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PsychotheraPie
Wird ihre Wirkung
überschätzt?
juli 2016

aha-MoMente
Lösungen aus
heiterem Himmel?
FussballFans
Warum sie singen

Mut zur
unsicherheit
Die Kunst, in bewegten Zeiten die Balance zu halten
Sfr 10
€ 6,90
heft 7
43. jahrgang
Neu bei Junfermann
240 Seiten, kart. • € (D) 16,90 • ISBN 978-3-95571-485-7

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Auch als Auch als
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Guy Winch Marieta Koopmans


Emotionale Erste Hilfe Feedback: Kritik äußern – Kritik annehmen
Wie wir mit seelischen Verwundungen im Alltag
umgehen können Halten Sie mit Kritik an anderen manchmal
hinterm Berg? Macht es für Sie einen Unterschied,
Was unternehmen wir, um die seelischen Verlet- ob Sie etwas an einem Mitarbeiter, einem Kollegen
zungen zu behandeln, die wir im Alltag erleiden? oder vielleicht am Chef zu bemängeln haben?
Oft fehlen uns dafür wirksame Mittel. Und: Geben Sie eher selten positives Feedback?
Viele Menschen dürften diese Fragen mit Ja
Vergleichbar einem Medizinschränkchen mit beantworten, denn der Umgang mit Feedback
Verbandszeug, Salben und Schmerzmitteln für ist oft eine heikle Angelegenheit. Nicht immer
die Grundversorgung körperlicher Alltagsverlet- wird so klar und offen kommuniziert, wie es
zungen möchte dieses Buch eine Hausapotheke eigentlich wünschenswert und nötig wäre.
für die kleineren seelischen Verletzungen sein, die
wir uns im täglichen Leben holen. Guy Winch In diesem Buch geht es darum, zu hören, was
führt Sie Schritt für Schritt in die Behandlung andere uns zu sagen haben – und Kritik so zu
der häufigsten psychischen Verwundungen ein: äußern, dass andere uns wirklich zuhören. Sie
Zurückweisung, Einsamkeit, Verlust, Schuld- erfahren, wie Sie andere unmissverständlich
gefühle, Grübeln, Scheitern und ein geringes kritisieren können, ohne sie zu verletzen oder
Selbstwertgefühl – hier lernen Sie, wie Sie mit zu kränken. Außerdem erfahren Sie etwas über
emotionalen Wunden wirksam umgehen und so die Ängste und Emotionen, die dabei eine
zu mehr Resilienz und Selbstvertrauen finden. Rolle spielen.
V e r l a g

www.junfermann.de
Junfermann
Liebe Leserin, lieber Leser

L
eben wir heute in einer besonders unsicheren jungen Menschen zeigte. Oder sie veranlassen
Zeit, oder würden Sie sagen, vor 20, 30 Jahren verunsicherte Bürger, bei Wahlen ihre Stimme ext-
war alles genauso unsicher?“ Diese Frage stellt remen Parteien zu geben.
das Institut für Demoskopie Allensbach regelmäßig Was uns in Zeiten der Verunsicherung wirklich
einer repräsentativen Auswahl der deutschen Bevöl- vor unserem „katastrophischen Gehirn“ schützt, ist
kerung. Im Jahr 2011 waren 44 Prozent der Befragten Ambiguitätstoleranz. Also die Fähigkeit, Unsicher-
der Ansicht: „Ja, die Zeiten sind unsicherer als frü- heit nicht nur auszuhalten, sondern auch konstruk-
her.“ 2015 lag der Anteil der Verunsicherten schon tiv mit ihr umzugehen. Wer ambiguitätstolerant ist,
bei 58 Prozent. Gesunken ist hingegen der Prozent- neigt nicht zum Schwarzweißdenken und kann Wi-
satz derjenigen, die mit Hoffnung in die Zukunft dersprüche aushalten. Vor allem aber sieht er nicht
sehen: Zur Jahreswende 2014/15 waren noch 56 Pro- nur die Risiken der Unsicherheit, sondern auch ihre
zent optimistisch, ein Jahr später blickten nur noch Chancen: Wer sich ins „Unbekannt-Land“ wagt,
41 Prozent zuversichtlich nach vorne. macht unter Umständen spannende Entdeckungen.
Zweifellos sind diese Daten vor allem von der Auf jeden Fall entwickelt er sich weiter.
Flüchtlingskrise beeinflusst. Die Deutschen sind Wer dagegen auf Nummer sicher gehen will, sollte
verunsichert, und das ist angesichts der radikalen wissen, woher diese Redewendung kommt: aus dem
Veränderungen durchaus verständlich. Denn der Gefängnis. Dort sind die Zellen numeriert, und wer
Mensch ist grundsätzlich kein Freund von Unsicher- dort eingesperrt ist, sitzt sicher. Wer heute schon wis-
heit und Ungewissheit. Die Abneigung gegen das sen will, was morgen sein wird, lernt die Chancen
Unbekannte ist ein evolutionäres Erbe – das mensch- der Unsicherheit nie kennen. Dafür ist er sicher. So
liche Gehirn rechnet immer mit dem Schlimmsten. sicher, wie man in einer Gefängniszelle nur sein kann.
Schließlich musste es in unendlich langen Zeiträu-
men vor allem als Gefahrensensor funktionieren:
Feinde aller Art waren rechtzeitig zu entdecken und
abzuwehren. Auch heute noch schlägt unser Gehirn
in unvertrauten Lebenslagen Alarm – oder signali-
siert zumindest: „Vorsicht!“
Wie stark wir darauf reagieren, ist individuell
unterschiedlich und hängt natürlich auch von den
Umständen ab. Sind diese in besonderer Weise ver-
unsichernd – wie das gegenwärtig der Fall ist –, wird
unser Bedürfnis nach „kognitiver Geschlossenheit“
größer. Vor 25 Jahren hat der Sozialpsychologe Arie
Kruglanski das vielbeachtete Konzept need for clo-
sure vorgelegt, das er als das „Verlangen nach einer
definitiven Antwort, irgendeiner Antwort anstelle
von Verwirrung und Ambiguität“ beschreibt (Seite
18). In politisch unklaren Zeiten, in privaten oder u.nuber@beltz.de

beruflichen Umbruchsituationen schlägt deshalb


immer die Stunde von „Experten“, deren einfache
Antworten schnelle Beruhigung versprechen.
Doch einfache Antworten liefern nur Scheinsi-
cherheiten. Im Extremfall führen sie in die Irre und
machen anfällig für autoritäre Ideologien. Bisweilen
fördern sie sogar Gewalt, wie der Soziologe Wilhelm
Heitmeyer in seinen Studien mit gewaltbereiten

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 3


IN DIESEM HEFT

TITEL

18 Mut zur Unsicherheit


Treffen Sie oft vorschnelle Entscheidungen?
Vielleicht fehlt es Ihnen an Unsicherheits-
kompetenz
Von Annette Schäfer

26 Mit der Unsicherheit leben –


aber wie ?
Fünf Strategien helfen uns dabei, in
mehrdeutigen Situationen einen klaren
Kopf zu behalten
Von Axel Wolf

12 Im Fokus:
„Ihr könnt nach Hause fahrn!“
Bei der Fußball-EM werden hoffentlich
packende Spiele geboten – und originelle
Gesangseinlagen! Der Musikpsychologe
Reinhard Kopiez hat Fangesänge analysiert

28 So viele Nachrichten, OMG!


Digitale Dienste wie WhatsApp machen
die Kommunikation mit unseren Lieben
schneller – aber nicht unbedingt schlanker
Von Frank Luerweg

36 Aha! – Wenn der Groschen fällt


Geistesblitze tauchen plötzlich auf. Doch
sie kommen keineswegs aus dem Nichts
Von Ingrid Glomp

42 Wie ticken Hundehalter?


Der Hund ist nicht mehr Tier allein. Er wird
zum Freund des Menschen. Keine gesunde
Entwicklung für beide! TITELTHEMA
Von Martin Hecht

46 Die Lizenz zur Sünde 18 Manchmal ist das Leben chaotisch.


Wir blicken nicht mehr durch, alles
wird uns zu viel. Dann drängt es uns, klar
Täglich tricksen wir unsere Moral aus:
Nachdem wir etwas Gutes getan haben, Schiff zu machen und uns mit einer raschen,
genehmigen wir uns ein Laster eindeutigen Entscheidung all der Unsicher-
Von Jochen Paulus heiten zu entledigen. Doch die schnellen
Lösungen sind selten die besseren. Unsicher-
heit aushalten ist eine Tugend, die heute mehr
denn je gefragt ist. Wie übt man sich darin?

4 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


58 Psychotherapie wirkt! Wirklich?
Neue Studien dämpfen die Erwartungen
Von Jochen Paulus

62 Auf den Therapeuten kommt es an!


Wichtiger als die Methode: der Behandler
Von Wolfgang Wöller

64 Ausgerechnet im Urlaub!
Wir haben uns so auf die Ferien gefreut –
und dann kommt das Fieber!
Von Jörg Zittlau

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DOSSI
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DOSSIER BERUEFN
LEB
36 Tagelang grübelt man
über einem Problem.
Und dann, von einem Moment
70 Trugbild Traumjob
Wenn die Arbeit nervt, träumen viele von
auf den anderen, hat man die
einer neuen Tätigkeit. Doch der Wechsel ist
Lösung plötzlich vor Augen.
eine Enttäuschung. Woran liegt das?
Was hat es mit diesen magi-
Von Anne Otto
schen Aha-Momenten auf sich?
Fest steht: Die vermeintlichen
Geistesblitze werden im Kopf
sorgfältig vorbereitet RUBRIKEN

16 Therapiestunde
Wenn der Schmerz sprechen könnte
Von Andreas Knuf

34 Psychologie nach Zahlen


Von Erotik bis Pragmatismus: 6 Liebesstile
Von Eva Tenzer

78 Pehnts Alltag
Meine heiligen Schriften
Von Annette Pehnt

3 Editorial
6 Themen&Trends
52 Körper&Seele
57 Schilling&Blum: Irgendwas mit Menschen

58 Psychotherapie hat einen guten


Ruf. Immer wieder wird ihre Wirk-
samkeit hervorgehoben. Zu Recht? Die
80 Buch&Kritik
91 Medien
92 Leserbriefe
gute Nachricht: Psychotherapie hilft wirk- 93 Impressum
lich. Die schlechte: Sie ist längst nicht das 94 Im nächsten Heft
Wundermittel, als das sie von ihrer Lobby 95 Markt
oft angepriesen wird 106 Noch mehr Psychologie Heute

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 5


THEMEN&TRENDS REDAKTION:
JOHANNES KÜNZEL

Wer solche
Einige meiner besten Freunde sind … Freunde hat,
kann doch
Pegida-Vordenker Lutz Bachmann will nicht in der ne Abscheu gegen Asiaten; von denen habe er „die keine Vorurteile
haben.
rechten Ecke stehen. „Ich habe einen türkischen Trau- Nase voll“, schrieb er. Mehr als 450 Amerikaner eu- Oder doch?
zeugen und viele muslimische Freunde“, zitiert ihn ropäischer oder asiatischer Herkunft begutachteten
das Handelsblatt. Bachmann ist nicht der Einzige, das Profil eingehend. Alle Probanden betrachteten
der sich so gegen Kritik absichert. Die sozialen Netz- ein Foto des jungen Mannes Arm in Arm mit einigen
werke quellen über von ähnlichen Disclaimern. Nicht Freunden. Der Clou: Die Psychologen variierten sys-
selten jedoch folgt dem Verweis auf einige Muslime, tematisch deren ethnische Zusammensetzung. Mal
Juden, Schwule oder andere Minderheiten im Be- waren alle hellhäutig, mal hatte sich ein Asiate mit
kanntenkreis die pauschale Abwertung einer großen aufs Foto gemogelt; und in einer dritten Variante war
Gruppe von Menschen. „Die“ sind nämlich grund- ein bunt gemischter Haufen zu sehen.
sätzlich Terroristen, geldgeil oder pervers. Und tatsächlich: Je mehr Asiaten unter den Freun-
Paradoxerweise wollen die, die so etwas sagen, den waren, desto weniger rassistisch wirkte die ab-
trotzdem nicht als rassistisch, antisemitisch oder ho- lehnende Aussage. Das galt sowohl für asiatischstäm-
mophob dastehen. Die Frage ist nun: Gelingt ihnen mige Amerikaner als auch für solche mit europäi-
das? Ja, sagen Psychologen um Michael Thai von der schen Vorfahren. Wohlgemerkt: Die Äußerung selbst
Universität von Queensland in Brisbane. Denn tat- war ein Sprache gewordenes Vorurteil. Wie Thai in
sächlich verschafft der Verweis auf Minderheiten im einer weiteren Studie belegte, braucht es für diesen
Freundeskreis einigen Kredit. Dieser Vorschuss er- Effekt nicht mal ein Beweisfoto. Auch die bloße Be-
laubt es, Vorurteile zu äußern – ohne dass sie mit hauptung asiatischer Freunde reichte aus.
voller Wucht auf den Urheber zurückfallen.
Für seine Untersuchung erstellte Thai ein Profil
im sozialen Netzwerk Facebook. Dort präsentierte Michael Thai u.a.: Friends with moral credentials: Minority friendships re-
sich ein junger hellhäutiger Mann namens Jake Mil- duce attributions of racism for majority group members who make concei-
vably racist statements. Social Psychological and Personality Science, 7/3,
ler. Offenbar hegte dieser Jake Miller eine allgemei- 2016, 272–280. DOI: 10.1177/1948550615624140

6 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Die meisten Hochbegabten
sind wie alle anderen auch,
nur eben klüger. Das haben
Psychologen in der Vergan-
21
… erst dann sind wir ganz erwachsen.
Noch bei 18- bis 20-Jährigen brennen
in emotionalen Ausnahmesituationen
Jahre

leichter die geistigen Sicherungen


genheit immer wieder belegt. Trotzdem durch. Ältere behalten dagegen eher
einen kühlen Kopf, sagen US-Forscher.
halten zwei Drittel der Deutschen geistige Möglicherweise sind für die Emotions-
verarbeitung notwendige Schaltkreise
Überflieger für seltsame Vögel mit sozialen im Hirn mit 18 noch nicht vollständig
ausgereift. Das Gesetz sieht das schon
und emotionalen Problemen – wie Sheldon lange so: Vor Gericht kann bis zum
21. Geburtstag das Jugendstrafrecht
Cooper, den merkwürdigen Physiker in der gelten.
Serie The Big Bang Theory. DOI: 10.1177/0956797615627625

DOI: 10.3389/fpsyg.2016.00368

Wir sind eins!


Warum tanzen wir lieber gemeinsam als allein?
Die Evolutionspsychologen Bronwyn Tarr, Jac-
ques Launay und Robin Dunbar glauben: Die
Glücksgefühle, die wir beim synchronen Her-
umzappeln mit anderen Menschen erleben, sind
ein Erbe unserer Vorfahren.
Für unsere Ahnen könnte der Tanz ein wichtiger
Baustein gewesen sein, um in großen Gruppen
Gemeinschaftsgefühl zu stiften. Frühere Befunde
haben gezeigt, dass kollektive Bewegung die Gren-
zen zwischen dem Selbst und den anderen ver-
schwimmen lässt. In der Vergangenheit wurden je- sam. Oder aber jeder lauschte einem anderen Lied,
doch eher simple Situationen wie das Klopfen eines was zu einer chaotischen Choreografie führte.
Taktes untersucht. Wer sich synchron zu seinen Mittänzern beweg-
Doch jetzt haben die drei Wissenschaftler der te, gab anschließend eine größere Verbundenheit zu
Universität Oxford die Wirkung komplexerer Ab- diesen an. Die Autoren meinen: Das könnte durch
läufe getestet. Dazu baten sie 94 einander fremde eine erhöhte Freisetzung von Endorphinen – beloh-
Personen auf die Tanzfläche. Vorab lernte jeder Teil- nend wirkenden Hormonen – vermittelt worden sein.
nehmer einige simple Bewegungsschemata zu
einem Popsong. Dann ging es in Kleingruppen aufs Bronwyn Tarr, Jacques Launay, Robin M. Dunbar: Silent disco: Dancing in
Parkett. Über Kopfhörer hörten die Probanden nun synchrony leads to elevated pain thresholds and social closeness. Evolu-
tion and Human Behavior, 2016, online vor Print. DOI: 10.1016/j.evolhum-
entweder dieselben Hits und schwoften gemein- behav.2016.02.004

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 7


Die gefälschte Luxussonnen- Sind pornoschauende Männer
grundsätzlich frauenfeindlich
brille für zehn Euro? Gibt es eingestellt? Amerikanischen
Forschern zufolge nicht. Im
im Urlaub an jedem Strand. Schnitt waren Sexfilmfans so-
gar etwas progressiver, konn-
Aber wie rechtfertigen Käufer diesen ten sich also eher Frauen in
Führungspositionen vorstel-
Betrug? Offenbar, indem sie sich moralisch für len. Einschränkung: Die Wis-
senschaftler um Taylor Kohut
nicht zuständig erklären – die Verantwortung erhoben nicht den Umfang des
Konsums. Ob es einen Unter-
hätten andere, die Polizei, der Zoll. schied macht, wie viele Pornos
DOI: 10.1016/j.jbusres.2016.02.038 sich die Befragten reinzogen,
ist unklar.

DOI: 10.1080/00224499.2015.1023427

Wir beiden und die anderen


Eine Beziehung besteht aus zwei Menschen? Nicht ganz. Im über-
tragenen Sinne schleppt jeder Partner die Erfahrungen mit, die er
mit anderen macht. Streit mit den Arbeitskollegen hat ebenso Fol-
gen wie ein schöner Abend mit Freunden. Das sagen die Psycho-
logen Edward Paul Lemay und Suad Razzak von der Universität
von Maryland.
Die Forscher ließen 98 Paare abendlich Protokoll über ihre Be-
ziehung führen. Lemay und Razzak fragten, wie die Probanden
ihren Partner sahen und wie sie sich ihm oder ihr gegenüber ver-
halten hatten. Zudem beantworteten die Liebenden, ob sie sich an
jenem Tag von anderen Menschen akzeptiert oder zurückgewiesen
gefühlt hatten.
Die Auswertung zeigte: Ihre Erfahrungen mit anderen über-
trugen die Befragten auf ihre Beziehung. Wer Bestätigung durch
Dritte erhalten hatte, fühlte sich auch von seinem Herzblatt stärker
wertgeschätzt – unabhängig von dessen tatsächlichen Signalen.
Doch es kommt noch besser: Die auswärts eingeholte gute Stim-
mung beeinflusste nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch das
Verhalten gegenüber dem Partner positiv. Umgekehrt galt dies al-
lerdings auch. Negative Erfahrungen verzerrten die Sicht auf das
Herzblatt.
Lemay meint, aufgrund dieser Mechanismen lohne es, den Liebs-
ten von Zeit zu Zeit zu einem erwartbar beglückenden Abend mit
Freunden zu schicken. Das tue dann beiden gut.

Edward Paul Lemay, Suad Razzak: Perceived acceptance from outsiders shapes security in
romantic relationships: The overgeneralization of extradyadic experiences. Personality and
Social Psychology Bulletin, 2016, online vor Print. DOI: 10.1177/0146167216637844

8 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Hier sind alle so wie ich!
Kreative sollten nach Berlin ziehen, Romantiker füh-
len sich in Paris am wohlsten, und Melancholiker
träumen von Lissabon. So weit das Klischee. Richtig
ist zumindest: Wo wir leben, beeinflusst unser Selbst-
bewusstsein. Das hat ein internationales Forscher-
team um Wiebke Bleidorn von der Universität von
Kalifornien in Davis gezeigt. Bekannt war schon zu-
vor, dass eine zur Persönlichkeit passende Umgebung
sowohl die individuelle Zufriedenheit als auch die
Leistung fördern kann.
Demnach sollte sich ein introvertierter Mensch
unter seinesgleichen wohler fühlen als in einer lauten,
geselligen Umgebung. Doch tritt er in der geruhsa-
men Gegend auch selbstbewusster auf als in einem
belebten Gebiet? Genau das vermuteten die Psycho-
logen um Wiebke Bleidorn. Denn wer sich von Men-
schen mit einer ähnlichen Persönlichkeit umgeben
fühlt, empfindet Zugehörigkeit und soziale Bestäti-
gung. Das könnte das Selbstvertrauen stärken.
Die Forscher werteten die Angaben von mehr als
500 000 Amerikanern aus 860 Städten aus. Sie alle dagegen ist es für diejenigen, die dem Big-Five-Mo- Ähnlichkeit
hatten Fragebögen zu ihrer Persönlichkeit und dell der Persönlichkeitspsychologie zufolge durch erhöht das
Selbstbe-
ihrem Selbstbewusstsein ausgefüllt. Den „Charak- Offenheit, Verträglichkeit oder Gewissenhaftigkeit
wusstsein
ter“ eines Ortes ermittelten die Forscher, indem sie geprägt sind. Sie erleben es tendenziell als bestärkend,
Durchschnittswerte aus den Angaben der Einwohner unter Leuten zu leben, die ihnen selbst ähnlich sind.
errechneten. ANNA GIELAS

Die Ergebnisse belegen einen kleinen, aber statis-


tisch signifikanten Einfluss des Wohnorts auf das
Selbstbewusstsein des Einzelnen. Allerdings galt dies
Wiebke Bleidorn u.a..: To live among like-minded others: Exploring the links
nicht für extravertierte selbstsichere Menschen. Sie between person-city personality fit and self-esteem. Psychological Science
scheinen überall gut zurechtzukommen. Anders 2016, Vol. 27 (3), 419–427

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 9


Alles so gefährlich hier
Wer sich immerzu auf Unschönes und Negatives kon-
zentriert, lebt gefährlich. Buchstäblich. Denn Men-
schen, die eine negativ verzerrte Sicht auf die Welt
haben (negativity bias), verursachen häufiger Ver-
kehrsunfälle. Sie sind besonders sensibel gegenüber
Gefahren. Nun könnte man meinen, das mache die-
se Autofahrer vorsichtiger. Doch Psychologen um
Jing Chai aus Peking halten fest: „Personen mit einer
negativ verzerrten Wahrnehmung interpretieren die
Situation als schlimmer oder gefährlicher, als sie tat-
sächlich ist – und reagieren unangemessen heftig.“
Die Wissenschaftler teilten 38 Probanden in zwei
Gruppen auf. In einer befanden sich 23 relativ siche-
re Autofahrer. Die Teilnehmer der anderen Gruppe
waren in der Vergangenheit durch eine hohe Zahl
von Verkehrsdelikten aufgefallen. Alle Freiwilligen
mussten zudem weitere Angaben zu ihrem Fahrstil
Auf zum Mond! und ihren Erfahrungen machen. Diese Informatio-
nen berücksichtigten die Wissenschaftler ebenfalls.
In der Fantasie können Kinder alles: Sie fliegen wie Vögel und rei- Vor allem aber erhoben die Psychologen, wie die Au-
sen zum Mond. Möglicherweise profitieren sie auch langfristig von tofahrer auf neutrale und negative Bilder reagierten.
ihren imaginierten Abenteuern. Denn diese scheinen eine Reihe Als negativ galten etwa Fotos einer angriffslustigen
geistiger Fähigkeiten zu fördern. Das hat die Psychologin Rachel Schlange oder eines verletzten Kindes.
Thibodeau von der Universität von Alabama in Tuscaloosa ge- Die Auswertung zeigte, dass die als Straßenrowdys
meinsam mit Kolleginnen vorgeführt. aufgefallenen Probanden heftiger auf die unerfreu-
Über fünf Wochen hinweg beobachteten die Forscher 110 Kin- lichen Aufnahmen reagierten als die vergleichsweise
der im Alter von drei bis fünf Jahren. 39 der jungen Probanden besonnenen Fahrzeuglenker. Damit bestätigten die
wurden darin unterstützt, sich täglich 15 Minuten lang ins Als- chinesischen Wissenschaftler frühere Befunde, de-
ob-Spiel zu stürzen. Einige andere Teilnehmer sangen Lieder und nen zufolge bestimmte Persönlichkeitsmerkmale –
malten Bilder aus. Zur Kontrolle verblieb der Rest einfach in der etwa die Neigung, leicht wütend zu werden – ebenfalls
gewohnten Kindergartengruppe. die Sicherheit im Auto senken. ANNA GIELAS

Am Ende zeigte sich, dass diejenigen, die im Geiste zum Mond


Jing Chai u.a.: Negativity bias in dangerous drivers. Plos One, 11/1, 2016,
geflogen waren, bei kognitiven Aufgaben den größten Zugewinn e0147083. DOI: 10.1371/journal.pone.0147083
erzielt hatten. Sie schnitten nach fünf Wochen besser bei Tests des
Arbeitsgedächtnisses und der Selbstkontrolle ab. Die Psychologen
meinen, diese Fähigkeiten seien später in der Schule enorm hilf-
reich – etwa wenn es darum geht, auch bei langweiligen Inhalten
dabeizubleiben. Thibodeau zufolge trainierten die Fantasievollen
spielerisch diese sogenannten exekutiven Funktionen. Schließlich
wechselten sie ständig zwischen Wirklichkeit und Einbildung hin
und her. Das ist gar nicht so leicht. Fliegen Kinder in ihrer Vor-
stellung wie Vögel, müssen sie die Spielregeln im Arbeitsgedächt-
nis parat haben: beim Bewegen mit den Armen flattern! Zugleich
dürfen die Anforderungen der Wirklichkeit nicht zu kurz kommen:
Bitte nicht die Treppe hinunterspringen, „in echt“ ist das mit dem
Fliegen nämlich so eine Sache.

Rachel B. Thibodeau u.a.: The effects of fantastical pretend-play on the development of exe-
cutive functions: An intervention study. Journal of Experimental Child Psychology, 145, 2016,
120–138. DOI: 10.1016/j.jecp.2016.01.001

10 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Klimawandel
Das Sick-Building-Syndrom bezeichnet
in Gebäuden auftretende unspezifische
Beschwerden wie tränende Augen,
trockene Haut oder Kopfschmerzen.
Ursachen lassen sich selten eindeutig
bestimmen. Die Symptome sowie
Klagen über Lärm, Temperatur, Luft-
und Lichtverhältnisse nehmen aber
mit der Bürogröße zu.

Charakterfrage
Extravertierte stehen Großraum-
büros weniger negativ gegenüber;
sie sitzen am liebsten mit zwei bis Gestaltungsbonus
sechs Personen zusammen. Intro- Wer sich sein Büro aussuchen kann, sollte
vertierte wünschen sich häufiger auf Deckenhöhe und Fenster achten:
ein Einzelbüro, sehnen sich nach Bewusst wahrgenommene hohe Räume
Ruheräumen und sind weniger sollen eine abstrakte Informationsverar-
glücklich in einer Umgebung, in beitung und damit kreative Gedanken
der mehr Menschen arbeiten. fördern; Tageslicht am Arbeitsplatz führt
Die Quellen zu dieser Infografik finden Sie auf unserer Website: www.psychologie-heute.de/literatur. Illustration: Frank Maier, Text: Eva-Maria Träger

zu besserem und längerem Schlaf.

Freiraum ARBEITSEINHEIT
Über seinen Schreibtisch
Rund 17 Millionen Deutsche verdienen ihr Geld im Büro.
selbst bestimmen zu dür-
fen fördert die Arbeitszu- So unterschiedlich ihre Jobs sein können –
friedenheit: Persönliche die Umgebung ähnelt sich: fünf Erkenntnisse
Dinge wie Modellautos
oder Fotos bieten Anlässe zum Arbeitsalltag zwischen Schreibtischen
für Gespräche und Kon-
takt mit Kollegen und
Kunden. Zudem erinnern
sie die Besitzer an private
Ziele und sorgen so für
effizienteres Arbeiten.

Bürolandschaft
Zimmerpflanzen mag nicht jeder.
Aber: Im Büro machen sie sich gut.
In so begrünten Räumen empfinden
Mitarbeiter die Luft als besser,
sie fühlen sich konzentrierter, sind
produktiver und zufriedener mit
ihrer Arbeit.

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 11


IM FOKUS

„Ihr könnt nach


Hause fahrn!“

Jetzt wird wieder gesungen in den Fankurven,


bei der Fußball-EM in den Stadien Frankreichs.
Was dort angestimmt wird und warum Fangesänge
komplexer sind, als das Grölen erahnen lässt,
erklärt der Musikpsychologe Reinhard Kopiez

12 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Zur Europameisterschaft reisen jetzt viele Fans ter Situationen. Bei mir war der Auslöser die Welt-
nach Frankreich, um ihre Teams zu unterstützen. meisterschaft von 1990. Ich habe schnell festgestellt,
Aber bei Länderspielen wird erfahrungsgemäß dass das viel mehr ist als Gegröle. Es schien ein Sys-
weniger gesungen als in den nationalen Ligen. tem, Regeln und ein Repertoire zu geben. Ich habe
Warum eigentlich? dann die Spiele aufgenommen, damals noch auf
Das stimmt schon, es wird weniger gesungen. So ge- Video, um sie später in Ruhe zu systematisieren und
sehen sind Länderspiele eine Enttäuschung. Es fehlen zu transkribieren: Also, wo kommen die Lieder her,
die Identifikationspunkte, die auf der nationalen welche werden gesungen, wann werden sie gesungen,
Ebene in den Ligen viel stärker ausgeprägt sind. Und und wie viel wird gesungen?
die Fans sind bei Länderspielen mehr oder weniger Und wie entstehen jetzt Lieder wie zum Beispiel
zusammengewürfelt. Der Fangesang funktioniert so Ihr könnt nach Hause fahrn?
ähnlich wie die Messe in der katholischen Kirche. Die Fans bedienen sich im Wesentlichen aus den
Man muss schon regelmäßig gemeinsam hingehen, Quellen Oper, Pop und Karneval. Manchmal ist ein
damit man in der Materie drinbleibt. Die Leute müs- bisschen Volkslied dabei, viel genutzt wird zum Bei-
sen die Gesänge üben, erweitern und pflegen. spiel Guantanamera. Oder man nimmt ein Spiritual.
Bei welchen Spielen der EM können wir die laut- Die Melodien haben schon eine gewisse Bekanntheit
stärksten Gesänge erwarten? und werden dann textiert.
Vermutlich bei denen mit britischen Mannschaften. Das sind aber immer die gleichen Melodien.
Die Bewohner der britischen Inseln sind ungeschla- Das macht nichts. Neu ist das Lied, wenn es einen
gen, was die Bereitschaft zu singen angeht. Das kann neuen Text hat. Der Text transportiert die originale
man auch hören. Die singen teilweise 10 bis 15 Mi- Botschaft und die Abgrenzung zu anderen Vereinen.
nuten lang ihre Standards durch. Flapsig gesprochen, Reinhard Kopiez Kann man die Gesänge genauer differenzieren?
ist Professor für
haben die Briten schon gesungen, als wir noch auf Es gibt Klatschrhythmen, Kurzgesänge, rhythmi-
Musikpsychologie
den Bäumen saßen. Sie haben daher einen Vorsprung, an der Hochschule sches Singen und Wechselgesänge. Es gibt Kommen-
der auch noch Jahrzehnte später trägt. Das haben für Musik, Theater tare, die wie ein griechischer Chor das aktuelle
wir hier in Deutschland nie erreicht. Das muss man und Medien Hanno- Geschehen kommentieren, also zum Beispiel ein Tor
ver. 1998 schrieb
neidlos anerkennen. er zusammen mit
feiern. In manchen Phasen unterhalten sich die Fans
Seit wann gibt es Fangesänge überhaupt? Guido Brink aber auch selbst mit ihrem Gesang, dann ist kein
Der Fangesang ist in den 1960er Jahren in Europa das Buch Fußball- Bezug zum Spiel vorhanden. In anderen Phasen for-
Fangesänge. Eine
entstanden, erst in England und dann ungefähr ab Fanomenologie.
dern sie mehr Aktivität von den Spielern, wenn zum
Mitte der siebziger Jahre in Deutschland. In alten Beispiel der bekannte Ruf Scheißmillionäre gesungen
Filmen haben wir einen frühen Vorläufer aus dem wird.
Jahre 1953 gefunden. Meist wurden damals bei der Singen auch Frauen mit?
Eröffnungszeremonie in England Erbauungshymnen Sie singen mit, sind aber nicht stimmgewaltig genug,
gesungen, zum Beispiel Abide with Me. Das ist ein weil sie die kritische Masse nicht erreichen. Soweit
ähnliches Lied wie Herr, bleib bei uns, denn es will wir beobachtet haben, ist Singen eine männliche
Abend werden. Angelegenheit.
Und wie fing die Forschung über Fanlieder an? Gibt es denn ein Lied, das Ihnen besonders
Erst im Nachhinein habe ich entdeckt, dass der eng- gut gefällt?
lische Verhaltensforscher Desmond Morris bereits Die Frage finde ich gut. Ich muss darüber nachden-
1981 ein Buch geschrieben hatte mit dem Titel The ken … Es gibt eines, das mich erstaunt hat, weil es
Soccer Tribe. Zum größten Teil geht es darin jedoch zeigt, dass Fans auch einen guten Geschmack haben.
um Kleidung und um Rituale. Ganz am Ende kommt Das ist die Melodie aus dem Mittelteil des Marsches
er auch auf die Gesänge des Fußballstamms zu spre- Land of Hope and Glory aus Pomp and Circumstance
chen. Stammesgesänge, tribal chants, hat er das ge- von Edward Elgar. Ich habe sie von den Fans von
nannt, songs of praise and hymns of hate, Lobpreisun- Bayern München gehört, die ja sehr kreativ sind. Auf
gen des eigenen Teams und Hassgesänge auf den diese Melodie haben sie dann „FC Bayern München,
Gegner. Da hat man eigentlich schon alles drin. FC Bayern München“ gesungen. (Reinhard Kopiez
Wie sind Sie auf dieses für einen Professor der summt die Anfangstakte des Marsches.)
Musikpsychologie untypische Thema gestoßen? Das ist gar nicht einfach zu singen.
Wie so oft in der Wissenschaft war es eine Mischung Überhaupt nicht, weil die Melodie rauf- und runter-
aus Zufall und systematischer Beobachtung bestimm- geht. Der Text ist natürlich anspruchslos, aber die

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 13


IM FOKUS

Melodie muss man erst einmal erlernen. Das heißt Der echte Trompeten war ein Fürst ausgestattet, wenn er genug
jede Woche üben, weil die Fans ja quasi ein Gesangs- Fan geht Geld hatte. Man zog in den Krieg mit Pauken und
verein ohne Notenbuch sind. Durchschnittlich haben Trompeten. Das ist die musikalische Königsklasse.
nicht zur
die Vereine etwa 70 bis 100 Gesänge, die gepflegt wer- Und das Fußvolk muss singen.
Erholung
den müssen. Das ist eine respektable Leistung für Ehrlich gesagt, das ganze Umfeld eines Fußball-
eine mündliche Kulturform. ins Stadion, spiels mit Trommeln, Fahnen und bemalten Ge-
Sind Fangesänge die neuen Volkslieder? er ist immer sichtern mutet doch recht eigentümlich an.
Ich würde sagen: „jein“. Sie könnten vielleicht mal gefordert Alle Phänomene, die über einen langen Zeitraum
auch wie ein Volkslied gesungen werden. Aber in der eine so hohe Resonanz erzielen, müssen etwas haben,
Regel sind sie im Gegensatz zu den alten Volksliedern was sehr archaische Instinkte in uns anregt. Sonst
an einen Ort gebunden. Was aus der populären Mu- wären sie schnell wieder verschwunden. Einen Er-
sik in die Stadien einsickert, durchläuft sorgfältige klärungsversuch bietet der Bezug zum Ritual. Die
Auswahlprozesse, die nicht transparent sind. Es wird Anthropologie würde sagen, ein Ritual ist alles, was
etwas ausprobiert, was man gehört hat, und auf der nicht alltäglich ist und wiederholt wird. Das Nicht-
langen Bus- oder Bahnfahrt zum Stadion werden die alltägliche ist schon der Ort, den man aufsuchen muss.
Texte geübt. Der ist außerhalb, da muss man hinfahren, das kos-
Wer darf denn ausprobieren? tet Geld und Zeit. Wir treten aus dem Alltag heraus
Bestimmte Personen dürfen das, solche, die sponta- in eine besondere Situation. Und die richtigen Fans,
ne Ideen für neue Texte haben. Entweder werden sie nicht die in den Sitzschalen, sondern die auf den
sofort angenommen oder gleich verworfen. Die Tex- Stehplätzen, haben eine nicht alltägliche Kleidung,
ter haben einen bestimmten Status innerhalb der die Kutte. Eine nicht alltägliche Bewegung, das ist
Gruppe, sind besonders treue Fans oder haben eine das Tanzen, Singen und Klatschen. Und das zugehö-
lautstarke Stimme. Aber bisher ist nicht ganz durch- rige Getränk, das Narkotikum, ist das Bier. Mit die-
schaubar, nach welchen Regeln die Suche verläuft. sen drei Komponenten, Narkotikum, Tanz und Mas-
Die singenden Fans sind während des gesamten ke, sind wir schon ziemlich dicht an dem dran, was
Spiels gefordert, nicht wahr? man in vielen Kulturen beobachten kann, wenn Men-
Sie müssen höllisch aufpassen, weil ständig etwas schen Entgrenzungserfahrungen aufsuchen. Es gibt
Neues passiert. Wir haben ausgerechnet, dass alle eine Sehnsucht nach Deindividualisierung, also da-
neunzig Sekunden irgendeine neue Aktion auf dem nach, in der großen Masse aufzugehen. Das weiß
Feld startet. Wenn eine Singaktion vierzig Sekunden man, wenn man einmal in Dortmund in der Kurve
dauert, hat man bis zum nächsten Einsatz nur eine gestanden hat. Gustave Le Bon hat ja in der Psycho-
kurze Pause zum Luftholen. Der richtige Fan geht logie der Massen beschrieben, wie das funktioniert
nicht zur Erholung ins Stadion, er ist immer gefor- (siehe auch „Im Fokus“, Heft 6/2016). Menschen ver-
dert und muss ständig etwas beitragen. Das führt spüren eine gewisse Lust an der Deindividualisierung
dazu, dass die Stimmführer, die chant leader, die die oder, pointiert ausgedrückt, am Kontrollverlust.
Chöre koordinieren, spätestens bis zur Halbzeit aus- Der auch nicht ungefährlich ist?
getauscht werden. Häufig müssen sie sogar zweimal Stimmt. Ich glaube, da setzt Faszination immer an,
während eines Spiels wechseln, weil sie sich völlig nämlich bei widersprüchlichen Momenten. Sie üben
verausgabt haben. einen Sog aus und haben gleichzeitig etwas Bedroh-
Welche Rolle spielen die Trommler, die manch- liches. Ich verliere und ich gewinne auch etwas. Sich
mal die Mannschaft unterstützen? diesem Strom, dem Kollektiven hinzugeben und
Wer Instrumente mitbringen darf, ist privilegiert. gleichzeitig zu wissen, dass es nicht ungefährlich ist,
Wer zum Beispiel einen Trompeter hat, spielt auch weil die Situation nicht mehr ganz beherrschbar ist.
musikalisch in der ersten Liga. Das ist meines Wis- Wie kommen Menschen dazu, so merkwürdige
sens bei Bayern der Fall, und das war lange bei Schal- Lieder zu singen wie „Allez ho ho, ich geb mein
ke 04 so. Dieser Mensch muss natürlich das Reper- Herz für dich, ich lass dich nicht im Stich“?
toire kennen, und er muss halbwegs brauchbar Trom- O ja. Die Fans, die richtigen Fans wohlgemerkt, iden-
pete spielen. Mit solchen Leuten hat man ein Zugpferd, tifizieren sich so stark mit dem Verein, dass sie unbe-
da machen sofort alle mit. Die zweite Gruppe sind grenzt Zeit, Geld und Leben einsetzen. Fahren nach
die Trommler, die Schlagzeuger, die für eine perma- XY, nehmen drei Tage Urlaub, schlafen kaum und
nente Aktivierung sorgen. Da haben wir natürlich zahlen 800 Euro, um irgendwo in Osteuropa ein Spiel
Parallelen in der Musikgeschichte: Mit Pauken und zu sehen. Es gibt noch drei weitere Motive für so eine

14 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Anteilnahme, die die Sozialpsychologie neben der Fangesänge Nein, die gibt es nicht. Ursache und Wirkung lassen
Identifikation aufgespürt hat. Das ist einmal die sind akusti- sich hier nicht sauber auseinanderhalten. Schmäh-
Selbstdarstellung, unser Bedürfnis nach Selbstinsze- sche Duft- gesänge sind Drohgebärden, wie wir sie auch aus dem
nierung. Dann haben wir einen Anspruch auf Stim- Tierreich kennen. Da wird sich aufgeplustert, da wer-
marken, Mar-
mungsregulation, wir wollen gute Stimmung erhalten den die Federn hochgestellt, und die Nackenhaare
und schlechte vermeiden. Und der letzte Punkt ist die kierungen sträuben sich. Bevor wirklich zugebissen wird, muss
Idee von Kontrolle. Man glaubt, durch sein Verhalten, im Kampf schon viel passieren. Die Gesänge sind eine Art von
durch sein Singen das Spiel beeinflussen zu können. ums Revier Markierungen im Kampf um das Revier, vielleicht
Mit diesem Viererpaket lässt sich ziemlich erschöp- so etwas wie akustische Duftmarken, die abgesetzt
fend die Sozialpsychologie der Motive erklären, die werden. Wir sprechen ja auch von der Final- oder
Leute bewegen, in ein Fußballstadion zu gehen und der Pokalschlacht. Von dieser Ebene aus gesehen,
sich so komisch zu verhalten. dürfen Lieder nie zu freundlich sein. Sie müssen un-
Apropos Kontrolle: Kann Singen der eigenen ter die Gürtellinie zielen, um den Gegner psycholo-
Mannschaft den Sieg bringen? gisch zu verunsichern. Das ist halt keine Kuschelecke
Die Befunde sind hier widersprüchlich. Nicht alle und auch politisch oft nicht korrekt. Die Beschimp-
Fans möchten das vielleicht hören. Es gibt eine Stu- fungen, die Diffamierungen sind als ritualisierte For-
die eines Sportwissenschaftlers aus Münster, Bernd men zu verstehen, ähnlich wie die übersteigerten
Strauß, allerdings für den American Football. Er hat männlichen Verhaltensweisen in der Rapmusik.
festgestellt, dass viel Fanaktivität sich negativ auf die Hat sich in den vergangenen Jahren bei den Fan-
Leistung auswirken kann. Das wird auch in der sport- gesängen etwas geändert?
wissenschaftlichen Forschung so bestätigt. Denn wir Bei den Gesängen kaum. Was hinzugekommen ist,
haben beim Fußball eine Konditionskomponente, da sind die multisensorischen Erlebnisse, wie man es
geht es um Ausdauer. Aber auch eine anspruchsvol- wissenschaftlich ausdrücken würde. Besonders die
le koordinative Komponente, da geht es um Kombi- Choreografien, die Farbtafeln, die großen Fahnen,
nationen und um die umsichtige Vorausschau. Die die Bewegungen der Fangruppen, die vor den Spielen
Kondition profitiert von Anfeuerungen durch das mit viel Fantasie und tollen Ideen große Inszenie-
Publikum. Aber die koordinative Komponente wird rungen machen. Die Ultra-Fans verwenden viel Zeit
mitunter negativ beeinflusst. Strauß hat das provo- und Geld für die Vorbereitung. Ich finde das bewun-
kativ so formuliert: Wenn Fans ihre Mannschaft zur dernswert. PH
Niederlage klatschen. Ein schönes Bonmot. INTERVIEW: ANGELIKA SYLVIA FRIEDL

Was sagt die Forschung zu den Schmähgesängen


Eine Auswahl von Fangesängen aus der Bundesliga, hübsch geordnet nach
auf die Gegner? Gibt es Nachweise, dass Be- Verein, finden Sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=ugmV_sufjck

schimpfungen zu tätlicher Gewalt führen?

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WENN DER SCHMERZ SPRECHEN KÖNNTE …


VON ANDREAS KNUF

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igentlich müsste es mir gutgehen. „Stell dich nicht so an!“ damit wir herausfinden können, was pas-
Meine zwei Kinder sind ein großes siert wenn sie nichts mehr trinkt.
Das war bislang ihre
Geschenk für mich, mit meinem In der nächsten Stunde erzählt sie dann,
Partner verstehe ich mich gut, wir haben Devise. Mit Willenskraft es habe ihr gar keine Schwierigkeit bereitet,
eine schöne Wohnung und nette Freunde. und Alkohol drückt die nichts mehr zu trinken. Und sie sei sehr
Aber irgendwas stimmt nicht, ich fühle froh darüber. „Aber was dann passiert ist,
Klientin ihre Traurigkeit
mich einfach nicht richtig wohl.“ Das sind war interessant. Ich bin nämlich abends
die ersten Sätze, die Frau A. sagt, als sie weg. Kein Wunder, dass oft so traurig geworden.“ Offenbar hatte
bei mir im Therapieraum Platz genommen es ihr nicht gutgeht, sie gar nicht wahrgenommen, dass der
hat. Ich frage sie, was sie genau damit meint der Psychotherapeut Wein wohl dazu diente, diese Traurigkeit
meint, wenn sie sagt, es gehe ihr nicht gut. zu überdecken. Wir lassen uns Zeit, dieses
Sie fühle sich in ihrem Alltag oft getrie- Andreas Knuf Gefühl genauer zu erkunden. Es zeigt sich,
ben, erklärt die Klientin, sie sei unruhig, dass sich bereits seit einigen Jahren ihr all-
fahrig und komme irgendwie nicht zur gemeines Befinden verändert. Ganz lang-
Ruhe. Bei ihren Kindern sehe sie wirkliche sam, Schritt für Schritt und kaum wahr-
spontane Freude, sie selbst sei dazu aber nehmbar wurde sie immer trauriger – oh-
gar nicht mehr in der Lage. Sie fühle sich ne zu wissen warum. Was war passiert?
wie ein Roboter, der einfach funktioniere, Wir finden heraus, dass das Leben für sie
aber keine wirklichen Empfindungen in den letzten Jahren so manche Heraus-
mehr habe. „Das Blöde ist“, sagt sie weiter, forderung bereitgehalten hatte: Erst er-
„dass ich mich für undankbar halte. Ich krankte vor fünf Jahren ihre Mutter schwer,
Andreas Knuf ist
habe doch alles.“ Abends trinke sie oft Psychologischer Psychotherapeut dann musste sie zweimal umziehen, weil
Rotwein, nicht selten sogar eine halbe Fla- mit Praxis in Konstanz. ihr Mann sich beruflich verändert hatte.
Aktuelle Veröffentlichung:
sche. Ich bitte sie, bis zum nächsten Ter- Sei nicht so hart zu dir selbst.
Schließlich ist vor kurzem auch noch ihre
min in 14 Tagen auf Alkohol zu verzichten, Kösel, München 2016 geliebte Katze überfahren worden.

16 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


THERAPIESTUNDE

Die Geburt der Kinder vor drei und die berufliche Veränderung ihres Mannes
vor fünf Jahren beschreibt sie als „mein umziehen musste und keine Freunde fand,
größtes Glück und meine größte Heraus- redete sie sich ein, wie toll es doch sei, al-
forderung“. Doch seit einiger Zeit versucht lein eine neue Stadt zu entdecken. Wenn
sie wieder, in ihren alten Job als Grafik- sie abends im Wohnzimmer saß und nicht
designerin einzusteigen. Sie setze sich sehr mehr wusste, wie sie mit ihrem sehr leb-
unter Druck, auch ihre Eltern seien der haften Sohn zurechtkommen sollte, sag-
Meinung, die Kinderpause sei nun lang te sie sich: „Anderen geht es doch auch so
genug. „Aber wenn ich ehrlich bin, weiß wie dir, stell dich nicht so an.“ So war im
ich gar nicht, wann ich die Arbeit noch Laufe der Jahre viel Traurigkeit, Ohn-
unterbringen soll, jetzt ist mir ja oft schon macht und Überforderungserleben zu-
alles zu viel.“ sammengekommen, ohne von ihr wirk-
Als ich sage, dass ihr Leben sich viel- lich wahrgenommen zu werden. Ich er-
leicht manchmal eher wie eine anstren- kläre ihr, dass Unruhe und körperliche
gende Mühsal anfühle als wie ein Ge- Anspannung oft entstehen, wenn Gefüh-
schenk, für das man dankbar sein kann, le und Bedürfnisse lange ignoriert werden. Kurz mal
kommen ihr die Tränen. Ich bitte sie, die Die Energie eines Gefühls verliert sich Linz
Augen zu schließen, und frage: „Wenn der nicht, nur weil wir die Empfindung weg-
Sie haben ein verlängertes
Schmerz sprechen könnte, wie würde er drücken, sondern sie bleibt erhalten und Wochenende frei? Wie wäre es mit
den Satz ,Ich bin so traurig, dass …‘ er- zeigt sich später oft auf einer körperlichen einer Kurzreise nach Österreich?
gänzen?“ Nach einigem Nachdenken ant- oder gedanklichen Ebene, typische Folgen Wir empfehlen 72 Stunden für ein
Medien-Kunst-Wochenende in
wortet sie: „Ich bin traurig darüber, dass sind körperliche Unruhe und auch Grü- Linz. Die Stadt ist eine faszinieren-
sich alles so schwer anfühlt. Früher war belneigung. de Symbiose aus Industrie-, Kul-
tur- und Kreativlandschaft – einge-
mein Leben oft leicht, ich war ein Lebe- Im weiteren Verlauf unserer Termine bettet in eine traumhafte Natur am
mensch, aber das ist vorbei, und ich habe beginnt die Klientin mit Engagement und majestätischen Donaulauf.
keinen Zugang mehr dazu.“ beeindruckender Ehrlichkeit, ihr Leben
und ihre Empfindungen neu zu betrach-
Was empfinde ich gerade? ten. Sie sieht klar, dass es noch zu früh ist,
Ich sehe, dass sie den Mund verschließt, wieder arbeiten zu gehen, ganz egal was

Foto: Linztourismus/Zoe
fast schon die Zähne zusammenbeißt. Da- ihre Eltern und ihr innerer Antreiber da-
her bitte ich sie, den Kiefer zu lösen und zu sagen. Auf den Alkohol verzichtet sie
den Mund leicht zu öffnen. Sie ahnt schon, konsequent. Außerdem stellt sie sich
was passieren wird: „Dann werde ich ja mehrmals am Tag die Frage, was sie ge- Das Ars Electronica Center,
noch trauriger.“ Ich schmunzle: „Ja, ge- rade empfindet. Sie hat sich auf ihrem Museum der Zukunft, gilt mit
seinem jährlichen Festival im
nau, auch wenn es zunächst paradox klin- Handy einen Wecker gestellt, der sie im- September und dem weltweit
gen mag: Es ist gut, sich dem Schmerz mer wieder daran erinnert. So kommt sie einzigartigen Deep Space 8k als
das Highlight der UNESCO City of
zuzuwenden.“ Sie weint weiter, aber die immer besser mit ihren Gefühlen in Kon- Media Arts. Beim „Höhenrausch“
Traurigkeit ist jetzt weniger aufwühlend. takt. Traurigkeit und Überforderungs- stehen dieses Jahr „Andere Engel“
Schließlich wird ihr Atem immer ruhiger, empfinden sind keine Gefühle mehr, die im Fokus: Erkunden Sie himmlische
Sphären bei einer Führung durch
und ich frage, was sie jetzt wahrnimmt. weggedrückt werden müssen, sondern die die Ausstellung über den Dächern
Sie schildert ganz verblüfft, dass sie Ruhe einen Grund haben und denen sie sich der Stadt. Nicht verpassen: die
überdimensionalen Graffiti-Kunst-
und Frieden empfindet, genau das, wo- zuwenden kann. Das entpuppt sich für sie werke bei einer Schifffahrt im
nach sie sich so gesehnt hat. als kleines Zaubermittel, denn sobald sie Linzer Hafen durch die weltweit
Die Erfahrung dieser Therapiestunde wahrnimmt, wie es ihr geht, weiß sie oft größte Outdoor-Gallery.

ermutigt sie, sich während der nächsten auch schon, was zu tun ist. Sie reduziert LINZ-WOCHENENDE 2 ÜN inkl.
ILLUSTR ATION: MICHEL STREICH

Termine ihren Empfindungen mehr zu- ihr Tagesprogramm und lernt, auch mal Frühstück, Linz Card (3 Tage) für
freien Eintritt in Linzer Museen,
zuwenden. Neben der Traurigkeit taucht fünfe gerade sein zu lassen. freie Fahrt mit Bus & Straßenbahn
vor allem eine große Erschöpfung und & Ticket für die Pöstlingbergbahn.
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Müdigkeit auf. Die hat sie bisher versucht
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zu ignorieren, schließlich wollte sie fit sein. www.linztourismus.at/wochenende
Sie hatte über Jahre alle unerwünschten
Erfahrungen weggedrückt. Als sie durch
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PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 17
TITEL

ILLUSTR ATIONEN: LINDA WÖLFEL


TITEL

Mut zur
Unsicherheit
Treffen Sie oft vorschnelle Entscheidungen?
Wollen Sie Probleme möglichst schnell vom Tisch
haben? Hoffen Sie auf einfache Lösungen?
Dann fehlt es Ihnen an Unsicherheitskompetenz.
Nur mit ihr können Sie die Balance halten in
unübersichtlichen Situationen
VON ANNETTE SCHÄFER

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 19


TITEL

Schnell Klarheit schaffen. need for (cognitive) closure. Arie Kruglanski, hat den
Begriff vor rund 25 Jahren eingeführt und seitdem
Unser stressiges Leben zu einer einflussreichen Theorie ausgebaut, mit der
sich zahlreiche Forscher in aller Welt befassen. Was
verstärkt das Bedürfnis nach im Deutschen etwas sperrig als „Bedürfnis nach ko-
gnitiver Geschlossenheit“ bezeichnet wird, definiert
absoluten Wahrheiten Kruglanski als „das Verlangen nach einer definitiven
Antwort, irgendeiner Antwort anstelle von Verwir-
rung und Ambiguität“.
Der Wunsch, bei Fragen und Problemen zu einem
Abschluss zu kommen, ist an sich eine durchaus sinn-
volle Motivation, argumentiert der Sozialpsychologe.
Unsere Zeit ist schließlich begrenzt, und folglich müs-
se die Suche nach Antworten irgendwann mal enden.
Auf der anderen Seite würde es sich auch nicht gut
anfühlen, unsere Überlegungen einfach willkürlich
abzubrechen, wissend, dass man eine Menge rele-
vanter Informationen weggelassen hat. „Aber wir
müssen handeln und entscheiden, was also tun?“,
schreibt Kruglanski in seinem 2004 veröffentlichten

T
agtäglich werden wir mit Situationen Buch The psychology of closed mindedness. „Es scheint,
konfrontiert, die undurchsichtig, sehr als wäre uns Mutter Natur mit einer simplen Lösung
komplex oder widersprüchlich sind. zu Hilfe gekommen: der Fähigkeit, unseren Verstand
Offene Fragen gibt es viele: Wird es gelegentlich dichtzumachen, überzeugt davon, dass
meinen Job in ein paar Jahren noch unser momentanes Wissen schon ausreicht.“ Dies
geben? Wie wird sich unser Leben durch den Zustrom erlaube uns, betont der Wissenschaftler, weiterzu-
von Flüchtlingen verändern? Wie sehr können uns machen, anstatt auf ewig in der Schwebe zu sein und
islamistische Terroristen gefährlich werden? Bewäl- zu grübeln.
tigen wir die Folgen der Erderwärmung? Werde ich Wie ausgeprägt der Drang nach schneller Klärung
im Alter genug Geld zum Leben haben? Was, wenn bei einer Person ist, hängt von verschiedenen Fakto-
meine Ehe zerbricht? ren ab. Manche Menschen haben eine grundsätzlich
Ungewissheit und Mehrdeutigkeit sind keine Er- stärkere Aversion gegen Unsicherheit als andere. Das
findungen der modernen Zeit. Doch heute erscheint kann an ihrem Temperament liegen. Möglicherwei-
uns die Welt „überwältigender und chaotischer als se sind sie aber auch in einer sehr unsicheren Umge-
jemals zuvor“, schreibt der amerikanische Autor Ja- bung groß geworden, beispielsweise mit unbeständig
mie Holmes in seinem aktuellen Buch Nonsense. The handelnden Eltern oder in Kriegsgebieten, sodass sie
Power of Not Knowing. Mit Unsicherheit umzugehen, nun besonders empfindlich auf Ungewissheit und
betont Holmes, entwickelt sich immer mehr zu einer Mehrdeutigkeit reagieren.
zentralen Fähigkeit. „Die Herausforderung des heu- Es gibt auch situative Umstände, die den Drang,
tigen Lebens besteht darin, herauszufinden, wie man rasch zum Ende zu kommen, erhöhen. Dazu gehören
sich verhält – im Job, in Beziehungen, im alltäglichen Zeitdruck, Stress, Lärm und Müdigkeit. Nun leben
Leben –, wenn man keine Ahnung hat, was man tun wir in einer Welt, in der ständiger Zeit- und Schlaf-
soll.“ Doch verwirrt zu sein, keinen Durchblick zu mangel zum Alltag gehören und Anforderungen in
haben ist unangenehm, insbesondere wenn man oh- Berufs- und Privatleben immer weiter zu steigen
nehin gestresst ist. Deshalb greift man in solchen scheinen – also genau die Umstände, unter denen
Situationen schnell nach der erstbesten Lösung oder sich Menschen nach prompten und einfachen
sieht Zusammenhänge, wo es keine gibt. Antworten sehnen. Arne Roets, Professor an der
Universität Gent, hat zahlreiche Studien zum Thema
Die Sehnsucht nach raschen Antworten need for closure durchgeführt und vermutet, dass un-
Wenn man sich für den Umgang mit Unsicherheit ser heutiges stressiges und hektisches Leben für
– die Psychologie spricht von „Ambiguität“ – inter- viele Menschen eine Situation geschaffen hat, die
essiert, kommt man um ein Konzept kaum herum: ein hohes Bedürfnis nach Geschlossenheit fördert.

20 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


TITEL

Wie stark das Begehren nach zügiger Auflösung Man muss kein Psychologe sein, um zu erkennen,
ausgeprägt ist, lässt sich messen. Auf der Basis eines dass ein solches Verhalten in vielen Situationen
Tests von Kruglanski hat Psychologe Roets zusam- abträglich ist. Die Forschung bestätigt, wie weitrei-
men mit seinem Kollegen Alain Van Hiel vor ein paar chend die negativen Folgen sein können.
Jahren eine Kurzskala entwickelt, die 15 Aussagen
enthält (siehe Test Seite 23). Wem in diesem Test ein Übereilte Entscheidungen: In einer Studie nah-
starkes Bedürfnis nach schnellen Antworten beschei- men Probanden an einer simulierten Laienrichter-
nigt wird, empfindet es als unangenehm, bei einer sitzung teil, in der sie über die Klage einer Bauholz-
Frage oder einem Problem in der Luft zu hängen. firma gegenüber einer Airline zu entscheiden hatten.
Solche Menschen tendieren dazu, sich durch zwei Teilnehmer, deren Bedürfnis nach Geschlossenheit
Mechanismen zu schützen: künstlich erhöht worden war, tendierten dazu, in der
– Sie neigen dazu, sich auf die erstbesten Informati- Diskussion schnell der Meinung eines Mitjurors (ei-
onen zu stürzen und ein schnelles Urteil zu fällen, nes Komplizen der Wissenschaftler) zuzustimmen.
selbst wenn sie erst relativ wenig wissen. Zudem drückten sie aufs Gas, um zu einem schnel-
– Wenn sie einmal zu einem Ergebnis oder Urteil len Ergebnis zu kommen. Während die Diskussion
gekommen sind, halten sie daran fest, selbst wenn in der Kontrollgruppe im Schnitt 5:40 Minuten dau-
dies bedeutet, neue oder bessere Informationen zu erte, fiel das Urteil bei Probanden mit hohem Be-
ignorieren. dürfnis nach Abschluss schon nach 3:50 Minuten.

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 21


TITEL

Fehlgewichtung von Informationen: In Experi- mit niedrigem Bedürfnis nach Geschlossenheit


menten zu Bewerbungsgesprächen ließen sich revidierten sie ihre Entscheidungen selbst dann nicht,
Interviewer mit einem erhöhten Bedürfnis nach wenn sie erfuhren, dass sich der Freund weniger ver-
Geschlossenheit stärker als andere dazu hinreißen, trauenswürdig beziehungsweise der Fremde vertrau-
Kandidaten nach den ersten Informationen zu be- enswürdiger als erwartet zeigte.
urteilen und später auftauchende Details zu ignorie- Gefahr von Vorurteilen: Besonders gravierend
ren, ein Phänomen, das man Primäreffekt (primacy wirkt sich unser Unbehagen mit Unsicherheit im
effect) nennt. Ein Bewerber, der einen starken ersten gesellschaftlichen und politischen Bereich aus. Ein
Eindruck vermittelte, bekam deutlich bessere Noten Beispiel sei der Rückgriff auf Stereotype, so Jamie
als ein anderer, bei dem zunächst Schwachstellen zu- Holmes in einem Gespräch mit Psychologie Heute:
tage traten, selbst wenn beide insgesamt identische „Ein hohes Bedürfnis nach Geschlossenheit impli-
Stärken und Schwächen aufwiesen. ziert, dass man die Komplexität einer anderen Person
Gefahr der Manipulation: In Finanzdingen kann oder einer anderen Kultur leugnet und sie auf eine
uns die Sehnsucht nach schneller Klärung ebenfalls Kategorie reduziert.“ Eine Reihe von Studien belegt,
auf viele falsche Gleise führen, sei es beim Feilschen dass Menschen, die generell einen hohen Drang nach
mit dem Autohändler oder der Frage, wem man sein definitiven Antworten haben, anfällig für Vorurtei-
Geld anvertraut. So lassen sich Menschen mit hohem le gegenüber Ausländern und Menschen anderer eth-
Bedürfnis nach Geschlossenheit in Verhandlungen nischer Herkunft oder Hautfarbe sind; das kann bis
stark von Vorabinformationen beeinflussen (zum zu unverhohlenem Rassismus reichen. Auch sind sie
Beispiel wie viel jemand in dieser Situation typischer- eher gegenüber homo- oder transsexuellen Personen
weise für sich herausholt), anstatt ihre Gebote vom voreingenommen und neigen zu Klischees nach dem
Gesprächsverlauf abhängig zu machen. Damit ris- Motto „typisch Mann, typisch Frau“.
kieren sie, manipuliert zu werden. Zudem verteilen Empfänglichkeit für autoritäre Ideologien: Eine
sie ihr Vertrauen in andere auf stark polarisierte Wei- Autorität, eine Person, eine Religion oder Institution
se. In einer norwegischen Studie ließen sich Teilneh- „gibt einem schnelle und eindeutige Antworten,
mer mit erhöhtem Bedürfnis nach Abschluss dazu sodass man selbst nicht nach Antworten suchen
verleiten, in einem Investitionsspiel einem Freund muss. Das ist für Menschen, die es nach Abschluss
übermäßig viel Geld zur Anlage anzuvertrauen. Ei- drängt, sehr reizvoll“, erklärt Arne Roets. Zahlreiche
nem Fremden dagegen überließen sie auffällig wenig Studien zeigten, dass ein hohes Bedürfnis nach Ge-
Kapital. Ihr Wunsch nach schnellen Lösungen führ- schlossenheit den Nährboden für typische Elemente
te also gleichermaßen zu ungerechtfertigtem Ver- von Autoritarismus liefert: die Vorliebe für auto-
trauen (Freund) als auch ungerechtfertigtem Miss- kratische Entscheidungsstrukturen mit einem
trauen (Fremder). Mehr noch: Anders als Teilnehmer starken Anführer, der Drang zu Konformismus und

22 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


TITEL

KÖNNEN SIE UNSICHERHEIT AUSHALTEN?


Dieser Test zeigt, wie unangenehm Ihnen unklare Situationen sind
Beantworten Sie jede Frage auf einer Skala von 1 (stimme gar nicht zu) bis 6 (stimme vollständig zu)

1. Ich mag keine Situationen, die unsicher sind. 11. Ich mag es nicht, wenn eine Äußerung
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 | einer Person verschiedene Dinge
bedeuten könnte.
2. Ich habe eine Abneigung gegen | _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 |
Fragen, die auf viele verschiedene Weisen
beantwortet werden können. 12. Ich finde, dass die Entwicklung von
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 | gewohnheitsmäßigen Abläufen mir ermöglicht,
mein Leben mehr zu genießen.
3. Ich finde, dass ein gut strukturiertes | _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 |
Leben mit geregeltem Tagesablauf
meiner Gemütsart entspricht. 13. Ich genieße es, eine klare und strukturierte
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 | Lebensweise zu haben.
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 |
4. Ich fühle mich unwohl, wenn ich nicht
den Grund verstehe, weshalb ein Ereignis 14. Solange ich mir kein eigenes Bild von
in meinem Leben auftrat. etwas gemacht habe, ziehe ich gewöhnlich
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 | nicht viele andere Meinungen in Erwägung.
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 |
5. Es ärgert mich, wenn eine Person einer
Ansicht widerspricht, die alle anderen in 15. Unvorhersehbare Situationen
einer Gruppe vertreten. sind mir unangenehm.
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 | | _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 |

6. Ich mag es nicht, mich in eine Situation


zu begeben, ohne zu wissen, was ich von Nun addieren Sie Ihre Punkte. Die Höchstpunktzahl
ihr erwarten kann. liegt bei 90. Eine Punktzahl von 57 Punkten oder darü-
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 | ber gilt als Indiz für ein überdurchschnittliches Bedürf-
nis nach Geschlossenheit, wie Miles Hewstone (Univer-
7. Wenn ich eine Entscheidung getroffen sität Oxford) und Kollegen erklären. Dabei sollte man
habe, fühle ich mich erleichtert. allerdings berücksichtigen, dass die Einschätzung „über-
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 | durchschnittlich“ oder „unterdurchschnittlich“ auf den
Ergebnissen früherer Studien beruht und von der spe-
8. Wenn ich mit einem Problem konfrontiert zifischen Stichprobe abhängig ist.
werde, will ich unbedingt so schnell wie
möglich eine Lösung finden.
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 |

9. Ich würde sehr schnell ungeduldig und


genervt werden, wenn ich nicht sofort eine
Lösung für ein Problem finden würde. QUELLEN
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 | A. Roets, A. Van Hiel: Item selection and validation of a brief, 15-item
version of the need for closure scale. Personality and Individual
Differences, 50, 2011, 90–94
10. Ich mag es nicht, mit Leuten zusammen
U. Rangel, J. Keller: Essentialism goes social: Belief in social determinism
zu sein, die zu unerwarteten Handlungen as a component of psychological essentialism. Journal of Personality
in der Lage sind. and Social Psychology, 100, 2011, 1056-1078
| _ 1 | _ 2 | _3 | _ 4 | _5 | _6 | M. Hewstone u.a.: An introduction to social psychology. Wiley, Chiches-
ter 2012

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 23


mindest seine negativen Folgen abgemildert werden
(siehe auch Seite 26). Sich bewusst zu machen, dass
man zu den Menschen gehört, die Ambiguität nur
schwer tolerieren können, ist dabei ein erster wich-
tiger Schritt.
Wissenschaftler haben in Experimenten gezeigt,
dass der Drang, zu einem schnellen Ende zu kom-
men, nachlässt, wenn man Probanden die Folgen
ihrer vorschnellen Entscheidungen vor Augen führt,
und zwar unmittelbar bevor sie ihre Wahl treffen.
Ihnen wird beispielsweise gesagt, dass sie ihre Ent-
scheidung später vor einer Gruppe rechtfertigen müs-
Ehe man sich zu Uniformität, Feindseligkeit gegenüber Menschen, die sen oder diese mit dem Urteil eines Experten vergli-
schnell entscheidet, anderer Meinung sind. Die Forschung habe sich auf chen wird. In einer Studie, in der junge Soldaten
sollte man sich die
Folgen von unüber-
rechte Ideologien konzentriert, so Roets, aber es könn- Kandidaten für einen Job beurteilen mussten, wur-
legten Entschei- ten auch linke Weltanschauungen sein. „Selbst fun- den sie vorab darauf hingewiesen, dass eine Fehlent-
dungen vor Augen damentalistische Ideologien muss man in diesem scheidung ihrerseits der militärischen Karriere des
führen
Zusammenhang nennen. Kruglanski und seine Kol- Bewerbers schaden könnte. Prompt ließ die Neigung
legen untersuchen das gerade und haben bereits eine nach, rasch zu entscheiden und sich zu sehr auf den
starke Verbindung zwischen der Unterstützung für ersten Eindruck zu verlassen.
gewalttätigen Extremismus und einem hohen Be- Diese Strategie, betont Holmes, könne man sich
dürfnis nach Geschlossenheit gefunden.“ auch im Alltag zunutze machen. Beispielsweise in-
Ein starkes Bedürfnis nach Abschluss könne dem man bei Entscheidungen nicht nur die Stärken
extreme Einstellungen und Sichtweisen attraktiv ma- und Schwächen von Optionen auflistet, sondern ex-
chen, schreiben Kruglanski und sein Kollege Edward plizit über die Folgen der Wahl nachdenkt. Auch soll-
Orehek in einem 2012 veröffentlichten Buchbeitrag: te man es sich zur Gewohnheit machen, ganz bewusst
„Diese sind per Definition klar und unzweideutig. und systematisch sein momentanes Stressniveau in
Indem sie über Nuancen und Komplexitäten hinweg- die Überlegungen miteinzubeziehen: Stehe ich unter
wischen, liefern sie weitreichende Generalisierungen, Zeitdruck oder bin ich müde und deshalb besonders
die Sicherheit und Zuversicht vermitteln.“ In Studien anfällig dafür, vorschnelle Schlüsse zu ziehen?
habe sich beispielsweise ein Zusammenhang zwischen Auch Erfahrungen mit anderen Kulturen können
need for closure und der Unterstützung von militäri- möglicherweise den Drang nach schnellen Antwor-
schen Einsätzen, von Folter und der Unterordnung ten und seine problematischen Folgen abmildern. In
von Individualrechten zugunsten der nationalen einer 2012 veröffentlichten internationalen Studien-
Sicherheit ergeben. reihe ließen die Organisationspsychologin Carmit
Tadmor und ihre Kollegen die Studienteilnehmer
Lernen, Unsicherheit auszuhalten einen Text über ein Treffen mit ausländischen Freun-
Autor Holmes meint, auch der momentane Auftrieb den, den Besuch eines fremdländischen Restaurants
für rechtsstehende Parteien in Europa und der Erfolg oder Konzerts oder auch einen längeren Auslands-
von Kandidaten wie Donald Trump, der im ameri- aufenthalt schreiben. Ergebnis: Sich an multikultu-
kanischen Präsidentschaftswahlkampf mit Schwarz- relle Erlebnisse zu erinnern reichte aus, um das Be-
weißargumenten punktet, müsse in diesem Licht ge- dürfnis der Probanden nach Abschluss für eine Wei-
sehen werden. Es sei wahrscheinlich, prognostiziert le zu senken.
Holmes, dass die heutigen Zeiten – durch plötzliche Eine neue Sprache lernen und sich mit moderner
Ereignisse wie den 11. September sowie chronische Kunst oder Literatur befassen sind ebenfalls Mög-
kulturelle und wirtschaftliche Instabilitäten – das lichkeiten, sich eine Dosis an Verwirrung und Ver-
Bedürfnis nach absoluten Antworten noch weiter in- unsicherung zukommen zu lassen. Weil wir uns in
tensivieren werden. diesen Situationen sicher fühlen, so Holmes, können
Das klingt düster. Allerdings, betonen Holmes und wir offen bleiben – und uns auf konstruktive Weise
andere Experten, sind wir diesem Bedürfnis nicht auf Ambiguität einlassen.
hilflos ausgeliefert. Der Wunsch nach Geschlossen-
Literaturangaben zu den Artikeln des Titelthemas finden Sie
heit kann in gewissem Rahmen reduziert oder zu- unter www.psychologie-heute.de/literatur

24 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


TITEL

WIE DAS WOHL AUSGEHT?


Auf etwas warten zu müssen kann die Hölle sein,
wenn man nicht weiß, was auf einen zukommt

W
er schon einmal ein Prüfungsergebnis In einer von Sweeneys Studien berichtete ein
ersehnt hat, auf einen Untersuchungs- Teil der Probanden rückblickend zwar, den Erhalt
befund oder die Entscheidung über schlechter Neuigkeiten als schlimmer empfunden
eine Bewerbung warten musste, kennt das Gefühl zu haben als die Zeit des Wartens darauf. Das
aus Unsicherheit und Kontrollverlust nur zu gut: könnte nach Einschätzung der Forscher aber be-
Wir wissen nicht, was uns erwartet, und wir kön- sonders auf solche Personen zutreffen, die an De-
nen auch nichts tun, um das Resultat zu unseren pressionen leiden oder ein geringes Selbstbe-
Gunsten zu beeinflussen. wusstsein haben. Sie mögen mit der ungeklärten
Diese Spannung kann fast unerträglich sein und Situation auch nicht gut zurechtkommen, sich dem
sogar zu noch größerem Stress führen als das Wis- definitiven Verlust oder einer Niederlage zu stel-
sen zu scheitern. Das legt eine aktuelle Untersu- len, dürfte für sie aber noch schwerer sein.
chung von Forschern am University College Lon-
don nahe. Die 45 Teilnehmer mussten bei einer Wer positiv in die Zukunft blickt, kann
Lernaufgabe am Computer entscheiden, ob sich ungewisse Situationen besser ertragen
unter einem von zwei gezeigten Steinen eine
Schlange befand; wenn ja, erhielten sie einen Elek- Wie sehr jemand das Warten quält, hängt laut
troschock. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei Sweeney und ihren Mitarbeitern auch von einer
einem bestimmten Stein auf eine Schlange trafen, Reihe individueller Eigenschaften und Strategien
variierte über die je 320 Durchgänge, die jeder ab: Wer eher positiv in die Zukunft blickt, Unsi-
durchspielte. cherheit generell besser ertragen kann und ein
Tatsächlich war die empfundene Belastung un- geringeres Bedürfnis nach Vorhersagbarkeit und
ter größtmöglicher Unsicherheit dabei am stärks- klaren Strukturen hat, empfindet in ungeklärten
ten: Bei einer 50:50-Chance auf einen Stromschlag Situationen weniger Angst, fühlt sich nicht so an-
stuften die Probanden sich selbst als gestresster gestrengt und grübelt in geringerem Maße.
ein, und auch ihre körperlichen Stressreaktionen Aktiv mindern könne man die Belastung bei-
fielen heftiger aus. Lag die Wahrscheinlichkeit bei spielsweise durch Ablenkung in Form einer for-
null oder 100 Prozent, war ihre Aufregung am ge- dernden Aufgabe, indem man sich in Gesprächen
ringsten. Die Schlussfolgerung der Forscher: Kön- soziale Unterstützung holt, Gutes tut oder ver-
nen wir den Ausgang eines Ereignisses einschät- sucht, dankbar zu sein für das, was man hat – al-
zen, arrangieren wir uns irgendwie mit dem Er- les Dinge, die auch in anderen Lebenslagen zur
gebnis. Es sei die Ungewissheit beim Warten, die Zufriedenheit beitragen. Empfehlenswert sei zu-
uns Angst einflöße. dem, die negativen Gefühle und Gedanken einfach
zu akzeptieren und sich mit ihnen auseinander-
Was ist schlimmer: das Warten zusetzen – indem man sie etwa ungefiltert auf-
oder die schlechte Nachricht? schreibt oder in Achtsamkeitsübungen wertfrei
wahrzunehmen versucht.
Laut Kate Sweeney und ihren Kollegen von der Für all jene, die das Warten trotzdem nur
University of California, Riverside beeinflusst die schlecht ertragen können, bleibt ein Trost: Sie wer-
Dauer der Wartezeit beziehungsweise der Zeit- den sich über eine positive Nachricht am Ende
punkt die Intensität: Wer erst spät erfährt, ob er wahrscheinlich weit mehr freuen können als jene,
eine Prüfung bestanden hat, dem gelinge es die sich mit der Unsicherheit gut arrangieren
meist relativ gut, seine durch die Unsicherheit können. Letztere ertragen das Warten gut, sind
hervorgerufenen Sorgen über längere Zeit bei- dann aber auch weniger erleichtert und glücklich
seitezuschieben und so die Furcht zu mindern, – und kommen mit einem negativen Ergebnis
schreiben sie. Am schwierigsten zu bezwingen schlechter zurecht. EVA-MARIA TRÄGER
seien die unguten Gedanken und Grübeleien
tendenziell direkt nach der Prüfung und vor al-
lem kurz vor Verkündung des Ergebnisses.

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 25


TITEL

Mit der Unsicherheit


leben – aber wie?
Sicher ist im Leben nur, dass nichts wirklich sicher ist.
Um nicht allzu oft auf dem falschen Fuß erwischt zu werden,
sollten wir diese fünf Strategien kennen
VON AXEL WOLF

1. Nur Geduld! Sorgfalt – das entspricht dem Kaizen, der japanischen


Nichts ist gefährlicher, als angesichts unsicherer Lehre, entwickelt in der Blütezeit der japanischen In-
Situationen in Aktionismus zu verfallen oder gar hek- dustrie. Es geht darum, ein Problem durch hartnä-
tisch oder panisch zu reagieren. Auch das andere Ex- ckige, stetige, geduldige Verbesserung zu lösen. Dieser
trem hilft selten – in Angststarre zu verharren wie das evolutionäre Ansatz ist gerade bei komplexen Prob-
Kaninchen vor der Schlange. Am besten ist: die Lage lemen dem revolutionären Handstreich überlegen.
analysieren, so gut es geht, und dann langsam, aber Eine Strategie der kleinen, aber kontinuierlichen
sicher nach Antworten zu suchen. Ruhe, Geduld und Schritte ist zudem fehlerfreundlich und ermöglicht

26 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


TITEL

Korrekturen, ohne gleich das große Ganze verwerfen 1. Was wäre wirklich, wenn etwas schiefgeht?
zu müssen. Die Lehre der Achtsamkeit ist heute auch Wäre es wirklich das Schlimmste, wieder bei null
deshalb so in Mode gekommen, weil der technische anzufangen? Das ist sicher schmerzhaft, aber meist
Fortschritt, vor allem die neuen Informations- und nicht so sehr, wie man befürchtet hat. In der Regel
Kommunikationsmedien uns zur Ungeduld und zu geht man klüger und stärker aus dem Scheitern
sofortigen Wunscherfüllungen erzogen haben. Wir hervor. Deshalb gehört zu diesem Vorausdenken auch
erwarten Sofortlösungen für jedes kleine Problem das Szenario: Wie könnte ich wieder auf die Beine
und Instantbefriedigungen aller Wünsche und Im- kommen?
pulse. Das beste Gegenmittel zu dieser Unruhe ist 2. Was, wenn ich nichts tue? Das ist, wenn man
Achtsamkeit – gerade in unsicheren Zeiten und bei es ehrlich zu Ende denkt, fast nie eine Option. Etwas
komplexen Problemen: das ruhige, konzentrierte und aussitzen und abwarten, ob es von selbst besser wird,
wertungsneutrale Beobachten dessen, was um uns mündet in Stagnation und geistiger Trägheit.
herum wirklich geschieht. 3. Was, wenn alles gutgeht? Was, wenn eine Ent-
scheidung richtig war? Sich das Gelingen so realis-
tisch wie möglich vorzustellen kann die lähmende
2. Keine einfachen Lösungen Unsicherheit überwinden helfen.
Das Unbehagen, das durch Unsicherheit entsteht,
weckt in uns den kindlichen Wunsch, diesen Zustand
so schnell wie möglich zu beenden: Es soll wieder so 4. Vorbereitet sein
werden, wie es vorher war! Aber wir sollten lernen, Szenarien vorauszudenken ist ganz besonders in Zei-
den einfachen Lösungen zu misstrauen und den ten von Krisen und schneller Veränderung die beste
schnellen Antworten zu widerstehen. Krisen und „Breitbandstrategie“. Aus der Resilienzforschung ist
Zeiten großer Verunsicherung sind Boomzeiten für bekannt, dass bei allem, was plötzlich und unerwartet
die Vereinfacher – in der Politik, in der Wirtschaft, passiert, manche Menschen oder Institutionen effek-
im privaten Leben. Sie bieten uns vermeintliche Er- tiver reagieren als andere. Weil sie besser vorbereitet
klärungen an – meist monokausal, simpel, unter- sind auf das, was passieren könnte. Sie können also
komplex. Wir erliegen nur zu oft selbsternannten etwa bei Katastrophen fast automatisch reagieren und
Experten – jemand bietet sich als Führer durch unsi- so schneller helfen, weil sie sich auch das Unerwarte-
chere Zeiten oder als Problemlöser an, und wenn te vorgestellt und mögliche Reaktionen eingeübt ha-
er genügend Charisma hat, vertrauen wir ihm ben. Notfallpläne sind ausgearbeitet und können so-
blind. Aber ob es um Finanzen, Ernährung, Gesund- fort umgesetzt werden – während andere Institutio-
heit, Karriereplanung oder andere potenzielle nen noch diskutieren und analysieren. Negative Sze-
Krisenbereiche geht – wir sollten den einfachen narien zu entwickeln, aus vergangenen Katastrophen
Rezepten misstrauen. Es gibt keine Wunderpillen, zu lernen und auch auf das Schlimmste vorbereitet zu
Wunderdiäten, Geheimtipps oder Zauberformeln. sein: so entsteht eine Art Immunsystem, das uns ge-
Der amerikanische Satiriker Henry Louis Mencken gen die Attacken des Schicksals hilft.
hat dies so zusammengefasst: „Für jedes menschliche
Problem gibt es immer eine Lösung: die ist klar,
einleuchtend – und falsch.“ 5. Nicht alles ist unsicher
In unsicheren Zeiten besteht die Gefahr, dass man nur
noch das Instabile wahrnimmt und das, was immer
3 . Vorausdenken noch sicher ist, aus den Augen verliert. Die Frage:
In unsicheren Zeiten gipfelt die emotionale Trias aus „Was ist noch sicher in meinem Leben, worauf kann
Unsicherheit, Verlustangst und Furcht vor Kritik häu- ich zählen, was ist mir geblieben?“, stellt man dann
fig in der lähmenden Fantasie, völlig zu scheitern und oft nicht, sondern konzentriert sich nur auf das
wieder bei null anfangen zu müssen. Dann beherrscht Gefühl der Unsicherheit. Doch Ungewissheit lässt sich
uns ein Worst-Case-Szenario – und wir lassen die am besten aushalten, wenn man die nach wie vor vor-
Finger von allem, was einen unsicheren Ausgang handenen Stützpfeiler erkennt. Wer es schafft, auch
haben könnte. Also von ziemlich vielen Dingen. Wir in unsicheren Zeiten positive Gefühle wie Dankbar-
verharren im sicheren Mittelmaß. Besser wäre, sich keit, Freude oder Verbundenheit mit anderen zu
drei Szenarien so realistisch und detailliert wie nur erleben, kann dem Wunsch nach schnellen Lösungen
möglich vorzustellen. besser widerstehen. PH

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 27


SERIE: LEBEN IM DIGITALEN ZEITALTER (5)

So viele Nachrichten,
OMG!
WhatsApp, Facebook und Co machen es leichter als
jemals zuvor, Informationen auszutauschen und miteinander
in Kontakt zu bleiben. Einfacher wird die Kommunikation
durch sie nur bedingt
VON FRANK LUERWEG

D
ie Nachmittagssonne taucht den Sport- Trainer Neumann immer noch nutzt, zunehmend zum
platz in ein warmes Licht. Auf dem Auslaufmodell zu werden. „Viele Eltern schauen heu-
Rasen balgt sich eine Handvoll Kinder te häufiger aufs Handy als in ihre Mailbox“, sagt Neu-
um den Ball. Ab und zu meldet sich mann. „Ich fahre daher immer zweigleisig.“
Rüdiger Neumann zu Wort und gibt Früher war die Sache einfach: Die Oma aus Bottrop
Anweisungen. Der 33-Jährige trainiert in seiner Frei- wurde zum Geburtstag angerufen, die Schulfreundin
zeit den Fußballnachwuchs beim MTV Treubund in in den USA erhielt einen Brief, und beim Büronach-
Lüneburg. Eine Tätigkeit, die einen regen Austausch barn ging man zum Gratulieren kurz vorbei. Heute
mit den Eltern erfordert: Wer ist fürs nächste Spiel ist die Vielfalt der Kommunikationskanäle größer.
aufgestellt? Findet das Training trotz Regen statt? Neu- Entsprechend kompliziert ist die Frage, welche Kon-
mann schreibt in solchen Fällen eine E-Mail an seinen taktmöglichkeit man für welchen Anlass und bei wel-
Elternverteiler – und schickt parallel eine WhatsApp- chem Gesprächspartner am besten wählen sollte. In-
Nachricht: „Bitte E-Mail prüfen.“ stant Messenger wie WhatsApp etwa dienen derzeit
Der Messenger hat in den sieben Jahren seit seiner hauptsächlich der privaten Alltagskommunikation.
ILLUSTR ATIONEN: MICHAEL SZYSZK A

Markteinführung die Kommunikationslandschaft Sobald es förmlicher wird, weichen wir auf E-Mails
enorm verändert. WhatsApp zählt heute zu den mit oder Briefe aus. Christa Dürscheid, die an der Univer-
Abstand beliebtesten Handy-Applikationen – nicht sität Zürich unter anderem den Einfluss des Internets
nur bei Jugendlichen. Rund 33 Millionen Nutzer hat auf die Alltagskommunikation erforscht, spricht von
der Dienst laut einer aktuellen ZDF-Umfrage hierzu- einer ungeschriebenen „Kommunikette“. Doch ein
lande inzwischen, hinzu kommen Konkurrenten wie solcher Kommunikationsknigge hat im Digitalzeital-
Snapchat, Threema oder Telegram. Zumindest im pri- ter meist nur kurze Zeit Bestand. „Jugendliche nutzen
vaten Informationsaustausch droht die E-Mail, die inzwischen beispielsweise kaum noch E-Mails“, sagt

28 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 29
scheinen die neuen Kontaktmög-
lichkeiten uns zumindest auf den
ersten Blick eine größere Autono-
mie zu schenken. Als Nutzer kann
ich selbst bestimmen, wann und
wie ausführlich ich auf eine Nach-
richt reagiere. Wenn sie mich beim
Tatort erwischt: Egal, beantworte ich
sie eben einfach danach. Die digitalen
Kommunikationskanäle ermöglichen uns,
asynchron zu kommunizieren, ohne Zeit- und
Antwortdruck – zumindest in der Theorie.
In der Praxis stelle sich das allerdings als Il-
lusion heraus, meint Peter Vorderer, Medien-
und Kommunikationswissenschaftler an der
Universität Mannheim.

Schnell reagieren, weil


der andere es erwartet
Die neue Freiheit: Zwar sei man einer WhatsApp-Nachricht auf
Als Nutzer kann ich
selbst bestimmen,
den ersten Blick nicht so direkt ausgeliefert
wann und wie aus- wie einem Telefonat, „psychologisch betrach-
führlich ich auf eine tet ist das aber mitnichten so“, sagt Vorderer.
Nachricht reagiere
„Denn der Absender weiß ja, dass ich seine Nach-
richt nicht nur bekommen, sondern auch gelesen ha-
be. Diese Have seen-Funktion ist eine der fast perfiden
Dürscheid. „Ob sie sich bei Fragen zukünftig per technischen Möglichkeiten, die WhatsApp bietet.
WhatsApp an ihren Lehrer richten? Ich weiß es nicht.“ Sobald das ‚Gelesen‘-Häkchen hinter der Nachricht
Die früher beliebte SMS jedenfalls verschicken erscheint, bin ich gefangen. Ich habe das Gefühl, ich
nur noch wenige: Einerseits ist der Austausch per muss schnell reagieren, weil der andere es möglicher-
Messenger oft kostengünstiger. Außerdem sind weise erwartet.“
Dienste wie WhatsApp oder Snapchat deutlich fle- Auch bei der Chatfunktion von Facebook sieht ein
xibler. So erlauben sie beispielsweise, Fotos, Videos Nutzer, wenn eine seiner Mitteilungen gelesen wur-
oder Audiodateien per Fingergeste zu versenden. de. Welchen Effekt das hat, hat Vorderer zusammen
Doch beileibe nicht jeder steht diesen Angeboten mit Kollegen experimentell untersucht. In ihrer Stu-
aufgeschlossen gegenüber, sei es aus Angst vor Da- die fühlte sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer
tenmissbrauch, der Befürchtung, von unwichtigen verpflichtet, Botschaften umgehend zu beantworten
Botschaften überschwemmt zu werden, oder schlicht – erstaunlicherweise selbst oberflächlichen Bekann-
aus Abneigung dagegen, immer „on“ und erreichbar ten gegenüber. Mussten diese Face-to-Face-Chatter
sein zu müssen. selbst länger auf eine Reaktion warten, fühlten sie
Aber einfach anrufen? Kann auch falsch sein. sich zurückgesetzt oder ausgeschlossen. Im Grunde
„Ruf! Mich! Nicht! An!“, forderte unlängst beispiels- nutzten sie die Technologie also synchron und
weise der Journalist Stefan Schmitt in einer Kolum- verstanden den Chat als getipptes Gespräch – wobei
ne für Zeit Online. „Ein Anruf stört immer, er stiehlt ihre Gesprächspartner das möglicherweise ganz an-
mir meine Zeit.“ Offenbar geht es vielen wie ihm: ders sahen. Gerade in Beziehungen kann ein so un-
Telefonierten die Deutschen nach Angaben des Te- terschiedliches Verständnis für Probleme sorgen.
lekommunikationsverbands VATM im Jahr 2010 „Wie finden Sie es, mit Ihrem Liebsten/ Ihrer Liebs-
täglich noch 804 Millionen Minuten, waren es 2015 ten über WhatsApp und Co zu kommunizieren?“,
nur noch 723 Millionen. fragte im Juni 2015 die Partnervermittlung Parship
So wie YouTube, Netflix oder auch die Online- rund 1000 Menschen in Deutschland. Vor allem bei
mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender uns den Männern fiel die Antwort ambivalent aus: Zwar
beim Fernsehen Wahlfreiheit ermöglicht haben, hält fast jeder Sechste so abgesendete „kurze Liebes-

30 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


grüße“ für „romantisch“. Fast genauso viele finden book und WhatsApp durchgeführt. Ein Ergebnis:
es aber „nervig“, wenn die Partnerin ständig schreibt „Unsere Befunde deuten an, dass digitale Kommu-
und direkt eine Antwort erwartet. Andere werten nikation vor allem bei unsicheren Männern und
jede längere Chatpause gleich als böses Omen: Mag Frauen einen zusätzlichen Stressor für die Partner-
mich der andere nicht mehr? Was ist los? In der Par- schaft darstellen kann.“
ship-Erhebung gaben immerhin sechs Prozent der
Befragten an, „häufig verunsichert/verärgert“ zu sein, Ein reißender Strom an Nachrichten
wenn sie nicht gleich eine Rückmeldung bekämen. Konflikte per Messenger lösen zu wollen sei daher
Dass ein Anruf im Vergleich zur Textbotschaft sicher nicht die beste Idee, sagt Margarete Boos, Kom-
die bessere Option sein kann, zeigt auch eine Studie munikationspsychologin an der Universität Göttin-
von US-Forschern aus dem Jahr 2011. Sie ließen Mäd- gen. „In einem Face-to-Face-Gespräch kann ich über
chen einen stressigen Mathetest durchführen. Im den nonverbalen Kanal Signale empfangen, die an-
Anschluss durften einige Teilnehmerinnen mit ihren zeigen, dass der andere kompromissbereit ist. Das
Eltern telefonieren, andere konnten nur eine Nach- kündigt sich vielleicht durch ein Schulterzucken oder
richt schreiben. Bei den Mädchen, die telefoniert hat- ein Lächeln an. In den sozialen Medien fehlen diese
ten, sank der Spiegel an Stresshormonen deutlich. Signale.“ Eine Lücke, die auch Emoticons – oder Emo-
Bei denen, die nur schriftlichen Kontakt zu Vater jis – nur bedingt füllen können. Auswertungen legen
oder Mutter gehabt hatten, blieb er dagegen erhöht. aber nahe, dass auch die immer komplexer und va-
Eine SMS oder WhatsApp kann mit dem Klang einer riantenreicher werdenden Zeichen nicht von jedem
vertrauten Stimme also offenbar nicht konkurrieren. auf gleiche Weise gedeutet werden – zumal jedes Be-
Generell biete gerade die digitale Kommunikati- triebssystem sie auch unterschiedlich anzeigt.
on viel Raum für Fehlinterpretationen und Missver- Solange sich zwei Einzelpersonen untereinander
ständnisse, sagt Manuela Sirrenberg. Die Psycho- austauschen, mögen Fehlinterpretationen im Zwei-
login hat an der Universität Eichstätt-Ingolstadt fel noch vergleichsweise einfach zu klären zu sein.
verschiedene Studien zur Liebe in Zeiten von Face- Doch der digitale Informationsaustausch über

SPRACHVERFALL DURCHS SMARTPHONE?


Für den Vorsitzenden des Rates für aber vor allem mit der Nähe zur Wikipedia, wie Storrer in einer Stu-
deutsche Rechtschreibung, Hans mündlichen Kommunikation: SMS, die zeigen konnte: Die Artikel des
Zehetmair, steht fest: Die Digitali- E-Mail oder WhatsApp hätten sich Onlinenachschlagewerks entspre-
sierung gefährdet die deutsche in einem Bereich etabliert, der zuvor chen in Satzbau und Rechtschrei-
Sprache. In einem Interview warnte weitgehend dem Gespräch vorbe- bung den gängigen schriftsprach-
Zehetmair Ende 2012 vor einer Ver- halten war. Es gebe keine empiri- lichen Normen. Die Diskussions-
armung des Deutschen in den neu- schen Anhaltspunkte dafür, dass beiträge zu den Artikeln dagegen
en Medien. Das Vokabular sei bei dieser spezifische Stil auf andere ähneln eher der informellen münd-
SMS und Twitter generell sehr sim- Textsorten abfärbe, schreibt sie lichen Kommunikation. Ob das „Tex-
pel, die Rechtschreibung fehlerhaft. 2013 im Jahrbuch des Instituts für ten“ negative Auswirkungen auf
Inwieweit diese Diagnose zutrifft, Deutsche Sprache. Rechtschreibung oder Grammatik-
ist allerdings strittig. Zwar zeichnet kenntnisse hat, ist ebenfalls umstrit-
sich digitale Kommunikation in der Der Anlass beeinflusst ten. Manche Studien zeigen sogar
Tat oft durch eine einfache Sprache den Schreibstil einen gegenteiligen Effekt. Der Ge-
aus, durch die Verwendung von Sprachforscher aus Australien brauch von Abkürzungen und laut-
Kürzeln (zum Beispiel OMG für „Oh konnten Anfang dieses Jahres zei- malerischen Verballhornungen hat
mein Gott“ oder LG für „liebe Grü- gen, dass wir unseren Schreibstil je zudem jüngsten Untersuchungen
ße“), einen kreativen Umgang mit nach Anlass, Medium und Empfän- zufolge stark nachgelassen – ver-
Groß- und Kleinschreibung und viel ger bewusst justieren. Bei einem mutlich auch deshalb, weil die Apps
Fantasie bei der Interpunktion. Die Tweet formulieren wir anders als inzwischen bereits beim Tippen
Mannheimer Sprachwissenschaft- bei einem Brief oder einer Hausar- passende Textvorschläge machen.
lerin Angelika Storrer erklärt das beit. Deutlich wird das auch bei FRANK LUERWEG

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 31


Wo treffen wir uns? Wer lenkung von unserem Gespräch. Wenn etwa Studie-
rende in Lehrveranstaltungen ihre Smartphones be-
besorgt das Geburtstags- nutzen dürfen, leidet darunter auch die Auseinan-
dersetzung mit dem Lehrstoff.“
geschenk? Fragen wie diese
Ablenkung oder Gesprächsanlass?
lösen auf WhatsApp oft
Der Psychologe Georg Milzner sieht noch ein weite-
eine Flut von Antworten aus res Problem. „Sobald wir unsere Aufmerksamkeit
teilen, weil wir gleichzeitig eingehende Mails checken
oder Telefonate entgegennehmen, werten wir damit
unseren Gesprächspartner ab“, sagt er. Wir seien evo-
lutiv darauf getrimmt, unseren Fokus sehr schnell
auf neue Reize zu richten – sei es auf das Rascheln
im Gebüsch („Gefahr!“) oder eben auf den Signalton
WhatsApp, Facebook und Co verläuft häufig in vir- des Handys. Diese automatische Reaktion in den Griff
tuellen Gesprächsrunden, und spätestens da ist kein zu bekommen erfordere gezieltes Training. „Wir brau-
Raum mehr für solche Aushandlungs- und Abstim- chen dazu auch so etwas wie eine innere Hitliste:
mungsprozesse. Zumal mit der Nutzerzahl auch die Wer verdient im Moment die meiste Aufmerksam-
Menge an ausgetauschten Informationen steigt. Auf keit?“, sagt Milzner. „Fernziel sollte die Einstellung
wann wurde noch mal die Chorprobe verlegt? Wer sein: Jede fremd eingehende Kommunikation ist erst
besorgt das Geburtstagsgeschenk? Wo treffen wir uns einmal weniger wichtig als die Kommunikation mit
heute Abend? Fragen wie diese haben das Potenzial, den Personen, die gerade im Raum sind.“
Unmengen von Diskussionsbeiträgen nach sich zu Soziologin Keppler sieht es dagegen nicht so kri-
ziehen, die den ohnehin schon munter plätschernden tisch, wenn Menschen während eines Gesprächs
Bach der Antworten zum reißenden Strom anschwel- plötzlich ihr Handy zücken, eine SMS tippen oder
len lassen. die neueste WhatsApp-Nachricht lesen. Jugendliche
Allein in Deutschland wurden 2015 fast 700 Mil- und junge Erwachsene scheinen ihrer Feldstudie zu-
lionen WhatsApp-Botschaften täglich versandt. Jeder folge ein solches Verhalten heute ganz normal zu fin-
Nutzer tippt hierzulande im Schnitt pro Tag 20-mal den – zumindest solange diese Parallelkommuni-
auf den Senden-Button. Schon Heranwachsende lei- kation nicht zu intensiv erfolgt. Kepplers Daten zei-
den mitunter unter der Informationsmenge: In einer gen zudem, dass die neuen Technologien Alltagsge-
aktuellen Studie im Auftrag der Landesanstalt für spräche oft eher beleben, als sie zu blockieren – etwa
Medien Nordrhein-Westfalen geben 24 Prozent der wenn wir beim abendlichen Bier kurz die Fußball-
Befragten an, durch den Umgang mit dem Smart- ergebnisse abrufen, um sie dann mit den Anwesenden
phone „Kommunikationsstress“ zu empfinden. Laut zu diskutieren.
der Studie Jugend, Information, (Multi-)Media 2015 Georg Milzner erzählt von einem Pärchen, das er
sind für 91 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen Instant kürzlich in einem Café beobachtet hat. Die beiden
Messenger die wichtigsten Applikationen. 94 Prozent hatten offensichtlich ein Date. Sie lächelten sich an
nutzen das Handy zum Verschicken und Empfangen und setzten sich an den Tisch. Anstatt miteinander
von Nachrichten. 69 Prozent fürs Telefonieren. zu reden, holten sie dann jedoch als Erstes ihre Smart-
Dass der Austausch über Kurznachrichten das per- phones heraus. Er sei sich vorgekommen wie in einem
sönliche Gespräch verdrängt oder gar ersetzt, ist nicht Sketch von Loriot, sagt Milzner. Doch dann began-
zu befürchten. Angela Keppler von der Universität nen die beiden, einander Dinge auf ihrem Handy zu
Mannheim hat zu dieser Frage unlängst eine Feld- zeigen. Sie nutzten die Informationen, die sie aufge-
studie durchgeführt. Demnach ist das Smartphone rufen hatten, als Vehikel, um ein Gespräch in Gang
kein Gesprächskiller. Allerdings beobachtet die So- zu setzen. „Das fand ich eigentlich ganz ansprechend.“
ziologin, dass das Smartphone immer häufiger par- PH
allel zum persönlichen Gespräch genutzt wird – eine
Tatsache, die viele Wissenschaftler kritisch sehen.
„Wir sind nicht multitaskingfähig“, gibt etwa
Kepplers Kollege Peter Vorderer zu bedenken. „Die Eine Literaturliste zu diesem Beitrag finden Sie auf unserer
Hinwendung zu dem Gerät bedeutet immer eine Ab- Website: www.psychologie-heute.de/literatur

32 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


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SAG MIR, WIE DU LIEBST
Von Erotik bis Pragmatismus: 6 Stile im Beziehungsalltag
VON EVA TENZER

D
as Leben als Paar könnte so schön keit von Paaren gemeint, Stress zu bewäl- bei den befragten Paaren sehr stark ver-
sein. Wären da nicht diese gele- tigen, mit Belastungen umzugehen und treten: Auf einer Skala von 1 bis 10 lagen
gentlichen Missverständnisse, sich gegenseitig bei Problemen und All- die Werte der Frauen bei 6,80, die der
diese kleinen und großen Konflikte, die tagswidrigkeiten zu unterstützen. Mehr Männer bei 6,98. Von allen Liebesstilen
die Liebe überschatten. Wie kann man die als 150 Paare aus Deutschland und der geht Eros mit der höchsten Partner-
in Schach halten? Patentrezepte, die für Schweiz wurden befragt. Hier die sechs schaftszufriedenheit einher. Und er be-
alle funktionieren, gibt es nicht, denn Paa- Liebesstile – und wie sie laut den Befun- einflusst auch das Verhalten in der Part-
re praktizieren ganz unterschiedliche den das Beziehungsleben prägen: nerschaft: Die Betroffenen öffnen sich
Spielarten der Liebe. Der kanadische So- dem Partner gegenüber mehr, und sie en-

1
ziologe John Alan Lee analysierte Anfang EROS gagieren sich stärker in der Beziehung.
der 1970er Jahre 4000 Liebesbeziehungen Dieser Liebesstil ist romantisch und Zudem finden sie in Konflikten leichter
in Literatur und Philosophie. Dann führ- beruht auf der erotischen Anzie- Kompromisse sowie konstruktive Lösun-
te er Interviews mit realen Paaren und de- hung der Partner. „Vor allem dieser Stil gen – optimale Voraussetzungen für ein
finierte schließlich sechs Liebesstile. Die hängt bei beiden Geschlechtern mit der harmonisches Liebesleben.
beiden Partner leben typischerweise nicht Fähigkeit, mit Stress umzugehen, sowie

2
nur einen dieser Stile, sondern meist eine mit der Partnerschaftszufriedenheit zu- AGAPE
Mischung – aber dieses Mischungsverhält- sammen“, erläutert Studienleiterin Simo- Bei der altruistischen Liebe dreht
nis ist von Person zu Person unterschied- na Gagliardi. Man unterstützt den Partner sich alles um das Wohl des Part-
ILLUSTR ATION: STEFAN BACHMANN

lich: Jeder Liebesstil hat bei jedem Lieben- beispielsweise durch verständnisvolles ners. Hier steht im Vordergrund, für ihn
den sein individuelles Gewicht. Zuhören. Menschen mit diesem Liebesstil zu sorgen und ihm dabei zu helfen, Prob-
Psychologen der Universitäten Bielefeld zeigen in Belastungssituationen weniger leme zu überwinden. Sowohl Frauen als
und Zürich haben sich jetzt den Zusam- problematische Angewohnheiten wie et- auch Männer erzielten die zweithöchsten
menhang zwischen dem Liebesstil und wa, die Stressmomente des Partners rund- Werte im Liebesstil Agape (6,18 und 6,79
der Partnerschaftszufriedenheit sowie weg zu ignorieren oder ihn sogar mit ab- auf der Skala). Das auf Altruismus bauen-
dem „dyadischen Coping“ in einer Studie wertenden Bemerkungen niederzuma- de Liebesmodell hängt bei Männern deut-
genauer angeschaut. Damit ist die Fähig- chen. Erfreulicherweise war der Erosstil lich mit der Fähigkeit zusammen, mit

34 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


PSYCHOLOGIE NACH ZAHLEN

Macht Sport
per se schlau?
6
Stress klarzukommen. Bei den Frauen hin- LUDUS
gegen zeigten sich hier keine statistisch Der spielerische und verführeri-
bedeutsamen Zusammenhänge. sche Liebesstil betont das Aben-
teuer und sexuelle Freiheiten. Er zeigte in

3
STORGE dieser wie auch schon in früheren Studi-
Der freundschaftliche, auf ge- en negative Auswirkungen auf die Paar-
meinsamen Interessen beruhende zufriedenheit. Allzu spielerisch und un-
Liebesstil erwächst häufig aus einer langen verbindlich sollte man die Sache also of-
Bekanntschaft und Vertrautheit der Part- fenbar nicht angehen. Dieser Liebesstil
ner; die sexuelle Komponente kommt erst war freilich sowohl bei den Frauen als auch
relativ spät hinzu. Auch dieser Stil ist bei den Männern am niedrigsten ausge-
ziemlich verbreitet und landete bei den prägt, nämlich 2,78 und 2,70. Bei Frauen
Frauen bei 5,42 auf der Skala, bei den Män- geht die spielerische Variante mit einem
nern bei 5,29. Er hängt bei beiden Ge- problematischen Umgang mit Bezie-
schlechtern positiv mit der Partner- hungsstress und mit einer geringeren Part-
schaftszufriedenheit zusammen. Männer nerschaftszufriedenheit einher, nicht aber
profitieren von diesem Stil außerdem im bei Männern. Frauen mit einem spieleri-
Hinblick auf die Fähigkeit, mit Stress um- schen Zugang zur Liebe, die unverbind-
zugehen. liche, manchmal auch mehrere parallele
Beziehungen führen, zeigen im Bezie-

4
MANIA hungsalltag oft destruktive Verhaltens-
Sie ist die besitzergreifende, ver- weisen und nehmen diese auch stärker
absolutierende und eifersüchtige beim Partner wahr. Männer mit dieser
Variante der Liebe. Hier ist die Aufmerk- Art zu lieben hingegen engagieren sich
samkeit völlig auf den Partner konzent- vermutlich weder positiv noch negativ be-
riert. Die Ausprägung dieses Liebesstils sonders stark in der Beziehung. Petra Jansen / Stefanie Richter
lag bei 5,43 unter den Frauen und bei 5,05
unter den Männern. Bei Frauen hängt die- Diese Erkenntnisse könnten in der The- Macht Bewegung
ser Stil interessanterweise positiv mit der rapie eingesetzt werden, meint Gagliardi: wirklich schlau?
Fähigkeit zusammen, gemeinsam mit „Es wäre sinnvoll, im Rahmen einer Paar-
Zum Verhältnis von Bewegung
Stress umzugehen. Bei den Männern zeig- beratung die jeweilige Ausprägung in den und Kognition
te sich kein solcher Zusammenhang. verschiedenen Liebesstilen zu ermitteln.“
Beim spielerischen Stil etwa kann man 2016. 304 S., 26 Abb., 2 Tab., Gb
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5
PRAGMA die Vorteile einer stärkeren Öffnung dem ISBN 978-3-456-85561-5
Bei der pragmatischen Liebe geht Partner gegenüber ansprechen – und ra- AUCH ALS E-BOOK
es vor allem um die Erfüllung der ten, das Bedürfnis nach Abenteuer und
Medienberichte preisen Bewegung oft
Bedürfnisse beider Partner, zum Beispiel Abwechslung in anderen Bereichen wie
als Allheilmittel. Aber abgesehen von den
Familie oder Wohnung. Die Basis bildet Sport, Reisen oder Hobbys auszuleben. unbestrittenen positiven Effekten auf die
hier die gute Passung der Liebenden, also Zwar sei es prinzipiell denkbar, so die For- Gesundheit: Macht Bewegung wirklich
gemeinsame Interessen und Vorlieben. In scher, dass man sich bewusst einen für die auch noch schlauer? Halten wir uns bei-
spielsweise eine Fussballnationalmann-
der Studie lag dieser Liebesstil bei den Partnerschaft „günstigeren“ Liebesstil an- schaft vor Augen – sind diese exzessiv
Frauen bei 4,38, bei den Männern bei 4,09. eignet. Wie weit sich das allerdings gezielt Sport treibenden Spieler automatisch
Männer, bei denen dieser Stil stark aus- verändern lässt, ist bislang nicht bekannt, die Schlauesten im Lande? Sollten wir
den Schulunterricht schlicht durch den
geprägt ist, können oft schlecht mit Part- Studien dazu gibt es nicht. Einen Versuch Sportunterricht ersetzen?
nerschaftsstress umgehen. Bei Frauen hin- in der Praxis kann es dennoch wert sein.
gegen hängt dieser Stil positiv mit dem
Coping zusammen. Offenbar werden
pragmatisch orientierte Frauen, die ohne
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allzu romantische Vorstellungen an eine LITERATUR
Partnerschaft herangehen, besser mit Be- Simona Gagliardi, Guy Bodenmann, Nina Heinrichs:
Dyadisches Coping und Partnerschaftszufrieden-
lastungen in der Beziehung fertig als Män- heit bei verschiedenen Liebesstilen. Zeitschrift für
ner mit diesem Liebesstil. Familienforschung, 27/1, 2015, 105–121

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 35


Aha!
Wenn der Groschen fällt
Lange grübeln Sie über ein Problem oder eine Aufgabe nach –
und plötzlich ist die Lösung da! Keine Ahnung, wie sie Ihnen
zuflog. Doch sicher ist: Sie kam nicht aus dem Nichts
VON INGRID GLOMP

36 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


H
eureka“ soll Archimedes gerufen Behälter. Anschließend bestimmte er die Menge des
haben, als ihm ausgerechnet in der übergelaufenen Wassers. Dann wiederholte er den
Badewanne die rettende Idee kam. Vorgang mit der Krone und stellte fest: Sie verdräng-
Endlich wusste er, wie er feststellen te mehr Wasser als der Barren. Die Krone bestand
konnte, ob die Krone des Königs also nicht aus purem Gold. Der Goldschmied war
Hieron aus reinem Gold gefertigt war, ohne eben ein Betrüger.
diese Krone zu zerstören. Gustav Mahler war beim
Komponieren seiner 7. Sinfonie regelrecht blo- Geistesblitze – gut erforscht
ckiert, bis ihm beim Rudern auf dem Wörthersee So mysteriös sich Aha-Momente für den Betroffenen
eine Idee für den ersten Satz kam. Als sich der fran- anfühlen mögen, sie sind inzwischen gut erforscht.
zösische Gelehrte Henri Poincaré, um Abstand zu Was Wissenschaftler sich genauer angeschaut haben,
gewinnen, auf eine geologische Exkursion begab, ist die unterschiedlich lange Inkubationszeit vor der
konnte er ein mathematisches Problem, das ihm zu Einsicht sowie den Augenblick der Einsicht selbst
schaffen machte, schlagartig lösen. Art Fry wieder- und was diese begünstigt. Zwei, die sich intensiv mit
um fiel in der Kirche eine Verwendung für den dem Thema beschäftigt haben, sind John Kounios
schwachen Klebstoff ein, den ein Kollege vor Jahren von der Drexel University in Philadelphia und Mark
entwickelt hatte: für Haftnotizzettel, die sich Beeman von der Northwestern University in Evanston,
wieder entfernen ließen, ohne Buchseiten und Illinois. Über ihre Ergebnisse und die anderer Kol-
Ähnliches zu schädigen. legen haben sie ein Buch geschrieben: Das Aha-Er-
Plötzliche Einsichten, sogenannte Aha-Effekte, lebnis. Wie plötzliche Einsichten entstehen und wie
können als Initialzündung für kleinere oder größe- wir sie erfolgreich nutzen (siehe Rezension des Bu-
re Fortschritte dienen oder sogar für weltbewegende ches in Heft 3/2016).
Durchbrüche. Um sie zu erleben, braucht man jedoch Natürlich können Wissenschaftler nicht
kein Genie zu sein. Im Gegenteil: Jeder kennt solche warten, bis beispielsweise einem Mathematiker
Einfälle, die aus heiterem Himmel zu kommen schei- nach Jahren schlagartig die Erleuchtung für einen
nen, und die Freude oder sogar Euphorie, die man schwierigen Beweis kommt, und genau dann zur
dabei empfindet. Wir haben einen Witz plötzlich Stelle sein. Sie behelfen sich damit, sozusagen
verstanden, ein Rätsel oder ein Problem gelöst. Kein Mini-Erkenntnisse herbeizuführen und zu untersu-
Wunder, dass es dafür eine Reihe plastischer Um- chen. Es gibt verschiedene Tests, die messen können,
schreibungen gibt: Geistesblitz, Erleuchtung, der wie viele Heureka-Momente Probanden unter un-
Groschen ist gefallen, jemandem geht ein Licht auf. terschiedlichen Bedingungen haben. Häufig verwen-
Comics verwenden als Symbol dafür gerne eine Glüh- den Forscher Wortaufgaben, bei denen die Versuchs-
birne. Wissenschaftler sprechen meistens, prosai- teilnehmer herausfinden müssen, welches Wort man
scher, von Einsicht. zu verschiedenen anderen Wörtern hinzufügen kann,
Solche Erleuchtungen kommen jedoch keines- sodass sie zusammengesetzt jeweils wieder einen
wegs aus dem Nichts, sondern nur, wenn man auf Sinn ergeben. Ein englischsprachiges Rätsel verdeut-
einen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann, wenn licht, worum es geht: Welches Wort kann man jeweils
eine Beobachtung auf les esprits préparés, den vorbe- zu pine (Pinie), crab (Krabbe) und sauce (Soße) hin-
reiteten Geist trifft, wie bereits Louis Pasteur zufügen, sodass jedes Mal ein neues zusammenge-
erkannte. Das bedeutet: Eine plötzliche Erkenntnis setztes Wort entsteht? Hier besteht die kreative
erspart uns nicht die Arbeit, die man vorher und Leistung darin, sich von dem Bild des Nadelbaums
nachher in ein kreatives Projekt investieren muss. zu lösen, sodass man auf pineapple (Ananas) kommt,
Archimedes hatte vor seinem Geistesblitz in der auf crabapple (Holzapfel) sowie auf apple sauce
Badewanne gründlich über das Problem nachge-
dacht, und er wusste, dass Gold schwerer ist und
somit eine größere Dichte besitzt als Silber. Er nahm
daher einen Goldbarren, der genauso schwer
war wie die Krone, und tauchte ihn
in einen mit Wasser gefüllten
(Apfelmus). Gegenüber manchen anderen Kreativ- Zusätzlich fanden sich Unterschiede in Regionen, die
tests haben diese Worträtsel den Vorteil, dass man visuelle Informationen verarbeiten. Das Gehirnwel-
sie sowohl mittels einer plötzlichen Einsicht lösen lenmuster passte bei den kreativeren Personen eher
kann als auch analytisch, durch schrittweises Aus- zu einer diffusen als zu einer fokussierten visuellen
probieren. Außerdem kann man sie Versuchsperso- Aufmerksamkeit. Das erlaubt ihnen möglicherweise,
nen in großer Zahl und in standardisierter Weise auf Informationen aus der Umwelt aufzunehmen, die
einem Computerbildschirm präsentieren. anderen Menschen, die analytisch und konzentriert
Die Untersuchungen von Kounios und Beeman arbeiten, entgehen.
haben in den letzten Jahren eine Reihe von Erkennt- Die beiden Forscher entdeckten aber auch, dass
nissen hervorgebracht. So lassen sich Aussagen da- sich der Geisteszustand von Probanden ändern lässt
rüber machen, wo im Gehirn die Heureka-Ereignis- und dass sich dies auf deren Denkweise auswirkt. Sie
se stattfinden. Bei einem Geistesblitz beobachteten beeinflussten die visuelle Aufmerksamkeit, indem
die Forscher einen Aktivitätsausbruch im rechten sie den Versuchspersonen unterschiedliche Aufgaben
Schläfenlappen oder genauer im sogenannten rech- stellten. Mussten diese sich stark konzentrieren und
ten anterioren Gyrus temporalis superior. Menschen, unwichtige Informationen ausblenden (jeweils einen
bei denen diese Region geschädigt ist, etwa durch Buchstaben in der Mitte des Bildschirms identifizie-
einen Schlaganfall, haben Schwierigkeiten damit, ren, ohne sich durch weitere Buchstaben daneben
Metaphern oder Witze zu verstehen (was eine Art ablenken zu lassen), lösten sie Worträtsel anschlie-
Mini-Aha-Effekt erfordert). ßend eher analytisch. Erforderte die visuelle Aufga-
be, dass sie einen möglichst großen Bereich über-
Der Geistesblitz und das Gehirn blickten (sehr schnell gezeigte Tiere identifizieren),
Die Neurowissenschaftler konnten außerdem zeigen, lösten sie später die Aufgaben eher mittels plötzlicher
dass sich die Gehirnaktivität von Menschen, die Pro- Einsicht.
bleme eher mittels Einsicht lösen, bereits im Ruhe- (Nicht-)Sehen spielt nicht nur im Vorfeld eine
zustand von derjenigen von Personen unterscheidet, Rolle, sondern auch im Moment der Erleuchtung.
die eher analytisch vorgehen. Bei „einsichtsvollen“ Laut John Kounios wird das visuelle System eines
Denkern war die rechte Gehirnhälfte aktiver. Dort Menschen unmittelbar vor einer Einsicht wenige
werden anscheinend eher lose Verbindungen zu „ent- hundert Millisekunden lang gehemmt. Er erklärt:
fernten“ Aspekten eines Problems hergestellt. Bei „Stellen Sie es sich so vor: Wenn man Menschen eine
analytischen Personen war der linke frontale Bereich schwierige Frage stellt, schauen sie oft weg, um sich
aktiver, der bei der Kontrolle der Denkvorgänge und besser darauf zu konzentrieren.“ Vielleicht schauen
beim konzentrierten Arbeiten eine Rolle spielt. sie nach unten oder schließen sogar die Augen. „Das

38 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Gehirn tut genau dasselbe.“ Möglicherweise besitzt spruchslose Tätigkeiten dagegen, auch das haben
es die Informationen zur Lösung eines Problems auf Forscher gezeigt, begünstigen das Tagträumen, das
einer unbewussten Ebene, doch die Ablenkung durch heißt, unsere Gedanken können, keinem speziellen
andere Signale ist zu groß, um dies zu bemerken. Ziel folgend, hierhin und dorthin wandern, und das
Deshalb blockiert das Gehirn die visuellen Informa- Gehirn kann Verbindungen zu obskuren Fakten oder
tionen kurz, und die Lösung lässt sich nun auffinden. Vorstellungen finden, die weiter entfernt liegen und
Direkt vor einem Aha-Moment blinzelten Versuchs- die unerwarteterweise die Lösung enthalten.
personen länger als bei einem analytischen Vorgehen. Solche Zusammenhänge lassen sich besser her-
Außerdem schauten sie eher von der auf dem Bild- stellen, wenn wir über ein umfangreiches Wissen aus
schirm präsentierten Aufgabe weg. Das fand Carola ganz unterschiedlichen Lebensbereichen verfügen.
Salvi im Zuge ihrer Doktorarbeit an der Universität In einer Veröffentlichung mit der Überschrift „Küns-
von Mailand heraus und bestätigte damit die Er- te fördern wissenschaftlichen Erfolg“ stellten Robert
kenntnisse der beiden Amerikaner. Root-Bernstein von der Michigan State University in
East Lansing und seine Kollegen Folgendes fest: Wis-
Nichtstun führt nicht zu Einsichten senschaftler, die einen Nobelpreis erhalten haben,
Manchmal haben wir uns stunden- oder tagelang gingen häufiger künstlerischen oder handwerklichen
mit einem Problem abgemüht – und dann fällt uns Hobbys nach als andere herausragende Kollegen
die Lösung beim Kochen oder Spazierengehen schein- (etwa Mitglieder der britischen Royal Society), die
bar wie aus heiterem Himmel ein. Oder beim Du- dies wiederum öfter taten als andere Wissenschaft-
schen. Der Drehbuchautor und Oscarpreisträger Aa- ler. Nobelpreisträger spielten beispielsweise häufiger
ron Sorkin duscht beispielsweise bis zu sechsmal am ein Instrument, malten, schrieben Gedichte oder
Tag, um auf neue Ideen zu kommen, denn es hilft Romane oder traten als Zauberkünstler oder Laien-
ihm, so sagt er, wenn er sich blockiert fühlt. Shelley schauspieler auf.
Carson von der Harvard University erklärt: „Eine Menschen, die besonders kreativ sind, können au-
Ablenkung sorgt für die Unterbrechung, die man ßerdem scheinbar unwichtige Informationen aus der
benötigt, um sich von der Fixierung auf ineffektive Umwelt nur schwer ausblenden. Die sogenannte
Lösungen zu befreien.“ Denn was uns oft im Wege latente Hemmung oder Inhibition ist bei ihnen nur
steht und einen Geistesblitz verhindert, ist die soge- schwach ausgeprägt. Das heißt: Sie lassen sich
nannte funktionale Fixierung. Das heißt, wir sind leichter ablenken. Das kann hilfreich sein, denn
gewohnt, Dinge, Vorgänge und Aufgaben auf eine vielleicht schnappt man aus dem Gespräch der Kol-
bestimmte Weise zu betrachten. Wir ordnen einem legen etwas auf, nimmt auf einem Werbeplakat etwas
Gegenstand zum Beispiel eine bestimmte Rolle oder wahr oder entdeckt in der Natur etwas, das auf un-
Funktion zu: pine steht für einen Nadelbaum, der erwartete Weise zur Lösung eines Problems beiträgt.
neuentwickelte Klebstoff ist nicht so stark, wie er sein Untersuchungen von Shelley Carson ergaben, dass
soll, Kletten verhaken sich hartnäckig in unserer Klei-
dung. Lösen wir uns von dieser Fixierung und sehen
die Dinge aus einer anderen Perspektive, bilden wir
das Wort pineapple (Ananas), erfinden die Haftno-
tizzettel, oder uns kommt die Idee für den Klettver-
schluss.
Die Lösung der Fixierung funktioniert am besten,
wenn wir uns einfachen Aufgaben widmen, die ei-
nerseits Kontrollprozesse im Gehirn so beschäftigen,
dass es die vorgefassten Ideen loslässt, und die ande-
rerseits nicht die gesamte Arbeitskraft unseres Anspruchslose Tätigkeiten
Denkorgans erfordern, sodass es sich sozusagen im
Hintergrund einem kreativen Problem widmen kann. begünstigen das Tagträumen.
Bei diesen simplen Tätigkeiten geht es nicht darum,
dem Gehirn zu ermöglichen, sich auszuruhen, damit
Beim Bügeln, Spazierengehen,
es neue Kraft für weitere Überlegungen schöpfen Duschen kommt das
kann. Nichtstun führt nämlich zu weniger Einsich-
ten, das haben verschiedene Studien ergeben. An- Gehirn auf neue Gedanken
PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 39
Aha-Momenten eine s % INEPOSITIVE3TIMMUNGKANNEBENFALLSEINEN
umfassenderen Geisteszustand erzeugen, bei
Chance geben: Sich Zeit dem wir unsere Scheuklappen ablegen, und so
Aha-Momente begünstigen. Kounios und
lassen und ruhig mal Beeman schreiben, „dass Menschen in einer
Aufgaben auf die lange ruhigen und glücklichen Verfassung Probleme,
die eher kreative Einsicht erfordern statt analy-
Bank schieben tisches Denken, besser lösen können. Dabei spiel-
te es keine Rolle, wie die gute Laune herbeige-
führt wurde.“ Bei einer Studie, die dies bestä-
tigte, wirkte bei der Musik, die getestet wurde,
das Allegro aus Eine kleine Nachtmusik von Mo-
zart besonders gut und bei den Videos das eines
Studenten, die besonders hohe Werte in Kreativitäts- lachenden Babys.
tests erzielten, andererseits bei Messungen der laten- s 3EINEEIGENE&ORSCHUNGUNDDIEANDERER7IS-
ten Hemmung schlechter abschnitten. Gleichzeitig senschaftler hat laut Kounios weitere Faktoren
lag ihr IQ im Durchschnitt höher. Carsons Koautor zutage gefördert, die plötzliche Einsichten be-
Jordan Peterson bewertet Letzteres so: „Wenn man günstigen: „Große Räume mit hohen Decken
offen ist für neue Informationen, neue Ideen, sollte erlauben es der visuellen Aufmerksamkeit, sich
man besser fähig sein, diese intelligent und sorgfäl- auszudehnen.“ Dieser Effekt verstärkt sich, wenn
tig zu verarbeiten und auszuwählen. Wenn man 50 man sich nach draußen, in die Weite der Natur
Einfälle hat, sind wahrscheinlich nur zwei oder drei begibt. Auffallende Gegenstände dagegen fesseln
gut. Man muss in der Lage sein zu unterscheiden, die Aufmerksamkeit, sodass man eher analy-
oder man wird überfordert.“ tisch als kreativ denkt.
s -ANCHMALMUSSMANSICHAUCHEINFACH:EIT
Günstige Bedingungen schaffen lassen, damit ein Aha-Moment die Chance er-
Nicht jeder macht eine nobelpreiswürdige Entde- hält, sich einzustellen. Psychologieprofessor
ckung. Aber plötzliche Einsichten bereichern auch Adam Grant empfiehlt in seinem Buch Nonkon-
den Alltag. Doch was können wir tun, um Aha-Mo- formisten. Warum Originalität die Welt bewegt,
mente zu erleben? Vermutlich jeder hat schon einmal wir sollen mehr prokrastinieren, also Aufgaben
die Erfahrung gemacht, dass sich Erleuchtungen nicht aufschieben. Das verlängert die Inkubationspha-
erzwingen lassen. Man kann jedoch günstige Bedin- se, was dem Gehirn erlaubt, originellere Ideen
gungen schaffen, die ihr Auftreten wahrscheinlicher zu entwickeln, indem es Querverbindungen
machen: herstellt und/oder neues, nicht unmittelbar
s %SSCHADETNICHT EINWENIGABGELENKTZUSEIN relevantes Wissen erwirbt. Auf die Frage, ob es
wenn man ein Problem durch eine plötzliche stimme, dass er ein Meisterprokrastinierer sei,
Einsicht lösen will. Im Gegenteil. Die Schrift- antwortete der Drehbuchautor Aaron Sorkin in
stellerin Kristine Kathryn Rusch hat dafür ein einem Interview: „Sie nennen es Prokrastinieren,
schönes Bild gefunden: „Wenn ich abgelenkt bin, ich nenne es Nachdenken.“
prallt alles in meinem Kopf aufeinander. Am
Ende habe ich ein ganzes Bündel von Erkennt- Und was tut John Kounios selbst, wenn er neue
nissen, die alle aus der Kollision von Ideen ent- Ideen entwickeln möchte? Der Psychologe nutzt die
stehen.“ Einsichten stellen sich eher ein, wenn 45-minütige Zugfahrt von seinem Zuhause zur Uni-
man etwas schläfrig ist. Eine Studie ergab, dass versität. Dabei setzt er Kopfhörer auf, die ihn von
Frühaufsteher nachmittags mehr zündende Umgebungsgeräuschen abschirmen, sowie eine
Ideen hatten, während Nachteulen morgens Sonnenbrille und schließt die Augen. Und dann lässt
zwischen halb neun und halb zehn kreativer er seine Gedanken wandern. PH
dachten. Wer nicht hellwach ist, so vermuten
die Psychologinnen Mareike B. Wieth and Rose
T. Zacks, lässt sich leichter ablenken und nimmt
dadurch nutzlose, aber eben auch nützliche Hin- Eine Literaturliste zu diesem Beitrag finden Sie auf unserer
weise eher wahr. Website: www.psychologie-heute.de/literatur

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


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PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 41
Wie ticken
Hundehalter?

In früheren Zeiten waren Hunde Nutz-


und Arbeitstiere. Heute gelten sie als
des Menschen bester Freund und erfül-
len soziale und emotionale Bedürfnisse
ihrer Besitzer. Ist das eine gesunde
Entwicklung für Mensch und Tier?
VON MARTIN HECHT
P
sychologie ist die Wissen- schal, Dennis C. Turner und Kerstin onen Euro führt, wie die Stadtreinigung
schaft vom Menschen. Aber Uvnäs Moberg gewonnen haben. Immer Hamburg ausgerechnet hat. Das Gebell
sie macht auch vor den Tie- wieder ist auch von einer Vielzahl von der Tiere stellt gerade in urbanen Zentren
ren nicht halt. Tatsächlich Studien die Rede, die zeigten, dass Hunde eine große Lärmbelästigung dar. Hunde
gibt es innerhalb der Hun- vor Depressionen schützen, für Stressab- stinken, machen Dreck, und viele sind ge-
dewissenschaft (Kynologie) die noch jun- bau sorgen oder dass etwa Herzinfarkt- fährlich, schüchtern Menschen ein – oder
ge Disziplin „Hundepsychologie“, die sich patienten eine deutlich bessere Chance verletzen sie gar: Nach Angaben des Deut-
mit dem Seelenleben unserer Vierbeiner auf Gesundung haben, wenn sie einen schen Ärzteblatts International (25/2015)
beschäftigt. Was es dagegen bis heute nicht Hund besitzen. Die vorläufig letzte Ent- erleiden in Deutschland jährlich 30 000
gibt, ist eine Psychologie des Hundehal- deckung in der langen Liste des Hunde- – 50 000 Menschen Bissverletzungen, 60
tens. Eine Wissenschaft müsste das sein, benefits: beim Streicheln schütten wir bis 80 Prozent davon werden durch Hun-
die Antworten auf die spannenden Fragen Hormone aus – und erleben dadurch in- de verursacht.
liefert: Warum gibt es so viele Menschen tensives Bindungsglück. Dem stehen die Hundeliebhaber nehmen für sich in
auf der Welt, die gezähmte Raubtiere be- Argumente von Hundegegnern gegen- Anspruch, wahre Tierliebe zu leben. An-
herbergen und diese an einer – zur Not über: Was für den Einzelnen eine Wohltat dere sagen, wahre Tierliebe sei, sich – zu-
auch noch ausfahrbaren – Laufleine durch sei, sei für die Allgemeinheit eine große mal in der Großstadt – erst gar keinen
unsere Grünanlagen führen? Warum hal- Hund anzuschaffen. Über das Hundehal-
ten sich Menschen Hunde, zumal in Zei- ten zu sprechen ist immer schwierig, denn
ten ihrer weitgehenden ökonomischen immer ist es emotional aufgeladen.
Nutzlosigkeit? Hundezeitschriften behan- Warum? Die Antwort ist einfach: Für
deln gerne die Frage „Wie ticken unsere Früher hatten Hunde manche Menschen ist der Hund eben oft
Hunde?“. Mindestens so interessant ist viel mehr als nur ein Tier.
draußen eine Hütte.
aber: Wie ticken eigentlich Hundehalter? Hunde hatten für den Menschen immer
Heute ist der
Die Zahl der Hunde hierzulande steigt schon bestimmte Funktionen. Auffällig
Jahr für Jahr langsam, aber stetig an. Heu- Hund drinnen. Und ist, dass sich diese in den letzten hundert
te besitzen in Deutschland fast sieben Mil- immer auch da, Jahren stark gewandelt haben. Von der
lionen Menschen Hunde, um mit ihnen wo der Mensch Jungsteinzeit bis noch ins frühe 20. Jahr-
aus freien Stücken nicht nur Haus und Hof, ganz bei sich ist hundert hatte die Hundehaltung haupt-
sondern oft auch Wohn- und Schlafzim- sächlich den Sinn, dem Menschen das
mer, ja manchmal sogar das Bett zu teilen. Überleben zu sichern – oder es zumindest
43 Prozent der Hunde leben in Haushalten zu erleichtern. Hunde waren Nutz- oder
mit drei oder mehr Personen, 33 Prozent Arbeitstiere, für den Menschen sollten
werden von Paaren gehalten und 23 Pro- Belastung. „Hunde sind ärgerlich, lästig sie jagen, arbeiten, seine Lasten ziehen,
zent von Singles, wie das Markforschungs- und gefährlich. Gefährlich, weil in jedem ihn beschützen und seine Viehherden
institut Skopos im Jahr 2014 ermittelte. Hund ein potenzieller Beißer steckt; lästig behüten.
Oberflächlich betrachtet gibt es für den wegen des ständigen Gekläffes und ärger- Seit etwa den zwanziger Jahren des letz-
eigenen Hund gute Gründe. Wissen- lich wegen des widerlichen Kots auf den ten Jahrhunderts traten diese „äußeren“
schaftler verweisen immer wieder auf Gehwegen, in den Bürger auf ihren Steigen Funktionen jedoch allmählich in den
den wohltuenden Effekt, den er auf den mindestens einmal pro Jahr hineintreten“, Hintergrund. In den westlichen Wohl-
Menschen ausübt. Wer einen Hund hat, sagt Wulf Beleites. Er ist Buchautor und standsgesellschaften hat das Abrichten
bewege sich zwangsweise mehr, ein Hund Chefredakteur seines Antihundemaga- eines Hundes längst keinen unmittelbaren
halte einen auf Trab. Hunde ersetzten zu- zins Kot & Köter, mit dem er all den auf- Zweck für das Überleben unserer Spezies
dem menschliche Nähe und führten Men- lagenstarken Hundezeitschriften Paroli oder die Subsistenz des menschlichen
schen zusammen, zumal beim Gassi-ge- und inmitten des allgemeinen Hunde- Lebens mehr, sondern ihre Funktion für
hen, sie seien soziale Katalysatoren. Dazu Hypes auch den Hundegegnern ein den Menschen ist eine „innere“ geworden.
komme der therapeutische Nutzen Sprachrohr bieten möchte. „Heute erfüllen Hunde eher soziale und
sogenannter tiergestützter Interventionen Tatsächlich, Statistiken zufolge produ- emotionale Bedürfnisse des Menschen wie
bei verschiedenen psychischen Erkran- zieren Hunde bei uns knapp 540 000 Ton- den Wunsch nach einem Freund und nach
kungen. Sie förderten die psychische nen Kot pro Jahr, der in noch immer gro- Nähe“, sagt die Psychologin Andrea Beetz
Gesundheit, so die Kurzformel der Er- ßer Menge auf den Gehwegen unserer vom Department für Verhaltensbiologie
kenntnisse, die etwa die Hundeforscher Städte abgeladen wird und zu jährlichen der Universität Wien. Genau besehen
Henri Julius, Andrea Beetz, Kurt Kotr- Entsorgungskosten von knapp 15 Milli- gehören zu diesen „inneren“ Bedürfnissen

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 43


tatsächlich all jene, die sich in einem auch noch „erziehen“ kann, wenn sie ver- gen. Hunde grüßen heute sogar schon von
menschlichen Leben regen: vom Bedürf- menschlicht werden. Geht man davon aus, der Weihnachtskarte. Gerne kommt der
nis nach Liebe beziehungsweise geliebt dass Hunde heute von vielen Menschen Hund auch mit aufs Klingelschild oder
zu werden bis hin zum Willen zur Macht für emotionale und soziale Zwecke gehal- den Briefkasten. Er ist häufig Teil der Fa-
und ihrer Ausübung. Zu allen diesen ten werden, dann ist dies auch verständ- milie, und entsprechend wird mit ihm
Zwecken können Hunde instrumentali- lich. Der Mensch kann schlechterdings kommuniziert: Mal spricht man mit ihm
siert werden. nur von sozialen oder emotionalen Qua- gebieterisch aus einer Art Elternperspek-
litäten profitieren, von denen er sich ir- tive, mal wieder verständnisvoll und zärt-
„Partner Hund“ suggeriert gendwie einbildet, diese auch von einem lich wie mit dem Lebenspartner. Der
Ebenbürtigkeit Menschen – oder zumindest einem men- Hund, zumal wenn Kleinkinder da sind,
Hundehalter sprechen dennoch gerne vom schenähnlichen Wesen – zu erhalten. Der ist selbst eine Mischung aus Geschwister-
„Partner Hund“. So nennt sich auch eine Mensch muss den Hund also erst zu sei- kind und Elternersatz, er ist wahlweise
der erfolgreichsten deutschen Zeitschrif- nesgleichen „umbauen“, damit er sich als Spielkamerad, eine Art lebendiges Ku-
ten für Hundehalter. Auch in der Hunde- Partner oder Freund eignet. scheltier, Beschützer und Verteidiger der
wissenschaft ist oft die Rede von den Vier- Ein Blick in die Hundewelten gibt dem Familie und dann wieder Symbol eines
beinern als „Sozialpartnern“. Obwohl der recht: Für Hunde gibt es inzwischen fast bestimmten Lebensstils. Er behütet die
Begriff neutral gehalten ist, irritiert er nichts mehr, was es nicht auch für Men- Gruppe und gibt auch dann noch den Kin-
doch: Im alltäglichen Sprachgebrauch hat schen gibt. Aus den USA kommt Dog TV, dern Zuwendung, wenn die überbeschäf-
sich der Begriff „Partner“ vor allem zur ein eigenes Fernsehprogramm für Hunde. tigten Eltern sie nicht aufbringen.
Bezeichnung des Lebenspartners durch- Unterwäsche für Hunde war der letzte Und damit der Hund selbst nicht ein-
gesetzt. Oder er ist zumindest für solche Schrei bei der letzten „Interzoo“ – einer sam sei unter all den Menschen, gibt es
Beziehungen reserviert, die Ebenbürtig- Fachmesse für Heimtierhaltung, in Mün- mittlerweile einen Trend zum Zweithund
keit kennen. Es würde niemand auf die chen gibt es – nicht nur als Oktoberfest- – übrigens mehrheitlich bei Singles: Wo
Idee kommen, den eigenen Sohn oder die Gag – eine Dirndlschneiderin für Hün- der Ersthund dazu da ist, die Einsamkeit
eigene Tochter im Kleinkindalter einen dinnen. Ein ganz großer Trend sei, wie seines Herrchens zu vertreiben, ist es Sinn
„Partner“ oder eine „Partnerin“ zu nen- der Bundesverband der Deutschen Tou- und Zweck des Zweithunds, die vermu-
nen. Auch „Partner Hund“ suggeriert ei- rismuswirtschaft bekanntgab, der Urlaub tete Einsamkeit beim Ersthund zu ver-
ne Ebenbürtigkeit, die es nicht gibt. nicht nur mit, sondern für den Hund. Auf scheuchen. Noch kurioser: Es gibt inzwi-
Noch fragwürdiger ist es, wenn Men- Sylt bietet ein Händler Strandkörbe in schen – etwa auf der Heimtierartikel-Web-
schen sogar von Hunden als „Freunden“ Hundegröße an, inzwischen gibt es, nicht site „zooplus“– einen florierenden Markt
sprechen. Der Hund sei der beste Freund nur in Urlaubsorten, Wellnessoasen für für Stoffhunde für einsame Hunde. Ein
des Menschen, heißt ein unumstößlicher den Hund, eigene Massagesalons, Hunde- idealtypisches Beispiel dafür, wie Projek-
Bekenntnissatz vieler Hundeliebhaber. Yoga. Wenn der Hund gesundheitliche tionsprozesse in der Psychologie ablaufen.
Die Autoren Christoph Jung und Danie- Probleme hat, gibt es Hundeärzte, die bei Sigmund Freud, selbst stolzer Halter
la Pörtl beschwören in ihrem Buch Tierisch Infarktgefahr Bypässe legen oder den Tie- einer Chow-Chow-Hündin namens Jofi,
beste Freunde diese angeblich so enge ren auch nur etwas Entschleunigung oder verstand unter Projektion, diesem Schlüs-
Freundschaft. Aber kann ein Hund des mehr Achtsamkeit verordnen. selbegriff der Psychologie, bekanntlich
Menschen Freund sein? Menschen wählen „das Verfolgen eigener Wünsche im an-
ihre Freunde in emotionaler Entschei- Mittlerweile geht der deren“. Projektives Verhalten bezeichnet
dungs- und Willensfreiheit, das Tier hin- Trend zum Zweithund demnach das Hineininterpretieren eige-
gegen folgt seinen Instinkten und akzep- Die Vermenschlichung des Hundes zeigt ner Wünsche und Bedürfnisse in den
tiert im Menschen den Rudelführer, dem sich vor allem aber darin, dass die Vier- Hund sowie das Umdeuten derselben, als
es sich – wenn alles gutgeht – in den meis- beiner heute immer mehr wie ein Fami- seien sie ganz und gar jene ureigenen des
ten Fällen unterordnet. Und zur Freund- lienmitglied behandelt werden. Noch vor Tieres. Wenn Herrchen friert, bekommt
schaft gehört die Liebe: Kann ein Tier lie- dreißig Jahren hatten viele Hunde eine der Hund ein Pullöverchen übergezogen.
ben? Es hat Gefühle, kann sich freuen oder Hütte – draußen vor der Haustür. Heute Wenn Frauchen Zärtlichkeit möchte, wird
ängstlich sein, aber es kann keine emoti- ist der Hund drinnen und immer auch mit dem Hund gekuschelt, weil der an-
onal begründete Beziehung aufbauen – da, wo der Mensch ganz bei sich ist. Vie- geblich so verschmust ist. Der Psychome-
das kann der Mensch zum Tier, aber nicht le Hundebesitzer nehmen Amy, Lucky chanismus ist immer derselbe: Der Halter
andersherum. oder Charlie überall mit hin: ins Wohn- ist bedürftig, projiziert die Bedürftigkeit
Hunde werden erst dann zu „Freunden“ zimmer, ins Hotelzimmer, ins Restaurant, aber auf den Hund, und indem er die an-
und „Partnern“ oder zu Wesen, die man ins Flugzeug, in fremde Privatwohnun- gebliche Bedürftigkeit des Tieres stillt,

44 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


stillt er das eigene Bedürfnis. Das eigene Der Mensch meint,
Bedürfnis wird also gleichermaßen ex- dem Tier etwas Gutes
portiert und am Tier befriedigt. Dafür
zu tun – und tut es
sorgt – zumal bei Zärtlichkeitsbedürfnis-
doch nur für sich selbst
sen – ein hormonelles Belohnungssystem:
„Beim Kontakt zum Hund“, schreibt An-
drea Beetz, „werden dann auch Hormone
aktiviert, die zum Wohlbefinden des Men-
schen beitragen. Gerade das Streicheln ist
etwas Besonderes in der Beziehung zum
Hund. Körperkontakt ist uns wichtig, er
ist aber im zwischenmenschlichen Bereich
stark reglementiert. Mit dem Hund ist er
aber einfach herzustellen, und schon drei
Minuten Hundstreicheln führt zu einer
signifikanten Ausschüttung des Hormons ©2014 F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Oxytocin, das Stress reduziert und zu Re-
generation und Wohlbefinden beiträgt.“ Tier stets in beide Richtungen emotions- arzt und Psychotherapeut Donald Win-
Anders ausgedrückt: Die Streicheleinhei- regulierend wirkt. nicott solche Kuscheltiere bezeichnet hat,
ten, die der Mensch nötig hat, werden dem Man hat übrigens herausgefunden, dass beschreibt sie so: „Das Übergangsobjekt
Tier verabreicht – am Ende aber vor allem dieselben stabilisierenden Funktionen repräsentiert die Mutter in ihrer Abwe-
vom Menschen als wohltuend empfunden. nicht nur Heimtiere wie Hunde auf ihre senheit. Das Kind überträgt darauf seine
Halter ausüben können, sondern sehr häu- Emotionen, was dazu führt, dass ein Bild
Beleidigst du meinen Hund, fig auch „tote“ Objekte. Wie etwa Kuschel- der Mutter in der Vorstellung des Kindes
beleidigst du mich tiere. Mit deren psychologischen Funkti- entsteht. Die intakte Mutter-Kind-Bezie-
Das Projektionsverhalten vieler Halter onsweisen für den Menschen hat sich die hung ist entscheidend für die auf diese
geht mittlerweile so weit, dass sich Psychiaterin Inga Keterling in ihrer Dis- Weise entstehende Erkenntnis des eigenen
Hundehalter von Menschen, die sich nur sertation auseinandergesetzt. Darin ging Selbst und die Ausbildung einer stabilen
von ihren Hunden belästigt fühlen, oft es ihr um die Rolle von Kuscheltieren bei Emotionsregulation. Einen ähnlichen
persönlich angegriffen fühlen. „Etwas Patientinnen mit Borderline-Persönlich- Mechanismus stellt man sich auch bei
gegen den Hund zu sagen heißt für viele, keitsstörung. Der Arbeit vorausgegangen Erwachsenen vor.“
am Heiligsten rühren, was der Mensch war ihre Beobachtung, dass sehr viele In unserer Gesellschaft sind Hunde so
hat“, schrieb Kurt Tucholsky. Der Grund dieser Patientinnen, die in der Psychiatrie etwas wie lebendige Kuscheltiere gewor-
liegt auf der Hand: Der Hund ist eine Er- stationär behandelt wurden, Kuscheltiere den. Und das nicht nur für Kinder, son-
weiterung des Selbst seines Halters, er ist bei sich hatten. Die Frauen gaben an, dern für das Gros ihrer Halter. Tätscheln
ein ausgelagerter Teil der eigenen Per- diese Objekte zur Angstreduktion und des Hundes ist immer auch Tätscheln des
sönlichkeit, man kann auch sagen: sein Beruhigung zu brauchen. Zudem erfüllte eigenen Selbst. Am Ende ist des Menschen
Alter Ego – eine Erweiterung des eigenen sie häufig eine Beschützerfunktion oder große Zuneigung zum Hund stets moti-
Egos allerdings im doppelten Sinn. Er stammte von wichtigen Bezugspersonen, viert vom so schwer erfüllbaren Wunsch,
repräsentiert Anteile des verletzten wie die sie repräsentierte. „Man weiß“, sagt selbst geliebt und beschützt zu werden.
des unversehrten Selbst. Er ist das Keterling, „dass Kuscheltiere zu einer Auch wenn er seine Gefühle für wahre
verletzte und vernachlässigte Selbst, das normalen kindlichen Entwicklung dazu- Tierliebe hält. Im Grund ist es ein Miss-
wir trösten, aufrichten und umsorgen und gehören. Sie spielen bei der Bewältigung verständnis. Aber eines, das schon so alt
dem wir wie eine Mutter Liebe, Gebor- von wichtigen Entwicklungsaufgaben ist wie die Geschichte der Domestizierung
genheit und emotionale Stabilität geben. eine zentrale Rolle. Viele Borderlinepati- von Tieren zu Zwecken, die jenseits jeder
Und er ist zugleich das unversehrte Selbst, entinnen scheinen diese Entwicklungs- ökonomischen Nützlichkeit liegen: Der
das selbst dann noch heil und gesund schritte nicht adäquat vollzogen zu haben Mensch meint, dem Tier etwas Gutes zu
bleiben soll, wenn andere Anteile der und können deshalb diese emotional tun – und tut es doch nur für sich selbst.
betreffenden Persönlichkeit leiden. Der wichtigen Objekte bis ins Erwachsenen- PH
Hund ist gleichermaßen Bemutterungs- alter nicht ablegen.“ Die psychisch stabi-
objekt für seinen Halter wie selbstMutter lisierende Funktionsweise dieser „transi- Literatur zu diesem Artikel finden Sie unter
für ihn, wobei die Interaktion mit dem enten Objekte“, wie der englische Kinder- www.psychologie-heute.de/literatur

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 45


Die Lizenz
zur Sünde
Wir tun Gutes. Damit, so
glauben wir, haben wir uns
die Erlaubnis zu unmorali-
schem Handeln erkauft
VON JOCHEN PAULUS

D
er Bürgerkrieg in der Region Darfur gesammelten Daten auswerteten. „Facebook hat
im Westen Sudans zählt zu den eine Illusion von Aktivismus hervorgezaubert, aber
größten Katastrophen der vergan- keinen wirklichen“, kommentieren die Untersucher
genen Jahre. Mehrere Hunderttau- bitter. Andere Wissenschaftler tauften solches
send Menschen sind bei den Kämp- rein symbolische Helfertum „Faulenzerismus“ (slack-
fen gestorben, mehrere Millionen wurden aus ihren tivism).
Dörfern vertrieben. Das rüttelte auch über eine Hilfsorganisationen können ein Lied singen von
Million Nutzer des riesigen sozialen Netzwerks billig zu habender Hilfsbereitschaft dieser Sorte. So
Facebook auf – jedenfalls ein bisschen. Sie traten ei- startete UNICEF Schweden 2013 eine sarkastische
ner Darfur gewidmeten Onlinegruppe bei, wo Mit- Kampagne. „Liked uns auf Facebook, und wir wer-
glieder spenden und neue Mitglieder werben konnten. den null Kinder gegen Polio impfen“, höhnt eine An-
Doch 72 Prozent gewannen keinen einzigen neuen zeige. Ein Video zeigt einen dunkelhäutigen Jungen
Anhänger, und weit über 99 Prozent spendeten in einer armseligen Behausung. Er macht sich Sorgen,
keinen Cent. Diese traurige Bilanz zog ein Team um so krank zu werden wie seine Mutter, sodass sich
den Soziologen Kevin Lewis von der University of niemand mehr um seinen kleinen Bruder kümmern
California in San Diego, als die Forscher 2014 die könnte. Doch er hat Hoffnung: „Heute hat UNICEF

46 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


um eine kleine Geldspende für die Veteranen.
Es kam wie befürchtet: Diejenigen, die bereits
eine Nadel trugen, fanden offenbar, dass sie schon
genug Engagement bewiesen hatten. Sie spende-
ten nicht einmal halb so viel wie die anderen.

Den eigenen Heiligenschein polieren


Beim moralischen Ablasshandel ist es aber
nicht damit getan, öffentlich die eigene Recht-
schaffenheit zu demonstrieren. Wir wollen auch
vor uns selbst gut dastehen. „Ein positives Selbst-
bild zu bewahren, halten Psychologen schon
lange für eines der stärksten psychologi-
schen Motive“, resümiert der Sozialpsycho-
loge Daniel Effron von der London Business
School. Gordon Allport, Mitbegründer der
humanistischen Psychologie, nannte dies
eines „der ältesten Gesetze der Natur“.
Erst recht zu den ältesten Gesetzen der Natur zählt
allerdings auch, dass uns das nicht leichtfällt. Ständig
sind wir in Versuchung, Dinge zu tun, die dem eige-
nen Heiligenschein nicht gut bekommen. Oft genug
geben wir nach. Umso unbekümmerter sind wir aber,
wenn wir uns gerade mal zu einer guten Tat aufge-
schwungen haben – und sei es eben nur ein Klick für
eine noble Sache oder das Tragen einer Gratisnadel.
Dann fühlen wir uns moralisch derart einwandfrei,
dass wir auf weitere Anstrengungen guten Gewissens
verzichten und dem weniger edlen Teil unserer Natur
folgen. „Moralische Selbstlizenzierung“ nennen Psy-
chologen dieses Phänomen.
Die klassische Studie veröffentlichten Benoît Mo-
nin und Dale Miller, die damals beide an der Prince-
ton University lehrten (heute sind sie in Stanford), im
Jahr 2001. Bei einem ihrer Experimente ließen sie
einen Teil ihrer Versuchspersonen zunächst morali-
Schweden 177 000 Likes auf Facebook. Vielleicht sche Pluspunkte sammeln. Sie sollten entscheiden,
haben sie im Sommer 200 000 geschafft. Dann soll- welchen von fünf Bewerbern sie für eine Unterneh-
ten wir keine Sorgen mehr haben.“ mensberatung einstellen würden. Die Wahl war nicht
Zwar lässt sich nicht ausschließen, dass die Maus- besonders schwer. Der einzige schwarze Kandidat
helden woanders tatsächlich aktiv werden. Aber psy- brachte die besten Qualifikationen mit, und die meis-
chologische Experimente im Labor und im echten ten Teilnehmer votierten denn auch für ihn.
Leben belegen, dass es viele gern bei rein symboli- Obwohl sie damit eigentlich nur eine selbstver-
schem Engagement belassen. Kirk Kristofferson von ständliche Entscheidung getroffen hatten, fühlten sie
der Arizona State University ließ am Eingang einer sich nun offenbar ein Stück weit als vorurteilsfreie
ILLUSTR ATIONEN: JONI MAJER

Mensa anlässlich eines bevorstehenden Gedenktages Menschen. Das zeigte sich bei der nächsten, schwie-
kleine Anstecknadeln verteilen, mit denen den Teil- rigeren Aufgabe. Nun waren sie Polizeichef in einer
nehmern des Ersten Weltkriegs Ehre erwiesen wer- kleinen rassistischen Stadt und mussten neue Poli-
den sollte. Einen Teil der Studenten überredeten die zisten einstellen. Sollte die Hautfarbe keine Rolle
Forscher, die Nadel gleich zu tragen, die anderen spielen? Oder wären weiße Bewerber doch besser, da
sollten sie erst am Gedenktag anstecken. An der die vorhandenen Cops auf schwarze Kollegen erfah-
nächsten Ecke bat ein weiterer Forschungsassistent rungsgemäß feindselig reagierte? Die Studierenden,

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 47


die ihre Vorurteilsfreiheit vermeintlich bereits be- Moralische Selbstlizenzierung klappt keineswegs
wiesen hatten, sprachen sich stärker für weiße Be- nur im Labor. Das hat Wilhelm Hofmann von der
werber aus als jene, die diese Chance nicht gehabt Universität zu Köln bewiesen, als er noch in den USA
hatten, weil der qualifizierteste Bewerber bei ihrer forschte. Er ließ mehr als tausend Smartphonebesit-
ersten Aufgabe weiß gewesen war. zer mehrmals täglich in ihr Gerät eingeben, was für
Nach diesem Prinzip dürfte auch die Stimmab- moralische und unmoralische Taten sie in den letz-
gabe für Barack Obama vielen Wählern zu morali- ten Stunden vollbracht hatten. Dabei ging es um All-
scher Selbstbestätigung verholfen haben – anschlie- tägliches: lügen und die Wahrheit sagen, verbotener-
ßender Rassismus womöglich inklusive. Kurz vor weise bei der Arbeit im Internet surfen, einer alten
seiner Wahl im Jahr 2008 fragte Monin Studierende, Frau über die Straße helfen und dergleichen mehr.
für wen sie stimmen würden. Für das Experiment Hofmann analysierte, was passiert, wenn Menschen
wählte er dann ausschließlich Teilnehmer aus, die an einem Tag schon etwas Moralisches gemacht ha-
für Obama waren. Doch nur die Hälfte bekam an- ben. Nichts Gutes, wie sich zeigte. Die Wahrschein-
schließend Gelegenheit, ihre Unterstützung für ihren lichkeit für weitere gute Taten halbierte sich fast, die
Kandidaten auch offen zu bekunden. Danach fragte für schlechte verdoppelte sich. „Menschen ruhen sich
Monin seine Probanden wiederum, welche Ord- gern auch mal auf ihren moralischen Lorbeeren aus
nungshüter sie in besagtem Problemviertel einstellen und schlagen dann über die Stränge“, kommentiert
würden. Das Ergebnis: Wer zunächst den schwarzen Hofmann.
Präsidentschaftskandidaten unterstützen durfte,
sprach sich hinterher eher für weiße Polizisten aus. Nach dem Sport folgt die Sünde
Besonders praktisch ist, dass man sich noch nicht Es hilft also, erst einmal eine gute Tat zu begehen,
einmal selbst moralisch verhalten muss, am liebsten natürlich ohne viel Aufwand. Eine prima
um eine Lizenz für Vorurteile zu er- Möglichkeit ist ein Einkauf im Bioladen, denn bio-
halten. Maryam Kouchaki von der logische Produkte haben ein moralisches Image. Ni-
Northwestern University machte Stu- na Mažar von der University of Toronto ließ Studen-
dentinnen und Studenten weis, nach ten in einem von zwei Onlineshops einkaufen: einem
neuen Forschungsergebnissen seien biologischen oder einem normalen. Anschließend
Studierende ihrer Uni besonders sollten sie sechs Dollar nach Belieben zwischen sich
moralisch. Prompt wollten und einem (fiktiven) anderen aufteilen. Die Biokun-
sie im Experiment eher den gönnten dem anderen fast einen halben Dollar
weiße Polizisten heuern. weniger. In einem zweiten Versuch betrogen sie mehr,
um den eigenen Beutel zu füllen.
Der Ablasshandel floriert sogar bei Entscheidun-
gen, die nicht klassisch moralisch sind. Denn wir
verspüren auch uns selbst gegenüber Verpflichtun-
gen, die wir nicht gerne erfüllen – beispielsweise uns
mehr bewegen und weniger Bier trinken. Was liegt
näher, als das eine mit dem anderen zu verrechnen?
David Conroy von der Pennsylvania State University
ließ 150 Erwachsene viele Wochen lang täglich pro-
tokollieren, wie viel Sport sie getrieben und wie viel
Alkohol sie konsumiert hatten. Machten die Teil-
nehmer an einem Tag mehr Sport, tranken sie im
Schnitt auch mehr Alkohol. Sie fanden offenbar,
dass sie sich ihr Bier verdient hatten.
Gesundes Verhalten lässt sich sogar mit un-
moralischem Verhalten verrechnen, wie Chris-
tian Weibel an der Universität Bern demons-
trierte. Wenn seine Versuchspersonen
zuerst mit einer egoistischen Tat aus
ihrer Vergangenheit konfrontiert wur-
den, entschieden sie sich eher für einen

48 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Achtsamkeit
Apfel und Mineralwasser statt für einen Schokoriegel
und Cola – eine Art Selbstkasteiung? & Mitgefühl
Kredit auf die Moral von morgen in Therapie
Ein Problem der moralischen Selbstlizenzierung ist na-
türlich oft: Bevor man die Lizenz zur Unmoral hat, muss
und Gesellschaft
man etwas Gutes tun, und sei es noch so wenig. Aber
selbst diese geringe Mühe lässt sich noch einsparen, wie
Psychologen herausgefunden haben. FACHKONGRESS
Jessica Cascio von der Florida State University fragte
Studenten, ob sie Blut spenden würden, falls die Fakul-
mit
tät demnächst dazu Gelegenheit bieten sollte. Ob es da- Dr. Thorsten Barnhofer
zu wirklich kommen würde, stand in den Sternen, doch Dr. med Joachim Bauer
die meisten Studenten sagten ja – und das war ihnen Dr. Susan Bögels
offenbar Selbstrechtfertigung genug, um anschließend Christopher Germer, Ph.D.
ihren Vorurteilen freien Lauf zu lassen. Sie bejahten Linda Graham, MFT
wesentlich öfter subtile rassistische Statements wie
Dr. Paul Grossman
„Einige farbige Amerikaner sind so empfindlich beim
Thema Hautfarbe, dass es schwierig ist, mit ihnen aus- Russell Kolts, Ph.D.
zukommen“, aber auch ganz offen rassistische wie „In Mela Pinter, MSc
dem Haus, in dem ich lebe, will ich lieber keine Schwar- Dr. Luise Reddemann
zen wohnen haben“. Cascios Fazit: „Einfach kurz zu Ronald Siegel, Psy.D.
demonstrieren, dass man moralisch ist (oder in der
Zukunft moralisch sein wird), reicht, um subtile und
eindeutige Vorurteile zu lizenzieren.“ 23. – 25. Sept. 2016
Auch im Privatleben kann man über die Stränge Forum Merzhausen
schlagen, weil man ja in Zukunft ein besserer Mensch (bei Freiburg i. Br.)
sein wird. So nahmen in einer Studie weit mehr Studie-
rende ein Klatschblatt statt eines seriösen Wirtschafts-
magazins mit nach Hause, wenn sie wussten, dass sie Vorträge, Workshops und
in einer Woche vor die gleiche Wahl gestellt werden
Diskussionen u.a. zu
würden. Als sie dann tatsächlich wieder wählen durften,
folgenden Themen:
griffen die meisten freilich erneut zur leichten Lektüre.
Ganz perfekt ist die Methode allerdings nicht –
& Achtsamkeit in
schließlich könnte man mit seinem Versprechen ja beim
der Psychotherapie
Wort genommen werden. Womöglich bittet die Uni
wirklich zum Blutspenden, und dann hat man sich zum & Achtsamkeit zur
Aderlass verpflichtet. Eleganter ist da ein anderer An- Behandlung von
satz: Es genügt, sich daran zu erinnern, dass man sich Depressionen
in der Vergangenheit nicht so unmoralisch verhalten & Einführung in die
hat, wie man gekonnt hätte. Schon steht man in den Compassion Focused
eigenen Augen als Lichtgestalt da, die sich auch mal Therapy
danebenbenehmen darf. Was aber, wenn die Belege für
die eigene Rechtschaffenheit aus der jüngsten Zeit nicht & Achtsamkeit und
so recht überzeugen? Dann passt man die Vergangen- Positive Neuroplastizität
heit im Kopf eben ein bisschen an und frisiert die Er- & Was haben Achtsamkeit,
innerung entsprechend zurecht. PH Ethik und Therapie
miteinander zu tun?
& Mindful Parenting

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PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 49
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KÖRPER&SEELE REDAKTION:
THOMAS SAUM-ALDEHOFF

Im Urlaub lässt

Der Urlaubsspeck will nimmer weg man es sich


schmecken.
Das hat man
Falls Sie das tröstet: Nein, Sie sind nicht die oder der Nicht weiter dramatisch, sollte man meinen, zu- sich verdient!
Einzige. Im Urlaub nehmen die meisten Leute zu. mal sich die Teilnehmer im Urlaub mehr bewegten, Doch nach der
Rückkehr …
Jedenfalls in den USA ist das so, wie jetzt eine Studie insbesondere häufiger zu Fuß unterwegs waren als
von Jamie Cooper und Theresa Tokar bestätigt. Und daheim im Arbeitsalltag. Zudem fühlten sie sich we-
leider bestärken die Befunde auch die Befürchtung: niger gestresst als sonst, was auch dadurch bestätigt
Viele werden die Urlaubspfunde nicht mehr los. wird, dass ihr Blutdruck nach ihrer Rückkehr erfreu-
Die beiden Ernährungsforscherinnen der Univer- lich gesunken war. Offensichtlich hatten sie sich wäh-
sity of Georgia und der Texas Tech University befrag- rend ihrer Auszeit in der Ferne erholt, länger und
ten, wogen und untersuchten 79 Frauen und 43 Män- ausgiebiger als sonst getafelt und dabei vielleicht auch
ner zu drei Zeitpunkten: in der Woche vor ihrer ein- ein paar Gläser mehr getrunken. Das alles sei ihnen
bis dreiwöchigen Ferienreise, in der Woche nach der (und uns) gegönnt!
Rückkehr sowie sechs Wochen nach Urlaubsende. Das Problem ist nur: Auch sechs Wochen nach
Das Resultat: Unmittelbar nach der Reise hatten ihrer Rückkehr waren die Teilnehmer ihren Urlaubs-
knapp zwei Drittel der Teilnehmer zugenommen, speck nicht los, nicht mal zum Teil. Und ihr Bewe-
und zwar ziemlich genau nach der Formel: Je mehr gungsniveau war wieder aufs Vorurlaubstief gefallen.
Pfunde sie ohnehin mit sich herumschleppten, Cooper und Tokar befürchten daher, dass vor allem
desto mehr packten sie im Urlaub drauf. Der Rekord in den Urlauben (und den Weihnachtsferien) jenes
lag bei stolzen 3,16 Kilo Gewichtszuwachs. Auch Gewichtsplus draufgeschaufelt wird, das sich dann
wenn man diejenigen, die ihr Gewicht hielten oder über die Jahre langsam, aber kontinuierlich anhäuft
sogar abnahmen, hinzuzählt, stand unter dem Strich – bei manchen bis zur Fettleibigkeit.
gleichwohl ein durchschnittliches Gewichtsplus
von 0,32 Kilo. DOI: 10.1016/j.physbeh.2015.12.028

52 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Wer sein Gewicht halten will,
ALSO
SPRACH
sollte beim Essen auf laute ÄSKULAP
Musik und auch sonst alles
verzichten, was ihn akustisch ablenken
könnte. Denn US-Forscher haben jetzt „Nackt im Bade, erregte
er das Staunen aller, die
nachgewiesen: Je intensiver jemand die ihn sahen. Er war von so
mächtigem Körper, dass sei-
eigenen Essgeräusche wahrnimmt, desto ne Brüste diejenigen einer dicken
stillenden Frau übertrafen.“
weniger verzehrt er. Dieser „Knirschef-
fekt“ war sogar dann nachweisbar, wenn Nicht eben charmant beschrieb der Baseler Stadtarzt Felix Platter
(1536–1614) in seinen Observationes einen adipösen Zeitgenossen.

sich die Probanden ihre Verzehrlaute


bloß vorstellten, statt wirklich zu
schmatzen.
DOI: 10.1016/j.foodqual.2016.02.015

Treppe zum
Jungbrunnen
Das biologische Alter eines Menschen ist nicht war physische Aktivität: Je mehr
unbedingt identisch mit dem Alter, das dem Ge- Stockwerke die Probanden in ihrem bisherigen
burtsdatum in seinem Personalausweis entspricht. Leben zu Fuß per Treppe bezwungen hatten,
Der Körper und insbesondere das Gehirn altern desto deutlicher hinkte ihr biologisches
bei dem einen schneller, bei der anderen langsamer. Hirnalter dem chronologischen hinter-
Ein gängiges Maß für das biologische Hirnalter ist her. Der zweite Faktor war die Bildung:
das Volumen seiner „grauen Substanz“, also der ver- Jedes an der Schule verbrachte Jahr redu-
bliebenen Neuronen. Denn Nervenzellen haben die zierte das spätere Hirnalter stati-
unangenehme Angewohnheit, mit den Jahren stisch um 0,95 Jahre. Nun lässt
schleichend zu schwinden. Die gute Nachricht: sich Schulbildung im fortgeschrit-
Dieser Schwund lässt sich wahrscheinlich tenen Alter nicht oder nur mühsam nach-
während der gesamten Lebensspanne dros- holen, aber mit den Treppen ist das ein-
seln. Dafür sprechen Indizien, die jetzt ka- facher: „Anders als bei vielen anderen Formen
nadische Forscher der Concordia Universi- körperlicher Aktivität sind die meisten älteren
ty in Montreal bei einer Vermessung der Ge- Menschen in der Lage, mindestens einmal am Tag
hirne von 331 gesunden Erwachsenen im Alter die Treppen zu benutzen – und viele tun dies auch längst“,
von 19 bis 79 Jahren gefunden haben. Bei der sagt Steffener. So unkompliziert sei also eine wirksame
Befragung ihrer Teilnehmer ermittelten Jason Steffener Prävention zu haben.
und seine Kollegen zwei Faktoren, die deren Gehirne vo-
luminös und damit biologisch jung erhielten. Der erste DOI: 10.1016/j.neurobiolaging.2016.01.014

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 53


Vor einer Operation kommt es
darauf an, gut aufgeklärt zu
werden. Doch in der Aufregung
rauscht vieles vorbei, was der Arzt oft hastig
aufsagt. Australische Mediziner gaben 43
37
der Erstautoren in den höchstange-
sehenen Medizinjournalen waren im
Jahr 2014 weiblichen Geschlechts.
%

Patienten vor einer Nieren-OP stattdessen ein 20 Jahre zuvor waren es nur 27 %.
Dennoch sind Ärztinnen dort wei-
Tablet zur Hand, auf dem der Eingriff per terhin unterrepräsentiert, und seit
2009 stagniert ihr Anteil, konstatie-
Videoanimation erklärt wurde. Das Resultat: ren britische Mediziner. Erstautor ist
übrigens: ein Mann.
Diese Patienten verstanden 16 Prozent mehr
als herkömmlich Aufgeklärte, und vier von DOI: 10.1136/bmj.i847

fünf waren zufriedener.


http://uroweb.org/wp-content/uploads/EAU16-Winter-Press-Release.pdf

Schweigend beim
Männerarzt
Männer sterben im Schnitt fünf Jahre früher als Frauen.
Das könnte auch damit zu tun haben, dass sie seltener zum
Arzt gehen und dort nur das Nötigste mitteilen. Besonders
gefährdet sind solche Exemplare, die dem traditionellen
Männerbild vom harten, tapferen Kerl verhaftet sind, wie
jetzt zwei Psychologinnen der Rutgers University in New
Jersey aufdeckten. Je höher Männer in einer Onlineum-
frage auf einer „Maskulinitätsskala“ rangierten, die auf
solche Einstellungen zugeschnitten war, desto seltener gin-
gen sie zum Doktor. Wenn sie dann doch einen aufsuchten,
war es meist ein Arzt und keine Ärztin. Und das ist fatal,
wie die Untersucherinnen in einer zweiten Studie feststell-
ten: 250 männliche Studenten wurden in einem klinisch
aussehenden Raum von einem Arzt oder einer Ärztin im frage hatten die Psychologinnen ermittelt, dass auch
weißen Kittel über ihre Beschwerden befragt. Ergebnis: Je Frauen, die in ihrem Selbstbild Tapferkeit und Unabhän-
„männlicher“ die Teilnehmer eingestellt waren, desto we- gigkeit hochhalten, seltener in die Sprechstunde gehen und
niger vertrauten sie sich ausgerechnet dem männlichen dort weniger mitteilsam sind – aber längst nicht so extrem
Doktor an – gegenüber der Ärztin waren sie vergleichs- wie ihre männlichen Gegenstücke. Die Forscherinnen stell-
weise aufgeschlossen. „Das liegt daran, dass sie einem an- ten auch fest, dass diese Haltung mit einem schlechteren
deren Mann gegenüber keine Schwäche oder Angewiesen- Gesundheitszustand bezahlt wird.
heit zeigen wollen“, vermutet Forscherin Diana Sanchez,
„nicht mal, wenn er ein Arzt ist.“ In einer früheren Um- DOI: 10.1016/j.ypmed.2015.12.008

54 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


„Mit jedem Jahr
erschienen mehr
Wolken“, heißt es
in einem Stück
der Band Death
Cab for Cutie,
„bis der Himmel
dunkel war“

Sing mir den Song vom Greis


„Ich fühle ein Gewicht auf meinen Schultern – es ist In den restlichen 55 Songs wird dafür gnadenlos
hart, älter zu werden“, intoniert Colbie Caillat, und die dunkle Seite des Alters inspiziert, etwa die Ge-
sie drückt es vergleichsweise taktvoll aus: In der po- brechlichkeit, die Einsamkeit („Ich lebe allein und
pulären Musik wurde und wird laut einer neuen Stu- denke an all die Freunde, die ich gekannt habe“, heißt
die aus England kein allzu wohlwollendes Bild vom es in All By Myself von Celine Dion) oder der Alters-
Älterwerden entworfen. Jacinta Kelly von der Anglia pessimismus („Mit jedem Jahr erschienen mehr
Ruskin University in Cambridge stöberte mit ihrem Wolken, bis der Himmel dunkel war“, dichtet die
Team in vier großen Datenbanken nach englisch- Indie-Band Death Cab for Cutie in No Sunlight). Ei-
sprachigen Songs, in denen Schlüsselwörter wie alt, ne eigene Kategorie bilden Songs vom verdrießlichen,
Alter, Ruhestand, aber auch (alter) Knacker oder Opi selbstmitleidigen Rentner, besungen etwa in The
vorkamen. 76 Stücke aus Rock und Pop, Folk, R&B Grouch (der Griesgram) von Green Day: „Ich war
oder Jazz wurden so ermittelt, komponiert zwischen ein Junge mit großen Plänen. Jetzt bin ich bloß einer
1930 und heute. Und die meisten hatten – quer über von diesen alten Männern, die keinen Spaß haben
die Jahrzehnte – eines gemeinsam: eine negative Sicht und alles hassen. Ich habe einen Sixpack Apathie
auf den Lebensabend. getrunken.“
Selbst in den 21 Songs, die das Alter halbwegs Worte wie diese ziehen herunter und können für
wohlwollend schilderten, klang oft eine gewisse Weh- alte Menschen zur selbsterfüllenden Prophezeiung
mut über den Verlust der Unschuld und Unbeküm- werden, konstatieren Kelly und ihr Team. Sie schla-
mertheit der Jugend an. Dem wird aber die Klarheit gen positivere Texte vor, „transgenerational“ verfasst
gegenübergestellt, mit der man die Dinge in späteren und notfalls gesponsert. Doch Popmusiker sind kei-
Jahren sieht, und die illusionsarme Zufriedenheit mit ne Therapeuten, vielleicht sind sie einfach ehrlich.
dem Dasein. Früher, in der Jugend, heißt es in dem
Lied Goin’ Back von Dusty Springfield, habe sie sich
im Besitz der Wahrheit gefühlt, heute kenne sie sich
darin aus, das Spiel des Lebens zu spielen. DOI: 10.1111/jan.12916

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 55


Eine Langzeitstudie mit 30 000 Auch das „Raucher-
paradox“ bereitet der
schwedischen Frauen hat ein Medizin Kopfzerbre-
chen: Zwar gibt es an den im-
medizinisches Paradox bestätigt: mensen Gesundheitsgefahren
des Rauchens nichts zu deuteln,
Trotz der Hautkrebsgefahr hatten doch nach einem Herzinfarkt
haben Raucher bessere Überle-
Sonnenbadende eine höhere Lebenserwartung. bensraten als Nichtraucher –
selbst nach einem lebensbe-
Unter anderem erkrankten sie seltener am drohlichen kardiogenen
Herzen. Der Sonne aus dem Weg zu gehen war Schock, wie jetzt die deutsche
IABP-SHOCK-II-Studie ergab.
statistisch ein ähnlich hohes Gesundheitsrisiko Erklärung der Forscher: Die
Raucher waren zum Zeitpunkt
wie Rauchen. Es könnte am Vitamin D liegen, des Infarkts deutlich jünger.

das die Haut in der Sonne bildet. http://dgk.org/daten/PA-Raucherparadox.pdf

DOI: 10.1111/joim.12496

Schrumpfe, Finger!
Schrumpfe!
Zauberkünstler kennen den Illusionskniff seit lan-
gem: Man zeigt dem Publikum einen vollständigen
Tischtennisball, zerlegt ihn unbemerkt in zwei Hälf-
ten, die man den Zuschauern so präsentiert, dass sie
nur die intakte Seite sehen – und schon hat sich der
Ball in ihren Augen verdoppelt. Solche Täuschungen
machen sich ein grundlegendes Prinzip unseres
Wahrnehmungsapparats zunutze: Wir ergänzen die
nicht sichtbaren Teile eines Objekts im Geiste zu
einem vollständigen Ganzen. Der Experimentalpsy- wahr. Da er nun aber gleichzeitig spürt, dass seine
chologe Vebjørn Ekroll und sein Team an der Katho- Fingerspitze den Ball berührt, muss er die Größen-
lischen Universität Löwen in Belgien haben nun de- verhältnisse mit dem visuellen Eindruck in Einklang
monstriert, dass unser Gehirn diesem Prinzip selbst bringen. Zu diesem Zweck geschieht Sonderbares:
um den Preis absurdester Wahrnehmungseindrücke Der betreffende Finger wird in der Körperwahrneh-
treu bleibt: Die Forscher nahmen einen halben Tisch- mung kurzerhand „geschrumpft“ – so wie in der
tennisball, forderten den Probanden auf, einen Fin- rechten Abbildung. Diese zweite Täuschung, die nur
ger in die hohle Innenseite zu stecken – so wie in der deshalb produziert wird, um die erste aufrechtzuer-
linken Abbildung skizziert. Dann sollte die Versuchs- halten, tauften die belgischen Forscher shrunken fin-
person von oben auf die Fingerkuppe schauen, sodass ger illusion. Keine Angst: Sobald man den Ball ent-
sie wiederum nur die intakte Hälfte des Balls sah. fernt, wächst der Finger unverzüglich zu alter Pracht
Das Ergebnis ist zunächst die bekannte Zaubertrick- nach. Hoffentlich.
täuschung: Obwohl der Teilnehmer weiß, dass er bloß
einen halben Ball vor sich hat, nimmt er einen ganzen DOI: 10.1016/j.cub.2016.02.001

56 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 57
Psychotherapie wirkt!
Wirklich?
Wer eine Psychotherapie beginnt, tut das meist mit
großen Hoffnungen. Und wird darin auch von den Behandlern
bestärkt. Doch neuere Therapiestudien dämpfen die
Erwartungen: Psychotherapie ist wirksam – aber längst
nicht so gut wie gedacht
VON JOCHEN PAULUS

ILLUSTR ATIONEN: SABINE KR ANZ

58 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


W
er zu einem Psychotherapeu- renommierte Depressionsspezialist von der Vander-
ten geht, darf mit baldiger bilt University in Nashville, „sie wirkt nur nicht so
Besserung seiner Leiden rech- gut, wie man denken würde, wenn man die Fachli-
nen – das versprechen jeden- teratur liest.“ Denn was in der Fachliteratur steht, ist
falls die Vertreter der Zunft. manipuliert, wie Hollon und viele andere Wissen-
„Psychotherapie ist wirksam“, verkündet zum Beispiel schaftler nachgewiesen haben. Die Erforscher psy-
die Bundespsychotherapeutenkammer und ergänzt: chologischer Therapien haben geschummelt. Einen
„Je länger, umso besser.“ Auch ein Beitrag im Bran- Beleg dafür lieferte Hollon zusammen mit Ellen
chenblatt Der Nervenarzt zeugt nicht von falscher Driessen und Pim Cuijpers, beide Professoren an der
Bescheidenheit. „Die Psychotherapie zählt zu den Freien Universität Amsterdam. Das Team wollte wis-
wirksamsten Verfahren in der Medizin“, versichert sen, was in den 55 Studien zur kognitiven Verhal-
das Autorenteam um Professor Ulrich Schnyder von tenstherapie bei Depressionen herausgekommen war,
der Universität Zürich. Man verfüge heute über wis- die von der nationalen Gesundheitsbehörde der USA
senschaftlich belegte Therapiewirkungen „für fast zwischen 1972 und 2008 finanziell gefördert worden
alle psychiatrischen Störungsbilder“. waren. Sie stellten fest: Die Ergebnisse beinahe jeder
Leider sind solche selbstbewussten Statements, die vierten Studie wurden nie veröffentlicht. Das Team
gerne mit Forderungen nach mehr Geld für die Bran- fragte deshalb bei den Forschern der verschwiegenen
che verbunden werden, viel zu optimistisch, wie Emi- Studien nach. Wie sich zeigte, schnitt die Therapie
ly Holmes von der Universität Cambridge und Mi- in den verheimlichten Studien wesentlich schlechter
chelle Craske von der University of California in Los ab als in den veröffentlichten. Würden alle berück-
Angeles im Wissenschaftsmagazin Nature konsta- sichtigt, müsste die Erfolgsbilanz dieser Depressi-
tieren. „Für einige Krankheiten, etwa die bipolare onsbehandlung also deutlich nach unten korrigiert
Störung (manische und depressive Phasen wechseln werden – und fiele noch negativer aus als die für die
sich ab, d. Red.), sind psychologische Behandlungen Behandlung mit Antidepressiva.
nicht effektiv oder stecken in den Kinderschuhen“,
bedauern die beiden angesehenen Therapieforsche- Tricks und methodische Mängel
rinnen. „Bei Ängsten und Zwängen beispielsweise Es werden aber nicht nur die Resultate enttäuschen-
hilft die Konfrontationstherapie fast der Hälfte der der Studien verschwiegen. Die anscheinend erfolg-
Leute nicht, und eine beachtliche Minderheit erlebt reichen Behandlungsstudien verdanken ihre guten
einen Rückfall.“ Auch bei Suchterkrankungen sieht Zahlen oft vor allem großzügigen Untersuchungs-
es nicht viel besser aus. Nur gut die Hälfte der be- methoden der Forscher. Als Cuijpers, Hollon und
handelten Alkoholiker ist anderthalb Jahre nach ei- andere sich 115 Depressionsstudien genauer ansahen,
nem mehrmonatigen Aufenthalt in einer deutschen erwiesen sich 104 als mehr oder weniger schlecht
Suchtklinik noch trocken. gemacht. Dafür suggerierten sie gute Erfolge: Die
Geradezu verzweifelt ist die Lage beim Kampf ge- Behandlung half scheinbar jedem zweiten Depressi-
gen hohes Übergewicht – einen der großen Killer in ven. Die elf guten Studien bewiesen etwas anderes:
reichen und zunehmend auch in armen Ländern. Da Nur einer von acht Patienten hatte wirklich viel von
sich den gefährlichen Pfunden praktisch nur mit der Therapie.
einschneidenden Verhaltensänderungen – mehr Die Probleme betreffen keineswegs nur die Be-
Sport, gesünder essen – beikommen lässt, sind die handlung von Depressionen, sondern viele Therapi-
Chancen ohne psychologische Unterstützung gering. en. „Die Fachliteratur zur Psychotherapie ist derzeit
Mit allerdings auch. Die ersten Abnehmprogramme von zu schlechter Qualität, als dass sie eine verläss-
prominenter Psychologen in den 1970er Jahren liche Hilfe für Therapeuten, Patienten und Verant-
wurden zwar als Erfolg verkauft, doch in Wirklich- wortliche in den Entscheidungsgremien wäre“, wet-
keit brachten sie kaum etwas. Einen der jüngsten tert der Psychologieprofessor James Coyne von der
Versuche von führenden Experten kommentiert University of Pennsylvania in Philadelphia in einem
Kelly Brownell von der Duke University in Durham „Manifest“.
so: „Ein weiteres gutes Forscherteam wurde in die Gut für die Ergebnisse, aber fatal für die Patienten
Knie gezwungen von einem Problem, das der Be- ist eine häufig praktizierte Herangehensweise. Ein
handlung einfach trotzt.“ Teil der Kranken wird gleich behandelt, ein anderer
Am besten fasst die Lage vielleicht Steven Hollon Teil kommt erst einmal auf eine Warteliste und dient
zusammen. „Psychotherapie wirkt schon“, sagt der als Vergleichsgruppe. Doch das Warten schadet dem

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 59


Die Verhaltenstherapie sie jedoch nicht. Doch das machte kaum einen Un-
terschied – beiden Gruppen ging es nach einem Jahr
gegen Depressionen ent- etwas besser. Wirklich aufwärts ging es jedoch mit
denen, die ein Medikament gegen AHDS bekamen
täuscht die Erwartungen. – mit oder ohne Psychotherapie. Ähnlich war vor
Liegt es daran, dass die etlichen Jahren schon eine vergleichbare große Stu-
die mit ADHS-geplagten Kindern ausgegangen. Auch
Patienten weniger an die bei Depressionen schneidet Psychotherapie im Ver-
gleich mit Medikamenten enttäuschend ab. Auf kur-
Therapie glauben? ze Sicht wirkt sie ähnlich schlecht oder vielleicht so-
gar noch etwas weniger. Ihre Fürsprecher argumen-
tieren, dass sie dafür aber langfristig schütze, während
Medikamente nur so lange greifen, wie die Patienten
sie nehmen. Doch auch darauf ist kein Verlass. Zu-
Patienten. Es signalisiert ihm, dass erst einmal keine mindest bei Kindern und Jugendlichen ist nach ei-
Besserung zu erwarten ist, weil die Therapie ja erst nem Jahr kein Nutzen mehr nachzuweisen.
noch kommt. Das führte zu einem umgekehrten Pla-
ceboeffekt, kritisiert der Professor für Psychiatrie Schlechte Noten für kognitive Therapien
Mathias Berger von der Universität Freiburg, „weil Ernüchternd sind besonders die neueren Resultate
dem Patienten ja gesagt wird: Du kriegst nichts, du zur führenden psychologischen Behandlung von De-
musst warten“. pressionen bei Erwachsenen. In der kognitiven Ver-
So bescheiden die Erfolge von Psychotherapie in haltenstherapie lernen die Patienten, negative Gedan-
vielen Studien sind – im echten Leben sind sie wahr- ken über sich und die Welt durch realistischere zu
scheinlich noch geringer. Denn die meisten Studien ersetzen, und sie üben, wieder am Leben teilzuneh-
werden an Universitätskliniken gemacht. Da kont- men. Oddgeir Friborg von der Arctic University of
rollieren die Forscher, ob die Therapeuten richtig Norway analysierte nun den Trend in 70 Studien. Als
behandeln. Vor allem aber wählen sie die Patienten die Therapie Ende der 1970er Jahre neu war, glänzte
sorgfältig aus. Wer an gleich mehreren Störungen sie – zumindest auf dem Papier. Doch seither ging es
leidet, wird oft nicht aufgenommen, obwohl das fast stetig bergab. Heute hilft sie gerade noch halb so gut.
die Regel ist.
Wenn Forscher ausnahmsweise überprüfen, wie
gut Therapien unter eher normalen Umständen hel-
fen, fallen die Ergebnisse oft noch kläglicher aus. So
verschwand die Depression bei nicht einmal jedem
Vierten der Patienten, die in drei psychiatrischen Kli-
nikambulanzen in Amsterdam behandelt wurden.

Psychotherapie: besser als Tabletten?


Bei einigen Störungen hilft Psychotherapie wahr-
scheinlich nicht besser als Medikamente, wie neue
Studien zeigen. So versuchten sieben deutsche Kli-
niken in den letzten Jahren, gut 400 Erwachsenen zu
helfen, die ähnliche Probleme hatten wie zappelige
Kinder – sie litten an der Aufmerksamkeitsdefizit-
Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Ein Teil nahm an
22 zweistündigen Gruppentherapiesitzungen teil, in
denen sie von Gefühlskontrolle über Stressmanage-
ment bis hin zu Achtsamkeit alle möglichen thera-
peutischen Techniken lernten. Andere schauten wie
bei einem Arztbesuch gelegentlich auf eine Viertel-
stunde bei einem Studienleiter vorbei. Da konnten
sie Probleme ansprechen, Psychotherapie erhielten

60 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Horst Lempart
Spectrum Coaching
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Ein Teil der frühen Erfolgsmeldungen kam sicher daher,
dass die ersten Studien nicht streng genug durchgeführt und
oft nur die positiven Resultate veröffentlicht wurden. Doch
es gibt wohl auch andere Gründe. Möglicherweise waren die
Ich bin
Therapeuten früher besser in der Behandlung ausgebildet
– manche hatten sie selbst mitentwickelt. Vielleicht liegt es
Mitglied
aber auch daran, dass die Patienten heute nicht mehr so sehr
an die Therapie glauben wie seinerzeit. Damals „wurde
im VFP weil:
kognitive Verhaltenstherapie oft als Goldstandard für die ... das Verbandsmagazin eine große
Vielfalt an Fachthemen bietet
Behandlung zahlreicher Störungen präsentiert“, blickt
Friborg zurück. Doch die Studienergebnisse wurden immer ... die Betreuung freundlich, schnell und
schlechter, und die Patienten konnten sie im Internet nach- kompetent ist

lesen. Daher ist es für Friborg „nicht unvorstellbar, dass das ... der Verband eine Heimat für Profis
Vertrauen und der Glaube an die Wirksamkeit von kogni- wie für Einsteiger bietet
tiver Verhaltenstherapie in den letzten Jahrzehnten zurück- ... er als große Interessenvertretung auch
gegangen ist“. gesellschaftlich ins Gewicht fällt
Dafür avancierte das „Verändern verzerrten Denkens“ in
Informationen über den VFP erhalten Sie hier:
den letzten Jahren zu einem neuen Star unter den Psycho- Verband Freier Psychotherapeuten,
therapien. Zum Beispiel wurde CBM, wie die Methode nach Heilpraktiker für Psychotherapie
der englischen Bezeichnung cognitive bias modification ab- und Psychologischer Berater e.V.
Lister Str. 7, 30163 Hannover
gekürzt wird, zur „neuen klinischen Waffe“ ausgerufen. Bei
Telefon 05 11 / 3 88 64 24
dem Verfahren wird versucht, schädliche automatische Ver- www.vfp.de | info@vfp.de
zerrungen des Denkens oder der Aufmerksamkeit umzu- 9)3
trainieren. Führende Fachzeitschriften druckten euphorische
Berichte. Doch jetzt sind viele Forscher frustriert. „Die kli-
nische Wirksamkeit von CBM ist bislang enttäuschend“,
resümiert Ernst Koster von der belgischen Universität Gent. Das individuelle
So lässt sich – von einigen Ausnahmestudien abgesehen – Arbeitsbuch
nicht belegen, dass CBM tatsächlich gegen Ängste hilft. Zu
diesem Resultat kam Ioana Cristea im Jahr 2015 im British
Journal of Psychiatry. Das gleiche Bild erhielt sie für die Ver-
suche, Depressionen mit dem Verfahren zu behandeln.
Noch die besten Chancen hat CBM im Kampf gegen den
Alkohol. In einer deutschen Rehaklinik absolvierten Hun-
derte von Patienten zusätzlich zum normalen Klinikpro-
gramm ein CBM-Training. Ein Jahr später waren 59 Prozent
der so Trainierten immer noch trocken, ohne das Training
schafften das nur 46 Prozent. Als der Versuch wiederholt
wurde, waren die Ergebnisse ähnlich gut.
Die Psychotherapie hilft – wenn auch längst nicht allen
und bei weitem nicht so gut, wie ihre Protagonisten verspre-
chen. Bisher wird aber auch nicht viel in ihre Verbesserung
investiert. In der Europäischen Union werden weniger als Aktiv und in Eigenregie Phobien, Panik-
attacken und Stress überwinden, das
zwei Prozent der Gelder für medizinische Forschung für
ermöglicht dieses Buch mit Übungen,
psychische Erkrankungen ausgegeben und nur ein Bruchteil Arbeitsbögen und Checklisten sowie
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PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 61


Auf den Therapeuten
kommt es an!
Für 30 bis 50 Prozent der Hilfesuchenden ist eine
psychotherapeutische Behandlung nicht so hilfreich wie erhofft.
Ihre Beschwerden lindern sich nicht. Das kann am Verhalten
des Therapeuten liegen
VON WOLFGANG WÖLLER

P
sychotherapie ist wirksam. Studien, die sich mit dem Einfluss der flexibel, erfahren, ehrlich, respektvoll, ver-
Das hat die Forschung der Person der Therapeuten und Therapeu- trauenswürdig, zuversichtlich, interes-
letzten Jahrzehnte nachge- tinnen auf das Behandlungsergebnis be- siert, wach, freundlich, warm und offen
wiesen. Dennoch bessern fassen, zeigen übereinstimmend, dass wahrgenommen wurden, eher als andere
sich bei 30 bis 50 Prozent einige konstant bessere Leistungen auf- in der Lage waren, eine gute therapeutische
der Patienten während der Zeit, in der sie weisen als andere – unabhängig von Di- Beziehung herzustellen. Den Patienten war
Psychotherapie in Anspruch nehmen, agnose, Alter, Medikationsstatus und es besonders wichtig, wie ein Therapeut
die Beschwerden nicht. Trotz der Einfüh- Krankheitsschwere des Klienten. Ver- auf sie reagiert hatte, ob er ihre Reaktionen
rung zahlreicher neuer Therapieverfahren gleicht man die Gruppe der effektivsten auf das, was er gesagt hatte, ernst genom-
ist dieser Anteil während der letzten und diejenige der am wenigsten effektiven men und ob er sein Vorgehen geändert
Jahrzehnte im Wesentlichen unverändert Therapeuten, dann zeigt sich: Die Patien- hatte, wenn die Situation oder der Kontext
geblieben. Wie ist das zu erklären? ten der erfolgreichen Therapeuten weisen dies erforderten. Responsivität, Flexibili-
Ein genauerer Blick auf die Ergebnisse eine um 50 Prozent höhere Besserungs- tät, Akzeptanz und Präsenz waren die
der Forschung zeigt, dass nicht nur der und eine um mindestens 50 Prozent nied- Schlüsselmerkmale, mit denen Patienten
Einfluss von Patienten- und außerthera- rigere Abbrecherrate auf – im Vergleich einen guten Therapeuten beschrieben.
peutischen Faktoren, sondern auch der zu den Patienten der am wenigsten effek- Ungünstige Therapeuteneinflüsse sind
Einfluss der therapeutischen Beziehung tiven Therapeuten. offenbar Dominanz des Therapeuten, ne-
ebenso wie derjenige des Therapeuten gative Gefühle gegenüber dem Patienten
selbst weithin unterschätzt wurde. Neu- Zuversicht, Vertrauen, Offenheit zu Therapiebeginn, subtile feindselige in-
eren Metaanalysen zufolge haben diese Welche Verhaltensweisen und Persönlich- terpersonelle Botschaften in den Interven-
Faktoren einen deutlich größeren Einfluss keitseigenschaften von Therapeuten be- tionen und ein unsicherer Bindungsstil
auf den Behandlungserfolg als zum Bei- einflussen das Therapieergebnis? Mit die- des Therapeuten, zumindest bei Patienten
spiel die Therapiemethode. Vor diesem ser Frage hat sich eine begrenzte Zahl von mit schweren psychischen Problemen.
Hintergrund stellt sich die Frage, was Studien befasst. So ist bekannt, dass es Überraschend ist, dass Berufserfahrung
einen „ausreichend guten“ Therapeuten den Therapieerfolg fördert, wenn Thera- und Umfang der Psychotherapieausbil-
ausmacht. Mit diesem Begriff, der auf peuten ihren Patienten Zuversicht, Hoff- dung nur einen geringen Einfluss auf das
Donald W. Winnicott zurückgeht, der nung und Optimismus vermitteln und Behandlungsergebnis haben.
von der „ausreichend guten Mutter“ ge- wenn sie den von ihnen vertretenen Be- Therapeuten brauchen nicht perfekt zu
sprochen hat, soll angedeutet werden, dass handlungsansatz, welcher es auch sei, sein; Patienten verzeihen ihren Behand-
ein Therapeut in seinen Möglichkeiten überzeugend präsentieren. lern offensichtlich vieles, wenn sich mit
begrenzt ist und es um seinen Umgang Befragungen von Patienten ergaben, ihnen über die unvermeidlichen Missver-
mit dieser Begrenzung gehen muss. dass Therapeuten, die von Patienten als ständnisse und Unzulänglichkeiten ein

62 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Verständnis herstellen lässt. So wurden
ausgesprochen positive Effekte auf die the-
rapeutische Beziehung beobachtet, wenn
sich Missverständnisse auflösen ließen,
wenn Patienten ihre negativen Emotionen
mitteilen konnten und ihre Therapeuten
nicht defensiv, sondern offen und akzep-
tierend darauf reagierten. Ungünstige Ef-
fekte auf die Therapeut-Klient-Beziehung
wurden berichtet, wenn Patienten ihre
negativen Emotionen vor den Therapeu-
ten verbargen und diese nichts davon be-
merkten oder wenn Therapeuten mit Ir-
ritation, vorzeitigen Deutungen und an-
deren defensiven Verhaltensmustern auf
sie reagierten.

Vorsicht vor schnellen Deutungen


Negativ auf das Therapieergebnis wirkte
es sich auch aus, wenn Patienten ihren
Therapeuten als rigide, unsicher, ausbeu-
terisch, kritisierend, distanziert, ange-
spannt oder abgelenkt erlebten. Als be-
sonders ungünstig wurden Deutungen
erlebt, die zwar die Beziehung des Patien-
ten zum Therapeuten zum Inhalt hatten,
aber nicht auf dem Boden einer tragfähi-
gen Beziehung formuliert wurden. Nach
Meinung der befragten Patienten sollten
Therapeuten solche Deutungen nur ein-
setzen, wenn sie von einer guten, warm-
herzigen Beziehung zu ihren Patienten davon aus, dass sich der Zustand von 90 vorübergehen, und nicht die Therapie
ausgehen können und nicht persönlich Prozent oder mehr der Klienten gebessert nach dem Prinzip „mehr desselben“ fort-
negativ auf sie reagieren. hatte; 50 Prozent der Therapeuten waren setzen. Sie sollten nonverbale Signale von
Wichtig für eine gute therapeutische der Meinung, dass der Zustand keines Kli- Skepsis und Ablehnung erkennen und die
Allianz ist auch die Übereinstimmung enten sich verschlechtert hatte. Niemand Patienten zu weiterer Erkundung ermu-
zwischen Therapeut und Patient hinsicht- hielt seine Leistung für schlechter als tigen. Vor allem sollten sie lernen, fehlen-
lich der Aufgaben und Ziele der Therapie. durchschnittlich; weniger als vier Prozent de Zustimmung zu den eigenen Vorschlä-
Außerdem müssen sich Klienten verstan- der Professionellen hielten sich für durch- gen und Erklärungen nicht als zu bekämp-
den und angenommen fühlen und ein schnittlich. fenden Widerstand, sondern als willkom-
Gefühl der Zusammengehörigkeit entwi- Im Einzelfall ist es für einen Therapeu- mene Hinweise darüber aufzufassen, wie
ckeln können. ten tatsächlich schwierig zu beurteilen, es anders weitergehen könnte. PH
Psychotherapeuten erkennen oft nicht, ob eine ausbleibende Besserung oder eine
dass Patienten keine Fortschritte machen, Verschlechterung der Symptomatik auf
sich verschlechtern oder sich mit dem Ge- seine Behandlungsführung oder auf an-
danken tragen, die Therapie abzubrechen. dere Faktoren zurückzuführen ist. Aber
Wolfgang Wöller ist Psychoanalytiker, Facharzt
In einer Studie identifizierten die unter- Therapeuten können aktiv erkunden, wie für psychosomatische Medizin und Psychothe-
suchten Therapeuten aus insgesamt 550 Patienten auf ihre Äußerungen reagieren, rapie sowie Neurologie und Psychiatrie. Er ist
Ärztlicher Direktor der Rheinklinik Bad Honnef
Fällen nur einen von 40 Patienten, die sich und ihre Aufmerksamkeit stärker auf be- und Dozent unter anderem an der Heinrich-
während der Therapie verschlechtert hat- ginnende Probleme lenken. Vor allem Heine-Universität Düsseldorf. Der hier abge-
druckte Text ist eine gekürzte Fassung eines
ten. In einer anderen Untersuchung gin- sollten sie nicht hoffen, dass Brüche in der Artikels aus dem Fachblatt Psychotherapeut,
gen 25 Prozent der Psychotherapeuten therapeutischen Beziehung von selbst 2/3, 2016.

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 63


64 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016
Ausgerechnet
im Urlaub!
Der Kopf dröhnt, die Nase läuft.
Dabei hatte man sich so auf ein
paar freie Tage gefreut. Wie
kommt es, dass viele Menschen
in der Freizeit krank werden?
VON JÖRG ZITTLAU

E
ndlich der wohlverdiente Urlaub. Man wird es auch gerne paradise paradox genannt: Wir
hat es wegen der Hektik zuvor fast nicht wähnen uns in den schönsten Tagen des Jahres, und
mehr geglaubt, dass er tatsächlich noch heraus kommt genau das Gegenteil. Anspruch und
kommt. Doch jetzt raus aus dem Flie- Wirklichkeit liegen weit auseinander, und dadurch
ger und die Seele baumeln lassen! Ein bauen sich Frustrationen und ein hoher Leidensdruck
bisschen Gymnastik im Fitnessraum, doch ansonsten auf. „Das Leisure-Sickness-Syndrom ist mehr als nur
Chillen am Pool, ein paar Drinks an der Bar und hin eine Bagatelle oder ein Wehwehchen“, erklärt Clau-
und wieder Sightseeing in der Stadt. Doch schon beim dia Möller von der privaten International University
Einchecken im Hotel kommen Kopfschmerzen, und in Bad Honnef. „Es kann für die Betroffenen sehr
am nächsten Tag ist auch noch der Rücken steif und belastend sein.“
die Nase zu. Statt Sonne sind nun längere Aufent-
halte im Hotelzimmer angesagt. Und besser wird es Endlich Zeit für Krankheit
erst kurz vor der Rückkehr nach Hause – als wenn 2002 entwickelte Ad Vingerhoets von der holländi-
sich Körper und Seele freuen würden, endlich wieder schen Tilburg University den Begriff Leisure Sickness.
in die Mühle des Alltags zu kommen. Er rannte damit keineswegs offene Türen ein. Denn
Ausspannen und auftanken! Das sind normaler- die Psychologie war zu dieser Zeit überwiegend da-
ILLUSTR ATIONEN: K ARIN AUE/AGENTAZUR

weise die Schlagworte, die uns bei Urlaub und Frei- mit beschäftigt, wie sich der Stress der Berufswelt
zeit einfallen. Doch die Realität sieht oft anders aus. auf den Menschen auswirkt und wie man sich davor
Aus Durchatmen wird Schnupfen, aus dem Hotel- schützen kann. Dabei spielte die Freizeit eine wich-
zimmer ein Krankenlager, und der Kopf wird nicht tige Rolle, als Ausgleich für die Belastungen im All-
etwa vom Berufsstress befreit, sondern von Schmer- tag. Weswegen man seinerzeit nicht unbedingt hören
zen malträtiert. Für viele Menschen werden Urlaub wollte, dass sie auch krank machen könnte.
oder Wochenende nicht etwa zum Erholungs-, son- Doch Vingerhoets hatte an sich selbst deutliche
dern zum Horrortrip. Sie leiden am sogenannten Indizien dafür gefunden. „Ich wurde nur selten
Leisure-Sickness-Syndrom, also an der Freizeit- krank“, so der Psychologe, „doch wenn, ausgerechnet
krankheit. Im anglo amerikanischen Sprachraum an den Wochenenden und im Urlaub.“ Seine Freun-

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 65


Wehleidig, weil wenig 1. Krankheiten kommen in der Verschnaufpause
Was sicher ist: Der Körper neigt dazu, unter einer
passiert? In der Freizeit stressigen Gesamtsituation erst dann einzuknicken,
wenn er eine Verschnaufpause bekommt. Bereits An-
werden wir hellhörig für fang der 1960er Jahre beobachteten Forscher im Ver-
Schmerzsignale such an Affen, die durch ein intensives Trainings-
programm unter Stress gesetzt wurden, dass die Tie-
re erst dann Magenbeschwerden, Infektionen und
andere Gesundheitsprobleme entwickelten, wenn
man sie in Ruhe ließ. Der Grund: Unter Stress wer-
den vermehrt Stresshormone wie etwa Kortisol aus-
geschüttet, die einerseits das Immunsystem aktivie-
ren und andererseits entzündungshemmend wirken.
de und Kollegen berichteten von ähnlichen Erfah- In der Pause jedoch wird die Hormonausschüttung
rungen, und deshalb beschloss er, knapp 2000 Män- gedrosselt, und es kommt zum umgekehrten Effekt:
ner und Frauen zu dem Thema zu befragen. Die Immunabwehr wird schwächer, sodass sich leich-
In der Studie offenbarte sich, dass rund drei Pro- ter Infektionen festsetzen können; und Entzündun-
zent der Arbeitnehmer regelmäßig just in ihrer Frei- gen werden nicht mehr unterdrückt, die angegriffe-
zeit krank werden. In der Symptomliste dominieren nen Organe können schmerzhaft anschwellen. Es ist
Kopfschmerzen und Migräne, dicht gefolgt von grip- daher nicht verwunderlich, wenn sich zum Urlaubs-
peähnlichen Beschwerden und Müdigkeit. Die Be- antritt ein Schnupfen einstellt – und durch die Kli-
troffenen berichteten zudem von Rücken- und Glie- maanlage im Hotel wird dieser Prozess noch weiter
derschmerzen sowie Verdauungsbeschwerden und unterstützt.
depressiven Verstimmungen. Im Freizeitmodus werden Infekte und Schmerzen
ohnehin stärker wahrgenommen als im Arbeitsalltag.
Männer häufiger betroffen „Zwischen den inneren Körpersignalen und den äu-
Laut einer Studie, die an der italienischen Universi- ßeren Umweltreizen besteht ein ewiger Konkurrenz-
tät Parma durchgeführt wurde, leiden Männer in der kampf, was ihre Wahrnehmung betrifft“, erläutert
Freizeit deutlich häufiger an Kopfschmerzen als Frau- Vingerhoets. Wenn von außen weniger kommt, wird
en. „Überhaupt scheinen sie insgesamt etwas anfäl- das, was von innen kommt, besonders intensiv wahr-
liger für Leisure Sickness zu sein“, so Vingerhoets. genommen. Dies erklärt, weswegen wir gerade in ei-
In seiner Studie lag die Männerquote mit 3,2 Prozent nem ereignislosen Faulenzerurlaub wehleidig und
leicht über dem Durchschnitt. hellhörig für körperliche Beschwerden werden. Die
Möglicherweise liegt die Zahl der Leisure-Sick- waren zwar vorher auch schon da, doch in Abwesen-
ness-Betroffenen aber noch deutlich höher. Ein For- heit äußerer Reize treten sie eben leichter in den Vor-
scherteam um Claudia Möller fragte 1041 Männer dergrund.
und Frauen, ob sie schon einmal just an einem Wo-
chenende oder zu Beginn des Urlaubs krank gewor- 2. Die Freizeit ist zu wichtig
den seien. Über 55 Prozent antworteten darauf mit Ein weiterer, noch mehr auf die Persönlichkeit be-
Ja. Man könne zwar, wie Möller einschränkt, diese zogener Erklärungsansatz wäre, dass dem Leisure-
einfache Frageaktion nicht mit der komplexen Un- Sickness-Betroffenen die Freizeit wenig bedeutet,
tersuchung von Vingerhoets vergleichen, der zudem sodass er sich darin generell unwohl fühlt. Vinger-
seinen Blick auf starke Beschwerden wie Migräne hoets fand jedoch in seiner Studie keine Hinweise
und Erbrechen fokussierte. „Doch Leisure Sickness dafür. Im Gegenteil: Den Leisure-Kranken ist Freizeit
scheint weiter verbreitet zu sein, als man bislang an- sogar besonders wichtig. Sie achten darauf, immer
nehmen durfte“, so die Tourismusforscherin. In genug quality time jenseits des beruflichen Alltags
Deutschland könnten nach Schätzungen des Unter- für sich zu haben. Was dann aber auch wieder eine
nehmensberaters Peter Buchenau rund 250 000 Men- Ursache für ihr Problem sein kann. Denn wer etwas
schen regelmäßig davon betroffen sein. besonders wichtig nimmt und viel davon erwartet,
Bleibt die Frage nach den Ursachen des Leisure- kann dort auch besonders stark enttäuscht werden.
Sickness-Symptoms. Im Folgenden die drei gängigen Wenn der gestresste Manager nach Hause kommt
Erklärungen: und dort die absolute Wohlfühlzone erwartet, stößt

66 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


er nicht selten auf eine Familie, die genug mit sich Die Leisure-Sickness-Betroffenen haben ein
selbst zu tun hat und seine Erwartungshaltung als schlechtes Gewissen, wenn sie nicht arbeiten und
nervtötend empfindet. Und er reagiert dann auf die- nicht erreichbar sind. Und das verhindert nicht nur
se Abwehrhaltung mit großer Frustration, bis schließ- das Abschalten vom Beruf. Gegen das schlechte Ge-
lich die Freizeitstimmung komplett verhagelt ist. wissen „hilft“ es auch, krank zu sein, um die Pause
besser vor sich rechtfertigen zu können. „Einfach mal
3. Nicht abschalten können nichts tun erlaubt man sich nicht“, erklärt Möller,
Die Hauptrolle in der Entstehung von Leisure-Sick- „aber wenn man krank ist, dann darf man auf dem
ness-Problemen spielt aber wohl, dass die Betroffe- Sofa oder im Bett bleiben.“ Möglich also, dass die
nen zwar Freizeit haben wollen, sich aber nicht wirk- Symptome der Leisure Sickness auch bewusst oder
lich auf sie einlassen können. „Nach dem, was wir unbewusst abgerufen werden, um die mahnende
bisher wissen“, erläutert Möller, „haben sie offenbar Stimme des schlechten Gewissens zu besänftigen.
Probleme mit dem, was wir transition from work to
leisure nennen: Sie können nicht abschalten.“ Ge-
danklich bleiben sie mit einem Bein stets bei der
Arbeit. Sie schauen immer wieder auf ihr Smart-
phone, stöbern in den Aktienkursen, beschäftigen
sich gedanklich mit beruflichen Problemen, mögli-
cherweise nehmen sie sogar Laptop oder Akten mit
in ihre Freizeit. Sie sind nicht wirklich abgeschaltet,
sondern auf Standby. Was zwar nicht ausreicht, um
das Immunsystem auf ein alltagsähnliches Niveau
zu bringen, doch die Muskelspannung bleibt hoch
und kann sich – sofern in der Freizeit körperlich
gefaulenzt wird – auch nicht abbauen. Es kommt zu
dauerhaften Verspannungen, die schließlich in Kopf-,
Rücken- und Gliederschmerzen ausmünden können.
Und dadurch, dass sie in den freien Mußestunden
ihre Spannungen ja weniger abbauen können als im
rührigen Alltagsgeschäft, nimmt die körperliche und
psychische Erregung stetig zu: Die Muskelspannung
steigt, und es kommt zu Kopf-, Rücken- und Glie-
derschmerzen.
Das Nicht-abschalten-Können kann die Folge
einer spezifischen Berufssituation sein. So fand
Vingerhoets unter den Freizeitkranken überdurch-
schnittlich viele junge Männer, die gerade intensiv
an ihrer Karriere arbeiteten und deshalb Angst hatten,
dass man etwa eine urlaubsbedingte Abwesenheit
zu ihren Lasten auslegen könnte. Die Ursache für
die Probleme beim Übergang in die Freizeit
Freizeit sollte nicht strukturlos sein Männer leiden in
liegen aber wohl auch, wie Nadine Kaslow von der der Freizeit häufiger
Emory-Universität in Atlanta vermutet, in den In jedem Falle steht Leisure Sickness in engem Zu- an Kopfschmerzen
perfektionistischen Ansprüchen, die heute unser sammenhang mit den Perfektionsansprüchen unse- als Frauen

Arbeitsleben bestimmen. „Die Menschen wollen ihre rer Arbeitswelt. Die Gründe dafür könnten wieder-
Arbeit mehr denn je absolut fehlerfrei machen“, so um noch tiefer liegen, nämlich in der protestantischen
die Psychologin und Stressforscherin. Doch weil das Ethik der Calvinisten, die in ihrem Bemühen, Gna-
nun einmal unmöglich sei, litten sie permanent dengewissheit zu erlangen und Gottes Ruhm zu meh-
unter dem Gefühl, ihre Arbeit nicht richtig zu Ende ren, ihr komplettes Leben der Arbeit unterordneten.
gebracht zu haben. „Und mit diesem Gefühl“, so Der Soziologe Max Weber (1864–1920) sah in dieser
Kaslow, „kann man natürlich auch in der Freizeit Geisteshaltung einen der Ursprünge des Kapitalismus
kaum zur Entspannung finden.“ – und sie taugt zweifelsohne auch als Erklärung für

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 67


das Leisure-Sickness-Problem. Wer sein Leben der Ar-
beit unterordnet, gerät zwangsläufig unter Druck, wenn
er sich zu Nichtstun und Freizeit verurteilt sieht.
Eine solche tiefverwurzelte Geisteshaltung kann man
natürlich nicht über Nacht abschalten. Was die Frage
nach praktikablen Auswegen aus der Leisure-Sickness-
Falle aufwirft. Möller rät, die Freizeit nicht völlig
unstrukturiert anzugehen. Nicht nur weil gerade von
Migränepatienten bekannt ist, dass sie sehr empfindlich
auf jede Unterbrechung ihres gewohnten Tagesablaufs
reagieren. „Es geht darum, keine beschäftigungslose
Leere aufkommen zu lassen“, erklärt Möller. Denn die
SIEBEN TIPPS, verführe die Gedanken dazu, sich wieder im Karussell
DAMIT FREIZEIT um den Alltag zu drehen. Oder aber dazu, sich auf
GELINGT Beschwerden zu fokussieren, die vorher ausgeblendet
waren.
Besser also, man füllt die Freizeit mit Beschäftigun-
1. Keine Angst vor dem Unerledigten!
Wenn vor dem Gang in das Wochenende gen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, etwa einer
oder den Urlaub berufliche Dinge unerle- langen Wanderung, einem Konzert oder einem Tages-
digt bleiben, ist das eben so. Wer vorher ausflug.
alles erledigen will, dafür Überstunden Stressforscherin Kaslow rät zudem, sich in der Frei-
leistet und trotzdem nicht alles schafft, zeitgestaltung von Klischees zu verabschieden. Denn
wird erst recht unzufrieden in die Freizeit
selbst wenn beispielsweise Angeln und Golf gemeinhin
gehen.
als ideale Entspannungshilfen gelten, müssen sie dem
2. Keine Gewissensbisse! Machen Sie sich Freizeitkranken noch lange nicht nutzen. Im Gegenteil:
bewusst, was Sie geleistet haben und dass Wenn dessen Gedanken während des Angelns perma-
jeder ab und zu eine Pause verdient hat! nent um den Job kreisen, ist das nichts anderes als Stress.
Man sollte sich dann besser eine andere, spektakuläre-
3. Unverrückbarkeit! Freizeittermine soll- re Freizeitbeschäftigung suchen, die keine Muße für
ten keine Termine zweiter Wahl sein und
das Problemwälzen zulässt.
ebenso feststehen wie andere Termine.
Vingerhoets empfiehlt daher den Freizeitkranken,
ihr Problem grundsätzlicher anzugehen und die Sicht-
4. Ansprüche herunterschrauben! Die
Freizeit und vor allem die Menschen in
weise aufs Leben zu ändern. Also die Arbeit in der Be-
unserer Freizeit können nicht perfekt sein. deutungshierarchie des Alltags etwas nach hinten und
dafür Familie und andere private Dinge weiter nach
5. Kommunikationsmedien einschrän- vorne zu stellen. Doch dies ist nicht nur leichter gesagt
ken! Schaffen Sie sich in der Freizeit ein als getan. Wer die privaten Angelegenheiten nach vorne
festes Zeitfenster, in dem Sie Smartphone, schiebt, riskiert, dass dabei auch bisher kaum spürbare
Laptop und andere Medien benutzen! Konflikte an die Oberfläche kommen und sich verschär-
Verwenden Sie die Geräte nur in dieser fen. Paartherapeuten warnen, dass 30 Prozent aller
Zeit! Scheidungen im Anschluss an einen Urlaub eingereicht
werden. In der Enge eines Hotelzimmers oder Reise-
6. Maßvoll anregende Beschäftigung! Die
busses kann man sich eben schlechter aus dem Weg
Freizeit sollte nicht völlig leer, aber auch
gehen als in den vier Wänden zu Hause. PH
nicht überfüllt sein. Lassen Sie genug
Abstände zwischen den Terminen.
LITERATUR
Cornelia Blank, Veronika Leichtfried, Wolfgang Schobersberger,
7. Spontane Auszeiten genießen! Wenn Claudia Möller: Does leisure time negatively affect personal health?
mal das Auto im Stau steckt oder der Zug World Leisure Journal, 2015, 57/2, 152–157
zu spät kommt, nicht ob dieser ohnehin Guus Van Heck, Ad Vingerhoets: Leisure Sickness: A Biopsychoso-
cial Perspective. Psychological Topics, 2007, 16/2, 187–200
unveränderbaren Situation verzweifeln,
Peter Buchenau, Birte Balsereit: Chefsache Leisure Sickness.
sondern das Beste daraus machen.
Warum Leistungsträger in ihrer Freizeit krank werden. Springer,
Wiesbaden 2015

68 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


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69
DOSSIER BERUF& LEBEN

DOSSIER
BERUF&
LEBEN

ILLUSTR ATIONEN: JULIA SCHWARZ

Unzufrieden im Job? In einem neuen Beruf wird alles


besser, denkt mancher – und ist dann enttäuscht.
Wann ist ein Wechsel wirklich sinnvoll? Und welche
Schwierigkeiten lassen sich auch anders lösen?

70 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Trugbild Traumjob
Wenn die Arbeit nervt, träumen viele von einer neuen Tätigkeit.
Doch der Wechsel zum vermeintlichen Traumjob
bringt oft keine Besserung. Tatsächlich liegen die Gründe
für die Unzufriedenheit meist ganz woanders

VON ANNE OTTO

M
orgens um acht klingelte Mit dem Gefühl, bei der Arbeit „nicht
Kirsten Frankes* Handy richtig“ zu sein, ist Kirsten Franke nicht
das erste Mal. Dann allein. Die Unzufriedenheit mit der ei-
schaltete die Beraterin genen Position ist bei vielen groß: Die
die Freisprechanlage im Dienstwagen Personalvermittlung Manpower hat
ein, telefonierte mit Auftraggebern oder 2015 mit dem Marktforschungsinstitut
den Chefs der Consulting-Firma. Da- Toluna eine Befragung von 1011 Mitar-
mals beriet die Wirtschaftspsychologin beitern durchgeführt. 49 Prozent der
große Kunden, meistens ging es um Pro- Befragten fühlten sich in ihrem Job un-
zessoptimierung und darum, Mitarbei- Verführerischer zufrieden. 45 Prozent erwogen, den Ar-
ter zu entlassen. Die 34-Jährige machte beitsplatz in den nächsten zwölf Mona-
Gedanke: Noch
ihre Arbeit gut, fühlte sich aber irgend- ten zu wechseln. Zwar interessiert sich
wann unwohl. „Ich litt darunter, immer einmal etwas von diesen Wechselwilligen natürlich
nur profitorientiert zu denken. Der nur ein Teil für einen Aufgaben-, Bran-
Wunsch, vertrauensvoll mit Klienten zu
ganz anderes chen- oder Berufswechsel, dennoch
arbeiten, wurde stärker“, erzählt sie im ausprobieren scheint bei beruflichen Veränderungen
Rückblick. heute rasch die Option mitzuschwingen,
Nach vier Jahren wechselt Franke in noch mal etwas ganz anderes auspro-
die Leitung einer Berufsbildungs- und bieren zu wollen.
Beratungsstelle für Frauen, für sie ein „Die Tendenz, Berufstätigkeit immer
Traumjob. Die ersten Monate laufen gut. wieder neu zu denken, hat damit zu tun,
Im Kontakt mit Klientinnen hat Franke dass auch große Veränderungen mach-
das Gefühl, helfen zu können. Auch die bar scheinen“, erklärt die Hamburger
Organisation der Beratungsstelle fällt Karriereberaterin Svenja Hofert (siehe
ihr leicht. Doch bald kommt es zu Aus- Interview S. 76). Die Regalmeter mit
einandersetzungen mit den Kollegen. Ratgeberliteratur, die uns aufruft, die
Die neue Leiterin ist ihnen zu ehrgeizig. eigene Berufung oder den Traumjob zu
Franke wiederum findet die Mitarbeiter finden, nehmen ebenfalls Einfluss auf
wenig belastbar, „fast unprofessionell“. den Wunsch nach Joboptimierung –
Unbewusst legt sie den Leistungsmaß- und spiegeln den Trend wider.
stab aus der Beraterbranche an. Die „Ich finde es der Arbeitsmarktsitu-
Konflikte eskalieren. Wieder fühlt Fran- ation angemessen, dass man sich beruf-
ke sich am falschen Platz. Nach einem lich weiterentwickeln will“, sagt Hofert.
Jahr kündigt sie enttäuscht. „Es ist jedoch oft ein Fehler, die Lösung
*Name geändert

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 71


DOSSIER BERUF& LEBEN

in radikalen Veränderungen zu suchen.“ beruflicher Weiterentwicklung ist und


Viele von Hoferts Klienten klagen dar- vor einigen Jahren Richard Nelson Bol-
über, so unzufrieden im Job zu sein, dass les’ Bestseller Durchstarten zum Traum-
sie alles erneuern wollen. Anliegen wie job nach Deutschland brachte, steht sie
„noch mal etwas tun, das Spaß macht“ dem Konzept des radikalen Karriere-
oder „endlich den Traumjob finden“ wechsels, also eines Wechsels der Funk-
stehen oft am Anfang der Beratung. Ho- Manchmal stecken tion und des Tätigkeitsfelds, heute skep-
fert lässt sich dann zunächst schildern, tisch gegenüber.
hinter dem Wunsch
was am aktuellen Beruf als unpassend
und unverträglich empfunden wird. nach einem neuen Nur wenige Menschen sind
Schon im Erstgespräch wird häufig wirklich im falschen Beruf
deutlich, dass das eigentliche Problem
Job psychische In einem Artikel für die Zeitschrift
nicht die Tätigkeit an sich ist, sondern Konflikte Wirtschaftspsychologie aktuell wagt sie
dass es die Umstände sind, die den Zu- folgende Einschätzung: „Von 100 Men-
stand unzumutbar erscheinen lassen. schen, die in meine Praxis kommen, sind
„Viele wollen vor dem Arbeitsdruck nur etwa drei bis fünf wirklich in einem
und den häufigen Umstrukturierungen falschen Beruf. Bei allen anderen liegen
im Unternehmen fliehen und denken, die Schwierigkeiten woanders.“ Oft sei-
dass das in einem anderen Beruf anders en es massive Selbstwertprobleme, ein
wäre“, sagt Hofert. Oder sie seien ge- zu hoher Leistungsanspruch oder Ängs-
stresst von der sozialen Situation im te, die Menschen beim Arbeiten ein so
Team und mit ihren Chefs. Hofert erzählt unangenehmes Gefühl geben, dass sie
von einer Personalreferentin, die mit „nur noch raus wollen“.
dem Anliegen kam, ihren Traumjob Leitner beschreibt das Erstgespräch
„endlich in Angriff zu nehmen“ und mit einem Controller. Er schilderte ihr,
Pferdepflegerin zu werden. Schnell stell- dass er an seinem Arbeitsplatz wohl
te sich heraus, dass diese Klientin sich falsch sei, weil er schon Beklemmungen
quasi in einen Traumjob hineinfantasiert bekomme, wenn er das Konzerngebäu-
hatte, weil sie keinen angemessenen Um- de betrete. Schnell wurde klar, dass er
gang mit ihrem cholerischen Chef finden eine soziale Phobie hatte, die wiederum
konnte. Dieser trug ihr fast täglich Bo- nichts mit der Eignung als Controller
tengänge auf, ließ sie Mettbrötchen für zu tun hatte. „Eine Psychotherapie ist
die Besprechungen schmieren. „Hier lag dann natürlich angebrachter als ein Be-
einfach ein Abgrenzungskonflikt vor“, rufscoaching“, erklärt Leitner. Sie über-
sagt Hofert. „Im falschen Job war die wies den Klienten an eine klinisch ar-
fachlich sehr kompetente Frau nicht.“ beitende Kollegin. Auch er blieb letztlich
In wenigen Sitzungen übte die Kli- in seinem Job und ist dort erfolgreich.
entin mit Hoferts Hilfe Strategien, mit Manche tragen sich auch vor allem
denen sie sich gegen die unangemesse- deshalb mit Wechselwünschen, weil sie
nen Aufträge des Chefs abzugrenzen das Gefühl haben, den eigenen Job satt-
lernte. Als das in Ansätzen gelang, ent- zuhaben. Im Coaching zeigt eine beruf-
spannte sich die Situation – und das liche Standortbestimmung aber häufig
Thema Traumjob war vom Tisch. nur, dass Klienten an ihrem Arbeitsplatz
Neben den alltäglichen Arbeitsplatz- letztlich gut aufgehoben sind. „Natür-
problemen seien oft auch psychische lich sind wir manchmal gelangweilt und
Konflikte der Grund für den Wunsch unzufrieden und sehen dann gar nicht,
nach einem ganz neuen Beruf, hat die wie gut der eigene Arbeitsplatz zu uns
Münchener Karriereberaterin und Psy- passt“, sagt Svenja Hofert. Wer sich nicht
chologin Madeleine Leitner festgestellt. sicher ist, ob er einfach nur ein bisschen
Obwohl Leitner eine Verfechterin von genervt oder im falschen Job ist, dem

72 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


rät sie, sich zu fragen, wie groß die Ar- digkeit bestimmte Persönlichkeits-
beitszufriedenheit auf einer Skala von Testen merkmale wie Durchhaltevermögen,
eins bis zehn ist: „Wenn Menschen ‚sie- Selbstvertrauen und Verkaufstalent vo-
ben oder mehr‘ antworten, ist meine
statt träumen raussetzt. Auch das wird von vielen Ar-
Erfahrung, dass sie nicht wirklich wech- Wer jahrelang von einem be- beitnehmern unterschätzt, die sich ver-
seln wollen und wohl auch nicht sollten.“ stimmten Job träumt, dem emp- suchsweise auf diesen Weg begeben.
Von solchen Erkenntnissen sind Kli- fehlen Karriereberater oft, diesen Bei Karsten Wengen* aus Stuttgart
enten oft zunächst enttäuscht, weil sie Beruf für eine Woche auszupro- scheiterte die Selbständigkeit daran,
eigentlich aufregende neue Optionen bieren. dass er mitten im Gründungsprozess
gesucht haben. Doch ein paar Tage nach Ob man nun als Musikerin, bemerkte, dass er keine Unternehmer-
der Ernüchterung folgt meist auch Er- Weinbauer oder auf dem Markt persönlichkeit ist. Der gelernte Kauf-
leichterung. Viele können ihre Sichtwei- arbeiten will: Der Praxistest zeigt mann, der sein Leben lang für Mode-
se auf ihren Beruf und ihre Firma ver- schnell, ob man für die jeweilige firmen im Einkauf gearbeitet hatte, er-
ändern – und freuen sich letztlich, dass Tätigkeit geeignet ist – und ob füllte sich den Traum von einem eigenen
sie unter guten Bedingungen in einem diese Freude macht. Einige sat- Modelabel mit besonderen Baumwoll-
passenden Beruf arbeiten. teln danach tatsächlich um. Häu- stoffen – eine sportlich-elegante Kol-
figer ist aber, dass Klienten kom- lektion, die er zusammen mit einer De-
Dann eben ein eigenes Café? plett Abstand nehmen vom signerin entwarf. Dank seiner Bran-
Dennoch gibt es immer einen Anteil Traumjob, weil sie sich diesen chenkenntnis und seines Verkaufsta-
Glücksritter, die einen festen Traumjob ganz anders vorgestellt hatten. lents fanden die Produkte schnell
im Kopf haben, den sie anpacken wol- Im amerikanischen Raum gibt Abnehmer. Doch als es zwischendurch
len: ein Café oder einen Laden eröffnen, es einige Onlineplattformen, die Lieferschwierigkeiten gab und finanzi-
Wedding- und Eventplanung sind be- mehrtägige Ausflüge in ver- elle Engpässe entstanden, bekam Wen-
liebte Ideen. Häufig genannt werden meintliche Traumjobs anbieten. gen Angst.
auch Coach, Heilpraktiker oder Trainer. Eine deutsche Firma hat nun „Ich bin ein Sicherheitstyp und freue
„Das blinde Verwirklichen vermeintli- nachgezogen: Bei Descape kann mich eben doch, wenn ich das finanzi-
cher Traumjobs war besonders in der man unterschiedlichste Tätigkei- elle Risiko nicht selbst tragen muss“, sagt
Zeit vor etwa acht bis zehn Jahren po- ten tageweise ausprobieren. er im Rückblick. Nach einigen Monaten
pulär“, sagt Svenja Hofert. Damals war WWW.DESCAPE.COM voller schlafloser Nächte wickelte er sein
es durch die Ich-AG-Gelder und ande- kleines Unternehmen ohne Verluste ab
re Fördermittel plötzlich ein gangbarer und bewarb sich wieder für eine Fest-
und einfacher Weg, sich mit guten und anstellung. Für den 50-Jährigen war der
verrückten Ideen selbständig zu ma- Ausflug in die Selbständigkeit trotzdem
chen. Lagen laut KfW-Gründungsmo- ein Gewinn: „Ich weiß jetzt noch bes-
nitor die Neugründungen 2004 noch bei ser, was ich kann und was nicht.“
etwa 2,5 Prozent pro Jahr, sind es heu-
te nur noch 1,8 Prozent. Lebenslange berufliche
„Es hat sich mittlerweile rumgespro- Entwicklung
chen, dass es so einfach nicht ist“, sagt Dass wir heute im Laufe des Arbeitsle-
Hofert. „Viele der Unternehmen wurden bens immer wieder an Wendepunkte
wieder aufgegeben.“ Das hat vor allem kommen, an denen wir berufliche Vi-
damit zu tun, dass die Erwartungen an sionen abklopfen und überdenken, da-
das Traumjob-Arbeitsfeld so gut wie nie von ist die Hamburger Coachin und
mit der Realität übereinstimmen. Wer Autorin Doris Hartmann überzeugt. In
ein Café hat, verkauft nicht nur schöne ihren Büchern beschäftigt sie sich mit
Kuchen an nette Menschen, sondern beruflichen Entwicklungen über die Le-
muss auch abwaschen, früh aufstehen, bensspanne. „Oft sind es äußere Anläs-
einkaufen gehen – und verdient dabei se wie Jobverlust, Umzug, eine Verän-
oft nicht viel, sagt Hofert. Dazu kommt derung im Familienstatus wie eine
noch, dass eine erfolgreiche Selbstän- Scheidung, die uns noch mal grundsätz-
*Name geändert

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 73


DOSSIER BERUF& LEBEN

lich über berufliche Fragen nachdenken Manchmal reicht sel seien schließlich immer mit mehre-
lassen“, sagt Hartmann. Ihrer Meinung ren Jahren Aus- und Weiterbildung und
nach ist das legitim und richtig. Den- schon eine kleine finanziellen Einbußen verbunden.
noch ist sie davon überzeugt, dass in Kurskorrektur „Je älter Klienten sind, die mit Um-
verschiedenen Lebensaltern unter- bruchwünschen kommen, desto deut-
schiedlich große Veränderungen mög- licher frage ich ab, ob sie von dem neu-
lich beziehungsweise ratsam sind (siehe en Beruf leben müssen oder ob aus ei-
Kasten unten). nem ersten Beruf Geld vorhanden ist“,
Wenn Klienten um die dreißig mit sagt Hartmann. Einige Klienten über-
dem Wunsch kommen, noch einmal denken ihre Wünsche dann noch einmal
komplett umzusatteln, ergebe das oft und finden Kompromisse. Manche be-
Sinn. Viele hätten nach dem Studium stehen weiter darauf, sich in einem
und ersten Berufserfahrungen Bedarf, Traumberuf zu verwirklichen. Ab vier-
die Richtung zu verändern und nach- zig kämen viele Menschen dann eher
zubessern. Doch auch hier achtet Hart- mit Sinnkrisen. Auch diese rufen zu-
mann darauf, ob ein kompletter Berufs- nächst häufig das Gefühl hervor, alles
wechsel nötig ist – also zum Beispiel vom neu machen zu müssen. Doch das sei
Rechtsanwalt zum Grafiker – oder ob oft nicht nötig. „Es gibt viele Möglich-
ein Branchensprung oder eine kleinere keiten für neue Wege“, sagt Hartmann.
Kurskorrektur ausreichen. Berufswech- „Ich arbeite mit Klienten oft zu der Fra-

Was ein Wechsel in welchem


Lebensalter bedeutet
30 bis 39 Jahre 40 bis 49 Jahre 50 bis 59 Jahre
đ Ein Wechsel ist in diesem Alter meist đ Ein Alter, in dem sich viele Menschen đ In diesem Alter geht es um eine Pla-
eine Kurskorrektur. Diesen Verände- vermehrt mit dem Thema „Sinn“ von nung und Gestaltung der letzten Pha-
rungswünschen nachzugehen ist häu- Arbeit und Leben auseinandersetzen. se der Berufstätigkeit. Häufig kommt
fig sinnvoll. Sie suchen Tätigkeiten, die den eige- die Frage auf, ob man noch ein zwei-
đ Oft spielt eine Rolle, dass man be- nen Werten entsprechen. tes Standbein dazunimmt oder noch
rufliche Erwartungen der Eltern erfüllt đ Oft sucht und findet man eine neue einen Karriereschritt in der bisherigen
hat und sich davon nun emanzipieren Weichenstellung: Geht es in eine Füh- Laufbahn macht.
möchte. rungsposition? In eine Fachkarriere? đ Häufig sind die Wendepunkte
đ Es ist vieles noch offen: Branchen- Passen Branchenwechsel oder Selb- schmerzhaft: Viele, die in den Vierzi-
und Tätigkeitswechsel sind manchmal ständigkeit? gern den Wechsel nicht gewagt ha-
durch Praktika und Quereinstiege đ Da man schon viel Berufserfahrung ben, probieren ihn jetzt, oft ist das
möglich. hat, bietet es sich an, auch bei radi- nun aber schwieriger.
đ Auch wenn Aus- oder Weiterbildun- kalen Wechseln in neue Berufsfelder đ Es passt trotzdem, jetzt auf Träume
gen nötig sind: Viele sind in der Le- bisherige Kompetenzen in die Waag- und Visionen zu hören. Noch stärker
benssituation und haben die Energie, schale zu werfen. als in früheren Phasen ist dabei wich-
Mehrarbeit und finanzielle Einbußen đ Berufswechsel, für die ein ganz neu- tig, neue Vorhaben mit dem bisheri-
auf sich zu nehmen. es Studium oder eine andere Ausbil- gen Berufsweg zu koppeln.
đ Heirat und eigene Kinder sind oft dung nötig wären, sind möglich, aber
Doris Hartmann: Kurs auf Neues im Beruf: Wann wir
Auslöser, neu über berufliche Positi- oft mit hohen finanziellen und ener- Veränderungen brauchen und wie sie gelingen. Kreuz,
Freiburg 2013
onen nachzudenken. getischen Kosten verbunden.

74 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


ge, welcher rote Faden sich durch ihr
Berufsleben zieht. Wenn man weiß, wel-
che Fähigkeiten und Erfahrungen man
in die Waagschale werfen kann, wird es
leichter, sich mit diesen im Gepäck ein
neues Feld zu erschließen.“
Als Beispiel nennt die Beraterin eine
Klientin, die jahrzehntelang als Sekre-
tärin gearbeitet hatte, deren eigentliche
Leidenschaft aber das Fach Geschichte
war. Mit über 50 wollte sich die Frau
diesen Lebenstraum erfüllen. An ein
Studium war da nicht mehr zu denken,
doch Hartmann erarbeitete mit ihr eine
andere Idee: sich als Sekretärin bei einem Bleiben oder gehen?
Geschichtsprofessor zu bewerben. Mit
ihrer Berufserfahrung und dem glaub- Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, sich beruflich weiterzuentwickeln,
haften Interesse an historischen Themen sollten Sie sich fragen, ob der Wechsel wirklich nötig ist – oder ob die
bekam die Klientin tatsächlich eine sol- Lösung doch woanders liegt. Notieren Sie am besten die Gründe, war-
che Stelle. Heute macht sie neben der um Sie dieses Gefühl haben.
Verwaltungsarbeit auch kleine Recher-
chen, liest Fachaufsätze und arbeitet so Gute Gründe für einen Wechsel:
wenigstens teilweise inhaltlich. Eine sol- đ Die Firma hat finanzielle Schwierigkeiten, Gehälter werden nicht oder
che Roter-Faden-Lösung gibt es laut zu spät gezahlt
Hartmann für beinahe jeden berufli- đ Das Zerwürfnis mit der direkten Führungskraft ist so eklatant, dass
chen Traum. Wichtig sei, die eigenen man auf keinen grünen Zweig mehr kommt
Fähigkeiten zu kennen und auf diese zu đ Die Ethik und Positionierung des Unternehmens passt in keiner Wei-
setzen. Außerdem sollte man seine Wer- se zu den eigenen Werten und Zielen
te kennen – und ihnen treu bleiben. đ Es fehlen Kernkompetenzen, die für diese Arbeit nötig sind. Zum
Auch Wirtschaftspsychologin Kirs- Beispiel wenn ein eher kreativ-chaotischer Mensch in einem Con-
ten Franke hat sich nach dem geschei- trollerjob landet, eine Ärztin kein Blut sehen kann etc.
terten Abstecher in die Beratungsstelle đ Es herrscht so viel Routine – mehr als 70 Prozent – dass man nur
eine solche Roter-Faden-Strategie zu- noch gelangweilt ist und das Gefühl hat, nichts mehr dazuzulernen
nutze gemacht. Sie verstand, dass sie mit đ Die Arbeit führt zum Burnout oder zu ernsthaften körperlichen
ihrer Auffassungsgabe, ihrem Ehrgeiz Krankheiten
und Stil im Grunde gut in eine Unter-
nehmensberatung passt. Gleichzeitig Schlechte Gründe für einen Wechsel:
sind für sie aber Werte wie „Menschen đ Das Gefühl, ein anderer Job würde mehr „Spaß“ machen
helfen“ und „Nachhaltigkeit“ sehr wich- đ Torschlusspanik: die Angst, jetzt noch mal etwas reißen zu müssen,
tig. Als Franke begriffen hatte, dass sie bevor man zu alt ist
einfach ein Tätigkeitsfeld braucht, in đ Diffuse Veränderungswünsche, zum Beispiel: „Irgendetwas im Leben
dem man diese Werte teilt, fand sie An- muss anders werden“
schluss an einen Beraterpool, der syste- đ Verärgerung, Frust, Kränkung durch einen Chef oder „die Firma“ und
mische Organisationsentwick lung und das daraus resultierende Gefühl, sofort alles ändern zu müssen
Gesundheitsprävention anbietet. Nach đ Die Idee, dass es im neuen Job keinerlei Probleme mit Kollegen, Chefs
dieser gar nicht so riesigen, aber sehr und engen Zeitplänen geben könnte
passgenauen Veränderung hat sie nun đ Ein Traumjob aus Kindertagen, nach dem man große Sehnsucht hat,
endlich das Gefühl, am richtigen Platz ohne geprüft zu haben, ob er diesen Erwartungen standhält
zu sein.

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 75


DOSSIER BERUF& LEBEN

„Wir versprechen uns Der Preis für einen


zu viel vom Berufsleben“ Berufswechsel ist
oft hoch. Meist
In jedem Job gibt es Durststrecken,
sagt die Karriereberaterin Svenja Hofert. reicht es, eine
Selbst im Traumjob Tätigkeit zu finden,
die näher am
Frau Hofert, stimmt der Eindruck, dass wir heute hohe An-
sprüche an den Beruf haben und viele nach einem Traumjob
eigenen Ich ist
suchen?
Auf jeden Fall. Der Grund dafür ist, dass der Job heute so viel
zu versprechen scheint und dann doch viel zu wenig hält. Es ist
mittlerweile Konsens, dass durch die berufliche Verwirklichung
sehr viel Erfüllung entsteht. Außerdem gibt es quasi einen
„Zwang zur Berufung“. Das wird auch medial kreiert, weil viel
darüber gesprochen wird, dass wir nur gut sein können, wenn
wir den optimalen Job haben, wenn er uns ganz leicht von der
Hand geht.
Lohnt es sich also nicht, nach einem passenden Job zu su-
chen?
Natürlich. Aber in jedem Job gibt es Nachteile und Durststre-
cken, und das kalkulieren viele nicht ein. Wir gehen bei Prob-
lemen schnell auf eine übergeordnete Ebene, stellen unseren
gesamten Lebensentwurf infrage. Ich erlebe auch eine übermä-
ßige Identifikation mit dem Beruf. In einer aktuellen Forsa-
Umfrage wird etwa deutlich, dass jeder Zehnte es schlimmer
finden würde, seinen Job zu verlieren als seine Beziehung. Das
zeigt ziemlich deutlich, welchen Stellenwert Berufliches hat.
Welche Rolle spielt die Arbeitsmarktsituation?
Das ist ein wichtiger Faktor. Jeder Arbeitnehmer spürt, dass
sein Job nicht komplett sicher ist, dass Entwicklung und stän-
dige Wachsamkeit nötig sind. Es ist selbstverständlich, immer
weiter dazuzulernen, sich in neue Gebiete einzuarbeiten. Dazu
kommt, dass wir hautnah erleben, dass neue Branchen und Be-
rufe auftauchen – und andere ganz verschwinden.
Welche Haltung zum Thema berufliche Entwicklung finden
Sie hilfreich?
Ich zweifle am Konzept des Traumjobs. Man kann den Weg
dahin gehen, aber der Preis eines Berufswechsels ist oft hoch.
Meistens reicht es Unzufriedenen, eine Tätigkeit zu finden, die
ein wenig näher am eigenen Ich ist als die bisherige. Das kann
man mit gezielten Schritten hinbekommen.
INTERVIEW: ANNE OTTO

Svenja Hofert: Was sind meine Stärken? Entdecke, was in dir steckt. Gabal, Offenbach 2016

76 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Geld ist nicht alles
Glücklich ist, wer sich morgens voller Vorfreude auf den Weg in die Arbeit machen kann

F
ür viele Menschen ist Arbeit ein volle, herausfordernde, selbstbestimm- Bedeutung in ihrer Arbeit zu finden.
notwendiges Übel. Sie haben ei- te Art und Weise zu verdienen? Können Trotzdem gibt es objektive Faktoren, die
nen Job, damit sie ihre Miete nur Juristen, Ärzte und Professoren das job shaping erleichtern.
bezahlen und ihren eigentlichen Inter- Freude an ihrer Tätigkeit empfinden? Firmen können Arbeitsplätze so or-
essen nachgehen können. Für andere Beileibe nicht, sagt Barry Schwartz. ganisieren, dass sie abwechslungsreich
Menschen ist ihr Beruf Berufung. Sie Auch Portiers, Fabrikarbeiter und Call- sind und Angestellten die Möglichkeit
sind leidenschaftliche Putzfrauen, Piz- centeragenten müssen nicht unzufrie- zur Weiterentwicklung ihrer Fähigkei-
zabäcker oder Proktologen. Nichts den sein. Es kommt darauf an, was sie ten bieten. Und vielleicht am wichtigs-
fürchten sie mehr als den Tag, an dem in ihrer Tätigkeit sehen und wie ihre ten: Die Tätigkeit kann von den Arbeit-
sie in Rente gehen müssen. Vorgesetzten diese organisieren. nehmern als bedeutsam empfunden
Was unterscheidet zufriedene von Dass an Schwartzs Einschätzung et- werden, indem sie mit dem Wohl ande-
unzufriedenen Angestellten? Das Gehalt was dran sein könnte, verdeutlicht eine rer Menschen verknüpft wird. Das mag
ist es nicht, sagt Barry Schwartz, Psy- Untersuchung der Psychologin Amy bei helfenden Berufen leichter nachzu-
chologe am Swarthmore College in der vollziehen sein, ist aber grundsätzlich
Nähe von Philadelphia. Ein einfacher in vielen Feldern möglich.
Tischler kann doppelt so glücklich sein Doch die Wirklichkeit ist eine ande-
wie der Manager einer Möbelfabrik,
Wer glaubt, mit re. Viele Jobs sind so gestaltet, als wür-
selbst wenn der Tischler nur halb so viel seiner Arbeit die den Menschen ausschließlich für Geld
verdient. Wichtiger als Geld ist die Ant- arbeiten. Das Bild dahinter wurde von
wort auf die Frage nach dem Sinn des
Welt zu verbessern, Denkern wie Adam Smith, dem Begrün-
eigenen Tuns. Schwartz meint: Wer ist mit seinem Job der der freien Marktwirtschaft, geprägt.
glaubt, mit seiner Arbeit die Welt zu ver- Demnach handeln Arbeitnehmer nach
bessern, schätzt sie auch mehr. zufrieden einem rationalen Kalkül: Sie versuchen,
In seinem Buch Why we work hat den höchstmöglichen Lohn mit dem
Schwartz Faktoren identifiziert, die ei- geringstmöglichen Aufwand zu erzielen
nen Beruf zur Berufung werden lassen. Wrzesniewski. Die Wissenschaftlerin – ein gutes Pferd springt nicht höher,
Förderlich ist es demnach, wenn der Ar- von der Yale-Universität sprach in aus- als es muss. Diese Denkweise beeinflus-
beitsalltag immer neue Herausforde- führlichen Tiefeninterviews mit ameri- se das Handeln von Unternehmern und
rungen bereithält. Zufriedene Lehrer, kanischen Beschäftigten. Einer von ih- Führungskräften, meint Barry Schwartz.
Unternehmensberater oder Fabrikar- nen ist Luke, der als Hausmeister in einem Es äußere sich beispielsweise in Miss-
beiter schätzen es, an Problemen zu Krankenhaus angestellt ist. Zu seinen trauen gegenüber Untergebenen.
wachsen. Leichter fällt dies, sagt Aufgaben gehört es, Zimmer, Toiletten Doch auf lange Sicht stünden Unter-
Schwartz, wenn sie eigenständige Ent- und Flure zu putzen. Doch Luke möch- nehmen mit zufriedenen Angestellten
scheidungen treffen können. Anders ge- te nicht nur saubermachen und Glüh- besser da als ihre Konkurrenten, sagt
sagt: Wenn der Chef jeden Handlungs- birnen wechseln. Lukes Anspruch ist, Schwartz. So seien die Marktführer in
schritt vorschreibt, lernt sein Unterge- Patienten und ihren Angehörigen den den verschiedensten Branchen überzu-
bener wenig. Nicht zuletzt ist der Mensch Aufenthalt so angenehm wie möglich fällig häufig jene Firmen, die ihre An-
ein soziales Wesen. Wer sich morgens zu machen. So gelingt es ihm, seine gestellten gut behandeln. PH
voller Vorfreude auf den Weg ins Büro, Tätigkeit mit mehr Sinn aufzuladen. Job JOHANNES KÜNZEL

in die Behörde oder die Fabrik macht, shaping nennt Amy Wrzesniewski das.
Barry Schwartz: Why we work. Simon & Schuster, New
freut sich oft auch auf den Austausch Kann das jeder? Nein, sagt Barry York 2015
mit Kunden und Kollegen. Schwartz. Jeder Mensch bringt seine
Ist es ein Vorrecht der gesellschaftli- Persönlichkeit mit ins Büro. Und man- Unser nächstes Dossier Beruf & Leben erscheint in der
Ausgabe 10/2016. Thema: Teamwork. Wie arbeiten wir
chen Eliten, ihr Einkommen auf sinn- chen fällt es schwerer als anderen, eine am besten zusammen?

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 77


PEHNTS ALLTAG

MEINE HEILIGEN SCHRIFTEN

Ich kann mein altes Tagebuch Es gibt Eintrittskarten und Fotos, Striche-
nicht mehr finden. Für mich ist leien und Aufkleber, ausgeschnittene Ar-
das eine Katastrophe, denn die Tagebücher tikel, alles durcheinander und doch ver-
sind die Chronik meines Lebens. Ich be- sammelt als ordentliche Abfolge meiner
wahre sie in einem verschlossenen Glas- Lebensjahre. Ein Schatz, den ich niemals
schrank auf, sodass ich sie immer im Blick zurücklassen würde.
habe, auch wenn ich nur selten darin lese. Wenn ich die hübschen marmorierten,
Aber darum geht es auch gar nicht. Ich in Stoff eingeschlagenen oder ledergebun-
muss ja nicht unbedingt ganz genau wis- denen Bücher im Regal sehe, manchmal
Die Schriftstellerin
sen, welchen Reim ich mir als 27-Jährige ein wenig darin herumblättere und mich
Annette Pehnt
auf die Welt gemacht habe. Oder was ich umschaue im Museum meines Lebens,
(u.a. Briefe an Charly,
vor Jahrzehnten über die Liebe oder das Piper 2015) schreibt
bin ich zutiefst beruhigt.
Zerbrechen derselben dachte. Doch könn- jeden Monat in Fotos dagegen traue ich gar nicht über
te ich das alles nachlesen: die Studienjah- PSYCHOLOGIE HEUTE den Weg. Sie lassen mich merkwürdig
re, die ersten Gedanken über das Schrei- über ihre Alltags- kühl zurück, und wenn ich sie anschaue,
ben, Mutter werden, älter werden. In mei- beobachtungen kann ich mich einfach nicht mehr recht
nen heiligen Schriften gibt es weder Zen- www.annette-pehnt.de in meine eigenen Geschichten verwickeln.
sur noch irgendwelche Aufnahmestopps; Ich sehe die Gesichter aus jüngeren Jahren,
alles, was mich beschäftigt, rührt, quält die Kinder noch so klein, die Freunde so
oder interessiert, wird notiert. Gut, jung, die Büsche im Garten lächerlich
manchmal passiert über Wochen gar klein. Aber in diese Bilder kann ich nicht
nichts, die Seiten bleiben leer, und das Le- eindringen, seltsam bunt und echt, bieten
ben hinterlässt keine weiteren Spuren, zu- sie mir eine Gegenwart, die ich doch nicht
mindest nicht in meinem Büchlein. Dann mehr schmecken, riechen oder fühlen
wieder kann ich gar nicht schnell genug kann. Wie hat sich das angefühlt, ein klei-
mitschreiben, es prasselt nur so von Ge- nes hustendes Kind auf dem Schoß zu ha-
danken, und ich komme kaum hinterher. ben? Einen Säugling an der Brust? Oder

78 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


den Pfad durch ein schottisches Hoch- Was fehlt, ist doch nur ein altes Büch-
moor vor mir? Ich weiß, dass ich diese lein. Verblasstes Gekritzel über Orte, die
Momente erlebt haben muss – aber wo ist ich auf der Karte nicht mehr finden kann;
die Tiefenschärfe, wie kann ich sie sättigen Geschichten von abgelegten Lieben;
mit den Gefühlen von damals? Handschrift einer Schreiberin, in der sich
Das gelingt mir nur, wenn ich in mei- jede Zelle und jedes Molekül schon oft
nen alten Büchern blättere. Hier ein Satz, erneuert haben. Bin ich überhaupt noch
dort ein Zitat. Ja, dann setzt sich wieder dieselbe, die damals im Bus durch die be-
alles zusammen, auf einmal bekommt schlagene Scheibe schaute und versonnen
meine Erinnerung Konturen, ich weiß in ihr neues rostrotes Büchlein kritzelte?
wieder, wer diese Schreiberin war, die Was ist geblieben? Und was bin ich ohne
damals diesen Gedanken gedacht, diesen diese zwei Jahre meines Lebens, die mit
Satz notiert hat. An welchem Schreibtisch dem Büchlein verschwunden sind? Herausgegeben von Wulf Bertram
ich saß, als ich in dieses grüne Heft schrieb Ich habe sie doch erlebt, diese Jahre und
oder in das blaugemusterte Büchlein, alle anderen auch. Warum glaube ich mir
dessen Seiten seit zwanzig Jahren gewellt das nicht? Ich staune über das Ausmaß
sind vom Regen in Schweden. Und wie meines Kummers. Als gäbe es Lebenszeit
sich das Leben damals angefühlt hat. nur in geronnener Form, nur auf dem
Herumblättern genügt; ich lese mich nicht Papier. Aber dann fällt mir ein, dass ich
fest, ich will es ja gar nicht so genau damit ja auch meiner Kindheit den Garaus
wissen, ich will einfach nur glauben machen würde. Da habe ich auch nichts
können, dass es mich schon eine ganze aufgeschrieben! Und trotzdem wissen
Weile gibt. meine Zehen noch, wie es war, barfuß über
Und nun ist mir eines dieser Bücher den Schotterweg vor der Garage zu laufen,
verlorengegangen. Und zwar nicht irgend- und meine Finger noch, wie sie geschwitzt
eines, sondern eines der ältesten (aber das haben, als ich mich vor der ganzen Klas-
ist egal, alle sind gleich wichtig). Ich habe se auf der Flöte verspielt habe, und meine
es gemerkt, weil ich etwas suchte, einen Augen noch, wie sie das erste Mal eine
bestimmten Ort in Irland, wo ich mich Wiese ohne Zäune gesehen haben.
verlaufen hatte; wie hieß das Dorf noch Vielleicht gibt es ja auch andere Weisen,
Was Sie schon immer
mal? Auf einmal wollte ich das unbedingt wie sich das Leben in mich einschreiben
über Musik wissen wollten
wissen, es kam mir furchtbar wichtig kann. Muss es denn unbedingt Papier
vor, als hinge etwas davon ab; und es sein? Musik berührt uns. Ein Lied kann unsere
musste in meinem alten Buch notiert sein. Eben, sagen die Jüngeren um mich Stimmung augenblicklich heben, ein ande-
res Musikstück uns zu Tränen rühren. Wieso
Ich wusste sogar noch, in welchem und herum. Es muss wirklich nicht immer das so ist und welche positiven Wirkungen
dass ich auf die erste Seite ein keltisches Papier sein. Wie wäre es online? Schreib Musizieren für Leib und Seele bereithält,
Kreuz gezeichnet hatte, verwackelt, weil doch einfach alles ins Internet, dann geht ergründen die beiden Musikermediziner
Claudia Spahn und Bernhard Richter in
ich in einem Überlandbus saß und der es nicht verloren. Und du musst dann auch diesem kurzweiligen Buch.
Bleistift in meiner Hand vibrierte. Es nicht immer diesen Prittstift nachkaufen, In zehn Essays erfahren Sie, weshalb die
hatte einen rostroten Einband, ganz sicher. der die Seiten verklebt. Und die Fotos Stimme der Spiegel der Seele ist und das
Auge mithört. Was macht die Musik mit
Und nun war es verschwunden. Zuerst brauchst du auch nicht mehr auszudru-
uns? Wie unterstützt sie den Spracherwerb?
konnte ich es nicht glauben, stöberte he- cken. Und vor allem: Alles ist für immer Wann spricht uns eine Stimme an?
rum und sah die Reihe der Bücher und gespeichert! Egal ob Berufsmusiker, begeisterter Musik-
Hefte immer wieder durch. Ich wusste Wie, ich soll nichts mehr einkleben liebhaber oder passionierter „Badewannen-
Irrtum und Preisänderungen vorbehalten. Abb.: © www.fotolia.de

sänger“ – dieses Buch richtet sich an alle,


natürlich nicht mehr, wann ich das Buch dürfen? Keine Seiten mehr umblättern? die sich einen Alltag ohne Musik nicht vor-
zuletzt gesehen hatte. War es beim letzten Keine Kaffeeflecke mehr, kein Bleistift- stellen können.
ILLUSTR ATION: MAGDA WEL

Umzug hinter das Regal gestürzt? Hatte gestrichel? Also bitte. Kommt gar nicht 2016. 248 Seiten, 10 Abb., kart.
es mir jemand weggenommen? Oder hatte infrage. Natürlich muss es Papier sein. € 19,99 (D) / € 20,60 (A) | ISBN 978-3-7945-3129-5

der Zahn der Zeit es zermahlen? Motten? Und wenn dann was verlorengeht, muss
Schimmel? Eine Trauer stieg in mir hoch, ich solche Katastrophen eben hinnehmen.
die ich selbst nicht verstand. Schließlich Besser, als wenn es nie da gewesen
war niemand gestorben. wäre.

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


BUCH&KRITIK REDAKTION: KATRIN BRENNER-BECKER

S.81

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Schluss mit den Lügen!
Karriere und Familie sind vereinbar? Von wegen! Anne-
Marie Slaughter löst eine neue Feminismusdebatte aus

Die US-Politikwissenschaftlerin Anne- an einer Gesellschaft, die Fürsorge schlecht „Viele Frauen
Marie Slaughter hat sich mit Klugheit oder gar nicht entlohnt.
und Ehrgeiz in männerdominierte Die Autorin belegt, dass die Mutter- sehen, dass
Machtzentren emporgearbeitet. Sie ist schaft einen besseren Indikator für Lohn-
Professorin an der Princeton University ungleichheit darstellt als das Geschlecht. Ehrgeiz und
und Direktorin des Thinktanks New 2013 verdienten US-Amerikanerinnen
America. Von 2009 bis 2011 leitete sie den ohne Kinder 96 Cent für jeden Dollar der
Engagement
Planungsstab des US-Außenministeri- Männer, verheiratete Mütter jedoch nur unverzichtbar
ums unter Hillary Clinton – der Höhe- 76 Cent. Frauen wenden wesentlich mehr
punkt ihrer Karriere. Zeit für die Betreuung von Kindern, Kran- sind, um in
Jeden Montagmorgen ließ sie ihren ken und Senioren auf.
Mann und zwei Söhne im Teenageralter Überzeugend legt sie dar, warum auch
ihrem Beruf
in Princeton zurück, um am Freitagabend Männer für eine Gesellschaft eintreten aufzusteigen,
müde und geschafft von einer strapaziö- sollten, die Erwerbstätigkeit und Betreu-
sen Arbeitswoche in Washington heim- ungsarbeit gleich hochschätzt. Umfragen aber sie wissen
zukehren. Als jedoch ihr ältester Sohn zufolge möchten die meisten Väter mehr
ernste Probleme in der Schule bekam, gab Zeit mit der Familie verbringen, fürchten
nicht, wie sie
sie ihren „absoluten Traumjob“ auf, um aber ernste wirtschaftliche Folgen. Hinzu dabei noch
mehr Zeit mit der Familie zu haben. kommt, dass unsere Kultur Männern bei
Als stolze Feministin hat sie zahlreiche Betreuungs- und Hausarbeiten wenig Raum für ihre
Frauen ermutigt, entschlossen nach den zutraut. Schließlich zeigt Slaughter, dass
Sternen zu greifen. Dennoch reagierten Kinder auf vielfältige Weise von engagier- Familien
viele Mitstreiterinnen mit Enttäuschung ten Müttern und Vätern, Erziehern und schaffen sollen“
und bissiger Kritik auf ihre Entscheidung. Lehrern profitieren. Sie fordert besseren
In der Folge begann Slaughter an einem Rechtsschutz für Elternschaftsurlaub, ANNE-MARIE SLAUGHTER

Feminismus zu zweifeln, der Fortschritt professionelle Kindererziehung, Alten-


nur am Berufserfolg von Frauen misst. pflege, flexible Arbeitszeiten und Teilzeit-
In ihrem wissenschaftlich fundierten, arbeit sowie höhere Löhne für Betreu-
lebensklugen und fesselnden Manifest ungsarbeiter.
Was noch zu tun ist plädiert die Autorin Diese wegweisende Streitschrift ent-
für einen neuen Feminismus, der für eine wirft eine Gesellschaft, in der sich Frauen
Aufwertung der Betreuungsarbeit streitet. und Männer im Beruf und in der Familie
Sie hat eine große Fülle und Vielfalt an gegenseitig stärken. MICHAEL HOLMES

Belegen für ihre These zusammengetra-


gen, dass die Geringschätzung von Betreu-
ungsarbeit zentrale Probleme der ameri-
kanischen Gesellschaft erheblich ver-
Anne-Marie Slaughter: Was
schlimmert. Erschütternde Geschichten noch zu tun ist. Damit Frauen
von US-Amerikanern aus allen Gesell- und Männer gleichberechtigt
leben, arbeiten und Kinder
schaftsschichten füllen die statistischen erziehen können. Aus dem
Daten mit Leben. Die Frauen und Männer, Amerikanischen von Elsbeth
Ranke und Violeta Topalova.
Weiße, Schwarze und Latinos in diesem Kiepenheuer & Witsch, Köln
Buch versuchen verzweifelt, Beruf und 2016, 349 S., € 19,99

Familie zu vereinbaren, scheitern jedoch

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 81


Abschalten oder
mitgestalten?
Das Leben in der digitalisierten
Gesellschaft erzeugt bei vielen
Menschen ein diffuses Unbehagen.
Zwei Autoren haben recht konträre
Vorschläge, damit umzugehen

Internetnutzung gehört in Deutschland tion auseinander und vertreten dabei völ- nicht frei zur Verfügung stellen. Für die
zum Alltag: 80 Prozent der Gesamtbevöl- lig konträre Ansätze. gesellschaftliche Fehlentwicklung macht
kerung sind laut ARD-ZDF-Onlinestudie Der Ulmer Psychiater und Hirnfor- Spitzer in erster Linie die IT-Industrie ver-
2015 heutzutage online. Bei den Jugend- scher Manfred Spitzer will vor allem auf- antwortlich, die ihre Produkte rücksichts-
lichen sind es – nicht zuletzt dank Smart- rütteln und klarmachen, wie schädlich los auch an Kinder vermarkte, sowie die
phone – laut JIM-Studie (Jugend, Infor- und ungesund das digitalisierte Leben ist. Naivität der Medienpädagogik und vieler
mation, Multi-Media) 2015 inzwischen In seinem Buch Digitale Demenz hatte er Eltern, die dem Irrglauben anhingen, man
an die 100 Prozent. bereits appelliert: „Meiden Sie die digita- müsse Kinder und Jugendliche möglichst
Wir nutzen das Internet für Informa- len Medien. Sie machen (…) tatsächlich früh an digitale Medien heranführen, um
tionssuche, Kommunikation, Mediennut- dick, dumm, aggressiv, einsam, krank und ihnen Medienkompetenz zu vermitteln.
zung, Spielen und Transaktionen – und unglücklich.“ Diese Warnung wiederholt Stattdessen empfiehlt er dringend weit-
empfinden das überwiegend als nützlich er in seinem Buch Cyberkrank! mit der- reichende Internetabstinenz, vor allem bei
und erfreulich. Gleichzeitig sind wir aber selben Vehemenz. In einzelnen Kapiteln Kindern und Jugendlichen.
auch mit diversen negativen Onlineerfah- argumentiert er, dass Internetnutzung Spitzers Standpunkt erfreut sich in der
rungen konfrontiert – von Erreichbar- süchtig mache, Cyberstress, Cyberangst Öffentlichkeit großer Beliebtheit. Kein
keitszwang bis Onlinebetrug. Nicht zu- und Cyberhypochondrie, Einsamkeit und Wunder. Mit der Autorität des Hirnfor-
letzt fühlen viele von uns ein diffuses Un- Depression, Schlaf- und Bewegungsman- schers liefert Spitzer ganz einfache und
behagen angesichts der Digitalisierung gel erzeuge, vor allem aber Hirnentwick- klare Antworten auf das Unbehagen in
aller Gesellschaftsbereiche, der wir mit lung und Lernprozesse bei Kindern und der Zivilisation: Durch Internetverzicht –
kaum absehbaren Folgen ausgeliefert sind. Jugendlichen stark beeinträchtige. Das so das Versprechen – werden wir die Wohl-
Das Leben mit dem Internet ist kompli- Internet vergleicht er oft mit einem Sucht- standskrankheiten los. Und wenn laut
ziert, schnelllebig und widersprüchlich. mittel, gar mit harten Drogen. Die würde Spitzer „das Internet“ und „das Smart-
Zwei Bücher setzen sich mit dieser Situa- man Kindern und Jugendlichen ja auch phone“ per se schädlich sind, dann müs-

82 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


sen wir uns ja auch gar nicht mehr genau- Beispiele ein, von der Fahrdienst-App
er mit der Gestaltung und dem Einsatz Uber bis zu Onlinereaktionen auf den An-
dieser komplexen und dynamischen Me- schlag auf Charlie Hebdo.
dientechnologien, mit all den damit ver- Katzer schreibt dabei als kundige In-
bundenen sozialen, rechtlichen, politi-
schen, ökonomischen und sonstigen Fra-
gen befassen. Einfach so oft wie möglich
ternetnutzerin aus einer Insiderperspek-
tive und erläutert exemplarisch, wie sie
auch ihren eigenen Umgang mit digitalen
-RR7ŸM
(MI/VEJXHIV-RXYMXMSR
abschalten und den digitalen Irrsinn hin- Medien immer wieder zwiespältig erlebt
ter sich lassen. Verlieren kann man laut und hinterfragt. So stellt sie beispielswei-
Spitzer dabei ohnehin wenig, denn auf se fest, dass sie beim Lesen von Büchern
positive Aspekte des Internets für die Ge- auf einem E-Book-Reader plötzlich viel
sundheit, die wissenschaftlich durchaus ungeduldiger wird und bei langatmigen
belegt sind, geht er nicht näher ein. Stellen schneller weiterscrollt, als sie bei
Demgegenüber sieht die Kölner Sozi- einem herkömmlichen Buch weiterblät-
alpsychologin und Politikberaterin Cata- tern würde. Diese kritische Selbstbeob-
rina Katzer durchaus vielfältige Chancen achtung führte sie zum Vorsatz, zukünf-
des Internets, ohne jedoch Risiken zu ver- tig beim Lesen mit dem E-Book-Reader
harmlosen. So hat sie in der Vergangenheit ganz bewusst weniger Passagen zu über-
zum Thema Cybermobbing geforscht und
ein gleichnamiges Buch publiziert. In ih-
springen. Negativen Medieneffekten kann
man sich laut Katzer also nicht nur durch
Ab 30. Juni im Kino!
rem aktuellen Buch Cyberpsychologie er- Medienverzicht, sondern auch durch kom-
muntert sie nicht zum Internetausstieg, petente Mediennutzung widersetzen.
INNSÆI - DIE KRAFT DER INTUITION
sondern stattdessen zu einer besseren Re- Darüber hinaus ist es Katzer ein großes
flexion der eigenen Onlineaktivitäten und Anliegen, dass wir ethische Probleme der Eine Geschichte über Selbst-Hinterfragung,
einer permanenten Weiterentwicklung Onlinenutzung (etwa rund um Beleidi- Wissenschaft, Natur und Kreativität. Inn-
der eigenen Internet kompetenz. „Nutzen gungen, hasserfüllte Kommentare, Cy- Saei nimmt uns mit auf eine Reise, auf der
wir den Cyberspace selbstbewusster und bermobbing oder Shitstorms) aktiv selbst die Kunst enthüllt wird, wie man in der heu-
bewusster“, lautet ihr Appell. lösen, indem wir als „menschliche Stopp- tigen Welt, voller Stress und Ablenkungen,
Als Grundlage eines solchen bewussten schilder“ gegen die mediale „Enthem- nicht den Kontakt zu sich selbst verliert.
Umgangs stellt die Autorin psychologische mung“ fungieren. Wie das im Einzelnen
Erkenntnisse vor: In einzelnen Kapiteln funktionieren kann, wird dabei jedoch
GEWINNSPIEL
Zum Kinostart von
und Unterkapiteln widmet sich Katzer et- nur angedeutet und bedarf weiterer Dis-
INNSÆI – Die Kraft der Intuition
wa so grundlegenden Fragen wie dem Zeit- kussionen, insbesondere auch hinsichtlich verlost PSYCHOLOGIE HEUTE 10
gefühl und der Selbstwahrnehmung bei ethischer Aspekte jeglicher Form der di- Filmpakete, bestehend aus je 2 Freikarten
der Internetnutzung, dem Spannungsfeld gitalen Datensammlung durch Staat und und einer DVD von
von Empathie und Grausamkeit, Denken Unternehmen. NICOLA DÖRING >>Die Revolution der Selbstlosen.<<
und Vergessen, Onlineidentität und All-
tags-Ich. Ihre Darstellung greift zahlreiche Prof. Dr. Nicola Döring ist Diplompsycholo-
ŕ6FKDX'LFKDQVFKDX'LFKXP0HQVFKHQVLQGXQJO¾FNOLFKZLUVLQGY¸OOLJDEJHNRSSHOWYRQXQVHUHP

gin und leitet das Fachgebiet Medienpsycho-


*HKLUQXQG.¸USHU6RYLHOH0HQVFKHQOHEHQPLW,KUHP9HUVWDQGXQGQLFKWPLW(PRWLRQHQœ

0DULQD$EUDPRYLÉ
7LYMVYTHUJL2…UZ[SLYPU

psychologische Konzepte und Theorien logie und Medienkonzeption am Institut für


auf, wägt Chancen und Risiken der Inter- Medien und Kommunikationswissenschaft
+PL2YHM[KLY0U[\P[PVU

netnutzung ab und bezieht viele aktuelle der TU Ilmenau.


EIN DOKUMENTARFILM
von Kristin Olafsdottir & Hrund Gunnsteinsdottir

KLIKK PRODUCTIONS presents INNSÆI - Die Kraft der Intuition


DIRECTOR Kristin Olafsdottir & Hrund Gunnsteinsdottir PRODUCER Kristing Olafsdottir EXECUTIVE PRODUCER Al Morrow
CO-PRODUCER Sandra Tabares-Duque & Heather Millard WRITER Hrund Gunnsteinsdottir SUPERVISING EDITOR Nick Fenton
EDITOR Sotira Kyriacou CINEMATOGRAPHER Faye VFX/ANIMATOR Tim Borgmann Graphic Artist Linda Loeskow
MUSIC Ulfur Eldjarn, Damien Rice & Hogni Egilsson

^^^PUUZHLPÄSTJVT
#InnsaeiFilm

Manfred Spitzer: Catarina Katzer: Cyber-


Cyberkrank! Wie das psychologie. Leben im
Um an der Verlosung teilzunehmen, schi-
digitalisierte Leben Netz: Wie das Internet uns
unsere Gesundheit ver@ndert. Dtv, München cken Sie bitte eine E-Mail mit Ihrer Adresse
ruiniert. Droemer, 2016, 351 S., € 16,90 und dem Betreff >>Filmpaket INNSÆI<<
München 2015, 432 S.,
an: verlosung@psychologie-heute.de
€ 22,99
Einsendeschluss ist der 24.06.2016.

/KraftDerIntuitionFilm

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


AUFGEBLÄTTERT

Seit Urzeiten halten Menschen ihre Pläne, tigen, aufgeschrieben nur Stunden nach dem Anschlag auf
Aufgaben, Gedanken und Wünsche in US-Präsident John F. Kennedy von seiner langjährigen Se-
Form von Listen fest. Shaun Usher hat nun kretärin. Besonders anrührend ist die Liste der „Dinge, die
in Lists of Note. Aufzeichnungen, die die es heute zu erledigen gilt“ des Songwriters Johnny Cash,
Welt bedeuten (Heyne, € 34,99) die unge- die neben den Punkten „nicht rauchen“ und „Klavier üben“
wöhnlichsten Listen der Weltgeschichte auch die Punkte „June küssen“ (und „niemand anderen küs-
zusammengestellt: von der ältesten mit Ar- sen“) umfasst. June Cash, selbst ein gefeierter Countrystar,
beiterfehlzeiten aus dem alten Ägypten über Charles Dar- schien einverstanden zu sein mit diesem Punkt auf der Liste,
wins „Liste vom Für und Wider der Ehe“ und Marilyn Mon- immerhin blieb sie 35 Jahre mit Johnny Cash zusammen.
roes Traummännern bis hin zu einer Liste von Tatverdäch-

„Ich geh mal Bäcker.“ „Warst du Frisör?“ Irgendwann fiel Welche Schule für mein Kind?
Diana Marossek auf, dass immer mehr Menschen – auch Ist Nachhilfeunterricht sinnvoll?
solche ohne Migrationshintergrund – ihre Sätze verkürzten Mein Kind kifft – was kann ich
und „wie der Komiker Kaya Yanar“ in der Fernsehsendung tun? Es ist ein langer, manchmal
Was guckst du?! sprachen. Sie nahm ihre Beobachtung zum mühsamer Weg von der Grund-
Anlass für ihre Doktorarbeit, für die sie die Jugendsprache schule bis zum Abitur – nicht
an 30 Berliner Schulen studierte. Doch nicht nur auf Neu- nur für Kinder. „Wie Mütter und
köllner Schulhöfen setzt sich Kurzdeutsch durch, auch Er- Väter die Schule überstehen“,
wachsene verzichten immer häufiger auf Präpositionen und zeigt Karin Brose in ihrem Ratgeber Survival für
Artikel und „gehen Aldi“. In ihrem Buch Kommst du Bahnhof Eltern (Vandenhoeck & Ruprecht, € 15,–). Die ehe-
oder hast du Auto? (Hanser, € 15,90) zeigt die Soziolingu- malige Studienrätin gibt wertvolle Denkanstöße,
istin auch, dass „sch-Laute“ schwer im Kommen sind: Aus wenn sie erklärt, wie man sich beim Elternabend
„richtig“ wird „rischtisch“, und viele deutsche Jugendliche benimmt oder warum es schlau ist, Lehrer nicht
beenden ihre Sätze etwa mit der Sprachroutine: „Ich in die Enge zu treiben. Sie schreibt auch: „Als
schwör“. Reden wir bald alle so? Marossek hält es für wahr- Eltern sind Sie gefragt, Ihrem Nachwuchs plausi-
scheinlich, dass sich das Kurzdeutsch dauerhaft in der Um- bel zu machen, warum der Smartphonegebrauch
gangssprache einnistet. Der Rektor einer in der Schule untersagt sein muss. Sollte Ihr Kind
Berliner Schule berichtet, dass viele Lehrer damit ein Problem haben, dürfte der Grund darin
sich über den Sprachstil ihrer Schützlinge liegen, dass es nicht bereit ist, Regeln einzuhalten,
zunächst amüsiert hätten, mittlerweile aber die nicht seine sind. In diesem Fall haben auch Sie
selbst „Verkürzungstendenzen“ – etwa „Ich ein Problem.“ Ja, das ist dann wohl so. Aber ob
hab Rücken“ – zeigten. Eltern, die sich einen Ratgeber zulegen, mit die-
sem Hinweis geholfen ist?

84 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


PSYCHOLOGIE
HEUTE shop

s 5MFANGREICHE"UCHAUSWAHL
Hochgelobter Päderast ZUDEN4HEMENVON
Jürgen Oelkers’ Biografie über Gerold Becker 0SYCHOLOGIE(EUTE
offenbart auch die Schwächen der Reformpädagogik
s ÃBERAUSFàHRLICHE
"UCHEMPFEHLUNGEN
Eine Vorzeigekarriere: 13 Jahre lang lei- Autor den Verantwortlichen vor, „die Tä-
tete Gerold Becker die Odenwaldschule, ter immer besser geschützt zu haben als
das Flaggschiff der Reformpädagogik. Im die Kinder“. Die Reformpädagogik sei s !USGESUCHTE'ESCHENKTIPPS
Schatten dieses Glanzes missbrauchte er „sakrosankt“ gewesen. Kritik an der Pra-
systematisch Jungen im Alter von sieben xis habe es nie gegeben. Nach Zeugenaus- s !LLELIEFERBAREN!USGABEN
bis 16 Jahren. Und nie drang etwas nach sagen war allen an der Schule klar, was VON0SYCHOLOGIE(EUTEUND
außen. Wie war das möglich? läuft. „Kinderficker“ wurde Becker ge-
0SYCHOLOGIE(EUTE#OMPACT
Eine Biografie dieses Mannes zu nannt. Warum trotzdem nichts nach
schreiben, der so weit kommen konnte, draußen drang, erklärt Oelkers damit,
ohne jemals etwas von sich preiszugeben, dass es nicht alle betraf – und dass es ein- s *AHRGANGSPAKETEZUM
war Ziel des Autors Jürgen Oelkers. Her- fach cool war, auf einer Schule mit derart 3ONDERPREIS
ausgekommen ist zugleich eine harsche gutem Ruf zu sein. Die Erwachsenen hät-
Kritik an den Ankerfiguren der Reform- ten weggeschaut, weil Becker einfach zu
pädagogik sowie den Elitemachern nützlich war. Er platzierte die Schule in Unser Geschenktipp
Geschenk-Tipp
Deutschlands – den Leitmedien, Univer- den Medien und war unschlagbar in der
sitäten sowie der Politik. Es ist ein sper- Akquise reicher Eltern. des Monats
riges Buch geworden, nicht nur wegen Der Zauberberg, wie die Odenwald-
schwer verdaulicher Wahrheiten, sondern schule genannt wurde, war ein Sehn-
auch weil derart weitreichende Kritik gut suchtsort – auch noch nach der Entlar-
begründet sein will. Entsprechend gründ- vung 1999, denn die Taten waren so un-
lich hat der Autor Archive, Briefwechsel, glaublich, dass viele sie nicht wahrhaben
Schulzeitungen sowie wissenschaftliche wollten. „Im Paradies darf es keine Schan-
Publikationen durchforstet. de geben“, schreibt Oelkers. Eine bemer-
Der Junge Gerold Becker wurde emo- kenswerte Arbeit, der jedoch am Ende die
tional karg erzogen und verbrachte die Luft ausgeht. Der Autor gibt wieder, was
Pubertät in bündisch geprägten Jungen- passierte, als die Schule endgültig ge- Die Travel Edition der beliebten Rubbel-
gruppen. Danach studierte er erst Theo- schlossen wurde. Wieder sind die Schüler Weltkarte lässt sich mit auf die Reise nehmen.
logie, dann Pädagogik. Die Recherche er- die Leidtragenden. Es endet als interner Und während Sie auf Tour in der großen
gibt jedoch keine klare Vita, denn: „Becker Kampf. Jene, die die Leiden der Miss- weiten Welt sind, kratzen Sie einfach vor
ist ein Meister des Ungefähren.“ Aber Jür- brauchsopfer erneut kleinreden, erhalten Ort die Goldfolie ab: Hier bin ich!
Auf der Rückseite der Scratch Map gibt es
gen Oelkers findet ein wiederkehrendes auch noch das Schlusswort. Hier hätte ei-
eine Fülle von Anregungen zum Ausfüllen,
Muster: Er „macht sich immer nützlich“, ne Einordnung dieses traurigen Gefühls- Gestalten und Ankleben.
nimmt Menschen für sich ein – und be- wusts stehen müssen. Ein klares Fazit ge-
Scratch Map – Travel Edition.
treut Jungen. Dann verlässt er Hals über gen Missbrauch von Macht. Aber auch Maße: 82,5 x 59,4 cm, in Rolle. € 16,95
Kopf die jeweilige Wirkstätte. Überall gegen Verantwortungslosigkeit gegenüber Best.-Nr. NBDFPLU019

Spuren von „Tat und Flucht“. Schließlich den Opfern. SYLVIA MEISE
+ Buch
landet er ohne profunde Kenntnisse oder
= porto-
Schulpraxis, aber mit viel Chuzpe an der freier
Jürgen Oelkers: Pädago-
Odenwaldschule. Protektiert wurde er gik, Elite, Missbrauch. s "ESTELLHOTLINE Versand
durch seinen Freund Hartmut von Hentig, Die „Karriere“ des Gerold
Becker. Beltz Juventa,  
der bis zuletzt zu ihm halten und sein ei- Weinheim 2016, 608 S.,
genes Lebenswerk dadurch ruinieren € 58,–
&AX 
wird.
Becker war nicht der einzige Pädophi- s SHOP PSYCHOLOGIE HEUTEDE
le an der Schule. Angewidert wirft der

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 www.shop-psychologie-heute.de


Themenheft
Flucht und Asyl
Sei gut zu dir!
Andreas Knuf regt an, unser Selbstmitgefühl
zu kultivieren

Manche Menschen ärgern sich einfach oft Denn Knuf verschweigt die Mühen der
über sich selbst, andere können kaum Ebene nicht, zugleich ist jeder seiner Sät-
Freude empfinden, und manche machen ze getragen von der Überzeugung, dass
sich das Leben tatsächlich selbst zur Höl- Selbstmitgefühl auszubilden unbedingt
le. Der maulende, destruktive Umgang lohnt. Auch weil es uns stärkt für die Ein-
mit sich selbst scheint eine Art Volks- sicht, dass wir unser Leben letztlich – wie
krankheit, die sich auf fatale Weise fort- neurologische Studien immer deutlicher
pflanzt: Denn wer mit sich selbst nicht zeigen – keineswegs so kontrollieren kön-
ztabo
Jebte
PHro 4
eft 3- en,90 €
liebevoll umgehen kann, der kann, wie nen, wie wir gern glauben wollen. Wie
eestfeülrl1 6 schon die Bibel weiß, auch andere nicht heilsam es sein kann, diesen Irrglauben
4 Hbeft
9,80 € wirklich lieben. ebenso wie die ungnädige Strenge gegen-
Andreas Knuf regt an zu „Selbstmit- über uns selbst loszulassen, dafür findet
gefühl in guten und in miesen Zeiten“. der Autor überzeugende Bilder wie das
Selbstmitgefühl meint dabei sowohl die vom Kinderkarussell. „Neulich beobach-
»Heißt die deutsche Politik Flüchtlinge
„ Fähigkeit, die es auszubilden gilt, als auch tete ich einen kleinen Jungen auf einem
willkommen?« den Weg, diese Fähigkeit anzuwenden. Kinderkarussell. Er saß ganz allein in ei-
Asylmigration nach Deutschland – Ent-
„ Durch seine Praxis als Psychologischer nem Feuerwehrauto, vor ihm ein Pferd
wicklungen und Herausforderungen Therapeut wiederum ist Knuf vertraut mit und hinter ihm ein grüner Hubschrauber.
den vielfältigen Formen der Selbstver- Vollkommen aufmerksam hielt er das
Die syrische Flüchtlingskrise: Dauerhafte
„
hinderung, Selbstverurteilung und Selbst- Lenkrad etwas nach links gedreht in
Lebensperspektiven aufbauen!
zerstörung. Das Buch bietet dazu in einer Fahrtrichtung des Karussells. Er (…) war
Die europäische Flüchtlingspolitik im
„ lockeren Sprache viele leicht umzusetzen- ganz davon in Beschlag genommen, die
Spannungsfeld von Grenzöffnung und de Tipps – und weist gleichzeitig auf eine Richtung zu halten, um nicht mit dem
Grenzschließung Reihe von Fallen hin. Zum Beispiel unse- Pferd vor ihm zusammenzustoßen. Er
Die Relevanz ausländerrechtlicher Rah-
„ ren Perfektionismus, der einem gütigen, hatte wohl Angst, zu schnell zu fahren und
menbedingungen für junge Flüchtlinge großzügigen Umgang mit uns selbst ent- die Kurve nicht zu kriegen. Genau wie
Qualitätssicherung in der Rechtsberatung
„ gegensteht. Oder unsere Vorstellung, ein dem kleinen Jungen ergeht es uns in un-
für Flüchtlinge sicherstellen gutes Leben sei ein Leben ohne Krisen serem Leben: Wir strengen uns ungemein
Unabhängige Asylverfahrensberatung
„ und Schmerzen. Dabei geht es doch an, alles richtig zu machen, doch in Wirk-
darum, durch Selbstmitgefühl den lichkeit gibt es kaum etwas zu tun. Das
Die Unterbringung von Flüchtlingen aus
„
Schmerzen und Herausforderungen, die Kinderkarussell dreht seine Runden, das
menschenrechtlicher Perspektive
wir unweigerlich erleben, besser gewach- Feuerwehrauto ist fest montiert, der klei-
Trauma – Flucht und weiter Trauma?
„ sen zu sein. ne Junge könnte freudestrahlend sein Eis
All das sind Grundlagen der Selbstfür- schlecken und seinen Eltern zuwinken.“
Preis Heft 3-4/2016: € 9,80 zzgl. Versandkosten
sorge. Wer sich schon länger mit dem The- GABRIELE MICHEL

ma beschäftigt, wird in dem neuen Buch


Bestellen Sie Heft 3-4 hier
+

des rührigen Autors wenig Neues finden.


Andreas Knuf: Sei nicht
Telefon 06201/6007-330
Und wer seinen Bestseller Ruhe da oben so hart zu dir selbst.
(2010) gelesen hat, manch Vertrautes. Selbstmitgefühl in guten
Fax 06201/6007-9331 und in miesen Zeiten.
E-Mail: medienservice@beltz.de Doch für Leser, die erste Schritte hin zu Kösel, München 2016,

Internet: www.juventa.de mehr Selbstmitgefühl machen, und jene, 219 S., € 14,99

Beltz Medienservice, Postfach 10 05 65, die Anregungen suchen, um wieder mehr


D-69445 Weinheim Selbstmitgefühl zu üben, ist das Buch
durchaus empfehlenswert.
www.juventa.de
www.juventa.de JJUVENTA
UVENTA PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016
Sagen Sie mal, Frau Eck:
Warum haben
viele Frauen
keine Lust auf Lust?

Frau Eck, verlieren Frauen in langen Beziehungen Angelika Eck, Dr.sc.hum., ist Diplompsychologin,
zertifizierte systemische Therapeutin und Beraterin (SG),
eher ihre Lust als Männer? systemische Paartherapeutin und Sexualtherapeutin
Ja. Es gibt auch viele Männer, die die Lust auf Sex in eigener Praxis

verlieren, bei Frauen ist es aber häufiger der Fall.


Warum ist das so?
Die Gründe dafür sind vielfältig. Weibliche Sexua-
lität gilt als kontextsensibler. Für viele Frauen ist es
nicht leicht, in den zahlreichen Anforderungen eines Was hat es mit der „Paradoxie des Wollenwol-
Frauenlebens mit ihrer Erotik hinreichend in Kon- lens“ auf sich?
takt zu kommen, genügend Zeit und Raum für den Eigentlich könnte in Bezug auf die sexuelle Lustlo-
eigenen Körper und die eigenen Bedürfnisse zu fin- sigkeit doch schlicht gelten: „Wenn ich nicht will,
den zwischen Beruf, Kindern, Partner et cetera. Wenn will ich nicht. Was ist daran verkehrt? Wozu Sex ha-
dann hinzukommt, dass der Sex in der Langzeitbe- ben?“ Faktisch befinden sich Frauen aber im Kon-
ziehung übervertraut und vorhersagbar geworden ist, flikt: entweder partnerschaftlich – „Ich will nicht,
Das von Angelika
das heißt, dass keine hinreichend aufregenden ero- aber ich verstehe, dass er will, und würde gerne auch Eck herausgegebe-
tischen Stimuli verfügbar sind, können Müdigkeit wollen“ –, normbezogen – „Sex ist normal, ich soll- ne Buch Der eroti-
sche Raum. Fragen
und Langeweile leicht die Oberhand gewinnen. Be- te also wollen“ oder auf die eigene Lebendigkeit ge- der weiblichen
sondere Belastungen und Paarkonflikte können sich richtet, für die Sexualität ein Merkmal sein könnte Sexualität in der
Therapie, das sie
ebenfalls lustdämpfend auswirken. oder einmal war. Die Paradoxie besteht in allen Fäl- mit elf Mitautoren
Frauen seien von Natur aus das promiskere Ge- len darin, etwas zu wollen, das ich aktuell nicht will. verfasst hat, ist im
Carl-Auer-Verlag
schlecht. Nur Erziehung und kulturelle Prägung Lustlosigkeit als eine Kompetenz zu begreifen,
erschienen (256 S.,
stünden ihrem Wunsch nach sexueller Abwechs- lautet eine der zentralen Botschaften des Buches, € 29,95)
lung im Wege, behauptet der amerikanische Au- das Sie herausgegeben haben. Was ist damit ge-
tor Daniel Bergner (Die versteckte Lust der Frau- meint?
en). Können Sie das aus Ihrer Praxis bestätigen? Wer mit dem Nein zur Lust verteidigend beschäftigt
Mit dieser These trifft er den wunden Punkt der pa- ist oder sich seiner Lustlosigkeit schämt, kann weder
triarchalischen Unterdrückung weiblicher Sexualität begehren noch die eigene Lustlosigkeit akzeptieren.
in der jüdisch-christlichen Kulturgeschichte. Aber Häufig haben Frauen ein schlechtes Gewissen mit
erotische Entwicklung lediglich als Befreiung von ihrem Nein. Ihnen zu helfen, zunächst ihr Nein zu
kulturellen Zwängen aufzufassen halte ich für viel bejahen als Ausdruck ihrer Autonomie, schafft über-
zu simpel. Das Spannende für mich besteht darin, haupt erst die Voraussetzung für ein selbstbestimm-
die Frau in eine Stimmigkeit mit sich selbst zu be- tes Ja. Lustlosigkeit kann ausdrücken: So will ich es
gleiten. Das kann ein Entdecken der eigenen Geilheit, nicht, jetzt nicht, noch nicht, mit dir nicht, nicht
ILLUSTR ATION: JAN RIECKHOFF

ein Zugewinn an Erregungskompetenzen und Be- unter diesen Bedingungen. Nichtwollen und Wollen
freiung von Scham bedeuten. Es kann genauso be- deutlicher wahrzunehmen und auszudrücken, damit
deuten, mehr über die erotischen Reize kultureller nicht eine sexuelle Funktionsfähigkeit hergestellt
Prägungen und Verbote bei sich selbst zu erfahren, wird, sondern die Frau eine Erotik erleben kann, die
sie vielleicht sogar als erotisches Potenzial zu entde- es wert ist, gewollt zu werden, ist aus meiner Sicht
cken, etwa sich selbstbewusst auch in eine passive ein attraktives Beratungsziel.
Rolle zu begeben. INTERVIEW: KATRIN BRENNER-BECKER

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 87


Für alle, die es wissen wollen.

Wie retten wir


uns vor dem
Kapitalismus? Wie funktioniert Kreativität?
Wenn man Neues schaffen will, darf man nichts erwarten,
sagt Kevin Ashton

„Kreativität“ – für viele Menschen hat Ein möglicher Weg, etwas Neues zu
schon das Wort etwas Verheißungsvolles. (er)finden, kann also sein, die Wirklich-
Kreativität als Ausdruck der eigenen Ide- keit radikal unvoreingenommen zu
en, Erfahrungen, Gefühle – ein Wunsch- betrachten, denn „Es gibt nichts Irrefüh-
traum. Insofern antwortet das Buch von renderes als eine eindeutige Tatsache“ – so
Kevin Ashton mit dem verspielten Titel Robin Warren, auf Sherlock Holmes zu-
Wie man ein Pferd fliegt auf ein verbrei- rückgreifend, in seiner Nobelpreisrede.
tetes Bedürfnis. Aber Vorsicht: Dies ist Das klingt leicht und einleuchtend –
kein Ratgeber mit dem Ziel, die Leser zu tatsächlich weist dieses Zitat aber auf eine
den Quellen ihrer Kreativität zu führen. zentrale Barriere hin, die kreativen Im-
Ashtons „ungewöhnliche Konzepte für pulsen im Wege steht: unsere Scheu
Innovation und Kreativität“ sind vielmehr gegenüber allem Neuen, Ungewohnten.
ein spannender Parcours durch die Ge- In der Spannung zwischen „progressiv“
schichte von – teils spektakulären – Er- und „konstruktiv“ entscheiden wir uns
findungen. Zentral ist dabei die Frage, wie oft für das Vertraute – auch wenn wir sa-
Kreativität funktioniert, das heißt, was es gen, dass wir das Neue lieben. In einem
braucht, um eine Idee oder Entdeckung aufschlussreichen Schulexperiment zeig-
Mit glasklarer Analyse und konkreten
in ihrer Bedeutung zu erkennen, zu ent- te sich, dass die große Mehrheit der Leh-
Vorschlägen eröffnet Sahra Wagen-
wickeln und in die Welt zu bringen. rer – 98 Prozent – kreatives Arbeiten so
knecht in ihrem neuen Buch die politi-
sche Diskussion über neue Eigentums-
Anhand von acht Beispielen, die jeweils wichtig fand, dass es täglich unterrichtet
formen und zeigt, wie eine gerechte von einer Figur ausgehen, beschreibt der werden sollte. Bei der Bewertung ihrer
und zukunftsfähige Wirtschaft aus- Autor verschiedene Wege und Techniken Schüler aber, die teils einen hohen IQ hat-
sehen kann. Denn wir leben in einem des Erfindens. Das reicht von Edmond, ten und teils hochkreativ – das heißt
Wirtschaftsfeudalismus, der mit freier einem afrikanischen Sklavenjungen, der witziger, verspielter und weniger bere-
oder sozialer Marktwirtschaft nichts im 19. Jahrhundert einen Weg entdeckte, chenbar – waren, zeigte sich: Die Lehrer
zu tun hat. Und die Innovationen, die die Selbstbefruchtung der Vanillepflanze „mochten die Schüler mit dem hohen
uns bei der Lösung wirklich wichtiger zu befördern, über Woody Allen, der gut IQ, aber nicht die kreativen Kinder“.
Probleme weiterbringen, bleiben aus. 50 Spielfilme, acht Theaterstücke, Fern- Ausgehend von Woody Allens außer-
sehfilme, Kurzfilme und zahllose Regie- gewöhnlicher Produktivität, belegt Ash-
»Das Buch ist wirklich gut geschrieben.
arbeiten produzierte, bis zu Robin Warren, ton zudem anhand zahlreicher Studien,
Die Autorin beherrscht die Kunst des
der 1979 ein im Magen angesiedeltes, für dass intrinsische Motivation wesentlich
klaren Denkens und kennt sich über
den Unterschied von Haben und Nicht-
Gastritis und andere Magenkrankheiten kreativere Prozesse in Gang setzt als ext-
haben auch in der Praxis aus.« verantwortliches Bakterium entdeckte – rinsische Motive wie der Wunsch nach
Peter Gauweiler, Süddeutsche Zeitung das Helicobacter pylori. Warrens Ge- Lob, Ruhm, Karriere. Mehr noch: Ex-
schichte ist besonders interessant, weil sie
ein Phänomen offenlegt, das unser aller
2016. 292 Seiten. € 19,95
ISBN 978-3-593-50516-9 Alltag bestimmt: Der australische Forscher
Kevin Ashton: Wie man ein
Auch als E-Book erhältlich registrierte etwas und nahm es ernst, über Pferd fliegt. Ungewöhnli-
das Kollegen zuvor schon über 104 Jahre che Konzepte für Innovati-
on und Kreativität. Aus
hinweggesehen, es sogar beiläufig erwähnt, dem Englischen von Sigrid
aber nicht als das, was es war, erkannt hat- Schmid. Hanser, München
2016. 311 S., € 24,90
ten: ein Bakterium. Und zwar einfach, weil
der damals herrschenden Lehre zufolge im
Magen keine Bakterien sein konnten.

88 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


Die Welt mit
philosophischen
trinsische Faktoren wie eine erwartete ckungen von Frauen die Lorbeeren ein- Augen betrachten
Bewertung oder ein erhoffter Erfolg blo- heimsten.
ckieren kreative Impulse sogar. Weiß man am Ende des Buches, wie Testen Sie das
Erhellende Beobachtungen und Er- man ein Pferd fliegt? Der Titel bezieht sich
Philosophie Magazin!
kenntnisse wie diese sind typisch für auf die Einsicht, dass letztlich nicht der
Ashtons Geschichten, die er mit spürbarer „geniale Einfall“ das Wesentliche im kre- >>> 3 Ausgaben, digitale
Lust und dramaturgischem Geschick an- ativen Prozess ist. Wichtiger ist die Be- Ausgaben kostenlos, jedes Heft
schaulich erzählt. Leider vermittelt sein reitschaft, ausdauernd und präzise viele
mit 16-seitigem Booklet
Inhaltsverzeichnis den Eindruck, Frauen kleine Schritte zu gehen und dabei immer
spielten in puncto Kreativität und Erfin- maximal aufmerksam zu bleiben, beson-
dung keine große Rolle, denn unter seinen ders allem Ungewohnten gegenüber.
acht exemplarischen Figuren findet sich
nur eine Frau. Das ist umso unverständ-
licher, als er in seinem Kapitel über diese
Durch diese Fokussierung gibt Ashton
seinen Lesern letztlich doch eine Art Tipp,
wie sie die eigene Kreativität entdecken
15 €
statt 20,70 €
Rosalind Franklin, die eigentliche, wahre können. Mit einem einfachen Satz, der es
Entdeckerin der Struktur der DNA, weib- in sich hat: „Wenn man das Unerwartete
liche Entdeckerpersönlichkeiten empha- sehen will, darf man nichts erwarten.“
tisch feiert und empörende Beispiele GABRIELE MICHEL

anführt, in denen Männer für die Entde-

TREIBSTOFF NEUGIER
Carl Naughton arbeitet als Linguist, Schauspieler, pädagogischer Psycho-
loge und Dozent, beweist sich also als neugierig, denn Neugier ist, ihm
zufolge, die Basis für Vielfalt. Sie ist der Brennstoff, um Freunde zu gewin-
nen, Erfolg zu haben, das Leben zu genießen, Intelligenz zu entwickeln,
Selbstvertrauen zu gewinnen, Ideen zu schmieden und das Gedächtnis zu
trainieren. Neugierige verarbeiten Informationen langsamer, sind dafür
aber am Ende schlauer als zuvor. Wer die „Neugierbrille“ trägt, stellt Fra-
Kierkegaard
gen, die sein Gegenüber aufwerten, so Naughton. Neugier ist deshalb wich- Nr. 28 Sammelbeilage Überblick / Martin Duru
und die Existenz
Vorwort / Vincent Delecroix

tig für Liebesbeziehungen: Die scheitern nämlich meist daran, dass die „Entwed

+ +
er
Oder“ –
(Auszüge)

Partner mit den Jahren die Neugier verlieren, weil sie fälschlicherweise
meinen, alles über den anderen zu wissen. Je weniger neugierig ein Mensch
ist, umso mehr verlässt er sich auf Stereotypen, um Menschen und Situa-
tionen einzuschätzen, und ängstigt sich, wenn diese seinen Vorstellungen
nicht entsprechen. Dieser need for closure (siehe hierzu auch unsere Titel-
geschichte ab Seite 18) setzt Autoritätshörigkeit gegen Vielfalt. Bei Neu-
gierigen übertreffen jedoch die Interessen die Angst.
Die Neugier hat aber auch eine dunkle Seite, nämlich von Thema zu
Thema zu hüpfen, herumzuspionieren oder den Kick durch Drogen zu Jetzt
suchen. Am Ende des Buches stellen sich Fragen: Wie lässt sich diese „dunk-
le Seite“ der Neugier von der „erwachsenen Neugier“ tren- das Probeabo
nen? Was ist mit Menschen, die in ihrem Fachgebiet sehr
neugierig sind, aber sich für Mitmenschen nicht interes-
bestellen:
sieren? Naughton macht neugierig – ein gutes Urteil für >>> telefonisch unter
ein Buch über Neugier. UTZ ANHALT
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Carl Naughton: Neugier. So schaffen Sie Lust auf Neues und Verän- >>> online auf
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PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 89
AUSSERDEM

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90 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


MEDIEN REDAKTION: ANKE BRUDER

HÖREN SEHEN

Hörtest per Handy Von Touristen


Höre ich noch gut? Eine erste Einschätzung kann und Pilgern
man sich mit dem Smartphone verschaffen. Die kos-
Beim Pilgern geht es ums Gehen, heißt es. Der Dokumen-
tenlose App Mimi bietet sowohl einen Schnellcheck
tarfilm Pilgern auf dem Jakobsweg. Sechs Wege nach Santi-
als auch einen detaillierteren Test. Wer mag, kann
ago nähert sich seinem spirituellen Thema auf sehr kon-
anschließend mittels der Funktion Mimi Music den
krete, weltliche Weise. Wir lernen den Portugiesen Tomás
Sound seiner Lieblingslieder auf Basis der eigenen
kennen, der an Tag eins seiner Reise bereits Blasen an den
Testergebnisse verbessern. Die App ist zum Redak-
Füßen hat – vom „Üben“ für den großen Trip. Annie aus
tionsschluss nur für iOS erhältlich, an einer Version
Los Angeles wird unterwegs von allen überholt – sogar von
für Android wird gearbeitet.
80-Jährigen. Der Film stellt uns nach und nach sechs
https://www.mimi.io Pilger(gruppen) auf ihrer Reise entlang des Camino vor,
wie der Weg in Spanien genannt wird. Nicht alle von ihnen
sind religiös, einige wollen Gott finden, andere einfach sich
HINGEHEN
selbst. Das amerikanische Filmteam um Regisseurin und
Produzentin Lydia Smith begleitet sie dabei und zeigt auf
Bruder Affe einfühlsame, aber auch sehr witzige und unterhaltsame
Weise ihre innere und äußere Reise.
Menschenaffen faszinieren uns seit jeher: ihre Intelligenz, ihre
Gewitztheit – vor allem aber ihre Ähnlichkeit mit uns Men- Pilgern auf dem Jakobsweg. Sechs Wege nach Santiago. DVD. J. Kamphausen Me-
diengruppe 2016. Laufzeit: 84 Minuten plus 35 Minuten Interview mit der Regisseu-
schen. Die Universitätsbibliothek Albertina in Leipzig widmet rin . Sprache: Englisch mit deutschen Untertiteln. € 19,95

den Tieren nun die Ausstellung Unheimliche Nähe – Menschen- http://caminodocumentary.org/

affen als europäische Sensation. In Zusammenarbeit mit dem


Zoo Leipzig zeigt die Schau Dokumente und Fotos unserer Er-
fahrung mit Menschenaffen. Vorgestellt werden Berichte von
Verhaltensforschern, Reiseschilderungen und Geschichten über
individuelle Begegnungen. Hunderttausende etwa „besichtig-
KLICKEN
ten“ in Brüssel und Paris die beiden Orang-Utans Max und
Moritz, die im Jahr 1893 für den Leipziger Zoo erworben wur-
den. Sie verstarben noch während der Reise durch Europa und Hilfe bei Krebs
wurden nach ihrem Tod porträtiert. Die Ausstellung ist noch
Das Onlineprogramm Stream – Stress aktiv mindern
bis zum 25. September 2016 zu sehen.
hilft Patienten, die kürzlich die Diagnose Krebs er-
www.ub.uni-leipzig.de halten haben. In acht einwöchigen Modulen bietet
es Unterstützung bei den vielen Belastungen, die auf
sie einströmen. Behandelt werden Themen wie Acht-
samkeit und Akzeptanz sowie der Umgang mit Ge-
danken und Gefühlen. Teilnehmen können Patien-
tinnen und Patienten, bei denen erstmalig Krebs di-
agnostiziert wurde und die sich aktuell in Behandlung
befinden. Das Onlinecoaching wird vom Universi-
tätsspital Basel in Zusammenarbeit mit den Univer-
sitäten Basel und Bern im Rahmen einer Studie kos-
tenlos angeboten.
www.stress-aktiv-mindern.ch
Die Orang-Utans Max und Moritz, 1895

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 91


LESERBRIEFE k.brenner@beltz.de

„Demenz ist nicht nur eine Krankheit, sondern ein Teil des Lebens
vieler im hohen Lebensalter“
Steffen Gaudlitz, Edersleben

die Demenz isoliert vom Leben zu betrach- Angst, Sehnsucht, Vernunft und Hoff-
Herr Professor Wahl, Sie sind Alterns- und Le- Auch das ist ein Klischee. Schauen Sie sich die Zah-

ten, so als sei sie etwas außergewöhnlich nung, dass man aufpassen muss, nicht
benslaufpsychologe. Was bedeutet das eigent- len an: Die meisten alten Menschen sind und werden
lich? nicht dement. Natürlich existiert Demenz. Und es
Ich beschäftige mich mit unterschiedlichen Themen handelt sich dabei um eine schwerwiegende Krank-
des Älterwerdens, die alle etwas mit unseren psycho- heit. Aber als Forscher interessiere ich mich eher für
logischen Leistungen und unserem Erleben zu tun die normalen Formen des Älterwerdens – und da
haben. Beispielsweise haben wir untersucht: Wie steht spielt Demenz eben keine Rolle.
es um unser Wohlbefinden ganz spät im Leben, also Sie sagen also: Mit 90 werde ich noch so glücklich
im hohen Alter? sein, wie ich mit 40 war?
Ich vermute mal, dass es diesen Menschen nicht
besonders gutgeht.
Das glauben viele. Sie meinen, dass alle Hochaltrigen
depressiv sind und tief im Befindlichkeitskeller. Das
ist Unsinn. Wir haben beispielsweise in einer Längs-
schnittstudie Menschen zwischen 80 und 89 über
Auf den einzelnen Menschen bezogen gibt es schon
Unterschiede. Es gibt auch Schwankungen, etwa wäh-
rend einer Erkrankung. Trotzdem: Wenn ich Wohl-
befinden messe auf einer Skala von eins bis zehn und
mit 40 irgendwo zwischen sieben und acht liege, dann
bin ich sehr wahrscheinlich auch mit 70, 80 oder 90
Seltenes. Vielmehr gehört das Vergessen lebensunfähig zu werden. Nach meiner
acht Jahre hinweg untersucht. Dabei entdeckten wir noch im selben Bereich.

zum Leben dazu, so wie der Tod. Wenn Erfahrung ist Trauer meist überwindbar,
etwas Überraschendes: Das Wohlbefinden bei vielen Und wenn man auf Dauer krank wird und der Arzt
dieser sehr alten Menschen ist auch nach all diesen sagt: Das wird nie wieder so, wie es vorher war –
Jahren immer noch hoch. Und das hat Gründe. Die- was macht das mit einem Menschen?
se Menschen haben ja einen langen Weg hinter sich. Ja, wie gehen alte Menschen damit um, dass sie nicht
Sie haben dabei gelernt, ihr Wohlbefinden immer mehr geheilt werden können? Wir haben das am Bei-
wieder zu regenerieren. Sie wissen, was ihnen guttut spiel einer Makuladegeneration untersucht …
und was nicht. … einer schweren Augenkrankheit …

wir über Menschen mit Demenz reden, Heimweh jedoch nicht, weil bis zum Tod
Vielleicht ist es auch eine Sache der Einstellung, … und das Ergebnis wird Sie nicht überraschen: Na-
also wie man die Dinge bewertet, die einem im türlich gibt es erst einmal einen Einbruch im Wohl-
Leben widerfahren? befinden. Der Arzt sagt: Ich kann Ihnen da nicht
Ja, das ist etwas ganz Zentrales. Wie interpretieren helfen – danach geht es einem schlecht. Aufregend
wir unser Leben, wenn die Zeit begrenzter wird? Wir ist für mich das, was danach passiert: Man versucht,
verbringen heute ungefähr ein Viertel unseres Lebens das Beste daraus zu machen, man verändert seine
in der nachberuflichen Phase. Und natürlich geht es Ziele und sagt, okay, ich kann jetzt nicht mehr so
da auch um die Frage: Welche Bedürfnisse habe ich reisen, wie ich das wollte. Aber es gibt ja noch ande-
eigentlich? Welche Ziele habe ich? Was möchte ich
noch erleben mit meinen Kindern und Enkelkindern,
mit meinen Freunden und Bekannten? Es geht auch
um Sinnsuche. Was ist noch los für mich im Leben?
Jedenfalls scheint das Altern vielen ganz gut zu ge-
lingen. Sie sind zufrieden, sie fühlen sich wohl, sie
re tolle Sachen im Leben, und ich versuche jetzt zum
Beispiel, mir mit Hörbüchern den Goethe neu zu
erschließen. Sie könnten sagen: Das machen nur die
Bildungsbürger. Aber wir finden das bei Leuten aus
allen Schichten. Und irgendwann stabilisiert sich das
Wohlbefinden bei sehr vielen Betroffenen wieder auf
sehen wir zunächst das Krankheitsbild die Sehnsucht bleibt, in der Heimat seinen
sind nicht depressiv, die meisten bezeichnen sich auch dem Niveau, das sie vor der Diagnose hatten.

und dann erst den Menschen. Es muss Lebenskreis wieder schließen zu können.
nicht als einsam. Das entspricht der Set point-Theorie des Wohl-

„Leben wir vielleicht Was ist daran aus Ihrer Sicht neu?
Fest steht, dass die Generationen vor uns anders über
befindens, wie sie etwa Ihr amerikanischer Kol-
lege Ed Diener vertritt: Unser persönliches

zu lange?“
das Älterwerden gedacht haben. Das ist für mich auch Glücksniveau bleibt auf lange Sicht immer auf
ganz persönlich von Interesse: Ich bin jetzt 62. Und einem ähnlichen Level.
ich merke, dass es für die Zeit, die vor mir liegt, kei- Natürlich. Und wir wissen heute, dass diese Dinge
ne vorgefertigten Antworten gibt, die ich einfach nur in sehr begrenztem Maße von unserem Lebens-
FOTOS: GUDRUN-HOLDE ORTNER

Kann man mit 90 Jahren überhaupt noch glücklich sein? Man kann!

umgekehrt sein. Erst den Menschen mit


übernehmen könnte. Wir müssen beim heutigen Al- alter abhängen. Kurz gesagt: Den meisten Menschen
Doch wenn der Tod naherückt, wird es oft trüb in der Seele. tern zu einem nicht unerheblichen Teil improvisieren scheint es auf lange Sicht recht gut zu gehen.

Der Heidelberger Alternsforscher Hans-Werner Wahl hat ermutigende,


aber auch nachdenklich stimmende Erkenntnisse über die letzte
und höchst individuelle Antworten finden. Früher
hat man sich einfach aus dem Leben zurückgezogen.
Heute nicht mehr.
Gut. Aber irgendwann kommt die Demenz – und
Ich notiere: Es wird mit den Jahren nicht so
schlimm, wie wir glauben. Aber ganz am Ende? Die
allerletzten Jahre, wenn’s mal über die 90 geht?
Ich weiß, worauf Sie anspielen. Es gibt eine Richtung
Manuela Lenzer, Hünfeld
Phase des Lebens gewonnen dann? in der Wissenschaft, die sich Distance to death-For-

58 PSYCHOLOGIE HEUTE 04/2016 PSYCHOLOGIE HEUTE 04/2016 59

seinen Bedürfnissen sehen und dann sei-


THERAPIESTUNDE

ne Krankheit. man versäumt hat, wo man schuldig ge-


worden ist, noch viel drängender als bei
einem natürlichen Tod. Sie grübelt Tag
nen Raum braucht, wo sie sich aussprechen
kann, Leid, Schmerz und Schuldgefühle
äußern darf. Einen Raum, wo die Gedan-
fen und niemandem auf die Nerven gehen.
Wer sonst will noch ihr Gejammer hören?
Und doch geht es im therapeutischen
und Nacht darüber, was sie hätte anders ken und Selbstvorwürfe einfach sein dür- Prozess auch darum, schließlich zu ak-

Menschen mit Demenz Ich arbeite unter anderem in Einrich-


machen sollen, wie sie die Tragödie hätte fen und niemandem auf die Nerven gehen. zeptieren, was der Sohn entschieden hat,
verhindern können. Was sie falsch ge- Wer sonst will noch ihr Gejammer hören? Schmerz und Ohnmacht auszuhalten und
macht hat. Sie steckt fest. Doch hilft das Und doch geht es im therapeutischen loszulassen. Schuldgefühle stehen oft
natürlich nicht, es wird dadurch ja nichts Prozess auch darum, schließlich zu ak- stellvertretend für tieferliegende, schlim-
rückgängig gemacht. Insofern hat ihr zeptieren, was der Sohn entschieden hat, mere Gefühle. In diesem Fall wohl die
Mann ein Stück weit recht. Sie hat schlaf- Schmerz und Ohnmacht auszuhalten und Ohnmacht. Sich schuldig fühlen ist viel-
lose Nächte und graue Tage und belastet loszulassen. Schuldgefühle stehen oft leicht leichter zu ertragen als das Ohn-
mit ihrer Stimmung auch die übrige Fa- stellvertretend für tieferliegende, schlim- machtsgefühl, das Gefühl, einer Situation

sind normal! tungen der Altenhilfe und beobachte milie zusätzlich. Und – was ich ihr aber
noch nicht sage – sie verhindert mit all
dem Grübeln den Abschied, das Loslassen.
Denn darum geht es immer bei einem To-
desfall.
Ich lasse sie weiter reden und möchte
mere Gefühle. In diesem Fall wohl die
Ohnmacht. Sich schuldig fühlen ist viel-
leicht leichter zu ertragen als das Ohn-
machtsgefühl, das Gefühl, einer Situation
ganz und gar ausgeliefert und hilflos zu
sein. Lieber sich schuldig und damit eben
ganz und gar ausgeliefert und hilflos zu
sein. Lieber sich schuldig und damit eben
auch in gewisser Weise handlungsfähig
fühlen als dieses lähmende Gefühl der
Ohnmacht. Einerseits also braucht es den
Raum für die Gefühle, andererseits sind
mehr über die Familiensituation wissen. auch in gewisser Weise handlungsfähig auch Wege, Auswege, die letztlich zur

Menschen mit Demenz mit dem Ziel, „ICH WILL MEIN KIND ZURÜCK“ „Gibt es noch andere Kinder?“ Sie ant- fühlen als dieses lähmende Gefühl der Akzeptanz führen, zu suchen.

(Im Interview mit dem Alternsforscher Hans- wortet, dass Sven eine zwei Jahre jüngere
Schwester hat, die so ganz anders ist als
Ohnmacht. Einerseits also braucht es den
Raum für die Gefühle, andererseits sind
Sven hat mit seiner Entscheidung für
den Tod die anderen entmachtet, und in-

D
ie Frau – geschickt von ihrem Der erwachsene „Sein Vater schafft das besser“, sagt sie er. Dann fällt ihr ein, dass sie in der Ver- auch Wege, Auswege, die letztlich zur sofern ist sein Suizid wie jeder andere auch
Hausarzt – ist schwer depressiv, und klingt dabei bitter. „Wenn ich darü- gangenheit reden muss. „Hatte“, verbes- Akzeptanz führen, zu suchen. eine Anklage. Vater und Schwester haben
Sohn nahm sich
das ist offensichtlich: Der Blick ber mit ihm reden will, blockt er ab. Er sert sie sich, wieder unter Tränen. „Mela- SÜber all das spreche ich mit ihr und gelernt, damit zu leben. Oder aber sie ha-
das Leben. Für die

Werner Wahl ging es auch um die Frage:


geht ins Leere, die Mimik wirkt erstarrt, will sich nicht mehr damit beschäftigen, nie hat sich immer durchgesetzt. Anders lasse ihr Raum. ben es zum Tabu erklärt (totschweigen),

Wohlbefinden messbar nachzuweisen,


und die Bewegungen sind verlangsamt. Mutter ist der Schmerz will nichts mehr davon hören.“ als Sven, der es immer allen recht machen ven hat mit seiner Entscheidung für den was ja letztlich auch eine Strategie ist, mit
Was ist mit ihr? Ich bitte sie zu berichten. Sie dagegen muss darüber reden, im- wollte.“ Ich spüre, dass sie sich dem Sohn Tod die anderen entmachtet, und insofern Unabänderlichem und Schmerzhaftem
nicht auszuhalten,
„Mein Sohn ist gestorben“, fängt sie an. mer wieder. Was war er für ein Mensch, näher fühlt. Nach einer Weile sagt sie ist sein Suizid wie jeder andere auch eine weiterzuleben. Die Mutter sträubt sich. Sie
Und nach einer ganzen Weile leise, mit Schuldgefühle martern was hat ihn dazu gebracht, wie hätten sie leise: „Sicher wäre er ein guter Richter Anklage. Vater und Schwester haben ge- will nicht akzeptieren, was geschehen ist.
dem Blick auf den Boden: „Er hat sich um- sie. Doch damit verbaut es verhindern können? Der Vater hält die- geworden.“ lernt, damit zu leben. Oder aber sie haben Und kann es doch nicht rückgängig ma-

„Leben wir vielleicht zu lange?“ Heft 4/2016) gebracht“. Dabei treten Tränen in ihre
Augen.
sie sich die Chance, von
ihrem Sohn Abschied
se Fragen für sinnlos und stürzt sich statt-
dessen in seine Arbeit. „Was macht Ihr Wie kann die Mutter akzeptieren,
was der Sohn entschieden hat?
es zum Tabu erklärt (totschweigen), was
ja letztlich auch eine Strategie ist, mit Un-
chen oder vergessen.
Über all das spreche ich mit ihr und

um die bedürfnisorientierte Pflege de-


Man sagt, der Tod eines Kindes sei das Mann beruflich?“, frage ich. „Er ist Jurist abänderlichem und Schmerzhaftem wei- lasse ihr Raum.
Schlimmste, was einer Mutter passieren zu nehmen, meint die bei einer großen Versicherungsgesell- Im Verlauf des Gesprächs erfahre ich, dass terzuleben. Die Mutter sträubt sich. Sie Depression kann als vermiedene Trau-
kann. Und wie schlimm muss es erst sein, Psychotherapeutin schaft. Erfolgreicher Jurist“, gibt sie zur Vater und Tochter vertrauter sind mitei- will nicht akzeptieren, was geschehen ist. er angesehen werden. Die Mutter will nicht
wenn es ein selbstgewählter Tod ist – den- Antwort. Ich erfahre, dass sie schon lange nander. Vertrauter als Vater und Sohn. Und kann es doch nicht rückgängig ma- trauern, will nicht Abschied nehmen – sie
ke ich still für mich.
Margarethe Schindler zweifelt: Wollte der Sohn überhaupt je- „Beide sind von sich überzeugt und stark. chen oder vergessen. will ihren Sohn zurück. Damit will sie
Ich lasse die Frau erzählen. mals von sich aus Jurist werden? Oder hat So hätte mein Mann seinen Sohn auch Über all das spreche ich mit ihr und freilich etwas Unmögliches, und die De-
27 Jahre war er alt, und seit dem Beginn er dieses Studium dem Vater zuliebe ge- gern gehabt.“ „Und auf der anderen Seite lasse ihr Raum. pression könnte sich endlos hinziehen und
seines Jurastudiums hat er nicht mehr zu wählt? Diese Fragen treiben sie um. „Er waren Sie und Sven die Schwächeren be- Depression kann als vermiedene Trau- auswirken auf ihr Leben und ihr Umfeld.

Ich habe das Interview mit Interesse ge- menter Menschen zu verbessern. Das In- Hause gewohnt. Zu Familienfesten kam
er und auch zu Weihnachten. Sonst nicht
mehr oft oder lange. „Er hatte inzwischen
die Prüfungen gut hinter sich gebracht
war eigentlich nicht geeignet für so einen
Beruf, das sehe ich an seinem Vater. Der
ist ganz anders, der kann sehr hart sein.“
Und dann: „Ich habe auch viel falsch ge-
ziehungsweise die, die zu ihren Schwächen
standen?“, frage ich. „Ja, so ungefähr war
es.“
Depression kann als vermiedene Trau-
er angesehen werden. Die Mutter will nicht
trauern, will nicht Abschied nehmen – sie
will ihren Sohn zurück. Damit will sie
freilich etwas Unmögliches, und die De-
Ich denke, dass sie zunächst wirklich ei-
nen Raum braucht, wo sie sich aussprechen
kann, Leid, Schmerz und Schuldgefühle
äußern darf. Einen Raum, wo die Gedan-

ILLUSTR ATION: MICHEL STREICH


und war auf der Suche nach einer Stelle“, macht.“ Als ich nachhake, meint sie: „Ich er angesehen werden. Die Mutter will nicht pression könnte sich endlos hinziehen und ken und Selbstvorwürfe einfach sein dür-
fährt sie bedrückt fort. „Vielleicht war es hätte mehr hinter ihm stehen sollen, nicht trauern, will nicht Abschied nehmen – sie auswirken auf ihr Leben und ihr Umfeld. fen und niemandem auf die Nerven gehen.
das.“ Sie meint die erfolglosen Bewerbun- immer klein beigeben wegen meines Man- will ihren Sohn zurück. Damit will sie Ich denke, dass sie zunächst wirklich ei- Wer sonst will noch ihr Gejammer hören?

lesen und bin beeindruckt: Zum einen strument heißt Dementia Care Mapping
gen, die ihn niedergedrückt haben. Ich Margarethe Schindler nes. Um des lieben Friedens willen.“ freilich etwas Unmögliches, und die De- nen Raum braucht, wo sie sich aussprechen
höre, dass das furchtbare Ereignis über ist Psychologische Psychothera- Schuldgefühle, denke ich. Beim Selbst- pression könnte sich endlos hinziehen und kann, Leid, Schmerz und Schuldgefühle
peutin und arbeitet als systemische
ein Jahr zurückliegt, und sie ist weit davon Paar- und Familientherapeutin in
mord eines nahen Angehörigen, erst recht auswirken auf ihr Leben und ihr Umfeld. äußern darf. Einen Raum, wo die Gedan-
entfernt, darüber hinwegzukommen. eigener Praxis in Tübingen. eines Kindes, kommen die Fragen, was Ich denke, dass sie zunächst wirklich ei- ken und Selbstvorwürfe einfach sein dür-

16 PSYCHOLOGIE HEUTE 03/2016 PSYCHOLOGIE HEUTE 03/2016

sucht unsere Gesellschaft dringend Wege und wurde von Tom Kitwood und ande-
aus dem demografischen Debakel, und ren entwickelt. Es geht aber nicht nur um Vom Trauma zur
zum anderen gibt Hans-Werner Wahl be- das Wohlbefinden beziehungsweise Un- Tagesordnung?
eindruckende Impulse, die im Interview wohlsein, sondern auch um das Erkennen (Margarethe Schindler beschrieb, wie sie eine
so ganz selbstverständlich aus ihm her- von Diskriminierung dementer Menschen Mutter, die ihren Sohn durch Selbstmord ver-
loren hatte, therapeutisch begleitete. „Ich will
aussprudeln wie ein lebendiges und erfri- in diesen Einrichtungen. Und ich finde, mein Kind zurück“. Therapiestunde. Heft
schendes Bächlein. Dafür danke ich ihm Hans-Werner Wahl hat, ganz sicher ohne 3/2016)
sehr. böse Absicht, Tausende Betroffene diskri-
Doch erstens irritiert mich die Aussa- miniert. Steffen Gaudlitz, Edersleben Die Therapiestunde von Margarethe
ge, dass Wahl zwischen „normalen For- Schindler finde ich erschreckend. Eine
men des Älterwerdens“ – ohne Demenz Heimweh ist seelische Folter Mutter verliert ihr Kind durch Selbstmord Die Redaktion behält es sich vor, Leserbriefe zu kürzen
– und folglich unnormalen Formen des (Klaus Wilhelm beleuchtete das Phänomen – kann es in einem elterlichen Leben noch
Älterwerdens – alt werden mit Demenz Heimweh. „Die kleine Trauer“. Heft 5/2016) schlimmer kommen? Und Margarethe
– unterscheidet. Diese Unterscheidung Für Ihren Bericht danke ich Ihnen. Ihre Schindler beklagt, dass diese offenbar
bedeutet, dass Menschen mit Demenz Ausführungen kann ich nur bestätigen. recht empfindsame Frau (jedenfalls we-
nicht normal sind. Ich sage: Menschen mit Dennoch möchte ich noch deutlicher sentlich empfindsamer als der Rest der
Demenz sind normal! werden. Für mich ist Heimweh nicht nur Familie) es nach einem Jahr – einem ein-
Zweitens ist „Demenz“ tatsächlich eine eine kleine Trauer, für mich ist Heimweh zigen Jahr – noch nicht geschafft hat, „los-
„schwerwiegende Krankheit“. Aber sie eine seelische Folter. Seinerzeit zog ich zulassen“?
kommt so häufig vor, dass es völlig normal vom Rheinland nach Hessen. Mein Heim- „Sie muss darüber reden, immer wie-
sein kann, im hohen Lebensalter an De- weh hat und hatte eine solche Kraft, dass der“, schreibt sie, „… sie braucht einen
menz zu erkranken. Oder anders formu- mein gesamtes Immun- und Abwehrsys- Raum, wo die Gedanken und Selbstvor-
liert: Demenz ist nicht nur eine Krankheit, tem zusammenbrach und ich unheilbar würfe einfach sein dürfen und sie nieman-
sondern ein Teil des Lebens vieler im ho- krank wurde. Heimweh ist eine unbe- dem auf die Nerven geht. Wer sonst will
hen Lebensalter. Es hilft also niemandem, schreibliche Qual, eine Mischung aus noch ihr Gejammer hören?“

92 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


In unserer auf Machbarkeit getrimm- Eigensinn als Kompensation? niger Mensch hat vielleicht selbst wenig
ten Gesellschaft dürfen solche auch die (In unserer Titelgeschichte beschrieb Ursula Rücksichtnahme in seiner Kindheit oder
Umwelt verstörenden Erlebnisse, die über Nuber, inwiefern ein „eigener Kopf“ vor Burn- frühe Schicksalsschläge erlebt und sich in
out schützen kann. „Eigensinn“. Heft 3/2016)
jedes Maß hinausgehen und alle Grenzen der Folge in sich selbst zurückgezogen, um
sprengen, natürlich nicht mehr stattfin- Eigensinn kommt vom Sinn. Der Sinn ist sich zu schützen. Das ist aber keine ratsa-
den. In angemessener Zeit ist vom Trauma auf die eigene Person gerichtet. me Lebenshaltung, sondern eine Kom-
zur Tagesordnung überzugehen. Ich selbst Ihren Artikel über Eigensinn halte ich pensation.
habe drei Jahre gebraucht, um über den für bedenklich, denn ich habe Eigensinn Ute Buschmann, Diplompädagogin, Frankfurt am Main
Abschied von einer sehr guten Freundin in weniger gutem Licht erlebt. Mein Vater
hinwegzukommen, und das war „nur“ ei- war ein sehr eigensinniger Mensch, der Freude am Heilgemachten
ne Freundin … überwiegend für sich gelebt hat. Wir war- (Pehnts Alltag handelte von einer Ausstellung
Jedenfalls kann ich mir gut vorstellen, teten sonntags auf das gemeinsame Mit- mit „Reparaturecke“, in der Bastler kaputte
Dinge wieder heilmachten. „Das Glück des
dass die zeitweilige Negation dieser un- tagessen – er kam nicht oder drei bis vier Reparierens“. Heft 3/2016)
erträglichen Realität, das zumindest äu- Stunden später. Er redete wenig und mach-
ßerliche Feststecken in einer nacht- te „sein Ding“, verkrümelte sich in seinen Der Artikel ist in so einem schönen und
schwarzen Depression eine „normale“ Garten oder Bastelkeller und redete wenig. natürlichen Stil geschrieben, dass ich es
Reaktion auf einen solchen Verlust über Er war insofern nicht gerade ein Fami- einfach sagen musste. Mein Kompliment
eine längere Zeit hinweg darstellt. Zu die- lienmensch und eigensinnig im wahrsten an die Autorin! Sie behandelt ein wichti-
ser Zeit ist man mit Sicherheit kein gern Sinne des Wortes. Er ist sehr alt geworden. ges Thema, da wir in unserer Konsumge-
gesehener Partygast. Solche Menschen sind nicht gruppenkom- sellschaft meinen, immer mehr kaufen zu
Und deshalb wünsche ich dieser Frau patibel, sie sind vielleicht manchmal lie- müssen oder die Sachen neu zu besorgen,
sehr, dass sie für die ganze lange Zeit ihrer bevoll, konzentrieren sich aber mehr auf die leicht beschädigt sind. Nun verstehe
Trauer eine kontinuierliche und angemes- ihr eigenes Fortbestehen und zeigen nicht ich auch, warum manche Menschen bereit
sene Begleitung findet, damit vielleicht viel Gefühl. Er war weder autistisch noch sind, fast so viel Geld für die Reparatur
eines Tages doch wieder ein Sonnenstrahl egoistisch. Er versorgte seine Familie, wo ihrer Schuhe oder Kleidung auszugeben,
in ihr Herz fallen kann. es nur ging, mit allem, aber er war nicht wie die neuen kosten – weil man sich über
Ulrike Burmann, per E-Mail richtig sinnlich anwesend. Ein eigensin- die heilgemachte Sache freut!
Lena Reute, per E-Mai

PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016 93


IM NÄCHSTEN HEFT
DIE AUGUSTAUSGABE ERSCHEINT AM 13. JULI 2016

KLEIDUNG FÜR DIE PSYCHE


TITELTHEMA
Was wir anziehen, prägt das Bild, das andere von
uns haben. Doch in welche Jacke, Hose oder Bluse
wir schlüpfen, beeinflusst auch uns selbst, unser
Denken, Fühlen und Handeln. Wir sollten deshalb
darauf achten, ob wir – je nach Situation – die
richtige Kleidung tragen.

FREUNDLICH GEGENÜBER
FREMDEN
Über Fremdenfeindlichkeit wird in diesen Tagen
viel diskutiert. Weniger bekannt ist, dass es auch
das Gegenteil gibt: Xenophilie, die positive Hal-
tung gegenüber fremden Menschen und neuen Er-
fahrungen. Auf den ersten Blick ist dies ein unge-
wöhnliches Phänomen – neigen wir doch dazu, die
eigene Gruppe zu bevorzugen. Aber das Konzept
„Xenophilie“ kann Antwort geben auf Fragen wie:
Warum engagieren sich Menschen für Fremde?
Warum sind manche Menschen offen für das Un-
bekannte, während andere sich vom Fremden be-
droht fühlen?

„MIT DEM KIND STIMMT


ETWAS NICHT!“
Sie sind voller Vorfreude – und dann heißt es beim
Ultraschall: „Da stimmt etwas nicht.“ Paare, die
während der Schwangerschaft erfahren müssen,
dass ihr Kind schwer behindert sein wird oder
keine Überlebenschancen hat, machen eine furcht-
DIE HARMONIE-FALLE bare Zeit durch. Am Ende steht eine Entscheidung.
Ein Leben in Harmonie – wer möchte das nicht? Kein Streit, kein
AUSSERDEM
Misston zwischen uns und den anderen, kein Konflikt in der Familie
oder am Arbeitsplatz. Doch „Friede, Freude, Eierkuchen“ fordert ● Moraltheorie: Was ist gut, was ist böse?
manchmal einen hohen Preis. Fürs eigene Seelenheil ist es mitunter ● Depression ist keine Frauenkrankheit
● Soziale Medien: Lügen wir häufiger,
besser, die Eintracht zu stören und Dissonanzen auszuhalten.
wenn wir Mails, SMS oder
WhatsApp-Nachrichten schreiben?

94 PSYCHOLOGIE HEUTE 07/2016


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