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FORUM

Medienkonsum und Passivrauchen


bei Vorschulkindern
Risikofaktoren für die kognitive Entwicklung?
Peter Winterstein und Robert J. Jungwirth

Die schulische Leistungsfähigkeit wird in hohem Maße durch die sprachliche Entwicklung und die au-
ditive und visuelle Wahrnehmung bestimmt. In den Jahren 2004 und 2005 haben wir 1859 Mensch-
Zeichnungen von Vorschulkindern anhand von altersadäquaten Bewertungskriterien ausgewertet.
Dabei zeigte sich eine weitgehende Normalverteilung der Ergebnisse, so dass die von uns als
„Mensch-Zeichentest“ (MZT) bezeichnete Bewertungsskala als Screeningtest in dieser Altersstufe ge-
eignet erscheint.
Mit zunehmender Dauer des kindlichen Fernsehkonsums sanken die Leistungen im MZT signifikant
ab (10,4 Punkte bei <60 min/Tag vs. 6,4 Punkte bei täglich 180 min und mehr; p <0,001). Vergleichba-
re Leistungsunterschiede ließen sich auch in Abhängigkeit vom elterlichen Rauchen ermitteln (9,8
Punkte in Nichtraucher-Familien vs. 8,8 Punkte bei elterlichem Zigarettenkonsum; p <0,001). Kinder
mit pränataler Nikotinbelastung zeigten im Vergleich zu ausschließlich postnataler Nikotinbelastung
eindeutig schlechtere Ergebnisse (7,8 vs. 9,2 Punkte; p <0,001).
Die zeichnerische Abbildung der richtigen Fingerzahl setzt Mengenverständnis und visuelle Wahr-
nehmung voraus. Sowohl ein hoher Fernsehkonsum als auch elterliches Rauchen gehen einher mit
deutlich höherer Wahrscheinlichkeit für eine falsche Fingerzahl im MZT (relatives Risiko (RR) 2,8 bei
Fernsehdauer ab 90 min/Tag bzw. RR 1,9 bei passiver Nikotinbelastung; p <0,001).
Die Ergebnisse zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen hohem Fernsehkonsum oder el-
terlichem Rauchen einerseits und Defiziten in der visuellen Wahrnehmung oder im Mengenerfassen
andererseits. Dies sind weitere Hinweise, dass die schulische bzw. kognitive Leistungsfähigkeit von
Kindern durch Rauchen und Medienkonsum beeinträchtigt wird. Präventive Maßnahmen sind zu dis-
kutieren.

Einleitung für eine optimale Hirnreifung ge- In der zweiten Phase erlernt das
schaffen [22, 24]. Wenn die synapti- Kind spielerisch einen Bogen, einen
In den letzten Jahren wurde ver- schen Vernetzungen nicht benutzt Kreis und einen Punkt darzustellen.
schiedentlich auf die Gefahr von Le- werden, baut sie das ZNS wieder ab
se- und Rechtschreibstörungen im Danach beginnt die dritte Phase mit
[22]. Mangelnde Zuwendung und dem Darstellen einfach strukturier-
Zusammenhang mit übermäßigem Förderung führt zu „sozialer Depri-
Medienkonsum hingewiesen [6, 23]. ter Menschenformen. Weltweit
vation“ mit kindlichen Entwick- durchlaufen die meisten Kinder die-
Die medizinischen Folgen des Niko- lungsdefiziten.
tinkonsums sind zwischenzeitlich se einzelnen Phasen. Kolb bezeich-
gesellschaftliches Allgemeinwissen. nete dieses bildhafte Gestalten als
Diese Arbeit beschäftigt sich mit Bildhafte Wahrnehmung die zweite Muttersprache des Kindes
Aspekten der kognitiven Entwick- Die bildhafte Wahrnehmung ent- [16]. Die visuelle Wahrnehmung und
lung von Vorschulkindern und der wickelt sich auf der Basis vorhande- Verarbeitung berührt zentrale neu-
Frage, inwieweit Medienkonsum nen Wissens und neuer Signale, die rophysiologische Prozesse, sie kor-
und Passivrauchen auf diese Ent- von einem Objekt ausgehen. Somit reliert mit der allgemeinen kogniti-
wicklung Einfluss nehmen. ist die Wahrnehmung ein aktiver ven Entwicklung des Kindes [11, 25].
Prozess, der durch schon vorhande-
Passivrauchen und
Kognitive Entwicklung nes Wissen gesteuert wird. Die lang-
fristige Verinnerlichung von bildhaf- Medienkonsum
in der Kindheit ten Formen bezeichnet man als bild- Nikotinbelastung während der
Kinder brauchen in den ersten 6 Jah- hafte Wahrnehmung oder Bildspra- Schwangerschaft hat vielfältige ne-
ren Zeit, um ihre Umgebung mit all che [16]. Eine wichtige Stufe im Er- gative gesundheitliche Folgen für
ihren Sinnen zu be-greifen. Nur lernen der Bildsprache ist im 2. Le- Mutter und Kind [1,3,9,15,20,21].
durch ausgiebiges Spielen in allen bensjahr die sogenannte Kritzelpha- Inwiefern negative Auswirkungen
möglichen Varianten werden die se. Dieses Striche-machen ist Aus- für die kognitive Entwicklung oder
synaptischen Vernetzungen zwi- druck der Freude an Bewegung ge- für die visuelle Wahrnehmung und
schen den verschiedenen Hirnzen- paart mit der Erfahrung der Selbst- Verarbeitung bestehen, sollte die
tren verstärkt und Voraussetzungen wirksamkeit. vorliegende Untersuchung abklären.

KINDER- UND JUGENDARZT 37. Jg. (2006) Nr. 4 205


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Bildschirmmedien und hier insbe-


sondere das Fernsehen liefern eine
sehr schnelle Bildfolge, was bei Kin-
dern eine betrachtende Wahrneh-
mung und einen inneren Bildaufbau a.
beeinträchtigt. Während der Medi-
enzeiten üben die Kinder weder ma-
nuelle oder motorische Fähigkeiten
noch soziale Interaktion und kreati-
ves Tun. Übermäßiger Medienkon-
sum kann beim Kind zu grobmotori-
schen und sprachlichen Defiziten
[13] führen. Die vorliegende Auswer- b.
tung erfasst Zusammenhänge zwi-
schen Bildschirmmedien und visuo-
motorischen Fähigkeiten.

Methodik und Auswertung


Im Rahmen der Einschulungsunter-
suchung wurden in zwei Jahres- c.
kohorten 1894 Vorschulkinder im
Alter von 5 5/12 bis 6 11/12 Jahren
erfasst (2004: 923, 2005: 971
Jungen : Mädchen = 1,05). Alle Kin-
der hatten ab dem 3. Lebensjahr ei-
nen Kindergarten besucht. Die von
den Eltern vorab schriftlich beant-
worteten Fragen zu den Rauchge- d.
wohnheiten in der Familie und den
täglichen Fernsehzeiten der Kinder
wurden zusätzlich mündlich nachge-
Abb. 1: Typische Mensch-Zeichnungen von Vorschulkindern
fragt. Bei unpräzisen Angaben (z.B.
Fernsehdauer 1–1 1/2 Std.) wurden a.) aus Nichtraucher-Familien und einer täglichen Fernsehdauer bis 60
für die statistische Erfassung Mittel- Minuten,
werte gebildet. Die Angaben über b.) bei einem täglichen Fernsehkonsum von mindestens 3 Stunden,
den täglichen Zigarettenverbrauch c.) bei einem elterlichen Nikotinabusus von mindestens 20 Zigaretten
der Eltern waren in den meisten Fäl- täglich und
len genau. Ansonsten wurde eben- d.) fragmentierte Mensch-Zeichnungen
falls der durchschnittliche tägliche
Nikotinkonsum ermittelt. Die durch-
schnittlichen Fernsehzeiten der Kin- 2. Kopfhaar: wenige Kritzel bis zur Jedes Kind wurde aufgefordert, ei-
der (62,8 und 61,6 Minuten) waren künstlerisch gestalte- nen Menschen zu malen. Danach
in beiden Jahreskohorten gleich, ten Form wurde gefragt, ob es noch etwas ver-
ebenso die Rauchgewohnheiten der 3. Augen: Punkt, Kreis oder fei- gessen habe. Somit war die Möglich-
Eltern. nere Ausführung keit von Ergänzungen gegeben. 2005
wurden alle Kinder noch gefragt,
4. Nase: Punkt, Strich oder
Mensch-Zeichentest (MZT) wen sie mit dem Bild dargestellt hat-
plastische Form
ten.
Zur Beurteilung der bildhaften 5. Mund: als Strich oder plas-
Wahrnehmung wurde von Goode- tisch dargestellt Bei Kindern mit wesentlichen geisti-
nough 1926 ein Mann-Zeichen-Test gen und körperlichen Behinderun-
6. Ohren: Punkt, Halbkreis oder gen sowie unkorrigierten Sehstörun-
publiziert [11]. Ziler veränderte die- Kreis
sen Test 1950 und legte schließlich gen wurde der MZT nicht durchge-
7. Hals: Strich oder plastische führt.
52 Bewertungskriterien zu Grunde Ausführung
[25]. Für die statistische Auswertung wur-
8. Rumpf: runde oder eckige den die Punktwerte des MZT in 4
Dieser Mann-Zeichen-Test wurde Form Klassen eingeteilt:
von uns 2004 auf 13 altersrelevante
9. Rumpf: plastische Ausfüh-
Kriterien reduziert. In dieser Form Klasse 1: 1– 7 Punkte
rung, länger als breit
scheint er als Screeningtest für Vor- Klasse 2: 8– 9 Punkte
schulkinder geeignet. Wir bezeich- 10. Arme: doppelt konturiert
nen diese modifizierte Form als 11. Finger: Strichform oder plas- Klasse 3: 10–11 Punkte
Mensch-Zeichentest. Die nachfol- tische Ausführung, Klasse 4: 12–13 Punkte
genden Kriterien bei der Beurteilung beiderseits richtige
Die Teilnahme an der Befragung hin-
der Kinderzeichnungen wurden je- Fingerzahl
sichtlich des Rauchens und des Me-
weils mit einem Punkt bewertet: 12. Beine: doppelt konturiert dienkonsums der Eltern war freiwil-
1. Kopf: nicht größer als die 13. Füße: jegliche Darstellung lig. Kinder, deren Eltern nicht ein-
halbe Rumpflänge wird gewertet verstanden waren, wurden nicht in

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die Auswertung aufgenommen


(2,1%). Die statistische Bewertung
erfolgte mit dem Chi-Quadrat-Unab-
hängigkeitstest im Epi-Info 2004.

Ergebnisse
Fernsehkonsum
94 % der Kinder entwickelten regel-
mäßige Fernsehgewohnheiten um
den 3. Geburtstag. Die durchschnitt-
liche tägliche Fernsehdauer aller
Kinder im Befragungszeitraum er-
gab einen Mittelwert von 62,2 Minu-
ten.
36 % der Vorschulkinder saßen bis
maximal 30 Minuten täglich vor dem
Bildschirm, was den Empfehlungen
der Bundeszentrale für gesundheitli-
che Aufklärung entspricht. Weitere
38,2 % der Kinder verbrachten bis Abb. 2: Verteilung der Ergebnisse im MZT (n=1859): Die Normalvertei-
maximal 89 Minuten täglich vor dem lungskurve ist im oberen Bereich abgeschnitten, so dass eine Leistungs-
Bildschirm. Bei diesen 74,2 % der differenzierung bei sehr guten Kindern nicht möglich, in der Praxis aber
Kinder ließ sich eine durchschnittli- auch nicht erforderlich ist.
che Fernsehzeit von 41 Minuten pro
Tag ermitteln.
25,8 % der Vorschulkinder saßen abgeschnitten, so dass eine Leis- andere weibliche Personen (Mutter,
90 Minuten und länger vor dem Bild- tungsdifferenzierung bei sehr guten Schwester, Freundin) malten. Die
schirm (durchschnittlich 127 Minu- Kindern nicht möglich, in der Praxis Jungen stellten sich in 71,7 % selbst
ten). Im ländlichen Bereich bezie- aber auch nicht erforderlich ist. Im dar und malten in 11,5 % andere
hungsweise in Wohnorten bis Mittel erreichten die Kinder 9,5 männliche Personen (Vater, Bruder,
10.000 EW gehörten 20,2 % der Viel- Punkte (10. Perzentile 7 Punkte, 25. Freund). 9,9 % der Mädchen und
sehergruppe an, in größeren Wohn- Perzentile 8 Punkte, 75. Perzentile 6,9 % der Jungen zeichneten jeweils
orten ab 10.000 EW lag der Anteil 11 Punkte, 90. Perzentile 12 Punkte). eine Person des anderen Ge-
bei 30,8 % (p <0,001). Typische Zeichnungen von Kindern schlechts. Die restlichen befragten
Mehrsprachig aufwachsende Kinder ohne besondere Belastungsfaktoren Kinder konnten ihr Kunstwerk kei-
(27 %) benutzten den Bildschirm täg- sind in der Abbildung 1a zu sehen. ner Person zuordnen. Diese Ergeb-
lich durchschnittlich 100 Minuten Bei der Befragung des Teilkollektivs nisse bestätigen, dass die ge-
und lagen damit deutlich über dem 2005 ergab sich, dass sich die schlechtsneutrale Bezeichnung
Gesamtmittelwert von 62,2 Minuten. Mädchen in 61,7 % in den Zeichnun- „Mensch-Zeichentest“ gerechtfertigt
Kinder mit extrem langen Fernseh- gen selbst darstellten und in 20,7 % ist.
zeiten (bis 5 Std.) fielen in der Unter-
suchung häufig durch Verhaltens-,
Sprach- und motorische Störungen,
eine verarmte Mimik und Gestik so- Täglicher Medien- Mittelwert Anzahl der Punktwert
wie Aufmerksamkeitsstörungen auf. konsum in Minuten in Minuten Kinder im MZT
0 – 59 26 579 10,4
Nikotinabusus der Eltern
60 – 119 66 404 10,1
Während der Schwangerschaft hat-
120 – 179 147 112 8,1
ten 11 % der Mütter geraucht und
nach der Geburt stieg der Anteil der > 180 201 66 6,4
Raucherinnen auf 21,2 %. Keine der
Mütter, die in der Schwangerschaft Tab. 1: Mittelwerte im MZT in Abhängigkeit vom Medienkonsum bei Vor-
geraucht hatten, beendeten ihren Ni- schulkindern aus Nichtraucher-Familien (n = 1161)
kotinkonsum nach der Geburt des
Kindes. 26,2 % der Väter gaben ei-
nen Zigarettenkonsum an. Insge-
samt waren 37,5 % der Kinder von Täglicher Zigaretten- Mittelwert Anzahl der Punktwert
Passivrauchen betroffen, ohne Un- konsum der Eltern Zigarettenkonsum Kinder im MZT
terschied zwischen ländlichen und
0 0 1161 9,8
städtischen Wohngebieten (ab
10.000 Einwohner). 1– 9 5 111 9,8
10 – 19 14 388 9,0
Mensch-Zeichentest 20 – x 29 199 7,8
Die anscheinend normale Verteilung
der Punktwerte aus 1859 Zeichnun- Tab. 2: Mittelwerte im MZT in Abhängigkeit von der Passiv-Rauchbelas-
gen (Abb. 2) ist im oberen Bereich tung bei Vorschulkindern (n = 1859)

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Abb. 3, Abb. 4): Es fand sich eine
hoch signifikante Dosis-Wirkungs-
Beziehung zwischen täglicher Fern-
sehdauer und den Ergebnissen im
MZT (p <0,001) und zwar auch für
die Untergruppen mit und ohne Pas-
sivrauch-Belastung.

Nikotinbelastung: Kinder aus


Nichtraucherfamilien (n=1161) er-
reichten einen mittleren Punktwert
von 9,8, während Kinder mit Passiv-
rauch-Belastung (n=698) lediglich
einen Mittelwert von 8,8 Punkte er-
reichten. Zusätzlich zeigte sich eine
hoch signifikante Dosis-Wirkungs-
Beziehung (p <0,001) (Tab. 2).

204 Kinder, die bereits pränatal ei-


ner Nikotinbelastung ausgesetzt wa-
ren, erreichten im Mittel 7,8 Punkte
im MTZ, 494 Kinder, deren Eltern
erst nach der Geburt rauchten signi-
fikant höhere 9,2 Punkte (p <0,001)
Abb. 3: Durchschnittliche Ergebnisse im MZT gruppiert nach der Dauer
(Abb. 5).
des täglichen Fernsehkonsums in Nichtraucher-Familien (n=1161)

Mengenerfassung im MZT
Faktoren für die Ergebnisse im lungsuntersuchung lassen es nicht Die aktive Abbildung der richtigen
Mensch-Zeichentest zu, die genauen psychischen Belas- Fingerzahl setzt voraus, dass die
tungsfaktoren ausreichend abzu- Vorschulkinder ein gewisses Men-
Fragmentierte Körperdarstellun- klären. Diese Probanden erreichten
gen: 35 Zeichnungen (1,8 %) wurden genverständnis besitzen und dass sie
im MZT einen Mittelwert von 6,3 schon bewusst wahrgenommen ha-
von der allgemeinen Bewertung aus- Punkten und lagen damit deutlich
geschlossen, weil der Mensch frag- ben, dass jede Hand 5 Finger hat. Bei
unter dem Gesamtdurchschnitt von der Auswertung der Bilder hinsicht-
mentiert dargestellt wurde (Abb. 1d). 9,5 Punkten.
Entsprechend der Literatur kann lich der dargestellten Fingerzahl im
dies ein Hinweis auf eine einschnei- Fernsehen: Je länger die Kinder vor MZT ergab sich sowohl ein Zusam-
dende psychotraumatische Erfah- dem Bildschirm saßen, desto gerin- menhang mit der Dauer des Medien-
rung in der Vorgeschichte sein [25]. ger waren die durchschnittlichen konsums als auch mit dem Passiv-
Die Bedingungen bei der Einschu- Punktwerte im MZT (Tab. 1, Abb. 1b, rauchen der Vorschulkinder:

Fernsehen: Von den Kindern, die


weniger als 90 Minuten täglich vor
dem Bildschirm saßen, malten
71,6 % an beiden Händen die richti-
ge Fingerzahl, in der Gruppe der
Vielseher (ab 90 min. täglich) waren
es nur noch 25,5 % (p <0,001). Das
relative Risiko liegt bei 2,8 (95%-
Konfidenzintervall 2,4–3,3).

Nikotinbelastung: Kinder ohne Pas-


sivrauchen malten in 72,2 % korrek-
te Fingerzahlen, mit Nikotinbelas-
tung in 39 % (p <0,001). Das relative
Risiko beträgt 1,9 (95%-Konfi-
denzintervall 1,7–2,0).

Summationseffekte: Das beste Er-


gebnis (80,9 %), erreichten Kinder
die weder einer Nikotinbelastung
ausgesetzt waren, noch zur Viel-
sehergruppe gehörten. Kinder mit
Abb. 4: Zusammenhang zwischen Fernsehdauer und Ergebnis im MZT übermäßigem Medienkonsum und
dargestellt in rel.-% der jeweiligen MZT-Klasse, nur Kinder aus Nicht- passiver Nikotinbelastung zeigten
raucherfamilien (n=1161; davon 579 Kinder mit einer Fernsehdauer <60 den geringsten Wert mit 21,5 % rich-
min, 404 Kinder mit 60-<120 min und 178 Kinder mit 120 min und län- tiger Darstellung der Fingerzahl
ger). (Abb. 6).

KINDER- UND JUGENDARZT 37. Jg. (2006) Nr. 4 209


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Diskussion
Die Wahrnehmung und Internalisie-
rung von Bildern gehört zur norma-
len Entwicklung von Kindern; die
Fähigkeit dazu ist ein wesentlicher
Baustein für die Schulfähigkeit.
Wir haben den klassischen Mann-
Zeichen-Test modifiziert und auf Be-
urteilungskriterien reduziert, die für
Vorschulkinder relevant sind. Die
Ergebnisse von knapp 2000 Zeich-
nungen im Vorschulalter bei Anwen-
dung dieses Maßstabes weitgehend
normal verteilt, so dass davon aus-
zugehen ist, dass die ausgewählten
Beurteilungskriterien das normale
Spektrum der Fähigkeiten in dieser
Altersgruppe abbilden. Die jetzigen
Ergebnisse und die Erfahrung in den Abb. 5: Zusammenhang zwischen der passiven Rauchbelastung und den
letzten zwei Jahren lassen uns den Ergebnissen im MZT dargestellt als Anteile in Prozent (n = 1859; davon
MZT als Screeningmethode geeignet 1161 Kinder aus Nichtraucherfamilien (NR), 494 Kinder mit postnataler
erscheinen, eine grobe Einschätzung und 204 Kinder mit prä- und postnataler Rauchbelastung).
der visuo-motorischen Entwicklung
von Kindern im Einschulungsalter
vorzunehmen. Als untere Norm in 7-fach höhere Nikotinmenge im Ver- und Tod durch Atemlähmung [9].
der Beurteilung sind ein Mindest- gleich zu Kindern in Nichtraucherfa- Der Raucher kann seinen Nikotin-
wert von 7 Punkten, was der 10. Per- milien zu messen [18]. Die Reizung spiegel aktiv beeinflussen und
zentile entspricht, zu empfehlen. Das von Nikotinrezeptoren in sympathi- durchaus positive Effekte wie Beru-
Ergebnis des MZT gibt ergänzende schen und parasympathischen higung, Konzentrationssteigerung
Hinweise für die kognitive Entwick- Ganglienzellen sowie im ZNS führt und Wohlbefinden erzielen. Das pas-
lung eines Kindes [11]. Außerdem beim Menschen zu ganz unter- siv rauchende Kind kann dies nicht
ergeben sich Anhaltspunkte auf das und ist den Rauchschwaden der Er-
schiedlichen Reaktionen im Sinne ei-
Selbstbild des Kindes und auf psy- wachsenen in der Wohnung und im
ner komplexen Pharmakodynamik,
chische Probleme, die weiter eruiert Auto ausgesetzt.
die abhängig von der Dosis zu völlig
werden können.
unterschiedlichen Zuständen führt.
In kleinen Dosen wirkt Nikotin anre- Rauchen ist schlimm
Medienkonsum begrenzen gend, auch beruhigend und konzen- Die vorliegenden Ergebnisse zeigen
Das Ergebnis der jetzigen Elternbe- trationssteigernd. Außerdem stei- einen eindeutigen Zusammenhang
fragung bestätigt erneut, dass Kin- gert Nikotin die Dopaminfreisetzung zwischen elterlichem Rauchen und
der – nicht nur im Vorschulalter – im mesolimbischen System. Größere den Leistungen des Kindes in der vi-
länger vor dem Bildschirm sitzen als Nikotindosen führen zu Konzentrati- suellen Wahrnehmung. In der Lite-
von namhaften Institutionen wie der onsschwäche, motorischer Unruhe, ratur ist beschrieben, dass Kinder,
Bundeszentrale für gesundheitliche Tachykardie bis hin zu Krämpfen deren Mütter in der Schwanger-
Aufklärung (BzgA) empfohlen wird.
Unseres Erachtens ist dies auch ein
Auftrag an uns Kinder- und Jugend-
ärzte, die Eltern regelmäßig auf die
Begrenzung des Medienkonsums
hinzuweisen. Von der BzgA werden
maximal 30 Minuten für Vorschul-
kinder und maximal 1 Stunde für
Schulkinder angegeben.
Es dürfte zwischenzeitlich zum ge-
sellschaftlichen Allgemeinwissen
gehören, dass Rauchen in der
Schwangerschaft und im Zusam-
mensein mit Kindern gesundheitli-
che Probleme vor allem auch bei Kin-
dern zur Folge hat [1,3,17]. Dennoch
rauchten 11 % der Mütter in der
Schwangerschaft, und es sind 37,5 %
der Vorschulkinder von einer passi-
ven Nikotinbelastung betroffen. Abb. 6: Zusammenhang zwischen der Darstellung der richtigen Finger-
Nikotin ist ein starkes Gift [14] und zahl im MZT und den Einflussfaktoren Fernsehdauer (Wenigseher =
entsprechend des Berichtes von Matt 0–<90 min täglich, Vielseher = mind. 90 min täglich) und Passivrauchen
ist bei diesen Kindern im Blut die (n = 1859)

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schaft rauchten, gehäuft Symptome Kinder „können sich kein Bild ma- für Bildschirmmedien sollten be-
entsprechend eines ADHS aufweisen chen“ von der Wirklichkeit. Die Do- achtet werden.
[7,17]. Möglicherweise erschwert sis-Wirkungs-Beziehung von Fern-  Passivrauchen der Kinder präna-
der überhüpfende Wahrnehmungs- sehdauer und Ergebnis im MZT ist tal sowie nach der Geburt führt im
stil die konzentrierte Betrachtung Hinweis für einen ursächlichen Zu- Vergleich zu Kindern, die in
und Verinnerlichung von Bildern. sammenhang. Nichtraucherfamilien aufwach-
Vielleicht verhindert die nikotin-be- Mengenverständnis und Mengener- sen, dosisabhängig zu niedrige-
dingte Unruhe der Kinder zusätzlich fassung sind Basis für mathemati- ren Mittelwerten im MZT. Es ist
die grapho-motorische Darstellung. sche Fähigkeiten, aber auch Aus- unbedingt zu fordern, dass Eltern
Zu diskutieren sind auch direkte druck der kognitiven Entwicklung. vor allem auch schon während
neurotoxische Effekte des Rauchens Insofern ist auch hier der eindeutige der Schwangerschaft konsequent
auf das sich entwickelnde Gehirn Zusammenhang zwischen der Dar- auf das Rauchen verzichten. Re-
[10, 17], das angesichts der geringe- stellung der richtigen Fingerzahl und striktive Maßnahmen wie z.B. ein
ren Schutzwirkung der Blut-Hirn- den externen Belastungsfaktoren konsequentes Rauchverbot an
schranke besonders in der Embryo- Fernsehen und elterliches Rauchen Schulen und in anderen öffentli-
nalzeit übermäßig gefährdet ist. In- ausgesprochen interessant und be- chen Einrichtungen sind zu dis-
wieweit außer Nikotin andere toxi- achtenswert. Der übermäßige Kon- kutieren.
sche Substanzen im Zigarettenrauch sum von Bildschirmmedien zeigt sta-
wie z. B. polyzyklische Aromate, N-  Zusammenhänge mit Schulleis-
tistisch deutlichere Effekte als die Ni- tungsstörungen und den PISA-Er-
Nitrosoverbindungen, Laktone, Ar- kotinbelastung (RR 2,8 versus 1,9).
sen, Cadmium, Chromat, Vanadium gebnissen sollten diskutiert wer-
eine zusätzliche schädigende Wir- den.
kung auf das embryonale ZNS ha- Unabhängig von Kovariablen?  Übermäßiger Fernsehkonsum
ben, ist bisher nicht geklärt [9]. Entsprechende sozialwissenschaftli- und passive Nikotinbelastung
che Studien zeigen, dass in unteren kommen für Entwicklungsstörun-
Dass Kinder, deren Mütter in der
Sozialschichten und in bildungsfer- gen mancher Kinder ursächlich
Schwangerschaft geraucht hatten,
nen Familien mehr geraucht [12] in Frage. Die Fernseh- und elter-
eindeutig schlechtere Ergebnisse
und länger ferngesehen wird. Inso- lichen Rauchgewohnheiten soll-
zeigten als Kinder, deren Eltern erst
fern könnte das Ergebnis natürlich ten deshalb routinemäßig durch
nach der Geburt rauchten, ist beun-
auch Folge einer negativen Selektion den betreuenden Kinder- und Ju-
ruhigend. Andererseits ist dies Hin-
oder Auswirkung von nicht erfassten gendarzt erfasst werden.
weis für einen ursächlichen Zusam-
menhang in der Weise, dass patho- Kovariablen sein. Den Sozialstatus  Die Daten sind geeignet, Präven-
physiologisch die pränatale Hirnent- der Familien, andere Alltagsnoxen tionsmaßnahmen abzuleiten. Als
wicklung noch vulnerabler ist und und sonstige Störfaktoren der kindli- Multiplikatoren kommen Frauen-
dass die Gesamtdauer der toxischen chen Entwicklung haben wir nicht und Kinder- und Jugendärzte,
Belastung bei diesen Kindern höher zuverlässig erfasst. Andererseits gibt Hebammen, Erzieherinnen, Leh-
liegt, so dass nicht nur Hinweise für es eine Reihe von wissenschaftlichen rer und andere in der Familien-
eine mengenmäßige sondern auch Arbeiten, die auch nach Herausrech- sozialarbeit tätige Personen in
für eine zeitliche Dosis-Wirkungs- nung des sozioökonomischen Status Frage.
Beziehung bestehen. Das Ergebnis der Eltern noch deutliche Hinweise
unterstützt die Feststellungen von für negative Folgen von übermäßi-
Laucht et al. hinsichtlich der Auswir- gem Medienkonsum sowie kindli- Danksagung
kungen des Passivrauchens auf die chem Passivrauchen auf die kogni-
tive Leistungsfähigkeit der Kinder Besonderer Dank gilt den sozialme-
kognitive Entwicklung von Kindern dizinischen Assistentinnen Frau
[17]. nachweisen konnten [6, 17]. Die un-
abhängig von einander vorhande- Cichon-Grimm, Frau Dahlmann,
nen Auswirkungen beider Faktoren, Frau Römer, Frau Veil sowie Frau
Fernsehen noch schlimmer die Dosis-Wirkungs-Beziehung und Werner für ihren liebenswürdigen
die Summationseffekte bei der Niko- Umgang mit Kindern und Eltern
Übermäßiger Konsum von Bild- während der Einschulungsuntersu-
schirmmedien zeitigt verschiedene tinbelastung und beim Fernsehen
sind starke Hinweise für einen ur- chung, was sich auf die Kooperation
negative Folgen bei Kindern. Es sind positiv auswirkte. Wir danken
ursächliche Zusammenhänge mit sächlichen Zusammenhang, der je-
doch durch weitere Untersuchungen außerdem Frau Winter und Herrn
kindlicher Adipositas, Defiziten in Moser für die digitale Aufbereitung
der motorischen Entwicklung, Ver- zu sichern ist.
des Textes und der Abbildungen.
haltensauffälligkeiten [2, 4, 5, 19],
aber auch Hinweise für sprachliche Fazit für die Praxis
Entwicklungsstörungen [13] be- Literatur bei den Verfassern
schrieben. Die vorliegende Untersu-  Der MZT ist als Screening-Test
chung beschreibt eine neue proble- zur Erfassung der bildhaften
matische Beziehung: Auch die bild- Wahrnehmung für Vorschulkin-
hafte Wahrnehmung ist signifikant der geeignet. Dr. med. Peter Winterstein
Gesundheitsamt Göppingen
beeinträchtigt. Pathophysiologisch  Das Ergebnis im MZT wird von
Jugendärztlicher Dienst
lässt sich dieser Zusammenhang der Dauer des Medienkonsums 73033 Göppingen
möglicherweise dadurch erklären, beeinflusst. Übermäßige Fern- Wilhelm-Busch-Weg 1
dass die schnelle Bildfolge beim sehzeiten gehen mit deutlichen Telefon: 07161 / 9743-42
Fernsehen eine betrachtende Wahr- Defiziten in der visuellen Wahr- E-Mail:
nehmung und dadurch auch einen nehmung einher. Die von der P.Winterstein@landkreis-goeppingen.de
inneren Bildaufbau verhindert. Die BzgA empfohlenen Obergrenzen Red.: Kup

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