Sie sind auf Seite 1von 19

Sonderdruck aus

Koptologische und verwandte Studien


~1
zu r.nren von
Martin Krause

herausgegeben von
Cäcilia Fluck .Lucia Langener. Siegfried Richter
Sofia Schaten .Gregor Wurst

DR. LUDWIG REICHERT VERLAG


WIESBADEN 1995

!;:.r
PSEUDOPROTOKOfYfIKA 1

(mit Tafeln Nr. 15b-21)


Hans-GeorgSeverin(Bann)

Der schwersteRückschlag,dendie Erforschungder sogenanntenkoptischenKunst (der


spätantik-frühbyzantinischenKunst Ägyptens) bisher erlitten hat, wurde von Material
veranlaßt,das aus demNilland selbstgeliefert wordenwar. In der Forschung,die ohne-
hin seltenklarsichtig und mit entschiedenenPerspektivenausgestattetvorangeschritten,
sondernoft genug-in Vorlieben und Vorurteilen befangen-nur annäherndgeradlinig
vorwärts getastetwar, hat diesestückische Material einen verheerendenEinbruch be-
wirkt.

Seit den spätenfünfziger JahrendiesesJahrhunderts, schlagartigeinsetzendab 1958,lie-


ferte der Kunsthandel massenhaftund zu anfangs noch recht modestenPreisensoge-
nanntekoptische Skulpturenan europäischeund amerikanischeMuseenund Sammler.
Als Fundortwurde übereinstimmendSaib(Abbädaangegeben, alsodasAntiken-Gelände
im Umkreis der StadtAntinupo1is.2
Etliche DutzendStücke lassensich zu einer erstenHauptgrupperechnen.Es sind Re-
liefs in Form von Figurennischenmit der Darstellungeiner einzelnenmenschlichenGe-
stalt: stehendeErwachsenein Ganz- oder seltenerHalbfigur sowie Kinder, die hocken
oder stehenund in der Regeleine Weintraubeund einenVogel oder auchandereGegen-
stände halten,jedenfalls also Attribute, die sich öfter und überregionalbei Grabreliefs
von Kindern in der römischenSepulkralkunstfindenund nicht religiös festgelegtsind.
1978 konnte Klaus PARLASCA zeigen, daß der archäologischbelegbareFundort
derartiger Nischenreliefs vielmehr al-Bahnasä,das Antikengeländevon Oxyrhynchos,
ist. Wenn auch die genauenFundumständein keinem Fall dokumentiertsind, ist doch
angesichtsder Gattung evident, daßes sich um Grabreliefs aus den Nekropolen von
Oxyrhynchoshandelnmuß.3

I Den Terminus protokoptisch hat z. B. P. DU BOURGUET fur die Zeitspannedes4. und der 1. Hälfte
des 5. Jahrhunderts verwendet (vgl. z. B. in: L'art copte. Petit Palais Paris, 17 juin 15 septembre 1964,
Paris 1964,32-37. -Eine abweichende,sinnvollere Definition bei PARLASCA 1978, 115*(161». In P.
DU BOURGUETS Konstruktion war Sinn der Übung natürlich, das eigentlich Koptische erst mit den
unmittelbaren Folgen des Konzils von Chalkedon 451, mit der Kirchenspaltung, beginnen zu lassen: also
sollte das Voraufgehende nicht "früh-", sondern"proto-" sein und heißen. Und da es andererseits nicht
wahr sein durfte, daß die Kopten in ihrem Abscheu gegenByzanz und seine Kirche sich gezielt an zeitge-
nössischerbyzantinischer Kunst orientiert hätten,wurden die entsprechendenaugenfälligstenBelege (z. B.
Kessel- und Falt-Kapitelle des 6. Jahrhunderts),um die Abhängigkeit zu entschärfen,extrem spät, in is-
lamische Zeit datiert (einige Beispiele genannt bei SEVERIN 1993,70). Zu dieser Sicht der Dinge ist
auchmir ein Terminus eingefallen: ,.koptischePostmoderne"(ebenda).
2 G. VIKAN hat diese Funde bereits 1977 in einem leider unpublizierten Vortrag ("The so-called
"Sheikh Ibada Group" of Early Coptic Sculpture", Third Annual Byzantine StudiesConference:Columbia
Unversity) ganz richtig eingeschätzt.
3 PARLASCA 1978, 115* (161)-120* (166).
290 Hans-Georg Severin

Vor 1958, vor dem Auftauchender erstenSaib (Abbäda-Sku1pturen, waren nur sehr
wenige Stücke bekanntgeworden,die diesenim Typus vergleichbaroder ähnlich zu nen-
nen sind. 1912fand F1indersPETRIE in a1-Bahnasä das Fragmentder Figurennischeei-
nes stehendenKnaben,die dannins British Museumgelangtist.4In den spätenzwanzi-
ger Jahrenlegte Evaristo BRECCIA bei chaotischen,größtenteilsunveröffentlichtenGra-
bungenan derselbenAntikenstättemehrereFigurennischenfrei, die ins Griechisch-Rö-
mische Museumzu Alexandria überwiesenwurden.51926gelangtenvier Figurennischen
derselbenProvenienz, wiederum aus al-Bahnasä,nachKairo ins Ägyptische Museum;
sie wurden späteran das Koptische Museum in Alt-Kairo abgegeben,6 wo wenigstens
drei Stückeheute noch vorhandensind.7
Zwei der alten Fundeaus a1-Bahnasäim KoptischenMuseum in Alt-Kairo ermögli-
chenaufgrund ihrer verschiedengutenErhaltungeinigeEinsichten.
Die Pyramidenstelemit der HalbfigurennischeeinesMannes(Taf. 15b; 16a)ist -wie
die Bemalung der oberen Dreiecksfläche mit Henkelkreuz und A und .0. zeigt -in
spätantiker Zeit christlich wiederverwendet worden.8 Zum ersten, ursprünglichen
Zustand gehörendie noch sichtbarenResteeines feinen Stucküberzuges,mit dem die
Oberfläche des Kalksteins überzogenwar: dieser 1-2 mm starke Stuckbelag war in
kräftigen Farbenbemalt.
Auch die schon 1955, kurz vor dem Beginn der Schwemme der Saib (Abbäda-
Skulpturen, für die Nelson Gallery in KansasCity angekaufteFigurennischeeines ste-
hendenKnaben weist diesenStucküberzugauf, in ganz ungewöhnlichguter Erhaltung:
die gesamteSchauseitedieserNischewar bemalt,bemerkenswert sind die fein gezeichne-
ten SchmuckmotivederTunika desKindes.9
Auf anderenFigurennischenaus al-Bahnasälassensich zumindestRestediesesbe-
maltenStucküberzugesfeststellen;10er diente gewissermaßen zur Veredelungder Ober-

4 F. PETRIE, Tombs of the Courtiers and Oxyrhynkhos. With Chapters by A. GARDINER, H. PE-
TRIE and M. A. MURRA Y (British School of Archaeology in Egypt. Egyptian ResearchAccount, 28th Neubl
year, 1922 [Val. XXXVII]), London 1925,Taf. 45 Abb. 10 (Fundplatz 20 im Nekropolenbereich); PAR- wieA
LASCA 1978, 116* (162).
5 E. BRECCIA, Le Musee Greco-Romain d'Alexandrie 1925-1931, Bergamo 1932, 59, 61 Taf. 39
Abb. 137, 139; E. BRECCIA, Le Musee Greco-Romain 1931-1932 (Municipalite d'Alexandrie), Ber-
gamo (1933), 40-41 Taf. 26-27 Abb. 81-84; PARLASCA 1978, 116* (162).
6 Journal d'Entree 49626-49629: PARLASCA 1978, 116* (162)-117* (163).
7 Kairo, Koptisches Museum (Magazin) Nr. 8(i16 (Journal d'Entree 49626); H. 111 B. 34 cm, aus al-
Bahnasä: WESSEL 1963, Abb. 71; TÖRÖK 1977, 137 Abb. 11; PARLASCA 1978, 116*; KAMEL
1987,67 Nr. 189. -Kairo, Koptisches Museum Nr. 8034 (Journal d'Entree 49629); H. 152 B. 65 cm,
aus al-Bahnasä: TÖRÖK 1977, 137 Abb. 9; KAMEL 1987, 59 Nr. 124. -Das von PARLASCA 1978,
116*(162) herangezogene,bei DUTHUIT 1931,Taf. 41 a im Hintergrund abgebildete Stück mit der gut
lesbarenJournal d'Entree-Nr. 49627 habeich nirgendwo in den Beständendes KoptischenMuseums finden
können; es ist vermutlich zerfallen. -Mit einiger Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei dem folgenden
Stück, das keinerlei Nummer mehr aufweist und als Gegenstückzu Journald'Entree 49627 angesprochen
werden kann, um Journal d'Entree 49628: Kairo, Koptisches Museum (Magazin) ohne Nr., H. 44 B. 25
cm (hier Taf. 16b).
8 Kairo, Koptisches Museum Nr. 8616 (Journal d'Entree: 49626): siehe Anm. 7.
9 PARLASCA 1966,205-206 Taf. 62,2.
10 Vgl. z. B. bei einer Nischenfigur in Leiden: SCHNEIDER 1982,42 Abb. 34 und farbige Detailauf-
nahme auf dem Einband.
Pseudoprotokoptika 291

fläche der zu bemalendenKalksteinskulpturund war ohne Zweifel charakteristischfür


diese Gattung,die durch ebendiesenStuckund seineBemalungVerwandtschaftmit den
Mumienmasken11aufweist.
Im Verlauf der normalenZerstörungeinerderartigenSkulpturwurde zuerstdie Bema-
lung des Stucküberzuges,dannder Stuckbelagselbstund schließlichdie Oberflächedes
Kalksteinsangegriffen.
Den letzten Zustand einer ehrlichen Alterung zeigt ein weiteres Exemplar aus al-
Bahnasä im Koptischen Museum (Taf. 16b), in diesemFall das Grabrelief eines Kin-
des.12Die OberflächedesKalksteinsist verwittertund weich und hat wesentlicheDetails
derDarstellungverloren.
An diesenStückensind die sogenanntenSaib(Abbäda-Fundezu messen.13
Die seit 1958im Handel auftauchendenverfalschtenKindernischenreliefs,mehr als
Figurennischenmit Erwachsenengeschätzt-und zwar sicherlich wegenihres export-
freundlichenhandlichenFormats-, dürften bei ihrer illegalenAusgrabungeinenZustand
gehabthaben,der demKindernischenreliefausal-Bahnasäim KoptischenMuseum(Taf.
16b)im wesentlichenentsprochenhat.
Die abgewitterte,weiche und detailarmeKalksteinoberflächeder Figur wurde dann-
zu Beginn dieser schönendenProduktion manchmalrecht sorgfältig und fast einfühl-
sam-überarbeitet: d.h. verschwommene,aber noch vorhandeneDetails, vor allem des
Kopfes, wurden mit dem Eisen herausgeschärft, detailloseoder unansehnlichgewordene
Partien,vor allem desGewandes,oft mit neuenDetailformenversehen.Als Glanzlichter
kamenzu Farbresten,die durch denStucküberzugin die Kalksteinoberflächeeingedrun-
gen waren, neu aufgetrageneFarben hinzu. -So kennen wir denn erstaunlich viele
Stücke,bei denendasWichtigste der Darstellung,nämlichdas Gesicht(dasPortrait), fast
unversehrterhaltengebliebenzu sein scheint,währenddie wenigerbedeutsamenPartien
sichtlich vom Zahn der Zeit benagtsind.14
Im Versuch,die verfaIschtenSkulpturenneu zu beseelen,widmete man sich bei der
Neubemalungvor allem den Augen: manchmalallerdings in allzu methodischerWeise,
wie Augen beigegebener Tiere zeigenkönnen.15

11 G. GRIMM, Die römischen Mumienmasken aus Ägypten (Deutsches Archäologisches Institut),


Wiesbaden1974.
12 Kairo, Koptisches Museum (Magazin) ohne Nr. (vermutlich Journal d'Entree 49628): siehe Anm. 7.
13 Die authentischenund die später verfalschten Skulpturen wurden natürlich nicht in Saib 'Abbäda aus-
gegraben,wo sie gar nicht bezeugt sind, sondernin al-Bahnasä und Umgebung,d.h. in den ausgedehnten
spätkaiserzeitlichen und spätantiken Nekropolen der Stadt Oxyrhynchos, die den Archäologen fast gar
nicht, den Einheimischen aber umso intimer bekannt sind. Die im Kunsthandel übereinstimmend versi-
cherte Herkunft aus Saib 'Abbäda nutzte den damals notorisch schlechten Ruf der Gafire, der Antiken-
wächter,jener Gegend und diente weiterhin dazu,die Behördenund weitere Interessentenvon der massen-
haften illegalen Wühlarbeit in al-Bahnasä abzulenken, was gut 20 Jahre lang, bis vor kurzem, auch
glückte.
14 Das auffalligste Beispiel ist wohl Brooklyn inv.no. 58.129: PARLASCA 1978, 118* (164) Taf. 37;
M. von FALK/C. WIETHEGER, Ein "koptischer" Kopf?, in: Boreas. MünsterscheBeiträge zur Archäo-
logie 13 (1990) 165-167Taf. 29 Abb. 4.
15 z. B. ein Exemplar in München: H. W. MÜLLER, Grabstele eines Isismysten aus Antinoe/
Mittelägypten, in: Pantheon 18 (1960) 267-271 Farbtaf. S. 266, ferner Abb. I. -Leiden: SCHNEIDER
1982,46 Abb. 42 (mit Angabe der modernenZutat).
292 Hans-Georg Severin

Auch das Koptische Museumin Kairo besitztein WerkstückdieserverfälschtenSpe-


zies. Es wurde dem Museumgeschenkt.16SeinerzeiterlaubtedasägyptischeAntikenge-
setzden Export von antikenWerken,wennes sich nachweislichum Dublettenzu Objek-
ten in ägyptischenMuseenhandelte.In diesemFall dürfte der Kunsthandeldie Figuren-
nischeeigensals Musterstückins KoptischeMuseumgestiftethaben,um zahlreicheähn-
liche Objekteals legale Dublettenunproblematisch ausdemLandeexportierenzu können.
Der alte Kulturbodenvon al-Bahnasägabtrotz aller Eindringlichkeit seinerBewohner
nicht so viel her, wie der Antikenhandelbrauchenkonnte. Um dessenNachfragezu be-
friedigen, wurden von Anfang d~r Saib 'Abbäda-Kampagnean massenhaftsogenannte
koptische Skulpturengefertigt,b.eideneneinzig dasSteinmaterialdaserforderliche Alter
aufweist. Mit dieserProduktion verließ man hinsichtlich der Gattung,der Ikonographie
und des Stils gesichertenBodenund stießin neueDimensionenvor.
Einerseitswurden für die authentischenVorbilder typischeFigurenaus ihren Nischen
nun in Reliefs mit glattem Hintergrund übertragen,die zwar eine Grund- und Standflä-
che, aber weder seitliche Flanken und einen oberen Nischenabschlußnoch seitliche
Stoßflächenaufweisenund somit in keiner in BetrachtkommendenArchitektursituation
ihren Platz finden könnten.I?
Andererseitsweist nicht ein einziges Stück der authentischenNischenfigurenausal-
Bahnasä-wenigstens in seinerursprünglichenFassung-ein christlichesMotiv oderAt-
tribut auf. Man darf daraus schließen, daß diese charakteristischelokale Gattung der
Grabskulpturvon Oxyrhynchospaganwar und blieb und keine christliche Nachfolge ge-
funden hat. Dieser -wenn man so will- Mangel wurde in den Fälscherwerkstättender
Saib 'Abbäda-Produktionbehoben.t8
Es gabdurchauskritische Stimmen,die einzelneStücke oderganzeGruppenfür fäl-
schungsverdächtigoder falsch erklärten; aberdiese Meinungen herrschtenin der Lust
vieler Museenund Sammler,sich sensationelleKoptika zu sichern,und bei ausgeprägter
DeutungsfreudemancherGelehrternicht vor.
Drei Werke in Berlin sollen hier kurz besprochenwerden,in dem Wunsch,ihre zwi-
schenArgwohn und Apologie schwankendeBeurteilungendlichzu präzisieren.

1. Der Knabe mit der Beule


In die Reihe der Werke, derenThema verläßlichbezeugtist, gehörtdasGrabre1iefeines
hockendenKnabenmit Weintraubeund Taube in Ber1in-Dah1em (erworben 1959,H. 38
cm; Taf. 17a).19An wenigenPartiensind nochwinzige Restedes Stucküberzugessicht-

t6 Kairo, Koptisches Museum (Magazin) Nr. 10845 (H. 75,5 B. 30 cm).


17 z. B. Recklinghausen Inv.-Nr. 518: WESSEL 1963, 101 Abb.77.
18 VgI. z. B. die beiden Berliner Knaben mit Handkreuz Inv.-Nr. 5/62 und 6/62 (Kat. Koptische Kunst
Essen 1963,619-620 Nr. A II-A 111;METZ 1966, 30-31 Nr. 11-12; ELBERN 1978,83* (129) Taf. 7a-
b), denen mannigfaltige Konfigurationen in anderenSammlungenanzuschliessensind.
19 Inv.-Nr. 3/59: Kat. Koptische Kunst Essen 1963,620 Nr. A IV Farbtaf. 3; Koptische Kunst. Chri-
stentum am Nil. Ausstellung KunsthausZürich November 1963 -Januar 1964, Zürich 1963, NachtragS.
9, Nr. 536; V. H. ELBERN, Neues in öffentlichen Sammlungen. Berlin, PreußischerKulturbesitz Staat-
liche Museen, Skulpturenabteilung, in: Speculum artis 15 (1963) 34-35, Abb. 3; METZ 1966,S. 30,
Nr. 10, Taf. 2; PARLASCA 1966, 147Anm. 147,205-206 Farbtaf. J; H.-G. SEVERIN, Frühchristliche
Pseudoprotokoptika 293

bar. Der obersteTeil der Nische ist fortgebrochen.Sonstgabdas Stückvor, eine authen-
tischeAntike zu sein.2o
Erst bei näherer,wiederholter Bekanntschaftmit unverfälschtenZeugnissenaus al-
Bahnasäwurde klar, daß die auf denStucküberzugaufgetrageneFarbenicht in präzis li-
nearerForm auf den darunterliegendenKalkstein durchschlagenkonnte: Es ist also evi-
dent, daßdie schwarzeFarbe in der Augenzone,vor allem bei den scharfenKurven der
Brauen,eine moderneZutat seinmuß.
Aber es ist nicht bei der neuenFarbegeblieben.Der Oberkörperdes Knabenwar mit
Sicherheit ursprünglich relativ detailarmgegeben,in fast glatt belassenemRelief, und
hatteerst durchBemalungdesGewandesStrukturund Dekor erhalten.Nach Verlust der
bemaltenStuckschichterschiender Oberkörperso wenig ansehnlich,daßman versucht
hat, durch primitive Kerbungen ein wenig Faltenstruktur nachzutragen,wodurch der
ganzeOberkörperverfälschtund verdorbenwordenist.
An einer weiteren Partie kann man sehen,daß auchfeinere Meißelarbeit,durchaus
nicht ganzungeschickt,vorgenommenwurde: Über derTaube sehenwir im Gewanddes
Knabeneine parabelförrnigeBeule ohneBinnenzeichnung(Taf. 17b);sie erklärt sich nur
dadurch,daß innerhalbdiesesKonturs ehemalsvorhandenesSteinmaterialspäterabge-
tragenworden sein muß. Was hier passiertist, könnenwir ungefährrekonstruierenan-
gesichtsder um die Taubegelegtenlinken Hand des Knaben,die im Vergleich zur unver-
fälschtenrechten,traubenhaltendenHand viel zu klein ist: Die Taube muß ursprünglich
größergewesensein, ihre Schulterbzw. ihr Halsansatzdürfte bis an den Scheitelder pa-
rabelförmigenBeule gereicht haben; der darüberfolgende,weitgehendhinterarbeitete
Vogelkopf war offenbar fortgebrochen;um diesenSchadenzu vertuschen,hat man aus
dem noch verfügbaren Steinmaterialdes Taubenkörpersmit Kinderhand eine kleinere
TaubesamtneuemKopf und eine folglich auchverkleinerte,allerdingszu klein geratene
Hand gearbeitet.Wer sich diese Meißelarbeit ansieht,wird auchfür möglich halten,daß
am Kopf des Knaben Kleinigkeiten nachgearbeitetworden sind. Das Stück insgesamt
taugtjedenfalls nur noch dazu, als Beispiel für den allgemeinenTypus der Kinderni-
schenreliefsvon Oxyrhynchosangeschautzu werden;die Details der Skulptursind weit-
gehendverdorbenoderwenigstensunzuverlässig.

2. Die /sis mit dem Jesuskind


Ein Sonderfallist das wohl prominentesteDahlemerStück,die StatuettederIsis mit dem
Horusknaben(1961 erworben,H. 88,5 cm; Taf. 18).21Das Stückwurde in Fachkreisen

Skulptur und Malerei in Ägypten, in: B. BRENK, Spätantike und frühes Christentum (= Propyläen
Kunstgeschichte,Supplementbd. I), Berlin 1977,251-252, Nr. 285; ELBERN 1978,82* (128) Taf. 6a
(seitenverkehrt); PARLASCA 1978, 117* (163); V. H. ELBERN, Polychrome Terrakotta-Büsten spät-
antik-frühkoptischer Zeit in der Frühchristlich-Byzantinischen Sammlung, in: Jahrbuch Preußischer
Kulturbesitz 19 (1982) 187-188Abb. 46 (wiederum seitenverkehrt).
20 Als ich das Stück 1977 in der Propyläen-Kunstgeschichte abbildete (vgl. Anm. 19), hatte ich das
Ausmaßder modernenEingriffe noch nicht verstanden.
21 Inv.-Nr. 19/61: Kat. Koptische Kunst Essen 1963,619 Nr. A I; Koptische Kunst. Christentum am
Nil. Ausstellung Kunsthaus Zürich November 1963 -Januar 1964. Nachtrag, Zürich 1963,7-8 Taf. 3; H.
W. MÜLLER, Isis mit dem Horuskinde, in: Münchner Jahrbuchder bildenden Kunst 14 (1963) 7; METZ
1966,30 Nr. 9 Taf. 3; P. BLOCH, Überlegungen zum Typus der EssenerMadonna, in: Kolloquium über
294 Hans-Georg Severin

schonfrüh, vor allem durch einen vehementenStreit,bekannt:Anläßlich der Ausstellung


Koptische Kunst in der Villa Hügel zu Essen 1963wollte der wissenschaftlicheLeiter
dieserAusstellungWolfgang Fritz VOLBACH, ohneseineZweifel detailliert zu belegen,
das Stück nicht in die Ausstellung aufnehmen.Der Berliner Museumsdirektor Peter
METZ hingegen,derdieseIsis frisch erworbenhatte,machtesämtlicheLeihgabenseines
Museums davon abbhängig,daß seinerIsis ein angemessener Platz in der Ausstellung
eingeräumtwürde. Die Isis und weitere DahlemerLeihgabenwurdenjedenfalls gegen
VOLBACHS Willen in der EssenerAusstellung durchgesetzt,aber nur im eigens ge-
schaffenenAnhang desKatalogesaufgeführt.22
Seitherist es um die Isis stiller geworden.Sie galt abernoch weithin als feste Größe,
nicht zuletzt, weil die Skulptur formal und thematischaus demKreis der Saib ' Abbäda-
Produktion herauszufallenschien.Hier kann man schwerikonographischoder stilistisch
argumentieren,hier entscheidetdie handwerklicheBeurteilung.
Es war Peter METZ und dem zuständigenKustos der DahlemerSammlungbereits
aufgefallen, daß sich zwei Werkphasenscheidenlassen.Das ursprüngliche,spätkaiser-
zeitliche Bild der Isis mit Horusknabenwäre -so meinte man -kaum viel spätervon ei-
nem koptischenBildhauer in ein Bild derMaria Lactansbzw. derGalaktotrophusaumge-
arbeitetworden, wobei die geläufigenAttribute auf dem Haupt der Isis entfallenund ab-
gearbeitetwerden mußten.Die Skulptur wurde also interpretiertals ein frühes, deshalb
besondersbedeutendesBeispiel der christlichenAneignungund Umdeutungeinespaga-
nenKultbildes zum christlichenKultbild.23
Wir müssenden Sachverhaltwohl prosaischersehen,die Überarbeitungfür umfang-
reicher haltenund anerkennen,daßVOLBACHS negativeEinschätzungder Skulpturzu-
treffend war .24
Das leicht beschädigteWerkstück ist offenbar ziemlich feucht aus dem Boden ge-
kommen, was keinen Sonderfall darstellen würde. An vielen Partien, besonders gut
sichtbar am rechtenArm der Isis, wurde derweiche Kalksteindannmit einer hartenBür-
ste kräftig bearbeitet:dadurchtraten dann Muschelpartikelund Steineinschüsse, die ur-
sprünglich unter der bearbeitetenOberflächelagen,hervor: hier ist die originale Epider-
mis der Skulptur fortgeputzt,das Steinmaterialleicht reduziertworden. Der Kontur des
rechtenUnterschenkelsder Isis zeigt im oberenBereicheinenKnick; hier ist in erhebli-
chemUmfang Steinmaterialentferntund kräftig mit demMeißel nachgearbeitet worden.
Wie die Faltengebungder Isis ursprünglichaussah,kann man nochan schlechterzu-
gänglichenStellen sehen,vor allem zwischendem Arm der Isis und demKinderkörper:
die Faltensind hier sehr stofflich und relativ kompakt,ohnealle Schärfengegeben.Gra-
tige Schärfenfinden wir hingegenan den ungeschützteren Partiender Figur, an derrech-

frühmiuelalterliche Skulptur. Vortragstexte 1968, Mainz 1969, 66; H.-G. WORMITN. H. ELBERN
(Hrsg.), Neuerwerbungen für die Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, Berlin
1976,20 Nr. 77 Taf. 77; ELBERN 1978,82*-83* (128-129) Taf. 5.
22 Kat. Koptische Kunst Essen 1963,619-622.
23 METZ 1966, 30 Nr. 9.- Etwas zurückhaltender ELBERN 1978,83* (129).
24 Dies gilt auch für weitere damals neuerworbene"koptische" Skulpturen in Berlin-Dah1em(z. B. Inv.-
Nr. 21/61, 23/61, 5/62, 6/62, 11/62). Als ich für die Frühchristlich-Byzantinische Sammlung in Berlin-
Dahlem zuständig wurde, sind diese Stücke ins Magazin verbracht worden,ebensoInv. 26/72.
Pseudoprotokoptika 295

ten Schulterder Isis und in dem großen,für die Gesamterscheinung so wichtigen Bereich
des Gewandesan und zwischen den Unterschenkeln:hier ist rigoros mit dem Meißel
nachgeschnitten und die Originalsubstanzbeträchtlichreduziertworden.Es ergabensich
dabei ganz unglaubhafte Faltenkonfigurationen,z. B. an der Seite des rechtenUnter-
schenkelsder Isis. Das Obergewandzwischenden Unterschenkelnmuß als völlig ver-
dorbengelten;dasfaltenreicheUntergewandin derFußzoneist nur teilweise modembe-
schnittenund an Bruchstellenbegradigtworden.Die fatalenSchärfentretenauchan den
Haarfrisurenund den Augenzonender Isis und desKindes auf; hier sehenwir Detailfor-
men,die von der Saib (Abbäda-Produktionbekanntsind.
Der Kopf der Isis ist durch denHals gebrochen.Das SteinmaterialdesKopfes ist mit
Sicherheitdas ursprüngliche,wie eine Muschelzeigt,die teils im Hals der Skulptur steckt
und sich im Kopffragment fortsetzt. Aber dieserKopf ist stark überarbeitet,so daßdas
Gesichtim Verhältnis zum Hals zu klein und die Frisur untypisch,fremdartigwurde. Das
zweite fortgebrocheneFragment, Schulter mit Kopf des Kindes, wurde hingegenaus
nicht eindeutig homogenemSteinmaterialhinzugefügt.Wie sehenan dem zu kurzenund
gelenklosenlinken Arm der Isis, daßderheutigeVerlauf desArmes unglaubhaftist (Taf.
19); der ursprüngliche Arm muß ein nicht unbeträchtlichesStück länger gewesensein
und seine Hand hat das Kind folglich an der Schulter, nicht im Nacken berührt. Mit
größterWahrscheinlichkeithatte derursprünglicheHorusknabeeinenins Profil gewende-
ten Kopf. Das Motiv des Kindes, das die Mutter anschaut,dürfte diesemBildwerk erst
durchdie Verfälschungappliziert worden sein,und zwar in Berücksichtigungvon christ-
lichenBildtypen der GottesmutterMaria.
Ich halte also, in diesem Punkte der älteren DahlemerLehrmeinung folgend, für
durchauswahrscheinlich,daßdie Umarbeitungder ursprünglichenIsisfigur einemkopti-
schenSteinmetzenverdanktwird. Aber wir sollten davon ausgehen,daßdiesermutmaß-
liche Bruder in Christo nicht in der Spätantikegelebt hat, sondernin der Regierungszeit
des PräsidentenGamäl (Abd an-Na~r.

3. Verkröpfte
Delphine
Auch außerhalbund nachder engerenSaib (Abbäda-ProduktiontauchtenWerke auf, de-
ren besondersfatale Nebenwirkung war, daß ihre Darstellungeneine nur beschränkte
oderunzulänglicheikonographischeDeutungzuließen.So schiensich weiterhin zu be-
stätigen,daßdie Bildwelt der spätantikenÄgypter zu großenTeilen kryptischbzw. noch
in geheimnisvollesDunkel gehüllt und jedenfalls für allerhand Überraschungengut sei:
ein perfektbereitetesSchlachtfeldfür skrupelloseAktivitätendesKunsthandels.
Bei einem Nischenhauptin Berlin-Dahlem, das 1972 erworben wurde25(H. 75, B.
125 cm; Taf. 2Oa), handelt es sich um einen sogenanntengesprengtenGiebel mit
vorspringendenGiebelflankenund demgegenüberzurückgesetztemmittlerenBogenfeld
mit Kalotte. Die ProfilzonendiesesArchitekturstückssind ornamentaldekoriert.Auf der
rechtenGiebelschrägehat sichdie Figur einerNike erhalten.Dasmittlere Bogenfeldzeigt

25 Inv.-Nr. 26/72: ELBERN 1973,262-263 mit Abb.; ELBERN 1978,85* (131) Taf. 8a; THOMAS
1990.89-91.
296 Hans-Georg Severin

drei im Verhältnis zur GesamtformsehrgroßeFiguren. Die linke Figur mit phrygischer


Mütze sollte angesichtsder Leier als Orpheusanzusprechen sein. Der in der Mittelachse
auf schräggekipptemStuhl mit KissensitzendeMann -bis auf die Sandalennackt -hält
einenStab.Die rechteFigur, wiederumnackt,ist mit einemStabund einemschwertgurt-
artigen Band versehen;sie ist in sehr eigenartigerKörperdrehungdargestellt,und man
darf sagen,daß der Steinmetzbei kompliziertenRückenaktfigurenoffensichtlichüberfor-
dert gewesenist, was ihn nicht daran gehindert hat, sich an einer derartig anspruchs-
vollen Konfiguration zu versuchen.
Was habendie beidennicht identifiziertennacktenFiguren mit Orpheuszu schaffen?
Die ältere Interpretationder Dreiergruppekam überMutmaßungennicht hinaus,etwa die,
daßdie Darstellungauf orphischeMysterienzu beziehensei}6
Ich möchte auf wenigstenszwei der recht zahlreichenUngereimtheitender Darstel-
lung hinweisen. 1.) Es ist nicht einzusehen,warum die mittlere Figur auf einem schräg
gekipptenStuhl sitzt; geradebei eineretwasprimitivenbzw. provinziellenSteinmetzarbeit
würde man an dieser Position eine Betonung der Mittelachse und somit senkrechtge-
stellte Möbelpfosten erwarten, wenn die geschilderteSituation nicht eindeutig anderes
verlangt. 2.) Das rechtegrößtenteilsfehlendeBein der rechtennacktenFigur hat im Reli-
efgrund erst in der Fußpartie einenAnhaltspunkt;es müßtealso -im Gegensatzzu den
anderenBeinen der Darstellung-als einzigeshinterarbeitetund weitgehendvom Relief-
grund gelöst gewesensein, was schonin technischerund handwerklicherHinsicht un-
stimmig ist.
Es gibt im KoptischenMuseumKairo zwei Teilstücke einesFriesesdes3. oder des
frühen4. Jahrhunderts,die vor der Erwerbung der Berliner Nischenbekrönungunpubli-
ziert waren; erst 1977ist eines der beidenReliefs abgebildetworden}7Bisherkonnte ich
die Darstellungleider nochnicht deuten;die Thematikdürfte mythologischsein.
Die zweite Figur von links des erstenFriesstücks(Nr. 7816: Taf. 21a) dürfte das
Vorbild für den sitzendenMann der Berliner Nische abgegebenhaben.Die allgemeine
Übereinstimmungliegt im Motiv des leicht seitlichauf einemschräggeneigtenMöbel sit-
zendennacktenMannes mit Stab. Der verloreneKopf des sitzendenMannesdes Frieses
war sicherlich der rechtsdanebenstehendenFigur zugewandtund saßnicht -wie bei der
Berliner Nische -frontal. Dort ist die Beinhaltungübernommen,die Haltung der Arme
abgewandelt.Ohnejede Prüderie verdeckt beim vorbildlichen Fries der Stock das Ge-
schlechtdesMannes;wasdie Berliner Nischean dieserStelle bietet,ist einigermaßenun-
ansehnlichund kann gewißals Verlegenheitslösung gelten.
Am rechtenEnde des anderen,des zweitenTeilstücksdiesesFrieses(Nr. 7817:Taf. I
21b) sind Teile einer nacktenmännlichenFigur in Rückansichterhalten,die das -

26 z. B. ELBERN 1978,85* (131).


27 Kairo, Koptisches Museum (Magazin) Nr. 7816 (H. 33,5 B. 90 cm),
TÖRÖK 1977, 144 Abb. 14; TÖRÖK 1990,441 Abb. 24-26. --
Nr. 7817 (H. 33,5 B. 60 cm), vom Museum angekauft: TÖRÖK 1990,441 Abb. 23.-
,

und in ein großesMagazin (Müqawqäs) mit über


zimiert wiedergefundenhabe.
Pseudoprotokoptika 297

für die rechte Gestaltder Berliner Nische gewesenseindürfte. Wieder ist die Haltung des
erhaltenenArmes abgewandelt.Der rechte,verlorene Unterschenkelder Figur desFrie-
sestrat in Hochrelief, weitgehendhinterarbeitet,kräftig hervor. Nicht das Motiv im ein-
zelnen,aber der ErhaltungszustanddieserBeinpartiedesFriesesist in der rechtenFigur
der Berliner Nische ziemlich genauübernommen,wo er -wie gesagt-schlecht zu den
übrigen Beinenpaßt. Die nackte Figur desFriesstücksbefand sich natürlich ehemalsim
Zusammenhangdes Frieses nicht am Rand der Darstellung, sonderngehörte zu einer
Szene,die auf dem rechts anstoßendenFriesblock fortgesetztwar. Um dasZusammen-
hangloseund Fragmentarischeder Gebärdeder rechtenFigur der Berliner Nische zu ver-
schleiern,wurde ihr Kopf in anatomischschwer glaubhafterWeise zurückgedrehtge-
zeigt, so einen Sinnzusammenhangmit den beiden anderenFiguren der Szenevorspie-
gelnd.
Die früher einzig verständlicheFigur der Berliner Nische,nämlich der Orpheus,gibt
in der neuenEinschätzungder DarstellungRätselauf. Wenn dieserOrpheusseinVorbild
in der Kalksteinskulptur hatte,so habe ich es bisher nicht gefunden.Bei der bekannten
NischeausAhnäs/Herakleupolisim KoptischenMuseumKairo ist der Kopf des Sängers
fortgebrochen.28Es scheint aberdurchausdenkbar,daß zu ebendieserkopflosen Figur
ein anderesVorbild hinzugenommenwordenist: der Kopf des Mithras mit phrygischer
Mütze aus einem Relief aus Mit-Rahina im Ägyptischen Museum Kairo.29Falls diese
Vermutung zutrifft, wäre die Bilderfindung der Berliner Nische mit gewisserKenner-
schaft,sozusagenwissenschaftlichberatengewesen.
Abgesehenvon diesemnoch offenenDetail: bei der Darstellung der Berliner Nische
zeigt sich eine sinnlose Kombination von Figuren aus verschiedenartigenKontexten.
Natürlich handeltes sich um Typen der kaiserzeitlichenKunst; dieseTypen sind aberin
der fortschreitendenSpätantike Ägyptens, soweit ich sehe, nicht tradiert worden und
nehmensich in angeblichenWerkendes5. Jahrhundertsals Fremdkörperaus.Da es sich
bei denbeidenherangezogenen Vorbildern für die mittlere und die rechteFigur derBerli-
nerNische um seinerzeitunpublizierteObjektedes KoptischenMuseumshandelte,halte
ich eine Entstehungder SchauseitedieserNische in nicht allzu großerEntfernung vom
Aufbewahrungsortder Reliefs(Taf. 2Ia-b) für sehrwahrscheinlich.
Das einzig wirklich Ärgerliche ist aber:Das Werkstückwurde offenbar nicht als Fäl-
schungeigensgefertigt, sondernes deutetalles darauf hin, daßein spätantikerNischen-
giebel,der wahrscheinlichsehrzerstörtaufgefundenwurde, durchrigorose, in die Tiefe
des vorhandenenSteinmaterialsdringendeNeubearbeitungvernichtet worden ist. Von
diesemursprünglichenZustand stammenwohl nochdie meistenTeile der Nike auf dem
rechtenGiebelrand und das kräftig hervortretendeSteinmaterialder Köpfe der Dreier-
-
28 Kairo, Koptisches Museum Nr. 7055 (alte Nummer des Ägyptischen Museums 7287); B. 78 cm, aus
Ahnäs: E. NA VILLE, Ahnas el Medineh (Heracleoplis magna). Appendix on Byzantine Sculptures by T.
HAYTER LEWIS (11th Memoir of the Egypt Exploration Fund), London 1894, Taf. 14; STRZY-
GOWSKI 1904, 31-32 Nr. 7287 Abb. 36; MONNERET OE VILLARD 1923, 29 (Nr. 3) Abb. 42;
OUTHUIT 1931,42 Taf. 16 b; L. TÖRÖK, On the Chronology of the Ahnäs Sculpture, in: Acta Ar-
chaeologicaAcademiae Scientiarum Hungaricae 22 (1970) 180 Abb. 15,20 VII; TÖRÖK 1990,468-471
Abb. 58; THOMAS 1990, 151-152.
29 STRZYGOWSKI 1904, 10 Abb. 5; MONNERET OE VILLARD 1923,Abb. 44.
298 Hans-Georg Severin

gruppe.Von PartienderNike abgesehen, halte ich alle jetzt sichtbarenDetails derDarstel-


lung, auch die mit FehlernbehafteteOrnamentikdes Giebels,und den zu tief zurück-
springendensphärischenReliefgrund des Mittelfeldes für modern. Wahrscheinlich hat
auch die ursprüngliche Darstellung eine Dreifigurengruppe gezeigt,über die wir aber
nichts mehr in Erfahrungbringenkönnen.Die moderneÜberarbeitungbescherteuns statt
dessenoberhalbdesBogenfeldesund der Giebelflankenein erstaunlichesBildmotiv (Taf.
20b): verkröpfte, zweimal rechtwinklig gebrocheneDelphine -selbst für die Coptic
Period ein starkesStück!
***
Fälschungenund Verfälschungen spätantiker Kunst in Ägypten wurden und werden
weiterhin hergestellt.Wenigstensdie großeEpidemie ist inzwischenabgeklungen,ihre
Folgen sind absehbargeworden. Doch ist Infiziertes noch überall verstreut; der Saib
,Abbäda-Virus ist zwar dem Namennachbekanntgeworden,aberes wird noch reichlich
Mühe und Geduld von Vielen brauchen,ihn im Einzelfall nachzuweisenund zu enttar-
nen. Das verseuchteMaterial ist auf keine Weise mehr zu retten: es hat seinenWert als
authentischesZeugnis spätantikerKunst verloren und kann lediglich noch für wissen-
schaftsgeschichtliche
Fragestellungen Aufschlußgeben.

AbgekürztzitierteLiteratur
J. STRZYGOWSKI, Koptische Kunst (Service des Antiquites de I'Egypte. Catalogue generaldes antiqui-
tesegyptiennes du Musee du Caire, nos 7001-7394 et 8742-9200), Wien 1904.
U. MONNERET DE VILLARD, La scultura ad Ahnas. Note sull'origine dell'arte copta, Mailand 1923.
G. DUTHUIT, La sculpture copte. Statues,bas-reliefs, masques,Paris 1931.
Koptische Kunst. Christentum am Nil. Ausstellung Villa Hügel Essen,3. 5. -15.8. 1963, Essen 1963.
K. WESSEL, Koptische Kunst. Die Spätantike in Ägypten, Recklinghausen 1963.
P. METZ (Hrsg.), Bildwerke der christlichen Epochen von der Spätantikebis zum Klassizismus. Aus den
Beständender Skulpturenabteilungder StaatlichenMuseen, Stiftung PreußischerKulturbesitz, Berlin-
Dahlem, München 1966.
K. PARLASCA, Mumienporträts und verwandte Denkmäler (DeutschesArchäologisches Institut), Wies-
baden1966.
V. H. ELBERN, Über einige Neuerwerbungenin der wiederaufgestelltenFrühchristlich-Byzantinischen
Sammlung, in: Jahrbuch PreußischerKulturbesitz 11 (1973)259-266.
L. TÖRÖK, Notes on Prae-Coptic and Coptic Art, in: Acta Archaeologica Academiae Scientiarum Hun-
garicae 29 (1977) 125-153.
V. H. ELBERN, Werke koptischer Kunst in den Staatlichen Museen PreußischerKulturbesitz, in: Encho-
ria 8 (1978)[Sonderband],81*(127)-88*(134).
K. PARLASCA, Der Übergang von der spätrömischenzur frühkoptischen Kunst im Lichte der Grabre-
liefs von Oxyrhynchos, in: Enchoria 8 (1978)[Sonderband],115*(161)-120*(166).
H. D. SCHNEIDER, Beelden von Behnasa.Egyptische kunst uit de Romeinse keizertijd le-3e eeuw -
Chr., Zutphen 1982.
I. KAMEL, Coptic funerary stelae (Catalogue generaldes antiquites du Musee Copte nos 1-253), -

1987.
L. TÖRÖK, Notes on the chronologyof ~ate Antique Stone Sculptur~ in EgXPt,in: "

(Centred'archeologiemediterraneenne
de l'AcademiePolonaisedes Sciences),Warschau
437-484.
Pseudoprotokoptika 299
Th K THOMAS. Niche decorations from the Tombs of Byzantine Egypt (Heracleopolis Magna and
Oxyrhynchus. A D 300-500): Visions of the afterlife (Phil Diss New York University. 1990).
Ann Arbor. Mlchigan 1990
H-G SEVERIN. Zum Dekor der Nischenbekrönungen aus spätantiken Grabbauten Ägyptens. in Rig-
gisberger Berichte I (1993) 63-85

Abbildungsnachweise
Museumsfoto: Taf. 18; 20a.
Foto Severin: Taf. 15b-17b; 19; 20b-2Ib.

Kairo

3rd In-
EWSKIu
1990.
Tafel 15 (D. Renner-Volbach/H.-G.Severin)

J
a Köln. ErzbischöflichesDiözesanmuseum
Inv. No. P427.

b Kairo. KoptischesMuseumNr. 8616.


Tafel 17 (H.-G.Severin)

]
8
.D

0-
~
...,
~ I

-~
>"
~
~
~:I
0)
.c
u
CI)
"2
"J:j
~
N
>,
~
~
§
~
"J:j
~
~0-
CI)

:~
"""'
§0)
CI)
:I
~
d'
~0)
~
Tafel 18 (H.-G. Severin)

Berlin, Museum für Spätantike und Byzantinische Kunst Inv.-Nr. 19/61


Tafel 19 (H.-G. Severin)

Berlin, Museum für Spätantike und Byzantinische Kunst Inv.-Nr. 19/61 (Detail)
Tafel 20 (H.-G: Severin)

a Berlin, Museum für Spätantikeund Byzantinische Kunst Inv.-Nr. 26/72

b Detail
Tafel21 (H. G. Severin)

Das könnte Ihnen auch gefallen