten‹ zugeben.460
Der eigentliche Beweis, der die Eigenschaften von Körpern (Ausdehnung,
Form, Kohärenz, Position im Raum, Bewegung) durch sorgfältige Definiti-
onsarbeit auf ihre unköperlichen Ursachen zurückführt, braucht hier nicht
Schritt für Schritt wiedergegeben zu werden.461 Er mündet in die Feststellung,
dass gerade da, wo die Körper in ihre kleinsten Teile zerlegt würden, die Vor-
stellung eines Gottes weiterhin unentbehrlich bleibe: »Apparet enim in ex-
trema corporum resolutione Dei auxilio carere naturam non posse.«462 Dass
damit noch nicht der Gott der christlichen Offenbarung bewiesen ist, sondern
allenfalls das abstrakte Gottesbild einer deduktiv verfahrenden Metaphysik,
kann Leibniz nicht verborgen gewesen sein. Er blieb auch nicht lange dabei
stehen, sondern widmete sich in den Folgejahren auch dezidiert dogmatischen
Fragestellungen.463 Das eingangs präzise bestimmte Vorhaben, materialisti-
sche Schlussfolgerungen aus der neueren Physik zurückzuweisen, hat er aber
durchgeführt. Deutlich näher an der christlichen Metaphysik liegt der noch als
»Pars II« nachgeschobene kurze Beweis für die Unsterblichkeit der menschli-
chen Seele aus der Art ihrer Tätigkeit. Da die Tätigkeit der Seele ohne Bewe-
gung auskomme, die Seele daher weder körperlich oder räumlich sei, infolge-
dessen aber unteilbar und unauflösbar und folglich unzerstörbar sei, könne sie
als unsterblich bezeichnet werden.464

459
Ebd., S. 490.
460
Ebd.: »Tum vero fatebuntur, ut spero, naturalistae nostri, corpora sibi non suf-
ficere nec sine principio incorporeo subsistere posse.« – Etwas später bringt Leibniz
seine (auch rhetorisch inszenierte) Verwunderung zum Ausdruck, dass nicht einmal ein
scharfsinniger Geist wie Gassendi das Potenzial der angeschnittenen Fragen für den Be-
weis Gottes bemerkt habe (ebd., S. 492): »Et miror neque Gassendum neque alium inter
acutissimos hujus seculi philosophos, praeclaram hanc demonstrandae Divinae Existentiae
occasionem animadvertisse.« – Ganz ähnlich argumentierte Leibniz auch gegenüber New-
ton, der die gegenseitige Anziehung als Eigenschaft von Körpern beschrieben hatte. Vgl.
Leibniz’ kurzen Rückblick in der einleitenden Abhandlung der Theodizee (§ 19).
461
Die beste Kurzzusammenfassung bei Aiton 1991, S. 50. – Das Verfahren verdeut-
liche ein kleiner Ausschnitt, in dem Leibniz den Zusammenhalt der Atome (im zeitge-
nössischen Verständnis) untersucht (A VI/1, S. 492): »Qua perpetua cohaerentia nihil est
absurdius, nihil ab experientia magis alienum. Recte igitur in reddenda Atomorum ratione
confugiemus ad Deum denique, qui ultimis istis rerum fundamentis firmitatem praestet.«
462
Ebd.
463
Vgl. ausführlich Backus 2016.
464
A VI/1, S. 492 f. – Er hat in der Forschung weniger Aufmerksamkeit gefunden als
der Vermittlungsversuch von Theologie und Mechanizismus; vgl. immerhin die Paraphra-
se von Aiton 1991, S. 50; noch knapper Mercer 2001, S. 81 f.
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148 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Umsturz und Anarchie?


Leibniz als Leser Bodins und Vaninis
War schon die Publikation der Confessio naturae ohne Leibniz’ Wissen ge-
schehen, so hat er sich auch in keiner später veröffentlichten Schrift explizit
gegen die Atheisten gewandt. Stattdessen arbeitete er im Lauf des nachfolgen-
den Jahrzehnts eine Reihe von Betrachtungen aus, in denen er einzelne Fa-
cetten des christlichen Gottesbilds (Trinität, Allmacht, Allwissenheit, Gerech-
tigkeit, Providenz) zu beweisen unternahm.465 Polemische Äußerungen gegen
den atheistischen Unglauben, wie wir sie allein für das deutsche 17. Jahrhun-
dert von Christian Colbe, Daniel Clasen oder Theophil Spizel her kennen,
sucht man darin vergebens. Leibniz scheint mit dieser Haltung eher auf einer
Linie mit Spener zu liegen. Wie dieser verfolgte er jedoch die Bemühungen
der europäischen Apologetik mit Interesse und Anteilnahme. Er wusste so-
gar von einem apologetischen Projekt Conrings zu berichten.466 In Briefen an
Spizel anlässlich von dessen Publikation der Confessio naturae hob Leibniz
die Bedeutung des »Kampfes gegen den Atheismus« hervor (s. o.), dem er wie
Grotius, Conring oder Pufendorf eine zerstörerische Wirkung auf Staat und
Gesellschaft unterstellte. Dabei sparte er auch nicht mit polemischem Voka-
bular. So beschwor er gegenüber Spizel das Angstszenario von Anarchie und
gesellschaftlichem Zusammenbruch, wie wir es aus Naturrecht und älterer
Staatslehre kennen ( I.3):

Ad monstrum Athëismi debellandum utinam qvicqvid eruditorum est vires conjun-


geret, nec pateretur serpere latius etiam inter ipsos hoc malum, a qvo nihil praeter
Anarchiam universalem atqve eversionem Societatis humanae expectari potest.467

Es mag dem Zufall geschuldet sein, dass Leibniz mit seiner Wortwahl (›An-
archie‹ und ›Umsturz«) hier in auffallende Nähe zu Jean Bodins Beurteilung
des Atheismus in den Six livres de la Republique gerät,468 war es doch der-
selbe Bodin, dessen clandestin verbreitetes Colloquium heptaplomeres der
junge Philosoph mit Schaudern gelesen hatte. Im gleichen Brief an Spizel,
in dem er den Kampf gegen den Atheismus zum Gebot der Stunde erklärte
(s. o.), berichtete er, dass er dieses Werk, das »mehr gelehrten Scharfsinn als

465
Vgl. Neuer Ueberweg 17/4, S. 1069 f. (Wilhelm Schmidt-Biggemann) sowie
S. 1026, 1027 u. 1085 f. (Walter Sparn). Noch die Theodizee verdankt sich diesem Anliegen
(vgl. ebd., S. 1037–1040).
466
Brief an Spizel vom 10./20. Februar 1670 (A I/1, S. 85): »Cl[arissi]mus Conringius
pec. tr. promisit de veritate religionis Christianae solito accuratius stabilienda, emendan-
disqve illis qvae in Grotii libello ejusdem argumenti et ipso, et Episcopio dudum monen-
tibus, desiderari possunt.«
467
An Spizel, 10./20. Februar 1670 (A I/1, S. 85).
468
Die Stelle ist ausführlicher zitiert weiter oben, Kap. I.3.2.
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Stultitia Atheismi 149

Frömmigkeit« enthalte, einst vollständig gelesen habe.469 Von einer Veröf-


fentlichung, so Leibniz weiter, sei ein bedeutender Schaden für die Allge-
meinheit zu befürchten.470 Fast gleichlautend hatte er sich einige Monate zu-
vor in dem berühmten Brief an Jakob Thomasius geäußert. Dort verglich er
Bodins Schrift mit Vaninis gleichfalls dialogisch verfassten De admirandis
naturae reginae deaeque mortalium arcanis libri quatuor (1616) und kam
zu dem Ergebnis, dass Vaninis Dialoge im Vergleich nichts weiter als ein
Kinderspiel (»ludus«) seien. Und während er sich persönlich gegen Bodins
Geschosse (»tela«) durch die gründliche philosophische Ausbildung bei
Thomasius hinlänglich gerüstet fühlte, registrierte er mit Sorge, wie das zwar
große (»grandis«), aber doch religionsfeindliche Buch in ihm bekannten ge-
lehrten Kreisen von Hand zu Hand ging (»volitat per manus«).471 Nur eine
gründlich befestigte philosophische Lehre, so folgerte Leibniz, sei imstande,
die Verbreitung des Unglaubens aufzuhalten. Für sie habe Thomasius die
historisch-eklektischen, er selbst, mit dem Beweisverfahren der Confessio
naturae, die systematischen Grundlagen bereitgestellt.472 Neben den Athe-
isten nennt Leibniz an dieser Stelle auch Sozinianer, Naturalisten und Skep-
tizisten. Anders als sonst nähert er sich hier also der apologetischen Über-
führungslogik, die mehr auf die Gemeinsamkeiten als auf die Unterschiede
der weltlichen Heterodoxien zu blicken pflegte.473 Bekannt geworden ist die
dramatische Metapher vom Schiffbruch (»Atheismi naufragio«), die Leib-
niz, soweit ich sehe, als erster dem polemischen Bildinventar der Apologetik
(z. B. Gift, Krankheit, Monstrosität) hinzufügt:

Quod superest illud confirmare ausim, Atheis, Socinianis, Naturalistis, Scepticis, nun-
quam nisi constituta hac philosophia solide occursum iri: quam ego profecto munus
Dei credo senectae mundi datum velut unicam tabulam, qua se viri pii ac prudentes in
incumbentis Atheismi naufragio servaturi sunt.474

469
Brief an Spizel vom 12./22. Dezember 1669 (A I/1, S. 81): »Video in Epistola Tua
arcanorum Bodini MSorum mentionem fieri, qvorum excerpta per amicum Parisiis trans-
missa, legisse ais. Legi aliqvando opus integrum, volumen sane ingens sed plus habens
doctrinae qvam pietatis.«
470
Ebd.: »Vereor ne edatur aliqvando liber hic magno publico damno.«
471
A II/12, S. 37.
472
Zu Jakob Thomasius als Begründer einer eklektischen Philosophiegeschichts-
schreibung vgl. Häfner 1997 mit weiteren Hinweisen.
473
Die von Voetius begründete Taxonomie mit der wichtigen Unterscheidung von
praktischem und theoretischem (oder spekulativischem) Atheismus war Leibniz selbstver-
ständlich geläufig. Das belegt eine briefliche Äußerung vom 19. August 1697 gegenüber
Claude Nicaise (A II/3, S. 370, Z. 10), wo Leibniz den praktischen Libertinismus (»liberti-
nage dans la pratique«) von einem »atheisme speculatif caché« unterscheidet.
474
Ebd. – Die Schiffbruchmetapher wird in der Forschung häufiger zitiert; vgl. Wil-
son 1989, S. 49; bei Busche 1997 erscheint sie sogar im Titel des entsprechenden Kapitels
(S. 220). – Zur Toposgeschichte stets zu konsultieren die klassische Studie von Blumen-
berg 1979.
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150 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Nach dieser philosophischen Grundlegung suchte Leibniz in den folgenden


Jahren und Jahrzehnten mit anhaltendem Eifer. Immer wieder griff er dabei
das Thema der frühen Schrift auf, die Frage nach den unkörperlichen Ursa-
chen körperlicher Eigenschaften.475 Zunehmend rückte aber das allgemeine
Verhältnis von (christlichem) Glauben und philosophischer Vernunft in den
Mittelpunkt seines Interesses, das noch in der Theodizee zum Gegenstand
der einleitenden Abhandlung werden sollte. Mit anhaltendem Eifer las er
Werke vergleichbarer Intention wie etwa Robert Boyles Brieftraktat The ex-
cellence of theology, compar’d with natural philosophy (1674).476 Dem Her-
zog Johann Friedrich von Hannover empfahl er 1673 den Mitverfasser der
Logik von Port-Royal, Antoine Arnauld (1612–1694), mit dem er seit 1671
im brieflichen Austausch stand. Gegenüber dem Herzog lobte er die in Ar-
nauld verkörperte Verbindung philosophischen Scharfsinns mit persönlicher
Frömmigkeit. Ihr traute er zu, »nicht allein Kezer, sondern auch, welches
aniezo die gröste Kezerey, Atheisten und ruchlose, zu bekehren«.477 Einige
Jahre später schickte er dem Herzog eine kurze Beurteilung des Traité de la
religion contre les athées, les déistes et les nouveaux pyrrhoniens (1677) von
Michel Mauduit.478 Die Liste ließe sich fortsetzen.

Versuche einer volkstümlichen Apologetik


Leibniz und Seckendorff
Neben den philosophischen Grundsatzfragen dachte Leibniz zeitgleich auch
über Wege der mehr ›populären‹ Vermittlung nach.479 Eine Frucht dieser Über-
legungen bildet der Entwurf zu einem Dialogus inter theologum et misosophum

475
Viele dieser Schriften sind Entwurf geblieben oder wurden erst aus dem Nachlass
publiziert, so etwa das Specimen demonstrationum catholicarum, seu apologia fidei ex ra-
tione aus der Mitte der 80er-Jahre (VI/4C, S. 2323–2340). Dort kehrt erneut die Frage der
Confessio naturae nach der Notwendigkeit unkörperlicher Substanzen wieder. Diese zu
verwerfen (»substantias incorporeas explodendas«), heißt es kurzerhand (ebd., S. 2324),
komme völlig eindeutig dem Atheismus gleich (»certissimus est Atheismus«).
476
Leibniz Exzerpte finden sich in A VI/3, S. 2 f.
477
Brief vom 26. März 1673 (A II/1, S. 359). – Zu Leibniz und Arnauld vgl. Aiton
1991, S. 194–200; Antagnozza 2009, S. 252–256.
478
Vgl. den Brief an den Herzog aus dem Jahr 1678 (A II/1, S. 675 f.). – Mauduits
Schrift (krit. Edition von My-ae Hyun, Clermont-Ferrand 1996) erschien zuerst 1677,
1698 in zweiter Auflage, ab 1712 auch in deutscher Übersetzung: Wiederlegung Der Athe-
isten, Deisten, Und Neuen Zweyffler, Darinnen man ohne ihre vermeyntlich habende
Gründe umzustossen, sie vermöge ihrer eigner, dazu erlangten Vorbereitung überwin-
det, und ihnen darthut, und erweiset, daß sie keine andere Parthey nehmen, sondern den
Christlichen Glauben ergreiffen sollen, Prag 1712. Eine offenbar nicht identische Überset-
zung erschien ein Jahr später in Frankfurt.
479
Niedergelegt sind diese Gedanken etwa in der kleinen Betrachtung Methodus
docendi una popularis altera scientifica perfectior aus der Mitte der 80er-Jahre (deutsche
Übersetzung in Gottfried Wilhelm Leibniz, Philosophische Schriften und Briefe 1683–
1687, hg. v. Ursula Goldenbaum, Berlin 1992, S. 54–58).
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Stultitia Atheismi 151

vom Ende der 1670er-Jahre.480 Darin ließ er einen ›Theologus‹ als Sprachrohr
für die Konformität von Theologie und Vernunft auftreten, während der ›Mi-
sosophus‹ nach dem berühmten Pauluswort von der Torheit der menschlichen
Weisheit (Röm 1,22) zum sacrificium intellectus aufruft.481 Implizit ist damit
schon die Kontroverse zwischen Leibniz und Bayle vorweggenommen, die in
der Theodizee ihren offenen Austrag fand. Den Hinweis seines Gegenübers auf
den Konsens der Gelehrten seit der Antike über die Anwendbarkeit metaphy-
sischer und logischer Prinzipien auf die Theologie lässt der ›Misosophus‹ nicht
gelten und beruft sich stattdessen auf einen Konsens der Gläubigen.482 Das gibt
dem Theologen Gelegenheit, die Wirksamkeit der Logik in Religionsfragen –
anhand der axiomatischen Regel vom ausgeschlossenen Dritten483 – ad oculos
zu demonstrieren: Wenn, sagt er, entgegen der Logik Gegensätze gleichzeitig
bestehen könnten, dann könne man Gott oder die Dreifaltigkeit zugleich beja-
hen und verneinen, man könne also zugleich gläubig und gottlos sein, zugleich
Katholik und Arianer.484 Als der Vernunftkritiker, der sich hier deutlich als Ka-
tholik zu erkennen gibt, die Autorität der Kirche ins Feld führt485 und den Ver-
zicht auf gründliche Untersuchung als Tugend – Bescheidenheit und Demut
nämlich – hinstellt,486 holt der ›Theologus‹ zu einer kurzen Philippika aus, in
welcher, neben einigen vertrauten Namen wie Vanini und Pomponazzi, auch
Kategorien wie Heuchelei, simulatio (»simulabant«) und heimliche Atheisten
(»Atheosque occultos«), also bestens bekannte Elemente des apologetischen
Argumentationssystems wiederkehren.487
Die Pointe ist scharf, sogar aggressiv: In wenigen Schritten wird der Un-
glaubensverdacht von der philosophischen Vernunft auf das fideistische
Denkverbot zurückgewendet. Der Atheismus wird so zum Grenzbegriff und
Fluchtpunkt einer reductio ad absurdum. Eindrücklich führt der Dialogus da-
her vor Augen, wie der Atheismusvorwurf – hier im Rahmen der dialogischen
Fiktion – genutzt werden konnte, um den Einsatz der Vernunft in der Theo-
logie zu rechtfertigen; sie zeigt aber auch, wie selbstverständlich Leibniz über
die Instrumente der antiatheistschen Überführungsmethodik nach Belieben

480
Kritische Edition in A VI/4C, S. 2212–2219.
481
Als einzigen zulässigen Gottesbeweis lässt ›Misosophus‹ daher Offenbarung und
Wunder gelten (ebd., S. 2215): »Dei existentia probanda est revelationibus et miraculis.«
482
Ebd., S. 2216: »Si non eruditi, saltem pii a meis partibus stabunt.«
483
Das Potenzial der Logik als Instrument der Theologie erörterte Leibniz, etwa
zeitgleich zum Dialogus, in dem Entwurf De non violando principio contradictionis in di-
vinis contra Honoratum Fabri (A VI/4C, S. 2340–2342).
484
Ebd., S. 2216: »Sublato e divinis principio illo (de contradictoriis simul non ad-
mittendis) poterimus simul admittere et rejicere Deitatem vel Trinitatem; poterimus simul
eodem respectu esse pii et Athei, Catholici et Ariani.«
485
Ebd., S. 2218: »Tutissimum est simpliciter credere, quod Ecclesia credit. Nosti
historiolam illam Bellarmini de eo qui in agone cum diabolo disputat.«
486
Ebd.: »Mihi semper illorum placuit modestia, qui profitentur se sine ullo examine
humiliter credere.«
487
Ebd.
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152 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

verfügen konnte. Den voreiligen Schluss, dass der ›Theologus‹ hier seine eige-
ne Position repräsentiert, verhindert nicht nur die Form des Dialoges selbst,
sondern auch der Blick auf ein Projekt, an dem Leibniz um die Mitte der
1680er-Jahre arbeitete. Hatte er schon 1670 gegenüber Spizel die Schrift des
Heidelberger Theologen Johann Ludwig Fabricius gelobt, in welcher dieser
die Existenz atheistischer Völker in Vergangenheit und Gegenwart zu widerle-
gen suchte ( III.5.2),488 so sammelte er nun Ideen für eine Schrift De religione
magnorum virorum, in der er bedeutende Autoren gegen den Vorwurf der Hä-
resie oder aber des Unglaubens verteidigen wollte.489 Nicht zuletzt allerdings
beabsichtigte er damit, zum wiederholten Mal, den Unglaubensverdacht von
der neuen Wissenschaft der Natur unter Einschluss der Mathematik wie über-
haupt von jeder gelehrten Tätigkeit abzuwenden.490 Deswegen heißt es dort
über Hobbes und Campanella, sie seien nur »halbe Mathematiker« gewesen.491
Hier liegt Leibniz wieder ganz auf der Linie von Bacon und Mersenne.
Gleichwohl behielt er die Idee einer populären Apologetik weiterhin im
Auge. Sie nahm konkrete Gestalt an, als der mit Leibniz über die Acta Erudi-
torum bekannte, ausweislich einiger Briefe sogar befreundete Staatsmann und
Gelehrte Veit Ludwig von Seckendorff ( IV.3) ihm ab 1683 frühe Entwürfe
seines dann 1685 erschienenen Christen-Stat schickte.492 Gegenüber der Ent-
stehungszeit der Confessio naturae hatte sich die Situation in Deutschland ge-
ändert. Nicht nur hatten Spinozas Schriften Verbreitung in Gelehrtenkreisen
gefunden und eine intensive Debatte über die libertas sentiendi angestoßen,493
nicht nur war spätestens mit Matthias Knutzen in Jena ein deutscher Athe-

488
Im oben zitierten Brief an Spizel vom 10./20. Februar 1670 (A I/1, S. 85): »In
Anglia prodiisse accepi Apologiam generis humani adversus accusationem Atheismi, cujus
autor Fabricius, tueri dicitur: nullam unqvam uspiam gentem prorsus ἄθεον extitisse, qvod
et ego verissimum judico.« – Die Schrift war 1662 verfasst worden, erschien aber zuerst
1682 im Druck. Vgl. die Anm. zu A VI/4C, S. 2458, Z. 13.
489
Ein weiteres Vorbild war dabei Gabriel Naudés Apologie pour tous les grands per-
sonnages qui ont esté faussement soupçonnéz de magie (Paris 1625). Vgl. A VI/4C, S. 2458,
Z. 6. – Mehr dazu in Kap. IV.5.
490
A VI/4C, S. 2459: »Dogmata quae irreligiositatis accusantur, sunt Logica, Me-
taphysica, Mathematica, Physica, Ethico-juridica, Historica, ac denique Theologica, ex
Theologia tum naturali tum revelata.«
491
Ebd., S. 2456 f.): »Plerumque non nisi semimathematici de religione male sentiunt,
ut Hobbes, Campanella.«
492
Zur Entstehung von Seckendorffs Christen-Stat, an der auch Spener als Gutach-
ter beteiligt war, vgl. die materialreiche Untersuchung von Döring 1997. Ausführlich zu
Seckendorff weiter unten, Kap. IV.3.
493
Vgl. dazu jetzt maßgeblich Zenker 2012, S. 99–107 (zu Jakob Thomasius) et
pass. – Gegenüber Antoine Arnauld äußerte sich Leibniz Anfang November 1671 abfällig
über den Autor jenes »schrecklichen Buchs« (»horribilis nuperi de libertate philosophan-
di« (A II/1, S. 277). Gemeint ist der Tractatus theologico-politicus, der 1670 erschienen war.
Wie Leibniz gegenüber dem Landgrafen Ernst von Hessen Rheinfels äußerte (Brief vom
4./14. August 1683), hielt er Spinoza für einen Atheisten (»il estoit veritablement Athée«),
da dieser die göttlichen Belohnungen und Strafen nicht anerkenne (»il n’admettoit point
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Stultitia Atheismi 153

ist auf den Plan getreten; auch von Spener in Frankfurt kamen nun ähnliche
Klagen (etwa seine Querela de Epicureismo ubique invalescente von 1682),494
wie sie Theophil Großgebauer, Christian Scriver und andere seit den 1960er-
Jahren erhoben hatten. In allen Ständen, so schien es (insbesondere aber bei
Hof und im Militär), machte sich ein wo nicht ›theoretischer‹, so doch zumin-
dest ›praktischer‹ Atheismus breit, und sei es nur in der von Luther wie von
Spener bekämpften securitas, jener selbstzufriedenen Erlösungsgewissheit, der
alles Sündenbewusstsein abging. Ebenfalls 1682 hatte schließlich Pierre Bay-
le mit seinen Pensées diverses den bis dato wirkungsvollsten Angriff auf das
apologetische Argumentationssystem eröffnet ( IV.2). Auch wenn das nicht
unbedingt mehr oder bessere Gründe waren, ein Überhandnehmen des Athe-
ismus zu befürchten als 1668, lässt sich gleichwohl begreifen, dass Leibniz den
alarmierenden Wahrnehmungen Seckendorffs, vor allem aber seinen politisch-
praktischen Reformideen Gehör schenkte: »Incredibili voluptate legi excerp-
tum ex opere Tuo affecto locum, qvo Christianae religionis excellentiam etiam
in rebus ad Civilem vitam pertinentibus ostendis […].«495
Ganz besonders befürwortete er die Entscheidung, den Entwurf einer
christlichen Gesellschaft – samt der vorangestellten Verfallsdiagnose – in der
Muttersprache zu formulieren. Nicht nur lag das auf einer Linie mit Leibniz’
Idee, die deutsche »Haubtsprache« zur Wissenschaftssprache auszubauen;496
die Ausweitung des Adressatenkreises schien zugleich der vermeintlichen Ver-
breitung des Atheismus auch unter Ungelehrten zu entsprechen. Das machte
sie für Leibniz zu einer sinnvollen Ergänzung metaphysischer Beweisverfah-
ren, wie er sie selbst zuerst in der Confessio naturae erprobt hatte.497 Secken-
dorff gab sich geschmeichelt, aber unentschlossen, was die Veröffentlichung
anging. Er sah noch viel Arbeit vor sich (»ad limam revocanda sint«), um die
handschriftlichen Betrachtungen, die er zunächst für das Tischgespräch bei
Hof angefertigt hatte, in eine publikationswürdige Fassung zu bringen (»si
satisfacere publico debeant«).498 Zudem war er noch mit seinen Studien zur
Reformationsgeschichte beschäftigt.499 Von Leibniz jedoch erhoffte er sich in
dieser Sache entscheidenden Rat.500 In den folgenden Briefen drängten sich

de providence dispensatrice des biens et des maux suivant la justice«, A II/1, S. 844). – Zu
Leibniz als Leser Spinozas vgl. Lærke 2008, dort bes. S. 108–116 zum Tractatus.
494
Siehe dazu weiter oben, Kap. III.3.
495
Brief vom 24. Dezember.1683/3. Januar 1684 (A I/4, S. 447).
496
Vgl. Gardt 1999, S. 94–103.
497
A I/4, S. 448: »Consilium in Scripto vernaculo et exoterico abstinendi Metaphy-
sicis argumentis, qvae tuendae Divinae naturae atqve immortalis animae gratia afferri pos-
sunt, plane laudo.«
498
Brief vom 21./31. Januar 1684 (A I/4, S. 455 f.). – Das Bild von der Feile ist hier
sicherlich als Horazanspielung zu verstehen (Vgl. De art. poet., V. 291).
499
Ebd., S. 456. – Der erste Teil von Seckendorffs Commentarius historicus et apolo-
geticus de Lutheranismo erschien erst 1688.
500
Ebd., S. 456: »Magnam in utramvis parten pondus mihi dabit sententia Tua, eam-
qve ut mihi qvamprimum commodum erit, aperias obnixe rogo.«
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154 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

andere Themen (u. a. Helmstedter Berufungsfragen und der Tod von Secken-
dorffs Ehefrau) in den Vordergrund. Mehr als ein Jahr später, im Mai 1685,
war das Buch offenbar schon im Leipziger Messkatalog angekündigt.501 Im Juli
desselben Jahres hatte Leibniz bereits ein Exemplar erhalten und bedankte sich
auf galante Weise für diesen großen Dienst an der Öffentlichkeit. Dabei hob er
nicht zuletzt Seckendorffs Leistung als Verfasser deutschsprachiger Sachprosa
hervor:

Incomparabile opus Tuum, de vera ratione status Christianorum transmittente D.


Menckenio nostro recte accepi, lautoqve muneri qvo me beasti et communes cum
iis omnibus, ad qvos inde fructus pervenire potest maximus, et privatas gratias ago.
Habemus sane multa pie et qvaedam erudite et sapienter, et nonnulla etiam eloqventer
scripta nostro sermone vernaculo, sed ubi omnes illae laudes tanta mensura collectae
ac cummulatae reperiantur, eqvidem extra librum tuum me non memini. […] Ubi
primum accepi, temperare mihi non potui, qvin statim pervaderem a capite ad calcem;
maxima cum delectatione. Nunc vero, ubi a Bibliopego recepi, in eo sum ut attente
relegam, et singulis partibus immorer qvo majorem inde fructum percipiam.502

Auch die folgenden Jahre zeigen Leibniz neben all seinen anderen Interessen
weiterhin als unermüdlichen Leser apologetischer Literatur, insbesondere sol-
cher Werke, die auf die Allianz von Theologie und Vernunft setzten. So rezi-
pierte er kurz nach ihrem Erscheinen Pierre Poirets Cogitationes rationales de
Deo, animae et malo (1685), in denen er seine Meinung über Descartes bestä-
tigt zu sehen glaubte. In seinen erhaltenen Exzerpten hielt er Poirets Behaup-
tung fest, dass die Philosophie Descartes’ oder der Cartesianer ihre Leser »zur
Gottlosigkeit und Unwissenheit über Gott, ja zum Atheismus« verleite.503
Poiret rechnete Descartes daher zur »subtilsten Art« von Atheisten, da er ja
öffentlich irreführend (»sub praetextu«) als Verteidiger der Religion auftrat.504
In Ralph Cudworths True intellectual systeme of the Universe (1678) konnte
Leibniz bald darauf seine alte Vermutung bestätigt finden, dass der Atheismus
sich oft an der Auffassung der Eigenschaften von Körpern offenbare. In dem
Exzerpt, das er etwa 1689 anfertigte, notierte er sich unter anderem den Satz
»Formae et qualitates sunt sedes Atheismi.«505
Ganz wie der Theologe aus Leibniz’ Dialogus-Entwurf (s. o.) bestritt Cud-
worth zudem, dass eine vernünftige Ordnung des Universums die göttliche
Allmacht einschränke. In diesem Zusammenhang kehrt noch einmal der im
Dialogus erhobene Vorwurf der Heuchelei und des heimlichen Atheismus

501
Brief von Ende Mai 1685 (A I/4, S. 506 f.).
502
Brief vom 16./26. (?) Juli (A I/4, S. 517).
503
A VI/4B, S. 1795: »Et artic. 77. statuit ex Cartesio et Cartesianis […] homines ad
impietatem et ignorantiam circa Deum imo Atheismum duci.«
504
Auch dieses Argument hat sich Leibniz notiert (ebd.): »Subtilissimam esse Athe-
ismi speciem sub praetextu Deum profitendi et demonstrandi ejus communicationem re-
vera tolli et negari.«
505
Ebd., S. 1944.
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Stultitia Atheismi 155

wieder, diesmal gegen Descartes. Auch diese Stelle hielt Leibniz in seinen
Notizen fest,506 ebenso Cudworths Ausführungen gegen die seit der Antike
überlieferte Behauptung, die Religion habe ihre Entstehung der Furcht zu ver-
danken.507 An diesem Argument sollte sich die aufklärerische Apologetik mit
aller Intensität abarbeiten. Sie setzte ihm jenen theologischen Eudämonismus
dagegen, den wir in Ansätzen schon bei Seckendorff kennengelernt haben. In
vollendeter Form tritt er dann in Richard Bentleys Predigt The Folly of Athe-
ism (1691) auf, die Leibniz spätestens 1696 in der lateinischen Übersetzung
gelesen hat.508 Da es sich um eines der in Deutschland ab 1700 meistzitierten
Werke der apologetischen Literatur handelt, wird Bentleys Schrift weiter un-
ten einer genaueren Betrachtung unterzogen werden ( IV.4.1). Zunächst aber
wenden wir uns nun mit Gisbert Voetius einem Autor zu, dessen Wirkung
auf die deutsche Atheismusdiskussion kaum hoch genug eingeschätzt werden
kann, weil er ihr das maßgebliche, für fast 100 Jahre geradezu unverzichtbare
Begriffsinstrumentarium lieferte.

506
Ebd.: Et Cartesius pueriliter affirmat, omnia, etiam naturam boni et mali, veri
et falsi, pendere ab arbitraria Dei voluntate. […] Et si quis persuadere mundo vellet Car-
tesium fuisse Hypocritam et Atheistam occultum non ex alio ejus scriptorum loco id
majori specie probet.« – Bei Cudworth heißt es »Hypocritical Theist« und »Disguised
Atheist« (The True Intellectual System of the Universe, London 1678, S. 646). Zu Cud-
worth als Apologeten und den antiatheistischen Passagen des True Intellectual System vgl.
Carter 2009, zuletzt ausführlich Sheppard 2015, S. 165–181; vgl. außerdem Assmann 1998,
S. 118–130, zu Cudworths Rekonstruktion des ägyptischen Monotheismus als Teil sei-
ner apologetischen Strategie, die Wahrheit der Religion zu beweisen. – Die Ähnlichkeit
mit der entsprechenden Äußerung in Leibniz’ Dialogus ist bemerkenswert. Ob sie durch
Cudworth inspiriert worden ist, womöglich auf dem Wege indirekter Rezeption, bedarf
weiterer Klärung. Dem derzeitigen Wissensstand nach las Leibniz Cudworths Buch erst
1689 (vgl. die Einführung in A VI/4B, S. 1943).
507
Ebd., S. 1952: »Magnus error Atheistarum, quod divinitatem concipiunt ut ali-
quid terribile, ex timore in orbe natum, cum contra Dei fiducia, invocatio, cultus magno sit
solatio mortalibus.« – Bei Cudworth 1678, S. 659.
508
Schon vorher hatte ihm sein Korrespondenzpartner Henri Justel aus London von
den Boyle Lectures und Bentleys Predigt berichtet (vgl. A I/7, S. 624; Brief vom 25. März
1692). – Gegenüber seinem schottischen Korrespondenzpartner Thomas Burnett of Kem-
ney (1656–1727) berichtete Leibniz von der Lektüre der 1696 erschienenen lateinischen
Ausgabe (A I/14, S. 221; Brief vom 18./28. Mai 1697): »J’ay ses discours de la version latine
de Berlin qui me paroist bonne.«– Burnett war selbst mit Bentley bekannt und übermittel-
te später auch Grußadressen. Überhaupt ist der Briefwechsel mit Burnett eine Fundgru-
be, was die Entwicklungen der zeitgenössischen Apologetik angeht. Zur Korrespondenz
zwischen Leibniz und Burnett vgl. allgemein Riley 2003 (ohne Erwähnung von Bentley).
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156 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

5. Leben, als ob kein Gott sei


Das Modell des praktischen Atheismus in Gisbert Voetius’
De atheismo (1639)

5.1 Nadere reformatie


Voetius und seine Bedeutung für die deutsche Atheismusdiskussion

Zum einflussreichsten Stichwortgeber für die deutsche Atheismusdebatte des


17. und frühen 18. Jahrhunderts wurde, neben dem oft zitierten Mersenne, der
niederländische Theologe Gisbert Voetius (1589–1676),509 einer der Haupt-
vertreter der calvinistischen Orthodoxie seit der Dordrechter Synode, dessen
Streitlust gegen Atheismus, Aberglauben und Arminianismus ihm in der älte-
ren Forschung den etwas unglücklichen Beinamen »Clausewitz of orthodoxy«
eingebracht hat.510 Bekannt ist Voetius heute vor allem wegen seiner Angriffe
auf den Utrechter Kollegen Descartes, die ihn aus Sicht der Ideengeschichte als
engstirnigen, dem wissenschaftlichen Fortschritt feindlich gesinnten Kleriker
erscheinen lassen.511 Diese Sichtweise wird einem Mann nicht gerecht, der, als
Begründer der praktischen Theologie als Disziplin,512 an der Spitze einer nie-
derländischen Frömmigkeitsbewegung, der nadere Reformatie (›nähere‹ oder
›eigentliche‹ Reformation), stand, einer der großen protestantischen Reform-
bewegungen des 17. Jahrhunderts mit starken Einflüssen auf den deutschen

509
Zu Voetius vgl. die maßgebliche Untersuchung von Beck 2007 mit gründlicher
Aufarbeitung der älteren Forschung.
510
Allen 1964, S. 11. – Das Zitat fiel schon weiter oben im Rahmen der Einleitung.
511
Geradezu empörend ist aus heutiger Sicht die Darstellung von Voetius in Kuno
Fischers Geschichte der neuern Philosophie von 1854, in der Voetius als rückstandig, starr-
sinnig und überdies intrigant erscheint. Hier nur ein kleiner Ausschnitt (Fischer 1854,
S. 106): »Verfolgt von holländischen Theologen, besonders von dem streitsüchtigen Vo-
etius, der gegen seine Philosophie die unsterbliche Anklage des Atheismus erhob und es
dahin brachte, daß der Cartesianismus auf der Universität Utrecht förmlich verboten wur-
de, erfuhr Cartesius das Schicksal, welches vor und nach ihm die entscheidenden Denker
stets ausgezeichnet hat.« Ausführlicher und noch polemischer (Voetius habe den Streit
»so feig und so versteckt als möglich« geführt, S. 234) dann in der zweiten Auflage, die
sich zu einem Descartesbuch entwickelt hat (Fischer 1865), dort S. 233–239 (Kap. Streit
zwischen Descartes und Voëtius). Descartes Epistola ad celeberrimum virum D. Gisbertum
Voetium wird dagegen als »Meisterstück seiner Polemik« gepriesen (S. 236). Interessant
allerdings für den vorliegenden Zusammenhang: Voetius wandte sich an Mersenne um
Unterstützung gegen Descartes (vgl. ebd., S. 235). – Darstellungen wie diese haben gewiss
das Voetius-Bild, zumindest in der Philosophiegeschichtsschreibung, lange geprägt. Sach-
licher: Beck 2007, S. 60–90, mit gründlicher Auswertung der niederländischen Forschung
(ebd., S. 65, Anm. 20); vgl. ebd., S. 18, zum problematischen Voetiusbild im Gefolge der
Streitigkeiten mit Descartes. – Die beste Einführung in den Streit bieten die Dokumente
selbst; die Epistola ad Voetium ist mit weiteren Materialien und einer ausführlichen Einlei-
tung des Herausgebers (S. 19–66) abgedruckt bei Verbeek 1988.
512
Vgl. Beck 2007, S. 175–181.
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Leben, als ob kein Gott sei 157

Pietismus.513 Über seinen Schüler Theodor Undereyck (1635–1693) wirkte er


direkt auf die Entstehung des reformierten Pietismus in Norddeutschland.514
Mit den vier Disputationen De atheismo, die 1639 schnell nacheinander in Ut-
recht abgehalten wurden, prägte und dominierte er die Auseinandersetzung
deutscher protestantischer Theologen mit dem Atheismus auf Jahrzehnte auf
einzigartige Weise.515
Voetius hat die Debatte, wie wir sie bisher verfolgt haben, durch Zusam-
menführung und Systematisierung ihrer verschiedenen Stränge aufgearbei-
tet und systematisiert. Inhaltlich kommt gar nicht viel Neues hinzu. Seine
besondere Leistung bestand nicht darin, dass er neue Erkenntnisse über den
Atheismus zutage förderte oder den zeitgenössischen Begriffsgebrauch prä-
zisierte. Vielmehr trug er nach Art des barocken Polyhistorismus bereits vor-
handene, zum Teil auch entlegene Äußerungen über ›Atheismus‹ zusammen
und brachte sie in eine taxonomische Ordnung, die nach ramistischem Vorbild
überwiegend auf fortschreitender Dichotomisierung beruhte (s. Abb. 1).516
Ausgerechnet mit diesem Systematisierungsversuch hat er mehr zum unge-
nauen Gebrauch des Atheismusbegriffs und – besonders in Deutschland – zur
Explosion entsprechender Mahnschriften beigetragen als irgendwer sonst.
Zu Recht bemerkt ein späterer Kritiker, ein Schüler John Lockes und selbst
Verfasser einer viel gelesenen Historia Atheismi, bei Voetius gebe es so viele
Varianten des Atheismus, dass schlechterdings jeder Mensch zum Atheisten
erklärt werden könne.517

513
Vgl. van den Berg 1993, S. 68–88; Beck 2007, S. 124–142 (mit Forschungsbericht).
514
Dazu weiter unten, im Kapitel über Undereyck ( II.3.3).
515
Gisbert Voetius (praes.), Walter de Bruyn (resp.), De atheismo I–IV [1639], in:
Voetius, Selectarum disputationum theologicarum pars prima, Utrecht 1648, S. 114–226. –
Zu Druckgeschichte und thematischem Spektrum der Disputationen vgl. Beck 2007,
S. 108–115. – Zur Wirkung dieser »für mehrere Generationen protestantischer Apologe-
ten maßgebliche[n]« Schrift vgl. pointiert Schröder 1998, S. 25, Anm. 11 (Zitat ebd.); zum
Inhalt der Schrift vgl. auch ebd., S. 73 f.
516
Vgl. dazu die tadellosen Ausführungen von Barth 1971, S. 77–87 (mit Hinweisen
zur Rezeption); knapper: Beck 2007, S. 63 f.; zur Ramusrezeption, insbesondere in refor-
mierter Theologie, Jurisprudenz und Enzyklopädik vgl. Strohm 1999a.
517
Jenkin Thomasius [i.e. Jenkin Philipps], Historia Atheismi, breviter delineata,
Altdorf 1713, S. 65: »Apud Voetium tot divisiones, subdivisiones, tot gradus Atheismi,
atque species, ut omnes mortales in una harum classe vel altera tantum non recensendi
veniant.« Philipps’ Äußerung kehrt – ohne Nachweis – fast wörtlich wieder bei Franz
Ulrich Ries (Praes.), Dissertatio philosophica de atheis eorumque stultitia, Marburg 1725,
S. 6: »Tot divisiones, subdivisiones, tot classes atheismi ac species confinxere nonnulli, ut,
quisquis unquam mortalium crassissimum hunc erraverit errorem, in una harum classe, vel
altera, recensendus veniat.« – Zum Einfluss Lockes auf Philipps und die Konsequenzen
für Philipps’ Atheismusbegriff vgl. Schröder 1998, S. 69, Anm. 93.
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158 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

Abb. 1: Voetius, De atheismo, S. 142


Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek – Diss Theol prot 3234

5.2 Indirekter Atheismus und die Rolle der cognitio Dei insita

Es sind vor allem zwei definitorische Kunstgriffe, mit denen Voetius den
Atheismusbegriff von der biblischen Skandalformel »non est Deus« entkop-
pelt: zuerst die Unterscheidung zwischen direktem und indirektem, sodann
die zwischen theoretischem und praktischem Atheismus.518 Nur der Atheis-
mus directus entspricht dabei der veritablen negatio Dei, Voetius bezeichnet
ihn als »höchsten und vollendetsten Grad« des Atheismus.519 Der Tatbestand
des direkten Atheismus ist für Voetius erfüllt, jemand die cognitio Dei oder
die damit verbundene innerliche Empfindung zu unterdrücken versucht.520
Es fällt auf, dass auch bei Voetius der Atheismus nicht als ursächlich, als

518
Wir konzentrieren uns hier auf die in der Folgezeit am intensivsten rezipierten
Begriffe des theoretischen und praktischen Atheismus. Der Unterscheidung directus-in-
directus ist bei Voetius noch die zwischen Atheismus proprius und participatus vorgeschal-
tet, sie spielt jedoch in den nachfolgenden Jahrzehnten kaum eine Rolle. Voetius selbst
verwendet sie schon nicht mehr ab der zweiten der vier Disputationen. Überhaupt zeigt
er im Textverlauf eine gewisse Inkohärenz (oder Flexibilität) hinsichtlich seiner eigenen
Systematik, darüber hinaus schlägt er neben der hier vorgestellten auch noch alternati-
ve Taxonomien vor, denen jedoch ebenfalls die Unterscheidung direkt/indirekt zugrunde
liegt. Schon mit der frühen Voetiusrezeption ( II.2–3) gehen zumindest bei den deut-
schen Theologen diese Feinheiten verloren.
519
Voetius, De atheismo, S. 118: »Et hunc esse summum ac perfectissimum Atheismi
gradum infra in parte elenctica ostendemus.«
520
Ebd.: »Directus est, cum quis omnem cognitionem, sensum, & fidem numinis, in
corde suo quantum in se est exstinguere conatur […].«
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Leben, als ob kein Gott sei 159

einfach gegebene Tatsache aufgefasst wird. Dahinter steht einmal mehr das
Gedankengebäude der natürlichen Theologie und ihrer Annahme einer im
menschlichen Geist von Geburt an verankerten Gotteserkenntnis.521 Der Fall
des (entschuldbaren) Nichtglaubens oder Nichtwissens ist damit bei Voeti-
us ebenso ausgeschlossen wie bei Paulus, Luther oder Calvin. Atheismus –
selbst in seiner krassesten Form – könne demzufolge nichts weiter sein als
die schon bekannte Unterdrückung der natürlichen oder durch Erziehung
vermittelten Gotteserkenntnis. So wolle der direkte Atheist – die Formel
kennen wir von Bucer und Bacon – »sich und andere überzeugen«, dass er
zum Unglauben (ἀπιστίαν) gelangt sei.522
Weitaus größere Aufmerksamkeit widmet Voetius folgerichtig dem sys-
tematischen Gegenbegriff, den er als indirekten (indirectus) Atheismus be-
zeichnet. Ein solcher liege vor, wenn die Gewissheit der göttlichen Existenz
nicht unmittelbar, aber doch mit zwingender Konsequenz – »per necessariam
consequentiam« – aufgehoben werde.523 Mit dieser simplen Operation schreibt
Voetius den weiten Atheismusbegriff der vorangegangenen Jahrzehnte auch
terminologisch fest. Er schafft damit, besonders für den deutschsprachigen
Raum, eine heuristische Grundlage für mehr als ein halbes Jahrhundert fortge-
setzter Anschuldigungen und Verdächtigungen. Durch die äußerst dehnbare
Formel per bonam consequentiam wird der Tatbestand des Unglaubens weit-
gehend der Auslegungskunst des jeweiligen Anklägers überlassen, analog zum
Verfahren der ›Ketzermacherei‹.524 Das erklärt auch einmal mehr den oft zu be-
obachtenden Umstand, dass ein und derselbe Autor gegen Atheisten schreibt
und selbst als Atheist attackiert wird. Als bekanntestes deutsches Beispiel kann
Christian Wolff gelten, der denn auch nicht müde wurde, dieses Verfahren als
»Consequentienmacherey« zu kritisieren.525
Eine gewisse historische Berechtigung erhält Voetius’ Entscheidung viel-
leicht dadurch, dass zum Zeitpunkt der Disputation, 1639, noch keine Zeug-
nisse eines ›direkten‹ Atheismus vorlagen. Nicht einmal der viel gescholtene
Vanini, auf den auch Voetius immer wieder zurückkommt, hatte ja explizit die

521
Zur Traditionsgeschichte der natürlichen Theologie vgl. den gleichnamigen Ar-
tikel in der TRE, Bd. 24, 1994, S. 85–98 (Walter Sparn); ferner den Artikel Religion bzw.
Theologie, natürliche bzw. vernünftige im HWbPh, Bd. 8, 1992, Sp. 713–726 (Winfried
Schröder); für das 17. Jahrhundert grundlegend: Frank 2003; speziell mit Blick auf Voetius
vgl. Becker 2007, S. 149–175, bes. S. 159–162.
522
Ebd.: »[…] adeo ut ἀπιστίαν contendat, immo ad eam aliquando pervenisse & sibi
& aliis persuasum velit.«
523
Ebd.: »Indirectus est, cum quis per necessariam consequentiam omnem Dei cog-
nitionem & sensum eversum it.«
524
Diesen Vergleich hat schon am Ende des 17. Jahrhunderts Gottfried Arnold ge-
zogen, der in seiner Kirchen- und Ketzerhistorie beide Verfahren mustergültig beschreibt.
Mehr dazu weiter unten, Kap. IV.5.3.
525
Ausführlich dazu weiter unten, Kap. V.4.3.
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160 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

göttliche Existenz bestritten.526 Den durch Mornay, Bacon, Mersenne und an-
dere gut etablierten Kampfbegriff des Atheismus, der besonders in der staats-
theoretischen Literatur bereits eine gewisse Signalwirkung entfaltet hatte (s. o.,
Kap. I.3), durch eine hochpräzise Definition bis auf Weiteres von der Anwen-
dung auszuschließen, wäre nun aber den Bedürfnissen der Theologia polemica
gewiss nicht entgegengekommen. Hinzu tritt an dieser Stelle aber auch der
reformtheologische Gehalt der nadere Reformatie: Aus der Perspektive eines
vertieften Frömmigkeitsverständnisses und ergo eines erhöhten Anspruchs
an eine gottgefällige Lebensführung musste sich die Zahl der Ungläubigen –
im Sinne der von Luther beanstandeten impietas oder securitas – drastisch
erhöhen. Dem Frommen ist, salopp gesagt, alles unfromm. Diese Sichtweise
bestimmt auch die frühe deutsche Atheismusdebatte, die sich nicht zufällig
zuerst überwiegend im Milieu des beginnenden Pietismus entfaltet hat: Theo-
dor Undereyck, der wohl die weiteste Ausdehnung des Atheismusbegriffs
vornahm ( II.3.3), war ein direkter Schüler von Voetius.

5.3 Lebendiger Unglaube


Der Begriff des Atheismus practicus

Sicherlich die bekannteste und folgenreichste von Voetius’ Begriffsprägungen


bildet die Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Athe-
ismus als den zwei möglichen Erscheinungsformen oder Unterklassen des
Atheismus indirectus.527 Dieser könne nämlich entweder in Worten (theoreti-
cus) oder in Taten (practicus) bestehen – oder zumindest daran erkannt wer-
den. Mit dem indirekt-theoretischen Unglauben, der nicht unmittelbar, aber,
in leichter Variation der oben zitierten Formel, »per veram & solidam conse-
quentiam« Gott leugne oder seine Göttlichkeit aufhebe,528 ist das weite Feld
der Heterodoxien »unterhalb der Schwelle des Atheismus« betreten.529 Der
Begriff umfasst das ganze Spektrum der radikalen und auch moderateren Re-
ligionskritik. Dazu gehört für Voetius die Leugnung der göttlichen Vorsehung
und Gerechtigkeit ebenso wie der Widerstand gegen die Göttlichkeit der Bibel
und gegen die Möglichkeit der rationalen Gotteserkenntnis mithilfe des lumen

526
Dazu, philosophisch präzise und ältere Auffassungen korrigierend, Schröder
1998, S. 324–330.
527
Zu zeitgenössischen Definitionen im Anschluss an Voetius vgl. Barth 1971, S. 83–
87; zum Fortwirken des Konzepts eines Atheismus practicus über den deutschen Frühpie-
tismus bis zu Christian Wolff vgl. ausführlich Spiekermann 2019c; s. auch weiter unten,
Kap. V.1.
528
Voetius, De atheismo, S. 119: »Indirectus Atheismus theoreticus est cum quis per
veram & solidam consequentiam Deum negat, & deitatem tollit.« – Die anschließende
weiterführende Unterscheidung in primären und sekundären theoretischen Atheismus
(»Hic iterum duplex est, vel primarius, vel secundarius.«) kann hier außer Betracht bleiben.
529
Die Formulierung nach Schröder 1998: 89.
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Leben, als ob kein Gott sei 161

naturale.530 Als theoretischer Atheismus gilt Voetius ferner die Bestreitung der
in den loci communes aller drei Konfessionen fixierten göttlichen Eigenschaf-
ten (»Dei attributa«),531 insbesondere der Allwissenheit, Unermesslichkeit und
Unveränderbarkeit, sowie schließlich die Leugnung der Unsterblichkeit der
Seele und der Auferstehung des Leibes.532 Gerade die letzten Punkte werden
zum Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem Arminianismus in
Gestalt des vielgeschmähten, von seinen calvinistischen Kollegen des Sozinia-
nismus verdächtigten Theologen Konrad Vorstius.533
In der Dichotomie von Theorie und Praxis des Unglaubens – sie korres-
pondiert der von Voetius maßgeblich mitgetragenen Begründung der prak-
tischen Theologie als Disziplin – spiegelt sich nicht nur die schon von Bacon
und Mersenne her bekannte scholastische Trennung von Intellekt und Willen,
sondern auch das im Vorfeld des Pietismus wieder stärker betonte Verhält-
nis von fides und pietas, wie es etwa in den Apostelbriefen zum Ausdruck
kommt.534 Vermutlich von dort her (insbesondere von Tit 1,16) und vom expli-
zit hier genannten 14. Psalm ist auch Voetius’ Definition des praktischen Athe-
isten inspiriert. Er bezeichnet ihn mit einer später oft wiederholten Definition
als Menschen, »der nicht so sehr durch innere Empfindung oder äußeres Be-
kenntnis, sondern durch Leben, Sitten und praktisches Verhalten die Religion
und Gott verleugnet«.535 Von diesem Phänomen, so fügt Voetius hinzu, wüss-
ten zahllose Prediger und Theologen seiner Zeit zu berichten.536 Wie sehr sich
diese Definition von der traditionellen Sündentheologie herschreibt, zeigt sich
spätestens dann, wenn Voetius etwas konkreter wird und mit Völlerei (gula),
Habgier (avaritia) und Schmeichelei (adulatio) beziehungsweise lügnerischem
Verhalten (mendacia) Ausschnitte aus dem biblischen Sündenregister präsen-
tiert.537

530
Voetius, De atheismo, S. 119: »[S]i quis neget omnem Dei providentiam, is proxi-
ma & immediata consequentia negat Deum. Ita si quis neget Deum esse justum, immunem
ab omni peccato &c. […] si quis neget divinitatem scripturae cum ethnicis […] aut si neget
lumen naturale, ejusque certitudinem, quae tamen post scripturas est omnis cognitionis
rerum tum divinarum tum humanarum principium: quod faciunt antiqui & recentiores
Sceptici, Pyrrhioni, Academici, quorum furoribus non parum obstetricatur praesumta
nova methodus Jesuitarum, Arnaldi, Verroni, &c.«
531
Ebd., S. 120.
532
Vgl. ebd.
533
Zu Vorstius vgl. RGG4, Bd. 8, 2005, S. 1226 (Christoph Strohm).
534
Ausführlicher dazu oben, Kap. I.1.1.
535
Voetius, De atheismo, S. 118: »Quando quis non tam sensu aut professione, quam
vita, moribus, praxi religionem & Deum abnegat 2. Tim. 3. vers. 2. 3. 4. 5. Psalm 14. 1. 2.«
536
Ebd.: »De talibus hodie innumerae concionatorum & theologorum querelae.« –
Voetius zitiert sodann (ebd., S. 118 f.) ausführlicher aus einer Schrift des britischen Proto-
Puritaners William Perkins und situiert sich damit einmal mehr im geistigen Milieu der
protestantischen Reformorthodoxie des 17. Jahrhunderts. Zu den geistigen Grundlagen
des sog. reformierten Pietismus vgl. Jou 1994, S. 29–71, insbes. S. 29–41 (zu Perkins).
537
Voetius, De atheismo, S. 119: »Adde gulae mancipia, quorum Deus venter […]
Epicuri de grege porci: quorum haec summa pietas: Edamus & bibamus &c. 1. Cor. 15. 6.
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162 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

An diesem Punkt wird der Atheismusbegriff offenbar vollends von der


(theoretischen) Heterodoxie abgelöst und damit, wie noch zu zeigen sein wird,
für die Anwendung auf bekennende Christen verfügbar gemacht. Da nämlich
der praktische Atheismus nicht so sehr mit dem Nachdenken über als mit dem
Verhältnis zu und Verhalten gegen Gott zu tun hat, beginnt er für Voetius
bereits mit der Vernachlässigung oder expliziten Ablehnung der praktischen
Glaubenspflichten, also der Pflege von Frömmigkeit und äußerem Gottes-
dienst, und zwar bei gleichzeitigem Bekenntnis zur Religion.538 Nimmt man
die schon genannten Verfehlungen in Leben und Sitten hinzu, so wird deut-
lich, dass hier der Atheismusbegriff geradezu mit dem traditionellen Laster-
oder Sündenbegriff verschmilzt. Damit führt Voetius die gedankliche Linie der
reformatorischen Psalterkommentare ( I.1) konsequent zu Ende, wie auch
seine Verwendung des von Calvin her bekannten Signalbegriffs »Profani« be-
legt.539 Unter diesem Gesichtspunkt lässt sich in der Tat mit seinen späteren
Kritikern fragen, wie es überhaupt noch möglich sein soll, kein Atheist zu sein.
Andererseits betrifft die Vernachlässigung oder Ablehnung des christlichen
Gottesdienstes für Voetius nicht nur sündige oder verirrte Gemüter unter den
Christen, sondern auch Vertreter der ›theoretisch‹ verfahrenden Heterodoxien,
zudem Angehörige nichtchristlicher Religionen sowie christliche »sectarii«.540
In diesem Zusammenhang kehrt auch der Begriff der »Pseudo-politici« und
»Machiavelli discipuli« wieder. Sie werden von Voetius im Anschluss an die
oben ( I.2.3) exemplarisch beschriebene katholische Publizistik541 als ›neutra-
les‹ (lat.) eingeführt, die zwar nicht Gott oder die Religion allgemein leugnen,
sich aber aus Ehrgeiz, um öffentlicher Anerkennung willen, bald zu dieser,
bald zu jener Konfession bekennen, bald simulieren, bald dissimulieren wür-
den und sich damit als »indifferentes« zu erkennen gäben.542 In Voetius’ Au-

Denique mancipia avaritiae, qui describuntur 1. Timoth. 6. Ephes. 5. Coloß. 3. […] Postre-
mo adulatores & mendaces, praesertim aulici […].«
538
Ebd., S. 118: »Practicus est I. cum ipsa professione, religionis ac pietatis curam &
exercitia etiam externa, tanquam inutilia abnegat aut negligit. […] II. Quando quis verae
religionis professionem & exercitia externa abnegat, aut negligit: quamvis aliquam religi-
onem profiteatur.«
539
Ebd., S. 118, s. auch das vollständige Zitat in der folgenden Anmerkung.
540
Ebd.: »Quales specialiter Deistae, Epicurei, Lucianici, Libertini, Profani dici
possunt. Ad hanc classem referimus enthusiastas & Zelotes spiritus, imprimis, Henric-
Nicolaitas, David-Ioristas. […] Et sic Ethnici omnes dicuntur Athei […]. Pari fere modo
Mahumedani, Judaei; & sectarii inter Christianos tum antiqui tum novi, qui proxime ad
apostatas illos accedunt.«
541
Voetius bezieht (ebd.) sich ausdrücklich auf den Jesuiten Adam Contzen; neben
seiner zustimmenden Haltung zu Mersenne ein weiteres Indiz dafür, dass um die Mitte des
17. Jahrhunderts kontroverstheologische Aspekte im Zeichen von Apologetik und Atheis-
musbekämpfung durchaus in den Hintergrund treten können.
542
Ebd., S. 19: »Ad hanc classem referri possunt, qui neutrales & indifferentes sunt
ad cujuscunque religionis susceptionem & professionem, quique rleigoine utuntur ut
nummo, modo ajunt, modo negant, simulant, dissimulant, de quibus vere dicitur: Omnis
religio nulla religio. Dicuntur autem illi Neutrales, Eceboli, Vertumni, Cothurni. 4. Hujus
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Leben, als ob kein Gott sei 163

gen macht sie das (auch) zu praktischen Atheisten. Das deutet schon darauf
hin, dass er – entgegen späteren Inanspruchnahmen – theoretischen und prak-
tischen Atheismus mehr im Sinne einer idealtypischen Unterscheidung und
nicht als völlig getrennte Bereiche verstanden wissen will. Darauf wird nun
abschließend einzugehen sein.

4.4 »Sunt sibi mutuo causae«


Die wechselseitige Bedingtheit von Atheismus und Unmoral

Die Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Atheismus,


wobei der Letztere teilweise mit Laster oder Unmoral zusammenfällt, be-
deutet gerade nicht, dass Voetius Raum für die Möglichkeit eines tugend-
haften Atheisten schaffen wollte. Bei genauerem Hinsehen muss man sich
ohnehin fragen, wie er sich einen reinen praktischen Atheismus vorstellte.543
Von Mersenne und den Psalterkommentaren her kennen wir das gängige
Erklärungsmodell, nach welchem atheistische Überzeugungen als Folge un-
geordneter Affekte auftreten, nicht zuletzt als Flucht vor dem Druck eines
sündigen Gewissens. Dass Voetius von dieser Linie in keiner Weise abweicht,
zeigt sich, wenn er auf die Ursachen des Atheismus zu sprechen kommt.544
Hier durchbricht er seine vorher entwickelte Taxonomie, indem er zunächst
ganz allgemein eine wechselseitig kausale Relation zwischen Theorie und
Praxis behauptet: »Sic alii sunt, qui ex praxi procedunt ad theoriam, & hanc
ex illa oppugnant; alii e contra ex seductione & mala theoria corrumpunt
praxim.«545 Die Vermutung, dass dieser allgemeine Satz auch auf den Athe-
ismus Anwendung findet, bestätigt sich zu Beginn der vierten Disputation,
wo die Unterscheidung zwischen theoretischem und praktischem Atheis-
mus eingehender begründet wird.546 Beide Arten seien in gleicher Weise un-
terschieden und aufeinander bezogen wie theoretische und praktische Wis-

generis imprimis sunt Machiavelli discipuli, Pseudo-politici, Pseudo-aulici, & istius farinae
charíentes, popularis aurae & ambitionis mancipia.«
543
Dieses Problem hörte in der Folgezeit nicht auf, die akademische Theologie zu
beschäftigen; s. u., Kap. V.1.
544
Er streift sie bereits kurz, als er am Ende des ersten Definitionsdurchgangs eine
zusätzliche Systematik vorschlägt, nach der direkter und indirekter Atheismus unterteilt
werden könnten: »Atque haec Atheismorum divisio. Posset uterque atheismus tum direc-
tus tum indirectus aliter & varie distribui.« (120). – Der zweite Teil der ersten Disputation
(125–135) ist dann dezidiert der Frage nach den Ursachen des Atheismus (hier ist wohl
gemeint: des theoretischen) gewidmet: »Accedamus nunc ad causas Atheismi.« (125) Beide
Passagen werden hier zusammenfasssend behandelt.
545
Ebd., S. 120 f.
546
In der vierten Disputation (166–226) werden, wie schon in der zweiten und drit-
ten, einzelne Problemata abgehandelt. Dazu gehört auch die Frage nach der Berechtigung
der Unterteilung (distinctio) in spekulativen (theoretischen) und praktischen Atheismus
(ebd, S. 166): »III. Probl[ema] An distinctio Atheismi in speculativum & practicum sit
legitima?«
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164 Unglaubenskritik im 16. und 17. Jahrhundert

senschaft. Wo der Atheismus praktisch werde, setze er immer schon eine


verderbte Theorie oder Urteilsfähigkeit voraus (»praesupponat aliquam cor-
ruptionem theoriae seu judicii mentis«), so wie umgekehrt der theoretische
notwendig zum praktischen fortschreite. Sie würden sich, so Voetius, gegen-
seitig bedingen (»sunt enim mutuo causae«).547
Legt man dabei die oben entwickelte Definition des praktischen Atheismus
zugrunde, wird schon genügend evident, dass Voetius wie seine Vorgänger
eine kausale Relation zwischen Unsittlichkeit und heterodoxen Überzeugun-
gen annimmt, und zwar in beide Richtungen. Diese doppelte Kausalrelation
ist von großer Bedeutung, wenn man verstehen will, wie sich die Annahme
eines generellen Zusammenhangs zwischen Unsittlichkeit und Unglauben
auch über Bayles massiven Einspruch hinaus halten konnte ( IV.2.3). Voe-
tius’ Aufzählung konkreter Ursachen des Atheismus rekapituliert denn auch
die schon bekannten affektpsychologischen (»affectibus & cupiditatibus«) Ge-
sichtspunkte von Neugier und Eitelkeit über Trägheit, Modetorheit, Wollust
und Habgier bis zu Ehr- und Rachsucht.548 Bei der näheren Analyse der Ursa-
chen wird sodann ein deutlich von Mersenne beeinflusster Katalog zunächst
nach äußeren und inneren Ursachen unterteilt,549 die inneren Ursachen werden
im Anschluss an die Bibel (und unter expliziter Berufung auf die Kommentar-
literatur zum 14. Psalm) der Leitkategorie der Dummheit als der »ersten und
allgemeinen Wurzel« des Atheismus zugeordnet.550
Umgekehrt setzt Voetius die negativen – ergo auch staatsgefährdenden –
moralischen Folgen so selbstverständlich voraus, dass er sie nur nebenher
streift; so etwa zu Beginn der zweiten Disputation, wo er eine Liste der Begleit-
erscheinungen (»Adjuncta Atheismi«) des Atheismus zusammenstellt. Darun-
ter fällt für ihn neben Gotteslästerung (»blasphemia«), Verhärtung des Gewis-
sens (»induratio«) und sündhafter Verzweiflung (»desperatio«) auch eine aufs
Äußerste getriebene Unsittlichkeit, ja Bereitschaft zu allen Verbrechen gegen
göttliches und menschliches Recht oder, in Voetius eigenen Worten, der »Gip-
fel aller Gottlosigkeiten«.551 In formelhafter, fast wörtlicher Entsprechung zu
Calvins Äußerung aus dem Psalterkommentar (Voetius zitiert daraus eine Seite
später) wird unmittelbar darauf der schon bekannte Begründungszusammen-
hang nachgetragen: »Denn durch welche Bande der Ehrbarkeit, der Treue, des

547
Ebd.
548
Ebd., S. 121: »Rursum, alii qui curiositate & vanitate ingenii; alii qui pravi af-
fectibus & cupiditatibus otii, ignaviae, rerum novarum, voluptatum, avaritiae, ambitionis,
vindictae &c. in Atheismum propelluntur, aut alios propellunt.«
549
Ebd.: »Quae sint vel internae vel externae.«
550
Ebd., S. 129: »Atque hae quidem causae antecedentes, seu interne impellentes,
quas refert scriptura ad stultitiam, tanquam ad primam & generalem radicem Psal. 14. 1.
Vide ibid. commentatores.«
551
Ebd., S. 135: »Cumulum omnium impietatum, vitiorum, & scelerum, adversus
primam & secundam tabulam: quae hic recensere supervacaneum.«
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Leben, als ob kein Gott sei 165

Gehorsams – und von welcher Art von Sünde – soll derjenige zurückgehalten
werden, der Gott leugnet?«552
Damit ist zu guter Letzt die Frage nach der obrigkeitlichen Haltung ge-
genüber dem Atheismus berührt, der Voetius zwei der im »pars elenctica«
enthaltenen Streitfragen (problemata) widmet.553 Es geht eigentlich, führt
Voetius aus, um die Frage nach der Duldung offen theoretischer Atheisten,
denn dass praktische Atheisten – im extremen Verständnis also Sünder, Sit-
tenstrolche und Verbrecher – kaum irgendwo geduldet seien (»vix toleratos«),
stehe außer Zweifel.554 Seiner Meinung nach sind theoretische Atheisten, die
ihren Atheismus durch öffentliches Bekenntnis verbreiten (»profitentes scil.
& spargentes«), nicht zu dulden, selbst wenn sie den Forderungen des natürli-
chen wie positiven Rechts genügen. Denn, so heißt es im Anschluss an Paulus,
»corrumpunt bonos mores colloquia prava« (1 Kor 15,33).555 Voetius kann hier
noch nicht auf viele Rechtsquellen verweisen, auch Althusius’ Politica oder
vergleichbare Schriften ( I.3.3) werden nicht erwähnt. Da es überhaupt zu
dieser Zeit an spezifischen Gesetzen gegen Atheisten mangelt, bezieht Voeti-
us seine Vorschläge für das obrigkeitliche Vorgehen gegen Atheisten von den
rechtlich kodifzierten Strafen gegen Gotteslästerung oder Ketzerei (»blasphe-
mias haereticales«) aus dem kanonischen Recht. Entsprechend drastisch fallen
die aufgeführten Strafen (Auspeitschung, Verbannung) aus, wenngleich sie
Voetius nicht explizit zur Anwendung empfiehlt.556 Wie sich noch zeigen wird,
blieb die Frage nach der Rechtsstellung der Atheisten und dem obrigkeitlichen
Umgang mit ihnen ein vieldiskutiertes Problem bis weit ins 18. Jahrhundert
hinein. Untrennbar verbunden damit ist die Frage nach der politischen Funk-
tion der Religion, die in den Jahren nach dem Erscheinen von Voetius’ Dispu-
tationszyklus unter deutschen Gelehrten intensiv diskutiert wurde. Es war die
Zeit nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und die Formierungsphase
des vor allem lutherischen Pietismus.

552
Ebd.: »Quibus enim honestatis, fidei, obedientiae vinculis, & a quo peccati genere
retineatur ille, qui Deum abnegat?«
553
Die Frage nach der Duldung von Atheisten bildet das erste der »problemata ma-
gis practica« (ebd., S. 179). Es folgt ein Abschnitt zur Frage, welche Zwangsmittel gegen
den Atheismus einzusetzen seien (S. 179–180).
554
Ebd., S. 179: »Practicos vix toleratos alicubi in Rebus publicis Christianis, indubi-
um est. Sed quaestio est de speculativis, si quidem caetera neminem laedant, suum cuique
tribuant, & secundum leges civiles vivant.«
555
Ebd., S. 179: »Nos Neg[amus] si scil. Atheismum directum aut & Epicureorum,
Saducaeorum, ac similium indirectum profiteantur & spargant; Ratio est: Quia corrum-
punt bonos mores colloquia prava. 1. Corinth. 15. Atqui non est ferendum ut civium mores
corrumpantur.« – Luther übersetzt die Bibelstelle (1. Kor 15, 33): »Lasset euch nicht ver-
führen / Böse Geschwetze verderben gute sitten.« In einer Anmerkung fügt er hinzu: »Das
ist / böse Geselschafft / da offt gar ergerliche wort gefallen / wider den Glauben / vnd
verderben gute Gewissen.« Biblia (1545), S. 2323.
556
Voetius, De atheismo, S. 179.
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II. UNGLAUBE UND PIETISMUS


ANFÄNGE DER DEUTSCHEN
ATHEISMUSDEBATTE SEIT 1650

1. Neuer Wein in alten Schläuchen?


Überlegungen zum Funktionswandel der Kontroverstheologie

In den deutschen Territorien setzt der Feldzug gegen den Atheismus ver-
gleichsweise spät ein. Ab etwa 1655 beginnen in auffallender Dichte mono-
grafische Schriften zu erscheinen, die sich der Bekämpfung des Atheismus
widmen.1 Es handelt sich zunächst noch um akademische Textsorten, wie
etwa die Dissertatio de fulcris atheismi in ecclesia (1655) des Königsberger
Theologen Christian Colbe oder eine von Johann Adam Osiander veranlass-
te Tübinger Disputation De notitia Dei contra atheos (1658). Mit dem 1661
erschienenen Preservatif wider die Pest der heutigen Atheisten des Rosto-
cker Pfarrers Theophil Großgebauer und dem Scrutinium atheismi historico-
aetiologicum (1663) seines Amtsbruders und Namensvetters Theophil Spi-
zel nimmt die antiatheisitische Publikationsoffensive dann rasch Fahrt auf,
nun auch außerhalb der Universitäten. Von da an erscheinen in Deutschland
fast jährlich Traktate, Dissertationen oder auch auf Deutsch verfasste Er-
bauungsschriften, die sich gegen die Bedrohung des Unglaubens oder gegen
einzelne Figuren wie Hobbes oder Spinoza wenden. Hatte 1656 schon Her-
mann Conring, der oben ausführlicher gewürdigte Helmstedter Polyhistor,
gemeinsam mit dem Mainzer Kanzler von Boineburg darüber geklagt, dass
sich immer mehr gelehrte Reisende in Italien und England mit dem Virus des
Atheismus (»hoc pessimum virus«) infizieren würden,2 so sahen zu Beginn
der 1660er-Jahre Autoren wie Großgebauer und Spizel die ›Pest‹ des Un-
glaubens endgültig in Deutschland angekommen.3

1
Vgl. schon den wichtigen Aufsatz von Leube 1924a; ausführlich Barth 1971 (dort,
S. 20–29, ein kurzer Überblick der Debatte); wichtige Hinweise ferner bei Blaufuß 1977,
S. 265–286.
2
Boineburg an Conring, 23. Januar 1656; Nachweis oben im Leibniz-Kapitel (I.4.3),
Anm. 95.
3
Spizel handelt in seinem Scrutinium atheismi (Augsburg 1663) im Kapitel Scrutini-
um Nationum sive Locorum (S. 17–48) nacheinander Italien (17–25), Frankreich (25–32),
Spanien (32 f.), England (33–41), die Niederlande (41–43) und schließlich Deutschland ab
(44–48, hier S. 44): »Nostra adhuc superest GERMANIA […].«
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168 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Nach den bislang erfolgten Vorklärungen dürfte aber schon deutlich ge-
worden sein, dass diese Klagen mit Vorbehalt gelesen werden müssen. Zwar
wissen wir heute, dass die ersten (handschriftlichen) Äußerungen eines Athe-
ismus nach heutigem Verständnis tatsächlich ab etwa 1660 nachweisbar sind.4
Sie dürften international gut vernetzten Büchersammlern wie Conring oder
Spizel nicht lange verborgen geblieben sein.5 In den oben genannten Schriften
ist jedoch von clandestinen Traktaten wie dem Theophrastus Redivivus oder
dem Symbolum Sapientiae kaum die Rede. Wenn von Atheismus gesprochen
wird, dann weiterhin in dem allgemeinen Begriffsumfang, wie er seit Voetius
mit dem Sammelbegriff des ›indirekten Atheismus‹ erfasst wurde. Und auch
dort stellt sich die Frage, ob die spürbar zunehmenden Beschwerden von
Geistlichen und anderen besorgten Zeitgenossen (wie etwa Leibniz) auf eine
tatsächliche Zunahme jener milderen Heterodoxien im selben Zeitraum schlie-
ßen lassen oder ob es sich um gleichsam propagandistische Übertreibungen
handelt. Bevor daher mit Großgebauer, Spizel und anderen mehrere frühe Ver-
treter der deutschen Atheismusdebatte zu Wort kommen, sollen einige ihrer
möglichen Voraussetzungen erörtert werden. Dabei wird es vor allem darum
gehen, den Übergang von der oben skizzierten europäischen Atheismusde-
batte zu den spezifisch deutschen Verlautbarungen über den Unglauben her-
zustellen. Da die akademisch gebildeten deutschen Barockgeistlichen bestens
über den Stand der Antiatheismusliteratur informiert waren, lassen sich leicht
verschiedene Rezeptionslinien rekonstruieren. Nicht zuletzt aber wird zu fra-
gen sein, was diese Rezeption gerade ab 1650 begünstigte.
An zwei Schriften soll dieser Übergang gleich etwas näher konkretisiert
werden, da mit ihnen, soweit ich sehe, nicht allein das taxonomische Modell
von Voetius in die deutsche geistliche Diskussion eingeführt wurde, sondern
auch die aus der Toleranzdiskussion um 1600 bekannte Figur des nur noch
welt- und zweckorientierten Politicus. Beide Werke sind – wenngleich auf ver-
schiedene Weise – mit der protestantischen Universität Helmstedt verbunden.6
Dort publizierte zum einen der Conring-Schüler Daniel Clasen 1655 eine
Schrift mit dem Titel De religione politica, die es zu einer gewissen Bekannt-
heit brachte und in der Forschung schon mehrfach behandelt wurde. Auf sie
wird im übernächsten Abschnitt zurückzukommen sein ( II.2.2). In Helm-
stedt lehrte außerdem der lutherische Theologe Georg Calixt,7 an dessen ire-
nisch-unionistischer Haltung sich seit etwa 1625 eine schwere innerlutherische

4
Vgl. den reichhaltigen Anhang bei Schröder 1998, S. 397–526, für eine umfassende,
reich kommentierte Auflistung atheistischer Schriften im 17. und 18. Jahrhundert.
5
Spizel kommt darauf in seinem Scrutinium atheismi knapp auf jene »libri ma-
nuscripti« zu sprechen, die offen den Atheismus propagieren würden (S. 58 f.). Er erwähnt
auch kurz das Cymbalum Mundi (ebd., S. 133).
6
Zur theologischen bzw. kirchengeschichtlichen Bedeutung der Helmstedter Uni-
versität vgl. die Hinweise in TRE 15, 1986, S. 35–39 (Inge Mager).
7
Zu Calixt im Umfeld der Helmstedter Universität vgl. Wallmann 1983; allgemein:
TRE, Bd. 7, 1981, 552–559 ( Johannes Wallmann).
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Funktionswandel der Kontroverstheologie 169

Kontroverse, der synkretistische Streit, entzündete.8 In diesen Zusammenhang


gehört der erste gleich zu behandelnde Text, der zugleich das von Voetius ent-
wickelte Atheismusmodell für die deutsche Diskussion bereitstellte ( II.2.1).
Es handelt sich um eine Streitschrift des Leipziger Theologen Johann Hül-
semann (1602–1661) mit dem zeitgemäßen Titel Calixtinischer Gewissens-
Wurm (1653). Dort wird in einer Art Forschungsbericht ein kleiner Abriss
der Begriffs- und Bedeutungsgeschichte von ›Atheismus‹ samt einer knappen
Literaturübersicht gegeben, der unter anderem auch den um 1600 noch von
Katholiken verwendeten Kampfbegriff des Politicus umfasst.
Die Zugehörigkeit dieses frühen Dokuments der deutschen Atheismusde-
batte zum synkretistischen Streit ist für unsere Darstellung von großem Inte-
resse, weil im Mittelpunkt dieser Kontroverse die Frage stand, ob sich nicht
zumindest für die protestantischen Religionsparteien eine bekenntnisneutrale
dogmatische Grundlage finden ließe, um den Zusammenschluss in einer Union
zu ermöglichen.9 Dass sich dieser Vorschlag vor dem Hintergrund der gleich-
zeitig entwickelten, später teilweise in den britischen Deismus einmündenden
Modelle einer offenbarungsunabhängigen natürlichen Theologie (Herbert von
Cherbury, Cambridge Platonists etc.)10 sehr leicht den Vorwurf des ›Neutra-
lismus‹ oder Indifferentismus zuzog, lässt sich denken. Es ist deswegen wohl
kein Zufall, dass in diesem Zusammenhang auch der Begriff des Politicus wie-
derkehrte, der ja bei den prospanischen Theologen um 1600 ebenfalls mit dem
Vorwurf des ›Neutralismus‹ verbunden gewesen war ( I.2.3). Einmal mehr
also steht die Einführung des Atheismusbegriffs als Feindkonzept und pole-
mische Formel im Horizont einer Auseinandersetzung zwischen den christ-
lichen Religionsparteien selbst. Hier sind es zwar – trotz der obligatorischen
Seitenhiebe – nicht mehr Katholiken und Protestanten oder Lutheraner und
Calvinisten, die aufeinander treffen, die Analogie ist dennoch unübersehbar.
Hinzu tritt ein weiterer Aspekt, der hier nicht außer Acht gelassen wer-
den darf. Die konfessionspolitischen Regelungen des Westfälischen Friedens
mit ihrer rechtlichen Gleichstellung der drei christlichen Konfessionen (die
Mängel bei der je regionalen Umsetzung dürfen hier außer Betracht bleiben)11
brachten für die über Jahrzehnte mit Rieseneifer betriebene Kontroverstheo-
logie eine unerwartete Entwicklung.12 Zwar gingen die alten Konflikte al-
lerorten noch lange weiter, sie zogen sich vielfach weiter bis zum Ende des

8
Vgl. allgemein Baur 2003 u. Staemmler 2005.
9
Vgl. dazu Wallmann 1999; ausführlich Böttigheimer 1996.
10
Vgl. dazu, wie stets, den Überblick von Frank (2003); ferner den Artikel Religi-
on bzw. Theologie, natürliche bzw. vernünftige [!] im HWbPh, Bd. 8, 1992, Sp. 713–726
(Winfried Schröder). – Zur apologetischen Relevanz der natürlichen Theologie siehe wei-
ter oben, Kap. I.4, sowie im Weiteren, Kap. IV.4.
11
So etwa die erzwungene Rekatholisierung der Kurpfalz; vgl. dazu Schaab 1966.
12
Vgl. etwa, für das Beispiel Brandenburgs, Ruschke 2012, S. 79–95 u. 127–153.
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170 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

18. Jahrhunderts.13 Die reichsrechtlich vorgesehenen Toleranzregelungen wur-


den jedoch in den einzelnen Territorien nicht selten durch Mandate oder Edik-
te gegen das Polemisieren von der Kanzeln unterstützt, um gerade in mehr-
konfessionellen Gegenden die Eintracht der Untertanen nicht zu gefährden.
Ausdrücklich empfahl der Osnabrücker Friedensvertrag den territorialen Ob-
rigkeiten, Kritik an den religionspolitischen Bestimmungen durch »Predigen,
Lehren, Streiten, Schreiben oder gemeinsames Beratschlagen« (»concionando,
docendo, disputando, scribendo, consulendo«) im öffentlichen wie im priva-
ten Raum zu unterbinden.14 Viele Theologen, die im aufgeheizten Klima des
Konfessionalismus aufgewachsen waren, reagierten darauf verärgert. Germa-
nisten ist vor allem der Fall Paul Gerhardts geläufig, der aus Protest gegen die
brandenburgische Kirchenpolitik 1666 vom Pfarramt suspendiert und kurz
darauf wieder eingesetzt wurde, aus Gewissensgründen jedoch bald zurück-
trat, um auf eine Pfarrstelle im sächsischen Lübben zu wechseln.15
In dieser Lage bot das neue Feindbild des Unglaubens, das Schreckgespenst
der atheistischen Bedrohung, ein geradezu willkommenes Instrument, um
kontroverstheologische Energien mitsamt des damit verbundenen rhetorisch-
polemischen Arsenals aufzunehmen und zu bündeln. Dieses Potenzial konnte
sich allerdings in zwei ganz verschiedene Richtungen entladen: Auf der einen
Seite wurde mit dem konfessionspolitisch noch unbelasteten Atheismusbegriff
die alte Kontroverstheologie sozusagen unter falscher Flagge weiter betrieben.
Er übernimmt dort in mancher Hinsicht die Funktion von haeresis oder haere-
ticus und ersetzt wohl auch hier und da die Strategie der Verteufelung. Wie der
Atheismusbegriff gegen den konfessionellen Gegner eingesetzt wird, haben
wir bei Mersenne bereits gesehen. Der Jesuit Antonio Possevino hatte dieses
Mittel schon vorher gegen Luther und Melanchthon verwendet ( I.2.1). Das
bleibt jedoch, soweit ich sehe, nach 1650 eher die Ausnahme, wie etwa in der
Polemik gegen den Helmstedter Calixt.
Auf der anderen Seite dagegen, und das ist einmal mehr der Weg in Rich-
tung Aufklärung, traten die konfessionellen Differenzen angesichts der mit
aller Drastik inszenierten neuen Bedrohungslage in den Hintergrund, auch
wenn sie sicherlich nie ganz vergessen wurden. Dieser strategische Aspekt des
Atheismusdiskurses ließ sich bereits vor 1600 am Beispiel Mornays beobach-
ten. Gerade in einer Stadt mit konfessioneller Parität von Lutheranern und

13
Vgl. die Hinweise zur Pfalz nach Augenzeugenberichten des späten 18. Jahrhun-
derts bei Spiekermann 2013a.
14
Instrumentum Pacis Osnabrugense, Art. V, § 50; hier zit. n. Kaiser und Reich.
Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Na-
tion vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806, hg., eingel. u. übertragen v.
Arno Buschmann, München 1984, S. 331.
15
Den Vorgang rekonstruiert ausführlich Niemann 2009, S. 253–308; ferner Bun-
ners 2007, S. 72–86; ein kurzer Überblick des Vorfalls in Killy/Kühlmann, Bd. 4, 2009,
S. 177–180 (Hans-Georg Kemper), bes. S. 177; zu den Hintergründen nun ausführlich
Ruschke 2012.
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Funktionswandel der Kontroverstheologie 171

Calvinisten wie Augsburg,16 wo mit Theophil Spizel der wohl produktivste


deutsche Atheistengegner wirkte ( II.3.2), erfüllte das neue Feindbild ohne
Zweifel eine Integrationsfunktion, ob nun absichtlich oder nicht. Während
aber andere Angstvorstellungen wie etwa die ›Türkengefahr‹ in ähnlicher Wei-
se als identitätsstiftende Abgrenzung nach außen genutzt werden konnten,17
eignete sich der Atheismusbegriff, ganz besonders in der durch Voetius erar-
beiteten Variante des Atheus practicus, auch als Mittel innerkirchlicher Diszi-
plinierung und Differenzierung.
Bei Autoren wie Spizel, aber auch bei seinem Rostocker Amtskollegen
Theophil Großgebauer (II.3.1) und beim Königsberger Theologieprofessor
Christian Colbe ( II.2.3) diente der Vorwurf des Atheismus in ähnlicher Wei-
se dazu, ein im Anschluss an Johann Arndt und den britischen Puritanismus
vertieftes und verschärftes Verständnis von Frömmigkeit innerhalb der eige-
nen (lutherischen) Konfession durchzusetzen. Wie bei Luther zielte dabei der
Atheismusbegriff nicht auf einen in der negatio Dei gipfelnden intellektuellen
Radikalismus, sondern auf eine als Schein- oder ›Maulchristentum‹ empfun-
dene laxe Haltung gegenüber dem anspruchsvollen Sünden- und Gnaden-
verständnis der lutherischen Kirche. So spricht Clasen etwa von »Namens-«
oder »Titularchristen« (›titulares Christiani‹).18 Dass in diesem Zusammenhang
schon 1655 bei Colbe, später dann auch bei Spener, der lutherische Begriff der
securitas wiederbelebt wird, illustriert schlaglichtartig die bewusste Rückkehr
zu Luther im Umfeld des beginnenden Pietismus. Da die frühe deutsche Athe-
ismusdebatte, gemessen an der Anzahl einschlägiger Quellen und ihrer Wir-
kung über 1700 hinaus, maßgeblich unter diesen frömmigkeitsgeschichtlichen
Vorzeichen stand, wird der Schwerpunkt des vorliegenden Kapitels auf dieser
kirchen- und kulturkritischen Dimension der Atheismuskritik liegen.19

16
Zum Verhältnis der Konfessionen in Augsburg vgl. vorbildlich François 1991, bes.
S. 143–190; teilweise auch Warmbrunn 1983, der einen Vergleich mit anderen bikonfessi-
onellen Reichsstädten herstellt (Spizel wird nicht erwähnt); vgl. überdies die Beiträge in
Burkhardt 2000; zusammenfassend knapp Roeck 2005, S. 139–143.
17
Vgl. Guthmüller/Kühlmann 2000.
18
Nachweis weiter unten im Clasen-Kapitel.
19
Der Begriff ›Kulturkritik‹ wird im Folgenden in Anlehnung an die maßgeblichen
Untersuchungen Georg Bollenbecks gebraucht. Vgl. Bollenbeck 2005 u. 2007. – Zwar be-
schränkt sich das von Bollenbeck erarbeitete Verständnis von Kulturkritik als einer spezi-
fisch modernen Erscheinung auf Rousseau und die Folgen bis in die unmittelbare Gegen-
wart; die von ihm erarbeiteten Kriterien (vgl. Bollenbeck 2005, S. 49–53) – die Verbindung
von Gegenwartskritik und Utopie im Horizont einer »meta-politische[n] Totalkonstruk-
tion« (ebd., S. 49), eines temporalisierten Geschichtsbewusstseins und einer normativen
Anthropologie – lassen sich jedoch ohne große Abzüge auf die Klagen frömmigkeits-
bewegter Autoren seit 1600 über den Genius saeculi anwenden. Was Bollenbeck, stark
vereinfachend als unterscheidendes Kennzeichen der »ältere[n] Moral- und Sittenkritik«
postuliert (ebd., S. 51), nämlich das Fehlen einer innerweltlichen Verbesserungshoffnung,
trifft auf den Pietismus mit seinen konkreten kirchenpolitischen Reformanstrengungen
gerade nicht zu.
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172 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

2. Atheismus ohne Atheisten?


Contra-Irenik, Frühpietismus und lutherischer
Anti-Machiavellismus ab 1648

2.1 Atheismusvorwurf gegen Helmstedt


Johann Hülsemanns Calixtinischer Gewissenswurm von 1653

In der knappen Erörterung des Atheismus durch Johann Hülsemann, in dem


viele Zeitgenossen um 1650 »den ersten Mann der deutschen lutherischen
Kirche« sahen,20 treten die bisherigen Linien wie in einem Brennglas zusam-
men.21 Das Bemerkenswerte an diesem Abriss im Rahmen einer Streitschrift
gegen Calixt und den Helmstedter ›Synkretismus‹ ist nicht nur die Dichte und
strukturierte Bündelung der verarbeiteten Informationen, sondern auch der
selbstverständliche Einbezug reformierter wie katholischer Autoren. Calvin,
Theodor Beza und Voetius werden ebenso rezipiert wie die Hauptvertreter
der katholischen Anti-Politici-Literatur. Darüber hinaus wertet Hülsemann
entsprechende Stellen bei den Aposteln und den Kirchenvätern aus. So ent-
steht auf engstem Raum eine Handreichung für die schon mehrfach beschrie-
bene Überführungshermeneutik. Ihre Grundlage bildet auch hier, am Beginn
der deutschen Atheismusdebatte, ein äußerst weit gefasstes Begriffsverständ-
nis. So kann den von Hülsemann zusammengetragenen Autoren zufolge die
Anbetung falscher (oder sogar mehrerer) Götter ebenso als Atheismus an-
gesehen werden wie die falsche oder zu ›kaltsinnige‹ Anbetung des richtigen
Gottes, Häresie so gut wie Götzendienst, Judentum so gut wie Islam – »der
Atheisten«, folgert Hülsemann im Anschluss an den Schweizer Reformator
Beza, »sind mancherley«.22
Darin ist bereits die auch für Voetius und die gesamte deutsche Atheismus-
debatte vor 1700 leitende Voraussetzung enthalten, dass das Verständnis von
Atheismus nicht auf die extreme Form der negatio Dei beschränkt bleibt. Die-
se Sichtweise konnte Hülsemann, wie in den vorgehenden Kapiteln deutlich
geworden sein dürfte, auch aus der politischen und apologetischen Beschäf-

20
F. Lau, Art. »Hülsemann, Johann«, in: RGG3, Bd. 3 (1959), S. 467. – Vorsichtiger
Markus Matthias im Artikel Orthodoxie I: Lutherische Orthodoxie (TRE, Bd. 27, 1995,
S. 464– 485, hier S. 471 f.); er nennt Johann Gerhard als führende Gestalt des barocken
Luthertums (vgl. ebd., S. 472) , wie es wohl eher der communis opinio entspricht.
21
Zu Hülsemann vgl. neben den genannten Artikeln aus TRE und RGG3 noch
Kantzenbach 1966, S. 18, 28, 44 et pass. (Register); Hülsemann stand den »Reformideen
in der deutschen lutherischen Kirche« (H. Leube) des 17. Jahrhunderts keineswegs ab-
lehnend gegenüber (vgl. Leube 1924, S. 57 f.; Kantzenbach 1966, S: 64), er gehörte neben
dem schwäbischen Dissidenten Christoph Besold zu den bedeutendsten Kennern der mit-
telalterlichen Mystik (vgl. Mahlmann 1996, S. 143 f. et pass.). Seine Kritik an Calixt ist
also durchaus in einer Linie mit den Bemühungen Spizels, Großgebauers und anderer im
Folgenden behandelten Autoren zu sehen.
22
Ebd., S. 1347.
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Atheismus ohne Atheisten? 173

tigung mit dem Atheismus entnehmen; sie war darüber hinaus in den großen
enzyklopädischen Nachschlagewerken der Zeit vielfach vertreten.23 Von Voe-
tius übernimmt er aber die eigens dafür geschaffene Terminologie (›directe-in-
directe‹, ›per consequentiam‹), die er an späterer Stelle auch noch ausführlicher
expliziert.24 Mit einer derartigen Heuristik könne man, so Hülsemann weiter,
den Atheismusvorwurf Calixt gegenüber »entschuldigen«, von dem er selbst
sich hier nur scheinbar distanziert:

Habens andere Leute gethan / die können es darmit entschuldigen und behaupten /
daß Atheismus nicht allein eine solche Gottlosigkeit heist / wenn der wahre GOtt /
welcher ist und heisset Vater / Sohn und Heiliger Geist in Einem Wesen / und drey
Personen nicht erknnet / angebetet und geehret / oder auch gar verleugnet wird / daß
dieser der wahre GOtt sey: Sondern heisset auch eine solche Leichtsinnigkeit / wenn
das jenige directe oder indirecte, per hypothesin oder per conseqventiam, durch einen
Satz / oder rechtmäßige Folge / zur Ehre GOttes und der Menschen Seligkeit nöthig
zu seyn geleugnet wird / ohne welche Erkäntnüß der Einige wahre GOtt nicht kann
recht geehret / oder dadurch seine Ehre geschmälert / und der Menschen Seligkeit
verhindert wird.25

Hülsemanns Strategie ist sogar noch eine Stufe subtiler. Wenn er nämlich
den gegen ihn erhobenen Verdacht dementiert, er habe Calixt des Atheismus
bezichtigt,26 macht er implizit genau dies, indem er einen Atheismusbegriff
entwickelt, der sich auf Calixt und andere Unionisten anwenden lässt. Die
Entscheidung dazu überlässt Hülsemann in einer strategisch klugen rheto-
rischen Geste seiner Leserschaft.27 Dahinter steht möglicherweise die Über-
legung, dass der Angegriffene sich mit juristischen Mitteln zur Wehr setzen
könnte: Hülsemann erwähnt im Rahmen seiner Ausführungen das einschlägi-

23
So etwa Alsted, Encyclopaedia, Bd. 3, S. 1265. – Hülsemann selbst bezieht sich
ausgerechnet auf das Magnum theatrum vitae humanae (1631) des Katholiken Beyer-
linck. Dieser fasste den Atheismusbegriff zwar noch vergleichsweise eng, setzte aber mit
den Kirchenvätern (und wohl auch passend für Hülsemann) die Häresie mit dem Athe-
ismus gleich: »Cum ex Patrum sententia, Atheos dicamus, qui non solum Deum negant,
sed etiam illos qui verum ac legitimum cultum ei non impendunt: haereticos ex eorundem
sententia etiam ἄθεος [!] dicimus.« Laurentius Beyerlinck, Magnum theatrum vitae hu-
manae: hoc est, rerum divinarum humanarumque syntagma catholicum, philosophicum,
historicum, dogmaticum, alphabetica serie polyantheae universalis instar, in tomos octos
digestum, Köln 1631, Bd. 1, lib. 1, S. 669.
24
Hülsemann, Gewissens-Wurm, S. 1348–1350, wo auch die ramistische »Tabell« aus
Voetius’ zweiter Disputation De atheismo (S. 142) reproduziert wird, um das anschließend
formulierte Beweisziel zu illustrieren (S. 1349): »Nach dieser Beschreibung sind alle Armi-
nianer und Calixtiner, directe Athei; externe und interne.«
25
Hülsemann, Gewissens-Wurm, S. 1339 f.
26
»Daß ich aber Calixtum iemaln für einen Atheum gescholten / wird er nimmer-
mehr beweisen.« (Ebd., S. 1339)
27
»Welche aber«, heißt es am Ende des Atheismus-Exkurses, »Calixtum Atheismi
beschuldiget haben / finden daselbst Rationes und Exempla gnug das ihrige zu behaup-
ten.« (Ebd., S. 1350)
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174 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

ge Beispiel Descartes’, welcher niemand anderen als seinen Utrechter Kollegen


Voetius auf dessen massive Anschuldigungen hin erfolgreich verklagt hatte.28
Dass die Argumentation in Wirklichkeit genau darauf zuläuft, den Athe-
ismusvorwurf gegenüber Calixt durch das Bereitstellen der entsprechenden
Definition zu untermauern, zeigt sich gleich darauf, wenn Hülsemann als
»Exempel« für eine derartige »Leichtsinnigkeit« dessen dogmenkritisch-ak-
komodatorische Sicht auf den alttestamentarischen Gottesbegriff anführt. So
etwas werde, schließt Hülsemann, »nicht unbillig ἀθεότης genennet / weil an
statt des Einigen wahren GOttes entweder ein unbekannter GOtt / oder Ei-
ner, der nicht GOtt ist / muß angebetet seyn«.29 Es folgen, nach dem gängigen
Verfahren der zeitgenössischen Wissenschaftspraxis, zahlreiche Belegstellen
aus Bibel und Kirchenvätern sowie den entsprechenden Kommentarwerken
verschiedener Reformatoren von Luther und Erasmus Sarcerius bis zu Calvin
und Beza. Neben der Areopagrede aus der Apostelgeschichte, in der Paulus
zu den heidnischen Griechen spricht, kommt dafür vor allem der Epheser-
brief (Eph 2,12) in Betracht, in dem bekanntlich die einzige biblische Beleg-
stelle für das Wort ἄθεος (im Nominativ Plural: ἄθεοι) enthalten ist.30 Da sich
Hülsemanns Rekonstruktion zunächst an diesem Ausdruck orientiert, bleibt
der in einem solchen Kontext eigentlich zu erwartende 14. Psalm aus der Be-
trachtung ausgespart und damit auch weitgehend die Frage nach dem Zusam-
menhang zwischen Atheismus und Sittenwidrigkeit. Ganz offenkundig will
Hülsemann hier andere Schwerpunkte setzen. So ist es wohl auch zu erklären,
dass der in Richtung Unmoral zielende Nebenbegriff ›Epikurer‹ ( I.1.5) in
seiner Schrift überhaupt nicht vorkommt.
Warum er andererseits die von Voetius mit großem Erfolg eingeführte
theoreticus-practicus-Dichotomie nicht verwendet, ist um so schwerer begreif-
lich, als seine Gedankenführung dem damit verbundenen Schema genauestens
folgt. Nachdem er nämlich die verschiedenen Varianten eines falschen Got-
tesbildes abgehandelt hat, die allesamt auf das ›nullum esse Deum‹ hinauslau-
fen, wendet er sich im folgenden Abschnitt der Frage nach der richtigen oder
falschen Gottesverehrung zu. Das entspricht, wie sich sehr schnell zeigt, ganz
genau Voetius’ Unterscheidung, wie auch Hülsemanns weitere Ausführungen
über die »Lauigkeit« und »Kaltsinnigkeit« im Verhältnis zu Gott bestätigen
können.31 Zur näheren Erklärung zieht er die griechischen Begriffe ἀσέβεια

28
Ebd., S. 1350. – Zum Konflikt vgl. die Hinweise im Voetius-Kapitel (I.5.1).
29
Ebd., S. 1340.
30
In der lateinischen Vulgata geht dieser begriffsgeschichtliche Bezug verloren, weil
das prädikativ gebrauchte »ἄθεοι« – »Da her jr keine Hoffnung hattet / vnd waret on Gott
in der welt« (Luther) – dort mit »sine Deo in hoc mundo« übersetzt wird ( I.1.1).
31
Hülsemann, Gewissens-Wurm, S. 1344: »Zum andern / so heisset auch das ἀθεότης
oder Irreligiositas, Unandacht und Kaltsinnigkeit gegen die alleinige wahre Lehre von
GOttes Wesen / Willen und Wohlthaten / […] Lauigkeit / Verachtung oder Geringschät-
zigkeit der reinen Lehre / und hingegen kein Eyfer noch Empfindligkeit noch Bewegung
wider die Vertheidigung und Ausbreitung unreiner / falscher Lehre.«
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Atheismus ohne Atheisten? 175

und ἀνοσιότης heran, die er mit »Ruchlosigkeit« und »Unheiligkeit im Leben


und Wandel« übersetzt wissen will.32 Statt auf Voetius bezieht er sich hier ex-
plizit auf dessen ungleich berühmteren Landsmann Vossius,33 der in seiner Ab-
handlung De theologia gentili (1642) ebenfalls zwischen ἀθεότης und ἀσέβεια
unterschieden hatte, sowie auf das horazische Wort vom ›mäßigen Gottesver-
ehrer‹ (»parcus Dei cultor«).34 Was das im Sachsen des Jahres 1653 konkret
bedeuten konnte, alles andere nämlich als Hedonismus oder erotische Liberti-
nage, illustriert die anschließende polemische Schilderung, die auch einen gut
plazierten, heute unfreiwillig komisch wirkenden Seitenhieb auf den Gegner
Calixt enthält:

Wenn etliche deren so genandten Christen / der ordentlichen von GOtt eingesetzten
Mittel / dadurch die wahre Erkäntnüß GOttes / und die wahre Andacht zu Betrach-
tung Göttliches Worts / zum Gebet und Dancksagung gegen GOtt / zum Mitleiden
und Barmhertzigkeit gegen dem Nechsten erwecket wird / selten gebrauchen […]
nicht auf die Predigt hören / nicht mit singen / nicht mit beten / sondern inmittelst in
andern Büchern lesen / oder sonst kein Andacht sehen lassen / kein Mitleiden gegen
den Nechsten / keinen Eyfer zu der wahren noch gegen die falsche Religion spüren
lassen: (von welchen Leuten Calixtus gute Nachricht geben kann / wo sie wohnen)
die heisset man in gemeiner Rede auch Atheos […].35

Begünstigt werde ein solches Verhalten – darauf deutet der Hinweis auf Calixt
in Verbindung mit dem Vorwurf des Bücherlesens im Gottesdienst – durch
eine bestimmte weltmännisch-intellektuelle Prädisposition, nämlich die schon
zu Eingang des Kapitels gebrandmarkte Haltung der »Neutralisten« (›Neu-
tralistarum‹, 1339). Gemeint ist damit ein konfessioneller Indifferentismus,
der die dogmatischen Unterschiede zwischen Calvinismus, Luthertum und
Katholizismus zugunsten einer allgemeinen Religio Christiana einebnen
will, mithin aber, in den Augen der jeweiligen Orthodoxien, heilsnotwendige
Artikel wie Abendmahls- oder Versöhnungslehre bagatellisiert.36 Diese Hal-
tung, die um 1650 natürlich auch die Assoziation des Sozinianismus abrufen
musste,37 sieht Hülsemann als Gemeinsamkeit zwischen Calixt und der schon
bekannten Gruppierung der Politici an, welche nämlich »eben das fürgeben /

32
Ebd.
33
Ebd.
34
Ebd. – Er verweist auf Vossius, De theologia gentili et physiologia Christiana, sive
de origine ac pregressu idololatriae, Amsterdam 1642 (1. Buch, 3. Kap.). Dort auch das
Horazzitat (carm. I, 34). Bemerkenswerterweise verwendet Vossius an dieser Stelle (S. 17)
den Begriff des »Epicureus«, den Horaz ja auch ironisch auf sich selbst angewendet hatte.
Hülsemann übernimmt genau dies aber nicht.
35
Hülsemann, Gewissens-Wurm, S. 1344 f.
36
Zur Versöhnungslehre der altprotestantischen Orthodoxie vgl. Wenz 1984, S. 74 f.
37
Vgl. Wenz 1986, S. 100–127, zur Versöhnungslehre der Sozinianer; zum Sozini-
anismus insgesamt vgl. den derzeit besten Überblick im Neuen Ueberweg 17/4, 2001,
S. 1265–1287 (Zbigniew Ognowski ); zur prekären Stellung des Sozinianismus zwischen
geistlicher und weltlicher Heterodoxie vgl. Vollhardt 2013.
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176 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

was Calixtus fürgibt«.38 Einmal mehr also wird der Atheismusvorwurf indi-
rekt lanciert. Dazu arbeitet Hülsemann in einem kurzen Abriss der katholi-
schen Polemik adversus politicos eben jenen Gesichtspunkt der Bekenntnis-
indifferenz heraus, den er auch in Calixts irenischen Unionsbestrebungen am
Wirken sieht. Mit Martin Becanus,39 Contzen40 und Stapleton41 sind einige der
wichtigsten Vertreter dieser publizistischen Formation benannt, mit Wilhelm
Ferdinand von Efferen42 und Cornelius a Lapide zudem namhafte Vertreter
der Staatsräson-Debatte, die den eigentlichen Hintergrund für die Feindvor-
stellung des Politicus darstellt.43

2.2 Der Politicus im deutschen Territorialstaat


Daniel Clasens De religione politica (1655)

Während Hülsemanns Gewissenswurm, der in den engeren Rahmen einer in-


nerlutherischen Kontroverse gehört, jenseits des synekretistischen Streits ei-
nen begrenzten Leserkreis gehabt haben dürfte, wurde das im Folgenden zu
besprechende Werk von vielen Zeitgenossen wahrgenommen und durch etli-
che Bezugnahmen in die frühe deutsche Atheismusdebatte integriert. Daniel
Clasen (1622–1678), Schüler Conrings in Helmstedt und seit 1669 Professor
an der dortigen juristischen Fakultät,44 bereitete mit seiner Schrift De religione
politica von 165545 den ursprünglich vor allem von katholischer Seite verwen-
deten Feindbegriff des Politicus umfassend für das deutsche Luthertum auf.
Dafür waren, wie eben angedeutet wurde ( II.1), in den deutschen Territorien
nach 1648 die politischen Bedingungen gegeben. Die Verhältnisse ähnelten in
vieler Hinsicht denjenigen in Frankreich und den Niederlanden um 1600. Hier
wie dort hatte sich der politisch-weltliche Führungsanspruch gegenüber den

38
Hülsemann, Gewissens-Wurm, S. 1345.
39
Ebd. – Becanus’ Manuale controversiarum wurde bekanntlich von keinem Gerin-
geren als Martin Opitz ins Deutsche übersetzt. Vgl. dazu Breuer 2004, S. 339–343.
40
Gewissens-Wurm, S. 1345 f. – Hülsemann nennt dort Contzens Daniel, sive de
statu, vita, virtute avlicorum atque magnatum (Köln 1630) sowie die bekannteren Politi-
corum libri decem (Köln 1621 u. ö.).
41
Gewissens-Wurm, S. 1346. – Hülseman zitiert aus Stapletons Oratio academica: An
politici horum temporum in numero christianorum sint habendi (o. O. 1602; mehrere Auf-
lagen); dazu oben, Kap. I.2.3.
42
Gewissens-Wurm, S. 1348.
43
Mehr dazu auch noch in Kap. III.3 (zu Johann Michael Moscherosch, Hans Jacob
Christoffel von Grimmelshausen, Christian Weise und Johannes Lassenius).
44
Zur Biografie vgl. DBA I 192, S. 119–135; Clasen als Staatsdenker behandelt kurz
Weber 1992, S. 130–135.
45
Daniel Clasen, De religione politica liber unus, Magdeburg 1655. Im Folgenden
(mit bloßer Seitenzahl in Klammern im Fließtext) zitiert nach der zweiten in Zerbst er-
schienenen Auflage von 1681, die nur minimal abweicht. Eine dritte und letzte Ausgabe
erschien 1702 in Leipzig.
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Atheismus ohne Atheisten? 177

Autonomieforderungen der protestantischen Kirchen sowie der päpstlichen


Suprematie durchgesetzt. Die Vielfalt und Komplexität der damit verbunde-
nen politologischen und staatskirchenrechtlichen Überlegungen, in denen die
Alternative zwischen »Ecclesia in republica« und »Respublica in Ecclesia« er-
örtert wurde, kann hier allerdings nur angedeutet werden.46
Zu berücksichtigen ist darüber hinaus die Situation vor Ort: Zum Zeit-
punkt der Veröffentlichung stand Clasen noch als Rektor der Magdeburger
Stadtschule vor.47 Die vormals wohlhalbende Stadt war 1631 durch kaiserliche
Truppen vollständig zerstört worden.48 Mehr noch: Nach vorübergehender
katholischer Besatzung waren die Ländereien des Erzstifts Magdeburg durch
die Bestimmungen des Westfälischen Friedens den reformierten brandenbur-
gischen Kurfürsten zugesprochen worden. Die Regelung sollte mit dem Ab-
leben des letzten Administrators, des lutherischen Herzogs August von Sach-
sen-Weißenfels (1614–1680), in Kraft treten, was dann 1680 auch geschah.49
Dass unter diesen Umständen das Feindbild des Politicus, der die weltliche
Gewalt über die geistliche stellt und mit einem Federstrich langjährige geist-
liche Eigentumsrechte und Mitbestimmungsansprüche annulliert, neue Kon-
junktur gewann, dürfte wohl kaum überraschen.

Kirche und Staat als Problemfeld


Wie sehr gerade Conring als Staatsdenker intensiv mit der Frage der auctoritas
maiestatis civilis circa sacra beschäftigt war, haben wir schon im Vorhergehen-
den gesehen.50 Dabei hatte Conring, im Anschluss an Grotius, noch stärker als
seine Vorgänger die tragende Bedeutung der natürlichen Religion herausge-
strichen. Da er sich gleichzeitig als einer der ersten deutschen Autoren öffent-
lich zu Machiavelli bekannte und ihn vom Vorwurf des Atheismus freisprach,
musste er sich seitens seiner Gegner unweigerlich dem Vorwurf des »Politi-
cismus« aussetzen, sein Religionsverständnis konnte ihm leicht als nur noch
funktionaler Pragmatismus in der Nachfolge Machiavellis ausgelegt werden.
Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass die ausführliche Analyse der ›politi-
schen Religion‹ durch seinen Schüler Clasen unter anderem auch dem Zweck
diente, derartigen Verdächtigungen ein für allemal ein Ende zu bereiten und
den schlechten ›Politicismus‹ von einer guten politischen Klugheit abzugren-
zen. Damit stand er europaweit nicht allein. In Deutschland sollte es dagegen

46
Vgl. Heckel 1968; Dreitzel 1995; von rechtsgeschichtlicher Seite Link 1998.
47
Vgl. DBA I 192, S. 120.
48
Vgl. Münkler 2017, S. 464–485, dort auch einige bewegende Zeitzeugnisse.
49
Vgl. Thiele 2018, die schon im Titel ihres Aufsatzes (»Ein geistliches Fürstentum
unter lutherischer Administration«) pointiert auf die Problemlage hinweist.
50
Hermann Corning (praes.), Martin von Heimburg (resp.), Exercitatio politica de
majestatis civilis autoritate et officio circa sacra, Helmstedt 1645, 21678; dazu die Bemer-
kungen weiter oben in Kap. I.3.4, mit weiterführender Literatur.
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178 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

noch einige Jahrzehnte dauern, bis der Politikbegriff, mehr noch der Politicus,
durch Autoren wie Weise, Thomasius und andere rehabilitiert wurde.51
Wenn Clasen die von ihm bekämpfte, rückblickend zweifelsfrei als radikal zu
qualifizierende Sicht auf die Religion in aller Detailliertheit entfaltet, dabei so-
gar höchst delikate Passagen aus clandestinen Manuskripten zitiert (65–70),52
könnte das auch die Vermutung nahelegen, dass radikales Wissen unter dem
Vorwand der Widerlegung vor den Augen der Öffentlichkeit ausgebreitet
wird, eine Strategie, die den kirchlichen Zensurbehörden spätestens seit Va-
ninis Amphitheatrum Sapientiae bestens bekannt war. Selbst wenn dahinter
auf Autorenseite keine subversive Absicht stand,53 konnte Clasens Schrift auch
kontraintentional, als Steinbruch für heterodoxes Gedankengut, verwendet
werden. Bei den frühen deutschen Atheismuskritikern wurde sie allerdings
zustimmend rezipiert, wie gleich noch zu zeigen sein wird. Für das geschärfte
Gespür der frühpietistischen Theologen wirkte Clasens Intention somit offen-
bar glaubwürdig. Clasen selbst verwehrte sich gegen entsprechende Insinuati-
onen in der Vorrede (fol. a 3r):

Tantum rogo Benevolum Lectorem, ut in legendis istis Politicorum verba aliis po-
tißimum literis excusa a meo responso dextre distinguat, ne mihi sententiam, quam
impugno, temere affricet.54

Bemerkenswert an Clasens Schrift ist nicht zuletzt, dass er darin gezielt und of-
fensiv auf eine Problematik zusteuert, die in den politischen Theorien seit Bo-
din angelegt und zur primären Zielscheibe der katholischen Polemik adversus
Politicos geworden war: Den Vorwurf gegenüber den Befürwortern des weltli-
chen Machtstaats, die Religion auf ihre politisch-gesellschaftliche Funktion zu
reduzieren und so, unter dem Vorwand ihrer Wertschätzung, eigentlich ihre
Aushöhlung und Abschaffung zu betreiben. Dem Helmstedter Clasen wird
es kaum darum gegangen sein, die politischen Toleranzmodelle, die sorgfältige
Trennung von Staat und Kirche, die auctoritas maiestatis civilis circa sacra, wie
sie Henning Arnisaeus und Conring als Juristen und Staatsdenker konzipiert
hatten, zurückzunehmen, übte er doch äußerst scharfe Kritik an der Instru-
mentalisierung der Religion für die Interessen einer fürstenstaatlichen Macht-

51
Mehr dazu weiter unten im Kap. III.3 zur barocken Erzählprosa, wo neben Weise
auch Johannes Lassenius mit seinen Arcana politico-atheistica behandelt wird. Wie Clasen
selbst referiert auch Lassenius die eigentlich kritisierte Position der Politici so ausführlich,
dass man ihn heimlicher Sympathien verdächtigen könnte.
52
Clasen zitiert aus einem offenbar bis heute unbekannten Manuskript, das Aussa-
gen von einer um 1655 erstaunlichen Radikalität enthält. – Vgl. dazu die Analyse bei Mul-
sow 2002, S. 215–223, der dieses Verfahren Clasens in eine Reihe mit ähnlich operierenden
Werken stellt.
53
Dass Clasen selbst keine radikalen An- und Absichten hegte, nimmt auch Mulsow
an (ebd., S. 220): »Es wäre sicherlich verfehlt, in Clasen einen Radikalen zu vermuten.«
54
Damit ist über Clasens wirkliche Absicht freilich wenig ausgesagt, eine derartige
Versicherung stellt geradezu das Mindestmaß an denkbarer Distanzierung dar.
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Atheismus ohne Atheisten? 179

und Expansionspolitik im Verlauf des Dreißigjährigen Kriegs. Es lag ihm also


wohl eher daran, in Fortführung der staatskirchenrechtlichen Trennung von
cultus internus und externus, die politische Funktion der Religion sauber von
ihrer Heilswirkung abzugrenzen, ohne einem der beiden Aspekte etwas von
seiner Bedeutung zu nehmen. Auf diese Weise konnte die Lehre von der sozi-
alen Disziplinierungsfunktion der Religion als ungefährlich erwiesen werden,
weil sie deren sakrale Dimension in ihrer Würde unangetastet lässt.55
Im Text dient der Kampfbegriff des Politicus – von Clasen (wie bereits von
Assonville, Stapleton und Contzen) zugespitzt als Pseudopoliticus bezeich-
net – in strategischer Hinsicht zunächst dazu, eine extreme Position zu be-
zeichnen. Demgegenüber kann der Autor dann die protestantische und natur-
rechtliche Politiklehre als sinnvollen Kompromiss abheben, ohne selbst noch
dem Verdacht des Machiavellismus zu verfallen. Das wird in positiver Hin-
sicht dadurch verstärkt, dass der bei Conring oder Grotius noch recht tech-
nisch gehandhabte staatskirchenrechtliche Begriff des cultus internus nun mit
einem Glaubensverständnis gefüllt wird, das an die protestantischen Fröm-
migkeitsbewegungen im Gefolge von Johann Arndt und William Perkins an-
knüpfen kann. Auf diese Weise werden darüber hinaus – wie schon bei Arndt,
den Puritanern und bald darauf im Pietismus – neue Bestimmungsmerkmale
für eine ›wahre Religion‹ erarbeitet.56 Die ›Wahrheit der christlichen Religion‹
wird hier wie in der Apologetik eines Grotius oder Cudworth nicht mehr an
dogmatischen Punkten wie Versöhnungslehre oder Abendmahl festgemacht,
die Festigkeit im Glauben nicht am Besuch von Gottesdienst oder Beichte,
sondern an der individuellen Frömmigkeit. Diese bemisst sich ebenso am indi-
viduellen Gottesverhältnis wie an der damit korrespondierenden ›Heiligkeit‹
in der äußeren Lebensführung. Auch hierzu bildet der Pseudopoliticus eine
polemische Kontrastfigur, das Anpassungsgebot der politischen Klugheitsleh-
ren wird entsprechend als Heuchelei (›hypocrisis‹) interpretiert. In diesem Zu-
sammenhang findet dann auch bei Clasen der Atheismusbegriff Verwendung.
Definiert wird er wohl im Anschluss an die katholische Staatslehre sowie an
späthumanistische Enzyklopädien, denn im Gegensatz zu Hülsemann hat
Clasen Voetius offenbar noch nicht gekannt.

Zwei Arten politischer Religion


Da Aufbau und Gesamtcharakter der Schrift schon ausführlich beschrieben
worden sind,57 können gezielt einige Punkte hervorgehoben werden, über
die Clasens Werk mit der hier zu verfolgenden Gesamtdebatte verbunden ist.
So trennt er schon im ersten Kapitel (Explicatur Nomen Religionis […]), das

55
Darauf weist besonders Ernst Feil in seiner Analyse nachdrücklich hin; vgl. Feil
2001, S. 131 f., sowie Feil 1995, S. 19 (weitgehend textidentisch).
56
Explizit im 20. und letzten Kapitel, das die Überschrift trägt: De vera Religione in
Christianorum Republica toleranda.
57
Vgl. Feil 2001, S. 128–130 mit Anm. 19, dort eine Kurzübersicht der Kap. 9–18.
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180 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Vertrautheit mit den Anfängen einer allgemeinen Religionswissenschaft bei


Vossius oder Herbert von Cherbury verrät, zwischen innerem und äußerem
Gottesdienst.58 Das gibt Clasen schon den ersten Anlass, seine Abgrenzung
von gewissen Politici vorzubereiten, die es bei dieser äußerlichen Sicht be-
lassen würden: »Politici quidam, qui Religionem Statui accomodant, Vocem
istam sumunt pro culto divino externo, qui instar froeni sit subditis quo in
officio contineri facillime possint.« (6) Der hier verwendete Ausdruck »froe-
num« (»Zügel«) gehört, wie oben schon am Beispiel Assonvilles erarbeitet
wurde ( I.2.3), zum festen lexikalischen Bestand auch der Schriften, die sich
von den Politici distanzieren.
Auf diese Weise beginnt schon im ersten Kapitel die angedeutete Grat-
wanderung. Denn wie schon den katholischen Staatsdenkern vor ihm ist
Clasen natürlich nicht daran gelegen, die sozialdisziplinierende Wirkung
der Religion zu bestreiten. Zustimmend referiert er deswegen im Folgen-
den die entsprechenden, sattsam bekannten Formeln. Er stützt sich dabei
auf Staatsdenker verschiedener Länder und Konfessionen, von Bodin über
Botero und Boccalini bis zu van Efferen und Arnisaeus: Die Religion sei
der Grund (»basin« [10]), die Stütze (»fulcrum« [10]) und das Fundament
(»fundamentum« [6 u. 10]) des Gemeinwesens, ohne sie seien die Men-
schen wie zügellose Pferde (»velut equos effroenos« [6]), ihre Aufhebung
könne leicht jeglichen Sinn für Pflichten, Recht und Ehrenhaftigkeit zer-
stören. Wenn die Furcht vor dem göttlichen Richter aufgehoben sei, so hält
Clasen mit Arnisaeus fest, dann sei neben sämtlichen Tugenden vor allem
die Gültigkeit der Eide außer Kraft gesetzt.59 Ausführlich zitiert er aus Bo-
dins Staatslehre, bis hin zu dem schon aus der Patristik bekannten Lehr-
satz, dass menschliche Gesetze nur Verbrechen bestrafen, nicht aber das
Gewissen stärken könnten.60 Auch deswegen, weil sie nämlich weiter reiche
als das Gesetz,61 sei die Religion eines der sichersten Mittel, um die Entstehung
von Aufständen zu verhindern (8 f.).

58
»Tandem accipitur [sc. religio] pro cultu divino in genere, tam interno, quam ex-
terno.« (5) – Die »[i]nterni actus religionis duo« werden, im Anschluss an die Scholastik,
zunächst als »Devotio & Oratio« bestimmt und von sechs äußeren ›actus‹ abgehoben (5 f.).
Völlig zu Unrecht behauptet daher Ernst Feil, dass Clasen keinen Begriff von Religion »als
›innere‹ oder ›innerliche‹« entwickelt (Feil 2001, S. 133).
59
»Quod si igitur quis e republica tollat religionem, is fidem, jusjurandum, honesta-
tem, & omnem virtutem evertet: quod metus de divina vindicta isto quidem modo expiret.
At si opinio de ultione divina fuerit subversa, & supplicia hominum effugeris, quem tum
timebis vindicem? quidvis ergo licebit.« (9)
60
Das Bodinzitat ebd., S. 9 f., es ist entnommen aus Les six livres de la Republique,
6. Buch, 1. Kap. (S. 847 der faksimilierten Ausgabe Lyon 1593); am Ende des Zitats dann
der Satz von Laktanz: »Recte enim Lactantius: Possunt, inquit, Leges delicta punire, con-
scientiam munire non possunt.« (10)
61
Den Gedanken rekapituliert bekanntlich noch Schiller in der sogenannten Schau-
bühnenrede. Vgl. dazu sehr aufschlussreich die Analyse von Schäffner/Vogl (2006), die
Bezüge der Rede zur zeitgenössischen Kameralistik aufzeigen.
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Atheismus ohne Atheisten? 181

Dem möglichen Verdacht jedoch, damit auf die Linie der Politici einzu-
schwenken, begegnet schon der erste Satz des folgenden Kapitels, in dem nicht
nur Alter und göttliche Herkunft, sondern auch der heilige Endzweck (»sanc-
tum hoc religionis negotium« [11]) der christlichen Religion benannt wird: das
ewige Heil (»aeterna tandem salus«) des gesamten Menschengeschlechts (11).
Damit ist ein Standpunkt erreicht, von dem aus Clasen zu einer Philippika
gegen den Verfall der Frömmigkeit ausholen kann, mit der er sich deutlich
in die Tradition der kirchlichen Reformbewegungen des 17. Jahrhunderts ein-
schreibt und von jeglichem Machiavellismus distanziert. Im Gegensatz näm-
lich zur einfältigen Glaubenstreue der ersten Christen, die sich auch in einer
vorbildlichen Lebensführung bewiesen habe, sei in seiner Zeit die Religion –
als »leerer Name« – zu einem bloßen Abbild ihrer selbst verkommen:

At hoc nostro, in quo vivimus, exulcerato seculo, ubi pietas & justitia, relicta impiis
terra, coelum versus emigrarunt, Religio similis est nudae umbrae, & qui rem penitius
introspicient, non nisi meram istius deprehendent imaginem. Nudum namque & in-
ane est nomen, & qui de ea verba facere gestiunt, nihil minus, quam religionem curant,
ut propterea ebriorum instar, quid loquantur, nescientium, de re tam sublimi, tamve
ardua garrire videantur. (11)

Das sind typische Elemente einer frommen Zeitklage, wie sie durch das ganze
17. Jahrhundert von Vertretern der verschiedenen Frömmigkeitsbewegungen,
besonders im protestantischen Bereich, erhoben wurde.62 Es wird sich in den
folgenden Kapiteln noch vielfach zeigen, dass zwischen ihnen und der Atheis-
musdebatte eine deutliche Affinität besteht. Typisch sind die dichotomischen
Unterscheidungen, mit denen die Diskrepanz von falscher und wahrer Fröm-
migkeit illustriert wird, etwa zwischen Außen und Innen, zwischen Worten
und Taten oder – im Anschluss an Ps 14,1 – zwischen Mund und Herz. Die
Muster für die wahre Frömmigkeit werden in der Vergangenheit gesucht,
beim Urchristentum oder in der Reformation. Gegenüber diesen Vorbildern
werden die Christen der Gegenwart als Maul- oder Scheinchristen bezeichnet,
Clasen nennt sie Heuchler (»hypocritae« [20]) und »Titularchristen« (»titula-
res Christianos« [15]). Die Kritik an Mitgliedern der eigenen Kirche geht bei
Clasen so weit, dass er sogar einen äußerst streitbaren katholischen Autor zi-
tiert (keinen Geringeren als Kaspar Schoppe!), um die abscheulichen Lebens-
gewohnheiten unter Lutheranern zu brandmarken.63
Hier liegt ein wichtiger Schlüssel zu Clasens Buch, aber auch zu den An-
fängen der deutschen Atheismusdebatte um 1650 insgesamt. Bei Vertretern der

62
Dieser Zusammenhang wird in der Forschung nicht thematisiert, obgleich die eben
zitierte Passage durchaus zur Kenntnis genommen wurde. Vgl. Feil 2001, S. 129, Anm. 6.
63
»Bene dixit Ungersdorffius: Multos e Lutheranis quoque in omni scelerum turpi-
tudine bestiarum instar vivere […].« (17) – ›Ungersdorff‹ gehörte zu den Pseudonymen,
die der 1598 zum Katholizismus konvertierte Schoppe zu verwenden pflegte. Vgl. Killy/
Kühlmann, Bd. 10, 2011, S. 559–566 (Herbert Jaumann).
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182 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

religiösen Reformbestrebungen treten kontroverstheologische Motive oft in


den Hintergrund. Das streitbare Verhalten der Konfessionen untereinander
wird als Abkehr von den eigentlichen Inhalten des Glaubens gedeutet. Da-
gegen wird die ›wahre Religion‹ nicht mehr in einem bestimmten Bekenntnis
und der Abgrenzung von anderen Konfessionen gesucht, sondern in der rich-
tigen Ausübung der eigenen. Das ermöglicht zugleich die massive Kritik an
Missständen in der eigenen Kirche, bei der – wir sahen es bei Voetius – auch
der Atheismusbegriff zum Einsatz kommen kann. Zwar verwendet Clasen
noch nicht die durch Voetius bereitgestellte Kategorie des Atheismus practi-
cus. Gleichwohl ist die inhaltliche Übereinstimmung unübersehbar, wenn er
in mehreren Anläufen vielen Zeitgenossen eine Diskrepanz zwischen Lehre
und Leben, zwischen (bloß äußerlichem) christlichem Bekenntnis und einer
›viehischen‹ Lebensweise attestiert: »Putant ne isti, sufficere, si hanc vel istam
religionem profiteantur, & interea pecudum instar vivant?« (14)
Harte Worte findet Clasen, wie zeitgleich auch Christian Colbe (s. u.), für
ein Verhalten, das im 17. Jahrhundert häufig als Forderung der politischen
Klugheit hingestellt wurde: die Verstellung (simulatio), die im Prinzip der
zuvor kritisierten Heuchelei (hypocrisis) entspricht.64 Im engeren Bezirk der
Pastoraltheologie meinte das eine Haltung der äußeren Anpassung an Forde-
rungen der Kirchenzucht in Verbindung mit innerer Gleichgültigkeit. Ähn-
lich wie Hülsemann geißelt Clasen Christen, die sich zwar regelmäßig zum
Gottesdienst einfänden und die gehörte Predigt nicht genug loben könnten,
die dort gehörten Lehren jedoch gründlich vergäßen (»penitus obliti«), wie
sich an ihrem lasterhaften Lebenswandel zeige. Ihre Bußfertigkeit sei nur vor-
getäuscht (»paenitentiam simulant«), die Bekenntnisformeln würden sie bes-
tenfalls dahersagen wie einen auswendig gelernten Vers (15 f.).65 Der Gipfel
dieser Scheinheiligkeit ist für Clasen erreicht, wenn derartige Menschen nicht
nur von anderen für gute Christen gehalten, womöglich gar in der Kirche öf-
fentlich belobigt würden, sondern sich vielmehr selbst der besonderen Liebe
Gottes teilhaftig wähnten (»Deique charissimos se esse filios credunt« [18]).
Damit ist einmal mehr das Problem der securitas angesprochen, das bei Chris-
tian Colbe (s. u.) gleich weit deutlicher im Mittelpunkt stehen wird.

Das Modell des christlichen Politicus


Nachdem Clasen auf diese Weise hinreichend deutlich gemacht hat, dass sich
sein Glaubensverständnis scharf von demjenigen der inkrimierten Pseudopo-
litici unterscheidet, geht er daran, den Begriff der politischen Religion selbst
zu definieren. Entsprechend seiner Absicht, den staatstheoretischen Lehrsatz
von der sozialen Integrationsfunktion der Religion als kompatibel mit ›wah-

64
Ausführlicher kommt Clasen deswegen auf die simulatio zu sprechen, wenn er (im
IV. Kap.) den Begriff des Politischen definiert, vgl. bes. ebd., S. 51–54. – Der Begriff der
›hypocrisis‹ ebd., S. 17 u. 19, bzw. ›hypocritae‹ (S. 20).
65
Der Gedanke wird auf den folgenden Seiten (16–21) mehrfach variiert.
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Atheismus ohne Atheisten? 183

rer‹ Frömmigkeit zu erweisen, bemüht er sich, den in Verruf geratenen Begriff


des Politicus (»nomen Politici in odium pertractum«) von der eigentlich ehren-
werten, oftmals missverstandenen Kategorie des Politischen abzuheben, und
gelangt auf diese Weise zu einer positiven Deutung. 66 Das entscheidende Maß
dafür bildet die richtige Verhältnisbestimmung von Staat und Religion:

Nobis erit vir Politicus, qui statum reipublicae cognitum habet, quique architectonica
virtute praeditus rempublicam fundare, & fundatam suis consiliis optime conservare
potest. Talis vir statum suum verae religioni, tanquam unico fundamento applicare
debet, quod etiam facit […]. (54 f.)

Vom guten Politicus wird nun derjenige abgegrenzt, der die Religion auf ihre
staatserhaltende Funktion reduziert, ungeachtet ihrer Wahrheit oder gar Er-
habenheit. Sehr prononciert listet Clasen dazu mehrere Auffassungen von
›politischer Religion‹ auf (56–64), die deutlich auf Provokation hin angelegt
sind: Sie dienen der Profilierung des nachfolgend zu widerlegenden negativen
Extrems. Denn mit dem fünften Kapitel hebt Clasens Bestandsaufnahme jener
blasphemischen Lehrsätze an, die schon in der katholischen Polemik mit dem
Feindbild des machiavellistischen Politicus in Verbindung gebracht werden.
Sie reichen von allgemeinen kirchenrechtlichen Fragen wie dem Problem des
Konfessionswechsels oder der Verleugnung des eigenen Glaubens in Bedräng-
nis über genuin politische Themen wie Religionstoleranz und Zensur bis hin
zur gleich anfangs erörterten offen heterodoxen These, dass die Religion nur
eine menschliche Erfindung sei.67 Zu diesem Zweck referiert und zitiert Cla-
sen ausführlich Positionen der radikalen Religionskritik, die er teilweise sogar
clandestinen Manuskripten entnimmt.68

66
»Multi quidem Religionem Politicam in ore ferunt, verum illa quid sit, certe non
intelligunt, de Politico enim recte judicare nesciunt.« (50) – Es folgt eine Begriffsbestim-
mung des Politischen (S. 50–55), die unter Rückgriff auf so namhafte Zeitgenossen wie
Hermann Conring (51 u. 55), Matthias Bernegger (54), Jacques Auguste de Thou (54) und
Samuel Pufendorf (55), aber auch auf antike Autoritäten wie Aristoteles (51) und Plinius
(53), verschiedene Bedeutungsebenen herausarbeitet. – Zu Berneggers Politikverständnis,
das nicht zuletzt über seinen vielgenutzten Tacituskommentar Einfluss gewann, vgl. Kühl-
mann 1982, S. 43–66, sowie Kühlmann 1987. – Zum Begriff des Politischen im 17. Jahr-
hundert vgl. die Analysen weiter unten, Kap. III.3.
67
Für einen Überblick der einzelnen Kapitel vgl. Feil 2001, S. 128–133.
68
Vgl. das Clasen-Kapitel bei Mulsow 2002, S. 215–223, der den Spuren des clandes-
tinen Schrifftums in Clasens Darstellung nachgeht. Clasen zitiert stellenweise so ausführ-
lich aus Texten von (zu dieser Zeit) bemerkenswerter Radikalität hinsichtlich ihrer Religi-
onsauffassung, dass sich fürwahr die Frage stellt, wie sehr er wirklich an ihrer Widerlegung
interessiert war. Gelegentlich gehen Zitat, Referat und Clasens eigene Darstellung in der
Tat kaum merklich ineinander über, so dass selbst heutige Interpreten manche radikale
Aussage für Clasens eigene Meinung ansehen können. So hat Ernst Feil die Behauptung,
dass die ›politische‹ Religion nur zur Steuerung des Gemeinwesens erfunden worden sei,
als Clasens eigene Aussage gelesen, während sie doch – der Kursivdruck deutet darauf
hin – klar als Zitat aufzufassen ist. Vgl. Feil 2001, S. 129. – Die hier vorgeschlagene Kon-
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184 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Genau an diesem Punkt kommt nun auch der Atheismusbegriff ins Spiel.
Mit seiner Hilfe kann der falsche, weil extreme Politizismus in den Bereich des
intellektuellen Radikalismus verwiesen werden. So leitet Clasen ein ganz be-
sonders heikles Zitat mit der Bemerkung ein, dass er den Autor dieser gottlo-
sen Worte (»impia ista verba«), bei dem es sich um einen Atheisten zu handeln
scheine (»is vere videtur Atheus«), nicht mit Namen nennen wolle (66).69 Im
Anschluss an das Zitat schaltet Clasen dann einen längeren Exkurs zum Thema
Atheismus (einschließlich eines kurzgefassten Gottesbeweises) ein.70 Er erfüllt
hier nicht einfach nur die Funktion, das zuvor präsentierte Gedankengut zu
stigmatisieren und so Clasen von jeglichem Verdacht der Zustimmung freizu-
halten, sondern bereitet zugleich die vom Autor angestrebte Differenzierung
des Politikbegriffs vor. Wenn sich nämlich, so Clasen im Anschluss an den
katholischen Staatslehrer Adam Contzen, derartige Atheisten als Politici be-
zeichnen und folglich der politischen Klugheit rühmen würden, dann beruhe
das auf einer falschen Verwendung des Politikbegriffs.71 Schließlich stehe fest
(hier kann Clasen an das erste Kapitel anknüpfen), dass kein Staat ohne Reli-
gion existieren könne. Der Atheismus gefährde also, im Umkehrschluss, das
Gemeinwesen: »Perniciosus in Republica Atheismus est, quippe qui dissolvit
hominum societatem.« (70)
Es folgen einige definitorische Bemerkungen über den Atheismus, die im
Gegensatz zu Hülsemann noch ganz ohne Voetius auskommen. Die dreiglied-
rige Einteilung in a) die explizite Leugnung von Gott, Gesetz und Christus,72
b) die Zurückweisung der Bibel und der menschlichen Pflichten gegenüber
Gott73 sowie c) die vorsätzliche Heuchelei und ›Usurpation‹ der Religion

textualisierung soll den Verdacht zerstreuen helfen, dass sich Clasen einer subversiven Pu-
blikationsstrategie bedient, um radikales Gedankengut in Umlauf zu bringen. Das betrifft
vor allem die hier aufgezeigten Zusammenhänge mit den protestantischen Frömmigkeits-
bewegungen, mit denen sich Clasen kurioserweise eher der geistlichen als der weltlichen
Heterodoxie anzunähern scheint.
69
Leider hat diese Sicherheitsmaßnahme dazu geführt, dass der Autor der von Cla-
sen zitierten Passage bis heute nicht ermittelt werden konnte. Vgl. Mulsow 2002, S. 217.
70
»Haec doctrina, quam isti homines profitentur, merum sapit Atheismum, qua de
causa aliquid hoc loco contra Atheos apponemus, e naturae lumine dari Deum & Supre-
mum aliquod Numen demonstraturi.« (70)
71
»Jactitant quidem Athei isti, se Politicos esse, sed falso nomine, quia nihil magis
obstat Civili prudentiae, quam Atheismus, Deique ignoratio & contemtus. Adam. Contz. l.
2. c. 14. p. 88. Politic.« (71) – Das Zitat bezieht sich auf Adam Contzens Politicorum libri
decem (Mainz/Köln 1621, 21629; Online-Edition in der Volltextsammlung Camena, Abt.
Historica et Politica). – Zur katholischen Polemik gegen die Politici s. o., Kap. I.2.3.
72
»Non tamen unius generis sunt Athei. (1.) Quidam plane Deum esse negant, &
omnia fato fieri statuant, ea vero, quae de rebus divinis, promulgata Lege, Christi merito,
& aliis leguntur, pro fabulis habent.« (71)
73
»(2.) Quidam sunt, qui quidem aperte non negant Deum esse, non tamen credunt,
quae de Deo ejusque cultu sunt scripta, & Scripturam Sacram non pro divino quodam
libro agnoscunt […].« (72)
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Atheismus ohne Atheisten? 185

(»religionem usurpant«) für politische Zwecke74 könnte von Johann Heinrich


Alsteds Enzyklopädie inspiriert sein, wo bereits vor Voetius ähnliche Grup-
penbildungen begegnen.75 Entscheidend für unseren Zusammenhang ist neben
dem vinculum societatis-Topos die typische Engführung von Unglauben und
Lasterhaftigkeit. Sie wird so beiläufig konstatiert, dass es schon fast verwun-
dert. Hinzu tritt die in ihrer Wirkung drastischere, schon von Tholosanus,
Mersenne und anderen her bekannte Strategie, den Atheisten – und somit
auch dem machiavellistischen Politicus, der die Religion einzig als Kappzaum
für das Heer der Untertanen ansieht – die Zugehörigkeit zum Menschenge-
schlecht abzusprechen. Religion, oder vielmehr: Gläubigkeit, wird auf diese
Weise zum Bestimmungsmerkmal von Zivilisation:

Tales etiam sunt, quorum sententias antea recitavimus. Omnes hi non credunt Deum
esse: sed saltem opinionem de Deo extructam esse volunt ad credulum vulgus deci-
piendum, & intra cancellos obedientiae retinendum. At ejusmodi ne digni sunt, qui
homines vocentur, cum eum esse negent, a quo tamen homines orti sunt. Quam de-
testandam sententiam quamdiu amplectuntur, utique ab amore Virtutum & pietatis
aberunt procul, & quaelibet vel impia facinora pro peccatis non aestimabunt. Hinc
Philo Judaeus ait: Dei abnegationem esse omnium scelerum fontem. (74)

Von der so erreichten Perspektive aus kann Clasen schließlich die angestrebte
Rehabilitation des Konzepts ›politische Religion‹ unternehmen. Die zuvor ge-
troffene Unterscheidung zwischen guten Politici im eigentlichen und edelsten
Wortsinn von den Atheisten, die sich nur fälschlich Politici nennen würden
und daher von Clasen, mit einem Kampfbegriff der katholischen Staatsdenker
um 1600, Pseudopolitici genannt werden,76 verbindet sich nun mit der schon im
ersten Kapitel vorbereiteten Differenzierung zwischen politischer und sakra-
ler Dimension der Religion, um einen positiven Begriff der Religio politica zu
gewinnen. Deren Maxime, dass die Religion, aus den bekannten Gründen, un-
verzichtbar für das Gemeinwesen sei, müsse und könne gar nicht widerspro-
chen werden (»in eo recte loquuntur«),77 zumal sie schon bei Plutarch, Aristo-
teles, Laktanz, Lipsius – und auch (in diesem Zusammenhang überraschend)

74
»(3.) Sunt & alii, qui licet Deum non negent sed potius ore profiteantur, sacris
intersint, & ceremonias magni aestiment, tamen religionem usurpant tanquam efficax me-
dium ad status rationem.« (73)
75
Vgl. Alsted, Encyclopaedia, Bd. 3, S. 1265. – Clasen selbst bezieht sich im definito-
rischen Abschnitt (S. 71–74) vor allem auf antike und spätantike Autoren (Varro, Diodor
von Sizilien, Ammianus Marcellinus), von den Zeitgenossen auf Autoren politischer Lite-
ratur, nämlich auf Hermann Lather und Trajano Boccalini.
76
»Hisce ita peractis, pseudopoliticorum opiniones paulo accuratius intuebimur.«
(82, nach Abschluss der Gottesbeweise).
77
»I. Quod dicant: Religionis in republica magnam esse necessitatem, quia ejus ope
homines deterreantur ab occultis delictis, bonae Leges firmentur, & concordia servetur; in
eo recte loquuntur.« (82)
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186 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Machiavelli – belegt sei (82 f.).78 Frevelhaft sei erst der verkehrte Zusatz, dass
die Religion nichts außer diesem Zweck diene und eigens dazu von den poli-
tischen Führern erfunden worden sei.79 Er bildete bekanntlich einen der bri-
santesten Lehrsätze der radikalen Religionskritik im 17. und 18. Jahrhundert.
Clasen beeilt sich demgegenüber, auf den heiligen Ursprung und Endzweck
der Religion hinzuweisen: den Menschen, im Interesse seiner ewigen Seligkeit,
zur rechten Gottesverehrung anzuleiten.80

Zwischenfazit
Gegenüber der älteren Staatslehre, soviel dürfte klar geworden sein, hat Cla-
sen keine wirkliche Lösung für das Dilemma anzubieten. Indem er die Unter-
scheidung der Religion nach politischer Funktion und göttlicher Heilswirkung
noch schärfer herausarbeitet als sein Lehrer Conring und zudem, im An-
schluss an die zeigenössischen Frömmigkeitsbewegungen, die Anforderungen
an den cultus internus deutlich hochschraubt, gewinnt er einen Ansatzpunkt,
um den vinculum-Topos fortzuführen, ohne sich selbst dem Vorwurf des Ma-
chiavellismus auszusetzen. Zugleich wird aber, in Fortführung Conrings, die
Gefahr des obrigkeitlichen Gewissenszwangs relativiert. Das geschieht jedoch
nicht über den Hebel staatskirchenrechtlicher Bevormundung, sondern mit-
tels einer Umprägung des angelegten Religionsverständnisses. Insofern bildet
Clasens Schrift ein hervorragendes Beispiel für die Kompromissbemühungen
zwischen den nach wie vor unhinterfragten Ansprüchen der christlichen Reli-

78
Ernst Feil hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Clasen an einer Stelle sogar so
weit geht, die Regel von der Unverzichtbarkeit der Religion einzuschränken. Vgl. Feil
1995, S. 20, u. 2001, S. 132 f. (textidentisch). Es sei möglich, so Clasen, dass die Menge auch
ohne Religion regiert werden könne, wenngleich es mehr Mühe kosten würde. Mit Aris-
toteles und dem Naturrecht seiner Zeit leitet der Autor das bürgerliche Gemeinwesen aus
der menschlichen Naturanlage zur Soziabilität ab (ebd., S. 530): »Quod autem societatis
civilis a natura sit, Aristoteli ob adductas ab ipso rationes libenter credo […].« – Das ist
allerdings nicht als frühe Vorwegnahme Pierre Bayles zu werten, der 1682 einen Atheis-
tenstaat für möglich erklärte ( IV.2). Zu bedenken ist, dass diese Äußerung Clasens im
Rahmen eines Gedankenexperiments fällt. Es geht der Frage nach, wie der (mutmaßliche)
Protoatheist Diagoras oder ein anderer Atheist (»Diagoras aut alius Atheus«) ein Gemein-
wesen einrichten würden, wenn man sie ließe (ebd., S. 529). Der Gedankengang ist auf eine
reductio ad absurdum angelegt. Im Rahmen der Schrift insgesamt wird zudem deutlich,
dass Clasen auch diese Seitenüberlegung nutzt, um einmal mehr den höheren, überpoliti-
schen Zweck (»aeternum finem«) der Religion zu betonen (529 f.).
79
»II. Quod addant: Religionem esse inventum Politicum, quo reprimatur subdito-
rum rebellio, virtus colatur, & homines ad obsequium fiant promti tantum, illud est grande
nefas. Nam ita religio non nisi temporalem haberet finem, & nullum alium pareret usum,
quam in republica tranquillitatem, & imperiorum firmamentum.« (84)
80
»Religio si quidem ideo est nobis divinitus data ac concessa, ut intelligeremus, qua
ratione nos oporteret Deum colere: & quomodo bene post mortem vivere, aeternisque
gaudiis frui possemus. Id non est Politicorum inventum, sed a DEO nobis est patefactum,
postea literis consignatum & singulari divina providentia in hunc usque diem feliciter ser-
vatum.« (84 f.)
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Atheismus ohne Atheisten? 187

gion und dem administrativen Steuerungsbedarf eines komplexer werdenden


Staatsgebildes. Hier fand, unter dem starken Einfluss von Politiklehre und
bald auch Naturrecht, eine maßvolle Modernisierung statt, die zwar durchaus
als schrittweise Integration heterodoxer oder ›radikaler‹ Elemente verstanden
werden kann, von ihren Urhebern aber keineswegs so intendiert war. In spä-
teren Kapiteln wird sich wiederholt erweisen, dass sich diese Tendenz über
Seckendorff und Thomasius bis an die Schwelle der Aufklärung fortsetzen
sollte.

2.3 Die Stützen des Unglaubens in der Kirche


Atheismus als Indifferenz und Sicherheit bei Christian Colbe (1655)

Stand Hülsemann als einer ihrer führenden Theologen für die einflussreiche
Orthodoxie in Sachsen, aber auch für die dort Raum greifenden Reform-
tendenzen, so eröffnet mit Christian Colbe (1628–ca. 1656) ein Spross des
hessisch-orthodoxen Luthertums die eigentliche deutsche Atheismusdebatte,
indem er der Thematik, im Erscheinungsjahr von Clasens De religione politi-
ca, eine ganze Dissertation widmet: De fulcris atheismi in ecclesia (Königsberg
1655).81 Es ist schon beachtlich, dass eine der ersten monografischen Schriften
zum Thema in Deutschland überhaupt sogleich auf die ›Stützen‹ innerhalb der
Kirche zusteuert und sich damit als Produkt der religiösen Reformbewegun-
gen im 17. Jahrhundert zu erkennen gibt. Auch in Colbes Schrift ist jedoch,
wie bei Hülsemann, noch immer eine kontroverstheologische Dimension
enthalten: Wie jener polemisiert auch Colbe gegen irenische Tendenzen seit
der Reformationszeit. Er verwendet den zeittypischen Kampfbegriff des ›Syn-
kretismus‹, dessen Vertreter er als Vorkämpfer (»Promachi«) des Atheismus
ansieht (21 f.). Auch an Seitenhieben gegen Calvinisten und Katholiken fehlt es
nicht: Die Prädestinationslehre Calvins führt laut Colbe entweder zur despe-
ratio oder aber zur securitas (37), in der er eine der beiden »Stützen« (»fulcra«)
des Atheismus in der Kirche ausmachen will. Insofern steht die Schrift – als die
erste monografische Auseinandersetzung mit ›dem‹ Atheismus in Deutsch-
land nach dem Dreißigjährigen Krieg – auf der Mitte zwischen Orthodoxie
und frühem Pietismus.82
Eingebettet sind die Ausführungen zu den »Atheismi Promachi« (Kap. II),
zur securitas (Kap. III) und zur curiositas (Kap. IV) in den Rahmen einer
christlich motivierten Kulturkritik, die gleich im ersten Satz zur Klage über

81
Christian Colbe (praes.), Bertram Isselhorst (resp.), Dissertatio de fulcris atheismi
in ecclesia, omnibus, sive negligenter, sive curiose, rem sacram curantibus, in ecclesia & po-
litia [!] occurentibus, personis opposita […], Königsberg 1655. – Nachweise im Folgenden,
wenn nicht anders vermerkt, durch Seitenzahl in Klammern im Fließtext.
82
Zur theologischen Fakultät der Universität Königsberg im 17. Jahrhundert vgl. die
Studie von Blaufuß 2008. Sie erweist, dass Spener in einem Gutachten über die theologi-
sche Fakultät Königsberg den dortigen ›Synkretismus‹ mit Missfallen beobachtete.
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188 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

den ›profanen‹ Zeitgeist ausholt. Er manifestiert sich für Colbe zum einen
in der »licentiosa ex adverso Religionum immutatio« (1), im Dreißigjähri-
gen Krieg ebenso wie durch die nachfolgenden Friedensbestimmungen, zum
anderen in einer mangelnden Pflege der geistlichen Angelegenheiten (»nulla
sacrarum rerum […] cura«) und einer allzu »kühnen Freiheit der Meinung in
theologischen Fragen« (»praesumptuosa quidvis in Theologicis opinandi […]
libertas« [ebd.]). Wichtiger als der letztgenannte Gesichtspunkt der intellektu-
ellen Heterodoxie ist die hier zugleich angesprochene generelle Tendenz zur
Verweltlichung. Zwar ist im selben Atemzug auch von »Scepticismus« und
»Pyrrhonismus« die Rede (ebd.), tatsächlich aber geht es Colbe vor allem um
das nachfolgende dritte Glied dieser Aufzählung, den ganz allgemeinen »nefa-
rius Religionis contemtus« (ebd.). Darin sind, um es mit Voetius zu sagen, the-
oretische und praktische Aspekte gleichermaßen enthalten. Entsprechend weit
ist auch Colbes Verständnis von Atheismus gefasst, den er einleitend vorläufig
als »omnia in Religione vitia« (ebd.) bestimmt wissen will.83
Damit hebt er sich von vielen früheren und späteren Autoren ab. War es
im Zusammenhang der Hugenottenkriege und der niederländischen Unab-
hängigkeitserklärung schon um 1600 zu einer Disjunktion von Ketzerei und
Atheismus gekommen ( I.3.3), weitet Colbe, hierin einig mit Hülsemann,
den Atheismusbegriff noch einmal von der gängigen Auffassung der negatio
Dei einschließlich der Providenzleugnung (3–5) und des praktischen Unglau-
bens auf die Anbetung falscher Götter aus: Wer für sich im Herzen ein Bild
(»simulacrum«) an die Stelle des wahren Gottes setze, so Colbe unter Beru-
fung auf den Apostel Paulus und die Patristik, verfalle in Wirklichkeit (»de
facto«) in die Geringschätzung der Religion (»Religionis οὐθένειαν«), also den
Atheismus (7).84 Mit dieser Verschärfung reagiert Colbe auch auf neuere Re-
habilitationsversuche zugunsten der heidnischen Antike, für die in Frankreich
etwa François de La Mothe le Vayer (De la vertu de Payens [1642]) stehen
kann, in England Thomas Browne mit seiner Religio medici (1644), gegen die
sich Colbe mehrmals energisch wendet (8, 15 u. 16 f.).85 Zustimmend zitiert er
dagegen den führenden katholischen Kontroverstheologen Antonio Possevi-
no mit der Äußerung, dass sich, wie der Götzendienst, so auch die Ketzerei
stets in Richtung Atheismus bewege (»ad Atheismum […] properat« [8]).86

83
Vgl. auch Barth 1971, S. 68. – Auf eine ähnliche Formulierung Colbes (»omnis a
Religione recta, rectove Dei cultu, recessus«, 11) weist ebenso Schröder 1992 (S. 9) hin, sie
dient ihm als Beispiel für eine besonders entgrenzte Verwendung des Atheismusbegriffs.
84
»Ähnlich wieder S. 16: »[Q]uem verum & unicum DEUM in Evangelio revela-
tum, praeter quem nullus alius est, quisquis non habet, h. e. non novit, neque colit, non
DEUM, sed Deastrum colit & novit, prorsus impius & profanus est.«
85
Zu beiden Autoren s. weiter unten, Kap. IV.5.1.
86
Es handelt sich um einen viel genutzten Topos. Zum Vergleich heranzuziehen
wären etwa Mersenne, Quaestiones celeberrimae in Genesim, Sp. 231; Voetius, De athe-
ismo, S. 123; Hülsemann, Gewissens-Wurm, S. 1340. – Eine Rezeption katholischer Kon-
troverstheologen wie Possevino oder auch Stapleton, womöglich als Gegengewicht zur
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Atheismus ohne Atheisten? 189

Gemeinsam ist ihnen in diesem Zusammenhang ein ›erdichtetes‹ Gottesbild,


aus dem die Providenz und die cura rerum humanarum ausgespart bleiben.
Ein solcher Gott, so Colbe, sei nicht der wahre Gott, seine Verehrung also
gleichbedeutend mit Unglauben:87

Ut proinde omnis a Religione recta, rectove DEI cultu, recessus Atheismus nobis sit,
ac ἀθεότητος mereantur cognomen, si qui DEUM providentiamque Illius erga sin-
gulos, tam in hac, quam in futura vita, non agnoscant: talem sibi fingentes DEUM,
qui actiones hominum non videat, non curet, ac proinde neque compenset beneficiis,
neque puniat, atque ita nullum DEUM habentes: vel si qui ad voluntatem DEI vitam
suam componere recusent […] neque Eum pro beneficiis, vel accipiendis, vel accep-
tis, invocent, quae impiorum nota est Psal. 14.4. vel si qui etiam honorem soli DEO
debitum aliis rebus deferant, ut & ventrem pro DEO habeant Nonnulli Phil. 3.19. &
voluptates potius ament, quam DEUM 2. Tim. 3.4 […] (11)

Mit dem letzten Zusatz über die Einrichtung des Lebens außerhalb des göttli-
chen Willens nähert sich Colbe bereits dem Modell des praktischen Atheismus
an.88 Dazu passt auch die Auswahl der im Folgenden angeführten Bibelstellen.
Neben dem 14. Psalm gebraucht er das Pauluswort von den Sündern, die statt
Gott ihrem Magen dienen (Phil 3,19), sowie die im Kontext der Frömmigkeits-
bewegungen wichtige Unterscheidung einer Gottesverehrung mit dem Mund
von derjenigen mit dem Herzen ( Jes 29,13) sowie von frommen Worten und
unfrommen Taten (Tit 1,16).89 Damit verbindet sich bei Colbe wie bei den frü-
hen Pietisten (s. u.) der Vorwurf der Heuchelei gegenüber einer nur äußerlich
zur Schau getragenen Gottesverehrung.90 Dementsprechend wird, im Durch-

beginnenden Verbreitung radikalen Gedankenguts, lässt sich auch bei späteren Vertretern
der deutschen Atheismusdebatte, insbesondere im frühpietistischen Umfeld, beobachten.
Hier setzen sich Tendenzen fort, die schon während des Dreißigjährigen Kriegs im or-
thodoxen Luthertum erkennbar wurden, etwa am sächsischen Oberhofprediger Matthias
Höe von Hoenegg, der in seinen Predigten im Umfeld des Dreißigjährigen Krieges oftmals
mehr Sympathie für Katholiken als für Reformierte zeigte und sich dergestalt sogar den
Vorwurf des Kryptokatholizismus zuzog. Zu Hoeneggs Kriegspredigten und seiner Hal-
tung gegenüber dem Papsttum vgl. Sommer 2006, S. 137–165, bes. S. 147 f.; ferner Kauf-
mann 1998, S. 37–46, bes. S. 41–44.
87
Diese Gleichsetzung von Häresie und Atheismus (mit der Begründung, dass die
Häretiker ein Idol an die Stelle des wahren Gottes setzen würden) begegnete schon bei
Calvin (In librum Psalmorum commentarius [51]); s. a. die explizite Bekräftigung dieses
Arguments beim Katholiken Beyerlinck, Magnum theatrum vitae humanae (1631), Bd. 1,
S. 669. Die Argumentation geht mindestens bis auf Augustinus zurück ( I.1.2).
88
Der Ausdruck Atheismus practicus selbst fällt nur einmal, deutlich später (30),
wenn Colbe das Konzept der securitas erläutert; mehr dazu im Folgenden.
89
In der Übersetzung Luthers: »Sie sagen / sie erkennen Gott / Aber mit den wer-
cken verleugnen sie es / Sintemal sie sind / an welchen Gott grewel hat / vnd gehorchen
nicht / vnd sind zu allem guten Werck vntüchtig.« – Die Passage gehört zu den in der
antiatheistischen Literatur häufiger zitierten Bibelstellen, s. o., Kap. I.1.1.
90
»[Q]uomodo Hypocritae plerique ore suo DEUM honorant, at cor tamen suum
procul a DEO amovent, quia Hominum praeceptis colere Eum, & revereri edocti sunt,
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190 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

gang weiterer Bibelstellen des Alten und Neuen Testaments, der Atheismus
auch als »ohne Gott sein« (12 u. 15), »nicht aus Gott sein« (12) und schließlich
als fehlende Gottesfurcht (14 f.) bestimmt. Gegen den schon erwähnten Autor
der Religio Medici stellt Colbe so nicht nur für die Antitrinitarier (insbeson-
dere die Sozinianer), sondern auch für Epikur und die Stoiker den Tatbestand
des Atheismus fest (15).91
Colbe macht offenkundig Ernst mit der einleitend gemachten Ankündi-
gung, unter dem Begriff Atheismus »omnia in Religione vitia« (1) zusam-
menzufassen. Er schließt darin indirekt an Voetius an, dessen Taxonomie er
mitunter verwendet, ohne jedoch ihren Urheber kenntlich zu machen.92 Mehr
noch: Bei der im zweiten Kapitel vorgenommenen Suche nach Vorkämpfern
(»Promachi« [21]) des Atheismus holt Colbe zum polemischen Rundumschlag
gegen den ›Synkretismus‹ der von ihm so genannten »Zusammenflicker«
(»Consarcinatores« [23]) aus. Gemeint sind, wie die nachfolgende Aufzählung
belegt, Vertreter von irenischen oder unionistischen Bestrebungen innerhalb
des Christentums, insbesondere im Protestantismus. Colbe kann hier, ohne
das explizit zu erwähnen, an die oben ( I.2.4) geschilderte Polemik Osianders
gegen Scultetus anknüpfen. Tatsächlich nennt er neben Erasmus von Rotter-
dam, Bucer und Melanchthon auch Scultetus und Zacharias Ursinus, ferner,
mit Franciscus Junius und David Pareus, zwei führende Vertreter der pfäl-
zischen Irenik, schließlich aber, als besonders »hervorstechend« (»inter illos
Irenicos vel maxime conspicuus« [25]), keinen Geringeren als Hugo Grotius.
Nicht eigens genannt, aber um diese Zeit selbstverständlich mitgemeint – da-
rauf deutet schon der zeitgenössische Kampfbegriff des Synkretismus (21 u.
29) – ist die Helmstedter Theologie um Georg Calixt, an der sich besonders die
lutherische Orthodoxie in Wittenberg und Leipzig abarbeitete (s. o.).
Dass Colbe hier Spitzenvertreter der neuzeitlichen Irenik in einem Atem-
zug mit dem von ihm bevorzugt kritisierten Thomas Browne, dem Verfasser
der Religio medici, nennt, sagt genug über sein Verhältnis zur Verständigung
unter den Religionsparteien aus. In diesem Punkt zeigt er sich als unnach-
giebiger Vertreter der hessisch-lutherischen Orthodoxie seines Lehrers Feu-
erborn und als Mitstreiter des sächsischen Lutheraners Hülsemann. In den
Bereich der von den Frömmigkeitsbewegungen inspirierten Reformortho-
doxie verweist dagegen schon der gegen die Ireniker erhobene Vorwurf der

Esai. 29.13. & propterea speciem solum inanem pietatis habent, 2. Tim. 3.5. Deumque factis
negant, abominabiles homines Tit. 1.16. […].« (11) – Tit. 1,16 wird auch noch einmal etwas
später angeführt (15).
91
Es folgen Colbes Gegendarstellungen zu den Antitrinitariern (15 f.), Epikur (16 f.),
den Stoikern (17) und den Sozinianern im Besonderen (17 f.).
92
Eindeutig belegbar ist die Bekanntschaft mit Voetius anhand der von Colbe je ein-
mal verwendeten Begriffspaare speculativus-practicus (30) sowie inchoatus-consummatus
(26), die der von Voetius entwickelten Taxonomie zur Bestimmung des Atheismus ent-
sprechen und meines Wissens vor ihm so nicht mit Blick auf den Atheismus verwendet
worden sind. Mehr dazu weiter oben im Voetius-Kapitel (I.5).
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Atheismus ohne Atheisten? 191

›Lauigkeit‹. Für Colbe nehmen die ›Neutrales‹ (25 u. 27) eine Mittelstellung
ein zwischen dem ›glühenden‹ Eifer der Streiter für die Reinheit der Religi-
on und der Kälte der Atheisten und Epikurer. Er bezeichnet sie daher zeit-
typisch, als »Lauwarme« (»χλιαροὶ« [25]) und »Beidhänder« (»ἀμφιδέξιοι«
[ebd.]), die sich nach jedem Windstoß ausrichten würden (»in quemvis venti
flatum inflexi« [ebd.]).
Nicht fehlen dürfen in einer derartigen Bestandsaufnahme konfessio-
neller Indifferenz die Politici (27 f.), denen ja seit 1600, zunächst im ka-
tholischen Raum, die Hauptschuld am Nachlassen eines konfessionell
gebündelten Religionseifers gegeben wurde ( I.2.3). Wie schon eben bei
Hülsemann deutlich wurde, erwies sich der Kampfbegriff des Politicus nach
Ende des Dreißigjährigen Kriegs auch als anschlussfähig für den deutschen
Protestantismus, insbesondere das Luthertum, dort vor allem in frömmig-
keitsbewegten Kreisen. Denn nicht nur wurde im Politicus der im Westfä-
lischen Frieden zementierte Primat des weltlichen Machtstaats gegenüber
dem geistlichen Amt anschaulich und fassbar. Aus Sicht der religiös mo-
tivierten Polemik verband sich zudem der Pragmatismus der politischen
Klugheitslehren unmittelbar mit dem Vorwurf der simulatio in Glaubens-
dingen. Mit Augustinus sieht Colbe diese Tendenz bereits im stoischen
Anpassungsgebot an das jeweils herrschende religiöse Bekenntnis ange-
legt; für die Spätantike müssen Hadrian und Julian Apostata als Beispiele
für einen gesinnungslosen Religionswechsel einstehen (27). Als besonders
skandalöses Beispiel der jüngeren Zeit dient Colbe die Aufsehen erregen-
de Mehrfachkonversion des Justus Lipsius – des »inconstantis constantiae
Doctoris«, wie er einmal boshaft vermerkt (28).93 All diesen ›simulatores‹
(27) sei gemeinsam, dass sie, als selbsternannte Diener der Staatsräson (»ra-
tioni Status famulari dicentes« [ebd.]), eine nicht vorhandene Frömmigkeit
vor sich hertragen würden (»pietatem, quam non habent, prae se ferentes«
[ebd.]). Das mache sie, wie Colbe hier im Anschluss an den katholischen
Staatsdenker Adam Contzen festhält, allenfalls zu Pseudo-Politici in der
Nachfolge Machiavellis (ebd.). Mit wenigen Strichen wird auf diese Weise
ein Feindbild skizziert, das erst durch die intertextuellen Verweise auf Au-
gustinus, Contzen und übrigens auch den jesuitischen Kontroverstheolo-
gen und kaiserlichen Beichtvater Martin Becanus sein vollständiges Profil
gewinnt. Für die gelehrten Zeitgenossen genügten diese Hinweise, um den
entsprechenden Typus geradezu leibhaftig vor sich zu sehen.
Von Bedeutung für unseren Zusammenhang ist neben dieser weiten Ver-
wendung des Atheismusbegriffs, der Kritik am Indifferentismus und der
deutlichen ethisch-praktischen Komponente, die Frage nach den individuellen

93
»[I]nterque Eos inconstantis constantiae Doctoris J. Lipsij (qui Jenae Lutheranam,
& in Belgio Calvinianam, religionem simulans, ut est in Th. Sagittarij Lipsio Protheo, & in
G. Thomsoni vind. verit. adv. Lipsium p. 10. ad Papismum tandem defecit,) irreligiositatem
non memorem […].« (28)
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192 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Voraussetzungen des Unglaubens. Sie führt Colbe zu recht ähnlichen Ergeb-


nissen wie schon die Reformatoren und Mersenne. Für ihn bestehen die im
Titel genannten innerkirchlichen »Stützen« des Atheismus in zwei Haltungen,
in denen sich für Colbe der profane Zeitgeist besonders verkörpert – securitas
und curiositas.94 Jeder von beiden ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Während
der Begriff der curiositas im Rahmen der christlichen Sündenlehre geläufig
ist (bei Mersenne wurde er auch schon, als mögliche Ursache, für die Atheis-
musdebatte nutzbar gemacht), bedarf die securitas einer kurzen Erinnerung.95
Es handelt sich um einen Begriff, den vor allem Luther gern gebraucht, um
ein mögliches Missverständnis der Gnadenlehre zu bezeichnen, nämlich den
Fall eines fehlenden Sündenbewusstseins, oder, allgemeiner, einer fehlenden
Gottesfurcht. »Securitas enim tollit fidem et timorem Dei«, heißt es bei Lu-
ther.96 Wer nicht weiß, dass er notwendig sündigt und deshalb unausweichlich
auf die gratia Dei angewiesen ist, wer womöglich gar allzu selbstverständlich
auf die Gnade vertraut, läuft in Luthers Augen Gefahr, ein sündiges Leben zu
führen und »die Realität von Sünde, Tod und Gesetz« zu missachten.97 Immer
ist dabei das Verhältnis von Lehre und Leben berührt, von Bekenntnis und
cura fidei, oder, wie Colbe unter Rückgriff auf den Matthäuskommentar des
Kirchenvaters Theophylaktos festhält, von theoria und praxis des Christen-
tums (30).98 In Fortführung des zuvor an Bibelstellen entwickelten praktischen
Unglaubensverständnisses definiert Colbe securitas als diejenige Haltung, mit
der ein Mensch sich äußerlich – dem Namen nach – zum Christentum beken-
ne, ohne aber eigentlich den christlichen Glauben anzunehmen und sein Leben
nach dessen Forderungen – Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Mäßigung – ein-
zurichten:

Securitatem cum dico, eam intelligo, qua Christianum quidem nomen professus
Homo, neque fidem tamen vere Christianam amplectitur, servat, &, quantum in se est,
promovet, neque vitam etiam Christiano dignam, scilicet, quod Deum spectat, piam,
quod proximum attinet, justam, & se ipsum quod concernit sobriam […] exigit. (29)

Von der unchristlichen Lebensführung, die er als fehlende Liebe zu Gott und
dem Nächsten bestimmt (ebd.), führt für Colbe, wie bereits für die Reformato-

94
»Bina vero cumprimis penetrantioris illius Atheismi, in Autoribus hactenus suis
determinati, exstant fulcra, quibus & fundatur ille, & sustentatur: Securitas, seu affectata
Negligentia, & Incuria ac Curiositas.« (29)
95
Ausführlicher dazu Kap. I.1.5, dort auch Hinweise zur Forschungsliteratur.
96
Luther, Werke (WA), Bd. 39/1, S. 356.
97
Linde 2013, S. 429.
98
Passenderweise begegnet in diesem Zusammenhang die einzige Erwähnung des
Atheismus practicus-Konzepts in Colbes Schrift, ohne dass allerdings Voetius erwähnt
wird: »Huic ergo Christianismo (cujus ex Theophyl. Comm. in Matth. duo capita sunt the-
oria & praxis) in rectorum dogmatum cum honesta vita connexione consistenti, Atheismus
opponitur, tam speculativus, quo judicium mentis de Deo corruptum est, quam practicus,
in factorum impietate consistens.« (30)
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Atheismus ohne Atheisten? 193

ren, für Mersenne und Voetius, ein direkter Weg zum Unglauben (»ἀσέβεια«).99
Denn die in der securitas beschlossene Hoffnung auf Straffreiheit für die eige-
nen Untaten sei nichts anderes als eine Verleugnung der göttlichen Vorsehung
und Gerechtigkeit, ob sie nun mit epikureischen oder mit stoischen Argumen-
ten begründet werde.100 Insofern hält es Colbe auch für angemessen, den Athe-
ismusbegriff – gemeint ist immer noch der Atheismus indirectus oder subtili-
or – direkt mit der securitas zu verknüpfen. Die beigegebene Erläuterung – der
sich eine erneute Exegese von Tit 1,16 (»factis tamen negent«) anschließt – ent-
spricht bis ins Detail Voetius’ Definition des praktischen Atheismus:

Scilicet haec Athei in Ecclesia securi indoles est. Supremum aliquod Numen esse, quo
sustentetur & vivat Autore, non negat. Curam etiam illius omnem in haec inferiora
non inficiatur. Fidem denique Hominis aliquam esse, quae in Deum vergat, dicere
non prohibet: non tamen opus esse putat, aeque religiosam ducere vitam, & sinceram
tenere fidem. Sed num haec ab Atheismo ejusmodi hominem absolvant, Paulus edo-
ceat. (31)

Für den Lutheraner Colbe bietet sich an dieser Stelle die Gelegenheit für ei-
nen weiteren antiirenischen und kontroverstheologischen Einschub. So wie
nämlich die securitas dem Atheismus Vorschub leiste oder schon eine sei-
ner Erscheinungsformen ausmache, befördere die zuvor kritisierte irenische
Theologie ihrerseits in erheblicher Weise (»non leviter«) die securitas. Scharf
kritisiert Colbe deswegen die Tendenz, die drei Konfessionen unter dem ge-
meinsamen Begriff des Christentums (»Christianitas«) zusammenzufassen
und damit vorhandene Differenzen einzuebnen (34). Er trifft damit genau die
politische Absicht der Apologetik seit Mornay ( I.2.2), im Interesse einer
friedlichen Koexistenz der Religionsparteien ihre Gemeinsamkeit unter dem
Dach einer allgemeinen christlichen Religion hervorzuheben. Das bedeutet
allerdings nicht, wie Colbe gleich betont, dass er gegen den Frieden unter den
Religionsparteien votieren wolle. Nur müsse dieser Frieden ein geistlicher
sein (»spiritualis«), mithin auf einer »unitas Spiritus« beruhen statt bloß auf
dem gemeinsamen Namen (36). Davon sieht er die Calvinisten schon deswe-
gen ausgeschlossen, weil ihre Prädestinationslehre keinen Raum für die jedem
Christen zukommende Hoffnung biete. Sie führe entweder zur Verzweiflung
(desperatio) oder eben zur von ihm so kritisierten securitas – und also zum
Atheismus im zuvor beschriebenen Sinn.101 Obschon sich Colbe mit dieser

99
»Alterutro vero horum Christianitatis τεκμηρίων deficiente, ob incuriam vitae
Christianae, non potest non ἀσέβεια sequi […].« (29)
100
»Securus proinde Atheus, & fidei suae debitam non habet curam, &, hac deficien-
te, vitae quoque sanctimoniam negligit, religionem omnem contemnens, Deique tandem
providentiam atque justitiam, cum sperata secure quidvis perpetrandi impunitate abnegans
[…] sive ex Epicureo illud, de negata ulla divina humanarum rerum cura, sive Stoico, de
immutabili funesti in res humanas Fati necessitate procedat principio.« (30)
101
»Calvinianos quod attinet, neque illi commune nobiscum pacis spiritualis ha-
bent fundamentum. […] At desperata apud illos spes est, & spei umbra, sicubi funes-
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194 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

harschen Abgrenzung, wie auch mit der übrigen antiirenischen Polemik, sicht-
lich im orthodoxen Feld positioniert, betrifft seine Kritik am Atheismus in
erster Linie die Frömmigkeitspraxis – bei ihm zumeist im Begriffspaar cura-
incuria repräsentiert. Wo immer, so sein Fazit zum entsprechenden Kapitel,
die securitas atheistica im Schwange sei, da erkalte (»friget«) die cura rerum
sacrarum und weiche einer Verachtung der Religion (37).
Während die securitas als Haltung negativ auf das Verhältnis zu Sünde und
Strafe bezogen bleibt, rückt mit der zweiten innerkirchlichen »Stütze« des
Atheismus, der curiositas, ein komplementäres Gegengewicht in den Blick.
Mit ihr bezeichnet Colbe im Anschluss an Augustinus das übergroße Interesse
an Nebensächlichkeiten, eine Art emsige Zerstreutheit, die keine Konzentra-
tion auf das Wesentliche zulasse und so den Menschen um seine Ruhe bringe
(»tranquillitate […] amissa« [42]). Er vergleicht den menschlichen Geist mit
einem Fluss, dessen Kraft (»impetus«) sich leicht in zahllosen Nebenläufen
erschöpfe; seine ganze Stärke entfalte er dagegen erst in der Beschränkung auf
einzelne Gegenstände (»ad singula vero robustior« [43]). Da mit der Hauptsa-
che, auf die sich alle Kräfte konzentrieren sollten, nur der Glaube gemeint sein
kann, entpuppt sich die Kategorie der curiositas als ebenso gegen den Welt-
mann gerichtet wie die securitas. Typisch für die Barockzeit ist die Verbin-
dung dieser Charakterzüge mit nationalen Stereotypen, so etwa dann, wenn
Colbe den Franzosen eine besondere Neigung zur Vielfalt der Kenntnisse
(»multiplicis cognitionis«) attestiert. Mitgemeint, aber nicht eigens erwähnt
ist die im nationalpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhunderts tief verwurzelte
komplementäre Vorstellung des ernsthaft-gründlichen, ›tiefsinnigen‹ Deut-
schen.102 Die darin enthaltene kulturkritische Stoßrichtung wird noch deutli-
cher, wenn Colbe in einem weiteren Schritt Unbeständigkeit (»inconstantia«)
und Flüchtigkeit des Gemüts (»animi levitas«) sowie eine dadurch stimulierte
Neuerungssucht – »saepe vestes mutant« (ebd.) – als individuelle Ursachen der
übertriebenen Geschäftigkeit ausmacht.
Das alles könnte genügen, um Colbe als orthodoxen Ketzer- oder eben
Atheistenmacher reinsten Wassers zu klassifizieren. Tatsächlich aber verliert
der Atheismusbegriff durch diese enorme Ausweitung jegliche Trennschär-
fe. Er verschwimmt überdies mit dem traditionellen Häresiekonzept. In dem
Versuch, mittels des Atheismusbegriffs die Facetten historischer und zeitge-
nössischer Heterodoxien (weltlicher wie geistlicher Art) mit einer besonders
im ›Politischen‹ aufscheinenden säkularen Weltbetrachtung unter eine gemein-

tum illud decretum electionis absolutum cervicibus Christianorum immineat. Quid illi
namque sperent, certa videlicet cordis fiducia? ubi continua, de speciali Dei gratia atque
misericordia, viget diffidentia, & ex ea, inter tentationum difficultates, necessario resultans
desperatio, aut, si haec non fuerit secuta, ineluctabilis securitas, verbo, Atheismus.« (37)
102
Gut aufgearbeitet, am Leitfaden der barock-patriotischen Sprachreflexion, bei
Gardt 1994, S. 129–176; vgl. ferner, im weiten komparatistischen Zugriff, Florack 2001,
S. 127–188; konziser und methodisch reflektierter Florack 2007, S. 111–179 (dort auch die
komplementäre Topik auf französischer Seite).
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Speners Netzwerke 195

same Perspektive zu bringen, artikuliert sich die Wirksamkeit der protestan-


tischen Frömmigkeitsbewegungen jetzt auch in Deutschland. Der Vorgang
ist nur dialektisch zu begreifen: Die Kritik an Modernisierungserscheinun-
gen oder, neutraler, an Verschiebungen im gesellschaftlichen Wertessystem,
die hier vor allem in ihrer Tendenz zur Verweltlichung gesehen werden, ist
erst möglich von dem seit Beginn des Jahrhunderts sich formierenden Stand-
punkt eines verinnerlichten und ethisch vertieften Glaubensverständnisses.
Auch wenn es im 17. Jahrhundert, an den Höfen oder in den Reichsstädten,
sicherlich eine Zunahme ›profaner‹ Weltorientierung gegeben hat, sorgte die
verschärfte Wahrnehmung seitens der reformbewegten Geistlichen, die sich
ihre Gegner nun verstärkt auch innerhalb der Kirche suchte, für eine sozusa-
gen »gefühlte« Konjunktur des Unglaubens, die zu diesem Zeitpunkt objektiv
schwer zu belegen ist.103 In den folgenden Kapiteln wird zu zeigen sein, wie
die mit Beginn der 1660er-Jahre einsetzende antiatheistische Publikationswelle
genau diese Tendenz weitergeführt und schließlich – in Vertretern wie Unde-
reyck oder Johann Georg Leuckfeld – radikalisiert hat.

3. Speners Netzwerke
Fromme Zeitklage und Reformprotestantismus nach 1660
(Großgebauer, Spizel)

Obgleich Colbes Königsberger Disputation zunächst offenbar weitgehend


unbemerkt blieb (Clasen dagegen wurde intensiv rezipiert), könnte ihr Titel
»Von den Stützen des Unglaubens in der Kirche« geradezu als Motto über
den antiatheistischen Schriften stehen, die nach 1660 in rascher Folge zu er-
scheinen beginnen. Wir befinden uns in der Vorbereitungs- oder Frühphase
des lutherischen Pietismus.104 Neben dem kaum zu überschätzenden Ein-
fluss Johann Arndts (vermittelt auch durch den führenden Dogmatiker des
Luthertums, Johann Gerhard) sind es Impulse der nadere Reformatie und
des angelsächsischen Puritanismus, die in einigen deutschen Territorien den
Ruf nach einer Frömmigkeitsreform innerhalb der Kirche zunehmend lauter
werden lassen. Die oft rabiate Abgrenzungslogik des konfessionellen Zeit-
alters (einschließlich der Stigmatisierung von Unionsbestrebungen, wie sie
103
Bedenkenswert sind Versuche der älteren Forschung, als Objekt der zahlreichen
Zeitklagen dieser Art ganz positivistisch Begleiterscheinungen und Folgen des Dreißig-
jährigen Kriegs anzunehmen. Vgl. dazu Blaufuß 1977, S. 275, mit weiteren Hinweisen.
Der Vorzug dieser Herangehensweise liegt einmal mehr darin, dass nicht sogleich nach
intellektuellen Heterodoxien gefahndet wird, wo in zeitgenössischen Quellen die Klage
über den ›einreißenden‹ Atheismus laut wird.
104
Zum Folgenden vgl., neben der Pionierarbeit von Leube 1924, den Abriss von
Brecht 1993, ferner Schmidt 1972, S. 16–42; dogmengeschichtliche Aspekte bei Hauschild
3
2005, S. 665–694.
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196 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Osiander gegen Scultetus, Hülsemann gegen Calixt betrieb) macht dort viel-
fach einer Besinnung auf das Eigene Platz. Die Frage nach der Wahrheit des
jeweiligen Bekenntnisses weicht der Frage nach Inhalt und Verwirklichung
des ›wahren Christentums‹ ( J. Arndt). Dem in Deutschland noch recht we-
nig gebräuchlichen Atheismusbegriff105 kommt dabei eine Schlüsselfunktion
zu, oder besser: In Deutschland ist es, nach ersten Anfängen bei Hülsemann
und Colbe, erst die prä- bzw. frühpietistische Frömmigkeitsbewegung der
1660er-Jahre, die dem Atheismusbegriff und dem damit verbundenen Feind-
bild endgültig zum Durchbruch verhilft.
Dazu passt es auch, dass der antiatheistischen Literaturproduktion zwi-
schen 1660 und etwa 1680 geradezu der Charakter einer geistigen Bewegung
zukommt. Fast alle daran beteiligten Autoren waren untereinander bekannt
oder voneinander beeinflusst, korrespondierten miteinander oder widmeten
sich sogar ihren entsprechenden Publikationen. Mit gutem Recht darf man
von einem apologetischen Netzwerk sprechen.106 Sein geheimes Zentrum
bildet (wenn diese heuristische Vereinfachung erlaubt ist) kein Geringerer
als Philipp Jakob Spener, von dem noch ausführlicher zu handeln sein wird
( II.4). So gehörte der puritanischen Ideen zuneigende Rostocker Prediger
Theophil Großgebauer, Autor der ersten (monografischen) deutschsprachi-
gen Schrift gegen den Atheismus, zu den wichtigen Einflüssen in Speners
früher theologischer Entwicklung.107 Der mit Großgebauer befreundete
Augsburger Lutheraner Theophil Spizel, vermutlich der produktivste Ver-
fasser antiatheistischer Traktate überhaupt, stand mit Spener in persönli-
chem Kontakt.108 Spener vermittelte den Kontakt zu weiteren Mitstreitern
im Kampf gegen einen Feind, den er für schädlicher hielt als jegliche Art von
Ketzerei (»omnibus haereticis deteriores«).109 Er war es, der Spizel die weiter
oben behandelte kurzgefasste Confessio naturae contra atheistas des jungen
Leibniz übersandte, ohne dem Briefpartner zunächst den Namen des Ver-
fassers zu nennen.110 Die Beweisführung der Confessio kam Spizel so über-

105
Nach den Schriften von Hülsemann (1653), Clasen und Colbe (beide 1655) war
1658 noch eine (vor allem gegen Descartes gerichtete) Disputation des Tübinger Theo-
logen Johann Adam Osiander zum Thema De notitia Dei contra Atheos erschienen; vgl.
dazu Barth 1971, pass. (Register).
106
Vgl. bereits Leube 1924a; daran anknüpfend und weiterführend: Blaufuß 1977,
S. 275–306; viele Hinweise und Quellen auch in den gesammelten Studien von Dietrich
Blaufuß zum ›korrespondierenden Pietismus‹ (Blaufuß 2003).
107
Nachweise gleich im Abschnitt über Großgebauer, Kap. II.3.1.
108
Vgl. dazu mit reichen, wenig bekannten Belegen Blaufuß 1977, S. 286–308.
109
An Elias Veiel, 26. Juni 1669, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 146.
110
Spener war mit Leibniz über einen gemeinsamen Bekannten, den kurmainzischen
Kanzler Christian von Boineburg, in Kontakt getreten. Zum Vorgang vgl. Blaufuß 1977,
S. 286–292; ferner die entsprechenden Anmerkungen in: Spener, Briefe aus der Frankfurter
Zeit, Bd. 1, S. 78 (Anm. 22), 85 (Anm. 28) u. 149 (Anm. 4). – Zu Leibniz’ apologetischer
Schrift Confessio naturae contra atheistas siehe oben, Kap. I.4.3. – Zu Leibniz’ Korrespon-
dentennetz vgl. Blaufuß 1973.
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Speners Netzwerke 197

zeugend vor, dass er das Manuskript kurzerhand im Anhang seines Brief-


traktats De atheismo eradicando (1669) abdruckte.111 Leibniz und Spener
standen ihrerseits in Verbindung mit Veit Ludwig von Seckendorff, dessen
später erschienener Christen-Stat (1685), wie sich noch zeigen wird, voll und
ganz auf der Linie der frühpietistischen Kirchen- und Atheismuskritik liegt
( IV.3) und ebenfalls Spener zur Vorablektüre vorlag.112 Spizels eben ge-
nannte Schrift De atheismo eradicando schließlich bediente sich der gängigen
Form des Brieftraktats. Als Empfänger firmierte sein Amtskollege Anton
Reiser (1628–1686), der im gleichen Jahr (1669) die an Spizel adressierte Epi-
stolardissertation De origine, progressu et incremento Antitheismi, seu Athe-
ismi veröffentlicht hatte.113 Etwas außerhalb der chronologischen Kernzone
liegt noch das Examen elencticum Atheismi speculativi (1677) des Tübinger
Theologen Tobias Wagner, auch er ein Briefpartner Speners (s. u., Kap. II.4).
Inhaltlich kennzeichnet die genannten Autoren und Schriften die ausge-
sprochen weite Auslegung des Atheismusbegriffs, wie sie spätestens durch
Voetius auch systematische Gestalt gewonnen hatte. Neben der energischen
Kritik an den Politici oder Machiavellistae in Fortführung von Clasen und
Colbe trat dabei die von Voetius geprägte, implizit aber schon in der Bibel
( I.1) angelegte Kategorie des praktischen Atheismus in den Mittelpunkt.
Tatsächlich erlaubte sie es doch, den signalhaft wirkenden Kampfbegriff auf
Mitglieder der eigenen Kirche anzuwenden und somit zum Instrument einer
christlich-puritanischen Kulturkritik umzuschmieden. Diese Tendenz war
bei Voetius, dem führenden Kopf der nadere Reformatie, bereits angelegt ge-
wesen ( I.5). Colbe hatte den Atheismusvorwurf, ohne Voetius explizit zu
nennen, in gleicher Weise verwendet. An einigen Beispielen aus dem Umfeld
des beginnenden Pietismus soll im nun folgenden Kapitel gezeigt werden,
wie sich der Atheismusbegriff in Deutschland unter eben diesen Vorzeichen
durchsetzte, bevor er dann eine Generation später im Umfeld des radikalen
Pietismus völlig entgrenzt werden sollte.

3.1 Pia desideria


Atheismusschelte und Frömmigkeitsreform im
Rostocker Luthertum (Großgebauer)

Dass das weite, auf die praxis pietatis mehr denn auf heterodoxe Überzeugun-
gen zielende Verständnis von Atheismus zunächst in Rostock, bei Theophil
Großgebauer, Fuß fasste, wird nicht überraschen, wenn man bedenkt, dass die
norddeutsche Hansestadt schon früh unter dem Einfluss der protestantischen

111
Spizel, De atheismo eradicando, S. 125. Er verweist dabei auf Spener als Quelle. Es
folgt, S. 125–135, der Text der Confessio naturae. Dazu ausführlich weiter oben, Kap. I.4.3.
112
Vgl. Döring 1997, bes. S. 477–482.
113
Zu Reisers Atheismusbuch vgl. Barth 1971, S. 120–123 et pass. (Register!); neue-
rer Lebensabriss mit Literatur in Killy/Kühlmann, Bd. 9, 2010, S. 544 f. (Dietrich Blaufuß).
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198 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Frömmigkeitsreform stand.114 Hier hatte von 1638 bis zu seiner Suspendierung


1649 der nach Johann Arndt meistgelesene lutherische Erbauungsautor der
Zeit, Joachim Lütkemann (1608–1655), als Prediger und Hochschullehrer ge-
wirkt. Er war wie Spener Absolvent der unvergleichlich einflussreichen Straß-
burger Universität und Schüler Johann Konrad Dannhauers.115 Ihm stand an
Wirkung kaum nach der als Verfasser erbaulicher Schriften erfolgreiche Hein-
rich Müller (1631–1675), dessen Werke Himmlischer Liebeskuss (zuerst 1659)
oder Geistliche Erquickstunden (1664) bis weit ins 19. Jahrhundert gedruckt
wurden.116 In Rostock hatte schließlich 1659 Johann Quistorp die Epistola ad
sacras antistites seines gleichnamigen Vaters veröffentlicht, eine Denkschrift
zur Reform des Gemeindelebens, die ab der zweiten Auflage von 1663 unter
dem Titel Pia desideria bekannt wurde. Sie bildete ein wesentliches Vorbild für
Speners gleichnamige Schrift von 1675. In diese »Rostocker Tradition reform-
williger lutherischer Orthodoxie« (M. Schmidt)117 stellte sich auch der jung
verstorbene Theophil Großgebauer (1627–1661) mit seiner Wächterstimme
aus dem verwüsteten Zion (1661), dessen Kampf gegen ein »todtes erstorbe-
nes Christenthumb«118 und Vorschläge zur Wiederbelebung der Kirchenzucht
trotz mancher theologischer Differenzen ebenfalls auf den jungen Spener ge-
wirkt haben.119 Schon in der Vorrede wird dort die typische Klage über den
Verfall der Frömmigkeitspraxis angestimmt, die aus der deutschen Atheismus-
debatte der nächsten drei Jahrzehnte kaum wegzudenken ist:

114
Zum Folgenden vgl. nach wie vor die Pionierstudie von Leube 1924, bes. S. 63–
86; knappe Hinweise bei Markus Matthias im TRE-Artikel Orthodoxie I: Lutherische
Orthodoxie (Anm. 20), S. 472; maßgeblich zur Rostocker Reformtheologie zwischen Re-
formation und Aufklärung: Kaufmann 1997; im Handbuch kultureller Zentren der Frühen
Neuzeit (Adam 2012) fehlt bedauerlicherweise ein Artikel zu Rostock.
115
Zu Lütkemann vgl. den bio-bibliografischen Überblick in Killy/Kühlmann,
Bd. 7, 2010, S. 563 f. ( Johannes Wallmann/Reimund B. Szduj); ausführlich Sommer 1988,
S. 255–314.
116
Eine späte Auflage der Erquickstunden erschien noch 1745 in Nürnberg, das Werk
wurde bis ins 19. Jahrhundert immer wieder nachgedruckt. 1673 ließen die Nürnberger
Pegnitzschäfer einen Band mit Liedern auf einzelne Andachten in den Erquickstunden
erscheinen. Vgl. dazu Wölfel 1995. – Allgemein zu Müller vgl. den Artikel in BBKL, Bd. 5,
1993, Sp. 399–401 (Hartmut Lohmann), sowie RGG3, Bd. 4, S. 1169 (Martin Schmidt).
117
Ebd.
118
Großgebauer, Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion, Rostock 1661, S. 6.
119
Vgl. allgemein den Artikel Großgebauer, Theophil in NDB, Bd. 7, 1966, S. 153
(Martin Schmidt); Brecht 1993, S. 171–173; immer noch lesenswert der Abschnitt in der
Pietismusgeschichte von Schmid 1863, S. 9–21; Schmid führt Großgebauer als exemp-
larischen Zeugen für die Frühphase des Pietismus und für dessen Kritik an kirchlichen
Missständen an, da er »am ausführlichsten alle Uebelstände verzeichnet über die man in
seiner Zeit klagte« (S. 9). – Das Verhältnis zu Spener behandelt Schmidt 1951, S. 145–151;
ferner Wallmann 21986, S. 159–163 u. 173–175; Wallmann 2005, S. 72 f. – Spener rezipierte
Großgebauers Wächterstimme (1661) überwiegend zustimmend. Trotz einzelner dogma-
tischer Differenzen teilte er Großgebauers Einschätzung der Missstände innerhalb der
lutherischen Kirche und nahm ihn gegen Verleumdungen in Schutz. Vgl. den brieflichen
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Speners Netzwerke 199

Die Kirche leidet jetzt Noth / als zur Zeit Debora: Der eine entziehent sich / der and-
re auch / solche muthwillige Versaumung ziehent den Fluch nach sich / ja hie werden
grosse Erforschungen des Hertzens offenbahr […] ob die Seelsorger insonderheit es
treulich und redlich mit dem Volcke Gottes meinen oder nicht? Denn es fürwar nicht
genug ist / daß der Glaube der Kirchen rein / wo das Leben der Kirchen ungöttlich
ist.120

Hatte er schon in der Wächterstimme die Ursachen »unsers ungeistlichen un-


göttlichen Lebens« untersucht,121 die bloße Bekenntnisfrömmigkeit zugunsten
eines frommen Lebenswandels verworfen,122 zudem wie vor ihm Luther und
bald darauf Spener die »Sapientes seculi« gegeißelt,123 so wollte Großgebauer
mit dem Preservatif wider die Pest der heutigen Atheisten (1661)124 nicht nur
erstmals ein deutschsprachiges »Tractätlein« (531) zum Thema beisteuern,125
sondern dem christlichen Leser zugleich eine Handreichung für mögliche
Streitgespräche mit Atheisten bieten. Die in 19 Kapiteln dargebotene Instruk-
tion setzt vor allem auf den Nachweis der Echtheit der Heiligen Schrift gegen
bibelkritische Einwände. Auch wenn Großgebauer den Atheismus (gemessen
an Voetius oder Colbe) eingangs noch annähernd präzise – als Leugnung von
Auferstehung, Providenz (»Versehung«) und Theopneustie (537) – definiert
und sauber von der Häresie abgrenzt,126 wird doch schnell ersichtlich, dass
Preservatif und Wächterstimme im Grunde eine konzeptionelle Einheit bil-
den. Die Ausbreitung des Atheismus, die auch Großgebauer wieder von Rom
über Frankreich nach Deutschland (»in unser armes Teutschland«) nachzeich-
net (528), bedeutet für ihn nur das äußerste Extrem einer Entwicklung, die mit
dem Nachlassen der Kirchendisziplin – Hauptthema der Wächterstimme – in-
nerlich zusammenhängt. Den erschreckend kurzen Pfad von kleinen Lastern

Austausch mit Spizel am 15. Februar 1670 (Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1,
S. 213 f.), am 11. Juni 1670 (ebd., S. 250 f.) und am 23. März 1674 (ebd., S. 697).
120
Großgebauer, Wächterstimme, Vorr., fol. b 3v.
121
Ebd., S. 124, aus dem achten Kapitel (Von dem Mangel der Kirchen-Disciplin).
122
Ebd., S. 239: »In Summa / wir können die waare Gottseligkeit abnehmen / nicht
an einigen absonderlichen Seufftzen / oder Worten / oder dem Gebrauch deß Nacht-
mahls / und dergleichen; sondern an einem beständigen Gottseligen Leben und Wandel /
durch welches der Mensch sich erweist / daß er warhafftig sein Hertz der Welt entzogen /
und dasselbige auf das Reich GOttes / und auf den HERRN JEsum CHristum gesetzet
hat […].«
123
Ebd., S. 368.
124
Mit vollem Titel: Preservatif wider die Pest der heutigen Atheisten / Die uns die
gewißheit und Göttliche Autorität der heiligen Schrifft und unser Seelen Unsterbligkeit
in zweiffel ziehen wollen, Rostock 1661; hier nach dem Wiederabdruck in: Großgebauer,
Drey Geistreiche Schrifften, Frankfurt am Main/Leipzig 1667 (41710), S. 523–752; Belege
nachfolgend mit Seitenzahl in Klammern im laufenden Text.
125
»Was darinn praestiret, und wie meines Wissens noch kein Teutscher diß Argu-
ment so gehandelt, laß ich andere urtheilen.« (531)
126
»Diese Atheisten sind ärger dann alle Ketzer / ärger als die Saduceer selbst. Alle
Ketzer lassen der Schrift zum wenigsten die Ehre / daß sie ihre Hoheit und Ansehen von
GOtt hat. Unsere Atheisten werffen / so viel an ihnen ist / alles um.« (537)
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200 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

und »sündlicher Eitelkeit« (538) bis zur manifesten Leugnung der göttlichen
Weltregierung schildert Großgebauer in einem rhetorisch dichten Passus der
Vorrede als einen vom Geistlichen zum Weltlichen, zugleich aber auch vom
Bürgerlichen zum Höfischen hinüberführenden Entfremdungsprozess (»ent-
frembdet«). Darin sind psychologische Überlegungen zur Entstehung des
Unglaubens aufgehoben, die wir in der Reformationszeit kennengelernt und
zuletzt erneut bei Christian Colbe angetroffen haben:

Man frage nur nach / was es doch für Gesellen sind / die solche abscheuliche Meynun-
gen haben. Es sind Leute / die von Jugend auf nach ihren eigenen Lüsten gewandelt /
und nach ihrem eigenen Willen gelebet / haben all ihr Studieren / und Verrichtungen
auf ihre eigene Ehr und Nutz gezogen / und sind dannenhero immerdar entfrembdet
gewesen von dem Göttlichen Sinn / von menschlicher sündlicher Eitelkeit. […] Diese
Leute / ob sie zwar alle ihre vorige Armuth und Elend abgeleget / indem sie so hoch
erhoben worden / und unter Könige und Fürsten gesetzet / haben sie doch ihr Ge-
wissen nicht zugleich mit ihren alten Kleidern weglegen können. Dannenhero / weil
diese Leute viel schreckliche Sünden begangen mit Rauben / Morden / Blutvergies-
sen / mit Untreu / Meineyd / bösen Rathgebungen / mit Hurerey und Wollust dieses
Lebens / mit Verachtung GOttes und des Creutzes CHRISTI / mit Rachgier / Un-
barmhertzigkeit / Ungerechtigkeit / ehe und bevor sie zu ihrer Hoheit gelanget sind /
wie dann auch das greuliche Thier / Raison d‹Estat erfodert […]. (538 f.)

Was bei Colbe noch in den Kategorien securitas und curiositas eingefangen war,
die Verbindung von Heilsindifferenz und weltlichem Erfolgsstreben, nimmt
bei Großgebauer schon die Form des ›Politischen‹ an (»Raison d’Estat«), wie
es strukturell um 1600, bei Assonville, Stapleton und anderen katholischen
Autoren, definiert worden war – als Hintanstellung des Seelenheils hinter
profane Interessen. Der letzte Schritt zum ›theoretischen‹ Atheismus besteht
dann in der bewussten Anstrengung, die Stimme des erwachten Gewissens
zum Schweigen zu bringen.127 Auch wenn Großgebauers Schilderung wie eine
bekannte Tatsache oder eine eigene Beobachtung vorgetragen wird, entspricht
sie doch inhaltlich bis ins Detail den Erklärungsversuchen der Reformatoren
für das »non est Deus« des biblischen Toren,128 ergänzt um die ständisch-so-
ziale Perspektive, die sich hier mit dem Syndrom des Politischen verbindet.
Geradezu modellhaft lässt sich daher bei Großgebauer wie schon bei Colbe
beobachten, wie verschiedene Bausteine des Unglaubensdiskurses zu jeweils
aktuellen Zwecken zusammengeführt werden.

127
»Darüber erschrecken unsere heillose Atheisten zuweilen in ihnen selbst / wie
Felix, der Landpfleger / und fürchten sich für den Dräuungen des Wortes GOttes / wel-
ches sie doch / als die unerschrockene Helden / geringschätzig und nicht für GOttes Wort
halten. Was beginnen solche Leute in dieser ihrer Furcht? Sie fahen an ihnen selbst einen
neuen Glauben / eine neue Religion / einen neuen GOtt zu ertichten / und bilden sich
starck ein / sie wollen so glauben / daß es ihnen zu paß kommt / und ihrem Leben und
irdischen Wohlstand gemäß ist.« (540)
128
Großgebauer, der als vielversprechender Hebraist galt (s. den NDB-Artikel von
Martin Schmidt), kannte ohne Zweifel die Kommentarliteratur zum Psalter.
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Speners Netzwerke 201

Auch bei Großgebauer verbindet der Begriff des Politischen die Mikroe-
bene des individuellen Verhaltens (also auch des Gemeindelebens) mit der
Makroebene staatlich-politischer Koordination. Darin besteht die wesentliche
Fortentwicklung des Politikbegriffs seit der Jahrhundertmitte, die schließlich,
bei Weise ( III.3.5; III.4) und anderen, in Konzepte wie das der Privatklug-
heit münden wird. Hatte Clasen in der Schrift De religione politica (s. o.) den
politischen Missbrauch des Glaubens während des Dreißigjährigen Krieges
kritisiert, so geißelt Großgebauer sogar das Verhalten der »Hoff-Prediger«
und »Beicht-Vätter«, die sich allzu bereitwillig hätten bewegen lassen, »die
Heerzüge ihrer Principalen auß der heiligen Bibel [zu] verthädigen / die heuti-
gen Kriege [zu] justificiren« (550).129 In einem kurzen Exkurs bemüht er sich,
die »itzige Kriege« (551) in ihrer Rechtswidrigkeit zu erweisen: Für die An-
gehörigen des Neuen Bundes sei es nicht zulässig, sich auf Kriegsgründe aus
dem Alten Testament zu beziehen (551 f.). Für seine Argumentation bezieht er
sich auf Augustinus und Plutarch ebenso wie auf Hugo Grotius. Scharfsinnig
enthüllt Großgebauer so en passant die bellizistische Rhetorik der zeitgenössi-
schen Machthaber als Deckmantel für politische Interessen.130 Während Clasen
vor allem den Missbrauch der Religion für machtpolitische Zwecke kritisiert,
den Krieg mithin schon als Folge einer atheistischen (im Sinne von machia-
vellistischer) Haltung ansieht, macht Großgebauer nun auch umgekehrt den
Krieg für die Verbreitung eines – mehr praktischen als theoretischen – Athe-
ismus verantwortlich. Nicht zuletzt in der »Kriegs-Schule« (548) sieht er eine
Pflanzstätte für Unglauben und Unsittlichkeit. Es ergeben sich dabei überra-
schende Parallelen zur zeitgenössischen Romanliteratur (Moscherosch, Grim-
melshausen), auf die später noch einzugehen sein wird:

Wann dann solchen Kriegern und Kriegs-Räthen das Hertz zuweilen schlägt / und
sie von wegen des vergossenen Bluts / Raubs / Trangsaals und anderer Sünden unter
Augen schilt; was habe nsie für einen nähern Weg in ihren Sünden zu beharren / und
dabey einen guten frölichen Muth zu haben / als daß sie sich selbst einbilden / die
heilige Schrifft sey Menschen-Gedicht / das Gewissen sey Melancholey / die Hölle
sey ein Kinderspiel. Da haben wir einen vollkommenen Atheismum und eine Verläs-
terung der heiligen Bibel. (549 f.)

129
Zur zeitgenössischen geistlichen Kriegskritik auf der Grundlage des »wahren Lu-
thertums« vgl. Kaufmann 1998, S. 74–77.
130
Wer weiß nicht / das Plutarchus saget / daß die meisten Könige sich der beyden
Namen / des Krieges und Friedes [!] (Pacis ac belli) so gebrauchen / als wie man etwa Geld-
müntze braucht / nicht dazu was Recht ist / sondern was nützlich ist? (Hug. Grot. l. 2.
cap. 22. de jure bell.) Derowegen sehe ich nicht / wie Theologi und Geistliche auß dem
Alten Testament und auß den Göttlichen Rechten / die jetzige offensiv-Kriege / unter den
Christgläubigen / behaupten können […]. (553)
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202 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

3.2 De atheismo eradicando


Gelehrte Polemik und fromme Zeitklage bei Theophil Spizel

Großgebauer hatte den Atheismus primär unter dem Gesichtspunkt des


Gemeindelebens, der Kirchenzucht sowie der frommen Erbauung, ins-
gesamt also aus pastoraler Perspektive behandelte und folgerichtig auch
sein Preservatif in deutscher Sprache veröffentlicht. Dagegen war es der
Augsburger Orientalist, Polyhistor und lutherische Senior Theophil Spi-
zel (1639–1691), der in Deutschland nach der akademischen Vorarbeit von
Colbe und Osiander die Ebene der gelehrten Auseinandersetzung betrat
und mit einer ganzen Reihe von Schriften auf Jahre hinaus maßgeblich be-
stimmte.131 Für die deutsche Atheismusdebatte bis 1700, ja bis hin zu Bud-
des Theses theologicae de atheismo et superstitione (1716), dürfte Spizel, ne-
ben Mersenne, Voetius und Richard Bentley ( IV.4.1), der einflussreichste
Autor gewesen sein.132 Von 1663 bis 1669 veröffentlichte er drei Traktate
zum Thema,133 in denen er die Vorarbeiten von Mersenne, Voetius, Cla-
sen und der katholischen Antimachiavellisten zusammenführte und unter
die kulturkritische Optik der großen Frömmigkeitsbewegungen brachte.
Dabei war das maßgebliche Vorbild nicht so sehr Johann Arndt, sondern
mehr noch die Rostocker Reformorthodoxie sowie Speners Straßburger
Lehrer Dannhauer. Ab der zweiten Schrift von 1666 (De atheismi radi-
ce) bezog sich Spizel auch verstärkt auf das kulturkritische Pamphlet eines
französischen Katholiken, den Genius Saeculi (1663) des Petrus Firmianus
(Zacharie de Lisieux).134
Das zuerst erscheinende Scrutinium atheismi historico-aetiologicum bil-
det eine gelehrte Kompilationsarbeit, welche die bisherige monografisch er-

131
Zu Biografie und Werkprofil vgl. Killy/Kühlmann, Bd. 11, 2011, S. 134–136
(Dietrich Blaufuß) mit reichen Literaturhinweisen; maßgeblich und facettenreich zu Spi-
zels apologetischer Tätigkeit nach wie vor Blaufuß 1977, S. 275–306; die folgenden Darle-
gungen können entsprechend kürzer gehalten werden; sie setzen die von Blaufuß geleistete
Vorarbeit voraus und konzentrieren sich auf einige ausgewählte Aspekte.
132
Er gehört daher auch zu den meistzitierten Gewährsleuten im Standardwerk von
Barth 1971, so etwa S. 63–65, 100–104, 121–127 u. ö. (s. Register).
133
In chronologischer Reihenfolge: Scrutinium atheismi historico-aetiologicum,
Augsburg 1663; De atheismi radice ad virum nobilissimum & amplissimum dn. d. henri-
cum meibomium epistola, Augsburg 1666; De atheismo eradicando ad virum praeclarissi-
mum Dn. Antoninum Reiserum Augustanum, &c. epistola, Augsburg 1669.
134
Zu Lisieux vgl. Jaumann 2004, S. 717 f.; Jaumann 1995, S. 183, Anm. 55 (zu Spizel
und Lisieux); im Rahmen der Atheismusdebatte vgl. auch Barth 1971, S. 40, 48 u. 104. –
Dass bei der Suche nach Gewährsleuten die konfessionellen Grenzen überschritten wur-
den, haben wir schon bei Hülsemann und Clasen gesehen. Insbesondere die Verwendung
des Kampfbegriffs Politicus wäre ohne die Vorarbeit der katholischen Antitoleranzpole-
mik gar nicht denkbar gewesen.
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Speners Netzwerke 203

schienene Literatur gegen den Atheismus nahezu vollständig erfasst135 und


überdies zahlreiche Äußerungen zum Thema aus diversen Bereichen des
gelehrten Schrifttums versammelt. Wie schon der Titel Scrutinium (›Muste-
rung‹) ankündigt, liegt der Schrift keine systematische Disposition zugrunde,
vielmehr handelt es sich um eine Kombination von Problemaufriss und Lite-
raturüberblick entlang einer eher simplen Grobstruktur: Im ersten von drei
Büchern wird zunächst die Begrifflichkeit geklärt (Scrutinium terminorum),
sodann wird die Verbreitung des Atheismus innerhalb Europas ermittelt (Scru-
tinium nationum sive locorum), schließlich aber die Frage nach den Ursachen
aufgeworfen (Scrutinium causarum) und in zwei Durchgängen – erst allgemei-
ne, dann spezielle Ursachen – beantwortet. Großes Gewicht legt Spizel auf
die begrifflich-heuristische Grundlegung. Er kritisiert die Ungenauigkeit des
Atheismusvorwurfs, wie etwa gegen die frühen Christen durch Julian Apo-
stata oder wechselseitig durch Protestanten und Katholiken,136 nur um dann
den von Voetius entwickelten Überführungsalgorithmus (mit den wirksamen
Hebeln des indirekt-theoretischen und indirekt-praktischen Atheismus sowie
der problematischen Formel »per solidam aliquam consequentiam«) vorzu-
stellen.137 Obwohl er Voetius an dieser Stelle nicht explizit nennt,138 ist die An-
lehnung unverkennbar, sie reicht stellenweise bis zum wörtlichen Plagiat.139
Mit der voetschen Taxonomie im Rücken kann Spizel dann zur weitge-
spannten Musterung des europäischen Atheismus übergehen. Die heikle Frage,
ob man in Vergangenheit oder Gegenwart überhaupt Atheisten finden könne,
lässt sich auf diese Weise leicht bejahen. Maßgeblich ist zum einen die zugrunde
gelegte Definition,140 zum anderen aber die neue, überaus strenge Auffassung
»orthodoxer« Frömmigkeit. Gerade die Verbreitung des praktischen Atheis-

135
Nicht berücksichtigt ist Colbes Schrift De fulcris atheismi in Ecclesia (s. o., II.2.3),
auch nicht die Disputation Scultetus atheus von Lukas Osiander ( I.2.4). Dagegen kennt
Spizel Mornay, Assonville, Contzen, Mersenne, Voetius, Clasen, um nur die Bekanntesten
zu nennen; er nennt auch die Exercitatio V. de notitia dei contra atheos (Tübingen 1658)
des Tübinger Theologen Johann Adam Osiander.
136
Spizel, Scrutinium, S. 4–10 (§§ 1 u. 2).
137
Ebd., S. 10–17 (Zitat S. 13). – Die directus-indirectus-Dichotomie führt Spizel
denn auch als bestens bewährte Analyskateogrie (»tritam illam atque receptam Atheismi
Directi & Indirecti differentiam«) ein (S. 10 f.).
138
Die Nennung erfolgt erst später, z. B. Spizel, Scrutinium, S. 30, 41, 57 u. ö.
139
Dieser Umstand ist schon bemerkt worden. Vgl. Blaufuß 1977, S. 276 f.; Barth
1971, S. 84, Anm. 84. – Besonders deutlich wird die Nähe zu Voetius, wo Spizel das Ver-
hältnis von theoretischem und praktischem Atheismus erörtert (Scrutinium, S. 15).
140
Spizel sichert sich dadurch ab, dass er für die nachfolgende Musterung der eu-
ropäischen Nationen den weit gefassten Atheismusbegriff nach Voetius verwenden wird.
Er ist sich also durchaus bewusst, dass es sich um eine semantische Verschiebung handelt
(ebd., 16 f.): »Si itaque hisce praemissis paulo accuratius Atheismi hodierni Scrutinium in-
stituamus, facile apparebit, illum Indirectum saltem, non vero Directum, Practicum po-
tius quam Theoreticum, nec Crassum adeo quam Subtilem seu palliatum dicendum esse
atque nuncupandum. Quotiescunque igitur vox Atheismi & Athei in praesentis Scruti-
nij progressu occurrit, eadem (paucis locis exceptis,) neutiquam Atheos Directos, verum
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204 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

mus unterlag aus der Sicht der Reformorthodoxie keinem Zweifel, schließlich
war sie angetreten, um dem vermeintlichen Verfall des kirchlichen Lebens mit
Vehemenz die Verpflichtung auf die praxis pietatis entgegenzusetzen. Prak-
tischer Atheismus entspricht insofern weitgehend dem, was Augustinus und
Luther unter Rückgriff auf den Psalter noch impietas genannt hatten ( I.1).
Nach den Vorarbeiten durch Clasen und Colbe wurde der Atheismusbegriff
in den 1660er-Jahren mit Entschiedenheit in diese Richtung ausgebaut. Selten
lässt sich diese Verschärfung der apologetischen Verdächtigungslogik besser
beobachten als in ihrer Anwendung durch Spizel im Jahr 1663:

Tales Athei an inveniantur, disquiri inter Doctos coeptum est, cum ea omnia quae e
Sacro Codice producuntur tum dicta tum exempla tangere videantur Atheismum In-
directum, quo nempe omnis Dei cognitio per necessariam saltem consequentiam de-
letur atque evertitur: Tales v[ero] atheos dari & Scriptura testatur, & tristis confirmat
experientia, illa quidem dum passim eorum mentionem facit; haec vero dum ejusmodi
monstra hominum in coetu saniorum atque fidelium luculenter prodit atque mani-
festat. […] De Practice vero Atheis innumerae hodie Theologorum atque Concio-
natorum passim extant querelae […].141

In seiner Musterung der »allgemeinen« Ursachen (»causae communes«) des


Atheismus bleibt Spizel an Differenziertheit und psychologischer Durchdrin-
gung zwar hinter Mersenne oder Voetius zurück,142 die Aufzählung der von
ihm so genannten »speziellen« Ursachen – er meint damit vor allem »Wege,
die unmittelbar zum Atheismus hinführen« (»Viae potius ad Atheismum rec-
ta ducentes«) – verdient jedoch Interesse, weil sie in Teilen schon Gesichts-
punkte der späteren historischen Erforschung des Atheismus vorwegnimmt.
So will Spizel die Ursprünge der Bibelkritik im Umgang der katholischen
Kirche mit der Heiligen Schrift erkennen;143 hinzu treten (mit deutlich antirö-
mischem Akzent) fragwürdige Prophetien und Wundererzählungen;144 auch

Indirectos potius, ut plurimum practicos, saepissime subtiles sive palliatos a nobis notatos
fuisse protestamur.«
141
Spizel, Scrutinium, S. 11 u. 14.
142
Er nennt, ohne weiteren systematischen Anspruch, die Erbsünde (49 f.), die su-
perbia (50 f.), die Begierde nach Neuem (»novorum atque difficiliorum appetitum«, 51–53,
Zitat S. 51), ferner die falschen Weisen vom Schlage Vaninis (53 f.), gefährliche Bücher wie
den Liber de tribus impostoribus oder das Cymbalum mundi (55–58) wie überhaupt die
Bereitschaft, Diskussionen über Fragen wie die Echtheit der Bibel oder die Existenz Got-
tes auch nur zuzulassen (61–64).
143
Gemeint ist zum einen die katholische Abwehr des sola scriptura-Prinzips (ebd.,
S. 64–78), die in der Tat die alleinige Autorität der Heiligen Schrift einschränkte, zum an-
deren das Festhalten am lateinischen Text der Vulgata und die damit verbundene Abwehr
volkstümlich-privater Bibellektüre (ebd., S. 78): »Nec minus culpanda est Romana illa
Lectionis SS. Bibliorum in Lingua vulgari seu vernacula prohibitio, quae sane haud pos-
trema ratio nuncupari poterit, cur […] quam plurimi exactiori Rerum Sacrarum notitia
destituantur inque ἀπιστίαν tandem ignorantia duce dilabantur.«
144
Spizel, Scrutinium, S. 105–108.
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Speners Netzwerke 205

die Entwicklung der empirischen Naturforschung einschließlich der cartesi-


anischen Naturphilosophie erhält ihren Platz in diesem Panorama.145 Neben
der Bibelkritik entfällt jedoch der größte Teil von Spizels Überlegungen auf
die Verschiebungen im Verhältnis von Politik und Religion seit Beginn der
Neuzeit. Dazu gehört für ihn ebenso die instrumentelle Religionsauffassung
der Machiavellisten146 wie die durch die Reformation entstandene Möglichkeit
des (auch mehrfachen) Konfessionswechsels.147 Beides führt für Spizel auf län-
gere Sicht zu einem Nachlassen religiöser Bindungen, ja zur Verachtung der
Religion überhaupt.
In der zweiten Schrift, dem Brieftraktat De atheismi radice (1666), gerichtet
an Spizels Studienfreund Heinrich Meibom d. J. (1638–1700), nimmt die kul-
turkritische Orientierung sogar noch zu. Ausführlich zitiert Spizel dort aus
dem Genius saeculi,148 aber auch aus Werken der Rostocker ( Josua Stegmann,
Quistorp)149 und des schon genannten Straßburger Theologen Johann Konrad
Dannhauer.150 Dabei bietet die Briefform nicht nur Gelegenheit für eine ge-
tarnte Selbstrezension,151 sie ermöglicht es darüber hinaus, das vermeintlich aus
eigener Anschauung – während der standesgemäßen Bildungsreise – gewon-
nene Wissen des Adressaten über die qualitative wie quantitative Zunahme
des atheistischen Unglaubens rhetorisch effektvoll einzubeziehen. Dass diese
Erfahrungen dann wieder nur bestätigen, was in der durch Mersenne, Voetius
und andere erarbeiteten apologetischen Topik ohnehin schon feststand, ver-
wundert sicherlich nicht.152 Beachtung verdient allerdings der Kunstgriff, mit-

145
Ebd., S. 108–120.
146
Ebd., S. 85–99.
147
Ebd., S. 99–105.
148
So etwa De atheismi radice, S. 9–15, 27 f., 29 f. u. 53.
149
Vgl. ebd., S. 57–60.
150
Ebd., S. 44.
151
Spizel beruft den Briefpartner Meibom als Zeugen für den Erfolg seiner ersten
Schrift, des Scrutinium atheismi. Er zitiert aus einem Brief Meiboms, dessen Authentizi-
tät nicht überprüft werden kann (ebd., S. 5): »Quamobrem multa mecum tentare ausus,
perpauxilla foris nec nisi discendi causa hactenus edere constitui; cujusmodi illud quoque
Atheismi est Scrutinium, cujus in literis nuper ad me datis talem fecisti mentionem. Tuus
de Atheismo Liber placuit omnibus, ne de me quid dicam, qui non parum ejus pretium & in
Academia & in Aula excandefeci. Legerunt eum plurimi.«
152
Ebd., S. 9: »Longe majorem observationem meretur, quod maximam τῶν ἄθεων
frequentiam & varietatem in peregrinationibus Tibi occurrisse nuntiaveris. Neque vero
id adeo mirum mihi videbatur, postquam non unum a Te Regnum lustratum intellexis-
sem. Probe enim perspexisti Italiam, ipsam pietatis (si Diis placeret) officinam, Angliam,
omnium pestiferorum dogmatum hodie sentinam; Belgium, fanaticorum monstrorum
Africam: Galliam correptam & corruptam, ut sola Lutetia jam quondam (Mersenno in
Scrutinio laud[ato] teste) quinquaginta atheorum millia aluerit, & nuper admodum Petrus
Firmianus in Seculi Genio, horrenda planeque stupenda de nefando quodam Atheorum
in urbe Parisiensi Gymnasio prodiderit, quae cum trita minime sint aut vulgaria, nec Tibi,
nec aliis forte ingrata, luce denuo dignissima judicavi.« – Die Formulierung »fanaticorum
monstrorum Africam«, als Beschreibung der niederländischen Verhältnisse, ist von Voeti-
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206 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

tels dessen Spizel aus den Schilderungen des Briefpartners einige »signa sive
criteria« des atheistischen Unglaubens zu abstrahieren ankündigt, die Meibom
so nicht angeboten habe. Anders als in der ramistisch-deduktiv geordneten
Taxonomie von Voetius entsteht so ein Raster von Merkmalen, das durch die
additive statt systematische Zusammenstellung sowie durch die okkasionelle
Darbietung in Form von Bedingungssätzen (»Si … Si …«) schon episierende
Züge trägt. Gut denkbar, dass Spizel hier, auch ohne das transparent zu ma-
chen, auf die narrative Aufbereitung des Themas in zeitgenössischen Exem-
pelsammlungen ( II.2.2) zurückgreift. Einige Ausschnitte aus dem insgesamt
acht Punkte umfassenden Merkmalkatalog mögen hier genügen:

Et quamvis nulla signa sive criteria indicaveris, quibus Tibi fuerint perspecti Athei,
ea tamen me fugiunt minime; nimirum, Si (1.) omni occasione data negaverint aut
indubium [!] vocaverint supernaturalia, miracula scil. prophetias, apparitiones & ope-
rationes spirituum, cunctaque ad naturalem vim sympathias & antipathias, ad fictas
crases, & peculiaria hominum temperamenta retulerint;153 […] (3.) Si metum omnem
& justam sollicitudinem omnibus excutere laboraverint, nil nisi securitatem atque hi-
laritatem provocaverint. […] (6.) religionem aliquam strenue simulaverint, & gravis-
sime contra eos, qui atheismi ipsos insimulant, contestati fuerint. […] Si (8.) denique
religionem ac pietatem, (quam titulotenus prae se ferre videntur,) nunquam aut raro ac
parce admodum exercuerint.154

Wie diese Auswahl belegt, trägt Spizels Handhabung des Atheismusbegriffs


die gleichen kirchenreformerischen Züge, die wir schon bei Clasen, Colbe und
Großgebauer angetroffen haben. Signalbegriffe wie securitas und simulatio
weisen darauf ebenso hin wie der Vorwurf des Titularchristentums (»titulote-
nus«). Sie erscheinen aber hier in unmittelbarer Verknüpfung mit Merkmalen
der radikalen Religionskritik und illustrieren so erneut, wie eng in der Wahr-
nehmung der barocken Apologeten, zumal im Umkreis der protestantischen
Reformorthodoxie, laxe Frömmigkeitspraxis und manifester Atheismus ne-
beneinander lagen. Zur securitas tritt sodann, im Rahmen einer kurzgefassten
Ursachenanalyse, die von Mersenne und Colbe her bekannte Kategorie der
curiositas, die dem Polyhistor und Vielschreiber Spizel ein paar umfängliche-
re Erklärungen abnötigt,155 sowie die singularitatis affectatio (gemeint ist der

us entlehnt (De atheismo, S. 223), Spizel verwendet sie schon (diesmal mit Nachweis) im
Scrutinium atheismi, S. 41.
153
Die Formulierung ist weitgehend identisch mit Spizel, Scrutinium atheismi, S. 62.
154
Spizel, De atheismi radice, S. 15–17 (Hervorh. d. Verf.). – Spizel weist selbst auf
Voetius als Vorbild dieser Taxonomie hin (ebd., S. 17): »Quamvis vero ex istiusmodi signis
sive criteriis (a Gisberto Voetio […] potissimum observatis,) non exacte semper depre-
hendantur athei, suspiciones tamen aut praesumtiones inde facile desumuntur, ut tanto
melius nobis caveamus, aliosque incautiores praemoneamus.«
155
Ebd., S. 24–26. – Das entscheidende Stichwort, mit dem Spizel sich selbst und
den Adressaten, seinerseits ein berühmter Gelehrter, vom Laster der curiositas salviert,
lautet Maß bzw. Maßlosigkeit. Spizel definiert curiositas als »immodica (supra quam so-
lita hominum solertia admitti) sciendi agendique sitis« (S. 24). – Es ist damit zugleich ein
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Speners Netzwerke 207

Wunsch, sich durch besondere Leistungen vor anderen auszuzeichnen),156 mit


der Spizel zufolge auch die Verachtung göttlicher Gaben und die Begierde
nach Neuem einhergeht: »Huc etiam pertinet ferox & indignus omnium Doc-
torum virorum donorumque divinorum contemptus, admiratio sui, simplici-
tatis fastidium, nova denique reperiendi prurigo.«157
Zum wiederholten Mal scheint hier durch, was den Unglaubensdiskurs
seit der Reformation, verstärkt seit der katholischen Instrumentalisierung des
Atheismusbegriffs um 1600, begleitet hatte – der Vorwurf, das Weltliche und
Profane den religiösen Pflichten überzuordnen. Dazu gehört für Spizel etwa
auch die Bevorzugung weltlicher (v. a. antiker) gegenüber geistlicher Litera-
tur.158 Wie wir eben bei Großgebauer gesehen haben, konnte sich diese prin-
zipielle Kritik mit dem Begriff des Politischen verbinden, der bei Assonville,
Stapleton und Contzen genau in diesem Sinne definiert worden war. Und tat-
sächlich holt Spizel just an dieser Stelle erneut zu einem Seitenhieb gegen die
»Machiavellistarum filii« aus. Sie stehen für ihn noch unterhalb jener Verehrer
der heidnischen Literatur, tiefer selbst als Menschen, die statt Jesus Christus
den römischen Stadtgründer Romulus anbeten würden.159 Aus diesem Grund
stimmt Spizel auch der Ansicht zu, dass Begriffe wie Atheist und Politicus als
Synonyme (»pro synonymis«) aufzufassen seien.160
Die Dichte und Tonlage der abschließenden peroratio, in welcher Spizel
noch einmal die Klage über den profanen Zeitgeist, den Verfall von Fröm-
migkeit und guten Sitten, die Reduktion des Christentums auf einen bloßen
Namen anstimmt, kann hier allenfalls angedeutet werden, zumal sie zu weiten
Teilen eine Collage von Äußerungen anderer Autoren aus dem Umfeld der
Frömmigkeitsbwegungen darstellt.161 Neben den schon genannten Vertretern
der Rostocker Reformorthodoxie – Stegmann und Quistorp – zitiert Spizel
auch Johann Valentin Andreae und den berühmten puritanischen Prediger

Lebensthema Spizels berührt, das er in mehreren Schriften wiederholt umkreiste. Vgl., im


Rahmen der theologischen curiositas-Kritik, Jaumann 1995, S. 182 f.
156
Im Scrutinium (1663) sind beide Aspekte noch deutlicher getrennt (S. 51 f.).
157
Spizel, De atheismi radice, S. 27.
158
Ebd.: »Quorum alius non dubitavit Pindari lyram cytharae Davidis praeferre
[…].« – Zum Verhältnis von Bibel und Poesie im 17. Jahrhundert, das die barocke Dich-
tungstheorie oft unter Verweis auf die Kirchenväter zu entschärfen versuchte, vgl. ausführ-
lich Dyck 1977.
159
Spizel, De atheismi radice, S. 27: »Qui [sc. Liebhaber antiker Literatur und Ro-
mulusverehrer] tamen detestanda atheismi labe forte non adeo correpti pariter ac corrupti
fuere, quam pessimi illi Machiavellistarum seu Pseudo-Politicorum filii, qui omnem Re-
ligionem ad politicas artes referunt […].« Es folgt (ebd., S. 27 f.) ein Zitat aus dem Genius
saeculi, das einmal mehr die politische Instrumentalisierung der Religion anprangert.
160
Ebd., S. 30.
161
Der Anfang immerhin stammt sicherlich von Spizel selbst (ebd., S. 57): »Nec sa-
tis denique deploranda est horrenda illa detestandaque vitae morumque corruptio, quae
haud postrema causa, ratioque nuncupanda, cur magna adeo τῶν ἄθεων ubique occurrat
frequentia & varietas.«
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208 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

William Perkins (1558–1602), der bereits im Scrutinium atheismi von 1663 zu


Wort gekommen war. Der Unterschied zwischen Atheismus und dem in der
Kirche selbst herrschenden »Pseudo-Christianismus noster« verschwimmt
dabei zusehends im Horizont einer umfassenden Krisenwahrnehmung, die in
drastischen Bildern (ein letztes Mal wird Petrus Firmianus zitiert) das Ende
der Nächstenliebe, ja der Menschlichkeit selbst perhorresziert:

Et quis perspecto seculi & patriae cumprimis nostrae Genio, cum probe docto quo-
dam Viro tandem in haec verba non erumpat: Nostri seculi (patriae nostrae,) mores
adeo degenerarunt, ut vitiis amplius habere homines nolint, sed ista cujusdam virtutis
specie colorent. Fides exulat, opera sunt extincta, charitas proximi dudum frigere ce-
pit, humanitas conversa est in rabiem, ut tanto zelo efferati inter se homines, quavis
tigride reperiantur immaniores, cum tamen externe Christianos se esse simulent, uti-
nam discamus & sapiamus!162

Spizels dritte antiatheistische Schrift De atheismo eradicando – erneut in


Briefform – setzt genau an diesem Punkt an,163 schreitet aber von da aus (un-
ter beständigen Seitenblicken auf den Vorgänger Mersenne) fort zur eigentlich
apologetischen Frage nach einer möglichen Strategie, um die Atheisten zu be-
kehren (»Infideles Atheosque convincendi methodus«).164 Für die pestilenz-
artige Krankheit (»haec pestis«) des Atheismus, so Spizel unter Rückgriff auf
den wohl meistgenutzten Bildbereich innerhalb der antiatheistischen Polemik,
bedürfe es geeigneter Ärzte (»Medici«) und Heilmittel (»cura«, »medicina«),
um nicht bloß Ursachen zu benennen, sondern auch Ansteckung zu verhin-
dern und bestehende Erkrankungen zu heilen.165 Hier sind es nun nicht Gro-
tius oder Mornay, die das maßgebliche Vorbild abgeben,166 nicht Voetius, erst
recht nicht Campanella und Vanini, die unter dem apologetischen Deckmantel

162
Ebd., S. 60. – Zu Perkins vgl. die Hinweise bei Wallmann 21986, S. 16 u. 18, u.
Strohm 1999a, S. 361–363.
163
Spizel, De atheismo eradicando, S. 3: »Optandum equidem foret inter eos qui
Christiano nomine insigniri cupiunt, talia monstra haud inveniri; Ast contrarium tristis
clamat experientia, testantur variae Theologorum aliorumque piorum & cordatorum viro-
rum querelae […].«
164
Ebd., S. 76. – So auch schon ebd., S. 25: »Arduum quidem & grave opus est ali-
quem ad sanam convertere rationem, veramque religionem, omnia autem exsuperat Athe-
orum conversio […].«
165
Ebd., S. 24.
166
Ebd., S. 38 (Mornay) u. 12–14 (Grotius). – Grotius scheidet für Spizel schon
deswegen aus, weil er sich zu eng an die Remonstratenser, später gar an die Sozinianer
angenähert habe (S. 13) und damit zum Vorbild für die sogenannte religio prudentum ge-
worden sei. Er bezieht sich hier auf das Kapitel De religione prudentum aus den Loci an-
tisyncretistici (1669) des Leipziger Theologen Hieronymus Kromayer (1610–1670). – Zur
Feindvorstellung der religio prudentum um 1700 vgl. Albrecht 1994, S. 509 f.; Gierl 1997,
S. 510; Mulsow 2002, S. 355–438; neuerdings auch den Artikel von Multhammer 2016 mit
weiterer Literatur.
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Speners Netzwerke 209

eigentlich atheistische Ansichten verbreitet hätten,167 sondern die altchristli-


chen Apologeten (u. a. Justin Martyr und Clemens v. Alexandrien),168 vor allem
aber der Katholik Mersenne, dessen gewaltiger Genesiskommentar ( I.4.2)
schon früh auf das physikotheologische Beweisverfahren (unter Einschluss
zeittypischer Ideen wie der Sphärenharmonie) gesetzt hatte.169
Bei dem damit verbundenen Rückschluss von der Ordnung der Natur auf
ihre Ursache (»ab effecto ad causam«), also den Schöpfer, weiß Spizel nicht al-
lein die heidnische Antike, Patristik und Scholastik hinter sich,170 sondern auch
den Heiligen Geist. Wie an dieser Stelle kaum anders zu erwarten, beruft er
sich auf den Römerbrief (Röm 1,19 ff.) und die Areopagrede des Apostels Pau-
lus.171 Selbst die chinesische Philosophie, in ihrer Darstellung durch Athanasi-
us Kircher, zieht Spizel heran,172 um diese beeindruckende Demonstration des
consensus gentium zu vervollständigen. Erst dann geht er dazu über, die Frage
nach der Überzeugungskraft von Wunderbeweisen gegenüber Atheisten zu
erörtern.173 Was aus heutiger Sicht naiv wirken mag, gehört für die Apologetik
des 17. Jahrhunderts noch zu den bewährten Beweisgründen für die Wahrheit
der christlichen Religion.174 Aus Sicht der Gläubigen ist das durchaus verständ-
lich: Wer Wunder als hinreichend bewiesene Tatsache ansieht, wird ihnen auch
erhebliche Überzeugungskraft zubilligen. Die biblischen Testimonien müssen
und können dabei die eigene Augenzeugenschaft ersetzen. Nicht ohne einen
Anflug von Sarkasmus weist Spizel darauf hin, dass viele Atheisten mit Plinius
oder Livius an die Existenz von Indern oder Seeungeheuern glauben würden
(»credunt esse monstra marina«), ohne sie selbst je gesehen zu haben.175
Die Art, in welcher Spizel derart traditionelle Beweismethoden Seite an
Seite mit physikotheologischen und naturphilosophischen Überlegungen ins
Feld führt, illustriert recht gut den Stand der deutschen Apologetik zwischen
der Glaubensgewissheit des konfessionellen Zeitalters und dem veränder-
ten methodischen Anspruch der aufklärerischen Apologetik, der sich weni-
ge Jahrzehnte später etwa bei Bentley oder Le Clerc zu Wort melden sollte.

167
Ebd., S. 15 f. u. 42–51.
168
Ebd., S. 2, 7, 9, 20 f. u. ö.
169
Ebd., S. 51–55. Spizel gibt dort einen kurzen Überblick über Aufbau und Metho-
dik von Mersennes Quaestiones celeberrimae in genesim (1623).
170
Ebd., S. 56 (Clemens v. Alexandrien), 59 (Hieronymus), 60 (Vergil), 61 (Aristote-
les), 65 (Tertullian), 66 (Minucius Felix), 67 (Augustinus), 69 f. (Gregor v. Nazianz), 70 f.
(Chrysostomus), 71 f. (Platon), 73 u. 76–78 (Thomas v. Aquin) usf.
171
Ebd., S. 64 f.
172
Ebd., S. 74–76.
173
Diese Bezugnahme ist deswegen bemerkenswert, weil bekanntlich Christian
Wolff 60 Jahre später gerade die Chinesen als Kronzeugen für eine staatserhaltende Ethik
ohne Religion heranziehen sollte und damit die bekannten Reaktionen auslöste, die zu
seiner Entlassung führten. Siehe dazu ausführlich unten, Kap. IV.5.
174
Vgl. Barth 1971, S. 297–300 et pass. (Sachregister), Schröder 1998, S. 268–280 (zur
Wunderkritik).
175
Spizel, De atheismo eradicando, S. 93 f.
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210 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Vorweggenommen hatte ihn Bacon ( I.4.1), den Spizel als einer der ersten
deutschen Autoren zur Kenntnis genommen hat,176 teilweise auch Mersen-
ne, in Deutschland aber ganz besonders Gottfried Wilhelm Leibniz, dessen
Confessio naturae contra atheistas ( I.4.3) Spizel als »Post-Scriptum« zur
vorliegenden Schrift mit einer kurzen Einleitung abdruckte. Das Manuskript
hatte ihm, wie schon verschiedentlich erwähnt wurde, Philipp Jakob Spener
zugeschickt, dem Spizels Schrift zur Beurteilung vorgelegen hatte.177 Mit Blick
auf das gleich folgende Spener-Kapitel ( II.4) lässt sich kaum ein besseres
Schlusswort zu Spizel denken als dessen Dankadresse an Spener zum Ende
seines dritten antiatheistischen Traktats:

Quam haud adeo pridem a Celeberrimo D.D. Philippo Jacobo Spenero, Fautore &
Amico meo observandissimo accepi Naturae adversus atheos confessionem, ingeniose
admodum conscripta, pariter ac plurimum ad convincendos convertendosque atheos
conferentem; eam Tibi Vir praeclarissime tuique similibus pietatis solidae cultoribus,
gloriaeque divinae vindicibus gratissima fore existimas, huic de Atheismo eradicando
epistolae duxi subjungendam.178

3.3 Zurück zu Luther?


Die Radikalisierung der Unglaubenskritik in
frühpietistischer Erbauungsliteratur (Undereyck, Leuckfeld)

Wie die Auswertung der akademischen (Colbe), volkstümlich-erbaulichen


(Großgebauer) und gelehrt-historischen (Spizel) antiatheistischen Schriften
bisher ergeben hat, vollzog sich die frühe Rezeption und Etablierung des
Atheismusbegriffs mitsamt der dazu gehörigen Feindbildtopik maßgeblich
unter dem Einfluss der großen kirchlichen Reformbewegungen, insbesondere
im Milieu des beginnenden Pietismus. Die drastisch erhöhten Maßstäbe für
das, was im Anschluss an Johann Arndt oft ›wahres Christentum‹ genannt
wurde, begünstigten eine Ausweitung des Atheismusbegriffs auf der Ebene
der Definition wie auch der Applikation. Voetius’ Taxonomie stellte dafür ein
willkommenes Werkzeug bereit, sie vertiefte aber auch die Widersprüche, die
den Gebrauch des Atheismusbegriffs seit dem 16. Jahrhundert begleitet hat-
ten. So schwer es nämlich schien (auch aufgrund der Lehre von der natürlichen
Gotteserkenntnis), die Existenz eines ›direkten‹ Atheismus anzunehmen, so
leicht fiel es andererseits, mit Kategorien wie ›indirekt‹ und ›indirekt-prak-
tisch‹ den Atheismusvorwurf gegen verschiedenste Formen des weltlichen
Dissens, ja selbst gegen die bloße Nachlässigkeit in der Ausübung religiöser

176
Spizel, De atheismi radice, S. 33 f. u. 48 f. (dort auch das berühmte Zitat zum Ver-
hältnis von Religion und Naturforschung, s. dazu oben, Kap. I.4.1), mit dem ebenso Leib-
niz seine Confessio eröffnet ( I.4.3).
177
Weitere Hinweise zur Publikation, zum Traktat selbst sowie zum Verhältnis von
Spizel und Leibniz weiter oben, Kap. I.4.3.
178
Spizel, De atheismo eradicando, S. 125.
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Speners Netzwerke 211

Pflichten in Anschlag zu bringen. Wir werden später sehen, wie diese Inflati-
onierung des Atheismusbegriffs akademische Gegenreaktionen hervorrief, so
wie auch seine denunziatorische Verwendung zunehmend unter Kritik geriet,
am wirksamsten wohl bei Gottfried Arnold und Christian Thomasius. Die-
se Einwände werden verständlicher, wenn man sieht, welches Ausmaß diese
Begriffsinflation bei einigen Autoren aus dem frühpietistischen Umfeld noch
annehmen sollte. Der Atheismusbegriff erreicht hier endgültig die Allgemein-
heit, die bei Luther noch der Vorwurf der impietas oder der securitas besessen
hatte ( I.1.3 u. I.1.5), und geht mit einer ähnlich strikten Auffassung wahrer
Frömmigkeit einher. Nicht zufällig kam es in der Frühphase des Pietismus,
bei Spener und dann bei dem Reformationshistoriker Seckendorff, zu einer
intensiven Lutherrezeption.
Die wohl radikalste Anwendung des atheismus practicus-Begriffs, auch und
gerade auf bekennende Christen, vollzog 1689 der Bremer Pfarrer Theodor
Undereyck (1635–1693), als direkter Schüler von Voetius führender Kopf des
reformierten Pietismus in Norddeutschland,179 in seinem Buch Der närrische
Atheist/ Entdeckt und seiner Thorheit überzeuget.180 Darin verfolgt er einen fö-
deraltheologischen Ansatz, der die Idee des Bundes zwischen Gott und Men-
schen mit der Idee der Wiedergeburt verknüpft. Daraus ergibt sich bei ihm ein
nahezu singuläres Verständnis von Atheismus.181 Undereyck definiert ihn ex
negativo, ja sogar mittels einer doppelten Negation, die er von der wörtlichen
Bedeutung des Ausdrucks ἄθεος in der Bibel (Eph 2,12) herleitet. Demzufolge
müsse, so Undereyck, ein Atheist das Gegenteil von einem ›Syntheisten‹ sein
(ein Neologismus, dessen Prägung Undereyck für sich beansprucht).182 Un-
ter Syntheisten versteht er Christen, die nicht allein die Existenz Gottes und
die Wahrheit der Offenbarung anerkennen, sondern auch das von Gott an die
Menschen ergangene Angebot des Bundes im innersten Herzen akzeptiert ha-
179
Zu Biografie und theologischem Profil Undereycks vgl. Jou 1994. – Für die Er-
forschung des reformierten Pietismus hat sich nach den Vorarbeiten von J. F. Goeters in
der jüngeren Forschung vor allem Johannes Wallmann stark gemacht, der auch die Studie
von Jou 1994 angeregt hat; vgl. Goeters 1993; Wallmann 2005, S. 48–59.
180
Der Närrische Atheist / Entdeckt und seiner Thorheit überzeuget / In zweyen
Theilen / In dem Ersten / Als ein solcher / der da wissentlich willens und vorsetzlich / ihme
selbst und anderen / die Gedancken / welche sie von GOtt haben / nehmen will. In dem
Zweyten / Als ein solcher / der da unwissend und ungemerckt / auch unter dem Schein
des wahren Christenthums / ohne GOtt in der Welt lebet, Bremen 1689. – Nachweise im
Rahmen dieses Kapitels mit Seitenzahlen in Klammern.
181
Eine ähnliche Fassung des Atheismusbegriffs nimmt Gundling vor ( V.3.3).
182
Undereyck, Der närrische Atheist, S. 3: »Unterdessen wird der Verstand dieses
Worts aus seinem Gegentheil uns noch etwas näher und deutlicher anblicken / weil wir
wissen / daß zwey gegeneinander gesetzte Dinge einander eine grössere Klarheit geben.
Es ist zwar in der Griechischen Sprache so kein Wort bekannt / das diesem Wort Atheus,
Atheist, gerade entgegen stehe / wiewohl die Wörter συνθεíα, συνθήκη, bekannt seyn. Man
erlaube mir demnach zu sagen / daß das Gegentheil dessen / der ein Atheus oder Atheist
ist / seye σύνθεος, Syntheus ein Syntheist, nemlich ein Mitgott / oder ein solcher, der es mit
GOtt hält.«
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212 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

ben. Die dadurch in Gang gesetzte innere Transformation führe dann zu dem
Wunsch, ›mit Gott‹ zu leben (daher Syntheist), das heißt, Undereyck zufolge,
in und für Gott (3–11). Laster und Sünde gehören damit der Vergangenheit
an, nicht infolge angestrengter Askese und ängstlicher Hoffnung auf die ewige
Seligkeit, sondern als selbstverständliche Folge der Wiedergeburt in Gott (10).
Diese vollzieht sich laut Undereyck durch die Wirkung des göttlichen Worts,
das über die Predigt vermittelt wird.
Inspiriert wurde diese Vorstellung wahrer Frömmigkeit vom frühen Puri-
tanismus, insbesondere durch den schon von Spizel geschätzten William Per-
kins, aber auch von der nadere reformatie, die Undereyck bei seinem akade-
mischen Lehrer Voetius kennengelernt hatte.183 Angesichts solcher Maßstäbe
scheint es schwer möglich zu sein, nicht als Atheist eingestuft zu werden.
Um so mehr überrascht es daher, wenn Undereyck einige Lehren oder An-
sichten von seinem Atheismusverständnis ausklammert, die üblicherweise
als Atheismus angesehen wurden, wie etwa Nihilismus, Naturalismus oder
Deismus.184 Mehr noch: Der enorme Anspruch von Undereycks Reform-
theologie gipfelt wenig später in einer geradezu paradoxen Feststellung, nur
Christen könnten Atheisten sein. Der Atheist wäre demnach ein getaufter
Christ, der kein Syntheist geworden ist, aus Undereycks Sicht mithin nur
den »äusserlichen Schein« der christlichen Frömmigkeit angenommen hat
(39). Ein so »verborgener Atheist« lebt nicht in und für Gott, sondern für
sich selbst und seine »Weltlust« (39). Unschwer lassen sich hier zentrale Kri-
tikpunkte der religiösen Reformbewegungen (Heuchelei, ›Maulchristentum‹
etc.) erkennen, die wir bei Clasen, Colbe und Großgebauer schon angetrof-
fen haben.185 In der radikalen Fassung des Glaubensverständnisses steht der
Calvinist Undereyck überdies nicht weit entfernt vom Luther der Römer-
briefvorrede ( I.1.3).
Warum sich Undereyck angesichts einer so weiten Fassung des Atheismus-
begriffs überhaupt noch der Überführungskategorie des praktischen Atheis-
mus bedient, bedarf einer Erklärung. Tatsächlich spielt sie in seinem Buch eine
zentrale Rolle. Wie sich zeigt, verwendet Undereyck die Idee des atheismus
practicus weitgehend analog zum Begriff der securitas. Die bestehende Defi-
nition lässt er weitgehend hinter sich, wenn er den praktischen Atheisten als
einen Christen bestimmt, der sich zwar selbst für einen ›Syntheisten‹ hält, von

183
Vgl. Jou 1994, S. 29–71.
184
Undereyck, Der närrische Atheist, S. 11 f.: »Was das erste anbetrifft / nemlich /
was ein Atheist nicht sey / so halten wir nicht dafür a. Daß ein solcher Mensch gefun-
den werde / der nicht etwas habe / dem er als seinem höchsten Gut mit seinem Hertzen
und Vergnügung suchender Begierde zugethan und ergeben sey: Es sey der wahre GOTT
selbst / oder irgend etwas anders / ein anderer nicht-GOtt / an des wahren GOttes statt /
verstehe der Bauch / Phil. II. 19 oder dergleichen. b. Wir halten auch nicht dafür / daß ein
Mensch sey / der nimmermehr einige Gedancken von einiger Göttlichkeit habe / die er als
eine Ursache seines Wolseins förchte.«
185
Etwa zeitgleich wird sie in Seckendorffs Christen-Stat (1685) vertreten ( IV.3).
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Speners Netzwerke 213

anderen auch dafür angesehen wird, obwohl er eigentlich keiner ist.186 Er ist
ein Atheist, ohne es zu wissen (»unwissend«),187 sein Verhalten gilt Undereyck
als »ungemerckte Heucheley« (50). Ein solcher Atheist, führt Undereyck aus,
könne sogar Predigten halten und Bücher zur Verteidigung der Religion sch-
reiben (32). Dagegen seien sich theoretische Atheisten (Undereyck verwendet
das gängige Synonym speculativus) ihrer Abwendung von Gott bewusst. Sie
wüssten, dass sie ihre Glaubensbrüder betrügen, indem sie nur vortäuschten,
gute Syntheisten zu sein.188 Ob sie heterodoxe oder gar atheistische Bücher le-
sen (Spinoza dient als Beispiel), trage nicht viel dazu bei (39). Vielmehr würden
sie zu diesen Büchern deswegen greifen, weil sie bereits Atheisten seien. Wie
spätestens hier erkennbar wird, versteht Undereyck den spekulativen Atheis-
mus in etwa so, wie gewöhnlich der praktische definiert wurde. Entscheidend
ist das Merkmal der Bewusstheit, das auch der groben Struktur seines Buches
zugrunde liegt.189
Undereycks eigenwillige Interpretation des Atheismus im Allgemeinen
und des praktischen Atheismus im Besonderen verleugnet nicht ihre pasto-
raltheologische Ausrichtung. Ganz offenkundig hat sich der Autor nicht zum
Ziel gesetzt, gegen die europäischen Vertreter des ›theoretischen‹ Atheismus
(des radical thought also) anzutreten. Seine Verwendung und Umdeutung
der voetschen Systematik dient der Beschreibung und auch Stigmatisierung
einer Abweichung von seiner höchst anspruchsvollen Auffassung christlicher
Frömmigkeit. Das zeigt sich besonders da, wo er seine Version eines prakti-
schen (also unbewussten) Atheismus mit der dogmatisch wie seelsorgerisch
zentralen Kategorie der Wiedergeburt zusammenbringt. Aus ›syntheistischer‹
Sicht ist jeder Christ ein praktischer Atheist, solange er nicht wiedergeboren
ist: »Die practicale ist allen gemein.«190 Nur der wiedergeborene Christ kann
laut Undereyck ein wahrer Syntheist sein und erst so das Wirken der Sünde in
186
Ebd., S. 31: Die von der zweyten Art seynd / werden dafür nicht / sondern von
ihnen selbst und andern / selbst auch der äusserlichen Kirchlichen Ordnung und Urtheil
nach / wol gar vor GOtt zugethane und gottselige Menschen gehalten / dafern sie bey
einer unbewusten groben Falschheit dem äusserlichen Schein ein Genüge thun / wan sie es
gleich für GOtt nicht seynd […].«
187
Ebd., S. 14: »Solche / die es mehrentheils unwissend und unbedachtsam seynd.
Sie sind es zwar ebenso wol auch in der That / aber so wissentlich und vorbedachtsamlich
nicht / als die wir jetzt genennet haben.«
188
Ebd., S. 13: »Die erste seynd wissentliche und vorbedachtsame Atheisten. Was sie
seynd / das sind sie / ἐν προαιρέσεως, nemlich Athei speculativi.«
189
Der erste Teil (S. 1–430) befasst sich mit dem bewussten, der zweite Teil (S. 431–
974) mit dem unbewussten Atheismus.
190
Ebd., S. 36: »Und solcher Gestalt [sc. practical] sind alle natürliche Menschen /
ja alle die nicht wiedergebohren seynd / Atheisten.« – »Diß ist aller Menschen Natur biß
sie durch den Geist GOttes wiedergebohren und umbgekehret werden; und daraus ent-
stehet die zweyerley Atheisterey / als wir erwehnet haben. Die practicale ist allen gemein /
die andere etlichen Spitzfindigen allein eigen.« (S. 54) – Fast gleichlautend hatte sich 1685
auch Seckendorff ( IV.3) in seinem Christen-Stat geäußert (S. 7): »Der Atheismus practi-
cus hanget allen an.«
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214 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

und an sich selbst erkennen. Obschon der praktische Atheismus auch weiter-
hin eine stete Gefährdung selbst für wiedergeborene Syntheisten (»auch bey
denen Allerheiligsten noch«) bildet, hilft doch die einmal erlangte Bewusst-
heit, diese Gefahr zu verhindern (55). Erneut sind die Ähnlichkeiten zu Luther
unübersehbar, der praktische Atheismus, wie Undereyck ihn gebraucht, nä-
hert sich schon Luthers Vorstellung der Anfechtung an, wenn nicht gar – ganz
wie die Gottlosigkeit des Toren aus dem Psalter ( I.1) – dem traditionellen
Sündenbegriff.191
Diese aus heutiger Sicht erstaunliche Ausdehnung des Atheismusbegriffs
vollzog sich schon simultan zu den zeitgleich unternommenen Versuchen,
seine Geltung wieder einzuschränken ( IV.5). Mit Thomasius und Gott-
fried Arnold erreichten entsprechende Bemühungen, unter Verweis auf an-
tike Figuren wie Epikur, aber auch auf neuzeitliche Autoren wie Descartes
oder Hobbes, breitere Leserkreise. Gerade im Milieu des frühen Pietismus
war man an die Überführungsmethodik seitens der Amtskirche oder der
Landesbehörden aus eigener Erfahrung gewöhnt. Um so erstaunlicher da-
her nicht nur, dass sich die Ausweitung des Atheismusbegriffs überhaupt
noch weiter fortsetzte, sondern auch, dass daran Anhänger des Pietismus
ihren Anteil hatten. Noch 1699, im selben Jahr wie der erste Band von
Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie, erschien ohne Angabe des Verfassers
das umfangreiche Buch Der verführerische Atheisten Hauffe Und das Un-
göttliche Wesen Unter den Christen von Johann Georg Leuckfeld (1668–
1726).192 Es handelt sich um das einzige mir bekannte Werk, das den Begriff
des praktischen Atheismus (Thätliche Atheisterey) sogar auf dem Titelblatt
trägt.193 Verrät schon die Formulierung »das Ungöttliche Wesen Unter den
Christen« Leuckfelds Affinität zur barocken Reformorthodoxie, wie wir
sie bisher kennengelernt haben, so betätigt sich diese Nähe im Textverlauf,
wenn er Schlüsselfiguren wie Arndt, Spener, Quistorp und Christian Scri-
ver zitiert.

191
Ebd., S. 55: »Dieweil nun aber die Atheisterey die Gottloßheit oder das ungött-
liche Wesen das Grundlaster aller würcklichen Sünden ausmacht / so muß nothwendig
folgen / entweder der Mensch müste gantz vollkommen seyn / oder daß niemand auff
Erden gefunden werde in dessen Hertz nicht noch einige ob gleich ungemerckte Atheis-
terey verborgen sey.«
192
Zu Leuckfeld vgl. den bio-bibliografischen Überblick von Bernd 2003.
193
Der volle Titel lautet: Der verführerische Atheisten Hauffe Und das Ungöttli-
che Wesen Unter den Christen / worinnen so wohl Der Sinn- und Thätlichen Atheisterey
ausführliche Beschreibungen / Als auch Drey sonderbahre Haupt-Quellen / Nemlich das
Hoff- Kriegs- und Universitets-Leben Woraus das ungöttliche Wesen am meisten über die
Länder zu fliessen pfleget / Mit einigen Exempeln und dienlichen Anmerckungen darge-
stellet und gewiesen werden. Auf Veranlassung des itzo in der Christenheit seyenden ver-
wirten Zustandes verfertiget / und mit genehmhaltung einiger Freunde zum Druck über-
geben Von J. G. L., Frankfurt, 1699. – Nachweise auch hier wieder, soweit nicht anders
vermerkt, mit Seitenzahl im Fließtext.
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Speners Netzwerke 215

Der starke Akzent auf der praxis pietatis zeigt sich auch in der hier ange-
legten Definition des Atheismus, die mehr auf eine sündhafte Lebensführung
zielt als auf heterodoxe Überzeugungen. Ohnehin steht es für Leuckfeld wie
für die Mehrzahl deutscher Theologen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts
fest, dass es einen Atheismus im engeren Wortsinn gar nicht geben könne.194
Gerade deswegen aber, so kann Leuckfeld mit dem Paulus des Römerbriefs
feststellen, sei die bewusste Leugnung der innerlich erkannten Wahrheit um
so weniger entschuldbar. Da zur Gottesleugnung für Leuckfeld immer auch
sündhaftes Verhalten gehört, in dem sich eine Verachtung der göttlichen Ge-
rechtigkeit artikuliere, wird die Kategorie des praktischen Atheismus funkti-
onal entbehrlich. Er kann sie deswegen auf alternative Weise definieren und
ihr so eine ganz eigene Prägung verleihen. War für Undereyck die Frage der
Bewusstheit ausschlaggebend gewesen, um theoretischen und praktischen
Atheismus auseinanderzuhalten, so legt Leuckfeld dafür das Kriterium der
Geheimhaltung an. Während der theoretische Atheist sich zu seiner Haltung
gegenüber Gott mündlich oder schriftlich bekenne, verberge sich die »thätige
Atheisterey« hinter der Maske der Rechtgläubigkeit. Anders als bei Unde-
reyck hält sich der praktische Atheist, wie ihn Leuckfeld definiert, nicht für
einen guten Christen, er verstellt sich nur.195 Dabei kann er durchaus an Gott
glauben, durch seine Lebensweise aber doch die Verachtung gegenüber den
göttlichen Geboten zum Ausdruck bringen (114 f.). Für dieses Verhalten kennt
Undereyck nur eine mögliche Erklärung, welche bereits der 14. Psalm vorgibt:
Solche Menschen können nur »Thoren und Narren« sein (117 f.).
Wie bei Undereyck bilden derartige definitorische Anstrengungen nur Pro-
legomena für das Kernvorhaben, eine Bestandsaufnahme des »Ungöttliche[n]
Wesen[s] Unter den Christen« nach Art der reformbewegten Mahn- und Er-
bauungsliteratur. Leuckfeld, der sich bald darauf auch als Historiker einen
Namen machen sollte, bemüht sich dabei um empirisch belegbare Beispiele
anstelle von pauschalen Anklagen, er zitiert, mit anderen Worten, historische
exempla.196 Als Ordnungsprinzip dienen ihm die zuvor definierten Kategorien
des theoretischen (56–114), dann des praktischen (114–161) Atheismus. Da-
bei zeigt sich einmal mehr, dass er Voetius’ Systematik – ob nun absichtlich

194
Vgl. Leuckfelds Ausführungen ebd., S. 7–27.
195
»Die thätige Atheisterey aber verbirget und vermummet sich zwar mit äuserlicher
guter Bekäntniß in Worten und Federn / guckt aber doch gleichsahm zu allen Fenstern
des Lebens und Wandels heraus / und bestehet in einer würcklichen Verachtung GOttes /
denn solche Leuthe entweder in ihren Hertzen /heimlich ihn nicht glauben / oder so sie
ihn ja obenhin glauben / dennoch verachten […].« (57)
196
»Ich will aber von allen beyden Gattungen einige Exempel anführen / und zwar
erstlich von denen Atheis Speculativis so die Atheisterey / in Leugnung entweder des
Göttl. Wesens / Unsterbligkeit der Seelen oder des Himels und der Hölle Verwerffung der
H. Schrifft und dergleichen / öffentlich zu vertheidigen sich unterstanden haben.« (59 f.) –
Zum apologetischen exemplum s. auch weiter unten, Kap. III.2.2.
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216 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

oder nicht – erheblich missversteht.197 Nach einem Überblick des praktischen


Atheismus in der katholischen Kirche, nicht zuletzt am Beispiel verschiedener
Renaissancepäpste, wendet sich Leuckfeld dem »itzigen Zustandt der Chris-
tenheit« zu, wo er die gleiche »Comedie« am Wirken sieht: Sittenverfall und
»epicurisches Leben« auch dort (130 f.).
Der Tonfall ist vertraut von Colbe, Großgebauer oder Scriver,198 ebenso die
Wortwahl, wenn Leuckfeld so ein düsteres Porträt des zeitgenössischen Chris-
tentums zeichnet und die Zunahme der »Schein- und Maul-Christen« beklagt
(140). Nicht genug damit, dass er sie pauschal zu praktischen Atheisten erklärt,
er unterbindet jeden Versuch der Relativierung, ja er will gerade darin sogar
die »hauptThesis der Atheisterey« erkennen (134), soweit sie nämlich die nöti-
ge Umkehr und »Reformation im Leben« verhindere (133). Mehr als deutlich
wird also, wie Leuckfeld, in ähnlicher Zuspitzung wie Colbe und Undereyck,
den Atheismusbegriff seinem Wirkungsziel, der Reform des kirchlichen Le-
bens, anpasst. Spätestens dann allerdings, wenn er sein ständeübergreifendes
Panorama noch auf die Politici (»Staats-Christen«) ausdehnt (141) – wegen ih-
rer opportunistischen Haltung nennt er sie auch »A la mode Christen« (146) –
und ihre vermeintliche Frömmigkeit als »Religio Sapientum, Neutralistarum,
E[c]lectica« denunziert (143), münden seine ansonsten recht eigenwilligen,
wenn nicht gar radikalen Betrachtungen wieder in den breiten Strom der baro-
cken Apologetik ein. Das gilt auch für die nachfolgenden Kapitel des Buches,
in denen er die Hauptgründe für Entstehung und Verbreitung des Atheismus
untersucht. Er konzentriert sich dabei auf Höfe, Universitäten und auf das
Militär. Die über Undereyck auf Luther und Augustinus zurückverweisende
Auffassung der impietas als unvermeidlicher Teil der menschlichen Konstitu-
tion vertritt er in dieser Form nicht. Sie bestimmt dagegen das Unglaubensver-
ständnis bei dem führenden Kopf des lutherischen Pietismus, dem wir uns im
nun folgenden Kapitel zuzuwenden haben – bei Philipp Jakob Spener.

197
Nicht nur erklärt er beide Arten des Atheismus für prinzpiell (»in dem Grund«)
gleich (114), er behandelt sogar die beiden Dichotomien direkt-indirekt und theoretisch-
praktisch als äquivalent. Bei Voetius firmieren theoretischer und praktischer Atheismus als
zwei Erscheinungsweisen des indirekten Atheismus ( I.5).
198
Tatsächlich zitiert Leuckfeld im Folgenden (ebd., S. 135–139) ausführlich aus
Christian Scrivers Seelen-Schatz, einem der meistgelesenen Erbauungsbücher der Zeit. –
Vgl. dazu den Artikel Scriver, Christian in Killy/Kühlmann, Bd. 10, 2011, S. 700 f. (Diet-
rich Blaufuß), sowie Schmidt 1969.
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Philipp Jakob Spener 217

4. De extrema saeculi nostri corruptione


Psychologische Vertiefung und reformtheologische
Perspektivierung der Atheismusdebatte
bei Philipp Jakob Spener

4.1 Der Balken im eigenen Auge


Speners Feldzug wider den innerkirchlichen Unglauben

Mit Philipp Jakob Spener, spiritus rector des lutherischen Pietismus und eine
der prägenden theologischen Gestalten an der Wende vom 17. zum 18. Jahr-
hundert, erreicht die Atheismusdebatte in Bezug auf Ursachenanalyse und
psychologische Durchdringung ein Niveau, das in mehr als einer Hinsicht
auf die Aufklärung und darüber hinaus weist. Noch weit schärfer als Voetius,
Colbe oder Clasen sah Spener im ›Atheismus‹ (den Begriff verwendet er in
zeittypischer Allgemeinheit) keine äußere Bedrohung der Kirche, die durch
Polemik und apologetische Beweisverfahren abgewehrt werden kann, sondern
das sichtbare Symptom einer weit tiefer reichenden spirituellen Krise, die nach
einer grundlegenden Reform des kirchlichen Lebens verlangte.199 Seine Sicht
auf den Unglauben, wie sie uns besonders in Briefen der 1660er- und 1670er-
Jahre entgegentritt, blieb durchgehend von dieser Perspektive bestimmt. Sie
speiste sich darüber hinaus aus dem persönlichen Umgang des Seelsorgers Spe-
ner mit betroffenen Personen.
Daraus und aus einer engen Anlehnung an die Sündenanthropologie Luthers
ergab sich für ihn die Einsicht, dass die Disposition zum Unglauben als Teil
der conditio humana zu begreifen und daher weniger apologetisch-polemisch
als vielmehr pastoraltheologisch aufzuarbeiten sei. So scharf er den praktizier-
ten Unglauben in Kirche und Gesellschaft sowie die öffentliche Verbreitung
atheistischer Ansichten geißelte, so mild fiel oft sein Urteil über den einzelnen
Atheisten aus: Wo die Geistlichkeit ebenso wie die weltliche Herrschaft mit
schlechtem Beispiel vorangehe, sei die Hinwendung vieler ihrer Schutzbefoh-
lenen zum Unglauben fast unvermeidlich. Eine effektive Bekämpfung auch

199
Zu Speners theologischem Profil vgl. neben den einschlägigen Kompendien bes.
das Standardwerk von Wallmann 21986 sowie dessen gesammelten Beiträge in Wallmann
1995 und 2010; im weiteren Zusammenhang der nachreformatorischen Frömmigkeitsbe-
wegungen: Brecht 1993a. – Speners Auseinandersetzung mit dem Atheismus behandeln,
neben der quellennahen, aber distanzlosen, zum Teil wörtlich paraphrasierenden Dar-
stellung von Grünberg 1893, S. 511–514, besonders Wallmann 21986, S. 80 u. 302 f.; Barth
1971, S. 106 u. 168 f. et pass. (Register!), am ausführlichsten nach wie vor, mit Blick auf die
Briefe von und an Theophil Spizel, Blaufuß 1977, S. 286–308; knappe Bemerkungen über-
dies bei Schröder 1998, S. 64, Anm. 70, der Spener einen ungewöhnlich präzisen Gebrauch
des Atheismusbegriffs (d. h. im heutigen Sinne) attestiert. Die von Schröder zitierte Stelle
kann allerdings, wie sich zeigen wird, nicht repräsentativ für Speners Begriffsgebrauch
insgesamt stehen.
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218 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

des ›theoretischen‹ Atheismus sah Spener daher nur in der Rückbesinnung ei-
ner in falscher Bekenntnisgewissheit und dogmatischen Abgrenzungskämpfen
erstarrten Amtskirche auf den Geist der Evangelien und die reformatorische
Theologie Luthers, deren Fortsetzung Spener eher bei Johann Arndt und beim
mystischen Spiritualismus eines Jean de Labadie oder Poiret200 sah als bei den
Vertretern der Wittenberger Orthodoxie.
Das mag auch ein Grund sein, warum Spener, anders als im Fall des Sozi-
nianismus,201 keine eigene Schrift gegen den Atheismus verfasst hat.202 Trotz-
dem hat er die Bemühungen der Atheismusgegner aufmerksam verfolgt,
kommentiert und unterstützt. Er korrespondierte mit Autoren bedeuten-
der apologetischer Schriften wie dem Tübinger Theologieprofessor Tobias
Wagner,203 dessen Kieler Amtskollegen Christian Kortholt204 sowie intensiv
mit dem hochproduktiven Augsburger Senior Theophil Spizel (s. o.), zu
dem sich eine stetige Freundschaft entwickelte. Spizel sandte Spener seine
Schriften gleich nach Erscheinen zu, das Manuskript der Briefdissertation
De atheismo eradicando (1669) schickte er ihm sogar vorher mit der Bitte um
Begutachtung. Spener ermunterte, bezog Stellung zu einzelnen Argumenten
und stellte Kontakte mit anderen Apologeten her.205 In mehreren Briefen an
Spizel, Wagner oder den Freund Elias Veiel berichtete er aus Frankfurt über
Erfahrungen vor Ort, so etwa über den persönlichen Umgang mit Gemein-
demitgliedern, die in Zweifel, wenn nicht gar expliziten Unglauben gefallen

200
Zu Speners Verhältnis zur Mystik vgl. Wallmann 1984 und 2002; im Rückgriff auf
die mittelalterliche Mystik waren Luther und Johann Arndt bereits vorangegangen (vgl.
Wallmann 2004, S. 37 f.).
201
Vgl. dazu Wallmann 1983.
202
Zu möglichen Gründen vgl. Blaufuß 1977, S. 278 f. Mehr dazu im Folgenden.
203
Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 108–112 (Brief vom 19. Okto-
ber 1668); Wagner, seit 1653 Professor für Theologie an der Universität Tübingen, der er
mehrfach als Kanzler vorstand, hatte 1677 in Tübingen sein Examen elencticum Atheismi
speculativi erscheinen lassen. Vgl. zu ihm Barth 1971, S. 26 (mit biogr. Informationen) et
pass. (Register!).
204
Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 5, S. 398–402 (Brief vom 19.8.1681).
Kortholt, der akademische Lehrer August Hermann Franckes, hatte 1680 den De tribus
impostoribus magnis liber veröffentlicht (vgl. Barth 1971, S. 26, mit älterer Literatur sowie
S. 233–235 et pass.) und damit auf das berüchtigte Buch De tribus impostoribus, angespielt,
»das wohl meistgesuchte bibliografische Phantom der europäischen Geistesgeschichte«.
Die Existenz dieses Buches wurde seit der Renaissance in vielen Quellen behauptet, erst
1687 ließ der Hamburger Jurist Johann Joachim Müller ein Buch unter diesem Titel er-
scheinen, das zu den bedeutendsten Dokumenten der radikalen Frühaufklärung gehört.
Dazu ausführlich und mit reichhaltiger Bibliografie die Einleitung zur kritischen Edition
von Winfried Schröder: [Johann Joachim Müller,] De imposturis religionum (De tribus
impostoribus). Von den Betrügereyen der Religionen. Dokumente. Kritisch hg. u. kom-
mentiert von Winfried Schröder, Stuttgart-Bad Canstatt 1999 (Philosophische Clandesti-
na der deutschen Aufklärung, I.6), S. 7–91, Zitat: S. 7; Forschungserträge ausführlich bei
Schröder 1998, S. 424–451.
205
Zum apologetischen Netzwerk um Spener s. weiter oben die Einführung zu
Kap. II.3.
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Philipp Jakob Spener 219

waren,206 oder über das Auftreten des schwedischen Diplomaten Benedikt


Skytta, der durch heterodoxe Äußerungen in aller Öffentlichkeit so viel von
sich reden machte, dass er im Sommer 1669 schließlich der Stadt verwiesen
wurde.207 Mit Sorge kommentierte Spener 1675 gegenüber Veiel die Verbrei-
tung der Schriften Spinozas208 sowie Berichte über die Sekte der ›Gewissener‹
um Matthias Knutzen in Jena, die auch überregional großes Aufsehen erreg-
ten, handelte es sich doch um das erste Auftreten eines offenen Atheismus im
deutschen Kulturraum.209 Besonders musste es Spener bedrücken, dass sich
der Vorfall in einer lutherischen Gemeinde abgespielt hatte.210 Wenig später,
1677, erklärte er denn auch gegenüber Tobias Wagner den Kampf gegen die
»ϑεομάχοι«, die Feinde Gottes, zur neuen großen Aufgabe der Theologen
anstelle der alten Kontroverstheologie.211
Manche Briefe oder Briefpassagen nahmen den Charakter von in sich ge-
schlossenen Betrachtungen oder kleinen Traktaten an. Sie wurden mit nach-
träglich hinzugefügten Überschriften in später veröffentliche Brief- und Do-
kumentensammlungen aufgenommen.212 Besonders hervorzuheben sind die
Stücke De Atheis convertendis (1676),213 De Atheis. Spes meliorum temporum
(1677),214 die Querela de Epicureismo ubique invalescente & magna ordinum

206
So ausführlich am 31.8./5.9.1676 an Spizel, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2,
S. 468 f.; Anfang 1677 an Tobias Wagner, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 3, S. 521;
ebenso Consilia theologica latina, Bd. 1, S. 17 f.
207
Vgl. Wallmann 21986, S. 21 f., mit Belegen.
208
Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 6 (Brief an Veiel von Anfang
1675); auch in: Consilia theologica latina, Bd. 1, S. 63 f.
209
Zu Knutzen vgl. Mauthner 1920 ff., Bd. 3, S. 161–167; Barth 1971, S. 104 f., sowie
Barth 1970; Schröder 1998, S. 420 f.; dort auch weitere Literaturhinweise.
210
Entsprechend ist auch Speners Kommentar zu lesen: »De Iena nuper dira retule-
runt non rumores solum, sed epistola etiam, cuius legi ἀπόγραφον. Itane in media Ecclesia
nostra publice licet a tenebrionibus spargit talia audimus, quae hactenus in extraneis abo-
minati sumus?« (Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 7); auch in: Consilia theologica
latina, Bd. 1, S. 64.
211
Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 3, S. 521 (an Tobias Wagner, Anfang
1677); auch in: Consilia theologica latina, Bd. 1, S. 19.
212
Mit der seit 1992 von Johannes Wallmann herausgegebenen Edition der Briefe
Speners liegen für viele der in den Theologischen Bedencken und den Consilia theologica
latina enthaltenen Textstücke verlässlichere und gut kommentierte Neudrucke vor, die
zudem oftmals eine Datierung und Zuordnung zu bestimmten Korrespondenzpartnern
erlauben. Dabei haben sich die am Ende der jeweiligen Briefbände enthaltenen Konkor-
danzen mit der Werkausgabe Speners als äußerst nützlich erwiesen. Da die Edition noch
nicht abgeschlossen ist, wird von zukünftigen Bänden weiterer Aufschluss bezüglich eini-
ger hier behandelter Stücke zu erwarten sein. – Im Folgenden werden Zitate aus diesen
Texten, soweit möglich, anhand der modernen Briefausgabe nachgewiesen.
213
Spener, Consilia theologica latina, 1. Teil, S. 12–17. Es handelt sich um einen Brief
an Theophil Spizel vom 31. August/5. September 1676, gedruckt in: Briefe aus der Frank-
furter Zeit, Bd. 2, S. 465–474.
214
Spener, Consilia theologica latina, 1. Teil, S. 18 f.; wieder in: Briefe aus der Frank-
furter Zeit, Bd. 3, S. 520–522 (an Tobias Wagner).
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220 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

superiorum corruptione (1682)215 sowie insbesondere die ausführlichste Aus-


einandersetzung Speners mit der Atheismusthematik in der undatierten Be-
trachtung Was zur wahrhafftigen bekehrung eines von langer zeit her in dem
Atheismo, verläugnung GOttes und seiner wahrheit / auch andern groben
sünden / gesteckten sünders erfordert werde? aus dem ersten Teil der Theo-
logischen Bedencken.216 Gemeinsam mit den schon genannten Briefen doku-
mentieren diese Texte Speners intensives Nachdenken über Ursachen, Phäno-
menologie, Reichweite und die mögliche Bekämpfung des Atheismus sowie
seine Vermutungen über den Zusammenhang zwischen theoretischem und
praktischem Unglauben, die den von Voetius eingeschlagenen Kurs weiter
verschärften. Einige für den Gang der Untersuchung relevanten Schwerpunk-
te sollen etwas eingehender betrachtet werden.

4.2 Atheismus als amor seculi


Speners christliche Kulturkritik

Es wurde schon darauf hingewiesen, dass Speners Verständnis von Atheismus


oder Unglauben in seiner definitorischen Offenheit den zeittypischen Bestim-
mungsversuchen folgt. Wie für Voetius und andere reicht der Begriffsumfang
für ihn von der rigorosen negatio Dei über die pantheistische Ineinssetzung
von Gott und Welt und die deistische Providenzleugnung bis zum praktischen
Atheismus, sprich: der unsittlichen Lebensführung.217 Trotzdem schließt er
sich terminologisch nicht an Voetius an. Nur höchst selten verwendet er etwa

215
Spener, Consilia theologica latina, 3. Teil, S. 415–419; eine Neuedition im Rahmen
der Briefausgabe liegt nicht vor.
216
Spener, Theologische Bedencken, 1. Teil (Schriften XI.1), S. 45–68; eine Neuediti-
on ist mir nicht bekannt.
217
Am klarsten und systematischsten entwickelt Spener sein Verständnis des Atheis-
mus, mit deutlichem Rekurs auf die seit Voetius gebräulichen Ordnungsmodelle, ebendort
(S. 47 f.): »Ob man nun also bey so reicher und unterschiedlicher göttlicher offenbahrung /
gedencken möchte / daß es niemand an der erkäntnüß GOttes manglen solte / finden sich
nichts destoweniger nicht allein unzähliche / die in den göttlichen glaubens-lehren irren /
und sich davon falsche concepten machen / so dann die in dem leben sich als atheos und
solche weisen / die keinen Gott glauben / sondern es manglet wahrhafftig nicht an sol-
chen (und ach daß die anzahl nicht so groß wäre / als sie zu seyn sorge!) die nicht allein
alles / was man von besonderen offenbahrungen GOttes bezeuget / vor fabeln achten /
sondern auch die natürliche erkäntnüß Gottes auffs wenigste eine lange zeit / also bey
sich ersticken / daß sie kein solches höchstes wesen glauben […]; sondern halten entwe-
der gar nichts von einem solchen wesen / und vermeinen / daß alles entweder aus blosser
nothwendigkeit der materie / oder von ungefehr / ohne verständige regierung / gesche-
he / oder machen die ganze welt zu gott […] / oder ob sie ein höchstes wesen / das alle
übrige wesen weit übertreffe / zu geben / dennoch demselben die regierung aller dinge /
und achtgebung auff die menschen / als seiner hoheit und seligkeit verkleinerlich / abspre-
chen / und was dergleichen mehr sorten sind / die wir mit recht Atheisten nennen […].«
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Philipp Jakob Spener 221

die Formeln ›theoretischer‹218 bzw. ›spekulativer‹ Unglaube,219 und statt von


praktischem Atheismus spricht er verschiedentlich – hier noch näher bei den
Reformatoren – von Epikureismus220 oder ›impietas‹.221 Der Sache nach führt
er dagegen die Linie fort, die bei Voetius mit dem Konzept des praktischen
Atheismus beginnt. Wie aus mehreren Äußerungen der 1660er- und 1670er-
Jahre hervorgeht, setzt Spener den Beginn des Unglaubens nicht bei der in
Worten oder Gedanken vollzogenen Leugnung Gottes, seiner Providenz oder
seines Richteramts an. Vielmehr könne er auch da vorliegen, wo rein äußerlich
alle Merkmale eines gläubigen Christen anzutreffen seien. Einmal mehr tritt so
das Problem der simulatio oder ›Heuchelei‹ in den Blick.222 Wo Bibellektüre,
Gebet und Besuch der Predigt zum bloß äußerlichen Ritual geworden seien,
wo das Lippenbekenntnis (»oris professio«)223 den lebendigen Glauben ersetzt
habe, da sei der Unglaube schon im Herzen angekommen. Ausführlich macht
Spener seiner Betrübnis über die »auf das höchste gestiegene Verderbnis un-
seres Zeitalters« (»de extrema saeculi nostri corruptione«) bereits 1668 Luft,
in einem Brief an Tobias Wagner in Tübingen. Die dort formulierte Kritik am
bloß äußerlichen Bekenntnis (»professione nuda«) und an der teilnahmslosen
Anwesenheit in der Predigt kennen wir schon von Hülsemann, Clasen und
Colbe. Und doch hat keiner von ihnen mit vergleichbarer Schärfe den Bank-
rott der Kontroverstheologie und damit das Ende des konfessionellen Zeital-
ters erklärt. Denn zum Seelenheil, stellt Spener im Brief an Wagner süffisant

218
Etwas ungenau, aber unverkennbar, in einem Brief an Tobias Wagner vom
19. Oktober 1668, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 110: »Non iam dicam de athe-
ismo theoretico, cuius veneno multorum animos, qui tamen alta mente repostum βδέλυγμα
[!] occultant, infectos satis novi et aliquando occasione data erupturum vereor.«
219
So im genannten Brief an Tobias Wagner von 1677, der unter dem Titel De Athe-
is. Spes meliorum temporum in die Consilia theologica latina aufgenommen wurde. Dort
bietet sich der Gebrauch des Ausdrucks ›speculativus‹ an, da Wagner Spener gerade sein
Examen elencticum atheismi speculativi übersandt hatte: »Quod etiam nuper tractatum
argumentum de Atheismo speculativo attinet, illud est, quod omni diligentia Theologis
jam incumbit, ut tractetur.« Spener, Consilia theologica latina, 1. Teil, S. 18 f.; wieder in:
Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 3, S. 520, dort auch die Anmerkung zu Wagners Ex-
amen elencticum.
220
Besonders in der Querela de Epicureismo (Anm. 215). Dort wird der Epikureis-
mus, wie schon bei Calvin oder Bucer ( I.1.4), als Kennzeichen eines verborgenen Athe-
ismus aufgefasst (S. 416): »Ita omnino est, Epicureismus ubique invalescit, Atheismi arcani
proditor […].«
221
Ebd., S. 418.
222
Vgl. dazu die ähnlichen Aussagen bei Clasen ( II.2.2) und Colbe ( II.2.3). –
Ausführlich problematisiert Spener die Frage der Verstellung in der oben genannten Be-
trachtung Was zur wahrhafftigen Bekehrung. Zwar seien die Atheisten verschiedenster
Couleur »theils so unverschämt worden / daß sie solche ihre gottlosigkeit nicht hähl ha-
ben / sondern bekennen / und wol gar mit groben lästerungen rühmen: die meiste aber
verhählen solche gottlosigkeit ihres hertzens und stellen sich an / als leute / die da glaub-
ten / weil sie / wo ihres hertzens-grund bekannt würde / allgemeinen haß / oder wol gar
straffe / sich zu besorgen haben […].« (S. 48)
223
Spener, Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 416.
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222 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

fest, genüge es eben noch nicht, dem richtigen (hier also: dem lutherischen)
Bekenntnis anzugehören:

Quod de extrema saeculi nostri corruptione annexam concernit, Vir Venerande, ea


praecipua et quotidiana nostra cura esse debet, ut malis reliquis undiquaque irruen-
tibus cognita mali gravitate fortia opponamus pectora. […] Fatemur omnes non in
professione nuda fidem, qua salvandi sumus et quae Christianismi nostri anima est,
constare. Quotusquisque vero nostratium non est in ea haeresi, ut ad salutem sufficere
credat, si Lutheranus sit?224

Hier wie in anderen Texten Speners verschwimmt die Phänomenologie des


Unglaubens untrennbar mit der Frage nach dessen Ursachen. Dabei zeigt
sich schnell, dass sich die Reflexion über den Atheismus bei ihm auf das
engste mit seiner Kritik des kirchlichen Lebens und seinen davon abgelei-
teten Reformüberlegungen berührt. Den allgemeinsten Nenner, unter dem
sich für ihn das Gedankengebäude eines Spinoza ebenso subsumieren lässt
wie die »heuchelbuß« oder die geistig-geistliche Abwesenheit während der
Predigt als Indiz einer heilsindifferenten ›Sicherheit‹,225 bildet die zuneh-
mende Verschiebung der Lebensorientierung von geistlich-spirituellen hin
zu weltlichen Prioritäten. Grundsätzlich bekannt aus der Polemik gegen
die Politici zwischen 1600 und 1700 ( I.2.3; II.2.2; III.3.4), erweitert sich

224
An Tobias Wagner, 19. Oktober 1668, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1,
S. 110. – Ähnlich auch in einem Brief an den führenden lutherischen Theologen Abra-
ham Calov vom 22.9.1671, in dem Spener die Ursachen der zunehmenden Konversionen
erörtert. Es genüge nicht, so sein Urteil, dass im Luthertum die reine, von beigemischten
Irrtümern befreite Lehre beheimatet sei, wenn die Mehrzahl der Konfessionsangehörigen
diese Wahrheit gar nicht kenne oder verstehe: »Si causam circumspiciam, nescio, annon
illa primaria habenda sit, quod, cum per DEI gratiam in Ecclesiae nostrae confessione
veritatem absque admistis erroribus puram quidem habeamus, longe maxima tamen pars
auditorum illam ignorat […].« Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 429. – Schärfer
noch am 19.8.1681 an Christian Kortholt, der Spener sein Werk De tribus impostoribus
magnis liber zugeschickt hatte: »Plurimum etiam contulit scandalum inter ipsos Christia-
nos variarum sectarum et Theologiae polemicae pene in eristicam deformatio, atque inter
eas concertationes omnes universalis pene pietatis, usque adeo principiorum practicorum
natura quoque notorum, supinus neglectus, imo contemtus.« Briefe aus der Frankfurter
Zeit, Bd. 5, S. 402. – Dass es sich bei derartigen Klagen mitnichten um ein objektives Bild
der Orthodoxie handelt, bedarf keiner Erwähnung.
225
Eingehend hat sich Spener dazu 1681 im Brief an einen Amtsbruder geäußert:
Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 5, S. 664–668 (dort, S. 666, auch der Ausdruck »heu-
chelbuß«), besonders S. 666 (Hervorh. d. Verf.): »Wie ich dann der gäntzlichen meinung
bin, wir haben niehmals nichts ernstlicher und ohnablässiger zu treiben als diesen punct
und seye dieses in dem gegenwärtigen zustand unser kirchen der Prediger meistes amt,
alldieweil die sicherheit der menschen aus unrechtem verstand des Evangelii und also ver-
kehrung desselben, da man einem eingebildeten glauben und hirngespenst dasjenige zu-
schreibet, was die heilige schrifft nicht anders als dem wahren glauben zuleget, diejenige
schuld ist, darüber wohl der gröste theil verdammt wird.« – Zum Konzept der securitas s.
die Ausführungen zu Colbes De fulcris Atheismi in Ecclesia ( II.2.3).
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Philipp Jakob Spener 223

diese Diagnose bei Spener zu einer fundamentalen, alle Stände umfassen-


den Kulturkritik, wie sie am ehesten schon bei Autoren aus der Frühphase
des lutherischen Pietismus wie Großgebauer oder Christian Scriver,226 aber
auch im katholischen Bereich, etwa bei dem in der Atheismusdebatte mehr-
fach zitierten Petrus Firmianus, angelegt gewesen war.227 Sie wird auch bei
Spener wieder in den für die Frömmigkeitsbewegungen der Zeit typischen
Dichotomien von ›innen‹ und ›außen‹, ›Herz‹ und ›Mund‹ oder ›Leben‹
und ›Lehre‹ formuliert.228 Von den Höfen über die Universitäten und den
Pfarrstand bis zum »pöbel«229 sieht er das »Geschwür« (»gangraena«)230 oder
»Gift« (»venenum«)231 des Epikureismus am Wirken, der sich für ihn schlag-
wortartig auch auf die äußerst vielsagende Formel des »amor seculi« bringen
lässt.232 Das ›saeculum‹, abwertender Gegenbegriff zur Ewigkeit, steht dabei
praktisch synonym für die Welt233 und die von Spener kritisierte Ausrich-
tung von immer mehr Menschen an nur noch weltlichen Prioritäten: »Sed de
animis eorum quoque, qui nullam nisi sanam doctrinam unquam audivere,

226
Zum Verhältnis von Spener zu Großgebauer vgl. weiter oben, Kap. II.3.1.
227
Den Genius saeculi des katholischen Kapuzinermönchs Petrus Firmianus (d. i.
Zacharie de Lisieux), den schon Spizel zustimmend zitierte (De Atheismi radice, S. 9–16),
zieht auch Spener zur Untermauerung seiner Kirchen- und Kulturkritik heran. – Zu Lisi-
eux siehe die Hinweise im Spizel-Kapitel (II.3.2), Anm. 134.
228
Besonders markant in dem eben zitierten Brief an Abraham Calov, wo sich Spe-
ner, hier noch losgelöst von der Atheismusthematik, mit seiner Kritik der herrschenden
Frömmigkeitspraxis hervorwagt. Die Kritikpunkte bleiben jedoch exakt gleich, wenn Spe-
ner nach der Ursache für die Menge der Konversionen vom Luthertum zu den anderen
Konfessionen fragt: »Cum vero corde toto rebus mundanis adhaereant, in hisce honore
divitiis, voluptate et, quae alia seculi auctoramenta sunt, summum quaerant bonum nec
patiantur illa divinae operationis obstacula e pectore suo removeri, manet illa cognitio re-
rum sacrarum apud eos plane infrugifera; licet adsit notitia et assensus debilis, qui dein
tentationi nequeat resistere, fides vera in cordibus eorum a Spiritu Sancto, cui resistunt,
non excitatur; interim intersunt cultui divino externo, audiunt cum aliis verbum DEI, sed
corde tali, quod eius operationibus semper resistit […].« Briefe aus der Frankfurter Zeit,
Bd. 1, S. 429.
229
Spener, Was zur wahrhafftigen Bekehrung (Anm. 216), S. 50: »Sind derjenigen
eine grosse zahl unter uns / und zwahr nicht allein unter dem gemeinen pöbel / sondern
auch die vornehmer sind / die von jugend auf niemahl zu einer auch nur buchstäblichen
erkäntnüß gekommen sind […].«
230
Spener, Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 416.
231
An Tobias Wagner, 10. Oktober 1668, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1,
S. 110 (»veneno«).
232
Spener, Querela de Epicureismo, S. 418. – Eine ähnliche Formulierung verwendet
auch Augustinus in seiner Auslegung des 14. (13.) Psalms (Opera omnia, ed. Migne, PL,
Bd. 36, Sp. 141), zum Psalmvers »Corrupti sunt et abominabiles facti sunt in affectionibus
suis«. Dazu Augustinus: »id est, dum amant hoc saeculum et non amant Deum: ipsae sunt
affectiones quae corrumpunt animam, et sic excaecant, ut possit etiam dicere imprudens in
corde suo: Non est Deus […].« – Ausführlicher dazu weiter oben, Kap. I.1.2.
233
So etwa auch bei Großgebauer, Wächterstimme, S. 368: »[…] und hat dem Reiche
GOTTES nie größerer Schade und Abbruch geschehen können / als durch die Sapientes
saeculi, die Klugen dieser Welt […].«
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224 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

mundo et terrae unice addictis loquor.«234 Bei zu vielen Menschen habe die
Hinwendung zu vergänglichen zeitlichen Dingen (»in perituris saeculi huius
rebus«) Christus als das zur Seelenruhe nötige höchste Gut aus den Herzen
verdrängt,235 der Besuch des Gottesdienstes diene allenfalls noch dazu, die
residualen Gewissensbisse zu lindern, in denen sich gemäß der traditionellen
Lehre der natürlichen Theologie ( I.1.1; I.4; I.5) die unaustilgbare cognitio
Dei artikuliert:

Quid ergo mirum est, cum saeculum unice saepiant, in id omnes curas dirigant, sacra
vero, ut conscientiae stimulis qualitercunque satisfaciant, levissimo brachio, nempe
πάρεργα sibi visa tractent, imo exteriori illorum specie omnia metiantur, quod fide
e pectoribus eorum, qui nomine Christi audiunt, exulante fidelibus digna vita non
sequatur?236

14 Jahre später, in der Querela de Epicureismo ubique invalescente, dehnt Spe-


ner diesen Befund der Verweltlichung auf sämtliche Stände aus. Im Bereich
der politischen Herrschaft zeige sie sich in der Überordnung persönlicher
Bereicherung oder Lustbefriedigung (»lubidini«) einiger weniger über die ei-
gentliche Richtschnur politischen Handelns (»unicum canonem«), das Wohl
und Heil der gesamten Untertanen.237 Spener zögert nicht, in diesem Zusam-
menhang auch politiktheoretische Signalbegriffe wie »despotisch« oder »Ty-
rannis« in den Mund zu nehmen. Sie werden den »sanae politices principia«,
den Grundsätzen einer verständigen, Ziele und Mittel sorgfältig wählenden
Regierung, gegenübergestellt, die sich – wir sahen es im Zusammenhang der
Staatslehren seit 1600 ( I.3) – auch da, wo sie nicht mehr dezidiert Politica
Christiana sein wollte, nie zu weit von der Lehre Christi (»Christi doctrina«)
entfernen konnte.238 Elemente traditioneller Hof- und Herrschaftskritik ver-
schmelzen so mit der Polemik gegen den machiavellistischen Politicus, wie
wir sie weiter oben bereits kennengelernt haben.239 Folgerichtig mündet die
Bestandsaufnahme einer von weltlichem Eigennutz bestimmten Herrschaft

234
An Wagner, 19. Oktober 1668, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 110.
235
Ebd.
236
Ebd.
237
Spener, Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 417.
238
Ebd.
239
Dass Spener den Begriff des Machiavellismus, soweit ich sehe, nicht mehr im po-
lemischen Sinn früherer Jahrzehnte verwendet, mag zum einen an der Vorarbeit Conrings
und Clasens für die Rehabilitation des Politischen liegen, zum anderen an seiner akademi-
schen Herkunft: Sein Straßburger Lehrer Boecler, selbst ein Schüler des noch berühmte-
ren Matthias Bernegger, gehörte zu den bedeutenden Vermittlern einer frühneuzeitlichen
Politikwissenschaft, die sich im Namen von Tacitus Elemente einer pragmatischen Regie-
rungskunst aneignete, hinter der – unausgesprochen aber für die Zeitgenossen sichtbar –
das Vorbild Machiavellis stand. Vgl. dazu wegweisend Kühlmann 1987 (bes. zu Boecler)
sowie Kühlmann 1982, S. 55 f., 63 f. (zu Bernegger) u. 362 f.
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Philipp Jakob Spener 225

in die Feststellung des praktischen Atheismus, kenntlich an der sattsam be-


kannten Formel »in corde suo« aus dem 14. Psalm.240

4.3 Der Epikurer auf der Kanzel und die Risiken


der Überführungshermeneutik

Ist damit Speners Verwurzelung in der apologetischen und staatstheoretischen


Tradition auf engstem Raum greifbar, so geht er in einem weiteren Schritt, mit
Colbe und Großgebauer, über die Kritik der politischen Klasse hinaus. Nicht
nur erklärt er den geistlichen Stand – im Luthertum nicht anders als bei den
Katholiken241 – für mindestens ebenso betroffen, er glaubt dort sogar die ei-
gentliche Quelle für die Verderbnis im politischen Bereich (»politici ordinis
corruptio«) ausmachen zu können.242 Durchzieht die Briefe der 1660er- und
1670er-Jahre ohnehin schon die Klage über innerkirchliche Missstände, die
schließlich in den Pia Desideria von 1675 ihren öffentlich wirksamen Aus-
druck finden sollte, so erinnert Spener in den Korrespondenzen mit profilier-
ten Atheismusgegnern wie Spizel, Wagner und Kortholt immer wieder an die
Wurzeln des Atheismus in der Kirche selbst,243 beginnend mit dem Studium
der Theologie an der Universität.244 Die einseitige Fixierung auf eine gelehr-
te Bildung245 und auf die dogmatische sowie kontroverstheologische Schu-
lung hat in seinen Augen die pietas der eruditio nachgeordnet (»pietas post

240
Spener, Querela de Epicureismo (Anm. 215): »Mihi autem illud certum est, omnes
Proceres & eorum ministros, qui hac via incedunt, quae Christi sunt, nescire, & in corde
suo ab Atheismo non procul abesse.«
241
In Speners Auseinandersetzung mit dem Atheismus tritt die Konfessionspolemik
weitgehend in den Hintergrund. Gleichwohl kann er an den seit der Reformation belieb-
ten Berichten über Papst Leo X. nicht ganz vorbeigehen; vgl. Spener, Kleine Geistliche
Schriften, Teil II, Bd. 1 (Schriften IX.2.1), S. 415. – Die Anekdote von Leo und Bembo
kursierte in der europäischen Atheismusdebatte, insbesondere im protestantischen Raum.
Beispiele bei Barth 1971, S. 53; Schröder 1998, S. 27 f. – Noch Gottsched erwähnt sie in
einer Anmerkung zu seiner 1741 erschienenen Edition von Bayles Kometenschrift (Herrn
Peter Baylens […] verschiedene Gedanken bey Gelegenheit des Cometen, der im Christ-
monate 1680 erschienen, Hamburg 1741, S. 521); s. dazu Kap. VI.1.4.
242
Spener, Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 417: »Cum vero tanta sit, a Temet
etiam non obscure deplorata, politici ordinis corruptio, quam optarim non aeque gravem
vel graviorem eam esse, quae nostrum infecit! imo dixerim, non potuisse in altero illo adeo
malum hoc invalescere, nisi noster primum a sua puritate descivisset.«
243
Exemplarisch etwa an Spizel, 22. Juli 1669, Briefe aus der Frankfurter Zeit, S. 150:
»Saepe ego in eam cogitationem delapsus sum, magnam hodiernae corruptionis et in nos-
tra quoque Ecclesia rarescentis pietatis causam penes eos sitam esse, qui ministerio sacro
funguntur.«
244
Ebd.: »Cum vero cogitamus studiosorum Theologiae destinatorum studia et vi-
tam in academiis, vix sine horrore illud fieri potest. Adeo parum inhabitantis spiritus divini
ex illis emicat.«
245
Ebd.: »Quot enim in illo ordine agnoscimus, in quibus solam eruditionem, qua,
quicquid subtile et reconditum est, cum pietate destituitur.«
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226 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

eruditionem stare iubetur«)246 und erweise sich damit als eine vornehmlich
›fleischliche‹ Zielsetzung (»carnalis est fere prima intentio«).247 In dieser Kritik
einer zum Selbstzweck geratenden gelehrten Ausbildung innerhalb des pro-
testantischen Schulbetriebs klingen zwar bereits Aspekte der ›galanten‹ Bil-
dungsreform im Umfeld der Frühaufklärung an;248 sie bleibt jedoch hier – der
Ausdruck ›carnalis‹ belegt das mehr als deutlich – noch stark religiös perspek-
tiviert. Man studiere, so klagt Spener mehrfach gegenüber dem Freund Spi-
zel, die Theologie nicht anders als Medizin, Philosophie oder Jurisprudenz.249
Für das Studium der Theologie besteht er demgegenüber auf der wichtigen
Unterscheidung einer (bloß) ›buchstäblichen‹ von einer und »lebendigen er-
käntnüß« und einer »innerlichen überzeugung« von der christlichen Lehre.250
Derart ausgebildete Theologen würden den Namen eines Gottesgelehrten, ja
selbst eines Christen,251 zu Unrecht beanspruchen (»usurpant«). Denn über
die so erworbenen Fähigkeiten, insbesondere zur Widerlegung theologischer
Irrtümer, könne auch ein durchweg nichtgeistlich gesinnter Weltmann (»etiam
profanus homo«) ohne Weiteres verfügen. 252
246
An Spizel, 10. Dezember 1669, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 184. –
Der gleiche Gedanke im Brief an einen unbekannten Empfäger vom Juni 1677, Briefe aus
der Frankfurter Zeit, Bd. 3, S. 217: »Accedit demum tertius defectus prioribus nec levius
nec infrequentior, quod plerisque studia Theologica excolentibus eruditionis aliqua, pieta-
tis nulla cura est.« – Ebenso, im gleichen Jahr, an Tobias Wagner, Briefe aus der Frankfur-
ter Zeit, Bd. 3, S. 520 (entspricht De Atheis. Spes meliorum temporum [Anm. 214], S. 18):
»Studium vestrum Theologos non minus pios quam doctos formandi illud est quo nobilius
vel Ecclesiae utilius suscipi posse dubito.«
247
An Spizel, 10. Dezember 1669, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 182.
Dort, S. 183, auch zur Überschätzung von Hermeneutik und Kontroverstheologie: »In-
terim, quia sua industria omnia efficere laborant, acquirunt equidem eruditionem aliquam
de rebus sacris, ut de sensu scripturae saepe etiam in abstrusioribus, de controversiis, de
aliis ἐπιστήμης Theologicae partibus docte disserere possint: sed haec eruditio neutiquam
fides est neque hanc secum fert: nisi humana diligentia comparari donum coelicum contra
Scripturam dicere velimus.«
248
Vgl. dazu grundlegend die Standardwerke von Barner 1970, Sinemus 1978, Kühl-
mann 1982, Grimm 1983; zur pietistischen Bildungs- und Erziehungsreform vgl. den
komprimierten Abriss von Sparn 2005 mit reichen Literaturhinweisen.
249
An Spizel, 10. Dezember 1669, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 183. –
Ebenso im Brief an Spizel vom 22. Juli 1669 (ebd., S. 150), wo die genannten Kritikpunkte
bereits auf engstem Raum zusammentreten: »Itaque carnali scopo, nempe ut vitae subsidia
ex munere quaerant, ipsi tot carnales atque omni sincera pietate vacui plerique addiscunt
sacra non aliter atque alii iurisprudentiam, philosophiam, medicinam […].«
250
Spener, Was zur wahrhafftigen Bekehrung (Anm. 216), S. 51.
251
Die Ähnlichkeit zu Clasens Formel von den »Titularchristen« (›titulares Chris-
tiani‹) ist offensichtlich. Seckendorff und Thomasius verwenden in einem ganz ähnlichen
Sinn den Ausdruck »Maul-Christen« s. dazu weiter unten, Kap. IV.3 u. V.2.
252
An Spizel, 22. Juli 1669, ebd., S. 150. – Spener dürfte hier auf ein Problem an-
spielen, das in der Apologetik und Polemik adversus Atheos als besonders skandalös an-
gesehen wurde: Einige der berüchtigsten als Atheisten angesehenen Autoren (Charron,
Vanini, Campanella) hatten Schriften zur Verteidigung der Religion veröffentlicht, in de-
nen sie dann heterodoxe Gedanken entwickelten. Diese Methode, den Atheismus »per
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Philipp Jakob Spener 227

Bedenkt man, welche Anstrengungen und bedeutenden intellektuellen wie


kulturellen Leistungen mit der Einrichtung des protestantischen Schulwesens
verbunden gewesen waren,253 kann man die Schwere und die Provokation die-
ser Kritik ermessen, aber auch die kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche
Stellung des Pietismus in seinem dialektischen Verhältnis zum nachreformato-
rischen Konfessionalismus. Für Spener zeigt sich die Begrenzung der gelehr-
ten theologischen Ausbildung besonders deutlich in der Predigt. Die Wirk-
samkeit des Predigtworts könne sich nicht entfalten, wo der Redner allein auf
Eloquenz und Gelehrsamkeit setze,254 die Predigt bleibe daher folgenlos (»sine
fructu«).255 Mehr noch: Das Problem der simulatio, schon bei Colbe und Cla-
sen, später bei Seckendorff Ansatzpunkt für reformbewegte Kirchenkritik,
betrifft Spener zufolge nicht nur die Gottesdienstbesucher, sondern auch die
Prediger auf der Kanzel. In der Querela de Epicureismo greift er dafür zum be-
merkenswerten Vergleich mit Schauspielern (»histriones«), die Gefühle nur si-
mulieren (»fingunt affectus«), statt selbst durch sie berührt zu werden.256 Hier
liegt Spener zufolge eine der vornehmlichsten Ursachen für die zunehmende
Verbreitung des Atheismus in allen übrigen Ständen: »Jurare ausim, hanc ex
potioribus causis esse Atheismi in reliquis ordinibus […].«257
In der abgründigen Vorstellung des Heuchlers auf der Kanzel tritt auf dra-
matische Weise das ganze Ausmaß der Misere in den Blick, die Spener mit
Kollegen wie Großgebauer und anderen im kirchlichen Leben seiner Zeit zu
erkennen glaubte. Die Kehrseite der simulatio oder ihren eigentlichen Über-
führungsgrund bildet wie bei Clasen und Großgebauer eine ›epikureische‹
Lebensführung. Zwar gebraucht Spener die Bezeichnung ›Atheismus‹ in
diesem Zusammenhang nur selten,258 unverkennbar steht jedoch der Befund

cuniculos«, also durch unterirdische Gänge an die Öffentlichkeit zu bringen, hat Spener,
im Anschluss an Spizel, am Beispiel Charrons und Vaninis beschrieben: »Pag. 124. Cha-
rontis S. Petri Caronnii Canonici Condomensis libri de sapientia memorantur, & recte
illos numeras inter eos, qui per cuniculos duntaxat atheismum inducunt […].« An Spizel,
31. August/5. September 1676, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 467; auch in Spe-
ner, De Atheis convertendis (Anm. 213), S. 13.
253
Vgl. dazu, ausführlich und kenntnisreich Neuer Ueberweg 17/4, 2001, S. 475–586
(Walter Sparn).
254
Spener, Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 418: »[I]nde paulatim illae cogita-
tiones, an quicquam eorum verum sit, quod etiam stentorea voce vel erudito suaviloquio
ex suggestibus proclamari audiunt, cum ipsi non moveantur qui proclamant?«
255
An Wagner, 19. Oktober 1668, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 110.
256
Spener, Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 418.
257
Ebd.
258
Ausdrücklich etwa in der Allgemeinen Gottesgelahrtheit aller gläubigen Christen
und rechtschaffenen Theologen (1680), dort in direkter Auseinandersetzung mit der Kri-
tik seines Opponenten Georg Conrad Dilfeld. Dieser hatte Spener die provokante Frage
gestellt, ob nicht auch Atheisten auf der Kanzel das Wort Gottes »pure erklären und aus-
legen« könnten: »Es wirft mir Herr Dilfeld vor, daß auch in dem geistliche Stande Athei
seyn können […]. Ich diene ihm darauf, daß freylich unter denen in dem Prediger-Stand
wol auch können Athei seyn, und wolte GOtt, es wären keine würcklich unter densel-
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228 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

des praktischen Atheismus im Raum, wenn er in der Querela de Epicureis-


mo gegenüber dem ungenannten Briefempfänger, mit wiederholten Klage-
formeln (»ingemuisti«, »deplorata«, »conqueror«, »gemebundus«), der spiri-
tuellen Vorbildfunktion des Pfarrstandes als »Muster für die Herde« (»τύποι
τῶν πoιμνίων«)259 dessen faktische Weltverfallenheit gegenüberstellt. Diese
wird, unter vertraulicher Berufung auf gemeinsame Erfahrung, nicht anhand
von Beispielen oder Beweisen (»probatione«) expliziert,260 sondern in den
einschlägigen theologisch-homiletischen Analysekategorien, die den Atheis-
musdiskurs seit den reformatorischen Psalterkommentaren begleitet haben:
Zur paulinischen Fleischlichkeit (»carnalia«, »concupiscentia carnis«, »carnis
desideria«)261 treten Elemente der christlichen Moralistik – Habgier (»avari-
tia«), Trunkenheit (»temulentia«) und Trägheit (»socordia«) – aus dem Umfeld
der traditionellen Lasterkataloge. Und wieder ist es nicht zuletzt der gelehrte
Dünkel, in dem sich für Spener die Weltliebe (»amor seculi«) des geistlichen
Standes beweist.262
Dass das »ungöttliche Leben« vieler Geistlicher263 mehr zur Verbreitung
atheistischen Gedankenguts beitrage als viele Schriften heterodoxen Inhalts,
hat Spener einige Jahre später noch einmal ganz ausdrücklich festgestellt, mit
der ganzen Autorität des inzwischen erlangten Amtes als Dresdner Oberhof-
prediger, einer der höchsten Positionen innerhalb des deutschen Luthertums.264
Bemerkenswert ist auch der Anlass, auf den später noch zurückzukommen sein
wird. Spener schrieb 1689 als Vertreter des sächsischen Oberkonsistoriums
an den Leipziger Theologieprofessor August Pfeiffer als Reaktion auf dessen
Vorschlag, ein ›Collegium Anti-Atheisticum‹ für Theologiestudenten der Uni-
versität Leipzig abzuhalten. Anlass und heimliche Zielscheibe der geplanten
Veranstaltung: Christian Thomasius, der mit seinen kühnen Äußerungen über
Pufendorf, Epikur und Descartes Anstoß unter den Leipziger Kollegen erregt
hatte ( V.2). Spener dürfte darüber informiert gewesen sein, da Thomasius

ben, wie leider allzuviel zu sorgen ist.« Spener, Kleine Geistliche Schriften, Teil I, Bd. 1
(Schriften IV.1.1), S. 522 (dort auch das Zitat von Dilfeld). – Spener gelangt erwartungsge-
mäß zu dem Ergebnis, dass sich unter solchen Umständen, selbst bei äußerer Anpassung
»solche[r] gottlose[r] Prediger« an die dogmatische und homiletische Norm, keine »er-
bauliche« Wirkung des Predigtworts einstellen könne. – Zur Kontroverse mit Dilfeld vgl.
Grünberg 1893, S. 190 f.; Wallmann 1968.
259
Spener, Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 417 f.
260
Ebd., S. 418: »Scio me non loqui, quae non ipse expertus sis, adeoque probatione
abstineo.«
261
Allesamt ebd., S. 418. – Der Hinweis auf Paulus (Phil 2, 21) erfolgt auch explizit
(ebd.).
262
Ebd., S. 418: »Quam multi sunt, in quibus amor seculi dominatur, concupiscentia
carnis, concupiscentia oculorum & fastus vitae […].«
263
Spener, Von der Nothwendigkeit eines Collegii Anti-Atheistici, in: Kleine Geistli-
che Schriften, 1. Teil, Bd. 2 (Schriften IX.1.2), S. 1097–1102, hier: S. 1101.
264
Zu Speners Dresdner Tätigkeit vgl. Sommer 2006, S. 211–238.
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Philipp Jakob Spener 229

zeitgleich Eingaben an das Oberkonsistorium richtete.265 Wohl auch deswegen


warnt er in seinem Schreiben an Pfeiffer vor einem unchristlichen »fervore
refutandi«266 und rät zum maßvollen Umgang mit dem Atheismusvorwurf, da
er das Ansehen eines Mannes schwer beschädigen könne.267 Sein methodischer
Vorbehalt gegen die voreilige Anwendung des Atheismusbegriffs auf »Leute,
welche nichts weniger als Atheisten sind«,268 nimmt ein zentrales Argument
der Frühaufklärung vorweg, das bei Thomasius wie bei Christian Wolff unter
dem Begriff der ›Konsequenzenmacherei‹ detaillierter ausgearbeitet werden
wird.269 Darin ist, hier wie dort, eine Kritik der apologetischen Überführungs-
methodik enthalten, die sich seit Voetius (s. o.) mit Vorliebe auf das Konstrukt
eines Atheismus indirectus gestützt hatte. Demgegenüber besteht Spener auf
der Unterscheidung zwischen Atheismus und Irrlehre (von ihm hier als ›hete-
rodoxia‹ bezeichnet).270 Nicht nur überfordere die allzu großzügige Auslegung
des Konzepts eines Atheismus indirectus das ohnehin noch unentwickelte stu-
dentische judicium.271 In der Anwendung des Atheismusbegriffs auf jede noch
so kleine Abweichung von der orthodoxen Dogmatik – Spener mag hier an
die Anfeindungen gedacht haben, denen die pietistische Bewegung selbst aus-
gesetzt war – sei darüber hinaus eine Verharmlosung und insofern auch Beför-
derung des ›direkten‹ Atheismus zu sehen:

265
Der Vorgang ist ausführlich dokumentiert und kommentiert unter dem Titel Re-
liquien des Politischen Pabstthums mit gesuchter Inquisition wieder unschuldige Leute,
in: Christian Thomasius, Ernsthaffte/aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische
Gedancken und Errinnerungen [!] über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter
Theil. Halle 1721, S. 1–167.
266
Spener, Von der Nothwendigkeit (Anm. 263), S. 1098.
267
Ebd., S. 1099: »Indem die qualiscumque imputatio Atheismi wol das heftigste ist,
damit ein sonst ehrlicher Mann angegriffen werden, und sich nachmal so leicht, wo sein
Nahme damit bemackelt worden, davon nicht wieder befreyen könnte, weswegen die
Christliche Liebe erfordert, daß wir nicht auch unvorsichtig einem Unschuldigen derglei-
chen aufzubürden Anlaß geben.«
268
Ebd.
269
Mehr dazu in den Kapiteln zu Thomasius (V.2) und Christian Wolff (V.4).
270
Spener, Von der Nothwendigkeit, S. 1099: »So lassen sich nicht alle Meynungen,
welche wider den Buchstaben der Schrift streiten, oder zu streiten dafür gehalten wer-
den, um solcher Ursach willen des atheismi beschuldigen, oder wir müsten alle aller [!]
Secten irrige Lehren zu dem atheismo rechnen, da wir gleichwol allezeit einen grossen
Unterscheid unter der heterodoxia und atheismo machen: auch deswegen zu dieser letzten
Beschuldigung nichts anders als aus der dringenden Noth billig schreiten.«
271
Ebd., S. 1099: »So wissen E. Hoch-Ehrw. ohne mein Erinnern wol, daß die stu-
dirende nicht allzeit das judicium haben, nachmal zu discerniren, wie weit die imputatio
geschehen, und ist nicht nur zu sorgen, sondern fast gewiß, wo nicht grosse praecaution
geschiehet, daß Leute, welche nichts weniger als Atheisten sind, und einen Greuel gegen
solche Gottlosigkeit haben, von den auditoribus werden für Atheisten gehalten werden,
von welchen sie etwas hören oder lesen, so eines solchen indirecti atheismi beschuldiget
wird.«
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230 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Ja wo wir Anlaß geben solten, daß der Nahme des atheismi so vielen und fast jeglichen
Irrmeynungen gegeben würde, da manche sich nicht überzeuget finden werden, daß
die imputation gegründet, so sorge ich, es möchte der horror und Grausen, den man
ietzt und billig hat, wo man nur von Atheisten höret, mehr verringert, und dero Sache
ehe, ohne daß mans intendiret, befördert werden.272

Dieses bemerkenswerte Plädoyer für einen besonnenen Begriffsgebrauch,


das neben einem differenzierten Verständnis des Atheismus auch Speners
Einsicht in die Dynamik öffentlicher Kommunikation veranschaulicht,
kann dennoch nicht den Umstand verdecken, dass er die Kategorie des
praktischen Atheismus vergleichsweise weit fasst und schonungslos ver-
wendet. Das zeigt sich ein weiteres Mal, wenn er, ebenfalls im Schreiben
an Pfeiffer, auf die Lebensführung vieler Pfarrer zu sprechen kommt und
sie erneut unter die maßgeblichen Ursachen für die Verbreitung atheisti-
scher Ansichten rechnet.273 Zwar spricht er dabei, eingedenk seiner eigenen
Mahnung, nicht mehr von Atheismus oder Epikureismus; die Ähnlich-
keit der Formulierungen zeigt jedoch eindeutig, dass sich an seiner Ein-
schätzung hinsichtlich der kirchlichen Missstände nichts geändert hat. Im
Mittelpunkt steht wieder der Kontrast von Lehre und Lebenspraxis. Dem
geforderten vorbildhaften Verhalten (»exemplarisch«, heißt es in Speners
Brief) steht eine ostentative, nur mehr »pro forma« ausgeübte Frömmigkeit
entgegen, die sich in bloßen Worten erschöpfe. In dieser Vorstellung des
Predigers, der die Gebote übertritt, die er selbst von der Kanzel predigt,
wird zum wiederholten Mal die definitorische Voraussetzung des prakti-
schen Atheismus erfüllt. Zugleich liefert Spener, unter Berufung auf atheis-
tische Äußerungen, eine überzeugende Erklärung für einsetzende Zweifel
bei Gliedern der eigenen Gemeinde. Kurzum, es sind einmal mehr zentrale
Aspekte der pietistischen Kirchenkritik, die hier in einen direkten Zusam-
menhang mit dem Atheismus gebracht werden. Unschwer erkennbar ist
die von Colbe her bekannte Denkfigur von den Stützen des Atheismus in
der Kirche selbst:

Sobald nun dieses anfanget in ein Gemüth zu kommen, so ist des Zweifels kein Ende,
und wo nicht GOttes Gnade steuret, dem atheismo schwer zu helffen, sondern bey
denen ohne das nicht viel gutes gewesen, fallen endlich gantz grob darein, andere
gute Seelen aber, so den Gedancken widerstehen, haben doch immerfort dagegen zu
kämpffen, und bleibet oft eine Anfechtung auf ihr Lebelang, sonderlich sind solche

272
Ebd., S. 1099 f.
273
Er nimmt dabei (s. auch das nächste Zitat im Haupttext) Bezug auf Pfeiffers An-
kündigungsprogramm für das geplante Collegium, abgedruckt in: Thomasius, Juristische
Händel, S. 70–80. Dem Programm ist eine Anti-atheismi delineatio beigefügt (ebd., S. 80–
91), die einen Überblick der zu behandelten Themen liefert. Dort wird unter der dritten
quaestio des ersten Titels die Frage nach den Ursachen aufgeführt: »Qv. III. Quaenam
verae sint Atheismi hodie ingravescentis causae?« – Hier zit. nach ebd., S. 81.
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Philipp Jakob Spener 231

Prediger selbst alsdenn gantz untüchtig ihnen zu helffen, sondern steiffen sie viel-
mehr, wenn sie helfen wollen.274

4.4 Verderbnis, Anfechtung, Gnade


Die anthropologische Dimension des Unglaubens

Erhebliche Beachtung verdient das Einfühlungsvermögen, mit dem Spener


hier, unter Verzicht auf Polemik und Verdammungsurteile, der Entstehung
des Unglaubens im Individuum nachgeht. Es kontrastiert auffallend mit sei-
ner scharfen Verurteilung des ›Epikureismus‹ und der ›heuchelbuß‹ bei ver-
meintlichen Gläubigen. Kategorien wie ›Gemüth‹, ›Zweifel‹ und ›Anfech-
tung‹ signalisieren, dass er die Kriminalisierung des Unglaubens zurückstellt
zugunsten einer Betrachtungsweise, die den Abfall vom Glauben als stets
präsente Gefährdung für den gefallenen Menschen zu begreifen und pasto-
raltheologisch zu kalkulieren gelernt hat.275 Die Frage nach dem Atheismus
und seinen Ursachen verschiebt sich so in eine psychologisch-anthropologi-
sche Dimension. Nicht das Papsttum, nicht die Glaubensspaltung, nicht die
›neuheidnische‹ Renaissance, nicht die Politici,276 nicht der lange Krieg – um
nur die gängigsten Erklärungsmodelle aufzuzählen277 – haben den Atheismus
hervorgebracht. Die »wurtzel des unglaubens«, so hält Spener 1675 in einem
Brief an einen Amtsbruder fest, liege vielmehr in der Natur des Menschen
selbst und sei ihm folglich »angebohren«. Sie bleibe Teil seiner »natürlichen
verderbnüß«.278 Nur der Gnade Gottes sei es zu danken, dass aus dem in

274
Spener, Von der Nothwendigkeit (Anm. 263), S. 1100.
275
Ebd., S. 1098, wo Spener darauf hinweist, dass »wir alle von Natur bereits den
Saamen des Atheismi in unserer Verderbniß bey uns tragen«.
276
Ebd., S. 1101: »Damit abermal andern nicht Ursach zu sagen gegeben würde,
wir wüsten wol der Politicorum Fehler, wann sie das Ministerium verächtlich machen, des
atheismi promoti zu beschuldigen, aber vergessen dabey, wenn auf andere noch gefährli-
chere Art von unsern Amts-Genossen der atheismus befördert würde. Wie ich mich dann
versichert hätte, daß solches ungöttliche Leben vieler mit Unrecht den Nahmen der Geist-
lichen führenden zu dem atheismo mehr thue, als viele der, ob wol mit Recht, verworfenen
Meynungen, weil jenes Aergerniß allgemeiner ist.«
277
Zur Reflexion über die geschichtlichen und speziell konfessionalistischen Ursa-
chen des Atheismus in der Apologetik des 17. Jahrhunderts vgl. die bestens belegte Zu-
sammenstellung von Argumenten bei Barth 1971, S. 96–135.
278
Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 273 (an einen anonymen Amtsbruder):
»Solches nun recht zu verstehen: so müssen wir wissen, daß der unglaube sowol als alle
andre sünden uns angebohren und ein stück unserer natürlichen verderbnüß seye: auch
daß wir deswegen die wurtzel des unglaubens in uns behalten, so lang wir fleisch und
blut an uns tragen und also dieses gantze leben durch.« – Schon im frühen Brief an Spizel
vom 21. September 1666 ist von der »corruptae nostrae naturae pravitas« die Rede (ebd.,
Bd. 1, S. 7). Von den »semina [sc. atheismi] nobis connata« spricht Spener auch 1682 in
der Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 418. – Zu diesem wichtigen Argument, das die
Ursache des Unglaubens in der konstitutiven corruptio der menschlichen Natur sucht, vgl.
den Überblick bei Barth 1971, S. 133 f., mit weiteren Belegen.
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232 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

allen Menschen permanent »kämpffenden unglauben« kein »herrschender


unglaube« werde.279
Weiter kann der Unterschied zwischen Christen und Atheisten kaum ein-
geebnet werden. Zweifellos steht Spener damit näher beim Luther der Rö-
merbriefvorrede als bei der erkenntnisgewissen Apologetik seiner Zeit. Nicht
zufällig zieht er mit der ›Anfechtung‹ (tentatio) eine Kategorie heran, die ge-
rade beim frühen Luther eine wichtige Rolle spielt,280 in der Atheismusdebat-
te vor Spener aber merkwürdig ausgespart bleibt. Gegenüber der ›Sicherheit‹
stellt sie insofern einen Fortschritt dar,281 als sie den in jedem Menschen latent
vorhandenen Unglauben – mit göttlicher Erlaubnis – ins Bewusstsein hebt
und über die so mögliche Einsicht in die eigene Heilsbedürftigkeit das Wirken
der göttlichen Gnade vorbereiten kann.282 Vor allem aber bietet sie, im Ge-
gensatz zum heimlichen Atheismus, einen Ansatzpunkt für seelsorgerisches
Handeln.283 Hier dürften die schon erwähnten Erfahrungen zur Geltung ge-
kommen sein, die Spener, erst in Straßburg und dann während der Frankfurter
Zeit, im direkten Umgang mit Betroffenen gemacht haben will. Nach eigenem
Bekunden fühlte Spener zu diesem Paradefall seelsorgerischer Tätigkeit eine
besondere Berufung.284 Entsprechende Briefe an Betroffene führen vor Augen,
wie er die Kategorie der Anfechtung einsetzte, um dem Befund des Unglau-
bens die Schärfe zu nehmen, ihn vielmehr als Teil des christlichen Glaubens-

279
Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 273: »Wo dann nun der Mensch gläu-
big worden aus des heiligen Geistes gnade und in solchem glauben bleibet, so ist kein
herrschender unglaube bey ihm, aber von dem kämpffenden unglauben wird er sich nicht
freysprechen können […].«
280
Vgl. allgemein den Artikel Anfechtung III: Reformations- und Neuzeit in RE,
Bd. 2, 1978, S. 695–704 (Horst Beintker); Barth 1986; grundlegend: Beintker 1954.
281
Einer Bemerkung von Johannes Wallmann zufolge glaubte Spener an den von Lu-
ther geprägten Dreischritt oratio – meditatio – tentatio als Kennzeichen für einen rechten
Christen. Vgl. Wallmann 1968, S. 215.
282
Ausführlich hat Spener diesen Vorgang, unter Berufung auf eigene Erfahrung,
1675 in einem Brief an Elias Veiel beschrieben: »In nemine enim quae corrupta est ratio
reperitur, quin ἀϑεότητα aeque ac alia peccata & errores in arcano foveat: quamvis saepe illa
tam profundè lateant, ut nec animadverterat ipse homo, nisi eum Deus permittit, subtracto
quae latens malum coercuerat gratiae sensu, eum in graves incidere tentationes.« Briefe aus
der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 6; auch in Consilia theologica latina, Bd. 1, S. 63.
283
Gegenüber dem Freund Veiel äußerte er seine Sorge über die Verbreitung dieses
Kampfes, der seiner Einschätzung nach beinahe mehr als die Hälfte der Gläubigen erfasst
habe: »Tentatorum apud nos (& ubi non?) numerus non est exiguus, & fere meliorem
partem piorum in illa pugna conspicio.« Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 5; auch
in: Consilia theologica latina, Bd. 1, S. 63.
284
So im Schreiben an einen selbst in Anfechtung stehenden elsässischen Amtskol-
legen aus dem Jahr 1674, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 705: »Daher ich auch
nicht in abrede bin, daß ich vor andern meinen amts-verrichtungen sonderlich gern mit
angefochtenen umgehe und in solcher schul mit und an andern lerne.« – Teilweise gleich-
lautend der Bericht an Veiel, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 5.
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Philipp Jakob Spener 233

kampfes zu begreifen und gerade dadurch den Weg für die Rückkehr zum
Glauben zu ebnen.285
Ohne Zweifel hat sich der persönliche Umgang mit Atheisten verschie-
denen Grades ebenso wie seine Sicht auf mögliche innerkirchliche Ursachen
mildernd auf Speners Urteil ausgewirkt. Zwar griff er zu den gängigen polemi-
schen Metaphern (›Pest‹, ›Gift‹, ›Monstrum‹), wenn er in Briefen auf den offen
artikulierten, ›theoretischen‹ Unglauben Bezug nahm;286 zwar urteilte er, wie
gezeigt wurde, mit aller Schärfe über ›Epikureismus‹ und ›Heuchelei‹ innerhalb
der Kirche. Wo er aber dem Atheismus in statu nascendi oder in der Form der
qualvollen Auseinandersetzung begegnete, zeigte er Respekt und echte Anteil-
nahme. Immer wieder wies er in vertrauten Briefen darauf hin, dass sich der
Kampf mit dem Unglauben selbst in »gottseligen hertzen« abspielen könne,287
bei Menschen »von gutem verstand«, bei »leute[n] / die es nie gedacht«.288 Mit
der scharfen Kritik an Theologiestudium und Religionsunterricht konvergier-
te seine Beobachtung, dass dieser Kampf oftmals bei »scharffsinnigen Leuten«
auftrete, denen von früh an verwehrt worden sei, »ihren Glauben und deren
Grund zu untersuchen«.289 Aus der seelsorgerischen Erfahrung ebenso wie aus
zeitgenössischen Berichten, wie dem Second Spira290 oder der seinerzeit aufse-
henerregenden, durch den britischen Theologen Gilbert Burnet aufgezeichne-
ten Lebensbeichte des Grafen von Rochester,291 gewann Spener überdies den

285
Ebd., S. 704 f. (an den angefochtenen Amtsbruder): »Jedoch sind die meisten, mit
denen ich bißher zuthun gehabt habe, vielmehr mit andern und, wie ich erachte, schweh-
rern arten der anfechtung heimgesuchet gewesen, doch habe auch vor etzlichen jahren ei-
nige conferenzen gehabt mit einem seiner sünden und angst des gewissens wegen schwehr
angefochtenen.«
286
So etwa an Spizel, 21. September 1666, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 6
(»pestis«); an dens., 30. März 1668, ebd., S. 79 (»monstrum«); an Tobias Wagner, 10. Okto-
ber 1668, ebd., S. 110 (»veneno«).
287
Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 272 (an einen Amtsbruder).
288
Spener, Was zur wahrhafftigen Bekehrung (Anm. 216), S. 52.
289
Spener, Kleine Geistliche Schriften, Teil I, Bd. 1 (Schriften IX.1.1), S. 527. – Die
Stelle ist von erheblichem Interesse, weil Spener hier den unreflektierten Gewohnheits-
glauben als Ursache für den Atheismus hinstellt und deutlich vom »wahren Glauben«
(ebd.) abhebt. Weiter heißt es: »Daß ich wol sagen darf, daß bey der so grossen Zahl der
Atheorum nicht noch ihrer mehrere in solche Gottlosigkeit fallen, ist nur die Ursache, daß
ihrer viele niemal recht nachgedacht haben, warum sie glauben, oder etwa von Verstand
schwächer sind, als daß sie die Festigkeit oder Schwachheit der Gründe desselben zu pe-
netriren vermögen.« – Besonders sah er diese Gefahr im katholischen Glauben, wo »fast
alle Articul nach dem Interesse der Geistlichkeit eingerichtet seyn, auch was manchmal für
Betrug mit Wunderwercken und andern dergleichen vorgehet […]. Daher es kein Wunder
ist, daß der förmlichen Atheisten sonderlich in Italien, Spanien, Franckreich sich so viel
finden, vielmehr ists eine unaussprechliche Gnade, daß ihrer nicht mehr sind, und einiger
kluger Mann sich noch kan für dem Atheismo bey ihnen bewahren.« Kleine Geistliche
Schriften, Teil II, Bd. 1 (Schriften IX.2.1), S. 536.
290
Zu Spira als apologetischem Exempel siehe weiter unten, Kap. III.3.2.
291
In einem Brief vom Februar 1696 bedankte sich Spener für die Übersendung
des deutschen Spira, offenbar durch den Übersetzer, und empfahl im gleichen Zug den
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234 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

Eindruck, dass nicht wenige Atheisten ihr Leben in schwerer seelischer Not
zubrachten und somit mehr Mitleid als Abscheu verdienten.292 Ausdrücklich
widerrief er daher auch, anlässlich einer besonders eindrücklichen persönli-
chen Bekanntschaft, die von den Reformatoren über Mersenne bis weit ins
18. Jahrhundert hinein gültige Annahme,293 der Atheismus entstehe zuallererst
aus einer Bosheit des Herzens.294 Vor diesem Hintergrund ist es wohl auch zu
verstehen, dass sich Spener, soweit ich sehe, der seit Jahrhunderten gängigen
Praxis, den Atheisten die Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht abzuspre-
chen, mit zunehmender seelsorgerischer Erfahrung nicht mehr angeschlossen
hat.295
Bis hierher lässt sich Speners Sicht auf den Atheismus – zumindest im Fall
betroffener Gemeindemitglieder – nur als außergewöhnlich verständnisvoll,
als psychologisch, sünden- und pastoraltheologisch reflektiert bezeichnen.
Eine solche Hinwendung zum Atheisten als Opfer, als verirrte und letzthin
bedauernswerte Seele hatte es in zumindest in der öffentlich geführten Atheis-
musdebatte so zuvor nicht gegeben. Sucht man dennoch in seinen Äußerungen

Bericht von Gilbert Burnet über das Leben und Sterben des Count of Rochester, nicht
zuletzt wegen der beigefügten Predigten. Vgl. Consilia theologica latina, Teil 3 (Schriften
XVI), S. 765. – Zu Burnets Rochesterbiografie im apologetischen Kontext vgl. Barth 1971,
S. 56 f.; Berman 1988, S. 52–56; Sheppard 2015, S. 34 f.
292
Sein Mitleid gegenüber Menschen, die aus den beschriebenen Gründen in den
Atheismus verfallen seien, bekundet Spener 1677 gegenüber Tobias Wagner, Briefe aus der
Frankfurter Zeit, Bd. 3, S. 521: »Miseret me sane miserorum illorum, ex quibus memini
unum aliquando mihi dixisse optare se, ut fallaci ista persuasione de Deo, qua nos reliqui
teneremur, animum suum imbuere posset […].« Die Stelle auch in Spener, De Atheis. Spes
meliorum temporum (Anm. 214), S. 19.
293
Um nur ein Beispiel vom Ende des 18. Jahrhunderts zu nennen: Karl Joseph
Bouginé, Handbuch der allgemeinen Litterargeschichte nach Heumanns Grundriss, Bd. 5,
Zürich 1792, S. 294: »Joh. Toland bestreitet die Religion aus Bosheit des Herzens. Die
gründliche Widerlegungen machen seine sonst gefährliche Schriften unschädlich.« Mehr
Beispiel im weiteren Verlauf der Darstellung.
294
Spener, Was zur wahrhafftigen Bekehrung (Anm. 216), S. 53: »Aus welchem ex-
empel auch erhellen kan / wie gemüther / die auch nicht böse sind / bey allem buchstäb-
lichen wissen in die gefahr des Atheismi gerathen können / wo sie nicht sonderlich von
GOtt davor bewahret / oder wieder heraus gerissen werden.«
295
Nur in einer seiner frühesten Äußerungen zum Thema hat sich Spener dieser
Meinung angenähert, wenn er, im ersten erhaltenen Brief an Theophil Spizel, mit Pau-
lus (Röm 1,19 ff.) die Unaustilgbarkeit der natürlichen Gotteserkenntnis postuliert und
den Atheisten folglich – im Sinne des oben (Kap. I.4) entwickelten Topos von der stultitia
Atheismi – den Geisteszustand der ›insania‹ zuschreibt. Hier sind allerdings die Religi-
onsspötter gemeint, die ihre Ansichten über Gott und Religion öffentlich machen, statt
gemeinsam mit dem Seelsorger ihren Ursachen auf den Grund zu gehen: »Nullibi […]
extrema eorum, qui in reprobum sensum divino iudicio dati sunt, Rom. 1, 18. 21. 22. 28,
insania evidentius patescit quam in hisce hominibus, si tamen hoc nomine adhuc digni
sunt, qui, quod primarium nostrae naturae ἀξίωμα est, Divinitatis notionem et ϰοινωνίαν
cum illa nostram, acerbis sarcasmis irrident.« (An Spizel, 21. September 1666, Briefe aus
der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 7)
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Philipp Jakob Spener 235

zum Thema nach traditionellen Positionen, wie etwa der Verhältnisbestim-


mung von Atheismus und Moral, so geht man ebenfalls nicht ganz leer aus.
Auf der Suche nach Ursachen des Unglaubens hat Spener neben der skizzier-
ten Kritik an Missständen in Pfarrstand und Gemeindeleben einen zweiten Er-
klärungsansatz entwickelt. Er steht deutlich in der Tradition, die weiter oben,
beginnend mit den reformatorischen Psalterkommentaren, am Leitfaden der
Formel ›stultitia Atheismi‹ erarbeitet wurde ( I.1; I.4). Demzufolge entsteht
der Unglaube durch Eintrübung des Gewissens und der dort verankerten na-
türlichen Gotteserkenntnis infolge sündhaften Verhaltens und der dadurch
verursachten Ängste vor dem göttlichen Strafgericht.
Spener reserviert diese Deutung nun für Personen, die sich – anders als die
zuvor geschilderten Opfer eines schlechten Katechismusunterrichts – bereits
im Besitz der ›lebendigen‹ Erkenntnis der christlichen Lehre befinden, in der
Weise nämlich, dass ihnen das göttliche Wort »nicht allein in die gedancken
käme / sondern in das hertz getruckt würde«.296 So wie dieser ›lebendige‹
Glaube für Spener – gut lutherisch – nur durch die göttliche Gnade gewirkt
werden kann, so könne er jedoch auch durch ein göttliches »straff-gericht«
wieder entzogen werden, wenn die Pflichten, die sich aus dieser Erkenntnis
ergeben, durch sündhaftes Verhalten verletzt würden.297 Für die Haltung, die
ein solches Strafgericht nach sich ziehe, bringt Spener die theologische Ka-
tegorie der Undankbarkeit (»ingratitudo«) in Anschlag,298 die schon Luther
als besonders schweres Vergehen eingestuft hatte.299 Das göttliche »straff-
gericht«, so Speners etwas gewundene Erklärung, bestehe darin, dass Gott
im Gewissen des Sünders mit der lebendigen auch gleich die buchstäbliche
Erkenntnis vorübergehend zum Schweigen bringe, sodass dieser »desto un-
gescheuter« jede Art von »boßheit« begehe und seinen Weg in die Hölle voll-
ends besiegele.300 »Welches«, fügt Spener hinzu, »gewiß ein schreckliches ge-
richt ist.«301 Mit dieser an und für sich traditionellen Konstruktion ist nicht nur

296
Spener, Was zur wahrhafftigen Bekehrung (Anm. 216), S. 53.
297
Ebd.: »So vielmehr wo sie mit allerley sünden wider ihr gewissen / demjenigen
schnurstracks entgegen leben / was sie noch in solchem zustand göttlichen willen zu seyn
erachtet.«
298
Ebd., S. 55. – Den kausalen Zusammenhang von ›ingratitudo‹ und Gottesgericht,
mit der Folge des Verlusts selbst der ›buchstäblichen‹ (»literalem«) Erkenntnis Gottes, ent-
wickelt Spener auch in der Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 416.
299
In der Römerbriefvorlesung (1515/16) bezeichnet Luther bei der Kommentie-
rung von Röm 1,21 ff. – also im Hinblick auf die Gotteserkenntnis der Heiden – die ›in-
gratitudo‹ als »ersten Grad der Verderbnis« – biblisches Vorbild ist hier Lucifer; s. Luther,
Werke (WA), Bd. 56, S. 178. – Den direkten Zusammenhang zwischen Undankbarkeit
und Unglauben stellt eine Bemerkung aus den Tischreden her (Nr. 6364): »Pfui dich, dir
schändlicher Unglaube! wie stellest du dich so schändlich undankbar gegen den freundli-
chen gnädigen Willen deines Gotes, der du doch sonst an allen Creaturen kleben willst?«
Luther, Werke (WA), Tischreden, Bd. 5, S. 623.
300
Spener, Was zur wahrhafftigen Bekehrung (Anm. 216), S. 53.
301
Ebd.
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236 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

die für Speners Glaubensverständnis wichtige Frage beantwortet, inwiefern


selbst die »lebendige erkäntnüß« des göttlichen Worts noch Wege zum Un-
glauben offenlasse.302 Vielmehr ist so zugleich ein Erklärungsmodell für die
Koinzidenz atheistischer Ansichten mit einem unsittlichen Verhalten geschaf-
fen, die Spener vor allem bei hohen Standespersonen zu beobachten glaubte.
Denn während sich die meisten Atheisten zur äußeren Anpassung bequemen
würden – in Speners Augen immer noch eine »schändliche heucheley«303 und
moralisch wertlos304 – bringe der Unglaube nur da »böse früchte« hervor, wo
der »zaum« weltlicher Gerichtsbarkeit nicht hinreiche. 305 Hier bewegt sich das
Profil des Gottesleugners schon deutlich auf den Stereotyp des Freigeists oder
›Religionsspötters‹ zu, der sich seiner heterodoxen Ansichten und konventi-
onswidrigen Handlungen öffentlich rühmt und sie, weil er einem ängstlichen
Aberglauben entronnen zu sein glaubt, als Beleg seiner Seelen- oder Geistes-
stärke hinstellt:306

Daher solcher leute viele sind / die in öffentlichen lastern / völlerey / hurerey / ehe-
bruch / mord / raub / ungerechtigkeit / und dergleichen sich ungescheuet weltzen /
wo sie nemlich eine solche stelle in der welt bekleiden / in dero sie sich vor der ob-
rigkeit und schwerdt nicht zu fürchten / so dann darvon / daß ihre boßheit offenbahr
seye / nichts zu sorgen haben. Ja es steiget wol gar die boßheit in den grad / daß sie
sich ihrer laster rühmen / um auch damit GOttes / der sie verbothen habe / und der
andern einfalt / die sich dessen gebot von erfüllung ihrer lüsten abhalten liessen / zu
spotten.307

302
Ebd., S. 54: »Indessen ists auch eine mügliche sache / und bezeuget der H. Geist /
daß auch diejenige / die zu einem hohen grad der eleuchtung gekommen sind / doch wie-
der abfallen / ihnen selbs [!] den sohn Gottes creutzigen / und fur spott halten.«
303
Ebd., S. 57. – Fast gleichlautend in der Querela de Epicureismo (Anm. 215), S. 416.
304
Spener, Was zur wahrhafftigen Bekehrung (Anm. 216), S. 58: »[…] daher wo ein
solcher mensch nachmahl zur erkäntnüß kommt / er nicht anders kan / als daß er alles
sein leben / ob es auch im übrigen das ehrlichste gewesen wäre / verdammen muß […].«
305
Ebd., S. 57.
306
Auf diese polemische Denkfigur werden wir noch häufiger zurückkommen. Da-
hinter steht – als assoziativer Horizont mehr denn als unmittelbare Quelle – der franzö-
sische Begriff des Esprit fort, der im Deutschen dann mit ›Freigeist‹ wiedergegeben wer-
den wird. In diesem Sinne hat sich Spener auch einmal gegenüber Spizel über die »impia
fortitudo« der Esprits forts geäußert. Begriff und Urteil nimmt er aus Spizels Schrift De
atheismi radice (S. 105), die er hier kommentiert: »P. 105. impiae fortitudinis, quam rec-
tissime interpretaris nequitiam atheisticam, nuncupatio exprimit nomen, quo se iactare illi
solebant: Les Esprits forts: tanquam qui pectus ad superstitionem rerum inanium (uti pes-
simi omnia, quae de divinis credimus habent) obfirmassent.« – Mehr zu den begrifflichen
und begriffsgeschichtlichen Zusammenhängen weiter unten, Kap. VI.4.
307
Spener, Was zur wahrhafftigen Bekehrung, S. 58. – Abermals sehr ähnlich poin-
tiert in der Querela de Epicureismo, S. 416: »[…] multi enim eo impudentiae veniunt, ut
hoc etiam honori ducant, quod impietatem profitentur, ineo aliquam animi fortitudinem,
quae superstitione vulgi se vinci neutiquam patiatur, sibi arrogantes.«
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Philipp Jakob Spener 237

Verweist schon der Ausdruck »zaum« (lat. frenum) auf die staatstheoretische
Behandlung des Unglaubens, mit der Spener – Absolvent der berühmten
Straßburger politologischen Schule308 und überdies ein begeisterter Groti-
usleser309 – bestens vertraut gewesen sein muss, so deckt sich die Aufzäh-
lung von Untaten, die er dem außerhalb des Rechts stehenden Gottesleugner
zuschreibt, auffallend mit den entsprechenden Katalogen bei den großen
Staatsdenkern von Bodin bis Pufendorf ( I.3). Sie werden in kaum abge-
wandelter Form bei Christian Wolff, Albrecht von Haller und anderen wie-
derkehren. Sensationell ist bei Spener dagegen die Kehrseite dieses traditio-
nellen Arguments, die durch den polemischen Begriff der Heuchelei beinahe
verdeckt wird. Auch wenn er die moralisch-ethische Insuffizienz deutlich
betont, räumt Spener nämlich ein, dass ein Gottloser, aus Angst vor »schaden
oder schimpff«,310 ein nach außen hin ehrsames Leben führen könne. Das
hat öffentlich in dieser Zuspitzung bekanntlich (etwa zeitgleich) Pierre Bayle
behauptet ( IV.2) und damit eine jahrzehntelange Welle von Polemik und
Widerlegungsversuchen ausgelöst. Und auch Bayle erwartete, wie ungleich
weniger bekannt ist, moralisch-praktische Wirkungen nur von der ›wahren‹
Religion, nicht aber von einer bloß äußerlich und daher ohne göttliche Gna-
denwirkung betriebenen Gewohnheitsfrömmigkeit. Diese bemerkenswerte
Parallele ist bisher, soweit ich sehe, nicht bemerkt worden und wird noch
ausführlicher zu erörtern sein.311 Es darf jedoch ohne Weiteres angenommen
werden, dass Spener hier weitergehende Schlussfolgerungen hinsichtlich ei-
nes atheistischen Gemeinwesens fernlagen.

4.5 »De ipsorum conversione vix spero«


Glaube, Vernunft und die Grenzen der Apologetik

Aus der anthropologischen und pastoraltheologischen Sicht, nicht zuletzt aus


der Diskussion mit »scharfsinnigen« Betroffenen, entwickelte sich bei Spener
schon früh eine Revision bisheriger apologetischer Bemühungen. Zwar war er
in seiner Magisterdisputation noch mit Mitteln der natürlichen Theologie ge-
gen Hobbes angetreten,312 zwar schickte er noch 1669 Leibniz’ Confessio natu-
rae mit wärmsten Empfehlungen an den Freund Spizel; im selben Jahr hielt er
sogar, anlässlich der Aufregung um den schwedischen Baron Skytta (s. o.), eine
Predigt über 2 Petr 3,3 gegen die Religionsspötter.313 Die Aussichten auf Bekeh-

308
Vgl. Wallmann 21986, S. 67 f.
309
Vgl. ebd., S. 81–83.
310
Spener, Was zur wahrhafftigen Bekehrung, S. 58.
311
Dazu ausführlich weiter unten, Kap. IV.2.2.
312
Vgl. Wallmann 21986, S. 75–81; nicht zufällig hatte Spener dabei von Röm 1,19 ff.
auszugehen (vgl. Schmidt 1972, S. 45).
313
Vgl. Speners kurzen Bericht an einen Freund (1669/1670) in: Briefe aus der
Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 155 f., sowie den Kommentar der Herausgeber (ebd., Anm. 10).
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238 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

rung überzeugter Atheisten schätzte er jedoch schon im ersten Schreiben an


Spizel von 1666 als außerordentlich gering ein.314 Wie vor ihm schon Mersenne
und bald darauf Richard Bentley versprach sich Spener wenig von den bibli-
schen Beweisen durch Wunder, Vorzeichen und Prophezeiungen gegenüber
einem Opponenten, der die Wahrheit der Bibel selbst infrage stellte.315 Dies galt
für ihn um so mehr, als viele der ehedem als Wunder und Zeichen angesehenen
Ereignisse – Kometen etwa – inzwischen mit natürlichen Mitteln erklärbar
waren.316 Gegenüber philosophischen Mitteln, die Wahrheit der Religion zu
behaupten, nahm er jedoch eine ambivalente Haltung ein, offenbar abhän-
gig vom jeweiligen Gegenüber.317 Es überwiegt, einmal mehr aufgrund seines
persönlichen Umgangs mit Zweiflern, die resignative Einsicht, dass die Be-
weisverfahren der aristotelischen Schulphilosophie,318 wenn nicht gar jeglicher
philosophischen Metaphysik,319 gegenüber dem »Starrsinn« (»obstinationem«)

Der Katalog spenerscher Predigten vermerkt als Hauptlehre der ungedruckten Predigt
(zit. nach ebd.): »Die höchste und nützlichste Sorge, was man in jenem Leben werde zu
erwarten haben? Wider die Spötter und Atheisten.«
314
An Spizel, 21. September 1668, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 8: »De
ipsorum conversione vix spero: certe inter primae notae miracula numero, si quis ipsorum
ad saniorem redeat mentem.«
315
An Spizel, 6. Oktober 1668, ebd., S. 100: »Sed argumentum [sc. ex miraculis] non
apud alios locum invenit, quam quibus authentia et veritas sacri codicis iam creditur.«
316
An Spizel, 21. September 1668, ebd., S. 8. – Ausführlicher im Brief an Spizel vom
6. Oktober 1668, der teilweise auch unter dem bezeichnenden Titel Ostenta, prodigia,
omina, miracula & similia non sunt adminicula firma convincendi Atheum in die Consilia
theologica latina (Bd. 1, S. 11 f.) aufgenommen wurde. Vollständig in: Briefe aus der Frank-
furter Zeit, Bd. 1, S. 97–104, insbes. S. 100–103, dort auch zu den Meteoren und Kometen
(S. 102). – Spener war schon vom Elternhaus her mit den Naturwissenschaften vertraut
und wandte sich während seines Studiums der Physica zu, die in Straßburg bereits unter
deutlicher Distanzierung von Aristoteles gelehrt wurde. Vgl. Wallmann 21986, S. 65 f.
317
Eine positive Einschätzung enthält die nicht datierte Betrachtung Ad Atheum
convincendum nonnihil Philosophiae & rationis adminiculo, magis Christianae Religionis
sapientia, quatenus consistit in Praxi, facit, die bisher noch nicht im Rahmen der Brie-
fedition erschienen ist. Die dort enthaltene Aussage über die zumindest eingeschränkte
apologetische Wirksamkeit der aristotelischen Philosophie (»nonnihil apud illos homines
perficere«) steht allerdings in so deutlichem Kontrast zu späteren Aussagen, dass entwe-
der von einem Sinneswandel aufgrund gehabter Erfahrung oder womöglich von einem
Druckfehler ausgegangen werden muss; Consilia theologica latina, Bd. 1, S. 17. – Schon
hier weist Spener jedoch anschließend darauf hin, dass von dem Vorbild der christlichen
Lebenspraxis weit mehr Überzeugungskraft ausgehe (ebd., S. 18).
318
Etwa im frühen Brief an Spizel (21. September 1666), Briefe aus der Frankfurter
Zeit, Bd. 1, S. 7. – Zu Speners insgesamt ablehnender Haltung gegenüber der aristoteli-
schen Philosophie vgl. Wallmann 21986, S. 63 f.
319
So im gleichen Brief an Spizel (S. 7): »Omnia Metahysicorum generalissima prin-
cipia illis αἰτήματα sunt, quae vero illis absurda visa, ut processus in infinitum et, quae
similia sunt, ab his saltem non magis quam illa creduntur esse incerta.«
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Philipp Jakob Spener 239

der Gottesleugner wirkungslos blieben müssten.320 Die Frage, ob mit der car-
tesianischen Philosophie erfolgreicher zu verfahren sei, hat Spener, mit der
Begründung zu geringer Kenntnis der Materie, wiederholt zurückgestellt.321
In einem Brief an den Freund Spizel aus der Mitte der 1670er-Jahre mündet
diese Evaluierung philosophischer Beweismittel322 in eine spektakuläre Kritik
des noch weithin herrschenden Aristotelismus, die (darauf deutet der von Spe-
ner verwendete Begriff ›praeoccupatio‹) schon Vorgriffe auf die frühaufklä-
rerische Vorurteilslehre unternimmt.323 Spener kritisiert hier nicht so sehr die
aristotelische Philosophie selbst als vielmehr ihre unreflektierte Vermittlung
an Schulen und Universitäten, die dazu führe, dass Gewohnheit und Autori-
tät – in der Form des Auswendiglernens, wie Spener sie im Studium kennenge-
lernt hatte324 – an die Stelle von intellektueller Durchdringung getreten seien.325
Die Grenze ihrer Beweiskraft zeige sich dann erst in der Auseinandersetzung
mit scharfsinnigen Gegnern (»acumine ingenii«) von einer anderen philoso-
phischen Schule.326 Welche Folgen sich daraus für die apologetische Überzeu-
gungsarbeit ergeben, hat Spener an anderer Stelle am Beispiel des physikotheo-
logischen Gottesbeweises anschaulich vor Augen geführt:

Denn was die aus der Natur genommene Argumenta anlangt, ob ich wol dero Ge-
brauch nicht verwerffe, weiß ich gleichwol aus eigner Erfahrung, als der ich nicht
nur einmal in einem ernstlichen Kampf mit dergleichen Personen deswegen gewe-

320
Dieser Starrsinn, so Spener, seit mit keinem herkömmlichen philosophischen Be-
weis (»nullis Philosophicis saltem mihi hactenus cognitis argumentis«) zu überwinden.
Spener, De Atheis. Spes meliorum temporum, S. 18 f.; wieder in: Briefe aus der Frankfurter
Zeit, Bd. 3, S. 520 f. (an Tobias Wagner, 1677).
321
An Spizel, 21. September 1666, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 10: »De
Cartesiana philosophia nihil dicere possum, qui eius ignarus sum, saltem non penitus eam
novi.« – Auch in Ad Atheum convincendum nonnihil Philosophiae (Anm. 317), S. 17: »An
Cartesiana Philosophia (cujus penitus exsors sum) plus proficiat, equidem ignoro.«
322
Spener, De Atheis convertendis, S. 13; hier nach der (leicht abweichenden) Editi-
on der Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 467 f. (an Spizel, 31. August/5. September
1676): »Commendas inter alia p. 185. philosophica studia et ex his principiis convictionem.
Non omnino abnuo apud aliquos id cum fructu futurum. Plurimum tamen illi methodo
vel omnia tribuere ego nolim, experimento edoctus proprio, quam infirma apud contradi-
centes argumenta, quae etiam firmissima credimus, videantur.«
323
Ebd., S. 468 (»praeoccupatione«). – Zum Aristotelismus im protestantischen
Schul- und Universitätsbetrieb vgl., neben dem noch immer unentbehrlichen Standard-
werk von Petersen 1921, die zusammenfassende Darstellung im Neuen Ueberweg 17/4,
2001, S. 475–497 (Walter Sparn), bes. S. 476, 493 f. u. 497; zum politischen Aristotelismus
des 17. Jahrhunderts vgl. vorzüglich ebd., S. 639–672 (Horst Dreitzel); punktuelle Ergän-
zungen bei Moritz 2007 und Frank 2007.
324
Vgl. Wallmann 21986, S. 60–64.
325
Spener, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 468: »Philosophiae Aristotelicae
a prima iuventute innutrimur: principia illius prima discimus et, cum eorum etiam aliquae
rationes soleant addi, non observamus, quod Aristotelis tantum causa illis fidem adhibe-
amus […].«
326
Ebd.
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240 Anfänge der deutschen Atheismusdebatte

sen, wie genau solche zusammen gehen, und es gar eine andere Sache ist, wo mans
in einer Disputatione Academica mit einem Adversario, der exercitii causa opponiret,
und endlich weichen muß, zu thun hat, oder seinen feinen eignen Speculationibus
nachhänget, da man oft hertzliches Vergnügen an den Argumentis findet, als da mans
mit einem scharffsinnigen Atheo zu thun kriegt, der nicht ein einziges der sonsten vor
unzweifentlich geachteten Principiorum annehmen, viel weniger uns das geringste zu
Gefallen zugeben will.327

Speners eigener Ansatz im Umgang mit der Atheismusproblematik insgesamt


fällt, wenig überraschend, weitgehend mit seinem kirchlichen Reformpro-
gramm zusammen. Wenn die Hauptursache für den Atheismus, vom vorüber-
gehenden Zweifler bis zum öffentlichen Gottesleugner, im geistlichen Stand zu
suchen ist, kann die angemessene Kur nur in einer Rückkehr der Kirche selbst
zur wahren Frömmigkeit bestehen. Für den Umgang mit bereits überzeugten
Atheisten setzte Spener daher mit zunehmender Erfahrung weniger auf Argu-
mente und Beweise als auf die positive Vorbildwirkung des lebendigen Glau-
bens, der sich für ihn zuallererst in der Praxis einer christlichen Lebensführung
manifestierte: »Certe ego non aliam credo viam, quam ut missis Theoreticis,
ante omnia Atheis Religionis Christianae, quatenus illa in praxi consistit, sa-
pientiam persuadeamus […].«328 Die Verabreichung erbaulicher Schriften aus
dem Geist echter Herzensfrömmigkeit könne dabei als legitimes zusätzliches
Stimulans dienen. Immer wieder berichtete Spener die Anekdote, wie ein mit
ihm bekannter Atheist durch die Lektüre der Schriften des auch von Luther
verehrten Mystikers Tauler zum christlichen Glauben zurückgefunden habe.329
Gemeint war der Frankfurter Jurist Johann Jakob Schütz, dessen Entwicklung
vom diskreten Gottesleugner zu einem der Vorkämpfer des pietistischen Kon-
ventikelwesens allerdings als bemerkenswert bezeichnet werden darf.330
Deutlicher noch als bei Colbe und Clasen, inhaltlich am nächsten bei Er-
bauungsschriftstellern wie Scriver oder Großgebauer, zeigt sich also bei Spe-
ner ein Verständnis des Atheismus, das die traditionelle Abgrenzungs- und
Exklusionslogik der Theologia polemica unterläuft. Der Atheismus wird – vor
dem Hintergrund der offenen frühneuzeitlichen Begriffsverwendung – nicht
als äußere Bedrohung der Kirche durch die intellektuellen Herausforderungen
einer betont intramundanen Philosophie oder Naturwissenschaft verstanden,
welcher nur durch demonstrativen Schulterschluss und aggressive Behauptung
des dogmatischen wie materiellen Bestands begegnet werden könne. Vielmehr

327
Spener, Kleine Geistliche Schriften, Teil 1, Bd 1 (Schriften IX.1.1), S. 527 f.
328
Spener, Ad Atheum convincendum nonnihil Philosophiae, S. 18.
329
Ebd., S. 17 f.: »Si scire velis, qua ratione aliquis ex Tauleri sola lectione tandem
conversus sit, qui multo tempore de divinis nihil credebat, communicare possum rem mihi
plane compertam.« – Die gleiche Anekdote etwas ausführlicher im Brief an Spizel vom 31.
August./5. September 1676, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 2, S. 468 f.
330
Zu Schütz vgl. ausführlich Wallmann 21986, S. 299–317, bes. S. 301–304 über seine
Rückkehr zum christlichen Glauben, die Wallmann wohl nicht unzutreffend als »Erwe-
ckung« bezeichnet (S. 303).
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Philipp Jakob Spener 241

wird er zur Chiffre für eine spirituelle Krise, die, als Abkehr vom Prinzip des
›amor Christi‹331 und der ›sanctificatio vitae‹,332 Gesellschaft und Individuum
gleichermaßen erfasst. Der wahre Gegensatz, darauf deutet hier die intensive
Beanspruchung der paulinisch-augustinischen (und eben auch genuin luthe-
rischen) Sündentheologie, liegt also nicht zwischen Atheismus einerseits und
Kirche andererseits, sondern in der traditionell christlichen Unterscheidung
zwischen Gottesreich und gefallener Welt, die durch die Kirche hindurch bis
zum einzelnen Menschen reicht. In dieser Optik kommt den ›theoretischen‹
Atheisten keine Sonderstellung mehr zu, sie bilden nur den äußersten Rand
des so abgesteckten Spektrums. Umgekehrt kann auch der bekennende Christ
per se keine Ausnahmestellung beanspruchen. Denn der Bund mit Gott ist
für Spener, wie für Undereyck und später Seckendorff, nicht schon durch die
bloße äußere Zugehörigkeit zur Amtskirche besiegelt.333

331
So an Wagner, 19. Oktober 1668, Briefe aus der Frankfurter Zeit, Bd. 1, S. 110:
»Ita amplius fit, ut amore Christi pectora neutiquam ardeant, quem tamen a fide, quando
ea vera est, separare nequimus.«
332
Zur Dogmengeschichte vgl. den Artikel Heiligung III. Dogmatisch in RGG3,
Bd. 3, S. 180 f. (Wilfried Joest); TRE 14, 1986, S. 718–737 ( John Riches), bes. S. 725–727.
333
An dieser Stelle kommt die für den Pietismus (zuvor schon für Puritanismus und
nadere Reformatie) so bedeutende Wiedergeburtslehre ins Spiel, die hier nicht weiter erör-
tert werden kann. Vgl. dazu Schmidt 1951 u. Wallmann 1979. – Der Gedanke des Bundes
wird unter anderem in Theodor Undereycks Schrift Der närrische Atheist (1689) stark
ausgebaut. Mehr dazu oben, Kap. II.3.3 (zu Undereyck).
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III. ATHEISTEN, EPIKURER UND POLITICI


ZUR LITERATURGESCHICHTE
DES UNGLAUBENS IM 17. JAHRHUNDERT

1. »In Atheos«
Der Atheismus in Kasuallyrik und Epigrammatik um 1600

1.1 König David und Horaz


Facetten antiatheistischer Poesie im 16. und 17. Jahrhundert

Schon früh wurden in den Kampf gegen den neuen Gegner auch poetische
Mittel einbezogen.1 Das geschah zunächst vornehmlich in Gestalt von Wid-
mungsgedichten, die als Beigaben zu antiatheistischen Pamphleten und Trak-
taten erschienen.2 So enthält bereits Bourguevilles Athéomachie (1564) als Bei-
gabe mehrere Gedichte, darunter ein Sonett mit dem Titel Contre les Athées,3
auch in Assonvilles Atheomastix ( I.2.3) sind zwei Gedichte abgedruckt,
die zugleich Epitaphien auf den jung verstorbenen Autor darstellen.4 Mehre-
re Widmungspoeme enthält 1620 auch die Disputation Scultetus atheus von
Osiander ( I.2.4). Durch die okkasionelle Zweckbindung sind Thematik und
Topik in gewissem Umfang schon vorgegeben. Tatsächlich wird vor 1650 der
Atheismus (oder der Atheist) kaum je zum Sujet dieser Gedichte, auch der

1
Keiner Erwähnung bedarf der in der späthumanistischen Gelehrtenrepublik selbst-
verständliche Einsatz von klassischen Sentenzen, Versen oder Gedichten antiker Autoren,
besonders auffällig etwa in Martin Fotherbys Atheomastix (London 1622). Dort werden,
im Verlauf der Vorrede eines gewissen Martin Sarum, Verse von Tibull, Lukrez, Ovid,
Horaz zitiert; Fotherby selbst zitiert unter anderem Verse von Silius Italicus (S. 2), Ver-
gil (S. 3), Juvenal (S. 17 u. 24) und Plautus (S. 27), aber auch von Prosper Aquitanicus
(S. 11, 18 f.) oder Claudius Victor (pass.). – Auch die frühe enzyklopädische Erfassung des
Atheismus als Teilbereich des älteren Konzepts der impietas stützt sich noch stark auf
klassische Sentenzen, die zugleich als Illustration wie als ›historischer‹ Beleg für das Vor-
kommen einer derartigen Haltung. Vgl. etwa Theodor Zwinger, Theatrum humanae vitae
(Basel 41604), S. 3188 f.; Alsted, Encyclopaedia, Herborn 1630 (ND 1990), Bd. 3, S. 1265.
2
Vgl. die Hinweise bei Barth 1971, S. 33–35. – Zum Kasualgedicht der frühen Neu-
zeit vgl. nach wie vor Segebrecht 1977; vgl. auch den Überblick in RLL3, Bd. 1, 1997,
S. 688–691 (Wulf Segebrecht) sowie die Beiträge in Keller 2010.
3
Bourgueville, Athéomachie, fol. B 2v.
4
Assonville, Atheomastix, S. 10–12. Nur bei einem Gedicht ist der Autor (Pieter de
Groot) angegeben (S. 12).
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244 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Atheismusbegriff selbst kommt vergleichsweise selten vor.5 Stattdessen wird


meist der jeweilige Autor in mythologischer Verbrämung und Amplifikation
als Kämpfer für den Glauben gefeiert, der seine Feder (»calamus«) gegen den
atheistischen Ungeist gespitzt habe.6 So etwa in dem ersten der zwei Gedichte
für Assonville aus dem Atheomastix, das darüber hinaus die im Text entwi-
ckelte Argumentation in aller Kürze abbildet. Hier nur ein kleiner Ausschnitt
folgenden Inhalts (in Paraphrase statt Übersetzung): Gegen das höllische
»monstrum« (auch »Pest«) des Unglaubens, der sich selbst fälschlich ›Politik‹
nenne, dabei aber gefährlicher und hinterhältiger sei als Calvin, Luther, Juden-
tum und Islam zusammen, trete der Autor wie Theseus zum Kampf an. Statt
Waffen und Kriegsgerät habe ihm Athene ihren Schild geliehen, die himmli-
sche Weisheit, vor welcher das Ungeheuer in seine Höhle zurückfliehe:

Viuis in hoc, spirasque, & toto pellis ab orbe


Monstrum, cui nomen dat πολιτεία suum:
Monstrum informe, ingens, Stygiis quod nigra cauernis
Tisphone nostrum misit in exitium.
Nil fallax Caluinus habet, mendaxve Lutherus,
Et cum Iudaeo nil recutius Arabs,
Fraudibus insidiisque huius simile: omnia Christo
Posthabet. Ast Pietas larua obit ista Dolum.
Contra hanc tu pestem Theseus velut alter, & alter
Amphitryoniades, fortiter arma moues.
Non enses, flammasque, aut firmo robore clauam,
Gnosia non celeri spicula missa manu:
Sed qua caelestis tua fortia pectora Pallas
Induit, obuertens aegida terrificam:
Aegida diuinae Sophias incude profectam;
Lemniacus cui nil par faber efficiat.
Qua sola aspecta tibi formidabile monstrum
Cedet, & edurum vertitur in silicem.7

5
Nach 1650 ändert sich das, vermutlich im gleichen Maße, wie sich der Atheismus-
begriff allgemein auch im deutschen Kulturraum durchsetzt; so etwa schon im Begleitge-
dicht von David Harder zu Theophil Großgebauers Preservatif wider die Pest der heutigen
Atheisten (1661); in auffallender Häufung dann gleich in mehreren Widmungsgedichten zu
Johannes Müllers Atheismus devictus (1672). Dazu mehr im Weiteren.
6
Ein prominentes Beispiel: Zu Müllers Atheismus devictus (s. letzte Anm.) steuerte
auch der bedeutende lutherische Theologe Abraham Calov (1612–1686) ein Gedicht bei
(fol. * iiijr), in dem es heißt: »Debellas Atheos vitaque fideque potenter, / Et lingua & cala-
mo vindice, vincis, ovas.« – Aus dem Gedicht zitiert auch Barth 1971, S. 31. – Vorher schon
in Sebastian Niemann (praes.), Christopher Janus (resp.), Atheus refutatus et ad veram
religionem conversus, o. O. 1668. Dort dichtet im ersten der vorangestellte Widmungsge-
dichte der Präses Niemann selbst auf den Respondenten Janus (unpag.): »Contra Atheos
calamum dum stringis Jane disertum, / Applaudente schola, rem facis egregiam.«
7
Clarissimo Viro Gvilielmo D’Assonvilio terris sublato caelis adserto Amico B. M.
positum, in: Atheomastix, S. 10 f., Zitat ebd.
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Kasuallyrik und Epigrammatik um 1600 245

Soweit ein fester Motivbestand ausgemacht werden kann, das zeigt schon die-
ses typische Beispiel, speist er sich überwiegend aus dem polemischen Bild-
vorrat, der auch in den Traktaten selbst zum Einsatz kommt. Typisch sind
etwa die Bildbereiche der Krankheit (Pest, Virus etc.), Gift8 oder der Tierwelt,
gipfelnd in den auch poetisch gern genutzten Figurationen des Monströsen.
Von dort aus ergeben sich, in gelehrter Dichtung selbstverständlich, auch
intertextuelle Bezüge. Ein gern genutztes Zitat bildet das horazische ›Epicuri
de grege porcus‹,9 das schon von der Motivwahl her die gewünschten pole-
mischen Konnotationen mitbringt.10 Vor allen anderen Prätexten ist es je-
doch der 14. Psalm ( I.1), der durch Zitat oder Anspielung in Erscheinung
tritt und Bild- wie Wortbausteine liefert.11 Einzelne Formeln der lateinischen
Vulgatafassung durchziehen die poetische Behandlung des Unglaubens fast
leitmotivisch, wie wir schon bei John Owen und dann wieder bei Johann Ul-
rich Pregitzer sehen werden. Ein vergleichsweise spätes Beispiel mag hier für
viele stehen, es stammt aus der mit reichen poetischen Beigaben versehenen
Disputatio theologica de atheorum religione prudentum (1701) von Johann
Peter Grünenberg. Verfasst wurde es von einem Johann Christian Senstius,
der in den vier Distichen das Thema der Disputation, die Religion der ›Klu-
gen‹, also den Glauben an ein blindes und unausweichliches Fatum anstelle
einer göttlichen Providenz und Willensspontaneität, geschickt mit dem bi-
blischen stultitia-Topos konterkariert. Nebenher wird dabei auch noch ein
gedrängtes Bekenntnis zur natürlichen Religion formuliert:

Insipiens, qvisqvis solem tum nescit obortum,


Cum lucem mediam vesper & ortus habent:
Insipiens magis est, qvem cum natura, creata,
Conscia mens facti NUMEN adesse docent,
Ens unum, aeternum, sapiens, qvo cuncta regantur,
Ipse tamen Fato cuncta manere putet

8
So schon in Bourguevilles Atheomachie, in der Ode eines Leon Blondel (fol. C 2r:
»venin«); ebenso im zweiten Widmungsgedicht zum Atheomastix (»aconita«, S. 12).
9
Horaz, Epist. 1,4,16.
10
Gleich zwei Widmungsgedichte zu Johannes Müllers Atheismus devictus (Frank-
furt am Main 1672) greifen diese Formel auf. »Porcorum haec est religio«, heißt es im
unbetitelten Begleitgedicht des Bremer Superintendenten Daniel Lüdemann (fol. * iiijv);
ähnlich schreibt Müllers Bruder Kaspar nicht nur von der Stygischen »Bestie« (»Stygium
[…] Bestia«) und den atheistischen »monstra«, er bezeichnet »unsere Atheisten« (»nos
Atheos«) auch mit Horaz als »Epicuri de grege porcos« (ebd.).
11
In der eben genannten Ode von Blondel heißt es etwa »Troupe folle et arrogante /
Qui ne cognoist pas son Dieu« (Atheomachie, fol. C 2r). – Hier stellten freilich auch latei-
nische Psalternachdichtungen zahlreiche Variationen bereit; so etwa Ambrosius Lobwas-
ser und Andreas Spethe in der auch mit Noten versehenen Psalmorum Davidis, prophetae
regii, paraphrasis metrorhythmica (Heidelberg 1596), S. 66: »Insaniens in corde sic ait, /
Non est Deus: contemtor ergo veri / Peruersus est, nec iusta vult doceri«.
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246 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Aeterno, Immoto, qvod ineluctabile, coecum


In qvo PRUDENTUM Stulta chimaera latet.12

[Ein Tor ist, wer die scheinende Sonne nicht mal dann erkennt, wenn zwischen Auf-
gang und Untergang das Mittagslicht steht. Ein noch größerer Tor ist, wer – auch
dann, wenn ihn Natur, Geschöpfe und das Bewusstsein des Tatsächlichen von der
Existenz eines göttlichen Willens überzeugen; von einem einzigen, ewigen und weisen
Wesen, durch das alles gelenkt wird – wer also auch dann noch glaubt, alles werde von
einem ewigen, unabänderlichen Schicksal erhalten, das unentrinnbar und blind sei
und worin das törichte Schreckbild der ›Klugen‹ lauert.]

1.2 »Atheus es, quia Papistam tibi non licet esse«


Der neue Gegner in John Owens Epigrammata (1606)

Ein Beispiel verdient etwas ausführlicher betrachtet zu werden, da hier die


antiatheistische Literaturproduktion seriellen Charakter annimmt und dar-
über hinaus einen seltenen ästhetischen Gipfel erreicht. Die Sammlung Epi-
grammata (1606)13 des walisischen Poeten John Owen (ca. 1564–1622) enthält
gleich eine ganze Serie von Epigrammen über oder gegen den Atheismus.14
Dem seinerzeit berühmten, als ›britischer Martial‹ gefeierten Dichter und
Schulmann verdanken wir das geflügelte Wort »tempora mutantur, nos et mu-
tamur in illis«.15 Kein Geringerer als Gisbert Voetius, der eben ausführlicher zu
Wort gekommen ist ( I.5), druckte in einer seiner vier einflussreichen Dispu-
tationen über den Atheismus eines dieser Epigramme ab. An den zwei Disti-
chen lässt sich besonders anschaulich zeigen, wie der antiatheistische Diskurs,
den wir bisher vornehmlich anhand von theologischen, juristischen und staats-
theoretischen Texten rekonstruiert haben, in poetischen Texten eine nahtlose
Fortführung fand, hier zunächst am Leitfaden des 14. Psalms:

Insipiens in corde suo, non est Deus, inquit,


Dixit; at hoc nullus credidit insipiens.

12
Johann Peter Grüneberg (praes.), Johann Heinrich Schwartz (resp.), Disputatio
theologica de atheorum religione prudentum, Rostock 1701, fol. I 3v.
13
Owens Epigrammata waren zuerst 1606 in London erschienen und in mehreren
Ausgaben zunehmend erweitert worden. – Eine kritische Online-Edition unter dem Titel
»The Epigrammata of John Owen (Ioannis Audoenus) (1606–1613)«, hg. v. Dana Sutton,
bietet das Onlineportal The Philological Museum unter www.philological.bham.ac.uk/
owen (25.7.2017). – Zu Owen vgl. zuletzt die Heidelberger Dissertation von Aslanidou
(2007), dort besonders den Forschungsbericht, S. 11–18, mit Hinweisen zur Editionsge-
schichte der Epigrammata und zu weiterführender Forschungsliteratur.
14
Hier nur mit Titel, Buch und Nummer nach der Ausgabe von Sutton: Impius Atheus
(I, 27), Epitaphium Athei (I, 28), In Silium (I, 51), In Atheos (I, 52) sowie, mit gleichem Titel,
In Atheos (IX, 98) und schließlich De Atheis et Polytheis (X, 31). Zu den beiden letzten Ge-
dichten vgl. immerhin die spärlichen Hinweise bei Aslanidou 2007, S. 231 f.
15
Vgl. Jones 1941, S. 70.
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Kasuallyrik und Epigrammatik um 1600 247

Insipiens negat esse Deum si nemo, quis ergo


Atheus est? Nullum qui velit esse Deum.16

[Der Tor spricht in seinem Herzen, es ist kein Gott; er sagt es, doch kein Tor hat dies
je geglaubt. Wenn aber kein Tor leugnet, dass es Gott gibt – wer ist dann ein Atheist?
Einer, der nicht will, dass es Gott gebe.]

Das Gedicht bildet eine Variation des erstens Psalmverses »Dixit insipiens
in corde suo: Non est Deus« (Ps 14, 1) auf engstem Raum. Was Owen hier
epigrammatisch verkürzt und zugespitzt hat, entspricht im Wesentlichen den
theologischen Auslegungen des 14. Psalms bei den Reformatoren ( I.1.4) und
bei Bacon ( I.4.1). Wenn Owen schreibt, dass kein Tor je ›geglaubt‹ habe,
es gebe keinen Gott (»hoc nullus credidit insipiens«), so wird damit – genau
wie kurz zuvor bei Bacon – die biblische Formulierung (»dixit«) mit Bedacht
wörtlich genommen. Das bloß mechanische Sprechen, heißt das wohl, ent-
spricht keineswegs einer inneren Überzeugung. Vielmehr artikuliere sich darin
der Wunsch (»velit«, »cupit«), es möge keinen Gott geben, der einst über den
sündhaften Lebenswandel des Toren Gericht hält. Wir erinnern uns an Calvins
bissige Formulierung, der biblische Tor singe sich die notorische Formel »non
est Deus« vor wie ein Liedchen (»cantilenam«), um die natürliche Gotteser-
kenntnis, die jedem Menschen eingeboren sei, zu ersticken und so die Stimme
des Gewissens zu betäuben.17 Darin, so die Pointe des Gedichts (»quis ergo /
Atheus est?«), bestehe eigentlich der Atheismus.
Innerhalb der Epigrammata bildet das von Voetius abgedruckte Gedicht
nur einen Teil der besagten Reihe von Epigrammen, die sich dem neuen
Feindbild unter dem noch wenig gebräuchlichen Leitbegriff des Atheismus
zuwenden. Gerade weil es sich fast nur (mit einer Ausnahme) um Monodis-
ticha handelt, kann Owen darin punktuell je einzelne Facetten des Diskurses
abbilden. So bringt das Gedicht In Silium, formuliert als direkte Anrede,
die Frage nach den konfessionspolitischen Entstehungsbedingungen des ver-
meintlichen Unglaubens (hier im Sinne der konfessionellen Indifferenz) auf
den Punkt (I, 51): »Atheus es, quia Papistam tibi non licet esse, / Et protestan-
tem non libet esse tibi.« [Ein Gottesleugner bist du, denn Katholik sein darfst
du nicht, Protestant sein, liegt dir nicht.]

16
Owen, Epigrammata, III, 16; hier nach Voetius, De atheismo, S. 145 (vgl. auch
Barth 1971, S. 131). – Das Gedicht druckt noch einmal Johann Peter Grünenberg in seiner
Disputation De Atheorum religione prudentum (Rostock 1701), § 15 (unpag.). – Die Aus-
gabe Amsterdam 1679, hg. v. Albert Ines SJ, hat im vierten Vers »cupit« statt »velit« (S. 61),
ebenso eine »gereinigte« (Editio nova catholica, ab omni obscoenitate, et piarum auribus
offendiculo expurgata) Würzburger Ausgabe von 1658 (S. 50). Auch die Onlineausgabe
von Sutton (Anm. 13) gibt die Stelle mit »cupit« statt mit »velit« wieder (III,16). Am Sinn
ändert das nicht viel.
17
Ausführlich dazu weiter oben, Kap. I.1.4.
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248 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Eingefangen wird also hier, im Wortspiel mit »licet« und »libet«, der Kon-
flikt zwischen Zwangskonfessionalisierung und individueller Gewissensfrei-
heit am Beispiel eines englischen Katholiken, der seinen angestammten Glau-
ben nicht ausüben darf (»non licet«), dem politisch verordneten Bekenntnis
aber innerlich nicht zustimmen kann (»non libet«). Ob die Folge, ein Athe-
ismus im Sinne fehlender konfessioneller oder überhaupt kirchlicher Zuge-
hörigkeit, damit schon als plausibler und individuell vertretbarer Ausweg
angesehen wird, bleibt offen. Der Kampfbegriff ›Papista‹ deutet eher darauf
hin, dass hier aus protestantischer Sicht argumentiert wird; die kurzgefasste
Ätiologie des Unglaubens stünde folglich als Ausrede des Angesprochenen
da. Eine entsprechende inquit-Formel (»du sagst«) wäre dann gedanklich zu
ergänzen. Deutlicher liegt der Fall bei den Gedichten, die sich weniger den
Ursachen als vielmehr den (vermeintlichen) Überzeugungen der Atheisten
zuwenden. So erscheint der klassische Gottesbeweis ex gubernatione mundi
in extrem verknappter, zugleich anschaulich aufbereiteter Form in dem ers-
ten der zwei Epigramme In Atheos (I, 52). Wieder wählt Owen den Modus
der direkten Anrede in der zweiten Person, diesmal werden die Atheisten als
Gruppe angesprochen: »Nulla domus domino caruit; vos hancinne tantam /
Nullius domini creditis esse domum?« [Kein Haus ist je ohne Herr gewesen;
glaubt ihr etwa, dies große Haus habe keinen?]
Hier handelt es sich weniger um einen Beweis im Sinne der scholastischen
Metaphysik, vielmehr ist im Gleichnis vom Haus ohne Hausherrn schon
die common sense-Orientierung angedeutet, wie sie sich im Übergang vom
Barock zur Aufklärung als Mittel der Apologetik bewähren sollte ( IV.3
u. 4). Die Physikotheologie wird dieses Argument dann mit einer breiten
empirischen Basis versehen. Beachtung verdient die Kunstfertigkeit, mit der
Owen die semantische und lautliche Verwandtschaft von ›domus‹ und ›do-
minus‹ nutzt. Durch grammatikalische Variation entsteht der Eindruck ei-
ner figura etymologica, die Umkehrung der Reihenfolge vom ersten (»Nulla
domus domino«) zum zweiten Vers (»Nullius domini … domum«) erzeugt
überdies eine chiastische Struktur. So wird es möglich, dass in beiden Versen
der theologisch gewichtigste Begriff ›dominus‹ die markante Betonungsstelle
vor der Mittelzäsur besetzt und bis in die Sprechpause hinein nachklingt.
In Verbindung mit den anaphorischen Versanfängen wird so das Ideal der
scharfsinnigen Zuspitzung auf engstem Raum eingelöst, das spätestens seit
Scaliger zum poetologischen Profil des Epigramms gehörte.18 Mit der For-
mel »deos fecit timor« zitiert Owen im zweiten Gedicht In Atheos (IX, 98)
eine der brisantesten Thesen der abendländischen Religionskritik, die sich für
die gelehrte Leserschaft mit den Namen Epikur und Lukrez verband.19 Einen

18
Vgl. den Artikel Epigramm in RLL3, Bd. 1, 1997, S. 459–461 (Theodor Verweyen/
Gunther Witting).
19
Die genaue Formulierung stammt so nicht von Lukrez, der Gedanke kommt aber
sinngemäß vor in seinem berühmten Lehrgedicht De rerum natura (I, 107–111; V, 1218–
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Kasuallyrik und Epigrammatik um 1600 249

engen Zusammenhang zwischen Furcht und Religion hatte auch Plutarch in


seiner Betrachtung über Unglauben und Aberglauben (De superstitione) her-
gestellt, die Furcht allerdings mehr als Folge denn als Ursache einer abergläu-
bischen Götterverehrung begriffen.20 Noch Brockes wird diese Formel zum
Ausgangspunkt für eine poetische Widerlegung machen ( IV.3).21 In Owens
Gedicht erscheint sie erneut (ohne inquit-Formel) als Zitat oder als wörtliche
Rede der im Titel genannten Atheisten. Geschickt wendet Owen das boshafte
Diktum, das auch hier als wörtliche Rede oder Zitat der im Titel genannten
Atheisten zu verstehen ist, in eine fromme Zeitklage (»eheu«), wenn er der
eigenen Gegenwart einen bedauernswerten Mangel an Gottesfurcht attestiert.
Eben deswegen, weil der timor Dei vom christlichen Standpunkt aus durchaus
positiv, als gebotene Gottesverehrung, verstanden werden kann, entsteht so
abermals die typisch epigrammatische Pointierung, diesmal durch das Spiel
mit der Ambivalenz des Furchtbegriffs. Der Unterschied zwischen den heid-
nischen Göttern, auf die das lukrezische Motto aus Sicht des Sprechers zutref-
fen mag, und dem christlichen Gott ist, in zeittypischer Weise, durch Klein-
und Großschreibung eindeutig markiert: »Primus in orbe deos fecit timor. Est
tamen eheu / Pene Dei reliquus nullus in orbe timor.« [Zuerst hat die Furcht
auf der Welt die Götter geschaffen. Und doch ist – o weh! – kaum noch Got-
tesfurcht in der Welt.]
Erneut zeigt sich die Kunstfertigkeit des Epigrammatikers in der präzisen
Arbeit am metrisch-syntaktischen Detail. Die angesichts des begrenzten Le-
xeminventars notwendig entstehenden Wiederholungen werden durch wohl-
überlegte Abwechslung von Vers- und Satzstellung aufgefangen. So entsteht
ein spannungsvolles sprachliches Gebilde, das die ästhetisch hochsensibilisierte
Leserschaft der Zeit ganz gewiss zu würdigen wusste: In beiden Sätzen nimmt
der zentrale Begriff ›timor‹ die Endstellung ein, da jedoch Satz- und Versen-
de nicht zusammenfallen, kommt es nicht zu Monotonie oder vergleichsweise
simpler epistrophischer Doppelung. Dagegen wird die lokalisierende Bestim-
mung ›in orbe‹ bis an die Peripherie des Gedichts gerückt, durch den parallelen
Bau der Kola (»Primus in orbe« – »nullus in orbe«) tritt die im metrisch stark
betonten ›nullus‹ kulminierende entscheidende Pointe umso stärker hervor.

1240 u. ö.). – Weitere Belegstellen aus der antiken und spätantiken Literatur (Statius, Cas-
siodor, Ambrosius) versammelt Aslanidou 2007, S. 232, Anm. 1057. – Zum Argument und
seiner Geschichte vgl. Schröder 1998, S. 152–155, u. 222–228; zu Lukrez im Kontext der
europäischen Atheismusgeschichte vgl. ebd., S. 238–240 et pass. (Register).
20
Plutarch, Drei religionsphilosophische Schriften. Griechisch-deutsch. Übersetzt
und hg. von Herwig Görgemanns unter Mitarbeit von Reinhard Feldmeier und Jan Ass-
mann, Düsseldorf/Zürich 2003 (Sammlung Tusculum), S. 11 (Moralia 165B). – Zur Plutar-
chrezeption im antiatheistischen Diskurs vgl. die Hinweise weiter oben, Kap. I.3.1 u. I.3.5.
21
Tatsächlich wurde Owen erst unlängst als möglicher Vorbesitzer einer Oxfor-
der Lukrezhandschrift genannt; die Handschrift trägt eine Widmung seiner Nichte Jane
Owen; vgl. Butterfield 2016, S. 51 f.
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250 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Ein hedonistisches Credo schließlich, wie man es dem stereotypen Un-


gläubigen zuschrieb – nicht umsonst wurde bis 1600 und darüber hinaus der
Ausdruck ›Epikurer‹ anstelle des erst allmählich Raum greifenden Atheis-
musbegriffs verwendet22 – legt Owen im Gedicht Impius Atheus (I, 27) einem
Atheisten in den Mund. Es handelt sich um einen der ersten mir bekannten
poetischen Texte, der als Rollengedicht einen Atheisten selbst in Form einer
oratio ficta zu Wort kommen lässt. Ohne Kommentar oder Wertung erscheint
hier das Bekenntnis des ›impius‹ (so heißt auch der Gottlose im lateinischen
Psalter) als kleine Reflexion über den Gebrauch der Zeit, seit der Antike ein
klassisches Thema für moralphilosophische und geistliche Betrachtungen, so-
wie über die Zeit selbst. Obwohl nämlich viermal im Gedicht der Ausdruck
›tempus‹ fällt, ist damit jedes Mal etwas anderes gemeint. Zu Beginn bedeutet
›tempus‹ die occasio, im zweiten Vers einmal die Zeit als Muße im Sinne von
›Zeit haben‹, dann jedoch die Ewigkeit, die für den Atheisten keine Zeit (da
nicht vorhanden) ist, und schließlich, im dritten und vierten Vers, das Tempus
nach Maßgabe der Grammatik. Darin nicht zuletzt besteht der geistreiche An-
spruch dieses Epigramms, das im Monolog des Atheisten dessen Weigerung
oder gar Unfähigkeit vorführt, über die Zeit nach der Zeit, also über das ewige
Leben, zu sprechen:

Utere temporibus praesentibus, utere rebus;


Tempus erit, nullum quum tibi tempus erit.
Grammaticus de praeterito dicatque futuro
Tempore. Praesenti, dum licet, utar ego.

[Die gegenwärtigen Zeiten und Dinge nutze; Zeit wird dann sein, wenn du keine Zeit
mehr hast. Soll doch der Sprachgelehrte von vergangener und zukünftiger Zeit spre-
chen. Ich selbst will, im Rahmen des Erlaubten, die gegenwärtige gebrauchen.]

Der Text selbst enthält eigentlich keine anstößigen Lehren. Was unter anderen
Umständen als Variante des horazischen »Carpe diem« und damit als früher
Reflex auf das Epochenthema der Vergänglichkeit hätte gelesen werden kön-
nen, tritt durch die Überschrift »Impius Atheus« in einen grundsätzlich ver-
änderten Deutungsrahmen. Die alte, im ethisch-didaktischen Schrifttum des
Barocks ubiquitäre Warnung vor der Zeitverschwendung wandelt sich so zur
Absage an die christliche Jenseitshoffnung. Vollends deutlich wird das im zen-
tralen zweiten Vers, der das Dilemma des Atheisten in eine paradoxe Formel
zusammendrängt: »Zeit wird dann sein, wenn du keine Zeit hast.«
Von Ausschweifungen gleich welcher Art ist gar nicht ausdrücklich die
Rede. Wenn aber der ›impius‹ davon spricht, seine Zeit nutzen zu wollen, ist
ein hedonistisches Moment implizit mitgedacht. Das ergibt sich aus der Logik
des 14. und anderer Psalmen ebenso wie aus der davon abgeleiteten Psychopa-

22
Vgl. – mit Blick auf Luther – die exzellente Studie von Maron 1988; allgemein auch
die Hinweise bei Barth 1971, S. 60 f., 116–118 u. ö. (Register!).
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Kasuallyrik und Epigrammatik um 1600 251

thologie des Unglaubens, wie wir sie bei Bucer, Calvin und Bacon kennenge-
lernt haben. Im Gedicht selbst deutet darauf auch die ironisch-herablassende
Wendung gegen den ›grammaticus‹, durch die sich der Sprecher selbst in die
Rolle des Weltmanns begibt. Etwas früh ist es noch für die Kritik am ›mo-
rosen‹ Gelehrten, wie sie im Zerrbild des Pedanten vor allem in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts an Boden gewann.23 Aus Sicht von Owens Lesern
dürfte die Gegenüberstellung also deutlich zulasten des Sprechers ausgehen,
umso mehr auch hier, da er durch den Titel bereits als ›Gottloser‹ deklariert
ist. Dass Unglaube und Laster für Owen zusammengehören, belegt endlich
das Gedicht De Atheis et Polytheis (X, 31), das einen Kausalnexus zwischen
Armut und Polytheismus einerseits, zwischen Habgier und Gottesleugnung
andererseits herstellt.24 Wer gierig sei, so heißt es im Gedicht, der hoffe, dass
es keinen Gott gebe. Der von Plutarch bis hin zu Bayle und Thomasius (s. u.)
immer wieder angestellte Vergleich von Atheismus und Aberglauben fällt bei
Owen noch zugunsten des Letzteren aus. Denn die Armut behaupte die Exis-
tenz von Göttern, während der Überfluss Gott aufhebe:

Tot timet esse Deos quot fert incommoda pauper;


Esse Deos nullos sperat avaritia.
Impietate minus quam copia peccat egestas;
Ista Deos posuit, sustulit ille Deum.

[Der Arme fürchtet so viele Götter wie er Widrigkeiten ertragen muss; die Habgier
hofft, es gebe keine Götter. Die Armut schwelgt weniger als der Überfluss in sündiger
Gottlosigkeit; sie hat Götter geschaffen, er hat Gott beseitigt.]

Owens Epigramme, so lässt sich abschließend festhalten, zeigen den oder die
Atheisten in einer subtil polemischen Optik. Auf Kraftausdrücke wie in der
schon um 1600 sich ausbildenden, hier vor allem noch politisch motivierten
antiatheistischen Literatur (z. B. Assonville,  I.2.3) wird weitgehend verzich-
tet, wenn man einmal von der Teilparaphrase des 14. Psalms im Epigramm
III, 16 (s. o.) absieht. Nicht zufällig wurde gerade dieses Gedicht in der apo-
logetischen Literatur rezipiert. Stattdessen kommt der Atheismus, der hier
schon sehr deutlich im bis heute üblichen, strikten Verständnis, als negatio Dei
oder divinae providentiae, genommen wird, in seinen eigenen Vorstellungen –
oder was man dafür hielt – zu Wort, und das sogar in auffallend wertungsfreier
Weise. Die Pointierung, poetologisches Merkmal des Epigramms, sorgt aber
stets dafür, dass sich die so präsentierten Ansichten oder Haltungen selbst ad
absurdum führen. In der ab etwa 1620 einsetzenden, freilich vorerst gegen ire-
nische bzw. toleranzbereite Theologen und Politiker weit eher als gegen hö-
fische Libertinage gerichteten Welle antiatheistischer Literatur ist von dieser

23
Vgl. die ausführlichen Darlegungen im Standardwerk von Kühlmann 1982, S. 285–
454; ferner Grimm 1983, S. 355–375; zur Gelehrtensatire vgl. Košenina 2003, bes. S. 55–84.
24
Vgl. dazu auch die Bemerkungen bei Aslanidou 2007, S. 232.
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252 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

ironischen Distanz schon sehr bald nichts mehr zu spüren. Ähnliches gilt für
die im Weiteren zu betrachtenden Anfänge der deutschen Atheismusdebatte,
die nach vereinzelten Vorstufen (so etwa die oben behandelte Disputation von
Osiander gegen Scultetus) ab etwa 1650 auf breiter Front einsetzt.

1.3 »Impius a stulto non differt«


Ein Kasualgedicht von Johann Ulrich Pregitzer (1620)

Owens Epigramme stellen, der Quantität wie der Qualität nach, im 17. Jahr-
hundert eine seltene Ausnahme dar.25 Die weitaus überwiegende Zahl an-
tiatheistischer Gedichte findet sich im Bereich der Kasualpoesie. Ein frühes
Beispiel aus dem deutschen Sprachraum ist in Osianders Disputation Sculte-
tus atheus von 1620 enthalten, von der oben bereits die Rede war. Als Au-
tor des Widmungsgedichts zeichnete der 1620 zum Professor für Theologie
berufene spätere Kanzler der Universität Tübingen Johann Ulrich Pregitzer
(1577–1656), Stammvater eines württembergischen Theologengeschlechts.26
Die Überschrift des Gedichts formt in kunstvoller Weise die Wortverbindung
»Scultetus Calvinista« (»der Calvinist Scultetus«) um in »ec stultus Lucianista«
(»seht den törichten Lukianisten«). In ähnlicher Weise versucht sich auch der
zweite Gedichtbeiträger, der Respondent selbst, an einer Verballhornung des
Calvinisten Scultetus.27 Auf das im 16. und 17. Jahrhundert äußerst beliebte
anagrammatische Verfahren weist der Verfasser im Titel selbst hin.28 Diese of-
fene Ausstellung der Kunstmerkmale ist zu dieser Zeit noch nicht verpönt,
sie unterstreicht den artifiziellen Charakter der anspruchsvollen lateinischen
Kunstdichtung:29

25
Eine weitere Ausnahme bildet ein Gedicht von Jacob Balde mit dem vielverspre-
chenden Titel Atheos hujus seculi, sub larva nominis politici latentes, detestantur (IV, 15 in
der Sammlung Lyricorum libri IV, München 1643). Es hat aber bei genauerem Hinsehen
mit der hier zu verfolgenden apologetischen Topik und Typologie wenig zu tun, sondern
zitiert vielmehr, im Rahmen einer bissigen Kritik des Hoflebens, die oben (Kap. I.2.3) er-
örterte Feindfigur des Politicus aus der katholischen Staatslehre. Vgl. in diesem Sinne die
Hinweise zum Gedicht bei Lefèvre 2017, S. 34 f.
26
Zu ihm vgl. NDB, Bd. 20, 2001, S. 684 f. (Werner Raupp); die ausführlichste mir
bekannte Biografie bei Angerbauer 1972, S. 60–65.
27
Osiander, Lukas (praes.), Lukas Osiander jun. (resp.), Scultetus atheus, hoc est,
nova sed athea et epicurea Calviniana principia, Tübingen 1620, fol. * 4v: »Abrahamus
Scvltetvs. / Ἀναγραμματικῶς. Clamas, Athevs, Brvtvs. / Horrendum Clamas, Atheus quia
Brutus inersque.«
28
Zu Form und Geschichte des Anagramms vgl. den Artikel Anagramm in RLL3,
Bd. 1, 1997, S. 71–73 (Klaus Ruch).
29
Anstelle von Spezialliteratur sei hier verwiesen auf die Überblicksdarstellung von
Kühlmann (32010) sowie Kühlmann 2007.
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Kasuallyrik und Epigrammatik um 1600 253

Scultetus Calvinista ἀναγραμματιζόμενος ec stultus Lucianista

Impius a stulto non differt, teste sacrata


Scriptura: Impietas, maxima stultitia est.
Qui, quodcunque Deus vult verbo, incredulus odit,
Impius & Stultus cum Ratione sua est.
In sermone suo Pragensi talia profert
Scultetus, Ludens Relligionis opus.
Calvinista studet Scultetus jungere Terrae
Coelum, pertractans Impia, stulta simul.
Ostendit veluti hic perdocte Osiander ad ὄψιν
Praeses: Respondet Filius egregie.
Ec igitur Stultus Scultetus Lucianista est?
Sic. Illudit enim Dogmata sancta Dei.30

[Der Gottlose ist vom Toren nicht unterschieden, so bezeugt es die Heilige Schrift:
Gottlosigkeit ist die allergrößte Torheit. Wer so kleingläubig den Willen Gottes ver-
achtet, wie er in dessen Wort überliefert ist, der ist bei allem Verstand doch gottlos
und töricht. In seiner Prager Predigt bringt Scultetus eine derartige Lehre vor und
macht das Werk der Religion31 zum Gespött. Der Calvinist Scultetus will den Himmel
ins Irdische ziehen und begibt sich damit tief in Gottlosigkeit und Torheit zugleich.
Genau das führt uns hier mit viel Geschick Osiander als Präses vor Augen und vor-
trefflich respondiert ihm sein Sohn. Sehen wir also hier, dass der törichte Scultetus ein
Religionsspötter ist? Ja. Er verspottet nämlich die heiligen Lehren Gottes.]

Wie am Titel ersichtlich, greift auch dieses Gedicht den alten insipiens-Topos
wieder auf. Der Hinweis auf die Bibel im ersten Verspaar, wo in der schon
bekannten Weise Gottlosigkeit und Torheit miteinander verknüpft werden,
bezieht sich ohne Zweifel auf den 14. Psalm. Durch die Wiederholung im vier-
ten und im achten Vers wird die Junktur ›impius-stultus‹ zum Leitthema des
Gedichts, dem auch das Objekt dieser Spottverse, Scultetus, zugeordnet wird.
Das dürfte jedem Leser auch ohne das vorangestellte Wortspiel (erneut aufge-
griffen im vorletzten Vers) klar geworden sein, zumal die generelle Schlussfol-
gerung – »Stultus Scultetus« – in jedem der drei gleich großen Sinnabschnitte
(V. 1–4, 5–8 u. 9–12) wiederkehrt. Der so entstehende argumentative Drei-
schritt ist leicht überschaubar: Auf die Exposition (V. 1–4), die anhand des
biblischen Prätextes den Zusammenhang zwischen Gottlosigkeit und Torheit
herstellt, folgt, nahezu syllogistisch, die Applikation auf Scultetus, gramma-
tikalisch explizit gemacht durch den pronominalen Rückbezug (»talia«). Die
noch zum zweiten Abschnitt gehörende Minimalcharakterisierung seiner
Rede als ›törichter‹ Verbindung von Himmel und Erde erfährt ihre Bekräfti-

30
Osiander, Scultetus atheus, fol. * 4v.
31
Gemeint ist damit wohl die Reformation, besonders das Werk Luthers, insofern
nämlich, als die aus lutherischer Sicht ›reine‹ Lehre durch irenische Bestrebungen wie die-
jenigen der Pfälzer Theologen aufgeweicht zu werden drohte. Weitere Ausführungen dazu
im Kapitel zu Osianders Disputation ( I.2.4).
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254 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

gung im dritten Abschnitt, der den Bogen zu Osianders Disputation schlägt


und erneut in die insipiens-Topik einstimmt.
Neben dem polemischen, gleichwohl aber traditionell bestens befestigten
Torheitsvorwurf treffen wir auf eine weitere bekannte Denkfigur in dem knap-
pen Hinweis auf die Verbindung von Himmel und Erde. Gemeint ist damit die
Unterordnung des Weltlichen unter das Geistliche, das Bemühen also, poli-
tische Kompromisse durch theologische Brückenschläge vorzubereiten. Den
gleichen Vorwurf hatten, wie schon erwähnt, katholische Autoren im Um-
feld des Edikts von Nantes gegen die sogenannten Politici erhoben. Zugleich
schwingt in der bildlichen Vorstellung, Himmel und Erde zu verknüpfen, zu-
mindest in diesem polemischen Kontext, der Topos von der verkehrten Welt
mit, von der Verkehrung des Bestehenden (»inversio«), wie sie in antiatheisti-
schen Schriften zwischen 1580 und 1700, aber auch in der staatstheoretischen
Literatur, häufig anzutreffen war.32 Dagegen gehört der plakative Vorwurf, mit
dem Scultetus als Verächter des göttlichen Worts und der heiligen Lehren Got-
tes (»Dogmata sancta Dei«) hingestellt wird, zum selbstverständlichen Arsenal
innerhalb der reichen theologischen Polemik der Zeit.33

2. Apologetik ad oculos
Poetische und rhetorische Strategien

2.1 »Dem Atheisten Schwarm«


Ein Kasualgedicht von David Harder am Anfang
der deutschen Atheismusdebatte

An der Konzeption, Variation und Verbreitung des Feindbilds ›Atheist‹ hat-


ten also rhetorisch-literarästhetische Darstellungsverfahren einen erheblichen
Anteil. In den vergangenen Kapiteln hat sich immer wieder der schon an den
reformatorischen Psalterkommentaren gewonnene Befund bestätigt, dass die
Rede über den Unglauben, selbst in Textgenres wie Kommentar oder politi-

32
Auf das Beispiel Bodins wurde weiter oben (Kap. I.3.2) hingewiesen. Ähnlich un-
terstellt bereits Calvin in seinem Psalterkommentar von 1557 den Ungläubigen (im Sinne
des 14. Psalms), dass sie jegliche Ordnung umstürzen würden (»ordinem omnem per-
uerterint«, S. 51). Nicht anders äußert sich Gottfried Wilhelm Leibniz in einem Brief von
1670 an den höchst produktiven Autor antiatheistischer Schriften Theophil Spizel: »Ad
monstrum Athëismi debellandum utinam qvicqvid eruditorum est vires conjungeret, nec
pateretur serpere latius etiam inter ipsos hoc malum, a qvo nihil praeter Anarchiam univer-
salem atqve eversionem Societatis humanae expectari potest.« Gottfried Wilhelm Leibniz,
Sämtliche Schriften und Briefe, Bd. II/1, Berlin 22006, S. 55. – Zu Spizel vgl. ausführlich
weiter unten, Kap. II.3.2; zu Leibniz: Kap. I.4.3.
33
Vgl. allgemein Bremer 2005, bes. S. 98–100 u. 101–107 (zum gegenseitigen Ketze-
reivorwurf); ferner Paintner 2011.
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Apologetik ad oculos 255

schem Kompendium, durch Wortwahl, bildhaftes Sprechen (Metaphern wie


Monstrum, Pest, Virus etc.) und andere Mittel rhetorischer Intensivierung
geprägt gewesen ist. An verschiedenen Beispielen konnte darüber hinaus der
Einsatz von Gedichten oder Verspartien vorgeführt werden. Waren nun aber
die bisher vorgeführten Beispiele weitgehend auf Latein verfasst, so traten ab
etwa 1650 auch zunehmend deutschsprachige Texte in den Dienst der Apolo-
getik. Ein frühes Beispiel knüpft noch einmal an die Anfänge der deutschen
Atheismusdebatte im beginnenden Pietismus an, an Theophil Großgebauers
Preservatif Wieder die Pest der heutigen Atheisten von 1661 ( II.3.1). Die
Schrift enthält nur ein einziges Begleitgedicht, die Gemüths-Eröffnung über
Herrn M. Theophili Großgebauers […] Preservatif Wider die Pest der heutigen
Atheisten.34 Geschrieben hat es der 1627 in Greifswald geborene Philologe und
spätere protestantische Prediger David Harder, der bisher kaum kirchen- oder
literaturgeschichtliche Beachtung gefunden hat.35 Die 15 Strophen mit je vier
Alexandrinerversen rekapitulieren ohne Anspruch auf Vollständigkeit ausge-
wählte Elemente der antiatheistischen Polemik. Inhaltlich zerfallen sie in zwei
annähernd gleich große Teile: Nachdem in einem ersten Abschnitt (Str. 1–7)
der neue Gegner vorgestellt und charakterisiert worden ist, holt der zweite
Abschnitt (Str. 8–15) zu einer kurzgefassten Widerlegung aus. Ganz ähnlich
wie bei Mornay, aber auch bei dem prospanischen Katholiken Assonville wird
der Atheismus in die Phalanx der Feinde des Christentums eingereiht oder
vielmehr, in puncto Gefährlichkeit, an deren Spitze gestellt (Str. 2–3). Einge-
rahmt wird die poetische Beweisführung am Anfang und am Ende des Ge-
dichts durch obligatorische Beifallsbekundungen für den Autor Großgebauer
als wackeren Streiter im Kampf gegen das atheistische »Spinnen-Gifft« (Str. 3).
Damit ist zugleich schon der Tonfall des gesamten Gedichts vorweggenom-
men. Dem erhabenen Thema gemäß – der Verteidigung der Religion – schlägt
Harder die hohe Stillage an, erkennbar am kombinierten Einsatz von starken
bildlichen Ausdrücken (z. B. »der schwarze Schwarm« als Bezeichnung für
die Atheisten), ungewöhnlichen Komposita (»Spinnen-Gifft«, »Atheisten-
Schwarm«, »Höllen-Kinder-Würger«, »Höllen-Pech«) und einer drastischen
Wortwahl, insbesondere aus dem Bereich der moralischen Verfehlungen wie
»Büberey«, »Spott«, »List«, »Tücken«. Die dichte Semantik starker negati-
ver Seelenzustände wie »Wahn«, »Grimm«, »Angst«, »Quaal«, »Noth« und
»Pein« sorgt für eine hohe Affektintensität, wie sie der heutige Leser etwa aus

34
Großgebauer, Preservatif, S. 534–536.
35
Spärlichste biografische Informationen aus älteren Nachschlagewerken versam-
melt das Deutsche Biographische Archiv (DBA I 472, S. 433–435). – Eine ausführlichere
Vita findet sich, anlässlich seiner Übersetzung des Cornelius Nepos, in der Zeitschrift
Critische Versuche der Deutschen Gesellschaft zu Greifswald, 1. Bd. (1742), S. 351–354. –
Demzufolge lebte Harder zur Entstehungszeit des Gedichts als Hauslehrer der Familie
von Rehnschild in Stralsund. Eine Anstellung als Rektor der dortigen Stadtschule kam
nach einigen Vorgesprächen nicht zustande. Nach Umwegen über Usedom und Stettin
soll er seit 1664 als Prediger in der kleinen Stadt Lassan bei Greifswald gewirkt haben.
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256 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

manchen Gryphiusgedichten kennt. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass –
im Gegensatz zu Andreas Gryphius, Johann Rist oder Christian Hoffmann
von Hoffmannswaldau – die rhythmische Spannung aufgrund von etlichen
einsilbigen Füllwörtern (wie »noch«, »doch« oder »gar«) und eine ans Metrum
angepasste Wortstellung unter ihren Möglichkeiten bleibt.
Die doxologische Charakterisierung der Atheisten (Str. 4–7) hält kaum
Überraschungen bereit. Neben der zu erwartenden negatio Dei (»Den Schöpf-
fer läugnen sie«, Str. 4) legt der Autor großes Gewicht auf das bekannte Ar-
gument der radikalen Religionskritik, demzufolge die Religion von klugen
Herrschern zum Zweck politischer Unterdrückung erfunden worden sei (Str.
5 f.). In der Ideen- und Buchgeschichte des neuzeitlichen Atheismus, wie sie
Winfried Schröder mustergültig rekonstruiert hat, ist dieses Argument eng
verbunden mit dem wohl »meistgesuchte[n] bibliographische[n] Phantom«
der Frühen Neuzeit,36 der sagenhaften Schrift De tribus impostoribus, von der
es hieß, sie entlarve Moses, Christus und Mohammed im genannten Sinne als
Betrüger (lat. ›impostor‹).37 Bei Harder erscheint diese bekannte Behauptung
zunächst im Bild der »Decke«, mittels derer dem »Pöbel« die Einsicht in das
verwehrt wird, was die Herrschenden »List- und Tücken-voll […] im Schilde
führen« (Str. 5 f.). Hinzu tritt, als indirekte Rede den Atheisten in den Mund
gelegt, die Vorstellung der »Falle« für die »Leyen-Schaar« (Str. 7). Mit dem
nachfolgenden, etwas gezwungenen Wortspiel, das von der vermeintlichen
›Falle‹ zum (Sünden-)»Fall« der Atheisten überleitet (Str. 8), ist bereits der
Widerlegungsteil eröffnet. Dort begegnet uns zudem ein Argument wieder,
auf das abschließend hinzuweisen bleibt: Die psychologische Herleitung des
Unglaubens, wie wir sie, mit Blick auf Owens Epigramm, bereits bei Calvin
und Bacon kennengelernt haben (Str. 9 f.). Hier nur der Anfang der entspre-
chenden Passage: »Es will der Atheist Gewissens-Angst vertreiben/ (Die Ihm
doch ewig dort/ und hie muß zeitlich bleiben/)«.
Die Wurzel des Unglaubens, so das in der antiatheistischen Literatur ubi-
quitäre Argument, bestehe in dem Wunsch, die Stimme des Gewissens zum
Schweigen zu bringen. Im Gewissen nämlich war nach zeitgenössischer Vor-
stellung nicht nur die Empfindung für die moralische Qualität einer Handlung
beheimatet, sondern auch die jedem Menschen innewohnende Erkenntnis
Gottes (cognitio Dei insita).38 Beides gehört zusammen: Die von Harder ange-
sprochene »Gewissens-Angst« entstand nach landläufiger Meinung deswegen,
weil jede sündliche oder lasterhafte Handlung notwendig mit dem inneren
Wissen um die Existenz eines göttlichen Richters kollidieren müsse. Die dar-

36
Schröder 1999, S. 7.
37
Vgl. ebd., sowie Schröder 1998, S. 424–451.
38
Zu den dahinterstehenden abendländischen Modellen der Theologia naturalis
vgl. einmal mehr den Artikel Religion bzw. Theologie, natürliche bzw. vernünftige [!]
im HWbPh, Bd. 8, 1992, Sp. 713–726 (Winfried Schröder); ferner den Artikel Natürliche
Theologie in TRE, Bd. 24, 1994, S. 85–98 (Walter Sparn); die Entwicklung religionsphi-
losophischer Modelle zwischen Reformation und Aufklärung rekonstruiert Frank 2003.
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Apologetik ad oculos 257

aus resultierende Angst vor der göttlichen Strafe konnte entweder, im besse-
ren Fall, zur Reue führen oder aber zu dem Wunsch, dass dieser Richter gar
nicht existiere,39 gefolgt schließlich von der zumindest temporär erfolgreichen
Selbstüberredung, wie sie Calvin und Bucer eindrucksvoll geschildert haben
(s. o.).
Die Betäubung des Gewissens durch den stereotypen Atheisten, ob nun mit
oder ohne psychologisch-humoralpathologische Rechtfertigung wie im vor-
liegenden Beispiel,40 diente also in der Vorstellung der Atheismusgegner dem
doppelten Zweck, die Angst vor Strafen auszublenden und infolgedessen zu-
gleich den Boden für weitere Schandtaten zu bereiten. Zu dieser Interpretation
bekennt sich auch Theophil Großgebauer in der durch Harders Gedicht ein-
geleiteten antiatheistischen Schrift.41 Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur
Vorstellung des ›praktischen Atheismus‹, jener einflussreichen apologetischen
Denkfigur, in der dieser Verdrängungsvorgang zu einem einzigen psychischen
Akt zusammengezogen erscheint.42 Sie entspricht der biblischen Vorstellung
einer Leugnung Gottes durch böse Taten, wie sie etwa im Titusbrief (Tit 1,16:
»confitentur se nosse Deum factis autem negant«) formuliert ist.43 Harder
spielt darauf an in der Formulierung »Die so gesinnet sind / und mit der That
noch sprechen: Es ist kein wahrer GOTT« (Str. 12).
Soviel Bosheit, könnte man meinen, bedarf keiner weiteren Widerlegung.
Und tatsächlich verzichtet Harder in den noch verbleibenden drei Strophen

39
Luther unterstellte diese Haltung noch den Epikureern (s. o., Kap. I.1.5).
40
Die im Gedicht eingearbeiteten Verweise auf den Melancholiediskurs können hier
übergangen werden. Der Melancholievorwurf gegen Atheisten, vor allem aber gegen die
abergläubischen ›Schwärmer‹, setzt verstärkt mit Beginn der Frühaufklärung ein. Grund-
legend dazu: Pott 1992, 278–310. Kurioserweise wurde den Pietisten von ihren Gegnern
ebenfalls ein melancholisches Temperament unterstellt (vgl. ebd., S. 310–319).
41
Großgebauer, Preservatif, S. 543: »Was mag dann die Ursach seyn / daß sie die
Schrifft lästern? Nichts anders / als der Schwefel und Todesstanck; den können sie in ihrer
Nasen nicht vertragen. Sie wollen gern bey ihrem gottlosen Sinn bleiben / den verwirfft /
verdammet / verflucht die Schrifft / das riechen sie / darumb verwerffen / verdammen /
verlästern sie die Schrift hinwieder.« – Nicht anders argumentiert, um noch ein weiteres
Beispiel zu nennen, wenig später der ebenfalls mit Spener und dem frühen Pietismus sym-
pathisierende bedeutende Staatsmann und Gelehrte Veit Ludwig von Seckendorff: »Der
Atheist oder der Ungläubige suchet in seiner Ruchlosigkeit und Verleugnung Gottes diese
Sicherheit / daß er seiner Meynung nach, weder Gutes noch Böses / weder Straffe noch
Belohnung von Gott zugewarten habe / weder in diesem noch in jenem Leben / sonder-
lich / weil er von einem andern Leben nichts wissen / sondern mit Leib und Seel unter-
gehen / und zunichte werden will.« Veit Ludwig von Seckendorff, Christen-Stat, Leipzig
1686, S. 11. Zu Seckendorff s. auch weiter unten, Kap. IV.3.
42
Zum Modell des Atheismus practicus und seiner Begründung durch Gisbert Voe-
tius s. ausführlich Kap. I.5.
43
Luther übersetzt (hier nach der Ausgabe letzter Hand von 1545): »Sie sagen / sie
erkennen Gott / Aber mit den wercken verleugnen sie es / Sintemal sie sind / an welchen
Gott grewel hat / vnd gehorchen nicht / vnd sind zu allem guten Werck vntüchtig.« Biblia:
Das ist, die gantze Heilige Schrifft, hg. v. Hans Volz unter Mitarbeit von Heinz Blanke,
München 1974, S. 2403 f.
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258 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

auch auf theologische Argumente wie Gottes- oder Schriftbeweise, die von
der barocken Apologetik zur Genüge bereitgestellt wurden.44 Neben der vor-
geführten Charakterpolemik beschränkt sich seine Erwiderung an die atheis-
tischen Störenfriede auf eine pastoraltheologische Ermahnung, die schon zur
abschließenden Ergebenheitsadresse an den Widmungsempfänger überleitet.
Sie setzt noch am Ende der zwölften Strophe ein: »Weg! weg mit solcher Lehr!
sie führt die Seel in Noth.« Komplementär heißt es zu Beginn von Strophe 13:
»Die Noth ist Seelen Tod. Doch muß der Leib auch sterben.« Der Binnenreim,
in Verbindung mit der durch das Satzende starken Akzentuierung der Mittel-
zäsur, unterstreicht noch den plötzlichen Ton- und Stimmungswechsel.
Indem Harder das (vermeintliche) hedonistische Kalkül des stereotypen
Atheisten, gut barock, mit der Vergänglichkeit des Menschen konfrontiert,
dreht er die apologetische Argumentation effektvoll in eine existenzielle Optik.
Der Tod – das wusste jeder erfahrene Prediger – war der Bereich des mensch-
lichen Daseins, zu dem eine materialistische Weltauffassung nicht viel zu sagen
hat. Aus Sicht des christlichen Glaubens ergab sich daraus ein doppeltes Prob-
lem oder, in Harders Worten, eine doppelte »Noth«: Die Auffassung von der
endgültigen Vernichtung des Individuums, die fehlende Hoffnung also auf ein
ewiges Leben und die göttliche Gnade, musste schon zu Lebzeiten einen Zu-
stand der Verzweiflung herbeiführen. Blaise Pascal hat dieses Argument in die
Form seines berühmten Wettgleichnisses gebracht.45 Es hat den Vorteil, dass es
gerade ohne Gottesbeweis auskommt und so die axiomatische Kluft zwischen
Christen und Atheisten geschickt außen vor lässt. Dagegen setzt die andere
»Noth«, von der Harder hier spricht, bereits den Irrtum der Atheisten vor-
aus und hat insofern weniger argumentativen als pastoral-erbaulichen Wert.
Nach dem Tod nämlich, so der Gedanke aus christlicher Sicht, werde sich der
Atheist eben doch in der Unendlichkeit wiederfinden und feststellen, dass er
sich getäuscht hat.46 Diese Erkenntnis falle dann aber zusammen mit der Aus-
sicht auf die nun beginnenden ewigen Höllenstrafen. Besonders hübsch und
pointiert hat dieses etwas schadenfrohe Gedankenspiel einmal der Göttinger
Mathematiker und Dichter Abraham Gotthelf Kästner mit Blick auf den be-
rüchtigten Materialisten Julien Offray de La Mettrie durchgeführt:

Mein Leser; was ich dir erzähle,


Ist, wo nicht völlig wahr, doch glaublich gnug erdacht;
Sieh hier das letzte Wort, das Mettrie vorgebracht;
Wie Teufel! Hab ich eine Seele? 47

44
Vgl. ausführlich Barth 1971.
45
Mehr dazu in Kürze im Kapitel über Seckendorff und Pascal (IV.3.3).
46
Das Argument erwähnt auch, aus der ironischen Distanz des überzeugten Atheis-
ten, Dawkins 2006, S. 110.
47
Abraham Gotthelf Kästner, Vermischte Schriften, Altenburg 1755, S. 179.
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Apologetik ad oculos 259

2.2 Der verzweiffelnde Atheist


Bericht und Anekdote im Dienst der Apologetik

Nicht selten kamen in theologischen Pamphleten und Traktaten auch Form-


elemente wie Dialog (dazu noch mehr weiter unten) oder charakterisierende
Figurenrede (sermocinatio) zum Einsatz, um den Gegner in seinen eigenen
Worten vorzustellen.48 Die Übergänge können durchaus verschwimmen. So
geht etwa bei Theophil Großgebauer ( II.3.1) die referierende Darstellung
atheistischer Meinungen von der indirekten gelegentlich fast in direkte Rede
über.49 Veit Ludwig von Seckendorff rückt in seinem Christen-Stat (1685)
der Erörterung der atheistischen Gemütslage ein kurzes Selbstgespräch ein,
in dem ein Mensch mit seinen Zweifeln an Gott und sich selbst zu Wort
kommt.50 Eine bedeutende Rolle spielten schon seit dem 16. Jahrhundert An-
ekdoten und Exempel, die den Bogen von der abstrakten Definition und der
rhetorisch-fiktionalen Veranschaulichung zur ›historisch‹ erfahrbaren und
dokumentierten Wirklichkeit schlugen. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts
begegnen wir Zusammenstellungen derartiger Berichte über vermeintlich
gottlose Menschen in den thematisch geordneten Sammlungen von Predigt-
exempeln.51 Etliche Beispiele, noch unter dem häufig als Synonym zu ›Atheist‹
gebrauchten Schlagwort ›Epicureus‹ ( I.1.5), finden sich in den Loci Theo-
logici Historici Oder Theologisches Exempel-Buch von Caspar Titius.52 Schon
die Überschriften lassen auf den erbaulichen Zweck schließen, wie etwa »Epi-
curer gedenckt nicht auf einen Schweitzerischen Todt«53 oder »Epicurer quit-

48
Vgl. Barth 1971, S. 30 f., mit einigen Beispielen; zum Folgenden vgl. auch Spieker-
mann 2015.
49
Großgebauer, Preservatif, S. 541: »Diese Leute fahren noch höher nach ihrer über-
aus grossen Weißheit / und dringen sich unberuffen hinein in die allgeheimste Rathkammer
GOttes / und bekümmern sich: wie es doch müglich / daß Himmel und Erden vergehen
soll? daß die Todten / da kein Stäublein mehr von übrig ist / sollen wieder auferstehen?« –
Da das Buch nicht zuletzt als Argumentationshilfe für Christen gegen Atheisten gedacht
war, kommt, im antizipierten Streitgespräch, der Dialog hier und da als Dialogpartner zu
Wort wie etwa hier (S. 687): »Fällt mir auch dieses hiebey ein / spricht derselbe Atheisti-
sche Mensch / daß unter dem Alten Testament / wann einige Streitigkeiten und Zweispalt
in Religions-Sachen entstanden sind / GOTT der HERR sich der Worte Mosis und der
Propheten angenommen […].«
50
Seckendorff, Christen-Stat, Leipzig 21686, S. 57: »Ich weiß nicht recht / wie das
menschliche Geschlecht in die Welt kommen / noch was die Welt eigentlich sey / noch
was ich selbst bin; Ich spühre eine schreckliche Ungewißheit in allen Dingen / ich verstehe
nicht recht / was mein Leib / meine Seele / mein Sinn ist: Eben diese Krafft in mir / durch
welche ich dieses ietzo bedencke / kennet sich selbst nicht / viel weniger andere Dinge.« –
Ausführlich zu Seckendorffs Apologetik: Kap. IV.3.
51
Zur Textgattung vgl. den höchst informativen Überblick von Steiger 1999 mit wei-
teren Literaturhinweisen.
52
Wittenberg 21667.
53
Ebd., S. 970 f.
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260 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

tiret seinen Seelsorger«.54 Mehrere Anekdoten bringt auch die Sammlung Das
Neu-aufgerichtete Historische Bilder-Hauß von Jakob Daniel Ernst,55 gebün-
delt unter Überschriften wie »Hans ohne Gott«56 oder »Der sterbende Welt-
Mann«.57
Dem gleichen Zweck dienten im engeren Bereich der antiatheistischen
Apologetik oftmals eingestreute Berichte von den Autoren selbst über
eigene Begegnungen mit Gottesleugnern oder Religionsspöttern. Einige
Beispiele haben wir im letzten Kapitel schon bei Spener (s. o.) kennenge-
lernt. Sie untermauern auf anschauliche Weise die oft gebrauchte Faktizi-
tätsbehauptung »testatur experientia« – »die Erfahrung bezeugt es«.58 So
berichtet der Hamburger Theologe Johannes Müller in seinem Atheismus
devictus (1672) von Gesprächen mit Atheisten über das sagenhafte Buch
De tribus impostoribus.59 An anderer Stelle schildert er eine Begebenheit
vom Sterbebett eines Atheisten, die er teils selbst erlebt, teils aus erster
Hand erfahren haben will. Die epochentypische Durchlässigkeit der Gren-
ze zwischen Faktualität und Fiktionalität wird an diesem Beispiel beson-
ders deutlich:

Ein grosser mir wolbekandter Atheist hat in seinem Tode keinen Trost gehabt / son-
dern nur beklaget / daß dieses Leben gar zu kurtz sey / und man desselben nit recht
geniessen könne. Daß aber das zukünfftige Leben desto länger sey / hat er sich nicht
vernehmen lassen. Ein grosser Spötter der Religion und des Predigtampts / als er ge-
storben / hat man an seinem Halse einen blauen Circkel gefunden / als ob er mit ei-
nem Stricke wäre erwürget worden / welches mir erzehlet eine glaubwürdige Person /
die es mit ihren Augen gesehen.60

54
Ebd., S. 644 f. – Die Anekdote ist (mit Nachweis) entnommen aus: Gregor Strige-
nitz, Conscientia, das ist Einfeltiger und gründlicher Bericht vom Gewissen des Menschen,
Jena 1596, Bl. 146r–146v. – Zu Strigenitz vgl. den bio-bibliografischen Artikel in Killy/
Kühlmann, Bd. 11, 2011, S. 346 f. ( Johann Anselm Steiger).
55
Altenburg 1674.
56
Ebd., S. 1–18.
57
Ebd., S. 480–504.
58
So etwa Spizel, Scrutinium Atheismi, S. 25: »Qvam ferax porro Monstrorum isto-
rum etiam sit GALLIA, non ipsa solum testatur experientia […].« – Ebenso bereits Johann
Adam Osiander (praes.), Exercitatio V. de notitia Dei contra atheos, Tübingen 1658, S. 67:
»Dari Atheos; & Scriptura testatur, & tristis confirmat Experientia […].« – Weitere Belege
bei Barth 1971, S. 46 f.
59
Johannes Müller, Atheismus devictus, das ist ausführlicher Bericht von Atheisten /
Gottesverächtern / Schrifft-Schändern / Religions-Spöttern […] Mit gründlicher Wider-
legung ihrer erschrecklichen und verdamlichen Irrthüme[r]n, Frankfurt am Main 21685
(zuerst 1672), S. 16: »Ein Leib-Medicus einer hohen Person hat mir erzehlet / daß er das
Buch offtmahls in Händen gehabt und darinne gelesen / die hohe Persohn habe es auch
fleissig gelesen.«
60
Ebd., S. 52.
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Apologetik ad oculos 261

Martialische Begebenheiten wie diese bilden keineswegs eine Ausnahme im


apologetischen Anekdotenschatz.61 In Paul Stockmanns Traktat Der Verkehrte
und bekehrte Atheist (1701), in dem der Dialog zwischen einem christlichen
»Lehrer« und einem Atheisten in dessen panikartige Bekehrung mündet (s. u.),
steuert der Christ zu eben diesem Zweck etliche Exempel »aus glaubwürdi-
gen Geschichtsbüchern«62 bei. Der didaktische Zweck wird explizit formu-
liert63 und rechtfertigt eine ganze Reihe von Fallgeschichten in verschiedener
Länge und Formgebung. In einem Fall reicht die Erzählung kaum über die
Anspielungsebene hinaus und verweist auf entsprechendes Vorwissen beim
Dialogpartner oder besser: beim Leser.64 Ein anderes Mal beruft der Sprecher
sich wie Müller auf die eigene (vermutlich erfundene) Erfahrung.65 Eine dritte
von ihm kolportierte Anekdote steigert die Drastik der Darstellung zusätzlich
durch infernalisches Personal, Einschübe von direkter Rede und die Gravität
der (hier schriftlich überlieferten) letzten Worte:

Jener vornehme Herr führte ein Epicurisch Leben / mit Fressen / Sauffen / Huren /
Schaben und Plagen armer Leute / wolte durchausnicht gläuben daß eine Hölle wäre /
dannenhero er auch sein gottfürchtiges Weib / Wenn sie ihn zur Buße vermahnte da-
mit er nicht verdammt würde / verlachte / sagend: es sey ein Pfaffen-Getichte / die

61
Müller bringt neben eigenen Berichten auch zahlreiche Anekdoten aus der Über-
lieferung ohne sichtbare Zweifel an ihrer Authentizität (ebd.): »Dergleichen Exempla in
den Historien gelesen werden.«
62
Paul Stockmann, Der Verkehrte und bekehrte Atheist, Leipzig 1701, S. 195: »Ob-
gedachter Exempel / wären aus glaubwürdigen Geschichtsbüchern eine ziemliche Men-
ge anzuführen / wenn wir uns damit auffhalten wolten; doch nur einiger zu gedencken:
[…].« – Der theologische Nutzen derartiger, vermeintlich empirisch beglaubigter Er-
zählungen bestand nicht zuletzt darin, dass sie sich als direktes Eingreifen Gottes in den
Weltlauf, als Wunder also, interpretieren ließen (ebd., S. 195): »Auch / daß er [sc. Gott]
hier und da / zu gewisen Zeiten / schreckliche Exempel sich hat zutragen lassen / da rohe
Welt-Kinder und Gottes-Verächter von bösen Geistern sind geholet und zerrissen wor-
den / oder in der letzten Stunde / über dero greßlichen Anblick jämmerlich geklagt / sich
geängstiget / ihre Boßheit gestanden / andere gewarnet / in Verzweiffelung gefallen und
darinne ein Ende mit Schrecken genommen haben.«
63
Ebd., S. 212 f.: »Es ist zwar an dem / daß die bösen Exempel verführen / und das
Gute bey vielen verderben […]. Wilst du aber ja auff andere Exempel sehen / so gedencke
an das schreckliche Ende und Verzweiffelung vieler deines gleichen Atheisten / und laß
dich selbigen bewegen / nicht ferner mehr so zu sagen wie sie.« – Als Beispiel wird an
dieser Stelle zuerst der in Toulouse verbrannte Vanini genannt (ebd., S. 213), später dann
(S. 215–224) das in den Jahrzehnten um 1700 bekannte (tatsächlich erfundene) »tragische
Exempel« (S. 224) des Second Spira. Siehe dazu weiter unten im Kapitel.
64
Ebd., S. 130: »Und wie manchen solte man noch wohl finden / der es mit jenem
rohen Welt-Kinde hielte / welcher meynte / wenn er nur hier tausend Jahr dürffte leben
nach seinem Gefallen / er wolte so denn gern GOtt den Himmel lassen […].« – Es hätte
wenig Sinn, diesem Fall mit erzähltheoretischen Analysekategorien zu Leibe zu rücken
und die deiktischen (»jenem«), semiotischen oder kommunikativen Beziehungen zwi-
schen binnen- und außerfiktionaler Welt herauszuarbeiten.
65
Ebd., S. 201: »Ich habe einen Ertz-Atheisten gekennet / der GOtt / sein Wort /
Kirche / Abendmahl und alles was GOtt zu gehöret / schändlich verachtet […].«
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262 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Leute damit zu erschrecken / er könne nimmermehr gläuben / daß ein Teuffel noch
Hölle sey. Was geschicht? Er wird plötzlich kranck die bösen Geister erscheinen und
wollen mit ihm davon; er schreyet kläglich / Deus adjutorium, oder GOTT komme
mir zu Hülffe! des spotten jene und sagen / wilst du nun die Vesper anstimmen / es
ist zu spät / du must mit uns fort / und reissen ihn mit dahin. Früh ist der Cörper
im Hause gefunden worden todt / schwartz wie eine Kohle / und in der Hand einen
Zettel haltend / mit diesen Worten: Jetzo weiß ich / daß warhafftig eine Hölle sey /
darinne ich braten und brennen muß / darüm daß ich nicht habe gläuben noch Buße
thun wollen.66

Geschichten vom schrecklichen Ende oder aber der finalen Bekehrung hart-
gesottener Gottesleugner erfreuten sich bis weit ins 18. Jahrhundert hinein
großer Beliebtheit,67 auch außerhalb des engeren Bereichs der geistlichen Lite-
ratur.68 An der Haltung in der Todesstunde ließ sich ohne gelehrten Aufwand
die Überlegenheit der christlichen Lehre in einer existenziellen Grenzsituation
demonstrieren. Dennoch konnten dabei zentrale Loci wie Gott, Unsterblich-
keit der Seele, Gericht, Ewigkeit und Gnade rekapituliert werden, wie es stich-
wortartig etwa Theodor Undereyck ( II.3.3) in seinem Buch Der närrische
Atheist (1689) feststellte:

Endlich ist alles Beginnen der Atheisten damit auffeinmahl Krafftloß gemacht und
auffgehoben / daß dieselbige gewöhnlich am Ende / mit der völligsten Vernunfft und
Urtheil / anders Sinnes werden / und dasjenige widerruffen / selbst auch wol mit
grosser Angst und Bekümmernüß / was sie sonst so prächtig und guten Muhts [!]
getrieben. […] Wan sich’s nun anläst daß es mit dem Menschen zum Ende / und die
Kranckheit den Weg zur Ewigkeit durch den Tod eröffnen wil; so scheint die Lust
zu sterben / der Nebel und das verkehrte Glaß weicht dem Geist aus den Augen /
daß er anfängt die Sache etwas reiner anzusehen / und so wird er GOttes / als eines
erschrecklichen Richters gewahr / und behält nicht mehr übrig als ein ängstiges Ge-
wissen.69

66
Ebd., S. 195 f. – Es gibt aber auch positive Exempel. An anderer Stelle berichtet der
christliche Sprecher, dass Aristoteles auf dem Sterbebett gerufen haben soll »O ens entium
miserere mei« (ebd., S. 77). – Zur europäischen Topos- und Literaturgeschichte der ›letz-
ten Worte‹ vgl. die überaus anregende Studie von Guthke 1990.
67
Vgl. etwa Dominicus Wenz, Lehrreiches Exempelbuch, Augsburg 1757. Es enthält
Anekdoten wie »Ein halsstarriger Sünder stirbt ganz unbußfertig« (S. 605 f.) oder »Ein in
bösen Gewonheiten eralteter Sünder stirbt gantz verzweiffelt« (S. 646 f.). Insbesondere die
in epischer Breite ausgeführte Anekdote »Ein gotteslästerischer unbußfertiger Edelmann
stirbt verzweifelt, und gehet an Leib und Seel zu Grund« (S. 189–195) spart nicht an infer-
nalischem Personal.
68
Vgl. Spiekermann 2015.
69
Theodor Undereyck, Der närrische Atheist / Entdeckt und seiner Thorheit über-
zeuget, Bremen 1689, S. 383. – Ähnlich noch Johann Lorenz von Mosheim, Einleitung die
Wahrheit und Göttlichkeit der christlichen Religion gründlich zu beweisen und gegen die
Ungläubigen und Deisten zu vertheidigen, hg. v. Christian Ernst v. Windheim, 2. Aufl.,
Erlangen 1772, S. 72: »[D]ie wenigsten sterben als Deisten. Von hundert Deisten ist kaum
ein einziger, der nicht zuletzt seine Fehler bereuet, und am Ende gestehet, daß er sich bey
der Religion übereilet habe.«
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Apologetik ad oculos 263

Darüber hinaus bot die Drastik der Sterbebettsituation Anlass für alle Arten
der verbalen Orchestrierung, nicht zufällig wurde der Topos noch nach 1700
auch in der weltlichen Rhetorik für die Stimulierung eines verhärteten Gewis-
sens empfohlen.70 Er erfüllte die Bedingungen für die rhetorischen Wirkungs-
ziele movere und docere in geradezu idealer Weise. Die ebenso erbauliche wie
heimlich schadenfrohe Wirkung dürfte vor allem bei denjenigen Lesern ga-
rantiert gewesen sein, die sich durch die seit Plutarch bekannte Behauptung
von der Furchtlosigkeit der Atheisten und die dazu komplementäre, Lukrez
zugeschriebene These, nur Furcht habe die Götter hervorgebracht (»Deos
fecit timor«)71 in Zeiten von höfischer Libertinage und (ab etwa 1660) radi-
kaler Religionskritik zunehmend provoziert fühlen mussten. Zwar zielte der
Atheismusbegriff mitsamt der um ihn gruppierten Topik und Polemik auch
weiterhin vornehmlich auf securitas und ›profane‹ Gesinnung bei bekennen-
den Christen ( II.2–4), diente als Schreckfigur mithin der Disziplinierung
des Gemeindelebens. Gerade deswegen aber und auch wegen des verbreiteten
Glaubens, sich der im Petrusbrief ( I.1.1) vorhergesagten Endzeit zu nähern,
wurde das Auftreten radikaler Religionskritiker beinahe mit Genugtuung re-
gistriert und in die längst bestehende pastorale Argumentation eingebaut.

2.3 Ein Bestseller aus der Zeit der Frühaufklärung


The Second Spira (1693)

Das genretypische Changieren zwischen Fakten und Fiktion, immer mit


Blick auf maximale Wirkung, kennzeichnet auch ein besonders erfolgreiches
Beispiel, das etwas eingehender betrachtet zu werden verdient, weil es nicht
nur das Verfahren einer schrittweisen Fiktionalisierung, sondern auch den
diskursiven Konnex zwischen Reformationszeit und frühem 18. Jahrhundert
eindrücklich demonstriert: Zu den beliebtesten Predigtexempeln zum Thema
›Verzweiflung‹ gehörte seit der Reformationszeit die Geschichte des italieni-
schen Protestanten Francesco Spiera, der vor der Inquisition seinen angenom-
menen Glauben verleugnete und bald darauf angeblich an den Folgen eines
gequälten Gewissens verstarb.72 Diese Figur, die in zahlreichen Sammlungen

70
In August Bohses Einleitung zur teutschen Oratoria ( Jena 1708) wird der Topos
im Kapitel über die inventio (»Erfindung der Beweisgründe«) neben anderen angeführt,
weil er »Die Furcht der Strafe […] erwecket« – gemeint ist die Strafe Gottes (S. 175): »Die
Marter eines bösen Gewissens/ welche derjenige empfindet / so Ubels gethan; und solte
solche nicht ehe als auf dem Sterbe-Bette sich eusern / da der Teufel das Sünden-Register
und die dadurch verdiente Strafe schon weiß vorzuhalten.« (S. 176)
71
Vgl. dazu die Hinweise im Kapitel über Owens Epigramme (s. o.) sowie über Bro-
ckes’ Lehrgedichte (VI.3).
72
Zu Spieras Prozess und Ende sowie zur Entstehung der Legende im Italien des
16. Jahrhunderts vgl. Overell 1995; ferner Sheppard 2012 zu ihrer Inanspruchnahme durch
die antiatheistische Apologetik; die folgenden zwei Absätze sind, mit kleineren Änderun-
gen, in Spiekermann 2015 vorab gedruckt worden.
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264 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

vertreten war,73 bescherte der Apologetik einen ihrer größten Bucherfolge:


1693, ein Jahr nach Start der ›Boyle Lectures‹, eines nach dem Stifter Robert
Boyle benannten apologetischen Großprojekts ( IV.4.1), erschien in London
The Second Spira, Being a fearful Example of An Atheist Who Had apostatized
from the Christian religion, and dyed in Despair at Westminster, Decemb. 8,
1692. Dieser Bericht eines Seelsorgers vom Sterbebett und den jämmerlichen
Gewissensqualen eines Atheisten, dessen Authentizität durch eine kompli-
zierte Herausgeberfiktion und mehrere abgedruckte Testimonien beglaubigt
werden soll, erreichte bereits im Erscheinungsjahr sechs Auflagen, ein 1719
erschienener Druck gibt sich als 30. Auflage zu erkennen und spricht, wenig
glaubwürdig, von 100 000 verkauften Exemplaren innerhalb der ersten Wo-
chen nach Veröffentlichung der Erstausgabe.74
Dass sich das Werk bald nach seinem Erscheinen als Erfindung entpupp-
te, tat seinem Erfolg keinen Abbruch. Dafür sorgte nicht zuletzt der Drucker
und Verleger John Dunton, der den folgenden Ausgaben zunächst eine Ent-
schuldigung samt Erklärung75 beigab und von Edition zu Edition fortgesetz-
te Enthüllungen versprach. Die vermeintliche 30. Auflage enthielt schließlich
laut Titelblatt einen »KEY to the Second Spira (never publish’d in any former
Edition of that Narrative)«, in dem der skandalöse Fall minutiös aufbereitet
wurde. Die erste deutsche Übersetzung erschien 1695 (21696, 31706) unter
dem Titel Der verzweiffelnde Atheist, eine weitere folgte 1701 (Ein zweyter
Franc. Spira). Ebenfalls übersetzt wurde (1728, 21739) als Der Triumphirende
Christ, Und Dritte Spira der 1724 erfolgte Versuch, an die Erfolgsserie mit der
Lebensbeichte eines angeblich in Paris gestorbenen britischen Edelmanns an-
zuknüpfen.76 Daneben kursierten noch andere Schriften ähnlichen Inhalts wie

73
In chronologischer Reihenfolge: Strigenitz, Conscientia, Bl. [26r]–[27r]; daran
anknüpfend: Titius, Loci, S. 1543 f. (im Kapitel über die Verzweiflung); am ausführlichs-
ten: Ernst, Bilder-Hauß, S. 590–600, mit dem Titel »Die unerhörte Verzweiffelung«, weil
man, so die Erläuterung, »dergleichen schreckliches Ende zuvor kaum wird gehöret ha-
ben« (600). – Ernst verweist (ebd., 590) als Quelle auf das »Märtyrer-Buch« des Ulmer
Theologen Ludovicus Rabus (Historien der Martyrer. Ander Theil [sic!], Straßburg 1572).
Dort wird die Anekdote in seltener Ausführlichkeit berichtet (V. Buch, fol. 713r–724v)
und durch Marginalien wie die folgenden bereits sehr deutlich in Richtung Unglauben
perspektiviert: »Franciscus Spiera glaubt gar nichts mehr« (fol. 714r); »Franciscus Spiera
kan nit glauben« (fol. 716v); »Franciscus Spiera verleugnet das H. Evangelium« (fol. 720r).
Eine monografische Längsschnittuntersuchung der Spira-Figur, ihrer Medialisierung und
Instrumentalisierung wäre zu wünschen.
74
The Second Spira […]. The Thirtieth Edition, London 1719, Vorrede (unpag.).
75
The third edition, with the Methodizer’s apology, wherein is now discover’d to the
world the substance of every particular that he knows of in relation to this narrative, Lon-
don 1693.
76
The Third Spira. Being memoirs of the life, also a reasonable account of the ter-
rible despair and death, of a young English gentleman in Paris, in the year 1717, London
1724. – Der deutschen Übersetzung wurde noch der Bericht vom vorbildlichen Leben und
Sterben eines weiteren britischen Edelmanns beigegeben. Daher der abweichende Titel,
der vollständig lautet: Der Triumphirende Christ, Und Dritte Spira. Jener in den letzten
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Apologetik ad oculos 265

etwa Robert Parsons Der bekehrte Atheist (1707), ein Bericht von den letzten
Tagen des berüchtigten Earl of Rochester (1647–1680), ebenso wie dessen be-
kannter gewordene Lebensgeschichte aus der Feder von Gilbert Burnet.77
Im Mittelpunkt der umfangreichen Erzählung steht die wortreiche Weige-
rung des Atheisten, die Botschaft der göttlichen Gnade für sich anzunehmen.
Darin ist ein wichtiges Stück Dogmatik enthalten.78 Gerade in der lutherischen
Theologie besteht im Glaubenkönnen an die Erlösung von den Sünden eine
entscheidende Voraussetzung für die menschliche Heilsfähigkeit. Anders ge-
sagt: Da jeder Mensch unweigerlich sündig ist, bildet das Vertrauen auf die
göttliche Gnade die einzige (sola gratia) Möglichkeit, erlöst zu werden. Im Zu-
rückweisen der Gnade durch den Atheisten zeigt sich also nicht einfach die lo-
gische Konsequenz aus einem sündhaften, dezidiert gottlosen Leben, sondern
ein anhaltendes Missverständnis der christlichen Religion selbst. Es ist denn
auch eben jener Irrtum, der in paradoxer Weise die befürchtete Verdammnis
schließlich wahr werden lässt.79 Diese Weigerung des Atheisten nimmt in The
Second Spira schon groteske Züge an. Er klagt sich fortwährend selbst an, malt
seine eigene Verdammnis in flammenden Farben und weigert sich, Gott um
Gnade zu bitten. Stattdessen fleht er ihn um Vernichtung an,80 hält sich schließ-
lich sogar die Ohren zu, um das Gebet des anwesenden Priesters nicht hören
zu müssen. Ein paar kleine Ausschnitte (hier nach der deutschen Ausgabe von
1695) mögen genügen, um einen Eindruck von diesem Wechselbad der Gefüh-
le sowie von dessen sprachlicher Gestaltung zu verschaffen:

O! ich armseeliger und trostloser Mensch! wie ist nunmehro alle meine so grosse
Hoffnung in Brunnen gefallen! O! daß ich niemahls gewust hätte / waß Religion und

Reden und dem ausserordentlichen Bezeigen eines Englischen Edelmanns […] Dieser in
dem Leben und der schröcklichen Verzweiffelung, wie auch dem Tode eines jungen Engli-
schen Edelmanns zu Paris (Berlin 1728).
77
Gilbert Burnet, Some passages of the life and death of the Right Honourable John,
Earl of Rochester, London 1680 (Reprint Hildesheim 1968); 1695 erschien eine deutsche
Übersetzung, die vielfach nachgedruckt wurde: Bericht vom Leben und Ende Des Durch
Göttliche Gnade Auf dem Tod-Bett bekehrten Welt-bekanten Atheistens [!] Grafen Johns
von Rochester, Nürnberg 1695 (auch Halle 1698 u. ö.). Sie lag bereits kurz nach ihrem
Erscheinen auch Philipp Jakob Spener vor (s. o., Kap. II.4, Anm. 291).
78
Zum Folgenden vgl. die Artikel Gnade IV. Dogmengeschichtlich in TRE, Bd. 13,
1984, S. 490–495 (Wolf-Dieter Hauschild), und Gewissen III: Mittelalter und Reformati-
onszeit in ebd., S. 219–225 (Friedhelm Krüger).
79
Er ist sich darüber auch bewusst, wie sich an mehreren seiner Redebeiträge wie
etwa dem Folgenden zeigt: »Ist Christus für die Sünden gestorben / so ist es von solchen
Sündern zu verstehen / die sich zu ihm bekehren / und an ihn gläuben; Aber dieses ist mir
zu thun unmöglich / ob ich gleich gerne wolte / meine Gnaden-Zeit ist nunmehro aus /
und ich bin verhärtet und gehöre unter diejenigen / so auff ewig verworffen sind.« Der
verzweiffelnde Atheist, Leipzig 1695, S. 35. Nachfolgende Belege mit bloßer Seitenzahl
in Klammern.
80
»Dannenhero so zernichte doch mein Wesen / und laß mich in nichts verwandelt
werden!« (47)
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266 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Gottesdienst wäre / so würde ich meinen Heyland nicht verläugnet / noch zu einen
so schwartzen und schändlichen Erben des ewigen Verderbens geworden seyn. (25) –
O! daß ich doch möchte hundert tausend Jahr lang auf diesem Feuer allhier ligen und
braten / um mir GOttes Gnade dadurch wiederum zu erwerben / und versöhnt zu
werden! Aber / ach! welch ein vergeblicher Wunsch ist dieses! tausend und Million
tausend Jahre werden mir das Ende meiner Qvaal nicht um das geringste näher herzu
bringen / als eine eintzige Stunde. O Ewigkeit / Ewigkeit! Wer kan ergründen den
Abgrund der Ewigkeit! (39 f.) – Ach! wie langsam gehen meine Minuten! Wenn wird
sich doch endlich heran nahen der letzte Athem / der letzte Pulß-Schlag / der meinen
Geist aus dieser eingefallenen Hütte in die verlangte Revier des Todes und der Höllen
stossen wird! Ach! ich! ich sehe / er ist gleich itzt vorhanden. Waß will ich nun sagen?
nun kömt mir ein Grauen vor dem Sterben an. O verlohrne Hoffnung! o elender Zu-
stand eines Atheisten / der keinen GOtt hat / zu welchem er sich wenden möge / der
in nichts Friede und Trost finden kan! (112)

Die im Text begegnende Fülle, Dichte und Intensität der rhetorischen Wir-
kungsmittel kommt in diesem Beispiel deutlich zur Geltung. Nach einem
weiteren Wortwechsel mit dem geistlichen Beistand stirbt der Atheist unter
Qualen, sein Gesicht bleibt im Tode so stark verzerrt, »daß es nicht anders
schien / als ob so gar auch der todte Cörper selbst die äusserste Qvaal und Pein
empfände« (116). Die abschließende Empfehlung zur erbaulichen Nutzan-
wendung dieses Exempels darf entsprechend kurz ausfallen,81 das Wesentliche
ist in aller Ausführlichkeit und mit ermüdenden Wiederholungen gesagt wor-
den. In der antiatheistischen Apologetik, aber auch in der moraldidaktischen
Literatur des 18. Jahrhunderts fand der Topos vom sterbenden Atheisten viel-
fache Verwendung. Noch Schiller plante ein Gedicht über einen sterbenden
Freigeist, das dann aber nicht zur Ausführung gelangte.82 Auf das Motiv wird
später noch zurückzukommen sein.83

2.4 Oratio ficta


Der Atheist als Figur in Lehrdialog und Rollengedicht
(Lassenius, Stockmann, Schnüffis)

Ähnlich wie die kurze ›historische‹ Anekdote innerhalb größerer Traktate zur
eigenständigen Erzählung anwachsen konnte, wie am Fall des Second Spira
gezeigt wurde, so führt von der sermocinatio, als illustrativ eingestreuter wört-
licher Rede im Rahmen eines expositorischen Textganzen, eine Spur zum Di-
alog als eigenständiger Form. Seit der Renaissance hatte die durch das Vorbild

81
»Denn solche Geschichte verhänget GOtt mit Fleiß zu dem Ende / daß sie uns
lehren sollen / ihm mit Furcht und Ehrerbietigkeit zu dienen / damit wir uns selbst richten
und allen möglichsten Fleiß und Sorgfalt anwenden sollen / unsern Beruff und Erwehlung
feste zu machen.« (116)
82
Entsprechende Nachlassnotizen in: Schillers sämmtliche Schriften, Historisch-
kritische Ausgabe, Elfter Theil: Gedichte, hg. von Karl Goedeke, Stuttgart 1871, S. 408.
83
Siehe das Kapitel zu den Moralischen Wochenschriften (VI.2).
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Apologetik ad oculos 267

Platons anhaltend nobilitierte Dialogform zu neuer Konjunktur gefunden.84


Sie hatte nicht zuletzt ihre Fähigkeit bewiesen, quasi im Schutz der Mehr-
stimmigkeit auch heterodoxe Ansichten zu integrieren.85 So vollzog sich zum
Beispiel die frühe (christliche) Rehabilitation Epikurs, etwa bei Lorenzo Valla
und Erasmus von Rotterdam, maßgeblich in dialogischer Form.86 Ein berühm-
tes Beispiel bildet das nur clandestin verbreitete Colloquium heptaplomeres
des Jean Bodin.87 Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Apologetik die
Vorzüge der dialogischen Form für sich entdeckte.88 Schon Mersenne ließ in
seiner Schrift L’impieté des Deistes, Atheistes et Libertins de ce temps (1624)
einen Deisten in seinen eigenen Worten gegen einen katholischen Theologen
antreten. Die Vorzüge des Dialogs sah er in der stilistischen Einfachheit gegen-
über der scholastischen Abhandlung und in der Fähigkeit, die »Irrtümer« der
Deisten und Libertins dem Leser ganz unverstellt (»naiuement«) vor Augen
zu führen.89 Ähnlich hob 1676 Franciscus Cuper in seinen gegen Spinoza ge-
richteten Arcana Atheismi revelata die Vorzüge des Dialogs für die Abwägung
von Argumenten nach ihrer Stärke (»soliditas«) und Schwäche (»debilitas«)
hervor.90

84
Seit der Jahrtausendwende hat sich das internationale Forschungsinteresse am
rinascimentalen Dialog in mehreren Sammelbänden niedergeschlagen: Hempfer 2002;
Guthmüller 2004; Hempfer 2004; Heitsch/Vallée 2004; Hempfer 2010.
85
Zum provokativen Potenzial des rinascimentalen Dialogs vgl. allgemein Marsh
2010; fener Buranello 2004 (zu Aretino); grundlegend nach wie vor Hirzel 1895.
86
Zur Leistung der dialogischen Struktur bei Valla vgl. Müller 2002; ausführlich
Schmitz 2004; bei Erasmus: Leushuis 2015. – Weitere Literatur dazu oben, Kap. I.1.5.
87
Vgl. dazu die Beiträge in Gawlick/Niewöhner 1996.
88
Vgl. die Hinweise bei Barth 1971, S. 30–33.
89
Mersenne, L’impieté des Deistes, Atheistes et Libertins de ce temps, Paris 1624, Pre-
face au lecteur, unpag. [fol. f ijv–f iijr]: »Le stile dont ie me suis serui en tout ce discours,
est fort simple, & succint, d’autant que i’ay creu que la simplicité, & la candeur de la foy
Catholique ne desiroit pas estre expliquee, ou deffenduë par des paroles affaitees, enflees,
releuees, ou metaphoriques, mais par vn discours qui n’eût autre dessein que de proposer
naiuement nostre creance, & de monstrer les erreurs, dans lequels trempent les Deistes, &
toutes sortes de Libertins, desquels ie desire, & recherche le salut auec affection, & since-
rité, comme ils verront dans ces Dialogues, que ie leur addresse.« – Der 1624 erschienene
Dialog bildet insofern auch die komplementäre Ergänzung zu den umfangreichen und
gelehrten Quaestiones celeberrimae in Genesim von 1623 ( I.4.2).
90
Franciscus Cuper, Arcana Atheismi revelata, Philosophice et Paradoxe refutata,
Examine Tractatus Theologici-Politici, Rotterdam 1676, S. 220: »Ne hic vel Atheis ipsis,
vel veritatis in hac materia professoribus, quidquam detrahatur, non modo horum argu-
menta, sed & illorum ad ea refutationes, plene quantum quidem possumus, proponemus,
ut exinde utrorumque vel soliditas, vel debilitas eo magis elucescat. Atque in eum finem
haec in dialogi formam redigere placet.« – Dabei ist zu bedenken, dass Cuper wenig später
selbst als Spinozist angegriffen wurde, wenn auch nicht unwidersprochen. Eine sachliche
Abwägung bietet etwa Immanuel Weber, Beurteilung der Atheisterey / Wie auch derer
mehresten deßhalben berüchtigtsten Schrifften, Frankfurt am Main 1697, S. 55: »Eines
gleichmässigen wird auch Franciscus Cuperus / oder sein Buch / arcana Atheismi revelata
betitult / so er wider den Spinosam geschrieben / von Heinrico [!] Moro beschuldiget / wie
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268 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Nicht unbedingt muss immer der Atheist selbst zu Wort kommen. So lässt
Johann Ludwig Fabricius in seinem Apologeticus pro genere humano contra
atheismi calumniam (1662) zwei Theologen auftreten ( IV.5.2). In Immanuel
Webers Beurteilung der Atheisterey (1697) treffen sich zwar, nach Art der baro-
cken Gesprächsspiele, drei Freunde in regelmäßigen Abständen, um sich über
»den schlechten Zustand des ietzigen Christenthums / und die dabei hin und
wieder ausbrechende theoretische Atheisterey / wie man sie zu nennen pfle-
get« zu unterhalten.91 Es tritt jedoch kein atheistischer Charakter auf, vielmehr
lässt sich der neugierige und (im Sinne von Thomasius)92 unparteiische Florian
von den Kommilitonen Theophilus und Bibliander (die Namen sprechen für
sich) über die besagten Missstände informieren.93 Der Dialog dient hier gerade
nicht, wie etwa bei Valla, Erasmus oder Bodin, dazu, divergierende Ansichten
neben- und gegeneinander auftreten zu lassen und dabei radikalere Positionen
durch die Konfrontation mit Gegenargumenten zu entschärfen. Gleichwohl
muss man Weber zugestehen, dass er inhaltlich bereits nah an die beginnende
Aufklärung heranreicht. Er kennt die frühen Revisionsbemühungen wie etwa
Brownes Religio medici ( IV.5.1) und nimmt neben Browne selbst94 sogar
Thomas Hobbes gegen den Atheismusvorwurf in Schutz.95 Der Atheismus-
begriff wird also mit Einschränkung gehandhabt, die Überführungsmethodik
nach Art von Voetius wird – am Beispiel Vaninis – in die Nähe der Inquisition
gerückt. Die Figur des Florian unterstützt diese Tendenz durch eine scheinbar
naive Fragehaltung:

daß er nehmlich unter dem Praetext einer Widerlegung seine eigne Atheisterey ziemlich
bloß gegeben / wiewohl ichs doch lieber mit Morhofio halten wolte / welcher saget / er
habe Spinosam nur languide, zu laulig / refutiret.«
91
Ebd., S. 1.
92
Thomasius wird im Text mehrmals zustimmend erwähnt (ebd., S. 44 u. 48 [Mo-
natsgespräche], 92 [Einleitung zur Sittenlehre], 131), ohne dass sich daraus schon eine di-
rekte Gefolgschaft ableiten ließe. Die ganze Anlage von Webers Argumentation macht
aber deutlich, dass er die Empfehlungen, die Thomasius einleitend zu den Monatsgesprä-
chen formuliert hat, beherzigt. Zu Thomasius in Kürze ausführlich Kap. V.2.
93
Ebd.: »Florian war begierig / hievon eine genauere Nachricht zuhaben / und er-
suchte Theophilum, der solchen Discours auf die Bahne gebracht / wenn er dessen einige
Gewißheit hätte / ihm vertrauliche Nachricht davon zu geben.«
94
Der Inhalt des Buches wird von Bibliander ausführlich referiert (ebd., S. 94–116),
Browne abschließend und zusammenfassend exkulpiert (S. 116 f.): »Diß ist kürtzlich der
Inhalt des gantzen Buchs / redete Bibliander ferner / und obwohl der Autor von vielen
nöthigen Dingen sein Bekäntniß zuthun unterlässet / und offt wunderliche / theils auch
offenbar irrige Meinungen heget / so kan ich doch nicht absehen / warum er mit auff die
Atheisten-Banck gesetzet / und von diesem seinem Buche so ein hartes Judicium gefället
worden.«
95
Ebd., S. 123: »Waß aber des Hobbesii Atheismum anbelanget / so kan ich ihn doch
in Warheit mit Herrn D. Müllern in die Atheisten-Rolle nicht setzen / nicht so wohl um
des willen / weil er gleichwohl den Grund-Articul von Christo zum Glauben erfordert /
und die H. Schrifft einiger massen zu lässet […].«
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Apologetik ad oculos 269

Florian vermeinte / ob auch wohl dem Vanino […] von dem Parlament unter dem
Praetext der Atheisterey etwan Unrecht gethan worden / gestalt dann die Künste de-
rer Ketzermeister in Italien / Spanien und Portugall mehr alß zu wohl / und sonder-
lich dieses bekant wäre / wie sie offtmahls unschuldige Leute unter dem Vorwand der
Atheisterey und Ketzerey leichtfertig hinzurichten pflegen.96

Der angesprochene Bibliander weicht der Frage aus, indem er die Methoden
der Ketzer- und Atheistenmacherei ausführlich und kritisch erörtert, ohne
dabei jedoch Vanini gegen den Atheismusvorwurf zu verteidigen. Diese ver-
gleichsweise milde Haltung gegenüber Vanini, mehr noch gegenüber Browne
und Hobbes, wird allerdings aufgewogen durch die umso schärfere Verurtei-
lung Spinozas und Matthias Knutzens.97 Auch an der traditionellen Verhält-
nisbestimmung von Atheismus und Unsittlichkeit hält Weber offenbar fest,98
ohne sie gleich in den Mittelpunkt zu rücken oder durch Wiederholungen
polemisch auszumünzen. Webers Strategie erweist sich so als ambivalent, mit
deutlichen Anklängen an die Hallenser Aufklärung: Nicht um die Widerle-
gung des Atheismus geht es hier,99 schon gar nicht um dessen Verteidigung,
sondern um eine subtile und unpolemische Auseinandersetzung mit der apo-
logetischen Überführungshermeneutik. Dafür bietet die ausgesuchte Höflich-
keit der Gesprächspartner einen geeigneten Rahmen.

Die Besiegte Atheisterey von Johannes Lassenius (1673)


Im deutschen Sprachraum (und in deutscher Sprache) sticht das Beispiel von
Johannes Lassenius (1636–1692) hervor, der sich 1666 mit seinem Dialogroman
Arcana Politico-Atheistica ( III.3.5) schon in die Nachfolge von Georg Phi-
lipp Harsdörffers und Rists ›Gesprächspielen‹ gestellt hatte.100 1673 erschien

96
Ebd., S. 68.
97
Knutzen wird kurz und mit aller Schärfe abgehandelt (s. ebd., S. 141–145); an
seiner konsequent atheistischen Lehre (»Es sey kein GOtt«, 143) und seinem defizitären
Charakter (»dieser Gottes-vergessene Bösewicht und Teuffels-Gesandter«, 144) wird kein
Zweifel gelassen.
98
Das zeigt sich, wenn er zustimmend eine ältere Verteidigung für Hobbes durch
Johann Christoph Becmann zitiert, in der Hobbes eine tadellose Sittenlehre bescheinigt
wird. Das scheint für Becmann einen veritablen Atheismus ausgeschlossen zu haben (ebd.,
S. 124 f.). Zwar habe Hobbes zu Unrecht versucht, die Religion anhand von »Moral-Re-
guln« zu bestimmen, »aber ein völliger Atheiste sey er nicht / und könne es auch nicht
seyn / weil er die morale gründlich inne gehabt / die keinen zu einem Atheisten werden
lassen.« – Gerade die Zirkularität dieser Argumentation macht deutlich, wie selbstver-
ständlich Atheismus und Unsittlichkeit eng auf einander bezogen wurden.
99
Kleinere Ausnahmen sprechen nicht dagegen. Gegen Ende wird etwa, eher neben-
her, in gedrängter Kürze der physikotheologische Beweis repetiert (ebd., S. 145).
100
Einen Überblick zu Lassenius’ Leben und Werk samt Auswahlbibliografie
bietet der Artikel in Killy/Kühlmann, Bd. 7, 2010, S. 249 f. (Dieter Lohmeier/Wilhelm
Kühlmann). Immer noch lesenswert: ADB, Bd. 17, 1883, S. 788–790 (Carsten Erich
Carstens); ausführlicher noch Carstens 1876 (dort, S. 449 f. u. 453, auch frühe Disputa-
tionsdrucke); zu seiner Bedeutung als Erbauungsschriftsteller vgl. Grosse 1900, S. 277–
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270 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

die weit umfangreichere, in Dialogform verfasste Besiegte Atheisterey bei dem


Hamburger Drucker Naumann,101 der neben Rists Monatsgesprächen und sei-
nen Paßions-Andachten102 auch Johannes Müllers Atheismus devictus (1672)
verlegt hatte. Gewidmet ist sie dem Vize-Statthalter im königlich-dänischen
Teil Schleswig-Holsteins, dem noch jungen Reichsgrafen Detlev zu Rantzau
(1644–1697), der Lassenius 1669 zu seinem Hofprediger berufen hatte.103 Der
Autor, nach turbulenten Wanderjahren sowie Predigerstellen in Itzehoe und
Barmbeck schließlich Hofprediger und Theologieprofessor in Kopenhagen,
hat sich bei den Zeitgenossen vor allem als Prediger und Erbauungsschrift-
steller einen Namen gemacht. Während des Studiums in Rostock war er im
Umkreis von Heinrich Müller (Geistliche Erquickstunden, 1664 u. ö.) mit den
dortigen kirchlichen Reformtendenzen bekannt geworden,104 er dürfte auch
noch Theophil Großgebauer als Prediger gehört haben.
Folgerichtig zeigen sich in der Vorrede zur Besiegten Atheisterey denn auch
die sattsam bekannten Topoi der frühpietistischen Kirchen- und Kulturkri-
tik: die Klage über den Verfall der Frömmigkeit, die Zunahme der Heuche-
lei selbst innerhalb der Kirche und den profanen Zeitgeist schlechthin.105 Der
Zweck ist erbaulich, die Zielgruppe der Vorrede zufolge das verbliebene kleine
»Häufflein«106 von Anhängern des (offensichtlich von Johann Arndt inspi-

284. – Eine Untersuchung über Lassenius’ Beitrag zur barocken Kompilations- und
Konversationsliteratur steht noch aus. Hinweise bei Kühlmann 2011, S. 557 f.; als Autor
fingierter Tischreden knüpfte Lassenius darüber hinaus an die durch Luther etablier-
te Tradition an; vgl. dazu Mitchell 1983 u. Kühlmann 1982, S. 348 f. – In Hans-Martin
Barths maßgeblicher Monografie über die barocke Apologetik (Barth 1971) wird Lasse-
nius zwar vielfach genannt (Register s. v.), seine zwei antiatheistischen Schriften werden
jedoch nicht im Zusammenhang und schon gar nicht als literarische Texte interpretiert;
ähnlich bei Mulsow 2002, S. 417, der die Arcana kurz erwähnt und zu Recht ihre ›popu-
läre‹ Machart hervorhebt.
101
Johann Lassenius, Besiegte Atheisterey / Darin Aus heiliger Schrifft behaubtet /
auch theils Aus der Natur und gesunden Vernunft erwiesen, Daß die heil. Schrifft Gottes
Wort; warhafftig ein GOtt; die Seele der Menschen unsterblich […] Sampt unterschiedli-
chen Anmerckungen Und einen Anhang Vieler hiezu dienender Fragen und Antworten,
Hamburg 1673. – Zitate aus dem Haupttext im Folgenden mit Seitenzahl in Klammern
im Fließtext. Die Blattzählung der Vorrede erfolgt wegen der umständlichen Notation
in den Anmerkungen.
102
Vgl. die editorischen Hinweise von Johann Anselm Steiger in seiner kritischen
Edition der Passions-Andachten, Berlin/München/Boston 2015, S. 483–495.
103
Vgl. Carstens 1876, S. 453 f.
104
Vgl. ebd., S. 449. – Mehr zum Rostocker Umfeld um 1660 weiter oben, Kap. II.3.
105
Lassenius, Besiegte Atheisterey, Vorr., fol. ** 2v–** 3r: »So ist dennoch kein
Zweiffel / GOtt werde / seiner Barmhertzigkeit nach / in diesen letzten Zeiten / da Gros-
se und Kleine / Geistliche und Weltliche / ihren Weg verderbet; das rechte Christenthum
fast gedämpfet / und was davon noch übrig / in eine äusserliche Scheinheiligkeit / und
Pharisaeische Heucheley verwandelt / Ihm eine Anzahl Gläubiger vorbehalten / und be-
kräfftigen / daß sie ihre Knie vor Baal nicht beugen werden.«
106
Ebd., Vorr., fol. ** 2v.
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Apologetik ad oculos 271

rierten) »wahren Christenthumbs«.107 Die Frage An dentur athei, die in der


theologischen Fachliteratur regelmäßig zu Verlegenheit führte, weil es einen
Atheismus sensu stricto nach der Lehre von der cognitio Dei insita gar nicht
geben konnte ( I.5), wischt Lassenius mit dramatischem Gestus beiseite.108 Er
verweist den Leser auf die nahende Endzeit einerseits, die tägliche Erfahrung
andererseits und schließlich – nicht verwunderlich in diesem Kontext – auf
den 14. Psalm:

Wir seynd leider auff die Zeiten kommen; da die Gottlosigkeit überhand genommen /
der Glaub bey einigen anfänget zu wancken / und bey dem grössesten und meisten
Hauffen / allbereit gantz verloschen; Die GOtt sonsten schuldige Ehr / ist in seine
Verachtung verwandelt; Und / schrecklich zu sagen! in eine gäntzliche Verneinung
seines heiligen Wehsens; das reden / so viel wieder GOtt geschriebene vermaledeyte
Bücher; das zeugen die Gottlose Discursen / der Welt-gesinneten; auch der darin ge-
achteten Grossen und Gelehrten: und lieget zum Vorschein; Ihrer aller ärgerliches /
ruchloses ungebundenes Leben; Es sprechen noch heut / die Thoren in ihrem Hert-
zen es ist kein Gott. Psalm. XIV,1.109

Dieses pauschale, den Atheismusbegriff in seiner durch Voetius vordefinierten


Breite applizierende Urteil über die Verbreitung des atheistischen Unglaubens
würde im Horizont der reformprotestantischen Frömmigkeitskultur kaum
weiter verwundern, hätte Lassenius nicht schon in dem sieben Jahre zuvor
erschienenen Roman sehr kritische Reflexionen zur Atheisten- und Ketzer-
macherei vorgetragen ( III.3.4). Tatsächlich spricht auch der Inhalt des Werks
eine andere Sprache: Bei der im Dialog vorgeführten Figur mit dem sprechen-
den Namen Atheander handelt es sich – in der Apologetik dieser Zeit recht
ungewöhnlich – um einen Atheisten im striktesten Wortsinn. Daran lassen Ti-
tel und Inhalt von Atheanders zweiter Rede (»Daß kein GOtt sey«) keinerlei
Zweifel. Keineswegs also kann Lassenius damit auf eine Haltung gezielt haben,
die, wie es im Zitat oben heißt, »bey dem grössesten und meisten Hauffen«
Verbreitung gefunden habe. Vielmehr lässt er, soweit ich sehe, als erster deut-
scher Autor einen Atheisten nach dem heutigen engeren Begriffsverständnis
auftreten, wenngleich, wie sich gleich noch zeigen wird, als allegorische Figur.
Den Hauptteil der Schrift (1–886) bildet der Dialog zwischen Atheander und
seinem christlichen Widerpart mit Namen Theander, genauer gesagt, ihre auf-

107
Ebd., Vorr., fol. ** 3v: »Das weiß GOtt; daß ich es wol gemeinet / und hierunter
nichts gesuchet / dann die Aufferbauung des wahren Christenthumbs […].« – Die Formu-
lierung deutet mit ziemlicher Sicherheit auf Johann Arndts berühmte Schrift Vier Bücher
vom wahren Christentum, die durch das ganze 17. Jahrhundert hindurch auf die protes-
tantischen Reformbewegungen einwirkte.
108
Ebd., Vorr., fol. ** 1r: »Ich erachte es unnöhtig [!] zu seyn / Beweißthümer zu
suchen; das Atheisten / spöttliche Gottes-Verächter in diesen letzten Zeiten gefunden wer-
den; warlich / der mit der Welt umbgehet / wird aus dero führendem Wandel hierin zur
gnüge Anzeige finden!«
109
Ebd., Vorr., fol. ** 1r–** 1v.
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272 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

einander bezogenen Reden vor einem imaginären Tribunal »Teutsche[r]« oder


»Europäische[r] Helden«.110 Es handelt sich also um eine Art von Gerichtsfikti-
on, überhaupt wirken die Plädoyers der beiden Figuren oft wie Deklamations-
übungen. Auf vier »Reden« Atheanders zu den Themen Bibel, Existenz Gottes,
Unsterblichkeit der Seele und Geister (also auch Engel und Teufel) kommen ins-
gesamt 17 »Gegen-Rede[n]« seines Opponenten. Darin drückt sich das apolo-
getische Vorhaben schon quantitativ aus. Es könnte damalige Leser zudem auch
befremdet haben, den Atheisten mit der gleichen Anzahl von Redebeiträgen
vertreten zu sehen. Zur Vorbereitung auf Diskussionen mit Religionskritikern
oder Gottesleugnern wie zur eigenen Nutzanwendung des Lesers hat Lassenius
überdies in einem reichhaltigen Anhang (887–970) weitere diffizile Fragen aus
Dogmatik und biblischer Historie zusammengetragen und in steter Wendung
gegen die rationalistische Bibelkritik Sozzinis, Spinozas und anderer aus der
Sicht der lutherischen Schriftauslegung beantwortet. In der postum gedruckten
Schrift Himmlisches Gnaden-Licht (1700) hat Lassenius einen noch umfang-
reicheren Katalog von Fragen »über Die Schein-duncklen Oerther« der Schrift
vorgelegt, und das allein über die Kapitel 1 bis 11 des ersten Buch Moses.111
Wie dort hat Lassenius auch in der Besiegten Atheisterey die teils umfängli-
chen Verweise auf gelehrte theologische Literatur in den lateinisch geschriebe-
nen Anmerkungsapparat verlegt.112 Darin begegnen wir etlichen alten Bekann-
ten aus dem Bereich des internationalen antiatheistischen Schrifttums,113 von
der ersten Garde – Mornay (31), Mersenne (12), Voetius (13) und Spizel (14) –
über weniger berühmte Autoren wie Daniel Clasen (14) bis hin zur staatsthe-
oretischen Literatur, etwa Tholosanus (13), oder gar heterodoxieverdächtigen
Schriften wie Brownes Religio Medici (12, 14 u. 66). Sogar die weiter oben
( I.1) behandelten Psalterkommentare von Augustinus (78, 857) und Calvin
(121) hat er gelesen. Lassenius bietet damit, wie schon Müllers Atheismus de-
victus und bald darauf Seckendorffs Christen-Stat ( IV.3), Anhaltspunkte für
gelehrte wie für ungelehrte Leser und legt mit ihnen den Grundstein für eine
volkssprachliche Apologetik.114

110
Inwiefern Lassenius damit eine Analogie zum ›altdeutschen‹ Heldenrat in Mo-
scheroschs Gesichten des Philander von Sittewalt herzustellen beabsichtigt, muss dahinge-
stellt bleiben. Es fällt immerhin auf, dass sich Atheander an die ›europäischen‹, Theander
jedoch an die »Teutsche[n]« Helden (15) richtet. Weitere Hinweise im Folgenden.
111
Vgl. dazu Kühlmann 2011, der im Abgleich mit protestantischer (Pareus) und ka-
tholischer (Bellarmino) Kommentarliteratur die exegetischen und erbaulichen Grundzüge
herausarbeitet.
112
Vgl. ebd., S. 555 f. – Die 17. und letzte Rede Theanders ist mit nicht weniger als 61
Anmerkungen versehen, die zusammen knapp 30 Seiten einnehmen (857–886).
113
Dazu ausführlich weiter oben, Teil I u. Kap. II.2.
114
Lassenius, Atheisterey, Vorrede, fol. ** 4r: »Die Lateinischen Allegata, habe
drumb zu Ende / einer jeden Rede oder Gegen-Rede setzen lassen / damit sie dem Leser
keinen Verdrus / im context machten; bin aber gewiß / das darin viel Lehr-Puncten / so
anderswo nicht haben füglich mögen angebracht werden / abgehandelt / und den Sprach-
kündigen nicht unangenehm sein werden.«
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Apologetik ad oculos 273

In argumentativer Hinsicht birgt der Text kaum Überraschungen. Die An-


griffe auf Bibel, Gottesbeweis und ewiges Leben werden erwartungsgemäß pa-
riert. Ungewöhnlich um diese Zeit (1673) ist immerhin die ausführliche Ausei-
nandersetzung mit den verstörenden Befunden von Reiseberichten, welche die
Kunde von gottlosen Eingeborenenvölkern nach Europa trugen.115 Wie auch
in den Arcana Politico-Atheistica versteht es Lassenius offenbar, aktuelle Dis-
kurse in die Behandlung theologischer Grundsatzfragen einzubinden. Wichti-
ger für unsere Fragestellung ist die Inszenierung und Charakterisierung eines
Atheisten als fiktionaler Figur. Schon bei oberflächlicher Betrachtung zeigt
sich hier, was sich auch in anderen Dialogen wiederholen wird: Atheander
wird nicht als pöbelnder Wüstling gezeichnet, als biblischer irrisor oder illusor
( I.1), der den Beweisverfahren der Apologetik mit Hohngelächter statt mit
Argumenten begegnet.116 An einen solchen Opponenten wären, aus dramatur-
gischer Sicht, Theanders Einwände eher verschwendet gewesen. Zudem sah
die Konversationsliteratur der Zeit, die neben inhaltlicher Belehrung auch im-
mer die Einübung geselliger Verhaltensnormen zum Ziel hatte,117 einen solchen
Typus gar nicht vor. Wir sehen daher einen Menschen von gesellschaftlichem
Schliff, der die Regeln der galanten Konversation in fast schon übertriebener
Weise einzuhalten weiß. Die zu Eingang jeder Rede erfolgende, in den Reden
dann oft variierte Anrede der europäischen »Helden« wirkt wie der Auszug
aus einem der zahlreichen Komplimentierbücher der Zeit: »Großmüthige Eu-
ropaeische Helden. Glücksehligste Besieger so vieler Nationen, vergnügteste
Besitzer der Edelsten Erden. Gnädigste Herren!« (1)
Auch wenn sich diese implizit figurale Charakterisierung118 gegen den Po-
liticus oder den honnête homme, also die gängigen Leitbilder höfisch-pru-
dentistischer Verhaltenslehren, richten dürfte,119 bleibt doch zu bedenken,
dass sein christlicher Opponent ihm darin kaum nachsteht. An die Stelle der
hyperbolischen Lobadressen tritt bei Theander jedoch oftmals der persönli-
chere Tonfall der reformprotestantischen Erbauungsliteratur. Der markante-

115
Die entsprechenden Hinweise Atheanders (83 f.) werden schon in den Anmer-
kungen zu seiner Rede (90–97) ausführlich kommentiert und später durch Theander in
einer eigenen »Gegen-Rede« (149–166) abgearbeitet: »Theanders Achte Gegen-Rede /
erweisent [!] daß es den Americanern an gnugsamen mittelen zur erkändtniß Gottes zuge-
langen nicht ermangelt.«
116
So auch noch Johann Ulrich Frommann in seiner Disputationsreihe Atheus Stul-
tus (Tübingen 1713–1715), S. 2: »Uti vero se solos sapientes & eruditos jactant, ita omnes
reliquos, quibus DEUS cordi est, inprimis autem Theologos contemnunt & rident eosque
ut homines simplices, insipidos, impolitos, qui vivere non norint, traducunt.« – Ausführ-
lich zu Frommann weiter unten, Kap. V.5.2.
117
Vgl. den Artikel Dialog in RLL3, Bd. 1, 1997, S. 354–356 (Thomas Fries/Klaus
Weimar), bes. S. 355.
118
Die Arten der Figurencharakterisierung hier nach der bekannten Typologie von
Pfister 102000, S. 250–264, die sich auf Dialogliteratur gut übertragen lässt.
119
Atheander selbst bescheinigt sich ein »Politisches Hertz« (4).
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274 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

re Unterschied liegt deshalb wohl darin, dass er die gleiche Hörerschaft120 als
eine dezidiert »Teutsche« anspricht: »Hochtheuerbare Helden. Auffrichtige
Teutsche. GOtt-gewidmete Hertzen!« (15) Ein Vierteljahrhundert nach dem
Ende des Dreißigjährigen Kriegs wird also noch einmal der barocke Kultur-
patriotismus beschworen. Der atheistische Unglaube erscheint, hier aus Sicht
der Figur Theander, als Symptom oder Folge einer kulturellen Überfremdung.
Hatte schon die ältere Generation von Apologeten – Voetius, Spizel, Reiser
und Großgebauer, ebenso auch Gelehrte vom Format Hermann Conrings –
den iter atheismi von Italien über Frankreich, England und die Niederlande
nachgezeichnet und so Deutschland zum mehr und mehr bedrohten letzten
Refugium christlicher Frömmigkeit stilisiert,121 so denunziert nun auch The-
ander gleich in der ersten Rede seinen Opponenten als »welsches Unthier«,
das sein »geliebtes Vaterland« mit »süß-pfeiffenden« Einflüsterungen verführt
habe (18).
Atheander erscheint so, in der expliziten Charakterisierung durch sein Ge-
genüber, nicht nur als exemplarische Figur, sondern als allegorische Verkörpe-
rung des Atheismus schlechthin.122 Deswegen werden ihm nacheinander die
wichtigsten Lehrsätze der radikalen Religionskritik in den Mund gelegt, des-
wegen spricht er von Machiavelli, Aretino und Vanini wie von seinen Schülern
(»mein Welscher MachiaVellus [sic!], oder mein sinreicher Petrus Aretinus und
der embsige Julius Caesar Vaninus«, 5), bezeichnet Wiedertäufer und »Liber-
tiner« als »Recht gesinnete« (665), und deswegen schickt er sich an, vor dem
›europäischen‹ Tribunal seine Sache zu vertreten – aus der Lage der Selbst-
verteidigung, ja des zu Unrecht Beschuldigten.123 Wir erfahren über ihn, dass
er an einer großen bibelkritischen Schrift zur »erläuchtung« aller Europäer
arbeitet (2), deren Geheimnisse aber zur Unzeit bekannt geworden und zu
Unrecht nicht nur unter Gelehrten, sondern auch unter dem »Pöbel« verbrei-

120
Dass beide Figuren zum gleichen Publikum sprechen, kann aus der Art und Weise
entnehmen, wie die jeweiligen Plädoyers aufeinander Bezug nehmen, so etwa zu Beginn
der vierten Rede Atheanders: »Die grosse Freyheit / so Theander numehr eine geraume
Zeit bey euch zu reden gehabt / machet mich glauben / das ein Vorbringen nicht so gar
unfruchtbar sein könne.« (662)
121
Beispiele weiter oben in Kap. II.1.
122
Das belegt die Passage im Zusammenhang: »Ich erinnere mich / wol eher gehört
zu haben / daß ein welsches Unthier / unter dem Namen Atheanders / auch in Teutschland
sich ertheilet; Nimmermehr aber hätte ich gläuben können / daß dessen Unverschämheit
[!] in ein so grosses Meer sich ergiessen würde / ohne Scheu / vor jedermans / absonderlich
für euren Ohren / ihr Gott-gewiedmete Hertzen / daß zu verwerffen / was heilig ist / und
unter die Füsse zu treten / was göttlich ist.« (18)
123
»Es streitet wieder mich Jedermann / und man hat den Krieg wieder mich ehe
angefangen / als ich mich dessen versehen. Die Zeitungen sind mehrentheils von mir erfül-
let; Und die Vielheit dehrer / so auff meinen Tod geschworen / und die Wenigkeit derer /
so bey mir sein / machet / das ich fürchten mus / es dörfften meine Getreueste von mir
abgewendet werden / und ich endlich das Feld reumen müssen.« (4)
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Apologetik ad oculos 275

tet worden seien (3).124 Darin – und nur darin – erkennt er so etwas wie eine
Schuld, während er es ansonsten zum berechtigten Ziel erklärt, die Herrschaft
der »Pfaffen« und ihrer »Raserey« (11) zu beenden. Sofern er darin der Reli-
gion zumindest die Funktion zuerkennt, den »ungehirnten Pöbel im Zaum zu
halten« (85), wie es später über die germanischen Götter heißt, zeigt er sich
erneut als Politicus und als Schüler oder vielmehr Lehrer Machiavellis. Mit der
Differenzierung zwischen »Pöbel« und Gelehrten hinsichtlich der Zumutbar-
keit seiner Lehren bekennt er sich darüber hinaus zu der von Kirche und Apo-
logetik verfemten Idee einer religio prudentum.
Bei aller äußeren Höflichkeit zeigt sich Atheander ausgesprochen selbst-
bewusst, wenn nicht überheblich, fern jeder Einsicht und völlig respektlos
gegenüber der christlichen Religion, insbesondere der Bibel. Er repräsentiert
den Atheismus directe talis, wie ihn Voetius definiert hatte, in einer seltenen
Eindeutigkeit. Genau das wird durch das Mittel der Fiktion ermöglicht: Nicht
Vanini, Hobbes oder Spinoza (die Letzteren kommen nicht einmal vor) wer-
den, auf anfechtbare Weise, zu konsequenten Atheisten erklärt, schließlich
hat keiner von ihnen je das »non est Deus« ausgesprochen; der Atheismus
selbst ergreift hier das Wort und ist daher auf lebende Abbilder nicht mehr
angewiesen. Insofern immerhin bleibt Lassenius seiner eigenen Kritik an der
apologetischen Überführungsmethodik treu, wie er sie in den Arcana Politico-
Atheistica der Figur des Philalethes in den Mund gelegt hatte.
Fest steht außerdem, dass Lassenius von der Möglichkeit, den Atheisten
lächerlich zu machen, keinen Gebrauch gemacht hat. Dem standen wohl auch
die Formkonventionen des Gesprächsspiels im Weg. Schließlich aber wird
Atheander am Ende nicht explizit bekehrt oder zur Einsicht in seine Irrlehren
gezwungen, vielmehr führt das Prinzip der abwechselnden Plädoyers vor ei-
nem oder gar zwei verschiedenen Foren, die sich überdies in Schweigen hüllen,
dazu, dass die Frage nach dem finalen Richterspruch ins Leere läuft. Beide Op-
ponenten bringen ihre jeweils letzte Rede in der von Anfang an bekundeten
Überzeugung zu Ende, den Gegenpart widerlegt zu haben.

Paul Stockmanns ›Verkehrter und bekehrter Atheist‹ (1701)


Ganz und gar anders liegt der Fall beim nächsten zu betrachtenden Beispiel,
Paul Stockmanns bereits erwähnter Schrift Der verkehrte und bekehrte Athe-
ist von 1701.125 Wie schon am Titel ersichtlich, handelt es sich um die dialogi-
sche (zusätzlich mit Gedichtpartien angereicherte) Inszenierung einer erfolg-

124
»Und / was Billigkeit ist diese / daß die geheimste Anschläge unserer Reden und
Gedancken / numehro auch dem ungehirnten Pöbel offenbahr worden? […] Ich verfluche
tausentmahl die Jenige / welche durch gahr zu offenhertzige Zusammenkunfft / diese Ge-
heimnüs / so liederlich / zu meinem grössesten Nachtheil ausgeschwätzet.« (3)
125
Hier nun auch mit vollem Titel: Der Verkehrte und bekehrte ATHEIST, Das ist:
Kürtzliche Vorstellung der vornehmsten Meynungen und Einwürffe / welche die verruch-
ten GOttes-Verächter wider den wahren GOtt und dessen H[eiliges] Wort auffbringen
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276 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

reichen Bekehrung. Das letzte Kapitel Der besser gesinnte und sich bekehrende
Atheist bildet geradezu ein Konversionsprotokoll, wie sie zeitgleich etwa vom
katholischen Ospizio dei Convertendi in Rom für bekehrte oder zu bekeh-
rende Protestanten geführt und archiviert wurden.126 Anders als bei Lasseni-
us (dessen Besiegte Atheisterey Stockmann kannte)127 findet hier eine direkte
Bezugnahme statt, der christliche »Lehrer« spricht den Atheisten unmittelbar
in der zweiten Person Singular an. Dem Atheisten kommt allerdings mit weni-
ger als einem Zehntel der weitaus geringere Redeanteil zu. Im Gegensatz zum
christlichen »Lehrer«, welcher ausführlich aus der apologetischen Literatur
(Mornay, Grotius),128 aus Luthers Schriften,129 mehr noch aus den Kirchenvä-
tern (Ambrosius, Augustinus, Basilius, Laktanz, Tertullian), ferner aus Cicero
und Seneca, vor allem aber aus der Bibel zitiert, beschränkt sich der Atheist,
wie sich noch zeigen wird, auf bloße Behauptungen entlang den bekannten
Topoi der radikalen Religionskritik.130
Insgesamt handelt es sich also eigentlich um einen apologetischen Traktat,
der notdürftig um dialogische Partien (1–15 u. 276–344) ergänzt wurde. Auf
Polemik wird weitgehend verzichtet, es herrscht von Anfang an ein Gestus
der pastoralen Fürsorge.131 Im Anschluss an die kurze Selbstexplikation des
Atheisten (1–13) geht sein christlicher Widerpart nacheinander die klassischen
loci der Apologetik durch: Heilige Schrift (13–49), Gott (50–114), Seele (115–
141), Auferstehung (142–162), Himmel, Hölle und Gericht (163–211). Hinzu
kommt – ein früher Rezeptionsbeleg innerhalb der deutschsprachigen geistli-
chen Literatur – ein ganzes Kapitel (212–275) über das Ende eines Atheisten
nach dem Vorbild des Second Spira. Zur theologisch-gelehrten Beweisführung
tritt also in erheblichem Maß, weit mehr als bei Lassenius, die je nach Ziel-
gruppe erbauliche oder abschreckende Persuasionsstrategie der lutherischen
»Exempelhermeneutik« ( J. A. Steiger).132 Wir hatten schon weiter oben gese-

[…], Leipzig 1701. – Nachweise im Folgenden mit Seitenzahl in Klammern nach Zitat
oder Verweis.
126
Zu dieser Textgattung vgl. Matheus 2013.
127
Auf Lassenius wird zweimal zustimmend verwiesen (43 u. 128).
128
Längere Passagen aus Mornays De la verité de la religion chrestienne (dazu
Kap. I.2.2), nach der lateinischen Ausgabe (Antwerpen 1583), werden zitiert auf S. 27–29,
119 f. u. 206 f. – Anders als Lassenius wälzt Stockmann die gelehrte Literatur nicht in An-
merkungen ab, dafür gibt er längere Zitate, auch aus antiken und patristischen Quellen, in
deutscher Übersetzung wieder.
129
Luther wird hier tatsächlich mit seiner Polemik gegen den ›Epikureismus‹ in An-
spruch genommen (225 f.). Zitiert wird eine Äußerung über den römischen Klerus aus Lu-
thers Romaufenthalt. Stockmann verwendet dazu die von Johann Christfried Sagittarius
besorgte deutschsprachige Lutherausgabe (Altenburg 1661–1664).
130
Dagegen hatte Lassenius den Reden seines Charakters Atheander ebenso gelehrte
Anmerkungen hinzugefügt wie denjenigen Theanders (s. o.).
131
So bestimmt der christliche »Lehrer« seine Motivation gleich eingangs mit
Nächstenliebe (14 f.). Schon die erste unmittelbare Anrede an den Atheisten ist mehr auf
Bestürzung gestimmt als auf Anklage (13): »Was machst du doch?«
132
Vgl. Steiger 1999, Titel u. pass.
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Apologetik ad oculos 277

hen, wie intensiv sich Stockmann aus deren reichem Anekdotenschatz bedient
hat.133 In die Nachfolge der innerprotestantischen Reformbewegungen stellt
sich Stockmann schließlich, indem er dem christlichen »Lehrer« im Rahmen
einer weit ausholenden concessio kritische Äußerungen über kirchliche Miss-
stände in den Mund legt (231 f. u- 252 f.).134
Dieser recht subtilen, methodisch variablen Strategie des (nur notdürftig)
fiktionalisierten Predigers steht ein – im Vergleich zu Lassenius’ Atheander –
eher schwacher Auftritt des Atheisten gegenüber.135 Seine erste kurze Suada
richtet sich in überheblichem Tonfall an die christliche Welt als an »Bethör-
te Menschen« (1), nennt Unsterblichkeit und Auferstehung »ertichtetes Fa-
belwerck« (11), die Religion einen »Wahn« (1) oder ein »Getichte der Pfaf-
fen« (12). Dagegen nimmt er aber für sich selbst (allenfalls darin Atheander
vergleichbar) die »gesunde Vernunfft« in Anspruch (7). Tatsächlich erscheint
seine Religionskritik auf einige provokante Behauptungen reduziert. In weni-
gen knapp gehaltenen Paragrafen136 wird der Kontigenzbeweis mitsamt der na-
türlichen Gotteserkenntnis verworfen (4 f.), die Güte Gottes aus dem Lauf der
Welt widerlegt (5 f.), die Fehlbarkeit von Prophezeiungen beanstandet (6 f.),
die göttliche Vorsehung durch den Zufall (»ohngefehr«) ersetzt (6), die Seele
materialistisch als die »Wärme im Geblüte« gedeutet (7). Auf gelehrte Belege
und Beweisverfahren wird verzichtet, mehr noch, sie werden kurzerhand für
unnötig erklärt. Schon damit wird der Redner intellektuell disqualifiziert.137
Offenbar haben wir es hier weniger mit einem gelehrten Atheisten wie
Atheander zu tun als mit einem Welt- und Lebemann vom Schlag des Second
Spira. Nicht nur gibt er sich durch seine Wortwahl als lustiger Geselle (nach ei-
nem Typus des mittelalterlich-frühneuzeitlichen Schwankpersonals),138 durch

133
Ein Vertreter, Ernsts Bilder-Hauß, wird im Text explizit genannt (228).
134
Der »Lehrer« wendet sich dabei nicht oder nicht nur gegen Ansichten seines athe-
istischen Gegenübers, sondern grenzt das zulässige Maß an geistlicher Kirchenkritik gegen
Vertreter des radikalen Pietismus – hier insbesondere gegen Gottfried Arnold – ab (252 f.).
135
Wie bei Lassenius handelt es sich um einen Atheisten im engsten Wortsinn, das
Non est Deus wird explizit formuliert, z. B. S. 5 f.: »Ich bleibe dabey / daß kein GOtt sey /
sondern alles von der Natur / wie erschaffen / also auch noch erhalten und regieret / auch /
durch den Einfluß der Gestirne / entweder zum Guten oder Bösen geleitet werde […].«
136
Auch diese Verknappung wird abschließend kurz begründet: »Ich könte noch
viel mehr / die Richtigkeit meiner Meinung darzuthun / anbringen / wenn es die Noth
erfoderte / und nicht schon an dem / was ich gesagt / es gnug wäre.« (11)
137
In einer Art von praeteritio erklärt der Atheist eingehende Beweise für seine Be-
hauptungen für überflüssig und beruft sich stattdessen auf antike Autoritäten, die hier
kurzerhand als Protoatheisten in Anspruch genommen werden: »Und / was mühe ich
mich / viele Beweißgründe dessen anzuführen / da ich eine so grosse Menge kluger und
hochgelahrter Leute vor mir finde / welche dieses alles zur Gnüge dargethan haben? Aris-
toteles, Plinius, Galenus, Epicurus, der sonst hochgehaltene Origenes, Tatianus und viele
andere / haben die Seele vor sterblich gehalten.« (8)
138
Darauf deutet es, wenn in seiner Rede Plinius als sein »getreuer Mitbruder« be-
zeichnet wird (5). So sprechen in Schwank und auch pikaresker Erzählung Studenten,
Landsknechte oder Räuber.
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278 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

seine Argumentation als Machiavellist zu erkennen,139 seine Rede mündet zu-


dem in ein epikurisch-hedonistisches Bekenntnis, auf das Lassenius bei seinem
Atheander gerade verzichtet hatte. Der Religion kommt aus dieser Sicht die
Funktion eines lust- und lebensfeindlichen Triebaufschubs zu.140 In das Plä-
doyer des Atheisten wird so auf betont entlarvende Weise die Reflexion über
die causae Atheismi eingearbeitet, wie wir sie seit den reformatorischen Psal-
terkommentaren verfolgen konnten ( I.4.2, I.5.4 u. II.4.4). Nicht zufällig hat
Stockmann in dieser Passage auch Anspielungen auf den 14. Psalm (»im Her-
zen«, »untüchtig«) versteckt:141

Wolher nun / lasset uns wohl leben / weil es da ist / und unsres Leibes gebrauchen
weil er jung ist. Wir wollen uns mit dem besten Wein und Salben füllen; Lasset uns die
Mäyenblumen nicht versäumen; unser keiner lasse ihm fehlen mit Prangen / daß man
allenthalben spühren möge / wo wir frölich gewesen sind / wir haben doch nichts
mehr davon / denn das / was wir nur thun können / das soll recht seyn / denn / wer
nicht thun kan / was ihm gelüstet / der gilt nichts. So lasset uns auf den Gerechten
lauren / denn es macht uns viel Unlust / und setzet sich wider unser Thun / und schillt
uns / daß wir wieder das Gesetz sündigen / und ruffet aus unser Thun für Sünde.
Er giebt für / daß er GOtt kenne / und rühmt sich GOttes Kind / straffet was wir
im Herzen haben. […] Er hält uns für untüchtig / und meidet unser Thun als einen
Unflath / und giebt für / wie es die Gerechten zuletzt gut haben werden / und rühmet
sich / daß GOtt sein Vater sey. So lasset doch sehen / ob sein Wort wahr sey / und
versuchen / wie es mit ihm ein Ende werden will. (12 f.)

Entspricht die so erfolgte Charakterisierung des Atheisten bis ins Detail dem
stereotypen Bild des impius oder Epikurers, wie es seit der Reformationszeit
fast ohne Veränderungen immer wieder gezeichnet worden war, so entfaltet
der Bekehrungsdialog am Ende, in den Redebeiträgen des Atheisten selbst,
die dazugehörige Reflexion über die seelischen Ursachen. Vorgeführt wird, in
dramaturgischer Verkehrung der apologetischen Erklärungsmodelle, das Er-
wachen des Gewissens und der damit verbundene Zusammenbruch des athe-

139
Gleich zweimal wird auf dem engen Raum von 13 Seiten die politisch-soziale
Kontrollfunktion der Religion als ihr einzig zulässiger Zweck zugestanden: »Das gebe ich
zwar gerne zu / daß vor Zeiten Welt-kluge Leute / ihre Regierungen zu befestigen / und
die einfältigen im Zaum zu halten / solche Dinge ertichtet […].« (2) – »Die Römer und
Griechen«, heißt es kurz darauf, »welchen ja / ohne Einwurff / der Titul kluger und ver-
ständiger Leute iederzeit hat müssen zugestanden werden / haben sich / da sie / den Pöbel
einzuschräncken / Gottheiten zu verehren angenommen / niemahls an eine gewisse Zahl
gebunden / sondern / wenn und wie viel ihnen beliebet / angeordnet.« (4 f.)
140
»Drum / wer will sich an das Getichte der Pfaffen kehren […]; sie verbieten diß
und das / mit Bedrohung mancherley Straffen / und thun wohl selbst das Wiederspiel. Ich
kehre mich nicht dran […].« (12)
141
Die Formulierung »was wir im Herzen haben« bezieht sich, in diesem Kontext
eindeutig, auf dessen Beginn (»dixit insipiens in corde suo«), der Ausdruck »untüch-
tig« auf das »Corrupti sunt, et abominabiles facti sunt« in der zweiten Hälfte des ersten
Psalmverses oder auf das »inutiles facti sunt« im dritten. Ausführlich dazu weiter oben,
Kap. I.1.2, dort auch der volle Wortlaut samt Luthers Übersetzung.
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Apologetik ad oculos 279

istischen Bemühens, die Stimme Gottes im eigenen Herzen zu unterdrücken.


Die einschlägigen dogmatischen loci werden penibel rekapituliert, vor allem
aber in ihren emotionalen Wirkungen anschaulich demonstriert. Dass es nicht
bloß um kognitive Einsicht geht, zeigt schon der häufige Einsatz von Aus-
drücken aus dem Wortfeld des Empfindens (s. Zitat unten).142 Auf diese Weise
wird das Handlungs- und Wirkungsschema der Anekdoten und Predigtex-
empel (s. o.), von denen Stockmann im direkt vorangegangenen Textabschnitt
ausgiebig Gebrauch gemacht hatte, auf die Ebene des Dialogs transponiert.
Statt Krankheit, Sterbebett oder höllischen Dämonen ist es hier allerdings die
Überzeugungsarbeit des christlichen Dialogpartners, die den Wandel herbei-
führt.143 Dieser erfolgt ohne Übergang, der Atheist spricht von Beginn seiner
zweiten Wortmeldung an als Bekehrter. Ein Ausschnitt kann einen Eindruck
von der gewandelten, nun ganz auf Reue gestimmten Sprechhaltung und von
den rhetorischen Mitteln verschaffen, die diesen Tonfall bewirken:

Was mach ich doch? Ach wie hab ich gedacht / daß ich mich auff Gottes-verächteri-
sche Gedancken und Worte / ja Wercke verleiten lassen? was du mir ietzo vorgetra-
gen / hab ich niemahls mit gebührenden Nachsinnen erwogen. […] Mein bißheriges
und ungezäumtes Leben locket mich / GOtt und Ewigkeit aber schrecken mich. Wie
ich denn gestehen muß / daß mitten in meinem Unglauben und Sicherheit / dennoch
die Stacheln und Erinnerungen des Gewissens nicht aussen blieben sind / deren ich
doch aber allezeit mich so viel möglich / zu entschlagen / und sie durch eine Welt-
Lust zu verdrücken bemühet habe. […] Mein Herz wallet; es will im Leibe nicht mehr
Raum haben; ich weiß nicht / wo ich mich lassen soll. Der Undanck gegen meinen
Schöpffer und gütigen Versorger / den ich nun allzuwohl fühle und seinen Zorn emp-
finde / überzeuget mich. Die Lästerungen / welche ich gegen ihn u. sein heilig Wort
freventlich ausgestossen / ängstigen mich. Der Unglaube / darinne ich biß hieher ge-
stecket / mich noch damit gebreitet und andere auch darein zu verführen gesucht /
verdammet mich. Teuffel und Hölle / die ich mir nur als Phantasey einbilden wollen /
treten mit aufgesperreten Rachen gegen mich / mir darzuthun daß sie sind u. was sie
vermögen. (276–278)

Unübersehbar sind die Ähnlichkeiten zu den Monologen des Second Spi-


ra, dessen Vorbild Stockmanns Atheist noch einmal explizit benennt.144 An-
ders als dort jedoch wird die Verzweiflung schließlich überwunden und die
Bekehrung vollzogen – in dialogischer, beinahe katechetischer Form. Un-
ter fortgesetzten Ermahnungen und dogmatischen Erläuterungen stellt der
geistliche »Lehrer« durch fortgesetzte Aufforderungen und Fragen Ernst-

142
Es wird wieder aufgegriffen in der Replik des christlichen »Lehrers«: »Empfin-
dest du nun / was du gethan?« (279)
143
Auch das wird explizit gemacht, wenn der Atheist bekennt: »Ich erinnere mich
aber der ersten Lehre / und mein Hertz ist über deinen Zureden und Beweißthümern / in
tausend Angst und hefftigen Streit mit Gegenstreit gesetzet.« (277)
144
»Die verzweiffelten Reden jenes Engelländers von gleicher Art / welche du mir
zum Theil erzehlet hast / sind noch nicht grausam genug / ich möchte in meiner unbe-
schreiblichen Gewissens-Noth / sie fast noch grausamer hören lassen.« (278)
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280 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

haftgkeit,145 Einsicht146 und erfolgte Tröstung147 des Bekehrten sicher, erör-


tert ferner die Konsequenzen dieser Umkehr, mögliche Hindernisse oder
Fallstricke (wie die Begegnung mit ehemaligen Kameraden)148 und fordert
schließlich die mündliche Bekräftigung dieser Bedingungen.149 Auf die Ein-
willigung des Bekehrten in die Wiedergeburt in Christo150 und sein anschlie-
ßendes Dankgebet folgt, auf seine Nachfrage hin, noch ein längerer Sermon
über die Frage nach der Wahrheit der Religion im Angesicht der konfessio-
nellen »Spaltungen« (294).
Aus Sicht der theologischen Disziplinen könnte die erfolgreiche Bekehrung
kaum einen treffenderen Abschluss finden. War die antiatheistische Apolo-
getik einstmals, wie gezeigt wurde ( I.2; II.2), aus der postreformatorischen
Konfessionspolemik herausgewachsen, so vollzieht der Text die Rückkehr
von der Frage nach der Wahrheit der christlichen Religion überhaupt – dem
Thema der frühen apologetischen Traktate nach der Art Mornays – zur Frage
nach den Merkmalen der richtigen Lehre gegenüber den abtrünnigen »Syn-
cretisten« (294) und dem »Mischmasch in Lehr- und Glaubens-Sachen« (296).
Kaum ist das Non est Deus widerrufen, greift daher wieder der Geltungsan-
spruch der einzelnen christlichen Konfessionen (Islam und Judentum werden
von vornherein von der »Warheit« ausgeschlossen). Und so mündet die Be-
kehrung des verzweifelnden Atheisten, durchaus ungewöhnlich um diese Zeit,
in den höchst parteiischen Nachweis, dass »nur eine wahre Glaubens-Lehre
und Kirche GOttes sey / und auch / daß einig unsre Evangelische Kirche und
Lehre / solcher Warheit und Ehre sich zu erfreuen habe« (302 f.).151 Im finalen

145
Jeder Redeabschnitt des »Lehrers« mündet in eine entsprechende Frage oder Auf-
forderung: »Weil du dich aber drauff beruffest / daß ich dich der Gnade und Vergebung
deiner Sünde versichert / […] will ich dir damit nicht entstehen / doch mit der ausdrück-
lichen Bedingung / daß dein Vorgeben dir von Hertzen gehe und nicht Heucheley sey /
auch / daß du meinen Vorschlägen genaue Folge leistest.« (281)
146
»Erkennest du denn dein begangnes grosses Unrecht / so / daß du dir darinne
nicht heuchelst noch das geringste zu vermänteln suchest / sondern hertzliche Reue und
gebührenden Abscheu dafür bey dir empfindest?« (282)
147
»Meinest du denn nicht aus angeführten [!] einen Trost geschöpffet zu haben?
Befindet sich dein Hertz nicht in etwas geruhiger darauff?« (287)
148
»Auch wenn du dich bekehret hast / so suche deine bißherigen Brüder / zur Er-
käntniß der grossen Gefahr / darinne sie als ungläubige und verruchte Bösewichter ste-
hen / und dadurch zur Umkehrung von ihren bösen Wegen / so viel an dir ist / zubringen /
und gehe ihnen mit einem tugendhafften gottseeligem Exempel für. Wollen sie sich nicht
eines bessern besinnen / sondern höhnen dich aus / schelten dich für einen Narren und fei-
gen furchtsamen Menschen / so laß sie fahren / achte ihr Spotten nicht und fliehe ihre Ge-
sellschafft / damit du nicht wieder angestecket und verführet werdest.« (290) – Auch bei
diesen Empfehlungen dürften analoge Ratschläge für Konvertiten Pate gestanden haben.
149
»Bist du hiermit zufrieden / oder hast du noch mehr einzuwenden?« (292)
150
»Ich bin gantz zufrieden / von Hertzen vergnügt / daß mich GOTT so weit wie-
der hat kommen lassen. Es ist recht / wie ich neu gebohren / und unter grossen Centner-
Lasten herfür gezohen wäre.« (292)
151
Dass hier nur die lutherische Kirche gemeint ist, zeigt sich an mehreren Stellen
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11:25

Apologetik ad oculos 281

Glaubensbekenntnis des Atheisten (336–338) sind allerdings die notorischen


Streitpunkte zwischen den christlichen Konfessionen behutsam ausgeblendet,
wie sich etwa gegen Ende des Bekenntnisses an der Fassung des Providenzbe-
griffs zeigt:

Zu dem erkenne und bekenne ich / daß alle Wollust und Wesen dieser Welt sündlich
und höchststraffbar sey; daß nichts / ohne Gottes Providentz, Willen und Vorsorge /
geschehe und dahin auch gehöre / das offt vorkommende Wohlergehen der Gottlosen
und Trübsaal der Fromme in dieser Welt / die Zulassung der Wercke des Teuffels /
mit leiblicher Besitzung und Zauberey nach seinem heil. und heimlichen Rath / u.
was dem sonst anhängig. […] Alles nun / was diesem zuwider ist / verwerffe ich als
unrecht / und gedencke durch göttlichen Beystand / hierrauff zu leben und zu ster-
ben. (337 f.)

»Deren Atheisten Gedancken«


Der Unglaube in poetischer Rollenrede bei Laurentius von Schnüffis
Zeitlich zwischen den Lehrdialogen Stockmanns und Lassenius’ liegt ein
letztes Beispiel, das die Rollenrede des Atheisten in die poetisch gebunde-
ne Form transponiert. Im Mirantischen Flötlein (1682), einem geistlichen
Schäferspiel des Kapuziners, vormaligen Schauspielers und bedeutenden ös-
terreichischen Barockdichters Laurentius von Schnüffis (ca. 1633–1702), ge-
staltet der Verfasser die Bekehrung der im »Sünden-Schlaff« verirrten Seele
durch Christus nach dem mystischen Modell des Wegs (via perfectionis).152
Christus tritt unter dem Schäfernamen Daphnis auf, die Seele erhält den Na-
men Clorinda. Über drei Bücher mit je zehn Liedern (vom Autor als Elegi-
en bezeichnet) hinweg vollzieht sich die Wechselrede zwischen den beiden

wie der folgenden: »Fragt man einen Calvinisten oder Reformirten (wie sie lieber heis-
sen wollen/) warum er so und so gläube / wegen dieser und jener Schrifftstellen […] so
schützet er seine Vernunfft für / daß er es nach derselben nicht anders begreiffen noch
dencken könne […].« (332) – Calvinisten stehen hier offenbar nicht fern von Quäkern
»und andere[n] Enthusiasten« (333), die stattdessen auf Eingebungen vertrauen würden.
152
Laurentius von Schnüffis, Mirantisches Flötlein, Oder Geistliche Schäfferey / In
welcher Christus / under den Namen Daphnis / die in dem Sünden-Schlaff vertieffte Seel
Clorinda zu einem bessern Leben aufferweckt / und durch wunderliche Weis / und Weeg
zu grosser Heiligkeit führet, Konstanz 1682. Weitere Auflagen erschienen bis 1739. – Zu
Schnüffis vgl. allgemein den Personalartikel in Killy/Kühlmann, Bd. 7, 2010, S. 270–272
(Franz Günter Sievecke), mit ausführlichen Literaturhinweisen; zur Disposition und
Faktur des Mirantischen Flötleins sowie zum maßgeblichen (mystagogischen) Vorbild,
den Pia Desideria (1624) des Jesuiten Hermann Hugo, vgl. das Vorwort von Annemarei
Daiger zum reprografischen Nachdruck (Daiger 1968), ferner Pichl 1986, mit wertvollen
Hinweisen zu Zielgruppe und Autorintention, sowie Scheitler 1984 zur Gebrauchsform
des geistlichen Lieds bei Laurentius im Horizont von barocker Liedkultur und Ordens-
literatur; vgl. auch ebd., S. 219 u. 222 f., zum Wegmotiv.
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282 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Figuren.153 Jedem Gedicht ist darüber hinaus ein Kupferstich sowie ein Bi-
belvers beigegeben, sodass der Gesamtanlage nach von einer emblematischen
Dichtung gesprochen werden kann.154 Zu den verwendeten Bibelversen ge-
hört auch der Beginn des 14. (bzw. 13.) Psalms.155 Er bildet die inscriptio zum
siebten Gedicht des zweiten Teils (II, 7) mit dem umständlichen Titel Clo-
rinda beklagt ihr unvernünfftige Gottlosigkeit / in deme sie ein so geraume
Zeit keinen Gott erkennt.
Als Teil des zweiten Buchs, das die Buße in den Mittelpunkt stellt,156 gehört
die siebte Elegie zu einer Reihe von Gedichten, in denen die bekehrte Seele
Einsicht in die Sündhaftigkeit des zuvor geführten Lebens gewinnt.157 Dazu
gehört neben der »Hoffarth«158 auch die Gottlosigkeit, die unter Hinweis auf
den einschlägigen Psalmvers ( I.1) abgehandelt wird. Vom Standpunkt der
inzwischen erreichten Bekehrung zeichnet Clorinda den Weg dorthin in ei-
ner biografischen Rückschau (»Dises hab ich | Auch selbst erfahren« [Str. 3])
als Erkenntnisprozess nach, der – wie der Titel ankündigt – zugleich als Weg
von der Unvernunft zur Vernunft verläuft. Dazu integriert Laurentius den
klassischen Kontingenzbeweis (in zeittypischer Verbindung mit physiko-
theologischen Perspektiven) in die exempelhafte Figurenrede. Er bildet mit
einem Textanteil von insgesamt zehn Strophen (Str. 10–19) den eigentlichen
Kern der Elegie. Vorangestellt ist eine kurze Skizze der nun überwundenen
atheistischen Weltanschauung (Str. 3–7), die in Form von Glaubenssätzen im
Präteritum (z. B. »Ich glaubte nicht | Zu seyn ein Himmel« [Str. 4]) expliziert
wird. Den Übergang zwischen beiden Stadien (Str. 8 f.) bildet die kurze Schil-
derung der (hier nur angedeuteten) desperatio. Sie erscheint, in klassischer
Melancholietopik, als »Bitterkeit des Hertzens«, von welcher dann auch der
Impuls zur transformierenden Kontemplation ausgeht. Eingerahmt wird

153
Der Kürze halber in den Worten von Daiger 1968, S. VIII: »Die erste Elegie jeden
Teils und die letzte des dritten Teils werden von Christus gesprochen, die übrigen von der
Seele. In der ersten Elegie ruft Christus die schlafende Seele und weckt sie aus dem Sün-
denschlaf, in der letzten vereinigt er sich mit ihr und krönt sie.«
154
Vgl. Daiger 1968, S. VIf.; Pichl 1986, S. 31; Irmgard Scheitler spricht mit Blick auf
die Andachts- und Erbauungsliteratur der Zeit von »Betrachtungseinheit[en]« (Scheitler
1984, S. 221 f.).
155
Der Katholik Laurentius zitiert aus der Vulgata, er spricht daher vom 13. Psalm
(Flötlein, S. 155): »Dixit insipies in corde suo, non est Deus. Psalm. 13. v. 1.« – Er fügt auch
eine Übersetzung hinzu: »Der Unweise hat gesagt in seinem Hertzen / es ist kein Gott.«
156
So im Kapiteltitel des zweiten Teils (ebd., S. 91): Der Clorinden Andere Theil /
In welchem vorgestellt wird der süeß-werdende Buesses-Stand einer nunmehro zu GOtt
bekehrten / und hoffenden Seelen […].
157
So bereits II, 5: Clorinda beweinet ihre Sünd / und fühlet alsgemach die Süssigkeit
des Himmlischen Trosts; ähnlich auch II, 8: Clorinda erfrewt sich / daß sie von dem un-
glückseeligen Sünden-Stand / und böser Gesellschaft erlößt / in den Stand der heylsamen
Buß versetzet worden.
158
So etwa, unmittelbar vorangehend, II, 6: Clorinda bedenckt das grosse Ubel der
Hoffarth / und die Hochschätzung der Demuth: schätzet sich glückseelig in ihrer Demü-
tigung.
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Apologetik ad oculos 283

diese kleine Bildungsgeschichte von der eingangs formulierten subscriptio,


die das Thema des Psalmverses poetisch amplifiziert (Str. 1 f.), und der ab-
schließenden oratio, eingeleitet durch die Gebetsformel »O GOtt« (Str. 20).
Wie die übrigen Gedichte des Zyklus ist auch diese Elegie mit Anmerkun-
gen versehen, in denen Erläuterungen und Bibelverse zum jeweiligen Ver-
sinhalt beigebracht werden. Dort fällt auch die Formulierung, die als Titel
dieses Kapitels gewählt wurde – »Deren Atheisten Gedancken«. Sie erläutert
den zitierten Doppelvers zu Beginn der vierten Strophe, mit dem eine Art
atheistisches (Un-)Glaubensbekenntnis (»mein glaub« [Str. 7]) eingeleitet
wird. Unzweifelhaft wird so die titelgebende »Gottlosigkeit« im Gedicht
als Atheismus theoreticus bestimmbar, um die bekannte Formel von Voetius
( I.5) aufzugreifen. Mit »Himmel« und »Höll« wird metonymisch der Un-
sterblichkeitsglaube geleugnet; dessen Bezeichnung als »Pfaffen-Gedicht«
(Str. 3) und »Pfaffen-Traum« (Str. 4) charakterisiert die Clorinda der Ver-
gangenheit als waschechte Atheistin im Gefolge des legendären Traktats De
tribus impostoribus (Str. 4):

Ich glaubte nicht


Zu seyn ein Himmel /
Die Höll wär’ ein Gedicht /
Und nur ein schröck-Getümmel /
Sie wäre nur ein Pfaffen-Traum /
Die Leuth zu halten in dem Zaum /
Und wann ein Gott schon wäre /
So hätt’ Er dannoch nicht
So gross- und schwere
Straff zugericht.

Zu diesem Credo passt – innerhalb der apologetischen Begründungslogik – der


Befund des praktischen Atheismus ( I.5), der durch Signalbegriffe wie ›Wol-
lust‹ (Str. 3, 6 u. 8), ›Buhlerey‹ (Str. 7), ›Lust‹ (Str. 8)› aber auch ›Reichthumb‹
und ›Ehr‹ (Str. 6) mehr umschrieben als explizit begrifflich ausformuliert wird.
In der verallgemeinernden subscriptio ist der gleiche Wirkungszusammenhang
noch in die traditionelle Lichtmetaphorik gefasst (»Das hat die Sünd / | Daß
sie verblendet / | Deß Menschen Hertz geschwind« [Str. 1]). Der ›gottlosen‹
Sündigkeit (»Gottloß« [Str. 1]) sind in diesem Bildsystem die Attribute Nacht
und Blindheit zugeordnet (Str. 2).
Präzise benannt wird dagegen die konzeptionelle Brücke zwischen theore-
tischem und praktischem Unglauben, nämlich die ins Extrem getriebene
Vorstellung eines gütigen Gottes, mittels welcher die traditionelle christliche
Sündenlehre unterlaufen wird (Str. 5): »So blöde Schwachheit hätte nicht |
Verdient ein solches Blut-Gericht«. Die hier zitierte Sichtweise hatten bereits
die Reformatoren bekämpft; darin nicht zuletzt lag ja die Differenz zwischen
Luther und den Antinomern sowie zwischen Calvin und den Libertinern.
Der gegen sie gerichtete Vorwurf lautete, wie oben schon dargelegt ( I.1.3),
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284 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

auf ›Sicherheit‹ (securitas). Gemeint war der Widerstand gegen die Schärfe
des augustinischen Sündenbegriffs und, im Falle Luthers, gegen die Radi-
kalität der sola gratia-Doktrin. Die gleiche Vorstellung treffen wir mit Lau-
rentius von Schnüffis nun im katholischen Bereich an. Er selbst ordnet sie
der Häresie des Origenes zu, der Lehre von der Apokatastasis panton, der
›Wiederbringung aller‹.159 »Fähler deß alten Origenis«, heißt es lakonisch in
einer Anmerkung zur eben zitierten Strophe.160
Beachtung verdient mit Blick auf die fast zeitgleich einsetzende Aufklärung
nicht so sehr die im Titel hervorgehobene Rolle der (theologischen) Vernunft161
samt der eingangs verwendeten Lichtmetaphorik,162 sondern die psychologi-
sche Darstellung des Unglaubens als Depression oder Melancholie. Die kom-
plementäre Denkfigur des gaudium fidei war zu diesem Zeitpunkt vor allem im
britischen Latitudinarismus zu finden und eroberte von dort aus über Brockes
und die norddeutsche Frühaufklärung die deutsch-protestantische Neologie.
Im katholischen Bereich hatte hier Pascal mit dem berühmten Wettgleichnis
aus den Pensées (1669) der Apologetik neue Wege gewiesen ( IV.3.3). Mit
der Behauptung, dass Unglaube nicht nur Unvernunft, sondern auch Unglück
bedeute, detailreich ausgeschmückt in den Monologen des ›verzweifelnden
Atheisten‹ Spira (s. o.), wurde so, am Ende des 17. Jahrhunderts, dem alten To-
pos von der stultitia Atheismi eine neue Facette hinzugefügt. Bei Laurentius
von Schnüffis klingt sie schon 1682 an (Str. 8 f.).163 Sie wird uns nach der gleich

159
Vgl. hier, statt Spezialliteratur, den Artikel Wiederbringung Aller in RGG3, Bd. 6,
S. 1693–1695 (Carl Andresen/Paul Althaus) sowie Hauschild/Drecoll 52016, S. 67–72.
160
Ebd., S. 157.
161
Die so eingeleitete physikotheologische Betrachtung darf hier übergangen wer-
den. Die Betrachtung der Sterne (Str. 10), des Mondes (Str. 11), der Sonne (Str. 12 f.), die
hier noch als um die Erde kreisend gedacht wird, schließlich des Frühlings (Str. 14) lei-
tet über zur »Vernunfftgemässe[n] Beweisung« (Str. 15, marginal), dass die Welt »dann
ewig nicht« (Str. 19), Gott dagegen ewig und ergo der Schöpfer sei. Strikt zurückgewiesen
wird – wohl mit Blick auf Spinoza – die Vermutung, dass die Natur göttlich sei (Str. 18):
»Kan aber die | Natur seyn Göttlich / | Die da beständig nie?«
162
Innerhalb der katholischen Tradition – das sahen wir schon bei Mersenne
( I.4.1) – ließ sich in dieser Hinsicht leicht an die mittelalterliche Scholastik anknüpfen;
dort war die theologische Inanspruchnahme der Vernunft bereits begründet und breit
ausgearbeitet worden. Tatsächlich verweist Laurentius gleich in der ersten Anmerkung
zur verblendenden Kraft der Sünde (s. o.) auf Thomas von Aquin. Die Lichtmetaphorik
könnte ebenso von der Mystik hergeleitet werden, der das Mirantische Flötlein wichtige
Impulse verdankt; vgl. dazu ausführlich Daiger 1968; zur Lichtmetaphorik vgl. hier wie
andernorts die klassische Studie von Blumenberg 1957.
163
Er selbst bezieht sich auf den psychologischen Scharfsinn des Kirchenvaters
Gregor von Nazianz, der die Aporien der weltlichen Lustmaximierung kurz und bündig
beschrieben hat (Mirant. Flötlein, S. 160, Anm. b): »In der Welt-Frewd verursachet die
Begierd eine Ersättigung / die Ersättigung Verdruß. In der Geistlichen verursachet die Be-
gierd eine Ersättigung / und die Ersättigung das Verlangen.«
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Atheismus in barocker Erzählprosa 285

folgenden Untersuchung der Unglaubensthematik in barocken Erzähltexten


später noch ausführlicher beschäftigen:164

8.
Als aber ich
Zu überflüssig
Der Lust gebrauchte mich /
Wurd’ endlich ich verdrüssig /
Vermerckte / wie daß alle Frewd
Geäuglet165 wär auff Dorn-Gestäud /
Wie ihr geschärpfftes Ende
Das Hertz zu stechen pfleg’ /
In Trawr verwende
Die Wollusts-Täg.

9.
Dahero wann
Ich müd deß Schertzens
Mithin gefühlet dann
Die Bitterkeit deß Hertzens /
Hab’ ich / von dem Verdruß bewegt /
Mich an ein Fenster hingelegt /
Den Himmel angeschawet
Fürwitzig hin und her /
Wie er gebawet
So künstlich wär’.

3. Gegen die »Politici hodierni«


Spuren der Atheismusdebatte in barocker Erzählprosa

3.1 Vorüberlegung: Der atheus als Nebenfigur in barocken Erzähltexten

Allenfalls exemplarisch können im Rahmen dieser Studie Reflexe des Unglau-


bensdiskurses in barocken Erzähltexten untersucht werden. Das liegt in erster
Linie an den heuristischen Schwierigkeiten, die sich stellen, sobald man sich in
diese äußerst ausladende, bis heute nur unzureichend erforschte Textlandschaft
begibt: Nicht nur stößt eine auch nur annähernd flächendeckende Musterung
schnell an die Grenzen eines individuellen wissenschaftlichen Zeitbudgets. Die
zielsichere Vorauswahl wird zudem dadurch erschwert, dass die wenigsten
barocken Romane oder Gesprächsspiele schon im Titel Auskunft über eine

164
Vgl. bes. die Kapitel zu Pascal (IV.3.3), Bentley (IV.4.1) und Brockes (VI.3).
165
»Geäuglet« von nhd. »äugeln«, nach Adelung ein botanischer Fachausdruck (auch
»oculiren«), der soviel wie ›Aufpropfen‹ bedeutet. Vgl. Adelung, Grammatisch-kritisches
Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Bd. 1, Leipzig 21793, Bd. 1, S. 561.
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286 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

thematische Orientierung bezüglich Atheismus, Unglauben oder Epikureis-


mus geben. Lassenius’ Arcana Politico-Atheistica (1666) bilden hier, soweit ich
sehe, eine seltene Ausnahme. Hinzu kommt auch noch das normativ poeto-
logische Hindernis, dass ein Atheist oder Epikurer (noch deutlicher bei der
Tragödie) nicht die Voraussetzungen für eine Helden- oder Hauptfigur erfüllt.
Für den Schelmenroman gelten insofern andere Regeln, als hier die Hauptfigur
geradezu exemplarisch steht für die Sündhaftigkeit der Welt insgesamt. Hier
kurzerhand von praktischem Atheismus zu sprechen wie die zeitgenössische
Apologetik, würde jedoch bedeuten, sich deren Überführungsmethodik zu
eigen zu machen.
Als Minimalkriterium für die Zugehörigkeit zum Unglaubensdiskurs muss
daher das Vorhandensein deutlich erkennbarer textueller Signale innerhalb der
Erzählwerke selbst gelten. Die Suche nach Charakteren und Lebensläufen, die
erkennbar nach dem Muster der apologetischen Stereotypen geformt wären,
muss sich dazu jedoch auf die Nebenfiguren ausdehnen und wird dort ohne
Zweifel fündig werden. Exemplarisch dafür kann die Figur des Regiments-
schreibers und späteren ›Freybeuters‹ Olivier (s. u.) im Simplicissimus stehen.
Das würde aber schon eine fortgeschrittene Anamnese erfordern, für die phi-
lologische Vorarbeiten noch weitgehend fehlen. Gerade die genannten Beispie-
le – zu Lassenius und Grimmelshausen werden sich noch Moscherosch und
Weise gesellen – lassen daher schon die im Folgenden eingeschlagene Richtung
erkennen. An einigen bekannteren, mit Ausnahme von Lassenius auch dauer-
haft kanonisierten und recht konstant beforschten Autoren sollen Tendenzen
und Gestaltungsmöglichkeiten für die Rezeption des Unglaubensdiskurses in
erzählender Prosa erarbeitet werden.
Dazu noch einige Hinweise: Die wichtigste Ebene der Auseinanderset-
zung bildet in den hier gewählten Beispielen der Bereich des ›Politischen‹, in
der zugespitzten und polemischen Form, die sich durch das 17. Jahrhundert
hindurch mit den Schlagworten ›Politicus‹ und ›Staatsräson‹ (ratio status),
vor allem aber mit dem Namen Machiavelli verband. Von dort aus ergaben
sich, wie wir sahen, unmittelbare Verbindungen mit der Atheismusdebatte, in
der – schon bei Voetius ( I.5) – Bezeichnungen wie ›Politicus‹ (auch ›Pseudo-
politicus‹) oder ›Machiavellista‹ als Spielarten oder Synonyme des Atheismus
geführt wurden.166 Dabei ging es nicht (oder höchstens peripher) um die Frage,
ob Machiavelli ein Atheist im heutigen Wortsinn gewesen sei. In der Kritik
an den Politici oder Pseudopolitici und an der falsch verstandenen ratio status

166
Voetius kommt schon in der Übersicht der vielen Synonyme für ›Atheist‹ auf
den Politicus zu sprechen, schließt ihn aber gleich von der geplanten Betrachtung aus (De
atheismo, S. 117): »Dicuntur etiam [sc. athei] synechdochica denominatione Politici (quam
vere aut accurate hic non disquisitio) & signate Machiavellistae.« – Im definitorischen Ab-
schnitt über die praktischen Atheisten taucht der Begriff noch einmal auf, als vom konfes-
sionellen Indifferentismus die Rede ist (ebd., S. 119): »Hujus generis imprimis sunt Machi-
avelli discipuli, Pseudo-politici, Pseudo-aulici, & istius farinae χαρίεντες, popularis aurae
& ambitionis mancipia.«
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Atheismus in barocker Erzählprosa 287

artikulierte sich vielmehr ein Unbehagen an der Entkoppelung von Politik und
Religion einerseits, von Recht und Moral andererseits, an Phänomenen also,
die aus heutiger Sicht wichtige Gradmesser für die langsam Fahrt aufnehmen-
de Modernisierung im Sinne von Säkularisierung und funktionaler Ausdiffe-
renzierung darstellen. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts lautete daher, wie wir
gesehen haben, der zentrale Vorwurf gegen die Poltici, dass sie weltliche Inte-
ressen den geistlichen voranstellen würden ( I.2.3),167 gipfelnd in einer bloß
noch instrumentellen Auffassung der Religion. In den pietistisch dominierten
Anfängen der deutschen Atheismusdebatte ab 1650 wurde daraus die Klage,
die Politici würden religiöse Belange vorschützen, um ihre ganz und gar weltli-
chen Interessen durchzusetzen ( II.2.2). Die darin enthaltene kulturkritische
Sichtweise verschränkte sich nicht zufällig oft mit der Kritik am Alamodewe-
sen und einer vermeintlichen Überfremdung durch die französische Sprache
und Kultur.168 Das wird sich, noch vor der Jahrhundertmitte, bei Moscherosch
ebenso zeigen lassen wie später bei Christian Weise.
Hinzu trat eine moralistische Dimension, oft als Teil einer quasi im Gleich-
schritt mit dem Absolutismus sich entfaltenden Hofkritik.169 Weniger Ver-
weltlichung und Machtmissbrauch im makropolitischen Sinn standen dabei
im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit als vielmehr Verhaltensweisen, wie sie
dem stereotypen Hofmann unterstellt wurden. Das ergibt sich schon allein
aus der Transposition des Unglaubensdiskurses von expositorischen Texten
auf die Ebene epischer Figurengestaltung. Hier gelten die gleichen Regeln
für Fiktionalisierung und Personalisierung wie in Gedichten und Exempelli-
teratur (s. o.). Die in politischen und höfischen Klugheitslehren (Machiavelli,
Baldassare Castiglione, Baltasar Gracián u. a.) verabreichten Ratschläge für
das erfolgreiche Bestehen im Zentrum der Macht wurden dabei nicht selten
schlicht zu Analysekategorien oder polemischen Versatzstücken umfunktio-
niert. Dem Höfling in dieser stereotypen Sicht wurde neben konsequentem
Eigennutz als basaler Motivation ganz generell die Hintanstellung moralischer
Gesichtspunkte bei der Wahl seiner Mittel vorgeworfen. Hier waren es vor
allem die Lüge und die Verstellung (simulatio/dissimulatio), nicht zuletzt in
religiösen Dingen (s. o.), die den Politicus in negativer Hinsicht kennzeichnen

167
Daran anknüpfend z. B. Alsteds Encyclopaedia, um nur ein für die Barockzeit
maßgebliches und auch über die Theologie hinaus wirksames Beispiel zu nennen. Dort
werden die »Machiavellistae« als fünfte von neun Gruppen genannt, die Alsted dem Athe-
ismus zurechnet (Bd. 3, S. 1265). Er definiert sie mit der bekannten Formel der katho-
lischen Antitoleranzpublizistik um 1600 ( I.2.3) als »Admiratores rerum humanarum,
quas anteferunt sacris« (ebd.).
168
Das zeigt in vorbildlicher Weise ein Titel wie Alamodischer Politicus (1647). Der
Roman wird Moscherosch zugeschrieben, die Autorschaft gilt als unbewiesen; vgl. Zwier-
lein 2010, S. 23, Anm. 1. – Der Alamodediskurs ist nach den ertragreichen Forschungen
der 1970er- und 80er-Jahre fest in unserem Bild der Barockepoche verankert; vgl. die Aus-
führungen und weiterführenden bibliografischen Hinweise bei Gardt 1999, S. 103–119.
169
Grundlegend für den deutschen Sprachraum: Kiesel 1979.
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288 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

sollten, dies aber gerade in Verbindung mit der Selbstrechtfertigung, dass die
Staatsräson jedes Mittel dieser Art notwendig mache und damit höher stehe
als ethische Maßstäbe. Zwar bestand in der Unterordnung des honestum unter
das utile tatsächlich eine ideengeschichtliche Weichenstellung, die in Machia-
vellis Principe erstmals wirksam zum Ausdruck gelangte.170 Dass es zu einem
entsprechenden Verhalten jedoch keineswegs der Berufung auf Machiavelli
bedurfte, hat Christian Weise in seinem Bäurischen Machiavellus von 1679 auf
ebenso boshafte wie komische Weise vorgeführt ( III.4).
Mit der Einbindung des Unglaubensdiskurses auf der Ebene der Figuren-
gestaltung verschiebt sich aber zu guter Letzt auch die pragmatische Zweck-
setzung. Allein vom Auftreten einer als epikurisch, atheistisch oder machi-
avellistisch gekennzeichneten Figur kann noch nicht gefolgert werden, dass
der Autor damit einen Beitrag zur antiatheistischen Propaganda leisten wollte,
schon gar nicht ließe sich pauschal von einem antiatheistischen oder apologe-
tischen Erzählwerk sprechen. Auch hier steht Lassenius weithin allein, und
selbst er hat es mehr auf die machiavellistischen ›Statisten‹ abgesehen als auf
Religionsspötter oder gar auf veritable Gottesleugner. In Erzählwerken wie
Moscheroschs Gesichten oder im Simplicissimus-Roman bildet der Unglau-
be vielmehr nur ein Nebenthema. Sofern der barocke Roman die epochalen
Diskurswelten im epischen, meist räumlich strukturierten »Nebeneinander«
abbildet (um die bekannte romantheoretische Formel Karl Gutzkows aufzu-
greifen), versteht es sich von selbst, dass dort zwischen anderen Themen auch
der Unglaubensdiskurs seinen Platz erhält. In welcher Weise eine Interpretati-
on dazu beitragen kann, diesen Teildiskurs innerhalb größerer und thematisch
anders gelagerter Erzählzusammenhänge sichtbar zu machen und auf seine
Relevanz für das jeweilige Erzählwerk insgesamt zu befragen, soll nun an eini-
gen Beispielen demonstriert werden.

3.2 Via damnationis


Das neue Feindbild in Johann Michael Moscheroschs
Gesichte Philanders von Sittewalt (1640)

Die eben skizzierten heuristischen Schwierigkeiten lassen sich gut am Beispiel


Johann Michael Moscheroschs aufzeigen und präzisieren. In den frühen Aus-
gaben seiner bekannten Satire Gesichte Philanders von Sittewald (zuerst 1640,
2
1642),171 noch eng am Vorbild von Francisco de Quevedos Sueños (zuerst

170
Vgl. dazu jetzt die beeindruckende, aus den antiken und rinascimentalen Quellen
entwickelte Problemskizze bei Leinkauf 2017, S. 797–817 sowie S. 745–759 (zur »Nutzen-
und Kalküls-Ethik« und der entsprechenden Umdeutung des antiken virtus-Begriffs bei
Machiavelli); für weitere Literatur zu Machiavelli s. oben, Kap. I.3.2.
171
Vgl. die Aufstellung in der maßgeblichen Bibliografie von Bechtold 1922. – Wir
zitieren nach der zweiten Straßburger Ausgabe von 1642, die im Nachdruck vorliegt (Hil-
desheim/New York 1974) und daher in der Forschung am häufigsten verwendet wird. –
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Atheismus in barocker Erzählprosa 289

1601–1605), fehlen überwiegend die Merkmale, die über den Rahmen einer
christlichen Moralistik heraus deutliche Verweise auf die zeitgenössische Athe-
ismusdebatte enthalten. Zwar wird die vernichtende Bestandsaufnahme alltäg-
licher Laster und Sünden auch hier gelegentlich unter die Optik des »Gottlo-
sen« gebracht (erstes Gesicht),172 die »Weltkinder«173 und »Spötter«174 werden
gerügt (fünftes Gesicht: Letztes Gericht), schonungslos wird überdies der Wi-
derspruch von christlichem Reden und unchristlichem Handeln – praktischer
Atheismus also im Sinne von Voetius’ bekannter Definition ( I.5) – heraus-
gearbeitet; dies alles geschieht jedoch fast ohne aussagekräftige Hinweise auf
das apologetische Argumentationssystem, sondern weitgehend nach Maßgabe
des spanischen Vorbilds. Unübersehbar sind ferner die Ähnlichkeiten zur Er-
bauungsliteratur der Zeit (Stegmann, Meyfart u. a.), aus der Moscherosch auch
eifrig zitiert,175 insbesondere im noch näher zu betrachtenden sechsten Gesicht
mit dem aussagekräftigen Titel Höllen-Kinder.176 Dass in dem dort entfalteten,
teils nach Lastertypen, teils nach Berufen geordneten Pandämonium mensch-
licher Schwächen und Torheiten die antiatheistische Topik und Typologie
vielfach auf Anspielungsebene präsent ist, gelegentlich sogar die Schwelle zur
wörtlichen Bezugnahme überschreitet, kann wohl kaum verwundern.

In der gleichfalls nachgedruckten (Darmstadt 1964) Ausgabe von Felix Bobertag aus der
Reihe Deutsche National-Litteratur (dort Bd. 32, Stuttgart 1883) fehlen die hier relevanten
Bücher Höllen-Kinder (sechstes Gesicht) und Hof-Schule (siebtes Gesicht). Zitiert wird
im Weiteren mit Seitenzahl in Klammern direkt nach Zitat.
172
So in der ersten Rede des Expertus Robertus im zweiten ›Gesicht‹ (Welt-Wesen)
hervorgehoben auch durch eine entsprechende Marginalie (»Gottloser«): »Ein Narr stir-
bet alle Tag / auß forcht daß er dermahlen eines sterben muß. Ein Gottloser aber lebet
alle Tag / als ob nimmermehr sterben sollte / vnnd fühlet den Todt nicht ehe als in dem
Abscheiden / da dann die Forcht so grausam bey ihm ist / daß ihm weder an Seele noch
Leibe zuhelffen.« (49)
173
»Die üppige Weltkinder / welche in Fleischeslust / Augenlust / vnnd Hoffärti-
gem leben jhre tage geendet hatten / wollten kurzumb jhre augen nicht mehr annemmen
noch erkennen / auß sorge / dieselbe vor dem Richterstuhl wider sie selbst zeugen / vnd
ihre ankläger werden möchten.« (232) – Hier liegt das Deutungsschema vor, das in den
reformatorischen Psalterkommentaren am insipiens des 14. Psalms entwickelt worden war
( I.1) und das Mersenne und Voetius mit dem Atheismusbegriff verknüpft hatten. Den-
noch enthält sich Moscherosch einer entsprechenden Etikettierung.
174
»Die Spötter vnd Lästerer / wollten auß jetziger vrsach jhre Zungen nicht mehr
annemmen.« (232)
175
Vgl. die Hinweise bei Kühlmann/Schäfer 1983, S. 148 f.; Bubenik 2001, S. 159–163
et pass.; vgl. auch die Anmerkungen zu Stegmann und Meyfart in der Auswahlausgabe
der Gesichte von Wolfgang Harms (Stuttgart 1986), S. 196 (Meyfart) und 205 (Stegmann).
176
Eine Stelle wie die folgende Klage über die Verdorbenheit durch alle Stände hin-
durch könnte ebenso gut aus Scrivers Seelen-Schatz (1675) stammen: »Vnd weil in allen
Ständen mir die Eitelkeit / Betrug vnnd Heucheley nunmehr mercklichen vnder augen
kame / so / daß ich der Menschen wesen vnderscheyden konte / vnnd dafür hielte / daß
ausser Christo alles thun ein recht verdammliches Leben wäre; hatte ich mich eine wenige
zeit in den nechst gelegenen Saurbronnen zubegeben […].« (278)
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290 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Zunächst einmal findet sich über weite Strecken keiner der zeittypischen
Signalbegriffe wie ›Atheist‹ (mit einer Ausnahme, s. u.) oder ›Epikurer‹, auch
das Reizwort ›ratio status‹ fällt in den ersten fünf Gesichten nur einmal sprich-
wörtlich am Rande – in einer Marginalie des ersten Gesichts (29).177 Zwar war
der Atheismusbegriff in Deutschland um 1640 theologisch noch nicht fest
etabliert, das geschah, wie oben gezeigt, erst nach 1650. Die epochemachende
Disputationsreihe von Gisbert Voetius hatte gerade erst ein Jahr zuvor statt-
gefunden.178 In die staatstheoretische Literatur aber ( I.3), die Moscherosch
bestens kannte, hatte der Begriff bereits ebenso Eingang gefunden wie in die
großen Enzyklopädien.179 Nicht zuletzt zeigt sich Moscherosch in den Gesich-
ten als eifriger Leser von Owens Epigrammata, die gleich mehrere Gedichte
über Atheisten und Atheismus enthielten ( III.1.2).180 Wenn er ihn also nur
ein einziges Mal, und auch dort eher nebenher, verwendet, dann entweder auf-
grund einer bewussten Entscheidung oder weil der Ausdruck für ihn schlicht
noch keine besondere Relevanz besaß.181

177
Die beiden anderen Stelle werden im Folgenden noch behandelt.
178
Es findet sich dennoch ein indirekter Rezeptionshinweis, der erste mir bekannte
im deutschen Sprachraum: Im Anschluss an die unten näher erörterte Passage über den
Atheisten in der Hölle denkt Philander in einem Selbstgespräch über die Verantwortung
der Herrschenden in dieser Sache nach. Reflexe auf die lutherische Lehre der cura utrius-
que tabulae sind unübersehbar. Philander fragt sich, ob sich die Fürsten vor Gott nicht da-
durch schuldig machen würden, dass sie »nicht allein in jhren AllerChristlichsten Reichen
den Atheismum in Theoria, disputando; sondern auch in communi totius Regni practica,
Connicendo einwurtzeln / vnnd so gar […] vngestrafft lassen!« (367) – Ziemlich deutlich
wird hier also die Unterscheidung von theoretischem und praktischem Atheismus ver-
wendet, die Voetius erst im Vorjahr eingeführt hatte. In den akademischen Kreisen, in
denen Moscherosch verkehrte, hat sie sich offenbar schnell herumgesprochen.
179
Vgl. Kühlmann 1982, S. 363–366; Kühlmann/Schäfer 1983, S. 66–86 (dort auch
zu Moscheroschs Bildungsreise nach Frankreich); ferner Schäfer 1992, S. 30–49. – Auf
die Vertrautheit mit der staatstheoretischen Behandlung des Atheismus deutet auch das
Zitat in der letzten Anmerkung, in dem die Frage nach der Strafbarkeit des Atheismus
aufgeworfen wird. Vgl. dazu ausführlich Kap. I.3. – Zu lexikografischen Erfassung des
Unglaubens in den großen Enzyklopädien im 16. und 17. Jahrhundert (Zwinger, Alsted,
Beyerlinck u. a.) plane ich eine gesonderte Untersuchung.
180
Dem Herausgeber der Leipziger Reclam-Ausgabe der Gesichte von 1883, Karl
Müller, zufolge, ist Owen der im Text am »häufigsten« zitierten Autor (S. 8). Dennoch
hat Moscherosch nicht eines der oben interpretierten Epigramme Owens über den Athe-
ismus abgedruckt, nicht einmal da, wo es sich in geradezu idealer Weise angeboten hätte.
So entspricht die oben zitierte Passage über die Lebensweise des Gottlosen, »als ob er
nimmermehr sterben sollte«, recht deutlich dem Inhalt des Epigramms Epitaphium Athei
(Epigrammata I, 28): »Mortuus est, quasi victurus post funera non sit: / Sic vixit, tanquam
non moriturus erat.« – Zu den Owenzitaten in den Gesichten vgl. Donien 2003, dort bes.
S. 33–56 (mit statistischer Übersicht der meistzitierten Autoren; Owen liegt dort mit 121
Einträgen weit vor Martial mit 52 und Petronius mit 33 Belegstellen).
181
Einen interessanten Hinweis darauf liefert das umfangreiche Sachregister, das
schon der ersten Auflage beigegeben wurde. Dort sind unter dem Stichwort »Atheismus«
zwei Stellen verzeichnet (S. 277 u. 366). Schlägt man diese im Text nach, so findet man
nur an der zweiten Stelle auch den Ausdruck »Atheist« (dazu mehr im Weiteren), die ers-
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11:25

Atheismus in barocker Erzählprosa 291

Das mag auch daran liegen, dass in der den Gesichten zugrunde liegenden
Perspektive der Laster- und Sündenschelte ein kontrastierender Gegenpol
fehlt: Wenn alle Menschen gleichermaßen von der ›Gottlosigkeit‹ im bibli-
schen Sinn betroffen sind, verliert das Feindbild des atheistischen Wüstlings
seine stigmatisierende und ausgrenzende Wirkung.182 Die Abrechnung mit
Sündhaftigkeit und Torheit der Welt steht dann nicht mehr so sehr im Zeichen
einer modernisierungsskeptischen Kulturkritik, wir haben es vielmehr mit ei-
ner Variation des christlichen mundus corruptus-Topos zu tun. Eine positive
Korrektivinstanz wie Expertus Robertus widerlegt diesen Befund nicht, son-
dern bestätigt ihn. Denn dieser steht gerade nicht für die verpflichtende soziale
und moralische Norm, die es gegen Abweichler und Störenfriede oder den
genius saeculi schlechthin zu verteidigen gilt, sondern für ein spirituelles Ideal,
an dem die gefallene Menschheit zwar gemessen wird, faktisch aber unver-
meidlich scheitern muss. Diese nur vordergründig pessimistische Optik (ihr
liegt ja eigentlich eine Sündenlehre samt Erlösungsperspektive zugrunde) teilt
die christliche Moralsatire des menippeischen Typs mit dem Pikaroroman.183
Sie war überdies gut befestigt in der reformatorischen Theologie und färbte
besonders in den Kreisen der protestantischen Reformorthodoxie ( II.2–4),
der auch Moscherosch nahestand, Verständnis und Gebrauch des Atheismus-
begriffs ein.184
Diese Vorüberlegungen sind nötig, um ein angemessenes Verständnis derje-
nigen Passagen der Gesichte zu gewinnen, an denen der Atheismusbegriff und
andere Elemente des zeitgenössischen Unglaubensdiskurses dann schließlich
doch noch zum Vorschein kommen. Betrachten wir diese Stellen der Reihe
nach. Zu Beginn des Gesichts Höllen-Kinder zieht die Hauptfigur Bilanz aus
dem Aufenthalt in der Schweiz, indem sie ihn rückblickend der seit dem ersten
Buch leitenden Fragestellung unterzieht.185 Es handelt sich also, wie dieser Er-

te genannte Stelle zu Beginn des sechsten Gesichts handelt dagegen, nach Ausweis der
Marginalie, von den »Politici hodierni« und dem Missbrauch der Religion als Vorwand
(»praetext«). Erst im Nachhinein schien es Moscherosch oder dem Drucker offenbar sinn-
voll, die Passage unter dem Eintrag »Atheismus« zu rubrizieren. Einen Registereintrag
»Politicus« oder »Politici« gibt es dagegen nicht.
182
Zu Moscherosch als Satiriker vgl. grundlegend Schäfer 1982; neuere Literatur
verzeichnet der Artikel Moscherosch, Johann Michael in Killy/Kühlmann, Bd. 8, 2010,
S. 343–346 (Walter E. Schäfer).
183
Vgl. dazu vorzüglich Trappen 1994, bes. S. 219–248 (zum Traditionszusammen-
hang von menippeischer Satire und Pikaroroman) und S. 189–204 (zu Moscherosch).
184
Man denke etwa an Äußerungen wie Seckendorffs »Der Atheismus practicus han-
get allen an« (Christen-Stat, S. 7) oder Theodor Undereycks (Der närrische Atheist, 1689)
inflationäre Applikation des Atheismusbegriffs auf alle Menschen, die noch nicht in Chris-
tus wiedergeboren und dadurch zu »Syntheisten« geworden seien (s. dazu Kap. II.3.3; zu
Seckendorff Kap. IV.3, dort auch das Zitat im Kontext).
185
»Nachdem ich nun etliche Wochen zu Genff verharret / vnnd auff erfordern
meiner Lieben Elttern wider nach hauße ziehen wollen: erinnerte ich mich meines ersten
propositi vnd vorhabens / warum ich nemlich auß dem Teutschland in diese frembde ort
gezogen wäre?« (276) – Gemeint ist der Vorsatz am Beginn des ersten Buchs: »Doch sol-
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292 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

zählerhinweis klarstellt, um eine Stelle von herausgehobener Bedeutung. Des-


wegen verdient auch die Tatsache Erwähnung, dass eben an diesem Punkt der
Erzählung und nicht erst, wie nahe gelegen hätte, im nachfolgenden Gesicht
Hof-Schule die Kategorie des Politischen in pejorativer Bedeutung (erkennbar
auch an der ratio status-Formel) zum Einsatz gelangt.186 Nicht allein Höflinge
und machiavellistisch agierende Fürsten werden hier zusammenfassend mit
dem verfemten Begriff »Politici hodierni« belegt (276, marginal), sondern da-
rüber hinaus, wenngleich in leichter Abstufung, ganz generell die »Menschen
heutigs tags«.187 In dieser pauschalen Verwendung behält der Begriff zwar seine
kulturkritische Stoßkraft, verliert aber jede Trennschärfe, er übernimmt, wie
dann der Atheismusbegriff im frühen Pietismus, eher die Funktion des tradi-
tionellen Sünderbegriffs als eine heterodoxe Abweichung zu kennzeichnen.
Dazu passt neben dem hier gleichfalls lancierten Vorwurf der »Heucheley«
auch der Fortgang des Kapitels, der eigentlich ein herkömmliches Höllen-
szenario entwirft. Ein abendlicher Spaziergang führt Philander in ein abge-
legenes Waldstück, wo ihn in amoener Umgebung der Schlaf übermannt.188
Er setzt – nun im Traum – seinen Weg fort und gelangt an eine Weggabelung.
Das marginal hinzugesetzte Stichwort »Biuium Herculis« lässt keinen Zweifel
daran, dass es sich um die bewährte 2-Wege-Allegorie handelt.189 Nach rechts
führt, schmal und dornig, die »via virtutis« (so die Marginalie), auf der Phi-

ches eigentlich zu erkennen, nam ich mir vor / vber den blowen Berg in ein ander Land
vnnd Reich zu ziehen / vmb zusehen / ob daselbsten Treu vnd Religion, Glauben vnnd
Redlichkeit auch also vermummet / oder ob sie besser zu finden / Ehrlicher gehalten vnd
belohnet wirden?« (8)
186
Zu Moscheroschs Kritik des Politischen im Sinne einer autonomen, nicht mehr
übergeordneten ethischen oder religiösen Maßstäben gehorchenden Zweckrationalität
vgl., im weiten epochalen Zusammenhang, Kühlmann 1982, S. 363–366; ferner, mit Blick
auf Moscheroschs Biografie, Schäfer 2001, S. 30–49.
187
»Ich betrachtung welches / wie im Eingang vemeldet / ich endlichen bey mir be-
funden / vnd diesen gewissen schluß machen können / das vielmehr / oder doch eben so
wohl / vber Rhein / Gott / Glauben / Gerechtigkeit vnnd Gewissen bey den Menschen
heutigs tags nur ein Ratio status, ein Schein / ein praetext vnd fürwort wäre (Religio apud
Politicos est arcanum mansuefaciendae plebis) ja ein eytele Heucheley vnd blosser Deck-
mantel / vnder welchem die Welt / insonderheit Mächtige Potentaten / ihre Tyranney /
Muthwillen / Vngerechtigkeit / Eingriffe in frembde Herrschafften / bescheinen vnd ver-
decken thäten.« (276)
188
Der Übergang vom Wachen zum Träumen wird vom Autor geschickt verschlei-
ert, dadurch gewinnt das folgende Geschehen noch mehr die Qualität eines visionären
Zustands: »Es war sehr still vnd anmütig: die Lufft so lieblich / daß sich alle meine sinne
drob erjüngeten. Auff einer seite rauschete ein Christall klares wässerlein vber die Steine
daher: andrerseits fienge ein sanffter Wind vnder den Bäume vnd blettern ein gespräch an /
daß mann sich schwerlich deß Schlaffs erwehren konte.« (279) – Die Stelle ist so schon bei
Quevedo angelegt. Vgl. die Hinweise von Wolfgang Harms im Kommentar zur Reclam-
ausgabe der Gesichte, S. 203.
189
Zur altehrwürdigen Vorstellung des bivium vgl. die klassische Studie von Pan-
ofsky 1930, bes. S. 42–124, ferner, vor allem zur mittelalterlichen Toposgeschichte, Harms
1970; dort auch, S. 74–82, zu Moscherosch.
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Atheismus in barocker Erzählprosa 293

lander einigen vereinzelten Leidensgestalten begegnet. Nach einem kurzen


Gespräch mit einem Bettler, der ihm weise Worte mit auf den Weg gibt, kehrt
Philander zur Gabelung zurück, belehrt noch schnell zwei Soldaten, dass sie
vergeblich nach einem dritten Weg zwischen Himmel und Hölle suchen wür-
den (»Non datur tertium«, 284),190 und begibt sich auf den linken Weg, die »via
damnationis«,191 die von Anfang an weit stärker frequentiert zu sein scheint:
»Behüte Gott was eine menge Volcks fand ich daselbsten: Da Cavaliers, da
Kutschen / da schöne Damen / […] da Spielleutte / da / weiß nit was vor treff-
liche Leütte / Herren vnd Frawen.« (286)
Die Fülle, Buntheit und burleske Komik des damit eröffneten Stände- und
Lasterpanoramas kann hier nicht angemessen gewürdigt werden. Unüber-
sehbar ist das Vorbild der alteuropäischen Narrenliteratur wie etwa Sebastian
Brants Narrenschiff: Philander begegnet Zanksüchtigen und Scheinheiligen,
Starrköpfigen und »Weiber-Narren« (299), er trifft Studenten, Juristen und
»Medici« (288), auch weitere Soldaten, und er fühlt sich in dieser Gesellschaft
nicht einmal unwohl. Erst als ihn eine Gruppe von Apothekern überholt,
wird ihm schlagartig bewusst, dass er sich nicht auf dem Weg zum Himmel,
sondern am Eingang zur Hölle befindet (300). In der Hölle selbst wird die
moralistisch-satirische Musterung dann, überwiegend nach Professionen ge-
ordnet, fortgesetzt. Philander sieht dort Schneider, Spielleute, Richter und
einen ihm bekannten Buchdrucker, ferner »Pastetenbecker« (315), Kaufleute
und Adelige mit erschlichenem Titel. Breiten Raum nimmt die Schilderung
des Studentenlebens ein (342–350), wie man sie etwa aus zeitgenössischen
Studentenkomödien nach dem Typ des Cornelius relegatus kennt, gefolgt
vom nicht minder traditionsreichen satirischen Gemälde des lasterhaften
Klerus (350–354). Hier hätte sich jede Möglichkeit geboten, Bezeichnungen
wie ›Epikurer‹, ›Gottloser‹ oder ›Atheist‹ ins Spiel zu bringen, aber auch hier
sieht Moscherosch davon ab.
Dennoch ist damit der Bereich der theologisch verzwickteren Sünden
und Laster betreten, die schon in Richtung Heterodoxie weisen und daher
auch näher am hier zu verfolgenden Unglaubensdiskurs liegen als eine bloße
Sündenallegorie. Kaum haben die Geistlichen auf ihrem brennenden Wagen
sein Blickfeld verlassen, erreicht Philander einen »wüsten Stall« (354), dessen
Insassen er in besonders elendem Zustand vorfindet. Es handelt sich, wie
ihm ein anwesender Teufel erklärt, um solche Menschen, die »auff Gottes
Barmherzigkeit gesündiget« haben (355). Mit einem wunderbar ironischen
Kunstgriff lässt Moscherosch – zur ausdrücklichen »verwunderung« seines

190
Vgl. dazu Haberkamm 1984, S. 186 f.
191
Die Gegenüberstellung von ›via virtutis‹ und ›via damnationis‹ ziert auch das Ti-
telblatt eines illegitimen Frankfurter Drucks der Gesichte von 1644, im Auschnitt auch
abgebildet auf dem Umschlag der Reclamausgabe von Wolfgang Harms (Stuttgart 1986);
vgl. auch Kühlmann/Schäfer 2001, S. 275 f.
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294 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Helden192 – nun ausgerechnet den infernalischen Gesprächspartner die Stol-


persteine der protestantischen Gnadenlehre erörtern. In einem längeren Mo-
nolog zeichnet der Unterteufel den schmalen Grat zwischen dem sola gratia-
Prinzip und einer Überdehnung des Gnadenbegriffs, welche, wie weiter oben
ausgeführt ( I.1), Augustinus in Pelagius, Luther im linksreformatorischen
›Schwärmertum‹ ebenso wie in der ›epikurischen‹ securitas bekämpft hatte.
Und tatsächlich bestärkt der Ausdruck »Gottloser Mensch« in diesem Zusam-
menhang die Vermutung, dass es von hier aus nicht mehr weit bis zum bibli-
schen insipiens sein kann, wie ihn vor allem Augustinus und Luther gedeutet
haben.193
Als »recht vnglaubige Leute« wird auch – erneut durch einen Teufel – die
nächste Gruppe von Menschen angesprochen, die das epochale Mahnwort
»Moriendum est« nicht beherzigt haben und daher unbußfertig gestorben
sind (358 f.). Philander muss aber noch einen weiteren Trupp von Apothekern
(hier als Anhänger des Paracelsus und Raymundus Lullus deutlicher als zu-
vor in das heterodoxe Lager gerückt) sowie ein Zimmer voll putzsüchtiger
Frauen passieren, bevor er mit dem nächsten »Verdamten« (363) endlich ei-
nem auch explizit so genannten Atheisten begegnet.194 Dass damit innerhalb
der Sünden- und Lasterrevue durchaus so etwas wie ein klimaktisches Extrem
erreicht ist, zeigt sich daran, dass der Gelehrte, den Philander in einem Ses-
sel sitzend vorfindet, mehr als alle bisherigen Figuren in höllischen Qualen
geschildert wird.195 Dazu bedarf es jedoch, so die Pointe, keiner teuflischen
Peiniger, sondern allein der Stimme seines Gewissens, ganz gemäß der Lehre

192
»Mit grosser verwunderung hörete ich dieser Predigt zu; vnd / ist es immer müg-
lich / sprach ich / daß auß dem Munde eines so vermaledeyten Doctors eine so herrliche
Lection und Lehr her kommen solle?« (357)
193
»[D]ann das were die Barmhertzigkeit Gottes verachtet / wann man meynen wol-
te / daß solche den Muthwilligen Sündern widerfahren sollte / vnd daß / so bald ein Gott-
loser Mensch die Genade Gottes begeret / sie jhm also bald wirde offen stehen / ehe vnnd
zuvor er sich durch ware Buß und besserung derselben werde würdig gemacht haben.«
(355 f.) – In Luthers eigenen Worten: »Wer Vergebung seiner Sünden von Herzen begeh-
ret, der muß wenigstens den Vorsatz haben, er wolle die Schuld nicht vermehren, d. h. er
wolle von Sünden ablassen, sich bessern und hinfort frömmer werden. Denn in Sünden
fortfahren und davon nicht ablassen wollen und dennoch um Vergebung bitten, das heißt
unseres Herrgotts spotten.« Luther, WA 52, S. 524; hier zitiert nach der äußerst nützlichen
Zusammenstellung und Übersetzung im Luther-Lexikon von Kurt Aland (Aland 1983),
S. 317 f., s. v. ›Sünde‹. – Ähnlich ebd., S. 163, s. v. ›Gottlose‹: »Die Gottlosen spannen den
Bogen allzu hoch, d. h. sie sind sicher und ahnen nicht, daß ihnen eine Gefahr bevorsteht.«
194
Auf diese Stelle (S. 366) verweist auch der zweite der beiden erwähnten Register-
einträge.
195
»[E]r sasse also allein / vnnd schrye doch so grausamlichen / als ob jhm einer die
Seele herauß reissen wolte. Das Hertz floß jhm tropffensweiß zu der Stirne herauß / als ob
er stranguliert: vnd Er zermarterte seinen Leib mit strechen vnd strimen / als der mit einer
Legion besessen were. O Gott / dachte ich / in was Verzweiffelung ist dieser armseelige
gerathen!« (363)
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Atheismus in barocker Erzählprosa 295

von der natürlichen Gotteserkenntnis ( I.1).196 Wie schon bei den Pelagianern
und bei den Unbußfertigen wird also auch hier ein wichtiges Stück Dogmatik
repetiert. Kein Leben in Laster und Sünde ist es allerdings, dem der Atheist
seinen qualvollen Zustand verdankt! Zum wiederholten Mal ist es einer der
höllischen »Geister«, der dem betroffenen Philander den Zustand des Gemar-
terten erläutert:

Es were derselbe ein Vortrefflicher Hochberühmter Philologus gewesen / der Jahr


vnd Tag an einem Buchstaben grüblen vnnd spintisiren können / ohne nutzen einiges
Mäuschen. Ein Gottes vergessener / ein Atheist:197 Einer der weder Warhafftig einen
Allmächtigen Gott / noch einen Teuffel: weder Himmel noch Hölle recht geglaubet
hätte; sondern seine Weltweißheit vnnd tieffsinnige geschicklichkeit höher gehalten
als das Ewige Leben: Der alles dem Lauff der blinden Natur / Fato Stoico, zugeschrie-
ben: der die Aufferstehung der Todten verlachet / vnnd für eine gelehrte Fabul gehal-
ten / […] Gott aber / den Allmächtigen Schöpffer vnd Erhalter aller Dinge / auß der
acht gelassen […]. (365 f.)

Hier ist nun, auf einen Schlag, das Feindbild des gelehrten Atheisten präsent,
noch dazu in seltener Dichte, das ermöglicht die topografisch strukturierte
Form der additiven Revue.198 In der typischen Weise der Apologetik wird auch
hier, wenn man genau liest, die strikte negatio Dei außen vor gelassen. Der Ge-
peinigte habe nicht Gott geleugnet, sondern, wie es heißt, nicht »recht geglau-
bet«. Könnte das noch im Sinne des zuvor beanstandeten ›sicheren‹ Pelagia-
nismus verstanden werden, so sind allerdings mit der Leugnung der Providenz
(durch Berufung auf das autonome fatum stoicum) und der Unsterblichkeit der
Seele die definitorischen Voraussetzungen des von Voetius ( I.5) so genann-
ten indirekten Atheismus erfüllt. Das Hauptvergehen des Atheisten scheint
aber, wie das der Politici (s. o.), darin zu bestehen, dass er die weltlichen Din-
ge dem geistlichen Heil überordnet, sich überdies lieber auf seine eigene »ge-
schicklichkeit« verlassen will als auf göttliche Fügung; dass er schließlich, wie
es im vorhergehenden Monolog des Atheisten selbst geheißen hatte, seine von
Gott verliehenen Gaben »mehr zu eyteler vanitaet als befürderung [seiner]
Seeligkeit vnd deß Nächsten aufferbawung verwendet« habe (365). Dieser Ge-
sichtspunkt scheint Moscherosch so wichtig gewesen zu sein, dass er ihn gleich

196
»Ach ich hab in mir selbsten alle Höllische Pein vnnd Marter / die alle andere
Verdampte fühlen: Ihr sehet nicht die Hencker so sich an meinem Hertzen anhangen /
vnd mir alle Ewige plage anthun; Aber der / der / sprach er / […] welches Gerechtigkeit
vnendlich ist / vnd dessen Gerichte Ewig bleiben vber die Gottlosen / der sihet sie wol.
[…] Der nagende Wurm meines Gewissens ist mir an die Seele angehafftet / vnnd mit
Ewigem hunger frisset er mir mein armes Leben.«(364 f.)
197
Marginal ist an dieser Stelle zusätzlich das Wort »Athei« gesetzt.
198
Die gleiche Technik können wir genau hundert Jahre später in denn Moralischen
Wochenschrift antreffen ( VI.3.4).
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296 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

darauf noch einmal seinem Titelhelden in den Mund legt.199 Es folgt die oben
zitierte Überlegung Philanders zur Verantwortung der Herrschenden in dieser
Frage und zur möglichen Strafbarkeit des Atheismus.
Mit diesen eng am Text entwickelten Befunden kann das eingangs formu-
lierte heuristische Problem etwas präziser gefasst werden. Das Beispiel Mo-
scheroschs macht deutlich, mit welchen komplexen Rezeptionsmodalitäten in
der barocken Erzählliteratur um diese Zeit zu rechnen ist. Zwar ist hier bereits
sehr früh der Begriff des theoretischen Atheismus präsent, wie ihn Voetius erst
ein Jahr zuvor eingeführt hatte, zwar spiegelt sich in der Gestalt des gelehrten
Atheisten zugleich das Schreckgespenst des libertinage erudit, das im elsässi-
schen Straßburg sicherlich früher Aufnahme fand als in Helmstedt, Rostock
oder Wittenberg. Und doch werden diese Feindvorstellungen noch eingepasst
in ein traditionelles Sünden- und Lasterpanorama und somit für erbauliche
Zwecke dienstbar gemacht. Der ›Atheist‹ (auch unter dieser 1640 noch recht
unüblichen Bezeichnung) rückt auf solche Weise nicht als singuläres novum,
sondern als Variation des Altbekannten in die »von den oberrheinischen Satiri-
kern vorgegebenen Standes- und Lastertypen« (W. Schäfer) ein,200 ganz ähnlich
wie er schon 1581 von Mornay als einer unter mehreren in die Phalanx der
Feinde des Christentums aufgenommen worden war ( I.2.2). Darüber hin-
aus hat besonders der oben erwähnte Registereintrag belegt,201 wie der Atheis-
musbegriff bei Moscherosch noch mit dem des Politicus verschwimmt. Dieser
war jedoch weniger auf eine radikalintellektuelle Opposition gegen Religion
und Kirche gemünzt als vielmehr gegen jene Vertauschung von weltlichen mit
geistlichen Prioritäten, die Augustinus und Luther noch in der biblischen Fi-
gur des insipiens beschrieben und verurteilt hatten ( I.1).

3.3 Ein »Epicurisch Leben«?


Ironische Unglaubenskritik undAntimachiavellismus
im Simplicissimus (1668/69)

Auf eine ähnlich gut versteckte Auseinandersetzung mit der ›negativen


Anthropologie‹202 des antiatheistischen Argumentationssystems treffen wir im
bekanntesten Roman der Epoche, in Grimmelshausen Simplicissimus (1668).203
Dort wird, im Gegenlicht von Figurenperspektive und retrospektiv kommen-
199
»O / sprach ich auß inniglichem Hertzen bey mir: Wie ist freylich ein Gelehrter
Mann so ein Verdammter Mann / wann er seine Geschicklichkeit mehr auß vanitaet, Ehr-
geitz vnd eigenem Ruhm ostentiret, als zum Nutzen des Nächsten / vnd zum Lobe vnd
Preyß Gottes gebrauchet.« (367)
200
Zitat aus dem Artikel Moscherosch, Johann Michael in Killy/Kühlmann, Bd. 8,
2010, S. 343–346 (Walter E. Schäfer), hier: S. 344.
201
Siehe oben im Kapitel, Anm. 16.
202
Die Formulierung nach Lauer 2008.
203
Hier zitiert nach der Ausgabe in der Bibliothek der Frühen Neuzeit, Bd. 4/1, hg.
v. Dieter Breuer, Frankfurt am Main 1989 (Bibliothek deutscher Klassiker 44), mit Angabe
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Atheismus in barocker Erzählprosa 297

tierender Erzählerstimme, der Konflikt zwischen kreatürlicher Triebsponta-


neität und zeitbedingt wertendem Über-Ich vergleichsweise subtil und ohne
großen Theorieaufwand herausgearbeitet.204 Dabei kommen – absichtlich oder
nicht – immer wieder Analyse- und Überführungskategorien der barocken
Apologetik zum Einsatz. Dass es sich um mehr als die zeittypische literarische
Moralistik handelt, wird zunächst erkennbar an dem einschlägigen Signalbe-
griff ›epikurisch‹, der hier noch einmal im Sinne des alten Luther ( I.1.5) den
inzwischen weit gängigeren Atheismusbegriff vertritt, zugleich aber schon
auf die im Namen Epikurs vollzogene anthropologische Achsendrehung der
Frühaufklärung und die damit nach Art der voluptates concessae (Tacitus)205
einhergehende ›Rehabilitation der Sinnlichkeit‹ vorausweist.206
Darüber hinaus bewegt sich die hier vorerst gemeinte Episode aus Simpli-
cissimus’ westfälischem Aufenthalt im zweiten und dritten Buch207 auch sonst
deutlich im Zeichen theologischer, genauer: kontroverstheologischer Fra-
gestellungen, die allerdings nur selten, wie im bekannten Gespräch mit dem
reformierten Pfarrer in Lippstadt,208 explizit ausformuliert werden. Sie liegen
vielmehr schon implizit im Handlungshintergrund des Dreißigjährigen Kriegs
beschlossen. Außerdem gehört die Unfähigkeit der Hauptfigur, sich zwischen
der Hingabe an die eigene Triebnatur – bis hin zu einer offenbar unbezwing-
baren kriminellen Ader – einerseits und dem Bedürfnis nach Buße und as-
ketischer Weltentsagung andererseits (verkörpert in den Figuren des väterli-
chen Einsiedlers und Herzbruders) entscheiden zu können, zu den tragenden
Strukturen des Romans und zu den Hauptquellen seines charakteristischen

von Buch (römische Ziffer) und Kapitel, so dass die Vergleichbarkeit mit anderen Ausga-
ben gewährleistet ist.
204
Vgl. dazu die differenzierende Analyse von Kühlmann 2006; das komplexe, nicht
immer eindeutig auflösbare Verhältnis von »Erzähler und erzähltem Helden« problemati-
siert auch Wimmer 1990, S. 68: »Jeder genaue Leser bemerkt nun aber, daß sich eine große
Zahl von Rückblicken und Zwischenbilanzen durch die Romanhandlung zieht, die nicht
auf einen Nenner zu bringen sind […].« – Heute würde man diese Differenz mit dem
von Wayne C. Booth eingefühten Begriff des ›unzuverlässigen Erzählens‹ bezeichnen, was
interpretatorisch den großen Vorteil mit sich bringt, die vermeintlichen Inkohärenzen als
erzählerisches Kunstmittel zu würdigen.
205
Tacitus gebraucht diese Formulierung (ann. 13,2,1) mit Blick auf die Erziehung
Neros durch Seneca und Burrus. Vgl. Fuhrmann 1997, S. 182.
206
Dieser immens folgenreiche Prozess ist in der – besonders germanistischen – For-
schung unter dem Leitwort ›Anthropologie‹ aufgearbeitet worden und bereits im Stadium
der Lehrbuchproduktion angekommen. Vgl. Košenina 2008, bes. den Forschungsbericht
S. 7–22; die Forschung bis 1992 resümiert vorzüglich Riedel 1994; neuere Literatur bei
Spiekermann 2016.
207
Vgl. dazu die gesammelten Beiträge in Heßelmann 2006.
208
Auf die Stelle wird in der Forschung häufig verwiesen, wenn es um die religiösen
bzw. theologischen Aspekte des Romans geht; vgl. bereits Ermatinger 1925, S. 59 f.; Fuchs
1935, S. 130; in neuerer Zeit; scharfsinnig und weiterführend: Trappen 1994, S. 230–232;
zuletzt Breuer 2004, S. 341 f., und Kühlmann 2006, S. 68 f.; darauf, dass diese wichtige Pas-
sage auch »erzähltechnisch« von Bedeutung sei, weist Hillenbrand 2008, S. 109–111.
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298 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Humors. Nicht zuletzt deswegen bleibt die moralische Selbstdeutung des Pro-
tagonisten – in Form von periodisch wiederkehrenden Selbstanklagen – stets
bezogen auf eine geistliche Deutungsfolie.209
Hören wir zunächst die Stimme des Erzählers, des altgewordenen Simp-
licissimus, der die Geschehnisse seiner Jugend nicht nur aus zeitlicher Dis-
tanz, sondern auch aus der inzwischen erlangten Perspektive des Einsiedlers
mit den entsprechenden Bewertungen betrachtet. Hatte er seine im zweiten
Buch geschilderte Zeit im westfälischen Soest vom Streben nach »Ehre, Ruhm
und Gunst« bestimmt gesehen, stellt er gleich zu Beginn des dritten Buchs die
dort alsbald zu berichtenden Ereignisse unter die Perspektive der »Thorheit«
(III,1). Das Wort allein genügt wohl noch nicht, um hier einen Verweis auf den
biblischen insipiens ( I.1) anzunehmen, erst recht nicht, wenn man den Tra-
ditionszusammenhang der europäischen Narrenliteratur bedenkt. Hellhörig
wird man allerdings, wenn der Erzähler am Ende des Kapitels die Schilderung
seiner geradezu virtuosen früheren Fertigkeiten als Viehdieb mit dem folgen-
den Kommentar beschließt:

Darbey fieng ich an / nach und nach mit Fressen und Saufen ein Epicurisch Leben zu
führen / weil ich meines Einsidlers Lehr vergessen / und niemand hatte / der meine
Jugend regierte / oder auff den ich sehen dorffte / dann meine Officier machten selbst
mit / wann sie bey mir schmarotzten / und die mich hätten straffen und abmahnen
sollen / reitzten mich vielmehr zu allen Lastern / darvon wurde ich endlich so gottloß
und verrucht / daß kein Schelmstück / solches zu begehen / zu groß war. (III /1)

Dass mit diesem oft zitierten Verdikt210 die westfälische Phase insgesamt keines-
wegs zutreffend gekennzeichnet ist, dass vielmehr in Äußerungen wie dieser
die Diskrepanz zwischen Figuren- und Erzählerstimme, als Teil des epischen
Erzählkonstrukts, aufscheint, ist mit Recht beanstandet worden.211 Die mora-
listische Entlarvungsmethodik des gealterten Simplicissimus reicht sogar bis
in die Beurteilung sittlich guten Verhaltens hinein. Denn die baldige Entschei-
dung des Protagonisten, nach der Begegnung mit einer Doppelgängerfigur,212

209
Vgl. dazu besonders Wimmer 1990, der mögliche Quellen in der zeitgenössischen
»Populärtheologie« (Sandaeus, Stengel, Masen) namhaft macht. Ermatinger 1925 will –
hier exemplarisch für die ältere Forschung – in den Selbstanklagen des Protagonisten noch
Indizien für die »Reinheit seiner Seele« erkennen (S. 49).
210
Vgl. Ermatinger 1925, S. 48; Wimmer 1990, S. 68;
211
Vgl. Kühlmann 2006; dagegen sieht Rainer Hillenbrand in seiner Untersuchung zur
Erzählperspektive im Roman hier keine Relativierung des moralischen Urteils, glaubt sogar
eine Übereinstimmung von Erzähler und Autor konstatieren zu können (vgl. Hillenbrand
2008, S. 93). Für ihn besteht der Kunstgriff darin, die Sympathie der Leser mit dem offen-
kundigen Sünder nicht abreißen zu lassen (ebd.): »Der Leser soll ihn moralisch verurteilen,
aber doch zugleich auch eine menschliche Sympathie mit ihm haben. Das ist eine sehr pre-
käre Autorintention, weil der Leser leicht zur kritiklosen Identifikation mit dem Helden
neigen könnte. Deswegen muß der Ich-Erzähler mit seiner Selbstkritik aus bekehrter Per-
spektive im Auftrag des Autors den Leser immer wieder auf den richtigen Weg weisen.«
212
Vgl. Breuer 1999, S. 38.
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Atheismus in barocker Erzählprosa 299

dem Jäger von Werl, sein »gottloß Leben« hinter sich zu lassen und sich »allein
der Tugend und Frömmigkeit« zu befleißigen (III,3), wird in der Optik des
späteren Asketen zum strategischen Zug, zur bloß äußeren Anpassung mit
dem Ziel, dem aufkommenden Neid bei seinen Spießgesellen zu begegnen.213
Interessant ist daran weniger die strukturelle Analogie zur zeitgenössischen
Kritik an Heuchelei und Scheinfrömmigkeit unter dem Leitbegriff des ›prakti-
schen Atheismus‹ als vielmehr die im Kontrast zwischen Figurenhandeln und
Erzählerkommentar sichtbar gemachte Entkoppelung von moralischem Ver-
halten und moralischer Intention. Das zielt gegen eben jene Kunst der Verstel-
lung (simulatio), wie sie in den höfischen Klugheitslehren seit der Renaissance
empfohlen (s. o.), in der höfischen Moralistik satirisch geschildert und von
Kritikern gern als Machiavellismus denunziert wurde.
Diese Kategorien stehen dem jungen Simplicissimus indes nicht zur Verfü-
gung, er hat, wie es wenig später heißt, »den Machiavellum noch nicht gele-
sen« (IV,15). Wieder ist es eine Nebenfigur, an der sie ihm vorgeführt werden,
diesmal der ehemalige Schreiber Olivier, dem Titelhelden noch aus Magdebur-
ger Tagen als »durchtriebener Schalck« bekannt (II,21), der sich inzwischen im
Schwarzwald als Straßenräuber durchschlägt. Im Gespräch mit Olivier nach
dem unerwarteten Wiedersehen erleben wir Simplicissimus nun als Ankläger.
Die Lebensweise Oliviers, die sich von seiner eigenen Zeit als Jäger von Soest
gar nicht so sehr unterscheidet, nennt er, zunächst nur mit Blick auf drohende
Strafen, die »aller-schändlichste von der Welt« (IV,15). Darauf gibt sich Oli-
vier als Anhänger Machiavellis zu erkennen, worunter er – ganz im Sinne der
holzschnittartigen Sicht der Apologetik – nichts weiter versteht als die Lizenz
zu rauben und zu morden, ohne sich deswegen moralische oder juristische
Bedenken zu machen.214 In einem kühnen Umkehrschluss leitet er aus dem
gleichartigen und dabei straffreien Verhalten von Königen, Fürsten und Stan-
213
Vgl. Hillenbrand 2008, S. 93.
214
Die Figur des Olivier hat – gerade als Kontrastfigur zum Freund Herzbruder –
in der Forschung schon einige Aufmerksamkeit gefunden; vgl. Aurnhammer 2003 zum
Schwanken des Titelhelden zwischen den durch diese zwei Figuren bezeichneten Polen;
ähnlich bereits Ermatinger 1925, S. 50 (die Bezeichnung »Machiavellist« übernimmt Erma-
tinger, ohne sie zu problematisieren); zu Olivier als (selbsterklärtem) Machiavellisten vgl.
von der Heyde 1990, Meid 2015, S. 62–64 (weitgehend identisch mit Meid 2009, S. 635 f.),
zuletzt Haberkamm 2016. In den Arbeiten von der Heydes und Haberkamms werden
alle relevanten Stellen ausgewertet und mit Machiavellis Principe (Haberkamm) bzw. mit
der daran anknüpfenden Staatsräson-Literatur (von der Heyde) korreliert. Beide Studien
führen allerdings auch vor Augen, was geschieht, wenn man den Hinweis auf Machiavelli
zu wörtlich nimmt und nach direkten Rezeptionsspuren und eindeutigen Analogien sucht,
wo keine zu finden sind. Sie wirken deswegen vor allem da überzeugend, wo sie nicht den
Simplicissimus-Roman, sondern die kleine Schrift Simplicianischer Zweiköpffiger Ratio
status untersuchen (von der Heyde 1990, S. 510–513; Haberkamm 2016, S. 52–56). Hab-
erkamm löst das Problem im Blick auf Olivier, indem er diesen als »Überzeichnung« bzw.
Überbietung des im Principe entwickelten Herrscherideals auffasst (vgl. ebd., S. 39–45,
Zitat S. 40). Dass diese Überzeichnung einen festen Bestandteil des auch Machiavelli ein-
beziehenden Diskurses über den Unglauben bildet, wird zu wenig bedacht.
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300 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

despersonen die Nobilitierung der »Freybeuterey« ab.215 Den moralischen


Vorwurf pariert er – kurios genug – pseudomoralisch mit dem Hinweis auf
seine Ehrlichkeit, da er sein Verhalten wenigstens nicht mit dem »Deck–Man-
tel Christlicher Lieb« zu rechtfertigen suche. In diesem Zusammenhang fällt
dann auch die Berufung auf Machiavelli:

Mein lieber Simplici, du hast den Machiavellum noch nicht gelesen; Jch bin eines recht
auffrichtigen Gemüts / und treibe diese Manier zu leben / frey offentlich ohne allen
Scheu; Jch fechte / und wag mein Leben darüber / wie die Alte Helden / weiß auch /
daß die jenige Handierungen / dabey der so sie treibt / in Gefahr stehen muß / zuge-
lassen sind; weil ich denn mein Leben in Gefahr setze / so folgt unwidersprechlich /
daß mirs billich und erlaubt sey / diese Kunst zu üben. (IV,15)

Dass sich Olivier in dieser Haltung nicht nur über Gesetz und Moral, sondern
auch den göttlichen Rechtswillen hinwegsetzen zu können meint, belegt der
Fortgang des Gesprächs. Die Bedenken der Hauptfigur, dass nicht nur na-
türliches und positives Recht, sondern auch das göttliche Strafgericht in Rau-
ben und Morden schwere Vergehen erblicken würden,216 pariert Olivier ohne
weitere Begründung mit der schlichten Wiederholung des alles erklärenden
Schlagworts: »Es ist / wie ich vor gesagt / (antwortet Olivier) du bist noch
Simplicius / der den Machiavellum noch nit studirt hat […].« Gerade weil da-
bei Machiavelli schlagwortartig, verzerrt und reduziert auf die Doktrin des to-
talen moralischen Relativismus erscheint, lässt sich diese Passage als Reflex auf
die ganz ähnliche Auffassung des großen Staatsdenkers in der zeitgenössischen
Apologetik verstehen.217 Nur wird hier einmal mehr deren Urteil nicht über-
nommen, sondern durch die figurale Perspektive relativiert. Dass es eigentlich
nicht Machiavellis Lehre ist, die Olivier vorträgt, sondern seine eigene, ganz
zweckgebundene Interpretation, wird in der satirischen Übertreibung mehr
als deutlich.218

215
»Sag mir / wie viel Königkreich und Fürstenthümer sind nicht mit Gewalt er-
raubt und zu wegen gebracht worden? […] Was könnte doch Adelicher genennet werden /
als eben das Handwerck / dessen ich mich jetzt bediene?«
216
»Hierauf antwortet ich / gesetzt / Rauben und Stelen sey dir erlaubt oder nicht /
so weiß ich gleichwol / daß es wider das Gesetz der Natur ist / das da nicht will / daß einer
einem andern thun solle / das er nicht will / daß es ihm geschehe; So ist solche Unbilligkeit
auch wider die Weltliche Gesetz / welche befehlen / daß die Dieb gehenckt / die Raeuber
gekoepfft / und die Moerder geradbrecht werden sollen; Und letztlich so ist es auch wider
Gott / so das fuernehmste ist / weil er keine Suende ungestrafft laest.« (IV,15)
217
Ausführlicher hat sich Grimmelshausen mit Machiavelli (oder besser: mit dessen
Zerrbild in der Debatte über die Staatsräson) in seiner Schrift Ratio status auseinanderge-
setzt. Vgl. dazu, neben den schon genannten Studien von der Heydes 1990 und Haber-
kamms 2016, Trappen 1994, S. 324 f., und Breuer 1999, S. 225–231.
218
Vgl. die entsprechende Deutung von Haberkamm 2016, S. 40, auf die bereits hin-
gewiesen wurde. – Ein ähnliches Verfahren setzt Christian Weise 1679 in seinem Bäuri-
schen Machiavellus ein, um so genau diese Diskrepanz zwischen Machiavellis Lehre und
deren intentionaler, letztlich oberflächlicher Aneignung satirisch vorzuführen.
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Atheismus in barocker Erzählprosa 301

Ähnliches gilt für die einzige Passage des Romans, in welcher die Be-
zeichnung ›Atheist‹ vorkommt (V,2). Wieder finden wir Simplicissimus, nach
Oliviers Tod (IV,24), in einer Phase der moralischen Selbstbesinnung, ausge-
löst durch die Wiederbegegnung mit dem alten Freund Herzbruder (IV,25)
und den Plan einer gemeinsamen Wallfahrt.219 Und wieder ist es eine Neben-
figur, die sein Innenleben sichtbar macht, dieses Mal ein Besessener, dessen
Exorzierung die Pilger in Einsiedeln beiwohnen.220 Der Rasende, der als Me-
dium des Teufels ein unheimliches Vorwissen über die Biografie des Helden
besitzt, wird zur Stimme für das geplagte »Gewissen« (V,1) der Hauptfigur
und zugleich zum quasi inquisitorischen Ankläger.221 Nicht allein mora-
lische Beschuldigungen, als »Lügner« und »ehebrecherischer mörderischer
Huren-Jäger« (V,2), sind es nämlich, die er urplötzlich gegen Simplicissi-
mus ausstößt, sondern auch Verdächtigungen auf gleich mehrere Spielarten
der Heterodoxie. Zuerst bezeichnet er ihn als Religionsspötter,222 sodann als
»Atheist«,223 schließlich, nachdem Simplicissimus auf Anraten der anwesenden
»Patres« schon Kommunion und Beichte in Erwägung zieht, auch noch als
Ketzer und Wiedertäufer.224
Schon die Zusammenstellung deutet darauf hin, dass der Atheismusbegriff
auch hier wieder recht unspezifisch verwendet wird, er begegnet nur en pas-

219
Der moralische Katzenjammer setzt ein, als Herzbruder erkennt, dass sein Be-
gleiter die Wallfahrt nicht aus innerer Überzeugung, sondern »allein ihm zu gefallen« an-
getreten hat (V,1). Erst als Herzbruder die Besserung zur Bedingung für den Fortbestand
ihrer Freundschaft macht, beginnen die Selbstvorwürfe der Hauptfigur (ebd.): »Von dieser
Zeit an folgte ich ihm traurig nach / als einer den man zum Galgen führt / mein Gewissen
fient mich an zu drücken / und in dem ich allerley Gedancken machte / stelleten sich alle
meine Bubenstück vor Augen / die ich mein Lebtrag je begangen / da beklagte ich erst
die verlorne Unschuld / die ich auß dem Walde gebracht / und in der Welt so vielfältig
verschertzt hatte […].« – Zur erzähltechnischen Realisierung dieser Gewissenskrise vgl.
Hillenbrand 2008, S. 141 f.
220
Die Passage hat aufgrund des dadurch ausgelösten Bekehrungserlebnisses des Ti-
telhelden in der Forschung nicht wenig Beachtung gefunden, um so mehr, als hier deutli-
cher als an anderen Stellen konfessionelle, nämlich katholische Aspekte hervortreten. Vgl.
Hillenbrand 2008, S. 143–148 mit kritischer Musterung früherer Studien.
221
Vgl. den Kommentar in Breuers Simplicissimus-Ausgabe (Anm. 203), S. 942.
222
»O ihr Pfaffen / nemmt ihn nur nicht an / er ist ein Gleißner und aergerer Lueg-
ner als ich / er foppt sich nur / und spottet beydes GOtt und der Religion!« (V,2)
223
Breuer weist im Stellenkommentar zu dieser Passage (Simplicissimus, S. 942) völ-
lig zu Recht auf die Synonymie von ›Atheist‹, ›impius‹, ›Epicuraeus‹ etc. hin.
224
»Der Exorcist befohl dem Geist zu schweigen / weil man ihm als einem
Ertz=Lügner ohne das nit glaube; Ja ja / antwortet er / fragt dieses außgesprungenen
Mönchs Räisgesellen / der wird euch wol erzehlen können / daß dieser Atheist sich nicht
gescheuet / die Erbsen zu kochen / auff welchen er hieher zu gehen versprochen. […] Also
daß die Geistlichen genug an mir zu trösten hatten / sie vermahnten mich zur Beicht und
Communion, aber der Geist schrye abermal auß dem Besessenen: Ja ja / er wird fein beich-
ten / er weiß nit einmal was beichten ist / und zwar was wolt ihr mit ihm machen / er ist
einer Ketzerischen Art / und uns zuständig / seine Eltern seyn mehr Widertäufferisch als
Calvinisch gewesen / etc.« (V,2)
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302 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

sant im Rahmen einer Aufzählung oder Anhäufung von Vorwürfen, die sich
im Übrigen aus theologischer Sicht beinahe ausschließen. Der Text gibt auch
keine weiteren Hinweise, was unter Atheismus genau verstanden werden soll.
Immerhin ist mit dieser assoziativen Verwendung die oft ganz ähnlich gela-
gerte Verdächtigungsmethodik der Apologetik nicht unpassend eingefangen.
Vielleicht auch deswegen löst dieses Erlebnis in Simplicissimus eine heftige
»Reu« und »Begierde zur Busse« aus (ebd.). Seine dadurch angestoßene »Be-
kehrung und Besserung« aber, vom Freunde Herzbruder mit Genugtuung
vermerkt, wie auch seine erste »Beicht und Absolution«, die ihm eine nie ge-
kannte Leichtigkeit des Gewissens verschaffen,225 bilden nur wieder neue Zwi-
schenstationen auf dem irrlichternden Lebensweg des Helden. Es folgen wei-
tere Abenteuer im Soldatenstand, Versuche in der Goldmacherkunst, erotische
Verstrickungen – vom rückblickenden Erzähler schon fast erwartungsgemäß
als epikurisch verurteilt226 – sowie die geheimnisvolle Mummelseeepisode, an
die sich endlich intensive theologische Studien anschließen (V,19). Daraus er-
wachsende Sympathien mit der Lebensweise der ungarischen Wiedertäufer227
werden abgelöst durch neuerliche Kriegsdienste unter schwedischer Führung,
die Simplicissimus mit der Aufforderung konfrontieren, die lutherische Kon-
fession anzunehmen.
Kurzum, das angespannte Verhältnis von geistlicher und weltlicher Exis-
tenz begleitet den Protagonisten in verschiedenen Facetten weiter bis zum
Ende des fünften (in der Erstausgabe zugleich letzten) Buchs, als er nach ei-
ner neuerlichen Wallfahrt endlich zum heimischen Hof zurückkehrt und sich
erbaulicher Lektüre widmet. Dem bekannten »Adjeu Welt«-Kapitel geht der
Entschluss zur Selbsterkenntnis gemäß der antiken Maxime Nosce te ipsum
voran (V,23).228 Er mündet in die schon bekannte Einsicht des Protagonisten
hinsichtlich der Sündhaftigkeit des eigenen Daseins. Sie wird aber diesmal
nicht durch den zurückschauenden Erzähler formuliert, sondern als Selbst-
gespräch der Hauptfigur auf der Ebene der erzählten Handlung situiert. Die
dabei angelegten Deutungskategorien – ein fernes Echo von Luthers Polemik
gegen Epikureismus und securitas – signalisieren, dass die vorher bestehende
Differenz zwischen Erzähler und erzähltem Ich hier auf ein Minimum redu-
ziert ist. Das (vorläufige) Romanende kündigt sich so auch auf der Ebene der
Erzählkonstruktion an:

Solches machte daß ich mich hindersonne / und von mir selbst Rechnung über mein
geführtes Leben begehrte / weil ich ohne das müssig war / da sagte ich zu mir selber /

225
Ebd.: »Worauff mir dann so leicht und wol umbs Hertz wurde / daß ichs nicht
außsprechen kan […].«
226
V,6: »[I]ch lebte gottlos wie ein Epicurer / und befohl das meinige niemal in Got-
tes Schutz / warumb hätte isch dann dieser Zauberer nicht wiederum an mir sollen rächen
können?«
227
Vgl. Valentin 1985 mit Hinweisen zu möglichen Quellen Grimmelshausens.
228
Vgl. dazu Tarot 1976 sowie, mit Blick auf Moscherosch, Schäfer 1992, S. 87–93.
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Atheismus in barocker Erzählprosa 303

dein Leben ist kein Leben gewesen / sondern ein Todt; deine Tage ein schwerer Schat-
ten / deine Jahr ein schwerer Traum / deine Wollüste schwere Sünden / deine Jugend
eine Phantasey […] Als ich nach meines Vattern seeligen Todt in diese Welt kam / da
war ich einfältig und rein / auffrecht und redlich / warhafftig / demütig / eingezogen /
mässig / keusch / schamhafftig / fromm und andächtig; bin aber bald boßhafftig /
falsch / verlogen / hoffärtig / unruhig / und überall gantz gottlos worden / welche
Laster ich alle ohne einen Lehrmeister gelernet; […] Ich sahe nur auf das gegenwär-
tige und meinen zeitlichen Nutz / und gedachte nicht einmal an das künfftige / viel
weniger / daß ich dermaleins vor Gottes Angesicht müste Rechenschafft geben! (V,23)

Ähnlich wie bei Moscherosch also können wir bei Grimmelshausen beobachten,
wie sich der Atheismusbegriff erst langsam – zwischen anderen Feindvorstel-
lungen – seinen Platz sucht. Er bleibt dabei auch hier eng verbunden, fast schon
synonym mit dem älteren, durch Luthers Vorreden zu den Propheten, zum
Buch Daniel und zum Römerbrief ( I.1.5) weithin verbreiteten Kampfbegriff
›epikurisch‹. Hinzu tritt die seit 1600, im protestantischen Bereich verstärkt seit
1650 hinzugetretene Feindfigur des Machiavellisten, mit der sich auch bei Grim-
melshausen wieder der Vorwurf auf Heilsindifferenz und auf Priorisierung des
Weltlichen verbindet. Keine dieser Feindvorstellungen kann jedoch innerhalb
des Romanganzen eine besonders herausragende Stellung beanspruchen. Sie alle
bleiben, als Exempel oder Variation, eingelassen in die alles überwölbende Op-
tik der gefallenen Welt mit ihren Lastern und Torheiten. Soweit Grimmelshau-
sen, wie oft behauptet wurde, aller satirischen Methodik zum Trotz, die reiche
Lebenswirklichkeit des 17. Jahrhunderts adäquat eingefangen hat, können wir
annehmen, dass er hier auch den Feindbilddiskursen den Platz einräumt, den
sie im zeitgenössischen Denk- und Lebenshaushalt gehabt haben. Die eingangs
angedeuteten Brüche allerdings, die in der Beurteilung weltlichen Wohlergehens
zwischen erzählendem und erzähltem Ich sichtbar werden, weisen über den Be-
reich der barocken Frömmigkeitskultur hinaus. Sie lassen Signale einer Distan-
zierung von der augustinischen Anthropologie erkennen, mit denen schon der
Weg in Richtung Aufklärung eingeschlagen ist.

3.4 Staatsräson als praktischer Atheismus und Kritik der Ketzermacherei


in Johannes Lassenius’ Arcana Politico-Atheistica (1666)

Auf eine ähnliche Gemengelage von noch barocken und schon aufkläreri-
schen Themen treffen wir in unserem nächsten und plakativsten Beispiel, in
den mehrmals aufgelegten Arcana Politico-Atheistica (1666, 61717) des viel
gelesenen Erbauungsschriftstellers, Professors für Theologie und dänischen
Hofpredigers Johannes Lassenius.229 Es handelt sich um einen romanhaften

229
Hier zitiert nach der Erstausgabe: Johannes Lassenius, Arcana Politico-Atheistica
Oder Politische Geheimnüs Vieler Hin und wieder versteckten / Unartigen Atheisten, In
Einigen Gesprächen entdecket und verworffen, o. O. 1666. – Nachweise mit Seitenzahl im
Fließtext. Die eigenwillige Zeichensetzung – statt Punkt setzt Lassenius häufig Semikolon,
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304 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Dialog nach Art der barocken Gesprächsspiele. In der 1673 erschienenen


Besiegten Atheisterey sollte Lassensius wenig später erneut zur Dialogform
greifen (s. o., Kap. III.2.3). Wie dort, wie auch schon in Moscheroschs Ge-
sichten, wird in den Arcana die typische Klage laut über die in allen Ständen
herrschende Verdorbenheit, die um sich greifende Scheinfrömmigkeit und die
politische Instrumentalisierung der Religion. Mit ›Atheismus‹ ist also, anders
als in der Besiegten Atheisterey, nicht oder nicht ausschließlich die negatio Dei
gemeint. Diese steht vielmehr allenfalls als äußerstes Extrem am Ende einer
ganzen Reihe von Überzeugungen oder Verhaltensweisen, wie sie der seit 1600
im katholischen ( I.2.3), seit 1650 auch im protestantischen Raum ( II.2.2)
kursierenden Projektionsfigur des Politicus, des allein auf Interessenwahrung
und Machterhalt bedachten, unter Verweis auf den Imperativ der ratio sta-
tus jegliche moralische oder soziale Bindung hinter sich lassenden politischen
Pragmatikers und Karrieristen, gewohnheitsmäßig unterstellt wurden.
Der Handlungsrahmen des lose komponierten, durch zahlreiche Zitate230
und kurze liedhafte Verseinlagen aufgelockerten Werks ist schnell referiert:
Die beiden Studienfreunde Philalethes und Philistoreon treffen sich zufällig
nach Jahren im (ungenannten) Wohnort des Letzteren und geraten sogleich
in eine ebenso angeregte wie vertraute Unterhaltung, die nach kurzer Zeit in
gattungstypischer Weise (man denke etwa an Johann Rists Monatsgespräche)
in Philistoreons Garten verlegt wird.231 Kreisen die beiden ersten der insge-
samt drei kapitelartig abgeteilten Gespräche um die Erfahrungen des Philale-
thes mit der Praxis und Methodik der Denunziation, in denen sich sehr wohl
biografische Erinnerungen des Autors Lassenius wiederfinden dürften, so
dient im weitaus längsten dritten Gespräch (62–180) der Besuch eines Jahr-
marktes und die dortige Begegnung mit drei zwielichtigen »Statisten« (72)
zum Anlass für eine ausgedehnte Reflexion über das epochale Reizthema der
Staatsräson. Die hier zur Abwechslung satirisch gemünzte Kritik an der Fi-
gur des Politicus findet ihren literarisch-allegorischen Ausdruck in der Idee
des ›Statisten‹ Mustaphus, der in einer entlegenen Ecke des Marktes soge-
nannte Estats-Hüte (75) zum Kauf anbietet.232 Ein »Vierdtes und letztes Ge-

so dass seitenlange Sätze entstehen – wird bei Bedarf vorsichtig modernisiert, um nicht
jedes Zitat mit Auslassungszeichen abschließen zu müssen.
230
Als meistzitierter Autor rangiert im Text, passend zur im Titel ausgewiesenen
Thematik, kein Geringerer als Justus Lipsius (18, 34, 41, 48 f., 50 f. [aus De constantia],
51 f., 53, 61 f. u. ö.).
231
Zur arkadischen Dimension von Rists Gesprächsspiel Das alleredelste Leben der
ganzen Welt vgl. zuletzt Garber 2015.
232
Die Begleiter des Mustaphus, der Mantelverkäufer Ariostus und der Brillenma-
cher Entimus, spielen im weiteren Verlauf des Textes kaum noch eine Rolle – die knap-
pe, fast behelfsmäßige Wiederaufnahme am Schluss des Werks (185 f.) indiziert die Un-
geduld eines Autors, der zum Ende kommen will. Auf Philalethes’ Nachfrage erwidert
sein Gegenüber: »Ich wollte dem Herrn / gern vergnügen / antwortete Philistoreon, und
die beyden Staats-Krämer / Ariostum und Entimum zu mir bitten lassen / erachte es aber
unnöthig […].« (185)
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Atheismus in barocker Erzählprosa 305

spräch« (181–189) zieht die erbaulichen, das heißt hier vor allem: die über die
»Gottlose Welt« (182) und die Verdorbenheit der Menschen lamentierenden
Folgerungen aus dem so vermittelten Einblick in die geheimen Abgründe
der politischen Klugheit.
Den eigentlichen Kern und vermutlich die Ausgangsidee des Werks bildet
denn auch eine über fünf Seiten (94–98) reichende »geheime Instruction« für
»Atheistische Statisten« (94), die der Hutverkäufer Mustaphus seinen Kun-
den als Beigabe zu den von ihm verkauften »Estats-Hüten« zukommen lässt.
Typografisch nach Art einer Inschrift gesetzt, enthält dieses »Atheistische Re-
cept« (98), wie es der Erzähler zunächst bezeichnet, in gedrängter Form gut
30 Verhaltensmaximen, die dem Käufer des Staatshuts zum weltlichen Er-
folg verhelfen sollen. Sie werden im weiteren Verlauf des dritten Gesprächs
(100–180) vom Verkäufer Mustaphus ausführlich erläutert. So tritt, gebrochen
nur durch Figurenperspektive und gelegentliche Ironiesignale, die eigentlich ja
bekämpfte Lehre – das Schreckgespenst eines zynischen, allein auf Vorteil und
Erfolg bedachten Vulgärmachiavellismus – in seltener Offenheit und Breite
dem lesenden Publikum vor Augen. Ähnliches haben wir weiter oben bei Da-
niel Clasen gesehen, und wie Clasen selbst könnte Lassenius der Forschung
zur europäischen Geschichte des radical thought als Beispiel für die gewollte
oder ungewollte Verbreitung radikalaufklärerischen Gedankenguts unter dem
Vorwand der Widerlegung dienen. (Dass Lassenius kurzzeitig an Clasens alma
mater, im Helmstedt der Calixt- und Conringära studiert hat, sei nur am Ran-
de vermerkt.)233
Die atheistische, das heißt hier, den Wahrheitswert und die Heilsabsicht der
christlichen wie überhaupt jeder anderen Religion kassierende, zugleich aber
deren hohes Ansehen, nach dem Vorbild Machiavellis instrumentalisierende
Ausrichtung der durch Mustaphus gelehrten »Statisterey« (138) illustriert be-
reits die Beschriftung der Hüte selbst, die dem Betrachter Philalethes als Erstes
in die Augen fällt. Zu lesen stehen dort die Worte »Religio Reputatio« (70).
Was damit gemeint ist, zeigt sich an mehreren Stellen der nachfolgenden Er-
läuterung zur politischen Instruktion, zunächst unter der Maxime »Deorum
nomen in ore, in corde nunquam« (142). Mit der traditionellen Kontrastierung
von Herz (›in corde‹) und Mund (›in ore‹) wird der Vorwurf der Heuchelei
oder Scheinfrömmigkeit ins Spiel gebracht, der die deutsche Atheismusdebatte
seit ihren Anfängen um 1650 begleitet hatte ( II.2). In den Gedanken vieler
Zeitgenossen wird sich dabei die Schreckfigur des insipiens aus dem 14. Psalm
(»dixit insipiens in corde suo …«) eingestellt haben.234 Die wesentliche Stra-
tegie der Politici, erklärt darauf auch der Hutmacher Mustaphus, liege darin,
dass sie sich bei innerlicher Gleichgültigkeit nach außen hin stets als eifrige

233
Vgl. ADB, Bd. 17, 1883, S. 788–790 (Carsten Erich Carstens), hier S. 789; s. auch
den Hinweis bei Mulsow 2002, S. 417.
234
Ausführlich dazu weiter oben, Kap. I.1.
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306 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Verfechter der Religion zu erkennen gäben.235 Durch die Berufung auf die Reli-
gion und ihre Verteidigung oder Erhaltung könnten sie jedwede politische Ab-
sicht mit Leichtigkeit rechtfertigen, zum Beispiel, wie es auch bei Clasen und
Großgebauer schon hieß, das Führen von Kriegen.236 Der Besitzer des Hutes,
so erläutert Mustaphus an anderer Stelle,

erlanget auch / bey jedermann grosses Ansehen / so daß ihn und seine actiones, je-
derman ehren / rühmen / und hochhalten wird / dann sie gehen alle / wie die Uber-
schrifft seines Hutes lautet / zu Erhaltung der Religion, und allgemeiner Reputation;
Und diß Wörtlein / hat man um deßwillen müssen öffentlich mahlen lassen / damit
der gemeine Mann / ja hinfüro nicht mehr zweiffele / daß alle Consilia und Actiones,
der Statisten, bloß auff das Commodum der Religion, und Reputation, gantzer König-
reiche / Städte / Länder und gemeinen Bestens gerichtet seyn […] / dann / wenn man
den Pöbel mit nichts anders / zwingen oder bendigen mag / so kann man es mit der
Religion thun / diese / erhelt entweder die Gemüther bey der Einigkeit / oder richtet
auch zu weilen viel Stenckerey an […]. (90 f.)

In der Vorstellung des dummen, mithilfe der Religion gefügig gemachten ›Pö-
bels‹ klingt eine in der Tat radikale Denkfigur, die sogenannte Betrugshypo-
these an, die durch das 17. Jahrhundert hindurch mit der legendären Schrift De
tribus impostoribus verbunden war.237 Neben dem zeittypischen Zerrbild des
rücksichtslosen politischen Machtmenschen sowie dem seit Clasen und Groß-
gebauer geläufigen Vorwurf gegen die politische Instrumentalisierung der
Religion enthält der Abschnitt aber auch ein sprachkritisches Moment. Am
Beispiel des Ausdrucks ›Religion‹ arbeitet Lassenius scharfsichtig die ideolo-
gische Vereinnahmung und Funktionalisierung von Sprache (»diß Wörtlein«)
heraus. Das »Wort Religio«, so erklärt bereits Philistoreon seinem erstaun-

235
»Dieses gehöret noch zum vorigen / dann es nicht allein gnug / daß man saget /
man praetendire nur Religionem, sondern man muß auch vor den Leuten eusserlich sich
stellen / daß man dabey from und Gottesfürchtig / viel von Gott rede und schwetze / da-
bey sich aber wol hüten / daß man nicht nur an GOtt gedencke / dann es möchten sonst
andere Gedancken auffsteigen / die den gantzen Handel verwirren köndten / darum muß
ein rechter Statist, ein rechter Atheist seyn / der sich um den Himmel nicht viel bekümme-
re / dann dieser muß ihm doch wol werden / thut er das nicht / so ists um ihn verlohren
[…].« (142)
236
»In allen actionibus, müssen verständiger [!] Statisten Religionem vor ansetzen /
auß Ursachen / die allbereit / oben angezogen worden; Nil enim in Rebus humanis Reli-
gione praestantius, Fraget man irgends einen Krieger / so heist es allezeit: Es geschiehet /
pro defendenda Religione, immittels aber sehe man zu / daß man durch das Mittel / allge-
mählig Land und Leute an sich ziehe / Es komme dann um die Religion hiernechst / wie es
immer wolle und könne / daran ist nichts gelegen / dann Religio / muß nirgend anders zu
dienen / dann nur die gemeine Leute damit zu äffen […].« (140 f.)
237
Alles Wissenswerte zu diesem »Buchphantom« hat Winfried Schröder in seiner
reichhaltigen Einleitung zur Edition der Schrift De tribus impostoribus zusammengetragen
(Schröder 1999, das Zitat dort auf S. 7); vgl. außerdem Schröder 1998, S. 424–451, sowie,
zur deutschen Übersetzung durch Johann Christian Edelmann, Schröder 2010; die ältere
Literatur bei Barth 1971, S. 233–235.
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Atheismus in barocker Erzählprosa 307

ten Begleiter, sei erst in jüngerer Zeit auf den Staatshüten erschienen (75),238
es verdecke im Zeitalter schwerster konfessioneller Auseinandersetzungen in
idealer Weise die Eigeninteressen der politischen Akteure. Als Beispiele wur-
den zuvor Kardinal Mazarin und Oliver Cromwell genannt (75). Folgerichtig
erkennt es auch der zunächst noch verwirrte Philalethes als Zeichen für »Un-
christliche Statisten«, daß sie »sub nomine & titulo Religionis« ihre eigenen
Zielsetzungen verfolgten (76). Diese zugleich sprach- und ideologiekritische
Betrachtungsweise findet ihren Gipfel im offenherzigen Geständnis des ›Sta-
tisten‹ Mustaphus selbst:

Und nicht allein der heutige Estat der Welt / sondern auch von undencklichen Jahren
allbereit her / hat ein jeder Stand / auff gewisse Weise müssen unterhalten werden /
wiewol die Mittel dazu unterschiedlich gewesen / und nicht so subtil und compendios,
als nun / dann heutigen Tages / bedarff es / bey Fürsten und Herrn / bey Praelaten
und Bischöffen / nur eines einigen Wortes / so ist alles Krumme gerad / und alle Hän-
del geschlichtet; Dieses einige Wort / heist Religio, und stehet zu oben angeschrie-
ben / auff diesem meinem Hut […]. (87)

In gleicher Weise wird nachfolgend auch der Begriff der Staatsräson, genauer:
der Ausdruck ratio status, als Ausrede und Scheinbegründung entlarvt und in
seiner Floskelhaftigkeit ironisch kommentiert. So will schon Philistoreon in
der Vergangenheit »mit vornehmen Politicis« über die Jahrmarktsfreiheit dis-
kutiert haben (auf das Thema wird noch zurückzukommen sein), nur um mit
der Allerweltsbegründung der ratio status abgefertigt zu werden.239 Die An-
ekdote ermuntert seinen Gesprächspartner zu einem ersten süffisanten Kom-
mentar: »Es ist ja so / versetzte Philalethes, Ratio status, muß endlich das beste
Defension-Mittel seyn / wann sonst weder Kraut noch Pflaster helffen will /
so muß diese herbey / und wieder ehrlich machen.« (67) Philistoreon verzich-
tet wenig später vollends auf Ironie und entlarvt (in der Optik der erzählten
Welt) den wohlklingenden Ausdruck ratio status als die Lizenz zum Lügen
und Betrügen unter dem Vorwand übergeordneter Leitinteressen:

Man kann lügen / und darff sich nicht schämen; Man kann Gott / und das Heiligt-
hum / wol gar übern Hauffen werffen / und darff ihm kein Gewissen machen / Man
kann redliche Leute schenden / und darff es nicht verantworten; Man kann zusagen /
bey Gott / dem Himmel / und Höll / und darff es nicht halten; Man kann schweren
und ungestrafft brechen; Man kann einem andern / das Seine mit Gewalt nehmen /
und darff es nicht wieder geben / alles sub specie recti, und das durch die Wirckung

238
Darin ist der gewichtige begriffsgeschichtliche Befund vorausgesetzt, dass sich re-
ligio als abstrakt zusammenfassende Bezeichnung für verschiedene Konfessionen oder gar
Religionskulturen im Laufe des 17. Jahrhunderts überhaupt erst zu etablieren begann. Den
Nachweis führt in monumentaler Breite Ernst Feil in seiner vierbändigen Untersuchung
Religio, bes. in den Bänden zum 17. Jahrhundert (Feil 1997 u. 2001).
239
»Ich habe auch zu der Zeit / viel pro und contra, dieser sache wegen / mit vor-
nehmen Politicis, jedoch nur Schertzweise geredet / allein es bliebe / dabey / daß es Ratio
Status, so und nicht anders erforderte.« (66 f.)
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308 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

zweyer kleinen Wörtlein / Ratio Status. Schauet / das ist die Krafft und Wirckung /
der gesehenen Stands-Hüte; beati possidentes! (79)

Die im Begriff der Staatsräson zusammengedrängte Entkoppelung von Poli-


tik und Ethik, die seit der Antike unter dem gemeinsamen Dach der prakti-
schen Philosophie vereint gewesen waren, erscheint mithin einmal mehr als die
Auflösung elementarer moralischer und sozialer Normen, wie sie bei Staats-
denkern von Bodin bis Locke auf das Engste mit dem Atheismus verbunden
gewesen war ( I.3). Bei ihnen, wie noch später bei Christian Wolff ( V.4),
wird die hier auch von Lassenius gestreifte Frage nach der Einhaltung von Ver-
trägen und nach der Verbindlichkeit von Eiden zur politischen Begründung
für die Ausweisung erklärter Atheisten. Sie kehrt wieder in der geheimen »In-
struction« für den angehenden Politicus in Form der ausdrücklichen Anwei-
sung »Pacta violato. Promissa non servato«. Der Hutmacher Mustaphus er-
läutert im Zuge seines ausführlichen Kommentars, wie der erfahrene Politicus
möglichen Protest der düpierten Vertragspartner allein durch Erwähnung der
Zauberformel ratio status – unter Aussparung jeglicher Begründung240 – zum
Schweigen bringen könne:

Ja / ihr werdet befinden / wann gleich von Gegenseiten / praetendiret wird / warum
die pacta nicht gehalten und man schon sonst / keine Ursache weiß fürzuwenden /
so wird das einige Wort / Ratio Status, alles gut machen / sonderlich wenn beyderley
Meister eine Kunst können. (106)

Anders als in den Zusammenbruchszenarien, wie wir sie in der Staatslehre um


1600 vielfach angetroffen haben, handelt es sich in Philistoreons Redebeitrag
jedoch nicht um einen gesellschaftsweiten Anomiezustand, sondern um die
selbsterteilte, als arcanum bewahrte und clandestin weitergereichte Ausnah-
megenehmigung seitens einer vorerst noch kleinen Schar von ›Statisten‹.241 Ge-
rade darin bestehe ja die Tücke dieser Politici, dass die Regeln, die sie übertre-
ten, für »Schuster« und »Schneider« weiterhin gültig bleiben.242 Auch wird das

240
Ähnlich auch etwas später im Text, wenn Mustaphus den geheimen politischen
Zweck der Toleranzforderung erläutert. Ein ›Statist‹ dürfe nicht »auff Religion sehen«, er
müsse vielmehr, um mit allen Religionsparteien Geschäfte machen zu können, »einem je-
den sein Exercitium Religionis lassen / ohngeachtet alle Religiosen, da wieder streiten und
fechten wolten / die gute Ratio Status, wird es alles gut machen / das ist so ein kräfftiges
Wort / daß alle Theologanten davor stillschweigen und erzittern müssen.« (114)
241
In diesem Sinne weist auch Mustaphus am Ende seiner langen Erklärung darauf
hin, »daß man dergleichen Geheimnüssen / nicht einem jeden Lümmel unter die Nasen
hänget« (178).
242
So urteilt an der eben bezeichneten Stelle auch Mustaphus: »Dieses kann auch ein
Statist thun / ein ander muß es bleiben lassen; machet man gleich einen ewigen Frieden /
und bricht ihn Morgen / ist daran nichts gelegen wann Rationis Status bonum, ja Religio
und Reputatio, darunter gesuchet wird. Eine solche Sache / machet alßdann nicht infam,
Ein Schuster aber und Schneider / müssen die Nase davon ziehen / diese müssen halten /
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Atheismus in barocker Erzählprosa 309

entsprechende Verhalten nicht aus dem Atheismus im Sinne der negatio Dei
hergeleitet, sondern als konstitutives Merkmal des Unglaubens selbst angese-
hen, nach Art des von Voetius so definierten praktischen Atheismus ( I.5).
Wieder einmal zeigt sich, dass gerade in der frühen deutschen Debatte zwi-
schen Atheismus und Unsittlichkeit kaum unterschieden wurde. Beides ge-
hörte für die Zeitgenossen, zumal aus dem Umfeld der protestantischen Fröm-
migkeitsbewegungen, auf das Engste zusammen.243
Das Fazit bleibt das gleiche und verbindet sich mit der den Text durch-
ziehenden Tendenz zur umfassenden Sittenschelte, in der bereits der spätere
Erbauungsschriftsteller Lassenius das Wort ergreift. Sie rahmt das zentrale
Instruktionspapier und die umfänglichen Darlegungen des Hutverkäufers
ein – hier zunächst in den Worten der Figur Philistoreon: »Die Redligkeit /
Glaube / Liebe und Auffrichtigkeit / ist durch diesen Estats-Hut gantz ver-
jaget / Ja die Warheit ist gantz verbannet […].« (78) Am Ende des dritten und
zu Beginn des vierten Gesprächs, gleich nachdem Mustaphus seine Erläute-
rungen beschlossen hat, ist es der nunmehr desillusionierte Philalethes, dem
Lassenius eine entsprechende Diagnose in den Mund legt.244 Sie weitet sich
in der für die prä- und frühpietistischen Autoren charakteristischen Wei-
se zur allgemeinen Klage über den Verfall der Frömmigkeit und der guten
Sitten – auch innerhalb der Kirche selbst. Denn so wie, Mustaphus zufolge,
die Staatshüte nicht mehr nur von veritablen politischen Akteuren gekauft
werden, sondern von all jenen, die nach Reichtum und weltlichem Erfolg
trachten,245 so habe sich der in den Hüten verkörperte Geist – ›amor saeculi‹
nannte das Spener (s. o.) – längst auch unter Christen verbreitet. Darin mit
Philalethes einen Hinweis auf das herannahende Weltende zu sehen (ange-
lehnt an 2 Petr 3,3), gehört zu den vielfach wiederkehrenden Topoi der deut-
schen Atheismusdebatte:

was sie zusagen / Ein Statist aber nicht / dann es bei ihm heist: abit fides cum voce, ubi
bonum publicum quaeritur.« (105)
243
Das zeigt sich etwa auch in der unmittelbaren Reaktion des Philalethes auf des
Mustaphus Erläuterungen zum atheistisch-politischen Manifest – Gott (und Teufel) leug-
nen und gottlos leben wird für ihn im Fall der »Statisterey« ununterscheidbar (178).
244
»Es ist leider dahin gekommen / daß die Gottlose Welt / mit solchen Dingen um-
gehet; Alle Stände sind verderbet / und lieget ein jeder im Argen. Wir beklagen es? Wir
seufftzen darüber / und vermögen es doch nicht zu bessern […].« (182)
245
»Wer reich seyn will / wer hoch und groß in der Welt seyn will / ja daß ich recht
sage / wer nicht allzeit recht thun kann und will / der muß sich dieses meines Estats-Huts
gebrauchen / dann keine [!] politisirender Statist mag vollkommen seyn / er habe dann von
mir die Estats-Hüte gekauft / und von meinem Herrn Collegen, dem Ariostus, den De-
fension-Mantel / und von Herrn Entimo, die allermeiste ersprießliche und hochnützliche
Interes-Brillen. […] Und wiewol erst vor wenig Jahren / wir angefangen / diese Wahren
also zu praepariren, so befinden wir doch dazu so viel Liebhaber / weil die Sach de pane
lucrando und magnifiendo ist / daß wir nicht so viel jährlich anschaffen können / als wol
nöthig wehre zu verthuen […].« (88 f.)
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310 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Nun / Gott sey es geklaget / daß auch unter Christen / solche gottlose Leute gefun-
den werden / bey welchen Glaube / Liebe und Hoffnung ausgelöschet! allein / es ist
die Vorhersehung Christi / daß bey seiner Ankunfft zum Gericht / kein Glaube mehr
wird und [!] zu finden seyn: Ach lieber Herr eil zum Gericht: Laß sehn dein herrlich
Angesicht / und mache uns loß / von dieser Gottlosen vermaledeyten Welt / abson-
derlich von solchen Gottlosen Statisten. (179)

Bis hierher, so scheint es, bewegt sich der Theologe und Erfolgsautor Lasse-
nius ganz in den Bahnen der apologetischen Verdächtigungsmethodik, wie sie
durch Voetius etabliert wurde. Mit der weiten Fassung des Atheismusbegriffs
im Sinne der sündhaften ›Weltliebe‹, der unklaren Trennung des theoretischen
vom praktischen Unglauben sowie mit der Polemik gegen die Projektionsfigur
des ›Politicus‹ steht er überdies, wie mehrfach betont wurde, nah bei den Ver-
tretern des barocken Reformprotestantismus wie Großgebauer oder Spizel.
Im Gegensatz zu deren kämpferischen, ganz auf Überführung und Anklage
gestimmten Traktaten offerieren allerdings die Arcana eine kritische Metare-
flexion zum Thema Ketzermacherei, wie wir sie im Verlauf der Atheismusde-
batte eigentlich erst mit Beginn der Frühaufklärung erwarten würden ( IV.5;
V.1). Dazu noch ein paar knappe Hinweise.
Im ersten Gespräch berichtet Philalethes, wie er nach seiner Ankunft in
der fiktiven Stadt Durando durch Veröffentlichung einiger Schriften schnell in
Konflikt mit dortigen Autoritäten geraten und von seinen Gegnern nachein-
ander für einen Atheisten, einen Quäker, einen Majestätsbeleidiger und einen
»Calumnianten« ausgeschrien worden sei (19). Dieses Verhalten erklärt Phil-
alethes mit dem Ziehen falscher »consequentien« (18) aus seiner Weigerung,
das Bürgerrecht der Stadt zu erwerben. Wenn es stimmt, dass Lassenius, wie
vielfach behauptet wird, in seinen Wanderjahren unter heftigen Anfeindungen
durch Katholiken zu leiden hatte, dann ist sehr wohl anzunehmen, dass er hier
eigene Erfahrungen verarbeitet hat. Den Mechanismus der Konsequenzen-
Macherei beschreibt er jedenfalls nicht viel anders als wenige Jahrzehnte später
Christian Thomasius ( V.2) und wählt dabei nicht von ungefähr den Ketze-
reivorwurf zur Illustration:

Es wurden solche consequentien gemachet / daß ich mich mehr über die Spitzfindig-
keit und Leichtfertigkeit verwundern must / als über mein vor Augen schwebendes
Unheil / dann es gienge mir eben / wie jenem ehrlichen Mann / der pro disputatione
etwan gesagt / Genus Theologiae esse artem, ein ander per bonam consequentiam, ihm
affingiren wolt / daß er allein wegen dieser einigen assertion, durch alle Articul deß
Glaubens ein Ketzer worden […]. (18 f.)

Einmal mehr also – wie schon bei Spener oder Clasen – treffen wir so in-
mitten des prä- und frühpietistischen Milieus auf Argumente und Beobach-
tungen, die landläufig wohl eher der Aufklärung zugeschlagen werden. In
den Jahrzehnten vor und nach 1700 scheinen die Linien zwischen geistlicher
Heterodoxie und säkularer Wissenschafts- und Gesellschaftsreform zu ver-
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Atheismus in barocker Erzählprosa 311

schwimmen. Darauf wird in Kürze noch ausführlicher zurückzukommen


sein ( IV.1).

3.5 Libertas philosophica als Ferment des staatlichen Verfalls


in Christian Weises Drey Haupt-Verderbern (1671)

Christian Weise (1642–1708) darf in dieser Untersuchung schon deswegen


nicht fehlen, weil er in seiner Zeit mehr als viele andere dazu beigetragen
hat, den Begriff des ›Politischen‹ zu rehabilitieren und als Schlüsselbegriff
bei der Formung eines auch als prudentistisch anzusprechenden Verhalten-
sideals für eine gebildete Beamtenelite zu etablieren.246 Und nicht nur den
Begriff: In jahrzehntelanger Anstrengung, die sich in einer Vielzahl von pä-
dagogischen, rhetorischen und poetischen (insbesondere dramatischen)
Schriften niederschlug, gelang es Weise, weltliches Erfolgsstreben und die
damit verbundene, in Begriffen wie politicus oder auch prudentia kristalli-
sierte »eigene Logik und Rationalität des politischen Handelns«247 mit den
Forderungen einer christlichen Lebensführung zu harmonisieren. So konnte
der alte Kampfbegriff allmählich von jener Stigmatisierung befreit werden,
die ihm trotz gegenteiliger Bemühungen führender Staatsdenker (Lipsius,
Conring u. a.) immer noch anhaftete.248 In der Auseinandersetzung um Be-
griff und Zerrbild des Politicus scheint, im Übergang zur Aufklärung, noch
einmal der klassische, im Naturrecht des 17. Jahrhunderts neu aufgewor-
fene Gegensatz zwischen Gemeinwohl und Eigeninteresse auf,249 zwischen
246
Zu Weises Begriff der Politik und des ›Politicus‹ im Horizont der ›politischen Be-
wegung‹ im Deutschland des 17. Jahrhunderts vgl. die grundlegenden Arbeiten von Horn
1966, S. 45–87; Barner 1970, S. 135–149 u. 167–175; Frühsorge 1974, S. 10–58; Sinemus
1978, S. 116–140; Grimm 1983, S. 314–345 u. 426–446; Kühlmann 1982, S. 47 f. et pass.;
Kühlmann 1987; Weber 1992, bes. S. 31–42; Simon 2004, S. 215–218. – Einen gelungenen
Abriss von Weises ›politischer‹ Rhetorik bietet Roloff 2009; thematisch breiter gefächert,
zudem mit repräsentativer Literaturauswahl der Artikel Weise, Christian in Killy/Kühl-
mann, Bd. 12, 2011, S. 238–241 (Uwe-K. Ketelsen/Ulrike Wels); fundiert zu Weises Poli-
tikbegriff außerdem Sellin 1978, S. 824–830.
247
Kühlmann 1982, S. 364.
248
Zu Rehabilitierungsbemühungen vor Weise im Gefolge von Lipsius durch Boec-
ler, Conring, Schupp und andere vgl. Barner 1970, S. 137–141; ebd., S. 141 f. u. 147 f., auch
zu den christlich motivierten Gegenreaktionen. – Stellvertretend für viele Äußerungen
kann hier ein Satz von Hermann Conring aus der Schrift De civili prudentia liber unus
(1662) stehen (S. 7): »Indignus porro est politici nomine is, qui religionis curam non accu-
rate & pie in civitate censet observandam.« – Dort wird der bekannte Vorwurf gegenüber
den religionsindifferenten, wenn nicht gar rundheraus atheistischen Politici schlicht in ein
reziprokes Postulat umformuliert.
249
Gerade in der stärker politisch ausgerichteten Atheismusdiskussion spielt der
Vorwurf des Eigennutzes (commodum proprium) eine erhebliche Rolle; das zeigt sich be-
sonders deutlich in Lassenius’ Arcana politico-atheistica (s. dazu weiter oben im Kapitel)
und in Lehrbüchern christlicher ›Policey‹ (s. u., Kap. IV.3, V.6 u. VI.6); von da aus gelangt
er über die Moralischen Wochenschriften in die Poesie eines Brockes oder Haller (s. u.).
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312 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Selbsttliebe und Soziabilität,250 Individuum und Gesellschaft. Weise gewinnt


den konzeptuellen wie semantischen Spielraum für diese Positivierung des
Politikbegriffs auf bewährte Weise – durch Abgrenzung von einem negativen
Extrem. Anders jedoch als etwa noch Daniel Clasen ( II.2.2) verwendet er
dabei nicht mehr den Ausdruck ›Pseudopolitici‹, sondern den in der theolo-
gischen wie staatswissenschaftlichen Polemik bestens etablierten Feindbegriff
des Machiavellismus.251 So rät er in den Politischen Fragen von 1691, angesichts
der heiklen Frage nach Zulässigkeit und Grenzen der simulatio, der lernenden
Jugend, »den Excess, dahin die Machiavellisten incliniren«, zu vermeiden.252 Im
staatsrechtlichen ersten Teil der Schrift tauchen die Machiavellisten an eben
der Systemstelle auf, unter der die Naturrechtslehrer Grotius und Pufendorf
( I.3.5) den Atheismus abgehandelt hatten: bei der Frage nach der »Obliga-
tion der Untertanen« (I. Teil, IV. Kap.) und der Begründung der Herrschafts-
rechte, deren Begrenzung Weise in der »Privat-Freiheit« zu erkennen glaubt.
Sie werden dort als eine von zwei »Secten« aufgeführt (die andere bilden die
Monarchomachen), deren Herrschaftsverständnis diese Grenze angeblich ig-
noriert. Die den Machiavellisten unterstellte Lehre, dass ein Fürst »an keine
Leges fundamentales gebunden« sei, führt Weise sogar auf Machiavelli selbst
zurück.253 Anders als in anderen Schriften254 partizipiert er hier also nicht an
den Versuchen, neben dem Politikbegriff auch Machiavelli selbst zu rehabili-
tieren, wie es etwa Hermann Conring unternommen hatte.255 In der Komödie

250
Vgl. dazu ausführlich Vollhardt 2001, bes. S. 116–132 (zu Weise).
251
Vgl. Sinemus 1978, S. 117 f., mit einigen Beispielen. – Zum Antimachiavellismus
des 17. Jahrhunderts vgl. weiter oben, Kap. II.2.2, dort auch weitere Literaturhinweise.
252
Christian Weise, Politische Fragen / Das ist: Gründliche Nachricht Von der Poli-
tica, Dresden 1691, S. 440. – Gegen die den Machiavellisten zugeschriebene »betrügliche«
simulatio auch ders., Politische Nachricht von sorgfältigen Briefen, Dresden u. Leipzig
1693, S. 38: »Wir geben den Rath / wie sich die Leute stellen sollen / nicht daß wir die
betrügliche Simulation und alles andere Wesen von Machiavellistischen Künsten recom-
mendiren wolten.«
253
Weise, Politische Fragen, S. 128: »Sie haben den Nahmen von Nicolao Machia-
vello, der in Italien nunmehro vor 200. Jahren als ein Secretarius […] gedienet hat. Denn
wie Er sich in seinen Schrifften heraus läst / so mag ein Oberherr die Unterthanen brau-
chen / wie das Vieh / und ist an keine Leges fundamentales gebunden / wenn er nur seinen
mercklichen Nutzen allenthalben befördern kan.«
254
Das Verhältnis Weises zu Machiavelli bedürfte weiterer Erhellung, hier kön-
nen nur Stichproben aus dem imposanten Gesamtwerk gegeben werden. Die eher
schüttere Forschungsliteratur zum Bäurischen Machiavellus hilft hier nicht weiter.
Nur am Rande sei vermerkt, dass diese Frage unlängst auch die literarische Phantasie
beflügelt hat. In Peter O. Chotjewitz’ Roman Machiavellis letzter Brief (Hamburg
2003) reist der junge Christian Weise im Auftrag des Herzogs von Braunschweig-
Wolfenbüttel nach Florenz, um einen Brief Machiavellis zu erwerben. Im Roman ist es
gerade Machiavelli, der Weises empirisch-pragmatische Sicht auf den Menschen inspi-
riert. Vgl. die Rezension von Gerhard Schulz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
vom 21. Juli 2003.
255
Vgl. dazu Stolleis 1983, S. 188 f.; Dreitzel 1983, S. 166; ausführlich Schito 2010.
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Atheismus in barocker Erzählprosa 313

Bäurischer Machiavellus von 1679 dagegen ( III.4) wird die Unterscheidung


zwischen Machiavelli und dessen selbst ernannten Schülern weitaus schärfer
und durchaus entschiedener zugunsten Machiavellis gezogen.
In Weises erstem Roman, Die drey Haupt-Verderber in Teutschland von 1671,
ist davon nur wenig zu spüren.256 Der Verfasser bewegt sich dort noch deutlich
auf den Spuren des Vorbilds Moscherosch.257 In einer allegorischen Traumerzäh-
lung zeichnet er ein kulturkritisches Sittenbild des zeitgenössischen Deutsch-
lands, das in Anlehnung an die Gesichte Philanders von Sittewalt diverse ba-
rocktypische Reizthemen kombiniert. Zur Kritik an Staatsräson, ›politischem‹
Eigennutz sowie am Alamodewesen tritt – allegorisch verschlüsselt – die Klage
über den Verfall der Frömmigkeit, wie wir sie aus den Schriften Moscheros-
chs sowie aus den Mahn- und Kampfschriften der reformbewegten Lutheraner
gegen den Atheismus kennen.258 In der Eingangssequenz wird mit dem Stadt-
Land-Gegensatz ein weiteres Epochenthema markiert.259 Die arkadische Topo-
grafie geht aber schon bald unmerklich in ein magisch-symbolhaftes Szenario
über, das an die Welt der mittelalterlichen Artusromane erinnert – nicht zufällig,
wie sich zeigen wird. Im Inneren einer hohlen Klippe trifft der Protagonist Sieg-
mund, nun offenbar im Traumzustand oder in einer verzauberten Unterwelt,260
auf eine Kolonie von alten Wenden und ihren König Mistevo. Überdeutlich
sind die motivischen Anleihen bei Moscheroschs Ala mode Kehrauß aus den

256
Hier zitiert nach der Ausgabe der Sämtlichen Werke, hg. v. Hans-Gert Roloff u.
Gerd-Hermann Susen, Bd. XVII, Berlin/New York 2006, S. 1–55. Nachweise mit Seiten-
zahl in Klammern nach der dort vermerkten Paginierung der Erstausgabe, um die Über-
prüfbarkeit auch anhand von Mikroverfilmungen oder Digitalisaten zu ermöglichen.
257
Vgl. dazu bereits Wolff 1944.
258
Nicht zu Unrecht verweist daher Arnold Hirsch im Weise-Kapitel seiner bekann-
ten Studie über Bürgertum und Barock im deutschen Roman auf Theophil Großgebauer
(vgl. Hirsch 21957, S. 43). Er hat dabei aber eher die barocke Frömmigkeitskultur im Blick,
von der sich Weise später mit seiner Fassung der Privatklugheit, als diesseitigem Interes-
senkalkül absetzen sollte. Das komplexe Verhältnis von Pietismus und Frühaufklärung,
nicht zuletzt unter der Perspektive eines ›tätigen‹ Christentums, ist für Hirsch noch nicht
relevant, der frühe Roman über die Drey Hauptverderber bleibt konsequenterweise aus
dem Blick. Hirschs Analyse der Romane beginnt mit den Drey ärgsten Ertz-Narren von
1672.
259
Der laus ruris-Topos ist unübersehbar präsent in dem »Trostlied« (6–8), das sich
der Ich-Erzähler eingangs vorsingt, weil ihn die Wintersonne an vergangene Stunden »auff
meinem geringen / doch vergnüglichen Landgute« erinnert (5). Die Stadt wird darin zum
Ort der Verstellung (»geschminkte Worte«, 6) und des »äusserlichen Schein[s]« (7), auf
dem Land dagegen seien moralische, soziale und gesetztliche Ordnung noch intakt: »Da
wird ein Ehweib recht geliebt / Da kennt der Vater seine Kinder / […] Da wird kein krum-
mes Recht gesprochen / Da kompt die Unschuld nicht in Noth […].« (7)
260
Die Traumfiktion wird am Ende des Romans aufgelöst, als der Protagonist aus
der Höhle emporgestiegen ist und von der besagten Klippe fällt: »Hier wolt ich weiter
hinunter steigen / und meynte / ich hätte einen Zweig gar gewiß ergrieffen / aber die
Hand fuhr mir ab / daß ich mit grossem Ungestüm die Klippe hinab fiel. Damit fuhr
ich in Erschröcken auff / und stieß mich mit dem Kopff an das Bette / davon erwachte
ich.« (103)
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314 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Gesichten: vom Spaziergang durch einen »Lustwaldt« (13) über den Brunnen
(14), der hier wie dort den Übergang in eine magische Sphäre vorbereitet,261 und
die lückenhafte Inschrift (17),262 die den Sprung in die ›teutsche‹ Vergangenheit
ankündigt, bis hin zum seltsamen Idiom (22 f.), in dem der Protagonist von den
altertümlichen Gestalten angeredet wird.263
Mit der Idee, statt der alten Deutschen den Slawenfürsten Mistiwoj auf-
treten zu lassen, hat sich Weise allerdings vom Vorbild Moscheroschs und
dessen ›altdeutscher‹ Alamodekritik abgesetzt, sie sogar nachgerade parodiert.
Wie sich herausstellt, als der Erzähler dem König vorgeführt wird, haben die
Wenden im Zuge eines ausgefeilten Racheplans drei Abgesandte in das zeitge-
nössische Deutschland geschickt, um durch geschickte Machinationen dessen
baldiges Verderben herbeizuführen. So erklärt sich auch der Titel des Buches.
Als historische Vorlage scheint sich Mistiwoj deswegen angeboten zu haben,
weil er dem sächsischen Herzog Bernhard I. Rache geschworen hatte.264 Dieser
hatte Mistiwoj für Kriegsdienste auf dem Italienfeldzug Kaiser Ottos II. die
Heirat seiner Nichte mit Mistiwojs Sohn, Mistislaw, in Aussicht gestellt, diese
Abmachung später aber gebrochen und dabei Mistislaw angeblich als Hund
bezeichnet.265 Darauf habe dieser ewige Rache geschworen. In den älteren
Chroniken verschwammen Mistiwoj und Mistislaw häufig zu einer einzigen
Person, eben jenem Mistevo, dem nicht nur eine Schlüsselrolle beim großen
Slawenaufstand von 983 und der Zerstörung Hamburgs zugeschrieben wur-
de, sondern auch – als weitere Reaktion auf den Treuebruch – der Abfall vom

261
Bei Moscherosch ist es ein »bronnen«, bei dem Philander zuerst, wie er glaubt,
dem Pegasus begegnet (Anderer Theil der Gesichte Philanders von Sittewalt, Straßburg
1643, Reprint Hildesheim/New York 1974, S. 25).
262
Bei Moscherosch ebd. S. 33.
263
Vgl. dazu, mit Blick auf Moscherosch, Kühlmann/Schäfer 2001, S. 242 f.
264
Ein verunstaltetes Porträt Bernhards hängt im Roman daher auch an der Höhlen-
wand (22). Die Hauptfigur kommentiert das folgendermaßen: »Ja wol / dacht ich / müssen
hier der Teutschen Feinde wohnen / weil man der Alten löblichen Vorfahren Bildnüsse so
übel leiden kan.«
265
König Mistevo selbst resümiert diesen Zusammenhang im Roman, als er die
drei »Verderber« genannten deutschen Abgesandten empfängt: »O ihr ehrlichen Die-
ner / ist es wohl abgelauffen / habt ihr unsere Ehre noch ferner an den übermüthigen
Teutschen gerächet. Ich kann es noch nicht vergessen / daß sie mich vor sechshundert
Jahren vor einen Hundt außgeruffen.« (28) – In die gleiche Richtung deutet auch schon
die mysteriöse Inschrift, die der Protagonist am Eingang der Höhle zu sehen bekommt:
»memor. injur. laes. toti. patient. canis perpet. latratur. rict. aper.« (17) – Eine
erste Distanzierung von Moscherosch und dessen Verfahren, teils umfängliche lateini-
sche Textpartien einzufügen, erfolgt in der anschließenden ironischen Bemerkung des
Erzählers, in der sich bereits Aspekte der Pedanteriekritik zeigen, wie sie Weise in seinen
pädagogisch-politischen Schriften übte: »Ich hätte gern einen Criticum bey mir gehabt /
der solches erkläret / noch lieber einen Bauren / der mir den Weg nach Hause gewiesen.«
(17) – Zu Weises Antipedantismus im epochalen Kontext vgl. Kühlmann 1982, S. 424 f.
(mit weiteren Hinweisen).
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11:25

Atheismus in barocker Erzählprosa 315

Christentum.266 Auch deswegen also dürfte Weise die Figur gewählt haben,
die er in dieser entstellten Variante womöglich aus der weit verbreiteten welt-
geschichtlichen Chronica (1630) von Johann Ludwig Gottfried und Johann
Philipp Abelin kannte.267
Das Bemühen der drei Abgesandten zielt ihrem eigenen Bericht zufolge da-
rauf ab, Charakter und Sitten der Deutschen zu unterminieren, um so den ge-
sellschaftlichen Untergang zu bewirken. Dabei setzen sie von Anfang an nicht
auf materielle Zerstörung,268 sondern auf kulturelle Wirkungen, namentlich auf
die Ebene gesellschaftlicher Normvorstellungen. In ihren Berichten vor dem
König269 enthüllt sich so recht schnell die sittenkritische Absicht des jungen

266
Vgl. ausnahmsweise den ausgesprochen gediegenen Artikel in der Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mistiwoj, besonders den Abschnitt »Nachwirkungen« mit
Hinweisen zur durchaus heterogenen Rezeption (und Verwechslung) von Mistiwoj und
Mistislaw in den Chroniken des 11. Jahrhunderts.
267
Hier nach der Ausgabe von 1657: Johann Ludwig Gottfried, Historische Chroni-
ca, oder Beschreibung der Fürnemsten Geschichten / so sich von Anfang der Welt / biß auff
das Jahr Christi 1619. zugetragen […], Frankfurt am Main 1657, S. 502: »Da nun Mistevo
der Braut zu Ehren begehrte / schlug ihm Herzog Bernhard dieselbe schimpfflich ab /
vnnd hieß ihn noch darzu einen Wendischen Hund. Diese Schmach zu rächen / fiel der
Wendische Fürst mit grosser Macht in Sachsen / verwüstete die beyde Bistümer / Ham-
burg vnd Stargard / handelt grausamblich / bevorab mit den Gestlichen / zerschnitt jnen
die Haut Creutzweiß auf dem Kopff / vnd führet sie zum Gespött herumb.« – Noch nä-
her an Weises Verständnis des Slawenfürsten liegt vermutlich sein eigener Schüler Johann
Hübner in der Schrift Kurtze Fragen aus der Politischen Historia (Leipzig 1693). Dort
wird die Anekdote, offenbar in unkritischer Übernahme der mittelalterlichen Chroniken,
als »Stoß« gegen die christliche Religion eingeführt (S. 826 f.): »Denn der Wenden Kö-
nig Mistevo, welcher damahls Mecklenburg und Pommern beherrschte / hatte Hertzogs
Bernhardi in Meissen Tochter zur Gemahlin verlanget: Weil aber der Wendische König
damahls noch ein Heyde war / so bekam er abschlägliche Antwort / und ward darzu von
den Christen vor einen Hund gescholten: Darauf gab Mistevo zur Antwort: Bin ich denn
ein Hund / so will ich manchem in die Ohren bellen / daß ers hören soll: Und hierauf wur-
de nicht allein das Christenthum im Wendischen Gebiete gantz ausgerottet / sondern die
Wenden thaten auch im Sächsischen und Brandenburgischen unerhörten Schaden; welches
eigentlich in die Teutsche Historie gehöret.« – Weise selbst führt »Mistevo« kurz in sei-
nem Klugen Hoff-Meister (Frankfurt u. Leipzig 1677) im Abschnitt über Heinrich II. an
(S. 305): »Er aber lebte biß 1024. In dieser Zeit fielen die Wenden unter ihrem Mistevo vom
Christlichen Glauben ab / und erweckten solche Verfolgung / daß der Wendische Name
noch heute zu Tage verhasset ist.« Diese Bemerkung von Weise ist deswegen aufschluss-
reich, weil dadurch beinahe sichergestellt ist, dass seine Idee, statt der alten ›teutschen‹
Helden die slawischen Wenden zum Medium für seine Sittenkritik zu machen, nicht – qua
Übertreibung – als ironische Reaktion auf Moscherosch und andere zu verstehen ist.
268
Der Plan, einen weiteren Dreißigjährigen Krieg anzuzetteln, wird mit der Be-
gründung verworfen, dass er ganz kontraintentionale Wirkungen entfalten und die Deut-
schen eher stärken statt schwächen könne. Der Abgesandte gebraucht das Bild vom Palm-
baum, »davon geschrieben wird / daß jemehr man ihn beschwere / er sich desto mehr
bemühe auffwärts zu wachsen« (30).
269
Da der Erzähler nach dem zweiten Bericht als Fremdling enttarnt und gefangen
gesetzt wird, erfährt er von Bericht des dritten Abgesandten nur indirekt, als er von einem
anonym bleibenden Retter aus seinem Käfig befreit wird.
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316 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

Verfassers Weise. Der geheime Racheplan setzt sich aus drei Teilen zusammen,
die nacheinander vorgestellt werden. Während der erste Gesandte sich zum
Ziel gesetzt hat, die Gottesfurcht in Missachtung zu bringen,270 bemüht sich
der zweite, die Lehren Machiavellis – hier abstrakt verstanden als energischer
Aufstiegswille und schrankenloser Eigennutz – in der Bevölkerung zu ver-
breiten, um so das Ständesystem von innen heraus zu erschüttern.271 Der dritte
Abgesandte ist dafür zuständig, das Alamodewesen zu befördern und so die
Deutschen einer einfachen, einfältigen Lebensführung zu entfremden, die als
implizite Tugendforderung diesem wie anderen Romanen Weises zugrunde
liegt.272
Die Stoßrichtung dieser allegorischen Personalisierung ist leicht durch-
schaubar und soll es auch sein. Gottlosigkeit, Eigennutz und Modetorheit
in der deutschen Bevölkerung werden – wie von anderen Autoren auch – als
verfallsartige Zeitphänomene kritisiert, dabei jedoch als Wirkungen der drei
ausgesandten Saboteure dargestellt. Dem alten Wendenkönig kommt die Rolle
des höllischen Versuchers zu, seinen Abgesandten die Funktion von Unter-
teufeln. Darauf deutet auch der Titelbestandteil »Verderber«, spätestens seit

270
In den Worten des Abgesandten selbst: »Darumb gieng ich mit meinen Gedan-
cken zu rathe / was denn wohl das jeinige sey / woraus Teutschland sein bestes Glücke zu
schöpffen pflege: damit wenn ich solchen Brunn verstopffen könte / der gantze Fluß von
sich selbst vertrocknen möchte. Ich befragte mich hin und wieder / befand auch daß die
gute Leute untereinander nicht eins waren / wem sie ihr Wohlwesen zuförderst zuschrei-
ben solten / biß ich endlich in gutem Vertrauen von einem vernehmen muste die Gottes-
furcht welche durch die reine und unverfälschte Religion erhalten würde / wäre auch die
Ursache / daß kein Feind sich deß gesegneten Landes gäntzlich bemächtigen könte.« (30)
271
Auch der zweite Gesandte stellt seine Absicht kurz vor, bevor er vom Verlauf
seines Vorhabens berichtet: »Ich zwar verhoffe auch im Außgang meine Sachen zu recht-
fertigen. Denn ich befand / daß hin und wieder ein ungöttliches Wesen eingepflantzet war:
aber es verdroß mich / daß die Leute noch so gut Leben haben solten. Drumb zielte ich
nur dahin / ob ich ihnen alles fein sauer und beschwerlich machen könnte. Und / ich weiß
nicht zu was vor einem Glücke / gerieth ich über den berühmten Italiäner Machiavellum,
der hatte meines Bedünckens sehr nützliche Sachen geschrieben / und so viel ich begreif-
fen kan / bestund seine gantze Lehre auf zwey Puncten. Erstlich müsse man sich bemü-
hen / immer grösser und grösser zu werden / und sey dieses ein elender Tropff / der mit
seinem Zustand könne zu frieden seyn. Darnach sey alles recht und wolgethan / was man
auch in dieser Sache vornehmen wolle / es möchte an andern Orten Tugend oder Sünde
heissen. Mit dieser schönen Wissenschafft gedacht ich weit durchzukommen.« (55 f.)
272
Die Rede des dritten Abgeordneten wird Siegmund von seinem unbekannten Be-
freier zugetragen. Seine Strategie habe sich auf diejenigen gerichtet, die sowohl vor der
Gottlosigkeit wie auch vor dem Machiavellismus gefeit gewesen seien: »Solches hätte er
nun auß allen Kräfften gern verderben wollen / hätte derowegen die allgemeine Einbil-
dung unter den Leuten eingeführet / man müste nach der Mode leben / und nicht allein
alle vierthel-Jahr die Kleider anders schneiden und verbrämen lassen; Sondern auch im
Haußrath / in Essen und Trincken bald so bald anders handthieren. Da müsse es nothwen-
dig geschehen / daß die übrigen Pfennige / die sonsten wol möchten gespahret werden /
auff Lumpen und ander liederlich Zeug auffgehen / und also die liebe Armuth der meisten
Leute treuer und beständiger Haußgenosse wird.« (87)
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Atheismus in barocker Erzählprosa 317

Luthers Bibelübersetzung ein gängiges Synonym für den Teufel.273 Dagegen


könnte der anonyme Retter, der sich als deutscher Spion mit dem Auftrag zu
erkennen gibt, die wendische Intrige abzuwehren, als zeitgenössischer Sitten-
schriftsteller – womöglich Moscherosch selbst – entschlüsselt werden. Etwas
rätselhaft bleibt der Stellenwert des Politischen, wenn man Weises späteres
Lehrgebäude danebenhält. Gerade der Einfall des Abgesandten, Machiavel-
lis Lehren für den Fürsten auch auf die private oder ›bürgerliche‹ Sphäre zu
übertragen,274 kann ja mit Recht als ein Kernanliegen von Weises politischer
Pädagogik angesehen werden.275 Andererseits wird im Fortgang des Berichts
nicht der weltliche Erfolg selbst, sondern der Neid und die chronische Un-
zufriedenheit als Folge eines unbedingten Aufstiegswillens kritisiert.276 Mög-
licherweise will Weise hier also, wie dann auch 1691 in den Politischen Fragen
(s. o.), vor denkbaren Extremen aufgrund einer fragmentarischen Rezeption
oder einseitig-tendenziösen Auslegung Machiavellis gewarnt haben, nicht vor
Machiavelli selbst.277
Liegt schon der Hinweis auf Machiavelli nah an der hier zu verfolgen-
den Diskursgeschichte, zumal im Rahmen der Erzählliteratur, so hat Weise
im Bericht des ersten Gesandten auch unverkennbar Elemente der barocken
Atheismusdebatte verarbeitet. Obgleich der Ausdruck »Atheisten« nur zwei-
mal vorkommt (42 u. 44), lassen sich im Text Elemente der antiatheistischen
Polemik wie auch der vor allem pietistisch motivierten christlichen Kulturkri-

273
Dazu passt auch eine kleine Teufelsanspielung (»durchstanckerte«) im Bericht des
ersten Gesandten: »Ich besuchte alle Predigten / ich durchstanckerte alle Beichtstühle /
ich zog auff die Universitäten / ich schliech mich in die Consistoria / in Summa wo die
Religion ein Theil hatte / da sah ich zu und spintesirte ob ich zu meinem Vortheil etwas
erlangen möchte.« (31)
274
»Denn das sind alberne Köpffe«, so der Abgesandte im Anschluss an die eben
zitierte Passage, »die da meynen als wenn solche Kunstgrieffe nur vor Fürsten und Herren
geschrieben wären.« (56)
275
In der Weise-Forschung wurde intensiv darüber gestritten, ob sein Programm der
politischen Klugheit als Übertragung höfischer Verhaltensnormen auf den bürgerlich-pri-
vaten Bereich angemessen bestimmt ist. Vgl. dazu die Abwägung bei Grimm 1983, S. 317,
mit Hinweisen zur Forschung. – Aus heutiger Sicht erscheint diese Alternative überakzen-
tuiert, da die frühbürgerliche Ethik nicht schon dadurch entwertet ist, dass sie womöglich
höfische Elemente integriert hat.
276
Kritisiert wird er der Abgesandte diese Wirkung zum Indiz für seinen Erfolg er-
klärt: »Thun sie aber diß / so müssen sie nothwendig die allerunglückseligste Leute seyn.
Denn vor eins sehen sie allezeit auff die jenigen / die etwas glückseliger scheinen / und
wollen ihnen gerne gleich kommen. Da folgt ein Mißfallen über ihren alten Stand / die
Ruhe wird durch tägliche Sorgen verstöret / und je weniger die Händel von statten gehn /
desto mehr wütet der Neid der an sich selbst allein Unglück genug erwecken kan.« (57)
277
So liest sich auch der Hinweis des Abgesandten, dass es gar nicht auf die Lektüre
Machiavellis ankomme: »Drumb fragt ich nicht darnach / ob sich viel Leute zu der Machi-
avellischen Profession mit dem Munde bekennen wolten / wenn sie nur im Hertzen und in
allen Anschlägen obgedachte zwey Haupt-Lehren in Acht nehmen.« In diesem Satz, der
nebenbei auch die Topik des 14. Psalms (»in corde«) abruft, liegt bereits die Grundidee des
Bäurischen Machiavellus beschlossen; s. dazu das folgende Kapitel ( III.4).
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318 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

tik ( II.2–4) nachweisen. Das Gedankengut, das der erste ›Verderber‹ unter
die Leute zu bringen oder, wo er es schon vorfindet, zu fördern sucht, lässt
sich aus Sicht der zeitgenössischen Apologetik dem definitorischen Spektrum
des indirekten Atheismus zuordnen. Schon die dazugehörige Begründung ist
allerdings doppelbödig. Da es zu schwierig sei, so der Abgesandte, die Deut-
schen zum direkten Atheismus (»es wäre kein GOTT«) zu verleiten, habe er
sich zunächst mit Vorstufen wie etwa der konfessionellen Indifferenz begnü-
gen müssen (s. das folgende Zitat). Als Grund für diesen frommen Widerstand
gibt er jedoch nicht die gläubige Natur der Deutschen oder den vortrefflichen
Zustand in der Kirche an, sondern das Bemühen der Herrschenden, die Re-
ligion als »blosses Staats-Mittel« zu erhalten.278 Anders also als beim zweiten
Gesandten reicht der Vorwurf des Machiavellismus hier bis ins Politische hi-
nein. Es sind folglich die Politici,279 die sich für die Einflüsterungen des ersten
›Hauptverderbers‹ besonders zugänglich zeigen:

O wie gern hätte ich sie beredet es wäre kein GOTT; allein eine solche dosis war vor
praeoccupirte Gemüther viel zu starck und muste ich erstlich dahin trachten / welcher
Gestalt die Religion könnte veracht und zur Gauckeley werden / denn hierauff würde
nothwendig folgen / GOTT müsse auch nicht seyn: Ich kriegte etliche gute Freund
auff die seite / welchen zwar mein endlich Absehen verborgen war / diese liessen sich
zierlich bey der Nase herumb führen / und schrieben außdrücklich man könte in ei-
ner Religion so wohl selig werden als in der andern / es wären etliche geringe Neben-
sachen / von den Geistlichen hin und wieder Disputirlich gemacht worden / welche
doch an sich selbst nicht viel Gefahr hätten / man möchte sie gleich so oder anders
außlegen. Ach wie froh war ich bey den Sachen. Denn ich wuste wohl daß die Leute
in der Religion gesinnet seyn wie die Bauren. Wann diese solten so viel Contribution
geben als sie wolten / so gäben sie gar nichts. Und dürfften die Leuthe glauben was
sie wollen / in Warheit / so glauben sie auch nichts / darumb war ich fleissig darhinter
her / und hetzte einen nach dem andern auf / bey der Sache ein Ende zu suchen. (32 f.)

Die Passage strotzt vor Ironie, und die verschachtelte Erzählanordnung


macht es schwer, hier den Standpunkt des Autors zu ermitteln. Das bekann-
te, von der Kontroverstheologie bestimmte Argument, dass die Aufhebung
der konfessionellen Unterschiede den Weg für den atheistischen Unglauben
ebnen würde ( I.2.3 u. II.2.1), gibt der Erzähler, aus der Perspektive des
Abgesandten, so akkurat wieder, dass es schwerfällt, darin die Meinung des
Präaufklärers Weise zu sehen. Viel eher möchte man annehmen, er habe hier,

278
»Doch die Warheit zu bekennen die Sache war so leicht nicht / als ich Anfangs
meynte / den ob zwar viel unter den Grossen waren / welche die Religion vor ein blosses
Staats-Mittel hielten / bestunden sie doch fest auff dieser Regel / der gemeine Mann müste
bey solchem Glauben steiff erhalten werden. Und also waren noch so viel fromme Leu-
the / welche durch ihr Gebete sich gleichsam zur eysernen Mauer machten. Zu dem war
der Religion-Stand also beygeleget / daß ein iedweder seines Gewissens warten könnte /
und zum wenigsten ein Theil den rechten Glauben haben müste.« (31 f.)
279
So heißt es wenig später: »Denn ich gieng zu den Herren Politicos, erwiese ihnen
wie so hochnöthig wäre eine Einigkeit der Gemüther zu stifften […].« (34)
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Atheismus in barocker Erzählprosa 319

schon im Vorgriff auf seine Rehabilitation des Politischen, die darauf gerich-
teten Angstfantasien seiner Zeitgenossen karikieren wollen, indem er Tole-
ranz- oder Unionsbestrebungen und weitere Vorstellungen, die ideen- und
problemgeschichtlich schon in Richtung Aufklärung weisen, als dämonische
Verschwörung des alten Slawenfürsten denunziert.280 Das gilt insbesondere
dann, wenn der Abgesandte, gegen Ende des Kapitels, auf Nachfrage des
Königs, die libertas philosophica als von ihm selbst erdachtes Mittel hinstellt,
um den Rückfall der einmal verdorbenen Deutschen in die Einfalt des Glau-
bens langfristig zu verhindern. Auch hier ist die Ironie unüberhörbar, sie
liegt schon in der Frage des Königs selbst:

Und fragte der König absonderlich / ob auch bey solchem liederlichen Glauben ei-
niger Bestand zu hoffen. Es möchte einmahl alles wieder auf einen Hauffen bekeh-
ret werden. Der Abgesandte war zur Antwort fertig. Ich / sprach er / habe schon
auff gute Mittel gedacht / so lange dieselben halten / sol es schlechte Gefahr haben.
Erstlich stell ich den Gelehrten vor / was vor ein elendes Wesen bey den Catholi-
schen sey / da einer auf den Thomas / der andere auf den Scotus, der dritte auff ei-
nen andern gleichsamb schwören müste / und da man sich einbilde Aristoteles habe
die Kunst gantz allein gefressen. Darauff kommen etliche kluge Geister / wollen den
Schimpff nicht haben in der Dienstbarkeit zu stecken / und fangen allenthalben an
zu schreyen / Libertas philosophica, Libertas philosophica. Nun hat die Sache zwar
einen guten Schein. Aber darauß folgt nicht / daß ein jedweder junger Lecker / der die
Lehr-Jahre kaum außgehalten / oder sonst ein verruckter Grillenfänger solle Macht
haben / alte und wolhergebrachte Meynungen zu ändern. (51 f.)

Der unmittelbare Fortgang des Kapitels lässt dann wieder Zweifel auf-
kommen. Wenn der Abgesandte schildert, wie seine Bemühungen langsam
Früchte getragen und eine »Religio doctorum Virorum« hervorgebracht
haben (35), kraft derer sich jeder vermeintliche vir doctus mit dem Kate-
chismus anzulegen getraue,281 wenn er die frommen Lippenbekenntnisse
dieser überkonfessionellen Christen mit ihren Taten und ihrem »Hertzen«

280
Dazu gehört auch die Lehre von der Seligkeit der Heiden, die der Abgesand-
te stolz als sein Meisterstück präsentiert: »Aber E. K. M. nicht auffzuhalten will ich zu
meinem höchsten Kunststücke kommen / dadurch auch das vorhergehende gleichsamb
bestättiget wird. Es ist vor langer Zeit gefragt worden / ob auch die Heyden Seneca, Ci-
cero, Plato &c. könten selig werden / und ist von vielen ihres äusserlichen ehrbaren We-
sens halben geschlossen worden / sie könten nicht wol verdampt seyn.« (40) – Zu diesem
Fragekomplex, der bis in die Spätaufklärung hinein ein Reizthema und eine schwer auf-
zulösende Aporie des christlichen Humanismus darstellte, vgl. die problemgeschichtliche
Skizze von Spiekermann 2012c mit weiteren Hinweisen sowie, mit Blick auf poetische
Filiationen, Eickmeyer 2012.
281
»Hierauff liessen sich viel in diesen Handel ein / und weil ich ihnen weiß machte /
sie solten alle Zanckereyen fahren lassen / und auff die Sache selber sehen / ist eine Religio
doctorum Virorum drauß worden / die so einen leichten Weg in den Himmel hat / daß
S. Paulus ein wunderlicher Mensch muß gewesen seyn / daß er so über diß Leben geklagt
hat. Da seh ich nun meine Lust wie ein jeder in der Religion störet / und diß vor das beste
principium hält / das in keinem Geistlichen glauben will / da bilden sie sich ein / sie haben
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320 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

vergleicht282 und schließlich, schon in Annäherung an das Alamodekapi-


tel, ihre »Hochteutsche« Verachtung gegenüber »Doctor Luthers Teutsch«
beschreibt (37), dann scheint es doch viel eher, als bewege sich der junge
Weise hier eben doch noch als satirischer Moralist in den Fußstapfen des
großen Straßburger Vorbildes Moscherosch und in der Tradition der litera-
rischen Narrenschelte.283 Auch die Darstellung der libertas philosophica im
Mund von juvenilen Schreihälsen weist eigentlich in diese Richtung, um so
mehr, wenn es von ihnen heißt, dass sie, wie das Volk Israel in der Klage des
Propheten Jeremia, nicht dienen wollen (»non serviam« [Jer 2,20]). Es ist
denkbar, dass Weise erneut, wie schon im Hinblick auf die simulatio, nicht
die Sache selbst, sondern den möglichen »Excess« karikieren und so ver-
hindern will.284 Spätestens, wenn er die Frage des Konfessionswechsels, ja
sogar der Konversion zum Islam anschneidet, ist ein Bereich betreten, wo
selbst die Aufklärer des 18. Jahrhunderts noch eine Grenze ziehen sollten.
Auch am biblischen inspiens, sollte man meinen, der an dieser Stelle eben-
so unerwartet wie effektvoll auftritt (»die Thoren …«), bricht sich jegliche
Ironie:

Und dieses ist der herrliche Mischmasch / daß eine Religion so gut seyn muß als die
andere / weil man einerley principia in dem Liecht der Natur hat. Ich sage nicht von
den bekandten dreyen Hauffen / der Catholischen / Lutheraner und Reformirten;
unter welchen mancher zu finden ist / der alle dreye versucht hat. Sondern die Tür-
cken selbst wissen sich zu rühmen / was sie vor Zugang von Teutschen Mammelu-
cken gehabt. Henricus IV. in Franckreich meynte / derselbe müste ein gewaltiger Narr
seyn / der die Religion changirte und ein Königreich dadurch erlangte: Aber unsere
Teutschen geben es wolfeiler / da werden viel zu Moscowitischen / Türckischen /
Tartarischen Schelmen / und helffen hernachmahls ihren Glauben und ihr Vatterland
verfolgen / nur daß sie ihr kärgliches und nothdürfftiges Außkommen haben. Und
diß kan keine Sünde seyn / weil die Türcken auch das Licht der Natur haben / und

alles mit Löffeln gefressen / und wissen nicht / daß wer auf dem Wege deß Christenthums
stille stehe / zugleich zu rücke gehen müsse.« (35)
282
»Zwar dem Mund nach muß man sie vor köstliche Christen passiren lassen / ich
halte auch sie wechselten eher drey mahl mit einem Kugeln / ehe sie einmahl gestünden /
sie wären keine guten Christen. Unterdessen habe ich doch gewonnen / daß sie mit der
That sich so fein wild und ruchloß erweisen / und Gottes im Hertzen vergessen.« (35)
283
Darauf verweist gerade die Zuspitzung »Religio doctorum Virorum« in Verbin-
dung mit der Diagnose der Selbstüberschätzung (»da bilden sie sich ein / sie haben alles
mit Löffen gefressen«) und die moralistische Kontrastierung von Reden und Handeln.
284
Die Fortsetzung der Passage über die libertas philosophica legt diese Deutung
nahe: »Aenderung wäre zu wünschen / aber weil sie selten besser geräth / bleibt man lie-
ber bey den alten. Gleichwol ist die Welt so kützlich / daß sie heute zu Tage den vor den
Klügsten hält / der alles verachten und tadeln kann: unangesehen ob er auch etwas neues
dagegen setzt / das weniger zu tadeln oder zu verachten wäre.« (52 f.) – Hier ist mehr als
an vielen anderen Stellen des Romans schon der spätere »Poet und Präzeptor« Christian
Weise präsent, der, im Einklang mit der frühaufklärerischen Eklektik, den Wert einer Leh-
re nicht an ihrem Alter oder ihrer Neuheit, sondern an ihrem Nutzen messen wird.
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Atheismus in barocker Erzählprosa 321

wissen daß ein Gott sey. Ja was sol ich sagen / das sind die leibhafftige Atheisten /
oder die Thoren die in ihren Hertzen sprechen / es sey kein Gott. (41 f.)

Beide Perspektiven schließen sich nicht aus. Selbstkritik, in Form der konti-
nuierlichen Warnung vor den eigenen Extremen, wird auch die Aufklärung
bis zu ihrem Ende begleiten. Ohnehin kann es nicht darum gehen, Weise ent-
weder auf den (deutlich durchscheinenden) Standpunkt der protestantischen
Reformorthodoxie und Apologetik oder auf dessen Gegenteil festzulegen.
Der Text ist offenkundig als Zeitroman angelegt. Als junger, noch relativ
unbekannter Autor verarbeitet Weise Themen und Motive, die, wie gezeigt
wurde, im gelehrten wie im volkstümlich-erbaulichen Schrifttum kursierten.
Die meisten Zeitgenossen, soviel ist sicher, dürften Weises Romanerstling
mit Zustimmung gelesen haben, weil darin, erzählerisch recht originell, die
aus Staatslehre, Predigt und gelehrter Polemik vertraute Feind- und Angst-
vorstellung einerseits beschworen, andererseits aber, aus der humoristischen
Perspektive der literarischen Moralistik und Narrenschelte, komisch ent-
schärft wurde. Das Ergebnis war ein kurzweiliges Lesevergnügen mit An-
klängen an die unterhaltsamen Ritterromane und doch auch mit moralischer
Nutzanwendung, dabei aber ohne das ›geistliche Donnerwetter‹ der sitten-
strengen Erbauungsliteratur.285
Zudem überlässt sich Weise aber schon in diesem ersten Roman nicht mehr
vollständig dem christlichen Verdikt der unaufhebbar sündhaften Welt, wie
es uns bei Moscherosch oder bei Grimmelshausen begegnet. Vielmehr rückt
die Traumkonstruktion und die durchaus exotische historische Staffage das
Romangeschehen in eine fiktionale Distanz, die den Effekt einer unmittel-
baren moralischen Anklage abmildert. Während Philander am Ende seiner
Begegnung mit den altdeutschen Helden in die vertraute Welt zurückkehrt,
in der Laster und Sünde herrschen, zeichnet sich in Weises Roman, gerade
umgekehrt, auf der Ebene der Rahmenhandlung ein positives Gegenbild ab,
das in der traditionell befestigten und daher glaubwürdigen Topik der laus
ruris (s. o.) beschlossen liegt. Der geheimnisvolle Retter schließlich, der nicht
nur Siegmund von seinen Fesseln befreit, sondern gleichzeitig selbstbewusst
ankündigt, die Rachepläne des Wendenkönigs zu verhindern, zeigt eine Per-
spektive hin zur möglichen Besserung auf, die in Weises späteren Romanen
weiter ausgebaut werden wird.

285
Der Ausdruck nach dem schönen Titel Geistliches Donnerwetter. Bayerische Ba-
rockpredigten, hg. v. Georg Lohmeier, München 1967.
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322 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

4. Humoristische Entschärfung
Der alltägliche Unglaube und die Verteidigung des Politischen
in Christian Weises Komödie Bäurischer Machiavellus (1679)

Die komischste und hintergründigste Apologie des Politischen – samt ihres


verruchten Archegeten Machiavelli – hat Weise am Ende desselben Jahrzehnts
unternommen, das mit den Drey Haupt-Verderbern begonnen hatte. Im Fe-
bruar 1679 ließ er als frisch ernannter Rektor des Zittauer Gymnasiums seine
Komödie Bäurischer Machiavellus als letzten Teil einer Dramentrilogie auf-
führen.286 Vorangegangen waren das Bibeldrama Jephta und das historisch-po-
litische Stück Der gestürzte Marggraff von Ancre.287 Wie im frühen Roman, wie
auch bei Lassenius, treffen wir im Bäurischen Machiavellus auf eine Distanzie-
rung von der Verdächtigungslogik der antiatheistischen Polemik, insbesonde-
re von der Feindfigur des Politicus oder Machiavellista. In dem Versuch, eine
gute oder ›eigentliche‹ Politik im Sinne der politischen Philosophie von ihrem
negativen, durch Missbrauch entstehenden Extrem abzugrenzen, führt Weise
zudem die Linie fort, die für das Deutschland der zweiten Jahrhunderthälfte
mit Daniel Clasen begonnen hatte. Anders als bei Clasen ist es aber nicht mehr
der ›Pseudopoliticus‹, auf den die Affekte und Bedenken gegen eine bloß noch
instrumentalistische Staatsräson umgeleitet werden, sondern die menschliche
Affektnatur selbst, der alte Adam, im Stück verkörpert durch die allegorische
Figur des Antiquus. Diese traditionelle Pointe kommt jedoch nicht als barocke
Buß- und Höllenpredigt daher. Weise nutzt vielmehr die Mittel des Schwanks
und der Facetienliteratur sowie der Studentenkomödie für eine moralistische
Exempelerzählung, die vor dem Hintergrund (und vor den Augen) eines alle-
gorischen Tribunals auf dem Parnass unter der Leitung Apollos abläuft.
Das Motiv ist den Ragguagli di Parnasso des Italieners Trajano Boccalini
(1556–1613) entnommen, die von 1612 bis 1615 in drei Zenturien erschienen

286
Ein erster eindeutig datierbarer Druck erschien 1681. Zur komplizierten Druck-
geschichte vgl. die Hinweise des Herausgebers im Nachwort zur Werkausgabe: Christian
Weise, Sämtliche Werke. Bd. XI: Lustspiele II, hg. v. John D. Lindberg, Berlin/New York
1976, S. 381–410, hier S. 381–387. Der Bäurische Machiavellus wird im Folgenden nach
dieser Ausgabe zitiert; Nachweise mit bloßer Seitenzahl in Klammern. – Literatur-, me-
dien- und sprachgeschichtliche Deutungsaspekte erarbeiten Schubert 1969; Zeller 1980,
S. 215–219; Mieder 1984; Greiner 1993; Ort 2003, S. 169–174; auf Handbuchebene: Wil-
pert 31993, S. 112 (Wolfgang Hecht); Meid 2009, S. 392 f. (dort, S. 390 f., auch zu Weises
Konzeption von Dramentrilogien); verstreute Hinweise finden sich etwa bei Borinski
1894, S. 74; Holl 1923, S. 108 f.; Catholy 1969, S. 163 u. 165; Zwierlein 2011, S. 940.
287
Weise pflegte jährlich drei Dramen spielen zu lassen, die nach dem stets gleichen
Schema angeordnet waren. Auf einen biblischen Stoff folgte ein historisches Stück; den
Abschluss bildete eine Komödie. Vgl. Meid 2009, S. 392. Zur Struktur der Trilogie des
Jahres 1679 und zu ihrem immanenten Verweiszusammenhang s. Ort 2003, S. 167–169.
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Weises Bäurischer Machiavellus 323

waren.288 Weise legt gleich zu Beginn des Machiavellus der Figur des Politicus
einen Verweis auf Boccalini in den Mund: »Der Herr Bruder wird wissen /
was der Sinnreiche Italiäner Trajano Boccalini, mit seiner Relation aus dem
Parnasso, vor ein Kunststück erwiesen hat.« (12) Politicus gehört in Weises
Stück, wie der von ihm angesprochene »Bruder« mit dem sprechenden Na-
men Eusebius (der Fromme) zum allegorischen Gefolge289 des himmlischen
Hofstaats um Apollo, der als Herrscher und höchster Richter im geschilderten
Prozess fungiert. Der Angeklagte ist kein Geringerer als Machiavelli selbst.
Als Kläger treten die allegorisierten Tugenden Simplex, Candidus und Fidelis
auf, in weiteren Rollen sind, als Stellvertreter pädagogisch relevanter Sekun-
därtugenden, die Charaktere Eruditus, Sedulus und Severus zu sehen.290 Von
zentraler Bedeutung sind endlich Rationalis und sein »Knecht« Appetitus als
Verkörperungen der entsprechenden Seelenvermögen. Auf die Schlüsselfigur
des Antiquus wurde eben schon hingewiesen.
Das ganze Stück hat insoweit thesen- oder exempelhaften Charakter, wie
die komische Haupthandlung im Dörfchen Querlequitsch – ein intriganter
Wettstreit um das begehrte Amt des Pickelherings – als quasi forensischer Be-
weis für die Argumentation der Verteidigung konzipiert ist. Wie lautet aber die
Anklage? Sie wird, im Gespräch zwischen Simplex, Candidus und Fidelis, zu-
erst in Form einer Zeit- und Sittenkritik vorgebracht, die schlagartig den Zu-
sammenhang mit dem zeitgenössischen Unglaubensdiskurs herstellt. Auf die
Frage nach den Ursachen der negativen »Veränderung« in Sitten und Tugen-
den konstatiert nämlich Fidelis: »Seit Machiavellus seine Schrifften in der Welt
ausgebreitet hat / so ist die Treue verloschen / und an derselben statt Falsch-
heit / Ehrsucht / Geitz und Meineydt eingeführet worden.« (15) Die Topik
ist vertraut, das Moralargument erscheint, ähnlich wie im politischen und im
christlich-kulturkritischen Schrifttum der Zeit ( II.2–3), in Form des gleich-

288
Zu Weises Boccalinirezeption vgl. Noe 2008 (dort auch Hinweise auf weitere
Forschung zur Wirkung Boccalinis), bes. S. 650–654 zum Machiavellus; s. auch die ent-
sprechenden Hinweise bei Meid 2009, S. 393, und Zwierlein 2011, S. 940. – Die Ragguagli
erschienen bereits 1616 in deutscher Übersetzung mit dem Titel Politischer Probierstein
aus Parnasso, darauff die fürnemsten Monarcheyen vnd freyen Stände in der gantzen Welt
Regierungen gestrichen vnd dern halt zu sehen ist (o. O.); zahlreiche weitere Ausgaben
folgten unter wechselnden Titeln. – In der Vorrede nur Neuauflage von 1724 bezieht sich
Weise erneut auf Boccalini, speziell auf das 78. Stück der zweiten Zenturie, wo der Ma-
chiavellismus der Theologen abgehandelt werde: »So will ich auch nicht gedencken, wie
manche Religion auf Machiavellistischen Fuß gesetztet sey, als wovon man Proben finden
kan in des Italiäners Trajani Boccalini seinen nachdencklichen Relationibus ex Parnasso,
Centuria 2. Relat. LXVIII.« Christian Weise, Vorrede, in: Ders.: Bäurischer Machiavel-
lus […] Nebst einer Vorrede, Von dem Machiavellismo in allen Ständen, sonderlich unter
denen Gelehrten In welcher die Machiavellisterey, so unter Theologis, Juristen, Medicis,
Philosophis und Studiosis vorgehet, kürtzlich berühret und die vornehmsten […] Schriften
angeführet werden, Erfurt 1724, fol. * 4r.
289
Sie werden im Personenverzeichnis als »des Apollinis Commissarien« eingeführt (8).
290
Vgl. auch Ort 2003, S. 171.
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324 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

falls bekannten Lasterkatalogs. Welcher staatstheoretische Begründungshori-


zont um 1700 durch einen Begriff wie »Meineydt« aufgerufen wurde, bedarf
nach den Ausführungen zur vinculum societatis-Doktrin ( I.3) keiner Er-
wähnung mehr. Für die drei Freunde jedenfalls ist durch die kurz skizzierte
Ableitung schon die Grundlage für ein Gerichtsverfahren gegeben: »Hat der
Welt-Verderber nicht verdienet / daß er vor Gericht gezogen wird?« (15) Da
Apollo ohnehin gerade Gerichtstag hält, eilen die drei, einen Advokaten zu
finden, der ihre Sache vertritt.
Die satirische Vielschichtigkeit der folgenden Gerichtsszene (19–24) vor
dem Hintergrund von Weises politisch-pädagogischer Zielsetzung soll hier
nur angedeutet werden. In den Plädoyers der drei Gefährten erscheint die
Anklage gegen Machiavelli als Variation der von Großgebauer ( II.3.1),
Scriver und anderen her bekannten Klage über den Verfall der guten Sitten.
Das ist insofern interessant, als hier – wie schon in den Haupt-Verderbern
( III.3.5) – die Wirkung Machiavellis nicht im politischen, sondern im pri-
vaten Bereich veranschlagt wird. Machiavelli persönlich, so Simplex, sei es
anzulasten, dass »zweyfältige Gedancken« und »zweydeutige Reden« allge-
mein geworden seien (20). Analog dazu sieht Candidus in dem »Machiavel-
lischen Buche« die Ursache für weithin fehlende Offenherzigkeit (20 f.). Fi-
delis schließlich fühlt sich durch die »betrügliche Falschheit […] allenthalben
aus den [!] rechtmäßigen Erbtheile verjaget« (21). Als endlich Machiavelli
selbst erscheint, fasst der Advokat Gentiletus die Anklage, stark übertrei-
bend, noch einmal so zusammen:

Durchlauchtigster Apollo, dieser gegenwärtige Machiavellus hat alle Falschheit / List


und Betrügerey in der Welt eingeführet / daß nunmehr ein tugendhaffter Mensch der
Welt eher Feind wird / als er mit schuldigen Diensten einige Freundschafft erweisen
kan. (21)

Genau hier jedoch, bei der Übertragung des politischen Nutzenkalküls auf
das private Leben, setzt im weiteren Verlauf der Szene die Verteidigung des
Philosophen an. Schon der von Gentiletus entworfene Lasterkatalog arbeitet
auf die Pointe hin, die dann den Anlass zur irdischen Haupthandlung geben
wird. Da es sich offenkundig um moralische Verfehlungen handelt, wie sie
seit der Antike vielfach beschrieben und karikiert wurden, kann wohl kaum
der neuzeitliche Autor Machiavelli dafür verantwortlich gemacht werden.
Von diesem Punkt aus entwickelt derselbe denn auch seine Verteidigung:
»Was vor meiner Zeit gewesen ist / darinn kan ich nimmermehr der Anfän-
ger seyn.« (23) Zwar repliziert der Anwalt Gentiletus noch geschickt, dass
Machiavelli so gut wie jeder andere »Verführer« in seiner eigenen Zeit Ver-
antwortung trage und zur Rechenschaft gezogen werden müsse (ebd.); er
macht sich aber gerade damit angreifbar für die finale Replik des Philoso-
phen: Die »Boßheit der verkehrten Welt« nämlich, so Machiavelli, zeige sich
auch und gerade bei Menschen, die seine Schriften ganz sicher nie gelesen
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Weises Bäurischer Machiavellus 325

hätten – »die Bauern sind nach Innhalt der eingegebnen Klage die ärgsten
Machiavellisten / und ich will mich hoch verwetten / daß kein eintziger mei-
ne Schrifft gelesen und dergestalt den Namen eines würcklichen Machiavel-
listen verdienet hat« (ebd.).
Damit ist die Beweisaufnahme abgeschlossen, Apollo zieht sich zur Ent-
scheidungsfindung zurück. Der Schiedspruch, der in der folgenden Szene
verkündet wird, entwirft den forensischen Versuchsaufbau für die komische
Binnenhandlung. An Eusebius und Politicus ergeht der Auftrag, auf Erden
nach Beweisen für Machiavellis Behauptung zu suchen. Die Kooperation der
zwei »Commissarien« erfolgt indes nicht zufällig. Sie enthält im Kern schon
Weises ethisch-politische Programmatik,291 jene Kompromissformel, die schon
in Clasens religio politica angelegt war und auf die auch der Bäurische Machia-
vellus hinausläuft: Wenn Politicus, im Stück höchst unpolemisch verstanden
als der »kluge Werckmeister der zeitlichen Glückseligkeit« (149), und Euse-
bius, der »Liebhaber des Göttlichen Worts« (ebd.), zusammen gehen, dann ist
der epochale Konflikt zwischen dem seelischen Heil (salus) und dem irdischen
Wohlergehen (beatitudo, felicitas) aufgehoben. Genau so hatten, wie oben aus-
führlich dargelegt wurde ( I.3), die Vordenker der barocken Politica und die
Vertreter des frühen Naturrechts argumentiert, nicht anders sollte wenig spä-
ter Veit Ludwig von Seckendorff den ›Christen-Staat‹ konzipieren ( IV.3).
Bei allen Nuancen im Detail kann hier die gemeinsame Linie einer christlichen
und doch um weltliches Glück bekümmerten Staatslehre ausgemacht werden,
die in den Jahrzehnten um 1700 auf breite Zustimmung beim akademischen
Publikum stieß.292
In diesem Kompromiss zwischen weltlichem und geistlichem Anspruch
lag die Forderung der Stunde seit dem Ende des konfessionellen Zeitalters.
Bei Weise, wie wenig später dann bei Thomasius, wird er nicht bloß ethisch
und politisch ausgehandelt, sondern mehr noch auf dem Boden einer mora-
listischen Anthropologie. Das größte Hindernis für die zeitliche wie für die
ewige Glückseligkeit liegt demzufolge im Menschen selbst, im Widerstreit von
rationalen und irrationalen Anteilen. Von diesem Standpunkt aus macht erst
die menschliche Affektnatur gute (oder ›wahre‹) Religion zum falschen Aber-
glauben, Gelehrsamkeit zur Pedanterie und maßvolle Weltklugheit – privat
wie öffentlich – zum ›praktischen Atheismus‹ ( I.5). An dieser quantitativen
mehr als qualitativen Unterscheidung zwischen Tugenden und Lastern wer-
den noch Restbestände der aristotelischen Mesotes-Lehre erkennbar, die in
Form der via media-Doktrin auch die Methodik der frühen Aufklärung präg-
te.293 Für Weises Bäurischen Machiavellus liefert so die Anthropologie die Be-
291
Vgl. dazu die Literaturhinweise im Kapitel über die Drey Haupt-Verderber
( III.3.5), Anm. 246.
292
Zut spezifischen Verbindung von Frömmigkeit und Weltklugheit bei Weise vgl.
Horn 1966, S. 78–87.
293
Zur Kategorie des mesotes vgl. einmal mehr den gleichnamigen Artikel im
HWbPh, Bd. 5, 1980, Sp. 1158–1161 (Henning Ottmann), sowie den Artikel meson in
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326 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

gründungsebene, vor deren Hintergrund die Auflösung der Gerichtshandlung


erst verständlich wird. Im Zentrum des umfangreichen allegorischen Appa-
rats aus Tugenden und Seelenvermögen stehen nämlich nicht die als Ankläger
auftretenden Tugenden, sondern, wie sich in einer kurzen Zwischenhandlung
zu Beginn des vierten Aktes zeigt, das ungleiche Paar Rationalis und Appeti-
tus. Nachdem die Emissäre Politicus und Eusebius das Treiben im Dörfchen
Querlequitsch – die mannigfachen Intrigen des korrupten Gerichtsschulzen
Purus Putus, die latinisierte Phrasendrescherei des Schulmeisters Scibilis und
die listigen Machinationen des Kandidaten Ziribiziribo bei der Bewerbung um
die Stelle des Pickelherings – verfolgt haben, ziehen sie eine Zwischenbilanz,
die dem Plädoyer des Angeklagten Machiavelli schon jetzt recht zu geben
scheint (83):

Eusebius. Ach wer hätte sich eines solchen Unweses auch unter gemeinen Leuten
versehen?
Politicus. Die einfältigen Leute sind nur einen Mantelkragen besser als die Bauren /
und gleichwohl wissen sie die betrüglichen Stücke so künstlich anzuwenden / daß
der Machiavellus selber neuer Klugheit von nöthen hätte / wenn er in einem geringen
Marckflecken ohne Schaden und Verhinderniß wohnen solte.

Auf den Appell des Eusebius, die Quelle dieser »Boßheit« zu ergründen
(84), erscheint plötzlich Rationalis auf der Bühne und bricht prompt in die
Klage aus, dass ihm sein »Diener« Appetitus entlaufen sei (84). Spätestens
damit ist der Boden bereitet für die affekttheoretische Entlastung des Flo-
rentiner Philosophen. Mit Rationalis stößt, wie im anschließenden Dialog
deutlich wird, ein lang vermisster Freund zu den beiden ›Commissarien‹.
Immerhin habe man »vormahls im Parnasso gute Freundschafft gepflo-
gen« (ebd.). Wie bei Conring und auch Seckendorff wird so die Allianz
von Religion und Politik unter die Ägide der sana ratio gestellt. Von die-
ser Konstellation aus lässt sich dann spielend leicht die Causa Machiavelli
aufklären. »Der gute Machiavellus ist gewiß unschuldig« (85), stellt Ratio-
nalis fest, nachdem ihm Eusebius die Anklage und Apollos Schiedsspruch
kurz erläutert hat. Er kann so sprechen, weil er über ein Vorwissen verfügt,
das – dramaturgisch etwas holprig – erst zu diesem späten Zeitpunkt in die
Handlung hineingeholt wird. Wie Rationalis zu berichten weiß, hat sich
sein Diener Appetitus samt zweier »Dirnen« namens Stultitia (›Dumm-
heit‹) und Calliditas (›Verschlagenheit‹) einem ominösen Charakter ange-
schlossen, der unter der Maske des Machiavelli durch die Welt zieht (85).
Es handelt sich um niemand anderen als den schon erwähnten Antiquus,
den ›Alten‹ mithin, hinter dem aus christlicher Sicht auch unschwer der ›alte

Höffe 2005, S. 344–346 (Philipp Brüllmann, Katharina Fischer). – Zur Programmformel


des Mittelwegs (via media) und ihrer Bedeutung für die frühe Aufklärung vgl. exempla-
risch Martens 1968, S. 268 f. u. 317 f.; Pott 1992, S. 182–192. Eine grundlegende toposge-
schichtliche Untersuchung wäre dringend zu wünschen.
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Weises Bäurischer Machiavellus 327

Adam‹ erkennbar wird, ja sogar der Teufel persönlich. Als er nämlich selbst,
drei Szenen später, mit Eusebius und Politicus zusammentrifft, wird er vom
Ersteren als »Welt-Betrüger« sowie als »Unglücks-Vogel« angeredet (88) und
kurzerhand vor Gericht zitiert. Dort wird er – nunmehr in der »Schluss-Hand-
lung«, die dem fünften Akt nachgestellt ist – von Machiavelli selbst als »allge-
meiner Landbetrieger« empfangen (141), wenig später auch als »allgemeiner
Verderber« (142) und »der allgemeine Feind« (148) bezeichnet. Wenn er sich
dann auch noch selbst als »der alte Anfänger aller Boßheit« einführt (141), ist
unmissverständlich klar, dass die Grenze zwischen Affekttheorie und Sünden-
theologie überschritten ist. Für den Lutheraner Weise wird hier ohnehin kein
großer Unterschied bestanden haben. Der teuflische Versucher selbst, so die
entscheidende Pointe, der sich Zugang zum Menschen über dessen Laster und
Triebe verschafft, hat Falschheit, Ehrsucht, Gier und Betrug (um noch einmal
die Anklagepunkte zu nennen) an die Stelle von Einfalt, Treue und Redlichkeit
gesetzt und sich dabei listig als Machiavelli ausgegeben.
Weises Bemühen, die allegorische Rahmenhandlung stringent zum Ab-
schluss zu bringen, verschleppt zwar den Ausklang der schnurrigen Bin-
nenhandlung, fügt ihr aber die noch fehlende moralisch-anthropologische
Auswertung hinzu. Eusebius und Politicus erstatten Bericht vor Apollo und
bekräftigen noch einmal die schon vorher gezogene Bilanz.294 Das Fehlver-
halten der Menschen wird dabei noch einmal unter eben jene Optik gebracht,
aus der heraus die Toleranzgegner um 1600 ( I.2.3) die Politici als Atheisten
angegriffen hatten: die Hintanstellung des Geistlichen hinter das Weltliche
und die falsche Suffizienzbehauptung hinsichtlich der bloßen Weltklugheit.
Eusebius fällt es zu, diese Botschaft in aller Kürze zu formulieren: »Ein jed-
weder vertrauet seinen Kräfften / und niemand begehret von dem Himmel
einigen Beystand zu erlangen.« (142) Den Höhepunkt der Gerichtsverhand-
lung bildet der Wechsel des Angeklagten. Machiavelli erhält zwar keine
Generalamnestie, sondern muss in die schon vorher verhängte Verbannung
zurückkehren. Er darf jedoch abtreten mit dem Ausdruck des Bedauerns,
dass er aus der »Ordnung der Tugendhafften ausgeschlossen« wurde (143).
Neben dem Moralisten Weise spricht auch der Pädagoge, wenn er den Philo-
sophen wehmütig ausrufen lässt: »Ich gehe / aber auch ihr Sterblichen sehet /
wie straffwürdig eine Person werden kan / welche sich in dem Leben nicht
gescheuet hat / die schönsten Gaben des Gemüthes schändlicher Weise zu
mißbrauchen.« (143)
Vollends entlastet wird Machiavelli hier also nicht – so weit wollte der
Autor offenbar doch nicht gehen. Der abschließende Prozess gegen Antiqu-
us führt aber die allegorisch-psychologische Pointe so konsequent zu Ende,
dass an der Haltlosigkeit eines pauschalen Antimachiavellismus, wie Weise
ihn treffen wollte, kein Zweifel mehr aufkommen kann. Nicht die Lektüre

294
»Politicus. Und es ist mehr als zuwahr / daß auch bey den geringsten Personen
List und Gewalt auff das höchste gestiegen ist.« (142)
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328 Literaturgeschichte des Unglaubens im 17. Jahrhundert

des Principe oder anderer verrufener Schriften macht die Menschen boshaft,
gierig, tückisch und letztlich unglücklich,295 sondern seine Triebnatur, wo sie
nicht durch Vernunft, Fleiß und Gottesfurcht gebändigt wird. Auf der allego-
rischen Ebene wird diese ausgesprochen traditionelle Lösung geradezu akri-
bisch durchbuchstabiert: Der Knecht Appetitus kehrt zurück in den Dienst
seines angestammten Herrn Rationalis (144); der böse Antiquus wird durch
Gelehrsamkeit (Eruditus), Fleiß (Sedulus) und Disziplin (Severus) in Schach
gehalten (145–147); Politicus und Eusebius aber – der Weltklugheit und der
Frömmigkeit – wird der Wunsch gewährt, ihre gemeinsame Wohnstatt »bey
der hochwehrten Stadt Zittau« aufzuschlagen (149).
So empfiehlt sich der Autor Weise seinen Schülern, dem Zittauer Publi-
kum und der lesenden Nachwelt mit einem nachgerade salomonischen Urteil:
Im Verbund mit Frömmigkeit verliert die Politik, als Organon der »zeitlichen
Glückseligkeit« (ebd.), ihre infame Spitze. Und wer, so darf wohl hinzugefügt
werden, nur täglich den alten Adam in sich »ersäuft« (Luther), der mag auch
getrost den Machiavelli lesen.296 Diese Sichtweise wird sich im Lauf der nun rasch
einsetzenden Aufklärung vielfach wiederfinden. Christian Wolff, Thomasius,
Gottsched und die Verfasser zahlreicher Moralischer Wochenschriften setzten
immer weniger auf Zensur und Abschreckung, dafür aber zunehmend auf die
Verbindung von Bildung, Affektkontrolle und ›vernünftiger‹ Gottesfurcht.
Dem solchermaßen gefestigten Gelehrten sei es zuzutrauen, auch gefährliche
Bücher mit Gewinn und ohne Schaden zu lesen. Gottsched selbst führte die
Probe aufs Exempel durch, indem er die Schriften eines Autors übersetzen
ließ, der für das 18. Jahrhundert eine ähnliche Stellung und Wirkung besaß wie
Machiavelli für die Barockzeit – Pierre Bayle. Bevor daher die Vertreter der
deutschen Frühaufklärung zu Wort kommen, wird im folgenden Kapitel der
provokanten Figur Bayles und ihrer frühen Wirkung in der Übergangsphase
zwischen Barock und Aufklärung nachzugehen sein.

295
In diesem Sinne lautet die Frage des Richters Apollo an die beiden Berichterstatter,
die anschließend bejaht werden wird: »Ist es möglich / daß ein allgemeiner Verderber die
Menschliche Gesellschafft zu allem Unglück verführet hat?« (142)
296
Die Formulierung nach der bekannten Stelle aus dem Kleinen Katechismus. Dort
heißt es im vierten Hauptstück über die Taufe: »Was bedeutet denn solch Wassertaufen? Es
bedeutet, daß der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und
sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und
auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe.«

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IV. IM VORFELD DER AUFKLÄRUNG


GELEHRTE KRITIK, MORALISTIK UND
THEOLOGISCHER COMMON SENSE

1. Frühe Neuzeit und Aufklärung


Zum Verlauf des Unglaubensdiskurses im späten 17. Jahrhundert

1.1 Die Macht der Affekte


Zur verborgenen Allianz von Apologetik und Aufklärung

Mit Lassenius und Weise, so hat sich gezeigt, konnte die Feindbildgeschichte
des Unglaubens bis an die Schwelle der Frühaufklärung verfolgt werden. An
ihnen, aber auch schon an Spener, ließen sich Denkansätze erarbeiten, die
auf das 18. Jahrhundert voraus verweisen. Das impliziert zweierlei: Zum ei-
nen ist das 17. Jahrhundert in der Frage des Unglaubens nicht so rigide oder
unnachgiebig gewesen, wie es die Intensität und Reichweite der barocken
Frömmigkeit vermuten lassen. Zum anderen hat sich ›die‹ Aufklärung nicht
grundsätzlich vom Feindbild des unsittlichen, staatsgefährdenden Atheisten
verabschiedet. Das war allerdings zu erwarten. Wie in der Einleitung aus-
führlicher begründet wurde, läuft die vorliegende Darstellung gezielt auf
die (vor allem deutsche) Aufklärung zu. Nicht zuletzt diesem Zweck diente
die Bündelung der antiatheistischen Topik, wie sie im ersten Teil an Quellen
des 16. und frühen 17. Jahrhunderts entwickelt wurde, anhand der Berei-
che Moralität (I.1), Politik (I.2–3), natürliche Theologie (I.4) und Frömmig-
keitskultur (I.5). Bei der Mehrzahl der dort und auch späterhin behandelten
Quellen und Autoren verband sich die Konstruktion eines entsprechenden
Feindbilds entlang dieser Leitlinien mit Überlegungen, die das 17. Jahrhun-
dert überdauerten und bis weit in das Jahrhundert der Aufklärung hinein
reichten, teilweise sogar darüber hinaus. Das betrifft nicht allein den Diskurs
über den Unglauben. Die Aufklärung gehört nun einmal in vielerlei Hinsicht
noch zur frühen Neuzeit. Anhand der hier verfolgten Feindbildgeschichte
lässt sich diese Kontinuität exemplarisch belegen. Dazu ein paar Hinweise
mit Blick auf das nun folgende Kapitel.
Die kurz vor 1700 durch Autoren wie Jean Le Clerc und Jean de La Bru-
yère vorgenommene Deutung des Unglaubens ( IV.4) als eines auf irrationa-
len Voraussetzungen beruhenden praeiudicium praecipitantiae gehört in dieser
moralistischen Zuspitzung bereits in den Einzugsbereich aufklärerischer Vor-
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330 Im Vorfeld der Aufklärung

urteilslehren. Inhaltlich liegt sie aber auch bemerkenswert nah an der schon
von Luther, Bucer und Calvin vorgeschlagenen Sichtweise, die wir ähnlich
dann wieder bei Spener angetroffen haben. Demzufolge sind alle Menschen
in ihrer Urteilsfähigkeit stets beeinträchtigt durch eine Eigendynamik der Af-
fekte, die sich traditionell mit der Erbsündenlehre als fundamentale corrup-
tio von Vernunft und Willen deuten lässt, aber ebenso mit den um 1700 an
Einfluss gewinnenden Präjudizialtheorien. Sicherlich verdiente die Frage nach
Kontinuitäten und Brüchen zwischen christlichen Lasterkatalogen und weltli-
cher Vorurteilslehre eine eingehendere Erörterung, als sie hier geleistet werden
kann. Um gerade die Kontinuitäten hervorzuheben, dürfte sich indes kaum
ein Gegenstand besser eignen als der Unglaube, der von Reformatoren, Pie-
tisten und dem Gros der Frühaufklärer gleichermaßen verurteilt wurde. Ihnen
allen klang, wie schon den Barockautoren, der Psalm Davids über den ebenso
törichten wie »verdorbenen« Gottlosen im Ohr. Mit Richard Bentleys Predig-
treihe The Folly and Unreasonableness of Atheism von 1691/92 ( IV.4.1) er-
reicht jener alte Topos das Zeitalter Newtons und der beginnenden britischen
Aufklärung.
In dieser anthropologischen Interpretation des Unglaubens von der Re-
formation bis zur Frühaufklärung dürfte ein Grund liegen, weshalb die nun
gleich vorzustellende Kritik Pierre Bayles an der argumentativen Koppelung
von Unglauben und Unsittlichkeit der Atheisten ( IV.2) vorerst kaum An-
hänger fand. Dafür lassen sich mögliche Gründe benennen, die in der Athe-
ismusforschung meist übersehen werden: (1.) Nicht nur lag Bayles zentrales
Argument – die offenkundig unsittliche Lebensweise vieler Christen – ganz
auf der Linie der barocken Frömmigkeitsbewegungen und hat daher die Ge-
müter weit weniger erregt, als sich die heutige Leserschaft vorstellen mag.
(2.) Ebenso erfasste die Verhältnisbestimmung von Unglaube und Unmoral in
seiner berühmt gewordenen Argumentation nur einen Teilbereich der seit dem
Reformationsjahrhundert nachweisbaren Modellbildungen. Bayles Einwand
galt vor allem der Behauptung, dass (nach Voetius) ›theoretischer‹ Atheismus
sittliche Verdorbenheit nach sich ziehe. Die Argumentation von Bucer, Calvin
und später wieder Spener und Seckendorff verlief aber genau umgekehrt: Erst
das unsittliche Verhalten veranlasse einige Menschen, die Existenz eines gött-
lichen Richters zu bestreiten, vor dem sie ihren Lebenswandel verantworten
müssten. Es wird sich noch zeigen, dass Bayle einen solchen Fall für durchaus
möglich und real hielt; er wollte daraus nur keinen zwingenden kausalen Zu-
sammenhang abgeleitet wissen. Trotzdem, und obwohl er mit seinem Konzept
der »véritable devotion« die weit bekannter gewordene Moralthese wieder ab-
schwächte, ja sogar in verblüffende Nähe zur frommen Reformtheologie der
Zeit geriet ( IV.2.2), wurde er dann als vermeintlicher Verteidiger des Athe-
ismus angegriffen, insonders wegen der provokanten Schlussfolgerung, dass
ein Staat von Atheisten nicht allein bestehen, sondern sogar florieren könne.
Darin ist ihm, wie in Kapitel V ausführlicher darzulegen sein wird, die Mehr-
zahl der Frühaufklärer in Deutschland und England nicht gefolgt. Hatte selbst
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Frühe Neuzeit und Aufklärung 331

John Locke in seiner Toleranzepistel von 1687 die Ausweisung oder Bestra-
fung von Atheisten empfohlen ( I.3.5), um die Verbindlichkeit von Eiden
auch weiterhin moraltheologisch absichern zu können, so sollten ihm darin
mit Thomasius, Gundling und Wolff drei große Vertreter der deutschen Früh-
aufklärung prinzipiell zustimmen.
Hinzu kommt (3.) ein weiterer Gesichtspunkt, der schon auf die Theologie
der Aufklärung vorausweist: Als ganz besonders überlebensfähig sollte sich
derjenige Teil des apologetischen Argumentationssystems erweisen, der den
Beweis für die Wahrheit der christlichen Religion mit dem Postulat der ra-
tionalen Erkennbarkeit Gottes einerseits und der Glückseligkeit des christ-
lichen Daseins andererseits verknüpfte. Auch das ist gut begründbar: Im Be-
mühen, die Wahrheit der Religion nicht mehr an Wunder- und Schriftbeweise
zu binden, die für Atheisten und Deisten keine Gültigkeit besitzen konnten,
schlug die Apologetik Wege ein, die im 18. Jahrhundert ausgebaut werden und
schließlich in der Neologie, der protestantischen Theologie der Hochaufklä-
rung, aufgehen sollten. Sie alle eint die Berufung auf die gesunde Vernunft,
aber auch die Rückbindung der Theologie an die Lebenspraxis. Nicht zufällig
zählte Sokrates, von dem es hieß, er habe die Philosophie vom Himmel auf
die Erde herab geholt, zu den Leitfiguren der Aufklärung.1 Als bedeutendste
Berufungsinstanz für die fortgesetzte Orientierung theologischer Reflexion an
der Vernunft muss hingegen Leibniz gelten, dessen Theodizee nicht zuletzt die
Kommensurabilität des Glaubens mit der Vernunft zu beweisen unternahm.
Dass ihm die Aufklärung – insbesondere mit Wolff und seiner Schule – darin
zustimmte, musste auch von dieser Seite her die Wirkung Bayles begrenzen:
Gegen ihn vor allem war die Theodizee gerichtet gewesen.
Wo sich vor 1700 dennoch Kritik an der Apologetik erhob, richtete sie sich
gewöhnlich nicht gegen die negative (moralisch-politische) Einschätzung des
Unglaubens oder die detailverliebte Typologie und Charakterpolemik, son-
dern gegen die immense definitorische Ausweitung des Atheismusbegriffs
und – infolgedessen – seine ungenaue Anwendung. Dass diese Korrektur-
arbeit keine genuine Leistung der Aufklärung gewesen ist, dürfte nach den
Ausführungen zu Spener, Lassenius und Weise hinlänglich deutlich geworden
sein. In ihrer Kritik der voreiligen Überführungsmethodik haben sie eindeu-
tig Elemente der Vorurteilskritik vorweggenommen. Interessanterweise hat so
der frühe Pietismus (mitsamt seiner Vorläufer-Bewegungen wie nadere Refor-
matie und Puritanismus) nicht nur die größte Ausdehnung des Atheismusbe-
griffs mit sich gebracht – bei Voetius ( I.5), Colbe ( II.2.2) oder Undereyck
( II.3.3) –, sondern ebenso auch die schärfste Kritik gegen dessen denunzia-
torischen Gebrauch. Dass Thomasius, der diese Kritik wohl am konsequentes-
ten fortführte und ausbaute, dem Pietismus nicht fernstand, verdient in diesem
Zusammenhang noch einmal erwähnt zu werden.

1
Vgl. die Übersicht bei Spiekermann 2012c.
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332 Im Vorfeld der Aufklärung

Auch außerhalb pietistischer oder allgemein frömmigkeitsbewegter Kreise


lassen sich jedoch Einwände gegen die apologetische Heuristik ausmachen,
vor allem da, wo sie sich auf bedeutende Figuren der Antike richtete ( IV.5).
An den großen, philosophiegeschichtlich längst nobilitierten Autoren wie Pla-
ton, Seneca oder Cicero ließ sich diese Kritik sicherlich leichter exemplifizie-
ren; gleichwohl wurde dabei immer auch Grundsätzliches erörtert. Wer nun
allerdings glaubt, die Aufklärer hätten sich dieser vorerst ›antiquarischen‹ Ar-
gumentation vorbehaltlos angeschlossen, sieht sich abermals getäuscht. Zwar
stimmt es sicherlich, dass die These Plato atheus nach 1700, und erst recht
nach 1740, kaum noch Zustimmung gefunden haben dürfte. Mit Nicolaus
Hieronymus Gundling trat jedoch ausgerechnet einer der scharfsinnigsten
Vertreter der deutschen Frühaufklärung noch 1716 auf den Plan, um sowohl
Hippokrates wie auch Platon des Atheismus, genauer gesagt: des Pantheis-
mus zu überführen ( V.3). Methodisch konnte er sich bei dem theologischen
Frühaufklärer Johann Franz Budde bedienen, der in einer bekannt geworde-
nen Disputation von 1701 den Spinozismus »ante Spinozam« bis in die Antike
zurück verfolgt hatte.2

1.2. Res und verba


Verschiebungen im Wortfeld des Unglaubens
vom 17. zum 18. Jahrhundert

Selbst in der Kritik an der apologetischen Überführungsmaschinerie, so lässt


sich festhalten, liegt kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Reformation,
Barock und Aufklärung. Eine gewisse Veränderung ergab sich jedoch inner-
halb des um die Unglaubensthematik herum gruppierten Wortfeldes. War die
Bezeichnung ›Atheismus‹, fast schlagartig eingeführt um 1580 ( I.2), seit etwa
1620, in Deutschland spätestens seit 1650 ( II.1–2) fest etabliert als Oberbe-
griff für verschiedene Spielarten der impietas, so fielen gegen Ende des 17. Jahr-
hunderts einige ältere Bezeichnungen weg. Neben dem Ausdruck ›impietas‹
selbst, der nach 1700 nur noch im engeren theologischen Kontext begegnet,
verlor vor allem der Politicus seine Funktion als Synonym für den Atheismus
und die damit verbundene polemisch-signalhafte Wirkung. Das hängt, wie im
Kapitel zu Weise bereits angedeutet wurde, mit jener Rehabilitierung des Po-
litikbegriffs zusammen, die wir bereits 1655 bei Clasen beginnen sahen und
die sich über Weise und Thomasius fortsetzen sollte. So wurde die peiorative
Nebenbedeutung des Machiavellismus allmählich abgestreift.
Ähnliches gilt für die bei Luther und den Reformatoren oft gebrauchte,
in der Enzyklopädik des 17. Jahrhunderts und noch bei Grimmelshausen
( III.3.3) vielfach anzutreffende Bezeichnung ›Epikurer‹ bzw. ›Epikureer‹.
Sie spielt im 18. Jahrhundert keine herausgehobene Rolle mehr in der Polemik

2
Zu Budde vgl. Kap. V.1.2; dort auch Hinweise zur Spinozismus-Dissertation.
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Frühe Neuzeit und Aufklärung 333

gegen den Unglauben. Zwar bleibt der Ausdruck mit seinen grammatischen
Variationen auf der attributiven Ebene noch lange präsent, er verliert jedoch
wie der ›Politicus‹ die eindeutige, fast synonymhafte Zuordnung zu Atheis-
mus oder Gottlosigkeit. Hauptursache war sicherlich die nach 1700 zuneh-
mend konsensfähige Kritik an der retrospektiven Verurteilung vorchristlicher
Autoren als Atheisten ( IV.5). Hinzu trat zum einen das generelle Bestreben
der eklektischen Philosophie (und Theologie) um 1700, Autoren oder deren
Werke nicht aufgrund einzelner Lehrsätze in toto zu verdammen, sondern –
gemäß dem viel zitierten Pauluswort – nach eingehender Prüfung ›das Beste‹
zu behalten. (Das zeigt sich auch im Umgang mit dem Œuvre Pierre Bay-
les, wie wir ihn punktuell bei Seckendorff beobachten können.) Zum ande-
ren setzten sich die schon bei Valla und Erasmus begonnenen Bemühungen
( I.1.5) um eine Rehabilitation Epikurs in der Frühaufklärung fort.3 So brach
Thomasius schon 1689 in seinen Monatsgesprächen eine Lanze für den antiken
Philosophen, 1714 konnte ihm Gottlieb Stolle in seiner Geschichte der heydni-
schen Morale dann ein sehr ausgeglichenes Urteil ausstellen.4
Während das Vokabular im »Sinnbezirk«5 des Unglaubens so einerseits aus-
gedünnt wurde, kamen andererseits auch neue Bezeichnungen hinzu. Bei Mer-
senne, vor allem aber bei Bentley haben wir gesehen, wie die Bezeichnungen
»Deismus« und »Deisten« in das Arsenal des antiatheistischen Wortschatzes
aufrückten. Im gleichen Maß, wie der Deismus, vor allem in England mit John
Toland und Anthony Collins, als Bewegung öffentliche Aufmerksamkeit ge-
wann, wurde er auch immer selbstverständlicher den Feinden der Christenheit
zugerechnet wie ehedem die »Epicuriens« (Mornay). Übertroffen wurde er
noch durch den Pantheismus, der nach seinem maßgeblichen philosophischen
Vertreter auch als »Spinozismus« bezeichnet wurde. Wer anhand von zeitge-
nössischen Bibliografien (Martin Lipenius, Johann Albert Fabricius, Johann
Georg Walch, Johann Anton Trinius) die lange Liste der Schmähschriften und
›Widerlegungen‹ mustert, die gegen Spinoza und den Spinozismus sowie ge-
gen den Deismus und einzelne seiner Vertreter wie Toland, Collins oder Shaf-
tesbury erschienen, wird feststellen, dass auch da, wo der Atheismusbegriff
nicht explizit vorkommt, die antiatheistische Topik und Wortwahl meistens

3
Grundlegend dazu nach wie vor Kimmich 1993 sowie Ludwig 1998; neuerer Über-
blick der Rezeption bei Weichenhan 2014.
4
Gottlieb Stolle, Geschichte der heydnischen Morale, Jena 1714, S. 176: »Epicurus
war weder ein Sclavischer Schmeichler / noch unbedachtsamer Spötter / und daher auch
beliebter und glücklicher als Anaxarchus. Er lebte zu einer Zeit / da die Stoiker den Weg
der Tugend mit lauter Dorn und Disteln bahnten / und dem mürrischen Eigensinn und
Hochmuth den Mantel der Weißheit umhiengen. Er aber wuste wohl / daß man auf sol-
che weise nur Heuchler machte / oder die Thoren von der Bahn der Glückseligkeit nur
abschreckte […].« – Mit Themen wie der simulatio oder der Torheit arbeitet sich Stolle bei
seiner Rettung an ähnlichen Fragen ab wie die Apologetik des 17. Jahrhunderts.
5
Der Ausdruck noch einmal nach der einflussreichen Studie von Jost Trier (1931),
dem Gründungsdokument der Wortfeldtheorie.
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334 Im Vorfeld der Aufklärung

präsent bleibt, oft bereits im Titel. Das gilt ebenso für die Vielzahl von Schrif-
ten gegen den ›Naturalismus‹, worunter man eine abgemilderte Variation des
Deismus (ohne die berüchtigte These vom Deus otiosus) verstand, oder gegen
den ›Indifferentismus‹, womit eine bekenntnisneutrale Auffassung von Religi-
on – je nach Quelle sogar unter Einschluss von Judentum und Islam – ebenso
gemeint sein konnte wie der zuvor in Gestalt der Politici bekämpfte stets zur
Konversion bereite Opportunismus.
Aus heutiger Sicht sind mit den zuletzt genannten Begriffen verschiedene
philosophische oder theologische Positionen bezeichnet, die sich präziser be-
schreiben und voneinander abgrenzen lassen als ältere Begrifflichkeiten wie
›Epikurer‹, ›impii‹ oder ›Politici‹. Und tatsächlich lässt sich ab 1700 ein Be-
mühen um begriffliche Präzision beobachten, das sich zunehmend auch auf
den Atheismusbegriff selbst richtete. Hatten schon Autoren wie Spener und
Lassenius die allzu eilfertige Handhabung des Atheismusvorwurfs im Gefolge
von Voetius’ taxonomischem Schema kritisiert, so häufen sich im methodolo-
gischen Einflussbereich der Frühaufklärung, zunächst im akademischen Um-
feld, Korrekturvorschläge hinsichtlich der Begriffsbildung selbst. Vermutlich
als Reaktion auf die extreme Ausweitung des Atheismusbegriffs bei Autoren
wie Undereyck oder Leuckfeld wurde besonders das Modell des Atheismus
practicus zum Gegenstand definitorischer Neubesinnungen ( V.1). Spätestens
mit Christian Wolffs penibler Erarbeitung des Begriffs in seiner Theologia na-
turalis (1737) war der praktische Atheismus derart eng definiert, dass er sich
kaum noch zur Anwendung eignete ( V.1.4).

2. Offene Kritik – heimliche Sympathien?


Pierre Bayles Angriff auf die Apologetik

2.1 Anthropologischer Pessimismus


Die Bayle-These in frömmigkeitsgeschichtlicher Sicht

In der ideengeschichtlichen Forschung wird Bayle die epochale Leistung zu-


geschrieben, in den Pensées diverses sur la comète (1683)6 mit dem Mythos

6
Im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt, zitiert nach der kritischen Edition von
A. Prat: Pierre Bayle, Pensées diverses sur la comète. Édition critique avec une introduction
et des notes publiée par A. Prat. 2 Bde., Paris 1912 (Société des textes Français modernes).
Eigentlich lautet der Titel der Schrift Pensées diverses écrites à un Docteur de Sorbonne à
l’occasion le la Comète qui parut au mois de décembre 1680 (Rotterdam 1683; zuerst 1682
noch mit anderem Titel). – Zitiert mit Angabe von Kapitel (§) sowie, in Klammern nach
Zitat, mit Band- und Seitenzahl in römischen und arabischen Ziffern (z. B. »I 292«); bei
Bedarf ergänzend herangezogene Übersetzungen von Zitaten folgen der revidierten Gott-
sched-Edition im Leipziger Reclam-Verlag: Pierre Bayle, Verschiedene Gedanken über
einen Kometen. Herausgegeben mit einer Einleitung von Rolf Geissler, Leipzig 1975 (mit
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Pierre Bayles Angriff auf die Apologetik 335

von der sittlichen Verkommenheit der Atheisten aufgeräumt zu haben.7 Den


Kern seiner Argumentation bildet die Feststellung, dass sich der Mensch in
seinem Verhalten grundsätzlich nicht nach seinen Überzeugungen richte.8
Wie es also lasterhafte Christen oder Anhänger anderer Religionen gebe,
müsse man auch die Möglichkeit tugendhafter Atheisten annehmen.9 In deut-
licher Wendung gegen den staatstheoretischen Topos von der Religion als
vinculum societatis10 erklärt Bayle auch eine Gesellschaft (une societé) ohne

§ und Seitenzahl). – Zur Entstehung und Deutung der Kometenschrift im Zusammen-


hang des Gesamtwerks vgl., die reichen Forschungserträge von Jahrzehnten resümierend,
Bost 2006, S. 181–198; grundlegend nach wie vor Labrousse 1964, Bd. 2, bes. S. 103–128;
Paganini 1980, S. 3–28, 33–37 et pass.; speziell im Horizont der (französischen) Atheis-
musdebatte: Kors 1990, S. 201 f., 234 f. u. 253 f.; immer noch lesenswert auch Mauthner
1920–1923, Bd. 2, S. 253–260; zum Gesamtwerk vgl. die kompakte, bibliografisch ergie-
bige Darstellung von Labrousse im Neuen Ueberweg 17/2, 1993, S. 1025–1043. – Unter
den zahlreichen Studien zur Kometenschrift sind für den vorliegenden Zusammenhang
besonders hervorzuheben Delpla 1999 und Bost 2003; speziell zum Atheismusbegriff Bay-
les vgl. Mori 1996 (dort wird, einmal mehr, der Ausdruck »athée speculatif« – schon im
Titel – verwendet, ohne die Ursprünge der theoreticus-practicus-Dichotomie bei Voetius
zu ewähnen); weitere Spezialuntersuchungen verzeichnet Bost 2006, S. 582, Anm. 12.
7
Vgl. besonders die Untersuchung von Czelinski-Uesbeck 2007, S. 100–115 (zu
Bayle) und 116–131 (zur deutschen Diskussion im Anschluss an Bayle). Die fehlende Dis-
tanz zum Gegenstand zeigt sich hier wie in anderen Studien daran, dass Bayles Argumen-
tation Beweischarakter zugeschrieben wird. Er habe »aufgezeigt« (103) oder »führt den
Nachweis« (102), dass Atheisten nicht unmoralisch sein müssten, und »zerstört« damit
die Lehre von der Religion als Band der Gesellschaft (102); analog auch Eusterschulte
2006, S. 53 (»In seinen Pensées diverses sur la comète zeigt Bayle […]«); ebenso bereits
Markovits 2000, S. 261 (»Bayle va montrer qu’il existe une morale de l’athée«). Die Reihe
der Beispiele ließe sich beliebig verlängern. – Gegen diese Sichtweise richtet sich vor dem
Hintergrund der hier entfalteten Zusammenhänge Spiekermann 2019c.
8
Vgl. insbesondere die §§ 135 f., 138, 143, 176, und 181 der Pensées diverses. Beson-
ders markant in der Formulierung (§ 136): »Que l’homme soit une créature raisonnable,
tant qu’il vous plaira; il n’en est pas moi vrai, qu’il n’agit presque jamais conséquemment à
ses Principes.« (II 11) – Die Argumentation, die auch im weitaus bekannteren Dictionnaire
ausgebaut wird, ist – leider mit spärlichen Hinweisen auf die ältere Forschung – detailliert
nachgezeichnet bei Czelinski-Uesbeck 2007, S. 102–106.
9
Besonders in § 133: »L’Atheïsme ne conduit pas nécessairement à la corruption des
mœurs.« (II 5)
10
Es versteht sich, dass der für seine Gelehrsamkeit berühmte Bayle die staatstheo-
retische Literatur gekannt hat. Eindeutig ist auf den vinculum-Topos angespielt in § 108
der Pensées diverses: »On a reconnu de tout tems, que la Religion étoit un des liens de la
société, et que les sujets n’étoient jamais mieux retenus dans l’obeïssance, que lors qu’on
savoit faire intervenir à propos le Ministere des Dieux […].« (I 292) – Soweit mit vinculum
allerdings nur der staatliche Zusammenhalt gemeint ist, stimmt Bayle mit der Staatslehre
überein, er widerspricht sogar Cardano, der die Schädlichkeit der Religion für den Staat
behauptet habe. Selbst die ›Götzenlehre‹, so Bayle, diene der »Befestigung der Republik«
(§ 131): »Asseurez-vous plutôt, Mr. que cette sorte de foi ne met les Idolâtres au dessus
des Athées, qu’à l’egard de l’affermissement de la Republique. Car n’en deplaise à Cardon,
une Societé d’Athées, incapable qu’elle seroit de se servir des motifs de Religion pour se
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336 Im Vorfeld der Aufklärung

Religion für möglich11 – vergleichbar einem heidnischen Gemeinwesen –, so-


fern ausreichend strenge Gesetze vorhanden seien.12 Den Nachweis führt er
anhand zahlreicher Beispiele aus der älteren und neueren Geschichte. Als ei-
ner der ersten Autoren der Zeit nimmt er auch Spinoza gegen den Vorwurf
der unsittlichen Lebensweise in Schutz (§ 181).13 Seine Beweisführung fiel bei
den Zeitgenossen in doppelter Hinsicht auf fruchtbaren Boden: Die Existenz
tugendhafter Heiden, allen voran Sokrates, Platon und Cicero, hatte seit je-
her auf eine empfindliche Schwachstelle in der christlichen Moraltheologie
verwiesen – die pflichtschuldige Behauptung selbst eines Melanchthon, dass
es sich dann eben um keine echte Sittlichkeit gehandelt habe,14 wurde gegen
zunehmenden Widerspruch15 zwar bis ins 18. Jahrhundert nachgesprochen,
nach 1720 aber wohl kaum noch ernst genommen.16 Darüber hinaus rannte
der Hinweis auf sünd- und lasterhafte Umtriebe in der Christenheit im letzten
Drittel des barocken Jahrhunderts zumindest in Deutschland offene Türen ein
( II.2–4).
Tatsächlich lassen sich im Rückblick zwischen Bayles berühmt gewordener
Argumentation und der Apologetik aus dem Umfeld der großen Frömmig-
keitsbewegungen auffallende Ähnlichkeiten feststellen,17 die in der ideenge-

donner du courage, seroit bien plus facile à dissiper qu’une Societé de gens qui servent des
Dieux […].« (I 343)
11
Gianni Paganini hat eine originelle Deutung des berühmten Bayle-Theorems
vorgeschlagen (vgl. Paganini 1980, S. 209 f.). Er vergleicht die Hypothese von einer Ge-
sellschaft von Atheisten mit der berühmten Etiamsi daremus-Formel von Hugo Grotius
(»ipotesi que Dio non esistesse«, 209 f.), mehr noch: er sieht darin (209) sogar ihre Weiter-
bildung (»estensione«) und Anwendung (»applicazione«).
12
§ 161: »Après toutes ces remarques, je ne ferai pas difficulté de dire, si on veut sa-
voir ma conjecture touchant une Societé d’Athées, qu’il me semble qu’à l’égard des mœurs
et des actions civiles, elle seroit toute semblable à une Societé de Payens. Il y faudroit à la
verité des loix fort sévères, et fort bien exécutées pour la punition des Criminels. Mais n’en
faut-il pas par tout?« (II 77 f.)
13
Vgl. Czelinski-Uesbeck 2007, S. 110–115; die daraus entstehenden moralphiloso-
phischen Aporien entwickelt Schröder 2004.
14
Hier nach der deutschen Ausgabe: Philipp Melanchthon, Heubtartikel christlicher
Lere. Melanchthons deutsche Fassung seiner Loci Theologici nach dem Autograf und dem
Originaldruck von 1553 hg. von Ralf Jenett und Johannes Schilling. Leipzig 2002, S. 89:
»Ist diser verstand von gott nicht gnug? Antwort: Dieser gesetz verstand von gott ist nicht
gnugsam. […] Der selbig naturlich verstand sagt allein von gesetz und straff und sagt nicht,
das gott umb seines Sons willen auß gnaden unß sund vergeben und gerechtigkeit und
seligkeit geben wölle. Davon wissen Socrates, Xenophon, Plato, Aristoteles, Cicero, Cato
nichts.«
15
Hierher gehört etwa die schon von Colbe ( II.2.3) befehdete Religio medici
(1642) von Thomas Browne; mehr zu derartigen Rehabilitierungsversuchen weiter unten,
Kap. IV.5 (dort auch zu Browne).
16
Vgl. dazu, am Beispiel der Sokratesrezeption, die Längsschnittuntersuchung von
Spiekermann 2012b; sowie die materialreiche Fallstudie von Eickmeyer 2012.
17
Nicht zufällig zitiert Bayle in diesem Zusammenhang mehrfach (§§ 121, 150, 158
u. ö.) ausführlich aus der Schrift La Foi des derniers siècles des mit Huet befreundeten Je-
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Pierre Bayles Angriff auf die Apologetik 337

schichtlich orientierten Atheismusforschung häufig übersehen werden.18 Denn


wie in den vorhergehenden Kapiteln immer wieder hervorgehoben wurde,
zielte ja gerade das Modell des praktischen Atheismus seit Voetius auf Chris-
ten, deren Lebensweise ihrem Bekenntnis zuwiderläuft. Und da Bayle be-
kanntlich sehr fromm war, kann sein Einwand in dieser Hinsicht durchaus in
einer Linie mit der frühpietistischen Kirchenkritik gesehen werden, die ja nicht
müde wurde, das »ungöttliche Wesen unter den Christen« (Leuckfeld) zu be-
klagen.19 Es wurden daraus nur unterschiedliche Konsequenzen gezogen: Die
Lösung der protestantischen Reformorthodoxie bestand, wie ausführlich dar-
gelegt wurde, in einer Annäherung von Sünden- und Atheismusbegriff bis hin
zur vollständigen Identifikation. Dabei machten sich die im Reformprotestan-
tismus verschärften Maßstäbe für die ›wahre‹ Frömmigkeit geltend. Dagegen
lässt Bayles Argumentation auch das bloße Bekenntnis zur christlichen (oder
jeder anderen) Religion gelten, das von den Anhängern des frühen Pietismus
als »Maul- und Schein«-Christentum denunziert wurde.20 Dementsprechend
unterscheidet er auch nicht, wie die Mehrzahl der deutschen Theologen vor
1700, zwischen einem heimlichen Atheismus in corde und der expliziten Got-
tesleugnung (§ 130).21 Da nur Gott in das menschliche Herz zu sehen vermöge,
so Bayles launige Begründung, sei es müßig, über verborgenen oder geheimen
Atheismus zu spekulieren – das moralische Verhalten allein sieht er nicht als
brauchbares Kriterium an (§ 160).22 Für ihn zählt allein die (auch forensisch)

suitenpaters Pierre Rapin (Paris 1679). Zwar teilt er nicht dessen Schlussfolgerungen, den
Beobachtungen hinsichtlich des Sittenverfalls innerhalb der Christenheit stimmt Bayle
aber durchweg zu, sie bilden ja das stärkste Argument für seine bekannte These. Die Ähn-
lichkeiten zwischen Rapins Klagen über die Verfallenheit der Zeitgenossen an »les plaisirs,
les honneurs, les richesses« (La Foi des derniers siècles, S. 164), den Zeitgeist (»l’amour du
siecle«, ebd., S. 163), die Welt überhaupt (»cet amour du monde«, ebd.) und den Schriften
der deutschen Reformorthodoxie im Gefolge Arndts und des Puritanismus sind unüber-
sehbar.
18
In der kirchengeschichtlichen Forschung dagegen ist die pietistische Baylerezepti-
on sehr wohl ein Thema; vgl. Beyreuther 1962 und 1975.
19
Der Ausdruck nach dem Titel von Johann Georg Leuckfeld, Der verführerische
Atheisten Hauffe Und das Ungöttliche Wesen unter den Christen, o. O. 1699. Zu Leuck-
feld, der das Konzept des praktischen Atheismus weiter radikalisieren und mit dem puri-
tanischen Wiedergeburtskonzept verbinden sollte, s. weiter oben, Kap. II.3.3.
20
Stellvertretend für viele weitere Belege: ebd., S. 131.
21
»Et qu’on ne me dise pas, que ceux qui ont exécuté ces crimes parmi les Payens,
étoient Athées dans l’ame: car il faut raisonner d’eux comme des Chrêtiens, qui se portent
à ces mêmes crimes. Il seroit absurde de pretendre qu’ils ne reconnoissent aucun Dieu.«
(I 338) – Ähnlich § 139: »On ne peut pas me répondre, que les Chrêtiens qui ne vivent
pas conformément aux principes de leur Religion, ne sont pas persuadez de nos mystéres,
et que ce sont autant d’Athées cachez. Car outre que ce seroit multiplier terriblement les
Athées, contre le sentiment de plusieurs celébres Auteurs, qui ne croyent pas qu’il y ait
jamais eu homme pleinement persuadé de l’Atheïsme […].« (II 18)
22
»Car de dire qu’il n’y a que la malice du cœur, qui soit capable d’offusquer
l’évidence des veritez Evangéliques, c’est en verité s’ériger en juge d’une chose qui
n’est pas trop de nôtre ressort, puis qu’il n’y a que Dieu qui connoisse certainement ce
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338 Im Vorfeld der Aufklärung

nachweisbare Äußerung atheistischer oder deistischer Ansichten, wie ähnlich


schon in der frühneuzeitlichen Staats- und Naturrechtslehre ( I.3), später
auch bei Thomasius, Gundling und Wolff ( V.2–4).
Obgleich sich Bayle an keiner Stelle direkt auf Voetius bezieht, ist diese
Entscheidung doch nicht zuletzt gegen das Modell des praktischen Atheismus
gerichtet, wie es ja implizit schon in den reformatorischen Psalterkommenta-
ren vorlag ( I.1). Anstatt den praktischen Verstoß gegen einmal akzeptierte
Glaubensnormen als Zeichen für eine fehlende oder fehlerhafte Überzeugung,
wenn nicht gar per se als Atheismus zu werten, sieht Bayle darin, ähnlich wie
Luther, den anthropologischen Normalfall. Dieser ergibt sich für ihn aus der
konstitutiven Schwäche des menschlichen Willens, welcher durch Neigungen
und Leidenschaften mehr bestimmt werde als durch Überzeugungen oder ver-
nünftige Einsicht (§ 135):

C’est que l’homme ne se détermine pas à une certaine action plutôt qu’à une autre,
par les connoissances genérales qu’il a de ce qu’il doit faire, mais par le jugement par-
ticulier qu’il porte de chaque chose, lors qu’il est sur le point d’agir. Or ce jugement
particulier peut bien être conforme aux idées genérales que l’on a de ce qu’on doit
faire, mais le plus souvent il ne l’est pas. Il s’accommode presque toûjours à la passion
dominante du cœur, à la pente du tempérament, à la force des habitudes contractées,
et au goût ou à la sensibilité que l’on a pour certains objets. (II 9 f.)

Keineswegs also plädiert Bayle für die generelle Suffizienz einer rational be-
gründeten Ethik. Zwar hält er den Menschen für fähig, das moralische Ge-
setz zu erkennen;23 von dieser Erkenntnis führe aber kein direkter Weg zum
moralischen Handeln (§ 135).24 Seine berühmt gewordene These, dass Athe-
isten ebenso gut tugendhaft sein könnten wie Gläubige, könnte also auch
dahingehend lauten, dass sie es ebenso wenig können. Dass Bayles hier sicht-
barer »anthropologische[r] Pessimismus« (E. Labrousse)25 nicht nur in einer
weltklugen Moralistik wurzelt, wie sie zeitgleich auch La Bruyère ( IV.4.2)

qui se passe dans l’homme, et la proportion des objets avec les dispositions de l’enten-
dement.« (II 73)
23
Die Gültigkeit des natürlichen Moralgesetzes gehört zu den wenigen Punkten, die
von Bayles Skeptizismus verschont bleiben; vgl. dazu Labrousse 1964, Bd. 2, S. 257–289
(»La Morale naturelle«).
24
»La conscience connoit en genéral la beauté de la vertu, et nous force de tomber
d’accord qu’il n’y a rien de plus loüable que les bonnes mœurs. Mais quand le cœur est une
fois possédé d’un amour illégitime; quand on voit qu’en satisfaisant cet amour, on goûtera
du plaisir, et qu’en ne le satisfaisant pas, on se plongera dans des chagrins et des inquiétudes
insupportables; il n’y a lumiére de conscience qui tienne, on ne consulte plus que la passi-
on, et on juge qu’il faut agir hîc et nunc contre l’idée genérale que l’on a de son devoir.« (II
10) – Ebenso wenig später: »Ne donnant presque jamais dans des faux Principes, retenant
presque toûjours dans sa Conscience les idées de l’équité naturelle, il conclut neanmoins
presque toûjours à l’avantage de ses desirs déreiglez.« (II 11)
25
Labrousse 1993, S. 1039; vgl. ausführlich Labrousse 1964, Bd. 2, Kap. 4 (Le fait de
l’athéisme et les facteurs de la sociabilité: pessimisme et naturalisme).
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Pierre Bayles Angriff auf die Apologetik 339

und Pascal vertraten (IV.3.3),26 sondern zugleich auf einem sündentheolo-


gischen Fundament ruht, wird in der mir bekannten ideengeschichtlichen
Atheismusforschung zumeist ausgeblendet. Dabei zeigt sich gerade an die-
ser Stelle, wie eng sich Bayles Argumentation mit derjenigen der religiösen
Frömmigkeitsbewegungen berührt. Zwar untermauert er seine zentrale The-
se, dass die Menschen nicht nach ihren Überzeugungen handeln, gewöhn-
lich mit dem Hinweis auf die Erfahrung.27 An mehreren Stellen der Pensées
diverses entfaltet er jedoch die theologische Grundlage seines Menschenbil-
des: Als gläubiger Protestant gibt er sich überzeugt von der grundsätzlichen
›Verderbnis‹ (corruption) der menschlichen Natur, besonders des mensch-
lichen Willens, der durch Vernunftgründe ebenso wenig zu bestimmen sei
wie durch religiöse Empfindungen.28 Gerade weil dieser Befund durch die
tägliche Erfahrung bestätigt werde, hebt Bayle den darin liegenden apologe-
tischen Nutzen hervor (§ 160):

Plus on prouve la corruption de l’homme, plus on oblige la raison à croire ce que


Dieu nous a revélé de la chûte d’Adam. Si bien qu’il est plus utile qu’on ne pense à la
Religion, de prouver que la malice des hommes est si prodigieuse, qu’il n’y a qu’une
grace particuliére du St. Esprit qui la puisse corriger, et que sans cette grace, c’est toute
la même chose à l’égard des mœurs, ou d’être Athée, ou de croire à tous les canons des
Conciles. Cela est si vrai, que vous ne voiez guere d’Esprit fort qui veuille convenir de
la corruption de l’homme. (II 75 f.)29

26
Solche geistesgeschichtlichen Bezüge finden sich häufiger in der älteren Literatur.
Vgl. den Überblick im Neuen Ueberweg 17/2, 1993, S. 181–186 (Roger Zuber).
27
Insbesondere an zentraler Stelle (§§ 133–136), wo Bayle seine berühmt These
entwickelt. Nachdem er die traditionelle Vorstellung von der sittlichen Verderbtheit der
Atheisten vorgestellt und die herkömmlichen Begründungen referiert hat (§ 133), setzt er
in § 134 zum Gegenzug an: »Tout cela est beau et bon à dire, quand on regarde les choses
dans leur idée, et qu’on fait des abstractions metaphysiques. Mais le mal est, que cela ne se
trouve pas conforme à l’expérience.« (II 8)
28
Die Ansicht von der »corruption de l’homme« findet sich vor allem in den §§ 131,
146 und 160, erneut am Ende von § 186. – Entsprechend kann auch A. Prat, der Her-
ausgeber der kritischen Edition der Pensées diverses, in einer Anmerkung zu § 160 fest-
halten: »Bayle conserve les idées chrétiennes de la corruption foncière de l’âme humaine,
s’écartant en ceci de Descartes et de Spinoza.« Pensées diverses, Bd. 2, S. 75, Anm. 1. Er
verweist auch auf die Studie von Delvolvé 1906, S. 103, 377 u. 423. – Aus der einschlägigen
Bayle-Literatur vgl. bes. Labrousse 1964, S. 346–386 (»Le problème du mal«); Bost 2006,
S. 192 f.; von kirchengeschichtlicher Seite, Stricker 2003, S. 110–113, 116–21, 160–163 u. ö.
(Sachregister s. v. ›Sünde‹). – Bayles Verhältnis zur Reformation, nicht zuletzt zu Luther
und Melanchthon, den er besonders schätzte, untersucht ausführlich Tinsley 2001, bes.
S. 53–80 (Luther), 82–96 (Melanchthon) und 12–228 (Calvin); zu Bayles Melanchthonbild
vgl. ferner Paganini 1980, S. 75–81.
29
Wem diese Aussage noch nicht eindeutig genug ist, weil Bayle hier mehr den ar-
gumentativen Wert der Sündenlehre zu ponderieren scheint, der kann sich anhand einer
Bemerkung in der Addition aux Pensées vergewissern, in der sich Bayle an die Sündenlehre
anschließt, wie sie in der Synode von Dordrecht zur Richtschnur für den Calvinismus
erklärt wurde: »Si je dis que les Athées peuvent être aussi reglez dans leur moeurs que les
Payens, c’est en supposant la doctrine du Synode de Dordrecht, selon laquelle l’homme
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340 Im Vorfeld der Aufklärung

Von dieser Verderbnis seien die Gläubigen – bezeichnenderweise führt Bay-


le zunächst heidnische ›Götzenverehrer‹ an – nicht minder betroffen als die
Atheisten.30 Entscheidend für den Grad des tugendhaften Verhaltens sei das in-
dividuelle Temperament, das es einem Menschen erlaube, sich nach den einmal
gefassten Grundsätzen auch zu richten (§ 144).31 Wer also in der Lage sei, seine
Leidenschaften und Begierden anhand der christlichen Lehre im Zaum zu hal-
ten, der könne das auch durch jede andere Sittenlehre bewirken. Starke Lei-
denschaften und Gewohnheiten dagegen würden den Christen ebenso bestim-
men wie den Ungläubigen oder den Götzendiener. Viele Christen seien zudem
eher zufällig in der Situation, dass die praktischen Forderungen der Religion
mit ihren instinktiven Neigungen übereinstimmen würden, und nur deswegen
in der Lage, sie zu erfüllen; andere täten es aus Furcht (§ 137).32 Einmal mehr
wird hier deutlich, dass Bayle nicht behaupten will, der Mensch könne kraft
seiner eigenen Vernunft oder aufgrund einer naturgegebenen Güte moralisch
handeln. Seine moralistisch-affektpsychologische Argumentation ist vielmehr
geradewegs gegen die rationalistische Ethik gewendet, wie sie etwa Descartes
oder Spinoza vertraten.33

naît tellement corrumpu, que sans la grace efficace du Saint-Esprit, il ne peut sortir de
l’esclavage du peché, ni faire aucune bonne œuvre; de sorte qu’il n’a point d’autre prin-
cipe de ses actions que l’amour propre, son temperament, sa vanité, l’envie d’être loüé des
hommes, etc.« (Hier zit. nach Pensées diverses, ed. Prat, Bd. 2, S. 77, Anm. 1.)
30
Vgl. die Überschrift des § 146: »Que la bonne Theologie fait voir, que la corrup-
tion de la nature n’est pas mieux corrigée dans les Idolâtres, que dans les Athées.« (II 37).
31
»Et soyez asseuré, que si l’Idolâtre se trouve pourveu d’un corps qui le rende ex-
trémement sensible à la bonne chére, impudique, violent et fier, il sera incomparablement
plus grand pécheur, qu’un Athée d’un tempérament froid et pacifique.« (II 33) – Ganz
ähnlich wird später auch Thomasius argumentieren ( IV.2.4).
32
»Ainsi demeurons-en à nôtre maxime, et avoüons de bonne foi, que si les hommes
observent plusieurs cérémonies en vertu de la Religion qu’ils professent, ou de la persua-
sion où ils sont que Dieu le veut, c’est parce que cela ne les empêche pas de satisfaire les
passions dominantes de leur cœur, ou même parce que la crainte de l’infamie et de quelque
châtiment temporel les y engage. « (II 16)
33
Das verrät auch eine Bemerkung zu Beginn des zentralen Kapitels zum Thema
Atheismus und Tugend (§ 133), wo Bayle die zeitgenössische Vernunftanthropologie als
»Vorurteil« hinstellt: »ce qui nous persuade que l’Atheïsme est le plus abominable état où
l’on se puisse trouver, n’est qu’un faux prejugé que l’on se forme touchant les lumieres
de la conscience […]. Car voici le raisonnement que l’on fait. L’homme est naturellement
raisonnable, il n’aime jamais sans connoitre, il se porte nécessairement à l’amour de son
bonheur, et à la haine de son mal-heur, et à donner la preférence aux objets qui lui semblent
les plus commodes.« (II 6, Hervorh. d. Verf.). – Das Verhältnis Bayles zum Rationalismus,
speziell zum Cartesianismus, ist seit langem Thema in der Bayle-Forschung. Vgl. exempla-
risch Popkin 1965; Paganini 1980, S. 29–31, 98–100, 343–346 (zum Dictionnaire); ausführ-
lich Ryan 2009, bes. S. 8–32 (Kap. Bayle and Cartesianism); zu Bayles Sicht auf Descartes
und Spinoza vgl. Dierse 2004.
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Pierre Bayles Angriff auf die Apologetik 341

2.2 Tugend durch ›wahre‹ Religion?


Bayles Konzept der véritable devotion

Abschließend stellt sich die Frage, auf welche Weise Bayle moralisches Han-
deln denn überhaupt für möglich hält, wenn er sich nicht allein auf eine günstige
Verteilung von Temperamenten und Leidenschaften in der Bevölkerung eines
Staates verlassen will. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass er die moralische
Wirkung der Religion nicht generell abstreitet. Sie ersetze zwar keine staatli-
che Gesetzgebung (§ 161),34 habe aber doch in der heidnischen Antike – unter-
stützt durch eine obrigkeitlich angeordnete Pflicht zum Gottesdienst – »ganz
gewiß« vielerlei Laster verhindert (§ 133).35 Dass Bayle der Religion, selbst der
heidnischen ›Götzenverehrung‹, staatserhaltende Funktion zuschreibt, wurde
bereits erwähnt.36 Auch der christlichen Sittenlehre als solcher stellt er prinzi-
piell ein gutes Zeugnis aus (§ 136).37 Mehr noch: Mit der Mehrheit der früh-
neuzeitlichen Theologen und Staatsdenker stimmt er der Ansicht zu, dass man
aus der negatio Dei theoretisch die Lizenz zur Anomie herleiten könne.38 Das

34
»Et oserions-nous sortir de nos maisons, si le vol, le meurtre, et les autres voyes de
fait étoient permises par les loix du Prince? N’est-ce pas uniquement la nouvelle vigueur
que le Roy a donnée aux loix pour reprimer la hardiesse des Filoux, qui nous met à cou-
vert de leurs insultes la nuit et le jour dans les ruës de Paris? Sans cela ne serions-nous pas
exposez aux mêmes violences que sous les autres Regnes, quoi que les Predicateurs et les
Confesseurs fassent encore mieux leur devoir qu’ils ne faisoient autrefois?« (II 78)
35
»C’est par là qu’on a tenu en bride de tout tems les passions de l’homme: et il est
seur qu’on a prevenu quantité de crimes dans le Paganisme, par le soin qu’on avoit de
conserver la memoire de toutes les punitions éclatantes des scelerats, et de les attribuer à
leur impieté, et d’en supposer même quelques exemples, comme étoit celui qu’on débita
du tems d’Auguste, à l’occasion d’une Temple d’Asie pillé par les soldats de M. Antoine.«
(II 7) – Bayle gerät hier, wohl nicht zufällig, in deutliche Nähe zu Machiavelli, der in den
Discorsi ganz ähnliche Beispiele anführt (s. dazu oben, Kap. I.3.2).
36
Vgl. auch Paganini 1980, S. 205–210.
37
Dass aus der christlichen Lehre die Forderung folge, sich vom Laster freizuma-
chen, steht für Bayle außer Frage; man halte sich eben nur nicht daran: »Et si cela n’étoit
pas, comment seroit-il possible que les Chrêtiens qui connoissent si clairement par une
revélation soûtenuë de tant de miracles, qu’il faut renoncer au vice pour être éternellement
heureux, et pour n’étre pas éternellement malheureux; […] comment, dis-je, seroit-il pos-
sible parmi tout cela, que les Chrêtiens vecussent, comme ils le font, dans les plus énormes
déreglemens du vice?« (II 12 f.)
38
Bayle referiert dabei die gängige Meinung der Apologetik (§ 133): »Mais s’il ignore
qu’il y ait une Providence, il regardera ses desirs comme sa derniére fin, et comme la regle
de toutes ses actions: il se moquera de ce que les autres appellent vertu et honnêteté, et il ne
suivra que les mouvemens de sa convoitise.« (II 6) – Der »Idee« nach (s. u.) stimmt Bayle
diesen wohlbekannten Überlegungen zu, billigt ihnen nur angesichts der menschlichen
Natur wenig Realitätsgehalt zu (§ 134): »Tout cela est beau et bon à dire, quand on regarde
les choses dans leur idée, et qu’on fait des abstractions metaphysiques. Mais le mal est, que
cela ne se trouve pas conforme à l’expérience.« (II 8) – Zur Unterscheidung von ideeller
(oder ›hypothetischer‹) und empirisch-realer Religion bei Bayle vgl. Paganini 1980, S. 205;
Stricker 2003, S. 41 f.
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342 Im Vorfeld der Aufklärung

sind aber für Bayle bloß abstrakte Überlegungen, die keine Verbindlichkeit
für das praktische Handeln besitzen, das bestätige »l’Histoire et le train de la
vie« (II 35). Schließlich, so sein bekanntes Fazit, zeige der gegenwärtige Stand
der christlichen Welt zur Genüge, dass das Evangelium nicht hinreiche, die
lasterhaften Neigungen der Menschen zu bändigen. Deshalb hält Bayle, nach
Maßgabe von Erfahrung und Wahrscheinlichkeit, allein Gesetze für fähig, das
moralische Handeln der breiten Bevölkerung sicherzustellen (§ 131).39 Mit ei-
ner wichtigen Ausnahme: Auf sie soll abschließend noch hingewiesen werden,
obwohl sie von den Zeitgenossen mehrheitlich übersehen wurde.
Eben hieß es schon, dass Bayle im Rahmen seiner Überlegungen zum tu-
gendhaften Atheisten unter Religion die subjektive Überzeugung von der
Existenz einer Gottheit verstand.40 Als systematischer Gegenbegriff zum
Atheismus ist das durchaus genügend. Zudem entwickelt Bayle seine The-
sen ja aus einer Kritik des (heidnischen) Aberglaubens heraus (§§ 105–129),
den er explizit nicht mit Religion gleichsetzt,41 aber deutlich vom Atheismus
unterscheiden kann.42 Seine provokante Argumentation legt also einen höchst
allgemeinen Begriff von Religion zugrunde, wie er sich, unterstützt durch Eth-
nografie und Religionsphilosophie, erst seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zu
bilden begann.43 Für den spezielleren Fall der christlichen Religion setzt Bayle
als Kriterium für Gläubigkeit die subjektive Überzeugung von der Wahrheit
des Evangeliums voraus.44 Dass nun diese Art von Überzeugung – so wie jede
andere – nicht ausreiche, die daraus ableitbaren moralisch-praktischen For-
derungen zu erfüllen, bildet den roten Faden seiner Argumentation. Daraus

39
»De sorte que la concupiscence étant la source de tous les crimes, il est evident, que
puis qu’elle regne dans les Idolâtres, aussi bien que dans les Athées, les Idolâtres doivent
être aussi capables de se porter à toute sorte de crimes, que les Athées; et que les uns et les
autres ne sauroient former des Societez, si un frein plus fort que celui de la Religion, savoir
les loix humaines, ne reprimoit leur perversité.« (I 342) – Bilanzierend, nach ausführlicher
Begründung, im zentralen § 161, wo die Möglichkeit eines atheistischen Gemeinwesens
behauptet wird: »On peut dire sans faire le Declamateur, que la Justice humaine fait la
vertu de la plus grande partie du monde. car dés qu’elle lâche la bride à quelque peché, peu
de personnes s’en garantissent.« (II 78)
40
Zu Bayles Religionsbegriff vgl. Feil 2001, S. 450–462.
41
So bereits Mauthner 1920–1923, Bd. 2, S. 264 (mit Blick auf die Continuation, aber
übertragbar auf die Pensées diverses): »Der Gedankengang Bayles wird unverständlich,
wenn man nicht die Ironie durchschaut hat, mit welcher er – und mit ihm seine Leser –
zum Beispiel des Aberglaubens nur das Heidentum anführt, aber doch wohl an jede posi-
tive Religion, wie gesagt, denken läßt.«
42
Vgl. ausführlich Paganini 1980, S. 3–17, bes. S. 16 f. zur Gegenüberstellung von
Atheismus und Aberglauben.
43
So das grundlegende Beweisziel der Ausführungen von Feil 2001 im Kontext
seiner vierbändigen Studie Religio. Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs (1986–
2007). Das ideengeschichtliche Telos dieser Entwicklung liegt bekanntlich in der Formel
vom »Wesen der Religion« seit dem Ende des 18. Jahrhunderts; vgl. dazu den Überblick
von Nüssel 2004.
44
Vgl. Stricker 2003, S. 51–62.
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Pierre Bayles Angriff auf die Apologetik 343

kann aber umgekehrt gerade nicht gefolgert werden, Bayle habe den Zusam-
menhang von Religion und Moral vollständig entkoppelt und womöglich eine
autonome Moralbegründung vorgenommen.45 Entscheidend ist vielmehr, was
im jeweiligen Fall unter Religion verstanden wird.
Tatsächlich entwickelt Bayle an einigen Stellen der Pensées ein Verständnis
von christlicher Frömmigkeit, das über die bloße ›Überzeugung‹ hinausgeht
und für ihn dann sehr wohl auch sittlich-moralische Implikationen besitzt.
Eben dort zeigt sich einmal mehr die inhaltliche Nähe zu den christlichen Re-
formbewegungen des 17. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht auch hier die au-
gustinische Sündenanthropologie,46 die das menschliche Heil einzig und allein
in der göttlichen Gnade sehen kann.47 Das betrifft nicht nur die Frage nach
Rechtfertigung und Erlösung, wie schon in der reformatorischen Auseinan-
dersetzung mit der Werkgerechtigkeit, sondern bereits den Unterschied zwi-
schen einem bloß äußerlichen Bekenntnis48 und der »wahren Andacht« (»la
véritable devotion«), wie es Bayle selber nennt.49 Der »wahre Glaube« (»une
véritable foi« [§ 150]),50 verstanden als Liebe zu Gott, so hält Bayle in Überein-
stimmung etwa auch mit Luthers Römerbriefvorrede fest, entstehe im Men-
schen nicht durch rationale Einsicht oder Willenskraft, sondern allein durch
die göttliche Gnade mittels des Heiligen Geistes.51 Diese Möglichkeit wird im
Zuge seiner Beweisführung allerdings zumeist negativ oder als kaum erreich-
bares Ziel formuliert und ist daher leicht zu übersehen (§ 131):

45
Vgl. dazu Schröder 2004, der eine solche Moralbegründung ebenfalls nicht fin-
det; kritisch dagegen Czelinski-Uesbeck 2007, S. 112 f. – Dass sich aus Bayles zahlreichen
Äußerungen zum Thema, auch in späteren Schriften, keine konsistente Position ermitteln
lässt, erschwert ein eindeutiges Urteil, gehört aber zu dem für Bayle (wie später für Les-
sing) typischen kritischen Verfahren. Zu diesem Schluss gelangt auch, mit Blick auf Bayles
Wörterbuch, Lothar Kreimendahl (vgl. Kreimendahl 1994, S. 323).
46
Bayle bezieht sich ausdrücklich auf Augustin in § 146; Labrousse zufolge liegt bei
Bayle ein »säkularisierter Augustinismus« vor (Neuer Ueberweg 17/2, 1993, S. 1038).
47
Zu Bayles Gnadenverständnis vgl. Stricker 2003, S. 40, 59, 176–179, 204, 211 u. ö.
(Sachregister); Paganini 1980, S. 167–172.
48
Auf diese grundlegende Denkfigur der Reformorthodoxie kommt Bayle im Ver-
lauf der Pensées diverses mehrfach zurück, bes. § 191 (»Si la profession exterieure de Reli-
gion que font les Athées, leur peut faire quelque bien.« II 158)
49
Verschiedene Gedanken, S. 320 (§ 150); Pensées diverses, ed. Prat, Bd. 2, S. 47. –
Die Unterscheidung zwischen äußerlichem Bekenntnis und ›wahrer‹ Herzensfrömmigkeit
bildet den Ansatzpunkt für viele geistliche Heterodoxien, insbesondere die sogenannten
linksreformatorischen Bewegungen; sie liegt aber auch schon in der Antike vor. So trennt
Polybios zwischen religio und pietas; vgl. die gründliche Untersuchung von Dörrie 1974.
50
Nachweis s. u.
51
»Si vous examinez bien ceci, je m’asseure, Mr. que vous y trouverez un argument
invincible, pour prouver que nous avons besoin de l’operation intérieure du St. Esprit, afin
d’aimer Dieu.« (II 67) – Schon der Titel des § 157 deutet darauf hin: »Raison trés-forte
pour prouver la necessité de la grace.«
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344 Im Vorfeld der Aufklärung

Disons donc, que quand on n’est pas veritablement converti à Dieu, et qu’on n’a pas
le cœur sanctifié par la grace du Saint Esprit, la connoissance d’un Dieu et d’une Pro-
vidence est une trop foible barriere pour retenir les passions de l’homme, et qu’ainsi
elles s’echappent aussi licentieusement qu’elles feroient sans cette connoissance-là.
(I 341)

Daraus darf man im Umkehrschluss folgern, dass ein »geheiligtes Herz« einen
derartigen ›Riegel‹ für die Leidenschaften darstellen könne.52 Auf diese Weise
entstehe, wie es wenig später heißt, ein Glaube, »une véritable foi, qui n’est jama-
is séparée de l’amour de Dieu« (II 49) und deshalb auch den Menschen wirksam
zur Tugend motiviere.53 Das bedeutet nicht weniger, als dass es für den Bay-
le der Pensées diverses eben doch einen zwingenden kausalen Zusammenhang
zwischen Religion und moralischem Handeln geben kann, sofern nämlich der
individuelle Glaube nicht bloß äußerlich oder bloß rational bleibt,54 sondern
durch die Gnade Gottes im menschlichen Herzen gewirkt wird. In Überein-
stimmung mit den Diagnosen der großen Frömmigkeitsbewegungen – er beruft
sich besonders auf den schon genannten Rapin – glaubt Bayle zwar empirisch
feststellen zu können, dass die Mehrzahl aller Christen von dieser Heiligung
des Herzens weit entfernt sei. Im Gegensatz zu Voetius und den frühen Pie-
tisten weigert er sich jedoch, jeden lasterhaften – oder, in der Terminologie des
Puritanismus, nicht wiedergeborenen – Christen schon gleich als Atheisten zu
klassifizieren. Er sieht darin nichts als ein Wortspiel. Gläubig ist für Bayle, wer
in der Überzeugung von der Wahrheit des Evangeliums lebt (§ 150):

[…] car on peut manquer de la véritable foi, c’est à dire de cette disposition de cœur
qui nous porte à renoncer à tout ce que nous connoissons contraire à la volonté de
Dieu, et croire neanmoins que la doctrine de l’Evangile est véritable. Ainsi on se joüe
de l’ambiguité des mots, quand on dit que les désordres de ce siecle procedent de
l’affoiblissement de la foi. Si on entend qu’ils procedent de l’affoiblissement de cette
vertu Chrêtienne qui fait qu’on sacrifie à la volonté de Dieu toutes ses mauvaises in-
clinations, on a raison. Mais si on entend qu’ils procedent d’un défaut de persuasion,
c’est à dire que nous vivons mal, parce que nous regardons les choses que l’on nous
prêche, comme des propositions problematiques, dont il ne nous reste aucune assu-
rance, on a grand tort. (II 50)

52
Das Bild des Riegels (›repagulum‹) oder Zügels (›frenum‹) haben wir bereits in den
reformatorischen Psalterkommentaren und der frühneuzeitlichen Staatslehre kennenge-
lernt ( I.1–3).
53
Bayle entwickelt diese Aussage in Replik auf die erwähnte Schrift Rapins (§ 150):
»Je lui répons, que si nous avions une véritable foi, qui n’est jamais séparée de l’amour de
Dieu, et si nous suivions les lumiéres de nôtre conscience, et si nous étions de véritables
Chrêtiens, nous ne vivrions pas dans ces désordres.« (II 49 f.)
54
So heißt es – durchaus gegen die Bemühungen der rationalistischen Apologetik
gemünzt – über denjenigen Glauben, der nicht durch den Heiligen Geist, sondern durch
menschliche Überzeugung gewirkt wird (§ 131): »Tout ce que cette conoissance peut pro-
duire, ne va guere que jusqu’à des exercices exterieurs, que l’on croit pouvoir reconcilier
les hommes avec les Dieux.« (I 341 f.)
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Pierre Bayles Angriff auf die Apologetik 345

Vor diesem Hintergrund erscheint Bayles Position erst recht in ihrer überra-
schenden Nähe zu den großen christlichen Frömmigkeitsbewegungen seiner
Zeit. Nicht nur teilte er, wie oben aufgezeigt wurde, deren pessimistische An-
thropologie und moralistische Methodik; er stellte auch höchste Ansprüche
an den ›wahren‹ christlichen Glauben. Seine aus heutiger Sicht entscheidende
Feststellung, dass sich die wenigsten Christen tugendhaft verhalten würden,
war nicht nur bei Luther, sondern auch bei Voetius und Vertretern des frühen
Pietismus vorgeprägt. Das berühmte, geradezu epochemachende Argument
von der Tugendhaftigkeit der Atheisten ist insofern weit stärker theologie-
und frömmigkeitsgeschichtlich einzuordnen, als es gewöhnlich geschieht.

2.3 Vergeblicher Einspruch?


Überlegungen zur verzögerten Wirkung
des Bayle-Theorems in Deutschland

Bayles Stellungnahmen zum »Problem des Atheismus« (L. Febvre) können in


ihrer Wirkung auf die deutsche Atheismusdebatte um 1700 kaum überschätzt
werden.55 Wirkung ist hier aber gerade nicht gleichbedeutend mit Durchset-
zung. Mittels der Behauptung, Atheisten könnten tugendhaft sein, hatte Bayle
in ein Wespennest gestochen. Immerhin zielte diese These in das geheime Zen-
trum der antiatheistischen Literaturproduktion, und zwar auch in jene Berei-
che, wo sich die Theologie mit durchaus fortschrittlichen Tendenzen verband.
Tatsächlich reagierte Bayle, ähnlich wie später Lessing, mit seiner Provokation
auch gar nicht so sehr auf die katholische oder altprotestantische Orthodoxie.
Mindestens ebenso sehr zielte er auf die rationalistische Apologetik, wie sie
etwa von den protestantischen Refugiés vor und nach der Vertreibung der Hu-
genotten aus Frankreich entwickelt worden war.56 Was seine Argumentation
für diese Kreise so gefährlich werden ließ, war sein Ziel, die Unzulänglichkeit
der Vernunft für den Beweis einer Wahrheit des Christentums zu demonstrie-
ren. Gerade weil er damit ideengeschichtlich seiner Zeit voraus gewesen sein
mag (erst Kant sollte dann die Unmöglichkeit rationaler Gottesbeweise um-
ständlich darlegen), lässt sich so vielleicht erklären, warum seine theologische,
mehr noch seine populäre Wirkung vorerst begrenzt blieb. Denn der Allianz
von Theologie und (methodisch operationalisierter) Vernunft gehörte für die
folgenden Jahrzehnte, zumindest in Großbritannien und im deutschsprachi-
gen Protestantismus, die Zukunft. Sie eroberte – nicht zuletzt über die Medien
der entstehenden literarischen Öffentlichkeit (z. B. die Moralischen Wochen-

55
Die Formulierung einmal mehr nach Febvre 1947. – Zur Wirkung Bayles in
Deutschland vgl. nach wie vor Sauder 1975; ferner Dingel 1999 und 2004; Czelinski-Ues-
beck 2007, S. 116–131, sowie Quéval 2006 und 2010; zur internationalen Wirkung, mit
Hinweisen zur Forschung, Stricker 2003, S. 215–232. Eine monografische Aufarbeitung
von Bayles Wirkung in Deutschland und Europa wäre dringend zu wünschen.
56
Vgl. dazu die höchst lesenswerten Ausführungen von Haase 1959, S. 217–246.
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346 Im Vorfeld der Aufklärung

schriften) – die hearts and minds einer wachsenden Leserschaft jenseits der
gelehrten Sphäre ( V.6.3; VI.2).
Mit welchen Folgen? Bayles entschiedene Unterordnung der Vernunft unter
die Offenbarung – zumindest in theologischen Fragen – vertrug sich nur teilwei-
se mit Zielen und Mitteln der Aufklärung. Während seine Aberglaubenskritik in
der deutschen Frühaufklärung bereitwillig rezipiert wurde, seine Ausführungen
zur biblischen Geschichte Impulse für die historisch-philologische Bibelkritik
bereitstellten, wurde seine Abwehr der rationalistischen Theologie und Apolo-
getik als Skeptizismus, seine Stellungnahme zur Moralität der Atheisten als He-
terodoxie denunziert. Diese Pluralität der Rezeption kann als Differenziertheit
gewertet werden. Das entspräche durchaus den Gepflogenheiten der respublica
litteraria: Wenn ein Autor wie Bayle, dessen Gelehrsamkeit und Scharfsinn ihm
schon früh die Wertschätzung der akademischen Leserschaft sicherte, in eini-
gen Punkten über die Stränge schlug, so entwertete das nicht mit einem Mal
seine sonstigen Leistungen. Kennzeichnend für diese Differenzierung ist etwa
die Rezeption im Kreis der Acta eruditorum.57 So konnte Seckendorff, der, ohne
den anonymen Verfasser zu kennen, als einer der ersten deutschen Autoren zu
Bayles Atheismusthesen Stellung bezog, wenige Jahre später dessen Plan eines
historisch-kritischen Wörterbuchs mit dem Hinweis auf die Talente des Ver-
fassers begrüßen. Dass sein Kurzreferat der Pensées diverses in den Additiones
zum Christen-Stat durchaus sachlich ausfiel, werden wir gleich sehen ( IV.3.4).
Ähnlich konzipierte Leibniz zwar seine Theodizee (1710) gegen Bayles Kritik
der Rationaltheologie. Gleichwohl korrespondierte er mit ihm in aller Höflich-
keit auf der Ebene gelehrter Konversation und würdigte ihn als ›vortrefflichen
Gelehrten‹.58
Entschieden negativ fielen dagegen vielfach die Urteile von Geistlichen
und öffentlich bestallten Theologen aus. Dennoch sollte nicht leichthin von
einer orthodoxen (etwa im Gegensatz zu einer aufklärerischen) Reaktion auf
den Philosophen gesprochen werden. Für ein historisch differenziertes Ur-
teil muss gerade um diese Zeit in Rechnung gestellt werden, dass sich unter
dem Eindruck von Cartesianismus, Bibelkritik und Naturrecht – nicht zuletzt
in Reaktion auf Bayles kritische Herausforderung – die Orthodoxie selbst
zu verändern begann. Dieser Vorgang ist zwar bekannt und in einschlägigen
Darstellungen (Ernst Troeltsch, Karl Aner, Emanuel Hirsch, Klaus Scholder,
Albrecht Beutel) seit Langem beschrieben; seine immense Relevanz für die
Entwicklung der Aufklärung, zumindest in den deutschsprachigen Ländern,

57
Vgl. Sauder 1975.
58
Exemplarisch dafür kann ein Satz aus der Vorrede zur Theodizee stehen: »Ich habe
seitdem zu erkennen gegeben, daß ich anderer Ansicht bin, es aber trotzdem begrüße, daß
ein so vortrefflicher Gelehrter mir Gelegenheit gegeben hat, diese ebenso bedeutsamen wie
schwierigen Materialien noch zu vertiefen.« Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee.
Übersetzung von Artur Buchenau, Hamburg 1968 (Philosophische Bibliothek 71), S. 19. –
Kurz vorher wird Bayle als »einer der tüchtigsten Köpfe unserer Zeit« bezeichnet (S. 18).
Weitere Belege wären leicht zu erbringen.
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Pierre Bayles Angriff auf die Apologetik 347

ist aber nach wie vor zu wenig gewürdigt worden. Nicht nur nahm die pro-
testantische Theologie Impulse des Rationalismus und der Aufklärung in sich
auf, sie bildete vielmehr einen integralen Bestandteil der Aufklärung selbst.
Deswegen hat die Disjunktion von Aufklärung und Orthodoxie für den Zeit-
raum nach 1700 etwas Künstliches, soweit sich nämlich diese Begriffe allzu
lange gegenseitig definiert haben. Ausdrücke wie ›vernünftige Orthodoxie‹
oder ›theologische Eklektik‹ wurden eingeführt, um diesen Gegensatz etwas
differenzierter zu beschreiben.59
Während die rationalistische Apologetik, wie sie noch vor den deut-
schen und schweizerischen Theologen im Umkreis des Refuge entwickelt
worden war, ihre Wurzeln in der natürlichen Theologie hatte, die seit der
Scholastik zum festen Pensum des theologischen Studiums gehörte, ist der
Übergang zur Aufklärung von einer weiteren theologischen Eigenheit ge-
kennzeichnet, die sich auch für die Apologetik des 18. Jahrhunderts als äu-
ßerst folgenreich erweisen sollte: die Annäherung von Theologie und Ethik
unter dem doppelten Gesichtspunkt von Tugend und Glückseligkeit. Auch
hier ist leicht einzusehen, warum Bayle, der sich gegen den vordringenden
Rationalismus ausdrücklich auf die Dordrechter Synode zurückbezog, we-
nigstens vorläufig den Anschluss an die theologische Aufklärung verpasste.
Tatsächlich wurde in den Schriften der Refugiés massiv über das Verhältnis
von Gnadenwahl und guten Taten gestritten, die strikte Dordrechter Linie
konnte dort immer weniger mit guten Gründen gehalten werden.60 Gerade
dort, wo sich ein moderater Cartesianismus mit der Spiritualität der großen
Frömmigkeitsbewegungen verband, wie etwa bei dem Schweizer Frühauf-
klärer und berühmten Prediger Jean-Frédéric Ostervald (1663–1747), reali-
sierte sich die protestantische Apologetik immer wieder als kulturkritische
Sittenpredigt in der Nachfolge Arndts, Quistorps und Speners.61 Überall,
wo sich auf diese Weise die Revision des scholastischen Lehrbestands mit
der Forderung nach einem praktischen Christentum verband, wie zeit-
gleich etwa auch in der von Spanien und Frankreich ausgehenden quie-
tistischen Mystik (Miguel de Molinos, Jeanne-Marie Bouvier de La Motte
Guyon, François Fénelon, Poiret), hatte sich die vera religio unter dem Ge-
sichtspunkt der christlich-sittlichen Lebensführung zu bewähren. Es kann
nicht überraschen, dass vor diesem Hintergrund die von Bayle befehdete
argumentative Verknüpfung von Unglaube und Unmoral auch weiterhin
eine wichtige Rolle spielte. Entscheidend dabei ist auch hier wieder, was
von Text zu Text mit ›Unglaube‹ (oder Religion) gemeint ist.

59
Vgl. dazu die maßgeblichen Arbeiten von Walter Sparn (1985 u. 1989).
60
Vgl. Haase 1959, S. 228–231.
61
So exemplarisch in Jean-Frédéric Ostervald [auch: Osterwald, Johann Friedrich]:
Untersuchung der Quellen Deß kläglichen Verderbens, Welches Heut zu Tage unter den
Christen herrschet. Auß dem Französischen ins Teutsche übersetzt, und hier und dar mit
Anmerckungen versehen Von Selintes, Frankfurt u. Leipzig 1716 (frz. EA 1700).
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348 Im Vorfeld der Aufklärung

Ist damit schon der Boden der reformatorischen Sündenlehre verlassen,


so kann der in den beiden Jahrzehnten vor 1700 einsetzende theologische
Eudämonismus kirchengeschichtlich nur schwer abgeleitet werden. Nicht
zufällig wurde er zumeist von theologischen Außenseitern wie Pascal
( IV.3.3), Bentley ( IV.4.1) oder später Brockes ( VI.3) in die apolo-
getische Diskussion eingebracht und erhielt – ähnlich wie die natürliche
Theologie – erst auf dem Umweg über die Apologetik seinen Platz in der
›vernünftigen Orthodoxie‹. Wie so viele Aspekte theologischer Aufklärung
entstand diese Argumentation in Auseinandersetzung mit der heterodoxen
Gegenposition, in diesem Fall besonders mit den französischen Libertins
erudits und – bei Boyle und Bentley – mit dem britischen Deismus. Gegen
die in höfischen und wohl auch stadtbürgerlichen Kreisen an Boden ge-
winnende Behauptung, die christliche Lehre erzwinge eine Entscheidung
zwischen irdischer und ewiger Glückseligkeit, setzte Pascal seine berühmte
Wette. Bei Seckendorff verband sich die Rezeption dieses Gedankenexpe-
riments mit einer christlichen Staatslehre, die schon dank ihrer fernen Ver-
wurzelung im protestantischen Aristotelismus auch der Glückseligkeit der
Bürger einen Platz einräumte.
Hinzu kommt schließlich ein Gesichtspunkt, der oben ausführlicher
erarbeitet wurde, in der Forschungsdiskussion zu Pierre Bayle jedoch zu-
meist hinter aktualisierungstauglichen Etiketten wie ›Kritik‹, ›Toleranz‹
und ›Skeptizismus‹ verschwindet: Bayles Glaube, sein Welt- und Men-
schenbild, sein Anticartesianismus, nicht zuletzt sein augustinisch ge-
prägtes Sünden- und Gnadenverständnis. Das alles steht, ähnlich wie bei
Hobbes oder Locke, erratisch quer zum beliebten Bild des Protoaufklärers
und Matadors der Meinungsfreiheit. Tatsächlich rücken diese Züge Bayle,
wie gezeigt wurde, viel näher an die oben behandelten Autoren im Um-
kreis der großen Frömmigkeitsbewegungen heran, als die berühmte These
vom tugendhaften Atheisten es vermuten lassen würde. Nichts anderes war
schließlich mit dem Begriff des atheus practicus gemeint gewesen. So konn-
te es geschehen, dass mit Veit Ludwig von Seckendorff einer der promi-
nentesten Anhänger Speners (und zugleich ein entschiedener Kritiker des
›praktischen‹ Atheismus innerhalb der christlichen Kirchen) noch daran
glaubte, Bayles Atheistenthese mit Bayle selbst widerlegen zu können. Die
heute weitgehend verschütteten Ähnlichkeiten zur barocken Frömmig-
keitskultur hat der fromme Lutheraner Seckendorff genauestens bemerkt.
Da er zu den ersten deutschen Lesern Bayles gehörte und überdies noch
den Kontakt zu den Kreisen des frühen Pietismus herstellt, darf er, als eine
Art Drehscheibe auf dem Weg zur Aufklärung, etwas umfänglicher behan-
delt werden.
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Seckendorffs Christen-Stat 349

3. Praktisches Christentum und politisches Kalkül


Zur Entstehung einer deutschsprachigen Laienapologetik
am Beispiel von Seckendorffs Christen-Stat (1685)

Mit Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692) betritt erneut ein bedeutender
Staatsmann (»Politicus iste christianissimus«62) und Gelehrter das apologeti-
sche Terrain.63 Über Spener und Leibniz, der seinerseits mit dem Augsburger
Spizel korrespondierte, war Seckendorff überdies mit den Anfängen der pie-
tistischen Bewegung verbunden.64 Mit Leibniz und Valentin Alberti gehörte
er zu den führenden Vertretern eines christlichen Naturrechts.65 Von diesen
Koordinaten aus konzipierte und verfasste er seinen 1685 erschienenen Chris-
ten-Stat,66 eine politisch-reformerische Denkschrift aus dem Geist der großen
Frömmigkeitsbewegungen des 17. Jahrhunderts. In breiter Anwendung der
bekannten Formel vom vinculum societatis ( I.3) empfiehlt dort der erfahre-
ne Jurist und Territorialpolitiker Seckendorff die christliche Religion als Re-
medium für vermeintliche Missstände in Kirche, Politik und privatem Leben.67

62
Johann Friedrich Bertram, Beleuchtung der Neu-getünchten Meynung von der
Harmonia Praestabilata durch Veranlassung der jüngst-edirten Reinbeckischen Eröterung
des philosophischen Meynung von der H[armonia] P[raestabilata], Bremen 1737, S. 51.
63
Die beste Kurzeinführung in Seckendorffs Leben und Werk bietet Stolleis 21987;
neuere Literatur verzeichnet reichlich der Artikel in Killy/Kühlmann, Bd. 10, 2011, S. 718–
721 (Bernd Roeck/Solveig Strauch); weitere Hinweise zu Spezialliteratur im Folgenden.
64
Darauf wurde im Leibniz-Kapitel (I.4.3) bereits hingewiesen.
65
Vgl. Marchet 1885, S. 5–19; grundlegend Schneider 1967, S. 253–264; ferner Gru-
nert 2000, S. 10–36 (zu Seckendorff) und 37–62 (zu Alberti); vgl. auch den Abriss »Christ-
liches Naturrecht« im Neuen Uebeweg 17/4, S. 813–835 (Hans-Peter Schneider) sowie
ebd., S. 862 f. (Lit.).
66
Veit Ludwig von Seckendorff, Christen-Stat. In drey Bücher abgetheilet. Im Ers-
ten wird von dem Christenthum an sich selbst / und dessen Behauptung / wider die Athe-
isten und dergleichen Leute; Im Andern von der Verbesserung des Weltlichen / und Im
Drittendes Geistlichen Standes / nach dem Zweck des Christenthums gehandelt, Leipzig
1685. Hier nach der zweiten Auflage (Leipzig 1686). Zitatnachweise im Folgenden mit
Seiten- oder Lagenzahl in Klammern. – Übrigens ist hier Hans-Peter Schneiders Ansicht
zu widersprechen, der den Begriff ›Stat‹ im Sinne von ›Stand‹ auffasst (vgl. Schneider 1967,
S. 261, Anm. 688). Seckendorff verwendet die Ausdrücke ›Stand‹ und ›Stände‹ häufig ge-
nug (bereits im Titel selbst!), so dass an dieser Stelle ganz offenkundig kein Bedarf für
ein Fremdwort bestand. Wenn er überdies die Verwendung des Ausdrucks ›Stat‹ eigens
rechtfertigt, »weil es aber so gemein und bekandt worden / daß es nun wohl das Bürger-
Recht in unserer Mutter-Sprache verdient zu haben scheinet« (Vorr., fol. *** 5r), so ist das
kaum anders zu verstehen, als dass hier ›Stat‹ – wie schon in Seckendorffs Fürsten-Staat
von 1655 – für den in der Staatslehre bis 1650 zumeist gebrauchten Begriff ›res publica‹
oder aber ›civitas‹ gebraucht wird.
67
Zu Seckendorffs Reformpolitik unter Herzog Ernst dem Frommen vgl. Stahl-
schmidt 1999 und Strauch 2005 sowie, kürzer und im breiteren Kontext, Schilling
1989, S. 136–140; seine Stellung in der Geschichte der Kameralistik behandeln Marchet
1885, S. 1–74 (»L. V. von Seckendorff als Vorläufer des eudämonistischen Wohlfahrt-
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350 Im Vorfeld der Aufklärung

Als Anhänger der Ideen Arndts und Speners, aber auch Blaise Pascals, zudem
als profilierter Reformationshistoriker, will Seckendorff unter der Religion
aber gerade keine landesherrlich verordnete Kirchenzucht verstanden wissen.
Gegen die »Erkaltung der innerlichen Gottesfurcht« (70), den veräußerlichten
Gottesdienst der »Heuchel-Christen« (31), setzt er vielmehr die Forderung
nach einer vom lutherischen Gnadenverständnis gespeisten Herzensfröm-
migkeit, die sich nicht durch »Scharffsinnigkeit« und gelehrte »Schluß-Rede-
Kunst« (69) auszeichne, sondern durch eine Transformation des menschlichen
Gemüts: »Es muß nicht allein der Verstand und die Wissenschaft / sondern
auch der Wille / das Hertz oder Gemüth der Menschen von der Religion und
Gottesfurcht eingenommen seyn.« (19) Dahinter steht zum einen die Erbsün-
denlehre, derzufolge der Verstand in Glaubensdingen über ein gewisses Maß
hinaus »düster und ungeschickt« sei (19), zum anderen aber der schon von
Voetius und dem Frühpietismus her bekannte praxisbezogene Glaubens- und
folglich auch Unglaubensbegriff. Er manifestiert sich auf lexikalischer Ebene
schon darin, dass Seckendorff einmal ›Atheismus‹ und ›Ruchlosigkeit‹ als Sy-
nonyme verwendet (Vorr., fol. ** 1v), ein anderes Mal Atheismus als »Freyheit
und Abschaffung des Gewissens« (25) bezeichnet.

3.1 Ein Handbuch christlicher Reformpolitik


Entstehung, Zielgruppe, Anspruch

In der Vorrede des umfangreichen Werks begründet Seckendorff ausführ-


lich sein Vorhaben und die dabei verfolgte Methode. Ursprünglich als klei-
ne Handreichung für das höfische Tischgespräch gedacht, um wiederholten
Spottreden wider die Religion (durch Gäste mehr als durch den frommen
Hofstaat seines Dienstherrn)68 begegnen zu können, habe sich nach und nach
ein kleiner apologetischer Traktat entwickelt, der nunmehr das erste Buch
des Christen-Stat ausmache.69 Als Vorbild nennt er vor allen anderen die 1669

staates«); Maier 32009, S. 200 f., 385 f. et pass.; zur Entstehung des Christen-Stats, ein-
schließlich der Konsultation Speners, vgl. Döring 1997; mehr zu Seckendorffs Verhält-
nis zum Pietismus, insbesondere zu Spener, im Spiegel ihrer Korrespondenz bei Lück/
Oehmig 2002.
68
Seckendorff laviert hier diplomatisch zwischen Hofkritik und Herrscherlob: »Bey
solchem Gemüthe des hochsel. Herrn konnte an Ihrer Hoffstat keiner fortkommen oder
tauern / der sich vor einen Atheisten / oder Verächter der Religion hätte mercken lassen /
also daß man wider dieses Laster viel zu reden oder vorzunehmen / keine sonderbare Ge-
legenheit hatte. Gleichwohl truge sichs bißweilen zu / daß etliche fremde Personen / die
etwan auff Reisen / oder in schädlichen Büchern etwas erschnappet hatten / womit sie die
Gottesfurcht und Religion in disputat zu ziehen vermeynten / mit einigen Reden heraus
platzeten / welche der Christl. Fürst zwar mit Mißfallen und Betrübniß anhörete / oder
sich referiren liesse / aber doch nicht wuste / mit was nützlicher Art solchem Ubel zu
begegnen stünde […].« Vorr., fol. ** 2r–fol. ** 2v.
69
»Solchem nach liesse ich den Auffsatz / der ungefehr den ersten Theil jetzigen
Buchs machet / und in Summa einen äusserlichen Beweiß der religion wider die Atheisten
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Seckendorffs Christen-Stat 351

zuerst erschienenen Pensées »des berühmten Frantzösischen Autoris« Blaise


Pascal (1623–1662), aus denen er bei Tisch gelegentlich Auszüge vorgelesen
haben will (** 2v). Pascals Einfluss zeigt sich nicht nur in der apologetischen
Argumentation, die angesichts skeptizistischer Einwände auf Vernunftbewei-
se weitgehend verzichtet, sondern auch im einfachen, unprätentiösen Stil, der
sich (außer in der Widmungsvorrede) von der Umständlichkeit des sogenann-
ten Kanzleistils ebenso fern hält wie von der ostentativ geistreichen Eloquenz
der galanten Generation. Neben Pascal kommt dabei sicherlich auch noch das
Vorbild der berühmten Prediger aus der englischen broad church-Bewegung
in Betracht.70
Dieser Zuschnitt des Werks wird sich nicht zuletzt seinen Entstehungsum-
ständen verdanken.71 Die Versicherung Seckendorffs, er habe ursprünglich nie
an eine Veröffentlichung gedacht und sich nur auf Zureden seines Dienstherrn
dazu entschlossen (** 3v), ist hier wohl mehr als eine topische Floskel. Anstatt
sich nämlich an die gelehrte Welt zu wenden, habe er in erster Linie die fürst-
liche Familie im Auge gehabt und sich daher nicht nur überhaupt des Deut-
schen bedient, ein Umstand, den auch Leibniz besonders hervorhob ( I.4.3),
sondern auch seiner »gewöhnlichen Redens- und Schreibens-Art«. Dabei habe
er auf »hohe und zierliche Wörter« ebenso verzichtet wie auf gelehrte Anmer-
kungen und ausführliche Belege aus maßgeblichen Autoren (** 3v). Zu diesem
Zweck fügte er dem Traktat dann aber einen Anhang (Additiones) hinzu, in
dem er Aufschluss über seine wichtigsten Quellen gab und auch längere Pas-
sagen daraus zitierte.72 Eingehend wird dort der Verzicht auf eine vollständige
systematische Erfassung der Materie (ein »vollständig und ordentliches Syste-
ma«) gerechtfertigt, wie sie dem Stand der theologischen Dogmatik oder Apo-
logetik entsprochen hätte.73 Weder geht es Seckendorff demzufolge um eine
umfassende Darstellung der christlichen Lehre noch um eine erschöpfende
Aufarbeitung und Widerlegung der verschiedenen heterodoxen Gegenpositi-
onen »in thesi und antithesi«.74 Den Verzicht auf »Subtilitäten« der Metaphy-
sik und Schultheologie rechtfertigt er zudem mit dem Fehlen entsprechender
deutscher »Schul-termini« und charakterisiert damit den Stand der akademi-
schen Wissenschaft in Deutschland vor Christian Wolff:

und dergleichen Leute / und zu Stärckung der Schwachgläubigen / Discursweise in sich


begreifft / nach anderweitiger Ubersehung ins reine bringen […].« Vorr., fol. ** 3r.
70
In den Additiones zum Christen-Stat, in denen Seckendorff Zeugnis über seine
Quellen ablegt, nennt er unter anderem den anglikanischen Bischof Joseph Hall (1574–
1656), dessen romkritische Schrift »The old Religion« (1628) übrigens vom oben behan-
delten Theophil Großgebauer ( II.3.1) übersetzt wurde.
71
Ausführlich dazu Döring 1997.
72
Vgl. dazu Seckendorffs ausführliche Erläuterung im Rahmen der Vorrede,
fol. ** 7r–*** 2r. Die Additiones wurden mit eigener Paginierung direkt im Anschluss an
den Haupttext des Christen-Stats gedruckt.
73
Seckendorff, Additiones, S. 3 f.
74
Ebd., S. 4.
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352 Im Vorfeld der Aufklärung

So ist doch deren Widerlegung nicht nach der gewöhnlichen Schul-Ordnung fürge-
nommen worden / darzu eine genaue Unterscheidung und Anführung ihrer Meynun-
gen und Einwürffe gehöret hätte; sondern man hat sich dießfalls ebner Gestalt in der
Weise eines freyen Discurses gehalten / und diejenige Einwürffe vornehmlich berüh-
ret / die etwan am meisten fürzukommen pflegen / und ohne Anziehung der Subtili-
täten aus der Metaphysica, oder Theologia Scholastica in teutscher Sprache / (darinnen
die Schul-termini nicht sonderlich bekandt /) verständlich vorzustellen gewesen.75

Offenkundig war Seckendorff, der als regelmäßiger Beiträger zu den Leipzi-


ger Acta Eruditorum und guter Freund des Herausgebers Otto Mencke einen
tadellosen Ruf als Gelehrter genoss, daran gelegen, dieses quasi populärwis-
senschaftliche Vorgehen ausführlich zu rechtfertigen. Seine Bemerkungen
enthalten sprach- und literaturgeschichtlich interessante Hinweise zur Ent-
wicklung der deutschen Gelehrtenkultur im Übergang vom Barock zur Früh-
aufklärung.76 Selbst wenn die Erklärungen weitgehend ohne Polemik gegen
Pedanterie und Schulfuchserei auskommen77 und in der angedeuteten Kritik
am sprachlich-stilistischen Alamodewesen noch eher dem barocken Sprachpa-
triotismus zuzugehören scheinen,78 steht doch die hier angestrebte Vermittlung
zwischen gelehrtem Wissen und höfischer Konversation im Zusammenhang
mit der zwischen Barock und Aufklärung angesiedelten Methoden- und Bil-
dungsreform, wie sie sich heute vor allem mit den Namen Christian Weise und

75
Ebd. – Entgegen einer verbreiteten Meinung hat es auch vor Wolff durchaus eine
deutschsprachige Philosophie gegeben. Neben Thomasius ist hier nicht zuletzt Schottelius
zu nennen, der 1669 die erste deutschsprachige Ethik vorlegte: Justus Georg Schottelius,
Ethica, Wolfenbüttel 1669 (ND Bern/München 1980, hg. v. Jörg Jochen Berns); vgl. die
Hinweise in Killy/Kühlmann, Bd. 10, 2011, S. 571 f. (Tuomo Fonsén).
76
So etwa, wenn bereits in der Vorrede das Abweichen von Stil und Methodik der
zeitgenössischen Schulgelehrsamkeit begründet wird: »Ob ich aber nun wohl das Abse-
hen in so weit ändern müssen / daß ich nicht mehr gleichsam nur zur privat-Information,
sondern zu gemeinem Gebrauch schreiben solte / so habe ich doch meine Weise behalten /
daß ich mich an keine genaue und Schul-mäßige Ordnung und Eintheilung gebunden /
sondern einen freyen discurs, wie er mir in die Feder gefallen / auch keinen andern stylum
geführet […] nehmlich / so viel möglich / alles üblich und deutlich / ohne gezwungene
Herbeyziehung neu-ersonnener / oder künstlich applicirter Wörter und Redens-Arten /
zu verstehen zu geben / dabey ich auch die in diesen Landen gebräuchliche Orthogra-
phie behalten / und mich nun erst an nichts anders gewehnen können.« (** 5v) – Der Gat-
tungsbegriff des discursus stellt den Christen-Stat darüber hinaus in die Frühgeschichte der
deutschsprachigen Essayistik.
77
Zu diesen Feindbildern und ihrer sozialgeschichtlichen Relevanz zwischen Spät-
humanismus und Aufklärung vgl. einmal mehr Kühlmann 1982, S. 285–454.
78
Gegen Ende der Vorrede, fol. *** 5r–*** 5v, äußert sich Seckendorff noch einmal
ausführlicher zum Thema der Fremd- und Lehnwörter, angefangen mit dem titelgeben-
den Begriff »Stat« und entwickelt einen pragmatischen Kurs zwischen Normativität und
Empirie, gipfelnd in der Feststellung: »Und wann wir alles / was aus fremden Zungen
ursprünglich herkommt / verwerffen wolten / so würde ein grosser Theil unserer Sprache
verlohren gehen.« (Ebd.) – Zum barocken Sprachpatriotismus vgl. Gardt 1994, S. 129–189,
bes. S. 166–176 zur Alamodekritik.
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Seckendorffs Christen-Stat 353

Christian Thomasius verbindet.79 (Einer missverstandenen ›Galanterie‹, soweit


sie sich nämlich in geistreich-witzigen Äußerungen über die Religion zu Wort
melde, will Seckendorff dagegen deutliche Grenzen gezogen wissen.80)
In methodologischer Hinsicht verdient Beachtung besonders die schon
im obigen Zitat aufscheinende Begründung einer gemeinverständlichen Apo-
logetik, die sich nicht mehr auf die apriorischen Beweisverfahren (v. a. Got-
tesbeweise) der Metaphysik stützt, sondern die Wahrheit und Überlegenheit
der christlichen Religion und die Schädlichkeit des Unglaubens »à posteriori«
statt »mathematicè« demonstrieren will (49).81 Da Gott nicht mit den Sinnen
erfassbar sei,82 die allzu »grosse Weitläufftigkeit und Ausführung« der meta-
physischen Deduktion jedoch selbst gelehrte Leser überfordern könne, will
sich Seckendorff auf Evidenzbeweise beschränken, die »aus den Wirckungen«
ersichtlich würden (49): Wie der per se ja unsichtbare Wind erst in den durch
ihn bewegten Objekten erfahrbar werde, lasse sich auch die Existenz Gottes
oder der menschlichen Seele anhand ihrer Wirkungen erschließen. Durch diese
Verankerung in der täglichen Erfahrung wirke das aposteriorische Verfahren
»kräfftig und leichter« (48). Dass mit diesem Abrücken von Gottesbeweisen
und der Hinwendung zur Erfahrung nicht gleich der Sprung zum heutigen
Empirieverständnis vollzogen ist, lässt sich daraus ersehen, dass für Secken-
dorff auch die »mit Exempeln« und durch »Unzehliche Acten« (44) dokumen-
tierten Erfahrungen von Zauberei und Geistern als Beweis für die Existenz un-
sichtbarer Entitäten dienen.83 Durch diese methodische Entscheidung ist der
Kurs für die weitere apologetische Darstellung abgesteckt. Den größten Teil

79
Thomasius hielt die Leichenrede auf Seckendorff, der sein Amt als Kanzler der
neu gegründeten Universität Halle nicht mehr antreten konnte. – Zu den Bildungs-, Kom-
munikations- und Universitätsreformen im Übergang zur Frühaufklärung, die besonders
mit den Namen Thomasius und Weise verbunden sind, siehe die Hinweise in den Kapitel
zu Thomasius (V.2) und Weise (III.3.5).
80
»Wäre also zu bejammern / daß es so weit damit kommen / und man solchen gott-
losen Leuten fast nicht mehr widersprechen dörffte / sondern sie noch wohl vor grosse
Cavaliers und artige Köpffe hielte / also ihrer ärgerlichen Reden allgemach gewohnete /
wodurch sonderlich die Jugend in Kaltsinnigkeit / und ferner in Verachtung der Religion
verleitet wurde.« Vorr., fol. ** 2r.
81
So die Überschrift zu § 7 des dritten Kapitels: Der Beweiß von Wirckungen / oder
à posteriori, ist kräfftig und leichter / als à priori, oder nach der Metaphysica hat auch das
Zeugniß Göttlichen Worts / und des Gewissens / ob es gleich die Atheisten dämpffen wollen
[…]. (48)
82
»Solcher gestalt und weil nichts sichtbares zu erfinden gewesen / so Göttlicher
Eigenschafft und Ehre würdig wäre / so ist bey allen weisen und verständigen Heyden /
die eine Gottheit gegläubet / gar kein Zweiffel gewesen / daß Gott unsichtbar / oder ein
Geist seyn müsse.« (41)
83
Die Existenz von Geistern und Zauberei wird in §§ 3–5 des dritten Kapitels,
S. 42–48, abgehandelt. ›Historische‹, also vermeintlich empirische Beispiel dieser Art
kennt die zeitgenössische Exempelliteratur zuhauf. – Dass Seckendorff, trotz anderweitig
fortschrittlicher Ansichten, noch an Hexen glaubte, konstatiert mit Blick auf diese Stelle,
Döring 1997, S. 485.
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354 Im Vorfeld der Aufklärung

nehmen wie bei Großgebauer und Müller Ausführungen über die Wahrheit
der Bibel ein (Kap. V–VIII), von denen hier im Weiteren abgesehen werden
darf.

3.2 »Der Atheismus practicus hanget allen an«


Seckendorffs Kirchenkritik zwischen Luther und Spener

Hatten schon geistliche Autoren im Umfeld des Frühpietismus (Großgebauer,


Scriver u. a.), nach dem Vorbild der antimachiavellistischen Polemik ( I.2.3),
auf die Höfe als Einfallstore des ›welschen‹ Unglaubens hingewiesen,84 so
kann der langjährige Geheimrat und Kanzler Seckendorff dazu mit Informa-
tionen aus erster Hand aufwarten. In der Vorrede berichtet er von »vertrau-
lichen Discursen« mit dem verstorbenen Dienstherrn Moritz von Sachsen so-
wie von dessen Klage, »daß nunmehr die Ruchlosigkeit oder der Atheismus,
auch in Teutschland / und sonderlich bey denen Höfen sehr gemein werden
wolte«.85 Dass Seckendorff hier, im Anschluss an Mersenne, Voetius und die
frühe deutsche Atheismusdebatte,86 den denkbar weitesten Begriffsumfang
von ›Atheismus‹, also alle Spielarten weltlicher Heterodoxie, voraussetzt, stellt
eine Bemerkung in den Additiones klar, in denen die zugrundegelegte Feind-
vorstellung umrissen wird – »man heisse nun diese Leute Atheisten, Deisten,
Pyrrhonisten, Epicurer, Scepticos, Libertiner, Politicos, Gott- oder ruchlose
Gottes-Verächter, Spötter, Frey-Geister, und wie in Franckreich bräuchlich,
Esprits forts, oder wie man wolle«.87 Tatsächlich ist Seckendorff der erste mir
bekannte Autor, der den Ausdruck »Frey-Geist« in dieser Weise als Synonym
für Atheismus verwendet, während damit von vielen Autoren bis weit nach
1700 noch Vertreter der geistlichen Heterodoxien, etwa Pietisten und Quäker,
bezeichnet wurden.88
In der geschichtlich-geografischen Herleitung dieses ›Atheismus‹ von
der italienischen Renaissance und dem Verfall des römischen Papsttums her
unterscheidet sich Seckendorff nicht von Spizel, Großgebauer und anderen
Autoren. Wie sie dramatisiert er das Eindringen des Unglaubens in das bis
dahin vermeintlich fromme Deutschland zum Fall der letzten Bastion in der

84
Scriver, Seelen-Schatz, S. 74: »Die Atheistische Spötterey hat sich von Herren-
Höfen biß in die hohe Schulen, biß in die Rathhäuser, in die Gerichtstuben, in die Cabi-
nette der Kauffleute, in die Werckstäte der Handwercker, ja biß in die Hütten der Bauren,
ausgebreitet.«
85
Vorr., fol. ** 1v.
86
Dass Seckendorff mit den maßgeblichen Schriften der Atheismusdebatte vertraut
war, dokumentieren die entsprechenden Bemerkungen in den Additiones. Neben Mornay,
Mersenne und Voetius nennt er besonders Henry More und die Schrift Atheismus devictus
(1672, 21685) des Hamburger Predigers Johannes Müller.
87
Seckendorff, Additiones, S. 4.
88
Siehe dazu ausführlicher unten, Kap. VI.5.
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Seckendorffs Christen-Stat 355

Christenheit,89 der um so schwerer wiege, als nach Jahrhunderten der »harten


Verfolgungen« (70) und der Religionskriege endlich die äußeren Bedingun-
gen eingetreten seien, um in friedlicher Eintracht »die wahre Religion« (70) zu
pflegen. Schuld daran sei zunächst nicht die offene Gottesleugnung, sondern
ein Nachlassen der »innerlichen Gottesfurcht« (70), das durch ›Heuchelei‹
vorerst verborgen geblieben sei. Inzwischen jedoch zeige sich der dahinter ste-
hende Unglaube auch öffentlich,

denn wo auch ein Land oder Gemeine ist / welche das rechte Glaubens-Bekäntniß
einmüthig führet / und darinn der reine Saame der Göttlichen Warheit / als ein schö-
ner und fruchtbarer Weitzen / auffgehen solte / da bleibet doch nicht allein das Un-
kraut der Heuchler / sondern es ist in diesen unsern letzten Zeiten so weit kommen /
daß die Heuchler zum Theil die Larve gar abgezogen haben / und der Warheit der Re-
ligion öffentlich widersprechen / deren auch etliche mit vermeynten klugen Schlüssen
die gantze Lehre von GOTT / oder doch das Christenthum / so viel an ihnen / übern
Hauffen werffen; Andere / eine allgemeine natürliche Religion aus dem Licht der
Natur / mit Verwerffung der Offenbarungen GOttes / für die beste halten / und die
Philosophie, als eine Magd und Sclavin des Glaubens / wieder zur Frauen und Königin
auffstellen wollen […]. (70 f.)

Obschon Seckendorff hier explizit auf heterodoxe Implikationen der neueren


Philosophie – gemeint ist vor allem Descartes90 – und die sich vertiefende Kluft
zwischen weltlicher und geistlicher Deutungshoheit hinweist, wird doch deut-
lich, dass er zwischen Atheisten, Deisten und ›Heuchlern‹ nur einen graduel-
len Unterschied annimmt.91 Denn der Heuchler bekenne sich, aus Angst vor
sozialer Ächtung und den damit verbundenen materiellen Nachteilen, zwar
»äusserlich« zur Religion, bleibe aber ohne innere Anteilnahme.92 Dem ent-

89
Insbesondere in Kap. V.3 des ersten Buchs mit dem Titel Klage über den Abfall
vom Glauben durch die Heuchler / Atheisten / Naturalisten / und dergleichen Leute.
90
Seckendorff schließt sich, wie er in den Additiones bekennt, der Descartes-Kritik
der Cambridge Platonists an: »Vor der neuen und hin- und wieder in schwang kömmen-
den Philosophia auch Theologia des Cartesii, oder Renati des Cartes, welcher bey unsern
Zeiten / aus einem Soldaten und Ingenieur oder Mathematico ein Meister aller Gelehrten
werden wollen / und von denen / die ihn admirieren und ihm folgen / sonderlich von de-
nen subtilen und beredten Frantzösischen Geistlichen aus den Presbyteris Oratorii Ma-
lebranche, und was in Niederlande und Engelland vor und wider Cartesium und seine
Anhänger geschrieben wird / hätte ich unterschiedliches anzuführen gehabt / so in die ma-
teri des ersten Buchs gehöret / habe mich aber sonderlich derer Schrifften des berühmten
Engelländischen Theologi Henrici Mori, der wider den Atheismum viel gethan / und oben
gedachten Parkeri, welcher des Cartesii Meynung hefftig und scheinbarlich verwirfft / be-
dient.« (Seckendorff, Additiones, S. 17) – Gemeint ist Henry Mores Schrift An Antidote
against Atheism (1653, 21655); zu ihm s. auch Additiones, S. 58–65.
91
»Welche ihre Meynung verbergen und Heuchler werden / gehören auch unter die
Atheisten / wie auch die jenigen / welche zwar einen GOTt bekennen / aber seine Provid-
entz und Regierung nicht gestehen noch gläuben.« (3)
92
»Diese Gefahr und Ungelegenheit zu vermeiden / ist die Falschheit oder Heu-
cheley von allen Zeiten her / und bey allen Religionen gebraucht worden. Nemlich: daß /
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356 Im Vorfeld der Aufklärung

spricht auf bildhafter Ebene die schon von Clasen, Großgebauer und anderen
her bekannte Gegenüberstellung von Mund bzw. Worten und Herz, die auch
Seckendorff aufgreift. Der Deismus, der zwar einen Gott annehme und des-
sen Verehrung empfehle, aber seinen Einfluss auf die Welt bestreite, stellt aus
dieser Perspektive nur eine strategische Variante der dissimulatio dar.93 Hinter
diesen Überlegungen wird einmal mehr das von Voetius eingeführte Modell
des praktischen Atheismus sichtbar, das von Seckendorff nun weiter ausgebaut
und differenziert wird. Er geht über Voetius und die frühen deutschen Athe-
ismusgegner hinaus, wenn er in einem weiteren Schritt auch die fundamen-
tale Unterscheidung zwischen Gläubigem und Ungläubigem aufhebt: »Der
Atheismus practicus«, so Seckendorff apodiktisch, »hanget allen an« (7). Hier
zeigt sich der sächsische Staatsmann als Schüler Pascals (dazu weiter unten),
aber auch Luthers. Dessen Lehre von der unausweichlichen Sündhaftigkeit des
Menschen erscheint hier transformiert in die zeitgenössische Begrifflichkeit
des praktischen Unglaubens. Auch der Gläubige, heißt es bei Seckendorff, sei
von Zweifeln und »Anfechtung« nicht frei, daher seien Glaube und Unglaube
in ein und derselben Person anzutreffen:

Hierbey ist nun nicht zu leugnen / daß nach der Art des menschlichen Hertzens /
oder practice, (nach der That und Ubung zu reden) die obgedachten zweyerley Mey-
nungen / sich auch bey einer Person / wiewohl nicht zu einer Zeit noch in einerley
Krafft und Stärcke antreffen lassen: Da nemlich auch der Gottesfürchtige / oder der
sich zu einer Religion mit Mund und Hertzen bekennet / und den Atheismum oder
die Gott- und Ruchlosigkeit hasset und verwirffet / dennoch in Zweiffel fallen kann /
und grosse Anfechtung empfindet / ob er auch in seiner Meynung gnugsam gegründet
sey / oder er setzet auch die Furcht und Scheu vor GOtt zuweilen aus den Augen /
und begehet Dinge / welche bey der Gottesfurcht nicht bestehen können. (5)

Wie schon die Reformatoren, Mersenne und Voetius vor ihm arbeitet sich
Seckendorff also an der zentralen Frage nach der Entstehung des Unglau-
bens im Individuum ab.94 Die Schlüsselrolle spielt dabei auch hier ein Stück
Sündentheologie, das zunächst im Begriff der »Anfechtung« erscheint und

die im Hertzen Ungläubige und Verächter GOttes sind / sich dennoch äusserlich zu dem
Gottesdienst des Orts / da sie sich befunden / gehalten / und demselben öffentlich nicht
widersprochen / sondern vorgegeben / daß sie eben wohl eine Furcht vor GOtt hätten
[…].« (3)
93
»Wann also gleich vor Zeiten etliche so genannte Philosophi oder Weltweise vor-
gegeben / sie gestünden und glaubten / es wäre ein GOtt und ein Göttliches vortreffliches
Wesen / so dahero mit Gebet und Opffer zu verehren / haben aber dabey nicht gestehen
wollen / daß GOTT die Menschen mit Weißheit / Gütigkeit und Gerechtigkeit regiere /
belohne oder straffe / die haben nur zum Schein geredet / daß sie einen GOtt glaubten /
damit sie von ihren Landes-Leuten und Mit-Bürgern nicht allzusehr gehasset / oder von
der Obrigkeit gestraffet würden […].« (5)
94
Zur zeitgenössischen Topik vgl. die reichhaltige Zusammenstellung von Barth
1971, S. 96–135; s. auch weiter oben die Kapitel zu Mersenne (I.4.2), Voetius (I.5) und Le
Clerc (IV.4.3).
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Seckendorffs Christen-Stat 357

im Weiteren über den Widerspruch zwischen Bekennen und Handeln ex-


pliziert wird. In der sündhaften Tat nämlich – er versteht darunter einfach
den Verstoß gegen die göttlichen Gebote – drücke sich bereits der Verlust
der richtigen Gotteserkenntnis aus. Dieser entstehe entweder durch Zweifel
am Gottesbild der christlichen Theologie oder durch Vertauschung dieses
Gottesbilds mit einem anderen, also durch Götzendienst.95 Weil Seckendorff
offenbar voraussetzt, dass sündhaftes Verhalten niemals unwissentlich statt-
finden kann, mithin immer auf »Vorsatz« (6) beruht, kann er dem Sünder ein
faktisch-habituelles Einverständnis »mit denen Grund-Sätzen oder Principiis
des Atheismi« bescheinigen (6). Da jener damit in Widerspruch zu seiner
öffentlich geäußerten Überzeugung gerate, könne sein Verhalten nicht nur
als »freventlich«, sondern auch als unvernünftig (»der Vernunfft selbst zuwi-
der«) angesehen werden (6).96
Unschwer ist hier die Argumentation wiederzuerkennen, die wir in den re-
formatorischen Kommentaren zum 14. Psalm, besonders bei Bucer und Cal-
vin, kennengelernt haben ( I.1). In der Ausweitung der potenziellen Athe-
ismusgefahr auf jeden einzelnen Menschen – gleichursprünglich, wenn nicht
gleichbedeutend mit seiner Sündhaftigkeit – lässt Seckendorff denn auch die
Selbstgewissheit der rationalistischen Theologie des 17. Jahrhunderts97 hinter
sich und knüpft, mit Reformorthodoxie und Pietismus, an die lutherische Sün-
den- und Gnadenlehre an.98 Weil nämlich von der Sünde und ergo vom prakti-
schen Atheismus kein Mensch ausgenommen sei, entscheide erst der Umgang

95
»Denn das ist wohl zu gläuben / daß der jenige / der solche Thaten thut / welche
wider GOttes Gebot lauffen / und der Religion / die man bekennet / zuwider seyn / zu
der Zeit / da er sündiget / entweder an dem Wesen oder Willen GOttes zweiffelt / und
eines oder anders aus den Augen setzet / oder doch also mißdeutet / als ob GOtt auch
vorsetzliche Sünden wohl leiden könte / oder vor Schwachheit und leidliche Gebrechen
auffnehmen / und also leichtlich vergeben werde.« (5 f.)
96
»Ob nun wohl dieser kein offenbahrer / erklährter und grober Atheist ist / so
kommet er doch in dem Vorsatz und der Verübung der Sünde / mit denen Grund-Sätzen
oder Principiis des Atheismi überein: Sintemahl / wann er diese für unrecht hielte / so wi-
derspräche er sich selbst.« (6)
97
Vgl. dazu Barth 1971, pass., ferner Frank 2003 sowie den sehr guten Artikel Na-
türliche Theologie in TRE, Bd. 24, 1994, S. 85–98 (Walter Sparn). – Da sich die rationalis-
tische Theologie im 17. Jahrhundert zunehmend außerhalb der Kirche entfaltete, also als
Religionsphilosophie, bildete sie für die Kirchen eine stete Herausforderung, weil sie in
letzter Konsequenz die Notwendigkeit der Offenbarung in Frage stellte. Aus dem Um-
stand, dass sie gleichwohl von unverzichtbarer Bedeutung für die Apologetik war, ergibt
sich ein hochinteressantes Spannungsverhältnis, das nicht zuletzt über das Feindbild des
Atheisten selbst fassbar wird. Daraus ist oft der falsche Schluss abgeleitet worden, dass die
natürliche Theologie in die Vorgeschichte des Atheismus (im heutigen Wortsinn) gehöre.
Dagegen erhebt, mit guten Gründen, Einspruch Schröder 2004, bes. S. 150 f.
98
Nicht zufällig empfahl sich Seckendorff drei Jahre nach Veröffentlichung des
Christen-Stats mit seinem Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo
(Frankfurt am Main u. Leipzig 1692) als bedeutender Kenner der Reformationsgeschichte.
Zu Seckendorff als Reformationshistoriker vgl. Blaufuß 1976.
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358 Im Vorfeld der Aufklärung

mit der Anfechtung über die Zugehörigkeit zum wahren Glauben – oder zur
Schar der Atheisten:

Dieweil aber niemand zu finden / welcher nicht offt und viel mit Gedancken / Worten
oder Wercken sich also vergreifft / daß es nah denen Gründen der Religion / darzu er
sich bekennet / der Ehre / Furcht und Liebe GOttes zuwider lauffe: So folget daraus /
daß auch niemand sey / dem nicht eine gewisse Art des Unglaubens und Atheismi
practici anhange / ob er gleich so frech und unverschämt nicht ist / daß er GOtt of-
fenbahrlich verleugnen / und vor einen Atheisten gehalten und erkandt seyn wolte /
auch mit Göttlicher Gnaden-Verleihung solchen bösen Gedancken widerstehet / und
also dieselbe bey ihm keinen beständigen Platz finden / sondern als Versuchungen /
Gebrechen und Schwachheiten wieder vergehen und erleschen. (7 f.)

Der gute Christ lässt also die Anfechtung hinter sich, nicht aus eigener Kraft,
sondern mithilfe der göttlichen Gnade. Das setzt aber – ebenfalls gut luthe-
risch und gut pietistisch – voraus, »daß sich ein jeder dißfalls recht kenne
[…] und genau erforsche« (8). Erst die Einsicht in die eigene Sündhaftigkeit
setzt den Menschen instand, sich vorbehaltlos der göttlichen Gnade auszu-
liefern, in der seine eigene Hoffnung auf Erlösung von der Sünde liegt.99 Wo
diese Einsicht fehle oder aufgrund einer anhaltenden Gewissensnot unter-
drückt werde, beginne der vollständige, also theoretische Atheismus, die
»Verläugnung GOttes« und die »Meynung / daß kein ander Leben sey« (11).
Wichtig ist, dass für Seckendorff, anders als noch für Voetius, der prakti-
sche Atheismus zunächst jeden Menschen betreffe, dass sich erst von da aus
das Bekenntnis zu offen heterodoxen Positionen entwickelt, um das eigene
Handeln nachträglich und auch fürderhin zu decken. Diese Sichtweise wird
sich in den folgenden Jahrzehnten in der pietistischen Frömmigkeitsliteratur
noch weiter zuspitzen.100 Sie ist aber, wie gezeigt wurde, im Topos von der
›Torheit‹ der Gottesleugner bereits vor der Einführung des practicus-Modells
enthalten und verbindet sich von da aus kurz vor 1700, etwa bei Bentley,
La Bruyère und Le Clerc ( IV.4), mit der Vorurteilslehre der beginnenden
Aufklärung.
Um den Übergang vom Glauben zum Unglauben – den heikelsten Punkt
jedes apologetischen Modells, sofern hier dessen eigene Wirksamkeit infrage
steht – noch plausibler zu machen, fügt Seckendorff an anderer Stelle eine wei-
tere Zwischenstufe, »eine dritte Art« zwischen den beiden Polen (55) ein: Die
Unachtsamkeit oder Trägheit. Wie meistens, wenn nach den Ursachen des Un-
glaubens gefragt wird, ist auch hier der Bezug zu älteren Sünden- und Laster-
katalogen eindeutig; die Unachtsamkeit entspricht der Sünde der acedia. Als
konstitutiver Teil der menschlichen Natur kommt sie für den Apologeten da

99
Seckendorff folgt hier – ob nun unmittelbar oder nicht – der Argumentation Lu-
thers gegen die Epikurer und securi ( I.1.5), die, wie gezeigt wurde ( II.2.3), auch im
beginnenden Pietismus wieder relevant wurde.
100
Vgl. dazu die Hinweise auf Undereyck und Leuckfeld in Kap. II.3.3.
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Seckendorffs Christen-Stat 359

ins Spiel, wo Glaube oder Frömmigkeit auf einer aktiven Leistung beruhen,101
nämlich auf Erforschung der Glaubensgründe und meditativer Vergewisse-
rung der daraus abgeleiteten praktischen Folgen. Für Seckendorff besteht dar-
in der entscheidende Schritt von der rationalen Einsicht, dass Gott existiere, zu
seiner richtigen Verehrung, anders gesagt: von der natürlichen Theologie, über
die auch schon die antiken Philosophen verfügt hätten, zur christlichen Re-
ligion. Schon allein die »schreckliche Ungewißheit« (57) des Skeptikers über
den Ursprung seiner selbst und der ihn umgebenden Welt – sie erscheint im
Text in Form eines fingierten Selbstgesprächs102 – könne jeden »vernünfftigen«
Menschen nur veranlassen, sich auf die Suche nach dem unbekannten Gott zu
machen.103 Damit wird umgekehrt in der bewährten Weise der Unachtsamkeit
der Status der »Thummheit« (58) oder »Thorheit« (59, 61) zugewiesen:

Wer nun der gleichen Gedancken bey sich fühlet / und gleichwol nicht daraus schlies-
set / daß er weiter nachforschen / und eine Gewißheit suchen soll / sondern dämpffet
solche Einfälle / und will sein Leben immerfort / ohne weitere Bekümmerniß / und
nur nach seinen Lüsten und Begierden / wie er kan und mag / fortstellen […] und
lieber ohne Vorsicht und Furcht sich so fort zum Tode / und was darauff erfolgt / wie
ein trunckener oder schlaffender Mensch schleppen lassen / der ist ja wol schwerlich
für einen vernünfftigen Menschen zu halten: Und solche sind gleichwol die jenigen /
welche / wo sie gleich nicht ausdrücklich GOtt verleugnen und verlachen / dennoch
in solcher Thummheit hingehen. (58)

Auch wenn dahinter für den Lutheraner Seckendorff in letzter Konsequenz


die allgemeine Verderbnis der Menschennatur durch den Sündenfall zum
Vorschein kommt,104 hält er seine Folgerung für so evident, dass sie keines

101
»Wir finden aber noch einen mercklichen Anstoß / der fast noch eine dritte Art
der Leute zwischen denen Gottesfürchtigen und Atheisten zu machen scheinet / nemlich
die Unachtsamkeit oder Trägheit / mittelst deren die Warhheit / oder die rechte Meynung
von GOtt und seinem Erkäntniß / zu erforschen / unterlassen wird.« (56)
102
»Ich weiß nicht recht / wie das menschliche Geschlecht in die Welt kommen /
noch was die Welt eigentlich sey / noch was ich selbst bin; ich spühre eine schreckliche
Ungewißheit in allen Dingen / ich verstehe nicht recht / was mein Leib / meine Seele /
mein Sinn ist: Eben diese Krafft in mir / durch welche ich dieses ietzo bedencke / kennet
sich selbst nicht / viel weniger andere Dinge.« (57)
103
So Seckendorff, in Anspielung auf Hiob 36,26 (»Siehe Gott ist groß und unbe-
kannt; seiner Jahre Zahl kann niemand erforschen.«): »[…] weniger weiß ich / wo ich nach
dem Tode hin komme / ob Leib und Seele mit einander auffgeben / oder ob ich in die
Hände eines GOttes fallen werde / der mir nichts gutes thun möchte / weil ich ihn nicht
kenne / noch an ihn gläube […].« (57 f.)
104
»Man kan aber gleichwohl die so gar unachtsamen Leute für nicht viel besser
als die Atheisten halten. Zum wenigsten erscheinet auch aus dem Exempel derselben die
Warheit der Christlichen Religion / welche diese zwey Hauptstücke lehret / nemlich die
Verderbung der menschlichen Natur / und deren Wieder-Auffrichtung durch Christum
[…]« (60) – So wird die Existenz des Gottesleugners in einer gewagten dialektischen Ar-
gumentation zum Beweis der christlichen Lehre: »Die Unachtsamkeit ist ein Beweiß der
Verderbniß der Natur / und also auch der Göttlichen Warheit […].« (59)
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360 Im Vorfeld der Aufklärung

umständlichen Vernunftbeweises nach Art der schulphilosophischen De-


duktionsverfahren bedürfe. Sie könne mit der alltagspraktischen rationalen
Grundausstattung des Menschen, dem common sense oder der recta ratio des
Naturrechts – »gesunde Vernunfft« nennt er es selbst (61) – erkannt werden.
Damit sichert sich Seckendorff, wie sein Vorbild Pascal, gegen mögliche skep-
tizistische Einwände ab, wie sie kurz vor Erscheinen des Christen-Stats erst
wieder durch Pierre Bayle (s. u.) erhoben worden waren:

Nun ist zwar aller Menschen Natur verderbet / und die Allerfrömmsten werden einen
Saamen oder einen Rest von solcher Trägheit und Unachtsamkeit öffters empfinden;
Es widerspricht aber dem allen auch die gesunde Vernunfft / (denn wir bleiben diß-
falls in äusserlichen argumenten) und gehöret keine grosse Gelehrsamkeit darzu / die
Thorheit eines solchen Verächters / und um seine Wohlfahrt unbesorgten Menschen
zu vermercken. (61)

3.3 Unruhe der Gottlosen – Glückseligkeit des Glaubens


Seckendorffs Adaption der »Pascalschen Wette«

Wie auch der Exkurs über die Unachtsamkeit noch einmal gezeigt hat, kann
sich Seckendorff für den vorsätzlichen Verzicht auf die göttliche Gnade, also
für den Übergang vom praktischen zum theoretischen Atheismus, kein ande-
res Motiv vorstellen als das Bedürfnis nach ungehemmter, d. h. ungestrafter
Triebentfaltung: »Die Atheisten suchen eine Sicherheit / bey Verübung ih-
rer Lüste.« (11) Mit ›Sicherheit‹ (securitas) ist hier wie bei Luther und später
bei Colbe ( II.2.3) die falsche Gewissensruhe des Weltmenschen gemeint,105
der sich gegen die Sündenangst unempfindlich gemacht hat.106 Das geschieht
Seckendorff zufolge durch eine »Verhärtung des Hertzens« (2) – traditionell
der Sitz des Gewissens und der natürlichen Gotteserkenntnis – gegenüber
105
»In dem Irrthum / daß man nicht schuldig sey / Christlich zu leben / stecken
hohe und freche Welt-Leute / welche die Gottesfurcht verlachen / oder nur aus fleischli-
chen Absehen einige Ubelthat unterlassen.« (23) – Dass Seckendorff hier vor allem adelige
Kreise im Auge hat, wird kurz darauf eindeutig klar gestellt: »Dahero sieht man / wie offt-
mal hohe Standes-Personen / oder auch solche / die sich durch Gunst oder andere Mittel
dem Oberkeitlichen Einsehen entziehen können / so gar frey ihren Lüsten nachhangen /
auch wohl die Larve gar abziehen / und ohne Scheu bekennen / daß sie von GOtt und
der Religion nichts halten / sondern ihrer Meynung nach sich von solchem Zwang sehr
weißlich und muthig / und / wie sie zu reden pflegen / generosè, oder cavallierement, und
aus galanterie, frey gemacht und emancipiret.« (24)
106
Ihre geschichtliche Wurzel vermutet Seckendorff traditionsgemäß in der Verbrei-
tung der Lehre Epikurs innerhalb der römischen Oberschicht: »Hingegen die Epicurische
Sicherheit und Atheisterey durchgehends vermercket und geheget / wie die Schrifften der
heiligen Apostel diesen Zustand der Heydenschaft zu ihrer Zeit beschrieben / daß sie ohne
GOtt und ohne Hoffnung gelebet / und wäre zu wündschen / daß derselbe gantz und gar
auffgehöret hätte / und nicht noch immer mitten in der Christenheit auff gewisse Masse
anzutreffen wäre.« (118) – Auch hier wird deutlich, wie nah Seckendorff bei Luther bleibt,
der in ähnlicher Weise Epikureismus mit ›Sicherheit‹ assoziierte ( I.1.5).
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Seckendorffs Christen-Stat 361

dem Versprechen eines ewigen Lebens. Leugnung der Unsterblichkeit und


der daraus abgeleitete Vorsatz, das irdische Leben ohne Rücksicht auf Gesetz
und Moral zu genießen,107 setzen sich zusammen zu jenem hedonistisch-epi-
kureischen Glaubensbekenntnis, das zu den wichtigsten Stereotypen der an-
tiatheistischen Polemik gehört und im Feindbild des Freigeists auch noch den
Großteil des 18. Jahrhunderts überdauern wird:

Der Atheist oder der Ungläubige suchet in seiner Ruchlosigkeit und Verläugnung
GOttes diese Sicherheit / daß er seiner Meynung nach / weder Gutes noch Böses /
weder Straffe noch Belohnung von GOtt zu gewarten habe / weder in diesem noch in
jenem Leben / sonderlich / weil er von einem andern Leben nichts wissen / sondern
mit Leib und Seel untergehen und zunichte werden wil. In dieser Meynung kan er
nun kein ander Absehen haben / als daß er dieses zeitlichen Lebens zu seiner besten
Vergnügung gebrauche / und sich weiter umb nichts bekümmere / im wenigsten aber
sich ein Gewissen über sein Thun oder Lassen mache / oder über das nach dem Tode
zukünfftige Leben ängstige / wie die jenigen thun / welche sich zu einer Religion
ernstlich und von Hertzen bekennen. (11)

An diesem Punkt setzt Seckendorffs eigentliche apologetische Strategie an, mit


der er als einer der ersten deutschen Autoren den Weg in Richtung theologische
Aufklärung einschlägt. Dem polemisch gezeichneten epikureisch-libertinisti-
schen Lustkalkül setzt er einen christlichen Eudämonismus entgegen, dessen
Zentralwert die Seelenruhe darstellt.108 Konsequent stellt Seckendorff daher
auch seine Gegenüberstellung von Glauben und Unglauben im ersten Buch
des Christen-Stat von Anfang an unter den Leitbegriff der »Glückseligkeit«.109
Auf diese Weise will er die Disjunktion von irdisch-zeitlichem und himmlisch-
ewigem Wohlergehen, wie er sie den Atheisten und ›Heuchlern‹ pauschal
unterstellt, als Scheinalternative entlarven, um so den seiner Meinung nach
hauptsächlichen Weg zum Atheismus zu verstellen. Dem ewigen Leben, der
Seligkeit, wird dabei durch eine geringfügige lexikalische Umbesetzung, die
der lateinische Ausdruck beatitudo durchaus erlaubt, der Status einer »höhern

107
So auch noch etwas später im Text: »Eben hieraus kan jeder verständige Mensch
den Ungrund / die Schande und die Unbilligkeit der Atheistischen Meynung erkennen /
weil warhafftig und gewiß nichts anders damit gesuchet wird / als die menschlichen Lüste;
wann und wie man nemlich ohne Hinderniß und Gefahr dazu gelangen könte / es sey
Unzucht / Rache / Betrug / Raub oder anders.« (25)
108
Das Argument wird nicht nur bei Richard Bentley wiederkehren (z. B. The Folly
of Atheism, S. 17), sondern auch vielfach in den Moralischen Wochenschriften und der
aufklärerischen Lehrdichtung. Dazu ausführlich in Kap. VI.2 u. VI.3.
109
»ES sind / so lange man Nachricht und Erfahrung hat / unter denen Menschen /
welche ihren Verstand brauchen können / diese zwey gegen einander streitenden Mey-
nungen / aus welchen die Erkäntniß und Erlangung der wahren Glückseligkeit fliessen
muß / gewesen […] / nemlich: daß etliche / und zwar / dem äusserlichen Vorgeben nach /
die meisten / erkennen und bekennen / es sey ein GOtt / oder ein Göttliches Wesen: An-
dere aber / und zwar / wenn man nach ihren Worten urtheilen solte / die wenigsten / leug-
nen dieses / und wollen von GOtt oder einem Göttlichen Wesen nichts wissen.« (1)
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362 Im Vorfeld der Aufklärung

Glückseligkeit« zugewiesen (12; Hervorh. d. Verf.). Durch die Hoffnung auf


diesen Zustand, so die Argumentation, sei dem Christen aber bereits auf Erden
ein »Anfang der Seligkeit« beschieden (9).110
Den Atheisten suche dagegen die »Unruh« heim (11), die bekanntlich schon
Augustinus als Befindlichkeit des von Gott entfernten Herzens ausgemacht
hatte.111 Darüber hinaus aber minimiere der christliche Triebverzicht, der hier
wie bei Luther nicht als asketische Willensleistung verstanden wird, sondern
als quasi natürliche Folge der inneren Öffnung zu Gott hin,112 die Wahrschein-
lichkeit menschlichen Unglücks. Denn dieses resultiere, wie Seckendorff in
Übereinstimmung mit antiker wie neuzeitlicher Ethik und Diätetik festhält,
vorwiegend aus der »Gewalt der bösen Lüste« (10), also aus den unkontrol-
lierten Affekten oder Leidenschaften. Dass die wahre Glückseligkeit ohnehin
nicht in Wollust (28–35), insbesondere »Hurerey« (31), »Vollsaufen« (35–37)
und anderen Vergnügungen bestehe, trägt Seckendorff in späteren Kapiteln
nach und verschmäht es auch nicht, in diesem Zusammenhang auf das epiku-
rische Mäßigungsgebot hinzuweisen.113 Mehr durch rhetorisch-pastorale Am-
plifikation der Zentralbegriffe »Ruhe« und »Glückseligkeit« als durch argu-
mentative Vertiefung entsteht so, in Vorwegnahme aufklärerisch-neologischer
Positionen, ein früher Entwurf des Christentums als »Glückseligkeitslehre«:114

[V]ornehmlich aber stärcket sie die Hoffnung eines bessern und ewigen Lebens / durch
welche sie alle zeitliche Noth und Trübsal / ja den Tod selbst verachten und überwin-
den / indem sie ihren gantzen Zweck auff eine ewige Glückseligkeit setzen / und durch

110
Zum Kontext vgl. – bereits mit Blick auf Pascal (s. u.) – die klassische Darstellung
von Hazard 1933, S. 342–354 (Kap. Das Glück hier auf Erden), bes. S. 347 f. (zu Shaftes-
burys Kritik an Pascals Wettidee).
111
Augustinus, Confessiones, I,1,1 (PL 32, S. 661): »Tu excitas, ut laudare te delectet,
quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.«
112
Luther hat diese Überlegungen besonders in der Römerbrief-Vorrede entwickelt.
Vgl. dazu die Hinweise in Kap. I.1.3.
113
So schon in der Überschrift zu Kap. 2, § 1: »Das Licht der Natur weiset / daß
in Ausübung der Wollust keine wahre Glückseligkeit sey / dahero auch die Epicurische
Meynung eine Mäßigung gesuchet.« (28) – Der christliche Gegenentwurf dazu (Kap. 8,
§ 4): »Der menschlichen Seelen Glückseligkeit beruhet nicht in fleischlichen Dingen / son-
dern (wie solches auch die Philosophi gemercket) in dem / was der Verstand empfindet /
oder in der Unsterbligkeit / welche jene zwar vermuthet / aber nicht gewiß gläuben kön-
nen / vom Wort Gottes aber bekräftiget wird.« (108) – Um 1750 wird daraus, im Zusam-
menhang der anthropologischen Sicht auf den ›ganzen Menschen‹ der Versuch werden,
sogar den Begriff der Wollust für die christliche Religion zu reklamieren, so in England bei
Edward Young, in Deutschland bei Jerusalem und Spalding. Vgl. dazu Spiekermann 2016.
114
Der Ausdruck nach der neologischen Programmschrift von Gotthelf Samuel
Steinbart, System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christentums, 1778,
4
1794. – Das typisch neologische und folglich ›neuprotestantische‹ Verfahren, die mensch-
liche Glückseligkeit von der göttlichen Güte herzuleiten, findet sich bei Seckendorff gegen
Ende des apologetischen ersten Buchs: »Es ist aber auch die Göttliche Güte so groß /
daß sie dem Menschen sich mittheilen / und ihn glückselig machen will: Und also ist der
Zweck der Religion auff Seiten des Menschen seine eigene Glückseligkeit.« (107)
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Seckendorffs Christen-Stat 363

den Tod dazu zu gelangen / in völliger Hoffnung stehen. Inzwischen sind sie in und
Krafft solcher Hoffnung schon selig / und geniessen in diesem Leben durch die Versi-
cherung der Göttlichen Gnade / eine unbeschreibliche Vergnügung […]. (10 f.)

Eine besonders raffinierte Zuspitzung erfährt dieses Argument durch die Ver-
bindung mit einem apologetischen Modell, das als »Pascalsche Wette« in die
Ideengeschichte eingegangen ist.115 In seinen Pensées (1669 zuerst gedruckt)
hatte der französische Philosoph und Mathematiker skeptizistische Einwände
gegen die Beweisbarkeit Gottes dadurch pariert, dass er an die Stelle der tradi-
tionellen Gottesbeweise ein Gedankenexperiment setzte, das in seiner Kühn-
heit an das berühmte Etiamsi daremus der Naturrechtsdebatte heranreicht:116
Wenn die Existenz Gottes ebenso wenig beweisbar sei wie seine Nichtexis-
tenz, könne man die Entscheidung für den Glauben oder Nichtglauben an ein
ewiges Leben mit einer Wette vergleichen.117 Die Argumentation zielt darauf
ab, dass dabei nur der Atheist wirklich verlieren könne, in dem Fall nämlich,
wenn es doch einen Gott gebe, der den Unglauben mitsamt der hier unter-
stellten libertinistischen Lebensweise nunmehr mit ewigen Strafen vergelte.
Dagegen habe der Gläubige insofern nichts verloren, als er sein Leben nach
christlichen Grundsätzen eingerichtet und dadurch viel körperliches und see-
lisches Leid vermieden habe.118 Insofern habe er schon mit Blick auf das irdi-
sche Leben allein die Wette gewonnen.119 Natürlich ist darin einmal mehr die

115
Zu Pascals Leben, Lehre und Wirkung allgemein vgl. Neuer Ueberweg 17/2,
1993, S. 529–570 ( Jean Mesnard). – Das Interesse am Wettgleichnis – einem der bekann-
testen Gottesbeweise überhaupt (obgleich es sich nicht im engeren Sinne um einen Beweis
handelt) – ist immens, die Zahl der Publikationen längst unüberschaubar geworden (für
bibliografische Hinweise an dieser Stelle danke ich Ladislaus Ludescher). Aus der älteren
Forschung vgl. nach wie vor Goldmann 1955, S. 423–452 (im Zusammenhang mit Pascals
Anthropologie des gefallenen Menschen und der Auseinandersetzung mit Port Royal),
Gouhier 21971, S. 245–306, sowie Goldmann 1956 (zur Dialogstruktur des Wettfragments
§ 233 und dem imaginierten Leser, einem Libertin!); ferner Zwierlein 1996, S. 88–97, Elster
2003 (mit einer entscheidungstheoretischen Lesart) sowie, mit Hinweisen zur Wahrschein-
lichkeitsrechnung, Kirsch 1989, S. 102–122; hier vorzuziehen: Rieger 2010, S. 277–324, mit
einer religionsphilosophischen Deutung, unter Einbezug des Werkkontexts; alle Perspek-
tiven vereint in monografischer Breite Jordan 2006; zusammenfassend, die apologetische
Tradition (Mornay, Grotius) mit bedenkend: Schmidt-Biggemann 1999, S. 95–98; histori-
sche und aktuelle Perspektiven verbindet Garber 2009; nicht zu vergessen, aus Sicht eines
Kritikers, Dawkins 2006, S. 103–105.
116
Pascal, Pensées, § 233 (S. 134–138). – Zum »Etiamsi daremus« s. Kap. I.3.5.
117
Ebd., S. 135 (§ 233): »Examinons donc ce point, et disons: ›Dieu est, ou il n’est
pas‹. Mais de quel côté pencherons-nous? La raison n’y peut rien determiner. Il se joue un
jeu, à l’extremité de cette discance infinie, où il arrivera croix ou pile. Que gagerez-vous?«
118
Sehr knapp etwa auch ebd., S. 309 (§ 844): »Les trois marques de la religion: le
perpétuité la bonne vie, les miracles.«
119
Ebd., S. 138 (§ 233): »Vous serez fidèle, honnête, humble, reconnaissant, bienfai-
sant, ami sincère, véritable. A la vérité, vous ne serez point dans les plaisirs empestés, dans
la gloire, dans les délices; mai n’en aurez-vous point d’autres? Je vous dis que vous y gag-
nerez en cette vie […].«
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364 Im Vorfeld der Aufklärung

Prämisse enthalten, die bald darauf von Pierre Bayle (s. o.) bestritten werden
sollte: dass der wahre Christ getreulich den göttlichen Geboten folge, sich also
tugendhaft verhalte, während ein Atheist notwendig auf einen amoralischen
Hedonismus verfallen müsse.120 Den entscheidenden Vorteil für den Gläubi-
gen sieht Pascal allerdings in der Seelenruhe, in der jener seine Zeit auf Erden
zugebracht habe, während der Atheist oder Skeptiker in seiner Ungewissheit
(incertitude) zwischen zwei Schreckenszenarien gefangen bleibe: der vollstän-
digen Vernichtung oder der ewigen Bestrafung. Weil insofern der Christ für
einen vergleichsweise geringen Einsatz nichts verlieren, aber alles gewinnen
könne,121 sei die Wette auf die Existenz Gottes, schon im Blick auf das irdische
Dasein allein, dem Unglauben vorzuziehen.122
Diese Argumentation ist bei Seckendorff bis ins Detail nachgebildet,123 so-
gar die Glücksspielanalogie wird in § 11 des ersten Kapitels breit ausgeführt.
Während sich Seckendorff in der Vorrede und in den Additiones explizit als
Leser Pascals bekennt,124 wird im Haupttext als Quelle des Gedankenexperi-
ments »ein gelehrter Mann« (15) angegeben.125 Dennoch ist die Rezeption un-
übersehbar. Durch das Glückseligkeitsargument ist der Boden bereitet für das
Wettgleichnis, das in die zu erwartende Pointe mündet: »Bey dem Glauben ist
mehr Sicherheit / auch nach menschlicher Ermessung / als beym Atheismo.«
(13) Dieses Ergebnis wird von Seckendorff als Folgerung der rationalen »Er-
messung« (hier erneut zu verstehen im Sinne des common sense) präsentiert,
während er die Haltung des Atheisten im Anschluss an den insipiens-Topos

120
So etwa auch ebd., S. 206 (§ 541): »Nul n’est heureux comme un vrai chrétien, ni
raisonnable, ni vertueux, ni aimable.« – Keine weltliche Klugheitslehre – hier als »honnêté«
bezeichnet – komme der ›wahren‹ Religion darin gleich (ebd., § 542): »Il n’y a que la religi-
on chrétienne qui rende l’homme aimable et heureux tout ensemble. Dans l’honnêté, on ne
peut être aimable et heureux ensemble.« – Das schließt für Pascal gerade nicht aus, dass die
christliche Religion den Menschen als lasterhaftes, ›abscheuliches‹ Wesen vorstellt (S. 206,
§ 537): »Le christianisme et étrange. Il ordonne à l’homme de reconnaître qu’il est vil, et
même abominable, et lui ordonne de vouloir être semblable a Dieu.«
121
Ebd., S. 136 (§ 233): »Estimons ces deux cas: si vous gagnez, vous gagnez tout; si
vous perdez, vous ne perdez rien.«
122
Ebd.: »Gagez donc qu’il est, sans hésiter.«
123
Sie nimmt im Christen-Stat, zusammen mit der Glückseligkeitsbehauptung, die
§§ 9–15 des ersten Kapitels ein. Bündig zusammengefasst ist sie in der Überschrift zu § 11:
»Bey den Atheisten wird gegen eine geringe und kurtze zeitliche Lust die Gefahr ewiger
Straffe gleichsam auf das Spiel gesetzet / da doch keine Gewißheit der Atheisten Meynung
zu behaupten / bey dem Glauben aber wird ein geringer Verlust / an Ausübung eigener
Lüste / durch die Hoffnung einer ewigen Glückseligkeit reichlich vergolten.« (15)
124
Seckendorff, Additiones, S. 17: »Des Pascals habe ich mit gehörigem Lob in der
Praefation gedacht / und wäre zu wündschen / daß selbiger Autor sein Werck auszufüh-
ren / Krafft und Leben gehabt hätte.«
125
»Es vergleicht es ein gelehrter Mann mit einem Spiel / da einer ein weniges auf-
fsetzet / dessen Verlust er zwar gewarten muß / verschmertzet aber solchen wegen die
Hoffnung eines weit grössern Gewinnes […].« (15)
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Seckendorffs Christen-Stat 365

( I.1; I.4; IV.4) als »thörlich« (14, 15)126 bezeichnet.127 Die Vernunft gebiete es
daher auch, sich der Religion aktiv zu versichern, und zwar in komplementä-
rer Entsprechung zu den zwei Erscheinungsweisen des Unglaubens, »in The-
oria & Praxi« (18).128

3.4 Christenstaat versus Atheistenstaat


Seckendorffs Auseinandersetzung mit Bayle

Warum diese Zuspitzung von Bedeutung ist, zeigt sich im Folgenden, wenn
Seckendorff, auch hierin Schüler Pascals und Luthers, die natürliche Religion
allein, also (mit Pascals berühmter Formel) den ›Gott der Philosophen‹, für
unzureichend erklärt. Da nämlich der bloße Verstand, wie es weiter heißt, »zu
dergleichen Dingen«, also zur Erkenntnis Gottes und der Pflichten gegen ihn
»düster und ungeschickt« sei (19) und selbst das menschliche Herz als Sitz
der ›natürlichen‹ Gotteserkenntnis notorisch von »Tücke und Zweiffel« er-
füllt sei (19), bleibe nur der oben beschriebene Weg der aktiven Gottessuche
in der Hoffnung auf die himmlische Gnade. Mit dieser starken Betonung der
menschlichen Affektnatur, die Seckendorff einen Platz zwischen höfischer
Moralistik und frühaufklärerisch-akademischer Vorurteilslehre zuweist, ist
einmal mehr der Boden der rationalistischen Theologie des 17. Jahrhunderts
verlassen. Die ›vernünftige‹ Religion wird zwar nicht verworfen, verbindet
sich aber mit dem auf Herzensfrömmigkeit und praxis pietatis ausgerichteten
Glaubensverständnis der kirchlichen Reformbewegungen. Folglich ist auch
hier wieder der Weg zur theologischen Aufklärung beschritten:

Es ist nicht genug / daß man nur eine Vermuthung oder wahrscheinliche Gedancken
von GOTT und der Seligkeit habe / denn das haben auch die Heydnischen Welt-
weisen oder Philosophi etlicher massen gehabt […] sondern es muß beydes beysam-
men seyn / nemlich die Warheit der Religion / und deren nützliche Ubung in des

126
Ebenso wenig später: »Also waget es der Atheist auffs allerthörichtste [!] / in-
dem er entweder eine gewisse ewig währende und vollkommene Glückseligkeit / um einer
kurtzen und unvollkommenen willen verachtet / oder eine zwar von ihm nicht für gewiß
gehaltene undendliche Unglückseligkeit / Straffe und Pein / mit einem so leichten Mit-
tel / als durch GOttes Beystand / der Glaube und die Gottesfurcht ist / nicht vermindert /
noch derselben zuvorkommen […] wil.« (17)
127
»Hieraus ist leichtlich zu begreiffen / weil es unumbgänglich zwischen diesen
beyden Meynungen gewehlet seyn muß / daß auch der Vernunfft nach (denn ietzo rede
ich nach derselben / unbeschadet der motiven aus GOttes Wort/) besser und sicherer sey /
einen GOtt / und an GOTT zu glauben / als dem Unglauben der Atheisten anzuhangen
[…]. Aber der Atheist muß nothwendig einbüssen / wann ihn seine Meynung (wie denn
mehr als zu gewiß geschiehet) betriegen wird.« (14)
128
»So nun dem also / und ein ieder mit Vernunfft begabter Mensch bey sich
selbst unwidersprechlich schliessen muß / es sey das Allersicherste / eine Religion / oder
Glauben an GOTT zu haben / von welchem die Glückseligkeit des Menschen / und
seiner unsterblichen Seele / herkommen müsse: So liegt dann ferner einem ieden ob /
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366 Im Vorfeld der Aufklärung

Menschen gantzem Thun und Leben. Es muß nicht allein der Verstand und die Wis-
senschafft / sondern auch der Wille / das Herz oder Gemüth der Menschen von der
Religion und Gottesfurcht eingenommen seyn. (19)

Zugleich ist auf diese Weise, wie schon bei Pascal, ein Gegengewicht zum
Skeptizismus und anthropologischen Pessimismus geschaffen, wie er in den
Jahrzehnten vor 1700 vor allem mit dem Namen Pierre Bayle assoziiert wurde
(s. o.).129 Seckendorff gehört zu den ersten Autoren, die sich dieser neuen Her-
ausforderung annahmen. Im Rahmen seiner common sense-gestützten apolo-
getischen Strategie scheint das auch unvermeidlich. Denn dort greift er auf das
vinculum societatis-Argument zurück, das ihm aus Staatslehre und Naturrecht
bestens bekannt war: Der Atheismus – hier erneut definiert als Befreiung »von
aller innerlichen Gewissens-Unruhe« (25) – sei schon allein daraus zu wider-
legen, dass er niemals zu einer allgemein verbreiteten Haltung werden könne.
Denn aus der damit verbundenen Preisgabe aller moralischen Vorbehalte ein-
schließlich familiärer und sonstiger sozialer Bindungen folge unweigerlich ein
Zusammenbruch des »gemeinen Wesens« (26). Das Szenario, das Seckendorff
im Folgenden zeichnet, ist bei Bodin oder Tholosanus ( I.3) ebenso vorweg-
genommen wie im Römerbrief (Röm 1,29 ff.) oder im Psalter. Es verwundert
daher nicht, dass genau an dieser Stelle auch der biblische insipiens zurück-
kehrt.130 Eine besondere Pointierung des traditionellen Arguments erreicht
Seckendorff durch den Hinweis, dass der konsequent verwirklichte Atheis-
tenstaat Folgen nach sich ziehe, die dem Atheisten selbst höchst unlieb sein
dürften. Denn in einer Gesellschaft von Kriminellen wäre jeder Täter zugleich
potenzielles Opfer:

Es wäre dabey keine einige menschliche Gesellschafft / weder zwischen Mann und
Weib / noch zwischen Eltern und Kindern / noch zwischen Herren und Knechten /
Obrigkeit und Unterthanen zu erhalten. […] Kein Mann wäre seines Eheweibes /
kein Vater seines Sohnes / kein Herr seines Knechts oder Unterthans nicht eine Stun-
de versichert / sondern ein ieder wäre ja / wann er allein auf seine Lust und auf seinen
Nutzen zu sehen hat / nach des Atheisten Ausspruch ein grosser Narr und Thor /

daß er sich in der Religion und dem Glauben fest und gewiß mache / auch derselben nütz-
lich gebrauche.« (18 f.)
129
Dass Bayle entgegen zeitgenössischen Vorwürfen eher einem offenbarungsgläu-
bigen Fideismus zuneigte, gilt in der Forschung als weitgehend gesichert, auch wenn viele
Ideenhistoriker – in Fortsetzung der apologetischen Gesinnungsspürerei – regelmäßig für
seinen heimlichen Atheismus und Skeptizismus plädieren; eine gründliche Aufarbeitung
der Diskussion bietet Stricker 2003, S. 25–62.
130
»Darum bleibt wohl wahr / daß die rechten und grössesten / ja aller unbilligsten
und gröbsten Thoren die jenigen seyn müssen / welche (wie David klaget) in ihren Herzen
sprechen / Es sey kein GOtt / indem dieselbe unter und neben sich keinen leiden kön-
nen / (wann sie sich recht besinnen / und nichts aus Frechheit reden) der solcher Meynung
ernstlich zugethan wäre / und nach deren Reguhln lebte.« (26 f.)
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Seckendorffs Christen-Stat 367

dafern er solche Lust und Nutzen zu suchen unterliesse / denn was kan ihn davon (so
fern äusserlicher Zwang und Straffe nicht zu besorgen) abhalten? (26 f.)

Die Tatsache, dass dies trotz der bekannten Verderbtheit der menschlichen
Natur noch nicht geschehen sei, wertet Seckendorff als einen weiteren aposte-
riorischen Beweis für die Existenz eines göttlichen Lenkers und Richters.131 Er
war sich freilich bewusst, dass er sich dabei auf einen breiten, autoritativ befes-
tigten Konsens stützen konnte.132 Bayles kurz zuvor erfolgter Einspruch mach-
te nun jedoch eine Anmerkung nötig, die Seckendorff gemäß dem eingangs
beschriebenen Verfahren in die Additiones verschob, wohl auch deswegen,
weil ihm dessen Schrift »erst nach vollbrachter Ausarbeitung« seines Buchs
bekannt geworden war. Dort referiert er unter dem Titel »Anführung und Er-
wegung einer neuen opinion, von dem Effect des Atheismi«133 auf mehreren
Seiten, ganz nach Art einer Rezension, Bayles Argumentation in den Pensées
diverses ausführlich und inhaltlich adäquat, aber offenbar noch ohne Kennt-
nis des anonymen Verfassers.134 Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf,
wie Seckendorff, anders als spätere Gegner, sein Referat auf die vorhandenen
Gemeinsamkeiten hin ausrichtet und damit Bayles berühmte Argumentation
zumindest teilweise auf die Mühlen der Apologetik zurückzuleiten versucht.
Dies geschieht vor allem dadurch, dass er Bayles Behauptung, von der Glau-
bensüberzeugung (oder deren Fehlen) führe kein wirksamer Weg zum prakti-
schen Handeln,135 auf die natürliche Theologie und den Deismus hin umlenkt.
Ganz falsch liegt er damit nicht, schließlich bildete den Ausgangspunkt für
Bayles Überlegungen dessen Kritik an den heidnischen Religionen.136 Und da

131
»Weil aber gleichwohl solche noch erhalten werden / und Liebe / Vertrauen /
Treue und Redligkeit / dennoch zum wenigsten etlicher Massen und zum Behelff des ge-
meinen Wesens bestehet / (denn sonst könte keine Stadt / Dorff noch Haus regiret wer-
den) so ist ja handgreifflich / daß auch nach der Vernunfft / und dem verderbten Stande
der Natur ein Gewissen / und also auch nothwendig ein Stiffter / und ein Richter und
Schutz-Herr des Gewissens sey / aus dessen innerlicher angebohrner Erkäntniß und
Scheu die Boßheit nicht gantz und gar überhand nehmen könne / und das kan nichts an-
ders seyn / als Gott und dessen Regierung.« (26)
132
Seckendorff, Additiones, S. 31: »Daß aus dem Atheismo ein gottloses Leben und
Zerrüttung des gemeinen Wesens folge / ist eine fast allgemeine / und von allen Autoren /
die dawider schreiben / weitläufftig und beweglich fürgestellete Meynung.«
133
Ebd., S. 31.
134
Ebd., S. 31–37.
135
Ebd., S. 32: »Darum gehet er mit seiner Meynung dahin / es sey ein mercklicher
Unterschied unter einer gemeien Einbildung / Erkäntnis und Bekäntnis / und derselben
Application oder Ubung.«
136
Ebd., S. 31 f.: »Der Inhalt ist dieser / daß / weil die Abgöttischen Heyden die also
eigentlich keine Athei, sondern Polythei gewesen / und also mehr als zuviel Religion ge-
habt, eben so gottloß und leichtfertig / (wie Paulus Rom. I. beschreibt /) gelebet / als kein
Atheist leben könne / wie er denn Exempel derer jenigen anziehet / die eyferig und aber-
gläubisch genung gewesen / und doch die grössesten Schandtaten begangen. So erscheine /
daß die blosse Religion / oder die Furcht Gottes / und die Empfindung eines Gewissens /
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368 Im Vorfeld der Aufklärung

Bayle selbst, wie wir oben gesehen haben, zwischen äußerlichem Gottesdienst
und wahrer Frömmigkeit (›véritable devotion‹) unterschied,137 bot er Secken-
dorff die ungewöhnliche Gelegenheit, unter Berufung auf die berüchtigte Ko-
metenschrift die pietistische Kirchenkritik mitsamt ihrer Sünden- und Entlar-
vungspsychologie zu unterstreichen:

Woher ists dann nun müglich / daß auch unter den Christen / welche so treffliche Un-
terweisung münd- und schrifftlich haben / gleichwol so gar wenig der Lehre gemäß
gelebet wird? […] Das eusserliche ceremonien-Werck hält man wohl bey allen Reli-
gionen / aber man lässet sich dadurch nicht hindern an Verübung dessen / darzu man
Lust hat / man hält die Fasten zum Exempel / aber man unterlässet nicht zu lügen /
zu betriegen / zu wuchern / sich zu rächen und Uppigkeit zu treiben. Also müssen
die Leute in dem Wahn stehen / daß sie zwar GOttes Gebot / oder vorgeschriebe-
ne Form des Gottes-Dienstes leisten können / und solches zu thun schuldig sind /
aber doch darbey ihre Wollüste und Begierden ausüben / und von GOTT durch den
äusserlichen Gottesdienst Vergebung /und also gleichsam die Zulassung zu sündigen
erlangen können.138

Mit sicherem Griff spürt er auch im Weiteren diejenigen Passagen im Text auf,
die seiner Deutung in die Hände spielen. So gibt er zwar die bekannte Schluss-
folgerung, der Atheismus sei »nicht die nothwendige / sondern nur eine zufäl-
lige Ursache des bösen verderbten Lebens«,139 korrekt wieder, stellt dem aber
Bayles Verurteilung derjenigen Atheisten entgegen, die vorsätzlich, nämlich
um sich ihres gottlosen Lebens wegen nicht mehr fürchten zu müssen, dem
Zweifel nachgeben würden.140 Denn das entspricht genau den Überlegungen
zur Entstehung des Unglaubens im Individuum, wie sie schon in den reforma-
torischen Psalterkommentaren ( I.1) und seither in zahlreichen Werken der
Apologetik vorkamen. Während Bayle nun aber diese Gruppe beschreibt, um
auf den gängigen Fehlschluss aufmerksam zu machen, dass alle Atheisten so

die Leute nicht vom Bösen abhalte / und also auch einer / der weder GOtt / Geist / noch
Gewissen gläube / fromm und erbar seyn und leben könne.«
137
So auch Seckendorff (ebd., S. 32): »Die allgemeine Erkäntnis Gottes mache nur
einen eusserlichen Gottesdienst / mittelst dessen man Gott zu versöhnen und die Straffe
abzuwenden sich einbilde / und dahero / weil der wahren Gottseligen Leute wenig sind /
müsten die Gesetze / und deren Execution das beste thun […].«
138
Ebd., S. 33 f.
139
Ebd., S. 35.
140
Bayle, Pensées diverses, ed. Prat, Bd. II, S. 121 f. (§ 177): »Je ne croi pas que tous
les Athées soient de cette espéce; je croi seulement, qu’il y a des gens qui tâchent de se
persuader l’Atheïsme. Soit qu’ils en viennent à bout, soit qu’ils n’y puissent pas reüssir, ce
sont les plus méchans, parce qu’ils ont été méchans; et s’ils ne peuvent pas devenir Athées,
ils ne laissent pas de vivre comme s’ils l’étoient. […] Or, parce que ceux qui étouffent, ou
qui tâchent d’étouffer dans leur ame par belle malice, la connoissance de Dieu, sont les plus
insignes debauchez et les plus determinez pecheurs qui soient au monde, on se persuade
que tous les Athées indifferemment sont des scelerats.«
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Seckendorffs Christen-Stat 369

sein müssten,141 hebt Seckendorff das darin liegende, zumindest partielle Zuge-
ständnis an die herrschende Meinung der Apologetik hervor:

So viel räumt er aber ein / daß die Allerlösesten und Aergsten diejenigen sind / welche
eben darum / daß sie schon in Lastern stecken / sich ie mehr und mehr selbst überre-
den / ob sey kein GOtt / und also auch dessen Furcht und die Verbindligkeit des Ge-
wissens / und dessen Regulen / aus dem Hertze schlügen / und ob einer gleich solches
nicht ausrichten und sich also gantz sicher machen könne / so sey er doch ärger / als
der nie etwas von GOtt gehöret oder geglaubet […].142

Nach demselben Muster zeichnet er zwar – wenngleich abgeschwächt143 –


Bayles Schadensabwägung zwischen Atheismus und Aberglauben zuguns-
ten des Ersteren nach, weist aber im gleichen Atemzug auf Bayles Kritik an
der »Heucheley« der Pharisäer wie auch auf die in der Kometenschrift be-
nannte »Haupt-Ursache des Verderbens der Menschen« hin, nämlich die
»Erbsunde«.144 Dass hier in der Tat ein wichtiger Konvergenzpunkt zwischen
Bayle und der Apologetik aus dem Umkreis der großen Frömmigkeitsbewe-
gungen liegt, haben wir oben bei der Analyse der Pensées diverses gesehen.
Schließlich aber schränkt Seckendorff Bayles Kritik der heidnischen Religi-
onen mit dessen eigener Beobachtung ein, dass keine noch so sittenlose Re-
ligion je so weit gehe, ausdrücklich das Laster zu empfehlen. Obgleich dieser
Punkt durch Bayles psychologisch-empirische Beweisführung gar nicht be-
rührt wird, kann Seckendorff so den zumindest normativen Zusammenhang
von Religion und Sittlichkeit, den Bayle der Idee nach ja durchaus einräumt,
aus der Kometenschrift herauslesen.145
Mit diesen Akzentuierungen, die keineswegs Verfälschungen darstellen,
arbeitet Seckendorff schon im Zuge seines Referats der daran anschließen-
den Gegendarstellung vor, die sich zwar nicht als gründliche Widerlegung
versteht,146 aber doch den Finger auf entscheidende Stellen legt, um zu zeigen,
»daß deßhalben die gebräuchliche Lehr-Art« nicht »umzustossen« sei.147 Er
beginnt mit einer rhetorischen concessio, die in Wirklichkeit Bayles Kritik vom

141
Korrekt referiert in den Additiones, S. 35 f.: »Aber von solchen vorsetzlichen und
beharrlich Gottloß-gesinneten / könne man nicht auff alle Atheisten schliessen.«
142
Ebd., S. 35.
143
Der Atheismus, so Seckendorff, sei Bayle zufolge »fast leidlicher als die thörichte
Religion der Heyden« (ebd., S. 37). Bayle hatte sich noch entschiedener geäußert (s. o.).
144
Ebd.
145
Ebd.: »Unterdessen mercket er auch an / daß gleichwol keine Religion gewesen /
oder auch von den gottlosesten Leuten gelitten würde / worinnen man offentlich lehrete /
daß die Laster recht / und zugelassen wären / welches eine Anzeige giebt / daß der Mensch
von Gott und der Religion eine bessere Meynung in seinem Hertzen habe / ob er gleich in
seinem Leben frey seyn / und seinen Lüsten folgen wolle.«
146
Ebd., S. 38: »[…] Aber doch überlasse ich gelehrterer und scharfsinnigerer Leute
judicio, ob diese Meynung des Anonymi, daß der Atheismus weder die Laster wircke /
noch von der Tugend in gemeinem Leben abhalte / sicher sey.«
147
Ebd.
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370 Im Vorfeld der Aufklärung

Christentum weg und hin zum Deismus und zur philosophischen Rational-
theologie lenkt. Damit sichert er zugleich einmal mehr sein Vorhaben einer
politisch-sittlichen Reform aller Stände aus dem Geist der vera religio ab:

Wahr ist es / daß die allgemeine oder natürliche Einbildung von GOtt und Göttlicher
Regierung / Straffe und Belohnung / nicht genug sey / den Menschen recht Gottselig
zu machen / darum dann auch nicht allein wider die Atheisten, sondern auch wider
die Deisten, oder diejenigen / welche ohne die Lehre Christi / oder das Evangelium
fromm und glückselig seyn wollen / gehandelt / und die Verbesserung der Stände im
andern und dritten Buch nicht aus der Philosophischen Wissenschaft von GOtt / son-
dern aus dem Grund des Christenthums her gezogen ist […].148

Gegen Bayles moralistische Argumentation, die ja der Sache nach mit der Kir-
chenkritik der religiösen Reformbewegungen seit Arndt übereinstimmt, hat
er daher auch wenig einzuwenden und hebt wie jener die Notwendigkeit der
göttlichen Gnade und »Erleuchtung« hervor. Sie allein könne den »Grund zur
wahren Tugend« abgeben.149 Wie wir bei der Analyse der Kometenschrift ge-
sehen haben, ist diese Lektüre sehr wohl durch Bayles theologische Ansich-
ten gedeckt. Sehr genau bezeichnet Seckendorff dagegen den Punkt, wo Bayle
vom Atheismusbegriff der Voetius-Nachfolge abweicht, nämlich den Verzicht
auf die Kategorie des praktischen Atheismus. Hatte die Apologetik, insbeson-
dere im frühpietistischen Umfeld, alles darangesetzt, die Übergänge zwischen
Glauben und Unglauben durch Konzepte wie ›Heuchelei‹ und Atheismus
practicus möglichst fließend zu modellieren, setzte Bayle, ausgehend von sei-
ner Aberglaubenskritik, wieder eine binäre Unterscheidung an. Seckendorff
glaubt darin eine Fehlentwicklung zu erkennen, da Bayle so den ›direkten‹
Gottesleugner vom lasterhaften Christen, der sich mit falschen Vorstellungen
von Gnade und Vergebung in Sicherheit wiege, »zu sehr unterscheidet«.150 Ge-
rade vor dem Hintergrund der in den Pensées diverses vertretenen theologisch-
anthropologischen Prämissen, so Seckendorff, lasse sich diese Trennung nicht
aufrechterhalten:

Denn der Ursprung des Bösen ist wohl einerley / und der Mensch / der sich ohne
Scheu für einen Atheisten ausgiebet / und doch recht thut / und sich in menschlicher
Gesellschafft wohl verhalt / der ist nicht so arg als er seyn wil; denn eben das Gute
so er thut / kommet zugleich aus einer innerlichen Erkänntnis einer Verbindung und
Schuldigkeit her / welche in effectu von GOTT durch das Göttliche natürliche Licht
gewircket wird / ob es gleich der thörichte freche Mensch nicht also erkennet und
nennet / sondern etwan aus Ehrgeitz recht thut / und aus einer Verführung und Eitel-
keit solchen Glauben und Erkäntnis nicht gestehen will.151

148
Ebd.
149
Ebd.
150
Ebd.
151
Ebd., S. 38 f.
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Seckendorffs Christen-Stat 371

In dem Bestreben, die apologetische Modellbildung gegen Bayles Kritik zu


verteidigen, gestattet sich Seckendorff hier eine gewagte Argumentation,
wenn er dem erklärten, dabei aber sittlich handelnden Atheisten den eigent-
lichen Atheismus abspricht. Er kann sich dabei auf die Lehre des christlichen
wie profanen Naturrechts seiner Zeit berufen, dass sich jedwedes sittliche
Handeln »in effectu« dem Wirken des göttlichen Rechtswillens verdanke,
durch den allein eine Verbindlichkeit (obligatio) entstehe.152 Wer also sittlich
handle, könne innerlich unmöglich von der Nichtexistenz Gottes überzeugt
sein und sei folglich kein Atheist. Nun mag die Vorstellung kurios wirken,
dass sich jemand zur damaligen Zeit öffentlich für einen Atheisten ausge-
geben habe, ohne wirklich davon überzeugt zu sein.153 Dahinter steht zum
einen die innerhalb der Atheismusdiskussion schon bei den Reformatoren
vertretene, letztlich paulinische Lehre (Röm 1,19 ff.), dass sich die cognitio
Dei im menschlichen Gewissen nur temporär unterdrücken lasse; sie gilt je-
doch auch für Atheisten aus Überzeugung. Zum anderen zielt dieses Argu-
ment auf einen Typus, den die Apologetik seit 1650 vor allem im höfischen
Umfeld auszumachen glaubte: den prahlerischen Weltmann, der mit seinen
kühnen Ansichten in mondäner Gesellschaft renommieren möchte. Schon
Grotius hatte darüber hinaus das Verlangen nach aufsehenerregenden Neu-
igkeiten (»ex studio novitatis«) als eine Entstehungsursache des Atheismus
hingestellt.154
Für Seckendorff ist damit ein Standpunkt gewonnen, um Bayles spektaku-
läre Behauptung, es könne tugendhafte Atheisten geben, unter Hinweis auf
eine gleichsam unbewusste Religiosität zu unterlaufen. Das scheint aus heuti-
ger Sicht sogar bedenkenswert. Da er jedoch umgekehrt mit dem christlichen
Naturrecht unsittliches Verhalten als Verstoß gegen die göttlichen Gebote ver-
stehen muss, hält er am Konzept des praktischen Atheismus mit Entschieden-
heit fest, nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen Erklärungsleistung im

152
Bündig und überzeugend dazu Link 1979, S. 115: »Nicht als ob das Naturrecht
des 17. und 18. Jahrhunderts in dem Sinne profaniert worden wäre, daß es seinen Cha-
rakter als ›ius divinum connatum‹ verloren hätte. Die Grundlegung aller Rationalität und
Sozialität im Schöpferwillen Gottes bleibt unbezweifelte Ausgangsthese aller naturrecht-
lichen Deduktion. Aber diese Verankerung im göttlichen Rechtswillen bleibt doch eine
mittelbare. Das Naturrecht zielt primär und unmittelbar allein auf die Gestaltung einer
der menschlichen Würde gemäßen Sozialordnung, die eben deshalb, weil sie ihre Recht-
fertigung in der menschlichen Kreatürlichkeit findet, zugleich gottgewollte Ordnung
ist.« – Ausführlich zum Begründungsproblem im Naturrecht, das sich mit dem Begriff der
obligatio verbindet, weiter oben, Kap. I.3.5.
153
Für eine solche Möglichkeit plädiert von den hier behandelten Autoren immerhin
schon Mersenne, wenn er die selbst ernannten Atheisten, die eigentlich nur Spötter und
Aufschneider seien, aus der engeren Bedeutung des Atheismusbegriffs ausschließt. Dazu
mehr im Mersenne-Kapitel (I.4.2).
154
Grotius, De veritate religionis christianae, Leiden 1640, S. 11; hier zit. nach Schrö-
der 1992, S. 10 f.
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372 Im Vorfeld der Aufklärung

Hinblick auf die Entstehung atheistischer Überzeugungen im Individuum.155


Bayles zentrales Argument von der praktischen Folgenlosigkeit kognitiver
Überzeugungen pariert er schließlich ein letztes Mal mit dem Hinweis auf die
Differenz zwischen natürlicher und offenbarter Religion. Zwar reiche jene
aus, um die Gründe für tugendhaftes Handeln einzusehen, gegen die »Wan-
ckelmüthigkeit / oder tägliche Sünden« sei jedoch nur »die Christliche Leh-
re allein« und die damit verbundene »Gabe des Heiligen Geistes« wirksames
Korrektiv.156 Auf diese Weise lässt Seckendorff einerseits der rationaltheolo-
gischen Apologetik im Gefolge von Mornay und Grotius ihre Berechtigung,
andererseits kommt er der bayleschen Kritik strategisch klug entgegen, indem
er die Überlegenheit der – recht ausgeübten – christlichen Religion und die
Bedeutung der göttlichen Gnade herausstreicht:

Und diesem nach dächte ich nicht / daß der Methodus deren / die zum Grunde der
Tugend die Erkänntnis Gottes und seine Providenz setzen / zu ändern wäre; Wiewohl
als schon gedacht / wider die Heucheley / und Wanckelmüthigkeit / oder tägliche
Sünden / die Christliche Lehre allein / eine vollkommene Unterweisung zu Erlan-
gung des Glaubens / und der Gabe des Heiligen Geistes / die darauff folget / mit sich
bringt und den hauptsächlichen Nachdruck geben muß.157

Seckendorffs Reaktion auf Bayle ist in ihrer moderaten Tonlage und ihrer
geschickten Orientierung an inhaltlichen Gemeinsamkeiten ebenso unge-
wöhnlich wie sie in Ergebnis und Gesamttendenz als typisch für den weiteren
Fortgang der Atheismusdiskussion gelten kann: Sieht man nämlich von Aus-
nahmeerscheinungen wie Thomasius, Gundling oder Wolff sowie (selbstver-
ständlich) vom clandestinen Radikalismus ab, änderte sich im Anschluss an
Bayles Provokation, die er in späteren Schriften noch weiter ausbauen sollte,
vorerst überraschend wenig. Auf mögliche Ursachen wurde im vorigen Kapitel
hingewiesen, sie betreffen vor allem ein sich wandelndes Glaubensverständnis
in England und den deutschsprachigen Staaten, mit dem der Weg zur theologi-
schen Aufklärung eingeschlagen war. Die Apologetik, die an dieser Entwick-
lung maßgeblichen Anteil besaß, hatte insofern auch nur wenig Grund, ihren
Kurs zu ändern. Als zukunftsfähig erwiesen sich vor allem diejenigen Beweis-
verfahren, die sich kompatibel mit der methodischen Ausrichtung der Früh-
aufklärung zeigten. Das war neben der staats- und naturrechtlichen Linie
( I.3) und der Engführung von Religion und Ethik entlang der Zwillingsfor-
mel ›Tugend und Glückseligkeit‹ ( VI.3) vor allem die affektpsychologische
155
Seckendorff, Additiones, S. 39: »Hingegen welcher wider besser Wissen und Ge-
wissen / oder wie der Anonymus redet / wider seine eigene allgemeine principia lebet / und
dieselbe nicht auff die Action, die er vor hat / applicirt […] ist in praxi ein Atheist, kan auch
endlich / wo er fort fähret / und nicht Busse thut / ein verhärteter und Theoreticus Atheus
werden / und die gedachten Reguln und principia folgends / so viel möglich / vertilgen
oder dämpffen […].«
156
Ebd.
157
Ebd.
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11:25

Die »Thorheit« der Gottesleugner 373

Sicht auf die Ursachen des Unglaubens im Individuum. An einigen Beispie-


len, die in Deutschland viel Beachtung fanden – eines davon Bayles Intimfeind
Jean Le Clerc – soll im Folgenden illustriert werden, wie die Apologetik die
Herausforderung durch die Thesen der Kometenschrift beinahe unbeschadet
überstand: Teils durch argumentative Neuausrichtung, größtenteils aber durch
die Macht der herrschenden Meinung, unterstützt durch den Gang der euro-
päischen Ideen-, Gesellschafts- und Kirchengeschichte in den Jahrzehnten vor
und nach 1700.

4. Die »Thorheit« der Gottesleugner


Rationaltheologie und christliche Vorurteilslehre
im Umfeld der europäischen Frühaufklärung

4.1 Noch einmal Stultitia Atheismi


Bentleys The Folly of Atheism (1692)

Während die volkssprachliche Auseinandersetzung mit dem Atheismus, wie


eben am Beispiel Seckendorffs gezeigt,158 vor 1700 nur allmählich Fahrt auf-
nahm, zeigte sich in England schon vor 1700 eine Neuausrichtung apologe-
tischer Bemühungen, mit der nicht zuletzt den auf Englisch verfassten und
auch argumentativ zugänglich eingerichteten Schriften der Deisten begegnet
wurde.159 Das bekannteste Beispiel für diese Bestrebungen bilden, neben den
viel gelesenen Schriften eines Edward Stillingfleet oder John Tillotson,160 die
Boyle Lectures, ein apologetisches Großunternehmen, das 1691 auf Veranlas-
sung des Bacon-Schülers Robert Boyle ins Leben gerufen wurde.161 Die Boyle
Lectures setzten sich zum Ziel, die Wahrheit der christlichen Religion auch
im Zeitalter fortschreitender Naturerkenntnis zu beweisen und diese Synthese
einem breiteren Publikum nahezubringen. Sie führten also eine Linie weiter,
die in England schon bei Bacon begonnen hatte und durch das 17. Jahrhundert
hindurch – etwa in den Werken der Cambridge Platonists – lebendig geblie-

158
Vgl. dazu auch den Austausch zwischen Leibniz und Seckendorff über die Be-
deutung einer volkssprachlichen Apologetik ( I.4.3).
159
Ausführlich dazu jetzt Sheppard 2015, mit den oben im Forschungsbericht skiz-
zierten Vorbehalten.
160
Stillingfleets Origines sacrae etwa (zuerst 1662), ein Werk von nicht geringer Ge-
lehrsamkeit, erlebten vor 1700 fünf Auflagen. Das dürfte nicht zuletzt auf die zugängliche
Darstellungsweise zurückzuführen sein. – Tillotsons Predigt The Wisdom of Being Reli-
gious (1664) nahm schon einige Gesichtspunkte von Bentleys weit bekannterer Predigtrei-
he vorweg; vgl. jetzt die Analyse bei Sheppard 2015, S. 80–87.
161
Vgl. dazu den Boyle-Artikel in RGG4, Bd. 1, 1999 (Richard B. Cunningham);
ausführlich Hooykaas 1997.
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374 Im Vorfeld der Aufklärung

ben war,162 in Frankreich durch Mersenne, in Deutschland etwa durch Leibniz


fortgesetzt worden war. Insbesondere die Arbeiten von Isaac Newton schie-
nen dafür ein geeignetes Fundament abzugeben.163
Den Auftakt der Lectures und zugleich den für den deutschen Sprachraum
folgenreichsten Beitrag bildet die von 1691 bis 1692 an acht Terminen gehal-
tene Predigtreihe The Folly and Unreasonableness of Atheism des Kirchen-
manns und führenden Philologen Richard Bentley (1662–1742).164 Wie der Ti-
tel – er bezieht sich auf den Inhalt der ersten Predigt165 – vermuten lässt, ist der
14. Psalm als Predigttext zugrunde gelegt.166 Bentley, der den Empirismus Lo-

162
Auf den Physiker und Theologen wie Kenelm Digby wurde in diesem Zusam-
menhang schon im Leibniz-Kapitel hingewiesen (I.4.3). Auch Gelehrte wie Stillingfleet
und Bentley, die sich mehr um den Nachweis des consensus gentium anhand von anti-
ker und patristischer Literatur bemühten, suchten zunehmend, das apologetische Po-
tenzial der neueren Naturforschung zu nutzen. Das lässt sich etwa an der Entwicklung
von der ersten zur zweiten Auflage von Stillingfleets Origines sacrae ablesen, wie Sarah
Hutton überzeugend dargelegt hat; vgl. Hutton 1993. – Zur Religionsphilosophie der
Cambridge Platonists – an erster Stelle wären hier Henry More und Ralph Cudworth
zu nennen – vgl. die entsprechenden Kapitel bei Frank 2003, S. 221–295, bes. S. 261–281
(zu Cudworth); Hutton 2002; grundlegend zu Cudworth und den englischen Platonisten
jetzt Bergemann 2012; Cudworths Verwurzelung in der hermetischen Tradition unter-
sucht Assmann 1999. – Die antiatheistischen Schriften der Platonists hat überdies Kenneth
Sheppard so ausführlich behandelt, dass hier auf vertiefte Analysen verzichtet werden darf,
zumal More und Cudworth, anders als Bentley, kaum über Mersenne hinausgehen. Vgl.
Sheppard 2015, S. 139–156 (H. More) und 165–181 (Cudworth). – Für das Vorhaben einer
zusammenhängenden Diskursgeschichte fällt zudem ins Gewicht, dass Cudworths True
intellectual system in Deutschland erst mit Verspätung rezipiert wurde – aus dem simp-
len Grund, dass die deutschen Gelehrten des 17. Jahrhunderts nur in Ausnahmefällen die
englische Sprache beherrschten. Erst Mosheims Übersetzung ins Lateinische aus dem Jahr
1733 machte Cudworth einer breiteren deutschen Leserschaft bekannt.
163
Der Problemkomplex ›Newton and Natural Theology‹ ist intensiv erforscht wor-
den, hier nur – teilweise in Überschneidung mit dem Forschungsbericht (Einleitung § 2) –
einige Hinweise mit Blick auf Bentley: Zur Newtonischen Wende in der Apologetik vgl.
Guerlac/Jacob 1969 (zu Bentley); Dahm 1970, dort auch zu Bentley (S. 176 f. u. 179 f.);
Reventlow 1980, S. 546–558 (zu Bentleys Predigt und Newtons Reaktion: S. 553–555); fer-
ner Gascoigne 1988; Israel 2006, S. 201– 214, bes. S. 203 f. (über Bentley); zuletzt Calloway
2014, S. 117 f.
164
Die neueste intellektuelle Biografie bietet, auf hohem Niveau, Haugen 2011; zu
Bentley apologetischer Tätigkeit vgl. Sheppard 2015, S. 214–216, 255 f. u. ö. (Register);
weitaus profunder, unter Einbezug der gelehrten Gesellschaft im London kurz vor 1700:
Haugen 2011, S. 101–104; ausführliche Analyse von Bentleys Boyle Lecture bei Kenny
1996, S. 1–23 u. 115–172; neuerdings auch Calloway 2014, S. 117–137.
165
Die Predigten erschienen fortlaufend als Einzeldrucke, die erste hier zu behan-
delnde trug den Titel The Folly of Atheism, And (what is now called) Deism; Even with Re-
spect to the Present Life, London 1692; hier zitiert nach der zweiten Auflage (The Second
Edition, London 1692), mit Seitenangabe im Fließtext. – Nach Abschluss der ganzen Serie
erschienen sie auch zusammen in einem Band: The Folly and Unreasonableness of Atheism
[…] In eight Sermons Preached at the Lecture Founded by The Honourable Robert Boyle,
Esquire, London 1693.
166
Der Text (Ps 14,1) wird auf Englisch der ersten Predigt vorangestellt (1).
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Die »Thorheit« der Gottesleugner 375

ckes ebenso rezipiert hat wie die newtonsche Physik,167 zeigt exemplarisch den
Weg der Apologetik in die Aufklärung,168 indem er sie von den rationaltheolo-
gischen Prämissen der Schulmetaphysik ablöst und die Wahrheit der Religion
aus Evidenzbeweisen herleitet. Er dürfte damit nicht nur der lockeschen Kritik
an den ideae innatae Rechnung tragen, sondern auch der Tatsache, dass die na-
türliche Theologie inzwischen in gefährliche Nähe zu deistischen Positionen
geraten war, soweit sie nämlich von einem rational gewonnenen Gottesbegriff
her die historische Offenbarung oder sogar die autoritative Rolle der Kirche
infrage zu stellen begann.
In einer methodischen Vorbemerkung formuliert er darüber hinaus jenes
bekannte methodische Grundproblem der Apologetik, dass sich die Zweifler
oder Ungläubigen nicht mit Argumenten überzeugen lassen, die aus der Bi-
bel hergenommen sind.169 Da ihm aber die Kategorie der cognitio Dei innata
nicht mehr zur Verfügung steht (s. u.), greift Bentley gezielt zu Argumenten,
die sich – ohne große Bildungsvoraussetzungen170 – an den common sense
richten, indem sie ihre Überzeugungskraft aus der Erfahrungswelt beziehen.
Zwei große Felder stehen bei ihm im Vordergrund: die ethische Dimension
der christlichen Lehre bzw. des kirchlichen Lebens einerseits und das ›Buch
der Natur‹, also die Vollkommenheit der Schöpfung, andererseits. Nicht
nur beweise sich die Wahrheit der christlichen Religion in ihrer Fähigkeit,
den Menschen – und folglich auch ganze Staaten – tugendhaft und glücklich
zu machen,171 die Existenz Gottes sei darüber hinaus auch ohne apriorische
cognitio Dei im Nachvollzug des göttlichen Schöpfungsplans erfahrbar. In
dieser typischen Verbindung von Physikotheologie und christlichem Tu-
gendeudämonismus, die bis weit ins 18. Jahrhundert hinein nicht nur die
Apologetik prägte, sondern die protestantische Theologie insgesamt von

167
Vgl. Haugen 2011, S. 102, 108. – Bentley korrespondierte mit Newton. Am 18.
Februar 1893 schrieb er ihm, um mit Blick auf seine Predigten Gewissheit über einige na-
turphilosophische Argumente zu erhalten (s. Trinity College, 189.R.4.47, ff. 3–4; s. www.
newtonproject.ox.ac.uk/view/texts/normalized/THEM00257 für eine vollständige Tran-
skription); zitiert auch bei Haugen 2011, S. 102, Anm. 5. – Zu Newton und Bentley vgl.
ferner Calloway 2014, 120 f. u. 123.
168
Bentley wird hier wegen seiner beachtlichen Wirkung in der deutschen Apolo-
getik vorgestellt. Seine Verwurzelung in der britischen apologetischen Tradition, insbe-
sondere den Einfluss seines Mentors Stillingfleet und (Origines sacrae) zeichnet Kenny
1996, S. 115 f., nach. – Maßgeblich für die deutsche Rezeption Bentleys war die lateinische
Übersetzung von Daniel Ernst Jablonski, die schon im Titel deutlich auf die eudämonisti-
sche Argumentation hinweist: Stultitia et irrationabilitas atheismi, demonstrationibus, ab
emolumento atque voluptate vitae religiosae […] octo orationibus sacris, habitis in praelec-
tione instituta a Roberto Boyleo […] a Richardo Bentley, Berlin 1696.
169
»And as the impious Principles of these persons do preclude any argumentation
from the Revealed Word of God: so they prevent us also from speaking at present to the
second part of the Text.« (2)
170
Vgl. Haugen 2011, S. 103 f.
171
Vgl. dazu, im weiteren Kontext der britschen Apologetik des 17. Jahrhunderts,
Sheppard 2015, S. 225–244 (Kap. 7: Atheism and Happiness).
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376 Im Vorfeld der Aufklärung

innen heraus umformen sollte, wird einmal mehr die Allianz von Religion
und Wissenschaft gesucht, die dem Unglauben oder Atheismus – auch ohne
Zuhilfenahme der Rationaltheologie – die Qualität der Torheit oder Unver-
nunft (»Unreasonableness«) zuweist.
In der Auslegungsgeschichte des 14. Psalms ( I.1; I.4.) markiert Bentleys
Predigt insofern einen Neuansatz,172 als er die Formel »non est Deus« nicht
mehr als Ausdruck einer unterdrückten inneren Gotteserkenntnis verstanden
wissen will. Ausdrücklich verwirft er die damit verbundene Vorstellung der
eingeborenen Ideen als Fehler (»mistake«) und Vorurteil (»prejudice«).173 Da-
hinter steht nicht nur der lockesche Empirismus, sondern auch die vergleichs-
weise neue Herausforderung der britischen Kirche, insbesondere der liberalen
Latitudinarier, durch den Deismus.174 Hatte Mersenne noch die Modellierung
der natürlichen Gotteserkenntnis, wie etwa bei Herbert von Cherbury, als
philosophische Unterstützung für die Apologetik angesehen, war spätestens
mit dem Auftreten des britischen Deismus als bibel- und kirchenkritischer
Bewegung die rationaltheologische Argumentation in eine Krise geraten.175
Denn mit seiner religionsphilosophischen Fundierung und der konfessions-,
ja kulturübergreifenden, aller dogmatischen Zusätze entkleideten natürlichen
Theologie auf der Grundlage der jedem Menschen eingeborenen notitiae
communes wollte sich der Deismus ja gerade als universelle, in neuem Sinne
›katholische‹ Religion empfehlen.176 Damit wäre aber, ähnlich wie im Fall des
radikalen, vor allem spiritualistischen Flügels der Reformation, die Kirche als
Institution überflüssig geworden: Die theologische Reichweite der natürlichen
Theologie – das Problem hatte schon Luther zu Äußerungen über die »Hure
Vernunft« veranlasst ( I.1.5) – findet ihre Begrenzung in der stets drohenden
Suffizienzbehauptung.
Diesen möglichen Vorwurf galt es nun gerade vom Latitudinarismus abzu-
wenden, der mit seiner starken rationaltheologischen Fundierung Gefahr lief,

172
Kristine Haugen weist auf eine Predigt von Thomas Tenison über Ps 14,1 aus dem
Vorjahr hin (vgl. Haugen 2011, S. 103), in der sie substanzielle Ähnlichkeiten zu erkennen
glaubt. Dass der 14. Psalm seit der Reformationszeit eine Schlüsselrolle in der Bekämp-
fung des Unglaubens gespielt hat, spart sie dabei aus.
173
»As to that natural and indelible signature of God, which Human Souls in their
first Origin are supposed to be stamp’d with, I shall shew at a fitter opportunity, that it is a
mistake, and that we have no need of it in our Disputes against Atheism.« (4)
174
Darauf deutet schon der vollständige Titel der ersten Predigt: The Folly of Athe-
ism and (what is now called) Deism (s. Anm. 8).
175
Vgl. ausführlich Reventlow 1980, bes. S. 313–328 (zu Herbert) und 470–535 (zur
deistischen Bibelkritk).
176
So bezeichnet tatsächlich der Protodeist Herbert von Cherbury in einem
Brief an Gerard Johannes Vossius seine fünf notitiae communes als »Articulos nostros
Cathol[icos]«. Gerardi Joannis Vossii et clarorum virorum ad eum epistolae. Collectore
Paulo Colomesio, London 1640, S. 275.
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Die »Thorheit« der Gottesleugner 377

mit dem Deismus identifiziert zu werden.177 Bentley deutet daher den Begriff
›Deisten‹ in aller Schärfe als strategische Finte, als bewusst eingesetztes Kunst-
wort, um den »verhassten Namen der Atheisten« zu vermeiden.178 Für sie und
auch für Descartes179 gilt Bentley zufolge, was in der Antike schon über Epikur
gesagt worden sei. Dieser habe einen Gott als leeren Begriff, als »Muta perso-
na«, in sein System eingeführt, um Konflikte mit der Obrigkeit zu vermeiden,
während er ihn der Sache nach längst aufgehoben habe. Mit Cicero urteilt Ben-
tley daher über Epikur: »Verbis reliquisse Deum, re sustulisse«.180 Folgerichtig
bezieht er den Deismus ausdrücklich in sein Verständnis des 14. Psalms wie
des Atheismus überhaupt ein.
Neu daran ist nicht die Auffassung des Deismus als eines per bonam con-
sequentiam überführbaren indirekten Atheismus,181 sondern der Anspruch,
diese und jede andere Form des Unglaubens als mögliche und wirkliche innere
Haltung, als ›echten‹ Atheismus also, ernst zu nehmen. Bentley wendet sich
gegen die althergebrachte, von Bacon wie von Voetius und den von ihm beein-
flussten deutschen Theologen vertretene Vorstellung, dass es einen veritablen
Atheismus gar nicht oder höchstens ad tempus geben könne, weil bei einem
expliziten Gottesleugner die innere Gotteserkenntnis wirksam bleibe und je-
derzeit wieder durchbrechen könne.182 Vielmehr sei die Leugnung von Provi-
denz und göttlicher Weltregierung als eine innere Überzeugung (hier insistiert

177
Vgl. zu diesen Zusammenhängen und den damit verbundenen innerkirchlichen
Spannungen zwischen High Church und Low Church Reventlow 1980, S. 370–400.
178
Sie würden unter der Bezeichnung als Deisten Schutz suchen (»shelter and skreen
themselves«) mit der einzigen Absicht »to avoid the odious name of Atheists« (6).
179
»Just as a Philosopher of our own age gave a ludicrous and fictitious notion about
the Rest of the Earth, to evade the hard censure and usage, which Galileo had lately met
with.« (6) Nur die hinzugesetzte Marginalie enthüllt, wer hier gemeint ist: »Mr. Descartes«.
180
»It was the opinion of many of the Ancients, that Epicurus introduced a Deity
into his Philosophy, not because he was persuaded of his Existence, […] but purely that
he might not incurr the offence of the Government. Wherefore he was generally suspect-
ed Verbis reliquisse Deum, re sustulisse; to have framed on purpose such a contemptible
paultry Hypothesis about him, as indeed left the Name and Titel of God in the World; but
nothing of his Nature and Power.« (6) – Das Zitat nach Cicero, nat. deor. 1,85.
181
»For I believe that the Royal Psalmist in this comprehensive brevity of speech,
There is no God, hath concluded all the various Forms of Impiety; whether of such as
excludes the Deity from governing the World by Providence, or judging it by his Right-
eousness, or creating it by his Wisdom and Power. Because the consequence and result
of all these Opinions is terminated in down-right Atheism.« (5) – Gut denkbar also, dass
Bentley hier Voetius vor Augen hat ( I.5).
182
»Whence it follows«, heißt es ironisch, »that Speculative Atheism doth subsist
only in our Speculation; whereas really Human Nature cannot be guilty of the crime: that
indeed a few sensual and voluptuous Persons may for a season eclipse this native Light
of the Soul; but can never so wholly smother and extinguish it, but that at some lucid
intervals it will recover it self again, and shine forth to the conviction of the Conscience.«
(4) – Spätestens der Ausdruck »Speculative Atheism« deutet auf eine zumindest indirekte
Rezeption des Voetius-Modells hin. Zur Verbreitung der speculativus-practicus-Dicho-
tomie in der englischen Apologetik vgl. die Bemerkungen von Sheppard, Anti-Atheism,
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378 Im Vorfeld der Aufklärung

Bentley auf der Formel ›in corde suo‹) anzusehen, die sich durch die Auflö-
sung des traditionellen Gottesbegriffs eindeutig als Atheismus qualifiziere:

I must beg leave to think that the Fool in the Text was a thorough confirmed Atheist;
and that the modern disguised Deists do only call themselves so for the former reason
of Epicurus, to decline the publick odium and resentment of the Magistrate; and do
cover the most arrant Atheism under the mask and shadow of a Deity, by which they
understand no more than some eternal inanimate Matter, some universal Nature, and
Soul of the World, void of all sense and cogitation, endued with none at all, much less
with Infinite Wisdom and Goodness; and therefore in this present Discourse they
may deservedly come under that Character which the Text hath given of them, of
Fools that have said in their Hearts, There is no God. (8 f.)

Wenn nun aber die Dummheit der Atheisten nicht mehr in der Verdunke-
lung der natürlichen Gotteserkenntnis oder des lumen naturale besteht, worin
dann? Bentley zufolge liegt sie darin, dass jene die Verheißungen einer ewigen
Seligkeit, in der sie immerhin erzogen worden seien, freiwillig und absichtlich
preisgeben würden,183 dabei aber nicht einmal Anzeichen von Bedauern zeigen
würden.184 Damit hätten sie sich auf die Stufe der Tiere hinab begeben.185 Für
Bentley scheint damit hinreichend demonstriert, dass sie nicht durch rationale
Deduktion zu ihrer Entscheidung gelangt sein könnten und folglich auch nicht
durch Vernunftbeweise zu überzeugen seien:

This supine and inconsiderate behaviour of the Atheists is so extremely absurd, that it
would be deem’d incredible, if it did not occur to our daily Observation; it proclaims
aloud, that they are not led astray by their Reasoning, but led captive by their Lusts to
the denial of God. When the very pleasures of Paradise are contemn’d and trampled
on, like Pearls cast before Swine; there’s small hope of reclaiming them by arguments
of Reason. (14)

Bis hierher liegt offenkundig eine petitio principii vor. Einen Beweis hat Ben-
tley auf diese Weise sicher nicht antreten wollen. Implizit wird aber schon
das Hauptargument dieser ersten Predigt vorbereitet. Denn mit der hier am
Rande geäußerten Vermutung, dass die Atheisten in ihren Lüsten gefangen

S. 17 u. 19 f., der jedoch die Ursprünge des Modells bei Voetius wie überhaupt die gesamt-
europäische (und lateinische) Dimension der Apologetik konsequent außer Betracht lässt.
183
In aller Kürze etwas später im Text: »I must say again, that to preferr fi
final
nal Extinc-
tion before a happy Immortality does declare the most deplorable stupidity of mind.« (18)
184
»Did I but once see an Atheist lament and bewail himself […] But, alas! there are
none of them of this temper of mind« (12 f.)
185
»These certainly are the Fools in the Text, indocil, intractable Fools, whose stolid-
ity can baffle all arguments, and is proof against Demonstration it self; whose end (as the
words of St. Paul do truly describe them) whose end is destruction, an eternal Deprivation
of Being; whose God is their belly, the gratification of sensual Lusts; whose Glory is in their
shame, in the debasing and villainizing of Mankind to the condition of Beasts […].« (13) –
Die Bibelstelle, auf die Bentley hier Bezug nimmt (Phil 3,19) ist marginal hinzugesetzt.
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Die »Thorheit« der Gottesleugner 379

seien (»held captive by their Lusts«), schwenkt Bentley in die aus dem Psalter
( I.1) bestens bekannte Argumentationslinie ein: Die Frage nach den Ursa-
chen wird zur moralisch-triebpsychologischen Analyse. Es gäbe keinen ein-
zigen Ungläubigen, so hält Bentley anschließend fest, wenn die Aussicht auf
ein jenseitiges Leben nicht mit Bedingungen für das irdische Leben verbunden
wäre. Diese moralischen Forderungen und nicht die Lehre von Gott und der
Unsterblichkeit der Seele seien es, die den Atheisten zur Ablehnung der christ-
lichen Verheißung bewegen würden.186 Soweit dieser Impuls überhaupt von
einer rationalen Überlegung begleitet sei, heißt es ferner in einer Art von rhe-
torischer concessio,187 könne es sich nur um ein hedonistisches Nutzenkalkül
handeln. Diesem zufolge bringe der Verzicht auf die christlichen Moralforde-
rungen bereits einen so bedeutenden Lustgewinn im irdischen Leben mit sich,
dass sich der Verzicht auf die ewige Glückseligkeit allemal lohne:

So that upon a fair estimation, ’tis a greater advantage to take one’s swing in Sensuality,
and have a glut of Voluptuousness in this life, freely resigning all pretences to future
Happiness, (which, when a man is once extinguish’d by Death, he cannot be supposed
either to want or desire) than to be tied up by Commandments and Rules to thwart
and contrary to Flesh and Blood […] and refuse the Satisfaction of Nature. (16)

Ist schon dieser Gedanke bis zur Absurdität zugespitzt und durch die hier zu
erwartenden Reizbegriffe wie ›Sensuality‹ und ›Voluptuosness‹ eindeutig dis-
kreditiert, so verbleibt er gleichwohl noch im Rahmen der absichtlich zirku-
lären Beweisführung. Selbst wenn ein Atheist so denken würde, wie es dieses
kurze epikureische Glaubensbekenntnis insinuiert, könnte ihn die bisherige
Überlegung wohl kaum vom Gegenteil überzeugen. Die hier angedeutete re-
ductio ad absurdum liefe folglich ins Leere. Gleichwohl erfüllt die rhetorische
concessio ihren argumentativen Zweck, indem sie die fingierte atheistische
Selbstexplikation in die geeignete Abschussposition bringt. Im nun folgenden
dritten und umfangreichsten Teil der Predigt (17–34) entwickelt Bentley denn
auch sein Hauptargument: dass die christliche Religion bereits in diesem Le-
ben für Glückseligkeit und weltliche Vorteile garantiere,188 selbst wenn sich am

186
»’Tis not the Articles of the Creed, but the Duty to God and their Neighbour, that
is such an inconsistent incredible Legend. They will not practise the Rules of Religion, and
therefore they cannot believe the Promises and Rewards of it.« (14 f.)
187
Sie hat die Form eines Gedankenexperiments, die Bentley an mehreren Stellen der
Predigt verwendet: »But however let us suppose them to have acted like rational and seri-
ous Men […].« (15) Darin deutet sich schon ein neues Selbstbewusstsein der Theologen im
Vorfeld der Aufklärung an, im Besitz überlegener Beweise zu sein und den vermeintlichen
Widerstreit zwischen Vernunft und Glauben ein für allemal überwunden zu haben. Diese
Überzeugung bleibt im protestantischen Deutschland bis in die Skeptizismus-Debatte der
1770er-Jahre erhalten.
188
Vgl. zu weiteren Beispielen der Zeit Sheppard 2015, S. 225–244. – Als wichtigster
Prätext dürfte die schon genannte Predigt The wisdom of being religious (1664) von John
Tillotson in Frage kommen.
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380 Im Vorfeld der Aufklärung

Ende herausstellen sollte, dass es kein ewiges Leben gäbe: »For I shall now
endeavour to shew, That Religion it self gives us the greatest Delights and Ad-
vantages even in this Life also, though there should prove in the event to be no
Resurrection to another.« (17)
Der Christ könne also beides haben, ein glückliches Leben und die Aus-
sicht auf die ewige Seligkeit, der Atheist dagegen habe sich verrechnet. Mit
dieser etwas burschikosen Beweisführung knüpft Bentley, ohne es eigens
kenntlich zu machen, an die berühmte Wette an, die Pascal in seinen Pensées
bereits ganz ähnlich erdacht hatte ( IV.3.3). In der Theologie der Hoch-
aufklärung wird das dann Gemeingut, wie ein Titel nach Art von Gotthelf
Samuel Steinbarts Glückseligkeitslehre des Christenthums (1778) sinnfällig
demonstriert. Insbesondere in Medien wie den Moralischen Wochenschrif-
ten oder dem Lehrgedicht der Aufklärung, die sich an ein Publikum jenseits
der exklusiven Gelehrtenschicht zu wenden begannen, erhält diese eudämo-
nistische Deutung (und Legitimierung) der christlichen Religion größere
Konjunktur. Darauf wird an entsprechender Stelle zurückzukommen sein
( VI.2–VI.4).
So argut Bentleys Argumentation bis zu diesem Überraschungseffekt zuge-
spitzt war, so wenig Neues hat die anschließende Begründung zu bieten. Das
ist aber auch nicht nötig, denn für den apologetischen (und homiletischen)
Zweck dürfte es sogar sinnvoll gewesen sein, auf Altbekanntes zurückzugrei-
fen. Dementsprechend stützt Bentley, der als geschulter Redner hier seine viel
bewunderte Kenntnis des Altertums nur höchst zurückhaltend zur Geltung
bringt,189 seinen Gedankengang mit marginalen Hinweisen auf Platon, Seneca,
Cicero und Plutarch, um in guter apologetischer Tradition auch in diesem
Punkt den consensus gentium zu unterstreichen.190 Unter dem Gesichtspunkt
der ›present advantages‹ (21) präsentiert Bentley die christlichen Moralforde-
rungen als vernünftige Tugendregeln,191 die, wenn befolgt, nicht nur individu-
elles Wohlergehen, sondern auch ein konfliktfreies gesellschaftliches Zusam-
menleben garantieren würden.
Er entfaltet das Argument192 in eben diesen zwei Durchgängen: Nach ei-
nem bekannten Schema unterteilt er die irdischen Vorteile, die aus der Religi-
on erwachsen sollen, in individualethische (21–29) und gesellschaftlich-soziale

189
Vgl. Haugen 2011, S. 103 f.
190
Zum Argument vgl. den Artikel Consensus omnium, consensus gentium im
HWbPh, Bd. 1, 1971, Sp. 1031 f. (Martin Suhr); im Zusammenhang der neuzeitlichen
Apologetik: Barth 1971, S. 183–197; Schröder 1998, S. 203 f.
191
»Our Saviour hath enjoyn’d us a Reasonable Service; accomodated to the rational
part of our Nature.« (25)
192
Übergangen wird hier eine Zwischenüberlegung (17–21), in der Bentley dem
möglichen Einwand begegnet, dass sich hinter dem Atheismus nur die unausweichliche
Reaktion auf die durch Bibel und Predigtwort geschürte Angst vor den martialischen An-
drohungen ewiger Höllenfeuer (»everlasting Burnings«, 18) verberge.
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11:25

Die »Thorheit« der Gottesleugner 381

(29–34).193 Dabei bilden die weltlichen Vorzüge mehr oder minder exakt die
Kehrseite der Lasterkataloge, die sich, wie wir gesehen haben, seit Beginn der
Neuzeit mit der Vorstellung des Unglaubens verbanden.194 So wie dort die Las-
terhaftigkeit der Atheisten in Maßlosigkeit und Zügellosigkeit kulminierte, die
erst aus lässlichen Verfehlungen moralische Monstrositäten werden ließen,195
so lobt Bentley – wie vor ihm Pascal (s. o.) – die christliche Temperanzforde-
rung (»Sobriety and Temperance«) als Schlüssel zu Gesundheit und Prosperi-
tät (»a man’s Health, or his Credit, or Estate, or Security in this world« [26]).
Ihre universelle Gültigkeit, die im Übrigen ja nicht einmal Epikur bestritten
hatte,196 untermauert für Bentley die übereinstimmende Haltung der Weisen
aller Zeiten und Länder – »not only the Philosophers of Greece and Italy and
the ancient World; but the Banyans of Mogul, the Talapoins of Siam, the Man-
darins of China, the Moralists of Peru and Mexico« (27).
Bemerkenswert an Bentleys Argumentation ist also nicht diese Identifika-
tion christlicher Moralgebote mit ›allzeit gültigen‹ Klugheitsregeln, sondern
die Instrumentalisierung des Glückseligkeitsbegriffs, speziell in irdischen Be-
langen, zur Verteidigung der Religion. Die Vorstellung von der Freude, Lust
oder gar Wollust der Gläubigen mag zwar in der Erbauungsliteratur wie auch
in mystisch-spirituell getönter Barockdichtung schon eine Rolle gespielt ha-
ben, aber vom »Irdischen Vergnügen in Gott«, wie es dann bei Brockes hei-
ßen wird ( VI.3), ist man in der deutschen Theologie um 1690 doch noch
weit entfernt. Bestens etabliert ist dagegen, wie wir oben sahen, der Begriff
der Glückseligkeit (beatitudo, felicitas) in der Staatslehre des 17. Jahrhunderts,
insbesondere in der von Aristoteles geprägten Politica der zweiten Jahrhun-
derthälfte ( I.3.4), schließlich aber auch in den Naturrechtssystemen seit dem
Ende des Dreißigjährigen Krieges ( I.3.5). Dort wurde er neben innerer und
äußerer Sicherheit als einer der wesentlichen Staatszwecke angegeben. Dass
zur Erreichung dieses politischen Ziels die Religion ein unentbehrliches Fun-
dament darstelle, gehörte dabei zu den unbezweifelten Grundannahmen. Der
dafür am meisten verwendete, formelhaft gebrauchte Ausdruck lautete, wie

193
»And now as to the present advantages, which we owe to Religion, they are very
conspicuous; whether we consider Mankind (1.) Separately, or (2.) under Society and Gov-
ernment.« (21)
194
Vgl. bes. die Kap. I.1.4 u. I.4.2, aber auch die drastischen Lasterpanoramen bei
Staatsdenkern wie Tholosanus und Bodin ( I.3.2; I.3.3).
195
So auch Bentley: »Do not we see, that Slothfull and Intemperate and inconti-
nent persons destroy their Bodies with diseases, their Reputations with disgrace, and their
Families with want?« (26)
196
An dieser Stelle steht der Apologet Bentley dem Philologen, der es sicherlich bes-
ser wusste, im Weg. Epikur wird bei ihm wie bei den allermeisten anderen Apologeten
als Paradefall für einen vollkommen amoralischen Hedonismus hingestellt: »Nay if the
Atheists would but live up to the Ethicks of Epicurus himself, they would make few or no
Proselytes from the Chrstian Religion.« (27)
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382 Im Vorfeld der Aufklärung

ausführlich gezeigt wurde, fundamentum oder vinculum societatis und war so


schon bei Plutarch vorgeprägt.197
Es überrascht daher auch nicht, wenn Bentley im zweiten Teil seiner Argu-
mentation die politische Bedeutung der Religion mit der wörtlichen Formulie-
rung Plutarchs als »Cement of Society« (30) hervorhebt. Geschickt wendet er
das bekannte religionskritische Argument, die Religion sei zuerst von Politi-
kern als Kontrollinstrument erfunden worden, gegen die Atheisten: Wenn das
stimme, so Bentley, dann könne doch auch ein Atheist nicht ernsthaft für ihre
Abschaffung plädieren und so den chaotischen ›State of Nature‹ wiederher-
stellen wollen.198 Obgleich Bentley hier nicht auf staatstheoretische Literatur
der Zeit verweist, sondern nur auf Bibel und antike Autoren, darf ein Seiten-
hieb gegen Hobbes in diesem Zusammenhang nicht fehlen.199 Ohne sich auf
staats- und naturrechtliche Fragen einzulassen, steuert Bentley sofort auf die
dort zentrale Problematik der Eide zu:

What Government can be imagin’d without Judicial Proceedings? And what methods
of Judicature without a Religous Oath; which implies and supposes an Omniscient
Being, as conscious to its falshood or truth, and a revenger of Perjury? So that the
very naure of an Oath (and therefore of Society also) is subverted by the Atheist; who
professeth to acknowledge nothing superiour to himself, no omnipresent observer of
the actions of men. (30)

Ungenannt bleibt auch Pierre Bayle, obgleich sich Bentley im Folgenden offen-
kundig kurz mit der durch ihn angestoßenen Diskussion über die Möglichkeit
eines funktionierenden Atheistenstaats auseinandersetzt (31 f.). Einmal mehr
geht es ihm nicht um Originalität, schon gar nicht um eine differenzierte Aus-
einandersetzung unter Gelehrten. Bentley zieht für die Predigt schlaglichtartig

197
Nachweis weiter oben, Kap. I.3.1, Anm. 200. – Unmittelbar relevant für Ben-
tley könnte John Locke gewesen sein, dessen Letter concerning Toleration zuerst 1689
erschienen war. Dort wurden Atheisten gerade deswegen von der Duldung ausgenommen,
weil sie sich nicht verpflichtet fühlen würden, sich an Eide zu halten. Nachweis oben,
Kap. I.3.5, Anm. 101.
198
»Thou say’st that the wise Institutors of Government, Souls elevated above the
ordinary pitch of men, thought Religion necessary to Civil Obedience. Why then dost
thou endeavour to undermine this foundation, to undo this Cement of Society, and to
reduce all once again to thy imaginary State of Nature and Original Confusion? No Com-
munity ever was or can be begun or maintain’d, but upon the Basis of Religion.« (30)
199
»For an Atheist to compose a System of Politicks is as absurd and ridiculous, as
Epicur’s Sermons were about Sanctity and Religious Worship. But there was hope, that the
Doctrine of absolute uncontroulable [!] Power and the formidable name of Leviathan
might flatter and bribe the Government into a toleration of Infidelity.« (30 f.). Marginal ist
hinzugesetzt: »Hobbes, de Cive, Leviathan.« – Dass Bentley den Naturzustand, wie vor
allem Hobbes ihn geschildert hat, nämlich als Zustand der brutalen Rechtlosigkeit, gera-
de erst für seine eigenen argumentativen Zwecke eingesetzt hat (s. vorige Anm.), gehört
zu den kleinen logischen Inkonsequenzen, mit denen zeitgenössische Zuhörer oder Leser
offenbar gut leben konnten.
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Die »Thorheit« der Gottesleugner 383

das Gegenbeispiel der Neufundländer heran, denen er, ohne sich dabei eines
Widerspruchs bewusst zu sein, nicht nur die Staatlichkeit im eigentlichen Sinn
(und überhaupt alle Merkmale von Zivilisation) abspricht, sondern auch den
genuinen Atheismus. Dazu greift er noch einmal auf den 14. Psalm zurück: Da
die heidnischen Neufundländer gar keine Ansichten über Religion überhaupt
hätten, könnten sie auch nicht die Existenz Gottes leugnen: »They cannot be
said to be of the Atheist’s opinion; because they have no opinion at all in the
matter: They do not say in their hearts, There is no God; for they never once
deliberated, if there was one or no.« (31) Auch wenn hier sicherlich das Niveau
der Bayle-Debatte zu polemischen Zwecken wie auch aufgrund der akuten
Sprechsituation200 beträchtlich unterschritten wird, genügt doch für die Zuhö-
rer und späteren Leser der Hinweis auf die Kulturlosigkeit, ja Barbarei derar-
tiger gottloser Völker, um sich selbst auf der sicheren Seite zu fühlen: »And ’tis
entirely owing to the power of Religion, that the whole World is not at this
time as barbarous as they.« (31)

4.2 Der ›starke Geist‹ im Visier der Moralistik


Das Kapitel Des Esprits forts in La Bruyères Caractères

Hatte schon Bentley die apologetische Argumentation für ein breiteres Publi-
kum aufbereitet und zugleich aller schulphilosophischen oder -theologischen
Beweisführung entkleidet, so fand sie mit dem nun folgenden Beispiel sogar
Eingang in die Weltliteratur: mit Jean de La Bruyères (1645–1696) Caractères
ou les moeurs de ce siècle von 1688 (81694).201 Auch wenn dieser Text, soweit
ich sehe, in der deutschen Atheismus- und Freigeistliteratur kaum je erwähnt
wird, lohnt sich hier eine kurze Betrachtung.202 Nicht nur hat La Bruyère, wie
kaum anders zu erwarten gewesen wäre, eindeutig apologetisches Gedanken-
gut rezipiert und auf die Bedürfnisse seiner höfischen Moralistik zugeschnit-
ten; er verbindet sie auch in ganz ähnlicher Weise wie Mersenne, Seckendorff,
Le Clerc (s. u.) und die populäre und poetische Apologetik der frühen Auf-
klärung ( VI.2–VI.4) mit affektpsychologischen und vorurteilstheoretischen

200
Bentley weist darauf zu Beginn der conclusio selber hin: »Having, I say, compe-
tently proved these Particulars, as far as the usual brevity of such Discourses will allow; I
shall conclude with one short Reflection […].« (35)
201
Die Caractères werden nachfolgend zitiert nach der Edition de la Pleiade: La Bru-
yère, Œuvres complètes, ed. Julien Benda, Paris 1951; dort, S. XXIV-XXVII, auch eine
Übersicht der Druckgeschichte zu La Bruyères Lebzeiten; deutsche Zitate nach der Über-
setzung von Gerhard Hess, Leipzig o.J. (Sammlung Dieterich).
202
Zum character writing im 17. und 18. Jahrhundert vgl. allgemein Smeed 1985;
zur Geschichte der europäischen Moralistik allgemein vgl. den Überblick von Kruse 2003
sowie Wuthenow 2016. – In der Atheismusforschung hat Alan Charles Kors kurz auf das
Kapitel Des esprit forts hingewiesen, bildet damit aber eine seltene Ausnahme; vgl. Kors
1990, S. 35 f.; vgl. außerdem Schneider 1970, S. 198 f., der La Bruyères Äußerungen über
die ›Libertins‹ nachgeht.
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384 Im Vorfeld der Aufklärung

Denkoperationen. In dieser Optik erscheint der Ungläubige – hier in Gestalt


des Esprit fort – einmal mehr als der biblische Tor. La Bruyères Behandlung
des Themas lässt sich daher gut der Geschichte des stultitia-Topos zuordnen.
Weit besser als frühere, insbesondere theologische Texte zeigen zudem die Ca-
ractères, wie elegant die alte Sünden- und Lasterpsychologie der Psalmexegese
( I.1) in die Denk- und Sprachformen der beginnenden Aufklärung über-
setzt werden konnte. Kein Barockgeistlicher schreibt hier über den Unglau-
ben, sondern ein scharfzüngiger Moralist, der sich keine Illusionen über den
Menschen macht und den Anspruch auf eine normative Morallehre längst auf-
gegeben hat. Anders als Bentley jedoch hält La Bruyère, wie wir gleich sehen
werden, an der Lehre von der natürlichen Gotteserkenntnis fest. Auch darin
hat er allerdings mehr mit der Aufklärung gemein als der britische Newtoni-
aner Bentley.
Die Caractères enthalten Betrachtungen in Form von satirisch gefärbten
Aphorismen oder Kurzessays, die unter Kategorien wie Stadt- und Hofleben,
Mode, Frauen (Des Femmes) oder dem menschlichen Herz (Du Coeur) ge-
bündelt werden. Der letzte Abschnitt, mit Des esprits forts überschrieben,203
enthält eigentlich eine Apologetik in nuce.204 Auf satirisch charakterisieren-
de Bemerkungen zu den esprits forts (gelegentlich auch zu den libertins) und
Überlegungen zu den Motiven der Religionskritik folgt ein kurzer Abriss
der natürlichen Theologie205 zum Zweck der Widerlegung einer materialis-
tischen Weltsicht.206 Die Wahrheit der Religion wird nicht nur anhand ihrer
rationalen Einsehbarkeit erwiesen, sondern auch und vor allem aufgrund ih-
rer konsolatorischen Wirkung mit Blick auf die Sterblichkeit des Menschen
und die andernfalls drohende völlige Vernichtung. Insgesamt zielt die Darstel-
lung – darin eben vergleichbar mit Bentleys Folly of Atheism und Le Clercs De

203
La Bruyère, Œuvres complètes, S. 449–478.
204
Darauf deutet schon der erste Aphorismus (§ 1), der mit einem vielfach kopierten
Scherz die vermeintliche Stärke der Esprits forts ironisch mit ihrer tatsächlichen Schwäche
kontrastiert, da sie sich der vernünftigen Einsicht in die »Idee eines Wesens« verschlössen,
»das über allen Wesen steht, das sie geschaffen hat und von dem sie abhängen; eines über
alle Begriffe vollkommenen und reinen Wesens ohne Anfang und ohne Ende, von dem
unsere Seele ein Abbild und, als unsterblicher Geist, ein Teil ist?« Charaktere, ed. Hess,
S. 422; Œuvres complètes, S. 449. – Ebenso die mehrfach aufgeworfene Frage nach der
Wahrheit der Religion, die hier, wohl in Anlehnung an Pascal (erkennbar auch an der Idee
der Risikoabwägung, die an Pascals Wette erinnert), betont offen formuliert wird (ebd.,
S. 461): »La religion est vraie, ou elle est fausse: si elle n’est qu’une vaine fiction, voilà, si
l’on veut soixante années perdues pour l’homme de bien, pour le chartreux ou le solitaire:
ils ne courent pas un autre risque. Mais si elle est fondée sur la vérité même, c’est alors un
épouvantable malheur pour l’homme vicieux […].«
205
Es werden klassische Fragen behandelt wie die Unsterblichkeit der Seele (§ 42)
sowie ausführlich das Dasein Gottes in der Natur (§ 43–46), gipfelnd im Zentraldogma der
Physikotheologie vom göttlichen »Werkmeister« (ouvrier): »Tout est grand et admirable
dans la nature; il ne s’y voit rien ne soit marqué au coin de l’ouvrier […].« Ebd., S. 474.
206
Dementsprechend handelt der Autor die Frage ab, ob Materie denken könne (vgl.
ebd., S. 462 f.), die später auch noch Brockes beschäftigen wird ( VI.3.4).
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Die »Thorheit« der Gottesleugner 385

l’Incredulité – auf den Nachweis, dass die selbst ernannten ›starken Geister‹
in Wirklichkeit schwach,207 also unvernünftig und töricht seien. La Bruyère
schließt also in der Tat an den Topos von der stultitia Atheismi an, wie wir ihn
bisher von den reformatorischen Psalterkommentaren bis in die Frühaufklä-
rung hinein verfolgen konnten.
Auf den Zusammenhang mit der antiatheistischen Apologetik verweist zu-
nächst die begriffliche Differenzierung des Gegenstandsbereichs. Bei genaue-
rer Betrachtung handelt das Kapitel Des esprits forts von verschiedenen Arten
oder Graden des Unglaubens, ohne jedoch dafür auf die vor allem in Deutsch-
land rezipierte Systematik von Voetius zurückzugreifen. Im Zusammenhang
der Caractères ergibt sich das bereits aus der aphoristischen Struktur, welche
verstreute, thematisch heterogene und zu verschiedenen Zeiten entstandene
Betrachtungen208 unter dem Oberbegriff esprits forts vereint. Versucht man, die
von La Bruyère verwendeten Bezeichnungen in die Kategorien der gelehrten
Apologetik zu übersetzen, so ergibt sich ein fast vertrautes Bild: Neben dem
Atheismus (»L’athéisme« [§ 16]) oder, wie es an anderer Stelle heißt, den »Got-
tesleugnern« (»ceux qui osent nier Dieu« [§ 36]) als der konsequentesten Form
des Unglaubens unterscheidet er, wenngleich ohne systematischen Anspruch,
zwischen esprits forts und libertins.209 Diese Differenzierung ist im Deutschen
kaum wiederzugeben. Selbst der Übersetzer behilft sich im Kommentar zum
Kapitel mit den von Voetius entwickelten Kategorien, indem er den libertin
der praktisch-moralischen, den esprit fort der theoretischen Dimension des
Unglaubens zuschlägt.210 In der zeitgenössischen deutschen Diskussion ent-
spricht der esprit fort also am ehesten dem Religionsspötter, der libertin dem
›Weltkind‹ oder ›Weltmann‹. Der deutsche Ausdruck ›Freigeist‹ wird später
die beiden Aspekte verbinden ( VI.5).

207
Neben der oben genannten Stelle aus dem ersten Aphorismus in aller Deutlich-
keit etwa § 20 (ebd., S. 454, Hervorh. d. Verf.): »Si c’est le grand et le sublime de la religion
qui éblouit ou qui confond les esprits forts, ils ne sont plus des esprits forts, mais de faibles
génies et de petits esprits […].«
208
Einige Hinweise dazu enthält die Edition von Benda, die hinter den später hin-
zugekommenen Aphorismen oder Betrachtungen die Auflage vermerkt, in der sie vom
Autor hinzugefügt wurden. Demnach entstammen die mehr theologischen, ja physiko-
theologischen Abschnitte erst der siebten (1692) und achten Auflage (1694).
209
Zur Problem- und Begriffsgeschichte des libertin vgl. die gleichnamige profunde
Studie von Schneider 1970 mit Hinweisen zur Entstehung und Entwicklung dieses Stereo-
typs seit der Reformationszeit; zu La Bruyère vgl. ebd., S. 198 f.; zusätzlich heranzuziehen:
Donville 1989. – Zum seither intensiv erforschten Feld des libertinage érudit vgl. jetzt den
soliden Artikel von Pietsch 2016 mit reichhaltigen Literaturhinweisen.
210
Charaktere, ed. Hess, S. 481: »Die französische Sprache des 17. Jahrhundert
kennt zwei Ausdrücke für Freigeist: ›libertin‹ bezeichnet mehr die moralische und prak-
tische, ›esprit fort‹ mehr die gedankliche, theoretische Seite einer zur herrschenden Sitte
und Religion in Widerspruch stehenden Lebenshaltung. Im Deutschen muß zunächst die
durch die Synonyma faßbare feine Unterscheidung fallen.« – Dementsprechend übersetzt
Hess an anderer Stelle (§ 7) den Ausdruck ›libertin‹ etwa mit »Wüstling«, ›esprit fort‹ da-
gegen mit »Freigeist«.
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386 Im Vorfeld der Aufklärung

Offenkundig erfüllt der Ausdruck libertin bei La Bruyère aber auch den
Zweck, für den in der Nachfolge von Voetius, unter der Kurzdefinition ›Le-
ben, als ob kein Gott sei‹, das Modell des praktischen Atheismus vorgesehen
war. So unterscheidet er in zwei erst 1694 ergänzten Aphorismen (§ 26 u. 27)
zweierlei Freigeister (libertins heißt es nun) – die eigentlichen Libertins oder
die sich dafür halten würden und die christlichen Heuchler (»hypocrites«)
oder falschen Gläubigen (»faux dévots«), die sich christlich stellen, um nicht
für Libertins gehalten zu werden (§ 27).211 Nicht zwingend also entspricht
der libertin dem mondänen Lebemann und hedonistischen Wüstling – für La
Bruyère umfasst der Ausdruck auch die heimlichen oder heimlich ausgelebten
Begierden bei penibler Wahrung des äußeren Anstands aus opportunistischen
Erwägungen heraus.212 Hier verbindet sich die Bestandsaufnahme des Unglau-
bens mit der Hofkritik des Moralisten.213 Dass der Autor hier überdies auf
den gleichen Sachverhalt zielt wie in Deutschland die (besonders pietistischen)
Kritiker des Maul- und Scheinchristentums ( II.2), belegt auch der Fortgang
des Abschnitts (§ 27): »Le faux dévot ou ne croit pas en Dieu, ou se moque de
Dieu; parlons de lui obligeamment: il ne croit pas en Dieu.«
Die Zurückhaltung gegenüber dem strikt definierten Atheismusbegriff – er
kommt im Text nur an der genannten Stelle vor – dürfte auch damit zusam-
menhängen, dass La Bruyère, ganz wie Bacon, Mersenne oder die Voetius-
Schule, einen Atheismus sensu stricto gar nicht für möglich hält. Wie sein
Rückbezug auf die natürliche Theologie klarstellt, hält er die Existenz Gottes
(und sei es nur im Sinne einer höchsten Naturgewalt) für so evident, dass des-
sen Leugnung nur als Defekt des Verstandes – das wäre die ironisch pointierte
Schwäche der starken Geister – oder des Willens gedeutet werden kann. In

211
§ 27: »Il y a deux espèces de libertins: les libertins, ceux du moins qui croient
l’être, et les hypocrites ou faux dévots, c’est-à-dire ceux qui ne veulent pas être crus liber-
tins: les derniers dans ce genre-là sont les meilleurs.« – Mit »meilleurs« ist kein moralischer
Vorzug gemeint, sondern die Konsequenz in der libertinistischen Haltung. Hess übersetzt
daher »die letzteren sind die vollkommensten ihrer Art«.
212
So präsentiert der Autor im § 26 die gleiche Unterscheidung zwischen ›libertins‹
und ›hypocrites‹ als zweier Arten von Menschen, die bei Hof »gedeihen« würden (»fleu-
rissent dans les cours«). An den ›hypocrites‹ hebt La Bruyère besonders die karrieristische
Orientierung hervor. Während die ›libertins‹ ihre Haltung »offen und unbekümmert, ohne
Umschweife und Verstellung« (»gaiement, ouvertement, sans art et sans dissimulation«)
zu Tage trügen, würden die ›hypocrites‹ ihr Verhalten ausschließlich einem karrieristischen
Kalkül unterwerfen, um so an »Würden, Ämter, Stellen, Pfründe, Pensionen, Ehren« (»di-
gnités, charges, postes, bénéfices, pensions, honneurs«) zu gelangen (§ 26).
213
Auch wenn eine historische Verifikation seiner Diagnose hier nicht unternommen
werden kann, darf doch in diesem Zusammenhang der Hinweis auf eine weitere bedeuten-
de Beobachterin des französischen Hoflebens nicht fehlen. Liselotte von der Pfalz berich-
tet in ihren Briefen in ganz ähnlicher Weise über die zur Schau getragene Frömmigkeit, die
sich in Versailles – insbesondere unter dem Einfluss der dem Quietismus nahe stehenden
Madame Maintenon – etabliert habe. La Bruyère, der persönlich Bossuet nahe stand, hatte
sich selbst in seinen postum (1699) gedruckten Dialogues sur le quiétisme (abgedruckt in:
Œuvres complètes, S. 507–629) kritisch mit dem Quietismus auseinandergesetzt.
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Die »Thorheit« der Gottesleugner 387

diesem Sinn hatte er schon im obigen Zitat die ›echten‹ Libertins mit Ein-
schränkung als solche bezeichnet, die sich dafür halten würden (»qui croient
l’être«). Damit greift La Bruyère die alte Frage nach der Möglichkeit eines
veritablen Atheismus im Sinne einer expliziten und ernst gemeinten Gottes-
leugnung auf, er formuliert sie sogar ganz explizit.214 Da er sich in den Partien
über das Dasein Gottes als Vertreter der natürlichen Gotteserkenntnis erweist,
verwundert es nicht mehr, wenn er in einem anderen Aphorismus die Existenz
des Atheismus rundheraus bestreitet (§ 16): »L’athéisme n’est point.« Dieje-
nigen, die dafür gehalten würden, seien viel zu träge (»trop paresseux«), um
Gott zu leugnen; ihr Unglaube bestehe vielmehr – wir denken an die securitas
bei Luther, Colbe und Spener – in einer Kälte und Gleichgültigkeit (»froids
et indifférents«) gegenüber der Religion: »[I]ls ne nient ces choses, ni ne les
accordent; ils n’y pensent point.«215 Das alles liegt, wie leicht ersichtlich wird,
nicht weit entfernt von den oben geschilderten Äußerungen deutscher Auto-
ren aus dem Umfeld der Frömmigkeitsbewegungen.
Nimmt man diesen Befund mit den obigen Äußerungen über die Libertins
und die Heuchler zusammen, so kommt mit der Frage nach den Ursachen
oder Motiven auch bei La Bruyère wieder der Zusammenhang zwischen Un-
glaube und Unsittlichkeit in den Blick, den wir seit der Reformationszeit als
einen wichtigen, wenn nicht gar den entscheidenden Aspekt des Unglaubens-
diskurses kennengelernt haben. Da die christliche Religion, ernsthaft befolgt,
der Triebhaftigkeit einen Riegel vorschiebe, so der bekannte Topos, liege es
im Interesse eines trieb- oder lasterhaften Menschen, ihren Geltungsanspruch
zu relativieren. Ist dieser Zusammenhang im Begriff libertin ohnehin schon
deutlicher enthalten als in ›Atheist‹ oder auch ›Freigeist‹, so fügt La Bruyère im
elften Aphorismus ironisch hinzu, er würde gern einen »nüchternen, maßvol-
len, keuschen, rechtlich denkenden Menschen« (»un homme sobre, modéré,
chaste, équitable«) treffen, der das Dasein Gottes leugne. Denn bei ihm müsse
man wenigstens kein Interesse dahinter vermuten – er spreche »uneigennüt-
zig« (»sans intérêt«). Den Umkehrschluss kann die Leserschaft alleine ziehen
und soll es wohl auch.
Zum rationaltheologischen Argumentationskomplex, der die negatio Dei
nur entweder als freche (aber nicht ernst gemeinte) Provokation oder aber
als Äußerung einer Verdrängung der im Gewissen situierten natürlichen
Gotteserkenntnis plausibel machen konnte, gehört schließlich auch die apo-
logetische Lieblingsfantasie vom Atheisten auf dem Totenbett, wie sie etwa
zeitgleich (zuerst 1693) mit dem Second Spira ihr prägendes Muster fand
( III.2.2). Sie deutet sich schon an, wenn La Bruyère auf den Zusammenhang
von Glaubenszweifeln und Gesundheitszustand hinweist (§ 6) – ein Parade-
fall für die tendenziell satirisch arbeitende moralistische Psychologie. Nur bei

214
§ 15: »C’est une grande question s’il s’en trouve de tels; et quand il serait ainsi, cela
prouve seulement qu’il y a des monstres.«
215
Ebd.
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388 Im Vorfeld der Aufklärung

guter Gesundheit (»dans uns pleine santé«) könne man zweifeln und beden-
kenlos sündigen. Werde man aber krank, so verlasse man seine Mätresse und
glaube wieder an Gott.
Die ebenso knappe wie ironisch gehandhabte Form des Aphorismus unter-
bindet hier die Drastik vieler Sterbebettepisoden216 und gibt den nur scheinbar
intellektuellen, in Wirklichkeit von simplen Gelüsten angetriebenen ›starken
Geist‹ der Lächerlichkeit preis – ein Verfahren, das auch die Moralischen Wo-
chenschriften ausgiebig nutzen werden ( VI.2). Ironisch ist daher auch die
nachfolgende Aufforderung zu werten, wer ein esprit fort oder libertin wer-
den wolle, müsse sich konsequenterweise dafür entscheiden, auch als solcher
zu leben und zu sterben. Nur wer dazu bereit sei, so La Bruyère weiter, könne
sich ehrlicherweise auf Gottesleugnung oder -lästerung und den entsprechen-
den Lebensstil einlassen.217 Die Ironie liegt hier vor allem darin, dass von den
Freigeistern oder Religionsspöttern eine Konsequenz und Ehrlichkeit verlangt
wird, die in dem stereotypen Charakterprofil gerade nicht angelegt ist. Es han-
delt sich, der Form nach, also eher um ein Gedankenexperiment im Gefolge
der »Pascalschen Wette«.218

4.3 Unglaube als Vorurteil. Psychologische Ursachenforschung


im Übergang zur Frühaufklärung (Le Clerc)

Während Bentley die Beweggründe für den Unglauben nur nebenher abge-
handelt und stattdessen die Vernünftigkeit der Religion – und folglich die Tor-
heit des Atheismus – in den Vordergrund gestellt hatte, setzt fast zeitgleich
der in Genf geborene, in Amsterdam gestorbene Theologe und Gelehrte Jean
Le Clerc (1657–1736)219 in seiner Schrift De l’incredulité (1696) aus ähnlichen
methodischen Erwägungen heraus bei den Ursachen des Unglaubens an.220

216
Vgl. dazu ausführlich Spiekermann 2015.
217
§ 7: »Il faudrait s’éprouver et s’examiner très sérieusement, avant que de se déclarer
esprit fort ou libertin, afin au moins, et selon ses principes, de finir comme l’on a vécu; ou
si l’on ne se sent pas la force d’aller si loin, se résoudre de vivre comme l’on veut mourir.«
218
Zum philosophischen Gedankenexperiment vgl. die Einleitung in Bertram 2012
sowie die dort versammelten Beispiele.
219
Zur Biografie vgl. Jaumann 2004, S. 394 f.; La France Protestante, Bd. 6, 1856,
S. 464–470 (größtenteils Quellenbibliografie); zu Leben und Werk vgl. nach wie vor Bar-
nes 1938; zu Le Clercs Bedeutung für die Geschichte der Philologie vgl. Jaumann 1995,
S. 176–179; Le Clerc als Apologeten behandelt Barth 1971, S. 202–206, 213–215 et pass.
(Register).
220
Hier, sofern nicht anders vermerkt, zitiert nach der wortgetreuen deutschen
Übersetzung von 1747 (!): Johann le Clercs Untersuchung des Unglaubens, nach seinen
allgemeinen Quellen und Veranlassungen. Nebst zween Briefen von der Wahrheit der
Christlichen Religion aus dem französischen übersetzt. Mit einer Vorrede Siegmund Jac.
Baumgartens […] wider Joh. Christ. Edelmans Glaubensbekenntnis. Halle 1747. Nach-
weise mit Seitenzahl in Klammern im Fließtext. – Die eigenwillige Orthografie, vor allem
das für Hallesche Drucke der Zeit typische Fehlen des Dehnungs-h (z. B. ›Warheit‹) oder
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Die »Thorheit« der Gottesleugner 389

Im calvinistischen Glauben erzogen, hatte sich Le Clerc, ein später, aber be-
deutender Vertreter des Späthumanismus, in Amsterdam dem Arminianis-
mus angenähert und bekleidete ab 1684 die alttestamentarische Professur am
dortigen Remonstrantenseminar. Als einer der führenden Hebraisten seiner
Zeit leistete er wichtige Beiträge zur philologischen Bibelkritik221 und zur Kir-
chengeschichte, hierin den deutschen Übergangstheologen und den britischen
Latitudinariern vergleichbar. Er verkehrte persönlich mit John Locke und trat
in seiner Bibliothèque choisie als Verteidiger Shaftesburys auf.222 Gemäß der
Lehre des Arminianismus bilden bei ihm Vernunft einerseits und praktisches
Christentum andererseits wichtige Korrektive gegenüber der dogmatischen
Strenge der calvinistischen Lehre. Die darin enthaltene Tendenz zur überkon-
fessionellen Orientierung war es übrigens auch, die Voetius zum entschiede-
nen Gegner des Arminianismus werden ließ, wenngleich aus heutiger Sicht
wohl eher die Gemeinsamkeiten überwiegen.223
Sein Ruf als Anhänger eines vernünftigen Christentums eilte Le Clerc vor-
aus, als er sich 1694 um eine Position in Oxford bemühte, und verhinderte, wie
ihm Gilbert Burnet mitteilte, eine Anstellung. Der Verdacht lautete auf Sozini-
anismus.224 Einmal mehr also bekämpft ein Theologe den Atheismus, obwohl
er selbst unter Heterodoxieverdacht steht. Inwiefern die Schrift gegen den Un-
glauben, zwei Jahre nach der Ablehnung aus Oxford erschienen, auch als stra-
tegischer Zug gewertet werden muss, bleibe dahingestellt. Tatsächlich arbeitet
Le Clerc in De l’incredulité gerade die Grenzen einer theologisch beanspruch-
ten Vernunft heraus. Wie Bentley ist er sich der fundamentalen Schwierig-
keit apologetischer Argumentation bewusst, zieht daraus jedoch ganz andere
Schlussfolgerungen. Seiner Meinung nach greift die rationaltheologische oder

doppelter Konsonanten am Wortende (›kan‹ statt ›kann‹) wird hier unverändert und ohne
weitere Auszeichnungen wiedergegeben. – Auf signifikante Abweichungen zum französi-
schen Original wird gegebenenfalls hingewiesen, es wird dann zitiert nach der Ausgabe De
l’incredulité, où l’on examine Les Motifs & les Raisons génerales qui portent les Incredules à
rejetter La Religion Chrétienne, Amsterdam 1696. – Eine englische Übersetzung erschien
bereits 1697, im gleichen Verlag (Churchill), in dem auch die Werke John Lockes gedruckt
wurden: A Treatise of the Causes of Incredulity. Wherein are examin’d the general Motives
and Occasions which dispose Unbelievers to reject the Christian Religion, London 1697. –
Zu Locke und Le Clerc vgl. die Hinweise bei Mulsow 2002, S. 320 f.
221
Vgl. Israel 2001, S. 474 f.; ausführlich Reventlow 1988; unlängst noch McDonald
2016, S. 174–178 et pass. (Register), mit Hinweisen auf neuere Literatur.
222
Vgl. Dehrmann 2008, S. 34–45.
223
Noch der lutherische Theologe Johann Hülsemann kommt 1653 aufgrund von
Voetius’ Ausführungen über den Atheismus zu dem Ergebnis: »Nach dieser Beschreibung
sind alle Arminianer und Calixtiner, directe Athei; externe und interne.« Johann Hülse-
mann, Calixtinischer Gewissens-Wurm, Leipzig 1653, S. 1349. – Zu ihm vgl. auch weiter
oben, Kap. II.2.1.
224
Vgl. McDonald 2016, S. 175; Jonathan Israel bringt Belege für den Verdacht des
Spinozismus gegen Le Clerc und den mit ihm bekannten John Locke (vgl. Israel 2001,
S. 468 f.), erklärt sie aber für unhaltbar (ebd., S. 469): »The accusation that Le Clerc and
Locke were ›Spinozists‹ was grotesque.«
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390 Im Vorfeld der Aufklärung

auch am common sense orientierte Verteidigung des Christentums zu kurz, so


lange sie nämlich beim Gegner die Bereitschaft oder Fähigkeit zum ungetrüb-
ten rationalen Denken voraussetzt. Damit stellt er die Leistungen der neuzeit-
lichen Apologetik nicht infrage (immerhin übersetzte er Grotius’ De veritate
religionis christianae), auch bei ihm bildet die Vernünftigkeit der christlichen
Religion die axiomatische Grundannahme. Nur setze deren Akzeptanz beim
Leser schon einen richtigen Vernunftgebrauch voraus. Genau der sei bei den
Ungläubigen (incrédules) aber nicht vorhanden.225 In dieser Erkenntnis sieht
Le Clerc ein zentrales Desiderat der Apologetik, das von den bisherigen Au-
toren nicht oder zu wenig berücksichtigt worden sei:

Indessen scheint mir doch noch einen [!] Punct übrig zu seyn, der von den mehres-
ten, welche über diese Sache geschrieben, entweder gar nicht oder doch nur ziemlich
obenhin untersucht worden. Dieß sind die geheimen Ursachen und die allgemeinen
Gründe, um deren Willen die Ungläubigen nicht erkennen, daß das Christentum
eine göttliche Offenbarung ist. Die innerliche Gemüthsverfassung, worin sie stehen,
nöthiget sie so gewaltig, die ihnen vorgelegten Beweise zu verwerfen, ohne selbst die
Bewegungsgründe warzunemen, warum sie es thun; daß es fast umsonst ist, mit ihnen
darüber zu reden, wenn man nicht vorher zeiget, daß eine solche Verfassung wieder
die Vernunft ist. (11)

Damit ist die Atheismusdebatte endgültig in der Frühaufklärung angekom-


men. Tatsächlich setzt Le Clerc selbst ausdrücklich den Vorurteilsbegriff ein.
Wie bei Bentley zeigt sich die Neuausrichtung der Apologetik aber auch in
einer Veränderung des Adressatenkreises. Nicht die Verwendung des Fran-
zösischen allein, sondern der gesamte Duktus der Darstellung stellt eindeutig
klar, dass Le Clerc nicht mehr nur für Gelehrte schreibt.226 Er folgt damit ei-
ner generellen Tendenz. So wie der britische Deismus mit Tolands Christia-
nity not mysterious (1696) im selben Jahr mit Schriften in der Landessprache
hervortritt, ebenso schon um 1600 der französische Skeptizismus (Charron,
La Mothe le Vayer u. a.), richten sich auch die Verteidiger der Religion nun
zunehmend an eine breitere Öffentlichkeit. Hier war der Latitudinarismus
bereits vorangegangen, in Deutschland zeigen sich in den zwei Jahrzehnten
vor 1700 ähnliche Tendenzen, in den Niederlanden machen sich Autoren des
Réfuge die Verteidigung der Religion zu eigen.227 Darüber hinaus verweist die
Mischung von psychologischer Feinfühligkeit und weltkluger Desillusion, mit
der Le Clerc den Wirkungen irrationaler Antriebe innerhalb des menschlichen
Denkhaushalts nachspürt, auf die höfische Moralistik La Bruyères (s. o.) eben-

225
Le Clerc verwendet den Begriff Atheismus nicht und umgeht damit – möglicher-
weise bewusst – die definitorischen Schwierigkeiten der Voetius-Nachfolge.
226
So auch der anonyme Übersetzer der englischen Ausgabe, wenn er Le Clercs
Buch zur Lektüre für »Men of all Conditions« erklärt; dagegen sei Grotius’ Schrift De ve-
ritate religionis christianae »not intelligible but to profound Scholars« (Locke, A Treatise
of the Causes of Incredulity, Preface to the Reader, S. IV).
227
Vgl. Haase 1959, S. 217–259; Pott 2002a.
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Die »Thorheit« der Gottesleugner 391

so wie auf Pascals essayistische Selbsterkundungen in den Pensées ( IV.3.3).


Zu bedenken ist schließlich, dass Le Clerc als Gelehrter nicht nur Erasmus und
Grotius edierte,228 sondern auch mit John Locke bekannt war. Das sorgt zwar
nicht für grundsätzlich andersartige Erkenntnisse, als sie die scholastische
Psychologie bei Mersenne oder Voetius ermöglichte – tatsächlich sind ja die
Resultate weitgehend identisch. Gerade für ein breiteres Publikum aber dürfte
die auf Anschauung setzende, vermeintlich erfahrungsgestützte Moralistik für
erheblich mehr Plausibilität gesorgt haben.
Auch wenn die Annahme von der Irrationalität des Atheismus die neuzeit-
liche Auseinandersetzung mit dem Unglauben von Anfang an begleitet, ist
doch bei Le Clerc ein neues Niveau der psychologischen Reflexion erreicht.
Das Verhältnis von Verstand und Affekten ist bei ihm nicht mehr auf einen
simplen Antagonismus beschränkt, in welchem die ›unteren‹ Seelenkräfte
(»potentiae inferiores«, hieß es noch bei Mersenne) die Funktionsweise des
rationalen Vermögens behindern oder ganz außer Kraft setzen. Der Verstand
erscheint vielmehr als durch unbewusste (»geheime«) Antriebe in Form von
Leidenschaften in eine bestimmte Richtung gelenkt. Er erfüllt eine instrumen-
telle Funktion insofern, als er für eigentlich irrational motivierte Vorstellungen
oder Ziele einer Person scheinbar rationale Begründungen findet. Hier werden
also, in Übereinstimmung mit der zeitgenössischen Moralistik, ansatzweise
psychologische Annahmen entwickelt, die über die Anthropologie der Auf-
klärung229 und die Lebensphilosophie Arthur Schopenhauers und Friedrich
Nietzsches bis zur modernen Tiefenpsychologie reichen werden. Sie beruhen
auf der fundamentalen Annahme, dass der Mensch nicht nur aus Geist besteht,
die menschlichen Urteile folglich nicht bloß vom Verstand abhängen, sondern
ebenso sehr von Affekten,230 die sich auf dem Weg über eine generelle »Ge-
müthsverfassung« (»disposition interieure«, heißt es im Original) in Neigungen

228
Die zehnbändige Erasmusedition erschien in Leiden (1703–1706).
229
Das erklärt wohl unter anderem, warum eine deutsche Übersetzung gerade 1747
in Halle erschien, wo die Anthropologie durch A. G. Baumgartens Aesthetica entschei-
dende Impulse erhielt. Dass sein Bruder Siegmund Jacob Baumgarten eine Vorrede bei-
steurte (s. Anm. 220), dürfte nicht auf Zufall beruhen. Zur Halleschen Anthropologie um
1750 vgl. die Beiträge in Zelle 2001.
230
So auch Le Clerc: »Wären die Menschen reine geistliche Wesen, bloß mit der Er-
forschung des Wahren und Falschen beschäftiget, und allemal geneigt, ihr Verhalten nach
den von ihnen entdeckten Warheiten einzurichten, ohne daß es ihnen schwer ankäme; so
bedüfte es, um sie aus dem Irtum [!] zuziehen und ihr Verhalten zu bessern, nichts mehr,
als daß man sie durch Darlegung der Beweisgründe die ihnen unerkannten Warheiten vor-
stellete, und ihnen zeigte, daß ihr Leben denenselben nicht gemäß sey. Allein die Urtheile,
welche die Menschen von den mehresten Dingen fällen, entspringen eben so sehr aus den
Fertigkeiten und gewonten Neigungen, welche sie sich zuwege gebracht, und welche sie
in ihrem Laufe nicht leicht aufhalten, als aus den Einsichten ihres Verstandes und ihren
Vernunftschlüssen.« (17 f.)
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392 Im Vorfeld der Aufklärung

(»inclinations«) und Gewohnheiten (»habitudes«) manifestieren.231 Auf diese


Weise sind Le Clerc zufolge Fehlurteile programmiert, ohne dass sie vom Be-
troffenen als solche erkannt werden könnten – sie bleiben unbewusst.232 Das
gelte auch für die Beurteilung der Religion, sobald die durch sie vorgeschriebe-
nen Sätze und Regeln den Gewohnheiten eines Menschen zuwiderlaufen wür-
den.233 Den darauf gegründeten Mechanismus der Selbsttäuschung schildert Le
Clerc rhetorisch-anschaulich, indem er ein entsprechendes Charakterporträt
entwirft und im fingierten Selbstgespräch234 vorführt:

Da das also seine Richtigkeit hat, so lasset uns nun hier die Abbildung eines Menschen
ansehen, der die christl[iche] Religion deswegen verwirft, weil er sie seiner Gemüths-
verfassung entgegen findet, er mag auch zu dieser gekommen seyn, wie er immer will.
Dieß ist ein Mensch, der zu sich selbst sagt: Alles, was die Religion lehret, ist falsch,
weil es dem Zustande entgegen ist, in welchem ich mich befinde. Ich bin ein viel zu
rechtschaffener Mensch, als daß ich verdienen sollte, für einen verlornen Menschen an-
gesehn zu werden, und das müste doch geschehen, wenn die christliche Religion wahr
seyn sollte. Sie ist also falsch, und ich werde sie niemals glauben. (21)

Soweit es die Lebensgewohnheiten sind, die mit den Forderungen der Religion
in Konflikt geraten, wird, bei aller psychologischen Verfeinerung, die Kontinu-
ität der Argumentation zu den Psalterkommentaren und zu Voetius deutlich.
Nicht umsonst fällt genau an dieser Stelle auch der Begriff der Torheit bzw. des

231
»Diejenigen, zum Exempel, welche gewont sind nichts zu thun [frz. »qui sont ac-
coûtumez, par exemple, à vivre sans rien faire«, 10] und an nichts nützliches zu gedencken,
auch bey einer solchen Verbringung ihrer Zeit bleiben können, ohne die Armut befürchten
zu dürfen; diese Leute hören die Gründe, womit man sie zur Arbeit oder zum Lesen zu
bringen suchet, als Reden solcher Leute an, die voller verdrüßlichen Schwermut sind, und
nicht wissen, was Leben heisse. Die stärcksten Beweisthümer, die man beybringen kann,
um sie zu überzeugen, daß ein jeder verbunden ist, der Gesellschaft auf einige Art nützlich
zu seyn, kommen ihnen ungegründet für, ob gleich andere sie für unwiderleglich halten.«
(18 f.)
232
Ebd., S. 11 (Hervorh. d. Verf.): »Die innerliche Gemüthsverfassung, worin
sie stehen, nöthiget sie so gewaltig, die ihnen vorgelegten Beweise zu verwerfen, ohne
selbst die Bewegungsgründe warzunemen, warum sie es thun; daß es fast umsonst ist,
mit ihnen darüber zu reden, wenn man nicht vorher zeiget, daß eine solche Verfassung
wieder die Vernunft ist.« – Den unbewussten Charakter dieses Vorgangs unterstreicht
Le Clerc an mehreren Stellen, besonders deutlich im Anschluss an das obige Zitat,
wenn er noch einmal die Vergeblichkeit der bisherigen apologetischen Bemühun-
gen bekräftigt (ebd., S. 11 f., Hervorh. d. Verf.): »Sie [sc. die Apologeten] haben die
Wahrheit derselben gar wohl bewiesen, allein ihre Beweise kommen den Ungläubigen
schwach vor; und das wegen der Verfassung, in welcher sie sich befinden, und welche
sie selbst nicht kennen.«
233
»Findet es sich nun, daß man gewonte Neigungen an sich hat, die denjenigen, wel-
che die christliche Religion erfodert, gerade entgegenstehen, so werden diese Fertigkeiten
diejenigen, bey welchen sie herrschen, anfangs gantz gewiß dahin bringen, das, was jene
uns lehret, als falsch anzusehen und die Annemung ihrer Gesetze von sich abzulenen.«
(20 f.)
234
Zur oratio ficta im Dienst der Apologetik s. weiter oben, Kap. III.2.3.
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Die »Thorheit« der Gottesleugner 393

Toren (insensé),235 der ansonsten im Text keine nennenswerte Rolle mehr spielt.
Der irrationale Kern des Unglaubens liegt auch für Le Clerc primär in der
Ablehnung der christlichen Moralgebote, nicht der christlichen Metaphysik,
in der Weigerung nämlich, die eigenen Gewohnheiten als Laster anzuerken-
nen: »Weil ihre [sc. der christlichen Religion] Sittenlehre allen Lastern zuwider
ist, welche die Vernunft verdammet, so kann man sie unmöglich verwerfen,
wofern man nicht einige von diesen Lastern an sich findet.« (25) Als Beispiele
für derartige Gewohnheiten nennt er – in Übereinstimmung mit christlichen
Sündenvorstellungen und moralistischer Sittenkritik – unter anderem Stolz
oder Hochmut,236 Faulheit237 und weltlichen Ehrgeiz. Da es nun aber, so Le
Clerc weiter, ganz unsinnig wäre, gegen die christliche Morallehre zu argu-
mentieren (diese sei schließlich über jeden Zweifel erhaben),238 würde sich die
Abwehr in einer Art von negativer Sublimierung gegen die Beweisgründe der
christlichen Religion richten, etwa gegen die Wunderbeweise.239 Damit ist der
Bogen zum zeitgenössischen Deismus geschlagen und folglich eine der ver-
breitetsten Formen der Religionskritik psychologisch eingeordnet. Am Bei-
spiel des Ehrgeizes, der stellvertretend auch für andere ›inclinations‹ wie Geiz,
Wollust, Ungerechtigkeit oder Rachsucht stehen könne,240 fasst Le Clerc die
subtile Wirkungsweise der charakterlich-moralischen Fehlhaltungen auf den
Verstand noch einmal zusammen. Das so entstehende Porträt des incrédule
als von »Leidenschaften« zerrissenen, also zutiefst irrationalen, außerdem un-

235
De l’Incredulité, S. 13. – Interessant sind einmal mehr die Entscheidungen der
Übersetzer: Im Englischen heißt es erwartungsgemäß »Fool« (Treatise of the Causes of
Incredulity, S. 13), die deutsche Übersetzung fällt – allerdings 50 Jahre später – noch dras-
tischer aus: »Niemand, als ein Wahnsinniger, wird so urtheilen.« (22)
236
Das zweite Kapitel behandelt den Hochmut (frz. l’orgueuil), die ausführliche
Überschrift fasst die dort entfaltete These bündig zusammen (40): »Der Hochmut kann
Ursache seyn, daß man den Beweisgründen für die Warheit der christl[ichen] Religion
nicht nachgiebt.« (De l’Incredulité [S. 30]: »Que l’Orgueuil peut être cause, que l’on ne se
rend pas aux preuves de la Verité de la Religion Chrétienne.«)
237
»Das sechste Capittel [sic!], Die Faulheit kann manchen in der Unwissenheit, in
dem Zweifel und dem Unglauben erhalten.« (120) – »Que la Paresse peut entretenir bien
des gens dans l’Ignorance, dans les Doutes, & dans l’Incredulité.« (De l’Incredulité, S. 103)
238
Sie sei »beyond Contradiction«, heißt es in der englischen Übersetzung (A Trea-
tise of the Causes of Incredulity, S. 23). Die deutsche Übersetzung (s. nächste Anmerkung)
bleibt eng am Original.
239
»Alles was man hingegen sagen kann, wird darin bestehen, daß man meinet die-
jenigen, welche die Religion JEsu Christi verwürfen, thäten solches nicht ihrer Sittenlehre
wegen, als von welcher man bekennen müsse, daß sie sehr schön und auf die richtigsten
Einsichten der Vernunft gegründet wäre; sondern deswegen, weil sie sich einbildeten, die
Religion hielte unglaubliche Geheimnisse in sich, und beruhete auf Wunderwercken, die
keine Warscheinlichkeit hätten.« (35)
240
So heißt es kurz darauf: »Es ist offenbar, daß man eben so von einem Geizigen,
von einem Wollüstigen, von einem Ungerechten, von einem Rachgierigen und von allen
den übrigen urtheilen kann, welche dergleichen gewonte Neigungen an sich haben, die mit
dem Christenthum streiten.« (32)
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394 Im Vorfeld der Aufklärung

glücklichen Charakters lässt sich in der deutschen literarisch-poetischen Aus-


einandersetzung mit dem Unglauben ( VI.1–VI.4) noch vielfach antreffen:

Die wahre Ursache, warum sie zweifeln oder ungläubig sind, ist keine andere, als
ihre herrschende Leidenschaft, der Ehrgeitz, welcher der Sittenlehre der christlichen
Religion so sehr entgegen stehet, daß er unmöglich in einem Herzen bleiben kann,
welches von ihrer Warheit rechtschaffen überzeuget und von ihren Grundregeln ein-
genommen ist. […] Diese Leidenschaft, die ihn gantz und gar einnimmt, die sein Ge-
müth mit dem Vergnügen erfüllet, welches sich bei allen Leidenschaften findet, denen
man sich ergiebt, diese macht, daß er sein Verfaren, als das allervernünftigste und
rechtmäßigste Verfaren von der Welt ansiehet. (30 f.)241

5. De viris falso Atheismi suspectis


Rettungen für Sokrates und Hobbes

5.1 Frühe Rehabilitationsversuche


(La Mothe le Vayer, Browne)

Gegen die retrospektive Anwendung des Atheismusvorwurfs als Extremfall


der gängigen Überführungspraxis erhob sich schon früh Kritik.242 Sie verband
sich mit der Diskussion über die alte und theologisch hoch problematische
Frage nach der Seligkeit der Heiden, die seit Beginn des 17. Jahrhunderts zu-
nehmend kontrovers diskutiert worden war.243 Der Versuch, Vertretern der
antiken Philosophie eine Art Christentum vor Christus zu attestieren, bil-
dete – wenn auch vergleichbar im anachronistischen Verfahren – die kom-
plementäre Gegenstrategie zu ihrer Verurteilung als Atheisten. Hatte schon
der französische Philosoph La Mothe le Vayer (1588–1672), einer der bedeu-
tendsten Vertreter des libertinage erudit,244 1642 nachdrücklich dafür plädiert,

241
Zum Vergleich: Mit »ihre herrschende Leidenschaft« übersetzt der deutsche Be-
arbeiter den französischen Ausdruck »leur passion dominante« (De l’Incredulité, S. 21),
»Vergnügen« steht erwartungsgemäß für französisch »plaisir« (ebd, S. 22).
242
Vgl. die Hinweise bei Schröder 1998, S. 67–70. – Bibliografische Hinweise auf
Quellen bietet bereits Johann Albert Fabricius, Delectus argumentorum et syllabus scrip-
torum qui veritatem religionis adversus atheos, epicureos, deistas seu naturalistas, Judaeos
et Mahummedanos lucubrationibus suis asseruerunt, Hamburg 1725, S. 299–308 (mit der
aussagekräftigen Kopfzeile Falso imputatus Atheismus).
243
Vgl. Spiekermann 2012c u. Eickmeyer 2012 mit weiteren Hinweisen.
244
Vgl. dazu nach wie vor das Pionierwerk von Pintard 21983 (zu La Mothe vgl.
S. 140 f., 509 f.). – Die Forschung zu einzelnen Libertins und zur Libertinage im 17. Jahr-
hundert allgemein ist für den Einzelnen nicht mehr zu überschauen; für unsere Zwecke
ausreichend: Popkin 32003, S. 80–98; Forschungsbericht bei Donville 1989, S. 11–23; neu-
erdings auch der Abriss von Pietsch 2016 (mit reichhaltigen Literaturhinweisen); einen
rezeptionsgeschichtlichen Blick bietet die für unsere Argumentation wichtige Arbeit von
Schneider 1970, der nicht, wie so viele andere, nur die Ahnengalerie der libre pensée wei-
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De viris falso Atheismi suspectis 395

die Tugendhaftigkeit und moralphilosophische Einsicht etwa eines Sokrates


oder Platon trotz fehlender Kenntnis der Erlösungstat Christi als heilsrele-
vant (mittels einer »grace extraordinaire du Ciel«) gelten zu lassen,245 bestritt
der Autor der berühmt-berüchtigten Religio medici (1644), der britische Arzt
und Gelehrte Thomas Browne (1605–1682),246 dass es überhaupt jemals wirk-
liche Atheisten gegeben habe, geschweige denn ganze atheistische Völker.247
Bezeichnenderweise wurden beide Autoren ihrerseits unter die Gegner des
Christentums gerechnet.248
Das ist zumindest insofern kurios zu nennen, als die Annahme, es könne
›direkte‹ Atheisten im engeren Wortsinn aufgrund der natürlichen Gotteser-
kenntnis gar nicht geben, seit Mornay und Bacon zu den oft wiederholten Pos-
tulaten der antiatheistischen Literatur gehörte. Provokant wirkte die generelle
Absolution für die heidnische Antike deswegen, weil damit das apologetisch
so nützliche Konstrukt des ›indirekten‹ Atheismus unterlaufen wurde. Tat-
sächlich kam es dabei vor allem auf die Pointierung an: Wie die Beispiele Jo-
hann Ludwig Fabricius und Johann Christoph Wolf gleich zeigen werden, ließ

ter ausbaut, sondern der Begriffs- und Diskursgeschichte von ›libertin‹, ›libertinage‹ etc.
nachgeht (vgl. dazu auch hier den Forschungsbericht in der Einleitung); ähnlich verfährt
Donville 1989, die den Libertinismus als Feindbild, genauer: als »un produit des apologè-
tes« behandelt (hauptsächlich unter intensiver Auswertung der Doctrine curieuse des Père
Garasse von 1623); einleitend beklagt sie das besagte Forschungsdefizit (S. 11): »Malgré
le grand nombre de travaux consacrés au libertinage depuis près d’un siècle, une question
fondamentale reste posée: celle de la défintion même des mots ›libertinage‹ et ›libertin‹ au
XVIIe siècle.« – An diese Forschungen knüpft in jüngerer Zeit der gut gewichtete Abriss
bei Grimm 2005, S. 85–87, an.
245
François La Mothe le Vayer, De la vertu de Payens, in: Œuvres, Nouvelle édition,
Tome V, Partie I, Pfoerten/Dresden 1757, S. 129. – Zu La Mothe le Vayer vgl. den knappen
Überblick von Roger Zuber im Neuen Ueberweg 17/2, S. 124–126 sowie S. 120 f. (Werk-
bibl.) u. 189 (Lit.); zur Stellung La Mothes in der Geschichte des Skeptizismus vgl. Kors
1990, S. 45 f., 119 f.; Popkin 22003, S. 78–87, 95–98 et pass. (Register); weitere Hinweise zur
Forschung bei Schüßler 2007.
246
Zu Browne im Horizont des Skeptizismus vgl. Allen 1964, S. 12 f. et pass. (Re-
gister); zum philosophischen Gehalt der Religio Medici vgl. Lobsien 2009; zu Browne im
Rahmen der Atheismusdebatte vgl. nach wie vor Mauthner 1921, S. 391–401 (mit Hinwei-
sen zur Rezeption in der deutschen Apologetik); vgl. ferner Kors 1990, S. 244; Schröder
1998, S. 52 (Anm. 35) u. 69 (Anm. 95). – Die Religio medici zitiert übrigens auch Ernst
Robert Curtius im Kapitel über das ›Buch der Natur‹ in seiner berühmten Studie Europä-
ische Literatur und lateinisches Mittelalter (vgl. Curtius 1948, S. 326 f.).
247
Thomas Browne, Religio medici, o. O. 1644, S. 71 f.: »Nec tamen aut haec, aut
ulla alia tantum apud me unquam valuerunt, ut ad infidelitatem aliquam, aut deplorata
Atheismi dogmata pertraherent; nullos enim unquam Atheos fuisse jamdudum credo. […]
Qui olim spiritus sancti Divinitatem sustulerunt, haereticorum nomine solummodo dam-
nati sunt; & qui hodie servatorem nostrum abnegant, licet Haereticis omnibus deteriores,
Athei tamen non sunt.«
248
Gegen Browne vgl. etwa Colbe, De fulcris atheismi in ecclesia, S. 8, 15, 16 f.; Müller,
Atheismus devictus, S. 10 f. – Als Verteidiger Brownes trat neben Gottfried Arnold (s. u.)
etwa Immanuel Weber in seiner Beurteilung der Atheisterey von 1697 auf (S. 92–117); vgl.
auch die Hinweise bei Mauthner 1921, S. 396 f. – Zu Weber s. weiter oben, Kap. III.2.3.
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396 Im Vorfeld der Aufklärung

sich die Rehabilitation antik-heidnischer oder exotisch-wilder Völker gegen


den Atheismusvorwurf auch für die Zwecke der Apologetik nutzen. Denn der
Nachweis, dass es sich in den meisten Fällen gar nicht um Atheismus gehan-
delt habe, stützt die apologetisch wichtige Annahme eines consensus gentium
als eines historisch-empirischen Belegs für die Annahme der besagten natür-
lichen Gotteserkenntnis.249 Bezeichnenderweise machen jedoch Rehabilitati-
onsversuche dieser Art gewöhnlich vor den Atheistenkatalogen des neuzeitli-
chen Europa halt. In Deutschland nimmt erst Gottfried Arnold auch Hobbes,
Herbert von Cherbury und Spinoza vom Atheismusvorwurf aus (s. u.), wenig
später folgt ihm darin mit Nicolaus Hieronymus Gundling ein bedeutender
Vertreter der deutschen Frühaufklärung ( V.3).250

5.2 Wider den Generalverdacht


Die Verteidigung des Menschengeschlechts
bei J. L. Fabricius (1662/1682)

Ein frühes Beispiel, wohl nicht zufällig im selben Jahr gedruckt wie Bayles
Pensées diverses,251 bietet der Apologeticus pro genere humano contra atheismi
calumniam des reformierten Heidelberger Theologen Johann Ludwig Fabri-
cius (1632–1696), Prinzenerzieher, Mitglied im pfälzischen Kirchenrat und en-
ger Berater des theologisch gebildeten und religionspolitisch fortschrittlichen
Kurfürsten Karl Ludwig.252 Fabricius, dessen hervorragende philosophische
und theologische Ausbildung in Basel, Köln, Paris, Leiden und Utrecht – er
studierte dort bei Voetius persönlich und verkehrte in dessen Haus – ihm
ebenso wie sein bedeutender Einfluss am kurpfälzischen Hof den Ruf eines
»der führenden Repräsentanten der Ära Karl Ludwigs« (Benrath) eingetragen

249
Dieser Zusammenhang ist vollkommen zutreffend dargestellt bei Schröder 1992,
S. 10–13; ausführlicher Schröder 1998, S. 67–70.
250
Wie schon in der Einleitung angekündigt, werden Gundlings Überlegungen zu
Hobbes im Gundling-Kapitel behandelt, da sie so dicht mit seinen anderen Publikationen
der Zeit verzahnt sind, dass hier übergebührlich viele Erklärungen nötig wären, die später
nur zu Wiederholungen führen würden.
251
Die Schrift ist offenbar schon früher erschienen, frühestens 1662. Leibniz er-
wähnt sie schon 1670 in einem Brief an Theophil Spizel; mehr dazu weiter oben im Leib-
niz-Kapitel (I.4.3), Anm. 145. – Im Folgenden zitiert nach der Ausgabe: Apologeticus pro
genere humano contra atheismi calumniam, in: Johann Ludwig Fabricius, Opuscula varia,
Heidelberg 1688, S. 155–199, mit Seitenzahl nach Zitat in Klammern.
252
Zu Fabricius vgl. das auf breiter Quellenkenntnis beruhende Porträt bei Benrath
1970, das zugleich eine Skizze der Religionspolitik unter Karl Ludwig bietet. Die folgen-
den Ausführungen zu Biografie und Standpunkt stützen sich auf Benraths Darstellung.
Knapp zu Biografie und Ämtern in Heidelberg, mit bibliografischen Hinweisen: Drüll
1991, S. 31 f. – Ältere Nachschlagewerke in Kopie bietet der Eintrag in DBA I 304, S. 19–
23; II 349, S. 206–225.
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11:25

De viris falso Atheismi suspectis 397

hat,253 zeigte als Theologe schon früh Interesse an der Frage der natürlichen
Gotteserkenntnis und war darüber hinaus von Karl Ludwig mit Verhandlun-
gen für eine protestantische Union zwischen der Pfalz und dem lutherischen
Württemberg betraut worden. Dass in diesem Zusammenhang Kontakte zu
den Helmstedtern Calixt und Conring entstanden, wird wohl kaum verwun-
dern. Als Leiter des Heidelberger Sapienzkollegs und komissarischer Vertre-
ter einer Professur an der dortigen philosophischen Fakultät machte Fabricius
die Bekanntschaft mit Pufendorf, der dort seit 1661 einen Lehrstuhl beklei-
dete. Überdies führte er, trotz persönlicher Bedenken, die Verhandlungen
mit Spinoza, als Karl Ludwig diesen 1672 an die philosophische Fakultät in
Heidelberg holen wollte.254 Kurzum, bei Fabricius handelt es sich um einen
Gelehrten auf der wissenschaftlichen Höhe seiner Zeit, der als Repräsentant
einer irenisch-unionistischen Religionspolitik den kontroverstheologischen
Abgrenzungskämpfen des konfessionellen Zeitalters ebenso fern stand wie
dem frühpietistischen Kulturpessimismus ( II.2.3).
Seine Verteidigung des Menschengeschlechts gegen den Atheismusvor-
wurf ist nun allerdings auch wieder nicht als frühaufklärerische Revision der
apologetischen Überführungsmethodik zu begreifen. Vielmehr dient sie dem
gleichfalls apologetischen Vorhaben, das Vorkommen religiöser Vorstellungen
in sämtlichen antiken Kulturen ebenso wie bei den neu entdeckten Völker-
schaften Asiens, Afrikas und Südamerikas zu nutzen, als flächendeckenden
Nachweis eines consensus gentium über die Existenz einer Gottheit und die
Notwendigkeit ihrer Verehrung. Die Argumentation war seit der Antike bes-
tens vorbereitet: Fabricius arbeitet nach eigener Aussage die Behauptung Ci-
ceros und Senecas ab, es habe noch nie ein Volk gegeben, das so wild und
barbarisch gewesen sei, dass es keinerlei Götterglauben gekannt habe.255 Diese
Sichtweise war inzwischen durch Reiseberichte immer wieder in Zweifel ge-
zogen worden, die daraus resultierenden Konsequenzen hatte Bayle in seinen
Pensées diverses schonungslos gezogen ( IV.2). Dagegen stand nun eben die
von Bayle und später von John Locke bestrittene Annahme der christlichen
Apologeten, dass es ›echte‹ Atheisten, also Ungläubige »in corde« oder ›direk-
te Atheisten‹ aufgrund natürlicher Gotteserkenntnis gar nicht geben könne.
Dieses bewährte Axiom bildet auch bei Fabricius die theologisch-methodische

253
Benrath 1970, hier zit. n. DBA II 349, S. 206; etwas später wird er von Benrath als
»der vornehmste kirchliche Repräsentant dieser Ära« bezeichnet (ebd., S. 222). – Kein Ge-
ringerer als Leibniz nannte Fabricius in der Theodizee-Vorrede (1710) den »ersten Theolo-
gen von Heidelberg«; Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theodizee. Übersetzung von Artur
Buchenau, Hamburg 1968 (Philosophische Bibliothek 71), S. 25.
254
Die Anekdote sprach sich bald herum, Gottfried Arnold erwähnt sie im Spinoza-
Kapitel seiner Kirchen- und Ketzerhistorie (s. u.), Johann Ulrich Frommann in seinem Dis-
putationszyklus Atheus stultus von 1713–1715 ( V.5.2).
255
Die entsprechenden Zitate werden eingangs (156 f.) aufgeführt. Überraschender-
weise fehlt Plutarch, der in diesem Zusammenhang sonst meistens genannt wird; Belege
weiter oben in Kap. I.3.1, Anm. 200.
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398 Im Vorfeld der Aufklärung

Grundlage der Argumentation.256 Um es auch empirisch zu befestigen, wertet


er antike Geschichtsschreiber und Reiseberichte auf Anzeichen religiöser Vor-
stellungen hin aus.
Die kleine Schrift ist als Dialog konzipiert, genauer: als Bericht des Au-
tors an den Freund Theophilus über eine Diskussion zwischen dem Autor
selbst und dem gemeinsamen Freund Aristaeus.257 Dem Theophilus wird die
Aufgabe des Schiedsrichters übertragen (»disputationis nostrae Arbitrum«
[164]). Im ersten Kapitel des ersten Teils wird die Erzählsituation anhand einer
anschaulichen Rahmenhandlung kurz entfaltet: Nach einer Debatte mit dem
Freund Aristaeus, so berichtet der Erzähler, habe er sich zum Nachdenken in
sein Arbeitszimmer zurückgezogen und sich dort mit geografischen Werken
beschäftigt. Auf ein daran geknüpftes, rhetorisch effektvoll inszeniertes Plä-
doyer des Erzählers (Kap. II–IV, 156 f.)258 für den consensus gentium (Cicero,
Seneca und Maximus Tyrius fungieren als autoritative Gewährsleute) folgt die
Gegenrede des Aristaeus (Kap. V–X, 158–164). Dort werden die auch von
Bayle verarbeiteten Berichte über angeblich religionslose Völker in Geschichte
oder Gegenwart in Kürze referiert. Der Hauptteil des Textes entfällt dann auf
die Widerlegung des Erzählers, die in einem zweiten Teil (164–178) zunächst
die europäische Geschichte durchnimmt, in einem dritten und letzten Teil
(179–199) zeitgenössische Berichte von Missionaren und Entdeckungsreisen-
den unter dem Gesichtspunkt der Atheismusbehauptung diskutiert.
Fabricius folgt damit einem Widerlegungsmodell, das sich im letzten Drit-
tel des 17. Jahrhunderts innerhalb der europäischen Gelehrtenrepublik durch-
zusetzen begann. An die Stelle der ›zergliedernden Refutation‹ trat dabei die
adäquate Wiedergabe der gegnerischen Position, an die sich eine Widerlegung
anschloss. Ähnliches konnten wir bereits beim Umgang Seckendorffs mit Bay-
les Pensées diverses beobachten. Dieses Verfahren ist insofern gut gewählt, weil
die nicht erst seit Bayle viel beachteten Beschreibungen religionsloser Völker
auf diese Weise in die Argumentation einbezogen und zugleich passend für eine

256
Deutlich genug in der folgenden Äußerung: »Quod acuratissimi naturae humanae
Indagatores sibi persuadere non possunt, Atheos dari; hoc ipsum non leve indicium est,
hominum ingenium ab omnimoda Dei ignorantia naturaliter abhorrere. Possumus nescire
Antipodas esse; possumus torridam & frigidas Zonas desertas credere; at vero Deum, cujus
Ideam in nobis habemus, ignorare non possumus.« (167)
257
Weitere Beispiele für die apologetische Verwendung des Dialogs in Kap. III.2.3.
258
Ein Beispiel für die rhetorische Vorgehensweise, die sich, ausgehend von den zu-
vor erwähnten geografischen Schriften, der veranschaulichenden Deixis bedient: »Aspice
late has quaquaversum patentes terras; istas item per Oceanum disjectas insulas; harum
Incolae tam vastis inter se spatiis disjuncti, tantaque ingenii, culturae, morum, studiorum,
legum varietate distincti sunt, ut nihil commercii inter ipsos unquam intercessisse crede-
res; in unam tamen de Numinis existentia fidem convenerunt, & per tot seculorum lapsus
etiam nunc conveniunt omnes.« (156) – Der Gedanke wird noch weitergeführt und durch
zweifache Wiederholung der Adversativpartikel »tamen« durchgehend pointiert. Der
wiederholte Einsatz von deiktischen Imperativen (»aspice«, »vide«) führt den Modus der
anschaulichen Beweisführung fort.
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De viris falso Atheismi suspectis 399

Widerlegung zugeschnitten werden können. Den Dreh- und Angelpunkt der


Argumentation bildet dabei, wie stets in der Atheismusdebatte, das zugrunde
gelegte Verständnis von Glauben und Unglauben. Ähnlich wie Bayle (der nicht
genannt wird)259 unterscheidet Fabricius – in der Rolle des Erzählers – zwischen
Unglauben und Aberglauben bzw. Idolatrie: »At Idololatrae nostro sensu Athei
non sunt.« (197) Die Vorlage dazu hatte Vossius in seiner breit rezipierten Schrift
De theologia gentili (1642) gegeben, die jedoch ebenso wenig erwähnt wird.
Auf diese Weise kann Fabricius den Atheismusverdacht gegenüber antiken
oder zeitgenössisch-exotischen Völkerschaften abwehren,260 ohne deren jewei-
lige Götterkulte als adäquate Religion gelten zu lassen.261 Der Unglaubens-
vorwurf gegen Völker, die nicht die christliche Religion angenommen hätten,
wird als Idiosynkrasie denunziert, so etwa bei dem niederländischen Kauf-
mann und Entdeckungsreisenden Jan Huygen van Linschoten, der in seinem
Reisebericht von 1596 die Völker Südamerikas beschrieben hatte: 262 »Solet ille
Atheos vocare, o[m]nes Eos quicunque vera religione & salutari Christi cog-
nitione destituuntur. Sunt illi certe Athei suo sensu […] non tamen Athei sunt,
eo de quo hic agitur gradu.« (197) Im Gegenzug wird gleich eingangs mit der
Formel »generalis ille & imperfectus Divinitatis sensus« (165) ein sehr erwei-
tertes Verständnis von natürlicher Religion angelegt, das jegliche Vorstellung
einer höchsten Wesenheit oder eines irgendwie numinosen Willens als Nicht-
atheismus gelten lässt. Auch der Sonnenkult der Peruaner (183–188) oder der
Einwohner Guayanas (188) wird dazugerechnet (183–186).263 Bezeichnender-
weise lässt Fabricius, obgleich ein direkter Schüler von Gisbert Voetius, die
ganze Debatte über direkten und indirekten, theoretischen und praktischen
Atheismus völlig beiseite. Für seinen Hauptzweck, nicht die Existenz, son-
dern die generelle Nichtexistenz von Atheisten zu beweisen, ist das auch völlig
ausreichend. Und in dieser Behauptung wiederum wusste er sich mit seinem
Lehrer Voetius vollkommen einig ( I.5.2).

259
Das spricht für das spätere Erscheinungsdatum 1683, wie überhaupt die ganze
Thematik die Vermutung nahelegt, dass Bayles Kometenschrift schon erschienen war.
260
So kann Fabricius nach eingehenden Darlegungen zu Peru und Brasilien festhal-
ten: »Verum enimvero miseros illos Mortales, penitus Atheos esse, ex iis quae hactenus
allata sunt nondum constat.« (190) – Ähnlich kurz darauf: »Ex his certe omnibus patet,
mi Aristæe, Brasilienses penitus Atheos dici non posse, cum & Sacerdotes atque Prophetas
habeant, & animorum [!] immortalitatem credant, & Daemones vereantur, & superiorem
Potentiam agnoscant.« (192)
261
Die Abscheulichkeit derartiger Göttervorstellungen wird denn auch deutlich
unterstrichen: »Caeterum non Atheismo sed monstrosis potius superstitionibus Africam
Asiamque infestari, ex eodem Autore disces.« (198)
262
Jan Huygen van Linschoten, Beschrijvinge van de gantsche custe van Guinea,
Manicongo, Angola, Monomotapa en tegen over de Cabo de S. Augustijn in Brasilien,
Amsterdam 1596. Eine lateinische Übersetzung erschien 1599 in Den Haag. Fabricius ver-
wendet den latinisierten Namen »Hugo Lindtschotanus« (197).
263
In rhetorischer Zuspitzung: »Quaeso, an qui Deos colunt, Athei sunt?« (168)
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400 Im Vorfeld der Aufklärung

5.3 Gegen Ketzermacher und pro Vanini


Der Atheismus in Gottfried Arnolds
Kirchen- und Ketzerhistorie (1699/1700)

Den Schritt vom Altertum und fernen Kontinenten in die europäische Gegen-
wart macht das dem Atheismus, Deismus und Naturalismus gewidmete Ka-
pitel in Gottfried Arnolds (1666–1714) Unpartheyischer Kirchen- und Ketzer-
historie (1699/1700).264 Nicht nur bezieht der Autor auch angebliche Atheisten
des 17. Jahrhunderts in seine Rehabilitationsbemühungen ein. Er setzt über-
dies dazu an, das Grundsätzliche der apologetischen Überführungsmethodik
herauszuarbeiten, und zwar in Analogie zum Prinzip der Ketzermacherei, das
der gesamten Darstellung nach Art einer Negativfolie zugrunde liegt.265 Des-
wegen verweist er für die lange Liste der Betroffenen auf die jeweiligen Kapitel
seiner Ketzerhistorie und beschränkt sich auf ausgewählte Beispiele der jünge-
ren und jüngsten Vergangenheit:

Ich will aber hier diejenigen personen, welche man einer und anderer paradoxen
meynung halber also genennet hat, nicht erzehlen, sondern sie auf die sonderbare
beschreibung versparen, hier aber insgemein einige anmerckungen, so dieses seculum
noch illustriren, zum beschluß beyfügen. Da denn vor allen dingen wol in acht zu
nehmen ist, daß diese gottlose und leichtsinnige gewohnheit in diesen zeiten so wol
als ehemals im schwange gegangen, daß man diejenigen, welche man auf einmal danie-
der schlagen und verdammen wollen, als Atheisten ausgeschrien. (1072)

Im Unterschied zu fast allen anderen Autoren vor ihm – vergleichbar darin


aber dem Heidelberger Fabricius – lässt sich Arnold gar nicht auf die definito-
rischen Anstrengungen im Anschluss an Voetius ein. Er kritisiert vielmehr ihre
voreilige oder polemische Anwendung und denkt über deren Ursachen nach.
Dass es oft genug die bloße »verwerffung der gemeinen meynungen« (1072)
sei, die von den jeweiligen Autoritäten einer Zeit mit dem Atheismusvorwurf
quittiert wurde, belegt für ihn der Fall des Sokrates ebenso wie die frühe Ge-
schichte der Christenheit. Während hinsichtlich dieser Beispiele um 1700 ein
breiter Konsens bestand, geht Arnold darüber hinaus, wenn er auch Diagoras

264
2. Teil, 17. Buch, Kap. 16. Hier nach der Ausgabe Frankfurt am Main 1729. Nach-
weise im Folgenden durch eingeklammerte Seitenzahlen im Fließtext.
265
Die entsprechende Heuristik unter dem Leitbegriff des »kätzermachens« (8) wird
zu Beginn des ersten Buchs, noch vor dem ersten Kapitel, entworfen (1–26). Ähnlich wie
später Thomasius ( V.2.1) arbeitet Arnold dabei auch einige Ursachen der denunziatori-
schen Praxis heraus, als deren vorrangigste er Neid und »Hochmuth« ansetzt (11). Grund-
sätzlich sieht er durch die oft böswillige Polemik das christliche Liebesgebot verletzt (13)
und reiht sich damit in die pietistische Kritik an der Streitlust der Orthodoxie ein. – Zur
Kritik der »Ketzermacherey« im Umfeld der pietistischen Streitigkeiten vgl., material-
und kenntnisreich, Gierl 1997, S. 301 f., 313 f. u. 324 f.
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De viris falso Atheismi suspectis 401

und Epikur in diese Aufzählung aufnimmt (ebd.).266 Von da aus wendet er sich
der eigenen Gegenwart des 17. Jahrhunderts zu. Neben Vanini (1074–1077)
und den von ihm als Deisten rubrizierten Philosophen Hobbes (1082 f.), Her-
bert von Cherbury (1083 f.) und Spinoza (1085–1088), deren Lehren ausführ-
lich und keineswegs kritiklos dargestellt werden,267 nimmt er auch den oben
kurz behandelten Thomas Browne in Schutz, »welchen gar viel Theologi zum
Atheisten machen wollen« (1072 f.).268 Auch da, wo er den Lehren Hobbes’,
Herberts oder Spinozas nicht zustimmt, etwa weil sie »ohne das wahre licht
und göttliche regierung« erdacht worden seien, begreift er sie von ihrem Un-
genügen mit den herrschenden Lehren ihrer jeweiligen Kirchen und dem un-
christlichen, nämlich allzu streitlustigen Verhalten der »Clerisey« her.269
Zeigt sich Arnold in diesen Fällen auf geradezu sensationelle Weise diffe-
renziert, schreibt er in seiner Einschätzung der atheistischen Bedrohung doch
insgesamt die Schreckenszenarien fort, die wir im frühpietistischen Umfeld
( II.2) sowie in der Staatslehre des 16. und 17. Jahrhunderts ( I.3) kennen-
gelernt haben. Angesichts seines eigenen theologischen Standpunktes kann das
nicht überraschen. Es spiegelt sich darin aber zugleich eines der Grundmotive
der Ketzer-Historie: So wie dort der Häresievorwurf geradezu als Ausweis ei-
nes ›wahren‹ Christentums im Gegensatz zur Amtskirche gehandelt wird, lässt
sich die aggressive Atheistenhetze von der Kanzel effektreich mit dem fakti-
schen resp. ›praktischen‹ Atheismus in der Kirche selbst kontrastieren. Die
Denkfigur eines Atheismus in ecclesia war von den prä- und frühpietistischen

266
»Gestalt nicht allein von den heydnischen Pfaffen diejenigen weisen leute, welche
ihre abgötterey, fabeln und satzungen nicht annehmen wollen, dem volck unter diesem
namen verhaßt gemacht wurden, wie von Socrate, Diagora, Anaxagora, Epicuro und an-
dern bekannt ist. Sondern es haben auch die ersten Christen gnugsam erfahren, wie leicht
es sey, bey verwerffung der gemeinen meynungen in das register der Atheisten zu kommen
[…].« (1072)
267
So werden etwa Herberts Pläne zur Vereinigung der christlichen Sekten durch
eine allen gemeinsam zugrunde liegende Religionsphilosophie als »elende und verkehrte
mittel« bezeichnet (1084). Über Spinoza heißt es, er sei aus Verdruss über die herrschende
Schriftauslegung »auf das andere extremum verfallen« und habe sich eine »falsche freyheit
heraus genommen« (1086). An dieser Stelle wird besonders deutlich, wie sich Arnolds
spiritualistische Theologie, bei aller Kritik an der herrschenden Lehre, deutlich von der
weltlichen Heterodoxie Spinozas absetzt.
268
Er verweist dazu auf den dritten Teil der Ketzer-Historie, wo Browne ausführli-
cher behandelt wird.
269
So heißt es über Hobbes: »Die umstände seiner zeiten, da sich die Bischöffliche
und Presbyterianer mit grossem ärgerniß der Verständigen über dem kirchen-regimente
herum zanckten, geben es von selbsten, daß er durch dergleichen actiones auf solche gedan-
cken gerathen […].« (1083). – Ähnlich über Herbert: »Wiewol es scheinet, daß er sich meist
an seiner Clerisey üblem verhalten geärgert, und dahero auf dergleichen principia gerathen
sey.« (1084) – Und schließlich Spinoza: »Und ist es wol wahrscheinlich, was einige muth-
massen, daß er sich an vieler Theologen und Prediger lehre und leben mag gestossen haben,
und daher auf den vorsatz gefallen seyn vor sich selbsten die warheit zu untersuchen, dabey
ihm sein betrügliches hertz und die vernufft auff allerhand meynungen geführet.« (1085)
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402 Im Vorfeld der Aufklärung

Autoren her hinreichend bekannt270 und wird, wie bei ihnen, so nun auch von
Arnold unter Anspielung auf den 14. Psalm der Systemstelle des ›praktischen
Atheismus‹ zugeordnet:

[…] itzo gedencke ich einiger klagen, daß der atheismus in diesem seculo gar gemein,
und häuffig zu finden sey. Und zwar vornemlich derjenige, welcher in der praxi be-
stehet, da ja alle gottlose in allen ständen in ihren hertzen wünschen und in der that so
leben, als wäre kein Gott. (1073)

Erst von dort aus, nämlich von der »unempfindlichkeit und entfernung
von Gott«, begreift Arnold mit Seckendorff und anderen den Schritt zur
»höchsten staffel der gottlosigkeit, d. i. zur entziehung von aller furcht und
empfindung Gottes, seiner gerechtigkeit und straffen« (ebd.). Ausführlich
zitiert er (1073 f.) Schriften aus dem Umfeld des Reformprotestantismus
(u. a. Voetius, Spizel und Scriver), die den Verfall der Frömmigkeit gera-
de unter den Geistlichen beklagen.271 Mehr noch: Für seinen kirchenge-
schichtlichen Revisionismus gehört sogar das Ketzermachen selbst unter
die Erscheinungsformen dieses praktischen Atheismus.272 Analog zu seiner
Beurteilung der Ketzergeschichte legt er dagegen als Maßstab für wahre
Frömmigkeit die individuelle Gottesfurcht an, die sich für ihn nicht in
äußeren Formen beweist, sondern in einer gottgefälligen Lebensführung.
Es ist zuallererst diese Diskrepanz von Lehre und Leben oder sogar von
›wahrer‹ und falscher Lehre, jenes Leitmotiv der großen Frömmigkeits-
bewegungen seit 1600, in der Arnold die Hauptursache nicht nur für die
Gegenentwürfe Hobbes’, Herberts und Spinozas erblickt, sondern auch
für die Entstehung expliziter Gottesleugner, deren Vorkommen er keines-
wegs bestreitet.273 Er nennt das legendäre Buch von den drei Betrügern,
das Cymbalum mundi und die ebenfalls clandestine Schrift Simonis reli-
gio (1074), also zentrale Werke der littèrature clandestine, die auch nach
heutigen Maßstäben dem intellektuellen Radikalismus zugeordnet werden
können. Die aufsehenerregenden Nachrichten vom Leben und Sterben ve-
ritabler Atheisten, wie sie in Burnets Rochester-Biografie und in dem (al-
lerdings fingierten) sensationellen Bericht über den Second Spira vorlagen

270
Schon dem Titel nach in Christian Colbes Dissertation De fulcris atheismi in ec-
clesia (1655); s. dazu weiter oben, Kap. II.2.3.
271
»Daß aber dergleichen Atheisterey oder ungöttliches wesen auch in diesem seculo
zuförderst unter denen lehrern selbst mehr als allzusehr im schwange gegangen, haben
aufrichtige personen gerne gestanden und beklaget.« (1073)
272
»Was vor atheisterey bey dem kätzermachen und unterdruckung aller göttlichen
warheiten von der clerisey offte getrieben worden, haben wir im eingang dieses wercks
bey den anmerckungen von den kätzer-geschichten aus Johannis Lassenii politischen ge-
heimnüssen der Atheisten gesehen.« (1073)
273
»Daß es also mehr als zu gewiß ist, daß in diesem seculo es in Teutschland an Athe-
isten nicht gefehlet habe.« (1074) – Im Folgenden wird einmal mehr Mersennes Schätzung
über die Zahl von 50.000 Atheisten allein im Paris des Jahres 1623 referiert (ebd.).
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De viris falso Atheismi suspectis 403

( III.2.2), setzt Arnold als bekannt voraus, denn sie seien »in gemeinen
teutschen büchern weitläufftig zu finden« (1078).

5.4 Frühaufklärung in Wittenberg?


Johann Christoph Wolfs Disputation De atheismi falso suspectis (1710)

Explizit »contra Voëtium« richtet sich schließlich, mit ausführlicher Diskus-


sion der bestehenden Definitionsmodelle, der Wittenberger Professor ›extra-
ordinarius‹ für Philosophie Johann Christoph Wolf (1683–1739) in einer von
ihm geleiteten Disputation De atheismi falso suspectis des Jahres 1710 (21717).274
Während Fabricius auf eine Auseinandersetzung mit der Atheismusliteratur
vollständig verzichtet, arbeitet Wolf, beginnend mit Voetius, die einschlägigen
Schriften ab und bezieht dabei auch die gelehrte Zeitschriftenproduktion nach
1700 ein. Die mehrfach bekräftigte Hochschätzung Löschers (»Magnificus
Loescherus« [2, 6 u. 9]), dem er im Großen und Ganzen folgt, und Johann
Hülsemanns (»acutissimus Hulsemannus« [11]) weist dabei den Wittenberger
Wolf als sattelfesten Lutheraner aus, so wie er sich umgekehrt schon in der
Einleitung (1–3) ausdrücklich gegen Bayle wendet. Keineswegs also geht es
ihm darum, die Atheisten mit Bayle und anderen »milder zu beurteilen« (»de
Atheis mitius judicandum« [1]) oder gar wie jener durch das Herausstreichen
moralischer Vorzüge (»singularem morum candorem« [2]) gegenüber dem
Polytheismus zu ihrer »Entschuldigung beizutragen« (»ad Atheorum excusa-
tionem permultum facere« [1]). Vielmehr will er gerade durch den Nachweis,
dass es Atheisten im strengen Wortsinn kaum je gegeben habe, der bayleschen
Argumentation die Evidenzbasis entziehen.
Wenn sich nämlich, so der Gedanke, beweisen ließe, dass die vermeintli-
chen Exempel für tugendhafte Atheisten aus Antike oder fernen Ländern in
Wirklichkeit über religiöse Vorstellungen verfügt hätten, dann wäre die alte
These von der Religion als unverzichtbarem vinculum societatis ( I.3) auch
gegen Bayle und die von ihm verwendeten Reiseberichte restituiert. Wolf
führt Bayles These von der Möglichkeit eines atheistischen Gemeinwesens als
dessen zweiten Irrtum (d. h. nach dem von der moralischen Vortrefflichkeit
einzelner Atheisten) an.275 Dagegen bringt er bereits hier keine geringere Au-
torität als Pufendorf in Stellung, woraus sich ersehen lässt, wie stark die oben
274
Der Titel lautet eigentlich Atheismi falso suspectos […] praeside Iohanne Chris-
tophoro Wolfio […] vindicavit XV. Octobr. A[nno] M.DCC.X. respondens auctor Petrus
Adolphus Boysen. Der Einfachheit halber wird hier die innerhalb des Werks in den Kolum-
nentiteln verwendete Überschrift De atheismi falso suspectis verwendet. – Nachweise im
Folgenden, mit Seitenzahlen im Fließtext, nach der zweiten Ausgabe (Wittenberg 1717).
Das Zitat »contra Voëtium« auf S. 11. – Zu Wolfs Schrift vgl. die knappe Einordnung bei
Schröder 1998, S. 68, Anm. 88; ausführlicher Barth 1971, S. 187–190, 86 f., 94 f.
275
»Ex hoc errore natus est alius, qui Atheos bonos Reipublicae cives esse posse tra-
dit, quique Baelio se ita probavit, ut illum etiam adscitiis verborum pgmentis instruere et
ornare in Tomo IV. Responsionum p. 237. et 277. aggressus sit.« (3)
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404 Im Vorfeld der Aufklärung

skizzierten Debatten des 17. Jahrhunderts unmittelbar in die Zeit der Frühauf-
klärung hineinwirkten. Wie die nachfolgende Aufzählung zeigt, wurden Bay-
les Gegner innerhalb des Refuge276 in Deutschland genauestens zur Kenntnis
genommen.277 Das heißt: Was bei Thomas Browne noch äußerst kühn gewesen
war und ihm, etwa 1655 von Christian Colbe ( II.2.3), den Heterodoxievor-
wurf zugezogen hatte, tritt bei Wolf spätestens wieder in einen apologetischen
Deutungsrahmen zurück.

276
Vgl. zu ihnen ausführlich Haase 1959, S. 217–245 et pass.
277
»Cum autem contraria sententia a doctrinae Civilis Doctoribus, speciatim Sam. Pu-
fendorfio […]. iam pridem sit evicta, quam nuper etiam V. C. Iac. Bernardus in Excerptis
Reipubl. Literar. Anni MCCCV. mense Martio asseruit, mirum nemini videri debet, quod
Io. Clericus […] se opposuerit.« (3)

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V. ATHEISMUS UND FRÜHAUFKLÄRUNG


HISTORISCHE KORREKTUREN –
BEGRIFFLICHE PRÄZISIERUNG

1. Was heißt hier ›praktisch‹?


Kritik und Präzisierung von Voetius’ Atheismusmodell
in der akademischen Diskussion bis 1740

Im letzten Kapitel wurde gezeigt, dass die Kritik der apologetischen Über-
führungspraxis schon vor 1700 begann und zunächst vor allem bei antiken
Autoren und bei den nicht minder virulenten zeitgenössisch-ethnografischen
Beispielen ansetzte. Bereits Spener hatte darüber hinaus die leichtfertige An-
wendung des Atheismusvorwurfs kritisiert, um so mehr, als er darin die nö-
tige Selbstkritik aufseiten der Kirche vermisste. Gottfried Arnold schließlich
hatte das problematische Verfahren der Ketzermacherei ganz analog auch im
Bereich des Unglaubensvorwurfs identifiziert. Vorangegangen war ihm darin
nicht nur Lassenius ( III.3.4), sondern auch die Galionsfigur der deutschen
Frühaufklärung, Christian Thomasius. Dieser hatte schon in den Monatsge-
sprächen von 1689 und dann im zweiten Teil der Vernunfftlehre (1691) ein
Verfahren kritisiert ( V.2.1), das im 18. Jahrhundert dann gemeinhin mit dem
Ausdruck »Konsequenz(en)macherei« bezeichnet wurde.1 Niemand hat diese
Methode besser beschrieben als Arthur Schopenhauer in seinem kleinen Leit-
faden der Eristik (schelmisch betitelt als Die Kunst, recht zu behalten):

Die Konsequenzmacherei. Man erzwingt aus dem Satze des Gegners durch falsche
Folgerungen und Verdrehung der Begriffe Sätze, die nicht darin liegen und gar nicht
die Meinung des Gegners sind, hingegen absurd oder gefährlich sind: da es nun
scheint, daß aus seinem Satze solche Sätze, die entweder sich selbst oder anerkannten
Wahrheiten widersprechen, hervorgehn […].2

1
Eine einschlägige Untersuchung zu diesem wichtigen Problemkomplex fehlt, er ist
aber bemerkt worden; vgl. die Hinweise bei Mahlmann-Bauer 2010, S. 334 f.; Ueberweg
18/5, 2014, S. 116 (Michael Albrecht); Zenker 2012, S. 248 f., dort auch der Hinweis auf
den Eintrag »Consequenzenmacherey« in Johann Georg Walchs Philosophischem Lexi-
con von 1726 (hier nach der 4. Aufl. von 1775, ND 1968, Bd. I, Sp. 624 f.); neuerdings das
Kapitel Consequentien-Macher, in: Martus 2015, S. 408–416 (zu Wolff S. 413–415), in dem
allerdings mehr die Praxis der Ketzermacherei beschrieben wird. Äußerungen von Tho-
masius oder Wolff zum Thema selbst werden dort nicht behandelt.
2
Arthur Schopenhauer: Die Kunst, Recht zu behalten, hg. v. Franco Volpi, Frankfurt
am Main 1995, S. 55 f.
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406 Atheismus und Frühaufklärung

Der von Schopenhauer beschriebene Mechanismus lässt sich im engeren


Bereich des Unglaubensdiskurses ganz wörtlich an Voetius’ Formel »per
bonam consequentiam« anschließen ( I.5.2). Zur Erinnerung: Mit dieser
vagen Formulierung hatte Voetius der Theologia polemica die Lizenz erteilt,
einen »indirekten Atheismus« auch da auszumachen, wo er direkt und ex-
plizit nicht festzustellen war. Soweit dieser Nachweis durch das Ziehen von
›Consequentien‹ erbracht werden konnte, sprach man mit Voetius vom indi-
rekt-theoretischen Atheismus. Der Tatbestand oder Sachverhalt des Atheis-
mus bemisst sich mithin nach der Auslegungskunst des jeweiligen Interpre-
ten oder Anklägers. Genau da setzte die Kritik bei Spener und Lassenius an.
Erst Thomasius jedoch, später dann auch Wolff, hoben dieses problemati-
sche Verfahren auf die Ebene der philosophischen Begriffs- und Methoden-
reflexion. Das hat ohne Zweifel dazu beigetragen, dass der Atheismusbegriff
ab etwa 1720 in akademischen Kreisen deutlich zurückhaltender, nämlich
präziser, gebraucht wurde. Darüber wird in Kürze noch ausführlicher nach-
zudenken sein ( V.2.1; V.4.3).
Fast zeitgleich erhob sich darüber hinaus Kritik an dem zweiten wichtigen
Scharnier der apologetischen Überführungsmethodik: dem Modell des prakti-
schen Atheismus. Wie vor allem im Kapitel zum radikalen Pietismus deutlich
wurde, erlangte der Begriff (und ergo der Vorwurf) des Atheismus hier seine
allergrößte Ausdehnung. Bei dem reformierten Pietisten Theodor Undereyck
reichte sie so weit, dass er prinzipiell jedem Menschen praktischen Atheis-
mus bescheinigen konnte, der kein wiedergeborener Christ war. Dass diese
Inflation des Begriffs nicht ohne Widerspruch blieb, lässt sich denken. Anders
als beim Atheismus indirecte theoreticus wurden kritische Stimmen aber auch
innerhalb der akademischen Theologie laut. Bevor nun also mit Thomasius,
Gundling und Wolff bedeutende Autoren der philosophischen Frühaufklä-
rung mit ihrer Kritik und ihren Modifikationen der traditionellen Apologetik
vorgestellt werden, verdient die akademisch-theologische Diskussion des At-
heus-practicus-Modells eingehendere Würdigung. Sie demonstriert eindrück-
lich den Befund, der auch sonst der vorliegenden Darstellung zugrunde liegt:
dass sich die deutsche Aufklärung, in ihrer Sicht auf den Atheismus oder den
Unglauben, nicht gegen, sondern durchaus auch mit und durch die (vor allem
protestantische) Theologie entwickelte.

1.1 Wirkung oder Ursache?


Der Primat der Praxis vor der Theorie (Gebhard Theodor Meier)

Die meisten deutschen Autoren des 17. Jahrhunderts rekapitulierten und ge-
brauchten Voetius’ Dichotomie noch ohne viele Umstände. Es fehlte ganz
offensichtlich das Interesse an ihrem pastoraltheologischen Nutzen, der, wie
oben gezeigt, besonders in Fraktionen des frühen Pietismus geschätzt wurde.
Das änderte sich da, wo die protestantische Theologie in Berührung mit der
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Kritik an Voetius’ Atheismusmodell 407

Frühaufklärung geriet und an deren Anspruch auf begriffliche Klärungsarbeit


partizipierte. Als einer der ersten Autoren kritisierte der Helmstedter Theo-
loge Gebhard Theodor Meier (1633–1693) in seiner viel gelesenen Historia
religionum (1697) das unklare Verhältnis von theoretischem und praktischem
Atheismus. Voetius hatte der Nachwelt eine methodische Folgelast vermacht,
indem er pauschal eine gegenseitige Bedingtheit annahm, an anderer Stelle aber
von einem Vorrang der Theorie vor der Praxis sprach ( I.5.4). Meier schlägt
nun, in ostentativer Abwendung von der herrschenden Lehrmeinung (»quam-
vis communiter doceamur …«), die umgekehrte Ableitung vor;3 er glaubt da-
mit zugleich den bekannten Zweifel an der Existenz theoretischer Atheisten
behoben zu haben.4 Die Theologen vor ihm, so Meier, hätten schlicht zu ein-
seitig nach ausschließlich theoretischen Atheisten gesucht. Der theoretische
Unglaube sei jedoch kaum je ohne den praktischen vorzufinden.5
Mehr noch: Erst die Annahme eines praktischen Atheismus mache die so
oft bezweifelte Verdunkelung der natürlichen Gotteserkenntnis überhaupt
erklärbar. Denn nur der glaube keinen Gott, der sich von der Nichtexistenz
Gottes einen Nutzen erhoffe, die Hoffnung auf Straffreiheit trotz eines sünd-
haften Lebens führe über den Wunsch, es möge kein Gott sein, zur aktiven
Anstrengung, die natürliche Erkenntnis Gottes in sich und anderen auszulö-
schen.6 Meier rekurriert hier offensichtlich auf die Erklärungsversuche für die
Entstehung des Unglaubens im Individuum, wie sie schon Bacon ( I.4.1) und
vor ihm Calvin oder Bucer in ihren Kommentaren zum Psalter unternommen
hatten ( I.1.4). Und tatsächlich zitiert auch Meier an dieser Stelle die berühm-
te Stelle über den Toren aus dem 14. (er zählt nach der Vulgata, nennt also
den 13.) Psalm. Wie Bacon und Calvin meditiert er über die Unterscheidung
zwischen lautem und leisem Sprechen, zwischen »dicit« (oder ›dixit‹) und »co-
gitavit«. Und wie Calvin deutet er das »non est Deus« als eine Art Affirmation

3
Gebhard Theodor Meier: Historia religionum christianae judaicae gentilis et
muhamedanae a condito mundo ad nostra usque tempora. Helmstedt 1697, S. 14: »Qua-
propter, quamvis communiter doceamur, omnem practicum atheismum, praesupponere
theoreticum atheismum, licebit potius vertere vicem, atque asserere, omnem theoreticum
atheismum praesupponere practicum.«
4
Ebd., S. 13: »An vero unquam talis [sc. directus] Atheus fuerit, aut hodie reper-
iatur, plurimi dubitant. Nobis compertissimum est & fuisse & esse, qui directe, Deum
esse, negant.« – Meier gehört zu den wenigen Autoren vor 1700, die eine Existenz direkt
theoretischer Atheisten für ausgemachte Sache halten. Diese Einschätzung teilt er zum
einen mit Bayle (s. o.), zum anderen etwa mit Richard Bentley, dessen Predigt The Folly
of Atheism (1691) in Deutschland viel Beachtung gefunden hatte. Mehr zu Bentley weiter
oben, Kap. IV.4.1.
5
Ebd., S. 15: »Unde sequitur non dari theoreticum atheum, qui non simul esset
practicus: Et inde forsan est quod nonnulli existiment, atheos speculativos dari non posse,
repugnante experientia. Ab esse sane ad posse firma est argumentatio.«
6
Ebd., S. 14: »Nemo enim Deum non esse credit, nisi cui Deum non esse expedit.« –
Genau so (»vult hoc credere, quoniam expedire sibi videt«) hatte 1597 schon Francis Bacon
in seinen Meditationes sacrae argumentiert (fol. 10v–11r). Ausführlich zu Bacon: Kap. I.4.1.
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408 Atheismus und Frühaufklärung

oder Mantra, das der Tor, aus dem Wunsch nach Straffreiheit heraus, innerlich
vor sich her sage:

[A]tque in id laboret, ut cognitionem ac sensum de Deo ex suo & aliorum animis ex-
tinguat. Notanter Psalmista, Psalmo 13. [sic!] dixit insipiens in corde suo, non est Deus.
Non dicit, cogitavit insipiens in corde suo, adeo ut magis intra se hoc asserat, tanquam
rem, quam lubens optaret, quam quod hoc credat & sentiat.7

So führe der Weg vom praktischen zum theoretischen, von dort aus aber wo-
möglich zu einem noch gesteigerten, schwereren (»graviorem«) praktischen
Atheismus.8 Mit diesem letzten Zusatz bleibt der gängige Schluss von der
Theorie zur Praxis zwar doch wieder erhalten, es ist aber ein Anfangspunkt
gefunden, der die Prämissen der natürlichen Theologie geschickt umgeht. Al-
lerdings erkauft Meier diese Klärung des Verhältnisses durch eine neuerliche
Unschärfe: Denn durch die Aufnahme des praktischen Atheismus unter die
Ursachen des theoretischen fällt die ursprüngliche Dichotomie in sich zusam-
men, sie verschiebt sich hin zu einer Ursache-Folge-Relation. Dieses Problem
war schon bei Voetius angelegt, von den meisten Autoren aber gar nicht be-
merkt worden, wohl nicht zuletzt deswegen, weil die Ursachen des Unglau-
bens in der topologischen Ordnung von Abhandlungen oder Disputationen
zumeist unter einem anderen systematischen Lemma abgehandelt wurden.

1.2 »Derselbe einige Atheismus«


Beginnende Auflösung des Modells bei Johann Franz Budde

Auch wenn Meiers Klarstellungsversuch nicht unbedingt überzeugender


wirken mag als das ursprüngliche Modell, ist es ihm doch gelungen, eine
Schwäche in Voetius’ Unterscheidung aufzudecken und die vermeintlich
einleuchtende Trennung des praktischen vom theoretischen Atheismus zu
hinterfragen. Die nötige konsequente Neuorientierung vollzog jedoch erst
der Autor, der für die philosophische Durchdringung der protestantischen
Theologie um 1700 wohl am meisten geleistet hat: Johann Franz Budde
(1667–1729).9 Dabei lässt sich über den Verlauf von etwa 20 Jahren eine

7
Meier, Historia religionum, S. 14.
8
Ebd., S. 14 f.: »Ab hoc est initium & sit prolapsus ad theoreticum atheismum, inde
ad graviorem practici atheismi sit prolapsus.«
9
Zu Buddes Leben und Werk vgl. den Überblick in Killy/Kühlmann, Bd. 2, 2008,
S. 265 (Michael Albrecht); ausführlicher, mit umfassender Werkbibliografie (S. 1204 f.):
Neuer Ueberweg 17/4, 2001, S. 1204–1209 (Hinrich Rüping); Buddes Rolle in der Entste-
hung der frühaufklärerischen Eklektik behandelt Albrecht 1994, S. 437–440 et pass. (Re-
gister); wichtig zur eklektischen Umformung der Theologie, an der Budde maßgeblichen
Anteil hatte: Sparn 1984 und Sparn 1985; grundlegend zu Buddes Dogmatik zwischen
altlutherischer Orthodoxie und Neuprotestantismus: Nüssel 1996; zu Budde als Vertreter
einer ›konservativen Aufklärung‹ vgl. Mulsow 2002, S. 330–337.
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Kritik an Voetius’ Atheismusmodell 409

allmähliche Entwicklung feststellen. In einer frühen Dissertation De pieta-


te seu religione naturali von 1695 – Budde war zu diesem Zeitpunkt noch
Professor für Moralphilosophie in Halle – stellt er die Leugnung Got-
tes durch Worte und durch Schandtaten (»verbis aeque ac facinoribus«)
noch kommentarlos nebeneinander.10 Der kleine Zusatz »gleichermaßen«
(»aeque«) deutet jedoch schon darauf hin, dass Budde die von Meier kri-
tisierte ontologische Trennung zwischen theoretischem und praktischem
Atheismus gar nicht mehr vornimmt.11 Das bestätigt sich in den 17 Jah-
re später erschienenen Institutiones theologiae moralis (1712). Budde war
mittlerweile Professor für Theologie in Jena. Dort legt er abermals, noch
immer ohne Gebrauch der Termini theoreticus und practicus, die Leugnung
durch Worte und Taten zusammen, allerdings mit einer wichtigen Ergän-
zung: Durch Worte wie durch Taten (»verbis pariter ac factis«) würden
derartige Menschen ihre Überzeugung, dass es keinen Gott gebe, bezeugen
(»testentur«).12 Budde unterscheidet also nicht mehr zwischen zwei ver-
schiedenen Arten oder Graden der Gottesleugnung, vielmehr könne ein
und derselbe Atheismus in Worten ebenso wie in Handlungen gleicher-
maßen (»pariter«) offenbar werden.13 Damit ist nicht nur die methodische
Entscheidung gefallen, den Atheismus als eine innere Überzeugung anzu-
sehen, die auch ohne explizites Bekenntnis da ist (hier scheinen vermut-
lich Buddes enge Verbindungen zum Pietismus mit seinem verinnerlichten
Glaubensverständnis durch), sondern auch der notorischen Konsequen-
zenmacherei ein Ende bereitet: Tatsächlich hat sich Budde von den führen-
den Theologen seiner Generation am entschiedensten für einen präziseren
Gebrauch des Atheismusbegriffs ausgesprochen.
Durchgesetzt hat er ihn spätestens mit seinen einflussreichen Theses theolo-
gicae de Atheismo et Superstitione (1717), in denen er die in den früheren Wer-
10
Budde (praes), Christopher Lucht (resp.), Dissertatio moralis de e pietate seu reli-
gione naturali, Halle 1695, § LV (unpag.).
11
Tatsächlich hatte Budde zu Beginn des Paragrafen angekündigt, den Ausdruck
›Atheismus‹ nur in eingeschränkter Bedeutung (»arctiori sigificatu«) zu verwenden (§ LV).
Folgerichtig wirft er dann die Frage auf, ob solche Menschen überhaupt existieren (»an
dentur homines omnis plane de Numine sensu expertes«, ebd.). Er bezieht sich dann vor
allem auf Spinoza als Beispiel (§ LVI). – Schon hier kündigt sich also die Auseinander-
setzung mit Spinoza und dem Spinozismus an, die in Buddes Dissertatio philosophica de
Spinozismo ante Spinozam (Halle 1701) ihren bekanntesten Ausdruck fand. Vgl. dazu aus-
führlich Mahlev 2011.
12
Johann Franz Budde, Institutiones theologiae moralis variis observationibus illus-
tratae, Leipzig, 1712, S. 506: »Etsi enim non dubitem, insitam istam de Deo notitiam vix
a quoquam mortalium ita supprimi posse, ut non subinde conscientiae morsus sentiant,
& veritatis vis vel illis invitis erumpat: fieri tamen potest, ut per summam animi malitiam
quadantenus eandem reprimant, & hinc sibi persuadent, non esse Deum, idque verbis pa-
riter ac factis testentur.«
13
Dementsprechend heißt es auch über den praktischen Atheisten: »Practicus est,
cum quis vitae morumque impietate demonstrat, se nullum Deum credere, etsi ore eundem
profiteatur […].« (Ebd.)
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410 Atheismus und Frühaufklärung

ken angelegte Neubestimmung des Atheus practicus explizit vornimmt.14 Zu-


nächst einmal kritisiert er in direkter Abwendung von Voetius die inflationäre
Verwendung des Atheismusbegriffs und seine Anwendung auch auf Lehren
wie die natürliche Religion, einen moderaten Skeptizismus oder auf Aberglau-
ben und konkurrierende Konfessionen.15 Als Atheismus gilt für ihn die Über-
zeugung, »Daß kein Gott sey«, und diejenigen Lehren, »woraus solches aus
einer unvermeidlichen Folge nothwendig fliessen muß.«16 Dazu gehören für
ihn der Pantheismus, der alle Religionen gleichsetzende und damit die Rolle
des Gottesdienstes marginalisierende Indifferentismus sowie der universelle
Skeptizismus.17 Trotz seiner Kritik an der Idee des praktischen Atheismus hält
Budde also am Modell des indirekten Atheismus – nach Maßgabe der »bona
consequentia« – weiterhin fest.
In der nun folgenden Unterscheidung des Atheismus in theoretischen und
praktischen wiederholt Budde die Formel, dass in »Leben und Wandel« oder
»Discursen und Schrifften« nur das »bezeuget« werde, was als innere Über-
zeugung schon vorliege.18 Anders als zuvor aber begründet er diese Entschei-
dung mit einer Überlegung, die seinen moralphilosophischen Hintergrund
in Erinnerung ruft: Nicht jede Art von lasterhaftem Verhalten sei gleich als
praktischer Atheismus einzustufen, es seien nämlich ganz verschiedene Ursa-
chen dafür denkbar. Anders als Undereyck oder Seckendorff hält Budde ein
Nebeneinander von christlicher Überzeugung und lasterhaftem Verhalten für
möglich, ohne gleich den Atheismusbegriff in Anschlag zu bringen. Den Be-

14
Hier zitiert nach der deutschen Ausgabe des gleichen Jahres: Lehr-Sätze von der
Atheisterey und dem Aberglauben mit gelehrten Anmerckungen erläutert […] zu ieder-
manns Gebrauch ins Teutsche übersetzet durch Theognostum Eusebium, Jena 1717.
15
Ebd., S. 184 f.: »Ich nehme also dieses Wort allhier in seiner eigenen und natürli-
chen Bedeutung, womit auch dessen Ursprung so wohl als Gebrauch übereinstimmen.
Es pflegt wohl manchmahl das, was unter diesem Worte begriffe ist, auch auff diejenigen
extendirt zu werden, welche falsche und irrige Concepte von GOtt hegen. […] Aus den
neuern folgt nebst vielen andern dieser weitläufftigern Bedeutung auch Gisb. Voëtius Disp.
de Atheismo T. I. Disputation. Sel. p. 116. häuffet also ohne Noth die Zahl der Atheisten
und zählet diejenigen darunter, die mit diesen Nahmen gar nicht zu belegen gewesen.« –
Interessant auch die folgende Bemerkung, in welcher Budde doch noch das Problem der
Konsequenzenmacherei und der Denunziation anspricht (ebd., S. 186 f.): »Ists also besser,
daß man dieses Wort in genauerem und eigentlichem Verstande aufnehme. Denn die sol-
ches unterlassen, die kehren das unterste zu oberst, und vermengen Dinge mit einander,
die an sich selbst weit von einander unterschieden sind; sie fügen auch manchmahl un-
schuldigen Leuten dadurch grossen Tort zu. Denn wenn die Leute hören, daß der oder je-
ner ein Atheus genannt werde, so dencken sie nicht auf die weitläufftige Bedeutung dieses
Wortes, sondern meynen gleich, es seyn solche, die da zu dem höchsten Grad der Gottlo-
sigkeit gelanget und die Existenz GOttes läugnen.« – Budde zielt dabei nicht zuletzt auf
die Anwendung des Atheismusvorwurfs auf Luther und Melanchthon durch den Jesuiten
Antonio Possevino (vgl. ebd., S. 187 u. 180 f.). Mehr dazu weiter oben, Kap. I.2.1.
16
Ebd., S. 184.
17
Vgl. ebd., S. 188–194.
18
Ebd., S. 198.
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Kritik an Voetius’ Atheismusmodell 411

weis führt Budde mittels einer reductio ad absurdum – am Beispiel des Aber-
glaubens. Gut möglich, dass hier die Argumentation Bayles aus den Pensées
diverses nachwirkte ( IV.2), wo der Aberglaube gerade gegen die Behauptung
einer sittlichen Wirkung der Religion ins Feld geführt worden war:

Es sind nicht alle, welche ihren Lüsten nachhängen, und sich in allerhand Schand
und Laster vertieffen, gleich pro atheis practicis zu halten. Denn es ist bekandt, daß
die Menschen auf unterschiedliche Art verleitet werden, ihren Begierden den Zügel
schiessen zu lassen. Viele sind völlig von GOtt und seiner Providenz überzeuget, und
ergeben sich nichts destoweniger allen Arten der Laster, weil sie nemlich glauben, sie
können gar leicht von GOtt um des Verdienstes Christi willen Vergebung der Sünden
erlangen; oder weil sie ihre obgleich grobe Sünden vor peccatilla und menschliche
Schwachheiten halten; oder weil sie die Busse von einer Zeit zur andern aufschieben,
oder was sonst vor Ursachen seyn können, welche sie überreden, daß sie ihrer Mis-
sethaten wegen nicht werden gestraffet werden. Ja die Erfahrung lehret, und gelehrte
Männer haben schon offte angemercket, daß die Leute die auf den höchsten Grad
abergläubisch gewesen, die ärgsten Laster getrieben haben, diese aber wird wohl nie-
mand Atheisten nennen.19

Um einen Menschen als atheus practicus zu überführen, so Budde weiter, sei


zunächst zu erweisen, dass sein lasterhaftes Verhalten aus keiner anderen Ur-
sache entspringe als aus der Überzeugung, dass es keinen Gott gebe.20 Denn –
und nun folgt die schon in früheren Werken implizit vorweggenommene Ein-
sicht – »eben derselbe einige Atheismus wird bald practicus, bald theoreticus
genannt, so ferne er entweder aus der Lebens-Art oder aus Discursen und
Schrifften erkandt wird«.21 Damit ist die alte Unterscheidung von Voetius kon-
zeptionell vollends eliminiert. Eine ausführliche und noch einmal methodisch
andersartige Auseinandersetzung mit der theoreticus-practicus-Dichotomie
werden wir gleich bei Christian Wolff antreffen. Zuvor soll jedoch mit Johann
Jakob Syrbius eine interessante Stimme aus Buddes Umfeld zu Wort kommen,
die zugleich eine Verbindung zu Thomasius herstellt.

1.3 Praktischer Atheismus als Unglaube ohne Theorie


( Johann Jakob Syrbius)

Auch Buddes Versuch, den Atheismus quasi biblisch als eine impietas cordis
zu bestimmen, sollte sich nicht gleich durchsetzen. Es bedurfte noch weiterer
Diskussion. In der Jenaer philosophischen Dissertation De atheismi origine

19
Ebd., S. 198 f.
20
Ebd., S. 199: »Derohalben so jemand pro atheo practico soll gehalten werden, so
müssen wir gewisse Data und Zeichen haben, daraus man schliessen könne, daß seine
Bubenstücke und böse Thaten aus keiner andern Quelle entspringen, als weil er sich ein-
bildet, es sey kein GOtt.«
21
Ebd.
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412 Atheismus und Frühaufklärung

(1720),22 abgehalten von Buddes Kollegen, dem Thomasiusschüler Johann Ja-


kob Syrbius (1674–1738),23 wird die Definition des praktischen Atheismus aus
ganz ähnlichen Gründen modifiziert wie bei Meier oder Budde.24 Wie schon
der Titel verrät, beabsichtigte Syrbius eigentlich, die Gründe zu untersuchen,
die das Gemüt zu diesem »schrecklichen und ansteckenden Irrtum« (»ad er-
rorem tam truculentum et pestiferum«) führen.25 Zu diesem Zweck unterzieht
er die Begriffe des theoretischen und des praktischen Atheismus einer genauen
Betrachtung.26 Als erster Autor stößt er sich an der wörtlichen oder philoso-
phischen Bedeutung von ›Theorie‹ und ›Praxis‹ und kritisiert daher das gängi-
ge Verständnis des praktischen Atheismus als zu eng.27 Praktischer Atheismus
liegt für ihn stattdessen immer da vor, wo die negatio Dei, ob nun mit Worten
oder mit Taten, nicht von einem theologischen oder philosophischen, also im
engeren Sinne ›theoretischen‹ Überbau (»rationes ac probationes theoreticas«)
begleitet sei.28 Damit ist, wie Syrbius selbst bemerkt,29 schon hinlänglich ge-
klärt, worin für ihn der theoretische Atheismus besteht. Auch hier weicht er
von der durch Voetius begründeten Tradition ab: Selbst die explizit verbale
negatio Dei gilt ihm nicht als theoretischer Atheismus, wenn keine entspre-
chende Lehre dahinter stehe.30

22
Mit genauem Titel eigentlich: Dissertationem de atheismi origine […] praeside Io-
anne Iacobo Syrbio […] publico eruditorum examini submittet auctor M. Ioann. Georg.
Staedelen, Augustanus, Jena, Hellerus, 1720.
23
Syrbius war in Jena Kollege von Budde und wurde als moderater Neuerer ge-
schätzt. Johann Joachim Spalding berichtet in seiner Lebensbeschreibung (Halle 1804) von
seinem Studium in Rostock ab 1731, gemeinsam mit dem Bruder, wo er auch Philosophie
gehört habe (S. 3 f.): »Die Philosophie war fast noch ganz aristotelisch-scholastisch, außer
daß einige Lehrer die Denkungsart von Buddeus und Syrbius aus Jena mitgebracht hatten,
und auch diese waren nur selten.« – Zu Leben und Werk des Theologen und Philoso-
phen Syrbius vgl. ADB 37, 1894, S. 290 f. (Paul Tschackert); Neuer Ueberweg 18/5, 2014,
S. 76–79 (Ulrich G. Leinsle); Schneiders 1983a, S. 145 f.; zur Dissertation kurz Schröder
1998, S. 70; ausgiebig genutzt wird sie bei Barth 1971, pass. (Register).
24
Syrbius hat Meier rezipiert, wie eine Anmerkung enthüllt (ebd., S. 10, Anm. a).
25
Ebd., S. 6.
26
Die Begründung zeigt ein ungewöhnliches Maß an sprachlicher und terminologi-
scher Reflexion (ebd., S. 7): »Primo autem, quum non vnius generis atheismus sit, sed alius
theoreticus dicatur, et practicus alius: distincte ante omnia notiones istae euoluendae sunt;
ne de alia re quaerere, de alia respondere videar. Neque tamen de onomatologia, quam
etymologia synonymia et homonymia describunt, multum heic ero sollicitus, posteaque
ab aliis, quidquid quaeri de his talibus posset, satis abunde explicatum inuenio.«
27
Ebd., S. 7 f.: »Equidem non incognitum est, vulgo arctioribus atheismi practici sig-
nificationem restringi limitibus, omnemque summum Numinis negationem, quae exter-
na professione, vel etiam meditatione, constat, referri ad theoreticum. Sed vero sic neque
ϑεωρία, neque πράξις recte aestimari videtur.«
28
Ebd., S. 7.
29
Ebd., S. 9: »Ex dictis iam intelligi potest, quid sit atheismus theoreticus.«
30
Ebd.: »Ad hunc nempe non sufficit, si quis DEVM verbis, vel etiam mente neget;
sed hoc maxime requiritur, vt eiusmodi doctrina concipiatur, vel venditetur, quae impi-
etatem, si non diserte et proxime; per consequentiam saltim, contineat.« Mit der Formel
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Kritik an Voetius’ Atheismusmodell 413

Syrbius gründet seine Neudefinition auf die Annahme, dass sich eine Ver-
änderung der ›Praxis‹ notwendig darauf auswirken müsse, wie eine Person
spreche oder denke. Er lehnt es jedoch ab, für derartige Gedanken oder Äu-
ßerungen den Theoriebegriff zu verwenden. Also erweitert er kurzerhand den
Anwendungsbereich des Atheismus practicus, schränkt dafür aber die Bedeu-
tung des theoretischen Atheismus ein auf die ausformulierte philosophische
oder theologische Heterodoxie. Der so entstehende Typus des praktischen
Atheisten ähnelt am ehesten dem ›Religionsspötter‹ (lat. ›irrisor‹ oder ›illusor‹,
griech. ἐμπαίκτης, nach 2 Petr 3,3), einem weiteren Stereotyp im polemischen
Begriffsfeld des Unglaubens, der nach 1700 nicht zuletzt in den Moralischen
Wochenschriften ( VI.2) eine neue Konjunktur erlebte.31 Diese Bedeutungs-
dimension sollte ab etwa 1740 dann auch in den Begriff des ›Freigeists‹ einge-
hen ( VI.5).
Mit diesem Schritt hat Syrbius zwar die problematische Frage umschifft,
wie jemand ein praktischer Atheist sein könne, ohne es selbst zu merken; un-
klar bleibt bisher jedoch das Verhältnis zwischen theoretischem und prakti-
schem Atheismus. Er kommt darauf zu sprechen, wenn er gegen Ende der
kurzen Abhandlung die Ursachen des theoretischen Atheismus untersucht
(§§ 26–29). Zunächst trennt er ganz schematisch die äußeren von den inneren
Ursachen. Bei den inneren unterscheidet er zwischen allgemeinen und spezi-
fischen Ursachen.32 Als erste der allgemeinen inneren Ursachen nennt Syrbius
nun aber keine andere als den praktischen Atheismus selbst.33 Die Begründung
lässt aufhorchen, denn der Frühaufklärer Syrbius greift hier zu einer Erklä-
rung, die wir ganz ähnlich schon von den Reformatoren her kennen: Weil die
Abkehr von Gott den (praktischen) Atheisten ohne ein summum bonum und
folglich tief verwirrt zurücklasse, sei es nur wahrscheinlich, dass er sich selbst
in der Vorstellung zu beruhigen versuche, dass es ein solches summum bonum
gar nicht gebe. Das Vorhandensein eines summum bonum zu leugnen, sei je-
doch, so Syrbius, als Torheit einzuschätzen, von welcher der Atheismus den
höchsten Grad darstelle. So schwenkt er am Ende seiner Beweisführung in

»per consequentiam« spielt Syrbius offenkundig auf Voetius an. – Der Versuch, eine sys-
tematisch ausformulierte Position als Bedingung für theoretischen Atheismus zu nehmen,
könnte auf Bayle zurückgehen, der bekanntlich gleich zu Beginn des Dictionnaire-Ar-
tikels über Spinoza diesen als »athée de système« klassifizierte; vgl. dazu Stricker 2003,
S. 135, mit Nachweisen.
31
Bekannt ist auch die Predigt Die elende Thorheit der Religionsspötter (1724) des
Göttinger Theologen Johann Lorenz von Mosheim (in: Ders.: Heilige Reden über wichtige
Wahrheiten der Lehre Jesu Christi, In zwey Bänden, Hamburg 1757, Bd. 2, S. 307–344). –
Vgl. dazu die Hinweise bei Möller 1987, S. 15–17; Kühlmann 1998, S. 120, Anm. 48, sowie
Dehrmann 2008, S. 117, Anm. 114 (dort die Datierung auf 1724).
32
Syrbius, De Atheismi origine, S. 48: »EX historia atheismi theoretici, huc vsque
tradita, de eius caussis etiam iudicandum videtur. Quae quidem in externas et internas, et
hae rursus in generales et speciales, non incommode dispesci possunt.«
33
Ebd.: »Ex internis autem generalem primam atheismum practicum iure meritoque
dixeris.«
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414 Atheismus und Frühaufklärung

die bestens bekannte stultitia-Topik ein, die mit Johann Ulrich Frommanns
Dissertationsreihe von 1713–1715 ( V.5.2) kurz vorher noch einmal breit un-
termauert worden war:

Quum enim, qui a DEO, summo hominis fine et bono, reliquorum omnium norma,
deficiunt, non possint eius priuatione non turbari magnopere: non efficacius, ad tran-
quillandum, in eo statu, animum, inueniri posse remedium, existimant, quam si, tale
bonum plane non existere, sibi persuadeant. Sic vero a bono pariter et vero auertuntur
miseri, atque hoc ipsorum stultitiam, huiusque gradum vltimum, atheismum, inci-
dunt: vt adeo perpetua sit atheismi cum stultitia connexio.34

Daraus ergibt sich für Syrbius – hier doch wieder eng bei Meiers Argumen-
tation – der abschließende Befund, dass ›theroetischer‹ Atheisus (nach seiner
alternativen Definition) den praktischen stets voraussetze. Nicht aber müsse
aus einem praktischen notwendig ein theoretischer Atheist werden;35 es müs-
se noch ein Missbrauch des Verstandes (»abusus nempe rationis humanae«)
hinzukommen, um die »Tür zum Atheismus« (»ad atheismum ianua«) auf-
zustoßen.36 Damit ist die absurd erscheinende Idee eines quasi unbewussten
theoretischen Atheismus, die Voetius’ Modell zugelassen hatte,37 erfolgreich
verhindert. Kurz und gut, im Versuch, die theoreticus-practicus-Dichotomie
auch in einer Zeit aufrechtzuerhalten, in der ein theoretisch ausformulierter
Atheismus längst mehr als ein Schreckgespenst und von bloßer Spötterei gut
zu unterscheiden war, zieht Syrbius die Grenze zwischen Theorie und Praxis
neu, indem er die bei Voetius angelegte Fixierung auf Worte einerseits (theore-
tisch) und Taten andererseits (praktisch) hinter sich lässt.

1.4 Der Widerspruch von Reden und Handeln


Christian Wolffs Neudefinition des praktischen Atheismus

Nicht fehlen darf in diesem Zusammenhang der Großmeister der philoso-


phisch-theologischen Begriffsarbeit in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts,
der geradezu prototypische deutsche Aufklärungsphilosoph Christian Wolff

34
Ebd., S. 48 f. – Die Erklärung wirkt, nach den vorangegangenen überaus trenn-
scharfen, problem- und sprachbewussten Ausführungen etwas angehängt, als habe Syrbi-
us gegen Ende der Dissertation einige besonders polemische, mit der hergebrachten Topik
übereinstimmende Bemerkungen einfügen wollen. Es muss jedoch bei bloßen Vermutun-
gen bleiben; die stultitia-Topik war einflussreich und bestens abgesichert, das belegen ja
auch zeitgenössische Quellen wie Mosheims eben genannte Rede (s. Anm. 31).
35
Ebd., S. 49 f.: »Interim fatendum est, atheismum practicum theoretici non esse
caussam necessariam.«
36
Ebd., S. 50.
37
Entscheidend ist dabei die bei Voetius noch stärker akzentuierte Dimension des
›indirekten‹ Atheismus. Sie erlaubt die Vorstellung, dass jemand Aussagen macht, die ohne
sein Wissen – per consequentiam – auf den Atheismus hinführt.
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Kritik an Voetius’ Atheismusmodell 415

(1679–1754).38 Die ausführlichste Erörterung des Atheus practicus-Konzepts


nahm Wolff im zweiten Teil seiner Theologia naturalis vor, der 1737 auf Latein
erschien.39 Dabei kam er zum wiederholten Mal auf die zentrale Frage nach
dem Verhältnis von Atheismus und Sittlichkeit zurück, die er schon in der
deutschen Ethik und der berühmten Chinesenrede behandelt hatte ( V.4.2).
Die Fähigkeit, zwischen guten und schlechten Taten zu unterscheiden, hing für
Wolff längst nicht von der Erkenntnis Gottes und seiner Eigenschaften ab und
war seiner Meinung nach daher auch dem Atheisten zugänglich. Umgekehrt
könne aus der negatio Dei nicht gefolgert werden, dass es keinen Unterschied
zwischen guten und schlechten Taten gebe.40 Schon gar nicht lasse sich jedoch
eweisen, dass ein Atheist eo ipso zu schlechten Taten tendiere.41 Indem Wolff
hier moralische Sätze als Gegenstand der Erkenntnis konzipiert, umgeht er
vorerst die in Naturrecht und theologischer Apologetik aufgeworfene und zu-
gespitzte Frage nach der Verbindlichkeit rational erkannter ethischer Maßstä-
be und klammert auch die dort intensiv diskutierte Rolle der Affekte aus. Dem
möglichen Vorwurf, als Verteidiger des Atheismus aufzutreten – immerhin lag
die entsprechende Eingabe seiner Gegner beim preußischen König (s. u.) erst

38
Auch wenn ihm gleich noch ein eigenes Kapitel zugedacht ist ( V.4), fügen sich
seine Überlegungen zum praktischen Atheismus geradezu ideal in diese Reihe von Kor-
rekturanstrengungen, um so mehr, als mit Wolffs definitorischem Ansatz eine Art von
Endpunkt erreicht ist. Sie werden daher hier vorgezogen.
39
Christian Wolff, Theologia naturalis, methodo scientifica pertractata. Pars posteri-
or, qua existentia et attributa Dei ex notione entis perfectissimi et natura animae demons-
trantur, et atheismi, deismi, fatalismi naturalismi, spinosismi aliorumque de deo errorum
fundamenta subvertuntur, Frankfurt am Main/Leipzig 21741 (zuerst 1737). Eine deut-
sche Übersetzung von Gottlieb Friedrich Hagen erschien wenig später: Natürliche Got-
tesgelahrtheit nach beweisender Lehrart abgefasset […], Halle 1742–1745. – Nachweise
des lateinischen und (in Ausnahmefällen) deutschen Textes im Weiteren nach Zitat unter
Angabe der Paragrafen, um bei Bedarf das Auffinden in der jeweils anderen Fassung zu
erleichtern. Die zahlreichen Verweise, die Wolff im Text auf seine anderen Werke einstreut,
werden hier als Anmerkungen verstanden und daher nicht wiedergegeben.
40
»Atheus admittere tenetur differentiam inter actiones malas & bonas, quatenus
moraliter spectantur, seu ex eo, quod moralis negat, dari Deum, inferre nequit, in actioni-
bus hominum liberis nullum dari boni ac mali discrimen. […] Quoniam haec differentia
inter actiones malas & bonas, quatenus moraliter spectantur, demonstratur, immo & a pos-
teriori agnoscitur, independenter ab existentia Dei ejusque attributis; quin eam admittere
teneatur, qui negat dari Deum nemo non videt. Quamobrem etsi atheus negat dari Deum;
inter actiones tamen malas & bonas, quatenus moraliter spectantur, admittere tenetur dif-
ferentiam […].« (§ 500, Hervorh. d. Verf.) – Das Gleiche gelte für die fehlende Kenntnis
von Gott: »Qui ignorant dari Deum, admittere tenentur differentiam inter actiones bonas
& malas, quatenus moraliter spectantur.« (§ 507)
41
»Quoniam atheus admittere tenetur differentiam inter actiones malas & bonas,
quatenus moraliter spectantur […]; atheus non necessario actionibus malis delectatur, &
bonas omnes aversatur.« (§ 501, Hervorh. im Orig.)
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416 Atheismus und Frühaufklärung

ein Jahr zurück! – begegnet Wolff in einer erläuternden Anmerkung.42 Dort


hebt er einerseits, als empirischen Beleg für seine Beweisführung, das Beispiel
Spinozas hervor,43 räumt aber andererseits ein, dass viele Atheisten ein schlech-
tes Leben führen würden (»pessime vivunt«).44 Ohne also Bayles moralisti-
scher Behauptung zuzustimmen, dass sich Menschen generell nicht nach ihren
Erkenntnissen oder Glaubenssätzen richten würden, positioniert sich Wolff
hier implizit auf dessen Seite, indem er (wie jener unter Verweis auf Spinoza)
einen notwendigen Zusammenhang zwischen Atheismus und Unsittlichkeit
kategorisch ausschließt.
Diese wichtige Vorentscheidung lässt schon vermuten, dass sich Wolff den
älteren Verhältnisbestimmungen von theoretischem und praktischem Atheis-
mus kaum anschließen dürfte, insbesondere den Versuchen, eine notwendige
Folgebeziehung vom einen zum anderen zu konstruieren.45 Und wirklich be-
müht er sich, durch genaue begriffliche Bestimmung, die weitreichenden Fol-
gerungen und die inflationäre Verwendbarkeit zu begrenzen, die, wie gezeigt
wurde, insbesondere in pietistisch inspirierter Literatur kuriose Blüten getrie-
ben hatten ( II.3.3). In diesem Zusammenhang fällt ein Zugeständnis, das bei
einem Definitionskünstler wie Wolff überraschen muss: Als erster Autor stellt
er nämlich fest, dass die Bestimmung des Atheus practicus weit mehr Schwie-
rigkeiten aufwerfe als die des ›theoretischen‹ Gegenparts.46 Das beginnt mit
dem schon von Budde (s. o.) konstatierten Problem, dass nicht jede beliebige
Missetat gleich den Vorwurf des praktischen Atheismus rechtfertige.47 Zwei
biblische Beispiele, der Ehebruch des Königs David und Salomons gelegentli-
che Götzenverehrung, sichern diese Unterscheidung ab.48

42
»Qui hinc denuo patrocinium atheismi inferunt, toto coelo aberrant. Neque enim
ideo commendatur atheismus, quod negetur consequentia: Si non datur Deus, male viven-
dum, & ab omni actione bona abstinendum.« (§ 501)
43
»Hinc & Spinosa, referente Colero, Theologo in vita ejus, etsi famosissimus audiat
atheus, vitam tamen vixit honestam, temperans, sorte sua contentus, justus erga alios & ad
aliorum commoda promovenda pronus.« (§ 501) – Zur Rolle Spinozas als Beispiel in der
Debatte um den tugendhaften Atheisten sowie zur Rolle der Biografie von Colerus vgl.
Czelinski-Uesbeck 2007, S. 54–58, 65–68.
44
»Facile concedo, dari atheos, qui pessime vivunt, & vel ideo quaevis sibi licere
arbitrantur, quod nullum dari Deum arbitrentur […].« (§ 501)
45
Zum Folgenden vgl. auch die knappen Bemerkungen in Spiekermann 2019c.
46
»Notio athei theoretici nihil habet difficultatis: sed ut notio athei practici accurate
determinetur & intra suos cancellos coarctetur, non adeo facile est. Magna igitur circum-
spectione opus est, ne extra oleas evagemur.« (§ 502) – Ähnlich heißt es etwas später, der
praktische Atheist sei häufig schwerer zu bekehren als der theoretische: »Discimus de-
nique, quomodo athei practici sint convertendi: id quod haud raro difficilius, quam athe-
um theoreticum ad erroris impii agnitionem perducere.« (§ 503)
47
»Non ob quasvis promiscue actiones malas atheorum practicorum numero illas
patrantem accensere licet.« (§ 502)
48
»Sane Davides adulterium commisit cum Bathseba & maritum ejus e medio tolli
curavit homicidii reus factus: nemo tamen dixerit, eum fuisse atheum practicum. Similiter
Solomo, ut pellicibus placeret, idola coluit: nemo tamen ideo eundem in numerum atheo-
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Kritik an Voetius’ Atheismusmodell 417

Um nun die Definition eines praktischen Atheisten49 vollständig zu erfül-


len, müssen Wolff zufolge zwei Bedingungen erfüllt sein. Zum einen dürften
die vorliegenden Missetaten ihre Beweggründe (»actionum motiva«) nicht
von den göttlichen Attributen, sondern aus deren Negation beziehen oder ih-
nen wenigstens entgegengesetzt sein. Zum anderen genüge zur Feststellung
des praktischen Atheismus kein dementsprechender Einzelfall – schließlich
sei kein Mensch frei von Laster oder Sünde;50 vielmehr müsse das der eigenen
Gotteserkenntnis entgegengesetzte Handeln zu einer »Fertigkeit« (›habitus‹)
oder »Gewohnheit« (›consuetudo‹) geworden sein. Das bestimmende Prin-
zip oder der »Bewegungsgrund« (›motivum‹) des generellen Handelns müsse
also der eigenen Erkenntnis Gottes und seiner Eigenschaften widersprechen.51
Ähnlich wie beim theoretischen Atheismus schränkt Wolff durch diese De-
finition die Anwendbarkeit des Begriffs, der ja von Voetius als Spielart des
›indirekten‹ Atheismus konzipiert worden war, erheblich ein. Da nun wohl
kaum ein Mensch gefunden werden dürfte, dessen sämtliche Handlungen ihre
Beweggründe aus der Negation Gottes und seiner Eigenschaften beziehen –
schließlich gebe es auch andere Beweggründe (»etiam alia motiva« [§ 502]) für
unsittliches Handeln – genügt es Wolff zufolge, wenn zumindest einige oder
die meisten Taten diese Kriterien erfüllen.52 Dementsprechend könne man
dann verschiedene Grade des praktischen Atheismus unterscheiden.53

rum practicorum retulerit.« (§ 502) – Diese Bemerkung ist um 1737 nicht mehr so kühn,
wie man vielleicht vermuten könnte. Luther hatte in seiner Genesisvorlesung (1535–1545)
ebenfalls auf Davids Ehebruch hingewiesen. Er dient ihm dort als Beispiel dafür, dass
selbst die »edelsten Männer« von der »Gottlosigkeit« befallen werden könnten (WA 43,
S. 417): »Talis impietas et securitas sequitur, quando negligitur et non exercetur verbum
Dei. […] Testantur id exempla etiam summorum hominum. David erat vir sanctissimus et
ardentissimus in cultu Die, sed quam levi momento in adulterium, in eaedem et blasphe-
miam impellitur.« Wolff steht insofern also fest auf dem Boden des Luthertums.
49
Wolff bleibt hier bei der von Voetius inaugurierten Formel »qui factis Deum dari
negat« (§ 502).
50
»Quoniam nemo adeo bonus est, quin humani quid patiatur & per rationes ext-
rinsecas singulares ad actionem quandam malam se adduci patiatur, quemadmodum paulo
ante vidimus, Davidem in adulterium & homicidium, Solomonem in idololatriam ruen-
tem, nec ideo atheorum practicorum nomine diffamandos […].« (§ 502)
51
»Ad atheismum itaque practicum requirimus 1. ut actionum motiva esse nequeant
attributa divina, sed potius eorum negatio motivum praebere possit; 2. ut actiones istae ex
habitu proveniant, adeoque agendi consuetudo contradicat agnitioni Numinis.« (§ 502) –
So auch kurz darauf im gleichen Abschnitt: »[N]ecesse est ut is demum atheus practicus
dicatur, cujus agendi consuetudo istiusmodi actionibus constituitur, consequenter ubi hae
actiones ex habitu proficiscuntur.« (Hervorh. d. Verf.) – Die Übersetzung der Begriffe
›habitus‹ als ›Fertigkeit‹ und ›consuetudo‹ als ›Gewohnheit‹ nach der deutschsprachigen
Ausgabe der Theologia naturalis, dort im gleichen Paragrafen (§ 502).
52
»Relinquitur itaque, quod ad atheismum practicum requiritur aliquot saltem, si
non omnium, aut plurimarum actionum complexus.« (§ 502)
53
»Unde apparet, ateismum practicum admittere gradus.« (§ 502)
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418 Atheismus und Frühaufklärung

Deutlich gegen Voetius gerichtet sind dann auch Wolffs Überlegungen zum
Verhältnis von theoretischem und praktischem Atheismus. Hatte Voetius sie
noch als wechselseitig bedingt hingestellt (»sunt enim sibi mutuo causae«54),
konstruiert Wolff auf der Grundlage seiner streng disjunktiven Definitionslo-
gik, ein gegenseitiges Ausschlussverhältnis (»sibi mutuo contradicant« [§ 502]).
Ein praktischer Atheist könne Gott nicht mit Worten leugnen, denn dann wäre
er ein theoretischer Atheist. Da er aber kein theoretischer Atheist sei und folg-
lich die Existenz Gottes nicht verleugne, gebe er sie vielmehr zu. Für Wolff
setzt also der praktische Atheismus die Erkenntnis und Anerkennung Gottes
und seiner Eigenschaften voraus. Wenn ein Mensch jedoch die Existenz Gottes
mit Worten zugebe und mit Taten verleugne, ergebe sich ein Widerspruch zwi-
schen Worten und Taten (»theoriae & praxeos contrarietas« [§ 502]) im Hin-
blick auf Gott. Darin glaubt Wolff die sicherste Grundlage gefunden zu haben,
um den praktischen Atheismus bestimmen zu können.55 Zugleich untermauert
er damit seine Behauptung, dass der theoretische Atheismus keineswegs per se
zu unsittlichem Handeln anleite.
Mehr noch: Vom theoretischen führt auf dieser definitorischen Grundlage
kein Weg zum praktischen Atheismus, da Letzterer ja die Anerkennung Got-
tes und seiner Eigenschaften voraussetzt. Mit Voetius, Spizel oder Seckendorff
stimmt Wolff insofern überein, als auf diese Weise nicht wenige bekennende
Christen oder, wie er süffisant hinzufügt, auch Lehrer und Verteidiger der Re-
ligion, als praktische Atheisten infrage kommen.56 Den stets problematischen
Übergang vom christlichen Handeln zum praktischen Unglauben erläutert
Wolff – der ausführliche Rückgriff auf die 1732 erschienene Psychologia empi-
rica kann nicht darüber hinwegtäuschen – vergleichsweise traditionell, als den
abschüssigen Grat von der Unterlassung gottgefälliger Handlungen und einer
damit einhergehenden allmählichen Gottvergessenheit, über eine durch Wie-
derholung erlangte »Uebung« (›exercitium‹), bis zur bereits angesprochenen
»Fertigkeit« (›habitus‹).57 Entscheidende Voraussetzung bleibt jedoch auch hier

54
Voetius, De atheismo, S. 166. – Mehr dazu in Kap. I.5.
55
»Atheus verbis negat dari Deum, quem theoreticum dicimus. Supponitur autem,
verba esse animi sensis conformia: secus enim se atheum simulat, qui non est. Atheus prac-
ticus cum theoreticus non sit, concedere debet dari Deum. Nil igitur relinquitur, quam ut
facta a verbis dissentiant, quemadmodum in homine, qui Deum, quem agnoscit, sincera
mente colit, verborum & factorum observatur consensus. […].« (§ 502)
56
»Patet hinc ratio, cur inter ipsos Christianos, qui non modo ex lumine naturali,
verum etiam revelato Deum norunt, tot dentur athei practici, ita ut subinde in eorum nu-
merum referendi sint, quorum est ad agnitionem Numinis perducere alios & haud exiguus
fervor in propugnanda existentia ejus: id quod singulari exemplo illustrare poteramus, si
luberet.« (§ 503)
57
»Etenim si quis imittit actiones suas determinare per motiva ab attributis divinis
desumta; is raro de serio cogitat, ut adeo ejusdem facile obliviscatur, nec nisi e longinquo
quasi facta recordatio parum moveat. […] Atque adeo contingit, hominem patrare actiones
malas, earundemque iteratione, in qua exercitium consistere constat, habitum male agendi
contrahere. Quoniam itaque Deus malum morale velle nequit, adeoque actionum, quibus
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Kritik an Voetius’ Atheismusmodell 419

das Versagen oder Fehlen einer rational-›deutlichen‹ Erkenntnis guter oder bö-
ser Handlungen als eines potenziell hinreichenden Beweggrundes für tugend-
haftes Verhalten.58 Wo diese Erkenntnis vorliege, so hält Wolff in seiner überaus
gründlichen Art fest, sei daher vom Unwissen über Gott (»Ignorantia Dei«
[§ 507]) – hier kommt einmal mehr das Beispiel der Chinesen zum Einsatz
(§ 509) – keine Neigung zum unsittlichen Handeln abzuleiten.

1.5 Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen


Zum Fortleben des atheus practicus-Modells nach 1750

Wolffs Überlegungen markieren einen konzeptionellen und ideengeschicht-


lichen Endpunkt. Kein späterer Autor hat sich dem Atheus practicus-Modell
mit vergleichbarem Ehrgeiz zugewandt. Wie so oft kommt es jedoch an dieser
Stelle zu einer Diskrepanz zwischen Ideen-, Begriffs- und Problemgeschich-
te. Trotz der erheblichen Klärungsbemühungen vor und nach 1700 blieben
die Kategorien von Voetius auch weiterhin in Gebrauch, sie finden sich noch
in theologischen und philosophischen Werken nach 1750 wie etwa in Johann
Ernst Schuberts (1717–1774) Institutiones theologiae polemicae. Schubert
übergeht die von Meier, Budde (dessen Atheismusbuch er ausgiebig verwen-
det) und Syrbius aufgedeckten Schwierigkeiten, wenn er strikt nach Voetius
die praktischen Atheisten als Menschen definiert, die Gott durch ihre Taten
leugnen.59 Ähnlich verfährt der Schweizer reformierte Theologe und Wolff-
Schüler Johann Friedrich Stapfer (1708–1775) in seiner Sittenlehre (1758).
Dort wird der praktische Atheismus, wie bei Bucer und Calvin, noch unter die
Ursachen des (theoretischen) Atheismus gerechnet.60

id inhaeret, motiva ab eo desumi nequeunt; homo habitum acquirit patrandi actiones iis
contrarias, quarum motivas sunt, vel esse possunt attributa divina.« (§ 503)
58
»Quamobrem si porro intrinsecam actionum honestatem ac turpitudinem non ag-
noscit; motiva etiam cessant, quae ab illa desumuntur ad actiones bonas committendas, ab
hac vero ad malas omittendas.« (§ 503)
59
Johann Ernst Schubert, Institutiones theologiae polemicae, Jena u. Leipzig 1755,
S. 51: »Atheorum alii dicuntur Theoretici, alii Practici. Illi sunt, qui opinionibus & verbis
immediate, hi vero, qui factis mediate negant DEum existere.« – Auch in anderer Hinsicht
folgt Schubert, anders als viele Kollegen, nicht der durch Christian Wolff vorgegebenen
Linie, obwohl er die Theologia naturalis zur Kenntnis genommen hat (vgl. S. 50 f.). So
behauptet er auch 1755 noch, dass Atheisten den Unterschied zwischen guten und bö-
sen Taten leugnen würden (S. 129): »Ipse enim & DEum omniscium ac omnipotentem, &
discrimen boni & mali, justi & injusti, & praemia ac poenas futuri seculi negat […].« Ähn-
lich ein Jahr später in den Gedanken von der Wahrheit der Christlichen Religion ( Jena/
Leipzig 1756), S. 142: »Der Atheist ist solcher Begriefe [!] nicht fähig. Da er keinen GOtt,
keinen höchsten Gesetzgeber glaubet, dem man dereinst von seinen Thaten Rechenschaft
geben mus, so leugnet er auch den Unterscheid der Tugenden und Laster.«
60
Johann Friedrich Stapfer, Sittenlehre. Zweyter Theil, Zürich 1758, S. 322 f.: »Ein
Mensch, der seine Tage meistentheils mit einem eiteln Zeitvertreibe zugbringet, der nichts
als sündliche Ergötzungen und Fleischeslüste suchet […], verfällt endlich aus einer prak-
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420 Atheismus und Frühaufklärung

Überraschen könnte auch die kritiklose Verwendung der theoreticus-prac-


ticus-Dichotomie in der Philosophischen Sittenlehre (1753) Georg Friedrich
Meiers (1718–1777), um so mehr, als Meier philosophisch-methodisch sehr
stark an Wolff anknüpfte. Das zeigt sich auch in seiner Definition des prakti-
schen Atheismus, die offenkundig Wolffs Bestimmung aus der Theologia na-
turalis voraussetzt.61 Im gleichen Atemzug reproduziert er jedoch die pastora-
le, philosophisch weit unpräzisere Formulierung, dass der praktische Atheist
»so handelt als wenn kein GOtt wäre«,62 er unterstellt überdies mit beachtli-
cher Rigorosität den theoretischen Atheisten, sie seien »allemal zugleich auch
practische Atheisten«.63 In einem weiteren Schritt schließt Meier sogar vom
theoretischen Atheismus »nothwendiger Weise« auf den praktischen.64 Damit
unterläuft er die ganz unterschiedlichen Einwände Buddes und Wolffs sowie
seines Namensvetters Meier. Er verbleibt, ideengeschichtlich gesprochen, auf
dem Stand des späten 17. Jahrhunderts. Da Meier auch in anderen Schriften
vor und nach 1750 eine bemerkenswerte Härte gegen die ›Freigeisterei‹ an den
Tag legte, darf hier vielleicht eine persönliche Überzeugung vermutet werden.
Intellektueller Anpassung in dieser Frage bedurfte es zu diesem Zeitpunkt –
ein Jahr vor dem Tod seines berühmten Hallenser Kollegen Wolff – jedenfalls
nicht mehr.

tischen Atheisterey in eine theoretische Gottesverläugnung.« – Sinngemäß ähnlich, aber


ohne das Schlagwort »praktisch« (S. 412): »Betrachtet man diese Freygeister etwas näher,
so wird man entweder finden, daß sie den Lastern sehr ergeben gewesen, und nur aus
diesem Grunde der Religion sehr feind waren […].«
61
Georg Friedrich Meier, Philosophische Sittenlehre. Erster Theil, Halle 1753, S. 611:
»Die practische Atheisterey besteht in der Fertigkeit, gar keine Bewegungsgründe zu
unsern Handlungen, aus der Ehre GOttes herzunehmen. Ein practischer Atheist hat die
Fertigkeit erlangt, so zu leben, als wenn kein GOtt wäre: denn an seinen Handlungen kan
manns nicht mercken, daß in ihm eine Erkenntniß GOttes angetroffen werde, weil er alle
seine Handlungen um gantz anderer Ursachen willen vornimmt, als um GOttes und seiner
Vollkommenheiten willen.«
62
Ebd.
63
Georg Friedrich Meier, Philosophische Sittenlehre. Erster Theil, Halle 1753, S. 611.
64
Ebd., S. 612: »Aus der theoretischen Atheisterey folget die practische nothwen-
diger Weise, und in diesem Falle ist sie unleugbar eine Sünde, weil sie die Folge eines der
sündlichsten Irrthümer ist.«
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Christian Thomasius 421

2. Wider das Denunziantentum und wider den Unglauben


Kritik und Neuausrichtung der Apologetik
bei Christian Thomasius

2.1 Antiatheismus als Vorurteil


Thomasius’ Kritik der »Consequentienmacherey«

Die frühaufklärerische Auseinandersetzung mit der antiatheistischen Über-


führungsmethodik begann, wie oben dargestellt (IV.5), mit Korrekturen am
Einzelfall. Hatten schon Thomas Browne und La Mothe le Vayer Bedenken
hinsichtlich eines antiken Atheismus angemeldet, so sprach Gottfried Arnold
sogar Vanini, Hobbes und Spinoza vom Atheismusvorwurf frei. Ähnlich äu-
ßerte sich schon vor Arnold kein Geringerer als Christian Thomasius, der Va-
ter der deutschen Aufklärung. Bereits in seinen frühen Schriften wandte er sich
gegen die Verdächtigung zeitgenössischer Autoren,65 unter ihnen auch Thomas
Browne,66 wenig später sogar Vanini.67 Mehrfach nahm er zudem Descartes68 –
nicht aber Machiavelli69 und Spinoza!70 – gegen den Vorwurf des Atheismus
in Schutz, wohl auch, um sein eigenes Programm des methodischen Zweifels

65
Das schließt Rehabilitationversuche für antike Autoren nicht aus: Gegen die üb-
liche Aburteilung Epikurs als Atheist wendet sich Thomasius etwa im ersten Jahrgang
der Monatsgespräche (1688, Monat Julius), S. 124 f. – In den Monatsgesprächen von 1689
projektiert er auch eine umfassendere Rettung antiker und neuzeitlicher Autoren gegen
den Atheismus-Vorwurf (S. 1161), wie sie fast zeitgleich der Heidelberger Johann Ludwig
Fabricius mit seinem (schon 1662 verfassten) Apologeticus pro genere humano contra athe-
ismi calumniam vorlegte ( IV.5.2).
66
Monatsgespräche, 1. St. ( Januar 1689), S. 58 f.
67
Vgl. Pott 1992, S. 155, Anm. 193, mit Belegen.
68
So schon in der Introductio ad philosophiam aulicam (1688), S. 123: »Neque haec
de necessitate & utilitate dubitationis opinio Cartesii ipsius inventum est, sed jam com-
muniter ab antiquis Philosophis idem fuit inculcatum, puta ab Aristotele, Cicerone & aliis.
Unde misere se prostituunt, qui ex isto Cartesii postulato ipsum atheismi volunt convince-
re, non recordari videlicet, quod ipse Apostolus jubeat probare Spiritus.« – Weitere Belege
im Folgenden.
69
Im Zuge seines philosophiegeschichtlichen Abrisses im ersten Buch der Introduc-
tio ad philosophiam aulicam referiert Thomasius den gängigen Atheismusvorwurf gegen
Machiavelli (»unde non solum impietatis, sed & atheismi communiter accusatur«), hält
aber seine eigene Meinung zurück (S. 37).
70
Zum Beispiel im Rahmen einer Überlegung zur – aus Thomasius’ Sicht – fehler-
haften Unterscheidung von theologischer und philosophischer Wahrheit, wie er sie etwa
bei Luther und den mittelalterlichen Aristotelikern, aber auch bei einem zeitgenössischen
Autor am Wirken sieht, den er als »discipulus Benedicti Spinosae, athei ingeniosissimi« be-
zeichnet (ebd., S. 118). Gemeint ist der Autor der spinozistischen Schrift Specimen artis ra-
tiocinandi naturalis & artificialis ad pantosophiae principia manuducens (Hamburg 1684),
Abraham Johann Cuffeler (ca. 1637–1694; in Bibliothekskatalogen häufig ›Küffelaer‹); vgl.
zu ihm die Hinweise bei Israel 2006, S. 234 f. et pass. (Register). – Weitere Beispiele im
Folgenden.
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422 Atheismus und Frühaufklärung

gegen entsprechende Angriffe abzusichern. Zustimmend äußerte er sich da-


her auch zu La Mothe le Vayer und bemühte sich wie dieser,71 einen kons-
truktiven und daher legitimen Zweifel (dubitatio eclectica) vom radikalen und
nur noch destruktiven Skeptizismus (dubitatio sceptica) abzugrenzen.72 Ähn-
lich wie Bayle verstand er den Zweifel als nützliches Instrument, um durch
Aufdeckung von Vorurteilen zu richtigen Urteilen und zu deren stichhaltiger
Begründung zu gelangen: »Probatio autem ista sine dubio non sit.«73 Auf der
Haltlosigkeit des Atheismusvorwurfs bestand Thomasius erst recht und aus
heutiger Sicht vollkommen einleuchtend da, wo sich dieser gegen Vertreter
religiöser Heterodoxien richtete wie etwa gegen Spener persönlich,74 gegen
die von Spener verteidigte Johanna Eleonore Petersen75 oder gegen die herme-
tisch-neuplatonische Theosophie.76 Zuallererst kritisierte Thomasius also die
voreilige oder bewusst fehlerhafte Anwendung des Atheismusbegriffs gegen
Unschuldige. Die apologetische ›Verdächtigungshermeneutik‹ sah sich nun ih-
rerseits dem Vorurteilsverdacht ausgesetzt.
In den Schriften der Jahre vor und nach 1700 befasste sich Thomasius
grundsätzlicher mit den antiheterodoxen Überführungsstrategien, wohl auch
deswegen, weil er sie in Leipzig seitens der theologischen Kollegen am eige-
nen Leib erfahren hatte.77 Direkte Reflexe auf diese Erfahrungen sind daher

71
Im Juli-Heft der Monatsgespräche von 1689, im XXI. Stück (über Lohensteins
Arminius und Thusnelda) referiert Thomasius ausführlich über La Mothe le Vayers Wer-
ke, unter anderem auch über dessen Verteidigung der heidnischen Philosophen (S. 672 f.).
Als »geschicklich« lobt Thomasius La Mothe le Vayers »defension der Sceptischen Secte«
(S. 679) aufgrund von »nicht unwahrscheinlichen Ursachen« (ebd.), stimmt ihm aber auch
darin zu, dass der gegen den Pyrrhonismus erhobene Vorwurf der »Atheisterey« nicht
ganz unbegründet sei (S. 680). Ob die methodische Schlussfolgerung des französischen
Philosophen, »die Lehr-Sätze der Vernunfft unter dem Glauben gefangen [zu] nehmen«,
dessen wahre Meinung repräsentiere, lässt Thomasius dahingestellt sein, enthält sich aber
gemäß seiner eigenen Grundsätze eines abschließenden Urteils bis zur gründlicheren Lek-
türe von dessen Schriften: »Ich kan ihn weder vertheydigen noch verdammen / weil ich
seine Schrifften noch nicht mit darzu gehöriger attention durchlesen.« Ebd.
72
Thomasius, Introductio ad philosophiam aulicam, S. 123: »Nimirum dubitatio vel
est Sceptica vel Eclectica; (liceat enim terminos istos ex intentione harum duarum Sectarum
huc transferre). Illa dubitat, ut verum amittat & in perpetua incertitudine ac dubitatione
maneat, haec, ut verum consequatur & certitudinem, ac ut praejudicia saltem erronea a
rectis judiciis possit secernere.«
73
Ebd.
74
Monatsgespräche IV (42. u. 43. St.), bes. S. 1092–1095 u. 1102–1108.
75
Ebd., 25. St., S. 872 f.
76
In Verteidigung gegen Daniel Colbergs bekannte Schrift Das Platonisch-Hermeti-
sches Christenthum (1690): Ebd., 56. St., S. 1131 f.
77
Eine kurze »Apologie« in dieser Sache hat Thomasius bereits in die 1696 erschie-
nene Schrift Recht Evangelischer Fürsten in Theologischen Streitigkeiten eingerückt (dort
auf S. 241 f.). – Zum Vorgang vgl. bereits die Darstellung bei Hinrichs 1971, S. 352–387;
knappe Bemerkungen bei Fleischmann 1931, S. 27–30 (mit Hinweisen zur älteren Lite-
ratur). – Unter der Überschrift »Reliquien des Politischen Pabstthums« hat er die Leip-
ziger Vorgänge im dritten Band seiner Juristischen Händel (1721) unter Beigabe zahlrei-
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Christian Thomasius 423

unschwer zu erkennen. Ausgehend von den schon genannten Einzelfällen –


Descartes, Spener oder Johanna Eleonore Petersen –, stellt Thomasius zu-
nehmend auch methodologische Überlegungen zur Vorgehensweise und zu
möglichen Ursachen der Ketzer- und Atheistenmacherei an. Wie kein Autor
vor ihm betont er den oftmals relationalen, perspektivischen Charakter von
Feindbegriffen wie ›Ketzer‹, ›Atheist‹ oder ›Fanaticus‹ – zumindest hinsicht-
lich ihrer Anwendung: Denn allzu oft, so Thomasius, ziele diese weniger auf
sachlich korrekte Erfassung tatsächlicher theologischer Ansichten als auf die
pauschale Kriminalisierung dissidentischer Meinungen, die sich zu weit von
der herrschenden Lehre entfernt hatten, ganz gleich, ob in eine geistliche oder
weltliche Richtung.78
Für Thomasius stand damit bereits fest, dass es bei derartigen Verleum-
dungsversuchen keineswegs um die Verteidigung der wahren Religion Chris-
ti ging. Das im Umfeld der Frömmigkeitsbewegung, aber auch der radika-
leren Dissidenten gängige Argument, demzufolge vermeintliche Häretiker
die wahren Gläubigen, die Amtsinhaber dagegen unchristlichen Sinnes seien
(Gottfried Arnold sollte es in seiner Kirchen- und Ketzerhistorie wenig spä-
ter mit einem imposanten historischen Fundament versehen), wird hier auch
zur Erklärung des inflationär gewordenen Atheismusvorwurfs herangezogen.
In den Monatsgesprächen vom Oktober 1689 vergleicht Thomasius das Auf-
treten des Quietismus und der frühen pietistischen Bewegung gegenüber den
etablierten Konfessionen mit der Stellung Luthers gegenüber dem Papsttum.
Die Angriffe der lutherischen Orthodoxie gegen Spener, das Ehepaar Petersen
und andere Dissidenten wertet er als Angstreaktion eines Establishments, das
seinen spirituellen Kern in der Konzentration auf Abgrenzungsgefechte gegen
die konfessionellen Rivalen längst verloren hat:

Aber heut zu Tage / da eben dergleichen Heucheley unter uns Protestirenden so wohl /
als unter denen Päbstischen grand mode worden / ist man zwar sehr wohl zu frieden /
wenn sich Leute von der einen Partey finden / die denen von der andern den Balcken
in ihren Augen zeigen / wenn aber welche seyn / die unter einander selbst sich dem
Spiegel vorhalten wollen / um den Splitter in dem eigenen Auge zu sehen / oder die dem
bey der eigenen Religion eingerissenen Pharisaismo ein wenig unsanffte bey dem Ermel
zupffen / da nennet man dieselbige Lästerer / Atheisten / Syncretisten / Ketzer / Leute
die Unruhe in der Kirche anrichten / Verächter des heiligen Predigtambts / die GOTT

cher Dokumente ausführlich für die Nachwelt geschildert (S. 1–167). Eine Untersuchung
dieser Auseinandersetzung, in die auch Philipp Jakob Spener als Mitglied des Dresdner
Oberkonsistoriums verwickelt war (s. die Hinweise im Spener-Kapitel, Anm. 67), hoffe
ich demnächst an anderer Stelle vorzulegen.
78
Rückblickend hat Thomasius gegen Ende der 90er-Jahre die Austauschbarkeit
entsprechender Feindkonzepte anhand seiner eigenen Erfahrungen mit entsprechenden
Anschuldigungen geschildert: »Da man mich nun aber verfolgete, und mir wegen meiner
Lehre als einem Haeretico nicht beykommen konnte, so machte man mich zu einem Athe-
isten: Dann der Clerus hat das Principium, daß ein Fürst die Atheisten mit Feuer verbren-
nen könne.« (Vollständige Erläuterung der Kirchen-Rechts-Gelahrtheit [Anm. 166], S. 65)
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424 Atheismus und Frühaufklärung

in einen verkehrten Sinn gegeben / und was dergleichen Theologische calumnien mehr
sind.79

Dasselbe Argument wird wenig später – für den Eingeweihten unschwer er-
kennbar – gegen den Kontrahenten Pfeiffer in Stellung gebracht, die Formel
per bonam consequentiam dabei nachdrücklich problematisiert.80 Der Schema-
tismus dieses Denunziationsverfahrens hat Thomasius offenbar anhaltend be-
schäftigt. Im 1691 erschienenen zweiten Teil seiner Vernunfft-Lehre widmet er
dem mutwilligen Ziehen von ›consequentien‹ einen eigenen Abschnitt (§ 90 f.)
im dritten Hauptstück über die Geschickligkeit andere zu verstehen.81 Dort
empfiehlt er seinen Lesern Zurückhaltung »in Auslegung gelehrter Schrifften«.
Zwar könne jeder für sich »raisoniren, was für consequentien daraus folgen« –
entscheidende Instanz in der Auslegung der eigenen Schriften bleibe aber der
betroffene Autor selbst.82 Damit wäre eine sinnvolle Vorkehrung gegen die
Denunziationspraxis getroffen, unter der Thomasius ja selbst auch weiterhin
zu leiden hatte. Daher verwundert es auch nicht, dass er seinen zunächst ganz
generell entwickelten Gedankengang just am Beispiel des Atheismusvorwurfs
illustriert: »Also wenn Cartesius sagt / man müsse auch an GOtt zweiffeln /
und seine Widersacher sagen: daß er dadurch nothwendig zum wenigsten zu
einem augenblicklichen Atheisten werden müsse; und er wehret sich hierwie-
der mit Händ und Füssen / muß man ihn mit frieden lassen.«83
Es ist deutlich zu erkennen, dass Descartes (unbeschadet aller Divergenz in
zentralen philosophischen Fragen) hier als Stellvertreter für Thomasius selbst
steht. Denn im ersten Hauptstück Von der Geschickligkeit der Warheit nach-
zudencken hatte er genau diesen Zweifel an Gott als zulässige, ja notwendige
Forderung an ein eklektisches Philosophieren hingestellt und gegen den zu

79
Monatsgespräche, Bd. IV, 25. St. (Oktober 1689), S. 872 f.
80
Ebd., 42. St. (Dezember 1689), S. 1102 f.: »Ja es ist schon dahin kommen / daß sol-
che Leute sich nicht scheuen / in öffentlichen Schrifften diese ihre dem Christenthum und
respect, den sie Christlicher Obrigkeit schuldig sind / zu wiederlauffende Lehrsätze als
Glaubens-Articul zu behaupten / und die so solches nicht glauben wollen / zu anathema-
tisiren. Massen denn für dem Jahre noch ein solcher Geselle seinen Thesibus Anti Athei-
sticis folgende einverleibet: quod non liceat convenire actione iniuriarum Theologum, qui
alteri etiam saltem per bonam consequentiam Atheismi crimen imputaverit […] und also
gar offenbar / oder doch nach seiner Redensart per bonam consequentiam die für Atheis-
ten gescholten / die das Gegentheil zu behaupten sich unterstehen.«
81
Zu Thomasius’ Hermeneutik im historischen Kontext vgl. Danneberg 2001.
82
Thomasius, Außübung der Vernunfft-Lehre, S. 198 f.: »Wenn er aber wider diese
consequentien protestiret, daß er damit nichts zu thun haben wolle / und seine Meinung
anders erkläret / müssen wir ihn mit frieden lassen / ob wir gleich nicht begreiffen / wie
diese consequentien nicht aus dem Grundsatze folgen solten / auch eines und das andere
wieder seine Erklärung zu sagen haben / wenn diese nur nicht gantz offenbahrlich / und
daß es alle Menschen begreiffen / cavillatoria ist.«
83
Ebd., S. 199.
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Christian Thomasius 425

erwartenden Atheismusvorwurf verteidigt.84 Selbst die von der Apologetik


gegen den Skeptizismus gestellte cognitio Dei insita, so Thomasius, bedür-
fe ohne Unterstützung durch die Offenbarung »eines ziemlich dauerhafften
Zweiffels«,85 um in den Rang einer »unstreitigen Erkäntniß« aufzusteigen.86
Thomasius dürfte klar gewesen sein, dass er sich hier theologisch auf äußerst
dünnem Eis bewegte, daher sichert er hier seine Argumentation durch die dog-
matisch gut befestigte Erbsündenlehre ab. Ähnlich wie Seckendorff sieht er
infolgedessen die temporäre Versuchung durch atheistische Gedanken als un-
vermeidliche Beigabe der conditio humana an und verweist zu diesem Zweck
auf prominente Zweifler (er mag an Augustinus oder Luther gedacht haben) in
der Geschichte des Christentums:

Was endlich den Vorwurff der Atheisterey betrifft / will ich itzo nicht urgiren / das zwar
zu wündschen wäre / daß kein Mensch iemahlen auch nur auff einen Augenblick Athe-
istische Gedancken hegete / aber doch gleichwohl unsere armselige Natur leider mit die-
sen Unfall behafftet sey / daß nicht zu verwundern / wenn rohe Weltkinder dieselbigen
zum öfftern fühlen / weil auch die aller frömmsten Leute öffentlich darüber geklaget /
daß sie zuweilen mit dergleichen Atheistischen Gedancken geplaget und versuchet wer-
den. Sondern ich will nur dieses erinnern / daß unsere Philosophie mit nichten erforde-
re / daß ein Mensch auch nur einen Augenblick ein Atheiste seyn solle.87

Steht schon das Programm des methodischen Zweifels – als Mittel zur Aufde-
ckung der praeiudicia88– sichtlich im Horizont der frühaufklärerischen Vorur-

84
Ebd., S. 35: »Wir haben oben gesagt / daß unter denen nöthigsten Sätzen / von
denen man zu zweiffeln müsse anfangen / auch die seyn: daß ein GOtt sey / und daß
er das Wesen aller Creaturen erhalte und sie versorge.« – Sodann beschreibt Thomasius
anschaulich den Mechanismus der Verdächtigung (ebd.): »Wie nun? pflegt man hierwider
einzuwenden: So soll man demnach auch an GOtt zweiffeln? da doch ein Mensche von Ju-
gend auff diese unstreitige Warheit versichert ist / daß ein GOtt sey / als daß zweymal drey
sechse sind. Auff diese Weise heist man ja ausdrücklich / daß ein vernünfftiger Mensch
zum wenigsten auff eine zeitlang ein Atheiste seyn müsse. Ist dieses aber nicht eine schöne
Philosophie die von der Atheisterey anfänget!«
85
Ebd., S. 37.
86
Ebd., S. 36: »Und ob schon kein vernünftiger Mensch läugnen wird / daß der
höchst nöthige Lehr-Satz von GOttes existenz und von der göttlichen Vorsorge allen Hey-
den in das Hertze geschrieben sey; so folget doch noch lange nicht / daß derselbe eben so
leichte und unmittelbar erkennt werde / als daß zweymal drey sechse sey / oder daß dieser
Stock gerade und nicht krum sey. Denn alles dasjenige heist denen Menschen in das Herze
geschrieben seyn / zu dessen unstreitigen Erkäntniß derselbige aus natürlichen Kräfften
und Vermögen ohne Beytrag einer göttlichen Offenbahrung gelangen kan / ob er schon
hierzu öffter einer langwierigen raisonirung vonnöthen hat.« – Hinter dieser Überlegung
steht offenbar die von Descartes eingeführte, in der Logik von Port-Royal und bei Leibniz
weiterentwickelte Lehre von den Stufengraden der (klaren, deutlichen etc.) Erkenntnis, die
auch Leibniz’ Auseinandersetzung mit Lockes Kritik der innate ideas bestimmen sollte.
87
Ebd., S. 37.
88
Vgl. ebd., S. 34 u. ö., s. dazu auch das dem reprografischen Nachdruck (Hildes-
heim u. a. 1998) hinzugefügte Sachregister von Frauke Annegret Kurbacher.
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426 Atheismus und Frühaufklärung

teilslehren (selbst das Wissen von Gott müsse darauf überprüft werden, inwie-
weit es auf »menschliche autorität« gegründet sei89), so bedient sich Thomasius
in diesen Jahren wiederholt der ihnen zugrunde liegenden Affektpsychologie,
um das Verfahren der Konsequenzenmacherei auch von seiner Motivation her
zu verstehen. Bereits in den Monatsgesprächen hatte er in diesem Zusammen-
hang mehrfach auf die Wirkung der Affekte hingewiesen, die an die Stelle eines
besonnenen Urteils treten würden,90 und noch in einem seiner letzten Kolle-
gien der Leipziger Zeit erläuterte er nach eigenen Angaben das Wirken der af-
fektgeleiteten Vorurteile am Beispiel des Atheismusvorwurfs.91 In Verbindung
mit ›undeutlichen‹ oder fehlerhaften Begriffen gerate dieser so zur völligen Be-
liebigkeit und diene im schlimmsten Fall als ebenso wohlfeiles wie wirksames
Mittel des publizistischen Rufmords. Dass für die folgende Einschätzung die
Leipziger Kollegen Johann Valentin Alberti und August Pfeiffer Pate gestan-
den haben, lässt sich unschwer denken:

Es ist nicht zu läugnen / daß viel unter denen alten und heutigen Gelehrten nicht nur
wider die Atheisterey geschrieben / sondern auch immer einer den andern / wider
den er eine Feindschafft träget als einen Atheisten traduciret und verläumbdet / da
doch unter hunderten öffters kaum ein einiger ist / der von der Atheisterey und was
ein Atheiste sey / sich einen rechtschaffenen und deutlichen concept mache / sondern

89
Ebd., S. 36.
90
So bereits im 23. St. der Monatsgespräche vom September 1689, auch hier schon
mit Blick auf Descartes (Bd. IV, S. 809): »Zwar ist nicht zu leugnen / daß viele von denen
Peripateticis, die den Cartesium in diesem Stück refutiren wollen / mehr ihre affecten als
die Liebe zur Warheit haben spüren lassen / wenn sie den Cartesianum bald zu einem
Scepticum, bald gar zu einem Atheisten mit seiner dubitation machen wollen / oder ihm
den Mißbrauch / den seine Sectatores in die Theologie eingeführet / imputiret.« – Ähnlich,
gegen einen Kritiker Speners (Monatsgespräche, Bd. IV, 42. St. [Dezember 1689], S. 1102)
sowie, wenig später, am Beispiel von Molinos (ebd., 45. St., S. 1112): »Aber nachdem des
Herrn Rango genius scribendi bißher zimlich bekannt worden / daß er von denen sey / die
ihren Affecten den Zügel lassen / und Ketzer zu machen gewohnet sind / auch da keine
seyn; zweiffele ich ob derselbe bey Leuten / die sich bemühen ihren Verstand à praejudiciis
zu saubern / grosse Würckung werde gethan haben.«
91
Mithilfe der Vorurteilstheorie – die er hier sogar gegen die Vorurteilstheoretiker
von Port-Royal einsetzt – will Thomasius Anfang 1690 in einem noch in Leipzig gehal-
tenen Kolleg de praejudiciis den Atheismusvorwurf gegen Montaigne entkräftet haben:
»Ich hatte in einem Collegio gratuito de praejudiciis […] in etlichen Lectionibus erkläret /
und nach diesem gewiesen / daß diese Autores selbst in einem weitläufftigen judicio, so sie
von einem berühmten Frantzösischen Autore, Michel de Montagne gegeben / das Vorurt-
heil Menschlicher Affecten sich mercklich verleiten lassen / indem sie besagten Autorem
mit aller Gewalt zu einem Atheisten machen wollen […].« Thomasius/Enno Rudolph
Brenneysen, Das Recht evangelischer Fürsten in Theologischen Streitigkeiten, Halle 1696,
S. 241–288, hier S. 243. – Die in diesem Zusammenhang entwickelten Kriterien, »einen
frommen und Christlichen Mann von einem Gottlosen oder Heuchler zu entscheiden«
(ebd., S. 244), so Thomasius weiter, habe ihm einmal mehr eine Klage beim Dresdner
Oberkonsistorium eingetragen.
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Christian Thomasius 427

gemeiniglich ein unvernünfftiger Haß / oder zancksüchtige Rachgier zum Grunde


dieser harten Beschuldigung geleget werden.92

Die in diesem Zusammenhang von Thomasius angekündigte ausführlichere


Beschäftigung mit dem Thema bei »einer andern Gelegenheit«93 ist offenbar
unterblieben oder in seinen weit ausgreifenden Überlegungen zur Ketzer-
macherei aufgegangen: In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wandte er
sich bekanntlich stärker den Problemen des Staatskirchenrechts, nicht zuletzt
der Häresie und der Religionstoleranz, zu,94 gipfelnd in den höchst liberalen
Überlegungen der dialogisch abgefassten Schrift An haeresis sit crimen? von
1697 (dt. 1705).95 Inwieweit sich die dort entfaltete Argumentation, der zufolge
der Begriff der Ketzerei mangels einer eindeutigen Festlegung der durch sie
verletzten ›wahren‹ Lehre gar nicht bestimmbar,96 als Irrtum des Verstandes
zudem auch rechtlich nicht belangbar sei,97 auf den Atheismus übertragen wer-
den kann, sei dahingestellt.98 Unübersehbar ist jedenfalls, dass Thomasius den
Mechanismus der Ketzermacherei – samt der Konsequenzenmacherei99 – in

92
Außübung der Vernunfft-Lehre, S. 37 f.
93
Ebd., S. 38: »Wie aber unsers Vorhabens ietzo nicht ist / diese materie ausführlich
und der Würde nach zu erörtern / sondern wir solches biß zu einer andern Gelegenheit
ausgesetzt seyn lassen wollen; Also können wir gar leichtlich aus demjenigen / was dißfalls
alle diejenigen / so von der Atheisterey geschrieben / einzuräumen pflegen / augenschein-
lich darthun / daß diese Beschuldigung unsere methode und Lehr-Art im geringsten nicht
treffe.«
94
Vgl. dazu, neben der bemerkenswerten Analyse von Dreitzel 1997, besonders
Hunter 2007, S. 113–167 sowie die ebd., S. 168–205, edierte englische Übersetzung von De
iure principis circa haereticos (1697); ferner, unter dem Aspekt der Denkfreiheit: Gawlick
1989, S. 258–262; Zenker 2012, S. 159–177; zu den naturrechtlichen Grundlagen der Re-
ligionstoleranz bei Thomasius vgl. bes. Grunert 2000, S. 172–182; wichtige Beiträge zur
Toleranzproblematik in der frühen Neuzeit, ohne die in der Dixhuitiemistik verbreiteten
historischen Verzeichnungen, versammelt der Konferenzband Toleranzdiskurse der Frü-
hen Neuzeit (Vollhardt/Bach/Multhammer 2015).
95
Zu Inhalt und Argumentation der Schrift vgl. Gawlick 1989, S. 260 f.; Hunter
2007, S. 150–157.
96
Herrn Christian Thomasens Erörterung der Juristischen Frage: Ob Ketzerey ein
straffbares Verbrechen sey?, in: Auserlesene deutsche Schriften, Erster Theil, ND Hildes-
heim u. a. 1994 (Ausgew. Werke 23), S. 210–307, hier S. 229: »Und das ist es eben, daß ich
gesagt: Ihr wüstet nicht was Ketzerey vor ein Ding ist: Denn ihr wisset ja nicht was der
Grund des Glaubens ist, und ist der unterschiedenen Meinungen bey den Orthodoxis kein
ende. Denn wenn einer einen Artickel vor einen Grund-Artickel hält, so hält ihn der ander
nicht davor.«
97
Thomasius, Ob Ketzerey ein straffbares Verbrechen sey, S. 270: »Wenn nun nie-
mand lasterhaffter Gedancken halben gestrafft wird so wird einer viel weniger wegen Irrt-
hums des Verstandes gestrafft werden können.«
98
Gegen Ende des Dialogs wird die Frage aufgeworfen, ob die Gotteslästerung
ähnlich zu behandeln sei wie die Ketzerei. Thomasius’ Alter Ego im Text – »Christianus«
genannt – will sich aber »eine eigene Untersuchung« darüber vorbehalten (ebd., S. 292).
99
Ebd., S. 268: »Weiter so ist bekant, daß bey des Herrn seines gleichen diese be-
triegliche Manier zu disputiren gantz gemein ist, wenn sie durch Fragen, oder sonst vom
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428 Atheismus und Frühaufklärung

analoger Weise analysiert, indem er seine durchweg perspektivische und in-


teressengebundene Verwendung herausstellt.100 Wie wenig es folglich in den
meisten derartigen Fällen um Wahrheit gehe, auf die sich ja im Regelfall jede
Streitpartei berufe, sondern um die Dynamik von theologischer Deutungs-
macht und Mindermeinung, hat Thomasius mehrfach am Beispiel des Aus-
legungsmonopols der römischen »Clerisey« illustriert.101 Die Relativität der
dabei verwendeten Argumente ergibt sich für ihn vollends aus deren histo-
risch belegter Umkehrbarkeit, die er noch 1717 anhand der Forderung nach
Toleranz und Gewissensfreiheit demonstriert:

So lange man wegen der Religion gedruckt wird, so lange vertheydigt man sich damit /
das Gewissen wäre ein freyes Wesen / und lasse sich durch Gesetze nicht zwingen /
es sey höchst unrecht und unbillig, wenn man sich eines dominats über die Gewissen
anmassen wolle; So bald man aber warm wird / so bald man geduldet und mit zum
Regiment gelassen wird / so bald fängt man an (nach Anleitung der alten Fabel vom
beregneten und nassen Igel und der Schlange) sich zu brüsten und zu breiten / und
die dissentirende so wohl alte als neue / zur Einigkeit der Bekentniß zu zwingen oder
von sich zu jagen / oder es nicht einmal bey der von sich Jagung zu lassen / sondern
die dissentirende wohl gar als die ärgsten Ubelthäter zu bestraffen.102

Obschon Thomasius hier aus eigener Betroffenheit spricht und schon des-
wegen kaum eine Gelegenheit verstreichen lässt, seinen diesbezüglichen Äu-

Widerpart etwas heraus gelockt, daß sie durch consequentien, und wider durch neue con-
sequentien, so doch gemeiniglich auff einem falschen Schlusse beruhen, entweder ihrem
Widerpart etwas andichten, darauff sie nie gedacht haben, oder frühzeitig vor der Schlacht
triumphiren.«
100
Zur Exemplifizierung seiner These kann sich Thomasius aus dem reichen Vor-
rat der Kirchengeschichte (Flacius, Tauler, Thomas a Kempis, Theresa v. Avila) bedienen
(ebd., S. 230 f.).
101
In der Erinnerung wegen zweyer Collegiorum über den andern Theil seiner Grund-
Lehren (1701) glaubt Thomasius diesen Mechanismus zuerst bei der gnostischen Sekte der
Kainiten zu erkennen, mit der Folge, daß »hieraus der erste Ursprung herzuleiten sey / un-
schuldige und ehrliche Warhheit-liebende Leute / für Atheisten / Ketzer / Gotteslästerer
oder wohl gar Hexenmeister fälschlich auszuschreyen«. Thomasius, Auserlesene deutsche
Schriften. Zweiter Theil (ND Hildesheim 1994 [Ausgewählte Werke, Bd. 24]), S. 323.
102
D. Melchiors von Osse Testament gegen Hertzog Augusto […]. Zum Gebrauch
des Thomasischen Auditorii, Halle 1717, S. 539 (Anm. 268 zu S. 537). – Im Weiteren il-
lustriert Thomasius den Mechanismus am Beispiel des Augustinus und der Lutheraner
(ebd.). Das gleiche Verhalten sieht er bei den Quäkern und fügt hinzu, selbst die Sozinianer
würden sich wohl nicht anders verhalten, wenn sie einmal »an einem Ort solten religionem
dominantem erlangen« (ebd., S. 540). – Es kennzeichnet Thomasius’ Verfahren der Selbst-
reflexion, dass er auch die eigene Person nicht davon ausnimmt (ebd., S. 541): »Es darff
nur ein iedweder in seinen eigenen Busen greiffen. Ich glaube nicht, daß zu itzigen Zeiten
jemand den Mund von dem Hauptregal die dissentirende zu toleriren so weit aufgethan /
als ich selbst. Aber ich bin nicht gut für mich / daß wenn ich hätte Gelegenheit und Macht
bekommen / Stipendia auszutheilen / Leute zu Ehren-Aemtern zu befördern / das Ohr
eines Regenten oder Staats-Ministers zu haben u.s.w. ich nicht ebenmäßig in diese Mängel
nach und nach würde verfallen seyn.«
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Christian Thomasius 429

ßerungen jeweils ein Quentchen Ironie mitzugeben, lässt er sich beim spä-
ten Rückblick auf die Affäre Pfeiffer, mittlerweile im »durch Gottes Gnade
vollendeten 66. Jahre«,103 auch zu milderen Äußerungen herbei. Dabei dürfte
auch die über Jahrzehnte anhaltende intensive Beschäftigung mit Kirchenge-
schichte und dem Jus Ecclesiasticum eine Rolle gespielt haben. Denn statt nur
auf individuelle Motive wie Zanksucht oder persönliche Feindschaften führt
Thomasius die Praxis der Ketzermacherei nun auch auf das Fortwirken dessen
zurück, was er »politisches Papsttum« nennt und in seinen natur- und staats-
kirchenrechtlichen Schriften ein Leben lang bekämpft hat. Vor diesem Hinter-
grund, so die Einschätzung des alternden Gelehrten, könne man den Theolo-
gen schwerlich ihren Irrtum verübeln, dass sie die Verfolgung vermeintlicher
Ketzer ad maiorem Dei gloriam betrieben:

[J]a ich seuffzete hertzlich, wie es doch immermehr möglich wäre, daß gelehrte Leute
und Theologi solche Dinge wieder ihr besseres Wissen und Gewissen schreiben kön-
nen, und vermeinte, daß ich wegen solches offenbahren Mißbrauchs des Göttlichen
Nahmens die concipienten dieser denunciation einer blasphemie oder wohl gar der
Atheisterey selbst convinciren könnte. Aber ich verstunde damahls noch nicht, daß
die guten Leute dieses alles bona fide thäten […]: Ich begriff noch nicht, daß dieser
Mißbrauch von Beförderung Göttlicher Ehre durch Verfolgung unschuldiger Leute
noch unter die reliquias und arcana Papatus Politici gehörete […].104

2.2 Zweierlei Maß?


Die Anklage gegen Theodor Ludwig Lau

Inzwischen war Thomasius allerdings auch selbst in die Rolle des Anklägers
getreten. So zeigte er 1717 überraschende Härte gegen den als Atheisten ange-
klagten Philosophen Theodor Ludwig Lau (1670–1740), einen seiner ehema-
ligen Studenten, der sich hilfesuchend an die Juristenfakultät seiner alma ma-
ter, der Universität Halle, gewandt hatte.105 Seine Schrift Theses philosophicae

103
Thomasius, Reliquen des Politischen Pabstthums, S. 99.
104
Ebd., S. 92 f.
105
Die ausführlichste Dokumentation zur Affäre Lau mit Beigabe vieler Quellen
stammt von Thomasius selbst, der sie 1720 im dritten Teil seiner Juristischen Händel un-
ter dem Titel Elender Zustand eines in die Atheisterey verfallenen Gelehrten veröffent-
lichte (Ernsthaffte / aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und
Errinerungen [!] über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil, Halle 1720,
S. 233–358). – Weitere Schriften wurden, mit sachkundiger Einführung, ediert von Martin
Pott (Hg.), Theodor Ludwig Lau (1670–1740): Dokumente, Stuttgart 1992 (Philosophi-
sche Clandestina der deutschen Aufklärung. Abt. 1: Texte und Dokumente, Bd. 1). – Zum
Vorgang vgl. neben Potts Einleitung (1992a) Schröder 1987, S. 124–132; Gawlick 1989,
S. 266–269; zu Laus Person vgl. den bio-bibliografischen Artikel von Hanspeter Marti in
Killy/Kühlmann, Bd. 7, 2010, S. 254 f. (dort weitere Literatur). Ein vollständiges Schrif-
tenverzeichnis z. B. im zweiten Band von Friedrich Konrad Gadebuschs Livländischer
Bibliothek (Riga 1777), S. 163–168.
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430 Atheismus und Frühaufklärung

de Deo, Mundo, Homine (1717) war kurz nach ihrem Erscheinen konfisziert
worden, Lau sah sich nach erfolgter Vorladung seitens der Stadt Frankfurt
mit dem Consilium abeundi konfrontiert, er spricht selbst sogar vom drohen-
den »Kirchen-Bann«.106 Das Bemerkenswerte an diesem Fall, der hier nicht
im Einzelnen referiert zu werden braucht, besteht darin, dass sich Thomasi-
us, als Verfasser des von der Juristenfakultät erstellten Responsum,107 in einem
Protestschreiben Laus108 mit den eigenen Thesen zur Konsequenzenmacherei
konfrontiert sah. Dort beruft sich der Beschuldigte nicht nur auf die Philoso-
phia Aulica, wenn er mit Marsilio Ficino, Cudworth und anderen die platoni-
sche Philosophie gegen den Ketzerei- und Atheismusvorwurf verteidigt,109 er
fügt seinem Schreiben außerdem, als Beilage »No. 1«,110 ein Exzerpt aus der
Außübung der Vernunftlehre hinzu, das unter anderem genau die oben zitier-
te Verteidigung Descartes’ gegen die bekannten consequentien enthält.111 Im
Paralleldruck rückt er dort auf der linken Seite Passagen aus der Außübung
der Vernunfft-Lehre ein, denen er dann auf der jeweils rechten Seite unter der
Rubrik »Ubertretung der Vernunfft-Lehre« seine Verteidigung hinzufügt.
So sieht er hinsichtlich der consequentien die von Thomasius gegebene Re-
gel, dem Autor selbst das letzte Wort in Auslegung seiner Schriften zu lassen,
durch diesen selbst verletzt:

Es sind im Gegentheil / in regard meines Büchleins und meiner Person / die trefliche
Regeln von der Geschickklichkeit anderer Meinung zu urtheilen: von ihnen allerseits
nach eigener Willkühr und Gutachten / übertreten und verachtet worden; da doch
insonderheit von meinem hochgeehrten Herrn ausdrücklich gelehret und souteniret
wird / daß wann Autores wieder die Consequentien / welche aus ihren Schrifften und
Sätzen gezogen werden, protestiren, mit selbigen nichts zu thun haben wollen, und
ihre Meynungen anders erklähren; man sie zu frieden lassen, und ihre Protestationes
müsse gelten lassen.112

106
Thomasius, Elender Zustand, S. 237.
107
Abgedruckt ebd., S. 247–265.
108
Ebd., S. 267–293.
109
Ebd., S. 274: »Daß ferner und zum andern: unter den vielen Classen der Weltwei-
sen / die Philosophi Platonici fürnemlich: (obgleich andere melden / daß aus der Quelle des
Pythagorae und Zenonis, vielmehr Ketzerisches Gifft geflossen /) die Patriarchen der Ket-
zer sind genennet worden: berichtet die Philosophia Aulica. Und daß Plato, ein Atheista
formalis sey / der Spinosismum ante Spinosam gelehret: hat eine gelehrte Feder zu erweisen
sich bemühet.« Die Rede ist hier von Johann Franz Buddes Dissertatio philosophica de Spi-
nozismo ante Spinozam (1701); der Hinweis auf die Philosophia Aulica bezieht sich auf den
dort zu Beginn enthaltenen philosophiegeschichtlichen Abriss (Thomasius, Introductio ad
Philosophiam Aulicam, S. 27).
110
Thomasius, Elender Zustand, S. 268. Die Beilage selbst ebd., S. 301–306.
111
Auch sonst erweist sich Lau als fleißiger Leser von Thomasius, wie eine längere
Aufzählung belegt (ebd., S. 270 ).
112
Ebd., S. 305 f.
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Christian Thomasius 431

Thomasius kommentiert das im Rückblick reichlich trocken, indem er zunächst


darauf hinweist, dass seine Fakultätskollegen keineswegs zum Gebrauch seine
Vernunftlehre »als zu einem Libro Symbolico unserer Facultät« verpflichtet
seien.113 Er weist dann auch den Vorwurf der Konsequenzenmacherei zurück,
da die inkriminierten Thesen ja im Buch enthalten seien, wie auch Lau nicht
bestritten hatte. Laus gewitztes Gegenargument, seine Schrift sei als Rollen-
monolog eines heidnischen Philosophen konzipiert, er spreche darin also nicht
selbst, sondern allenfalls als »Phil[osophus] Gent[ilis] Interimisticus«114 oder
als »Copiste gefährlicher Lehren«,115 wird von Thomasius als »zu plump« ab-
gewiesen.116 Auch sonst spricht er ihm ein klares judicium,117 ja sogar jedwede
»gesunde Vernunft« ab.118 Schließlich aber hält er dem Beschuldigten vor, seine
Vernunftlehre nicht genau genug gelesen und daher die Klausel übersehen zu
haben, mit der er, Thomasius, dort das Recht eines Autors auf »protestation«
gegen consequentien durch Dritte eingeschränkt habe. Wenn diese Beschwer-
de nämlich offenkundig »cavillatoria«, also spitzfindig-sophistisch ausfalle,
disqualifiziere sie sich selbst, genau das habe aber das juristische Responsum
bereits hinlänglich erwiesen.119
Wie die schon drei Jahre später publizierte Dokumentation der Affäre Lau
hinlänglich illustriert, blieb Thomasius bei seinem Urteil über Lau und ver-
folgte zeitgleich auch dessen andere Publikationen mit Ungnade.120 Wo er also
den Sachverhalt des Atheismus als zweifelsfrei erwiesen ansah, scheute er auch
nicht vor der Empfehlung entsprechender Rechtsmittel zurück. Das wirft in
einem nächsten Schritt die beiden Folgefragen auf, wie Thomasius den Atheis-

113
Ebd., S. 307.
114
Ebd., S. 272.
115
Ebd., S. 266.
116
Ebd., S. 307: »Ja wenn er gesagt hätte / oder sagen können / daß wir ihm Lehren
angedichtet hätten / die in seinen Büchlein nicht enthalten wären / so möchte es sich hören
lassen. Aber da er so unverschämt ist / daß er leugnet / die in seinen Büchlein enthaltene
Lehren wären seine Grund-Lehren nicht / sondern wir hätten solches erdichtet / das ist
zu plump.«
117
So kommentiert Thomasius den Erhalt der Gegendarstellung mit der Bemerkung
»ich hatte ein hertzliches Mitleiden mit ihn / weil ich darinnen von Anfang biß zu Ende /
auf das glimpfflichste zu reden ne micam quidem judicii antraffe« (ebd., S. 293).
118
Ebd., S. 255. – In diesem Zusammenhang stellt Thomasius auch Mutmaßungen
über Laus womöglich »melancholisches und sanguinisches Temperament« an (ebd.).
119
Ebd., S. 308 f.
120
In seinen Anmerkungen zu Melchiors von Osse Testament (1717) rezensiert
Thomasius ausführlich Laus anonym erschienenen policeywissenschaftlichen Traktat
Entwurff einer wohl-eingerichteten Policey (Frankfurt am Main 1717) und will ihm re-
ligionsfeindliche und staatsgefährdende Lehren nachweisen (S. 500–507 [Anm. 255 zu
S. 500]). Er nennt den Namen des Autors nicht, gibt aber zu erkennen, dass er über
dessen Identität informiert sei (ebd., S. 505). – Ein Hinweis auf diese Stelle findet sich in
Gadebuschs Artikel zu Lau in der Livländischen Bibliothek (Zweiter Theil, Riga 1777,
S. 165) mit der knappen Bemerkung: »Thomasius hat ihn als einen Atheisten widerlegt.«
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432 Atheismus und Frühaufklärung

mus selbst und dessen potenzielle Gefährlichkeit für Individuum und Staats-
wesen eingeschätzt hat.

2.3 Eklektische Gehversuche


Thomasius’ Verzicht auf den ›Atheus practicus‹

Die bis hierher zusammengestellten Äußerungen betreffen allein die Kritik an


der voreiligen oder vorsätzlich tendenziösen Anwendung des Atheismusbe-
griffs, etwa aufgrund fehlerhafter Definitionen, vor allem aber auf dem Wege
der Konsequenzenmacherei. Hier konnte sich Thomasius in seiner Rolle als
Aufklärer profilieren, indem er die Vorurteilslehre gegen inquisitorische Aus-
wüchse der Apologetik richtete, die dort zweifellos angelegt waren. Mit all
dem ist jedoch noch wenig darüber ausgesagt, wie er selbst den Atheismus –
ob nun direkt oder indirekt, theoretisch oder praktisch – verstanden und be-
urteilt hat.121 Die im Rahmen verschiedener Schriften eher nebenher gegebenen
Definitionen zeichnen sich gegenüber der Voetius-Nachfolge vor allem durch
Kürze aus.122 Sie entsprechen, im Fall von Thomasius naheliegend, weit eher
den Bestimmungsversuchen aus Staats- und Naturrechtslehre, orientieren sich
also an den Merkmalen der überkonfessionellen natürlichen Religion‹, wie
sie sich als staatsrechtliches Konstrukt in der Toleranzdebatte herausgebildet
hatte.123 Dabei umgeht Thomasius die Unterscheidung von direktem und in-
direktem, theoretischem (oder spekulativem) und praktischem Atheismus,124
indem er das Fehlen der Gottesfurcht und die Bestreitung des Gottesdienstes
in die Definition aufnimmt: »Ein Atheiste wird insgemein derjenige genen-
net / der läugnet / daß man Gott einige Ehre erweisen müße / weil er läugnet /
daß ein GOtt sey / oder daß eine göttliche Vorsehung sey.«125 In der Einleitung
zur Sittenlehre (1692) hat er die Definition um Pantheismus und Skeptizismus
erweitert und zudem, entsprechend der übergeordneten Fragestellung, die Di-
mension der frommen Lebenspraxis hinzugefügt:

121
Vgl. dazu v. a. Pott 1992, S. 155–157; ferner Gawlick 1989, S. 261 f. u. 266–269,
sowie Dreitzel 1997, bes. S. 42 f.; zuletzt Czelinski-Uesbeck 2007, S. 136–141, der einige
zentrale Äußerungen zusammenträgt und zu Recht »die Widersprüchlichkeit des thoma-
sischen Toleranzdenkens« herausstellt (S. 140).
122
So etwa in den 1709 auf deutsch erschienenen Grundlehren des Natur- und Völ-
kerrechts (ND mit Vorwort von Frank Grunert als Bd. 18 der Ausgewählten Werke, Hil-
desheim [u. a.] 2003), S. 48: »Der Mangel aller göttliche [!] Furcht und blosse Menschen-
Furcht heisset die Atheisterey.«
123
Vgl. grundlegend Link 1979, S. 298–301 (zu Thomasius S. 300); Link 1981,
S. 857–862; ferner Zurbuchen 1991, S. 7 f.; Dreitzel 1995, S. 8–11 (u. a. zu Conring); ferner,
mit Blick auf Pufendorf: Neuer Ueberweg 17/4, 2001, S. 793 f. (Dreitzel); Hüning 2002,
S. 230 f. – Weitere Details oben in Kap. I.3.5.
124
Sie wird allerdings in Schriften ab etwa 1700 wiederkehren, s. dazu weiter unten
sowie Pott 1992, S. 155 f.
125
Außübung der Vernunft-Lehre, S. 38.
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Christian Thomasius 433

Einen Atheisten nenne ich in Ansehen der natürlichen Erkäntniß denjenigen / der
GOtt nicht fürchtet noch vertrauet / oder sich nach seien Willen zu leben nicht schul-
dig erachtet / weil er entweder dafür hält / man könne von GOtt und seiner Provi-
denz vermittelst der Vernunfft nichts gewisses wissen / und habe dannenhero stets-
wehrend Ursache daran zu zweiffeln; oder weil er sich einen solchen Gott Formiret /
der entweder einem Fato unterwürffig / oder mit denen Creaturen ein Wesen sey /
und dieselbe als Theile seines göttlichen Wesens in sich begreiffe.126

Die im reformbewegten Luthertum zentrale Unterscheidung von nur äuße-


rem Bekenntnis und dem wahren studium pietatis kennt also auch Thomasi-
us, wie sich besonders in seinen Verteidigungsschriften für Spener, Petersen
und andere Dissidenten immer wieder zeigt. Mit ihnen kritisiert er, nicht
selten gar unter Berufung auf Luther und die Anfänge der Reformation, das
»Scholastische Unwesen«127 der konfessionalisierten Orthodoxien.128 Dabei
kontrastiert er nach bewährtem Muster die Frömmigkeit und vorbildli-
che Lebensführung der vermeintlichen Ketzer mit dem Sündenregister der
»Fleischlich gesinneten Geistlichen«,129 Letztere bezeichnet er daher auch als
»Baaliten«130 oder »Pharisäer«131. Umgekehrt kritisiert er am methodischen
Aristotelismus der protestantischen Schultheologie die ethisch-spirituelle
Folgenlosigkeit, im pointierten Gegensatz gerade zum mystischen Quietis-
mus und Chiliasmus:132

126
Einleitung zur Sittenlehre, S. 144. – Um die Erweiterung um den Pantheismus zu
rechtfertigen, greift Thomasius dieses eine Mal tatsächlich auf die bona consequentia zu-
rück. Aus der Gleichsetzung Gottes mit seinen Geschöpfen folge notwendig dessen Ver-
leugnung. Das ist insofern richtig gefolgert, als die Unterschiedenheit Gottes von seiner
Schöpfung die erste Prämisse im ontologischen Gottesbeweis darstellt und insofern als un-
verzichtbar für die theologische Metaphysik angesehen werden muss (ebd., S. 145): »Daß
ich die Leute von dieser letzten Classe unter die Atheisten rechne / geschiehet deshalben /
weil wir oben erwehnet / daß alle Philosophi durch Gott ein unterschiedenes Wesen von
denen Creaturen / die derselben erste Ursache sey / verstanden haben / und folglich der
jenige / der die Creaturen und GOtt für eines hält; oder GOtt einem höhern Fato unter-
wirfft / in der That GOtt läugnen muß.« – Auch Gundling wird sich dieser Sichtweise
anschließen (s. u.).
127
Monatsgespräche, 41. St. (Dezember 1689), S. 1087.
128
Ebd., S. 1086 f.: »Als Lutherus die Christenheit der Finsterniß des Pabsttums zu
den [!] Licht des Evangelii zubringen sich angelegen seyn liesse / war sein vornehmster
Zweck / daß er ihnen inculcirete / daß sie durch die euserlichen (und offt thörigten da-
mahls gebräuchlichen) Wercke nicht seelig werden könten sondern daß sie sich alleine des
wahren Glaubens / aber des lebendigen und durch die Liebe thätigen Glaubens befleißigen
müsten […].« – Darin weiß er sich übrigens mit Seckendorff einig: »Hierzu gehöret / was
der Herr von Seckendorff in seinem Christen-Staat weitläufftig über die Theologiam Scho-
lasticam klaget.« Ebd., 46. St. (Dezember 1689), S. 1131.
129
Ebd., 25. St. (Oktober 1689), S. 857.
130
Ebd., 41. St. (Dezember 1689), S. 1090 u. 1092
131
Ebd., S. 1102.
132
Ebd., 46. St., Dezember 1689, S. 1131: »Aber was für einen unsäglichen Schaden
leidet das Christenthum / wenn durch die Aristotelische zänckische Theologie die Leute
sich bereden / daß das Reich Gottes bestehen könne / wenn man frist und säufft / Rach-
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434 Atheismus und Frühaufklärung

Aber die meisten bilden sich ein / der Glaube bestehe in nichts / als speculativischen
Dingen / und könne mit der Herrschsucht / Geld Geitz / Zanck und Ubermuth gantz
wohl bestehen / wenn man nur euserlich seinen Catechismum herzusagen wisse / die
Sacramenta brauche / die Kirchen besuche / u.s.w. und wollen also / oder dörffen
nicht wissen / daß dieses ein toder Glaube in der Heiligen Schrifft heisse. Man fordert
ja wohl offt und viel ein gutes Leben von denen Christen / und vermahnet sie mit
Worten eyffrig dazu / es ist auch wahr. Aber es mangelt uns nicht allein leider! an
Exempeln / sondern es ist auch hiernechst zubejammern / daß man nicht einmal gute
Exempel dulden will / sondern dieselbige als höchstgefährliche schädliche Dinge aus-
zutilgen sucht / aus wahrer Gottesfurcht eine Scheinheiligkeit macht / und ein ruch-
loses / unchristliches Leben mit dem Mantel der Gottesfurcht zubedecken sucht.133

Dem Inhalt nach stimmen seine diesbezüglichen Ausführungen also eindeu-


tig zum definitorischen Profil des praktischen Atheismus. Anders als selbst
der von ihm geschätzte Seckendorff verzichtet Thomasius jedoch hier darauf,
die Kategorie des Atheismus practicus in Anschlag zu bringen.134 Er spricht
stattdessen von »unchristlichen Christen«,135 »Maul-Christen«136 oder, mit dem
gängigen Ausdruck, von »Heucheley«.137 Offenkundig ist ihm nach den eige-
nen Erfahrungen der Leipziger Zeit, aber wohl auch aus Gründen der fachli-
chen Orientierung, daran gelegen, den Bedeutungsumfang von ›Atheismus‹
auf die in Staats- und Naturrecht übliche, mit den Mitteln der ›gesunden Ver-
nunft‹ eruierbare Definition zurückzuschneiden.
Wie steht nun aber der Natur- und Staatsrechtslehrer Thomasius zu der Fra-
ge nach der Schädlichkeit des Atheismus, sei es für Individuum oder Gemein-
wesen? Wie verhält sich überdies in dieser Frage der junge Thomasius, der mit
dem Anspruch auftrat, eine »säkulare Moralwissenschaft« (B. Ludwig) zu be-
gründen, zum älteren Thomasius, den die resignative Einsicht in die mensch-
liche Unvernunft zu einer theonomen Ethikbegründung zurückführte?138 In-

gier / Ehr und Geldgeitz nebst andern Wercken des Fleisches ausübet / und nur aus Ge-
wohnheit in die Kirche gehet […].«
133
Ebd., 41. St. (Dezember 1689), S. 1088 f.
134
Einmal, in Fortführung der in der vorletzten Anmerkung zitierten Passage, wen-
det er allerdings den Vorwurf des Atheismus aus eben diesem Grund zurück auf die aristo-
telische Schultheologie: »Und warum schreibet man denn gar nicht wieder das Aristoteli-
sche Atheistische Christenthum? Aber wieder das Platonisch-Hermetische Christenthum
will man mit Feuer und Schwerdt dreinschlagen / da doch bey diesem der Irrthum mehr
in Verstande / bey jenen aber die Boßheit in Willen ist?« Ebd., 46. St. (Dezember 1689),
S. 1131 f.
135
Ebd., 41. St (Dezember 1689), S. 1089.
136
Monatsgespräche, 25. St. (Oktober 1689), S. 857 u. 860.
137
Ebd., S. 872.
138
Vgl. dazu das (unpaginierte) Vorwort von Werner Schneiders, in: Thomasius,
Außübung der Sittenlehre, ND der Ausgabe Halle 1696, Hildesheim 1968 (Schneiders
1968); ähnlich Lutterbeck 2002, der den »Zusammenbruch des Konzepts der säkularen
Wissenschaft« bereits in der Einleitung zur Sittenlehre angelegt sieht (S. 106 f.). – Über die
Bedeutung der Religion für Thomasius’ Naturrechtsentwurf herrscht in der Forschung
keine Einigkeit. Um den Nachweis eines säkularen Charakters von Thomasius’ Natur-
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Christian Thomasius 435

wiefern lassen sich schließlich seine erstaunlich fortschrittlichen Überlegungen


zur (Nicht-)Strafbarkeit der Ketzerei auf den Atheismus übertragen?

2.4 Heimliche Verbrechen?


Thomasius’ Stellung zur Frage nach dem tugendhaften Atheisten

Eine erste Antwort gibt Thomasius als Naturrechtler und Moralphilosoph, in


der schon erwähnten Einleitung zur Sittenlehre.139 Dort wird zwar, aus dem
»Licht der gesunden Vernunft«,140 als summum bonum die Glückseligkeit
(Kap. 1, §§ 136 f.), als deren näherer Inhalt die Gemütsruhe bestimmt (Kap. 2,
§§ 61–69),141 aber spätestens, wenn Thomasius Gott als ersten »Ursprung« der
Glückseligkeit angibt,142 stellt sich auch die Frage nach der – recht verstande-
nen – Religion. Die methodisch feine Differenzierung zwischen cultus internus
und cultus externus, zwischen natürlich erkannter und offenbarter Wahrheit143
sowie zwischen gesellschaftlichen und individuellen Wirkungen der Religion
macht es schwierig, aus Thomasius’ Argumentation eine bilanzierende Aus-
sage abzuleiten oder ihn gar offener Heterodoxie zu überführen. Provokant

rechtslehre bemüht sich in der neueren Forschung am entschiedensten Grunert 2000, S. 3 f.


et pass. – Offenbar steht und fällt das diesbezügliche Urteil mit der Einschätzung der na-
türlichen Religion: Versteht man sie als Gegenstand der philosophischen Metaphysik und
damit der Vernunft, lässt sie sich mit Grunert (S. 6) als säkulares Konzept verstehen, zumal
Thomasius die Offenbarung als Quelle für positive politische oder ethische Normen ent-
schieden zurückweist. Bedenkt man dagegen den Stellenwert, den die natürliche Religion
seit etwa 1600 in der Apologetik einnahm, zieht man darüber hinaus das christliche Selbst-
verständnis von Autoren wie Thomasius oder Wolff heran, kann diese Argumentation
nicht überzeugen. Vgl. auch Wieacker 21967, S. 265 f.; Link 1981, S. 857–861. – Ganz ge-
nerell gehört das Bemühen, die großen Naturrechtsdenker, insbesondere im Umfeld der
Aufklärung, als Vorläufer eines modernistisch-säkularen Bewusstseins zu reklamieren,
wohl eher in die großen geistesgeschichtlichen Entwürfe des 19. Jahrhunderts, die noch
vom Geist des politischen Liberalismus zehrten. Zu Diltheys Anteil an dieser Auffassung
des Naturrechts seit Grotius vgl. Lutterbeck 2002, S. 40 f.; Link 2009, S. 348 f.; zur For-
schungsdiskussion über die Säkularität des Naturrechts vgl. insgesamt die exzellente Pro-
blemskizze von Hüning 2002, S. 219–222.
139
Vgl. dazu die Bemerkungen von Gawlick 1989, S. 261 f.; knapper, aber breiter
kontextualisiert und daher angemessener im historischen Urteil: Pott 1992, S. 155 f.; Cze-
linski-Uesbeck bringt (S. 137) die entscheidenden Stellen aus der Einleitung zur Sittenleh-
re, geht aber über eine bloße Zitatmontage nicht hinaus.
140
Einleitung zur Sittenlehre, S. 119 u. ö.
141
Ebd., §§ 61–69.
142
So der Titel des dritten Hauptstücks (ebd., S. 115): »Von GOtt als dem Ursprung
aller menschlichen Glückseeligkeit / und was die natürliche Erkäntniß desselben zu der
grösten Glückseeligkeit contribuire«.
143
Grundsätzlich im dritten Hauptstück festgelegt (ebd., S. 119): »Laß uns aber
allhier ein wenig stille stehen / und zuförderst sehen / was uns das Licht der gesunden
Vernunfft ohne Beytrag göttlicher Offenbahrung von GOTT sage / damit wir nicht eines
Theils durch Vermischung unserer Vernunfft mit der heiligen Offenbahrung / von denen
grösten Geheimnissen auff eine unvernünfftiger [!] Weise etwas herplaudern […].«
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436 Atheismus und Frühaufklärung

sind seine Ausführungen hinsichtlich des äußeren Gottesdienstes allemal. Aus


der Vernunft allein, so folgert Thomasius, sei dessen Notwendigkeit nicht zu
beweisen, allerdings auch nicht zu widerlegen.144 Er gehöre daher unter die
»Mittel-Dinge«.145 Zwar sei es besser, »wenn man GOtt äusserliche Ehre be-
zeige«, als dies zu unterlassen,146 jedoch hänge der Vernunft zufolge weder die
individuelle »Gemüths-Ruhe« noch der »allgemeine Friede« davon ab.147
Das sozialpragmatische Argument, demzufolge der äußere Gottesdienst
die Menschen untereinander ihres Glaubens versichere und damit den inne-
ren Frieden stärke,148 pariert Thomasius mit dem Hinweis auf das Problem
der simulatio: Auch Atheisten und Abergläubische können sich der »Zeichen
des äußerlichen Gottesdienstes« bedienen.149 Damit ist zugleich auch dem an
dieser Stelle stets drohenden Machiavellismus ein Riegel vorgeschoben. Unter
Rückgriff auf die bei Conring ( I.3.4) und Clasen ( II.2.2) schon vorliegen-
de Argumentation weist Thomasius darauf hin, dass die gemeinnützige Wir-
kung des cultus externus, die er empirisch keineswegs in Abrede stellen will,
nicht mit dessen eigentlichem Zweck verwechselt werden dürfe.150 Als Zwi-
schenergebnis kann Thomasius deswegen – in deutlicher Anspielung auf die
Bayle-Debatte um den Atheistenstaat – festhalten, dass die »Glückseeligkeit
des gemeinen Wesens«, von der Warte der natürlichen Vernunft betrachtet,
nicht vom äußeren Gottesdienst abhänge.151
Um so mehr hängt sie dafür aus Thomasius’ Sicht vom cultus internus ab.
Angesichts seiner oben skizzierten Unterscheidung von ›Maul-Christentum‹
und wahrer Frömmigkeit kann das nicht überraschen. Die in der Einleitung
zur Sittenlehre getroffene Bestimmung des innerlichen Gottesdienstes schrei-
tet auf dieser Linie fort und lässt keinen Zweifel daran, dass hier der Weg in

144
Ebd., S. 136. – Die Vernunft, fügt Thomasius klugerweise hinzu, behaupte aber
auch nicht das Gegenteil, nämlich dass man Gott nicht mit »äußerlichen Ceremonien«
ehren solle (ebd., S. 137).
145
Ebd., S. 139.
146
Ebd.
147
Ebd., S. 138.
148
Ebd., S. 142: »Dieses begreifft die Vernunfft gar wohl / daß der Nutzen des ge-
meinen Wesens durch den äusserlichen Gottesdienst befördert werde / wenn ein Bürger
den andern durch diese äusserliche Zeichen seine innerliche Gottesfurcht als den Grund
aller bürgerlichen Pflicht / zu verstehen giebt […].«
149
Ebd., S. 140.
150
Ebd., S. 142: »Denn was die allgemeine Glückseeligkeit des gemeinen Wesens be-
trifft / mustu dich wohl in acht nehmen / daß du den zufälligen Zweck des äusserlichen
Gottesdienstes nicht für den hauptsächlichsten und vornehmsten hältest.« – Der Haupt-
zweck wird wenig später unmissverständlich bestimmt (ebd., S. 143): »Und was braucht es
dißfalls viel Disputirens? Gestehet doch jederman / daß des Menschen seine ewige Glück-
seeligkeit das wahre Absehen des Gottesdienstes sey.«
151
Ebd., S. 141: »Aber / fährestu fort / wie wil die Glückseeligkeit des gemeinen
Wesens bestehen / in dem keine Bürgerliche Gesellschafft ist / darinnen man nicht einen
äusserlichen Gottesdienst beobachten solte / und so gar auch die Heydnischen Scribenten
selbst […] denselben als eine Schuldigkeit des Menschen anzuführen pflegen.«
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Christian Thomasius 437

Richtung theologische Aufklärung eingeschlagen ist: Als Kennzeichen des


›innerlichen‹ Gottesdienstes gilt für Thomasius, »wenn der Mensch in sei-
nen Gedancken Gott vertrauet / ihn liebet / fürchtet und sein Thun und las-
sen nach der Erkäntniß seines Willens / die er natürlicher Weise davon hat
einrichtet«.152 Von Anfang an ist also das moralisch-praktische Element in das
Glaubensverständnis – auch hier noch: nach Maßgabe des lumen naturale –
implementiert.153 Im Rahmen einer Sittenlehre stellt sich allerdings viel eher die
umgekehrte Frage, der sich Thomasius im Weiteren dann auch zuwendet: Was
nämlich die vernunftmäßige Gotteserkenntnis, einschließlich der göttlichen
Providenz, »in der Morale für einen Nutzen habe«. Unmittelbar verknüpft
ist damit die Problemstellung, die für uns von primärem Interesse ist, nämlich
»was die Atheisterey oder Abgötterey darinnen schade«.154
Unglaube – gemäß der bereits oben zitierten Definition – und Aberglaube
(»Abgötterey«) bilden für Thomasius, nach einem seit der Antike geläufigen
Deutungsschema, die zwei extremen Abweichungen von der als vernünftig
erkannten natürlichen Religion.155 Beide haben, aus Sicht der rationalen Theo-
logie, die Vernunft gegen sich: Der Atheismus, weil er seine Behauptung der
Nichtexistenz Gottes nicht beweisen könne und sich daher – entgegen dem
selbst angemaßten Vernunftanspruch – als ›Thorheit‹ qualifiziere;156 der Aber-
glaube, weil er »wider das Licht der gesunden Vernunfft dasjenige für GOtt
ausgiebet / das unmöglich GOTT seyn kan«.157 Zudem verfehlen sie laut Tho-
masius beide das Doppelziel jeder Sittenlehre, nämlich Glückseligkeit und, in
letzter Konsequenz, auch moralisches Handeln.
Was den Atheisten angeht, um den es uns hier vorrangig zu tun ist, so erlaubt
sich Thomasius eine Abweichung von der durch das 17. Jahrhundert gängi-
gen Argumentation und reagiert damit möglicherweise auch auf die baylesche
Herausforderung. Anstatt dem Atheisten, gegen jede Empirie, die Fähigkeit

152
Ebd., S. 135.
153
In diesem Sinn auch die direkte Gegenüberstellung von innerem und äußeren
Gottesdienst (ebd., S. 134).
154
Ebd., S. 147.
155
Vgl. dazu die glänzenden Ausführungen von Pott 1992, S. 33–38 (zu Plutarch)
und 153–191 (Frühaufklärung); ferner Gawlick 1989, S. 261 f.; für das 17. Jahrhundert
etwa exemplarisch Vossius, De theologia gentili, S. 16: »Ab religione hac vera rectaque bi-
fariam receditur: vel defectu, qui est divini numinis contemtus: vel excessu ejus, qui est Dei
cultus superfluo quopiam vitiatus. Prior dicitur ἀθεότης, & aliquibus irreligiositas: posteri-
or vocatur δεισιδαιμονία, Latinis superstitio, a superstando […].«
156
Thomasius, Einleitung zur Sittenlehre, S. 145: »Gleichwie aber die Atheisterey
nicht den geringsten nur wahrscheinlichen Grund aufführen kan / durch den sie diesen
Haupt-Irrthum vertheydigen könnte; also haben wir sie nicht anders als eine der grösten
und elendesten Thorheiten zu betrachten / zumahl wenn wir erwegen / daß mehrentheils
die sonst klügsten Leute darein verfallen / weil sie ihre Vernunfft gar zu hoch spannen
wollen / und über der allzugenauen Ausgrübelung äußerlicher Dinge der Erkäntniß ihrer
selbst / und folglich auch hernach ihres Schöpffers vergessen.«
157
Ebd., S. 145.
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438 Atheismus und Frühaufklärung

zum moralischen Handeln prinzipiell abzusprechen, unterstellt er ihm auf der


Grundlage der von ihm entwickelten Liebesethik158 unzureichende Beweg-
gründe. Denn selbst wenn sich ein Atheist der Sache nach wie ein tugendhafter
Mann verhalte, handele er dabei doch nicht aus Liebe zum Nächsten, sondern
aus Selbstliebe.159 Nicht das gottgefällige Streben nach der allein glücklich ma-
chenden Gemütsruhe treibe ihn an,160 sondern die rationale Einsicht, dass ihm
das gegenteilige Verhalten nicht nütze, sondern schade. Eben deswegen aber,
so Thomasius weiter, hätten für den Atheisten moralische Maßstäbe da keine
Gültigkeit, wo sein Handeln keiner menschlichen Aufsicht mehr unterliege. In
diesem Fall richte er sein Handeln allein am eigenen Vorteil aus, auch wenn er
damit anderen Menschen Schaden zufüge:

Bey dieser Bewandniß aber thut er zwar mehrentheils alles dasjenige / was ein tugend-
haffter Mann / der die gröste Glückseeligkeit suchet / oder besitzet / zuthun pfleget;
aber weil er dieses alles nicht aus Liebe zu andern Menschen / sondern zu sich selbst
thut / indem ihm seine Vernunfft weiset / daß er sich selbst durch ein unvernünfftiges
Leben unglücklich machen würde; Als macht er sich kein Gewissen / heimlich andern
Leuten zu schaden / und wider die allgemeinen natürlichen Grund-Regeln anzustos-
sen / entweder seine äusserliche Macht und Ansehen dadurch zubefördern / oder sich
die täglich fürfallenden Verdrießligkeiten von Hals zuschaffen.161

Auf diese Weise werde nicht nur das sittliche Handeln im engeren Sinne ver-
hindert, sondern auch das Ziel der Gemütsruhe, das der von Thomasius ge-
zeichnete ideale Gegenentwurf, ein »wahrer Philosophus«,162 stets im Blick
behalte. An dieser Stelle mündet seine Argumentation wieder deutlich in die
apologetische Tradition ein. Denn dass – trotz Unterdrückung der Gottes-
furcht – Unruhe oder gar Angst den seelischen Zustand des Gottesleugners
ausmachen,163 wie bereits Bucer, Calvin und Mersenne betont hatten, war ge-
gen Ende des 17. Jahrhunderts gerade bei Vertretern der Frömmigkeitsbewe-
gungen wieder in Erinnerung gerufen worden, wo es sich in die Rezeption der

158
Dazu ausführlich, mitsamt der geistesgeschichtlichen Grundlagen, Schneiders
1971; weiterführend: Vollhardt 2001, S. 170–196.
159
Vgl. auch Czelinski-Uesbeck 2007, S. 137.
160
Thomasius, Einleitung zur Sittenlehre, S. 149: »Derowegen weil er GOtt als den
Ursprung alles Guten nicht betrachtet / so sucht er auch sein höchstes Gut nicht in einer /
aus einer vernünfftigen Liebe anderer Menschen herrührenden und dieselbe wider wir-
ckenden Gemüths-Ruhe / sondern seine unzeitige Weißheit treibet seine Vernunfft dahin /
daß er sich beynahe selbst für einen Gott achtet / weil er befindet / daß er edler sey als die
andern Geschöpffe die um ihn sind / und ehret / liebet / vertrauet und fürchtet niemand
als sich selbsten.«
161
Ebd., S. 149 f.
162
Ebd., S. 147.
163
Plutarch bescheinigt in seinem Vergleich von Aberglauben und Atheismus (De
superstitione) noch dem letzteren den Zustand der ἀπάϑεια; vgl. Pott 1992, S. 36.
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Christian Thomasius 439

quietistischen Mystik aus Spanien und Frankreich einfügte.164 Im engeren Rah-


men der Apologetik stand dahinter, wie oben eingehender ausgeführt worden
ist ( I.4), die Lehre von der natürlichen Gotteserkenntnis, die sich zwar tem-
porär unterdrücken, aber nie ganz aus dem Gewissen tilgen lasse. Eben diese
Argumentation, die sich aufgrund ihrer Anleihen bei der theologia naturalis
gut für die Rezeption innerhalb der Aufklärung eignete, ist bei Thomasius un-
schwer wiederzuerkennen:

Hierdurch verfehlet er aber gantz offenbahr der Gemüths-Ruhe / wiewohl er sie su-
chet / theils weil die von ihm muthwillig untergedruckte Erkäntniß GOttes zuwei-
len rege wird und ihm angst machet / theils weil die heimlich begangenen Boßheiten
ihm viel Sorge machen / wie sie ferner heimlich bleiben mögen / und mehr und mehr
andere Boßheiten nach sich ziehen / woraus hernach zugeschehen pfleget / daß ein
Atheiste / ob er schon viel von seiner Freyheit pralet / zuletzt eben so wohl ein Sclave
anderer Menschen wird als ein abergläubischer Mensch.165

Diese deutlichen Traditionsbezüge, die auch bei Thomasius, möglicherweise


überraschend, wieder in das bekannte Ergebnis einmünden, können nicht da-
rüber hinwegtäuschen, dass er an mehreren Stellen neue argumentative Ak-
zente setzt. Konnte schon das Urteil über die Entbehrlichkeit des äußeren
Gottesdienstes (freilich nur aus Sicht der Vernunft) als Provokation aufgefasst
werden,166 so bewegte sich das Zugeständnis, Atheisten könnten sich zumin-
dest äußerlich und vor Zeugen durchaus moralkonform verhalten, gefährlich
nah auf die Argumentation Bayles zu.167 Das gilt sogar noch mehr für die ver-

164
Neben Seckendorff (s. o., Kap. IV.3) z. B. Undereyck, Der närrische Atheist, S. 38;
zu ihm vgl. weiter oben, Kap. II.2.5.
165
Einleitung zur Sittenlehre, S. 150.
166
Seine entsprechenden Ausführungen in den Institutiones jurisprudentiae divinae
von 1688 hatten bereits für heftige Reaktionen gesorgt, derer Thomasius im Kommentar
zu Pufendorfs Schrift De habitu religionis ad vitam civilem gedenkt, nicht ohne erneut
auf die methodische Schwäche des denunziatorischen Verfahrens hinzuweisen: »Als ich
dieses in meiner Jurisprudentia divina setzete, so entstund deßhalben ein grosser Lerm
[…]. Endlich funde sich auch Placcius, welcher meinete, es wären Atheistische Principia;
er hatte aber meine Principia umgekehret.« Thomasius, Vollständige Erläuterung der Kir-
chen-Rechts-Gelahrtheit, Bd. 1, Frankfurt/Leipzig 1738, S. 16. – Für Thomasius bleibt es
daher bei der Schlussfolgerung: »Daß der Cultus externus weder ex lumine Rationis, noch
Revelationis bewiesen werden könne.« Ebd., S. 17.
167
So etwa auch in der Einleitung zur Sittenlehre, S. 151: »So ist demnach ein Aber-
gläubischer und Abgöttischer weit mehr als ein Atheiste / weil er in der That öffentlich
lebet / als ob kein GOTT wäre / und seiner Boßheit keine Scheu hat / da doch ein Athe-
iste / der in seiner Speculation über die Schnur gehauen / nicht alleine mit seinen äusserli-
chen Thun und Wandel vernünfftig lebet / sondern auch zum öfftern äusserlich von GOtt
vernünfftig raisoniret / wiewohl er doch nicht mehr als ein Heuchler ist. – Eine positive
Bezugnahme auf Bayle erfolgt erst in den kurz vor 1700 entstandenen, zu Lebzeiten aber
unveröffentlichten Anmerkungen zu Pufendorfs De habitu religionis ad vitam civilem
(dazu mehr unten), öffentlich erstmals in der Dissertatio de vera pietate juridica von 1701;
vgl. dazu Pott 1992, S. 153 f., 156 f. – Zum Verhältnis von Thomasius und Bayle, allerdings
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440 Atheismus und Frühaufklärung

gleichende Beurteilung von Atheismus und Aberglauben hinsichtlich ihrer


gesellschaftlichen Schädlichkeit.168 Genau wie Bayle erklärt Thomasius – im
Anschluss an den eben rekonstruierten Gedankengang – den Aberglauben für
schädlicher, nicht nur weil er »viel unvernünfftiger« sei und daher den Lei-
denschaften Tür und Tor öffne,169 sondern vor allem, weil er weitaus größere
Verbreitung finde. Eben darin sieht Thomasius auch den Grund, warum es
deutlich mehr Schriften gegen den Atheismus als gegen den Aberglauben gebe,
obgleich die tatsächlichen Mengenverhältnisse umgekehrt seien:

Gleichwie aber diese Gegeneinanderhaltung eines Atheisten und eines Abergläubi-


gen schon von andern gelehrt und scharffsinnig ausgeführet worden; als darffstu dich
nicht daran stossen / daß man insgemein so sehr wieder die Atheisterey / gar selten
aber wieder den abgöttischen und unvernünfftigen Aberglauben streitet und schreyet.
Fast die gantze Welt steckt in diesen letztern biß über die Ohren / und bemühet sich
dannenhero denselben als eine wahrhafftige Gottesfurcht den armen Unwissenden
vorzumahlen.170

2.5 Nicht strafbar, aber gefährlich


Der Atheist als Staatsbürger

Grundsätzlich hat Thomasius auch in seinen späteren Schriften zum Natur-


recht und zum Staatskirchenrecht an dieser Sichtweise festgehalten und sie
argumentativ noch weiter ausgebaut. In seinen kurz vor 1700 entstandenen,171
aber erst postum gedruckten Anmerkungen zu Pufendorfs Schrift De habitu
religionis ad vitam civilem (1687) kommt es in diesem Zusammenhang sogar
zum expliziten Schulterschluss mit Bayle,172 obschon Thomasius inzwischen

mehr unter dem Gesichtspunkt der historisch-eklektischen Methodik, vgl. Jaumann 1994.
Eine umfassende Studie wäre dringend zu wünschen.
168
Zur Argumentation vgl. detailliert, späteren Forschungen überlegen, Pott 1992,
S. 253–264; ebd., S. 127–140 auch zur Dissertatio politica de habitu superstitionis ad vitam
civilem (1708) des Thomasius-Schülers Christoph Heinrich Amthor. Sie steht in thema-
tischer Korrespondenz zu den weiter unten in Kap. V.6.1 ausgewerteten Dissertationen
über die Frage nach der Gefährlichkeit des Atheismus für den Staat. Zu Amthors Disser-
tation vgl. erneut vorzüglich Pott 1992, S. 127–140.
169
Insofern entspricht auch Thomasius’ Darstellung des abergläubischen Menschen
paradoxerweise weit mehr als diejenige des Ungläubigen dem traditionellen Bild des Athe-
isten. Die Analogien reichen bis in wohlbekannte Details; vgl. etwa Einleitung zur Sitten-
lehre, S. 150 f.
170
Ebd., S. 151 f.
171
Darauf deutet der Hinweis auf Bayles Kometenschrift von 1682 mit der Angabe,
dass er sie »schon vor 15 Jahren ausgeführet hat«. Thomasius, Vollständige Erläuterung
der Kirchen-Rechts-Gelahrtheit (Anm. 166), S. 59.
172
Ebd.: »Ich praesupponire aber, was Mons. Baile in seinen Pensees sur la Comete
schon vor 15 Jahren ausgeführet hat, und wohl zu recommandiren ist, allwo er discouriret,
ob ein Atheiste, oder ein Superstitiosus der Republik schädlicher sey? und zwar in Anse-
hung laesae Majestatis divinae, und meinet, daß ein Superstitiosus der schädlichste sey.«
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Christian Thomasius 441

einräumen muss, dass die Zahl der Atheisten »täglich« zunehme.173 Gleichzei-
tig distanziert er sich nun auch von seiner eigenen früheren Einschätzung, dass
Atheisten aus juristischer Sicht bestraft werden könnten.174 In Auseinanderset-
zung mit entsprechenden Überlegungen Pufendorfs175 weist er die »Commu-
nis opinio I[uris]C[onsul]torum« zurück, »daß ein Atheiste capitaliter gestra-
fet werden müßte, weil er fähig wäre, die grössesten Scelera zu begehen«.176 Die
Begründung ergibt sich einmal mehr aus dem alles andere als optimistischen
Menschenbild, das Thomasius im zweiten Teil seiner Sittenlehre (1696) bereits
zur Preisgabe einer autonom-säkularen Ethik bewegt hatte: »Solches gehet
nicht an, indem ein ieder Mensch zum Bösen incliniret, & Homo est Homini
Lupus, Angelus &c. ein Mensch ist capabel abstrahendo a gratia divina Böses
und Gutes zu thun, und kan ein Instrument des Teufels und GOttes seyn,

173
Ebd.: »Jedoch ist nicht zu leugnen, daß viele Leute auf diese böse Meinung fallen,
als wann kein GOtt sey, und zwar ist einer von den wahrhaften Atheisten Spinoza, und
dessen Asseclae gewesen, derer Zahl sich täglich mehret, welche die Providentiam DEI
leugnen.«
174
Ebd., S. 57: »Was nun aber die Strafe derjenigen anlanget, welche Religioni natu-
rali contraria Sententias hegen, so habe ich sonst die Meinung defendiret, daß ein solcher
Ketzer nicht könne gestrafet werden, aber wohl ein Atheiste, der entweder keinen GOtt
glaubet oder an dessen Providentia zweifelt, wann er einen GOtt glaubet.« – Gemeint sind
wohl die frühen Institutiones jurisprudentiae divinae von 1688. – Ähnlich auch Thomasi-
us, Erläuterung, S. 349, wo er seine frühere Meinung widerruft, »daß nichts der Republik
schädlicher seyn könne, als der Atheismus; nunmehr erkenne ich aber, daß solches falsch
sey«. – Auf diese Stelle weist zu Recht auch Gawlick 1989, S. 269, interpretiert sie aber
so, als ob Thomasius die gesellschaftsschädliche Wirkung des Atheismus damit gänzlich
bestreiten würde. In Wirklichkeit weist Thomasius dort (ebd., S. 349 f.) auf die durchaus
staatsgefährdende Lehre vom Königsmord hin, die er begreiflicherweise als schädlicher für
das Gemeinwesen einstuft; s. dazu auch weiter unten.
175
Der Text Pufendorfs wird von Thomasius, mit deutscher Übersetzung, kapitel-
weise abgedruckt und kommentiert. Pufendorf erklärt es zur Aufgabe des Fürsten, für die
Durchsetzung der natürlichen Religion (gemeint war: eine der drei christlichen Konfessi-
onen) und die Einhaltung des äußeren Gottesdienstes zu sorgen und Unterlassungen zu
bestrafen, da die Ehrfurcht vor Gott den »Grund der Redlichkeit und Tugenden gegen
andere« bilde (Thomasius, Erläuterung, S. 49). Auch an dieser Stelle rekurriert Pufendorf
auf die oben (Kap. I.3.5) ausführlich behandelte Formel vom vinculum societatis: »Die Re-
ligion befestiget das Band der Fürsten und Unterthanen, weil GOtt wahrhaftig ist, nem-
lich, er will, daß Treu und Glauben unter denen Menschen sey. Also muß ein Fürst nicht
nur dahin sehen, daß die Unterthanen der natürlichen Religion nachhangen; sondern auch
bey Strafe verbieten, daß sie nicht gäntzlich, oder ihre Haupstücke über den Haufen ge-
worfen werden.« Ebd. – Was von heute aus gesehen rabiat wirkt, verfolgt in Wirklichkeit
den Zweck, den cultus internus der staatlichen Gewaltausübung zu entziehen, also den
Gewissenszwang zu verhindern: »Denn die innerlichen Handlungen, in so weit sie nicht
in äusserliche ausbrechen, sind frey von menschlicher Strafe, und die Handlungen, so in
innerlicher Gemüthsbewegung durch den inneren Trieb seyn, leiden keinen äusserlichen
Zwang.« Ebd. – Zu Pufendorfs Haltung gegenüber dem Atheismus vgl. oben, Kap. I.3.5,
dort auch Hinweise zur Forschung.
176
Ebd., S. 58.
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442 Atheismus und Frühaufklärung

darnach er sich regieren lässt.«177 Mit dieser Überlegung wird anthropologisch


untermauert, was für Thomasius formaljuristisch ohnehin schon feststeht:
Nur wirklich begangene böse Taten können bestraft werden, nicht aber die
Veranlagung dazu.178
Vom gleichen anthropologisch-affekttheoretischen Standpunkt aus – genau-
er: mithilfe der von ihm geschätzten Temperamentenlehre179 – relativiert Tho-
masius im Weiteren auch seine eigene Argumentation aus der Einleitung zur
Sittenlehre. Im Hintergrund dürfte die Diskussion über die Biografie Spinozas
stehen, dessen tadelloser Lebenswandel das bekannte apologetische Psycho-
gramm des gemeinen Atheisten nachdrücklich infrage stellte.180 Dementspre-
chend ordnet Thomasius die ›Athei‹, als eher kontemplative Gemüter, dem
Typus des Melancholikers zu: »Die Athei sind insgemein Melancholici, und ha-
ben etwas Wollust, welches aber sehr rar ist; Sie sind ernsthaft, stille, daß ihnen
also niemand wegen ihres äusserlichen Wandels was Böses nachreden kan.«181
Damit wird die auch hier wieder vorgebrachte Behauptung aus der Sittenlehre,
Atheisten würden zwar nicht offen sichtbar, dafür aber heimlich Rechtsverstöße
begehen,182 vorsichtig eingeschränkt. Der Hinweis auf den geringen Anteil der
Wollust im Charakterprofil des Ungläubigen – offensichtlich ebenfalls gegen
den apologetischen Stereotyp gerichtet – greift ineinander mit einer strafrechtli-
chen Güterabwägung, wenn Thomasius als »das ärgeste« unter den heimlichen
Verbrechen den Ehebruch bezeichnet. Gerade dieser aber werde in den meisten
Fällen aufgedeckt.183 Es bleibt dem Leser überlassen, den Syllogismus zu Ende
zu führen: Wenn das schlimmste heimliche Delikt der Ehebruch ist, der Atheist

177
Ebd.
178
Ebd., S. 58 f.: »Es ist aber schon gezeiget worden, daß diejenigen, welche Essen-
tiam divinam, vel ejus Cultum, vel Providentiam leugnen, zwar zu aller Bosheit capabel
sind; Alleine der Fürst muß in Jure puniendi nicht auf iemandes Capacität sehen, sondern
auf die That selbst. Alle Menschen sind, so ferne man den Menschen nach seiner Natur
betrachtet, vel ad Superstitionem, vel ad Atheismum geneigt, und solches ist ein Exceß
unserer Affecten, der Exceß lädiret aber Rempublicam nicht.«
179
Vgl. dazu Vollhardt 2001, S. 170 f., 181 f., 229–234.
180
Vgl. Czelinski-Uesbeck 2007, S. 72–99.
181
Thomasius, Erläuterung, S. 59. – Die gleiche Herleitung von Atheismus und
Aberglaube mittels der Charakterkunde, nun aber wieder mehr sündentheologisch gefasst,
noch 1709 in den Grundlehren des Natur- und Völkerrechts, S. 69 f. (§§ 61–64). Ähnlich
hatte bereits Bayle argumentiert, z. B. Pensées diverses, §§ 145 u. 176.
182
Thomasius, Erläuterung, S. 59: »Wie wohl solche Leute mit ihrem stillen Leben
dem gemeinen Wesen nicht schaden, und weil sie furchtsam sind, so enthalten sie sich
zwar äusserlich derer Laster, alleine wann sie Gelegenheit bekommen, so hangen sie de-
nenselben heimlich nach: dann ein Furchtsamer siehet allezeit dahin, daß seine Delicta
nicht bekannt werden.«
183
Ebd., S. 59 f.: »Unter denen verborgenen Delictis ist aber nun das ärgeste Adulte-
rium, und wann dißfalls schlaue Leute zusammenkommen, so heisset es: Sage du nichts,
ich will auch nichts sagen. Alleine es ist nichts so klein gesponnen, es kommt endlich an
die Sonnen, die Gemüther ändern sich eines ist liederlich, wird kühne, und saget es heraus,
oder es werden Briefe verloren, und also bleibet ein Delictum niemals unverrathen, es kan
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Christian Thomasius 443

aber wenig zur Wollust disponiert ist, dann wird sich der auf diese Weise ent-
stehende Schaden in Grenzen halten, zumal die wenigen vorkommenden Fälle
sehr wahrscheinlich aufgeklärt würden. Gemessen schließlich an den heimlichen
Verbrechen, zu denen sich der Abergläubische bereit finde – als Beispiel nennt
Thomasius die jesuitische Rechtfertigung des Königsmordes184 – erscheint die
gesellschaftliche Gefahr, die von Atheisten ausgehe, überschaubar.
Ist damit auch der Auffassung von der strafrechtlichen Belangbarkeit des
Atheismus – und zwar gegen die großen Naturrechtslehrer Grotius, Hobbes
und Pufendorf!185 – eine klare Absage erteilt, geht Thomasius doch anderer-
seits nicht so weit, dessen Verbreitung für politisch unbedenklich zu erklä-
ren. Vielmehr lässt sich in einigen Schriften nach 1700 eine Präzisierung und
Einschränkung der eben skizzierten Überlegungen (die ja übrigens zu Leb-
zeiten unveröffentlicht blieben) beobachten. In einer 1707 zuerst auf Latein,
1714 dann auf Deutsch publizierten Dissertation über die Besoldung von
Kirchenbediensteten hat Thomasius die Gedanken aus dem Pufendorfkom-
mentar weitergeführt und in einem entscheidenden Punkt korrigiert: Nicht
nur stellt er nun die Bedeutung der Religion, einschließlich des äußerlichen
Gottesdienstes, für das Gemeinwesen stärker und durchaus dramatischer he-
raus als in den Schriften der 90er-Jahre,186 er trifft auch die hinsichtlich der
Temperamentenlehre wichtige Unterscheidung zwischen atheistischen Den-
kern wie Spinoza einerseits und deren möglichen Anhängern oder Nach-
ahmern andererseits. Damit ändert sich auch die politische Einschätzung.
Wenn nämlich das atheistische Gedankengut mit einer andersartigen Affekt-
struktur zusammentreffe, könne die so ermöglichte Zunahme heimlicher
Straftaten tatsächlich gesellschaftsschädliche Ausmaße annehmen. Insofern
wäre zwar der einzelne Atheist nicht gefährlich für das Gemeinwesen, der
Atheismus aber schon. Nicht zufällig kehrt in diesem Zusammenhang auch

auch iemand leicht per Imaginationes dahin gebracht werden, daß er seine Delicta selbst
bekennet.«
184
Ebd., S. 60: »Wenn nun ein Atheus geschickt ist, clam die grössesten Delicta zu
begehen, so ist auch der Superstitiöse eben so wohl geschickt dazu. Dann was ist wohl ein
grösser Delictum oder Crimen, als wann man seinen Landesherrn oder König öffentlich
ermordet, und sich deßwegen für glücklich schätzet? wie dergleichen Exempel in Enge-
land, Franckreich, ja an denen Kaysern selbst von deren Discipulis derer Jesuiten practici-
ret worden sind.«
185
Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. I.3.5.
186
Thomasius, Von der Pflicht eines Evangelischen Fürsten, die Besoldung und Eh-
ren-Stellen der Kirchen-Diener zu vermehren, in: Auserlesene deutsche Schriften, Zweiter
Teil, Hildesheim u. a. 1994 (Ausgewählte Werke, Bd. 24), S. 353–435, hier S. 393 f.: »Ob
gleich die Religion nicht vornehmlich auff die zeitliche Wohlfahrt / sondern auff die ewi-
ge ihr Absehen richtet / so hat doch so wohl der innerliche als äuserliche Gottesdienst
eine solche Verhältniß gegen das gemeine Wesen / daß ohne dessen Einschärffung und
Ausübung nothwendig alle Städte und Republiquen in stetswährender Unruhe schweben
müssen. Und wenn selbige gleich nicht so fort für jederman offenbahr ist / so glimmet sie
doch wenigstens / und thut sich immer weiter hervor / oder rauchet gleichsam / biß sie
bey erster Gelegenheit in eine offenbahre Flamme ausbricht.«
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444 Atheismus und Frühaufklärung

die alte Unterscheidung zwischen theoretischen (»speculativischen«) und


praktischen Atheisten zurück:

Denn ob zwar die wenigsten unter denen speculativischen Atheisten (als wie etwa Spi-
nosa) wegen ihres natürlichen Temperaments, und wegen der tieffsinnigen Betrach-
tungen / denen sie ergeben sind / und die keinen Lermen leiden können / mehr zur
Ruhe als Unruhe geniegt sind / so haben doch die meisten Menschen durch Antrieb
ihrer Affecten eine solche Neigung den gemeinen Frieden zu stöhren / daß sie nicht
können zurückgehalten werden / durch äuserliches Thuns andern zu schaden / als
nur durch zwey Mittel / durch menschliche Straffen […] und durch die Furcht vor
GOtt oder den Göttlichen Straffen / wenn nemlich die Thaten heimlich und unbe-
kant sind. Wenn dieses letztere nicht wäre / so würden die menschlichen Straffen al-
lein nicht zulänglich seyn / das Unternehmen der unruhigen Köpfe zu hindern / weil
auch unendliche Gelegenheiten sind / andern heimlich zu schaden / und die List und
Verschlagenheit des menschlichen Kopffes so groß ist / daß er tausend Arten etwas
heimlich zu begehen ausdenckt / oder zum wenigsten aus allzugrosser Begierde / daß
es heimlich bleiben soll / solches hoffet / und es sich selbst beredet.187

Hier deutet sich eine Differenzierung an, wie sie das 18. Jahrhundert hindurch
den Umgang mit dem Atheismus, wie auch mit sonstigem Gedankengut der
radikalen Aufklärung, begleiten wird: Auch wenn man dessen Gefährlichkeit
unter Gelehrten zunehmend geringer veranschlagt, wird doch von der öffent-
lichen Verbreitung vielfach abgeraten. Dem Gelehrten wird die Kompetenz
zugetraut, den Thesen der radikalen Religionskritik historisch wie methodisch
gesicherte Beweise entgegenstellen zu können. Er könne sich ihnen daher aus-
setzen, ohne Gefahr zu laufen, daran irre zu werden, insofern aber auch die
fruchtbaren Impulse, die man selbst Hobbes oder Bayle durchaus zusprach,
für sich nutzen. Solange jedoch diese Kompetenz einer schmalen Elite vor-
behalten bleibt, sollte das gefährliche Wissen dem übrigen Teil der Bevölke-
rung besser vorenthalten werden. Darauf wird im Weiteren, etwa am Beispiel
Wolffs oder Gottscheds, noch zurückzukommen sein.
Für Thomasius blieb diese Richtung auch weiterhin bestimmend. Das zeigt
sich nicht nur an entsprechenden Empfehlungen für Regenten, ihren Unterta-
nen den Verzicht auf jegliche Religion zu verwehren,188 sondern auch an dem
weiter oben schon skizzierten unnachgiebigen Auftreten gegenüber dem für

187
Ebd., S. 394. – Die Unterscheidung zwischen ›spekulativischem‹ und praktischem
Atheismus (»würckliche und thätliche Atheisterey / wie wir dieselbe nennen«) ist voll aus-
geführt wenig später, ebd., S. 398.
188
So noch 1717 in den Anmerkungen zu D. Melchior von Osse Testament Gegen
Hertzog Augusto, S. 537, Anm. 268: »Ob nun wohl einem Regenten nicht zu rathen / daß
er einem jeden Unterthanen seine Religion frey lasset zumahl wenn es Leute seyn / die gar
keine Religion haben / oder die die Religion vor eine menschliche Erfindung halten / […]
so ist doch wohl kein Zweiffel / daß so wohl nach vernünfftigen als göttlichen geoffenbar-
ten Lehren und Ursachen, kein besseres Mittel sey unter Leuten die von einer Haupt Re-
ligion sind, i.e. die die heilige Schrifft altes und neuen Bundes zum Grunde ihres Glaubens
legen / eine Christliche Einigkeit zu erhalten / als wenn kein Theil dem andern gewisse
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Nicolaus Hieronymus Gundling 445

»seine gantz offenbare Atheisterey« (Thomasius)189 beschuldigten Theodor


Ludwig Lau, ja selbst noch im 1720 publizierten Rückblick auf dessen ver-
gebliches Gesuch an die Juristische Fakultät Halle.190 Auch wenn man Tho-
masius angesichts zahlreicher Äußerungen zu Toleranz und Denkfreiheit und
aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit Denunziationsversuchen eine mo-
deratere Haltung zutrauen könnte, sollte nicht übersehen werden, dass er sich
in dieser Frage öffentlich weiter vorwagte als alle anderen deutschen Gelehr-
ten zu dieser Zeit. Tatsächlich sollte die von Thomasius vertretene Liberalität
und Differenziertheit für Jahrzehnte nicht wieder erreicht werden. Das dürfte
zum einen mit dem Erstarken des Pietismus franckescher Prägung im preußi-
schen Staat zu tun haben, dessen Einfluss bekanntlich sogar Christian Wolff
vorübergehend weichen musste; zum anderen aber, so paradox das klingt, mit
der gerade durch Thomasius angestoßenen Wendung der Philosophie zu Exo-
terik und Breitenwirkung, wie sie sich in den deutschen Schriften Christian
Wolffs und mustergültig in den seit 1714 in Großbritannien, ab 1721 auch in
Deutschland erscheinenden Moralischen Wochenschriften zu Wort meldete.
Ohne Zweifel trug die damit intendierte und auch tatsächlich erreichte Erwei-
terung des Adressatenkreises vom Gelehrten zum ›Gebildeten‹, die zugleich
den Übergang zwischen Früh- und Hochaufklärung markiert, zur Entradika-
lisierung des öffentlichen Diskurses bei.

3. Hobbes liberatus – Plato ἄθεος


Nicolaus Hieronymus Gundling und die Eklektik
zwischen den Fronten

3.1 Überblick
Zwischen Rettungen und neuer Inquisition

Gundling nimmt in dieser Diskursgeschichte eine besondere Stellung ein, weil


mit ihm ein bedeutender Vertreter der Hallenser Frühaufklärung noch einmal
unerwartet zur alten Entlarvungshermeneutik zurückkehrt. Wie sein Lehrer

Glaubens-Concepte und Formuln aufdringet / sondern dißfals ein ander neben sich dul-
det / und allem bürgerliche Freundschafft und Dienste erweiset […].«
189
Thomasius, Elender Zustand (Anm. 105), S. 246.
190
Günther Gawlick kann diese Haltung beim Toleranzdenker Thomasius nur »mit
Bedauern konstatieren« (1989, S. 269). »Er [sc. Thomasius] scheint nicht zu sehen, daß
auch ein spekulativer Atheist durch Gründe zu seiner Überzeugung geführt wird.« – Wie
selbst bei einem so exzellenten Kenner der Ideengeschichte im 17. und 18. Jahrhundert das
historische judicium einem retrospektiv-teleologischen Erwartungshorizont eingepasst
werden, die Geschichtsschreibung so zur magistra historiae geraten kann, darf hier mit
angemessener Verwunderung registriert werden. In dieser Hinsicht hat die Frühneuzeit-
forschung, auch mit Blick auf Thomasius, inzwischen andere Maßstäbe gesetzt.
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446 Atheismus und Frühaufklärung

Thomasius hat Gundling keine systematischen Überlegungen zum Atheismus


angestellt, sondern verschiedene, jeweils fallbezogene Argumentationen ent-
wickelt. Und ähnlich wie bei Thomasius ergibt sich daraus ein ausgesprochen
heterogenes Bild.191 Zwar nahm er 1707 in einem Aufsatz Thomas Hobbes ge-
gen den Vorwurf des Atheismus in Schutz (eine stark überarbeitete deutsch-
sprachige Fassung ließ er 1717 in den Gundlingiana erscheinen);192 zwar sprach
er sich 1714 als einer der ersten deutschen Gelehrten für Anthony Collins’
Discourse of Free-Thinking aus;193 bereits ein Jahr zuvor aber hatte er, im me-
thodischen Anschluss an Buddes Dissertation De Spinozismo ante Spinozam
(1701),194 pantheistisches und ergo atheistisches Gedankengut in den Schriften
des Hippokrates nachzuweisen versucht.195 1714 wiederum (inzwischen war
Wolfs Dissertation De Atheismi falso suspectis erschienen) bemühte er sich
in einem längeren lateinischen Traktat, keinen Geringeren als Platon, seit der
Renaissance und verstärkt seit Cudworth und den Cambridge Platonists die

191
Zu Gundling vgl. den instruktiven Überblick in Killy/Kühlmann, Bd. 4, 2009,
S. 523–525 (Herbert Jaumann), dort auch zur Rettung von Hobbes (S. 524); ferner Neuer
Ueberweg 18/5, 2014, S. 67–71 (Martin Mulsow), bes. S. 69 (zum Plädoyer für Hobbes);
neuerdings, auf hohem Niveau, die Beiträge in Häfner/Multhammer 2018. – Gundlings
Stellung zu Spinoza behandelt Otto 194, S. 67–70; über Gundling im Kontext der deut-
schen Frühaufklärung vgl. ausführlich und facettenreich Mulsow 2002, S. 288–353, insbes.
S. 288–307 (über Gundlings Platonkritik); Gundlings Verteidigung von Hobbes streift
kurz Gawlick 1989, S. 269. – Die Marburger Dissertation von Daniela Fischer (Fischer
2002) ist nicht unbrauchbar in der Zusammenschau von (deutschsprachigen) Gundling-
zitaten über Fragen von Herrschaft, Staatlichkeit und Gelehrtentum, nützlich auch in bi-
bliografischer Hinsicht; wie die Autorin allerdings ihre Themenstellung »Der Blick eines
frühen Aufklärers auf die Obrigkeit, die Gesellschaft und die Gebildeten seiner Zeit« ohne
Verwendung lateinischer Schriften Gundlings oder anderer Autoren der Zeit sowie unter
Ausblendung weiter Teile der Forschung zur frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur bearbei-
tet haben will, ist schwer zu begreifen.
192
Hobbesius ab Atheismo liberatus, in: Gundling, Observationes selectae, Bd. 1
(1707), 2. St., S. 37–77. Das in der Sekundärliteratur (etwa Mulsow 2002; ebenso Jaumann
[Anm. 1], S. 524) oftmals angegebene Ersterscheinungsdatum 1706 konnte nicht verifiziert
werden. – Und: Von Th. Hobbesii Atheisterey, in: Gundlingiana, 14. St. (1717), S. 303–
339. – Zum Formtypus der Gundliginana im Vergleich mit anderen »-Ana« vgl. jetzt Wer-
le 2018; kurz dazu Jaumann 1995, S. 299.
193
1714 ließ Gundling einen längeren Auszug in Übersetzung im 34. Stück der Neu-
en Bibliothec erscheinen; vgl. dazu Gawlick 1986, S. 20–23, sowie, in aller Kürze, ders.
1989, S. 273.
194
Vgl. dazu Mahlev 2011, der Buddes Dissertation in die Auseinandersetzung mit
Johann Georg Wachters Schrift Der Spinozismus im Jüdenthumb (1699) einordnet; zu
Budde als dem methodischen Vorbild für Gundlings Platoninterpretation vgl. Mulsow
2002, S. 296 f., 301 f., 303 f.
195
Gundling, Hippocrates ἄθεος, in: Otia, 2. Teil (1706), 3. St., S. 73–140; der Hin-
weis auf Budde ebd., S. 83 f., mit der Ankündigung, dessen Galerie von Spinozisten ›vor
Spinoza‹ ein weiteres Beispiel hinzuzufügen: »In diese Reihe will ich dann auch den Hip-
pocratem setzen / von dessen Leben und Lehren ich etwas berühren will.« (83 f.) – Zu
Gundlings Hippokratesdeutung vgl. jetzt Mulsow 2018b (weitgehend identisch mit Mul-
sow 2018a, Bd. 2, S. 155–164.
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Nicolaus Hieronymus Gundling 447

Galionsfigur der philosophischen Theologie,196 als Atheisten zu erweisen.197


Es folgte 1719 eine Auseinandersetzung mit dem als Dichter und Überset-
zer bekannt gewordenen Mediziner Daniel Wilhelm Triller, der zu Beginn des
Jahres Gundlings These über den Atheismus des Hippokrates scharf attackiert
hatte.198 Gundling hielt in zwei langen Traktaten, die er in seine Gundlingiana
einrückte, entschieden dagegen.199 1724 ließ er, gleichfalls in den Gundlingia-
na, eine übersetzte und erweiterte Fassung des oben genannten Plato ἄθεος
erscheinen.200 Gegen den Züricher Theologen Johann Jakob Zimmermann und
dessen Exercitatio de Atheismo Platonis (1728) richtete Gundling schließlich
kurz vor seinem Tod die Velitatio posterior de Atheismo Platonis im vorletzten
Stück der Gundlingiana.201
Keineswegs wollte also Gundling, wie er selbst anlässlich seiner Hobbes-
schrift festhielt, als Verteidiger des Atheismus missverstanden werden, wo er
diesen für erwiesen hielt.202 Was auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt,203
weist doch bei vergleichender Betrachtung der verschiedenen Beiträge zumin-
dest eine deutliche Konstante auf: In allen genannten Fällen trat Gundling,
mit einem an Thomasius geschulten Witz und offenkundiger Freude am öf-
fentlichen Disput, zudem mit weiten Ausgriffen in antike Quellen und phi-
lologische Kommentarliteratur, gegen seinerzeit verbreitete Meinungen an.
Selbstbewusst konnte er sich daher 1714, angesichts seiner Thesen über Platon,

196
Vgl. Mulsow 2002, S. 293 f.; zum Cambridger Platonismus im Zusammenhang
von natürlicher Theologie und Religionsphilosophie der frühen Neuzeit vgl. Frank 2003,
S. 221–295; kritisch zum Begriff des ›Platonismus‹ mit Blick auf die Cambridger Hutton
2002, S. 309 f.
197
Plato ἄθεος, in: Neue Bibliothec, Oder Nachricht und Urtheile von Neuen Bü-
chern, 31. St. (1714), S. 1–31. – Die These entwirft er schon im eben genannten Hippocrates
ἄθεος Gundlings (S. 86 f.). – Vgl. auch Mulsow 2002, S. 300, Anm. 110.
198
Daniel Wilhelm Triller, Hippocrates atheismi falso accusatus, contra virvm ampl.
D. Nicol. Hieron. Gundlingivm, P. P. Halens., Rudolstadt 1719. Die Vorrede an Johann
Albert Fabricius ist auf November 1718 datiert.
199
Gundling, Erste Reflexion über Herrn D. Trillers ›Hippocratem atheismi falso ac-
cusatum‹, in: Gundlingiana, 22. St. (1719), S. 87–186. – Andere Reflexion über Herrn D.
Trillers ›Hippocratem atheismi falso accusatum‹, in: Gundlingiana, 23. St., 1719, S. 187–286.
200
Gundling, Von Platonis Atheisterey, in: Gundlingiana, 32. St., 1724, S. 103–146.
201
Gundling, Velitatio posterior de atheismo Platonis cui occasionem dedit Jacobvs
Zimmermannvs, in: Gundlingiana, 44. St., 1729, S. 281–366. – Auf Zimmermanns Replik
von 1729 konnte Gundling nicht mehr reagieren, er starb am 9. Dezember 1729. Zur Kon-
troverse mit Zimmermann vgl. Otto 1994, S. 67–70; Mulsow 2002, S. 300 f. u. 304 f.
202
Gundling, Hobbesius ab Atheismo liberatus, S. 37: »Non is ego sum, qui defen-
dere ac tueri velim Atheos, qui reuera tales sunt, Deumque cum mundo confundentes
nil nisi vnum somniant, atque id quod nos substantias recte appellamus, in accidentium
classem detrudunt.«
203
So, nicht zu Unrecht, Mulsow 2002, S. 291: »Gundlings harte Invektive gegen
Platon, die vielen seiner Freunde und Anhänger übertrieben und unverständlich erschien,
ist schwer zu erklären, zumal Gundling als jemand galt, der sonst gern Denker vor der
Anklage des Atheismus in Schutz nahm.«
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448 Atheismus und Frühaufklärung

zum intellektuellen Einzelgänger stilisieren: »Non placuit multis adsertio.«204


Auf ähnliche Weise bezog er 1717 Stellung zu der durch Bayle angestoßenen
Diskussion, ob der Aberglaube dem Staat gefährlicher werden könne als der
Atheismus.205 Wie sein Lehrer Thomasius und Bayle selbst erklärte er – durch-
aus entgegen der immer noch herrschenden Meinung – den Aberglauben für
schädlicher, ohne jedoch andererseits den Atheismus für unbedenklich zu
halten.206 Vergleichsweise traditionell blieb demgegenüber seine Auffassung
vom politischen Umgang mit dem Atheismus, die er in Vorlesungen über die
Staatsklugheit, 1751 postum erschienen, entwickelte (s. u.). Zwar wiederhol-
te er dort seine Meinung, wenn er den Aberglauben gegenüber dem Atheis-
mus als gefährlicher einstufte, empfahl aber trotzdem, wie Thomasius auch,
die Ausbreitung offen atheistischer Meinungen zu unterbinden. Provokanter
äußerte er sich allerdings schon früh im Rahmen seiner Satyrischen Schriften,
wo er das sittenwidrige Verhalten von Geistlichen im Vergleich als die weitaus
größere Gefahr für die öffentliche Ordnung hinstellte. Er reihte sich damit in
die Tradition der pietistischen Kritik am kirchlichen Leben ein, und wie diese
beurteilte er den Atheismus mehr nach seinen praktischen als nach seinen the-
oretischen Implikationen.

3.2 Skepsis, Eklektik, Kritik


Gundlings Urteil über die apologetische Methodik

Auch wenn er selbst in mehreren Schriften als Ankläger Platons und Hippo-
krates’ auftrat, kritisierte Gundling wiederholt den laxen Umgang mit dem
Atheismusvorwurf in den konfessionellen und kirchenpolitischen Auseinan-
dersetzungen der Zeit. Schon im ersten Hippokratesaufsatz konstatierte er mit
Verwunderung, dass die Denunziationspraxis nicht einmal vor einem Mann
wie Spener haltgemacht hätte.207 Ohne Zweifel wusste er ebenso von der Athe-
ismusbeschuldigung gegen seinen Lehrer Thomasius durch dessen Kollegen

204
Gundling, Plato ἄθεος, S. 1.
205
Gundling, Dreyfache Erinnerung an Herrn Assessorem von Elswig zu Witten-
berg, in: Gundlingiana, 14. St., 1717, S. 357–391. Da die Seitenzählung von S. 359 direkt
auf S. 370 springt, ist der Aufsatz zehn Seiten kürzer, als die bibliografische Angabe ver-
muten lässt.
206
Vgl. dazu Otto 1994, S. 51; maßgeblich, mit breiter Kontextualisierung: Pott
1992, S. 304–309; ferner, der Sache nach richtig, aber wenig eigenständig und unbeholfen
im historischen Urteil: Fischer 2002, S. 83–88.
207
Gundling, Hippocrates ἄθεος, S. 75: »Wer hätte dencken sollen / daß ein zu un-
sern Zeiten wegen seiner Frömmigkeit berühmter Mann / den Titul eines Atheisten tragen
sollte; ich meine den nunmehro zu seinen Vätern versammleten Herrn D. Spener; der a.
1695 in einem öffentlichen Programmate zu Leipzig mit dem Spinoza verglichen / und in
allen Stücken was die Verdrehungen der H. Schrifft anlanget / mit ihme in eine Rolle ge-
setzet worden: anderer zugeschweigen / die mit ihme ohne Verdienst gleiche Fata erfahren
müssen.«
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Nicolaus Hieronymus Gundling 449

Pfeiffer im Jahr 1689 ( V.2.1), er kannte auch sicherlich dessen Kritik der
›Konsequenzenmacherei‹ im zweiten Teil der Vernunfftlehre von 1691 (s. o.).
Gerade im frühen Hippokratesaufsatz sind Anklänge an Thomasius und Ar-
nold ( IV.5.3) nicht zu überhören. Gundling beschreibt dort den unscharfen
und diffamierenden Gebrauch des Atheismusbegriffs gegen Personen, »die
etwas mehr als der Pöbel wissen / und nach der gemeinen Leyer der Aber-
gläubischen nicht tantzen wollen«,208 und stellt ihn in eine Linie mit der älteren
Praxis der Ketzermacherei:

Wir leben in einem solchen Saeculo, darinnen man auf dieses Extremum mehr als
zuofft hinaus fället. Vor diesem ware der Nahme eines Ketzers so verhaßt und nach-
drücklich / daß man keines andern Wortes vonnöthen hatte / rechtschaffene Männer
zuverunglimpfen / zu verläumden / und anzuschwärtzen. […] Nunmehro aber / da es
GOtt sey lob! dahin gedien / daß man dergleichen alberne / und ungerechte Machi-
nen nicht mehr bewundert / oder fürchtet; so sind doch nichts destoweniger andere /
und neue Erfindungen an das Tageslicht gekommen: und neue Philastrii aufgestanden
welche zwar nicht mehr den verdächtigen Ketzer Nahmen brauchen; sondern alle
ihnen entgegen stehende Meynungen der Atheisterey beschuldigen / welches Wort
ihnen viel kräfftiger geschienen einen blinden Lermen zumachen / die frömmste und
vernünfftigste Menschen zu unterdrücken: und ihren guten Leimund zu kräncken.209

Der Aufsatz Hobbesius ab Atheismo liberatus vom folgenden Jahr beginnt


fast identisch mit der Klage über die »artes huius saeculi«, die Art und Wei-
se nämlich, wie sich die verschiedenen Konfessionen gegenseitig bekämpfen
und Abweichler von der je eigenen Dogmatik für töricht und gottlos erklären
würden.210 Gundling stellt sich damit in die Tradition der frühaufklärerisch-
eklektischen Kritik am Schul- und Sektenwesen, dem bekanntlich die Forde-
rung nach einem selbstständigen Urteil aufgrund von überparteilicher Prüfung
nach dem Pauluswort »Prüfet aber alles, und das Gute behaltet« (1 Thess 5,21)
entgegengesetzt wurde.211 Er selbst kommt dieser Leitidee insofern nach, als er
sich weder der positiven noch der negativen Überführungsmethodik generell
anschließt. Deutlich wird das besonders da, wo er, entgegen dem heute landläu-
figen Aufklärungsverständnis,212 Platon und Hippokrates zu Atheisten erklärt.
In seinen Augen macht sie das allerdings nicht weniger lesenswert.213 In eben

208
Gundling, Hippocrates ἄθεος, S. 73 f.
209
Ebd., S. 74 f.
210
Gundling, Hobbesius ab Atheismo liberatus, S. 37 f. – Das volle Zitat weiter unten
im vorliegenden Text, Anm. 219.
211
Zu Ideologie und Geschichte der philosophischen Eklektik vgl. grundlegend und
erschöpfend Albrecht 1994.
212
Ein solches Spannungsverhältnis konstatiert auch Mulsow 2002, S. 304.
213
Diesen Grundsatz hat Gundling verschiedentlich formuliert, er hält ihn nicht zu-
letzt den Gegnern von Thomas Hobbes entgegen, die den Atheismusvorwurf zum Anlass
nähmen, sämtliche Lehren des Philosophen pauschal zu verdammen. Dagegen Gundling:
»Nulla fere Secta est, in qua non aliquid reperiatur boni.« (Gundling, Hobbesius ab Athe-
ismo liberatus, S. 49, Anm. n. – Ähnlich im Hobbes-Aufsatz von 1717: »Nur darinnen
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450 Atheismus und Frühaufklärung

dieser Differenzierung zeigt sich die Tragweite des eklektischen Programms.


In der eigenen Herangehensweise zeigt sich Gundling als Schüler Bayles (der
zu seinen meistzitierten Gewährsleuten gehört)214 und seines akademischen
Lehrers Thomasius. Wie sie argumentiert er nicht scholastisch-deduktiv, son-
dern mit den Mitteln der historischen Kritik, in steter Auseinandersetzung
mit vorliegenden Meinungen. Das Spektrum der verarbeiteten Literatur reicht
von einschlägigen zeitgenössischen Schriften wie etwa Jacob Thomasius’ Dis-
sertation De Stoica mundi exustione (1676) und Johann Christoph Wolfs De
Atheismi falso suspectis (s. o.) über theologische und litterärgeschichtliche Wer-
ke bis hin zu antiker und neuzeitlicher Kommentarliteratur, insbesondere zu
den Werken Platons.215 Klassische Autoren wie Plutarch und Cicero werden
selbstverständlich in die Diskussion einbezogen. Und ähnlich wie bei Bay-
le und Thomasius werden all diese Autoren nicht autoritativ zitiert, sondern
im dialektischen Gegenlicht nebeneinander gehalten, um so den Problemge-
halt einzelner Argumente und die Schwierigkeit der Urteilsfindung schärfer
zu konturieren.216 Etwas kokett wirkt angesichts dieses enormen Aufwands
Gundlings Versicherung im ersten Hippokratesaufsatz, dass er den Streit über

sind einige von mir different, daß sie dessen Philosophie und übrige Entdeckungen vor
nichts halten, da ich hingegen mit andern klugen Leuten viel gutes und nützliches in sei-
nen Schriften wahrgenommen: alldieweil nicht leicht ein irrender zu finden, welcher nicht
auch einige Wahrheiten erkennen, oder mit seinen [!] Irrthum verbinden solte.« (Gund-
ling, Hobbesii Atheisterey, S. 304 f.) – Genau gleich urteilte er auch 1714 über Collins’ Dis-
course of Free-Thinking. Vgl. dazu Gawlick 1986, S. 21.
214
Gundlings Verhältnis zu Bayle behandeln kurz Jaumann 1995, S. 217 f., u. Mul-
sow 1997. Auch hier wäre eine Detailstudie wünschenswert.
215
Zu Hintergrund und Vorgeschichte von Gundlings Platoninterpretation vgl.
Mulsow 2002, S. 291–299 (zu Jacob Thomasius, Bayle und Budde), sowie 303–305 (zur
Debatte De viris falso atheismi suspectis).
216
Auch darin bleibt Gundling der eklektischen Programmatik treu. Und auch dazu
formuliert er nebenher grundsätzliche Überlegungen, wenn er nämlich in der Frage nach
mechanistischen Überzeugungen bei Hippokrates den von Triller aufgebrachten Autori-
täten (Fabricius und Budde) seine eigenen Gewährsleute ( J. Sturm, Bayle, Boyle, C. Hoff-
mann) gegenüberstellt und damit nur einmal mehr darauf hinweist, dass eine solche Frage
nicht autoritativ, sondern nur durch begründete Urteile entschieden werden könne: »Herr
Professor Sturm in Altdorff / mein ehemaliger Lehrer hat in der Physica Electivca das
θερμòν Hippocratis nicht minder vor verdächtig und Atheistisch angesehen: des Französi-
schen Medici zu Pariß Monsieur Lamy, Monsieur Girac, Monsieur Bayle, deß Engelländers
Boyle, deß alten Caspar Hoffmanns und anderer nicht zu gedencken / von welchen gewiß
nicht kan gesaget werden / eos emunctae naris non fuisse; sed sordidae esse & fuisse. Aber
so geht es / wenn mann mit Auctoriteten auf eine eitle Weise um sich wirffet, und dadurch
seiner Sache / als die Knaben in ihren Chriis thun / einen Schein zu erwerben suchet. Auc-
toriteten à part!« (Erste Reflexion über Herrn D. Trillers ›Hippocratem atheismi falso accu-
satum‹, S. 99) – Ähnlich bereits in Hobbesii Atheisterey, S. 305 f.: »Diejenige nun, welche
die Sache nicht selbsten, sondern nur, was andere sprechen, angesehen, beruffen sich auf
die Auctorität und Aussage einiger Engelländer: und diese aber, wenn sie auch die grösseste
Bischöffe wären, gelten in meiner Schule nichts. Sie sind partheyisch, und man weiß auch
warum sie böse und partheyisch sind.«
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Nicolaus Hieronymus Gundling 451

einen Atheismus Hippocratis allenfalls »vor einen Zeit-Vertreib bey müßigen


Stunden« erachte und sich nur gegen Trillers persönliche Angriffe zur Wehr
setze.217 Immerhin hatte er, nach dem frühen Hippokratesaufsatz, erst fünf
Jahre zuvor in aller Ausführlichkeit über Platons Atheismus gehandelt und
sollte noch zweimal daran anknüpfen. Gemeint ist sicherlich, dass Gundling
mit mehreren seiner Aufsätze zum Thema auf Angriffe durch Dritte reagierte,
obwohl er seiner akademischen Verpflichtung nach seit 1711/12 das Natur-
und Völkerrecht vertrat.
Ob nun aufgrund der skeptisch-eklektischen Zurückhaltung im Urteil218
oder als Konsequenz aus der Verteidigungshaltung – auf jeden Fall gelingt es
Gundling, in ganz anderer Weise als seinen Vorläufern über die Frage nach
dem Sinn und Zweck der positiven wie negativen Verdächtigungsmethodik
nachzudenken. Von der Letzteren, in Form der antiatheistischen Entlarvungs-
praxis gegenüber zeitgenössischen Autoren, war oben schon die Rede. Dass
es dabei in der Regel nicht um die nüchterne Feststellung von Tatsachen oder
philologische Genauigkeit ging, sondern allzu oft um die Diffamierung abwei-
chender Meinungen, hat Gundling ebenso deutlich gesehen wie Spener, Ar-
nold oder Thomasius und in seltener Schärfe als »perversitas« kritisiert.219 Er
fragt aber darüber hinaus, anlässlich der Rettungsversuche für die falso suspec-
ti, auch nach den Beweggründen für die positive Überführungsmethodik und
nach den Ursachen der damit verbundenen »Vehementz«.220 Ganz anders als

217
Gundling, Erste Reflexion über Herrn D. Trillers ›Hippocratem atheismi falso ac-
cusatum‹, S. 93. – Den Topos bzw. Gattungsbegriff von der ›Mußestunde‹ hat Gundling
bekanntlich auch in seinen Otia aufgegriffen, in denen der von Triller attackierte Aufsatz
zuerst erschienen war. Keineswegs ist damit also gemeint, dass es bei einer oberflächlichen
Behandlung bleiben müsse.
218
Zu Gundlings Affiliation mit dem philosophischen Skeptizismus der Frühauf-
klärung, insbesondere in der Nachfolge Bayles, vgl. Mulsow 1997. Für die vorliegende
Darstellung sind die damit verbundenen erkenntnistheoretischen Fragen von untergeord-
netem Interesse; die historisch-kritische Methode, der Gundling in Anlehnung an Bayle
und Thomasius folgte, ist mit »Kritik« und »Eklektik« hinreichend eingeordnet.
219
Hobbesius ab Atheismo liberatus, S. 37 f.: »At tu, Lector beneuole, nosti artes hui-
us saeculi, neque incognita tibi est multorum peruersitas, qui cum vident non eadem alii in
religione christiana dogmata probari, aliam ipsum sectam sequi, aut nullam etiam certam
amplecti, statim saxa conglomerant, faces subministrant, vt pereat lupus & velut ab omni
mente ac religione remotus aeterna infamia contabescat.«
220
Der Vorwurf der »Vehementz« (Gundling, Erste Reflexion über Herrn D. Trillers
›Hippocratem atheismi falso accusatum‹, S. 89) ist mehr als ein Argument ad personam.
Gundling appelliert damit vielmehr an das Leitbild einer rationalen, d. h. von Affekten
unbeeinträchtigter Denk- und Diskursregie, die er in vielen seiner Aufsätze einfordert.
An Triller kritisiert er dagegen, »daß er nicht ohne lächerliche passion die Feder ergriffen«
(ebd.). Dazu gehört auch das Ideal der Unparteilichkeit, das er Triller abspricht: »Ein klu-
ger Mann untersucht solche Dinge zwar mit Fleiß, aber ohne pedantische Partheyligkeit.«
(Ebd.) Besonders aufschlussreich in diesem Zusammenhang sind die Ausführungen in der
Vorrede der Neuen Bibliothec (31. St., 1714). Zum Kontext der Pedanteriekritik vgl., hier
wie andernorts, grundlegend Kühlmann 1982, S. 285–454.
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452 Atheismus und Frühaufklärung

bei lebenden Personen,221 so Gundling, besitze schließlich der entsprechende


Nachweis bei antiken, also nicht mehr lebenden und überdies prächristlichen
Autoren keinerlei moralische oder juristische Relevanz.222 Überdies sei wohl
kaum zu befürchten, dass sie weniger Leser fänden, wenn ihnen nunmehr
atheistisches Gedankengut nachgewiesen würde.223 Gegenbeispiele sind für ihn
leicht zu finden. Aristoteles, Pythagoras und die Stoiker seien teils »vor Or-
thodox« erklärt, dann wieder des Atheismus überführt worden, ohne dass da-
durch ihre Leserschaft in nennenswerter Weise zu- oder abgenommen habe.224
(Auf das Beispiel Platons, dem sich Gundling am ausführlichsten gewidmet
hat, wird noch zurückzukommen sein.) Als echter Thomasiusschüler endlich
kann Gundling der feierlichen »Vehementz« seines Opponenten Triller nicht
ohne einige humoristische Kapriolen begegnen. So hänge, wie er süffisant be-
merkt, von der Frage nach dem Atheismus des Hippokrates wohl kaum das
Wohl des alten Griechenlands ab.225 Es sei zudem nicht zu erwarten, dass die

221
»Und diß [sc. eine unklare Trennung von Gott und Welt] ist die gantze Cri-
mination oder Beschuldigung / welche ich auch wieder den Hippocrates fürgebracht /
wowieder der Herr Doctor sich so viel Bewegung giebet / deßwegen allerhand grimacen
machet / und vermuthlich dabey gedencket / daß / gleichwie heutiges Tages diß eine
sehr harte Injurie seyn würde, wann jemand einem Christen die Atheisterey schuld ge-
ben wolte / wieder welchen dergleichen praesumtion NB. nicht ist; also auch gleich un-
gerecht / und unbillig sey / wenn man wieder den Hippocrates dergleichen Gedancken
hegte / oder eine solche Beschuldigung zu Papier brächte.« (Gundling, Erste Reflexion
über Herrn D. Trillers ›Hippocratem atheismi falso accusatum‹, S. 95. – Diese Unter-
scheidung ist nicht unerheblich, wird aber tatsächlich vor Gundling nicht in dieser Weise
problematisiert.
222
Ebd., S. 97 f.: »Dann weil niemand etwas darunter abgehet; und Hippocrates
schon über 2000 Jahr tod / u. ein Non ens ist / deme das gegenwärtige Lob oder Beschuldi-
gung nichts mehr hilfft / oder schadet; (cum non entis nunc nulla sint accidentia) auch nicht
die Frage ist / ob er soll bestraffet / ausgejaget oder gestäupet werden; als wird vermuth-
lich niemand also strenge verfahren / und verbieten / wieder diesen uhralten und lang vor
Christi Geburth verstorbenen Mann das geringste zusagen / oder auch probationes luce
meridiana clariores verlangen / wie sonst die Juristen in criminalibus zu fordern pflegen /
wann über Leib und Leben / über Haut und Haar soll gerichtet werden.«
223
Ebd., S. 93: »Dann diß ist gewiß eine vergebliche Furcht / daß die Leute den Hip-
pocratem nicht mehr lesen möchten / wann darinnen die Atheisterey stecken solte. Lieber
Herr Doctor! Es lesen ja alle Liebhaber der Griechischen Sprache den Euripidem, welchen
sie selbst zum Atheisten machen. Galenus ist von dem gelehrten Altdorffischen Professore
und Medico Caspar Hoffmann in keine andere Reihe gesetzet worden / und er hat doch
die Zeit seines Lebens mit dieses Mannes Schrifften zugebracht; und sie / und viele andere
lesen Galeni Wercke noch, und Galenus bleibet Galenus, wie Hercules Hercules; er bleibt
aber doch auch ein Atheiste.«
224
Ebd., S. 97: »Das letzte Glück aber ist Hippocrati nicht eigen: Aristoteles, Pytha-
goras, die Stoici und andere haben lange vor Orthodox passiret: und doch haben endlich
geschickte Leute gesehen, daß sie mit aller ihrer Weißheit Atheisten gewesen.«
225
Ebd., S. 89: »Ich bin noch der Meinung / daß die Wolfarth von Griechenland dar-
von nicht dependire; der Hr. D. mag gleich schreiben / daß ich nur also mycterisirte; oder
auch noch eine härtere Ausdrückung deßhalben brauchen.«
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Nicolaus Hieronymus Gundling 453

medizinischen Kuren des antiken Arztes durch den Nachweis atheistischer


Lehren plötzlich unwirksam würden:

Noch viel weniger aber dencke derselbe [sc. Triller], daß endlich die Leute dahin wür-
den gebracht werden zuglauben / daß man aus dem Hippocrate künfftig hin nicht
mehr werde ein Hüner-Auge curiren wollen / oder können. Dann alsbald wollte ich
ihm / bey erfolgender Controvers, selbst beypringen / und sagen / daß ein Atheiste
auch Hüner-Augen weg zu bringen geschickt sey; daß Hippocrates wohl curiret / gute
Erfahrung gehabt / ein galant homme zu seiner Zeit gewesen / wohl purgiret / wohl
zur Ader gelassen / und nach Verfliessung vieler hundert Jahre von niemand / wegen
seiner Gedancken von GOtt / Anfechtung gelitten.226

Offenkundig geht es Gundling hier gar nicht ernsthaft darum, überzeugende


Gründe für die Verteidigung antiker Autoren zu ermitteln. Ihm war bewusst,
dass zu seiner Zeit gerade auf dem Feld der Litterärgeschichte höchst aktuelle
Schlachten geschlagen wurden, und es war nicht zuletzt eine derartige Ver-
einnahmung der Geschichte aus partikulären Interessenlagen heraus, gegen
welche die eklektische Programmatik dezidiert Stellung bezog. Insofern dient
der launige Hinweis auf die Hühneraugentherapie, der sich freilich auch als
kaum verstecktes argumentum ad personam gegen den akademischen Neuling
und Mediziner Triller lesen lässt,227 wohl vor allem dem Zweck, retrospektive
Rehabilitationsversuche um jeden Preis als absurd hinzustellen.
Demgegenüber stützt sich Gundlings eigentliche Widerlegungsstrategie,
hier wie in den übrigen Aufsätzen, auf die Behandlung philosophischer oder,
im Fall von Hobbes, theologischer und juristischer Detailfragen. So begründet
er seine These vom Atheismus bei Platon und Hippokrates, relativ gleichlau-
tend, mit der unklaren Trennung zwischen Gott und Welt.228 In seiner Ema-
nationslehre habe Platon Gott untrennbar mit der Materie verbunden,229 die
226
Ebd., S. 96.
227
In Fortsetzung des oben (Anm. 216) zitierten Passus rügt Gundling den noch
jungen Triller für die Verletzung des gelehrten Comment: »Unter den Gelehrten schickt
sichs nicht / noch viel weniger aber für den Contradicenten / der sich noch nicht sonder-
lich gezeiget, und gantz unbekandt ist / daß er einen Ausspruch thue / quis sit emunctioris
naris? Dieß ist zwar ein Kunst-Stück aus den Locis topicis, oder vielmehr ein Stein / woran
junge Leute meistens anstossen« (ebd., S. 100). – Inwieweit sich der von Gundling ins Spiel
gebrachte Gesichtspunkt der Seniorität mit seiner just explizierten Haltung gegenüber
Autoritäten verträgt, mag dahingestellt bleiben.
228
Vgl. zum Folgenden auch Otto 1994, S. 67–69; Mulsow 2002, S. 290 f. u. 300–304.
229
So bereits en passant 1706 im Hippocrates ἄθεος, S. 86 (dort Anm. l): »Ich fra-
ge / bestehet nicht das Wesen des Spinozismi darinnen / daß aus GOtt und der Welt eines
wird? Ist diese / so wird auch Plato ein Spinoziste / so bald sich sein Gott mit der Materie
vereiniget hat […].« – Ähnlich 1714 im Plato ἄθεος, S. 8: »Et constat autem inter omnes,
Platonem materiam DEO suo iunxisse aeternam.« – Darin besteht eigentlich die ganze
Beweisführung. Gundling setzt sich jedoch im Lauf der Darstellung mit zahlreichen Ge-
genmeinungen und -argumenten auseinander und kommt in diesem Zusammenhang auch
zweimal (ebd., S. 8 u. 24) auf Wolfs oben behandelte Dissertation De atheismi falso sus-
pectis zu sprechen.
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454 Atheismus und Frühaufklärung

geschaffene Welt also nicht sauber vom Schöpfer getrennt.230 Er habe somit
indirekt entweder die Ewigkeit Gottes231 oder die Endlichkeit der Welt,232 in
jedem Fall aber die creatio ex nihilo bestritten.233 Dagegen erlaube die Na-
turlehre des Hippokrates neben Mechanismus,234 Determinismus235 und Pan-
psychismus236 sogar den Schluss, dass Tiere eine Seele hätten. Versuche frü-
herer Interpreten (wie etwa Grotius oder Ernst Soner), bei Hippokrates eine
Schöpfung aus dem Nichts nachzuweisen, lässt Gundling daher nicht gelten.237
Folgerichtig heißt es wenig später auch über jene Autoren, »welche von des

230
Gundling,Velitatio posterior, S. 301: »At cum Plato, vel alii gentilium philoso-
phorum de mundi aeterna generatione verba faciunt, res genita cum gignente eiusdem
οὐσίας efficitur; cum generans non differat a generato, ratione ESSENTIAE, emanatiuum
ab emanante […]. Ab atheismo nemo liberatur, qui gignens crepat & genitum, sed qui
vtrumque natura & ὑποστάσες perspicue distinguit.«
231
Ebd., S. 288: »Nec negligendum, Platonem caelum ac totum mundum pro DEO
habuisse. Deus vero est aeternus, habetque essentiam & existentiam aeternam; similiter
mundus igitur.«
232
Ebd., S. 283: »Quod restat de Tempore, cuius ortum Locrus describit, ad contro-
uersiam de mundi aeternitate pertinet; de qua Platonici vehementer decertant, an magister
suus mundum statuerit aeternum?« – Ebenso ebd., S. 285 f.: »Ergo quaeritur, verisimilius
ne sit, mundum Platonem statuisse aeternum, an genitum demum in tempore? Ego, cum
rationes adductas in vnum colligo, putarem, prius probabilius detendi.«
233
Gundling, Platonis Atheisterey, S. 121: »Eine Erschaffung aus nichts, welche die
Christliche Peripatetici und Platonici die neue Erschaffung nennen, ist hier nicht zu finden,
sondern die alte philosophische Erschaffung, welche eine perpetua fluxio und emanatio ist
von dem Termino a quo, der dann nirgend anderst, als in GOtt zusetzen.« – Ebd., S. 142:
»Ein geneigter Leser mercke, daß wenn man ihme von einer eigentlichen Creation etwas
vorzusagen anfänget, solches alles, in Ansehung des Platonischen eines, falsch sey, oder
zum wenigsten nichts anders, als eine expansion, Ausdehnung, Ausfluß, der sich in ein
aetherisches und subtiles stoffbares Wesen endiget […].« – Ganz ähnlich noch 1729 in der
Velitatio posterior (Anm. 201), S. 282: »Qui autem parit, in lucem edit, & ex nihilo non
creat […].«
234
Gundling, Erste Reflexion über Herrn D. Trillers Hippocratem, S. 118: »Daß nun
die Heyden und also auch Hippocrates einen Mechanismus statuiret / oder die gantze Welt
(Macrocosmum) ein αὐτόματον genennet / wird jetzund gar nicht bestritten.«
235
Ebd., S. 122: »Und nach diesen wird erst erscheinen / was die ἀνάγκη oder necessi-
tas der Heydnischen Philosophen und raisonnirenden Medicorum gewesen.«
236
So in der zusammenfassenden Aufzählung am Ende des ersten, naturphilosophi-
schen Beweisgangs: »Hippocratis Naturen sind entweder aus GOTT unter allerhand Ideen
heraus geflossen; oder / welches wahrscheinlicher / das göttliche Wesen operiret in ihnen
ohne fernere disciplin; das θερμòν die anima und spiritus mundi, der GOtt ist / oder aus
GOtt kommet / und sich überall insinuiret / würcket auch in den naturis specialibus: der
purgiret / der treibet den Schweiß aus / der siehet / der höret alles / der stößet von sich / er
ziehet an sich; und als ist zwar die natura Hippocratis nicht bruta; aber unica, und wiede-
rum multiplex.« Ebd., S. 135.
237
Ebd., S. 117: »Dann nunmehro wird gewiß folgen / daß der Heyden ihre Erschaf-
fung / folglich auch Hippocratis, entweder ab intra, oder per emanationem geschehen sey;
nicht aber aus nichts / indeme sie alle die materie praesupponiret.« – Vgl. ebd., S. 116 (zu
Grotius) und S. 117 f. (zu Soner).
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Nicolaus Hieronymus Gundling 455

Platonis orthodoxie sich etwas besonders einbilden«,238 wie etwa über den von
Gundling ansonsten hochgeschätzten Jacob Thomasius, sie hätten die pla-
tonische Schöpfungslehre mit der christlichen verwechselt.239 Für Gundling
steht noch 1729 fest, dass die Unendlichkeit der Materie nur allzu leicht zum
Atheismus führe.240 Obwohl er selbst nicht explizit darauf hinweist, steht er
damit in einer Linie mit einem Antiplatonismus, welcher sich in der Polemik
gegen die hermetische Naturphilosophie des Paracelsus241 ebenso artikulierte
wie während der innerkirchlichen Streitigkeiten in England seit der Mitte des
17. Jahrhunderts.242
Von größerer Bedeutung für den Gang unserer Untersuchung sind auch
hier die methodologischen Bemerkungen, durch welche sich Gundling in eine
Reihe mit anderen Kritikern ( IV.5; V.1) der apologetischen Entlarvungsher-
meneutik stellt. So hält er den Gegnern des Philosophen Hobbes vor, in der
Beurteilung von dessen Lebensführung mit zweierlei Maß zu messen: Was sie
ihm zum Vorwurf machten, würden sie einem Luther, Beza oder Descartes
und erst recht einem Augustinus durchgehen lassen.243 Auch genüge es nicht,
Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Aussagen bei Hobbes und bei dem be-
kannten Antitrinitarier Sozzini herzustellen, um den Autor des Leviathan zu
widerlegen,244 wie auch nicht jede Aussage Sozzinis unrichtig sei, nur weil er
einige falsche Lehren verbreitet habe.245 Den Hobbes-Gegnern Samuel Par-

238
Gundling, Platonis Atheisterey, S. 111: »Denn darinnen stecket der erste Irrthum
und dessen fernere Fortpflantzung aller derienigen, welche von des Platonis orthodoxie
sich etwas besonders einbilden, indem sie glauben, es habe der Platonische GOtt aus der
ihm gleich ewigen Materie diese Welt aus freyen Willen als ein vollkommener Baumeis-
ter gezimmert. Dieses hat auch den sonst hochgelehrten Iacobum Thomasium in seinem
Tractat de Stoica mundi exustione verführet, der in historia philosophica sonst wenig seines
gleichen hatte.« – Ähnlich bereits 1714 im Plato ἄθεος, S. 8.
239
Gundling, Plato ἄθεος, S. 10: »Qui materiam factam, creatam ac conditam a DEO
Platonis affirmant, creationem Christianorum cum Platonica mundi productione con-
fundunt […].«
240
Gundling, Velitatio posterior, S. 341: »Ego haud immerito censui, eos qui aeter-
nitatem materiae admittunt ac defendunt, lapsu prono & facili in ἀθεότητα incidere. Zim-
mermannus contra.«
241
Vgl. dazu, mit Dank an den Autor für den Hinweis, Kühlmann 2000.
242
Vgl. dazu ausführlich Mulsow 2002, Kap. VI.
243
Gundling, Hobbesius ab Atheismo liberatus, S. 40: »Quod si enim sancto Augus-
tino ignoscendum existimas, & Bezae Iuuenilia, & Lutheri sales excusandos arbitraris, &
Cartesii in Venere excessum leni verborum flumine abluendum credis, quare in Hobbii
quaeso adolescentiam tanto furore inveheris, vt scortatorem appeles, qui commercio fe-
minarum modice vsus est, cur tam abiectum ac impudicum describis […].« – Es folgen
ausführliche Anmerkungen (ebd., S. 41–43).
244
Ebd., S. 47 f.: »An vero haec quam vides Hobbii connexio adeo peruersa sit, ab-
sona, aut inconcinna equidem non putem: nisi forte stolide dixeris eamdem sententiam
haesisse infausto Socino. Quid enim ad nos in rebus Philosophicis haeresium ac sectarum
nomina? Tu ostende falsum esse quod dixit Hobbius.«
245
Ebd., S. 48: »Deinde non omnia quae Socinus propugnauit ita a veritate aberrant,
vt piaculum futurum sit adoptare opinionem Philosophicam, quam ille quoque propu-
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456 Atheismus und Frühaufklärung

ker246 und Richard Cumberland247 wirft Gundling eine tendenziöse Lektüre


vor: Nicht nur hätten sie zahlreiche eindeutige Stellen unterschlagen, die ihrer
Beweisführung zuwiderliefen; sie hätten ihnen zudem nur einzelne, beson-
ders dunkle Stellen gegenübergestellt und ihnen überproportionales Gewicht
beigemessen, ohne sich um den Werk- oder Denkzusammenhang zu beküm-
mern.248 Dieser Verfahrensweise, in der für ihn das »Wesen der Verleumder«
(»Calumniantium character«) besonders deutlich hervortritt,249 setzt der Jurist
Gundling eine Hermeneutik pro reo entgegen, der zufolge ein einziges eindeu-
tiges Bekenntnis zur Existenz Gottes und seiner Eigenschaften (gemäß den
Bestimmungen der Theologia naturalis) ausreicht, um andere, problematische
Passagen aufzuwiegen.250
An der positiven Überführungspraxis bemängelt Gundling dagegen, in
eben dieser Hinsicht zu großzügig verfahren zu sein. Wie wir weiter oben sa-
hen, hatten Autoren wie Fabricius und Johann Christoph Wolf jeden noch so
kleinen Hinweis auf die Anerkennung einer numinosen Instanz als Indiz für
rudimentäre Religiosität und damit als Ausschlusskriterium hinsichtlich der
Atheismusbeschuldigung gewertet und damit die alte Verdächtigungsherme-
neutik unter positiven Vorzeichen fortgesetzt. Zu Recht weist nun Gundling
darauf hin, dass gemäß dieser Begründungslogik nahezu alle antiken Autoren
vom Vorwurf des Atheismus freigesprochen werden könnten. Dieses erneute
Messen mit zweierlei Maß illustriert er am seinerzeit denkbar frappantesten
Beispiel: Spinoza. Wenn, wie im Falle Platons, die Verwendung des Begriffs
»Deus« schon ausreiche, den Atheismusverdacht abzuwenden, dann müsse
das auch für Spinoza gelten, da dieser den Gottesbegriff geradezu ubiquitär
verwende.251 Dafür will Gundling aber eben nicht plädieren. Vielmehr müsse
man, wie bei Spinoza, so auch bei Platon und anderen antiken Autoren, darauf

gnasset. Arrige aures Pamphile, vt paralogismos cognoscas tuos. Socinus ait Deus est. Ergo
qui ita ait Socinianus est.«
246
Vgl. ebd., S. 58–61.
247
Vgl. ebd., S. 61–68.
248
Ebd., S. 60: »Calumnantium character est, locum vnum, illumque obscurum,
aut minimum non adeo clarum opponere tot clarioribus, nec operam dare, vt sibi constet
scriptor ipsorum etiam iudicio non inficetus, nec nullius ingenii.«
249
Ebd.
250
Ebd., S. 59: »Sufficit, quod supremum Numen agnoscat, & profiteatur. Sufficit
quod primam caussam appellet, licet alia quam Physicorum natio, via id sibi putauerit
deducendum.«
251
Gundling, Platonis Atheisterey, S. 110: »Denn ich glaube, es sey ein gar guter
Schluß, daß nicht alle, die da sagen, es sey ein GOtt, keine Atheisten seyn. Das Wort DEVS
kommet fast nirgends so oft für, als in dem Systemate des fameusen Spinozae welcher
im übrigen öffentlich bekennet, er hätte keine andere Opinion von GOtt, als die Hey-
den […].« – Ähnlich bereits im Hippocrates ἄθεος von 1706 (Anm. 5), S. 83: »Der Nahme
Deus, dessen sich Spinoza und andere bedient haben / muß niemand verführen / daß er
glauben sollte; auch diese Leute wären keine Atheisten. Dann Deus ist ihnen nichts an-
ders / als totus mundus, tota natura, welche bald würcket bald leidet / bald caussa efficiens,
bald effectus ist […].«
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Nicolaus Hieronymus Gundling 457

schauen, ob ihre Lehren der Existenz oder den Eigenschaften Gottes zuwi-
derliefen:

Wer nicht leiden kan, daß man den Plato einen Atheisten, oder impie nenne, der muß
auch von Spinoza solchen verhaßten Nahmen wegnehmen; wie Herr Kuffler gewollt
in dem specimine artis ratiocinandi. Dann es ist doch bekandt, daß man denjenigen
nicht allein einen Atheisten nenne, der von der Bibel abgehet, wie man von Spinoza
saget, der ein Jude gewesen, und zum wenigsten das Alte Testament gehabt; sondern
vielmehr alle diejenige, welche GOtt und die Welt, oder auch die Materie vor eines
halten, und multa in vno setzen, und vnum in multis: ob sie schon inzwischen das
Wort GOtt brauchen, wie Spinoza, Parmenides, Plato, Aristoteles.252

3.3 »Alles Gebet ist deßhalb eitel«


Gundlings föderaltheologische Fassung des Atheismusbegriffs

Spätestens an dieser Stelle rückt die Frage in den Blick, welches Verständnis
von ›Atheismus‹ Gundling seiner Argumentation eigentlich zugrunde legt und
inwieweit er auch außerhalb seiner kritischen Fallstudien daran festhält. Nach
dem Bisherigen ist schon zu erwarten, dass er sich mit den taxonomischen
Konstrukten der barocken Apologetik nicht zufriedengeben dürfte. Tatsäch-
lich hat er eine für den deutschen Sprachraum vergleichsweise eigenständige
Systematik erdacht und – was noch weitaus beachtlicher ist – mithilfe eigens
entwickelter Relevanzkriterien begründet. Einmal mehr zeigt sich dabei sein
ausgesprochen feines Gespür für Methodenfragen. Wie kein anderer deutscher
Autor vor ihm, um so näher dafür dem von ihm verehrten Bayle (»peracutus
Baelius«),253 hat Gundling den Finger auf die Stelle gelegt, wo der Streit über
den Atheismus im Werk dieses oder jenes Autors zum Streit über Definitionen
gerät.254 Den Vorwurf seines Opponenten Triller, er habe Atheismus mit Natu-
ralismus verwechselt,255 nimmt Gundling 1719 zum Anlass für eine grundsätz-
lichere Überlegung über das Fehlen einer verbindlichen Systematik:

Er [sc. Triller] will meine Meynung von dem Atheismo Hippocratis wiederlegen / und
streitet so sehr vor diesen alten und unvergleichlichen Artzt: Er will weisen / er wäre
kein Atheist, wie ich gesaget; und doch gleich anfänglich setzet er eine gantz andere

252
Ebd., S. 138.
253
Gundling, Plato ἄθεος, S. 26.
254
Bayle hatte bereits die bei Vertretern der Frömmigkeitsbewegungen verbreitete
Praxis, alle Nichtwiedergeborenen als Atheisten zu klassifizieren, als Wortspiel kritisiert.
Siehe dazu oben, Kap. IV.2.2.
255
Triller, Hippocrates atheismi falso accusatus,, S. 11: »Quod primo ad nomen Athei
attinet, adserit Cl[arissimus] Gundlingius, recensitis prius variis huius nominis significa-
tionibus, se per Atheum illum potissimum intelligere, qui negat, DEVM hoc vniversum
condidisse, quod Epicurus fecisse dicitur: porro, qui DEVM & mundum seu materiam
confundit, vt accusatur Spinoza. Sed hanc definitionem ad Naturalistam, vt loquuntur,
Atheo quidem adfinem, potius pertinere, nemo est qui non perspiciat.«
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458 Atheismus und Frühaufklärung

definition von der Atheisterey / als ich gethan. Darum wird es endlich / wann er alles
vollendet / heissen / Hippocrates sey kein Atheist nach der Trillerischen Definition: wol
aber nach der meinigen / von welcher inmittelst die Frage hauptsächlich ist. Hiermit
aber wird der status controversiae verkehret / und in die Lufft unbesonnen gestrichen.256

Weit entfernt davon, die Begriffsbestimmung im Arbiträren zu belassen, recht-


fertigt er im Nachfolgenden noch einmal sein eigenes Verständnis von Athe-
ismus, wie er es im frühen Hippokratesaufsatz am ausführlichsten vorgestellt
hatte.257 Dort schickt er seinem eigenen Definitionsversuch zunächst eine Liste
mit gängigen Merkmalen voran, die er gerade nicht für ausreichend hält, um
jemanden zum Atheisten zu erklären: Neben der mehr prahlerischen als ernst
gemeinten Selbstbezeichnung als Atheist258 verwirft er sowohl die im Umfeld
des Pietismus vielfach verwendete Kategorie der Heuchelei ( II.2–4), also das
bloße Lippenbekenntnis zum Glauben ohne innere Anteilnahme,259 wie auch
die Indifferenz gegenüber spezifischen Bekenntnissen oder Religionen, die er
vielmehr präzise als Naturalismus bestimmt wissen will.260 Ausführlich und si-
cherlich nicht ganz ohne Eigeninteresse verteidigt er schließlich die von Bayle
mit größter Meisterschaft gehandhabte, von Thomasius in der Vernunftlehre
theoretisch begründete Methode der eklektischen dubitatio, zum Zwecke der
Prüfung bestehender Argumente, gegen den Vorwurf des Atheismus.261 Da

256
Gundling, Erste Reflexion über Herrn D. Trillers ›Hippocratem atheismi falso ac-
cusatum‹, S. 100 f.
257
Vgl. Gundling, Hippocrates ἄθεος, S. 76–87.
258
Ebd., S. 76: »Etliche Leute nun affectiren selbst Atheisten zu heißen / und ver-
meinen / weil ihrer wenige solchen Nahmen führen / so seye es ihnen eine sonderbahre
Ehre / wann man dergleichen Dinge von ihnen sage: und sie also von andern / als etwas
extraordinaires unterscheide.« – Gemeint ist vermutlich die Art von Verhalten, die in an-
deren Texten der Zeit als ›Religionsspötterei‹ bezeichnet wurde, oder auch der Typus des
›Esprit fort‹, wie ihn La Bruyère in den Caractères beschrieben hat. Die Uneinheitlichkeit
des Begriffsgebrauchs erschwert hier den heuristischen Zugriff. Auf den Übergang vom
Atheismus- zum Freigeistbegriff wird noch näher eingegangen werden ( VI.4).
259
Ebd., S. 78: »Etliche nennen auch diejenige Atheisten / die zwar sagen / es ist
ein Gott / weilen sie es von ihren Eltern und Lehrern also gehöret / in ihren Catechismis
also gelernet / und inzwischen selbsten sich niemahlen angelegen seyn lassen / darüber
zu meditiren; welche Bedeutung wahrhafftig mehr als den dritten Theil der Menschen zu
Atheisten machet […].«
260
Ebd. S. 79: »Wider [!] andere werden Atheisten genennet / weilen sie die principia
religionis Christianae nicht annehmen noch billigen / sondern den Weg zur Seeligkeit aus-
ser der Schrifft / und ohne Christo finden wollen: wie Eduardus Cherbury in dem Tractat
de Religione Gentilium gethan hat. Diese könnte man mit bessern Fug Naturalisten heißen
[…].«
261
»Ebd., S. 80 f.: »Derjenige so auch nur ein Argument angreiffet / und weiset / daß
es nicht bündig schliesse / läuffet Gefahr / daß er nicht vor einen Atheisten gehalten wer-
de / ob er es gleich nicht ist / sondern nur als guter Raisonneur gezeiget hat / daß man die
existentiam diuinam zubehaupten eine bessere und stärckere Probe suchen müsse. Erwege
die Streitigkeiten der Gelehrten Männer in Holland / ich will sagen Monsieur Bernards
und Mr. Bayle.«
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Nicolaus Hieronymus Gundling 459

überdies die explizite und systematisch begründete Gottesleugnung – Gund-


ling spricht hier von »subtilen und Philosophischen Atheisten«262 – empirisch
kaum vorkomme,263 zieht er im Folgenden Kriterien heran, die bereits, ex ne-
gativo, auf das christliche Welt- und Gottesbild gemünzt sind:

Vielmehr verstehe ich unter dem Nahmen eines Atheisten denjeigen / der da läugnet /
daß GOtt die Welt erschaffen / wie Epicurus, daß GOtt und die Welt / oder die Ma-
terie von einander unterschieden sind / wie Spinoza, der nur eine Substanz admittiret
hat / und die übrige Dinge alle vor attributa und modificationes vnius illius substan-
tiae ausgegeben hat.264

Ohne den voetschen Begriff noch zu verwenden, hält hier Gundling also
seiner Argumentation nach an dessen Konzeption ( I.5.2) eines indirekten
Atheismus fest. Und obwohl er mit Blick auf Hobbes die Methoden der Athe-
istenmacher scharf kritisiert hatte und zweifellos Thomasius’ Plädoyer gegen
die ›Konsequenzenmacherei‹ kannte, scheute er wie bei Hippokrates auch
bald darauf bei Platon nicht davor zurück, sein Urteil auf ›Konsequenzen‹ zu
gründen.265 Fünf Jahre später bot ihm der Konflikt mit Triller die Gelegenheit,
seine Einteilung auszubauen und die Wahl der Merkmale näher zu erläutern.
Im Gegensatz zum früheren Aufsatz nimmt er in seiner Replik an Triller jetzt
auch den praktischen Atheismus als eine mögliche Spielart auf.266 Dazu wird
gleich noch etwas zu sagen sein. Direkter und expliziter oder, in Gundlings ei-
genen Worten, »offenhertziger« Atheismus bleibt für ihn selbst 1719 noch als
quantitativ unerheblich außer Betracht.267 Als entscheidendes doxologisches

262
Ebd., S. 82.
263
Ebd.: »Es sind / so viel mir bewust / ihrer sehr wenig also thumm und einfältig ge-
wesen; die da sollten heraus geplatzet seyn / und an allen Orten bekennet haben / non sunt
dii, vel Deus, man müste dann auch die liederliche Menschen hieher rechnen / die unter
ihren Runda bißweilen dergleichen Gottes vergessene Reden führen. Unter denen subti-
len und Philosophischen Atheisten ist niemand als der oben benandte Diagoras bekandt /
und vielleicht Theodorus Ἄθεος, wiewohl dieser letztere bey gelehrten Leuten noch einige
defension gefunden hat.«
264
Ebd., S. 82 f.
265
So an einer der zahlreichen Stellen, an denen er aus Lehrsätzen Platons die Iden-
tität von Gott und Welt ableitet (Gundling, Plato ἄθεος, S. 19): »Ex quo prona tandem
consequentia fluet, mundum esse Deum, quem a Platonicis & eorum magistro tali appellari
nomine exploratum est.« (Hervorh. d. Verf.) – Drei Jahre später beanstandet er jedoch das
Ziehen von »ungereimte[n] Consequentien« auf Seiten des Hobbesgegners Samuel Parker.
Gundling, Hobbesii Atheisterey, S. 306, Anm. 1.
266
Gundling, Erste Reflexion über Herrn D. Trillers ›Hippocratem atheismi falso ac-
cusatum‹, S. 106: »Der andere / welcher wider GOttes Gesetze und Willen thut / und sich
dabey einbildet / GOtt nehme es so genau nicht / ist ein practischer und simpler Atheist
[…].«
267
Ebd.: »Der dritte, welcher gerade zusaget / ist ein offenhertziger Atheist […] Nur
ist dieß noch hinzu zusetzen / daß deren / welche gerade zusagen / 1) eine geringe Anzahl
sey; und dann 2) einige dabei noch subtil raisonniren / wie Diagoras, andre ohne weitern
Zusatz bey ihrer Thesi verharren.«
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460 Atheismus und Frühaufklärung

Merkmal setzt er, gegen Trillers Einwände, abermals die Gleichsetzung von
Gott und Welt an.268
Anders als in der frühen Schrift über Hippokrates begründet er nun diese
Entscheidung, und zwar, überraschenderweise, praktisch-theologisch. Im Ge-
gensatz zu gleichzeitigen Bemühungen innerhalb der akademischen Theologie
und Philosophie ( V.1), den Begriffsumfang auf die negatio Dei einzuschrän-
ken und ergo Atheismus und Deismus auseinanderzuhalten,269 besteht Gund-
ling auf der elementaren Bedeutung der göttlichen Eigenschaften und ihren
Folgen für das individuelle Gottesverhälthnis (Gundling spricht von einer »Re-
lation«) und den religiösen Kultus.270 Hier scheint pietistisches wie überhaupt
genuin protestantisches, nämlich föderaltheologisches Gedankengut durch,271

268
Ebd.: »Derjenige / welcher GOtt mit der Welt vermenget / ist ein heimlicher und
künstlicher Atheist […].«
269
Noch weniger Verständnis zeigt er allerdings für Trillers Versuch, sogar die ex-
plizite negatio Dei vom Atheismus auszunehmen, weil so nur ein wildes Tier (»Brutum«)
sprechen könne. – Triller, Hippocrates atheismi falso accusatus, S. 13: »Quod ad posteri-
ora verba, ea potius ad brutum, quam hominem pertinent, vti & loquuntur Viri maximi
Grotius, Bentleius, Buddeus, qui enim DEVM esse plane negat, ille non est Atheus, sed
insanus & omnibus orbus sensibus, nec hominis nomine, vt dixi, dignus.« (Hervorh. d.
Verf.) – Trillers Berufung auf Grotius, Bentley und Budde bestätigt, was im Laufe der vor-
angegangenen Kapitel wiederholt erarbeitet werden konnte: Die Gepflogenheit, Atheisten
oder Gottesleugner als Unmenschen zu bezeichnen, zieht sich durch die gesamte Diskurs-
geschichte (s. etwa die Ausführungen zu Assonville, Clasen oder Seckendorff). Zweifellos
ist die von Triller veranschlagte Disjunktion von Unmensch und Atheist nicht wörtlich zu
nehmen, sondern im Sinne einer rhetorischen Überbietung gemeint: Gundling greift aber
absichtlich genau diese Stelle heraus, um seinen Gegner des »Galimathias« zu überführen
(Erste Reflexion über Herrn D. Trillers ›Hippocratem atheismi falso accusatum‹, S. 104).
Das entspricht nicht unbedingt seinen im Hobbes-Aufsatz (s. o.) entwickelten hermeneu-
tischen Grundsätzen.
270
Dieser starken Betonung der praxis pietatis entspricht bei Gundling die Distan-
zierung von den Beweisverfahren der Theologia naturalis, die sich ja vornehmlich auf Gott
als Erkenntnisgegenstand der Vernunft richtet. Demgegenüber schränkt Gundling, unter
Berufung auf Lockes Kritik der innate ideas, die Bedeutung der natürlichen Gotteser-
kenntnis entschieden ein, da er ihr mit Locke nur begrenztes argumentatives Potenzial
zutraut (vgl. Hobbesius ab Atheismo liberatus, 43 f. u. 45 f.); ähnlich konstatiert Gundling
im Kapitel De Deo seiner Ethica (Halle 21726) unter Berufung auf Bayle die unterschätzte
Schwierigkeit von Gottesbeweisen: »Neque enim audiendi sunt, qui demonstrationes de
DEO plane respuunt, aut rem adeo facilem atque perspicuam arbitrantur, vt nulla pro-
batione opus sit. […] Recte Baelius demonstrationem de DEI existentia profundissimam
philosophiam appellauit.« (Ethica, S. 34; zu Locke vgl. ebd., S. 38 f.) – Aus eben diesem
Grund will Gundling auch Hobbes nicht dafür tadeln, dass er die ›natürliche‹ Erkennbar-
keit Gottes unter Verweis auf dessen Unendlichkeit problematisiert hatte (Hobbesius ab
Atheismo liberatus, S. 52 f.).
271
Gundling knüpft hier vermutlich an die Theologie seines Freundes und frühe-
ren Hallenser Kollegen Budde an. Dieser hatte, in systematischer Ausarbeitung pietisti-
scher Impulse, die Idee des Bundes zwischen Gott und den Menschen wieder stärker ins
Zentrum lutherischer Dogmatik gerückt. Vgl. dazu grundlegend Nüssel 1996, S. 175–226
(»Der Bund als Thema der Versöhnung«) et pass.
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Nicolaus Hieronymus Gundling 461

das Gundling durch den Begriff der ›obligation‹ näher expliziert.272 Da der Deus
otiosus des Epikur keinen Bund zwischen Gott und Menschen erlaube und
ergo mit jeglicher Verpflichtung gegenüber Gott auch die Verbindlichkeit zum
Gottesdienst aufhebe, könne Epikur nicht anders denn als Atheist bezeichnet
werden.273 Denn »moraliter«, also im Hinblick auf das Gottesverhältnis und die
darauf gegründete Lebensführung, bestehe zwischen der Existenz eines solchen
Gottes und seiner Nichtexistenz kein Unterschied mehr. Ähnliches gelte für
Spinoza, dessen entpersonalisiertes Gottesbild nicht nur das Gebet überflüssig
mache, sondern, so Gundling, aufgrund des darin angelegten Determinismus,
mit der Freiheit des Willens auch alle Tugend aufhebe:

Dann dieses Menschen sein GOtt ist die Welt. Seine ewige und unendliche substantz
ist einig und einerley in den Thieren / Pflantzen / Cörpern und Seelen / Steinen und
Holtz. […] Alles Gebet ist deßhalb eitel. Alle Tugend ist nichts: Laster und Tugend
gelten gleich; eben weil alles nothwendig / und ex physica rerum concatenatione so
seyn muß; und doch ist Spinoza wiederum nur ein Naturalist, kein Atheist. Warum?
weil er doch Gott nennet / und nicht saget / es ist kein GOtt. Dieser GOtt aber / mein
werthester Herr Doctor, und kein GOtt / ist moraliter eines.274

Diese Kassation jeglichen Gottesdienstes ist für Gundling freilich zuallererst


in der rigorosen negatio Dei enthalten, aber eben auch in deistischen oder
pantheistischen Denksystemen. Ähnlich wird wenig später auch noch Chris-
tian Wolff urteilen (s. u.). Hier liegt der Grund für Gundlings unnachgiebige
Haltung gegenüber Platon und Hippokrates. Auch wenn die Bedeutung des
Gottesdienstes schon allein theologisch hinreichend motiviert ist, deutet der
Verweis auf Tugend und Laster sowie der Rekurs auf den Atheismus practicus
darauf hin, dass Gundling hier ebenfalls eine moralische und damit politisch-
gesellschaftliche Dimension erkennt. Wir haben zudem weiter oben gesehen,

272
Gundling, Erste Reflexion über Herrn D. Trillers ›Hippocratem atheismi falso ac-
cusatum‹, S. 101: »Vielmehr hält das Wort Atheisterey eine Relation in sich / und supponi-
ret / daß die Menschen eine obligation haben / Gott zuglauben / oder zuerkennen / und
unter demselben nach seinen freyen und allweisen Willen zuleben.« – Den entschiedensten
Versuch, den Bund mit Gott zum Ausgangspunkt für die Bestimmung des Atheismus zu
nehmen, haben wir weiter oben bei Theodor Undereyck gesehen, s. o., Kap. II.3.3.
273
Ebd., S. 101–103: »Wer sich von dieser obligation zu befreyen gedencket / der ist
ein Atheist. Derjenige aber / welcher / wie Epicurus, GOtt ausser der Welt hinaus, ohne
daß ihme diese etwas angehen soll / setzet / verwirfft alle Obligation der Menschen gegen
GOtt. Darum ist der Schluß leicht zumachen / daß Epicurus ein Atheiste sey.« In einer
langen Anmerkung (S. 101) untermauert Gundling diese Feststellung mit einem Zitat aus
Bayles Continuation des Pensées diverses sur la comète, die genau diese Unterscheidung
am Beispiel Spinoza entwickelt. – Ähnlichkeiten bestehen schließlich zu Hobbes’ Ausfüh-
rungen zum Atheismus, die Gundling in seinem Hobbesaufsatz ja selbst ausführlich refe-
riert. Dort wird das Verhältnis zwischen Gott und Menschen im dem Begriff des Vertrags
(»pactum«) gefasst. Zu Hobbes s. weiter oben, Kap. I.3.5.
274
Ebd., S. 103. – Keineswegs hebt der Substanzmonismus in Spinozas Ethik eo ipso
die menschliche Handlungsfreiheit auf. Vgl. Timm 1974.
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462 Atheismus und Frühaufklärung

dass der von ihm hier eingeführte Begriff der obligatio bei Pufendorf auch im
Zentrum der naturrechtlichen Behandlung des Unglaubens gestanden hatte
( I.3.5). Abschließend bleibt daher zu fragen, wie Gundling, der ja vor allem
als Moralphilosoph und Jurist hervorgetreten ist, das Verhältnis von Atheis-
mus, Sittlichkeit und Staat veranschlagt wissen will.

3.4 »Die halbe moralische Wahrheit«


Gundling über Atheismus, Sittlichkeit und Staat

Eine erste eingehendere Stellungnahme zu diesem Problemkomplex versuchte


Gundling 1717 in der Dreyfachen Erinnerung an Herrn Assessor Elswig zu
Wittenberg.275 Dort griff er die seit etwa 1700 viel behandelte Frage nach dem
Verhältnis von Aberglaube und Atheismus auf, die 1682 durch Pierre Bayle
in provokanter Weise in die neuzeitliche Atheismusdebatte eingeführt wor-
den war ( IV.2).276 Wie Bayle hatte später auch Thomasius den Aberglauben
für politisch gefährlicher erklärt als den Unglauben, vor allem aufgrund seiner
weit größeren Verbreitung ( V.2.5). Während Gundling die Frage in seiner
Philosophia moralis (1713, 21726) noch als methodisch unzulässigen Vergleich
zwischen zwei grundlegend verschiedenen Klassen von Lehren (»toto gene-
re diuersa«) zurückgestellt hatte,277 zwang ihn der Angriff durch Elswig zu
einem alternativen Vorgehen. In seiner Dreyfachen Erinnerung untermau-
ert er zwar die methodischen Bedenken mit weiteren Erläuterungen,278 geht
aber doch insofern auf Elswigs Herausforderung ein, als er nun, wenngleich
zurückhaltend,279 Atheismus und Aberglauben anhand ihrer »Würckungen«
vergleicht.280 Eine plakative Aussage wird man von Gundling auch hier nicht
erwarten dürfen, vielmehr erstaunt er den heutigen Leser einmal mehr durch
einen Grad an aussagenlogischer Reflexion, der schon an Konstruktivismus zu
grenzen scheint:

Gesetzt aber, daß der Herr von Elswig nicht so wol die Atheisterey und den Aber-
glauben, als deren böse Würckungen hätte compariren, und hernach fragen wollen,

275
Wie Anm. 205.
276
Vgl. dazu und zum Folgenden insbesondere Pott 1992, S. 304–309.
277
Gundling, Ethica, S. 66: »Vtrum vero Atheus peior sit superstitioso, an hic illo,
absona quaestio est, quia toto genere diuersa comparat […].«
278
Gundling, Dreyfache Erinnerung, S. 358–372 (recte: 362). Knapp zusammenfas-
send: »Ich nenne toto genere diuersum, was mit einander gar keine Verwandtschafft hat,
und also zu einem gleichen Geschlecht nicht gehöret. Nun aber ist es Augenscheinlich mit
der Atheisterey und Aberglauben also beschaffen, immassen [!] dieser in nimietate timoris
divini, jene in vacuitate omnis timoris divini bestehet.« Ebd., S. 370 (recte: 360).
279
Ebd., S. 373 (recte: 363): »Aber was helffen uns dergleichen Streitigkeiten? dispu-
tiret man nicht und kämpffet, wie die Amadis-Ritter? hauet nicht einer dahin, der andere
sticht hieher? haben sie nach ihren Relationen nicht alle beyde recht?«
280
Ebd., S. 372 (recte: 362).
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Nicolaus Hieronymus Gundling 463

quid pejus, vel cujus pejores effectus? so würde ich geschwinde wiederum gesaget ha-
ben, daß es hier auf ein majus und minus ankomme, welches aber nach vielen und
gantz unterschiedenen Relationibus bald hier bald da variiret, und verändert wird.
Ein jeder hat in dergleichen Vergleichungen eine andere mensur, und, in gewisser Ab-
sicht, ein anderes objectum im Sinn. Die Grösse aber und Grade derselben sind nicht
in der Sache, sondern erwachsen erst aus einer Zusammenhaltung zweyer, oder meh-
rerer Dinge, und bestehen folglich in eines jeden Gedancken.281

Entsprechend scharf geht er daher mit den bisherigen Überlegungen zum


Thema ins Gericht.282 Er macht auch vor Bayle nicht halt, wenn er, ohne den
Namen eigens zu nennen, eine Schwachstelle in dessen berühmt gewordener
Argumentation aufdeckt. Wer die »thörichten und unruhigen« Auswüchse des
Aberglaubens mit dem Musterbeispiel eines theoretischen Atheisten (wie etwa
Spinoza) vergleiche, so Gundling, komme zwangsläufig zu dem hinlänglich
bekannten Ergebnis.283 Ganz anders liege der Fall, wenn man stattdessen auf
die »Principia« des Atheismus sehe und sich vorstelle, sie würden zur Richt-
schnur des praktisches Handelns werden: »Hingegen wann ich wiederum die
Principia eines Atheisten mit jenes Grundsätzen zusammen halte, und dabey
dencke, daß der Atheist darnach würcklich lebe; so folget von sich selbst, daß
dieser weit schlimmer, als jener sey; und so ferner.« Das hatte seinerzeit sogar
Bayle eingeräumt, aber mit dem Hinweis pariert, dass sich die wenigsten Men-
schen nach ihren Überzeugungen verhalten würden. Für Gundling wiederum
ist damit hinlänglich erwiesen, dass die bisherige Debatte, aufgrund beträcht-
licher »Schwachheiten des Judicii« auf beiden Seiten, mehr Missverständnisse
und Zirkelschlüsse als belastbare Ergebnisse hervorgebracht habe.284 In guter
thomasianischer Tradition kündigt er daher an, sich einer dezidierten Meinung
zu dieser Streitfrage bis auf Weiteres enthalten zu wollen.285

281
Ebd.
282
Ebd., S. 373 (recte: 363): »Diejenige Herren hingegen, welche bishero von dieser
Frage disputiret, haben davon über den Bausch geredet, und absolute, oder schlechterdings
behaupten wollen, die Atheisterey sey schlimmer, als der Aberglaube, gleichwie hingegen
jene hinwiederum dem Aberglauben eine grössere Abscheuligkeit ohne Bedingung zuge-
leget: da sie doch insgesamt nicht anderst gefochten, als diejenige, welche sich nicht ver-
gleichen können, ob der Petersberg hoch, oder nicht hoch sey, ob Versailles schöner oder
bequemer, oder auch schlechter und geringer, als das Schloß zu Dreßden, oder ein anderes
Sächsisches Lust-Haus sey.«
283
Ebd., S. 372 f. (recte 362 f.) »Also nun, wann ich den thörichten und unruhigen
Eiffer des Aberglaubens, welcher nichts als Verfolgung würcket, mit der Stille einer spe-
culativen Atheisterey zusammen halte, so ist es gewiß, daß in diesem Fall jener schlimmer
und gefährlicher sey, als dieser.«
284
Ebd., S. 375 (recte: 365).
285
Ebd.: »Bey so bewandten Umständen habe ich die gantze querelle nicht unbillig
vor unnöthig und ungereimt gehalten, und anbey nicht geringe Schwachheiten des Ju-
dicii, auf beyden Seiten, wahrgenommen, welche ich leichtlich entdecken könnte, wann ich
mich in dieses Gezäncke mischen wolte. Ich will und mag aber solches nicht thun […].«
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464 Atheismus und Frühaufklärung

Diese methodisch begründete Zurückhaltung darf nicht darüber hinweg-


täuschen, dass sich Gundling hier zur Frage nach den moralischen Implikati-
onen des Atheismus überaus deutlich geäußert hat. Streng betrachtet, so darf
seine Äußerung über die atheistischen »Principia« verstanden werden, hebe
die Gottesleugnung moralische Lehrsätze bzw. deren Wirksamkeit auf. Die
dazugehörige Begründung kann aus verschiedenen Stellen seiner übrigen
Schriften rekonstruiert werden. So bestimmt er in der Ethica (1713, 21726) die
am effektivsten wirksame Tugend als Verbindung von natürlicher Erkennt-
nisfähigkeit (cognitio naturalis) und Gottesfurcht.286 In Übereinstimmung mit
dem naturrechtlichen Voluntarismus eines Pufendorf erklärt Gundling die
Anerkennung eines göttlichen Willens zur Voraussetzung für das ernsthafte
Streben nach Tugend.287 Zwar billigt er dem Atheisten durchaus die Fähigkeit
zu, den göttlichen Willen als gültige Richtschnur zu erkennen (»suaderi eam
atheus perspiciat saepe«), aufgrund der fehlenden Anerkennung könne dabei
aber nicht mehr als eine partielle Einsicht in das Wesen der Tugend heraus-
kommen: »Atheus dimidiam duntaxat veritatis moralis partem perspicit.«288
Dennoch: Pufendorfs Empfehlung, den Atheismus mit »schwersten Strafen«
(»gravissimis poenis«) zu belegen,289 hat sich Gundling nicht mehr angeschlos-
sen. Das geht aus seiner nachgelassenen Erläuterung zu Pufendorfs Schrift De
officio hominis et civis eindeutig hervor. Im Stellenkommentar zur besagten For-
mulierung unterscheidet Gundling wie zuvor die praktischen (»welches gute
wollüstige Brüder sind, und so in den Tag hineinleben, als wäre kein GOtt«)290
von den harmlosen selbst ernannten291 und diese wiederum von den ›spekulati-
ven‹ Atheisten. Die Letzteren definiert er exakt im Sinne seiner frühen Platon-
und Hippokratesstudien als Spinozisten oder Pantheisten, die zwischen Gott
und Welt nicht klar unterscheiden292 oder gar eine Materie »ab aeterno« pos-
tulieren würden.293 Selbst wenn nun aber, wie Gundling analog zur Replik an

286
Gundling, Ethica, S. 65: »Igitur perfectius ratiocinantur ac fortius constringun-
tur, qui DEI timorem cognitioni naturali de virtute adiungunt, eamque adiungendam esse
vident.«
287
Ebd.,, S. 64: »Itaque sine voluntatis diuinae agnitione serio nemo virtutem secta-
bitur […].«
288
Ebd., S. 65; in deutscher Teilübersetzung in der Überschrift dieses Kapitels.
289
Pufendorf, De officio hominis et civis, Lund 1673, S. 38. Mehr dazu in Kap. I.3.5.
290
Erläuterung über Samuelis Pufendorfii zwey Bücher De Officio hominis & civis
secundum legem naturalem, Hamburg 1744, S. 74.
291
Ebd.: »Andere suchen eine Gloire darinnen, daß sie pro Atheis gehalten werden,
und discurriren überall davon, sie raisonniren aber nicht viel dabey, denn wenn man sie
fraget, wissen sie nichts. Vor solchen nun hat man sich nicht zu fürchten.«
292
Ebd., S. 74 f.: »Es giebet aber auch Atheos Speculativos, die zwar sagen DEum
existere, allein sie statuiren DEus & Mundus wären eine substantia, welche nur varias qua-
litates hätte […].« – Zusammenfassend S. 77: »Wer nicht zugeben will, die Welt sey von
GOtt erschaffen, und sey was differentes von GOtt, der ist ein Atheiste. Denn hierinnen
stecket eben der Atheismus, wenn man DEum & mundum confundiret.«
293
Ebd., S. 76 (über Aristoteles und Platon).
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Nicolaus Hieronymus Gundling 465

Triller festhält, die Einheit von Gott und Welt mit den Strafen und Belohnungen
auch Tugend und Laster aufhebe, erscheint es ihm dennoch nicht gerechtfertigt,
Atheisten mit schweren Strafen zu belegen. Die Begründung – dass nämlich der
Atheist wie jeder Mensch nicht nach seinen Grundsätzen lebe (»non vivit secun-
dum sua principia«) – ist offensichtlich von Bayle hergenommen, ebenso der re-
lativierende Hinweis auf die weit größere Gefährdung durch den Aberglauben,
die Gundling hier ohne Rücksicht auf seine eigenen, weiter oben skizzierten
methodischen Bedenken konstatiert:

Wenn DEus und mundus eines ist, so ist keine virtus, kein vitium; denn es ist da
ein fatum, und was geschiehet, muß so geschehen; so ist auch da weder poena, noch
praemium. Auf solche Weise aber wird es nichts als Tumult in der Welt setzen. Daher
sind auch viele der Meynung, man solte die Atheisten auf das schärfste bestraffen. Sed
Atheus non vivit secundum sua principia, so wenig als alle andere Menschen, die nach
ihren Affecten und passionibus leben. Viele haben gute principia und leben doch nicht
darnach. […] Der gröste Lermen aber in der Welt kommet von denjenigen her, die
einer Religion zu gethan sind, und sonderlich von denen Superstitiosis. Warum will
man demnach den Atheum straffen? er thut ja andern Leuten nichts.294

Das ist auch insofern bemerkenswert, als Gundling hier einerseits, ungleich
Thomasius oder später Wolff, den (spinozistischen) Atheismus für unverein-
bar mit einer am Prinzip des freien Willens orientierten Tugendethik erklärt,
dabei aber andererseits aus dieser Feststellung keine politischen oder straf-
rechtlichen Schlussfolgerungen ableiten will. Neben dem Bayleargument be-
züglich der Inkonsequenz menschlichen Handelns bringt er dazu noch zwei
weitere Überlegungen ins Spiel. Zum einen sei der Atheismus per se nicht
strafbar, als Irrtum entspringe er nämlich der gleichen »Schwäche des mensch-
lichen Geistes« (»imbecillitas humani intellectus«) wie das unmoralische Han-
deln selbst.295 Zum anderen aber, und hierin hebt sich Gundling deutlich von
Thomasius, Wolff und der älteren Staatslehre ab, sei auch von der Veröffent-
lichung atheistischer Ansichten nicht viel zu befürchten, da die Mehrheit der
Bevölkerung »dergleichen Speculationibus« gar nicht zu folgen vermöge.296 An
dieser Stelle hat sich Gundling, der auch anderweitig mit großem Nachdruck

294
Ebd., S. 77. Auf die Stelle verweist auch Gawlick 1989, S. 273, Anm. 82, wenn er
Gundling eine tolerante Haltung gegenüber Atheisten bescheinigt.
295
Ebd., S. 78: »Ja, sprichst du, er hat einen innerlichen Gifft bey sich. Was gehet aber
das dich an? es ist einn [!] Error; willst du ihm wohl den errorem durch den Staup-Besen
benehmen? Error per externam vim non deprimitur. Es ist eine imbecillitas humani intel-
lectus, die kann durch Feuer und Schwerd nicht verbessert werden.«
296
Ebd.: »Will man sich etwan befürchten, er mögte andere verführen, so hat es wohl
so keine grosse Gefahr; denn es sind nicht alle Menschen capable zu dergleichen Specula-
tionibus, sondern nur die Cholerico-Melancholici.« – Schon Thomasius hatte die Atheisten
als Melancholiker eingestuft ( V.2.5), daraus jedoch andere Schlüsse gezogen. Gundling
selbst hat sich auch ausführlich zum Temperament der superstitiosi geäußert: Vgl. Pott
1992, S. 305–308.
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466 Atheismus und Frühaufklärung

für die Denkfreiheit eintrat,297 weiter hervorgewagt als alle anderen hier behan-
delten Autoren.
Seine gründlichste Einlassung zur politischen Relevanz des Atheismus
und zugleich eine Summe der bisherigen Überlegungen enthält die ebenfalls
postum aus Kollegmitschriften veröffentlichte Einleitung zur wahren Staats-
klugheit (1751). Im 14. Kapitel, Von der Klugheit die Religion zum Besten des
Staates zu dirigiren, muss sich Gundling dort auch mit der »Schädlichkeit der
Atheisterey in Ansehung des Staats« befassen298 und kommt dabei überra-
schend zu einem anderen Ergebnis. An der Notwendigkeit der Religion für
die »Wohlfahrt« des Gemeinwesens besteht für Gundling kein Zweifel,299 er
verbleibt damit ganz in der Tradition von aristotelischer Politica, Naturrecht
und Kameralistik. Bayles Argumentation wird penibel abgearbeitet, die Exis-
tenz lasterhafter Christen,300 aber auch atheistischer Völker wie der Irokesen
oder Kanadier freimütig zugegeben, wie inzwischen auch vonseiten der luthe-
rischen Orthodoxie ( V.5.1), der bayleschen Schlussfolgerung aber dennoch
eine Absage erteilt. Schließlich, so Gundling in Übereinstimmung mit Chris-
tian Wolffs Deutscher Politik (s. u.), wolle ein Europäer nicht leben »wie das
Vieh«, die von Bayle und anderen bemühten Beispiele gäben also kein taugli-
ches Vorbild für das abendländische Staatsdenken ab:

297
Vgl. Gawlick 1989, S. 273; Zenker 2012, S. 181–190.
298
Gundling, Einleitung zur wahren Staatsklugheit. Aus desselben mündlichen Vor-
trag […] aufgezeichnet, Frankfurt u. Leipzig 1751, S. 550 (Marginalie). – Da es sich um
eine Kollegnachschrift handelt, kann der Text nur unter Vorbehalt als Gundlings eigene
Aussage gewertet werden. Es lassen sich aber, wie gleich gezeigt werden wird, deutliche
Bezüge zu früheren Stellungnahmen finden, die Gundlings Autorschaft insgesamt nahe-
legen. Schwieriger gestaltet sich die Frage nach der Datierung. Wie dem Vorbericht der
Herausgeber zu entnehmen ist, setzt sich der Text aus Mitschriften sowie Notizen Gund-
lings zu drei verschiedenen, zeitlich auseinanderliegenden Vorlesungen zusammen. Ob die
restriktiveren Aussagen der Staatsklugheit also vor oder nach dem Pufendorf-Kommentar
getroffen wurden, ob sie – was wahrscheinlich ist – von den Herausgebern anstelle an-
derer, provokanterer Aussagen zur Publikation bestimmt wurden, ist auf diesem Wege
kaum zu ermitteln. Ohnehin kann es hier nicht darum gehen, Gundlings letztes Wort in
der Sache zu ermitteln und daraus eine überlegene Gültigkeit gegenüber anderen Äuße-
rungen abzuleiten. Auch ein so bedeutender Forscher wie Günter Gawlick, der Gundling
als »Freund der Freiheit« (sc. des Denkens) bezeichnet und seinen Einsatz für die »Dul-
dung der Atheisten« hervorhebt (1989, S. 273), muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass
er hier Gundlings Haltung im Pufendorf-Kommentar repräsentativen Rang zumisst. In
einem früheren Aufsatz hat er selbst gegensätzliche Aussagen Gundlings aus den Philoso-
phischen Discoursen zitiert (s. Gawlick 1986, S. 23).
299
Im Pufendorf-Kommentar stellt er dagegen die von Pufendorf vertretene These
von der Religion als »vinculum die menschliche Societät zu erhalten« den bayleschen Ein-
wänden gegenüber, ohne selbst Stellung zu beziehen (Thomasius, Erläuterung, S. 85 f.).
300
Staatsklugheit (Anm. 108), S. 551 f.: »Ja es ist zwischen einem theoretischen oder
speculativischen Atheisten, und zwischen einem Christen, der ein ruchloses Leben führet,
in der That kein Unterscheid: denn beide haben die Begierde zur Richtschnur.«
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Nicolaus Hieronymus Gundling 467

Allein diese Exempel stossen den obigen Satz nicht um, indem ja niemand sagen kann,
daß dergleichen wilde und keine Erkenntniß von GOtt habende Nationen sich in
einem solchen Zustande befinden, daß man ihre Republic für vernünfftig, ordentlich
und klüglich eingerichtet halten könnte. Lebet denn ein Volk glücklich, das in den Tag
hinein und ohne Ueberlegung dahin lebet, wie das Vieh? Menschen, die vernünfftig
denken und leben wollen, müssen den Schöpfer der Welt und dessen undendliche
Weißheit und Macht erkennen und verehren.301

Nicht Moralität allein also, sondern auch Kultur bildet hier den Maßstab, nach
dem die Frage der Religion im Staat entschieden werden müsse. Einen weite-
ren wichtigen Unterschied zwischen einem Atheisten und einem noch so las-
terhaften Christen sieht Gundling jedoch, hier wieder ganz pragmatisch, in der
Möglichkeit zu Einsicht und Bekehrung: »Allein ein Mensch, der eine Religi-
on hat, dabey aber ein lasterhafftes Leben führet, ist doch leichter zu bekehren
und wieder auf den rechten Weg zu bringen, weil er noch eine Empfindung
von der Religion und eine Furcht vor der Gottheit hat.«302 Und schließlich
weist er wie schon sein Lehrer Thomasius ( V.2.4) auf die Gefahr heimli-
cher Verbrechen hin, also auf den Bereich moralischen Handelns, der sich dem
Zugriff der Gesetze entziehe.303 Das umfasst für ihn auch die Gefahr politi-
scher Verschwörungen.304 Obwohl er also, abermals mit Thomasius und auch
mit Wolff, den Atheismus selbst nicht als strafbares Delikt ansieht, zudem
die wenigen »wirklichen und systematischen Atheisten« wie schon im Pu-
fendorfkommentar als gelehrte Melancholiker für harmlos erklärt,305 schließt
er seine Ausführungen mit der politischen Empfehlung, die öffentliche Zur-
schaustellung des Atheismus im Gemeinwesen zu verhindern: »Um dieser
Ursache willen, thut ein Fürst nicht wohl, wenn er Atheisten in seinem Lan-
de öffentlich dultet, weil sonsten zu befürchten ist, daß das Uebel weiter um
sich greife.« Dass allerdings die Anklage auf Atheismus eine genaue Prüfung
erfordere, weil die Mehrzahl der bisherigen Beschuldigten den Tatbestand
keineswegs erfüllt hätten, betont Gundling in aller Deutlichkeit und knüpft
darin an seine früheren Überlegungen zur apologetischen Überführungsme-
thodik an:

301
Ebd., S. 551.
302
Ebd., S. 552.
303
Ebd.: »Es kann zwar kommen, daß ein Atheist zurück hält, äusserlich still, ge-
recht und ehrbar lebet: aber wie, wenn er die Hoffnung hat, ungestrafft durchzukommen,
oder eine Bosheit heimlich zu halten? Wie, wenn er stärker und mächtiger wird?«
304
Ebd.: »Denn wenn viel Leute mit atheistischen Lehr-Sätzen eingenommen seynd,
so entstehen leichtlich Conspirationen und Complots.« – Diese Sichtweise, die nicht wei-
ter begründet wird, könnte tatsächlich von Thomasius (s. o.) übernommen worden sein.
305
Ebd., S. 554: »Kurz, der theoretischen und systematischen Atheisten seynd sehr
wenig, und diejenigen, welche es seynd, thun keinen sonderlichen Schaden: denn der tau-
sendste versteht ihre Lehr-Sätze und vermeyntliche Beweise nicht, lieset auch ihre Bücher
nicht, als welche fast durchgehends dunkel, abstract, metaphysisch, und von dem, was die
Erfahrung lehrt, entfernet seynd.«
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468 Atheismus und Frühaufklärung

Wenn man alle die, so der Atheisterey beschuldiget worden, durchgehet und her-
zehlet, so seynd, wie in der Gelehrten-Historie gezeiget wird, kaum sechs darunter,
denen man mit Recht den Atheisten-Titul giebt; die andern seynd fälschlich und ohne
Grund in solchen Verdacht gezogen worden.306

Wie sein Lehrer Thomasius, so war zu zeigen, legt auch Gundling keineswegs
eine durchgehend liberale – geschweige denn radikale – Haltung gegenüber
dem Atheismus an den Tag. Sein bemerkenswertes Plädoyer für die politi-
sche Unbedenklichkeit des Atheismus im Pufendorfkommentar steht neben
anderslautenden Äußerungen. Die prä- und frühaufklärerische Tendenz zur
Exkulpation vermeintlicher antiker Atheisten ( IV.5) durchbricht er mit sei-
nen Abhandlungen über Hippokrates und Platon. Trotz seiner Verteidigungs-
schrift für den Philosophen Hobbes, trotz der durchgängigen Sympathie für
Pierre Bayle, dem er auch methodisch viel verdankt, kommt es bei Gund-
ling also keineswegs zu einer generellen Absage an die apologetische Tradi-
tion.307 Als guter Eklektiker bemüht er sich vielmehr um begründete Urteile
am Einzelfall, als Staatsdenker differenziert er schärfer als selbst Thomasius
zwischen der prinzipiellen Einsichtsfähigkeit von (gelehrten) Atheisten in
moralische Lehrsätze und der auch weiterhin, nämlich für die breite Menge
der Bevölkerung,308 notwendigen Gottesfurcht, um sich auch da, wo der Arm
des Gesetzes nicht hinreicht, tugendhaft zu verhalten. Auf interessante Weise
bleibt so die Religion Voraussetzung gerade für eine vergleichsweise liberale
Staatsauffassung, die dem (christlichen) Bürger mit der moralischen Selbstver-
antwortung auch einen politisch-juristischen Freiraum belässt. An Christian

306
Ebd., S. 553 f.
307
So auch, ganz und gar zutreffend, Mulsow 2002, S. 304: »Es ist interessant, wie
paradox hier die Allianzen verteilt sind. Gundling, der liberale Hallenser Professor, läßt
sich von Buddes Gegner Wachter anregen, dem späteren Freigeist. Zimmermann, Gund-
lings Opponent, führt die Sprache der Verteidigung unschuldig Angeklagter ausgerechnet
gegen Gundling, einen der größten Kämpfer gegen die ›Ketzermacherei‹ seiner Zeit.«
308
In seinen Satyrischen Schriften hat Gundling diesen Gedanken schon 1713 deut-
lich boshafter zugespitzt. Weitaus gefährlicher, heißt es dort, als die Schriften von Athe-
isten, die von der breiten Menge nicht verstanden würden, seien lasterhafte Priester auf-
grund ihrer Autorität und Vorbildfunktion gegenüber der Bevölkerung: »Dann wer wil
doch glauben, daß dieser [sc. Prediger] nicht ein Betrüger, oder Tartuffe sey, der anderst
prediget, und anderst lebet: der da spricht, du sollst nicht ehebrechen, und ist selbsten
ein geiler Sperling, ein galanter Ehebrecher; oder zum wenigsten, wann er in Assembleen
ist, ein stuprator opticus, ein heimlicher Puls-Fühler. Ein solcher Prädicant ist viel schäd-
licher, als der allergottloseste Atheist. Dessen spitzfündige Raisonnements verstehet der
tausendste nicht, auch vielleicht unter hunderten Pastoribus nicht einer. Aber das böse
Leben des ansehnlichsten Bischoffes erblicket der Bauer, erkennet der Bürger, verstehet
der Soldat, erlernet der Student, und wird dadurch zur thätigen Atheisterey verleitet, daß
er mit seinem Superintendenten in einem atheistischen Leben forttrabet, und sich hernach
mit dem Exempel eines solchen fürtreflichen Kirchen-Lehrers schützet.« Das Bild eines
galanten Theologi in der Persona des *** (1713), in: Gundling, Satyrische Schriften, Jena
1738, S. 585–589, hier S. 588 f.
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Christian Wolff 469

Wolff wird dieser Gedanke im nächsten Kapitel weiter zu verfolgen sein. Er


hat ihn von allen Vertretern der frühen Aufklärung, zugleich als maßgeblicher
Vordenker der Hochaufklärung, am systematischsten entfaltet.

4. Begriffliche Präzision und politischer Konservativismus


Der Fall Christian Wolff und die Ambivalenzen der Aufklärung

4.1 Bilanz des Bisherigen


Zum apologetischen Schulterschluss von Aufklärung und Orthodoxie

Im Verlauf des Kapitels hat sich wiederholt gezeigt, dass sich die Entwicklung
nach Arnold, Thomasius und Budde nicht als linear fortschreitende Liberali-
sierung vollzog. Vielmehr war mit der Hallenser Frühaufklärung, an der auch
Budde Anteil hatte, ein Reflexionsniveau im Umgang mit dem Atheismus-
begriff und dem darum gruppierten Argumentationskomplex erreicht, das
für geraume Zeit nicht mehr eingeholt werden sollte. In der akademischen
Theologie, die oben ausführlicher zu Wort kam ( V.1), fanden diese Tenden-
zen insofern Gehör, als auch dort eine Korrektur des alten Voetiusmodells
vorgenommen wurde. In seiner Theologia naturalis hatte Wolff, wie oben
nachgewiesen ( V.1.4), den Begriff des praktischen Atheismus durch peni-
ble Definitionsarbeit gegen jeglichen denunziatorischen Einsatz abgesichert.
Keineswegs jedoch führte diese Präzisierung und heuristische Zurückhaltung,
wie sich selbst bei Thomasius und Gundling zeigte, zu einer Verharmlosung
des Atheismusvorwurfs und zur Abschwächung der damit verbundenen
moralisch-politischen Angstszenarien. Selbst da, wo der notwendige Zusam-
menhang von Atheismus und Unsittlichkeit bestritten wurde, wie etwa bei
Thomasius oder Gundling, wurde ihm noch lange keine politische Unbedenk-
lichkeit bescheinigt.
Wolffs Haltung zum Atheismus weist exakt diese Ambivalenzen auf. Das
lässt sein Werk für unsere Fragestellung besonders interessant erscheinen, zu-
mal sich Wolff weit mehr als sein genialischer Kollege Thomasius um Wider-
spruchsfreiheit im Rahmen seines enzyklopädischen Lehrgebäudes bemühte.
Zwar setzte er sich wie dieser (ebenfalls aufgrund eigener Betroffenheit) kritisch
mit dem Problem der Konsequenzenmacherei auseinander und schränkte den
Geltungsbereich des Atheismusbegriffs auf die negatio Dei ein; zwar bestritt er
von seinen frühen Schriften an einen notwendigen Zusammenhang zwischen
Atheismus und Unsittlichkeit, erarbeitete für das Naturrecht die Theorie einer
obligatio naturalis und kritisierte die Inkohärenz des Atheus practicus-Mo-
dells; gleichwohl aber reservierte er den höchsten Grad der Tugend auch wei-
terhin für die Offenbarungsreligion, plädierte als Staatsdenker für das Verbot
des offenen Atheismus, ja selbst Deismus, und ihrer Verbreitung, so wie er als
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470 Atheismus und Frühaufklärung

Naturrechtslehrer umgekehrt den Besuch von Gottesdienst und Religionsun-


terricht unter die staatsbürgerlichen Pflichten zählte. Wie Thomasius machte
sich Wolff also gegen die inflationäre Anwendung des Atheismusbegriffs und
die vorschnelle Überführungspraxis in der Voetiusnachfolge stark. Wo er aber
den Tatbestand des Atheismus für gegeben ansah, stufte er ihn als politisches
Risiko ein, obgleich er die prinzipielle Tugendfähigkeit von Atheisten nicht
mehr infrage stellte.
Wolffs Einstellung zur Atheismusproblematik wird häufig als zu libe-
ral eingeschätzt, weil er bekanntlich selbst als Atheist verdächtigt, öffentlich
angegriffen und 1723 mit königlicher Order aus Preußen verbannt wurde.309
Auslöser war die im Juni 1721 gehaltene Prorektoratsrede Oratio de Sinarum
philosophia practica, in der Wolff Konfuzius und mit ihm den alten Chinesen
eine tadellose Sittenlehre bescheinigte.310 Seine Gegner, angeführt von Joachim
Lange, dem eminentesten Kopf der Hallenser Pietisten ( V.5.3), erwirkten
durch Intervention beim König seine Entlassung und Vertreibung, bei Andro-
hung der Todesstrafe. Der spektakuläre Fall, effektvoll kontrastiert durch die
ehrenvolle (übrigens schon vorher eingeleitete) Rückberufung auf persönliche
Veranlassung Friedrichs des Großen im Jahr 1740, ist geradezu sprichwörtlich
für die Emanzipationsgeschichte der frühen Aufklärung von kirchlicher Be-
vormundung geworden. Er fehlt in kaum einer Darstellung der Epoche311 und
hat Wolff den Beinamen eines »Kronzeugen« oder gar »Märtyrer[s] der Auf-
klärung« eingetragen.312 Inwiefern sich diese persönliche Erfahrung in Wolffs
moralischer und politischer Beurteilung des Atheismus niedergeschlagen hat,
wird nun, aufgrund der herausragend exemplarischen Bedeutung der Causa
Wolff, ausführlicher zu erörtern sein.

4.2 Tugend ohne Religion?


Wolffs Rede über die Chinesen

Auf der Grundlage der bisher erarbeiteten Ergebnisse lässt sich der Kernpunkt
des berühmten Streits etwas präziser bestimmen. Tatsächlich hatte Wolff, zu-

309
Zum Vorgang vgl. nach wie vor Zeller 1865; Hinrichs 1971; ferner Albrecht 1985,
S. XLVI–LIII (mit reichhaltigen Literaturhinweisen), sowie, mit neuerem Archivmaterial,
Beutel 2001 und Mahlmann-Bauer 2010.
310
Vgl. dazu, im Zusammenhang der Frage nach dem ›tugendhaften Atheisten‹, Cze-
linski-Uesbeck 2007, S. 164–168. Weitere Literaturhinweise im Folgenden.
311
Vgl. exemplarisch Alt 32007, S. 19 f; Meid 2009, S. 889; Stolberg-Rilinger 22011,
S. 112; unlängst noch Martus 2016, S. 263–283; bemerkenswerte Ausnahme: Kondylis
2
1986; dass sich die Anekdote besonders als Zielscheibe antiborussischer Affekte eignet,
versteht sich von selbst, vgl. etwa Augstein 21981, S. 92 (im Kapitel mit dem bezeichnenden
Titel Der unaufgeklärte Staat); sachlicher: Engelmann 1979, S. 78; etwas zu verständnis-
voll dagegen, mit Einblicken ins berühmte ›Tabakskollegium‹, Venohr 1988, S. 343.
312
So Albrecht 1985, S. IL [= 49] (»Kronzeugen der Aufklärung«); Ders.: in: Neuer
Ueberweg 18/5, 2014, S. 116 (»Märtyrer der Aufklärung«).
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Christian Wolff 471

nächst in der deutschen Ethik von 1720, die Unabhängigkeit der philosophi-
schen Ethik von natürlicher oder offenbarter Religion behauptet. Das hat ihm
schon im 19. Jahrhundert die unverhohlene Begeisterung einer liberal orien-
tierten Kulturgeschichtsschreibung beschert.313 Bei genauerem Hinsehen stellt
sich heraus, dass Wolff hier, in der Nachfolge von Grotius, an die alte Etiamsi
daremus-Formel anschließt.314 Er postuliert also, dass die moralischen Grund-
sätze, die er in seiner Ethik entfaltet, durch die Vernunft erkannt werden kön-
nen und Gültigkeit auch für den ausdrücklich hypothetischen Fall besäßen,
dass es keinen Gott gebe, der ihre Einhaltung überwache.315 Folglich gelten sie
auch für Atheisten:

Und also irren diejenigen / welche ihnen einbilden / ein Atheist möge leben / wie er
wolle / und werde auch alle Schandthaten und Laster in der That begehen/ wenn er
nur von bürgerlichen Straffen frey ist: denn dieses trifft nur ein / wenn ein Atheist
unverständig ist / und die Beschaffenheit der freyen Handlungen nicht recht einsie-
het. Daher bringet ihn nicht die Atheisterey zum bösen Leben, sondern seine Un-
wissenheit und sein Irrthum von dem Guten und Bösen / aus welcher Quelle auch
bey anderen / die keine Atheisten / ein unordentliches Leben und unrichtiger Wandel
entspringet.316

Für Wolff wie für den Naturrechtslehrer Grotius hat diese Überlegung den
Vorzug, dass die rational einsehbaren moralischen Lehrsätze Geltung auch un-
abhängig von religiösen oder überhaupt kulturellen Prämissen besitzen. Da-
mit wird das von Hobbes erkannte Problem umgangen, dass sich ein Atheist
nicht an das göttliche Gesetz gebunden fühlen müsse, da er ja dessen Existenz
verleugne, und insofern auch nicht strafrechtlich belangbar sei.317 Demgegen-
über ist die von Wolff entwickelte Vollkommenheitsethik so konzipiert, dass
ihre Bestimmungen selbst von Atheisten eingesehen werden können und müs-
313
Hier ist vor allem Hermann Hettner zu nennen, der Wolff in seiner bekannten
Literaturgeschichte mit emphatischem Tonfall würdigt: »So entschieden war in Deutsch-
land noch nie die Unabhängigkeit der Moral von der Theologie behauptet worden. Nicht
ein Schüler der leibnizschen Philosophie spricht aus diesen Sätzen, sondern ein Schüler
Bayles.« Hettner 1862, Bd. III.1, S. 226.
314
Vgl. Bissinger 1983, S. 154; Czelinski-Uesbeck 2007, S. 161 f.; zum Etiamsi dare-
mus-Theorem, das über die barocke Naturrechtsdiskussion bis in die spanische Spätscho-
lastik zurückführt, s. Kap. I.3.5 (mit Literatur).
315
Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Laßen, zu
Beförderung ihrer Glückseligkeit den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet, Halle 1720,
S. 15 (§ 20): »Wiederumb weil diese Regel wegen der Verbindlichkeit ein Gesetze wird, die
Verbindlichkeit aber von der Natur kommet (§. 12); so ist das Gesetze der Natur durch
die Natur fest gestellet worden / und findete stat / wenn auch gleich der Mensch keinen
Oberen hätte, der ihn dazu verbinden könnte; ja es würde statt finden / wenn auch gleich
kein GOtt wäre.«
316
Ebd., S. 15 f. (§ 21). Zu gleichlautenden Überlegungen, die Wolff in der späteren
Philosophia practica universalis (1739) entwickelt hat, vgl. Hüning 2002, S. 235–239, und
(wenig eigenständig) Czelinski-Uesbeck 2007, S. 162–164.
317
Siehe dazu weiter oben, Kap. I.3.5, dort auch weiterführende Literatur.
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472 Atheismus und Frühaufklärung

sen.318 Weit entfernt also, dass Wolff Theologie und Religion für überflüssig
erklären will, trifft er vielmehr Vorkehrungen für den – um 1720 nicht mehr
unwahrscheinlichen – Fall, dass ihre Geltung von anderen bestritten wird.319
Gleichwohl sind derart radikale Schlussfolgerungen in Wolffs System implizit
angelegt. Dass sie gezogen wurden, insbesondere im Milieu des sogenannten
Linkswolffianismus,320 darf möglicherweise unter die unintentional effects ge-
rechnet werden, mit denen die Ideengeschichtsschreibung zweifellos zu rech-
nen hat.321
Dass die Prorektoratsrede tatsächlich nicht als Beleg für Wolffs heterodoxe
Gesinnung und als eine Befürwortung der Baylethese von der Möglichkeit ei-
nes atheistischen Gemeinwesens zu verstehen ist, ergibt sich aus der Lektüre
des Textes gleich in zweierlei Hinsicht.322 Zum einen nimmt Wolff die Chine-
sen ausdrücklich vom Atheismusvorwurf aus; zum anderen billigt er ihnen nur
den niedrigsten von insgesamt drei Graden der Tugend zu, nämlich die rein
rationale Erkenntnis des Unterschieds guter und böser Handlungen ohne die
Unterstützung durch die natürliche oder die offenbarte Religion als den bei-
den vornehmeren Graden.323 Denn (und hier liegt der Ansatzpunkt für begreif-
bare Missverständnisse) bei den alten Chinesen sieht er Anzeichen weder für
die eine noch für die andere Art von Religion. Dass hier ein besonders heikler
Punkt seiner Argumentation lag, hat Wolff freilich gewusst und ihm daher

318
Dass Wolffs Konzeption einer obligatio naturalis, einer nicht mehr theonom
abgesicherten Verbindlichkeitslehre, in späteren Werken, insbesondere der Theologia na-
turalis, doch wieder durch einen naturrechtlichen Voluntarismus unterlaufen wurde, die
Lehre nämlich, dass die natürliche Verbindlichkeit ihrerseits von Gott gestiftet worden sei,
ist in der philosophie- und rechtsgeschichtlichen Forschung präzise herausgearbeitet wor-
den. Vgl. Bissinger 1983, S. 153 f.; sehr differenziert Hüning 2002, S. 241 f.; grundsätzlich,
mit Blick auf die Tradition: Lutterbeck 2002, S. 36–41.
319
In diesem Sinne hat sich Wolff bereits 1724 in seiner Verteidigungsschrift gegen
Budde geäußert: »Es ist gewiß eine sehr unverantwortliche Sache, daß man Leute, die sich
angelegen seyn lassen, die Atheisterey gründlich zu widerlegen, selbst verdächtig machen
will, da man bey jetziger Zeit gnug Ursache hätte, wie man derselben vorbeugen solte.«
Christian Wolff, Herrn D. Joh. Francisci Buddei S.S. Theol. P.P.O. zu Jena Bedencken über
die Wolffianische Philosophie, Frankfurt am Main 1724, S. 5, Anm. f.
320
Vgl. dazu Mühlpfordt 1983, Straßberger 2010a.
321
Zum Konzept der unintentional effects, ursprünglich von der Cambridge School
of Political Thought entwickelt, vgl. Mulsow 2002, S. 23–25, mit weiterer Literatur.
322
Folgende Nachweise mit Seitenzahlen im Fließtext nach der maßgeblichen Editi-
on Michael Albrechts: Christian Wolff, Oratio de Sinarum philosophia practica. Rede über
die praktische Philosophie der Chinesen. Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Mi-
chael Albrecht. Lateinisch-deutsch. Hamburg 1985. – Aufgrund der guten Zugänglichkeit
des digitalisierten Originaldrucks werden jeweils die Seitenzahlen der von Wolff besorgten
Ausgabe (1726) und der Neuedition vermerkt. Zur komplexen Überlieferungsgeschichte
vgl. die Hinweise des Herausgebers (Albrecht 1985), ebd., S. XC-CI. – Unter den zahl-
reichen Untersuchungen zu Inhalt und Argumentation der Rede sind, neben Albrechts
Einleitung, hervorzuheben: Albrecht 1992, Czelinski-Uesbeck 2007, S. 164–168; Hüning
2016, S. 412–416.
323
Vgl. Albrecht 1992, S. 157; Czelinski-Uesbeck 2007, S. 166 f.
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Christian Wolff 473

anlässlich der Druckfassung eine ausführliche Anmerkung (Nr. 54) gewidmet,


in der er sich, wie schon Lassenius, Fabricius und Johann Christian Wolf vor
ihm, mit Reiseberichten von Missionaren auseinandersetzt.324 Das Ergebnis ist
zwiespältig. Zwar sieht er keine Anzeichen eines manifesten Atheismus, muss
aber einräumen, dass die ›alten Chinesen‹ offenbar nichts von einem Gott im
Sinne der christlichen Offenbarung oder der natürlichen Theologie gewusst
haben. So lautet das um 1726 sicherlich provokante Fazit:

Sinenses antiqui, de quibus nobis sermo est, cum nulla universi Autorem ignorantibus
esset religio naturalis, multo minus aliqua revelationis divinae documenta innotuis-
sent, non aliis quam naturae viribus iisque ab omni religione puris ad virtutis exerciti-
um promovendum uti poterant. Eos autem felicissime iisdem usos fuisse, mox plenius
constabit. (36 ff./26)325

Die Beurteilung dieser Darlegungen steht und fällt mit der dort angelegten
Definition des Atheismus. Und hier zeigt sich, dass Wolff – zumindest in der
schriftlichen Fassung von 1726 – auf einem sehr eingeschränkten Verständnis
des Begriffs besteht, wie es von Fabricius, Arnold und Thomasius, inzwischen
aber selbst von Vertretern der Orthodoxie wie Löscher (s. u.) gefordert wor-
den war. Unter Atheismus will Wolff allein die negatio Dei verstanden wissen:
»Atheus enim est, qui negat esse Deum« (41/152). Dieses Urteil setze nun aber,
so Wolff weiter, eine deutliche Erkenntnis Gottes und seiner Eigenschaften
voraus.326 Unter diesen Voraussetzungen will er weder Konfuzius noch die
»alten Chinesen« im Allgemeinen des Atheismus beschuldigen: »Facile tamen
largior, neque Sinas veteres, neque Confucium fuisse atheos.« (41/152, Her-
vorh. im Orig.) Gleichzeitig sei jedoch ihr allenfalls ›verworrenes‹ Verständnis
eines höchsten Wesens noch nicht als natürliche Religion zu qualifizieren.327
Ganz offensichtlich bemüht sich Wolff in seiner Rede, der negativen wie der
positiven Verdächtigungshermeneutik in der Nachfolge von Fabricius’ Apolo-
geticus pro genere humano ( IV.5.2) zu entgehen. Da er innerhalb der Rede
auf eine Auseinandersetzung mit der gelehrten Literatur zum Atheismus ver-
324
»Magna controversia est inter ipsos Patres Missionarios ex Societate Jesu &
Dominici familia, utrum Sinae veteres fuerint athei, an Dei aliquam notitia habuerint.«
(38/144) – Wolffs Beschäftigung mit China behandelt ausführlich Albrecht 1985, S. XXI–
XLVI; zum Chinabild der frühen Aufklärung vgl. ebd., S. X-XXI (mit älterer Literatur);
neuerdings Reinhard 2016, S. 649–655, sowie Kow 2017; zum weiteren Kontext des euro-
päischen Asienbilds der Zeit aufgrund von Reiseberichten vgl. Osterhammel 1989.
325
Aufgrund des üppigen Anmerkungsapparats zieht sich die Passage im Original
über mehrere Seiten (36–43).
326
»[N]on potest autem negare Deum, nisi qui distincte intellegit, quidnam sit
Deus.« (41/152)
327
»Habuere igitur confusam aliquam Numinis notionem, sed minime distinctam.
Ad religionem vero naturalem distincta requiritur Numinis notio, cum attributa divina &
opera sint illarum actionum motiva, quibus cultus Numinis absolvitur […].« (41 f./152) –
Genau umgekehrt wird, wie wir sehen werden ( V.5.1), Valentin Ernst Löscher argumen-
tieren, wenn er auch ›verworrene‹ Vorstellungen als cognitio Dei gelten lässt.
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474 Atheismus und Frühaufklärung

zichtet, lässt sich die Rezeption von Fabricius und dessen Nachfolgern nicht
belegen. Unverkennbar steht er jedoch in der Kontinuität derartiger Präzisie-
rungsbemühungen, so wie er auch wenig später in die akademische Kritik am
Modell des ›praktischen Atheismus‹ einstimmen sollte ( V.1.4).
An Wolffs Gegnern – allen voran Joachim Lange (s. u.) – ging dieses Be-
mühen um Präzision und Differenziertheit jedoch schlechterdings vorbei.
Noch in Langes 1736 erstellter Eingabe an den preußischen König mit dem
Ziel, die Rückberufung Wolffs zu verhindern, wiederholte er seinen Vorwurf,
Wolff habe die Chinesen als »die allergröbsten Atheisten unter der Sonne«
bezeichnet.328 Diese offenkundige Fehllektüre ist sicherlich intendiert, zumal
das Urteil über Wolff schon vorher festgestanden hatte, und sie wirkt mit ver-
änderten Vorzeichen bis heute nach. Dabei diente die Prorektoratsrede eher
als willkommener Anlass, um den schon vorher schwelenden Konflikt eska-
lieren zu lassen.329 An dem Vorgang insgesamt zeigt sich wieder einmal, welche
Bedeutung dem Kampf um Definitionen zukam, wie, mit anderen Worten,
äußerst handfeste Interessen und Machtkonstellationen bis in die Definition
von Begriffen hineinwirken konnten. Zugleich bestätigt sich einmal mehr, was
an der Atheismusdebatte so deutlich wird wie an kaum einem anderen Thema,
dass heutige ideengeschichtliche Erstdatierungen für die epochalen Zeitgenos-
sen nicht maßgeblich waren.

4.3 Aufklärung der Begriffe


Kritik der ›Consequentien-Macherey‹ und
Präzisierung des Atheismusbegriffs

Einige Jahre nach seiner Vertreibung – mittlerweile Professor im hessischen


Marburg330 – machte Wolff seiner Verbitterung über die Angriffe gegen ihn
Luft, indem er die Technik der Denunziation präzise beschrieb und zur Ge-
fahr für die Meinungsfreiheit erklärte.331 Er nannte diese Technik, wie schon
Thomasius vor ihm, »Consequentien-Macherey«.332 Sie bestand für ihn darin,
dass man aus einzelnen Aussagen des zu denunzierenden Autors schrittweise
Folgerungen ableitete, die dieser selbst nicht zog und wohl auch nicht gezogen
hätte, wenn er danach gefragt worden wäre. Auf diese Weise konnte man in
wenigen Denkschritten von durchaus harmlosen, gemäßigten Bemerkungen
328
Zit. n. Albrecht 1985, S. LXXI.
329
Vgl. die Hinweise bei Albrecht, S. L, Anm. 24; ausführlicher: Hinrichs 1971,
S. 397–401; Beutel 2001, S. 162–168; zu Angriffen aus dem Lager der Thomasianer vgl.
Arndt 1989.
330
Zu Wolffs Marburger Zeit vgl. Bauer 1999.
331
Christian Wolff, Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, 2. Aufl.,
Frankfurt am Main 1733 (zuerst 1726). – Nachweise im folgenden Abschnitt mit bloßer
Seitenzahl im Fließtext. – Zu Wolffs Stellung in der Auseinandersetzung um die libertas
philosophandi vgl. Gawlick/Kreimendahl (1996); Weber 1999; Zenker 2012, S. 241–259.
332
Literatur zum Problem der Konsequenzenmacherei in Kap. V.1, Anm. 1.
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Christian Wolff 475

zu jeder beliebigen Irrlehre gelangen, welche, um es mit Wolffs eigenen Wor-


ten zu sagen, »wider die Religion, die Tugend und gute Sitten, und wider den
Staat« ginge. Diese Vorgehensweise demonstriert Wolff an einem damals wohl
kaum noch heiklen Beispiel, der Frage nämlich, ob auf der entgegengesetz-
ten Seite der Erde auch Menschen leben könnten. Da uns diese ›Antipoden‹
ja unweigerlich die Füße zuwenden müssten, sei schließlich nicht ersichtlich,
warum sie nicht einfach in die Unendlichkeit des Weltalls fallen würden. Wer
diesen Zweifeln mit Argumenten wie der Schwerkraft und der Kugelform der
Erde begegne, so Wolff, könne sich auf folgende Gegendarstellung gefasst ma-
chen:

Hier wird ein Consequentien-Macher sagen, er [der Philosoph] leugne, daß die Erde
von GOtt in der freyen Himmels-Lufft könne schwebend erhalten werden, und leug-
ne also die Allmacht GOttes, folgends führe er die Menschen von dem Vertrauen
auf GOTT ab, mache aus dem wahren GOtt einen ohnmächtigen Gott: welches in
der That nichts anders sey, als die Menschen zu der Atheisterey verführen, indem
ein ohnmächtiger Gott ein heydnischer Götze und also kein GOtt sey. Ein geübter
Consequentien-Macher wird noch mehrere Consequentien finden, die mir nicht ein-
fallen, weil ich die dazu erforderte Geschicklichkeit nicht besitze. (148)

Demgegenüber fordert Wolff, einen Autor nur dann als Feind von Religion
und Sittlichkeit anzugreifen, wenn er sich auch explizit dahingehend geäu-
ßert habe, wenn also seine Ausführungen »den Haupt-Sätzen der Religion,
der Tugend und guten Sitten, und der Staats-Verfassung […] mit klaren und
ausdrücklichen Worten widersprechen« (138). Wolff glaubt durch den Ver-
stoß gegen diese Forderung nach rationalen Diskursregeln die »Freyheit zu
philosophiren« in akuter Gefahr, und er beklagt bitter, »dass diese verderbliche
Mode von den Heyden her bis auf die Christen geerbet worden, und von die-
sen noch weiter fortgebracht wird« (138). Durch die Strategie der Konsequen-
zenmacherei, so kann man folgern, sieht Wolff das Projekt der Aufklärung
insgesamt gefährdet. Die Praxis der Denunziation verhindert für ihn die Aus-
einandersetzung in der Sache, schlimmer noch: Sie erfordert vom Angreifer
überhaupt keine Kenntnis oder Urteilsfähigkeit hinsichtlich des behandelten
Themas. Denn für den Denunzierenden genüge es ja, sich an einzelnen Wor-
ten oder Sätzen aufzuhängen und daraus schlichtweg fingierte Aussagen abzu-
leiten.333 Seine Überzeugungskraft bezieht ein derartiger Rufmord denn auch
nicht aus der Stichhaltigkeit von Argumenten, sondern aus Affekten und – das

333
»Diejenigen, welche Sachen und Wörter am allerwenigsten zu unterscheiden ge-
schickt sind, können in verkehrten Auslegungen am besten Meister spielen: denn sie sind
verwegen, wo einen Verständigen die Schaam zurücke hält, daß er so offenbahr des andern
Worte verkehren soll. Gleichergestalt sind diejenigen, welche in vernünfftigen Schlüssen
am wenigsten geübet sind, allzeit die fertigsten mit verhaßten Consequentien anderer ihre
Meynungen zu belästigen: denn auch hier sind sie verwegen, wo einer, der vernünfftige
Schlüsse zu machen geübet ist, sich schämen würde mit solchen Consequentien aufgezo-
gen zu kommen, die mit dem streitigen Satze gar nichts zu thun haben.« (139)
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476 Atheismus und Frühaufklärung

hat Wolff ebenso wie Thomasius sehr scharf gesehen – aus der Logik und der
Autorität der jeweils herrschenden Macht:

Denn wer ist in der Geschichte der Gelehrten so unerfahren, daß er nicht wüste, wie
man durch die Consequentien-Macherey zu allen Zeiten der Freyheit zu philosophi-
ren Eintrag gethan und dadurch Gelegenheit erhalten, diejenigen zu verfolgen, welche
nicht in ihren Meynungen sich denen unterwerfen wollen, welche die weltliche Macht
auf der Seite gehabt. Denn wer von der Sache nichts verstehet und am allerwenigsten
davon zu urtheilen geschickt ist, der kan sie mit den ungereimtesten und gefährlichs-
ten Consequentien belästigen. (140 f.)

Auch wenn sich Wolff nicht direkt auf Voetius bezieht, steht dessen berüchtig-
te Formel per bonam consequentiam doch im Raum, wenn es um den Vorwurf
des (indirekten) Atheismus auf der Grundlage von ›Consequentien‹ geht. Wie
wir oben gesehen haben, verwendet Wolff dagegen schon in der Rede über die
praktische Philosophie der Chinesen einen äußerst restriktiven Atheismusbe-
griff, der nur die bewusste Leugnung Gottes bei ›klarer und deutlicher‹ Einsicht
(also der nach Descartes und Leibniz vollkommensten Art der Erkenntnis) in
dessen Eigenschaften gelten lässt. Im zweiten Band der Theologia naturalis
von 1737 hat Wolff sein Verständnis des Atheismus (wie auch des Deismus,
›Fatalismus‹, Naturalismus und Spinozismus) ausführlich entwickelt.334 Damit
stellt er sich, wie er in der Widmungsvorrede an den Kardinal André-Hercule
de Fleury festhält, ausdrücklich in die Tradition der Apologetik, nämlich mit
dem Vorhaben, die Grundlagen der genannten Lehren – er spricht zurückhal-
tend von Irrtümern – zu entkräften.335 Er glaubt, damit keinen Geringeren als
Descartes übertreffen zu können, dessen Gottesbeweis in den Kinderschuhen
stecken geblieben sei.336 Doch auch bei der Definition des Atheismusbegriffs
und dessen Analyse mit Blick auf mögliche Implikationen der damit verbun-
denen Aussagen lässt Wolff in puncto Ausführlichkeit, Präzision und Diffe-
renziertheit alle bisherigen Bemühungen der Apologetik hinter sich.
Deutet schon die getrennte Behandlung von Atheismus (§§ 411–527) und
Deismus (§§ 528–574)337 darauf hin, dass Wolff die Konzeption des ›indirek-
ten Atheismus‹ fallenlässt, so schafft die Definition im ersten Paragrafen des
334
Christian Wolff, Theologia naturalis (wie Kap. V.1.4, Anm. 39). – Nachweise des
lateinischen oder deutschen Textes (s. ebd.) auch hier nach der beiden gemeinsamen Para-
grafenzählung.
335
»Etenim quae DEO tribuenda sint, ex notione entis perfectissimi & natura ani-
mae nostrae deduco, ac fundamenta Atheismi, Deismi, Fatalismi, Naturalismi, Spinosismi
aliorumque de suprema Numinis Majestate minus recte sentientium errorum subverto.«
(Dedicatio., fol. a 3r)
336
»Cartesius, fulgens istud Galliae fidus, ex notione entis perfectissimi existentiam
Numinis supremi demonstrare aggressus est; sed foetum in partu destituit.« (Ebd., fol. a
4r) – Wolffs Verhältnis zu Descartes behandeln, speziell mit Blick auf die Gottesbeweise,
Bissinger 1970, S. 207–212, sowie Corr 1983.
337
Zu Wolffs Haltung gegenüber dem Deismus vgl. die knappen Bemerkungen von
Gawlick 1983, der auch die Theologia naturalis heranzieht (S. 139–141).
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Christian Wolff 477

Atheismuskapitels unmissverständlich Klarheit: »Atheus dicitur, qui negat dari


Deum, hoc est, ens a se, mundi autorem. Unde Atheismus constat in negatione
existentiae Dei, mundi autoris.« (§ 411) Der wichtige Gedanke aus der Pro-
rektoratsrede, dass die Negation zunächst eine genaue Kenntnis voraussetze,
wird nun breiter ausgeführt (§ 412). Damit ist zugleich die wichtige Unter-
scheidung von Negation und Unkenntnis getroffen338 und so die gesamte heid-
nische Antike einschließlich der alten Chinesen salviert.339 Es mag überraschen,
dass im Rahmen einer Theologia naturalis die mögliche Nichtkenntnis Gottes
eingeräumt wird; Wolff beeilt sich denn auch hinzuzufügen, dass damit nur
die deutliche Gotteserkenntnis (»notionem Dei, saltem distinctam« [§ 430])
gemeint ist, die eine philosophische Reflexion voraussetzt.340 Ebenso klammert
Wolff, schon etwas überraschender, den Zweifel aus dem Bedeutungsumfang
des Atheismus aus (»Qui dubitat de existentia Dei, atheus non est«, § 423),
weil der konsequente Zweifler für den Atheismus ebenso wenig Zustimmung
finden könne wie für die Behauptung, dass es einen Gott gebe (§ 423).
Nach diesen Vorklärungen kann Wolff, in Fortsetzung der oben ( V.1)
geschilderten Bemühungen seiner Vorgänger, den Atheismusbegriff in »erwei-
terter« Verwendung (»laxiori significatu«, § 432), unter Einschluss also von
Zweifel und Unkenntnis, selbstbewusst verabschieden. Andernfalls hätte man,
so Wolff weiter, zwangsläufig drei verschiedene Arten von Atheismus (»tres
atheorum species«) zu unterscheiden, von denen die Variante des skeptischen
Atheismus wiederum in drei Untergattungen zerfalle. Er spielt eine derarti-
ge Taxonomie gedanklich durch, um ihre Untauglichkeit zu erweisen.341 Zwar
enthält er sich dabei jeglicher Polemik gegen bestimmte Autoren wie etwa
Voetius oder Löscher, gleichwohl zielt die von Wolff vorgeschlagene Bezeich-
nung für die Vertreter einer negatio Dei – ›athei crassissimi‹ – deutlich auf die
apologetische Tradition, wo dieser Begriff tatsächlich Verwendung gefunden
hatte.342 Wolff sieht darin jedoch keinen methodischen Gewinn gegenüber dem

338
Vgl. Feil 2007, S. 69 f.
339
»Qui simpliciter ignorat dari Deum, is atheus non est.« (§ 427)
340
Ebenso § 431: »Etenim qui simpliciter ignorat dari Deum, ei nulla Dei notio est,
saltem nihil distincte de Deo cognoscit. Quamobrem nec unquam de Deo animum ejus
subit cogitatio.«
341
»Etsi autem v. gr. negantes existentiam divinam atheos crassissimos vel pessimos,
dubitantes de eadem atheos scepticos, eandem simpliciter ignorantes atheos idiotas & Scep-
ticorum alios atheos indifferentistas, alios pessimis propiores, alios a pessimis remotiores
appellare velis; non tamen alia de atheis crassissimis demonstrare licet, quam quae de atheis
simpliciter dictis demonstrantur, nec alia demonstrare datur de atheis Scepticis eorumque
diversis speciebus, atque atheis idiotis, quam in hypothesibus dubitantium diversis & in
hypothesi ignorantiae simplicis demonstrantur.« (§ 432)
342
In den älteren Taxonomien hatte sich der Ausdruck ›crassus‹ – zumeist als Gegen-
pol zu ›subitilis‹ – auf die offene Zurschaustellung des (direkten theoretischen) Atheismus
und damit auf seine seltenste, zu diesem Zeitpunkt de facto gar nicht existente Variante
bezogen. So schon bei Voetius, De atheismo, S. 122 (dazu Barth 1971, S. 80); ferner bei
Gebhard Theodor Meier, Historia religionum, S. 15: »Uterque tam theoreticus quam prac-
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478 Atheismus und Frühaufklärung

einfachen Atheismusbegriff (»atheis simpliciter dictis«).343 Dementsprechend


deklariert er später auch den Deismus mit keinem Wort als ›indirekten‹ oder
›impliziten‹ Atheismus,344 vielmehr stellt er kategorisch fest: »Deista atheus
non est: nec atheus Deista esse potest.« (§ 532) Er bestimmt ihn vielmehr an-
hand verschiedener Merkmale,345 in denen die negatio Dei begreiflicherweise
nicht enthalten ist – deswegen ja der Ausdruck ›Deismus‹.346 Wolffs vorläufiges
Fazit: Auch wenn der Deismus dem Atheismus in manchen Punkten nahe-
komme – etwa in der Annahme einer ungeschaffenen Welt (§§ 555–561) – und
wie dieser mit jeglicher Religion auch die Verpflichtung zum Gottesdienst
aufhebe,347 bleibe die Unterscheidung doch sinnvoll.348

4.4 Philosophische Theorie gegen politische Praxis


Wolffs Haltung als Staatsdenker

Wer nach den vorangegangenen Erörterungen, mit denen sich Wolff mehr
als deutlich von der apologetischen Tradition mit ihrer pauschalen Unter-
stellungspraxis absetzt, wie auch nach den oben (V.1.4) skizzierten Kor-
rekturen am practicus-Modell, nun weitere bahnbrechende Aussagen zu

ticus, tam directus, quam indirectus atheus iterum est vel crassus, vel subtilis. Ille apertior,
hic occultior, atheismus theoreticus directus crassus rarissimus est.« Der Ausdruck begeg-
net auch noch bei Frommann, Atheus stultus, S. 11.
343
»Nulla igitur ex entium multiplicatione emergit quoad usum theorematum in pra-
xi utilitas, ad quam tamen theoria omnis referanda.« (§ 432)
344
Das hebt auch Gawlick 1983 hervor (S. 140): »Wolff bestimmt den Begriff Deis-
mus so genau, um dem laxen Sprachgebrauch der theologischen Polemik ein Ende zu ma-
chen, wo die Ausdrücke Atheismus, Deismus und Naturalismus mit fließendem Übergang
verwendet wurden.« – Gawlick kritisiert jedoch, dass Wolffs »übergenau[e]« Definition
den Begriff »ungeeignet zur Bezeichnung historischer Phänomene mache« (ebd.).
345
Wolff hält sehr präzise fest, dass sich der Deismus, anders als der strikte Athe-
ismus, nicht auf eine einheitliche Formel bringen lässt, sondern sich aus verschiedenen
›irrigen‹ Sätzen zusammensetzt: »Quamobrem cum Deismus in errorum numero sit, quos
homines de Deo fovent; non omni quoque Deistae eadem erroris ratio est.« (§ 550) – So
auch § 554: »Hypothesis Deistica non unica, sed multiplex est.«
346
So die Arbeitsdefinition, mit der Wolff den Deismusabschnitt eröffnet: »Deista
a nobis dicitur, qui Deum existere concedit, eum tamen res humanas curare negat, seu
providentiam divinam negat. Unde Deismus in negatione providentiae Numinis consistit,
cujus existentia admittitur.« (§ 529)
347
»Negata providentia divina tolli religionem omnem multo adhuc clarius patebit,
ubi cultum divinum tam internum quam externum demonstraverimus. Constabit enim
illis actionibus, quae ad cultum divinum requiruntur, locum esse non posse, si nulla sit
providentia. Athei similiter irreligionarii sunt, atque in eo cum Deistis conveniunt. Unde
est, quod multi Deistas cum Atheis confundant: quod tamen minus recte fieri, ex superi-
oribus liquet.« (§ 564)
348
»Etsi enim admittat dari Deum, quem existere negat atheus; cum tamen mundus
ipsi sit ens a se, quoad mundum perinde est, sive Deus existat, sive non existat. In hoc
igitur casu ab atheo parum differt Deista. Non tamen inconsultum est, ut ab atheo adhuc
distinguatur.« (§ 557)
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Christian Wolff 479

den politischen Implikationen des Atheismus in der Nachfolge Bayles er-


wartet, sieht sich rasch eines Besseren belehrt.349 Wolff setzt vielmehr eine
Linie fort, die schon bei Thomasius und Gundling zu erkennen war und
die über Wolff und führende Vertreter der deutschen Hochaufklärung bis
zum Ende des 18. Jahrhunderts reichen wird: Auch wenn ein notwendi-
ger Zusammenhang zwischen (theoretischem) Atheismus und unsittlichem
Handeln nicht mehr angenommen wird, gilt die Ausbreitung atheistischer
Lehren auch weiterhin als politisches Risiko. Die Begründung ist simpel,
und sie lenkt den Blick auf ein Grundproblem der Aufklärung, das in den
neueren Forschungen zum sogenannten radical thought zu sehr margina-
lisiert wird: Die meisten Menschen im Staat verfügen eben nicht über die
intellektuellen, insbesondere philosophisch-methodischen Voraussetzun-
gen, um eine zureichende Erkenntnis des Guten erlangen zu können. Oder,
wie es Wolff 1721 in der Vorrede zur Deutschen Politik formuliert hat:

Wäre bey allen Menschen Verstand und Tugend, so würde ein jeder aufrichtig und
freywillig zur gemeinen Wohlfahrt beytragen, was in seinen Kräfften und seinem
Vermögen stünde: allein da leider! der gröste Theil der Menschen von beydem we-
nig besitzet, so hindert nicht nur einer des andern Glückseligkeit […]; sondern viele
verfallen auch aus Unwissenheit und Thorheit auf verderbliche Anschläge bey ihrem
festen Vorsatze des Landes Wohlfahrt zu befördern. Es ist freylich wahr, daß es in kei-
nem gemeinen Wesen besser hergehen würde, als wo alles mit Vernunfft geschähe, das
ist, wo jedermann in allen vorkommenden Fällen zureichenden Verstand und genung
Tugend hätte: allein da wir solche Menschen auf unserm Erdboden nicht antreffen, so
lässt sich hier kein so vollkommener Staat einrichten.350

Wolffs oben skizzierte Überlegungen zur Tugendfähigkeit von Atheisten


gelten folglich nicht für jeden Menschen, ungeachtet seiner Bildung oder gar
(man denke an Thomasius) charakterlich-humoralpathologischen Konstitu-
tion, sondern vor allem für die schmale Schicht akademisch Gebildeter, die
nicht nur das summum bonum der philosophischen Ethik in seinen defini-
torischen Voraussetzungen und methodisch ableitbaren Folgesätzen ›clare
et distincte‹ zu erkennen vermögen,351 sondern ebenso über das notwendige
Maß an Triebdisziplinierung verfügen, um ihr Handeln, gegen den Ansturm
der Affekte, auch zuverlässig danach auszurichten. Erst von dort aus lassen
349
Zu Wolffs Staatslehre vgl. Link 1983, Thomann 1995, Lutterbeck 2007, maßgeb-
lich: Lutterbeck 2002; zusammenfassend jetzt, mit pragmatischer Literaturauswahl, Neuer
Ueberweg 18/5, S. 151–154 (Michael Albrecht); grundlegend zum Folgenden ferner die
bedeutende Studie von Hüning 2002.
350
Christian Wolff, Vernünfftige Gedanken vom gesellschaftlichen Zusammenleben
der Menschen [›Deutsche Politik‹], Halle 1721 (ND Frankfurt am Main 1971) Vorrede,
fol. a 2r–a 2v.
351
Diesen Anspruch formuliert Wolff unter anderem in der Vorrede zur Deutschen
Politik. Als Maßstab »gründlicher Erkäntnis« gilt für ihn, »wenn man die Bedeutung aller
Wörter in richtige Schrancken einschliesset, und die folgenden Wahrheiten aus dem Vor-
hergehenden in einer beständigen Verknüpffung herleitet.« Ebd., Vorr., fol. a 4r.
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480 Atheismus und Frühaufklärung

sich Wolff zufolge Fragen der Sozialethik und der Staatsführung begreifen.
Da er seine Philosophie als zusammenhängendes System konzipierte, setzte
für ihn die Einsicht in die »Politischen Wahrheiten« ein gründliches Ver-
ständnis der Moral voraus, die ihrerseits wieder auf die Metaphysik rekur-
rierte.352 Auch wenn also Wolff, wie ihm vielfach zu Recht attestiert wurde,
die exklusive Kausalverknüpfung von Religion und Tugend aufgelöst hat,
war er doch weit davon entfernt, jedwede Verbindung zwischen beiden zu
bestreiten. Hier ist offenbar der Punkt erreicht, an dem sich seine theoreti-
sche Philosophie, als ›Wissenschaft des Möglichen‹,353 von seiner praktischen
Philosophie trennen musste, die darüber hinaus auch nach dem Wahrschein-
lichen und Machbaren zu fragen hat.354
Das zeigt sich schon früh in der Deutschen Politik, die weniger eine
Staatslehre oder Theorie des Politischen sein will als ein Handbuch der poli-
tischen Praxis in der Nachfolge der älteren Kameralistik oder Verwaltungs-
wissenschaft.355 Was Wolff dort, ausgehend vom Staatszweck der allgemei-
nen Glückseligkeit durch fortschreitende Vollkommenheit,356 im Hinblick
auf die Bedeutung der Religion deduziert, entspricht denn auch in mehr
als einer Hinsicht den Empfehlungen, die wir von der barocken Staatslehre
her kennen ( I.3). Interessanterweise folgen seine Ausführungen dazu im
Text selbst unmittelbar auf einen längeren Abschnitt, der die Bedeutung von
Strafen im Gemeinwesen behandelt (§§ 341–365). Dort diskutiert Wolff ins-
besondere ihre Auswirkung auf die »bürgerliche Verbindlichkeit« (§§ 341 f.

352
»Man siehet, daß ich mich hier beständig auf die Wahrheiten beruffe, die in dem
Buche von der Menschen Thun und Lassen, oder in der Moral, vorgetragen worden, und
dadurch erkennet man, daß wer die Politischen Wahrheiten gründlich einsehen will, für
allen Dingen die Moral wohl verstehen müsse. Nimmet man nun die Moral für die Hand,
so siehet man ferner, daß man daselbst beständig in das Buch von GOTT, der Welt und der
Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt, das ist, in die Metaphysick verwiesen
wird, und dadurch lernet man, daß, wer die Moralischen Wahrheiten gründlich einzusehen
verlanget, für allen Dingen in der Metaphysick sich wol umbsehen müsse.« Ebd., Vorrede,
fol. a 3v–a 4r.
353
Zu Wolffs Philosophie als ›Scientia possibilium‹ vgl. Schneiders 1983b, S. 14–24.
354
So auch, völlig zutreffend, Martus 2015, S. 273.
355
Vgl. Marchet 1885, S. 138, der Wolffs Deutsche Politik dem »philosophischen
Cameralismus« zurechnet; ähnlich Maier 32009, S. 380 f.; kritisch-abwägend zu dieser Ein-
ordnung: Lutterbeck 2007, S. 195–201.
356
So schon der Untertitel der Deutschen Politik – »Zu Beförderung der Glücksee-
ligkeit des menschlichen Geschlechtes den Liebhabern der Wahrheit mitgetheilet«. – Die
eudämonistische Ausrichtung enthüllt Wolff bereits in der Vorrede, fol. a 4v: »Es wird
wohl niemand zweiffeln, daß die Wahrheiten, welche hier ausgeführet werden, die nütz-
lichsten sind für das menschliche Geschlechte, denn die gantze zeitliche Glückseeligkeit
beruhet auf einem wohleingerichteten Staate.« – In der Abhandlung selbst (§ 3) bestimmt
Wolff dann die als Staatszweck angesetzte »Wohlfahrt der Gesellschaft« genauer mit »ei-
nem ungehinderten Fortgange zu grösseren Vollkommenheiten« (S. 3). – Zur Konzeption
des Wohlfahrtsstaats als spezifisch deutschem Beitrag zur frühneuzeitlichen Politiklehre
vgl. Maier 32009, S. 388–390; mit Blick auf Wolff: Lutterbeck 2002, S. 199–208.
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Christian Wolff 481

u. 356), also die Bereitschaft der Bürger eines Staates zur Einhaltung von
Gesetzen und Verträgen. Da die »natürliche Verbindlichkeit« Wolff zufolge
nicht ausreicht,357 müssten Strafen und Belohnungen hinzutreten, um einen
zusätzlichen »Bewegungs-Grund« zu schaffen (§ 340).358 Dass eine so er-
zeugte »äußerliche« Gesetzestreue nicht mit Tugend zu verwechseln sei, hat
Wolff selbstredend bedacht und eingehend problematisiert (§ 356):

Weil die Straffen nicht tugendhafft machen, sondern nur hindern, daß man das böse,
welches man im Sinne hat, nicht vollbringet; so wird dadurch nur die äusserliche
Zucht erhalten. Nehmlich die äußerliche Zucht bestehet in der Ubereinstimmung der
äusserlichen Handlungen mit dem Gesetze der Natur, und kan dabey die Lust zu
wiedrigen Handlungen noch immer verbleiben. Derowegen weil man im gemeinen
Wesen niemanden anders als durch Straffen verbinden kan von dem bösen abzuste-
hen; so kan auch die bürgerliche Verbindlichkeit nicht weiter als auf die äusserliche
Zucht gehen. Und deßwegen pfleget man im Sprüchworte zu sagen: Gedanken sind
zollfrey. (300)

Mit der durch Strafen bewirkten Verbindlichkeit könne man zwar – bei ent-
sprechender Durchsetzung der Rechtspflege – die Menschen von bösen Ta-
ten in aller Öffentlichkeit abhalten; weder aber bewege man sie so auch dazu,
ihren Mitmenschen Gutes zu tun,359 noch könnten auf diese Weise verborge-
ne Missetaten verhindert werden (§ 362). Denn die Gesetze – so ist der Aus-
druck »äußerliche Zucht« zu verstehen – würden nur da Wirkung zeigen, wo
die Menschen befürchten müssten, ihrer Taten oder Untaten auch überführt
zu werden.360 Daraus ergibt sich für Wolff zwar einerseits die Notwendigkeit
gründlicher kriminalistischer und forensischer Arbeit (§§ 363–365), diese beru-

357
Wolffs Theorie einer »natürlichen Verbindlichkeit« (obligatio naturalis) wird in
der Naturrechtsforschung weithin als wichtiger Meilenstein in der Geschichte einer sä-
kularen Normbegründung gewertet. Er geht darin klar über Pufendorf hinaus. Vgl. dazu
eingehend, mit Hinweisen zur Forschung, Hüning 2002, S. 231–241, bes. S. 237 f.
358
»Allein da die natürliche Verbindlichkeit nicht hinlänglich ist, sie zu Erfüllung
dieser und anderer Pflichten zu bringen; so muß noch eine neue Verbindlichkeit im ge-
meinen Wesen dazu kommen, die da durchdringet, wo die natürliche unkräfftig erfunden
wird.« (281 f.)
359
Genau darin besteht für Wolff der Unterschied zwischen bürgerlicher Verbind-
lichkeit und der obligatio naturalis – letztere unterbinde nicht nur böse Handlungen, son-
dern halte auch zu guten Taten an: »Bey der bürgerlichen Verbindlichkeit siehet man bloß
auf das Ubel [!], welches eine Handlung nach sich ziehet; hingegen bey der natürlichen
erweget man zugleich das gute, welches aus einer Handlung erfolget, und durch eine an-
dere hintertrieben wird.« (300)
360
»Warum die Straffen nicht bey allen fruchten, ob sie gleich den Ernst sehen, ist
bey den meisten wohl keine andere Ursache als diese, daß sie vermeinen ihr Verbrechen so
zu verbergen, damit es nicht kund wird, oder sich auch, im Fall es kund werden sollte, auf
das Leugnen verlassen […].« (306) – Darüber hinaus bedenkt Wolff auch den Fall, dass ein
Verbrecher der möglichen Bestrafung schlicht gleichgültig gegenüberstehe, er sieht darin
jedoch eine seltene Ausnahme: »Allein von dergleichen verzweiffelter Boßheit sind die
wenigsten Menschen.« (308)
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482 Atheismus und Frühaufklärung

he jedoch anderseits nicht unerheblich auf der »Glaubwürdigkeit der Zeugen«


(313) sowie der Verbindlichkeit eidlicher Aussagen beim Beklagten selbst.
In diesem Zusammenhang hält Wolff es schließlich für angebracht, von der
politischen »Nothwendigkeit der Religion« (§ 366) zu handeln.361 Einmal mehr
ist es also, wie schon bei Grotius und Locke, die Frage der Eide in Verbindung
mit dem rechtsphilosophischen Grenzphänomen des geheimen Verbrechens.
Letzteres beschäftigte schon Seckendorff, Thomasius und Gundling und wird
noch bei Haller und Gellert zum Thema. Denn hier sind aus frühneuzeitlicher
Sicht die Wirkungsgrenzen einer bloß weltlichen Rechtsprechung und Staats-
auffassung erreicht. Im Gegensatz zur bürgerlichen Verbindlichkeit hält Wolff
die »kindliche Furcht vor GOtt« (317) für geeignet, den Menschen »auch im
verborgenen« von möglichen Missetaten abzuhalten (318).362 Es liege also im
Interesse des Gemeinwesens, allen seinen »Mitgliedern« durch Unterricht in
Haus und Schule sowie durch respektable öffentliche Vorbilder den nötigen
Respekt vor der Religion einzuschärfen (§ 367). Wolff denkt dabei, wie er
ausdrücklich hinzufügt, nicht zuletzt an die »gemeinen« Menschen, »die nur
an ihren Sinnen, der Einbildungs-Krafft und Affecten hangen« und daher vor
allen auf »Exempel« reagieren würden (320), genau die Menschen also, von
denen die oben angesprochene abstrakte Erkenntnis moralischer Lehrsätze
nicht erwartet werden kann. Um so mehr sieht er daher »öffentliche Lehrer«
in der Verantwortung, dieser Vorbildfunktion durch einen tadellosen Lebens-
wandel und die Ausübung »guter Wissenschaft« hinlänglich nachzukommen,
und empfiehlt dazu die Einrichtung und obrigkeitliche Forcierung eines aka-
demischen Verhaltenskodex.363

361
Der Zusammenhang mit den Fragen nach Verbindlichkeit und Strafe wird von
Wolff deutlich markiert: »Nun haben wir genungsamen Grund die Nothwendigkeit der
Religion im gemeinen Wesen zu behaupten.« (317)
362
»Da nun die bürgerliche Verbindlichkeit dergleichen nicht zuwege bringen kan,
und doch dieses das größte Hindernis ist, warum sie fruchtlose bleibet, weil man sich ein-
bildet, es werde das Verbrechen, so heimlich begangen worden, nicht kund werden, oder
man werde mit leugnen können durchkommen; so erhellet hieraus die Nothwendigkeit
der Religion im gemeinen Wesen, woferne man daselbst Zucht und Gerechtigkeit will be-
fördert wissen.« (318)
363
»Damit nun aber die öffentliche Lehrer in gutem Ansehen bleiben, auch durch sie
die Religion nicht in Verachtung kommet; so haben sie sich nicht allein für ihre Person gu-
ter Wissenschafft und eines vernünfftigen u. gottseeligen Wandels zu befleißigen, sondern
man hat auch selbst nützliche Verordnungen wegen strenger Einrichtung ihres Wandels
zuveranstalten und, daß darüber mit allem Fleiß gehalten werde, auf das eifrigste zu sor-
gen.« (320) – Die Wahrnehmung der Vorbildfunktion durch »vornehme und verständige
Leute« (321) fließt Wolff zufolge jedoch bereits aus der bürgerlichen Verpflichtung, das
Gemeinwohl zu befördern: »Derowegen da ein jedes Mitglied im gemeinen Wesen dazu
verbunden ist, was das gemeine Beste befördert; so erhellet auch hieraus die Verbindlich-
keit vornehmer und gelehrter Leute alles zu thun, was die Hochachtung der Religion be-
fördern, und hingegen zu unterlassen, was derselben nachtheilig seyn kan.« (321)
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Christian Wolff 483

Dass Wolff hier auch ein wenig pro domo redet,364 zeigt sich im nächsten
Abschnitt (§ 368), wenn er sich endlich der Frage nach der Duldung von
Atheisten zuwendet. Hauptsächlich reflektiert er dort dann über das Prob-
lem der Denunziation. Zwar war die Deutsche Politik, ausweislich der Vor-
rede (18. April 1721), knapp zwei Monate vor der berühmten Chinesenrede
in Druck gegangen,365 der Vorwurf des (indirekten) Atheismus war aber auch
schon vorher laut geworden.366 Wenn Wolff also nun von der Duldung des
Atheismus aus Gründen der gemeinen Wohlfahrt abrät,367 dann begreiflicher-
weise nur unter der Voraussetzung eines einwandfrei ermittelten Tatbestands.
Strafbar im eigentlichen Sinn ist für ihn auch nicht der Atheismus selbst, der
vielmehr als Irrtum anzusehen sei,368 sondern seine Verbreitung oder auch nur
öffentliche Zurschaustellung, von der eine negative Vorbildwirkung ausgehen
könne. Diese unerwünscht vorbildhafte Wirkung könne sich jedoch auch da
schon ergeben, wo ein angesehener Gelehrter zu Unrecht in den »Verdacht der
Atheisterey« gebracht werde.369 In politischer Hinsicht geht es für Wolff also
gar nicht so sehr darum, ob jemand tatsächlich atheistischen Ansichten an-
hängt, sondern allein darum, wie damit öffentlich verfahren wird. Unter dem
Gesichtspunkt ihrer gesellschaftlichen Schädlichkeit, so kann Wolff daher fol-
gern, stifte die Denunziation »eben so viel Unheil« (321 f.) wie die tatsächliche
Verbreitung atheistischer Lehrsätze. Deutlicher als alle seine Vorgänger hat er

364
So bereits Hinrichs 1971, S. 400; Czelinski-Uesbeck 2007, S. 163.
365
Ein wenig bekanntes Detail: Ebenfalls in der Vorrede kündigt Wolff bereits eine
nähere Beschäftigung mit der »Sitten- und Staats-Lehre der Sineser« an, »da sich die Har-
monie mit meinen Lehren zeigen wird« Vorrede, fol. a 5r.
366
Vgl. Hinrichs 1971, S. 398 f.
367
Dazu, im größeren rechtsgeschichtlichen Zusammenhang, Hüning 2002, S. 242 f.;
im weiteren Horizont der zeitgenössischen Staatsrechtslehren: Link 1979, S. 289 f., sowie
Link 1981, S. 860 f.
368
Wolff kann hier auf vorangegangene Abschnitte verweisen (§§ 359–361), in de-
nen die Frage nach der Strafbarkeit von Irrtümern erörtert wurde. Die dort vorfindlichen
Ausführungen sind zwar allgemein formuliert, ihre Anwendbarkeit auf den atheistischen
›Irrtum‹ ist jedoch so augenscheinlich, dass die Vermutung naheliegt, Wolff habe sie spe-
ziell mit Blick darauf geschrieben: »Ob nun aber gleich der Irrthum nicht zu bestraffen
ist; so folget doch daraus noch nicht, daß die Ausbreitung des Irrthums nicht zu bestraf-
fen sey. […] Und solchergestalt ist klar, daß man einem bloß mit gutem Rechte bestrafen
kan, der solche Irrthümer unter die Leute bringet, wodurch die gemeine Wohlfahrt und
Sicherheit gestöhret wird. Hingegen wer seine Irrthümer vor sich behält, und niemanden
damit verführet, den zu bestraffen findet man keinen zureichenden Grund. Wer durch
Irrthümer, die er heget, sich zu Ubelthaten verleiten lässet, die man im gemeinen Wesen zu
bestraffen hat; der wird nach diesem um seines Verbrechens, nicht um des Irrthums willen
gestraffet.« (305)
369
»Auch wenn durch grossen Verdacht wieder einen wegen der Atheisterey viele zu
Verachtung der Religion Anlaß nehmen; so hat man darauf zu sehen, wie dieser Verdacht
gehoben wird. Und deßwegen darf man nicht dulden, daß öffentliche Lehrer, welche die
Religion in ihrem Werthe erhalten sollen, auf Leute, welche wegen ihres Verstandes in
Ansehen sind, den Verdacht der Atheisterey bringen, weil sie dadurch eben so viel Unheil
anrichten als durch die Atheisterey selbst.« (321 f.)
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484 Atheismus und Frühaufklärung

damit, unter beachtlicher Einsicht in die Wirkungsweise öffentlicher Kommu-


nikation, auf die politischen Risiken der ›Konsequenzenmacherei‹ wie über-
haupt der apologetischen Überführungsmethodik aufmerksam gemacht.370 Er
empfiehlt deshalb, die Denunziation ebenso unter Strafe zu stellen wie das öf-
fentliche Bekenntnis zum atheistischen Unglauben selbst. Wie die Geschichte
gezeigt hat, sollte seine Mahnung vorerst unerhört bleiben:

Man hat demnach so wohl diejenigen zu bestraffen, welche wegen ihres Verstandes
berühmte Männer in Verdacht der Atheisterey bringen; als die, welche die Atheisti-
sche Lehren unter die Leute bringen, und mit Atheistischen Reden andere ärgern.
Wer bedencket, wie viel an der Religion im gemeinen Wesen gelegen ist und wie mit
grossem Ernst man darüber zu halten; der wird vielmehr begreiffen, daß man Ursache
hat wegen ihrer Scharffsinnigkeit und Gründlichkeit für andern berühmte Männer
von dem Verdachte der Atheisterey mit dem grösten Eifer zu befreyen, wenn man ihn
auff sie bringen wil, oder auch sich einige Anzeigungen hervor thäten, die bedencklich
schienen, als daß man sie mit Macht wieder ihren Willen darein bringen wil. (322 f.)

Hatte er die bisherigen Ausführungen in gewohnter Weise deduktiv aus der


Zwecksetzung des bürgerlichen Gemeinwesens hergeleitet, so nimmt Wolff
im nun folgenden Abschnitt (§ 369) unter der Überschrift »Einwurf wird be-
antwortet« Stellung zur zeitgenössischen Diskussion, und das heißt um 1720
auch unvermeidlich: zu Pierre Bayles These von der Möglichkeit eines Athe-
istenstaats. Zugleich bemüht er sich, die Behauptung aus der Deutschen Ethik
(s. o.), dass der Atheismus nicht notwendig zu bösen Taten verleite, mit der
politischen Empfehlung zu dessen Unterdrückung zu vereinbaren:

Ich weiß wohl, daß einige Atheisterey nicht für so schädlich im gemeinen Wesen hal-
ten, als man insgemein vermeinet, absonderlich da man gantze Völcker findet, die
keinen GOtt glauben und bey denen es doch nicht schlimmer hergehet als unter uns
Christen. Ja man wird vielleicht mir auch dasjenige vorhalten, was ich selbst annerswo
[!] von den Atheisten erwiesen, nemlich daß niemanden die Atheisterey zum bösen
Leben bringet, sondern nur seine Unwissenheit und sein Irrthum von dem Guten und
Bösen, aus welcher Quelle auch selbst unter den Christen ein unordentliches Leben
zu entstehen pfleget. (323)

Wolff pariert beide Einwürfe mit großer Eleganz. Dabei zeigt sich einmal
mehr, dass er als politischer Denker sehr wohl vom definitorischen Essenzia-
lismus der Schulmetaphysik abzurücken imstande war und selbstverständlich
auch empirische Erkenntnisse in seine Betrachtungen einbezog.371 Obwohl er

370
Daher nennt Hinrichs 1971 das eine Kombination von »politischer Psychologie
und Berechnung« (S. 401). – Ähnliche Überlegungen haben wir oben (II.4) schon bei Spe-
ner angetroffen.
371
Die durchaus vorhandenen empiristischen Züge im Werke Wolffs betonen, ge-
gen das einseitige Bild vom abstraktionswütigen Rationalisten, Bissinger 1970, S. 26 f., so-
wie ausführlich Arndt 1983 und Kreimendahl 2007. Eine entsprechende Würdigung, die
Wolffs umfassendem Anspruch gerecht wird, bereits bei Rosenkranz 1840, S. 46 f.
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Christian Wolff 485

nämlich bis auf Weiteres die Möglichkeit zugibt, dass es Völker ohne jede er-
kennbare Religion geben könne, die dennoch über eine wirksame Sittenlehre
verfügen,372 will er diesen Befund – ähnlich wie Gundling – nicht einfach auf
europäische Verhältnisse übertragen wissen. Es sei schließlich zu bedenken,
dass die Sittlichkeit derartiger Völker durch eine »schlechte« (also schlichte)
»Lebens-Art«, durch unkomplizierte Besitzverhältnisse und das Fehlen eines
staatlichen Gewaltmonopols begünstigt werde.373 Die höhere Bevölkerungs-
dichte und ganz andersartige Sozialstruktur wie überhaupt der fortgeschrit-
tene Komplexitätsgrad abendländischer Gesellschaften verbiete daher die be-
denkenlose Verallgemeinerung derartiger ethnografischer Beobachtungen.374
Ob Wolff hier aus echter Überzeugung argumentiert oder nur mit dem Ziel,
die skandalöse Bayle-These abzuwehren, dürfte schwer zu ermitteln sein.
In ähnlicher Weise wendet sich Wolff gegen voreilige Schlussfolgerungen
aus seiner Lehre von der prinzipiellen Tugendfähigkeit der Atheisten. Die an-
thropologisch-moralistische Begründung hatte er bereits in der Vorrede gelie-
fert (s. o.), nun wird sie expressis verbis auf das Problem des Unglaubens ge-
münzt. Zwar führe der Atheismus nicht notwendig zu unsittlichem Verhalten,
vielmehr könne ein Atheist den Unterschied zwischen guten und bösen Taten
erkennen und sein Handeln danach ausrichten, und zwar, »woferne er ver-
nünfftig ist« (323). Diese entscheidende Bedingung treffe jedoch auf die Mehr-
zahl der Menschen in einer Gesellschaft nicht zu.375 Nicht von vernünftigen
Atheisten, so kann Wolff wie schon Thomasius folgern, gehe eine Gefahr für
das Gemeinwesen aus, sondern von der zu erwartenden Vielzahl unvernünf-
tiger Atheisten, in dem Fall nämlich, wenn der Atheismus sich ungehindert
ausbreiten würde:

372
»Was endlich die Völcker betrifft, die Atheisten seyn sollen, und doch deswegen
nicht schlimmer leben, als es unter uns Christen hergehet; so weiß ich wohl, daß viele solches
leugnen und vielmehr vorgeben, es sey kein Volck unter der Sonnen, welches nicht einen
Gott gläube, und als einen Rächer des bösen fürchte. Allein wir wollen für dieses mahl diese
Untersuchung an seinen [!] Ort gestellet seyn lassen, weil wir sie zu Entscheidung der gegen-
wärtigen Frage nicht nöthig haben. Wir wollen beydes einräumen, nemlich daß es Völcker
giebet, die gar keinen Gott gläuben, und daß es doch bey ihnen nicht schlimmer, ja in vielen
Stücken besser, als unter uns Christen hergehet.« (326 f.)
373
»Allein es ist zu mercken, daß solches Leute seyn werden, die noch eine gar
schlechte Lebens-Art haben, bey der sie wenig gebrauchen, und da ein jeder den andern
nötig hat. Und demnach unterlassen sie das böse, und sind nicht so einer auf des andern
seinen Schaden, wie wohl leider! bey uns zu geschehen pfleget, theils weil sie es nicht ver-
stehen, theils weil sie keine Gelegenheit dazu haben, theils weil sie die Furcht zurücke hält,
es möchten es ihnen andere wieder so machen, wie sie es ihnen gemacht.« (327) – Wieder
einmal müssen die Hottentotten als Beispiel herhalten: »Ein Exempel geben die Hotten-
totten, von denen viele sagen, daß sie keinen GOtt gläuben, und doch vielen Tugenden er-
geben sind. Denn sie haben gar ein schlechtes Eigenthum, wohnen nicht in grosser Menge
bey einander, brauchen wenig zur Bequemlichkeit ihres Leben.« (327)
374
»Was nun bey solchen Völckern angehet, kan keines weges bey andern, als unter
uns, statt finden. « (327)
375
Vgl. auch Hüning 2002, S. 243–245.
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486 Atheismus und Frühaufklärung

Ein Atheist bildet sich nicht ein, er möge leben wie er wolle, noch begehet er alle
Schandthaten und Laster, wenn er nur von bürgerlichen Straffen frey ist, woferne er
vernünfftig ist: beydes aber geschiehet, wo er unverständig ist, und die Beschaffenheit
der freyen Handlungen nicht recht einsiehet. Es sind aber im gemeinen Wesen die
wenigsten Menschen vernünfftig, die meisten sind unverständig und sehen die Be-
schaffenheit der freyen Handlungen nicht recht ein. Und also würden die meisten bey
der Atheisterey ein übeles Leben führen. (323 f., Hervorh. d. Verf.)

Nun könnte man vermuten, Wolff habe diese Schlussfolgerungen 1721 noch
mit Blick auf den frommen Monarchen, Friedrich Wilhelm I., formuliert, aus
strategischer Anpassung heraus also nicht die Konsequenzen gezogen, die in
seinem Ethiklehrbuch und mehr noch in der Prorektoratsrede über die Chi-
nesen angelegt waren. Dagegen hätte er im Marbuger Exil, erst recht aber seit
der triumphalen Rückkehr in das Preußen des roi philosophe von seinen frühen
politischen Überlegungen Abstand nehmen können. Tatsächlich aber passierte
genau das nicht. Zwar hat Wolff, wie vorhin gezeigt, in der 1737 erschienenen
Theologia naturalis den zwingenden Zusammenhang von Atheismus, Deis-
mus und Skeptizismus mit Unsittlichkeit und Laster bestritten, gleichwohl
aber derartige Lehren als »schädlich« (»noxii«) bezeichnet376 und darauf hinge-
wiesen, dass der Deismus ebenso wie der Atheismus jegliche Religion aufhe-
be.377 In politischer Hinsicht wäre damit das Urteil über sie gesprochen.378 Und
wirklich hat Wolff seine diesbezüglichen Ansichten, wenige Jahre vor seinem
Tod, im letzten Band des breit angelegten Ius naturae (1740–1748) mit quasi
testamentarischer Wirkung bekräftigt. Dazu abschließend noch einige Hin-
weise.379
An den Begründungen hat sich kaum etwas geändert. Nicht nur erleich-
tere und bewahre die Frömmigkeit (statt ›Religion‹ heißt es nun lateinisch

376
Christian Wolff, Theologia naturalis, § 411.
377
Ebd., § 513 (»Atheismum omnem tollere religionem adeo manifestum est […]«)
u. § 564 (»Negata providentia divina tolli religionem omnem multo adhuc clarius patebit
[…]«). Atheisten und Deisten werden deswegen, im Unterschied zum Naturalisten (§ 568),
gleichermaßen als »irreligionarii« eingestuft (§§ 514 u. 564). Den Ausdruck »Gottesdienst-
lose« in der deutschen Fassung fand Wolff offenbar selbst so hölzern, dass er sich zu einer
rechtfertigenden Anmerkung genötigt sah: »Dieses Wort scheinet etwas undeutlich, weil
es neu ist; aber das Lateinische irreligionarius ist auch nicht besser.« (§ 514, Anm.). – Zum
Konzept der ›irreligionarii‹ bei Wolff vgl. auch die knappen Hinweise bei Feil 2007, S. 69 f.
378
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Wolff noch in der vierten
Auflage der Deutschen Politik von 1736 (dort S. 322–333) keine Änderungen an den Aus-
führungen der Erstauflage für nötig hielt. Hinzugefügt sind allein einige Marginalien, in-
teressanterweise auch der Zusatz »Neue Gründe, warum die Atheisten nicht zu dulden«
(S. 330). Tatsächlich aber steht dort der unveränderte Text der Erstauflage. Es ist also denk-
bar, dass Wolff damit den Innovationsgehalt seiner Argumentation hervorheben wollte.
379
Zum Atheismus in Wolffs Ius naturae vgl. auch Hüning 2002, S. 242 f.
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Christian Wolff 487

›pietas‹)380 die Ausübung der Tugend,381 ohne sie bleibe vielmehr, wie es bereits
in der Chinesenrede hieß (s. o.), jegliche Tugend unvollkommen.382 Daher liege
es im Interesse einer Staatsregierung, den Gottesdienst zu befördern (§ 458)383
und sorgsam auf die Einhaltung von Feiertagen zu achten (§§ 466–469). Aus-
führlicher geht Wolff (§ 459) auch auf die Vorbildfunktion der »öffentlichen
Lehrer« (»doctores publici«) und die daraus abzuleitenden akademischen
Verhaltensnormen ein (§§ 460 u. 463). Jegliche Verachtung des Gottesdienstes
(»contemtus religionis« [§ 472]) sei dagegen zu unterbinden. Dazu zählen für
ihn jedoch nicht nur die als irreligionarii eingestuften Atheisten und Deisten
(§ 473), sofern sie öffentlich zu Wort kommen, sondern ebenso religiöse Kon-
ventikel (»conventicula privata« [§ 464]). Hier kann Wolff, auch wenn er das
nicht explizit deutlich macht, den pietistischen Kollegen mit gleicher Münze
heimzahlen.384
Die Ausführungen über Atheismus und Deismus entsprechen prinzipiell,
nur kürzer zusammengefasst, denjenigen aus der Deutschen Politik; hervor-
zuheben ist allein, dass der Deismus, den Wolff in der Theologia naturalis in-
zwischen ausführlich behandelt hatte (s. o.), dort nicht vorkam und auch in
späteren Auflagen der Politik nicht ergänzt wurde. Auch der anschließende
Abschnitt (§ 474) über die Gefahr der falschen Verdächtigung hervorragender
Gelehrter zeigt, freilich in lateinischer Übersetzung, Übereinstimmungen bis
in einzelne Formulierungen hinein. Zwar erklärt Wolff Atheismus und De-
ismus auch hier nicht per se zum Strafdelikt, sehr wohl aber die Verbreitung

380
Zum Religionsbegriff bei Wolff vgl. Feil 2007, S. 63–83, bes. S. 71–75 (zur Unter-
scheidung von ›religio‹ und ›pietas‹).
381
Christian Wolff, Ius naturae methodo scientifica pertractatum. Pars octava sive
ultima. De imperio publico, sev jvre cicitatis, Halle 1748 (nachfolgend im Haupttext mit
Angabe des Paragrafen, in den Fußnoten auch mit Seitenzahl in Klammern nach Zitat),
§ 457: »Enimvero si pietas cum virtute conjungitur, ea facilius acquiritur & conservatur
[…].« (343) – In Fortsetzung des älteren naturrechtlichen Voluntarismus erklärt hier
Wolff, dass, wo die Verbindung von Frömmigkeit und Tugend das Handeln leite, auch die
Übereinstimmung mit dem Naturrecht erreicht werde (ebd.): »Qui pietatem cum virtute
conjungit, actiones legi naturae conformes committit, difformes omittit, quia Deus illas
commiti, has omitti vult […].« – Zu Wolffs naturrechtlichem Voluntarismus vgl. exempla-
risch Lutterbeck 2002, S. 40 f.
382
»Et quoniam Deus in omnibus actionibus colendus, hoc autem facit, qui pius est,
virtus omnis absque pietate imperfecta est.« (344).
383
»Rectori civitatis curae esse debet, ut subditi Deum colant.« (344)
384
»Turbant ordinem Reip. qui conventus privatos instituunt cultus divini causa, qui
celebrari debent in templis ex constitutione Rectoris civitatis, & ipsimet si hoc faciant doc-
tores publici munus suum suspectum reddunt populo, vel eum superstitiosum efficiunt,
quasi cultus istiusmodi privatus melior sit cultu publico.« (S. 349) – Wolff befindet sich da-
mit insofern voll und ganz in Übereinstimmung mit der apologetischen und polittheore-
tischen Tradition, als dort der Aberglaube zumeist in einem Atemzug mit dem Atheismus
genannt worden war. Vgl. einmal mehr Pott 1992, S. 153–157 u. 171–182.
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488 Atheismus und Frühaufklärung

»religions- und sittenwidriger Meinungen« (§ 475).385 Das umfasst nahelie-


genderweise auch entsprechende Bücher, gegen die Wolff Zensurmaßnahmen
empfiehlt (§§ 476 f.).
Im Zusammenhang seiner Darlegungen zum Thema der Strafen (§§ 585 f.)
hat Wolff diese Argumentation noch näher ausgeführt, er bleibt aber auch dort
grundsätzlich bei den Positionen, die er in der Deutschen Politik kurz skizziert
hatte: Über die Frage, ob Gedanken bestraft werden könnten (»An cogitatio-
nes puniendae« [§ 643]) oder womöglich Irrtümer (»An propter errores quis
puniri possit« [§ 644]) – beides wird verneint – gelangt er schließlich zur mög-
lichen Strafbarkeit von Atheismus und Deismus (»An athei vel deistae sint pu-
niendi« [§ 645]). Das Ergebnis ist bekannt: Da zwar Gedanken und Irrtümer
nicht bestraft werden dürften (hier wiederholt Wolff, mitten im lateinischen
Text, das schon in der Politik zitierte deutsche Sprichwort »Gedancken sind
Zollfrey« [§ 643]), wohl aber die Verbreitung religions- und sittenwidriger
Meinungen (»permittendum non est, ut publice disseminentur opiniones re-
ligioni & bonis moribus adversae« [§ 644]), klassifiziert er die »Verführung«
anderer zu diesen Lehren als strafbares Delikt.386 Ausführlich begründet Wolff
schließlich (§ 646), weshalb offen auftretende Atheisten oder Deisten, aber
auch Vertreter anderer staatsgefährdender Lehren, des Landes verwiesen wer-
den könnten, wenn sie trotz Mahnung nicht von der Verbreitung ihrer Mei-
nungen abließen.387
Gerade weil Wolff hier nicht im engeren Sinne naturrechtlich argumentiert,388
sondern, analog zur Deutschen Politik, ordungspolitisch-pragmatisch, treten
die Kontinuitäten zur älteren Staatslehre besonders deutlich hervor. Demge-
genüber fällt der fortschrittliche Charakter von Wolffs ›natürlichem‹ Verbind-
lichkeitskonzept, mit dem er sich von Pufendorf abhebt, vergleichsweise we-
nig ins Gewicht:389 Nicht weil der Atheismus per se die Gebote der Sittlichkeit

385
»Permittendum non est, ut publice disseminentur opiniones religioni & bonis
moribus adversae.« (358)
386
»Quoniam tam atheismus, quam Deismus error est, ob errorem autem nemo pu-
niri potest, disseminatio tamen errorum poena coërceri; ob atheismum & deismum nemo
puniri potest, seu nemo puniri potest, quia atheus aut deista est, si tamen eundem disseminare
& per consequens alios ad atheismum vel deismum seducere audeat, poena coërcere eundem
licet.« (472)
387
»Qui atheismum, vel deismum, aut alios errores religioni, bonis moribus & statui
civili adversos disseminant, nec moniti ab eo desistere volunt; e civitate discedere jubendi
sunt.« (473)
388
Methodisch präziser äußert er sich einige Jahre später im kurzgefassten Kom-
pendium Grundsätze des Natur- und Völkerrechts (Halle 1754). Dort stellt er zwar die
»Verdunckelung der Ehre Gottes (obscuratio gloriae divinae)« als »durch das Gesetz der
Natur verbothen« hin (§ 165), ebenso die »Gotteslästerung (blasphemia)« (§ 166), erklärt
aber gleichzeitig, dass dem Menschen vom Standpunkt des Naturrechts aus kein Recht
zukomme, diese Delikte zu bestrafen (§ 166).
389
Diesen Widerspruch konstatiert, nach eingehender Analyse von Wolffs obligatio-
Konzept, auch Hüning 2002, S. 242.
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Lutherische Polemik nach 1700 489

aufhebe, sondern weil die Mehrheit der Menschen nicht zu deren vollständiger
Erkenntnis gelangen könne, hält Wolff an der politischen Notwendigkeit der
Religion fest. Was Wolff nun, je nach Standpunkt des Betrachters, als Kon-
servativismus oder als ordopolitischer Pragmatismus ausgelegt werden kann,
verweist in mehr als einer Hinsicht auf das im Folgenden weiter zu beachtende
Strukturprobem der Aufklärung, nämlich die mit Beginn der Hochaufklärung
zunehmende Diskrepanz zwischen akademisch-exklusivem, gelegentlich sogar
radikalem Erkenntnisanspruch einerseits und gesellschaftlicher Wirkungsin-
tention andererseits, insbesondere im nun rasch sich bildenden ›bürgerlichen‹
Lesepublikum ( V.6.3). Warum es in diesem Vermittlungsprozess – der in
der sozialgeschichtlichen Forschung auch schon als »Emanzipationsprozess«
beschrieben wurde (Vierhaus)390 – zu Abschwächungen und Relativierungen
kommen musste, hat Wolff in seinen Ausführungen zur Vernunftfähigkeit der
breiteren Bevölkerung in wünschenswerter Weise für die Nachwelt erläutert.
Damit ist, hinsichtlich des selbstgewählten Bildungsauftrags einer akademi-
schen Elite gegenüber den ›illiterati‹ und der entsprechenden Selektion von In-
formationen ad usum Delphini, ein Weg beschritten, der über die Moralischen
Wochenschriften und weite Teile der Popularphilosophie bis zur Volksaufklä-
rung am Ende des Jahrhunderts reichen wird. So scharf wie bei Wolff tritt
diese Ambivalenz dort zumeist nicht hervor. Eine wichtige Ausnahme bildet
Gottsched, auf den später noch näher eingegangen werden soll.

5. Unzeitgemäße Betrachtungen?
Der Stand der lutherischen Polemik nach 1700

5.1 Orthodoxie auf Augenhöhe. Antiatheismus in


Valentin Ernst Löschers Praenotiones theologicae (1713)

›Difficillima tempora‹
Löschers Auseinandersetzung mit den neuzeitlichen Heterodoxien
Die Stimme der Orthodoxie vertritt um 1700 kein Geringerer als Valentin
Ernst Löscher (1673–1749), der oft als der letzte große Vertreter des luthe-
rischen Altprotestantismus angesehen wird.391 Als solcher führte er nicht nur

390
Vgl. Vierhaus 1988.
391
Zu Leben und Werk, mit neuerer Literatur: Killy/Kühlmann, Bd. 7 (2010),
S. 484 f. (Michael Schilling); ausführlicher TRE 21, 1991, S. 415–419 (Horst Weigelt); dog-
mengeschichtliche Einordnung bei Baur 2000; grundlegend: Greschat 1971, vgl. dort bes.
S. 241–262 (»Die großen Gegner: Hobbes, Spinoza, Bayle und Locke«); neuerdings die
detaillierte Textanalyse der Praenotiones theologicae von Baur 2006; Löschers Stellung in
der Endphase der lutherischen Orthodoxie und seinen dogmatischen Standort in Ausei-
nandersetzung mit Spinoza behandelt überzeugend Sparn 1984, S. 41–47 (dort auch zu
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490 Atheismus und Frühaufklärung

maßgeblich die Auseinandersetzung der Amtskirche mit dem Pietismus,392 er


nahm auch die Herausforderung an, die der christlichen Kirche im 17. und
beginnenden 18. Jahrhundert durch die weltlichen und religiösen Heterodo-
xien gleichermaßen bereitet worden war.393 So konzipierte er seine mehrfach
aufgelegten und erweiterten Praenotiones theologicae (1708, 21713, 31719,
4
1728)394 als Bollwerk (»obex«)395 gegen einen in Gärung befindlichen Zeitgeist,
eine Erregung der Geister (»incendium […] ingeniorum«),396 die sich, glaubt
man Löscher, als genialische Kraftmeierei, als wahllose Auflehnung gegen alles
Traditionelle und als geradezu pöbelhafte (›democratica‹) Preisgabe gelehrter
Standards präsentierte.397 Keine Epoche, so Löscher in dramatischer Überbie-
tung des alten similitudo temporum-Topos, erfülle gleichermaßen die Kriterien
dessen, was der Apostel Paulus einst als die »widrigsten aller Zeiten« (»dif-

den Praenotiones theologicae); nur oberflächlich dagegen die Bemerkungen von Czelinski-
Uesbeck 2007, S. 119 f. et pass. (Register).
392
Vgl. Greschat 1971, S. 191–219 u. 262–317.
393
Den geistesgeschichtlichen Horizont, vor dem Löschers streitbare theologische
Existenz zu deuten ist, entfaltet ausführlich Greschat 1971. Er geht auch ausführlicher
auf die bedeutende Rolle von Thomasius ein (ebd., S. 157–189), die hier kaum zur Spra-
che kommen wird, da er für Löschers Stellung zur Atheismusdebatte in den Praenotiones
theologicae kaum von Belang ist.
394
Im Folgenden nach der dritten Auflage von 1719: Valentin Ernst Löscher, Prae-
notiones theologicae contra naturalistarum et fanaticorum omne genus, atheos, deistas, in-
differentistas, anti-scripturarios, etc. crassos aeque ac svbtiles nec non svspectos doctores cus-
todiendae, Wittenberg 1719. Seitenzahlen, soweit nicht anders vermerkt, in Klammern im
laufenden Text. – Bereits 1708 erschien, offenbar als Vorarbeit, eine von Löscher geleitete
Disputation mit dem Titel Praenotiones sacrae contra atheos custodiendae qvas praeside D.
Valentino Ernesto Loeschero […] exercitii academici cavsa in alma Levcorea […] defendit
Jo. Henr. Fibingivs Frisius, Wittenberg 1707.
395
Löscher, Praenotiones theologicae, Vorr., fol. *3v.
396
Ebd., Vorr., fol. *6r. – Die Feuermetaphorik wird in der Vorrede noch detaillierter
ausgeführt und in Verbindung mit Wetter- und Krankheitsmetaphern zu einer apokalypti-
schen Allegorie gesteigert: »Fac incendium oriri ea tempestate, qua materie flammas alente
plena sint aedificia proxima fere omnia, ignes doloso cineri suppositi passim lateant, per-
flent venti & rabiem ignis stimulent, desint, qui imperio ac cohortatione sua restinguendi
negotium dirigant, accurrat unus alterque laturus opem, sed frendentibus etiam iis, quibus
sopiendi incendii cura incumbit, imo impedientibus, ceteris ridentibus & de late omnia
depascentis flammae splendore etiam gaudentibus: quis per humanas spes tali rerum facie
exspectabis?« Ebd., fol. *6vf.
397
Ebd., Vorr., fol. *6r: »Regnat hodie nescio quis ingeniorum ὀργασμός: excitata sunt
pleraque, si cum majoribus conferantur, & ad ἀκμήν, vel veram, vel imaginariam eniten-
tia: Iugi, etiam aequissimi, impatientiam intra ipsos animorum recessus apud plerosque
observes, tum curiositatem longe majorem, & indolem in literis vere democraticam, unde
ad licentiam effrenem perfacilis est desultatio. Exuerunt plurimi non solum reverentiam
majorum, sed & bonam de illis opinionem ferme omnem, ea maxime de causa, quod di-
versam plane ingeniorum indolem iis fuisse animadvertant.« – Zur topischen Klage über
den »Verfall der studia« vgl., im weiten epochalen Kontext, das gleichnamige Kapitel bei
Kühlmann 1982, S. 85–112.
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Lutherische Polemik nach 1700 491

ficillima tempora«) vorausgesagt hatte.398 Dementsprechend zeichnet er die


Situation der (protestantischen) Kirche in dieser Zeit als eine Mehrfrontenstel-
lung zwischen »Cartesianae, Hobbesianaeque Philosophiae placitis, Paracelsi,
Helmontii, Spinosae aliorumque portentis, & phaenomenis quibusdam logicis
& physicis«,399 nicht zu vergessen die katholische Kirche, der Löscher in einer
anderen Schrift – dem 1713 erschienenen Abgewiesenen Demas – die Schuld
an der um sich greifenden »Frey-Geisterey« anzulasten suchte.400 Mehrfach
zitiert wurde die mahnende Frage »Quo ruitis?«, mit der Löscher zwischen
1735 und 1739 seine Bedenken gegenüber der wolffschen Philosophie (und
ihrer Rezeption in der Übergangstheologie) artikulierte.401
Diesen – aus seiner Sicht – Auflösungserscheinungen setzte Löscher nun in
den Praenotiones nicht simple Polemik entgegen, sondern eine theologische
Propädeutik,402 die, noch im Vorhof dogmatischer Argumentation, deren rati-
onale Beweisgründe erarbeiten soll. Er versuchte dies aber nicht auf dem Weg
schulphilosophischer Deduktion,403 sondern – wir denken an Seckendorff und
Bentley – am Leitfaden der von theologischer Axiomatik unbelasteten sana

398
Praenotiones, Vorr., fol. *5r: »Qvae plenus divino spiritu Paulus praedixit difficil-
lima tempora, χαλεποὺς καιρούς, 2. Tim. III, 1. ea in nostram cumprimis convenire aetatem
non diffitebuntur illi, qui fata Ecclesiae praesentia cum praeteritis contendere poterunt.« –
Der Hauptzweck von Löschers Vorrede besteht darin, den Nachweis dafür zu führen:
»Duae autem dantur praesertim rationes, propter quas haec aetas difficilior reliquis ha-
benda sit, quarum altera ab ingeniorum conditione, altera a causis malorum petita est.«
Vorr., fol. *5v.
399
Ebd., fol. *2v. – Vgl. auch Sparn 1984, S. 42
400
Valentin Ernst Löscher, Abgewiesener Demas. Zur Uberzeugung der Päbstler,
Und Der den Abfall befördernden Frey-Geister […], Leipzig 1713, S. 4 f.: »Wer die Rö-
mische Kirche recht kennet, der muß zugestehen, daß sie einmahl die ihrigen von GOTT
und dessen reinen Wort auff Menschen und derselben Ansehen [sc. Papst] muthwillig ver-
leite, hernach in ihrem Haut und vornehmsten Gliedern recht weltlich gesinnet sey, und
mit weltlichen Künsten und Vortheilen ihr Werck fortühre. Das erste reimet sich mit der
Frey-Geisterey sehr wohl, und hat es Jac. la Placette in seinem A. 1696 edirten Buch De
Scepticismo Ecclesiae Romanae wohl ausgeführet.« – Es handelt sich zugleich um einen
der frühesten Belege für den Begriff der ›Freigeisterei‹ im Sinn von Freidenkertum. Darauf
wird später noch zurückzukommen sein ( VI.5.4).
401
Der erste Beitrag unter diesem Titel erschien 1735 in Löschers Zeitschrift: Quo ru-
itis? Treuhertzige Anrede eines bejahrten Lehrers, an die Philosophischen Studiis ergebene
Jugend, wegen der zur Herrschaft sich dringenden neuen Philosophie, in: Frühaufgelesene
Früchte der Theologischen Sammlung von Alten und Neuen Sachen, 1735, S. 70–84. – Zi-
tiert u. a. bei Sparn 1985, S. 21 (als Kapitelüberschrift mit anschließender Erläuterung und
Nachweis); Winfried Schröder hat die Formel sogar zum Titel eines Aufsatzes gemacht
(Schröder 2003), ohne das Zitat zu erläutern oder belegen – ein Beleg dafür, wie geläufig
es den Teilnehmern der Tagung (»Thomasius im literarischen Feld«) gewesen sein dürfte.
402
So Löscher selbst in der Vorrede, fol. *4v: »Ceterum in hac Praenotionum cura
non tam quaerendum est, quid fundamentum fidei constituat, quam, quid in paedagogico
rationis usu supponendum sit […].«
403
Löschers Verhältnis zur lutherischen Schulphilosophie behandelt Greschat 1970.
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492 Atheismus und Frühaufklärung

ratio.404 Mit den Grundsätzen der natürlichen Gotteserkenntnis (»notionibus


communibus«), mit gesicherten Fakten (»factis certissimis«) und methodisch
hinlänglich abgesicherten Annahmen (»thesibus abunde jam olim demonst-
ratis«) glaubt er die Theologia polemica auf Augenhöhe mit ihren Gegnern
bringen zu können.405 Zu diesem Zweck zieht er wichtige Konsequenzen aus
der von Pierre Bayle – neben Hobbes und Spinoza der eigentliche Hauptgeg-
ner der Praenotiones – ausgehenden Unterhöhlung des apologetischen Argu-
mentationsbestandes.406 Zeitgleich zu den oben geschilderten Bemühungen
der Hallenser Frühaufklärer und der akademischen Korrektur des voetschen
practicus-Modells durch die Helmstedter Meier und Fabricius (s. o.) mahnt
Löscher nämlich, wie im Folgenden erarbeitet werden soll, zur bedachtsamen
Anwendung des Atheismusvorwurfs407 und entwickelt als Alternative zu Voe-
tius eine eigene Begriffsdistinktion, die das von Arnold und Thomasius bean-
standete Problem der ›Konsequenzenmacherei‹ sichtlich eindämmt.
Überhaupt bewegt sich die Auseinandersetzung, wie sie Löscher vor allem in
den Praenotiones führte, auf einem bemerkenswerten Niveau.408 Unverkennbar
meldete sich hier ein Autor zu Wort, der – wie zur selben Zeit in den Nieder-
landen der unermüdliche Le Clerc, in England Samuel Clarke, in Deutschland
am ehesten Budde und bald darauf Johann Lorenz von Mosheim, Johann Georg
Walch oder Siegmund Jacob Baumgarten – die späthumanistische Gelehrsam-
keit noch im vollen Umfang beherrschte409 und sich zugleich an der Kommu-
nikationsreform der Frühaufklärung aktiv beteiligte: Seine Rezensionsjournale
gehören zu den langlebigsten Projekten der deutschen Zeitschriftengeschichte
und spiegeln das geistige Leben eines halben Jahrhunderts aus dem Blickwinkel
einer sich wandelnden Orthodoxie.410 Dementsprechend präsentiert sich Lö-
scher auch in den lateinischen Praenotiones weder (wie viele seiner Amtsbrüder)
als wortreicher Polemiker noch als Freund polyhistorisch voluminöser Anmer-
404
»Hinc natae sunt mihi Praenotiones, quas voco, quibus defensis obex malo illi,
cumprimis Atheismo, Deismo, Indifferentismo, Scepticismo, & ceteris monstris, ponatur,
& ad saniorem mentem revocentur, qui studio, vel corrupti ab aliis, errant.« Vorr., fol. *3v
(Hervorh. d. Verf.). – Siehe auch Baur 2006, S. 153, 179; allgemein zur Rolle der Vernunft
bei Löscher mit ideengeschichtlicher Einbettung: Greschat 1971, S. 123–135, 167–173 u.
259–269.
405
Alle Zitate aus Praenotiones, Vorr., fol. *4v.
406
Vgl. Greschat 1971, S. 241–262, sowie, auf hohem Niveau, Sparn 1984, S. 41–47.
407
Darauf verweist zutreffend bereits Schröder 1992, S. 12, Anm. 25.
408
»Eine rein polemische Apologetik auf der Basis in der Heiligen Schrift enthalte-
ner ›offenbarter Sätze‹ legt Löscher gerade nicht vor; vielmehr wird ein kritisch analysie-
render Rundblick geboten, kein nur negierender ›Rundumschlag‹.« Baur 2006, S. 153. – In
diesem Sinne auch schon Baurs Eröffnungssatz (ebd., S. 141): »Mit einem lichtscheuen
Dunkelmann bekommen wir es nicht zu tun.«
409
Ausführlicheres zu Löschers akademischem Werdegang neben Greschat 1971,
S. 24–31, auch im gut pointierenden Überblick von Baur 2006, S. 141–148; einen Eindruck
von der Breite seiner Interessen, insbesondere in jungen Jahren, verschafft die Übersicht
seiner Schriften zu Lebzeiten bei Greschat 1971, S. 360–412.
410
Vgl. Greschat 1971, S. 80–89 (zu den Unschuldigen Nachrichten).
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Lutherische Polemik nach 1700 493

kungsapparate, sondern als Meister des prägnanten


ägnanten Ausdrucks und der pointier-
ten Gedankenführung. So etwa, wenn er gleich zu Beginnn der Praenotiones mit
sicherem Blick für das Wesentliche die Kernpunkte der Atheismusdebatte – die
Argumente für und gegen die Existenz Gottes – in zwei hoch konzentrierten
Absätzen zusammenfasst (1 f. u. 3). Deutlich ist daran allerdings auch der inzwi-
schen erreichte Sättigungsgrad einer Diskussion abzulesen, in der alle Argumen-
te ausgetauscht sind und die nun nach intellektueller Durchdringung verlangt.

Plausibilität statt Gewissheit


Löschers Verteidigung des ›consensus gentium‹
Löscher leistet diese Durchdringung in mehrfacher Hinsicht. So macht er
mit sicherem Gespür für die methodischen Schwierigkeiten und möglichen
Schwachstellen der apologetischen Beweisführung Zugeständnisse an die phi-
losophische Methodik, die den Leser der bisherigen antiatheistischen Polemik
nur erstaunen können. Wenn er nämlich im Rahmen der Untersuchung athe-
istischer Einwände gegen die Eigenschaften Gottes einräumt, dass nicht alle
strittigen Punkte (›dubia‹) zufriedenstellend – das heißt vor dem Forum der
nun auch von Löscher als Maßstab angelegten sana ratio – aufgelöst werden
könnten, dann bedeutet das nicht weniger als die Verabschiedung der phi-
losophischen Theologie in Form der traditionellen Gottesbeweise.411 Neben
theologischer Metaphysik verzichtet Löscher daher auch weitgehend auf die
traditionellen Bibelbeweise.412 Das ermöglicht ihm seinerseits, den wissen-
schaftlichen Anspruch der antiapologetischen Argumentation zu hinterfragen.
Keineswegs nämlich, so Löscher mit Blick auf Bayle, könne sie sich mathema-
tischer Präzision (»mathematica praecisione« [10]) rühmen, sie stütze sich viel-
mehr auf »erbärmliche Grundfesten« (»miserrimis fundamentis« [3]). Nicht
fehlen darf in diesem Zusammenhang der topische Verweis auf die Dummheit
der Gottesleugner (21–23) und den dafür einschlägigen 14. Psalm (23). Lö-
scher fügt dem noch einen süffisanten Seitenhieb hinzu, wenn er der Mehrzahl
der vermeintlichen Atheisten eine bestenfalls mittelmäßige Begabung und Ge-
lehrsamkeit bescheinigt.413
Seine Umsichtigkeit und methodische Zurückhaltung zeigt sich ferner im
Umgang mit bewährten Argumentationsbeständen. Löscher erkannte sehr
genau, dass der altehrwürdige Beweis ex consensu gentium durch die fortlau-
fend ergänzten ethnografischen Berichte über die Bewohner fremder Konti-
nente einer permanenten Gefährdung ausgesetzt war. Die damit verbundenen
Schwachpunkte der apologetischen Beweisführung hatte Bayle bekanntlich

411
Dazu, im Weiteren ideen- und kirchengeschichtlichen Zugriff, Sparn 1984.
412
Vgl. Baur 2006, S. 153, 155 u. 175.
413
»De ceteris, qui vel explicite vel potentia propinqua Athei dici merentur, plana res
est, eos maximam partem, (si vel humanis judiciis res transigenda sit,) stultos ignarosque
rerum maxime necessariarum fuisse, vel tamen ingenio & eruditione ultra mediocritatem
non esse progressos.« (21)
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494 Atheismus und Frühaufklärung

aufgedeckt.414 In den Praenotiones entscheidet sich Löscher daher zu einem


ungewöhnlichen Schritt:415 Zwar weist er, unter expliziter Berufung auf Fab-
ricius’ Apologeticus pro genere humano contra Atheismi calumniam ( IV.5.2)
den Atheismusverdacht gegen verschiedene Naturvölker zurück (4 u. 8);
endlich räumt er aber doch die Möglichkeit von Völkern ein, denen jegliche
nachweisbare Erkenntnis einer Gottheit fehle. Was auf den ersten Blick wie
eine Kapitulation wirkt, entpuppt sich in Wirklichkeit als strategischer Zug,
mit dessen Hilfe Löscher die Wirksamkeit des ethnografischen Arguments bis
auf Weiteres zu sichern versucht: Der Absolutheitsanspruch der traditionellen
Gottesbeweise wird ersetzt durch die Plausibilitätsoptik der common sense-
basierten Apologetik, wie wir sie zuvor schon bei Seckendorff und Bentley
kennengelernt haben.416 Denn, so Löscher weiter, selbst wenn einzelne Völ-
ker ohne nachweisbare Gotteserkenntnis existieren würden, stünden sie doch
immer noch einer überwältigenden Anzahl von Gegenbeispielen gegenüber.417
In Wirklichkeit, das zeigt sich im Folgenden, denkt Löscher keinen Mo-
ment daran, die Annahme einer natürlichen Gotteserkenntnis aufzugeben, die
er unter Hinweis auf den klassischen Prätext (Röm 1,19 ff.) in aller Kürze ab-
handelt (8 f.). Er verwendet viel Mühe darauf (4–12), die von Bayle vorgelegten
Einzelbeispiele nach dem Vorbild von Fabricius zu widerlegen, indem er auch
kleinste Anzeichen von kultischer Verehrung für eine numinose Instanz als
wie auch immer verkehrte Religion gelten lässt. Selbst da jedoch, wo derarti-
ge Anzeichen fehlen, wie im Fall der von Bayle herangezogenen Nasamonen,
besteht Löscher darauf, dass ein falscher oder fehlender Begriff von Gott und
Religion noch nicht mit völliger Unkenntnis oder gar der expliziten Negati-
on eines höchsten Wesens gleichzusetzen sei.418 Schließlich, schreibt Löscher
scharfsinnig, seien Bauern, die nur unzureichende Begriffe von Astronomie
hätten, auch keine Sonnenleugner (»Anheliotas«, 11).419 Ähnlich also, wie
414
»Equidem eo tendit dogma de nationibus atheis, ut argumentum a consensu gen-
tium contra Atheos petitum tollatur e medio, palam consilium enuntiante Baelio.« (10)
415
Vgl. zum Folgenden auch Baur 2006, S. 169–171, und Sparn 1984, S. 43 f.
416
Löscher bezieht sich verschiedentlich auf Bentleys Schrift The Folly of Atheism
(27, 29, 36), er hat sie vermutlich in Jablonskis lateinischer Übersetzung rezipiert (zu Bent-
ley s. Kap. IV.4.1).
417
»Ceterum etsi quaedam exstarent gentes omni notitia divinitatis destitutae, sigil-
latim illae, quae Antagonistae enumerant, non tamen propterea vim omnem ammiteret
illud argumentum: cum & exiguus istarum gentium sit numerus, non oppondendus tam
numerosae multitudini, & praeterea eaedem exuisse magnam partem hominum privilegia,
interque mores brutorum naturae proximos ab iis cogitandi rationibus, quae vere humanae
sunt, discessisse credantur.« (11)
418
»Quare etsi dicantur Nasamones nullum gubernatorem orbis infinitum explicite
confessi esse, nondum tamen Athei theoretici nuncupari possunt, etiamsi ideam Dei, quam
habebant, ad mundi regimen nunquam applicassent […].« (8) – Ähnlich heißt es etwas
später, manche Völker seien schlicht noch so unzivilisiert (»barbari«), dass sie noch nicht
die sprachlichen oder intellektuellen Voraussetzungen für die abstrakte Vorstellung eines
unendlich weisen und gütigen Gottes besäßen (9 f.).
419
Vgl. auch Sparn 1984, S. 42 f.; Baur 2006, S. 170 f.
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Lutherische Polemik nach 1700 495

kurz zuvor Leibniz die von Descartes abgewertete Erkenntniskompetenz der


›unteren Seelenvermögen‹ behutsam rehabilitiert und damit der Ästhetik des
18. Jahrhunderts (inbesondere Alexander Gottlieb Baumgarten) den Weg ge-
ebnet hatte,420 verwirft nun auch Löscher – in Abkehr von der lutherischen
Orthodoxie des 17. Jahrhunderts421 – die strenge Disjunktion von richtigem
und falschem Gottesbegriff zugunsten einer mehr graduellen Unterscheidung
von vollkommener und noch unvollkommener Erkenntnis.422 Selbst hinter den
»verworrensten Fabeln« heidnischer Götterkulte bleibt so noch die Idee eines
Gottes als Urheber von Wohltaten und Strafen sichtbar.423
An diesem Punkt lässt sich besonders deutlich ermessen, worin der eigent-
liche Einfluss Bayles auf die deutsche Atheismusdiskussion nach 1700 bestand,
und zwar auch da, wo seine Thesen vehement bestritten wurden. Der Vorgang
wirkt zunächst verblüffend: Hatten sich die meisten Autoren seit Mersenne
darum bemüht, die Zahl der (indirekten) Atheisten möglichst groß aussehen
zu lassen, lag es nun zunehmend im Interesse der Apologetik, sie äußerst ge-
ring zu halten. Das korrespondiert mit den seit Browne und La Mothe le Vayer
(s. o.) zu beobachtenden Versuchen, die großen Philosophen der Antike vom
Vorwurf des Atheismus oder auch nur vom Stigma des Heidentums freizu-
sprechen. Bemerkenswert ist nun, wie Löscher diese Reduktion in expliziter
Wendung gegen Bayle vornimmt, indem er ihm vorwirft, die Zahl der Athe-
isten (nämlich der atheistischen Völkerschaften) unnötig vermehrt zu haben.
Ausgerechnet gegen Bayle verteidigt also Löscher den Anspruch begrifflicher
Genauigkeit. Dann nimmt er ihn auch wieder beim Wort, denn Bayle hatte an
anderer Stelle behauptet, die meisten sogenannten Atheisten (nämlich Philo-
sophen oder sonstige Gelehrte) seien innerlich gar nicht von der Nichtexistenz
Gottes überzeugt gewesen: »Bene Baelius scribit (qui toties male) Tom. I. Lex.
p. 1036. plerosque Atheos non firmiter esse persvasos, sed haerere saltem in
sententia formanda […].« (19)

420
Vgl., aus der Fülle von Studien zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts die gedie-
gene Darstellung von Stöckmann 2009.
421
So, mit Blick auf Abraham Calovs Systema locorum theologicorum (1655), Baur
2006, S. 171.
422
Vgl. ebd., S. 180 f. – Löscher kommt darauf ausführlicher zurück (33 f.), wenn er
in der sechsten und letzten Praenotio des ersten Teils einige Punkte vertiefend erörtert.
Dort verteidigt er gegen Bayles Ausgangspunkt, Gott sei in adäquater Weise nur äußerst
schwer zu erkennen, die Gradualität der Gotteserkenntnis: »Equidem largimur, illam non
esse adeo evidentem expeditamque ac primae notiones sunt, sed proximum post illas evi-
dentiae gradum eidem deberi affirmamus.« (33) »Etsi enim divina natura atque attributa
comprehendi, vel adaequate pernosci non possint, possunt tamen una cum existentia Dei
apprehendi, vel certo cognosci.« (34)
423
»Nam vel miserrimi idololatrae inter absurdissimas de Diis fabulas, eos, tanquam
prima entia, religiosa veneratione digna, & fontes beneficiorum atque poenarum, sibi rep-
raesentarunt […].« (12)
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496 Atheismus und Frühaufklärung

Mit Bayle gegen Bayle


Löschers Modell des ›aktualen‹ und ›expliziten‹ Atheismus
Damit ist die alte Frage nach dem Verhältnis von innerlichem (›in corde‹) und
in Worten artikuliertem (›ex ore‹) Unglauben berührt, wie wir sie weiter oben
am Leitfaden des 14. Psalms von der Reformationszeit bis zu Bacon und wei-
ter bis zu Bentley verfolgt haben. Hier lag zugleich die größte heuristische
Schwachstelle der antiatheistischen Apologetik, gegen die sich, wie ausführlich
gezeigt wurde, in den Jahrzehnten vor und nach 1700 berechtigte Kritik erhob:
Auf der einen Seite wurde anhand der Lehre von der cognitio Dei naturalis
die Existenz ›echter‹, also innerlich von der Nichtexistenz Gottes überzeug-
ter Atheisten bestritten, die topische Frage »An dentur?« folglich abschlägig
beantwortet. Auf der anderen Seite ermöglichte es die durch Voetius etablierte
Überführungsmethodik »per bonam consequentiam« (s. o.), auch weiterhin
am Atheismusbegriff festzuhalten und entsprechend dramatische Bedrohungs-
szenarien zu erzeugen. Demgegenüber spielte das Kriterium der expliziten
Gottesleugnung, zumindest außerhalb der politisch-staatsrechtlichen Diskus-
sion ( I.3), nur eine höchst untergeordnete Rolle. Das mag unter anderem
empirische Gründe gehabt haben. Wie Winfried Schröder nachgewiesen hat,
dürfte die notorische Formel »non est Deus« vor dem 18. Jahrhundert kaum
je laut ausgesprochen worden sein.424 Aber selbst da, wo eine solche Äußerung
gefallen wäre, hätte man sie vermutlich, wie sich auch bei Löscher zeigt, unter
Hinweis auf die Divergenz von Sprechen und Glauben für ungültig erklärt.
Zugespitzt gesagt: Die vielleicht überraschendste Antwort der Apologetik auf
das »non est Deus« lautete »non est atheus«.
Bayle hatte nun die Apologetik mit ihren eigenen Waffen geschlagen, indem
er die alte vinculum societatis-Lehre mit den reichen Erträgen der barocken
Ethnografie kontrastierte und dabei – das hat Löscher sehr scharf gesehen – ei-
nen ähnlich ungenauen Atheismusbegriff anlegte wie die protestantischen Au-
toren der Voetius-Nachfolge. Als weit näherliegendes und womöglich noch
brisanteres Beispiel konnte Bayle den untadeligen Lebenswandel Spinozas ins
Feld führen und so das traditionell in der Formel stultitia Atheismi zusam-
mengefasste Junktim (s. o.) von Atheismus und Unsittlichkeit exemplarisch
widerlegen.425 Das Ergebnis war verheerend und erzwang, paradox genug, eine
Präzisierung des Atheismusbegriffs, welche sich nun bei Löscher ebenso be-
obachten lässt wie zuvor bei Spener, Thomasius und anderen.
Löschers Ansatz besteht darin, den Atheismusbegriff möglichst stark ein-
zuschränken. Diese Restriktion erreicht er in den Praenotiones dadurch, dass
er die beiden Kriterien der verbalen Äußerung und der inneren Überzeugung
kombiniert und dadurch wohl am nächsten an die bis heute übliche enge Wort-
bedeutung herankommt. In diesem Sinne spricht er von »Athei actuales, iique

424
Vgl. Schröder 1998, S. 45.
425
Vgl. Czelinski-Uesbeck 2007, S. 100–115; s. auch weiter oben, Kap. IV.2.
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Lutherische Polemik nach 1700 497

expliciti« (18), kurz darauf gebraucht er den summarischen Ausdruck eines


»Atheismi actu talis & expliciti« (19). Der Zusatz ›explicitus‹ entspricht dem
voetschen ›directus‹ ( I.5) und fasst es noch etwas präziser. Dieses Kriterium
war in weiten Teilen der Apologetik kaum angelegt worden, weil es zum einen
die Menge der so definierten Atheisten praktisch auf Null setzte, zum anderen,
wegen der pauschal unterstellten simulatio, ins Leere greifen musste. Dagegen
trägt der an Aristoteles angelehnte Zusatz ›actualis‹, dem auch bei Löscher die
komplementäre Kategorie ›potentialis‹ gegenübersteht (18), der weiter oben
mehrfach angesprochenen Annahme Rechnung, dass es einen Atheismus im
Sinne einer dauerhaften inneren Überzeugung (»interiorem animi sententiam«
[19]) schlechterdings nicht geben könne. Selbst die – willentlich herbeigeführte
oder durch Gott verhängte – Eintrübung der natürlichen Gotteserkenntnis im
menschlichen Gewissen, so die mehrheitliche Meinung der Apologetik des 16.
und 17. Jahrhunderts, wurde zwar als möglich, aber als notwendig vorüberge-
hend (›ad tempus‹) angesehen.426
Mit der Unterscheidung von aktualen und potenziellen Atheisten um-
geht Löscher also die erheblichen heuristischen Schwierigkeiten, die Voe-
tius der Apologetik hinterlassen hatte und die, wie oben gezeigt wurde, in
akademischer Theologie und Philosophie ab 1700 zunehmend auf Kritik
stießen. Zwar hätte die Vorstellung von ›potenziellen‹ Atheisten – Letztere
haben Löscher zufolge zur konsequenten Gottesleugnung einen »benach-
barten Eingang« (»ad plenam Dei negationem aditum propinquam habuer-
int«, 18) – der Verdächtigungsoptik alter Schule erneut Tür und Tor öffnen
können. Löscher bemüht sich hier aber insofern um Konsequenz, als er den
nachfolgenden Kapiteln seiner Darstellung präzisere Begriffe wie Deismus,427
Indifferentismus428 und Schriftgegner (»Antiscripturarii«) zugrunde legt. Die
Parallelen zu den gleichzeitigen Klärungsbemühungen seitens der akademi-
426
Vgl. die Hinweise bei Barth 1971, S. 172–178.
427
Zu Beginn des zweiten Teils seiner Praenotiones (»Praenotiones contra Deistas
Natural[istasque] custodiendae«) greift Löscher daher seine Unterscheidung noch ein-
mal auf: »Ab Atheis explicitis ipsoque effectu talibus ad eos proficiscimur, qui potentia
incipitoque sensu Athei dici possunt, eo quod omnium sint proximi ad Atheismum ple-
num & consumatum: Inter eos vero eminent, qui Deistae nuncupantur.« (36) – Er weist
auf Bentleys Meinung hin, die Deisten hätten diese Bezeichnung selbst gewählt, um
nicht als Atheisten bezeichnet zu werden (»ipsis etiam Atheis hanc appellationem minus
odiosam exposcentibus«, 36), tadelt den insgesamt vagen Wortgebrauch (»Vagus itaque
est vocis usus«, 36), setzt ihn aber schließlich erneut deutlich vom explizit verbalisierten
(»diserte«) Atheismus ab, obwohl dieser – wie in der älteren Apologetik üblich – aus
den Grundsätzen des Deismus ableitbar sei: »Sit itaque nobis Deista, qui quidem diserte
non negat, Deum existere, de natura tamen & attributis actionibusque Dei ita docet, ut
inde sequatur proxime, Deum non dari.« (37) Im Weiteren hält sich Löscher strikt an den
Gebrauch des Ausdrucks ›Deismus‹.
428
Zur Problematik des ›Indifferentismus‹ aus Löschers Sicht, die auch den weniger
an Dogmatik als an Glaubenspraxis interessierten Pietismus einschließen konnte, vgl. Gre-
schat 1971, S. 144–157; Gierl 2008, S. 130–135; vgl. auch Gierl 1997, S. 321 f. u. 511 f., zum
Indifferentismusvorwurf im Rahmen der pietistschen Streitigkeiten insgesamt.
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498 Atheismus und Frühaufklärung

schen Philosophie und Theologie sind auffallend. Etwas ungenauer bleibt


sein Begriffsgebrauch, wenn er, deutlich knapper als im Fall des ethnografi-
schen Arguments, die bekannten Fragen nach der Tugendhaftigkeit (23–27
[praenotio IV]) und der möglichen Schädlichkeit für das politische Gemein-
wesen (27–30 [praenotio IV]) abhandelt;429 er rechtfertigt dies aber damit,
dass sich Bayle selbst an verschiedenen Stellen seiner Schriften verschiedener
Definitionen bediene.430
Dass es Löscher indessen keineswegs um wissenschaftlich-methodische
Genauigkeit um ihrer selbst willen geht, sondern darum, die apologetische
Argumentation gegen ihre gefährlichsten Kritiker abzusichern, zeigt sich
spätestens dann, wenn er umgekehrt Gottfried Arnold (und mit ihm Tho-
mas Browne) dafür tadelt, Persönlichkeiten wie Vanini oder Spinoza vom
Atheismusvorwurf freigesprochen zu haben.431 Hier wird besonders deut-
lich, was sich auch zuvor immer wieder gezeigt hat: wie die Definitionen
der jeweiligen Interessenlage, wo nicht untergeordnet, da doch zumindest
angepasst werden. Gleichwohl kann mit Blick auf Löscher festgehalten
werden, dass sich die Notwendigkeit einer Differenzierung und einer Ver-
abschiedung der etablierten »Verdächtigungshermeneutik« nach 1700 auch
in der lutherischen Spätorthodoxie geltend machte. Das nun folgende Bei-
spiel aus dem schwäbischen Luthertum wird darüber hinaus verdeutlichen,
dass sich die Orthodoxie in ihrem Bemühen, mit Gegnern wie Bayle und
Spinoza fertig zu werden, sogar Verbündete wie Thomasius oder Pufen-
dorf suchen konnte.

429
Löschers Argumentation braucht hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet zu
werden, da er den bekannten Argumenten nichts Neues hinzufügt. Erwähnenswert er-
scheint hier allerdings, dass er in diesem Zusammenhang Thomaisus tadelt, der sich in
der Frage nach der Tugendfähigkeit auf Bayles Seite gestellt habe. Er verweist dabei
auf die oben ( V.2.4) behandelte Stelle aus der Einleitung in die Sittenlehre: »Ceterum
Baelio hic sentit C. Thomasius, Introd. in Philosoph. Moral. p. 124.« (27) – Tatsächlich
aber schließt sich Löscher, mit Blick auf Spinoza, der von Bayle vorgeschlagenen Ar-
gumentation an, der, wie wir sahen, auch Thomasius zugestimmt hatte. Spinoza sei als
Melancholiker nicht zu öffentlicher Sittenwidrigkeit veranlagt gewesen: »Largior, quos-
dam Atheos, quibus melancholica obtigerat constitutio, qualis Spinosae fuit, a publicis
flagitiorum generibus abstinuisse; neque tamen ideo sunt / integri vitae scelerisque puri.«
(25 f.)
430
»Addit, quaestionem solum agitari de Atheis theoreticis & professione talibus,
(quos a reliquis hic distinguit, alio loco distinguere omnino noluit) hic se exempla impieta-
tis & poposcisse & vel hodie poscere.« (24)
431
»Admetiemur huic tractationi alias quasdam Praenotiones contra Atheos expli-
citos propugnandas: & primo quidem hanc, jure meritoque quosdam pro Atheis explicitis
habitos, acriter refutatos esse & punitos. Adversarium se nobis Atheorumque (quod mag-
nopere dolemus) patronum oggerit Godofr. Arnoldus, Haeresiologiae P. II. Lib. XVII. c.
XVI.« (32) Es folgen (32 f.) die Beispiele Diagoras, Sextus Empiricus, Vanini und Spinoza
mit Arnolds Argumenten. – Nur am Ende des Abschnitts (33) wird auch Thomas Browne
kurz erwähnt: »Quo consilio Th. Brounius in Relig. Medici p. 71 neget Atheos dari, alii
viderint.«
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Lutherische Polemik nach 1700 499

5.2 Pietismus und Naturrecht in Johann Ulrich Frommanns


Atheus Stultus sive de stultitia Atheismi (1713–1715)

Frommanns Disputationszyklus
Vorhaben und methodischer Ansatz
Hatte Löscher sich schon weit in den Bereich der natürlichen Theologie vor-
gewagt, um den neuen Herausforderern zu begegnen, die Lehren eines Gro-
tius oder Thomasius aber als »verderblich« (»perniciosae hypotheses Grotii«)
zurückgewiesen,432 so zeigt das Beispiel des Tübinger Theologen Johann Ul-
rich Frommann (1669–1715), welche Koalitionen die lutherische Theologie
nach 1710 in apologetischer Absicht einzugehen bereit und imstande war.433
Als Sohn des mit Spener befreundeten Tübinger Professors für Jurisprudenz
Johann Andreas Frommann434 hatte der junge Frommann daselbst studiert,
war seit 1698 als Diakon erst in Böblingen, dann in Tübingen tätig und 1711
zum außerordentlichen Professor der Theologie sowie zum (dem dortigen
Ephorus unterstellten) Superintendenten des Tübinger Stifts ernannt worden.
Zwischen 1713 und 1715 hielt er kurz vor seinem Tod ( Jöcher zufolge traf ihn
auf der Kanzel der Schlag) eine Reihe von sechs Disputationen Atheus stultus
sive […] De stultitia Atheismi mit wechselnden Respondenten ab.435
An ihnen lässt sich exemplarisch ablesen, in welchem Maße die protestan-
tische Apologetik und Polemik entschlossen auf die Höhe der zeitgenössi-
schen gelehrten Diskussion zusteuerte und zugleich noch über die gesamte
Tradition der antiatheistischen bzw. -deistischen Literatur von der Antike bis
zur eigenen Gegenwart verfügte. Von Cicero, Seneca und den Kirchenvätern
über Juan Luis Vives, Mornay, Bacon, Mersenne, Voetius oder Pascal bis zu
Grotius, Cudworth, Pufendorf, Bentley, Le Clerc, Thomasius, Budde, dem
Journal des sçavans und den Nouvelles de la Republique des Lettres erstreckt
sich der Bogen der von Frommann verarbeiteten Literatur. Er kennt Vani-

432
Löscher, Praenotiones, Vorr., fol. **3r. Zu Thomasius s. o. im Löscher-Kapitel.
433
Zu Frommanns akademischem Werdegang vgl. die spärlichen Hinweise in DBA I
355, S. 358 (enthält nur den zwölfzeiligen Jöcher-Artikel). – Frommanns Disputationsrei-
he ist in der Atheismusforschung bekannt, wird aber dort nicht als Text wahrgenommen,
sondern als Steinbruch für Zitate; vgl. etwa Gawlick 1995, S. 109; Barth 1971 und Schröder
1998, pass. (Register).
434
Vgl. Wallmann 21986, S. 72 f.
435
Titelaufnahme hier nach der ersten Disputation: Johann Ulrich Frommann (pra-
es.), Christian Friedrich Faber (resp.): Atheus stultus, sive disputatio inauguralis de stulti-
tia atheismi ex Psalm. XIV. v. 1. […], Tübingen 1713. – Als Respondenten der folgenden
Disputationen werden genannt Johannes Zeller (2.), Tobias Friedrich Hock u. Eberhard
David Hauber (3.), Christoph Friedrich Hochstetter (4.), Johann Jacob Jaiser [!] u. Israel
Ludwig Gebhard (5.) sowie Jeremias Ruoff u. Andreas Kunckelin (6.). Statt »inaugura-
lis« steht bei den folgenden Disputationen die entsprechenden Ordinalzahlen (»secunda«,
»tertia« etc.). – In der mir vorliegenden Ausgabe sind die sechs Disputationen zusammen-
gebunden und durchgehend nummeriert. Nachweise werden daher im Folgenden mit Sei-
tenzahl in Klammern ohne Vermerk der jeweiligen Disputation gegeben.
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500 Atheismus und Frühaufklärung

ni, Spinoza, Hobbes und Bayle ebenso wie Toland, Collins und Charles de
Saint-Évremond sowie die Schriften ihrer Gegner. Auch die deutsche Atheis-
musdebatte von Clasen und Spizel über Weber, Müller und Undereyck bis zu
Löscher ist ihm geläufig. Zudem aber – hier liegt ein wichtiger Unterschied zu
Löscher – bezieht er mit Arndt, Poiret, Scriver und Spener sogar bedeutende
Vertreter der innerkirchlichen Reformbewegungen in seine Argumentation
mit ein. Darin macht sich der Einfluss des seit 1688 auch amtlich approbierten
Pietismus geltend, der bald darauf so bekannte Vertreter wie Johann Albrecht
Bengel und Friedrich Christoph Oetinger hervorbringen sollte.436
Entsprechend dieser Vielzahl an Gewährsleuten bildet Frommanns Dis-
sertationszyklus, in seltener Dichte, ein Sammelbecken von Argumenten,
Formulierungen und Bildern, in dem die Bemühungen aus mehr als hundert
Jahren antiatheistischer Apologetik zusammenfließen. Einzig der politische
Bereich kommt etwas kurz. Als gemeinsamer Nenner fungiert wie in der jün-
geren Apologetik, etwa bei Seckendorff und Bentley, die immer wieder formu-
lierte Gewissheit hinsichtlich der durchgängigen rationalen Begründbarkeit
und somit auch Überzeugungskraft der christlichen Lehre. Passend dazu ist
die Beweisführung eingerichtet, denn sie setzt nicht mehr auf die Autorität der
Schrift oder die Selbstevidenz von Wunderbeweisen, sondern auf eine nahezu
voraussetzungslose common sense-Argumentation. Ähnlich wie im Natur-
recht, auf das Frommann vielfach Bezug nimmt,437 bildet denn auch die sana
ratio, also der vom Sündenfall verschont gebliebene intellektuelle Restbestand,
den Maßstab, vor dem sich die Auseinandersetzung zwischen dem Christen-
tum und seinen Kritikern zu bewähren hat.
Wie ernst es Frommann mit diesem Anspruch ist, zeigt sich exemplarisch,
wenn er am Ende der ersten Disputation einräumt, dass nicht alle Einwände
der Atheisten gehoben werden könnten. Das gelte aber, fügt er schnell hin-
zu, auch für andere Themen oder Wissensbestände, die bei aller Evidenz nicht

436
Bengel studierte während Frommanns Zeit am Tübinger Stift. Bengels theologi-
schem Lehrer Andreas Adam Hochstetter ist die sechste Disputation gewidmet, sein Sohn
Christoph Friedrich Hochstetter respondierte der vierten. Einmal mehr zeigt sich so, wie
eng sich die antiatheistische Literaturproduktion in Deutschland mit den innerkirchlichen
Reformbewegungen, insbesondere mit dem frühen Pietismus verband.
437
Das zeigt sich am häufigen Rekurs auf Grotius und Pufendorf, mit Thomasius
wird aber auch das ius divinum herangezogen. – Die naturrechtliche Pflichtenlehre hat
Frommann sogar der Konzeption der dritten bis fünften Disputation zugrunde gelegt.
Nachdem er in der ersten Disputation sein Verständnis von Atheismus und die ›natürli-
chen‹ Beweise für die Existenz Gottes entwickelt, in der zweiten dann die Argumente der
Atheisten durchmustert hat, ordnet er die der Widerlegung zugedachten folgenden drei
Schriften gemäß dem dreistufigen Pflichtenkatalog des ius naturae (Pflichten gegen sich
selbst, gegen andere und gegen Gott), er ändert jedoch die Vorzeichen. So behandelt die
dritte Disputation den Schaden, den die Atheisten sich selbst antun würden, es folgt der
Schaden, den sie angeblich ihren Mitmenschen hinzufügen, und schließlich der Schaden
oder die Beleidigung gegenüber Gott.
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Lutherische Polemik nach 1700 501

mit letzter Klarheit ableitbar seien.438 Ein solches Reflexionsniveau hatten wir
im orthodoxen Milieu bereits bei Löscher angetroffen, es gehört zusammen
mit der viel beschworenen »Krise der Orthodoxie« (W. Sparn) in den Jahren
vor und nach 1700.439 Das argumentative Rückgrat des dergestalt artikulierten
Selbstvertrauens bildet auch hier noch einmal die alte Lehre von der natürli-
chen Gotteserkenntnis (36–39). Sie bezieht weitere Glaubwürdigkeit aus der
Vollkommenheit der Natur, deren anschauliche Demonstration in der Physi-
kotheologie der Frühaufklärung an Bedeutung gewinnt,440 wie auch aus dem
consensus gentium (32 f.) von Platon über Seneca und Cicero bis zu den außer-
christlichen Weltreligionen.
Wie bei Löscher steht dieser Beweisanspruch freilich auch hier wieder neben
handfester Polemik, die durch den leitmotivischen Einsatz der titelgebenden
stultitia-These den Text aller sechs Disputationen durchzieht. Nach bewähr-
tem Schema (Mersenne, Bentley, Le Clerc etc.) wird den Atheisten der Status
der Dummheit oder Torheit, der Unvernunft, der Raserei und des Wahnsinns
zugeschrieben. Dabei wird gerade der Anspruch der Deisten und Spinozisten,
im Namen der Vernunft aufzutreten, unter Rückgriff auf das Pauluswort »Da
sie sich fur Weise hielten / Sind sie zu Narren worden« (Röm 1,22), zurück-
gewiesen.441 Als grundlegender Prätext für den gesamten Disputationszyklus
dient aber auch hier der 14. Psalm, der auf dem Titelblatt angezeigt und zu
Beginn sowie am Ende jeder Einzeldisputation in Erinnerung gerufen wird.

›Terrae filii‹ und ›Spiritus fortes‹


Frommanns Unglaubensverständnis zwischen
Frühaufklärung und Orthodoxie
Schon in der Vorrede stellt Frommann klar, dass er trotz der inzwischen er-
hobenen Einwände von Thomasius und anderen an dem von Voetius entwi-
ckelten breiten Atheismusbegriff festhält. Das zeigt sich an der typischen Liste
von Synonymen, mit denen das zeitgenössische Begriffsfeld abgesteckt wird
(1): Atheisten, Deisten, ›Des Grues‹, ›Esprits forts‹, ›Gens de Service‹ und ›ga-
lans hommes‹.442 Der begriffsgeschichtliche Übergang zum ›Freigeist‹ ab etwa

438
»Nec etiam periclitatur certitudo & evidentia asserti nostri, etsi non omnes ar-
gutias, quibus Athei circumvenire nos satagunt, resolvere queamus. Multa enim certa &
evidentia sunt, quamvis non omnem difficultatem, quae ea premit, tollere valeamus. Solem
splendere evidentissimum & certissimum est, quamvis ad omnes difficultates utrum Sol vel
terra moveatur, respondere non possimus.« (42)
439
Vgl. dazu Greschat 1970, Sparn 1984 (Zitat im Titel).
440
Vgl. nach wie vor Philipp 1957; zusammenfassend: Martus 2015, S. 363–370. Wei-
tere Hinweise im Kapitel über Brockes ( VI.3).
441
So gleich im ersten Satz der Praefatio (1): »Dum se sapientes esse credunt, stulti
facti sunt: Verissimum hoc Divi Pauli est effatum Rom. I. 22. […] Si qui autem sunt, in
quos Pauli hoc dictum quadrat, quibusve jure meritoque prae aliis accomodari potest, sane
Athei & Deistae sunt, quorum praesens aetas tam ferax est […].«
442
Vgl. Voetius, De atheismo, S. 117. – Ausführlicher dazu im Voetius-Kapitel (I.5).
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502 Atheismus und Frühaufklärung

1725 ( VI.5) zeichnet sich bei Frommann bereits insofern ab, als er neben
dem Atheismusbegriff häufig den vergleichsweise seltenen Ausdruck ›Spiritus
fortis‹ bzw. ›Spiritus fortes‹ verwendet,443 also die lateinische Übersetzung des
französischen ›Esprit fort‹, von dem ja der deutsche Ausdruck ›Freigeist‹ her-
geleitet ist. Es handelt sich um eine Übergangserscheinung, die keine breitere
Aufnahme fand. Nicht minder vielsagend ist der Einsatz der polemischen For-
mel ›terrae filii‹ ab der dritten Disputation von 1714,444 womöglich in Anleh-
nung an Löschers 1713 erschienenen Abgewiesenen Demas (s. o.). Sie belegt in
wünschenswerter Deutlichkeit, dass der Atheismusbegriff hier auch weiterhin
in der Kombination von intellektuellen und moralisch-habituellen Kompo-
nenten gesehen wird.
Was die topische Frage An dentur? betrifft, so bedient sich Frommann der
geläufigen begrifflichen und konzeptionellen Distinktionen,445 um – gegen Kri-
tiker wie Thomas Browne446 – die Existenz von Atheisten auch da behaupten
zu können, wo aus besagten Gründen nicht von ›direktem‹ oder konsequen-
tem Unglauben die Rede sein kann: »Tales autem Atheos existere, nemo est,
qui inficiatur.« (9) Dabei ergänzt er das von Voetius bereitgestellte Begriffs-
inventar um die besonders aus dem Pietismus bekannte Unterscheidung von
Herz- und Maulchristentum. Er überträgt sie aber auf den Atheismus, um, wie
vor ihm schon Bacon, einen Unglauben des Herzens (gemäß der Psalmformel
»in corde suo«) methodisch ausschließen zu können:

Athei Theoretici sive Speculativi autem, de quibus inprimis hoc loco nobis sermo est,
iterum non ejusdem, sed triplicis sunt generis: Vel enim sumuntur sensu propriissimo
& strictissimo, suntque illi, qui ore non tantum negant existere DEUM, sed & in cor-
de plene absque metu contrarii firmiter & constanter ad finem vitae usque credunt,
sibique persuasum habent. Talia monstra terram alere multi ex Reformatis, nostrisque
Theologi communiter negant […]. (9 f.)

Auch dieser Konsens war inzwischen erschüttert, wie wir bei Bentley ge-
sehen haben ( IV.4.1). Frommann selbst wendet sich explizit gegen Locke
und Bayle, die einen Atheismus stricto sensu für möglich erklärt hatten.447

443
Vgl. Frommann, Atheus stultus, S. 137, 142, 161, 162, 182, 185 u. ö.
444
Vgl. ebd., S. 138, 152, 175, 177, 183 u. ö.
445
»Notandum autem est Atheos non unius sed varii esse generies & pro illorum
diversitate jam affirmari, jam autem negari posse, dari Atheos. […] Communissima autem
& vulgo recepta distinctio Atheorum est in Practicos & Speculativos. Athei Practici sunt
illi, qui Deum quidem agnoscunt, sed mallent Deum non esse, qui hoc agunt ut omnem
Numinis metum excutiant, ac ita vivunt, quali Deum non esse perfecte sentirent.« (9)
446
»Sunt non pauci, qui istiusmodi monstra in rerum natura existere valde dubitant,
quos inter est Joh. Raphson Anglus[,] imo nec desunt, qui Atheorum existentiam plane
negant, ex quorum numero est Thomas Browne auctor Religionis Medici; Gerhardus de
Vries; Ex nostris Frid. Ulr. Calixtus &c.« (9)
447
»Jo. Lockius autem contrarium statuit, asseritque, dari Atheos Speculativos, apud
quos nulla notio Numinis, nulla religio: Cum quo etiam facit Bayle.« (10)
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Lutherische Polemik nach 1700 503

Es spricht allerdings für ihn, dass er hier wie in anderen Kapiteln die vorlie-
genden Meinungen diskutiert und die Vertreter gegensätzlicher Ansichten,
soweit sie nicht selbst als Atheisten gelten, respektvoll referiert. Das zeigt
sich etwa, wenn er nach einer knappen Musterung der Historia Atheismi von
der Antike bis zur eigenen Gegenwart (11–16) die durch Johann Ludwig
Fabricius, Thomasius oder Gundling problematisierte Frage der Denunzi-
ation behandelt (16–25). Der Pietist Frommann zeigt sich sensibilisiert für
die Schwere der Anschuldigung und stellt sich auf die Seite der unschuldig
Verurteilten,448 wohl wissend, dass auch die frühen Christen als Atheisten
angegriffen wurden.449 So nimmt er, unter Berufung auf Justinus Martyr,
Mornay und Samuel Parker, antike Philosophen wie Sokrates, Diogenes und
die frühen Naturphilosophen gegen den Vorwurf des Atheismus in Schutz.450
Daran lässt sich schon gut ablesen, wie weit sich die lutherische Hochschul-
theologie um 1715 dem neuen eklektischen Zug in der historischen Urteils-
bildung zu öffnen vermochte. Wenn Frommann im Weiteren hinsichtlich des
Atheismusvorwurfs Luther und Flacius gegen Mersenne451 und Spener gegen
Samuel Benedict Carpzov und Johann Friedrich Maier verteidigt (17 f.), ar-
gumentiert er zwar pro domo, bekennt sich zugleich aber eindeutig zu den
beiden fortschrittlichsten Tendenzen innerhalb der lutherischen Orthodoxie
um 1700 – zum Pietismus und zur theologischen Eklektik.
Eine klare Grenze für Relativierungs- und Rehabilitationsbemühungen
ist erst da erreicht, wo zeitgenössische Autoren mit ›Rettungen‹ für Epikur,
Vanini, Hobbes oder Spinoza hervortreten. Diesen Tendenzen stellt sich
Frommann vehement entgegen (18–23). In scharfer Abgrenzung von Tho-
mas Browne und Pierre Gassendi, aber auch von Gottfried Arnold, hält er

448
»Interim negari non potest, multis inuri stigma Atheismi praeter illorum meri-
tum, cumque vix innocenti vel atrocior vel major injuria queat intentari; Pro Atheo enim
aliquem habere nihil aliud est, quam pro excremento generis humani eundem reputare,
rectissime dicit Digniss. Dn. Hochstetterus. Tamen nihil magis solenne, quam Viros etiam
optimos & innocentes, quo aliis invisi reddantur, Atheorum albo inserere.« (16 f.)
449
»Evenit etiam hoc primis Christianis, qui ob contemptum Idolorum & Numinum
fictitiorum Atheismi accusati fuere.« (17) – Das Argument war schon seit Voetius in der
Apologetik etabliert und gehörte zum zwar nicht unverzichtbaren, aber doch regelmäßi-
gen Bestand im Rahmen definitorischer Erörterungen. Vgl. Voetius, De atheismo, S. 115;
Niemann, Atheus refutatus, S. 2; Müller, Atheismus devictus, S. 3. – Wie Voetius und Mül-
ler bezieht sich Frommann dabei vor allem auf Julianus Apostata, nach dem Bericht des
spätantiken Kirchengeschichtsschreibers Sozomenus (Hist. eccl. 5, 15).
450
»Experti hoc sunt multi ex antiquis Philosophis, e. gr. Thales, Anaximenes, Di-
ogenes, Apolloniares, Anaximander, Socrates & alii, quos autem jamdudum a labe Athe-
ismi purgavit Justinus Martyr. Nostris autem temporibus Philipp. Mornaeus, Dign. Dn.
Rechenbergius. Inprimis autem S. Parkerus, qui pro illis justam adornavit Apologiam, in
qua ostendit illos non tam negasse DEUM, quam idola & Deos Gentilitios risisse.« (17)
451
»Sic M. Mersenne in Comment. in Genesin Atheismi notam B. Luthero & Flaccio
Illyrico inussit, iosque Authores & Coryphaeos Atheismi irruentis constituit […].« (17)
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504 Atheismus und Frühaufklärung

etwa an der Zuordnung Epikurs zum Atheismus fest.452 Ausführlicher geht er


auf Hobbes453 und Vanini ein,454 um deren öffentliches Eintreten für die christ-
liche Religion als Teil einer dissimulatorischen Ablenkungsstrategie zu erwei-
sen.455 Vaninis Amphitheatrum aeternae providentiae divinae (1615) galt neben
Campanellas Atheismus triumphatus (1631) seit Langem als Beispiel für ein
solches subversives Verfahren.456 Spinoza schließlich habe seinen Unglauben so
geschickt zu verbergen gewusst, dass ihn der pfälzische Kurfürst Karl Ludwig
1673 sogar auf eine philosophische Professur nach Heidelberg habe berufen
wollen (22).457 Keineswegs also könne jeder des Atheismus Beschuldigte von
diesem Vorwurf freigesprochen werden. Insgesamt fühlt sich Frommann da-
her berechtigt, in die oft erhobene Klage über die Verbreitung des atheistischen
Unglaubens – insbesondere an den Höfen (»in aulis«, 25)458 – einzustimmen.
»Nostris temporibus«, heißt es mit der gängigen Dramatik, »Atheismus ubi-
que triumphat« (24).

Tugend, Glückseligkeit und Menschenwürde


Frommanns Verteidigung des Christentums ›ex sana ratione‹
Nach Absolvierung der Argumente für die Existenz Gottes (25–41) und Mus-
terung der atheistischen Einwürfe dagegen (49–112), deren vermeintliche Un-
gewissheit und Widersprüchlichkeit durchgehend auf das Beweisziel einer

452
»Epicurum Atheum fuisse priscis temporibus fere nullus inter Gentiles saniores
& Christianos dubitavit. […] Hodie autem multi reperiuntur, qui ab Atheismi crimine eum
liberare quovis modo contendunt. Ex horum numero est Thomas Browne, Petrus Gassen-
dus, restaurator Philosophiae Epicureae, ut & Gottofred. [!] Arnoldus.« (18)
453
»Thomas Hobbesius non unum, sed plures habet Defensores, qui eum a crimine
Atheismi absolvunt, inter quos est Imman. Weberus accuratissimus alias Atheorum Cen-
sor & Gottofr. Arnoldus.« (19) – Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den Vertei-
digern des englischen Philosophen erfolgt – offenbar nach erfolgter Kritik – zu Beginn der
zweiten Disputation (115–124). Dort reagiert Frommann unter anderem auf Gundlings
oben (V.3.1) behandelte Apologie für Hobbes in den Gundlingiana (115 f., 119).
454
»Jul. Caes. Vanini causam operose agit Gottofr. Arnold[,] Haereticis Atheisque
nimium favens.« (19)
455
»Est autem inter Doctrinae, quam Athei profitentur, arcana dissimulare suum
virus, & in ima tantum mente submurmurare, non vero librorum suorum frontibus inscri-
bere, vel libere eloqui detestandum illud axioma. NON EST DEUS. In corde dicit stultus:
NON EST DEUS, non libere eloquitur, ait Regius Psaltes. Hinc rem suam recte & occulte
agunt tenebriones hi, & nefanda sua dogmata non nisi per cuniculos propagare satagunt.
Simulant in Scriptis suis se velle impugnare Atheismum, quem tamen recte propugnant &
promovent.« (20)
456
Vgl. etwa Voetius, De atheismo, S. 129; Müller, Atheismus devictus, S. 54 f.
457
Zu diesem Vorgang vgl. die Hinweise weiter oben im Kapitel zu Johann Ludwig
Fabricius, der die Verhandlungen mit Spinoza führte ( IV.5.2). Auch Gottfried Arnold
erwähnt die Anekdote ( IV.5.3).
458
Diese Herleitung gehört in der deutschen Atheismusdiskussion seit ihren An-
fängen zur festen Topik. Neben Seckendorff ( IV.3) vgl. etwa Großgebauer, Preservatif,
S. 528 u. 538 f.; Scriver, Seelen-Schatz, S. 74; Meier, Historia religionum, S. 20.
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Lutherische Polemik nach 1700 505

fundamentalen Torheit der Gottesleugner bezogen wird,459 wendet sich From-


mann in der dritten Disputation dem Beginn seiner dreischrittigen Beweis-
führung zu: dem Schaden, den sich die Atheisten selbst zufügen würden.460
Gemeint ist damit noch gar nicht der von Pascal, Seckendorff und Bentley
konstatierte Verzicht auf die Glückseligkeit des Christenmenschen; den größ-
ten vom Unglauben verursachten Schaden sieht er vielmehr in der Absage an
die durch Willensfreiheit,461 Unsterblichkeit der Seele und Gottebenbildlich-
keit462 verbürgte Würde des Menschen (»naturam humanam nobilissimam,
dignissimam« [159]). Denn, so Frommann, wenig später, sie hebe den Un-
terschied zwischen dem Menschen und den wilden Tieren (»inter homines et
bestiae discrimen« [150]). Aus dem traditionellen Tiervergleich, den wir schon
bei Tholosanus, Assonville und Bentley in Verbindung mit der Anomie- und
Hedonismusbeschuldigung kennengelernt haben, schlägt Frommann beacht-
liches polemisches Kapital. Pointierter als jene präsentiert er ihn als Konse-
quenz einer materialistischen Anthropologie, wie sie für ihn vor allem Hobbes
verkörpert.
Eine solchermaßen selbstgewählte Reduktion auf den Status der Tierhaf-
tigkeit unterstreicht für Frommann nur den Eindruck der Torheit, zwischen
beiden steht als tertium comparationis die Kategorie der Irrationalität, die auch
hier in verschiedenen Facetten, von der Dummheit bis zum Wahnsinn, prä-
sent ist. Die Früchte des Atheismus (»Atheismi fructus«), heißt es daher auch,
seien »stupiditas & bestialitas« (151). Ähnlich verfährt er mit der Auffassung
des menschlichen Körpers als Maschine. In ihrer Raserei, so Frommann in
Fortführung der rhetorisch stark instrumentierten Beweisführung, würden die
Atheisten sich selbst zu Automaten erklären, deren Bewegung durch nichts als
zureichende äußere Ursachen bestimmt werde. Hätten sie sich zuvor schon
auf den Status von Tieren erniedrigt, so würden sie nun den Unterschied zwi-
schen Menschen und Wasser- oder Windmühlen (»inter illos & veruversori-
um, ventilogium, molendinum aquaticum […] discrimen«) aufheben (153 f.).

459
So etwa die Bilanz am Ende der zweiten Disputation: »Ex quibus sole meridiano
clarius apparet, Atheos sceleratos nugatores plane nihil solidi pro tuenda & confirmanda
sua sententia afferre, sed falsa supposita, inanes ratiunculas, immanes conjecturas, mera
somnia, & deliria, putidas & aniles fabulas. […] Quod utique non ingenium, non Eruditio-
nem, non sapientiam, sed stupditatem, stoliditatem & stultitiam arguit.« (112)
460
»Nocent Athei ante omnia dogmate hoc ferali sibimet ipsis. Nemo enim ab Athe-
ismi peste majus damnum & noxam sentit, quam ipsa horum Cyclopum colluvies.« (124)
461
»Uti autem Athei proprium intellectum & voluntatem extinguunt, ita & semet
libertate sua privant, liberumque arbitrium in semetipsis violant & destruunt.« (134)
462
»Suffocant porro Athei scintillulas & reliquias Imaginis Divinae in semet ipsis,
quae in homine post lapsum in iis, quae externa concernunt, relictae sunt. Uti enim sum-
mum Numen inficiantur, ita & hominem ad imaginem DEI creatum esse, atque post lapsu
ex illa habere nonnullas reliquias negant & pernegant […].« (136)
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506 Atheismus und Frühaufklärung

Demgegenüber kann Frommann das christliche Welt- und Menschenbild


nicht nur als Garanten für Menschenwürde und verbindliche ethische Nor-
men, ja sogar für irdische Glückseligkeit ins Spiel bringen,463 sondern zugleich
auch als einzig kompatibel mit Erfahrung und gesundem Menschenverstand
hinstellen.464 Die Argumentation ist von Pascal und Bentley her bekannt,
Frommann bezieht sich zudem auf den sensationellen (später als fingiert er-
wiesenen) Bericht über einen unter Qualen gestorbenen englischen Atheisten,
der in England als The Second Spira, in Deutschland unter dem Titel Der ver-
zweiffelnde Atheist mehrere Auflagen erreichte.465 Mit Augustinus, Cudworth
und Johann Arndt – eine beachtliche Zusammenstellung! – kehrt Frommann
dagegen den Trost und die Ruhe hervor, die gerade unter widrigen Umstän-
den (»in omnibus adversis« [160]) aus der Annahme einer individuellen Un-
sterblichkeit und eines gütigen und gerechten Gottes fließen würden.466 Die
Anklänge an Pascal (der hier nicht eigens genannt wird) sind deutlich,467 wenn
Frommann diese ›hypothesis‹ (161) in Übereinstimmung mit dem common
sense als ebenso wünschenswert wie nützlich für den Menschen bezeichnet.
Folgerichtig tritt für ihn einmal die kategoriale Unvernunft der Atheisten zu-
tage. Im Gegenzug preist er, mehr oratorisch als argumentierend, mit effekt-
voll gesteigerter vierfacher Verneinung des atheistischen Irrtums, die Freuden
des religiösen Lebens. In der Verbindung von Liebessemantik und parado-
xen Formeln (›leichte Last‹, ›liebliches Joch‹) mit dem Begriffsfeld irdischer

463
Die für die Apologetik seit Pascal, erst recht seit Tillotson und Bentley so bedeu-
tende These vom gaudium pietatis wird gegen Ende der fünften Disputation noch einmal
explizit gegen eine hedonistisch-eudämonistische Religionskritik behauptet. Stärker als
seine Vorgänger streicht Frommann heraus, dass die Kritik am Christentum oder an jeder
Art von Gottesdienst, soweit sie sich dem Zweck des persönlichen Lustgewinns verdanke
(darauf deutet erneut der Ausdruck ›terrae filii‹, s. u.), einer fehlerhaften Vorstellung vom
Glauben als Joch und angstgetriebener Knechtschaft aufsitze, die den Menschen noch un-
ter das Tier erniedrige.
464
»Contradicunt haec deliria & commenta non modo S. Scripturae, quae hominem
dicit ad imaginem DEI creatum, eumque liberum agens constituit, ut pro beneplacito pos-
sit agere vel non agere, hoc vel illud eligere &c. Ut in antecedentibus percepimus; sed &
sanae rationi nec non sensui & experientiae, quam quivis in se & de se habet.« (153)
465
Siehe dazu weiter oben, Kap. III.2.2.
466
»Omne verum vivum & cor afficiens solatium, quod hominem in vita & morte
recreat, unice in DEO reperitus. Ille scaturigo & fons omnis veri solatii & felicitatis est.«
(159)
467
Eindeutig ist der Bezug zu Pascals Wette, wenn Frommann, in Anlehnung zudem
an die berühmte Etiamsi daremus-Debatte, die Vorzüge des Christentums selbst für den
Fall behauptet, dass es einen solchen Gott gar nicht gäbe: »Verus DEI cultor etiam, etsi
DEUS non existeret, possidet tamen spem, quae illum per universam vitam suam recreat,
inque omnibus adversis perfundit solatio, quod utique cultori DEI in magnum cedit lu-
crum.« (168 f.) – Zu Pascals Wette siehe oben, Kap. IV.3.3; zur Etiamsi daremus-Debatte
vgl. Kap. I.3.5.
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Lutherische Polemik nach 1700 507

Glückserfüllung (›gaudium‹, ›deliciae‹, ›felicitas‹, ›delectatio‹, ›voluptas‹),468


steht er zwischen dem intimen Gottesverhältnis der quietistischen Mystik und
der empfindsamen Gefühlsreligion eines Gellert oder Jerusalem:

Religio enim & Cultus DEI, qui in spiritu & Veritate peragitur, profecto non est onus,
non est jugum homini pio, non privat illum omni gaudio, nec illum infelicem facit, sed
potius summum beneficium, plenum deliciis & gaudio est, hominemque perquam fe-
licem reddit. […] Quid quaeso suavius, quam DEUM, Ens optimum, perfectissimum,
pulcherrimum amare? (219)

Dem Atheisten, so auch hier das offenkundige Beweisziel, ist kein irdisches
Glück beschieden, da er sein Dasein statt in Hoffnung469 vielmehr in Angst
(»inquietos«, »metu«, »terrore«, 163; »anxietate« [168]), Ungewissheit (»incer-
titudo« [171]), Unruhe (»inquietos«, »angore« [163]) und Verzweiflung (»in-
quietudine & desperatione« [171]) zubringe. Der Gedanke wird amplifiziert
(160–172) und ergänzt durch Anekdoten über Atheisten,470 nicht zuletzt mit
Blick auf die in der Apologetik des 18. Jahrhunderts immens beliebte Ster-
bebettsituation (173–180).471 Dieses Lehrstück wird von Frommann durch
ausführliche Zitate aus entsprechenden Berichten – unter mehrfacher Bekräf-
tigung der Augenzeugenschaft (»testis ocularis«, 178)472 – illustriert.
Frommanns methodische Zurückhaltung und sein Bestreben, die Regeln
des gelehrten Diskurses einzuhalten, zeigt sich auch hier daran, dass er ge-
genteilige Meinungen keineswegs apodiktisch vom Tisch kehrt. Nicht fehlen
darf in diesem Zusammenhang etwa der Fall Spinozas (183 f.), über dessen Tod
um 1700 verschiedene Gerüchte kursierten, bis sich die Ansicht durchsetzte,

468
Neben der im Haupttext zitierten Passage noch diese weitere, in der »delectatio«
und »voluptas« hinzutreten: »Exinde etiam hominibus piis cultum DEI non onus, non
jugum, sed delectatio, gaudium & voluptas est.« (221)
469
»Destruit enim illorum sententia omnem spem, illosque in eam redigit sortem, ut
nunquam perfecte possint evadere felices.« (162) – Noch plakativer etwas später: »Atheus
in hoc mundo est sine spe.« (169)
470
Neben dem immer wieder genannten Second Spira und anderen, besonders engli-
schen und französischen Quellen zieht Frommann (169, 173) auch den von Philipp Jakob
Spener veröffentlichten Bericht über einen in Verzweiflung gefallenen Atheisten heran;
ausführlich dazu im Spener-Kapitel (II.4).
471
Einige Beispiele in Kap. III.2.2; vgl. auch den Überblick bei Spiekermann 2015
mit Blick auf das 18. Jahrhundert.
472
Frommann nennt auch einen »Edelmann«, der ihm persönlich von einem Athe-
isten in den Niederlanden berichtet habe. Dieser habe sich mit Gift gegen Schrecken der
Sterbestunde verwahren wollen: »Taceo exemplum Athei celebris in Batavia, de quo Vir
nobilis & perillustris, qui illum in itinere aliquoties visitavit, mihi retulit, quod semper py-
xide opio repleta instructus incesserit, quo vel adversitate ingruente, vel periculo minitante,
vel morte acerba terrente, illius usu, leni mortis genere ab his sese liberare posset.« (180)
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508 Atheismus und Frühaufklärung

dass er friedlich und ohne Widerruf seiner Lehren gestorben war.473 Man kann
es Frommann zugutehalten, dass er die einschlägige Stellungnahme in Pierre
Bayles Dictionnaire nicht verschweigt: »P. Baylius vero contrarium refert, di-
citque, Spinozam ut Atheum mortuum esse.« (184) Er stellt sie der Meinung
Theodor Undereycks gegenüber, der in seinem Närrischen Atheisten (1689)
noch vom Widerruf berichtet hatte.474 Das ist aus heutiger Sicht ein bemerkens-
wertes Vorgehen, erst recht für einen öffentlich bestallten Theologen im tief
lutherischen Württemberg. Es ergibt sich aus dem Anspruch, die Wahrheit der
Religion auch unter den Bedingungen einer sich verändernden Wissenschafts-
kultur zu verteidigen. Klüger, als die Schriften eines Bayle oder Spinoza zu
ignorieren, war es sicherlich, die darin entwickelten Argumente methodisch
überzeugend anzugreifen. Dass auf diesem Weg sogar die lange geschmähte
Vernunft – als sana ratio – in die lutherische Orthodoxie zurückkehrte, darf
durchaus als ein Teilverdienst der Apologetik angesehen werden. An einem
letzten Beispiel aus dem Bereich der lutherischen Hochschul-Theologie soll
dieser Befund abschließend vertieft werden.

5.3 De atheis practicis non est sermo


Vernunftreligion und insipiens-Topik in
Joachim Langes Caussa Dei (1723)

Die an Löscher und Frommann vorgeführten Allianzen, die durch den Kampf
gegen den atheistischen Unglauben möglich wurden, verliefen nicht nur zwi-
schen Theologie und Philosophie. Auch innerhalb der lutherischen Kirche
selbst lag hier ein Indifferenzpunkt, der zwar nicht effektiv für Frieden sorgte,
aber die polemische Energie selbst verfeindeter Autoren gelegentlich in die
gleiche Richtung lenkte. So trat Valentin Ernst Löscher, den wir eben als Strei-
ter gegen den Atheismus erlebt haben, zugleich als einer der schärfsten Geg-
ner der pietistischen Bewegung auf. Aus den Reihen des Pietismus stellte sich
ihm unter anderen der mit Francke befreundete Joachim Lange (1670–1744)
entgegen, der auch maßgeblichen Anteil an der Vertreibung Christian Wolffs
aus Halle hatte ( V.4). Im selben Jahr verfasste er außerdem eine Streitschrift
gegen den Atheismus und die ihn begünstigenden Wirkungen der von ihm so

473
Vgl. Czelinski-Uesbeck 2007, S. 40–64 u. 87–91, der besonders auf das Verdienst
Bayles hinweist, die tendenziösen Berichte über Spinozas Tod zu entkräften. Spätestens
mit der Biografie von Johann Colerus (1705) war den Gerüchten ein Ende gemacht.
474
Undereyck, Der närrische Atheist, Bd. 1, S. 385: »Wir sind nicht allein gantz glaub-
würdig und umbständlich berichtet / daß B. Spinosa am Ende gantz anders sich erkläret /
und recht heraus gesagt habe / daß er nun keinen Zweiffel mehr hätte / ob ein GOtt sey /
aber noch wol / ob eine Dreyeinigkeit sey / zumahl / wan er wieder auffkähm / auch seine
Gedancken darüber etwas ferner wolte gehen lassen.«
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Lutherische Polemik nach 1700 509

genannten »Pseudophilosophie« – der älteren wie der neueren.475 Unter Letz-


terer verstand er neben Descartes, Hobbes und Spinoza sogar noch Leibniz.476
Wenn der Spener-Adept Lange sich hier weitaus strenger zeigt als sein Leh-
rer, der mit Leibniz in brieflichem Austausch stand ( I.4.3; II.4), so wohl auch
deswegen, weil er damit – dem anderslautenden Anlass zum Trotz477 – den Wi-
dersacher Wolff zu treffen hoffte. Das wäre insofern kurios zu nennen, als
Lange der besagten ›Pseudo-Philosophie‹ eben jene natürliche Religion entge-
gensetzte, für die Wolff in seiner Deutschen Metaphysik von 1720 ein philoso-
phisches Fundament entworfen hatte. Mehr noch: Gerade dreieinhalb Monate
nach Erscheinen von Langes Schrift, im September 1723, kam Wolffs Deutsche
Teleologie heraus (Vernünfftige Gedancken von den Absichten der natürlichen
Dinge), in der er reichhaltige Argumente für eben jene Art der physikotheo-
logischen Naturbetrachtung lieferte,478 die Langes Schrift als Teil der religio
naturalis gegen die Atheisten in Stellung brachte.479 Da Lange den Unglauben
des Philosophen allerdings aus dessen vermeintlichem Determinismus ablesen
zu können meinte, wird er darin keinen Einwand gesehen haben.
Ähnlich wie Frommann, Löscher und der auch als Philosoph tätige Bud-
de ( V.1.2) setzte Langes Darstellung nicht mehr auf bloße Polemik, auch
nicht auf wirkungslose Schrift- oder Wunderbeweise. Stattdessen gab er sei-
ner Schrift ein entschieden wissenschaftliches Gewand. Der ganze Text ist
sorgfältig gegliedert. Der eigentlichen Abhandlung (»Tractatio ipsa«) geht
der Abschnitt »Protheoria« voraus, in dem »postulata«, »definitiones«, »axi-
omata« und »theoremata« sauber voneinander abgegrenzt werden. Es folgen
elf »propositiones«, in denen der Gegenstand, der Atheismus, systematisch
und historisch bestimmt wird. Die »Tractatio« zerfällt in vier »sectiones«,

475
Joachim Lange, Caussa Dei et Religionis naturalis adversus atheismum, et, quae
eum gignit, aut promovet, pseudophilosophiam veterum et recentiorum, praesertim Stoi-
cam et Spinozianam, Halle 1723.
476
Ebd., Vorrede, fol. **1v: »Inter recentiorum vero philosophorum placita, quae
atheismo patrocinantur, quando periculosiores philosophiae Leibnizianae hypotheses,
permultis iam dudum iure inuisas, ex instituto haud retuli, sed in Systematibus aliis, Car-
tesiano, Hobbesiano & Spinoziano, e quibus quidem ista non pauca adoptavit, recensendis
substiti, aliis istam disquisitiones materiam lubens reliqui.«
477
Wie Lange in der Vorrede berichtet, reagierte er mit der Schrift auf die Jahre zu-
vor erfolgte Zusendung eines atheistischen Manuskripts (»schedas aliquot manuscriptas«)
durch einen gewissen Aletophilus (»Aletophilus quidam, homo atheus«, ebd., fol. *5r).
478
Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Absichten der natürlichen Din-
ge, Halle 31737, S. 10: »Solchergestalt macht die Zufälligkeit der Welt dieselbe geschickt,
daß man aus ihr erkennen kan, es sey ein GOtt, das ist, sie habe einen Urheber und sey
nicht von sich selbst. Und deßwegen haben wir auch diesen Weg erwehlet, da wir erweisen
wollen, daß ein GOTT sey […].«
479
So etwa Lange zu Beginn des dritten argumentum (»a rerum finibus«): »Res hujus
universi ad certum finem quam sapientissime sunt constitutae, & ita comparatae, ut finibus
suis obtinendis quam aptissimae conveniant. Ista vero finium constitutio, & rerum ad fines
istos obtinendos accomodatio non est a se ipsa, nec ex fortuito casu, sed a caussa suprema
intelligente & libera infinitae sapientiae ac potentiae.« Caussa Dei, S. 171.
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510 Atheismus und Frühaufklärung

die wiederum in einzelne »argumenta« unterteilt sind. In der Vorrede recht-


fertigt Lange diesen ostentativen Gebrauch des »mos geometricus«, den er
zugleich umsichtig von echten mathematischen Beweisen unterscheidet.480
Auf diese Weise schränkt er nicht nur den Beweischarakter der Philosophien
Wolffs, Descartes’ und Spinozas ein; er gibt auch zu erkennen, dass er sich
methodologisch auf der Höhe der Zeit befindet: Kein schwärmerischer Kon-
ventikelprediger also spricht hier, sondern ein Gelehrter, der in der wichtigs-
ten aller Fragen auf Augenhöhe mit den großen Denkern diskutiert.
Das zeigt sich auch in der definitorischen Fassung des Gegenstands. Wie
Löscher vor ihm, wie zudem Vertreter der akademischen Theologie und Phi-
losophie ( V.1; V.6.2), geht Lange auf Distanz zu Voetius und dessen einfluss-
reicher Systematisierung des Atheismus. Zwar verwendet er noch die dort ent-
wickelte, bis 1700 überaus einflussreiche theoreticus-practicus-Dichotomie,481
aber nur, um den praktischen Atheismus von der Betrachtung auszusondern:
»De atheis practicis in integro hoc tractatu non est sermo.«482 Das mag eigen-
artig wirken, weil doch die Kategorie des praktischen Atheismus gerade in
pietistischen Kreisen breiteste Anwendung erfahren hatte. Es sind aber gerade
kleine Details wie diese, an denen sich die veränderte Stellung des Pietismus
um 1720 – zumindest im wichtigen Zentrum Halle – ablesen lässt. Zum einen
verzichtet Lange mit dem practicus-Begriff auf die von Colbe bis Spener ver-
folgte Kritik an einem Atheismus in Ecclesia und kassiert damit das kirchenkri-
tische Potenzial des Atheismusvorwurfs. Das könnte zum anderen daran lie-
gen, dass der Pietismus in Städten wie Halle oder Tübingen institutionell und
gesellschaftlich (etwa durch das Waisenhaus) so fest verankert war, dass er vom
Angeklagten der Orthodoxie in die Rolle des Anklägers wechseln konnte.
Den theoretischen Atheismus unterteilt Lange mittels einer teilweise
eigenständigen Terminologie, die an vergleichbare Bemühungen Löschers
erinnert. Hatte Löscher zwischen aktualem und potenziellem Atheis-
mus unterschieden (s. o.), so grenzt Lange zunächst offene (»aperti«) und
ungestüme (»animosi«) von ängstlichen (»meticulosi«) und hinterlistigen
(»subdoli«) Gottesleugnern ab.483 Das entspricht in etwa der von Voetius

480
Lange, Caussa Dei, Vorr. fol. **1r: »Methodum elegi demonstrativam, geometrico
demonstrandi modo similem, non tamen ab ipsius geometricae, quam a logicae sanioris,
legibus directam, ideoque non coactam & affectatam, sed paulo liberiorem, & a re ipsa
potius, quam a geometrarum imitationes, profectam. Quidquid enim, extra rerum ma-
thematicarum ambitum, sic dicta methodus mathematica habet, logicae potius est, quam
matheseos […].«
481
Ebd., S. 17 f.: »Athei practici sunt, qui Deum, quem ore confitentur, & superficarie
credunt, ipso opere abnegant […].«
482
Ebd., S. 18. – Ebenso etwas später, wenn es heißt, »de solo enim practico in hoc
libro non esse sermonem jam monitum est […]« (S. 32).
483
Ebd., S. 6: »Athei dantur, iique vel aperti & animosi, vel meticulosi ac subdoli.« –
Folgerichtig heißt es etwas später über die erste Gruppe (S. 14): »Atheus apertus est, qui
atheismum sine metu periculi apertis verbis profitetur.« Diese Art von Atheisten sei jedoch
äußerst selten – »athei aperti sint rarissimi« (ebd.).
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Lutherische Polemik nach 1700 511

entwickelten Unterscheidung des direkten vom indirekten Atheismus, die


von Lange hier um moralisch-charakterliche Zuschreibungen ergänzt wird.
Zur zweiten Gruppe gehören für ihn auch die Naturalisten.484 Interessan-
ter und deskriptiver sind zwei weitere Dichotomien, die Lange hinzufügt.
Nicht nur unterscheidet er, wie implizit auch Thomasius oder Gundling
(s. o.), zwischen Vordenkern des Atheismus – er spricht von ›patroni‹ – und
den von ihnen Verführten (»seducti & tentati«).485 Er schlägt darüber hinaus
die Bezeichnungen »Atheus a priori« und »Atheus a posteriori« vor.486 Mit
diesem Begriffspaar, dessen Verwendung in einem solchen Zusammenhang
überraschen mag, fixiert Lange einen psychologischen Begründungszusam-
menhang, den wir zuerst in der Reformationszeit kennengelernt haben und
seitdem immer weiter verfolgen konnten. Als Atheist a posteriori gilt ihm
nämlich, wer durch seine Affekte und einen damit verbundenen Missbrauch
des Verstandes auf die negatio Dei verfallen sei.487 Dagegen habe der apriori-
sche Atheist seinen Verstand überhaupt nicht gebraucht, sondern sei durch
dessen Vernachlässigung zum Gottesleugner geworden. Leugnung und
Nichtwissen von Gott können hier, so Lange, zusammenfallen.488
In dieser Gegenüberstellung, die im weiteren Verlauf des Traktats keine
Rolle mehr spielt, verrät sich auch indirekt Langes apologetischer Ansatz-
punkt, die »caussa Dei« mit den Beweismitteln der natürlichen Theologie zu
führen, also – wie schon Löscher und Frommann – auf der Grundlage der
›gesunden Vernunft‹.489 Denn was beide Seiten der a priori-a posteriori-Di-
chotomie gemeinsam haben, ist der unzureichende Gebrauch der ratio. Die
Unterscheidung, wie Lange sie vornimmt, ist also ihrerseits schon von sei-
nen methodischen Prämissen diktiert: Wo die Wahrheit der Religion aus der
›gesunden‹ Vernunft bewiesen werden soll, fällt dem Atheismus notwendig
die Seite der Unvernunft zu. Dieses Verfahren konnten wir von Bucer und
Calvin über Bacon und Mersenne bis zu Leibniz und Wolff und schließlich
bis zu Löscher und Frommann beobachten. Und ebenso wie bei ihnen, wie
außerdem bei Bentley oder Le Clerc, wird auch bei Lange wieder der alte

484
Ebd., S. 15: »Quia athei subdoli subinde Dei nomen crepant, a nonnullis etiam
Deistae vocantur: quo tamen vocabulo alii rectius sic dictos Naturalistas appellant.«
485
Ebd., S. 14: »Ab atheis, atheismi patronis philosophantibus differunt seducti &
tentati.« – Zur Erklärung (S. 16): »Seducti sunt, qui quidem quaedam atheismi principia
incauti receperunt, sed sine ipsorum agnitione, aut sine eorum efficacia ad conclusionem,
seu ad ipsum atheismi effectum.«
486
Ebd., S. 13.
487
Ebd.: »Atheus a posteriori est, qiu e rationis abusu & affectuum malignitate eo
prolapsus est, ut Deum neget.«
488
Ebd.: »Atheus a priori est, qui ante rationis usum, vel ob hunc neglectum, negat,
saltem nescit, Deum existere.«
489
Entsprechend heißt es schon einleitend in der Sektion Protheoria (ebd., S. 2):
»Quidquid sanae rationi omnibus communi, in ratiocinatione sua recta recte sibi consciae;
nec non experientiae, in integro sensuum usu recte se habenti & omnibus communi, aut
alterutri, ad convictionem usque convenit, id verum est.«
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512 Atheismus und Frühaufklärung

Topos von der stultitia atheismi aufgegriffen. Die mit sieben Seiten etwas
kurz geratene vierte (und letzte) Sektion widmet sich der Torheit der Got-
tesleugner und darüber hinaus ihrem kategorialen Unglück.490 Auch das ist
nicht neu, könnte aber bei einem führenden Vertreter des Hallenser Pietismus
zumindest verwundern.491
Der Nachweis der Dummheit, Bosheit (»malitia«) und unglücklichen
Verfassung (»miseria«) erfolgt in der bekannten Verbindung von »sana ra-
tio« und »experientia«, mit dem gleichfalls bekannten zirkulären Verfahren.
Hier löst sich Lange von seinen eigenen methodischen Vorgaben und geht
zur Polemik über. Hatte er in den vorausgegangenen Sektionen Existenz,
Providenz und göttliche Eigenschaften demonstriert, so kann er nun, indem
er jene Beweisgründe als zwingend voraussetzt, deren Nichtakzeptanz de-
duktiv als Torheit und Unvernunft bestimmen. Diesem Vorhaben dienen vor
allem die ersten drei der fünf »propositiones«. Die vierte und längste ver-
spricht die Enthüllung noch anderer Arten, auf die sich die Dummheit, Bos-
heit und Schwatzhaftigkeit (»mataeologia«) der Atheisten erweise. Hierher
gehört für Lange etwa das Glücksargument, das auch bei ihm wieder eng mit
dem Tugendargument verknüpft ist. Töricht sei es, so Lange, eine Lehre zu
bestreiten, die nicht nur als Quelle aller Tugenden anzusehen sei,492 sondern
die Glückseligkeit jedes Gemeinwesens befördere.493 Dass umgekehrt der
Atheismus die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft bedrohe und für
diese folglich als »Pest« einzustufen sei, bildet den Gegenstand der fünften
»propositio«, die den Band beschließt.494
Ohne Pascal zu nennen, integriert Lange sogar die »Pascalsche Wette« in
seine Argumentation. Es sei töricht, heißt es ebenfalls in der vierten »propo-
sitio«, eine Lehre zu bestreiten, die selbst dann, wenn sie falsch wäre (»si fieri
posset, ut esset falsum«), niemandem schade (»nemini noxium«) und darüber
490
So Lange zusammenfassend in der Vorrede (fol. **2v): »Ultima denique, seu quar-
ta, Sectio, quanta atheorum sit stultitia, quantaque miseria, apud non nullos cum extremo
fastu & ingenii ostentatione coniuncta […].«
491
Gut 25 Jahre später sollte Langes Hallenser Kollege, der Philosoph Georg Fried-
rich Meier, ein enger Freund von Langes Sohn Samuel Gotthold, diesen Gedanken von
philosophischer Seite erneut aufgreifen. 1749 hielt er eine Disputation zum Thema abhal-
ten: De voluptate cum religione coniuncta (Halle 1749).
492
Lange, Caussa Dei, S. 244: »Stultitia porro est permagna, dogma quod fundamen-
tum est omnium virtutum, habere pro errore; & istud, quod caussa & scaturigo est vitio-
rum scelerumque omnium per se, habere pro fundata veritate.«
493
Ebd.: »Atheismum vero vitia & mala innumera, speciatim perfidiam & perjuria,
gignere, dogma autem de Dei existentia, essentia, providentia & religione, omnis generis
virtutes, ipsamque civilis societatis cujuscunque felicitatem promovere, sana docet ratio &
comprobat experientia.« – Wie die Staats- und Naturrechtslehrer des 16. und 17. Jahrhun-
derts ( I.3) stützt sich Lange bei seiner politischen Einschätzung des Atheismus vor allem
auf die Behauptung, dass sich Atheisten nicht an Verträge und Eidschwüre halten würden.
Er beruft sich dazu sogar auf das Naturrecht selbst, das er wie die christliche Naturrechts-
lehre mit dem göttlichen Recht identifiziert (»naturae legem esse legem Dei«, 247).
494
Ebd., S. 247: »Atheismus etiam societati humanae ac civili est pestilentissimus.«
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De atheo cive non bono 513

hinaus das Geschenk eines ruhigen Gewissens (»tranquillae conscientiae«) mit


sich bringe.495 Wie schon die Formulierung verrät, handelt es sich wie bei Pas-
cal selbst um eine Variation des alten Etiamsi daremus-Arguments. Zu diesem
Gedankenexperiment und der vorangegangenen Deduktionsarbeit tritt zu
guter Letzt noch das ›historische‹, also durch Zeugen beglaubigte Exempel.
Für derartige empirische Belege für die unglückliche Verfassung der Atheisten
verweist Lange auf die berühmte Rochester-Biografie des britischen Theo-
logen Gilbert Burnet sowie auf einen Bericht Philipp Jakob Speners.496 Bei
aller Kürze dieses finalen Kapitels gelingt es Lange also, die altehrwürdigen
Topoi aus Apologetik und Staatslehre in komprimierter Form abzuarbeiten.
Methodisch fällt er gegenüber dem Tübinger Frommann etwas zurück: Zwar
steuert er, wie erwähnt, ein hohes Reflexionsniveau an und verfügt souverän
über verschiedene Disziplinen der theoretischen und praktischen Philosophie
(Metaphysik, Physik, Ethik, Politik). Wo sich aber Frommann der Rechtsphi-
losophie eines Pufendorf und Thomasius geöffnet hat, verbleibt Lange noch
ganz in den Bahnen des christlichen Naturrechts. Hinsichtlich des Unglaubens
fällt dieser Unterschied allerdings kaum ins Gewicht.
Auch sonst, so sollte in diesem Kapitel gezeigt werden, hat sich die luthe-
rische Orthodoxie, soweit man nach Löscher noch davon sprechen konnte,
in ihren apologetischen Bemühungen überraschend stark an das ›natürliche
System‹ (Dilthey) angenähert, das sich in Jurisprudenz (Naturrecht) und Me-
taphysik (natürliche Theologie) seit etwa 1650 ausgebildet hatte. Das wird
wohl auch der Grund sein, weshalb sich die weltliche Unglaubenskritik im
selben Zeitraum dem Inhalt nach kaum von der geistlichen unterscheiden lässt.
Wie in den folgenden Kapiteln auszuführen sein wird, bedienen sich die zwei
Paradegattungen der literarischen Hochaufklärung, Lehrgedicht und Morali-
sche Wochenschriften, in ihrem Umgang mit dem Thema des Unglaubens der
selben Topoi und Argumente, wie wir sie bei Löscher, Lange und vor allem
Frommann angetroffen haben. Zum Beweisverfahren der Physikotheologie
trat dort der rationalistisch aktualisierte insipiens-Topos sowie – insbesonde-
re bei Brockes – der theologische Eudämonismus, der, nach den frühen An-
fängen bei Pascal und den britischen Latitudinariern ( IV.3.3; IV.4.1), seinen
Siegeszug durch das 18. Jahrhundert in der Populartheologie der Hochaufklä-
rung antrat.

495
Ebd., S. 245.
496
Vgl. ebd., S. 246.
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514 Atheismus und Frühaufklärung

6. De atheo cive non bono


Umrisse einer akademischen Diskussion ab 1700

6.1 Bayles langer Schatten


Atheismus, Staat und Gesellschaft im akademischen Schrifttum ab 1700

Hinsichtlich der Beurteilung des Atheismus, so lässt sich bis hierher festhal-
ten, wurden auch im 18. Jahrhundert die Topoi und Argumentationsmodelle
der barocken Apologetik mit nur geringen Modifikationen fortgeschrie-
ben. Wie die vorangegangenen Kapitel ergeben haben, setzte sich zwar in
der akademischen Diskussion ab etwa 1700 eine Präzisierung des Atheis-
musbegriffs durch. Paradoxerweise war es jedoch just diese Einschränkung
seiner Anwendbarkeit, die den polemischen Gehalt des Begriffs und seine
kriminalisierenden Konnotationen weiterhin sicherstellte. Wenigstens ein
Grund dafür liegt auf der Hand: Der in seiner referenziellen Reichweite
stark beschnittene Atheismusbegriff musste nicht mehr den Vergleich mit
der außersprachlichen Realität aushalten, den Bayle mit den bekannten
Schlussfolgerungen durchgeführt hatte. Insofern konnte also der Atheist als
Feindbild und polemische Chiffre seine volkspädagogische Funktion noch
für eine Weile übernehmen. Das gilt um so mehr, als man im nichtgelehrten
Schrifttum nicht die gleichen strengen Ansprüche an definitorische Genau-
igkeit stellte. Bevor gleich Verwendung (und literarisch-didaktische Aufbe-
reitung) des altbekannten Feindbilds in zwei charakteristischen Gattungen
der Aufklärung (Moralischen Wochenschriften und Lehrgedicht) untersucht
werden, erfolgt nun erst ein kurzer Blick auf zeitgleich ablaufende Bemü-
hungen im akademischen Sektor, den Atheismusbegriff in Richtung auf eine
religiös begründete Politiklehre und Sozialethik zu perspektivieren. Diese
wird schon um 1700 vereinzelt als bürgerlich ausgewiesen. Gerade in dieser
Akzentuierung lässt sich eine entscheidende Weichenstellung hin zur Hoch-
aufklärung erkennen.
Um den Diskussionsstand in akademischen Milieus auch jenseits der in-
tellektuellen Zentren und Avantgarden zu ermitteln, empfiehlt sich zunächst
der Blick in Dissertationen der Zeit. An der Weise, wie dort ab etwa 1700 der
Atheist als Gegenbild des guten Bürgers gezeichnet wird, lässt sich gut erken-
nen, wie im Vorfeld der Aufklärung die Frömmigkeit als integraler Bestandteil
von Bürgerlichkeit festgelegt wurde. Das hat mehr als nur Symptomcharakter:
Neben den großen und kleinen Werken der philosophisch-ethischen, politolo-
gischen sowie der natur- und staatsrechtlichen Literatur – wir haben Beispiele
bei Thomasius, Gundling und Wolff gesehen – waren es vor allem Dissertati-
onen, in denen jene Begründungsarbeit geleistet wurde, die in Handbüchern
der Staatskunst, etwa bei dem Wolff-Schüler Julius Bernhard von Rohr (1688–
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De atheo cive non bono 515

1742),497 aber auch in populären Medien wie den Moralischen Wochenschrif-


ten meist vorausgesetzt wurde. Und tatsächlich bestätigen auch einschlägige
Dissertationen aus dem Themenfeld ›Religion und Politik‹ wieder den nun
schon mehrfach formulierten Befund, dass Pierre Bayles Attacke auf das apo-
logetische Argumentationssystems in den Jahrzehnten vor und nach 1700 vor-
erst weniger zu dessen Schwächung als vielmehr zu seiner Verteidigung und
Reaffirmation beitrug.
Die Religion bleibt dort mehrheitlich als jenes vinculum societatis enthalten,
als welches sie von der antiken Staatslehre bis zum Naturrecht weitgehend
übereinstimmend angesehen wurde ( I.3). Als autoritative Instanzen gegen
Bayle werden dabei nicht mehr in erster Linie Theologen herangezogen, son-
dern Staatsdenker und Naturrechtslehrer wie Grotius, Pufendorf oder John
Locke. Auf dieser Grundlage werden in den Dissertationen oft grundsätzliche
Betrachtungen über die politische Notwendigkeit der Religion angestellt, für
die der Atheismus einen sozusagen denknotwendigen Grenzbegriff darstellt.
Dabei nehmen die Verfasser gelegentlich Vereinfachungen vor, die zentrale
Problemstellungen und Aporien der theologischen Atheismusdebatte kurzer-
hand abschneiden. So wird etwa die entscheidende Frage, was in den jeweiligen

497
So etwa in von Rohrs Einleitung zur Staatsklugheit (Leipzig 1718), schon laut
Untertitel (s. Bibliografie) als eine Handreichung für »Christliche und weise Regenten«
gedacht. Hier werden die von Conring, Pufendorf und anderen ( I.3) entwickelten Ar-
gumentationen stark verkürzt, auf Ergebnisse reduziert, in Ratschläge für die Regierenden
umformuliert, wie ein kleiner Ausschnitt zeigen kann (S. 474): »Bey dem einreissenden
Atheismo höret die Treue und Glauben, ja alle auff. Excediret der Landes-Fürst in seinem
Obrigkeitlichen Amte, so ist er, wenn er Atheisten zu Unterthanen hat, selbst auf seinem
Fürsten-Stuhle nicht mehr sicher. Ein Atheiste hat nur den Vorsatz in allen und jeden seine
Lüste und Begierde zu erfüllen und zu thun, was seinem Herzen gelüstet, dabey aber den
weltlichen Straffen zu entgehen.« – Im Anschluss wird, ohne Nennung von Namen, die
Bayle-These referiert und – mit Blick auf das Problem der obligatio ( I.3.5) – verworfen.
Möglicherweise wird auch auf Hobbes angespielt, der den Atheisten als Feind Gottes,
nicht als Staatsfeind deklariert hatte (ebd., S. 474 f.): »Es stehen zwar einige Gelehrten in
den Gedancken, es sey unvernünfftig, ja päbstisch, die Atheisten hinzurichten. Denn die
Atheisterey wäre in Ansehung der menschlichen Gesellschafft kein Verbrechen, es wäre
nur eins in Ansehung GOttes. […] Allein wenn man alle die raisons vernünfftig unter-
sucht, so findet man, daß sie nicht Stich halten. Denn zum ersten, so ist gantz falsch, daß
die Atheisterey in Ansehung der menschlichen Gesellschafft kein Verbrechen sey. Was kan
denn der Republic wohl ein grösserer Schade zugefügt werden, als wenn sich Leute finden,
die alle Obligationes und alle Rechte über den Hauffen schmeissen und alles in die gröste
Zerrüttung setzen? […] Und zum andern, wenn es auch gleich nur ein Verbrechen wäre
in Ansehung GOttes, sind denn hohe Landes-Obrigkeiten nicht schuldig, die Verbrechen,
die die allerheiligste Majestät GOttes concerniren, zu bestraffen?« – Zu Rohr, der noch bei
Wolff studiert hatte und in seinen moralischen, politischen und zeremonialwissenschaft-
lichen Handbüchern den Standpunkt eines ›aufgeklärten Absolutismus‹ vertrat, vgl. den
Personalartikel in Killy/Kühlmann, Bd. 9, 2010, S. 706 f. (Monika Schlechte/Red.).
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516 Atheismus und Frühaufklärung

Theorieentwürfen mit ›Religion‹ gemeint war,498 in der religionspolitischen


Diskussion nach 1700 wenig problematisiert. Bezeichnenderweise bleibt auch
die schwer bestimmbare Kategorie des ›praktischen‹ Atheismus ( I.5), die
in Teilen der akademischen Theologie und Philosophie nach 1700 allmählich
verabschiedet wurde ( V.1), weitgehend außer Betracht. Auch da, wo sie der
Vollständigkeit halber erwähnt wird, hat sie kaum Relevanz für die politische
oder staatsrechtliche Reflexion.
In den Jahren vor und nach 1700 erschien, quer durch die Fakultäten, eine
ganze Reihe von Dissertationsdrucken, die – oftmals im Anschluss an Pu-
fendorfs De iure naturae et gentium sowie die von Thomasius edierte und
kommentierte Schrift De habitu religionis ad vitam civilem – das Problem des
Atheisten als Staatsbürger umkreisten.499 Zu nennen wäre die Rostocker theo-
logische Dissertation über die Frage An atheismus necessario ducat ad corrup-
tionem morum (1697) unter dem Vorsitz von Zacharias Grapius, die schon im
Titel auf die Bayle-Kontroverse hinweist,500 sowie die 1703 in Leipzig gedruck-
te Disputatio moralis de damno atheismo in republica, welcher Johann Georg
Abicht vorsaß.501
Deutlicher auf Pufendorf und dessen einschlägige Schrift rekurriert schon
im Titel eine Greifswalder philosophische Dissertation De habitu atheismi ad
vitam civilem (1710), geleitet von Jakob Staalkopff.502 Einleitend wird dort Pu-
fendorf als »Phoenix ille Doctorum Iuris Naturalis« beschworen (3). Gegen
Hobbes (7) und Bayle (8 f., 18) führt Staalkopff noch mehr bekannte Namen aus
dem Umkreis der hier schon behandelten Autoren ins Feld. Neben Budde (6 f.,
14 f., 17), Locke und Bentley (7) wären das unter anderem Gundling, Le Clerc
und Löscher (9). Die mit 20 Seiten eher schmale Broschüre geht indes kaum in
die Tiefe und verzichtet auf Nachweise der wenigen Zitate wie überhaupt auf
gelehrte Anmerkungen. Dass die Religion als »uinculum aliquod« fungiere, wie
Staalkopff unter Berufung auf Lipsius feststellt (4), dass daher Atheisten im Ge-
meinwesen nicht zu dulden seien (»Tolerandos eapropter […] non esse atheos«
[ 7]), wird von Anfang an vorausgesetzt, die Argumente werden fast lapidar
abgearbeitet. Interessant mit Blick auf Bayle und Thomasius ist am ehesten die
Auseinandersetzung mit dem Thomasiusschüler Christoph Heinrich Amthor

498
Hier lag, wie weiter oben gezeigt wurde (Kap. I.3.5) die entscheidende, in der
Forschung oft überakzentuierte Zäsur zwischen älterer christlicher Staatslehre und ›säku-
larem‹ Naturrecht.
499
Einen knappen Überblick dieses wenig bekannten Textkorpus bietet Czelinski-
Uesbeck 2007, S. 116–118; unverzichtbar für Recherchen im Gebiet des philosophischen
Disputationswesens: Marti 1982.
500
Respondent war ein gewisser Abraham Heinrich Grosse aus Leipzig. Obwohl
es sich um eine theologische Dissertation handelt, wird Grosse als Baccalaureus der Phi-
losophie und ›juris utriusque cultor‹ (abgekürzt »J. U. cult«) vorgestellt. – Vgl. die kurze
Paraphrase bei Czelinski-Uesbeck 2007, S. 118.
501
Vgl. die Zusammenfassung der Thesen ebd., S. 116 f.
502
Vgl. ebd., S. 118 f. – Als »Auctor« statt als Respondent ist ein Albert Matthias
Schubbius angegeben.
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De atheo cive non bono 517

(1677–1721) und dessen Dissertation über die gesellschaftlichen Auswirkungen


des Aberglaubens (De habitu superstitionis ad vitam civilem [1708]).503 Gegen
Amthor und Thomasius hält Staalkopff an der Meinung fest, der Atheismus
schade dem Gemeinwesen mehr und längerhin als der Aberglaube (10–13).
Auf wesentlich höherem Niveau bewegt sich die in Jena gedruckte Disserta-
tion De iuramento athei et religionis (1715) des Tübingers Michael Hallwachs,
die wie in einem Brennglas eine Vielzahl der bisher behandelten Autoren ver-
arbeitet.504 In den acht Kapiteln, vor allem aber in den weit ausgreifenden, ar-
gumentativ ausformulierten Anmerkungen, die den Großteil der 60 Textseiten
ausfüllen, ist der Diskussionstand der Zeit in seltener Dichte penibel proto-
kolliert. Possevino, Bacon, Mersenne und Voetius werden ebenso genannt
wie Pufendorf und Conring, Spener und Le Clerc, Buddeus, Thomasius und
Gundling. Sogar Gebhard Theodor Meier ( V.1.1) und Johann Ulrich From-
mann (immerhin selbst ein Tübinger) finden Erwähnung. Im Haupttext arbei-
tet Hallwachs, nach Entwicklung der Ausgangsfrage (§ I), systematisch den
schon vertrauten Kreis von Fragen ab: was ein Atheist sei (§ II); ob es Atheisten
überhaupt gebe (§ III); ob Atheisten im Gemeinwesen zu dulden seien (§ IV).
Auf das generelle Fazit (§ V) folgen noch differenzierende Überlegungen zu
Sonderfällen (§§ VI–VIII)505 sowie abschließend ein Bündel von Corollaria.
Gemessen an den umfangreichen und, nach dem Vorbild der Eklektik, hoch
differenzierten Erörterungen in den vorbereitenden Kapiteln I–IV, nimmt sich
das Fazit im fünften eigenartig lakonisch und übertrieben bescheiden aus.506
Fast könnte man Ironie vermuten. Wenn, heißt es dort nämlich, die bis da-
hin unternommenen Vorklärungen zuträfen, dann bedürfe es der Erörterung
der Ausgangsfrage eigentlich gar nicht. Sie sei dann schlichtweg überflüssig
(›superflua‹).507 Ähnlich steht es schon in der Vorrede.508 Damit wird zwar ei-

503
Vgl. dazu die mustergültige Analyse bei Pott 1992, S. 127–139; ebd., S. 140–153,
auch zur zeitgenössischen Kritik an Amthor (zu Staalkopffs Dissertation die Seiten 140 f.).
504
Mit vollem Titel: Biga quaestionum de iuramento athei et religionis, Von Atheis-
ten- und Religions-Eyden, dissertationibus academicis ventilata adnexo indiculo a Michae-
le Hallwachsio Wirtenberga-Tubingano, Jena 1715.
505
Im sechsten Kapitel (ebd., S. 52) erörtert Hallwachs z. B. die von Andreas Adam
Hochstetter aufgeworfene Frage, ob ein Eid auch dann nichtig sei, wenn der Schwörende
zuvor ein Atheist gewesen sei oder später noch zum Atheisten werden würde.
506
Hinsichtlich der Ausgangsfrage fällt das Ergebnis unzweideutig aus, bleibt aber
der Formulierung nach an die (wohl fallbezogen forensisch zu klärende) Voraussetzung
gebunden, dass der Atheismus auch vor Ablegen des Eides erwiesen und bekannt sei (ebd.,
S. 50 f.; Hervorh. d. Verf.): »Si ante, quam juramentum actu praestiterit, innotescat, (ex
convictivis argumentis, vel & propria confessione) atheum aliquem esse, Eum, sive revera
atheus fuerit adfectatus, sive in paroxysmo tantum tentationis constitutus, neutiquam pos-
se pro illo statu ad jurandum admitti […].«
507
Ebd., S. 51: »Immo, si quod res est, velis pronunciare, superfluam esse omnem, de
deferendo atheo, notorie tali ac aperto, jurejurando disceptationem, adsertabis.«
508
Ebd., S. 2: Quod reliquum est, id ex instituto, brevibus licet, egimus, ut illam, quae
de jurejurando Atheo Notorio deferendo quaerit, supervacaneam esse tractationem, modeste
palam faceremus. Quod ipsum cuivis, opinor, distinctius rem extricaturo, patebit facillime.«
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518 Atheismus und Frühaufklärung

nerseits das altbekannte Ergebnis deutlich genug affirmiert. Es erscheint jedoch


andererseits als Ergebnis eines Syllogismus, dessen Prämissen, zumindest an
dieser Stelle, nicht mehr ausdrücklich für wahr erklärt werden. Die Schlussfol-
gerung bleibt in einen Konditionalsatz eingebunden, der die Beweislast auf die
(immerhin beträchtliche) Menge der verarbeiteten Quellen verschiebt: Wenn
diese recht behalten, dann ist auch der Schluss gerechtfertigt. Die eklektische
Methode, wir sahen es schon früher bei Frommann, scheint 1715 vollends in
der Atheismusdebatte angekommen zu sein.

6.2 Der Atheist als Antibürger und die Religion als Bürgerpflicht
bei Christian Friedemar Martini (1717)

Die genannten Tendenzen bündeln und überschneiden sich in der Disputation


De atheo cive non bono, die im März 1717 unter dem Vorsitz von Christi-
an Friedemar Martini am Waldeckischen Gymnasium in Korbach abgehalten
wurde.509 Dort erscheinen die Kernfragen der älteren staatstheoretischen De-
batte (Conring, Danaeus und Johann Heinrich Boecler sind als Gewährsleute
genannt,510 sogar Tholosanus findet Erwähnung) für die akademische Jugend
aufbereitet und im Hinblick auf eine explizit ›bürgerliche‹ Verhaltensnorm
evaluiert. Anstatt eine Staats- und Herrschaftslehre oder eine Handreichung
zur politischen Klugheit zu entwerfen wie die gelehrten Politikberater des
17. Jahrhunderts, bringt Martini die Frage nach der staatlichen Relevanz von
Religion unter den Gesichtspunkt des politisch ›richtigen‹ Verhaltens aus der
Sicht des von der Regierungsgewalt ausgeschlossenen, durch seine individuelle
Moralität aber dennoch zum Gemeinwohl beitragenden Bürgers. Kennzeich-
nend für diese Tendenz ist schon die durchgehende Bezugnahme Martinis auf
die triadische Pflichtenlehre des Naturrechts, nicht zuletzt aber die Regulie-
rung ethischer Fundamentalkategorien wie iustum oder honestum durch die
eigentlich antike Metakompetenz der »Billigkeit« (aequitas), die im Natur-
recht des 17. Jahrhunderts zu neuer Geltung gelangte.511
An Martinis Disputation lässt sich zeigen, wie der aus der älteren Staatsleh-
re her bekannte argumentative Traditionsbestand um naturrechtliche Aspekte
ergänzt und in Richtung einer bürgerlichen Sozialethik ausgebaut wird, wie
wir sie später vor allem in den Moralischen Wochenschriften finden werden
(s. u.). Neben die ›harte‹ juristische Argumentation, der zufolge sich Atheisten
nicht an Verträge und Eide gebunden fühlen, tritt bei Martini die Kategorie des

509
Christian Friedemar Martini (praes.), Christoph Burkard Dietrich Grupen
(resp.), Disputatio de atheo cive non bono, Korbach 1717. – Im Folgenden mit Seitenzahl
in Klammern vor oder hinter dem Zitat.
510
Boecler, bei dem noch Spener studiert hatte (vgl. Wallmann 21986, S. 81–85), wird
bereits bei Hallwachs verarbeitet; s. dessen Dissertation De iuramento athei et religionis
(wie Kap. I.3.5, Anm. 101), S. 45 f.
511
Vgl. dazu ausführlich Mauser 2007, bes. S. 55–71 (zum Naturrecht).
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De atheo cive non bono 519

Gemeinwohls als Kernbegriff einer explizit ›bürgerlich‹ genannten Werthal-


tung in den Blick. Indem er allen Atheisten die Orientierung am Gemeinwohl
abspricht und ihnen stattdessen eine Haltung des konsequenten Eigennutzes
unterstellt, glaubt Martini die politischen Risiken des Unglaubens objektiv be-
stimmen zu können. Demgegenüber rücken die seit Tholosanus und Bodin
bekannten Lasterkataloge und Anomieszenarien in den Hintergrund, ohne
völlig zu verschwinden. Nimmt man den Titel der Disputation ernst, so geht
es Martini nicht primär darum, den Atheisten die Fähigkeit zu moralischem
Handeln abzusprechen, sondern ganz speziell die Eignung zum Staatsbürger.
Der Vorteil dieser Argumentation besteht darin, dass die von Bayle entwickel-
te Beweisführung schlicht umgangen wird: Selbst wenn nämlich der Atheist
moralische Normen erfüllen und Gesetze einhalten könnte, würde er dem Ge-
meinwesen aus dieser Optik zum Schaden gereichen.
In der Verschiebung von der obrigkeitlich-rechtlichen zur sozial- und in-
dividualethischen Betrachtungsebene deutet sich der Übergang zur ›bürgerli-
chen‹ Weltanschauung des 18. Jahrhunderts an, der sich in England zeitgleich
in den Moralischen Wochenschriften vollzog (s. u.). Neu ist daran weniger die
Verzahnung von Staats- und Sittenlehre im Begriff des Gemeinwohls (»Rei-
publicae commodum salutemque« [12]; »salus communis« [38 f.]; »utilitas pu-
blica« [34]) als vielmehr deren gemeinsame Fundierung in den Zentralwerten
Ruhe (tranquillitas) und Glückseligkeit (felicitas). Sie füllen den breiten Raum
zwischen säkularer Staatszwecklehre – hier war nach 1600 die felicitas civi-
um an die Stelle des noch sakralen salus civium getreten ( I.3.4) – und einer
ebenfalls weltlichen Normbegründung für individuelles Handeln. Dabei wird
die Leitgröße der Glückseligkeit durch die Qualität der Ruhe inhaltlich näher
bestimmt. Bei Seckendorff und Thomasius ließ sich zeigen, wie sich die indivi-
dualethische Zielvorstellung der tranquillitas animi nicht allein vom barocken
Stoizismus herschrieb, sondern ebenso sehr von der starken quietistischen
Unterströmung in den reformtheologischen Milieus seit 1600. Die bald dar-
auf, etwa in den Moralischen Wochenschriften, nur noch weltlich bestimmte
Kategorie der ›Ruhe‹ – eine der wenig bekannten und kaum erforschten Leit-
kategorien der aufklärerischen Popularethik – ist so von ihren Ursprüngen her
in ein kirchengeschichtliches Fundament eingebettet.
Die Argumentation erfolgt in drei Durchgängen. Nachdem er in einem ers-
ten Schritt (1–14) die Merkmale eines guten Bürgers entwickelt und in einem
zweiten (15–22) den Begriff des Atheismus für seine Zwecke definiert hat, ver-
wendet Martini den Hauptteil der Darstellung (23–48) auf das Ziel, die Un-
vereinbarkeit beider Kategorien zu erweisen. Dass die Gesamtargumentation
gegen Bayle gerichtet ist, bedarf für einen Text aus dieser Zeit und mit dieser
Fragestellung wohl kaum einer Begründung. In seiner Vorrede nennt der Au-
tor den französischen Philosophen auch ausdrücklich,512 darüber hinaus noch

512
Vorr. (unpag.): »Nos ceteros, quos modo notati Scriptores fouent, errores pesti-
feros relinquimus, id vero tantum negotii nobis datum existimamus, ut opinionem, qua
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520 Atheismus und Frühaufklärung

die Repräsentanten des jüngeren britischen Deismus, John Toland und Antho-
ny Collins, die er ebenfalls als Verteidiger des Atheismus ansieht.513 Zurück-
gewiesen wird daher auch das oben referierte Bemühen Gottfried Arnolds
( IV.5.3), Personen wie Vanini gegen den Atheismusvorwurf zu verteidigen.514
Das Spektrum der von Martini im Textverlauf berufenen Autoritäten reicht
dagegen von Aristoteles und Cicero über Tholosanus (2), Boecler (8) und Con-
ring (10 u. 40) bis zu dem als ›göttlich‹ apostrophierten Jakob Thomasius (»a
Diuo Jac. Thomasio«, 3) und, wie in diesem Kontext nicht anders zu erwarten,
zu Samuel Pufendorf (8, 13, 24 u. ö.) als dem bei Weitem meistzitierten Autor.
Damit ist die Kontinuität der vor 1600 einsetzenden staatstheoretischen Athe-
ismusdebatte auch nach 1700 deutlich belegt. Theologischen Rückhalt sucht
Martini neben dem unvermeidlichen Voetius (18, 19 u. 21) bei Löscher (20, 38,
45 u. 47) und Budde (19, 21, 39, 44 u. 46). Dagegen wird Christian Thomasius
ebenso wenig erwähnt wie Gundling.515 Durch die positive Bezugnahme (24,
26) auf die Thomasiusgegner Alberti und Masius (24, 26 u. 40)516 stellt sich
Martini vielmehr deutlich aufseiten des christlichen Naturrechts, dem neben
den Genannten auch weiter oben behandelte Figuren wie Seckendorff und
Leibniz zuzurechnen wären.517
Nach diesen Vorklärungen wendet er sich seinem eigentlichen Vorhaben
zu. In dezidierter Ergänzung zu Aristoteles oder Danaeus ( I.3.3) und de-
ren formaler Definition des Bürgers als juristisches und politisches Subjekt
(9) will er den ›guten Bürger‹ von seinen Pflichten her bestimmen (10). Diese
deduziert er mit Pufendorf, dessen Schrift De officio hominis et civis (1673)
hier durchgehend Pate gestanden hat, aus der säkularen Zwecksetzung des Ge-
meinwesens, der allgemeinen Glückseligkeit.518 Auf diese Weise kann Martini
in einem weiteren Schritt individualethische von spezifisch bürgerlichen Tu-

Petrum Baelium secuti Atheum in Societate ciuili bonum ciuem statuere atque defendere
conati sunt, dictis et argumentis refellamus.«
513
Vgl. ebd.
514
Ebd.: »Et quid dicamus de Gothofredo Arnoldo, cuius in uestigia multos, sua li-
bidine abreptos instituisse, inter omnes constat; quantopere se in Historia Haeret. in ex-
cusandis ac laudandis uastis uerae religionis hostibus torquet ac uires suas exercet.« Vgl.
ganz ähnlich ebd., S. 27.
515
Gundling kommt nur im Zuge der Atheismusdefinition kurz zu Wort (19), ohne
dass seine grundsätzlicheren Überlegungen erwähnt würden.
516
Zu Alberti vgl. Schneider 1967, S. 246–253; Grunert 2000, S. 36–62; zu Hector
Gottfried Masius und seiner Kontroverse mit Christian Thomasius vgl. Grunert 1997;
kurz auch Dreitzel 1997, S. 28.
517
Grundlegend zum christlichen Naturrecht: Schneider 1967, dort bes. 253–264 (zu
Seckendorff); Überblick mit Literaturhinweisen einmal mehr im Neuen Ueberweg 17/4,
S. 813–835 (Hans-Peter Schneider). – Weiteres dazu in den Kapiteln zu Leibniz ( I.4.3)
und Seckendorff ( IV.3).
518
»Ex his haud obscure potest intelligi, beatam tranquillamque uitam seu felicitatem
ciuilem in Ciuitate obtineri non posse, nisi ii, qui uinculo societatis ciuilis in unum coïuere
coetum, et ciues uocantur, ita se gerunt, suasque actiones fingunt, ut boni ciuis laudem
merito consequantur.« (8)
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De atheo cive non bono 521

genden unterscheiden, gipfelnd in der pointierten These, dass ein für sich allein
moralisch guter Mensch noch kein guter Bürger sein müsse.519 Gesetzestreue
allein, heißt es auch, sei nicht schon bürgerliche Tugend.520 Hier liegt ein wich-
tiges Kernstück der Argumentation, auf das Martini noch ausführlicher zu-
rückkommen wird. Das daran geknüpfte Verständnis eines guten Bürgers fasst
er in folgende Definition, in welcher der weltliche Staatszweck der felicitas zur
utilitas abgeschwächt und um das Telos der älteren sakralen Staatslehren, den
Ruhm Gottes, ergänzt erscheint:

Vt nostram de bono Ciue adiiciamus sententiam, statuimus, eum esse eiusmodi per-
sonam, quae compos et particeps est iurium salutarium Ciuitatis, ita, ut omnia officia
propria Ciui diligenter sancteque seruet, adeoque, uel parendo, uel imperando, talem
se praebeat, ut per pietatem, uirtutes morales, perque prudentiam ciuilem, gloriam
DEI, communem suamque salutemque utilitatem consequatur, augeat et tueatur. (11)

Der Hauptteil der Darstellung folgt in weiten Teilen den in späthumanisti-


scher und naturrechtlicher Staatslehre unter der Leitformel vinculum societa-
tis ( I.3) gebahnten und gut befestigten Gleisen, die hier nicht im Einzel-
nen erörtert werden müssen. Wesentliche Funktionen des staatlichen und
gesellschaftlichen Lebens, ohne die kein Gemeinwesen existieren könne,521
insbesondere Verträge (30–32), bürgerliche Gesetze (»leges civiles« [32–34])
und Eide (34–36), so die Argumentation, besäßen für den Atheisten keine
Gültigkeit. Mit Rücksicht auf die Bayle-Debatte betont Martini auch kurz
die gesellschaftliche Schädlichkeit des Aberglaubens (27 f.), ordnet sie jedoch
derjenigen des Atheismus entschieden nach.522 Als Begründung dient die

519
Das Argument ist, wie Martini selbst anmerkt, aus Conrings Schrift De prudentia
civili entnommen: »Bonum autem hic ciuem non ideo dicimus, quod cum sua natura et
fine, ad quem creatus est, singulariter conuenti; nec tantum propterea bonus audit, quod
actiones eius absolute cum lege naturae et recta ratione congruunt; sic potius et accuratius
Vir bonus quam Ciuis bonus dici meretur, sicuti ex more suo erudite disputat D. Con-
ringivs in libro de Ciuili Prudentia Cap. VI. pag 96. sed praecipue ad rationem societatis
ciuilis bonus aestimatur, quando scilicet diligentissime officia praestat, quae DEO, Magis-
tratui, suis ciuibus, et sibimet ipsi propter ciuilem felicitatem obtinendam atque conseru-
andam debet.« (10)
520
»Deinde etiam manifestum est, eos non statim esse ciues bonos, qui legibus obse-
quium praestant, quandoquidem et his illi obligati sunt, qui ciuitatis iure nondum donati,
clientum partes tantummodo tenent.« (11)
521
So etwa, mit Blick auf Verträge und Gesetze: »Cum his pactis quoque alterum
Communitatis Ciuilis fundamentum, leges ciuiles coniungendae sunt; sine queis nec so-
cietas, nec gens, nec hominum uniuersum genus stare potest; sine quarum etiam obser-
uatione neque ulla certa esset conuentorum aliorumque negotiorum regula, neque fidei et
iustitiae ciuilis mensura […].« (32)
522
»Quod si homines, qui in religione erroribus quibusdam ducuntur, tantum de-
trimenti Reipublicae adferunt, ut ideo ne ullo quidem modo ciuis boni titulum mereantur;
eo magis Atheus, qui omnem religionem cum notitia DIE ex animo suo radicitus tollere
annititur, in pessimorum ciuium numero habendus est.« (28 f.)
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522 Atheismus und Frühaufklärung

rechtsphilosophische Kategorie der Verbindlichkeit (obligatio), die, wie wir


uns erinnern, noch von Pufendorf aus dem göttlichen Rechtswillen hergelei-
tet wurde ( I.3.5). Ihren verpflichtenden Charakter, so kann Martini dem-
entsprechend festhalten, beziehen die menschlichen Gesetze nicht aus sich
selbst.523 Durch die Betäubung seines Gewissens für die natürliche Gotteser-
kenntnis ebenso wie für die damit verbundene Furcht vor einem allmächtigen
göttlichen Gesetzgeber hebe folglich der Atheist das gesamte Naturrecht aus
den Angeln (»leges naturales delet et euertit« [32]) und mit ihm die darauf
gegründete bürgerliche Gesetzgebung:

Etenim, quoniam Atheus, dum, non agnoscens Numen, nullo in sua conscientia su-
perioris metu et amore tenetur, cui ut legislatori summo et praepotenti obsequium
praebeatur, et sine ciuis notitia neque reuerentia legibus tribui potest, omnem legem
naturalem tollit, simul quoque delet leges ciuiles, quae iure naturae nituntur, iubente,
homines legitime imperantibus et honestatis praeceptis prompte obsequi. (33 f.)

Dem vorhersehbaren, maßgeblich von Bayle vertretenen Einwand, dass es


die Furcht vor weltlichen Strafen sei, die Christen und Atheisten gleicher-
maßen zur Einhaltung der bürgerlichen Gesetze verpflichte, begegnet Mar-
tini mit dem Argument, das seiner gesamten Darstellung zugrunde liegt und
ihren strategischen Reiz ausmacht: Die Befolgung gesetzlicher Vorschriften
aus Angst mache noch keinen guten Bürger, sie könne im Übrigen auch kein
harmonisches, vertrauensvolles Zusammenleben garantieren. Denn wenn die
Gültigkeit der Gesetze nur so weit reiche wie der Arm der Exekutivgewalt,
darin ist sich Martini tatsächlich mit dem späten Thomasius einig, so seien
heimliche Verbrechen die unvermeidliche Folge. So ist im obigen Zitat der
Zusatz »honestatis praeceptis« zu verstehen. Nicht herrschaftlicher Weisung
allein folgt der gute Bürger, sondern dem intrinsischen Antrieb (»ex interiori
conscientiae obligatione« [34]) nach ehrlichem oder ehrenhaftem Verhalten.
Dagegen richte der Atheist sein Handeln, soweit es sich der obrigkeitlichen
Aufsicht entzieht, einzig und allein an der Maßgabe seines persönlichen Nut-
zens (»utilitatis priuatae« [ebd.]) aus.524 Ansonsten verübe er Verbrechen, so-
weit er sich vor Strafe sicher glaube (»eo lubentius leges uiolat, quo tutius se
peccare posse, etiam falso existimat« [ebd.]).
Genau hier ist der Punkt erreicht, an dem Martini die in der älteren Staats-
lehre vorherrschende juristisch-ordnungspolitische Ebene überschreitet und

523
»Etenim certum est, leges humanas non per se obligare, quum DEVS solus hoc
sibi uindicat, sed ex consequente, ui legis diuinae, obsequium legi ciuili exhibendum a cli-
entibus requirentis, et Maiestati in perduellem ius puniendi tradentis; id quod ex Sacrarum
Literarum Epistolae ad Romanos Capite XIII. cognosci potest.« (33)
524
»Sic enim Atheo leges ciuiles, quae ipsi ui, uel solius obligationis in conscientia sua
et mandati diuini, etiamsi nullam propriam commoditatem adferrent, sanctae colendae es-
sent, nequaquam leges, sed tantummodo subsidia utilitatis priuatae habentur. […] Firmiter
credimus, tum ab eo, nulla legum habita ratione, omnem communem utilitatem priuatae
postponi, nullam uidente rationem, cur id non faciat.« (34)
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De atheo cive non bono 523

auf die Frage bürgerlicher Werte zusteuert. Diese ergeben sich für ihn ganz
wörtlich aus der Unterordnung der je subjektiven Einzelinteressen unter das
Wohl der civitas insgesamt, verkürzt gesagt, aus der Orientierung am Ge-
meinwohl statt am Eigennutz. So erklärt sich auch die von Conring entlehnte
geistreiche Behauptung vom Anfang der Disputation, dass ein vir bonus noch
kein civis bonus sein müsse. Er könne nämlich sein Glück auch außerhalb des
Gemeinwesens (»extra ciuitatem« [36]) suchen. Über den rhetorischen Effekt
hinaus hat dieses Argument nur begrenzten Wert, weil sich staatsbürgerliche
und moralische Pflichten eben doch nur schwer voneinander trennen lassen.
Das scheint auch Martini bemerkt zu haben, denn entgegen dem kühnen Auf-
takt im ersten Kapitel schwächt er Conrings Aperçu nun bedeutend ab. Nicht
nur, so heißt es, schlössen sich moralische und bürgerliche Tugenden keines-
wegs gegenseitig aus; das tugendhafte Verhalten trage, nach Art eines Hilfsmit-
tels, zur allgemeinen Glückseligkeit im Gemeinwesen nicht unwesentlich bei,
sofern es nämlich nicht ausschließlich auf das »honestum« als Telos bezogen
bleibe, sondern in erster Linie auf den Nutzen des Gemeinwesens.525
Unter dieser Perspektive seien die Tugenden, inhaltlich betrachtet, recht ei-
gentlich als die Quelle der bürgerlichen Pflichten anzusehen. Wer sich nämlich
in seinem Handeln an Werten wie Mäßigkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit
und Wohltätigkeit orientiere, befördere mit der öffentlichen Ruhe auch das
Gemeinwohl insgesamt (»qui temperantiae, iustitiae, ueritatis, beneficentiae
aliisque virtutibus est deditus, Rempublicam non turbat, sed tranquillat, com-
munique saluti maxime consulit«), während Ehrsucht, Wollust und Habgier
im persönlichen Leben immer auch das Gemeinwesen in Mitleidenschaft zö-
gen (»ambitio, uoluptas, auaritia fontes sunt, ex quibus lernae malorum in ciui-
tatem se effundunt« [36 f.]). Unschwer ist in dieser Aufzählung der Lasterkata-
log zu erkennen, der die Bestimmungsversuche des atheistischen Unglaubens
seit ihren neuzeitlichen Anfängen – etwa bei Assonville oder bei Mersenne –
begleitet hat. Und tatsächlich bringt Martini den Syllogismus erwartungsge-
mäß zum Abschluss, indem er dem Atheisten nun doch die moralische Zu-
rechnungsfähigkeit abspricht: »Ipse Atheismus necessario hominum animos
moresque corrumpit, ad pessimaque uitia inducit.« (37)
So unselbstständig und vormodern dieser Beweisgang erscheinen mag,
hat er doch symptomatischen Charakter mit Blick auf den weiteren Verlauf
des 18. Jahrhunderts. Denn hier wird, wie kurz darauf bei Christian Wolff,
in den Moralischen Wochenschriften und darüber hinaus bis zur deutschen
Volksaufklärung um 1790, eine explizit ›bürgerlich‹ genannte Sozialethik auf
ein religiöses Fundament gestellt und um den zentralen Gegensatz von Ge-
525
»Etsi uero boni mores per se bonum ciuem non efficiunt, sed bonum uirum; et
est, ubi uir bonus, non sit bonus ciuis; ille quoque felicitatem humanam extra ciuitatem
adsequi potest, qua scilicet homo est: attamen virtutes per accidens, ut in Scholis loqui
solemus, quatenus Ciuilis societatis felicitatem simul comparant, et bono ciui obseruandae
sunt, non tantum quoad honestae, sed praecipue quoad Ciuitati utilitatem, adferunt, et
tanquam adminicula illius felicitatem augent seruant atque tuentur.« (36 f.)
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524 Atheismus und Frühaufklärung

meinwohl und Eigennutz gruppiert. Das geschieht vor allem im folgenden Ka-
pitel (38–41), das die fehlende Gemeinwohlorientierung des Atheisten an der
Vorstellung eines religionslosen Staatsoberhauptes (»Atheus imperans« [40])
demonstriert. Was es für Staat und Bürger, ja für die Gesetzgebung selbst be-
deute, wenn impulsive Triebspontaneität (»libidine sua« [ebd.]) das rationale
Kalkül ersetzt, macht Martini, in diesem Zusammenhang vielleicht nicht un-
erwartet, am Beispiel Neros deutlich (39).526 Dazu passt es, wenn er an anderer
Stelle ganz generell die entfesselte Triebhaftigkeit als Grundform aller Laster
und damit als hauptsächliche Wurzel gesellschaftlicher Übel bestimmt, vor de-
nen ein bürgerliches Gemeinwesen zu schützen sei.527
Auf der Gegenseite steht bei Martini nicht nur die mäßigende, triebdiszi-
plinierende Wirkung der Religion,528 sondern ein komplementärer Tugendka-
talog, der sichtlich in Richtung auf das Gemeinwohl oder den ›gemeinen Nut-
zen‹ hin konzipiert ist. Als Richtschnur für dessen Ermittlung legt Martini,
ohne dass er dies eigens erörtern würde, die aus den säkularen Staatszweckleh-
ren bekannte Zielvorstellung der Glückseligkeit (felicitas) an. Daneben gibt es
jedoch eine eher unscheinbare Kategorie, die den Zustand der Glückseligkeit
näher bestimmt und zugleich eine Brücke zwischen Politik, Sozial- und Indi-
vidualethik schlägt: die Ruhe (tranquillitas), die seit Pascal und Seckendorff
( IV.3.3) bereits im Horizont der Atheismusdebatte aufgetaucht war, als ord-
nungspolitische Maßgabe aber auch schon in der älteren Staatslehre vorkam.529
Während dort jedoch in erster Linie die Gewaltminimierung im Sinne eines
»innerstaatlichen Gewaltausschlusses«,530 insbesondere der »absentia belli«,531
gemeint war, erscheint die Ruhe hier schon mehr verinnerlicht, als Idealbild
eines kollektiven guten Lebens. Im Text selbst wird die Ruheforderung zu-
nächst in der negativen Umkehrung – »Störung« oder »Beunruhigung« (»per-
turbatio« [39]) – fassbar, da nämlich, wo die politisch-sozialen Auswirkungen
des Unglaubens beschrieben werden.532 Vor allem aber tritt sie als positive
Bezugsgröße in den Blick, so etwa, wenn Martini zu Beginn des dritten und

526
Dabei bleibt völlig offen, inwieweit Nero unter die zuvor entwickelte Definition
des ›expliziten‹ Atheisten fällt.
527
»Cum etiam pleraeque calamitates ac mala, a quibus societates ciuiles se defen-
dant, ex prauis libidinibus, speciatim ambitione, auaritia et uoluptate suam originem tra-
hunt, melius ac fortius illis mederi uix possumus, quam si homines cupiditatibus suis fre-
num iniicere ac moderari bene edocentur.« (25)
528
Sie wird von Martini effektvoll in die Form einer rhetorischen Frage gebracht: »Et
quid magis ad animos bene temperandos ualet, quam religio?« (39)
529
Zur tranquillitas als ordnungspolitischer Leitkategorie in der frühen Neuzeit vgl.
maßgeblich Simon 2004, S. 126–151 (16. Jahrhundert) und 218–225 (17. Jahrhundert).
530
Ebd., S. 220.
531
So lautet eine Formel von Thomas Hobbes, hier zit. nach ebd., S. 221.
532
Ganz ähnlich bereits zu Beginn der Disputation (Hervorh. d. Verf.): »[…] cuncta
in Ciuitate bene constituta, quantum hic terrarum fieri potest, tranquilla et beata sunt, om-
nique carent perturbatione, nilque sinistri, et quod ab honesto abhorreat atque felicitatem
ciuilem aegritudine quadam contaminet, conspicitur atque sentitur.« (8)
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11:25

De atheo cive non bono 525

entscheidenden Kapitels noch einmal die übergeordnete These repetiert: Die


Religion (im Sinne der natürlichen Gotteserkenntnis) sei wichtig, wenn nicht
gar notwendig für Glückseligkeit und Ruhe des Gemeinwesens.533
Ebenso heißt es an anderer Stelle, dass Verträge und Gesetze zum »Wohl-
ergehen der Bürger« (»ad salutem ciuium«) und zum »ruhigen Leben« (»uit-
amque quietam«) beitragen würden (32). Schon an den Beispielen wird deut-
lich, dass hier ›Ruhe‹ nicht mehr nur nach Art der barocken Policeytraktate
als »Bewahrung gewaltfreien Zusammenlebens«534 zu verstehen ist, sondern
weit eher im Sinne eines reibungslosen Funktionierens sozialer Interaktionen
im Bereich des privaten Lebens. Der so hergestellten öffentlichen Ruhe als
einer basalen Bedingung des säkularen Staatszwecks, der felicitas, entspricht
aus individualethischer Sicht die Ruhe im Gemüt des einzelnen Bürgers. Im
menschlichen Seelenhaushalt, so Martini unter Berufung auf Pufendorf, Al-
berti und Hector Gottfried Masius, mache die Ruhe den wesentlichen Teil der
Glückseligkeit aus.535 Sie zu erreichen, gehöre entsprechend zu den Pflichten
des Menschen sich selbst gegenüber.536 Gemeint ist aber hier, wie aus anderen
Äußerungen hervorgeht, nicht die stoische Ataraxie, sondern in erster Linie
die Gewissensruhe (»conscientiae tranquillitatem« [25]), also die Abwesenheit
von Gewissensbissen (»conscientiae aculeis ac morsibus« [ebd.]).
Hier treffen schließlich individuelle und politisch-soziale Ebene zusam-
men. Denn so wie für Martini die Religion zu den notwendigen Bedingungen
der öffentlichen Glückseligkeit und Ruhe gehört,537 so lehre allein die Religion,
wie die individuelle Gewissensruhe zu erlangen sei.538 Das erlaubt den schon
von Pascal und Seckendorff her bekannten Umkehrschluss, dass der Atheist,
selbst wenn er dies nicht öffentlich zugebe, elend und unglücklich werden

533
»Quod capite primo nos promisisse meminimus; notitiam DEI ac Religionem
per omnem Reipublicae rationem ad illius felicitatem ac tranquillitatem consequendam et
conseruandam multum, imo prorsus necessariam esse, id nunc copiosius deducturi, argu-
mentis firmis confirmemus.« (23)
534
Simon 2004, S. 221.
535
»Cuiusmodi de Numine summo eiusque cultu persuasio quoque fundamentum
est illius tranquillitatis, in qua animus humanus adquiescit, quam maximamque suae feli-
citatis partem existimat.« (24)
536
So Martini im Rahmen einer längeren Überlegung, derzufolge der Atheist eine
wesentliche Pflicht gegen sich selbst (»officium erga se ipsum«) verletzt, indem er neben
dem körperlichen nicht für die Voraussetzungen seines geistig-seelischen Wohlbefindens –
eben die besagte Ruhe – Sorge trage: »Duo, cum anima et corpore constet, curaret: ni-
mirum, ut utrique sua quoad ciuitatis ratione fieri potest, praestaretur felicitas. Quam si
obtineret, animus tranquillitatem, corpus autem res, quae ad necessarium uitae usum ac
securitatem pertinerent, haberent, quibus tamen omnibus destitutus est.« (43)
537
»Id quod maxime religioni, inprimis uerae, attribuendum esse, nemo negabit, qui
intelligt, doctrinam sacram non conuenienter modo tranquillitati Reipublicae congruere,
sed etiam, tam principibus, quam clientibus ciuitatis praecipere rationem felicitatis ciuilis
conseruandae.« (26)
538
»Namque, quoniam sola religio docet, quomodo animum tranquillum reddamus
[…].« (43)
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526 Atheismus und Frühaufklärung

müsse (»miserrimum et infelicissimum euadit« [43]). Aus diesem Grund er-


klärt Martini die Gotteserkenntnis und -verehrung zur »ersten Pflicht eines
guten Bürgers« (»praecipuum boni Ciuis officium« [24]); nicht mehr, wie in
der Lehre vom Gottesstaat, um des Seelenheils der Untertanen willen, sondern
mit dem Ziel des weltlichen Staatszwecks der allgemeinen Glückseligkeit. Wir
haben weiter oben ( I.3) gesehen, wie sich dieser Kompromiss zwischen sak-
raler und säkularer Staatslehre im Laufe des 17. Jahrhunderts entwickelte und,
wenngleich ohne Bezug auf die christliche Offenbarung oder gar konfessio-
nelle Bindung, sogar noch im ansonsten profanen Naturrecht eines Grotius
oder Pufendorf präsent blieb. Bei Martini steht er noch deutlich im Zeichen
des christlichen Naturrechts, das seinen End- und Gipfelpunkt im Werk des
ein Jahr zuvor (1716) verstorbenen Leibniz gefunden hatte.539
Der Begriff des Bürgerlichen wird so zum moralisch definierten Flucht-
punkt, in dem sich Bürgerpflichten wie Herrschaftsaufgaben begegnen und ihre
gemeinsame Begründung, aber auch Begrenzung finden. Die stark religiöse Ein-
bettung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Martinis Disputation eine
Richtung eingeschlagen wird, die den Gang der politisch-sozialethischen Refle-
xion in Deutschland während der folgenden Jahrzehnte maßgeblich bestimmen
wird. Die Art jedoch, wie hier die öffentliche Ruhe und folglich Glückseligkeit
im Gemeinwesen, sozusagen additiv, aus dem moralischen Handeln des Einzel-
nen hergeleitet wird, der Staatszweck der beatitudo oder felicitas also nicht (oder
nicht mehr allein) den Herrscherpflichten zugeschlagen, sondern in die Verant-
wortlichkeit des bürgerlichen Individuums verlegt wird, verweist auf die Sozial-
ethik der nun allmählich einsetzenden Hochaufklärung. Selbst wenn es im glei-
chen Zeitraum auch zu radikaleren oder differenzierteren Entwürfen kommt,
sollte sich doch der Mainstream der bürgerlich-›patriotischen‹ Aufklärung an
dem hier in den Grundzügen entworfenen Idealbild des Bürgers orientieren, der
sein Glück in der Tugendhaftigkeit sucht und mit Blick auf das Gemeinwohl
allen eigennützigen Regungen entsagt. Die Ruhe als sich selbst beglaubigender
Zentralwert einer nicht mehr rationalistisch, sondern sensualistisch-empfindsam
konzipierten Popularethik wird dabei noch mehrfach wiederkehren.540

6.3 Erziehung des Bürgers- Die sozial- und mediengeschichtliche


Wende zur (unradikalen) Hochaufklärung

Das Feindbild des impius oder atheus, so zeigen die bisherigen Ergebnisse,
wurde in der Frühaufklärung weitgehend beibehalten, durch präzisere Defini-
tionen jedoch in seiner Anwendbarkeit beschränkt. Dadurch wurde, absicht-

539
Vgl. ausführlich Schneider 1967, bes. S. 333–486; kompakter, im Rahmen von
Leibniz’ praktischer Philosophie, Neuer Ueberweg 17/4, 2001, S. 1119–1137 (Hans-Peter
Schneider), bes. S. 1127–1129.
540
Vgl. dazu besonders das Kapitel über die Moralischen Wochenschriften (VI.2),
aber auch die Ausführungen zu Brockes (VI.3) und Haller (VI.4).
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De atheo cive non bono 527

lich oder nicht, bis auf Weiteres verhindert, dass die überlieferten stereotypen
Vorwürfe gegenüber Atheisten durch lebende Exemplare (wie etwa Spinoza)
widerlegt werden konnten. Im Folgenden soll der Kontinuität des Feindbil-
des in Richtung Hochaufklärung nachgegangen werden – bis zu dem Punkt
nämlich, wo die Attribute und vor allem die polemischen Konnotationen des
atheus auf den neuen, inhaltlich und funktional aber weitestgehend äquivalen-
ten Kampfbegriff des Freigeists übergingen ( VI.5). Dazu werden vor allem
Autoren und Schriften herangezogen, die den Übergang von der Früh- zur
Hochaufklärung in bildungs- und literatur-, nicht zuletzt aber in sozial-
und mediengeschichtlicher Hinsicht geprägt haben. Dem liegt die Prämisse
zugrunde, dass sich der Unterschied zwischen den beiden Teilepochen hin-
sichtlich der hier verfolgten Fragestellung weniger sinnvoll ideengeschichtlich
fassen lässt als vielmehr sozial- und mediengeschichtlich, entlang der entschie-
denen Hinwendung zu breiteren Leserschichten im Zusammenhang einer sich
ab etwa 1720 rasch entfaltenden bürgerlich-literarischen Öffentlichkeit.
So schwierig es ist, für den Fortgang des Unglaubensdiskurses nach 1720
noch allgemeine Aussagen zu treffen, lassen sich doch einige Grundzü-
ge und Gemeinsamkeiten festhalten. Ganz allgemein kann gesagt werden,
dass die bei oben behandelten Autoren wie Thomasius, Gundling oder
Syrbius anzutreffenden Versuche, die apologetischen Argumentationsbe-
stände kritisch zu hinterfragen, nicht einfach linear weitergeführt wurden.
Zwar finden sich auch nach 1720 Autoren, die sich der alten Verdächti-
gungs- und Überführungsmethodik entzogen und auf einem präziseren
Begriffsgebrauch insistierten. Auch die Bayle-These wurde nicht mehr
durchweg abgelehnt. Aber mit wenigen Ausnahmen wurden solche Dis-
kussionsbeiträge auch weiterhin innerhalb der Gelehrtenzunft ausgetauscht.
Nun war aber die Hochaufklärung untrennbar mit der sozial-, bildungs-,
bewusstseins- und nicht zuletzt mediengeschichtlichen Transformation
verbunden, die mit der älteren Forschung als frühbürgerliche »Leserevo-
lution« (Engelsing) bezeichnet werden kann.541 Hatte schon Thomasius mit
seinen deutschsprachigen Vorlesungen und auch den Monatsgesprächen
auf ein breiteres, nicht exklusiv gelehrtes Publikum gezielt, so zeigt sich

541
Der Ausdruck hier nach Wittmann 21999, S. 120 u. 186–198; grundlegend, ba-
sierend vor allem auf der Auswertung von Ego-Dokumenten, Engelsing 1974, bes.
S. 182–215 (Kap. Die neuen Leser); kritisch dazu Wittmann 21999, S. 120, der mehr die
Übergänge und Kontinuitäten mit der Zeit vor 1700 betont: »Auch wenn man zwischen
der aktiven Rezeption einer Vielzahl von Büchern mittels eigener Lektüre und der akusti-
schen Vermittlung kurzer Novitäten deutlich unterscheiden muß, ist doch unbezweifelbar,
daß die soziale Praxis des Lesens schon um 1700 weiter verbreitet war, als es die übliche
Lehrmeinung von der ›Leserevolution‹ des ausgehenden Jahrhunderts annimmt.« – Von
kirchengeschichtlicher Seite haben diese Gesichtspunkte neuerdings bei Voigt-Goy 2011
Berücksichtigung gefunden.
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528 Atheismus und Frühaufklärung

ab 1700, insbesondere seit etwa 1720,542 ein verstärktes Bemühen gelehrter


Autoren um die Transmission akademischer Wissensbestände, soweit sich
diese dem Gebot einer »ohnpedantischen« Anwendbarkeit auf der Ebene der
praktischen Lebensführung fügten.543
Das wohl bekannteste Produkt dieser Hinwendung des gelehrten Standes zu
einem nicht mehr nur gelehrten Publikum waren die neuen Zeitschriftenfor-
mate. Insbesondere den Moralischen Wochenschriften, einer ganz und gar auf-
klärungstypischen publizistischen Gattung, die in den Jahrzehnten zwischen
1720 und etwa 1760 zum »wichtigsten Medium der Aufklärung« wurde (H.
Brandes),544 kam die sozial- und bildungsgeschichtlich bedeutende Aufgabe
zu, die zunächst im akademischen Feld erarbeiteten Errungenschaften aus
Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Staatslehre an breitere Leser- und
Leserinnenschichten zu vermitteln, die durch das neue Zeitschriftenformat
und die entsprechenden Distributionsmöglichkeiten überhaupt erst erreichbar
wurden. 545 Hier schrieben (zumeist) Gelehrte nicht mehr nur für andere Ge-
lehrte, sondern auch und vor allem für eine ungelehrte Leserschaft,546 jene nun
542
Präzise Zeitangaben sind hier deswegen schwierig, weil sich der skizzierte Pro-
zess bekanntlich mit national, territorial und regional determinierten Phasenverschiebun-
gen vollzog. Für den deutschen Sprachraum kam der Hallenser und Hamburger Früh-
aufklärung, die hier insgesamt im Mittelpunkt stehen, zweifellos eine Vorreiterrolle zu,
ebenso aber der von Leipzig ausgehenden, maßgeblich von Gottsched gesteuerten Litera-
tur- und Kommunikationsreform. Mehr dazu weiter unten in den Kapiteln zu Gottsched
und Brockes.
543
Vgl. die Hinweise von einem bedeutenden Kenner im Kapitel Vermittlungsin-
stanzen des aufklärerischen Gedankenguts und seiner Kritik im Neuen Ueberweg 18/5,
2014, S. 27–34 (Hanspeter Marti), mit reichen Literaturangaben. – Zum Wissenstransfer
von den gelehrten Journalen der Frühaufklärung zu den schöngeistigen Zeitschriften der
Hochaufklärung vgl., am Beispiel des Rezensionswesens, die grundlegende Untersuchung
von Habel 2007.
544
Artikel Moralische Wochenschriften in Literaturlexikon, hg. v. Walter Killy,
Bd. 14, 1993, S. 127–129 (Helga Brandes), hier: S. 127. – Grundlegend zu Gattungsprofil
und -geschichte, früheren und nachfolgenden Forschungen weit voraus, die Pionierstudie
von Martens 1968; wichtige Ergänzungen: Vollhardt 2001, S. 211–260; zu Schreib- und
Kommunikations-Strategien vgl. ausführlich Niefanger 1997; zu Gottscheds Wochen-
schriften: Ball 2008, S. 49–100; zu Bodmers und Breitingers Wochenschriften vgl., unter
dem Gesichtspunkt der ›idealen‹ Gesellschaft, Reiling 2010, S. 88–124; stets auch weiter-
führend sind Martens’ Nachworte zu Neu- und Nachdrucken diverser Gattungsvertreter
(gute Übersicht in der Martens-Festschrift, vgl. Frühwald u. a. 1989); stellvertretend für
den Handbuchsektor sei der gelungene Überblick von Sauder 1980 genannt; ein neu er-
wachtes Forschungsinteresse dokumentieren die Sammelbände von Doms/Walcher 2012
und Kaminski/Ramtke/Zelle 2014.
545
Zitate aus den Moralischen Wochenschriften nachfolgend mit Angabe von Stück
(zumeist erschien wöchentlich eine Ausgabe) und Datum. Wegen der Kürze der Stücke,
aber auch wegen der kursierenden Nach- und Neudrucke verschiedener Wochenschriften
wird hier auf Seitenzahlen verzichtet, so dass die Zitate in jeder beliebigen Ausgabe aufge-
funden werden können.
546
Vgl. Martens 1968, S. 147–150. – So heißt es etwa im Menschenfreund (73. St.,
11. September 1738), wo die folgende Äußerung einer Frau in den Mund gelegt wird: »Da
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De atheo cive non bono 529

rasch wachsende Schicht von ›bürgerlichen‹ Gebildeten, welche auf Rezipien-


tenseite die eigentliche Trägerschicht der Aufklärung darstellte.547
Gerade an den früheren Exemplaren dieser Gattung – etwa dem Patrioten in
Hamburg oder den vom Ehepaar Gottsched verantworteten Wochenschrif-
ten – lässt sich beispielhaft studieren, wie sich Vertreter der akademischen
Gelehrtenschicht in die Rolle von Lehrern und Ratgebern für eine mehr kul-
turell als politisch-ständisch zu erfassende Schicht von ›Bürgerlichen‹ bega-
ben, die sich in einem historisch bemerkenswerten Vorgang im Akt des Le-
sens (und teilweise Mitschreibens) erst als Wertegemeinschaft konstituierte.548
Die oft konstatierte, im Detail jedoch schwer nachweisbare Entwicklung von
der Gelehrsamkeit zur Bildung lässt sich neben dem bei Weise und Thoma-
sius entworfenen Idealbild des weltgewandten honnête homme vielleicht am
eindrücklichsten an der Erschließung eines weiblichen Lesepublikums illus-
trieren.549 Denn die Bildung der höheren Töchter aus dem Bürgertum oder
niederen Adel setzte nicht so sehr auf Kenntnis der alten Sprachen und damit
den Zugang zur akademischen Welt, sondern auf neue Fremdsprachen, mu-
sische und gesellschaftliche Fertigkeiten sowie auf ein Konversationswissen,
das sich – im Grunde ganz wie schon beim honnête homme – durch betonte
Abgrenzung von ›pedantisch‹-weltferner Stubengelehrsamkeit definierte.
Dabei ging es indes nicht in erster Linie um die Popularisierung gelehrter
Wissensbestände, wie sie wenig später die unterhaltend-belehrenden Journale
und Magazine nach Art der Belustigungen des Verstandes und des Witzes un-
ternehmen sollten,550 sondern um ihre praktische Anwendung mit dem Ziel

nun die wenigsten Menschen Gelegenheit haben ein Collegium über die Ethick zu hören;
so ist es ja wohl gut, daß ihnen zuweilen ein solches Blatt in die Hände gegeben wird,
worinn sie auf eine begreifliche und angenehme Art an ihre Pflichten erinnert, und auf den
Weg zu der Tugend geleitet werden.«
547
Über die große Bedeutung der Wochenschriften für den Prozess der kulturellen
Vergesellschaftung, in dessen Verlauf sich eine Schicht von Bürgerlichen herausbildete, die
zunehmend ein Klassenbewusstsein entwickelte und schließlich im Bürgertum des 19. Jahr-
hunderts aufging, besteht in der historischen Forschung weithin Einigkeit. Wegweisend hier-
für war die klassische Studie von Jürgen Habermas zum »Strukturwandel der Öffentlich-
keit«, in der eigens auf die Moralischen Wochenschriften als ein »Schlüsselphänomen« hin-
gewiesen wird (Habermas 1962, S. 56); inzwischen ist diese Interpretation fachübergreifend
auf Handbuchniveau angelangt, vgl. Möller 1986, S. 278 f.; Stollberg-Rilinger 22011, S. 140 f.;
zur Entstehung der Gebildetenschicht vgl. ferner Wehler 1987, S. 202–205 u. 210–214.
548
Diese These, in der Bundesrepublik maßgeblich entwickelt durch die Pionierstu-
die von Habermas 1962, bildete lange einen der stärksten Motoren der (insbesondere so-
zialgeschichtlichen) Bürgertumsforschung; die Erträge bündeln z. B. Möller 1986, S. 281–
298; Wehler 1987, S. 202–217; in der Bürgertumsforschung jüngerer Zeit wird wieder mehr
die Kontinuität des Stadtbürgertums akzentuiert; vgl. die Hinweise bei Schorn-Schütte
2009, S. 68–76; eine Vermittlung unternimmt Stollberg-Rilinger 22011, S. 85–92.
549
Vgl. Wittmann 21999, S. 198–203
550
Tatsächlich dienten bereits die frühen Zeitschriftenformate des 17. Jahrhunderts –
wie etwa Eberhard Werner Happels Relationes Curiosae (1683/84) – der populären Wis-
sensvermittlung; exemplarisch dazu Schock 2011 mit weiteren Literaturhinweisen.
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530 Atheismus und Frühaufklärung

der Optimierung des privaten Lebens. Im Sinne der noch jungen kameralisti-
schen Wissenschaft, aber auch – bei allen Unterschieden – in Fortführung und
Ergänzung der älteren Predigt- und Erbauungsliteratur,551 wollten die Morali-
schen Wochenschriften ihre Leser zu nützlichen, das heißt gesetzestreuen, flei-
ßigen, stets auf Gemeinwohl bedachten Bürgerinnen und Bürgern erziehen,
ohne allerdings den damit verbundenen Triebverzicht zu rigoros ausfallen zu
lassen.552 In diesem Punkt verstanden sie sich auch als Korrektiv zum barocken
Stoizismus.553 Den Leitwert der Wochenschriften bildet denn auch nicht Nütz-
lichkeit, Disziplin oder Gehorsam, nicht einmal mehr prudentia oder ›Privat-
klugheit‹, sondern die Zwillingsformel ›Tugend und Glückseligkeit‹, die im
genannten Zeitraum eine enorme Konjunktur erlangte.554

551
Hinsichtlich der Kontinuität zwischen religiöser Erbauungsliteratur und den Mo-
ralischen Wochenschriften hat sich schon früh eine kleine Forschungskontroverse ent-
sponnen. Hatte Herbert Schöffler (bezeichnenderweise mit Blick auf Bodmer und Brei-
tinger) noch mit Nachdruck die Kontinuitätsthese vertreten, wandte sich Wolfgang Mar-
tens in seiner maßgeblichen Studie, unter Hinweis auf das Fehlen zentraler theologischer
Themen wie Sünde, Buße, Gnade und Erlösung, entschieden dagegen (vgl. Martens 1968,
S. 184, Anm. 15, mit Nachweisen); zu Schöfflers These vgl. auch, mit Blick auf Bodmer,
Reiling 2010, S. 81; für die Kontinuität argumentierte dann wieder, unter buchhändleri-
schem Gesichtspunkt, Wittmann 21999, S. 196; eine funktionale Kontinuität hinsichtlich
der sinnstiftenden Lebensorientierung sieht Maar 1995, S. 60 f. u. 223; daran anknüpfend
zuletzt Hahne 2015, S. 96–100.
552
Inwiefern ihnen das auch gelungen ist, wäre eine andere Frage, die schon von den
Zeitgenossen diskutiert wurde. Dass die Wochenschriften entweder, salopp gesagt, zu
Bekehrten predigten, oder dass umgekehrt die eigentlich Angesprochenen sich nicht be-
troffen fühlten, hat mit bissiger Ironie Christian Friedrich Zernitz (1717–1745) in seinem
Lehrgedicht Der Mensch, in Absicht auf die Selbsterkenntnis behauptet (in: Ders.: Versuch
in moralischen und Schäfergedichten, Hamburg/Leipzig 1748, S. 84 f.):
Wenn auch ein Patriot, ein Biedermann, ein Swift,
Und ein Bewunderer der Menschen Laster trift,
So liest der, den man meynt, sich einzig zum Vergnügen,
Und glaubt, sein Nachbar sey das Vorbild zu den Zügen.
553
Die Kritik an der stoischen Affektdisziplin gehört fest zum Themenschatz der
Moralischen Wochenschriften, vgl. Martens 1968, S. 265–268; diese Haltung teilten sie mit
der urbanen Lehrdichtung eines Brockes oder Hagedorn sowie, wenig später, mit Vertre-
tern von Empfindsamkeit und Anakreontik. Zur Stoizismuskritik bei Albrecht von Haller
vgl. neuerdings Arend 2013.
554
Sehr deutlich etwa in folgender Bemerkung des Menschenfreunds (73. St., 11. Sep-
tember 1738): »Ob im Patrioten und andern dergleichen Schriften viel Gelehrsamkeit
steckt, davon kann ich nicht urtheilen, weil ich nicht einmal weiß, was denn eigentlich die
Gelehrsamkeit sey. Bestehet sie in etwas anders, als in der Wissenschaft unsere eigene und
anderer Menschen Glückseligkeit desto nachdrücklicher und aufrichtiger zu befördern,
so meine ich, daß mein Geschlecht [Anm. d. Verf.: Es spricht eine Frau!] sie gar leicht
entbehren kann.« – Die Anklänge an die politisch-›galante‹ Reformierung der studia sind
nicht zu überhören. Von ihr übernehmen die Wochenschriften auch Elemente der Pedan-
teriekritik, vgl. Martens 1968, S. 420–429. – Zum Hintergrund der praxisorientierten aka-
demischen Reformbewegung seit etwa 1670 vgl. Barner 1970, S. 135–142; Kühlmann 1982,
S. 423–454; Grimm 1983, S. 346–425.
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De atheo cive non bono 531

Dieser Prozess fällt zeitlich zusammen mit intensiven Debatten – haupt-


sächlich noch innerhalb der akademischen Teilöffentlichkeit – über die Gren-
zen der Meinungsfreiheit oder der libertas philosophandi.555 Zwar ging es dabei
in erster Linie um die Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie
bzw. kirchlich besetzten Zensurbehörden; in diesem Zusammenhang kam es
jedoch auch zu Überlegungen, die das intellektuelle Gefälle zwischen gelehr-
ten Vollakademikern und ›nur‹ gebildeter Leserschicht problematisierten. Im-
plizit standen damit auch die Möglichkeiten und Grenzen von Aufklärung –
im Sinne der als »Aufklärung der Begriffe« bezeichneten philosophischen
Methodenreflexion556 – zur Diskussion. Selbst wenn nämlich, so ein in den
Quellen vielfach ventiliertes Argument, dem voll ausgebildeten Akademiker
zuzutrauen war, sich gefahrlos und verantwortungsbewusst im offenen Feld
der Denk- und Meinungsfreiheit zu bewegen, so konnte diese Lizenz nicht
auf den damals zumeist sogenannten Pöbel übertragen werden. Das Maß der
äußeren Denkfreiheit wurde, in Fortsetzung traditioneller Vorurteilslehren,
mit Blick auf die innere Denkfreiheit bestimmt.557 Gemeint war damit die Kul-
tivierung eines – etwa durch Logik und Dialektik – methodisch geschulten
Denkvermögens, noch allgemeiner jedoch die für jeden ungetrübten Denk-
vorgang als nötig erachtete Disziplinierung der Affekte als einer der zwei gro-
ßen Hauptquellen für Irrtümer oder Fehlurteile.
Diese Einschränkung galt selbst da, wo im Allgemeinen die sündentheolo-
gisch motivierten Bedenken angesichts der menschlichen Vernunftfähigkeit,
die von der altprotestantischen Orthodoxie bis in die sogenannte konserva-
tive Frühaufklärung (z. B. Budde) und hin zum späten Thomasius reichten,
zugunsten eines erkenntnistheoretischen Optimismus verabschiedet wurden,
wie etwa bei Christian Wolff. Hatte er noch 1712 seine Deutsche Logik mit
einer Lobrede auf die Vernunft eröffnet, fügte er in der Deutschen Politik
(1721) jene schon zitierte ( V.4.4) wichtige Einschränkung hinzu, die zu wie-
derholen sich lohnt: »Es sind aber im gemeinen Wesen die wenigsten Men-
schen vernünfftig, die meisten sind unverständig und sehen die Beschaffenheit
der freyen Handlungen nicht recht ein.«558 Ganz ähnlich sollte sich mehr als
25 Jahre später dann Georg Friedrich Meier äußern.559

555
Dazu jetzt ausführlich und maßgeblich Zenker 2012; für einen gediegenen Abriss
vgl. Traninger 2016.
556
Vgl. dazu Schneiders 1983b, S. 19–21.
557
Vorbildlich etwa – da zugleich in Abgrenzung von der vermeintlichen Denkfreiheit
der »Freygeister« – in Georg Friedrich Meiers Rettung der Ehre der Vernunft wider die
Freygeister, Halle 1747 (ND, hg. u. eingel. v. Björn Spiekermann, Hildesheim u. a. 2012).
558
Christian Wolff, Vernünfftige Gedanken vom gesellschaftlichen Zusammenleben
der Menschen, Halle 1721 (ND Frankfurt am Main 1971), S. 323 f. – Ausführlich dazu
weiter oben, Kap. V.4.4.
559
Vgl. dazu meine Einleitung in Meier, Rettung der Ehre (Anm. 557), S. *5–*42.
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532 Atheismus und Frühaufklärung

Soweit sich die so verstandene Aufklärung als ›bürgerliche Lebensreform‹


(Brüggemann) entfaltete,560 als Anleitung zur Optimierung des privaten Lebens
im Rahmen einer affektmoderierenden Gemeinwohlethik, kann sie von dem
Bemühen her begriffen werden, das alte Staatsziel der felicitas civium ( I.3.4)
auf nichtpolitischem Weg zu erreichen, also innerhalb des vergleichsweise en-
gen Handlungsspielraums, der den Bürgerlichen, zumindest außerhalb der
freien Reichsstädte, durch den absolutistischen Ständestaat gezogen war. Mit
der Zwillingsformel »Tugend und Glückseligkeit« lässt sich der Wirkungsan-
spruch dieser dezidiert bürgerlichen Aufklärung daher auch adäquater umrei-
ßen als mit allseits bekannten Wörterbuchklischees wie ›Freiheit‹, ›Toleranz‹,
›Emanzipation‹ oder ›Vernunft‹ (ganz zu schweigen von den radical ideas).
Denn obwohl der Vernunftbegriff – im Sinne der schon vielfach erwähnten
sana ratio – in Schriften der Zeit ohne Zweifel häufige Verwendung findet,
muss er doch in seiner Ausrichtung auf die Praxis verstanden werden: Prakti-
sche Vernunft, Ethik mithin, nicht theoretische Vernunfterkenntnis macht den
wesentlichen Fluchtpunkt dieser Art von Aufklärung aus.561
Auch deswegen sind Untersuchungen wie das Wochenschriften-Buch von
Wolfgang Martens562 oder die wichtigen Aufsätze von Rudolf Vierhaus563 von so
bleibendem Wert, weil sie die deutsche Aufklärung von diesen in den Quellen
dokumentierten Absichten her beschreiben und interpretieren, nicht ausge-
hend von aktuellen politischen Leitkategorien, die dann in den immer gleichen
Quellen neu entdeckt werden.564 Das soll nicht heißen, dass die radikalen Ten-
denzen, die seit einer Weile intensiv erforscht werden, nicht da gewesen wären.
Sie waren es gewiss und sicherlich auch schon, bevor sie durch öffentliche Ek-
lats wie den Spinozismusstreit oder den Atheismusstreit an die Öffentlichkeit
drangen. Es bleibt hier jedoch wichtig, die Relationen im Blick zu behalten:
Im Vergleich zur Ausbreitung von Buchmarkt, Lesefähigkeit und -publikum
haben sich die radikalen Tendenzen wohl kaum proportional mitentwickelt.
Sie blieben weiterhin einer kleinen, überwiegend akademischen Gruppe vor-
behalten. Eine Zusammenführung der neueren Radikalismusforschung mit
den reichen Erträgen der sozialgeschichtlichen, an Bürgerlichkeit interessier-
ten Aufklärungsforschung der 70er- und 80er-Jahre zu einem schlüssigen Ge-
samtbild steht bisher noch aus.

560
So der Titel der von Brüggemann herausgegebenen Textsammlung zur Gottsched-
ära im Rahmen des bedeutenden Editionsprojekts Geschichte der deutschen Literatur in
Entwicklungsreihen: »Gottscheds Lebens- und Gesellschaftsreform«; vgl. ferner das von
Mauser 2000, S. 7–16, unter dem Stichwort »Konzepte aufgeklärter Lebensführung« skiz-
zierte Forschungsprogramm, das dringend weiter zu verfolgen wäre.
561
Vgl. in diesem Sinn Schneiders 1995 u. 2005.
562
Martens 1968.
563
Viele davon sind versammelt in Vierhaus 1987.
564
In diesem Sinne auch das höchst bedenkenswerte, fast vermächtnisartige Plädoyer
von Vierhaus in einer seiner letzten Publikationen zum Thema mit dem bezeichnenden
Titel Was war Aufklärung? (Vierhaus 1995).
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De atheo cive non bono 533

Dass die Mehrzahl der Gebildeten und Gelehrten auch weiterhin gläubig
blieb, dürfte unter anderem mit einem Umstand zu tun haben, der bei der
Suche nach den ›Radikalen‹ auffallend wenig reflektiert wird: die erheblichen
Kompromissleistungen der Orthodoxie selbst seit etwa 1700. Das Profil von
Kirche, Theologie und Religion bzw. Religiosität erlebte im 18. Jahrhundert
eine Transformation, die derjenigen des 17. Jahrhunderts in keiner Weise nach-
stand. Durch die in theologischer Eklektik (behelfsweise ݆bergangstheolo-
gie‹ genannt) und Neologie ausgehandelten Kompromisse blieb zumindest
die protestantische Theologie – die katholische Aufklärung zog später nach –
auch weiterhin attraktiv für die meisten Gebildeten und Gelehrten. Schließlich
wurden dort zahlreiche Elemente der Kritik integriert, wie sie durch Bibelphi-
lologie, Sozinianismus und Deismus an die Theologie herangetragen worden
waren. Schon deswegen führt die gern gebrauchte Dichotomie ›Aufklärung
versus Orthodoxie‹ in die Irre. Wer mithin, so wäre vorläufig festzuhalten,
im 18. Jahrhundert nach der ›Religiosität der Gebildeten‹ (H. E. Bödeker)
sucht, ist schlecht beraten, wenn er einseitig entweder nach einem Deismus
in Reinkultur oder nach hinterwäldlerischem Fundamentalismus Ausschau
hält. Der Transformation der Religion im Sinne der von Emanuel Hirsch ge-
prägten Umformungsthese wird im folgenden abschließenden Kapitel in ganz
verschiedener Weise nachzugehen sein, man muss sie nicht zuletzt da aufsu-
chen, wo sich die Identitätsbildung der neuen bürgerlichen Schicht vor allem
vollzog: in lehrhafter Dichtung und moraldidaktischer Publizistik.
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VI. NATUR, MORAL UND BÜRGERGLÜCK


ÜBERGÄNGE ZUR HOCHAUFKLÄRUNG

1. Gelehrte versus Ungelehrte. Gottsched und der


Weg in die doppelte Aufklärung

1.1 Vernünftiger Christ oder Krypto-Deist?


Gottscheds Religion im Widerstreit der Meinungen

Johann Christoph Gottsched (1700–1766), Professor zunächst für Poesie, spä-


ter für Logik und Metaphysik an der Universität Leipzig und zeitweilig auch
deren Rektor, muss neben Brockes, Gellert und Wolff als eine der einfluss-
reichsten Figuren im deutschen kulturellen Leben um 1750 bezeichnet wer-
den, und das auch weit über den engeren Bereich der schönen Literatur hinaus.
Waren die außergewöhnlichen Leistungen dieses Mannes in Forschung und
gebildeter Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts1 lange verstellt durch das bos-
hafte Urteil Lessings im 17. Literaturbrief und das wenig schmeichelhafte Por-
trät in Goethes Dichtung und Wahrheit,2 wo Gottsched – tatsächlich selbst ein
Kämpfer gegen selbstzweckhaften Polyhistorismus3 – als ewig gestriger Pe-
dant und tyrannischer Diktator des deutschen Literaturbetriebs erschien,4 so
hat die neuere germanistische, aber auch kirchen- und institutionsgeschicht-
liche Forschung sein intellektuelles, akademisches und publizistisches Profil
ebenso erarbeitet wie seine Wirkung im engeren Leipziger Umfeld und weit
darüber hinaus.5 In einer Diskursgeschichte des Unglaubens darf Gottsched

1
Im 19. Jahrhundert wurden dagegen schon wichtige Grundlagen für die Revision
des Gottschedbildes gelegt; vgl. dazu Friebel 1980 sowie Ball 2000, S. 25 f.
2
Goethes Schilderung im siebten Buch seiner Autobiografie diente sogar als Vorla-
ge für Darstellungen in der bildenden Kunst – ein seltener Fall von damnatio memoriae!
Vgl. Otto 2007, S. 388.
3
Vgl. Pott 2002a, S. 199-201.
4
Auf Belege kann hier verzichtet werden; der Wandel des Gottschedbildes ist in
der neueren Forschung vielfach beschrieben worden; vgl. allerdings Otto 2007 mit vielen
wenig bekannten Rezeptionsdokumenten.
5
Vgl. die bibliografischen Hinweise im Gottsched-Artikel in Killy/Kühlmann,
Bd. 4, 2009, S. 343–348 (Wolfgang F. Bender); eine ausführliche Forschungsbibliografie von
1985–2012, erstellt von Rüdiger Ott und Ronny Edelmann, in Achermann 2014, S. 407–
461. – Zu Gottscheds Leipziger Umfeld vgl. bes. Döring 2002 (zur Deutschen Gesell-
schaft), bes. S. 172–305; ferner Mulsow 2007, der freigeistigen Aktivitäten im Gottsched-
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536 Übergänge zur Hochaufklärung

schon deswegen nicht fehlen, weil er die deutschen Übersetzungen von Bay-
les Kometenschrift (1741) und von dessen Dictionnaire historique et critique
(1741–1744), als Herausgeber und Mitübersetzer, einer breiteren deutschen
Öffentlichkeit zugänglich machte,6 ebenso später die Schrift De l’esprit (1760)
von Claude Adrien Helvétius.
Es gehört zu den kuriosen Umwertungen in der Wahrnehmung des Hete-
rodoxen seit dem 19. Jahrhundert, dass Gottsched gerade für diese Tätigkeit,
die ihm seinerzeit viel Kritik einbrachte, heute besondere Anerkennung er-
fährt.7 Die folgenden Ausführungen gehen nicht der Frage nach, wie wir uns
Gottscheds persönliche Religiosität vorzustellen haben; auch sein generelles
Theologie- oder Religionsverständnis soll hier nicht rekonstruiert werden.8
Es kann allein darum gehen, seine publizierten Äußerungen zum Thema –
einschließlich der im geschützten Rahmen der Rednergesellschaft gehalte-
nen Reden, aber auch der gemeinsam mit seiner Frau verfassten Moralischen
Wochenschriften – in die hier zu verfolgende Diskursgeschichte einzuord-
nen und auf ihre epochalen Eigenheiten hin zu befragen. Ob der Pfarrersohn

kreis nachgeht, sowie Bronisch 2010, S. 125–134 u. ö. (Register) zu Gottscheds Beziehun-


gen zur Gesellschaft der Aletophilen.
6
Vgl. bereits die bei Max von Waldberg entstandene Dissertation von Lichtenstein
1915, die allerdings kaum über eine Paraphrase von Gottscheds Bayle-Vorreden hin-
auskommt; im weiteren Kontext der Baylerezeption wird Gottsched in verschiedenen
Studien kurz behandelt, so bei Sauder 1975, S. *95–*97; Dingel 1999, S. 231–235 et pass.;
etwas ausführlicher Dingel 2004, S. 54 f. u. 60–62; knapp: Mulsow 2007, S. 39; neuer-
dings vor allem Quéval 2006; weitere Hinweise im Folgenden. – Eine gründliche Auf-
arbeitung von Gottscheds Baylerezeption, unter Auswertung seiner Kommentare zum
übersetzten Wörterbuch (auch zu weniger brisanten Artikeln) sowie des inzwischen in
elf stattlichen Bänden vorliegenden Briefwechsels des Ehepaars Gottsched (2007 ff.),
wäre dringend zu wünschen (erste Ansätze bei Lichtenstein 1915, S. 41–49); das vor-
liegende Kapitel wird dazu nicht viel beitragen, zumal hier nur der enge thematische
Ausschnitt des Unglaubens im Verhältnis zur Moral – vor allem in Gottsched Vorrede
und seinen Anmerkungen zur Kometenschrift – interessiert und überdies auch andere
Quellen zu Wort kommen sollen.
7
Diese Tendenz ist in der französischen Ideengeschichtsschreibung seit jeher stär-
ker ausgeprägt; vgl. so unlängst noch Quéval 2006, die Gottsched in puncto Religionskri-
tik sogar vor Reimarus stellen will, sowie, etwas moderater, Krebs 2012; in der deutschen
Forschung hat vor allem der einflussreiche Aufsatz von Günter Gawlick (Gawlick 1990)
diese Richtung eingeschlagen; zum Wandel des Gottschedbildes in der philosophie-, theo-
logie- und literaturgeschichtlichen Forschung vgl. noch einmal Friebel 1980, neuerdings
vor allem die scharfsinnigen, gut perspektivierten Ausführungen von Straßberger 2014,
bes. S. 85 f. (zu Gawlick) u. 86–90 (zu Quéval).
8
Vgl. – erneut vorzüglich! – Straßberger 2010b, S. 99–111; ferner Döring 2000,
S. 155–164; zu Gottscheds philosophischen Ansichten, vor allem seinem Verhältnis zu
Leibniz und Wolff, vgl. bereits Lichtenstein 1915, S. 9–18 u. 50–87; ferner, im Spiegel seiner
Rezensionstätigkeit, Ball 2000, S. 158–170 (dort, S. 164–167, auch zu Gottscheds Ausgabe
des Anti-Lucretius von Polignac, die u. a. zur Absicherung des leibniz-wolffschen Weltbil-
des gedacht war); Gottscheds praktische Philosophie (bes. Ethik u. Naturrecht) behandelt
Grunert 2014a; zu Gottsched und Wolff nun ausführlich und kenntnisreich Stiening 2014.
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Johann Christoph Gottsched 537

Gottsched, der überdies recht offen über seine Zweifel während des Theo-
logiestudiums sprach (s. u.), heimlich deistischen Ansichten zuneigte, die er
nur im vertrautesten Umfeld zu erkennen gab, steht hier nicht zur Debatte.9
Gerade bei Gottsched ist vielmehr der Gesichtspunkt der Öffentlichkeit
von entscheidender Bedeutung. Wie sich den Vorreden und Anmerkungen zu
Bayle entnehmen lässt, wie aber vor allem im Vergleich mit den Moralischen
Wochenschriften ins Auge fallen muss, hat Gottsched, darin ganz auf der Li-
nie von Thomasius, Gundling und Wolff ( V.2–V.4), zwischen der engeren
gelehrten und der weiteren ›literarischen‹ oder ›bürgerlichen‹ Öffentlichkeit
unterschieden.10 Seine wenigen Bemerkungen dazu verraten ein feines Gespür
für ihre Möglichkeiten um 1750. Die Vermittlerrolle zwischen beiden Teilöf-
fentlichkeiten hat er mit seinen Lehrbüchern, mit den Wochenschriften, mit
der Betreuung einer Vielzahl von Übersetzungen und eben auch mit der Ein-
leitung und Kommentierung der bayleschen Schriften geradezu mustergültig
ausgefüllt.11 Ob es ihm gelungen ist, »auch die gefährlichen Stellen« daraus zu
entschärfen, wie er selbst in der Vorrede zum Wörterbuch ankündigt, wird
gleich ausführlicher zu prüfen sein. Zuvor wird noch Gottscheds vorherge-
hende publizistische Aktivität in atheos anhand einiger einschlägiger Äuße-
rungen der 1720er- und 1730er-Jahre erkundet.12

1.2 Die Unvernunft der »Spötterzunft«. Poetische Apologetik


in zwei Kasualgedichten Gottscheds

Das erste Beispiel führt in die frühe Leipziger Zeit, als Gottscheds Stern
dort nach der Flucht aus dem preußischen Königsberg gerade aufzugehen
begann. In einem 1724 verfassten lehrhaften Kasualgedicht13 auf die theo-
logische Promotion des Orientalisten und Professors für Theologie Johann
Gottlob Pfeiffer (1667–1740)14 erörtert der 24-Jährige die Frage nach der

9
Vgl. dazu, höchst erhellend, mit kritischer Auswertung bisheriger Forschungen,
Straßberger 2010b, S. 94–105, sowie Straßberger 2014.
10
Zu dieser für das Verständnis der Hochaufklärung wichtigen Unterscheidung vgl.
die Hinweise weiter oben, Kap. V.1.1.
11
Vgl., mit Blick auf die Vermittlung französischer Literatur, Gawlick 1990 und
Krebs 2012; allgemeiner und ausführlicher Ball 2000, die dabei zu einer ganz anderen Ak-
zentuierung gelangt.
12
Nach einigen Überlegungen wurde der Lösung der Vorzug gegeben, Gottsche-
ds Gedichte und Moralische Wochenschriften im Gottsched-Kapitel zu behandeln und
nicht im jeweiligen Gattungskapitel. Dadurch werden vielleicht einige Zusammenhänge
weniger deutlich, als es andernfalls geschehen wäre. Diesem möglichen Mangel soll durch
Querverweise, so gut es geht, abgeholfen werden.
13
Hans-Georg Kemper hat für diese bei Gottsched auffällige Hybridform zwischen
Lehr- und Kasualgedicht den Ausdruck »Gelegenheits-Lehrgedichte« vorgeschlagen
(Kemper 1991, Bd. 2, S. 30).
14
Pfeiffer war bereits 1723 zum ordentlichen Professor für Theologie in Leipzig er-
nannt worden. Zu Biografie und Werk ausführlich DBA I 951, S. 123-150. – Dass Gott-
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538 Übergänge zur Hochaufklärung

Nothwendigkeit und Pflicht theologischer Lehrer.15 Gegen den Aberglauben


einerseits und die »Atheisten« andererseits wird dort einmal mehr der Kurs
eines vernünftigen Christentums abgesteckt, schlagwortartig greifbar in der
kirchengeschichtlich einschlägigen Formel »Vernunft und Offenbarung«
(V. 35). Ganz und gar typisch auch für den Gottsched der 1740er-Jahre ist
schon hier die Selbstgewissheit einer philosophisch gestützten Theologie,16
die, auch ihren eigenen Selbstbekundungen nach, die Herausforderung von
Bibelkritik, Pantheismus und radikalem Deismus erfolgreich bewältigt zu ha-
ben meinte: »Hat unser Glaube nicht den Aberwitz verbannt?« (V. 34) Wenn
dann der Sprecher des Gedichts, gleich eingangs, die »Schaar der Spötter«
stichwortartig kennzeichnet, treten auf engstem Raum viele der am polemi-
schen Schrifttum erarbeiteten Merkmale zusammen – von den peiorativen
Beinamen (›Thor‹, ›Spötter‹, ›Lästrer‹) über die intellektuelle Degradierung
(›Phantasey‹) und das unzivilisierte, sich selbst disqualifizierende Diskussions-
verhalten (›verlachet‹, ›schreyt‹, ›verhöhnen‹) wie auch die problematischen
Gewährsleute (Konfuzius und Spinoza) bis zum eigentlichen Hauptdelikt,
dem Versuch, den christlichen »Glaubensbau« über den Haufen zu rennen:

Ein Thor, der sich der Schaar der Spötter beygesellt,


Der den Confucius für seine Bibel hält,
Der vom Spinosa mehr, als Mosis Schriften, machet,
Und allen Gottesdienst des Christenvolks verlachet;
Ein Lästrer, der von nichts, als Aberglauben, schreyt,
Und unsern Glaubensbau herum zu stoßen dräut,
Wird heute, da er sieht acht Glaubenslehrer krönen,
In seiner Phantasey, das ganze Werk verhöhnen.

Die Einwände der Religionskritik werden im Folgenden knapp referiert


(V. 9–24). Zwar ist die entsprechende Passage auf Widerlegung hin konzi-
piert, darauf deutet schon die Charakterisierung als »der frechen Mäuler
Wort« (V. 9), es handelt sich jedoch um eine Kritik an der älteren, vermeint-

sched ihn hier als Vertreter einer philosophisch befestigten Gottesgelehrtheit feiert, mag
Pfeiffers 1708 verteidigter philosophischer Disputation De convenientia et differentia vir-
tutum naturalium et supernaturalium (gedruckt erst Leipzig 1719) zu verdanken sein. Un-
abhängig davon darf aber angenommen werden, dass Gottsched im Gedicht seine eigene
Idealvorstellung einer philosophischen Theologie entwickelt.
15
Mit vollständigem Titel: Die Nothwendigkeit und Pflicht theologischer Lehrer. Als
Herr Joh. Gottlob Pfeifer, der heil. Schrift Licent. und Prof. die Doctorwürde zu Leipzig
erlangte. 1724, den 27 April, in: Johann Christoph Gottsched, Ausgewählte Werke, Bd. 1,
Berlin 1980, S. 429–431. – Gottscheds Lyrik gehört zu den inzwischen wohl am wenigsten
erforschten Bereichen seines weitgespannten Œuvres. – Auf beide hier behandelten Ge-
dichte und ihren apologetischen Inhalt hat Thomas P. Saine bereits in seinem instruktiven
Kapitel Der Sturm gegen die Freigeister aufmerksam gemacht (vgl. Saine 1987, S. 192–106;
s. dazu auch im Forschungsbericht der Gesamteinleitung).
16
Sie prägte, wie weiter unten gezeigt wird ( VI.2), die Haltung der frühen Mora-
lischen Wochenschriften.
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Johann Christoph Gottsched 539

lich vernunftfeindlichen Orthodoxie (»Wer die Vernunft erhebt, der wird ihr
ärgster Feind«, V. 21), die der Autor als Vertreter der philosophisch-histo-
risch restaurierten Übergangstheologie durchaus geteilt haben dürfte. Nur
richtet sie sich, das wird im Text sogleich deutlich, gegen eine veraltete Ent-
wicklungsstufe protestantischer Schultheologie oder sogar eines völlig ame-
thodischen Biblizismus (»Tand verlachter Fabeln« [V. 23]), der längst durch
eine überlegene Systematik ersetzt worden ist. Wer so denkt oder, in gedan-
kenloser Nachsprecherei, auch nur redet, heißt es am Ende dieses Exkurses,
mache sich mit den eingangs beschriebenen »starken Geistern« (V. 26), der
»eiteln Spötterzunft« (V. 30) gemein, deren intellektuelle Selbstüberhöhung
in ironischen Kontrast zu ihrer tatsächlichen Geistesschwäche gestellt wird.
Das ist ein auch von Brockes (s. u.) gern genutzter, um 1724 noch einigerma-
ßen unverbrauchter Sprachwitz, der sich in der deutschsprachigen Literatur
so lange halten sollte wie der Ausdruck ›starke Geister‹ selbst, also ungefähr
bis 1760 mit Ausläufern bis etwa 1780. Nicht fehlen darf in diesem Zusam-
menhang der insipiens-Topos (›Thorheit‹), der in Zeiten methodisch arrivier-
ter Rationaltheologie freilich seine ursprünglich moralische Konnotation
abstreift:

So rufft das tolle Volk in seiner Raserey,


Und setzet sich hernach den starken Geistern bey,
Die sich an Thorheit zwar, als ungeheure Riesen,
Doch am Verstande selbst noch viel zu schwach erwiesen. (V. 25–28)

Für die epochale Synthese von theologischem Wolffianismus und pietisti-


scher Gefühlsfrömmigkeit lässt Gottsched im Weiteren die allegorische Fi-
gur der Eusebia (griechisch für ›Frömmigkeit‹) auftreten. Nicht aggressiv
verurteilend, sondern, wie schon bei Brockes, milde (»Sie seufzet« [V. 31];
»voll Sanftmuth« [V. 32]) und voll Mitleid (»Wie jammert mich …« [V. 33])
weist sie die Irrenden in direkter Anrede (»o Mensch« [V. 33]) zu Recht.
›Vernunft‹, ›Offenbarung‹, ›Natur‹ und ›Wahrheit‹ werden in ihrem Mund
einmal mehr zu den Eckpfeilern einer Theologie erklärt, die in der bereits
angedeuteten Weise den »Aberwitz« (V. 34) von den Kanzeln verbannt ha-
ben will. Auf welche Vorarbeiten diese Neujustierung der protestantischen
Theologie aufbauen konnte, war dem Polyhistor Gottsched nicht nur bes-
tens bekannt, er lässt sie sogar, in einer knappen Auswahl, vor den Augen des
Lesers entlangparadieren. Der enge funktionale wie geschichtliche Zusam-
menhang zwischen der antiatheistischen Apologetik des 17. Jahrhunderts
und dem Umbau der altprotestantischen Dogmatik seit etwa 1690 erscheint
hier in gedrängter Form als zeitgenössisches Bekenntnis eines angehenden
Lehrers der »Weltweisheit«:17

17
Gemeint ist Gottscheds Lehrbuch Erste Gründe der Gesammten Weltweisheit
(2 Bde., Leipzig 1733/34).
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540 Übergänge zur Hochaufklärung

Vergebens ist also die freche Lästerung,


Des Christenglaubens Grund ist fest und sicher gnung:
Man darf die Spötterey und das vergebne Dräuen
Verwegner Lästerer in Ewigkeit nicht scheuen.
Wenn mancher Grotius für unsre Wahrheit kämpft,
Huet und Abbadie der Gegner Hochmuth dämpft,
Verstummt der feige Schwarm besiegter Atheisten.
Wie kömmt das? Die Vernunft ficht selber für die Christen. (V. 39-48)

Zehn Jahre später hat Gottsched diesen Katalog noch einmal bedeutend er-
weitert und etwas abweichend gedeutet, als er für die theologische Promotion
des zuvor schon zum Professor für Philosophie (1730), dann für Geschichte
(1732) berufenen, bis heute als Lexikograf und Herausgeber der deutschen
Acta eruditorum bekannten Leipziger Litterärhistorikers Christian Gottlieb
Jöcher (1694–1759) ein weiteres Kasualgedicht beisteuerte.18 Jöchers Tätigkeit
als Streiter für die christliche Religion ist heute kaum noch bekannt. Hatte er
schon in der Schrift Philosophia haeresium obex (1732) die Leistungsfähigkeit
der philosophischen Logik und Metaphysik als ›Bollwerk‹ (obex) gegenüber
religiösen Heterodoxien, aber auch gegenüber dem Atheismus, behauptet,19 so
reichte er eine zuerst 1730 unter seinem Vorsitz abgehaltene philosophische
Disputation20 über die Wunderkritik des Deisten Thomas Woolston21 1734
in erweiterter Fassung als theologische Dissertation ein.22 Auch dort entwi-
ckelte er, gegen die vermeintlich philosophische Begründung der deistischen
Religionskritik,23 den Kurs einer methodisch befestigten Theologie zwischen

18
Zu Jöcher vgl. Killy/Kühlmann, Bd. 6, 2009, S. 152 f. (Hanspeter Marti).
19
So vor allem im 17. Kapitel der Schrift mit dem Titel Haeretici nonnunquam sunt
boni disputatores, quibus ut et atheis sine philosophia resisti nequit (in: Philosophia haeresi-
um obex, Leipzig 1732, S. 217–230).
20
Thomae Woolstoni de miracvlis Christi paralogismos praeside Christ. Gottl.
Ioechero Philos. Prof. pvbl. ord. […] pvblice examinabit Henr. Adolph Hohmannvs Lip-
siensis, Leipzig 1730.
21
Eine in Gottscheds Gedicht (s. u.) erwähnte, auch in Lechlers Geschichte des Deis-
mus genannte Schrift gegen Matthew Tindal (laut Lechler handelt es sich um eine »Probe-
vorlesung zu Leipzig«, vgl. Lechler 1841, S. 447, Anm. 1) konnte nicht ermittelt werden.
22
Thomae Woolstoni de miracvlis Christi paralogismorvm examen cvm pro licen-
tia svmmos in theoloiga honores obtinendi […] Lipsiae disputaret continvatvm a Christi-
ano Gottl. Ioechero Historiarvm Professore, Leipzig 1734. – Im gleichen Jahr erschien ein
gedrucktes Programm, in dem der Prokanzler der Leipziger Theologischen Fakultät zum
damit verbundenen Festakt einlud. Darin wird der Zusammenhang zwischen erster und
zweiter Disputation explizit hervorgehoben und gebilligt: Facvltatis Theologicae procan-
cellarivs Christian. Fridericvs Boernervs […] ad sollennem panegyrin S. S. Theol. licentiati
renvntiationi dicatam d. XXI. Sept. A. MDCCXXXIV horis antemerid. […] invitat (Beleg
fol. B 3v f.). – Auf dem Titelblatt ist ein vielsagender handschriftlicher Vermerk hinzugefügt,
der auch in die Titelaufnahme durch die Dresdner Universitätsbibliothek eingegangen ist:
»De atheis hodiernis«.
23
Deutlich markiert bereits in der ersten, philosophischen Disputation von 1730,
wo der philosophische Anspruch des Deisten Woolston süffisant hinterfragt wird (S. 27):
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Johann Christoph Gottsched 541

altprotestantischer Schulmetaphysik, leibnizschem Rationalismus, Über-


gangstheologie (Christoph Matthäus Pfaff, Johann Lorenz von Mosheim) und
britisch-latitudinarischer Apologetik.24
Der Titel von Gottscheds Glückwunschgedicht Daß ein heutiger Gottes-
gelehrter auch in der Vernunft und Weltweisheit stark sein müsse präsentiert
nun diese Synthese von Philosophie und Theologie als elementare Forderung
der Zeit.25 Sie wird im Verlauf der 112 paarweise gereimten Alexandriner in
immer neuen Anläufen gegen die ›Spötter‹ (V. 20, 67, 76, 106) ins Feld geführt,
damit aber zugleich, gegenüber möglichen orthodoxen Einwänden, in ihrer
strategischen Notwendigkeit gerechtfertigt – angesichts nämlich einer neuar-
tigen Qualität von Religionskritik, der mit Schriftbeweisen nicht mehr beizu-
kommen sei:

Hier hilft die Bibel nichts, die sonst so herrlich nützt,


Wenn man mit Ketzern kämpft: denn deren freches Wagen
Kann mancher starke Spruch gewaltig niederschlagen.
[…]
Wo aber die Vernunft sich selber Weihrauch streut,
Die Schrift nicht hören will, von Vorurtheilen schreyt,
Nur falsche Schlüsse macht, und aus vermeynten Gründen
Die zweifelhafte Spur der Wahrheit sucht zu finden;
Da muß ein Glaubensheld auch anders widerstehn;
Er selbst muß in das Feld der Weisheitslehren gehn;
Aus Quellen der Natur der Wahrheit Bäche leiten,
Und die Vernünftler selbst aus der Vernunft bestreiten.

Das fodert unsre Zeit, darinn sich jene Brut


Der Spötter aufgemacht, die mit so frecher Wuth

Des Glaubens Burg bestürmt. Es sind nicht Ketzereyen;


Man will sich von dem Joch des Christenthums befreyen (V 42-60)

Präzise bezeichnet Gottsched den Unterschied zwischen einer noch religiösen


Heterodoxie (»Ketzereyen«) und dem Versuch, die Geltungsmacht der christ-

»Ast ipse [sc. Woolston] tam parum se philosophum praestat, vt regularum logicarum et
philosophicae methodi, neque cognitione neque vsu pollere videatur.« – Ähnliches hatten
wir etwa bei Löscher gesehen, die Berufung auf die Regeln der Logik gegenüber einer
methodisch vermeintlich ungeregelten Religionskritik findet sich schon bei Brockes (s. o.).
24
Die beste Überschau von Jöchers theologisch-philosophischen Gewährsleuten bie-
tet das kombinierte Personen- und Werkregister des Philosophia haeresium obex (Anm. 19).
Neben den britischen Theologen Stillingfleet, Tillotson, Clarke und Bentley wird dort Jacob
Thomasius (nicht aber Christian) und, mit mehreren Schriften, Leibniz genannt. Christian
Wolff fehlt gänzlich, womöglich wegen seiner beschädigten Reputation nach der Vertrei-
bung aus Halle ( V.4); von den deutschen Übergangstheologen sind Budde, Mosheim
und Pfaff vertreten.
25
Zitiert wird nach Gottsched, Ausgewählte Werke, Bd. 1, S. 452–456, mit Angabe
der Verszahlen in Klammern.
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542 Übergänge zur Hochaufklärung

lichen Religion überhaupt zu hinterfragen, also nicht hier und da ein anderes
Dogma an die Stelle des Alten zu setzen, sondern die Religion in ihrer in-
stitutionalisierten Form – nicht unbedingt Religion überhaupt – für obsolet
zu erklären. Darin lag die Attraktivität und folglich auch Gefährlichkeit des
Deismus, der sich nach den Anfängen bei Herbert von Cherbury und dem
Lockeschüler John Toland in Vertretern wie Anthony Collins, Matthew Tin-
dal und Thomas Woolston zu Wort meldete.26 Gottscheds Diagnose stimmt
überein mit späteren Urteilen von Zeitgenossen, die um 1770 aus der Distanz
weniger Jahrzehnte ordnende Rückschau hielten und im dritten Jahrzehnt des
18. Jahrhunderts eine Zäsur zu erkennen glaubten.27
Die Schwierigkeit nun, sich gegen eine philosophisch-philologische Re-
ligionskritik mithilfe von Gelehrsamkeit und »Weisheitslehren« zur Wehr
zu setzen, zeigt sich im Gedicht in der Differenzierung des Vernunftbegriffs
selbst, am Leitfaden der epochentypischen via media-Ideologie. Hatte die
ältere Apologetik, im Verein mit Naturrecht und protestantischer Schulphi-
losophie, die recta ratio auf den Schild gehoben und so einen verlässlichen
Bereich menschlicher Rationalität von der im Fall Adams korrumpierten
Vernunft abgesondert, so bedient sich Gottsched hier, ähnlich wie Brockes,
einer verwandten Argumentationsfigur, welche den gleichen Zweck durch
ostentative Abwertung eines methodisch ungeregelten (»falsche Schlüsse«),
von Geltungssucht getriebenen (»Weihrauch«), insofern also maßlosen Ver-

26
Vgl. nach wie vor Lechler 1841, 289–369; zur Rezeptionsgeschichte in Deutsch-
land grundlegend: Voigt 2003.
27
So etwa Gottfried Less in der wichtigen Abhandlung Neueste Geschichte des Un-
glaubens unter den Christen, in: Neueste Religionsgeschichte, 2. Theil, 1772, S. 1–54, u.
3. Theil, 1773, S. 373–402 (hier 1772, S. 22 f.): »Der allerwichtigste Zeitraum in der Ge-
schichte des Unglaubens fängt mit dem dritten Decennio unsers jetzigen Jahrhunderts an.
Seit dieser Zeit ward die christliche Religion, von Deisten und Indifferentisten – mehr als
jemals geschehen, im Zusammenhange und mit Gründen, zum Theil sehr scheinbaren be-
stritten.« – Noch etwas früher, 1724, glaubte Johann Lorenz von Mosheim rückblickend
einen Wandel in der Religionskritik ausmachen zu können: »Die englischen Deisten sind
in den vorigen Zeiten lange nicht so beschaffen gewesen, als sie itzt sind; daher müssen
sie in zwey Haufen geheilet werden, nehmlich in diejenigen, die vor dem Jahre 1724, und
diejenigen, die nach dieser Zeit die Religion angegriffen haben. Der erste Haufen war bey
weiten so gefährlich nicht als der letzte. Es waren Leute, die keine Grundsäze hatten, und
die ihre Waffen nicht gehörig zu gebrauchen wußten. Sie spotteten nur über einige Stücke
der Bibel, griffen die Geistlichen an, und bestritten diesen oder jenen Lehrsaz. Allein, kei-
ner unterstand sich die Religion directe anzugreifen. Die Hauptgründe der Religion, die
Wunderwerke, die Auferstehung Jesu, die Weissagungen – sind vor dem Jahr 1724 nicht
angegriffen worden. Nach der Zeit bekamen die Deisten mehr Muth, und erkühnten sich
diese Grundvesten der Religion zu untergraben […].« ( J. L. v. Mosheim, Geschichte der
Feinde der christlichen Religion. Aus dessen Vorlesungen herausgegeben und bis auf die
heutige Zeit fortgesetzt von M. Gottfried Winkler, Dresden 1783, S. 231) Auf Mosheims
Predigt über Die elende Thorheit der Religionsspötter aus der Mitte der 1720er-Jahre wur-
de weiter oben bereits hingewiesen. – Wie sich allerdings ebenfalls gezeigt hat ( I.2.3),
lässt sich das gleiche Deutungsmuster auch schon um 1600 erkennen, wo anhand der Ab-
grenzung von den traditionellen Häresien der Begriff des Atheismus profiliert wurde.
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Johann Christoph Gottsched 543

nunftgebrauchs (nimia ratio) zu erreichen versucht. Im Gedicht steht dafür


der Ausdruck »Vernünftler«. Anders als Brockes und die Mehrzahl der Göt-
tingischen Apologeten belässt es Gottsched aber nicht bei diesen stereoty-
pen Kennzeichnungen, sondern nennt die gemeinten Gegner beim Namen.
Wie ein kurzer Abriss der im ersten Teil dieser Untersuchung erarbeiteten
Zusammenhänge liest sich der Fortgang des Gedichts, in dem Gottsched
die Geschichte von Religionskritik und Apologetik in einer Art von histori-
schem Doppelporträt Revue passieren lässt:

Was Celsus und Porphyr vorzeiten ausgeheckt,


Das wird gefährlicher von neuem auferweckt,

Verstärket, ausgeputzt, ergänzet und vermehret:


Dadurch wird hier und dar der Kirche Flor versehret.
Denn was ein Cherbury, ein wilder Toland schreibt,
Was Mandeville sucht, wohin es Collins treibt,
Was Woolston, Tyndal, Chubb, sammt andern angesponnen,
Das ist dem Christenthum zum Untergang ersonnen.
Hingegen, was Euseb und Origen gethan,
Das braucht itzt größre Kunst. So gar die gute Bahn,
Die sonst Mornäus brach, die Grotius gegangen,
Und die Huet betrat, erfüllt nicht das Verlangen.
Der bündigste Beweis scheint itzo noch zu klein:
Er soll noch gründlicher, ja unumstößlich seyn.
So mußten endlich auch die Kirchenlehrer denken,
Durch Regeln der Vernunft die Spötter einzuschränken.

Dieß war schon Boylens Zweck, durch dessen Frömmigkeit


In London, jedes Jahr, in diesem Glaubensstreit
Ein Lehrer achtmal kämpft, die Wahrheit zu verfechten.
Hier wußte Bentley sich den Siegeskranz zu flechten.
So kämpfte Jaquelot, le Clerc und Abbadie,
Auch Bernard, Limborch, Clark und Scherlock wider sie.
Wo bleibt ein Cudworth noch? wo Ditton, Houteville?
Hier wies sich der Verstand in aufgeklärter Fülle!
Die lauterste Vernunft verwarf der Thorheit Gift,
Und rettete die Kraft und Göttlichkeit der Schrift. (V. 61-86)

Listen dieser Art finden sich in der antiatheistischen oder überhaupt antihe-
terodoxen Literatur zuhauf, von den umfangreichen Repertorien eines Fab-
ricius bis zur kleinen enumeratio im Rahmen von Predigten oder Traktaten.
Die Auswahl der von Gottsched hier genannten Autoren könnte darauf hin-
deuten, dass er ihr, zu Ehren des Gratulanten, unter anderem dessen Disser-
tation zugrunde gelegt hat.28 Interessanterweise bleibt neben Bayle, dessen

28
Auf engem Raum erscheinen dort etliche der von Gottsched Genannten, so etwa
S. 10 (Limborch, Jaquelot, Houtteville), S. 12 (Eusebius), S. 13 (Abbadie), S. 14 (Huet,
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544 Übergänge zur Hochaufklärung

bekanntere Schriften Gottsched bekanntlich für den deutschen Sprachraum


erschlossen hat (s. u.), auch Spinoza ausgespart. Dies dürfte aber vor allem
auf die antideistische Tätigkeit seines Freundes Jöcher (»auserlesner Freund«
[V. 1]) zurückzuführen sein und lässt vorerst keine weiteren Schlüsse zu.
Eindeutig bekennt sich Gottsched jedoch zum Wandel der protestantischen
Theologie unter dem Einfluss von Leibniz und den Vertretern des englischen
Latitudinarismus, als letztlich begrüßenswerter Folge der deistischen Her-
ausforderung. Damit hat er schon 1734, willentlich oder nicht, den aus heu-
tiger Sicht breit akzeptierten Befund gekennzeichnet, wie die philosophisch-
philologische Religionskritik die Theologie vor sich her und sozusagen in
die Aufklärung hineintrieb.

1.3 Religion und Moral für den ›Biedermann‹


Der bekehrte Freigeist und der christliche Bayle
in Gottscheds Moralischen Wochenschriften

Zeigen schon diese Gedichte, dass der junge Magister Gottsched das ge-
lehrte apologetische Handwerkszeug ebenso souverän beherrschte wie die
frühneuzeitliche Praxis der poetischen Würdigung bei ›Gelegenheit‹, so
liegt er auch als Herausgeber und Mitverfasser der Vernünfftigen Tadlerin-
nen (1725/26), einer der bedeutenden Moralischen Wochenschriften aus der
Frühphase der deutschen Gattungsgeschichte, zunächst ganz auf der oben
ausführlicher skizzierten Linie der Gattung. In seiner Beurteilung von Bay-
les Thesen zum Atheismus in seinem zweiten Wochenschriftenprojekt Der
Biedermann (1728/29) wagt er sich jedoch für dieses Genre schon vergleichs-
weise weit vor, und das mehr als zehn Jahre vor seiner eigenen Edition der
Kometenschrift. Keine Verteidigung des Atheismus ist dort zu finden, son-
dern – geschickt perspektiviert – eine Verteidigung Bayles gegen den Vor-
wurf auf Atheismus und eine Abwägung (nach dem Vorbild Bayles aber auch
des Frühaufklärers Thomasius) der Gefährlichkeit des Atheismus einerseits
und des Aberglaubens andererseits. In Stil, didaktischem Gestus sowie im
Einsatz literarischer Kleinformen richtet sich Gottsched dabei eng nach den
formalen Vorgaben der Gattung.

Celsus, Porphyr, Origenes), S. 19 (Le Clerc). Belege nach Jöcher, Woolstoni paralogismor-
vm examen, 1734 (Anm. 22). – Auch wenn Ballungen dieser Art generell zur Charakte-
ristik gelehrter Intertextualität gehören, ist die spezifische Zusammenstellung in dieser
Weise doch auffällig. Das zeigt etwa der direkte Vergleich mit dem Einladungsschreiben
des Kanzlers, wo zwar Mandeville, Tindal, Collins und Woolston in einer Auflistung be-
gegnen, aber weder antike Autoren wie Celsus oder Eusebius noch die Apologeten des
Refuge. Vgl. De atheis hodiernis (Anm. 22), fol. B 2v. In beiden Schriften fehlen allerdings
Mornay, Grotius, Cudworth oder Sherlock.
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Johann Christoph Gottsched 545

So begegnet uns in den Vernünftigen Tadlerinnen (19. April 1726) der Frei-
geist als ›Moralischer Charakter‹29 in einer Dialogsituation, von welcher die
titelgebende ›Tadlerin‹ Calliste zu berichten weiß. Dem Motiv nach handelt es
sich um eine Bekehrungserzählung, wie sie schon die ältere Exempelliteratur
( II.4.2) in zahlreichen Variationen bereitgestellt hatte und wie wir sie auch in
anderen Wochenschriften antreffen könnten ( VI.2.5). In einer Tischgesell-
schaft, die sich nach dem sonntäglichen Gottesdienst zusammenfindet, fällt ein
Herr von Spötterberg, »ein junger und freyer Mensch«, mit despektierlichen
Äußerungen über die Religion auf.30 Ihm tritt Herr Wahrlieb entgegen, der ihn
Schritt für Schritt von der Überlegenheit der christlichen Religion gegenüber
Heidentum und Islam überzeugt. Schon die Namensgebung verweist auf die
Grundannahme der meisten Wochenschriften, dass die christliche Religion die
Vernunft auf ihrer Seite habe.31 In Spötterbergs Gespräch mit der Gastgeberin
fällt sogleich auf, dass er nicht über Argumente verfügt, sondern sich nur ein
Vergnügen daraus macht, Kennzeichen einer frommen Lebensführung, wie
hier etwa die Einhaltung der kirchlichen Feiertage, unter Hinweis auf Hy-
per- oder Scheinfrömmigkeit zu ridikülisieren. Sein von französischen Ein-
sprengseln durchzogener Sprachgebrauch charakterisiert ihn überdies indirekt
als galant homme, ein weiteres Feindbild der Moralischen Wochenschriften.32
Auf die Replik der Gastgeberin, in welcher sie, differenzierter als ihr Gegen-
über, den Aberglauben von einer »vernünfftigen Ehrerbietung gegen das Ley-
den unsers Erlösers« unterscheidet,33 weiß Herr von Spötterberg dann auch
»nichts zulängliches zu sagen«. Boshaft empfiehlt er der Dame, im Interesse
ihrer Heiligsprechung ein Kloster zu stiften.
Die entstehende Verlegenheit nimmt nun Herr Wahrlieb zum Anlass, den
jungen Mann beiseitezunehmen, um ihn in ein Gespräch über die Religion
zu verwickeln. In Wahrlieb erblicken wir das Wunschbild des vernünftigen,
überdies geselligen und stets maßvoll ›vergnügten‹ christlichen Weisen, wie

29
Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. VI.2 mit Hinweisen zur Forschungsliteratur.
30
Dieses Stück hat Wolfgang Martens in seiner großen Studie zu den Wochenschrif-
ten ausführlich gewürdigt und Spötterberg auch zu Recht als »Freigeist« eingestuft, vgl.
Martens 1968, S. 198–200 (Zitat S. 198).
31
Aus diesem Grund hat Martens den Bericht von Herrn Spötterberg an den Anfang
seines Kapitels über die Die vernünftige Religion der Moralischen Wochenschriften ge-
stellt (S. 200): »Kennzeichnend ist bereits die formelhafte Verknüpfung von Vernunft und
Religion als zwei zueinander gehörige Größen, die im Sprachgebrauch der Sittenschriften
immer wiederkehrt. Vernunft und Offenbarung erscheinen, formelhaft verbunden, als
sich ergänzende Erkenntnisquellen.«
32
Vgl. ebd., S. 354–370, bes. S. 356–359.
33
Diese christologische Dimension ist in den Wochenschriften insgesamt selten.
Sie tritt auch schon in dem vorangestellten Motto hervor, das einem geistlichen Gedicht
des seinerzeit geschätzten Dichters Friedrich von Canitz entnommen ist. Die darin zwar
knapp, aber intensiv hervortretende Darstellung des Martyriums (»Unser Heyland steht
gebunden, / Voller Striemen, voller Blut«) geht über das gattungstypische Verständnis
Christi als eines moralischen Vorbilds (so auch hier Martens 1968, S. 199) eindeutig hinaus.
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546 Übergänge zur Hochaufklärung

es Brockes in zahllosen Lehrgedichten entwarf und wie es Gellert nach bes-


tem Vermögen ein Leben lang zu verwirklichen suchte. Als literarische Figur
treffen wir ihn in Gellerts Roman ebenso wieder wie in vielen bürgerlichen
Trauerspielen; auch Theophan aus Lessings Komödie Der Freygeist gehört
zu diesem Typus. Dementsprechend zeigt sich Wahrlieb hier als Meister der
geselligen Konversation, indem er Spötterberg nicht harsch konfrontiert, son-
dern ihm zunächst seine eigenen »Scrupel« anvertraut und ihn »im Vertrauen«
ersucht, einige gute Argumente gegen das Christentum vorzubringen.34 Derart
ermutigt, gibt sich ihm Spötterberg als Indifferentist zu erkennen – alle Religi-
onen gelten ihm gleich, sie alle seien gleich gut geeignet, »den tummen Pöbel
im Zaum zu halten«. Ein »honête homme« dagegen sei über »derley Popant-
zereyen« erhaben.
Lässt sich Spötterberg schon damit einmal mehr als à la mode-Stutzer iden-
tifizieren, so weiß er Wahrliebs nun vorgetragener Argumentation erst recht
nichts entgegenzusetzen.35 Indem ihm dieser nämlich das Geständnis abnötigt,
dass die »Türckische Religion« vernünftiger sei als heidnische Opferkulte, ist
sein Indifferentismus bereits implizit widerlegt.36 Die Darstellung der Hilflo-
sigkeit, mit der Spötterberg trotzdem an seiner pauschalen Aberglaubenskri-
tik festhält, zielt sichtlich auf die Schadenfreude des christlichen Lesers. Noch
einmal zeigt sich Wahrlieb als virtuoser Eristiker, indem er einräumt, dass es
durchaus abergläubische Christen gebe.37 Seine Beweisführung läuft daher
auch nicht auf einen absoluten Beweis hinaus, die Überlegenheit der christli-
chen Religion wird vielmehr relational ermittelt: Nicht nur sei sie, so Wahrlieb
weiter, vernünftiger als die anderen Weltreligionen; der Islam habe darüber
hinaus alles, was an ihm vernünftig sei, eben dem Christentum entnommen.38

34
Die Vernünftigen Tadlerinnen, 16. St.: »Aus etlichen Redensarten […] habe ich
bemercket, daß der Herr von Spötterberg sich nicht viel von der Religion macht: Ich ge-
stehe es, daß ich auch zuweilen manchen Scrupel in diesem Stücke gehabt; doch habe ich
noch keinen recht starcken Einwurff finden können, der mich überzeugt hätte, daß das
Christenthum nichts als ein blosser Aberglaube sey. So würde es mir also sehr lieb seyn,
wenn sie mir im Vertrauen ihre Gedancken davon entdecken wollten.«
35
So heißt es wenig später (ebd.): »Ach! rief er, die Untersuchung ist viel zu weit-
läufftig, als daß ein galant homme sich damit den Kopf zerbrechen könnte.«
36
Ebd.: »Durch diese Fragen ward der junge Mensch gantz irre, und wuste sich nicht
länger zu vertheidigen. Er muste nunmehro zugeben, daß nicht alle Religionen gleich gut
wäre, sondern daß die eine vernünfftiger sey, als die andere.«
37
Ebd.: »Ich bin mit ihm eins, versetzte Herr Wahrlieb, selbst in der Christlichen
giebt es abergläubische Leute genug […].«
38
Ebd.: »Die besten Glaubens-Artickel der Mahometaner sind die Einigkeit GOttes,
die Unsterblichkeit der Seelen, und die Belohnungen und Straffen nach diesem Leben.« –
Alles »thörichte« dagegen, heißt es mit einer für die Gattung ungewöhnlichen Härte, »aus
dem Gehirne eines unmenschlichen, geilen, unvernünfftigen und tyrannischen Räubers«
entsprungen. Ganz besonders wird die islamische Paradiesvorstellung verworfen: »Bald
beschreibt er das ewige Leben als einen Ort, wo Fressen und Sauffen und alle fleischliche
Wollust im Schwange gehen wird […].«
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Johann Christoph Gottsched 547

An dieser Stelle weitet sich Wahrliebs Redebeitrag zu einer kleinen kont-


roverstheologischen Predigt, die das Prinzip der unterhaltsamen Kürze hinter
sich zu lassen droht,39 dafür aber tief ins homiletische Arsenal ausgreift. Nicht
nur die Erzählerin gerät, wie sie rückblickend bekennt, in »Entzückung«, son-
dern auch der junge Freigeist, dessen tatsächliche Unwissenheit schon vor Ende
des gesamten Streitgesprächs (es folgt noch ein kurzer Vergleich von Christus
und Sokrates)40 durch einen Erzählerkommentar enthüllt und lebensgeschicht-
lich erläutert wird: Nicht gründliches Nachdenken, sondern Nachsprechen in
schlechter Gesellschaft habe ihn zu derartigen Ansichten gebracht, praeiudici-
um auctoritatis also.41 Dieses Detail gehört zur stereotypen Biografie des Athe-
isten oder Freidenkers, wie sie seit Burnets Rochesterbiografie und dem Second
Spira ( III.2.2) verstärkt Eingang in die apologetische Literatur fand. Es passt
zum insgesamt heiteren Grundton der Moralischen Wochenschriften, dass die
didaktische Schlusspointe nicht, wie im Second Spira, das furchtbare Ende, son-
dern die humorvolle Bekehrung im Rahmen geselliger Konversation darstellt.
Auf diese Weise ist die Ordnung, in diesem Fall der gestörten Tischgesellschaft,
wiederhergestellt, Herr von Spötterberg als geläuterter Abtrünniger erfolgreich
(und bemerkenswert problemlos) reintegriert. Wie auch in der Erzählung des
Tatler über den furchtsamen Atheisten ( VI.2.2) kann auch hier die humoris-
tische Einkleidung nicht verdecken, mit welchen Härten der Abweichung von
der gesellschaftlichen Norm gedroht werden konnte:

So beweglich redete Herr Wahrlieb, und setzte noch verschiedene andere Vorstellun-
gen hinzu, dadurch der junge Mensch so gerühret wurde, daß er mit einer grossen
Veränderung wieder in die vorige Gesellschaft gieng, und frey heraus bekannte, daß
er in dieser kurtzen halben Stunde sehr viel wichtige Dinge gelernet hätte. Ein jeder
war über diese unvermuthete Begebenheit vergnügt; wiewohl es niemand begreiffen
konnte, wie es damit zugegangen wäre. Ich allein hatte es angehöret, und nahm mir
derowegen vor, meinen wehrtesten [!] Lesern diese Woche ein so erbauliches Ge-
spräche nicht zu mißgönnen, welches ihnen ohne Zweifel zu vielen guten Gedancken
Anlaß geben wird.

Diese Orientierung an der vernünftigen Religion bleibt bestimmend für Gott-


scheds Auseinandersetzung mit dem Thema bis zu den Bayle-Editionen der
1740er-Jahre. Sie prägt auch die erste öffentliche Stellungnahme zu Bayle, die

39
Das scheint auch Gottsched bemerkt und zum Anlass genommen zu haben, sei-
ner Erzählerin, zu Beginn des Schlussabschnitts einen entsprechenden Kommentar über
Herrn Wahrliebs »ziemlich weitläufftige Anrede« in den Mund zu legen.
40
Vgl. dazu die Hinweise bei Martens 1968, S. 199. – Zur frühneuzeitlichen Per-
spektivierung der Sokratesfigur auf die christliche Religion hin vgl. Spiekermann 2012c.
41
Vernünftige Tadlerinnen, 16. St.: »Allem Absehen nach hatte dieser junge Mensch
solchen wichtigen Materien niemals selbst nachgedacht; sondern nur in lustigen Gesell-
schafften einen oder den andern Klügling der Religion spotten gehöret. Daher war er auch
nicht geschickt, das allergeringste hervor zu bringen, um seine vorige Verachtung der Re-
ligion zu bescheinigen.«
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548 Übergänge zur Hochaufklärung

etwa mehr als zwei Jahre später im 71. Stück des Biedermanns (13. Septem-
ber 1728) fällt. Dort wird ohne Umschweife und im gattungstypischen Plau-
derton die brisante Frage nach der Gefährlichkeit des Atheismus angesteuert
und durchgehend im Vergleich zum Aberglauben diskutiert.42 Zwar bildet der
Hinweis auf die Affäre Bayle den Auftakt des kurzen Essays, die Kritik des
Aberglaubens prägt aber auch schon frühere Stücke des Biedermanns,43 wie
sie überhaupt fest zum Weltbild der Moralischen Wochenschriften gehörte.44
Daraus eine Verharmlosung des Atheismus ableiten zu wollen, verbietet sich
schon deswegen, weil Gottsched zu dieser Frage – am Fallbeispiel Bayles –
ausdrücklich und ausführlich Stellung nimmt. Er rekurriert dabei, ohne das
eigens zu erwähnen, auf die Kritik an der ›Konsequenzenmacherei‹, wie sie
neben Gottfried Arnold vor allem Thomasius und Christian Wolff geübt
hatten,45 und mobilisiert zudem die wirksame ›Kampfidee‹ des praeiudicium
auctoritatis.46 Falsch sei es, so Gottsched, aus Bayles Verhältnisbestimmung
von Atheismus und Aberglauben zugunsten des Ersteren gleich auf atheisti-
sche Neigungen beim Verfasser zu schließen:

Man hat daraus eine heimliche Neigung, dieses sonst sehr belesenen und scharffsinni-
gen Mannes, gegen die eigentlich sogenannte Gottlosigkeit schliessen wollen: Ja eini-
ge, die mit dem Nahmen der Atheisten gar zu freygebig sind, haben nicht ermangelt
ihn sogleich davor auszuruffen. Ich bin derjenige nicht, der sich fremder Irrthümer
theilhaftig zu machen geneigt ist; kan doch aber eine solche Beschuldigung gar nicht
billligen. […] Und daher sehe ich diejenigen gleichsam für Feinde des Vaterlandes und
Lästerer der menschlichen Natur an, die sich mit aller Gewalt bemühen, die Zahl der
Atheisten zu vergrößern.

Der eigentlichen Grundsatzdebatte weicht Gottsched hier insofern aus, als


er die strittige Frage zunächst auf Bayles angeblichen Atheismus umlenkt.
Die obligatorische Distanzierung vom Atheismus selbst folgt zwar unmittel-
bar, aber ohne weitere Begründung. Gottsched legt dabei, im Gegensatz zur
Erzählung aus den Tadlerinnen, den präzisen Atheismusbegriff zugrunde,
wie ihn akademische Theologie und Philosophie seit 1700 erarbeitet hatten
( IV.2; IV.5.4). Darin, dass er diesen Atheismus stricto sensu für möglich und
empirisch gegeben hält, liegt jedoch ein wichtiger Unterscheid zur älteren
apologetischen Literatur. Wie Thomasius und Wolff erklärt er allerdings den

42
Der Biedermann, 71. St.: »Ich weiß, daß der berühmte und gelehrte Bayle in sehr
übeln Ruf gerathen, weil er sich unterstanden zu behaupten, daß die Atheisterey weit so
was schlimmes nicht sey als der Aberglaube.« – Alle folgenden Zitate, wenn nicht anders
vermerkt, ohne weiteren Nachweis aus diesem Stück.
43
So etwa das 61. u. 62. St. (5./12. Juli 1728).
44
Vgl. Martens 1968, S. 205 f. u. 246–261.
45
Vgl. dazu die jeweiligen Kapitel zu den einzelnen Autoren.
46
Der Ausdruck ›Kampfidee‹ hier wie andernorts nach der Typologie von Hinske
1990 zu den »Grundideen der deutschen Aufklärung«. Die Vorurteile gehören dabei auf
die Seite der Kampfbegriffe oder »Kampfideen«.
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Johann Christoph Gottsched 549

Atheismus nicht zu einer ernst zu nehmenden Haltung, sondern zu einem


»Irrthum«, der auf mangelnden Vernunftgebrauch schließen lasse.47 Bei dieser
Linie, das werden wir noch sehen, wird auch der Gottsched der 1740er-Jahre
bleiben. Schon im Biedermann zeigt er zudem ein strategisches Gespür für die
Wirkung der öffentlichen Kommunikation (und der privaten Vorurteile) – ge-
rade im Gegensatz von gelehrter und allgemein literarischer Öffentlichkeit. »Je
mehr gelehrte Leute«, heißt es daher auch weiter, »man in die Zahl der Athe-
isten setzet, desto wahrscheinlicher macht man den Einfältigen, die sich durch
das Vorurtheil des Ansehens regieren lassen, diese ungereimte Thorheit.« Aus
dieser Sicht liegt es also im Interesse der Allgemeinheit, einen Mann wie Bayle
gegen den Atheismusverdacht schon deswegen in Schutz zu nehmen, weil er
über einen so bedeutenden Ruf als Gelehrter verfüge.48
Genau das wird im Folgenden in drei Schritten unternommen. Zunächst
wird Bayle, obwohl das nach dem Vorhergehenden kaum noch nötig scheint,
explizit vom Verdacht des Atheismus freigesprochen.49 Als Nächstes wird der
entsprechende Verdacht zerstreut, indem die Sprecherfigur des Biedermanns
die Argumentation der Kometenschrift nachzeichnet.50 Gottsched lenkt dabei,
wie Bayle selbst, die negativen Implikationen, die sich seit mehr als zweihun-
dert Jahren mit dem Feindbild des Unglaubens verbanden, auf den Aberglau-
ben um. Bayle habe nichts weiter sagen wollen, als dass der Atheismus weniger
»schändlich und abscheulich« sei als der Aberglaube. Das stimmt und stimmt
auch nicht. Immerhin hatte sich Bayle über viele Kapitel der Pensées diverses
hinweg ausschließlich mit der Frage befasst, ob der Atheismus an sich über-

47
»Uberhaupt [!] wollte ich wünschen, daß es niemahls einen einzigen gegeben hät-
te, der sich zu einer so thörichten Meynung, als die Gottesleugnung ist, im Ernste bekannt
hätte. Es ist eine grosse Schande vor das menschliche Geschlacht, wenn sich nur einige
Personen darunter finden, die sich ihrer Vernunft so wenig zu gebrauchen wissen, daß sie
auf dergleichen handgreiflichen Irrthum verfallen können.«
48
Die Problematik dieses Arguments, wenn man es weiterdenkt, scheint Gottsched
nicht behelligt zu haben: Wenn jemand nur gelehrt und angesehen genug sei, müsse er
um jeden Preis gegen den Vorwurf des Atheismus in Schutz genommen werden: »Und je
grösser der Ruhm ist, den solche Lichter der gelehrten Welt durch ihre Wissenschaft und
Schrifften sich zuwege gebracht, desto mehr sollte man sich bemühen, sie von der Parthey
der Ungläubigen abzuziehen, und so viel sichs thun läßt, auf die Seite der Religion zu
bringen.«
49
»Denn mich dünckt immer, daß derselbe von dem Laster der Atheisterey gantz
frey gewesen sey, und ich finde noch gar nichts in seinen Schrifften, was mich auf die ge-
genseitige Meynung bringen könnte.«
50
Eine so explizite Auseinandersetzung mit einer Schrift, die eigentlich (gemessen
etwa an der Vielzahl fremdsprachiger Zitate) noch in die gelehrte Sphäre gehört, bildet
nicht unbedingt eine Ausnahme in den Moral. Wochenschriften. Schon der britische Gu-
ardian hatte intensiv die deistische Programmschrift A Discourse of Free-Thinking von
Anthony Collins diskutiert (3. St., 14. März 1714), allerdings mit weit weniger Zustim-
mung als sie hier Bayle zuteil wird. Mehr dazu weiter oben, Kap. VI.2.3.
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550 Übergänge zur Hochaufklärung

haupt zur Preisgabe moralischer Grundsätze führe.51 Gottscheds Biedermann


versucht dagegen etwas einseitig, Bayles nachsichtige Haltung gegenüber
dem Atheismus aus seinem »Haß gegen den Aberglauben« zu erklären.52 Er
untermauert sie durch eine kleine common sense-basierte Seitenüberlegung53
und einen anschaulich-bildhaften Vergleich, also ganz im Stil der Moralischen
Wochenschriften.54 Dazu wird der Aberglaube selbst in besonders schwarzen
Farben gemalt. Entgegen der üblichen humoristischen Tendenz der Wochen-
schriften heißt es sogar, das vom Aberglauben ausgehende »Verderben« sei zu
groß, »als daß es nur ausgelachet zu werden verdienen sollte«.
Die exkulpierende Tendenz ist unübersehbar und lässt bislang die Frage
nach dem Atheismus und seiner Gefährlichkeit außen vor. Das ändert sich
auch im Folgenden nur unwesentlich, sofern nämlich der Atheismus auch
weiterhin in ständigem Vergleich mit dem Aberglauben beurteilt wird.55 Gott-
sched folgt hier der Linie, wie sie die Frühaufklärer Thomasius und Budde ge-
zogen hatten. Der Aberglaube wird schlicht aufgrund seiner ungleich weiteren
Verbreitung als die größere reale Gefahr hingestellt.56 Auch für sich genom-
men, erscheint er, von der Schwere des Vergehens her, als ebenbürtig. Beide
Irrtümer, so der Biedermann, führen gleich weit von der wahren christlichen
Religion ab.57 Dahinter steht das bis auf Plutarch zurückgehende via media-
Modell, das vor allem Budde in seinen Theses theologicae de atheismo et super-
stitione für die Frühaufklärung aktualisiert hatte.58 Dagegen sieht Gottsched
den »Irrthum« des Atheismus zwar als möglich an (im Sinne der natürlichen
Theologie, wie sich noch zeigen wird), bestreitet aber gegen Bayle die Existenz

51
Die Argumentation braucht hier nicht wiederholt zu werden; s. Kap. IV.2.1.
52
»Als ein guter Philosoph und aufgeräumter Kopf, konnte er alle die Thorheiten
der Abergläubischen unmöglich anders, als mit einem grossen Abscheue und Verdrusse
ansehen.«
53
»Pfleget es doch offt zu geschehen, daß man, um ein heftiges Mißfallen über etwas
zu bezeigen, gar das Gegentheil davon erhebet und ihm vorziehet: nicht als ob man dassel-
be loben, oder billigen wolle; sondern weil man das entgegengesetzte Ubel dadurch desto
verhaßter machen will.«
54
»So spricht mancher zuweilen, daß er lieber den Stein als die Gicht haben, lieber
ersaufen als verbrannt werden wolle. Wer wollte aber deßwegen glauben, derjenige, so
solches spricht, habe eine heimliche Neigung zu den Steinschmertzen, oder zum Ersaufen?
Eben so geht es mit Baylens Meynung. Er hat nicht die Atheisterey als erträglich, sondern
den Aberglauben als was abscheuliches vorstellen wollen.«
55
»Meinestheils halte ich davor, daß Atheisterey und Aberglauben an und vor sich
selbst zwey gleich abscheuliche Dinge sind.«
56
»Sehe ich indessen das menschliche Geschlecht überhaupt an, so find eich in allen
Zeiten und Orten, in allerley Ständen, Geschlechtern und Altern eine viel grössere Nei-
gung zum Aberglauben als zur Atheisterey.«
57
»Der Irrthum dünckt mir eben so groß, wenn man Holz und Stein, Hunde und
Affen vor Gott hält, als wenn jemand gar Gott leugnet. […] Eins ist der wahren Religion
sowohl zu wieder als das andere […].«
58
Vgl. noch einmal Pott 1992, S. 33–38 (zu Plutarch) und 171–182 (zu Budde); s.
auch oben, Kap. V.1.2.
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Johann Christoph Gottsched 551

atheistischer Völker in Vergangenheit und Gegenwart. Er schließt hier also


auch an die Bemühungen von Autoren wie Thomas Browne, Johann Ludwig
Fabricius und Johann Christoph Wolf an, die Zahl von Atheisten entgegen der
älteren Apologetik möglichst klein zu halten ( IV.5.). So kann er, durch die
Sprecherinstanz des Biedermannes, auf ein Missverhältnis hinweisen, das so
scharf nicht einmal Thomasius kritisiert hatte. Hier deutet sich eine Distan-
zierung von der (antiatheistischen) Apologetik an, die sich – ungewöhnliche
Allianz! – bei Lessing und dann vor allem in Nicolais Allgemeiner Deutscher
Bibliothek fortsetzen sollte.59 Für die frühen deutschen Wochenschriften ist
hier ein seltenes Maß an kritischer Reflexion erreicht, abgeleitet von den ver-
trauteren Themen der Vorurteils- und Aberglaubenskritik:

Es ist ein löblicher Eifer, womit im vorigen und itzigen Jahrhunderte, die grössesten
Gottesgelehrten wieder den Unglauben gekämpfet, und ich habe die meisten Schriff-
ten von der Wahrheit der Religion mit grossem Vergnügen gelesen. Allein ich wundre
mich, warum diese scharfsinnige [!] Verfechter des Glaubens, nicht auch an den Aber-
glauben gedacht. Es sind mir in der That sehr wenig Bücher bekannt, die in neuern
Zeiten ausdrücklich dawieder geschrieben worden. Wollte man argwöhnisch seyn,
so könnte man auf die Gedancken kommen, als wenn sich derselbe besser mit dem
Christenthume reimen müste, als der Unglaube. Doch es wäre ungereimt, dieses nur
zu gedencken.

1.4 Denkfreiheit für Freidenker?


Gottscheds Bayle-Editionen und die Rolle der Öffentlichkeit

Die im Biedermann knapp entwickelte Argumentation werden wir ohne


grundsätzliche Änderungen in den Äußerungen Gottscheds im Umfeld der
Bayle-Editionen wiederfinden, wie überhaupt die Orientierung an der ›ver-
nünftigen Religion‹ der feste Grund für all seine Äußerungen zum Thema blei-
ben wird. Noch einmal: Die Entscheidung, ob man darin nun, mit Karl Aner
und Günter Gawlick, schon einen Deismus in nuce sehen möchte, oder mit
Gabriele Ball und Andres Straßberger die kirchen- und dogmengeschichtliche
Linie der theologischen Aufklärung selbst, die sich ihrerseits dem Deismus-
vorwurf ausgesetzt sah,60 unterliegt nicht mehr objektiven Kriterien. Es kann
jedoch einwandfrei festgestellt werden, dass sich Gottsched in seinen öffent-
lichen Äußerungen über Bayle und die Frage nach dem tugendhaften Athe-

59
Vgl. grundsätzlich Vollhardt 2002a und 2002b; zu Lessings beißender Kritik der
Unglaubenskritik – der Anlass war ein Stück in der Moralischen Wochenschrift Der nor-
dische Aufseher von Johann Andreas Cramer – vgl. bereits Martens 1968, S. 193 f.; Voll-
hardt 2001, S. 254–260; ausführlich Spiekermann 2012a; einige Hinweise zur kritischen
Distanzierung der Allgemeinen Deutschen Bibliothek von der Antifreigeistkampagne der
Hochaufklärung habe ich in meinem Aufsatz zur apologetischen Schrift von Gotthard
Friedrich Stender (Wahrheit der Religion wider den Unglauben der Freygeister und Natu-
ralisten, Mitau und Hasenpoth 1772) gegeben; vgl. Spiekermann 2019a.
60
Hinweise dazu wurden in der Kapiteleinleitung gegeben.
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552 Übergänge zur Hochaufklärung

ismus deutlich und unmissverständlich positioniert hat. Kein noch so gutes


Argument, kein noch so eindeutiger Beleg kann freilich die neoinquisitorische
Vermutung widerlegen, er habe all diese Zugeständnisse allein aus Anpassung
und mit Blick auf die Zensurbehörden (denen Gottsched übrigens selbst vor-
stand!) gemacht. Hier wiederholt sich die alte »Verdächtigungshermeneutik«
(W. Schröder) der antiatheistischen Apologetik im historiografischen Ge-
wand.61
Diese Art von Lektüre à rebours mag sich für die Interpretation der ›clan-
destinen Kommunikation‹ der Frühen Neuzeit oder, im Gefolge von Leo
Strauss, auch für Thomas Hobbes eignen; bei Gottsched besteht dazu kein
Anlass, da die Entwicklung der Theologie selbst inzwischen ein so hohes Maß
an Rationalität zuließ, dass sie noch 50 Jahre zuvor – bei konservativen Theo-
logen auch weiterhin – als religio prudentum denunziert worden wäre. Wer
diese Entwicklungen nicht sieht, kann sich freilich nur wundern, welche Frei-
heiten sich Gottsched und erst recht der ›Linkswolffianismus‹ nach 1740 in
aller Öffentlichkeit herausnahmen. Darauf, dass ›Orthodoxie‹ um 1750 nicht
mehr das gleiche bedeutete wie um 1700 oder um 1650, hat in einer berühmt
gewordenen Formulierung einer der schärfsten Kritiker dieser Entwicklung,
kein Geringerer als Lessing, hingewiesen.62 In Wirklichkeit fand die Rational-
theologie auch weiterhin ihre Grenze am Schriftprinzip, wie im selben Jahr, als
die Übersetzung von Bayles Kometenschrift erschien (1741), der Verfasser der
›Wertheimer Bibel‹, Johann Lorenz Schmidt, erfahren musste.
Zu bedenken ist schließlich, dass Gottsched die schärfsten Angriffe und die
Vorladung vor das Oberkonsistorium nicht der Bayle-Übersetzung zu ver-
danken hatte, sondern seinen Reformbemühungen hinsichtlich der Homile-
tik. Über die institutionellen und persönlichen Hintergründe sind wir heute,
ähnlich wie im Fall Wolffs, bestens informiert.63 In der ›philosophischen Pre-
digt‹ war wohl der Punkt erreicht, wo die Lizenzen der literarischen Öffent-
lichkeit – ein Beispiel haben wir am Biedermann gesehen – nicht mehr galten,
weil hier ein Publikum angesprochen wurde, das nicht nur nicht gelehrt war,
sondern oft genug nicht einmal lesen konnte und daher bislang von der Publi-

61
Dazu ist oben in der Einleitung alles Wesentliche gesagt.
62
Die Äußerung fällt in den Literaturbriefen im Zusammenhang des Lessing-Cra-
mer-Streits (s. o.). Im Rahmen der zugrundeliegenden Brieffiktion schreibt der fingierte
Verfasser der Briefe an den imaginierten Briefpartner, einen im Lazarett liegenden Offizier:
»Aber wissen Sie denn nicht, daß itzt ein guter Christ ganz etwas anders zu sein anfängt,
als er noch vor dreißig, funfzig Jahren war? Die Orthodoxie ist ein Gespötte worden; man
begnügt sich mit einer lieblichen Quintessenz, die man aus dem Christenthume gezogen
hat, und weichet allem Verdachte der Freydenkerey aus, wenn man von der Religion über-
haupt nur fein enthusiastisch zu schwatzen weiß. Behaupten Sie z. E. daß man ohne Re-
ligion kein rechtschaffner Mann sein könne; und man wird Sie von allen Glaubensartikeln
denken und reden lassen, wie Sie immer wollen.« Hier zitiert nach der Dokumentation des
Streits in: Ein Jahrhundert deutscher Literaturkritik (1730–1830), Bd. III: Der Aufstieg zur
Klassik (1750–1795), hg. v. Oskar Fambach Berlin 1959, S. 29–102, Zitat S. 32.
63
Vgl. dazu Straßberger 2010b, dort bes. S. 94–105, 344–367 u. 379–403.
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Johann Christoph Gottsched 553

kationsoffensive der Wochenschriften nicht erreicht worden war.64 Immerhin,


so kann für die folgende Analyse vorerst eingeräumt werden, hatte Gottsched
nach dem Verhör vor dem Oberkonsistorium in Dresden (1737) gute Gründe,
sich öffentlich um eine gemäßigte Position zu bemühen. Wir konzentrieren
uns dabei auf Gottscheds Anmerkungen zur Kometenschrift, um ganz gezielt
seine öffentliche Beurteilung der berühmten Bayle-These untersuchen zu kön-
nen.65
Schon die Vorrede66 zur deutschen Übersetzung der Pensées diverses setzt
die im Biedermann eingeschlagene Linie der Aberglaubenskritik fort. Die Er-
scheinung eines Kometen, so Gottsched, habe ihn einige Jahre zuvor veran-
lasst, die Schrift neu herauszugeben (75). Gedacht sei die Übersetzung, wie es
weiter heißt, sowohl für die »furchtsamen Gemüther«, die aus den Himmels-
erscheinungen noch immer negative Vorzeichen ablesen zu können glaubten,
wie auch für die »neugierigen Beschauer und Bewunderer der Werke GOttes
in der Natur« (76). Mit den Anhängern der Physikotheologie tritt so, neben
der von Gottsched bevorzugten philosophischen Theologie eines Leibniz, der
zweite Flügel der theologia naturalis in den Blick. Außer Bayles Argumenten
gegen den Aberglauben stellt Gottsched darüber hinaus die vielen »Abschwei-
fungen« heraus (76), die von der »politischen« über die »moralische« (77) bis
hin zur litterärgeschichtlichen Nutzanwendung (78) reichen würden. Nach
derartigen zu erwartenden Hinweisen für die Leserschaft kommt Gottsched
schließlich auch auf die »Feinde der baylischen Schriften« und die »gefährli-
chen und wunderbaren Meynungen« des Verfassers zu sprechen (79). Er ver-
bleibt dabei aber zunächst noch ganz im Allgemeinen, wenn er sich in einem
Atemzug prinzipiell von der Verantwortung für Bayles Ansichten distanziert
und ihn gleichzeitig mit einer weiteren allgemein psychologischen Überlegung
(wie schon im Biedermann) vorsichtig exkulpiert:

Indessen will ich hierdruch keineswegs behaupten, daß in diesen Gedanken über die
Cometen nicht verschiedene besondre Sätze vorkommen sollten, die Hrn Baylen ei-

64
Diese höchst bedenkenswerte Überlegung hat Christopher Voigt-Goy in einem
Aufsatz vorgetragen, um die Gleichzeitigkeit einer implizit deistisch geprägten Aufklä-
rungstheologie neben einer öffentlich geführten Kampagne gegen die Freigeister verständ-
licher zu machen (vgl. Voigt-Goy 2011). Dass der Kirchenhistoriker Voigt-Goy hier auf
geschichts- und literaturwissenschaftliche Überlegungen zur literarischen Öffentlichkeit
zurückgreift, markiert – noch weitreichender dann bei Straßberger – einen wichtigen
Schritt zu eben jener interdisziplinären Zusammenarbeit, von der allein die zufriedenstel-
lende Klärung dieser Fragen zu erhoffen ist.
65
Eine Auswertung der Briefe sowie der Anmerkungen zum übersetzten Wörter-
buch muss hier, abgesehen von vereinzelten Hinweisen, unterbleiben; vgl. bisher bes. Din-
gel 1999 mit Beispiele für die Entschärfung einiger Stellen (vgl. S. 232 f. u. 238), ferner
Dingel 2004, S. 54 f. u. 60–62, sowie Quéval 2006, pass.
66
Nachfolgend zitiert nach der Edition in den Ausgewählten Werken, Bd. X/1,
S. 75–83; Belegstellen für Zitate und Verweise gleichermaßen als einfache Ziffern mit
Klammern im Fließtext.
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554 Übergänge zur Hochaufklärung

gen sind, und nicht von allen Gelehrten gebilliget worden. Allerdings enthalten die-
selben allerley neue Lehrsätze und sonderbare Meynungen, darauf ein aufgeweckter
Kopf, der die Vorurtheile des Alterthums und menschlichen Ansehens abgeleget hat,
gar leichtlich zu kommen pflegt. So wenig ich nun selbst in allen Stücken seiner Mey-
nung zugethan bin; so wenig verlange ich auch, daß meine Leser ihm in allen Stücken
beypflichten sollen. (81)

Souverän beherrscht Gottsched auch hier wieder die Klaviatur der öffentlichen
Kommunikation, indem er das abschließende Urteil der Leserschaft überlässt.67
Schon vorher hatte er den in diesem Zusammenhang signalhaft wirkenden Be-
griff der ›Unparteilichkeit‹ ins Spiel gebracht und effektvoll der Unsitte der
persönlichen Verleumdung gegenübergestellt.68 Seiner Pflicht als Herausgeber
glaubt Gottsched nach eigenem Bekunden Genüge getan zu haben, indem er
zu »gewissen anstößigen Sätzen« seine Anmerkungen hinzugesetzt habe, so-
fern jene die Leser zu »bösen Folgerungen« veranlassen könnten (82). Auch
hier scheint implizit die von Arnold, Thomasius und Wolff erarbeitete Kritik
der ›Konsequenzenmacherei‹ durch. Dabei beruhte es nicht einmal auf einer
solchen, wenn man Bayle anlastete, das alte Zentralargument der Apologetik,
die vinculum societatis-Doktrin, ausführlich kritisiert und bestritten zu haben.
Jeder zeitgenössische Leser dürfte gewusst haben, dass Gottsched hier genau
darauf hinsteuerte, und in der Tat kommt er im nächsten Abschnitt auch kurz
darauf zu sprechen (ebd.):

Sonderlich habe ich dieses bey der so beruffenen baylischen Meynung für nöthig be-
funden: Daß nämlich eine Republik voller Gottesleugner eben so tugendhaft leben
würde, als eine solche, darinn eine Religion herrschet. Dieser Satz ist am meisten an-
gefochten worden, und man hat nicht umhin gekonnt, den Ungrund desselben aufs
deutlichste zu zeigen, die vermeynte Tugend der Atheisten und Freygeister zu ent-
blößen, und den großen Einfluß, den die wahre Religion, sonderlich wenn sie recht
eingesehen und erkannt wird, in die Sitten der Menschen hat, zu behaupten. Ich ge-

67
Vgl. zu dieser ›kritischen‹ Orientierung Gottscheds auch Scholz 2014, S. 31 f.
68
»Man weiß ja nur gar zu wohl, daß bey gewissen Gelehrten der persönliche Haß,
den sie von gewissen Leuten erdulden müssen, auch ihren Schriften zum Schaden gerei-
chet.« (80) Das ändere sich, so Gottsched weiter, oft erst mit dem Tod eines Autors, denn
»alsdann sieht man die Schriften eines solchen Gelehrten mit unparteyischern Augen an,
und läßt seinen Verdiensten ihr Recht widerfahren; ja man lobt wohl gar alsdann dasjenige,
was man vorhin aufs ärgste verlästert hat.« (80 f.) – Gottsched versucht hier die persönliche
Feindschaft – gemeint ist vor allem Jurieu (»ein sehr hitziger und eifriger Gottesgelehrter«,
der Bayle mit einem »tödtlichen Haß« verfolgt habe [81]) – zur Ursache für die scharfe
Baylekritik zu dessen Lebzeiten zu erklären. Dagegen hat Gerhard Sauder in seinem Auf-
satz zur Baylerezeption gerade umgekehrt festgestellt, dass die Reaktionen – zumindest
auf das Wörterbuch – zu Bayles Lebzeiten überwiegend positiv ausfielen, danach aber zu-
nehmend auch polemische Stellungnahmen erfolgten (Sauder 1975, S. 92): »Nach Bayles
Tod (1706) ändert sich das Rezensionswesen zumindest im Hinblick auf seine Schriften
grundlegend. Die Rezensenten verlieren ihre Scheu vor polemischen Urteilen.« – Eine
gründliche Aufarbeitung der Rezeption wird hier Klarheit zu schaffen haben.
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Johann Christoph Gottsched 555

traue mir also mit Rechte zu sagen, daß die Lesung dieses Buches nebst meinen An-
merkunge niemanden [!] schädlich seyn; sondern vielmehr einen jeden Vernünftigen
von der Nothwendigkeit und unbeschreiblichen Nutzbarkeit der wahren Religion im
menschlichen Leben überzeugen wird.

Auch die Vorrede enthält also nicht den Beweis, sondern verschiebt ihn auf die
Anmerkungen im Text selbst, die nun abschließend genauer betrachtet wer-
den.69 Wie schon im Biedermann hält sich Gottsched mit Verdammungsurteilen
gegenüber Bayle zurück, gibt aber dessen Argumentation gerade hinsichtlich
der These vom Atheistenstaat nicht im Geringsten nach. Zum wiederholten
Mal bietet er dagegen die Art von vernünftiger Theologie auf, die Bayle mit
seinem Fideismus so scharf angegriffen hatte.70 Es wird in einem ersten Schritt
also der Atheismus selbst – als unvernünftig – nach Art der zeitgenössischen
philosophisch begründeten Theologie in das Reich des Irrtums verwiesen,
zugleich aber auch gegen den Aberglauben mobil gemacht. Als Autoritäten
kommen die britischen Wochenschriften zu Wort (z. B. 484), die Gottsched
und seine Frau bestens kannten,71 aber auch ein Klassiker der Apologetik wie
Mersenne (614), ferner Augustinus (z. B. 498 f.) und Cicero (z. B. 604). Soweit
Gottsched darüber hinausgeht, stützt er sich zum einen auf die von Wolff noch
einmal mit Nachdruck bekräftigte Bedeutung der Eide im Gemeinwesen,72

69
Sie werden im Folgenden zitiert nach der Ausgabe Herrn Peter Baylens, weyland
Prof. der Philosophie zu Rotterdam, verschiedene Gedanken bey Gelegenheit des Come-
ten, der im Christmonate 1680 erschienen, an einen Doctor der Sorbonne gerichtet. Aus
dem Französischen übersetzet und mit Anmerkungen und einer Vorrede ans Licht gestel-
let von Joh. Christoph Gottscheden, Hamburg 1741. – Gottscheds Anmerkungen, die oft
über mehrere Seiten reichen, werden nach der Seitenzahl des Haupttextes zitiert, auf der
das jeweilige Zitat zu finden ist. Zitiert wird unter bloßer Angabe der Seitenzahl in Klam-
mern nach Zitat oder Verweis.
70
Gottsched begegnet diesem Einwand auf der Ebene der Anthropologie: »Herr
Bayle will durchaus den Verstand von dem Willen trennen, und dem Erkenntnisse kei-
nen Einfluß in die Handlungen gestatten. Allein es ist ein bloßer Betrung in dem Worte
Erkenntniß. Er nennt alles Erkenntniß, Glaube, Ueberzeugung, so schlecht und schwach
es auch damit bestellt ist, und so elend auch die natürlichen Kräfte und die äusserlichen
Umstände derer, die es besitzen, beschaffen seyn mögen.«
71
Luise Adelgunde Gottsched übersetzte wenig später den Guardian ins Deutsche;
s. dazu die Hinweise unten im Wochenschriften-Kapitel (VI.2.1, Anm. 2).
72
»Weiß man nicht, daß alle Aemter in dem gemeinen Wesen, alle Bedienungen gro-
ßer Herren, alle Zeugen vor Gerichte, alle Befehlshaber und gemeine Soldaten unter den
Kriegsleuten, ja endlich alle Bürger eines Staats, durch Eide verpflichtet werden müssen,
wenn man ihnen trauen soll, daß sie das Ihrige thun werden?« (452) – In abrupter Kürze
wird auch der obligatio-Begriff gestreift: »Nun haben aber alle Eide ihre Verbindlichkeit
von GOtt, der ein Rächer aller falschen Eidschwüre ist.« (452) Die Ausführungen reichen
noch über zwei Kommentarspalten weiter (452–454), amplifizieren aber nur den gleichen
Gedanken mit dem bekannten Verweis auf die Erfahrung. Eher nebenher fällt der für die
historische Einordnung entscheidende Begriff des Naturrechts: »Man weiß schon, wie
weit die Ehrlichkeit solcher Leute geht, die nichts glauben. Wer soviel Nachsinnen nicht
hat, sich selbst zu überzeugen, daß ein GOtt sey; dem traue ich auch die Einsicht nicht zu,
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556 Übergänge zur Hochaufklärung

zum anderen – wie so viele andere Autoren vor und nach ihm – auf die »tristis
experientia«.73
Dazu bringt Gottsched aber noch eine weitere Kategorie ins Spiel, die
über Budde, Löscher und Spener bis zum Luther der Römerbriefvorrede
( I.3) zurückführt: den »lebendigen« Glauben (459). Um erklärbar zu ma-
chen, was Bayle – sehr zum Beifall noch heutiger Religionskritiker – gegen
das moraltheologische Argument geltend gemacht hatte, nämlich den offen-
kundig lasterhaften Lebenswandel vieler Nichtatheisten (er zog dafür beson-
ders Beispiele aus der Antike und aus dem römischen Katholizismus heran),
erinnert Gottsched daran, dass ein »todter Glaube« (457) keinen »lebendi-
gen« (459) ersetzen könne.74 Die Unterscheidung konnte er bei Bayle selbst
vorfinden ( IV.2.2). Wie schon Seckendorff vor ihm ( IV.3) hat er Bayle
sehr genau gelesen und daher auch dessen wenig bekannten Ausführungen
über den ›wahren Glauben‹ bemerkt.75 Interessant ist auch die Querverbin-
dung zu einem anderen Epochenthema. Schon hier, wo er die Idee des le-
bendigen Glaubens gegen die bloß angelernte Frömmigkeit abhebt, bedient
sich Gottsched einer Unterscheidung, die wenig später, in seiner Vorrede zur
Wörterbuchübersetzung bei der Begriffsbestimmung des ›Polyhistors‹ wie-
derkehren wird.76 So wie dort das bloße Gedächtniswissen der »wahren Ge-
lehrsamkeit« gegenübergestellt wird,77 erscheint hier der falsche Glaube vom

daß er die Verbindlichkeit des Rechts der Natur begreifen könnte; dem wird es auch an der
Ehrlichkeit eines rechtschaffenen Herzens fehlen.« (453 f.)
73
So heißt es, in direktem Anschluss an das letzte Zitat über die Verbindlichkeit (s.
letzte Anm.): »Man wird das, was ich sage, allemal in der Erfahrung gegründet finden.«
(454) – An anderer Stelle (486, 568 u. ö.) zitiert Gottsched, teils ausführlich, aus zeitgenös-
sischen Vorläufern des Enthüllungsjournalismus wie der Chronique scandaleuse (1668),
den Lettres d’un Sicilien à un de ses amis, contenant une agreable critique de Paris et des
François (1720) und den bekannten Lettres sur les Anglois et François des Schweizer Of-
fiziers Beat Ludwig von Muralt, die schon mehrere Jahrzehnte handschriftlich kursiert
waren, bevor sie 1725 erstmals gedruckt erschienen (486, 561, 568 f.). – Zum Erfahrungs-
topos im Rahmen der Atheismusdebatte vgl. Barth 1971, S. 46–48; vgl. auch, angesichts des
analogen Feindbilds des ›Türken‹ in der Renaissance, Neuber 2000, pass.
74
»Allein wo die wahre Ueberzeugung aus der Schrift und Vernunft ist, die man den
lebendigen Glauben nennet; da kann man unmöglich unterlassen, die erkannte Wahrheit
zu lieben. Ein solcher Glaube nämlich läßt sich nicht unbezeuget. Er wirket in dem Her-
zen, und zeigt sich in Worten und Werken geschäftig und thätig.« (544 f.)
75
»Herr Bayle redet zwar immer von der Wirkung des H. Geistes im Herzen: allein
von einer andern Wirkung des H. Geistes, als durch das Wort und die Sakramenten, wissen
wir nichts.« (545)
76
Gottsched, Ausgewählte Werke, Bd. X/1, S. 87–92; zu Gottscheds Verständnis
von ›Gelehrsamkeit‹ vgl. ausführlich, im neuzeitlichen Kontext, Grimm 1983, S. 620–684,
bes. S. 626–630 u. 658–675 (die dort an Gottscheds Idealbild des Poeten entwickelten Kri-
terien lassen sich auf den ›wahren‹ Gelehrten übertragen), sowie S. 675–684 (zur epocha-
len, insbesondere sozialgeschichtlichen Einordnung).
77
Ausgewählte Werke, Bd. X/1, S. 89. – Die ›wahre‹ Gelehrsamkeit erscheint auch in
der physiologischen Metapher der gelungenen Verdauung (ebd.): »[…] das hat der fleißige
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Johann Christoph Gottsched 557

»Hörensagen«, mit einer weiteren Leitvorstellung der Zeit, als praeiudicium


auctoritatis:

Ein anders ist ein Gedächtnißwerk; ein anders eine Meinung, die sich auf ein bloßes
Hörensagen, oder auf das Vorurtheil des Ansehens, der Auferziehung, oder der ein-
geführten Lehren gründet; ein anders aber die wahrhafte Ueberführung der Vernunft,
die durch unumstößliche Gründe geschieht. Nun ist es bekannt, daß es den meisten,
die sich Christen nennen, zwar an dem ersten nicht fehlet; sie glauben, wie sie sa-
gen, was die christliche Religion lehret. Aber was heißt bey ihnen glauben? Es heißt
1.) nicht daran zweifeln; 2.) keine Einwürfe darwider haben; 3.) es dabey bewenden
lassen, was man in seinem Catechismus gelernt hat; 4.) den Predigern in ihren öffent-
lichen Lehren nicht widersprechen. Ist nun dieß der Glaube, der fromm und tugend-
haft macht; so weiß ich nicht, was ein todter Glaube ist. (456 f.)

Wie in einem Brennglas treten hier verschiedene Facetten zusammen, die wir
im Verlauf des Unglaubensdiskurses kennengelernt haben. Nicht nur wird der
Glaube rationaltheologisch – hier wohl vor allem im Anschluss an Leibniz –
mittels der kognitiven Kategorie der Erkenntnis gefasst; die wahre Erkenntnis
und damit der wahre Glaube wird »den meisten, die sich Christen nennen«,
rundheraus abgesprochen!78 Was bei oberflächlicher Betrachtung wie fast
schon radikale Aufklärung wirken mag, kennen wir von Augustinus und Lu-
ther ( I.1) ebenso wie aus der Frühzeit des Pietismus ( II.2–3), wo dafür be-
vorzugt der Begriff des ›praktischen Atheismus‹ verwendet wurde. Gottsche-
ds (und Bayles) Kritik an der laxen Glaubenspraxis der meisten Christen deckt
sich mit der Klage über die ›titulares Christiani‹ (Clasen), das »Schein- und
Maul-Christenthum« (Leuckfeld) aus der Mitte der protestantischen Fröm-
migkeitsbewegungen. Im engeren Umfeld der Leipziger Aufklärung fehlt nur
noch der Aberglaubensbegriff, um den Anschluss an die Argumentation im
Biedermann komplett zu machen. Und tatsächlich findet Gottsched etwas
später Gelegenheit, die von Bayle dort erhobenen Vorwürfe gegen den Klerus
(der es aus Gottscheds Sicht besser wissen müsste) auf die katholische Kirche
umzulenken.79

Bayle in seiner Jugend selbst gelesen, ja so zu reden recht verdauet und in lauter Saft und
Blut verwandelt.«
78
So auch noch einmal wenig später: »Es ist wahr, die christliche Religion hat einen
hohen und göttlichen Ursprung: allein wieviele Millionen Christen wissen denselben nicht
recht?« (464)
79
»Hr. Bayle redet ohne Zweifel hier von den römisch-katholischen Geistlichen; da-
runter es unstreitig unzähliche geben muß, die wenig oder nichts glauben. Denn wie ist es
möglich, daß diejenigen, so um die rechten Geheimnisse ihrer Kirche wissen, ich meyne
die Päpste, Cardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe […] viel von derjenigen Kirche glauben
sollten, die, wie sie nur gar zu deutlich einsehen, aus den barbarischen Jahrhunderten, und
dem dümmsten Aberglauben, ihre itzige Gestalt herschreibet […].« (520)
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558 Übergänge zur Hochaufklärung

Die gleiche Argumentation wird an verschiedenen Stellen vorgetragen,80 in


der gleichen Frequenz, in der auch Bayle seine These ausbaut und variiert.81
Hat Gottsched so, ausführlich und wiederholt, zum problematischen Argu-
ment sittenloser Christen Stellung bezogen, bleibt ihm umgekehrt noch, das
bekannte, schon von den Kirchenvätern, von Ficino, Huldrych Zwingli und La
Mothe le Vayer, schließlich aber von den Frühaufklärern wiederholte Beispiel
der tugendhaften Heiden zu entkräften.82 Bayle nennt (§ 174) die bekannten
Beispiele, die der Apologetik seit jeher Kopfzerbrechen bereitet hatten, antike
Philosophen wie Diagoras und Euhemeros, aber auch Plinius83 und schließlich,
als das wohl bekannteste Beispiel, Epikur.84 In einer der längsten Anmerkun-
gen des Textes überhaupt wechselt Gottsched, wie schon hier und da zuvor,
ganz in den Modus des gelehrten Kommentars, wenn er zur Widerlegung
Bayles zwei berüchtigte Autoren und Vertreter des frühneuzeitlichen Epiku-
reismus heranzieht – Gassendi und Saint-Évremond.85 Gezielt greift er, mit
penibelstem bibliografischem Nachweis, eine Äußerung Gassendis (übrigens
der engste Freund Mersennes) heraus, in der dieser seine Verteidigung des an-
tiken Philosophen gegen moralische Vorwürfe zu einer bloßen Deklamations-

80
So etwa in einer Anmerkung zu § 165 über die mangelnde Keuschheit unter
Christen. Dort kontert Gottsched: »Herr Bayle wundert sich hier über die Ohnmacht der
christlichen Religion, die Sitten der Menschen zu bessern. Allein ich komme wiederum
auf mein obiges, daß nicht sowohl die christliche Religion, als vielmehr die Unwissenheit
in derselben, die Leute gottlos leben läßt. Denn eine unzulängliche, halbigte, historische
Kenntniß der Glaubenslehren und Lebenspflichten verdient den Namen der Religion
nicht.« (572)
81
Von Gottsched süffisant vermerkt in der Anmerkung zu § 142: »Herr Bayle wie-
derholt seine Lehrsätze fleissig; aber er beweist sie nicht gut.« Und auch hier schon die
durchgehend gebrauchte Argumentation: »Wenn diese seine Folgerungen richtig seyn
sollten, so müßte er uns zeigen: Daß ein Mensch, der von einer Religion in allem [!] ih-
rem Umfange, das ist, in ihren theoretischen Lehrsätzen und ihren Folgerungen sowohl,
als auch von ihren Lebenspflichten vollkommen überzeugt wäre, und wirklich daran ge-
dächte, wenn er zu der Handlung schreiten soll; dennoch mit Vorsatz darwider handeln
könne.« (490 f.)
82
Zur Toposgeschichte vgl., am Beispiel des Sokrates, den Überblick bei Spieker-
mann 2012c. Die Frage wurde so schon vor und dann neben dem Unglaubensdiskurs mit
Blick auf die Frage nach einer möglichen Seligkeit der Heiden diskutiert. Für Bayles Ar-
gumentation war somit reichlich Vorarbeit geleistet worden, die nur darauf wartete, auch
auf die Frage des Unglaubens übertragen zu werden.
83
Zum vermeintlichen Atheismus des jüngeren Plinius vgl. Schröder 1998, S. 278;
Barth 1971, S. 97 u. 115.
84
Hier ausnahmsweise in der gottschedschen Übersetzung (§ 174, S. 609): »Epikur,
der die Vorsorge und die Unsterblichkeit der Seele leugnete, ist einer von den alten Welt-
weisen, der am meisten exemplarisch gelebet hat […].«
85
»Ich weiß wohl, daß Gassendus und St. Evremond ihn und seine Philosophie nach
Möglichkeit vertheidiget haben: allein ich weiß auch, daß sie noch lange nicht alles aus dem
Wege geräumet, was diesem Weltweisen vorgeworfen worden.« (608)
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Johann Christoph Gottsched 559

übung relativiert hatte.86 Ähnlich verfährt er mit Saint-Évremond, der in ek-


lektischer Manier die Quellen des Altertums pro und contra Epikur einander
gegenübergestellt habe (608 f.). Gottsched zögert auch nicht, dem Verfasser ein
entsprechendes Urteil auszustellen: »Das ist nun ziemlich unparteyisch geur-
theilet: und auf diese Art kann man die verschiedenen Urtheile von ihm am
besten vergleichen.« (609) Einmal mehr also bemüht er diesen Schlüsselbe-
griff der aufgeklärten Öffentlichkeit (»unparteyisch«), der dem Gestus nach
die Leserschaft auf ein unabhängiges iudicium verpflichtet, hier aber spürbar
tendenziell eingesetzt wird. Dass Gottsched die nachfolgenden Bemerkungen
über Epikurs Schüler, soweit er sie als tugendhaft hinstellt,87 ebenso wenig gel-
ten lässt wie die anschließende moralische Rettung Vaninis, versteht sich nach
diesen Ausführungen von selbst. An dieser Stelle zeigt er noch einmal, wie
schon in seinem frühen Kasualgedicht, dass er die apologetische Literatur des
17. wie des 18. Jahrhunderts aus eigener Lektüre kannte. Nicht ohne Selbstzu-
friedenheit hält er hier dem großen Bayle (den er an anderen Stellen oft genug
für seine Gelehrsamkeit rühmt) eine bibliografische Nachlässigkeit vor:88

Herr Bayle geht hier so schnell über das unsträfliche Leben des Vanini weg, als ob es
eine ausgemachte und weltkündige Sache wäre, daß dieser Gottlose tugendhaft gele-
bet. Allein er führt auch nicht den geringsten Schrifsteller, oder sonst einen Beweis
an; da ihm doch die Skribenten, die von diesem Gottesleugner geschrieben haben,
als Grammont, P. Mersennus, Garasse, und Patin, ja auch Parker, nicht unbekannt
seyn konnten. Diese alle können einen überzeugen, daß die Lebensart dieses Ungläu-
bigen nichts weniger als unsträflich gewesen. Ich weiß wohl, daß der gelehrte Herr
Arpe 1712 zu Rotterd. in 8. eine Apologiam pro Iulio Caesare Vanino herausgegeben.

86
»Der erste [sc. Gassendi] hat in seinem III. IV. und folgendendem Buche de vita
et moribus Epicuri sich angelegen seyn lassen, ihn von dem übeln Rufe, der Gottlosigkeit,
der Bosheit, der Schwelgerey, der Unzucht, und, und andern Fehlern zu befreyen, die man
ihm zu allen Zeiten Schuld gegeben. Allein er gesteht (L. III. c. 3. p. m. 77. Ed. Hag. Com.
1656. in 4.) selbst, daß er dieses nur zur Lust und Uebung thäte: denn wenn Epikur irgend,
wie es denn möglich wäre, gottlos, boshaft, oder sonst lasterhaft gewesen wäre; so möchte
er (Gassendus) seine Vertheidigung nicht übernehmen, oder durch Blendwerk darthun,
daß selbiger gottselig, fromm und mäßig gewesen sey.« (608) – Es kann hier nicht darum
gehen, diese tatsächlich etwas burschikose Äußerung Gassendis zu interpretieren.
87
Gewährsmann ist diesmal Cicero: »Ob die Epikureer frömmer gewesen, als ihr
Lehrmeister Epikur, das kann man leicht denken. Cicero kann uns zeigen, in was für einem
Ansehen sie zu seiner Zeit gestanden haben. In einem Briefe an den Trobatius (L. VII. Ep.
12. T. VI. p. 388. Ed. Verb. in 8.) verspottet er denselben, weil er ein Epikurer geworden;
nicht anders, als man thun würde, wenn heute zu Tage jemand seine Religion verändert
hätte.« (610).
88
Zu der von Gottsched erwähnten Schrift Peter Friedrich Arpes, der Apologia pro
Vanino (1717), vgl. Schröder 1998, S. 431 f. u. 457 f., sowie die Interpretation bei Mulsow
2012, S. 116-123. – Sie gehört, wie Mulsow richtig anmerkt (ebd., S. 108), in das Umfeld
der Verteidigungsschriften nach Art von Naudé, Fabricius, Arnold und anderen ( IV.5),
folgt überdies der Kritik an der ›Konsequenzenmacherei‹, wie sie Thomasius schon vor
Wolff formuliert hatte ( V.2.1).
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560 Übergänge zur Hochaufklärung

Allein ich weiß auch, daß diese Vertheidigung in dem 1717 eben daselbst bey Casp.
Fritschen herausgekommenen Leben dieses Atheisten widerleget worden. Der Titel
davon heißt: La Vie et les Sentimens de Lucilio Vanini. (614)

1.5 Gottscheds Lehrbuch der Weltweisheit und spätere Editionen


(Leibniz, Polignac)

Wenn die bis hierher untersuchten Äußerungen Gottscheds auch nicht genü-
gen mögen, um aus Gottsched einen gläubigen Christen zu machen, ist doch
sein öffentlich formulierter Standpunkt damit angemessen skizziert. Wer wei-
terhin auf dem Anpassungsdruck beharrt, dem sich Gottsched, zumal nach
der Vorladung vor das sächsische Konsistorium, mit Vorhaben wie den Bayle-
Editionen ausgesetzt sah, ist gut beraten, auch auf Gottscheds Werke und Edi-
tionen jenseits davon und jenseits der in vertrauter Runde gehaltenen Reden
zu blicken. Konsultiert man etwa Gottscheds großes Lehrbuch der »Weltweis-
heit«, über weite Teile ein Auszug der wolffschen Bücher zu allen Bereichen
der Philosophie,89 so wird man dort die alte vinculum societatis-Doktrin ( I.3)
ebenso wiederfinden wie die damit zumeist verknüpfte Empfehlung, erklärte
Atheisten nicht zu dulden. Sie findet sich im Teil über die Staatslehre90 ebenso
wie im Teil über das Naturrecht (Pflichten gegen Gott)91 oder im Abschnitt
»Von der philosophischen Frömmigkeit« im Teil über die Tugendlehre.92 Hier
ist freilich nicht mehr von der Offenbarungsreligion die Rede, sondern von
der natürlichen Religion, der mit Begriffen wie »Verehrung«, »Ehrfurcht«,
»Dankbarkeit« usw. ein eher äußerlicher emotionaler Anstrich gegeben wird.
Trotzdem sind solche öffentlichen Bekundungen ernst zu nehmen, und es
greift zu kurz, sie als bloße Lippenbekenntnisse anzusehen, nur weil Gott-
sched im geschützten Umfeld der Rednergesellschaft deistische Ansichten äu-
ßerte.93 Überdies können wir es nach den vorangegangenen Kapiteln, etwa zu
Mornay, Mersenne und Bacon, aber auch zu Frommann und Wolff – ja, selbst
zu Löscher – als hinlänglich erwiesen ansehen, dass die rationaltheologische
Begründungsarbeit fest zur Geschichte der Apologetik gehört.
Unter den Editionen der Folgejahre stechen, unter dem Gesichtspunkt der
Verteidigung der Religion gegen ihre Feinde, besonders zwei Texte heraus.
Neben der leibnizschen Theodizee (1763) ist dies vor allem die wenig bekannte
Edition des großen Lehrgedichts Anti-Lucretius aus der Feder des französi-

89
Vgl. Stiening 2014 und Grunert 2014a für eine differenziertere Untersuchung von
Gottscheds Wolffrezeption.
90
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke, Bd. V/2: Erste Gründe der
Gesammten Weltweisheit (Praktischer Teil), §§ 782–785, bes. § 785: »Athei non sunt in
republica tolerandi.« (ebd., 485).
91
Ebd., §§ 169–187, bes. § 172.
92
Ebd., §§ 675–711.
93
Dazu ausführlich Mulsow 2007; vgl. auch Krebs 2012.
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Johann Christoph Gottsched 561

schen Kardinals Melchior de Polignac (1661–1741) von 1748.94 Polignac steht


aus Gottscheds Sicht für jene strategische Allianz von Frömmigkeit und wis-
senschaftlich elaborierter Vernunft (»Ratio, sublimioribus suffulta scientiis«),95
die er, selbst stärker an Leibniz orientiert, auch gegen Bayle ins Feld geführt
hatte. Dass Polignac sein Lehrgedicht seiner eigener Aussage zufolge nach ei-
ner Begegnung mit Bayle und langen Diskussionen mit dem Philosophen über
die Religion begonnen habe, wird von Gottsched in der Vorrede ohne jede
Relativierung vermerkt.96 Keine Distanznahme erfolgt auch von der Bestim-
mung von Lukrez, Epikur, Spinoza und Hobbes als Atheisten.97 In Lukrez
und Epikur, so Gottsched, habe Polignac stellvertretend zugleich jene wider-
legt.98 Ein ferner Widerhall des 14. Psalms und des darauf basierenden stultitia
atheismi-Topos ( I.1; I.4; IV.4) schließlich erklingt in der Widmungsvorrede
an die sächsische Kurfürstin Maria Antonia von Bayern. Auch wenn Habitus
und Topik einer Widmungsvorrede hier gewiss keinen Raum für heterodoxe
Bemerkungen ließen, hätte sich Gottsched durchaus zurückhaltender äußern
können. Wenn er überdies die Lehren der Atheisten als ›paralogismi‹ bezeich-
net, steht das in klarer Kontinuität zu seinen früheren Äußerungen (s. o.). Bei

94
Anti-Lucretivs sive de Deo et natvra libri novem eminentissimi R[omanae]
E[cclesiae] Cardinalis Melchioris de Polignac Opvs Posthvmum […] Ad exemplar Pari-
sinvm recensvit et de poetis philosophis, antiqvis aeqve ac recentioribvs praefatvs est Jo.
Christoph. Gottschedivs, Leipzig 1748. – Zu Gottscheds Edition vgl. die Hinweise bei
Ball 2000, S. 164–167; zum Anti-Lucretius im Kontext der Frühaufklärung vgl. – präzise
und kenntnisreich –Pott 1992, S. 72–77, der auch die Bezüge zu Bayle herstellt (vgl. ebd.,
S. 72 f.); ferner Fleischmann 1965; ausführlich zu Polignacs Cartesianismus im Horizont
der frühneuzeitlichen Diskurs- und Literaturgeschichte der Astronomie: (Mahlmann-)
Bauer 1988, S. 252–303; zur Stellung Polignacs in der Geschichte des Lehrgedichts vgl.
kurz Kühlmann 2016b, S. 153. – Die Entstehungs- und Druckgeschichte des Anti-Lucreti-
us referiert Gottsched selbst, auf der Grundlage von französischen Nachrufen, ausführlich
in der Leservorrede, sie bildet deren eigentlichen Gegenstand.
95
So Gottsched in der Widmungsvorrede, fol. * 6v. – Als Gewährsmann wird in der
Leservorrede dann sogar Newton selbst angerufen. Zwar verschweigt Gottsched nicht
Polignacs Kritik an Newton und Locke; er hält aber dagegen den Bericht, dass Newton
selbst, als echter Gentleman (»urbanitatis«, s. u.) Polignac nach Übersendung des Gedichts
brieflich seinen Dank und seine Zustimmung übermittelt habe (Leservorrede., S. X): »Et
ipsi [sc. Polignac] quidem gratias egit Neutonus plena urbanitatis plena epistola, qua se
affirmabat, maximo cum desiderio moriturum, si Anti-Lucretium totius Europae votis
tantopere expetitum, legere sibi non contigisset.«
96
Ebd., S. V: »Cum e Polonia rediens anno 1697 Abbas Poliniacus [!] in Batavia ali-
quamdiu commoraretur, plurimis in colloquiis cum acutissimo viro Petro Baylio, sed qui in
causa Religionis tanquam in sole caligaret, de iis, quae spectant ad religionem, velitatus est.
Igitur incensus studio veritatis atque virtutis, concepit animo magnitudinem hujus operis,
quo Lucretium Atheorum antistitem atque oraculum, collato pede profligaret.«
97
Zu Lukrez als Atheist s. das Zitat in der vorigen Anmerkung.
98
Ebd., S. IX: »Affluebat enim foecundissimum ingenium nacta uberrima materies:
dumque cum Epicuro praeliabatur, in ceteros etiam Atheos, Epicuro velut auxiliares, arma
convertebat. Spinosam igitur obiter proculvavit: in Hobbesium ex transverso impetum fe-
cit.«
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562 Übergänge zur Hochaufklärung

diesem letzten Hinweis können wir es belassen, um uns im Folgenden den


Moralischen Wochenschriften zuzuwenden, in denen sich, ähnlich wie zeit-
gleich bei Haller, bereits der begriffliche Wechsel vom ›atheus‹ zum ›Freygeist‹
oder ›starken Geist‹ abzeichnet, zuzuwenden. Dass Gottsched hier im Latei-
nischen noch den Ausdruck ›athei‹ verwendet, gibt den ersten Hinweis auf die
bildungs- und mediengeschichtlichen Begleitumstände dieses Wandels:

Haec tacito pectore agitanti adfertur Lutetia Parisiorum, Purpuratorum nuper doc-
tissimi, Polignaci Anti-Lucretivs, opus cedro dignum, totumque in conuellendis
Atheorum paralogismis occupatum. Horum quippe Antesignanos, Epicvrvm, Lvcre-
tivmqve, insanientis quondam Sapientiae si non auctores, incrustatores sane propaga-
toresque, hoc libro suo penitus profligauit Auctor eminentissimus.99

2. Vernünftige Unglaubenskritik in den


frühen Moralischen Wochenschriften

2.1 Vorüberlegung
Zum religionsgeschichtlichen Ort einer aufklärerischen Paradegattung

Als Urban Gottlob Thorschmid 1765 seinen Versuch einer vollständigen


Engelländischen Freydenker-Bibliothek vorlegte, einer Dokumentation de-
istischer Schriften aus England und ihrer Widerlegungen mit ausführlichen
Textauszügen, listete er unter den Widerlegungen des bekannten Discourse
of Free-Thinking (1713) von Anthony Collins auch mehrere Stücke aus der
Moralischen Wochenschrift The Guardian auf.100 Schon im dritten Stück vom
14. März 1713 hatte das verantwortliche Herausgebergespann – die von der
Gottschedin geschätzten Autoren Joseph Addison und Richard Steele101 – eine

99
Ebd., Widmungsvorrede, fol. * 5v–* 6r.
100
Urban Gottlob Thorschmid, Versuch einer vollständigen engelländischen Frey-
denker-Bibliothek, in welcher alle Schriften der berühmtesten Freydenker nach ihrem
Inhalt und Absicht, nebst den Schutzschriften für die Christliche Religion aufgestellet
werden. Erster Theil, Halle 1765, S. 176–196. – Zu den Anfängen der Wochenschriften in
England vgl., im Kontext des periodical essay und der Londoner Clubkultur ab 1700, Heyl
2004, S. 366–377, u. DeMaria 2005 (dort Lit.). – Zitate aus den Moralischen Wochenschrif-
ten auch hier mit Angabe von Stück und Erscheinungsdatum. Der Verzicht auf Seitenzah-
len ist intendiert, da insbesondere von den frühen britischen Wochenschriften zahlreiche
Neu- und Nachdrucke vorliegen.
101
Sie übersetzte 1745 den Guardian ins Deutsche und bemerkte dazu in der Vor-
rede über dessen Verfasser: »Es sind tiefsinnige Weltweisen, die sichs für keinen Schimpf
halten, Christen zu seyn. Es sind witzerfüllte Männer, die diese Gabe nicht zur Verachtung
der Diener des Herrn anwenden. Es sind Leute, die den feinsten Spott in ihrer Gewalt
haben, und dennoch damit weder der Unschuld, noch den guten Sitten zu nahe treten.
Es sind Leute, welche die Welt, ja die große und reizende Welt gesehen haben; und den-
noch nicht glauben, daß es ein Uebelstand sey, mäßig, bescheiden und keusch in Thaten
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Die Moralischen Wochenschriften 563

mehr polemische als sachlich-argumentative Vorstellung und Beurteilung des


eben erschienenen Discourse unternommen.102 Die Kritik am geistlichen Stand,
die unter dem Gesichtspunkt des Priesterbetrugs zu den Grundlinien des neu-
eren Deismus gehörte,103 weisen die Autoren dort als unzulässige Verallgemei-
nerung beklagenswerter Einzelfälle zurück.104 Es zeigt sich darin die typische
Haltung der Apologetik, Kirchenkritik in einem bestimmten Umfang zuzu-
lassen, wie sie seit 1650 besonders weitgehend im Umfeld der großen Fröm-
migkeitsbewegungen zu Wort kam.
Dagegen besteht die eigentliche Widerlegung jedoch in einer Charakterpo-
lemik, die das bekannte Schreckbild des libertinistischen Wüstlings geschickt
ins Komische verkehrt. Um die Freidenker satirisch bloßzustellen, zeichnen
die Autoren sie als vergrübelte Einzelgänger (»Recluse Students«), die – so
die Pointe – gar nicht imstande seien, die durch ihre Lehre erkaufte Permis-
sivität im Sittlichen auch praktisch auszuleben.105 Dahinter steht das zentrale
Argument der Apologetik wie auch der älteren Naturrechtslehre, dass morali-
sches Handeln eines religiösen Fundaments bedürfe, die Religion demnach die
Gesellschaft zusammenhalte.106 Auf kuriose Weise wird so den neueren Frei-
denkern gerade dies als »Widerspruch« (»Contradiction«) vorgeworfen, dass

und Ausdrücken zu seyn […]. Es sind endlich große Geister, die es für kein Zeichen der
Dummheit halten, eine ewige Glückseligkeit oder Unglückseligkeit zu glauben. Wer weis
nun, ob ein solcher Anblick nicht einige von unsern neuern Freygeistern auf bessere Ge-
danken bringt?« Aus der Vorrede zu Der Aufseher oder Vormund (Leipzig 1745), hier
zit. nach der Wiedergabe Gottscheds in seiner Einleitung zu der Gottschedinn Kleinere
Gedichte, in: Ders.: Ausgewählte Werke, Bd. X/2, S. 537 f. – Ähnlich noch das Urteil von
Thorschmid, Freydenker-Bibliothek, S. 177 f.: »Die Verfasser derselben gehören unter die
gelehrtesten und witzigsten Köpfe, die jemahls in Engelland gelebt haben. Wem ist der
Nahme eines Addisons, eines Steele und anderer Verfasser, die den Englischen Zuschauer
mit so vielem Beyfall herausgegeben haben, unbekant? Diese Scribenten haben durch ihre
sinnreichen, und muntern Einfälle, durch ihre satyrischen Scherze, durch ihre ernsthaf-
ten Betrachtungen, durch ihre rührenden und lehrreichen Erzählungen und Sittenlehren,
durch ihren Eifer für die Religion, Wahrheit, und Tugend nicht nur ihre Landsleute, son-
dern auch Ausländer unterrichtet und vergnügt.«
102
Zur frühen deutschen Rezeption des Discourse, die zunächst überwiegend positiv
ausfiel, vgl. die Pionierstudie von Gawlick 1986; im weiteren Kontext Voigt 2003, S. 41–53.
103
Vgl. den dichten und kenntnisreichen Abriss bei Champion 1992, S. 133–169.
104
The Guardian, 3. St.: »It is certain, that in so great a Crowd of Men some will
intrude, who are of Tempers very unbecoming their Function; but because Ambition and
Avarice are sometimes lodged in that Bosom, which ought to be the Dwelling of Sanctity
and Devotion, must this unreasonable Author vilifie the whole Order?«
105
Ebd.: »If it were possible to laugh at so melancholy an Affair as what hazards
Salvation, it would be no unpleasant Enquiry to ask what Satisfactions they reap, what
extraordinary Gratification of Sense, or what delicious Libertinism this Sect of Free-Thin-
kers enjoy […]. Would it not be a Matter of Mirth to find, after all, that the Heads of this
growing Sect are Sober Wretches, who prate whole Evenings over Coffee, and have not
themselves fire enough to be any further Debauchees, than merely in Principle?«
106
Ebd.: »[A]nd if Religion is the strongest Tye of Human Society, in what Manner
are we to treat this our common Enemy, who promotes the Growth of such a Sect as he
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564 Übergänge zur Hochaufklärung

sie sich nicht ihrer Lehre entsprechend verhalten würden, wie es nach Aus-
kunft der Autoren die Atheisten der vorigen Generation getan hätten.107 Diese
überraschende Argumentation zeigt nicht etwa, wie man annehmen könnte,
eine Trendwende oder gar eine Zustimmung zu Bayles Postulat tugendhaft
lebender Atheisten an, das geht aus zahlreichen anderen Stellen deutlich her-
vor. Sie illustriert vielmehr die Freiheiten, die sich Autoren wie Addison und
Steele innerhalb des neuen Mediums gegenüber der apologetischen Tradition
nehmen konnten, um die exakt gleiche Wirkungsabsicht in eine unterhaltsam-
abwechslungsreiche Form zu bringen.
Der Religion, soweit sie in den Wochenschriften vorkam,108 fiel die Aufgabe
zu, die allgemeine sozialpädagogische Zielsetzung der Gattung zu unterstüt-
zen. Generell wird man in keiner der frühen Moralischen Wochenschriften
die Aussage finden, dass entweder Tugend oder Glückseligkeit ohne Religion,
genauer: die christliche Religion, erreichbar sei.109 Natürlich wird man sie in
keiner Moralischen Wochenschrift auf diese Funktion reduziert sehen, es be-
steht auch kein Grund anzunehmen, dass die Autoren eine solche funktionale
Sichtweise vertreten und die Religion vorsätzlich als moraldidaktisches Inst-
rument, »Kappzaum für den Pöbel«, eingesetzt hätten.110 Entscheidend ist, wie
in Staatslehre und Naturrecht seit dem 17. Jahrhundert, der Vorgang der Se-
lektion: Es werden an der Religion besonders diejenigen Gesichtspunkte zum
Thema, denen man eine Relevanz für das Ziel der sittlichen und glückseligen
Lebensführung zuerkannte.
Diese Rezeptionslinien allein wären schon Grund genug, den Moralischen
Wochenschriften ein eigenes Kapitel einzuräumen. (Gottscheds Wochen-
schriften wurden bereits weiter oben im Gottsched-Kapitel vorgestellt.) Denn
offenkundig befinden wir uns hier inmitten des apologetischen Argumentati-
onssystems, wie es sich seit Beginn der Frühaufklärung, mit leichten Akzent-
verschiebungen, entwickelt hatte. Das betrifft die Lehre von der Unsterblich-
keit der Seele als zentraler Voraussetzung der Gemütsruhe und somit auch der

calls Free-thinkers?« – Dass hier die Formel von der Religion als vinculum societatis im
Hintergrund steht ( I.3), ist offensichtlich.
107
Ebd.: »The Atheistical Fellows who appeared the last Age did not serve the Devil
for nought, but revell’d in Excesses suitable to their Principles, while in these unhappy
Days Mischief ist done for Mischief’s sake.«
108
Zum Religionsbegriff der Moralischen Wochenschriften vgl. nach wie vor die dif-
ferenzierte, mit zahlreichen Beispielen belegte Darstellung bei Martens 1968, S. 185–217.
109
Ebd., S. 195: »Ohne Religion keine Rechtschaffenheit, dahin geht die Überzeu-
gung aller Moralischen Wochenschriften.« – Nicht immer unterscheiden die Wochen-
schriften präzise zwischen zeitlicher und ewiger Glückseligkeit. So heißt es etwa in Der
Dreßdnische Philosophe (6. St., 4. Februar 1737): »Der Endzweck der wahren Religion ist
unsere wahrhaftige Glückseligkeit.« Aus dem Zusammenhang geht jedoch deutlich her-
vor, dass diese Glückseligkeit schlichtweg in der Unterordnung unter das göttliche Gesetz
bestehen könne, welches allein den Weg aus der natürlichen Verderbnis weise.
110
Vgl. dazu bes. die Ausführungen bei Martens 1968, S. 187–195, dort auch der
Ausdruck »Kappzaum für den Pöbel« (S. 193).
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Die Moralischen Wochenschriften 565

Glückseligkeit, ebenso die Vorstellung ewiger Belohnungen und Strafen als


Stimulantien für tugendhaftes Handeln auch da, wo äußere Kontrollinstan-
zen wegfallen oder wo die Vernunft in Konflikt mit Affekten wie Eigenliebe,
Hochmut oder Wollust und den entsprechenden Mechanismen des Selbstbe-
trugs gerate.111 In etlichen Wochenschriften, auf die noch weiter einzugehen
sein wird, nehmen die Autoren dabei klaren Bezug auf die bereits im Natur-
recht ( I.3.5) aufgeworfene obligatio-Problematik. Auch das hat sich eben
schon am Beispiel Gottscheds gezeigt. Dass ergo die Religion auch als unver-
zichtbare Bedingung für gesellschaftliche Stabilität angesehen wurde, versteht
sich bei diesen Voraussetzungen von selbst. Damit sind die Weichen für die
Darstellung und Bewertung des Unglaubens in den Moralischen Wochen-
schriften gestellt. Deren Autoren greifen dazu auf die Vorarbeit in Apologetik,
politischer Theorie und Moralphilosophie zurück, die in den bisherigen Kapi-
teln rekonstruiert wurde.
Was die Gattung der Wochenschriften gegenüber den bislang behandelten
Quellen ganz besonders auszeichnet, ist ihre formale Vielseitigkeit. Sie ste-
hen damit auf bemerkenswerte Weise zwischen der schönen und der exposi-
torischen oder Sachliteratur. Darin sind sie am ehesten der älteren Konver-
sationsliteratur (Rist, Harsdörffer, Weise u. a.) und der Buntschriftstellerei
vergleichbar,112 wie etwa Happels schon genannten Relationes Curiosae, sie
gehen aber gerade hinsichtlich des fiktionalen Anteils noch darüber hinaus.
Neben der gewiss im Zentrum stehenden kurzen Betrachtung über wö-
chentlich wechselnde Themen kommen in zwangloser Zusammenstellung
Anekdoten, Berichte und kleine Erzählungen, ferner Reiseberichte, Dialoge,
Briefe, kürzere oder längere Verspartien, seltener auch Rätsel, gelegentlich
sogar fingierte Preisausschreiben und Zeitungsanzeigen zum Einsatz. Das
Prinzip der abwechslungsreichen Veranschaulichung und Konkretisierung,
die Vermeidung von Abstraktion und Spekulation, der weitgehende Verzicht
auf gelehrte Terminologie – sie alle dienen dem epochentypischen Wirkungs-
ziel unterhaltsamer Belehrung. Für Verbindlichkeit und, damit verknüpft,
für Leserbindung sorgt die charakteristische Erzählinstanz in der ersten Per-
son (der Patriot, die Matrone etc.) ebenso wie die direkte Ansprache ans
Publikum und die lokale Einbindung, oft mit dem Hinweis auf Bezugswege
oder Sammelstellen für Leserbriefe. Bei all dem dominiert ein humoristisch-
heiterer Grundton, der sich bei erhabeneren Themen wie der Religion zwar
zum würdevollen Ernst (ethos), so gut wie nie aber zu starken Negativaffek-
ten (pathos) steigert.113

111
Dazu ausführlich Vollhardt 2001, S. 211–254, der auch die historischen Verbin-
dungslinien zu Naturrecht und älterer moraldidaktischer Literatur zieht.
112
Vgl. die Hinweise auf Georg Philipp Harsdörffers Frauenzimmer-Gesprächsspie-
le bei Martens 1968, S. 75 f.
113
Auf einige Ausnahmen, speziell mit Blick auf den Unglauben, wird im Lauf der
Darstellung hingewiesen.
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566 Übergänge zur Hochaufklärung

Für die Darstellung des Unglaubens, der auch hier als Abweichung,
Schreck- und Feindbild argumentativ-didaktische Funktionen übernimmt,
hat das sichtbare Folgen. Die Moralischen Wochenschriften führen Themen,
Motive und literarisch-rhetorische Verfahren zusammen, die bis dahin meist
getrennte Wege gegangen waren. Zugleich arbeiten sie entschiedener als die
auf Systematisierung, Ursachenforschung und Widerlegung bedachte theolo-
gische oder philosophische Apologetik den Ungläubigen als personalisierten
Typus heraus, am ehesten vergleichbar mit dem Rollengedicht und dem älteren
Predigtexempel ( III.2.2), zu dem aus naheliegenden Gründen eine gewisse
Verwandtschaft besteht: Die Mehrzahl der Autoren war theologisch vorgebil-
det und auch sonst wachten Obrigkeit, Eltern und Erzieher über den regel-
mäßigen Predigtbesuch.114 Hinsichtlich der typisierenden Personendarstellung
haben die Wochenschriften sich bevorzugt der Form des moralischen Charak-
ters und der exemplarischen Erzählung bedient. Einige Beispiele werden wir
noch kennenlernen.
Da die Moralischen Wochenschriften hinsichtlich ihrer religiösen Ori-
entierung durchaus Unterschiede zeigen, werden im Folgenden einige ex-
emplarische Beispiele je für sich analysiert, statt Belege aus verschiedenen
Wochenschriften topologisch anzuordnen.115 Auf diese Weise können auch
die literarästhetischen Strategien besser herausgearbeitet und in ihrem Zu-
sammenwirken gezeigt werden. Neben der expliziten Behandlung des Un-
glaubens, sei es in abstrakt-expositorischer, sei es in anschaulich-fiktionaler
Weise, werden dabei auch die apologetischen Begründungszusammenhän-
ge aus den Texten selbst rekonstruiert. Auf diese Weise kann gezeigt wer-
den, wie eng sich die Moralischen Wochenschriften auf die Tradition der
Unglaubenskritik beziehen. Das Augenmerk liegt auf den frühen Wochen-
schriften, von den Anfängen bis etwa 1745. Zuvor sollen jedoch kurz die
bereits eingeführten britischen Gattungsvorbilder betrachtet werden, in
denen trotz hier und da andersartiger Akzentuierung116 schon modellhaft

114
Vgl. dazu die von Fischer 1988, S. 35–40, zusammengetragenen Informationen
am Beispiel Hamburgs und Leipzigs im frühen 18. Jahrhundert.
115
Dieses Verfahren hat bekanntlich Martens in tadelloser Weise durchgeführt. Seine
bei allem Materialreichtum übersichtlich strukturierten Ausführungen zur Religion der
Moralischen Wochenschriften (vgl. Martens 1968, S. 183–284) sind bei der folgenden Dar-
stellung stets zugrunde gelegt. Auf Abweichungen wird bei Bedarf hingewiesen.
116
So verwenden die frühen englischen Wochenschriften weniger den Atheismusbe-
griff als den Ausdruck Free-Thinkers, den 1713 bekanntlich Anthony Collins auch ganz
bewusst als Selbstbezeichnung der britischen Deisten zu etablieren suchte. Immer wie-
der zeigt sich jedoch, dass die Autoren zwischen Free-Thinker und Atheist kaum unter-
scheiden. Hier dürfte die Wirkung Bentleys ausschlaggebend gewesen sein, der in seiner
Predigtreihe The Folly of Atheism von 1691/92 den Ausdruck ›Deismus‹ als Versuch der
Deisten verstand, ihren tatsächlichen Atheismus zu verschleiern ( IV.4.1). – Allerdings
dient in den englischen Wochenschriften der Atheismusbegriff nicht als Klammer und
Oberbegriff für die verschiedenen Formen weltlicher Heterodoxie wie in der deutschen
Tradition. Das mag daran liegen, dass es in England keine Schulphilosophie und -theologie
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Die Moralischen Wochenschriften 567

Tendenzen und Strategien angelegt sind, an welche die deutschen Vertreter


der Gattung wenig später anknüpfen sollten. Die europäische Dimension
der Unglaubensdebatte lässt sich so auch im Medium der Moralischen Wo-
chenschriften nachzeichnen.

2.2 Apologetik und Satire


Eine Weihnachtsausgabe des Tatler (1709)

Der literarästhetische Gestaltungsspielraum der Moralischen Wochenschriften


und die durch das offene (auch poetologisch nicht vordeterminierte) Format
ermöglichte formale Diversität – sogar innerhalb einer wöchentlichen Ausga-
be von vier bis acht Seiten – lässt sich kaum anschaulicher demonstrieren als
an einem der frühen antiatheistischen Stücke aus dem Tatler (1709–1711), der
ersten Moralischen Wochenschrift überhaupt. Begründet von Richard Stee-
le, zählte die Zeitschrift bald auch Joseph Addison und gelegentlich Jonathan
Swift zu ihren Mitarbeitern.117 Schon im zwölften Stück hatte der Tatler zu
einer Klage über den Verfall der guten Sitten ausgeholt118 und als Beispiele für
die Verkehrung von Werten neben Wüstlingen (»rakes) und Lüstlingen (»de-
bauchees«), die sich als »men of pleasure« verstünden, neben Säufern, Spielern
und Betrügern, die für »modern men of wit« gelten wollten, auch »thoughtless
atheists« und »illiterate drunkards« angeführt, die sich selbst als »free-thin-
kers« bezeichnen würden (12. St.). Dem liegt die in anderen Stücken verschie-
dentlich geäußerte Prämisse zugrunde, dass der einst ehrenwerte Begriff des
free-thinker durch Missbrauch entstellt worden sei.119 Erst die Weihnachtsaus-

von vergleichbarem Einfluss gegeben hat. Die voetsche Systematik hat sich jedenfalls unter
britischen Autoren kaum durchgesetzt.
117
Zu den englischen Gattungsvorbildern vgl. Martens 1968, S. 23 f., 37 f., 44 f. – Zi-
tiert wird mit Angabe von Stück und Datum (s. o.) nach der Ausgabe The Tatler, with
notes, and a general index. Complete in one volume, Philadelphia 1837.
118
Die Passage enthält zugleich einen interessanten Anhaltspunkt für die Entste-
hungsbedingungen einer aufklärerischen Bürgergesellschaft, indem sie die Frage nach dem
kulturellen Fortschritt an den Aufstieg des britischen Empire knüpft: »The present gran-
deur of the British nation might make us expect, that we should rise in our public diver-
sions and manner of enjoying life, in proportion to our advancement in glory and power.«
(12. St.) – Der amerikanische Nachdruck vermerkt im Inhaltsverzeichnis als Überschrift
des Stücks Corruption of Manner and Language und als Verfasser einen gewissen Mr.
Phillips. Der Autor konnte nicht ermittelt werden.
119
So besteht der Guardian im 39. St. (25. April 1713) darauf, »that the name Free-
thinker has like Tyrant of old, degenerated from its original signification, and is now
supposed to denote something contrary to wit and reason«. «. – Diese und ähnliche Ein-
schätzungen veranlassten einige andere Autoren dazu, dass sie 1718 eine Moralische Wo-
chenschrift unter dem Titel The Freethinker herausgaben. Eine deutsche Übersetzung
erschien 1742 in Berlin. Im ersten Stück wird dort der – vorerst vergebliche – Versuch
unternommen, den in Verruf geratenen Begriff wieder zu rehabilitieren (1. St.): »Es giebt
ja fast keinen Ehrentitel, der nicht endlich zu einem Schimpfworte gemisbrauchet wird.
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568 Übergänge zur Hochaufklärung

gabe vom 24. Dezember 1709, gemeinsam verfasst von Steele und Addison,
brachte dann eine längere Auseinandersetzung mit dem Übel (»evil«) des Un-
glaubens (»infidelity«).120
Die Betrachtung ist eingebettet in eine fast gleich lautende Zeitklage. Noch
schärfer als zuvor wird die politische und wirtschaftliche Vormachtstellung
des britischen Empire mit der vermeintlichen Auflösung der guten Sitten kon-
trastiert.121 Anders aber als in den thematisch ähnlich lautenden Klagen zu Be-
ginn der deutschen Atheismusdebatte ( II.2) wird der Ursprung dieses Übels
nicht in der Politik selbst, etwa an den Höfen, gesehen, sondern, wie es weiter
heißt, bei einer kleinen Gruppe von Querdenkern (»blockheads«), die es sich
zur Aufgabe gemacht hätten, den Unglauben zu verbreiten (»propagate infi-
delity«) und den gesunden Menschenverstand (»common sense«) zu Fall zu
bringen.122 Das mitgelieferte Charakterbild, das hier die Stelle einer Definition
vertritt, lässt mit Torheit und Mangel an Gelehrsamkeit (»without any show of
wit, learning, or reason«), ferner Geltungssucht (»ambition of appearing more
wise than the rest of mankind«) und methodischer Unzulänglichkeit Züge er-
kennen, die den polemischen Unglaubensdiskurs seit den Anfängen, vor allem
aber seit Beginn der Frühaufklärung geprägt haben. Ohne Zweifel steht hier
etwa Bentleys Folly of Atheism ( IV.4.1) im Hintergrund. Wie schon in dem
früheren Stück des Tatler überwiegt jedoch in dieser Selektion aus dem to-

So ist auch das Freydenken, welches an sich selbst eine Vollkommenheit und Ehre der
menschlichen Natur ist, nach und nach in Verfall gerathen; weil einige gar zu unbesonnen,
andere zu furchtsam, viele zu lasterhaft gewesen, und gewisse verschmitzte und verschla-
gene Leute gar zu viel vorgegeben haben. Ich hoffe also es werde mir niemand verdenken,
wenn ich, dem menschlichen Geschlechte zu gut, mich bestreben werde, dieses Wort aus
der Schande zu reissen, und es zu einem Lobe und zum Ehrentitel zu machen; indem ich
es den Freygeistern aus den Händen winde, es von den Beschmutzungen der Gleißner
reinige, und selbiges mit den Tugendhaften und Weisen wieder aussöhne, die eigentlich,
seiner wahren Bedeutung nach, ganz allein ein Recht darauf haben.« – Diese Argumenta-
tion wird am Beginn des 19. Jahrhunderts bei Herder, einem guten Kenner der englischen
Literatur, wiederkehren ( VI.6.4).
120
Dass gerade zu den christlichen Feiertagen religiöse oder theologische Fragen
behandelt wurden, kann nicht verwundern. Diese Gepflogenheit findet sich auch in deut-
schen Wochenschriften. So macht sich der Patriot am 21. Dezember 1724 (51. St.) anläss-
lich der »Würde und Hoheit des bevorstehenden grossen Festes« Gedanken über Unend-
lichkeit und Allgegenwart Gottes; der ansonsten nicht auffallend fromme Menschenfreund
(1737) bringt in der Weihnachtsausgabe (35. St.) eine Betrachtung über die Unsterblichkeit
der Seele; die Hamburger Matrone nimmt 1728 das Osterfest zum Anlass für eine medi-
tatio mortis, die den Vergleich mit barocken Beispielen nicht zu scheuen braucht (13. St.
v. 24. März 1728).
121
111. St.: »It is, indeed, a melancholy reflection to consider, that the British nation,
which is now at a greater height […] than it was ever before, should distinguish itself by
a certain looseness of principles, and a falling-off from those schemes of thinking, which
conduce to the happiness and perfection of human nature.«
122
Ebd.: »This evil comes upon us from the works of a few solemn blockheads, that
meet together, with the zeal and seriousness of apostles, to extirpate common sense, and
propagate infidelity.«
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Die Moralischen Wochenschriften 569

pischen Inventar deutlich die komische Einfärbung. Trotz ihrer vermeintlich


desaströsen Wirkungen werden die ›Ungläubigen‹ nicht dämonisiert, sondern
als bedauernswerte Narren dargestellt, denen denn auch – wie wenig später
bei Brockes – eher mitleidig als mit Verachtung zu begegnen sei.123 Diese Art
der Bewertung wird für die frühen Moralischen Wochenschriften im deutsch-
sprachigen Raum (s. u.) zwar nicht die Regel, aber die weitaus überwiegende
Tendenz bleiben.
Etwas anderes als für die Witzbolde und gedankenlosen Nachsprecher gilt
aus Sicht der Autoren allerdings für die Vordenker, die mit ihrem Gedanken-
gut an die Öffentlichkeit treten würden. Für sie erscheinen Zensur oder Ver-
bannung die angemessene Strafe.124 Genau so argumentierten, wie wir gesehen
haben, etwa zeitgleich auch Thomasius und Gundling (s. o.). Deutlicher als bei
ihnen zeigt sich am Beispiel der Moralischen Wochenschriften, die ja dezidiert
breitere Leserkreise erschlossen, wie die Risiken der nun rasch sich ausbrei-
tenden publizistischen Öffentlichkeit in dieser Öffentlichkeit selbst kalkuliert
und nach Kräften eingedämmt wurden. Immerhin erschienen die deistischen
Programmschriften spätestens seit John Tolands Christianity not mysterious
(1696) und Letters to Serena (1704) ebenfalls in der Muttersprache.125 So wie
Bacon und Mersenne die Freiheit der Naturforschung, so wie die Frühauf-
klärer die libertas philosophandi durch radikale Außenseiter bedroht sahen,
sie deshalb oftmals schärfer bekämpften, als es ihren eigenen Überzeugungen
entsprach, bemühen sich nun offenbar auch die Autoren populärer Medien
darum, ihren gerade erst entstehenden publizistischen Freiraum durch Aus-
grenzung und persönliche Abgrenzung von heterodoxen Stimmen längerfris-
tig zu sichern. Ähnlich werden einige Jahrzehnte später, nach dem Auftreten
La Mettries, Philosophen und Naturforscher die »Ehre der Vernunft« (G. F.
Meier), die Naturforschung (Haller, Euler) und die Philosophie (Basedow) ge-
gen den Vorwurf in Schutz nehmen, zur Freigeisterei zu verführen.126

123
Ebd.: »These poor wretches talk blasphemy for want of discourse, and are rather
the objects of scorn or pity than of our indignation […].«
124
So heißt es in Fortführung des letzten Zitats (ebd.): »[…]; but the grave disputant,
that reads and writes, and spends all his time in convincing himself and the world that he
is no better than a brute, ought to be whipped out of government, as a blot to civil society,
and a defamer of mankind.«
125
Es ist insofern nicht verwunderlich, dass die Wochenschriften Steeles und Addi-
sons besonders, wenn auch nicht ausschließlich, gegen die »Free-thinkers« zu Felde zogen.
Dass die gelehrten – theologischen oder philosophischen – Widerlegungen dagegen noch
oft genug auf Latein erschienen, brachte die Apologetik zeitweise in einen gewissen Nach-
teil, dem für den deutschen Sprachraum Autoren wie der genannte Thorschmid durch ent-
sprechende Kompilationen in der Muttersprache abzuhelfen suchten: »Die Widerlegung
selbst […] werde ich übersetzen, damit meine unlateinischen Leser, deren, wie ich weiß,
nicht wenige sind, auch ihre Rechnung dabey finden. Die Gelehrten können das Original
leicht nachschlagen.« Thorschmid, Freydenker-Bibliothek, S. 440 f.
126
Gemeint sind die Schriften von Georg Friedrich Meier (Rettung der Ehre der
Vernunft wider die Freygeister, Halle 1747), Johann Bernhard Basedow (Versuch, wie
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570 Übergänge zur Hochaufklärung

Im Rahmen des 111. Tatler-Stücks bildet das komisch-herablassende Cha-


rakterporträt nur den ersten Teil einer insgesamt dreigliedrigen Betrachtung.
Dass die Autoren, entsprechend dem Gattungsprofil, auch weiterhin auf
Anschaulichkeit und Vereinfachung setzen, zeigt sich schon daran, dass de-
finitorisch-systematische Erörterungen, wie sie im theologischen und philo-
sophischen Fachschrifttum selbstverständlich dazugehörten, auf ein Mini-
mum beschränkt werden. Ähnlich jedoch wie in weiten Teilen der gelehrten
Literatur oder auch in antiatheistischen Predigten und Erbauungsbüchern
zeigt der im Folgenden kurz explizierte Unglaubensbegriff die typische brei-
te Streuung der Apologetik, wenn auch mit einer kleinen Variation: »I love
to consider an infidel whether distinguished by the title of deist, atheist, or
free-thinker, in three different lights, in his solitudes, his afflictions, and his
last moments.«127 Als Oberbegriff dient nicht der Atheismusbegriff selbst; er
wird hier vielmehr als Synonym oder Unterkategorie des Unglaubens präsen-
tiert. Gezielt wird aber, wie bald noch deutlicher werden wird, auf das im-
mer gleiche Feindbild, das mehr auf Analogien und Ähnlichkeiten abhebt als
auf doxologische Unterscheidungen. Gemeinsam mit dieser kurzen Bestim-
mung – mehr kommt tatsächlich nicht hinzu – haben die Autoren zugleich
auch das weitere Vorgehen skizziert: Der ›infidel‹ wird nicht mit Argumen-
ten, geschweige denn mit gelehrten Beweisverfahren, widerlegt, sondern in
verschiedenen Lebensbezügen (»solitudes«, »afflictions«, »last moments«)
vorgeführt, die seine Situation als wenig wünschenswert erscheinen lassen.
Dabei kommen Verfahren zum Einsatz, an denen sich die offene, darin der
Predigt wie dem Essay verwandte Struktur der Wochenschriften gut demons-
trieren lässt. Was die ›solitude‹ angeht, so wird hier der Ungläubige mit dem
nicht minder stereotypen Weisen (»wise man«) verglichen, einer Figur, die
auch in der deutschen Früh- und Hochaufklärung zum festen Inventar des
moraldidaktischen Schrifttums gehört.128 Während der Weise in der Einsamkeit
seine Affekte in erbaulichen Betrachtungen über die harmonisch-gesetzmäßi-
ge Einrichtung des Kosmos zur Ruhe kommt – klassische Physikotheologie
also!129 –, verliert sich der Atheist (»atheist«), wie es nun heißt, so nachhaltig
in profanen Überlegungen, dass zwischen ihm und dem »gemeinsten Tier«

fern die Philosophie zur Freygeisterey verführe, Kopenhagen 1753) und Leonhard Euler
(Rettung der göttlichen Offenbarung gegen die Einwürfe der Freygeister, Berlin 1747). –
Zu Meiers Schrift vgl. auch meine Einleitung zum Nachdruck im Rahmen der Christian-
Wolff-Ausgabe (Spiekermann 2012d).
127
Von begriffs- und problemgeschichtlicher Bedeutung ist hier zum einen die Zu-
ordnung der drei ›Titel‹ zum Oberbegriff des »infidel«, zum anderen die damit verbundene
Beiordnung von Atheismus, Deismus und Freidenkertum. Die voetsche Unterscheidung
von theoretischem und praktischem Atheismus wurde in England nur spärlich rezipiert,
dennoch liegt hier ein ähnliches Verfahren vor, wenn unterschiedliche Facetten der weltli-
chen Heterodoxie einem gemeinsamen Oberbegriff subsumiert werden.
128
Beispiele dazu weiter unten im Kapitel zu Brockes. Für den Bereich der Morali-
schen Wochenschriften vgl. die Belege bei Martens 1968, S. 224–231 u. 264–273.
129
Zum physikotheologischen Zug der Wochenschriften vgl. ebd., S. 217–224.
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Die Moralischen Wochenschriften 571

(»meanest animal«) kaum noch Unterschiede bestünden. Vor allem aber sehe
er sich gleich den Tieren ohne jede Einschränkung der vollständigen Vernich-
tung (»as total a mortality as they«) gegenüber. Im Unterschied zum Tier sei
er sich jedoch dieser Tatsache bewusst.130 Nicht eigens ergänzt wird hier, was
für den christlichen Leser der Zeit selbstverständlich war: An der Frage der
Sterblichkeit ließ sich – wie bereits Pascal mit seiner Wette vorgeführt hatte
( IV.3.3) – die Überlegenheit der christlichen Religion schon während dieses
Lebens ohne jeden theoretischen Aufwand beweisen.
Die Wirkungen dieser Denkfigur konnten wir schon bei Seckendorff und
Bentley verfolgen. In der moraldidaktischen Literatur der Frühaufklärung
fand sie sogleich starken Rückhalt, wohl deswegen, weil von der Entscheidung
zwischen Hoffnung oder Furcht die auch für weltliches Glück so zentrale
Kategorie der Gemütsruhe betroffen war. Insofern wird also hier wie in vie-
len deutschen Wochenschriften, Traktaten, Erzählungen oder Lehrgedichten
nicht einfach heimlich Theologie betrieben, sondern – soweit man diese Be-
mühungen ernst nehmen will – in pragmatischer Optik die Leistungsfähigkeit
der christlichen Religion hinsichtlich einer glücksorientierten Lebensführung
in Anspruch genommen. Dass daraus leicht die Tendenz erwuchs, die Religion
immer mehr auf diese Lebenswerte zurückzuschneiden, wie es in der Neologie
dann tatsächlich geschah, hat führenden Neologen wie Spalding oder Semler
selbst den Vorwurf der (origenistischen) Freigeisterei zugezogen und ist auch
von späteren Kritikern, wie etwa Karl Barth, immer wieder betont worden.131
Was das Argument zusätzlich ausgesprochen attraktiv machte, war die Mög-
lichkeit, die an Lukrez angelehnte Behauptung der radikalen Religionskritik,
dass sich jeder Gottesglaube primär auf Angst zurückführen lasse, auf die
Atheisten oder Freidenker zurückzuwenden. Der Tatler hat diesem Thema in
einem späteren Stück noch eine weitere Betrachtung gewidmet.132
130
Die Stelle im Zusammenhang (111. St.): »He can only consider himself as an insi-
gnificant figure in a landscape, and wandering up and down in a field or a meadow, under
the same terms as the meanest animal about him, and as subject to as total a mortality as
they; with this aggravation, that he is only one amongst them, who lies under the appre-
hension of it.«
131
Zu diesem Problem, das die historische Aufarbeitung der Aufklärungstheologie
lange verhinderte, vgl. die gut pointierende Forschungs- und Problemskizze von Nowak
1999; zu den Vorwürfen gegen Semler und andere Neologen s. weiter unten, Kap. VI.6.3.
132
Im 135. St. vom 18. Februar 1710 stellt der Verfasser nach einer vergleichenden
Gegenüberstellung der antiken und der neueren Freidenker die im Rahmen der gat-
tungstypischen common sense-Haltung plausible, hier aber nur scheinbar ergebnisoffene
Frage nach dem Nutzen oder den Vorzügen des Freidenkertums: »I would fain ask a mi-
nute philosopher, what good he proposes to mankind by the publishing of his doctrines?
[…] What is there either joyful or glorious in such opinions? do they either refresh or
enlarge our thoughts? do they contribute to the happiness , or raise the dignity, of human
nature?« – Die vermeintliche Befreiung von der Angst weist der Verfasser mit Entschie-
denheit zurück: »The only good that I have ever heard pretended to, is, that they banish
terrors, and set the mind at ease? But whose terrors do they banish? It is certain, if the-
re were any strength in their arguments, they would give greater disturbance to minds
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572 Übergänge zur Hochaufklärung

In der vorerst noch etwas weiter zu betrachtenden Weihnachtsausgabe


kehrt es nach dem Tiervergleich noch einmal wieder, wenn schließlich die ›last
moments‹ des stereotypen Atheisten erörtert werden.133 Hier wechseln die Au-
toren nach kurzer Einführung – sie markiert diesen dritten Teil der Aufzäh-
lung zugleich als deren Höhepunkt134 – ins anekdotische Erzählen über, das in
der Zeitschriftenliteratur ohnehin eine erhebliche Rolle spielt.135 Einmal mehr
verzichten die Autoren auf ein drastisches Exempel, wie es etwa mit größtem
Erfolg und lang anhaltender Wirkung der Second Spira ( III.2.2) lanciert hat-
te. Stattdessen wird auch hier wieder das komische Register gewählt. Ein und
derselbe Atheist wird gleich in zwei Situationen vorgeführt, die der Erzähler,
der sprichwörtliche Tatler (engl. für ›Schwätzer‹),136 als Augenzeuge miter-
lebt haben will.137 Während eines leichten Unwetters soll jener an Bord eines
Schiffs einem anwesenden Geistlichen seinen bisherigen Unglauben bekannt
und ihn im gleichen Atemzug widerrufen haben.
Ebenso aussagekräftig wie die angesichts eines lauen Windes (»a brisk
gale«) komisch übertriebenen qualvollen Selbstanklagen (»agonies of confes-
sion«) sind die Reaktionen der Seeleute, die hier, als Kontrastfiguren, für den
unverfälscht gesunden Menschenverstand und eine bodenständige Frömmig-
keit stehen. Auf die Nachricht, dass sich ein Atheist an Bord befinde, glauben
sie, da sie das Wort zum ersten Mal hören, dass ein seltener Fisch gemeint sei.138
Wenn einer der braven Seeleute, konfrontiert mit den Geständnissen des ver-
ängstigten Gottesleugners, den Vorschlag äußert, ihn kurzerhand über Bord

that are influenced by virtue, honour, and morality, and take from us the only comforts
and supports of affliction, sickness, and old age. The minds, therefore, which they set at
ease, are only those of impenitent criminals and malefactors, and which, not the good of
mankind, should be in perpetual terror and alarm.« – Es folgt noch das Exempel eines
französischen Edelmanns, der durch Krankheit von der »infidelity« zum panischen Teu-
felsglauben befördert worden sei.
133
Die ebenfalls angekündigte Betrachtung des Atheisten »in distress« fällt ausge-
sprochen kurz aus und variiert nur den auch in beiden anderen Abschnitten vorliegenden
Grundgedanken der Trostlosigkeit, hier angesichts widriger Umstände (»present calami-
ty«). Tatler, 111. St.
134
Ebd.: »But if you would behold one of these gloomy miscreants in his poorest
figure, you must consider him under the terrors, or at the approach, of death.«
135
Zur Form der Anekdote in der deutschen Aufklärung vgl. Schäfer 1985; ein Über-
blick zur Sach- und Forschungsgeschichte in RLL3, Bd. 1, S. 87–89 (Heinz Schlaffer).
136
Unter diesem Titel (Der Schwätzer. Eine Sittenschrift) erschien auch noch 1756
eine deutsche Übersetzung in Leipzig.
137
Fingierte Erfahrungsberichte dieser Art gehören ebenso wie überlieferte Exemp-
la oder Wanderanekdoten zum festen Formenbestand der Moralischen Wochenschriften,
oftmals erscheinen sie auch als Briefe an die personalisierten Herausgeber. – Vgl. Martens
1968, S. 57–61.
138
Tatler, 111. St.: »Several of the common seamen, who had never heard the word
before, thought it had been some strange fish; but they were more surprised when they
saw it was a man, and heard out of his own mouth, that he never believed until that ay that
there was a God.«
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Die Moralischen Wochenschriften 573

zu werfen, mag das zwar komisch wirken; es scheint aber auch für einen Au-
genblick die Aggressivität durch, die der Ausgrenzungslogik des Antiatheis-
mus zugrunde liegt und die sich in den drastischen Sterbebetterzählungen wie
in der traditionellen Tier- oder Krankheitsmetaphorik (»vermin«, also Wurm
oder Ungeziefer, heißt es im vorliegenden Text einmal) deutlicher zeigt als in
gelehrten Deduktionen oder komischer Bloßstellung. Für die Atheisten oder
Freidenker (unterschieden wurde dabei nur selten) galten hier die gleichen Be-
dingungen wie für andere Feindbilder oder Randgruppen (z. B. Hexen, Ketzer
oder Juden).
Der komische Rahmen wird effektvoll geschlossen, wenn der Atheist, so-
bald der Wind in Hafennähe abflaut, die Anwesenden um Stillschweigen über
das Gesehene bittet.139 Gemeint ist, wie aus dem weiteren Erzählverlauf (s. u.)
hervorgeht, nicht seine Entlarvung als Atheist, sondern der Augenblick der
Schwäche, in dem er sich zu Gott bekannt hat. Dieses Motiv, das sowohl die
topische Eitelkeit des Ungläubigen wie die Instabilität seiner Überzeugung il-
lustriert und einmal mehr an die Schadenfreude der Leser appelliert, verband
sich für die Zeitgenossen vor allem anderen mit Gerüchten über das Sterbela-
ger Spinozas, der sich, wie es lange hieß, aus dem gleichen Grund den Besuch
von Priestern verbeten hätte. Obwohl die Geschichte schon bald als Falsch-
meldung entlarvt wurde, fand sie noch für eine Weile Verwendung in der
apologetischen Literatur.140 Innerhalb des anekdotischen Erzählnexus bereitet
diese Pointe zugleich den zweiten Teil der Handlung vor. Zurück an Land,
gerät der Atheist binnen zweier Tage in ein Duell mit einem der Seeleute, als
ihn dieser mit seinem Anfall von Frömmigkeit (»devotion on shipboard«) auf-
zieht. Nach einem schweren Treffer und entsprechendem Blutverlust wieder-
holt sich die Geschichte von der Schiffsreise: »The atheist was run through the
body, and after some loss of blood, became as good a Christian as he was at
sea, until he found that his wound was not mortal.« Mit einsetzender Heilung
kehrt dann erwartungsgemäß auch die Frechheit zurück.
Passagen wie diese führen eindrücklich vor Augen, welche Mittel den Au-
toren der Moralischen Wochenschriften schon zur Verfügung standen, bevor
die Ebene theologischer oder auch philosophischer Beweisverfahren auch nur
betreten wurde. Die Stigmatisierung der Atheisten, Freidenker oder Ungläu-
bigen zur – nach Gelegenheit mal komisch bloßgestellten, mal dämonisier-
ten – outgroup dürfte ihre Wirkung auf die Leserschaft nicht verfehlt haben.
Hinzu traten freilich, in anderen Stücken dieser wie weiterer Wochenschriften,
diejenigen apologetischen Argumentationsbestände, die sich dem Programm
der Gattung ohne allzu große Brüche einfügen ließen. Angesprochen wurde

139
Ebd.: »But we were now within sight of port, when of a sudden the wind fell, and
the penitent relapsed, begging all of us that were present, ›as we were gentlemen, not to say
any thing of what had passed’.«
140
Auf die Anekdote wurde schon mehrfach hingewiesen; vgl. einmal mehr Czelins-
ki-Uesbeck 2006, S. 40–69.
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574 Übergänge zur Hochaufklärung

bereits die Bedeutung der Physikotheologie, die bald darauf auch ihren Sieges-
zug in Deutschland antreten sollte.141 Der programmatischen common sense-
Orientierung anstelle deduktiv-rationalistischer Verfahren entsprach auch der
klassische Beweis de consensu gentium (resp. sapientium), dem um 1700 neben
Sokrates, Platon, Seneca und Cicero auch Figuren wie Bacon, Newton oder
Boyle hinzugefügt werden konnten.142 Herausragende Bedeutung gewann –
angesichts des Gattungsprofils naheliegend – die Engführung von (christli-
cher) Religion, Sittlichkeit und staatlich-gesellschaftlicher Stabilität, wie sie in
den Staats- und Naturrechtslehren seit dem 16. Jahrhundert entwickelt worden
war ( I.3). Sittlichkeit und sozialer Zusammenhalt werden darüber hinaus –
auch darin ganz ähnlich wie in der aristotelischen Politica, allerdings stärker
akzentuiert und individualisiert als dort – auf die Leitkategorie der happiness
hin perspektiviert, wie wir es am Beispiel des Tatler bereits gesehen haben.143

2.3 Hopes and Fears


Triebpsychologie und religiöse Normbegründung im Guardian (1713)

Die argumentative und literarästhetische Einbettung dieses Begründungszu-


sammenhangs lässt sich exemplarisch an einer Nummer des Guardian studie-
ren, der dritten von Steele und Addison mit großem Erfolg veröffentlichten
Wochenschrift. Im 55. Stück vom 14. Mai 1713 griffen die Autoren das Thema
wieder auf, das schon im dritten Stück angeklungen war: die gesellschaftliche
Bedeutung der Religion angesichts ihrer triebdisziplinierenden Wirkung.144
In seltener Offenheit enthüllt die Betrachtung den tiefen anthropologischen
Pessimismus,145 den die frühen Wochenschriften mit der Sünden- und Laster-
psychologie des barocken Luthertums ( II.2–4) ebenso teilten wie mit der
höfischen Moralistik ( IV.4.2) und den Vorurteilslehren der protestantischen
Frühaufklärung ( IV.4.3). Dass er hier in dieser Schärfe entfaltet wird, hängt
damit zusammen, dass sich gerade in England wenige Jahre zuvor gleich zwei

141
Dazu gleich ausführlich im Brockes-Kapitel.
142
So etwa im Spectator, 389. St.
143
Vgl. die oben wiedergegebenen Zitate aus dem 111. und 135. Stück. Auf die For-
mulierung »Tye of human society« aus dem dritten Stück des Guardian wurde ebenfalls
bereits hingewiesen (Anm. 7).
144
Guardian, 55. St.: »Virtue has in her self the most engaging Charms; and Christia-
nity, as it places her in the strongest Light, and adorned with all her Native Attractions, so
it kindles a new Fire in the Soul, by adding to them the unutterable Rewards which attend
her Votaries in an Eternal State. Or if there are Men […], who are not easily lifted up by
Hope, there is the Prospect of everlasting Punishments to agitate their Souls, and frighten
them into the Practice of Virtue, and an Aversion from Vice.«
145
Ebd.: »Are not Men actuated by their Passions, and are not Hope and Fear the
most powerful of our Passions? and are there any Objects which can rouse and awaken
our Hopes and Fears, like those Prospects that warm and penetrate the Heart of a Christi-
an, but are not regarded by a Free-Thinker?«
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Die Moralischen Wochenschriften 575

Gegenpositionen zu etablieren begonnen hatten: zum einen die rationalisti-


sche Popularethik des neueren Deismus, zum anderen Shaftesburys moral
sense-Lehre,146 die im Kern des Menschen einen Drang zum Guten, zur Mit-
menschlichkeit und darüber hinaus ein ästhetisches Vermögen annahm, das
die Vorzüge der Tugend nicht aufgrund eines bloßen Nutzenkalküls, sondern
aufgrund ihrer Schönheit als wünschenswert erkennbar werden lasse.147 Mit
dem geschärften Blick für heterodoxe Implikationen, wie er nach dem kon-
fessionellen Zeitalter und insbesondere nach der internationalen Debatte über
Spinoza und Bayle zum selbstverständlichen Wahrnehmungshorizont der Ge-
lehrten gehörte, erkannten die Autoren des Guardian hier eine Provokation
der theonomen Morallehren, die mit den veränderten Vorzeichen des ideen-
geschichtlichen Rückblicks denn auch spätestens seit dem 19. Jahrhundert als
emanzipativer Durchbruch einer säkularen Lebensorientierung hervorgeho-
ben werden können.148
So sehr nun die Moralischen Wochenschriften, schon durch die Themen-
wahl allein, einer bürgerlich-diesseitigen Welt- und Lebensorientierung den
Boden bereitet haben, so wenig haben sie, darin vergleichbar dem Natur-
recht Pufendorfs oder Lockes, 149 die Religion aus ihrer normbegründenden
Funktion verabschiedet.150 Der Grund dafür ist nicht oder nicht allein in per-
sönlicher Anhänglichkeit und politischer Anpassung zu suchen, sondern in
eben jenem geltungstheoretischen Dilemma, das innerhalb des gelehrten Fel-
des auch schon anhand der naturrechtlichen Frage nach der Verbindlichkeit
(obligatio) intensiv diskutiert worden war ( I.3.5). Entsprechend erfolgt die
Begründungsarbeit im einschlägigen Guardian-Artikel wie auch in anderen
Wochenschriften nicht auf der Grundlage autoritativer (dogmatischer oder
biblischer) Setzungen, sondern unter breiter Anwendung anthropologischer
Prämissen im beständigen Blick auf die Zielvorgabe einer individuellen und
kollektiven Tugend und ergo Glückseligkeit. »Virtue, and the Happiness of
Society, are the great Ends which all Men ought to promote […].« (55. St.)
Daraus ergibt sich die argumentative Linie des Artikels, die den Free-

146
Zu Shaftesburys Anthropologie und Ethik und ihrer Wirkung vgl. maßgeblich
Dehrmann 2008.
147
Erkennbar etwa in der folgenden Formulierung (Guardian, 55. St.): »Whereas
your sober Free-Thinkers tell you, that Virtue indeed is beautiful, and Vice deformed;
the former deserves your Love, and the latter your Abhorrence; but then, it is for their
own Sake, or on Account of the Good and Evil which immediately attend them, and are
inseparable from their respective Natures. As for the Immortality of the Soul, or Eternal
Punishment and Rewards, those are openly ridiculed, or rendered suspicious by the most
sly and laboured Artifice.«
148
Zu diesen grundlegenden Fragen s. die Bemerkungen in der Einleitung.
149
Zur naturrechtlichen Grundierung der Moralischen Wochenschriften vgl. – gegen
die ältere Sicht von Martens 1968 – Vollhardt 2001, S. 211–254. Dort auch Hinweise zur
Forschungsdiskussion.
150
Vgl. Martens 1968, S. 185–217.
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576 Übergänge zur Hochaufklärung

Thinkers entweder mangelnde Kenntnis des Menschen und ihrer selbst,151 ja


Naivität,152 oder aber böse Absichten unterstellt.153 In mehreren Anläufen wird
so die Überlegenheit der christlichen Religion, insbesondere der Lehre von
den Belohnungen und Strafen, gegenüber bloß rational oder aber ästhetisch
begründeten Morallehren herausgestellt, soweit deren Aufgabe darin liege, die
Triebnatur des Menschen zu bändigen.154 Mehr noch, in kühner Überspitzung
wird ein Gratifikationsaufschub ohne Aussicht auf spätere Belohnung als
nachgerade töricht (»foolish«) hingestellt.155 Die seit der Antike bestehenden
diätetisch-metriopathischen Modelle werden nicht verworfen, sondern mit ei-
ner defizitären Empirie konfrontiert. Selbst wenn es stimme, dass tugendhaftes
und maßvolles Verhalten zu einem glücklichen Leben verhelfe, könne doch
nicht übersehen werden, dass die meisten Menschen dem entgegen handeln
würden:

But although there is nothing more lovely than Virtue, and the Practice of it is the
surest way to solid, natural Happiness, even this Life […] it cannot be denied, that
Virtue and Innocence are not always the readiest Methods to attain that sort of Hap-
piness. (55. St.)

Hier kristallisiert sich, im letzten Abschnitt des Artikels, eine Denkfigur he-
raus, die sich auch schon bei Thomasius, Wolff und Gundling beobachten
ließ und die durch die gesamte Früh- und Hochaufklärung hindurch bis hin
zur Volksaufklärung ihre Geltung behalten sollte. Alternative Modelle der
Normbegründung werden nicht einfach pauschal zurückgewiesen. Das sähe
dem dezidiert undogmatischen Charakter der Gattung auch nicht ähnlich. Sie
werden vielmehr – nach Maßgabe des common sense, also mit Blick auf Wahr-
scheinlichkeit statt auf eine deduktiv bewiesene ›Wahrheit‹ – einer Prüfung auf

151
Ebd.: »Surely they must be destitute of Passion themselves, and unacquainted
with the Force it hath on the Minds of others, who can imagine that the meer [!] Beauty
of Fortitude, Temperance and Justice, is sufficient to sustain the Mind of Man in a severe
Course of Self-denial against all the Temptations of present Profit and Sensuality.«
152
Ebd.: »Such Innocent Creatures are they, and so great Strangers to the World, that
they think this is a likely Method to increase the Number of her Admirers.«
153
Ebd.: »I will not say, these Men act treacherously in the Cause of Virtue; but, will
any one deny, that they act foolishly, who pretend to advance the Interest of it by destro-
ying or weakening the strongest Motives to it […]?«
154
Ebd., in Ergänzung zu den zuvor zitierten Passagen: »It is not only a clear Point,
that a Christian breaks through stronger Engagements whenever he surrenders himself
to commit a criminal Action, and is stung with a sharper Remorse after it, than a Free-
Thinker […].« – Und, in der Umkehrung: »The Thought, that our Existence terminates
with this Life, doth naturally check the Soul in any generous Pursuit, contract her Views,
and fix the on temporary and selfish Ends. It dethrones the Reason, extinguishes all Noble
and Heroick Sentiments, and subjects the Mind to the Slavery of every present Passion.«
155
Ebd.: »[…] but it shou’d even seem that a Man who believes no future State,
wou’d act a foolish Part in being thoroughly honest. For what Reason is there why such a
one should postpone his own private Interest or Pleasure to the doing his Duty?«
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11:25

Die Moralischen Wochenschriften 577

mögliche Breitentauglichkeit unterzogen, und zwar vor dem Hintergrund der


ebenso simplen wie grundsätzlichen Annahme, dass in einem Gemeinwesen
Menschen mit höchst verschiedener kognitiver oder affektiver Ausstattung
zusammenleben. Man denke nur an Christian Wolffs spektakuläre Aussage,
dass die meisten Menschen nun einmal nicht vernünftig seien ( V.4.4), oder
an Thomasius’ Feststellung, dass von den melancholisch veranlagten Vorden-
kern des Atheismus weniger Schaden zu befürchten sei als von ihren anders
disponierten Proselyten ( V.2.4). Ganz ähnlich argumentiert jetzt auch der
Guardian, wenn er die Möglichkeit einer bloß vernunftgeleiteten Sittlichkeit
zunächst proleptisch für Einzelfälle einräumt, ihr dann jedoch die Allgemein-
gültigkeit abspricht.156 Zur Illustration ihrer Folgerung greifen die Autoren auf
eine altbewährte Strategie zurück, die in den Staatslehren seit Bodin vielfach
anzutreffen war. Mit wenigen Strichen wird ein Anomieszenario entworfen
und als Folge der Preisgabe einer theonomen Moralbegründung hingestellt:157

And tho’ we should grant our Free-Thinkers to be a Sect of refined Spirits, capable
only of being enamoured of Virtue, yet what would become of the Bulk of Mankind
who have gross Understanding, but lively Senses and strong Passions? What a Deluge
of Lust, and Fraud, and Violence would in a little Time overflow the whole Nation,
if these wise Advocates for Morality were universally heared to? Lastly, Opportuni-
ties do sometimes offer in which a Man may wickedly make his Fortune, or indulge a
Pleasure, without fear of Temporal Damage, either in Reputation, Health, or Fortune.
In such Cases what Restraints do they lie under who have no Regards beyond the
Grave?

2.4 Unglaube, Unvernunft, Unmoral


Die notae Atheismi im Blick deutschsprachiger Wochenschriften

Von dort aus lässt sich nun auch der Bogen zu den deutschen Wochenschrif-
ten schlagen. Im gleichen Maß nämlich, wie die praktische Unvernunft, als
Egoismus oder sogar Verbrechen, anderen Menschen schadet, rückte sie auch
dort ins Visier einer christlich grundierten Staats- und Politiklehre. Dem tra-
ditionellen Topos von der Religion als ›Zügel‹ (frenum) für die Begierden und
ergo, auf die Ebene des Gemeinwesens hochgerechnet, als vinculum societatis
( I.3) widmete etwa die Wochenschrift Der Brachmann am 10. September
1740 ein eigenes Stück (37. St.). Darin wird die stets drohende Asozialität des
Menschen zwar nicht auf die Fehlbarkeit seiner Vernunft zurückgeführt, son-
dern auf seinen »verdorbenen Geschmack«, die Argumentation ist jedoch ver-
gleichbar: Selbst dann, so der Brachmann, wenn eine staatliche Ordnung auf
Gerechtigkeit und Weisheit gegründet sei, könne sie bei ihrer Durchsetzung

156
Ebd.: »Besides, the Fumes of Passion must be allayed, and Reason must burn
brighter than ordinary, to enable Men to see and relish all the native Beauties and Delights
of a virtuous Life.«
157
Auf die Passage verweist auch Martens 1968, S. 191 f.
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578 Übergänge zur Hochaufklärung

nicht auf die Einsichtsfähigkeit der Bürger vertrauen, solange diese durch Ei-
gennutz und Vorurteile behindert werde.158
Zurückgewiesen wird auch die (hier wohl auf Mandeville anspielende) Be-
hauptung, die Verbindlichkeit gesellschaftlicher Normen lasse sich über die
propagierte Ineinssetzung des individuellen und kollektiven Nutzens realisie-
ren.159 Die Religion allein sei imstande, den Forderungen des Gemeinwohls –
auch beim »Pöbel« – den nötigen Nachdruck zu verleihen, nur sie könne den
»verkehrten Neigungen Schranken« setzen, und zwar, wie es in bemerkens-
werter Offenheit heißt, unabhängig davon, ob sie wahr oder falsch sei.160 Was
auf den ersten Blick wie eine heterodoxe Rückwendung zu Machiavelli oder
Hobbes wirken könnte, enthüllt sich im Fortgang des Artikels als ausgespro-
chen kühne apologetische Strategie. Sie richtet sich ausdrücklich gegen Ver-
suche, die christliche Religion in den Augen der breiten Bevölkerung zu dis-
kreditieren. Zu diesem Zweck zeichnen die Autoren in der bekannten Weise
das Schreckbild des Anomiezustands, in den ein Gemeinwesen ohne Religion
notwendig geraten müsse:

Oder man […] hebe die Lehre von Gott und seinem Dienste auf, so wird kein Re-
gent und kein Gesetze mehr was gelten, weil der Ungehorsam keine ewige Strafe zu
befürchten hat, die zeitliche aber entweders [!] gar nicht gefürchtet wird, da ein jeder
seines Todes sonst gewiß ist; oder dieselbige mit natürlicher Gegenwehre abzuwenden;
oder sein Verbrechen zu verdecken hoffet. So lange alle weise Gesetzgeber diese zum
Grunde geleget, haben ihre Staaten geblühet; sobald aber die Geringachtung derselben
erfolget, so hat Gerechtigkeit und Billigkeit der Tyranney weichen müssen, worauf der

158
Der Brachmann, 37. St.: »Die angebohrne Liebe zur Freyheit und ein falscher
Begriff von derselben vernichtigen bey dem Pöbel in einem Augenblick alle Beweise, die
auch der scharfsinnigste Redner für die Nothwendigkeit der Gesetzen [!] anbringen könn-
te. Auch die gerechteste und weiseste Ordnung wird einen eigennützigen oder einbildi-
schen Bürger empören, wenn sie wieder seinen Vortheil läufft, oder gegen seine Vorurt-
heile streitet.«
159
Ebd.: »Man würde sich vergebens einbilden, daß man durch Vorstellungen des
Nutzens, den jeder Bürger von der Regierung der Obern, und der Beobachtung der Ge-
setze geniessen kann, die Unterthanen im Zaum halten wollte: Die wenigsten sind tüchtig
dieses zubegreiffen, und viele zu träg, Ueberlegungen darüber zu machen.« – In seiner
bekannten Fable of the Bees (1714) hatte Mandeville bekanntlich behauptet, dass sich der
Eigennutz vieler Einzelner, bei einer gewissen Verschiedenheit der Vorlieben, zu kollekti-
vem Nutzen aufaddieren lasse. Darauf zielt möglicherweise auch folgende Bemerkung des
Brachmann (ebd.): »Ich bin zufrieden, daß andere das für groß, was ich für klein, halten,
weil also eines jeden Begierden gestillet werden, da sonst wo gleiche Begierde und gleiches
Recht wäre, das beste nur dem stärkern zu theil, ich aber vielleicht auf das geringste ver-
wiesen würde.«
160
Ebd.: »Alle Religionen, die jemals in der Welt gewesen, wahre und falsche, haben
dem gemeinen Wesen, worinn eines jeden Gliedes Nutzen mit begriffen ist, damit den
grösten Dienst geleistet, daß sie den Gesetzen die Furcht, den Tugenden die Belohnung
geborget haben, ohne welche kein Hauß, vielweniger eine ganze Bürgerschaft bestehen
könnte […].«
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Die Moralischen Wochenschriften 579

untern Hartnäckigkeit und Widerspenstigkeit gekommen, die alles unter und über sich
gekehret. (Ebd.)

Die Vorstellungen der Regellosigkeit bei Beherrschten wie bei Herrschenden


und das drastische Bild der inversio, bei der sich das Oberste zuunterst kehre,
haben wir schon in den Staatslehren von Bodin bis Conring und erst kürzlich
noch bei Martini angetroffen. Wie dort dient sie hier zur Abwehr öffentlich
vorgetragener Spottreden über die Religion:

Hingegen wo der Gottesdienst aufhöret, da werden eines jeden unbändige Begierden


die Regel seyn, welcher man nachfolgen wird. Diesen betrübten Erfolg sollte jeder-
mann zu diesen Zeiten beherzigen, da die Verachtung gegen unsere seligmachende
Religion und derselben Nutzen auch in dem zeitlichen, gegen die, die solche öffentlich
und heimlich lehren, und gegen die, die sie mit Mund und Herzen bekennen, so groß
ist, daß wo nur die geringste Meldung selbiger gethan wird, man als abergläubisch, als
einfältig und unwissend verlachet wird: Die aber mit eint- oder andern Gründen, die
uns vernünftig scheinen, wider unsere Lehre aufgezogen kommen, werden für grosse
Geister gehalten; und sie wollen sich dadurch vom leichtgläubigen Pöbel unterschei-
den, daß sie dasjenige lästern, was sie kaum verstehen, und daran zweifeln, was sie
niemals mit Fleiß untersucht haben […]. (Ebd.)

Das gegen Ende eher nebenher entworfene Porträt des mit seiner Kühn-
heit renommierenden Freidenkers weist die satirische Tendenz auf, mit der
die Moralischen Wochenschriften diesen Typus bevorzugt zeichneten. Die
theologisch-philosophische Vorarbeit der Frühaufklärung wird dabei schon
vorausgesetzt. Eingedenk der enormen methodologischen und historischen
Anstrengungen, wie sie die Generation der Übergangstheologen zur Befes-
tigung und Umarbeitung der protestantischen Theologie unternommen hat-
ten, werden die Freidenker, auch da, wo sie mehr in fiktional-erzählerischen
Kontexten auftauchen,161 gern als intellektuell unterlegen dargestellt. Ihr Spott
über die Leichtgläubigkeit der Christen richtet sich gegen sie selbst, da er sich
eben dem lasterhaft-affektiven Antrieb des Hochmuts, anders gesagt, einem
Geltungsbedürfnis verdankt, das durch keine adäquate Gelehrsamkeit gedeckt
ist. Auf diese Weise bemühten sich die Verteidiger der christlichen Religion –
im Falle von Kapazitäten wie Budde, Mosheim oder auch Löscher wohl nicht
zu Unrecht – das Feld der Gelehrsamkeit und der Vernunft für die Theologie
zu reklamieren und so den Rationalitätsanspruch der philosophischen oder bi-
belphilologischen Religionskritik zu parieren.162 In eben diesem Sinne wird der

161
Das gilt in gleicher Weise für das Lehrgedicht, etwa bei Brockes ( VI.3).
162
Deutlich wird das an einer späteren Bemerkung im gleichen Stück, das die Ver-
nunftkonformität der christlichen Religion unterstreicht: »Wie vielmehr sollten also alle
Regierungsbegierige und dazu gewidmete unter uns Eyfer und Hochachtung für unsere
Religion erzeigen, da dieselbe so vernünftig, und allen Gesetzen (nur weltlich davon zu
reden,) so gemäß und gleichförmig ist, daß, wenn das in unserer Religion unterwiesene
Volk duch das ärgerliche Exempel seiner Obern wegen Verachtung der Religion in Zweifel
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580 Übergänge zur Hochaufklärung

Gegner in der nachfolgenden Apostrophe auch als »Du freyer Narren-Geist«


angesprochen. Der altbewährte Topos von der stultitia Atheismi ist darin
ebenso aufgehoben wie der zu dieser Zeit gerade an Konjunktur gewinnende
Ausdruck ›Freigeist‹, in dem die Bedeutungskomponente der intellektuellen
Überheblichkeit noch stärker mitschwingt als in dem funktional weitgehend
äquivalenten Leitbegriff atheus bzw. ›Atheist‹.163
Das gilt erst recht für die Bezeichnung »Starke Geister«, gebildet nach dem
französischen Esprits forts, die in den Jahrzehnten um 1740 eine Art Brücken-
funktion erfüllte, bevor sich der prinzipiell synonyme Ausdruck ›Freigeist‹
weitgehend durchsetzen sollte ( VI.5). Schon bei La Bruyère war zu sehen,
wie das Attribut ›stark‹ ironisch mit der vermeintlichen Geistesschwäche der
Esprits forts kontrastiert wurde. Dieser Scherz verlor im 18. Jahrhundert kei-
neswegs an Attraktivität.164 Von der Unbesonnenheit derer starcken Geister
handelt so etwa die Wochenschrift Der Dreßdnische Philosophe im fünften und
sechsten Stück (28.1./4.2.) des Jahres 1737. Nach einem kurzen Exkurs über
die ursprüngliche Bedeutung des französischen Ausdrucks ›fort‹ als »grob und
unhöflich«, das den Rückschluss auf die »Frechheit« als zentrales Charakte-
ristikum der starken Geister erlaubt,165 wird die Kategorie der Unbesonnen-
heit näher expliziert. Der Bezug zur Tradition des stultitia-Topos, besonders
zu den drastischeren Variationen wie ›insania‹, ›vesania‹ oder ›stoliditas‹,166 ist
deutlich zu erkennen, wenn der Philosophe die Gemütsverfassung der starken
Geister als »unsinnig oder wahnsinnig« bestimmt. Der Rückgriff auf das eng-
lische »unreasonableness« verweist dabei deutlich auf Bentleys erfolgreiche

gebracht würde, es gar keine Religion mehr glauben, und keinem Gesetze mehr unterthan
seyn werde […].«
163
Der Grund dafür ist jedoch in dem skizzierten Rationalitätsanspruch der früh-
aufklärerischen Theologie eher zu suchen als in Etymologie oder Semantik des Frei-
geistbegriffs. Vgl. dazu die Ausführungen weiter unten im begriffsgeschichtlichen Abriss
(Kap. VI.5).
164
So etwa noch in der Sittenlehre des Schweizer Theologen und Wolff-Schülers Jo-
hann Friedrich Stapfer (2. Teil, Zürich 1758, S. 330): »In einem gewissen Sinn muß man es
euch lassen, daß ihr starke Geister seyd. In einem andern Sinn aber verrathet ihr die Schwä-
che euers Verstandes.« Ähnlich auch ebd., S. 334 »Doch so stark ihr mir vorkommet, wann
ich euch auf der einten [!] Seite betrachte, so kan ich doch nicht in Abrede seyn, wie gern
ich es immer verschweigen wolte, daß mir euer Geist, so ich euch auf eine andere Weise
betrachte, sehr schwach vorkommt.« – Zu Stapfers polemischer Theologie vgl. zuletzt den
kenntnis- und materialreichen Beitrag von Theodor Mahlmann (Mahlmann 2010).
165
Der Dreßdnische Philosophe, 5. St. (28 Januar 1737): »Starcke Geister aber heissen
sie aus einer bekannten Bedeutung der französischen Sprache, da das Wort starck so viel
ist, als grob und unhöflich. Denn solche Leute reissen mit grosser Frechheit durch alle Ge-
setze der Religion durch, und sagen: Lasset uns zureissen ihre Bande, und von uns werffen
ihre Seile. Auf solche Art wird man ihnen nicht viel Unrecht thun, wenn man sie grobe,
tölpische und ungeschliffene Geister nennet.«
166
Vgl. dazu besonders die oben stehenden Ausführungen zu Johann Ulrich From-
manns Disputationszyklus Atheus stultus ( V.5.2), in dem das Wortfeld in voller Breite
vertreten ist.
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Die Moralischen Wochenschriften 581

Predigt The Folly of Atheism ( IV.4.1), die 1693 als Teil der Predigtreihe The
Folly and Unreasonableness of Atheism im Druck erschien:

Solchen Geistern schreibe ich eine Unbesonnenheit zu, und will damit so viel sagen,
daß sie die Regeln, welche die gesunde Vernunft giebt, nicht recht gebrauchen wollen
oder können. Wir Teutsche brauchen Vernunft und Sinne zusammen, und nennen
daher einen, der seiner Vernunft nicht mächtig ist, unsinnig oder wahnsinnig, weil
er seine innerliche und äußerliche Sinnen nicht durch die Vernunft zu regieren, und
recht anzuwenden weiß. Ich hätte gern ein ander Wort genommen, mit welchem ich
das Englische ausgedrückt hätte, allein weder die französische noch teutsche Sprache
haben ein solches Wort. Indessen begreifft das Wort Unbesonnenheit schon so viel,
als ich dadurch sagen will.167

Anders als der Titel der Zeitschrift vermuten lässt, führt der Philosophe im
Weiteren nicht etwa die Rationalitätskriterien der philosophischen Meta-
physik ins Feld, um die Irrationalität des Gegners zu erweisen.168 Vielmehr
wird die Zuständigkeit der Vernunft in Glaubensdingen entschieden zu-
rückgewiesen.169 Aus der natürlichen »Verderbniß« des menschlichen Geis-
tes folgt für die Autoren, in paradoxer Zuspitzung, die Vernünftigkeit eines
sacrificium intellectus. Die »Unbesonnenheit« der starken Geister bestehe
vor allem darin, das Ausmaß der menschlichen Unvernunft zu unterschät-
zen und den einzigen sicheren Ausweg aus der natürlichen Verderbnis, die
göttliche Offenbarung, zu verschmähen.170 Wie so oft seit Beginn der Aufklä-
rung wird hier der common sense (›gesunde Vernunft‹) zur mittleren Instanz,

167
Der Dreßdnische Philosophe, 5. St.
168
Stattdessen wird das neue Selbstbewusstsein der philosophischen Theologie, für
das etwa die im gleichen Jahr erschienene Theologia naturalis Christian Wolffs stehen
könnte, als Vorwitz getadelt, da die Philosophie ihre Einsichten in letzter Konsequenz
nicht der Vernunft, sondern der Offenbarung verdanke (ebd.): »Man sieht sein Wunder,
wie die meisten von denen neuern Philosophen, wenn sie von der natürlichen Theologie,
ingleichen vom Natur- und Völcker-Recht weltweißheiteln, so artig und klug thun kön-
nen. Aber man nehme dasjenige draus weg, was uns die Heil. Schrift an die Hand gegeben,
so wird die Esopische Krähe gar kahl bestehen.« – In dieses Schema wird auch die »Philo-
sophische Historie« eingepasst. Auch Plato, Pythagoras und andere hätten ihre Weisheit in
Ägypten gelernt, letztlich also aus dem Alten Testament (ebd.): »Und folglich kommt alles
aus der ersten Quelle her.« – Zu diesem bekannten Argument und seiner Entwicklung von
der Renaissance bis zur europäischen Aufklärung vgl. die Hinweise bei Assmann 1998,
S. 17–20.
169
Der Dreßdnische Philosophe, 5. St.: »Der Grund des gantzen Verfalls ist, daß sol-
che Leute ihrer Vernunft allzuviel zutrauen. Es ist wahr, daß uns GOtt durch dieselbe ein
vortreffliches Licht aufgesteckt hat. Es ist aber auch dieses wahr, daß sich dieselbe, ehe man
sichs versiehet, starck vergehen kann.«
170
Ebd.: »Weiß man, wie unsere Verderbniß beschaffen sey, so ists vernunftmäßig,
daß man sie wieder loß zu werden suchet. Die Mittel darzu zu gelangen, sind eben so we-
nig mit der menschlichen Vernunft auszudencken, als der Verfall selber. Daher sollte man
weiter gehen, und nachfragen, auf was Art man zu einer Verbesserung gelangen könnte.
Solche zeiget die Schrift aufs allerdeutlichste.«
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582 Übergänge zur Hochaufklärung

von der aus das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung ermittelt werden
soll. Die entsprechende Argumentation gibt sich betont bodenständig: Da
Gott in seinen Prophezeiungen bislang immer recht behalten habe, zudem
die Menschen bisher »noch niemahls betrogen« habe, könne seinem Wort
Glauben geschenkt, die Hoffnung auf ein ewiges Leben als zuverlässig ein-
gestuft werden.171 Die Unterordnung der (philosophischen) Vernunft unter
das göttliche Wort liegt, wie weiter oben gezeigt wurde, ganz auf der Linie
der frühen Gattungsvertreter.
Den fehlenden Übergang von der intellektuellen zur moralischen Unzu-
rechnungsfähigkeit leistet schließlich ein Exkurs über das Gewissen, das tra-
ditionell nicht nur als Sitz der natürlichen Gotteserkenntnis, sondern zugleich
als prärationale Instanz in moralischen Fragen firmierte und im Unglaubens-
diskurs seit seinen neuzeitlichen Anfängen fest verankert war ( I.1.4; I.4.1).
Im vorliegenden apologetischen Kontext stellt es erneut den schon vorher ex-
plizierten Zusammenhang zwischen Offenbarung und Naturrecht her.172 Wer
das eine leugne, so die Beweisführung, leugne auch das andere. Ohne Scheu
vor möglichen Widersprüchen – die zuvor drastisch abgewertete Vernunft
wird hier nämlich bedarfsgerecht restituiert173 – spricht der Dreßdnische Phi-
losophe den starken Geistern mit der Erkenntnis Gottes auch die Einsicht in
die rational erkennbaren Sätze des Naturrechts ab. Da sie folglich die »Ver-
bindlichkeit« moralischer Lehrsätze oder gar gesetzlicher Bestimmungen
nicht anerkennen, sich ergo an Eide nicht gebunden fühlen würden, vielmehr
allein dem eigenen Interesse folgen würden, seien sie als mögliche Staatsbür-
ger disqualifiziert. Diese Behauptung entspricht offenkundig genau der oben
näher erörterten barocken und frühaufklärerischen obligatio-Debatte, wie sie
auch am Guardian und am Brachmann vorgeführt wurde. Die entsprechenden
rechts- und moralphilosophischen Begründungen werden nur skizzenhaft an-
gedeutet und folglich als bekannt vorausgesetzt – ein Indiz für die Rolle der
Intertextualität innerhalb des Unglaubensdiskurses. Wir dürfen annehmen,
dass zeitgenössische Leser die Hintergründe gut genug kannten, um aufgrund
der hier gegebenen Andeutungen den Argumentationsgang rekonstruieren zu
können:

171
Ebd., 6. St. (4. Februar 1737): »Nun sind noch etliche von denen Puncten zurück,
die kein Mensch erleben soll, sondern die wir erst nach unsern [!] Tode erfahren sollen. Ist
nun die Frage: Werden denn auch diese Dinge gewiß eintrefen? […] Ein Christ braucht
erstlich seine Vernunft, und sagt: Weil ich mit einem solchem [!] GOtt zu thun habe, der
uns noch niemahls betrogen, und auch nicht trügen kann, sondern der in allen seinen Ver-
heissungen richtig zugetroffen und sein Wort gehalten; so glaube ich, daß dasjenige, was
noch rückständig ist, eben so gewiß kommen werde, als das bisherige gekommen ist.«
172
Ebd.: »Ein starcker Geist hält nichts vom Rechte der Natur, und drückt folglich
alles nieder, was ihm das Gewissen noch bisweilen erinnert.«
173
Ebd.: »GOtt hat uns in der Vernunft bereits einiger massen den Weg angewiesen,
auf welchem wir ihn suchen und verehren sollen. Es ist zwar, wenn mans gegen die Offen-
bahrung hält, ein klein und schwaches Lichtgen, doch ists gut, und nicht zu verwerffen.
Denn wenn man demselben gebührend nachgehet, so führet es einen immer weiter.«
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Die Moralischen Wochenschriften 583

Aus dem geoffenbahrten göttlichen Wort machen sie nichts, von dem vernünftigen
und natürlichen Rechte halten sie auch nichts. Folglich ist bey ihnen keine Verbind-
lichkeit, an welche sie sich selbst halten, oder mit welcher man sie fassen könnte. Aus
solcher Leute ihrem Eide mache ich gar nichts. Da ist kein Bewegungs-Grund das
Böse zu unterlassen, und das Gute zu verrichten, als der eigene Schaden und Nutzen,
welcher aus einem oder dem andern entstehen kann. Sie handeln also unbedachtsam,
daß sie sich vor der Welt so bloß geben.174

2.5 Vom Moralischen Charakter zur exemplarischen Erzählung


Am Beispiel des Patrioten

Wie schon verschiedene der bisher präsentierten Textbeispiele gezeigt haben,


ermöglichte das offene Format der Moralischen Wochenschriften ein Chan-
gieren zwischen expositorischer und fiktional-erzählender Prosa, nicht selten
sogar innerhalb eines Stücks. Auf der Grenze zwischen Fiktion und bloßer
Veranschaulichung im argumentativen Zusammenhang175 steht die Kleinform
des Moralischen Charakters, die durch die Moralischen Wochenschriften
wohl ihre größte Verbreitung erfahren hat. Es handelt sich, in Anlehnung
an die Charaktere von Theophrast und La Bruyère, um überzeichnete und
mit sprechenden Namen (z. B. Herr Wahrlieb) versehene Trägerfiguren für
bestimmte Eigenschaften.176 In der Porträtierung des Ungläubigen, sei es als
zynischer Hofmann, als stutzerhafter Jüngling oder als weltfremder Grübler
(s. u.), sind darüber hinaus Facetten der Ständesatire, der Schwanktradition,
der Typenkomödie177 oder auch der barocken Alamodekritik enthalten. Durch
diese Verbindung vertrauter Muster mit einer unterhaltsamen Formgebung
und dem häufig genutzten Verfahren der Verlachkomödie, das der Leserschaft
zu einem Gefühl der moralischen wie intellektuellen Überlegenheit verhalf,
dürften die Wochenschriften mehr als andere Medien dazu beigetragen haben,
dass der Typus des Ungläubigen dem zeitgenössischen Publikum als perso-
nalisiertes Klischee mit wiederkehrenden stereotypen Merkmalen vor Augen
stand. (Ähnliches gilt freilich für andere Moralische Charaktere wie etwa für
den Geizhals, den abergläubischen Schwärmer oder die übertrieben fromme

174
Ebd.
175
Vgl. Martens 1994, S. 10 f.
176
Auf diesen Formtyp wurde im Lauf der Darstellung schon verschiedentlich
hingewiesen; im Zusammenhang des Gattungsprofils vgl. Martens 1968, S. 239–242;
ergänzend: Martens 1994; zur Geschichte des Moralischen Charakters in Deutschland
vgl. Schneider 1976; für den englischen Sprachraum, die historische Tiefendimension
(Theophrast, die character writers des 17. Jahrhunderts) stärker einbeziehend, Smeed
1985; vgl. auch dessen Rezension zu Schneider (Smeed 1979); aus linguistischer Pers-
pektive, speziell mit Blick auf Gottscheds Vernünftige Tadlerinnen: Niefanger 1997,
S. 215–225.
177
Vgl. Martens 1994, S. 13 f.
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584 Übergänge zur Hochaufklärung

Betschwester.)178 Obgleich sich die Mehrzahl der entsprechenden Belege in den


Wochenschriften ab 1745 finden, sind in den hier vorerst zu betrachtenden
frühen Exemplaren der Gattung bereits die wesentlichen Züge enthalten.
Das Vorbild für die deutschen Moralischen Wochenschriften lieferte ne-
ben den englischen Gattungsmustern bereits La Bruyère in seinen zuerst 1688
(81694) erschienenen Caractères ou les moeurs de ce siècle ( IV.4.2). Generell
liegen die Moralischen Charakterporträts der deutschen Wochenschriften aber
mehr auf der Linie der englischen Gattungsvorbilder und der character wri-
ters des 17. Jahrhunderts. Sie fallen überwiegend kürzer aus als La Bruyères
Charaktere und verwenden wie die britischen Autoren sprechende Namen in
Verbindung mit einer steckbriefartigen Figurenskizze. Gewöhnlich treten sie
im Rahmen von Aufzählungen auf, die das Spektrum moralischer Haltungen
gegenüber einem jeweiligen Gegenstand abstecken. Das gilt auch für den Un-
gläubigen oder Freigeist, der gewöhnlich entweder als Lebemann und Wol-
lüstling oder als Religionsspötter auftritt. So treffen wir bereits im 66. Stück
des Patrioten (5. April 1725), das sich dem Thema der Unsterblichkeit wid-
met, statt auf langwierige dogmatische Ausführungen179 vielmehr auf einen
Herrn »von Freydünckel« als Beispiel für »eine gewisse Art von galanten und
scharffsichtigen Leuten«, die »ihren eigenen Verstand zum Probir-Stein alles
dessen, was wahr und falsch ist, zu machen pflegen«. An ihm demonstriert
der Verfasser, was geschieht, wenn sich der menschliche Verstand dem Unbe-
greiflichen zuwendet180 und dem Fehlschluss verfällt, dass alles Unbegreifliche
auch unmöglich sein müsse.181 Darüber hinaus unterstreicht der ironische Er-
zählerkommentar (»Der Herr von Freydünckel ist einer von diesen grossen
Geistern, und wircklich ein sehr witziger Kopff.«), dass die wahre Geistesgrö-
ße vielmehr darin besteht, die Grenzen der Vernunft zu erkennen und einzu-
halten.
Handelt es sich bei Freydünkel, in Voetius’ Taxonomie, um ›indirekt-
theoretische‹ Atheisten, so präsentiert das 58. Stück des Patrioten (8. Februar
1725) über die Eigenliebe unter dem Stichwort der »Verstellung« eine Reihe
von praktischen Atheisten, also nach außen hin überzeugte Christen, die aber
durch ihren Lebenswandel oder bestimmte Charakterzüge als unchristlich

178
Bekanntlich hat noch Gellert die Kleinform des Moralischen Charakters im Rah-
men seiner erfolgreichen Moralischen Vorlesungen genutzt. Ein Freigeist kommt in seiner
Zusammenstellung allerdings nicht vor.
179
Der Patriot, 66. St.: »Ich unternehme mich nicht, diese geoffenbarte Wahrheit
umständlich auszuführen, und den geistlichen Lehrern ins Ampt zu greiffen.«
180
So heißt es am Ende der kleinen Charakterschilderung (ebd.): »Es ist unmöglich,
zu fassen, auf was Weise etwas von Ewigkeit gewesen sey; und gleichwol können wir auch
nicht anders finden, als daß nothwendig etwas hat von Ewigkeit seyn müssen. Beides ist
gleich unbegreifflich […].«
181
Ebd.: »Der Herr von Freydünckel kann nicht begreiffen, wie eine Auferstehung
seyn könne; und dieß ist ihm genug, daß er den Ausspruch thut, sie sey unmöglich.«
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Die Moralischen Wochenschriften 585

überführt werden.182 Hier regiert das Prinzip der Reihung. Mit Herrn »Groß-
haupt« wird ein Hofbeamter nach dem Muster des frühbarocken Politicus ge-
zeichnet, der die Untertanen ausbeutet, beständig auf Kriege und »allerhand
Ränke« sinnt, dabei aber den Schein der Anständigkeit und Frömmigkeit sorg-
fältig aufrecht erhält, sogar sich selbst gegenüber: »Er versäumet keinen öf-
fentlichen Gottesdienst, sondern wartet selbigen mit stiller Aufmerksamkeit,
und andächtiger Stellung, von Anfang bis zu Ende ab.« Darüber hinaus hat er
sich sogar eine »besondere Bet-Cammer« einrichten lassen, in die er sich re-
gelmäßig ostentativ von den Amtsgeschäften zurückzieht. So überzeugt ist er
von seiner Rechtschaffenheit, »daß er sich selber für den tugendhaftesten und
ruhmwürdigsten Mann hält«. Er erfüllt damit die Kriterien der von Luther
angeprangerten securitas.183
Ein eifriger Kirchgänger ist auch der folgende Moralische Charakter, der
Soldat »Wilderich«, dem seine Tapferkeit im Dienst genügt, um über sein
Glücksspiel, seine Gewalttätigkeit gegenüber Familie und Gesinde und den
mehrfachen Totschlag im Duell hinwegzusehen. Die folgenden Charakterpor-
träts – der Ketzermacher Haberecht, der Schönling Eitelsinn, der Prasser Sauf-
fejus und die Dirne »Geilemine«, die nach einer entstellenden Krankheit rasch
einen Greis heiratet und bald beerbt – erfüllen auf verschiedene Weise allesamt
die Maßstäbe des praktischen Atheismus, und in allen Fällen betont der Autor
denn auch süffisant ihren demonstrativen Eifer bei Gebet und Gottesdienst.184
Nicht ganz anders verhält es sich mit dem ebenso reichen wie leichtfertigen
Jüngling »Libidinoso« im 133. Stück (18. Juli 1726), der allerdings selbst zum
gehörnten Ehemann wird, weil er seiner Frau ebenso gleichgültig ist wie sie
ihm. Auf die praktisch-atheistische Fehlhaltung des amor saeculi ( II.4.2)
zielt überdies, ausnahmsweise außerhalb des periodischen Genres, das Cha-
rakterporträt »Das Welt-Kind« in der vom großen Johann Lorenz von Mos-
heim eingeleiteten Moralisten-Bibliothec (1737), einer Sammlung von Über-
setzungen aus englischen Quellen.185

182
»Die meisten wollen bey allen ihren Thorheiten für klug und tugendhaft, und bey
täglicher Ubertretung Göttlicher Gebote, für gute Christen angesehen seyn. Der grösseste
Schade, welchen diese Verstellung nach sich ziehet, ist dieser, wann sie ihnen selbst schmei-
cheln, und sich besser zu seyn bereden, als sie in der That sind.«
183
Zur securitas siehe die Hinweise in den Kap. I.1.3 u. II.2.3.
184
Besonders drastisch am Beispiel der Geilemine (ebd.): »Dabey lieset sie mehren-
theils in geistlichen Büchern, und weiß von der Sitten-Lehre, von den Sätzen ihrer Reli-
gion, der Kirchen-Historie, und den Streitigkeiten, so fertig zu reden, daß sie darin ein
Wunder ihrer Zeit ist. Des Gottesdienstes wartet sie mit seufzen und stehnen, mit winden
der Hände, und Verdrehung der Augen, andächtig ab. Sie vergisset auch nicht, sich öfters
zu prüfen, und ergetzet sich an dem vielen guten, das sie an sich bemerkt.«
185
Gesammlete Moralistenbibliothec, Leipzig und Görlitz 1737, S. 47–49, als Teil einer
größeren Revue mit dem Titel Von den Kennzeichen der Tugenden und Laster (ebd., S. 5–87).
Aufgrund des Umfangs wird das Stück nicht aus einer Moralischen Wochenschrift stammen;
es könnte von den britischen character writers des 17. Jahrhunderts her genommen sein. – Zur
Moralisten-Bibliothec im Rahmen der Aufklärungsessayistik vgl. Hahne 2015, S. 98 f.
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586 Übergänge zur Hochaufklärung

In Fällen wie diesen verschwimmen oftmals die Grenzen zwischen prakti-


schem Atheismus und bloßer Lasterhaftigkeit, wie sie die Wochenschriften ja
programmatisch ins Visier nahmen.186 Diese Problematik haftet dem Modell
des Atheismus practicus selbst an und wurde daher in akademischen Kreisen
ab etwa 1700 zunehmend kritisiert ( V.1). Die Kategorie allein spielt in den
Wochenschriften kaum mehr eine Rolle.187 Erst in der Kombination mit Sig-
nalworten wie ›Verstellung‹ oder ›Heuchelei‹ und dem deutlichen Hinweis auf
das Missverhältnis von angemaßter Frömmigkeit und lasterhaftem Verhalten
erhält diese Zuordnung hinreichende Plausibilität. Bedenkt man darüber hin-
aus, dass der Hamburger Patriot eine Schlüsselrolle in der scharfen Auseinan-
dersetzung zwischen Stadtrat und lutherischem spielte, verwundert es nicht,
dass hier ein ähnliches Verfahren der Kirchenkritik zum Einsatz kommt wie
im frühen Pietismus. Die Amtskirche in ihrer institutionellen Macht und ihrer
Bekenntnisgewissheit, für die hier der Theologe Haberecht steht, wird vor den
Richterstuhl der Moral gezogen, die damit ihrerseits in den Kernbereich einer
aufgeklärt-christlichen Lebensführung rückt.

186
Einen Grenzfall bildet etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, die Figur des Fern-
ando, der im zweiten Jahrgang der Discourse der Mahlern (2. St., 1722) als Exempel für
die »Gewalt der Passionen« auftritt. In einem Brief, den er an die Herausgeber richtet,
beschreibt er seinen Lebenswandel unter anderem so: »Aber in der [!] Maße in welcher
sich meine Jahre vermehreten / und mich von den Kinder-Spilen zum Verstande führen
sollten / ward ich auch immer närrischer / und mit den Kräfften des Leibes nahmen nur
die Laster nicht der Witz zu. Die Passionen stritten in mir / welche mich regieren sollte;
Der Hochmuth preisete mir prächtige Kleider an […]; Der Ehrgeitz befahle mir mich zu
einem Gelehrten zu studieren / und er ist der Lehrmeister / der mir viele Wissenschaften
angewiesen; derselbe lage stetig mit der Wollust zu Felde / die mir in die Ohren bließ / daß
das einsame Leben voller Traurigkeit seye […] ich wollte ein artiger Mensch seyn / der die
Welt kannte / und sich auf Reisen eine grosse Erfahrung derselben zuwege gebracht. Ich
courtoisierte / ich gabe Däntze / ich spielte / ich rollte mich durch die Gassen der Stadt /
ich trancke Räusche / und schlieffe sie wieder aus; Dies ware das Leben / das ich viele
Jahre führte […].« – Obgleich hier die stereotypen Affekte (Hochmut, Ehrgeiz, Wollust)
durchgespielt werden, die in der Apologetik regelmäßig als causae Atheismi begegnen,
fehlt jeglicher Hinweis auf die Religion. Ähnliche Beispiele finden sich im Patrioten immer
wieder, vgl. etwa im 39., 67. u. 111. St.
187
Eine der seltenen Stellen, an denen die Unterscheidung noch nachgezeichnet
wird, findet sich im 38. Stück der Wochenschrift Die Matrone (15. September 1728), wo
in gattungstypischer Weise der Kampf gegen den Unglauben als bereits gewonnen hinge-
stellt wird. Dies gelte, so wohl für diejenigen Menschen, »die in den Gedancken stehen,
es könne das Göttliche Seyn aus der Vernunfft nicht erwiesen worden [!]« – indirekt-the-
oretische Atheisten also – als auch für die »sogenannten practischen Atheisten«, die sich
dadurch auszeichnen, dass sie »die natürlichen Gesetze als eine Last ansehen, und vermei-
nen, wenn kein GOTT wäre, so würde man leben dörffen, wie man wolle«. Den Letzteren
wird traditionsgemäß (man denke an Bacon oder Mersenne) ein »verderbter Wille«, den
Ersteren die »Schwäche ihres Verstandes« zur Last gelegt.
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Die Moralischen Wochenschriften 587

In manchen Fällen tritt der Moralische Charakter im Rahmen einer kleinen


Erzählung auf.188 Die Übergänge können als fließend angesehen werden. Nicht
selten weitet sich die Charakterschilderung zur kurzen Erzählung. So etwa in
einem fingierten Bericht, der 1725 im 78. Stück des Patrioten erschien (28. Juni
1725). Dort erfährt der heitere Humor der Wochenschriften eine Wendung
ins Groteske: Ein berüchtigter Freigeist wird am Galgen hingerichtet. Bei der
anschließenden Obduktion zeigt sich, dass die intellektuellen und moralischen
Deformationen des Freigeists sich minutiös im pathologischen Befund wider-
spiegeln. Der hier vorgestellte Charakter trägt keinen sprechenden Namen
mehr, er wird vielmehr, quasi alternativ, explizit mit dem auch bei La Bruyère
verwendeten Sammelbegriff »Esprit Fort« eingeführt. Die Charakterisierung
erfolgt in mehreren Schritten. Schon in der expositorischen Entfaltung der
epischen Fiktion sind mit einer triebhaften Persönlichkeit, mit intellektuellem
Hochmut (bei tatsächlicher »Thorheit«) und unsittlichem, ja gesetzeswidri-
gem Lebenswandel zahlreiche Merkmale enthalten, die wir aus der antiatheis-
tischen Polemik seit dem 16. Jahrhundert gut genug kennen. Dabei erlaubt die
chronologische Anordnung der traditionellen Topoi zur Figurenbiografie eine
zwanglose Verbindung von Phänomenologie, Ursachenanalyse und Wertung:

Vor verschiedenen Jahren lebte in Franckreich ein Mensch, welcher sich durch viele
Unthaten so beschrieen, als der menschlichen Gesellschaft schädlich machte. Die gu-
ten natürlichen Gaben hatten sich bey ihm, durch sein unordentliches Wesen, in lauter
Einbildung, und hefftige Begierden verwandelt. Er band sich weder an die Religion,
noch Gesetze, ohne [!] nur zum Schein. Einen Cavalliere stund, seiner Meinung nach,
alles wol an, was ihn nur gelüstete; und er sah das gantze menschliche Geschlecht
nicht anders, als seinen Raub an.
Durch eine übele Erziehung in der Jugend so wol, als durch die böse Gesellschaft im
Alter, war er bis an die Frechheit gerathen, GOtt und Gewissen zu verspotten. Bey
seiner augenscheinlichen Thorheit aber bildete er sich dennoch viel mehr Verstand
ein, als er andern Menschen zutrauete. Daher er denn bei ehrlichen Leuten zwar für
einen Narren und Bösewicht, bey seines gleichen aber für einen so genannten Esprit
fort, oder sonderbar starcken Witz, gehalten ward. […] Und endlich beschloß er, we-
gen offenbarer Missethaten, sein lasterhaftes Leben an dem Galgen.

An dieser Stelle setzt der eigene Erfahrungsbericht des Erzählers ein, der sein
Interesse am Nachfolgenden und seine Legitimität als Berichtender damit be-
gründet, dass er die Hauptfigur bei einer persönlichen Begegnung in einem Pa-
riser »Caffee-Hause« schildert. Wie erwartet fällt der Freigeist in Gesellschaft
durch »gottlose Reden« auf, die dem Erzähler nur durch »Tollheit« erklärbar
scheinen – eine häufig anzutreffende Variation des insipiens-Topos, der in der
Erzählung von einem moralischen Tollhaus noch einmal wiederkehren wird

188
Längere Erzählungen über mehrere Stücke hinweg sind in den frühen Wochen-
schriften selten anzutreffen, daher bleibt ihr Umfang mehrheitlich an das meist wöchentli-
che Format von zehn bis 20 Seiten gebunden. Zu Fortsetzungserzählungen in Moralischen
Wochenschriften, die es durchaus gegeben hat, vgl. Berg 2012.
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588 Übergänge zur Hochaufklärung

(s. u.). Die Details der Leichenöffnung brauchen hier nicht im Einzelnen re-
feriert zu werden. Besonderes Augenmerk liegt auf dem Zustand von Herz
und Gehirn, in denen sich, im Sinne der zeitgenössischen Anthropologie, die
Verdorbenheit von Willen und Intellekt abbildet. So weist das Herz in der
rechten Kammer einen leeren Raum auf, der auf das Fehlen oder die Unterent-
wicklung des Gewissens hindeutet. Dass von hier auch verderbliche Wirkun-
gen auf das Hirn ausgehen könnten, wird, mit vermeintlicher physiologischer
Sachkenntnis, durch eine »scharffe Feuchtigkeit« begründet, die sich über das
Blut bis ins Gehirn fortpflanzen könne.189 Wie zu erwarten, befindet sich das
Letztere denn auch in einem jämmerlichen Zustand. Schon die Schädelkno-
chen sind »so ungewöhnlich hart«, dass sich der Pathologe zu einer süffisanten
Bemerkung hinreißen lässt: »Durch solche feste Knochen«, sagt er, »haben ge-
wiß die guten Gedancken wenig dringen können.«
Als bei erfolgter Öffnung der Schädeldecke dann auch noch herauskommt,
»daß in einem so grossen Kopffe nur sehr wenig Hirn gefunden ward«, ist der
Bericht merklich im Modus der Verlachkomik angekommen, wie ihn die Poe-
tik der Frühaufklärung für den didaktischen Einsatz des Komischen vorsah.190
Dieser setzt sich fort, wenn der Erzähler von einem frivolen Gespräch am Sek-
tionstisch berichtet. Es dreht sich um die Frage, wo denn nun der große Geist
des Verstorbenen seinen Sitz gehabt habe. Die salomonische Bemerkung des
Erzählers »Ich lasse dieß alles dahin gestellet seyn« suggeriert einen Maßstab
wissenschaftlicher Rationalität, der auf der Handlungsebene längst verlassen
ist und daher das schadenfrohe Überlegenheitslachen nur unterstützt.191
Es muss einem späteren Kapitel ( VI.5) vorbehalten bleiben zu zeigen, wie
sich auch im Medium der Moralischen Wochenschriften nach 1740 der be-
griffsgeschichtliche Übergang vom ›Atheisten‹ zum ›Freigeist‹ vollzog. Einige
Beispiele dafür haben wir gesehen, ebenso für die Synonyme, die den Über-
gang begleiteten und teilweise ebneten (etwa ›starke Geister‹, ›Religionsspöt-

189
Die hier sichtbare Anlehnung an die Humoralpathologie durchzieht den ganzen
Text. Um nur ein Beispiel zu nennen: »Es ist an dem, sein gantzer Leib war starck an Kno-
chen und Sehnen, wiewol sonst, wegen seiner übermässigen verbrannten Galle, schwarz-
gelb, hager und dürre. Die Brust war erhaben, das Eingeweide aber voll Geschwulst und
Blähungen von kalten zähen Feuchtigkeiten.« (Der Patriot, 78. St.) – Keineswegs ist also
die hier entfaltete, ohnehin satirisch konzipierte Idee eines physiopsychologisch nach-
weisbaren Atheismus mit der medizinisch-ästhetischen Anthropologie des ›ganzen Men-
schen‹ zu verwechseln, wie sie etwa um die gleiche Zeit, beginnend an der Universität
Halle, Eingang in den aufklärerischen Denkhaushalt fand. Vgl. dazu die Beiträge in Zelle
2001 sowie die Hinweise bei Košenina 2008, S. 9–17.
190
So etwa in Kap. 11, §§ 13 f. im zweiten Teil von Gottscheds wenige Jahre später
erschienener Critischer Dichtkunst (hier wird der Nachdruck der vierten Auflage von 1751
zugrunde gelegt). – Die Verabschiedung des herablassenden Verlachens zugunsten des La-
chens wurde bekanntlich später von Gellert wie von Lessing vorgenommen. Vgl. dazu
den reichhaltigen Artikel Komisch im Handbuch Ästhetischer Grundbegriffe (Bd. 3, 2001,
S. 332–384 [Klaus Schwind], bes. S. 357–360).
191
Vgl. ebd., S. 342 f. zur »Superioritätstheorie« des Komischen bei Hobbes u. a.
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Barthold Heinrich Brockes 589

ter‹ u. a.). Nur andeuten ließ sich ferner, wie gerade in den Wochenschriften
der Unglaubensdiskurs unter dem neuen Leitbegriff des Freigeists unverän-
dert fortgeschrieben wurde. Dabei kamen literarästhetische Verfahren zum
Einsatz, die sich zeitgleich zu den Wochenschriften, seit etwa 1720, auch im
Medium des Lehrgedichts entwickelten. Die enge Verzahnung von exposito-
rischer und fiktional-poetischer Darstellung, wie wir sie in den Wochenschrif-
ten vorgefunden haben, findet in den Lehrgedichten ihre vielleicht auffallends-
te Parallele. Im Folgenden soll daher in zwei Durchgängen eine Reihe von
Lehrgedichten vorgestellt, analysiert und in die hier zu verfolgenden Tradi-
tionslinien eingeordnet werden. Den Anfang bildet ein Autor, der uns schon
als Mitverfasser einer bedeutenden Wochenschrift, des Patrioten, begegnet ist:
der Hamburger Ratsherr und unvergleichlich produktive Aufklärungspoet
Barthold Heinrich Brockes.

3. Religiosität als Schöpfungsgenuss oder der


missvergnügte Atheist (Barthold Heinrich Brockes)

3.1 Der Gott im Blumenbeet


Zur Ambivalenz des germanistischen Brockesbildes

Wenn nicht- oder gar antiorthodoxe Atheismuskritik, wie oben einleitend


postuliert wurde, denjenigen Grundzug der Apologetik ausmacht, der in vie-
lerlei Hinsicht in die Aufklärung mündete, dann kann in ihrer geschichtlichen
Darstellung ein Autor nicht fehlen, der seiner unorthodoxen Frömmigkeit ein
einzigartiges poetisches Denkmal gesetzt hat: der von Arno Schmidt als der
»erste wirkliche Realist« und »Kirchenvater deutscher Naturbeschreibung«
gewürdigte Hamburger Senator und Frühaufklärer Barthold Heinrich Bro-
ckes.192 Das Religions- und Gottesverständnis, das den neun Bänden des Ir-
dischen Vergnügens in Gott (1721–1748) zugrunde liegt,193 gibt der literatur-
192
Arno Schmidt, Nichts ist mir zu klein in seinem Werk, in: Ders., Sämtliche Nacht-
programme und Aufsätze, Bd. 1, Bargfeld/Zürich 1988, S. 11–35, hier: S. 14. – Die besten
bio-bibliografischen Überblicke bieten Killy/Kühlmann, Bd. 2, 2008, S. 206–209 (Hans-
Georg Kemper); Ketelsen 1988; ausführlicher ders. 1984 u. Kemper 1999 (mit exzellenter
Auswahlbibliografie, S. 248–258).
193
Textstellen werden im Folgenden, aufgrund der noch ausstehenden Fertigstel-
lung der Göttinger Brockes-Ausgabe, in einem gemischten Verfahren zitiert: Zum einen
mit Angabe von Band (röm. Ziffern) und Seitenzahl (z. B. VIII, 514). Zugrunde gelegt
wird dabei die nach ihrem Druckort sogenannte Hamburger Ausgabe (anstelle der Tü-
binger Ausgabe), und zwar, um der bibliothekarischen Verfügbarkeit willen, in der Zu-
sammenstellung der Reprintausgabe (Bern 1970). Für diese wurden, anstatt konsequent
die Erstauflagen oder die Ausgaben letzter Hand zu verwenden, verschiedene Auflagen
der einzelnen Teile reproduziert: I6, II4, III3, IV2, V-IX1. Zur Überlieferungsgeschichte vgl.
die äußerst hilfreiche Übersicht bei Kemper 1999, S. 243–246 (dort, S. 245, auch die eben
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590 Übergänge zur Hochaufklärung

und geistesgeschichtlich orientierten Forschung seit Langem Rätsel auf.194 In


der mehr als zweihundertjährigen Geschichte von Brockesdeutungen wurden
dem Hamburger Ratsherrn Affinitäten zu Deismus, Pantheismus, Origenis-
mus, Alchemo-Hermetismus, zu Atheismus und zur altlutherischen Ortho-
doxie nachgesagt.195 Jede dieser Deutungen scheint im Riesenkorpus des Irdi-
schen Vergnügens begründbaren Anhalt zu finden.196 Vorsichtiger wäre daher
heute wohl von nebeneinander bestehenden Gottesbildern zu sprechen. Un-
bestritten ist Brockes’ Bedeutung für die Geschichte der deutschsprachigen
Physikotheologie,197 auch wenn keine Einigkeit darüber besteht, ob seine Lehr-
dichtung als »ein gereimter physico-theologischer Beweis« (D. F. Strauß)198 ge-
lesen werden kann oder vielmehr das zu Beweisende noch selbstverständlich
voraussetzt.199 Dass darüber hinaus eine Reihe von Gedichten in die Bekämp-
fung des atheistischen Unglaubens einstimmten, ist schon verschiedentlich an-
gemerkt, aber noch nicht zusammenhängend untersucht worden.200

gebrauchte Kurzübersicht). – Diesem Missstand, der in der Forschung bisweilen zu Irrita-


tionen geführt hat, wird nun bald abgeholfen sein: Seit 2014 erscheint im Wallstein-Verlag
die von Jürgen Rathje besorgte kommentierte Werkausgabe, die derzeit bis zum sechsten
Teil des Irdischen Vergnügens fertig gestellt wurde. Soweit die behandelten Gedichte im
Neudruck vorliegen, wird zusätzlich die Stelle in der Werkausgabe, unter der Sigle BW für
›Brockes Werke‹ mit Band- und Seitenzahl nachgewiesen.
194
Einen problembewussten Überblick der älteren Forschung gibt Ketelsen 1974,
S. 28–31; ergänzend Wagner-Egelhaaf 1997, S. 184 f.; Kemper 1999, S. 291–296; Chraplak
2015, S. 20–25; Guntermann 1980 hat die Entwicklung des germanistischen Brockesbilds
durch verschiedene Phasen der Forschung hindurch zum Gegenstand einer ganzen Un-
tersuchung gemacht.
195
Überblicke mit Nachweisen bei Ketelsen 1974, S. 28 f.; Wagner-Egelhaaf 1997,
S. 184 f.; ferner Kemper 1999, S. 213 (Origenismus).
196
Die divergierenden Befunde der Forschung fasst Kemper 1999 lakonisch zusam-
men (S. 198): »Über Brockes’ Gottesbegriff herrscht in der Forschung die größte Uneinig-
keit. […] Tatsächlich ist sein Gottesverständnis paradox und rätselhaft.« Chraplak stellt
diese These seinem Forschungsbericht voran (Chraplak 2015, S. 20); ähnliche Urteile bei
Wagner-Egelhaaf 1997, S. 184; Preisendanz 1994, S. 476.
197
Zur Physikotheologie vgl. den bibliografisch reichhaltigen Überblicksartikel von
Krolzik (TRE 26, 1996, S. 590–596, dort S. 593 f. zu Brockes); von germanistischer Seite
aus grundlegend: Ketelsen 1974 und Kemper 1981; pointierte Ergänzung unter dem Ge-
sichtspunkt einer »Umwertung des Schreckens« im Zeichen des Erhabenen bei Zelle 1990
(Zitat S. 227); neuerdings, mit aktuellen Hinweisen zur Forschung, Chraplak 2015.
198
Strauß 1861, S. 4.
199
Am entschiedensten Martens 1978, S. 271: »Brockes’ Gedichte sind nicht, wie
man gemeint hat, physikotheologische Gottesbeweise. […] Gott wird vielmehr voraus-
gesetzt. Er ist noch geglaubt.« – Ebenso Preisendanz 1994, S. 478; schon Ketelsen weist
allerdings darauf hin, dass genau darin die Aussagestruktur des physikotheologischen wie
überhaupt jedes Gottesbeweises bestehe (vgl. Ketelsen 1974, S. 29).
200
Vgl. insbesondere Ketelsen 1974, S. 87–93, dort auch (S. 87, Anm. 19) eine nützli-
che Übersicht von antiatheistischen Gedichten aus dem Umfeld der norddeutschen Früh-
aufklärung. Da Ketelsen mehr einen problemorientierten Überblick bietet – mit präzisem
Blick für den Konstruktionscharakter der »ohne Ermüdung benutzten Stereotypen ›De-
ist‹, ›Gottesleugner‹, ›Atheist‹, ›Atomist‹ (teilweise auch ›Naturalist‹)« (ebd., S. 92) – ver-
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Barthold Heinrich Brockes 591

Von da aus lässt sich zwar nur bedingt Licht in die Frage nach Brockes’
genauem religiös-theologischem Standpunkt bringen. Dennoch soll anhand
vertiefender Analysen einzelner Gedichte exemplarisch gezeigt werden, wie
Brockes als Apologet, trotz unverkennbarer Anlehnung an die Tradition, ei-
nen eigenständigen, originellen und überaus anspruchsvollen Kurs entwickelt.
Das gute Dutzend von Atheismusgedichten201 aus den neun Bänden des Ir-
dischen Vergnügens in Gott würde allein schon völlig ausreichen, das Zerr-
bild vom bieder-gemütlichen, naiv optimistischen Blumen- und Käferpoeten
Brockes zu widerlegen,202 wenn das nach den verdienstvollen Forschungen der

zichtet er wie auch sonst über weite Teile der Untersuchung auf Einzeltextanalysen. Eine
solche unternimmt Fischer 1997, S. 661–676, anhand des hochbedeutenden, dialogisch
angelegten Neujahrsgedichts auf das Jahr 1722, in dem Brockes laut Fischer einen veritab-
len »Atheisten« (S. 672) auftreten und durch ein christliches Gegenüber bekehren lässt. –
Kurz zu Brockes’ (Anti-)Atheismusgedichten auch Kemper 1991, S. 71 f.
201
Als Atheismusgedichte werden im Weiteren, um der sprachlichen Handhabbar-
keit willen, Gedichte bezeichnet, die sich explizit, d. h. durch direkte Verwendung des
Atheismusbegriffs oder Bezugnahme auf entsprechende Lehren und Argumente, zum
Atheismus äußern. – Am leichtesten ermittelbar sind solche Gedichte, die den Begriff be-
reits im Titel tragen wie die folgenden: Der Atheist (VI, 372–376; BW 4, 580–583); Beschä-
mung zweierley Atheisten (VI, 460–463; BW 4, 633–635); Der durch sich selbst widerlegte
und überführte Atheist (VI, 482–489; BW 4, 644–648); Unnütze Mühe, einen Atheisten
zu bekehren (VI, 514 f.; BW 4, 663; auch in Kemper 1999, S. 203 f.); Versuch, ob, ausser
der Lehre von den Contingenzen, ein Atheist nicht könne mit unumstößlichen Gründen
convinciret werden (VI, 607–613; BW 4, 713–716; teilweise in Kemper 1999, S. 174–178);
Die glaubigen Atheisten (VII, 728); Ein Atheist (IX, 427); Atheistenkriege unnütz und
unnöthig (IX, 431 f.); Unglücklicher Zustand eines Atheisten (IX, 433 f.). – Hinzu treten
einige Gedichte, in denen Lehren zu Wort kommen oder ›widerlegt‹ werden, die sich dem
frühneuzeitlichen Verständnis des Atheismus zuordnen lassen: Das, durch die Betrach-
tung der Grösse GOttes, verherrlichte Nichts der Menschen (I, 423–457; BW 2, 331–360);
Einleitung (II, 3 f.; BW 2, 442 f.); Gräntzen der Vernunft (V, 379 f.; BW 4, 233); Der ver-
nünftige Gottes=Dienst (VIII, 614–620); Gehobener Zweifel (IX, 423); Das vergebliche
Grübeln (ebd., S. 435). – Der zweiten Kategorie wären sicherlich noch etliche Beispiele
hinzuzufügen, die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
202
Zur Abwertung von Brockes’ Naturpoesie vor dem Hintergrund eines gewandel-
ten Dichtungsverständnisses seit 1750 vgl. den Abriss bei Ketelsen 1974, S. 26–28. – Eines
der boshaftesten, aber auch lesenswertesten Kurzporträts des Ratsherrn, auf das auch die
Überschrift dieses Kapitels anspielen soll, stammt von Eichendorff, der von der Mitte des
19. Jahrhunderts, zudem als Katholik, auf die Zeit der frühen Aufklärung mit Missfallen
zurücksah: »Brockes mit seinem ›Irdischen Vergnügen in Gott‹ leitet in aller frommen Un-
schuld schon eine Art natürlicher Religion und Offenbarung ein, wo der bereits des Be-
weises bedürfende Schöpfer durch die Creatur bewiesen und der Mensch, um zu glauben,
gleichsam auf einem angenehmen Spaziergange durch seinen Blumen- und Küchengarten
Gott greifen, schmecken und riechen soll, jene weichliche Andächtelei, die noch bis heut
in vielen Schul- und Erbauungsbüchern die Stellte des Dogmas oder des Gebets vertritt.«
Joseph von Eichendorff, Der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts in seinem Ver-
hältnis zum Christenthum, Leipzig 1851, S. 83 f. – Inwiefern sich dieses Brockesbild, das in
vielen Literaturgeschichten des 19. und 20. Jahrhunderts noch anklingt, auch dem von Fried-
rich Hagedorn veranstalteten Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem […] Irdischen
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592 Übergänge zur Hochaufklärung

letzten Jahrzehnte überhaupt noch nötig wäre.203 Vielmehr tritt der Thomasi-
usschüler Brockes hier sichtlich das Erbe seines Lehrers an, wenn er zwischen
Orthodoxie, Aberglauben, Naturwissenschaft und Atheismus den ›Mittelweg‹
eines vernünftigen Christentums bezieht. Auf die Hallenser Frühaufklärung
( V.2–V.4) verweist bereits der immer wieder anzutreffende Gestus der un-
befangenen Prüfung (»denk unparteyisch«)204 vorliegender Lehrsätze und eine
psychologisch feinfühlige Moralistik, in deren Mittelpunkt bei Brockes die
Begriffe ›Eigenliebe‹ und ›Hochmut‹ stehen. Hinzu tritt nun aber ein eudä-
monistisches Religionsverständnis, in dem das individuelle Gotteserleben als
›Wollust‹ und ›Glückseligkeit‹ bestimmt, dagegen umgekehrt dem Atheisten
die Verfassung des Unglücklichseins oder Elends, wenn nicht gar der Melan-
cholie zugewiesen wird.205
Daraus können sich auch definitorische Verschiebungen hinsichtlich des
Atheismusbegriffs ergeben. Hier schließt Brockes offenbar noch nicht an die
Präzisierungsbemühungen der Frühaufklärung an. Seine Verwendung des
Begriffs weist vielmehr die semantische bzw. semiotische Offenheit auf, wie
wir sie aus der Apologetik des 17. Jahrhunderts kennen. Am nächsten steht
er darin dem frühen Pietismus wie überhaupt den Frömmigkeitsbewegungen
des 17. Jahrhunderts mit ihrer Kritik am ›praktischen Atheismus‹ ( II.2–4)
innerhalb der Kirche. Auf die gleiche Weise wie dort kann die Atheismus-
schelte bei Brockes zum Werkzeug polemischer Kirchenkritik werden. Seine
wiederholte Distanzierung vom Pietismus seiner eigenen Zeit sollte darüber
nicht hinwegtäuschen, sie bildet vielmehr einen Teil dieser Kritik.206 Was für

Vergnügen in GOTT (Hamburg 1738; Reprint, hg. v. Dietrich Bode, Stuttgart 1965) ver-
dankt, wäre bei anderer Gelegenheit zu untersuchen.
203
Der scharfen Zurechtweisung Leif Ludwig Albertsens und Adalbert Elschen-
broichs, die Brockes rundheraus Naivität bescheinigt hatten, durch Fischer 1997 (S. 674,
Anm. 23, dort auch Beispiele mit Nachweisen) kann daher nur mit Nachdruck zuge-
stimmt werden.
204
Aus dem Gedicht Der durch sich selbst widerlegte und überführte Atheist
(Anm. 10); dazu ausführlich weiter unten.
205
Zum Eudämonismus bei Brockes vgl. die lehrreichen Ausführungen von Mau-
ser 1992, S. 258–265, dort auch der Zusammenhang mit Thomasius (259 f.); wichtige Er-
gänzungen bei Fischer 1989, der, wie schon in seiner Habilitationsschrift (Fischer 1988),
das Spannungsverhältnis von »Eudämonismus und Orthodoxie« zum Ausgangspunkt
für seine Deutung der ›patriotischen‹ Hamburger Frühaufklärung macht; der Bereich des
spezifisch anakreontischen Eudämonismus darf hier ausgespart bleiben; vgl. stattdessen
Spiekermann 2016 mit Literatur und Hinweisen auf Möglichkeiten und Grenzen eines
weltlich-immanenten Eudämonismus um 1750.
206
Explizit überwiegt bei Brockes sicherlich die Kritik an der pietistischen Sinnen-
feindlichkeit, wie er sie im Hamburger Umfeld erleben konnte; während der Hallenser
Studienzeit dagegen hatte er im Thomasiusumkreis sicherlich noch Aspekte des Spener-
schen Pietismus, im übrigen aber auch Facetten des radikalen Pietismus (Breckling, Ar-
nold) kennen gelernt. – Auf inhaltliche Bezüge zum Pietismus deutet bereits Wolff 1947,
S. 1133–1138; zum Verhältnis von Thomasius und Breckling vgl. die Edition des Brief-
wechsels samt Einführung von Kühlmann 1997. Der Einfluss des weiter oben (Kap. II.2)
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Barthold Heinrich Brockes 593

die frühen Pietisten die Scheinfrömmigkeit oder ›Lauigkeit‹ des Gottesdiens-


tes, für Luther und Spener die ›Sicherheit‹ oder securitas ( II.2.3) gewesen
war, ist für Brockes die fehlende Fähigkeit zur ergriffenen Bewunderung des
göttlichen Schöpfungsplans. Seine bevorzugten Begriffe, um diese Haltung zu
brandmarken, lauten »Unvergnügen«207 und »Unempfindlichkeit« (alternativ
auch »Undankbarkeit«208, »Gleichgültigkeit«209 oder »Unachtsamkeit«210). Die-
se aus Brockes’ Sicht unchristliche Verweigerung des »irdischen Vergnügens«
bildet den Gegenstand zahlreicher Gedichte,211 sie wird sogar in provokanter
Zuspitzung als »Sünde« bezeichnet.212 Als zentrales Element seines Atheismus-
verständnisses betrifft sie nicht zuletzt bekennende Christen, die er folglich
auch, in erkennbarer Analogie zur Denkfigur des praktischen Unglaubens, im
gleichnamigen Gedicht als Die glaubigen Atheisten (1743) bezeichnet.213 Dort
kündigt die Floskel »Allein« im dritten Vers (s. u.) die argumentative Umwer-

kurz erwähnten lutherischen Erbauungsschriftstellers Christian Scriver (1629–1693) und


seiner Schrift Gottholds zufällige Andachten bey Betrachtung mancherley Dinge der Kunst
und Natur (Leipzig 1671, 131706) auf Brockes’ religiöse Naturdeutung ist belegt und ver-
schiedentlich untersucht worden. Vgl. Ketelsen 1974, S. 138 f. (mit Hinweisen zur älteren
Forschung); Kemper 1981, Bd. 2, S. 236; Fry 1990, S. 255–257, 263–269; Chraplak 2015,
S. 59–67, 73 f., 79 f. – Zur Bedeutung Johann Arndts für Brockes und seinen Kreis s. die
weiter unten (Anm. 229) vermerkte Literatur.
207
Schon der erste Band des IVG enthält das programmatische Gedicht Der Ur-
sprung des menschlichen Unvergnügens. Bey dem Beginn des 1720sten Jahres (I, 399–407;
BW 2, 312–319).
208
So etwa in Undanckbarkeit (IV, 43; BW 3, 389); komplementär kurz darauf die
Danck-Gedancken (IV, 46; BW 3, 391 f.).
209
Vgl. das Gedicht Unbegreifliche Gleichgültigkeit (VI, 279 f.), das übrigens für die
›lustvolle‹ Hinwendung zu den »Wunderwerken« der Natur keinen Geringeren als Paul
Gerhardt und dessen Sommerlied als Autorität heranzieht: »Es scheint, als hielte mans zu
klein, / Und keiner Achtung werth zu seyn. Da wir, von unsers Schöpfers Gaben, / Solch
ein vortreffliches Gedicht / Im Luthrischen Gesangbuch haben […].«
210
Wie z. B. in dem Gedicht Sinn=reiche Bestraffung der Unachtsamkeit (IV, 145;
BW 3, 460).
211
Vgl. bereits Strauß 1861, S. 11 f. – Die entsprechenden Texte können über die
Sach- bzw. Titelregister der einzelnen Bände des IVG leicht aufgefunden werden. Nur
ein Beispiel: Im Register des 4. Bandes sind etwa unter dem Eintrag »Unempfindlichkeit
der Menschen gegen die schönen Geschöpfe GOttes« fünf Gedichte angeführt, es folgen
thematisch ähnlich gelagerte Titel wie Unempfindlichkeit des gegenwärtigen Guten sowie
Unempfindlichkeit über entferntes Unglück. Noch der achte Band enthält ein Gedicht mit
dem kämpferischen Titel Unempfindlichkeit über Göttliche Wohlthaten, ein Verbrechen
(VIII, 504 f.). – In vielen Gedichten wird diese Haltung, mit einer beliebten literarischen
Technik der Zeit, exemplarisch an Moralischen Charakteren vorgeführt: Der verstockte
Chrysander (II, 102–104; BW 2, 534–536); Tirsander (VIII, 162 f.); ähnlich Zwo Seelen
(VIII, 476).
212
So im gleichnamigen Gedicht Sünde (VI, 513; BW 4, 662): »Aber daß gesunde
Reiche, bloß aus Unempfindlichkeit / Für des Schöpfers Lieb und Wunder, alle Wunder
dieser Zeit / Nicht erkennen, nicht erwegen […] dieses ist wahrhaftig Sünde.«
213
Wie Anm. 201. – Auf das Gedicht verweist auch Kemper 1991, S. 71, der darin,
ohne Bezugnahme auf Pietismus oder die Idee des praktischen Atheismus, Brockes’ Kritik
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594 Übergänge zur Hochaufklärung

tung einer gängigen Meinung an, derjenigen nämlich, dass der Unterschied
zwischen Christen und Atheisten allein im Glaubensbekenntnis bestehe. Die
Pointe, auf die der Gedankengang zuläuft, erfolgt im letzten vierhebigen Ver-
spaar, das durch Halbierung des zu erwartenden Achthebers entsteht und so,
ohne dass der rhythmische Fluss unterbrochen würde, einen eindringlichen
Schlussakzent setzt. Der thematisch leitende Atheismusbegriff, syntaktisch
weitestmöglich (als zweites und zweitletztes Wort im Gedicht) an die Periphe-
rie gedrängt, rahmt die Beweisführung effektvoll ein:

Ein Atheist darf GOtt nicht ehren, er wird auch solches nimmer thun,
So lange solche Meynungen in seiner Seel’ unglücklich ruhn.
Allein, wer eine Gottheit glaubt, die ihn, zu Seiner Ehr’, erschaffen,
Und die er weder kennen kann, noch ehren, als in Seinen Werken,
In welchen Sie Sich offenbahrt, und will Sie dennoch nicht bemerken,
Nein, sondern glaubt, es sey genug Sie obenhin nur anzugaffen,
Und meynt, GOtt sey genug geehrt, wenn er nur bloß für sich allein,
Daß er auf Erden möge glücklich, und künftig ewig selig seyn,
Gesorgt, und dieß von Ihm erbeten, der zeiget dieses offenbar,
Daß, könnt’ er dieß von GOtt nicht hoffen, er würde sich, um Ihn zu ehren,
An einen GOtt so wenig kehren,
Als wie der Atheisten Schaar.

Hier liegt die gleiche Denkfigur vor, die wir wiederholt unter dem Stichwort
Atheismus practicus (bei Spener auch ohne den Zusatz ›practicus‹) als methodi-
sches Scharnier der frömmigkeitsbewegten Apologetik angetroffen haben. Da-
ran, wie auch an die analoge Umwertung des Häresievorwurfs im intellektuel-
len Spannungsfeld von Frühaufklärung und radikalem Pietismus (Thomasius,
Arnold), erinnert es, wenn Brockes im genannten Gedicht bei bekennenden
Christen (»wer eine Gottheit glaubt«) zum einen erneut ›Unempfindlichkeit‹
gegenüber den Schönheiten der Schöpfung, zum anderen Egoismus und Ego-
zentrik beanstandet. Wer in seinen Gebeten nur den eigenen Vorteil suche214
und es für ausreichend halte, die göttlichen Werke – für den Lockianer Bro-
ckes der einzige Weg zur primären (also nicht durch die biblische Offenbarung
vermittelten) Erkenntnis ihres Schöpfers – »obenhin nur anzugaffen«, steht
für den Sprecher des Gedichts auf einer Stufe mit »der Atheisten Schaar«.215

der christlichen »Diesseitsverachtung« exemplifiziert (ebd.). – Siehe auch die Analyse wei-
ter unten in diesem Kapitel.
214
Die gleiche Kritik übt Brockes ausführlicher auch im Gedicht Irrthum der
Eigen=Liebe (IV, 259–262; BW 3, 539–542). – Wir haben sie weiter oben bereits bei Au-
gustinus kennengelernt ( I.1.2).
215
Darin ist zugleich ein Plädoyer für die ›physikalische‹ Naturbetrachtung als inte-
graler Teil einer christlichen Existenz enthalten, gemäß dem programmatischen Vermitt-
lungsanspruch der Physikotheologie. Es darf in diesem Zusammenhang an Bacon erinnert
werden, der bereits 1597 das bloß oberflächliche Studium der Naturkunde als möglichen
Weg zum Atheismus ansah ( I.4.1). Bacons Formulierung – »obiter« (leichthin, ober-
flächlich) – mag für das »obenhin« bei Brockes Pate gestanden haben. Ein Exemplar von
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Barthold Heinrich Brockes 595

Genau wie in der Apologetik seit Voetius setzt diese fromme Kirchenkritik
also ein Verständnis des theoretischen Atheismus voraus. Erst daraus bezieht
ja das Konzept der »glaubigen Atheisten« seine polemische Schlagkraft. Durch
die nähere Bestimmung des Atheismus innerhalb des Gedichts, als fehlende
Bereitschaft zur Gottesverehrung (V. 1, 4, 7 u. 10) statt als negatio Dei, wird
jedoch wie dort die definitorische Schwelle zwischen Glauben und Unglauben
mit Blick auf die finale Pointe minimiert. Dass Brockes überdies in der kurzen
Exposition dem dort vorgestellten Atheisten das (erneut metrisch herausge-
stellte) Attribut »unglücklich« zuweist, bringt auch in diesem kurzen und the-
matisch anders gelagerten Gedicht den eudämonistischen Grundzug in seinem
Religionsverständnis hinlänglich zur Geltung.
Der markante antiatheistische Zug des Irdischen Vergnügens in Gott, so
kann vorläufig festgehalten werden, ist also keineswegs mit bedingungsloser
Ergebenheit gegenüber Kirche und Katechismus zu verwechseln. Vielmehr
stehen Atheismus- und Kirchenkritik oft eng nebeneinander, sie speisen sich
schlichtweg aus derselben Quelle. Hier dürfte die Hauptursache für die oben
skizzierte Ambivalenz des Brockesbildes in der Literatur- und Kirchenge-
schichtsschreibung liegen. Ähnlich wie im 17. Jahrhundert verweist sie auf
eine fortlaufende Veränderung des Religionsverständnisses, die zwangsläu-
fig auch die Grenze zwischen Glauben und Unglauben verschieben musste.
Paradoxerweise ist es so gerade der heterodoxe Gehalt seiner Frömmigkeit,
der Brockes’ antiatheistisches Engagement motiviert. Zu dieser heterodoxen
Religiosität gehört neben der eudämonistischen Komponente auch jene Auf-
wertung der religiösen Empfindungen, die seitens der protestantischen Kirche
erst einige Jahrzehnte später, bei Neologen wie Spalding und Jerusalem, theo-
logisch eingeholt werden sollte.216
Genau in diesem Punkt geht Brockes, wie es scheint, auch über die klas-
sische Physikotheologie hinaus. Denn eine Vielzahl seiner Lehr- und Ge-
dankengedichte zielt nicht einfach auf den kognitiven Nachvollzug einer
empirisch erfahrbaren Schöpfungsordnung nach Art der entsprechenden
Gottesbeweise, sondern zugleich auf die dadurch ausgelöste ›Rührung‹ und
Ergriffenheit,217 als zulässige Variation der bei Wolff und Thomasius in Miss-

Bacons De dignitate et augmentis scientiarum stand in seiner Bibliothek (vgl. Bibliothek


Brockes, S. 398).
216
Vgl. Spiekermann 2016, dort weitere Literatur.
217
Beispielhaft formuliert etwa in dem Gedicht Das Kletten=Kraut (VIII, 128–131).
Dort wird die Wirkung der optischen Reize auf das Gefühl (»Erfülleten, durchs Auge,
meine Brust«) damit begründet, dass »ihr gehäufter Schmuck der Seelen Innres rührte, /
Und mich zum Ursprung aller Schönheit, zur Quell von allen Wundern führte« (S. 128). –
Dazu, völlig zutreffend, bereits Richter 1972, S. 184: »Brockes bleibt bei der Beschreibung
freilich nicht stehen. Er mischt Erfahrung und theoretische Erkenntnis, motiviert im for-
schenden Zugriff das Staunen des ergriffenen Menschen.« – Vgl. auch, daran anschließend,
Spörl 1999, S. 264; die emotionale Signatur der brockesschen Dichtung lässt sich zumin-
dest teilweise auch unter dem Gesichtspunkt des Erhabenen begreifen, darauf deutet im
schon zitierten Gedicht Das Kletten=Kraut der folgende Vers, der die Wirkungen auf das
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596 Übergänge zur Hochaufklärung

kredit geratenen admiratio.218 Die Selbstbeglaubigung im emotionalen Erle-


ben des Subjekts sichert diese adogmatische Religiosität nicht nur gegen die
Einwürfe der ›Religionsspötter‹ ab, sondern auch gegen Vorwürfe seitens der
kirchlichen Orthodoxie.219 Es bleibt auch im weiteren Verlauf der protestanti-
schen Kirchengeschichte auffällig, wie die emotionale Aufladung des Gottes-
verhältnisses, etwa im Umfeld der Empfindsamkeit, Hand in Hand geht mit
einer schon ans Heterodoxe grenzenden Reduktion der lutherischen Dogma-
tik.220 Bei Brockes ist sie bereits voll ausgebildet. Dass dagegen eine Theologie,
die Höllenstrafen und Richteramt in den Mittelpunkt ihres Gottesbildes rückt,
den Kern dieser sichtlich bürgerlichen Religiosität verfehle, dass sie vielmehr
»Schrecken=reichen Zweifel« säe und so den kirchen- und dogmenkritischen
Unglauben nachgerade befördere, hat Brockes in zahlreichen Gedichten am
Rande vermerkt.
Das Spektrum von Methoden und Argumenten, mit denen Brockes den
verschiedenen Facetten oder Varianten des Unglaubens, wie er ihn verstand,
entgegentrat, soll nachfolgend an exemplarischen Gedichten eingehender un-
tersucht werden. Neben dem zu erwartenden physikotheologischen Ansatz
zur Widerlegung materialistischer Denkansätze (3.3), der formal sogar die Ge-
stalt eines Bekehrungsdialogs annehmen kann (3.4), und dem davon ableitba-
ren Hinweis auf ihre unglückliche Seelenverfassung (3.5) sind vorerst einige

menschliche Gemüt genauer benennt: »Vergnügen, Ehrfurcht, Lust, nebst einem heilgen
Grauen« (VIII, 128); vgl. dazu grundlegend Zelle 1988, bes. S. 212–251 (zu Brockes), so-
wie Zelle 1990 (teilw. identisch). – Sehr angemessen hat den Zusammenhang zwischen
frommer Empfindung (›ardor‹) und Kontemplation Brockes’ Freund und Lehrer Johann
Albert Fabricius formuliert, wenn er 1725 dessen Wirkungsintention beschreibt: »Etiam
in his Amplissimi Brokesii carminibus Germanicis pietas ingeniosa & sublimis ac dulcis
varietas certat secum ipsa atque se exsuperat in DEI operibus depingendis, ut hominum at-
tentionem excitet ardoremque accendat per ea cupidius contemplandi Numinis & Opificis
celebrandi.« J. A. Fabricius, Delectus argumentorum et syllabus scriptorum, qui veritatem
religionis Christianae […] asseruerunt, Hamburg 1725, S. 288.
218
So in aller Deutlichkeit im theologiekritischen Gedicht Die Wahrheit (V, 105):
»Der Schöpfer will und kann allein / Bewundert, nicht begriffen, seyn.« – Zur neuzeitli-
chen Traditionslinie vgl. den Artikel Staunen; Bewunderung; Verwunderung im HWbPh,
Bd. 10, 1998, Sp. 116–126 (Elenor Jain/Tobias Trappe), bes. Sp. 121 (zur Umwertung des
Staunens bei Descartes, Thomasius, Wolff und Budde als Ausdruck des Nichtwissens). –
Über Quellen und Vorbilder für Brockes’ emotionales Wirkungskalkül hat sich eine kleine
Forschungsdebatte entsponnen: Fry 1990, S. 254–269, rückt den in Freude kulminieren-
den Umgang mit dem liber naturae in die Nähe der von Augustinus über Johann Arndt
an die Frühaufklärung vermittelten Vorstellung der fruitio Dei; zum Fortleben dieser Tra-
dition in der Kontroverstheologie des 17. Jahrhunderts (Bellarmino) vgl. auch Kemper
1981, Bd. 1, S. 171–174. Dagegen versucht nun Chraplak 2015, Brockes’ »Strategie der
›fröhlichen Betrachtung‹« an die neuplatonische Enthusiasmuslehre anzuschließen, die er
von Cudworth und Shaftesbury herleitet (S. 130–167, bes. S. 162–167 zu Rezeptionsspu-
ren). Vgl. auch den Forschungsbericht, ebd., S. 20–25.
219
Vgl. dazu Fischer 1989; Kemper 1999, S. 264–278.
220
Dieser Vorgang ist in den Grundzügen kirchengeschichtlich gut erarbeitet, De-
tailstudien wären sinnvoll. Vgl. die weiterführenden Hinweise bei Spiekermann 2016.
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Barthold Heinrich Brockes 597

Gedichte in den Blick zu nehmen (3.2), in denen sich Brockes kritisch mit der
traditionellen Apologetik und der Fülle antiatheistischer Literatur seiner Zeit
auseinandersetzt. All diese Gedichte verbindet, bei unterschiedlicher Schwer-
punktsetzung, das einleitend skizzierte Nebeneinander von Atheismus- und
Kirchen- bzw. Dogmenkritik, ferner eine bei Thomasius und im frühen Pi-
etismus vorgeprägte psychologisch-moralistische Grundierung sowie, in po-
sitiver Hinsicht, das eben skizzierte eudämonistische Religionsverständnis,
das dem ›Irdischen Vergnügen‹ den Status eines legitimen Gottesdienstes und
folglich der ›Unempfindlichkeit‹ oder Melancholie das Stigma des faktischen
(oder eben ›praktischen‹) Unglaubens zuweist. All diese Aspekte werden im
Folgenden anhand konkreter Textstellen weiter zu vertiefen sein.

3.2 Ein »unaufhörlichs Zanken, Keifen«


Brockes’ Kritik an der traditionellen Apologetik

Wie die neuere Forschung überzeugend erarbeitet hat, wird man Brockes und
seinem Œuvre nicht gerecht, wenn man, nach dem Vorbild der romantischen
Aufklärungskritik, seiner Lehr- und Gedankendichtung das intellektuelle Ge-
wicht abspricht.221 Dieser Befund lässt sich an seinen im engeren Sinne apolo-
getischen Gedichten ohne Weiteres verifizieren. So wie er die in unzähligen
Gedichten ad oculos demonstrierte Lehre von der anschauenden Erkenntnis
Gottes in seinen Werken immer wieder mit erkenntnistheoretischen Reflexio-
nen verknüpft,222 so begleitet seine antiatheistischen Gedichte das wiederholte
Nachdenken über Leistung und Grenzen der zeitgenössischen Apologetik.
Derselbe Brockes, der in weiten Teilen der Forschung (und nicht zu Unrecht)
als poetisches Sprachrohr der britischen Physikotheologie angesehen wird,
hinterfragt in Gedichten wie Unnütze Mühe, einen Atheisten zu bekehren
(1740),223 nicht ohne selbstkritischen Gestus, den Eifer, mit dem »viele tau-
send Bücher« zur Verteidigung der Religion gegen die Atheisten anträten.
Nach einer kurzen, strophisch abgesetzten Exposition (V. 1–3) trägt dort der
lyrische Sprecher seine eigene Meinung zu dieser Frage vor. Das adversative

221
So, neben der oben angeführten Äußerung von Fischer 1997, auch Wagner-Egel-
haaf 1997, S. 213: »Zu zeigen war, daß Brockes nicht der naive Naturkopist ist, den die
Literaturgeschichte in ihm sehen wollte.« Die wichtigen Arbeiten von Richter, Ketelsen,
Kemper und Fischer, die sie durchaus kennt (vgl. ebd., S. 183–185), werden dabei freilich
ausgeblendet. Gemeint ist wohl eher die ältere germanistische Forschung, die Brockes mit
den Augen der Goethezeit sah und folglich wenig würdigen konnte. Zur Entwicklung des
Brockesbildes seit dem 19. Jahrhundert vgl. Ketelsen 1974, S. 26–29; grundlegend: Gun-
termann 1980.
222
Vgl. Kemper 1981, Bd. 1, S. 332–335 (am Beispiel des Neujahrsgedichts auf das
Jahr 1735). – Ketelsen 1974 hebt gegenüber dem, wie er schreibt, »naiven Sensualismus«
(S. 140) der physikotheologischen Naturdichtung insgesamt gerade Brockes’ erkenntnis-
theoretische Reflexionsbemühungen hervor (vgl. ebd., S. 140–142).
223
Wie Anm. 201.
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598 Übergänge zur Hochaufklärung

»Allein« (V. 4) bereitet den Modus der eklektischen Prüfung vor, die in der
für Brockes typischen didaktisch-meditativen Haltung (»nachdem ich […]
nachgedacht«)224 durchgeführt wird:

Ich habe mich gar oft bemüht, durch viele Schlüsse, manche Lehren,
Der Gottheit Wesen zu beweisen, und Atheisten zu bekehren,
Ich weis, daß viele tausend Bücher zu eben diesem Zweck gemacht.
Allein, nachdem ich dieser Absicht, und dieser Arbeit, nachgedacht:
So deucht mich, daß dergleichen Mühe von mindern Nutzen, als sie scheinet,
Ja, daß es eine große Wahrheit unleugbar sey, wenn jener meynet:
Daß es dem menschlichen Geschlecht zur Schande fast gereichen müsse,
Durch tausend ausgekünstelte Gedichte, Bücher, Schriften, Schlüsse,
Einander das beweisen wollen, was Himmel, Erd und alle Welt,
Der Seelen, nicht durch einen Sinn, durch alle, so vor Augen stellt,
Daß, wer nur menschlich denken will, die Gottheit überall erblicket,
Indem, wofern wir nur das Denken gebührend mit den Sinnen binden,
Und uns nicht selber sinnlos machen, wir dieß unwidersprechlich finden,
Daß er, mit allgemeinen Schriften, sein Wesen deutlich ausgedrücket. (V. 1–14)

Deutlicher wird nun schon: Keine Kritik der Apologetik insgesamt ist hier
intendiert, schon gar nicht eine Zurücknahme der Methode des Irdischen Ver-
gnügens. Der Topos von der copia librorum leitet, ähnlich wie in zahlreichen
Widmungs- und Leservorreden der Frühen Neuzeit, eine Rechtfertigung der
eigenen Publikation angesichts der schon bestehenden Überfülle ein.225 Tat-
sächlich wird die für Brockes charakteristische Verbindung von Denken und
sinnlicher Wahrnehmung – nicht einer, sondern »alle« Sinne (V. 10) werden
dabei angesprochen – gegen andere, vermeintlich »ausgekünstelte« Strategien
nachdrücklich affirmiert. Ob damit nun rationalistische Vernunft- oder tradi-
tionelle Schriftbeweise gemeint sind, lässt der Verfasser offen; kryptisch bleibt
zudem der Hinweis auf einen Gewährsmann (»wenn jener meynet«), der die
Bemühungen um Beweise für das Dasein Gottes als »Schande« bezeichnet ha-
ben soll.226

224
Diese charakteristische Wendung – am bekanntesten vielleicht aus dem vielfach
anthologisierten Gedicht Kirsch-Blühte bey der Nacht (»Ich sahe mit betrachtendem Ge-
müthe …«, hier nach Kemper 1999, S. 27) – verbindet den didaktischen Modus des Lehr-
gedichts formell mit dem Gestus der lyrischen Subjektivität und positioniert Brockes’
Lehr- und Gedankenlyrik schon am Übergang zur sogenannten Ideendichtung. – Zum
Verhältnis von Anschauung und Reflexion bei Brockes vgl. Richter 1972, S. 184 f., 188 f.;
Preisendanz 1994, S. 481; ferner Spörl 1999, S. 259 f., der darin eine quasiemblematische
Struktur zu erkennen glaubt (so auch schon Richter 1972, S. 188); schließlich Richter 2002,
der den Modus der Betrachtung als »zentrale[n] Bereich der physikotheologischen Argu-
mentation« ausmacht (S. 11).
225
Zur Toposgeschichte der ›Bücherflut‹ in der frühen Neuzeit vgl. Werle 2010.
226
Brockes hätte diese Sichtweise bei Pascal ebenso finden können wie bei Bayle,
und selbst Gundling hatte sich sehr kritisch zu den Wirkungsaussichten der Apologetik
geäußert (s. die entsprechenden Kapitel).
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Barthold Heinrich Brockes 599

Der Untauglichkeit oder Unangebrachtheit der klassischen Gottesbeweise


stellt Brockes nun allerdings die sinnenhaft erfahrbare Selbstevidenz Gottes
in seiner Schöpfung gegenüber, die – so die Pointe dieses ersten Abschnitts –
Beweisverfahren im engeren Sinn eigentlich überflüssig mache. Sofern damit
implizit weite Teile der Theologie, womöglich sogar die biblische Offenba-
rung selbst, für entbehrlich erklärt werden, betritt Brockes hier spürbar he-
terodoxes Terrain.227 Erneut versteht er es, seinem antiatheistischen Appell
eine theologiekritische Stoßrichtung zu geben. Dieser Eindruck verstärkt sich
in der zweiten Hälfte des Argumentationsteils (V. 15–23), wenn Brockes, als
guter Thomasianer, die menschlich-affektiven Antriebe hinter der gelehrten
Demonstrationswut freilegt:

Wer nun, was Gottes Finger selbst geschrieben hat, von seinem Wesen,
Nicht kann, nicht mag, nicht will begreifen, verstehen, fassen oder lesen,
Wie kann ich den mit Menschen Witz, mit Schlüssen, Zanken, Disputiren,
Wo man mehr sein’ als Gottes Ehre, besorget ist, nicht zu verlieren,
Und wo wir, durch die Eigenlieb ins Feur gebracht, uns wirklich schämen,
Die Wahrheit, wenn sie noch so klar und überzeugend, anzunehmen,
Als ein recht ungereimtes Mittel, verlangen, den zu überführen,
Der des allgegenwärtgen Gottes allgegenwärtge Schrift und Lehren,
Wie deutlich und wie klar sie sind, dennoch nicht lesen will noch hören?

Zur beharrlichen ›Unempfindlichkeit‹ (s. o.) des Atheisten, die weder sinn-
liche (»begreifen«, »fassen«, »hören«) noch rationale (»verstehen«, »lesen«)
Erkenntnis zulässt, tritt so, in der bei Brockes vielfach anzutreffenden mo-
ralistischen Optik, die Streit- und Geltungssucht der Schulphilosophen bzw.
-theologen.228 Mit dieser Sichtweise stellt sich Brockes in die Tradition der
protestantischen Reformorthodoxien des 17. Jahrhunderts, die sich vom kon-
troverstheologischen Eifer des konfessionellen Zeitalters (nicht immer ganz
konsequent) distanzierten. Auf einen ihrer bedeutendsten Vertreter, den im
Brockes-Umfeld geschätzten Johann Arndt,229 verweist etwa der Ausdruck

227
Stellen wie diese stützen die These von Kemper 1981, dass Brockes sich mit seiner
Fassung der Physikotheologie in die Tradition eines außerchristlichen »ältesten Gottesdiens-
tes« stellt, wie er sich vom jüdischen Aristotelismus über die hermetisch-neuplatonische
Naturphilosophie und den Deismus bis zur Romantik nachweisen lasse (vgl. ebd., Bd. 1,
S. 26–143). Bekanntlich gibt es bei Brockes, wie auch Kemper später selbst eingeräumt hat
(1999, S. 198 f.), ebenso Stellen, die weniger heterodoxes Gepräge tragen. Einen lutherischen
Brockes kann deswegen, mit mehr als genug Belegen, Ketelsen 1974 präsentieren.
228
Ausführlicher etwa im Gedicht Der Wissenssucht schädliche Folgen (IX, 429 f.).
Dort werden »Hochmuth«, »Stolz« und »Eigenliebe« als psychologische Motive hinter ei-
nem quasigelehrten Habitus vermutet, der sich durch »ein unaufhörlichs Zanken, Keifen«
denkbar weit von der Wahrheitsfindung entfernt habe.
229
Zu Arndts Bedeutung in der Vorgeschichte von Brockes’ theologische Naturdeu-
tung (jedoch ohne Hinweis auf die sünden- und affektpsychologische Dimension) vgl.
Wolff 1947, S. 1134–1137; Philipp 1957, S. 56 f.; Kemper 1981, Bd. 1, S. 215–225; Fry 1990,
S. 254–269; Henley 2011, S. 5 f., 8–12. – Diese Deutungen können sich auf eine Zuschrei-
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600 Übergänge zur Hochaufklärung

»Eigenlieb«230 – neben ›Hochmut‹231 zweifellos der wichtigste Begriff in Bro-


ckes’ moralistischem Arsenal.232 Beiden Positionen, dem Unglauben wie der
übereifrigen Apologetik, steht jedoch die unverrückbare »Wahrheit« gegen-
über, von Brockes mittels der seit Descartes die optimale Erkenntnisqualität
bezeichnenden Zwillingsformel clare et distincte (hier aus metrischen Gründen

bung stützen, die der mit Brockes befreundete Hofrat Weichmann in der Vorrede zum
zweiten Band des Irdischen Vergnügens (1727) vornimmt. Dort dient die Berufung auf
Arndt gerade dem Nachweis, dass Brockes’ Natur- und Gottesauffassung mit der dogma-
tischen Norm der lutherischen Kirche vollständig vereinbar sei (II, Vorrede, fol. b 3r). Im
Weiteren nennt Weichmann noch den schon erwähnten Christian Scriver, ferner Johann
Jacob Scheuchzer, Valentin Ernst Löscher und Daniel Wilhelm Triller (vgl. ebd., fol. b 3v),
bevor er zu den englischen Physikotheologen übergeht.
230
Im ersten der Vier Bücher vom wahren Christentum von 1605 (Von wahrem
Christenthumb, als »Urausgabe« hg. v. Anselm Steiger, Hildesheim 2005) handelt ein gan-
zes Kapitel (Kap. 31) von den Auswirkungen der Eigenliebe: Daß eygene Liebe / vnnd
eygene Ehre / auch die höchsten vnd schönsten Gaaben deß Menschen verderben vnd zu
nicht machen (S. 253–259).
231
Wider den Hochmuht [!] wendet sich etwa das gleichnamige Gedicht aus dem sieb-
ten Band des IVG (VII, 701–704), aber auch das Gedicht Demüthige Selbst=Erkänntniß
(V, 160; BW 4, 106, dort »Selbst-Erkenntniß«).
232
Seit der Antike stand einer positiven Auffassung der Selbst- oder Eigenliebe, als
affektivem Stimulans der Selbsterhaltung, eine Abwertung gegenüber, die häufig mehr
quantitativ (gegen die übermäßige Selbstliebe) als qualitativ argumentierte. Vgl. den be-
griffs- und problemgeschichtlichen Überblick in HWbPh, Bd. 9, 1995, Sp. 465–487 (Ul-
rich Dierse/Susanne Knoche). – Zur Umwertung der Kategorie der ›Selbstliebe‹ (φιλαυτία,
amor sui) in der moraldidaktischen Literatur im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert
vgl. maßgeblich Vollhardt 2001, insbes. S. 170–196 (Thomasius) und 240–244 (zu Brockes,
hier jedoch als Mitverfasser des Patrioten).
Im Gedicht Der Hochmuth, die Quelle des menschlichen Unglücks (VIII, 499–502)
hat Brockes die beiden Dimensionen der Eigenliebe erörtert und den Hochmut als den
»Mißbrauch unsrer Eigen=Liebe« bestimmt (VIII, 500). Noch deutlicher an seinem Leh-
rer Thomasius orientiert er sich im Gedicht Unordentliche Selbst=Liebe (VIII, 603 f.). –
Ähnlich argumentiert übrigens im 46. Stück vom 16. November 1724 der Patriot (ed.
Martens, S. 391): »Daß die murrische Unzufriedenheit eine Tochter der unordentlichen
übermäßigen Eigen=Liebe und eine Mutter der Klage=Lust sey, wird ein jeder leicht be-
greiffen.« Aber schon im folgenden Stück vom 23. November wird der Begriff ohne nähe-
re Erläuterung in abwertender Weise verwendet (ebd., S. 399): »Wir Menschen haben von
der verderbten Natur so viel Eigen=Liebe, daß wir die wirckenden Ursachen desjenigen,
was an uns gut, löblich und ansehnlich ist, nicht gern ausser uns selbst suchen lassen.« – An
vielen Stellen in Brockes poetischem Werk unterbleibt die Differenzierung. Die Eigenliebe
oder Selbstliebe wird dort zumeist in negativer Bedeutung verwendet. So kritisiert das
Gedicht Irrthum der Eigen=Liebe (IV, S. 259–262; BW 3, 539–542) den Egoismus einer
Frömmigkeit, die im Gebet nur den eigenen Vorteil, die Erfüllung eigener Wünsche oder
Bedürfnisse sehen kann. Die Anschlussfähigkeit der Kategorie für die christliche Aufklä-
rung belegt ein Artikel wie Beweis, daß die Eigenliebe alle Tugenden und alle Laster wirke
in Justis Ergetzungen der Vernünftigen Seele aus der Sittenlehre und der Gelehrsamkeit
überhaupt. Erstes St., Leipzig 1745, S. 75–86.
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Barthold Heinrich Brockes 601

vertauscht: »Wie deutlich und wie klar«) erkenntnistheoretisch nobilitiert.233


Dieser Befund wird abschließend, unter Anspielung auf die bekannte Anek-
dote über den antiken Philosophen Diogenes,234 im Vergleich von Sonnen- und
Laternenlicht anschaulich illustriert: »Dieß hieß ja wohl, am hellen Tage, um
unsrer Sonnen Glanz zu finden, / Und jemand, daß sie sey, zu zeigen, mit Müh ein
kleines Licht anzünden.« (V. 24 f.)
Im Gedicht Atheistenkriege unnütz und unöthig (1748)235 kehrt dieses Motiv,
ebenso wie die darin veranschaulichte Grundidee, noch einmal fast identisch
wieder. Bemerkenswert ist dort allerdings die weitere Zuspitzung. Was im
eben behandelten Gedicht nur angedeutet war (V. 19 f.) – dass die Eigenliebe
und Zanksucht der Theologen die Akzeptanz ihrer Lehren geradezu torpe-
dieren könnten –, wird hier nun ausdrücklich formuliert. In der für Brockes
typischen Weise ergeht sich ein laut nachdenkendes Ich in Betrachtungen über
»Ursach« und kontraintentionale Wirkungen der titelgebenden »Atheisten-
kriege«. Entgegen zeittypischen Bedrohungs- und Zusammenbruchszenarien
bestreitet der Sprecher die Vermehrung des Unglaubens und formuliert so-
dann seine brisante Vermutung:

Die Ursach, warum itzt die Lehren,


Die Atheisten zu bekehren,
Sich fast an allen Orten häufen,
Kann ich nicht gar zu wohl begreifen,
Da doch so viel, als wie man hört,
Sich ihre Schaar nicht eben mehrt.
Ja sollte letzers auch geschehen,
Ist es noch ungewiß, ob selbe nicht entstehen
Dadurch, daß man, was Gott, so wunderlich erklärt. (V. 1–9)236

Erneut ist die Akribie hervorzuheben, mit der Brockes die metrische Gestal-
tung auf Syntax und Inhalte abstimmt. Die kühne These (V. 8 f.), der Unglaube
entstehe gerade aufgrund der zahllosen Versuche, Existenz und Eigenschaften

233
Vgl. den Überblicksartikel ›klar und deutlich‹, in: HWbPh, Bd. 4, 1976, Sp. 846–
848 (Gottfried Gabriel); Wagner-Egelhaaf sieht dagegen im häufigen Gebrauch von Aus-
drücken wie ›klar‹, ›Klarheit‹ etc. einen Verweis auf die rhetorische Forderung der per-
spicuitas, die in französischen Rhetoriklehrbüchern auch als clareté lemmatisiert worden
sei (vgl. Wagner-Egelhaaf 1997, S. 202). Beide Deutungen lassen sich gut vereinbaren.
234
Der Vergleich von Laterne und Sonnenlicht vor allem nach Diogenes Laertius VI,
53 f. – Zur Diogenesrezeption in der Literatur der frühen Neuzeit vgl., neben der maß-
geblichen Monografie von Largier 1997, jetzt den kompakten Überblick von Kühlmann
2010, S. 387–393 (mit weiteren Literaturhinweisen). – Zur Lichtsymbolik und -metapho-
rik bei Brockes siehe weiter unten die Analyse des Gedichts Unglücklicher Zustand eines
Atheisten.
235
Wie Anm. 201.
236
Den letzten Vers des Abschnitts zitiert Strauß 1861 im zweiten Teil seiner kleinen
Studie zu Brockes und Reimarus, in der er die kirchenkritischeren Töne in der Lyrik des
Ratsherrn herausarbeitet (vgl. Strauß 1861, S. 10).
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602 Übergänge zur Hochaufklärung

Gottes zu erklären, erscheint akzentuiert durch sechs statt zuvor vier Hebun-
gen im entsprechenden Verspaar, durch Zeilensprung und durch den unreinen
Reim (»erklärt«), der als überzählig aus dem ansonsten konsequenten Paar-
und Kreuzreimschema herausfällt.237 Die so entstehende Schweifreimstruktur
fasst die ersten neun Verse auch ohne typografische Absetzung zur strophi-
schen Einheit zusammen. Folgerichtig entfaltet der anschließende Vers einen
neuen Gedankengang, mit dem aus vielen Brockesgedichten bekannten Gestus
des gemeinsamen vorurteilsfreien Nachdenkens (»wenn wir es recht ergrün-
den« [V. 10]) über das zuvor exponierte Sujet.
Es folgen sodann die aus dem vorigen Gedicht bekannten Überlegungen
zum zweifelhaften Nutzen sowie zu möglichen Motiven jener ›wunderlichen‹
Erklärungsversuche. Das Unvermögen des menschlichen Verstandes (hier
zweimal metonymisch vertreten durch »unsre Schlüsse« [V. 15 u. 17]) ange-
sichts eines ihm inkommensurablen Erkenntnisobjekts wird erneut in der ko-
misch wirkenden Kontrastierung von Sonne und Laterne oder Lampe verbild-
licht (»Wer braucht beym Sonnenstral ein Licht?« [V. 13]). Nicht gegen den
Verstand selbst zielt jedoch diese Art der Pointierung, sondern zum einen –
wohl von Lockes Empirismus her gedacht238 – gegen die Tautologie reiner Ver-
nunftbeweise, zum anderen aber gegen die erkenntnishemmende Wirkung der
Affekte (»Stolz« und »Schwachheit« bewirken »Zanken« und »Irrungen«). Die
Eitelkeit und Geltungssucht der Diskutanten – ein Grundmotiv der abendlän-
dischen Gelehrtensatire239 – schildert Brockes abschließend mit spitzer Feder.
In der Einfachheit des Vers- und Satzbaus ebenso wie im abschließenden hu-
moristischen Vergleich mit Schulkindern nähert sich die Passage deutlich dem
Stilideal der um 1750 hocherfolgreichen moralischen Erzählungen an:240

Ein jeder scheint sich zu bemühn,


Mehr seinen Geist hervorzuziehn,
Als Gottes Wesen zu bewehren.
Ein jeder will mit seinem Geist,
Was sich an allen Orten weist,
Was mehr als sonnenklar, erklären.
Es kömmt ein solch Betragen mir
Fast in der That nicht anders für,
Als wenn ein Kind, mit klugen Lehren,
Mit einer langen Schlüsse Reih,
Will aus dem A. B. C. erklären,
Daß es zu Mittag, Mittag sey. (V. 30–41)

237
So kommt es auch zur ungeraden Gesamtanzahl von 41 Versen.
238
Auf mögliche Bezüge zu Locke, für die ein empirischer Nachweis bislang fehlt,
weisen etwa Kemper 1999, S. 214, und Richter 2002, S. 8.
239
Vgl. dazu grundlegend Kühlmann 1982, S. 306–318 u. 372–422, der besonders die
Kritik an Pedanterie und ›Morosität‹ hervorhebt; für das 18. Jahrhundert vgl. den Über-
blick von Košenina 2003, bes. S. 55–83 (Kap. Profile: Pedanterie, Ehrsucht, Einsamkeit).
240
Vgl. grundlegend dazu Berg 2006; speziell zu Hagedorn: Martus 1999, S. 26–33.
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Barthold Heinrich Brockes 603

3.3 Wider das blinde »Ungefehr«


Physikotheologie und Apologetik

In seiner psychologischen wie methodischen Kritik an Schulphilosophie und


-theologie hat Brockes implizit auch das Programm seiner eigenen poetischen
Apologetik entworfen. Sie versteht sich, wie in der Forschung wiederholt her-
vorgehoben wurde, zu weiten Teilen weniger als Beweisverfahren denn als
hinweisende Erschließung und als Anweisung zum richtigen Sehen dessen,
das eigentlich keines Beweises bedarf.241 So zumindest dürfen wir hier wie an-
dernorts die Erläuterungen des lyrischen Sprechers verstehen. Dass jedoch der
physikotheologische Ansatz des Irdischen Vergnügens in Gott nicht nur eine
kontemplativ-erbauliche, sondern auch eine persuasive Absicht verfolgt, funk-
tional also durchaus als Gottesbeweis verstanden werden kann, zeigt sich da,
wo Brockes als genuiner Apologet der (natürlichen) Religion dem kosmolo-
gischen Gegenmodell in Gestalt des philosophischen Materialismus entgegen-
tritt.242 Das geschieht in auffallender Häufung im sechsten Band des Irdischen
Vergnügens (1740), der gleich drei gewichtige Beispiele für diese im engeren
Sinn physikotheologischen Atheismusgedichte des Autors enthält.243
Gegen die Behauptung, die Ordnung der Natur verdanke sich einem »blin-
den Ungefehr«, wendet sich etwa das Gedicht Beschämung zweierley Atheis-
ten.244 Dort wird einmal mehr (s. o.) den »starken Schlüssen« eines Menschen
241
Zur Frage nach dem Beweischarakter vgl. die weiter oben (Anm. 199) aufgeführte
Literatur. – Den deiktischen Charakter der brockesschen Poesie und ihre Intention als
»lustvolle Inszenierung des Sehens« betont Wagner-Egelhaaf 1997 (Zitat S. 195).
242
Zum systematischen und geschichtlichen Ort des Materialismus innerhalb des
frühneuzeitlichen Atheismus vgl. Schröder 1998, S. 322–343; die geschichtlichen Grundli-
nien zieht, immer noch lesenswert, Lange 1866, Bd. 1, S. 235–307.
243
Etwas voreilig erscheint daher die pauschale Behauptung von Udo Krolzik, die
Widerlegung der Atheisten sei nicht das Ziel der Physikotheologie (vgl. Art. »Physiko-
theologie«, in: TRE 26, 1996, S. 590–596, hier: S. 591). Der von Krolzik veranschlagte
»Gegensatz zu den Apologien« (ebd.) dürfte in dieser Form schwer zu vertreten sein.
Richtig ist sicherlich, dass die Physikotheologie von den deduktiv-abstrakten Beweismo-
dellen der Schulphilosophie und -theologie abrückte. Das machte sie nur zu einer zeitge-
mäßeren Form der Apologetik.
244
Wie Anm. 201 (Zitat in V. 8). – Wenn im Titel von »zweierley Atheisten« die Rede
ist, so deswegen, weil der lyrische Sprecher eingangs zwei verschiedene Heterodoxien vor-
stellt. Die erste wird »Stratonicam« genannt, nach dem antiken Peripatetiker Straton von
Lampsakos (Beiname »der Physiker«), der die Vorstellung beseelter Elementarteilchen
entwickelte, dafür die Unsterblichkeit der Seele bestritt und insofern schon als Vorläufer
des Spinozismus eingestuft wurde (vgl. Hirschberger 1991, Bd. 2, S. 167). Auf Straton hat-
te die Zeitgenossen unter anderem 1701 Budde in seiner bekannten Dissertation De Spi-
nozismo ante Spinozam aufmerksam gemacht (vgl. dort S. 317–320), auch Jakob Friedrich
Reimmann führt ihn als Atheisten (vgl. Historia universalis atheismi, S. 186 f.); s. auch die
knappen Hinweise bei Barth 1971, S. 95 u. 117; Schröder 1998, S. 51. – Zum eigentlichen
Gegenstand des Gedichts wird die zweite vorgestellte Lehre »Von einem Zufall aller Din-
ge, von einem blinden Ungefehr« (461), also der Materialismus, wie er in der frühen Auf-
klärung philosophiegeschichtlich mit Epikur und vor allem mit Lukrez assoziiert wurde.
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604 Übergänge zur Hochaufklärung

begegnet, der sich intellektuell erhaben wähnt. Ihm stellt der Sprecher des Ge-
dichts humoristisch-ironisch einen überlegenen Lehrmeister entgegen, der die
These vom blinden Zufall durch seine bloße Existenz widerlegt: »Der große
Lehrer ist ein Wurm.« (V. 15). Gemeint ist eine Raupe, aus der sich in einem
Vorgang »unbegreiflicher Verändrung« (V. 31) ein Schmetterling entwickelt.
Das »doppelt Ungefähr« (V. 18), wie es süffisant heißt, mit dem sich erst die
Raupe selbst und dann, in einem zweiten Stadium, der Schmetterling entwi-
ckelt, dient als anschaulicher Nachweis für die angestrebte Schlussfolgerung:
»Wie uns die kleinste Creatur von Atheisterey entfernet« (V. 53).
Mit noch größerem Aufwand verfährt der Sprecher im umfangreichen
Versuch, ob, ausser der Lehre von den Contingenzen, ein Atheist nicht kön-
ne mit unumstößlichen Gründen convinciret werden (1740),245 damit auch der
»allergröbste Atheist« zur Einsicht in die Notwendigkeit eines organisieren-
den Verstandes hinter »Ordnung, Maß und Richtschnur« (V. 17) in der Natur
gelange. Dazu wird erst, in klassisch physikotheologischer Beweisführung, die
Analogie zwischen Natur und menschlicher Kunstfertigkeit (»Bau= und Mal-
werk« [V. 14]) bis zu dem Punkt getrieben, wo die Vorstellung eines göttlichen
Künstlers unabweisbar erscheint.246 Interessant ist der argumentative Fortgang
des Gedichts, der zu erwartende Einwände integriert. Dem möglichen »Ein-
wurf« eines Atheisten, dass zwischen Natur und Kunst klarer unterschieden
werden müsse,247 wird – in diesem Zusammenhang wohl eher überraschend –
die Naturhaftigkeit des Menschen entgegengehalten, die auch noch seine
Schöpfungen als Werke der Natur erscheinen lasse.248
In der gemeinsamen Erörterung der Frage nach dem Übergang zwischen
Materie und Geist, die noch gegen Ende des wissenschaftsstolzen 19. Jahr-
hunderts als eines der unlösbaren »Welträthsel« bezeichnet werden sollte,249

245
Wie Anm. 201.
246
»Daß nämlich auch in der Natur und den von ihr gewirkten Werken, / Unwider-
sprechlich ein Verstand, der Ordnung kennet, zu bemerken, / Auch daß ein solches wir-
kend Wesen, das Ordnung kennet, zweifels frey [!], / Nothwendig eh, als wie das Werk,
das es gewirkt, gewesen sey.« (V. 27–30)
247
»Ja, wollte gar ein Atheist noch einen Zweifel hier formiren, / Und sagen: Dieses
wär ein Sprung; es wär ein großer Unterscheid / Noch zwischen der Natur und Kunst:
kann man mit großer Deutlichkeit / Ihn, auch in diesem seinen Einwurf, von seinem Irrt-
hum überführen.« (V. 31–34)
248
»Mit welchem Recht kann doch der Mensch sich eigenmächtig unterstehen, / Von
der Natur sich auszuschliessen, als solch ein Ganz sich anzusehen […].« (V. 45 f.) – Tat-
sächlich handelt es sich um das typisch apologetische Verfahren, dem Unglauben gerade
nicht mit Bibel und Dogmatik zu begegnen, sondern mit Sätzen, auf die sich jeder denken-
de Mensch verständigen lässt.
249
In dem 1872 gehaltenen Vortrag von Emil Du Bois-Reymond, Über die Grenzen
des Naturerkennens. Ein Vortrag in der zweiten öffentlichen Sitzung der 45. Versammlung
deutscher Naturforscher und Ärzte zu Leipzig (Leipzig 41876), der mit dem bekannten
Ausruf »Ignorabimus!« endet (S. 39), bezeichnete der bedeutende Physiologe die Entste-
hung des Bewusstseins als etwas »Unbegreifliches« (S. 20). 1880 griff er diesen Gedanken
wieder auf und erweiterte ihn zu einer Festrede mit dem durch Ernst Haeckels Bucherfolg
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Barthold Heinrich Brockes 605

rückt der Atheist endlich zum Partner eines imaginierten Gesprächs auf (»Du
sprichst«), das hier in bestem Konversationston geführt wird (»Jedoch, mein
Freund, verstehe mich« [V. 99]).250 Er muss sich nur zu guter Letzt den jovi-
alen Ratschlag gefallen lassen, sich »Philosophen=mäßig« zu verhalten, statt
das Unbegreifliche, in Missachtung syllogistischer Regeln, kurzerhand für
unmöglich zu erklären. Indem Brockes das Gedicht mit der sehr verknapp-
ten Skizze eines Moralischen Charakters (»wie jener …«) schließen lässt, greift
er zugleich auf ein literarisch-didaktisches Instrument zurück, das, nach dem
Vorbild von La Bruyères Caractères ( IV.4.2), ab etwa 1720 seinen Siegeszug
in der Literatur der Frühaufklärung antrat, vor allem in den Moralischen Wo-
chenschriften.251 Dass die entsprechende Phänomenologie endlich einmal mehr
in den stultitia-Topos mündet (»Narren=Schluß«), gehört hier wie dort zur
humoristisch-satirischen Verfahrensweise:

Sind dir vielleicht, aus Vorurtheil, die geistgen Theile lächerlich:


So handle Philosophen=mäßig, und nicht so, daß man denken muß,
Du dächtest so, wie jener dachte. Er hielte sich für unbetrieglich,
Und schloß beständig: Dieses Ding begreif ich nicht, es ist unmüglich.
Allein ein Kluger dacht und sprach: Dieß ist ein rechter Narren=Schluß.
(V. 102–106)

3.4 Das Gedicht als Bühne


Dialogische Bekehrung eines Materialisten

In dem Gedicht Der durch sich selbst widerlegte und überführte Atheist des-
selben Jahres (1740) erhält der Atheist vollends eine eigene Stimme, als Di-
alogpartner »A.«, dem mit »B.« (hier wohl Brockes)252 ein christliches Ge-
genüber beigesellt wird.253 Es handelt sich um einen jener Bekehrungsdialoge,
wie sie im antiatheistischen Schrifttum seit der Barockzeit schon gelegentlich

Die Welträthsel (1899) sprichwörtlich gewordenen Titel Die sieben Welträthsel, die ge-
meinsam mit dem Vortrag von 1872 gedruckt wurde: Über die Grenzen des Naturerken-
nens. Die sieben Welträthsel. Zwei Vorträge, Leipzig 1882.
250
In anderen Gedichten übernimmt diese Funktion der Dialog; s. dazu die Analyse
im nächsten Teilkapitel.
251
Beispiele weiter oben im Wochenschriften-Kapitel (bes. Kap. VI.2.5).
252
Jürgen Rathjen weist im Kommentar zum Gedicht Ein Atheist darauf hin, dass
das Kürzel »B.« nicht notwendig für »Brockes« stehen müsse (vgl. BW 4, S. 875).
253
Das gleiche Verfahren verwendet Brockes in dem thematisch verwandten Gedicht
Gehobener Zweifel (IX, 423), wo in aller Kürze ein Argument gegen den Unsterblich-
keitsglauben entkräftet wird, sowie in dem umfangreichen Neujahrsgedicht auf das Jahr
1722, Das, durch die Betrachtung der Grösse GOttes, verherrlichte Nichts der Menschen
(Anm. 201), das 1724 in der zweiten Auflage des ersten Bandes vom Irdischen Vergnügen
erschien. Es ist ausführlich behandelt bei Fischer 1997.
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606 Übergänge zur Hochaufklärung

vorkommen.254 Keineswegs geht es dabei um einen Wettstreit zweier gleich-


berechtigter Meinungen, auch nicht um ergebnisoffene Polyperspektivik wie
in analogen Beispielen aus dem heterodoxen Spektrum,255 vielmehr dient die
Figur des »A.« als Sprachrohr für eine These, die dann demonstrativ entkräftet
wird. Brockes macht es sich allerdings nicht so leicht, dass er einen offenkun-
digen Dummkopf mit absurden Meinungen oder bloßen Provokationen auf-
treten ließe. Entworfen wird stattdessen in 129 Versen – wie so oft verwendet
Brockes gereimte jambische Achtheber ohne strophische Gliederung – ein
Gespräch unter guten Bekannten (so ist wohl die Anrede »werther Freund«
aufzufassen), in höflichstem Gesprächston.
Zum Einstieg entfaltet der »A«-theist eine vergleichsweise subtile These,
die ihren Ausgang vom bevorzugten Gegenstand des Dichters nimmt – der
Natur. Vorerst scheint es sich noch um ein typisches Brockes-Gedicht zu
handeln. Die Vollkommenheit eines Kieselsteins (»Wie regelrecht, wie glatt
poliert«, V. 3), zurechtgeschliffen durch das Wirken der Gezeiten, ermuntert
ihn jedoch zu einer Denkoperation, die den Bereich des von Brockes Ge-
wohnten schlagartig verlässt. Gleich zweimal (vorher schon in V. 2 und 9)
fällt die Signalformel »ungefähr«, Synonym für den gleichfalls doppelt ver-
tretenen »Zufall« (V. 12 u. 13), mit der sich »A.« als Schüler des Epikur oder
seines wirkmächtigen Advokaten Lukrez zu erkennen gibt.256 Nicht apodik-
tisch und neunmalklug wird jedoch die heterodoxe Folgerung vorgebracht,
als Frage vielmehr und mit betonter Zurückhaltung (»fast«, »vielleicht«)
werden Zweifel an der antilukrezischen communis opinio (V. 13) artikuliert:

254
Eine Aufzählung von Beispielen bietet Barth 1971, S. 30–32. – Zum Dialog als
literarischer Form vgl. die Hinweise in Kap. III.2.3. – Zu Dialogstrukturen im Lehrgedicht
des 18. Jahrhunderts vgl. Siegrist 1974, S. 165–168. Das vorliegende Gedicht von Brockes
wird dort als Beispiel angeführt (vgl. ebd., S. 165 f.).
255
So insbesondere in Bodins Colloquium Heptaplomeres; vgl. dazu die Beiträge in
Gawlick/Niewöhner 1996.
256
Zur Lukrezrezeption im 18. Jahrhundert vgl. allgemein Baker 2007; einige Hin-
weise, mit Blick auf Goethes Metamorphose der Tiere, gibt Nisbet 1986 (dort, S. 97,
Anm. 2, auch der Hinweis auf Gay 1967, S. 98–105); zur Lukrezübersetzung durch Goe-
thes »Ur-Freund« Karl Ludwig von Knebel vgl. jetzt Kühlmann 2016b, S. 6 f., mit weite-
ren Hinweisen zur Forschung; zur Rezeptionsgeschichte allgemein vgl. Norbrook 2016 u.
den Überblick von Butterfield 2016 (zur frühen Neuzeit) sowie den entsprechenden Arti-
kel im Neuen Pauly, Bd. 7, 1999, S. 472–476 (Klaus Sallmann); zur neulateinischen (»neo-
Latin«) Rezeption vgl. Haskell 2007 (dort, S. 195–200, auch zum 18. Jahrhundert, unter
anderem zu Polignacs großem Lehrgedicht Anti-Lucretius); wichtig für die Rezeption war
für die frühneuzeitlichen Autoren das Lukrezbild in der antiken Literatur; dieses rekon-
struiert aus lateinischen Quellen von Cicero bis Laktanz Gatzemeier 2013, vgl. auch den
Forschungsbericht (ebd., S. 12–14); Stephen Greenblatt hat bekanntlich versucht, entlang
der Rezeptionsgeschichte von De rerum natura in der Renaissance, die »Wende« (engl.
»the swerve«) hin zu einer epikureisch-diesseitsorientierten ›Moderne‹ nachzuzeichnen
(vgl. Greenblatt 2011, bes. S. 51–80). – Eine detaillierte Untersuchung von Brockes’ wich-
tigstem antilukrezischen Gedicht Der Atheist von 1740 (Anm. 201) hoffe ich bald an an-
derer Stelle vorlegen zu können.
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Barthold Heinrich Brockes 607

Erhellet nun, aus dieser Wirkung des Zufalls nicht fast Sonnen=klar,
Daß wir den Zufall blind, mit Unrecht, die Kunst mit Unrecht weise nennen;
Da ja, wie dieser schöne Stein von ungefähr sich bilden können,
Auf gleiche Weis’ auch tausend Dinge, die überall um uns vorhanden,
Ja, daß vielleicht die ganze Welt, auch durch ein Ungefähr entstanden.
(V. 12–16)

Damit ist der Boden für die belehrende Replik des frommen »B.« bereitet,
die den gemachten Schluss vom Einzelfall auf das Naturganze untersucht und
zugleich, in ungewöhnlich abstrakter Weise, das hermeneutische Grundprin-
zip der brockesschen Physikotheologie expliziert: Ordnung in der Unendlich-
keit.257 In der Höflichkeit, mit der hier dem potenziellen Freigeist begegnet
wird, zunächst mit einer strategischen concessio, wird dabei zugleich ein Kon-
versationsideal vorgeführt, das sich gegenüber dem Tonfall der von Brockes
scharf kritisierten »Atheistenkriege« (s. o.) vorsätzlich abhebt. »B.« verkörpert
so die Leitfigur des christlichen Weisen, wie ihn Thomasius in seiner Sittenleh-
re entworfen hatte und wie er in den Moralischen Wochenschriften vielfach
gestaltet wurde.258 (Als Typus des gebildeten Landgeistlichen sollte er über die
Hochaufklärung die Literatur des 19. Jahrhunderts erreichen.)
Zu diesem Profil gehört auch die gründliche Kenntnis der philosophischen
Wissenschaften, nicht zuletzt ihrer durch Christian Wolff zu neuen Ehren
gelangten elementaren Hilfsdisziplin, der Logik.259 Nicht nur diagnostiziert
»B.« einen Fehlschluss bei seinem Vorredner, er signalisiert überdies in seiner
Gegenargumentation, der Form nach eine reductio ad absurdum, durch fast
penetrante Häufung von Verben und Umschreibungen des Schließens (V. 20
u. 23 f., s. u.) sowie darauf abgestimmten Attributen (»unwidersprechlich«,
»nothwendig«), dass er den Bereich der logischen Operationen ganz für sich in
Anspruch nimmt.260 Vor diesem Hintergrund formuliert er nun zunächst seine
Zustimmung und signalisiert damit zum einen, dass er ein gutes Argument
anzuerkennen bereit ist, zum anderen, dass er das Vorhandensein einer »Ord-
nung der Natur« nicht in Abrede stellt und ihr auch diesseits einer speziellen
Providenz ästhetische Wirkungen zutraut. Sein Verhalten entspricht damit

257
Beachtung verdient, wie Brockes es auf diese Weise verstanden hat, das von Haller
(s. u.) so ergreifend geschilderten Grauen angesichts der Unendlichkeit zu kompensieren
und die Wirkung des sogenannten Kopernikanischen Schocks auf die Mühlen der Apolo-
getik zurückzuleiten.
258
Zu Thomasius s. weiter oben, Kap. V.2. – Zum sozialen Typus des aufgeklärten
Geistlichen und seiner Bedeutung für die Anfänge der bürgerlichen Gesellschaft um 1800
vgl. Schütz 1974, Graf 1990 sowie die Beiträge in Schorn-Schütte/Sparn 1997.
259
Als Mathematiker legte Wolff besonderen Wert auf die Logik. Zu seiner Lehre
und ihrer Wirkung vgl. ausführlich Risse 1970, Bd. 2, S. 579–659, bes. S. 579–610 (über
Wolffs wissenschaftlichen Ansatz).
260
An anderer Stelle hat Brockes sich, als Dichter, auch kritisch zum Erkenntnispo-
tenzial der Logik geäußert: Eine neue Art, durch Connexiones der Schüsse zu überführen,
eben sowol widersprechlich (VI, 590; BW 4, 708).
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608 Übergänge zur Hochaufklärung

exakt den Verhaltensmaßregeln, wie sie kein Geringerer als Christian Wolff für
den Streit mit Atheisten empfohlen hatte.261
Die doppelte concessio am Anfang und am Ende des folgenden Zitats, zu-
nächst zur ersten Prämisse (Schönheit des Steins), sodann (V. 27 f.) zur zwei-
ten (zufällige Wirkung der Natur als Ursache dafür), jeweils durch einen für
Brockes auffallend kurzen Satz vertreten, rahmt den Kern der angestrebten
refutatio ein. Auch wenn »B.« den Prämissen zustimmen könne, heißt das,
müsse er doch die Schlussfolgerung bestreiten. Und selbst die Zustimmung
wird nur unter Einschränkungen gegeben – das ist der Inhalt des Konditional-
satzes (»Wenn erstlich […] So muß«), der, wiederum auffällig, in der Versmitte
(V. 21) nach der Zäsur einsetzt:

Ich finde diesen deinen Stein gewiß Bewunderns=würdig schön;


Es ist, wie an der ganzen Bildung, auch am Oval, kein Fehl zu sehn.
Doch wird, aus seiner Form allein, was du verlangest, sich nicht fassen,
Und was du daraus schließen willt [!], gewiß daraus nicht folgern lassen;
Wenn du dich anders recht besinnest. Wenn erstlich in der Steine Reich
Unzählige Verändrungen, und keiner jedem andern gleich,
An Größ und Form gefunden wird: So muß daraus von selbst ja fliessen,
Und kann man, sonder Furcht zu fehlen, unwidersprechlich dieses schließen:
Es müsse ganz nothwendig folgen, daß je und alleweg ein Stein
Den andern übertreffen müsse, und an Figur vollkommner seyn.

Dieß bringt die Ordnung der Natur nicht anders mit, und dieses wär,
Was du von mir verlangen könntest, von deinem lieben Ungefähr. (V. 17–28)

Soweit also erklärt sich der fromme »B.« einverstanden.262 Dass er dem »Un-
gefähr« darüber hinaus nicht viel mehr Gestaltungskraft zubilligen kann,
würde schon die ironische Formulierung (»deinem lieben Ungefähr«) na-
helegen, wenn das methodisch verbrämte Urteil über die Schlussfolgerung
seines Gegenübers nicht ohnehin längst gefällt wäre (V. 20). Im Fortgang
seiner Argumentation enthüllt sich auch der Zweck der gemachten Ein-

261
Christian Wolff, Der Vernünfftigen Gedancken von GOTT, der Welt und der
Seele des Menschen [»Deutsche Theologie«], Frankfurt am Main 41740 (zuerst 1737),
S. 279 (§ 173): »Ein Atheist wird in seinem Irrthum gestärcket, wenn man ihm läugnet,
was nicht geläugnet werden kan, woferne man es verstehet. Er bildet sich gleich ein, man
sey nicht derjenige, der die Sache verstehe, und würdiget einen nicht einmahl weiter an-
zuhören. Wenn man aber einräumet, was wahr ist, woferne man es nur recht verstehet:
so siehet er einen vor bescheiden und verständig an, und wird dadurch begierig gemacht,
einen weiter anzuhören.«
262
Der direkt anschließende Hinweis, dass die Schönheit des Steins eben den Zweck
haben könnte, die philosophisch-theologische »Unterredung« zu motivieren (V. 29–32),
besitzt demgegenüber wenig Beweiskraft. Er bringt nur augenzwinkernd eine Vorstellung
von Zweckmäßigkeit ins Spiel, die sich erst von einer höheren Warte aus erkennen lässt:
Der Mechanismus der Naturordnung als Teil des göttlichen Heilsplans. Hier dürfte Leib-
niz’ Theodizee-Konzeption im Hintergrund stehen.
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Barthold Heinrich Brockes 609

schränkung: Gültigkeit besitze die Aussage von »A.« allein im Bereich des
Anorganisch-Mineralischen (»der Steine Reich«). Schon der weitaus kom-
plexere Bau der Tiere (das Reich des Vegetabilischen wird übersprungen),263
heißt es weiter, entziehe sich einer mechanistischen Erklärung, erst recht
aber die gänzlich immaterielle menschliche Vernunft. Auch diese strophisch
abgesetzte Passage hat Brockes als mehrgliedrigen Konditionalsatz (»wenn
wir […] nichts«, »Wenn nicht«, »Wär nicht«) gestaltet, der Modus des Irre-
alis korrespondiert dabei dem Verfahren der reductio ad absurdum. Wenn
nämlich das von »B.« als »Beyspiel« herangezogene Innenleben der Tie-
re nicht so außerordentlich komplex (dafür stehen hier hyperbolisch »tau-
sendfach« und »Millionen«) und zugleich vollkommen wäre, dann und nur
dann ließe sich der Schluss vom Stein auf die belebte Natur rechtfertigen:

Zudem, wenn wir in andern Dingen nichts, als das Aeußre, die Figur,
Nur trefflich und beträchtlich hielten, nur die Bewundernswürdig fünden,
Wenn nicht (zum Beyspiel) in den Thieren sich tausendfache Dinge fünden,
So innerlich als äusserlich, an Sinnen, Knochen, Fleisch und Haut,
An Blut=Gefässen, Knorpeln, Sehnen. Wär nicht ihr Körper so gebaut,
Daß nichts zu wenig, nichts zu viel, wenn so viel Millionen Röhren
Nicht alle sonder Fehl bey allen, auf ihrer rechten Stelle wären:
So möchte, wie von deinem Stein, man wo auf die Gedanken kommen,
Ob hätte alles seinen Anfang von einem Ungefähr genommen.
Ja, wär auch dieses nicht genug: So wird ja die Vernunft, das Leben
Bey Menschen, uns, für deinen Stein, ja noch wohl einen Vorzug geben.
(V. 33–43)

Anschaulichkeit wird hier allenfalls angedeutet durch eine der für Brockes
typischen Substantivhäufungen. Auf engem Raum sind dabei Vorstellungen
verarbeitet, die in mehr als einer Hinsicht auf den akademischen Lehrer Tho-
masius verweisen. Wenn Brockes nicht wie so oft auf die äußere Schönheit,
Symmetrie und Zweckmäßigkeit von Pflanzen, Tieren oder Naturerschei-
nungen zusteuert, sondern direkt auf das Innenleben tierischer Organismen,
so lässt sich das als Reflex auf eine Grundidee in Thomasius’ Vernunftlehre
deuten.264 Mehr noch: In seinem naturphilosophischen Versuch vom Wesen
des Geistes (1699) hatte Thomasius, unter Einbezug hermetisch-spekulativer

263
In seinem großen Lehrgedicht Die drey Reiche der Natur, das einen großen Teil
des letzten Bandes vom Irdischen Vergnügen in Gott (1748) ausmacht, hat Brockes diese
Vorstellung ausgearbeitet und mit seiner Technik der detaillierten Kleinmalerei gestaltet.
Dazu kurz Kemper 1999, S. 271–273; ferner, ausgehend von Jean Pauls Kritik, Alt 1995,
S. 484 f.; grundlegend Fry 1981.
264
In Anlehnung an den Spiritualismus eines Poiret, aber auch an die antiaristote-
lische Logik des Franzosen Pierre de la Ramée (besser bekannt unter dem latinisierten
Namen Petrus Ramus) postuliert Thomasius dort, dass sich die Regeln der Logik nur auf
die äußere Welt bezögen, und hat damit nicht zuletzt den menschlichen Gemütskräften
ihre Spontaneität (aber auch Korrumpierbarkeit) gesichert. Vgl. Neuer Ueberweg 17/4,
2001, S. 1191 (Helmut Holzhey/Simone Zurbuchen). – Thomasius verwirft aber auch, in
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610 Übergänge zur Hochaufklärung

Elemente, eine strikt antimaterialistische Theorie des Geistes entworfen, de-


ren Einfluss auf Brockes als nachgewiesen gilt.265 Die Vermutung, dass hier
ein Zusammenhang besteht, verdichtet sich spätestens dann, wenn nun »A.«
in seinem zweiten Redebeitrag entschieden pneumatologisches Terrain betritt.
Ausgehend von »B.s« Berufung auf die Vernunft schlägt er, vielleicht in An-
lehnung an Lukrez,266 eine atomistische Konzeption des menschlichen Geistes
vor und problematisiert, um sein Argument zu stützen, die Vorstellung der
Seele als substantia simplex, wie sie, in Anlehnung an Leibniz, etwa Christian
Wolff in seiner Psychologia rationalis (1734) als gegeben voraussetzte.267 Nicht
als Materialist, sondern als Skeptiker tritt »A.« auf (»So wird man stets ver-
nünftig zweifeln« [V. 55]), wenn er darauf hinweist, dass »der wahre Zustand«
der Seele, wie sie die zeitgenössische Wissenschaft konzipiere (»wie man jetzt
lehrt«) nach wie vor nicht bekannt sei:

Es ist noch nicht so ausgemacht, ob, wie die körperlichen Wesen,


Die sogenannten geistigen, nicht auch aus zartem Wesen sich
Verbinden, und sich fügen können. Es sind so wenig innerlich,
Als äusserlich, der wahre Zustand, die wirkliche Beschaffenheit
Des Anfangs=Stoffs, der sonder Theile, wie man jetzt lehrt, bestehen soll,
Dem Menschen eigentlich bekannt. […] (V. 44–49)

Das Thema ist brisant, das Niveau bemerkenswert und einmal mehr denkbar
weit entfernt vom Klischeebild des betulichen Naturpoeten Brockes. Wie hier
im geschützten Rahmen des lehrhaften Dialogs, in fragender Form und mit
eindeutiger Zurückweisung, die radikale Aufklärung auf Augenhöhe zu Wort
kommt, verdient um so mehr Beachtung, als dabei – wie um 1600 schon bei
John Owen ( III.1.2) – auf Polemik oder moralisch-charakterliche Diffamie-
rung verzichtet wird. Das kann verschiedene Gründe haben. Zum einen schei-
nen an der Art, in welcher die zu widerlegende Meinung inhaltlich angemessen
referiert wird, Maßstäbe durch, wie sie die Frühaufklärung für den gelehrten
Disput entwickelt hatte und wie sie sich an den Acta Eruditorum oder den tho-
masianischen Monatsgesprächen studieren lässt.268 Das zeigt sich mustergültig

Anlehnung an Tschirnhaus, die klassische Syllogistik, die Brockes seinen Sprecher hier
vertreten lässt. Vgl. ebd., S. 1190, sowie Risse 1970, Bd. 2, S. 554–558.
265
Vgl. Kemper 1991, Bd. 2, S. 117; allgemein zum Versuch vom Wesen des Geistes
vgl. Neuer Ueberweg 17/4, 2001, S. 1192 (Helmut Holzhey/Simone Zurbuchen).
266
Brockes besaß eine niederländische Ausgabe von Lukrez’ Werken (ed. J. de Witt,
Amsterdam 1701; vgl. Brockes-Bibliothek, S. 455). Zum Problem des Atomismus in der
frühaufklärerischen Naturdichtung vgl. Ketelsen 1974, S. 91–93 (dort, S. 92, auch kurz zu
Lukrez); ferner Fry 1990, Register s. v.
267
Christian Wolff, Psychologia rationalis, Frankfurt am Main u. Leipzig 1734, § 51:
»Anima est substantia simplex.« – Zum Traditionszusammenhang vgl. den Artikel Ein-
fachheit, einfach/zusammengesetzt im HWbPh, Bd. 2, 1972, Sp. 384–388 (Friedrich Kaul-
bach).
268
Thomasius hat seine entsprechenden Vorstellungen unter anderem 1690 in der
Vorrede zum Januarheft der Monatsgespräche niedergelegt (S. 8): »Bey dieser Arbeit will
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Barthold Heinrich Brockes 611

wenig später, wenn »A.« seine heterodoxe Folgerung zum zweiten Mal vor-
bringt. Die gesteigerte Schärfe der Formulierung (»ohne Zuthun einer Gott-
heit«) wird dadurch abgemildert, dass die berüchtigte Floskel »von ungefähr«
nun, im Zusammenhang mehrerer ungesicherter Vermutungen (kenntlich er-
neut durch Konjunktiv, ferner durch Floskeln und Wendungen wie »Uns un-
bekannter«, »ein’ Art von«, »Wofern nun dieses nicht unmöglich«, »hätt […]
ja«) einiges von ihrer Radikalität verliert:

Nun fragt sichs, obs nicht möglich wäre, daß, durch verschiedenes Bewegen
Uns unbekannter Geistigkeiten, ein Wesen sich von ungefähr
Auf Körper Art verbinden könne, wodurch ein’ Art von Ueberlegen
In selbigem entstehen könnte, das klüger, als der Körper, wär.
Wofern nun dieses nicht unmöglich, hätt alles sich ja fügen, trennen,
Und, ohne Zuthun einer Gottheit, die ganze Welt enstehen können. (V. 61–66)

Hinzu tritt, zum anderen, ein didaktisches Moment. Dass hinter dem mode-
raten Umgangston in der Tat eine Bekehrungsabsicht steht, gibt »B.« zu Be-
ginn seiner nun folgenden ausführlichen Replik (V. 67–129) deutlich zu erken-
nen. Der Autor Brockes vergisst auch nicht, die Motivation seines lyrischen
Stellvertreters ausdrücklich von der in anderen Gedichten (s. o.) kritisierten
theologischen Zank- und Ehrsucht abzuheben. Sie entspricht viel eher der
bürgerlich-patriotischen Hinwendung zum Mitmenschen im Sinne der natur-
rechtlichen officia erga alios, wie sie auch den frühen Moralischen Wochen-
schriften zugrunde liegt:269

Wie wenig billig deine Sätz und Schlüsse sind, will ich dennoch,
(Um, wo es möglich, deine Seele, vom unglückselgen Irrthums-Joch,
Noch zu befreyen,) sie behalten, und hoff ich, durch dein’ eigne Waffen,
Wie scharf du sie gewetzet hältst, mir, über dich, den Sieg zu schaffen;
Jedoch zu deinem eignen Besten. Denn alles, was von mir geschicht,
Gereichet dir allein zu gut; Mein eigen’ Ehre such ich nicht. (V. 67–72)

Die langwierige Beweisführung des Dialogpartners »B.« braucht hier nicht


im Einzelnen wiedergegeben zu werden. Formal betrachtet handelt es sich
zunächst um den physikotheologischen Gottesbeweis, also das heute soge-
nannte argument from design. So wie die Produkte menschlicher »Kunst«

ich mich vor das allererste dahin bemühen / daß ich von denen Lehrsätzen eines jedweden
Autoris dem Leser einen klaren und deutlichen concept mache / und nachmahls meine
geringe Gedancken ohne einigen affect darüber eröffne.« – Die Frage eignete sich auch
zum Thema einer ganzen Abhandlung: Elia Ehinger, De fidelitate servanda in autoribus
citandis dissertatio, nunc primum e Schedis Ejus edita, in: Amoenitates literariae, Bd. 2,
Frankfurt 1725, S. 530–552. – Zum Kontext im Horizont der philosophischen Eklektik
und Kommunikationsreform um 1700 vgl. Herbert Jaumanns Einleitung zum Nachdruck
der Monatsgespräche, Bd. 1, Hildesheim u. a. 2015 ( Jaumann 2015). Weitere Hinweise im
Thomasius-Kapitel (V.2).
269
Vgl., mit Belegen, Martens 1968, S. 288–301, 321–341.
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612 Übergänge zur Hochaufklärung

(V. 74; im Sinne von ars oder τέχνη) eine organisierende Vernunft voraus-
setzten, erlaube die Regelhaftigkeit aller »Ding auf unsrer Welt, die gut, die
ordentlich geschehen« (V. 76), da sie nicht der menschliche Geist hervorge-
bracht habe (»durch ihn nicht eingerichtet seyn, / Durch ihn nicht ausge-
führet sind« [V. 77 f.]), den Schluss auf das Vorhandensein »einer anderen
Vernunft, als wie der Sterblichen auf Erden« (V. 85). Weil das allein wenig
überzeugend wirken dürfte – genau gegen diese Sichtweise war »A.« schließ-
lich angetreten –, fügt »B.«, möglichen Widerspruch antizipierend und kon-
zessiv integrierend,270 eine weitere Überlegung hinzu. Sie knüpft an die tra-
ditionsreiche, bei Brockes mehrfach anzutreffende Vorstellung der ›Great
Chain of Being‹ (catena aurea), in der besonderen christlichen Variante
der Jakobsleiter, an.271 Indem »B.« seinen Gesprächspartner auffordert, die
aufsteigende Linie vom Stein zu seiner höchsteigenen komplexen Zusam-
mensetzung (»dein Zusammenlauf der Dinge« [V. 94) in Richtung auf an-
dere »Wesen« höherer Komplexität (»Das Wesen mehr vernünftger Wesen«
[V. 95]) weiterzudenken, legt er ihm das Zugeständnis in den Mund, dass
am Ende einer »Leiter solcher Geister« (V. 99) schließlich ein Geist von ein-
zigartiger Vollkommenheit (»Von allen der vollkommenste« [V. 103]) stehen
müsse:

Nun dieser allerbeste Geist wird, nach unbetrüglich=klaren Schlüssen,


Die allerbesten Eigenschaften vor allen andern haben müssen,
So wie an Absicht und Begriff, auch an der Daur. In solchem Geist
Scheint, daß sich zwischen einer Gottheit kein andrer Unterschied fast weist,
Als der den Ursprung bloß betrifft. […] (V. 104–108)

Als Ursprung dieses vollkommenen Geistes,272 so führt »B.« seinen Gedanken


zu Ende, könne schließlich nur eine diesem überlegene Intelligenz angenom-
men werden. Hier liegt ein Bruch in der Argumentation vor, der von Bro-

270
»Damit du dich nun nicht beschwehrest: So will ich etwas weiter gehen, / Und
deinen ungefährigen Zusammenlauf dir zugestehn.« (V. 87 f.)
271
Vgl. dazu Kemper 1981, Register s. v. (catena aurea). Zur Motiv- und Geistesge-
schichte der catena aurea vgl., neben der klassischen Studie von Lovejoy 1936 den sehr
ergiebigen Artikel Series im HWbPh, Bd. 9, 1995, Sp. 688–697 ( Jens Halfwassen/Astrid
von der Lühe).
272
Bei Brockes kommt der Begriff ›Vollkommenheit‹ (oder, metrisch angepasst,
»Vollenkommenheit«) in mehreren Atheismusgedichten vor (Nachweise wie Anm. 201),
so in Der Atheist (V. 38) und im Versuch, ob […] ein Atheist nicht könne mit unumstöß-
lichen Gründen convinciret werden (V. 101: »Vollenkommenheit«); er findet sich auch in
theologisch bedeutenden Gedichten wie am Ende von Die schnelle Veränderung (II, 433–
439; BW 2, 768–773) – »Ach GOTT! unendlichs ewigs ALL! / Selbstständig-seelige Voll-
kommenheit […]« – oder in der Psalmnachdichtung Der Wolcken= und Luft=Himmel.
Ps. CIV,12 (II, 5–14; BW 2, 444–452): »Der Du der Ewigkeit Unendlichkeit erfüllest, /
Der Du Dich in Dir selbst, zu unserm Heil, verhüllest, / Aus welchem als ein Strohm der
Dinge Wesen bricht, / Du ewig selige Vollkommenheit und Liebe, / Vermehre doch in mir
der Andacht reine Triebe!« (II, 14; BW 2, 451 f.)
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Barthold Heinrich Brockes 613

ckes auch sprachlich deutlich markiert wird. Anstatt nämlich, wie zu erwarten
gewesen wäre, erneut die Kategorie des »Ungefähr« anzusetzen und sie mit
göttlichen Attributen auszustatten, sodass Gott und »Ungefähr« zusammen-
fielen (in einem Wort: Pantheismus), kehrt er nun doch zur personalen Got-
tesidee zurück. Da jedoch an dieser Stelle keine zwingende Schlussfolgerung
besteht, lässt Brockes »B.« nun an die wissenschaftliche Redlichkeit seines
Kontrahenten appellieren. Wiederum in Form einer diplomatischen Frage,
zudem angereichert durch das Bild der »Wagschal« (V. 117) sowie durch man-
nigfache Ausdrücke aus dem Normbereich der wissenschaftlichen Redlich-
keit (»Gewissen«, »ernstlich überlegt«, »fest bewiesen«, »unparteyisch Herz«,
»vernünftig«, »unparteyisch«), erinnert er »A.« daran, dass er seine eigene ma-
terialistische Deutung selbst nicht beweisen könne. Schärfer und zugleich un-
polemischer sind die beiden konträren Enden des Diskurses über den Glauben
selten gegenübergestellt worden:

[…] Nun frag ich dich auf dein Gewissen:


Ob dein von dir gesetzter Satz, daß nicht nur alle Ding auf Erden,
Die körperlich; dein Geistgen auch hätt müssen von sich selber werden,
Von dir so ernstlich überlegt, so fest bewiesen, daß daran
Dein eigen unparteyisch Herz, und kein Vernünftger zweifeln kann?
Und ob es dir nicht tausendmal der Wahrheit ähnlicher muß scheinen,
Daß etwas, so vernünftig ist, zu seinem Ursprung anders keinen,
Als einen, der vernünftig ist, vermuthlich haben könn und müsse?
(V. 108–115)

Nicht zufällig bringt Sprecher »B.«, der sein Deutungsangebot überdies als
Vermutung ausweist (»vermutlich«), die Kategorie der Wahrscheinlichkeit
(»der Wahrheit ähnlicher«, nach lat. verisimile) ins Spiel, die wir seit Pascal
( IV.3.3) als methodisches Scharnier einer neuen common sense-basierten
Apologetik kennengelernt haben.273 Das ist zwar insofern mehr als eine Flos-
kel, als Brockes, wie wir oben sahen, die Möglichkeit und Nützlichkeit verita-
bler Gottesbeweise verschiedentlich in Zweifel zog. Gegen Ende des Gedichts
vollzieht »B.« dann aber schließlich doch den Schritt von der Wahrscheinlich-
keit zur »unwidersprechlich[en]« Wahrheit (s. u.), derjenigen nämlich, dass der
Schöpfer »eh, als sein Werk, gewesen« sein müsse (V. 129). Hervorzuheben
ist neben dem Bild vom »Uhrwerk voller Kunst« (V. 123; ebenso »Wunder-
Uhr« [V. 126]; »Malwerk« [V. 127]), das bekanntlich noch Jean Paul seinem
schroffen Urteil über Brockes zugrunde legte,274 und der virtuos poetisierten

273
Die Kategorie der Wahrheitsähnlichkeit hatte auch Thomasius in seiner Vernunft-
lehre behandelt. Vgl., mit Nachweisen, Neuer Ueberweg 17/4, S. 1189 (Helmut Holzhey/
Simone Zurbuchen); Risse 1970, Bd. 2, S. 555 f.
274
Gemeint ist eine in der Forschung vielfach zitierte Bemerkung aus der Vorschule
der Ästhetik, in welcher Jean Paul in Brockes’ Gedichten »Beispiele von unpoetischen Re-
petierwerken der großen Weltuhr« zu sehen meint. Jean Paul, Werke, hg. v. Norbert Miller
u. a., Abt. I, Bd. 5, München 51987, S. 36.
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614 Übergänge zur Hochaufklärung

Kurzfassung des physikotheologischen Gottesbeweises275 die humoristische


Wendung, mit der die Formel vom blinden »Ungefähr« auf die Gehirnfunkti-
onen des Opponenten »A.« zurückgewendet wird, nicht ohne ihm zuvor noch
einmal die Regeln des logischen Schließens ins Gedächtnis zu rufen:

Leg einst den Satz, den du geäussert, und mit demselben unsre Schlüsse,
In eine Wagschal mit einander; denk unparteyisch, überlege
Den Grund, den Satz, den Schluß, die Folge, von deiner Meynung: Dann erwege
Den Grund, den Satz, den Schluß, die Folge der unsrigen: So wirst du sehen,
Ob deine Schlüsse nicht vielmehr auf ungefähriger Ideen
Zufälligen Zusammenlauf, und nicht auf festem Grunde, stehen. (V. 116–121)

Der christliche Weise behält das letzte Wort, eine Antwort bleibt aus. Das
Gedicht endet so mit einem Appell, der sich über die vorgeführte Dia-
logsituation hinaus an den Leser wendet. In der erneuten Anweisung zur
syllogistisch akkuraten Beweisführung, in der Verpflichtung auf die eklek-
tische Devise der Unparteilichkeit (»denk unparteyisch«) artikuliert sich
auch abschließend noch einmal das Selbstbewusstsein einer Apologetik,
die – wir sahen es etwa bei Löscher und Frommann – auf der Höhe der
wissenschaftlich-methodischen Entwicklung angekommen ist und nun ge-
genüber ihrem Gegner auf die Einhaltung der entsprechenden Maßstäbe
pocht. Dazu gehört insbesondere die strategisch gut platzierte Umkehrung
des Beweisanspruchs. Von diesem Selbstverständnis aus ist es nicht nur nicht
mehr angemessen, den Atheisten mit grober Polemik zu begegnen, es er-
scheint auch nicht mehr notwendig. Hier greifen die oben skizzierten Ver-
haltensnormen für private und öffentliche Kommunikation ineinander mit
dem ab etwa 1700 rasch sich vollziehenden Umbau der protestantischen
Theologie.276 Die so geschmiedete Allianz, für die sich in der theologischen
Forschung die Bezeichnung ›Übergangstheologie‹ etabliert hat, sollte sich,
ergänzt durch empfindsam-sensualistische Elemente, für die gesamte Phase
der Hochaufklärung als ausgesprochen stabil erweisen. Insofern spiegelt die
schon mehrfach hervorgehobene Art, wie Brockes innerhalb des Gedichts
dem Skeptizismus und Materialismus eine Stimme gibt, dagegen hier einmal
auf die scharfe Orthodoxiekritik anderer Gedichte (s. o.) verzichtet, zu guter
Letzt auch die Selbsteinschätzung weiter Teile der bürgerlichen Intelligenz

275
Hingegen, wie ohn Widerspruch, bey einer schönen Schilderey, / Bey einem
Uhrwerk voller Kunst, es ganz unwidersprechlich sey, / Daß die Vernunft, die alle Thei-
le, aus welchen sie bestehen, erlesen, / Und sie so ordentlich gefügt, müß eh, als beyde,
seyn gewesen: / Auf gleiche Weis’, und noch viel eh, muß dieser großen Wunder=Uhr, /
Des Wunder=vollen Weltgebäudes, des schönen Malwerks der Natur, Quell, Ursprung,
Schöpfer und Erhalter, nicht nach dem Wahrheit=Schein allein; /Nein, wirklich und unwi-
dersprechlich, eh, als sein Werk, gewesen seyn.« (V. 122–129)
276
Zur Übergangstheologie vgl. Sparn 1985; Beutel 2009, S. 96–104 (Lit.).
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Barthold Heinrich Brockes 615

um 1740, die durch Spinoza, Bayle und die britischen Deisten gestellte Her-
ausforderung glücklich gemeistert zu haben.277

3.5 Pathologie des Unglaubens


Der Atheist als Melancholiker und der Melancholiker als Atheist

Schwingt der apologetische Topos vom infelix atheus ( IV.4.1) schon in meh-
reren der bisher behandelten Texte als Nebenthema mit, so tritt er im Gedicht
Unglücklicher Zustand eines Atheisten (1748)278 in den Mittelpunkt einer er-
baulichen Betrachtung, die, ganz im Sinne Pascals ( IV.3.3), das Trost- und
folglich (auch weltlich-immanente) Glückspotenzial der christlichen Religi-
on mit der leidvollen Verfassung des Atheisten kontrastiert. Diese resultiert
hier aber nicht mehr aus einer generellen ›Unempfindlichkeit‹ gegenüber dem
Wunder der Natur, sondern aus der Unfähigkeit des Nichtchristen, belastende
Lebenssituationen zu meistern. Die Überlegenheit des christlichen Glaubens
zeigt sich, so der poetische Versuchsaufbau, besonders in Leiden und Not –
ein klassisches Predigtthema und -verfahren! Schon der erste Vers entwirft die
logische und didaktische Struktur des Gedichts, die Unterscheidung (»Unter-
scheid«), und markiert als deren einen Pol die im »wir« (bzw. »uns«) präsente
implizite Leserschaft, deren Wertekonsens stichwortartig charakterisiert wird
(»die wir ein göttliches Regieren / in allen Dingen feste gläuben«). Dem steht
erneut, als Teil der identitätssichernden outgroup, der Atheist gegenüber, der
bis zur späten expliziten Bezeichnung in Vers 19 (»ein Atheist«) gleichfalls nur
durch pronominale Ersetzung (»er«, »ihn«), vor allem aber als Subjekt des ent-
worfenen Seelengemäldes hervortritt. Das Motiv der irdischen Höllenqualen
wird breit ausgeführt und, unter Rückgriff auf eine drastisch-barocke Topik
und Bildersprache (»schwarze Larven«), an die Tradition der europäischen
Melancholiedarstellung angeschlossen:279

Der Unterscheid, der zwischen uns, (die wir ein göttliches Regieren
In allen Dingen feste gläuben,) und etwan einer Seel’ zu finden,
Die eines solchen Trosts beraubt, ist ziemlich deutlich zu verspüren,
Wenn wir den Zustand eines Menschen, der schwerer Sorgen voll, ergründen,
Wenn er, halb schlafend und halb wachend, mit ganz benebeltem Gemüth
Von Kummer, Gram und Harm umgeben, fast nichts, als schwarze Larven, sieht,
Nur grämliche Ideen zeugt, durch deren Schatten gar kein Licht
Von einiger erheiternden und trosterfüllten Hoffnung bricht,
Wen die ihn in beständiger Verwirrung, als im Zirkel, jagen,
Das Hirn mit finstrer Schwermuth füllen, uns lauter vorgeseh’ne Plagen
Im Kopf sich gleichsam mahlend wälzen. Dergleichen Widrigkeiten schwinden,

277
Vgl. zu dieser Zeitstimmung, am Beispiel des Dichters und Übersetzers Johann
Arnold Ebert, die Hinweise bei Spiekermann 2016.
278
Wie Anm. 201.
279
Vgl. für das 18. Jahrhundert Schings 1977 u. Mauser 1990.
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616 Übergänge zur Hochaufklärung

Wenn wir uns, wenn wir aufgewacht, in einem andern Stande sehn,
Und den obangeführten Trost, daß alle Dinge, die geschehn,
Von einem Gott regieret werden, mit unsrer Sorgen Heer verbinden;
Es wird dadurch der finstre Nebel, als wie durch einen Glanz, zerstreut;
Man wird dadurch zugleich geschickt, bequeme Mittel zu ersinnen,
Das Unglück von uns abzuwenden; wodurch wir Linderung gewinnen,
Zumal uns dann die holde Hoffnung, die bloß auf Gott sich fußt, erfreut.
Da gegentheils ein Atheist in seinem Schwermuthsschlummer bleibet,
Und aus der dicken Finsterniß der Schwermuth, weder Tag noch Nacht,
Von einer steten Last gedruckt, wenn er gleich wacht, doch nicht erwacht,
Da, statt der Hoffnung, Furcht und Zweifel ihn stets im Unmuthskreise treibet.

Durch Kombination mehrerer Bildbereiche – Dunkelheit (»Schatten«, »Ne-


bel«, »Finsterniß«), Schlaf (»schlafend«, »wachend«, »erwacht«), Schwere
(»schwerer Sorgen voll«, »von einer steten Last gedruckt«) – zeichnet Bro-
ckes das Innenleben des Atheisten als alptraumhafte Psychomachie, deren
Ausweglosigkeit, verbildlicht im wiederkehrenden Kreismotiv (»Zirkel«,
»mahlend«, »Unmuthskreise«), er die Helligkeit (»Licht«, »erheiternden«,
»Glanz«) und Heiterkeit des christlichen Glaubens gegenüberstellt.280 Da-
ran, dass diese traditionelle Bildlichkeit seit der Frühaufklärung vielfach
auch zur Darstellung der aufklärerischen Programmatik verwendet wurde,281
zeigt sich nur wieder einmal, wie wenig Aufklärung und Christentum als
Gegensätze gedacht werden dürfen. Im größeren Zusammenhang des Irdi-
schen Vergnügens in Gott stehen Nebel, Schatten und Dunkelheit aber auch
im Gegensatz zum Gesichtssinn als dem unverzichtbaren Organ der physi-
kotheologischen Gotteserfahrung. Der für Brockes ausgesprochen üppigen
Bildlichkeit korrespondiert auf der Ebene der verba propria ein dichtes se-
mantisches Netz, das um die zentrale Antithese von Trost und Trostlosigkeit
gelegt wird. Wo der Atheist in »Sorgen«, »Kummer, Gram und Harm«, in
»Schwermuth« sowie in »Furcht und Zweifel« lebt, wird den Christen nicht
nur ganz allgemein »Trost« und »Hoffnung«, sondern auch konkrete »Lin-
derung« in jedwedem »Unglück« zuteil.
Genau hier liegt der argumentative Angelpunkt des Gedichts. Im Unter-
schied zu den bisher behandelten Brockestexten resultiert die geschilderte
Verfassung des Atheisten nicht aus dem Unglauben selbst. Vielmehr tritt
gerade in der Situation des Unglücks, die Christen und Atheisten gleicher-
280
Vgl. allgemein zu Licht als Metapher der Wahrheit seit der Antike den grundle-
genden Aufsatz von Blumenberg 1957; ferner den Artikel Licht im HWbPh, Bd. 5, 1980,
Sp. 282–288 (Werner Beierwaltes/Claus v. Bormann); von germanistischer Seite Kemper
1979 (zu Mechthild und Angelus Silesius); speziell zu Brockes vgl. Kemper 1981, Bd. 1,
S. 310–318, mit starker Bezugnahme auf die hermetische Tradition; anders Wagner-Egel-
haaf 1997, S. 201–203, die als Hintergrund für die »Überfülle des Lichts in Brockes’ Ge-
dichten« (S. 201) weniger metaphysische oder erkenntnistheoretische Konzepte als viel-
mehr die rhetorische Oppostion von perspicuitas und obscuritas vermutet.
281
Vgl. dazu Schneiders 1990, S. 83–93, mit Auswertung von einigen Abbildungen
(u. a. Titelkupfer aus Werken Gundlings und Wolffs).
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Barthold Heinrich Brockes 617

maßen treffen kann, die konsolatorische Kraft der Religion hervor. So kann
der Zustand der schlafartigen geistigen »Verwirrung« sehr wohl auch die
Gruppe der Gläubigen erfassen, im »Unterscheid« zum Atheisten gibt es
für sie aber ein Erwachen, das mit der besagten Lichtmetaphorik verbild-
licht wird: »Dergleichen Widrigkeiten schwinden, / Wenn wir uns, wenn wir
aufgewacht, in einem andern Stande sehn« (V. 11 f.). Indem die prinzipiell
gleichen Sorgen (»unsrer Sorgen Heer«) – sei es durch Gebet, Predigt oder
geistlichen Beistand – mit dem Gedanken an die Weisheit einer göttlichen
Weltregierung verknüpft werden, verlieren sie ihre lähmende, das »Gemüth«
benebelnde Wirkung, diese wird »als wie durch einen Glanz« sprichwört-
lich »zerstreut« (V. 15). Dabei haftet dem »Glanz« (lat. splendor) mehr als
dem bloßen »Licht« (V. 7) die Konnotation der göttlichen Herrlichkeit an.
Der wichtige Zusatz, dass auf diese Weise nicht nur das individuelle Leid
durch heilsgeschichtliche Perspektivierung gemildert wird, sondern auch,
durch die Reaktivierung des temporär blockierten Denkvermögens,282 ganz
irdisch-handfeste Lösungswege (»bequemre Mittel […], das Unglück von
uns abzuwenden«) in den Blick treten können, markiert die Distanz zur ba-
rocken Erbauungsmethodik und sichert der Argumentation Akzeptanz und
Plausibilität auch noch um die Mitte des 18. Jahrhundert.
Daran lässt sich abschließend die Frage knüpfen, ob in der Schilderung
des wahnhaften Melancholikers nicht auch eine übertriebene Sündenangst
und missverstandene Schicksalsergebenheit getroffen werden soll, gegen
die sich die frühaufklärerische Aberglaubenskritik wandte.283 Dass Brockes
innerhalb der Kirche nicht minder Atheismus festzustellen glaubte als bei
möglichen Anhängern des intellektuellen Radikalismus, haben wir weiter
oben schon gesehen. Demgemäß ließe sich die abschließende Feststellung
über die Schwermut der Atheisten auch als aposteriorisches Bestimmungs-
merkmal lesen: Nicht wer ein Atheist ist, verbleibt in der »Finsterniß der
Schwermuth« (V. 20), sondern wer anhaltend im »Schwermuthsschlum-
mer« (V. 19) steckt, der ist ein Atheist. Einmal mehr würde so der Über-
gang von der Anfechtung – die auch Christen betrifft – zur Verzweiflung
als der Weg vom Glauben zum Unglauben skizziert, wie wir es bei Spener
und bei Seckendorff gesehen haben. Der Text lässt, zumal mit Blick auf
die schon behandelten Gedichte, beide Deutungen zu. In jedem Fall aber
wird durch die Verknüpfung von Atheismus und Schwermut die Idee einer

282
Auch so ist hier die Schlafmetapher zu deuten. Im Schlaf kommt, gerade in der
Zeit der Aufklärung, das ›Andere der Vernunft‹ zur Geltung. Auch wenn dieses ›Andere‹,
der Bereich der unteren Erkenntnis- oder Seelenvermögen, seit dem zweiten Drittel des
18. Jahrhunderts zunehmend als ernst zunehmende Erkenntnisquelle, als analogon ratio-
nis (Baumgarten), angesehen wurde, weist die Darstellung bei Brockes Schlaf und Traum
hier eindeutig dem Bereich des Wahnhaften zu. Zur Auffassung des Traums in der Aufklä-
rung vgl., im größeren Kontext, Alt 2002, S. 127–141. – Speziell zu Brockes, der Schlaf und
Traum unter diätetischen Gesichtspunkten durchaus zu würdigen wusste: Mauser 1998.
283
Vgl. ausführlich Pott 1992, S. 267–335 u. 364–369.
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618 Übergänge zur Hochaufklärung

spezifisch christlichen und überdies bürgerlichen Glückseligkeitsideologie


erneut unterstrichen. Umgekehrt erscheint der Atheismus als die weniger
dogmatische denn ethisch-habituelle Antithese zu Brockes’ sinnlich-ästhe-
tischer Mystagogik, als entweder fanatisch-asketische oder aber philister-
haft indifferente Verweigerung des Irdischen Vergnügens. Ausgehend von
einer »Reis=Beschreibung« bringt dies der Sprecher des Gedichts Macht des
Aberglaubens,284 im wenig rühmlichen Vergleich exotischer Götzendiener
mit der eigenen christlichen Kirche, zum Ausdruck:

Nun wend ich mich, um diesen Eifer, im Gottesdienst, mit dem, den wir,
Darin bezeugen, zu vergleichen. Ich stutz und ich erstaune schier.
Die Menschen, die in solcher Blindheit und dicksten Finsternissen leben,
Die lassen eine solche Sucht, der Gottheit zu gefallen, sehn,
Ein solches brennendes Verlangen, und solch ein feuriges Bestreben,
Mit dem sich wieder zu vereinen, aus dem sie glauben zu entstehn.
Wir aber, die wir uns im Licht und mitten in der heilgen Klarheit
Des Evangelii befinden, betragen uns in unsrer Wahrheit,
Dem äusserlichen Ansehn nach, nicht anders, als wenn unsre Lehre
Ein Unglaub, und der andern Unglaub ein recht= und wahrer Glauben wäre.

4. Anthropologische Skepsis und Freigeistschelte


in der Lyrik Albrecht von Hallers

4.1 Orthodoxe Heterodoxie


Haller und die Religion

Für Albrecht von Haller (1708–1777),285 dessen zutiefst beeindruckende Le-


bensleistung ihm – neben anderen Persönlichkeiten (Leibniz, Goethe, Scho-
penhauer u. a.) – den Ehrentitel des »letzten Universalgelehrten« eingetragen
hat,286 gelten hinsichtlich seiner religiösen Überzeugungen ähnliche Vorbehalte
wie für Brockes. Das unklare Verhältnis der teils religions- und kirchenkri-
tischen, stellenweise heterodox anmutenden, teils zutiefst frommen, streng

284
VI, 276–278; BW 4, 520 f.
285
Aktueller bio-bibliografischer Überblick in Killy/Kühlmann, Bd. 4, 2009, S. 614–
617 (Christoph Siegrist); zur Biografie, Druckgeschichte und frühen Wirkung der Gedich-
te immer noch unverzichtbar Hirzel 1882; die ältere Forschung ist aufgearbeitet in Siegrist
1967; wichtigste nichtphilologische Gesamtdarstellung: Toellner 1971; die vielen innova-
tiven Studien Karl S. Guthkes sind gesammelt in Guthke 1975 u. Guthke 1981, S. 9–72;
ergänzend: Pott 2002a, S. 164–196; de Angelis 2003, S. 313–479; weiterführende Studien,
auch zum Göttinger und Berner Umfeld in den Sammelbänden Steinke/Boschung/Proß
2008 sowie Elsner/Rupke 2009.
286
So schon der Titel des Standardwerks von Toellner 1971; der Topos auch bei
Guthke 1978, S. 9; Kaufmann 2009, S. 331, 354.
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Albrecht von Haller 619

calvinistischen Äußerungen aus Werken, Briefen und Tagebüchern beschäftigt


die Hallerdeutung seit ihren Anfängen: Als sich zwei Tage nach Hallers Tod
am 12. Dezember 1777 das Gerücht zu verbreiten begann, Haller habe auf dem
Sterbebett seinen Unglauben bekannt, reagierten Freunde und Schüler mit ei-
ner Gegenoffensive, indem sie, wohlmeinend übertrieben nach dem anderen
Extrem, neben Beispielen für seine Rechtgläubigkeit auch die neurotischeren
Züge seiner Frömmigkeit während der letzten Lebensjahre öffentlich mach-
ten.287 Ähnlich wie bei Brockes hat sich diese Tendenz zur Polarisierung bis
in die jüngste Hallerforschung fortgesetzt.288 Dabei versuchen etliche Studien,
den Gegensatz nach einer Seite hin aufzulösen, noch häufiger wird aber ein un-
überbrückbarer Widerspruch konstatiert. Das Nebeneinander von bibeltreu-
em Offenbarungsglauben und naturwissenschaftlicher Spitzenforschung in
einer Person scheint aus der Sicht einer ideologiekritisch sensibilisierten Ge-
schichtsbetrachtung kaum noch akzeptabel. Besonders in der Germanistik seit
den 1960er-Jahren zeigt sich die Neigung, anhand der eher skeptischen, wenn
nicht gar heterodoxen Facetten einen ›modernen‹ Haller zu präsentieren, der
unserem Verständnis von Aufklärung möglichst entspricht.289
Dagegen wurde seitens der Wissenschaftsgeschichte der ehrgeizige Ver-
such unternommen, gerade durch eine fächerübergreifende Perspektive die
»Einheit im Denken des letzten Universalgelehrten« durch die poetischen,
wissenschaftlichen und persönlich-epistolaren Quellen hindurch sichtbar zu

287
Dieser Streit um das richtige Hallerbild ist, mit Nachweisen, gut und knapp skiz-
ziert bei Guthke 1978, S. 9 f.; ausführlicher und dogmatisch präziser: Kaufmann 2009,
S. 310–314. – Grundlegend zu Hallers Nachruhm, neben der unersetzlichen Vorarbeit von
Hirzel 1882, S. DV–DXXXVI, besonders die durch Karl S. Guthke betreute Dissertation
von Kempf 1986.
288
Vgl. bereits die Forschungsbilanz von Guthke 1975, S. 176 f.; ausführlich dann
der Forschungsbericht von Toellner 1971, S. 1–24, der auch andere Disziplinen einbezieht;
ferner Pott 2002a, S. 167–171.
289
Um den Nachweis heterodoxer Ansichten in Hallers Schriften hat sich in zahl-
reichen Untersuchungen, ohne Gegenteiliges auszublenden, mit Karl S. Guthke der wohl
beste Hallerkenner der Nachkriegszeit bemüht; vgl. bes. Guthke 1975, S. 182–190 (über
Hallers kritische Bibellektüren, auf Grundlage von Handschriften Hallers; ähnlich noch
Rémi 2008); Guthke 1978, S. 17–24 (über Hallers dialektisches Verfahren, Glaube und
Zweifel in seinen Lehrgedichten gleichberechtigt nebeneinander auftreten zu lassen); fer-
ner Kemper 1981, Bd. 1, S. 367: »So eindeutig der spätere Haller – u. a. in der Auseinan-
dersetzung mit Voltaire – im Religionsstreit die orthodoxe christliche Position verteidigt,
so unzweideutig ›freidenkerisch‹ hat er sich in seinen Gedichten geäußert.« – In diesem
Sinne auch Kemper 1991, Bd. 2, S. 133–147. Kritisch dazu, von germanistischer Seite, be-
reits Vollhardt 2001, S. 277, der vermeintliche Widersprüche zwischen einzelnen Äuße-
rungen Hallers durch einen plausiblen Rückbezug auf die Naturrechtslehre (insbesondere
Thomasius) zu harmonisieren versucht. Dass die im Naturrecht entwickelte Idee einer
›natürlichen Religion‹ dem Deismus oder Sozinianismus zum Verwechseln ähnlich sehen
kann, tatsächlich aber anders konzipiert ist, hat, von rechtsgeschichtlicher Seite, bereits
Christoph Link betont (vgl. Link 1981, S. 859 f.). Deutlicher kann die Notwendigkeit, ei-
nem Universalisten wie Haller aus interdisziplinärer Perspektive zu begegnen, kaum de-
monstriert werden.
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620 Übergänge zur Hochaufklärung

machen.290 In ähnlicher Weise kann die erste gründliche Untersuchung von


»Hallers Religion« durch einen führenden Kirchenhistoriker nach breiter
Quellenanamnese keinen fundamentalen Bruch in dessen Weltbild ausma-
chen.291 Vielmehr werden vermeintliche Widersprüche, bei entsprechender
Kenntnis der nachreformatorischen Frömmigkeitskultur, bis in Formulierun-
gen hinein als nicht untypische Merkmale einer protestantischen, insbesonde-
re reformiert-pietistischen Bußfertigkeit erkennbar. Das gilt insbesondere für
den »Pessimismus der Selbstbeurteilung« in den Tagebüchern, die häufig als
Beleg für Hallers heimliche Glaubenszweifel gewertet worden sind. 292
Man versteht, warum. Zeigen doch die den Tagebüchern beigegebenen Frag-
mente religioser Empfindungen, zumal in den letzten fünf Lebensjahren, eine
melancholische Persönlichkeit,293 qualvoll gefangen im urprotestantischen Kon-
flikt zwischen weltlichem Erfolgsstreben und christlicher Sündenangst bei zu-
nehmender Abneigung gegen einen als profan empfundenen Zeitgeist. Wieder-
holt klagt Haller dort über seine Eigenliebe,294 seinen wissenschaftlichen Ehrgeiz
(»meine gelehrte Tändeley«)295 und die daraus – wie er meinte – resultierende
Empfindungslosigkeit, ja Gefühlskälte gegenüber seinem Schöpfer und Erlö-
ser.296 Er legt also bei seinen geradezu pietistischen Selbsterkundungen eben jene

290
Vgl. Toellner 1971.
291
Kaufmann 2009, S. 329: »Angesichts der Virulenz dramatischer religionskultureller
Veränderungen und religionsbiografischer Umbruchmuster und Bekehrungen im 18. Jahr-
hundert stellt sich Hallers Religion somit als bemerkenswert stabil dar.« Hinsichtlich sei-
ner Auffassung vom Abendmahl sei Haller »ein treues Kind seiner reformierten Kirche«
gewesen (ebd., S. 359). Sein Verständnis von Bibel und Offenbarung zeige zu keiner Zeit
einen Bruch mit dem für die Berner Kirche maßgeblichen Consensus Helveticus von 1675
(vgl. ebd., S. 371). – Angesichts von Kaufmanns herausragender Kenntnis der nachreforma-
torischen Kirchen-, Dogmen- und Frömmigkeitsgeschichte erhält sein bilanzierendes Urteil
gegenüber vielen älteren Untersuchungen besonderes Gewicht. Für die germanistische Hal-
lerforschung ist so erstmals eine solide theologische Grundlage geschaffen.
292
Kaufmann 2009, S. 318. – Gerade wegen ihrer schonungslosen Offenheit in der
Selbstanklage sind sie jedoch seit Beginn des 20. Jahrhunderts – besonders von Nichttheo-
logen! – als Dokument drängender Zweifel gelesen worden. Vgl. die Problem- und For-
schungsskizze von Toellner 1971, S. 1–24.
293
Abgedruckt in: Albrecht von Haller, Tagebücher seiner Beobachtungen über
Schriftsteller und sich selbst, hg. v. Johann Georg Heinzmann, 2 Bde., Bern 1787 (ND
Frankfurt am Main 1971), Bd. 2, S. 221–319. Im Folgenden zitiert als Fragmente. –
Neuere Analysen bei Pott 2002b, S. 125–131; Toellner 2008 und Kaufmann 2009, bes.
S. 331–334.
294
Fragmente, S. 272 (Eintrag vom 24. Mai 1772).
295
Ebd., S. 290 (21. November 1773). – Besonders drastisch wirkt ein Eintrag vom
7. März 1773: »Unendlich falsch ist mein Herz; unendlich an das Irrdische [!] gebunden;
unendlich kalt gegen das Unsichtbare und Ewige.« (Ebd., S. 286)
296
Diese Klage bildet geradezu ein Leitmotiv der Tagebuchaufzeichnungen seit 1772.
Typisch etwa die folgende Äußerung: »Heute ist das Osterfest, der Tag, an welchem der
Heiland seinem prophetischen Amte das Siegel aufgedrückt hat, wo jeder, der von seinem
Tode etwas hofft, voll Dankbarkeit gegen seine Rettung seyn sollte. Aber wie kalt bin ich
gegen diese grosse Nachricht! Es ist doch nicht recht begreiflich, wie ein Mensch zugleich
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Albrecht von Haller 621

Kriterien an, die schon Brockes als Merkmale des eigentlichen oder, in Voetius’
Terminologie ( I.5), des praktischen Atheismus auch innerhalb der Christen-
heit ausgemacht hatte. Auch die mehr lutherische als reformierte Kritik der Si-
cherheit oder securitas, bei Colbe und Spener integraler Bestandteil ihrer Analy-
se des Unglaubens,297 fehlt in dieser sündentheologischen Selbstanalyse nicht:298

Und nun mußte die Seele erwachen, die unter der einwiegenden Stille der Wissen-
schaften in einen Schlummer der Sicherheit verfallen ist. Und nun kann ich es mir
nicht mehr bergen, daß ich mit grossen Sünden beladen, gegen Gott kalt, mehr his-
torisch überzeugt, als mit wahrer Liebe belebet, gänzlich außer Stand bin, vor dem
Angesicht des Allerhöchsten zu erscheinen. […]
Heute und seit einigen Tagen finde ich mich ganz trocken und fühllos, unempfindlich
für das gerettete Leben, für die gröstentheils hergestellte Gesundheit, für die Aufwe-
ckung zu dem einzig nothwendigen Geschäfte. Meine ganze Religion dünkt mir nur
auf den Lippen und in dem äussern Verstande zu haften, denn mein Herz ist mürrisch,
unzufrieden, und ohne Glauben. Dennoch soll ich dir, o du höchste Güte, danken,
daß du meines Lebens im Lauf meiner Sünden geschont […].299

Tatsächlich handelt es sich um mehr als eine bloße Assoziation. In seiner


Jugend hatte Haller, durch seinen Lehrer Baillod, eine religiöse Prägung er-
fahren, in der sich über den reformierten Pietismus hinweg noch Züge der
maßgeblich von Voetius beeinflussten Nadere Reformatie erhalten hatten.300
Vor diesem Hintergrund lässt sich der in den Fragmenten auf fast allen Sei-
ten präsente Sündenpessimismus301 gerade nicht im Sinn von grundlegenden
Zweifeln an der eigenen Gläubigkeit lesen, sondern als deutlich erkennbarer
Bestandteil einer christlichen Gewissensprüfung »im Kontext der reformier-
ten Frömmigkeitstradition«.302 Zwischen den Selbstanklagen innerhalb der Ta-
gebücher und den apologetischen Schriften gegen die »Freygeister«303 besteht

glauben, zugleich eine Offenbarung erkennen und sich von der Wahrheit überzeugen, und
noch so kalt bleiben könne!« Fragmente, S. 288. – Die permanente Selbstbeobachtung er-
streckt sich auch auf den Vorgang des Schreibens selbst. So heißt es am 8. November 1772
(ebd., S. 279): »Ach wie kalt ist diese Betrachtung! Wie frostig ist meine Liebe gegen den,
der doch einzig die Schrecken des Todes und das Grauenvolle des Grabes versüssen kann;
wie anhängig ist mein Herz an kleine Vergnügungen in der Arbeit, an Erleichtung [!] mei-
ner Schmerzen!«
297
Zu Colbe s. o., Kap. II.2.3, zu Spener s. Kap. II.4.
298
Neben dem folgenden Zitat im Haupttext etwa im Eintrag vom 31. Mai 1772
(ebd., S. 273): »Ob ich wohl fühle, daß ich ohne herrschende grosse Laster bin, so arbeite
ich doch nicht mit dem Eifer an meiner Besserung, wie ich sollte – ich bin zu sicher, und
zu grossen Entschliessungen unfähig.«
299
Ebd., S. 267 f., 5. April/12. April 1772 (Hervorh. d. Verf.).
300
Vgl. Kaufmann 2009, S. 317 f. u. 324.
301
Vgl. ebd., S. 318.
302
Ebd., S. 333. – Die Fragmente seien weithin »in einer Gebetssprache abgefasst,
die mit biblischen Allusionen, Motiven und Sprachklängen durchsetzt ist« (ebd., S. 331).
303
Zu Hallers Essay Die praktischen Folgen des Unglaubens (1750), einer Einleitung
zu seiner Übersetzung von Crousaz’ Examen du pyrrhonisme ancien et moderne (1733),
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622 Übergänge zur Hochaufklärung

aus dieser Sicht weniger ein Widerspruch, eine durch Projektion veranlasste
Überkompensation, als vielmehr ein frömmigkeitsgeschichtlicher Verweiszu-
sammenhang, der in die Anfänge der protestantischen Atheismusdebatte zu-
rückreicht ( II.2–4).
Das schließt das Vorhandensein von Zweifeln an der Reinheit oder Voll-
kommenheit des eigenen Glaubens gerade nicht aus. Diese können jedoch, wie
auch im Luthertum und im lutherischen Pietismus, als Anfechtung und – bei
entsprechender Buße – als Teil einer biografischen Bewährungsgeschichte ge-
deutet werden.304 Gerade das Fehlen der Bußbereitschaft bildet ja aus Sicht des
barocken Reformprotestantismus (besonders deutlich formuliert bei Spener
und Seckendorff, s. o.) den schwer erklärbaren Übergang vom praktischen
zum theoretischen Unglauben. Wer also wie Bayle, die britischen Deisten oder
Voltaire, mit seinen Zweifeln an die Öffentlichkeit tritt, hat aus Hallers Sicht
mit dem Kampf gegen die Anfechtung auch die Orientierung in Glaubens-
dingen verloren. Dass die Vernunft hier ein schlechter Ratgeber sei, verstand
sich für den Protestanten Haller von selbst.305 Ihre theologische Funktion und
Zuständigkeit lag für ihn, neben ihrem Dienst als Hilfswerkzeug der theologia
naturalis (z. B. in der Physikotheologie), in der Unterscheidung der wahren
(per se suprarationalen) Religion vom vernunftwidrigen Aberglauben.306

vgl. Pott 2002b, S. 147–151, sowie Pott 2002a, S. 171–184. – Die darin aufgenommene
apologetische Tätigkeit hat Haller in seinen erstmals 1772 erschienenen Briefen über die
Offenbarung wider die Einwürfe einiger noch lebender Freygeister fortgeführt. Vgl. dazu
Pott 2002b, S. 131–143.
304
Das gilt übrigens auch für die katholische Frömmigkeit. Pastoraltheologisch kam
hier das Gleichnis vom verlorenen Sohn zum Einsatz. Zur Illustration sei der Kürze halber
auf ein Gedicht Friedrich von Spees verwiesen – Ermahnung zur Buß an den Sünder daß
er die Burg seines Hertzens Christo einraume (in: Ders.: Trutznachtigall, Kritische Aus-
gabe nach der Trierer Handschrift, hg. v. Theo van Oorschot, Stuttgart 1985, S. 71–73).
Dort heißt es unter anderem (S. 72): »Kehr wider, o verlohren Sohn, / Reiß ab der sünden
banden, / Jch schwör dir bey dem Gottes Thron / Die Gnad ist noch verhanden.«
305
Zu Hallers Einschätzung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit vgl. neben Guthke
1978 vor allem Toellner 1971, S. 102–109; dogmengeschichtlich genauer: Kaufmann 2009,
S. 366 f. und 368–371 (zum Verhältnis von Vernunft und Offenbarung). – Guthkes Versuch,
auch in Hallers Bewertung der Vernunft (soweit Religionsdinge betroffen sind) einen Wi-
derspruch aufzudecken, da er ihr mal jede tiefere Einsicht abspreche, dann aber wieder der
Physikotheologie das Wort rede (vgl. Guthke 1978, S. 19 f.), unterschätzt die Vielschichtig-
keit des Vernunftbegriffs im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert, die in zeitgenössischen
Hilfskonstrukten wie der naturrechtlichen recta ratio zum Ausdruck kam. Zwischen dem
philosophischen Vernunftbegriff Descartes’, der mehr registrierenden als konstruktiv ent-
werfenden Vernunft der Naturforschung und dem common sense des Empirismus, dem die
Physikotheologie und etwa auch Pope verpflichtet ist, bestehen erkennbare Unterschiede.
Die Physikotheologie ist insofern gerade keine »rationalistische« Strömung, wie Guthke be-
hauptet (ebd., S. 19). Völlig zu Recht spricht er dagegen von Hallers Fideismus (vgl. ebd.).
306
Vgl. Guthke 1978, S. 26, dort bereits im Blick auf das im Folgenden näher zu
betrachtende Gedicht; ebenso Kemper 1991, Bd. 2, S. 144 f.
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Albrecht von Haller 623

4.2 Sittenloser Unglaube


Haller und die apologetische Tradition

Dass Unglaube für Haller, erneut im Sinne von Voetius, mehr war als nur eine
Frage von Zweifel oder Gottvertrauen, sondern vielmehr eine den ganzen
Menschen betreffende Fehlhaltung und untrennbar verknüpft mit der Fra-
ge nach persönlicher und gesellschaftlicher Moralität, hat er schon lange vor
dem bekannten Aufsatz Über die praktischen Folgen des Unglaubens (1750)
in der Versepistel Die Tugend ausgesprochen.307 Strophisch gestaltet in An-
lehnung an die sapphische Odenform,308 richtet sich die Epistel, als Teil von
Hallers moralistischer Lehrdichtung,309 an den in Basel residierenden Dichter
und großherzoglich-badisch-durlachischen Hofrat Karl Friedrich Drollinger
(1688–1742).310 Es handelt sich um eines der vielen Lehrgedichte der Zeit, in
denen bei insgesamt andersartiger Themenstellung der »Freygeist« nebenher
als stereotype Feindfigur auftritt.311 Bei Haller erscheint er, wie auch zumeist
bei anderen Autoren, stellvertretend für ein ganzes Argumentationssystem,
dessen Konturen und Ursprüngen der erste Teil dieser Untersuchung nach-
gegangen ist. Unglaube und Unmoral gehören demzufolge zusammen. Nicht
allein deswegen, weil der Glaube eine zureichende Vorbedingung für Sittlich-
keit darstelle (das hatte Bayle bekanntlich mit großem Scharfsinn bestritten),
sondern ebenso sehr, weil ein unsittlicher Lebenswandel über die Angst vor
einem göttlichen Strafgericht den Wunsch hervorbringe, dass ein solcher Rich-
ter gar nicht existiere. Unter den Reformatoren hatte besonders Calvin diesen
Zusammenhang am Leitfaden des 14. Psalms beschrieben ( I.1.4). Der über-

307
Haller, Gedichte, ed. Hirzel, S. 77–79. Dort wird der Text in modernisierter Or-
thografie (auf dem Stand von 1882) gegeben. Wir zitieren im Folgenden, mit Strophenzäh-
lung, nach der Erstausgabe von 1732 (dort S. 101–103), um den Sprachbestand, insbeson-
dere die spezifischen Helvetismen einzufangen, die Haller in späteren Ausgaben tilgte. Da
Hallers Verleger in den früheren Auflagen noch Virgeln verwendete, wird zur Markierung
des Versumbruchs bei nicht eingerückten Zitaten ein senkrechter Strich ( | ) gesetzt.
308
In einer ab der vierten Auflage (1748) hinzugefügten Anmerkung weist Haller auf
die Seltenheit dieser antikisierenden Form um 1730 hin: »Damals war dieses Silbenmaaß
etwas ungewöhnlicheres als itzt.« Haller, Gedichte, ed. Hirzel, S. 77.
309
Vgl. dazu das entsprechende Kapitel (Moralsatirische Bloßstellung) bei Bar-
ner 2009, S. 390–392; Hallers moralistische Seite hat – auch hier wieder vergleichbar mit
Brockes – deutlich weniger Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden als die philo-
sophisch-theologische Dimension seiner Lehrdichtung und die erlebnishaft-persönliche
Sprechhaltung der Mariane-Gedichte andererseits.
310
Haller hatte Drollinger in Basel persönlich kennengelernt. Das Gedicht schickte
er ihm bald nach dessen Entstehung über den gemeinsamen Freund Stähelin zu. Dieser
meldete die erfreute Aufnahme durch den Adressaten. Vgl. Hirzel 1882, S. LXXVIII,
Anm. 2; zur Bekanntschaft mit Drollinger und dessen Einfluss auf den jungen Haller vgl.
auch Frey 1879, S. 13–17; Siegrist 1967, S. 7 u. 20 f.
311
Der Ungläubige als Nebenthema oder Hintergrundfigur im Lehrgedicht des
18. Jahrhunderts (ähnlich wie oben, Kap. III.3, am Beispiel der barocken Erzählliteratur)
würde eine eigene Untersuchung erfordern.
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624 Übergänge zur Hochaufklärung

zeugte Calvinist Haller verdichtet die damit zusammenhängende Argumenta-


tion zu einer einzigen Strophe, gleich im Anschluss an die kurze Exposition.
Anders als Brockes, der bis in die späten Gedichte durchgehend von ›Atheis-
ten‹ sprach (s. o.), verwendet er dabei, als einer der ersten deutschsprachigen
Autoren, den Ausdruck »Freygeist«:

Freund! die Tugend ist kein lährer Nahme /


Auß dem Herzen keimt des guten Saame /
Und ein Gott ists / der der Bergen Spizen
Röhtet mit Blizen.

Laß den Freygeist mit dem Himmel scherzen /


Falsche Lehre fließt aus bösem Herzen;
Und Verachtung allzustrenger Pflichten
Dient vor Verrichten.

Nicht der Hochmuht oder Eigenliebe


Die den Menschen sich zu kennen triebe;
Und das Beyspiel nie geübter Tugend
Zeigte der Jugend.

[…]

Füllt ein Herze Ehrsucht mit Erbarmen?


Das dem Unglük reicht die milden Armen /
Leidt mit andern / und von fremden Ruhten
Würdigt zu bluten.

[…]

Zwar die Laster blühen und vermehren /


Geiz bringt Güter / Ehrsucht führt zu Ehren /
Boßheit herrschet / Schmeichler betteln Gnaden /
Tugenden schaden. (Str. 1–3, 7 u. 9 )

Hier steht der Freigeist noch im Kontext einer Zeit- und Sittenkritik, die Hal-
ler mit dem frühen Pietismus ebenso verbindet wie mit der Hallenser Früh-
aufklärung um Thomasius und, im Blick auf die Schweiz, mit der dortigen
patriotischen Bewegung.312 So wie moralistisch-lasterpsychologische Katego-
rien wie ›Eigenliebe‹, ›Ehrsucht‹ und gesellschaftskonforme simulatio (für sie
steht im Gedicht neben »Verstellung« [Str. 4] die Formel »lährer Nahme« an-
gesichts der Tugend), wie eben gesehen, noch die späten Tagebucheinträge prä-
gen sollten, so haben sie Haller offenbar auch schon in jungen Jahren beschäf-

312
Zur patriotischen Bewegung im deutschen Sprachraum vgl. Vierhaus 1987, S. 96–
109; zu »Haller als Patriot« (so der Kapiteltitel) vgl. Frey 1879, S. 99–104, mit einer Zu-
sammenstellung von Versen über die Schweiz.
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Albrecht von Haller 625

tigt. Darauf deutet neben der zitierten Passage auch schon das ein Jahr zuvor
(1728) verfasste Kasualgedicht Uber die Ehre, in dem das Streben nach äuße-
rem Ansehen – christlich-traditionell als »Geschätztes Nichts«, als »GOtt der
Welt« und »Verblendend Irrlicht« eingestuft – zum Ausgangspunkt für eine
Betrachtung über die Vergänglichkeit wird.313 »Die Ehrsucht«, heißt es dort,
»ist ein ewig Feuer / Das weder Zeit noch Ehre stillt.«314 Gegen Stolz, Ehr-
sucht, »Hochmuht« (!) und Ämterneid richtet sich Haller auch in dem wenig
bekannten Versuch eines Patriotischen Blättleins (ca. 1732),315 in dem er nach
dem Vorbild der Moralischen Wochenschriften exemplarische Charaktere mit
sprechenden Namen (»Rutilius«316, »Modestino« u. a.) auftreten lässt.317 Nach-
dem er so verschiedene Abweichungen von der wahren »Demuht« vorgeführt
hat, kann der Autor, inhaltlich wie stilistisch ganz auf der Linie der Gattung,
festhalten: »So lang der Hochmuht in unserm Herzen herrschet, werden aus
dieser Quelle immer unanständige Bezeugungen entspringen.«318 Dass zu die-
sen »Bezeugungen« auch die impietas gehört, wie es die Exegese des 14. Psalms
anhand der biblischen Formel »in corde suo« lehrte ( I.1; I.4.1), wird hier
zwar nicht eigens erwähnt. Halten wir aber die oben zitierte zweite Strophe
von Ueber die Tugend daneben (»Falsche Lehre fließt aus bösem Herzen«),
so wird schon deutlich, dass sich Haller der entsprechenden Herleitung des

313
Haller, Gedichte, ed. Hirzel, S. 9–19 (dort steht, ohne textkritische Anmerkung,
»Über« statt, wie in den ersten zwei Fassungen, »Uber«); hier, aus den oben genannten
Gründen, nach dem Erstdruck in Versuch Schweizerischer Gedichten (1732), S. 34–45,
Zitate dort auf S. 34 (»Geschätztes Nichts«, »GOtt der Welt«) und 35 (»Verblendend
Irrlicht«). Am Beispiel Alexanders des Großen wird die Nutzlosigkeit des Ruhms im
Angesicht der Ewigkeit erörtert: »Doch ach was haben sie verlohren / Das Leben in der
Menschen Ohren / Geht nach dem Todt uns wenig an […].« Ebd., S. 37.
314
Ebd., S. 41.
315
Zuerst in der zweiten Auflage der Schweizerischen Gedichte (1734), S. 107–111,
Zitat S. 107; wieder in: Haller, Gedichte, ed. Hirzel, S. 367–370, Zitat S. 367; in der Samm-
lung Kleiner Hallerischer Schriften (Bern 1756, 21772) erschien der Text unter dem be-
zeichnenden Titel Von den Vortheilen der Demuth (Bd. 1, S. 167–172). – Zur Entstehung
vgl. Hirzel 1882, S. LXXXVI–CXV (Kap. Verdorbene Sitten), der die moralkritischen
Schriften um 1730, insbesondere die Verssatire Die verdorbenen Sitten (Gedichte, ed. Hir-
zel, S. 86–98), als direkte Reflexe auf Missstände in Hallers Heimatstadt bezieht. Auch
wenn diese positivistische Deutung aus heutiger Sicht etwas einseitig wirkt, weil sie Epo-
chen- und Gattungskontext außer Acht lässt, zeichnet Hirzel anhand zeitgenössischer
Quellen ein lesenswertes Sittenbild der Berner Patrizierschicht aus der Sicht ihrer Kritiker.
Deren zentraler Befund einer »Aristokratisierung« der Berner Stadtregierung seit Ende
des 17. Jahrhunderts wird auch durch neuere Darstellungen untermauert. Vgl. Capitani
2008, Zitat dort auf S. 87.
316
Von lat. rutilo (»schimmern«, »glänzen«). Der Gegenpart ›Modestino‹ wird von
Haller allerdings nicht als positives Exempel gezeichnet, er steht für das komplementäre
Fehlverhalten einer ostentativen Bescheidenheit, die schon als »verborgene Ruhmredig-
keit« erscheint. Schweizerische Gedichte (21734), S. 109; Gedichte, ed. Hirzel, S. 368.
317
Zum Typus des Moralischen Charakters vgl. die Hinweise in Kap. VI.2.5.
318
Schweizerische Gedichte (21734), S. 109 (dort Virgel statt Komma); Gedichte, ed.
Hirzel, S. 369.
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626 Übergänge zur Hochaufklärung

Unglaubens bestens bewusst war. Wie für die Mehrheit der protestantischen
Zeitgenossen verstand es sich für ihn von selbst, dass die konstitutive Sündhaf-
tigkeit der menschlichen Natur, zumal in Verbindung mit einer für Irrtümer
anfälligen Vernunft, durch kein von Menschen erdachtes Moralsystem wirk-
sam aufgefangen werden könne.

4.3 Vernunftskepsis und Aberglaubenskritik in den


Gedanken über Vernunfft / Aberglauben und Unglauben

Damit sind bereits die Koordinaten abgesteckt, innerhalb derer sich das für
unsere Belange einschlägigste von Hallers Lehrgedichten bewegt, die berühm-
te, mit 380 Alexandrinerversen breit angelegte Versepistel Gedanken über Ver-
nunfft / Aberglauben und Unglauben (1729) an den Freund Stähelin.319 Das
Gedicht entwirft, für die Zeitgenossen unverkennbar, schon dem Titel nach
das Modell des Mittelwegs in Religionsdingen, das für die Frühaufklärung mit
abschließender Gültigkeit Johann Franz Budde320 in seinen Theses theologicae
de atheismo et superstitione (1717) formuliert hatte.321 Dem Zusatz »Vernunft«
kommt im Gedicht nun aber eine besondere Bedeutung zu. Schärfer nämlich

319
Im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt, zitiert nach der Erstausgabe im Ver-
such Schweizerischer Gedichten (1732), S. 46–62, mit Verszählung im Fließtext. Auf Ab-
weichungen in späteren Ausgaben wird bei Bedarf hingewiesen. – In der germanistischen
Forschung hat das Gedicht – verglichen etwa mit den Alpen, den Liebes- und Trauerge-
dichten sowie der Unvollendeten Ode über die Ewigkeit – nur wenig Aufmerksamkeit
auf sich gezogen. Neben kursorischen Bemerkungen in Studien mit anderen Schwerpunk-
ten (etwa Richter 1972, S. 87–89; Guthke 1978, S. 15 u. 26 f.; Kemper 1981, Bd. 1, S. 368;
Kaufmann 2009, S. 326 f.; Wesche 2013, S. 39–41) oder Überblicksdarstellungen (z. B. Jäger
1980, S. 516; Guthke 1988, S. 141; Achermann 2008, S. 143; Barner 2009, S. 400) hat nach
Albertsen 1967, S. 227 f., der das Gedicht als »Diatribe« (S. 227) unter die moralischen
Satiren einordnet, erst Stefanie Arend eine eingehendere Interpretation vorgelegt (Arend
2013), in der sie das Gedicht als Ausdruck von Hallers Kritik am Stoizismus aus der Pers-
pektive des epikurischen Metriopathiemodells deutet. Auch wenn es kühn erscheint, aus-
gerechnet Haller zu einem Neo-Epikureer machen zu wollen (vgl. bes. ebd., S. 25 f.), kann
doch die Bedeutung der Mittelweg-Ideologie für Haller wie für die nachfolgende Genera-
tion der mittleren Aufklärung kaum bestritten werden (vgl. dazu ebd., S. 26). – Einschlägig
für unsere Fragestellung dagegen zum einen die ältere Studie von Teeter 1928, die im Ge-
dicht den auch positiv nachweisbaren Einfluss des britischen Apologeten Samuel Clarke
sichtbar macht; zum anderen die Interpretation von Kemper 1991, Bd. 2, S. 143–148, der
darin allerdings »wesentliche Grundanschauungen des Deismus« sehen will (S. 145). Da
Kemper darunter allerdings die notitiae communes versteht, wie sie auch schon vor Her-
bert von Cherbury zum Rüstzeug der theologia naturalis gehört hatten, etwa bei Melanch-
thon, ist Deismus in diesem Sinn nicht unbedingt gleich Heterodoxie.
320
Näheres zu Budde in Kap. V.1.2. Hier genüge der Hinweis auf das Standardwerk
von Pott 1992, S. 153–191.
321
Diese epochale und eminent theologische Deutungsdimension kommt bei Arend
2013 zu kurz. Zur theologischen Relevanz des Mittelweg-Modells bei Haller vgl. dafür
Kaufmann 2009, S. 326 f., 339 f., 347 u. 360–363.
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Albrecht von Haller 627

als die Vertreter der Hallenser oder Leipziger Frühaufklärung (darin tatsäch-
lich näher bei Brockes und den Hamburgern) wendet sich Haller hier wie auch
in anderen Schriften gegen die Zuständigkeit der Vernunft in Glaubensfragen.
Soweit die tieferen Geheimnisse der christlichen Religion betroffen sind, plä-
diert der Autor, der in dieser Versepistel an den Freund Stähelin322 wohl mit
dem Sprecher gleichgesetzt werden darf, tatsächlich für ein sacrificium intel-
lectus, oder, vorsichtiger gesagt, für eine klare Trennung der Zuständigkeiten
von Wissenschaft und Theologie.323 Hieß es ein Jahr später in Die Falschheit
menschlicher Tugenden »Ins innre der Natur dringt kein erschafner Geist«,324
so zieht er in den Gedanken die Grenze der Vernunfterkenntnis bei zentralen
christlichen Glaubenslehren wie der Unsterblichkeit der Seele, der creatio ex
nihilo und dem Verhältnis von Zeit und Ewigkeit, mündend in der Feststel-
lung: »Diß soll ich nicht verstehn / und kein Geschöpfe fragen | Es möge sich
mein Feind mit solchem Vorwiz plagen« (V. 323 f.). Diesen für einen Mann
wie Haller vielleicht überraschenden Ton schlägt bereits die Exposition des
Gedichts (V. 1–26) an, wenn es dort heißt:

Du weist’s / Betrug und Tand / umringt die reine Wahrheit /


Verfälscht ihr ewig Licht / und hemmet ihre Klarheit:
Der Weise braucht umsonst / geführt von der Natur
Das Bleymaaß in der Hand / und die Vernunft zur Schnur.
Im weiten Labyrinth wahrscheinlicher begriffen
Kan auch der glügste sich in fremde Bahn vertieffen;
Und wann sein sichrer Schritt sich nie vom Pfad vergißt /
So sieht er doch am End / daß er am Anfang ist. (V. 3–10)

Kurz darauf fällt auch die berühmt gewordene Formel: »Unselig Mittel-Ding
von Engeln und von Vieh! | Du prahlst mit der Vernunfft / und du gebrauchst
sie nie.« (V. 17 f.)325 Es ist also für Haller, soviel lässt sich schon vorweg fest-
stellen, nicht die Vernunft, die den Mittelweg zwischen den Extremen des

322
Neben dem Titelzusatz »An Hrn Professor Stähelin« klar erkennbar an der im
ersten Vers erfolgenden, im weiteren Gedichtverlauf mehrfach wiederholten Anrede »o
Stähelin« (V. 1, 309, 337 u. 363). – Zu Hallers Freundschaft mit dem Basler Physikprofes-
sor Benedikt Stähelin vgl. Frey 1879, S. 13 f.; Siegrist 1967, S. 7 u. 21, vor allem aber Hirzel
1882, S. XLIX–LVIII. Schüttere biografische Informationen zu Stähelin aus diversen älte-
ren Nachschlagewerken versammelt DBA I 1209, S. 100–102; II 1247, S. 245.
323
Das Verhältnis des Naturwissenschaftlers zum gläubigen Christen Haller hat
wohl mehr als jedes andere Thema die Hallerdeutung seit ihren Anfängen bewegt und
gespalten. Vgl. erneut den Forschungsbericht von Toellner 1971, S. 1–24. – Zu Hallers Be-
urteilung der rationalen Erkenntnisfähigkeit des Menschen vgl., vor anderen Deutungen,
ebd., S. 102–109; zu seinen Forschungen als Teil der natürlichen Gotteserkenntnis vgl.
Sonntag/Steinke 2008, S. 319–322.
324
Haller, Versuch schweizerischer Gedichten, S. 78; Gedichte, ed. Hirzel, S. 74 (dort,
ohne textkritische Anmerkung, orthografisch modernisiert zu »erschaffner Geist«).
325
In der mittlerweile weit verzweigten Forschung zur Anthropologie der Aufklä-
rung hat diese Formulierung, nicht zuletzt aufgrund ihrer Wiederaufnahme durch Schiller,
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628 Übergänge zur Hochaufklärung

Unglaubens und des Aberglaubens markiert. Vielmehr bildet sie, sobald sie
sich außerhalb ihres angestammten Bereichs, der Naturforschung, begibt, ei-
nen dritten möglichen Abweg. 326 Diese Pointe wird in einem ersten Abschnitt
(V. 27–96) des nun beginnenden Hauptteils (V. 27–356) ausführlich vorberei-
tet, indem Haller nach dem Muster einer rhetorischen Disposition327 zunächst
die unbestreitbaren Leistungen der Vernunft für die Naturerkenntnis hervor-
hebt (V. 27–56),328 dann jedoch ihr Versagen, sobald es nämlich an die mora-
lisch-ethisch verstandene Selbsterkenntnis geht (V. 57–96).329 Über »Wahr und
Falsch« (V. 61), »stätes Gut« und »bös« (V. 62) könne sie keine Auskunft ge-
ben, ebenso wenig über Gott und den Mitmenschen (»was GOtt und jeder
sey«, V. 62).
Hinter dieser Trias von Gottes-, Selbst- und Menschenkenntnis wird der
analoge Dreischritt der naturrechtlichen Pflichtenlehre sichtbar, der in einem
philosophischen Lehrgedicht um 1730 fast zwingend mitzudenken ist.330 Dazu
passt es auch, wenn Haller am Kreuzungspunkt dieser drei Perspektiven das
Glück, ja sogar das eigentliche Wesen des Menschen zu erkennen meint.331
Das untergründige Wirken der praktischen Unvernunft illustriert er sodann

eine gewisse Bekanntheit erlangt, unlängst sogar im Titel des Aufsatzes von Wesche 2013
(Nachweis ebd., S. 41).
326
Die vernunftkritische Dimension des Gedichts akzentuiert sehr deutlich Albert-
sen 1967, S. 227 (»Angriff auf die Vernunft«); präziser, aber nicht unproblematisch, Guth-
ke 1988, S. 141 (das Gedicht erörtere »was geschieht, wenn die Vernunft abdankt oder
wenn sie sich zur Alleinherrscherin aufwirft«). Die Unterscheidung zwischen Unglauben
und Aberglauben nach Maßgabe des jeweiligen Vernunftgebrauchs – zuviel beim Unglau-
ben, zuwenig beim Aberglauben – spielt in der Tat seit der Frühaufklärung eine wichtige
Rolle in den apologetischen Definitionslehren und steht, wie später noch bei Gottsched
(VI.3.4), so auch bei Haller klar im Raum. Die im Gedicht vorgetragene Vernunftkritik
lässt sich aber, wie ich meine, nicht darauf reduzieren. Sie steht als ein thematischer Teil
des Gedichts neben den beiden anderen. Daher auch die gesonderte Nennung im Titel.
327
Zur rhetorischen Struktur des Gedichts vgl. auch Arend 2013, S. 26.
328
Hier genügt es, die thesenhafte Eröffnung des Abschnitts zu zitieren (V. 27 f.):
»Wahr ists / dem Menschen ist Verstand genug geschenket / | Sein flüchtig Denken ist
kaum von der Welt umschränket […].«
329
Auch hier nur der Anfang der Passage (V. 57 f.): »Wohl-angebrachte Müh! ge-
lehrter [!] Sterbliche! | Du kennest alles schon / nur nicht dein Wol und Weh.« Die Stelle
zitiert auch Karl Richter in seiner bekannten Studie über Poesie und Naturwissenschaft
(vgl. Richter 1972, S. 88 f.). – Auf die Unterscheidung von Natur- und Selbsterkenntnis
bei Haller mit dem entsprechenden Wertungsgefälle verweist zutreffend Arend 2013; die
»wissenschaftskritischen Töne« im Gedicht »bedeuten keine Kritik an den Naturwissen-
schaften per se, sondern plädieren dafür, diese von der Ethik zu trennen« (S. 29).
330
Vgl. Vollhardt 2001, S. 260–298 (dort, S. 275–278, zu Hallers Gedicht Über den
Ursprung des Übels).
331
V. 63 f.: »Da denket keiner dran / und diß sind doch die Sachen / | Die uns allein
beglükt / und erst zu Menschen machen.« – Die Ansicht, dass Religion erst den Menschen
zum Menschen mache, spielte in der Atheismusdebatte seit ihren Anfängen eine Rolle, be-
sonders deutlich in Assonvilles Atheomastix ( I.2.3); der Topos wird in der Lehrdichtung
nach Haller noch öfter wiederkehren und ist auch bei Brockes anzutreffen.
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Albrecht von Haller 629

entlang der bekannten lasterpsychologischen Koordinaten: »Boßheit« (V. 72),


»Ehrsucht« (V. 73), »Wollust« (V. 77) und »Eitelkeit« (V. 82), heißt es in bild-
hafter Zuspitzung, reißen Vernunft und Tugend das »Steuer« aus der Hand
(V. 81). Am Beispiel eines Gelehrten – eingedenk der frommen Tagebuchauf-
zeichnungen könnten wir hier ein vorausentworfenes Selbstporträt des Au-
tors vermuten – wird ein exemplarischer Lebenslauf skizziert, der den ›klugen‹
Mann »von Ehr zu Ehre« (V. 85) bis an den Rand des Grabes führt, ohne sich
auch nur einmal von der irdischen vanitas freigemacht zu haben. Lakonisch-
düster klingt die entsprechende Bilanz, bevor die eingangs formulierte These
nach Ende der narratio bekräftigt wird:

Er stirbt / den Titel wird ein Stein der Nachwelt nennen /


Sich / hat er nie gekennt / und nie begehrt zu kennen;
Sein Leib verfällt in Staub / sein Blut verfliegt in Rauch;
So stirbt ein grosser Mann / so sterben Vieher [!] auch.

O GOtt / der uns beseelt! wem giebst du deine Gaben?


Der Mensch gebraucht sie nicht / er schämt sich / sie zu haben.
(V. 91–96)

Anstatt nun aber, ausgehend von dieser Bankrotterklärung menschlicher Ver-


nunftfähigkeit (ähnlich hatte bekanntlich Thomasius argumentiert), sogleich
den Sprung in den Glauben anzuraten, leitet Haller mit wenigen Versen (V. 97–
114) zum zweiten Abschnitt des gedankenschweren Hauptteils über (V. 115–
292), der seinerseits auch wieder zweigliedrig strukturiert ist. Mit Aberglauben
(V. 117–226) und Unglauben (V. 227–292) werden dort die beiden im Titel an-
gekündigten Abweichungen vom Mittelweg der wahren Religion ausführlich
vorgestellt: »Zwey Glauben hat die Welt hierinn sich längst erwählet | Da jeder
viel verspricht / und jeder weit verfehlet.« (V. 115 f.)
Die Darstellung des Aberglaubens, auf die Haller gut anderthalb mal so
viele Verse verwendet wie auf die des Unglaubens, würde eine eigene Untersu-
chung verdienen.332 Für unsere Zwecke genügt es erstens, festzustellen, dass die
wortgewaltige Philippika gegen Priesterbetrug (»Betrug« [V. 121, 170 u. 204]),
zeremoniellen Mummenschanz (»heilig Gaukelspiel« [V. 138]; »Geknall von
schwefel-reichen Dämpffen« [V. 139]) und gewaltbereite Intoleranz333 nicht
gegen jede mögliche Religion gerichtet ist, sondern vor allem gegen heidnische

332
Vgl. immerhin Albertsen 1967, S. 228, sowie Arend 2013, S. 25–27, die jedoch
zugunsten ihrer Fragestellung theologische Aspekte ausspart.
333
Bald aber / wann vielleicht aus unbedachtem Wiz
Der Wahrheit freye Stimm erschüttert seinen Siz /
Füllt er sein flammend Aug mit Raach und wildem Eifer /
Sein Arm bewehrt mit Stahl / sein Mund beschäumt mit Geifer /
Droht Tod und Untergang / Mord / Boßheit und Verraht /
Die Diener seines Grimms bedienen ihn zu spat. (V. 173–178)
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630 Übergänge zur Hochaufklärung

Götterkulte (»Gözen« [V. 184]; »Crocodile« [V. 197]), dann aber auch gegen
die katholische Kirche (V. 213–225),334 die generell oft gemeint ist, wenn in der
protestantischen Aufklärung vom Aberglauben die Rede ist. In der Kritik an
Torheiten und Verbrechen im Namen des Glaubens könnte sich Haller sehr
wohl in eine Reihe mit dem von ihm so erbittert bekämpften Voltaire stel-
len. Er schließt denn auch den Passus mit einer Anspielung auf das bekannte
Lukrezwort Quantum religio potuit suadere malorum.335 Zweitens aber zeigt
sich im Abschnitt über den Aberglauben, dass Hallers zuvor exponierte Ver-
nunftskepsis durchaus ihre Grenzen hat.336 Der Verzicht auf sie kommt dem
Aberglauben gleich oder gehört ihm doch untrennbar zu.337 Auch wenn sie
keine positiven Aussagen über Unsterblichkeit, Sünde und Rechtfertigung
treffen kann, ist die Vernunft Haller zufolge doch imstande, die Irrtümer ei-
ner falschen Theologie aufzudecken – vergeblich jedoch, wenn ihr Gebrauch
untersagt wird.338 Dort, wo sie, wie im ersten Abschnitt des Hauptteils erör-
tert, gesicherte Ergebnisse vorweisen kann, verdient sie daher jegliche Freiheit.
Hier spricht der Naturforscher Haller, der die Rolle der Vernunft als ancilla
theologiae nicht zu akzeptieren bereit ist:

Die Wahrheit dekte sich mit tieffem Finsternüß /


Vernunfft ward eine Magd und Wissen Aergernüß:
So liesse sich die Welt die Macht zu denken rauben
Und alles bückte sich ins Joch vom Aberglauben.
Erschrecklich Ungeheu’r! sein Wüten übersteigt /
Was je des Himmels Zorn zu uns’rer Straff erzeugt. (V. 161–166)

4.4 Versifizierte Apologetik


Hallers Analyse des Unglaubens

Verglichen mit dem Aberglauben und der Vernunft nimmt der Unglaube von
den im Titel aufgeführten Themen den geringsten Raum ein (V. 227–292). Das
könnte als Hommage an Bayle und Thomasius verstanden werden, die dem
Aberglauben aufgrund seiner größeren Verbreitung schädlichere Wirkungen
zugeschrieben hatten als dem Atheismus. In jedem Fall gab die Geschichte und

334
Vgl. Albertsen 1967, S. 228.
335
Die fast wörtliche Übersetzung »Was böses ist geschehn / das nicht der Glaube
that« (V. 226) scheint Haller nicht ausgereicht zu haben. In einer Anmerkung (Versuch
schweizerischer Gedichten, 1732, S. 56) setzt er den lateinischen Text (nach Lukrez, De
rerum natura, I 101) hinzu, schreibt ihn aber irrtümlich Juvenal (»Iuven.«) zu! Ab der
zweiten Auflage (1734, S. 62) ist dieser Fehler behoben. Vgl. auch die textkritische Anmer-
kung in Haller, Gedichte, ed. Hirzel, S. 309.
336
Vgl. Guthke 1988, S. 141.
337
V. 123 f.: »Wer diesen Glauben wählt / hat die Vernunfft verschworen / | Dem
denken abgesagt / sein Eigenthum verlohren […].«
338
V. 205: »Umsonst sieht die Vernunfft des Glaubens Fehler ein | So bald der Pries-
ter spricht / muß Irrthum Weißheit seyn […].«
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Albrecht von Haller 631

Phänomenologie des Atheismus 1729 deutlich weniger Material für eine po-
lemisch-satirische Schilderung her, wie Haller sie im gleichen Gedicht für den
Aberglauben unternimmt. Dem Letzteren gehört die Welt, wie es zu Beginn
des entsprechenden Abschnitts heißt (V. 118: »Die Erde ist sein Reich«). Der
Unglaube dagegen wirke in »stiller Heimlichkeit / umzielt mit engen Schran-
ken« (V. 227) und, zumindest bei den »klügern«, abseits der Öffentlichkeit
(»ins geheim« [V. 230]). Statt der oft unterstellten gesellschaftlichen Folgen,
die Haller später in der Crousaz-Vorrede ausführlich darlegen sollte, konzen-
triert er sich hier denn auch auf die individuellen Implikationen: Ursachen wie
Konsequenzen. Ohne Schwierigkeiten lassen sich die Topoi der Apologetik
wiedererkennen, die ja inzwischen in zahlreichen Traktaten und Kompendien
verschiedensten Umfangs – zuletzt noch in Reimmanns umfangreicher Histo-
ria univeralis atheismi (1725) – aufbereitet waren und zur Weiterverwendung
bereitstanden. Wie das in den Moralischen Wochenschriften oder in Gedichten
von Brockes aussehen konnte, wurde in den vergangenen Kapiteln schon ver-
schiedentlich erörtert.
Haller drückt dem traditionellen Themen- und Motivbestand im Rahmen
des philosophischen Lehrgedichts seinen ganz eigenen Stempel auf. Im Ge-
gensatz zu Brockes und der Mehrzahl der Wochenschriften fehlt jeglicher
humoristische Unterton, keine Spur auch von dem nahezu atemlosen Opti-
mismus des Hamburger Ratsherrn, der für den Atheismus weniger Zorn als
Mitleid übrig hatte. Gerade der Vergleich mit Brockes macht überdies deut-
lich, wie verschieden die poetologische Vorgabe der Veranschaulichung ab-
strakter Sachverhalte gelöst werden kann. Hatte Brockes auch noch in der
atheistischen Negation die Methode der physikotheologischen Deskription
genutzt, den Atheisten selbst aber wenig profiliert, greift Haller zum Mit-
tel der typenhaften Personalisierung, wie wir sie etwa aus den Moralischen
Wochenschriften kennen.339 Auf diese Weise kann er in seiner überraschend
ausführlichen Rekapitulation apologetischer Bestimmungs- und Erklärungs-
versuche dennoch bei der Kürze und kompakten Gedankenfülle bleiben, für
die seine Lehrdichtung berühmt geworden ist.340 So etwa bereits zu Beginn des
Abschnitts, wenn er mit vier verschiedenen Typen von Ungläubigen zugleich
vier verschiedene causae atheismi vorstellt:

339
Zum Verfahren der Personifikation im aufklärerischen Lehrgedicht vgl. Siegrist
1974, S. 110–112. Zur typenhaften Charakterisierung als Darstellungsmittel in den Wo-
chenschriften siehe die Ausführungen weiter oben, Kap. VI.2.5.
340
Die oft gerühmten, in der neueren Literaturgeschichtsforschung nur noch topisch
erwähnten, aber nicht mehr explizierten sprachlich-ästhetischen Errungenschaften Hallers
analysiert, immer noch lesenswert, Frey 1879, S. 57–91, bes. S. 78–84 zu den Modi der
Veranschaulichung abstrakter Inhalte; zusammenfassend Siegrist 1967, S. 20–24; weiter-
führend dann Siegrist 1974, S. 95–98 (zur Metaphorik) und 98–112, mit vielen Beispielen
aus Hallers Lyrik. – Zu Hallers unbezweifelter Stellung am Anfang der aufklärerischen
Lehrdichtung vgl. Albertsen 1967, S. 208–239; Siegrist 1974, S. pass. (Register); Jäger 1980,
S. 514–518; Kemper 1991, Bd. 2, S. 128–157.
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632 Übergänge zur Hochaufklärung

Der Fürst / den [!] Laster nuzt / und ernste Tugend kränket /
Der Freygeist der sich lernt / und mehr als andre denket /
Der Weichling / dem ein Gott zu nah zur Strafe scheint /
Sind aus verschiednem Grund doch wider Gott vereint.
Offt dekt der Priester selbst sich mit erlernten Minen /
Sein Herze höhnt den Gott / dem seine Lippen dienen
[…] (V. 231–236)

Die hinter dieser kleinen Revue stehenden weitreichenden Zusammenhänge


haben wir in der Apologetik seit dem späten 16. Jahrhundert kennengelernt.
Hier genügen einige Stichworte: Politische, intellektuelle und charakterliche
Faktoren werden als mögliche Motive für die Ablehnung der Religion ins Feld
geführt. Morallehren und göttliche Strafgerechtigkeit stören – wie schon im
Gedicht Die Tugend (s. o.) – den ungehinderten Vollzug lasterhafter Verhal-
tensweisen. Es kommt daher bei der moralistischen Bestandsaufnahme auch
nicht auf den bloß äußerlichen Glauben (cultus externus) an, wie der deutliche
Hinweis auf das ›Maulchristentum‹ des Priesters bestätigt.341 Mit der Kritik der
simulatio ist nicht nur die Verbindung zum vorher behandelten Aberglauben
hergestellt, sondern implizit auch die folgenreiche Unterscheidung (Voetius)
zwischen theoretischem und praktischem Atheismus berücksichtigt. Es über-
wiegt allerdings im weiteren Verlauf des Abschnitts die Darstellung und Kritik
der radikalen Religionskritik, zunächst in einem kurzen Abriss ihrer wichtigs-
ten Sätze (V. 239-254), sodann in der anschließenden Bewertung (V. 255–264)
sowie schließlich in zwei typenhaften Porträts, des Weichlings (V. 265–272)
und des intellektuellen Skeptikers (V. 273–292).
In der Musterung des radikalen Argumentationsbestands stößt das Verfah-
ren der bildhaften oder gnomischen Kompression sichtlich an seine Grenzen.
Allerdings durfte Haller hier darauf setzen, dass seine Leserschaft mit dem
präsentierten Katalog weitgehend vertraut war – von der machiavellistischen
Lehre der Politici, die Religion sei nichts weiter als ein Instrument politischer
Kontrolle (»Dem Staat zu Nuz erdacht« [V. 240]) über die berühmte Wendung
vom »blinden Ungefähr« (V. 242), die Materialität der Seele (V. 243), bis zu
einem psychologischen Wertrelativismus, der hinter vermeintlichen Tugenden
nur egoistische Antriebe (»Ehrsucht«, »Eigenliebe«) vermutet,342 die Religion
dagegen, mit dem schon von Brockes bekämpften Lukrezwort, auf Furcht zu-
rückführt.343 Erstaunen muss dagegen der ebenfalls enthaltene Seitenhieb ge-

341
Zur polemischen Formel vom Schein- oder Maulchristentum bei den religiösen
Reformbewegungen im 17. Jahrhundert siehe Kap. II.2–4 sowie V.2.
342
Stellen wie diese sind es, die Albertsen dazu bewogen haben dürften, das Gedicht
unter Hallers Moralsatiren zu rechnen (vgl. Albertsen 1967, S. 228). Tatsächlich ist der
Zusammenhang mit der Versepistel an Drollinger auch entstehungsgeschichtlich gesichert:
Beide entstanden 1729 infolge der Basler Bekanntschaft mit Drollinger und Stähelin.
343
Wenn dabei Begriffe wie »Ehrsucht« und »Eigenliebe« fallen, stellt sich gewiss die
Frage, inwiefern sich diese Kritik noch von Hallers eigenem Moralismus unterscheidet.
Die Abweichung ist wohl darin zu suchen, dass Haller neben der Falschheit menschlicher
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Albrecht von Haller 633

gen die Lehre von der prästabilierten Harmonie, mit dem sich Haller von der
Mehrheit der aufklärerischen Lehrdichtung absetzt.344
Nicht fehlen darf in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Überheb-
lichkeit, mit der diese Sätze von den vermeintlichen Freigeistern als Resultate
der Vernunft und Ausdruck innerer Unabhängigkeit präsentiert werden: »Wer
diese Säze glaubt / ist niemand unterthan / | Und nimmt nur die Vernunfft zu
seinem Richter an.« (V. 253 f.) Dieser Gesichtspunkt, bei Voetius noch unter
dem Begriff Des Grues rubriziert, gehört besonders zur Figur des Welt- und
Lebemanns, des Libertin oder Esprit fort, nicht zum Profil des gelehrten, von
Thomasius und Gundling noch als melancholisch eingestuften Religionskriti-
kers, der im Fortgang des Gedichts eine gesonderte Darstellung erfahren wird.
An der Berufung auf die Vernunft musste sich die Apologetik insbesondere
seit Beginn der Frühaufklärung stoßen, umso mehr, als die Vernunft dadurch
leicht in Verruf geraten konnte.345 Haller löst dieses Problem auf bewährte
Weise, indem er auf die Vernunftkritik aus dem ersten Abschnitt des Haupt-
teils zurückgreift und sie, nun auch ganz explizit, an die frühaufklärerische
Vorurteilstheorie koppelt. Die dort entwickelte Lehre, dass selbst der schärfs-
te Verstand von Affekten, »Neigung« und Wunschdenken beeinflusst bleibt,
hatte auch 1732, im Übergang zur Hochaufklärung, noch nicht an Aktualität
verloren. In dieser Hinsicht tritt der innere Zusammenhang der verschiedenen
Teile von Hallers Lehrgedicht hier deutlich hervor – Vernunft- und Unglau-
benskritik laufen aufeinander zu:

Beglükt! wann Wahrheit sich an sichern Zeichen kennte


Wann nicht das Vorurtheil die schärffsten Augen blendte /
Und im verwirrten Streit von Noht und Ungefähr /

Tugenden (so der Titel des bekannten Gedichts, in: Versuch schweizerischer Gedichten,
S. 63–81) auch wahre Tugenden annimmt, von denen aus sich die »Falschheit« erst beur-
teilen lässt. Dem konsequenten moralischen Nihilismus im vorliegenden Gedicht ist diese
Perspektive fremd:
Hier sind die Tugenden / die wir am höchsten preisen
Nur Namen ohne Krafft / und Grillen blöder Weisen /
Die Ehrsucht hat erzeugt / Verstellung prächtig macht /
Der leichte Pöbel ehrt / und wer sie kennt / verlacht.
Bey ihnen zeugt die Forcht der Frömmkeit edle Triebe /
Der Menschheit Feder ist nichts als die Eigenliebe. (V. 247–250)
344
V. 244–246: »Die Seel heißt eine Uhr vor gleich lang aufgezogen | Als ihr ver-
einter Leib / die / wann er würkt / versteht / | Denkt / weil er sich bewegt / und wann
er stirbt / vergeht.« – Zum Uhrenmotiv in der Lehrdichtung der Aufklärung vgl. Siegrist
1974, S. 105 f. Das Bild von der Uhr hatte bekanntlich (nach Geulincx) Leibniz zur Veran-
schaulichung seiner Auffassung vom commercium mentis et corporis verwendet. – Vgl. zu
dieser Stelle des Gedichts auch Kemper 1991, Bd. 2, S. 145.
345
Genau diesem Dilemma verdanken sich Rehabilitationsversuche wie Georg
Friedrich Meiers Rettung der Ehre der Vernunft wider die Freygeister (1747). Vgl. meine
Einleitung zum Nachdruck (Spiekermann 2012d).
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634 Übergänge zur Hochaufklärung

Vernunfft die Richterin von Wahn und Zweiffel wär.


O blinde Richterin! wen soll dein Spruch vergnügen?
Die offt sich selbst betriegt / und öffters läßt betriegen.
Wie leicht verfehlst du doch / wenn Neigung dich besticht?
Man glaubet / was man wünscht / das Herz legt das Gewicht
Den leichtern Gründen bey; Es fälscht der Sinnen Klarheit /
Und Lüge die gefällt / ist schöner als die Wahrheit. (V. 255–264)

Erscheint diese Passage gegenüber dem vorangegangenen Katalog schon durch


Ausrufe, Fragen, variable Satzlänge und mehrfachen Subjektwechsel sichtlich
aufgelockert, so findet Haller in den nun folgenden Charakterschilderungen
vollends zum anschaulich-didaktischen Modus zurück. Mithilfe dieses Kunst-
griffs werden die zuvor abstrakt erörterten Wirkungen der Vorurteile und Af-
fekte nun exemplarisch vorgeführt. Umfang und Anordnung der Beispiele fol-
gen dem rhetorischen Gesetz der wachsenden Glieder. Daraus ergibt sich auch
eine formale Konsequenz: Während der »Weichling« über acht Verse hinweg
(V. 265–272) in der Form eines Moralischen Charakters vorgestellt wird,346
erkennbar am sprechenden Namen (»Aristipp«) und dem Fehlen einer zeit-
lich narrativen Abfolge, weitet sich die fast dreimal so lange Darstellung des
gelehrten Skeptikers (V. 272–293), der ohne Namen als »Weiser« eingeführt
wird,347 zu einer kurzen Moralischen Erzählung, einer weiteren Erfolgsgattung
der Jahre zwischen 1730 und 1760.348 Dazu gleich noch mehr. Die Passage über
den »Weichling« ist überschaubar genug, um sie zunächst in Gänze abzudru-
cken:

Ein weicher Aristipp / der auf die Wollust geizt /


Und täglich seinen Leib zu neuen Lüsten reizt /
Der keine Pflichten kennt / und lebt allein zum schlemmen /
Läßt seine Lüste nicht durch Gottes Schrek-Bild hemmen /
Er läugnet / was er förcht / sperrt GOtt in Himmel hin /
Und läßt wenn GOtt noch ist / doch GOtt nicht über ihn /
Nicht weil zum Zweifel ihn Vernunfft und Ursach leiten /
Nur weil GOtt / wann er herrscht / ihm Straffen muß bereiten.
(V. 265–272)

Das Profil ist mehr als hinreichend bekannt, die lasterpsychologische Her-
leitung des Unglaubens entspricht der von Bucer und Calvin vorgebrachten

346
Ausführlicher dazu weiter oben, Kap. VI.2.5.
347
Der »Weise« bildet in der Lehrdichtung der Aufklärung fast durchgehend ein
positives Ideal; vgl. exemplarisch die Darlegungen zu Hagedorn bei Martus 1999, S. 207–
211. Haller zeigt dagegen das mögliche Umschlagen der Weisheit in radikalen Skeptzis-
mus (s. u.). Darin nicht zuletzt liegt die aufklärungskritische Dimension des Gedichts, die
schon wiederholt betont wurde (vgl. z. B. Kemper 1991, Bd. 2, S. 143–147).
348
Zum Genus der Moralischen Erzählung in Versen, das vor allem durch Hagedorn
populär wurde, vgl. Martus 1999, S. 36–39. Beispiele für den Unglaubensdiskurs, z. B. aus
dem Gellert-Umkreis, bei Spiekermann 2015.
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Albrecht von Haller 635

Deutung des 14. Psalms ( I.1.4), wie sie Haller auch in der zeitgleich ent-
standenen Versepistel Die Tugend eingesetzt hatte (s. o.). Das »Schrek-Bild«
einer göttlichen Strafgerechtigkeit wird zugunsten der »Lüste« verworfen.
Dazu bedarf es keines »non est Deus« wie im Fall des biblischen insipiens,
es genügt die von Epikur wie vom konsequenten Deismus propagierte Idee
eines Deus remotus, der sich nach dem Schöpfungsakt in die Intermundien
zurückzieht und die res humanas den Naturgesetzen überlässt. Diese ide-
engeschichtlichen Bezüge bleiben bei Haller ausgespart, sie klingen an im
Namen Aristipp, der im topisch strukturierten Erinnerungsnetz der zeit-
genössischen historia literaria die Stelle eines intellektuell (vor allem kos-
mologisch) anspruchslosen Epikureismus einnimmt.349 Nicht Nachdenken
bringt, wie Haller süffisant hinzufügt, diese Haltung hervor, sondern bloße
Bequemlichkeit und Angst vor ewigen Strafen. Die zuvor so eingehend kri-
tisierte Vernunft ist hier (V. 264) also gar nicht haftbar zu machen, sie kommt
überhaupt nicht zum Einsatz. Insofern zeigt sich beim »Weichling« eine ei-
genartige Parallele zum Aberglauben.

4.5 Vom Zweifel zur Verzweiflung


Ein apologetisches Erzählmodell in den Gedanken

Das gegensätzliche Syndrom der nimia ratio, der maßlos gewordenen Ver-
nunft, gestaltet Haller im anschließenden Charakterbild, eigentlich einer
kleinen Moralischen Erzählung, die den Entwicklungsgang eines typenhaft
entworfenen Skeptikers nachzeichnet. Der Weg reicht vom legitimen Zweifel
und Vernunftgebrauch angesichts veritabler Missstände in Kirche oder Wis-
senschaft über die (aus Hallers Sicht) unvermeidlichen Fehlschlüsse in theo-
logischen Dingen bis zum schrankenlosen Skeptizismus, gipfelnd in Zweifeln
an der eigenen Existenz, die auch jedes andere Urteil unmöglich werden las-
sen. Hier zeigt Haller überraschend eine Milde und Differenziertheit, die in
der apologetischen Literatur dieser Zeit noch ihresgleichen sucht, wenn man
von Brockes einmal absieht. Soweit er selbst von der Gefahr des übermäßigen
Vernunftgebrauchs betroffen war, mag er auch eigene Erfahrungen zugrunde
gelegt haben.

349
In ähnlicher Weise lässt Haller Aristipp noch einmal in Die Falschheit mensch-
licher Tugenden als Sprachrohr derjenigen Menschen auftreten, die sich über die Strenge
und Unnatürlichkeit der Tugend beklagen: »[…] Und wer die Tugend haßt / der kennt die
Tugend nicht. | Laßt einen Aristipp auf ihre Strengheit lästern / | Die Tugend und Natur
sind allzuächte Schwestern […].« Versuch Schweizerischer Gedichten, S. 80. – Eine ein-
schlägige zeitgenössische Darstellung des Aristipp findet sich etwa bei Gottlieb Stolle,
Historie der heydnischen Morale ( Jena 1714), S. 55–61. Stolle referiert zunächst die über-
raschend negativen Urteile antiker Autoren, bevor er selbst zu einem differenzierteren
Urteil ansetzt (S. 60): »Ich muß aber auch durch einige seiner Denck-Sprüche zeigen / daß
von dem Aristippus / der weder gar wohl gelebt noch gelehrt haben soll / dennoch einige
Spuhren der Weißheit verhanden [!] seyn.«
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636 Übergänge zur Hochaufklärung

Zugleich aber erlaubt die gegenüber dem Moralischen Charakter länge-


re, überdies narrativ strukturierte Moralische Erzählung einen Zuwachs an
psychologischer Plausibilität, indem sie eine Figur graduell, über mehrere
Schritte hinweg, in ihrer Entwicklung vorführen kann. Das bot den Zeit-
genossen, wie schon das Beispiel des Second Spira zeigte ( III.2.3), ganz
andere Möglichkeiten, den schwer erklärbaren Übergang vom Glauben zum
Unglauben darzustellen, als es die durchweg flachen Charaktere der älte-
ren Exempelliteratur oder die umfangreichen Kataloge der causae atheismi,
etwa bei Mersenne ( I.4.2), vermocht hatten. So trat die Gefahr des Skepti-
zismus auch für den zunächst unschuldig Denkenden deutlicher hervor als
durch die polemische Überzeichnung als monstrum hominis. Im Bereich der
Predigt war der Fortschritt vom Laster (in diesem Fall etwa curiositas) über
die Anfechtung bis zur vollendeten Gottlosigkeit in ähnlicher Weise vorge-
bahnt.350 In Hallers Beispielerzählung liegt die Abschüssigkeit dieser Bahn
gerade darin, dass an ihrem Anfang berechtigte Zweifel an kirchlichen Miss-
ständen und ehrliches (»aus wahren Gründen«) Erkenntnisinteresse stehen:

Ein Weiser der vielleicht mit rühmlichen Verdruß /


Des Glaubens Schwächen sieht und bessers suchen muß /
Haßt alles Vorurtheil und sucht aus wahren Gründen
Beym Licht von der Vernunfft sich in sich selbst zu finden;
Im Anfang führet ihn sein forschender Verstand /
Nah zu der Wesen Grund und weit vom Menschen-Tand […]
(V. 273–278)

Innerhalb der Exempelerzählung werden so zum wiederholten Mal die Gren-


zen des legitimen Vernunftgebrauchs abgesteckt. Darin liegt womöglich das
eigentliche Hauptthema des umfangreichen Lehrgedichts. Hier werden die
Grenzen nicht mehr wie vorher qualitativ, sondern quantitativ bestimmt.
Hatte Haller eben noch dem Menschen das Potenzial zur Selbsterkenntnis
abgesprochen, scheint das »Licht von der Vernunfft« (V. 276) im Fall des
›Weisen‹ zunächst (»Im Anfang«) noch Ergebnisse zutage zu fördern. Die ei-
gentliche Grenze verläuft an derselben Stelle wie zuvor, nämlich da, wo sich
der Denkende Fragen zuwendet, die nicht anders als aus der Offenbarung
beantwortet werden können – »Biß wann er izt entfernt von irrdischen Be-
griffen / | Im weiten Ocean der Gottheit wagt zu schiffen« (V. 279 f.). Von da
an produziert die ohne »Leitstern« (V. 281) operierende Vernunft nur noch
Irrtümer.
Die verbleibenden zwölf Verse der kleinen Binnenerzählung zeichnen
diese Entwicklung, gestützt durch Variationen der traditionellen Lichtme-
taphorik (»im trüben Tag«, »Irrwisch«, »der Gottheit helles Licht«),351 als

350
Vgl. die Hinweise dazu im Spener-Kapitel (II.4), Anm. 82 f.
351
Hinweise zur Lichtmetaphorik weiter oben im Brockes-Kapitel, Anm. 280; spe-
ziell zu Haller vgl. Siegrist 1974, S. 100–102.
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Albrecht von Haller 637

zunehmenden Orientierungsverlust, der über das Misstrauen gegenüber


sinnlichen Wahrnehmungen (»die Sinnen nur Betrüger«, V. 287)352 und der
Ablehnung konventioneller Sichtweisen bis zum universellen Zweifel führt.
In diesem Stadium ist dann auch die Selbsterkenntnis hinfällig (»Er kennt
sich selbst nicht mehr« [V. 286]). Gefangen im »Schlamm des Zweifels«
(V. 285), wird dem Betroffenen sogar die eigene Existenz ungewiss. Für Got-
tesglauben bleibt da aus Sicht des Verfassers wenig Raum: »Wer zweifelt / ob
er ist / kan keinen Schöpfer glauben.« (V. 392)
Mit einer hier zu übergehenden Suada über die unausweichliche Neigung
der Welt zu Irrtum (»Wir irren alle gleich« [V. 296]), »Tummheit« (V. 302) und
»Betrug« (V. 306) ist der Weg zum finalen Lösungsangebot, der intellektuellen
Selbstbescheidung, geebnet. Der Sprecher Haller leitet ihn ein mit der Emp-
fehlung zur lebenslangen Meditation über die genannten Geheimnisse des
Glaubens – Unsterblichkeit, Schöpfung, Ewigkeit. Der wichtige Zusatz, dass
nur so für den Sterblichen Ruhe zu erlangen sei, ist uns seit Pascal und Secken-
dorff ( IV.3.3) als steter Begleiter der Atheismusdebatte geläufig: »Vor mich
ist diß der Schluß / wer ruhig leben will / | Bedenkt sich biß an Tod / hört an /
und schweiget still.« (V. 313 f.)353 Damit soll, wohlgemerkt, nicht der Vernunft-
gebrauch überhaupt diskreditiert werden, sondern lediglich ihr maßloser oder
disziplinär unzulässiger Einsatz. Für legitim erklärt Haller dagegen im nun
folgenden Abschnitt (V. 325–356) die Verbindung von empirischer Naturfor-
schung und methodisch abgesichertem common sense, die hier in unverkenn-
barer Anlehnung an die zeitgenössische Physikotheologie eingeführt wird.354

352
Dieser Seitenhieb dürfte dem Cartesianismus gelten.
353
Es bedarf keiner Erwähnung, dass die Empfehlung, sich »still« zu verhalten, um
»ruhig« leben zu können, hier nicht im Sinne eines Verbergens heimlicher Zweifel vor der
Öffentlichkeit zu verstehen ist. Das geht aus dem Kontext eindeutig hervor. Aufgrund der
verbreiteten Neigung, Vertreter der Aufklärung auf Biegen und Brechen der Heterodoxie
oder gar des Unglaubens zu überführen, sollte der Hinweis hier besser nicht unterbleiben.
Damit ist keineswegs ausgeschlossen, dass Haller selbst gelegentlich von Zweifeln befallen
war. Dieses Los teilt er mit herausragenden Figuren der Kirchengeschichte wie Luther
oder Augustinus.
354
Hier nur zwei Beispiele. Zunächst der Anfang der Passage: »Genug es ist ein
GOtt; es ruft es die Natur / | Der ganze Bau der Welt zeigt seiner Hände Spur.« (V. 325 f.) –
Ferner, aus der Mitte des Abschnitts: »Nichts fehlt / nichts ist zu viel / nichts ruht / nichts
laufft zu schnelle; | Ja in dem Saamen schon / eh’ er das Leben haucht / | Sind Gänge schon
gehölt / die erst das Thier gebraucht.« (V. 344–346) – In der anaphorischen, syntaktisch
kleinteiligen, rhythmisch dynamischen Gestaltung von Vers 344 (»Nichts fehlt …«),
scheint der sonst eher zu scharfkantigen Akzenten und ruhigeren Rhythmen neigende
Haller dem Hamburger Dichterkollegen Brockes, den er auf einer Reise nach Hamburg
persönlich getroffen hatte, eine kleine Reverenz erwiesen zu haben. – Zur wenig beach-
teten physikotheologischen Dimension in Hallers Werk vgl. bereits Philipp 1957, S. 105;
stichwortartig Guthke 1968, S. 180 f.; Guthke 1978, S. 15 f.; Vollhardt 2001, S. 277; Acher-
mann 2008, S. 143; Rémi 2008, S. 209 f.; Kaufmann 2009, S. 321 f., 367; ausführlicher und
bisher maßgeblich: Kemper 1981, S. 361–381, bes. S. 361–365 u. 370 f., der sich dabei aller-
dings mehr auf den Nachweis hermetischer Denkfiguren konzentriert.
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638 Übergänge zur Hochaufklärung

Als ratio moderata,355 getreu der Ideologie des Mittelwegs, bleibt sie nicht
nur diesseits des gefürchteten Skeptizismus, sie bildet zudem einen effekti-
ven Schutzwall gegen die zweite große Bedrohung der wahren Religion – den
Aberglauben: »Diß alles glauben wir / und mehr ist Uberfluß. / | Nichts wis-
sen macht uns tumm / viel Forschen nur Verdruß.« (V. 357 f.)
Damit schließt sich der Kreis zu den früheren Abschnitten des Hauptteils.
In einer finalen Apostrophe an den Adressaten Stähelin bringt Haller den
formalen Rahmen der Versepistel zum Abschluss. So endet das ehrgeizige
Gedicht des gerade 20-Jährigen, nachdem es kühn die ganz großen Themen
angeschlagen hat, mit einem vergleichsweise bescheidenen Appell. Der Jüng-
ling, der bald darauf zum mutmaßlich größten deutschen Naturforscher des
Jahrhunderts aufsteigen sollte, erteilt dem stets suchenden menschlichen
»Wiz« eine Absage. Von dort, so lässt sich mit der antiken Philosophie fest-
halten, sei keine Zufriedenheit und keine »Seelen-Ruh« zu erwarten. Auf-
grund der zuvor erörterten Risiken wird auch die theologische Spekulation
zugunsten eines stoisch gedämpften Eudämonismus verabschiedet.356 »Zu-
friedenheit« und »Seelen-Ruh« bilden die Früchte eines gut temperierten
Wechsels von beruflicher Leistung, Geselligkeit und Naturgenuss.357 Fast
glaubt man sich in einem Text von Hagedorn,358 wäre da nicht der erneu-
te Hinweis auf die Nichtigkeit menschlicher Denkanstrengungen, dessen
christliche Motivation nach der vorangegangenen Lektüre keinem Zweifel
unterliegen kann.

Der Weg von der Vernunfft ist nur die Mittelstraß.


Wer will / o Stähelin! ist Meister des Geschikes /
Zufriedenheit war stäts die Mutter wahren Glükes;
Wir haben längst das Nichts von Menschen Wiz erkennt /
Das Herz von Eitelkeit / den Sinn von Tand getrennt /
[…]
Uns ist die Seelen-Ruh und ein gesundes Blut /
Was Zeno nur gesucht / das höchst und wahre Gut.
Uns soll die Wissenschaft zum Zeit-Vertreibe dienen /
Vor uns die Gärten blühn / vor uns die Wiesen grünen.
Uns dienet bald ein Buch / und bald ein kühler Wald /
Bald ein erwählter Freund / bald wir zum Unterhalt. (V. 362–375)

355
Vgl. Pott 1992, S. 182–191.
356
Vgl. auch Kemper 1991, Bd. 2, S. 147.
357
Haller liegt damit ganz auf der Linie des im aufklärerischen Lehrgedicht propa-
gierten Wertekanons. Vgl. Siegrist 1974, S. 200–210, bes. S. 205–208 (zur Mäßigung).
358
Vgl. das Kapitel Freunde in der Einsamkeit in der Hagedorn-Monografie von
Martus 1999, S. 211–222.
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Vom Atheisten zum Freigeist 639

5. Vom Atheisten zum Freigeist


Begriffswandel und Problemkontinuität im 18. Jahrhundert

5.1 Wiedertäufer, Libertiner, Antinomer


Der Freigeist am linken Flügel der Reformation

Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, wann und vor allem warum die
Bezeichnung Atheist (oder Atheismus) ihre Funktion als Leitbegriff im Un-
glaubensdiskurs verlor, die sie das 17. und frühe 18. Jahrhundert hindurch
eingenommen hatte. Ähnlich wie in den Jahrzehnten vor und nach 1600, als
der Atheismusbegriff ältere Sammelbegriffe wie impius oder Epicureus ablöste
( II.1; IV.1.2), wurde dieser Vorgang in vielen Schriften nicht groß reflektiert,
sondern schlicht vollzogen. Wie auch bei jener früheren Begriffsverschiebung
lag der neue Leitbegriff – »Freigeist« oder »Freigeisterei« – bereits vor, wurde
aber nur selten und zudem in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Bis
etwa 1700 stand der Ausdruck ›Freigeist‹ oder auch ›freier Geist‹ im deutschen
Sprachraum weit überwiegend gerade nicht für Vertreter und Anhänger welt-
licher Heterodoxien, sondern geradezu umgekehrt für religiöse Dissidenten,
insbesondere da, wo sie sich durch Bildung von Konventikeln oder eine völlige
Individualisierung der Frömmigkeit von der Kirche und damit auch vom lan-
desherrlichen Kirchenregiment loszusagen drohten.359
Nicht zufällig liegen die neuzeitlichen Ursprünge des Begriffs in der frü-
hen Reformationszeit, in Luthers Auseinandersetzung mit radikalreforma-
torischen Gruppierungen, die er auch als ›Schwärmer‹ oder ›Rottengeister‹
bezeichnete.360 Hierher gehört auch seine Polemik gegen die Antinomer, von
der weiter oben schon die Rede war ( I.1.3 u. I.1.5). Die Formel vom ›freien
Geist‹ muss hier zunächst auf Luthers strenge Fassung des Gesetzesbegriff be-
zogen werden. Sie erlaubt aber auch eine politische Interpretation im Sinne der
expliziten Weigerung, sich der geltenden kirchlichen und weltlichen Ordnung
zu unterwerfen. Inhaltlich und funktional zielt Calvins Verwendung des Aus-
drucks ›Libertins‹ oder ›Libertiner‹ in eine ganz ähnliche Richtung.361 Immer
geht es dabei, neben handfesten Rivalitäten um Führungs- und Geltungsan-
sprüche, um das theologisch wie politisch brisante Verhältnis von individuel-
ler Gewissensfreiheit und konfessioneller Bekenntnisbindung. In strategischer
Hinsicht ist zudem die Gefahr der Zersplitterung der reformatorischen Bewe-
gung in unzählige kleine und kleinste Gruppierungen impliziert, aber auch die

359
Vgl. Jakob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854–1961,
Bd. 4, Sp. 109 bis 110.
360
Luthers Kampf gegen die »Schwärmer« (die Forschung hat hier den Ausdruck
von Luther selbst übernommen) ist schon vielfach untersucht worden; vgl. die Hinweise
bei Leppin 2006, S. 209 f., sowie den Artikel Luther und seine protestantischen Gegner im
Luther-Handbuch (Peters 2017), bes. S. 151 f. u. 163 f. (Lit.).
361
Vgl. dazu die in Kap. I.1.3, Anm. 71., gegebenen Hinweise.
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640 Übergänge zur Hochaufklärung

Abwehr des naheliegenden Vorwurfs, die Reformation untergrabe die kaiser-


liche und landesherrliche Autorität. Kurz gesagt, immer geht es darum, die re-
formatorische Bewegung, im Interesse ihrer Durchsetzung, von ihren eigenen
radikalen Konsequenzen mehr nach innen als nach außen abzugrenzen.
Wohl deswegen spielt der Freigeistbegriff in der Atheismusdebatte des
17. Jahrhunderts fast keine Rolle. Konsequent bleibt er dort die längste Zeit
über getrennt von dem französischen Ausdruck Esprit fort, der schon 1639 bei
Voetius als Synonym und Selbstbezeichnung für den Deismus erscheint.362 Im
Deutschen wurde er bis weit ins 18. Jahrhundert hinein mit »starker Geist«
wiedergegeben, dann allerdings zunehmend synonym für ›Freigeist‹ oder
›Freidenker‹ verwendet.363 Ähnlich verhält es sich mit der Bezeichnung Liber-
tin, die nach einer analogen Vorgeschichte im 16. Jahrhundert schon früh den
Bedeutungswandel vollzog, der dem ›Freigeist‹ noch bevorstand. Durch das
17. Jahrhundert hindurch wurde Libertinismus überwiegend nicht mehr als
religiöse Heterodoxie verstanden,364 sondern – gemäß Calvins Vorwurf der
geistlich-weltlichen Insubordination – als Indifferenz,365 wenn nicht gar Res-
pektlosigkeit in religiösen Fragen, zudem mit einer Tendenz zu amoralischem
Verhalten, vergleichbar wohl am ehesten mit dem katholischen Kampfbegriff
des Politicus.366 Ab 1700 ist die geistlich-heterodoxe Bedeutungsdimension nur

362
Voetius, De Atheismo, S. 117: »Iidem Deistae vocant se Esprits forts: qui scil.
iam confirmati sint ad nihil amplius credendum; seu qui ad perfectionem nihil credendi
jam pervenerunt.« – Bei Sebastian Niemann wird daraus dann sogar direkter Atheismus:
Niemann, Atheus refutatus, Hannover 1668, S. 6: »Et hi Atheismum directum foverunt.
Quibus non immerito accensendi sunt illi, qui peculiari nomine se vocant De grues […].
Vocantur itidem Esprits forts, quod scilicet confirmati sint ad nihil amplius credendum,
sive quod ad perfectionem nihil credendi jam pervenerint.«
363
So etwa schon in Matthias Michael Kümmelmanns Schrift Kräftige Irrthümer
Derer Freigeister, Epicurer, Heuchler, wie auch einiger schwacher Gemüther, unserer Zeit
[…], Jena 1748, S. 27: »Wer aller Religion spottet, den nennt man ein Esprit fort, wer aber
GOtt und sein Wort fürchtet und ehret, der muß ein Narre sein.« – Ausdrücklich und
ausführlich in Gottfried Schützes Abhandlung von den Freydenckern oder so genanten
starcken Geistern, Esprits forts, unter den alten Deutschen und Nordischen Völckern, Leip-
zig 1748.
364
Voetius zieht die ›Libertini‹ bereits 1639 deutlich auf die Seite der säkularen He-
terodoxie, wenn er sie dem Lemma des praktischen Atheismus zuordnet. Vielsagend ist
auch das umgebende Begriffsfeld, das unter anderem Epikurer und »Profani« umfasst (De
Atheismo, S. 118): »Practicus est I. cum quis ipsa professione, religionis ac pietatis curam &
exercitia etiam externa, tanquam inutilia abnegat, aut negligit. Quales specialiter Deistae,
Epicurei, Lucianici, Libertini, Profani dici possunt.«
365
So etwa schon in Hieronymus Kromayers Loci antisyncretistici von 1669. Dort ist
ein ganzes Kapitel dem Thema De libertinismo credendi gewidmet.
366
Eine geradezu synonyme Verwendung begegnet etwa 1668 in Niemanns Atheus
refutatus (S. 3): »Porro Atheismus synecdochice dicitur Cyclopismus […]. Qua assumpta
acceptione etiam a nonnullis Politici & signate Machiavellistae accensentur Atheis, ita ut
ipsis synonyma sint Libertini (quos alii Liberos appellant) Athei, Politici & Machiavellis-
tae.«
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Vom Atheisten zum Freigeist 641

noch vereinzelt anzutreffen.367 In Lambertus Gedickes Primae veritates reli-


gionis Christianae (1717) wird der Ausdruck Libertinismus schon gleichbe-
deutend mit Indifferentismus verwendet.368 Hier ist seine Abtrennung von der
geistlichen Heterodoxie (bezeichnet als Enthusiasmus und Separatismus), aber
auch vom konsequenten Atheismus, vollständig durchgeführt.369 Nicht zufäl-
lig ist von nun auch immer häufiger die synonyme Verwendung von ›Libertin‹
und ›Freigeist‹ anzutreffen.370

5.2 Pietisten, Quäker, Sektierer


Der Freigeist als religiöser Dissident

Der gleiche Wechsel von der geistlichen zur weltlichen Bedeutungsebene lässt
sich ab etwa 1700 auch am Freigeistbegriff beobachten. In den Jahrzehnten vor
und nach 1700 stehen auch hier beide Bedeutungsdimensionen noch nebenei-
nander, der Gebrauch unterliegt regionalen und individuellen Schwankungen.
Der Übergang wurde wohl auch dadurch verzögert, dass lokale Auseinander-
setzungen mit dem Pietismus kurz vor und nach 1700 eine neue Konjunktur
des Freigeistbegriffs in der Bedeutung der Reformationszeit mit sich brach-
te. »Frey-Geist« bleibt hier zunächst gleichbedeutend mit »Schwarm-Geist«
(oder »Schwärm-Geist«). Dass bei der Abwehr des Pietismus durch die jewei-

367
Sie bleibt noch erhalten in obrigkeitlichen Edikten gegen spiritualistische und
pietistische Strömungen. Dort ist noch die alte Bedeutung im Sinne von (übertriebener)
Gewissensfreiheit anzutreffen. – Ganz ähnlich auch im Bereich der Kompilationslitera-
tur, wo zum Teil noch ältere Quellen verarbeitet werden. In der Nachricht von denen
Prediger-Mördern / Raubern und Spitzbuben / Welche […] Ihren allerseits Beicht-Vater
und 22. jährigen Prediger […] jämmerlich ermordet (o. O. 1715), die neben dem eigent-
lich im Zentrum stehenden Mordfall auch vergleichbare Beispiele aus den reichhaltigen
Sammlungen von Fallgeschichten (z. B. Harsdörffers Mord- und Schauergeschichten) he-
ranzieht, taucht der Begriff Libertiner – vermutlich aus einer älteren Quelle – noch in der
ursprünglichen Bedeutung auf (S. 120): »So haben wir demnach in unserm Aufzuge / und
Beschreibung der Ursachen der Verachtung / und Anfeindung / ja auch Verfolgung / des
Predigt-Amts / die Schwärmer / Enthusiasten / und Libertiner / vorangestellet / als wel-
che auch / dem Atheismo, oder der Atheisterey / die Bahn machen.«
368
Lambertus Gedicke, Primae lineae veritatis religionis, Berlin 1717, S. 571: »Noch
ferner ist ein Abweg von der Christlichen Religion / der Libertinismus oder Indifferentis-
mus, wann die Menschen alle Religionen gleich halten / und sich kein Gewissen machen /
von einer zur andern zu gehen / nachdem ihr zeitliches interesse es zu erfordern scheinet
[…].« – Die Analogie zum älteren Politicus-Begriff ist offensichtlich.
369
Ersichtlich schon am Titel des entsprechenden Kapitels (Kap. XXX): »Von denen
vornehmsten Abwegen / die einen von der Christlichen Religion abführen, als dem Na-
turalismo, Enthusiasmo, Libertinismo und Separatismo.« – Der »Atheisterey« und ihren
Ursachen ist ein eigenes Kapitel (Kap. XXXI) gewidmet.
370
Besonders prägnant schon dem Titel nach in Georg Friedrich Stieber, Die Ge-
creuzigte Vernunfft, Zum Zeugniß wider die Ungläubigen, bey deme überhand nehmen-
den Libertinismo und Freygeisterey, zum Trost aber und Unterricht der Frommen, Ros-
tock 1722.
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642 Übergänge zur Hochaufklärung

ligen Orthodoxien oder, wo der Schulterschluss mit den Konsistorien stabil


blieb, durch die regionalen Obrigkeiten die gleichen Vorwürfe und Angstsze-
narien zum Einsatz kamen, welche die frühen Vertreter des Pietismus ihrer-
seits gegen den Atheismus mobilisiert hatten, gehört zu den interessantesten
Nebenerscheinungen des Unglaubensdiskurses und bedürfte weiterer Unter-
suchung. Wie der Atheismusbegriff selbst wurden auch die polemischen Vo-
kabeln »Schwarm-Geister«, »Fanatici« oder eben »Frey-Geister« mit geringer
Trennschärfe, dafür aber mit einem breiten Assoziationsspektrum verwendet.
Das Feindbild des pietistischen Sektiers verschwamm dabei mit allen denkba-
ren Facetten des radikalen Spiritualismus seit der Reformationszeit. Ein paar
Beispiele können das leicht verdeutlichen.
In einem fürstlichen Edikt, das Landgraf Karl von Hessen-Kassel im Jahr
1702 erließ, werden die »neuen Freygeister« bewusst in eine Reihe mit Hus-
siten, Wiedertäufern oder Quäkern gestellt.371 Wenige Jahre später zog Karl-
Wilhelm von Anhalt mit einem Edikt nach, das sich »Wider die heutige Fana-
ticos, Separatisten / neue Freygeister / und boßhafftige Verführer« richtete.372
Schon früh drangen die Abwehrbemühungen auch über die Ebene der Ter-
ritorien und Landeskirchen hinaus: Bereits 1703 hatte der kaiserliche Fiskal
Franz Erasmus von Emmerich beim Reichskammergericht eine Klage »Wider
die Quacker-Pietistische Schwärmer und Frey-Geister« eingereicht, die zeit-
gleich im Druck erschien.373 Unter Berufung auf die Toleranzregelungen des
Westfälischen Friedens erklärte er das Auftreten der pietistischen »Sectirer«
für verfassungswidrig, er verwies überdies auf ihre gefährlichen Lehren »von
der Obrigkeit / und deren Gewalt in Geist- und Weltlichen Sachen«374 und
auf deren mögliche Auswirkungen innerhalb der Bevölkerung. Von der pie-
tistischen Lehre sei nicht nur eine zunehmende »Verachtung der hergebrach-
ten Kirchen-Ordnung« zu erwarten, es stehe vielmehr zu befürchten, »daß

371
Ihrer Hochfürstlichen Durchl[aucht] zu Hessen-Cassel ernstliches EDICT, Wie-
der die heutigen Quacker / neuen Freygeister / und Sectirischen Schwärmer/ Dero Win-
ckelZusammenkünffte / Gottes-lästerliche Aufrührerische Lehre / vorgegebene Offenbah-
rungen / ärgerliches boßhafftiges Leben / und Scheinheiligen Wandel, Kassel 1703.
372
Ihre Hoch-Fürstl. Durchl. Zu Anhalt-Zerbst / Nachdrückliches EDICT, Wider
die heutige Fanaticos, Separatisten / neue Freygeister / und boßhafftige Verführer / Welche
Unter angemasten Schein einer sonderbahren Heiligkeit / mit ihren gefährlichen Meynun-
gen / grundstürzenden Lehr-Posten / und ärgerlichen Wandel / in und ausser Landes / die
Gemeine GOttes verunruhigen, Zerbst 1709.
373
Des Bey Dero Römis. Kayserl. Majestät und des Heil. Röm. Reichs Hochpreißli-
chem Cammergerichte Reichs Fiscalen, Herrn von Emmerichs, übergebene unterthänigste
Klage, Wider die Quacker-Pietistische Schwärmer und Frey-Geister; Deme beyfüget Eine
demüthigste unterthänigste Dancksagung an alle hohe Potentaten, die zur Ehre Gottes
und Erhaltung der reinen Evangelischen Lehre Dero nachdrückliche Edicta wider obige
Schwärm Geister publiciret und ernstlich exequiret haben […] Nebenst einem Bedencken
von der Hochlöbl. Universität Marburg, diese Schwärm-Geister betreffend, Zu Gottes
Ehre aus den wahren Originalien zum Druck befördert, o. O. 1703.
374
Ebd., S. 3.
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Vom Atheisten zum Freigeist 643

alle Christliche Zucht / Obrigkeitliche Gebott / und guter ehrlicher Wandel


gäntzlich würde in Abfall kommen«.375 Die Publikation der Klage samt etli-
cher Beilagen nahm die Form eines kleinen Dossiers an. Beigefügt waren ein
Gutachten der theologischen Fakultät der hessischen Landesuniversität Mar-
burg, diverse Testimonien sowie, zur Illustration wie zur Abschreckung, die
»Copia eines Pietistischen Glaubens-Bekanntnüsses«.376
Zusammenstellungen dieser Art bildeten um diese Zeit keine Seltenheit.
Sie dienten dem Zweck, die Kriminalisierung dissidentischer Gruppen durch
breite Dokumentation zu beglaubigen, nicht zuletzt, indem sie durch Ab-
druck älterer Ordnungen, Mandate und Edikte die behauptete Kontinuität
zwischen Vertretern der radikalen Reformation – insbesondere der Wieder-
täufer – aufzuzeigen suchten. Ein solches »Rüst-Hauß« stellte etwa 1702
der streitbare lutherische Oberprediger Johann Friedrich Corvinus – ein er-
bitterter Gegner Gottfried Arnolds377 – unter dem Titel Anabaptisticum Et
Enthusiasticum Pantheon […] Wider die Alten Quacker, Und Neuen Frey-
Geister bereit.378 Es enthielt neben einigen Edikten und Reichsabschieden
gegen die Wiedertäufer aus der frühen Reformationszeit (Speyer, Augsburg,
Münster etc.)379 eine ganze Reihe von Streitschriften gegen Wiedertäufer und
Quäker. Eine stammt sogar von Johannes Lassenius, den wir weiter oben
( III.2.3; III.3.4) schon als Streiter gegen den Atheismus kennengelernt ha-
ben.380 Ein Jahr später erschien eine ganze Sammlung von Rechtsurkunden
seit den Tagen des Münsteraner Täuferreichs, die schon im Titel eine beein-
druckende Phalanx von religiösen Dissidenten präsentiert, darunter auch Pi-
etisten und »Frey-Geister«.381 Vorgeworfen wird ihnen, wie zeitgleich auch
von Emmerich (s. o.), Insubordination gegenüber der Obrigkeit,382 darüber

375
Ebd., S. 5.
376
Ebd., S. 22–26.
377
Vgl. dazu Baur 1998 u. Büchsel 2011, S. 96–98.
378
Johann Friedrich Corvinus, Anabaptisticum Et Enthusiasticum Pantheon, Und
Geistliches Rüst-Hauß Wider die Alten Quacker, Und Neuen Frey-Geister, o. O. 1702.
379
Ebd., S. 6–18.
380
Johannes Lassenius, Historische und Schrifftmäßige Erörterung […] der Quacker,
in: Ebd., S. 107–167.
381
Der Römischen Käyserlichen Majestät und Des Heil. Röm. Reichs Geist- und
Weltlicher Stände/ Reichs-Abschiede und Constitutiones Desgleichen Königliche/ Chur-
und Fürstliche absonderliche EDICTA Wider die Rebellischen Wieder-Täuffer / neuen
einschleichenden Schwärmer / David Joristen / Weigelianer/ Rosencreutzer / Pansophis-
ten, Boehmisten, Chiliasten, Enthusiasten, Quacker / Labadisten, Offenbahrungs- und
Frey-Geister /Quietisten / Träumer/ Scheinheiligen neuen falschen Propheten und anderer
Sectirischen Schleicher / wie die nahmen haben und sich selbst nennen die stillen vollkom-
men Heiligen oder Pietisten. Anitzo männiglich zur Warnung und Nachricht dargestellet
und zum Druck befördert, o. O. 1703.
382
Ebd., S. 4: »Ferner auch mit denen Wiedertäuffern und Libertinern eine Freyheit
des Gewissens in Kirche- und Weltlichen Ordnungen vorschützen / die Obrigkeitliche
Verordnungen und Deren Gebot verachten und sich daran nicht binden lassen wollen /
und also mit Schrifft- und Mündlicher Ausbreitung solcher Ihrer gefährlichen Irrthümer
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644 Übergänge zur Hochaufklärung

hinaus aber auch eine »[v]iehische« Lebensweise.383 Den Eindruck, dass in der
Feindbildoptik solcher Dokumente die Topik der antiatheistischen Polemik
fast ohne Modifikationen fortgeschrieben wird, bestätigt ein Blick in die zeit-
gleich erscheinenden Streitschriften seitens der (vor allem lutherischen) Or-
thodoxie. Die historische Genealogie der pansophisch-hermetischen »Frey-
Geister« von den hussitischen »Grubenheimern«, einer Sekte im Vorfeld der
böhmischen Unitas fratrum, und den Wiedertäufern über die Libertiner bis
zum barocken Paracelsismus zieht bereits 1690 der Wismarer Pfarrer Daniel
Colberg (1659–1698) in seiner bekannten Streitschrift Das Platonisch-Herme-
tisches [!] Christenthum.384 Hier ist der Vorwurf der ›Freigeisterei‹ noch ganz
auf den radikalreformatorischen Spiritualismus gemünzt.385 1697 dagegen gei-
ßelt der Danziger lutherische Pfarrer und Theologieprofessor Samuel Schel-
wig (1643–1715), ein erklärter Feind Philipp Jakob Speners, in seiner Sectireri-
schen Pietisterey die pietistische Zurückhaltung gegenüber der theologischen
Streitlust des konfessionellen Zeitalters als Indifferentismus und bringt in die-
sem Zusammenhang auch das Schimpfwort ›Freigeister‹ in Anschlag.386 Ganz
ähnlich verwendet den Ausdruck noch 1721 der Hamburger Theologe und
Literarhistoriker Erdmann Neumeister (1671–1756), um nach der politischen
Befriedung schwerer Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Luthe-
ranern wieder Öl ins Feuer zu gießen.387 In dieser Ausrichtung des Freigeist-

Trennung in den Kirchen / auch allerhand Unruhre [!] und Verwirrungen in gemeinen We-
sen anrichten […].«
383
Ebd.
384
Schon der ausführliche Titel ist Programm: Das Platonisch-Hermetisches [!]
Christenthum / Begreiffend Die Historische Erzehlung vom Ursprung und vielerley Sec-
ten der heutigen Fanatischen Theologie, unterm Namen der Paracelsisten / Weigelianer /
Rosencreutzer / Quäcker / Böhmisten / Wiedertäuffer / Bourignisten / Labadisten vnd
Quietisten, Leipzig 21710.
385
Ebd., S. 365: »Die Grubenheimer / werden auch liberi spiritus, oder Frey-Geister
genennet / sind unterschieden von den Libertinern, verweigerten der Obrigkeit die ge-
bührende Pflicht / Schoß / und Gehorsam / hielten Gemeinschafft der Weiber / unterm
Vorwand des geistlichen Ehestandes […].« – Während er hier die »Frey-Geister« von den
Libertinern getrennt wissen will, geht er wenig später zum synonymen Gebrauch über
(S. 366): »Die Freygeister oder Libertiner haben ihren Nahmen von der Freyheit / die sie
ihnen anmaßen / den Ursprung aber / nach Calvini Erzehlung c. 4. contr. Libertinos T. 7.
oper. f. 436. […].«
386
Sectirerische Pietisterey […] Aus Hn. D. Philipp Jacob Speners und seines An-
hangs Schrifften/ Zur Unterricht und Warnung Fürgestellet, Teil 2, o. O. 1697, S .1: »Was
man sonst in der Theologie Libertatem oder vielmehr Licentiam prophetandi nennet / das
wollen wir im Teutschen eine Freygeisterey heissen / welche darinnen bestehet / daß man
einem / so er nur dem Ansehen nach / ein gottfürchtiges Leben führet / im übrigen frey-
stellet zu lehren und demnach auch zu glauben / was er will […].« – »Darauf«, heißt es
wenig später, »legen es die Pietisten an […].« – Vgl. auch Gierl 2008, S. 132.
387
So in seiner Schrift Kurzter Beweis / daß das itizige Vereinigungs-Wesen mit den
so genannten Reformirten oder Calvinisten […] Dem gantzen Catechismo / schnurstracks
zuwiederlaufe, Hamburg 1721. – In den politischen Maßnahmen zum Zweck der Religi-
onsfreiheit konnte er nur konfessionelle Indifferenz und mangelnde Bekenntnistreue er-
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Vom Atheisten zum Freigeist 645

begriffs ist noch der alte Vorwurf gegen die Politici ( I.2.3; II.2.2) zu spüren,
ihr Bekenntnis nach der jeweils aktuellen Interessenlage auszurichten. Nimmt
man die Lehrpunkte hinzu, die in einer Streitschrift wie den Quäcker-Greueln
(1702) den Quäkern unterstellt werden388 – Unzulänglichkeit der natürlichen
Gotteserkenntnis,389 Verachtung der heiligen Schrift,390 »Verwerffung« der
Sakramente (Taufe, Abendmahl)391 und Missachtung des Predigtamts392 –, so
beginnen die Unterschiede zwischen geistlicher und weltlicher Heterodoxie,
zwischen Atheismus indirectus und ›freigeistigem‹ Schwärmertum vollends zu
verblassen.

5.3 Von der religiösen zur weltlichen Heterodoxie


Der Freidenker

Die Durchsetzung des Terminus ›Freigeist‹ als unspezifischen Sammelbegriffs


für weltliche Heterodoxien erfolgte parallel dazu und alles andere als konti-
nuierlich. Anhand der Belege seit dem Ende des 17. Jahrhunderts lässt sich
die Entwicklung vorerst nur annähernd rekonstruieren. Zwei entscheidende
Voraussetzungen wurden im Laufe der Darstellung verschiedentlich genannt:
Zum einen dürfte die zunehmende Kritik an dem unpräzisen Atheismusbe-
griff der Apologetik und seiner noch unpräziseren Verwendung ( IV.5; V.1),
nicht zuletzt an der nachgerade inquisitorischen Überführungspraxis durch
»Consequentien-Macherey« ( V.2.1; V.4.3), allmählich zu einem vorsichtige-
ren Gebrauch der Bezeichnungen ›Atheist‹ und ›Atheismus‹ geführt haben.
Damit war aber die bewährte »Verdächtigungshermeneutik« (W. Schröder)
nicht einfach verschwunden, sie suchte sich vielmehr eine neue Leitvokabel,
die, wie zuvor der Terminus ›Atheismus‹, alle Spielarten weltlicher Heterodo-
xie umfasste. Diese Funktion übernahm, zunächst noch vereinzelt, spätestens
ab 1740 auf breiter Front der ›Freigeist‹.
Diese Entwicklung wurde – zum anderen – dadurch begünstigt, dass sich
die apologetische Literaturproduktion wie überhaupt die öffentliche Kommu-
nikation ab etwa 1680 allmählich von der lateinischen auf die deutsche Sprache

blicken. In Hamburg, so Neumeister, gebe es Leute, »welche / wenn sie dürften, Luthern
zur Stadt hinaus jagen / und den Papst einnehmen würden. Der Orthodoxie würden sie
mit der Schand-Glocke nachläuten / und der Freygeisterey ein warmes Nest machen. Sa-
get man doch ungescheuet: Wenn hier eine Freyheit vor alle Religionen wäre / so würde
die Stadt erst empor kommen / und das commercium floriren«. – Hier zitiert nach Kem-
per 1999, S. 267. Zu den Hintergründen vgl. ausführlich Fischer 1989.
388
Quäcker-Greuel / Das ist: Abscheuliche / auffrürerische / verdammliche Irthum
[!] Der neuen Schwermer / Welche genennet werden Quäcker […], Hamburg 1702 (mit
eigener Paginierung abgedruckt in Corvinus, Anabaptisticum Et Enthusiasticum).
389
Ebd., S. 17–22.
390
Ebd., S. 28–40.
391
Ebd., S. 50–60.
392
Ebd., S. 60–66.
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646 Übergänge zur Hochaufklärung

umzustellen begann. Die lateinische Bezeichnung ›liberi spiritus‹ oder ›spiri-


tus fortes‹ (für das französische esprits forts) wird man nur höchst vereinzelt
finden.393 Es kann deswegen auch nicht verwundern, dass die Verwendung des
Freigeistbegriffs im neuen, säkularen Verständnis schon früh da zu finden ist,
wo die deutschsprachige Apologetik ihren ersten großen Erfolg erlebte – bei
Veit Ludwig von Seckendorff ( IV.3). Schon 1685 hatte er in seinem Christen-
Stat den ›Freigeist‹ unter die weltlichen Heterodoxien aufgenommen. Nicht
anders als der ›Atheismus‹ in der Frühzeit seiner neuzeitlichen Begriffsge-
schichte, etwa bei Mornay ( I.2.2), begegnet der Terminus bei Seckendorff
zunächst im Rahmen einer Aufzählung. Hatte er schon im Untertitel die Aus-
richtung der ganzen Schrift »wider die Atheisten« angekündigt, so fügte er in
den ab der zweiten Ausgabe (1686) beigefügten Additiones noch die folgende
Erklärung hinzu:

Wann nun in diesem Titul gedacht wird, daß wider die Atheisten und Deisten ge-
schrieben werde […], man heisse nun diese Leute Atheisten, Deisten, Pyrrhonisten,
Epicurer, Scepticos, Libertiner, Politicos, Gott- oder ruchlose Gottes-Verächter, Spötter,
Frey-Geister, und wie in Franckreich bräuchlich, Esprits forts […].394

In dieser Übergangsphase, so zeigt die Zusammenstellung bei Seckendorff,


scheint sich der Freigeistbegriff nun doch in Anlehnung an den französischen
Ausdruck Esprit fort von der geistlichen hin zur weltlichen Heterodoxie zu
etablieren. Gemeint ist damit hier aber zunächst keine intellektuell begründete
Haltung, wie etwa Deismus, Spinozismus oder Libertinage erudit, sondern
die mehr innere als äußere Abkehr von der christlichen Heilsbotschaft, ähn-
lich also der von Luther, später wieder von Spizel und Spener angeprangerten
›Sicherheit‹ oder securitas. In diesem Sinn verwendet wenig später der Bremer
Pietist Theodor Undereyck den Ausdruck Esprits forts in seinem Buch Der
närrische Atheist (1689): »Leute die von recht Göttlichen dingen wenig Werck
machen / und dargegen freymühtig und unerschrocken seynd / nennet man
Esprits forts, dapffere Geister.«395 Für Undereycks extrem ausgedehnte Be-
griffsdefinition ( II.3.3) fällt auch diese Haltung bereits unter den Atheismus.
Von ›Freigeistern‹ spricht er jedoch noch nicht, ebenso wenig wie kurz dar-
auf Gottfried Arnold, der in seiner Kirchen- und Ketzerhistorie (1699) unter

393
Ausnahmen gibt es freilich, auch hier jedoch ist zwischen geistlicher und säkula-
rer Heterodoxie zu unterscheiden. So findet sich die Bezeichnung »liberi spiritus« bereits
1552 bei Laurentius Surius zur Bezeichnung mittelalterlicher Häresien, zu finden in der
Vorrede zu seiner Rusbroch-Edition: D. Ioannis Rvsbrochii […] Opera Omnia […] red-
dita latine per F. Laurentium Surium, Carthusiae Coloniensis alumnum, Köln 1552, Vorr.,
fol. * a2v: »Erant quidem ea tempestate, qua ipse floruit, impudentissimi ac amentissimi
quidam haeretici, qui liberorum spirituum nomine tum vocabantur […].« Für den Hin-
weis habe ich Jost Eickmeyer zu danken. – Weitere Beispiel im Folgenden.
394
Seckendorff, Additiones, S. 4.
395
Theodor Undereyck, Der närrische Atheist, Bremen 1689, S. 40.
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Vom Atheisten zum Freigeist 647

Esprits forts die französischen Anhänger des Deismus verstehen will und sie
von Atheisten ausdrücklich unterscheidet.396
Damit tritt allerdings eine weitere wichtige Bedeutungskomponente in den
Blick, die zugleich begriffsgeschichtlich eng mit dem Freigeistbegriff verzahnt
ist. Für den Deismus, genauer: für die britischen Deisten im Gefolge Herberts
von Cherburys, hatte sich schon vor dem Erscheinen von Anthony Collins’
Discourse of Free-Thinking (1713) die Bezeichnung free-thinkers eingebür-
gert.397 Sie dürfte mit dazu beigetragen haben, dass sich das Wort ›Freigeist‹
um 1700 bei einigen Autoren von der religiös-sektiererischen Bedeutung zu
lösen begann. Dabei spielten Übersetzungen eine beträchtliche Rolle, wie etwa
der 1696 in Leipzig erschienene Gründliche Beweiß Wieder die Atheisten Und
Frey-Geister, eine Übersetzung der Predigt The Wisdom of Being Religious
(1664) des britischen Latitudinariers John Tillotson (1630–1694). Hier wird,
nach der alten Taxonomie von Voetius ( I.5), zwischen ›spekulativem‹ (meist
›theoretisch‹ genanntem) und praktischem Atheismus unterschieden. Wäh-
rend für Letzteren aber bei Tillotson weder ›freethinker‹ noch ›libertine‹ steht,
sondern moralische Kennzeichnungen wie »wicked men«, wählt der anonyme
Übersetzer den Ausdruck ›Freigeist‹ als Synonym für praktischen Atheismus,
passt ihn also in die bestehende Systematisierung des Atheismus lückenlos ein.
Selten wird die Kontinuität zwischen Freigeist- und Atheismusbegriff auf so
prägnante Weise sichtbar:

Es werden zweyerley Art Menschen gefunden / welche eine Atheistische Meinung


haben. Einige glauben die fundamente und erste Principia des Gottes-Dienstes nicht
[…]. Andere bejahen die Gründe der Wahrheit / und glauben dieselben; Sie leben
aber auff eine mit ihrem Glauben gantz streitige Weise. Aus dieser letzten Art be-
steht die grosse Menge der Frey-Geister. Die Ersten haben eine speculative, oder in
den Gedanken bestehende Atheisterey; die Andern eine practicale, die in der Ubung
gemerket wird.398

396
Arnold, Unpartheyische Kirchen- und Ketzerhistorie, Bd. 3, S. 529: »Die Papisten
und andere denenselben an eyffer gleiche Lehrer setzen diesen unterscheid zwischen ei-
nem Atheisten und Deisten / daß jene gar keine Gottheit gestehen / diese sie zwar erken-
nen / aber derselben keinen dienst abstatten […]. Dahero sie sich selbst in Frankreich Es-
prits Forts nennen sollen / weil sie sich klüger als die Canaille zu seyn einbildeten / welche
leute / wie oben gedacht / also mit ungrund unter die Atheisten gesetzet werden.«
397
Vgl. die Hinweise im Artikel Freidenker im HWbPh, Bd. 2, 1972, Sp. 1062 f.
(Günter Gawlick); ausführlicher Gawlick in seiner Einleitung zum Nachdruck von Lech-
lers Geschichte des englischen Deismus (Gawlick 1965), S. VII–XX1.
398
John Tillotson, Gründlicher Beweiß Wieder die Atheisten Und Frey-Geister,
Leipzig 1696, S. 1 f. – Im Original heißt es dagegen: »Now all that are irreligious are so
upon one of these two accounts: either, First, Because they do not believe the found-
ations and principles of religion, as the existence of God, the immortality of the soul,
and future rewards: or else, Secondly, Because though they do in some sort believe these
things, yet they live contrary to this their belief; and of this kind are the far greatest part
of wicked men. The first sort are guilty of that which we call speculative, the other of
practical atheism.« John Tillotson, The Wisdom of Being Religious, in: Ders.: Works, hg.
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648 Übergänge zur Hochaufklärung

Ist in der Tillotson-Übersetzung der Wechsel von der alten religiösen zur
neuen weltlichen Perspektivierung bereits kommentarlos vollzogen, so il-
lustriert das Beispiel Valentin Ernst Löschers den Übergang zwischen bei-
den. Weiter oben ( V.5.1) haben wir gesehen, dass sich Löscher in seinen
Praenotiones theologicae (21713) der lauter werdenden Forderung nach ei-
ner Präzisierung des Atheismusbegriffs anschloss. Um so interessanter ist
es daher, wenn Löscher als einer der ersten deutschsprachigen Autoren den
Freigeistbegriff in der neuen Bedeutung verwendet. Und doch hat das auch
hier noch eine geistliche Bewandtnis. 1713 erschien die kontroverstheologi-
sche Schrift Abgewiesener Demas mit dem Titelzusatz Zur Uberzeugung der
Päbstler, und der den Abfall befördernden Frey-Geister. Löscher, selbst ein
entschiedener Streiter gegen den Pietismus, verwendet den Ausdruck »Frey-
Geister« nicht mehr gegen fromme Dissidenten, aber auch nicht gegen di-
rekte oder indirekte Atheisten, sondern, wie schon der Name Demas (2 Tim
4,10) verrät,399 mit Blick auf die von Luther wie von Spener als amor saeculi
verurteilte Weltliebe:

Und gewiß, diese ietzo immer mehr überhand nehmende Pest der Gemüther entde-
cket sich im Verstand und Willen so vieler Menschen, als ein totales und von Grund
aus verzehrendes Ubel. Im Verstand nimmt die Frey-Geisterey überhand, da man die
so theuer gegründeten Paulinischen Principia gering achtet, und verlässet. Im Willen
herrschet die Welt-Liebe, welche jenes Unwesen augenscheinlich befördert, so bald
man die Liebe GOttes und seiner Ordnung aus den Augen gesetzt hat.

Nicht zufällig beruft sich auch Löscher wieder auf den Apostel Paulus, wenn
er seiner Zeit die »inclinatio animorum« hin zur Welt und weg vom kirch-
lichen Glauben zum Vorwurf macht.400 Denn wie bei Luther und Spener ist
es erneut die falsche Heilsgewissheit oder ›Sicherheit‹, die fehlende Einsicht
in die eigene Sündhaftigkeit, die den von Löscher befürchteten »Abfall« er-
möglicht, um so mehr, wenn der damit verbundene »Fleisches-Sinn« gar die
Religion selbst zum Mittel weltlichen Erfolgs- und Aufstiegsstrebens macht.401

v. Thomas Birch, Bd. 1, London 1820, S. 317–389, hier: S. 330. – Zu Tillotsons Predigt,
die nachweislich auf David Humes Verständnis des Atheismus wirkte, vgl. Kreimendahl
1982, S. 186–188; vgl. außerdem van Leeuwen 21970, S. 45 f., der zu Recht eine Analogie
zwischen Tillotons und Pascals Argumenten gegen den Atheismus feststellt.
399
Der Gefährte Demas hat nach dem Bericht des Paulus im zweiten Timotheusbrief
die Apostel verlassen und »die Welt lieb gewonnen« (Biblia, S. 2401). Luther wertet den
Brief daher einleitend auch als mahnenden Blick auf »die ferliche Zeit / am ende der Welt /
darinne das falsche geistliche Leben alle verfüren soll« (ebd., S. 2397). Im Brief selbst wer-
den die »Lesterer« angekündigt, die »mehr lieben wollust denn Gott« (2 Tim 3,2 f.). Die
Denkfigur ist bekannt, sie liegt auf einer Linie mit anderen Bibelstellen, die zum festen
Inventar des Unglaubendiskurses gehören ( I.1.1).
400
Löscher, Demas, S. 4.
401
Löscher verwendet auch hier wieder den Begriff des Indifferentismus, den wir
oben schon in den Praenotiones kennengelernt haben (ebd., S. 5): »Der Indifferentismus
ist ohne dem leider jetzo die Helena der Welt, und läst sich bald grob genug spühren, wann
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Vom Atheisten zum Freigeist 649

Diese Bedeutungsdimension war im 17. Jahrhundert durch die Kategorie der


securitas, häufiger noch durch den Kampfbegriff des Politicus abgedeckt wor-
den ( II.2.2). Beide wurden aber, wie ausführlich dargelegt wurde, unter dem
Oberbegriff des Atheismus rubriziert. Auch sonst ist die Kontinuität bemer-
kenswert: Wie die frommen Prediger und Erbauungsautoren aus der frühen
Zeit des Pietismus, wie auch Spener selbst, verbindet Löscher seine Diagnose
mit einer geharnischten Klage über den profanen Zeitgeist (»der verderbte Ge-
nius Saeculi«, heißt es ähnlich wie bei Spener),402 und wie sie ist er überzeugt,
dass das beschriebene Übel zu seiner Zeit einen nie gekannten Höhepunkt
erreicht habe:

Wenn nun ein treugesinnter Knecht des HErrn die ietzigen Zeiten, wie sie einige Jahre
her gelauffen und noch für Augen schweben, ansiehet und prüfet, so muß er nebst
andern schweren Gebrechen nothwendig mercken, daß es ietzo vielmehr Menschen
gebe, als vor diesen, sonderlich unter denen die für der Welt hoch, weise und ange-
sehen sind, welche zum Abfall von der Wahrheit bereit und geneigt seyn […]. Es hat
zwar niemahls an Ecebolis gefehlet, welche das theureste und solideste Geschencke
GOttes in diesem nichtigen Leben, ich wil sagen, die Religion, als ein blosses Mittel
sich nach ihrem Fleisches-Sinn in der Welt fortzuhelffen, angesehen, und das Um-
satteln sich gar leicht gemachet haben; Es hat aber doch dieses Malum auch seine
Periodos, und frist zu unsern Zeiten weit hefftiger um sich, also daß Demas, der die
Apostel JESU CHristi verließ, und die Welt lieb gewann, 2. Tim. IV,10. immer mehr
Brüder bekommt.403

Die Ähnlichkeit der Argumentation bis hin zur polemischen Bildlichkeit


(»Pest«) und zu vertrauten paulinischen Formeln wie »Welt-Liebe« und
»Fleisches-Sinn« könnte fast darüber hinwegtäuschen, dass es sich im Kern
um eine kontroverstheologische Auseinandersetzung handelt. Die Ursache
für die vermeintliche Zunahme der Weltliebe sieht Löscher nämlich nicht,
wie man denken könnte, im Fortschreiten von Naturforschung, Bibelkritik
oder gar der an Spinoza anknüpfenden Radikalaufklärung. Es ist vielmehr
die katholische Kirche, die er für den beanstandeten Mentalitätswandel ver-
antwortlich macht. Ob Löscher schon in der katholischen Theologie selbst
eine Hinwendung zum Weltlichen angelegt sieht, bleibe dahingestellt.404 Sein

hier und da alle Glaubens- und Lebens-Puncte schlechter Dings als leichte und geringe
Dinge tractiret, und nicht besser als die Würffel gebraucht werden […].«
402
Ebd., S. 5.
403
Ebd., S. 2 f. – Ganz ähnlich hatte sich Löscher zeitgleich in der Vorrede zu seinen
Praenotiones theologicae geäußert. Nachweise weiter oben, Kap. V.5.1.
404
Einige Äußerungen deuten darauf hin, so etwa die folgende (ebd., S. 4 f.): »Wer
die Römische Kirche recht kennet, der muß zugestehen, daß sie einmahl die ihrigen von
GOTT und dessen reinen Wort auff Menschen und derselben Ansehen muthwillig ver-
leite, hernach in ihrem Haut und vornehmsten Gliedern recht weltlich gesinnet sey, und
mit weltlichen Künsten und Vortheilen ihr Werck fortführe. Das erste reimet sich mit der
Frey-Geisterey sehr wohl, und hat es Jac. la Placette in seinem A[nno] 1696 edirten Buch
De Scepticismo Ecclesiae Romanae wohl ausgeführet. Das andre ist für aller Welt offen-
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650 Übergänge zur Hochaufklärung

Vorwurf ist viel konkreter und nimmt die Form einer religionspolitischen
Verschwörungstheorie an. Mit voller Absicht, so Löscher, würden katholi-
sche Strategen zur Weltliebe aufrufen, um gerade »die ungeübten Herzen«
vom Evangelium, also von den protestantischen Konfessionen, abspenstig
zu machen.405
Erneut fallen die Parallelen zur Zeit um 1580 ins Auge, als der Atheismus-
begriff – Seite an Seite zunächst noch mit dem Politicus – innerhalb zweier
Jahrzehnte in der Öffentlichkeit etabliert wurde ( I.2). Wieder stehen kon-
troverstheologische und religionspolitische Motive im Hintergrund, wieder
zielt der neue Kampfbegriff weniger auf die negatio Dei oder überhaupt Re-
ligionskritik im engeren Sinn, sondern auf einen Primat des Weltlichen, der
sich vor allem auf der Ebene der Lebenspraxis artikulieren soll. Dass damit
zugleich die in der christlichen Tradition geradezu archetypische Vorstel-
lung des impius, des Gottlosen beschworen wurde, wie sie uns im Psalter,
in den Paulusbriefen, aber auch im Buch Daniel an zahlreichen Stellen be-
gegnet ( I.1), bedarf wohl keiner Erwähnung mehr. Das Beispiel Löschers
zeigt, wie der Freigeistbegriff diese traditionellen Inhalte aufnehmen konn-
te, ohne andererseits zu diesem Zeitpunkt schon die Bezeichnung ›Atheist‹
bzw. ›Atheismus‹ zu verdrängen. In diesem Sinn begegnet er dann auch bei
Johann Ulrich Frommann, der, wie wir gesehen haben ( V.5.2), an Löscher
anknüpfte. Mit dem Versuch, die Bezeichnung ›Freigeist‹ bzw. ›Freidenker‹
auch im Lateinischen zu etablieren (»spiritus fortes«), stand Frommann je-
doch auf verlorenem Posten.406

5.4 Begriffliche Alternativen und Übergang zum ›Freigeist‹

Es sollte noch eine Weile dauern, bis der ›Freigeist‹ den Atheisten als leiten-
de und zusammenfassende Feindvorstellung, als polemischer Dachbegriff,
verdrängte. Dieser Prozess vollzog sich über einen Zeitraum von mehreren
Jahrzehnten, während derer alle Arten von Übergängen angetroffen werden
können. Dazu trugen nicht zuletzt Versuche bei, die Werke der ausländischen

bahr, und mißbrauchen die Päbstler das Wort Catholisch selbst also, daß die Welt-Religion
und die Catholische bey ihnen ein Ding ist. Also ist kein Wunder, daß die Päbstische Reli-
gion nunmehr der breiteste Welt-Weg wird, welcher dem verderbten Verstand und Willen
der Menschen immer besser anstehet.«
405
Ebd., S. 8: »Weil nun das Pabstthum zumahl an höhern Orden vorietzo sich
hauptsächlich des Weges bedienet, welchen Demas gegangen, und sich nicht schämet,
durch die Liebe der Welt und Frey-Geisterey die ungeübten Hertzen dahin zu bringen,
daß sie das Evangelium verlassen; so sehe ich nichts nöthigers, als daß an diesem Wege des
Verderbens entgegen trete, und die Seelen vor den gefährlichen Stricken treulich warne.«
406
Frommann verwendet die Bezeichnung ›spiritus fortis‹ erst ab der vierten Dispu-
tation der Reihe (1714), wo er ihn speziell gegen den britischen Deisten Anthony Collins
einsetzt. Dessen Discourse of Free-thinking war 1713 erschienen. Vgl. Frommann, Atheus
Stultus, Sive Stultitia Atheismi. Pars quarta, Tübingen 1714, S. 161 f., 172, 182,185,187 u. ö.
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Vom Atheisten zum Freigeist 651

Apologetik in deutschen Übersetzungen zugänglich zu machen. So wird in


der Untersuchung der Quellen Deß kläglichen Verderbens, Welches Heut zu
Tage unter den Christen herrschet (1716) des bedeutenden Schweizer Theo-
logen Jean-Frédéric Ostervald (1663–1747) durchgehend der Terminus ›Li-
bertin‹ verwendet, der im Schweizer Calvinismus noch lebendiger war als im
deutschen Luthertum.407 Gemeint sind damit, wie sich im Laufe der Darstel-
lung zeigt, diverse heterodoxe Positionen vom Skeptizismus über die konfes-
sionsindifferente religio prudentum bis zur Befürwortung der schrankenlosen
Denk- und Meinungsfreiheit.408 Ganz ähnlich verwendete der schon erwähnte
Lambert Gedicke in seinen Primae veritates religionis Christianae (1717) die
Begriffe ›Libertinismus‹ und ›Naturalismus‹, um weltliche Heterodoxien un-
terhalb der Atheismusschwelle zu kennzeichnen.409 Der Ausdruck ›Freigeist‹
dagegen scheint für ihn fast synonym zu ›Atheist‹ zu sein.410
Dass der begriffliche Wechsel vom Atheisten zum Freigeist während der
1720er-Jahre nicht linear und kontinuierlich verlief, zeigt unter anderem das

407
Jean-Frédéric Ostervald, Untersuchung der Quellen Deß kläglichen Verderbens,
Welches Heut zu Tage unter den Christen herrschet. Auß dem Französischen ins Teut-
sche übersetzt, und hier und dar mit Anmerckungen versehen Von Selintes, Frankfurt u.
Leipzig 1716. Die französische Erstausgabe (Traité des sources de la corruption, qui règ-
ne aujourd’hui parmi les chrétiens) erschien 1700. Ostervald gehört neben Jean-Alphonse
Turretini und Samuel Werenfels zum sog. »Triumvirat« protestantischer Schweizer Theo-
logen am Übergang zur Aufklärung. Mit seiner Verbindung einer moderaten Bibel- und
Dogmenkritik mit Elementen der großen Frömmigkeitsbewegungen des 17. Jahrhunderts
steht Ostervald nicht fern von deutschen Autoren wie Mosheim.
408
Die Zusammenstellung erscheint eng zusammengedrängt in der Vorrede des
Ulmer Pfarrers Johann Fricken (ebd., fol. b 3r): »Es kan aber fürwahr nichts kläglichers
seyn, als wenn man solcherley Dinge heut zu Tage auf hohen Schulen ungescheut jungen
Leuthen, als eine grosse Weißheit fürträget, um sich der Pfafferey und deß Aberglaubens
(denn so lautet es ins gemein) bey zeiten zu entschlagen. Gleich als ob die Sorge der
Christen um die von GOTT als eine theure Beylage anvertraute Warheit, Ordnung und
Zucht nur ein lahmes Gewäsche und Aberglaube wäre; und hingegen man was grosses
erhielte, wenn man nach gewaltsamen [!] Niederreissen alles dessen, was in der Kirche
jemahls heilig gehalten worden ist, die religionem prudentum, d.i. eine eigene Eiß-kalte
Hirn-Theologie, und bey solcher grosse Einbildung von besonderer Weißheit denen un-
erfahrnen unglückseeligen Gemüthern beybringet, die so denn wunder meynen, was
sie gründliches gelernt haben, wenn sie viel widersprechen können, und an statt deß
Glaubens und der Gottseeligkeit Höhnerey, und eine solche Philosophie ergriffen, die
mehr ein Scepticismus heissen mag, und nach vielem Umtreiben doch nirgend auf ruhen
kan: daher nur allzu kundbarlich öffters in betrübte Außbrüche geräth.« – Kurz vorher
(ebd., fol. b 2v) geißelt Fricken die »Naseweise toll-kühne Frechheit, die man libertatem
philosophandi nennt«.
409
Nachweise weiter oben in diesem Kapitel, Anm. 368 f.
410
Gedicke, Primae veritates, S. 574 f.: »Ja es ist so weit gekommen / daß viele mit
ihren [!] Jure Naturae so prahlen / daß sie es der Heil. Schrift entgegen setzen / und der-
selben vorziehen / und sich ein eigen Jus inhonestum, ein ungerechtes Recht erdacht, als
könte etwas Justum Recht / und doch zu gleich inhonestum, welches eben so viel als Un-
recht seyn / so sich selbst widerspricht / und zum Atheismo und aller Frey-Geisterey Thür
und Thor öffnet.«
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652 Übergänge zur Hochaufklärung

Beispiel des Theologen und Polyhistors Jakob Friedrich Reimmann (1668–


1743), der durch die Erforschung der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur wie-
der zu einer gewissen Bekanntheit gelangt ist.411 Seiner voluminösen Historia
universalis Atheismi von 1725 legte er noch einmal den weiten Atheismusbe-
griff der Voetius-Nachfolge zugrunde.412 In der deutschsprachigen Apologetik
der Zeit mangelte es dagegen nicht an begrifflichen Alternativen. So hielt Jo-
hann Lorenz von Mosheim um die Mitte der 1720er-Jahre seine viel beachtete
Predigt über Die elende Thorheit der Religionsspötter.413 Die Hamburger Mo-
ralische Wochenschrift Der Patriot brachte schon 1725 die oben analysierte
satirische Erzählung über die Obduktion eines ›starken Geistes‹, der im Le-
ben weniger durch genuin heterodoxe Ansichten als durch lose Reden über
die Religion und einen lasterhaften Lebenswandel aufgefallen war. Barthold
Heinrich Brockes, Mitautor und Herausgeber des Patrioten, verwendete, wie
wir eben gesehen haben, den Atheismusbegriff schon in der engeren, bis heute
gültigen Wortbedeutung ( VI.3), enthielt sich jedoch in seinen Gedichten der
Bezeichnung ›Freigeist‹. Bei Albrecht von Haller schließlich, der sich in meh-
reren Lehrgedichten als Apologet für die christliche Religion profilierte (s. o.),
ist der »Freygeist« bereits in der ersten Auflage der Schweizerischen Gedichte
(1732) in der neuen, ganz auf das Säkulare gerichteten Bedeutung präsent. Eine
Passage aus der oben analysierten Versepistel Die Tugend an den Freund Karl
Friedrich Drollinger vom Ende der 1720er-Jahre mag das kurz illustrieren:

Laß den Freygeist mit dem Himmel scherzen /


Falsche Lehre fließt aus bösem Herzen;
Und Verachtung allzustrenger Pflichten
Dient vor Verrichten.414

Die endgültige Durchsetzung der Bezeichnung ›Freigeist‹ als Leit- und Sam-
melbegriff im Rahmen des durch die Aufklärung hindurch fortgesetzten Un-
glaubensdiskurses fällt in die 40er-Jahre des 18. Jahrhunderts. Die oben skiz-
zierten Tendenzen, die zu einer Einschränkung des Gebrauchs von ›Atheist‹
oder ›Atheismus‹ beitrugen, hatten sich weiter verfestigt. Inzwischen wurde
die apologetische Literatur wie die Theologie überhaupt zu weiten Teilen
in deutscher Sprache verfasst. Zugleich hatte der unvergleichlich große Ein-
fluss Christian Wolffs die Wahrnehmung für akkurate Begriffsdefinitionen

411
Vgl. den Sammelband von Mulsow/Zedelmaier 1998; Schröder 1998, S. 414 f. et
pass. (Register); Mulsow 2002, pass. (Register); zusammenfassend der Artikel Reimmann,
Jakob Friedrich in Killy/Kühlmann, Bd. 9, 2010, S. 508 f. (Herbert Jaumann), mit zahlrei-
chen Literaturhinweisen.
412
Vorbildlich analysiert in der Einleitung zur Faksimileedition der Historia von
Winfried Schröder (Schröder 1992), S. 7–19.
413
Enthalten in Johann Lorenz von Mosheim, Heilige Reden über wichtige Wahr-
heiten der Lehre Jesu Christi. In zwey Bänden, Bd. 2, Hamburg 1757, S. 307–344.
414
Haller, Gedichte, ed. Hirzel, S. 77.
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Aufklärung und kein Ende 653

geschärft. Wolffs Ausfälle gegen die ›Konsequenzenmacherei‹ ( V.4.3) und


seine eigene Definitionsarbeit in der Theologia naturalis von 1737 ( V.1.4)
hatten, nach der Vorarbeit von Thomasius, Budde und anderen, den Grund
für die enge Fassung des Atheismusbegriffs gelegt, die bis heute weithin in
Gebrauch geblieben ist. Bei Gottsched haben wir eben gesehen, wie sich dar-
aus auch eine moderatere Einschätzung des Atheismus und seiner moralischen
und politischen Folgen ergeben konnte. Gute 60 Jahre nach Pierre Bayles pro-
vokanten Thesen in den Pensées diverses kündigte sich so eine Neubewertung
des atheistischen Unglaubens im engeren Sinne an. Die negativen Konnotati-
onen jedoch, die damit verbunden gewesen waren, gingen ohne Abzüge auf
den neuen Leitbegriff des Freigeists bzw. der Freigeisterei über. Unter diesen
begrifflichen Vorzeichen lief der Unglaubensdiskurs weiter bis zum Ende des
18. Jahrhunderts. Dazu abschließend noch einige Hinweise.

6. Aufklärung und kein Ende


Hinweise zum Fortgang des Unglaubensdiskurses

6.1 Staatsfeind und Bürgerschreck


Zur Geschichte des vinculum societatis-Topos ab 1750

Der Freigeist beschäftigte das 18. Jahrhundert in Deutschland bis zu seinem


Ende. Die Anfänge dieser Entwicklung konnten hier mit Beispielen aus Hal-
lers Lehrdichtung und aus einigen Moralischen Wochenschriften zumindest
angedeutet werden. Weiterführenden Studien muss es vorbehalten bleiben, sie
in ähnlicher Weise wie im vorliegenden Band für die Phase der Hoch- und
Spätaufklärung nachzuzeichnen.415 Neben den Freigeist-Dramen Lessings
(1749) und Joachim Wilhelm von Brawes (1758)416, Gellerts einflussreichen
Moralischen Vorlesungen417 und anderen Texten bekannter Autoren wie Klop-
stocks Rollenmonolog Drei Gebete eines Freigeists, eines Christen und eines
guten Königs (1753) wäre dort zum Beispiel der ausgedehnten popularphilo-
sophischen und -theologischen Publizistik nachzugehen, wie sie in den über-
aus zahlreichen Zeitschriften das Gesicht der aufklärerischen Öffentlichkeit
prägte.418 Mit Johann Heinrich Christoph Zahns Briefen an die Freydenker
(1764–1767), den an Montesquieu angelehnten Freymüthigen Gedancken ei-

415
Vgl. dazu die bislang tatsächlich maßgebliche Studie von Liepe 1930; weitere Li-
teraturhinweise sind dem Forschungsbericht zu entnehmen. Ergänzungen und erste Bau-
steine für eine weiterführende Untersuchung habe ich in einigen Aufsätzen veröffentlicht;
vgl. Spiekermann 2012a, 2012d, 2015, 2019a u. 2019d.
416
Vgl. Liepe 1930, S. 23 f.
417
Vgl. ebd., S. 15 f.; eingehend: Spiekermann 2019d.
418
Ausschnitte dieses ungemein reichhaltigen Quellenmaterials habe ich besonders
in zwei der genannten Aufsätze präsentiert; vgl. Spiekermann 2012d und 2015.
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654 Übergänge zur Hochaufklärung

nes indianischen Philosophen über die Europäische [!] Freydenker (1767) oder
den 1771 erschienenen Briefen über die Freygeister von Franz Gasser erreichte
der Unglaubendiskurs auch den bisher noch wenig erforschten Bereich der
zeitgenössischen Briefessayistik.419
Insbesondere Zahns fünfbändige Brieffolge bildet ein wahres Sammelbecken
apologetischer Argumente und Motive. Sie enthält zudem zahlreiche Verwei-
se auf und Zitate aus der älteren antiatheistischen Literatur und demonstriert
so die longue durée des Unglaubendiskurses in intertextueller Perspektive. Es
finden sich so bekannte Namen wie Seckendorff oder Christian Wolff; aber
auch die Disputationen von Abicht und Grapius über die moralischen und ge-
sellschaftlichen Folgen des Atheismus werden kurz erwähnt.420 Mit ihnen und
anderen Autoren wie Albrecht von Haller oder dem Staatsrechtler Gottfried
Achenwall arbeitet Zahn unter anderem die bestens bekannten Fragen ab,
»Ob die Freydenker im Staat zu dulten«421 und »Ob der Atheismus die Sitten
verderbe«.422 Zwischen den »Freydenkern« und konsequenten Gottesleugnern
nimmt er keinen wesentlichen Unterschied an.423 Zwar wird der durch Bayle
und andere vertretenen Gegenmeinung scheinbar Gehör gegeben,424 in Wirk-
lichkeit aber steht für das Ergebnis von Anfang an fest: »Reden sie [sc. die Frei-
denker] öffentlich der heydnischen Religion und ihren freyen Sitten das Wort,
so vertheidigen sie auch Diebstahl, Hurerey, Ehebruch, Selbstmord, Rache,
Trunkenheit und Falschheit, und andere grobe Laster, welche bishero in den
bürgerlichen Leben so hoch verpönt worden sind.«425
Die damit berührte Linie der naturrechtlich, staatstheoretisch und sozial-
ethisch begründeten Unglaubenskritik, die eine Leitperspektive dieser Un-

419
Zu diesem publizistischen Genre vgl. den Überblick bei Nickisch 1991, S. 122–
157 u. 170–177; auf Handbuchebene jetzt Spiekermann 2019b.
420
Johann Heinrich Christoph Zahn, Briefe an die Freydenker[,] Worinne dieselbe
aus ihren eigenen Schriften und der Natur der Sache widerleget werden, Bd. 2, Eisenach
1765, S. 61: »Der große Freyherr von Wolf [!] sprach ihnen [sc. den Gottesleugnern] das
Dultungsrecht ab. Der gründliche Abicht untersuchet den Schaden, der aus der Dultung
der Gottesverläugner dem gemeinen Wesen zuwächst, und Grapius fraget sehr gründlich,
ob und in wie fern die Gottesverläugnung ein allgemeines Sittenverderben einführe?« – Zu
Abicht und Grapius s. die Hinweise in Kap. V.6.1, zu Wolff Kap. V.4.
421
Ebd., S. 55–77 (6. Brief).
422
Ebd., S. 112–125 (10. Brief); zu Achenwall ebd., S. 64 f., zu Haller ebd., S. 65.
423
Ebd., S. 56: »Ich werde das Pappier [!] mit keinen Wortspielen anfüllen, und keine
lange Untersuchung anstellen, ob und in wie ferne ein Freydenker aus der Compagnie des
Bayle und Voltair [!] von einem Gottesverläugner unterschieden sey? Wer nur GOtt vor
ein je ne sais quoi? hält, der macht sich selbst in meinen Augen zu einem Gottesverläugner,
und man hat gar nicht nöthig längers Bedenken darüber zu tragen.«
424
Ebd.: »Nun werden Sie sich zu erinnern belieben, daß die Gelehrten die Frage
aufgeworfen: Ob eine Gesellschaft aus Gottesverläugnern bestehen könne, und ob diese in
einer Republick zu dulten wären? Wie Menschen niemalen einerley Meynung annehmen
werden, so sind auch hierinnen dieselben sehr getheilt.«
425
Ebd., S. 68.
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Aufklärung und kein Ende 655

tersuchung bildete,426 wäre ebenfalls weiter zu ziehen, über philosophische


und theologische Sittenlehren der Hochaufklärung (z. B. bei Georg Friedrich
Meier oder Johann Friedrich Stapfer)427 oder Lehrbücher des Staats- und Na-
turrechts sowie der Kameralistik im Umfeld des aufgeklärten Absolutismus
(Bielfeld, Justi, Achenwall, Sonnenfels u. a.) bis in die moralisch-politische
Essayistik christlicher Aufklärer wie Friedrich Carl von Moser oder Justus
Möser. So warnte Moser (1723–1798) in seiner Schrift Der Christ, der beste
Unterthan (1755), die sich schon dem Titel nach in die hier verfolgte Denk-
geschichte einreiht, diejenigen Herrscher, »welche der Religions-Spötterey
und Freigeistern, so die Grund-Säulen des Christenthums zu untergraben su-
chen, Schutz vergönnen und wohl gar Belohnungen ertheilen würden«.428 Sie
würden damit strikt gegen ihre eigenen Interessen handeln. Moser spricht hier
aber nicht bloß als politischer Pragmatiker und Kritiker Friedrichs II., son-
dern auch als einer der Vordenker des Frühliberalismus.429 Seiner Meinung
nach garantiert gerade die sozialdisziplinierende Wirkung der Religion ein ho-
hes Maß an individueller Freiheit, weil sie scharfe Gesetze unnötig mache.430
Auch bei Jacob Friedrich von Bielfeld (1716–1770), dessen Institutions po-
litiques (1760) ein Jahr nach ihrem Erscheinen von Gottsched in deutscher
Übersetzung ediert wurden,431 wird die staatserhaltende Wirkung der Religi-
on noch als »politischer Grundsatz« behandelt und ergo für erwiesen ange-
sehen.432 Bielfeld, immerhin ein Logenbruder Friedrichs II., stellte sie an die

426
Siehe die Kapitel I.3, V.2.5, V.3.4, V.4.4 u. V.6.2.
427
Zu Meier und seiner Rettung der Ehre der Vernunft wider die Freygeister (1747)
vgl. meine Einleitung zum fotomechanischen Nachdruck (Spiekermann 2012d). – Der
Wolff-Schüler Stapfer, einer der bedeutendsten schweizerischen Theologen der Jahr-
hundertmitte, ließ 1758 in Bern den zweiten Band seiner Sittenlehre erscheinen. Darin
wird der Atheismus im neunten Kapitel (Vom Verderben des Verstandes) im Abschnitt
über die »Zweifelsucht« (§§ CXLI–CLXIII) abgehandelt und auch in seinen möglichen
Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft erörtert (§§ CLIX–CLXIII). Stapfer ge-
steht zwar Atheisten zu, sich sittlich zu verhalten, soweit das ihr Temperament vorgebe
(§ CLX), rät aber ebenfalls unter Hinweis auf die Eid-Problematik davon ab, daraus eine
Regel zu machen (§ CLXII).
428
Friedrich Carl von Moser, Der Christ, der beste Unterthan, in: Ders.: Gesammelte
politische und moralische Schriften, Bd. 1, Frankfurt am Main 1763, S. 369–400, hier S. 372.
429
Vgl. Dreitzel 1987, S. 159 f., der von Moser und Justi eine Linie bis zum Liberalis-
mus des 19. Jahrhunderts zieht.
430
Moser, Der Christ, der beste Unterthan, S. 371 f.: »Die christliche Religion ist der
Grund der jetzigen Regierungs-Form in den Europäischen Staaten, die Christliche Könige
regieren über keine Sclaven, die nur durch Furcht des Todes im Gehorsam gehalten wer-
den, sie herrschen über ein freyes Volk, nach Gesetzen, welche uns befehlen, die Obrigkeit
um GOttes willen zu ehren, und ihr unterthan zu seyn.«
431
Jacob Friedrich von Bielfeld, Lehrbegriff der Staatskunst, 2 Bde., Leipzig u. Bres-
lau 1761. – Zu Gottscheds Übersetzung, Vorrede und umfangreichen Anmerkungen vgl.
Scattola 2014.
432
Ebd.
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656 Übergänge zur Hochaufklärung

Spitze seiner Ausführungen zur »guten Ordnung des Staates«.433 Mit Justus
Möser (1720–1794) schließlich äußerte sich noch zu Beginn der Spätaufklä-
rung ein hochrangiger Beamter434 zur politischen Bedeutung der Religion.435
In dem gegen Rousseau gerichteten Schreiben an den Herrn Vicar in Savoyen
(1777) griff er dessen Idee einer Zivilreligion an und reproduzierte so implizit
den alten Machiavellismusvorwurf. Natürliche Theologie und Religion wer-
den im Text gegenüber einer positiven Offenbarungsreligion als unzureichend
verworfen, und zwar mit dem Argument, das schon Christian Wolff für die
politische Notwendigkeit der Religion gefunden hatte ( V.4.4). »Ein gros-
ser Theil« der Bevölkerung, so Möser, »scheinet mir unfähig zu seyn, gewisse
Wahrheiten und Folgen zu begreifen«.436 Dass exakt die gleiche Denkfigur am
Ende des Jahrhunderts in der Volksaufklärung wiederkehrt, die auf eben jene
Bevölkerungsschichten abzielt, kann wohl kaum überraschen.437

6.2 Die Wende?


Kritik der Apologetik in der Berliner Aufklärung

Auch wenn sich so das Fortwirken des apologetischen Argumentationssys-


tems der Frühen Neuzeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts lückenlos und
materialreich nachweisen lässt, blieb es doch keineswegs unwidersprochen.
Schon seit 1750, vor allem aber mit Einsetzen der Spätaufklärung ab etwa 1770
machte sich zunehmend Kritik bemerkbar. Sie ging besonders von Berlin aus,

433
Ebd.
434
Als Syndikus der Osnabrücker Ritterschaft, seit 1764 als Konsulent der fürst-
bischöflichen Regierung führte Möser über Jahre faktisch maßgeblich die Geschäfte des
Osnabrücker Hochstifts, da der Nachfolger des 1761 verstorbenen Fürstbischofs noch
minderjährig war. Vgl. Killy/Kühlmann, Bd. 8, 2010, S. 287–289 (Winfried Woesler).
435
Justus Möser, Schreiben an den Herrn Vicar in Savoyen, abzugeben bey dem
Herrn Johann Jacob Rousseau. Neue Auflage, Bremen 1777, S. 20: »Es ist von der größten
Nothwendigkeit, daß wir gewisse verstärkte Glaubensartikel haben, welche den Unglück-
lichen trösten, den Glücklichen zurückhalten, den Stolzen demüthigen, die Könige beugen
und den Krämer einschränken. Ich sage, es ist dieses von der äussersten Nothwendigkeit
in der bürgerlichen Gesellschaft.«
436
Ebd., S. 24.
437
Der Volksaufklärer Johann Ludwig Ewald zitiert noch 1790 die Formel vom vin-
culum societatis, und zwar in seiner Schrift Ueber Volksaufklärung; ihre Gränzen und
Vortheile (Berlin 1790), S. 54–56: »Am meisten kommts wol bei dem Volk auf religiöse
Aufklärung an; sie muß wenigstens der Grund aller andern seyn. Ohne sie halten die
Bande des Staates nicht zusammen, und die weiseste Gesetzgebung ist nicht im Stande,
sie zusammen zu halten.« – Er zitiert einen bedeutenden Gewährsmann, den Schweizer
Finanzier und französischen Minister, Vater der Madame de Staël, Jacques Necker und
dessen am Vorabend der Revolution (Paris 1788) erschienene Schrift De l’importance des
opinions religieuses (ebd., S. 56): »On se liveroit à une grande illusion […] si l’on esperoit
pouvoir fonder la morale sur la liaison de l’interét particulier avec l’interét public, et si l’on
imaginoit, que l’empire des loix sociales put se passer de l’appui de la religion.« – Weitere
Hinweise zu diesem Komplex in den Kapiteln V.6.3 und VII.2.
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Aufklärung und kein Ende 657

wo seit 1740 durch Friedrich II. ein fruchtbarer Boden für religions- und kir-
chenkritische Überlegungen bereitet war. Schon Lessings Freigeistkomödie
von 1749 enthüllt das Klischee- und Schreckbild des Freigeists als Vorurteil
und gibt dem Freigeist Adrast ein überaus menschliches Antlitz.438 In Johann
Joachim Spaldings Schrift Die Bestimmung des Menschen (1748), verfasst in
Reaktion auf das erste öffentliche Auftreten La Mettries und seiner materi-
alistischen Ideen, setzt die Widerlegung nicht mehr bei der Dämonisierung,
Kriminalisierung und moralisch-politischen Abwertung des Unglaubens an,
sondern bei den zweifelhaften Glücksaussichten einer entgötterten Welt.439
Das mal satirisch-boshafte, mal mit echter Anteilnahme gezeichnete Bild des
infelix atheus oder unglücklichen Freigeists ist in den folgenden Jahrzehn-
ten vor allem in der fiktionalen Behandlung des Themas anzutreffen, etwa in
den beliebten Moralischen Erzählungen,440 aber auch in einer Reihe von Rol-
lengedichten nach Art von Owen ( III.1.2) oder Laurentius von Schnüffis
( III.2.3). Exemplarisch können hier dafür zwei Strophen aus dem Lied eines
Freigeistes (1776) des jungen Leopold zu Stolberg stehen:

Wenn auf der Verzweiflung Wogen ich bin,


Treibt rund mich umher mein wilder Sinn,
Er treibet mich kreuz, er treibet mich quer
Durch Klippen und Sandbänke hin und her;

[…]

Es drängen sich Welten in meiner Brust,


Entflamtes Verlangen, verderbende Lust
Zu ketten die Elemente zusammen,
Meer und Erde zu peitschen mit Flammen.441

In dieser zwar milden, aber noch keineswegs neutralen Sicht verschwimmt


die Pathologie des Unglaubens schon mit dem Sturm-und-Drang-Thema
des gefährdeten Genies.442 Ganz ähnlich präsentierte sich in den folgenden
Jahrzehnten die medizinisch-psychologische, dem Genre nach eigentlich er-

438
Lessings Komödie Der Freygeist von 1749 ist von der Forschung mehr als einmal
behandelt worden, wird aber gewöhnlich, im Sinne der eingangs kritisierten ›Widerspiege-
lungstheorie‹ (s. o. in der Einleitung), als Reaktion auf den britischen Deismus und als Plä-
doyer des Aufklärers Lessing für Denkfreiheit gedeutet; den aktuellen Forschungsstand
dokumentiert vorbildlich Fick 42016, S. 74–82.
439
Vgl. die Ausführungen zu Spalding bei Spiekermann 2016, S. 209–213.
440
Beispiele bei Spiekermann 2015.
441
Gedichte der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, hg. v.
Heinrich Christian Boie, Karlsruhe 1794, S. 154 f.
442
Explizit gemacht und auf die apologetische Topik zurückgewendet ein Jahrzehnt
später in dem Aufsatz Ueber Geniesucht, Freigeisterei und ihre Wirkungen auf die bürger-
liche und Staatsgesellschaft, in: Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit, Bd. 2, Mannheim
1781, S. 37–49. Für den Hinweis danke ich Volker Hartmann (Heidelberg).
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658 Übergänge zur Hochaufklärung

fahrungsseelenkundliche Behandlung des Skeptizismus als einer Krankheit,


von der vor allem begabte Studenten betroffen seien.443 Zwar sorgte die Pa-
thologisierung hier wie andernorts für die intellektuelle Disqualifikation einer
skeptizistischen Weltsicht. Das ist aus christlich-theologischer Sicht auch wohl
kaum anders denkbar. Gleichwohl darf vermutet werden, dass die stellenweise
erhebliche Aggressivität der apologetischen Polemik durch die ärztliche oder
seelsorgerische Perspektive nachhaltig eingedämmt wurde. Sie ist selbst da
anzutreffen, wo dem Atheisten im engeren Wortsinn die Fähigkeit zum mo-
ralischen Handeln zugesprochen wurde. Der strategische Vorteil dieser Argu-
mentation liegt auf der Hand, da die Vorstellung eines zugleich moralischen
und glücklichen Atheisten vermutlich mehr Widerspruch bei den Zeitgenos-
sen verursacht hätte.
Wo diese Haltung anzutreffen war, ging sie häufig einher mit einer negativen
Einschätzung des Aberglaubens. Dabei wurde dieser als die größere Gefahr für
Staat und Gesellschaft hingestellt, wie schon bei Bayle und Thomasius. Diese
Sichtweise sollte im Verlauf des Jahrhunderts immer mehr Anhänger finden. So
stellte Johann Gottfried Seume 1796 fest, dass der Atheismus nie so schädlich
werden könne wie der religiöse Fanatismus, weil es in seiner »Natur« liege,
nie zu einer allgemeinen Haltung zu werden.444 Grundsätzlich hielt er sogar
mit Shaftesbury den Atheisten für ebenso fähig wie den Gläubigen, sich gesell-
schaftlich konform zu verhalten. Sein eigener Egoismus treibe ihn dazu an.445 In
seiner Bewertung und Zurückweisung des Atheismus liegt Seume daher näher

443
Beispielsweise in der Schrift Geist und Geschichte des Skepticismus (1794) des mit
Kant korrespondierenden Theologen Carl Friedrich Stäudlin, wo der auch als Studenten-
pfarrer tätige Verfasser einige Berichte nach Art der Erfahrungsseelenkunde präsentiert
(S. 64): »Ich bin während meiner Universitätsjahre mit verschiedenen denkenden Jüng-
lingen bekannt geworden, welche eine solche Bahn durchliefen. Die Zweifelsperiode hat
nicht bei allen dieselbige Wirkungen hervorgebracht, und ist nicht bei allen aus denselbi-
gen Quellen geflossen. Einer, der vortreffliche Anlagen, besonders zur Mathematik hatte,
endigte mit Verzweiflung und Elend – Hypochondrie, Gesundheitsschwäche, Hang zur
Paradoxie wirkten bei ihm in Verbindung mit einem wilden Skepticismus.« Und, kurz da-
rauf (S. 65): »Von ein paar andern habe ich schriftliche Aufsätze in Händen, worinn sie ihre
Bemerkungen über diesen Zustand mitgetheilt haben. Ich glaube, daß sie für die emprische
Psychologie nicht unwichtig und auch sonst lehrreich sind – ich will daher das Merkwür-
digste aus denselben hier aufzeichnen.« – Zu Stäudlins Schrift vgl. die Bemerkungen von
Popkin 1997; zum problemgeschichtlichen Umfeld vgl. Spiekermann 2019a.
444
Johann Gottfried Seume, Ueber Atheismus im Verhältniß gegen Religion, Tugend
und Staat, in: Ders.: Obolen, Leipzig 1796, S. 29–70, hier S. 55: »Es liegt schon in der Na-
tur des Atheismus, daß er nicht allgemein werden kann […].«
445
Ebd., S. 49: »So ausgemacht nun nach der endlichen Uebereinstimmung aller phi-
losophischen Seckten der alten und der neuen Welt ist, daß Tugend und nur Tugend allein
glücklich macht, so sicher können wir auch in Ansehung des Atheisten für die Tugend
seyn, da seine Glückseligkeit mit seinem Egoismus eins und das nämliche ist, welche ohne
da, was wir Tugend nennen, nicht gedacht noch erreicht werden kann.« Shaftesbury wird
kurz vorher gewürdigt (ebd., S. 36). – Zu Seumes Aufsatz vgl. die Hinweise bei Zänker
2005, S. 158–160.
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Aufklärung und kein Ende 659

bei Brockes, wenn er ihn als »kalte finstere trostlose grauenvolle« Lehre, die
Atheisten als »isolirte hoffnungslose verirrte Seelen« bezeichnet, »die zwar sel-
ten viel Gutes stiften aber auch selten viel Schaden anrichten«.446 Hier ist die bei
Thomasius schon angelegte Umprägung des Feindbilds vom kraftstrotzenden
Libertin zum harmlos-anämischen Melancholiker ganz vollzogen.
Während sich der so aktualisierte Topos des infelix atheus auf Gewährsleute
wie Pascal ( IV.3.3), Bentley ( IV.4.1) oder Brockes ( VI.3) stützen ließ,
fand die Kritik der apologetischen Überführungspraxis, wie sie an Lasseni-
us, Arnold oder Thomasius vorgeführt wurde, ihre Fortsetzung in der To-
leranzpublizistik der Spätaufklärung, beispielsweise in Friedrich Germanus
Lüdkes (1730–1792) Schrift Ueber Toleranz und Gewissensfreiheit (1774).
Die Funktionalisierung von Kampfbegriffen wie ›Ketzer‹ oder ›Freigeist‹ be-
schreibt Lüdke dort ähnlich hellsichtig wie Thomasius oder Arnold. Wie sie
wirft er den Ketzermachern seiner eigenen Zeit vor, dass sie auf jede Kritik
am rechtgläubigen Lehrgebäude mit den schwersten Geschützen losfahren
würden, welche die theologische Polemik zu bieten hatte, nämlich dem Hä-
resie- oder dem Unglaubensvorwurf sowie den daran seit Langem geknüpf-
ten moralischen Unterstellungen.447 Dabei verwendet er den von Thomasius
und Wolff sorgfältig begründeten Begriff der »Consequenzenmacherei« schon
ganz selbstverständlich.448 »Wer daher einen Schriftsteller«, schreibt Lüdke am
Ende einer längeren Ausführung, »bei dem gemeinen Volk und allen, die denn
gleich denken, in üblen Ruf bringen will, der darf sie nur überreden, er sey
einer von Dippels und Edelmanns Sekte, ja noch viel schlimmer als Dippel und
Edelmann«.449 Dieses Vorgehen, so Lüdke, schade jedoch der Religion selbst,
die dadurch beim gebildeten Publikum in Misskredit gerate.
Wie Thomasius, Gundling oder später Lessing nutzte Lüdke auch das
Medium der Rezension, um seiner Vorstellung von Toleranz im öffentlichen
Diskurs Gehör zu verschaffen. Als fleißiger Mitarbeiter von Nicolais All-
gemeiner Deutscher Bibliothek (1765–1805) rezensierte er neben sonstigen

446
Ebd., S. 55 (Zeichensetzung im Original).
447
Friedrich Germanus Lüdke, Ueber Toleranz und Gewissensfreiheit, insofern der
rechtmäßige Religionseifer sie befördert, und der unrechtmäßige sie verhindert. Erstes und
zweites Buch, Berlin 1774, S. 158: »Nach der Abschilderung hingegen, welche einige Leh-
rer der strengen Rechtgläubigkeit von denjenigen machen, die dem herrschenden Lehr-
glauben der Kirche in einem oder dem andern Artikel widersprechen, hat es ganz das
Ansehn, als ob sie es für unmöglich hielten, daß jemand bei seinen Widersprüchen dagegen
auch als ehrlicher Mann, aus Anregung des Gewissens, handeln könne. Woher käme es
sonst, daß ein solcher in Ansehung seines sittlichen Charakters gemeiniglich bei ihnen sehr
übel angeschrieben stünde?«
448
So in der langen Überschrift zum fünften Kapitel (ebd., S. 147): »Der Religions-
eifer wird offenbar ungerecht, sobald er sich unerlaubter Mittel zu seinem Zweck bedient.
Diese sind: Ungegründete Beschuldigungen der Glaubensgegner, als ob sie ein böses Herz
hätten und Verführer wären. Beschimpfende Schmähworte. Consequenzenmacherei.
Wortverdrehungen. Beilegung verhaßter Ketzernamen.«
449
Ebd., S. 214 f.
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660 Übergänge zur Hochaufklärung

theologischen Werken auch apologetische Neuerscheinungen. So besprach


er 1766 eine protestantische Streitschrift über den »überhandnehmenden
Unglauben in der evangelischen Kirche«, die sich – mit Empfehlung an die
Wittenberger theologische Fakultät – gegen die Reformtendenzen in der
lutherischen Theologie richtete.450 Lüdkes Reaktion ist bezeichnend für die
Haltung der Berliner Aufklärung gegenüber dem Thema. Er legt an die be-
kannte apologetische Sittenschelte das Kriterium der Originalität an, wie es
sich in der Literaturkritik der Zeit erst gerade zu etablieren begann. Derglei-
chen Klagen über den genius saeculi, schreibt Lüdke, seien alles andere als
neu: »Wieder eine gutgemeinte Schrifte, wodurch aber wohl nicht viel möch-
te gebessert werden.«451 Gleich das erste Kapitel biete »in einem deklamatori-
schen Ton die gewöhnlichen Klagen über den zunehmenden Unglauben, die
Freygeisterey und Lasterhaftigkeit unserer Tage«.452
Offenkundig war der Alarmismus, der traditionell mit der Unglaubens-
kritik verknüpft war, für Lüdke schon nicht mehr ohne Weiteres konsens-
fähig. Diese Sichtweise ist in vielen der Rezensionen anzutreffen, welche
Nicolais Zeitschrift apologetischen Veröffentlichungen widmete.453 Auch sie
war nicht grundsätzlich neu. Ähnlich argumentierte schon Lessing am Ende
der 1750er-Jahre gegen die (eigentlich gemäßigten) apologetischen Bestre-
bungen des Theologen und Gottschedschülers Johann Andreas Cramer.454
Fast glaubt man schon, Philipp Jakob Spener zu hören ( II.4), wenn es bei
Lüdke heißt, dem Unglauben sei nicht mit blinder Polemik zu begegnen,
sondern nur mit solider theologischer Arbeit und, mehr noch, mit einer
überzeugenden religiösen »Praxis« anstelle der fortwährenden Konflikte in-
nerhalb der Kirchen selbst.455 »Denn die Streitigkeiten der Gottesgelehrten«,
folgert Lüdke, »haben den Ungläubigen von je her ein grosses und weites

450
Anonym, Unzielsezlicher Vorschlag, wie dem überhandnehmenden Unglauben
und andern daher entstehenden Sünden in der evangelischen Kirche mit Gott möge gesteu-
ert werden […] von einem treumeinenden Wächter im evangelischen Zion, Frankfurt 1766.
451
[Friedrich Germanus Lüdke] Rezension von: Unzielsezlicher Vorschlag [wie letz-
te Anm.], in: Allgemeine deutsche Bibliothek, 3. Jg., 1767, 5. Bd., 2. St., S. 38–50, hier S. 39.
452
Ebd.
453
Eine ausführlichere Untersuchung muss hier unterbleiben; vgl. immerhin Spie-
kermann 2019a, S. 194–197, mit einem exemplarischen Fallbeispiel, den ADB-Rezensi-
onen zu Gotthard Friedrich Stenders Wahrheit der Religion wider den Unglauben der
Freygeister und Naturalisten (Mitau u. Hasenpoth 1772); zur Allianz der ADB mit der
Neologie vgl. Nottmeier 2008.
454
Vgl. Spiekermann 2012a.
455
Lüdke, Rezension (Anm. 37), S. 47: »Und wenn wir da nicht hinkommen, daß
wir die heilige Schrift so auslegen, als wenn kein vorherangenommenes Religionssystem
in der Welt wäre; aus der Praxis des Christenthums noch mehr als aus der Theorie ma-
chen; über die wesentlichen Lehrpunkte desselben uns vereinigen, über ausserwesentliche
Punkte und Nebendinge aber uns in Liebe tragen; und nach dem weisen Rath des Apostels
alles prüfen und das Beste behalten: so werden wir gegen die Freygeisterey und den Un-
glauben nichts ausrichten, sollten wir auch dagegen schreiben und Vorschläge thun, wie
wir wollen.«
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Aufklärung und kein Ende 661

Feld geöfnet.«456 Die schon von Christian Colbe aufgeworfene Frage nach
den Stützen des Unglaubens in der Kirche ( II.2.3) wird so unter den Be-
dingungen der Spätaufklärung neu gestellt.

6.3 Der Freigeist im Visier der katholischen Gegenaufklärung

Tatsächlich wirkte auch in der beginnenden Spätaufklärung neben der inner-


protestantischen Auseinandersetzung noch der alte Gegensatz zwischen Pro-
testanten und Katholiken fort – mit spürbaren Folgen für die zeitgenössische
Freigeistdebatte. In einem 1761 erschienenen Pamphlet gegen die »Freydenker
und Materialisten« führte der hochproduktive bayerische Kontroverstheologe
Franz Neumayr (1697–1765) das neuere Freidenkertum bis auf Luthers Refor-
mation zurück.457 Hinzu kam eine politische Dimension: In den katholischen
Territorien wiederholte sich ab 1760, vor allem seit Beginn der josephinischen
Reformen, was sich ab 1580 in Frankreich und den Niederlanden ( I.2), nach
1648 dann in Rostock oder Augsburg ( II.3) abgespielt hatte. Die massive
Intervention einer weltlichen Obrigkeit in kirchen- und religionspolitischen
Angelegenheiten brachte auch hier wieder eine Fülle von Schriften gegen den
Unglauben oder, mit der zeitgemäßeren Vokabel, die ›Freigeisterei‹ hervor.458
Ähnlich wie Assonville 1598 Vertreter der Toleranzidee als Atheisten und
›Pseudopolitici‹ beschimpft hatte ( I.2.3), zog 1772 der Erfurter Augustiner-
eremit Jordan Simon (1719–1776) in seiner Theologie wider die starken Geister
unter anderem gegen die Toleranzidee zu Felde.459
Statt gegen das habsburgische Kaiserhaus entlud sich der Zorn vieler katho-
lischer Theologen, insbesondere seit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773,
gegen die Aufklärung als Bewegung. Mitgemeint war stets die als gefährlich
eingestufte Neologie, die protestantische Theologie der Hochaufklärung, um
so mehr, als sie auf eine Annäherung von lutherischer und reformierter Kon-
fession hinarbeitete. So konnte es geschehen, dass ein hochgeschätzter und
456
Ebd., S. 47. Rechtschreibung wie im Original.
457
Franz Neumayr, Ob der Mensch nichts weiter seye als eine Machine? Wider
die Freydenker und Materialisten, [München/Ingolstadt] 1761, S. 4: »Das Luthertum
ist die Quell diser Irrthümer.« – Ähnlich schon in seiner Schrift Frag: Ob Gott die Welt
regiere? Wider die Freydenker, München/Ingolstadt 21760, S. 4: »Sehet, wie weit die von
Luthern eingeführte Freyheit zu dencken die Menschen hinreisse: sie wollen, GOtt re-
giere gar nicht in der Welt, weil er nach ihren [!] Kopf nicht regieret.« – Zu Neumayr
vgl. die bio-bibliografischen Hinweise in Killy/Kühlmann, Bd. 8, 2010, S. 553 (Hans
Pörnbacher/Red.).
458
Vgl. Dumont 1997 und Schaich 1997.
459
Jordan Simon, Theologie wider Die starken Geister, das ist: Beweise des katho-
lischen Glaubens, Oder Widerlegung des Unglaubens eines Rousseau, Voltairs und ihrer
Anhänger, Bd. 2, Würzburg u. Ingolstadt 1772, S. 233: »Bloß die Gutherzigkeit der Un-
gläubigen möchten die Toleranz [!] oder Duldung aller Religionen in die Welt einführen.«
Das ganze Kapitel ist überschrieben »Die Tolerantz (oder Genehmhaltung oder Duldung
anderer Religionen) verträgt sich nicht mit der christlichen Religion« (ebd.).
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662 Übergänge zur Hochaufklärung

gemäßigter Theologe wie der Abt Jerusalem, der seinerseits als Verteidiger
der christlichen Religion aufgetreten war,460 von einem katholischen Autor als
»ein Freygeist, ein Naturalist, oder aufs wenigste ein Gönner, eine Stütze, ein
Freund derselben« bezeichnet wurde,461 weil er sich auf die Seite des führenden
Neologen Johann Salomo Semler gestellt hatte.462 Nicht zuletzt gegen Sem-
ler und seine Revision des biblischen Kanons war ein wahres apologetisches
Großprojekt aus dem katholischen Mainz gerichtet, das Religions-Journal
(1776–1792) des gelehrten Bibelphilologen, Predigers und Polemikers Her-
mann Goldhagen (1718–1794).463 Der Herausgeber, einer der vielen ehemali-
gen Jesuiten, die sich nach der Aufhebung des Ordens im gemeinsamen Kampf
gegen den profanen Zeitgeist wiederfanden,464 präsentierte darin, wie schon aus
dem Titel hervorgeht, »Auszüge aus den besten alten und neuen Schriftstellern
und Vertheidigern der christlichen Religion«.465
In Fällen wie diesen wurde die Unglaubenskritik zu einem Instrument
der Gegenaufklärung; die einleitend kritisierte Klischeevorstellung trifft also
auch einmal zu. Besonders zwischen der Berliner Aufklärung um Friedrich
Nicolai und den süddeutschen bzw. österreichischen Exjesuiten entspann
sich eine regelrechte Fehde.466 Gleichwohl ließen sich antiaufklärerische Töne
auch im protestantischen Norden vernehmen, vermehrt in den Streitigkeiten
über das wöllnersche Zensuredikt in Preußen nach dem Tod Friedrichs II.467
Es wäre also voreilig, die öffentliche Behandlung des Unglaubensthemas

460
Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Betrachtungen über die vornehmsten
Wahrheiten der Religion, Braunschweig 1769; vgl. dazu den weigweisenden Aufsatz von
Sommer 2002.
461
Ladislaus Sappel, Geschichte der fortgepflanzten Religion. In drey Bände und
dreyßig Bücher abgetheilt. Dritter Band. Vom zwanzigsten Buch bis zu Ende, Augsburg
1783, S. 503.
462
Ebd., S. 507 f.: »Da sieht man also, wer der Herr Abbt Jerusalem sey, nämlich ein
Freund und Gönner eines der gefährlichsten Lehrmeister der Naturalisten. Er und die
ihm folgen, fallen von dem so schädlichen Indifferentismus, gar bis in den Abgrunde des
Naturalismus hinab; sie wollen Gott die von ihm selbst vorgeschriebene Ehre; der geof-
fenbarten Religion ihr Wesen; und endlich allen ihre zeitliche und ewige Glückseligkeit
rauben.« – Mit dem »Lehrmeister« ist Semler gemeint, wie aus dem Kontext hervorgeht.
463
Vgl. dazu ausführlich Dumont 1997.
464
Vgl. Schaich 1997 zu Augsburger Exjesuiten um Johann Anton Weissenbach.
465
Vgl. Dumont 1997, S. 38 f.
466
Vgl. z. B. Habersaat 2001, S. 44–64 (v. a. zu Nicolais Reisebeschreibung über die
süddeutschen Territorien).
467
Eine umfangreiche Sammlung von 118 Schriften rund um das Religionsedikt bie-
tet die Mikrofiche-Edition Mißbrauchte Aufklärung? Schriften zum preußischen Religi-
onsedikt vom 9. Juli 1788, hg. v. Dirk Kemper, Hildesheim o. J. – Hervorzuheben wären
etwa Pamphlete wie der anonym publizierte satirische Dialog Unumstößlicher Beweis,
daß die Aufklärer Atheisten sind (Frankfurt an der Oder/Leipzig 1788), ebenso Ueber
die verdunkelnde Aufklärung von einem Ungenannten (Frankfurt an der Oder/Leipzig
1788) oder Ueber Religion, Deismus, Aufklärung und Gewissensfreyheit ([Berlin] 1788). –
Grundlegend zum Religionsedikt: Wiggermann 2010; zu den öffentlichen Reaktionen vgl.
Sauter 2009.
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Aufklärung und kein Ende 663

entlang eines Nord-Süd-Gefälles anordnen zu wollen. Zwischen den Polen


der Berliner Aufklärung und der katholischen Gegenaufklärung – ganz zu
schweigen von der radikalen Spätaufklärung – sind vielerlei Schattierungen
denkbar. Diese Komplexität der Diskussionslandschaft tritt bereits zutage,
wenn man zu den genannten Beispielen noch die Antifreigeistpublizistik der
katholischen Aufklärung heranzieht.468 Große öffentliche Kontroversen wie
der Pantheismusstreit nach Lessings Tod und der am Ende des Jahrhunderts
aufbrechende Atheismusstreit um Johann Gottlieb Fichte469 belegen auch da-
rüber hinaus eindrücklich, dass das »Problem des Unglaubens« (L. Febvre)
in der norddeutschen Spätaufklärung noch längst nicht zur Ruhe gekommen
war.

6.4 Epilog
Die Religion, ihre Gegner und der freie Geist
in Herders Freidenker-Aufsatz von 1802

Eine weiterführende Untersuchung des Unglaubensdiskurses in der Hoch-


und Spätaufklärung wird die Pluralisierungsvorgänge, die hier nur angedeutet
werden konnten, zu berücksichtigen haben. Am Ende des alten und zu Be-
ginn des neuen Jahrhunderts reicht das Spektrum des Diskurses (neben den
inzwischen auch offen auftretenden Atheisten selbst) von Schriften wie dem
Römisch-katholischen Kontroverskatechismus wider die Un- und Irrgläubigen
(1798), in dem noch einmal vehement gegen die alte Bayle-These Sturm ge-
laufen wird,470 bis zu Johann Gottfried Herders Aufsatz Freidenker von 1802,
der diesen kleinen Ausblick beschließen darf.471 Vom souveränen Standpunkt
einer Theologie, die durch die Aufklärung hindurchgegangen ist, sich ihre

468
Einige Beispiele müssen hier genügen, so etwa Carl von Eckartshausen, Ueber die
Freygeisterey unserer Zeiten, in: Ders.: Beyträge und Sammlungen zur Sittenlehre für Bai-
erlands Bürger, München 1785, S. 177–184; ders., Felix, oder der Freygeist, in: Ebd., S. 184–
189 (vgl. dazu Spiekermann 2015, S. 396–399); anonym: Ueber Freydenker, und Atheisten,
in: Der oberdeutsche Freund der Wahrheit und Sittlichkeit, 2. Bd., 1788, S. 121–131.
469
Zum Pantheismusstreit vgl. den aus den Quellen erarbeiteten Abriss von Murr-
mann-Kahl 2011; zu Fichte und dem Atheismusstreit vgl. jetzt Gräf 2018 mit Hinweisen
zur älteren Forschung.
470
Ernest Kronenberger, Römisch-katholischen Kontroverskatechismus wider die
Un- und Irrgläubigen, Köln 1798, S. 3: »F. Kann eine Gesellschaft von Gottesleugnern
bestehen? Antw. Nein, denn wo, wie es endlich die Erfahrung lehret, man keine Obern
und keine Gesetze achtet, wo auch heimliche Laster keinen Damm haben, da kann es nur
Räuber und Mörder geben.«
471
Johann Gottfried Herder, Freidenker, in: Adrastea, Bd. 4, 1802, S. 214–229. Im
Folgenden zit. n. Johann Gottfried Herder, Werke in zehn Bänden, Bd. 10: Adrastea
(Auswahl), hg. v. Günter Arnold, Frankfurt am Main 2000 (Bibliothek deutscher Klas-
siker 170), S. 651–660 (Nachweise im Rahmen dieses Kapitels mit bloßer Seitenzahl in
Klammern). – Vorangegangen war schon 1801 der thematisch ähnlich gelagerte Aufsatz
John Locke. Die Freidenker, in: Adrastea, 1. Bd., 1801, S. 203–217 (auch: Werke, Bd. 10,
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664 Übergänge zur Hochaufklärung

Methodik zu eigen gemacht und sie letztlich überlebt hat, unternimmt dort
der selbst dem Pantheismus zuneigende Herder eine retrospektive Würdigung
des inzwischen schon historisch gewordenen Freidenkertums. Er plädiert zu-
dem für eine Rehabilitation des Begriffs ›Freidenker‹,472 wie sie eine Zeitschrift
dieses Titels 1741 noch erfolglos vorgeschlagen hatte.473 Die undifferenziert-
denunziative Verwendung der Bezeichnung und ihrer Synonyme durchschaut
der Sprachtheoretiker Herder mühelos: »So ist der Titel [sc. ›Freidenker] ein
Netz voll guter und böser Fische […], bis man ihn gar fallen ließ und dafür
Ungläubige (infidels) sagte. Auf dem festen Lande ging es mit dem Namen
Freigeist (esprit fort) nicht anders. Er hat Narren und Kluge bedeutet, bis seine
Zeit auch dahin ist.« (652)
An diesem Vorgehen bemängelt Herder zunächst gar nicht die pejorati-
ve Aufladung des Begriffs selbst, sondern die aus seiner Sicht unzulässige
Gleichsetzung höchst verschiedener Autoren, die unterschiedslos als ›Frei-
denker‹ bezeichnet worden seien (»man zählte zu ihnen die verschiedensten,
oft sehr achtungswürdigen Schriftsteller, und gesellte sie zu den leichtfer-
tigsten Buben« [652]).474 Das zentrale Argument des Aufsatzes ist jedoch ein

S. 124–133). Er enthält schon einige Gedanken, die im späteren Aufsatz weiter ausgear-
beitet werden.
472
Mit dieser Forderung endete bereits der Aufsatz von 1801 (ebd, S. 133): »Ein frei-
er Geist ist der größeste Vorzug des Menschen; freies Denken, worüber es sei, kann und
soll uns weder Lordschaft noch Priestertum rauben.«
473
In der Danziger Wochenschrift Der Freydenker (1741/42) bemüht sich der als
Titelfigur auftretende Sprecher in der Vorrede um eine entsprechende Klarstellung (1. St.,
1741, S. 3): »Man muß hier aber einen genauen Unterscheid zwischen einem wahren Frey-
denker und demjenigen machen, welcher diesen edlen Namen misbraucht.« – Etwas spä-
ter wird auch eine begriffliche Differenzierung vorgenommen, die aufhorchen lässt: Der
›Freidenker‹ grenzt sich von den Freigeistern ab, die mit den typischen Attributen des
Ungläubigen gekennzeichnet werden (S. 7): »Ich bin ein Freydenker, und werde diesen
Charakter in allen Fällen behaupten. Ich bin aber kein Freygeist. Man weis aus dem Vor-
hergehenden den Unterscheid [!] zwischen beyden. Laster und Fehler sind der Vorwurf
der Betrachtungen eines Freydenkers, nie aber besondere Menschen.« – 1742 erschien in
Berlin eine Wochenschrift gleichen Namens. Dem Titelblatt zufolge handelt es sich um
eine Übersetzung aus dem Englischen. Dort wird gleich im ersten Stück (datiert auf den
24. März 1718) in ähnlicher Weise argumentiert (Der Freydenker; oder Versuche von der
Unwissenheit, dem Aberglauben, der Gleisnerey, Schwärmerey und Betrügerey etc., Bd. 1,
1. St., 1742, S. 13): »Es giebt ja fast keinen Ehrentitel, der nicht endlich zu einem Schimpf-
worte gemisbrauchet wird. So ist auch das Freydenken, welches an sich selbst eine Voll-
kommenheit und Ehre der menschlichen Natur ist, nach und nach in Verfall gerathen; weil
einige gar zu unbesonnen, andere zu furchtsam, viele zu lasterhaft gewesen, und gewisse
verschmitzte und verschlagene Leute gar zu viel vorgegeben haben.«
474
Im Aufsatz von 1801 wird diese Idee an einigen Beispielen vorgeführt
(Anm. 471, S. 132): »Ein treflicher Herbert von Cherburi; und Hobbs, ein Collins; und
Blount, Woolston und Chubb, Bolingbrocke und Hume neben einander gestellt, geben
einen Index expurgatorius, der von dem geringen Verstande seiner Sammler zeiget [!].« –
Noch ausführlicher hatte sich Herder dazu bereits 1780 geäußert, in den Briefen, das
Studium der Theologie betreffend: »Muß es nicht jeden billigen Mann, der diese Namen
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Aufklärung und kein Ende 665

anderes. Im Rückblick auf ein Jahrhundert, das neben den britischen Deis-
ten und den französischen Materialisten mit ihren heftigen Angriffen auf die
christliche Kirche und Religion auch Philosophen wie David Hume, Jean-
Jacques Rousseau oder Immanuel Kant und Theologen wie Spalding, Sem-
ler oder Schleiermacher hervorgebracht hatte, kann Herder den durch die
›Freidenker‹ verursachten Schaden als durchaus gering veranschlagen. Wie
gründlich sie ihren Schrecken für ihn verloren haben, zeigt sich vor allem
dann, wenn er ihnen einen Nutzen für die christliche Religion und einen
Anteil bei deren verbesserter theologischer Grundlegung zuschreibt:

Das ganze verlebte Jahrhundert zeigt nämlich, daß Freidenker, Freigeister und wie
man sie sonst nennen möge, dem Christentum lange nicht so gefährlich gewesen, als
man sich im ersten panischen Schrecken einbildete, ja daß sie ihm vielfach nützlich
geworden. Nicht nur erweckten sie den Geist der Prüfung, und hielten ihn wach-
sam; sondern (wer darfs leugnen?) sie brachten meistens bessere Schriften hervor, als
sie selbst schrieben, beßre, ja gegenseitige Wirkungen, als die sie zur Absicht hatten.
Ohne vergleichende Anfälle aufs Christenthum hätten, (unter Vielen nur Wenige zu
nennen), Locke und Addison, Bentlei [!], […] Wollaston u.[s.]f. manche ihrer schätz-
baren Werke nicht geschrieben; sie wären auf manche Untersuchungen nicht geführt
oder bei ihnen nicht so festgehalten worden. (652)

Ein derartiger Sinn für historische Dialektik müsste bei einem Geschichts-
philosophen und Historiker vom Format Johann Gottfried Herders nicht
verwundern. Tatsächlich aber kann er sich hier auf eine lange Denktraditi-
on berufen, in die sich bedeutende Namen wie Martin Luther, 475 Gottfried

anders als aus Wörterbüchern und Ketzerregistern kennet, beleidigen, wenn ein Mon-
tesquieu und der Narr La-Mettrie, ein Shaftesburi und Chubb, der ernste Rousseau und
der Spötter Voltaire, in buntem Triumphe neben und durch einander Schau geführet
werden? ja daß oft ein Mensch über sie, als über die elendesten Schriftsteller, das Urteil
spricht, der kaum ihr Abschreiber zu sein wert wäre. […] Überhaupt, m[ein] F[reund],
schwiegen Sie von diesen Leuten, ehe Sie sie selbst gelesen haben; auf den index expur-
gandorum und das Zeugnis eines Inquisitors verlassen Sie sich nie.« Johann Gottfried
Herder, Werke in zehn Bänden (Klassiker-Ausgabe), Bd. 9/1: Theologische Schriften, hg.
v. Christoph Bultmann u. Thomas Zippert, Frankfurt am Main 1994 (Bibliothek deut-
scher Klassiker 106), S. 409.
475
Auf das Lutherzitat (»Haeretici sunt utiles«), das als Motto weiter oben der
Einleitung voransteht, darf hier pauschal verwiesen werden. – Das Argument begegnet
auch in der Antihäresie-Polemik der Reformationszeit, so etwa bei Thomas Stapleton,
Principiorum fidei doctrinalium demonstratio methodica, o. O. 1579, S. 510 f.: »Alter
est idemque amplissimus, & huic magis loco proprius fructus, vt quanto se falsitas
obtrudit magis, tanto clarior & illustrior elucescat veritas. Nempe faciunt omnes hae-
reses, vt in Controuersiam vocata dogmata, accuratius examinentur, examinata fortius
confirmentur; confirmata illustrius commendentur; sic denique commendata firmius
retineantur.« Das Kapitel trägt die (marginal gesetzte) Überschrift Quis ex haeresi
fructus capiendus (ebd., S. 510). – Analoge Belege werden sich bei den Kirchenvätern
finden lassen.
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666 Übergänge zur Hochaufklärung

Wilhelm Leibniz476 oder Christian Wolff477 einreihen lassen. 1716 gebrauchte


das Argument der selbst heterodoxieverdächtige Philosoph Christoph August
Heumann, nun schon mit Blick auf einen Spinozisten und dessen Lehren.478
Ab der Jahrhundertmitte lässt sich an Äußerungen dieser Art das methodo-
logische Selbstbewusstsein insbesondere der protestantischen Theologie able-
sen. Nach der Vorarbeit der sogenannten Übergangstheologen (Budde, Walch,
Pfaff, Mosheim) herrschte in der protestantischen Welt die Überzeugung, die
Angriffe des Deismus, Skeptizismus und Pantheismus erfolgreich abgewehrt
zu haben.479 In diesem Sinne würdigte etwa Christian Wilhelm Franz Walch,
Sohn des bekannteren Übergangstheologen Johann Georg Walch, in seiner
Vorrede zu Mosheims Kirchengeschichte des neuen Testaments (1769) die kri-
tischen Impulse, die von Skeptikern, »welche nichts zu glauben für eine Ehre
halten«, für die Kirchengeschichtsschreibung ausgegangen seien.480 Fünf Jahre

476
Gottfried Wilhelm Leibniz, Theodizee, Hamburg 1968 (Meiners Philosophische
Bibliothek 71), S. 61 (Teil I, § 39): »Ich bin (wie ich oben gesagt habe) überzeugt, daß die
scheinbaren Einwände gegen die Wahrheit von großem Nutzen sind: und daß sie dazu
dienen, sie zu stärken und heller erstrahlen zu lassen, insofern als geistvollen Personen
Gelegenheit zu neuen Eröffnungen gegeben wird, oder doch die alten dabei zu besserer
Geltung gelangen.«
477
Christian Wolff, Ausführliche Nachricht von seinen eigenen Schrifften, die er
in deutscher Sprache von den verschiedenen Theilen der Welt-Weißheit heraus gegeben,
Frankfurt am Main 21733, Vorrede, fol. [( )(6r)]: »Ich vor meine Person habe es erfahren,
daß, je mehr man das Gute lästert, je mehrere sich finden, welche es erkennen lernen. Und
so muß doch endlich die Wahrheit obsiegen und diejenigen müssen zu Schanden werden,
welche entweder aus Unverstand, oder aus Boßheit der Wahrheit widersprochen haben.«
478
Christoph August Heumann, Nachricht von einem neuen Spinozisten, Henrico
Wirmarsio, in: Acta philosophorum 7, 1716, S. 115–155, hier S. 118: »Die Einwürffe der
Atheisten vermehren den Glantz der Wahrheit eben dadurch, daß sie elende und abge-
schmackt sind. Und wo sie einigen Schein haben, da muß man ihrem Geiste alsobald ein
antidotum an die Seite stellen, damit derselbe unschädlich werde.«
479
So zum Beispiel, speziell mit Blick auf den britischen Deismus, der Englandken-
ner Georg Wilhelm Alberti in seinen Briefen betreffende [!] den allerneuesten Zustand
der Religion und der Wißenschaften in Groß-Brittanien. Zweiter Teil, Hannover 1752,
S. 500: »Man will auch von einem Nutzen der Freygeisterey reden. Es ist gewis, daß das
allsehende Auge des Herrn der Kirche das Böse zum Guten zu lenken weiß, und daß im
gegenwärtigen Falle die Warheit, Schönheit und Nutzbarkeit der Christlichen Religion in
ein helleres Licht gesetzet, und manche Schwürigkeit aufgelöset worden.« – Zum (nicht
zuletzt methodologischen) Selbstbewusstsein der betont aufgeklärten protestantischen
Theologie s. auch die Ausführungen im Kapitel zur lutherischen Apologetik und Polemik
ab 1700 ( V.6).
480
Christian Wilhelm Franz Walch, Vorrede, in: Johann Lorenz von Mosheim, Voll-
ständige Kirchengeschichte des neuen Testaments, aus dessen gesamten lateinischen Werken
frey übersetzt […], Leipzg 1769, S. 11–176, hier S. 32: »Sie haben eine schärfere Unter-
suchung und Berichtigung gewisser Beweise durch ihre nicht immer ganz ungegründete
Einwürfe veranlasset. […] Sie haben unsere Lehrer genöthiget, die Geschichte des Kanons
der biblischen Bücher mit dem grösten Fleiß zu untersuchen: ein sehr interessantes Ge-
schäfte, welches ehemals, da man dessen Zwek sonderlich auf den Widerspruch gegen die
Irrthümer der römischen Kirche einschränkte, sehr enge Gränzen hatte, allein durch die
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Aufklärung und kein Ende 667

später glaubte ein anonymer norddeutscher Autor im Auftreten von Freiden-


kern in katholischen Territorien – und nur dort – die Wirkung der Vorsehung
erkennen zu können.481 Wer es sehr genau nahm, betonte im Zuge solcher
Würdigungen noch, dass dieser Nutzen keineswegs ausreiche, die Dreistigkei-
ten der Freidenker zu entschuldigen.482
Mit dem etwas größeren zeitlichen Abstand findet Herder dafür 1802 über-
aus wertschätzende Formulierungen wie die folgende: »Wer darf läugnen, daß
nicht bei jedem Zusammentreffen denkender Köpfe, wie zwischen Stahl und
Stein, Funken hervorspringen?« (653) Gemeint ist damit besonders Leibniz,
der es Herder zufolge mit Hobbes, »Shaftesburi« und Toland aufgenommen
habe (653). Harte Worte hat er dagegen nicht nur für die nutzlosen Freidenker
übrig,483 sondern auch für eine schlechte Apologetik, insbesondere für blin-
den Religionseifer, der statt mit Argumenten mit Verfolgung und Vertreibung
operiere.484 In solchen Fällen kehrt sich der Unglaubensvorwurf gegen die An-
kläger selbst. »Größtentheils«, so Herder, »waren es schwache Andächtlinge,
oder gar rohe Gottlose, die gegen sogenannt-Ungläubige Verfolgung erregten«
(652 f.). Derartige Umwertungen kennen wir bereits von Spener, Arnold oder
Thomasius. Die anschließende revueartige Musterung (653–656) des britischen
Deismus und seiner bekannteren Vertreter (Toland, Collins, Tindal, Thomas

Streitigkeiten mit den Freygeistern einen ungemein weitläuftigen Umfang erhalten […].« –
Explizit lobt er beispielsweise Bayle, der Walch zufolge »mit wahrem Scharfsinn nüzliche
[!] Entdeckungen unbekannter historischer Wahrheiten machte, und daher auch um die
Kirchenhistorie sich Verdienste erwarb« (ebd., S. 33).
481
Anonym, Zeichen der Zeit nach ihren Aussichten für die Religion, Hamburg 1774,
S. 40 f. »Die Klagen über die einreissende Freygeisterey und den damit verknüpften Indif-
ferentismus in Religionssachen, so die herrschende Parthey an den meisten Höfen ist, sind
allgemein. […] Aber ich unterstehe mich, in Ansehung römisch-catholischer Höfe, dreiste
zu behaupten: daß die darinn im Schwang gehende Freygeisterey, ob sie gleich an sich
unentschuldbar bleibt, dannoch in Vergleichung mit dem vorhergehenden Aberglauben
und blinden Verfolgungs-Systeme für einen grossen Gewinnst für die Wahrheit angesehen
werden dürfe. Leyder, muß GOtt oft die Menschen von einem Abweg auf den entgegen
gesetzten gerathen lassen, bis er sie nach und nach auf die kluge Mittelstrasse führen kan.«
482
So etwa Georg Friedrich Meier, Rettung der Ehre der Vernunft wider die Freygeis-
ter, Halle 1747, S. 93: »Die Religionsspötter gäben ia, durch ihre Einwürfe, den Gottes-
gelehrten Gelegenheit, die Wahrheit immer mehr zu befestigen und zu erweitern, und das
könne nicht anders, als zum Vortheil der Religion, ausschlagen. Ich gebe dieses alles zu,
und behaupte demohnerachtet meine vorhergehenden Sätze. Es ist falsch, daß alles dasie-
nige erlaubt sey, woraus zufälliger Weise ein Nutzen entsteht.«
483
»Bei jedem sogenannten Freidenker unterscheide man also, was er auch außer sei-
ner Freidenkerei Gutes geleistet, und was er bei jener im Sinne gehabt, von Dem, was er
unkräftig oder aufgebracht gegen Lehren der Kirche unternahm; im Letzern konnte er ja
widerlegt werden.« (653)
484
»Verfolgung über Gedanken, welchen Gegenstand diese auch betreffen mögen,
ist nicht der Geist des Christenthums; der Geist des Protestantismus ist Überzeugung,
mithin eigne Untersuchung und Prüfung. Am wenigsten waren mit der Verfolgung die
zufrieden, die gegen die Ungläubigen schrieben: denn gegen ein verbranntes Buch oder
gegen einen eingekerkerten Unglücklichen zu schreiben ist keine Ehre.« (652)
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668 Übergänge zur Hochaufklärung

Chubb, Thomas Morgan) darf hier übergangen werden zugunsten des bündi-
gen Zwischenfazits, in dem Herder noch einmal den historischen Nutzen der
britischen Freidenkerbewegung herausstreicht: »Ohne diese vielfach-freiere
Ansicht der Dinge säßen wir vielleicht noch auf den Schulbänken der lateini-
schen alten Dogmatik.« (656)
Für den Beschluss der vorliegenden Untersuchung lässt sich kaum ein
besseres Textbeispiel denken als die von Herder hinzugefügte »Fortset-
zung« (657–660), die neben einer schönen Würdigung von Lessings kriti-
scher Methode in den Rettungen und im Fragmentenstreit (659 f.)485 auch
eine sprachkritische Analyse der öffentlichen Rede über den Unglauben
vornimmt. Sie setzt genau bei der Schwierigkeit an, die hier einleitend er-
örtert wurde: dass sich die Funktion oder der valeur eines polemischen
Begriffs wie ›Freidenker‹ nicht allein über dessen engere Wortbedeutung
erschließen lässt.486 Zur Illustration dieses Gedankens geht Herder einige
der Bezeichnungen durch, mit denen der Unglaube oder die Ungläubi-
gen im Laufe der Zeit etikettiert worden waren. Er vergleicht sie mit dem
Wortsinn einerseits und den tatsächlichen Anliegen der so Bezeichneten
andererseits. Immer noch mit dem Augenmerk auf England, beginnt Her-
der mit dem »vieldeutigen Namen Infidels« (657) und kennzeichnet ihn
als semantisch irreführend: »Abscheuliche Insinuation, durch ein Wort er-
schlichen, das ganz etwas anders bedeutet.« (657) Wenn er die Gewohnheit
kritisiert, die Abweichler von den Lehren einer bestimmten »Sekte« gleich
als »Treulose« oder »Gottesleugner« zu bezeichnen, mag er den frühen Ge-
brauch des Unglaubensvorwurfs im Übergang von der Reformationszeit
zum konfessionellen Zeitalter im Blick gehabt haben ( I.2; II.1; II.2.1)
oder auch die Angriffe gegen die protestantische Neologie (s. o.). Den Me-
chanismus beschreibt er jedenfalls vollkommen zutreffend.487
Behutsamer geht er beim Atheismusbegriff vor, zu dessen sachlichem
oder semantischem Kern sich im Laufe des 18. Jahrhunderts veritable Re-
ferenzobjekte gefunden hatten. Die Unterscheidung zwischen Bedeutung
und Verwendung belegt aber, dass sich Herder der Problematik der alten

485
Lessing wird von Herder als »Rechtdenker der Freidenker« bezeichnet (659). Sein
Eintreten für Lemnius, Cardano, Berengar und schließlich den »Ungenannten« [sc. Rei-
marus], ohne sich andererseits deren Positionen zu eigen zu machen, entspricht Herders
Vorstellung einer kritischen Öffentlichkeit: »Weder ein blinder Verteidiger seines Unge-
nannten, so wenig als dessen Bestreiter […]. Zusehen wollte er dem Kampf und ihn hie
und da lenken.« (659) – Zu Lessings Rettungen vgl. jetzt die zusammenfassenden Ausfüh-
rungen von Vollhardt 2018, S. 94–110 u. 310–327.
486
»›Noch weiß ich nicht, wird Mancher sagen, was ich mir unter Freidenkern zu
denken habe? Frei soll ja Jedermann denken.‹ Zu wünschen wäre es, daß Jeder sich diesen
Zweifel machte, eher er das Wort als einen Schimpfnahmen ausspricht.« (657)
487
»Wer am Kirchenglauben dieser oder jener Sekte nicht festhält, wäre der darum ein
Gottesleugner, ein Treuloser gegen Pflicht und Gewissen, ein Unmensch?« (657)
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Aufklärung und kein Ende 669

Frage An dentur athei? ( I.5.2; IV.5) ebenso bewusst war488 wie der mora-
lisch-politischen Implikationen des denunziatorisch gebrauchten Atheismus-
vorwurfs. Das folgende Zitat steht deshalb auch als Motto über dieser Un-
tersuchung: »Hinweg also mit dem erbitternden Vorwurf! Zu lange hat man
mit dem Ausdruck ›ein Mann ohne Religion‹ Menschenfeindlich-grausam
gespielet.« (658) Herders Kritik zielt vor allem auf die falsche Anwendung
da, wo gar kein ›echter‹ Atheismus vorliege, wie etwa bei den Vertretern einer
mechanistischen Naturauffassung. Fast übertrieben verständnisvoll erklärt er
daher den Atheismus zu einem zulässigen Gedankenexperiment, analog viel-
leicht der alten Etiamsi daremus-Formel des Naturrechts ( I.3.5).489 Gegen
eine solche Art von Naturforschung ohne Heterodoxieanspruch, so Herder,
gelte »der gehässige Vorwurf einer allgemeinen Treulosigkeit gegen Pflicht und
Ordnung nicht« (657). Er sei vielmehr noch eher da am Platz, wo tatsächlich
die alte bonum commune-Doktrin und damit auch ein zentrales Element der
naturrechtlichen Pflichtenlehre attackiert würde – in Mandevilles Verhältnis-
bestimmung von privaten Lastern und öffentlichem Nutzen.490
Mit diesen äußerst differenzierten Überlegungen ist der Boden bereitet
für die Rehabilitation der Bezeichnung ›Freidenker‹ und der Angelegenheit
des freien Denkens in Religionsfragen. Selbstbewusst kann Herder dabei
auf die Leistungen der historisch-philologischen Bibelkritik, der Kirchen-
und Dogmengeschichtsschreibung verweisen, die im Protestantismus des
18. Jahrhunderts mit bedeutenden Figuren wie Walch, Mosheim, Semler
oder Johann David Michaelis einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt
hatten. Soweit die sogenannten Freidenker dazu den Anlass geboten hätten,
indem sie die »Aufmerksamkeit« (658) der Theologen auf derartige Fragen
gerichtet hätten, gebühre ihnen auch die entsprechende Anerkennung: »Wer
diese, wodurch es sei, rege macht oder befördert, verdienet Dank; heiße er
Freigeist oder Freidenker.« (658) Den Unterschied zwischen dem guten frei-
en Denken und der schlechten ›Zweifelsucht‹491 will Herder nicht nach den
Inhalten bemessen, sondern nach der Methodik und der Durchführung. Auf

488
»Die Frage: ob es Atheisten gebe? hat sich zwar in der letzten Hälfte des verflos-
senen Jahrhunderts durch lauter Zeugnisse, zumal von Frankreich aus, beantwortet; allein
auch diese, wenn sie nicht Sinn und Vernunft aufgeben wollten, mußten eine Ordnung der
Natur, zu der auch sie gehörten, mithin Gesetze anerkennen, die auch über sie geböten.«
(657)
489
»Eben um diese Gesetze reiner und schärfer, ohne Vorurteil selbst des höchsten
Ansehens, zu erforschen, wandten sie den Atheismus vor und begnügten sich an blinden,
notwendigen Mächten.« (657)
490
»Eher würde man die schlechten Politiker und Moralisten, die auf Nutz und
Eigennutz Alles bauen, einen Mandeville und seine seichten Nachfolger Infidels nennen
müssen, wenn auch in Ansehung ihrer das Wort nicht zu hart wäre.« (658)
491
Diese Kategorie, mit deren Hilfe im 18. Jahrhundert die Grenze zwischen zu-
lässigem Zweifel in der Descartes-Nachfolge und radikalem Skeptizismus unterschieden
wurde, behandelt Herder ein Jahr zuvor in einem anderen Aufsatz: Ueber Zweifelsucht
und Disputirränke, in: Adrastea, 1.Bd., 1801 (Beilage), S. 109–115 (abgedruckt in Herder,
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670 Übergänge zur Hochaufklärung

Gründe und Gründlichkeit komme es an,492 erst recht dort, wo nicht die Bi-
bel, sondern die Lehrsätze einzelner Kirchen oder Konfessionen zur Debatte
stünden.
Herder greift hier auf ein Narrativ zurück, demzufolge gerade in der an-
haltenden »Prüfung« das Wesen des Protestantismus bestehe.493 Folgerichtig
kann er sogar die Reformatoren zu Freidenkern avant la lettre stilisieren,494
wie es fast zeitgleich übrigens auch in der katholischen Polemik gängig war.495
Angesichts der historischen »Wandelbarkeit« (658) des kirchlichen Lehrbe-
griffs bleibt Herder zufolge für jeden Protestanten nichts anderes übrig, als
selbst vom freien Denken Gebrauch zu machen. Ein entsprechendes Plädo-
yer hatte er bereits ein Jahr zuvor in dem thematisch ähnlich gelagerten Auf-
satz John Locke. Die Freidenker formuliert. Es unterstreicht eindrücklich,
was den Prozess der Aufklärung, zumindest im protestantischen Deutsch-
land des 18. Jahrhunderts, vor allem kennzeichnet und als das historische
Verdienst der daran Beteiligten begriffen werden kann. Nicht im Kampf ge-
gen das Alte und in der Durchsetzung radikaler Ideen lag ihre besondere
Leistung, sondern im fortwährenden Aushandeln von Kompromissen, nicht
in der Vertauschung christlicher Werte mit einer säkularen Weltauffassung,
schon gar nicht in der Abschaffung von Religion und Kirche, sondern in
ihrer Modernisierung bis zu dem Punkt, an dem die Religion aufgeklärt und
die Aufklärung vernünftig-religiös sein konnte. Wer die Frage »Was war
Aufklärung?« (Rudolf Vierhaus) in aller Ernsthaftigkeit stellen und ihre Ge-
schichte schreiben möchte,496 tut daher gut daran, sich weniger an Verlautba-
rungen der historischen Freidenkerbewegung oder der Radikalaufklärer zu
orientieren, dafür jedoch mehr an dem Aufruf des Theologen, Predigers und
Generalsuperintendenten Herder, ein Jahr nach dem Ende des Aufklärungs-
jahrhunderts:

Werke, wie Anm. 471, S. 80–84). Dort wird, mit dem gleichen Vorgehen wie im Freiden-
ker-Aufsatz, die historische Leistung Pierre Bayles evaluiert.
492
»Nennt man Freidenker diejenigen, die gegen Inspiration oder Authentizität oder
gegen den Inhalt biblischer Bücher hie und da Zweifel erregten; so kommt es auf die Grün-
de an, mit denen sie diese Zweifel vortrugen. Waren sie gründlich; warum sie nicht hören,
prüfen? Ungründlich; desto leichter sind sie zu widerlegen, oder verdienen auch diese Wi-
derlegung nicht.« (658)
493
Vgl. etwa Kuhn 2003, S. 137 (am Beispiel des Volksaufklärers Johann Moritz
Schwager, der die Aufklärung zum Ausdruck des protestantischen Prinzips erklärte).
494
»Gilt endlich die Freidenkerei Meinungen der Kirche; warum sollte in Absicht
dieser nicht das Denken erlaubt sein? Der Protestantismus fodert es sogar, da er auf eigne
Prüfung und Überzeugung gebauet ist; die Reformatoren übten das freie Denken nach
dem Maß ihrer Zeiten; nur mittels seiner wurden sie Reformatoren.« (658)
495
Nachweise weiter oben in Kap. VI.6.3.
496
Vgl. Vierhaus 1995, die Formulierung bildet den Obertitel seines Vortrags.
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Aufklärung und kein Ende 671

Freidenker sollen wir alle sein, d. i. wir sollen dem Recht und der Wahrheit frei nach-
streben, ihnen nacheifern, frei von allen Fesseln des Ansehens und Vorurteils, mit
ungeteilter Seele. Wenn aber ein wilder Geist sich einen Freidenker nennt, und einen
andern bescheidnen Mann zum Deckmantel seiner Frechheit mißbraucht, wenn dann
ein Dritter, ein ohnmächtiger Sklave des Vorurteils, Jenem diesen Ehrennamen als
Eckelnamen nachwirft, sind sie in gleichem Falle? Der Name Freidenker, wie ver-
schiednen Männern ist er gegeben, die fast nichts mit einander gemein haben!497

497
Herder, John Locke. Die Freidenker (Anm. 471), S. 132.
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SCHLUSSBEMERKUNGEN

1. Rückschau, Ergebnisse, Perspektiven

Ein Buch wie das vorliegende verfolgt mehr als nur ein Ziel. An erster Stel-
le stand die Erschließung und thematisch geordnete Dokumentation breiter
Materialbestände innerhalb eines klar umgrenzten Gegenstandsbereichs: der
öffentlichen Rede über die Gottlosigkeit oder den Unglauben. Dass darunter
nicht zu jeder Zeit das gleiche verstanden wurde, dass die Bezeichnungen da-
für wechseln konnten, dass schließlich oft genug nicht die ›echte‹, historisch
nachweisbare Gottesleugnung, der radikale Skeptizismus oder Materialismus
gemeint war, wenn es wieder einmal gegen den vermeintlich grassierenden
Atheismus ging, wurde nach bestem Vermögen berücksichtigt und in zahlrei-
chen Einzeltextanalysen herausgearbeitet. Gerade weil die Argumente, Deu-
tungen, Wertungen und meist polemisch ausgerichteten Motivsysteme, die
den Diskurs über den Unglauben über mehr als zwei Jahrhunderte geprägt ha-
ben, schon weitgehend vorlagen, bevor der Atheismus als Bezeichnung (ab ca.
1580) und als historisch fassbares Phänomen (ab etwa 1660) in den Blick geriet,
nämlich in der Bibel und in den Psalterkommentaren der Spätantike (Augusti-
nus) oder der Reformationszeit ( I.1), darf nun die eingangs aufgestellte The-
se, es handele sich um einen Feindbilddiskurs, der quasi denknotwendig aus
der Eigenlogik der christlichen Theologie, aber auch aus der Funktionsweise
des christlich geprägten Staatswesens folgt, als hinreichend abgesichert gelten.
Das bedeutet, um es noch einmal zu wiederholen, dass die »Bekämpfung
des Atheismus« (H. Leube) seit dem 16. Jahrhundert nicht einfach als ›Wider-
spiegelung‹, als Reaktion auf das Aufkommen genuin atheistischen Gedanken-
guts seit derselben Zeit zu begreifen ist, nicht einmal zwingend auf heterodo-
xe Ideen unterhalb der Atheismusschwelle. Vielmehr muss die Funktion des
Unglaubensvorwurfs vor wie nach 1650 aus dem jeweiligen Kontext seiner
Anwendung erschlossen werden wie beispielsweise den Hugenottenkriegen
gegen Ende des 16. Jahrhunderts ( I.2) oder der Kirchenkritik seitens der
großen Frömmigkeitsbewegungen im 17. Jahrhundert ( II). Es kann zwar
nicht bestritten werden, dass der Atheismusvorwurf vielfach auch gegen echte
Radikale oder sogar veritable Atheisten im Wortsinn gerichtet wurde, zumal
nach dem Auftreten Spinozas auf der ideengeschichtlichen Bühne, erst recht
im 18. Jahrhundert. Eben weil aber dieser Fall der erwartbare ist und durch
Bibliografien wie durch wissenschaftliche Studien oder Biografien (z. B. Spi-
nozas) weit besser dokumentiert wurde, blieb die vorliegende Darstellung auf
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674 Schlussbemerkungen

die Unglaubenskritik als Diskursphänomen konzentriert, also auf ein topisch


strukturiertes Kommunikations- und Argumentationsgebilde, das der Bestä-
tigung oder Korrektur durch die außersprachliche Wirklichkeit (d. h. durch
›echte‹ Atheisten) über weite Strecken kaum bedurfte.1 Der impius oder ›Gott-
lose‹ erfüllte als Feindbild – analog zu anderen Feindfiguren wie ›Schwärmern‹
oder Hexen – verschiedene Funktionen, die weit über den theologischen Be-
reich hinausreichten, am sichtbarsten wohl in der staats- und politiktheoreti-
schen Literatur.2
Diese diskursgeschichtliche Herangehensweise, die das Verhältnis von
Wort, Sache und Gebrauch in seiner Dynamik zu erfassen sucht, brachte
nicht zuletzt den Vorteil mit sich, dass dabei strategische oder intentionale
Zusammenhänge in den Blick gerieten, die von der ›Widerspiegelungsthese‹
allzu oft verdeckt werden. In diesem Zusammenhang ist an das womöglich
wichtigste Beweisziel dieses Buches zu erinnern. Es wurde einleitend mit der
Formel »nichtorthodoxe Unglaubenskritik« benannt. Ohne die oben gemach-
ten Ausführungen unnötig zu wiederholen, lässt sich abschließend noch ein-
mal auf die wichtigsten Ergebnisse hinweisen: Anders als oft angenommen
wird, rekrutierte sich die publizistische Front gegen den Unglauben, der im
hier behandelten Zeitraum mehrheitlich als ›atheistisch‹ bezeichnet wurde,
nicht überwiegend (und schon gar nicht ausschließlich) aus den Reihen der
sogenannten Orthodoxie oder der jeweils herrschenden kirchlichen Autorität.
Zum überraschend breiten Strom dieser nichtorthodoxen Unglaubenskritik
gehörten neben Aufklärern wie Thomasius, Gundling oder Wolff auch Philo-
sophen wie Bacon und Leibniz, Staatsdenker wie Bodin, Grotius, Pufendorf
und sogar Hobbes, ebenso aber auch die Anhänger des frühen Pietismus, die
sich ja als Kritiker und Reformer der lutherischen Orthodoxie verstanden und
als solche ihrerseits heftig angefeindet wurden. Insofern konnte die Kritik des
atheistischen Unglaubens sogar mit tendenziell heterodoxen Überzeugungen
einhergehen.
Dass in all diesen Fällen das Verständnis von Atheismus oder Unglauben
für den jeweiligen Zweck zugeschnitten wurde, bei den frühen Pietisten etwa
auf die ›laue‹ Gottesdienstpraxis, in der Staatslehre dagegen auf die strikte ne-
gatio Dei als Gegenpol zum Konstrukt einer natürlichen Religion, ist zwar in
der Forschung schon verschiedentlich angemerkt, hier aber erstmals über ei-
nen größeren Zeitraum hinweg zusammenhängend erarbeitet worden. Das be-
ginnt mit dem Einsatz des Unglaubensvorwurfs als kontroverstheologischer
Waffe ( I.2), betrifft aber ebenso die Bemühungen um eine Präzisierung des
Atheismusbegriffs in den Jahrzehnten vor und nach 1700 ( IV.5; V.1). Da-

1
Dass das gleiche Feindbild dann auch in Streitschriften gegen Spinoza und seine
Anhänger, aber auch gegen die britischen Deisten, gegen Edelmann, La Mettrie oder Vol-
taire zum Einsatz kam, versteht sich von selbst. Es war jedoch – so war unter anderem zu
zeigen – in seinen Bestandteilen längst vollständig ausgearbeitet.
2
Dazu die Kap. I.3, II.2, III.3.4, IV.3, V.2.5, V.3.4, V.4.4, V.6.2, VI.2.3 u. VI.6.1.
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Rückschau, Ergebnisse, Perspektiven 675

bei ergab sich ein fast paradoxer Befund: Gerade die eifrige Definitionsarbeit
machte es möglich, dass die Unglaubenskritik des 16. und 17. Jahrhunderts in
der Aufklärung fast ohne Abzüge fortgeschrieben werden konnte, mitsamt den
politischen und moralischen Konnotationen, die mit dem Begriff seit Langem
verknüpft gewesen waren. Die definitorische Einschränkung auf das ›non est
Deus‹ verhinderte bis auf Weiteres, dass die polemisch verzerrte Feindbildop-
tik an der Realität korrigiert werden musste.3 Denn auch wenn sich seit etwa
1660 erste Zeugnisse eines Atheismus sensu stricto nachweisen lassen, bildeten
derartige Fälle auch nach 1700 eine äußerst seltene Ausnahme. Diese Kontinu-
ität des antiatheistischen Argumentationssystems (trotz gleichzeitiger Kritik
an Definitionen und voreiliger Anwendung) in der Frühaufklärung und darü-
ber hinaus gehört zu den vielleicht überraschendsten Resultaten dieser Arbeit.
Es konnte an mehreren führenden Gestalten der deutschen Frühaufklärung
erarbeitet werden. Dass sich überdies die (zumindest lutherische) Orthodo-
xie – mit Valentin Ernst Löscher und Johann Ulrich Frommann ( V.5) – um
den methodischen Anschluss an Naturrecht und Eklektik bemühte, um die
Apologetik auf ein zeitgemäß wissenschaftliches Niveau zu heben, bestätigt
den Eindruck, dass in der Auseinandersetzung mit dem Unglauben, was im-
mer auch man dafür hielt, mit unerwarteten Koalitionen zu rechnen ist.
Ein weiterer möglicher Grund für die Langzeitwirkung des Feindbilds
wurde im Laufe der Darstellung mehrfach hervorgehoben.4 Er bildet ein
wichtiges Teilergebnis der Untersuchung insgesamt: Der Analyse des Unglau-
bens (wie analog auch des Aberglaubens) wurden seit der Reformationszeit
anthropologische Modelle zugrunde gelegt, die mit Beginn der Aufklärung
keineswegs obsolet geworden waren. Vielmehr ließ sich anhand des Unglau-
bensdiskurses – entlang der aus dem 14. Psalm entlehnten insipiens-Topik –
eine bemerkenswerte Kontinuität in der affektpsychologischen Sicht auf den
Menschen beobachten, das heißt also auch: im mangelnden Vertrauen auf seine
Vernunftfähigkeit. Das entsprechende Diktum aus Christian Wolffs Deutscher
Politik wurde oft genug zitiert.5 Hier führt eine wenig beachtete Linie von
der christlichen Laster- und Sündenanthropologie im katholischen (Mersenne)
wie im protestantischen Bereich (Luther, Calvin, Spener u. a.) über die höfi-
sche Moralistik (La Bruyère) und die ›politische Bewegung‹ (Weise, Lassenius)
bis zu den Vorurteilslehren der Prä- und Frühaufklärung (Bentley, Le Clerc,
Thomasius, Wolff), die in den Moralischen Wochenschriften vom analytischen
zum didaktischen Instrument umgeformt wurden.6 Ihnen allen liegt eine Auf-
fassung von der Macht der Affekte über die menschliche Vernunft zugrunde,
die dem gängigen Bild der Aufklärung durchaus zuwiderläuft. Dass folglich
3
Ausführlicher dazu in Kap. IV.2.3.
4
Vgl. dazu besonders die Kap. I.1.4, I.4.2, II.4.4, IV.1.1, IV.4.3, VI.2.3 u. VI.4.4.
5
In den Kap. V.4.4, V.6.3 u. VI.6.4.
6
Nicht zufällig nehmen Studien, die ein anderes Aufklärungsbild zeichnen, ihren
Ausgang gern von Thomasius, der die Verbindung von Vorurteils- und Affektlehre syste-
matisiert hat; vgl. z. B. Schneiders 1971 u. 1990, Mauser 1990 oder Vollhardt 2001.
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676 Schlussbemerkungen

die epochentypische »Hoffnung auf Vernunft« (W. Schneiders)7 nicht mit


›Vernunftgläubigkeit‹ gleichgesetzt werden kann, wird in weiten Teilen der
Aufklärungsforschung, insbesondere aber in der jüngeren Radikalismusfor-
schung, zu wenig berücksichtigt.8 Der hier am Beispiel des Feindbilddiskur-
ses über den Unglauben gezogene Längsschnitt mag dazu beitragen, diese zu
Unrecht marginalisierten Zusammenhänge wieder stärker in unser Bild der
Epoche zu integrieren.
Gewissermaßen die positive Kehrseite dieser polemischen Argumentation
bildet das Junktim zwischen Religion und ›gesunder‹ Vernunft, das als Rück-
grat der neuzeitlichen Apologetik vor Kant und Schleiermacher bezeichnet
werden kann.9 Heute ist es kaum noch üblich, im Widerstreit von Religion
oder Kirche einerseits und Atheismus andererseits den Letzteren auf die Seite
der Unvernunft zu stellen. Es mag auch gute Gründe geben, der Radikalauf-
klärung eine rationale oder gar rationalistische Grundhaltung zu unterstellen,
wie es der Buchtitel »Clandestine Vernunft« (M. Mulsow) suggeriert.10 Aus
diskursgeschichtlicher Sicht ist hier dagegen zumindest ein Gleichstand zu
konstatieren, da die akademische Theologie und Religionsphilosophie eben-
so einen Anspruch auf methodische Rationalität erhoben wie ihre wachsende
(und wechselnde) radikale Gegnerschaft. So wenig die apologetischen Modelle
der Frühen Neuzeit wie die klassischen Gottesbeweise oder die durchaus lang-
lebige Physikotheologie heute zu überzeugen vermögen: Die Annahme von
der »Vernunft des Gottesgedankens« (G. Frank) bildete doch für knapp zwei
Jahrhunderte einen mehrheitsfähigen Konsens innerhalb der Gelehrten- und
Gebildetenschicht.11 An der Auseinandersetzung mit dem Unglauben – sei es
als Postulat oder als veritablem Gegner – ließ sich diese theologische Inan-
spruchnahme der Vernunft von Mornay und Bacon über Mersenne und Leib-
niz bis zu Bentley und Christian Wolff über mehrere Länder, Epochen und
Denkschulen hinweg verfolgen.
Einen Schwerpunkt der Untersuchung – mehr als ein Nebenergebnis – bil-
dete schließlich der Blick auf die rhetorische und poetische Dimension des
Unglaubensdiskurses. Exemplarische Analysen von Beispielen aus unter-
schiedlichsten Gattungen haben gezeigt, wie das Feindbild des Gottlosen oder
Ungläubigen (unter den üblichen wechselnden Bezeichnungen) in der ästhe-

7
So der Titel von Schneiders 1990.
8
Eine Wende hat hier sicherlich die reichhaltige Forschung zur Anthropologie der
Aufklärung eingeleitet (vgl. etwa Schings 1977, Mauser 1988, Riedel 1994, Zelle 2001, Go-
del 2007, Stöckmann 2009). Gerade durch die Herleitung der anthropologischen ›Achsen-
drehung‹ im 18. Jahrhundert aus der philosophischen Erschließung der ›unteren Seelen-
vermögen‹, aus der Ästhetik also, ist jedoch die Kontinuität zur christlichen Anthropolo-
gie und Affektpsychologie vielfach verschüttet worden.
9
Siehe dazu die Kap. I.4, I.5.2, II.4.5, IV.4, V.1.4, V.4.1, V.5, VI.1.2 u. VI.3.1. Dort
auch Literaturhinweise.
10
Vgl. Mulsow 2018a, Bd. 2.
11
Die Formulierung nach der Studie von Frank 2003.
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Öffentlichkeit und Untergrund 677

tischen, insbesondere figuralen Gestaltung, in Anekdote, Dialog oder Rol-


lengedicht, ja sogar als Nebenfigur in größeren Erzählwerken, zur konkret-
personalisierten Anschauung gelangte. Entsprechende Strategien waren in der
theologischen Streitliteratur teilweise schon vorgeprägt gewesen, erreichten je-
doch auf diesem Weg auch die profane Literatur, wie sich besonders eindrück-
lich an den Moralischen Wochenschriften zeigen ließ. An der Art, wie auch
dort der Atheist oder ›starke Geist‹ ganz selbstverständlich ins Unmensch-
lich-Tierische, Kriminelle, Amoralische, mindestens aber zum ›Toren‹ oder
oberflächlichen Modegecken stilisiert wurde, lässt sich ablesen, wie fest dieses
Feindbild in der kollektiven Wahrnehmung der Zeit verankert gewesen sein
muss. Versuche der ideologiekritischen Relativierung wie etwa bei Weise oder
Lassenius blieben im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch die
Ausnahme. Vergleichsweise milde Töne schlug immerhin Brockes an, der den
Atheisten nicht mehr als böse und gemeingefährlich, sondern als unglücklich
darstellte. Auch dieses Argument, vorbereitet bei Pascal oder Bentley, gewann
durch die literarische Gestaltung im Lehr- und Dialoggedicht eine Suggestivi-
tät, die über die Ebene sachlicher Begründung weit hinausreichte. Im weiten
Feld der interdisziplinären Atheismusforschung hat diese ästhetische und per-
formative Dimension des Unglaubensdiskurses bislang noch zu wenig Beach-
tung gefunden. Weitere Detailstudien oder motivgeschichtliche Längsschnitte
im Anschluss an die hier ausgezogenen Entwicklungslinien wären daher zu
wünschen.

2. Öffentlichkeit und Untergrund


Zum Problem der Aufklärung ›von oben‹

Ein weiteres Teilergebnis verdient abschließend etwas ausführlicher gewürdigt


zu werden, da sich von hier aus auch Perspektiven für die Zusammenführung
der neueren Forschungen zur Radikalaufklärung und der allgemeinen Auf-
klärungsforschung ergeben könnten. Wie im Laufe der Untersuchung immer
wieder zutage trat,12 kam es seit Beginn der Aufklärung zu einer eigenartigen
Spaltung hinsichtlich der Bewertung des Unglaubens. Schon Thomasius zog
wie Bayle die traditionelle Verhältnisbestimmung von Unglaube und Unmoral
in Zweifel, riet aber als Staatsdenker von einer Verbreitung atheistischer Mei-
nungen (im engeren Wortsinn) ab. Ähnlich sollten Gundling und Wolff argu-
mentieren. Mit einem Argument, das am prägnantesten in Wolffs Deutscher
Politik (1721) zum Ausdruck kam, zogen sie eine entschiedene Linie zwischen
Gelehrten und Ungelehrten, wo es um die Zumutbarkeit atheistischen oder

12
Siehe die Kap. V.2.5, V.3.4, V.4.4, V.6.3, VI.1, VI.2 u. VI.6.1.
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678 Schlussbemerkungen

radikalen Gedankenguts ging.13 Welche Rolle der Religion dann in den Mora-
lischen Wochenschriften zukam, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richte-
ten, wurde an einigen Beispielen erörtert ( VI.2). Die Begründung dafür lässt
sich exemplarisch in der Wochenschrift Der Einsiedler von 1741 nachlesen.
Sie gibt exakt Wolffs Meinung wieder: »Wären schon die Geschicktesten und
Weisesten fähig die Sittlichkeit einer Handlung zu beurtheilen, dörften wir
denn solches Vermögen auch bey den Ungelehrten antreffen, die doch allemal
den größten Theil der Welt einnehmen?«14
Wie man dieses Doppelgesicht der Aufklärung historisch bewertet, hängt
von der angelegten Fragestellung ab. Ohne Zweifel kann man ideengeschicht-
lich bei Wolff (und bekanntlich schon bei Bayle) die grundsätzliche Freiga-
be des sittlichen Vermögens von theonomen Vorgaben ansetzen. Über weite
Strecken des 18. Jahrhunderts blieb sie aber, trotz mancher Gegenstimmen,
gebunden an die Voraussetzung der sana ratio. Hören wir dazu noch ein paar
andere Stimmen: »Ein Atheist, der ein guter Staatsbürger seyn will«, schreibt
der Mosheim-Schüler Ernst von Windheim 1760, »muß grosse Vernunft
haben«.15 Noch 1786 grenzt der führende deutsche Neologe Salomo Semler,
der selbst als Freigeist angegriffen wurde ( VI.6.3), den Wirkungskreis seiner
historischen, gesellschaftlichen und moralischen Religion der Christen auf den
»fähigern geübtern Theils unsrer christlichen Zeitgenossen« ein.16 In diesel-
be Richtung zielt endlich eine Bemerkung von Johann Ludwig Ewald, der in
seiner Schrift Über Volksaufklärung; ihre Gränzen und ihre Vortheile (1790)
über die Schwierigkeit klagte, »auf eine Dorfgemeinschaft mit lauter vernünf-
tigen Beweggründen zu wirken«.17 Kurz vorher hieß es bei Ewald in deutlicher
Anlehnung an die vinculum societatis-Doktrin:

[S]chon der Staat ist dabei interessirt, dass dem Volk seine Pflichten immer heilig
bleiben; dass es sich nie von ihrer Erfüllung los zu machen suche. Und wie diess be-
wirken? Jede einzelne Pflicht zu beweisen, geht nicht; und am wenigsten beim Volk.

13
Aufgrund ihrer erheblichen Bedeutung darf die Passage ein letztes Mal zitiert
werden: »Ein Atheist bildet sich nicht ein, er möge leben wie er wolle, noch begehet er
alle Schandthaten und Laster, wenn er nur von bürgerlichen Straffen frey ist, woferne er
vernünfftig ist: beydes aber geschiehet, wo er unverständig ist, und die Beschaffenheit der
freyen Handlungen nicht recht einsiehet. Es sind aber im gemeinen Wesen die wenigsten
Menschen vernünfftig, die meisten sind unverständig und sehen die Beschaffenheit der
freyen Handlungen nicht recht ein. Und also würden die meisten bey der Atheisterey ein
übeles Leben führen.« Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken vom gesellschaftlichen
Leben der Menschen, Halle 1721, S. 323 f. – Ausführlich dazu Kap. V.4.4.
14
Der Einsiedler, 59. St. (15. Februar 1741). – Mehr dazu in den Kap. V.6.3 u. VI.2.4.
15
Johann Lorenz von Mosheim, Allgemeines Kirchenrecht der Protestanten. Nach
dessen Tode hg. u. mit Anmerkungen versehen von Christian Ernst von Windheim, Helm-
stedt 1760, S. 438 (Anm. 4 zu S. 436).
16
Johann Salomo Semler, Ueber historische, gesellschaftliche und moralische Religion
der Christen, Leipzig 1786, Vorrede, fol. a 5v.
17
Johann Ludwig Ewald, Über Volksaufklärung; ihre Gränzen und ihre Vortheile,
Berlin 1790, S. 63.
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Öffentlichkeit und Untergrund 679

Mancher Grund wird von ihm nicht gefasst; Vorurtheil, Gewohnheit, entgegenstre-
bende Leidenschaft macht hundert Einwürfe, die wenigstens dem Viel gelten, der sie
macht.18

Äußerungen dieser Art durchziehen das ganze 18. Jahrhundert und unter-
streichen den Charakter der Aufklärung als einer zunächst akademischen,
allmählich dann auch literarisch-volkspädagogischen Bildungsbewegung. Sie
wurde maßgeblich von den Gelehrten – Pfarrern, Hochschullehrern, Schul-
männern und akademisch gebildeten Beamten – getragen und richtete sich
zunehmend an eine Schicht von ›Bürgerlichen‹, die zwar lesen konnten und
wollten, aber das Lateinische nicht oder nur noch unzureichend beherrsch-
ten und folglich auch nicht mehr über die umfassende Kenntnis der antiken
und der neuzeitlich-gelehrten Literatur oder über die systematische Schulung
durch Schulphilosophie und -theologie verfügten.19 Als typisch für die Hal-
tung vieler deutscher Aufklärer kann eine Behauptung gelten, die Johann Peter
Miller 1781 seinen Unterhaltungen für denkende Christen einrückte: »Allein,
wie wenig Menschen haben ihre Vernunft so geschärfet und die philosophi-
schen Beweise für Gottes Eigenschaften so durchgedacht, daß sie ihnen nicht
nur recht klar und gewiß, sondern auch alsdann am meisten recht gegenwärtig
wären, wenn ihre durch Blendwerke und Zaubertäuschungen erhitzte Fantasie
ihre Begierden erhitzet!«20 Einmal mehr kommt hier die oben skizzierte affekt-
psychologische Sicht auf den Menschen zur Geltung, die von der reformatori-
schen und barocken bis zur aufklärerischen Sicht auf den Menschen herüber-
reichte. Weil die Aufklärer in diesem Verständnis außerdem mehrheitlich die
Kooperation mit der staatlichen Obrigkeit suchten, kann durchaus von einer
›Aufklärung von oben‹ gesprochen werden.21
Wie sich diese aber zum radikalen ›Untergrund‹ verhielt, um die Raumme-
taphorik noch etwas weiter zu gebrauchen, bedarf vor dem Hintergrund der
hier gewonnenen Ergebnisse weiterer Klärung. Es tritt darin eine Dimension
von Aufklärung zutage, die in ideengeschichtlichen Darstellungen der Epoche
nur wenig Berücksichtigung findet, eher noch in älteren Studien zur Bildungs-
geschichte, zum aufgeklärten ›Absolutismus‹ oder zur Volksaufklärung: Nicht
nur war Aufklärung über lange Zeit ein Elitenphänomen, nicht nur spielten
heute sehr hoch gehandelte Kategorien wie Denk- oder Meinungsfreiheit
außerhalb der akademischen Bildungsschicht kaum eine Rolle. Die Aufklä-

18
Ebd., S. 62.
19
Beispiele wurden im Kapitel über die Moralischen Wochenschriften (IV.2) sowie
im Kapitel über die Rolle der literarischen Öffentlichkeit (V.6.3) zitiert.
20
Johann Peter Miller, Unterhaltungen für denkende Christen zur täglichen Ver-
mehrung ihrer Ueberzeugung, Tugend und Gemüthsruhe, Halle 1781, S. 60. – Für den
größeren Teil der Bevölkerung blieb daher laut Miller die christliche Religion »die reinste
Quelle der dauerhaftesten Glückseligkeit« (ebd., S. 58).
21
Zum Problem der ›Aufklärung von oben‹ (samt der Formulierung selbst) vgl. ex-
emplarisch die Studie von Weber 2006.
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680 Schlussbemerkungen

rer verschiedenster Couleur wachten zudem auch mit einem peniblen Stan-
desbewusstsein über die Lizenz zum vernünftigen Denken, die dem ›Pöbel‹
nur sukzessive und mit Vorbehalten überlassen wurde. Das bekannte Motto
Piscis hic non est omnium, mit dem Denis Diderot 1746 seine Pensées philo-
sophiques überschrieb, ist deswegen mehr als nur das Bonmot eines selbstbe-
wussten Freidenkers; es reicht tief in die Bewusstseinslage der Epoche hinein.
Nur wenige Autoren der Zeit teilten den Optimismus (oder Zynismus) des
Historikers und sächsischen Ministers Heinrich Graf von Bünau (1697–1762).
In einer postum gedruckten Betrachtung über die Zunahme der »Religions-
spötterey« glaubte er feststellen zu können:

Bey dem gemeinem Manne ist zwar nicht zu befürchten, daß er sich in die Spitzfindig-
keiten der so genannten Freydenker sehr einlassen werde. Allein eine Tummheit und
Unwissenheit in den ersten Grundregeln des Glaubens und Lebens, eine Kaltsinnig-
keit gegen die Religion, ein bloß äuserliches Bekenntniß zu derselben, ohne Erkennt-
niß des Verstandes und Beyfall des Herzens, sind unter diesem so großen Haufen nur
allzu gemein.22

Mit dem zweiten Teil des Arguments dürfte Bünau weit mehr Zustimmung
gefunden haben. Trotzdem sprach er sich als christlicher Aufklärer gegen Zen-
sur und obrigkeitlichen Gewissenszwang aus. Nur ein gründlicher Unterricht
in der christlichen Religion, glaubte Bünau, könne die Grundlage für einen gut
befestigten Glauben bilden.23
Derartige Beispiele machen deutlich, weswegen es für die Zeit der Hoch-
und Spätaufklärung differenzierterer Modelle bedarf als über weite Strecken
der vorliegenden Arbeit. Der apologetische Konsens des 17. Jahrhunderts
galt nur noch mit Einschränkungen, es wurde mit zweierlei Maß gemessen.
Inwieweit die sorgfältige Trennung möglicher Leserschichten auch mit der
Angst vor obrigkeitlichen Maßregelungen zusammenhing und ergo stra-
tegisch dazu diente, die Meinungsfreiheit für Gebildete oder Gelehrte ab-
zusichern, kann nur in Fallstudien zu einzelnen Figuren, im Abgleich von
öffentlichen und nichtveröffentlichten Äußerungen geklärt werden.24 Der
22
Heinrich Graf von Bünau, Betrachtung von den Ursachen der mehr und mehr
einreißenden Religionsspötterey und Glaubensverleugnung, in: Ders.: Betrachtungen über
die Religion und ihren itzigen Verfall, hg. v. Johann Friedrich Burschern, Leipzig 1769,
79–138, hier S. 128.
23
Ebd., S. 84: »Wenn ich dieser Sache reiflich nachgedacht, da ich mich in Umstän-
den befunden, Amts halber selbst Veranstaltungen deswegen zu machen; so hat es mir
allezeit geschienen, daß es gefährlich und von wenigem Nutzen sey, dem Uebel durch
obrigkeitliche Zwangsmittel abhelfen zu wollen. Daß die Religion durch Ueberzeugung,
und nicht durch Zwang, fortgepflanzet und ausgebreitet werden müsse, ist der Lehre und
dem Sinne des Christenthums gemäß.«
24
Sehr bedenkenswert ist eine entsprechende Überlegung von Martin Mulsow über
das teils widersprüchliche Verhalten eines liberalen Frühaufklärers wie Gundling ( V.3)
gegenüber vermeintlichen Atheisten (Mulsow 2002, S. 16): »Das macht deutlich, daß das
Moment von Konservativismus bei den Reformern auf deren Aufklärungsintentionen
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Öffentlichkeit und Untergrund 681

bekannte Fall des deutschen Protodeisten Reimarus, der öffentlich für die
Wahrheit der natürlichen Religion eintrat und seine privaten Zweifel an der
christlichen Dogmatik in bewegenden Dokumenten für die Nachwelt hin-
terlassen hat, scheint in diese Richtung zu deuten. Ebenso wenig ist jedoch
von der Hand zu weisen, dass viele Vertreter zumindest der deutschen Auf-
klärung an die Bedeutung der Religion als ›Kappzaum für den Pöbel‹ wirk-
lich geglaubt haben.
Der Versuch, diese Haltung mit dem Etikett Konservative Aufklärung zu
kennzeichnen, bietet zwar den Vorteil, dass Autoren wie Bünau, aber auch
Gellert, Miller und die Autoren der meisten Moralischen Wochenschriften, in
ihren aufklärerischen Absichten gewürdigt werden, obwohl sie sich von ra-
dikalen Lösungen scharf distanzierten. Gleichwohl verdeckt diese qualitative
Kennzeichnung, dass es sich bei der Koalition von Vernunft und christlicher
Religion (unter fortschreitender dogmatischer Modernisierung) wie bei der
zumindest explizit geäußerten Ablehnung radikaler Heterodoxien in quanti-
tativer Hinsicht um den breiten Konsens und den Mainstream der veröffent-
lichten Meinung handelt.
Die Leistungen der Forschung zur europäischen Radikalaufklärung, ein-
drucksvoll gebündelt in den großen Kompendien Jonathan Israels, könnten –
in Verbindung mit Metaphern wie ›Untergrund‹ und Kennzeichnungen wie
›Moderne‹ und dem darin enthaltenen teleologischen Geschichtsmodell –
leicht den Eindruck erwecken, dass wir es bei der Radikalaufklärung mit dem
sprichwörtlichen Eisberg zu tun haben. Auf die Epoche oder das Zeitalter im
Ganzen bezogen würde das bedeuten, dass das ›Wesen‹ oder der Grundcha-
rakter von Aufklärung eigentlich in den radikalen Ideen bestünde, die sich in
dieser Optik letztlich durchgesetzt haben.25 Im Feuilleton und in populärge-
schichtlichen coffee table books scheint sich diese Deutung, die historisch ins
19. Jahrhundert gehört, einiger Beliebtheit zu erfreuen.26 Wer sich aber, zumin-
dest angesichts der deutschen und der britischen Aufklärung, nur einen Schritt
vom philosophiegeschichtlichen Höhenkamm entfernt und auch nicht un-

selbst bezogen war; nicht aus Kontinuität zur Tradition, sondern weil sie ihre eigenen Re-
formprojekte nicht unterminieren wollten, lehnten sie radikale Lösungen ab.«
25
Die breite und teilweise heftig geführte Diskussion über Israels Geschichtsmodell
und über sein Verständnis von Aufklärung braucht hier nicht wiederholt zu werden. Kri-
tische Beiträge versammelt der Konferenzband von Grunert 2014; vgl. dort insbesondere
den Aufsatz von Ursula Goldenbaum (2014). – Einen polemischen Gipfelpunkt markiert
die Debatte zwischen Jonathan Israel und Samuel Moyn: Samuel Moyn, Mind the En-
lightenment. Jonathan Israel’s epic defense of ›Radical Enlightenment‹ has the dogmatic
ring of a profession of faith, in: The Nation, 31. Mai 2010 (www.thenation.com/article/
mind-enlightenment). Die Replik von Jonathan Israel: What Samuel Moyn Got Wrong
in His Nation Article, in: The Nation, 5. Juni 2010 (http://historynewsnetwork.org/ar-
ticle/128361); schließlich die Stellungnahme von Moyne, A Response to Jonathan Israel
(online unter http://historynewsnetwork.org/article/128433).
26
Vgl. etwa Beispiele wie Blom 2011 oder Neumayr 2016.
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682 Schlussbemerkungen

bedingt Lessing für die Quintessenz der deutschen Aufklärung ansehen will,27
wird kaum umhinkönnen, die Breite, Tiefe und historische Wirksamkeit die-
ser vormals ›bürgerlich‹ genannten Aufklärung anzuerkennen, wie sie hier in
der Auseinandersetzung mit und der Abgrenzung von ihren eigenen radikalen
Konsequenzen vorgestellt worden ist.

3. Nachwort
Der Unglaube, der Glaube und das sogenannte Böse

Das Böse ist ja per definitionem dasjenige, was das Gute,


also das, was man als Wert empfindet, in Gefahr bringt.28

Der Unglaube war ein Ärgernis. Er war es ganz unabhängig davon, ob er in ei-
ner beliebigen historischen Situation wirklich oder nur eingebildet war. Er be-
schäftigte eine mehrheitlich christliche Gesellschaft zwangsläufig als das ganz
›Andere‹, aber ebenso als das verdrängte Eigene, als Sünde, Laster oder Glau-
benszweifel. Deswegen verraten die Schriften über und gegen den Unglauben
oft weniger über diesen selbst als über das, was von einer Person oder Gruppe
als die ›wahre‹ christliche Religion angesehen wurde. Das ließ sich besonders
gut an den Reformatoren zeigen, für die Unglaube, Häresie und Sünde noch
eng nebeneinander standen. Die Frage nach dem Unglauben zu stellen, wie
sie hier gestellt wurde, als Feindbild und Faszinosum, heißt aber ebenso, nach
der Verfasstheit menschlicher Gesellschaften zu fragen. Ohne Feindbilder ist
wohl noch keine ausgekommen. Der Gottlose, der Ungläubige, der Freigeist
oder der Atheist: Sie alle gehören – wie die Zweifler, Häretiker oder fanati-
ci – notwendig (denknotwendig hieß es einleitend) zum Vorstellungshaushalt
einer Gesellschaft oder Gemeinschaft, die sich selbst als gläubig begreift.29 Wo-
rin dieser Glaube besteht, ist wohl eher nebensächlich. Wo sich eine größere
Gruppe von Menschen im Namen bestimmter Werte oder Glaubenssätze zu-
sammenfindet, wird man immer wieder erleben können, wie Gegenmeinungen
zu -ismen vereinfacht, stigmatisiert und dämonisiert, ihre Vertreter entindivi-
dualisiert, ins Monströse (»monstra hominum« nannte das 17. Jahrhundert die

27
Den frühneuzeitlichen Lessing und seine tiefe Verwurzelung in der Praxis der
historia literaria präsentiert jetzt Vollhardt 2018; vgl. dazu die Rezension von Bernhard
Walcher (Walcher 2019).
28
Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression,
München 121985, S. 252.
29
Diese sozusagen zweiwertige Ausgrenzungslogik ist vermutlich ein Kennzeichen
vor allem monotheistischer Religionen. Vgl. dazu die hochkarätige Feuilletondebatte über
die »mosaische Unterscheidung« zwischen Jan Assmann, Rolf Schieder und anderen, die
2013 auf dem Web-Portal perlentaucher.de ausgetragen wurde (www.perlentaucher.de/
essay/monotheismus-debatte-im-perlentaucher.html).
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Nachwort 683

Atheisten),30 Unmenschliche, Barbarische stilisiert und von einem signifikan-


ten Teil der Gesellschaft leidenschaftlich gehasst werden.31 Das 20. Jahrhundert
allein bietet dafür mehr als genug Beispiele. Sie reichen von harmlosen Banali-
täten, die sich bei jedem Fußballspiel beobachten lassen, bis zu den wüstesten
Grausamkeiten, die unsere Geschichte kennt.32
Jeder Glaube braucht, überspitzt gesagt, seinen komplementären Un-
glauben oder seine Häresie, ganz im Sinne des Eingangsmottos aus Luthers
Tischreden: »Haeretici sunt utiles«. Sobald ein solches Feindbild aber ein-
mal feststeht, als das ›Böse‹ oder ›Andere‹ der jeweils herrschenden Wahrheit
oder Werteordnung, kann es zu ganz verschiedenen Zwecken eingesetzt wer-
den und wird oft dazu dienen, jede beliebige Meinung zu diskreditieren, aus
den unterschiedlichsten Gründen. Auch die Konsequenzenmacherei, virtuos
analysiert von Arnold, Thomasius oder Christian Wolff, ist nach wie vor ein
Problem und wird es vermutlich bleiben. Sie ist keineswegs eine Eigenheit
der christlichen Kirche. Als bekanntes Beispiel aus der jüngeren Geschichte
kann vielleicht das Schreckbild des Kommunisten während der McCarthy-
Ära dienen.33 Umgekehrt ist der Atheismus (im breiten Wortsinn der Frühen
Neuzeit) nicht zwangsläufig tolerant, wie gelegentlich behauptet wird.34 Er ist
nur bis heute keine Mehrheitsmeinung. Vielleicht wird man einst Gustave Le
Bon recht geben müssen, der schon 1895 schrieb: »Wenn es möglich wäre,
die Massen zu bewegen, den Atheismus anzunehmen, so würde er ganz zum
unduldsamen Eifer eines religiösen Gefühls und in seinen äußeren Formen

30
So schon Mersenne, Quaestiones celeberrimae (1623), Vorrede, fol. e ijv; ferner
Beyerlinck: Magnum theatrum vitae humanae (1631), S. 668; Osiander/Roskopf, Exerci-
tatio V. de notitia Dei (1658), S. 67; Spizel, Scrutinium atheismi (1663), S. 11.
31
Hier darf vielleicht an die ebenso provokante wie aus heutiger Sicht bestürzende
Behauptung Gustave Le Bons aus seiner Psychologie der Massen (1895) erinnert werden,
dass alle Überzeugungen einer größeren Menge von Menschen die Tendenz haben, re-
ligiöse Formen anzunehmen. Oder, in den Worten Le Bons: »Dies Gefühl besitzt sehr
einfache Kennzeichen: Anbetung eines vermeintlich höheren Wesens, Furcht vor der Ge-
walt, die ihm zugeschrieben wird, blinde Unterwerfung unter seine Befehle, Unfähigkeit,
seine Glaubenslehren zu untersuchen, die Bestrebung, sie zu verbreiten, die Neigung, alle
als Feinde zu betrachten, die sie nicht annehmen. Ob sich ein derartiges Gefühl auf einen
unsichtbaren Gott, auf ein steinernes Idol, auf einen Helden oder auf eine politische Idee
richtet – sobald es die angeführten Merkmale aufweist, ist es immer religiöser Art.« Gusta-
ve Le Bon, Psychologie der Massen, übers. v. Rudolf Marx, Leipzig o. J., S. 55 f.
32
Noch einmal – auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – Lorenz, Das Böse, S. 242:
»Der Feind oder die Feind-Attrappe kann fast beliebig gewählt werden und, ähnlich wie
die bedrohten Werte, konkret oder abstrakt sein. ›Die‹ Juden, Boches, Huns, Exploitato-
ren, Tyrannen usw. wirken genauso gut wie der Weltkapitalismus, Bolschewismus, Fa-
schismus, Imperialismus und viele andere -ismen.«
33
Vgl. den Überblick bei Mergel 2003 mit Hinweisen zur älteren Forschungslitera-
tur. – Es muss hier bei diesen knappen Andeutungen bleiben.
34
Zum überaus streitbaren ›New Atheism‹, der vor allem im angelsächsischen Raum
eine breitere Öffentlichkeit erreicht hat, vgl. Zenk 2013 (mit reichhaltiger Bibliografie).
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684 Schlussbemerkungen

bald zu einem Kultus werden«.35 Er hätte sich dabei auf eine Gesetzmäßigkeit
der Kirchen- und Ketzergeschichte berufen können, die Christian Thomasius
schon 1717 mit boshaftem Witz beschrieben hat:

Augustinus, so lange er und andere Christen von den Donatisten verfolget wurden /
schriebe eine herrliche Epist[ola] pro tolerantia dissentientium, so bald er aber der
Donatisten Meister war / schrieb er in Gegentheil eine andere Epistel / darinnen er
behauptete, was der Gewissens-Zwang für ein herrliches und nützliches Ding sey.
Die Augspurgischen Confeßions-Verwandten thaten eben das. Sie schrieben vor die
toleranz, ehe sie den Religion-Frieden erlangten / nach Erhaltung desselben haben sie
viele Schrifften edirt, die Reformirten von dieser toleranz auszuschliessen / und die
Verfolgung und gewaltsame Austilgung derselben zu vertheydigen.36

Den Paradoxien, die sich aus diesem Befund ergeben, ist schwer zu entkom-
men. Selbst Gesellschaften, die sich mehrheitlich oder in ihren tonangebenden
Schichten der Toleranz und Meinungsfreiheit verschrieben haben, können ein
beachtliches Aggressionsgebaren zeigen, sobald ein Gegner oder auch nur Kri-
tiker dieser Werthaltung auf den Plan tritt. Dabei kann es sich, um noch ein-
mal Konrad Lorenz zu zitieren, um »einen wirklichen oder fingierten Feind«
handeln.37 Aus demselben Grund bedarf es hier und heute keines großen Wa-
gemuts mehr, sich die historische Maske des kirchen- oder religionskritischen
Freidenkertums anzuziehen. Die selbst ernannten Freigeister verschiedenster
Couleur,38 die sich mit einem Fuß auf dem Schafott fühlen, wenn sie sich öf-
fentlich zum Atheismus bekennen und die Verbrechen der Kirche oder die
Untätigkeit Gottes angesichts so vieler Übel in der Welt anprangern, werden
sich zwar immer noch den Zorn der Gläubigen zuziehen, sie können sich aber
längst einer breiten Zustimmung in der gebildeten Öffentlichkeit gewiss sein.
›Unglaube‹ in dem hier explizierten strukturellen, also politischen und sozial-
psychologischen Sinn sieht anders aus. Sein wichtigstes Merkmal ist die Em-
pörung, die Wut, der ›heilige‹ Zorn, der ihm von der Mehrheit einer jeweiligen
Wertegemeinschaft entgegenschlägt.39 Das heißt nicht, dass die meistgehassten
Querdenker einer Zeit auch notwendig die gefeierten Märtyrer einer späteren

35
Le Bon, Psychologie der Massen, S. 59.
36
Christian Thomasius, D. Melchiors von Osse Testament gegen Hertzog Augusto,
Halle 1717, S. 539 (Anm. 268 zu S. 537); Zeichensetzung wie im Original.
37
Lorenz, Das sogenannte Böse, S. 252. – Das Zitat steht dort in einem anderen Zu-
sammenhang, denn Lorenz sieht bei höheren Tieren, beginnend mit den Graugänsen, die
Fähigkeit, gemeinsame »Begeisterung« für ein Ziel zu entwickeln, »ohne daß notwendi-
gerweise Feindseligkeit gegen einen wirklichen oder fingierten Feind wachgerufen wird«
(ebd.). Hier wie andernorts hat der Verhaltensforscher Lorenz bei solchen Äußerungen
aber den Menschen im Blick, dem in diesem kulturkritischen Buch der Spiegel vorgehalten
wird.
38
Bemerkenswert ist die Konjunktur entsprechender Pseudonyme (Freigeist, Frei-
denker etc.) in Online-Kommentarspalten oder -Rezensionen.
39
In pluralistischen Gesellschaften wird dieser Effekt dadurch relativiert, dass dort
mehrere Wertesysteme mit- und nebeneinander existieren können. Deswegen und auch
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Nachwort 685

sein müssen. Wer gegen die herrschende Meinung opponiert, hat nicht schon
deswegen recht. Aber denkbar und möglich ist es allemal, wie die Geschichte
immer wieder zeigt.
Wenn aus den Ergebnissen dieser Untersuchung etwas zu lernen ist über die
Funktionsweise von Feindbildern überhaupt, so ist es ein Vorbehalt gegenüber
dem ›Sectenhaß‹ mit seinen Erregungskurven, gegenüber den Mechanismen
der Konsequenzenmacherei, und eine Skepsis gegen die altbekannten Angst-
und Zusammenbruchsszenarien ebenso wie gegen das stets bereitliegende Psy-
chogramm des gemeinen Ungläubigen, Häretikers oder Zweiflers. An ihnen
hat sich überraschend wenig geändert. Dieselben Ergebnisse geben aber auch
Anlass zur Hoffnung, dass selbst scheinbar tief verfeindete Fraktionen – so
wie einstmals die drei christlichen Konfessionen – in naher oder ferner Zu-
kunft friedlich nebeneinander leben werden. Dem ›Richter Publikum‹ bleibt
derweil nichts übrig, als überall da, wo angeblich das Böse wieder sein Haupt
erhebt, die bestehenden Meinungen zu prüfen, sie nach Möglichkeit in den
Quellen aufzusuchen, ferner die Kontexte auszuleuchten, Vergleichsfälle (syn-
chron oder diachron) heranzuziehen und sich erst dann ein Urteil zu bilden.
Nicht anders also, als es Christian Thomasius 1690 in seinem Kolleg über die
Vorurteile (De praejudiciis) dem Leipziger Auditorium empfahl. Dem Verfas-
ser des vorliegenden Buches, das nach bestem Vermögen einen neuen Blick auf
ein altes Thema zu werfen versucht, mag zum Abschluss der Wunsch erlaubt
sein, dass auch die geneigte Leserschaft diese Ratschläge beherzigen werde:

Hierbey gab ich meinen Zuhörern diese Lection, daß sie sich bey entstehenden Strei-
tigkeiten der Gelehrten / sonderlich wenn Ehre und guter Leumund mit interessiret
wären / ja hüten solten / nicht zu gläuben / was einer den andern für Lehre beschul-
digte / ehe und bevor sie den andern selbst und zwar ohne Vorurtheil mit gutem Be-
dacht gelesen hätten.40

wegen der wichtigen juristischen Voraussetzung der Meinungsfreiheit bleibt die Ab- und
Ausgrenzungslogik in der Regel folgenlos.
40
Thomasius/Enno Rudolph Brenneysen, Das Recht evangelischer Fürsten in Theo-
logischen Streitigkeiten, Halle 1696, S. 241–288, hier S. 243.
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ANHANG

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Quellen

Zeitschriften und Textsammlungen


Das Weltbild der deutschen Aufklärung. Philosophische Grundlagen und literarische
Auswirkung: Leibniz, Wolff, Gottsched, Brockes, Haller, hg. v. Fritz Brügge-
mann, Leipzig 1930 (Deutsche Literatur: Reihe Aufklärung 2).
Der Biedermann, Leipzig 1728–1729.
Der Bienenstock.
Der Brachmann, Zürich 1740.
Der Dreßdnische Philosophe, Dresden 1737.
Der Freydenker, Danzig 1741–1742.
Der Menschenfreund, Hamburg 1737–1739.
Der Patriot, Hamburg 1724–1726.
Der Römischen Käyserlichen Majestät und Des Heil. Röm. Reichs Geist- und Weltli-
cher Stände/ Reichs-Abschiede und Constitutiones Desgleichen Königliche/ Chur-
und Fürstliche absonderliche EDICTA Wider die Rebellischen Wieder-Täuffer /
neuen einschleichenden Schwärmer / David Joristen / Weigelianer/ Rosencreutzer /
Pansophisten, Boehmisten, Chiliasten, Enthusiasten, Quacker / Labadisten, Offen-
bahrungs- und Frey-Geister / Quietisten / Träumer/ Scheinheiligen neuen falschen
Propheten und anderer Sectirischen Schleicher / wie die nahmen haben und sich
selbst nennen die stillen vollkommen Heiligen oder Pietisten. Anitzo männiglich
zur Warnung und Nachricht dargestellet und zum Druck befördert, o. O. 1703.
Der Schwätzer, Leipzig 1756 (dt. Übers. des Tatler).
Der Teutsche Locmann, Halle 1738–1739.
Die Discourse der Mahlern, Zürich 1721–1723.
Die Matrone, Hamburg 1728.
Die vernünftigen Tadlerinnen, Leipzig 1725–1726.
Ein Jahrhundert deutscher Literaturkritik (1730–1830).,Bd. III: Der Aufstieg zur
Klassik (1750–1795), hg. v. Oskar Fambach, Berlin 1959.
Emmerich, Franz Erasmus von: Des Bey Dero Römis. Kayserl. Majestät und des
Heil. Röm. Reichs Hochpreißlichem Cammergerichte Reichs Fiscalen, Herrn von
Emmerichs, übergebene unterthänigste Klage, Wider die Quacker-Pietistische
Schwärmer und Frey-Geister; Deme beyfüget Eine demüthigste unterthänigste
Dancksagung an alle hohe Potentaten, die zur Ehre Gottes und Erhaltung der
reinen Evangelischen Lehre Dero nachdrückliche Edicta wider obige Schwärm
Geister publiciret und ernstlich exequiret haben […] Nebenst einem Bedencken
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688 Quellen- und Literaturverzeichnis

von der Hochlöbl. Universität Marburg, diese Schwärm-Geister betreffend, Zu


Gottes Ehre aus den wahren Originalien zum Druck befördert, o. O. 1703.
Geistliches Donnerwetter. Bayerische Barockpredigten, hg. v. Georg Lohmeier,
München 1967.
Gesammlete Moralistenbibliothec, Leipzig/Görlitz 1737.
Goldhagen, Hermann: Religions-Journal: oder Auszüge aus den beßten alten und
neuen Schriftstellern und Vertheidigern der Christlichen Religionen, Mainz 1776–
1792.
Ihre Hoch-Fürstl. Durchl. Zu Anhalt-Zerbst/ Nachdrückliches EDICT, Wider die
heutige Fanaticos, Separatisten/ neue Freygeister/ und boßhafftige Verführer/
Welche Unter angemasten Schein einer sonderbahren Heiligkeit/ mit ihren ge-
fährlichen Meynungen/ grundstürzenden Lehr-Posten/ und ärgerlichen Wan-
del/ in und ausser Landes/ die Gemeine GOttes verunruhigen, Zerbst 1709.
Ihrer Hochfürstlichen Durchl. zu Hessen-Cassel ernstliches EDICT, Wieder die heu-
tigen Quacker/ neuen Freygeister/ und Sectirischen Schwärmer/ Dero WinckelZu-
sammenkünffte/ Gottes-lästerliche Aufrührerische Lehre/ vorgegebene Offenbah-
rungen/ ärgerliches boßhafftiges Leben/ und Scheinheiligen Wandel, Kassel 1702.
Kaiser und Reich. Klassische Texte zur Verfassungsgeschichte des Heiligen Römi-
schen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre
1806, hg., eingel. u. übertragen v. Arno Buschmann, München 1984.
The Guardian, London 1713.
The Spectator, London 1711–1712.
The Tatler [1709–1711] with notes, and a general index. Complete in one volume,
Philadelphia 1837.
Der Vernünfftler, Hamburg 1713–1714 (enth. Auszüge aus Tatler und Spectator).

Weitere Quellen
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und der Wißenschaften in Groß-Brittanien. Zweiter Teil, Hannover 1752.
Abicht, Johann Georg (praes.), Johann Adolf de Loss (resp.): Disputatio moralis de
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Alsted, Johann Heinrich: Theologia naturalis, o. O. 1615.
Alsted, Johann Heinrich: Encyclopaedia, Faksimile-ND der Ausgabe Herborn 1630,
hg. von Wilhelm Schmidt-Biggemann u. Jörg Jungmayr, Stuttgart-Bad Canstatt
1990,
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lustrata, Herborn 31614 (zuerst 1603).
Amthor, Christoph Heinrich: Dissertatio politica de habitu superstitionis ad vitam
civilem, Kiel 1708.
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Griff und Arcana Status sonnenklar an Tag giebt sammt der zu End angehängten
Oration des Bauern an der Thonaw, Cölln 1647.
Anonymus: Sectirerische Pietisterey […] Aus Hn. D. Philipp Jacob Speners und seines
Anhangs Schrifften/ Zur Unterricht und Warnung Fürgestellet, Teil 2, o. O. 1697.
Anonymus: Nachricht von denen Prediger-Mördern / Raubern und Spitzbuben /
Welche […] Ihren allerseits Beicht-Vater und 22. jährigen Prediger […] jämmer-
lich ermordet, o. O. 1715.
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Quellen 689

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ben und andern daher entstehenden Sünden in der evangelischen Kirche mit Gott
möge gesteuert werden […] von einem treumeinenden Wächter im evangelischen
Zion, Frankfurt 1766.
Anonymus: Ueber Geniesucht, Freigeisterei und ihre Wirkungen auf die bürgerliche
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P. Migne, Paris 1841–1864. (Patrologiae cursus completus. Series Latina prior,
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London 1597 (anonym erschienen).
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London 1598.
Bacon, Francis: The Essaies of Sr Francis Bacon Knight, the Kings Attorney Generall.
His Religious Meditations. Places of Perswasion and Disswasion, London 1613.
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ben und der schröcklichen Verzweiffelung, wie auch dem Tode eines jungen Eng-
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Der verzweiffelnde Atheist, Das ist, Ein erschrecklich Exempel von einem Atheisten,
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Duplessis-Mornay, Philippe: De la verité de la Religion Chrestienne: Contre les
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Atheos, Epicureos, Ethnicos, Iudaeos, Mahumedistas, & caeteros Infideles. Ant-
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Duplessis-Mornay, Philippe: Mémoires et correspondance de Duplessis-Mornay.
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Eckartshausen, Carl von: Ueber die Freygeisterey unserer Zeiten, in: Ders.: Beyträge
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Eckartshausen, Carl von: Felix, oder der Freygeist, in: Ebd., S. 184–189.
Ehinger, Elia: De fidelitate servanda in autoribus citandis Dissertatio, nunc primum
e Schedis Ejus edita, in: De fidelitate servanda in autoribus citandis Dissertatio,
nunc primum e Schedis Ejus edita, in: Amoenitates literariae, Bd. 2, Frankfurt
1725, S. 530–552.
Eichendorff, Joseph von: Der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts in sei-
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Quellen 693

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Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von: Gesammelte Werke in Einzelausga-
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Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von: Werke (Bibliothek deutscher Klassi-
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Großgebauer, Theophil: Wächterstimme aus dem verwüsteten Zion, Rostock 1661.
Großgebauer: Preservatif wider die Pest der heutigen Atheisten / Die uns die gewiß-
heit und Göttliche Autorität der heiligen Schrifft und unser Seelen Unsterbligkeit
in zweiffel ziehen wollen, Rostock 1661 [wieder in: Drey Geistreiche Schrifften,
Frankfurt am Main/Leipzig 1667 (41710), S. 523–752].
Grotius, Hugo: De iure belli ac pacis libri tres, Paris 1625.
Grüneberg, Johann Peter (praes.), Johann Heinrich Schwartz (resp.): Disputatio
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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Hippocrates ἄθεος, in: Otia, 2. Tl. (1706), 3. Stück,
S. 73–140.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Hobbesius ab Atheismo liberatus, in: Observatio-
nes selectae, Bd. 1 (1707), 2. Stück, S. 37–77.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Das Bild eines galanten Theologi in der Persona
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Büchern, Gelehrten, und andern zur Gelahrtheit gehörigen Sachen, Jena 1738,
S. 585–589.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Plato ἄθεος, in: Neue Bibliothec, Oder Nachricht
und Urtheile von Neuen Büchern, 31. Stück, 1714, S. 1–31.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Von Th. Hobbesii Atheisterey, in: Gundlingiana,
14. Stück, 1717, S. 303–339.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Dreyfache Erinnerung an Herrn Assessorem von
Elswig zu Wittenberg, in: Gundlingiana, 14. Stück, 1717, S. 357–391.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Erste Reflexion über Herrn D. Trillers ›Hippo-
cratem Atheismi falso accusatum‹, in: Gundlingiana, 22. Stück, 1719, S. 87–186.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Andere Reflexion über Herrn D. Trillers ›Hippo-
cratem Atheismi falso accusatum‹, in: Gundlingiana, 23. Stück, 1719, S. 187–286.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Von Platonis Atheisterey, in: Gundlingiana,
32. Stück, 1724, S. 103–146.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Velitatio posterior de Atheismo Platonis cvi occa-
sionem dedit Jacobus Zimmermannus, in: Gundlingiana, 44. Stück, 1729, S. 281–
366
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Velitatio posterior de Atheismo Platonis cvi occa-
sionem dedit Jacobus Zimmermannus, in: Gundlingiana, 44. Stück, 1729, S. 281–
366.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Erläuterung über Samuelis Pufendorfii zwey Bü-
cher De Officio hominis & civis secundum legem naturalem, Hamburg 1744.
Gundling, Nicolaus Hieronymus: Einleitung zur wahren Staatsklugheit. Aus des-
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gnügen in GOTT. Hamburg 1738 (Reprint, hg. v. Dietrich Bode, Stuttgart 1965).
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Hallwachs, Johann Michael: Biga quaestionum: de iuramento athei et religionis, Von
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Heineccius, Johann Gottlieb: Grundlagen des Natur- und Völkerrechts (1738), über-
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Hobbes, Thomas: Leviathan, übers. v. Walter Euchner, hg. u. eingeleitet v. Iring Fet-
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Hülsemann, Johann: Calixtinischer Gewissens-Wurm, Leipzig 1653.
Jean Paul, Werke, hg. v. Norbert Miller u. a., München 51987.
Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm: Betrachtungen über die vornehmsten Wahr-
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Jöcher, Christian Gottlieb: Woolstoni paralogismorum examen, Leipzig 1734 .
Joecher, Christian Gottlieb (praes.), Heinrich Adolf Hohmann (resp.): Thomae
Woolstoni de miracvlis Christi paralogismos praeside Christ. Gottl. Ioechero Phi-
los. Prof. pvbl. ord. […] pvblice examinabit Henr. Adolph Hohmannus Lipsiensis,
Leipzig 1730.
Joecher, Christian Gottlieb: Thomae Woolstoni de miraculis Christi paralogismorum
examen cum pro licentia summos in theologia honores obtinendi […] Lipsiae dis-
putaret continvatum a Christiano Gottl. Ioechero Historiarum Professore, Leip-
zig 1734.
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alle Laster wirke, in: Ergetzungen der vernünftigen Seele aus der Sittenlehre und
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Kant, Immanuel: Werke in zehn Bänden, hg. v. Wilhelm Weischedel, Darmstadt 51975.
Kästner, Abraham Gotthelf: Vermischte Schriften, Altenburg 1755.
Keckermann, Bartholomäus: Systema disciplinae politicae, Frankfurt am Main 1625
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Kortholt, Christian: De tribus impostoribus magnis liber, Kiel 1680.
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La Bruyère, Jean de: Œuvres complètes, hg. von Julien Benda, Paris 1951.
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gignit, aut promovet, pseudophilosophiam veterum et recentiorum, praesertim
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Lassenius, Johann: Besiegte Atheisterey / Darin Aus heiliger Schrifft behaubtet /
auch theils Aus der Natur und gesunden Vernunft erwiesen, Daß die heil. Schrifft
Gottes Wort; warhafftig ein GOtt; die Seele der Menschen unsterblich […] Sampt
unterschiedlichen Anmerckungen Und einen Anhang Vieler hiezu dienender Fra-
gen und Antworten, Hamburg 1673.
Lassenius, Johannes: Arcana Politico-Atheistica, Oder Politische Geheimnüs Vieler
Hin und wieder versteckten / Unartigen Atheisten, In Einigen Gesprächen entde-
cket und verworffen, o. O. 1666 (61717).
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Reprogr. ND der Originalausgabe
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qui portent les Incredules à rejetter La Religion Chrétienne, Amsterdam 1696
Le Clerc, Jean: A Treatise of the Causes of Incredulity. Wherein are examin’d the
general Motives and Occasions which dispose Unbelievers to reject the Christian
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Le Clerc, Johann [Jean]: Untersuchung des Unglaubens, nach seinen allgemeinen
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lichen Religion aus dem französischen übersetzt. Mit einer Vorrede Siegmund Jac.
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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. Übersetzung von Artur Buchenau,
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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Opera omnia, hg. v. Ludwig Dutens, 6 Bde., Genf 1768
(ND Hildesheim u. a. 1989).
Leibniz, Gottfried Wilhelm: Philosophische Schriften und Briefe 1683–1687, hg. v.
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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Sämtliche Schriften und Briefe. Akademieausgabe, hg.
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che Betrachtung derer Steine […], Hamburg 1735.
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696 Quellen- und Literaturverzeichnis

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Löscher, Valentin Ernst: Praenotiones theologicae contra Naturalistarum et Fana-
tircorum omne genus, Atheos, Deistas, Indifferentistas, Anti-Scripturarioes, etc.
crassos aeque ac svbtiles nec non suspectos doctores custodiendae, Wittenberg
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Mauduit, Michel: Wiederlegung Der Atheisten, Deisten, Und Neuen Zweyffler, Da-
rinnen man ohne ihre vermeyntlich habende Gründe umzustossen, sie vermöge
ihrer eigner, dazu erlangten Vorbereitung überwindet, und ihnen darthut, und er-
weiset, daß sie keine andere Parthey nehmen, sondern den Christlichen Glauben
ergreiffen sollen, Prag 1712.
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Quellen 697

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Melanchthon, Philipp: Heubtartikel christlicher Lere. Melanchthons deutsche Fas-
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hafftige Gesichte Philanders von Sittewalt, hg. v. Felix Bobertag, Stuttgart 1883
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ments, aus dessen gesamten lateinischen Werken frey übersetzt, Leipzig 1769.
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zu vertheidigen, hg. v. Christian Ernst v. Windheim, Erlangen 21772
Mosheim, Johann Lorenz von: Geschichte der Feinde der christlichen Religion.
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Müller, Johannes: Atheismus devictus, das ist ausführlicher Bericht von Atheisten /
Gottesverächtern / Schrifft-Schändern / Religions-Spöttern […] Mit gründlicher
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Owen, John: Joannis Oveni Cambro Britanni Oxoniensis, et Alberti Ines e Societate
Jesu, Acroamatum Epigrammaticorum Editio postrema & postumis quibusdam
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Piscator, Johann: In Librum Psalmorum Commentarius, Herborn 1611.
Platon: Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd. IX.2: Nomoi. Buch VIII-XII.
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Reimmann, Jakob Friedrich: Historia universalis atheismi, Hildesheim 1725.
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Sallust, Gaius Crispus: De coniuratione Catilinae. Die Verschwörung des Catilina.
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Sappel, Ladislaus: Geschichte der fortgepflanzten Religion. In drey Bände und drey-
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Schlegel, Johann Adolf: Vermischte Gedichte, Bd. 1, Karlsruhe 1788.
Schmidt, Arno: Sämtliche Nachtprogramme und Aufsätze. Bd. 1, Bargfeld/Zürich
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Schopenhauer, Arthur: Die Kunst, Recht zu behalten, hg. v. Franco Volpi, Frankfurt
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Schubert, Johann Ernst: Institutiones theologiae polemicae, Jena/Leipzig 1755.
Schupp, Johann Balthasar: Dissertatio praeliminaris De opinione [1639 u. ö.], Rinteln
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Scriver, Christian: Gottholds zufällige Andachten bey Betrachtung mancherley Din-
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Scriver, Christian: Seelen-Schatz, Magedburg u. Leipzig 111723 (zuerst 1675).
Scultetus, Abraham: Confoederations-Predigt / Bey Vernewerung / weiterer Erklä-
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Scultetus, Abraham: De curriculo vitae, Inprimis vero De actionibus Pragensibus […]
Narratio Apologetica, Emden 1625 [
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700 Quellen- und Literaturverzeichnis

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Seckendorff, Veit Ludwig von: Commentarius historicus et apologeticus de Luthera-
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Spizel, Theophil: De atheismo eradicando ad virum praeclarissimum Dn. Antoninum
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Spizel, Theophil: Scrutinium atheismi historico-aetiologicum, Augsburg 1663.
Stapfer, Johann Friedrich: Sittenlehre: Zweyter Theil, Zürich 1758.
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Thomasius, Christian: Außübung der Vernunfft-Lehre, Halle 1691 (reprogr. Nach-
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famiret, in: Ders./Enno Rudolph Brenneysen, Das Recht evangelischer Fürsten in
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sche Händel. Erster Theil, Halle 1720, S. 233–358.
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702 Quellen- und Literaturverzeichnis

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Weise, Christian: Bäurischer Machiavellus: Welchen er 1679 in einem Schausiele zu


Zittau vorgestellet hat. Wegen der artigen Ausführung auf Verlangen ein und andrer
wiederum zum Druck befördert; Nebst einer Vorrede, Von dem Machiavellismo in
allen Ständen, sonderlich unter denen Gelehrten In welcher die Machiavellisterey,
so unter Theologis, Juristen, Medicis, Philosophis und Studiosis vorgehet, kürtz-
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704 Quellen- und Literaturverzeichnis

2. Forschungsliteratur

Artikel aus den gängigen Nachschlagewerken werden nur in Ausnahmefällen


aufgeführt. Weitere Informationen im Kapitel Zur Zitierweise am Ende der
Einleitung. Sämtliche Internetverweise wurden vor der Drucklegung über-
prüft.

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1. Namen

Abelin, Johann Philipp 315 362, 425, 428, 455, 506, 555, 557, 594,
Abicht, Johann Georg 516, 654 596, 637, 673, 684
Achenwall, Gottfried 654 f. Bacon, Francis 3, 32, 34, 36, 39 f., 48,
Addison, Joseph 562–564, 567–569, 574, 64 f., 72, 124–129, 133 f., 136, 139,
665 141 f., 145 f., 152, 159 f., 161, 210, 247,
Agricola, Johann 68 251, 256, 373, 377, 386, 395, 407, 495,
Alberti, Georg Wilhelm 667 499, 502, 511, 516, 560, 569, 574, 586,
Alberti, Johann Valentin 349, 426, 520, 594 f., 674, 676
525 Basedow, Johann Bernhard 569
Alsted, Johann Heinrich 173, 185, 243, Basilius (von Caesarea) 140, 276
287, 290 Baumgarten, Alexander Gottlieb 46,
Althusius, Johannes 91, 93, 95, 100, 105– 391, 495, 617
107, 165 Baumgarten, Siegmund Jacob 388, 391,
Amthor, Christoph Heinrich 440, 516 492
Andreae, Johann Valentin 109, 207 Bayle, Pierre 5, 8, 15, 17, 20, 22, 27,
Anselm von Canterbury 126, 138 50 f., 60, 64, 113, 123, 130, 139, 143,
Aquin, Thomas von 116, 137 f., 209, 284 151, 153, 164, 186, 225, 237, 251, 328,
Aristoteles 93 f., 105, 107, 110, 132, 183, 330 f., 333–348, 360, 364–373, 382 f.,
185 f., 209, 238, 262, 277, 319, 336, 381, 396–399, 403 f., 407, 411, 413, 416, 422,
452, 457, 464, 497, 519 f. 436, 439 f., 442, 444, 448, 450 f., 457 f.,
Arnauld, Antoine 150, 152 460–463, 465 f., 468, 471 f., 479, 484 f.,
Arndt, Johann 15, 171, 179, 195 f., 198, 489, 492–496, 498, 500, 502, 507 f.,
202, 210, 214, 218, 270 f., 337, 347, 350, 514–516, 518 f., 521 f., 527, 536 f., 543 f.,
370, 500, 506, 593, 596, 599 f. 547–561, 564, 575, 598, 615, 622 f., 630,
Arnisaeus, Henning 95, 178, 180 653 f., 658, 663, 667, 670, 677 f.
Arnold, Gottfried 75, 159, 211, 214, Becanus, Martin 176, 191
277, 395–397, 400–403, 405, 421, 423, Bellarmino, Roberto 5, 57, 64, 82, 110,
449, 451, 469, 473, 492, 498, 503 f., 519, 273, 596
548, 554, 559, 592, 594, 643, 646, 659, Bengel, Johann Albrecht 500
667, 683 Bentley, Richard 8, 21, 54, 141, 155, 202,
D’Assonville (Assonvilla), Guillaume 209, 238, 285, 330, 333, 348, 358, 361,
81–88, 90 f., 93 f., 97, 99, 105, 110, 115, 373–384, 388–390, 407, 460, 491, 494,
138, 179 f., 200, 203, 207, 243 f., 251, 496 f., 499–502, 505 f., 511, 516, 541,
255, 460, 505, 523, 628, 661 543, 566, 568, 571, 580, 659, 675–677
Augustinus (von Hippo) 49–52, 57, Besold, Christoph 91, 106–109, 172
59 f., 62 f., 79, 104, 198, 191, 194, 201, Beza, Theodor 172, 174, 455
204, 209, 216, 223, 272, 276, 294, 296, Bielfeld, Jacob Friedrich von 655
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756 Register

Boccalini, Trajano 180, 185, 322 f. Carpzov, Samuel Benedict 503


Bodin, Jean 5, 34, 81, 95, 97 f., 100, 102, Castiglione, Baldassare 287
106, 108, 122, 148 f., 178, 180, 237, 254, Charron, Pierre 14, 34, 36, 38, 81, 136 f.,
267 f., 308, 366, 381, 518, 577, 579, 606, 139, 226 f., 390
674 Cherbury, Herbert von 35, 116, 169,
Boecler, Johann Heinrich 224, 311, 180, 376, 396, 401, 542 f., 626, 647, 664
518 f. Chubb, Thomas 543, 654 f., 668
Boineburg, Johann Christian von 144 f., Cicero 59, 83 f., 93 f., 96, 101, 110, 117,
167, 196 139, 276, 319, 332, 336, 377, 380, 397 f.,
Bose, Gottfried Christian 58, 65 421, 450, 499, 501, 519, 555, 559, 574,
Bourgueville, Charles 65, 72, 125, 243, 606
245 Clarke, Samuel 142, 492, 541, 626
Boyle, Robert 21, 39, 40, 146, 150, 155, Clasen, Daniel 97, 110, 148, 168, 171,
264, 348, 373–375, 450, 543 f. 176–187, 195–197, 200, 202–204, 206,
Brant, Sebastian 293 212, 217, 221, 224, 226 f., 240, 272,
Brawes, Joachim Wilhelm von 19, 654 305 f., 310, 312, 322, 325, 332, 356, 436,
Brockes, Barthold Heinrich 37, 39, 58, 460, 500, 557
249, 263, 284 f., 312, 348, 381, 384, 501, Clemens von Alexandrien 209
513, 526 f., 530, 535, 539, 541–543, 546, Colbe, Christian 74, 99, 148, 167, 171,
569 f., 574, 579, 589–603, 605–614, 182, 187–197, 199 f., 202–204, 206, 210,
616–619, 621, 623 f., 627 f., 631 f., 635– 212, 216 f., 221 f., 225, 227, 230, 240,
637, 652, 659, 677 331, 336, 360, 387, 395, 402, 404, 510,
Browne, Thomas 188, 190, 268 f., 272, 621, 661
336, 394 f., 401, 404, 421, 495, 498, Colberg, Daniel 422, 644
502–504, 551 Collins, Anthony 333, 446, 450, 500,
Bruno, Giordano 128, 132 519, 542–544, 549, 562, 566, 647, 650,
Bucer, Martin 57–60, 62 f., 71, 79, 130, 664, 667
139 f., 159, 190, 221, 251, 257, 330, 357, Conring, Hermann 36, 93 f., 97, 106 f.,
407, 419, 438, 511, 635 109–111, 115, 120, 144, 148, 167 f.,
Budde, Johann Franz 24, 36 f., 74 f., 202, 176–179, 183, 186, 224, 274, 305, 311,
332, 408–412, 416, 419 f., 430, 446, 450, 313, 326, 397, 432, 436, 514, 516, 518–
460, 468 f., 472, 492, 499, 509, 516, 520, 520, 522, 579,
531, 541, 550, 556, 579, 596, 603, 626, Contzen, Adam 82, 90, 162, 176, 179,
653, 666 184, 191, 203, 207
Bünau, Heinrich Graf von 131, 680 f. Cornelius a Lapide 176
Burnet, Gilbert 233 f., 265, 389, 402, Corvinus, Johann Friedrich 643, 645
513, 547 Cramer, Johann Andreas 551 f., 660
Burnett of Kemney, Thomas 155 Cromwell, Oliver 307
Calixt, Georg 37, 72, 168, 170, 172, Cudworth, Ralph 8, 21, 36, 154 f., 179,
173–176, 190, 196, 305, 397, 502 374, 430, 447, 499, 506, 543 f., 596
Calov, Abraham 33, 65, 222 f., 244, 495 Cumberland, Richard 456
Calvin, Johannes 19, 57–63, 66 f., 71, 74, Cuper, Franciscus 267
79, 102, 139, 159, 162, 164, 172, 174, d’Assonville → Assonville
187, 189, 221, 244, 247, 251, 254, 256 f., Dannhauer, Johann Konrad 198, 202, 205
272, 283, 330, 339, 357, 407, 419, 438, Descartes, René 34, 36, 129 f., 145 f.,
511, 623 f., 634, 639 f., 644, 675 154–156, 174, 196, 214, 228, 339 f., 355,
Campanella, Tommaso 38, 132, 152, 377, 421, 423–426, 430, 455, 476, 495,
208, 226, 504 508, 510, 596, 600, 622, 669
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Namen 757

Diagoras 73, 117, 186, 400, 459, 498, 558 Gasser, Franz 654
Diderot, Denis 11, 680 Gedicke, Lambert 641, 651
Digby, Kenelm 146, 374 Gellert, Christian Fürchtegott 22 f., 99,
Diogenes 503, 601 109, 482, 506, 535, 546, 584, 588, 634,
Dostojewski, Fjodor 4 653, 681
Drollinger, Karl Friedrich 23, 623, 632, Gerhard, Johann 33, 172, 195
653 Gerhardt, Paul 170, 593
Dunton, John 264 Goethe, Johann Wolfgang 535, 606, 618
Duplessis-Mornay, Philippe 19 [hier noch Goldhagen, Hermann 662
ohne Vornamen], 24 f., 32, 36 f., 72, Gottfried, Johann Ludwig 315
75–82, 87 f., 90, 97, 105 f., 115 f., 120, Gottsched, Johann Christoph 16, 22,
160, 170, 193, 203, 208, 255, 272, 276, 225, 328, 334, 444, 489, 527–529, 531,
280, 296, 333, 354, 363, 372, 395, 499, 535–544, 547–565, 583, 588, 628, 653,
503, 544, 560, 646, 676 655, 660
Efferen, Wilhelm Ferdinand von 176, Gracián, Baltasar 287
180 Grapius, Zacharias 516, 654
Emmerich, Franz Erasmus von 642 f. Grégoire, Pierre (Petrus Tholosa-
Epikur 31, 69 f., 72 f., 78, 94, 146, 190, nus) 91, 100–102, 104–106, 115, 122,
214, 228, 248, 267, 297, 333, 360, 377, 185, 272, 366, 381, 505, 518 f.
381, 401, 421, 461, 503, 558–561, 603, Grimmelshausen, Hans Jacob Christof-
606, 635 fel von 176, 201, 286, 296, 300, 302 f.,
Erasmus von Rotterdam 68, 70, 190, 321, 332
267 f., 333, 391 Großgebauer, Theophil 24, 36, 131, 153,
Ernst, Jakob Daniel 260, 264, 277 167 f., 171 f., 195–202, 206 f., 210, 212,
Euhemeros 558 216, 223, 225, 227, 240, 244, 255, 257,
Ewald, Johann Ludwig 678 259, 270, 274, 306, 310, 313, 324, 351,
Fabricius, Johann Albert 333, 394, 447, 354, 356, 504
596 Grotius, Hugo 3, 19, 24, 34, 36, 38, 93–
Fabricius, Johann Ludwig 72, 152, 268, 95, 111 f., 114–117, 119, 148, 177, 179,
395–400, 403, 421, 450, 492, 494, 190, 201, 208, 237, 276, 312, 336, 363,
503 f., 551, 559 371 f., 390 f., 435, 443, 454, 460, 471,
Fénelon, François 347 482, 499 f., 515, 525, 540, 543 f., 674
Fichte, Johann Gottlieb 663 Gruet, Jacques 61 f.
Ficino, Marsilio 430, 558 Grünenberg, Johann Peter 245, 247
de Fleury, André-Hercule 476 Gryphius, Andreas 256
Fludd, Robert 130 Gundling, Nicolaus Hieronymus 16, 37,
Fricken, Johann 651f. 112, 118, 123, 211, 331 f., 338, 372,
Friedrich II. von Preußen 5, 657 396 f., 406, 433, 445–469, 479, 482, 485,
Friedrich V. von der Pfalz 88 503 f., 510, 514, 516 f., 520, 527, 537,
Friedrich Wilhelm I. von Preußen 486 569, 576, 598, 616, 633, 659, 674, 677,
Frommann, Johann Andreas 499 680
Frommann, Johann Ulrich 141, 273, Hadrian 191
397, 414, 478, 499–509, 511, 513, 517, Haeckel, Ernst 604
560, 580, 614, 650, 675 Haller, Albrecht von 3 f., 17, 23, 48, 58,
Galilei, Galileo 34, 128–130, 145, 377 99, 109, 237, 312, 482, 526, 530, 562,
Garasse, François 8, 20, 36, 137, 395, 559 569, 607, 618–638, 652–654
Gassendi, Pierre 35, 129 f., 133, 146 f., Hallwachs, Johann Michael 114, 516–
503, 558 f. 518
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758 Register

Harder, David 244, 254–258 308–310, 312, 322, 329, 331, 334, 405 f.,
Harsdörffer, Georg Philipp 269, 565 f., 473, 643, 659, 675, 677
641 Lau, Theodor Ludwig 31, 429–431, 445
Helvétius, Claude Adrien 536 Le Bon, Gustave 683 f.
Herder, Johann Gottfried 2, 129, 142, Le Clerc (Clericus), Jean 36 f., 209, 329,
568, 663–665, 667–670 356, 358, 373, 383 f., 388–393, 492, 499,
Heumann, Christoph August 666 501, 511, 516, 543 f., 675
Hippokrates 332, 446–454, 456–461, 464, Leibniz, Gottfried Wilhelm 3, 36,
468 38–40, 98, 127, 129 f., 141–155, 167 f.,
Hobbes, Thomas 5, 24, 34, 36, 99, 112, 196 f., 210, 237, 254, 331, 346, 349, 351,
117–124, 129 f., 146, 152, 167, 214, 237, 373 f., 396 f., 425, 476, 495, 508 f., 511,
268 f., 275, 348, 382, 394, 396, 401 f., 520, 526, 536, 541, 544, 553, 557, 560 f.,
421, 443–447, 449–451, 453, 455, 459, 608, 610, 618, 633, 666, 668, 674, 676,
460 f., 468, 471, 489, 491 f., 500, 503– Lessing, Gotthold Ephraim 8, 19, 22,
505, 508, 514, 516, 524, 552, 561, 578, 34, 343, 345, 535, 546, 551 f., 588, 653,
588, 667, 674 657, 659 f., 663, 668, 682
Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann Leuckfeld, Johann Georg 195, 210,
von 256 214–216, 334, 337, 358, 557
Horaz 132, 153, 175, 243, 245 Leyser, Polykarp 65
Hülsemann, Johann 37, 169, 172–176, Leyser, Wilhelm 65
179, 182, 184, 187 f., 190 f., 196, 202, Linschoten, Jan Huygen 399
221, 389, 403 Lipenius, Martin 333
Hume, David 648, 665 Lipsius, Justus 34, 84, 86, 94, 99, 103,
Jöcher, Christian Gottlieb 499, 540 f., 544 105, 110, 115, 185, 191, 304, 311, 516
Julian (»Apostata«) 191, 203, 503 Liselotte (Elisabeth Charlotte) von der
Junius, Franciscus 190 Pfalz 386
Justin (Iustinus Martyr) 209, 503 Livius 93, 96, 209
Kant, Immanuel 27, 345, 658, 665, 676 Lobwasser, Ambrosius 245
Kästner, Abraham Gotthelf 258 Locke, John 24, 92, 113, 114, 117, 157,
Keckermann, Bartholomäus 91, 106– 308, 331, 348, 382, 389–391, 397, 425,
108 460, 482, 489, 502, 515 f., 542, 561, 575,
Kircher, Athanasius 209 602, 663, 665
Knebel, Karl Ludwig von 606 Löscher, Valentin Ernst 23, 24, 403, 473,
Knutzen, Matthias 153, 219, 269 477, 489–502, 508–511, 513, 516, 520,
Kortholt, Christian 218, 222, 225 541, 556, 560, 579, 600, 614, 648–650,
Kronenberger, Ernest 663 675
Labadie, Jean 218 Lüdke, Friedrich Germanus 659 f.
La Bruyère, Jean 16, 329, 338, 358, 383– Lukrez 72 f., 243, 248 f., 263, 561 571,
388, 390, 458, 580, 583 f., 587, 605, 675 603, 606, 610, 630, 632
La Mettrie, Julien Offray 258, 569, 657, Lullus, Raymundus 294
665, 674 Luther, Martin 3, 14, 15, 45, 46, 47,
La Mothe le Vayer, François 130, 188, 49, 51, 53–64, 66–75, 79, 82, 102, 135,
390, 394 f., 421 f., 495, 558 153, 159 f., 165, 170 f., 174, 189, 192,
Laktanz 94, 103, 110, 180, 185, 276, 199, 204, 210–212, 214, 216–218, 232,
606 235, 240, 244, 250, 253, 257, 270, 276,
Lange, Joachim 470, 474, 508–513 278, 283 f., 294, 296 f., 302 f., 317, 320,
Lassenius, Johannes 176, 178, 266, 269– 328, 330, 332, 338 f., 343, 345, 354,
273, 275–278, 281, 286, 288, 303–306, 356, 358, 360, 362, 365, 376, 387,
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Namen 759

410, 417, 421, 423, 425, 433, 455, 503, Mozi 4


556 f., 585, 593, 637, 639, 645 f. 648, Müller, Heinrich 198, 270
660, 665, 675, 683 Müller, Johannes 244 f., 260 f., 270, 272,
Lütkemann, Joachim 198 354, 395, 503 f.
Lyser, Wilhelm 58, 65 Müller, Johann Joachim 218
Machiavelli, Niccolò 3, 31, 86, 95–98, Naumann, Johann 270
100, 105 f., 110, 162 f., 177, 186, 191, Heinrich von Navarra 76, 78, 80–82, 102
224, 274 f., 286–288, 299 f., 305, 312 f., Nero 297, 523
316 f., 322–328, 341, 421, 578 Neumayr, Franz 661
Maier, Johann Friedrich 503 Neumeister, Erdmann 645
Mandeville, Bernard de 669 Newton, Isaac 21, 147, 330, 374 f., 384,
Martini, Christian Friedemar 517–526, 561, 574
579 Niemann, Sebastian 46, 131, 244, 503, 640
Masius, Hector Gottfried 520, 525 Nietzsche, Friedrich 391
Matthias Flacius Illyricus 135 f., 428, 503 Oetinger, Friedrich Christoph 500
Mauduit, Michel 150 Osiander, Johann Adam 46, 131, 167,
Maximus Tyrius 398 196, 203, 260, 683
Mazarin, Jules 307 Osiander, Lukas 72, 87–90, 190, 196,
Meibom d. J., Heinrich 205 f. 202 f., 243, 252–254
Meier, Gebhard Theodor 131, 406–409, Osiander, Lukas (jr.) 88
412, 414, 419, 477, 492, 504, 517 Ostervald, Jean-Frédéric 347, 651
Meier, Georg Friedrich 420, 511, 531, Otto II. (HRR) 314
569 f., 633, 655, 667 Owen, John 245–252, 256, 263, 290,
Melanchthon 72–75, 130, 170, 190, 336, 610, 657
339, 410, 626 Paracelsus 294
Mencke, Otto 154, 352 Pareus, David 89, 190, 272
Mersenne, Marin 3, 8, 22, 36, 39 f., 48 f., Parker, Samuel 355, 461, 503, 559
117, 129–142, 144–146, 152, 156, 160– Parson, Robert 265
164, 170, 185, 188, 192 f., 202–206, 208– Pascal, Blaise 16 f., 36, 38, 258, 284 f., 339,
210, 234, 238, 267, 272, 284, 289, 333, 348, 350 f., 356, 360, 362–366, 380 f.,
354, 356, 371, 374, 376, 383, 386, 391, 384, 388, 391, 499, 505 f., 512 f., 524 f.,
402, 438, 495, 499, 501, 503, 511, 516, 523, 571, 598, 613, 615, 637, 648, 659, 677
555, 558, 560, 569, 586, 636, 675 f., 683 Paulus (von Tarsus) 47, 54, 57, 61, 151,
Michaelis, Johann David 669 159, 165, 174, 188 f., 193, 209, 215, 228,
Miller, Johann Peter 679, 681 234, 320, 333, 367, 449, 490 f., 501, 648,
Molinos, Miguel de 347, 426 650
Montaigne, Michel de 14, 34, 80 f., 426 Perkins, William 161, 179, 208, 212
More, Henry 8, 21, 354 f., 374 Petersen, Johanna Eleonore 423, 433
Morgan, Thomas 668 Petrus Firmianus (Zacharie de Lisieux)
Moritz von Sachsen 354 202, 205, 208, 223
Moscherosch, Johann Michael 176, 201, Pfaff, Christoph Matthäus 541, 667
272, 286–293, 295 f., 302–304, 313–315, Pfeiffer, August 228–230, 424, 426, 429,
317, 320 f. 449
Moser, Friedrich Carl von 144, 655 Pfeiffer, Johann Gottlob 537 f.
Möser, Justus 655 f. Philipp II. von Spanien 83
Mosheim, Johann Lorenz von 8, 23, Philipps, Jenkin 157
262, 374, 413 f., 492, 541 f., 579, 585, Philo von Alexandrien 115
651 f., 666, 669, 678
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760 Register

Platon 4, 84, 110 f., 115, 139, 209, 267, Scultetus, Abraham 72 f., 87–89, 190,
319, 332, 336, 380, 395, 430, 445–457, 196, 203, 244, 252–254
459, 461, 464, 468, 501, 574, 581 Seckendorff, Veit Ludwig von 54, 142,
Plinius d. J. 72, 101, 183, 209, 277, 558 150, 152–155, 187, 197, 211–213, 226 f.,
Plutarch 93, 110 f., 113, 115, 185, 201, 249, 241, 257–259, 272, 291, 325 f., 330, 333,
251, 263, 380, 382, 397, 437 f., 450, 550 346, 348, 349–362, 364–373, 383, 398,
Poiret, Pierre 154, 218, 347, 500, 609 402, 410, 418, 425, 433 f., 439, 460, 482,
de Polignac, Melchior 536, 560–562, 606 491, 494, 500, 504 f., 519 f., 524 f., 556,
Pomponazzi, Pietro 11, 14, 61, 72, 151 571, 617, 622, 637, 646, 654
Possevino, Antonio 23, 72–75, 81, 88, Semler, Johann Salomo 571, 662, 665,
90, 110, 135, 170, 188, 410, 516 669, 678
Prause, Gerhard 128 Seneca 276, 297, 319, 332, 380, 397 f.,
Pregitzer, Johann Ulrich 245, 252 499, 501, 574
Pufendorf, Samuel 3, 17, 24, 34, 36, Senstius, Johann Christian 245
38, 93, 95, 112 f., 116, 118–123, 148, Seume, Johann Gottfried 659
183, 228, 237, 312, 397, 403 f., 432, Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper,
439–441, 443, 462, 464, 466–468, 481, 3rd Earl of 8, 333, 362, 389, 575, 596,
488, 498–500, 513–516, 519–521, 525, 659
575, 674 Sidney, Philipp 76, 80
Pythagoras 452, 581 Simon, Jordan 662
Quevedo, Francisco de 288, 296 Simon, Richard 34
Quistorp, Johann 198, 205, 207, 214, 347 Skytta, Benedikt 219, 237
Rantzau, Detlev zu 270 Sokrates 4, 331, 336, 394, 395, 400, 503,
Raufseysen, Philipp Ernst 23 547, 558, 574
Reimarus, Hermann Samuel 34, 536, Soner, Ernst 454
601, 668, 681 Sozzini, Lelio 272, 455
Reiser, Anton 144, 197, 202, 274 Spalding, Johann Joachim 8, 34, 362,
Rist, Johann 256, 269 f., 304, 565 412, 571, 595, 657, 665
Rochester, John Wilmot → Wilmot, John Spener, Philipp Jakob 5, 18, 54, 120,
Rohr, Julius Bernhard von 514 f. 142, 144 f., 148, 152 f., 171, 187, 195–
Rousseau, Jean-Jacques 171, 656, 662, 199, 202, 210 f., 214, 216–241, 257, 260,
665 265, 309 f., 329–331, 334, 347–350, 354,
Saint-Évremond, Charles 500, 558 f. 387, 405 f., 422 f., 426, 433, 448, 451,
Sarcerius, Erasmus 174 484, 496, 499 f., 503, 507, 509 f., 513,
Schelwig, Samuel 644 516, 518, 556, 592–594, 617, 621 f., 636,
Schiller, Friedrich 180, 266, 628 643 f., 646. 648 f., 660, 667, 675
Schmidt, Arno 589 Spethe, Andreas 245
Schmidt, Johann Lorenz 552 Spiera, Francesco 263 f.
Schnüffis, Laurentius von 281, 284, 657 Spinoza, Baruch de 31, 34–36, 131,
Schopenhauer, Arthur 391, 405 f., 618 142, 152, 154, 167, 213, 219, 222, 267,
Schoppe, Kaspar 181 269, 272, 275, 284, 332 f., 336, 339 f.,
Schubbius, Albert Matthias 516 396 f., 401 f., 409, 413, 416, 421, 430,
Schubert, Johann Ernst 419 441–443, 446, 448, 456 f., 459, 461,
Schütz, Johann Jakob 240 463, 489, 492, 496, 498, 500, 503 f.,
Schütze, Gottfried 640 507–509, 526, 538, 544, 561, 573, 575,
Schwager, Johann Moritz 670 603, 615, 649, 673 f.
Scriver, Christian 153, 214, 216, 223, 240, Spizel, Theophil 18, 24, 46, 129, 131,
289, 324, 354, 402, 500, 504, 593, 600 142–145, 148 f., 152, 167 f., 171 f., 195–
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Namen 761

197, 199, 202–210, 212, 217–219, 223, Ursinus, Zacharias 190


225–227, 231, 233 f., 236–240, 254, 260, Valla, Lorenzo 70, 267 f., 333
272, 274, 310, 349, 354, 396, 402, 418, Vanini, Giulio Cesare 31, 36, 38, 131,
500, 646, 683 133, 148 f., 151, 159, 178, 204, 208,
Staalkopff, Jakob 516 226 f., 261, 268 f., 274 f., 400 f., 421, 498,
Stapfer, Johann Friedrich 419, 580, 655 503 f., 519, 559 f.
Stapleton, Thomas 82 f., 85 f., 176, 179, Veiel, Elias 196, 218 f., 232
188, 200, 207, 666 de Viau, Théophile 131
Stäudlin, Carl Friedrich 34, 658 Vives, Juan Luis 499
Steele, Richard 562–564, 567–569, 574 Voetius, Gisbert 8, 13, 20, 22, 24, 39 f.,
Stegmann, Josua 205, 207, 289 46, 48, 52, 79, 115, 119, 131, 135, 141,
Steinbart, Gotthelf Samuel 362, 380 149, 155, 156–165, 168 f., 171–175,
Stillingfleet, Edward 373–375, 541 179, 182, 184 f., 188, 190, 192 f., 197,
Stockmann, Paul 68 f., 261, 266, 275–279, 199, 202–206, 208, 210–212, 215–217,
281 220 f., 229, 246 f., 257, 268, 271 f., 274 f.,
Stolberg, Leopold zu 23, 657 f. 283, 286, 289 f., 295 f., 309 f., 330 f.,
Stolle, Gottlieb 333, 635 334 f., 337 f., 344 f., 350, 354, 356–358,
Syrbius, Johann Jakob 411–414, 419, 370, 377, 385 f., 389–392, 396, 399 f.,
527 402 f., 405–408, 410–414, 417–419,
Tertullian 57, 144, 209, 276 432, 469 f., 476 f., 492, 496 f., 499, 501–
Theophylaktos 192 504, 510, 517, 520, 584, 595, 621, 623,
Tholosanus → Grégoire, Pierre 632 f., 640, 647, 652
Thomasius, Christian 16, 37 f., 59, 75, Vorstius, Konrad 161
112–114, 123, 132, 139, 178, 187, 211, Wagner, Tobias 197, 218 f., 221–227,
214, 226, 228–230, 251, 268, 310, 325, 233 f., 239, 241
328, 331–333, 338, 340, 352 f., 372, 400, Walch, Christian Wilhelm Franz 666
405 f., 411 f., 421–452, 458 f., 462, 465– Walch, Johann Georg 72, 333, 405, 492,
470, 473 f., 476, 479, 482, 485, 490–492, 666 f., 669
496, 498–501, 503, 510, 513–516, 519 f., Weber, Immanuel 267–269, 395, 500, 504
522, 527, 529, 531, 537, 544, 548, 550 f., Weber, Karl Julius 35, 45
554, 559, 569, 576, 577, 592, 594–597, Weise, Christian 176, 178, 201, 286–288,
600, 607, 609–611, 613, 619, 624, 629 f., 300, 311–317, 319–323, 325, 327–329,
633, 658 f., 667, 674 f., 677, 683–685 331 f., 352 f., 529, 565, 675, 677
Thomasius, Jakob 143–145, 149, 152, Werlhof, Paul 23
450, 455, 519, 541 Wilhelm I. von Oranien 80
Thomasius, Jenkin → Philipps, Jenkin Wilmot, John, Earl of Rochester 233 f.,
Thorschmid, Urban Gottlob 562 f., 569 265, 402, 512, 547
Tillotson, John 373, 379, 505, 541, 647 f. Windheim, Ernst von 262, 678
Titius, Caspar 259, 264 Wolf, Johann Christian 473
Toland, John 142, 234, 333, 390, 500, Wolf, Johann Christoph 395, 403 f., 456,
519, 542 f., 569, 668 551
Triller, Daniel Wilhelm 447, 450–454, Wolff, Christian 3–5, 10, 16 f., 24, 37 f.,
457–461, 465, 600 59, 75, 112, 114, 123, 139, 159 f., 209,
Trinius, Johann Anton 333 229, 237, 308, 328, 331, 334, 338, 351 f.,
Troeltsch, Ernst 142, 346 372, 405 f., 411, 414–420, 435, 444 f.,
Undereyck, Theodor 46, 157, 160, 195, 461, 465–467, 469–489, 508 f., 511,
210–216, 241, 262, 291, 331, 334, 358, 514 f., 523, 531, 535–537, 541, 548, 552,
406, 410, 439, 461, 500, 507 f., 646 554 f., 559 f., 570, 576 f., 580 f., 595 f.,
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762 Register

607 f., 610, 616, 652–656, 659, 666, Zimmermann, Johann Jakob 447, 455,
674–678, 683 468
Woolston, Thomas 540–544, 664 Zwingli, Huldrych 558
Zahn, Johann Heinrich Christoph 543

2. Orte

Afrika 397 Italien 14, 20, 70, 133, 144, 167, 205,
Augsburg 18, 24, 171, 196, 202–210, 234, 263, 269, 274, 312, 322, 381
349, 643, 661 f., 684 Jena 99, 153, 219, 409, 412 f., 516
Bayern 561, 661–663 Königsberg 167, 171, 187, 537
Berlin 657–661, 663, 664 Leipzig 154, 169, 208, 228, 352, 422,
China 4, 209, 381, 415, 419, 470, 472– 426, 434, 448, 516, 527, 535, 537 f., 540,
474, 476, 477, 483, 487 557, 566, 572, 627, 647, 685
Dresden 228, 423, 426, 540, 553 Magdeburg 177
England 5, 21, 22, 34, 82, 167, 188, 274, Niederlande 4, 38, 76, 77, 80, 83, 84,
330, 333, 362, 372 f., 455, 492, 506, 519, 87, 90, 97, 156, 167, 176, 188, 205, 274,
562, 566, 570, 574, 666, 668 355, 390, 399, 492, 507, 661
Frankfurt 150, 153, 218, 232, 240, 293, Nürnberg 198
430 Ostfriesland 89, 109
Frankreich 14, 35, 76 f., 82, 83, 97, 167, Prag 88 f.
176, 188, 199, 274, 290, 345, 347, 439, Preußen 415, 445, 470, 474, 486, 537, 662
647, 661, 669 Rostock 167, 171, 196, 197–201
Halle 37, 353, 391, 409, 429, 445, 508, Sachsen 170, 175, 187, 190, 228, 315,
510, 541, 588 354, 356, 560, 561, 680
Hamburg 39, 218, 260, 270, 314, 354, Spanien 38, 77, 82 f., 91, 97, 133, 167,
527, 529, 566, 568, 586, 589 f., 592, 627, 169, 233, 255, 268, 289, 347, 439, 471
631, 637, 644 f, 652 Straßburg 60, 202, 205, 224, 232, 237,
Helmstedt 109, 154, 168 f., 172, 176, 238, 296, 320
178, 190, 296, 305, 397, 407, 492 Wittenberg 65, 190, 218, 296, 403 f., 462,
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Sachen 763

3. Sachen

Das Sachregister soll dabei helfen, zentrale Themen, Begriffe und Motive inner-
halb des Unglaubensdiskurses im Text aufzufinden. Lateinische Begriffe (vor
allem aus dem Bereich der Staats- und Sündenlehre) werden dann vorgezogen,
wenn sie in der Forschung gängig sind; in Zweifelsfällen (z. B. »Begierden«
und »cupiditas« bzw. »concupiscentia«) werden mehrere Einträge oder Ver-
weise gesetzt. Bei sehr häufig vorkommenden Stichworten wie »Atheismus«,
»Freigeist« etc. musste eine Auswahl einschlägiger Stellen getroffen werden.
Begriffe wie »Aufklärung«, »Barock« etc. wurden nicht aufgenommen.

Aberglaube: Kritik am A. 4, 6, 22 f., 32, Anthropologie 17, 53 f., 59, 217, 231–
98, 99, 104, 132, 156, 236, 257, 342, 237, 297, 327, 330, 338, 340, 343, 362,
346, 370, 411, 538, 545, 546, 548, 549 f., 366, 370, 442, 574, 575, 675, 676
551, 553, 555, 617, 618, 623, 626–631, Antike (s. a. Personenregister) 12, 57,
658, 664, 675 – Kritik am A. als Ursa- 70, 72, 73, 80, 83, 93 f., 95, 104, 106,
che für Atheismus 236, 538, 651 – A. 137, 155, 183, 185, 207, 209, 243, 276,
und Atheismus die zwei extremen Ab- 277, 302, 332, 341, 343, 377, 394 f.,
wege von der wahren Religion 101 f., 397 f., 405, 421, 447, 452, 453, 456, 468,
113, 399, 487, 538, 592, 628, 629, 638, 477, 495, 499, 503, 518, 544, 558, 600,
675 – A. ist auch Atheismus 410 – Ver- 603, 606, 634 f., 679
gleich von A. und Atheismus 249, 251, Antinomer 68, 283, 639 f.
342, 369, 436, 437, 438, 440, 448, 462 f., Asebie (ἀσέβεια) 84, 174 f., 193
544, 631, 667 – A. schädlicher als Athe- Aristotelismus 95, 106–112, 116, 125,
ismus 440, 443, 448, 463, 465, 548–550, 130, 132, 133, 143, 145, 238, 239, 325,
658 f. – Atheismus schädlicher als A. 348, 412, 433, 466, 574, 599
98, 516, 521 Atheismus: Arten des A.: a priori 511 –
Affekte (s. a. Laster; Moralistik; Anthro- a posterori 511 – actualis/potentialis
pologie) 17, 129, 137–141, 256, 322, 496 f. – ad tempus 377, 497 – direkt/
325, 329–331, 362, 365, 391, 415, 426, directus 71, 88, 119, 158, 163, 165, 173,
443, 451, 476, 479, 511, 531, 565, 570, 203 f., 210, 216, 229, 275, 318, 389, 370,
577, 579, 586, 599, 600, 602, 633 f., 675 395, 399, 407, 432, 459, 477, 478, 497,
Affektkontrolle 328, 479, 530, 531 502, 510, 640 – indirekt/indirectus 25,
Affektpsychologie 17, 86, 137–141, 164, 158, 159, 160, 163, 165, 168, 173, 193,
326, 327, 340, 372, 383, 426, 442, 599, 203, 204, 216, 229, 295, 318, 377, 399,
675, 676, 679 406, 410, 414, 417, 432, 459, 476, 478,
Alamodekritik 216, 287, 313, 314, 316, 483, 495, 510, 584, 586, 645 – explicitus
320, 352, 384, 423, 475, 546, 583 496 f. – inchoatus/consummatus 190 –
Allegorie 271, 274, 292, 293, 295, 304, practicus 15, 16, 22, 47, 52, 57, 65, 69,
313, 316, 322, 323, 326 f., 490, 539 79, 90, 93, 149, 153, 156, 158, 160–165,
Anarchie 87, 98, 108, 148, 254 171, 174, 182, 188, 189, 191, 192, 193,
Anfechtung 61, 194, 214, 223, 230, 231– 197, 201, 203, 204, 211–216, 220 f., 225,
233, 356, 358, 453, 617, 622, 636 228, 230, 257, 283, 286, 289, 290, 299,
Anomie 99, 102 f., 122, 308, 341, 505, 303, 309, 310, 334, 337, 338, 349, 356,
518, 577, 578 358, 360, 370, 371 f., 377, 386, 399,
401 f., 405–420, 432–435, 444, 459, 461,
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764 Register

464, 469, 478, 492, 502, 508, 510, 515, Blasphemie 64, 67, 88, 90, 99, 101, 108,
570, 584, 585 f., 592, 594, 622, 632, 640, 123, 125, 126, 164, 165, 183, 257, 262,
647 – theoreticus (auch speculativus) 279, 388, 417, 423, 427, 428, 429, 488,
22, 25, 149, 153, 158, 160 f., 163 f., 165, 540, 569, 579, 642
174, 200, 201, 203, 213, 215, 216, 218, Blindes Ungefähr → Zufall
220, 221, 233, 241, 290, 296, 330, 335, Calvinismus 62, 65, 80, 84, 87, 89, 92,
358, 360, 372, 385, 399, 405–420, 432, 100, 103–108, 115, 156 f., 161, 169, 171,
444, 463, 466, 467, 477, 479, 494, 498, 172 ,175, 177, 187, 189, 191, 193, 211,
502, 510, 570, 584, 595, 622, 632, 647 – 252 f., 281, 297, 320, 389, 396, 419, 619,
Ursachen des A. 48, 57–66, 125 f., 135, 620 f., 624, 644, 651, 684
136–141, 163 f., 199, 203–205, 206 f., Cartesianismus 154 f., 156, 205, 239,
217, 222, 227, 230, 231–237, 240, 249, 340, 346, 347, 348, 355, 491, 561, 637
278, 358, 371, 373, 387, 388–394, 586 – Christentum, wahres → vera religio
A. und Moral → Tugendhafter Atheist common sense (s. a. sana ratio) 248, 360,
– Strafbarkeit des A. 24, 112, 281, 290, 364, 366, 375, 390, 494, 500, 506, 550,
296, 435, 440–445, 465, 467, 483, 488 568, 571, 574, 576, 581, 613, 637
– Vergleich von A. u. Aberglauben → consensus gentium 79 f., 109, 111, 115,
Aberglaube 136, 209, 374, 380, 396, 397, 398, 493,
ἀθεότης 111, 174, 175, 437 501, 574
Atomismus 52, 591, 610 conscientia → Gewissen
Band der Gesellschaft → vinculum so- cupiditas/concupiscentia 47, 59, 86 f.,
cietatis 164, 228, 342, 524, 596
Begierden (s. a. cupiditas, libidines) 63, cura rerum humanarum 65, 116, 117,
86, 204, 207, 212, 284, 340, 359, 368, 189, 193, 478, 635
386, 411, 444, 466, 514, 577, 578, 579, cura utriusque tabulae 108
587, 679 curiositas 164, 187, 192, 194, 200, 206,
Bekehrung 144, 150, 220, 261–266, 275– 490, 636
281, 282, 298, 301, 416, 467, 530, 544– Deismus 12, 21, 25, 34, 113, 116, 117,
547, 591, 596, 597 f., 601, 605–615, 620 130, 132 f., 134, 140, 162, 169, 212, 262,
Bekenntnis 15, 78, 90, 162, 169, 211, 267, 333 f., 348, 354, 355, 356, 374–378,
215, 221, 241, 263, 281, 283, 334, 355, 393, 400, 460, 469, 476, 478, 486, 487 f.,
356, 357 f., 361, 379, 388, 418, 458, 579, 497, 501, 510, 519, 535, 540, 542, 551,
593, 594, 563, 566, 569, 575, 590, 619, 626, 640,
Betrüger/Betrugshypothese → Priester- 647, 665, 667 f.
betrug Denkfreiheit → libertas philosophandi
Betrug (jur.) 289, 327, 361, 627, 637 Des Grues 501, 633, 640
Bibel (s. a. Bibelstellenregister) 45, 46, De tribus impostoribus → Priesterbetrug
50, 57, 66, 67, 71, 88, 104, 115, 132, Deus otiosus 62, 334, 461
135, 136, 160, 164, 174, 184, 190, 192, Deus remotus 75, 635
197, 201, 205, 207, 211, 215, 221, 222, Dialog 32, 70, 83, 119 f., 142, 149, 259,
238, 253, 257, 268, 272, 273, 275, 276, 261, 266-281, 303 f., 326, 363, 386, 398,
283, 317, 354, 380, 382, 434, 444, 448, 427, 545, 565, 591, 596, 605–615, 663,
457, 458, 538, 541, 542, 552, 604, 620, 677
660, 673 Dummheit/Torheit (s. a. stultitia/insipi-
Bibelkommentar (s. a. Psalter) 14, 48, entia) 46, 49–66, 71, 72, 124–156, 164,
49–66, 124 f., 200, 272, 447, 450 200, 214, 246, 247, 253 f., 326, 333, 358,
Bibelkritik 34, 199, 204, 205, 272, 274, 373–388, 394, 407 f., 413, 493, 501, 504,
346, 376, 389, 532, 538, 649, 651, 670 505, 511, 512, 563, 568, 606, 630, 677
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Sachen 765

Egoismus → Eigennutz Eudämonismus 16, 107, 155, 348, 349 f.,


Ehrgeiz/Ehrsucht (auch Ehrgeitz) 361, 375, 380, 480, 506, 513, 592, 595,
Eid/Schwur 93, 114, 117, 180, 308, 331, 597, 638
382, 482, 512, 517, 518, 521, 555, 582, Ewiges Leben → Unsterblichkeit
582, 655 Exempel/exemplum 136, 141, 173, 174,
Eigenliebe/Selbstliebe 138, 312, 438, 215, 259–266, 276, 287, 322, 353, 403,
565, 584, 592, 599–601, 624 f., 633, 417, 434, 443, 482, 498, 507, 512, 545,
Eigennutz 122, 224, 287, 312, 313, 316, 566, 572, 586, 636
518, 522, 523, 578, 633, 669 Föderaltheologie 201, 211, 241, 444,
Eigenschaften Gottes 415, 417, 418, 457–462
456, 457, 460, 473, 476, 493, 512, 601 f., Freidenker 5, 10, 19, 20, 26, 45, 547,
679 – Allmacht 71, 118, 148, 154, 295, 551, 570 f., 579, 619, 640, 645–647, 650,
475, 521 – Allwissenheit 140, 148, 663–671, 684
161 – Güte 140, 277, 283, 356, 362, Freigeist 5, 7, 9, 14, 17, 19, 22 f., 25 f.,
494, 506, 621 31, 47, 63, 144, 236, 266, 385, 387, 420,
Eitelkeit 164, 200, 289, 573, 602, 629, 501 f., 531, 545, 546, 547, 551, 554, 562,
638 563, 568, 569, 580, 584, 587, 588 f., 622,
Eklektik 16, 94, 111, 130, 132, 149, 320, 624, 633, 639–653, 654, 655, 657, 659,
333, 347, 408, 422, 424, 432, 440, 446– 660, 661–663, 664, 665, 667, 669, 682,
451, 453, 458, 468, 503, 517, 532, 598, 684
611, 614, 675 Frömmigkeit 15, 96, 109, 127, 128,
Empfindsamkeit 506, 530, 596, 614 150, 162, 167–241, 303, 328, 329, 334,
Empirismus 39, 132, 205, 374, 376, 484, 336 f., 358, 486, 514, 539, 589 – Ver-
602 fall der F. 15, 79, 90, 160, 181, 194,
Englisch 8, 76, 114, 124, 126, 127, 146, 223, 270, 309, 313, 402, 560, 561, 572,
374, 389, 393, 427, 581 573, 595, 619, 620, 621 f., 639 – ›wah-
Enzyklopädik 31, 157, 173, 179, 185, re‹ F. 211, 212, 240, 274, 337, 343, 365,
243, 290, 332, 469 368, 436 – Schein-F. 206, 230, 237, 299,
Epikureismus 25, 35, 55, 66–71, 79, 108, 304, 305, 343, 386, 436, 545, 556, 585,
153, 193, 219, 221, 223, 227, 230, 231, 593 – F.s-Bewegungen (s. a. Pietismus;
233, 276, 286, 302, 360, 379, 606, 635 Reformorthodoxie) 15, 32, 39, 40, 156,
Erbauungsliteratur 31, 48, 167, 198, 167–241, 271, 330, 332, 339, 344, 345,
210–216, 269 f., 273, 282, 304, 309, 321, 347, 349, 369, 387, 402, 423, 438, 457,
358, 381, 529, 570, 591, 593, 617, 649, 592, 594, 651, 673
Erbsünde 135, 204, 217, 330, 343, 350, Gebet 51, 116, 137, 139 f., 173, 174, 175,
369, 425 207, 221, 265, 280, 283, 318, 356, 457,
Erlösung 46, 104, 153, 265, 291, 343, 461, 519, 585, 591, 594, 600, 617, 621 f.,
358, 395, 529 653
Esprit fort 5, 26, 236, 354, 383–388, 458, Gelehrtenkultur 7, 9, 32, 64, 74, 77, 108,
501 f., 580, 587, 633, 640, 646 f., 664 109, 111, 129, 133, 141, 152, 165, 167,
Ethik/Moralphilosophie/Sittenlehre 202 f., 226, 243, 245, 251, 272, 274, 276,
31, 34, 59, 62, 63, 86, 104, 106, 107, 295, 321, 346, 351, 352 f., 374, 380, 382,
209, 250, 269, 288, 308, 317, 338, 340, 390, 398, 403, 429, 444, 445, 446, 468,
341, 347, 352, 362, 372, 380, 393, 394, 490, 499, 510, 527–529, 532, 535, 537,
395, 410, 415, 419 f., 434, 435, 437, 438, 549, 552, 558, 565, 570, 575, 599, 602,
441, 464, 465, 470, 471, 479, 485, 486, 652, 662, 676, 677–679, 680
513, 514, 518 f., 523, 524, 526, 531, 532, Gerechtigkeit 84, 104, 105, 109, 110,
563, 565, 582, 628, 655 122, 192, 292, 328, 337, 482, 523, 578
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766 Register

Gerechtigkeit Gottes 62, 71, 75, 160, 407, 437, 439, 460, 492, 494, 497, 501,
193, 295, 356, 402, 632, 635 521, 524, 582, 592, 645
Gesunde Vernunft → sana ratio Gottesleugnung → negatio Dei
Gewissen/conscientia/conscience 48, 59, Gottlosigkeit/impietas 25, 29, 46, 50, 56,
63, 71, 98, 109, 121, 122, 163, 165, 180, 61, 66, 68 f., 71, 74, 78, 87, 98, 101, 102,
200, 201, 224, 233, 235, 235, 247, 256 f., 111, 123, 131, 134, 140, 145, 154, 164,
260, 263 f., 278, 279, 292, 294, 295, 301, 173, 184, 192, 204, 214, 221, 228, 229,
302, 338, 340, 344, 350, 353, 358, 360, 233, 236, 243, 250, 251, 253, 257, 259,
361, 366, 367, 368, 371, 377, 387, 409, 265, 271, 281, 282, 283, 289, 291, 293,
428, 439, 497, 512, 521, 522, 525, 582, 294, 295, 298, 299, 302, 303, 305, 309,
587, 588, 613, 621, 669 310, 332, 333, 367, 369, 377, 400, 402,
Gewissensfreiheit 87, 91, 98, 99, 113, 186, 409, 410, 411, 417, 421, 426, 449, 468,
248, 428, 441, 639, 643, 659, 680, 684 548, 558, 559, 587, 626, 636, 650, 667,
Giftmetapher (s. a. Krankheitsmetapher; 673, 676, 682
Tiervergleich) 86, 87, 149, 223, 233, Häresie/Ketzerei 6, 12, 37, 51, 62, 66,
245, 543 67, 72, 74 f., 88, 90, 99, 101, 102, 104 f.,
Glaubensbekenntnis → Bekenntnis 113, 119, 126, 135, 137, 165, 172, 188,
Glückseligkeit/felicitas/beatitudo 104, 190, 194, 196, 199, 269, 301, 310, 401,
106, 110, 325, 328, 331, 333, 347, 348, 423, 427, 429, 433, 435, 441, 449, 541,
360–365, 370, 372, 379, 380, 381, 435, 542, 594, 646, 659, 682, 683
436, 438, 479, 480, 504, 505, 506, 512, Hedonismus 72, 175, 250, 258, 278, 361,
519, 524 f., 526, 530, 563, 564, 575, 592, 364, 379, 381, 386, 505
618, 656, 679 Heidentum 47, 52, 71, 77, 79, 110, 174,
Gnade/gratia 51, 52, 53, 54, 55, 64, 67, 188, 207, 209, 235, 315, 319, 336, 340,
69, 71, 115, 153, 171, 192, 194, 222, 341, 342, 353, 360, 367, 369, 383, 394,
230, 231–237, 258, 262, 265 f., 280, 284, 395 f., 422, 431, 454, 475, 495, 545, 558,
294, 343, 344, 348, 357, 358, 360, 365, 629 f.
370, 372, 441, 530, 622 Heuchelei → simulatio/dissimulatio
Götzendienst → Idolatrie Hochmut 54, 127, 333, 393, 400, 540,
Gottesbeweis 80, 126, 142, 184, 239, 565,579, 586, 587, 592, 599, 600, 624,
248, 258, 273, 345, 363, 433, 460, 476, 625
493, 494, 590, 595, 599, 603, 611, 613 f., Hölle 71, 201, 215, 235, 244, 255, 258,
676 261 f., 263, 266, 269, 272, 276, 279, 281,
Gottesbild 62, 147, 148, 189, 357, 459, 283, 289–295, 301, 307, 309, 317, 322,
461, 590, 596 327, 380, 441, 596, 615,
Gottesdienst/cultus (internus u. exter- Hof/Hofmann 153, 214, 224, 287, 292,
nus) 15, 45, 46, 83, 84, 108, 109, 111, 323, 384, 583, 585
162, 175, 179, 180, 182, 186, 224, 227, Hofkritik 252, 287
266, 341, 350, 356, 368, 410, 432, 435, Humor/Komik 288, 293, 298, 321, 322–
436 f., 439, 441, 443, 461, 470, 473, 478, 328, 452, 547, 550, 563, 565, 569, 570,
486, 487, 506, 507, 538, 545, 579, 585, 572 f., 587 f., 604, 605, 614
597, 618 Idolatrie 54, 62, 89, 104, 172, 188, 335,
Gotteserkenntnis, natürliche (s. a. no- 340, 341, 342, 357, 399, 416, 417, 475,
titiae communes; Theologie, natürli- 495, 618
che) 48, 54, 59, 60, 62, 65, 80, 93, 100, impius/impietas → Gottlosigkeit
101, 102, 107, 120, 125, 126, 128, 136, impostor → Priesterbetrug
139, 159, 210, 234, 247, 277, 295, 357, Indifferentismus 37, 72, 93, 96, 99, 106,
360, 365, 376, 378, 384, 387, 395 f., 397, 162, 169, 175, 176, 191, 248, 286, 318,
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Sachen 767

334, 368, 410, 458, 477, 492, 497, 542, Kulturkritik 61, 66, 171, 187, 194, 197,
546, 618, 641, 648, 651, 662 202, 220, 223, 270, 287, 291, 292, 313,
Irenik 78, 176, 187, 190, 193 f., 253, 397, 318, 323, 347, 684
Islam 77, 111, 113, 162, 172, 244, 280, Laster 16, 68, 69 f., 138, 140, 162, 163,
320, 334, 545, 547 182, 185, 200 f., 206, 212, 228, 236, 251,
Jesuiten 20, 36, 73 f., 95, 129, 131, 161, 256, 289, 291, 293, 294 f., 303, 324, 325,
163, 170, 191, 282, 443, 661 f. 330, 336, 341 f., 358, 369, 370, 381, 384,
Judentum 4, 6, 29, 32, 77, 79, 88, 111, 387, 393, 410 f., 442, 465, 466, 471, 523,
113, 162, 172, 244, 280, 334, 394, 457, 530, 556, 574, 586, 624, 629, 632, 635,
573, 684 654, 660, 669, 675, 682
Kameralistik 180, 466, 480, 529, 655 Latitudinarismus 284, 376, 389, 390,
Kappzaumargument → Sozialdiszipli- 513, 541, 544, 647
nierung Lauigkeit 15, 174, 191, 593, 674
Katechismus 235, 279, 328, 595, 664 Leidenschaften → Affekte
Katholizismus 36, 48, 64, 67, 73–75, libertas philosophandi/Denk-/Meinungs-
81–87, 91, 99, 100, 110, 132, 133, 162, freiheit 91, 152, 188, 311, 319 f., 348,
169, 172, 175, 176, 178, 181, 184, 202, 427, 445, 466, 474, 530 f., 551, 569, 651,
204, 207, 216, 223, 233, 247 f., 254, 255, 679 f., 684
282, 284, 345, 491, 556, 557, 622, 630, Libertin/Libertinage 12, 14, 19 f., 26,
649, 661–663 47, 55, 57, 61, 78, 79, 134, 141, 162, 251,
Ketzer → Häresie 267, 296, 348, 354, 363, 384, 385–388,
Ketzermacherei (auch »ketzer zu ma- 394, 633, 639–641, 644, 646, 651, 659
chen«) 12, 159, 271, 303, 310, 400, libido/libidines 54, 61, 63, 64, 86, 138,
402, 405, 427, 429, 449, 468, 585, 659 523, 585
Kirchenkritik 32, 37, 39, 40, 227, 230, Lichtmetapher (s. a. lumen naturae)
277, 337, 368, 376, 510, 563, 586, 592, 125, 272, 283, 284, 582, 601, 616 f., 618,
595, 602, 618, 673 627, 637
Kirchenväter/Patristik 50–52, 57, 63, Linkswolffianismus 472, 552
73, 78, 104, 111, 140, 141, 172, 173, Logik 62, 151, 540, 541, 605, 607, 614
174, 180, 188, 192, 207, 209, 276, 284, lumen naturae/Licht der Natur 160 f.,
292, 374, 499, 558, 589, 665, 321, 355, 362, 370, 378, 435, 437, 636
Kommentarliteratur → Bibelkommentar Lucianici/Lukianer (s. a. Religionsspöt-
Konfessionalismus 72, 87, 170, 227, ter) 87, 162, 252 f., 640
231, 433 Lust/Lüste (s. a. Begierden, cupiditas,
Kontroverstheologie 29, 37, 73–75, 82, libido) 47, 48, 56, 69, 120, 200, 236,
86, 87, 90, 134, 135 f., 162, 167–171, 278, 279, 283, 285, 328, 359–362, 364,
182, 187, 193, 219, 221, 225, 297, 318, 366 f., 369, 378, 381, 411, 514, 577, 635,
397, 596, 648, 650, 674 657
Krankheitsmetapher (auch »Pest«, »Vi- Machiavellismus 81, 96, 97, 172, 179,
rus«; s. a. Giftmetapher; Tiervergleich) 181, 183, 202, 205, 207, 224, 278, 286,
36, 86, 108, 149, 167, 199, 205, 208, 287, 288, 292, 299, 303, 305, 312, 316,
233, 244, 245, 255, 279, 412, 490, 504, 318, 322–328, 332, 436, 632, 641, 656
505, 512, 519, 572, 649, 658 Materialismus 10, 147, 258, 277, 384,
Krieg 18, 36, 38 f., 73, 75–87, 91, 94, 97, 505, 596, 603, 605–615, 661, 665, 673
100, 112, 179, 188, 189, 201, 297, 355, Mathematik 129, 146, 152, 353, 355,
673 493, 509, 607, 658
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768 Register

Maulchristentum (s. a. Titularchristen) 443, 469 f., 471, 487, 488 f., 499, 500,
171, 181, 212, 216, 226, 337, 386, 434, 512, 513, 515, 518, 520, 521, 525 f., 555,
436, 502, 557, 632 560, 564, 582, 628, 655, 669, 675
Meinungsfreiheit → libertas philoso- Naturvölker 83, 152, 273, 383, 395–399,
phandi 466, 485, 494, 495, 551
Melancholie 201, 257, 282, 284, 431, negatio Dei 11, 14, 25, 47, 48, 49, 51, 52,
442, 465, 467, 498, 563, 568, 577, 597, 54, 63–67, 82, 84, 117–119, 134, 139, 158,
615–618, 620, 633, 659 160, 161, 165, 171, 172, 173, 184, 185,
Militär 25, 47, 153, 216, 277, 293, 302, 188, 220, 247, 251, 256, 295, 304, 309,
468, 555, 585 341, 387, 407, 412, 415, 460, 461, 469,
Mitleid s. a. bedauernswert etc. (Tatler) 473, 477 f., 494, 497, 502, 511, 595, 650,
Mittelalter 6, 10, 11, 35, 69, 74, 85, 87, 668
94, 95, 100, 103, 106, 116, 133, 218, Neologie 34, 284, 331, 362, 532, 571,
277, 284, 292, 313, 315, 421, 646 596, 662, 668, 678
Mittelweg → via media Neugier → curiositas
Modern, Moderne 4, 10, 22, 24, 33, 36, nimia ratio 543, 635
38, 93, 114, 171, 187, 195, 391, 435, Normbegründung (s. a. obligatio) 91,
606, 619, 681 95, 101, 106, 112, 114, 120, 434, 481,
Modernisierung 187, 195, 287, 191, 671, 519, 574, 575, 576
681 notitiae communes 62, 80, 116, 234, 376,
Moral → Ethik/Moralphilosophie 415, 473, 476, 477, 492, 626
Moralistik 16, 57, 139, 228, 287, 289, obligatio/Verbindlichkeit 24, 121, 123,
293, 299, 320, 322, 331, 338, 340, 345, 124, 308, 312, 331, 342, 369, 371, 461 f.,
365, 383–388, 391, 393, 574, 592, 597, 469, 471, 472, 480–482, 488, 505, 514,
623, 624 f., 632 f., 675 515, 521, 522, 555, 556, 565, 575, 578,
Mord 48, 70, 99, 200, 236, 299, 300, 301, 582, 583
629, 641 Öffentlichkeit 27, 29, 58, 345, 355, 357,
Mystik 172, 218, 240, 281, 284,347, 381, 390, 444, 445, 467, 483, 484 f., 487, 527,
433, 439, 506 530, 532, 536, 537, 549, 551–554, 559,
Nadere reformatie 156, 160, 195, 197, 569, 579, 622, 631, 645, 653, 657, 668,
212, 241, 331, 621 677–682, 684
Narr, Narrheit 47, 215, 280, 289, 293, Offenbarung 34, 120, 128, 132, 147,
298, 320, 321, 366, 501, 569, 580, 587, 151, 169, 211, 220, 346, 355, 357, 366,
605. 640, 664 375, 390, 425, 435, 444, 471, 472, 473,
Natürliche Religion → Theologie, na- 492, 525, 538, 539, 546, 570, 581 f., 591,
türliche 594, 599, 619, 621 f., 636, 656
Naturalismus 25, 146, 147, 149, 212, Orden (s. a. Jesuiten) 129, 223, 281, 662
334, 355, 394, 400, 457, 458, 461, 476, Orthodoxie (s. a. Reformorthodoxie) 5,
477, 478, 486, 490, 510, 590, 652, 660, 12, 18, 31, 33, 35, 36, 38, 50, 113, 156,
662 172, 175, 187, 190, 194, 198, 203, 218,
Naturforschung 21, 39 f., 128, 131, 132, 222, 229, 345, 346 f., 347, 400, 408, 423,
145 f., 205, 210, 374, 569, 622, 628, 630, 433, 452, 466, 469, 473, 491–508, 510,
638, 649, 669 513, 531, 532 f., 538, 552, 592, 596, 619,
Naturphilosophie 127, 130, 131, 143, 642, 644, 674, 675
145, 205, 209, 454, 455, 503, 599, 609 Pantheismus 35, 220, 332, 333, 410, 433,
Naturrecht 5, 14, 24 f., 34, 84, 107, 109, 446, 461, 464, 538, 590, 613, 663, 664,
111, 112–124, 148, 187, 311, 312, 346, 666
349, 360, 363, 366, 371, 381, 432, 434 f.,
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Sachen 769

Papsttum 56, 57, 67, 69, 70, 77, 80, 82, Pseudo-politicus 81, 96, 162, 172, 179,
91, 177, 216, 225, 231, 355, 423, 429, 182, 185, 191, 207, 286 f., 312, 322, 662
491, 557, 645 Quäker 281, 310, 354, 428, 642, 643–645
Pastoraltheologie → Seelsorge radical thought 6, 10, 11, 12, 15, 16, 23,
Patristik → Kirchenväter 25, 27, 33, 35, 60, 79, 88, 89, 97, 160,
Pedanterie 133, 251, 314, 325, 352, 451, 171, 178, 183 f., 186, 187, 195, 197, 206,
527, 529, 535, 602 213, 218, 256, 263, 268, 274, 276, 296,
Pelagianismus 51 f., 65, 110, 294, 295 305, 306, 372, 376, 402, 406, 422, 444,
Pflichten 25, 79, 84, 108, 180, 184, 207, 468, 472, 479, 489, 532, 557, 569, 571,
211, 365, 470, 500, 518, 520, 521, 523, 610, 617, 632, 634, 640, 649, 663, 670,
525, 526, 560, 624, 628, 634 f., 652, 669, 671, 674, 676, 677, 679, 681, 682
678 Radikale Reformation 89, 393, 639, 643
Physikotheologie 39, 80, 128, 209, 239, ratio status → Staatsräson
248, 282, 375, 384, 509, 553, 570, 574, Rationalismus 19, 34, 48, 272, 323, 340,
589–618, 622, 637, 676 344, 345–347, 357, 365, 484, 513, 526,
Pietismus 15, 16, 47, 48, 178, 189, 196, 541, 574, 575, 598, 622, 676
197, 210–241, 257, 270, 287, 309, 318, Rechtfertigung 343, 630
332, 337, 354, 358, 368, 370, 386, 397, Rechtsbegründung → obligatio
400–403, 416, 423, 448, 460, 470, 487, Reformation 5, 7, 9, 14, 16, 19, 29, 37,
497, 503, 508, 510, 539, 592, 620, 641– 47, 53–75, 90, 92, 124, 130, 135, 181,
645, 674 187, 200, 205, 207, 211, 218, 221, 234,
Pöbel → Ungelehrte 253, 263, 278, 330, 332, 339, 371, 376,
Politicus (s. a. Pseudo-politicus) 15, 30, 387, 433, 496, 624, 639 f., 643, 665, 670,
37, 61, 81–87, 90, 92, 95, 96, 97, 106, 673, 675, 682
152, 168, 169, 176–186, 191, 197, 202, Reformorthodoxie 5, 161, 190, 202,
207, 216, 222, 224, 231, 252, 254, 275, 204, 206, 207, 214, 291, 321, 337, 343,
286–288, 291, 292, 296, 304, 305, 308, 357, 599
310, 311, 318, 322, 327, 332 f.333, 334, Reisebericht 273, 397, 398, 399, 403,
349, 429, 585, 632, 641, 645, 649, 650 473, 565
Politiklehre → Staatslehre religio prudentum 208, 245, 246, 275,
Polytheismus 251, 367, 403 319, 552, 651
Predigt 21, 31, 46, 57, 61, 65, 69, 71, 88, Religion als Kappzaum (s. a. viculum so-
125, 155, 161, 170, 175, 182, 212, 213, cietatis) 185, 564, 681
221, 222, 227, 230, 237, 238, 253, 259, Religion, natürliche 24, 81, 100, 110 f.,
263, 279, 321, 330, 373–383, 413, 529, 113, 116, 117, 120, 121, 122, 355, 365,
542, 543, 566, 570, 615, 617, 636, 647, 652 399, 410, 432, 441, 471, 473, 509, 560,
Priesterbetrug 306, 563, 629 591, 674, 681
Prophezeiungen 69, 238, 277, 582 Religion, vernünftige → Theologie, na-
Providenz → Vorsehung türliche
prudentia/Klugheit 61, 62, 85, 86, 127, Religionskritik 62, 72, 78, 120, 143, 183,
149, 179, 182, 184, 191, 246, 287, 299, 186, 206, 248, 256, 263, 274, 382, 393,
305, 311, 313, 318, 325, 326–328, 364, 444, 538, 540, 541, 544, 571, 579, 632
381, 448, 466, 518, 521, 530 Religionsspötter 22, 23, 25, 26, 31, 46 f.,
Psalter (s. a. Bibelstellenregister) 46, 51, 57, 66, 69, 134, 234, 236, 237, 253, 260,
53–66, 79, 90, 138, 162, 163, 164, 200, 288, 289, 301, 334, 354, 385, 388, 413,
204, 214, 228, 235, 245, 250, 254, 272, 414, 458, 537, 538, 540, 541, 545, 584,
289, 338, 344, 366, 368, 379, 385, 392, 588, 596, 646, 652, 655, 667, 680
407, 650, 674
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770 Register

Renaissance 6, 21, 61, 70, 87, 92, 216, Sozialdisziplinierung 52, 63, 75, 95, 180,
218, 231, 267, 288, 299, 354, 447, 556, 655
581, 606 Sozinianismus 32, 34, 65, 149, 161, 175,
Römerbrief 47 f., 53, 54, 56, 59, 68, 125, 190, 208, 389, 428, 532, 619
139, 140, 209, 215, 235, 303, 343, 362, Spinozismus (s. a. Pantheismus) 267,
366, 556 332, 333, 389, 409, 421, 446, 453, 464 f.,
Ruhe → tranquillitas 476, 501, 508, 532, 604, 646, 666
Säkularisierung 5, 10, 23, 24, 35, 95, 100, Spiritualismus 376, 401, 641
107, 112–115, 120, 287, 434, 481, 519, spiritus fortis → Esprit fort
524, 525 Spötter → Religionsspötter
sana ratio (auch recta ratio) 60, 270, 277, Staatslehre 24,82, 90, 91–124, 148, 180,
326, 331, 360, 431, 434, 435, 437, 491, 184, 186, 224, 308, 325, 335, 344, 348,
493, 500, 504, 508, 511, 512, 520, 532, 349, 366, 381, 401, 440–445, 462–469,
542, 568, 581, 623, 676, 678 478–489
Satire 19, 288–296, 299, 300, 304, 324, Staatsräson 81, 95–97, 176, 185, 191,
384, 448, 468, 563, 579, 583, 602, 605, 286–288, 290, 292, 299, 300, 303–310,
625, 626, 631, 652, 657, 662 322
Scholastik 48, 64, 80, 104, 114, 116, 125, Staatskirchenrecht 24, 35, 83, 92, 99,
161, 180, 209, 248, 267, 284, 347, 352, 100, 103, 109–112, 177–179, 186, 427,
391, 412, 433, 450 440–445
Schulphilosophie 360, 383, 491 Starker Geist (s. a. Esprit fort) 5, 26, 383,
Schwärmer 20, 449, 410 385, 386, 388, 539, 562, 580, 581, 582,
securitas/Sicherheit 67, 71, 153, 160, 588, 640, 652, 661, 677
171, 182, 187, 192–194, 206, 211, 212, Sterbebett 260, 262 f., 264, 279, 387,
222, 232, 263, 279, 284, 294, 302, 360, 388, 573, 619,
387, 417, 585, 593, 621, 646, 648 Stoizismus 70, 92, 138, 190, 191, 193,
Seelenheil 75, 85, 100, 102,106, 179, 181, 295, 333, 450, 452, 455, 508, 519, 525,
200, 221, 224, 325, 626 530, 626, 638
Seelsorge 213, 217, 232 f., 234, 237, 406, Strafen 24, 25, 56, 59, 68, 74, 75, 90, 101,
658 106, 108, 110, 112, 115–119, 121, 123,
Selbstliebe → Eigenliebe 152, 165, 235, 257, 263, 283, 299 f., 336,
Sicherheit → securitas 356, 360, 361, 363 f., 367, 370, 427, 435,
simulatio/dissimulatio 47, 144, 151, 162, 440–445, 464, 465, 471, 480 f., 483 f.,
182, 188, 191, 206, 221, 227, 287, 299, 487 f., 514, 522, 546, 565, 569, 576, 578,
312, 320, 333, 356, 386, 418, 436, 497, 632, 635
504, 625, 632 Strafrecht 24, 122, 442, 443, 471
Sittenlehre → Ethik stultitia/insipientia 39, 49–66, 67, 86, 94,
Sittlichkeit (s. a. Laster; Tugend; Unsitt- 103, 124–156, 164, 234, 235, 245–247,
lichkeit) 47, 336, 369, 415, 462, 475, 252–254, 278, 282, 284, 289, 294, 296,
485, 488, 574, 577, 678 298, 305, 364, 366, 373–388, 408, 414,
Skeptizismus 12, 20, 34, 72, 81, 130, 493, 496, 499, 501, 504, 505, 508, 511,
134–136, 149, 161, 188, 338, 346, 348, 512, 513, 539, 561, 580, 587, 605, 635,
354, 359, 363, 364, 366, 379, 390, 395, 651, 675
410, 422, 425, 426, 432, 451, 477, 486, Sünde 48, 53–56, 64, 67, 68, 86, 104,
491, 492, 610, 614, 632, 634, 636, 638, 127, 139, 140, 161, 162, 165, 171, 189,
646, 649, 651, 658, 667, 671, 673 192, 194, 200, 201, 213 f., 215, 232–235,
sola gratia → Gnade 265, 278, 281–285, 291, 293–295, 302,
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Sachen 771

321, 328, 337, 339, 348, 356–358, 368, 418, 442, 446, 487, 494, 502, 535 f.,
372, 388, 407, 411, 420, 433, 574, 593, 552, 553, 555, 562, 567, 622, 631, 647,
621, 630, 682 651, 655, 664
Sündenfall 64, 256, 359, 500 Ungelehrte 68, 153, 272, 527–530, 535,
superbia → Hochmut 677 f.
Synkretismus 169, 172, 187, 190, 423, Unglück 317, 328, 438, 512, 525, 594,
640 595, 596, 611, 615, 651, 657, 659, 677
Teufel → Hölle Unsittlichkeit 3, 16, 46, 49, 50, 53, 60,
Theodizee 141, 143, 148, 150, 151, 397, 63, 66, 164, 201, 220, 236, 269, 309,
560, 608, 329, 330, 387, 416, 417, 469, 479, 485,
Theologie, natürliche 47, 48, 116, 128, 496, 554, 587, 624
135, 138, 139, 159, 224, 237, 329, 347, Unsterblichkeit 52, 61, 72, 80, 90, 103,
348, 359, 367, 376, 384, 386, 408, 447, 121, 139, 144, 145–147, 153, 156, 161,
473, 499, 513, 550, 581 199, 215, 258, 262, 270, 272, 273, 277,
Tiervergleich 86, 87, 245, 378, 460, 505, 295, 361 f., 363, 365, 378, 379 f., 384,
570 f., 572, 573, 677 399, 505, 546, 558, 564, 568, 575, 582,
Titularchristen 171, 181, 206, 226, 307, 584, 603, 605, 627, 630, 637, 647
557 Unvernunft 48, 136, 282, 284, 357, 385,
Tod/Sterben (s. a. Sterbebett) 57, 74, 434, 501, 506, 511, 512, 555, 577, 581,
108, 192, 258, 259, 260, 262, 266, 303, 676
359, 362 f., 384, 507, 578, 582, 621, 656 Urchristen 181
Toleranz 15, 24, 35, 36, 76, 77, 81–84, Verbindlichkeit → obligatio
88, 90 f., 92, 93, 95, 99, 104, 105, 106– Vernunft (s. a. Unvernunft): Religion
112, 113 f. 120, 123, 168, 170, 178, 183, und V. 16, 39, 79, 125, 134–136,
251, 287, 308, 327, 331, 348, 427, 428, 141–152, 154, 237–241, 284, 331, 360,
432, 445, 516, 532, 642, 659–661, 684 365, 378, 379, 389, 393, 436, 437, 460,
tranquillitas animi/Gemütsruhe 194, 471, 508–513, 538–544, 545, 556, 561,
317, 362, 436, 438, 439, 444, 506, 512, 580–582, 622, 626, 630, 633, 636, 676 –
519, 520, 524–526, 637 V.skepsis 334–348, 389, 434, 626–
tranquillitas reipublicae/öffentliche Ruhe 630 – »gesunde V.« → sana ratio
85, 93, 99, 186, 199, 519, 523, 524–526 Verschwörung 319, 467, 650
Tugend 16, 22, 59, 98, 104, 105, 110, Versuchung → Anfechtung
151, 180, 299, 316, 323, 324, 325 f., 340, Verzweiflung 164, 193, 258, 259–266,
341–345, 347, 370, 372, 375, 419, 461, 279 f., 282, 284, 294, 507, 617, 635–638,
464, 465, 468, 470–474, 475, 479 f., 481, 657, 658
485, 487, 498, 504, 512, 522 f., 531, 557, via media 101, 102, 113, 133, 140, 325,
559, 560, 565, 575, 576, 585, 623–626, 326, 542, 550, 592, 626–630
632, 633, 635, 658 vinculum societatis 4, 83, 84, 87, 91,
Tugendhafter Atheist 5, 60, 163, 335, 93–95, 99, 101, 103, 115, 122, 126, 165,
338, 340, 345, 348, 364, 371, 403, 416, 185, 186, 324, 335, 349, 366, 382, 404,
419, 435, 438, 470, 551 f., 554, 557, 559, 441, 466, 496, 515, 521, 554, 560, 564,
564 577, 653–656, 678
Übergangstheologie 389, 491, 532, 539, Volkssprachigkeit 196, 199, 255, 272,
541, 579, 614, 666 276, 349, 351 f., 373, 527, 590, 646,
Übersetzung 8, 20, 46, 49, 58, 67, 76, 648, 652
94, 125, 130, 137, 155, 165, 174, 176, Vorsehung/ Providenz 78, 121, 127,
189, 257, 264 f., 282, 317, 323, 328, 144, 152, 160, 161, 186, 188, 193, 199,
375, 376, 385, 388 f., 390, 393, 394, 220, 221, 245, 251, 277, 281, 295, 341,
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772 Register

355, 372, 377, 411, 432, 437, 441, 442, Wunder 96 f., 151, 204, 209, 233, 238,
478, 486, 504, 512, 607, 667 261, 331, 393, 500, 509, 540, 542, 593,
Vorurteil/praeiudicium 16, 17, 124, 129, 595, 613, 615
136–141, 239, 330, 331, 340, 358, 365, Zanksucht (auch Streitlust) 293, 319,
376, 383 f., 388–394, 421, 422, 426, 432, 401, 427, 429, 434, 597, 599, 601, 602,
531, 541, 549, 551, 554, 557, 574, 605, 611
633, 636, 657, 671, 676, 678, 685 Zeitklage 56, 171, 202, 205, 207, 223, 649,
Weltkind 85, 289, 385, 425, 442, 501, 660
502, 506 Zeitschriften 41, 256, 403, 491, 492, 528,
Weltmann/Lebemann 20, 61, 226, 251, 562–589, 653, 659 f., 664
277, 371, 385, 386, 584 Zensur 98, 178, 183, 328, 488, 530, 552,
Werkgerechtigkeit 53, 55, 56, 62, 67, 70, 569, 662
74, 343, Zufall (auch »ungefehr« / »ohngefehr«)
Wettgleichnis (Pascal) 258, 284, 348, 220, 277, 603–609, 611, 613, 614, 632
360–365, 380, 384, 388, 506, 512, 571 Zweifel (s. a. Skeptizismus) 98, 140,
Wiedergeburt 211–214, 241, 280, 291, 230, 231, 238, 240, 259, 356, 357, 365,
337, 344, 406, 457 368, 375, 388, 393, 394, 421, 422, 424–
Wiedertäufer 72, 74, 88, 274, 301, 302, 426, 433, 441, 475, 477, 508, 536 f., 557,
639 f., 643, 644 591, 596, 604, 610, 613, 616, 620, 621,
Wolffianismus 472, 539, 552 622, 623, 634, 635, 637, 655, 658, 669 f.,
Wollust 48, 70, 119, 138, 164, 189, 200, 681, 682, 685
223, 281, 285, 303, 362, 368, 377, 379,
381, 393, 442, 443, 464, 506, 512, 523,
546, 565, 587, 592, 629, 635, 648

4. Bibelstellen*

Gen 3,20 56 Apg 7,18 57 – 17 57, 71, 174


2 Sam 11,1-5 71, 416 f. Röm 1,19-21 46, 209, 234, 235, 237, 371,
Hiob 36,26 376 494 – 1,22 57, 61, 140, 151, 501 – 1,28-
Ps 14,1–6 14, 40, 39, 45, 46, 49–66, 67, 31 68, 122, 125, 366 – 14,23 55,
68, 71, 79, 94,118, 124 f., 136, 137 f.,140, 1 Kor 15,32–33 52, 165,
141, 161, 164, 174, 181, 189, 215, 223, Eph 2,12 46, 52, 71, 174, 211
225, 245–247, 250 f., 253, 254, 271, 278, Phil 2,21 228 – 3,19 57, 189, 212, 378
282, 289, 305, 317, 357, 374, 376, 377, 2 Tim 3,2–5 161, 189 f., 491, 648 –
383, 402, 407, 493, 496, 501, 561, 624, 4,10 648 f.
626, 635, 675 – 104,12 613 Tit 1,16 47, 54, 161, 189, 190, 193, 257
Jes 29,13 189 2 Petr 3,3 46, 48, 69, 237, 309, 413
Dan 11–12 69

*<?>Hier nach der Zählung der Luther-Bibel; Ps 14 wird in der Vulgata als 13. Psalm
gezählt; der fast identische 53. Psalm wird hier nicht separat aufgeführt

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